Ein ansehnlicher Theil der beiden Lausitzen, namentlich die früher unter
sächsischer Botmäßigkeit stehende Niederlausitz, ist mit unermeßlichen
Kieferwaldungen bedeckt, welche unter dem Namen der großen Haide bekannt sind.
Diese ungeheuren Wälder, auf deren feinem Sandboden nur Haidekraut und dürre
Gräser Nahrung finden, erstrecken sich bis in die Nähe der Stadt Görlitz und
bergen in ihrem schattigen Dunkel mehrere Städte und eine Menge Dörfer, so wie
einzeln gelegene Häuser und Vorwerke. Hie und da unterbricht ein niedriger
Höhenzug das einförmige Dickicht, von dem herab man die schwarze Waldung
meilenweit übersehen kann. Am Fuße solcher meist kahlen Hügel haben sich an
Waldbächen,
Durch die ermüdende Oede jener sandigen Haide schleppte sich in den letzten
Tagen des Septembers 1832 ein ärmliches Fuhrwerk, dessen gebrechlicher Bauart
man es ansah, daß es polnischen Juden angehören müsse. Die Räder
Vorn in der sogenannten Kelle saß ein untersetzter Kerl im langen schmutzigen Rock der gemeinen polnischen Trödeljuden. Ein struppiger Bart von unsicherer Farbe bedeckte sein ganzes blaurothes Gesicht, ein vielfach eingebogener Filzhut, hie und da zerbrochen, seinen Kopf. In Ermangelung eines Stützbretes für die Füße ließ er die in starken juchtenen Stiefeln steckenden Beine zu beiden Seiten der Deichsel herabbaumeln, so daß sie, wenn die Räder im Sande tief einsanken, oft den Boden streiften.
Dies polnische Fuhrwerk hatte in schräger Richtung auf einem der vielen tiefen Sandwege die Haide aus der Gegend von Priebus her durchschnitten und erreichte jetzt eine hochgelegene Waldblöße, über die eine etwas besser gehaltene Landstraße führte. Links am Fuße des Haidehügels in grünem, von vielen Gräben durchschnittenen Wiesengrunde lag ein Schenkhaus mit Stallung, Scheuer und Schuppen. Hinter den Wiesen sah das graue Dach einer Torfgräberhütte unter den Bäumen hervor, und weiter hin beschrieb die Haide einen schmalen Bogen, durch welchen man die blauen Wasserspiegel mehrerer großer Teiche im Abendschein blinken sah.
Die Sonne war dem Untergang nahe und ließ hinter blaugrauen Wolkenschichten
eine Menge jener breiten Strahlen auf die Erde fallen, welche der Landmann für
Vorzeichen nahen Regens
Nach dem Einerlei der Haide mußte dieser unerwartete Anblick einer fernen schönen Gebirgsgegend das Auge der Reisenden erquicken. Auch war der polnische Fuhrmann wirklich so überrascht, daß er unwillkürlich die Pferde anhielt und einige Sekunden die heitere Aussicht dummdreist angaffte. Mehr aber noch, als die farbigen Tinten der Abendbeleuchtung, schien dem Juden ein röthlicher Feuerschein in die Augen zu stechen, der aus dem unfern im Thale gelegenen Schenkhause vertraulich einladend heraufwinkte. Fragend sah er sich um nach dem Greise und zeigte dabei mit der Peitsche nach dem rauchenden Schornsteine der Thalschenke. Der Greis nickte bejahend und in leichtem Trabe flog das ärmliche Fuhrwerk den Sandweg hinab und lenkte in den offen stehenden Thorweg des Gehöftes.
Der Greis war ein hoch gewachsener, von der Last der Jahre nur wenig gekrümmter
Mann. Er trug sich ziemlich altmodisch und vollkommen bäurisch. Kurze
Beinkleider von schwarzem Leder bedeckten kaum das Knie, blauwollene Strümpfe
schützten die Beine und grobe rindslederne Schuhe mit großen messingenen
Schnallen umschlossen seine Füße. Außerdem trug er einen dunkelblauen Tuchrock,
der von oben bis unten mit sehr breiten übersponnenen Knöpfen besetzt war, über
der Brust aber bloß durch zwei silberne Heftchen zusammengehalten wurde und
eine bis
Schon von dem Waldhügel herab hatte der Greis die am Wiesenrande liegende
Schenke an ihrer ganzen Bauart, noch mehr an dem leuchtenden Heerd- oder
Kaminfeuer für einen der vielen gastlichen Haidekretschame erkannt, die in den
endlosen Wäldern zerstreut liegen. Er schien darüber sehr erfreut zu sein und
seine strengen, tief gefurchten Züge, die in einem Zeitraume von mehr als
achtzig Jahren vielen Kummer
Der Wirth stutzte, als er diese obwohl in deutscher Sprache gemachte Bemerkung
hörte und rückte mit größerer Eile, als er sonst zu thun pflegte, ein paar
Schemel an den großen in der südlichen Stubenecke befindlichen Tisch.
Inzwischen sah der Jüngling sich neugierig im Zimmer um, wo der umfangreiche
Kachelofen mit dem großen hellpolirten kupfernen Ofentopfe, und daneben der in
die Wand eingemauerte Kamin, auf dem ein knisterndes Kienfeuer hochauf loderte
und die dämmernde Stube mit grellem Lichtschein beleuchtete, besonders seine
Aufmerksamkeit zu fesseln schienen. Auf der Ofenbank dem Kaminfeuer zunächst
saß eine bejahrte Frau mit hagerm, bleichem Gesicht und drehte rastlos beim
Schein der Flamme die Spindel. Sie war in schwarze Stoffe gekleidet, nur um das
ergrauende Haar, die Stirn mehr als zur Hälfte bedeckend,
»Ich bitte um Nachtquartier für mich und meine Leute,« sagte jetzt der ernste Greis, am Tische Platz nehmend. »Eine gute Streu und ein Gericht Kartoffeln oder Haidegrütze werdet Ihr wohl für uns haben.«
»Für Euch gäb's wohl auch noch ein Stück geräuchertes Fleisch und frisches Sauerkraut,« fiel der Wirth ein, »und dazu möcht' ich Euch rathen, damit Euer Knecht nicht Hunger leiden darf. Mit Erlaubniß, Ihr kommt aus Polen?«
»Tief aus Polen!«
»Nun ich will hoffen, daß Ihr nicht zu den Rebellen gehört und Eure Papiere in
Richtigkeit sind. Die Gensdarmen sind jetzt wachsamer und strenger als vor Jahr
und Tag; denn die Haiden
»Mein Paß steht Euch zu Diensten.«
»Daß mich Gott bewahre! Meinethalb frag' ich nicht, es geschieht blos der Sicherheit der Reisenden wegen. Gäb's nicht Gensdarmerie, mir zu Gefallen brauchten die Pässe, weiß Gott, nicht erfunden worden zu sein! Ihr seid kein Pole scheint mir?«
»Von Geburt nicht.«
»Sah's Euch gleich an, alter Vater! So ehrlich und treuherzig wie Ihr, sieht kein polnischer Bauer aus.«
»Muß ich denn gerade ein Bauer sein?« versetzte der Fremde. »Heut zu Tage trägt mancher einen Rock, der nicht auf seinen Leib gemacht ist.«
»Das trifft sich wohl, alter Vater, indeß wer so viel mit Menschen verschiedenen Schlages umgehen muß, wie der Wirth eines Haidekretschams, der bekommt ein scharfes Auge, glaubt mir's, und so leicht ist ihm nicht etwas weiß zu machen! Ja, ich wollte wetten, daß mehr altwendisches als deutsches Blut in Euren Adern fließt!«
Inzwischen war auch der jüdische Knecht mit seinem Sohne in das Zimmer getreten
und hatte sich abseits vom Schenktische, dem Ofen gegenüber, an einen besondern
Tisch gesetzt. Sie verlangten Schnaps und trockenes Brod mit Salz, das ihnen
nebst einem Glase Bier ein junges Mädchen vorsetzte. Das Mädchen war stark und
kräftig, strotzte von Gesundheit und schien sich um Druck und Noth der Zeit
keine Sorge zu machen. Es richtete einige Fragen an die emsige Spinnerin,
erhielt aber keine Antwort. Erst, als sie ziemlich heftig ihre Fragen
wiederholte und dabei aus Versehen den Faden am Rocken zerriß, sah die alte
Frau erzürnt auf.
»Hinaus sie ihn trugen,
Viel Volk hinterher,
Jüdevoi!
Vor allen sein Liebchen
Ging zwischen zwei Andern,
Jüdevoi!
Das Mägdelein weinte
Und brach ihre Hände,
Jüdevoi!« Bruchstücke noch jetzt unter den Wenden gäng und geber Volkslieder.
»Für mich starb der Liebste,
Für ihn will ich sterben,
Jüdevoi!
Hier hab' ich zwei Messer,
Die hat er gekauft mir,
Jüdevoi!
Eins senkte sie in sich,
Warf's and'r hint'r ihm her,
Jüdevoi!.
Begrabt nun uns Beide
Dort unter die Linde!
Jüdevoi!«
Abermals ließ sie die Stimme sinken und erhob sie erst beim letzten Verse wieder zu verständlichem Gesange, indem sie äußerst langsam in zitternden Tönen und Thränen vergießend mehr rief als sang:
»Sie liebten sich Beide –
In Eines verflochten,
Jüdevoi!
In Eines verflochten.«
Mit steigender Aufmerksamkeit hatte der junge Begleiter des Greises den Gesang verfolgt. Als nun die spinnende Alte am Schlusse des Liedes die Spindel auf ihren Schooß sinken ließ und schluchzend das Gesicht in die magern Hände drückte, sagte Paul, zu dem Greise gewandt: »Großvater, war das nicht meiner verstorbenen Mutter Lieblingslied?«
»Es war das Lied, das sie nimmer vergessen konnte, die arme Seele!« erwiederte die alte Wende. »Man kennt und singt es, so wenn die wendische Sprache reicht, zumal, wenn man ein selbst erlebtes Unglück zu beweinen hat. Aber wie, Herr Wirth, wie kommt die alte Mutter zu dem Liede?«
Der Wirth zuckte die Achseln. »David wäre viel zu erzählen,« versetzte er,
»wenn ich Euch mit den Einbildungen einer schwachsinngen alten Frau unterhalten
wollte. Wir sind darauf gewöhnt und lassen uns nicht mehr durch ihre Gesänge
stören. Wohl zehn-und mehrmal täglich
Das Mädchen hatte unterdeß ein Linnentuch über den Tisch gebreitet, eine Schüssel kaltes Rauchfleisch und gewärmtes Sauerkraut aufgesetzt, und auch ein paar Gläser Bier eingeschenkt. Dann legte sie neue Kienspäne auf die Kaminplatte und fachte die Flamme mit ihrem Athem an, bis sie knisternd hoch aufflackerte und die geräumige Stube leidlich erhellte. Lichter wurden nicht angezündet, das Kaminfeuer mußte, so gut es gehen wollte, deren Stelle ersetzen.
»Nun langt zu, alter Vater, und Du, blonder Junge, sieh munter in die Welt!«
ermahnte der Wirth seine Gäste, selbst zulangend und ein tüchtiges Rippenstück
auf seinem hölzernen Teller, deren einen jeder Gast erhalten hatte, emsig
zerlegend. »Wart Ihr lange in Polen?« fragte er den Greis. »Vordem ging viel
Volks dahin, auch hier aus der Gegend. Man erzählte
»Persönlich bin ich verschont geblieben,« versetzte der Wende, »aber zwei meiner Enkel mußten den Aufstand mit ihrem Leben büßen. Doch laßt uns davon schweigen! Es ist nicht gut von Dingen reden, die nicht zu ändern sind.«
»Gedenkt Ihr Euch wieder ganz in Deutschland niederzulassen?« nahm der Wirth das Gespräch abermals auf, da es ihm nicht gemüthlich war, sein Mahl stillschweigend zu verzehren.
»Das hängt von Umständen ab,« erwiederte der Greis, »und vielleicht könnt Ihr mir selbst über Einiges, das für mich bestimmend sein dürfte, Aufschluß geben.«
»Von Herzen gern, Landsmann. Nur zugefragt und Ihr sollt Antwort haben, bis meine Zunge sich nicht mehr rühren kann.«
»Hier und aller Orten in der Haide bis hinauf an die Berge in den böhmischen Grenzen.«
»Da werdet Ihr vermuthlich in früherer Zeit von einem vielbekannten und in seiner Art berühmten Manne gehört haben, den man zu meiner Zeit nur den Maulwurfsfänger nannte von dem Gewerbe, das er trieb. Wißt Ihr wohl, wo und wann der Mann gestorben ist und ob seine Verwandten noch leben? Denn Kinder hat er meines Wissens nicht. Wenigstens war er niemals verheirathet.«
»So gerade heraus, alter Vater, kann ich auf Eure Frage nicht antworten. Es gibt hier in den Haiden mehrere Maulwurfsfänger, alte und junge, die sich alle nähren, viel herumkommen auf den Dörfern, bei Bauern und Herren leicht Quartier finden und alle, der Eine mehr, der Andere weniger, einen guten Ruf haben.«
»Derjenige, den ich meine, kann nicht zehn volle Jahre jünger sein, als ich. Er
war nicht aus der Haide, auch kein Wende von Geburt, sondern ein rechter
hartköpfiger Oberlausitzer. Bin ich nicht ganz irre, so lebten seine Aeltern
auf dem Hahne unterm Hochwalde. Später zog
»Mein Gott, mein Gott, wie ist mir denn?« sagte der Wirth im Haidekretscham. »Gewiß, ich kenne den Mann und sicherlich leb er noch und treibt sein Gewerbe so sachte hin immer noch fort; wenn ich mich nur auf seinen Namen besinnen könnte.«
»Mit dem Spitznamen hieß er Pink-Heinrich, weil ihm des vielen Sprechens wegen die Pfeife häufig ausging und er fortwährend genöthigt war, aufs Neue Feuer anzuschlagen, was die Oberländer ›pinken‹ heißen.«
»Meine Seel', alter Vater, Ihr habt Recht!« rief erfreut der Wirth aus, das
erhobene Glas wieder niedersetzend, ohne es zum Munde zu führen. »Der Mann lebt
und wie Gesund und frisch wie ein junger Bursche und alert wie eine Forelle!
Weiß Gott, wie er es macht, daß ihn nichts auf Erden anficht, weder Krankheit,
noch Krieg, noch Kummer noch Arbeit! Er läuft wie ein Rebhuhn noch heut sein
Zustimmend lächelnd nickte der Greis freundlich mit dem Kopfe. »Ihr schildert den Pink-Heinrich meiner Jugend, den wackern Helfer in jeglicher Noth, den Freund aller Armen, Nothleidenden und Bedrückten und den unversöhnlichen, aber schlauen Feind rechtloser Gewalthaber! Er lebt! Gott, der Mann lebt! Und wißt Ihr, wo ich ihn treffen, ihn sprechen kann?«
Zwar kam es dem Wirth sonderbar vor, daß sein Gast, der seit langer Abwesenheit tief aus den Wäldern des zerrütteten, mit Blut gedüngten, rechtlos unterjochten Polen kam, mit solchem Jugendfeuer von einem Manne sprach, der in der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr Geltung hatte, als der gemeinste Tagelöhner, indeß war er doch auch zu gutmüthig und mittheilsam, als daß er einen Gast, der noch dazu von Stamm sein Landsmann war, nicht die gewünschte Auskunft hätte geben sollen.
»Wie so?« warf der Greis fragend ein.
»Ich vermuthe dies blos, weil der Mann so lange ich ihn kenne, und das mögen
jetzt an die zwanzig Jahre her sein, alle Sonntage, dir Gott werden läßt, und
an denen nicht Hagen
»Ob ich ihn kenne!« sagte der Greis, die Hände faltend und seine großen blauen Augen mit schauerlichem Ernst zum Himmel aufschlagend.
»Nun seht,« fuhr der Wirth fort, den die geheimnißvolle Schweigsamkeit des
alten Wenden immer mehr anzog, »heut ist Sonnabend, will's Gott, und wenn Ihr
morgen in der Frühe mit Eurem ungläubigen Kutscher aufbrecht und die Richtung
nicht ganz verliert, auch Euer gottserbärmliches Gerüll von Wagen nicht auf
unsern mitunter holprigen Wurzelwegen zerbricht, so mögt Ihr in den ersten
Nachmittagsstunden am Fuße der Königshainer Berge ankommen. Macht Ihr Euch dann
auf den Weg und geht schnurstracks nach dem Todtensteine, den Ihr in einer
guten halben Stunde vom Gasthofe aus erreichen könnt, so werdet Ihr unter
irgend einer der vorspringenden Felsenkanten den Mann, den Ihr sucht, in
stilles Nachdenken verloren sitzen sehen! Ob er ein Anhänger des lieben
Heidenthums ist, das vor alten Zeiten in der Gegend gehaust haben soll, oder ob
er heimlich Schätze gräbt
Sichtlich erheitert reichte der alte Wende dem Wirth die Hand über den Tisch,
dankte und trank ihm nach altwendischer Sitte zu. »Gott segne Euch und Euer
Haus für diese Auskunft!« sagte er. »Ruhiger, als ich glaubte, lege ich jetzt
mein weißes Haupt auf das Stroh nieder, das auf dem Boden meiner theuren
Heimath gewachsen ist! Schwere, traurige, furchtbare Schicksale vertrieben mich
daraus und ich verließ sie mit der lähmenden Gewißheit, sie nie mehr wieder zu
sehen. Aber der Herr hat es anders mit mir beschlossen. Er will vielleicht die
Wunden, welche seine prüfende Hand meinem armen Herzen in den Jahren der Kraft
schlug, jetzt im Alter heilen und einen vollen, segnenden Strahl seiner Gnade
mir schenken! Sein Name sei gepriesen, was mir immer begegnen möge, aber
verdreifacht wird mein Glaube werden, der mich
Der Greis sprach so ernst und feierlich, daß selbst dem etwas neugierigen Wirth, der gern heiter und launig war, die Wiederanknüpfung des Gespräches verleidet ward. Er schwieg gänzlich, auch der jüdische Kutscher mit seinem Sohne flüsterte nur leise, dagegen erhob die spinnende Alte, die schon längst wieder ihrer Gewohnheit nach die Spindel drehte und ein Gespräch nur dann beachtete, wenn Worte darin vorkamen, die irgend ein vergangenes Ereigniß urplötzlich in ihr unklares Gedächtniß zurückriefen, abermals ihre Stimme. Phantastisch die linke Hand schüttelnd, sprach sie in singendem dumpfem Tone:
»Zu Haus, im Felde
Zwiefache Noth!
Schlimm ist's für Jeden,
Der hat kein Brod!«
Dann fiel sie sogleich in ein lustiges Gelächter, stampfte taktmäßig mit dem
Fuße auf das Bänkchen ihres Rockenhalters und sang munter
»Tom tom tinz,
Sie buck 'ne Blinz;
Tom, tom tich,
Drauf lüstert's mich.
Tom tom tin,
Sie gab mir ihn;
Tom tom tauf,
Ich aß ihn auf.
Tom tom ther,
Ich wollte mehr;
Tom tom ticht,
Sie gab mir's nicht.
Tom tom terr,
Da kam der Herr,
Tom tom tort,
Ich wälzt' mich fort.«
»Wollt Ihr nicht Feierabend machen, Mutter Maja?« sagte jetzt der Wirth zu der
wunderlichen Alten, als sie den barocken Gesang endigte. »Ihr habt ja bald
einen ganzen Rocken abgesponnen und was soll ich mit dem vielen
»Wohl gesprochen, mein Sohn! Ich will schlafen gehen,« erwiederte die Alte, schob den Rocken bei Seite und steckte die Spindel darauf. »Des Nachts seh' ich die Wassernixen tanzen, und wenn sie singen und mit mir reden, macht's mir keinen Aerger, wie das dumme Geschwätz der Mägde. Gute Nacht, Jürge; wünsche angenehme Ruhe, edle Herren!«
Sie stand auf und machte ein paar tiefe Knixe gegen die Fremden, worauf sie langsam die Thür aufstieß und quer über die Hausflur nach ihrer eigentlichen Wohnung schritt. Denn Mutter Maja lebte als Wittwe des früheren Wirthes und als Mutter des jetzigen im Ausgedinge.
»Es ist übel mit solchen alten Leuten,« sagte Jürge zu seinen Gästen. »Mit
Härte und Gewalt ist nichts von ihnen zu erlangen und Güte und freundliches Zu
reden fruchten blos dann,
Nach seiner Weise gab der Greis seine Zustimmung durch Kopfnicken zu erkennen.
Die heitere, unbefangene Unterhaltung des Wirthes gefiel ihm und er hätte gern
noch etwas Näheres
»Solltet Ihr früher wach sein, als ich oder meine Leute,« sagte der Wirth, nachdem die Streu auf umgestürzten Schemeln bereitet war, so dürft Ihr blos mit dem Deckel des Ofentopfes herzhaft klappern. »Das ist unsere Klingel, für die wir allesammt ein gar feines Ohr haben. Gute Nacht, der Herr behüte Euch!«
Er drückte seinen Gästen nochmals die Hand und ging dann ohne Licht, wie die Uebrigen, in die an die Wohnstube stoßende Schlafkammer.
Unter halblautem Gebet streckten sich Greis und Jüngling auf die duftige Streu.
Wie schläfrig aber auch Paul den ganzen Abend gewesen war, so munter ward er
jetzt, als jedes Geräusch um ihn her verstummte. Die bleichen Flämmchen, die
noch zuweilen über dem Aschenhäufchen des erlöschenden Kaminfeuers gaukelten,
zogen seine Aufmerksamkeit auf sich und beschäftigten seine Einbildungskraft.
Die todte Stille der Haide, von keinem Thierlaut unterbrochen, wirkte
gewaltiger auf den Geist des Jünglings ein, als das verworrenste Gelärm. Die
Nacht war so still, daß nicht einmal das fast nie feiernde leise Rauschen der
Wälder, dies Athmen der Natur, gehört ward. Sanft rieselnd
Das wiederholte tiefe Aufseufzen des Großvaters sagte ihm, daß auch diesen der Schlummer fliehe. Jetzt mehr als vorher, wo fremde Gesichter ihn störten, zum Reden aufgelegt, sprach er zu dem Greise:
»Ihr schlaft auch nicht, Großvater?«
»Mit den Jahren kommt der Schlaf nur langsam, doch laß Dich dadurch nicht in Deiner Ruhe stören, Paul!«
»Mir ist's, als hätt' ich schon ausgeschlafen. Hört nur, wie es regnet!«
»Haidewetter, nichts weiter!«
»Großvater, ich möcht' Euch was fragen.«
»Wer verwehrt es Dir?«
»Haben wir noch weit bis an den Ort, wo meine selige Mutter geboren ward?«
»Nein, Paul! Wir kommen aber vor jetzt nicht dahin.«
»Aber warum denn nicht? Ich möchte so gern das Haus sehen, wo sie gewohnt, wo sie Euch gepflegt und geliebt hat.«
»Du hast mich oftmals gefragt,« fuhr der Greis fort, »weshalb ich, da es doch
sonst Niemand zu thun pflegt, mit ledernem Riemen mir Haar und Stirn umwinde?
Es geschieht dies zur Erinnerung an eine schwere und furchtbare Vergangenheit,
deren Schauplatz diese endlose Haide und deren Umgegend ist. Oft, lieber Paul,
ehe die blutige Revolution in Polen ausbrach, hast Du den Zustand der elenden
unwissenden
Hier überwältigte das Gefühl den alten Wenden, die Stimme versagte ihm, in lautem Schluchzen und weinend barg er sein Antlitz in die zitternden Hände.
»O Gott, o Gott!« rief Paul. »Wie kann dies möglich sein!«
»Es war noch weit mehr möglich,« versetzte der Greis, sich wieder beruhigend.
»Höre mich an und schweige! – Wir, die wir einem und demselben Herrn unterthan
waren, wir erhielten von ihm am Tage der Confirmation den Stirnriemen als
Schmuck und Zierde, wenn Du willst als Abzeichen. Wie man den Schaafen mit
glühendem Eisen eine Ziffer in ihre Wolle brennt damit kein Anderer sie als
sein Eigenthum ansprechen kann, so legte uns unser Herr und Gebieter
»Aber Ihr entkamt ja doch, Großvater Ihr fandet in Polen Aufnahme und ein freies Leben, warum kehrt Ihr nun dahin zurück, wo es Euch so elend erging, und noch dazu mit der Abzeichen der Knechtschaft um die Stirn?«
»Ja,« sagte der Greis, »ich entkam, aber nicht allein, nicht, weil ich es
überdrüßig was zu dienen, sondern in Folge eines Ereignisses wovon Du später
hören sollst! – Warum ich
»Gewiß, Gott wird Euer Gebet erhören!« sagte Paul mit der naiven Zuversicht
eines jungen Menschen, der noch geneigt ist, die Lehren der Schule ohne
Bekrittelung als untrüglich hinzunehmen. »Ihr werdet dann auch Eure Enkelin,
meine Schwester, wiedersehen, von der ich Euch so oft heimlich mit der Mutter
sprechen
Ein letztes Aufflackern des Kaminfeuers warf bei diesen Worten helle Lichter auf den Greis. Paul er schrak, als er die entsetzten Mienen des Großvaters gewahrte, die seine Bemerkung hervorgerufen hatte.
»Um Gott, Großvater!« schrie der Jüngling auf und warf sich an die breite Brust des Greises. »Was ist Euch? Ihr seht ja bleich, wie die steinernen Männer auf den Kirchhöfen, und Eure Augen glühen wie Kohlen!«
»Fürchte Dich nicht,« erwiederte der Alte, schwer aufathmend. »Ich zürne nicht, ich bin auch nicht krank, ich wußte nur nicht, daß schlafende Kinder zuweilen wachen.«
»Ich darf also hoffen, meine Schwester zu sehen?« fragte Paul nochmals.
»Deine Schwester! Nun ja, ja, Du hast oder hattest eine Schwester, aber ich weiß doch nicht, ob Ihr einander liebhaben würdet!«
»Hat denn die selige Mutter nie etwas von ihr gehört?«
»Sie war verschollen oder verloren gegangen,
»Das ist traurig!« sagte Paul. »Ich war immer der Meinung, jener Brief mit dem zerbrochenen Kreuz, der Euch so heftig erschütterte, sei von dieser unbekannten Schwester und ihr gelte unser Besuch, nachdem wir in Polen keine näheren Freunde mehr hatten.«
»Allerdings war es jener Brief, den ich noch auf meinem Herzen trage, welcher
mich zum Verkauf meines kleinen Höfchens veranlaßte. Er rührte von dem Manne
her, den wir morgen aufsuchen wollen. Der Maulwurffänger war, so lange ich in
meiner Heimath lebte, mein treuester, uneigennützigster Freund. Er war der
Letzte, dem ich beim Abschiede die Hand drückte und der mir wiederholt die
Versicherung gab, daß er nie aufhören würde, meiner zu gedenken und nach
Kräften für Freimachung meiner Stammbrüder zu wirken. Wir versprachen uns
gegenseitig, einander zu schreiben, aber die Sorgen und Mühen schwerer Jahre
ließen mich dies Versprechen scheinbar vergessen. Ein einziges Mal bald nach
meinem Anlauf meldete ich dem Freunde, wie es mir in der Ferne gehe, und bald
kam ein
»Habt Ihr ihm denn unsere Ankunft gemeldet?«
»Wie hätte ich dies vermocht! Auch bedarf es dessen nicht! Ich kenne den Muth und die Ausdauer Heinrichs, der nicht müde werden würde, täglich nach mir auszuschauen und die Hoffnung erst mit dem letzten Athemzuge aufzugeben. Ist er, wie der Wirth versichert, wirklich noch am Leben, so finden wir uns irgendwo zusammen, um uns fernerweit zu berathen.«
»Nun dann, Großvater, laßt uns freudig Vertrauen fassen,« sagte Paul.
»Unangefochten
Die ungeheuchelte natürliche Frömmigkeit des Enkels rührte den Greis und gab ihm wirklich ein Vertrauen, das eigener Wille nicht mehr lebendig machen konnte.
»Amen! Amen!« versetzte er. »Du sprichst, wie rechtgläubige Christen handeln sollten. Komm denn und laß uns beten!«
Und der Greis kniete auf sein Strohlager, streckte die Arme nach seinem jungen
Enkel aus und schloß ihn fest an seine Brust. Paul aber begann mit bewegter,
halblauter Stimme eines jener langen, aus einer Menge Bibelsprüche und
Liederversen zusammengesetzten Gebete, worauf die Landleute besonders viel
halten, herzusagen.
Wohl eine Viertelstunde beteten Großvater und Enkel. Dann küßte Paul die faltige Stirn des Greises und Beide legten sich wieder auf die harte, prunklose Streu. Noch hörten sie eine Zeitlang das raschelnde Brüseln des feinen Regens an den Fensterscheiben, zählten die Tropfen, die in gemessenen Pausen durch eine schadhafte Stelle des Daches über ihnen auf einen metallenen Gegenstand fielen, und versanken dann unmerklich in einen erquickenden traumlosen Schlummer, aus dem sie erst durch das Knarren der Thür wieder erweckt wurden, welche zur Kammer des Wirthes führte.
Ein kühler Nordwestwind hatte über Nacht die Regenwolken zerstreut und die rein und klar aufgehende Sonne verhieß einen schönen Tag. Mit freundlichem »guten Morgen!« grüßte der Wirth seine Gäste, die schnell aufstanden und die Strohhälmchen, welche an Haaren und Kleidern hängen geblieben waren, abschüttelten.
»Ihr habt eine ruhige Nacht gehabt unter meinem Dache, will ich hoffen?« sprach der Wirth, klappte den Deckel des Ofentopfes auf und fuhr mit beiden Händen in das noch laue Wasser. »Schönes Reisewetter heut und gute Haidewege! So ein anhaltender Nachtregen ist der beste Wegausbesserer. Ihr findet harten Sand bis an die bergigen Lande hin.«
»Zünde Feuer an, Lene!« befahl der Wirth, »Der Morgen ist schaurig, und ehe die Sonne über die Haide geht, fegt uns der Wind die ganze Stube aus. Du kannst auch ein Kienfeuerchen anmachen der Heimlichkeit wegen und hörst Du, sag' dem Knecht, er solle das faule Judenpack wecken und ihm die Pferde unserer Nachtgäste anschirren helfen! Ihr wollt doch bei Zeiten aufbrechen,« fuhr er, zu dem Greise gewandt, fort, »oder habt Ihr Euch anders besonnen?«
»Mein Beschluß steht fest. Sobald der Fuhrmann gefüttert hat, brechen wir auf.«
»Doch zuvor eßt Ihr noch ein paar Löffel frische Grützsuppe. Die Lene versteht sich auf die Kocherei, wie selten eine Dirne. Euer Lebtage, sag' ich Euch, habt Ihr in Polen keine solche Grützsuppe gegessen, wie ich sie Euch vorsetzen werde.«
Dankbar nahmen die Reisenden diesen Vorschlag
»Habt Dank,« sprach er, »für Quartier, Kost und gute Auskunft, die Ihr mir gegeben. Der Herr vergelt's Euch tausend Mal, und sollten wir uns einmal wieder zusammenfinden, will's Gott, so möge unser Wiedersehen ein recht fröhliches sein. Behüt' Euch Gott!«
»Reis't glücklich, alter Vater, und macht gute Verrichtung! Aber sagt, wollt Ihr mich so fremd wieder verlassen, als Ihr in mein armes Haus getreten seid? Es ist Sitte bei uns, daß ein Nachtgast seinen Namen zurückläßt. Also, wie nennt Ihr Euch?«
»Jan Sloboda,« versetzte der Greis. »Der Name erlöscht mit meinem Tode, da ich keine männlichen Nachkommen habe.«
»Gottes Segen auf Euer Haupt, Jan Sloboda!« rief der Wirth, schüttelte dem
Alten wiederholt die Hand und half ihm in das zerbrechliche Fuhrwerk steigen,
das bereits vor der
Der sandige, vom Nachtregen festgeschlagen Weg führte dicht an den großen
Teichen von über, die alle nur durch schmale Dämme getrennt waren und mittelst
Schleußen mit einander in Verbindung standen. Zusammen bildete sie eine
ansehnliche Wasserfläche, die auf alle Seiten von der dichtesten Haide
umschlossen ward. Ein paar Vorwerke, Torfhütten und ein Forsthaus lagen in der
Nähe auf ausgerodetem Haideboden. Der Fahrweg streifte fast die Försterwohnung,
bog alsdann wieder in die Kieferwaldung ein und verlor sich im Dunkel der
hohen, rauschenden Stämme. Die Reisenden brauchten ein paar Stunden, um diese
Wälder in querer Richtung zu durchschneiden, und sie würden auf diesem
einförmigen Wege lange Weile gehabt haben, wären sie nicht von Zeit zu Zeit an
Köhlerwohnungen und Pechsiedereien vorübergekommen, um die es immer ein buntes
Gewimmel von Menschen gab. Auf freien, hochgelegenen
Mit dem Aufhören der Haide nahm die Gegend sogleich einen andern Charakter an. Thäler, Hügel, Berge und Felsgruppen traten zu romantischen Aus-und Ansichten zusammen. Klare, lebendige Bäche hüpften murmelnd über Kies und schimmerndes Gestein. Heitere Dörfer zogen sich in Thälern und an Hügeln hin. Kirchthürme blinkten im Sonnenschein und die hohen Giebel und alten Thurmzinnen manchen Edelhofes sahen aus ehrwürdigem Ulmen- und Eichengebüsch hervor. Das Geläut der Glocken, die zur Kirche riefen, ertönte auf allen Seiten, und berührten die Reisenden ein Dorf, so begegneten sie häufig geschmückten Mädchen und Frauen, die wohl dem ungewohnten Fuhrwerk verwundert nachsahen.
Obwohl der Jude seine Pferde tüchtig antrieb, war die Mittagsstunde doch schon
vorüber, als das am Fuß seiner romantischen Gebirge prächtig gelegene
Königshain den Reisenden
Von einer Menge gaffender Kinder umgeben, erreichte das polnische Fuhrwerk den Gasthof. Hier beschloß der Greis bis auf Weiteres zu rasten, ließ ein Mittagsmahl auftragen und erkundigte sich, gleich einem Fremden, nach den Sehenswürdigkeiten der Gegend und namentlich nach den umliegenden merkwürdigen Felsbergen. Der Wirth war sogleich bereit, jede möglich Auskunft zu geben. Er hielt die Reisenden für Russen schon wegen der ungewohnten Tracht des Greises und pries ihnen die wundervolle Aussicht auf den nahen Bergen, namentlich auf dem Todtensteine, mit beredter Zunge an.
»Den Todtenstein, ja, den müssen Sie sehen, meine Herrschaften,« sagte er, auf
einem Schemel
Nach diesen Bemerkungen, die Sloboda dankend hinnahm, erbot er sich, da es
gerade Sonntag sei und er weiter nichts zu thun habe, die Reisenden, wenn sie
es wünschen sollten, zu begleiten. Damit war aber dem Greise nicht gedient,
weshalb er für diese Gefälligkeit dankte unter dem Vorwande, daß er schwerlich
schon heut
Auf Stegen, die ihm noch wohl bekannt waren, führte Sloboda seinen Enkel aus dem Dorfe. Ein vielspuriger Feldweg zog sich den Berg hinan, dessen Gipfel die hohe und breite Steinmasse der granitenen Burg schmückte. Links und rechts war der Berg eine gute Strecke hinauf bebaut, bis Steingeröll, Schlinggewächse und Schwarzholz das fruchttragende Erdreich verdrängten.
Etwa einen Büchsenschuß von dem Todtensteine entfernt hörte der eigentliche Weg
auf. An dieser Stelle übersah man das reich angebaute Land mit seinen Dörfern,
Schlössern und Kirchen bis weit in die Lausitz hinein. Sloboda blieb stehen und
kehrte sich um. Eine Thräne
»Welches Unglück, Großvater?«
»Das mich vertrieb, mich flüchtig und heimathlos machte und Dich unter einem fremden Volke geboren werden ließ.«
»Und das meine arme Mutter nie vergessen konnte?«
»Das sie nie vergessen durfte!« wiederholte Sloboda mit dumpfem Zornesgrolle.
»Ach warum habt Ihr so oft davon gesprochen und mir doch nie gesagt, worin es bestanden hat!«
»Weil es unnütz gewesen wäre! Doch jetzt Paul, ist vielleicht die Zeit gekommen, wo Du erfahren mußt, was Deine Mutter, Dein Vater, was ich und alle Diejenigen erduldet haben, die vor vierzig und mehr Jahren in diesen gesegneten Fluren lebten! Darum laß uns eilen! Dort oben unter den drohenden Granitklippen des Todtensteines wird sich das Räthsel lösen!«
Mit sonderbaren Gefühlen traten die beiden
Die Reisenden mochten etwa noch hundert Schritte von dem Felsen entfernt sein,
als Sloboda
»Was war das?« fragte er mehr sich selbst als seinen neben ihm herschreitenden Enkel.
»Ich glaube, es schlug sich Jemand in der Nähe Feuer an,« versetzte Paul und blieb horchend stehen. Indem wiederholte sich das Geräusch deutlich und die Horchenden konnten nicht mehr zweifeln, daß wirklich irgend wer mit Stahl und Feuerstein zu schaffen habe.
»Paul,« rief Sloboda mit gepreßter, vor Freude und Erwartung zitternder Stimme, »das ist Niemand als Heinrich, mein Jugendfreund, der ehrliche Maulwurffänger vom Todten!«
Mit verdoppelter Eile kletterten sie nun über das von hohem Farrenkraut,
Ginster und anderem Gesträuch wild bewachsene Steingeröll, erreichten die
erwähnte Schlucht, in welcher hölzerne Stiegen zur Erleichterung des
Hinaufklimmens eingekeilt waren, und erblickten jetzt den moosbewachsenen, von
Epheu dachartig überwölbten Teufelssitz. Er war nicht leer, ein Mann hatte ihn
eingenommen, der eben damit beschäftigt war, ein frisch angezündetes
Unschlüssig blieb Sloboda stehen und betrachtete den Rauchenden so gierig, als
wolle er ihn mit seinen Blicken durchbohren. Der Mann am Teufelssitze war von
untersetzter Statur, stämmig und von breitem Schulterbau. Sein Gesicht ähnelte
einem Europäer nur wenig, so dunkelbraun hatten es Sonne und Wetter gefärbt.
Wie alle Landleute dieser Gegend trug er keinen Bart. Ein schmales, spitz
zulaufendes Kinn, ein kleiner Mund und eine keckgebogene stolze Adlernase, über
der sich trotzig eine stark gewölbte, etwas vorspringende Stirn erhob, gaben
ihm ein unternehmendes, furchtloses und ungemein listiges Ansehn. Ein offenbar
viel getragener und nur bei alten Leuten noch üblicher dreieckiger
Als dieser Mann seine Pfeife gehörig in Brand gesetzt hatte, schlug er die Beine über einander und sah aufwärts nach dem Himmel, als wolle er das Wetter erproben. Dabei fiel sein Blick auf die Fremden, die kaum zwanzig Schritte von ihm an einem Felsblock lehnten. Dieser Blick war so merkwürdig, so charakteristisch, daß, wer nur ein Mal von ihm getroffen ward, ihn nie wieder vergessen konnte. Wie ein silberner Funken glitt er aus einem krystallklaren, hellgrauen Auge, in dem ein unbeschreibliches Gemisch von Gutmüthigkeit und Schalkheit, von Humor und Ernst, von Stolz und Demuth lag. Starke und struppige eisgraue Augenbrauen verliehen diesem wunderbarem Auge noch mehr Charakter, während das lang gewachsene Haupthaar, das ein schwarzer Hornkamm am Hinterkopf zusammenhielt, zu scheuer Ehrfurcht aufforderte.
»Du irrst Dich nicht, Heinrich, ich bin Jan Sloboda!« rief der Wende und warf sich dem Jugendfreunde gerührt an die Brust.
Der Maulwurffänger, nicht gewohnt, seine Gefühle rücksichtslos zu offenbaren, erwiederte die Umarmung des alten Freundes herzlich, aber weniger stürmisch, als der heftig ergriffene Greis. Er stand auf und ohne langes Hin- und Herreden Pauls Hand ergreifend, der dieser Begrüßung stumm zugesehen hatte, zog er Beide mit sich fort nach einem Ueberhange, unter dem sich eine breite Moosbank, geschützt gegen den Luftzug, befand.
»Hier setzt Euch, Großvater und Enkel,« sprach er heiter lächelnd, »denn daß der schlanke Junge Dich etwas angeht, das ist ihm auf die breite Stirn geschrieben. Also niedergesetzt und dann erzählt, ruhig, ohne Sprung und Leidenschaft! Hat mein Brief Dich gefunden?«
»Ihm verdanke ich es, daß ich Dich noch
»Ja,« fiel der Maulwurffänger still lachend ein, »ein Erdfahrer wie ich, der mit allerhand schlechtem Gewürm frühzeitig Bekanntschaft macht, wird bei Zeiten klug und hart gegen weltliches Ungemach und menschliche Tücken. Noch fühle ich mich kräftig, wie vor vierzig Jahren, und wenn's mir nachgeht und meinem Willen, so höre ich unter zwanzig Jahren nicht auf, die feinöhrige Brut in ihren Schatzgräbereien zu stören. Aber weißt Du, daß mir bange war vor Dir, Alter? Der hat lange in's Gras gebissen, dacht' ich, als ich mich hinsetzte und mühselig die paar Zeilen kritzelte. Denn ich rechnete so: entweder er ist vor Kurzem gestorben oder Polen und Russen haben ihn gemeinschaftlich massacrirt. Daß Du trotz dem am Leben bist und obendrein gesund und hier, hier an dem alten Götzensteine, das freut mich von Herzen, Jan! Wie geht's Deinem Kinde?«
Sloboda zeigte gen Himmel. »Sehr wohl, Heinrich! Sie ging heim, ehe die Revolution beendigt war.«
»Ich bin hier und Du fragst noch?«
»Freilich, Jan! Das Schäkern und Necken hab' ich noch immer nicht verlernt. Verdammt! Da ist mir richtig mein Kraut wieder ausgegangen!« Und – pink! pink! – schlug Heinrich aufs Neue Feuer an und setzte sein Gespräch gemüthlich fort.
»Was veranlaßte Dich zu diesem räthselhaften Briefe?«
»Ein glücklicher Zufall, ein Wunder, wenn Du willst! Du kennst mein Gewerbe,
dem ich von Jugend auf mit Lust und Liebe zugethan war, das mich leidlich
nährte und mir die Bekanntschaft vieler bald guter bald böser Menschen
verschaffte. Ich hab's fortgetrieben bis heut, ohne die Lust dran zu verlieren,
obschon in neuester Zeit wenig mehr dabei zu verdienen ist, weil die meisten
Grundbesitzer sich einbilden, das Maulwurffangen sei keine Kunst, und nun,
was
»Nach Deiner Auswanderung that mir Niemand etwas zu Leide,« fuhr er fort,
»obwohl Mancher heimlich Lust dazu haben mochte. Sie trauten sich nicht an
mich, weil sie mich fürchteten und auch nichts Sicheres gegen mich aufbringen
konnten. So blieb ich denn völlig ungestört wer ich war, und fing Jahr aus und
Jahr ein meine Maulwürfe. Der Edelhof an der Haidenkante, wo damals unser
blauhutener Junker
»Für Röschen!« unterbrach ihn Sloboda.
»Das ist unmöglich, Du hast Dich getäuscht! Röschen hat nie eine Sylbe davon gesagt!«
»Leider wahr! Sie hat nie davon gesprochen, daß ich es wüßte, dennoch aber, Freund Jan, ist die Verschreibung da und ich habe sie daheim wohl verschlossen in meiner Lade.«
»Es muß ein Irrthum sein, Heinrich! Wie hätte sich auch das Papier so lange halten können und wie konnte es in den Maulwurfshaufen kommen?«
Heinrich lachte. »Das ist eben das spaßhafte Wunder dabei,« versetzte er. »Unser Herrgott weiß immer Mittel und Wege zu finden, wenn ihm etwas daran gelegen ist, altes furchtbares Unrecht auszugleichen und frühere Missethaten zu bestrafen!«
»Und was stand in dem Stempelpapiere, das Du eine Verschreibung nennst?«
»Und aus diesem Grunde allein hieltest Du es für nöthig, mich alten Mann über hundert Meilen hieher zu rufen?« fragte mit betrübter Stimme und äußerst niedergeschlagener Miene der alte Wende.
»Ich glaube gar,« erwiederte Heinrich, indem er die schon wieder erloschene
Pfeife durch neuen Schwamm in Brand setzte, »ich glaube gar, Du willst mir
Vorwürfe machen, daß ich Dich aus Deinem halbwilden Schlupfwinkel unter
vernünftige Menschen gebracht habe? Rechne doch nur zusammen, was Dir und
Deinen Nachkommen dieser Fund nützen kann! Der Graf ist
»Du vergißt, alter, ehrlicher Freund, daß jene Nachkommen, deren die Schrift Erwähnung thut, gar nicht vorhanden sind.«
Der Maulwurffänger sah den Wenden mit seinen hellgrauen funkelnden Augen so schlau an, daß Sloboda ganz verwirrt ward.
»Diese Nachkommenschaft will ich aus ihrem Grabe erwecken,« sagte er düster und mit einem Blick, in dem ein Gemisch triumphirender Lust, Bosheit und Rachsucht funkelte. »Frage mich nicht, alter Freund, was ich damit sagen will, Du sollst es später erfahren! Erinnere Dich nur noch der schauerlichen Hochzeitsnacht, des Herbsttages, der Streu in der Haide –«
»O ich erinnere mich!« rief Sloboda aus, sein Gesicht mit beiden Händen bedeckend, als wolle er die Erscheinung eines erschütternden Bildes, das in grausiger Beleuchtung vor ihm aufstieg, von sich abwenden. »Aber sie kam um – ward umgebracht – mit Gewalt, mit Absicht – ich darf nicht daran denken!«
»So heißt es, Jan, und möglich, daß es
Obwohl Sloboda kaum eine Ahnung von
»Top, es gilt!« sagte Heinrich mit jenem schlauen und gutmüthigen Lächeln, das stets über seine braunen Züge lief, wenn er einen weislich entworfenen Plan seinem Gelingen sich nähern sah. »Ehe wir jedoch die Feindseligkeiten eröffnen, will ich mit meinem Bruder, dem Schulmeister, Rücksprache nehmen. Bei all seinen oft beschränkten Ansichten hat er doch einen praktischen Blick und hinlängliche Rechtskenntnisse, um in den vertrackten Formeln nicht zu verstoßen. Auch kann er gut schreiben, weshalb er die ganze Unglücksgeschichte bis in alle kleinsten Einzelnheiten zu Papiere gebracht hat. Solche Schriften sind gute Gedächtnißaufhelfer, und wenn mir irgend etwas nicht mehr ganz deutlich vor der Seele steht, so werfe ich einen Blick in die Schreiberei und frische die erbleichenden Farben wieder auf.«
Sloboda, von dem Gehörten ganz betäubt, schüttelte mehrmals den Kopf, als könne
und dürfe er nicht daran glauben. Nach einer Weile
»Er starb den Tod der Armen,« versetzte Heinrich. »Fasse Dich nur in Geduld, Du sollst über Nichts in Zweifel gelassen werden und Alles soll beitragen, Deine Feinde, die immer auch die meinigen sein werden, zu demüthigen, wo möglich zu stürzen, Dich aber zu erhöhen.«
»Ich verlange nicht darnach, Freund, ich will mich glücklich schätzen und dem Vater im Himmel danken, wenn ich in nicht gar langer Zeit ruhig und glaubensvoll sterben und dann sagen kann: Gott Lob, Deine Gnade hat sich wunderbar an mir und den Meinigen offenbart!«
»Das ist, nimm mir's nicht übel, Jan, ein Bischen wendisch gesprochen! Die
göttliche Gnade mag eine ganz hübsche Einrichtung sein, zu der wir in schlimmen
Stunden Alle unsere Zuflucht nehmen können, allein mein Kopf- und Ruhekissen
will ich mir nicht damit ausstopfen lassen. Ein Stück redlicher Wille und
geistige Kraft reichen schon eine Weile aus und befriedigen mehr als die liebe
Gnade, und überdies taugt es in dieser verdorbenen Welt oft gar nichts, wenn
Während Heinrich wieder Feuer anschlug, fuhr er fort: »Bisher, Alter, habe ich
von dem gesprochen, was sich hier zugetragen hat, jetzt, dächte ich, wär' es
Zeit, daß Du auch mir Dies und Jenes von Deinen Erlebnissen mittheiltest.
»Paul ist mein Enkel, Du hast es errathen, der einzige noch übrige Sprößling
meines unglücklichen Kindes! – Lieber Gott, was soll ich viel von meinem Leben
voll Arbeit, Mühseligkeit und Drangsal sprechen! – Als ich mit den Meinigen
nach jenem entsetzlichen Ereignisse die Flucht ergriff, nahm ich den
niederschmetternden Eindruck des Erlebten mit mir in die Fremde. Froh und
heiter ward ich nur auf Stunden. Es gelang mir, durch große Sparsamkeit und
unermüdliches Arbeiten nach Jahren etwas vor mich zu bringen, wobei meine
Tochter mit ihrem Manne mich redlich unterstützte. Röschen gebar ihrem Gatten
drei Söhne, wovon Paul der jüngste ist. Sie wuchsen zu unser Aller Freude
kräftig auf und ihre Aeltern glaubten, daß vor dem dereinstigen Glück dieser
Kinder ihr eigenes Unglück endlich ganz in den Hintergrund treten werde. Obwohl
die Aeltern es wünschten, daß sich die um Vieles älteren Brüder Pauls
vortheilhaft verheirathen möchten, blieben sie doch ledig, zu unserm Glück, muß
ich sagen nach
»Pink-Heinrich stirbt nicht so geschwind,« versetzte gutmüthig lachend der Maulwurffänger, sich selbst mit seinem immerwährenden Feueranschlagen persifflirend. »Aber das muß ich sagen, Jan, ein Glücksvogel bist Du grade nicht geworden, ausgenommen, daß Du selber dem gefräßigen Unthiere, das wir so bescheiden Tod nennen, entgangen bist. Freut mich nur, daß meine alten Augen wenigstens ein Stiftchen von dem lieben saubern Haideröschen sehen, in das ich mein Lebtage vernarrt gewesen bin. Gott gebe ihr eine sanfte Ruhe und Dir, ihrem Ebenbilde, eine fröhliche Zukunft!«
Der Maulwurffänger reichte bei diesen Worten dem Jünglinge seine braune,
schwielige Hand, die Paul mit Herzlichkeit drückte. Nur unvollkommen mit den
seltenen Schicksalen seiner Aeltern bekannt, vermochte er nicht ein Wort in das
für ihn äußerst wichtige Gespräch der beiden
»Ich danke Euch, Freund meiner verstorbenen Mutter und meines Großvaters, für den Eifer, womit Ihr Euch bereit erklärt, einer Angelegenheit Eure Kräfte und Geistesgaben zu widmen, von der ich gegenwärtig wenig mehr begreife, als daß dies Alles mir dereinst im Falle des Gelingens zu Gute kommen soll. Gibt es dabei eine Rolle, die meine Kräfte nicht übersteigt, so möchte ich Euch bitten, mir diese zu übertragen. Ich habe schweigen gelernt und mißbrauche kein mir geschenktes Vertrauen!«
»Brav gesprochen, mein Sohn! Just so dachte und handelte auch Deine Mutter, das
schöne, reizende Kind der braunen Haide! – Doch genug für heut, ihr Lieben! Ich
merke, der Wind macht sich wieder auf und treibt ein Rudel Wolken vor sich her,
die nicht das freundlichste
»In der Königshainer Schenke bei einem Wirthe, der fürs Leben gern den Führer gemacht hätte!«
»Ha ha ha! Ich kenne den Götzenleopold! Was bei ihm einkehrt, muß sich auch seine gelehrten Bissen in Suppe und Kaffee brocken lassen. Immer laßt ihn reden, bleibt bei ihm heut Nacht und morgen bis Nachmittags, dann aber macht Euch auf mit Zug und Zeug und kommt in mein stilles Haus. Ich wohne in B ..., ein ganz natürlich gemalter Maulwurf, wie er grade aufstößt, zeigt Euch schon von weitem mein Haus an. Ihr trefft mich des Abends sicher, den Tag über muß ich herumstreichen, da ich verschiedene Geschäftsgänge zu besorgen habe.«
»Gott behüte Dich!« sprach Sloboda, dem Freunde zum Abschiede die Hand
schüttelnd. »Er hat es wunderbar mit mir vor, seh' ich, und will mich nicht zu
Schanden werden lassen zum Jubel meiner Feinde. Morgen Abend, wenn die
»Wer da klopfet, dem wird aufgethan!« citirte listig blinzelnd der Maulwurffänger, langte Stahl und Stein aus seiner Westentasche und verschwand, dem Steine häufige Funken entlockend, hinter dem bergenden Tannicht.
Sloboda und Paul stiegen schweigend den Berg hinab nach Königshain, wo sie Götzen-Leopold den ganzen Abend hindurch mit Geschichten und Sagen vom Todten- und Hochsteine unterhielt, die dem alten Wenden größtentheils bekannt waren, den jugendlichen Paul aber höchlichst ergetzten.
Heinrichs Wohnung lag etwa eine Stunde hinter den Königshainer Bergen im Dorfe
B ..... und bestand aus einem kleinen wohl eingerichteten und in baulichem
Stande erhaltenen Häuschen. An Raum war darin kein Ueberfluß, dennoch konnte
der Maulwurffänger im Nothfalle drei bis vier Gäste beherbergen, ohne dadurch
zu sehr beschränkt zu werden, denn es stand und lag jedes Ding am rechten Orte.
Heinrich hatte noch einen Hausgenossen, den früheren Besitzer der Wohnung, der
sich nach dem Verkaufe derselben, wie dies in der Gegend uralter Brauch ist,
das Gedinge ausgemacht hatte. Es war dies ein stiller, alter Mann von großer,
fast übertriebener Frömmigkeit, die stark nach Herrnhuterei
Schlenker hütete in Heinrichs Abwesenheit das Haus gleich dem treuesten
Kettenhunde, vertrieb sich die Zeit mit Lesen religiöser Bücher, namentlich
solcher, die Missionsangelegenheiten behandelten und über die Ausbreitung des
Christenthums in Asien und auf den Inseln des stillen
Hinsichtlich ihrer religiösen Ueberzeugung waren diese beiden Hausgenossen niemals gleicher Meinung. Heinrich tadelte Schlenker's Hinneigung zum Pietismus und zu zeitraubendem Bitten und Beten, und Schlenker eiferte wieder über den argen Weltsinn seines Hauswirthes und über dessen sündlichen Hang, andern Leuten gelegentlich eine Nase zu drehen. Daß er ihn noch nie in der Kirche gesehen hatte, konnte er ihm vollends gar nicht vergeben. Dennoch aber war er ihm von Herzen gut und konnte Nächte lang in seinem hartgesessenen alten Lederstuhle auf ihn warten und sich die Augen müde lesen, wenn Heinrich, ohne ihn zuvor davon zu benachrichtigen, nicht nach Hause kam.
Besser vertrug er sich mit Heinrichs Bruder,
Täglich kam dieses Kleeblatt bei sinkendem Abende zusammen, um sich über die
Weltangelegenheiten
Am Abende nach dem Zusammentreffen der alten Freunde am Todtensteine waren alle
drei beinahe gleichaltrige Männer in Heinrichs Zimmer versammelt, das überall
Spuren von der Beschäftigung seines Bewohners trug. Zu beiden Seiten eines
schmalen und etwas trüben Spiegels, an dessen oberem Theile die Geschichte vom
keuschen Joseph mit karminrother Farbe auf Glas gemalt war, hingen eine Menge
länglich runder glänzend heller und feiner Drähte an hanfenen Bindfäden. Hinter
dem Spiegel, an den Fensterstöcken und in allen vier Winkeln des Zimmers staken
und lehnten große und kleine Bündel biegsamer Birken-, Eichen- und Buchenstäbe,
Der Maulwurffänger saß hinter seinem großen Tisch von ungemaltem weißen
Lindenholz und beschäftigte sich, die feinen, zarten und wie Seide glänzenden
Fellchen der Feldthiere, die er mit so großem Geschick zu verderben wußte, in
ausgehöhlte lange Hölzer fest zu kleben, aus denen er dann Blaseröhre machte,
die guten Abgang fanden. Schlenker hatte sich am Ofen postirt, die Beine über
einander geschlagen und die breiten, großen Hände seiner lahmen und
abgemagerten Arme um das eine Knie geschlungen. Er hörte mit größter
Aufmerksamkeit der Erzählung Heinrichs zu, die sein Zusammentreffen mit Sloboda
und dessen Enkel schilderte. Auf einem freistehenden Schemel endlich, in
ansehnlicher Entfernung vom Tische, wo der Maulwurffänger handthierte, und fast
in der Mitte des Zimmers saß Gregor der Schulmeister in seiner altmodischen
halbbäuerischen Tracht, denn er ging, wie die alten Leute auf dem Lande, in
kurzen schwarzen Manchesterhosen, Strümpfen und
Gregor hatte die Gewohnheit, sobald er sich irgendwo setzte, seinen Körper nicht allein in eine rechtwinklige Lage zu bringen, was äußerst komisch aussah, sondern auch die Schöße seines Rockes jedesmal sorgfältig zurückzuschlagen und seine prallen Schenkel Jedermann zu zeigen. Den Grund davon konnte Niemand erfahren, und so oft auch Spötter und Witzbolde sich darüber lustig machten, befreite sich der Schulmeister doch immer wieder von den ihm lästigen Rockschößen, indem er rund und nett erklärte, daß es ihm unmöglich sei, anders in sitzender Stellung sich wohl zu befinden.
»Es ist aber doch mit tausend Schrecken!« sagte Schlenker, als der Maulwurffänger eine Pause machte. »Ja rede mir nur Einer von Krieg und Kriegsnoth! Ich weiß ein Lied davon zu singen, daß es Gott im Himmel erbarme!«
Und der tapfere Dragoner griff nach der
»Aber, Freund Heinrich,« fuhr er fort, »bildet Euch nur nicht ein, Ihr mit
Eurem Briefe hättet den Wenden hieher citirt! Wenn Ihr das glaubt, so thut Ihr
Sünde, sag' ich Euch! Daß
»Natürlich, natürlich!« sagte der Schulmeister, seinen langen Rohrstock mit dem glänzenden Silberknopfe bald mit der linken bald mit der rechten Hand zwischen den Beinen drehend.
»Gottgefällig ist sie zuverlässig,« erwiederte Heinrich, ein neues Fellchen
aufleimend, »den Menschen wird aber, sollt' ich meinen, ihr glücklicher
Fortgang verdammt viel Herzeleid machen. Ihr könnt dann Gelegenheit haben,
Freund Schlenker, Eure Gebete an den Mann oder vielmehr an den lieben Gott zu
bringen, denn an
»'s Ist gar mit tausend Schrecken, was Ihr für ein gottvergessener Spötter seid!« sagte Schlenker. »Manchmal mach' ich mir ordentlich ein Gewissen darüber, daß ich mit Euch umgehe, zumal vor dem Einschlafen, wo einem die unrechten Gedanken am ärgsten zusetzen.«
»Setzt Euch lieber die Schlafmütze auf,« erwiederte der Maulwurffänger. »Das hält warm und soll ein vortreffliches Mittel sein, einen gesunden und dauernden Schlaf herbeizuführen.«
»Natur, ganz Natur!« meinte Gregor. »Also heute kommt der wendische Mann, der so viel erfahren hat!«
»Heute, wenn Du's erlaubst, Bruder Schulmeister. Ich habe ihn zu mir eingeladen sammt seinem Enkel und schon mit eigenen Händen die Betten für sie aufgeschlagen. Mich wundert's, daß sie noch nicht hier sind! Wie weit, Bruder, bist Du mit der Auszeichnung dieser verwickelten Geschichte?«
»Ich simulire schon geraume Zeit, wie ich das zuletzt Vernommene schicklich in
Worte fasse. Es ist ein wichtiger Casus, höchst wichtig und
»Mach's, wie Du willst, nur vergiß nichts Hauptsächliches.«
»Natürlich, natürlich! Alles Hauptsächliche ist natürlich.«
»Kann sein, bei Euch Schulmeistern, bei uns andern Menschen ist das Hauptsächliche manchmal ganz verflucht unnatürlich! Wer's nicht glauben will, der denke doch nur an diese vermaledeite Grafengeschichte! Du weißt es ja so gut, wie ich, Bruder Gregor!«
Der Schulmeister wollte auf diese Bemerkung eigentlich blos mit einem beistimmenden Kopfnicken Antwort geben, es fuhr ihm aber doch unwillkürlich ein höchst überflüssiges »ganz Natur« heraus, worauf er seine Miene wieder in die würdevollsten Lehrerfalten zu legen suchte.
Schlenker, der sich über die Antwort Gregors höchlichst verwunderte, konnte
sein Staunen ebenfalls nicht bemeistern und rief sein ihm sprichwörtlich
gewordenes »'s ist gewiß und wahrhaftig mit tausend Schrecken!« was denn dem
In diesem Augenblicke klingelte messingbeschlagenes Riemenzeug vom Wege her, drei muntere kleine polnische Pferde kamen in schnellem Trabe auf das Haus zu, dessen Maulwurf am Giebel schon von weitem zu erkennen war, und rissen das ärmliche Judenfuhrwerk so schnell über die steinige Straße, daß die Speichen in den Felgen seufzten und ächzten.
»Da kommen sie!« sagte Heinrich in seiner gemüthlichen Ruhe und legte das beinahe fertige Blaserohr weg. »Ich bitt' Euch, Schlenker, fallt mir den Alten nicht gleich mit Euern frommen Redensarten an, daß er nicht denkt, er komme in ein Brüderhaus, und Du, Bruder, laß die steifen Complimente sein! Das dumme Zeug taugt nichts.«
»Disciplin, blos Disciplin,« sagte Gregor höchst bedächtig.
»Dummes Zeug!« wiederholte Schlenker die Hände faltend. »Fromme Redensarten
nennt
Inzwischen hatten Sloboda und Paul den polnischen Planwagen verlassen und wurden von Heinrich ins Zimmer geführt. Neugierig starrten Gregor und Schlenker die Ankömmlinge an, die ihrerseits keine Rücksicht auf sie nahmen. Erst als Heinrich ihre Namen nannte, wünschte der ernste Sloboda Beiden einen guten Abend und reichte Jedem die Hand zum Gruße.
»Ehe wir eins ins andere reden, Freund Jan,« begann der Maulwurffänger, »sage mir, was Du mit Deinem Judengesindel anfangen willst. In mein Haus nehme ich das Volk nicht auf, und ob sie der Kretschamwirth beherbergt, bezweifle ich auch; denn wir haben ein Gesetz in den Lausitzen, nach dem Niemand verbunden ist, das Volk von Schacherern und Betrügern über Nacht bei sich zu behalten.«
»Ich werde sie ablohnen,« erwiederte Sloboda. »Pferde und Wagen sind ihr
Eigenthum und von mir nur auf die Dauer der Reise gemiethet. Brauche ich später
wieder einen Wagen, um meine etwas stumpf gewordenen Glieder
»Natürlich, ganz Natur!« sagte Gregor der seinen langern hagern Körper wieder auf den Schemel hatte niederknicken lassen.
Da sich der Wende schon früher mit seinem jüdisch-polnischen Fuhrmann über den Preis geeinigt hatte, war die Ablohnung bald geschehen und mit einem wohlthuenden Gefühl heimischer Sicherheit sah er das ärmliche Gefähr mit den wild davon galoppirenden Pferden im Sandstaub der Straße hinter dem Dorfe verschwinden.
»Ihr seid ein vielgeprüfter Mann,« redete jetzt Schlenker den Wenden an, ihm seine steif herabhängende kühle und stets feuchte Hand aufdringend, ›bedenkt aber nur, daß wen Gott lieb hat, den züchtigt er!‹ und Ihr werdet genugsame Ursache finden, ihm ein Hosiannah anzustimmen! »In der Perlenburger Bibel könnt Ihr eine grausam prächtige Abhandlung über das Hosiannahsingen lesen – ich will sie Euch nach dem Abendsegen bringen – denn es ist gar mit tausend Schrecken, was der Herausgeber dieses seltenen Bibelbuches für ein hochgelahrter Mann gewesen sein muß!«
»Ich danke Euch!« erwiederte Sloboda, die Bank hinter dem Lindentische einnehmend. »Meine Augen legen mir ab, so daß ich des Abends bei Licht nicht mehr gut Gedrucktes lesen kann, es wäre denn sehr große Schrift.«
»O eine Schrift für Blinde!«
»Halt Dein Maul, Freund Schlenker!« fiel Heinrich dem Frommen in die Rede. »Was wir zusammen mit einander zu verhandeln haben, geht allem Bibellesen vor; hat Jan später noch Lust dazu, so könnt Ihr ihn meinetwegen in's Gebet nehmen, so lange Ihr wollt, und ihm alle Lügen hererzählen, die Ihr Euch von den Missionsblättern aufbinden laßt.«
»Lügen, Bruder Heinrich, ist in diesem Falle kein gewähltes Wort,« bemerkte der Schulmeister, »ich würde lieber Unrichtigkeiten sagen. Lehrer der christlichen Religion pflegen nicht zu lügen.«
»Wie Du willst, Gregor, meinethalben bring's zu Papiere.«
Schlenker schüttelte den Kopf, setzte sich wieder auf die Ofenbank, die Beine über einander schlagend und beide Hände gefaltet über seine Knie legend. In dieser Stellung verharrte er den ganzen Rest des Abends und hörte mit größter Spannung dem Gespräche Heinrichs mit Sloboda zu. Nur wenn er das Bedürfniß fühlte, eine Prise Tabak zu nehmen, machte er regelmäßig die schon beschriebenen wunderlichen Bewegungen. Auch Gregor mischte sich nicht in das Gespräch, nur bei Stellen, die ihn besonders ansprachen oder wo sein Bruder sich direct an ihn wandte, ließ er sein bekräftigendes »Natürlich« hören.
Das Erste, was der Maulwurffänger hervorholte, war jenes räthselhafte Papier,
dessen Entstehung sich eben so leicht erklären ließ, als es beide befreundete
Männer wunderte, daß nie ein Wort davon zu ihrer Kenntniß gelangt war. Nur die
Annahme, daß Röschen in Folge des Verlustes der Verschreibung an deren
Giltigkeit völlig verzweifelt sein möge, und deshalb mit Absicht über deren
Empfang gänzliches Stillschweigen
Als sich Sloboda von der Aechtheit des Papieres und der Handschrift des Grafen vollkommen überzeugt hatte, drang er in Heinrich, ihn mit seinen Plänen und Schritten, die er beabsichtige, bekannt zu machen. Der Maulwurffänger war dazu bereit und ließ sich in eine genaue Auseinandersetzung des Geschehenen ein, alles Muthmaßliche vor der Hand noch ganz bei Seite schiebend.
»Du mußt vor Allem wissen,« sagte er, »daß die früheren mächtigen Grafen von
Boberstein schon seit Jahren weiter nichts sind, als speculirende
Handelsherren, die sich in dieser neuen Eigenschaft des Grafentitels begeben
haben, da das Markten und Feilschen allem Adel schlecht zu Gesicht steht. Sie
nennen sich jetzt als Großhändler einfach Herren am Stein. Solcher Herren am
Stein leben gegenwärtig noch drei, wovon zwei schon sehr lange auf großen
Reisen sind, wie es heißt, der älteste aber auf seinem Grund und Boden
geblieben ist. Ich will dem Manne, den ich nur selten gesehen habe, nichts
Böses nachsagen, nur so viel bemerke
»Wenn das der maßlos stolze Blauhut geahnt hätte,« fiel Sloboda ein, »er würde sich noch im Grabe umwenden vor Aerger und Zorn! Aber was fabriciren denn die ehemaligen Herren Grafen?«
»Röcke für die Ungläubigen,« versetzte der Maulwurffänger mit boshaftem Lächeln.
»Für die Ungläubigen?«
»Wie ich Dir sage, Jan, für die Ungläubigen! Die Herren am Stein spinnen
nämlich Baumwolle, ein Artikel, von dem man behauptet, daß sich mit leichter
Mühe die Erde von dem gegenwärtig vorhandenen Vorrathe desselben drei- bis
viermal einwickeln lassen könnte. Mir gefällt es eigentlich von den großen
Herren, daß sie jetzt bedacht sind, das nackte Elend, die heulende Armuth, den
frierenden Mangel mit ihrer
»Wo wohnen sie denn?«
»Auf der Burg Boberstein.«
»Auf dem zerstörten Schlosse des alten Grafen?«
»Auf jenen schwarzen Trümmern hat der gegenwärtige Herr am Stein die
himmelhohen
»Dies kann, scheint mir, unser Geschäft sehr erschweren, da sich der jetzige Herr am Stein gar nicht auf die Sache einlassen wird.«
»Man muß es versuchen, Jan, und einige krumme Wege nicht verschmähen. Ihn zu
kirren, habe ich mir folgende List ausgedacht. Wir besuchen ihn in seiner
Spinnburg als Fremde, die seine großartigen Werke zu besehen wünschen. Um mehr
Respect einzuflößen, geben wir uns für Russen aus, das öffnet uns alle Thüren,
oder ich müßte unsere deutschen Herren nicht kennen. Er wird keinen Zweifel in
unsere Aechtheit setzen. Haben wir uns nun auf's Genaueste über den Zustand der
Fabrik, über ihre in- und ausländischen Verbindungen und so fort Kenntniß
verschafft, so bringst Du wie von ungefähr das Gespräch auf die Grafen von
Boberstein und fragst naiv, als wissest Du gar nichts von der noblen Race, was
denn aus ihnen geworden
»Natürlich, natürlich!« sagte der Schulmeister.
»Mich schaudert, jene Gegend wieder zu betreten,« erwiederte düster der alte Wende. »Alle Schrecknisse werden wieder aufsteigen vor meinen Augen und beim Dienst der Leibeigenen werde ich alle Pein nochmals empfinden, die ich und die Meinigen so lange Jahre ertrugen.«
»Laß Dich davon nicht abschrecken,« sagte Heinrich beruhigend. »Auch in dieser
Hinsicht haben die Jahre eine völlige Umwälzung bewirkt. Die jetzigen Herren am
Stein haben so wenig über einen Unterthanen zu gebieten, wie ich. Es gibt bei
uns keine Leibeigenen
»Nun so vergeb' ich dem Feinde meiner Familie seine Ungerechtigkeiten,« sagte Sloboda feierlich, »ja ich segne seine Frevel, da sie Ursache geworden sind, eine Einrichtung aufzuheben, die kein göttliches Gesetz billigen kann! Wo es keine Leibeigenen gibt, da steht die Thür des Paradieses offen! Nur der freie Mensch ist das Ebenbild Gottes, der Knecht ein verkrüppeltes Scheusal, Mitleid und Abscheu in gleichem Maße erregend!«
»So glauben wir, Jan, und wohl uns, daß wir diesen Glauben haben, geht man aber
der Sache näher auf den Grund, so mindert sich unsere Freude, wird unser
Entzücken herabgestimmt. Das Wort ›Freiheit‹ hat die neue Zeit wirklich an's
Licht gebracht, ihr Wesen aber
»Mein lieber Heinrich,« unterbrach hier Schlenker den Maulwurffänger, »wenn Ihr noch lange so fortfahrt in der Gotteslästerei, so muß ich, ich mag nun wollen oder nicht, die Stube meiden! Es drückt mir das Herz ab und bringt mich um alle gottseligen Gedanken! Bedenkt doch, es ist ja mit tausend Schrecken!«
»Ganz Natur!« betheuerte Gregor.
»Nun so geht zum Teufel!« versetzte Heinrich kurzab, verdrießlich, daß ihn der Fromme in seinen besten Gedanken unterbrochen hatte.
Schlenker stand beleidigt auf, der Schulmeister folgte. »Es steht in der Schrift,« sagte der Fromme, »wir sollen nicht sitzen im Rathe der Spötter und Thoren! Darum verlasse ich Euch, Heinrich, bis daß Ihr in Euch gehet und Euch bekehrt!«
Gregor nickte stumm mit dem Kopfe und schritt dem voranwackelnden Schlenker,
dessen
»So sind nun die Menschen,« nahm Heinrich lächelnd wieder das Wort. »Die
Wahrheit mögen auch die Besten und Gutherzigsten nicht hören, und doch verlangt
man, es solle besser werden auf Erden! – Sieh, Sloboda, das allein verbittert
mir oft die reinsten Stunden und läßt mich zuletzt an allem Großen und
Dauernden verzweifeln! Ich bin weder so klug noch so beschränkt, wie die großen
Gelehrten; ich habe auch in ihrem Sinne wenig gelernt. Meine Schule war und ist
noch die Erfahrung, die Beobachtung, das große und kleine Leben des Volkes und
der Natur. Was mit diesem nicht übereinstimmt, halte ich für unächt, für
erkünsteltes Product irgend eines verkünstelten Geistes! – Ich spreche selten
mit Jemand von diesen meinen Ansichten, denn ich finde selten
»Soll Paul uns begleiten?«
»Nein, er wird stören.«
»Ich werde Euch hier erwarten, Großvater.«
»Erwäge, was ich Dir gesagt habe,« ermahnte nochmals Heinrich den Greis. »Nur List kann uns zum Ziele führen. Wenn der Tag graut, werde ich Dich wecken.«
»Gute Nacht! Ich werde bereit sein,« versetzte Sloboda und zog sich mit Paul in die enge Kammer zurück, die der Maulwurffänger für seine Gäste in Bereitschaft gesetzt hatte.
Auf der Felseninsel eines kleinen, aber tiefen See's mitten in der Haide lag
die Fabrik der Herren am Stein. Zwei thurmhohe Schornsteine, aus roth
gebrannten Backsteinen erbaut, ragten hoch in die Luft und fesselten die Blicke
des einsamen Wanderers schon in meilenweiter Entfernung durch ihre langen und
breiten schwarzen Rauchwimpel, die weithin über die stille Waldung wehten. Die
vielen Sandwege, die von allen Seiten durch die Haide nach dem See führten,
einigten sich an dessen Ufern in einem breiten Landungsplatze, an welchem stets
eine Fähre lag, die mit den Dampfmaschinen der Fabrik in Verbindung stand und
sehr häufig Waarenballen und ab- und zugehende Geschäftsund
Unweit des Ufers auf der felsigen Insel fiel ein heiteres, in leichtem,
geschmackvollem Styl erbautes Wohnhaus in die Augen. Es bestand blos aus einem
Erdgeschoß und erstem Gestock und war mit niedrigem Schieferdache versehen.
Grüne Jalousien vor den Fenstern, ein wohlgepflegter Blumengarten mit einem
Pavillon, den ein dunkelblaues Dach mit glänzendem Goldknopf zierte, gaben ihm
das Ansehen einer ländlichen Villa. Hinter diesem Wohnhause zog sich der Weg in
mehrfachen Krümmungen den Granitfels hinauf bis zum Thor der Fabrik, deren
fünfstockige weißglänzenden Gebäude mit ihren zahllosen Fenstern ein großes
Fünfeck bildeten
Die große Menge von Arbeitern, welche in der Fabrik auf dieser Insel
beschäftigt waren, hatte die nächste Umgebung derselben seit einigen Jahren
bedeutend lebhafter gemacht, als andere Gegenden der Haide. Ein kleines Dorf
war mitten im Walde entstanden, ausschließlich von den Arbeitern und ihren
Familien bewohnt. Hie und da hatte man die Haide gelichtet und Kartoffelfelder
nebst einigen Wiesen zu gewinnen gesucht, die von murmelnden Waldbächen, welche
in den See mündeten, bewässert wurden und
Am dritten Tage nach der im vorigen Kapitel mitgetheilten Unterredung zwischen
Heinrich und Sloboda war Adrian von Boberstein, Besitzer und Leiter der Fabrik,
in dem erwähnten villaartigen Hause am Seeufer beschäftigt, mit seinem ersten
Buchhalter die Rechnungen durchzusehen. Adrian war acht und dreißig Jahre alt,
hatte ein wohlgefälliges Aeußeres und einen vornehmen Anstand, der eher einen
Diplomaten, als einen Fabrikherrn in ihm hätte vermuthen lassen. In gewisser
Hinsicht stand auch seine Handlungsweise damit im vollkommensten Einklange.
Adrian war einer jener klugen Diplomaten der Industrie, die in unsern Tagen
mehr als die der Politik die Geschicke der Völker bestimmen und jene
unheimlichen Beschlüsse über Krieg und Frieden entwerfen, von denen
Mit übergeschlagenen Beinen in einem weichgepolsterten Lehnstuhl von massivem Mahagonyholze nachlässig ruhend und eine aromatisch duftende Cigarre von ächtestem Havannah rauchend, deren tief dunkelblaues Gedüft er mit wohlgefälligem Lächeln verfolgte, ließ sich Adrian von dem Buchhalter Bericht erstatten über die Ausgaben der letzten Woche an Arbeitslohn. Der Buchhalter las:
»Hundert und zwanzig Feinspinnern jedem Einzelnen einen Thaler fünf Silbergroschen.«
»Streichen Sie für nächste Woche diese fünf Silbergroschen, Herr Vollbrecht,« unterbrach Adrian den Vortragenden. »Die letzten Briefe meiner Correspondenten in Leipzig, Hamburg, Wien und andern Plätzen berichten, daß uns ein großer Gewinn sicher ist, wenn wir auf den nächsten Messen alle Concurrenten durch Billigkeit unserer Wolle aus dem Felde schlagen können. Dies läßt sich leicht durch eine Herabsetzung des Arbeitslohnes erreichen, der ohnehin zu hoch war.«
»Aber Herr Graf –«
»Nun denn, Herr am Stein, die Arbeiter klagen schon seit langer Zeit, daß sie mit dem jetzigen Lohne kaum mehr ihre Familien unterhalten können! Der harte Winter von 29 auf 30 ist sehr vielen dieser Armen gefährlich geworden und hat ihre geringen Ersparnisse gänzlich erschöpft.«
»Desto besser, so haben wir sie in unserer Gewalt! Es ist nicht gut, wenn der
Arbeiter wohlhabend wird. Das macht ihn nur stolz, brutal, aufsätzig, wie wir's
vor einigen Jahren schon einmal erleben mußten. Damals hätte es noth gethan,
wir hätten diese Elenden mit Bitten bestürmt und sie vom Kopf zur Zehe
übergoldet, nur um ein paar Hände zu bekommen. Ich habe mir diese Lehre gemerkt
und mich fest entschlossen, es nie wieder dahin kommen zu lassen. Noch einige
Jahre und die im Wohlleben schwelgenden Arbeiter wären unsere Gebieter
geworden! Gott Lob, mein und einiger Collegen System hat bereits angefangen,
Früchte zu tragen! Das unmerkliche Schmälern des Lohnes, durch die große
Concurrenz leicht zu rechtfertigen,
»Sie sprechen von einem guten Auskommen Ihrer Arbeiter, Herr am Stein, und müssen doch wissen, daß schon seit Jahr und Tag die Kartoffel der Meisten alleinige Nahrung ist!«
»Kartoffeln sind eine sehr nahrhafte Kost und geben Kraft. Man merkt's an den vielen Kindern dieser Spinner und Weber! Und überdies gibt es noch Hunderttausende, für die ein Menschenfreund auch sorgen muß. Der Arme will sich kleiden, will sich billig kleiden, mithin dürfen baumwollene Stoffe nicht theuer sein. Streichen Sie also ganz ruhig die fünf Silbergroschen!«
Kopfschüttelnd gehorchte der Buchhalter und fuhr fort:
»Sind das nicht Mädchen von vierzehn bis siebzehn Jahren aus den Gemeindehäusern?«
»Allerdings, Herr am Stein.«
»Und diese bekommen wöchentlich einen so hohen Lohn? Das geht nicht, das muß geändert werden! Machen Sie 15 Silbergroschen bis nach Beendigung der Leipziger Michaelismesse! Das Wollezupfen ist eine bloße Tändelei, keine Arbeit. Man muß unnöthige Ausgaben ersparen, um so mehr, als ich nächstens eine dritte Dampfmaschine zu stellen genöthigt bin, um den Anforderungen der Zeit zu genügen.«
»Es sind Waisen, Herr am Stein!« sagte Vollbrecht bedeutungsvoll. »Keines dieser armen Mädchen besitzt mehr als einen Anzug, nicht einmal an Sonn- und Feiertagen können sie sich, wie ihre glücklicheren Schwestern, das Haar mit einem bunten Tuche umwinden. Sie müssen von ihrem Verdienste all' ihre Bedürfnisse bestreiten und Eine oder die Andere theilt wohl auch noch einer kränkelnden, hinfälligen Mutter etwas davon mit!«
»Lieber Vollbrecht,« versetzte Adrian ruhig,
Der Buchhalter las seufzend weiter:
»Achtig Spindelknaben, jedem Einzelnen zehn Silbergroschen.«
»Eigentlich sollte ich diesen Lohn ebenfalls verringern, indeß mag er für die nächsten Wochen noch fortbestehen, da in letzter Zeit mehrere Unglücksfälle vorgekommen sind. Ich will nicht unbillig sein und die Gefahr der Beschäftigung so gut wie die Beschäftigung selbst bezahlen. Fahren Sie fort, Vollbrecht.«
»Den Käutchenschlingern, jedem Einzelnen zwanzig Silbergroschen.«
»Ich erlaube mir, Ihnen zu widersprechen, Herr am Stein. Die Arbeit wird durch die Maschine erschwert, da der Arbeiter beinahe noch ein Mal so viel Käutchen liefern muß, als früher, wo er blos mit seinen eigenen Händen arbeitete! Legen Sie den armen Menschen, die ohnehin meistentheils in Ihrer Fabrik Verunglückte sind, lieber einige Groschen zu, da sie einen bedeutenden Vortheil durch die Maschinen gewinnen.«
»Vom Gewinn lebt der Kaufmann, für den Gewinn speculirt er. Die Maschinen kosten Geld, viel Geld, und ehe die Arbeiter das Käuteln auf denselben lernen, werden sie mir manches Schock Garn verderben. Schreiben Sie 15 statt 20 und halten Sie mich nicht länger durch Ihre humanistischen und kosmopolitischen Einwürfe auf.«
Nach dieser, in spöttischem Tone vorgebrachten Bemerkung enthielt sich
Vollbrecht jedes neuen Einwurfes bei den noch häufigen Lohnverkürzungen,
Inzwischen setzte sich die Fähre vom Seeufer her nach der Insel zu in Bewegung, beladen mit einer Menge Ballen und vielen Menschen. Adrian sah dies aus den Fenstern seines Arbeitszimmers, achtete jedoch wenig oder gar nicht darauf, da sich das nämliche Schauspiel täglich mehrmals wiederholte. Der Buchhalter packte seine Bücher zusammen und entfernte sich, doch kehrte er schon nach einigen Minuten wieder zurück, um dem Herrn am Stein zu melden, daß zwei Fremde ihn zu sprechen und die Fabrik zu sehen begehrten.
Gewohnt, immer nur Personen aus den vornehmen oder den vorzugsweise so
genannten gebildeten Ständen unter den wißbegierigen Besuchern zu finden, war
er überrascht jetzt auf ein Mal zwei Männer des niedern Volkes zu erblicken,
die noch dazu ihrer veralteten Tracht nach mit der Zeit wenig fortgeschritten
zu sein schienen. Diese Fremden waren, wie unsere Leser schon errathen haben,
der Wende Sloboda und sein Freund der Maulwurffänger. Beide gingen so
gekleidet, wie wir sie bereits kennen, nur hatte Sloboda auf Anrathen seines
Freundes den schmalen Lederriemen, den er für gewöhnlich um Stirn und Haar
schlang, abgelegt, um durch ihn nicht Anlaß zu Vermuthungen zu
Adrian empfing die beiden alten Männer mit kühler Höflichkeit, indem er nach
ihrem Begehr fragte. Sloboda antwortete darauf, er komme aus dem Innern
Litthauens, um die Fortschritte der Industrie in Deutschland und namentlich die
außerordentlichen Verbesserungen hinsichtlich der Maschinenspinnerei, die bei
ihnen noch nirgends eingeführt sei, kennen zu lernen. Er selbst sei von Geburt
Deutscher, habe sich von jeher mit dem Manufactur- und Fabrikwesen beschäftigt,
und gehe damit um, die große Wohlthat der Maschinenspinnerei auch seinen
jetzigen neuen Landsleuten wo möglich zu Theil werden zu lassen. Diese ohne
Schüchternheit und Zurückhaltung gegebene Erklärung ihres Besuches ererregte
kein Mißtrauen in Adrian, sie machte ihn eher etwas freundlicher, da er sich
für Rußland interessirte, und während er die beiden Männer ihm zu folgen
einlud, stellte er manche Frage an den Wenden über die gegenwärtige Lage Polens
nach dessen Unterjochung durch die Russen, über die dortigen Aussichten für
Industrie
Dabei hatten sie den sich krümmenden Felsenweg zu den Fabrikgebäuden erstiegen und das alte, vollkommen erhaltene Eingangsthor des ehemaligen Grafenschlosses erreicht. Sloboda blieb stehen und betrachtete aufmerksam die gothischen Steinschnörkel und das colossale Wappenschild, von zwei Löwen gehalten, in deren geöffneten Rachen Sperlinge ihre Nester gebaut hatten.
»Es fällt Ihnen gewiß auf,« sagte Adrian, »daß Sie über dem Eingangsthore einer
Spinnfabrik ein gräfliches Wappen von uralter Herkunft erblicken. Andere
Zeiten, andere Sitten, meine Herren, könnte man hier sagen! Ehemals stand hier
ein stattliches Feudalschloß, deren Besitzer mächtige Herren waren und sich
rühmen durften, es an Reichthum jedem Fürsten gleich zu thun. Unglückliche
Ereignisse, Stürme der Zeit, die Niemand voraussehen, Niemand abwenden kann,
brachen die festen Mauern auch dieses Schlosses, und damit wenigstens sein
unzerstörbar fester Grund etwas nütze, ward vor mehreren Jahren auf die Trümmer
der alten Burg die Fabrik erbaut, die besser, als die früheren
»So etwas kommt häufig vor in unsern Tagen,« versetzte der Maulwurffänger. »Es scheint überhaupt die Aufgabe der neuen Zeit zu sein, alle Ungleichheiten, an denen die Vergangenheit krankte, nach und nach auszugleichen und dadurch gewissermaßen die Verbrechen der Geschichte bessernd zu bestrafen.«
»Nicht übel!« meinte Adrian. »Ihr macht demnach die Zeit zum Zuchtmeister, was sie freilich von jeher gewesen ist, nur daß sie jetzt ihre strafende Hand gegen andere Personen und Geschlechter erhebt, wie früher.«
»Das ist eine sehr weise Einrichtung, Herr am Stein,« bemerkte Sloboda, der bisher unverwandt das steinerne Wappen betrachtet hatte. »Ist die Familie ausgestorben, die früher hier herrschte?«
»Noch nicht, mein Herr!«
»Aber vermuthlich ward sie arm durch die Kriegsunruhen?«
»Auch das nicht, Gott Lob! Sie befindet sich vielmehr in den besten
Verhältnissen ist noch
»Sie waren bekannt mit ihr?«
»Sehr genau, mein Herr! Doch beliebt es Ihnen nicht, einzutreten?«
»Mich dünkt, auch ich kannte die Herren dieser Burg,« sagte Sloboda nachdenkend, indem er unter dem Thore hinweg in den geräumigen Hof schritt, den jetzt die unermeßlich hohen Fabrikgebäude umgaben.
»Wie?« sagte Adrian. »Sie kannten die Herren dieser Inselburg? Das muß wohl ein Irrthum sein!«
»Ich will es nicht bestimmt behaupten, nur so viel unterliegt keinem Zweifel, daß jenes Wappen Zier und Helmschmuck der Grafen von Boberstein enthält. O, die Grafen von Boberstein, gottseligen Angedenkens, wer, der sie kannte, möchte sie und ihr Schild je vergessen!«
»Ganz recht, es ist das Wappen der Grafen von Boberstein,« sagte der Maulwurffänger trocken, »und das hier war ehedem gräflich Boberstein'scher Grund und Boden.«
Adrian wechselte die Farbe. Es ärgerte
»Standen Sie in so naher Verbindung mit den Grafen von Boberstein?«
»In sehr naher Verbindung! Doch das ist schon lange her, fast ein halbes Jahrhundert!«
Adrian schwieg und führte die Besuchenden quer über den fünfeckigen Hof nach
einer schmalen Thür, deren rothbraune Sandsteinumkleidung und spitze
Bogenwölbung ihr hohes Alter verrieth. Ueber dieser Thür in einem Stück alten
Gemäuers, auf welchem der leichtere schlanke Neubau der Fabrik ruhte, sah man
abermals das gräflich Boberstein'sche Wappen. Wenige Schritte links im stumpfen
Winkel der hier zusammenstoßenden Gebäude erhob sich einer der beiden
thurmhohen Schornsteine und die unmittelbare Nähe der Maschinenkammer, die in
einer Abtheilung des ehemaligen Erdgeschosses von der Burg angelegt war,
erfüllte die Luft mit dumpfem Rauschen und machte ringsum den Felsengrund
»Wie kommt es,« fragte Sloboda, eine gewundene Treppe hinansteigend, von der herab ihm ein unangenehmer warmer Oeldunst entgegenqualmte, »wie kommt es, daß die früheren Besitzer dieser alten in eine Spinnfabrik verwandelten Burg nicht mehr hier leben?«
»Die gräfliche Familie ist zu ansehnlich,« versetzte Adrian, »als daß sie hier Raum finden würde. Und dann, was hätte sie auch mit einem wüsten Trümmerhaufen anfangen sollen?«
»Das Schloß brannte ab, ich erinnere mich,« sagte Sloboda.
»So erzählt man. Ein Blitzstrahl setzte es in Flammen.«
»Ein furchtbares Unwetter brachte ihm den Untergang!«
»Lebten Sie damals in der Nähe?« fragte Adrian. »Es interessirt mich, etwas über den Untergang dieser ehrwürdigen Stammburg des alten Grafengeschlechtes zu erfahren. Was ich bisher davon hörte, konnte mich nicht befriedigen.«
»Ja das hat sie,« bestätigte der Maulwurffänger mit einer Trockenheit im Tone, als fehle es ihm an geistiger Kraft. Adrian konnte sich kaum eines spöttischen Lächelns enthalten, als er die wichtige Miene des Mannes dabei bemerkte, die wirklich einen auffallenden Ausdruck von Simplicität an sich trug.
»Ihr wart vermuthlich dabei und saht den Blitz einschlagen, nicht so?« fragte Adrian spöttisch lächelnd.
»Wie Sie wollen,« versetzte Heinrich. »Als der Rummel losging, machte mir's Spaß, die alten Schieferthürme so lustig brennen zu sehen, und ich kann sagen, daß es selten ein hübscheres Feuerchen gegeben hat, bei meiner Mutter Seligkeit! Nachher, wenn Sie Lust haben, alte Geschichten anzuhören, will ich Ihnen verteufeltes Zeug davon erzählen.«
»Diese Arbeit muß anstrengen,« sagte Sloboda,
Adrian lächelte. »Glauben Sie diesen intriganten Geschöpfen nicht,« sprach er,
»sie verstellen sich und heucheln einen krampfhaften Kitzel in der Kehle, der
in Wahrheit nicht vorhanden ist. Ich will Ihnen erklären, woher dies kommt.
Früher arbeiteten die Maschinen nur zehn Stunden täglich, in welcher Zeit sie
abwechselnd von zwei sich ablösenden Parteien bedient wurden. Später, als das
Maschinengarn mehr in Aufnahme kam und die Bestellungen sich häuften, ward die
Arbeitszeit verlängert und der Lohn natürlich auch erhöht, während im Uebrigen
die Verhältnisse ganz dieselben blieben. Bald aber reichte auch dies nicht mehr
hin, und ich sah mich genöthigt, die Maschinen Tag und Nacht, mit Ausnahme der
Stunden von eilf bis ein Uhr Nachts, ununterbrochen gehn zu lassen. Natürlich
muß ich nun auch die Arbeitszeit meiner Leute verlängern, wofür sie angemessen
bezahlt werden. Allein diese Menschen, die anfangs froh waren, daß sie Arbeit
fanden, und die ein schönes Geld verdienten und durchbrachten, können jetzt
nicht mehr genug Lohn erhalten. In
»Eilf Stunden täglichen Aufenthalts in diesem Oeldunst ist kein Genuß, Herr am Stein,« sagte der Maulwurffänger. »Könnten Sie nicht, um die Maschinen zum Segen der Menschheit wirken zu lassen, die Arbeitszeit viertheilen und vier Parteien beschäftigen?«
Adrian sah den Alten mit großen Augen an, verwundert über einen solchen
Gedanken. »Das wäre der erste Schritt zum sichern Bankerott,« versetzte er
verächtlich. »Ich müßte dann wenigstens zwei Mal mehr Lohn geben, als jetzt,
und hätte überdies noch mit der Widerspänstigkeit dieser nie zufriedenen
Menschen unablässig zu ringen. Nein, es ist so besser, und ich rathe Ihnen,
mein lieber alter Herr, wenn Sie
Sie hatten die verschiedenen Säle durchschritten, stiegen in das zweite
Stockwerk hinauf und traten in die Räume der Grobspinnmaschinen. Auch hier
fluthete dieselbe schwere, ölige das freie Athmen hemmende Atmosphäre durch
alle Säle, und die Luft war ebenfalls, wenn auch nicht in so hohem Grade, mit
Millionen feiner Wollentheilchen geschwängert, die als weißgrauer Niederschlag
an den Kleidern sich anlegten
Als unsere Bekannten auch diese Räume ihrer ganzen Ausdehnung nach durchwandert waren, kamen sie im dritten Gestock in ein Vorgemach, wo mehrere Aufseher versammelt waren. Achtungsvoll grüßten diese die Eintretenden. Adrian nahm eine sehr vornehme und herrische Miene an und erwiederte den Gruß nur obenhin. Sloboda blieb stehen, um aus den Fenstern einen Blick über die unermeßlichen Haidestrecken zu werfen, die dunkelblau, wie die Wogen des Meeres, sich bis an den Horizont ausdehnten. Sinnend schüttelte er bei diesem Anblick den Kopf.
»Fällt Ihnen etwas auf?« fragte Adrian, der, stolz auf seine Einrichtungen, keinerlei Tadel gut vertragen konnte.
»Wer sagt Ihnen denn, mein Herr, daß die Besitzungen der Boberstein in fremde Hände gekommen seien?«
»Sind Sie nicht der Eigenthümer dieser Fabrik?« fragte Sloboda.
»Der bin ich.«
»Man sagte mir, ein Herr am Stein besitze See und Haide in ziemlicher Ausdehnung.«
»Man hat Ihnen die Wahrheit gesagt, mein Herr, aber man hat vergessen hinzuzufügen, daß die Herren am Stein und die alten Grafen von Boberstein ein und dieselben Personen sind. Mein Stammname ist Adrian Graf von Boberstein, ältester Sohn des erlauchten Grafen Magnus, seiner Zeit unter dem Namen ›Blauhut‹ wohl bekannt bei Vornehm und Gering.«
»Sie und in diesem Rock?« sagte Adrian verwundert und empört zugleich.
»Lassen Sie sich den Rock nicht stören! Er deckt ein grades, ehrliches Herz, das die Gerechtigkeit über Alles liebt! Ich kannte Ihren Herrn Vater, Graf Magnus. Schade, daß ihn der Tod schon abgerufen hat!«
»Ich muß wirklich bitten,« fiel Adrian etwas ungeduldig ein, »dieses Gespräch
abzubrechen, oder mir auf der Stelle die bündigsten
»Verzeihung, verehrter Herr Graf!« erwiederte Sloboda. »Ihre Burg ist gegenwärtig eine moderne Spinnfabrik, weshalb es Ihnen schwer fallen möchte, Ihr Wort wahr zu machen. Die gewünschten Beweise sollen Sie erhalten. Heinrich, zeige doch dem Herrn Grafen das Papier.«
Der Maulwurffänger holte hierauf mit großer Ruhe die bewußte Verschreibung hervor und reichte sie dem Wenden. Dieser entrollte sie so weit, daß Unterschrift und Wappen des Grafen Magnus sichtbar wurden, und hielt sie Adrian vor.
»Kennen Sie dies Wappen, diese Handschrift?«
»Wie sollte ich nicht?« versetzte arglos der Graf. »Es ist mein Familienwappen und die Handschrift meines verstorbenen Herrn Vaters.«
»Darf ich die Herren ersuchen,« wandte sich Sloboda an die umstehenden
Aufseher, »mir zu bezeugen, daß der Herr Graf Adrian von Boberstein
»Sie dürfen es, mein Herr,« erwiederte der Aelteste, in dem wir den Buchhalter Vollbrecht wieder erkennen. »Die Schrift des Grafen Magnus kann Niemand verkennen!«
Die Uebrigen stimmten schweigend bei und verbeugten sich.
»Ich danke Ihnen, meine Herren,« sagte Sloboda, die Schrift wieder zusammenrollend und an Heinrich zurückgebend.
»Aber, mein Herr, was soll das?« fragte Adrian, der von dem unerwarteten Auftritt ganz bestürzt war und nicht wußte, was er dazu sagen sollte.
»Bitte, Herr Graf, lassen Sie sich nicht stören noch beunruhigen! Haben Sie
vielmehr die Güte, mir und meinem Freunde die noch übrigen Räume Ihrer
ausgezeichneten Fabrik zu zeigen, die mich allein zu Ihnen geführt hat. Denn
ich ließ mir nicht träumen, im Herrn am Stein den Sohn des Grafen Magnus zu
finden! Sie wünschten Aufschlüsse über die Zeit zu er halten, die vor Ihrer
Geburt über die Burg Ihrer Ahnen dahinrauschte. Ich werde mir erlauben,
Von der gewandten Höflichkeit des steinalten Greises besiegt, machte Graf
Adrian lächelnd eine billigende Handbewegung. Sloboda und Heinrich traten in
die Säle der Feinspinnmaschinen und betrachteten mit größter Aufmerksamkeit
Alles, was ihnen bedeutend schien. Auch unterließ der Wende nicht, häufige
Fragen an Adrian zu richten, welche dieser schon aus Höflichkeit zuvorkommend
beantworten mußte. So gingen denn die beiden dem Herrn am Stein jetzt
räthselhaft und unheimlich gewordenen Fremden von Gestock zu Gestock, von den
Maschinen in die Weifsäle, aus diesen in die Packgewölbe, zu den
Käutchenschlingern, und erst nach zweistündigem Umherstreifen und nachdem sie
auch in die glühendheißen Wölbungen hinabgestiegen waren, wo cyclopenähnliche
riesige Söhne der Haide die ungeheuren metallenen Oefen heizten,
Sloboda und Heinrich nahmen diese Einladung dankend an.
Die letzte Spinte.
Ehe noch Adrian mit seinen Gästen das Haus am See erreichte, zeigte das Läuten
der Glocke auf der Fabrik die Mittagsstunde an, die zugleich diejenige Zeit
war, wo die Arbeiter einander ablösten, ohne den Gang der Maschinen zu
unterbrechen. Es begegneten daher den vom Felsen Herabsteigenden eine Menge
junger Burschen und Mädchen nebst einer hübschen Anzahl kaum achtjähriger
Kinder, die zum Auszupfen der Wollenflocken aus den Rädern und Haken der
Spinnmaschinen, so wie zum Auflesen verstreuter Wollbüschel unter den
arbeitenden Maschinen verwendet wurden. Alle diese Kinder sahen krank und blaß
aus, gingen in elenden, zerrissenen und geflickten Kleidern einher und
Die schon bereit stehende Mittagstafel hinderte den Grafen, die Fremden
sogleich mit weiteren Fragen zu bestürmen. Vornehm höflich lud er sie ein, sein
Mahl mit ihm zu theilen, das keineswegs lucullisch genannt werden konnte; denn
Adrian war ein eben so großer Anhänger der Sparsamkeit, als sein Vater ein
Freund der Verschwendung gewesen war. Selbst der Wein
Von dieser außergewöhnlichen Frugalität abgesehen, zeigte sich der Graf durchaus als angenehmer Wirth, als gebildeter, unterhaltender Weltmann und als ein mit feiner Sitte wohl vertrauter Aristokrat. Erst nach Beendigung der Tafel bemerkte der lauernde Blick des schlauen Maulwurffängers, daß es Adrian schwer falle, nicht sogleich eine Erklärung von ihnen zu verlangen, und weil ihm selbst daran gelegen war, diesen auch ihm peinlichen Besuch möglichst abzukürzen, fragte er in seiner trockenen Weise: ob er die Geschichte seines alten Freundes jetzt anhören wolle? Adrian beeilte sich, seine Bereitwilligkeit auszudrücken, worauf Heinrich um Erlaubniß hat, statt der ihm angebotenen Cigarre seine Pfeife rauchen zu dürfen, was Adrian natürlich auch gestatten mußte.
Wir bitten jetzt unsere Leser, sich zugleich mit uns aus dem neunzehnten in das
achtzehnte Jahrhundert zurückzuversetzen, wo sich die wechselvollen
Begebenheiten, die wir jetzt erzählen müssen, zutrugen. Auch sei es uns
gestattet, die Mittheilungen des Wenden und des Maulwurffängers
Aschermittwoch fiel im Jahre 179* Ende Februar, da Ostern erst Mitte April gefeiert ward. In einem jener regelmäßig gebauten wendischen Dörfer der Lausitz, die gleichsam die Grenze bilden zwischen den großen Ortschaften des Gefildes oder freien Landes und den zerstreut liegenden Wohnungen der Haidebauern, war von einer der vielen Spinngesellschaften, die sich nach altem Herkommen regelmäßig in allen sowohl wendischen wie deutschen Ortschaften des genannten Landstrichs bilden, eine recht fröhliche Feier des letzten Spinnabends, der jederzeit am Aschermittwochstage gehalten wird, beschlossen wor den. Man nennt diese lustige Feier noch heutiges Tages »das Erstechen der Spinte«, eine Bezeichnung, die wir alsbald erklären werden.
Die Spinngesellschaft war alle Tage den
Ehrhold hatte einen jüngern Stiefbruder, Jan Sloboda, der einige Stunden weiter
im ersten Gürtel der Haide ein kleines Gärtchen mit Sorgfalt bewirthschaftete.
Letzterer überließ für die Dauer des Winters dem Bruder seine Tochter Rosa,
damit sie ihm spinnen und der Wirthschaft vorstehen helfe. So jung Rosa oder
Haideröschen, wie die jungen Burschen sie nannten,
Ohne Gesang vergeht keine Spinte unter den Wenden. Das Schnurren der Rädchen, das Tanzen der Spillen, die bejahrte Frauen vorziehen, das Schrillen und Zirpen der Heimchen im Heerd des Ofens und in dem tief in die Wand gemauerten Kamin, wo das Kienfeuer sprüht und prasselt, laden wie von selbst dazu ein, und da Gesang und Gespräch die reinliche Arbeit nicht stören oder unterbrechen, so dauern beide so lange, als die Gesellschaft beisammen bleibt. Späte Wanderer, die in der strengen Jahreszeit ein wendisches Dorf betreten, werden angenehm überrascht von den lieblichen, reinen Stimmen, den bisweilen heitern, meistens aber melancholischen Melodien, die ihnen aus der Schneenacht über die Breterwand irgend eines Bauerngehöftes entgegenschallen.
Bei diesen Gesangübungen hatte sich Röschen besonders durch eine Menge neuer
Lieder oder doch solcher, die nur in der Haide bekannt
Wirth und Wirthin der Spinte hatten für Speise und Trank reichlich gesorgt. Kaum brach der Abend herein, so kamen die Mädchen, ihre Spinnräder nebst Rocken in den Händen, bei Ehrhold an, nahmen ihre gewohnten Plätze auf der rund um die hölzernen Stubenwände laufenden Bank ein und ließen lustig die Rädchen schnurren und die Mäulchen plappern.
Nach Verlauf einer Stunde schlug es plötzlich, ohne daß man vorher ein Geräusch
im Hofe oder auf der Flur gehört hatte, so heftig an die Thür, daß man hätte
glauben sollen, ein Pferd schlage mit dem Hufe daran. Die Mädchen zerrissen vor
Schreck ihr Gespinnst und kreischten laut auf, manche blos zur Gesellschaft und
um die andern noch mehr in Furcht zu setzen oder warfen gar Rocken und Rädchen
um.
Schon früher waren noch mehrere andere Burschen eingetreten. Diese bemächtigten
sich jetzt des mitgebrachten Spinnrockens, steckten ihn über der Stubenthür
fest und reichten dem
Sogleich wurden nun die Spinnrädchen fortgeschafft, die Schemel an den großen Tisch gerückt, auf dem schon Kuchen, Bier und Tabak in Menge stand, und Mädchen und Jünglinge nahmen in weitem Halbkreise nach Belieben Platz. Nur für Wirth und Wirthin ließ man einen freien Gang, um sie im Zutragen neuer Lebensmittel nicht zu stören. Clemens erklärte die Spinte nochmals für todt und forderte die Gesellschaft auf, dies wichtige Fest so heiter und lustig wie möglich zu begehen.
Die Wenden theilen mit ihren übrigen slavischen Brüdern nur das heitere
sinnliche Temperament, das gern in laute Lustbarkeit ausbricht, dagegen ist
ihnen der Hang zu ritterlichen
Das Festmahl, welches die Spinngesellschaft in Ehrholds Hause der erstochenen
Spinte zu Ehren hielt, war so heiter, wie man es nur wünschen konnte. Einer von
des Wirthes Knechten spielte das Brummeisen mit bewundernswürdiger Gewandtheit
und entlockte der zitternden,
Von allen Seiten stimmte die Versammlung dieser Aufforderung bei und Röschen
war ein viel zu natürliches und unverdorbenes Kind des Waldes, als daß sie
sich, wie dies unsere fein gebildeten und wohlerzogenen Mädchen mit so
wirksamer Koketterie zu thun wissen, mit scheinbarer Schüchternheit lange
gesträubt hätte. Sie nickte vielmehr beistimmend ganz vergnügt, mit
Röschen zählte siebzehn Jahre und war so schlank und ebenmäßig schön gewachsen, wie die jungen Tannen der Haide, aus der sie stammte. Fast alle Wenden, am meisten aber die Mädchen, zeichnen sich durch hohen Wuchs, durch schöne Körperform und durch einen wunderbar reinen Teint aus. Das Wort: »Ein Mädchen wie Milch und Blut« läßt sich vorzugsweise auf Mädchen wendischen Stammes anwenden. Auch sind sie ihrer starken Gesundheit wegen im ganzen Lande berühmt und bei den Vornehmen bis auf den heutigen Tag als Ammen überaus gesucht.
Ein solches Mädchen nun von Milch und Blut war Röschen. Krankheit kannte Sie
nur vom Hörensagen, denn ihr hatte buchstäblich noch
»Wenn Ihr fein ruhig seid und mich nicht auslacht,« sagte jetzt dies anmuthige Geschöpf voll gesunden Mutterwitzes, »so will ich Euch zur Belohnung für Eure schönen Lieder das Mährchen von den andächtigen Sängern erzählen. Habt Ihr die Geschichte schon einmal gehört?«
»So wie Du's erzählen wirst mit Deinen Marienlip pen,« sagte Clemens, »so haben wir's sicher noch nicht gehört.«
»Wir kennen's auch nicht!« betheuerten ein paar andere junge Bursche.
»Nun so hört denn zu!« versetzte Röschen, ihr blühendes Gesicht gegen Clemens wendend, an den sie vorzugsweise ihre Mährchenworte zu richten schien.
»Noch einen Augenblick, Röschen!« fiel Ehrhold
Haideröschen begann:
Das Mährchen von den andächtigen Sängern. Dies und die folgenden kurzen Mährchen sind wörtlich dem trefflichen Werke ›Volkslieder der Ober-und Niederlausitz‹ von Haupt und Schmaler herausgegeben entlehnt.
»Es geschah aber, daß der Herr Christus und der heilige Petrus in der Welt
herumwandelten. Und sie kamen in ein Dörflein, wo man in einem Hause so schön
sang. Und der Herr Christus blieb stehen, um zuzuhören, der heilige Petrus ging
aber immer weiter. Und als er ein Stückchen weiter gekommen war, sah er sich um
und der Herr Christus stand noch dort. Der heilige Petrus ging aber immer
weiter. Und als
»Nun was Lustiges!« rief Clemens. »Das Lied war zwar hübsch und recht herzerquickend, wenn aber Haideröschen ihr Purpurglöckchen läutet, klingt's doch noch viel schöner. Was meint Ihr?«
»Aber was recht Lustiges, das bitt' ich mir aus!« sagte nochmals der lebhafte Clemens.
»Ach ja, Röschen muß uns noch eins ihrer
»Ich weiß aber nichts, das so lustig ist.«
»Warum denn nicht? Besinne Dich nur!«
»Das hilft nicht. Wenn mir's nicht gleich einfällt, so kommt auch beim Nachdenken nichts heraus.«
»Du weißt aber doch ein lustiges Mährchen,« sagte ihre Nachbarin. »Gelt, Du hast's uns erzählt letzthin zur Vesper beim Flachsbrechen! Nun?«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Es war eine Geschichte von einem armen Manne –«
»Mit den vielen Kindern, meinst Du?« fiel Röschen ein.
»Ganz recht. O bitte, erzähle sie uns!«
»Ja die Geschichte ist recht lustig,« sagte Röschen schelmisch lächelnd. »Es kommt mir nur vor, als wolle sie jetzt, wo ich ein so ernsthaftes Mährchen vorgetragen habe, nicht recht passen.«
»Sieh, Schelm!« rief Clemens, »bist Du
»Immer frischweg erzählt,« sagte Ehrhold ermunternd. »Es ist eben so wenig eine Sünde, als wenn Einer bei der Litanei niest und sein Nachbar ruft ihm Gott helf! zu.«
Röschen, noch blühender aussehend, wie gewöhnlich, blinzelte mit ihren strahlenden Augen Clemens zu und begann abermals:
Die Geschichte vom armen Manne, der die vielen Kinder hatte.
»Es war aber einmal ein Vater und eine Mutter, die hatten eine große Schaar
Kinder. Da fuhr der Vater einmal in die Stadt und kaufte ein Viertel Eicheln.
Als er nach Hause kam, gab er jedem Kinde eine, und da blieb noch eine übrig,
die warf er hinter den Ofen und daraus erwuchs eine Eiche bis in den Himmel.
Während die jungen Mädchen noch über die humoristische Bestrafung des
Unersättlichen lachten und die Burschen sich nicht genug in Lobeserhebungen
über das prächtige Erzählertalent Röschens erschöpfen konnten, klopfte es
einigemal an den halbgeschlossenen Fensterladen, erst
»Nun, nun, reißt mir nur nichts Haus ein!« sagte der Wirth aufstehend und so laut, daß der außen so heftig Anklopfende seine Worte vernehmen konnte. »Ihr hört ja doch, daß die Spinte beisammen ist und unter Scherz und Lust begraben wird, werdet's also erwarten! Was soll's denn?«
»Das Krummholz ist da,« erwiederte von draußen die Ehrhold wohlbekannte Stimme des Nachbars.
»Schon wieder? Was hat denn der Richter zu melden?« versetzte Ehrhold, den Schieber am Fenster öffnend und den hölzernen Laden vollends aufstoßend. Ein Mann in Pelzmütze und weißgrauem Schaafpelz reichte ihm ein krummes, fast wie ein Hammer gestaltetes Holz, an das ein Papier genagelt war, welches eine Einladung oder einen Befehl der Obrigkeit enthielt, der auf diese Weise den einzelnen Hauswirthen zugeschickt und mitgerheilt ward.
»Vielen Dank, Nachbar, und es wird mir lieb sein,« erwiederte Ehrhold. »Was aber für dieses Jahr den Mägdedienst bei Hofe anbelangt, so habe ich Niemand zu stellen. Ihr wißt's ja.«
»Ihr kommt aber doch in die Schenke, Nachbar?«
»Ich werd' schon da sein und meinen Krug Bier trinken.«
»Gute Nacht denn und fröhliche Spinte! Ich denke, es wird diese Nacht noch ein Schneegestöber geben. Ihr könnt immer vor Schlafengehen die Bodenfenster schließen, daß Euch der schöne Winterwaizen nicht verweht wird.«
»Gute Nacht!« sagte Ehrhold, schloß Laden
»Vater Ehrhold,« nahm Clemens das Wort, ohne Zweifel durch Röschen dazu veranlaßt, die ihn während des Wirthes Gespräch mit dem Nachbar zu sich gerufen und heimlich mit ihm geflüstert hatte, »wir hätten Lust, wie wir da beisammen sitzen, künftigen Sonntag über drei Wochen nach Königshain zu gehen. Ihr seid doch mit dabei?«
»Was habt Ihr dort vor?«
»Ach, da ist das Todaustreiben, Vetter,« fiel Röschen ein, vor Freude in die Hände klatschend, »und das möcht' ich gar so gern einmal mit ansehen! Es gehen viele hin, auch der Vater wird vermuthlich dort sein, da er um diese Zeit für die gnädigste Herrschaft eine Lieferung Getraide nach Görlitz führen muß. Ich will auch recht fromm sein die Zeit her und für Dich und die Muhme so schöne Käse machen, daß Du auf Ostern beim Kuchenbacken Deine Freude daran haben sollst! Geh nur mit!«
»Wenn den Andern so viel daran liegt, wie Dir, so werd' ich wohl nachgeben
müssen. Zwar hab' ich mir sagen lassen, es sei weiter
»Nun also mir zu Liebe, Vetter, und meinem guten Vater, der sich um das Unglück meines Bruders so sehr grämt!«
»Kind, Kind,« versetzte Ehrhold, »mit Deinen frommen blauen Augen ziehst Du einem das Herz aus der Brust! Was will ich thun? Ich muß klein zugeben, um nur den lieben hellen Himmel in Deinem Köpfchen nicht zu trüben. Ganz umsonst aber will ich mein Versprechen doch auch nicht geben. Gewähr um Gewähr! Ich begleite Dich und die ganze Spinngesellschaft nach Königshain für ein Mährchen und zwar ein frommes, das Du uns zum Schlusse erzählen sollst.«
»Hurrah, ho!« riefen die jungen Burschen und schwenkten ihre Mützen, und die
Mädchen fielen plaudernd über einander her, als hätten sie sich die wichtigsten
Dinge mitzutheilen. Röschen aber nahm ihre vorige hausmütterliche bequeme
Stellung wieder ein und sagte mit der
Diter Bernhard.
»Es war aber einmal ein vornehmer, frommer Herr mit Namen Diter Bernhard, so
fromm, daß er seine Kleidung in die Sonnenstäubchen hängen konnte, ohne zu
fürchten, daß sie auf die Erde fielen. Er ging jeden Sonntag in die Kirche und
erblickte dort einst den Teufel hinter dem Altare sitzen, wie er die Namen
derjenigen auf eine Kuhhaut schrieb, welche in der Kirche schliefen. Der Teufel
hatte aber die Haut ganz und gar vollgeschrieben und fing sie daher an mit den
Zähnen auszudehnen, damit er noch mehr aufschreiben könnte. Sie entschlüpfte
ihm aber auf einmal und er schlug mit dem Kopfe so an die Wand hinter sich, daß
ihm ein Zahn ausfiel. Hierbei konnte sich Diter Bernhard des Lachens nicht
enthalten. Weil er aber in der Kirche gelacht hatte, so rechnete ihm dies der
liebe Gott als eine große Sünde an. Als Diter Bernhard nach Hause gekommen war,
wollte er seine Kleidung wieder in die Sonnenstäubchen hängen, aber diese
hielten sie nicht mehr und sie
»Besten Dank, mein liebes Röschen,« sagte Ehrhold. »Ich erkläre hiermit die Spinte für geschlossen, damit nicht Einer oder der Andere auf schlechte Gedanken komme, sondern ein Jeglicher als rechtgläubiger Christ den Heimweg antrete. Gute Nacht, meine lieben, ehrenwerthen Gäste!«
Ehrhold gab das Zeichen zum Aufbruch, Alle reichten ihm und seiner Frau beim Abschiede die Hand, bedankten sich für gute Bewirthung und heitere Unterhaltung, und verließen, die Mädchen schirmend umgebend, das Bauernhaus.
Die warme Märzsonne am wolkenlosen Himmel machte den Schnee auf den Gebirgen
schmelzen und ließ zahllose Bäche über Wiesen und Saatfelder rieseln, daß
überall schon an den bewässerten Stellen zarte Keime eines frischen,
erquickenden Grüns aus der Erde hervorsproßten. Auch die Saalweiden enthüllten
ihre weichen honiggelben, süßduftenden Blüthen der milden Luft und ragten hie
und da an den bewaldeten Bergen über die noch dürren Gesträuche wie leuchtende
Kerzenbüschel empor. Knaben und Mädchen sah man in einzelnen Gruppen auf den
Rainen unfern der Dörfer hinwandeln und diese Erstlingsgeschenke des
wiederkehrenden Lenzes triumphirend in der Luft schwingen. Sie zogen
Einer Schaar solcher mit blühenden Weidenzweigen versehener Kinder begegnete am Sonntage Lätare des genannten Jahres in den schon erwähnten Königshainer Bergen ein rüstig über die Felder einsam daher schreitender Mann. Die Kinder grüßten ihn freundlich, wie einen guten Bekannten, wünschten ihn gute Geschäfte und einen fröhlichen Nachmittag und eilten beschleunigten Schrittes dem großen Kirchdorfe zu, das sich am Fuß dieser Berge im fruchtbaren Thale ausbreitet. Der Gegrüßte dankte eben so freundlich den Kleinen, ließ sich aber in kein Gespräch ein, da er selbst ebenfalls Eile zu haben schien.
Es war ein kräftiger Mann von untersetzter Statur in einem Alter von etwa
dreißig Jahren. Seine Tracht bestand aus einer blautuchenen Jacke mit großen
Seitentaschen, kurzen Beinkleidern von schwarzem Leder, graublauen Strümpfen
und schweren rindsledernen Schuhen mit großen Messingschnallen. Als
Kopfbedeckung trug
Recht heiter und selbstzufrieden seine kurze Holzpfeife rauchend und bei jedem
Schritte eine dicke Rauchwolke in die Luft blasend, ging dieser bäurisch
gekleidete Mann quer über Wiesen und Saatfelder, ohne sich um Weg und Steg
sonderlich zu bekümmern, und wanderte so in fast schnurgrader Richtung dem
Todtensteine zu, dessen wir schon gedacht haben. Hier verschwand er in der
schmalen Kluft, welche die hohen Granitmassen in fast zwei gleiche Hälften
scheidet, erklomm mit gelenker Behendigkeit die Plattform und ließ wohlgemuth
sein scharfes Auge über die malerische Gegend gleiten, die fern und nah
Nachdem der Mann mit den Drähten sich geraume Zeit an der prächtigen Aussicht gelabt und während dem seine Pfeife vollends ausgeraucht hatte, streckte er sich auf ein Mooslager hin, das etwa auf der Mitte der Plattform in einer unbedeutenden Vertiefung bereitet war. Diese Vertiefung hatte die Form einer liegenden Menschengestalt von riesiger Größe und schien künstlich in das harte Gestein gemeißelt zu sein. Hier verbarg er einen Theil seiner Drähte unter das Moos, legte dann seinen Quersack darauf, drückte die Mütze über die Augen und überließ sich sorglos einem festen Schlafe.
Nach ungefähr einer Stunde, während der
Ueber diesen wunderlichen Aufzug brach der Mann auf dem Todtensteine in ein fröhliches Lachen aus, ohne jedoch Miene zu machen, sich den Tumult genauer und in der Nähe betrachten zu wollen. Vielmehr behielt er seine bequeme, lauschende Stellung ruhig bei und heftete nur mit größerer Aufmerksamkeit seine schlauen Augen auf den immer mehr anwachsenden Menschenschwarm.
Sobald der Vortrab desselben den Todtenstein erreicht hatte, holten mehrere
Burschen Stahl, Stein und Schwamm aus den Taschen ihrer kurzen Jacken, schlugen
Feuer an und entzündeten mitgebrachtes Werg und Heu, über dem sie schnell im
Schutz des Felsen einen hell lodernden Scheiterhaufen aus dürren Reisern und
Wurzeln erbauten. Um dieses Feuer stellten sich alle diejenigen, welche mit
Stroh umwundene Stöcke trugen, im Kreise und setzten sie an der Flamme in
Brand. Hierauf trat der junge Mann mit der Strohpuppe in den Kreis, hielt an
die zahlreiche Versammlung eine kurze Rede und warf das wunderliche Wickelkind
unter fröhlichem
»Den Tod haben wir ausgetrieben,
Den Frühling bringen wir wieder!«
Dieser Gesang ward unter fortdauerndem Tanz, dem sich auch die bei der Handlung selbst Unthätigen lustig mit anschlossen, so lange fortgesetzt, bis die Strohpuppe in ein Häufchen glimmender Asche verwandelt war. Dann warfen die Fackelträger ihre Brände theils auf die Feuerstatt, theils in nahe Klüfte des Felsens, und umtanzt und umjauchzt von den »Palmmietzeln« tragenden Kindern machten sich die vielen Hunderte, welche dem Schauspiele beigewohnt hatten, wieder auf den Heimweg.
Diese sonderbare Feier, auf welche man heut zu Tage vergeblich warten möchte,
hieß das »Todaustreiben« und ward noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts an sehr
vielen Orten Böhmens, Mährens, Schlesiens und der Lausitz gehalten. Weil man
sie seit undenklichen
Unserm Freunde mit den Drähten war diese Festlichkeit nichts Neues. Er hatte
ihr schon häufig beigewohnt und fand sie eigentlich lächerlich. Sie konnte ihn
deshalb auch nicht fesseln und er hätte sich vielleicht, wäre ihm der Gedanke
eingefallen, daß heut der Todtensonntag vieles Volk um den Stein versammeln
würde, eine andere Ruhestätte ausgesucht. Da er nun aber doch einmal durch
Zufall am Orte war, machte es ihm Vergnügen, von seinem Versteck herab die
wogende, bunte, fröhliche, so lebhaften Antheil nehmende Menschenmenge zu
beobachten. Diese bot wirklich ein unterhaltendes, schönes Bild dar, indem sich
deutsches und wendisches Volk heiter mischte. Die Wenden, mehr als die
Deutschen ihren uralten Sitten treu, zeichneten sich durch ihre eigenthümliche,
nichts weniger als unschöne Tracht aus, und weil die Wenden der Lausitz noch
bis heut für einen schönen Menschenschlag gelten können, war es in der That
eine Lust, die vielen kräftigen jungen Männer und die schlanken, fein
gegliederten Mädchen
Besonders zog seine Blicke ein Trupp junger wendischer Burschen und Mädchen auf
sich, die fest zusammen hielten und ein und demselben Orte anzugehören
schienen. Unter ihnen zeichnete sich vor Allen ein Mädchen durch Schlankheit
der Formen und zierliche, obwohl nicht feine Kleidung aus. Ein schneeweißes
Häubchen von gestreifter Leinewand, an den Kanten mit Spitzen umsäumt, umschloß
ihr zartes, ovales Gesichtchen und verlieh ihm einen bezaubernden Ausdruck von
Kindlichkeit und Unschuld. Zwei ebenfalls weiße Bandschleifen befestigten das
einfache Häubchen unter dem runden Kinn, das ein allerliebstes Grübchen reizend
verschönte. Das Mädchen, indem unsere Leser gewiß Röschen schon erkannt haben,
sah mit ihren großen, kornblumenblauen Augen, die lange goldige Wimpern wie mit
sonnigen Franzen schirmten, seelenvergnügt aus und bewegte sich in ihrem
braunen kurzen Rocke, ihren blendend weißen, mit roth und blauen Zwickeln
versehenen Strümpfen und den kleinen Schuhen unter den übrigen Wendinnen
Mit unbeschreiblich süßem Lächeln hatte Röschen dem Verbrennen der Strohpuppe und dem Fackeltanze zugesehen, indem sie sich auf die Schulter eines jungen Burschen stützte, oder vielmehr den Nacken desselben mit ihrem linken Arm traulich umschlang. Der etwas zur Seite gebeugte Kopf ließ genug von ihrem Hinterhaupte sehen, um die reiche Fülle ihres seidenweichen Haares zu zeigen, das sich unter dem Häubchen hervordrängte und in glänzendem Gekräusel über den Nacken herabfiel.
Als sich jetzt die bedeutende Volksmenge, unter der man auch verschiedene
Städter aus Görlitz und Reichenbach bemerken konnte, nach und nach zerstreute,
veränderte Röschen ihre wunderbar anmuthige Stellung, und ihrem Begleiter einen
Wink gebend, drehte sie sich auf den Hacken um und entfernte sich leichten
Schrittes von der alten Opferstätte. In gedrängter Schaar schlossen sich die
übrigen Wenden dem
Während dies geschah, jagte ein Reiter auf schnellfüßigem Rosse quer über die
Felder und schlug unverkennbar die Richtung nach dem Todtensteine ein, an
dessen geschwärztem, von Schmarotzerpflanzen umranktem Felsgeschiebe noch
weißlicher Rauch von dem erlöschenden Feuer emporwirbelte.
In einigen Sekunden war der wilde Reiter der vom Todaustreiben zurückkehrenden
Menge so nahe, daß er den Strom derselben durchbrechen mußte. Dies that er
auch, ohne sich im Geringsten darum zu kümmern, ob sein rasch und wild
galoppirendes Pferd bei solchem Wagniß auch Jemand verwunden könne. Ja er
erkühnte sich sogar, mit hochmüthiger Miene links und rechts mit seiner langen
Reitpeitsche in die Volksmenge hineinzuhauen, um seinem Thiere Platz zu
verschaffen, und während er dies, wie es schien, mit vielem Behagen that,
versäumte er nicht, durch entehrende Schimpfworte die unschuldigen
Nicht so geduldig nahmen dies brutale Betragen einige wohlhabende Bürger aus Görlitz hin. Sie waren mit Recht über das tyrannische Verfahren des fremden Reiters empört und erwiederten seine Schmähreden mit drohend erhobenen Stöcken. Ein Tuchmacher, heftiger als die Andern, wollte sogar dem Pferde in die Zügel fallen und den herrischen Reiter mit seinem gewichtigen Rohrstocke gut bürgerlich bearbeiten.
»So ein reicher Taugenichts,« rief er aus, »dem's Geld durch den Schornstein in's Haus fliegt und der doch ehrlichen Handwerksleuten keinen wohlverdienten Böhmen gönnt, den soll ja gleich der Teu –«
»Pst!« fiel dem Aufbrausenden ein wendischer Bauerbursche in's Wort, »machen
Sie doch
Dieser Mann mußte sehr bekannt und gefürchtet sein, denn der erhitzte Tuchmacher ließ nicht allein von seinem Vorhaben sogleich ab, sondern hatte auch sichtlich alle Lust verloren, dem vornehmen Herrn mit einem Wörtchen zu nahe zu treten. Inzwischen hatte der Reiter den Menschenschwarm durchbrochen und den Trupp wendischer Bauern, Burschen und Mädchen erreicht. Mit leichtem Peitschenschlage auf den Rücken Ehrhold's, der Clemens zurückhielt, Röschen nachzueilen, hielt er sein schnaubendes Thier an, beugte sich über den Sattelknopf und sprach:
»Du scheinst ein schlechtes Gedächtniß zu haben, Ehrhold, was doch bei Euch
Gesindel selten der Fall ist, wenn es sich um klingenden Lohn handelt. Ich
werde mich deshalb genöthigt sehen, Deine Vergeßlichkeit Dir auf andere Weise
abzugewöhnen, wenn Du mir nicht auf der Stelle Deine Pathe, die ich an ihrem
Feenlaufe gar wohl erkannt habe, hieher schaffst!«
»Ach gnädigster Herr! Gnädigster Herr!« stotterte Ehrhold bestürzt.
»Warum hast Du mich getäuscht?« fragte der Reiter abermals mit strenger Stimme und funkelndem Zornesblicke.
»Ich habe Ew. Gnaden nicht getäuscht, Sie wissen es! Ihr Anerbieten gebot mir die Ehre abzulehnen und –«
»Ehre!« lachte höhnisch der Junker. »Seit wann hat ein Hund von einem Sclaven Ehre! Ich werde Dich peitschen lassen, Schuft, und einen Tag lang in meinem Schloßhofe an den Pranger stellen! Zum letzten Male, warum hast Du mir Deine Pathe verheimlicht?«
»Ew. Gnaden können mit mir verfahren, wie Sie es für recht halten,« erwiederte
Ehrhold, »ich muß es erdulden und werde nicht darüber murren; allein Röschen
konnte ich nicht
»Nicht meine Unterthanin!« fuhr der junge Graf auf. »Wie erfrechst Du Dich, mir ein solches Wort in's Gesicht zu behaupten, mir, dem alleinigen Erben aller Güter meines weichherzigen Vaters? Ich sage Dir, Schuft, das Mädchen gehört mir so gut, wie Du und Deine ganze Familie, und wenn ich befehle, daß sie im Schlosse ihre Dienstzeit antreten soll, so hat sie blos zu gehorchen. Wer sich weigert, kommt vier und zwanzig Stunden in den Stock, und wenn ich bisher diese wohlverdiente Strafe noch nicht über sie verhängt habe, so hat sie dies blos ihrer Anmuth und Zartheit zu verdanken.«
»Das liebe Kind ist so schwach, Ew. Gnaden!«
»Zu den Diensten, die ich von ihr verlange, besitzt sie Kraft genug,« sagte der
Reiter mit spöttisch aufgeworfener Lippe. »Sie soll weder das Haus scheuern,
noch Stallmagd werden, ich will sie unterrichten und ihr was lernen lassen,
damit sie in freien Stunden mir die Zeit durch heitere und gebildete
Unterhaltung vertreibe. Aber Euch dummem Volk ist nicht beizukommen.
Ehrhold wollte abermals Einwendungen machen, aber des sehr grimmig blickenden Reiters neuerdings geschwungene Peitsche machte ihn verstummen. »Eile Dich,« rief der junge Graf dem langsam Fortgehenden nach, »ich werde Dich hier erwarten!« Und sorglos ließ er die Zügel auf dem Nacken des feurigen Thieres ruhen und sah stolz und verächtlich auf die vor ihm vorübergehende Menge, von welcher bei weitem die Meisten ihn äußerst demüthig grüßten. Der Reiter dankte nur selten, und that er es wirklich ein Mal, so bestand sein Dank in einem kaum merklichen kurzen Zucken des Kopfes.
Fünf Minuten mochten etwa seit dem Weggange Ehrhold's verstrichen sein, als er
an der nördlichen Seite des Todtensteines wieder sichtbar
Als der Reiter den starken großen Mann
»Röschen, Röschen, Du läßt mich frühzeitig die spitzen Dornen fühlen, die Deine Schönheit birgt! Das ist lieblos von Dir und eigentlich sollte ich Dich dafür strafen. Doch ich weiß, daß alle schönen Mädchen kleine anmuthige Launen haben, die sie uns Männern nur begehrenswerther machen. Darum soll Dir verziehen sein, wenn Du mir jetzt mit Deiner thörichten Furcht nicht die Geduld raubst. Hier ist meine Hand. Schlag' ein! Auf Ritterwort, es soll Dir kein Leid geschehen!«
Obwohl der junge Herr eine geraume Zeit seine vom Reithandschuh freie, weiße
und schlanke Hand vom Pferde herab der Wendin entgegenstreckte, rührte diese
doch keinen Finger. Gesenkten Hauptes, die Hände unter der Schürze lose
verschlungen, stand sie da gleich einer Verbrecherin, die ihr Urtheil erwartet.
Da trat ihr Begleiter vor, beugte sich tief vor dem Reiter und
»Gnädigster Herr Graf, ich bitte Sie fußfällig, lassen Sie mir die arme Kleine
nur noch ein Jahr, dann will ich sie Ihnen, wenn Sie darauf bestehen, selbst
auf's Schloß bringen, und sie wird gewiß gern ihre Pflicht thun. Es ist meine
einzige Tochter, Ew. Gnaden, ihre Muhme, daß Gott erbarm', ward im Walde
erschlagen von einem Baume, den Ew. Gnaden Holzschläger fällten. Das schlimme
Unglück zog sich mein Sohn, ihr Mann, zu Gemüthe, bis daß ihm die Gedanken
vergingen und er, so zu sagen, ein Narr wurde! Das arme Ding hat nun eigentlich
keine Menschenseele außer mir und ihrem Pathen, bei dem sie den Winter über die
Wirthschaft erlernt hat, und ich hab' sie gepflegt und erzogen, so gut ich
konnte, was sie mir Dank weiß, Ew. Gnaden, denn es ist ein recht wackeres und
frommes Mädchen! Aber sie möchte mir nun auch gern einen Beweis ihrer
Kenntnisse aus Dankbarkeit geben, wornach mein Vaterherz sich sehnt, und seh'n
Sie, gnädigster Herr, grade deshalb hätte ich's gern, wenn Sie mir die liebe
kleine Unruh' noch ein Jährchen
Der Wende sah den jungen Gebieter mit seinen offenen Augen so flehentlich an,
daß gewissermaßen schon im Ausdruck des Blickes eine Gewährung seiner Bitte
hätte liegen müssen. Dennoch erwiederte der Graf kühl und unfreundlich: »Ich
sehe es nicht gern, Jan Sloboda, daß Du so oft bittest. Es verbirgt sich
dahinter ein aufsätziges Gemüth, wie ich gar wohl weiß, und weil Du hoffst,
meinen Vater auf Deiner Seite zu haben, meinst Du, es sei Dir erlaubt, alle
meine Befehle durch höfliche Gegenreden zu beseitigen. Ich bin dieser bittenden
Widersetzlichkeit müde und will derselben ein Ende machen. Was aber Deinen
Familienkummer anlangt, den Du mir auch auf Schritt und Tritt erzählst, so
wisse, daß ich mich gar nichts um ihn kümmere und ihn nicht eines einzigen
Wortes werth halte. Deine Schnur erschlug ein fallender Baum, wahrscheinlich
zur Strafe, weil sie Zweige brach, wo es verboten ist, oder zur unrechten Zeit
Streu machte. Was ist's weiter! Du bist zwei hungrige
»O Herr,« versetzte Sloboda, ohne seine gebückte Stellung zu verändern, »Ihre Worte fallen wie Feuerflocken auf mein Herz und brennen darin so tiefe Wunden, daß sie wohl nie mehr vernarben und ich sie immer fühlen werde. Möchten Sie durch die Worte eines Andern nie ähnliche Schmerzen empfinden!«
Nach diesen Worten trat er einen Schritt zurück, denn er wußte nicht, was er
dem herzlosen
»Folge mir, Röschen,« wandte sich der Graf an die Schöne. »Meine Zeit ist kurz
und meine Geduld zu Ende. Ich verlange Gehorsam und werde ihn zu erzwingen
wissen, wenn dies Sträuben fortdauert. Ich bin kein Freund harter Maßregeln,
aber ich werde sie schonungslos anwenden, wenn dieser Geist der
Widerspänstigkeit, der anderwärts schon zu Excessen geführt hat, auch unter
meinen Unterthanen oder denen, die es dereinst werden sollen, einzunisten
droht. Du bist siebzehn Jahre, mithin hofepflichtig. Ob Du auf meinem oder
meines Vaters Schlosse in Dienst trittst, ist gleichgiltig. Ich beanspruche
Dich im Namen meines Vaters, der mir Dich ohne Widerrede abtreten wird. Zum
letzten Male spreche ich als Freund und im Guten zu Dir. Laß Dich von Deinem
Vater oder von wem Du sonst willst bis dort nach jenem Vorwerke
Trotz dieses entschieden ausgesprochenen Befehles blickte Röschen weder auf,
noch machte sie Anstalt, den Grafen zu begleiten. Das Gesicht zur Erde geneigt
und mit den schlanken Händen die häufigen Thränen von den Wimpern streichend,
schmiegte sie sich furchtsam fest an den starken, in finsterer Ruhe neben ihr
stehenden Vater. Da sprang der junge Graf aufbrausend vom Pferde, schlug
Sloboda mit der Peitsche über den entblößten Kopf, daß sogleich eine dicke
blaurothe Schwiele auflief und der schwer Getroffene mehrere Schritte rückwärts
taumelte. Dann umfaßte er das junge wendische Mädchen, hob es mit kräftigem Arm
auf den Hals seines Pferdes, schwang sich behend in den Sattel und jagte trotz
Röschens wimmerndem Hilferuf und dem dumpfen Murren des in naher Entfernung
neugierig gaffenden Volkes mit seiner schönen Beute quer über die Felder dem
Vorwerke zu, das in halbstündiger Entfernung aus einer Gruppe schöner Buchen
und Birken mit seinen weißen Schornsteinen einladend hervorschaute. Als der
tyrannische Graf
Alle diese Vorgänge hatte der Mann mit den Drähten, welchen wir zu Anfange des
vorigen Kapitels den Todtenstein besteigen sahen, genau beobachtet, ohne seine
nachlässige Stellung, in der er auf dem Felsen ruhte, zu verändern. Erst jetzt,
als das Volk achtlos auseinanderlief und der Graf in wildestem Rennen mit dem
jungen Mädchen davon jagte, stand er auf, warf Quersack und Drähte über die
Schulter, umfaßte heftig seinen langen Stock und stieg die enge Schlucht wieder
hinab. Ehe er jedoch diese verließ, raffte er aus einem tiefen Felsenspalt, der
ihm als Magazin diente, noch ein Bündel etwa zwei Ellen langer und einen Zoll
dicker Buchen-, Birken-und Eichenstäbe auf,
Betäubt von dem unerwarteten Schlage und von Ehrhold, dem jungen Clemens und noch einigen andern Wenden und Wendinnen umringt, bemerkte Sloboda nicht die Ankunft eines Fremden. Erst als ihn der Mann mit den Drähten sanft auf die Achsel schlug, kehrte sich Sloboda um und reichte, da ein gutmüthiges Auge ihn grüßte, dem Manne die Hand.
»Man hat Euch da behandelt, wie einen Hund, wackerer Freund,« sagte der Mann
mit einer Stimme, die vor gerechter Entrüstung grollend zitterte. »Schade, daß
ich nicht bei der Hand war, sonst, bei meiner armen Seele, hätte
Der Wende seufzte und schüttelte in stummer Verzweiflung sein braunlockiges Haupt.
»Ihr wollt nicht?« fuhr der mit den Drähten fort. »Warum nicht? Meint Ihr, der
Herr behalte Recht, weil er reich ist? Solche Gedanken dürft Ihr gar nicht in
Euch aufkommen lassen, mein Lieber! Es ist wahr, der Arme richtet bei unserer
Art, die Prozesse zu führen, und sie auf Kind und Kindeskind zu vererben, hier
zu Lande selten etwas aus, aber, Freund, es ist nicht klug, dergleichen
Bedenken merken zu lassen! Ich sage Euch, soll das Volk den Vornehmen gegen
über dereinst und, gebe Gott, bald eine bessere Stellung einnehmen, die es
verdient, die es fordern darf, so müssen wir jedes erlaubte Mittel ergreifen
und vor Allem uns von diesen hochmüthigen Narren gar nichts mehr gefallen
lassen! – Glaubt mir, Freund, ich kenne die Herren, denn ich komme viel mit
ihnen zusammen, ich kenne auch den wilden Blauhut. Sie geben klein zu, wenn man
ihnen recht derb mit hartem Schuh auf die Zehen tritt. Muth und Ausdauer machen
sie ängstlich und furchtsam.
»Er ist mein Herr!« sagte dumpf der Wende.
»Desto besser! Der Herr muß seine Unterthanen schützen, er darf sie nicht mißhandeln.«
»Ich bin nicht sein Unterthan, guter Mann.«
»Ja zum Teufel, was seid Ihr denn sonst?«
»Sein Leibeigener!« murmelte Sloboda mit einem furchtbaren Blick gen Himmel,
indem er seinen Hut wieder abnahm und dem theilnehmenden Deutschen das Zeichen
der Knechtschaft, den glänzenden Lederriemen um Stirn und Haupthaar, zeigte.
»Ich muß schweigen und dulden,« setzte er hinzu, indem Zorn und Ingrimm seinen
Augen bittere Thränen entpreßten, »denn wenn mir der Herr nicht an's Leben
geht, habe ich wider ihn kein Recht. Auch ist er sonst immer gut gegen mich
gewesen und ich habe keine Noth bei ihm gelitten. Erst seit die Schönheit
meiner Tochter ihn berückt hat und
»Lieber Freund,« versetzte jetzt der Maulwurffänger – denn dieses Geschäft
betrieb der Mann mit den Drähten – »mit blinder Wuth ist in Eurer Lage nichts
zu gewinnen. Ich glaubte Euch nur hofepflichtig; daß Ihr leibeigener Knecht
seid, ändert die Sache freilich, doch verloren habt Ihr deshalb noch immer
nicht. Ich rechne mir nämlich, daß es einen Weg gibt, auf welchem diesen Herren
beizukommen sein muß. Das, lieber Freund, ist die Ruhe, die Schlauheit, die
Verstellung! Und Ihr müßtet doch, mein' ich, kein eingebornes Kind dieses
Landes sein, wenn Ihr nicht die zehn Gebote aus dem Katechismus des gemeinen
Mannes vollkommen begriffen haben solltet! Was mich betrifft, seht Ihr, so ist
Schlauheit die Seele meines Geschäfts. Der Maulwurf ist ein verteufelt kluges
Thier, der Euch die schönsten Anschläge zu nichte macht, wenn Ihr
»Euer Wort in Ehren – wie seid Ihr getauft?«
»Heinrich, Euch zu dienen, in's Gemeine Pink-Heinrich.«
»Euer Wort in Ehren also, Heinrich, die Sache mag ihre Richtigkeit haben, allein ich selber kann nichts dazu thun. Für mich gibt es keine Hilfe, ich muß dulden und sterben.«
»Laßt mir den Kirchhof aus dem Spiele,« versetzte Heinrich, »ich bin gerade
kein sonderlicher Liebhaber von dem Gewürm. Doch sagt, wie hängt denn die
Geschichte mit dem Blauhut
»Darüber kann ich Euch die beste Auskunft geben,« fiel Ehrhold ein. »Vor etwa
vierzehn oder sechzehn Tagen, müßt Ihr wissen, schrieb der Herr einen
Gesindetag aus. Ich gehöre ihm erbunterthänig zu mit den Meinigen, denn der
Edelhof, zu dem unser Dorf gehört, ist sein ihm verschriebenes Eigenthum. Nun
war dazumal meine Pathe, das Haideröschen, grade zu Besuch bei mir, als die
Dienstladung kam. Als eine Fremde meldete ich sie nicht als hofepflichtig, denn
ihr Vater, der Jan Sloboda, steht unter der Herrschaft des alten Grafen und
frohnt und dient dem Schloß im See, wie wir die alte Burg Boberstein nennen.
Meines Wissens ging dem Haideröschen der Dienstruf des jungen Herrn gar nichts
an und ich war im Recht, daß ich sie nicht zur Dienstschau abschickte. Es hätte
wohl auch kein Hahn darüber gekräht, wäre nicht zum Unglück am nämlichen Tage
der junge Herr in unser Dorf gekommen. Obschon es
Der Maulwurffänger, der seine hellen schlauen Augen bald über die Gegend schweifen, bald auf dem Sprechenden ruhen ließ, schüttelte bedenklich den Kopf, zwischen den beiden Männern langsam fortschreitend.
»Wo seid Ihr zu Hause?« fragte er. »Führt Euer Weg nicht bis in's Niederland, so begleite ich Euch eine Strecke.«
»Ich wohne zwei gute Stunden von hier hinter den Teichen,« versetzte Ehrhold. »Das junge Volk da vor uns ist eben daher.«
»Seitwärts Rothenburg?«
»Da gehen unsere Wege wacker zusammen,« erwiederte der Maulwurffänger. »Ich habe Kunden in jener Gegend, die ich immer einmal mit umstoßen kann. Unterwegs besprechen wir wohl noch Eins und das Andere.«
Freudig nahmen die niedergeschlagenen Wenden die Begleitung des Deutschen an.
Obwohl Jan Sloboda den Maulwurffänger bisher blos von Ansehn und Hörensagen
kannte – denn Heinrich war in sehr weitem Umkreise ein in seiner Art berühmter
Mann – so war es ihm doch grade in seiner jetzigen düstern Stimmung angenehm,
einen verständigen Begleiter gefunden zu haben, dem er nicht zu mißtrauen
brauchte. Oft schon hatte er von deutschen Bauern gehört, daß der
Maulwurffänger, der aus dem Grenzgebirge stammte, ein geschworner Feind des
drückenden Herrenwesens sei, das noch so schwer
Bei dieser etwas frivolen Lebensansicht und bei seiner Beschäftigung, die ihn zu fortwährendem Herumziehen im Lande nöthigte, war es kein Wunder, daß Heinrich in seinen Mitteln nicht wählig war, und daß er häufig auch mit Menschen verkehrte, die in der bestehenden bürgerlichen Ordnung nur ein Hemmniß der Erdenglückseligkeit erblickten.
Sloboda und Ehrhold gaben auf alle Fragen, die Heinrich aushorchend an sie
richtete, des Breitesten Antwort, und dieser erfuhr dadurch Alles, was er zu
wissen begehrte, um den
»Habt keine Sorge um Röschen,« sprach er hierauf, mit den Wenden rüstig weiter schreitend. »Ein Mädchen mit gesunden Augen und natürlichem Tact führt Euch den abgefeimtesten Teufel ein paar Tage lang an der Nase herum! Mir ist nicht bange um das liebe Kind. Der Junker wird sich vor ihr, sie sich nicht vor ihm beugen müssen. Nur die ersten Stunden der Angst und Beklemmung werden sie peinigen, später möchte ich wetten, daß sie leichter und besser als wir ihren Vortheil zu wahren verstehen wird. Darin sind die Weiber noch pfiffiger als die Juden! – Doch was ich Euch fragen wollte, lieber Jan, habt Ihr nicht gehört, wem das Fräulein angehört, das schon seit Jahr und Tag auf der Burg des alten Grafen lebt? Es wird viel darüber gefabelt, was Alles ich nicht glauben kann. Nur so viel weiß ich, daß es zwischen Himmel und Erde etwas Lieblicheres, als Fräulein Herta, wie man sie nennt, nicht gibt!«
»Ich sah letzthin das Fräulein mit dem alten Herrn durch den Wald reiten,«
versetzte
»Es muß eine eigene Bewandniß mit dieser Herta haben,« fuhr der Maulwurffänger fort. »Der alte Graf, ein braver Herr, wie mich dünkt, trägt das Fräulein auf den Händen, und auch die Frau Gräfin, die doch eine stolze Frau ist, lächelt immer recht freundlich, wenn sie das feine schlanke Mädchen erblickt, ja sie läßt es sogar geschehen, daß Herta ihr um den Hals fallen und sie nach Herzenslust küssen darf, was ich ihrer eigenen Tochter, wenn sie eine hätte, nicht rathen würde. Aus alle dem geht hervor, Freund Jan, daß sie von gar vornehmer Abkunft sein muß.«
»Sehr möglich,« sagte Sloboda. »Die Verbindungen der gräflichen Familie sind groß und sollen sogar mit dem churfürstlichen Hause verzweigt sein.«
»Wißt, Jan, ich habe einen Gedanken! Ihr müßt das Fräulein zu Eurer
Fürsprecherin machen. Junker Blauhut fürchtet den Alten, weshalb er auch selten
auf das Schloß im See kommt. Stecken wir uns nun hinter diesen und lassen ihm
durch Herta die Gewaltthat des
»Wer soll einen so gefährlichen Auftrag übernehmen! Ich selbst? – Mir würde man nicht glauben, und ein Anderer? Ach, Heinrich, Ihr kennt die Menschen und ihren Eigennutz nicht!«
»Hat das nette Ding denn keinen Liebsten?« fragte etwas ungeduldig der Maulwurffänger.
»Die Burschen sind ihr wohl alle gut und gingen für sie durch's Feuer, aber erklärt hat sich doch noch keiner.«
»Noch keiner?« warf Clemens ein, der einige Schritte vor den rathschlagenden Männern mit den Uebrigen ging, und drehte sich um. »Fragt Vater Ehrhold, ob Haideröschen ohne Schutz ist!«
»Ehrhold?« sagte Jan gedehnt, den jungen Burschen mit langen Blicken messend.
»Er weiß, was ich nicht lang und breit erzählen mag. Ich liebe das Haideröschen
und habt Ihr nichts dagegen, Vater Jan, und kommt sie heil und rein wieder
zurück in unser
Der Maulwurffänger lachte leise und sah den Wenden mit dem verschmitztesten Blick seiner muntern Augen an. »Da haben wir ja gleich einen Unterhändler, wie wir ihn nur wünschen können,« sagte er. »Gelt', frischer Junge, Du scheust eine Tracht Prügel nicht, wenn Du der schmucken Dirne und ihrem trauernden Vater einen Dienst erweisen kannst? Legen sie Dich in den Stock, je nun, so sitzest Du eben auf demselben Ehrenplatze, auf welchem vor Dir schon sehr viele ehrliche Leute gesessen haben. Wer liebt und das Herz auf dem rechten Flecke hat, fürchtet weder den Teufel noch seine Großmutter!«
»Ich bin zu Allem bereit,« versetzte Clemens. »Laßt mich nur wissen, was ich zu thun habe!«
»Nachher, wackeres Blut!« sagte der Maulwurffänger. »Ich sehe die Teiche durch
das Gesträuch schimmern, und da ich einmal so weit mit Euch gelaufen bin,
werdet Ihr mich hoffentlich eine halbe Stunde bei Euch ausruhen lassen. Da
können wir das Nähere besprechen. Wichtiger ist es, dem Junker sogleich
beizukommen,
»Ihr wolltet, Heinrich?« rief Sloboda erfreut und erstaunt zu gleicher Zeit aus. »Habt Ihr auch den Zorn des jungen Herrn überlegt? Er vergibt Euch nie mehr, wenn Ihr seine Wege kreuzt, und wird Euch auf Schritt und Tritt verfolgen, denn in ihm wohnt eine böse, tückische, verwahrloste Seele!«
»Aus Blauhut's Zorne mache ich mir nicht so viel!« sprach der Maulwurffänger lächelnd, indem er mit aufgeworfener Lippe über die Spitzen seiner Finger hinblies. »Ich bin ein freier Mann, dem er nichts zu befehlen hat. Bisher fing ich ihm redlich das blinde Gewürm von seinen Aeckern, wofür er mich immer pünktlich bezahlt hat. Will er mir fernerhin die Kundschaft entziehen und sich die Felder von dem Ungeziefer ruiniren lassen, so steht ihm das frei. Mich soll die Ungnade des Grafen Magnus wenig kümmern, wenn ich um so geringen Preis einem Armen helfen und ein schreiendes Unrecht verhüten oder hintertreiben kann.«
Gerührt über ein so uneigennütziges Anerbieten
»Vergib,« sagte er, »daß ein Leibeigener einen freien Mann des Volkes zu umarmen und Bruder zu nen nen wagt! Ich kann nicht anders, mein Herz treibt mich dazu. – Hast Du doch selbst gesagt, daß die Kette, die noch an meinen Händen klirrt, gebrochen zu werden verdiente. Nimm an, ich sei frei, wie Du, ich brauchte nicht mehr blindlings den Winken eines launenhaften Herrn zu folgen, und die Schmach, die auf der Person eines Leibeigenen haftet, wird Deine freie Seele nicht beflecken!«
»Ich bin Dein Bruder, Jan Sloboda,« erwiederte Heinrich ernst, Händedruck und Kuß erwiedernd.
»Und nun noch eine Bitte,« sagte Ehrhold. »Tretet als Gast in meine Hütte! Sie ist zwar ärmlich, aber rein und unentweiht von jeder Frevelthat!«
»Ich will die Abendmahlzeit mit Euch und Eurem Freunde theilen,« versetzte der
Maulwurffänger, denn wenn ich ehrlich sein soll, so muß ich gestehen, daß ich
einen recht gesunden Appetit
Die Wanderer hatten auf verschiedenen zwischen den Teichen hinlaufenden Dämmen
die fischreichen Weiher durchschritten und erreichten jetzt das Dorf, wo
Ehrhold wohnte. Zwischen Wald und sanft ansteigenden Wiesen in breitem
Thalgrunde gelegen, den ein heller Bach durchrieselte, machte es einen
freundlichen Eindruck. Die mit Moos und Gras bewachsenen Strohdächer leuchteten
im goldigen Duft der bereits niedrig stehenden Sonne. Auf den Forsten mehrerer
Häufer zeigten sich Storchnester, deren Bewohner noch nicht aus ihren
afrikanischen Winterquartieren zurückgekehrt waren. Die alten Mütterchen und
Greise des Dorfes saßen vor den Haus- und Hofthüren, während verheirathete
rüstige Frauen und Männer auf dem ungepflasterten Fahrwege, der zwischen den
beiden Häuserreihen, aus welchen das Dorf bestand, hinlief, mit einander
plaudernd auf- und niedergingen. Die Männer rauchten meistentheils
Das freudlose Wesen der Heimkehrenden mußte den daheim Gebliebenen alsbald auffallen, denn man war gewohnt, die Jugend, wenn sie von ihren Sonntagsausflügen in's Thal herab zog, schon von fern heitere Feldlieder singen zu hören. Es fragten deshalb bestürzt und unruhevoll Mehrere nach der Ursache dieser allgemeinen Betrübniß.
»Vermißt Ihr denn Niemand?« entgegnete Ehrhold. »Seht Euch um! Sind das all unsere Kinder und Schutzbefohlenen?«
»Wo bleibt unser Haideröschen?« rief eine ihrer Freundinnen mit bangem Herzklopfen.
»Sie ist uns gewaltsam entrissen worden,« sagte Ehrhold. »Habt Ihr den Dienstbotentag vergessen?«
Alle standen wie vom Schlage getroffen, während Ehrhold seine Gäste in das uns schon bekannte Wohnhaus geleitete.
In demselben verräucherten Zimmer, wo unter allgemeiner Lust die Spinte nach altem Brauch erstochen worden war, an dem nämlichen Tische, wo Haideröschen ihre dankbaren Zuhörer mit dem Zauber ihrer Mährchen und Waldlieder entzückt hatte, saßen Ehrhold, Sloboda, Heinrich und Clemens in berathendem Gespräch. Der junge Bursch, den die überkecke That des Grafen erst völlig betäubt hatte, überließ sich jetzt wieder ganz seiner natürlichen Lebhaftigkeit und seinem heftigen sinnlichen Temperamente, das nur angewohnte Scheu vor der Gewalt eines gebietenden Herrn eine Zeitlang hatte niedrücken können.
»Laß das gut sein,« bemerkte der Maulwurffänger. »Geschehene Dinge sind nicht zu ändern. Das ist zwar eine sehr abgegriffene, aber doch immer eine wahre Lebensregel. Was sollte denn außerdem noch geschehen? Es ließ sich bei der Affaire schlechter dings nichts thun, als daß Ihr etwa den Herrn Grafen todtschlugt. Das wäre aber meiner schlichten Meinung nach eine eben so respectwidrige, als verbrecherische Handlung gewesen. Weit besser ist's, daß sie unterlassen wurde. Unterlassungssünden solcher Art tragen ihrer Zeit die süßesten Früchte. Haideröschen, wie Ihr das nette Ding nennt, hat einen Ritt durch die Hügel gemacht, und dieser wird ihr ohne Zweifel gut bekommen, denn es war heut eine prächtige Luft!«
»Der Spott steht Euch übel zu Gesichte, Landsmann,« versetzte Clemens verdrüßlich.
»Dein Landsmann kann und will ich nicht sein, wenn Du nichts dawider hast,«
erwiederte
»Wie Ihr wollt,« sagte der junge Wende. »Die Hauptsache bleibt immer, daß wir jetzt redlich und wacker zusammen halten, um der verruchten Grafenbrut den Hals zu brechen. Allein dürfen wir armen geknebelten Teufel dem Gespinnst doch nicht an's Leben, ohne gehangen, gespießt oder gar verbrannt zu werden.«
»Der größte deutsche Weltweise, Eulenspiegel, der recht eigentlich der einzige
wahre Philosoph unseres Volkes ist,« nahm Heinrich in unerschütterlicher Ruhe
abermals das Wort, »sagte das große Wort: Eile mit Weile! Das ist absonderlich
in dieser Angelegenheit mein Rath. Versprichst Du mir, fein still zu sitzen und
ganz unthätig zuzusehen, bis ich sage: jetzt mach' Dich auf die Socken und
handle; so mische ich mich auf meine Weise in die Geschichte, und ein
verwirrter Knäuel Bindfaden, den ich in die Hände kriege, wird gewiß entwirrt,
oder ich will kein Maulwurffänger sein! 's Ist mein Geschäft, die Pfiffigen
hinter's Licht zu führen, und 'was Lustigeres
»Ihr spracht vorhin von dem Fräulein auf der alten Burg. Was habt Ihr mit dem Engelsbilde zu schaffen?«
»Mißlingt mein Plan, so sollst Du Dir mit dem Prachtmädchen etwas zu schaffen machen, damit es dem Herrn Junker den Kopf zurecht setzt. Ueberhaupt gelüstet mich's schon lange, etwas genauer und tiefer hinter die alten Burgmauern und die vermoderten Tapeten zu gucken, denn mir schwant, man hält da alte Sünden fein säuberlich hinter Schloß und Riegel. Diesen möchte ich auf die Spur kommen, nicht aus Neugier, sondern weil ich davon für Euch Gutes hoffe.«
»Wie meinst Du das, Bruderherz?« fragte Sloboda.
»Eins nach dem Andern, Freund! Ich gehöre zu den langweiligen Leuten, die nie
zwei Dinge unter einander mengen, aber, wenn's sein muß, hundert auf einmal
anfangen, um sie gelegentlich alle zu Ende zu führen. Kommt Zeit,
Clemens sah finster drein und schien kein rechtes Vertrauen zu dem Deutschen fassen zu können, der immer von Vorschlägen und Plänen sprach, und wenn man sie zu hören begehrte, stets wieder ausweichend antwortete. Das Phlegma Heinrich's ärgerte ihn und brachte sein sinnlich regeres Temperament in immer heftigere Wallung. Nur Sloboda's Blicke vermochten ihn, den theilnehmenden Gast mit gebührender Rücksicht und Höflichkeit zu behandeln.
Der Maulwurffänger schlug sich Feuer für seine Tabakspfeife an, die ihm schon auf dem Wege zehnmal ausgegangen war und auch jetzt nicht in Brand bleiben wollte. Während er wiederholt Stahl und Stein zusammenschlug, oder, wie die Lausitzer sagen, »pinkte,« sprach er:
»Ihr habt doch gewiß vielmals von der Bande des braunen Lips gehört, wißt Ihr vielleicht, wo sie jetzt ihr Hauptquartier hat?«
»Ach was!« versetzte Heinrich, dicke Tabakswolken von sich blasend, »Räuber haben so gut ihre Launen, wie sogenannte ehrliche Leute, und nun erst ein Mann wie Lips! Es heißt, er verrathe immer eine Abtheilung seiner Leute selbst, um, während man diesen nachläuft, mit seinen übrigen Gesellen desto bequemer plündern und rauben zu können. Der Teufelskerl kommt mir in den Sinn, weil wir ihn just recht bequem brauchen könnten.«
»Mit Spitzbubengesindel will ich nichts zu thun haben,« sagte Clemens stolz.
»Dann thust Du am klügsten, Du verkriechst Dich in's erste beste Mauseloch und hältst Dir jede Creatur vom Leibe, die einem Menschen ähnlich sieht! Das Geschlecht der Spitzbuben ist so groß wie die Menschheit und ohne alle Widerrede der älteste Adel, den es gibt!«
»Geht's,« meinte Sloboda, »so laß die Teufelsbrut aus dem Spiele. Mitgegangen, mitgehangen!«
»Weißt Du so genau, was den Lips zum Freijäger gemacht hat und wer der Mann
früher
»Dafür bist Du auch ein friedlicher Pflüger und ich bin ein reisender Künstler,« entgegnete pfiffig lächelnd der Maulwurffänger. »Kurz und gut, wüßt' ich den Lips aufzutreiben, ich machte, hol' mich Dieser und Jener, zu des Grafen Verderben Bekanntschaft mit ihm! Er soll sich seit einigen Wochen in die Haide geworfen haben, die freilich für eine so zahlreiche und unruhige Familie das bequemste Haus ist. Aber wo ihn dort aufsuchen, ohne zuvor selbst ein paarmal bis auf die Haut durchsucht und ausgeraubt zu werden? Indeß, nun ich mich doch einmal in diesen vielgekrümmten Maulwurfsgang begeben habe, will ich ihn auch nicht wieder verlassen, ohne das Gewürm unschädlich gemacht zu haben.«
»Vergiß nur nicht, wackerer Freund, auf Deine eigene Sicherheit dabei Acht zu geben,« sagte theilnehmend und dem Deutschen dankend die Hand drückend, Sloboda.
Sloboda mußte über die ernsthaft trockene Art, in welcher der Maulwurffänger seinen Speisezettel vortrug, trotz seines Kummers lachen und Ehrhold stand munter auf, um eigenhändig eine tüchtige Schüssel voll Haidegrütze mit kaltem Schweinefleisch, nebst Butter und Brod aufzutragen, Clemens aber mußte, da vermuthlich der Milchkeller des Wenden für den gesunden Appetit des diensteifrigen Maulwurffängers zu klein gewesen wäre, in die Schenke wandern, um die gewünschten Quantitäten Schnaps und Bier herbeizuschaffen.
Heinrich ließ sich die aufgetragenen Speisen trefflich munden und unterhielt
dabei fortwährend seine Freunde mit allerhand wunderlichen Geschichten, die ihm
alle selbst begegnet sein sollten. Darüber ging die Sonne unter und ein
schwerer, feuchter Nebel begann Dorf, Hügel und Feld in schmutziges Grau zu
hüllen. Dies konnte jedoch unsern Freund nicht abhalten,
»Wenn ich nur nicht solche Redensarten hören sollte!« erwiederte Heinrich darauf. »Ihr wißt kaum, was Ihr bittet, und hörte ich darauf, so könnten wir allesammt hinterher ein großes Unglück zu beklagen haben. Laßt mich nur machen, sag' ich! Ich kenne die Wege genau und finde sie in finsterer Nacht so gut wie beim hellsten Sonnenschein. Darum Gott befohlen und ein baldiges frohes Wiedersehen!«
Von den besten Wünschen der Wenden begleitet, verließ Heinrich das Dorf, wendete sich dann südöstlich, ließ die Teiche, die schützend von zwei Seiten den Ort umgaben, rechts liegen und wanderte in gemessenen Schritten, seinen langen Stecken fleißig brauchend und sich gleichsam mittelst desselben wiegend und weifend vorwärts schiebend, einer Waldzunge zu, welche die zur Linken seitwärts laufende Haide hier in's bebaute Land vorgeschoben hatte.
Es nebelte so stark, daß der Maulwurffänger kaum einige Schritte weit sehen
konnte, sein Auge war aber durch immerwährende Uebung
Eine gute halbe Stunde mochte der Maulwurffänger tüchtig ausgeschritten sein,
als die Waldung lichter wurde und einzelne helle, mit dunstigen Ringen umgebene
Puncte die Nähe eines benachbarten Ortes ankündigten. Ein des Weges minder
kundiger Wanderer würde auf diese freundlich lockenden Zeichen zugeschritten
sein, Heinrich aber wendete sich, nachdem er den Wald verlassen hatte, zur
Rechten und
»Na da wären wir ja,« sprach der Maulwurffänger zufrieden zu sich selbst, indem er den Kopf seiner Pfeife ausklopfte und sie in die Westentasche steckte. s' Ist doch eine prächtige Sache um verbotene Wege. Sie bringen einen entschlossenen Mann in kurzer Zeit eine Strecke vorwärts. »Ha, ha, ha,« fuhr er lachend fort, »im Schlosse wird noch stark geleuchtet. Sollte Gesellschaft da sein? Aber da ging's lebhafter zu, denn wo Junker Blauhut zu befehlen hat, darf sich die stille Kopfhängerei nicht blicken lassen.«
Das Gebäude, dem unser Freund den Namen eines Schlosses gab, war eigentlich
blos ein geräumiges, von außen stattlich aussehendes Herrenhaus, wie es deren
in den meisten größeren wendischen Dörfern gibt. Es lag fast in der Mitte des
Dorfes, das sich in breiter
Als der Maulwurffänger der hohen, düstern Mauer sich näherte, welche die
umfangreiche Hoferöthe umschloß, mäßigte er seine Schritte und ging mit sich
selbst zu Rathe, auf welche
»Vortrefflich gelungen!« murmelte Heinrich, sich vor Freuden die Hände reibend.
»Der unvernünftige Lärm jagt ihnen wenigstens einen solchen Schreck ein, daß
sie alles Andere darüber vergessen. Sehr wahrscheinlich sogar, daß das Gesinde
ein aufgehendes Feuer muthmaßt. Das gibt Unordnung, Durcheinanderrennen und
Teufelszwirn die Menge. Dabei kann Flucht oder Verstecken höchst täuschend
nachgeahmt werden, denn
Während der Maulwurffänger dieses Selbstgespräch hielt, waren mehrere Diener oder Knechte über den Hof nach dem Thorwege geschritten, einige Laternen tragend, andere mit tüchtigen Knitteln bewaffnet, um einem möglicherweise beabsichtigten Einbruche, deren in den letzten Wochen mehrere in der Nachbarschaft versucht worden waren, kräftig begegnen zu können. Der Anführer dieser Eskorte fragte, während seine Begleiter die wüthenden Hunde zu besänftigen suchten, wer so spät Einlaß begehre und was dies unverschämte Lärmen zu bedeuten habe?
»Unverschämt!« wiederholte Heinrich mit seiner den Knechten des Edelhofes
wohlbekannten halb zornigen halb scherzhaften Stimme. »Ich finde es verteufelt
unverschämt, einen ehrlichen guten Freund durch's Schlüsselloch zu examiniren
und in solchem Hundewetter, das ihn nicht abhalten konnte, auf des Herrn Grafen
Vortheil zu sehen, eine halbe Stunde lang stehen
»Gott straf' mich,« versetzte der Voigt, »es ist gewiß und wahrhaftig der Sackerments-Maulwurffänger!«
»Ich will dich schon besackermentiren,« entgegnete Heinrich, »wenn ich Dich nur erst hinter'm Tische in der Gesindestube habe!«
Inzwischen klirrten die Riegel, die Thorflügel gingen knarrend aus einander und das helle Licht der Laternen zeigte drei oder vier Knechten, in deren Mitte der Voigt mit blankem Hirschfänger stand, die abenteuerliche Gestalt des Maulwurffängers.
»Der gnädige Herr wird Dir ein schönes Gesicht schneiden, wenn er hört, daß Du den unnützen Specakel gemacht hast,« redete ihn der Voigt an. »Wir dachten nicht anders, als es würde Jemand draußen massacrirt.«
»Seine Gnaden werden das Gesichterschneiden wohl bleiben lassen,« erwiederte
Heinrich. »Mach' nur geschwind und melde mich. Ich muß den Herrn sogleich
sprechen, denn ich habe
»Du?« sagte der Voigt spöttisch. »Vermuthlich willst Du ihm ein paar gestohlene Maulwürfe für sein Eigenthum aufhängen.«
»Ich werde gleich den Versuch an Dir machen, ob Deine Kehle zäher ist, als die eines Maulwurfs,« versetzte Heinrich. »Geh', sag' ich, oder ich melde mich selbst!«
»Es geht aber nicht!« sagte der Voigt trotzig, das Thor wieder fest verriegelnd.
»Es muß und wird gehen.«
»Niemand darf zu ihm heut Abend. Nicht wahr, so lautete sein Befehl?«
Die Knechte bejahten diese Frage einstimmig, doch Heinrich beharrte hartnäckig darauf, daß er den Grafen sprechen müsse. »Grade deswegen, weil er's verboten hat, muß ich nun zu ihm,« sagte er. »Seinen Zorn nehm' ich ganz allein auf mich, Ihr Alle geht frei aus, das verspreche ich Euch, so wahr ich der beste Maulwurffänger im Lande bin!«
»Warum hast Du nicht gepfiffen, wie sonst, wenn Du des Nachts auf dem Hofe
einkehren willst?« fragte der Voigt, dem unwillkommenen
»Weil es heut Sonntag ist und ich mir die Lunge schon in der Kirche ausgesungen, ausgepfiffen und ausgeschrieen habe, und weil ich außerdem weiß, daß Ihr um die jetzige Zeit in Euer gottloses Kartenspiel so vertieft seid, daß Ihr eines ehrlichen Christen fromme Melodie, und pfiff er sie so rein und schön, wie eine Nachtigall, doch nicht hören würdet. Endlich und zuletzt aber, weil ich stets auf aller Menschen Bestes bedacht bin und für Euch dieses Beste eine rasche Motion war, die ich am sichersten durch mein Klopfen bewerkstelligen konnte. Sagt selbst, ob Euch nicht das faule Blut jetzt viel munterer durch die Adern schießt? Nun und das, denk' ich, sind Gründe genug, um dafür einen Krug englisches Bier und ein warmes Lager in der Hölle beanspruchen zu dürfen.«
»Du bist ein Schalk,« sagte verdrießlich lachend der Voigt.
»Darin irrst Du Dich,« versetzte der Maulwurffänger mit größter Gelassenheit, »ich bin vielmehr ein Mittel gegen Schälke und alle Schurkerei. Meine Kunst beweist es.«
»Narr, todte Maulwürfe!«
»Bestrafte Schälke,« verbesserte listig lächelnd der Maulwurffänger, den Quersack wieder zuschnürend. »Nun geh' aber und richte meinen Auftrag genau und pünktlich dem Herrn Grafen aus.«
Ehe wir unsere Erzählung weiter fortführen, müssen wir uns zurückwenden zum Grafen Magnus. Dieser hatte nach halbstündigem scharfen Jagen mit seiner schönen Beute, die inzwischen vor Angst und Schreck ohnmächtig geworden war, jenes einsam gelegene Vorwerk erreicht, dessen Schornstein man vom Fuße des Todtensteines aus sah. Dieses Vorwerk gehörte zum Edelhofe und wurde von einem Pachter mit Frau und Gesinde bewohnt. Magnus hielt hier sein schaumbedecktes Roß an, sprang aus den Bügeln und trug die noch immer bewußtlose junge Wendin in das Wohnzimmer des Vorwerks.
Des Staunens nicht achtend, das Blicke und Mienen der einfachen Landleute
aussprachen, forderte
Dieses unvollkommene Transportmittel richtete jetzt der erschrockene Pachter
auf Befehl seines Herrn so schnell wie möglich her, während Magnus mit schlecht
verhehlter Ungeduld die feinen Züge Röschens beobachtete, die noch immer
besinnungslos in den Armen der besorgten Pachtersfrau lag. Röschen sah
wunderbar schön aus in dieser dürftigen Umgebung. Ein feiner Zug schelmischen
Lächelns, der ihren kleinen Mund immer umspielte, war auch dem jähen Schreck
nicht gewichen, der sie betäubt hatte.
Die Pachterin, eine in gewissem Sinne gemeine Frau, bot dem Grafen mit beredter
Zunge eine ganze Menge in solchen Fällen sehr erprobter Hausmittel an, die
jedoch Magnus alle von der Hand wies. Denn wünschte er auch sehnlichst das
Erwachen Haideröschens alls ihrer Ohnmacht, so lag ihm doch wieder Alles daran,
daß dies nicht vor Zeugen geschehe, die seinem Willen nicht unbedingt
unterworfen waren. Deshalb trieb er auch so sehr wie möglich zur Eile, und ließ
alle Fragen der Pachterin, die unter
»Ach was ein feines Händchen hat die Arme!« rief sie aus. »Das ist nicht
gemacht, um unsere harten Arbeiten zu verrichten, o behüte! Das sollte nur die
Nadel führen, um seidene Zeuge zum Putz der lieben schlanken Glieder
zusammenzunähen. Nun warte nur, meine arme Kleine,« fuhr sie fort, indem sie
die Stirn der Ohnmächtigen sanft küßte, »der gnädige Herr Graf wird Dich schon
erziehen lassen, wie's Dein junges Herz nur wünschen kann. Ach und wie prächtig
mußt Du aussehen, wenn Du feine vornehme Kleider anziehen wirst! Ja, dann
möchte ich Dich schon wieder ein Mal bei mir sehen und begucken. – Ach und
gewiß hast Du auch nicht immer in so groben Hüllen gesteckt, Du liebes
Engelsbild. Die böse Brut der Welt wird Dir nachgestellt haben, und um ihr zu
entgehen,
Die redselige Frau, deren gemeine Denkungsart deutlich genug aus ihrem
Geschwätz zu ersehen
»Seid Ihr fertig?« fragte Magnus ungeduldig.
»Wenn Ew. Gnaden befehlen, können wir aufbrechen.«
»Das arme Kind!« klagte die Pachterin. Der gnädige Herr Graf würden Ihre Menschenfreundlichkeit verdoppeln, wollten Sie mir erlauben, daß ich unterthänigst meinen »Lebensgeist« oder auch den »schmerzstillenden Spiritus –«
»Schweigt!« unterbrach sie Magnus, einen blanken Thaler in ihre Hand schiebend. »Dies für Eure Mühe und jetzt packt Euch!«
»Tausend Dank, gnädigster Herr! Aber Sie werden mir doch erlauben, daß ich das liebe Ding auf meinen Armen in den Wagen trage?«
»Ich werde Euch die unnützen Arme mit meiner Peitsche zerklopfen,« fuhr Magnus
die dienstfertige Frau an, »wenn Ihr Euch nicht auf der Stelle fortpackt! Zu
lange schon hat mein Schützling in Eurer Nähe verweilt. Ich
Obwohl die Pachterin über die letztere Bemerkung sehr bestürzt wurde, da sie durchaus nicht begreifen konnte, was den Grafen dazu veranlassen mochte, mußte sie doch lächeln, denn sie besaß hinlänglichen Mutterwitz, um das Sinnlose in des Grafen Drohung sogleich einzusehen.
»Ach Du lieber Gott!« rief sie wehmüthig die Hände faltend. »Das wird gar nicht in des gnädigen Herrn Gewalt stehen! Das arme Ding hat ja keine einzige Sekunde ihre gewiß sternenhellen Augen aufgeschlagen, noch ein kurzes Sterbenswörtchen gesprochen! Wie soll mich die niedliche kleine Wendin da wiedersehen! Möge sie der liebe Gott nur so treulich behüten, wie Ew. Gnaden sich ihrer liebevoll annehmen!«
Magnus hatte inzwischen Haideröschen behutsam von ihrem Lager aufgehoben und
nach dem vor der Hausthür haltenden Planwagen getragen. Die schwatzende Frau
folgte ihm, immerfort sprechend, auf dem Fuße, obwohl ihr Mann finster genug
drein sah und ihr mehrmals winkte, daß sie endlich einmal ihren
Herzensergießungen
Trotz der Ungeduld, die ihn zu größter Eile anspornte, mußte sich Magnus doch entschließen, einen sehr langsamen Trab zu reiten, da der Pachter kurz und bündig erklärte, daß es durchaus unmöglich sei, schneller zu fahren, wenn sein Fuhrwerk nicht binnen Kurzem in Stücken zerbrechen solle.
Verdrossen fügte sich der Graf in das Unabänderliche, immer dicht an dem Wagen
herreitend und ihn mit Auge und Ohr eifrigst bewachend. Sie waren noch kaum
eine Viertelstunde
Zufrieden mit dieser Fügsamkeit überließ Magnus das Mädchen sich selbst und langte ohne fernere Störung mit ihr auf dem Zeiselhofe an. Erst hier, im Innern der dunkeln Hausflur, wohin er mit Borbedacht den Wagen fahren ließ, zeigte er sich Röschen, diesmal sein interessantes, keckes männliches Gesicht in die lichtesten Farben gewinnender Freundlichkeit kleidend.
Haideröschen war über dieses veränderte Betragen so verwundert, daß sie sich
anfangs wirklich besinnen mußte, ob sie nicht etwa träume. Inzwischen hob sie
Magnus aus dem Wagen, geleitete sie äußerst zuvorkommend und mit einer ihr an
Männern bisher noch nicht vorgekommenen Galanterie, wobei er kaum die Spitzen
ihrer Finger berührte, eine breite Treppe hinan, auf deren gewundenen Absätzen
seltene Blumen mit phantastischen Blättern und Blüthen, wie sie in ihrem Leben
noch keine gesehen hatte, in großen Töpfen und Kübeln standen, und führte sie,
ehe sie noch recht zur Besinnung kommen konnte, in
»Hier bist Du alleinige Gebieterin, mein schönes Kind,« sagte der Graf, die
Erstaunte ritterlich galant zum Divan führend. »Sobald Du etwas begehrst,
darfst Du nur diese Schelle läuten. Auf einmaliges Geläut wird eine Dienerin
Höflich grüßend entfernte sich Magnus und überließ Röschen sich selbst und der Einsamkeit. Geraume Zeit konnte sich das in den einfachsten Verhältnissen aufgewachsene Mädchen in die sich häufenden Seltsamkeiten nicht finden, und es kostete ihr wirklich Mühe, nicht fest zu glauben, daß sie während ihrer Betäubung von unsichtbaren Mächten verwandelt, ihr Verfolger aber gebssert worden sei. Das Land, noch mehr ihr Volksstamm war reich an Erzählungen dieser Art und mäkelte nicht an ihrer Wahrhaftigkeit, wenn auch gegenwärtig Niemand lebte, dem so Wunderbares zugestoßen war. Nur ihre groben Kleider, die sie noch unverändert trug, machten sie wieder irr und ließen neue Bedenken in ihrem geängsteten Gemüth aufsteigen.
Aus weiblicher Neugier, zum Theil auch, um sich einigermaßen zu zerstreuen,
begann Haideröschen die auffallendsten Einzelnheiten des geräumigen, von
eigenthümlichem Duft erfüllten Zimmers, wie er Wohnungen eigen ist, die
Diese Aussicht in ihrer todten Unveränderlichkeit hatte etwas Schwermuth
Erweckendes. Dennoch machte sie auf das junge Mädchen
Röschen täuschte sich nicht. Es war der graue Saum der unermeßlichen Haide,
deren äußerstes Ende sie über den grünen Saatfeldern gewahrte, jener Haide, die
einen großen Theil der Oberlausitz und fast die ganze Niederlausitz bedeckt.
Dieser Anblick gab ihr Kraft und Lebendigkeit wieder. Sie trat vor einen der
hohen Spiegel und betrachtete selbstgefällig ihre schlanke Gestalt. Lächelnd
schüttelte sie den Kopf, weil es ihr ungemein komisch vorkam, daß die kleinen
muntern Löckchen über ihrer Stirn, die unter dem Häubchen hervorguckten, so zum
Angreifen natürlich vor ihren Augen nickten und hin und her schwankten; denn
Röschen hatte wohl zuweilen einen Spiegel zu Rathe gezogen, doch immer nur
einen kaum handbreiten, fleckigen und nie
Recht betrübt ließ sie das Köpfchen sinken und sah traurig auf ihren roth und
schwarz gestreiften Wollenrock herab, der nur durch das Leibchen von allerdings
sehr verschossenem Sammet einen Schimmer von Werth erhielt. Es kam ihr vor, als
sei sie noch nie so ganz abscheulich gekleidet gewesen und der Gedanke, doch
einmal zu sehen, wie ihr wohl bessere Kleider stehen möchten, stieg so
plötzlich in ihr auf und bemächtigte sich so ganz ihrer Phantasie, daß sie mit
dem festen Willen, dergleichen zu verlangen, rasch nach der silbernen Schelle
griff und sie heftig schwang. Ihr unbedachter Eifer ließ das Glöckchen zweimal
ertönen, worauf sie jedoch nicht achtete, sondern erwartungsvoll mitten im
Zimmer stehen blieb und angestrengt lauschte, ob man ihren Befehlen zu
gehorchen wohl bereit sein werde. Sie richtete dabei ihre
Haideröschen mochte etwa eine Minute in dieser horchenden Stellung verharrt haben, als sie es rauschen hörte, nicht aber vor der Thür, sondern hinter oder an der Wand. Sie hielt den Athem an und horchte noch angestrengter. Da bemerkte sie deutlich, daß die gemalten Jäger auf der Tapete zu zittern begannen, die Wand aus ihren Fugen wich und sich gegen sie bewegte. Ein dumpfes Ach! entrang sich ihren Lippen, sie wollte fliehen und eilte nach der Thür. Allein, wie heftig sie auch am Schlosse drückte, es wich und wankte nicht! Auch wäre Flucht bereits zu spät und höchst unklug gewesen, denn Graf Magnus stand schon im Zimmer und drückte die unsichtbar in die Wand eingefugte Thür leise wieder zu. Eben so freundlich, wie er sie vor einer Stunde verlassen hatte, trat er wieder zu ihr und fragte bescheiden, was sie ihm mitzutheilen habe?
Ueberrascht schwieg Haideröschen mit zu Boden gesenkten Blicken.
»Muth, mein Kind, Muth!« sprach der
»Ach, gnädigster Herr, Erbarmen!« erwiederte die Wendin zaghaft. »Die Schelle sollte nur einmal läuten und sie hat –«
»Zweimal geläutet,« fiel ihr Magnus lächelnd in's Wort. »Ja, mein Kind, das hab' ich gehört, darum bin ich hier. Und da meine Schelle so klug ist, die verborgenen Gedanken meiner reizenden Gästin zu errathen und mir zuzuflüstern, so werde ich jetzt hier bleiben. Es ist so traulich, so einladend hier zu freundlicher Unterhaltung! – Aber sage mir doch, Du lieblicher kleiner Schelm, was gedachtest Du denn mit meiner Dienerin zu plaudern?«
»O gar nichts, gnädigster Herr!« versetzte Röschen, aus Verlegenheit mit dem Bandendchen spielend, das ihr zum Zuschnüren des Leibchens diente.
»Wenn Du lügst, werde ich Dich bestrafen müssen, Röschen!«
»Thun Sie's nicht, gnädigster Herr!«
»Ich würde es ungern thun, allein ich sehe mich dazu genöthigt, sobald Du mir
Deine
Eine geschickte Wendung ließ Magnus die spielende Hand der Wendin erhaschen, die das Bändchen noch festhielt. Er zog sie mit der seinigen zurück und die Schleife ging auf und ließ das Leibchen so weit zurückweichen, daß das grobe Linnenzeug darunter, welches den Busen des Mädchens züchtig verhüllte, sichtbar ward.
»Ach die schlechten Kleider!« stotterte Haideröschen. »Berühren Sie sie ja nicht, gnädigster Herr, Sie sind nicht gewöhnt, so grobe Sachen in Ihre Hand zu nehmen!« Und behend entschlüpfte sie dem Grafen, und schlang flink wieder, das Band zusammenziehend, eine feste Schleife.
»Ich billige Dein Gefühl, liebes Kind,« entgegnete Magnus, noch immer sanft und zurückhaltend. »So schlechte Kleider mögen für plumpe Bauermägde passen, ein so zartes Wesen, wie Du, mein Röschen, ist bestimmt, feinere Stoffe zu tragen, und wenn Du den Versuch machen willst, so werde ich dafür sorgen, daß Du morgen das Nöthige vorfindest.«
Haideröschen erröthete und konnte eine
Jetzt erst wagte die Wendin ihre prächtigen Augen ein paar Secunden lang frei und offen zu dem Grafen aufzuschlagen, während sie noch immer sehr schüchtern erwiederte: »Darum wollte ich ihre Dienerin bitten, gnädigster Herr.«
Der Graf jubelte innerlich über dies freimüthige Geständniß des schönen Mädchens, da es ihm deutlich den Kern weiblicher Eitelkeit und Putzsucht enthüllte, der auch in dem noch unverdorbenen Herzen dieses Kindes der Haide tief verborgen lag und sorgfältig gepflegt eine ergiebige Aerndte versprach. Er setzte sich auf den Divan und schmeichelte der vor ihm stehenden Wendin so lange mit freundlichen Redensarten, bis sie Muth faßte und neben dem jungen Manne, der jetzt keine Spur von Heftigkeit oder Hochmuth zeigte, schüchtern Platz nahm.
»Sieh, mein süßes Haideröschen,« redete er sie zutraulich an und ganz so, als
wolle er ihr blos eine Geschichte erzählen, »ich muß Dich jetzt über Dich
selbst und Dein Glück etwas aufklären. Dein sonst recht braver Vater ist ein
Die schöne Wendin sog diese verführerischen Worte des Grafen wie Zaubertöne
eines Mährchens ein. Sie blickte mit den brennenden dunkelblauen Augen zu ihm
auf und lächelte ihn
»Du wirst von dem thörichten Volk gehört haben, ich sei hart, ein Tyrann.
Glaube nicht daran, mein Röschen! Ich mache nur einen Unterschied zwischen den
Menschen. Wo ich Rohheit, Gemüthsverhärtung, unbändigen Starrsinn und
Widerwillen gegen jeglichen Befehl bei vollkommenem Mangel an Bildung entdecke,
da wende ich scharfe, empfindliche Mittel an, wie sie allein durchdringen
können. Die Mehrzahl dieser Menschen, die zerstreut auf meinen Besitzungen in
der Haide und dem niedrigen Hügellande wohnen, verdienen nicht besser wie das
unvernünftige Vieh behandelt zu werden. Es ist ein Glück für sie, daß sie
keinen freien Willen haben, sie würden an ihrer Freiheit nur zu Grunde gehen!
Daß sie zuweilen murren und in ihrer Störrigkeit gegen mich zu rennen suchen,
ist Folge ihrer gänzlichen Verstandeslosigkeit. – Wo ich dagegen Anlage, Herz,
Gemüth, Geist entdecke, wie bei Dir, meine Perle, da bin ich immer geneigt, zu
vergessen, daß ich das
Haideröschen hätte gebildeter sein müssen, als sie es war, um diese Rede des Grafen vollkommen verstehen zu können. Sie hörte ihm zwar aufmerksam zu, aber sie wußte doch eigentlich nicht, was er mit all den schönen Worten hatte sagen wollen. Nur die milde Freundlichkeit, die unveränderlich seine interessanten Züge geistig belebte und verschönerte, machten sie begierig, noch mehr zu vernehmen, Sie stützte daher das feine Köpfchen in ihre Hand und wandte mit schalkhaft klugem Lächeln, dem eine entzückende kindliche Unwissenheit inne wohnte, das Gesicht dem Grafen zu.
»Wenn ich von dem Verdienen der Freiheit spreche,« fuhr Magnus fort, »so will
ich damit nichts Anderes sagen, als daß ich wünsche, es möge jeder Einzelne
meiner Unterthanen die guten Absichten anerkennen, die meinen Handlungen stets
zum Grunde liegen. Von Dir, Röschen, verlange ich das vor Andern. Du bist klug
und alt genug, um mich zu verstehen. Der
Röschens Bezauberung, die mit ihrer Ankunft auf dem Edelhofe begonnen hatte und in welcher sie wie in einer Welt wunderbarer Träume seitdem lebte, ward immer gewaltiger. Sie fühlte sich von den lockenden Tönen, die von des Grafen Lippe fielen und um ihre Schläfen schmeichelten, wie von einer reizenden Musik berauscht, und ohne zu ahnen, was man eigentlich mit ihr vorhabe oder von ihr wolle, gab sie jetzt durch billigendes Kopfnicken zu erkennen, daß sie die Meinung ihres klugen Gebieters zu theilen bereit sei.
»Recht gut!« fuhr der Graf fort, »wir müssen uns nur auch über das Was und Wie verständigen. Zuvörderst wirst Du also hier bleiben und Dich nach Art der Vornehmen kleiden.«
»O ich werde ganz närrisch werden vor
»Dann wirst Du mich auch lieb haben, nicht wahr?«
»Ich werde Ew. Gnaden immerdar als meinen Herrn und Gebieter verehren.«
»Nicht doch, Haideröschen! Liebe ist mehr als Verehrung, und es ist mein Wille und mein Befehl, daß Du mich lieben sollst!«
In Röschens Augen erlosch jetzt der Freudenglanz, der sie während der
einschmeichelnden Rede des Grafen belebt hatte. »Lieben?« wiederholte sie mit
einem leichten Seufzer. »Gnädigster Herr, die Liebe können sie nicht befehlen.
Sie ist nicht auf Erden, sie fliegt durch die Himmel und spielt über den Herzen
der Menschen, wie Schmetterlinge über den duftenden Blumen der Haide! Sie ist
ein Gnadengeschenk des Himmels, dem Geringen so oft, so reieh, so beglückend
zugetheilt, wie dem Vornehmen! – Nein, gnädigster Herr Graf. Sie können Alles
Magnus ward von dieser unerwarteten Antwort des aufgeweckten Naturkindes sehr wenig erbaut. Doch hielt er noch an sich und fragte anscheinend verwundert:
»Du willst mich also nicht lieben?«
»Ich will, gnädigster Herr, aber ich kann nicht!« versetzte Haideröschen. »Ich liebe den Gesang der Lerche über dem blühenden Buchwaizen, ich liebe den Hänfling, der im Laube unseres Gärtchens sein Nest baut, ich liebe das Schwärmen und Flattern der Schmetterlinge um die nickenden Blumenhäupter, ach ich liebe die feierliche Stille und den brausenden Sturm meiner heimathlichen Haide, ohne es zu wollen, ohne mich zu zwingen! Gott will es so und legte die Kraft dazu in mein Herz, aber er hat mir nicht gesagt, daß ich auch Sie lieben soll. Vor dem gnädigen Herrn beuge ich nur in Demuth und Ehrfurcht mein niedriges Haupt.«
»Wenn Du bei diesen Gesinnungen verharrst, wirst Du mich erzürnen, Röschen, und
»Der gnädigste Herr Graf haben über mich zu gebieten,« sagte die Wendin still ergeben.
»So thue, was ich will!« rief Magnus heftig und stand auf, das zarte, reizende Kind der Haide mit hartem Druck von sich stoßend.
»Ich thue, was ich kann,« versetzte Haideröschen bescheiden und unterwürfig.
»Du bist mir unterthan, Du mußt meinen Befehlen gehorchen!«
»Befehlen, Ew. Gnaden, was Sie dürfen, und ich werde ohne Murren Gehorsam leisten.«
»Dürfen! – Hast Du mir Vorschriften zu machen? Ich darf, was ich will. Du bist meine Leibeigene.«
»Nun ja,« sagte Haideröschen, »ich bin Ihre oder Ihres gnädigen Herrn Vaters Leibeigene. Bedienen sich der Herr Graf meines Körpers; aber über mein Herz zu verfügen, wollen Sie unterlassen.«
Diese rührende Antwort hätte Magnus beinahe erweicht, als er aber die anmuthige
Gestalt der schlanken Wendin mit seinen lüsternen Blicken überflog, verhärtete
sich sein Gemüth
»Wer hat Euch denn so feine Unterschiede machen gelehrt?« fragte er spöttisch lächelnd. »Eure wendischen Schulmeister sind meines Wissens abgedankte Soldaten, verdorbene Schuhmacher und Schneider, die aus Noth, weil ihr Handwerk sie nicht ernährt, in die Gelehrsamkeit pfuschen und mit Noth und Mühe erst selbst das ABC lernen, um es dann ihren Staarmatzen mittelst Ruthe und Stock in Jahr und Tag ebenfalls beizubringen. Menschenverstand und Geist habe ich auf diesen Eselsweiden noch niemals angetroffen.«
»Bedürfen wir eines Lehrers, um zu begreifen, was Hunger und Durst ist, gnädigster Herr?« warf Röschen ein.
»Ich glaube gar, die Dirne ist trotz ihrer sechzehn Jahre schon in irgend einen Tölpel aus ihrem Sumpf-und Haidelande verliebt bis über die Ohren!«
Haideröschen schwieg erröthend auf diese rohen Worte, Magnus ging einige Male
im Zimmer auf und nieder und schellte dann heftig.
»Liebst Du?« fragte er grollend.
»Ich habe es Ew. Gnaden schon gesagt.«
»Wem hast Du Deine Neigung zugewendet?«
Haideröschen sah den Grollenden mit muthigem Auge an. »Wenn der gnädige Herr diese Frage an mich richten,« erwiederte sie, »in der Absicht, mir den Geliebten rauben zu wollen, so würde ich Sie meinem Gefühle nach der Grausamkeit zeihen müssen.«
»Mädchen, Mädchen,« rief Magnus mit zornbebender Lippe, »Du wagst viel! Aber ich will Deine Worte nicht gehört haben Deiner körperlichen und geistigen Schönheit wegen. Versprich mir, Deinen Geliebten zu vergessen und ich will seinen Namen nicht wissen.«
»Ich zweifle, daß ich ein solches Versprechen würde halten können, gnädigster
Herr. Geböte mir Jemand, ich sollte anfhören Gott zu lieben, den ich doch nie
von Angesicht zu Angesicht gesehen habe, so würde ich mich traurig
»Nun ich sehe und höre, daß die Kunst, Deine Gedanken geheim zu halten, Dir
nicht eigen ist,« versetzte Magnus. »Da ich Dich nicht überreden kann, stände
es mir jetzt frei, Dich durch allerhand kleine Foltern von Deiner kindischen
Schwärmerei zu heilen, doch ich mag auch zu diesem Mittel nicht meine Zuflucht
nehmen. – Du hast Dir selbst Dein Urtheil gesprochen, mein schönes
Haideröschen,« fuhr er nach kurzem Besinnen fort und sein jetzt stechendes Auge
funkelte tückisch, wie das des Tigers, der seine Beute lauernd umschleicht. »Du
hast freiwillig, was ich nur loben muß, zugestanden, daß Dein Leib mir gehöre,
Dein Herz dagegen ein Eigenthum sei, über das ich nicht verfügen könne. – Ich
halte Dich beim Worte, Röschen.
»Gnädigster Herr, ich verstehe den Sinn Ihrer Worte nicht,« stammelte Haideröschen, an allen Gliedern bebend und mit scheuem Blick die furchtbar verwandelten Gesichtszüge des stolzen, durch sie beleidigten und zur Rache aufgereizten Grafen betrachtend, der mit verschränkten Armen vor ihr am Tische lehnte.
»Ich werde Dir das Verständniß beibringen, ungehorsame Leibeigene,« versetzte
Magnus hämisch lachend und trat dem Mädchen einen Schritt näher. »Du wirst die
Gefälligkeit haben, Dein Häubchen abzulegen und mir den Anblick Deiner schönen
Haare zu gönnen. Auch möchte ich Dich ersuchen, ohne Zögern Deinen weißen
Nacken zu enthüllen und mir zu erlauben, daß ich Dir an den feinen Handgelenken
die Hemdeknöpfchen löse, damit ich den vollen schönen Arm, der mich an das
haßerfüllte Herz
Wie ein Rallbvogel die schüchterne, schwache Taube in engen und immer engern
Zirkeln umkreist, so gewährte es jetzt dem jungen, wüsten Grafen
unaussprechliches Vergnügen, die vor ihm fliehende Wendin aus einem
Schlupfwinkel in den andern zu treiben. Wohl zehnmal hätte er sich des
schwachen Mädchens bemächtigen können, aber er wollte nicht. Die von Secunde zu
Secunde wachsende Seelenangst seines Opfers ergetzte ihn mehr, als schnelles
Ueberwältigen und rohes Genießen. Er spielte mit ihr, wie der zum Sprunge
ausholende Tiger, ja er hoffte, daß Haideröschen es eben so wie der Vogel
machen solle, auf welchen die Klapperschlange ihr brennendes Auge gerichtet
hat. Um nur die fürchterliche Qual zu enden, glaubte er bestimmt, sie würde
sich ihm im Angenblick einer an Wahnsinn grenzenden Verzweiflung in seine Arme
werfen. – Da geschahen draußen drei gewichtige Schläge an's Schloßthor, und
während Magnus ein paar Secunden an's Fenster trat, um zu sehen, was es wohl
geben möge, gewann das arme Haideröschen Zeit,
Ergrimmt durch die Störung, deren Ursache er nicht entdecken konnte, schritt
jetzt der Graf wieder auf sie zu. Haideröschen konnte nicht fliehen, sie hätte
sich denn in den Kamin retten müssen. Verzweifelt griff sie um sich und erfaßte
ein Scheit Holz, das hinter ihr lag. Wie ein Schwert schwang sie jetzt diese
Waffe mit der Kraft der Verzweiflung gegen ihren Verfolger. Magnus lachte zwar
der Ohnmächtigen, erhielt aber dennoch einen so heftigen Schlag auf den gegen
sie ausgestreckten Arm, daß er ihn kraftlos sinken ließ. In diesem letzten
entscheidenden Moment nahten eilige Schritte, es ward heftig
Haideröschen athmete froh auf und erhob dankend ihre schönen Augen zum Himmel.
»Triumphire nicht zu früh!« drohte Magnus mit furchtbarem Hohne. »Jetzt habe ich blos zärtlich um Dich geworben, das nächste Mal feiern wir unsere Hochzeit!«
Mit nicht zu schilderndem Frohlocken sah die Wendin ihren tückischen Peiniger das Zimmer verlassen, das er fest hinter sich verriegelte.
Aergerlich kehrte Magnus in sein Gemach zurück, die von der Wendin getroffene und heftig blutende Hand im Rocke verbergend. Er war kaum eingetreten, als auch unser Freund schon an der Thür erschien. Beim Anblicke dieses Herumstreichers färbte sich das Gesicht des jungen Grafen braunroth vor Zorn und er machte Miene, diesen handgreiflich dem unberufenen Störenfried fühlen zu lassen. Heinrich besaß jedoch ein zu scharfes Auge und zu viel schlangenglatte Gewandtheit, um selbst einem erzürnten mächtigen Edelmanne gegenüber den Kürzern zu ziehen. In seiner kordialen Manier schwenkte er grüßend die Mütze und sagte, geheimnißvoll und pfiffig mit den Augen blinzelnd:
»Wohl etwa dafür, daß Du in finsterer Nacht mich und mein ganzes Gesinde durch Dein Gelärm in Schrecken setzest?«
»Das will ich just nicht behaupten, Ew. Gnaden, wenn aber der Herr Graf wüßten, weshalb ich so gelärmt habe, – ja, Ew. Gnaden, dann –«
»Was dann? so endige doch!«
»Endigen? Ich möchte wissen, wozu? Sie machen ja ein Gesicht, als hätte Ihnen der Teufel ein Bein gestellt! Und da sollt' ich mich in die Gefahr begeben, Ihnen durch meine Nachrichten noch obendrein den Kamm schwellen zu machen? Ja, daß ich ein Narr wäre! Ich wünsche Ihnen eine geruhsame Nacht!«
Der schlaue Maulwurffänger machte einen Kratzfuß und wollte das Zimmer verlassen.
»Bleib!« befahl Magnus, durch diesen Eingang neugierig gemacht. »Ich verspreche, Dich meinen Verdruß nicht entgelten zu lassen. Rede, was gibt es?«
»Wenn mich Ew. Gnaden anhören wollen, so habe ich Ihnen vorerst gehorsamst ein
volles
»Behalte das Ungeziefer und mache damit, was Du willst. Mein Voigt wird Dir den Lohn dafür auszahlen.«
»Danke unterthänigst, Herr Graf!«
»Was bringst Du sonst noch?«
Heinrich sah sich um, als fürchte er, es möchte irgendwo Jemand versteckt Ihr Gespräch belauschen können.
»Wir sind ganz allein,« sagte Magnus noch immer mit schlecht verhehltem Aerger. »Was Du hier sprichst, bleibt unter uns.«
»Was geben Sie mir,« flüsterte der Maulwurffänger dem Grafen leise zu, »wenn ich mache, daß die niedliche kleine Wendin, die Sie vom Todtensteine mit sich genommen haben, Ihren Willen thut?«
Mißtrauisch betrachtete ihn der Graf eine Weile, dann versetzte er kühl: »Woher weißt Du, daß ich beim Todtensteine war?«
»O die Luft ist geschwätzig, Ew. Gnaden,« erwiederte Heinrich, »und die Wenden
haben
»Ein Glück für ihn, daß er nicht in meiner Nähe wohnt, sonst ließ ich ihn vier und zwanzig Stunden lang bei Wasser und Brod in den Stock schließen und nachher noch mit dem Halseisen schmücken. Er allein, Niemand sonst ist Schuld, daß sich die Kleine so spröde zeigt.«
Heinrich schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie gut, daß ich gekommen bin,« fiel er ein. »O ich kenne meine Freunde, ich!«
»Du zweifelst?«
»Ich weiß, gnädigster Herr! Das Mädchen hat einen Liebsten, einen handfesten Bauernlümmel, dumm, aber eifersüchtig, und diesem Kerl zu Liebe würde sie jedes Ungemach, selbst Schläge und andere Qualen erdulden!«
»Kennst Du ihn?«
»Ich sollte meinen.«
»Gehört er zu meinen Unterthanen?«
»Er ist Ew. Gnaden Leibeigener mit mehr Recht als das Mädchen.«
»So verdienst Du, daß ich Dich mit Hunden aus dem Schloßhofe hetzen lasse.«
»Zu Ihrem Haushofmeister sollten Sie
Magnus bemühte sich ruhig zu bleiben und winkte dem Maulwurffänger, daß er in seinen Mittheilungen fortfahren solle.
»Der Bursche, Haideröschens Liebhaber,« sprach Heinrich, »gehört zu den
Murrköpfen der neuen Zeit, die der Meinung sind, ein Mensch sei grade so gut
wie der andre, woraus Ew. Gnaden schon abnehmen können, wie beschränkten
Verstandes der Bursche sein muß. Jüngst hatte ich Gelegenheit, ihn zu sprechen,
und da hat er mir eine Predigt gehalten über die Freiheit, daß mir jetzt noch
die Ohren davon weh thun. Alle Menschen, behauptete er, müßten frei und ihre
eigenen Herren sein; es dürfte keine Gebieter, keine Knechte mehr geben, und
wer nicht dieselben Gedanken hege, der müsse je eher je lieber fortgejagt oder
noch besser todtgeschlagen werden. Daß man im Guten mit Bitten und
Vorstellungen nicht sehr weit kommen werde, leuchte ihm wohl ein, darum habe
er
Während dieser Rede war Magnus immer bleicher geworden, jetzt mußte er sich auf die Lehne seines Stuhles stützen, um sich aufrecht erhalten zu können. Nach einer Pause, während welcher der Maulwurffänger, ohne eine Miene zu verziehen, die Wirkung seiner List belauschte, sagte der Graf:
»Glaubst Du, daß diese Unsinnigen wagen werden, ihre Pläne auszuführen?«
»Wer soll sie denn daran hindern?« erwiederte Heinrich. »Alles Volk bis herab
auf das verworfenste Gesindel wird sich ihnen zugesellen,
»Ich kenne bisher nur Deine Neuigkeiten,« sagte Magnus. »Laß jetzt, wenn Du sie erschöpft hast, auch Deine Rathschläge hören.«
»Nun sehen Ew. Gnaden,« fuhr Heinrich fort, »ich getraue mir flugs das
Abendmahl drauf zu nehmen, daß mein Plan, wie ich ihn mir heut während meiner
Geschäftswanderung ausgedacht habe, zweifellos zum Ziele führt. Der Bursche
liebt das Haideröschen, auf welches Ew. Gnaden ein Auge haben. Er wird glauben,
Sie wollten dem hübschen Kinde im Ernst ein Leid zufügen, was einem so gütigen
und gerechten jungen Herrn gewiß nie in den Sinn gekommen ist. Wenn nun ein
paar Tage vergehen, ohne daß der verwegene Bursche etwas Tröstliches von seiner
Liebsten hört, so fürcht' ich, treibt ihn die Wuth zum Aeußersten und der
Aufstand bricht los, ehe Sie Ihre Jagdflinte zu laden im Stande sind. Gäben Sie
sich
»In der That, Dein Vorschlag ist gut und kann zum Ziele führen, und doch –«
»Was hält Sie ab, sogleich Anstalt zu seiner Ausführung zu treffen?« unterbrach ihn Heinrich. »Beruhigung ist nöthig und nichts schläfert die Menge fester und tiefer ein, als eine recht unerwartete, wie vom Himmel herabfallende Großmuthhandlung. Es kommt ja dabei nicht so genau darauf an, was man etwa später noch vorzunehmen gedenkt.«
Magnus Züge überstrahlte wieder ein lebhafter Freudenglanz. »Bei meiner Ehre,
ich muß Dich loben, Heinrich!« rief er aus. »Eine
Magnus zog sich in sein Kabinet zurück und der Maulwurffänger mußte gewaltsam an sich halten, daß er nicht durch lautes Lachen zur Unzeit seine List dem Gebieter verrathe. Selbstzufrieden sich die Hände reibend, verließ er das Prunkgemach, um sich inmitten der Dienstboten des Edelhofes gütlich zu thun. –
Während der kurzen Unterredung Heinrichs mit dem Grafen Magnus hatte sich das
Gesinde des Edelhofes zur Abendmahlzeit niedergesetzt. Die späte Tagesstunde
war eine ungewöhnliche dazu, denn in der Regel pflegte das Hofgesinde um sieben
Uhr Abends sein frugales Essen zu halten. Weil aber die Marterwoche so nahe war
und in dieser Zeit jede Lustbarkeit und Zerstreuung an den Sonntagen streng
gemieden wurde, hatte der Voigt dem größern Theile sämmtlicher Dienstboten
erlaubt, dem letzten Tanz im Kretscham mit beiwohnen zu dürfen. In Folge dieser
Vergünstigung war das beurlaubte Hofgesinde kurz vor der Ankunft des
Maulwurffängers aus dem Kretscham zurückgekommen und
Die große Gesindestube befand sich abgeschieden vom Herrenhause in der Wohnung
des Voigtes, die einen abgesonderten Bestandtheil des Edelhofes ausmachte. Sie
erstreckte sich zu ebener Erde fast durch die ganze Länge des Voigtgebäudes und
hing mittelst eines kurzen bedeckten Ganges mit den weitläufigen Stallungen
zusammen, in denen zugleich auch die Schlafstätten für Knechte und Mägde
angebracht waren. Das Möblement in der Gesindestube bestand nur aus einer
langen Tafel von fichtenem Holz, einer Anzahl Schemel und einer rund um die
Holzwände laufenden Bank, die hinter dem sehr großen und bis fast an die Decke
hinauf reichenden Ofen die Breite eines gewöhnlichen Bettes annahm und der
jüngsten unter den Mägden als Lagerort diente. Zu diesem Behufe lagen einige
vielgebrauchte Schaaffelle, jetzt zusammengerollt und gegen die Wand gelehnt,
hinter dem stets erwärmten Ofen. Denn da dieser vorzugsweise zur Erhitzung des
nöthigen Wasserbedarfs in der großen Wirthschaft gebraucht
Dies ländliche Wohnzimmer ward von vier starken brennenden Kienspänen, die je zwei in eisernen Spanhaltern an jedem Ende des langen Speisetisches staken, düster erleuchtet. Wenn man von der Hausflur durch die starke, aus Holzpfählen mit Lehm und Stroh fest durchflochtene Zuschlagthür, die weder Schloß noch Riegel hatte, in die Stube trat, vernahm man sogleich das schrillende, zuweilen fast wimmernd klingende Gezirp zahlloser Heimchen, vom Landmanne »Heimliche« genannt, die in allen Ritzen und Spalten der Wände wie des Ofens unsichtbar nisteten. Gewöhnlich verstecken sich diese Thiere immer vor den Menschen, hier aber gab es deren eine so ungeheure Menge, daß sie schaarenweise an den Wänden hingen, daran auf und ab liefen und häufig selbst von der Decke herab auf Tische und Bänke fielen. Ihre dünnen graugrünen Flügeldecken verursachten ein seltsames Schimmern in der trüben Kienbeleuchtung und konnten nicht daran Gewöhnten wohl ein leises Grauen einflößen.
In etwa ellenweiter Entfernung von einander
In Folge der schon erwähnten Aushebung neuer Dienstmägde waren vor Kurzem
einige junge Mädchen auf den Hof gekommen. Solche Neulinge dienten den Aelteren
meistens zum Stichblatt und mußten, wenn sie sich in ihre neuen Verhältnisse
nicht leicht zu finden verstanden, von den rohen Witzen und Gewohnheiten
Unter den neu angezogenen Mädchen befand sich namentlich eins, das einen
unüberwindlichen Abscheu vor den an sich unschädlichen und völlig harmlosen
Heimchen hatte. Es kam wohl vor, daß einige dieser Thierchen während der
Mahlzeit in die riesengroße Schüssel fielen, in welcher die Suppe aus
Roggenmehl dampfte. Die Knechte fischten dann die zappelnden Geschöpfchen, ohne
sich den Appetit dadurch im Geringsten verderben zu lassen, mit ihren Löffeln
heraus und warfen sie unter den Tisch. Marie
Marie hatte so eben zur Unterhaltung ihrer übrigen Mitdienstboten wieder auf ihr Abendbrod verzichtet und stand betrübt am Ofen, mit Mühe die Zähren zurückhaltend, die ihr in's Auge stürzten. Sie fühlte doppelten Hunger, da sie sich im Kretscham müde getanzt hatte und nun, weil sie keine Suppe essen wollte, auch weder Kartoffeln noch Brod erhielt.
Diese Behandlung war unstreitig herzlos, grausam und unwürdig, allein der
Großknecht dachte nicht daran. Er hatte im Gegentheil das Mädchen sehr gern und
behandelte sie in seiner Weise nur so brutal, um sie abzustumpfen und
unempfindlich gegen die Rohheiten zu machen, denen jeder Einzelne im Hofedienst
ausgesetzt ist.
Wir haben schon angedeutet, daß dieser einflußreiche Mann ein dienstbereiter, nicht eben scrupulöser Knecht des Grafen war. Dies hinderte ihn jedoch nicht, unter den Dienstboten selbst strenge Zucht zu halten und eine gewisse derbe Gerechtigkeit zu üben. Mit wenigen Fragen erfuhr er den Zusammenhang, mißbilligte mit drohender Miene das Verfahren des Großknechtes, untersagte es ihm bei Strafe und wandte sich dann zu der jetzt ihren Thränen freien Lauf lassenden Marie, indem er sagte:
»Laß gut sein, armes Ding! Weil Dich diese Lümmel um Deine wohlverdiente Mahlzeit gebracht haben, sollst Du heut mein Gast sein und alle Deine bösen Widersacher sollen trocknen Mundes dabei zusehen, während ihnen das Wasser vor Sehnsucht zusammenläuft. Einen Augenblick! Ich werde sogleich wieder da sein.«
»Der Prahlhans!« sagte der Großknecht verächtlich, als der Voigt die
Gesindestube wieder verlassen hatte. »Er thut auch immer, als
»Mir gilt's gleich,« versetzte sein Nachbar, »die Suppe war recht dick und kloßig, und ich bin so satt, daß mir Einer Schweinebraten und gebackene Pflaumen vorsetzen könnte, ohne mich sehnsüchtig zu machen.«
»Nun auf ein paar fette Bissen käm' mir's nicht an,« meinte der Großknecht. »Für ein halbes Pfund Fleisch oder 'was drüber habe ich immer noch Platz.«
»Gebratene Tauben bringt er nicht,« sagte die älteste Magd, ein stämmiges Frauenzimmer mit hochrothem Gesicht und gutmüthigen, aber nichts weniger als klugen Augen.
»Ich glaube, er ist blos heruntergekommen, um ein paar Bissen zu erschnappen,« fiel lächelnd eine der jüngeren Mägde ein, »denn seine Alte, wißt Ihr, hält ihn verdammt kurz und verzehrt die besten Bissen immer für sich allein.«
»Allein?« sagte der Großknecht. »Laß Dir nicht Dinge weiß machen! Mit dem Jäger
frißt
»Das hat er auch nicht nöthig,« meinte die jüngere Magd. »So ein schmucker, flinker Kerl!«
»Gelt, Du möchtest ihn in der Hölle warm halten?« warf der Großknecht ein, und während die Magd erröthete und die Augen niederschlug, fiel das ganze übrige Gesinde in das lauteste und anhaltendste Gelächter.
Die jüngeren Mägde kicherten noch, als der Voigt wieder eintrat. Er trug in der
linken Hand einen miltelgroßen irdenen Napf und unterm rechten Arm ein
angeschnittenes Roggenbrod von weißem abgenommenem Mehl, wie es für die
herrschaftliche Tafel gebacken wurde. Lächelnd stellte er beides auf den
Gesindetisch, wobei namentlich die entfernter sitzenden Knechte
»Nun komm, Marie,« sagte der Voigt, zwei Schemel an den Tisch rückend. »Bring' die Salzmeste her und nachher iß, so lange Dir's schmeckt. Es ist das reinste Leinöl, süß wie Mandelmilch und gesunder wie Kleebutter!«
Sichtlich erheiterten sich bei dieser angenehmen Nachricht die bisher so traurigen Züge Mariens. Sie brachte die Salzmeste, aus welcher der Voigt einen vollen Löffel Salz schöpfte und es in den mit der braunglänzenden dicken Flüssigkeit bis zum Rande angefüllten Napfe schüttete. Dann schnitt er von dem weichen Laib Brod ein tüchtiges Stück für sich und das Mädchen ab, holte sein Einschlagmesser hervor und reichte dem Mädchen die kurze zweizinkige Gabel, die am untern Ende des Messers eingefugt war. Er selbst bediente sich der stumpfen Klinge, um riesengroße Bissen weißen Brodes damit anzuspießen, sie in das Oel zu tauchen und, nachdem sie sich vollgesogen, in seinen nicht eben kleinen Mund zu schieben.
Es gibt wenige Genüsse, welche die Wenden und auch viele Deutsche unter den
Landleuten
Der Voigt unterließ auch nicht, nach jedem Bissen, den er hinunterschluckte,
seine malitiösen Bemerkungen zu machen und dabei die außergewöhnliche Güte des
Oeles zu preisen. Glücklicherweise endigte diese für die Knechte sehr
empfindlichen Hänseleien der Eintritt des Maulwurffängers, der, ohne viel zu
fragen, nachdem er den Versammelten einen »guten Abend
»Hätte ich doch nicht gedacht,« sagte er, »daß ich heut noch so ein grausam gutes Abendessen vor's Maul kriegen würde! Nur schade, daß die Freude so bald ein Ende haben wird!«
Obwohl der Voigt die Manier unseres Freundes kannte, war er doch über die Unverschämtheit des Mannes erstaunt, der, ohne zu fragen und um Erlaubniß zu bitten, seine Abendmahlzeit mit ihm theilte. Er vergaß darüber auf einige Sekunden das Zulangen und diese benutzte Heinrich mit so beharrlicher Ausdauer und Gewandtheit, daß er den Rest des Oeles aufgezehrt hatte, ehe der Voigt wieder Theil daran nehmen konnte. Die gefoppten Knechte brachen darüber in ein wieherndes Gelächter aus.
»Du bist ein Kerl wie ein Hamster,« sagte der Voigt, »vermuthlich ist Dir der
Zorn des
»Ich finde es sogar höchst vernünftig,« erwiederte mit behaglicher Gelassenheit der Maulwurffänger. »Wer ein gutes Werk gestiftet hat, soll sich freuen, wer sich freut, verdient, daß er belohnt werde, und gutes Essen und Trinken ist der beste Lohn für einen rechtschaffenen Hunger. Sag' mir mal, Voigt, ob Du darin nicht die sonnenklarste Vernunft findest?«
»Sag' Du mir lieber,« erwiederte der Gefragte, »ob der Herr Graf Vernunft in Deinem Kommen und verzwickten Geschwätz fand?«
»Ich versichere Dich,« versetzte Heinrich, »hätte der Herr Graf Orden zu verleihen und Titel zu vergeben, er würde mich nicht fortgelassen haben, ohne mir und meinem Quersack beide Lasten auf und anzuhängen! O das ist ein kluger Herr! Der hat ein Einsehen und weiß seine Leute zu nehmen! Ich sage Euch, es fehlte wenig, so hätte er mich gedutzt!«
»Das ist eine große Neuigkeit,« sagte der Voigt. »Seine Gnaden heißen alle
Menschen
»Sobald der nächste Schleifer kommt, Voigt, bitte ich Dich, laß Dir Deinen Verstand abziehen, daß er künftig schneller fassen lernt! Wenn man von Dutzen spricht, ist's doch wohl natürlich, daß zwei verschiedene Personen einander die Ehre anthun?«
»Und für Deine Neuigkeiten hat er Dir das angeboten?« fragte ungläubig lächelnd der Voigt. »Darf man denn nichts erfahren?«
»Warum nicht?« erwiederte der Maulwurffänger. »Ich bin ja nicht des Herrn Grafen Unterthan und verboten hat er's mir auch nicht. Aber was krieg' ich für meine Neuigkeit? Denn Ihr wißt allesammt, umsonst ist der Tod und ich muß vom Verdienst leben.«
»Einen Krug Bier laß ich Dir holen,« sagte der Voigt.
»Wird angenommen,« meinte Heinrich, »und wenn sich das Hofgesinde, wie's da
sitzt und mir zuhört, sich dazu versteht, mir noch eine Mohnsemmel verehren zu
wollen morgen zum Frühstück, so will ich machen, daß Ihr alle mit einander die
ganze Nacht vor lauter süßen
»Das müßte wunderlich zugehen,« sagte der Großknecht. »Ich habe mein Tage von nichts geträumt, als daß mir der schläg'sche Hengst eins versetzte, und daß ich darüber Paradiesesfreuden empfunden hätte, kann ich grade nicht behaupten!«
»Und ich verspreche Dir nochmals, daß Du alle Himmel offen sehen wirst. Zünd't mir zuvor ein paar frische Späne an, denn wenn's so dustert, glaub' ich immer, ich sähe in die Zukunft hinein und hörte es darin von wüstem Unglück rumoren. Davon bin ich just kein Liebhaber. Viel angenehmer ist mir's, ich sehe klar und höre deutlich; da kann man sich schon eher ein Herz fassen und frisch von der Leber weg reden.«
Marie entzündete neue Kienspäne, die Knechte rückten näher zusammen, auch die Mägde, die auf der Ofenbank Platz genommen hatten, horchten mit gespannter Aufmerksamkeit. Heinrich bog sich nun halb über den Tisch und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ehe ein Jahr vergeht, sind die Hofedienste abgeschafft!«
»Den Teufel auch!« fuhr Heinrich auf. »Mit meinem Vermögen, siehst Du, da kann ich mir nicht einmal eine Stube kaufen, so groß, wie diese hier, in der das Geschmeiß die Kammermusikanten abgibt, und was die Freiheit anbelangt, so hat darüber kein anderer Mensch auf Gottes Erdboden zu gebieten, als mein allergnädigster Herr Churfürst!«
»Nun nun,« erwiederte der Voigt, »nur nicht gleich oben hinaus! Man wird doch reden und vermuthen dürfen!«
»Das Gute, ja, das Schlechte, nimmermehr! Ich bin einmal gegen alles Schlechte und da mag und will ich's nicht leiden, daß mir einer ein Wort drein reden soll. Und so sage ich noch einmal: es gibt in Jahr und Tag keine Hofedienste mehr, so der Herr will, und Ihr armen Teufel und hübschen Teufelinnen werdet künftig nicht mehr für fremde Herren, sondern für Euch selbst und ganz allein leben und arbeiten dürfen.«
»Wenn das wahr ist, Maulwurffänger,«
»Aber wie ist das gekommen? Wer hat das gemacht und erfunden? Was werden die Herren dazu sagen?« fragten jetzt mehrere Knechte und die Mädchen hörten mit größter Spannung zu.
»Wie's eigentlich gekommen ist, weiß ich selber nicht,« erwiederte, immer mit
größter Ruhe, der Maulwurffänger. »Es hat da vor'm Jahre einen großen Lärm
gegeben in Paris, wißt Ihr – die Zeitungen und Wochenblätter schrieben auch
davon. Das Volk, hab' ich mir sagen lassen, war dort schon sehr lange ärgerlich
und unzufrieden mit seinen Herren, die alle Tage herrlich und in Freuden
lebten, wie der reiche Mann im Evangelium, während der Arme kaum den trocknen
Bissen Brod hatte und die schwere Arbeit obendrein! Nun wißt Ihr oder solltet
es doch wissen, daß ein großer Lärm von wegen der grausamen Ungerechtigkeiten
losging, die man seit undenklichen Zeiten, grade wie bei uns, über die Armen
verhing. Vermuthlich war's ein
»Freiwillig?« fragte der Voigt. »Da werde der Teufel draus klug! Herr sein und die Hofedienste aufheben – thu's und glaub's, wer will – was mich betrifft, ich ließe mich, ehe ich dazu meine Einwilligung gäbe, lieber in Kochstücke zerhacken!«
»Man wird Dich auch nicht fragen,« versetzte Heinrich.
»Und Du sagst, unser Herr Graf habe diesen verrückten Entschluß gebilligt?«
»Wer hat denn den Rumor angezettelt?« fragte der Voigt höchst ärgerlich weiter.
»Kann ich Dir auch nicht sagen. Es schwebt in der Luft, es rumort und spricht sich herum auf allen Haidegütern, und viele deutsche Herren im Braun schweig'schen, geht die Rede, haben's just wie die französischen Herren gemacht.«
»Wenn das wahr werden sollte,« erwiederte der Voigt, »dann sage mir doch, von wem in Zukunft der reiche Gutsherr sein Feld soll bearbeiten, seine Wälder ausholzen, seine Teiche fischen, kurz all die zahllose Arbeit soll verrichten lassen, die großer Besitz unausbleiblich in seinem Gefolge hat?«
»Ohne Zweifel von Menschenhänden, wie bisher,« sagte unbeschreiblich ruhig der Maulwurffänger.
»Na siehst Du,« fuhr der Voigt mitleidig lächelnd fort, »so ist's ja gleich rein unmöglich, daß ein Herr nur daran denken kann, die Hofedienste abschaffen zu wollen.«
»Das müssen die Herren auch.«
»Und hebt man Dir einen Graben, rodet man Dir nur einen elenden Strauch aus, ohne einen bestimmten, zuvor ausbedungenen Lohn dafür zu fordern?«
»Nein das thut man nicht, aber das ist auch etwas ganz Anderes!«
»Was Anderes?« fuhr Heinrich auf und seine grauen Augen schienen vor Zorn
Funken zu sprühen. »Ich sage Dir, es ist ganz dasselbe nach dem uralten und
ewig richtigen Grundsatze: was dem Einen recht, das ist dem Andern billig!
Braucht der Herr, weil er viel Besitz hat, viele Hände, so bezahle er sie, und
es wird Niemand darüber murren, daß er in dieses oder jenes reichen Herrn Lohne
stehe. Es ist aber ein himmelschreiendes Unrecht, von hundert und tausend
Armen, die das Glück in keine goldne Wiege mit Perlmutterwalzen gelegt hat, zu
verlangen, daß sie zwei Drittheile ihres ganzen
Auf diese lebhafte Entgegnung blieb der Voigt dem Maulwurffänger eine Antwort
schuldig, die Knechte, sonst gegen Alles gleichgiltig, was nur irgend wie mit
allgemeinen Interessen zusammenhing, rückten dem Sprecher immer näher und
bekundeten ihre Theilnahme am sichersten dadurch, daß nach und nach eine
Tabakspfeife nach der andern zu qualmen aufhörte.
»Ein Wort, Maulwurffänger,« sprach der Großknecht nach einigem Zögern. »Habt Ihr das unserm gnädigen Herrn in's Gesicht gesagt?«
»Dazu hatte ich keine Zeit,« versetzte Heinrich. »Ueberdies war das auch gar nicht nöthig, da ich ihm genug zugeflüstert habe, um ihn festhalten zu lassen an seinem Beschlusse.«
»Ist's, wie Du sagst,« fiel hier der Voigt wieder ein, »so begreife ich eben so wenig, was aus der Welt, noch was aus den Herren werden soll! Sie müssen gradeswegs zu Grunde gehen, bei meinem Eid!«
Heinrich lachte mit dumpfem Kehllaut. Man konnte nicht leicht errathen, ob aus
Schadenfreude oder weil er die Bemerkung des Voigtes lächerlich fand. »Was
würdest Du denn machen, he,« sagte er, »wenn nun alle die reichen und mächtigen
Grundbesitzer mit sammt ihren alten gemalten Vorfahren und steinernen
Wappenschildern so über Nacht verschwänden, als hätte sie die Erde verschlungen
oder als wären
Der Voigt wußte auch auf diese Frage keine Antwort zu geben. Er schüttelte den Kopf und sah finster vor sich hin.
»Nun ich will Dir auf die Sprünge helfen,« fuhr der Maulwurffänger fort. »Kommt
es wirklich dahin, wohin ich wünsche, daß es recht bald kommen möge, so kann
zweierlei geschehen. Entweder schlagen die reichen Herren in sich, kriegen, wie
vom heiligen Geist erleuchtet, gesunden Menschenverstand und geben ihren
Nebenmenschen, was ihnen gehört. Dann werden sie bei einigem Verlust sich ganz
wohl befinden und den Dank ihrer Mitbrüder erwerben. Oder sie bleiben verstockt
und pochen auf ihre Rechte, die ich in meiner Beschränktheit für Unrecht halte.
In diesem Falle wird man ihnen mit Gewalt nehmen, was sie im Guten nicht geben
wollen, und da kann's wohl möglich sein, daß Mancher mit sammt seinem
Hechelkram von Ritterschwerten und Grafenkronen, ehe er sich's versieht,
»So dumm wird unser gnädiger Herr nicht sein, rechne ich mir,« warf einer der Knechte ein. »Was auch Der und Jener an ihm aussetzen mag, gescheidt ist er wie der Teufel und pfiffig wie ein Advocat!«
»Er wird thun, was die Andern thun,« sagte Heinrich, »und in diesem löblichen Eutschlusse habe ich ihn zu bestärken gesucht. Dafür hat er mich belobt, wie ein Schulmeister seine Jungen, wenn sie 'was gelernt haben, und mir verheißen, Du, mein lieber Voigt, würdest mir die Mandel Maulwürfe, die ich heut auf Seiner Gnaden Feldern abgeknötelt habe, bezahlen. Du kannst sie zuvor nachzählen, sie stecken in meinem Ranzen. Für diese Nacht bitt' ich mir ein Oertel Platz. Stelle. aus, wenn's sein kann, in der Hölle; denn morgen mit dem Frühesten will mir der Herr Graf zu wissen thun, was er von der Sache hält und wie er dabei zu handeln gesonnen ist.«
Wir brechen die Unterhaltung in der Gesindestube
Nicht besser hatten es Gärtner und Häusler. Jener mußte drei Vierteljahre
hindurch wöchentlich der Herrschaft drei Handtage und
Man kann sich demnach vorstellen, wie tief und allgemein der Eindruck war, den
Heinrichs Neuigkeiten bei allem Hofgesinde hervorbrachten! Eine neue Welt, die
unbekannte Welt der sonnigen Freiheit, lag vor den Augen Aller aufgethan!
Wurden die Hofedienste, wie der Maulwurffänger behauptete, abgeschafft, so war
das Joch damit abgeworfen, das ursprünglich die Leibeigenschaft erzeugt hatte.
Sie wurden frei, wurden ihren Herren gleich durch die Willkür, nach der sie
dann über ihr Handeln verfügen konnten. War aber das Gerücht erdichtet, so war
damit ein furchtbarer Feuerbrand in die Gemüther aller Leibeigenen geschleudert
worden, den keine noch so milde Behandlung mehr auslöschen
Der Maulwurffänger erkannte dies sehr gut und wußte genau, was er that, ohne
sich vor der Hand um die Folgen zu kümmern, die seine Handlungsweise haben
konnte und mußte. Der Saame der Unzufriedenheit war ausgestreut, in der Masse
aller Leibeigenen fraß der Gedanke um sich, daß sie rechtlos, gegen die
heiligen Gebote der Religion unterjocht seien, und dieser Gedanke mußte ein
Selbstbewußtsein unter der an sich kräftigen Bevölkerung wecken, von dem sie
früher keine Ahnung gehabt hatte. Ihm waren außerdem noch so viele geheime
Mißbräuche bekannt, welche viele Herren übten und auf die nur hingedeutet
werden durfte, um die Unterdrückten von der Unzufriedenheit zur Erbitterung,
von dieser zu einer drohenden Stellung den Herren gegenüber aufzuregen. Der
Raub der Wendin durch Magnus gab die erwünschteste Veranlassung, diese
Mißbräuche nach und nach, wie es Zeit und Umstände erheischten, aufzudecken.
Die bedenklichen Unruhen im Auslande waren
Da er gewahrte, welchen Eindruck seine unschuldig und nachlässig hingeworfenen Aeußerungen selbst auf diese ungebildeten Menschen machten, ging er noch einen Schritt weiter, den mißmuthigen Voigt jetzt gar nicht beachtend. Er richtete seine Worte direct an das Gesinde des Edelhofes, das ihm, wie einem Propheten, gläubig zuhörte.
»Ist Euch nichts zu Ohren gekommen,« sprach er, »daß sich Graf Magnus bald verheirathen will? Ich hörte in der Haide davon reden. Auf seines Vaters Schlosse, dem alten Boberstein, lebt ein schönes junges Fräulein, um das er werben soll.«
»Ihr meint gewiß Herta, die Mutter der Armen,« sagte der Großknecht.
»Thut er das?« fragten ein paar von den Mädchen.
»Ich will nicht geradezu behaupten, daß er es thue, der Schein kann trügen, aber ein hübsches Mädchen, das ich kenne, ist bei ihm im Herrenhause.«
»Hier auf dem Hofe?« sagte Marie.
»Es muß doch wohl so sein, sonst hätt' ich sie ja nicht sehen können!«
Hier winkte ihm der Voigt, daß er schweigen solle, und stieß ihn verstohlen mit dem Fuße an. Heinrich aber that, als sehe und fühle er nichts.
»Als ich vorhin bei ihm war,« fuhr er fort, »sah ich ein wendisches Häubchen,
in dem ein allerliebstes Gesichtchen steckte, fast noch hübscher, als das
Deinige, Marie, und das hat noch keinem schmucken jungen Burschen mißfallen.
»O in dem Punkte,« fiel einer von den Knechten ein, »da hat unser gnädiger Herr gar kein Gewissen! Was ihm gefällt, das nimmt er sich, und hat er sich amusirt, läßt er so ein gutwilliges Geschöpf wieder laufen. Da sieh zu, wo Du ein Unterkommen findest!«
»Wer könnte denn das Mädchen sein?« sagte ein anderer Knecht.
»Ist sie hübscher, als Marie, so ist sie nicht aus der Nähe,« meinte der Großknecht. »Hier herum kenne ich alle Mädchen.«
»Der Tracht nach muß sie irgendwo in der Haide zu Hause sein.«
Bei diesen Worten des Maulwurffängers hörte man einen schrillenden Ton, als ob eine Fensterscheibe zerspränge, und gleich darauf einen lauten, gellenden Hilferuf.
Alle horchten auf und sahen einander bestürzt an. Nur der Voigt senkte die Augen zu Boden und der Maulwurffänger lächelte unheilvoll.
»War das im Hofe?« sagte Marie.
Und ungehindert, nicht einmal von dem unschlüssigen Voigt begleitet, verließ der Maulwurffänger die Gesindestube mit ihrer aufgeregten, im Herzen heimlich gegen Magnus erbitterten Gesellschaft.
Erzürnt und niedergeschlagen zugleich über die freche Heuchelei, durch welche
Graf Magnus ihr Vertrauen bis zu einem gewissen Grade erschlichen hatte, um
seine verbrecherischen Pläne auszuführen, blieb Haideröschen eine Zeit lang am
Simse des Kamins lehnen, der ihr bei Abwehr des lüsternen Grafen als Rückhalt
gedient hatte. Von der übernatürlichen Anstrengung und der unaussprechlichen
Seelenangst, die sie dabei gelitten hatte, gänzlich erschöpft, brach sie jetzt
zusammen und glitt mit vorgebeugtem Körper auf den weichen buntfarbigen Teppich
nieder, der über den Fußboden des prächtigen Zimmers ausgebreitet war. Ströme
von Thränen entstürzten ihren Augen, und obwohl sie in tiefstem Herzen
Diese Fragen legte sich die arme Wendin wiederholt vor, ohne in ihrer Angst und Bestürzung eine Antwort darauf zu finden. Sie wußte und ahnte nicht, wer den Grafen abgerufen hatte und daß dieser kecke und entschlossene Eindringling in ihrem Interesse, zu ihrer Rettung auf dem Edelhofe erschienen sei. Der bloße Name des Maulwurffängers würde sie beruhigt und getröstet haben.
In ihrer Rathlosigkeit blieb sie kange auf den Knien liegen, abgebrochene
Gebetbrocken mit zitternder Lippe hersagend. Bald faltete sie in wilder Hast
die kalten Hände, bald rang sie
Sie stand auf und untersuchte das Zimmer. Leicht und geräuschlos schlüpfte sie auf den Zehen die Wände entlang und prüfte jeden Falz, jede Buckel der Tapete. Nirgends entdeckte sie eine Thür, die ihrem Druck weichen wollte. Eben so vergebens bemühte sie sich, die Zimmerthür zu öffnen. Sie war und blieb fest verschlossen. Die Schelle zu läuten, nahm sie mit Recht Anstand, da es fast wahrscheinlich war, daß sie in ihrer unsichern Hand mehr als einmal erklingen und dadurch den herrischen Gebieter nur zu schnell wieder herbeirufen würde.
Sie schlich jetzt nach den Fenstern, die hoch und breit waren und von denen das
eine bis an den Fußboden herabreichte. Behutsam versuchte sie die Wirbel
umzudrehen, die wirklich schon gelinder Kraftanwendung nachgaben. Der
Fensterflügel ging wie von selbst auf, so daß Haideröschen
So beschloß sie denn auszuharren, ergeben sich in ihr Schicksal zu fügen und
auf Gott zu vertrauen. An ihn wendete sich die fromme Gläubige im Gebet, wie
sie es seit ihrer ersten Kindheit
Gestärkt erhob sie sich von ihren Knieen, löschte instinktartig auf den beiden
silbernen Armleuchtern drei Kerzen, weil es ihr Verschwendung dünkte, so viele
Lichter für eine einzelne Person anzuzünden, die noch dazu vollkommen müßig
ging. Unvollständig erleuchtete die vierte Kerze, deren Docht sich in der
trüben Flamme krümmte, das einsame Gemach mit den dunkeln Bildern an den
Tapeten. Haideröschen schien es oft, als bewegten sich alle Wände, als
verdrehten die grimmig blickenden Jäger die Augen und als schlügen sie ihre
Gewehre auf sie an. Dann mußte sie sich Gewalt anthun, um nicht laut
aufzuschreien, und als ob sie Beruhigung darin fände, preßte sie beide Hände
auf ihren fieberhaft klopfenden Busen. So saß sie lange unbeweglich, nur von
Zeit zu Zeit schüchterne Blicke nach der Stelle werfend, wo die verborgene Thür
sich befand, auf dem weichen, seidenen Divan, mit ihren Gedanken in der Haide
Sie saß und zählte die Viertelstunden, welche die Seigerschelle auf dem Herrenhause regelmäßig anschlug. Ueber eine Stunde war lautlos verstrichen, als sie wieder das unheilvolle Rascheln hinter der Tapetenwand vernahm. Sogleich stand sie auf, ergriff den Armleuchter, auf dem sie beide Kerzen ausgelöscht hatte, und stellte sich mit ihm dicht an das bis zur Erde herabreichende Fenster. Kaum hatte Haideröschen hier Posto gefaßt, als die Tapetenwand zurückwich und Graf Magnus mit einiger Schüchternheit und sehr blaß in das Zimmer trat.
Die Gedanken dieses Wüstlings waren durch Heinrichs erdichtete Mittheilungen
von Röschen eine Zeitlang ganz abgewendet worden. Der Maulwurffänger hatte ihn
mit seinen Neuigkeiten gleichsam überfallen und Magnus sah im ersten Augenblick
der Bestürzung, wie alle Menschen, die sich geheimer Schuld bewußt sind, Tage
blutigen Aufruhrs, wilder Verheerung in unmittelbarster Nähe. Obwohl er, wie
der gesammte Adel, die furchtbaren Ereignisse in Frankreich,
Erst nachdem er den Maulwurffänger verabschiedet hatte, drängten sich ihm
verschiedene Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Erzählungen dieses Mannes auf.
Heinrich konnte ja selbst betrogen worden sein und ihn wieder belogen haben.
Denn an die Erdichtung des drohenden Unheils durch den Maulwurffänger dachte er
nicht im entferntesten, weil er den umherstreifenden Mann für einen bloßen
Schwätzer hielt, der aus purer Selbst- und Gewinnsucht alle Dinge so zu drehen
und zu benutzen verstehe, daß sie ihm selbst irgend etwas eintrügen. Leute
dieser Art waren nicht selten im Gebirge, und weil sie eigentlich aller Welt
Freund waren und Jedermann sie für geringes Entgelt für sich gebrauchen konnte,
überall beliebt. Dennoch verdroß es den Grafen, daß er so schnell dem
schwatzhaften Manne Gehör gegeben und dadurch das
Am meisten verdroß es den eitlen Edelmann, daß diese kleine Wendin einen plumpen Bauerburschen ihm unverhohlen vorzog und daß eigentlich nur dies in seinem Auge der Grund ihrer Widerspänstigkeit war. Obwohl er bei seiner Abberufung den festen Willen gehabt hatte, die Wendin um jeden Preis zu gewinnen, stand er jetzt in Folge seiner Unterredung mit dem Maulwurffänger davon ab, und um in Röschens Gemüth die üble Meinung wieder zu verwischen, die sein letztes Auftreten hervorgerufen haben mußte, entschloß er sich nochmals, sie zu sehen, bevor Heinrich Rücksprache mit ihr genommen habe.
»Haideröschen!« sprach er mit sanfter
Während er nur halblaut flüsternd diese besänftigenden Worte an das Mädchen richtete, trat er vollends in das Gemach und lenkte seine Schritte nach dem Kamin, wo er die Wendin verborgen glaubte. Da er sie hier nicht fand, besorgte er schon, der Maulwurffänger sei ihm zuvorgekommen und habe Röschen mitgenommen. Ein wilder Fluch entglitt seinem Munde, der seltsam gegen die sanften Worte abstach, die er so eben noch geflüstert hatte. Dabei kehrte er sich um und die am schon aufgewirbelten Fenster lehnende Wendin stand vor ihm.
»Kleine Spitzbübin,« sagte er mit freundlichem Lächeln, »Du kannst doch das Necken nicht lassen. Komm näher, mein Täubchen, ich möchte Dich gern um Verzeihung bitten, denn ich sehe ein, daß ich Unrecht habe und Dir unwürdige Zumuthungen machte.«
Haideröschen beharrte in schweigender Regungslosigkeit,
»Ich will nicht hoffen,« fuhr er fort, der Wendin sich nähernd, »daß Du vor Angst und Furcht in dieser Einsamkeit die Sprache verloren hast. Es ist nicht angenehm, allein in Gesellschaft dieser grotesken Jäger zu sein, und weil ich dies aus Erfahrung weiß und die furchtsame Gemüthsart junger Mädchen kenne, wage ich es nochmals vor Dich zu treten, Dir Abbitte zu thun, wenn Du es wünschest, und Dich unter Menschen zu führen.«
Haideröschen schwieg noch immer, theils aus Verachtung, theils, weil ihr Blut so ungestüm wallte, daß ihr die Sprache versagte.
»Du bist mir immer noch böse, wie ich sehe,« begann Magnus abermals, »es wird mir demnach wohl nichts übrig bleiben, als mich fußfällig vor Dir zu demüthigen und Dich mit einem Handkuß zu versöhnen.«
Der Graf stand nur noch wenige Schritte
Magnus stutzte und verschlang das in ihrem Zorn noch schönere Mädchen mit sinnlichen Blicken. Sie hatte etwas von dem trotzigen Stolz und dem fanatischen Heroismus der Judith, wie sie, den linken vollen Arm, von dem sich der am Handgelenk aufgegangene weiße Hemdärmel abgestreift hatte, nach dem Wirbel über ihrem Haupte ausgestreckt, mit der rechten den blank polirten silbernen Leuchter gegen den Grafen drohend erhoben, dastand.
»Wahrhaftig Du bist schön, daß es mir wie eine Versündigung gegen die Schönheit, die wir anbeten sollen, erscheint, Dich nicht zu küssen. Laß Dich also herab, kleine Wilde, und vergib mir im Kusse!«
»Elender!« stammelte Haideröschen, kaum die Lippen öffnend. »Wenn Du es wagst,
mich zu berühren, so stoß' ich Dir die Augen mit dem Leuchter aus. Ich will
nichts mehr von Dir hören, will Dich nicht sehen! Ehe ich es
»Immer laß Deinem Zorn freien Lauf, ich werde Dich nicht hindern,« versetzte Magnus mit gehaltener Ruhe. »Sobald Du Dich erschöpft hast und die Ueberzeugung gewinnst, daß ich nur Dein Gutes will, wirst Du auch wieder vernünftig mit mir reden.«
»Verlassen Sie mich!« sagte Haideröschen, ohne ihre Stellung zu verändern.
»Sobald Du mir verziehen und angehört haben wirst, was ich Dir mittheilen will.«
»Wenn Sie nicht auf der Stelle gehen, so gehe ich!«
»Das kann ich nur wünschen, weil Du dann an mir vorüber mußt und ich den Saum Deines Gewandes fürbittend mit meinem Munde berühren kann.«
»Sie irren sich, Herr Graf! Ich werde weder in Ihre Nähe kommen, noch es dulden, daß Sie die meinige suchen.«
»Dann wirst Du lange Deinen Platz behaupten müssen, kleine wendische Heldin.«
»Zwei Minuten noch, nicht länger,« versetzte Haideröschen in finsterer Entschlossenheit.
Und während Magnus noch so sprach, ließ er sich wirklich auf die Knie
niedergleiten und näherte sich rutschend dem erzürnten und ihn fürchtenden
Mädchen. Schon streckte er die Hände flehend nach ihr aus, indem ein
schalkhaftes Lächeln seine interessanten Züge nicht unbedeutend verschönerte.
Da hieß ihn Haideröschen nochmals einhalten mit der Drohung, sie werde
unfehlbar, wenn er seinen Vorsatz ausführe, entweder ihm oder sich selbst ein
Leid zufügen. Magnus achtete nicht auf ihre Befehle. Er war so bezaubert von
dem Reiz ihrer entzückenden Schönheit, daß er sie nicht mehr sprechen hörte,
daß er nur ihre Hand zu fassen, sie zu umarmen wünschte. Jetzt erhaschte er ihr
grobes Gewand und wollte sie zu sich heranziehen, um den Saum desselben zu
küssen. Da
Dieser Hilferuf war es, der den Maulwurffänger in seinem Gespräch mit dem Gesinde des Edelhofes störte und ihn, unglückahnend, in's Frei trieb. Eingedenk der Erlaubniß des Grafen, die Wendin in ihrer Einsamkeit besuchen und trösten zu dürfen, machte er sich jetzt Vorwürfe über seine Saumseligkeit, obwohl er sich gestehen mußte, daß seine Absicht dabei die beste gewesen sei. Er zweifelte keinen Augenblick, daß Haideröschen ein neues Unglück zugestoßen sei, sogar der Verdacht, Graf Magnus möge nicht Wort gehalten haben, stieg in ihm auf.
Mit den Oertlichkeiten vertraut, eilte er schnellen Schrittes über den Hofraum
nach dem Portale des Herrenhauses. Durch den niedrig
»Ha,« sprach er zu sich selbst, »der Schelm hat die Lichter ausgelöscht, um desto leichteres Spiel zu haben! Hätte ich nur eine Leuchte mitgenommen! Aber Dank meinem häufigen Hiersein, ich werde auch ohne Licht den Unhold finden und noch zeitig genug an der Gurgel packen! Den Griff des Maulwurffängers soll er sein Lebtage nicht vergessen!«
Die Hausthür war blos angelehnt und drehte sich geräuschlos auf den Angeln. Im Flur brannte keine Lampe mehr, ein Zeichen, daß die Dienerschaft zur Ruhe gegangen war. Heinrich schritt auf den hallenden Fließen nach der Treppe, als er ganz nahe mehrmals nach einander »Hilfe! Hilfe!« wehklagend und laut schreiend rufen hörte.
»Es ist Haideröschens Stimme,« sprach er, »ich kenne diese Nachtigall der Wälder. Aber wie kommt sie hieher? Sollte sie Junker Blauhut in den Gartenpavillon gelockt haben?«
»Sie muß auf dem Balcon sein,« dachte er und suchte mit verschärfter
Aufmerksamkeit an der steinernen Brüstung und hinter den verpackten Stämmen der
Oleander und Citronenbäumchen. Am linken Ende schlangen sich an dünnem
Schleunig eilte er darauf zu und erkannte die Wendin, die sich vergeblich anstrengte, aus den sie umrankenden schlangenartigen Aesten des alten Baumes, in denen ein Theil ihrer Kleider hängen geblieben war, sich los zu machen und herabzuspringen.
»Bist Du es, Röschen?« fragte er flüsternd.
Die Wendin hörte ihn. »O rettet mich, rettet mich, wer Ihr auch sein mögt!« gab sie flehentlich zur Antwort. »Die Angst tödtet mich und er wird mich verfolgen!«
»Wo ist der Graf?« fragte Hemrich, am Spalier empor kletternd, die Kleider des Mädchens gewaltsam von dem Geäst losreißend und sie sanft auf die Erde herabhebend.
Haideröschen zitterte wie ein Espenlaub. »Dort! dort!« sagte sie stammelnd, vor Angst und Schauder mit den Zähnen klappernd, und deutete nach den trüb schimmernden Fenstern.
»Kennst Du den Maulwurffänger nicht, den Freund der Armen und Nothleidenden?« versetzte Heinrich lächelnd. »Ich komme von Deinem Vater in der Absicht, Dich zu beschützen. Hat Dir der Bube ein Leid angethan?«
»Nein, nein, Gott sei gelobt!« sagte Haideröschen athemlos, ihre Arme vertrauensvoll um den stämmigen Nacken des schlichten Landmannes schlingend. »Die Engel des Himmels haben über mir gewacht und dem Bösen die Hände gebunden. Aber komm, Heinrich, komm, laß uns fliehen, ehe er mir nachsetzt!«
»Das soll er wohl bleiben lassen,« sagte der Maulwurffänger, drohend die Hand gegen die erleuchteten Fenster ballend. »Beruhige Dich, Haideröschen, Du bist jetzt geborgen!«
So sprechend legte er sanft seinen Arm um ihren Oberkörper und führte sie dicht an dem Gebäude hin nach der Hausthür.
»Nicht da hinein, Heinrich!« flehte sie bebend. »Er könnte uns begegnen und seine Knechte rufen.«
»So schlage ich ihm den verruchten Schädel
Er zog die Zitternde mit sich fort in's Schloß, durchschritt mit ihr die Hausflur und trat in den Hof. Hier vernahm er die verworrenen Stimmen des Gesindes, die den Voigt mit Schmähungen überhäuften. Sie hatten bald nach dem Maulwurffänger die Gesindestube mit dem Voigte verlassen und trugen mehrere Laternen, um bei ihrem Licht zu sehen, was es gebe. Auf sie ging jetzt Heinrich mit seiner Schutzbefohlenen zu. Alle erstaunten, das schöne, bleiche, zitternde Mädchen im Arm des Landmannes vertrauensvoll ruhen zu sehen.
»Voigt,« sagte der Maulwurffänger befehlshaberisch, »öffne das Thor! Ein rechtschaffener Mann verschmäht es, in der Höhle eines Räubers zu übernachten, er will lieber auf offener Haide unter Wölfen obdachlos umherirren. Meinen Quersack, meine Drähte und Bügel wirst Du mir in den Kretscham schicken. Dort werde ich sie mir abholen, wenn ich Zeit und Lust habe. Ausgemacht, sag' ich, oder es nimmt kein gutes Ende!«
»Gieb diesen Schlüssel Deinem Herrn und sag' ihm, der Maulwurffänger ließ ihn grüßen. Von jetzt an habe er ihn als seinen Todfeind zu betrachten!«
Dann schritt er mit Haideröschen zum Thore hin aus in die finstere windige Nebelnacht hinein.
Ende des ersten Theils.
Am Fuße der alten Burg Boberstein breitete sich ein Garten aus, der gegen Süden
die ganze Ausdehnung der kleinen Insel einnahm und die Ufer des See's berührte.
Nach dem abscheulichen Geschmacke damaliger Zeit durchschnitten steife
Taxuswände diesen Garten in verschiedener Richtung. Sie waren so vortrefflich
unter der Scheere des Gärtners gehalten, daß kaum ein Blatt oder dünnes
Zweiglein über die glatte Linie hervorragte. Jetzt standen diese Baumwände
entblättert, nur an den Wurzeln der Büsche auf den Rabatten brannten gelbe
Crocus gleich Flämmchen aus der braunen Erde und dunkelblaue Veilchen
verkündigten durch ihr duftiges Arom. daß sich bald der hellblaue
Frühlingshimmel
In den sich kreuzenden Gängen dieses Gartens wandelte am »stillen« Sonnabend, der dem Ostertage vorhergeht, leichten Schrittes ein junges schlankes Mädchen. Ein schneeweißes Mußelinkleid floß gleich einer Wolke von glänzendem Lichtstoff um die liebliche Gestalt, die am linken Arm ein zierlich aus Fischbein und gespaltenem Rohr geflochtenes Körbchen trug, dessen Rand und Henkel mit aufbrechenden Feldröschen von künstlicher Arbeit eingefaßt war. Eine Menge kleiner Veilchensträußchen lag kranzförmig geordnet in der mit Rosataffet ausgeschlagenen Höhlung des Körbchens, und in deren Mitte ein Häufchen frischer Bucheckern. Am Busen trug das Mädchen ebenfalls ein Veilchensträußchen, dem noch zwei Crocus beigefügt waren.
Wer die einsam Dahinwandelnde von Ferne erblickte, konnte sie leicht für eine
überirdische Erscheinung halten, so schwebend und graziös, wir möchten sagen
ätherisch, waren alle ihre Bewegungen. Sie ging stets, selbst bei sehr
schlechtem und stürmischem Wetter, in bloßem Kopfe, und ihr schönes und reiches
aschfarbenes Haar, das
Dieses Mädchen war Herta, deren Name bereits mehrmals in unserer Geschichte genannt worden ist. Auch jetzt, wo sie die Erstlinge des Lenzes gesammelt und mit geschickter Hand und sinnigem Geschmack in zarte Sträußchen gebunden hatte, wühlte der Morgenwind, der scharf und kältend über die Haide fuhr, in ihrem reichen Haarwuchs und verschleierte oft den Glanz ihrer großen rehbraunen Augen. Herta kam von ihrem Morgenspatziergange zurück und ging nach dem Schlosse, dessen graue, mit Moos, Flechten und Epheu überwachsenen alten Mauern mit den vielen zackigen Zinnen und spitzen Schieferthürmen von der Sonne beleuchtet, recht ehrwürdig auf dem schroffen Granitfelsen dalagen.
Die Zimmer in diesem alten Feudalschlosse waren mehrentheils düster und fast
immer nur von je zwei Fenstern erhellt, die sich in thurmartigen halbrunden
Vorsprüngen befanden. Auch Herta bewohnte eins dieser schmalen, langen, dunkeln
und hohen Gemächer, deren uralte Tapeten von gepreßtem Leder, mit breiten
Goldleisten verziert,
Herta war zeitig darauf bedacht gewesen, sich ihr Zimmer wohnlich einzurichten, und hatte zu diesem Behufe einen jener erwähnten halbrunden Thurmerker, den sie als Arbeitsplatz benutzte, in eine reizende Epheulaube verwandelt, die sie mit nie ermüdender Geduld pflegte und in der sie wie eine Fee in grünem Blätterdämmer saß.
Als das Mädchen von ihrem Spatziergange im Schloßgarten zurück kam, stellte sie
das Körbchen auf ihren Arbeitstisch in der Epheulaube, nahm eine Buchecker und
rief: »Hänschen!« Sogleich klirrte ein dünnes Messingkettchen und ihrem Stuhle
gegenüber aus einer Höhle dunkler Epheublätter, die eine Oeffnung im Fenster
verdeckten, guckte das kleine zierliche Köpfchen eines braunen Eichhörnchens.
Lächelnd nahm Herta die Buchecker zwischen ihre frischen schwellenden
»Gnädiges Fräulein,« sprach das Mädchen, »es hat schon zweimal ein junger Bauer aus dem nächsten Haidedorfe nach Ihnen gefragt. Erlauben Sie, daß ich ihn einlasse?«
»Warum sollte ich das nicht erlauben?« versetzte Herta heiter und zutraulich, ununterbrochen ihrem Lieblinge neue Bucheckern aus dem Körbchen reichend und die Schalen, die er fallen ließ, behend wieder vom Boden auflesend.
»Ich dachte, es möge sich nicht schicken,« entgegnete das Mädchen, »wenn das gnädige Fräulein mit einem Bauerburschen allein sprechen will.«
»Nun das ist wohl, denk' ich, eine sehr unschuldige Sache,« erwiederte Herta
lachend. »Wie oft gehe ich allein durch den dichtesten Wald in
»Er will Sie aber durchaus allein spreehen.«
»Ja, meine gute Emma, da hilft kein Widerstreben. Ich muß ihn entweder anhören
oder fortschicken, und da will ich doch lieber das Erstere thun, wenn auch die
Schicklichkeit dieses Schlosses einen kleinen Klaps dabei abkriegen sollte. Das
kann ihr gar nichts schaden, sie würde nur etwas natürlicher werden. Rufe also
in Gottes Namen den Burschen! – Aber wart'! Du bist ja auch eine
Blumenfreundin. Da suche Dir eins von diesen Veilchensträußchen aus, die
ich
»Ach Sie sind gar so geschickt!« sagte Emma und nahm mit dankbarem Knicks das kleinste der Sträußchen.
»Nicht doch, mein Kind! Das waren die schlechtesten Ueberreste! Hier, das ist hübsch, das duftet wunderlieblich und, wart', das muß sich an Deiner Brust gar lieblich ausnehmen.«
Und während Herta so plauderte, nahm sie das allerschönste Sträußchen aus dem Körbchen und befestigte es mit eigenen Händen an Emma's Busen. »Sieh, wie das prächtig steht!« rief sie vergnügt aus. »Guck' geschwind 'mal in den Spiegel, damit Du Dich nicht zu verwundern brauchst, wenn Du nächstens ein ganzes Dutzend Liebeserklärungen bekommst. Und nun mach' und bringe mir den Burschen. Ich bin doch neugierig, was der für ein Anliegen an mich hat. Es ist der erste junge Bursche, der mich besucht,« setzte sie mit einem Anflug kecker Laune hinzu, »und wenn's recht ist, so muß er mir Glück bringen. Ich will mich aber auch gleich ein bischen hübsch machen. – So! –«
Zögernd verließ Emma das Zimmer, Herta nahm Platz in ihrer Epheulaube und warf dem wieder aus seiner Blätterhöhle klug herausguckenden Eichhörnchen noch ein paar Bucheckern zu.
Mit vielen linkischen Bücklingen und Kratzfüßen trat der Bauerbursche ein, seine niedrige Pelzmütze verlegen in der Hand drehend.
Herta, gegen Jeden, auch den Geringsten, höflich und zuvorkommend, stand auf und erwiederte den befangenen Gruß des Burschen mit einer Verbeugung und der zutraulich an ihn gerichteten Frage: »Wer bist Du, mein Guter und was wünschest Du von mir? Ich höre, daß Du mir allein etwas Wichtiges mittheilen willst.«
»Ach ja, was sehr Wichtiges, gnädiges schönes Fräulein,« versetzte der Bursche, der vor Verlegenheit der vornehmen Dame gegenüber nicht wußte, was er sagen sollte.
»Bist Du etwa arm und hast kranke Aeltern oder kleinere Geschwister, die Du
nicht ernähren
»Ach ja recht sehr arm, gnädiges Fräulein!«
»Dann wünschest Du gewiß, daß ich Dich unterstützen soll? Armer Bursche, ich möchte Dir gern recht viel geben, aber meine kleinen Schätze sind ganz erschöpft. Erst nach dem Feste bin ich wieder im Stande –« und die Freundin der Armen schüttete den Rest kleiner Münzen aus ihrer perlengestrickten Börse in ihre hohle Hand und reichte sie dem Burschen.
»Ach nein, das kann ich nicht annehmen, gnädiges Fräulein,« sagte der Bursche erröthend, da er sah, daß das schöne Mädchen seine Worte in einem Sinne auslegte, den er ihnen nicht hatte geben wollen. »Ich wünschte wohl Ihre Unterstützung, aber das Geld da – o nein – das brauche ich nicht!«
Herta hielt das Häufchen Münze dem Burschen noch immer entgegen. »Ja, mein Guter, Du sagtest doch eben, daß Du sehr arm seist?«
»O das bin ich auch, mein schönstes, allergnädigstes Fräulein, und recht
unglücklich dazu! Und wenn sie mich nur anhören wollen und nicht böse werden,
wenn ich ungehörige Dinge sage,
»Armer Junge!« sagte Herta mitleidig. »Nun fasse Dich nur und erzähle, was ich wissen muß dann will ich gern, steht's in meiner Macht, Dir helfen.«
»Ach sehen Sie, mein gutes, gnädiges Fräulein,« fuhr der Bursche, durch Herta's
sanfte und theilnehmende Worte aufgemuntert, fort, »ich heiße Clemens,
eigentlich Clemens Ehrhold, und bin von drüben her aus dem Gehege, wo mein
Vater ein Bauergut hat und sich redlich plagt, um das liebe Brod zu verdienen.
Und da hat mein Vater einen Stiefbruder, der ein paar Jahr älter ist und aus
der Haide stammt, und der heißt Jan Sloboda, tröst' ihn Gott! Ja und seh'n Sie,
gnädiges Fräulein, im Winter da halten wir doch die Spinte, wie Sie wissen
werden, damit die jungen Mädchen ihren Flachs aufspinnen, den sie im
vergangenen Jahre geärndtet, geröstet, gebrochen und gehechelt haben, und wir
Burschen, wir besuchen die Spinnerinnen manchmal, und da machen wir einen Spaß
zusammen, so gut arme Leute es können. – Und da war des Sloboda seine Tochter,
das
Aufmerksam, zuweilen lächelnd über den etwas verworrenen und drolligen Vortrag
des Burschen, hatte ihn Herta angehört, jetzt versetzte sie: »Das ist ja eine
ganze Geschichte und noch dazu eine recht böse Geschichte, mein Guter.
»Wir heißen ihn ins Gemein nur Blauhut von wegen seiner Filzkappe, aber eigentlich heißt er Graf Magnus.«
»Wie?« sagte Herta und stand auf, »mein Vetter Magnus hätte eine solche Frevelthat begangen an einem armen schuldlosen Mädchen?«
»Der liebe Gott muß den gnädigen Herrn Grafen wohl auch im Zorn zu des gnädigen Fräulein Vetter gemacht haben,« versetzte Clemens, »aber meine Muhme hat er entführt, obwohl's nicht seine Unterthanin ist!«
»Du bist ihr gewiß recht gut?« sagte Herta, den Burschen schlau ansehend.
»Ach ja, gnädiges Fräulein, ich bin ihr gut, das kann ich wohl sagen und
Haideröschen hat auch nichts dawider, und wenn nichts drein kommt und es ist
alles auf Pfarre und Hofe wegen der Dispensation in Richtigkeit gebracht, so
wollen wir uns auf den Herbst heirathen. Aber nun fürcht' ich, wird der Herr
Graf seine Einwilligung dazu nicht geben, wenn das gnädige Fräulein nicht etwa
ein gutes Wort bei ihm einlegen und ihm die Sache vorstellen wollte.
»Da schreibt man mir eine Macht zu, die ich leider nicht besitze, guter Clemens,« erwiederte Herta, traurig den Kopf schüttelnd. »Mein Vetter hat einen gar unbeugsamen Willen, den nicht einmal sein eigener Vater immer leiten kann, wie er es wünscht. Indeß glaube ich wohl, daß, stelle ich ihm die Sache in einer glücklichen Stunde recht dringend vor, er Deinem Glück nichts in den Weg legen wird.«
»Ach, Sie sind so gut als schön, gnädiges Fräulein!« fiel Clemens ein, vor Freude einen Blick innigster Dankbarkeit auf das junge Mädchen werfend. »Aber ehe es dahin kommt, wird der Herr Graf Haideröschen wieder abholen und sie zum Dienst zwingen wollen und dann –«
»Nun, Du stockst? Sage grade heraus, was Du meinst!«
»Ja, sehen Ew. Gnaden, wenn er das beabsichtigen sollte, dann fürchte ich, gibt
es Mord und Todtschlag. Denn was wendisches Blut in den Adern hat, das wird
dann zuschlagen und wahrhaftig, gnädiges Fräulein, Sie
»Will's Gott, soll das verhütet werden, guter Clemens,« erwiederte Herta. »Ich zähle mich auch halb und halb mit unter die Wenden, obwohl ich meine guten Aeltern nie gekannt habe, und da verlangt es schon die Stammverwandtschaft, daß ich mich Deiner und Deiner Geliebten annehme. Ich kann es Dir zwar nicht bestimmt versprechen, guter Bursche, daß Haideröschen hier auf dem Schlosse eine Zuflucht finden wird, denn von mir hängt das nicht ab. Ich bin selbst nur Gast, wenn ich auch für das Kind des Hauses gelte. Mein Wort jedoch gilt etwas beim alten Grafen, und diesen werde ich von Deinem Anliegen in Kenntniß setzen. Komm morgen um diese Zeit wieder und hole Dir Antwort. Adieu, auf Wiedersehen!«
Herta reichte dem Burschen ihre kleine weiße Hand, die Clemens schüchtern und voll Ehrfurcht küßte. Als er sich mit vielen Kratzfüßen wieder entfernen wollte, rief ihn Herta nochmals zurück.
»Sage mir doch, Clemens,« sprach sie, »ob Du Haideröschen heut noch siehst?«
»Ei Jeses, freilich!« erwiederte der Bursche.
»Haideröschen klingt so zartsinnig,« versetzte Herta, »daß ich mir einbilde, Deine Geliebte müsse eine Freundin zarter und duftiger Blumen sein. Grüße sie denn von mir als eine Schwester und bringe ihr dies Veilchensträußchen. Ich habe die lieben Blümchen selbst gepflückt und gebunden, denn ich habe sie gar zu gern.«
»Ach, gnädiges Fräulein, so viel Güte!« sagte Clemens, vor Staunen über so ungewohnte Herablassung ganz versteinert.
»Laß das und geh' jetzt! Morgen früh vergiß nicht, Dir Antwort zu holen.«
Clemens ging, Herta aber sprang vergnügt ein paar Mal in die Höhe, schlug
jubelnd die kleinen Händchen zusammen und sprach dann,
Herta blieb stehen und richtete ihr nur mit feinem blassrothen Duft
überhauchtes Gesicht
»Magnus!« fuhr sie nachdenklich fort und an dem Zittern des durchsichtigen
feinen Stoffes über dem Busen sah man, daß ihr Herz heftiger schlug. »Wie oft,
wenn er hier war, hat er mir betheuert, daß er nur mich liebe, daß ich allein
ihn glücklich machen könne und daß er elend würde, wenn ich auf meiner
Weigerung bestände. Ich traute seinen Versicherungen und Schwüren nie, denn es
liegt eine Wolke in seinen schwarzen Augen, die verderbliche Blitze birgt. Er
ist ein schöner, ein interessanter, ein gebildeter Mann, und doch kann ich ihn
nicht lieben, nicht einmal gern um mich dulden. – Es ging mir von jeher, wie es
diesem wendischen Mädchen jetzt geht. Armes Kind! – Sie schützt kein mächtiger
zürnender Vater, sie gehört sich nicht einmal selbst! Er kann und wird sie
zermalmen, wenn er es vermag, denn Verzeihung, glaub' ich, ist dem Herzen
dieses unbändigen,
Nachdem Herta in solcher Weise für Haideröschen in die Schranken zu treten fest bei sich beschlossen hatte, ging sie wieder in ihre dämmernde Epheulaube, durch welche jetzt ein paar schräge Sonnenstrahlen fielen. Hier nahm das junge Mädchen eine feine Perlenstickerei in die Hand, schlug ein sauber gebundenes Buch auf und legte es vor sich auf ein Lesepult. Die Hände fleißig rührend, warf sie häufige Blicke in das Buch, dessen Inhalt sie zwar langsam, aber mit desto mehr Nachdenken durchlas. Nicht selten nahm sie auch einen Silberstift zur Hand und unterstrich einzelne Zeilen, die ihr vorzugsweise gefielen.
Dieses Buch war der eben erschienene Don Karlos von Schiller, der sich bereits
bis in dies abgelegene Schloß der Haide verirrt hatte. Herta liebte diese eine
neue Religion, eine neue Weltordnung predigende Dichtung mit aller Gluth und
Begeisterung eines für das ewige Recht, für Menschenwürde
Wenn Herta ihrem reichen Verwandten ein Anliegen von Wichtigkeit vorzutragen
hatte, verschob sie dies immer bis zum Abend. Die Theestunde war die günstigste
Zeit für dergleichen Eröffnungen. Dann hatte Graf Erasmus, obwohl immer mild,
zuvorkommend und billigen Wünschen geneigt, seine rosenfarbigste Laune. Er
hörte dann häufig blos mit seinem menschenfreundlichen Herzen und schob die
kalte verständige Ueberlegung sanft bei Seite. Um diese Zeit hatte er dem
jungen Mädchen, das er zärtlich liebte, noch nie etwas abgeschlagen, und
deshalb sparte sie die Mittheilung ihrer Neuigkeit bis zu dieser
glückverheißenden Stunde auf. Ein herrschsüchtiges, intriguantes und politisch
kluges
Graf Erasmus litt am Podagra. Zu seiner Bequemlichkeit ward daher der Thee in
seinem Zimmer servirt. Dies war ein hohes, dunkles, alterthümliches Gemach,
feudalistisch grau, wie das ganze Schloß, und mit gemalten Tapeten
ausgeschlagen, die idyllische Schäferscenen darstellten. Es hatte, wie Herta's
Wohnzimmer, nur zwei mehr hohe als breite Bogenfenster. Möbeln von hohem Alter
und neuerer Erfindung standen in bunter Mischung umher. Neben dem großen Kamin,
dessen Flamme nicht, wie heut zu Tage, mit Steinkohlen, sondern mit Holzkloben
genährt wurde, erhob sich noch ein hoher und breiter Ofen von sehr veralteter
Fassung. Sein Inneres konnte bequem eine Viertelklafter
Erasmus war ein Mann von einigen sechzig Jahren, mit edlen, vornehmen Zügen.
Die Zeit, der er angehörte, und die Gewohnheiten, mit denen er von Jugend auf
vertraut geworden, hatten ihn zu einem entschiedenen Aristokraten im bessern
Sinne des Wortes erzogen. Er hielt den Adel für eine Menschenrace, die
himmelweit verschieden sei von dem gemeinen Volk. Daß beide, Kinder des Adels
wie des Volkes, gleiche Anlagen, gleiche geistige Befähigung und deshalb
gleiche Rechte hätten, das bestritt er aufs Heftigste, und wer ihn sich
gewinnen wollte, durfte diesen Punct nicht berühren. Es ging sogar die Sage,
daß er in seiner Jugend mehr als einmal in Folge dieser Ansicht unbillige
Die Bildung des Grafen war eine durchaus französische. Er hatte mehrere Jahre in Paris gelebt und dort die Gesinnungen der vornehmen Welt sich zu eigen gemacht, wie sie unter der lockern, entsittlichenden Regierung Ludwigs XV. sich ausbildeten.
Dies könnte unserm Schützling in den Augen der Leser nicht eben sehr zur
Empfehlung dienen, hätten wir nicht hinzuzufügen, daß Graf Erasmus nur die
geschmeidige Feinheit im Umgangstone, das sarkastisch-witzige Element bei
geistiger Unterhaltung, die frivole, aber aufrüttelnde französische Philosophie
damaliger Zeit, mit einem Worte das feine Arom der französischen Bildung mit
all seinen Mängeln sich zugeeignet,
Weil Erasmus im Spiegel des Schlechten das Gute erkannt hatte, gab er sich
Mühe, auf seiner Herrschaft danach zu streben. Er verbesserte, so weit es sich
mit seinen Ansichten vertrug, die Lage seiner Unterthanen. Er sah darauf, daß
seine Vögte Menschen von gutem Herzen waren, die seine Leibeigenen nicht
unnöthig quälten. Hatte Jemand ein Anliegen, so hörte ihn der Graf ruhig an und
half, wo er konnte oder Hilfe nöthig erachtete. Er verringerte sogar aus
eigenem Antriebe die Zahl der Hofetage, um durch größere Freigebung der Bauern
Ganz auders dachte seine Gemahlin Utta, aus einem stolzen hannöverschen
Adelsgeschlecht. Sie war, was Eleganz, Form, äußern Bildungsfirniß anlangt,
vollkommen das Ebenbild von Erasmus, aber sie verachtete, ja haßte sogar den
gemeinen Mann. War sie genöthigt, mit irgend Jemand aus dem Volke zu sprechen,
so wehte sie sich immer mit ihrem Fächer Luft zu, damit der unedle Athem des
armen Proletariers ihre hochgräfliche exclusive Nase nicht mit seinem
ungebildeten Duft entweihe. Sogar in Gegenwart ihrer Dienstboten hatte sie
diese noble Passion beibehalten, obwohl sie jeden Diener ein wahres Purgatorium
durchmachen ließ, ehe sie ihn würdig fand, ihr zu nahen. Gräfin Utta würde es
jedenfalls vermieden haben, sich mit Leuten aus dem Volke zu umgeben, hätte es
sich nur schicken wollen, Adelige zu so erniedrigenden
Diese Frau, eine kühle, hohe Schönheit, deren Spuren selbst das Alter der
Matrone noch nicht gänzlich verwischen konnte, war Magnus Mutter. Unter ihrer
Aufsicht wurde der stolze, trotzige, begabte Knabe erzogen. Ihm lehrte sie
täglich den Katechismus der unverfälschten Aristokratie, fragte ihm denselben
ab und überschüttete ihn mit Liebkosungen, wenn er gut bestand. Erasmus
billigte eine solche Kindererziehung zwar nicht, er hatte aber auch nicht
hinreichende Zeit und noch weniger Geduld, ihr entschieden entgegen zu treten.
So begnügte er sich mit spöttischem Lächeln und gelegentlichen Bemerkungen, die
jedoch Gräfin Utta unbeachtet an sich vorüberrauschen ließ. Konnte man da
verlangen, daß Magnus mit seinem angebornen Sinn zum Herrschen, mit seiner
heftigen Sinnlichkeit, mit dem sorgsam gepflegten Hange, den unbeschränkten
Tyrannen zu spielen,
Nach Entwerfung dieser Silhouetten bitten wir den Leser, uns in das Zimmer des
Grafen Erasmus zu begleiten. Der Graf saß in seinem auf Rollen ruhenden
Lehnstuhle zwischen Kamin und Ofen. Ein mit Zobelpelz verbrämter Schlafrock von
feinstem Stoff umhüllte ihn. Den edel geformten, wohl frisirten Kopf hatte er
auf die rechte Hand gestützt. So hörte er mit feinem Lächeln einem Gespräche
seiner Gattin zu, das diese in dem Augenblick abbrach, wo Herta mit dem
Bedienten eintrat, der ein Theeservice von kostbarem
Das junge Mädchen grüßte Oheim und Tante mit schalkhafter Vertraulichkeit und machte sich sodann, auf der Seite des Kamins Platz nehmend, mit Einschenken des Thee's zu schaffen, dessen Bereitung die Gräfin ihr stets überließ. Seltsamerweise liebte die schroffe Aristokratin ihre Nichte über alle Maßen, obwohl sie mit ziemlicher Bestimmtheit wußte, daß Herta ganz andern Ideen nachhing als sie. Die unverkennbare Herzensgüte des jungen Mädchens, verbunden mit dankbarer Hingabe an ihr Haus, und die natürliche schwebende Grazie, die das junge Geschöpf mit weit mehr Reiz umgab als die kunst- und erziehungsgerechteste Tournüre je um sich verbreitet, gewann der schönen Nichte ihr Herz und ließ sie kleine Flecken, die sonst in ihrem Auge entstellenden Fehlern, ja verachtungswürdigen Verbrechen geglichen haben würden, übersehen.
»Nun, meine Liebe,« sprach Erasmus, als ihm Herta die erste Tasse Thee mit freundlichem Lächeln reichte, »worüber hast Du heut so lange nachgedacht, daß der reine Himmel Deiner Stirn mit leichten Wolken umschleiert ist?«
»Bin ich so ernst?« fragte sie schüchtern.
»Nachdenkend, mit Wünschen und Ideen Dich tragend, wie ich es gern habe, doch wär' es mir noch lieber, wenn ich Dich immer frei und froh erblickte. Deine Jugend will ich nicht von dem kleinsten Schatten getrübt wissen.«
»Da mußt Du die Sonne auslöschen,« versetzte Herta schalkhaft, »denn das liebe warme Himmelslicht hat mir schon manchen Schatten in mein Zimmer geschickt und mich gar arg verfinstert.«
Erasmus schlürfte bedächtig den Thee und ließ dabei mehrmals sein Auge auf dem Mädchen ruhen, das darüber beunruhigt niederblickte. »Deine scherzhafte Antwort kann mich doch nicht täuschen,« sagte er nach einigem Zögern. »Du bist nicht meine klare, seelenstille Herta, Du bist aufgeregt.«
»Ach ja, das bin ich auch, Onkel, aber von weiter nichts, als der Lectüre.«
»Was lasest Du?« fragte schneidend scharf die Gräfin.
»Ein deutsches Buch,« erwiederte kaum halblaut das junge Mädchen.
Herta warf einen fragenden Blick auf den Grafen, der mit stillem Lächeln dieser Strafrede seiner Gattin zugehört hatte. Erasmus verstand seinen Liebling und sagte mit leichtem Augenblinken, das Herta Unterstützung verhieß: »Ja, Liebe, das möchte ich auch wissen.«
Das Mädchen senkte wieder die Blicke, und während sie Wasser in die Theekanne goß, was eigentlich ein Eingriff in die Rechte der Gräfin war, erwiederte sie: »Es war das neue Trauerspiel von Schiller, von dem die Zeitungen so viel sprachen. Don Karlos, Infant von Spanien hat es der Dichter genannt.«
»Von Schiller?« fiel die Gräfin ein. »Ist das nicht der aufrührerische
Taugenichts, der heimlich seinem gnädigen Herrn entlaufen ist und das
abscheuliche, schwülstige, der lästerlichsten Gedanken
Es war dies ein Thema, bei welchem die Gräfin immer sehr beredt wurde und nicht
selten in etwas unaristokratischen Zorn gerieth. Wenn Erasmus einen Ausbruch
dieser Art bemerkte, fing er an zu husten, was ein sicheres Zeichen seiner
Unzufriedenheit war. Dann mäßigte sich seine Gemahlin, weil sie es für
entschieden roh hielt, auch nur die Ahnung an einen Streit mit ihrem Gatten in
Andern aufkommen zu lassen. Auch jetzt hustete Erasmus, da er sah, daß Herta
von den Worten
Erasmus dankte verbindlich, drehte spielend seine goldene Tabatière zwischen dem Daumen und Zeigefinger der linken Hand und sprach zu Herta:
»Theile ich auch nicht vollkommen die Entrüstung meiner Frau über Deine
Lectüre, mein gutes Kind, so gestehe ich doch, daß ich ebenfalls keinen
Gefallen an Deiner sonderbaren Wahl finde. Ich gebe zu, daß die neueren
deutschen Poeten gebildeter, feiner und geistreicher sind, als ihre Vorgänger,
allein Geschmack, jener unbeschreibliche Duft, der uns aus jedem französischen
Geistesproduct entgegenweht, dieser fehlt ihnen noch gänzlich. Sie wollen durch
Kraft und Ungeheuerlichkeit die mangelnde Eleganz der Form ersetzen, welche
einzig und allein nur dem Witz und freien Spiel des Geistes erreichbar ist. Sie
besitzen mit einem Worte keinen Esprit. Auch werden sie es nie dazu bringen,
weil unsere Sprache zu schwerfällig ist und sich nie die leichte
Geschmeidigkeit
»Brav, mein Mädchen!« sagte Erasmus, zog die schlanke Gestalt an sich und küßte sie auf die im Feuer der Begeisterung leuchtende Wange. »Du hast Recht, man muß prüfen, ehe man urtheilt oder gar verdammt.«
»Aber sage mir doch, kleiner Schalk,« warf die Gräfin ein, gewaltsam ihren Verdruß über die Milde und Nachgibigkeit ihres Gemahls niederkämpfend, »wie bist Du denn zu diesen aufregenden Büchern gekommen?«
Herta preßte feurig die Hand der Tante an ihre schwellenden Lippen. »Nicht
zürnen, beste Tante!« sagte sie, so hold bittend, mit so engelsanftem
»Also,« fuhr Herta munter und treuherzig fort, »so hört mich denn! Einige Meilen von hier gegen die Berge hin wohnt ein wunderlicher, aber herzensguter Mann, der sich durch Unterricht der Dorfkinder kümmerlich genug sein Brod erwirbt. Er ist Schulmeister und heißt Gregor. Wenigstens kennt ihn Groß und Klein unter diesem Namen. Ich halte den guten Mann nicht eben für sehr gelehrt, dazu ist er zu steif und unbeweglich, auch mag er wohl nicht viel Zeit zum Studiren übrig behalten, aber für Besorgung des geringsten Auftrages, den man ihm gibt, läßt sich Keiner bereitwilliger finden.«
»Bauernschulmeister!« bemerkte hier die Gräfin und wehte sich mit dem aufgeschlagenen Fächer Luft zu.
»Dorfschulmeister,« verbesserte Herta etwas boshaft.
»Nun siehst Du, dieser ganz prächtige Mann ist ein leidenschaftlicher
Bienenvater und als solcher sehr geübt und gesucht. Schon im vorigen Jahre sah
ich ihn mehrmals in der Gegend beschäftigt,
Erasmus lachte recht herzlich über den erschrockenen Schulmeister und auch die Gräfin erlaubte sich eine lächelnde Miene zu ziehen und die Erzählung ihrer neugierigen Nichte spaßhaft zu finden.
»Nach und nach ward mein Mann etwas dreister,« fuhr Herta fort, »und durch
langes und vieles Fragen bekam ich doch einen Begriff von
»Fi donc!« rief die Gräfin entrüstet und schob ihren Stuhl um einen halben Schritt vom Theetisch zurück. »Ein Dorfschulmeister hat den Aermel Deines Kleides angefaßt!« Der Fächer gerieth dabei wieder in sehr lebhafte Bewegung.
»Beruhige Dich, meine Liebe,« sagte der Graf sarkastisch, »er hat ihn angefaßt und das mag uns trösten.«
»Ja,« fuhr Herta fort, »er faßte mich am Aermel und sagte in langen Pausen:
Engel, hehrer, süßer Engel – ganz Natur! – Wollen Sie vielleicht ein Buch über
Bienenzucht lesen, so kann ich Ihnen ein vortreffliches leihen, natürlich!
Dieses Anerbieten rührte mich, ich dankte ihm aufrichtig und fragte dabei, weil
es mir gerade einfiel: ob er mir vielleicht irgend ein anderes Buch besorgen
könnte? – Ganz Natur, gab er zur Antwort, mit einer Würde, als habe er über
ein
Herta unterließ nicht, nach diesem Geständniß sowohl Oheim wie Tante
ehrfurchtsvoll die Hand zu küssen, gleichsam als bitte sie ihrer Kühnheit wegen
um Verzeihung. Die Gräfin war auch sichtbar aufgebracht, weil sie aber dem
Mädchen ihr Wort gegeben hatte, nicht zürnen zu wollen, so hüllte sie sich in
den undurchdringlichen Panzer ihrer aristokratischen Abgeschlossenheit,
spreitete den Fächer aus und wehte sich immer von Herta's Seite her frische
Luft zu. Die harmlose Erzählung
Erasmus klopfte Herta auf die vor Schaam und Furcht glühenden Backen. »Sei ohne Furcht,« sagte er, »kein Unwetter soll Deinen blauen Unschuldshimmel trüben. Du bist zwar eine kleine gefährliche Schmugglerin, die eigentlich Strafe verdiente, für diesmal jedoch soll diese nur in vorläufiger Confiscation Deiner Contrebande bestehen. Du wirst mir die Lieferungen Deines prächtigen Schulmeisters ausliefern und zwar sogleich! Nach einigen Tagen werde ich Dir Dein Eigenthum zurückgeben und mich darüber erklären, ob der Schulmeister auch künftig noch mit Dir soll verkehren dürfen oder ob ich ihm verbieten muß, in die Nähe des Schlosses zu kommen. Jetzt geh' und hole die Bücher!«
Still gehorchend entfernte sich das junge Mädchen. Diesen Augenblick benutzte die Gräfin um ihrem Gatten einige Vorwürfe über sein Verfahren zu machen. Sie schlug den Fächer zusammen, legte ihn vor sich hin und sagte mit vornehmem Aufwerfen der Lippen:
»Du verwöhnst das Kind, mein Freund! Durch solches Gestatten stählen wir ihren
an sich
»Herta ist ein kluges Mädchen,« versetzte Erasmus, »und ich will nicht, daß man der Entwickelung ihrer reichen, gesunden Naturanlagen hemmend entgegentritt. Sie soll selbst unterscheiden lernen, damit sie in späteren Jahren nach eigenem Urtheil wählen kann.«
»Zu stark treibende Pflanzen muß man der Sonne entziehen, damit sie sich nicht überwachsen.«
»Du erinnerst mich doch immer an Deinen frühern Verkehr mit dem Onkel. Immer und immer schimmert aus Deinen sammetweichen Worten, die noch sanfter klingen, wenn sie über Deine Lippen gleiten, ein feiner Strahl jesuitischen Lampenlichtes heraus, das heimlich in die Herzen der Menschen hineinleuchtet.«
»Warum gedenkst Du dieses als eines Unheils?« versetzte die Gräfin. »Wir
verstehen
Als Erasmus auf diese Bemerkungen seiner umsichtigen Gattin antworten wollte, kam Herta mit den Büchern zurück und legte sie freundlich vor den Grafen hin.
»Hier bringe ich Dir meine Herzensfreunde,« sagte sie, einen langen und tiefen
Blick aus ihrem frommen Auge dem Oheim sendend. »Ich werde sie recht vermissen,
denn sie waren mir früh und Abends liebe Gefährten, die meine Seele mit ihren
entzückenden Weisheitssprüchen labten und
»Es scheint, Du hast bei Deinem Schulmeister Unterricht genommen im Predigen,« bemerkte die Gräfin mit vorwurfsvollem Tone.
»Beste, gnädige Tante, schmähe meinen alten Freund nicht, er hat es wirklich nicht um mich verdient!« sagte Herta und küßte der Grafin die Hand. »Wenn Du so verächtlich von den armen Leuten sprichst, sinkt mir aller Muth, dem Oheim eine Bitte vorzutragen, die mir recht am Herzen liegt.«
»Mir, meine kleine Revolutionärin?« fragte der Graf, der inzwischen das Personenverzeichniß des Don Karlos gelesen hatte. Er zeigte das Buch jetzt seiner Frau über den Tisch und sagte: »Gegen diese Gesellschaft lassen sich keine gegründeten Einwendungen machen.«
»Ich habe Dir nie eine Frage an mich verwehrt. Sprich offen und wahr!«
»Wie immer, mein gütiger Oheim. – Nicht wahr, einer Deiner armen Haidebauern, oder ist er ein Gärtner, heißt Sloboda?«
»Das weiß ich wirklich nicht, liebes Kind, doch glaube ich, daß mehrere dieses Namens unter meine Unterthanen zählen.«
»Der Mann, den ich meine, ist schon bei Jahren und hat eine hübsche junge Tochter, die Röschen heißt.«
»Ja, ja,« sagte Erasmus nachdenkend, »das wird der große Jan sein, dessen Sohn im Gemeindehause als irr untergebracht worden ist.«
»Ganz recht,« fiel Herta lebhaft ein, »ein Baum erschlug ihm seine Frau beim Holzfällen. Den schrecklichen Tod hat er sich zu Gemüthe gezogen und nun ist er geisteskrank, der Arme!«
»Sein Vater bittet mich gewiß um eine Unterstützung?«
»Nein, mein gütiger Oheim. Ich habe weder Vater noch Tochter gesehen und weiß
überhaupt Alles, was ich Dir jetzt gesagt habe, blos
»Aber Herta! Du, ein Sproß des hochgräflichen Hauses von Boberstein, läßt Dich in Unterredungen mit schmutzigen Bauerburschen ein!« rief die Gräfin und schob das Buch mit einer Bewegung des Abscheus zurück, um wieder nach ihrem schirmenden Fächer zu greifen.
»Ach, beste Tante, der gute Mensch war nicht schmutzig, aber arm, recht sehr arm mochte er wohl sein,« versetzte Herta, betrübt die Augen niederschlagend. »Und was ist es denn Böses, wenn ich einen Unglücklichen anhöre? An wen anders soll sich denn der Bedrängte wenden, als an den Mächtigern? Die Starken sollen die Schwachen beschützen, sollen die Bösen im Zaume halten und sie zum Guten zwingen. Und wenn ich auch weder stark noch mächtig bin, so hat das arme Volk doch Zutrauen zu mir, weil ich es liebe und ihm helfe, wo ich es vermag. Und deshalb wenden sich die Bekümmerten an mich in der Hoffnung, daß ein bittendes Wort bei meinem braven, mächtigen Oheim Linderung ihrer Leiden bewirken könne.«
»So dürfen wir das Geschehene wohl nennen,« ergriff Herta abermals das Wort und fuhr, immer leidenschaftlicher und zürnender ihre zarte Stimme erhebend, fort. »Der erwähnte Bursche Clemens liebt Sloboda's junge Tochter und will sie als Gattin heimführen, wenn Du Deine Einwilligung dazu gibst. Der arme Wende wohnt in einem entlegenen Dorfe, das zum Zeiselhofe gehört. Auf seines Vaters Gehöft war Röschen zu Besuche. Da wird die Dienstschau ausgeschrieben und der Gutsherr verlangt, daß das zarte Mädchen mit andern ihres Alters auf den Hof kommen soll –«
»Er wußte gewiß nicht, daß sie fremd war.«
»Dies wurde ihm gesagt und dennoch beharrte er auf seinem Befehle.«
»Nun?«
»Die Wendin und ihre Verwandten weigerten sich, dem Befehle zu gehorchen –«
»Und? – Sprich, sprich, was geschah?«
»Der erzürnte Herr raubte das arme Kind mit Gewalt und schleppte es mit sich.«
»Ich sagte schon, mein guter Oheim, daß der Herr vom Zeiselhofe sich eine solche Gewaltthat erlaubt hat!«
»Das ist eine von den ekelhaften Erfindungen des Pöbels,« fiel die Gräfin ein, »wodurch er sich an dem Adel rächen will, weil er nichts besitzt.«
»Wie ist das!« sagte Erasmus mit zitternder Lippe und mit beiden Händen die gepolsterten Arme des Lehnstuhles umklammernd. »Herr des Zeiselhofes ist ja mein Sohn Magnus!«
»Der arme Clemens nannte bebend diesen Namen.«
»Weiter, weiter!« rief der Graf mit zornfunkelndem Auge.
»Durch einen Zufall, den ich nicht näher kenne, entkam das Mädchen und flüchtete sich zu ihrem Vater. Dieser fürchtet aber, daß ihm sein Kind abermals entrissen werden könne und wünscht es deshalb unter Deinen oder – fügte sie lächelnd hinzu – wie der gute Bursche sagte unter meinen Schutz zu stellen.«
»Hast Du ihm Hoffnung gemacht?«
»Sehr brav, mein Mädchen! Doch was soll ich mit der Wendin beginnen?«
»Diese Sorge will ich Dir sogleich abnehmen, Herzensoheim. Aller Beschreibung nach ist Röschen hübsch und ich habe gern hübsche Dienerinnen um mich. Sie wird auch geschickt, lernbegierig sein, wie alle Wenden, und da hab' ich mir denn vorgenommen, so lange sie in meinen Diensten bleibt, sie zu unterrichten und recht gebildet ihrem Bräutigam auszuliefern, wenn er sie als Hausfrau von mir zurückbegehrt.«
»Gestatte dies nicht, ich bitte Dich, mein Freund!« sprach die Gräfin. »Das Mädchen weiß in ihrer Tollheit nicht mehr, was sie verlangt, was sie zu thun im Begriffe steht! Eine gebildete Leibeigene, mon dieu, wo soll das hinaus!«
Erasmus saß mir vorgebeugtem Oberkörper schweigend im Lehnstuhl. Er hielt den
ausdrucksvollen
Der Graf erhob langsam sein Haupt. Sein Gesicht war bleich, sein Blick ernst und entschlossen.
»Herta,« sprach er, die Winke seiner grollenden Gemahlin nicht beachtend, »wenn Magnus dies wirklich gethan hat, dann wehe ihm! Er hat mein Vaterherz hundertmal verwundet und immer verzieh ich ihm wieder, eine Schandthat aber, die mein reines Wappen beschmutzt, vergeb' ich nimmer! Ich verstoße, ich enterbe ihn. Er ist mein Sohn nicht mehr!«
Der Bediente trat ein.
»Was gibt es für Geräusch im Schlosse?« fragte die Gräfin.
Bei diesen Worten trat Magnus in's Zimmer.
Ein zertrümmernder Erdstoß hätte keine größere Wirkung auf die kleine Theegesellschaft hervorbringen können, als die unerwartete Erscheinung des jungen Grafen. Erasmus wendete langsam sein todtenbleiches stolzes Gesicht nach dem frechen Sohne, ihn mit flammendem Blick betrachtend. Herta stand auf und verbeugte sich leicht vor dem Vetter, der mit zarter Anfmerksamkeit an die Gräfin herantrat und ihr ehrfurchtsvoll die Hand küßte. Nur von der Seite streifte sein Blick den alten Vater, dessen Aussehn und finstre Miene ihm sagte, daß er kein willkommener Gast sei. Dies hinderte ihn jedoch nicht, sein Auge mit brennender Lüsternheit auf der untadelichen Gestalt seiner schönen Cousine ruhen zu lassen.
Magnus trug seinen alltäglichen modischen
Da Niemand Anstalt traf, den Sohn des Hauses freundlich zu begrüßen, und selbst die Mutter nur einen »guten Abend, lieber Sohn!« zu flüstern wagte, schwellte der Zorn seine Adern. Er trat hart an den Lehnstuhl des Vaters und fragte höflich-kalt:
»Sollte ich vielleicht einen wichtigen Familienrath stören, mein Vater, so bin ich erbötig, mich zurückzuziehen und zu gelegnerer Stunde um eine Unterredung mit Ihnen zu bitten.«
»Kommst Du als reuiger Sohn, so werde ich Dich gern anhören,« versetzte der Greis, »willst Du aber Deine neueren Thaten mit gleißnerischen Worten beschönigen, dann wirst Du wohl thun, Dich so lange von meinem Zimmer fern zu halten, bis ich als Leiche darin liege.«
»Man hat mich verleumdet, wie ich sehe!« fuhr Magnus auf. »Es wird mir doch
gestattet
»Das habe auch ich behauptet,« sagte die Gräfin, dem Sohne beitretend. »Du hast dem Mädchen ein zu leichtgläubiges Ohr geliehen.«
»Also meiner liebenswürdigen Cousine bin ich für diesen unfreundlichen Empfang zu Dank verpflichtet,« entgegnete Magnus mit teuflischer Grazie, und das verschüchterte Mädchen mit einem furchtbaren Blicke überflammend. »Nimm einstweilen die Versicherung meiner innigsten Erkenntlichkeit für diese Aufmerksamkeit.«
»Magnus,« nahm jetzt der alte Graf das Wort, »ich will mich noch einmal bemühen, ruhig und liebreich wie ein Vater mit Dir zu reden, aber ich bedinge mir aus, daß Du Herta mit all der Achtung behandelst, die ein tugendhaftes Mädchen von Dir fordern darf.«
»Ich werde mich anstrengen, Ihren Befehlen nachzukommen.«
»Ich wollte, Du hättest es stets gethan, dann hätten wir beide nicht so viele traurige Stunden zu beklagen. Doch laß uns dieses Gespräch endigen und sage, was Dich zu so ungewohnter Stunde zu uns führt?«
Er stützte sich jetzt mit dem linken Arm auf die Lehne eines Sessels und nahm eine nachlässige, aber leichte und gefällige Stellung an. Dann fuhr er fort:
»Mein Vater, die Folgen der revolutionären Bewegungen in Frankreich fangen an auch in Deutschland einen Wiederhall zu finden. Unsere Bauern, unsere Leibeigenen werden widerspänstig und wagen es, einen eigenen Willen haben zu wollen.«
»Dies ist ein Pröbchen, welchen Nutzen die Verbreitung neuer Ideen stiftet,« bemerkte die Gräfin mit einem Seitenblick auf Herta.
»Sprichst Du aus eigener Erfahrung?« fragte der Graf.
»Seit einigen Tagen murren meine Knechte,« versetzte Magnus. »Sie weigern sich,
dem Voigte, einem rechtlichen, strengen Manne, zu gehorchen und zeigen sogar
mir unzufriedene Mienen. Ich
»Ich erwarte Deine näheren Angaben,« sagte Erasmus vornehm gelassen.
»Vielleicht wissen Sie nicht, mein Vater, daß der Heerd der Unzufriedenheit
unmittelbar am Fuße Ihres Stammschlosses zu suchen ist? Ihre Milde, Ihre Güte,
Ihre Herablassung hat diese Rotte armseligen Volkes kühn gemacht. Meine schöne
Cousine – Sie vergeben mir, mein Vater, daß ich mit aller Achtung vor Schönheit
und Herzensgüte den Ankläger machen muß – meine schöne Cousine sät täglich wild
fortwucherndes Unkraut durch ihre Besuche in den schmutzigen Hütten der
Leibeigenen. Sie behandelt diese Auswürflinge wie gesittete Menschen; sie
spricht mit ihnen, als wären sie ihres Gleichen, und fabelt ihnen von bessern
Tagen, von einer gerechten Freiheit und Gleichheit der Gesetze vor. Kurz meine
liebenswürdige Muhme predigt mit dem besten Erfolge die schmachvollen Lehren
Magnus sah den Grafen und seine gespannt aufhorchende Mutter lange an. Erasmus winkte.
»Sie war so beispiellos frech, Hand an mich zu legen, mich beinahe lebensgefährlich zu verwunden!« sagte Magnus. »Ueberzeugen Sie sich selbst, mein Vater, und Sie, meine gütige Mutter, halten Sie Ihr Entsetzen über eine That zurück, für die ich vorschlagen möchte, eine eigne Strafe zu erfinden!«
»Nur eine geringe Kraftvermehrung würde mich todt niedergeworfen haben,« sagte Magnus mit erheuchelter innerer Erregung. »So lag ich nur eine Zeit lang in starrer Betäubung, und diese benutzte das freche Geschöpf, um zu entfliehen. Ich habe sichere Kunde, daß dieses strafwürdige Mädchen sich unter Ihre Obhut, mein Vater, begeben hat, und weil ich nicht Ihre Rechte schmälern will, bitte ich ganz gehorsamst entweder um ihre Auslieferung an mich, damit ich über die Art ihrer Bestrafung mit mir zu Rathe gehen kann, oder ersuche Sie, daß Sie selbst das Richteramt in dieser Sache übernehmen.«
»Wie heißt das Mädchen?« fragte Erasmus.
»Röschen Sloboda.«
»Hast Du bei Deiner Erzählung auch nichts zu erwähnen vergessen? Es wäre mir sehr unlieb, wenn ich in dieser Angelegenheit zu Deinem Nachtheil entscheiden müßte.«
»Sie haben die volle Wahrheit gehört.«
»Wahrheit, die uns mit ewigem Abscheu gegen diese Elenden erfüllen muß!« rief die Gräfin. »Armer Sohn, guter gemißhandelter Magnus! Sei versichert, daß Dein Vater diese uns Allen zugefügte Schmach streng, beispiellos streng ahnden wird!«
»Uebereilen wir uns nicht, meine Freundin,« erwiederte Erasmus. »Hat sich das Mädchen wirklich so hart an unserm Sohne vergangen, wie Magnus behauptet, so wird es der Strafe nicht entgehen. Vorher aber wollen wir ganz unparteiisch die Sache untersuchen.«
»Sie setzen Mistrauen in die Worte Ihres Sohnes?«
»Ich vertraue Dir so viel, wie Du verdienst,« arrtwortete Erasmus streng.
»Darin erfülle ich nur Demen Willen. Hättest Du mich nie getäuscht,
»Mein Vater!«
»Schweig, es ist so! – Und was hast Du zu Deiner Entschuldigung anzuführen, wenn ich Dir sage, daß die arme Wendin Dich bereits bei mir verklagt hat?«
Magnus verließ seine bisher beibehaltene etwas kokette Stellung und trat einen Schritt vom Stuhle zu rück. Dann sagte er:
»Ich kann es mir denken, daß diese intrigante Person ihre Frechheit so weit getrieben hat, oder sollte ich vielleicht auch diese neue Wendung der Dinge der zuvorkommenden Vermittelung meiner schönen Cousine –«
»Herta bittet blos für Arme und Unterdrückte,« fiel Erasmus ein, »aber
entstellt nie einfache Thatsachen. Mich dünkt, mein Sohn, es ist nicht Alles
rein in Deinen Worten! Röschen ward gewaltsam entführt und hat Gewalt mit
Gewalt erwiedert. Es ist daran gar nichts Unbegreifliches, nichts
Uebernatürliches. Aber wenn
»Geschwätz, rachsüchtige Verleumdungen derer, die ich wegen Waldfrevel bestrafen ließ.«
»Ich sprach die Sterbende,« sagte Erasmus mit einem Tone, der furchtbar klang und selbst Magnus erblassen machte. »Sie hat mir, mir ganz allein gebeichtet und auf ihren Wunsch habe ich ihre Beichte tief in mein bekümmertes Herz verschlossen. Doch glaube mir, Magnus, daß ich seitdem an jedem Abend mein Haupt mit schwerem Kummer zur Ruhe lege, daß ich die Zukunft, daß ich Deine Zukunft fürchte!«
Gräfin Utta blickte zum ersten Male mit Entsetzen auf ihren Liebling, in der
Hoffnung, daß der Ausdruck seiner Züge ihr zu muthiger Entgegnung Anlaß geben
werde. Aber sie bebte in sich selbst zurück vor Magnus. Dieser stand
»Es scheint, als verkenntest Du ganz die Pflichten des Herrn gegen seine
Untergebenen,« sagte er. »Dir und leider tausend Andern, welche
Schon geraume Zeit hatte Herta mit froh glänzendem Auge dem Grafen zugehört.
Als dieser jetzt schwieg, warf sie sich mit Leidenschaft an Erasmus Brust,
küßte ihn auf den Mund und sagte: »Ich wußte es ja, daß mein guter, klarer
Oheim mich nicht mißverstehen könne!
»Der Entwurf Ihres idealen Lebens, mein Vater, hat viel Bestechendes,« erwiederte Magnus. »Offen gestanden aber ist es mir noch unklar, wie Sie die gepriesene Bildung in der rohen Masse des Volkes hervorrufen wollen? Sie verlangen doch schwerlich, daß wir selbst das Amt der Schulmeister verwalten oder als Vögte und Verwalter uns unter Knechte und Mägde mischen sollen? Ich wenigstens muß dieses Amalgamirungssystem ein für allemal verschmähen. Es ist mir persönlich nichts entsetzlicher, als eine schwielige Hand, die sich nur mit wenigen Tropfen Wasser begnügt.«
»Mir aus der Seele gesprochen!« sagte die Gräfin und begann wieder ihr Fächerspiel.
»Ich hätte meinen Sohn für fassungskräftiger gehalten,« entgegnete Erasmus.
»Wie ich jedoch zu meinem Leidwesen sehe, gehört oder
»Verzeihen Sie, mein Vater! Haben Sie vielleicht die Absicht, den Notablen Frankreichs nachzuahmen und sich freiwillig zu Gunsten der brüllenden Menge, die sich Volk nennt, Ihrer Ehren, Würden, Titel und Besitzthümer zu entschlagen?«
»Damit wir Deutschen nicht ebenfalls eines schönen Morgens dazu genöthigt sind, fordere ich Gerechtigkeit, Milde und Erziehung für das Volk.«
»Ich möchte Ihnen gern gefällig sein und bitte deßhalb, mir die Wege zu zeigen, die wir einschlagen müssen, um das Volk, wie Sie sagen, zu uns emporzuheben.«
»Wem sie das eigene Herz, die ruhige Besonnenheit nicht nennt, dem wird kein
Fingerzeig eines Andern etwas frommen. Es ist so leicht, wie den Gesetzen der
Natur folgen! Erhebe Dich zu der freien und allein richtigen Ansicht, jeden
Menschen als Deines Gleichen zu betrachten,
»Sehr wohl, mein Vater! Sind Sie gesonnen, diese Grundsätze unter Ihren Leibeigenen mittelst Ausruf bekannt machen zu lassen?«
»Lieber Magnus!« bat die Gräfin. »Du vergißt Dich!«
»Nicht doch, meine Freundin, er bleibt sich nur selbst gleich. Da ich aber
nicht gesonnen bin, einen Streit über Ideen und Zeitansichten fruchtlos länger
auszudehnen, erkläre ich diese Unterredung für beendigt. Unser Sohn mag
überlegen, was zu seinem Frieden dient, und sich am Tage nach Ostern früh um
zehn Uhr in der Schloßhalle einfinden. Dort wird er sich seiner Anklägerin
gegenüber rechtfertigen oder für schuldig erklärt werden. Keine Einwendung,
meine Freundin! Die Frucht ist reif zur Aerndte, und ich will endlich einmal
dieser tyrannischen Willkürherrschaft
In diesen Worten des alten Grafen lag eine so bestimmt ausgesprochene Entlassung, daß Magnus Anstand nahm, seinem Vater nochmals starren Trotz entgegen zu setzen. Dennoch durfte er um keinen Preis die rücksichtslose Confrontation mit der Wendin geschehen lassen, wenn er nicht vor Unterthanen und Dienerschaft gebrandmarkt dastehen und allen Einfluß auf sie verlieren wollte. In dieser peinlichen Verlegenheit richteten sich seine Gedanken auf Herta. Sie allein konnte, wenn sie zu überreden war, den Vater zu anderer Maßnahme bestimmen. Sie wußte um seine Gewaltthat, wie er aus der Einleitung des Gesprächs wohl erkannt hatte, und darum galt es, sie entweder auf seine Seite herüberzuziehen oder durch irgend welche Scheingründe zu einer andern Ansicht zu vermögen. Noch war er sich unklar über den Operationsplan, den er einschlagen wollte, aber er hoffte auf sein gutes Glück, auf prägnante Einfälle und auf sein Ueberredungstalent, wenn ein schönes Mädchen seinem Geiste Schwung, seiner Rede Kraft und Feuer verlieh. Er stand auf und griff nach seinem Hut.
Magnus führte Utta's Hand mit der ihm eigenen gewinnenden Liebenswürdigkeit an den Mund, verbeugte sich achtungsvoll vor seinem Vater und grüßte mit wohlwollender Vertraulichkeit Herta. Dann verließ er das Zimmer.
»Leuchte mir nach meinen Gemächern!« befahl er barsch dem Bedienten und folgte dem Vorausschreitenden durch mehrere schmale Corridore. Während dieses Ganges riß er ein goldberändertes Blatt aus seiner Schreibtafel, schrieb einige Worte darauf und faltete es in einen Knoten zusammen. Auf seinem Zimmer angekommen, fragte er den Bedienten: »Wann zieht sich Fräulein Herta auf ihr Zimmer zurück?«
»Siehst Du sie noch?«
»Ich kann es so einrichten.«
»Willst Du mir einen Dienst leisten, von dem das Wohl unseres Hauses abhängt?«
»Gnädigster Herr, Sie wissen, daß ich für das gräfliche Haus in den Tod gehe!«
»Dann gib dies Billet an Fräulein Herta. Ich werde in der Nähe sein und sobald das Fräulein es erbricht, zeige es mir durch das Oeffnen der Thüre an. Ich werde dann in demselben Augenblick, wo Du das Zimmer des gnädigen Fräuleins verläßt, dasselbe betreten. Hast Du mich verstanden?«
»Sehr wohl, Herr Graf.«
»Dann gib Acht, daß uns Niemand störe!«
Der Bediente verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor dem Erben des Hauses und ging nachdenkend, das unscheinbare Blättchen zwischen den Fingern drehend, zu seinen Genossen zurück.
Etwa fünf Minuten vor neun Uhr verließ Magnus sein Zinrmer ohne Licht und
schlüpfte durch die engen matt erleuchteten Gänge des alten Schlosses nach dem
Flügel, welchen seine Aeltern bewohnten. In dem großen Vorzimmer, auf das eine
ganze Reihe von Thüren mündete, befand sich ein hoher schwerfälliger
Kaminschirm, der zugleich als Garderobe benutzt ward. Hinter diesen zog sich
Magnus zurück, nachdem er mit schnellem Griff die gemeinsame Klingel mit einem
seidenen Tuche umwunden hatte. Aus diesem Versteck konnte er bequem die ganze
Länge und Breite des Gemaches, so wie sämmtliche Zimmerthüren übersehen. Als
die Schloßuhr langsam die neunte Abendstunde verkündigt hatte, öffnete sich die
Thür zum Wohnzimmer seines Vaters,
»Von wem?« hörte sie Magnus mit sanfter Stimme fragen.
»Ich sollte es abgeben,« erwiederte der kluge Bediente.
Herta dachte nicht im Entferntesten daran, daß Magnus mit ihr in Correspondenz
treten könne und wolle. Sie hatte noch nie eine Zeile von dem verführerisch
wilden Manne erhalten, selbst damals nicht, als er noch auf Boberstein wohnte.
Später war er absichtlich kühl und verletzend gegen sie geworden, da er seine
Werbungen um ihre Gunst mit einer Kühnheit betrieben hatte, die sie nöthigte,
ihm die härtesten Vorwürfe zu machen und sich streng von ihm abzuschließen.
Obwohl aber das junge Mädchen den sittenlosen, flatterhaften
Das Billet ihres Vetters in der Hand ging Herta nach der Epheulaube am Fenster, um das Körbchen auf den Arbeitstisch zu stellen. Erst als sie dies gethan und durch freundliches Nicken ihr Eichhörnchen begrüßt hatte, dessen kluge muntere Augen am gläsernen Schieber glänzten, knotete sie das Papierstreifchen auf. Der Bediente verbeugte sich und vertauschte unter der Thür seine Stelle mit dem jungen Grafen.
Magnus verhielt sich ruhig, bis Herta seine Zeilen überflogen hatte und entrüstet ausrief: »Johann, wie kannst Du Dich unterstehen –« Zugleich wendete sie sich rasch um und erblickte ihren Vetter im Halbdunkel des grauen langen Zimmers. Das Wort erstarb ihr auf der Zunge, aber sie erröthete so heftig vor Zorn, daß flammende Purpurgluth Gesicht, Stirn und Nacken übergoß.
»Verzeihung, schöne Cousine!« sagte Magnus, mit leichtem Tritt und ohne die
geringste Schüchternheit näher kommend. »Ich erscheine heut mit weißer
Friedensfahne und trage Dir unter annehmbaren Bedingungen Waffenstillstand an.
»Es ist entwürdigend, mich so zu überfallen!« stotterte mit vor Zorn grollender Stimme das empörte Mädchen.
»Im Gegentheil, es zeigt von einer Anhänglichkeit an Dich, die keine Gefahr scheut, ja die es sogar wagt, den Zorn der Schönsten unter den Schönen auf sich zu laden! Aber wie Du auch jetzt von mir denkst, Du wirst milder über mich urtheilen, wenn Du meine Beweggründe gehört hast.«
»Ich will nichts hören, ich befehle Dir, Dich auf der Stelle zu entfernen!« versetzte zitternd Herta und stampfte dabei trotzig mit dem kleinen Fuße auf den Boden.
»Wenn Du so reizend zürnst, werde ich mich für immer bei Dir einquartieren,
schöne Cousine. Ein geistreiches Mädchen ist nie entzückender, als im
göttlichen Wahnsinne des Zornes. Sieh, ich mache es mir bequem, um Dich ruhig
bewundern zu können. Tobe Dich jetzt aus, Herzensblume, wirf mir alle
Sonnenfunken Deines Ingrimms in's Gesicht, ich will sie mit gierigen Händen
Und Magnus streckte sich gemächlich auf das alterthümliche Sopha und verschlang seine Arme über der Brust.
Herta antwortete nicht. Dem kecken Eindringling gegenüber lehnte sie an ihrem Schreibtische und maß ihn mit stolzen, kalten Blicken.
»Du wirst ruhig, das gefällt mir,« nahm Magnus nach einer Pause wieder das Wort. »Ein ruhiger Zuhörer läßt dem Sprecher stets am leichtesten Gerechtigkeit widerfahren. – Ich sagte vorhin, daß ich als Friedensbote zu Dir käme, jetzt gehe ich noch weiter und schlage Dir vor: laß uns Bundesgenossen sein!«
Da Herta auch darauf keine Antwort gab, fuhr Magnus fort: »Mein gestrenger Herr
Vater, der, ich weiß nicht wie und weshalb? auf einmal zur Partei der
Revolutionäre überzutreten Miene macht, hat mir als Nachfeier des Festes eine
Scene angekündigt, die unterhaltend und originell zu werden verspricht. Der
letzte Sprosse eines edlen Grafengeschlechts einer Rotte schmutziger
Leibeigener gegenüber als Angeklagter vor dem
»Warum nicht?« unterbrach Herta den jungen Grafen. »Soll der hochgeborne Graf und Fürst, wenn er ein Schuft gewesen ist, nicht dieselbe Gleichheit vor dem Gesetze haben, in die er sich vorher durch seine Handlungsweise mit dem Pöbel gebracht hat?«
»Diese Sprache der Neuzeit, meine schöne Cousine, verstehe ich nicht. Ich sage, es befleckt unser Haus für immerwährende Zeiten, wenn die angekündigte Gerichtssitzung in der Schloßhalle stattfindet. Darum muß sie hintertrieben werden.«
»Von wem?«
»Auf mich rechne nicht! Ich kann und will nichts thun, als die gekränkte Unschuld beschützen.«
»Das ist so löblich von Dir, daß ich Dich gleich dafür küssen möchte, müßte ich
nicht befürchten, Du würdest Deine weißen runden Perlenzähnchen in meine Lippen
schlagen, und das wäre in sofern ein Unglück, als dies nach dem Feste gegen
mich zeugen würde. Darum laß uns vernünftig mit einander sprechen und uns
verständigen. – Ich habe es längst gemerkt, daß sich die kleine erboste Wendin
direct an Dich gewendet und Dir ein Histörchen erzählt hat, welches, die
Ausschmückungen weggelassen, der Wahrheit nahe kommen mag. Du siehst,
angebetete Herta, daß ich ganz ehrlich bin und mich Dir gegenüber gar nicht
besser machen will, als ich in der That bin. Ja ich gestehe Dir sogar
freiwillig, daß ich bei der niedlichen Wendin ein klein wenig zu weit gegangen
sein mag! Ich habe sie entführt, weil sie ein so böses Gesicht machte und mir
grade deswegen gefiel. Und das Satansmädchen hat mich dafür schön gezeichnet!
Nun höre mich ganz ruhig an und urtheile, ob ich Urecht
»Magnus,« unterbrach Herta den Sprechenden mit einem Ausdruck in Stimme und Miene, der ihre moralische Entrüstung hinlänglich verriethen, »bisher habe ich Dich bedauert, wohl auch zuweilen gehaßt, von jetzt an aber muß ich Dich gründlich verachten! Du bist ein gemeiner, verrotteter Bösewicht!«
»Das scheint Dir blos so, schöne Cousine, höre noch meine Gründe und Du wirst
Dein Urtheil ändern und mich freisprechen. – Es leuchtet Dir ein, daß so nahe
Verwandte, wie wir es sind, einander mit solchen Anklagen nicht entgegentreten
dürfen. Dadurch würde unrettbar ein Skandal entstehen, den wirklich alles
Wasser der Welt nicht mehr von unserm Namen abwaschen könnte! Nun überlege
aber, was auf dem Spiele steht!
»Einem gewissenlosen Menschen gewiß nicht.«
»Ich danke für das Prädicat. – Um jedoch weiter zu kommen, fahre ich fort. Nach
dem Vorausgeschickten verlange ich von Dir, daß Du morgen früh bei Zeiten
meinem Vater erfolgreiche Vorstellungen machst und ihm aufzählst, was Alles bei
dem beabsichtigten Ver fahren unserm Hause droht! Ferner wirst Du mir
versprechen, Dich bei der Gerichtsscene gar nicht zu zeigen, um nicht durch
Deine allbekannte Herzensgüte meine Pläne zu kreuzen, und endlich verbitte ich
mir jede
»Ich hätte schon dabei sein mögen, wie die an ihrer Ehre gekränkte Wendin Dich so empfindlich züchtigte!«
»Was hat meine schöne Cousine auf die gemachten Vorschläge zu antworten?«
»Sie fragt zurück: was gedenkt der Herr Graf zu thun, wenn die Cousine gar nicht auf ihn achtet?«
Bis dahin hatte Magnus, nachlässig im Sopha lehnend, das Gespräch mit Herta geführt, jetzt schnellte er empor, als bewegten ihn unsichtbare Kräfte, und stellte sich vor das junge Mädchen. »In diesem nicht denkbaren Falle, meine Schöne,« versetzte er flüsternd, »wird der entehrte Graf Magnus von Boberstein in der gemüthlichsten Weise Genugthuung von seiner liebenswürdigen Gegnerin fordern.«
»Und diese Gegnerin wird nicht anstehen, diese dem Grafen zu geben, wenn sie es für nothwendig hält.«
Herta wendete sich ab von dem Grafen und setzte sich unter das grüne Laubdach am Fenster. »Da ich nunmehr weiß,« sprach sie, »was Dich zu diesem unschicklichen Besuche veranlaßt hat, und auch Du von mir erfahren hast, was und wie ich von Dir denke, so wünscht' ich, daß eine Unterhaltung beendigt werden möge, die beiden Theilen gleich unangenehm ist.«
»Glaubst Du, ich werde mit solcher Antwort unverrichteter Dinge fortgehen? Dann wäre ich werth, daß man mich als wahnsinnig einsperrte.«
»Du willst mich also noch länger beunruhigen? Nun dann werde ich Hilfe bei denen suchen müssen, die mir sie angelobt haben.«
Sie stand auf, um zu schellen.
Magnus vertrat ihr den Weg.
»Daran hab' ich gedacht,« sagte er sarkastisch lächelnd, »und weil ich einem so schönen und zarten Geschöpf nicht gewaltsam entgegentreten wollte, schnitt ich vor meinem Besuch der Glocke die Zunge aus.«
»Abscheulicher!« murmelte Herta, wie vorhin
»Ich sorgte blos dafür, daß kein nutzloser Lärm noch Skandal entstehn möchte! – Also ganz in der Kürze, zürnender Engel, willst Du mir beistehen und eine Thorheit durch feines Schweigen zur rechten Stunde vergessen machen? Blos ja oder nein!«
»Nein!«
»Das ist wirklich eine bündige Antwort. Auch in der Schloßhalle wirst Du nicht fehlen?«
»Auch da nicht.«
»Und wenn mich die Wendin und ihre vermuthlichen Beistände anklagen?«
»Dann werde ich gegen Dich zeugen.«
Magnus senkte den Kopf ein wenig und schloß die Augen einige Sekunden, als wolle er um jeden Preis einen Ausweg ersinnen. Er fühlte, daß der Boden unter ihm zusammenbrach, daß sein Ansehen für immer dahin war, wenn sein Vater in momentaner Mißstimmung gegen ihn entschied und Röschen frei sprach. Nach einiger Zeit richtete er seine durchbohrenden Blicke wieder auf Herta.
»Nun,« sprach er, »ein Mann schickt sich in
»Einem wohlerzogenen Cavalier wird dies der Anstand sagen.«
»An Frieden ist also nicht zu denken?«
»Ich heuchele nie!«
»Und wenn ich statt der weißen die blutrothe Flagge aufziehe?«
»Auch dann werde ich weder meine Meinung noch mein Verfahren ändern.«
»Das wird freilich Blut kosten,« erklärte Magnus achselzuckend.
»Willst Du mich ermorden?« fragte Herta lächelnd.
»Nicht doch, nur an die versprochene Genugthuung erinnern!«
»Ja so!«
»Darf ich die schöne Cousine vielleicht gleich heut nach der Waffengattung fragen, die sie für diesen Fall bestimmt?«
»Wenn der Graf Magnus sich mit einem Mädchen durchaus schlagen will,« versetzte
Herta
»Also Pistolen. Sehr wohl. Und der Ort des Rencontre?«
»Jeder beliebige, welchen Graf Magnus für sicher hält.«
»Großmüthig entschieden, ich muß gestehen!«
Die letzte Hälfte dieses Gespräches hatte Magnus mit gesenktem Blicke geführt. Es schien, als grabe er während des Sprechens mit allem Scharfsinne nach Mitteln, die ihn retten könnten, oder als wühle er in den Schachten seines erfinderischen Geistes nach irgend einem abenteuerlichen Plane. Jetzt sah er seine Cousine wieder mit einem jener dämonischen Blicke an, in denen die ganze Gluth der Hölle, überschwebt von einem einzigen bleichen Funken himmlischen Lichtes strahlte, und schien ihr Bild tief in seine Seele einsaugen zu wollen.
»Nun so wünsche ich Ihnen eine gute Nacht und süße Träume,« sagte er, sich tief vor ihr neigend. »Auf Wiedersehen in der Schloßhalle!«
Magnus durchschritt langsam das Zimmer, ohne daß Herta seinen Abschiedsgruß
erwiederte
»Schöne Cousine, soll es denn wirklich geschehen?« sagte er mit beklommenem Herzen. »Muß es durch den Starrsinn eines Mädchens dahin kommen, daß die Buben auf den Straßen mit Fingern auf uns zeigen werden? Und dieses selbe Herz, dieser selbe Mund, der jetzt kein Wort der Gnade für mich hat, ließ mich ehedem glauben, sie hörten nicht ungern auf meine Gespräche! – O ich will nicht sprechen von Liebe – das wäre eine Entweihung – ich will nur Minuten, nur lichte gaukelnde Secunden aus der Vergangenheit zurückrufen, in denen wir nicht ahnten, daß wir uns dereinst so gegenüberstehen würden! Und uun, welche Kluft hat sich aufgerissen, welche entsetzliche Verwandlung ist vorgegangen!«
»Wer hat sich dessen anzuklagen?« fragte gleichgiltig Herta.
Magnus that hastig einige Schritte rückwärts. »O Gott sei Dank, doch ein Wort,
ein Laut, der mich lehrte, daß jene Bilder noch nicht gänzlich in der Seele
verwischt sind! – Herta, angebetetes Mädchen, Engel, wegen dessen Verlust
Und er warf sich vor ihr nieder.
»Man sieht, daß Graf Magnus die französischen Schauspieler in Berlin nicht ohne Nutzen gesehen hat.«
Dem Grafen stieg das Blut in den Kopf, seine Stimme zitterte, wie sein ganzer Körper.
»Herta,« keuchte er, »keinen Hohn, ich bitte um Deines ewigen Heiles willen! Es ist keine Lüge, es ist Wahrheit, quälende, mich aufreibende Wahrheit, ich liebe Dich, liebe Dich bis zur Raserei!«
»Wenn Sie jetzt wirklich, vielleicht zum ersten Male in Ihrem Leben die
Wahrheit reden sollten, Herr Graf,« erwiederte Herta mit vornehmer Ruhe, kalt,
aber nicht verletzend, »so muß ich Ihnen, wie ich dies immer gethan zu haben
mich entsinne, ebenfalls die volle lautere einfache Wahrheit sagen. Ich liebe
Sie nicht, aber ich interessirte mich für Sie, weil ich das Eigenthümliche in
Ihrem Charakter, Ihre großen Vorzüge und Anlagen unter einem wüsten
Magnus war inzwischen wieder aufgestanden. »Ein so hartes Urtheil aus so schönem Munde ist sehr niederschlagend,« sagte er tonlos. »Ich sehe, daß ich zu viel gewagt, zu viel verloren habe, um noch etwas zu gewinnen. So füge ich mich denn in mein Schicksal. – Aber nach dem Feste –«
»Werde ich Wort halten,« sagte Herta kühl und entschlossen.
»Dann bleibt es also bei dem Rencontre?«
Herta gab ihre Zustimmung durch Kopfnicken zu erkennen und Magnus schlich unbemerkt in sein Zimmer zurück.
Weder Magnus noch Herta schliefen in dieser Nacht. Jenen folterte gekränkte Eitelkeit und Durst nach Rache, diese entwarf menschenfreundliche Pläne zum Besten des armen leidenden Volkes und ließ ihre Gedanken in die Zukunft hinüberschweifen, wo ihren aufgeregten Sinnen und ihrer entzückten Phantasie das strahlende Bild einer Welt erschien, in der alle Menschen gleichermaßen in Glück und Freiheit schwelgten.
Die Drohungen ihres entarteten Vetters schreckten das muthige Mädchen nicht,
denn sie lebte des festen Glaubens, daß Lug und Trug an dem silbernen Schilde
der Wahrheit zerschellen müßten. Das angedrohte Rencontre vergaß
Am andern Morgen gab Herta dem fragenden Clemens zusagende Antwort und bestellte ihn mit seiner Geliebten am Tage nach dem Feste wieder aufs Schloß. – Da in der Zwischenzeit nichts Bedeutendes sich zutrug, übergehen wir dieselbe mit Stillschweigen. –
Zur festgesetzten Zeit wurden ihr am Tage nach Ostern die Wenden gemeldet und
Herta ließ ihre Schutzbefohlene sogleich vor. Sie ward überrascht von der
verschämten Lieblichkeit Haideröschens und konnte jetzt wohl begreifen, daß
diese frische, naive Mädchenknospe die Sinne
Die Wendin hatte ihren besten Staat aufgelegt, der in jener einfachen Kleidung bestand, die wir schon früher beschrieben haben. Eine dichte Reihe goldener krauser Löckchen drang unter dem sauber geglätteten leinenen Spitzenhäubchen hervor und umsäumte die klare Stirn des lieblichen Kindes mit einer reizenden Glorie. Schüchtern und von Dankgefühl durchdrungen, warf sich Haideröschen vor Herta auf die Knie und stammelte unter Freudenthränen:
»Dank, tausend Dank, gütige Herrin, für so viel Gnade!«
»Steh' auf, mein Kind!« sagte Herta, der Wendin liebreich beide Hände reichend. »Umarme mich und betrachte mich wie eine Schwester. Auch mir nagt mancher Kummer am Herzen und die Bekümmerten sollen einander ja suchen, trösten und aufrichten. – Arme Kleine, wie Du zitterst! Wie Dein Herz schlägt! Bist Du allein gekommen oder hat Dich Dein Bräutigam begleitet?«
Bei dem Worte »Bräutigam« erröthete Haideröschen bis an die Stirn. Sie schlug
die Augen
»Gewiß, so soll es geschehen! Ist Clemens im Schlosse?«
»Clemens, mein armer Vater und auch mein Pathe Ehrhold. Sie ließen sich nicht zurückhalten und warten draußen, um Ihnen für so viele unverdiente Gnade recht von Herzen zu danken.«
»Das ist mir lieb, arme Kleine, denn ich glaube, wir werden ihrer in Kurzem bedürfen. Dein Widersacher ist nämlich hier erschienen und hat Dich bei seinem Vater verklagt.«
»Graf Magnus?« rief Haideröschen erbleichend aus.
»Ja, gutes Mädchen, er selbst. Aber fürchte Dich nicht so, er kann Dir heut
kein Leid zufügen. Sein Vater, der gerechtigkeitliebende Graf Erasmus und Dein
eigentlicher Gebieter, hat mir zugesagt, Dich zu schützen. Du stehst also unter
seiner Obhut, und wenn Du mir offen und wahrheitsgetreu den Vorgang mit dem
bösen
»Muß ich denn meinen Todfeind sehen?« fragte Haideröschen.
»Nicht blos sehen wirst Du ihn, Du mußt ihn auch als Deinen Verführer bezeichnen und genau Alles, was er Dir vorgespiegelt hat, im Beisein des alten Grafen erzählen.«
»Ach Gott, das kann ich ja nicht!«
»Warum nicht, mein liebes Röschen?«
»Das würde ja dem Herrn Grafen zur Unehre gereichen.«
»Eben deßhalb mußt Du es Wort für Wort erzählen. Der Elende soll entlarvt werden vor denen, die er beleidigt hat. Die armen Unterthanen sollen erfahren, daß er ein harter Tyrann, ein schlechter Mensch ist und daß, wenn er sich nicht bessert, ihm Niemand Gehorsam zu leisten braucht.«
»Wenn er seinen stechenden Blick auf mich richtet, vermag ich nicht zu reden.«
»Es wird schon gehen, gutes Röschen, nur Muth! Graf Erasmus will Dir wohl, Du
bist von diesem Augenblicke an in meinen Diensten und darfst meinen Schutz in
Anspruch nehmen.
Niedergeschlagen neigte die Wendin ihr Köpfchen und weinte, daß die hellen Thränen über ihre Wangen herabliefen. Herta ließ inzwischen die Ankunft Röschens und ihrer Angehörigen dem Grafen anzeigen und um dessen fernere Befehle bitten. Bevor Antwort auf diese Anfrage erfolgt, wenden wir uns auf einige Minuten zu Magnus.
Der geneigte Leser erinnert sich aus dem vorigen Kapitel, daß die Zimmer des
jungen Grafen, der ein seltener Gast im alten Schlosse war, in beträchtlicher
Entfernung von den übrigen bewohnten Gemächern lagen und nur durch vielfach in
einander laufende und sich kreuzende Corridore mit diesen in Verbindung
standen. Eine Menge schmaler Treppen und finsterer Gänge, wie man sie in allen
alten Feudalschlössern findet, fehlten auch auf Boberstein nicht und machten es
dem, der sie genau kannte, leicht möglich, das ganze Schloß in seiner großen
Ausdehnung von einem Flügel zum andern zu durchwandern. Magnus, in Boberstein
erzogen, besaß diese Kenntniß, da er als Knabe die abgelegensten
Der junge Graf hatte den größten Theil der Nacht in heftiger Aufregung verlebt, nicht aus Furcht vor dem nächsten Tage, der ihm eine Demüthigung prophezeite, die seinen Stolz tödtlich zu verwunden drohte, sondern von Gedanken gepeinigt, von Plänen und Entwürfen gefoltert, die er bei sich erwog und wieder verwarf. Er hatte einen Entschluß gefaßt, der ihn vor wilder Freude zittern machte, von dem er sich unaussprechlichen Genuß versprach, nur über die Art und Weise der Ausführung desselben war er mit sich noch nicht vollkommen im Klaren. Es war dazu nöthig, daß er vorerst, wie er dies als Knabe fast täglich gethan hatte, alle Verbindungsgänge des alten Schlosses genau wieder untersuchte und sich mit Schloß und Riegel so vieler nie geöffneter Thüren abermals bekannt machte. Denn um seinen Zweck zu erreichen, mußte jedes Hinderniß bei Zeiten entfernt werden.
Magnus trat hinaus auf die Zinne des Schlosses, die rund um die weitläufige
Burg lief und von einer ziemlich hohen Brustwehr geschirmt war. Unter ihm lag
der See, schwarz und still, nur erleuchtet von den Sternbildern, die sich in
ihm spiegelten. Darüber in unabsehbarer Ausdehnung dunkelte die Haide. Ein
geisterhaftes Rauschen klang von ihr herüber und bewegte leis die dunklen
Kronen ihrer Millionen Bäume. Hie und da schoß eine Sternschnuppe nieder, bei
deren dunstigem Leuchten fern und nah grauweiße Rauchsäulen über dem endlosen
Baummeere sichtbar wurden, die sich erst hoch in der Luft ausbreiteten und dann
wie zartes Piniengeäst majestätisch in den Nachthimmel hinaufwuchsen. Von Zeit
zu Zeit dröhnte ein dumpfes Krachen aus der Haide und erstarb in matten
Echolauten.
Graf Magnus ließ sein brennendes Auge bald auf dem See, bald auf dem schwarzen Saum der Haide ruhen, indem er langsam nach einem der vier Eckthürme ging, die mit ihrem braunen Mauerwerk weithin die Haide überragten. Bei jedem dieser Thürme wand sich in das Gestein gesprengt eine schmale Treppe bis auf die Felsen der Insel hinab, wo sie mit den tiefen Verließen und Kellern des Schlosses in Verbindung stand. Von Außen konnte auch das schärfste Auge diese Felsenstiege nicht entdecken, was in früher vorgekommenen Befehdungsfällen für die Bewohner der alten Burg sich als höchst vortheilhaft erwiesen hatte. Jetzt hatte Niemand mehr Acht auf diese feudalistisch-praktische Befestigungsart. Die Stufen waren zum Theil zerbröckelt und der ganze beschwerliche Weg nur mit einiger Anstrengung noch gangbar.
Magnus beschlich das Gelüst, auch diese Treppe wieder einmal zu betreten. Als
er aber den Fuß auf die erste Stufe setzte, zitterte die Melodie eines Gesanges
von der Haide herüber.
Den jungen Grafen überfiel plötzlich ein Frösteln. Er schauerte in sich selbst
zusammen, und obwohl er von Natur durchaus nicht furchtsam war, kam es ihm auf
der öden Zinne seines Stammschlosses jetzt doch unheimlich vor. Es war ihm, als
habe der Schutzgeist der uralten Thürme und Giebel seine Stimme erschallen
lassen und als fühle er noch seine unsichtbare Nähe. Schneller, als zuvor, ging
Magnus zurück, schloß mit einiger Hast die Luckenthür und kam, in kalten
Schweiß gebadet, auf seinem Zimmer an. Hier ging er noch lange auf und nieder,
ehe er
Am nächsten Morgen erweckte ihn Hundegebell. Als er in den Schloßhof hinabsah, bemerkte er Haideröschen inmitten ihrer nächsten Anverwandten. Dieser Anblick jagte ihm das wilde Blut ins Gesicht und vergegenwärtigte ihm die vergangenen ärgerlichen Auftritte, die jetzt einen so peinlichen Ausgang verhießen.
Die Flucht der schönen Wendin von seinem Besitzthume war ihm in jeder Hinsicht
verdrießlich, am meisten aber deshalb, weil es nach dem, was zwischen ihm und
dem Mädchen vorgefallen war, ganz den Anschein haben mußte, als sei er ein
verworfener Bösewicht. Ob ihn das Volk im Allgemeinen dafür hielt, darum
kümmerte er sich nicht. Er machte überhaupt kein Geheimniß aus seinen Gelüsten.
Daß er aber gerade in einer Angelegenheit, wo er sich einer bessern Absicht,
wenigstens in jenem Augenblicke bewußt gewesen, als frevelhafter Verführer
erscheinen mußte, dies verdroß ihn über die Maßen und erzeugte jetzt einen Haß
gegen Haideröschen, wie er ihn gegen sonst Niemand empfand noch je empfunden
hatte. Je mehr er sich dessen bewußt ward, desto
Verächtlich ließ Magnus seine Blicke über die drei wendischen Männer gleiten,
die unter dem gothischen Portal der Burgthür stehen blieben und leise mit
einander sprachen, während Haideröschen allein das Innere des Schlosses betrat.
Er kleidete sich gemächlich an, schellte dem Diener und befahl das Frühstück,
das er mit gutem Appetit verzehrte. Er wunderte sich, daß sein pünktlicher,
strenger Vater so lange auf sich warten ließ und glaubte schon, er könne sich
wohl gar anders besonnen haben, als ein Bedienter ihm den Befehl des Grafen
Erasmus überbrachte, sich schleunigst in die untere Schloßhalle zu verfügen.
Magnus nickte vornehm mit dem
Inzwischen waren die drei Wenden, Jan Sloboda, Ehrhold und Clemens, auf Erasmus
Geheiß in die erwähnte Schloßhalle gerufen worden. Diese Halle lag im
Erdgeschoß rechts von der Eingangspforte. Sie war gothisch gewölbt und erhielt
durch drei schmale gothische Fenster mit runden erblindeten Scheiben ihr Licht.
Eine große Flügelthür von gewaltigen eichenen Pfosten schied sie von der Flur.
Doch war diese Thür in der Regel geöffnet, weil aus der Halle eine aus
Eichenholz geschnitzte Wendeltreppe in Form eines runden Thurmes in das erste
Gestock hinaufführte und dieser Aufgang zu den Zimmern des Burgherrn näher war
als auf der breiten Freitreppe von Sandsteinquadern im Flur. Die Schloßhalle
war mit bunten achteckigen Kacheln und Ziegeln gepflastert und an den Wänden
etwa drei Ellen hoch mit einer Verschaalung von Eichenholz eingefaßt, an der
sich breite Bänke hinzogen. In der Mitte stand ein großer langer Tisch,
ebenfalls von Eichenholz und wie für die Ewigkeit gezimmert, und der hohen
Eingangsthür gegenüber sah man an der Wand einen
An der einen Wand der Halle, den Fenstern gegenüber war eine Art Empore oder Gallerie angebracht, zu welcher eine Treppe führte. Auf dieser pflegten sich bei solchen Gelegenheiten, wo der Schloßherr den Richtern der ihm untergebenen Ortschaften feierlich seine Verordnungen und Befehle bekannt machte, die Mitglieder seines Hauses zu versammeln. Dasselbe fand bei Gerichtsverhandlungen statt und auch jetzt nahmen die alte Gräfin nebst Herta bereits ein paar Stühle mit geschnitzten hohen Holzlehnen ein, die zu diesem Behufe auf der Gallerie vorhanden waren.
Der Graf selbst hatte sich von seinen Dienern in die Halle hinab tragen lassen
und saß
Erasmus beauftragte so eben seinen Kammerdiener, nachzusehen, wo sein Sohn bleibe, als Magnus auf der Wendeltreppe erschien und dem Anscheine nach vollkommen harmlos in die Halle hinabstieg. Er trug sein gewöhnliches grünes Jagdkleid, der kleine dreieckige blaugraue Hut saß schief auf den Locken seines frisch gepuderten Haares. Erst als er in die Halle trat, nahm er ihn ab, grüßte mit verbindlichem Lächeln nach der Gallerie hinauf und verbeugte sich dann gegen den Grafen, indem er an die schmale Seite des Tisches trat und den Fenstern den Rücken zukehrte.
»Sie haben befohlen, mein Vater,« sagte Magnus, »und aus der Bereitwilligkeit, mit welcher ich Ihren Befehlen gehorche, mögen Sie ersehen, welches Vergnügen es mir gewährt, Ihnen gefällig zu sein.«
»Sage mir jetzt, mein Kind, ganz offen und ohne Scheu, wie Du heißt?«
Furchtsam stammelte Haideröschen ihren Namen, die schönen Augen fest auf die bunten Ziegeln heftend.
»Du bist ihr Vater, Jan Sloboda?« fragte Erasmus weiter.
»Ja, ja, gnädigster Herr Graf, das arme Ding ist mein liebes liebes Kind. Ihre Mutter – tröst' sie Gott – war just eben so munter und zierlich, als ich sie kennen lernte vor einem Vierteljahrhunderte.«
Der Graf winkte dem Wenden, daß er
»Kennst Du diesen jungen Mann?« fragte er, auf seinen Sohn zeigend.
»Ach gewiß kenne ich ihn!« seufzte Röschen. »Es ist ja Ew. Gnaden gnädiger Herr Sohn.«
»Ich höre, Röschen Sloboda, daß Du eine Klage gegen meinen Sohn angebracht hast, ich fordere Dich auf, diese in allen ihren Einzelnheiten jetzt hier zu wiederholen.«
Purpurgluth übergoß Gesicht und Nacken der Wendin, sie blickte einige Male scheu auf nach dem Grafen, schlug aber die Augen sogleich wieder zu Boden und schwieg. Magnus, der seinen scharfen Geierblick keine Sekunde von Röschen verwendete, lächelte ironisch.
»Rede, mein Kind, der gnädige Herr Graf will es,« flüsterte ihr Sloboda zu, allein dem geängstigten Mädchen war die Zunge wie gelähmt; sie brachte nur unverständliche, stotternde Worte heraus.
»Besinne Dich und nimm Dir Zeit,« redete sie Erasmus wieder äußerst freundlich
an. »Ich will Dir wohl, arme Kleine, und verspreche Dir, geschehenes Unrecht so
viel wie möglich wieder
»Ach nein, nein, Ew. Gnaden, wie wäre das möglich!« stieß Röschen heraus, während verdoppelte Gluth ihr zartes Kindergesicht überflammte.
»Ich sagte es ja,« fiel Magnus lächelnd ein.
»Hat Dich mein Sohn nicht aus der Mitte Deiner Freunde mit Gewalt entführt?«
»Das ist freilich wahr, aber nachher sagte mir der junge gnädige Herr, daß er es gethan habe, um mir schöne Kleider machen zu lassen.«
»Und hast Du ihm verziehen?«
»Warum nicht? Er war nachher recht gütig gegen mich.«
»Aber späterhin drohte er Dir, nicht wahr, und deshalb ergriffst Du einen Leuchter, um Dich gegen ihn zu vertheidigen?«
Hier stürzte Röschen auf die Knie, erhob flehend die gefalteten Hände zu dem Grafen und rief: »Sein Sie gnädig, Herr Graf, daß ich so arg gefehlt habe! Ich wußte ja nicht, daß ich den guten jungen Herrn treffen würde. Ich fürchtete mich so sehr!«
»Gewiß und wahrhaftig nicht!«
»Sie sehen, mein Vater,« fiel Magnus ein, »daß man Ihnen unartige Mährchen
erzählt hat. Es ist voll kommen wahr, was die kleine Wendin behauptet. Ich
entführte sie, wenn man einen Scherz Entführung nennen will, weil ich ihr eine
ihren Naturgaben angemessene Erziehung zu geben gedachte, und, ich gestehe es,
weil mich der offene Widerstand verdroß, den ihre Angehörigen meiner Forderung
entgegensetzten. Als Ihr Sohn und Erbe, mein Vater, glaubte ich das Recht zu
besitzen, eine Ihrer Leibeigenen gleichsam leihweise mir zur Dienerin auswählen
zu dürfen. Diesen Eingriff in Ihre Rechte, wenn mein Verfahren ein solcher ist,
hat sie hart an mir gerächt. Die Kopfwunde, welche ich trage, zeugt noch von
der dämonischen Wuth, die in ihr kochte, und von der aufsätzigen Gesinnung, die
seit einiger Zeit unter Ihren Knechten, mein Vater, sich geltend macht. Gern
wollte ich der kleinen
Erasmus ward durch das furchtsame Schweigen der Wendin in nicht geringe
Verlegenheit gesetzt, da es nicht nur nicht in seiner Macht stand, Haideröschen
freizusprechen, sobald sie sich selbst schuldig bekannte, sondern ihm auch alle
Aussicht sich als milden Gebieter seiner Unterthanen und als strengen Richter
gegen sein eigenes Haus zu zeigen, damit gänzlich abgeschnitten ward. Er hatte
grade auf das Gerechtigkeitsgefühl und die Naivetät des unverdorbenen Mädchens
am meisten gehofft, und darauf hin allein diesen öffentlichen Weg
eingeschlagen, und nun sah er seinen wohl überlegten Plan an der Schüchternheit
und Herzensgüte der Wendin scheitern. Rechnen wir noch dazu, daß ihm die
Richtigkeit der Bemerkungen seines Sohnes einleuchtete, und daß er, obwohl
grade, bieder und durchaus rechtlich gesinnt,
»Besinne Dich wohl, Röschen,« nahm er nach einiger Zeit wieder das Wort .. »Bist Du hart und unehrerbietig von diesem jungen Mann behandelt worden, so sage es mir. Es soll Dir Niemand ein Haar krümmen bei meinem gräflichen Wort!«
Allein auch auf diese nochmalige dringende und in väterlich bittendem Tone an die Wendin gerichtete Aufforderung schüttelte Haideröschen den Kopf, indem sie unter rinnenden Thränen sprach: »Seine Gnaden haben mich behandelt, wie eine Magd, nicht anders, aber ich fürchtete mich vor seiner flehenden Miene. und darum schlug ich ihn.«
Magnus triumphirte. Sein glänzendes Auge begegnete dem Blick seiner Mutter, die neben Herta auf der Gallerie saß und mit stolzer Verachtung auf die demüthigen Wenden hinabsah.
Ein vergnügtes Lächeln ging über ihr Gesicht und
»Es thut mir leid, mein Kind,« versetzte Graf Erasmus nach diesem Geständnisse des geängstigten Mädchens mit sichtbarem Verdruß, »daß ich Dir eine gelinde Strafe für das gewaltthätige Benehmen gegen meinen Sohn zuerkennen muß. Deine Jugend, Deine Unerfahrenheit und die offenbar ungewohnte Lage, in welcher Du Dich befunden, mildern mein Urtheil, das nach dem Buchstaben des Gesetzes weit härter lauten würde. Meine Frohnknechte werden Dich eine Stunde in den Stock legen, diese Strafe durch Anschlag an dem Burgthore und in Deinem Geburtsorte bekannt machen und Jedem freien Zutritt gestatten, der Dich in dieser demüthigen Lage sehen will.«
Bei diesem Urtheilsspruche stieß Herta einen lauten Schrei aus und fiel entkräftet Gräfin Utta auf die Schulter. Entrüstet über ihre empfindsame Nichte, rief die stolze Frau die Zofen herbei, um die Ohnmächtige deren Pflege zu übergeben.
»Wie,« sagte er, »eine Stunde im Stock soll die Strafe für diese freche Dirne sein, die mir den Hirnschädel mit dem gewichtigen Leuchter zerschmettern konnte? Ich protestire gegen diesen Spruch, mein Vater, im Namen aller Edlen, die sich in mir entehrt sehen. Den Pranger hat das ungehorsame Geschöpf verdient und eine Tracht Ruthenstreiche auf den entblößten Sclavenrücken unter Zusammenruf aller Leibeigenen auf dem Schloßhofe! Ich trage darauf an und erwarte, mein Vater, daß Sie meine Gründe berücksichtigen werden.«
Ruhig versetzte dagegen Erasmus: »Mein Urtheilsspruch bleibt in Kraft. Ich habe ihn gefällt nach reiflicher Ueberlegung und wünsche, daß Du die geheimen Beweggründe, die mich dazu veranlassen, Dir selbst sagst, damit ich mich nicht genöthigt sehe, sie Dir einzeln hier vor diesen Leuten ins Gedächtniß zu rufen. – Frohnknechte, vollzieht das Urtheil und legt die Wendin in den Stock!«
Bleich vor Zorn und mit zitternden Lippen trat Magnus zurück. Zugleich
ergriffen zwei
Sie mußte sich Schuhe und Strümpfe ausziehen, während die Knechte den schweren
Block abhoben. Dann nöthigte man das geduldige
Sobald die Straffällige in den Stock gelegt war, ließ sich Erasmus zurück in
sein Zimmer
Die Stunde dünkte Haideröschen allerdings eine Ewigkeit, indeß sie verging und mit einem unbeschreiblichen Wonnegefühl sah sie die Knechte wieder nahen und sie aus dem Blocke erlösen. Als sie sich aufrichtete, traf ihr scheues Auge wie ein Weheruf den jungen Grafen, der mit seinem kalten, festen Lächeln in den dämonisch schönen Zügen vor ihr stand und sich höflich verbeugte. Zu ihrem unsagbaren Erstaunen reichte ihr Blauhut die Hand und sagte:
»Jetzt Versöhnung, liebes Röschen! Ich trage keinen Groll mehr gegen Dich in mir. Du hast gebüßt, das genügt mir. Von heut an bin ich wieder Dein gnädiger, gütiger, Dir wohlwollender Herr!«
Haideröschen war sprachlos vor Erstaunen. Magnus mußte ihr seine Hand
aufdringen, was sie zwar geschehen ließ, doch ohne den sanften Druck zu
erwiedern, den sie fühlte. Selbst auf
Dagegen jauchzte sie innerlich auf vor Frende, und süße, fromme Klänge, wie heiliges Glockengeläut, das zur Kirche rief, ging durch ihre Seele, als sie jetzt eine Hand sich sanft auf ihre Schulter legen fühlte und beim Umwenden ihr noch von Thränen feuchtes Auge auf das gutmüthige Gesicht des Geliebten fiel, der, sie sanft rüttelnd, ausrief: »Arme Röse, nun hast Du's überstanden und bist wieder mein!«
Sie warf sich jubelnd an die breite Brust des jungen Wenden, und ohne daß er sie darum bat, drückte sie die heißen vor Schmerz und Wonne bebenden Lippen an seinen Mund. Dann fiel sie wieder in ein stilles Weinen. Clemens ließ sie gewähren und strich nur manchmal mit seiner flachen harten Hand über die duftigen Löckchen ihrer blüthenweißen Stirn.
Nachdem sich Haideröschen an der Brust des Geliebten ausgeweint hatte, bemerkte
sie erst, daß sie barfuß auf den kalten Ziegeln der Halle stand. Schnell bückte
sich das arme Kind, raffte die blauen Zwickelstrümpfe mit sammt den blanken
Beruhigt setzte sich nun Haideröschen auf die Holzbank, womit die Wände rundum bekleidet waren, und beeilte sich, die frierenden Füßchen mit Strümpfen und Schuhen wieder zu bekleiden. Noch damit beschäftigt, sagte sie zu ihrem Vater:
»Nicht wahr, ich darf wieder mit Euch heimgehen? Denn das liebe gnädige Fräulein wird mich jetzt, nun ich eine solche Strafe habe erleiden müssen, nicht mehr um sich sehen mögen.«
»Und Clemens sieht schon darauf daß mir der junge Herr nicht wieder nachstellt,« meinte Haideröschen lächelnd.
»Warum läßt unser Herrgott solche Menschen leben, und die besten, die frömmsten, die gütigsten sterben hin wie Mücken! Da kräht kein Hahn drüber.«
»Nach Regen folgt Sonnenschein, Jan! Laß uns hoffen und stark bleiben!« sagte Ehrhold.
Haideröschen hatte die Schuhe angezogen und strich die üppig vorquellenden goldenen Haare unter das reine Linnenhäubchen zurück.
»Nun da können wir aufbrechen, denk' ich,« sagte sie mit einem Anfluge von Munterkeit. »Ein Frühstück setzt uns die Herrschaft schwerlich vor.«
Jan schlang den Arm um den Nacken seiner Tochter und sah ihr still in die großen hellen Kinderaugen.
»Gott erhalte mir nur Dich!« sagte er gerührt.
Sloboda überschritt die Schwelle der Halle und wollte eben die wenigen Stufen hinabsteigen, die in die geräumige Flur der Burg führten. Da hörte er laut den Namen seiner Tochter von einem Bedienten hinter sich rufen, der eilenden Laufes die eichene Wendeltreppe herab stürmte. Die Wenden blieben stehen.
»Was befiehlt der gnädige Herr Graf?« fragte Clemens.
»Fräulein Herta will Röschen Sloboda sprechen.«
Die Augen des Mädchens glänzten vor Freude und Dank. »O sie ist gut!« rief sie aus, ihre Hände faltend. »Ihr dürfen wir und Alle, die unglücklich sind, vertrauen. Wartet auf mich, bis ich zurückkomme oder Euch Antwort sagen lasse.«
Der großen Schloßhalle gegenüber, in welcher Haideröschen die schmählige Strafe erlitten hatte, lag die Wohnung des Kastellans. Ein gewölbter finsterer Gang, der für Unbekannte auch bei hellstem Sonnenschein nur mit einer Leuchte zu finden war, führte in den zweiten Flügel des Schlosses, wo Magnus seine Zimmer hatte. Diesen Gang benutzte der Kastellan, wenn ihm sein Amt in diesem Theile des Schlosses etwas zu thun gab. Magnus kannte diese Verbindung sehr genau und stand von früherer Zeit her mit dem alten Haspel, wie der Kastellan hieß, auf leidlich gutem Fuße, obwohl neuerdings der grade Sinn des Alten sich gegen die Lasterhaftigkeit des reichen jungen Herrn auflehnte.
Horchend blieb der junge Mann einige Secunden lang an der Thür stehen, bis er
sich überzeugt halten konnte, daß ihn Niemand sehe, Niemand höre. Dann schlich
er quer über die Stube bis an den bunten Kachelofen, der zur Hälfte in die
Mauer eingeschoben war, damit er noch ein kleineres Gemach, wo die Diener
hausten, zugleich mit erwärme. In einem an den Ofen stoßenden und etwas gegen
die Thür vorspringenden Pfeiler war ein starker Haken angebracht. An diesem
hing ein gewaltiges Schlüsselbund mit vielen blanken und verschiedenen
verrosteten großen und kleinen Schlüsseln. Magnus griff danach und hob es
behutsam, damit es nicht klirre, von dem Hacken. Wieder zauderte und
Nun setzte sich der Graf auf den alten mit brüchigem Leder überzogenen Lehnstuhl am Ofen, legte sanft das Schlüsselbund auf seinen Schooß, drehte die Schraube auf, welche den eisernen Reif zusammenhielt, und bog diesen auf halbe Zollweite auseinander. Dann ließ er prüfend die Schlüssel durch seine Finger laufen und wählte drei der rostigsten aus, zwei größere und einen kleinen, die er dem Reif entnahm. Sobald dies mit größter Vorsicht geschehen war, schloß er den Reif wieder mit der Schraube, hing das Bund an den Haken, versteckte sorgfältig seinen Raub und verließ das Zimmer des Kastellans auf demselben Wege, den er gekommen war. Kaum hatte sich die Gangthür hinter ihm geschlossen, so trat Haspel ein. Nichts ließ errathen, daß vor wenig Secunden sein junger Gebieter sich in der Kunst des Stehlens mit so vielversprechendem Erfolge geübt hatte.
In seine Zimmer zurückgekehrt, verschloß Magnus die Thür, legte die drei
entwendeten Schlüssel vor sich hin und betrachtete sie lange
Magnus öffnete das Fenster und sah hinab auf den Schloßhof, über dem sich fröhlich zwitschernde Schwalben in dem blauen Luftzelt auf und niederschwangen, das in sonniger Durchsichtigkeit auf den grauen Zinnen der Burg ruhte. Die drei Wenden traten aus der Schloßhalle, ihre Hüte in den Händen, ehrfurchtsvoll den Worten lauschend, die Herta's zierlich gekleidete Dienerin zu ihnen sprach. Dies machte den Grafen stutzig und spannte seine Neugier. Das hübsche Mädchen sprach laut genug, um über den ganzen Schloßhof gehört zu werden.
»Es jst der Wille des gnädigen Fräuleins und unseres guten Herrn Grafen,« sagte Emma, »und da fügt Euch nur immer darein. Es wird einmal nicht anders!«
»Wer möchte dies auch wollen, gutes Kind,« versetzte Sloboda. »Ich sage ja
bloß, daß ich es nicht begreifen kann. Wundert Euch nicht darüber,
»Fräulein Herta thut nichts halb, mein Lieber,« entgegnete mit sichtbarem Stolz die Zofe. »Das müßtet Ihr doch eigentlich schon wissen, wenn Ihr Augen und Ohren hättet. Darum läßt sie Euch sagen, es sei Euch erlaubt, Eure Tochter zu jeder Stunde zu sehen. So oft Ihr wollt, könnt Ihr in's Schloß kommen, so lange, bis Alles wegen der Heirath Röschens, die der Herr Graf in Gnaden und gegen Erlegung der üblichen Loskaufskosten genehmigt, in Richtigkeit gebracht sein wird.«
»Tausend Dank! Tausend Dank!« stammelte
»Schon gut,« sagte sie, »ich thue so 'was gern umsonst.«
»Ach,« fiel Clemens ein, »sagt doch auch dem gnädigen Fräulein viele tausend Segensgrüße von mir, und ich würde für sie beten bei Wachens- und Schlafenszeit und so viel Sterne flimmerten nicht auf der Milchstraße des Himmels, als gute Gedanken für sie in meinem armen Herzen leuchteten und glänzend über sie aufgingen, wie Gestirne an einem hellen Winterabend, und ich ließe sie um alles in der Welt bitten, sie möchte mich nur noch ein außereinziges Mal ihr mildthätiges Segenshändchen küssen und mein trauriges Auge in ihrem frommen Himmelsblick sich sonnen lassen! Um Gottes willen vergeßt das nicht, mein schönes Kind!«
»Gewiß, ich will es nicht vergessen, weil Du ein so höflicher Bursche bist.«
»Auch von Pathe Ehrhold sagt ihr viele schöne Grüße, Jungfer, und Gottes Segen möge mit ihr sein allerwärts!«
»Ich dank' schön,« sagte Emma schnippisch und hüpfte leichtfüßig die breiten Stufen zur Pforte hinan. Die Wenden aber gingen, leise in ihrem Idiom mit einander sprechend, nach dem innern Burgthore, über dessen crenelirte Mauerzinne ein paar Zacken der colossalen steinernen Grafenkrone heraufragten, welche das stolze Wappen der Boberstein schmückte.
Magnus verfolgte die drei Wenden, bis sie auf dem gewundenen abwärts führenden
Wege seinem Auge entschwanden. Seine vorher heitern Gesichtszüge waren jetzt
hart und streng geworden und der böse tückische Ausdruck seines Blickes, der in
solchen Momenten Entsetzen erregend in ihm aufloderte, schleuderte falbe
zuckende Blitze aus den nach innen sich senkenden Augenhöhlen.
»Also doch,« sprach er für sich, »doch das schöne Trotzköpfchen aufgesetzt
trotz Ohnmacht, Stock und Schande! – Das ist so Mädchenart, wenn sie wissen,
daß sie einen Anbeter, den sie nicht lieben mögen, damit ärgern können. – Aber
Du verrechnest Dich, schönes Mühmchen! Magnus gehört nicht zu jenen
schmachtenden Liebhabern, die wochenlang zu den Füßen ihrer grausamen
Prinzessinnen liegen können, ohne die Geduld zu verlieren und etwas von Stolz
in sich lebendig werden zu fühlen. Der sittenlose, leichtsinnige Magnus hat
seit einigen Tagen mit allem Aerger abgeschlossen, sein treuer Gefährte und
tapferer Bundesgenosse ist jetzt die Rache! – Du hast ihn selbst dazu
aufgefordert und darfst Dich jetzt nicht beklagen, wenn er sein Mannesund
Magnus ging hastiger durch das Zimmer, dann blieb er stehen und sprach wieder:
»Mein Herr Vater hat mich heut zwar auffallend glimpflich behandelt und nur vereinzelte dünne Strahlen seiner Ungunst auf mich fallen lassen, ja im Ganzen kann ich sogar zufrieden sein mit dem Ausgange dieser fatalen Geschichte. Dennoch aber bin ich tief gekränkt an meiner Ehre und davon trägt Herta allein die Schuld. – Für diesen Trotz und Stolz soll sie büßen, soll sie mir Rechenschaft geben! – Genugthuung hat sie mir zugesagt – die Wahl des Ortes mir freigelassen. – Wie, wenn ich sie nun wirklich beim Worte nehme und sie als Dame mit aller ihr gebührenden Galanterie behandle? – Darf ich's wagen?«
Ein Blick voll Gluth und Flamme schoß aus dem Auge des beleidigten,
rachgierigen und in sinnlicher Lust wild entbrannten Mannes. Er ballte die
linke Hand gegen das Fenster, die heiße, üppig schwellende Lippe öffnete sich
und zeigte
»Ja,« keuchte er pfeifend aus röchelnder Brust, »es geht, wenn ich die Zeit klug berechne – es geht und Niemand kann etwas ahnen, Niemand kann mich hindern!«
Wohl über eine Minute stand der kräftige Mann in dieser furchtbaren Aufregung mitten im Zimmer; dann ließ die Spannung seiner Muskeln und Nerven langsam nach. Die Pulse schlugen wieder ruhiger, der Athem röchelte nicht mehr, die strotzende Fülle der pochenden Adern verlor sich. Er hatte einen festen, furchtbaren Entschluß gefaßt und jeden Einwurf seines Gewissens mit dämonischer Kraft beseitigt. Sanft, mit weicher, schalkhafter Miene setzte er sich an das Pult und begann einen Geschäftsbrief zu schreiben. –
Haideröschen war inzwischen von Herta mit schwesterlicher Zärtlichkeit
empfangen worden. Gerade
Das Bestreben des zartfühlenden Edelfräuleins ging zuvörderst dahin, die Wendin
zutraulich zu machen. Obwohl ihre Dienerin, sollte sie doch vollkommen wie eine
Gesellschafterin mit ihr leben. Darauf hatte sie nach Herta's Art, Welt und
Menschen zu beurtheilen, gerechte Ansprüche theils, weil sie ohne Schuld
Verfolgung und Strafe erduldet, theils, weil sie schön, aufgeweckten Geistes
und reinen Herzens war. Der edele, heilige Wunsch Herta's, für die Befreiung
armer Darniedergebeugter, vom Schicksal oder menschlicher Härte Gedrückter ihr
eigenes Glück zu wagen, konnte sie nicht anders handeln lassen. So
Ohne zu sprechen hielten sich beide Mädchen lange innig umschlungen und ließen
ihre Thränen wie zwei silberne Bächlein in einander fließen;
Ueber die Schönheit beider Mädchen ein Urtheil zu fällen, würde auch dem
gewiegtesten Kenner schwer gefallen sein. Herta überragte die Wendin um eine
halbe Handbreite und schien in ihrer feinen modernen Kleidung und dem einfach
schönen Haarputz, der blos aus einer üppigen Fülle glänzend brauner Locken
bestand, voller, schlanker und von jener unbeschreiblichen Atmosphäre geistigen
Adels umwogt, in der ein unnennbares Gemisch von Anziehungskraft und scheuer
Abstoßung für Alle liegt, die sich ihr nahen. Der edelste Blüthenstaub reinster
Bildung leuchtete auf ihrer Stirn, strahlte mild aus ihren großen, gütigen
Augen, in denen so oft eine goldene Thräne glänzte, oder durch dessen schönen
Himmel der trübe Schatten eines melancholischen
Herta sah auf den ersten Blick ein, daß sie gerade in diesem Kinde des Waldes
gefunden habe, was sie sich stillschweigend so oft gewünscht. Ihre gegenseitige
Verschiedenheit verbunden mit dem edeln Kern und unverfälschten Grundton ihres
Wesens mußte das glücklichste Einverständniß zwischen ihnen hervorbringen,
sobald die Schranken gefallen waren, die zwischen der Tochter des Leibeigenen
und der Cousine des allgewaltigen Grafen aufgerichtet standen. Herta hatte das
beste Mittel ergriffen, diese auf einen Ruck für immer niederzustürzen. Die
Wendin
Die ersten Stunden ihres Beisammenseins brachten die seelenverwandten Mädchen
mit Erzählung ihrer Jugendschicksale zu. Wir können mit gutem Gewissen sagen,
daß diese zu einfach waren, um die Theilnahme unserer heutigen Leser zu
erwecken, weshalb wir nicht weiter darauf Rücksicht nehmen wollen. Später wußte
Herta durch allerhand Fragen den Bildungsgrad ihrer Schützlingin zu erforschen,
und da sie diesen sehr niedrig stehend fand, beschloß sie, der Wendin eine
vorsichtige und liebevolle Lehrerin zu werden. Ganz zuletzt erst kam die Rede
auf die Beschäftigung, die fortan Haideröschens Tagewerk bilden sollte, und
hier ordnete Herta an, daß sie wesentlich weiter nichts zu thun haben solle,
als ihr Zimmer in steter Ordnung zu halten und sie zu bedienen. Dies konnte
füglich nicht Arbeit genannt werden; allein grade dies beabsichtigte Herta, um
bei dem geschäftigen Müssiggange ihrer schönen
Erst bei Tafel sah Herta ihre Pflegeältern wieder, die beide nicht in der besten Stimmung waren. Graf Erasmus hatte sich geärgert über das bösartige Benehmen seines Sohnes, so wie, daß er sich in Folge desselben genöthigt sah, eine Strafe über das lammruhige Haidekind zu verhängen, die mit seinen Empfindungen nicht sympathisirte. Dadurch hatten sich seine Gichtschmerzen vermehrt und folterten ihn mit hartnäckiger Ausdauer. Seine Gemahlin dagegen fühlte sich schwer beleidigt durch die Aufnahme der bestraften Leibeigenen in ihr Haus und würde ihren Aerger Herta haben entgelten lassen, wenn dies unbemerkt und ungeahndet hätte geschehen können. Da keine Hoffnung dazu vorhanden war, mußte sich die empörte Frau mit schweigender Abneigung und fleißigem Gebrauch ihres Fächers begnügen, wenn ihr von der aufmerksamen und stets zarten Cousine ein Speisegeräth gereicht wurde oder wenn der Graf mit seinem Liebling em karges Gespräch anknüpfte.
Magnus nahm an dieser kleinen Familientafel
Niemand von den sämmtlichen Schloßbewohnern wußte bei hereinbrechender Nacht,
ob der künftige Besitzer Bobersteins wirklich abgereist sei. Auch kümmerte sich
Niemand darum, da dem jungen herrischen Gebieter nicht ein einziger Diener
wahrhaft zu gethan war. Hätte es, wie in den Zeiten des Mittelalters, noch
einen Thurmwart gegeben, so würde dieser bei einiger Aufmerksamkeit Abends bei
grauweißem Mondlicht, das rollendes Gewölk sehr dämpfte, um die Mauerzinnen
eines der vier hohen Eckthürme der Burg einen Schatten haben schlüpfen sehen,
welcher der Gestalt des jungen Grafen
Häufig hat es den Anschein, als sei die Vorsehung mit dem Verbrecher, als ebene
sie ihm bereitwillig die Bahn, um das Verderben mitten in das Heiligthum edler
Familien zu tragen. Auch Magnus ward auf seiner nächtlichen Wanderung von jener
dämonischen Macht beschützt, deren geheimnißvolle Zwecke wir oft erst
Aus einem der früheren Kapitel werden sich unsere freundlichen Leser erinnern, daß Herta die Gewohnheit hatte, gegen neun Uhr die Gemächer ihrer Pflegeältern zu verlassen und in ihrem stillen Zimmer noch eine Stunde oder auch länger mit den edlen, für das Wohl der Menschheit arbeitenden Geistern ihres Volkes zu verkehren. Die letzten Abende mußte sie auf diesen Genuß verzichten, da Erasmus ihre ganze Bibliothek besaß. Um so erfreuter und von herzinnigem Dank bis zu Thränen gerührt war sie, als ihr heut der Greis, während sie den Thee servirte, ihren kleinen Schatz freiwillig wieder einhändigte. Er sah dabei so mild und dankbar aus, daß in dem klaren Ausdruck seiner Mienen und dem sprechenden Blick seines Auges das Geständniß lag, er billige die Lectüre seiner Nichte. Herta fühlte dies so schnell und sicher, wie ein Liebender die Erwiederung seiner Neigung, und die geliebten Bücher an ihr Herz drückend, sagte sie mit schönem Feuerauge:
»Es sind Gesänge neuer Propheten,« versetzte Erasmus mit mildem Ernst, »Propheten, wie sie wohl jedes Volk haben muß und gehabt hat, wenn es groß werden, groß bleiben oder groß sterben soll. Vielleicht bedarf jedes Jahrhundert solcher zürnender Geister, um die Völker immer auszurufen aus Traum und Schlummer, dem sie alle Neigung haben sich hinzugeben. Warum sollte das deutsche Volk eine Ausnahme machen? Versteht es die Sprache dieser Geister, so verdient es sie zu hören. Ich wenigstens werde gewiß der Letzte sein, welcher Stimmen begeisterter Gotteskinder für närrisches Gespött hält und zu unterdrücken sucht. Deshalb stille immerhin Deinen Durst an diesem Springquell heiliger Töne, so lange Du Genuß daran findest.«
Auf ihrem stillen Zimmer schlug sie unverweilt unter dem Epheudach Schiller's Don Karlos auf und schwelgte noch lange in den stolzen Worten dieses freiheittrunkenen, für das Wohl aller Menschen so hoch begeisterten Herzens. Erst als ihre Augen beim Flackern des Lichtes ermüdeten, legte sie das Buch weg, faltete ihre schmalen Hände darüber, wie über einem Andachtsbuche, und sprach mit zum Himmel erhobenen Augen ihr Nachtgebet. Ohne Worte flehete Herta in der Reinheit ihrer Gedanken um Verwirklichung der Ideen, die Marquis Posa vor Don Philipp ausspricht, um allgemeine Freiheit allen Volkes und um Aufhebung jeglichen Elendes, das auf ihm lastet, wie ihr wohl bekannt war. Dann schellte sie. Haideröschen schob schüchtern ihr feines Gesicht durch die halbgeöffnete Thür.
»Immer herein!« sagte Herta fröhlich. »Es
Beide Mädchen traten in Herta's Schlafgemach, das unmittelbar an ihr Wohnzimmer
stieß und von aller Verbindung mit andern Gemächern abgeschlossen lag. Es glich
einer Kapelle und mochte wohl in früherer Zeit auch dazu benutzt worden sein.
Wie die meisten kleineren Zimmer des alten Schlosses hatte es blos ein Fenster.
Dies war aber so hoch an der ellendicken Mauer angebracht, daß man einer Stiege
bedurfte, um es öffnen zu können. Das Meublement des Schlafgemaches bestand aus
einem geräumigen Bett, mit Vorhängen aus schneeweißem Wollenzeuch, einer
Commode nebst Waschtisch und
Während Haideröschen ihre junge Herrin entkleiden half und die Zartheit ihrer Haut eben so sehr wie die Feinheit ihrer Kleider bewunderte, plauderte Herta ununterbrochen und drückte manchen schwesterlichen Kuß auf die Stirn der schönen Wendin.
»Nun kommt das Schlimmste,« sagte sie schalkhaft zu ihrer neuen Zofe, als sie das weiche bequeme Nachtgewand angelegt hatte, »und wenn Du mir darin nicht genügst, jage ich Dich morgen wieder fort, Du mein Herzensröschen! Wickele mir die Locken, aber raufe mich nicht! Bei meiner Ungnade!«
Obwohl Haideröschen mit den Toilettengeheimnissen der vornehmen Damen nicht
vertraut war, ging sie doch mit leidlicher Zuversicht an das verlangte Geschäft
und beendigte es nach mannichfachen Scherzen und Unterbrechungen zu Herta's
vollkommenster Zufriedenheit. Sie konnte dabei nicht unterlassen, den
prächtigen schneeweißen Nacken ihrer jungen Gebieterin wiederholt zu
Endlich war die Nachttoilette beendigt und Herta's Kopf mit einer solchen Menge weißer Papiewickel besät, daß man glauben konnte, die junge Schöne habe sich die braunen Haare mit dem glänzend weißen Geflock jener Sumpfblumen geschmückt, die über Torfmooren in ganzen Wäldern wachsen und des Nachts im Mondschein wie flatternde Mantillen tanzender Elfen blitzen und leuchten. Eine nochmalige Umarmung begleitete die letzte gute Nacht der beiden Mädchen, worauf Haideröschen sich zurückzog und Herta in die weichen Hüllen ihres Lagers flüchtete, die Brust voll süßen Jubels, die Seele voll der edelsten und uneigennützigsten Gedanken.
Ungeachtet ihrer Aufregung fiel Herta doch bald in jenen halbbewußten Zustand,
der dem festen Schlaf meistentheils vorauszugehen pflegt. Die heitern Gedanken,
mit denen sie sich beschäftigt hatte, schufen ihr angenehme Phantasiebilder,
die ihrem geistigen Auge in leuchtender Schöne vorüberschwebten. In diesem
glücklichen Schwärmen
»Ich bedaure, daß meine schöne Cousine ihr Herz so schnell an dieses Geschöpf verschenkt hat.«
Es war Magnus, der in Lebensgröße vor
Die erste Bewegung Herta's war, nach der Klingel zu langen, die auf dem Nachttisch zu Häupten ihres Bettes stand. Allein Magnus sah dies voraus und fiel ihr in den Arm.
»Das ist nicht die Art, schöne Muhme, einen Ehrenhandel beizulegen.«
Herta kehrte die Sprache zurück. Sie schleuderte einen Blick tiefer Verachtung auf den Abscheulichen und sagte:
»Entfernen Sie sich sogleich, Elender, oder ich erhebe ein Geschrei, daß die Mauern dieses Schlosses beben!«
»Das wirst Du nicht thun, reizendes Mühmchen, weil Du ein Weib bist und Deine Stimme dadurch an Klang verlieren könnte. Bei Gott, ich sah Dich nie in einem verführerischeren Costüme!«
Im ersten Schreck hatte Herta uicht bemerkt, daß ihr Nachtkleid von den runden
Schultern gefallen war und sie wie eine blendende Marmorbüste in reizender
Formenschönheit dem Grafen
»Vergebe Ihnen Gott diesen Frevel, ich vermag es nicht!«
»Ich komme auch nicht deshalb, anbetungswürdiges Mädchen, ich erscheine, weil Du es befohlen hast.«
»Schamloser Lügner, ich befohlen!«
»Auf Edelmannswort, Muhme! Gestatte mir zu reden und Du wirst einsehen, daß ich vollkommen in meinem Rechte bin!«
Herta verhüllte ihr Gesicht und begann laut zu schluchzen. Magnus stützte sich nachlässig auf den Nachttisch und fuhr in leisem Flüstertone fort:
»Erinnere Dich Deiner vor einigen Tagen mir gegebenen Zusage, liebenswürdige
Cousine. Du versprachst mir für die Beleidigung, welche Du mir durch Deine
Fürsprache für das Bauernkind zugefügt, Genugthuung. Mir überließest Du Ort und
Zeit unseres Zusammenkommens, und um Dir zu zeigen, wie hoch Du in meiner
»Sie sollen sich irren, mein Herr!« versetzte Herta entschlossen. »Ihre Abscheulichkeit übersteigt alle Grenzen, darum sollen Sie entehrt und gebrandmarkt werden, wie Sie es verdienen.«
Herta richtete sich wieder auf und suchte abermals die Schelle.
»Was willst Du thun?« fragte Magnus mit schwer verhaltenem Athem.
»Das ganze Schloßgesinde nebst Deinen ergrauenden Aeltern will ich herbeirufen, damit sie sehen, welcher namenlosen Schändlichkeit Du fähig bist!«
»Wenn dies wirklich Deine Absicht ist, will ich Dich nicht weiter hindern und
stehe mit Vergnügen von meinem Anliegen zurück. Immerhin laß die Schelle
läuten, erhebe Deine Stimme! Mache Lärm, so viel Du wünschest! Nur gestatte,
daß ich hier Platz behalten darf, Du
Schaudernd leuchtete dem unglücklichen Mädchen die furchtbare Wahrheit dieser Worte ein. Schüchtern zog sie die Hand wieder zurück und verbarg sie frierend in die weißen Decken. Magnus lächelte.
»Was haben Sie mir zu sagen?« stammelte Herta.
»Daß ich Dich liebe, schöne Muhme, liebe bis zum Wahnsinn und daß ich Erwiederung meiner Leidenschaft wünsche, hoffe, befehle!«
»Sie haben längst meine Antwort gehört. Verlassen Sie mich und ich will vergessen, welche Schmach Sie mir zugefügt haben, ja sogar versuchen, ob ich Sie in Zukunft wieder achten lernen kann.«
»Ich ziehe Deine Liebe jeder Art von Achtung vor.«
»Magnus, ich hasse Sie!«
»Dann habe ich gegründete Hoffnung, daß
»Gehen Sie oder ich zerschelle mir den Kopf an der Wand!«
»An meiner Brust wirst Du weicher und angenehmer ruhen.«
»Hinweg!«
»Schöne Muhme, ich habe hier zu fordern, Du nur zu gewähren. Gedenke Deiner Zusage! Ich komme um Genugthuung!«
»Nun so nimm sie Dir!« rief Herta in der Angst der Verzweiflung, richtete sich auf und bot ihm den schönen Busen dar, der zart glänzend aus dem Gewande schimmerte.
»Durchstoße mich mit Deinem Hirschfänger, dann hast Du Genugthuung!«
»Es fällt mir nicht ein, so grausam zu sein,« erwiederte abwehrend der junge Graf, den Augenblick benutzend und seinen Arm um die lebende volle Gestalt schlingend. »Versprich mir Deine Gunst zu schenken,« fuhr er flüsternd fort, »mein Weib zu werden, und ich beendige diese Unterbrechung Deiner Nachtruhe.«
Immer heftiger, immer glühender umschlang er die einer Ohnmacht nahe Herta, mit
wilden
Als er gewahrte, daß die Kräfte des unglücklichen Opfers seiner brutalen Wildheit sich erschöpften und der Körper des schönen Mädchens in seinen Armen zusammen zu brechen drohte, vergönnte er Herta einige Augenblicke der Erholung.
»Herta, mein Herzenskind,« sprach er, »willst Du denn ewig grausam, ewig
unerbittlich sein? Habe ich nicht in schüchternster Weise, zart und sinnig um
Dich geworben? Und empfing ich je eine andere Antwort von Dir, als starre Kälte
oder beleidigende Stichelreden? – O Du göttliches, widerspänstiges Mädchen, Du
weißt nicht, welchen verzehrenden Feuerbrand Du in meine Seele geschleudert
hast! Ich kann, ich
Herta suchte sich gegen den Rasenden in ihrer Ohnmacht dadurch zu schützen, daß
sie ihre kleinen Händchen ihm entgegenstemmte und unverständliche Bitten
wimmerte. Aber Magnus hatte kein Gefühl mehr für den Schmerz der Verlassenen.
Er verdoppelte seine stürmischen Liebkosungen, seine wilden Ausbrüche einer
wahnsinnigen Leidenschaft so lange, bis das schwache Mädchen in völlige Apathie
versank. Erst als er bemerkte, daß Herta ohne Leben, ohne Puls und Athem, mit
gebrochenem Auge, ein bleiches Marmorbild, Thränenperlen in den Grübchen der
Wangen und weiße Schaumblüthen auf der duftigen Lippe vor ihm lag, fuhr auf
Sekunden ein Reuegedanke durch seine verbrecherische Seele.
»Jetzt denk' ich doch, soll sie mein Weib werden,« sprach er mit triumphirender Miene. »Wenn sie aber aus eigenem Antriebe zu mir kommt, ihre schönen Arme um meine Knie schlingt und mit herzzerreißender Klage zu mir fleht, ich möge mich doch ihres Elendes erbarmen, dann will ich die Rolle mit ihr tauschen und eben so gewandt den Hartherzigen spielen, wie das hochmüthige Mädchen es bisher mit mir zu halten beliebte. Erst wenn sie ganz zerknirscht sein wird und Hand an sich selbst zu legen sich entschlossen zeigt, erst dann will ich sie wieder zu Gnaden annehmen und mit meinem gräflichen Schild und Namen ihre zerstörte Jugend bedecken. Frohes Erwachen, mein süßes weißes Täubchen!«
Magnus schlich auf leiser Sohle gegen die Wand, verschwand schnell hinter der
eingefalzten Thür und schlug wohlgemuth und jetzt wieder äußerst zufrieden mit
sich, den finstern Rückweg durchs Schloß ein. Unbemerkt erreichte er das Ufer
des See's, sprang in den verborgenen Kahn und ruderte sich behend ans Ufer der
Drei Tage später klopfte der Maulwurffänger an Sloboda's niedrige Behausung. Ein ehrlicher Handschlag des Wenden verbunden mit treu gemeintem Gruße empfing den Freund.
»Woher des Weges?« fragte Sloboda, indem er mit dem Fuße die Stubenthür aufstieß und den Gast voranschreiten ließ.
»Von Boberstein,« versetzte Pink-Heinrich, seine Geräthe auf Tisch und Bank werfend und daneben selbst mit untergestemmten Armen Platz nehmend.
»Und Du sagst mir nichts von meiner Tochter, von meinem Herzblatt? Keinen Gruß von ihren lieben Kinderlippen?«
»Ist man der Armen schon überdrüßig?« sagte stirnrunzelnd der Wende. »Ich dachte, sie sollte bis zum Herbste auf dem Schlosse bleiben, was Rechtes lernen und eine tüchtigere Hausfrau werden, als die meisten andern Haidebäuerinnen.«
»Es ist was vorgegangen auf Boberstein, das ihre baldige Entfernung nöthigt macht.«
»Hat sie sich vergangen?«
»Mit keinem Blick und Gedanken!«
»Nun was denn?«
»Kennst Du das Fräulein, Röschens Gebieterin?«
»Gottes Segen auf ihr Engelshaupt!« rief Sloboda mit ausdrucksvoll erhobenem Blicke.
»Sie ist schwer erkrankt und man fürchtet für ihr Leben.«
»Mein Gott, das herzige Mädchen war ja frisch wie ein aufgeblühtes Kleeköpfchen! Sollte ihr der Schreck geschadet haben, den sie über Röschens Verurtheilung hatte?«
»Darüber ist mir keine Kunde geworden,« erwiederte der Maulwurffänger, immer
starr vor
»Ach Pink-Heinrich, das Unglück! Nun geht es wohl zu Ende mit mir und all' den Meinigen, denn wir haben keinen Schutzengel mehr!«
»Gar so arg ist es noch nicht,« versetzte ieh, »denn wenn Du sonst dem Worte eines armen Mannes Glauben schenken willst, so verspricht Dir der Pink-Heinrich, was er auch schon früher gethan hat, Dich so weit sein Arm und Fuß reicht, ebenfalls zu schützen. Aber sag' an, was gibt es?«
»Fräulein Herta liegt im Sterben!« ruft schluchzend Deine Tochter. »Ohnmächtig
fanden wir sie gestern auf ihrem Lager, weiß, wie neu gefallener Schnee, oder
wie Lilienblätter, mit unendlich lächelndem Schmerzenszug um die zarten weichen
Lippen. Als wir sie riefen, kam sie zwar
»Darf ich sie sehen?« fragte ich Haideröschen, worauf sie mich zu melden und
mein Anliegen dem gnädigen Herrn mitzutheilen versprach. »Ich ward vorgelassen
und in das Zimmer des guten Fräuleins geführt. – Gütiger Himmel, welch einen
Anblick hatten da meine Augen! Ich bin doch just kein Weichling und habe auch
zu Zeiten schon mancherlei Trübseliges erlebt, aber solch Schreckensbild ist
mir noch niemals vorgekommen! – Die kluge, schöne, gütige Herta saß
»Herr des Himmels,« rief Sloboda erblassend, »Herta wahnsinig, die Mutter der Armen den Verstand verloren!«
»Es steht zu fürchten, denn auch heut ist keine Aenderung in ihrem Zustande eingetreten.«
Sloboda rang die Hände und ging gebückten Hauptes durch die niedrige Stube. Vor dem Maulwurffänger blieb er stehen, legte seine beiden gewaltigen Hände auf dessen Schultern und forschend in seine Augen blickend, sagte er:
»Glaubst Du, daß dies von ungefähr und ohne besondere Veranlassung geschehen sei?«
Pink-Heinrich schüttelte den Kopf.
»Hast Du auch keine Vermuthungen?«
Ein Blick des Maulwurffängers traf den Wenden, vor welchem dieser zurückprallte, als fürchte er durchbohrt zu werden.
»Was denkst Du?« sagte er leise, als entsetze er sich vor seiner eignen Stimme.
Der Maulwurffänger stand auf, lehnte sich
»Ich denke, daß Gott in seiner Weisheit beschlossen hat, ein Strafgericht zu halten über Alle, so verworfen sind, und daß er der unschuldigen Opfer viele bedarf, ehe im Weltall die Stunde dazu schlägt!«
»Das sind vieldeutige Worte, auf die ich mich nicht verstehe.«
»Nicht! Nun wohl, so spricht die Zeichensprache vielleicht deutlicher zu Dir. –
Als ich heut Mittag das Schloß wieder verließ, traz mich der Kastellan
ängstlich an und fragte, ob ich in seinem Zimmer gewesen sei oder Jemanden
darin beschäftigt gesehen habe? Da ich jenes bejahen, dieses verneinen mußte,
so drang er in mich, keinen Scherz mit ihm zu treiben. Nun war ich, weiß Gott,
nicht zum Scherzen aufgelegt und ließ ihn also nicht sehr freundlich an. Darauf
gestand er mir, daß er drei Schlüssel an seinem Bunde vermisse und nicht
begreifen könne, wie diese ihm weggekommen sein sollten. Nach einigem Hin- und
Herreden ergab es sich, daß die fehlenden Schlüssel alte selten betretene Gänge
des Schlosses öffnen, von denen einer mit sämmtlichen
»Sollte daraus ein Schluß zu ziehen sein?« sagte Sloboda. »Das scheint mir gewagt und könnte zu entsetzlichen Folgen veranlassen.«
»List und Vorsicht helfen aus jedem Irrthum,« erwiederte Pink-Heinrich. »So
wenigstens dachte ich, als ich des bestürzten Kastellans Rede vernahm. Ach
entschuldigt, unterbrach ich den Alten, ich habe was vergessen.« So stieg ich
denn nochmals hinauf, trat abermals in das Zimmer der Kranken und sagte zum
Grafen Erasmus: »Verzeihung, gnädigster Herr, ich wollte nur unterthänigst
fragen ob Sie dem Herrn Grafen Magnus – und diesen Namen betonte ich recht
scharf – irgend etwas zu melden, vielleicht von dem Erkranken seiner schönen
Verwandten in Kenntniß zu setzen hätten? Bei Nennung dieses Namens fuhr das
Fräulein zusammen, wie vom Schlage getroffen,
Sloboda war sehr nachdenkend geworden. Er wagte nicht dem schlauen Maulwurffänger zu widersprechen und mochte ihn noch weniger in seinem furchtbaren Verdachte bestärken. Endlich sprach er unwillkürlich:
»Es wäre doch entsetzlich!«
»Warum?« sagte Heinrich mit seiner sarkastischen Gleichgiltigkeit. »Die Natur will ihren Lauf haben und die Geschichte der Völker auch. Ich sehe da blos Ursachen und Folgen.«
»Glaubst Du, daß der Graf Deinen Verdacht theilt?«
»Nein. Dazu ist er zu wenig Politiker.
»Sollte man ihn nicht auf den Fall aufmerksam machen?«
»Auch das nicht. Es bleibe ein Dunkel über Herta's traurigem Zustande, bis sie erliegt, oder von selbst die Wolken jener Nacht sich lichten! – Noch hoff' ich, daß Herta's kräftige Natur diesen Sturm überdauern, daß sie Empfindung, Sprache und Errinnerung wieder erhalten wird, und dann steigt der Geist Gottes mit Windesschnelle herab auf die Zinnen Bobersteins und deutet uns an, was wir für Recht zu achten haben. Läge aber meiner Vermuthung dennoch eine Täuschung zum Grunde, so könnte ich mit deren Verbreitung ein nie wieder gut zu machendes Unglück anstiften. Und solch eine Sünde soll nie und nimmer auf dem Gewissen Pink-Heinrichs lasten!«
»Und meine Tochter! Was soll mit ihr geschehen, wenn das unglückliche Fräulein stirbt?«
»Dein Kind muß aus dem Schlosse, auch dann, wenn Fräulein Herta am Leben bleibt.«
»Zu wem, Heinrich, zu wem? Ich kann sie nicht beschützen, denn mir sind die
Hände gebunden
»Nur nicht verzweifelt, Freund Jan!« sagte der Maulwurffänger. »Ich habe darüber simulirt auf dem ganzen einsamen Wege durch die Haide. Mein Anschlag ist reif und nach meinem Erachten recht gut ausführbar. Wir warten geduldig einige Tage ab, um zu sehen, wie sich die Krankheit der allgeliebten Herta gestaltet. Inzwischen bereitest Du und Ehrhold Alles zu baldiger Ausrichtung einer Hochzeit vor; denn kann Dein Kind nicht auf dem Schlosse bleiben, wovon ich überzeugt bin, so muß sie unverweilt den Clemens heirathen. Als Frau, dafür steh' ich, hat Blauhut keinen freundlichen Blick mehr für sie.«
»Gut,« versetzte Sloboda. »Meine Einwilligung hat sie längst, wird aber auch die Herrschaft einwilligen? Graf Magnus muß sie als Unterthanin annehmen, muß dem Burschen seinen Consens freiwillig geben! – Wenn er sich weigert, können wir ihn zwingen?«
»Zwingen nicht, aber dazu ängstigen. Er fürchtete mich, Jan, und er hat Grund
dazu. Und bei meiner ewigen Seele, diesen Wüstling
»Er wird es dennoch thun, Heinrich.«
»Er thut es nicht! Sein Vater weiß mehr von seinen Lasterwegen, als er glaubt, und wenn ich mit diesem Rücksprache zu nehmen drohe, gwährt er mir, was ich verlange. Ueberdies schwebt er in beständiger Furcht wegen der Gerüchte, die zum Theil durch meine Veranlassung in Umlauf sind. Er fühlt sich nicht mehr sicher in seiner Herrschaft. Die finstern drohenden Mienen seiner Knechte weissagen ihm nichts Gutes, und um den langsam heranziehenden Sturm nichr zu vollem Ausbruche kommen zu lassen, fügt er sich dem Unvermeidlichen.«
»Willst Du selbst mit ihm sprechen?«
»Nein. Seit der Flucht Haideröschens betrete ich den Zeiselhof nicht mehr. Ich habe meine Vermittler.«
»Wen meinst Du?«
»Das ist mein Geheimniß, Freund Jan,« sagte der Maulwurffänger mit ernstem Auge. »Es muß verschwiegen bleiben, bis es gewirkt hat, oder ich ziehe meine Hand zurück!«
»Nicht doch, Heinrich! Du hast mein, Du
Sloboda reichte nicht ohne lebhafte Bewegung dem Maulwurffänger seine rauhe Hand. Heinrich ergriff und drückte sie herzhaft.
»So ist es gut,« sprach er. »Nun ich mit Deiner Einwilligung handle, will ich eilen und Alles in's Werk setzen.«
Er stand auf, warf seine Drähte nebst dem Quersack wieder über die Schultern und schlang sich den Lederriemen seines Stockes fest um die Hand.
»Wann kommst Du wieder?« fragte Sloboda.
»Ich kann es nicht bestimmen. Meine Geschäfte führen mich diesmal tiefer in die Haide, und da mögen wohl ein paar Wochen vergehen, ehe ich zurückkehre. Doch wirst Du schon früher mittelbar von mir hören. Sage Deinem Kinde einen Gruß und sie solle nur muthig, treu und fromm bleiben, dann würde sie Gott nicht verlassen!«
Mit nochmaligem Händedruck trennten sich
Magnus dehnte sich mit wollüstigem Behagen auf schwellender Ottomane und las
einen jener verführerischen Romane von Crebillon, die damals unter den
verdorbenen höhern Ständen ihrer graziös verhüllten Unmoralität wegen eben so
großen Beifall fanden, als durch den geistreichen Witz und treffenden Sarkasmus
des frivolen Franzosen. In langen Pausen schlürfte der junge Graf dabei starke
Chocolade aus einer großen reich vergoldeten Tasse. In diesem zwiefachen
Genusse störte ihn sein vertrauter Kammerdiener, welcher mit den fein
gebürsteten Sonntagskleidern des Herrn eintrat, sich jedoch in respectvoller
Entfernung von dem Lesenden hielt. Nach einiger Zeit legte
»Was willst Du, Jean?« fragte er den Kammerdiener, der bewegungslos, den Sammetrock des Gebieters auf dem Arme, im Zimmer stand.
»Mit Ew. Gnaden gütiger Erlaubniß wollte ich unterthänigst melden, daß so eben zum dritten Male zur Kirche geläutet worden ist.«
»Schon so spät, Jean? – Ja, dann muß ich mich beeilen. Die Zeit vergeht doch wunderbar schnell bei angenehmer, geistreicher Lectüre.«
Magnus erhob sich von seinem bequemen Lager, winkte dem Kammerdiener, ihm dem Pudermantel umzuwerfen und ließ sich die Haartour in Ordnung bringen. Dabei gähnte er mehrmals.
»Der gnädige Herr Graf scheinen eine schlaflose Nacht gehabt zu haben.«
»Ach nein, guter Jean, ich langweile mich nur im Voraus schon bei der stundenlangen albernen Predigt unseres zahnlosen alten Pfarrers.«
»Dann brauchen ja Ew. Gnaden blos nicht in die Kirche zu gehen,« sagte Jean. »Sind Sie nicht Ihr eigener unabhängiger Herr?«
Es war nämlich Magnus erzählt worden, daß viele seiner Unterthanen laut geäußert hatten, ihr Herr müsse ehestens vom Himmel bestraft werden, weil er nicht ein einziges Mal das Gotteshaus besucht habe, und so hielt er es denn für unumgänglich nöthig, sich in die Umstände zu fügen.
»Noch kein Bote von Boberstein angekommen?« fragte er, während ihm der Kammerdiener den Pudermantel abnahm und einige weiße Tüpfel von Stirn und Wange stäubte.
»Man hat noch nichts gehört.«
»Wie geht es mit Sultan?«
»Der Voigt ist mir die Antwort auf meine Frage bis jetzt schuldig geblieben.«
»Irre ich nicht, gnädigster Herr, so höre ich den schwerfälligen Tritt des Voigtes auf dem Corridor.«
So war es. Der Voigt erschien. Er hatte einen ziemlich großen Brief in der Hand, der schlecht couvertirt und mit schwarzbraunem Siegellack äußerst plump verschlossen war. Auf dem Siegel konnte man kein bestimmtes Zeichen erkennen, da der vermuthlich ungeübte Schreiber zwei- oder dreimal das Petschaft in das halb geronnene Lack gedrückt hatte.
»Du wirst täglich lässiger, Ephraim,« redete Magnus den Eintretenden ziemlich barsch an. »Wenn das so forfgeht, werde ich künftig eine Gesandtschaft an Dich abschicken müssen, um zu erfahren, wie Du Dich in meinen Diensten benimmst. Was bringst Du von Sultan für Nachricht?«
»Die Geschwulst mindert sich, gnädigster Herr,« versetzte der Voigt mit
niedergeschlagener
»Das ist mir lieb, aber was zum Henker schneidest Du für Gesichter? Und was hast Du denn da in den Händen?«
»Ich wollte Ew. Gnaden eben um Entschuldigung bitten der Säumniß wegen, der ich mich schuldig gemacht habe. Dieser Brief –«
»Brief?« fiel Magnus schnell ein, mit dem rechten Arm in den Sammetrock fahrend und so plötzlich dem Voigte entgegenschreitend, daß er dem Kammerdiener das Kleidungsstück entriß und es auf dem Boden hinter sich fortschleifte. »Ein Brief von Boberstein?«
»Von dem Stammschlosse des gnädigen Herrn ist mir ein solcher Brief noch nicht zu Gesicht gekommen,« versetzte der Voigt. »Ueberhaupt habe ich solche Schriftzeichen noch niemals erblickt, und eben deshalb zögerte ich mit der Ueberreichung.«
»Wer brachte ihn? Wie kam er an Dich?« fragte Magnus hastig, jetzt mit Hilfe des Kammerdieners auch den zweiten Aermel seines Feierkleides anziehend.
»Ich fand ihn, gnädigster Herr. Draußen
»Vermuthlich ein Pasquill,« sagte Magnus verächtlich, »laß doch sehen!«
Der Voigt überreichte das ungleich gefalzte, äußerlich beschmuzte Schreiben. Magnus besah das verwischte Siegel, die unleserliche, gekleckste Handschrift.
»Vielleicht ist es ein Brandbrief. Man hat neuerdings verschiedene auf Edelhöfen ausgeworfen, um Milderung der Hofedienste zu erzwingen. Wie ich höre, haben sich einige Furchtsame dadurch einschüchtern lassen und wirklich Versprechungen gethan. Bei mir können diese Thoren auf solche Weise nichts erlangen. Ich trotze der Rohheit und werde um so härter strafen, je unerlaubter ein solches Verfahren ist.«
Während dieses Gesprächs hatte er den Brief erbrochen. Schon beim Durchlesen der ersten Zeilen runzelte er die Stirn und wechselte die Farbe.
»Was ist das?« hörten ihn Voigt und Kammerdiener murmeln. Er las noch einige Zeilen, worauf die Anwesenden bemerken konnten, daß ihm die Hände zitterten.
Kaum hatten sich die Diener entfernt, so warf sich Magnus auf einen Stuhl und stampfte wüthend mit dem Fuße.
»Abscheulich!« rief er. »Mich zwingen zu wollen und in so stolzen, beleidigenden Ausdrücken!«
Der Brief lag auf seinem Schooß. Er lautete:
»Vier Wochen nach Empfang dieses wird Röschen Sloboda, bekannt unter dem Namen
Haideröschen, den Bauer Clemens Ehrhold heirathen. Sie werden, Herr Graf, ohne
Säumen genannten Clemens Ehrhold die Erlaubniß dazu ertheilen und Röschen
Sloboda als Ihre Unterthanin annehmen. Ferner wollen Sie nicht anstehen,
obgenanntem Röschen ein Heirathsgut von dreihundert Reichsthalern zu
überantworten und am Tage der Hochzeit, zu deren Feier Sie hiermit eingeladen
werden, den Neuvermählten einen Freibrief als außerordentliches
Hochzeitsgeschenk zu überreichen. Binnen zweimal vier und zwanzig Stunden
werden Sie gnädigst Antwort geben,
Dieser Brief war ohne Namensunterschrift und unverkennbar mit verstellter Hand
geschrieben. Magnus fiel daher sogleich auf den Gedanken, der Verfasser
desselben könne Niemand anders als sein erklärter Feind der Maulwurffänger
sein. Deshalb war er anfangs auch fest entschlossen, die herrische Forderung
ganz unbeachtet zu lassen und dem frechen Schreiber damit seine Verachtung zu
erkennen zu geben, allein später stiegen doch wieder Zweifel in ihm auf. Der
überall thätige Maulwurffänger konnte ja blos das Werkzeug eines Mächtigeren
sein! Es ließ sich nicht läugnen, daß eine unglaublich kühne Räuberbande die
Haide seit Jahren unsicher
Dies und manche auffallende Einzelheiten
Um Auswege war Magnus nie verlegen, da es ihm auf die Wahl seiner Mittel nicht ankam. Den Inhalt des Briefes nochmals sich wiederholend, sprang er auf und schnalzte lächelnd mit dem Finger.
»Vortrefflich!« sagte er, das Zimmer langsam durchschreitend. »Gräfliche Gnaden
fügen sich unbedingt dem Willen des dunklen Unbekannten, fertigen die Erlaubniß
zur Hochzeit des jungen Burschen mit der niedlichen Kleinen aus, sind überhaupt
unaussprechlich herablassend und zuvorkommend und knallen zu guter Letzt mit
ihrer Vogelflinte zu dem famosen Fenster hinaus. – Warum auch sollte ich es
nicht thun?« fuhr er fort, in seiner Wanderung inne haltend. »Wer von all
meinen Leuten weiß denn, was mir zugemuthet wird, welcher unbekannten Gewalt
ich mich ohne alles Sträuben ergebe? – Und welcher Vortheil kann mir aus
solchem unbedingt
»Ew. Gnaden?« sagte der Kammerdiener, die Thür öffnend.
»Ist angespannt?«
»Wie Sie befohlen haben.«
Der Kammerdiener machte große Augen, als er seinen Gebieter eine so ungewohnte, noch nie vernommene Sprache anstimmen hörte, indeß begleitete er ihn gehorsam zur Kirche, wo er sich abermals über die außerordentliche Andacht und die gespannte Aufmerksamkeit des Grafen zu wundern hatte. Magnus wartete den Gottesdienst gänzlich ab, dankte sehr gnädig allen Vorübergehenden, die ihn grüßten, und war nicht nur an diesem, sondern auch in den nächsten Tagen die Freundlichkeit und Güte selbst gegen Diener und Knechte. Die Letzteren hielten ihn für geisteskrank und wurden in dieser Meinung noch mehr bestärkt, als sie ihn eines Tages am frühen Morgen wie toll mit der Flinte durch mehrere Zimmer rennen sahen, als ob er einen Dieb verfolge. Gleich darauf fiel ein Schuß. Mit noch rauchender Flinte ging der Graf ruhig zurück in sein Wohnzimmer.
Durch die alterthümlichen Hallen des Schlosses Boberstein schwebte der
unheimliche Schatten eines nahe drohenden Unglücks. Herta war in tiefe,
herzzerreißende Melancholie versunken, die auf allen Schloßbewohnern drückend
lastete, namentlich aber die Tage des alten kränklichen Grafen vollends ganz
verdüsterte. Zwar sprach die Leidende wieder seit einiger Zeit mit ihren
Umgebungen. Keine Schwäche ihrer geistigen Kräfte war zu bemerken, auch eine
fixe Idee schien sie nicht zu beunruhigen, aber sie war dennoch ein ganz
anderes Wesen geworden, dem man es ansah und anhörte, daß ein unaussprechliches
Weh, ein entsetzlicher Schmerz an ihrem Herzen nagte. Deutete man darauf hin,
so verstummte
Ueberraschen und angenehm berühren konnte Herta nichts mehr. Sie hörte daher mit vollkommener Gleichgiltigkeit die Botschaft, daß ihr liebes Haideröschen in wenigen Wochen schon verheirathet werden solle. Die Wendin war über diese Eile offenbar mehr erschrocken und zeigte sich gar nicht als glückliche Braut. Immer standen ihr die Thränen in den Augen, die ihr Herta nicht selten mitleidig abtrocknete. Weil sie aber von Jugend auf an blinden Gehorsam gewöhnt und außerdem überzeugt war, daß ihr Vater nur aus besondern Gründen und zu ihrem eigenen Besten die Hochzeit so beeile, fügte sie sich willig allen Anordnungen.
In der kurzen Zeit ihres eigentlichen Brautstandes ereignete sich nichts, was
eine besondere Erwähnung nöthig machte. Graf Erasmus gab das Mädchen auf
erfolgte Anfrage los und Magnus nahm sie bereitwillig als Unterthanin an. Die
herkömmlichen Schriften darüber wurden in üblicher Form ausgefertigt und
Haideröschens Vater übergeben, der jetzt fast täglich auf dem
Unter diesem sich immer gleich bleibenden öden Hinvegetiren vergingen die
festgesetzten vier Wochen, nach deren Verlauf Haideröschen ihrem Geliebten
angetraut werden sollte. Nur die uralten Förmlichkeiten und Gebräuche, die
jeder wendischen Hochzeit vorangehen und die zu vernachlässigen man nicht
allein für einen Verstoß gegen alle Sitte, sondern auch für eine frevle
Herausforderung der finstern Mächte und des
Graf Erasmus, der es sich angelegen sein ließ, die schöne Dienerin seiner
Nichte bei dieser Gelegenheit recht auszuzeichnen, wäre beinahe mit Sloboda in
unangenehmen Streit gerathen. Der Graf wollte nämlich, daß Haideröschen Dienst
und Schloß erst am Tage ihrer Hochzeit verlassen solle, was die Nothwendigkeit
einer
Je heftiger der trotzige Sloboda auf seiner Meinung beharrte, desto
hartnäckiger ward auch der Graf. Ihn verdroß blos der Widerspruch des
Untergebenen und daß man ihm eine Freude damit verdarb, die er sich ausgedacht
hatte. Hier nun schritt Herta wieder, wie immer bei streitigen Fragen, als
Vermittlerin und Friedensstifterin ein. Sie brachte es dahin, daß Haideröschen
am Hochzeitstage von Clemens und dessen Begleitung auf dem Schlosse abgeholt,
die Hochzeit selbst aber und Alles, was Ceremonielles
Dieser Entscheidung fügte sich Sloboda erst nach vielem Zureden. Kopfschüttelnd behauptete er jedoch, es sei nicht gut, daß er nachgebe, denn es könne daraus leicht Unglück für sein ohnehin schon so tief gedemüthigtes Haus entstehen. Das Warum wußte er freilich nicht anzugeben.
»Nun ja,« sagte er nach mehrmaligem Bearbeiten von Seiten Herta's, »es ließe sich zuletzt Alles recht gut hier einrichten. Der gnädige Herr Graf will uns die Schloßhalle einräumen zur Brautschau, wofür ich meinerseits vielmals danke, aber wo haben wir eine alte Frau, die bei der ersten Frage nach der Braut meine Tochter vorstellen kann? Die Frau Gräfin –«
»Um Gotteswillen, Sloboda!« unterbrach Herta den Rücksichtslosen. »Meine Tante wird sich während der ganzen Ceremonie fest in ihre Zimmer verschließen.«
»Wir müssen aber doch eine alte Frau haben, gnädiges Fräulein,« behauptete Sloboda sehr bestimmt und so ernsthaft, daß die immer traurige Herta darüber lächeln mußte.
»Könnte nicht einer der Bedienten –«
»Ja, so denk' ich. Für eine täuschende Verkleidung will ich sorgen.«
»Das geht nicht, liebes gnädiges Herzensfräulein; denn es ist, sehen Sie, noch niemals bei uns vorgekommen.«
»Es muß also durchaus ein Frau sein?«
»Ja, lieber Engel, und zwar eine Frau in den Jahren.«
»Seid Ihr zufrieden, wenn ich meine Amme dazu herkommen lasse? Sie wird es gern thun!«
Sloboda überlegte den Vorschlag und nahm ihn endlich zaudernd an. Dagegen lehnte er die Ausrichtung des Hochzeitmahles auf dem Schlosse, die Graf Erasmus nochmals in Vorschlag brachte, entschieden ab, weil es, wie er sich ausdrückte, gegen Grundsatz und Sitte seines Volkes verstoße, bei der Hochzeit das Brod Fremder in fremdem Hause zu essen. Die Zukunft lehrte ihn nur zu bald, daß ein prophetischer Geist in dem Grafen thätig gewesen und daß alles nachfolgende Unglück aus seiner Weigerung herzuleiten sei.
Als der festgesetzte Tag herankam, bestand die unglückliche Herta darauf, die
geliebte Braut
Müßten wir nicht befürchten, unsere Leser durch ausführliche Beschreibung der
übrigen zahllosen
Es war ein schöner, klarer und warmer Frühlingstag. Die Wipfel der schlanken
Tannen wiegten sich mit leisem Rauschen in der blauen Luft und schmetternde
Lerchen hingen, dem Auge kaum sichtbar, in dem unermeßlichen Dome. Die meisten
Menschen wünschen sich an ihrem Hochzeitstage einen solchen glückverheißenden
Frieden der Natur, und auch Haideröschen sah mit ihren wunderbaren Kinderaugen
dankend gen Himmel, als sie in der ersten Nachmittagsstunde die schrille Musik
der Haidebauern aus dem Walde erklingen hörte, die den Bräutigam begleiteten.
Verstohlen sah sie hinab auf den spiegelklaren See, über den eine ganze
Flotille kleiner Nachen
Am Fuße des Schloßfelsens angekommen, ordneten sich die Begleiter des Bräutigams paarweise, das Musikchor, aus mehrern Clarinetten, einem Fagott und andern nationalwendischen Instrumenten bestehend, stellte sich an die Spitze und der Brautführer mit bandverziertem Stock, Hut und Kleid schritt gravitätisch voraus. Unter fortwährendem Musiciren erstieg diese Schaar junger Männer den Schloßberg und zog bis vor die große Eingangspforte.
Hier wurde sie durch herbeispringende Knechte, die ein langes rosenrothes Band schnell vor die Pforte zogen, aufgehalten und ihnen erst nach Erlegung eines geringfügigen Trinkgeldes der Eintritt gestattet, indem der Brazka mehrmals die Versicherung gab, daß sie nicht als ungebetene Gäste erschienen, sondern mit Erlaubniß des Schloßherrn und auf dessen besondere Einladung kämen.
Bald kamen die Gäste der Braut wieder zurück, in ihrer Mitte eine ältliche Frau
führend, die Herta's Amme war und welche der Brautwerber nach genauer
Betrachtung als eine falsche wieder zurückschickte. Auch ein junges hübsches
Mädchen, das ihm nunmehr vorgeführt ward, wollte er nicht als die ihm
verheißene Braut, die er als noch weit schöner und lieblicher beschrieb, gelten
lassen. Erst nach drittmaligem Suchen ward Haideröschen im vollsten Brautstaat
vorgeführt, von dem Brautwerber mit jubelndem Gruß, von der Musik mit einem
Tusch empfangen. Jetzt trat auch der Bräutigam mit seinen Geleitsmännern in die
Halle, um sich die verschämte Braut zuführen zu lassen. Der Brazka hielt wieder
Als auch dieser hinter dem Brautzuge lag, bestieg die ganze ziemlich zahlreiche
Gesellschaft im Schatten des Waldes harrende Wagen, deren Kutscher und Pferde
mit buntseidenen Tüchern und großen Blumensträußern bestens aufgeputzt waren.
In vorgeschriebener Ordnung, Braut
Unmittelbar nach der Trauung begann das Mahl unter genauer Befolgung aller
durch Sitte und Gewohnheit vorgeschriebenen und geheiligten Ceremonien. Zu
diesem Mahle waren noch zwei längst erwartete Ehrengäste gekommen, Heinrich der
Maulwurffänger und dessen Bruder Gregor. Sie erhielten ihre Sitze zunächst dem
Pfarrer, der jederzeit die erste Stelle neben dem Bräutigam einnimmt. Durch das
Erscheinen dieser beiden Männer, namentlich aber durch die trockenen
Bier und Branntwein wurden zu den vielen und fetten Speisen in Menge genossen und äußerten bald genug ihre Wirkungen. Die Unterhaltung ward so lebhaft, daß sie einem heftigen Gezänk Aller unter einander glich. Dazwischen klapperten Messer, hölzerne Teller – denn nur auf solchen aßen die Hochzeitsgäste – Bierkannen und Gläser. Im Eifer des Anstoßens und Zutrinkens ward auch manches Glas zerbrochen. Die Aufwartenden rannten mit ihren hoch mit Fleisch beladenen Schüsseln zuweilen gegen einander und verschütteten einen Theil der dampfenden Stücke, die alsdann ab- und zugehende Gäste unter allgemeinem Jubel mit ihren kurzen zweizinkigen Gabeln aufhoben und triumphirend selbsteigen auf ihre Teller trugen, wo sie bald verschwanden.
Das eigentliche Mahl war beinahe beendigt,
So trat er leichten Schrittes unter die tobenden Bauern, die Erstaunten mit Anmuth und freundlicher Herablassung grüßend. Einige Augenblicke verstummten Alle, man hörte kaum einen Athemzug.
»Laßt Euch nieht stören, meine Lieben,« redete Magnus die Versammelten an. »Ich komme, die Freude und das Glück des jungen Paares mit Euch zu theilen und als ihr Grundherr demselben ein kleines Geschenk zu überreichen. Von morgen an, wo Clemens und Röschen als Ehegatten meinen Grund und Boden betreten, erkläre ich sie für freie Leute. Es lebe das freie Brautpaar!«
Schnell entriß er dem zunächst sitzenden
Es würde ein vergebliches Bemühen sein, den Jubel zu schildern, der jetz ausbrach. Ohne Maaß und Ziel in Freude und Schmerz, in Verehrung wie in Haß, betäubten die vom Trunk aufgeregten Wenden den jungen Grafen mit Lobeserhebungen. Er war auf einmal der gütigste, der gerechteste, der freundlichste und mildthätigste Herr. Jeder beeiferte sich, ihm dies persönlich zuzuschreien und wo möglich für seine Großmuth die Hand zu küssen, was denn einen unbeschreiblichen Lärm und die größte Unordnung hervorbrachte.
»Tusch! Tusch! – Ein Hoch dem allergnädigsten Herrn Grafen! – Zugeblasen! Zugeblasen! – Musikanten, aufgepfiffen! –« so schrien und commandirten hundert Stimmen durch einander und die Tusche der Musiker nahmen eine Viertelstunde lang kein Ende.
Obwohl das Essen noch nicht ganz beendigt war, gab man es doch freiwillig auf.
Der Brazka ließ die Diele fegen, um den Tanz beginnen
»Immer seid lustig, Kinder!« sagte Magnus. »Ein Fäßchen Branntwein geb' ich der Gesellschaft zum Besten. Es wird eben angezapft und soll, hoff' ich, etwas besser munden, als Euer kraftloser Fusel. Ein Stündchen will ich mich mit den schönen Gefährten der schönen Braut auf der Diele drehen, dann muß ich heim eilen, denn morgen warten meiner wichtige Geschäfte.«
Der kaum gedämpfte Jubel brach von Neuem, wo möglich in noch verstärkterem Maaße, aus, Tische, Bänke und Schemel wurden bei Seite geschoben, die Burschen bestellten den Vortanz, und als sich die durchdringenden Klänge der Tarackawa, begleitet von dem kreischenden Schreien der Huslje hören ließen, konnte Haideröschen nicht umhin, dem freundlich lächelnden Grafen gewährend die Hand zu reichen.
Magnus hatte viele bestechende Eigenschaften, mit denen es ihm ein Leichtes
gewesen wäre, die Herzen seiner Unterthanen zu gewinnen und
Magnus tanzte den Brautreigen bewunderungswürdig leicht, und doch mit so viel dörflichem Tact, daß selbst die im Tanz geübtesten jungen Burschen gestehen mußten, sie wüßten es nicht besser, ja nicht einmal so gut zu machen.
Während des Tanzes, der sich bald zu einem wirren, drängenden Menschenknäuel
verdichtete, ward viel getrunken. Der Branntwein des Grafen mundete zu gut, als
daß die Wenden im Genuß desselben hätten Maaß halten können. Sogar ältere
Männer und Frauen ließen sich vom allgemeinen Frohsinn mit hinreißen und thaten
des Guten mehr, als ihre vorgerückten Jahre
Frei von dieser Ueberlustigkeit hielten sich nur der Maulwurffänger und dessen Bruder. Sogar Sloboda hatte einen leichten »Hieb« und chassirte nicht selten, von einem Beine auf's andere hüpfend, quer durch den qualmigen Tanzsaal nach seiner Kammer, die, wie in den meisten wendischen Häusern, an die Wohnstube grenzte. Eine einzige niedrige Stufe oder eine hohe Schwelle trennte sie von der letztern und eine Zuschlagthür, welche von innen verriegelt werden konnte, sperrte den Eingang. Aus dieser Kammer führte eine zweite Thür in einen schief zur Erde abfallenden schuppenartigen Anbau, wo Sloboda Holz, Reißig, einige Ackergeräthe und andere in einer Wirthschaft nöthige Dinge aufbewahrte.
Mit Absicht vermied es der Maulwurffänger, den Grafen anzureden. Er saß in der
Ecke des Zimmers, den Rücken der Thür zugekehrt, trank ein Glas Bier und ließ
sich dazu seine kurze Maserpfeife schmecken. Nach dem ersten Tanze mit der
Braut trat Magnus an diesen Tisch und
»Du hast den Zeiselhof recht lange nicht mehr besucht,« redete Magnus unsern Freund an. »Wie kommt das?«
»Ich war daselbst nicht nöthig, gnädiger Herr.«
»Du weißt aber, daß ich Dich gern kommen sehe.«
»Wenn dem so ist, werde ich wieder einmal anklopfen.«
Magnus schob einen Schemel an die Wand und setzte sich dem Maulwurffänger gegenüber, so daß jetzt drei an dem Tische saßen, denn auch Gregor hatte inzwischen seinen Platz daran wieder eingenommen und bedächtig die breiten Schöße seines langen, mit rothem Fries gefütterten Rockes von den strammen Beinen zurückgeschoben, so daß sie zu beiden Seiten des Schemels bis auf den Boden herabreichten.
»Wie geht die Kundschaft?« begann Magnus das Gespräch von Neuem. »Ich höre, daß
in diesem Jahre der Maulwurf weniger
»Möcht' ich nicht so schlechthin behaupten, Ew. Gnaden! Es kommt aufs Erdreich an, denn das Ungeziefer hat einen Geschmack so fein, wie der delicateste Fürstbischof.«
Gregor lachte und sagte mit dem Kopfe nickend: »Natürlich! Natur!«
»Wie ist es denn,« sprach Magnus nach abermaliger Pause, »hast Du neuerdings nichts von dem braunen Lips gehört? Vor einigen Wochen machte er wieder viel von sich reden durch ein paar Einbrüche, die mit großer Kühnheit verübt worden waren.«
»Ich bin kein Polizeimann, Herr Graf,« entgegnete der Maulwurffänger, sein scharfes Auge wie einen leuchtenden Blitz auf ihn heftend.
Magnus stand auf und umfaßte die erste Züchtjungfer, die eben vorbeiging, um mit ihr unter die Tanzenden zu treten.
»Aus mir soll er nichts herausbringen,« flüsterte Heinrich seinem Bruder zu, »und wenn er Schraubenstöcke anlegt und vier Hengste vorspannt. Ich werde kein Narr sein.«
Inzwischen dauerte der Tanz ununterbrochen fort. Magnus kam nicht mehr vom Plane. Die jungen Mädchen rissen sich um den schönen, leichten, vornehmen Tänzer und legten alle Schüchternheit ab, da sie den als so schrecklich verschrienen Blauhut auf einmal so zugänglich sahen. Wäre es nicht der gnädige Herr gewesen, der alle Dorfschönen ihren Burschen untreu machte, so würde die Hochzeit, wie so oft, mit blutiger Schlägerei geendet haben. So aber war man eines Theils zu sehr hingerissen von der Freigebigkeit und Großmuth des Grafen und sodann hatte man auch wirklich zu viel Gefallen an seinem Tanz, als daß nur Einer gewagt hätte, über das Glück des hohen Gastes zu murren.
Haideröschen hatte schon mehrmals mit Magnus getanzt. Sie war aufgeregt wie alle Uebrigen und von mehrmaligem Kosten geistiger Getränke sogar etwas exaltirt. Ihr lachendes Gesichtchen glühte wie eine Purpurrose; das weiße Brusttuch zitterte von dem stürmischen Klopfen ihres Herzens.
»Trinke nicht mehr, Clemens,« sprach er zu ihm, »Du wirst zu laut!«
»Weiß Gott, Bruderseele, Du hast Recht! – 's ist verdammt heiß in diesem Backofen. Komm, wir wollen draußen frische Luft schlucken!«
Der Maulwurffänger verließ Arm in Arm mit Clemens die erstickende Atmosphäre der Hochzeitsstube und ging plaudernd im Baumgarten mit ihm auf und nieder. Ein sternenklarer Himmel überwölbte funkelnd die schlummernde Haide. –
Magnus hatte das Verschwinden beider Männer bemerkt. Er sah jetzt außerdem, daß
Sloboda trotz des unbändigen Lärmes in einem dunkeln Winkel des Zimmers vor
Ermattung zu nicken begann. Alle übrigen waren nur mit sich und dem Tanze
beschäftigt und hatten kein Auge auf ihn. – Sogleich endigte er den Tanz und
geleitete Haideröschen durch die dicht gedrängte Schaar walzender und
zuschauender Gäste. – Er
Es vergingen mehrere Minuten, ohne daß Jemand die Braut oder den Grafen vermißte. Die Musik spielte munter auf, die Burschen klatschten in die Hände, sprangen jauchzend in die Höhe, umschlangen mit nervigen Armen ihre Mädchen und stürzten sich in die unaufhaltsame Woge des Tanzes. Da schien es einigen ältern Männern, als vernähmen sie den Hilferuf einer weiblichen Stimme. Sie horchten aufmerksam durch den Lärm, da sich aber nichts regte, achteten sie nicht weiter darauf. Nach einer Pause erklang dieselbe Stimme wieder, aber auch jetzt hörten sie nur einige Wenige undeutlich. Sloboda erwachte jedoch davon aus seinem schläfrigen Hindämmern und suchte mit großen Augen seine Tochter.
In diesem Augenblick trat Clemens mit dem
»Wo ist meine Braut? Mein süßes Haideröschen?« schrie er mit lauter vor Angst bebender Stimme in den Jubel der Tänzer.
»Hat Jemand den Grafen fortgehen sehen?« fragte nicht minder laut der Maulwurffänger.
Wie vom Donner gerührt, schwiegen plötzlich Musik und Tanz. Es war eine furchtbare, erwartungsvolle Pause. Ein wiederholter, gellender Aufschrei brachte neues, drohendes, grauenvolles Leben in die Masse der keuchenden Tänzer.
»Meine Tochter! Meine Tochter!« rief Sloboda, stürzte nach der Thür zur Kammer – aus der der herzzerreißende Schrei erklungen war – und wollte sie aufreißen, allein sie widerstand jeder Kraftanstrengung.
»Mein Röschen!« jammerte Clemens und schlug wüthend mit den Fäusten gegen die Thür.
Ein paar Secunden und die Thür stürzte krachend unter den Tritten der wüthenden Wenden zusammen.
Es war finster in der Kammer. Der schwache Schimmer halb niedergebrannter
dünner Unschlittlichter aus der Wohnstube, in feuchtem Rauche
Clemens stürzte neben der Röchelnden nieder und rief sie mit den zärtlichsten Namen. Sie gab keine Antwort, aber sie hörte, sie sah ihn. Jammernd nur schlug sie beide Hände fest über ihre Augen und wimmerte in herzzerreißenden Tönen.
Der scharfe Blick des Maulwurffängers, der in jedem Winkel der dunklen Kammer den Grafen suchte, bemerkte auf dem Tische ein weißes Blatt. Er hob es auf und hielt es gegen herbeigeholte Lichter. Es war der Freibrief für Clemens und Haideröschen, mit Magnus' Namensunterschrift und Wappen! Der Brief lautete auf den morgenden Tag. –
Als der Maulwurffänger das Blatt durchlesen hatte, ließ er es entsetzt zur Erde fallen.
Alle standen sprachlos. Sloboda lag gebeugt am Boden neben Haideröschen und netzte mit seinen Schmerzensthränen ihre schönen Haare. Clemens weinte ebenfalls wie ein Kind. Ehrhold dagegen stieß in gerechtem Grimme furchtbare Verwünschungen aus und erhob inmitten der bestürzten Hochzeitsgäste die Hand zum Schwur.
Der Maulwurffänger fiel ihm in den Arm.
»Halt ein!« sagte er. »Nicht Du allein, nicht ein Einziger schwöre hier, wir alle, die wir Männer sind, verbinden uns in gemeinsamem Schwure zu gemeinsamer That! Wer mir beistimmt, der thue, wie ich!«
Der Maulwurffänger kniete nieder. Alle ahmten seinem Beispiel nach. Dann erhoben sämmtliche Wenden zugleich mit dem Deutschen ihre Hände und dieser sprach:
»So lange es noch Herren gibt, die ihre Macht mißbrauchen zum Nachtheile ihrer
Untergebenen; so lange noch ein Volk auf Erden lebt das in Armuth, Elend und
Druck jammert und
In dumpfen Tönen sprachen alle Wenden diesen Schwur nach. Als das Amen monoton von ihren Lippen hallte, vernahm man in der Ferne Hufschläge eines davonjagenden Pferdes. Es war Magnus, der in schnellstem Carrière dem Ort seiner Bubenthat und der Rache der beleidigten Wenden entfloh.–
Es war Ende September. Feuchte Schneestürme zogen brausend über die Haide und schleuderten hohe Kronen von den Wipfeln der uralten Tannen und Fichten, die sich mit ihren hundert Aesten wie ungeheuerliche Arme gespenstischer Riesen gegen die Wuth der Windsbraut schirmten. Der feuchte Boden, mit Schlinggewächsen, knorrigen Wurzeln, mit Nadeln und Tannenzapfen bedeckt, zeigte in der stürmischen Nacht nur an Stellen, wo die Waldung sich etwas lichtete, Schilder glänzenden Schnee's, auf denen Schaaren von Krähen saßen, die bei jedem neuen, pfeifenden Windstoß mit heiserm Gekrächz aufflogen und unstätt die in der Luft hin und her sausenden schwarzen Baumpyramiden umkreisten.
Hart am Ufer dieses Flusses, der im weiten Halbbogen die erwähnte sumpfige
Wiese umspülte, erhob sich ein breiter Erdwall von nur
Selten kamen Menschen in diese Gegend der Haide, da sie von allem Verkehr abgeschieden lag und durch natürliche Verhaue vom Winde niedergestürzter Riesenbäume fast unzugänglich gemacht wurde. Nur wer die Haide sehr genau kannte und durch kein Hinderniß sich abhalten ließ, in ihre unheimlichsten Abgeschiedenheiten einzudringen, fand diesen Versteck mit seinen schauerlichen Umgebungen.
Der wallartige Aufwurf am Rande der moorigen Wiese, einige alte, Schanzen nicht
unähnliche, Erhöhungen auf dem andern Ufer des breiten Flusses und mehrere auf
der Wiese befindliche Reste zerstörten Gemäuers nebst der Umschrotung eines
Brunnens deuteten auf ehemalige Befestigung
Als wahrscheinliche Ueberreste einer Feste aus den Zeiten des an Raubnestern reichen Mittelalters nannte man diese Trümmer das Raubhaus. Wer es vom Volke kannte, mied es mit Absicht, da durch die gesammte Haide die Sage ging, die Moorwiese mit dem grauen Getrümmer sei schon seit Jahrhunderten von bösen Geistern bewohnt. Daß das arme unwissende Volk einem solchen Gerücht willig Glauben schenkte, war nicht zu verwundern, denn der Ort an sich schon weckte finstere Gedanken und vermochte die Einbildung mit schauerlichen Bildern zu ängstigen. Dazu kam, daß Viele, die zufällig oder durch Noth gedrungen dem Raubhause nahe gekommen waren, seltsame Stimmen gehört, unerklärliche Gestalten um die Ruinen, lohende Flammen auf Fluß und Wiese gesehen hatten – Erscheinungen, die ihre natürliche Erklärung in der sumpfigen, an entzündbaren oder leuchtenden Dünsten überreichen Umgebung fanden.
Finster und leblos wie immer lagen die schwarzen Mauern des verfallenen Gebäudes jenseit des Flusses. Der Sturm raste und tobte in den Fensterhöhlen, als wolle er sie in die Luft sprengen. Vereinzelte Krähen schossen wie schwarze Pfeile durch das Flockengewimmel nach der sausenden Haide und mischten ihr klagendes Geschrei mit dem Brüllen des Sturmes. Sonst war weit umher keine Spur eines lebenden Wesens zu entdecken.
Am Erdaufwurfe zunächst dem Ufer des Flusses rastete der einsame Wanderer,
lehnte sich auf seinen Stab und schöpfte Luft. An seiner Kleidung, an Haltung
und Blick erkennen wir
Eine geraume Zeit betrachtete der Maulwurffänger diese Erscheinung mit
gleichgiltigem Auge. Dann schritt er langsam dem Sturme
»Das wird die angegebene Stelle sein,« sprach Heinrich für sich, beugte sich zur Erde und entdeckte in dem lockern Boden Spuren eines Eindruckes. »Nun denn, auf gut Glück sei es versucht!«
Darauf setzte er zwei Finger an die Zähne und pfiff dreimal hinter einander mit solcher Kraft, daß der gellende Ton selbst das Getöse des Sturmes überschrie und wohl zehnmal im Waldesdickicht vom Echo erst laut, dann schwach und immer schwächer wiederholt ward, bis er im Lärmen des Windes erstarb.
Es währte nicht lange, so bewegte sich der
Der Maulwurffänger befand sich in einem weiten, theils kahlen theils mit Moos
und Gestrüpp bewachsenen Mauerviereck, dem jeder Schutz durch Dach und
Sparrwerk fehlte. Etwa in der Mitte war eine Erhöhung wie von herabgestürztem
Schutt zu entdecken, denn dürre Gräser überwucherten es und eine dünne
Schneedecke hatte es jetzt überzogen. Von diesem hünengrabähnlichen Hügel
schlug aus der Tiefe der Flammenschein herauf, und als Heinrich dreist darauf
zuschritt, entdeckte er den aus festen Quadern
Ueber den Gesichtsausdruck dieses Menschen erschrak der Maulwurffänger trotz
seiner bekannten und in hundert Gefahren erprobten Entschlossenheit. Es war
eine vollendet classische Spitzbubenphysiognomie. Das Gesicht, hager und
länglich, lief in ein spitzes bartloses Kinn aus, das jedoch nicht vorstand,
sondern sich mehr nach rückwärts dem Halse zusenkte. Dadurch trat der Mund mit
seinen schmalen Lippen und vier ungewöhnlich großen Vorderzähnen auffallend
stark hervor. Diese Zähne, blendend weiß und fast spitzig, wie die eines
Wolfes, glänzten immer aus den nie vollkommen schließenden Lippen, und zeigten
sich in ihrer ganzen Größe, wenn ihr Inhaber sprach oder gar lachte. Noch
entsetzlicher war der Blick seiner Augen. Diese lagen wie Aepfel gleichsam
außerhalb ihrer Höhlen, waren von tiefstem Schwarz und glühten wie
Seine Kleidung war die eines armen Dorfbewohners, schlecht, etwas schmutzig und nicht im Geringsten auffällig.
Als er den Schreck des Maulwurffängers bemerkte, lachte er höchst vergnügt, hielt den Kienbrand noch etwas höher und sagte:
»Immer kommt näher, Mann! Ich bin nicht der Teufel, obwohl mich das dumme Pack häufig dafür hält und ich es mir zum Vortheile unsers Handwerkes gefallen lasse. Doch bevor ich Euch in unser Heiligthum geleite, noch eine Frage. Wer seid und was wollt Ihr?«
»Als Wächter kommst Du mir trotz Deines verbotenen Gesichtes etwas dumm vor, lieber Junge,« erwiederte Pink-Heinrich, »denn auf Deine Frage kann ich Dir hundert Antworten geben, die alle passen.«
Der junge Bursche zeigte abermals grinsend sein Gebiß und stieß den Kienbrand
gegen die
»Nicht gar so dumm, wie Ihr meint, Mann! Nur Eine Antwort gestattet Euch den Eintritt, jede andere würde Euch sehr unsanft durch jenen Spalt befördern und vielleicht für ewige Zeiten im schwarzen Wasser des Flusses verstummen machen. Also nicht lange gefackelt, mein Bester! Der Brand droht zu verlöschen und mir gefällt es nicht, hier noch länger im feuchten Luftzuge zu sitzen.«
»Du bist sehr kurz angebunden mit müden Wanderern, die eine Herberge suchen,« versetzte der Maulwurffänger. »Indeß jedes Kraut hat seinen eigenen Saft und so will ich mich denn herablassen, ohne lange Umschweife auf Deine Frage zu antworten: Drathschlinge will zu Nachschlüssel.«
»Da ich sehe, daß Du unsern Katechismus vortrefflich auswendig kannst, so tritt ein, Gegerbter der Hölle!« sagte der Bursche und zog grüßend seine verschossene Mütze von Fuchspelz. »Nachschlüssel hat schon seit einer Woche auf Dich gewartet und ist Dir zu Gefallen in dieser ganzen Zeit nicht aus seinem Schlosse gewichen. Deine Ankunft wird ihn sehr erfreuen.«
»Gib Acht, Drahtschlinge!« rief er unserm Freunde zu. »Die Stufen unserer Staatstreppe sind mit glatter und schlüpfriger Schlammfeuchtigkeit statt eines Teppichs überzogen und wer darauf in's Stolpern kommt, bricht regelmäßig Hals und Beine, so daß wir, ist er unten angekommen, weiter keine Noth mehr mit ihm haben, als daß wir ihn begraben müssen. Solche spaßhafte Fälle haben sich schon häufig zugetragen.«
Der Maulwurffänger verachtete diese Warnung nicht und fand, daß sie nicht
unnöthig gewesen war. Nur mit Mühe und durch Anklammern beider Hände an die
vorspringenden Mauersteine, die im rothen Schein des Kienbrandes vor
Feuchtigkeit blitzten und von langen Streifen grünlicher Flechten umsäumt
waren, kam er ohne auszugleiten in dem brunnentiefen Keller an. Hier ward die
Luft trockener und wärmer. Ein
»Warte!« sagte sein spitzbübischer Geleiter. »Ich will Dich erst melden, denn es ist Sitte in unserm vortrefflich eingerichteten Hofstaat, daß nur Bekannte oder Genannte vor seiner Alldurchdringlichkeit erscheinen.«
Der Maulwurffänger blieb ein paar Secunden in tiefster Finsterniß, dann kam der junge Mensch wieder zurück, öffnete eine dreifache Reihe sehr fester Thüren aus eichenen Pfosten, die auf beiden Seiten mit starkem Eisenblech beschlagen und mit den künstlichsten Schlössern versehen waren, und sagte mit einem Anflug von Höflichkeit:
Unser Freund folgte dieser Aufforderung. Ein großes vierecktes Kellergewölbe nahm ihn auf, das je doch wie ein gewöhnliches Wohnzimmer gedielt und mit alten, zum Theil sehr kostbaren Schränken, Tischen und Stühlen meublirt war. Ein Ofen, von Kacheln verschiedener Farbe und Arbeit zusammengesetzt, verbreitete eine behagliche Wärme in dem Gemache, das von mehreren hell brennenden Kerzen, die auf zinnernen und silbernen Leuchtern staken, vortrefflich erleuchtet ward. Vor dem Ofen kauerte eine Frau von unschönem Aeußern, deren Kleidung ein wunderliches Gemisch von Lumpen und ehemaligen Ueberresten prächtiger Stoffe zeigte. Sie war beschäftigt, über heller Kohlengluth ein wohlschmeckendes Gericht zu schmoren, wenn der Maulwurffänger dem angenehmen Duft trauen durfte, welcher kitzelnd davon in seine Nase stieg.
Neben ihr an der Wand saß ein noch junger Mann mit auffallend schönem und
regelmäßigem Gesicht auf einer Schnitzelbank und glättete eben erst aus dem
Groben gearbeitete dünne Buchenhölzer mit einem scharfen Schnitzer, wie sie die
Tischler zu führen pflegen. Im Hintergrunde
Obwohl der Maulwurffänger wußte, daß der berüchtigte und gefürchtete »Fürst der
Haide« ein Mann von vornehmenr Anstande und feinen Manieren sei – denn selbst
hatte er ihn nie gesehen – war er doch in Zweifel, ob er die vor ihm sitzende
ruhige und imponirende Gestalt für diesen halten sollte. Ungeachtet des
Geräusches, das Heinrich beim Eintreten mit seinen starksohligen mit großen
Nägeln beschlagenen Schuhen machte, blickte Lips doch nicht auf. Erst als er
seine Lectüre beendigt hatte, schlug er das Buch
»Ihr seid nicht pünktlich,« sprach er aufstehend, einen alten, mit kostbarem rothbraunen Saffian überzogenen Lehnstuhl von Nußbaumflaser an den Tisch ziehend und mit graziöser Handbewegung unsern Freund zum Sitzen einladend. »Hätte mich nicht die ungestüme Witterung an Ausführung meiner Pläne verhindert, so würdet Ihr mich nicht mehr getroffen haben.«
Während der Räuber mit klangvoller fast sanfter Stimme so sprach, hatte der Maulwurffänger Zeit, ihn genauer zu betrachten, sein lebhaftes Mienenspiel und seine Bewegungen zu studiren. Verwundert, ja entsetzt trat er jetzt einen Schritt näher, seine schwielige Hand schirmend über die Augen haltend, um das Licht der Kerzen zu dämpfen, dessen Glanz ihn blendete.
»Mein Gott,« sagte er tief aufathmend, »welche Aehnlichkeit! Aber das kann ja nicht sein!«
Nun horchte auch Lips auf und aus den freundlichen stillen Augen fuhr ein funkelnder Blitz über Heinrich. Er beugte sich über den Tisch und erhob den schweren zinnernen Leuchter, um das Gesicht des Fremden besser zu beleuchten.
»Als Knabe hieß ich so bei meinen Gespielen, und wahrhaftig, wärt Ihr nicht der, der Ihr eben seid, so würde ich Euch Herr Johannes nennen.«
»Und wenn ich nun wirklich jener Johannes wäre, den Ihr meint, würde mich dies in Eurer Meinung sinken machen?«
»Ich will nicht Richter sein in fremden Angelegenheiten,« erwiederte der Maulwurffänger in seiner ihm zur Gewohnheit gewordenen ausweichenden Manier. »Weiß ich doch, daß Jeder seine Brodrinde mit den Zähnen beißt, die er dazu gebrauchen kann, warum Ihr nicht auch die Eurige!«
»Wann sahen wir uns zuletzt?« sagte Lipps.
»Nach unserer Art zu rechnen, Herr Johannes – erlaubt, daß ich Euch so nenne – wird das wohl in vergangener Lichtmeß ein neunzehn oder zwanzig Jahre gewesen sein.«
»Mich dünkt, es war später, Heinrich, denn
»Mit dem Grafen! – Wenn der alte, brave Mann das hätte ahnen sollen!«
Dem Räuber schwoll die Zornader, in seinen blauen Augen sprühte ein wildes Feuer, er ballte die gebräunte schön geformte Hand und schlug wüthend auf den Tisch, daß er knackte.
»Brav!« stieß er höhnisch heraus. »Wenn Ihr diese Bestie brav nennt, so könnt Ihr eben so gut den Wolf zu Eurem Schlafkameraden machen. Mir wäre wohl, hätte ich ihn in meinen Händen, wie der Geier das Lamm. Dann wollte ich mich an seinem Jammer erlaben, und wenn er unter den Qualen, die ich für ihn erfinden würde, ausgeröchelt hätte, wollte ich, ein frommer Büßer, wieder unter friedliebenden Menschen wohnen.«
»Möge Euch Gott diese lästerlichen Worte vergeben, zu denen Ihr doch wohl gegründete Ursache haben müßt, Herr Johannes,« sagte Heinrich, »allein wenn Ihr auf diesen Tag warten wollt, so werdet Ihr Euch noch einige Jahrtausende in Geduld zu fassen haben. Der Graf ist heimgegangen zu seinen Bätern.«
»Gott sei ihm gnädig!« sagte der Maulwurffänger, »er erstickte an einem Fluche –«
»Ha! An einem Fluche! O, Gott ist gerecht, Gott ist den Armen gnädig, Gott straft die Uebermüthigen!« schrie der Räuber und erhob beide Hände wie zu einem wilden Gebet gen Himmel.
»An einem, Fluche, den er über seinen eigenen Sohn ausstieß,« ergänzte Heinrich.
»Sprecht Ihr vom Grafen Erasmus?«
»Erasmus von Boberstein verfluchte sterbend seinen Sohn Magnus!« wiederholte langsam und ernst der Maulwurffänger.
Der Räuber ließ sein Haupt sinken und hing eine lange Weile seinen Gedanken
nach. Dann winkte er nochmals dem Gaste, sich zu setzen,
»Diesen Vorgang müßt Ihr mir ausführlich erzählen, Heinrich,« hob er nach einiger Zeit wieder an, »denn wie ich auch darüber nachdenke, ich kann keinen Zusammenhang darin finden. – Magnus war damals sein Augapfel, sein Ein und Alles! Wer ihm zu nahe trat, der zog sich unausbleiblich den Zorn des Grafen zu! – Es war ein kräftiger, feuriger Knabe, voll eigenthümlicher Energie! – Und solchen Sohn hat solch ein Vater verflucht! – Doch erzählt, Heinrich, erzählt!«
»Ihr sähet mich nicht hier in diesem unauffindbaren Versteck, Herr Johannes,
hätte mich nicht der Tod des Grafen Erasmus und die Umstände, welche ihn
veranlaßt haben, zu Euch geführt. – Es scheint, Ihr seid trotz Eurer
Allseitigkeit nicht gut unterrichtet von den Verhältnissen und wißt namentlich
nicht, welche außerordentliche Fortschritte Euer ehemaliger Zögling in der
Energie gemacht hat. – Vergebt, Herr Johannes, wenn ich mein Erstaunen darüber
nicht bergen kann! Als Ihr vor mehreren Monaten eine an Euch ergangene Bitte,
die von
»Ich habe von dem Bubenstück gehört,« versetzte der Räuber, »ohne mich jedoch um den Namen des Herren zu kümmern. Magnus also war der Schurke? – Dann sehe ich, daß er seinem Vater keine Schande macht.«
»Wollte Gott, Ihr sprächet die Wahrheit!« entgegnete der Maulwurffänger.
»Wollte Gott, Graf Magnus wäre in die Fußstapfen seines zwar vorurtheilsvollen,
aber nichts desto weniger redlichen Vaters getreten! Ich brauchte dann nicht in
wilder Sturmnacht durch die Haide zu wandern und bei denen Hilfe gegen
Herrenwillkür
»Stachlige Reden verwunden mich nicht, also sprecht Euren Unmuth immerhin aus, wenn es Euch dazu drängt; nur bitte ich, faßt Euch kurz, damit ich erfahre, warum Ihr den verstorbenen Grafen so lebhaft gegen den Sohn in Schutz nehmt.«
»Das ist bald gesagt,« erwiederte Heinrich, mit umgekehrter Hand die unwillkürlich ihm in die Augen stürzenden Thränen abwischend. »Seit Jahren schon, genau weiß ich die Zeit freilich nicht zu bestimmen, lebte ein junges Mädchen auf Boberstein, eins von jenen Wesen, deren körperliche Schönheit von ihrer himmlischen Seele Zeugniß ablegt. Niemand wußte recht, wo das engelschöne Mädchen herkam und wem sie angehörte. Es kümmerte sich auch Keiner darum denn Alle hatten sie zu lieb, und da konnte es Jedem gleichgiltig sein, von wem sie ihr Dasein ableitete. Natürlich gehörte auch Magnus zu den Verehrern seiner Cousine –«
»Cousine! Ihr sagt Cousine?«
»Auf dem Grafenschlosse nannte man sie so und sie mußte es wohl auch sein, denn
von
»Wer nennt sich Herta?« warf der Räuber aufspringend ein.
»Es pfiff nicht, es war nur der Wind, der im Schlot heult,« sagte der junge Mensch, welcher den Maulwurffänger in die Kellerwohnung geführt hatte, denn er glaubte, sein Herr vermuthe oder erwarte noch einen Besuch.
»Nun ich denke, des Grafen Cousine nannte sich Herta,« erwiederte unser Freund.
»Denke! – Wenn Ihr erzählen wollt, so unterrichtet Euch zuvor, damit Ihr Andere nicht in Angst und Unruhe versetzt!«
Lips stützte nach diesen Worten den ergrauenden Kopf in die Hand und drehte wildblickend seinen Schnurrbart. Der Maulwurffänger ward jetzt aufmerksamer. Sein schärfster Blick glitt über die Mienen des Räubers, dann sagte er mit feierlich-ernstem Tone:
»Bei meinem Eid, Herr Johannes, ihr
Der Räuber hatte sich wieder aufgerichtet. Er sah den Gast mit Augen an, vor deren brennender Gluth selbst Heinrich erschrak.
»Nun?« fragte Lips heftig, da unser Freund schwieg. »Ist Eure Geschichte zu Ende?«
»Sie ist es bald, Herr Johannes. – Das gute, schuldlose Kind wies den kühnen, zudringlichen Bewerber ab, verbot ihm das Zimmer, sagte ihm in's Gesicht, daß sie ihn und seinen Lebenswandel hasse, verabscheue. – Magnus lächelte und ging. Er haßte jetzt seine Cousine, und als er die Gelegenheit erspäht hatte, schlich er sich in stiller Nacht auf nur ihm bekannten und zugänglichen Wegen in ihre Kammer –«
»Weiter! Weiter!« schrie Lips, den Tisch mit beiden Händen umklammernd.
»Und zwang sie seinem Willen!« flüsterte der Maulwurffänger.
Ein Schrei des Räubers hallte wieder an dem grauen Kellergewölbe, dann hörte
man ein
Heinrich sprang helfend auf, doch Lips erhob sich schon wieder aus eigener Kraft, stieß die zerbrochene Tafel von sich und befahl, einen andern Tisch herbeizubringen, was ohne Zaudern geschah.
»Ich bitte Euch jetzt,« sagte er mit ruhiger Haltung, aber bleich vor Entsetzen und mit bläulichen, zitternden Lippen, »ich bitte Euch, Heinrich, endiget!«
»Das entehrte Mädchen schwieg bis vor wenigen Tagen. Da drang Graf Erasmus in sie, weil sie immer elender, immer bleicher ward, und als sie die Schandthat seines Sohnes ihm gestand und daß sie die schreckliche Hoffnung habe, Mutter zu werden, da raufte der Greis sein Haar, verfluchte den Sohn und stürzte vom Schlage getroffen bewußtlos zu Boden. Seine Diener hoben eine Leiche auf. In vier Tagen soll er mit allem Pomp des alten Grafenhauses beerdigt werden.«
»Ich erinnere mich mit Wehmuth jenes Pfades,« sagte er. »Des Grafen Schwester, so jung, so schön, so unschuldig, wie Ihr Herta beschreibt, ging ihn oft, um auf den freien Zinnen der alten Burg Unterricht in der Sternenkunde zu nehmen. Es war der Weg zu ihrem Tode! Und nun –«
Schaudernd unterbrach sich der gerührte Räuber, als habe er ein tiefes heiliges
Geheimniß zu verschweigen; dann fragte er mit einiger
»Ihr kommt als Abgesandter der armen Wenden, Heinrich, das Euch zugesendete Stichwort sagt es mir. Welch ein Anliegen haben sie an mich? Was kann ich für sie thun? Beabsichtigen sie ihren Zwingherrn zu züchtigen?«
»Ja,« sagte der Maulwurffänger, »ich komme im Auftrage dieser armen unterdrückten Leibeigenen. Sie Alle wissen, daß der plötzliche Tod des alten Erasmus den großen Grundbesitz dieses Mannes in die Hände seines Sohnes bringt. Der Graf ist ohne Testament gestorben, wenigstens hat sich keines gefunden. Magnus wird als alleiniger Sohn Universalerbe des unermeßlichen Vermögens. Er kann damit schalten und walten nach Gutdünken, er kann seine nächsten Verwandten, er kann vor Allem die arme verlassene Herta quälen, so lange es ihm Vergnügen macht, und wie ich ihn kenne, wird er es thun, wenn sie ihm nicht die Hand reicht, was er vielleicht beabsichtigt –«
»Nimmermehr!« rief der Räuber. »Herta soll eher auf den Landstraßen betteln,
soll verhungern,
»Das ist ungefähr auch meine Meinung,« fuhr der Maulwurffänger fort. »Allein Ihr werdet begreifen, daß im Guten mit diesem Wütherich nichts anzufangen ist. Gesichert in seinen Rechtsansprüchen verlacht er uns Alle und thut doch, was er will. – Darum sind die Leibeigenen entschlossen, sich in Masse gegen ihn aufzulehnen, ihm einen förmlichen Vertrag abzunöthigen, der Herta's Zukunft sichert und ebenso der Tochter Sloboda's ein Jahrgeld zuspricht, und will er sich diesen Forderungen nicht fügen, im Nothfall mit Waffengewalt ihn dazu zu zwingen. Ihr aber, Herr Johannes, sollt als ein in heimlichen Belagerungen erfahrener und, wie das arme Volk am besten weiß, nicht so schlimmer Mann, als Euch die Verleumdungen der Reichen schildern, Ihr sollt diesen Aufstand leiten und ordnen.«
»Hört mich an,« erwiederte der Fürst der Haide, »und wollt Ihr, daß ich
gemeinschaftliche Sache mit Euch machen soll, so laßt mir freie Hand in dieser
Angelegenheit. Ich mache sie ganz zu der meinigen, denn sie ist die meinige.
Statt aller Antwort drückte der Maulwurffänger dem ungewöhnlichen Räuber, dessen Schicksal ihm in seltsame Schleier gehüllt zu sein schien, herzlich die Hand, worauf von der bisher besprochenen Angelegenheit unter den beiden Männern nicht mehr die Rede war.
Lips befahl der früher am Ofen beschäftigten Frau, das Abendessen aufzutragen, was sogleich ohne Widerrede geschah. Uneingeladen nahm Heinrich daran Theil, da er, wie uns bekannt ist, sich eines sehr gesunden Appetites erfreute.
Abgesondert von den übrigen Wohnungen des Dorfes lag das Gemeindehaus der
Heimath Sloboda's. Auf dem Lande vertritt ein solches auch die Stelle des
Kranken- und Armenhauses und wird auf Kosten der Gemeinde, zuweilen mit
Zuschüssen des Gutsherrn, in baulichem Stande erhalten. Unter »baulich«
versteht man nämlich in diesem Falle, daß Wände, Gebälk und Dachstuhl nicht
geradezu über den Köpfen der Bewohner zusammenbrechen. Mit allen übrigen zu
einem wohnlichen Hause gehörenden Dingen nimmt man es nicht allzu genau. Daher
gibt es nur äußerst selten Gemeindehäuser mit ganzen Fenstern, guten Oefen,
unzerbrochenen Schemeln, Bänken und Tischen. Dergleichen hält man für
Das Gemeindehaus, von dem wir sprechen, gehörte unter die schlechtesten. Es war einstöckig, Lehmwand und Strohdach waren, jene nach außen, dieses nach innen eingesunken, so daß der Firsten eine Schlangenlinie beschrieb und die kleinen mit Spänen, Papier und Scherben verklebten Fenster jeden Augenblick auf die Straße zu fallen drohten. Von der Feuerösse waren blos noch vier stumpfe Pflöcke übrig. Ein Gewittersturm hatte das runde Schutzdach entführt und seitdem fanden Regen und Schnee ungehindert Eingang in diese Höhle der Armuth, Krankheit und Noth.
Glücklicherweise war das Dorf nicht stark bevölkert, so daß die Zahl der
Bewohner des Gemeindehauses sich nur auf vier Individuen belief. Zu diesen
gehörte auch Sloboda's verwittweter Sohn, der »närrische Nathanael,« wie ihn
seine Bekannten nannten. Seit er den Verstand verloren hatte, war er hier
untergebracht worden, weil es Sloboda an Zeit fehlte, den Unglücklichen zu
beaufsichtigen und zu pflegen. Denn im Gemeindehause mußte auf Kosten der
Gemeinde
Eigentlich hätte Nathanael keine Wartung gebraucht. Er war der stillste,
gemüthlichste, lenksamste Wahnsinnige, den es geben konnte. Wer an der
baufälligen Hütte vorüberging, konnte sein blasses, immer lächelndes Gesicht
entweder in der Oeffnung einer fehlenden Fensterscheibe sehen, was ganz den
Anstrich hatte, als habe man statt des Glases eine menschliche Larve mit
beweglichen Augen hineingeklebt, oder ihn selbst vor der lochartigen Hausthüre
betrachten, wo er, einen Knüttel im Arm, Wache stand und wie ein Posten
gravitätisch auf- und niederging. Er that keinem Kinde etwas zu Leide, war mit
Allem zufrieden, aß und trank, wenn man ihm etwas gab, und fastete ohne Murren,
wurde dies vergessen. Gewöhnlich sprach er mit sich selbst, und so wenig man
auch von seinen Reden verstehen konnte, so war doch aus vereinzelten Worten und
aus stets wiederkehrenden Wendungen und Gedankenbruchstücken abzunehmen, daß er
des festen Glaubens lebe, seine erschlagene Frau habe ihm einen Knaben
hinterassen,
An alle dem hatte bei Lebzeiten der unglücklichen Frau Niemand gezweifelt,
jetzt aber durch des Irrsinnigen Reden aufmerksam gemacht, erhoben sich ganz im
geheim einzelne Stimmen, welche andeutungsweise behaupteten, es sei damals bei
der Entbindung von Nathanaels Frau nicht ganz nach Recht und Gerechtigkeit
zugegangen! Ihr Kind habe wohl gelebt, indeß – später sei es als todtgeboren
begraben wor den! – Solche Gerüchte liefen, wie gesagt, jetzt um, allein wer
hätte Zeit, Lust und Bedürfniß gehabt, ihrem Ursprunge nachzuspüren und die
Wahrheit zu ermitteln! Die arme Frau war todt, Nathanael verrückt und sein
Vater hatte mit der einzigen Tochter Kummer genug, als daß irgend einer seiner
Mitbrüder ihm eines hohlen Gerüchtes
Fast alle Tage besuchte der bekümmerte Vater seinen unglücklichen Sohn, um ein paar Worte mit ihm zu reden und sich von seinem elenden Hinvegetiren zu überzeugen. Stand Nathanael Wache vor der Thür, so ließ er den Vater nich in's Haus, denn er behauptete dann, sein Knabe sei drinnen in der Pension, werde zum vornehmen Herrn erzogen und erhalte jetzt eben Unterricht in feiner Lebensart; wer nun da Einlaß begehre, der beabsichtige, ihn zu entführen und wieder unter die Bauern zu verstoßen. Lag dagegen das blasse Gesicht des Wahnsinnigen in der fehlenden Fensterscheibe, so durfte Sloboda eintreten und dann erzählte ihm Nathanael die Verirrung seines Kindes beim Begräbniß der Mutter. Um diese beiden fixen Ideen drehte sich nun schon seit langen Monaten der Gedankengang des Unglücklichen. –
Am Tage nach Heinrichs nächtlicher Zusammenkunft mit Lips machte Sloboda seinen
gewöhnlichen Besuch im Gemeindehause. Es war nach der stürmischen Schneenacht,
wie dies zu Anfang Herbst oft geschieht, am Morgen wieder
Nathanael lag mit dem lächelnden Gesicht im Fensterloche und sah mit den blödsinnigen, ausdruckslos gläsernen Augen auf die Haide, über deren blauschwarzem Walle die äußersten Thurmspitzen des fernen Schlosses Boberstein deutlich zu erkennen waren.
»Guten Tag, Nathanael,« sagte Sloboda grüßend, »es will nochmals Sommer werden, scheint es.«
»Er kommt doch nicht wieder,« entgegnete mit traurigem Kopfschütteln der Wahnsinnige, indem er das Fenster verließ, um seinem Vater bis an die Stubenthür entgegen zu gehen.
Außer ihm war noch eine alte Frau in der dunstigen schmutzigen Stube, die auf
der Ofenbank saß und die Spindel drehte. Ein paar Ueberreste von Dielen waren
erst am Morgen aufgebrochen und in kleine Stückchen zerspalten worden, um Feuer
damit anzumachen, denn das Reißig war ausgegangen und die Gemeinde hatte noch
kein neues geliefert, weil der Vorstand vergessen hatte, anzuzeigen, daß alles
Holz der Armen
In dieser ungesunden, ekelerregenden Wohnung lebte Nathanael und dieses Leben würde für ihn unerträglich gewesen sein, hätte ihn die Außenwelt überhaupt noch gekümmert. Die Nacht, welche seinen Geist umhüllte, verdeckte auch mit wohlthätigem Schleier das entsetzliche Elend seiner Umgebung.
»Er kommt noch immer nicht,« sagte er zu
»Wenn die rechte Zeit kommt, werden sie ihn schon finden,« erwiederte Sloboda mit schwerem Seufzer. »Warten, Geduld haben ist leider unser aller trübes Loos auf dieser unvollkommenen Erde!«
»Geduld! – Ich hatte immer viel Geduld.«
»Weißt Du schon von dem Todesfalle?« fragte Sloboda.
Nathanael sah den Vater blöd lächelnd an, dann erwiederte er: »Es wird bald ein großes Sterben kommen – unter die Hochmüthigen. Alle Bäume trauern schon – das sieht so fürchterlich aus.«
»Sie trauern um ihren Herrn, den Grafen.«
»Graf? – Graf heißt Schurke. Marianne hat's hundertmal gesagt.«
»Nicht immer, Nathanael! Graf Erasmus, der nun zu seinen Vätern gegangen ist, war ein braver Mann.«
Sloboda hatte seinen Sohn noch nie in solcher Stimmung gesehen und wußte nicht, wie er sich die unverständlichen Reden deuten sollte. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, fragte er, ob er Lust habe, den alten Grafen auf dem Paradebette zu sehen, so wenig er selbst daran dachte, das graue Schloß zu diesem Zwecke zu besuchen.
Mit dem wahrhaft entsetzlichen stereotypen Lächeln auf seinem blassen Gesicht trat Nathanael nach dieser Frage an sein Fenster, legte den Finger in die Oeffnung und sagte:
»Schloß dort drüben! Abends die Sonne dahinter – immer ein gräfliches Paradebett!«
Dann legte er das Gesicht wieder in die zerbrochene Scheibe und ohne sich
ferner noch um seinen unglücklichen Vater und dessen an ihn gerichtete Fragen
zu bekümmern, sah er unverwandt hinüber auf die Haide und die vier Thürme von
Boberstein, dessen hohe Schieferbedachung mit den vergoldeten Kreuzen, Knöpfen
und Windfahnen jetzt im Goldschaum der Abendsonne zu
Aus der Thür dieses Asyls der elendesten Armuth tretend, ließ er seine melancholischen Augen über die dunstige, jetzt mit einem breiten Gürtel purpurn flimmernden Duftes umwundene Haide gleiten und sie auf den blitzenden Spitzen der Schloßthürme ruhen. Eine Fluth der widersprechendsten Gedanken trieb mit Sturmeseile durch seinen Geist, ohne daß er in seiner tiefen Niedergeschlagenheit im Stande gewesen wäre, nur einen einzigen, ihm praktisch scheinenden, festzuhalten und in ruhiger Ueberlegung weiter zu verfolgen. Nach einiger Zeit, keines vollkommen klaren Gedankens sich mehr bewußt, schritt der Wende gebeugten Hauptes die kothige Gasse entlang, welche das Dorf in zwei gleiche Hälften theilte. Auf dieser Wanderung überholte ihn ein Anderer und grüßte ihn ermuthigend mit den Worten:
Es war der Maulwurffänger, der unermüdlich die halbe Nacht durchwandert war und jetzt schon wieder von einem anstrengenden Gange durch eine Menge zu Boberstein gehörender Dorfschaften kam. »Lips ist unser mit Herz und Hand und voll Feuer und Flamme! Ich sage Dir, Jan, der Mann hat einen Zweck bei seinem Thun, und wie hart immer Sitte und Gesetz dies tadeln mögen, auf wessen Seite das größere Recht zu finden sein dürfte, das ist noch eine schwer zu beantwortende Frage. Ein feiner, verschlagener und in vielem Betracht auch rechtlicher Mann ist unser Fürst der Haide und einen Giftzahn hat er jetzt auf den Blauhut, daß mir fast bange wird um das Leben des exquisiten Schurken.«
»Er will also unsere Partie ergreifen?«
»Mehr, mehr, Freund Jan! Er will uns blos zur Stütze haben und übrigens die
ganze Angelegenheit zu seiner eignen machen! Laß Dir genügen, wenn ich Dir
sage, daß Lips ein alter Bekannter von mir ist und daß er die Heimlichkeiten
der gräflichen Familie besser kennt und Schlimmeres von ihr wissen muß, als wir
ahnen!
»Sprächst Du nicht zu mir, dann würde ich die ganze Erzählung für ein Märchen erklären,« versetzte Sloboda, »und weil uns wirklich zu unnützen Fragen und Erörterungen keine Zeit übrig bleibt, unterlasse ich alles vergebliche Forschen. Du sprichst, er ist der Unsrige mit seinem ungeheuren Anhange, er will theilnehmen an der Rache, die unser Gewissen fordert, und somit erkläre ich ihn für meinen Freund, meinen Bruder. – Seid Ihr einig geworden über Zeit und Stunde?«
»Uebermorgen Abend, während Familie und Dienerschaft am Sarge des Verstorbenen knieen und Thränen heucheln, soll der Angriff geschehen.«
»Auf welche Art?«
»Das wollte mir Lips nicht mittheilen. Wir sollen überhaupt keinen thätigen
Antheil nehmen an dem, was er zu thun gesonnen ist, nur im Rücken sollen wir
wachen, damit nicht fremde Eindringlinge ihn überrumpeln und den ganzen Plan
zerstören. Dies hat für Euch Wenden das
»Daß nur kein Schwächling uns verräth!«
»Sorge nicht, Jan! Deine gesammten Stammesgenossen beseelt nur ein Gedanke:
Bestrafung des Verbrechers und Losreißung von seiner Herrschaft. Seine letzten
Schandthaten, die ihn aus dem Verbande der Menschheit ausstoßen, machen jeden
Fürsprecher verstummen. Er ist reif zur Aerndte und so soll denn auch die
Sichel, welche ihn mähet, mit aller Kraft an ihn gelegt werden. – Heute Nacht
beginnt der persönliche Aufruf auf allen Haidedörfern. Ich selbst habe den
Richtern beim Aufsetzen der Verordnung redlich geholfen. Es bedarf nun blos
noch des von Haus zu Haus wandernden Krummholzes. Es wird diesmal auch an die
Thür der niedrigsten
Während dieses Gesprächs hatte Sloboda sein Haus erreicht und nöthigte den für ihn so unermüdlich thätigen Freund einzutreten und ein frugales Abendbrod mit ihm zu genießen. Wir wissen, daß Heinrich ein solches Anerbieten nie von der Hand wies, wenn es ihm irgend die Zeit erlaubte, und so nahm er auch diesmal die Einladung des Wenden an. – –
Um dieselbe Zeit saß Haideröschen in der geräumigen Wohnstube Ehrholds auf der
Bank am Fenster, ließ flink das Rädchen schnurren und zupfte mit ihren
schlanken Fingern, die ungeachtet der harten Arbeit, der sie sich in der
Wirthschaft unterziehen mußte, immer weiß und zart blieben, den silbernen
Flachs vom Rocken, um das feinste Garn daraus zu spinnen. Es war dasselbe
Rädchen, derselbe Rockenhalter, den sie am lustigen Abend der letzten Spinnte
gebraucht hatte. Seitdem war blos ein halbes Jahr vergangen und ach, welche
Tage des Kummers, welche schlaflos durchwachten, thränenreichen Nächte lagen
dazwischen! – Sie war Frau, die geliebte Frau ihres Erwählten geworden, sie
Seit der unseligen Hochzeitsnacht, die für sie die letzte Nacht irdischer
Freuden gewesen war, trug sie die halbe Trauer. Ein schwarzer lündischer So
genannt, weil das Zeuch früher aus Lund bezogen wurde. Faltenrock umhüllte ihre
zarten Glieder. Das bunte Tuch von lebhaften Farben mußte einem schlichten
weißen Linnentuch weichen, das sie um Hals und Busen legte. Eben so verhüllte
sie sich den Kopf und die schönen seidenweichen goldblonden Haare, die in ein
dickes Nestchen gewunden unter der Frauenhaube um verlorenes Glück und geraubte
Unschuld trauerten. Die aufknospenden Lockenröschen, die ihrem Gesicht einen so
eigenthümlichen Ausdruck schalkhaften Reizes
Mit immer gleicher Beharrlichkeit zupfte Haideröschen die zartesten Fäden aus dem schimmernden Flachse und drehte taktmäßig ihr schnurrendes Rädchen, ohne des Pochens und Schütterns an den Holzwänden zu achten, welche Clemens und sein Vater mit Laub und Stroh gegen die Winterkälte verwahrten. Der schnelle Tod des Grafen Erasmus beschäftigte auch sie und über dem Unglücke Herta's, das in wenigen Tagen zum lauten Geheimniß geworden war, vergaß sie ihr eigenes, der verehrten Herrin so ähnliches Leid. Nun begrisf sie auf einmal das tiefe Verstummen, das entsetzliche Hinstarren des Fräuleins nach jener räthselhaften Nacht, ja sie wunderte sich fast, daß ein so zartes, schönes und gebildetes Wesen, wie Herta es in ihren und Aller Augen war, das Gräßliche hatte überleben können, ohne den Verstand zu verlieren.
Es war bereits so dunkel im Zimmer, daß Haideröschen nicht mehr den Faden
deutlich erkennen
»Hast Du Dich nun entschieden, ob wir zusammen auf's Schloß gehen werden, damit ich dem guten todten Herrn meine Hand zum ewigen Lebewohl reichen kann?«
»Es wird sich nicht thun lassen, liebes Röschen,« versetzte der Gefragte. »Sichern Nachrichten zufolge ist der böse Herr auf Boberstein und Du kannst wohl denken –«
»Ich verstehe, guter Clemens,« unterbrach ihn Haideröschen. »Wir bleiben daheim, ich bete für den geschiedenen Greis, für das arme Fräulein und singe an seinem Begräbnißtage ein Lied zu seinem Andenken. Er wird mir das im Himmel eben so hoch anrechnen, als hätte ich an seinem Sarge geweint. – Wenn soll er denn bestattet werden?«
»Ist es wahr, daß er kein Testament hinterlassen hat?«
»Es geht allgemein die Rede davon.«
»Dann bedaure ich blos das gütige Fräulein! – Nicht wahr, Clemens, Du stehst ihr gern bei, wenn sie es je bedürfen sollte?«
»Ihr und Dir soll mein letzter Blutstropfen fließen! – Aber sie wird unserer Hilfe nicht bedürfen, glaube mir! Der Himmel läßt es gewiß nicht zu, daß ein böser Mensch in allen Genüssen irdischer Glücksgüter schwelgen darf, während eine Gerechte dem Mangel erliegen muß.«
Indem pochte es an die Hausthür und Ehrhold, der hinausging, um zu fragen, wer Einlaß begehre, begann ein kurzes Zwiegespräch mit demselben Nachbar, welcher am Abend, wo die Spinnte erstochen ward, das Gemeindeholz gebracht hatte. Auch kehrte Ehrhold erst nach einigen Minuten wieder zurück.
»Warst Du beim Nachbar, Vater?« fragte Haideröschen schüchtern, denn ihr Herz
sagte ihr, daß eine Zusammenberufung der Wenden eingeleitet werde. Ehrhold
läugnete es nicht, ja er fügte sogar offenherzig hinzu: »Es handelt sich
»Sie wollen ihm doch nicht ans Leben?« fragte Haideröschen besorgt.
»Damit geschähe dem Schufte zu viel Ehre. Nein, blos das Vermögen soll ihm verschnitten werden, und dazu, scheint mir, haben Viele triftige Gründe, wenn alle rechtmäßige Erben von ihm, sowohl lebende wie solche, die noch auf den Eintritt ins Leben warten, zu gleichen Theilen befriedigt werden sollen.«
Bei der letzten Bemerkung seufzte Haideröschen und Clemens ging, um seine
kochende Unruhe möglichst zu verbergen, summend in der Wohnstube auf und ab. Es
trat eine Pause ein, die Niemand von den Dreien zu unterbrechen wagte, bis
Ehrholds Gattin aus der Kammer kam und mit Schüsseln und Tassen im Topfbret zu
klappern begann. Dabei redete sie mit allen Dreien zu gleicher Zeit nach Art
alter
Zum zweiten Male klopfte es draußen, diesmal jedoch an einem der Fensterladen.
»Gott sei uns gnädig!« rief Haideröschen, ihr Rädchen anhaltend, an das sie sich wieder gesetzt hatte, und die Hände im Schooße faltend. »Das bedeutet sicher ein recht großes Unglück, denn grade so klopfte es am Abend der letzten Spinnte, seitdem das Elend unter uns anhob.«
Clemens hatte inzwischen das Schiebfenster aufgestoßen und gefragt, was man begehre?
Eine Stimme, die er nicht kannte, verlangte die »Jungefrau« zu sprechen. Haideröschen hörte dies und stand neugierig auf.
»Wer seid Ihr?« fragte Clemens ziemlich barsch.
»Ich darf's nicht sagen; es ist mir verboten,« antwortete die Stimme. »Ich soll 'was abgeben an die Jungefrau.«
»Von wem?« fragte Clemens schon ungeduldiger.
»Wenn mich die Jungefrau selbst anhören will, werd' ich's ihr nicht verschweigen.«
Clemens fühlte eine Hand auf seiner Schulter.
Ungern und mit verdrießlichem Gesicht trat Clemens vom Fenster zurück. Haideröschen erblickte einen Mann in bäurischer Alltagskleidung.
»Was habt Ihr an mich zu bestellen?« fragte sie freundlich.
»Der Voigt vom Zeiselhofe schickt mich zu Euch, liebe Jungefrau,« erwiederte der draußen Stehende. »Ich bin der Großknecht vom Hofe und eigentlich nicht der beste Freund von unserm Voigt. Weil aber der Mann krank ist und mich schon seit ein paar Tagen anfleht, ich möchte ihm doch den Gefallen thun und zu Euch gehen, bin ich heut in der Dämmerung fortgelaufen. Er hat mir eine Rolle gegeben, vermuthlich mit Schriften oder Verschreibungen – von dem gnädigen Herrn, sagt er –«
»Hört auf, ich will nichts mehr hören!« rief Haideröschen. »Nicht eine
Stecknadel rühre
»So ist's recht!« sagte Clemens. »Immer packe den Rackern auf, daß sie erfahren, wie hoch man ihren Herrn in Ehren hält!«
»Aber liebe Jungefrau, so nehmt doch Vernunft an!« fuhr der Großknecht fort. »Ich bin, weiß Gott, nicht für den gnädigen Herrn und wünschte lieber, der Teufel zerriß ihn heut als morgen und zerfetzte ihn dermaßen, daß nichts von ihm übrig bliebe, als eine Prise Schnupftabak für alle Herren, die just eben so denken wie er, aber den Auftrag des Voigtes muß ich vollziehen, sonst bringt er mich um. Werfts in's alte Gerülle das Ding, wenn Ihr's nicht ansehen wollt, nur nehmt's mir ab, daß ich als ehrlicher Kerl sagen kann: ich hab's richtig abgeliefert.«
»Du nimmst nichts!« befahl Clemens. »Hat der Herr Dir etwas zu übergeben, so kann er selber kommen. Dann will ich ihn schon empfangen.«
»Es ist sehr wichtig,« sagte der Voigt.
»Und wenn Tod und Leben daran hängt, Du nimmst es nicht!« rief Clemens wie besessen.
»Nun so erbarme sich Gott meiner und des Voigtes!« murmelte der Großknecht. »Seine Gnaden haben mit Galgen und Rad gedroht, wenn das Röllchen nicht vor Beerdigung des verstorbenen Herrn Grafen in der Jungefrau Hände gekommen sei, und wer ihn kennt, der weiß, daß er Wort zu halten pflegt. Wenn Ihr aber durchaus nicht wollt, nun gut, so weiß ich, was ich thun muß. Ich gebe das Ding zurück und flüchte mich noch in dieser Nacht in die Haide, um morgen nicht zu fehlen. Dann wär's möglich, daß weder Voigt noch Graf jemals ein Wort wieder von mir hörten.«
»Was soll das heißen?« fragte Haideröschen ihren Gatten. »Wäre wirklich etwas im Werke? Ein Angriff auf den Zeiselhof? – Vater, wie ist das?«
»Gedulde Dich bis morgen!« sagte Ehrhold
Haideröschen sah noch einmal zum Fenster hinaus, um durch neue Fragen dem Großknechte Näheres zu entlocken, der so schnöde Abgewiesene war aber inzwischen, ohne gute Nacht zu wünschen, seiner Wege gegangen.
Nun fühlte sich die junge Frau so beunruhigt, daß sie den Rest des Abends für nichts mehr Sinn hatte und die ganze Nacht theils schlaflos, theils von fürchterlichen Träumen geängstigt, zubrachte.
Unsere Leser erinnern sich, daß in Haideröschens verhängnißvoller
Hochzeitsnacht die zu feierlichem Schwure niederknieenden Wenden die weithin
schallenden Hufschläge des davon jagenden Grafen hörten. Magnus trieb nicht das
innere Entsetzen über die eigene Schandthat von dem Schauplatze des
Verbrechens, nur die Furcht, im Augenblick der Entdeckung von den zu
ausgelassener Lust wie zu rasender Wuth aufgereizten Leibeigenen zerrissen zu
werden, veranlaßte ihn, in größter Eile zu fliehen. Die That selbst hatte er
dem strengen Rechte nach nicht zu scheuen; denn als Herr und unumschränkter
Gebieter stand ihm nach uraltem Herkommen das jus primae noctis zu, und wenn er
es ausübte, durch List
Später stiegen allerdings Zweifel in ihm auf, und als er durch genaue Erkundigungen erfahren hatte, daß Haideröschen Mutterfreuden entgegensehe, beschlich ihn ein großmüthiger Gedanke. Er dachte nicht daran, die Frucht wilder Sinnenlust und capriciöser Herrenlaune vor der Welt anzuerkennen, aber zu gleich lehnte sich der Stolz des Aristokraten gegen den Zufall auf, dem es in höhnischer Ironie einfallen konnte, den Sohn des reichen Grafen ein langes langes Leben als Bettler durch die erbarmungslose Welt zu hetzen. Schon diese Möglichkeit, die bei nur einigem Nachdenken, bei nur mittelmäßigem Combinationstalent sich in grauenvolle Wahrscheinlichkeit verwandelte, empörte ihn. Deshalb mußte einer so entwürdigenden Lage seines Sprößlings vorgebeugt werden.
Lange war Magnus unschlüssig, was er thun wollte. Er wartete von Woche zu
Woche, von Monat zu Monat. Am liebsten hätte er eine so delicate Angelegenheit
mit Röschen persönlich besprochen, allein er sah wohl ein, daß er von dem
Versuch, mit ihr ungesehen zu verkehren,
Diese auffallenden Zeichen tiefen Grams und nach Innen sich einwühlenden
Unmuthes entgingen Magnus nicht. Zugleich rief er sich die Aeußerungen des
Maulwurffängers in Bezug auf das Vorhandensein einer Verschwörung unter den
leibeigenen Wenden wieder ins Gedächtniß. Noch glaubte er zwar nicht daran,
denn er kannte die Friedliebe und Muthlosigkeit dieses armen, unterdrückten,
ungebildeten Völkchens, allein er konnte doch auch nicht umhin, rückwärts zu
blicken auf Welt- und Sittengeschichte. So oft er dies that, überrieselten ihn
eiskalte Schauer und eine nicht zu beseitigende Furcht vor der Zukunft
bemächtigte sich seiner. Thaten, wie sie rohe Herrenwillkür
Aus diesen Gründen setzte er sich hin und entwarf eine Schenkungsurkunde, laut
welcher Röschen Sloboda, im Falle sie lebendige Kinder zur Welt bringe, nach
seinem Tode den fünften Theil seiner sämmtlichen liegenden Gründe als
Entschädigung für das ihr durch ihn zugefügte Unrecht als rechtmäßige Erbin
erhalten sollte. Magnus war schlau genug, die Formel dieser Urkunde so
allgemein wie immer möglich zu halten, denn im Ernst dachte er gar nicht daran,
sein zukünftiges Besitzthum auf solche Weise zu zerstückeln. Eben deshalb war
auch des Ablebens
Wie aber dieses Papier in Haideröschens Hände bringen? Anfangs wollte er selbst
sein eigener Bote sein. Dies gab er jedoch bald auf, denn er sah ein, daß die
jugendliche Frau des Freibauers Clemens wie eine Fürstin bewacht wurde und
durchaus jeder noch so schlau angelegten List unzugänglich bleiben mußte.
Gewaltsames Eindringen wäre allerdings noch möglich
Nach langem Hin und Hersinnen entschloß er sich endlich, den Voigt mit dieser
Sendung zu belasten. Er war der einzige Mensch aus seiner näheren Umgebung, dem
er noch vertrauen konnte, da die persönlichen Juteressen desselben an die
seinigen geknüpft waren. Der Voigt wurde von dem Gesinde, das er beaufsichtigte
und tyrannisirte, gehaßt als das blind gehorchende Werkzeug des gefürchteten
Herren. Schon deshalb konnte dieser Mann nicht von ihm abfallen. Alle Uebrigen,
sowohl Dienerschaft wie Knechte und Mägde, waren ihm feindlich gesinnt und zu
offenem Aufstande geneigt, wenn das Zeichen dazu gegeben ward. Vor diesen also
mußte er sich hüten. Erst, wenn Haideröschen das Papier empfangen und gelesen
hatte, und der Inhalt desselben von ihren nächsten Verwandten den Bewohnern
Zu diesem Behufe schlug nun Magnus die entworfene Schenkungsurkunde für Haideröschen und deren Nachkommenschaft in Wachsleinwand und übergab sie dem Voigte mit der Weisung, dieselbe in den nächsten Tagen an die verehelichte Clemens abzuliefern. Von dem Inhalt der Rolle ließ er nichts verlauten und der Voigt war nicht der Mann, aus Neugierde danach zu fragen. Er sagte zu und Magnus dachte nicht mehr daran.
Da starb Erasmus in Folge der Entdeckung, welche ihm seine unglückliche Nichte gemacht hatte. Die bestürzte Utta sendete sogleich einen Eilboten an ihren Sohn ab, damit er als Universalerbe persönlich Besitz von der Burg nehme. Ein Testament war nicht vorhanden, mithin über Erbschaft und Erbschaftsantritt gar kein Zweifel.
Magnus gehorchte auf der Stelle seiner Mutter, im Herzen froh, den Vater nicht
mehr
Der Voigt hatte auch den besten Willen, aber er er krankte plötzlich, wie wir wissen, und der nach Magnus Dafürhalten so überaus schlau angelegte Plan scheiterte gänzlich. Als der Großknecht an dem erwähnten Abende verdrießlich wieder zurückkam und dem im Bett liegenden Voigte die Rolle einhändigte, warf dieser sie ebenfalls ärgerlich in ein altes Pult, wo verschiedene Papiere und Briefschaften, die Niemand brauchte, aufbewahrt wurden, und sagte: »Nun so bleibt's, bis ich wieder gesund bin. Wir Beide können's nicht ändern. –«
An demselben Abend gegen Mitternacht wußte alles Gesinde auf dem Zeiselhofe, was die Wenden im Sinne hatten, und nicht ein Einziger, selbst nicht die Mägde, weigerten sich, ihre Theilnahme zuzusagen. Der kranke Voigt allein erfuhr nichts von der still fortglimmenden Verschwörung gegen seinen verachteten Herrn.
Die trauernde Dienerschaft begrüßte den jungen Erben mit der ihm zukommenden Ehrerbietung, doch schweigend und düster gestimmt. Magnus achtete nicht darauf. Er eilte mit schnellen Schritten die Freitreppe hinan – denn in der Schloßhalle ruhte bereits die Leiche des Grafen – um am Busen seiner Mutter den zärtlichsten gerührtesten Sohn zu heucheln.
Als sie nun das berechnete Bubenstück ihres
Einen wahren Trost gewährte ihr in dieser Noth die Gewißheit, daß ihr Gemahl
ohne testamentarische Verfügungen gestorben war. Als einziger Erbe, der
keinerlei Legate zu zahlen hatte, war Magnus jetzt einer der reichsten Adligen
in Deutschland, der nöthigen Falls auch einige Prozesse ohne merkliche
Vermögensverluste durchfechten konnte. Entehrt, von der öffentlichen Meinung
gebrandmarkt wollte sie ihren Sohn nicht sehen, und außerdem war sie doch so
sehr Weib, daß ihr die verübte That Alles zu übertreffen schien, was ein
gewissenloser Mann einem wehrlosen Mädchen zufügen kann, und so dachte sie
Mit nicht erkünstelter Kälte empfing Utta den jungen Grafen, der sich anfangs sehr ergriffen zeigte und dem Todten alle möglichen Lobsprüche ertheilte. Seine Mutter hörte diesen Ergüssen eines nach dem Erbe gierenden Sohnes gelassen zu, dann aber erzählte sie ihm eben so ruhig wie ernst die Veranlassung zum Tode ihres Gatten und wie er, ihn verfluchend, seinen Geist aufgegeben habe. –
Das hatte Magnus doch nicht erwartet, und weil es ihn so ganz fremd, als grauenvolle Wahrheit überraschte, darum brach er fast vor den gräßlichen Folgen seiner That zusammen. Er war so ganz zerschmettert, daß er weder aufzusehen noch zu antworten wagte. Schweigend ließ er die gerechten Vorwürfe seiner zürnenden Mutter über sich ergehen, die, einmal in den Fluß gekommen, auch wirklich den Verbrecher nicht eben zart und rücksichtsvoll behandelte.
»Es ist jetzt Deine Pflicht,« sagte sie, »Deiner Cousine die Ehre wiederzugeben. Noch weiß Niemand unserer hohen Verwandten das Vorgefallene, meine Nichte hat sich sehr klug, sehr edel, völlig unegoistisch benommen. Ihr Augenmerk war blos auf unser altes Geschlecht gerichtet; darum schwieg sie so hartnäckig still. Du wirst demnach noch heut um Herta werben und Dich vierzehn Tage nach dem Begräbnisse Deines Vaters mit ihr verbinden.«
»Theuerste Mutter,« erwiederte Magnus, Utta's Hand mit Küssen bedeckend, »Sie
sprechen den tiefsten, den heiligsten Wunsch meines reuigen Herzens aus! Ich
liebte Herta immer, ich habe sie geliebt vom ersten Augenblicke an, wo ich sie
kennen lernte, bis auf die gegenwärtige Minute. Meine Cousine kannte meine
Leidenschaft, aber sie gefiel sich darin, mir kalt, schneidend, abweisend zu
begegnen. Sie ließ es mich so oft fühlen, daß ich nicht rein sei und
Solche Zerknirschung versöhnte Utta schnell wieder mit ihrem Sohne. Sie hörte es gern, daß Magnus einer großen überwältigenden Liebe fähig und dieser erlegen war, und sie hielt es nach diesem reuigen Geständniß für Mutterpflicht, dem Gesunkenen die Hand zu reichen und ihn mit Milde wieder aufzuheben.
»Ich werde Dir Gelegenheit verschaffen, Herta ohne Zeugen zu sprechen,« sagte
Utta schon
»Willig füge ich mich allen Bedingungen, meine gütige Mutter! Um den Besitz der geliebten Herta mir zu erringen, würde ich das Himmelreich opfern!«
»Es wird so großer Opfer nicht bedürfen,« sagte die Gräfin. »Ich werde Dich bei Herta selbst anmelden und sie auf Dich und Deinen Antrag vorbereiten.«
Magnus klopfte das Herz; denn obwohl er das von seiner Mutter angedeutete Ziel
wünschte, schlug ihm doch auch das böse Gewissen und eine ernste Frage an sich
selbst sagte ihm, daß er Herta nicht mehr liebe, sie vielleicht nie geliebt
habe. Ihre Schönheit, ihre Jugend, ihr hoher Geist und der verführerische
Trotz, den
Indeß war Utta keine Frau, die einen einmal entworfenen Plan, wenn er größeren Zwecken zu entsprechen schien, sogleich wieder aufgab oder einen Entwurf nur zur Hälfte ausführte. Ihr langer Verkehr mit ihrem jesuitischen Onkel hatte sie die Wichtigkeit consequenten Handelns kennen gelehrt, und wie sie im Denken und Leben von der praktischen, ob auch unlautern Weltweisheit des feinen, vielerfahrnen Mannes den Schein als glänzenden Ersatz eines in der Wirklichkeit nicht vorhandenen Gutes kennen gelernt hatte, so hielt sie auch Alles für erlaubt, was nicht durch ausdrückliche Gesetze verboten war, oder was durch ein betrügliches Spiel des Geistes, gleichsam durch ein Volteschlagen aus Schwarz in Weiß, aus Böse in Gut, aus Verlust in Gewinn verwandelt werden konnte.
Eine Viertelstunde später meldete Emma ihrer traurigen Gebieterin den jungen Grafen. Herta winkte der Zofe, ihren Cousin einzulassen und sich zurückzuziehen.
In einfacher schwarzseidener Kleidung, ein Florband durch ihr schönes Haar
gewunden, saß Herta in der Epheulaube ihres Fensters. Grüßend erhob sie sich
beim Eintritt des Grafen, den sie mit anmuthiger Handbewegung aufforderte,
niederzusitzen. Zum ersten Male in seinem Leben war Magnus verlegen und in
Folge dessen etwas linkisch. Er rückte einen der altmodischen, aber kostbaren
Stühle in Herta's Nähe und sich nach seiner Gewohnheit auf die Lehne stützend,
überflog er die reizenden Züge seiner
»Auf Fürbitten meiner geliebten Tante, Ihrer verehrten Frau Mutter,« sprach sie vollkommen ruhig, »habe ich mich entschlossen, Sie zu sprechen, Herr Graf. Ich ersuche Sie daher, mir Ihr Anliegen in möglichster Kürze vorzutragen, da Sie hoffentlich einsehen werden, daß unsere Unterhaltung keine ausführliche sein kann.«
»Es scheint mein Schicksal zu sein, theure Cousine,« versetzte Magnus, »Ihnen stets widersprechen zu müssen, und weil dies denn einmal so ist, so stehe ich nicht an, auch jetzt eine andere Meinung zu verfechten. Mich dünkt, liebe Herta, nie hätten zwei Menschen mehr Ursache gehabt, sich recht viel zu sagen, als wir.«
Herta erröthete und der Zorn grub eine leichte Falte in ihre weißglänzende Stirn. Sie erwiederte:
»Da ich Ihnen nichts zu sagen habe, Herr Graf, so fahren Sie fort.«
»Lassen wir diese erkältenden Förmlichkeiten, theure Herta,« sagte Magnus
wärmer und dringender, indem er den Stuhl einen halben Schritt näher an Herta's
Sitz schob, »sprechen wir wie
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Sie wollen mich nicht verstehen, Herta! – Ein Unglücklicher, ein von den grausamen Rachefurien eines schuldbeladenen Gewissens furchtbar Gepeinigter steht vor Ihnen. Bittere Reue nagt an seinem Herzen, der Fluch eines Vaters lastet auf seiner Seele und dennoch, dennoch wagt er zu hoffen, wagt er leben und wieder unter gesittete Menschen treten zu dürfen, ohne daß man ihm ausweicht, wie einem Scheusal! Er wagt dies, wenn Sie, Herta, Ihre Engelshand ausstrecken, sein schuldbeladenes Haupt damit berühren und ihm vergeben!«
Magnus schob den Stuhl zur Seite und ließ sich mit Heftigkeit vor der ernsten stillen Mädchengestalt auf ein Knie nieder.
»Stehen Sie auf, Herr Graf! Um Komödie zu spielen, wählen Sie den Ort schlecht.«
»Komödie spielen! Sie nennen Komödie spielen, was mein Herz zerreißt, was mit Höllenqualen meine Seele foltert!«
»Es gab eine Zeit, wo ich weit mehr litt, Graf! Damals ergetzten Sie sich an
den Qualen
»Ich bekenne mich ja schuldig, theure, geliebte Herta –«
»Mißbrauchen Sie nicht ein so heiliges Wort, ich verbiete es Ihnen!« unterbrach Herta mit edlem Zorn die Rede des Grafen, »Sie kennen keine Liebe, Sie trachten nur nach Sinnenlust, nach betäubendem Rausch! Gehen Sie und befreien Sie mich von Ihrer verhaßten Gegenwart!«
Magnus hatte die Lehne des Stuhles wieder erfaßt. Seine Cousine, die ihm immer reizender erschien, schon mit zuversichtlicherem Auge betrachtend, versetzte er:
»Herta! Mein Vater ist aus dieser Welt geschieden, ohne mir die Hand gereicht zu haben. Wie die Sachen stehen, muß ich mich für seinen Mörder halten! Begreifst Du, welch entsetzliches Gewicht, welch gräßliche Anklage darin liegt? – Soll ich erdrückt werden von ihr trotz meiner Reue? – Ist es christlich, einen zerknirschten Sünder erbarmungslos zu verstoßen? –«
»Wer verstößt Sie denn?«
»Ich bitte, mir diese Zauberformel zu sagen. Ich selbst kenne sie nicht!«
»Du willst sie nicht kennen, Herta!«
»Ich will Alles, was ich für recht und gut erkenne, Alles, was mein Verstand billigt, was mein Herz zuläßt. Der unaussprechliche Kummer, welchen Sie meinem Wesen eingeimpft haben, hat mich alle Täuschung ablegen lassen und meinen Gefühlen den schönen Reiz entwendet, der alle Glücklichen bezaubert.«
»Das ist sehr sehr traurig!« versetzte Magnus. »Wenn Ihre Gefühle erstorben
sind, dann habe ich freilich nichts mehr zu hoffen, aber ich glaube, Sie
täuschen sich selbst. Wollten Sie nur in die Tiefe Ihres Wesens schauen, so
würden
»Fände ich ihn wirklich noch, dann sein Sie überzeugt, Graf, daß ich ihn nur mit dem Würdigsten theilen würde!«
»Halten Sie einen bußfertigen Sünder solcher Gnade nicht werth?« fragte Magnus mit allem Zauber, der ihm zu Gebote stand.
»Darauf kann ich mir jede Antwort ersparen, Graf. Sie wissen, daß ich Sie nie geliebt habe, weil ich Sie wahrer Liebe nie fähig hielt. Vernehmen Sie jetzt zum letzten Male, daß Sie bei mir nie auf Erwiederung einer Neigung zu rechnen haben, die Sie nur heucheln. Ihr ganzes verdorbenes Wesen ist Lüge, schändliche, schwarze, geschmackvoll vergoldete Lüge! Ich hasse die Lüge und verachte die Jünger derselben. Und nun ich weiß, was Sie zu mir, der tief Gekränkten, der unversöhnlich Beleidigten, trieb, nun vernehmen Sie von mir mein letztes Wort. Ich will mit vergebender Milde die Sünde von Ihnen nehmen und Ihnen verzeihen, aber fortan meiden Sie, mich durch Ihre Gegenwart zu kränken, mich in meinem Kummer zu stören!«
»Theure Herta,« sagte er mit niedergeschlagener, schwankender Stimme. »Du scheinst zu vergessen, daß die Mutter für ihre Kinder eines Vaters bedarf.«
»Gott ist aller braven Mütter gemeinsamer Vater.«
»Und die Welt? Die scheelen Blicke der verleumdungssüchtigen Welt?«
»Wünschen Sie, daß Ihre Schande weltkundig werden soll?«
»Die Deinige, meine schöne Cousine, wird durch meinen Namen zugedeckt. Einer Gräfin von Boberstein begegnet Jedermann mit höchster Achtung.«
Herta stand auf. Sie legte das Buch, in welchem sie während dieses peinlichen Gespräches geblättert hatte, auf den Tisch und trat dem Grafen entgegen. Ihr zürnendes Auge sprühte Funken, ihr Gesicht war mit zarter Röthe überhaucht, der Busen hob sich in heftigster Aufregung.
»Endigen Sie, Herr Graf,« erwiederte sie mit bebender Stimme, »Sie nöthigen
mich sonst,
Da Magnus jetzt alle seine Berechnungen zu Schanden werden sah, kehrte ihm schnell die geistige Keckheit wieder, die er bisher nur mühsam niedergehalten hatte. Selbst gekränkt wollte er noch empfindlicher kränken; denn er erkannte in Herta seine unversöhnlichste Feindin. Mit vornehmer Verbeugung zurücktretend sagte er:
»Ich muß wirklich um Entschuldigung bitten, schöne Heilige, daß Dein Anblick so mächtig auf mich wirkt und mein ganzes Wesen zu einem Spiegel macht, aus dem Du in mich verwandelt Dir selbst vor die Augen trittst.«
»Das überschreitet alle Grenzen,« stotterte Herta für sich. »Herr Graf, ich befehle Ihnen, mein Zimmer zu verlassen!«
»Widerspänstige Zauberin, bedenken Sie wohl, daß zum Befehlen Macht und Recht gehört! Sie besitzen weder das Eine noch das Andere.«
»Ich wünsche noch einmal allein zu sein.«
»Und ich werde mir erlauben, Ihnen noch einige Minuten Gesellschaft zu leisten.
Ich bin Erbe und Herr dieses Schlosses, mein holdes
Höhnisch lag sein satanisch blitzendes Auge auf der üppigen Gestalt der über solche Bosheit entsetzten Herta, die sich kaum aufrecht erhalten konnte. Als er sie zittern und zusammenbrechen sah, umfaßte er sie trotz ihrer abwehrenden Gebehrden.
»Es bedarf jedoch blos eines Wortes,« fuhr er gleißnerisch fort, »und die
Bettlerin trägt eine schimmernde Grafenkrone auf ihren stolzen Flechten. Ich
bin billig, meine Geliebte. Als Vater werde ich auch zärtlich, freigebig und
großmüthig sein. Wenn Du mir aber untreu wirst, dann
Herta saß erblassend, tief und schwer athmend in ihrer Epheulaube. Emma trat ein und überreichte ihr auf silbernem Teller einen Brief. Sie kannte die Hand nicht.
»Von wem?« sagte sie kaum hörbar.
»Ein Köhlerbube brachte ihn,« versetzte die Zofe und verließ wieder das Zimmer. Herta drehte den Brief nachdenkend in den Händen.
»Darf ich gefälligst um Antwort bitten?« sagte Magnus äußerst freundlich.
»Ja das dürfen Sie,« erwiederte die Gekränkte. »Ich flüchte mich an den Busen meiner Tante und wähle Armuth, Schande und Elend!«
»Nehmen Sie meinen aufrichtigsten Glückwunsch zu dieser Wahl und zu dem neuen Lebenslaufe, der drei Tage nach der Bestattung meines hochseligen Herrn Vaters seinen Anfang nehmen wird. Ich empfehle mich der verehrten Cousine auf's Angelegentlichste!«
Magnus verbeugte sich und ließ die unglückliche
»Hat denn der Himmel keine Blitze mehr,« seufzte sie, »um solche Frevler zu strafen und die von ihnen Verfolgten zu erretten?«
Dabei ballte das arme Mädchen ihre kleine Hand und zerbröckelte das Siegel auf dem erhaltenen Briefe.
Als Herta den Brief erbrach, gewahrte sie mit Verwunderung, daß sich der Verfasser desselben nicht genannt hatte. Mit gesteigerter Neugier durchflog sie das Schreiben, dessen geheimnißvoller, auf eine schreckenreiche Vergangenheit hindeutender Inhalt ihre Unruhe und Aufregung noch mehr steigerte. Der Brief lautete:
»Ein Ihnen völlig unbekannter Mann, verehrtes gnädiges Fräulein, bittet um die
Vergünstigung, Sie am Tage nach Empfang dieser Zeilen besuchen zu dürfen. Die
Umstände und sein eigenthümliches Verhältniß zu den Besitzern des Schlosses
Boberstein nöthigen ihn, diesen Besuch einen durchaus geheimen sein zu lassen.
Die Bestürzung Herta's über diesen Brief war groß und bei dem Mißtrauen gegen
Jedermann, das ihr durch Magnus' unverzeihliches Betragen eingeflößt worden,
hatte sie wenig Neigung, den Unbekannten zu empfangen. Bei ruhiger Ueberlegung
jedoch und bei wiederholter
Emma, die ihrer Gebieterin mit unbegrenzter Liebe ergeben war, wurde erst am nächsten Abend in das Geheimniß gezogen, worauf beide Mädchen in ungewöhnlicher Schweigsamkeit die Erscheinung des Unbekannten in Herta's Zimmer erwarteten.
Die Nacht war ruhig, der Himmel leicht bewölkt. Das melancholische Rauschen der
Haide drang herauf bis in das erstorbene alte Schloß. In langen Pausen schlug
die schrillende Schelle die zehnte Stunde. Gespannter und immer ängstlicher
werdend, harrten die Mädchen des Unbekannten. Eng verschlungen saßen sie
lautlos auf der dunkelsammtenen Ottomane. Da knackte es in Herta's
Schlafzimmer, als ob eine scharfe Feder einschnappe. Die Mädchen sahen einander
an, sie hörten den beflügelten Schlag ihrer Herzen.
»O Gott!« flüsterte Herta und schlang beide Arme fest um den Nacken Emma's, ihr bleiches Antlitz in neugierigem Entsetzen starren Auges halb abgewandt auf die Thür richtend. »Emma, es ist der Graf, es ist Magnus! Niemand als er kennt diesen fürchterlichen Weg!«
Indem wiederholte sich das Klopfen um ein weniges lauter und da auch darauf von Seiten der erschrockenen Mädchen kein »Herein« erfolgte, ward die Thür behutsam geöffnet und ein stattlicher Mann in voller Lebensgröße erschien auf der Schwelle.
Regungslos betrachteten die scheuen Mädchen, ihre furchtsame Stellung beibehaltend, den Fremdling. Dieser blieb ebenfalls ruhig stehen, ließ sein scharfes Auge über beide in schwarze Trauerkleider gehüllte Gestalten gleiten und sagte dann mit wohltönender, kräftiger Männerstimme: »Guten Abend, liebe Kinder!«
Es lag so viel Zutrauliches, Weiches und Väterliches im Ausdruck der Stimme
dieses Mannes, daß die Mädchen nach diesem Gruße froh aufathmeten und
aufstehend sich gegen den
»Empfangen Sie zuvörderst,« hob er mit zitternder Stimme an, »meinen
aufrichtigen, herzinnigen Dank für das Vertrauen, welches Sie mir durch Ihre
Gegenwart schenken, verehrtes Fräulein!« – Dabei richtete er seine Worte
entschieden an Herta, als kenne er sie schon längst. – »Ja,« fuhr er fort, »ich
täusche mich nicht. Sie sind Herta, die arme, schöne, fromme Tochter der nicht
minder armen Schwester Grafen Erasmus von Boberstein! Ist es mir doch, als wäre
sie, die längst Dahingeschiedene, wieder zurückgekehrt in's Leben und sähe mich
mit ihren
Damit ergriff der Fremde Herta's schlanke feine Hand und führte die bebenden Finger an seine Lippen.
»Gütiger Himmel,« stammelte das erstaunte Mädchen, »Sie haben meine Mutter gekannt, räthselhafter Mann! Wer sind Sie? Was haben Sie mir zu eröffnen, daß Sie auf so ungewöhnliche versteckte Weise zu mir dringen?«
Mit schmerzlichem Lächeln ruhte das glühende Auge des Fremden auf Herta. Seine wetterbraunen Züge wurden weich und sanft und seine Stimme zitterte, als er antwortete:
»Sie dürfen und müssen so fragen, theures Mädchen, und ich bin gekommen, Ihnen
Rede zu stehen, Sie zu Fragen und Forschungen aufzumuntern.
»Nie!« betheuerte Herta kopfschüttelnd.
»Nie!« wiederholte der Fremde und seufzte. »Also so ganz hatte man ihn vergessen, oder so geflissentlich schwieg man von ihm, daß nicht einmal in Beisein seines – – Doch bevor ich fortfahre,« unterbrach er sich selbst, »bitte ich inständigst: lassen Sie Ihre Gefährtin in ein Nebenzimmer treten! Ich weiß nicht, ob Sie selbst es billigen würden, wenn ich Ihnen vor Zeugen meine Geheimnisse mittheilte.«
Der gerührte, väterliche Blick des Fremden und sein ergrauendes Haar machten, daß Herta diese Bitte gewährte. »Verlaß uns, Emma,« sagte sie, »und gib Acht, daß wir nicht gestört werden.«
Die Zofe entfernte sich. Lebhafter wendete sich Herta zu dem Fremden, ergriff mit beiden Händen seine Rechte und sagte innig: »Nun, edler Mann, nun reden Sie! Wer war jener Johannes?«
»Ein armer, ein unglücklicher Mann!« erwiederte der Fremde. »Vor mehr als
zwanzig Jahren
»Aber Johannes war kein leichtfertiger, gewissenloser Mann. Er unterschied
streng holdes Spiel von gewichtigem Ernst. Er reizte nicht, wo er zu verlocken
glauben konnte. Anstand und Sitte waren die beiden Genien, denen er auch im
Rausch lebenstrunkener Stunden nie entsagte.
»Johannes hatte im Spätherbst seine ehrenvolle und verantwortungsreiche Stellung angetreten, und binnen einigen Monaten die wilden Auswüchse an den Launen und Einfällen seines Zöglings mit Glück verschnitten. Da kam die junge, schöne Schwester des Grafen Erasmus aus der Residenz, wo sie den Winter in der großen Welt gelebt hatte, zurück auf ihres Bruders alte Haideburg. Eugenie war ein bezauberndes Wesen. Ihre Mutter, theure Herta, läßt sich nur mit der Tochter vergleichen.«
»Beklagen Sie Ihre Mutter nicht, edles Fräulein, Eugenie war glücklich, und als das Unglück über sie herein brach, nahm der erlösende Tod sie sanft in seine Vaterarme.«
Herta stürzten die Thränen in die Augen, während der Fremde ruhig fortfuhr:
»Johannes und Eugenie sahen einander, lernten sich kennen und liebten sich. –
Es gibt Wesen, die beim ersten Zusammentreffen sich in der Tiefe ihres
erbebenden Herzens gestehen müssen, daß sie von Ewigkeit her für einander
bestimmt sind. Ein paar solche ursprüngliche Naturen waren Johannes und Gräfin
Eugenie. Ein Strahl aus ihren Augen reichte hin, in Beide den heiligen
Gluthstrom der Liebe zu gießen, der in den Pulsadern der Welt schlägt und das
Reich der Geister beherrscht. Ueber der Ursprünglichkeit ihrer reinen Neigung,
über der geistig schönen Tiefe ihrer Leidenschaft und der sittlichen Höhe ihres
Standpunktes vergaßen sie, daß es bevorzugte und verachtete Kasten gab; wollten
sie nichts wissen von einem Unterschiede zwischen
Vor dieser Gluthfülle ihrer Neigung sah Johannes alle Hindernisse stürzen, ja
er dachte nicht einmal daran, daß es deren überhaupt geben könne. Er wollte
Eugenie besitzen, bald besitzen und hielt um dieselbe an bei – ihrem Bruder! –
Graf Erasmus lachte dem Hofmeister in's Gesicht und nannte ihn einen Narren. Er
glaubte anfangs wirklich, Johannes erlaube sich in übermüthiger Stimmung einen
Scherz. Als er aber sah, daß der Hofmeister im glühendsten Redestrome nur
seinem überschäumenden Glück Worte gegeben und als er von Eugeniens blühenden
Lippen die Bestätigung vernommen, da trat er stolz an Johannes heran, maß den
jungen Mann von Kopf zu Fuß und sagte verächtlich: »Der Wein von meinem Tisch
ist Ihm zu Gesicht gestiegen. Trinke Er künftighin wie der Wasser, wie sich's
gehört, und esse Er mit meinen Bedienten, damit Er Mores lernt! Und jetzt packe
er sich und verlaufe sich die verrückten
»Johannes blieb wie vom Schlage getroffen stehen. Er glaubte, ein wirrer Traum habe sich festgesetzt in seiner Seele. Er konnte lange Zeit weder Sprache noch gesundes Gefühl wieder erhalten. Als er endlich des ganzen entsetzlichen Unglücks sich bewußt ward, schüttelte ein förmliches Wuthfieber geraume Zeit seinen sehnigen Körper. Damit fand er sich selbst und seine Thatkraft wieder. Er schrieb in den gemäßigsten Ausdrücken an den Grafen. Der Brief kam uneröffnet zurück, mit ihm eine Rolle Gold als Reisegeld, begleitet von dem mündlichen Befehl des Grafen an den Ueberbringer, binnen zwei Tagen das Schloß zu verlassen. – Johannes tobte aufs Neue, er suchte die Diener zu bestechen, um mit Eugenie sprechen zu können, aber alle seine Bemühungen scheiterten an dem hündischen Gehorsam dieser Leibeigenen.«
»Verzweiflung im Herzen ward Johannes am dritten Tage nach der Unterredung mit
Erasmus
»Schon die dritte Nacht sah den kühnen Mann die finstern Steige hinauf, die
ächzenden Treppen, die feuchten gespenstischen Gänge treppauf treppab an den
jauchzenden Mund der Geliebten fliegen, – und von Stund' an begann für die
grausam Geschiedenen beim Lallen des
»Ueber fünf Monate dauerte dieses hohe Liebesglück, um so zauberischer und reicher an Genuß, als es mit Gefahr und mannichfachen Entbehrungen verknüpft war. Johannes hatte nichts unterlassen, um Eugenien eine heitere Zukunft zu sichern. Diese war bereit, dem Geliebten zu folgen, und ein kleines, stilles, dauerndes Glück einem von Glanz und Goldschmuck schimniernden Elend von vielleicht langer Dauer vorzuziehen. Der Tag oder vielmehr die Nacht zur Flucht ward festgesetzt, und als am Vorabend derselben Johannes von ihr schied, gestand ihm Eugenie mit seligem Lächeln, daß ihre Einsamkeit nur kurz sein werde. Ein langer Kuß belohnte dies süße Geständniß.«
»Zum ersten Male seit seiner Verbannung aus dem Schlosse hatte sich Johannes
bis zur Morgendämmerung aufgehalten. Ein ungewöhnlich starker Thau war
gefallen, der in Millionen zarten Perlen auf Gräsern, Stegen und Steinen
»Voll froher Erwartungen, sich dem Ziele so nahe zu sehen, ersteigt Johannes um
Mitternacht auf bekanntem Felsenpfade das Schloß. Niemand sieht, Niemand stört
ihn. Er erreicht die Zinne, die innern finstern Gänge. Bis dicht an das Gemach
der Geliebten dringt er vor, da fällt plötzlich verrätherisch blendendes Licht
auf ihn und auf beiden Seiten in engen Nischen, die er nie gewahrt hatte,
zeigen sich Bewaffnete, Erasmus an ihrer Spitze. – Zwar wehrte sich Johannes,
allein Augenblicke reichten hin, ihn zu überwältigen. Während der schadenfroh
lachende Graf den Ueberrumpelten mit Schimpf- und Schmähworten überhäufte,
erschien die entsetzte Gestalt Eugeniens in Reisekleidung. Die Liebe siegte
über Schreck und Schaam. Sie warf sich über Johannes mit aller Gluth und
Seelenwärme
»Dieser Morgen kam. Johannes ward gebunden in die Schloßhalle geführt. Dort waren bereits der Graf und seine ganze Dienerschaft nebst zahlreichen Knechten versammelt. Eugenie wurde mit Gewalt auf die Gallerie geschleppt und dort festgehalten. Hierauf verurtheilte Erasmus den ehemaligen Hofmeister seines Sohnes zu der für einen Freien entehrenden Strafe des Blockes, die er sogleich erlitt. Während derselben ward Eugenie als todt fortgetragen. Nachdem Johannes in ohnmächtiger Wuth diese Strafe überstanden hatte, befahl der Graf –«
»Verzeihen Sie meine Schwäche,« nahm der Fremde nach kurzer Pause abermals das Wort. »Es gibt Erlebnisse, die schon in der Erinnerung auf einen Mann wie tödtendes Gift wirken. – Nun,« sagte er, »der Graf befahl, den Geliebten seiner Schwester draußen im Schloßhofe an den Pfahl zu binden, der für die Leibeigenen als Pranger dient, ihm den Rücken zu entblößen und für seine Frevelthat mit Ruthen zu hauen. Er nannte das, den Lohn für die im Dienste seines Hauses geopferten Nächte auszahlen!«
Dem Fremden versagte die Sprache. Er hatte diese letzten Eröffnungen kaum verständlich geflüstert.
»Und Graf Erasmus,« fiel Herta ein, »nicht wahr, er ließ es bei der schrecklichen Drohung bewenden?«
»Nein,« versetzte mit eisiger Kälte und furchtbarem Aufflammen seiner tief
liegenden Augen der Fremde, er sah der Vollziehung der grausamen Strafe mit
Wohlgefallen zu! Als der Unglückliche sie überstanden hatte, ohne vor Schaam
Johannes ward losgebunden. Mit todtenbleichem Gesicht und fast brechendem Auge kehrte er sich zu seinem Henker und sprach:
»Ich werde Ihr Gold auf Zinsen legen, Herr Graf, und Ihre Güter damit aufkaufen!«
»Am Ufer des See's in der Haide setzte man den todtwunden Mann nieder. Mühselig
schleppte er sich fort bis in eine Köhlerhütte. Dort fand er Hilfe und den
Trost guter Menschen, denn sie waren arm und hatten noch ein Herz. Acht Tage
raste Johannes im Fieber. Als er wieder zur Besinnung kam und langsam genas,
war sein pechschwarzes Haupthaar grau geworden. Kummer und Schande hatten einen
Greis aus ihm gemacht. Aber die Rache erhielt ihn jung, stärkte seine Muskeln,
stählte seine
»Es vergingen Wochen, ehe Johannes von Eugenien hörte. Das arme Mädchen hatte die gewaltige Seelenerschütterung überstanden. Sie war gesund geblieben, vielleicht nur, weil sie ein Pfand der Liebe mit ihrem Herzblut nährte. Erasmus ließ die Unglückliche in ein entferntes Haidedorf schaffen. Dort entdeckten sie Johannes' Pfleger, die Köhler, und brachten ihm Nachricht. Er sah sie wieder, als sie eben eines zarten Mädchens, ihres schönsten Ebenbildes, genesen war. Sie nannte das Kind Herta und starb am Tauftage desselben. Von neuem Schmerz ergriffen rannte Johannes in den dichtesten Wald. Als er zurückkam, war Herta verschwunden. Er sah sie nie wieder, obwohl er ahnen konnte, daß Graf Erasmus die Neugeborene entführt haben würde –«
Herta drückte schluchzend ihr Gesicht in die Sammetkissen der Ottomane. Der Fremdling betrachtete mitleidig die Weinende. Als sie ruhiger ward, rief er sie bei Namen; sie richtete sich wieder auf und sah ihn groß und theilnehmend mit ihren glänzenden Rehaugen an.
»Mein armer, armer unglücklicher Vater!« rief Herta. »O sagen Sie, bester Mann, sagen Sie, wenn Sie's wissen: welch Schicksal ist ihm gefallen nach so viel Schmerz und Erdenjammer?«
»Er verscholl in dem Andenken der Menschen,« sagte der Fremde mit feierlichem Ernst, »und hat dem Grafen Wort gehalten!«
Wieder blickte das Mädchen verwundert zu ihm auf. »Er hielt Wort!« wiederholte sie. »Und kennen Sie ihn? Hat er Sie gekannt?«
»In seinem Namen bin ich hier.«
»Gott, Gott, mein Vater lebt!« rief Herta und erhob mit entzücktem Blick die Hände zum Himmel.
»Durch mich läßt er seine Tochter grüßen,« fuhr der Fremde fort, immer
feierlicher sprechend, »und ihr sagen, daß die Stunde gekommen sei, wo der
Schutzengel von dem Hause der Grafen Boberstein weichen, wo die Rache für die
Härte des Grafen Erasmus und für die noch schmählichere
»Himmlischer Vater, Sie wissen!« stammelte Herta.
»Ich weiß Alles, Herta, aber ich zürne Dir nicht, noch verdamme ich Dich. Ich komme nur, um Dich zu retten!«
»Und wer sind Sie?« fragte ahnungsvoll das zitternde Mädchen.
Der Fremde griff in seinen Busen und hielt ihr das Bild Eugeniens entgegen.
»Meine Mutter!« lallte sie sanft und durch Thränen lächelnd, indem sie die zarten Hände nach dem theuren Medaillon ausstreckte. »Mein Vater schickt es mir, daß ich Ihnen vertrauen soll! – O, wie gut, wie lieb –«
»Herta!« rief mit von Thränen unterdrückter Stimme der Fremde und breitete seine Arme gegen sie aus, »Herta, ich bin Dein Vater, bin der unglückliche Johannes!«
Von dem lauteren Gespräch geängstigt, trat jetzt Emma in's Zimmer. Sie fand
Herta in den Armen des Fremden, an seinem Halse, seinen Lippen hangend. Sie
trat näher zu der Gruppe
»Es regt sich im Schloß,« flüsterte sie ängstlich. »Irgend ein Diener muß noch wach sein.«
»Ich danke Dir, gutes Mädchen, für Deine Warnung,« versetzte Johannes eben so leise, noch immer seinen nervigen Arm um die wiedergefundene Tochter schlingend. »Begleite mich,« fuhr er dann fort, »denn nicht lange mehr wirst Du hier geborgen sein! Die Leibeigenen haben sich erhoben und vielleicht schon in wenigen Stunden beginnt ihr Rachewerk. Von ihnen erfuhr ich Dein Schicksal und beschloß, Dich zu retten, Dir Deinen Vater wieder zu geben. – Du zitterst? Herta, Du schwankst? Solltest Du Magnus –«
»O still, still! Ich hasse, ich verachte ihn!«
»Er wird Dich zur Gemahlin begehren!«
Herta nickte matt mit dem müden Haupt.
»Er fällt von meiner Hand, wenn er es wagt, noch mals um Dich zu werben!«
»Er thut es nicht mehr,« sagte Herta sanft.
»Du darfst ihn nicht sehen, nicht mehr sprechen. Komm! Es ist die höchste Zeit. Schon naht die Mitternachtsstunde!«
Leise entwand sich Herta den Armen ihres
»Es geht nicht,« sagte Johannes mit steigender Unruhe. »Ich kann nicht wieder kommen. Wer weiß – –«
»Wo wohnst Du?« fragte kindlich fromm die Tochter, dem Vater die starken grauen Haare aus der finstern Stirn streichend.
»Tief, tief in der Haide!«
»Nun, so komme ich selbst zu Dir. Die Haide liebe ich; ich bin bekannt bei Köhlern und Bauern. Ich frage mich durch sie hindurch bis zu Dir!«
»Aber Herta!«
»Vater, es muß so sein. Mein Herz gebietet es und das wirst Du nicht kränken wollen.«
»Nun so bleib,« erwiederte Johannes entschlossen. »Aber hab' Acht! Sollte sich
etwas
»Gute Nacht, mein armer Vater!« hauchte Herta, umschlang nochmals den starken Mann und ließ erst von ihm, als er mit einem Fuße auf der Schwelle des geheimen Ganges stand. Als die Thür zufiel, sank sie Enma still weinend in die Arme.
Der auf diese Nacht folgende Tag war ein Hofetag. Alle wendischen Bauern und
Gärtner mußten mit ihrem Gespann in die Haide, um Holz auf den Zeiselhof zu
schaffen. Obwohl der Befehl dazu erst am letzten Abend an sie ergangen war,
gehorchten sie ihm doch Alle, wie gut geschulte Hunde dem Wink ihres Herren.
Sie waren so an blinden Gehorsam gewöhnt, daß der Begriff eines freien Willens
gar nicht in ihnen aufkommen konnte. Und solch blindes Gehorchen war noch
möglich in demselben Augenblicke, wo der ganze Stamm gegen den grausamen Herrn
sich zu erheben fest entschlossen war! Wie tief gewurzelt, wie mit dem ganzen
Dasein, mit allen Gewohnheiten fest verwachsen mußte dieser knechtische
Im tiefsten Walde trafen die Wagenzüge der einzelnen Dorfschaften mit den
verschiedenen Vögten der Herrschaft zusammen. Auch die Förster waren
versammelt, um den Frohnbauern die Holzschläge anzuweisen. Dies waren ungeheure
Lichtungen oder Waldblößen im dichtesten Gebüsch. Klaftern trockenen, starken,
harztriefenden Holzes reihten sich an Klaftern von hohen in die lockere Erde
getriebenen Pfählen gehalten. Dazwischen lagen ausgerodete Stöcke, die mit
ihren gewundenen Wurzeln gleich sich bäumenden Riesenschlangen in die Luft
griffen. Baumstümpfe, vor Alter verwittert und mit röthlichem Moos überwachsen,
hockten in den abenteuerlichsten Gestalten wie unheimliche Geister oder greise
Wächter des Waldes zwischen den leuchtenden Scheiten. Der Boden, voll tiefer
Aushöhlungen und brüchiger Stellen, war mit moderduftigen grauweißen Schwämmen
oder mit riesigen Fächern großer Tüpfelfarren bedeckt, deren zarte,
durchsichtige, in brennendem Roth glimmernde Fasern rastlos im Morgenwinde auf-
und niederwogten. Rothbraune und
Es war ein heiterer, stiller Herbsttag. Die Waldung rauschte harmonisch in mildem Luftzuge, ähnlich dem Meere, wenn es bei ruhigem Wetter nur säuselnde Schaumbrandungen an den Strandwänden hinaufrollt, als tauchten gaukelnde Wassergeister aus der Tiefe auf und mühten sich in ergetzendem Spiele ab, die harte, starre Erde zu erklimmen. Manchmal rauschte in sausendem pfeifendem Fluge ein Schwarm wilder Gänse oder in ägyptischer Hieroglyphengestalt die Pfeilwolke eines Storchgeschwaders über die Lichtung.
Ohne diesen alltäglichen Erscheinungen die
Bis an den Hals in ihre groben, meistentheils schmierigen Schaafpelze gehüllt, eine blau und roth geränderte Zipfelmütze auf dem langen Haar, welche die Meisten noch über die Ohren herabzogen, wodurch der Ausdruck ihrer Gesichter etwas Stupides bekam; so räumten sie die aufgeschichteten Klaftern ab und beluden damit ihre nicht immer sehr standhaften Wagen. Nicht einmal die Branntweinflasche, die der Wende doch sonst immer in der Sacktasche seines Pelzes führt, machte heut die Runde.
War es nun, daß in Folge der Nüchternheit Aller durch nutzloses Lärmen und
Reden keine Zeit verloren wurde, oder weil die größere Anzahl derselben am
Abend dieses Tages nach Boberstein zu wandern beabsichtigte, um die Leiche
ihres bisherigen Herrn auf dem Paradebett zu sehen und nach Sitte und Herkommen
durch stilles Umwandeln des Sarges von ihm Abschied zu nehmen; genug sämmtliche
Frohnbauern verließen in verhältnißmäßig kurzer Frist den Holzschlag. Auch auf
den schlechten, hundertfach durchkreuzten
Um die siebente Abendstunde, wo in der erwähnten Jahreszeit aus allen Haidedörfern, die von Wenden bewohnt werden, die freundliche Flamme der Heerdfeuer über das Blachfeld leuchtet, sah man an diesem Tage die flackernden Kienlohen erlöschen. Dann traten die Männer in Pelzen, mit Hacken, Heugabeln oder Knütteln bewaffnet, aus ihren niedrigen Häusern, Viele begleitet von Frauen und Mädchen, die in ihre weißleinenen Regentücher gehüllt, gleich wandelnden Gespenstern schweigsam durch Nacht und Dunkel schwebten.
Erst unter den rauschenden Stämmen fanden sich Bekannte und Freunde zusammen und schritten nun truppweise immer tiefer in die Haide hinein. Unter einer dieser kleinen Abtheilungen begegnen wir Sloboda und Ehrhold, Clemens und dem Maulwurffänger, denen sich einige verhüllte Frauengestalten anschlossen.
»Es bleibt doch immer ein Wagstück, Freund,« sagte Jan, zwischen Heinrich und Ehrhold auf unsichtbaren Pfaden grad nach Norden rüstig fortschreitend. »Läßt uns jetzt Dein Lips im Stiche, so sind wir ohne Gnade und Barmherzigkeit verloren und unsere Rücken werden es dann vier Wochen lang spüren.«
»Ich tausche mit Dir, wenn's dahin kommt,« erwiederte der Maulwurffänger.
»Zweifle doch nicht an dem einmal gegebenen Wort eines solchen Räubers, wenn er
nun doch so heißen soll.
»So sagt er, und weil Du für ihn bürgst gehen wir jetzt auf Wegen der Finsterniß.«
»Sie werden zeitig genug licht werden. Aber wo sind wir?«
»Zwischen den Torfteichen,« sagte Ehrhold. »Der große Holzschlag, wo vor zehn Jahren der schreckliche Windbruch war, liegt noch eine halbe Stunde seitwärts. Wir müssen die Sandhöhe hinauf und mitten durchs Dickicht, wenn wir zur rechten Zeit eintreffen wollen.«
»Nur vorwärts!« drängte der Maulwurffänger. »Was uns hinderlich ist, wird niedergesäbelt. Ohne Stich und Hieb geht es ja doch nicht ab.«
Der Trupp zog weiter. Einzeln, stets Einer hinter dem Andern, mußten sie sich
durch die verwilderte Haide winden. Oft war der Wald so dicht, daß Keiner den
Andern erkannte. Stamm rieb sich an Stamm und bei der Umschlingung dieser
Riesenbäume fuhren Töne durch die Luft wie Seufzer, daß auf den wankenden
Aesten, deren Nadelbehänge in der Luft raschelten, das zur Nachtruhe
niedergefallene Geflügel
Dies ungewohnte Leben der Haide bei Nachtzeit machte nicht selten die Wenden stutzig, denn obschon Alle vertraut waren mit der Natur der Haide und ihren Schauern, gebrach es ihnen im Allgemeinen doch zu sehr an Bildung, um natürliche Erscheinungen sich natürlich zu erklären. Deshalb schritten auch die Weiber ununterbrochen betend den Männern nach. Denn wenn die seltsam geformten Nebel mit den mattleuchtenden Säumen plötzlich vor ihnen auftauchten wie aus tiefem Schlunde, oder in eilender Schnelle gegen sie heranzogen und dann wie erschrocken zurückweichend in hundert Schlangenwindungen zur Seite rollten, glaubten sie sich umlauert von bösen Geistern, bedroht von Gewalten finsterer Dämonen.
Nach mühsamer Wanderung erreichten unsere Freunde in der neunten Stunde den
Windbruch. Dies war ein waldfreier Platz in der Haide von einer halben Stunde
im Durchmesser. Er bot jetzt einen seltsamen Anblick in der kühlen Herbstnacht,
die kein Mond erhellte. Spärliche Sternenfunken
Von allen Seiten der ringsum schließenden Haide wankten schwarze Gestalten und
grauweiße Schatten, die in unklarer Ferne zu riesiger Größe anwuchsen, gegen
die Mitte der Lichtung. Hier drängte sich ein schwarzer Knäuel verworrener
Menschen, umgeben von einem Halbkreise weißer Statuen, die auf Blöcken,
vermoderten Wurzelstöcken und halb zerbrochenen Stämmen regungslos dasaßen, von
dem rothen Schein eines knisternden Feuers, das pechschwarze Rauchwolken gen
Himmel wirbelte, grell beleuchtet. Diese Gestalten waren die wendischen Frauen
und Töchter der Leibeigenen in ihren schimmernden Regenmänteln. Ein monotones
Gesurr vieler Stimmen trug der Lufthauch unsern Wanderern entgegen. Weithin
über die Lichtung glühten zahllose dunkle Flammen, als ob unterirdische
Erdgeister riesige Leuchten aus ihren Höhlen emporhielten. Hie und da wälzte
sich auch in gleich düsterer Brandfarbe eine endlose Schlange am Boden, deren
Kopf in vielen gleichfalls leuchtenden Hörnern endigte. Diesen Spuk
verursachten die vielen verfaulten Baumstümpfe und vermoderten
Nach dem Feuer inmitten des Windbruches führte der Maulwurffänger seine Freunde. Sie wurden mit dumpfem Zuruf begrüßt, von diesem und jenem Bekannten mit einem treuherzigen Handschlage. Nach und nach wuchs die Schaar der Wenden auf einige tausend an, die sie begleitenden Frauen mitgerechnet. In der Mitte dieses Menschenhaufens saß der Fürst des Waldes, vom Volke der braune Lips genannt, mit seinem eigentlichen Namen, wie wir wissen, Johannes, Herta's unglücklicher Vater.
Er trug die Kleidung eines vornehmen Oberförsters, war aber außer seinem
Hirschfänger noch mit doppelläufiger Büchse und mehrern Pistolen bewaffnet. Ihm
zunächst kauerte auf einem Steine der schlanke Jüngling mit dem abscheulichen
Spitzbubengesicht. Hinter ihm lehnte der hübsche stille Mann, der bei
Heinrich's Besuche im Raubhause Knebel geschnitzt hatte. Alle diese, so wie die
meisten übrigen Männer, die zu des Haidefürsten Hofstaate gehörten und seinem
Wink ohne Säumen gehorchten, trugen
Keiner dieser Männer war verheirathet. Jeder stand ganz allein, hatte nur für
sich zu sorgen und gehorchte dem Fürsten, wie Lips von seinen Genossen ohne
Ausnahme genannt ward. Da sie zum größten Theil der Meinung waren, daß ihr
Gewerbe kein unehrliches, schändliches und verbrecherisches, obwohl ein
verbotenes, sei, so brüsteten sie sich gern mit ihren Thaten und lebten, wie
dies bereits angedeutet worden ist, mit dem armen Volk auf vertrautem Fuß. Ihr
sie
Als man annehmen durfte, daß die unter dem Grafen stehenden Leibeigenen zum
größten
»Euch bin ich Dank schuldig, wackerer Mann,« sagte der Räuber, dem schlichten Manne aus dem Volke die Hand schüttelnd. »Ihr seid nicht müßig gewesen, wie mich diese zahlreiche Versammlung lehrt, und so wäre es nun wohl an der Zeit, vom Warten zum Handeln überzugehen. – Wo ist Jan Sloboda?«
»Hier ist der unglückliche Vater,« versetzte der Wende vortretend und seinen Hut lüftend.
Johannes sah den riesenstarken Mann eine geraume Zeit mit seltsamen Blicken an, dann sagte er mit einer Stimme, in der schmerzliche Wehmuth nachzitterte: »Ihr kennt Fräulein Herta?«
»Sie war die Wohlthäterin meiner Tochter! Möchte sie noch recht viele sonnige Tage erleben recht glücklich werden, wie sie's verdient! Ja, Herr, meine armen Augen tragen ihr Bild immer mit sich herum.«
»Wollt Ihr mir zur Seite bleiben, um im Fall der Noth das Fäulein aus Magnus' Händen zu befreien?«
»Und ich trenne mich nicht von Euch!« rief Clemens. »Auf diesen meinen Armen will ich sie trockenen Fadens über den See in die Haide tragen!«
»Dann gehe auch ich mit,« sagte Ehrhold. »Haideröschen bedarf heut keines männlichen Schutzes.«
»Und was gedenkt unser wackerer Freund zu thun?« wandte sich der Räuber an Heinrich.
»Gebt mir keinen Auftrag, wenn Ihr mich lieb habt,« versetzte der
Maulwurffänger. »Mit dem Pariren hab' ich mein Lebtage nichts anzufangen
gewußt. Wenn Ihr mir aber erlauben wollt, nach meinem Gusto unter Euch allen
herumzufahren, wie das Gewürm, dem ich nachspüre, so kann ich manchen Nutzen
stiften. Ein Raufbold oder Kriegsheld bin ich meines Wissens nicht. Die Courage
sitzt bei mir mehr in den Augen als in den Händen, obwohl ich als junger
Bursche meine Tachteln Ohrfeigen. zuweilen mit gutem
Johannes fügte sich ohne Weiteres in Heinrichs Bedingungen und kehrte sich nunmehr zu seinen Vasallen.
»Waldbrüder,« redete er sie an. »Heut bei Sonnenuntergang erfuhrt Ihr von mir,
welche Verbrechen der Graf Magnus von Boberstein an der wehrlosen Unschuld
verübt hat. Ihr wißt, wen zu rächen ich Euch versammelt habe, weshalb diese
Schaar rechtlos unterdrückter Männer zu uns gestoßen ist! Es soll heut Nacht
ein Anfang gemacht werden mit Bestrafung herrischer Bosheit, und schützt uns
der Vater der Nacht und der Geist gerechter Vergeltung, dessen Stimme an mich
ergangen ist, so wird unsere Rache eine segenreiche sein. Nur keine Frevelthat!
Keinen Mord! An unsern Händen darf kein Tropfen Menschenblut kleben. Wir sind
die Schergen der Nemesis, die unsichtbar über uns waltet. Wo wir in ihrem Namen
auftreten, da geschieht es zur Herbeiführung eines besseren
Die Räuber schworen ohne Zaudern.
»Zwanzig von Euch, die zuletzt in unsern Bund getreten sind, bleiben zurück, um die Frauen zu schützen,« fuhr Johannes fort. »Ihr erwartet uns, was auch geschehen mag, an der Streu, wo wir jüngst übernachteten, bis ich das Zeichen gebe.«
Ohne Murren traten zwanzig der Räuber zurück, die Uebrigen warfen ihre Büchsen über die Schultern und ordneten sich in Reihe und Glied.
»Zündet einige Kienfackeln an!« befahl der Räuber, »und haltet die Wergballen bereit.«
Blitzschnell lohten die harzigen Brände in dem niedergebrannten Kohlenstoße auf.
»Folgt mir in tiefstem Schweigen!« rief Johannes und schritt, umgeben von den
drei Wenden und Heinrich, über die Lichtung dem Walde zu, in dem nach einer
Viertelstunde die Kienfackeln wie funkelnde Leuchtkäfer verschwanden.
Auf Boberstein trafen an diesem Tage zahlreiche Verwandte des verstorbenen Grafen ein, um am nächsten Morgen dessen feierlicher Beisetzung in der Familiengruft des Schlosses beizuwohnen. In der uns bekannten Schloßhalle ruhten auf schwarzem Katafalk die sterblichen Ueberreste des Todten. Die Halle war mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, schwarze Gardinen verhüllten die Fenster, den Fußboden bedeckten schwarze Teppiche. Auf prächtigen Kandelabern von gediegenem Silber, ein Familienerbstück des Hauses Boberstein, brannten flimmernde Wachskerzen und verbreiteten Tageshelle in der sonst so düstern Halle. Die Dienerschaft ging in tiefer Trauer mit langen wehenden Flören um Arm und Hut.
Es befremdete die verwittwete Gräfin, daß von den Unterthanen eine verhältnißmäßig nur sehr geringe Anzahl im Schlosse erschien, um ihrem verblichenen Gebieter die letzte Ehre zu erweisen. Die Leibeigenen waren eigentlich dazu verpflichtet, indem es die Sitte im Hause Boberstein erheischte, daß der jedesmalige Erbe der Herrschaft den durch das Ableben ihres bisherigen Gebieters gleichsam Verwaisten mittelst Darreichung seiner Hand zum Kusse von Neuem Schutz verhieß und sie als rechtmäßig ererbte Unterthanen anerkannte. Am Katafalk seines Vaters war die Aufrechthaltung dieser Sitte für Magnus eine Unmöglichkeit; denn außer einigen zitternden Greisen, die längst keine Dienste mehr thun konnten und unter Seufzen und Beten dem Grabe zuwankten, befanden sich unter den Leibeigenen, die zur Leichenschau kamen, blos heulende Weiber und neugierig gaffende, in zerlumpten Kutten und Pelzen steckende Kinder.
Ueber solche Nichtachtung alter Gebräuche der jetzt ihm zugefallenen
Leibeigenen war Magnus höchlichst empört. Er konnte nicht zwifeln,
Noch vor neun Uhr waren Halle und Schloßhof von Zuschauern leer. Nur die wachehaltenden Diener standen am Sarge, in welchem Graf Erasmus der Ewigkeit entgegenschlief.
Da stieg Herta nochmals die geschnitzte Wendeltreppe hinab, beugte sich noch
einmal über den Todten und küßte die kalten bläulichen Lippen. Am Sarge kniend
und wieder heiße Gebete lallend, ließ sie ihren Thränen freien Lauf. Keiner von
den Dienern störte die Trauernde in ihrem Schmerz. Sie traten schweigend
zurück, selbst gerührt von der Andacht des schönen Mädchens, das mit wahrhafter
Kindesliebe an dem Greise gehangen hatte. Wohl eine Viertelstunde mochte Herta
geweint und gebetet haben, als
»Was ist Dir, meine Liebe?« sagte Herta weich, die treue Dienerin umfassend.
»Ach gnädiges Fräulein,« versetzte die Zofe athemlos, »die Herrschaften sind recht bestürzt! Denken Sie, es ist ein großes Feuer in der Haide! Es muß ein ganzes Dorf brennen.«
»Beruhige Dich, mein Kind,« gab Herta zur Antwort, »ist es, wie Du sagst, so werden die Nachbarn gewiß herbeieilen und den Bedrängten beistehen. Auf welcher Seite ist der Brand?«
»Gegen Süden. Graf Magnus besorgt, es möge der Zeiselhof sein. Die gnädige Frau Gräfin kann ihn kaum zurückhalten! Sie will Boten absenden, um sichere Nachricht zu erhalten.«
»Laß uns sehen,« sagte Herta. »Von meinem Zim mer aus muß die Feuerstätte grade zu überschauen sein.«
Geraume Zeit betrachtete Herta mit ruhigem
Der Brand wuchs mit überraschender Schnelligkeit nach allen Seiten hin. Immer gewaltiger, immer wilder und lodernder sich überstürzend rang Woge mit Woge. Thurmhoch spritzten einzelne Feuerstrahlen aus der allgemeinen Fluth und schleuderten Millionen Leuchtkugeln in den blutigen Gischt, der sie auf seinen raschen Schwingen weit in die Ferne trug.
Herta bemerkte jetzt mit Entsetzen, daß solch ungeheurer Brand nicht durch ein in Flammen gerathenes Dorf entstanden sein könne. Auch war es nicht der Zeiselhof mit der umliegenden Ortschaft. Weit näher wütheten die Flammen und griffen mit Riesenarmen um sich. Das Prasseln, Knattern, Sausen und Donnern, das immer deutlicher hörbar ward, ließ sie erbleichend die Wahrheit erkennen. Sie wendete sich zu der zitternden Emma und sich auf deren Arm stützend, sagte sie:
»Die Haide!« schrie Emma entsetzt und entriß Herta den stützenden Arm. »Die Haide!« wiederholte sie matter, tonloser. »O Gott, und der Wind treibt Rauch und Flamme gerade auf's Schloß! – Wir wer den verbrennen müssen, wenn Gott nicht ein Wunder geschehen läßt!«
»Gott wird uns retten,« entgegnete vertrauensvoll das hart geprüfte Mädchen, indem sie ihres unglücklichen Vaters gedachte. Zugleich aber fühlte sie einen Stich in ihrem Herzen, als durchbohre es ein kaltes Eisen. Sie mußte sich gegen die rothflammende Wand lehnen, um neue Kraft zu schöpfen. »Mein Vater!« flüsterte sie vor sich hin. »Sollte dies das Zeichen sein, dessen er gedachte? Es wäre entsetzlich! – Mein Vater ein verbrecherischer Mordbrenner!–«
Indeß gab die herannahende Gefahr ihr schnell die nöthige Besonnenheit wieder. Sie ermannte sich und trat in die Zimmer der verwittweten Gräfin, um welche die trauernden Gäste sich mit den seltsamsten Gefühlen drängten.
Am grellsten lag die Flamme auf Magnus
Alle Leidtragenden machten ehrerbietig dem schönen Mädchen Platz, das so fest und würdig auf Utta zuschritt. Herta legte ihre Hand auf die Schulter der Tante. Diese wendete sich bei der Berührung um und begegnete mit Verwunderung dem braunen Auge ihrer Nichte. Mechanisch die Hand gegen das Fenster ausstreckend sagte sie:
»Das ist entsetzlich!«
»Der Anblick ist furchtbar, meine gütige Tante,« versetzte Herta sanft, »wenn jedoch schnell Anstalten zur Bewältigung des Feuers getroffen werden, dürfen wir nichts fürchten.«
»Thörichtes Mädchen,« warf Magnus ein, »was verstehst Du von Gefahr! Ich sage Dir, die Haide ist in Brand gerathen, ein lebhafter Südwind facht die Gluth an und binnen wenigen Stunden werden Hunderte Morgen Waldes in Asche sinken. Gegen Waldbrände vermögen Menschenhände nichts, da kann nur Gott helfen!«
Magnus kehrte sein zürnendes und von innerer Wuth zuckendes Antlitz wieder dem Fenster zu. Das Feuer wuchs von Minute zu Minute. Schon sah man es durch die schwarze Wand der Haide wie goldene Früchte, die zur Erde fallen, schimmern. Als Schlangen von blendender Helle, bald roth glühend, bald weißlich wie glühender Stahl, bald blau, wie der zündende Funke des Blitzes; jetzt langsam am Boden fortkriechend, dann in kühnen wilden Sprüngen von Wipfel zu Wipfel hüpfend und nun in goldenen Ballen sich mitten durch das Gezweig fortwälzend: so zeigte sich der verzehrende Brand, der bereits eine Viertelstunde breit, in Form eines an der Spitze sich ausbreitenden Keiles grade gegen das Schloß vorrückte.
»Ha die Elenden!« fuhr Magnus auf und knirschte mit den Zähnen. »Jetzt weiß ich
es, weshalb sie unterlassen haben, zur Leichenschau
An die Möglichkeit einer solchen That hatte bis jetzt von allen Versammelten noch nicht Einer gedacht. Jeder wähnte, ein unglücklicher Zufall habe den schrecklichen Brand entstehen lassen, die Flamme sei von Ungefähr durch Köhler in die Haide gekommen oder sonst auf andere Art. Deshalb entsetzten sich Alle vor dem Ausrufe des jungen Mannes und starrten einander noch verwunderter in die bestürzten Gesichter.
»Das wäre ja offener Aufstand,« sagte ein alter kontrakter Herr, der an zwei Krückenstöcken durch das Zimmer humpelte. »Wie mögen Sie an so etwas glauben, mein werther Herrr Vetter! Leibeigene sind zu dumm und zu feig, um so krasse Mittel anzuwenden, wenn ihnen der neue Gebieter nicht gefällt.«
»Meine theuern Anverwandten,« entgegnete Magnus, »geben wir uns allesammt
keiner Täuschung hin. Wir sehen mit offenen Augen, mit Entsetzen im Herzen, daß
die Haide in Flammen steht. Bleiben wir unthätig hier sitzen, so wird die Gluth
auch uns erreichen. Selbst der See
»Quel horreur!« rief eine vornehme Gräfin, die so viel Ahnen zählte, als Deutschland Staaten, und drei und sechzig Jahre lang ein jungfräuliches Leben geführt hatte, »quel horreur, das wäre ja gegen allen Anstand!«
»Eben deshalb, meine Gnädige,« fiel ihr Magnus in die Rede, »lassen Sie uns keinen Anstand nehmen, auf unsere Sicherheit zu denken. Folgen Sie mir, meine Herren! Vereint mit unserer Dienerschaft werfen wir jenseits des See's einen Damm auf, damit die Flammen sich nicht am Boden weiter verbreiten können, und reichen Zeit und Kräfte aus, so schlagen wir auch Bäume nieder, so viel wir vermögen. Hundert Hände, und wir gebieten über mehr, können in der Stunde der Noth viel leisten. Die Damen werden sich inzwischen bemühen, unter Anleitung meiner würdigen Mutter die werthvollsten Familienpapiere und die Kostbarkeiten des Hauses Boberstein für den Fall einer unausbleiblichen Flucht bereit zu halten.«
Bei allen großen Fehlern und Lastern, die
Noch war der laut geäußerte Gedanke des jungen Grafen bloße Vermuthung, denn sichere Anzeigen von einer planmäßigen und voraus berechneten Ansteckung der Haide waren nicht vorhanden. Deshalb glaubten auch nur Wenige an einen Aufstand der Leibeigenen, die Meisten hofften am jenseitigen Ufer Köhler und Haidebauern zu treffen, die mit ihnen vereint das um sich greifende Feuer bekämpfen würden.
Zum namenlosen Entsetzen dieser Sorglosen loderte während ihrer Ueberfahrt auf
ganz entgegengesetzter Seite eine neue gräßliche Feuersäule unfern des See's
aus der dichtesten Haide auf. Zugleich vernahmen die erbleichenden Herren ein
Es war ein Augenblick, dessen Grausen sich nicht schildern läßt. – Von allen Seiten drohte Verderben, Tod, denn auch auf einem dritten Orte züngelten neue gräßliche Flammenbüschel empor, ergriffen die hin und her schwankenden harzgetränkten Wipfel der Tannen und setzten sie in helle Gluth. Die boshaften Feinde des Grafen, ihres Anschlages sicher, hatten den See umgangen und schürten das wilde Element mit wahnsinnigem Behagen, um das Grafengeschlecht mit allen Seitenverwandten auf einmal zu vertilgen. Denn wer mochte noch zweifeln, daß die Entmenschten den Tod ihrer Gebieter beabsichtigten, daß sie den qualvollen Flammentod über sie verhangen hatten!
Unter diesen Umständen wäre es Thorheit gewesen, erfolglos gegen ein
Unabwendbares ankämpfen zu wollen. Sobald Magnus die neue Gefahr vollkommen bei
sich erwogen hatte und
Als die erschrockenen Männer, von denen die Meisten völlig rathlos waren,
wieder in die Gemächer der händeringenden und zu keinem Entschluß, zu keinem
Geschäft fähigen Frauen traten, hatte sich die Scene völlig geändert. Die Haide
brannte so weit, daß man den unermeßlichen
Von der nie gesehenen Großartigkeit dieses entsetzlichen Brandes gefesselt,
starrten Alle wie verzaubert in den tosenden Flammenocean. Wind und Feuer
heulten, als zöge das wilde Heer mit seiner höllischen Meute durch die erhitzte
Luft. Das Krachen der niederstürzenden Bäume, das seltsame diamantenähnliche
Glimmern riesenhoher alter Stämme mitten in der dunkelrothen, wirbelnden und
zischenden Gluth, das Auffliegen der abgeschlagenen nadelbehangenen Aeste, die,
vom Winde erfaßt, wie rothglühende Reiherfedern oft in ungeheuren Bogen
fortgeführt wurden; dann wieder das Kämpfen und Auf- und Niedersteigen
Vergeblich strengte Herta ihre Augen an, um einen nahenden Retter auf dem
blutigen Spiegel des See's zu entdecken. Minute verging nach Minute und Niemand
erschien, keines Menschen Stimme ließ sich hören. Es war, als sei alles Leben
erstorben und nur die blinde Macht des wilden entfesselten Elementes herrsche
und drohe
Aus dieser allgemeinen an Bezauberung grenzenden Lethargie erweckte die entsetzten Gefangenen der Ruf eines hereinstürzenden Dieners, welcher händeringend verkündigte, daß die Burg in Brand gerathen sei! Dies gab Allen Leben und Besonnenheit einigermaßen wieder. Die Meisten stürzten nach dem Vorgemach, aus dessen in den Schloßhof gehenden Fenstern sie von dem linken äußersten Eckthurme das rothe Brandbanner flattern sahen. Das Feuer griff schnell um sich. Das Dach der ganzen einen Flanke stand binnen wenigen Minuten in vollen Flammen. –
Nun dachte Jeder nur auf seine Rettung. Alles rannte schreiend und fluchend
durcheinander und stürzte dem Schloßthore zu, um den See zu erreichen. Noch war
die Möglichkeit der Rettung vorhanden, denn im Nordost bildete die Haide eine
schmale sumpfige Wiese, die ziemlich tief in den Wald hineinlief und von einem
wasserreichen Bache durchströmt ward. Auf dieser Seite war die Haide bis jetzt
noch unversehrt, nur erstickender Rauch hüllte sie in glühenden Dunst. Es galt
über den See zu setzen, ohne
Auch Magnus entschloß sich, obschon mit Widerstreben, zu diesem Aeußersten. Ehe er jedoch Anstalt zur Flucht machte, ließ er einen Blick auf Herta fallen, der eine Welt von Fragen enthielt. Er erfaßte die Hand seiner zitternden Cousine und flüsterte ihr zu:
»Herta, der Himmel selbst und sein Zorn will uns vereinigen. Siehst Du nicht ein, daß ich es bin, den er auserwählt hat zu Deinem Retter? Auf meinen Armen werde ich Dich durch die Flammen tragen und mir Dich gewinnen. Dem kannst Du nicht mehr zürnen, der Dich aus der Hölle erlöste, der mit seinem Munde die Feuerfluthen von Deinem erbleichenden Wangen abhielt!«
Doch Herta schüttelte nur traurig ihr schönes Haupt und kehrte sich von dem unermüdlichen Verführer.
»Gott wird mich schirmen,« versetzte sie, »wenn es sein Wille ist, daß ich dieser Gefahr entrinnen soll. Retten Sie Ihre Mutter, ich bedarf Ihrer Hilfe nicht.«
»Armes, kleines Ding,« sagte sie, »Du sollst gleiches Schicksal mit mir theilen.«
Darauf öffnete sie den Schieber, nestelte die Kette los und ließ es geschehen, daß das niedliche Thier schnuppernd und sein Köpfchen furchtsam in den weiten Bauschen ihres Trauerkleides verbergend, auf ihre Schulter hüpfte.
»Emma,« sagte sie mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Trauer und Niedergeschlagenheit, »der Fremde von gestern hat nicht Wort gehalten und doch nannte er sich meinen Vater! Ich unglückliches, verlassenes, von Allen verstoßenes Kind!«
»Kommt!« schrie Magnus mit Donnerstimme durch die sich weit öffnende Thür. »Schon brennt mehr als die Hälfte des Schlosses, die geringste Verzögerung muß uns unfehlbar einen grauenvollen Tod bringen!«
Schon hatten alle Bewohner das Schloß verlassen, selbst der alte Kastellan war
geflohen. Der Letzte schritt Magnus mit der schönen Last auf seinen Armen, vor
ihm her die schlanke Emma, über den von lodernden Bränden dicht besäten
Schloßhof. Die Luft war erstickend heiß, von Millionen Atomen glimmender
Tannennadeln erfüllt, die wie ein dichter Regen niederfielen.
Unter der Thorwölbung erwarteten ihn Utta mit einigen Dienern und Frauen. Schweigend stiegen Alle den Felsenpfad hinab zum See, aus dessen brodelndem Feuernebel verworrene Stimmen erklangen, verbunden mit dem Rauschen der Ruder, die mit gewaltigen Schlägen die Wogen theilten. Dann hörte man wieder ein entsetzliches Aufkreischen, ein sprühendes Zischen, sah die Welle in blutigem Strahle aufspritzen und den Qualm der brennenden Haide Alles wieder verhüllen. Ganz fern, weit im Walde stieg manchmal ein brüllendes Geschrei auf, als ob Tausende auf einmal zu gemeinsamem Ruf sich vereinigten. Vor diesem Geschrei erbebte Magnus; er glaubte den Jubelruf der Wenden darin zu erkennen, die sein Geschlecht auszurotten gedachten. –
Ohne bedeutende Beschädigung setzten die letzten Flüchtlinge über den See. Mit
Schaudern nur stießen sie zuweilen beim Rudern an schwimmende Leichen, die in
ihrer schwarzen Tracht mit den bleichen verzerrten Gesichtern
Als Magnus mit seiner Umgebung das feste Haideland betrat, stand Boberstein in vollem Brande. Die stolzen vier Eckthürme schossen ihre gelben Flammen wie Riesenschwerter weit über die dunklere Gluth der übrigen Häusermasse empor und verscheuchten die Rauchwirbel, welche von der Haide in immer sich erneuernden Wogen darüber zogen. – Die Lichtung, welche die Wiese bildete, war noch dunkel, aber schnell rückten von beiden Seiten die Flammen heran. Muthig betrat Magnus den Rettungspfad, die Frauen vorsichtig über die sumpfigen Stellen leitend. Man konnte immer nur wenige Schritte weit sehen, auch mußte man häufig rasten, theils um den Frauen Zeit zu gönnen, theils, weil ein Brand mit wildem Getöse in unmittelbarer Nähe niederstürzte und weithin Funken und Splitter verstreute.
Glücklicherweise war auf dieser Seite das Feuer noch nicht weit vorgeschritten.
Auch jagte der Wind die Flammen mehr seitwärts oder ließ
Herta's körperlicher Zustand gestattete ihr keine große Anstrengung. Sie ermattete bald und sank kraftlos zusammen. Magnus hob sie wieder auf seine Arme und das hilflose Mädchen mußte es geschehen lassen. So gewannen denn die Flüchtlinge ohne Hinderniß das von den Flammen noch unberührte, hier nur dürftig bewachsene Haideland. Schon glaubte Magnus das Schwerste überstanden zu haben und bald eine sichere Zuflucht zu finden, als er plötzlich aus dem finster strudelnden Qualme dunkle Gestalten auftauchen, ihn umstellen und mit dem Jubelrufe: »der Graf! Graf Blauhut!« auf sich eindringen sah.
»Vater, mein Vater, errette mich!« rief Herta und streckte dem als Förster gekleideten Fremden beide Arme flehend entgegen.
Es war Johanes, der Fürst der Haide, der inmitten seiner Genossen und umgeben
von einem Heer Leibeigener diese einzige freie und noch zugängliche Stelle des
Waldes besetzt hielt. Das überaus schnelle Umsichgreifen der Flammen hatte ihn
verhindert, die Tochter persönlich von Boberstein abzuholen. Seine Gegenwart,
seine Umsicht, seine Anordnungen waren nöthig, um nicht die ganze Haide ein
Raub der wild verzehrenden Gluthen werden zu lassen. Da er den Muth seines
Feindes kannte, durfte er erwarten, daß der Graf im Drange des Augenblickes
Bei Herta's Ausrufe erbleichte Magnus vor Zorn, da er jetzt einsah, daß seine trotzige Cousine in naher Verbindung und unmittelbarem Verkehr mit diesen Waldbrüdern gestanden haben müsse.
»Vater?« wiederholte er verächtlich. »Seit wann sucht meine schöne Cousine ihre Aeltern unter Verbrechern?«
»Seit dem Tage,« erwiederte Johannes stolz, »wo Ihr würdiger Herr Vater den Geliebten seiner edlen Schwester von Knechtshänden aus Boberstein werfen ließ.«
Magnus starrte den Räuber mit wahnsinnigem Auge an. »Johannes,« stammelte er, »Johannes am Leben und ein Sohn des Waldes? Das wäre entsetzlich!«
»Nicht entsetzlicher, als wenn ein Graf schuldlose Jungfrauen überfällt und
sich und die Menschheit entehrt! – Blicken Sie hinter sich, Herr Graf! Die
Gerechtigkeit des ewigen Gottes ist es, die Ihrem Vater diese Leichenfackel
angezündet hat. – Es sind lange lange Jahre
Während Johannes sprach, hatte Magnus sich vollkommen gesammelt.
»Zurück, Elender!« rief er jetzt dem Räuber
Er wollte vorwärts eilen, denn noch immer griff das Feuer um sich und glühende Funken fielen in großer Menge zu Boden. Da riß Johannes seinen Hirschfänger aus der Scheide und die ihm zunächst Stehenden schlugen die Büchsen auf Magnus an.
»Mein Kind!« sagte der Räuber barsch und doch mit einem Tone, in dem unwillkürlich eine flehende Bitte weich verhallte. »Mein Kind oder Du und die Deinen fallen durch meine Hand und die Gluth der Haide verzehrt Eure Gebeine!«
Magnus' Trotz war noch nicht gebrochen. Von Neuem umschlang er Herta, die sich vergebens sträubte. Wie zum Hohne griff er mit roher Faust in ihr wallendes Lockenhaar, um sie hinter sich her zu schleifen und der Macht die auftobende Brutalität der Leidenschaft entgegenzusetzen. Allein eben so rasch war er umringt und die Hand eines Mannes, dessen Gegenwart er vor Allem fürchtete, lag, wie die Tatze eines Tigers, an seiner Kehle.
Der Graf keuchte unter den eisernen Fingern des wüthenden Landmannes. Herta entwand sich ihm und eilte in die offenen Arme ihres Vaters.
»Nehmt sie hin,« stotterte er, »und seid verflucht!«
»Sei Du verflucht, schamloser Ehrenschänder!« klang eine andere nicht minder
furchtbare Stimme in das Ohr des Grafen. Er schlug die vom beizenden Rauch
wunden Augen auf und erkannte die riesige Gestalt Sloboda's. »Ja, sei
verflucht,« wiederholte der Wende, »sei verflucht, bis Du in Dich gehst und
Reue, qualvolle Reue jede Secunde Deines Lebens vergiftet! Sei verflucht, bis
die Geister derer, die Du in Elend, Schande, Wahnsinn und Tod gejagt, vor Dir
aufsteigen und durch gemeinsames Gebet die
»Sei ewig verflucht!« hallte es tausendstimmig von dem tobenden Schwarm der Leibeigenen wieder, die mit Knütteln, Sensen und andern Werkzeugen im sausend niederprasselnden Feuerregen diesem entsetzlichen Auftritt beiwohnten und ihm zur wahrhaft höllischen Staffage dienten.
Da sank Magnus doch der Muth! Er fühlte schaudernd, wenigstens auf Minuten, daß
ein Gottesgericht über ihn hereingebrochen sei, und wie ein Verbrecher, der es
nicht wagt, den sündigen Blick zum reinen Himmel aufschlagen zu dürfen, winkte
er mit der Hand und schlich, wie bei den Römern die besiegten Feinde durchs
Joch, gebückten Hauptes durch die Schaar seiner Leibeigenen, die eine schmale
Gasse öffneten und den Gerichteten unangetastet, nur Verwünschungen über ihn
ausstoßend, in die freie Haide entließen. Erst einige hundert Schritt hinter
dem zürnenden Volk traf er mit den Seinigen wieder zusammen, von denen es
Keiner, Utta nicht ausgenommen, für rathsam erachtet hatte, in der drohendsten
Gefahr dem allgemein Verhaßten beizustehen oder mit ihm zu unterliegen. In
ihrer Mitte verschwand
Johannes hatte seinen Zweck erreicht. Magnus war bestraft, vertrieben, die Burg seiner Väter sank in Staub und Asche, und Herta, sein geliebtes Kind, das Vermächtniß der unglücklichen Eugenie, war ihm wiedergegeben! – Es blieb jetzt nichts mehr zu thun übrig, als dem noch verderblicheren Umsichgreifen der Flammen zu steuern. Auf sein Geheiß war man schon beim Entzünden der Haide darauf bedacht gewesen. Bei weitem der größte Theil der Wenden hatte ringsum in ziemlicher Entfernung vom See an Stellen, wo die Waldung nicht durch Holzschläge oder unbebaute Stellen begrenzt war, Erdwälle aufwerfen und Bäume niederschlagen müssen, und so bedurfte es jetzt nur noch gehöriger Aufsicht, um die Flammen an weiterem Vordringen zu hindern. Eine Anzahl seiner eigenen Leute nebst einigen Wenden wurden überall hin vertheilt, so weit die Gluth sich erstreckte, die Uebrigen nebst Sloboda und dem Maulwurffänger brachen nach der Waldblöße auf, wo sie die wendischen Frauen und Mädchen ihrer harrend wußten.
Zwei Stunden nach Mitternacht erreichten
Hier sah Herta ihr geliebtes Haideröschen wieder und beide gleich Unglückliche sanken einander schluchzend in die Arme. Sie hatten keine Worte für ihr unendliches Weh, nur ihre Thränen, ihre Blicke, ihre Küsse und Händedrücke sprachen. –
Johannes gönnte den Ermatteten ein paar Ruhestunden. Erst gegen Morgen, nachdem
ein die Erde weithin erschütternder Donner durch die Haide gerollt und eine
breite Feuersäule zu unermeßlicher Höhe emporgestiegen war, Zeichen, welche den
gänzlichen Einsturz des Schlosses Boberstein verkündigten, gab er Befehl zum
Aufbruch.
Noch war es Nacht, als Sloboda von Johannes und dessen Tochter, von Clemens,
Ehrhold, dem Maulwurffänger, Röschen und einigen andern Wenden begleitet,
seinen Wohnort erreichte. Am Horizont rollten gleich einem blutigen See die
Wogen der Flammen und erleuchteten viele Meilen weit die gleichförmigen
Haidestrecken und die in denselben zerstreut liegen den Dörfer und Höfe. Durch
Zufall betraten die vom Rachewerk Zurückkehrenden den stillen Ort auf der
Stelle, wo das Gemeindehaus lag. Sloboda gedachte seines armen Sohnes und
blickte auf die baufällige Hütte. Da sah er – und eisiges Frösteln
durchrieselte seine Gebeine – in der fehlenden Fensterlücke das bleiche, immer
lächelnde Antlitz Nathanaels mit den blödsinnig stieren Glasaugen! Der
Wahnsinnige starrte
Sloboda blieb stehen und deutete auf das niedrige Fenster mit der stieren lächelnden Gesichtslarve.
»Das ist mein Sohn,« sagte er vor Schmerz und Schaudern bebend, indem er die Hand des Räubers faßte. »Auch die Seele dieses Armen liegt vor Gottes heiligem Throne und verklagt den Grafen!«
»Ha, ha, ha!« lachte Nathanael, der jetzt durch seines Vaters Stimme aus seinem Geistesschlummer erweckt, die Vorübergehenden gewahrte. »Ihr kommt wohl vom Leichenbegängniß? Das war ein prächtiger Fackelzug, wie ich ihn mein Lebtage nie gesehen habe! Jetzt sind die Todtengräber dabei. Seht nur, wie lustig sie das Grab über ihn thürmen!«
Und wieder preßte er das Gesicht fest in die Lücke und starrte lautlos in die dunkler werdende Lohe. –
Erschüttert zogen die Wenden vorüber. – – –
Die Schreckenskunde von diesem beispiellosen
Mit diesen drei Wenden verscholl auch Herta.
Beide stutzten und maßen den ironisch- höflichen Grafen mit großen Blicken.
»In der That, meine Lieben, ich danke Ihnen recht sehr,« wiederholte Adrian. Sie haben sich angestrengt, um mir Aufschlüsse über meine Familie zu geben, wie ich dies von Fremden nicht erwarten durfte. »Leben Sie wohl!«
»Aber mein Herr Graf,« unterbrach ihn Sloboda, »Sie scheinen ganz zu vergessen, daß wir die Vergangenheit lebendig vor Ihnen werden ließen, um Sie zu überzeugen –«
»Wovon, mein guter Alter?«
»Von der Rechtmäßigkeit meiner Ansprüche auf den fünften Theil der ehemaligen Besitzungen des Grafen Magnus.«
»Sagten Sie nicht, daß Haideröschens Kind gestorben sei?«
»Es sind also keine Erben da?«
»Doch, mein Herr Graf,« fiel der Maulwurffänger ein. »Ein Sohn Haideröschens lebt.«
»Ein Sohn von Clemens?«
»Von dem Gatten meiner Tochter,« sagte Sloboda.
»Lieber Alter,« versetzte Adrian, »dann gebe ich Euch den guten Rath, vererbt ihm das Besitzthum seiner leichtfertigen Mutter und gebt ihm meinetwegen noch das Stückchen Papier mit in den Kauf, mit dem ihr armen Schwachsinnigen so große Wunder bewirken zu können glaubt. Dieser alte Fetzen ist keinen Heller werth. Jeder Advocat wird Euch das sagen.«
»Sie scherzen, Herr Graf!«
»Ich scherze nie! Nochmals, glückliche Reise!«
»Graf Adrian,« nahm der Maulwurffänger abermals das Wort, »halten Sie unsere Erzählung für ein Mährchen?«
»Herr Graf!« rief Heinrich und stützte sich trotzig auf seinen Stab.
»Es ist, wie ich sage,« fuhr Adrian fort. »Ihr seid Betrüger oder Verbrecher. Vor Beiden schützen mich die Gesetze des Staates. Aber ich will annehmen, daß Ihr mich mit lustigen Geschichten habt unterhalten wollen.«
»Bedenken Sie, was Sie thun!«
»Bedenket Ihr, was Ihr wagt!«
»Wir klagen, Herr Graf,« sagte Sloboda.
»Wie es Euch beliebt.«
»Wir ziehen die Schandthaten Ihrer Ahnherrn an's Licht,« drohte Heinrich.
»Dabei kann die Particulargeschichte nur gewinnen, wenn ich es nicht vorziehe, Euch zuvor als freche Betrüger einsperren zu lassen!«
»Dann zittern Sie vor den Geistern, die diesen Felsen umschweben!« rief der
Maulwurffänger. »Zittern Sie, wenn ich sie anrufe und Todte erwecke, damit sie
Zeugniß ablegen; zittern
Adrian öffnete die Thür und rief einige Diener herbei.
»Begleitet diese Herren bis auf die Fähre,« befahl er trocken, »sorgt, daß sie unter Bedeckung durch den Wald gebracht werden und benachrichtigt mich davon, sobald es geschehen ist.«
Diese Befehle des reichen Mannes wurden pünktlich vollzogen. Die beiden Greise mußten mit stillem Ingrimme die Insel verlassen. Adrian aber setzte sich unmittelbar nach der Entfernung so unwillkommener Gäste hin und theilte das Vorgefallene seinen beiden Brüdern mit.
»Man muß sich vorsehen,« sagte er, als er die Briefe siegelte. »Leute, die solche Drohungen wagen, haben in der Regel heimliche Hinterhalte, die sie erst später benutzen. Schützen wir uns, ehe der Kampf beginnt.«
Ende des zweiten Theils.
Die Versammlung der Kaufleute an der Hamburger Börse war ungemein zahlreich.
Kopf an Kopf gedrängt bildeten die verschiedenen Bestandtheile der Börsenmänner
eine feste auf- und niederwogende Masse. Als sich die Welthandelsherren endlich
trennten, ergoß sich ein breiter, lebhaft sprechender Menschenstrom in die
nächsten Straßen. Besonders laut waren die Schiffskapitäne, die außerhalb der
Schranken der eigentlichen Börse, auf dem Platze vor dem Rathhause, zu vielen
Hunderten sich drängten. Sie waren leicht von Kaufleuten und Mäklern zu
unterscheiden durch ihre fast ganz gleiche Tracht die aus kurzen, um die Hüften
eng anschließenden Jacken von feinem blauen Tuch und Beinkleidern
Beide Hände in den Taschen seiner Jacke schlenderte getrennt von der auseinanderstäubenden Menge ein schlanker junger Mann über den Neeß, durch die kleine Johannisgasse nach der Straße, die damals noch den Namen »hinter dem breiten Giebel« führte. Das lebhafte, scharfe Auge, der wiegende Gang, der muntere, ja leichtfertige Ausdruck seines Gesichtes verriethen den genußsüchtigen Weltmann, der es versteht, die Sorgen des Lebens mit keckem Ruck von sich zu schütteln. An den Häuserreihen angekommen, die nach dem alten Jungfernstiege führten, ward er durch einige junge Mädchen aufgehalten, die ihm mit zierlich gebundenen Sträußchen den Weg vertraten und mit lieblichen klaren Stimmen um Kauf derselben baten. Die niedrigen breitrandigen Strohhüte mit den abwärts gebogenen Krempen ließen in den hübschen schlanken Kindern die Vierländerinnen nicht verkennen. –
Der junge Kapitän, keineswegs gleichgiltig gegen Jugend, Schönheit und flehende
Mädchenstimmen,
»Wie heißt Du, mein Kind?« fragte der Kapitän.
»Dörte,« erwiederte das Mädchen, ein paar Reihen der prächtigsten Zähne unter den kurzen vollen Lippen zeigend, auf denen die Sonnenfunken eines immerwährenden Lächelns flimmerten.
»Was verdienst Du mit dem Blumenhandel?« fragte der Kapitän weiter, während er auch den andern drei Mädchen, die sich wieder zurückgezogen hatten und traulich neben einander an der Häuserreihe standen, um neue Käufer abzuwarten und vorübergehende junge Herren anzurufen, seine prüfende Aufmerksamkeit zu Theil werden ließ.
»Gnädiger Herr,« versetzte die schöne Vierländerin,
»Das heißt, mein Kind?« fragte der Kapitän und faßte das Mädchen sanft am Kinn, ihr recht warm und tief in die dunkelblauflammenden Augen sehend. Dörte schlug ihn leicht auf die Hand und trat einen Schritt zurück.
»Ei, sie sind artiger, wie Sie! Sie fragen nicht, sondern nehmen ein Sträußchen und geben mir dafür, was ihnen in die Hände kommt. Wem ich gefalle, der beschenkt mich reichlich.«
Die beredte Blumenverkäuferin gefiel dem Kapitän. Er hatte es gern, wenn junge Mädchen recht ungenirt scherzten, und zog solche den schüchternen prüden Gänschen jederzeit vor, wie sie leider nur zu häufig auf den Divans der Gesellschaftssäle angetroffen wer den.
»Bist Du täglich hier, Dörte?« fragte er weiter, das dargebotene Sträußchen aus ihrer Hand nehmend und einen Vierschilling dafür hineinschiebend. Dörte machte einen Knicks und sagte schelmisch:
»Und wo wohnst Du?«
»Wo es mir gefällt.«
»Für gewöhnlich, kleiner Schelm?«
»Nun hier!« erwiederte Dörte, als wundere sie sich über so curiose Fragen. »Sie sehen ja, daß die Sonne ganz prächtig auf diese Bank hier scheint und daß die Ladendächer ein Schutz gegen Wind und Regen sind.«
»Und des Nachts, lustige Finke?«
»Da bin ich mit meinen Gefährtinnen zusammen.«
»Ich verspreche Dir täglich eine Mark, wenn Du mir, so oft Du kannst, einen recht ausgesuchten Blumenstrauß in mein Logis bringen willst,« sagte der Kapitän.
»Das würde mir schaden, gnädiger Herr,« entgegnete Dörte. »Ich darf meinen Platz nicht verlassen, sonst verliere ich meine Kunden. Wollen aber der gnädige Herr alltäglich hier vorüber spatzieren, so soll es Ihnen nie an einem annehmbaren Sträußchen gebrechen.«
Ein abermaliger Knicks begleitete diese mit scherzhafter Grazie gesprochenen
Worte, worauf
»Nun also auf Wiedersehen, schön Dörtchen!« sagte der Kapitän, indem er der Vierländerin verstohlen eine Kußhand zuwarf. Den süßen Duft des Straußes in langen Zügen einschlürfend, ging er dann weiter nach dem Jungfernstiege. »Das Mädchen muß ich genauer kennen lernen,« sprach er zu sich selbst. »Ich muß erfahren, wo sie wohnt, wer ihre Aeltern sind, ob sie Geschwister hat und was sie in Zukunft zu machen gedenkt? Es sind doch reizende Geschöpfe diese Vierländerinnen – schlank, voll, zart und feurig, aber zurückhaltend wie der Teufel. Für ein einziges solches Naturkind lass' ich Hundert unserer kokettirenden Gesellschaftsdamen sitzen. Und kurz und gut, die Dörte muß zu mir kommen oder –«
»Sie entschuldigen, Herr am Stein,« unterbrach eine rauhe Stimme den Gang seiner Gedanken, »ich habe Ihnen einen Brief zu überreichen. Da Sie mir grade begegnen, erlaube ich mir, Sie einen Augenblick aufzuhalten. Sie bemerken, das Schreiben ist empfohlen!«
Der Briefträger ging ärgerlich grüßend vorüber, der Kapitän aber steckte den Brief gelassen in die Brusttasche seiner Jacke und trat, immer den duftenden Strauß an Lippe und Nase drückend, in den Alsterpavillon. Hier wimmelte es von Gästen, die an kleinen Tischen sitzend Zeitungen lasen, Kaffee, Thee oder Wein tranken, und Cigarren rauchten. Eine Menge junger Leute standen in der Mitte des Pavillons um das Billard und spielten mit großer Beharrlichkeit Poule.
Der Kapitän setzte sich in eine Ecke des geräumigen Locals, bestellte ein Glas Portwein, ließ sich vom Kellner Feuer bringen und brannte sich eine köstlich duftende Havannaheigarre an. Erst als er Wein und Cigarre geprüft hatte und Beide vortrefflich fand, holte er den Brief aus der Tasche und erbrach ihn.
Unsere Leser lernen in diesem Kapitän einen jüngeren Bruder des Grafen Adrian
von Boberstein
Von den drei Söhnen, welche Graf Magnus bei seinem Tode hinterließ, war Aurel
in körperlicher Bildung seinem Vater am ähnlichsten. In allen körperlichen
Uebungen zeichnete er sich sehr frühzeitig aus und brachte es darin zu
bedeutender Vollkommenheit. Dagegen hatte er von seiner leidenden, durch Magnus
häufig lieblos behandelten Mutter ein gutes Herz geerbt, das beim Anblick
fremden Kummers leicht überschwoll und gern jedem Nothleidenden beisprang. Ein
wunderliches Gemisch von den stillen, edlen Eigenschaften der Mutter und den
ungestümen Gelüsten des Vaters, hatte die Natur in Aurel einen höchst
glücklichen Menschen gebildet, der mit genialem Leichtsinn die ganze Welt an
sein Herz drückte. Durch seine Verheirathung war Magnus mit mehreren sehr
wohlhabenden englischen Adelsfamilien in verwandtschaftliche Verhältnisse
gekommen. Einer von diesen alten derben Northumberländern hatte bei Aurels
Taufe Pathenstelle vertreten, und als der junge Graf
Der junge Deutsche zeichnete sich bald aus, machte verschiedene große Seereisen
nach Südamerika, Ostindien und China und als er nach mehreren Jahren
zurückkehrte nach Europa, bekleidete er bereits die Stelle eines ersten
Schiffslieutenants. Ohne Zweifel hätte Aurel, an die großartigen und
gefahrvollen Reize eines fortwährenden Lebens zur See gewöhnt, seinem
Geburtslande für immer den Rücken gekehrt, wären
Aurel schwankte keinen Augenblick. Den weitaussehenden Plan seiner Brüder
vollkommen billigend, ging er darauf ein. Auch der alte lustige Pathe konnte
nicht umhin, den Gedanken seiner deutschen Verwandten höchst pfiffig und
zeitgemäß zu finden. Er segnete seinen Pathen, übergab ihm zur Ausrüstung des
ersten Schiffes
Aus früheren Mittheilungen wissen wir, daß Adrians Speculationen mit großem
Erfolge gekrönt worden waren. Diese Erfolge erstreckten sich auf alle Zweige
des Unternehmens. Nicht allein die Spinnerei auf den Ruinen der alten Burg
gedieh und blühte nach Wunsch, auch das Haus in Hamburg »Stein und Compagnie«
ließ sich in großartige Geschäfte ein, die über Erwartung rentirten, und die
ursprüngliche Spedition der rohen und verarbeiteten Producte der Firma selbst
bald nur als Nebensache besorgte. Schon nach drei Jahren kaufte die Firma ein
Haus nebst geräumigen Speichern am Rödingsmarkt. Ein höchst zuverlässiger,
erfahrener und geschickter Kaufmann von tüchtiger Gesinnung stand an der
Man konnte annehmen, daß Aurel regelmäßig zweimal des Jahres in Hamburg eintraf und jedes Mal eine Schiffsladung der feinsten Baumwolle in die Speicher lieferte. Diese ward jetzt bereits auf der eigenen Pflanzung der Brüder am Red River in Arkansas gebaut, wodurch der Gevinn des Geschäftes sich unglaublich steigerte.
So oft nun der muntere, lebenslustige Kapitän die deutsche Welthandelsstadt an
der Elbe betrat, wohnte er in seinem eigenen Hause, doch kümmerte er sich wenig
um den Fortgang des eigentlichen Fabrikgeschäftes, da er davon nichts verstand
und es ihm auch zu kleinlich erschien, Buch und Rechnung über Maß und Gewicht
zu führen. Aurel war kein Handelsmann, in seinen Adern brauste noch
unverfälschtes altritterliches Blut, immer bereit, auf Abenteuer auszugehen,
Gefahren aufzusuchen und mit ihnen zu ringen wie ein Held. So sehr er sich über
den
Aurel war durch sein bewegtes Leben mit außerordentlichen Vorfällen und
Begebenheiten so vertraut geworden, daß ihn nichts, auch nicht das
Entsetzlichste, aus der Fassung bringen konnte. Er las daher auch den
empfangenen Brief, der von Adrian herrührte und der manchen Andern
wahrscheinlich in große Besorgniß gestürzt haben würde, mit unerschütterlichem
Gleichmuthe. Das Schreiben war lang, denn es enthielt einen gedrängten Auszug
des Allerwichtigsten aus den Mittheilungen Sloboda's und des Maulwurffängers,
die Adrian als freche Betrüger und speculirende Schurken hinzustellen nicht
unterließ. Größeres Gewicht hatte der umsichtige Fabrikherr auf die Hindeutung
gelegt, daß von ihrem verstorbenen Vater irgendwo in
Aurel faltete den Brief wieder zusammen, ließ zwei breite Strahlen dunkelblauen
Rauches durch seine Nasenlöcher strömen und schlürfte die zweite Hälfte des
Glases Portwein. Dann streckte er beide Beine aus, legte die Füße über
einander, rückte seinen runden Hut so nach vorn in die Stirn, daß er sich mit
dem Hinterkopfe bequem an die Wand lehnen konnte, und nahm ein Blatt der Times,
in dem er mit großer Aufmerksamkeit
»Bei Gott, ich glaube, die beiden alten Männer haben Recht!« sprach er nach
einiger Zeit zu sich selbst, indem er zum zweiten Male den Brief in seine
Tasche schob. »Papa war ein loser Finke, wie ich schon als Junge gehört zu
haben mich erinnere, und so kann es mit dem Herumlaufen einiger natürlicher
Kinder schon seine Richtigkeit haben. Pah, was thut das! Einen tüchtigen,
geistreichen Kerl genirt das nicht. Verbotene Gedanken haben den meisten Reiz,
zeugen von überwiegendem Geiste, warum sollte der Mann anstehen, wenn ihn die
Lust dazu treibt, geschwind 'mal einen physischen Witz zu machen? Ich merke,
daß ich der ächteste Sohn meines galanten Herrn Vaters bin. Alle Nationen
können zur Noth auf Führung des gräflich Bobersteinischen Wappens Anspruch
machen. Wer sich darum kümmern wollte! Aber freilich die Schenkungsurkunde –?
sie wäre ein dummer Spaß! Sollte sie ächt sein, so könnte sie geniren. Aber
Einige Minuten lehnte sich der Kapitän in der eben angedeuteten Weise wieder zurück, blies starke Rauchwolken aus den Nasenlöchern und fuhr dann fort:
»Wissen möcht' ich schon, ob ein ächter Boberstein, wie ich, sich vor einem natürlichen schämen müßte. Wo mögen diese älteren Geschwister von mir leben, wenn sie wirklich vorhanden sind, wirklich existirt haben? Ich bitte Dich, gutes Glück, führe mich mit einem derselben zusammen! Es soll auch, gefällt mir der illegitime Bruder oder die naseweis in die Welt gesprungene Schwester, gewiß und wahrhaftig nicht ihr Schade sein! Bei Gott, das soll es nicht!«
Aurel trank sein Glas aus, warf den Betrag in neuen Schillingen auf den Tisch
und verließ den Alsterpavillon, um schief über den Jungfernstieg nach der alten
Stadt London zu gehen und dort sein Mittagsmahl einzunehmen. Die wenigen
Wochen, welche sich der Kapitän in Hamburg aufhielt, pflegte er jeden Tag in
einem andern Hôtel zu speisen. Nicht selten trat er auch
Eben so hielt es Kapitän Aurel des Abends. Nie brachte er den Rest des Tages in
seiner Wohnung zu, selten nur in irgend einem Familienzirkel. Am liebsten
schweifte er ungebunden in der weitläuftigen Stadt umher, dem Zufall und seinem
guten Glück überlassend, ob es ihm heitere und vergnügliche oder trübe und
schauerliche Wege führen werde. In solchen Hamburger Nächten – denn vor
Tagesanbruch kehrte Aurel selten von seinen Nachtspatziergängen zurück – hatte
er schon manche Greuelscene erlebt, schon manches ergreifende Genrebild, wie es
Noth, Laster und Verbrechen täglich hervorbringen, mit angesehen. Häufig mochte
er auch selbst nicht die reinsten und tugendhaftesten Pfade gewandelt sein.
Sein leichtes Blut trieb ihn
Mit gesundem Appetit und unter zerstreuenden Gesprächen endigte Aurel sein Diner. Es war sechs Uhr Abends, als er die Stadt London verließ, um nach seinem Hause auf dem Rödingsmarkte zu gehen. Unterwegs sann er nach, wie er den Abend wohl zubringen könne? Er war in Verlegenheit, denn bereits seit drei Wochen lag er müßig vor Anker und in dieser Zeit hatte er die meisten Genüsse Hamburgs so ziemlich ausgekostet. Da fiel sein Blick auf einen Anschlag an der Straßenecke. Der Zettel kündigte öffentlichen Tanz an in der Bacchushalle.
»Da bin ich noch nicht gewesen,« murmelte der leichtfertige Kapitän und schritt
weiter. Als er um die Ecke beim Graskeller bog, sah er mit leichtem tanzenden
Gange einen schlanken Jungen in der Sonntagstracht eines gemeinen Matrosen etwa
dreißig Schritte vor sich behend durch
»Gilbert!« rief Aurel dem jungen Matrosen nach. »Wohin so eilig?«
Der Jüngling kehrte sich um und zeigte dem Kapitän ein offenes, von Wetter, Sonne und Seesturm gebräuntes Gesicht. Höflich seinen bebänderten Hut lüftend und mitten auf der Treppe stehen bleibend, versetzte er:
»Ich wollte dem Herrn Kapitän Bericht abstatten.«
»Hast Du etwas ausgegattert?«
»Verschiedenes, Herr Kapitän,« entgegnete mit verschmitztem Ausdruck seiner lebhaften Augen der junge Matrose. »Es kommt nur auf Sie an, ob Sie sich herablassen wollen –«
Gilbert sprang nun leichtfüßig die wenigen Stufen vollends hinan und folgte seinem Vorgesetzten in ein gut meublirtes, mit allem Comfort europäischen Lebens reich ausgestattetes Zimmer. Hier streckte sich Aurel nachlässig in einen weichen Lehnsessel und Gilbert setzte sich auf ein niedriges Bänkchen am Ofen, dessen weiß glänzende Kacheln eine angenehme Wärme im Zimmer verbreiteten.
»Nun rede!« befahl der Kapitän, warf seinen Hut auf das ihm gegenüber stehende Sopha und fuhr mit der linken Hand mehrmals durch sein braungelocktes Haar.
»Zu allererst,« sagte Gilbert, »kann ich Ihnen einen Trödler empfehlen. Der
Kerl hockt den ganzen langen Tag auf den Stufen seiner Kellertreppe und
schachert mit allem nur erdenklichen alten Unrath. Sein Aussehen ist nichts
weniger als anziehend, allein man wird entschädigt, sobald man die Treppe
hinunterkriecht. Denn in der engen dunstigen Kellerwohnung
»Hast Du mit dem Mädchen gesprochen?«
»Nein, Herr Kapitän.«
»Desto besser, so ist sie noch nicht eingeschüchtert! Wo machtest Du die anmuthige Entdeckung?«
»In einem der abscheulichen engen, krummen, von Armuth und Elend bevölkerten Gängen der Neustadt.«
»Du weißt ihn genau und kannst ihn zu jeder Zeit wiederfinden?«
»In jeder Minute, wenn Sie befehlen.«
»Das war eins, nun weiter!«
»Ohne Ihrem Geschmacke vorzugreifen, Herr Kapitän, würde ich meine zweite
Entdeckung der
»Dummer Junge, ich will nicht hoffen –« Aurel stockte.
»Was wollen Sie nicht hoffen, Herr Kapitän? Daß ich so kühn gewesen bin, mir ein Sträußchen zu kaufen, die Mädchen am Kinn zu fassen und ihnen zu sagen, daß ich ein gutherziger, verliebter Kerl sei, der sich bereits zu Land und See etwas versucht habe? Doch, doch, Herr Kapitän, so dumm bin ich gewesen! Und können Sie's glauben, das eine Mädchen schrie nicht laut auf, als ich es küßte!«
»Du bist unverbesserlich, Gilbert, ich fürchte, ich fürchte!«
»So lange Sie mir zum Vorbilde dienen, haben Sie nichts zu fürchten,« sagte der junge Matrose schelmisch.
Aurel mußte lachen. »Erzähle nur immerhin weiter,« sprach er herablassend. »Leider bin ich selbst Schuld daran, wenn ein liebenswürdiger Taugenichts aus Dir wird!«
»Das Brauchbarste auf dieser lustigen Welt ist die Liebenswürdigkeit, Herr
Kapitän,« versetzte Gilbert. »Dieser geistreiche Gedanke kam
»Alle auf einmal?«
»Der Reihe nach, wenn Sie erlauben, Herr Kapitän! Es waren vier ganz frisch aus den Elbniederungen gekommene Huldinnen, weiß, schlank und munter, wie Tummler. Ich schenkte auf Ihre Rechnung jeder zwei Schillinge und erhielt von der Schönsten die Zusage, daß sie mich nächstens in meiner Wohnung besuchen wolle.«
»Teufelskerl, Du lügst!«
»Wenn die schlanke Elbnymphe nicht erscheint, macht sie mich zum Lügner, allein versprochen hat sie es mir. Das hübsche Kind nannte sich Dörte.«
»Aus den Vierlanden!«
»Zu Befehl, Herr Kapitän.«
»Du bist ein Schelm! – Also darum – darum! – O über diese Tugendheldinnen! Wann sprachst Du die Mädchen?«
»Vor kaum einer Stunde.«
»Haben Sie bereits über den heutigen Abend verfügt, Herr Kapitän?« fragte Gilbert. »Oder wünschen Sie allein zu bleiben und über die Verbesserung der neuen Ankerwinde nachzudenken?«
»Ich wünsche, daß Du mich begleitest, mein Junge,« fiel Aurel dem aufgeweckten Matrosen in's Wort. »Entschlossen, diese Nacht recht ausschweifend lustig zu verleben und Dich einen neuen Blick in diese verdorbene Welt thun zu lassen, wollen wir heut einen Ort besuchen, den Du noch nicht kennst. Du wirst Freude und Genuß davon haben. Zuvor aber will ich doch sehen, ob Deine Kellerfee mich eben so zu bezaubern vermag, wie Dich.«
Aurel band sich jetzt nach Art der Matrosen
Den jungen, geistig aufgeweckten, stets heitern Gilbert hatte Aurel aus
Neu-Orleans mitgebracht. Er war der Sohn eines Engländers mit einer Kreolin,
die beide schnell hinter einander am gelben Fieber gestorben waren und den
Knaben ziemlich mittellos hinterlassen hatten. Denn es ergab sich, daß das
Vermögen des für wohlhabend gehaltenen Gilbert blos in seinem Credit bestand.
Seine Bücher bewiesen auf unwiderlegliche Weise, daß er zwar keine Schulden
hinterließ, aber auch keinen einzigen ihm zugehörenden Dollar. Da nun in
Nordamerika der Besitz von Geld noch weit mehr wie in Europa dazu gehört, einem
Menschen in den Augen seiner Mitbrüder Geltung zu verschaffen, und der junge
hilflose Gilbert ohne alles Vermögen wahrscheinlich einer sehr trüben Zukunft
entgegen gegangen wäre, so nahm sich Aurel des hübschen Knaben aus reiner
Gutmüthigkeit an. Er hatte seine junge, eben so reizende als eigensinnige
Mutter gekannt und den ihr vollkommen ähnlichen Knaben von Herzen lieb
gewonnen, und so hielt er es fast für Freundespflicht, bei
Gilbert schloß sich gern dem jungen, fröhlichen Kapitän an, der sich freilich
zu allem andern besser, als zu einem Gouverneur und Erzieher eignete. So kam
der junge Gilbert auf Aurels Schiff. Hier mußte er von unten herauf dienen, um
dereinst ein tüchtiger Seemann zu werden. Obwohl Aurel den Knaben wie sein
eigenes Kind liebte, hatte er doch im Dienst durchaus keine Nachsicht mit ihm.
Verstöße gegen die Disciplin, die sich Gilbert im Anfange häufig zu Schulden
kommen ließ, bald aus Nachlässigkeit bald aus Eigensinn und Widerspänstigkeit,
bestrafte Aurel mit derselben Härte, wie bei dem gemeinsten Matrosen. Mehrmals
sah der verzogene Knabe der müßiggehenden Kreolin sein Blut fließen, bis sein
Eigensinn vor der Unerbittlichkeit des strengen Kapitäns sich beugte. In allen
übrigen Dingen war Aurel der nachsichtigste Pflegevater von der Welt. Lachenden
Mundes vergab er seinem Lieblinge jede Dummheit, jede Ausgelassenheit, wenn sie
nicht den Dienst betraf, ja er lobte sogar die tollsten Streiche, sobald sie
nur mit Geschick ausgeführt wurden
Später, als Gilbert zum Jünglinge herangewachsen war, ließ ihm Aurel vollends gänzlich die Zügel schießen. Er verhehlte nicht nur nicht seine eigenen zahllosen Abenteuer dem kaum noch mannbaren Jünglinge, sondern er forderte ihn sogar auf, ihm dabei Gesellschaft zu leisten. Häufig gebrauchte er den schmucken Jungen auch als Lockvogel, wenn er selbst nicht Lust hatte, gewisse Wege, vor denen er sich scheute, zu betreten. Spielte ihm dabei Gilbert gelegentlich einen Possen und trieb er ein zärtliches Schäfchen in sein eigenes Gehege, so konnte der Kapitän wohl über solche Undankbarkeit in komischen Zorn gerathen, aber dem lebenslustigen Amerikaner ernstlich böse zu werden vermochte er nicht. Im Herzen freute er sich vielmehr des guten Glückes seines Zöglinges, da es bei ihm zur Ueberzeugung geworden war, daß es außer rüstiger geistiger Thatkraft auf Erden nichts Höheres gebe, als die Gunst schöner Frauen und Mädchen.
Bei solchen Grundsätzen mußte der kräftige Kapitän ein Don Juan werden und er
ward es,
Als Aurel und Gilbert sich in dem fortwogenden Menschenstrome verloren hatten, führte der Letztere seinen Wohlthäter und Gebieter durch die Kammermannstwiete beim Küterhause vorüber nach der Ellernthorbrücke, von welcher sie rechtsab nach der Fuhlentwiete einbogen und sich von dieser in das Gewirr jener durcheinanderlaufenden engen, finstern und unheimlichen Gäßchen verloren, die in Hamburg Gänge genannt werden.
Der fallende Nebel erhöhte noch den trüben Eindruck, welchen diese ärmsten
Quartiere der großen Handelsstadt selbst am Tage auf den Besucher machen. Es
war, als stürze man aus dem sonnigsten heitersten Tage in die tiefste Nacht,
wenn man von den breiten belebten, durch tausend Flammen erleuchteten Straßen,
wo Reichthum, Luxus, Pracht und Vergnügen herrschten, in diese von erstickenden
faulen Dünsten erfüllten schmalen finstern Gänge trat. Zwar an Leben
Wer sich des Nachts allein in diese schmutzigen Gänge wagte, die zum größten
Theil von armen Schacherjuden, von Trödlern aller Art,
Aurel hatte mit seinem Begleiter kaum funfzig Schritte in diesem Ganglabyrinth zurückgelegt, als er auch schon das Gebrüll trunkener Stimmen vernahm. Es scholl aus einem noch fernen Keller herauf und endigte nach einiger Zeit mit rohem Gelächter und dem Sturz eines Menschen, den mehrere aus dem Keller auf die Straße warfen. Der so brutal Behandelte rächte sich durch eine Fluth gräßlicher Flüche, die er mit heiserm Kehllaut in den Keller hinunterschrie, während er sich wieder aufraffte und mühsam bald rechts bald links taumelnd, den Gang fortwankte. Der lockenden Syrenenstimme eines jener harrenden Kellermädchen konnte der Trunkene nicht widerstehen. Er lavirte auf die bleiche Dirne zu und verschwand an ihrem Arm in dem finstern Schlunde, den sie bewachte.
»Bist Du auch Deiner Sache gewiß?« fragte der Kapitän, indem er stehen blieb und dem Gesange einer weiblichen Stimme horchte, die wie vom Himmel herab durch den Nebel zitterte.
»Wir sind bald zur Stelle, Herr Kapitän. Sehen Sie dort das flackernde Lampenlicht in dem vorspringenden Thorwege? Drei Häuser weiter ist der Eingang zum Elysium.«
Mehrmals angerufen erreichten die beiden Männer den Thorweg. Hier vernahmen sie in größter Nähe den Hilferuf einer Frauenstimme, begleitet von einem Schalle, über dessen Entstehung kein Zweifel sein konnte.
»Bei Gott, Junge,« flüsterte Aurel seinem Begleiter zu, »das ist nicht viel
besser wie in St. Giles! Ich glaube gar, irgend ein Wüthrich vergreift sich an
einer spröden Dirne und will sie durch Schläge zwingen. – Höre nur diese
Flüche, dies giftige Gekeif eines alten Weibes
»Herr Kapitän,« fiel Gilbert ein, »trügt mich nicht mein Ortssinn, der es, wie Sie wissen, mit jedem Indianer aufnimmt, so ist der abscheuliche Lärm in dem Keller –«
»Deiner niedlichen Fee? Ha, das trifft sich ja prächtig! Geschwind, Gilbert, laß uns als Schiedsrichter, Mittler und Versöhner auftreten, und alsdann sehen, was sich zu unserm eignen Besten etwa noch thun läßt.«
Inzwischen hatten Beide den Eingang zum Keller erreicht, aus dem jetzt von neuem tobendes Gezänk, Flüche, entsetzliche Schimpfworte und das Klatschen gewichtiger Peitschenhiebe erscholl. Der gellende Hilferuf eines Mädchens übertönte noch lauter den wüsten Lärm.
Behend lief Aurel, von Gilbert gefolgt, die schmale Kellertreppe hinab, stieß mit dem Fuße eine nur angelehnte zersprungene Thür auf und trat mit der Würde und der stolzen Miene eines geborenen Herrschers in eine Höhle, die sich kein Räuber zu dauerndem Aufenthalt besser hätte wünschen können.
Bei Aurel's Eintritt in diese Wohnung des Elendes sah er niedergedrückt auf die
feuchte Diele ein junges Mädchen von wunderbarer Lieblichkeit knieen. Ein wild
blickender, offenbar berauschter Mann von athletischer Gestalt hatte sich
Während die verwahrloste Alte so kreischte, rann in starken Tropfen das rothe
Blut von dem schönen Rücken der armen Gemißhandelten, an deren Qualen sich das
häßliche Weib mit ihren frechen grauen leuchtenden Augen innig zu erlaben
schien. Auch hätte der tobende Wüthrich schwerlich seine Züchtigung so bald
eingestellt,
»Elender!« rief Aurel dem Berauschten zu, die Peitsche ihm entreißend und gegen ihn schwingend, indem er ihn vorn an der Brust packte. »Was hat Dir dies Mädchen gethan, daß Du es so unbarmherzig schlägst?«
Der Bewohner des Kellers – denn dieser war es – suchte sich von den eisernen Fingern des Schiffskapitäns frei zu machen, rollte wüthend die blutunterlaufenen Augen und ballte beide starkknochigen Fäuste gegen Aurel.
»Laßt los,« stotterte er, »oder – ich vergesse mich –!«
»Unvernünftiges Thier, Du hast Dich schon vergessen! Sprich, was that Dir dies arme schwache Mädchen?«
»Elwire ist widerspänstig. Aber was habt
In glücklichem Staunen hatte Aurel mit feurigen Blicken die wahrhaft reizende Gestalt Elwirens verschlungen, die noch immer ganz erschöpft mit blutendem Rücken am Boden saß und ihren schönen Kopf mit den aufgelösten langen glänzenden Haarflechten an Gilbert's Brust lehnte.
»Wie?« versetzte der Kapitän. »Diese unvergleichliche Schönheit ist Eure Tochter?«
»Ho, ho, ist das so verwunderlich?« fiel der Trödler ein. »Oder denkt Ihr wie das reiche Pack, das's Geld in Scheffeln mißt, blos in den Betten vornehmen Gesindels kämen schöne Kinder zur Welt? Fehl geschossen, sag' ich; die Dirne ist mein Kind und was hat der Teufel an ihr auszusetzen, he?«
»Ihr solltet Euch schämen, ein solches Meisterstück der Schöpfung so
unbarmherzig zu mißhandeln,«
»Es ist der Dirne Recht geschehen,« antwortete trotzig der barbarische Vater, sich auf einen wackligen Stuhl werfend und die Arme zusammenschlagend. »Sie sollte zeigen, daß sie schön sei, und das wollte sie nicht, will sie noch nicht. Darum hab' ich sie gehauen. Morgen des Tages, beharrt sie auf ihrer sinnlosen Weigerung, werde ich ganz allein einen Rundtanz bei verschlossenen Thüren mit ihr aufführen. Ich will doch sehen, wer Herr in meinem Keller ist!«
»O retten Sie mich, edelmüthige Herren!« schrie jetzt mit verstörtem Blick die arme Gemißhandelte. »Retten Sie mich oder ich lege selbst Hand an mich! Er will mich verkaufen – Er – mein Vater!«
Die letzten Worte stieß die Unglückliche langsam, vor Entsetzen zusammenschauernd, halblaut über die bebenden Lippen.
Aurel maß den Rabenvater mit dunklem Zornesauge. Da schlich die Alte wieder aus
dem Winkel hervor, wohin Gilbert's kräftiger
»Und ich bestehe darauf, daß unser Conract erfüllt wird! Handel ist Handel – da hilft kein Fluch noch Gebet davon – und das Mädchen gehört mir, denn ich habe Handgeld gegeben! Und geht sie nicht in Gutem mit mir, so laß ich sie von meinen Leuten holen. Hab' ich sie nur erst in meinem Hause, dann will ich schon mit ihr fertig werden! Es ist nicht die erste thörichte Dirne, die sich sträubt, und nachher, ei wie freundlich hat dann das feingekleidete Püppchen gelacht! Wie hat sie mir die Hand gedrückt, die sie anfangs züchtigte, und wie hat sie dem Leben seelenvergnügt zugejauchzt! Ja die Mädchen! – Man muß sie zur Erkenntniß dessen, was ihnen gut ist, zwingen, sonst lernten sie, glaub' ich, im Leben nicht, wozu sie Gott so hübsch geschaffen hat!«
Das gemeine, freche Weib, deren schamlose Worte ihr scheußliches Gewerbe nur zu
deutlich verriethen, würde noch geraume Zeit die Weisheit ihres Lasterlebens
ausgekramt haben, hätte ihr Aurel nicht mit so befehlshaberischem Tone zu
schweigen geboten, daß sie erschrocken nur unverständliche
»Wie heißt Ihr?« fragte jetzt der Kapitän den Trödler.
»Klütken-Hannes,« sagte der rohe Kerl.
»Wißt Ihr, Klütken-Hannes, daß Ihr das Zuchthaus verwirkt habt, wenn ich dem hohen Senat Anzeige von Eurer Handlungsweise mache?«
Der wüste Trunkenbold brummte ärgerlich in den Bart und erhob nunmehr die wild geballte Faust gegen die Kupplerin, da er mit dem Fremden, der so herrisch und kraftvoll auftrat, nicht anzubinden wagte.
»So wie ich diesen Keller verlasse,« fuhr Aurel fort, »ohne daß Ihr genau thut,
was ich von Euch verlange, so seid Ihr und Eure verruchte Helfershelferinn der
Criminaljustiz überliefert. Denn ich kehre in Begleitung der Stadtwache zurück!
Vollzieht Ihr aber meine Befehle pünktlich, ohne das Geringste daran zu mäkeln,
so will ich vergessen, was ich gesehen und gehört habe, und ich gebe Euch mein
Ehrenwort, daß von dem Vorgefallenen Niemand etwas erfahren
Ein abermaliges Brummen und unverständliches Gemurmel war die ganze Antwort darauf.
»Hör't mich an,« sagte Aurel, »und behagt Euch nicht, was ich verlange, so versucht einen Kampf mit dem Gesetz! – Ihr versprecht mir bei Allem, was Euch heilig ist, und ist Euch nichts heilig, meinethalben beim Teufel und seiner Großmutter, Eure Tochter Elwire mit keinem Finger unsanft anzurühren, noch ihr Dinge zuzumuthen, vor denen ein Vater zurückschaudern sollte! Morgen früh werde ich wiederkommen und dann für ein ehrliches Fortkommen Eurer Tochter Sorge tragen. Seid Ihr dies zufrieden?«
Klütken-Hannes stand auf und stellte sich breitbeinig vor den Kapitän hin. »Wenn Sie Mutter Lievers bezahlen wollen, bin ich's zufrieden,« sagte er. »Das Geld, was sie mir für Ablassung des Mädels gegeben hat, kann ich nicht entbehren – ich hab's nicht mehr – und wenn Sie also nicht zahlen, so wird die Elwire eine –«
»Scheusal, ich erwürge Dich, wo Du es
»Lirum larum!« versetzte Klütken-Hannes, »um den Herrgott und sein Strafregiment kümmere ich mich nicht so viel, wie um ein Barthaar! Geld, Herr, Geld, ein Sack voll blanker Drittelstücke oder junger Goldfüchse, ist mein Gott! Für, mit und durch ihn kann ich haben was ich will, für Ihren Gott aber, mein guter Herr, gibt mir der Bäcker kein Halbschillingbrod.«
Entsetzt vor dieser bodenlosen Frivolität und
»Zahlen, mein sehr moralischer Herr, zahlen ist bei allen Geschäften die Hauptsache! Zahle ich, so läßt mich das Gesetz in Ruhe und ich kann treiben, was mir beliebt. Da fragen Sie Mutter Lievers hier, die vordem, als ich noch jung und bei Kasse war, mit mir viele vergnügte Stunden zugebracht hat. Wenn sie pünktlich bezahlt, stört sie der hohe Senat nicht in ihrem Geschäft! Er besucht sie sogar, der hohe Senat, denn er sieht frische schlanke Mädels eben so gern wie andere Menschen von Fleisch und Bein. Und ein solides Geschäft treibt Mutter Lievers, solider ist nicht der größte Banquier in ganz Hamburg! Darum ist sie auch so erpicht auf solche geschmeidige weiße Kellerblumen, die, wie meine Elwire, noch kein heißer Sonnenstrahl versengt hat, und die in der neuen Lebensluft um so besser gedeihen, weil sie zuvor an schmale Kost gewöhnt waren.«
Während der Trunkenbold so die ganze Gemeinheit
»Nicht von der Stelle, alte Hexe!« raunte er ihr zu. »Du bist überreif zum Staupenschlage!«
Aurel zog eine Börse und warf sie dem Menschenhändler vor die Füße. »Dies, Schurke, auf Abschlag! Kaufe Dir Opium dafür, damit Du den Weheruf des Gewissens für immer tödtest!«
Der Trödler hob die Börse auf, wog sie in der Hand und sah nach, ob auch Silbergeld darin sei. Dann nickte er zufrieden mit dem Kopfe und sagte:
»Ich bin's zufrieden! Bringen Sie morgen noch zweimal so viel, gehört das Mädel Ihnen und Sie können dann mit ihr anfangen, was Ihnen beliebt. Ich mische mich nicht drein. Die Umarmungen eines so vornehmen Herrn wird mein zimperliches Töchterlein wohl nicht so unausstehlich finden, wie die im Hause der Mutter Lievers.«
Um dem demoralisirten Menschen nicht Gelegenheit zu neuen abscheulichen Expectorationen zu geben, würdigte ihn Aurel keiner Antwort. Er wendete sich vielmehr jetzt an das gemißhandelte schöne Mädchen, das mit verhülltem Gesicht zu Gilberts Füßen am Boden saß und den bisherigen Verhandlungen in tiefstem Schweigen zugehört hatte. Im Innersten erschüttert durch die schamlosen Bemerkungen des Mannes, den sie Vater nennen mußte, vermied sie aufzublicken.
»Liebe Elwire,« redete jetzt Aurel die Unglückliche mit sanfter Stimme an und legte seine Hand auf ihr gebeugtes Haupt, »liebe Elwire, können Sie Vertrauen zu mir fassen?«
Elwire ließ die Hände sinken und schlug die thränenfeuchten Augen schüchtern zu dem Kapitän auf.
»Wenn Sie mir gestatten, daß ich etwas für Sie thun darf, Elwire, so werde ich Sie einer achtbaren Familie empfehlen, in deren Schooße Sie Niemand verfolgen wird. Oder wollen Sie Ihren Vater nicht verlassen?«
Bei diesen Worten stand das Mädchen hastig
»O Gott, noch immer hier!« rief sie schaudernd. »Lassen Sie uns fortgehen, recht weit fort! Ich will gern Ihre Sclavin sein, nur retten Sie mich!«
Klütken-Hannes lachte. »Da hören Sie's ja,« sagte er. »Noch hat das Mordmädel Sie nicht ordentlich angeguckt und schon will sie Ihre Magd, Ihre Sclavin, Ihre Maitresse sein! Ich sag's ja, das ganze Weibervolk ist Teufelsgelichter!«
»Fassen Sie Muth, Elwire!« sprach Aurel der fieberhaft Zitternden zu. »Gern möchte ich Sie schon jetzt dieser Mördergrube entreißen, allein es ist mir nicht möglich. Noch eine Nacht müssen Sie hier ausharren in Geduld und Ergebung. Vertrauen Sie auf Gott und mein Wort, liebe Elwire! Niemand darf Ihnen ein Haar krümmen, ohne der härtesten Strafe gewiß zu sein.«
Das schöne Mädchen trat seufzend von Aurel zurück und legte stützend ihren Arm auf Gilbert's Schulter.
»Wir kommen wieder,« flüsterte ihr der Jüngling
»Ich hoffe, daß Sie mir späterhin werden Gerechtigkeit wiederfahren lassen, Elwire,« sagte Aurel zu dem traurigen Mädchen. »Bis morgen muß ich Sie dem Schutz aller Hilflosen empfehlen, der Ihnen gewiß einen unsichtbaren Engel senden wird. Leben Sie wohl, Elwire, und geben Sie der festen Ueberzeugung Raum, daß Sie in mir einen zuverlässigen Freund gefunden haben!«
Er ergriff die Hand des Mädchens. Dieses erfaßte schnell mit beiden Händen die seinige und riß sie leidenschaftlich an ihre Lippen. Dann wendete sie sich eben so heftig ab und lief nach dem Hintergrunde des Kellergewölbes, wo sie hinter einem Verschlage verschwand.
»Jetzt vorwärts, verruchtes Weib!« rief Aurel der häßlichen Alten zu. »Wir wollen Dich ein paar Gassen weit vor uns hertreiben, und wenn Du Dich unterfängst, noch einmal in dieser Nacht hierher zurückzukehren, so drehe ich Dir den Hals um, ehe es der Teufel oder der Henker thut! Marsch, die Treppe hinan, und hüte Dich, um Hilfe zu rufen!«
Es war neun Uhr vorüber, als der Kapitän und Gilbert mit der Kupplerin aus Klütkens Keller traten. Das Glockenspiel von Sanct Nicolai erklang dumpf in der schweren, neblichen Luft. Es spielte Luthers ergreifenden Choral: »Gott in der Höh' sei Ehr,« denselben Choral, unter dessen Accorden es zehn Jahre später in den Flammen für ewig untergehen sollte! –
Von den scharfen Augen ihrer Begleiter bewacht, mußte sich Frau Lievers in das Unvermeidliche fügen und den beiden Männern in geringer Entfernung vorausschreiten. Erst als sie durch den kleinen Trampgang auf eine breite Straße traten, wies Aurel das freche Weib nach den Kohlhöfen, indem er ihr zuraunte:
Frau Lievers machte einen Knicks vor dem strengen Herrn und schlug den vorgeschriebenen Weg ein, der sie in ziemlich gerader Richtung in dasjenige Stadtquartier führen mußte, wo Schönheit und Sünde ein unzertrennliches Bündniß geschlossen haben.
»Was beginnen wir nun?« fragte Gilbert, da Aurel in Gedanken versunken dem alten Weibe noch immer nachsah, obwohl Nebel und Entfernung es längst ihren Blicken entzogen hatten. »Sie waren so heiter vor einer Stunde und nun sind Sie verstört, wie ich Sie noch nie gesehen habe.«
»Bei Gott, Junge, Du hast Recht,« versetzte Aurel, sich ermunternd und wie ein
Pudel schüttelnd, gleichsam als wolle er alle unheimlichen Eindrücke, welche
die letzten Scenen auf ihn gemacht hatten, damit gänzlich beseitigen. »Ich ging
aus, um Lust,« Scherz, süßes Vergnügen zu suchen, um zu küssen und mein heißes
Blut abzukühlen,
»Sie müssen diesen allzu tiefen Eindruck durch neue zu schwächen suchen, Herr Kapitän! Haben Sie mir nicht selbst wiederholt die goldene Regel zugerufen, daß, wer das Leben verstehen und recht genießen wolle, es immer von der leichten, reizenden Seite erfassen müsse? – Und was ist's denn weiter um dieses Mädchen, dessen Augen mir allerdings auch noch wie ein Paar dunkle Sonnen durch den Himmel meines Gedächtnisses rollen! Elwire ist wunderbar schön, aber sicher noch lange nicht die Allerschönste in Hamburg! Es gibt hier Göttergestalten, in deren Armen man sterben möchte. Suchen wir irgendwo ein Paar solche Göttinnen auf!«
»Sind wir nicht ein Paar rechte Thoren, die schöne Zeit mit fruchtlosen Worten so unverzeihlich zu verderben!« rief er aus. »Im Handeln bethätigt sich der Mann! Wir haben selbander Elwiren vom Verderben gerettet, – das ist eine vortreffliche That, die uns ganz bestimmt hoch angerechnet wird im Himmel, wenn ›die Diener des göttlichen Wortes,‹ wie sich die närrischen Schwarzröcke nennen, uns keine Nase drehen. Es sind uns mithin so viel lustige Streiche gut geschrieben im großen Allerweltshauptbuche, daß wir füglich schon jetzt auf Rechnung unseres Guthabens frischweg in's Zeug hineinleben können! Es kann uns nur als pure Belohnung angerechnet werden. Also frisch auf, Kamerad, in den wildesten brausendsten Strudel des sinnlich entzügelten Lebens!«
Arm in Arm durchwanderten die Leichtfertigen mehrere Straßen, schritten quer
über den
»Wohin führen Sie mich?« fragte Gilbert halblaut den Kapitän, denn so
leichtfertig und grundsatzlos der junge Matrose, theils von Natur, theils durch
Aurels Umgang und Beispiel geworden war, konnte man ihn doch keinen
raffinirten, verdorbenen Wüstling nen nen. Es war
»Bei Gott, Junge, ich weiß es selbst nicht bestimmt!« entgegnete Aurel in bester Laune. »Sie heißen's ›Salon,‹ was heute Nacht so viel junges Volk in diese Stadtgegend führt. Ob aber daselbst getanzt, gesungen oder gespielt wird, das müssen wir abwarten! Es soll lustig hergehen, hab' ich gehört, und die schönsten Mädchen Hamburgs, doch nicht immer die Tugendhaftesten, machen in diesen Salons die Honneurs. Das wollen wir uns denn ein Mal auf gut Glück mit ansehen.«
Gilbert war es zufrieden, eine neue Seite des Lebens kennen zu lernen, wenn es
auch nur eine tief dunkele Schattenseite sein sollte. Ihre Schritte
beschleunigend kamen sie an ein stattliches Haus, dessen Thorweg hell
erleuchtet war und aus dessen Innerem verworrenes Geräusch vieler Stimmen und
die dumpfen Töne rauschender Tanzmusik erklangen. Männer und Frauen
An der einen Seite des Saales kredenzte eine Statue des eppichumlaubten Gottes der Freude und des Weines in goldener Schaale sprudelnden Champagner. Diese Statue gab dem Saale seinen Namen. Links und rechts zu beiden Seiten führten breite Thüren auf hell schimmernde Corridore. Diese Thüren wurden häufig von erhitzten Tänzerinnen geöffnet, um sich in der weichen Kühle der Vorräume einsam oder in Gesellschaft zu erholen.
Die Musik war nicht vorzüglich, aber rauschend und wild. Sie harmonirte mit der Stimmung der meisten Tanzenden, die im raschesten Tempo, mehr fliegend und stürzend, als sanft schwebend, den Saal durchrasten.
Mit anderthalb Mark erkauften sich Aurel und Gilbert das Recht, an den wüsten Freuden des Bacchussaales bis nach Mitternacht Theil nehmen zu dürfen.
Gilbert war ein leidenschaftlicher Tänzer. Es
Die gepolsterten Sitze entlang schreitend, musterte er die geschmückten jungen Mädchen, die vom Tanz ausruhten oder auf neue Tänzer harrten. Viele von diesen Töchtern des Bacchussaales waren ihrer ungewöhnlichen Schönheit entsprechend gekleidet. Weiche Seiden umrauschten die vollen und doch zarten Glieder, falsche Brillanten waren in die Flechten ihrer reichen Haare gestreut, die natürliche und künstliche Blumenkränze geschmackvoll umwanden.
Aurel pflegte in der Regel nicht zu reflectiren. Als Mann der That auf das
Practische gerichtet, von Jugend auf zu tüchtiger Regsamkeit
Seltsamerweise wollte sich dieser stürmische Drang zu freudiger Hingabe an den
Genuß diesmal bei Aurel nicht einfinden. Er sehnte sich nach Freude, nach
tosendem Jubel, nach völliger Vergessenheit, aber jener berauschende Taumel,
der wie eine Sturzsee des Menschen ganzes Wesen ungerufen überströmen und in
seine schäumenden Brandungen hineinreißen muß, soll er absichtslos und ohne
Rückhalt genießen, dieser entfernte sich mehr und mehr von ihm. Der
leichtsinnige, allen Freuden leidenschaftlich ergebene Kapitän mußte wider
Willen denken. Die leidende, blutig geschlagene Gestalt der tugendhaften Elwire
mit dem stummen Verzweiflungsschrei in dem großen nachtdunklen Auge drückte
sich wie eine Geistererscheinung in den Spiegel seines Auges. Er konnte das
ergreifende, zu tiefem Ernste
Aurel suchte an Vergnügungsorten ähnlicher Art immer die ausgelassensten Dirnen auf, um in munterer Weise mit ihnen zu scherzen. Zuweilen benutzte er solche Bekanntschaften wohl auch zu Anknüpfung eines nur Tage oder Wochen bestehenden zärtlichen Verhältnisses. Heut wollte ihm dies nicht gelingen, eine so brennende Sehnsucht, ein so verzehrendes Verlangen er auch nach solcher Zerstreuung hatte. Eine unsichtbare, geheimnißvolle Gewalt hielt ihn von all' den schönen lockenden, jubelnden Kindern der Freude zurück, in deren Blicken er den Wunsch lesen konnte, mit ihm bekannt zu werden.
Aergerlich über diese unwillkommene Stimmung, die ihn wider Willen kalt,
spröde, theilnahmlos machte, wollte er sein Blut erhitzen, um neue Lust zu
fröhlichem Leben in sich zu erwecken. Rasch trat er an eine hohe in
perlfarbenen Seidenstoff gehüllte Mädchengestalt und forderte
»Warum so still unter lauter fröhlichen vergnügten Menschen?« fragte der Kapitän, die Hand des Mädchens sanft drückend.
»So bin ich immer,« versetzte dieses, kaum bemerkbar die langen Wimpern bewegend.
»Aus Grundsatz, schönes Geheimniß?«
»Aus Grundsatz!«
»Sollte dies Ihrem Fortkommen nicht hinderlich sein?«
Jetzt schlug das Mädchen ihre Augen auf
»Ich scheine Sie beleidigt zu haben,« fuhr Aurel fort, »das war nicht meine Absicht.«
»Ich weiß es und verzeihe Ihnen gern.«
»Sind Sie allein hier?«
»Ganz allein.«
»Ohne Lust am Tanz, ohne Freude im Herzen? Das ist seltsam!«
»Sagen Sie lieber, es ist entsetzlich! Dann sprechen Sie die Wahrheit.«
»Weshalb besuchen Sie die Salons, wenn Ihnen vor den Freuden graut, die sie Ihnen bieten?«
»Es ist mein Fluch, mein Schicksal, nennen Sie es, wie Sie wollen! Die Ketten, mit denen das Laster bindet, sind unzerbrechlich!«
Diese Worte sprach das Mädchen mit einem solchen innern Entsetzen, daß Aurel
davor fröstelte. Er überflog mit schnellem Blick die schöne, nachlässig im
Divan ruhende Gestalt, bewunderte diese edlen, reinen Formen, den prächtigen
Schnitt
»Wäre es Ihnen vielleicht angenehmer, in eins der Nebenzimmer zu treten und ein Glas Champagner mit mir zu trinken?« fragte Aurel die schöne Unbekannte. »Es ist unglaublich heiß hier und gar so tumultuös!«
»Wie Sie wünschen, mein Herr, doch meinetwegen bemühen Sie sich nicht. Ich trinke nie.«
»Das ist Unrecht, mein Fräulein! Sie sollten sich erheitern.«
»Ich will nicht erheitert sein.«
Aurel war aufgestanden und bot dem schönen Mädchen den Arm. Sie nahm ihn gleichgiltig, vornehm an und trat mit ihm in ein Nebenzimmer, wo einzelne Paare an runden Tischen saßen, flüsterten, lachten und tranken. Der Kapitän bestellte Champagner und zwei Gläser.
»Denken Sie nicht, mein Herr, daß Sie mich bereden können!« sagte das Mädchen
mit
»Sind Sie in allen Dingen so gewissenhaft?«
»In allen.«
»Wenn Sie also einen Mann mit Ihrer Liebe beglückten, so würden Sie ihm umwandelbar treu bleiben?«
»Wenn ein Mann meine Liebe erwürbe und sie verdiente, gewiß!«
»Und einen solchen Mann fanden Sie noch nicht?«
»Ich werde ihn nie finden!« versetzte seufzend die Schöne.
»Vertrauen Sie Ihren Reizen so wenig, schönes Geheimniß? So jung, so blühend, so interessant – gewiß Hunderte werden sich um Ihr Herz bewerben, und unter diesen Hunderten wird doch wohl Einer Gnade finden vor Ihren tiefsinnigen Augen?«
»Wäre dies je der Fall, so würde ich nicht das Herz haben, ihn zu betrügen.«
»Betrügen! – Sie werden immer räthselhafter.«
»Sie erlauben, mein Fräulein, daß ich mich ein Wenig in den Vorhof Ihres Geheimnisses zu stehlen wage. Werden diese stolzen Lippen es verschmähen, mir Ihren Namen zu nennen?«
»Bianca,« sagte das verschlossene, ernste Mädchen kühl. »Was wollen Sie nun damit?«
»Bianca,« erwiederte Aurel, »aus gutem Herzen und in bester Absicht, weil Sie mir eine Theilnahme für Sie eingeflößt haben, die nicht mehr verlöschen kann, frage ich Sie offen und ehrlich: Halten Sie mich für einen Mann, zu dem ein Mädchen Vertrauen fassen kann?«
»Ich kenne Sie noch zu kurze Zeit, um mir ein Urtheil über Sie und Ihren Character zu erlauben.«
»Ich bitte Sie darum, Bianca!«
»Zu welchem Zweck?«
»Damit Sie mir vertrauen, wenn ich es verdiene.«
Bianca ließ jetzt ihre traurigen Augen lange Zeit auf den bewegten Zügen des
Kapitäns ruhen, dann sagte sie: »Ich glaube, mein Herr,
»Nun denn, Bianca, so thun Sie es!« rief Aurel leidenschaftlich und küßte ihre Hand. »Gießen Sie den Kummer, die Schwermuth, die Trauer, die Sie mit sich tragen, in meine Seele! Beichten Sie die Schmerzenseindrücke des Lebens, als wäre ich Ihr Bruder, Ihr Vater, Ihr Geliebter, und empfangen Sie von mir das heilige Versprechen statt eines Eides, daß kein Sterblicher von Ihrer Beichte eine Sylbe erfahren soll!«
»Wer sind Sie und was veranlaßt Sie, diese unbegreifliche Theilnahme gerade mir zuzuwenden?«
»Wer ich bin! Was braucht das Sie zu kümmern! Es genüge Ihnen, zu wissen, daß
ich ein freier, unabhängiger, vermögender Mann bin, der in beiden Hemisphären
vor Kummer brechende Augen gesehen, der das Volk in seinen Freuden und Leiden
kennen gelernt hat! Bianca, sein Sie offen! Sie gehören nicht in diese
Gesellschaft!
»Warum stocken Sie? Sprechen Sie aus, was Sie denken! Nennen Sie diese armen, unglücklichen Geschöpfe, was sie sind – Verworfene! Sie bezeichnen damit blos den Rang, den ihnen die vornehme, so genannte ehrliche, bürgerliche Gesellschaft gibt, weiter Nichts. Ueber ihren wahren sittlichen Werth dieser Armen haben Sie eben so wenig ein Urtheil, wie alle Uebrigen, die sich mit verächtlichem Nasenrümpfen ein solches anmaßen.«
»O ich weiß, ich weiß!« sagte Aurel mit niedergeschlagenen Augen. »Wir sind vorschnell im Richten und verdienen doch so oft selbst gerichtet zu werden!«
»Nun, wenn Sie dies fühlen,« erwiederte Bianca, »dann können Sie noch helfen
und retten! Ja, mein Herr, die Männer sind es mit ihrer Selbstsucht, ihrer
kalten Grausamkeit, ihrer Genußsucht, ihrer Treulosigkeit, die aus so vielen
leichtgläubigen und gutherzigen Geschöpfen das bejammernswerthe Heer derer
vermehren helfen, die sie späterhin Verworfene nennen! O kennten Sie das Leben
solcher Verworfenen, wüßten Sie,
»Bianca,« sagte Aurel erschüttert, »wer sind Sie? Wer waren Sie, ehe der böseste Dämon Ihres jungen Lebens Sie auf finstere Abwege fortriß?«
»Ich war, was ich noch bin, arm, schön und verlassen! Da hörte ich auf die schmeichelnde Stimme eines vornehm gekleideten Mannes – und nun bin ich hier,« setzte sie rasch mit plötzlich aufspringender Lustigkeit und einem unbeschreiblichen Feuerblick des tiefen, melancholischen Auges hinzu.
»Sie hätten den Bacchussaal nicht besuchen sollen, Bianca!«
»Ich hätte noch weit weniger den schön klingenden Worten eines Mannes Glauben schenken sollen.«
»Sie dürfen diesen Ort nicht mehr betreten, Sie müssen ein anderes Leben beginnen!«
»Wem können Sie unterthan sein?«
»Der Noth und dem Hunger!« sagte Bianca tonlos und senkte tief aufathmend den Kopf gegen die Brust.
In diesem Augenblicke ging die Thür auf und Gilbert's jugendliches, von Tanz und Wein glühendes Gesicht ward sichtbar.
»Ah, da sind Sie ja, Herr Kapitän,« sagte der junge Matrose, »und in schöner Gesellschaft, wie ich sehe,« indem er Bianca mit Aufmerksamkeit grüßte. »Ich bedauere, daß ich Sie einem so reizenden Umgange entführen muß. Hören Sie, die Musik verstummt! Alles verläßt den Saal. Es heißt, ein Schiff im Hafen sei in Brand gerathen.«
Aurel sprang auf. »Eile, Gilbert, so schnell Du kannst,« rief er dem Jünglinge zu, »ich folge sogleich!«
Gilbert warf noch einen spähenden Blick auf seinen Wohlthäter und verließ das Zimmer.
»Zu frühzeitig, Bianca, ruft mich die Pflicht
»Ich möchte es gern, Herr Kapitän.«
»Nun denn – ich muß Sie wieder sehen, wieder sprechen! Wo und wie kann dies geschehen? In Ihrer Wohnung –«
»Nicht um die Welt!« fiel Bianca ein. »Aber hören Sie! Morgen zwischen vier und fünf Uhr ist Concert im Elbpavillon. Ich muß dort erscheinen, um – doch wozu davon sprechen! – Am dritten Fenster des Saales vom Millernthor her mit der Aussicht auf die Anlagen werden Sie mich finden. Ich trage ein schwarzes Kleid und ein Sträußchen vor der Brust mit einer dunkelrothen Nelke.«
»Adieu, Bianca, auf Wiedersehen!«
Als der Kapitän sich dem Hafen näherte, vernahm er, daß das Feuer gar nicht
unter den vor Anker liegenden Schiffen ausgebrochen sei. Ein kleines schmales
Haus auf dem Kajen, in dessen unterstem Geschoß sich eine gemeine
Matrosenkneipe befand, war von der Küche aus in Brand gerathen und stand jetzt
in vollen Flammen. Bei der stillen Luft und den in Uebermaß vorhandenen
Lösch-Mannschaften war keine Gefahr vorhanden. Die meisten Herbeigeeilten hatte
die Neugier hergelockt. Sie standen müßig in den anstoßenden Straßen und sahen
ruhig dem still brennenden Feuer zu. Einen nicht geringen Theil dieser
Zuschauer machten die geputzten Mädchen aus, die noch vor einer Viertelstunde
So angenehm es dem Kapitän auch war, daß er sein Fahrzeug außer Gefahr wußte, so sehr verdroß es ihn, durch den unnützen Lärm in seinem so interessanten Gespräch mit der schönen Bianca gestört worden zu sein. Es war ihm lieb, daß das schöne Geschöpf seiner Bitte gewillfahrt hatte. Er konnte kaum den nächsten Tag erwarten.
Während er jedoch langsam und in Gedanken durch die noch sehr lebhaften Straßen nach Hause schlenderte, fiel ihm die Erinnerung an Elwire wieder schwer auf's Herz. Seine Sucht nach Abenteuern, verbunden mit Gutmüthigkeit, drohte ihn in Verlegenheit zu bringen. Aus purem Leichtsinn hatte er sich da in einem Athem zwei Mädchen aufgebürdet, von denen beiden er noch nicht wußte, ob sie es auch verdienten, daß sich ein rechtschaffener Mann für sie verwendete.
»Gleichviel,« rief er nach einigem Nachsinnen sich ermuthigend zu, »ich habe mich für Beide interessirt, mich gleichsam zum Ritter Beider erklärt, und ein ehrlicher Kerl hält sein Wort!«
Zu diesem Entschlusse gekommen, erreichte er sein Haus. Er setzte sich sogleich hin und schrieb noch einige Zeilen an die Frau vom Hause, worin er ihr den Eintritt eines jungen Mädchens in ihre Familie ankündigte. Nähere Ausschlüsse über dasselbe zu geben, behielt er sich mündlich vor. Als Aurel das Billet couvertirte und mit seinem Wappenringe zusiegelte, kam auch Gilbert heim.
Der junge Mensch sah ziemlich wüst und beschmuzt aus.
»Ja, Herr Kapitän, ich bin ein solcher Narr gewesen. Hätte ich gewußt, daß weiter Nichts brennte, als eine Käsehütsche, zehn Teufel hätten mich nicht aus dem Bacchussaale gebracht! Ich war vergnügt, wie ein König. In meinem Leben habe ich mich so vor trefflich noch nicht amusirt! Gott, welche Gestalten! Welch süßes Fleisch! Welche Gluthaugen! Ich bin ganz toll geworden, Herr Kapitän!«
»Das hör' ich,« sagte Aurel, der inzwischen die Adresse auf den Brief geschrieben. »Damit Du nun recht bald wieder zu Dir kommst, geh' jetzt zu Bett und schlafe bis morgen früh sieben Uhr. Hörst Du? Nicht länger, sonst verfällst Du in Strafe! Denke, Du seist zur See und schliefst auf Commando. Halb acht Uhr muß dieses Billet an seine Adresse abgegeben sein. Gute Nacht, mein Junge!«
Gilbert empfing den auf duftendes Rosapapier geschriebenen Brief und stierte
seinen Gebieter verdutzt an. Da Aurel unbekümmert darum
Vor dem Dammthore bewohnte die Wittwe Oehlers mit ihrer erwachsenen Tochter Clara ein heiter gelegenes, von wohlgepflegten Rasenplätzen und dichten Hecken umschlossenes einfaches Haus. Diese Lage unmittelbar vor der Stadt und doch in der kühlen grünen Umarmung eines kleinen Parles vereinigte auf's angenehmste die Vorzüge des Stadtlebens mit dem freien Genuß ländlicher Einsamkeit und gestattete der noch rüstigen Frau, Sommer und Winter in dem ihr lieb gewordenen Hause zuzubringen.
Madame Oehlers war die Wittwe eines reichen Hamburger Kaufherren, der ihr bei
seinem Tode ein großes Vermögen nebst einem blühenden Handelsgeschäft
hinterlassen hatte. Die
Durch das Hin und Wider während der Geschäftsunterhandlungen hatte sich im Verkehr zwischen den Gebrüdern Boberstein oder, wie sie als speculirende Handelsherren sich consequent nannten, am Stein und der Familie Oehlers ein freundschaftliches, auf gegenseitige Achtung gegründetes Verhältniß ausgebildet. Als späterhin Aurel von England herüber kam, um als Rheder festen Fuß in Hamburg zu fassen, öffnete Madame Oehlers dem lebenslustigen Manne ihr gastfreies Haus. Clara, hübsch, jung und aufgeweckten Geistes, eine Meisterin auf dem Fortepiano, das sie leidenschaftlich gern spielte, war für Aurel ein fesselnder Magnet, wenn er auch keine ernstlichen Absichten auf das junge Mädchen hatte, was die Mutter laut, die Tochter vielleicht im Stillen wünschte.
Die Flatterhaftigkeit des jungen Kapitäns und sein Hang zu sinnlichen
Ausschweifungen konnte den Frauen zwar nicht gar lange verborgen bleiben,
allein es störte derselbe doch in keiner Weise
Clara hatte eben die singende Theemaschine auf den zierlichen Kohlenhalter gesetzt, um für sich und die Mutter das Frühstück zu bereiten, als der Bediente einen Brief überbrachte. Es war das Billet Aurels. Die Wittwe erbrach es und durchlas mit einigem Staunen die wenigen Zeilen. Sie las sie zwei- und dreimal und legte sie dann kopfschüttelnd neben sich auf's Sopha.
»Von Aurel?« fragte Clara neugierig, denn ihr scharfes Auge hatte das Wappen erkannt.
»Ja was gibt es denn?« fragte mit schlechtverhehltem Aerger die Tochter, indem ihre vollen runden Wangen im Feuer der Eifersucht erglühten. »Hat Aurel einen dummen Streich gemacht?«
»Das wag' ich gegenwärtig noch nicht zu entscheiden, liebe Tochter. Höre, was mir der tolle Mensch schreibt.«
Madame Oehlers nahm den Brief wieder auf und las:
»Meine verehrteste Freundin!
Wenn Sie beim Lustwandeln irgendwo eine zarte Blume von wunderbarer
Farbenpracht und süßem Duft gewahren, die eine frevelnde Hand absichtlich
zerstören will, nicht wahr, dann schirmen Sie das bezaubernde Gewächs gegen
boshafte Gewalt und bergen sie an Ihrem Busen? Ich habe durch Zufall heut
Ihrem unermüdlichen Kreuzer
Aurel.«
»Was hältst Du davon, meine Tochter?«
Clara war noch weit ärgerlicher geworden. Sie kniff recht bitterböse den kleinen Mund zusammen und sagte, noch tiefer erröthend: »Ich finde das Verlangen des Herrn Kapitäns über Gebühr ungezogen. Uns ein stockfremdes, vielleicht gar gemeines Mädchen aus freien Stücken ins Haus zu schicken! Manchmal scheint es wirklich, als leide der gute Mann an Verstandesschwäche.«
»Verdamme ihn nicht, liebes Kind! Aus seinem Schreiben geht hervor, daß er eine
gute That entweder gethan hat oder doch hat thun wollen. Dies müssen wir vor
Allem ins Auge fassen und darüber das Ungewöhnliche seines Verlangens
vergessen. Lassen wir uns immerhin das Mädchen vorstellen, dem unser wackerer
Kapitän seinen Schutz zugesagt hat. Entspricht sie unsern Erwartungen, so kann
sie bei uns bleiben und Dir eine liebe Gefährtin werden; sollte sie unsere
gewohnte Ordnung stören, uns überhaupt
»Ich wette, daß es eine von den saubern Liebschaften des Herrn Kapitäns ist!« versetzte Clara, ein Stückchen geröstetes Weißbrod mit ihren Perlenzähnen zermalmend, um den aufkochenden Aerger besser verschlucken zu können. »Man kennt den Herrn von dieser Seite, und es wundert mich wirklich, liebe Mutter, daß Sie ihm noch nicht einmal recht tüchtig den Text gelesen haben. Sie könnten es am ersten, vor Ihnen hat er Respekt, und es ist doch wirklich gradezu ein Unglück und eine Schmach, daß ein so gescheidter, tüchtiger, liebenswürdiger junger Mann aus einer so alten und ehrwürdigen Familie sich und seine Ehre so ganz vergißt und wohl auch noch Andere obendrein compromittirt!«
»Auch die Sonne hat ihre Flecken, liebe Tochter,« sagte die Mutter sanft und
gelassen. »Kapitän Aurel ist gut, nur etwas flatterhaft; und das ist für einen
Mann von Geist und Herz kein gar zu arger Fehler. Ueberdies sagt man ihm mehr
Schlimmes nach, als er verdient. Weil
»Er wird nie ein Mädchen glücklich machen! Welch Frauenherz soll auch einem solchen Wüstling vertrauen!«
»Jedes, mein Kind, glaube mir! Man hat zahllose Beispiele, daß solche überlustige Kumpane die besten, treuesten, zärtlichsten und aufmerksamsten Gatten geworden sind.«
»Es ist aber doch schlecht!«
»Man kann es nicht billigen, liebe Clara, allein man muß und darf es entschuldigen.«
»Ich sehe den Kapitän nicht mehr an, wenn er nicht ein ganz anderer Mensch wird.«
»Schwöre nicht darauf!« versetzte die Mutter lächelnd. »Man nennt uns nicht mit
Unrecht das schwache Geschlecht. Ein Wort, ein Blick, eine Bitte versöhnt uns
schneller, als wir glauben, und häufig sind grade die Fehler der Männer die
scharfen Angelhaken, an denen wider Willen unsere Herzen hangen bleiben. Wir
können wohl den Haß der Abwechselung wegen und um uns selbst zu genügen
bisweilen versuchen, zur Meisterschaft bringen wir es in ihm nie. Auch aus dem
geringsten unserer Blicke leuchtet
Clara seufzte, bückte sich, als suche sie etwas am Boden, und trocknete sich verstohlen die Thränen ab. Es war keine Frage, sie liebte Aurel. Die scharfsichtige Mutter bemerkte wohl die heftige Bewegung ihrer Tochter, sie ignorirte sie aber, da sie eine Neigung weder nähren noch unterdrücken wollte, von deren Reife sie sich noch nicht überzeugt hatte. Eben wollte sie das abgebrochene Gespräch wieder anknüpfen, da trat der Bediente ein und meldete Aurel.
Clara stand schnell auf und ging in's Nebenzimmer. Madame Oehlers gab Erlaubniß, den ungewöhnlich frühen Morgenbesuch einzulassen. –
Aurel war an diesem Morgen zeitig aufgestanden, hatte in größter Eile
gefrühstückt und sich dann unverweilt auf den Weg nach Klütken-Hannes Keller
gemacht. Der Eingang zur Kellertreppe stand bereits offen und war jetzt mit
einigen abgetragenen, stellenweise schadhaften Kleidungsstücken behangen, um
Kauflustige anzulocken.
Als sich der Raum unter der Treppe durch Aurels Eintritt verdunkelte, warf Klütken-Hannes einen schielenden Blick nach oben und goß sich dabei ein frisches Glas Genever in den breiten, von dem struppigen Bartwuchs einer Woche verunstalteten Mund.
»Aha, Sie sind's, Herr Kapitän,« redete er Aurel an, als er ihn erkannte, stand
auf und
»Ich danke, Klütken-Hannes. Wie geht's Eurer Tochter?«
»Verteufelt gut, Herr Kapitän, aber ich will froh sein, wenn ich sie los bin! Seit Sie ihr den Kopf verdreht haben und ein vornehmes Fräulein aus ihr machen wollen, hört sie nicht mehr auf mich, die Wetterdirne!«
Der Trödler hatte inzwischen die Thür zum eigentlichen Keller geöffnet und
forderte den Kapitän auf einzutreten. Elwire saß im Hintergrunde unter einem
schief abfallenden Fenster, das nach dem Hofe hinausging und der unterirdischen
Wohnung das einzige Licht gab. Sie war beschäftigt, einige Putzsachen, die sich
auch die ärmsten Mädchen zu verschaffen wissen, in ein Bündel zusammenzupacken.
Sie erwiederte den freundlichen Morgengruß Aurels durch eine stumme Verbeugung
und ein hohes Erröthen, das selbst Nacken und Brust mit flüchtigem Purpur
übergoß. Ihre Tracht war ärmlich, aber rein und
Aurel fand das Mädchen heut noch schöner, noch reizender, als am vergangenen Abend, und es reute ihn nicht, ein Wort gegeben zu haben, das ihm noch manche verdrießliche Stunde machen, zu mancher üblen Nachrede Anlaß werden konnte. Um Elwiren Muth einzuflößen, reichte er ihr brüderlich zutraulich die Hand und fragte sie, ob sie noch geneigt sei, heut wie gestern einen Freund und Beschützer in ihm erblicken zu wollen? Flüsternd bejahte Elwire diese Frage.
»Dann wollen wir uns einigen, Klütken-Hannes, und wo möglich im Guten. Was verlangt Ihr, wenn Ihr von Stund' an jeden Einfluß auf Elwire verlieren, wenn Ihr überhaupt Euch nicht im geringsten mehr um das Mädchen kümmern sollt?«
Elwire seufzte und legte ein paar verschossene Schürzen auf ihrem kleinen Arbeitstischchen zusammen.
»Hören Sie's?« fuhr der Trödler fort. »Sie seufzt, daß ihr's Mieder knackt, wie lange wird's dauern, so fängt sie gar an zu heulen! O die Mädel und zumal die hübschen, die hängen an ihren Vätern mit einer Liebe, o mit einer Liebe –«
Den Schluß des Satzes verschluckte Klütken-Hannes zugleich mit einem frisch eingegossenen Glas Genever.
»Und also, sehen Sie, Herr Kapitän, das müssen Sie Alles mit einander, ich meine unsere Liebe und unsern Schmerz, – ja, das müssen Sie bezahlen – baar bezahlen!«
Der schnell genossene schwere Branntwein äußerte bereits seine Wirkungen auf
den Trödler, was Aurel möglichste Beschleunigung seines
»Klütken-Hannes,« versetzte Aurel, »erinnert Euch, daß Ihr gestern Abend bereits eine ansehnliche Summe von mir erhieltet. Diese will ich Euch schenken. Ihr könnt damit nach Belieben schalten und walten, könnt Euern Trödelkram vergrößern und besser ausstatten, könnt Euch einen wohnlicheren Keller miethen, oder die Summe, wenn Euch das mehr behagt, verjuxen –«
»Ja, verjuxen, mein' Seel', das ist's Beste! Verjuxen will ich tausend Mark, wenn ich sie erst habe! Nun, Herr Kapitän, wie ist's mit tausend Mark, he? Banko, versteht sich und in gutem alten Silber! Ist's nicht ein delikater Bissen für tausend Mark, wie? Noch keine achtzehn Jahr, weiß wie gefallener Schnee und schuldlos wie ein Gänschen! Mein' Seel', tausend Mark, 's ist ein Spottgeld!«
Aurels Blut kochte vor Wuth und Entrüstung,
»Ihr kommt wieder auf Eure verruchten Sprünge, Klütken-Hannes, die in's Zuchthaus führen,« sagte er in ernstem Tone. »Ich will aus Rücksicht für Euer Kind die gottlosen Worte nicht gehört haben, die Ihr so eben ausstießt, und warne Euch nur, in diesem Tone nicht etwa fortzufahren!«
»Was da, Herr Kapitän, Handel ist Handel, und ob alte Lumpen oder frische junge Mädels, das ist all eins. Der Türke –«
»Ich hoffe, Ihr seid ein Christ, Klütken-Hannes.«
»So wahr es einen Gott im Himmel und einen Satan in der Hölle gibt!«
»Laßt uns also unsere Angelegenheit wie Christen beendigen. Gestern erhieltet
Ihr an funfzig Mark Courant. Ich habe Euch gesagt, daß Ihr dieselben als Euer
Eigenthum betrachten könnt. Wenn ich jetzt noch zweihundert Mark zulege, so
glaube ich, wird dies vollkommen hinreichend sein, um Eure Helfershelferin, das
schlechte Weib, das ich gestern hier traf, befriedigen
Der Trödler brummte mit unzufriedener Miene, goß sich abermals ein Glas Genever ein und stürzte es auf einen Schluck hinunter. Er taumelte vor Aurel hin und her, denn die ganze bisherige Unterredung war stehend geführt worden.
»Ist ein Preis für eine – puh, schämt Euch, Kapitän!«
»Zweihundert Mark, Klütken-Hannes! Bedenkt, daß Ihr für immer einer großen Sorge und Plage überhoben werdet und daß Euch Elwire keinen Stüber mehr kostet!«
»Oho, rechnen Sie die Thränen für nichts, Kapitän? Für nichts den Trennungsschmerz? Ich bin ein Vater, ich! Und ich habe auch ein Herz, ich, Herr Kapitän!«
Der halbtrunkene Trödelmann schwankte, die Flasche in der einen, das Glas in der andern Hand, während dieser großprahlerisch gesprochenen Worte von einem Bein auf's andere. Elwire faltete die Hände und sah mit stieren Augen, leichenblaß und vor Furcht und Scham zitternd, auf den entsetzlichen Vater.
»Ist mir bei allen Branntweinteufeln nicht möglich!« betheuerte der Trödler, eine wichtige Miene annehmend und sich mit der dicken, rauhen und häßlich behaarten Hand wiederholt auf die breite Brust schlagend, daß es dröhnte. »Ein Trinkgeld muß ich noch haben, sonst schick' ich zu Mutter Lievers und mein Töchterchen kehrt unter meine Zuchtruthe zurück!«
»Um Gottes willen, edler, großmüthiger Mann,« flehte Elwire, »geben Sie das nicht zu! Lieber will ich unter freiem Himmel liegen, will hungern und dürsten, als mich dem Willen jenes Weibes unterwerfen!«
»Da hören Sie's, Kapitän! Das Blitzmädel singt, treff' mich der Schlag, wie
eine Drossel! Noch fünf und zwanzig Mark, und
Aurel zog eine zweite Börse. Er fühlte, daß er seiner Entrüstung über die Scheußlichkeit dieses gänzlich verworfenen Menschen nicht mehr länger Meister werden könne, auch konnte er sich in die Lage des armen Mädchens versetzen, um das der eigene entmenschte Vater wie um ein Stück Schlachtvieh feilschte. Ruhig zählte er fünf und zwanzig Mark ab und warf sie dem Trödler verächtlich vor die Füße.
»Hier ist das Geld, mit dem Du Dir für immer den Eintritt zur ewigen Pein erkaufst, jetzt gib Raum, Klütken-Hannes, und sieh Dich vor, daß Du nie meine Wege kreuzest, sonst wehe Deinem Schädel!«
»Der Herr Kapitän haben nur zu befehlen,« erwiederte der Trödler mit grinsendem
Lächeln, in dem sich die Freude über den abgeschlossenen Handel kund gab.
Zugleich nahm er seine Kappe ab, kniete nach einigem Schwanken nieder und las
die verstreuten Silberstücke zusammen,
Aurel hatte Elwire in seine Arme geschlossen, und indem er einen Kuß auf die kalte Stirn der Schluchzenden hauchte, sagte er gerührt: »Jetzt komm, armes, geduldiges Opferlamm! Nach so schweren Leiden soll Dich eine heitere Zukunft liebend umfangen.«
Während der Kapitän seinen Findling die schlüpfrige Kellertreppe
hinaufgeleitete, fiel der matte Wiederschein eines zurückgeworfenen
Sonnenstrahles auf die in Körbchen ausgestellten Schmucksachen. Die abgeputzten
unedlen Metalle glitzerten wie das reinste Gold und veranlaßten durch ihr
trügerisches Glänzen, daß Aurel beim Vorübergehen einen Blick auf das
flimmernde Durcheinander warf. Dabei gewahrte er einen kleinen Siegelring, der
unter einer vergoldeten Kette hervorguckte und mehr als die übrigen
Kostbarkeiten glänzte. Er bückte sich, um einen schärferen Blick darauf zu
werfen, und da er glauben mußte, der Ring bestehe aus feinem Gold, so entließ
er Elwire aus seinem Arm und hob den Ring auf. Ein Blick darauf machte ihn
staunen, er vergaß, was ihn so eben noch ganz
»Klütken-Hannes, komm sogleich herauf! Ich will etwas von Dir kaufen!«
Brummend, noch mit dem Sammeln des erhaltenen Geldes beschäftigt, wankte der Trödler die Treppe herauf.
»Von wem hast Du diesen Ring gekauft?« rief ihm Aurel zu, indem er ihm das Kleinod entgegen hielt.
»Welchen Ring, Herr Kapitän?«
»Hier, diesen Siegelring, trunkener Schelm!«
Klütken-Hannes schielte mit halbem Auge nach dem Schmuck und versetzte murrend: »Weiß ich nicht mehr! Irgend ein verkommenes Weibsbild hat ihn mir doch an den Hals geworfen.«
»Du lügst, Schurke! Heraus mit der Sprache, sag' ich, oder ich behandle Dich wie einen Dieb! Der Ring ist ächt und trägt das Wappen eines alten Adelsgeschlechtes.«
Jetzt ward auch Elwire aufmerksam und bat den Kapitän mit sanftem Blick um die
Erlaubniß, den Fund ebenfalls betrachten zu dürfen.
»Vater,« sagte Elwire, erröthend, daß sie dem widerlichen, verworfenen Manne diesen Namen geben mußte, »erinnert Ihr Euch nicht mehr, wie Ihr zu diesem Ringe gekommen seid?«
»Wenn dem Herrn Kapitän an dem Goldreif so viel gelegen ist, was bietet er mir dafür?« fragte Klütken-Hannes ausweichend.
»Es sind vier Wochen her, daß Ihr ihn im Kartenspiel gewannt. So wenigstens sagtet Ihr, als ich das Kleinod am Morgen in Eurer Rocktasche fand.«
»Der Ring gehört mir,« versetzte der Trödler trotzig, »und wer mir ihn gut bezahlt, soll ihn haben.«
»Wer besaß ihn vor Euch?« fragte Aurel. »Ihr seht, der Ring ist auf den Finger einer Frau gemacht.«
Klütken-Hannes schlug ein rohes Gelächter auf. »Glauben Sie, ich sei
allwissend?« sagte er. »Wahrhaftig, ich müßte ein Gedächtniß haben, wie der
abgerichtete Elephant auf dem Berge, wenn ich all' das Lumpengesindel noch
kennen sollte, von dem ich irgend einmal Sachen
»Besinnt Euch, Klütken-Hannes! Wenn Ihr mir einen sichern Fingerzeig über den frühern Besitzer dieses Ringes geben könnt, so zahle ich Euch einen hamburger Thaler mehr, als der Ring werth ist! Ihr habt nach Elwirens Behauptung den Schmuck im Spiele gewonnen – und noch dazu erst vor vier Wochen! Das ist eine kurze Zeit. Ueberdies sieht man einem Spieler scharf in's Auge, prägt sich seine Gesichtszüge fest in's Gedächtniß, damit man bei gelegener Zeit Revanche von ihm fordern kann. Alles das habt Ihr unzweifelhaft aus natürlichem Instinct gethan und mithin werdet Ihr, wenn Ihr nur wollt, mir Wohnort und Namen dessen nennen können, der über diesen Reif vor Euch als über sein rechtmäßiges Eigenthum verfügte.«
»Lassen Sie doch 'mal sehen,« sagte der Trödler, sieh an die Kellerwand
lehnend, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und streckte seine
Aurel ließ den Ring in die Hand des Trödlers gleiten. Dieser besah ihn von allen Seiten, schüttelte den Kopf, kniff die feuchten, blutunterlaufenen Augen zu, als wolle er mit Gewalt aus dem Sumpfe seines Gedächtnisses etwas herauspressen, und schlug sich endlich mit geballter Faust vor die Stirn.
»Dummkopf!« rief er aus. »Warum konnte mir das nicht gleich einfallen!« – Und zu Aurel gewendet, fuhr er fort:
»Nun ja, Herr Kapitän, wenn Sie 'was dran wenden wollen als Trinkgeld, so denk' ich Ihnen die Wege zeigen zu können, auf welchen Sie den Bengel finden, der mir schon manchen Schilling abgenommen hat. Ist's auch Ihr Ernst?«
»Meine Hand darauf!«
»Am sichersten treffen Sie den Teufelskerl in der Mohrentaverne auf dem Berge,«
sagte Klütken-Hannes. »Dort hockt er alle Nächte am Spieltisch oder auf dem
Orchester, um durch
»Sein Name?« fragte Aurel mit Heftigkeit.
»Im Kirchenbuche mag er wohl anders heißen, als in der Mohrentaverne,« antwortete immer lachend der Trödler, »kann's also nicht beschwören, ob ich Ihnen den rechten Namen des alten Fuchses nenne. So lange ich ihn kenne und dann und wann mit ihm zusammen trank oder ein Geschäft abmachte, rief ihn der ganze Troß Blutrüssel.«
»Das ist Alles, was Ihr von ihm wißt?«
»Wollen Sie mehr erfahren, Herr Kapitän, so gehen Sie in die Mohrentaverne und fragen die Matrosen. Antwort kriegen Sie mit Zunge oder Faust, darauf können Sie fluchen.«
Aurel senkte einige Augenblicke nachdenkend den Kopf.
Der Kapitän fragte nach dem Preise des Ringes, bezahlte ohne Widerrede die Forderung des Trödlers, legte das versprochene Trinkgeld dazu und bot dann abermals Elwire höflich seinen Arm, sie mit schnellen Schritten aus dem feuchten, dumpfigen Gange nach der nächsten Straße geleitend. Hier wartete bereits ein Wagen. Der Kapitän nöthigte das schöne Mädchen, einzusteigen, und nahm neben ihr Platz. Als der Wagen in raschem Trabe über das Pflaster rollte, fragte Elwire bescheiden den nachdenklich neben ihr Sitzenden, ob sie es sei, die ihn so wehmüthig gestimmt habe?
»Sie, gute Elwire, machen mein Herz in frohen Pulsen schlagen,« gab Aurel zur
Antwort.
Gefesselt von Elwirens Schönheit und ungewöhnlich erregt von dem zufällig gemachten Funde, begrüßte der Kapitän Madame Oehlers, die ihn mit mütterlicher Freundlichkeit empfing. Seine Schutzbefohlene hatte Aurel einstweilen einer Dienerin übergeben, da er es doch für nöthig hielt, die ihm wohlwollende Dame vorher noch persönlich zu sprechen.
»Darf ich Verzeihung hoffen, gnädige Frau, Verzeihung für meinen Ungestüm?« sagte der junge Mann, sein feuriges Auge auf den immer sanften Blick der Wittwe richtend.
»Gewiß, mein Freund,« versetzte Madame Oehlers anmuthig lächelnd. »Aber Sie
geben
»Haben Sie meine hastigen Zeilen erhalten?«
»Wie hätte ich Sie ohne dieselben so früh am Tage empfangen können!«
Aurel fühlte den zarten Verweis, der in dieser Antwort liegen konnte, erfaßte die Hand seiner Freundin und erwiederte, indem er sie an seine Lippen führte:
»Nochmals Verzeihung, meine Gnädige, Verzeihung wegen meines Verstoßes gegen alle Sitte! Ich konnte nicht anders – ein sonderbares Verhängniß zwang mich zu so ungewöhnlichem Schritte! O Gott, theure Freundin, Sie ahnen nicht, wie es in mir stürmt!«
Besorgt ließ die Matrone einen forschenden Blick über den Aufgeregten gleiten.
»In der That, lieber Graf,« sagte sie, »es muß Ihnen etwas höchst Seltsames
begegnet sein, denn so tief ergriffen sah ich Sie noch nie! Reden Sie, ich
bitte, und wenn irgend meine Vermittelung Ihnen Beruhigung verschaffen kann, so
sichere
Aurel drückte der menschenfreundlichen Frau dankend die Hand. »Von Ihrem Edelmuth durfte ich dies erwarten,« versetzte er etwas gefaßter. »Gestehe ich es Ihnen denn, daß ich seit zwölf Stunden ein anderer Mensch geworden bin. Könnte ich Ihnen mit zwei Worten sagen, was mich bewegt und erschüttert, Sie würden mich eben so wenig wieder erkennen, wie ich mich selbst in diesem Augenblicke nicht kenne. Ich glaube, es wäre mir ein Leichtes, Einsiedler, Trappist oder gar Herrnhuter zu werden. Bei Gott!«
Madame Oehlers konnte ein feines Lächeln nicht ganz unterdrücken. »Das sind Einfälle eines heftig bewegten Gemüthes, lieber Graf,« gab sie zur Antwort. »Werden Sie ruhig, überblicken, überlegen Sie das Vorgefallene, und was Sie jetzt so gewaltig beunruhigt, wird spurlos wieder verschwinden. Ich fürchte, mein Freund, Sie haben in vergangener Nacht zu sehr geschwärmt,« setzte sie leicht drohend hinzu.
»Soll ich läugnen, daß ich mit dieser Absicht mich in das Gewühl der Menschen
stürzte?«
»War das Mädchen, von dem Sie mir schrieben, eine so kühle Nymphe?« fragte Madame Oehlers.
»Foppen Sie mich immerhin, beste Freundin, Sie haben ein Recht dazu, wenn Sie nur gewähren, was ich fordere!«
Aurel athmete freier und ein unaussprechlicher Blick innigsten Dankes brach aus seinem feurigen Auge. »Ich danke,« sagte er gerührt, »mögen Ihnen diese zwei dürren Worte genügen! In späteren Tagen finde ich wohl schönere, klingendere Redensarten. Aber, beste Freundin, Sie haben mich in einem falschen Verdacht, wenn Sie glauben, es sei dies verlassene, gemißhandelte schöne Kind die Ursache, welche mir die Gedanken wie ein Wirbelwind rastlos durch das Gehirn peitscht. Das arme Mädchen interessirte mich, forderte meine Menschlichkeit heraus, aber was mich so krampfhaft durchschüttert, das ist etwas viel Geringeres.«
»Vergeben Sie mir als Weib ein klein wenig Neugierde? Ich wage zu fragen.«
»Ich denke für einen Wappenring, wie ihn Frauen tragen.«
»Wie ihn Frauen tragen!« wiederholte der Kapitän und senkte nachdenkend das Haupt.
»Finden Sie dies so wunderbar? Oder führte Ihre verewigte Mutter bei Lebzeiten nicht einen ähnlichen Ring?«
»Eben das ist's, das ist's, was mich so tief bewegt!« rief Aurel aus. »Ich besitze den Ring meiner geliebten todten Mutter – er gleicht diesem nicht im geringsten, die Wappenzier ausgenommen – und nun muß ich solchen Fund bei solchem Manne thun! Das ist entsetzlich!«
Madame Oehlers, die immer verwirrter wurde durch Aurels unzusammenhängende Aeußerungen, bat um genauere Angabe und Aussprache, wozu sich denn der Kapitän nach einigen abermaligen Abschweifungen verstand. Er theilte der aufmerksamen Freundin mit, was wir bereits wissen, und verrieth ihr sogar den Ort, wo ihm weitere Auskunft von dem betrunkenen Trödler versprochen worden war.
»Und dies Alles muß Schlag auf Schlag
Da Madame Oehlers von diesem Briefe nichts wußte, fragte sie jetzt danach und Aurel theilte das Wesentliche seines Inhaltes ebenfalls der Freundin mit. »Muß dies ein einfaches Menschengehirn nicht verwirren?« sagte er, die Erzählung beendigend. »Bei Gott, ich bin rathlos, rathloser, als hätte die heftigste Sturzsee das Steuer meiner schönsten Brigg zerbrochen!«
Die Wittwe überlegte einige Minuten das Vernommene, dann sagte sie mit freundlicher Ruhe: »Halten Sie die beiden Greise, welche auf Boberstein bei Ihrem Bruder mit so wunderbaren Anforderungen erschienen sind, für Betrüger?«
»Anfangs lachte ich darüber, gnädige Frau, wie dies in meiner Natur liegt, seit
heut Morgen aber, wo dieser räthselhafte Ring in meine Hände kam, nicht anders,
als würfe ihn ein dunkles Verhängniß absichtsvoll vor mich hin, beunruhigt mich
die Mittheilung meines Bruders. – Bedenken Sie selbst, wenn die tausend
Schreckensahnungen
»Wer gibt Ihnen ein Recht, lieber Graf, sich mit so düstern Phantasien nutzlos zu peinigen?«
»Wer? – Mein Gott, Adrians Brief und meine Ahnung, seit ich diesen Ring gefunden! – Ich kann das Wort der Schrift nicht mehr aus meinem Gedächtniß verjagen: die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern bis in's dritte und vierte Glied!«
»Nehmen wir die Drohung in diesem göttlichen Wort nicht so gar wörtlich, lieber
Freund,« versetzte Madame Oehlers. »Wie vermöchten wir eine einzige Stunde
ruhig zu leben, freudigen Herzens für der Welt Bestes zu wirken, wenn sich ein
solch gräßliches Gespenst in unserm Geiste
»Mein Vater kannte die Reue nicht,« sagte Aurel, sichtbar erschüttert. »Ich
erinnere mich noch mit Entsetzen, obwohl ich damals noch ein leichtfertiger
Knabe war, der letzten Tage seines Lebens. Er konnte nicht sterben, der Arme!
Seine Todesangst stieg bis zu wilder Raserei. Man mußte ihn schließen, um ihn
nur bändigen zu können. So lag er drei Tage. Wir Kinder schlichen wohl hundert
Mal an der Thür vorüber, die ihn unsern Blicken entzog, und flohen entsetzt,
wenn wir das Klirren der Ketten, das hohle, dumpfe Lachen, das Knirschen seiner
Zähne vernahmen. Die letzten Stunden schlug er die Wände und die Luft mit
seinen Ketten, indem er unbekannte Namen nannte, Geister Verstorbener, die ihm
erschienen und mit denen er kämpfen mußte. Ihren grausamen Umarmungen erlag er
stöhnend, und röchelnd, wüste Flüche lallend, hauchte er seine gemarterte Seele
aus! Man zeigte uns die Leiche nicht. Sie soll grauenvoll ausgesehen haben.
Ganz in der Stille, ohne
Obwohl Madame Oehlers von den Familienverhältnissen Aurels ziemlich genau unterrichtet war, hatte sie doch nicht über alle Epochen aus dem Leben des Grafen Magnus gleich ausführliche Nachrichten erhalten. Nach Aurels letzten Aeußerungen begann sie mit ihm besorgt zu werden, und konnte jetzt selbst nicht mehr das Bild eines langsam aus verschütteten Gräbern aufsteigenden Rachegeistes los werden. Um jedoch den heftig bewegten jungen Mann einigermaßen zu beruhigen, rieth sie ihm, vorläufig noch Alles für ein seltsames Zusammentreffen von Umständen anzusehen und ungesäumt dem Fingerzeige nachzugehen, den Klütken-Hannes ihm angedeutet hatte.
»Es ist höchst wahrscheinlich,« sprach sie, »daß der widerliche rohe Mensch
sich aus Rache, weil Sie ihn in seiner eigenen Wohnung zum Sclaven Ihres
Willens machten, einen so abscheulichen Scherz erlaubt hat. Dieser Ring kann
Ihrer Familie gehört haben und verloren gegangen
Dies leuchtete dem Kapitän ein. Er versprach der Freundin Rath zu befolgen, bat nochmals dringend, das aus den Händen des Wüthrichs befreite Mädchen mütterlich wohlwollend aufzunehmen, und begab sich, während die Wittwe in das Zimmer ihrer Dienerin trat, wo Elwire bisher gewartet hatte, sogleich auf den Weg.
Es blieb dem Kapitän hinlängliche Zeit, mit sich selbst zu Rathe zu gehen, da
jene Tavernen, wo der gemeine Matrose in den Genüssen des Lebens auf dem festen
Lande schwelgt, erst in den späteren Abendstunden besucht werden. Theils, weil
Aurel wenig Geschäfte zu besorgen
Das Baumhaus war sehr besucht. Schiffsmäkler und Kapitäne aller Länder saßen in
Gruppen um kleine Tische, aßen frische Austern, Lachs oder Caviar und tranken
dazu heiße spanische Weine. Die Conversation ward fast in allen Sprachen
geführt, doch herrschte das Englische entschieden vor. Neben einigen Bekannten
nahm Aurel Platz, bestellte ein Frühstück und las die neuesten
Schiffsnachrichten im Correspondenten. Dabei horchte er zuweilen auf die
Gespräche der zunächst Sitzenden, ohne selbst Theil daran zu
»Bei Gott, das hätt' ich über dem neuesten Wirrsal beinahe vergessen!« rief er halblaut aus, als sein Blick auf die großgedruckte Anzeige eines Concertes fiel, das Nachmittags im Elbpavillon gehalten werden sollte.
»Arme Verirrte,« fuhr er fort, »mit welcher Verachtung würdest Du Dein
eiskaltes Auge über das Gewühl der Männer haben gleiten lassen, wenn Du Dich
von mir getäuscht gesehen hättest! – Aber mein Gott, was ficht mich denn
eigentlich an, daß ich jetzt auf einmal allen Schutzlosen Schirm und Schild
sein muß? Es ist komisch, bei Gott, und wenn ich noch ein paar Tage mit
gleichem Glück so fortfahre, habe ich am Ende der Woche einen ganz hübschen
Harem beisammen. Ich will vier und zwanzig Stunden im Mastkorbe sitzen, wenn
ich weiß, was ich mit der blassen Brünette anfangen soll! Habe ich doch sogar
ihren Namen vergessen! – Und zu welchem Zwecke will ich sie aufsuchen? Weil sie
mir gefiel, mich reizte? Oder aus kindischer Neugier, um rührende Scenen aus
ihrem Leben zu erfahren? – Pfui, Aurel! Streife
Nachdem unser Freund einen so edelmüthigen Entschluß gefaßt hatte, verließ er
das Baumhaus, da er die gewünschte Zerstreuung nicht fand. Mittlerweile war die
Zeit der Börse beinahe herangekommen, die er mehr aus Gewohnheit als aus
wirklichem Bedürfniß zu besuchen pflegte. Er ging daher nicht erst in seine
nahe Wohnung, sondern verfügte sich zuvörderst auf die Börsenhalle, wo sich um
diese Zeit die Hamburger Kaufmannswelt versammelt. Hier und später an der Börse
selbst fand Aurel so viel Unterhaltung, daß er momentan vergaß, was ihn quälte
und, weil er nicht daran gewöhnt war, ihm das Leben verbitterte. Auf dem Platze
zwischen Rathhaus und Bank mit einigen lustigen Freunden auf und abwandelnd,
verging die Zeit in gewünschter Schnelligkeit, und als auch die Börse vorüber
war und nun jeder seiner Wege ging, nahm Aurel die Freunde am Arm und zog sie
mit sich fort, bis sie seinem Drängen nachgaben
Das Diner verlängerte sich bis gegen Sonnenuntergang, so daß Aurel, der sich absichtlich nicht übereilte, erst bei grauer Abenddämmerung den Elbpavillon erreichte. Er wußte aus Erfahrung, daß um diese Zeit der Andrang Vergnügungslustiger am stärksten, das Gewühl in dem geräumigen Saale des Etablissements so lebhaft sei, daß Keiner den Andern beachtete. Und unbeachtet wünschte er zu sein, wenn er mit Bianca zusammentraf.
Die rauschende Concertmusik hatte verhältnißmäßig wenig Damen angelockt. Die
Anwesenden verloren sich fast gänzlich unter den Hunderten
»Sie haben länger auf sich warten lassen, als ich von einem Schiffskapitän besorgen konnte,« sagte Bianca mit einem reizenden Lächeln. »Ich hatte nicht übel Lust, Sie den zahllosen vornehmen Lügnern beizuzählen, die uns armen, unerfahrnen Kindern so gefährlich werden.«
»Daß Sie es dennoch nicht gethan haben, spricht für die Reinheit Ihres Herzens.«
»Würde ich Ihnen gegenüber sitzen, wenn ich spotten wollte? Und trauen Sie mir zu, daß ich überhaupt fähig sein könnte, Scherz zu treiben mit dem Unglück? O nein, Bianca, so herzlos hat mich die Welt noch nicht gemacht! Reine Theilnahme, vielleicht auch ein wenig Ihre Schönheit fesseln mich an Sie, und ich bitte jetzt, wo sich Niemand um unser Geplauder bekümmert, lösen Sie nunmehr Ihr verpfändetes Wort! Haben Sie dann nur Zutrauen zu mir und meiner Redlichkeit, so darf ich Ihnen wohl jetzt schon die Versicherung geben, daß Ihre Lage eine andere, bessere werden wird, wenn anders Sie selbst nur Muth und Entschlossenheit genug besitzen, unwürdige Fesseln rücksichtslos abzuschütteln.«
Den schönen, von schwarzen glänzenden Locken umflatterten Kopf gesenkt, schwieg Bianca geraume Zeit. Dann erwiederte sie mit niedergeschlagenen Blicken:
Es trat abermals eine Pause ein, während der Aurel nur mit Blicken das schöne, so tief betrübte und unglückliche Mädchen zu bitten wagte. Bianca begann:
»Meine Heimath ist das herrliche sagen- und poesiereiche Bergland Thüringen.
Dort ward ich von sehr armen Aeltern geboren, deren einziges und dabei größtes
Gut ihre beispiellose Genügsamkeit war. Mit einer dürren Brodrinde und einigen
wäßrigen Kartoffeln waren sie zufrieden, wenn der schmale saure Verdienst ihnen
nichts Besseres gewährte. Ich habe, so lange ich die väterliche Hütte bewohnte,
meine Aeltern über das jammervolle Lebensloos, das ihnen zugefallen war,
niemals murren, Andere, die reich gesegnet waren mit Glücksgütern, nie beneiden
hören. Immer fand ich sie fleißig vom ersten Morgensonnenstrahl bis tief in die
Nacht hinein,
»Sie lächeln vielleicht, Herr Kapitän, über die kindische Thorheit eines alten
simplen Mannes,« fuhr Bianca fort, indem sie einen forschenden dunkeln Blick
auf ihren Zuhörer fallen ließ, »und doch ist dies treue Festhalten an Glaube,
an Sitte und Religion das einzige unentreißbare Gut des Armen. Unsere Zeit
spottet freilich darüber und möchte gern allen Glauben aus dem
Bianca schwieg sinnend. Sie hatte sich so
»Und Ihre Aeltern, Bianca?« fragte er sanft, um die in sich Versunkene wieder zum Reden zu bringen.
»Meine Aeltern!« seufzte die Verirrte und schlug die großen melancholischen Augen wie fragend zum Himmel auf. Dann begann sie wieder:
»Mein Vater betete also und suchte die Arbeit seiner Hände durch Absingen
frommer Lieder zu fördern. Halbe Nächte hörte ich seine wohllautende, nur
häufig von Thränen halb erstickte Stimme, wenn ich frierend mit meiner älteren
Schwester auf gemeinsamem Lager den Schlaf nicht finden konnte. Was ich von
guten Liedern noch weiß – so nennt das ehrliche Volk die Kirchengesänge – das
habe ich in jenen Nächten gelernt, wo der arme Vater auf Gott
»Meine um einige Jahre ältere Schwester hatte um diese Zeit ihr sechzehntes
Jahr erreicht, war hübsch, von gutem Wuchs und freundlichem Betragen. Jedermann
fand an ihr Gefallen und hatte sie gern, und da unsere höchst mißliche Lage
kein Geheimniß war, so würde es Niemand den Aeltern verdacht haben, wenn sie
die Schwester in die Dienste Fremder hätten treten lassen. Der Vater wollte
dies aber nicht, einmal, weil die Schwester der schon hinfälligen Mutter zur
Hand gehen und mich gelegentlich auch beaufsichtigen konnte, und sodann, weil
das hübsche Kind für Bauernarbeit zu schwächlich war. So blieben wir denn
beisammen, bis ein eigener Zufall uns trennte und unser Aller Unglück
herbeiführte. Dieser Zufall war ein Gespräch meiner Mutter mit einer Frau von
einem nahen Gebirgsdorfe, die als Botenweib häufig in die belebten Städte,
namentlich nach Erfurt und Weimar ging und von dort nebst allerhand Neuigkeiten
auch sehr freie Ansichten mit in unsere stille Waldeinsamkeit zurückbrachte.
Ein Ungefähr machte mich
»Die Mutter kehrte aus dem Walde zurück mit einem Bund Schachtelholz, das sie vom Förster auf Credit für den fleißigen Vater geholt hatte. Müde vom scharfen Gehen setzte sie sich vor der Thür auf die Bank, legte das Holzbündel an die Erde und sah den goldenen Wolken, die von Abend her gleich beschwingten Engeln langsam über die blauen Berge schwebten, mit gefalteten Händen nach. Da ging die Botenfrau vorüber und grüßte die Mutter.«
»Guten Abend, Käthe! So andächtig? Und seht doch aus, als hättet Ihr in acht Tagen kein warmes Gericht mehr nur von weitem gerochen? Wie möchte ich mich nur so placken für nichts und wieder nichts!«
Dabei blieb sie wenige Schritte von der Mutter stehen, stemmte sich mit beiden
Händen auf ihren langen Stock und heftete ihre falschen grünlich-grauen Augen
fest auf meine betende Mutter. Ich fürchtete mich immer vor diesem langen,
hagern Weibe mit dem braunen, von zahllosen Runzeln bedeckten Gesicht, in dem
die
»Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!« entgegnete meine Mutter. »Ihr kennt ja den Spruch, Korbmartha!« So hieß man nämlich ihres übergroßen Tragkorbes wegen die Botenfrau. Indem hüpfte meine Schwester aus der Hütte, um Wasser im vorüberrauschenden Bache zu schöpfen. Korbmartha sah ihr nach und blickte dann noch lebhafter auf meine Mutter.
»Ist das Euere Tochter?« fragte sie, den Stecken aufhebend und nach der Schwester zeigend.
»Ihr wißt es ja,« sagte die Mutter. »Gott erhalte sie mir nur gesund! Das liebe Kind ist meines Mannes Augapfel.«
Die Botenfrau schüttelte den Kopf, und als meine Schwester im Hause wieder verschwunden war, sagte sie:
»Käthe, Ihr verdientet gradezu Hungers zu sterben für Eure Unvernunft! Warum
füttert Ihr das Mädel wie ein Wickelkind? Sie
»Lieber Gott,« versetzte meine Mutter traurig, die Hände immer wie zum Gebet verschlungen, »wohin soll ich sie denn bringen? Sie ist schwach und zart, und die Bauern mögen sie nicht.«
»Wer spricht denn von groben Bauern,« fiel die Botenfrau ein. »Ein Mädel, so nett und flink und schelmisch, wie Eure Rese, muß in die Stadt. Solche Waldforellen hat man da gern. Die werden Euch dreimal so theuer bezahlt, wie das plumpe Volk, und hat sie erst ein halbes Jahr gedient, dann sollt Ihr Eure Freude an dem Mädel sehen, wenn sie Euch 'mal besucht. Wie eine Bürgermeisters-Tochter wird sie einhergehen und Kleider haben von halbseidenem Zeuge.«
»Ach Martha, das wäre schon Alles recht gut, aber bedenkt nur die Verführung in
den Städten! Die jungen Herren laufen da jedem
Die Botenfrau lachte hellauf, trat meiner Mutter ein paar Schritte näher und sagte verächtlich:
»Käthe, Ihr seid eine Närrin! – Teufel noch 'mal, in welcher Zeit denkt Ihr
denn, daß wir leben? Wir sind heutigen Tages aufgeklärter, wie vor vierzig
Jahren; wir haben begreifen gelernt, daß man dem Glück die Hand reichen muß,
will man es auf dieser Welt zu etwas bringen! Thörin, die ich war! Hätte ich's
Zugreifen verstanden, wer weiß, ob ich nicht jetzt Frau Soundso wäre! O, ich
wüßte zu erzählen, wenn ich nur wollte, aber das ist vorüber und darum mag ich
nicht weiter daran denken. – Dagegen, was Eure Rese anlangt so rathe ich Euch
nochmals, thut sie fort und zwar in
»Pfui, schämt Euch, Martha!« entgegnete entrüstet meine Mutter. »Das sind ja, verzeih' mir's Gott, Vorschläge, als hätte sie der leibhaftige Satan erfunden und Euch auf die Zunge gelegt! Nicht zufrieden gäb' ich mich, brächte eine meiner Töchter solche Unehre auf unsern unbescholtenen Namen!«
»Nun dann betet und hungert oder geht zu guter Letzt betteln!« sagte mit recht
höhnischem Tone die Botenfrau, »denn daß es über kurz oder lang kein anderes
Ende mit Euch nehmen kann, das sieht doch Jeder ein. Und dann werdet
»Damit setzte die Korbmartha ihren Stecken fürbaß und wackelte langsamen Schrittes nach dem rauschenden Buchenwalde, der in geringer Entfernung die Hütte meiner Aeltern umschloß.«
»Ich hatte aus dem Fenster meiner Dachkammer diese ganze Unterredung mit
angehört und konnte mich nicht genug wundern, daß meine so treffliche Mutter
den Rathschlägen Marthas nicht folgen wollte, die mir eben so annehmbar und
klug erschienen, als die Frau selbst mir zuwider war. In meinem kindischen
Unverstande zürnte ich der Mutter, die regungslos vor dem Häuschen sitzen blieb
und still bittend Gott um Rath und Rettung flehte. Das leise Zittern der
festgefalteten Hände sagte mir dies, so wie die einzelnen Thränen, die in
großen Tropfen über die eingefallenen, vom Kummer durchfurchten Wangen liefen.
Mich hatte das Wort Stadt bezaubert und ich gelobte mir in kindischer Einfalt,
sobald es meine Kräfte erlauben würden,
Ehe ich allen Ernstes an Ausführung dieses flüchtigen Einfalles denken konnte, schritt der fürchterlichste Feind des Volks, der ausgelassenste Lästerer aller Tugend und Sitte, die Noth der Armuth, eigenmächtig ein und zwang die bekümmerten Aeltern, ihre Kinder mit eigener Hand aus dem Hause zu stoßen. Es war eingetroffen, was die Korbmartha vorausgesagt hatte. Mir mußten langsam Hungers sterben, trennten wir uns nicht freiwillig. Dem unerbittlichen Geschick gaben die Aeltern nach. Meine Schwester Therese mußte ziehen, und weil die harte Arbeit bei den Bauern von ihr nicht hätte verrichtet werden können, brachte sie die Mutter selbst nach Erfurt. Sie fand bei sehr braven Leuten ein anständiges Unterkommen und gefiel sich wohl. Ich blieb einstweilen noch bei den Aeltern, da ich noch zu unselbstständig war, um mir durch Dienen mein Brod verdienen zu können.
Von Zeit zu Zeit, vierteljährig wenigstens einmal, besuchte uns Therese und an
ihrem Benehmen, an ihrer Kleidung und heiterm unbefangenen Wesen erkannte ich
mit inniger Freude,
Nach drei Jahren vertauschte Therese Erfurt mit Weimar. Zugleich kam ich als
Laufmädchen in ein Haus nach Jena. Lieber wäre ich ebenfalls nach Weimar
gezogen, um die Schwester stets um mich zu haben und von ihr manchen Wink in
den neuen ungewohnten Verhältnissen zu erhalten. Es fand sich jedoch keine
passende Gelegenheit, und so war ich denn auch mit Jena zufrieden. Das Leben in
dem kleinen Orte machte mir großes Vergnügen. Besonders war ich den Studenten
sehr hold, die mir wie ein ganz aparter Menschenschlag erschienen. Wenn sie Arm
in Arm über den Marktplatz zogen oder gar daselbst schlugen und zuletzt an
langen Tafeln commerschirten, staunte ich sie und ihr wundersames Treiben wie
Meerwunder an. Niemand hätte mich bewegen können, einen dieser jungen meist
bärtigen und dazu abenteuerlich gekleideten
Wochen und Monate blieb es auch in der That bei bloßem vergnüglichen Anstaunen.
Nach Jahresfrist war ich aber bedeutend größer und voller geworden und nun
richteten die jungen Leute ihre Blicke auf mich. Es dauerte gar nicht lange, so
redete mich Einer und der Andere an, scherzte mit mir und lachte über mein
Stammeln und Erröthen. Betrat ich Abends den Markt, so begleiteten sie mich in
Masse unter dem Vorgeben, mich zu beschützen, und mehrmals, wenn ich mich
dankend an der Thür meiner Herrschaft gegen sie verbeugte, ließen sie mich hoch
leben. Obwohl solche Aufmerksamkeit meiner erwachenden Eitelkeit schmeichelte,
erschreckte sie mich doch auch, um so mehr, als meine Herrschaft mich ernstlich
bat, der wilden zügellosen Jugend keinerlei Anlaß zu fortgesetzter Huldigung zu
geben. Dies fiel mir nun zwar nicht ein, so wenig, als ich mir in meiner
Unschuld irgend etwas dabei dachte, nur fand ich bei häufigerem Beschauen
Ein in dem muntersten Tone geschriebener Brief Theresens meldete mir bald darauf, daß sie ebenfalls nach Jena kommen würde und wir fortan ein recht geschwisterliches Leben zusammen führen wollten. Meine Freude war sehr groß. Ich konnte Theresens Ankunft kaum erwarten und wußte mich nicht zu fassen vor innerlicher Glückseligkeit, als ich die geliebte Schwester nun wirklich in meine Arme schloß.
Therese war in den letzten beiden Jahren sehr schön geworden. Sie konnte mit
ihrem tadellosen Wuchse, dem schönen Blond ihrer weichen Haare und dem feurigen
Ultramarinblau ihrer länglichen Augen unter so vielen jungen Männern nicht
unbemerkt bleiben. Schon nach Verlauf einiger Tage sprach man nur von dem
schönen Dienstmädchen, hatte ermittelt, daß es
So verstrich wieder mehr als ein halbes Jahr. Wir Schwestern lebten in freien
Stunden viel zusammen, sendeten so oft wie möglich Botschaft an unsere Aeltern
und erhielten dergleichen wieder zurück. Es hatte ganz den Anschein, als sei
uns das Glück nicht abhold. Da bemerkte ich, daß Therese, die von Natur
lebhafter und gesprächiger war, als ich, immer stiller wurde und oft sinnend
vor sich hinstarrte. Ich beobachtete sie wochenlang, ohne nach dem
Die Gelegenheit fand sich schon am nächsten Abend, wo ich Therese mit ihrem
Galan auf der Hausflur in zärtlichster Umarmung überraschte. Der Lievländer
verließ die Erschrockene mit einem Scherze, wobei ich selbst auch etwas
abbekam, und wir hatten nun Muße, uns nach Herzenslust gegenseitig
auszusprechen. Meine sehr eindringliche Rede hörte Therese mit tiefem Schweigen
an. Sie rechtfertigte sich nicht, sie versuchte es auch später nie; sie hörte
mir gesenkten Kopfes zu und seufzte nur. Als ich endlich ausrief: Bedenke, gute
Schwester, daß ein
Nachdenklich ging ich heim. Die ganze Nacht konnte ich kein Auge zuthun. Sollte
ich die Aeltern von der Neigung Theresens benachrichtigen oder dieselbe
verschweigen? Darüber zerbrach ich mir den Kopf, bis ein wüster Schmerz mich
befiel. Um die Schwester nicht gar zu sehr zu betrüben, schwieg ich und
beschloß, ferner nur im Stillen aufzupassen. Dies fruchtete jedoch nichts.
Therese ließ sich nicht mehr überraschen, blieb aber still und sinnend, wie
zuvor. Ob sie noch mit dem Lievländer umging oder um ihn trauerte, konnte ich
damals durchaus nicht errathen. Mit schwesterlichem Bedauern bemerkte ich nur,
daß die Liebende bleicher und immer bleicher ward, und schrieb dies auf
Rechnung ihres Grames. Nur einmal fragte ich noch theilnehmend, was ihr fehle
und warum sie so ganz eine Andere geworden sei? Da warf sie mir einen so
entsetzlichen Blick zu, daß ich zurückschauderte
Sechs Wochen später weckte mich früh am Morgen ein entsetzlicher Tumult. Ich
eile an's Fenster, reiße es auf und sehe mitten auf dem Markte eine Menge sich
drängender Menschen. Nun stürze ich die Treppe hinunter, frage, was es gibt?
und dringe, da mir Jeder schüchtern ausweicht, immer weiter vor, bis ich vor
meinen Füßen den bleichen, schönen Körper meiner armen Schwester liegen sehe.
Fest umschlungen und zum Schutz noch mit Stricken an die Brust gebunden hielt
sie ein neugebornes Kind. Die Unglückliche hatte sich unmittelbar nach
erfolgter Entbindung in die Saale gestürzt. Zwei Tage vorher war der
Lievländer, ihr Verführer, in seine Heimath abgereist. Ein Brief von ihm, den
ich unter den Sachen meiner Schwester fand, verrieth mir dies. Er war sehr
lakonisch und scherzhaft beleidigend. Der reiche Herr bedauerte, daß seine
Zärtlichkeiten so unangenehme Folgen haben sollten und meinte, daß für diese
nicht er, sondern das ›schöne, gefällige Kind‹ einzustehen habe. Schlüßlich
wünschte er ihr alles Gute recht bald einen neuen Freund, den das tückische
Ein Strom von Thränen erstickte Bianca's Stimme. Aurel ließ die Bedauernswürdige gewähren und benutzte die eingetretene Pause, um einen Blick in den großen Saal zu werfen, wo seit Kurzem lebhafter Wortwechsel sich erhoben hatte. Er bemerkte, daß eine Menge junger elegant gekleideter Herren ein hübsches weinendes Mädchen zu beruhigen suchten, während andere tobten, fluchten und bei Allem, was Ihnen heilig sei, den Unverschämten zu züchtigen schworen. »Ein gewöhnlicher Wirthshausstreit,« dachte der Kapitän und nahm seiner Schönen gegenüber wieder Platz. Er fand sie gefaßt und bereit, den abgerissenen Faden ihrer Erzählung wieder anzuknüpfen. Aurel bat darum und Bianca fuhr sort:
»Sie kennen unstreitig die Einrichtung auf Universitäten, nach welcher die
Leichname der Selbstmörder auf die Anatomie abgeliefert werden müssen. Ich
hatte mehrmals davon gehört und würde jedenfalls selbst in meinem
unaussprechlichen
Donnerwetter, das ist ein Bissen für uns! Eine von den drei Grazien ohne Widerrede! Wo das die Theologen spitz kriegen, muß der Profector das Auditorium schließen lassen, sonst erdrücken uns die Jünger des heiligen Geistes, um den Genuß zu haben, ein junges schönes Mädchen im Naturzustande, so lange es ihnen beliebt, mit lüsternen Blicken betrachten zu können.«
»Mich überlief es eiskalt. Meine arme unglückliche, gemißhandelte Schwester
noch im Tode entehrt, den Blicken neugieriger Spötter ausgesetzt zu wissen –
dieser Gedanke empörte mich! Ohne Zaudern that ich Schritte, um meine todte
Schwester loszukaufen. Daß dies häufig geschah, wußte ich. Selbst während
meiner Anwesenheit in der Universitätsstadt war es schon einige Male
vorgekommen. Namentlich erinnerte ich mich eines Falles, wo die Tochter einer
angesehenen
Mit dem nöthigen Gelde versehen, von Schmerz und Scham tief gebeugt, brachte ich mein Anliegen vor und – ward kühl abgewiesen. Schönes Kind, sagte man zu mir, es thut uns leid, Deine Bitte nicht erfüllen zu können. Deine Schwester ist Mörderin und Selbstmörderin zugleich und überdies als liederliche Dirne aus der Welt gegangen. Solche Personen sind unrettbar dem Messer des Anatomen verfallen. Wäre Therese häßlich, nun, dann könnten wir allenfalls ein Auge zudrücken, so aber ist die Entleibte ein Meisterwerk der Schöpfung, und je seltener so tadellose Cadaver zu bekommen sind, desto mehr müssen wir danach angeln. Gib Dich also nur zufrieden, liebes Kind, behalte Dein Geld und mache Dir einen guten Tag!
Ich glaubte vor Entsetzen in die Erde sinken
So ungefähr, wenn auch in andern Worten, lautete der mir gegebene Bescheid. Ich
wußte mir nicht mehr zu rathen, zu helfen. Theresens Leichnam war bereits auf
die Anatomie gebracht worden, und, wie die Sachen standen, keinerlei Aussicht
vorhanden, irgendwie meinen Zweck zu erreichen. Indeß wollte ich doch nichts
unversucht lassen und so lief ich denn durch die halbe Stadt, um Erkundigungen
einzuziehen und mit den zur Zeit geltenden Verordnungen und Gesetzen mich
bekannt zu machen. Was ich auf diesen schweren Gängen ermittelte, war freilich
»Sollten Sie, armes Mädchen,« fiel Aurel ein, »unserer Gesetzgebung nicht einen zu harten Vorwurf mit dieser Behauptung machen?«
»Nein, Herr Kapitän. Hören Sie, nach welchen Grundsätzen auf jener Universität
zu meiner Zeit die Anatomie mit Leichnamen versorgt ward. Zuerst erfuhr ich,
was ich bereits wußte, daß nur reiche Verwandte Selbstmörder von der Anatomie
loskaufen können. Ferner war es damals noch Sitte – ob inzwischen eine
Aenderung stattgefunden hat, weiß ich nicht – daß nur bei der Section im
Hospital verstorbener armer Mädchen, die gesetzlich auf die Anatomie geliefert
werden mußten, das Hospitiren der Nichtmediciner gestattet ward. Jedermann
weiß, daß diese nicht wissenschaftliches Interesse, sondern einzig und allein
Neugier und wollüstiger Kitzel an den Secirtisch treibt. Man ergetzt sich in
Gemeinschaft an schönen Formen und unzarten, wo nicht sittenlosen Witzen, die
man auf
Nach einer andern gesetzlichen Bestimmung mußten alle unehelichen Kinder, wenn sie vor dem zurückgelegten vierzehnten Jahre starben, unausbleiblich auf die Anatomie geliefert werden! Wahrscheinlich sind die Gesetzgeber bei dieser höchst moralischen Bestimmung der Ansicht gewesen, die bis heut noch leider allgemein verbreitet ist, daß jede vom Priester nicht eingesegnete Verbindung eine sündhafte sei und der erkauften Liebe gleichkomme! Eine entsetzliche, verdammenswürdige Annahme, die jede reine Neigung tödtet, die alle wahre Sittlichkeit gänzlich untergräbt! Weit entfernt, die Ehe herabsetzen zu wollen, bin ich doch fest übezeugt, daß mehr ehelich geborene Kinder unkeuschen Umarmungen ihre Entstehung verdanken, als unehelich geborene, und doch entblödet man sich nicht, diesen Schuldlosen einen Fehl, einen Flecken anzudichten, der sie in den Augen der vorurtheilsvollen Menge der übrigen Menschheit gegenüber herabsetzt.
Am schrecklichsten aber und gradezu unmenschlich erschien mir die grausame,
aller christlichen
Schon wollte ich mich in mein Schicksal fügen, als ich aufmerksam gemacht
wurde, daß vielleicht durch persönliche Rücksprache mit einem hochgestellten
Manne ein Tausch bewerkstelligt werden könne. Man lobte die Höflichkeit und
Zuvorkommenheit dieses Mannes und ich ging der todten Schwester zu Liebe zu
ihm. In der That fand ich einen der einnehmendsten Männer in ihm, die mir je
vorgekommen sind. Jung, interessant, sehr lebhaft und überaus galant,
behandelte er mich wie eine Dame. Dies gewann ihm sogleich mein Vertrauen, denn
ich war bisher
Beruhigter kehrte ich zu meiner Herrschaft zurück, die mich sehr ungnädig aufnahm. Unverdiente Vorwürfe und bittere Schmähungen mußte ich ohnehin so tief Gebeugte über mich ergehen lassen. Sie kündigte mir den Dienst, da sie ein Mädchen, auf welches die ganze Stadt mit Fingern deutete, nicht um sich haben möge. – Ich ertrug Alles schweigend und konnte den Abend kaum erwarten, der mir Gewißheit bringen sollte. Er kam, ich besuchte den Mann, der mir allein noch helfen konnte, abermals. Noch höflicher, als am Tage, empfing er mich. Es wird sich thun lassen, mein schönes Kind, sagte er. Noch in dieser Nacht soll ein anderer weiblicher Körper abgeliefert werden. Niemand weiß davon und so kann ich Dir gegen Morgen Deine arme Schwester wieder geben.
Ich war gerührt, entzückt, drückte dem gütigen
Verstohlen, dem Monde ausweichend, um den Schatten meiner Gestalt nicht zu sehen, schlich ich nach Hause. Schlaflos brachte ich die Nacht unter Thränen, unter Gebet, unter entsetzlichen Vorwürfen hin. Als der Morgen graute, verließ ich mein ärmliches Lager, das mir zur Folterbank geworden war. Ueber die öden Gassen eilte ich schnellen Laufes nach der Anatomie. Da schmetterte mich die trockene Antwort nieder, daß der versprochene Leichnam untauglich sei und mir demnach die Schwester nicht verabfolgt werden könne! – –
Dabei blieb es. Therese verfiel dem Messer des Anatomen und ich hatte meine Jugend, meine Unschuld, meine Ehre einem Phantom geopfert!
Von meiner Dienstherrschaft entlassen, das Augenmerk der ganzen Stadt, für die
ich nur
Erst als die kleine Stadt mit ihren kahlen Bergen hinter mir lag, fragte ich mich: wohin? Die Entscheidung war nicht schwer. Meine unglücklichen, frommen, genügsamen Aeltern lebten noch in ihrer rauschenden Bergeinsamkeit. Noch ahnten sie nichts von dem grauenvollen Unglück, das sie am Spätabend ihres Lebens ereilt hatte. Sie beteten in gottgefälliger Einfalt für ihre fernen Kinder, davon eins schon nicht mehr unter den Lebenden wandelte. Zu ihnen! rief es in der Tiefe meines Herzens, und ich schlug den Weg nach der Heimath ein.
Vor der Thür ihrer Hütte sitzend fand ich die Aeltern. Sie erkannten mich nicht
in der
»Dummes Ding!« hörte ich hinter mir eine nur zu bekannte krächzende Stimme höhnisch rufen. »Wie abgeschmackt für ein hübsches Mädchen von zwei und zwanzig Jahren, sich eines Kindes wegen in's Wasser zu stürzen! Die hat ihren Vortheil schlecht verstanden, und da ist denn freilich weder zu rathen noch zu helfen. Sei Du klüger, hübscher Schwarzkopf, wenn Dir's ähnlich ergehen sollte! Zu einem kalten Bade hat man alle Tage noch überflüssige Zeit!«
Es war die Korbmarthe, die aus dem
»Dumme Dirne! Dumme Dirne! Sich zu ersäufen in der Blüthe ihrer Schönheit!« murmelte sie vor sich hin, indem sie an uns vorüber schritt. Die Erscheinung dieses häßlichen alten Weibes erfüllte mich mit wahrhaftem Entsetzen, reizte aber auch zugleich meinen Zorn dergestalt, daß ich mir Gewalt anthun mußte, um nicht mit Tigerwuth mich auf sie zu stürzen und ihr das Genick zu brechen. Sie schien mir eine Abgesandte der Hölle, die sich ihres Triumphs über uns freute.
»Ohne ihre tiefe unerschütterliche Gottgläubigkeit würden meine Aeltern diesem
Schlage sogleich erlegen sein. Die Religion, die längst einen wahrhaften
Bestandtheil ihres Wesens ausmachte und in ihnen lebendig geworden war, hielt
sie aufrecht, das Gebet gab ihnen Kraft und Stärke, das Entsetzliche zu
ertragen. Sie flehten Gott allabendlich um Gnade für ihr verirrtes, als
zwiefache Verbrecherin aus der Welt geschiedenes Kind, und wenn je das Gebet
frommer Aeltern Erhörung findet bei Gott, so muß
So innig ich an meinen braven Aeltern hing, so unheimlich ward mir doch in
ihrer Nähe. Ich taugte ja nicht mehr in so heilige Kreise, ich war eine
Sünderin, deren Herz vor Groll und Ingrimm brechen wollte. Eine unsichtbare
Gewalt zog mich hinaus in die Welt, um in ihrem Geräusch Vergessenheit und ein
neues Glück zu suchen. Mich drückte, mich beleidigte die Armuth, seitdem ich
wußte, wie man mit ihr verfährt, wie man sie gleich einem räudigen Hunde von
sich stößt oder sie mit herzloser Gleichgiltigkeit behandelt! Obwohl fromm und
schlicht und zu genügsamem Leben erzogen, vermochte ich doch nicht mehr
andachtsvoll zu einem Gott zu beten, der Tausende seiner Geschöpfe so unwürdig
behandeln läßt, und das Wort Christi: Selig sind die Armen, denn das
Himmelreich ist ihr! konnte mich zu verzweifeltem Lachen reizen. Ich konnte
nicht an eine Seligkeit jenseits glauben, die ich mit völliger Vernichtung
meiner angeborenen Menschenwürde diesseits erkaufen sollte! Werde reich! schrie
es Tag und Nacht in mir mit gellender Stimme,
Daheim konnte ich nicht bleiben. Meine Aeltern wünschten dies eben so wenig, als ich selbst, ich war daher Willens, wieder einen Dienst, wo möglich in einer großen Stadt zu suchen. Dort hoffte ich, sollte sich Gelegenheit finden, die mir von der Natur geschenkten Gaben zu meinem Vortheil zu benutzen. Ich war ja schön, und Schönheit mit Jugend gepaart wirft man so leicht nicht vor die Thür, wenn sie den zarten Panzer des Weibes, die verlockende List, anlegen.
Ich wandte mich nun zuerst nach Hannover, da ich aber bei meiner schnellen
Dienstentlassung und der Verwirrung, in die mich der unerwartete Tod meiner
Schwester versetzt, ein Zeugniß meines Wohlverhaltens mir ausstellen zu lassen
vergessen hatte, fand ich nicht sogleich einen Dienst, wie ich ihn wünschte. Es
schien mir sogar, als zweifle man an meiner Unbescholtenheit, wozu ich
vermuthlich selbst Anlaß gab durch freundliches, einschmeichelndes Betragen,
das mehr von forcirter Koketterie als von
Herr M* war aus Hamburg, Kaufmann und Hagestolz. Seine Bedingungen dünkten mir
sehr annehmbar, und da ich durchaus nichts zu verlieren hatte und dieser Anfang
mir den vielversprechenden Eingang zu den schimmernden Palästen des Reichthums
öffnen zu wollen schien,
Sie können errathen, Herr Kapitän, welch ein Leben ich hier führte. Eine Zeit lang war Herr M* sehr zufrieden mit mir. Er überhäufte mich sogar mit nicht ausbedungenen kostbaren Geschenken, die ich aus den angedeuteten Gründen annahm. Später mußte ich mich dafür erkenntlich zeigen, wozu ich mich nach einigen heftigen innern Kämpfen denn auch entschloß. Ich hoffte Madame M* zu werden und gab dies sehr unverhohlen zu erkennen. Dies war nicht politisch; mein Gebieter ward von Stund' an kälter gegen mich; ich begann ihn zu tyrannisiren, auf meine Ansprüche pochend. Dies verdroß Herrn M* und eines schönen Morgens lohnte er mich ganz ruhig ab und händigte mir außerdem eine ansehnliche Summe als Abfindungsquantum ein. Obwohl ich es jetzt mit Bitten versuchte und keine kleine List unterließ, den Beleidigten mir wieder zu versöhnen, konnte ich ihn doch nicht erweichen. Ich mußte sein Haus verlassen –
In diesem Verhältniß hatte ich so viel erworben, um nöthigen Falles allein
anständig leben zu können. Dies zog ich einer neuen dienstlichen
»Aber Ihre Aeltern, Bianca? Wissen sie, auf welchen Wegen ihre geliebte Tochter wandelte?«
»Gott Lob, Sie wissen es nicht, wenn sie nicht gleich Gott allwissend sind! Der Tod hat sie längst erlöst.«
Es war stiller und immer stiller geworden im Pavillon. Nur wenige Gruppen saßen noch verstreut im großen Saale. Da ward die Thür des kleinen Gemaches, wo Aurel sich mit Bianca unterhielt, behutsam geöffnet und Gilberts lebhaftes Gesicht lauschte her ein. Gleich darauf stand er vor dem Kapitän.
»Endlich ist das Fahrwasser sicher,« sagte er mit leichtfertigem Lächeln. »Ich habe verteufelt warten und mich verkriechen müssen wie eine Schiffsratte, und hatte es doch so eilig!«
»Zum Teufel, Herr Kapitän, wird man denn taub, wenn man einem so reizenden Mädchen, wie Ihre Gesellschafterin es ist, in die geheimnißvollen feuchten Sterne schaut?« Gilbert begleitete diese galanten Worte mit anmuthvoller Verbeugung gegen Bianca. »Als ich vor beinahe zwei Stunden Sie hier aufsuchte, lief mir draußen im Saale ein solcher Himmel mit zwei blauen Sonnen in die Arme, ich fing ihn auf und weil es ja doch eine große Seltenheit zu sein pflegt, den Himmel warm und weich an sein Herz zu schließen, so nahm ich mir geschwind diese Freiheit und berührte die beiden funkelnden Sonnen mit meinen Lippen. Und um solcher himmlischen Neigung wegen wollten mich die glanzfilzigen Bengel todtschlagen! Darum mußte ich ausreißen und bis jetzt warten. Ich habe mich aber doch amusirt! Oben auf dem Stintfange traf ich ein freundliches Kind, frisch und munter wie ein Lachs. Mit ihm habe ich Sternenkunde getrieben bis jetzt und alle sieben Himmel Muhameds durchstreift. Es war prächtig, auf Matrosenehre!«
»Nichts weiter als einen Brief. Da ist er! Schleunigst zu besorgen, steht darauf gekritzelt, irre ich nicht, von der Hand Ihres sehr ehrenwerthen Herrn Bruders.«
Gilbert überreichte Aurel das Schreiben, der mit einiger Hast danach griff.
»Sie erlauben, mein Fräulein?«
»Bitte!«
Aurel riß das Couvert auf, ein langer Brief blieb in seinen Händen. »Das geht nicht,« sagte er, das Schreiben zu sich steckend. »Ich brauche mindestens eine Stunde, um diese Buchstaben zu entziffern.«
»Lassen Sie sich durchaus nicht stören, Herr Kapitän!«
»Es hat Zeit,« fiel Aurel Bianca ins Wort. »Geh, Gilbert, und besorge eine Droschke!«
Gilbert entfernte sich.
»Bianca,« rief nun der junge Kapitän gerüht,
Bianca's Blick ruhte geraume Zeit auf den freundlichen, treuherzigen Augen des Kapitäns. Sie drückte ihm dankend die Hand und sagte: »Ich folge Ihnen, denn ich erblicke in Ihnen den rettenden Engel, den meine fürbittenden Aeltern mir senden.«
Aurel stand auf, drückte die schöne Sünderin
Ein Wagen fuhr vor. Gilbert meldete, daß Alles bereit sei. Ein paar Secunden später rollte die Droschke mit Aurel, Bianca und Gilbert nach der Stadt.
Aurel begleitete Bianca bis an ihre Wohnung. Hier empfahl er sich nochmals mit herzlichem Händedruck, bat sie wiederholt, daß sie ihm blindlings vertrauen möge, und eilte alsdann mit Gilbert nach Hause.
Es war bereits zehn Uhr vorüber und noch stand ihm für die Dauer der Nacht ein neues Abenteuer bevor. Wollte er dies nicht auf einen andern Abend verschieben, so war es die höchste Zeit, sich darauf vorzubereiten.
»Gilbert,« sagte der Kapitän, »suche aus meiner Garderobe die schlechteste
Matrosenkleidung zusammen und lege meine Pistolen und meinen indischen Dolch
bereit. Ich will unterdessen
Adrian schrieb:
»Kaum habe ich Dir den wunderlichen Besuch mit seinem noch wunderlicheren
Anliegen gemeldet, der mich vor einigen Tagen überraschte, und schon bin ich
genöthigt, jetzt abermals in dieser mehr als räthselhaften Angelegenheit an
Dich zu schreiben. Wir haben es mit ein paar alten Füchsen zu thun, die ihrer
Sache ziemlich gewiß zu sein scheinen. Acht Tage haben diesen beiden Greisen
genügt, mich und mittelbar also auch Dich wie Adalbert in die Enge zu treiben.
Auf welche Weise ihnen dies möglich geworden ist, weiß ich noch nicht, daß sie
es vermocht haben, ist leider nur zu gewiß! – Sie haben uns verklagt, haben,
wie ich höre, Zeugen aufgetrieben, welche das Vorhandensein verstoßener Kinder
unseres verewigten Vaters eidlich erhärten wollen. Daran würde ich mich wenig
kehren, denn ehe ein so schwieriger Beweis rechtskräftig geführt werden könnte,
würden Jahre vergehen, und in so langer Zeit läßt sich viel ersinnen, um ein
drohendes Uebel
Wohin solche Widersetzlichkeit arbeitender, an mich und mein Interesse
gefesselter Menschen führen kann und muß, ist gar nicht abzusehen. Ich brauche
diese zerlumpten Tausende, brauche sie unter den Bedingungen, die ich ihnen
bisher kaltblütig und in ruhiger Consequenz auferlegt habe, sonst gehen alle
meine großartigen Speculationen in Rauch auf. Es gilt daher, den ausgestreuten
Saamen des Mißtrauens um jeden Preis zu entfernen, die Murrenden zu
beschwichtigen. Dies kann nur geschehen, wenn wir die Quellen verstopfen, aus
denen sie ihren Argwohn schöpfen, kann nur von Dauer sein, wenn Sloboda und der
Ich unterfange mich nicht, eigenmächtig einen Weg anzudeuten, der sofort eingeschlagen werden müßte, um dieses nicht blos wünschenswerthe, sondern durchaus nothwendige Ziel zu erreichen. Einige Pläne kreuzen sich wohl in meinem Kopfe, aber sie bedürfen der sorgfältigsten Ueberlegung. Es wäre deshalb am besten, wir drei Brüder kämen persönlich zusammen, beriethen uns mündlich, tauschten unsere Ansichten offen gegen einander aus und faßten einen gemeinsamen Entschluß. Coalisation ist in unsern Tagen das allersicherste Mittel, rasch und entschieden zum Ziele zu kommen. Bei persönlicher Zusammenkunft ließen sich auch die etwaigen Rollen, die Jeder von uns zu übernehmen haben dürfte, am leichtesten vertheilen.
Du siehst, lieber Bruder, daß ich einen Feldzugsplan im Großen beabsichtige und
diesen gegen einen Feind angewendet wünsche, der uns fürchterlicher werden
kann, als es gegenwärtig noch den Anschein hat. Soll ich wahr sein, so gestehe
ich gern, daß mir die
Nach den Erkundigungen, die ich seit zwei Tagen unter der Hand eingezogen habe,
ist es nicht so gar unwahrscheinlich, daß wirklich hier oder da ein illegitimes
Kind unseres galanten Herrn Vaters unbekannt in der Welt herumläuft. Es wäre zu
viel verlangt, wenn irgend Jemand von uns forderte, daß wir solch wilden
Sprößling und Ableger aufsuchen und an unsere Bruderherzen drücken sollten. Ich
meines Theils spüre wenigstens ganz und gar keine Lust dazu. Allein gut wäre es
doch, wenn man mit Bestimmtheit wüßte, wo sich diese Pseudo-Bobersteine
umtreiben, die wohl schwerlich auf gräflichen Burgen Hof halten werden. Es wäre
wichtig der Zukunft und
Unterlasse daher nicht, ganz in der Stille herumzuhorchen und nach Spuren Boberstein'scher Lebensthätigkeit zu suchen! Nur schweige, schweige unverbrüchlich, ich bitte Dich!
Da die Jahreszeit noch nicht zu sehr vorgerückt und das Wetter mild ist, wird
es hoffentlich nichts zu bedeuten haben, wenn Du auch vier Wochen später unter
Segel gehen solltest. Es wäre mir ohnehin des Geschäftes wegen solche
Verzögerung lieb, denn um diese Zeit kann ich Dir die prächtigsten Proben neuer
Druckmuster mitgeben, für die sich in Ostindien, sollte ich meinen, ein großer
Absatz finden wird. Doch darum kümmerst Du
So eben erhalte ich Antwort von Adalbert aus Schlesien. Er kommt nach Boberstein und ist ganz meiner Ansicht. Ich bitte Dich, eile ebenfalls zu mir, damit wir schleunigst einen gefährlichen Feind vernichten können, ehe er noch Zeit und Macht gewinnt, sich gegen uns zu erheben. Es grüßt Dich liebevoll Dein Bruder
Adrian.«
»Das wird lustig,« sagte Aurel, indem er den Brief verschloß und schnell nach
den Kleidern grift, die Gilbert inzwischen herbeigeholt hatte. »Mein Bruder
glaubt seiner Sache sehr gewiß zu sein,« fuhr er im stillen Selbstgespräche
fort, während er sich ankleidete. »Vielleicht änderte sich diese Ansicht, hätte
er Kenntniß von meinem Funde. – Arme, unschuldige Opfer eines leichtsinnigen
Mannes! Verbergen, nicht kennen, in Dürftigkeit will man Euch schmachten,
vielleicht auch verkümmern lassen, wenn man Euch wirklich auffindet! – Das
läuft schnurstracks Sturm auf mein Gewissen, Bruder Adrian,
»Immer, wenn mein Kapitän befiehlt.«
»Wie viel Uhr haben wir?«
»Ein Viertel nach eilf.«
»Vorwärts denn nach der Mohrentaverne! – – –«
Zu den besuchtesten Orten des Hamburger Berges gehörte zur Zeit unserer Geschichte die Mohrentaverne. Man hatte ihr diesen Namen gegeben, weil durch Zufall die meisten nicht europäischen Matrosen sich hier zusammenfanden. Immer konnte man sicher sein, gegen Mitternacht in der Höllengluth dieser Taverne an dreißig Mohren, Mulatten, Indier und Malayen anzutreffen. Der farbige Mensch herrschte hier, der weiße ward nur geduldet und mußte sich ohne Weigerung den Gesetzen fügen, die zu eigener Belustigung die Fremdlinge jeden Abend auf's Neue entwarfen und mit unerbittlicher Strenge handhabten.
Die Mohrentaverne zeichnete sich schon äußerlich durch ihre Gestalt aus. Sie
stellte nämlich eine colossale schwarz getheerte Tonne vor, deren hoher Zapfen
auf dem Spunde zum Schornstein diente. Ihr Inneres war sehr geräumig, bestand
aus Vorraum, Küche, dem großen Gesellschaftslocal und mehreren cabinenartigen
Nebenzellell, die man durch Riegelthüren beliebig verschließen konnte. Im
Hintergrunde, ebenfalls
Kurz vor Mitternacht traten zwei junge Männer von fast gleicher Größe in die Thür dieser berüchtigten Taverne. Sie glichen gemeinen Matrosen. Eine kurze Jacke von verschossenem ziegelrothen Tuch, weite schlotternde Beinkleider von blau und weißgestreiftem Wollenzeuge, grobe plumpe Schuhe von Rindsleder und ein gewöhnlicher mit schwarzer Glanzfarbe bestrichener niedriger Strohhut bildete ihre einfache Tracht. Diese späten Gäste waren Aurel und Gilbert.
Wohl bekannt mit dem Tone, der in diesen Spelunken herrscht, wo der rohe
Matrose nur Leute seines Gleichen duldet und jeden auf höherer Stufe der
Bildung und des Umgangs stehenden Gast sogleich zu entfernen pflegt, umfaßte
Aurel gleich beim Eintreten eine stämmige Dirne mit hochrothem Gesicht und
Busen, die
Dies chaotische Getümmel halb und ganz trunkener Menschen, die gewohnt waren, allen Leidenschaften ungehindert den Zügel schießen zu lassen, heiler Haut zu durchschreiten, schien unmöglich. Aurel zog es daher vor, im Hintergrunde eine Zeit lang den Beobachter zu spielen, und bestellte für sich und Gilbert steifen Grog. Sie nahmen Platz an einem der zur Seite stehenden Tische und unterhielten sich mit den hübschen Dirnen, die auf der Bank dem Tanze zusahen oder ab und zu gingen und bisweilen die schmucken Matrosen neckten.
Aurel's Aufmerksamkeit richtete sich nunmehr auf das Orchester und die Musiker.
Es war jedoch unmöglich, die Spielenden durch die feuchte und schwere
Rauchwolke zu erkennen, die auf das wogende Menschenmeer in grauer Trübe
niederhing. Er wandte sich daher an das hübscheste und, von ihrem Gesicht auf
ihr Herz zu schließen, an das mindest verdorbene Mädchen mit der Frage: ob sie
einen Mann kenne, welcher den Namen Blutrüssel führe? Das Mädchen
»Kannst Du es nicht veranstalten, hübsches Kind, daß er einmal herabsteigt von seinem Throne?«
»Das thut er schon von selbst nach jedem Tanze,« versetzte das Mädchen. »Länger als eine halbe Stunde kann er ohne heißes Getränk nicht leben, und damit er es recht frisch aus der Quelle bekomme, holt er sich's allemal selbst. Sehen Sie, da ist der alberne Tanz zu Ende! Einer von den Schwarzen ist gefallen vor Erschöpfung. Eher hört man nicht auf.«
Die Musik schwieg sogleich, das Lärmen, Schreien, Kreischen und Wiehern ward dagegen eher noch ärger. Der bis zur Ohnmacht erschöpfte Neger ward aufgehoben, auf einen Tisch gelegt und mit Branntwein übergossen. Er zuckte kein Glied. Die dicke aufgeworfene Unterlippe hing schlaff herab und enthüllte ein tadelloses elfenbeinweißes Gebiß. Die Augen standen halb offen und glotzten abschreckend in stierem Glanz durch die schwarzen Lider.
»Gießt ihm Grog in die Kehle oder scharf gewürzten Glühwein!« rief Einer aus der Menge.
So sprechend träufelte er Branntwein auf die Stirn des Ohnmächtigen, ergriff ein Licht und zündete die Flüssigkeit an. Blaue Flammenbäche liefen kreuzweis über Schläfen und Wangen. Mit gellendem Schrei fuhr der Gemißhandelte auf und schüttelte die Flammen von sich, die glücklicherweise sogleich erloschen. Rasendes Bravoschreien und unbändiges Gelächter belohnten den tollen Einfall des Mulatten.
»Das war ein guter Witz, Nero,« sagte eine bellende, vom vielen Trinken gleichsam verbrannt klingende Stimme. »Den hätte ich Dir abkaufen mögen, wär's möglich gewesen. Darauf bin ich in meiner besten Zeit nicht gekommen und ich war doch berühmt im Fache witziger Erfindungen! Noch einen Tropfen Höllenwasser, Mutterchen, aber warm und steif! Ich fühle ein ganzes Eismeer in mir.«
Es war ein ältlicher Mann in struppig
»Blutrüssel, der Nimmersatt!« schrien lachend ein Dutzend. »Mögest Du noch eine Million Pinten vertilgen!«
Der Musiker dankte durch ein entsetzenerregendes Grinsen und empfing das dampfende Glas mit dem glühendheißen Getränk.
»Auf meine Rechnung, wackrer Bursche! Die drei nächsten hast Du noch gut bei mir! So ungewöhnliche Geistesgaben müssen belohnt werden!«
So rief Aurel, überlustig seinen Hut schwenkend
Dieser vergaß über der Seltsamkeit solch großmüthigen Anerbietens das Trinken und die übrigen Gäste der Taverne wurden von der Keckheit Aurels so verblüfft, daß sie die erhaltenen Stöße und Tritte ungestraft hinnahmen.
»Wer bist Du?« sagte Blutrüssel, mit gewaltigem Schlingen das große Glas zur Hälfte leerend und die dargehaltene Hand des Kapitäns annehmend. »Hier werden blos ausgepichte, tausend Millionenmal durchwerterte und mit Teufelsspeck gemästete Kerle geduldet. Man wird eingeführt in so ehrenwerthe Gesellschaft oder 'nausgeschmissen, Bursche! Man hat Dich nicht eingeführt, dünkt mich, und dazu riechst Du noch genau wie eine frisirte Landratte. Hut ab, Kerl, und Reverenz gemacht!«
Aurel zog den Hut und blickte mit mächtigem Auge rundum.
»Wohl bin ich eingeführt, alter Seehund, und wenn ein Kerl, der sechsmal die Linie passierte, keine Landratte ist, bin ich's nicht!«
»Dann trink 'mal auf meine Gesundheit!« sagte Blutrüssel und reichte ihm das
halbvolle
»Pfui!« rief er. »Lauwarmes Wasser schmeckt besser. Ein anderes, Mutterchen, und dreimal gesteift!«
»Du gefällst mir, Junge,« sagte Blutrüssel mit Grandezza. »Ich erkläre Dich hiermit für eingeführt sammt Deinem blassen Gesellen, der sich dort so angelegentlich mit der Erforschung von Mäuseöhrchens Montblanc zu schaffen macht. Wie heißt Du?«
»Klütken-Hannes!«
»Teufel auch!«
»Oder wenn Du willst, Steinherz.«
»Ich grüße Dich, Steinherz, und nenne Dich Bruder von ganzer Seele! Umarme mich!«
Aurel mußte sich dazu entschließen, wenn er seinen Zweck erreichen wollte, und that es demnach mit vieler Rührung und komischem Ernste. Inzwischen ward der bestellte Grog von einer Dirne gebracht und angenommen.
»Laß uns zusammen trinken, sechsmal linirtes Steinherz,« sagte Blutrüssel
lachend. »Wir müssen nothwendig eins plaudern mit Erlaubniß
»Gewährt! Angenommen! Musik! Negermusik!« scholl es wüst durch einander.
Nun begann abermals ein Toben und Lärmen, als wolle man alle Lustigkeit auf einmal erschöpfen. Die beliebte Negermusik, die nur aus dem unharmonischen Schrillen aller Instrumente und dem donnernden Gestampf einiger dreißig Füße bestand, begleitete die Tänze der Halbwilden. Unbekümmert um dies Getümmel und seltsamerweise auch unangefochten saß Aurel neben Blutrüssel, stieß mit ihm an und that ihm Bescheid.
»Jetzt sag 'mal, junger Haifisch, wie Du auf den Einfall gekommen bist, Dich Klütken-Hannes zu nennen? Dahinter steckt etwas!«
»Weil der Kerl mein Freund ist.«
»Du hast Dich vermuthlich versprochen und meinst das Mädel,« versetzte Blutrüssel mit widerlichem Grinsen. »Soll ein hübsches Forellchen sein, wie geschaffen für den Gaumen eines Haifisches.«
Aurel fühlte, daß ihm das Blut nach dem Kopfe schoß, doch ließ er sich nichts
von dieser
»Kennst Du das?« fragte er den Musikanten und deutete auf den feinen Goldreif am kleinen Finger.
»Sieh 'mal!« rief dieser aus. »Du bist ein glattköpfiger Seehund! Was hast Du bezahlt dafür?«
»Mehr als er werth ist. Aber was kümmert das Dich! Viel lieber wäre es mir, zu hören, wie Du zu dem Frauenschmuck gekommen bist? Ich denke auf dem Wege der Geschwindigkeit, wie?«
Blutrüssel runzelte fürchterlich die Stirn und schüttelte ungeduldig seinen grauen borstigen Kopf. »Das vergißt sich mit der Zeit,« sagte er, »nur in der Jugend, wo die Glieder flink und geschmeidig sind, ist das, was Du meinst, ein einträgliches Gewerbe. Den Reif habe ich mit gutem Gelde erkauft.«
»Darf man fragen, von wem?« warf Aurel mit größter Gleichgiltigkeit hin, indem
er sich seine kurze Thonpfeife anzündete und das leere
»Von wem anders, als von einem Weibsbilde,« grinste der Musikant. »Ich that's aus purem Mitleid, denn die Creatur war von lieblicher Gestalt und feinen Manieren.«
»Das wird ja ganz interessant,« sagte der Kapitän. »Wenn Du mich nur so brockenweise füttern willst mit Deinen Teufelsgeschichten, werd' ich vor Neugier das Trinken vergessen.«
»Sollst leben, nett aufgetakelte Brigg! Beim schlimmsten Fluche, ich möchte noch in Deinen Jahren sein! Dann wollten wir zusammen 'was anstellen, daß sich die alte Jungfer Europa vor Aerger darüber die eigene Nase abfräße!«
»Kann noch kommen, doch Tolleres glaub' ich, als Deine Geschichte mit dem Weibsbilde, würden wir kaum zu Stande bringen.«
»Hoch, drei Mal hoch denn die Vergangenheit!« rief Blutrüssel und zertrümmerte
im Stoße das volle Glas. Er schleuderte die Scherben nach dem Schenktische und
schrie: »Mutterchen, eine frische Galleone, die alte hat ein Leck in Grund
gebohrt! – Ja, Bruder Steinherz, damals, damals gab's noch ein Leben!« fuhr er
»Es geht vorüber,« sagte er matt und sich gewaltsam zusammenraffend, »die entsetzliche Hitze machte mich schwindlig.«
»Beim zweiten Besuch spürst Du nichts mehr davon. Komm nur bald wieder! Aber so kratzt doch auf, was die Saiten halten! Es ist ja, weiß Gott, still wie in einer Todtengruft! Hört man sich doch selber schon sprechen!«
Die Musik, welche eine kurze Pause gemacht hatte, da die Tanzenden abgetreten
waren, stimmte abermals ihre ohrzerreißenden Töne an, die alsbald auch neue
Tänzer auf den Plan lockten. Aurel starrte noch immer in halber Betäubung vor
sich hin. Die Erzählung Blutrüssels hatte ihn mit furchtbarer Gewalt getroffen.
– Die Fremden, welche auf Boberstein erschienen waren, hatten ein Recht zu
ihren Forderungen, denn Alles, Alles, was Adrian's erster Brief ihm gemeldet,
fand eine grauenvolle Bestätigung in der spöttischen Erzählung des ergrauten
»Ist's lange her, alte Seele, daß Du mit der Besitzerin dieses Ringes zusammentrafst?« fragte er aufstehend und Gilbert zuwinkend.
»Knappe drei Jahre, mein Herr Stehnichtfest. Es war just Michaelismesse in Leipzig.«
»Wohnte die Arme in jener Stadt?«
»Weiß nicht – doch ja, ja, ich besinne mich. In der Vorstadt, wo die Armuth
haust, hatte sie ihr Zelt aufgeschlagen. Die Leute, die sie kannten, erzählten
sich, sie lebe vom Wahrsagen. Ha, ha, ha, ha, die heruntergekommene Tochter
einer sehr mächtigen Gräfin, vom Unglück gehetzt, hat den drolligen Gedanken,
von andern Menschen das Unglück mitleidig ablenken
Instinktmäßig hob Aurel sein Glas, stieß an, leerte es und ließ es dann klirrend zu Boden fallen. Es litt ihn nicht mehr unter diesen gleich Besessenen tobenden Menschen. Hinaus in die freie kühle Luft trieb es ihn, damit er Athem schöpfen könne und sein glühender Kopf, in dem er jede Ader schlagen fühlte, sich abkühle.
Gilbert hatte sich an seine Seite gedrängt. »Brechen wir auf, Kapitän?« fragte der junge Matrose. »Und haben Sie erfahren, was Sie zu wissen begehrten? Sie scheinen angegriffen.«
»Mehr! Mehr als ich wünschte!« seufzte Aurel und legte seinen Arm in den seines treuen Begleiters. Dann zog er den Hut, schwenkte ihn gegen das Orchester, auf dem Blutrüssel wieder das Tamtam zu spielen begann, und schrie mit erhobener Stimme:
»Gute Nacht, brennende Grogseele! Gute Nacht, meine Jungen! Lange blühe die Lust in der unvergleichlichen Mohrentaverne!«
Ein wüthendes Hurrah, das gar kein Ende
»Wir gehen nicht in See, mein Junge, wir setzen uns in eine Postkalesche und reisen zusammen nach Boberstein. Die Zeit des lustigen Schwärmens ist vorüber, von morgen an werden wir ernste Leute!«
Gilbert sah den Kapitän mit großen Augen an, da er aber einem festen traurigen Blicke und einem erdfahlen Gesicht begegnete, drückte er ihm die Hand und erwiederte:
»Ich begleite Sie, Herr Kapitän.«
Es schlug drei, als sie das Haus am Rödingsmarkte erreichten. Zwölf Stunden später hatten sie Hamburg verlassen und fuhren mit Extrapost der Lüneburger Haide entgegen.
Vier Tage nach dem Besuche Sloboda's und Heinrichs auf dem ehemaligen Schlosse
Boberstein begegnen wir den beiden Alten nebst Paul in dem gebirgigen
Schlesien. Hier lebten in arbeitsamer Zurückgezogenheit alte Bekannte des
Maulwurffängers. Seine rastlosen Wanderungen führten den originellen Mann
zuweilen auch in diese fern gelegenen Gegenden, wo er dann nie vergaß, die
alten Freunde zu begrüßen. Seit einigen Jahren war dies unterblieben, und da
Landleute nur im äußersten Nothfalle zur Feder greifen, so wußte Heinrich nicht
einmal, ob die fernen Freunde noch alle am Leben sein würden. Dennoch zog er
eine beschwerliche Fußreise
An waldigen Hügellehnen in der breiten und fruchtbaren Thalsenkung des Queis
lag ein großes freundliches Kirchdorf. Hier besaß Leberecht, der ehemalige
Großknecht auf dem Zeiselhofe, ein bescheidenes Häuschen mit geringem
Ackerlande. Bei angestrengter Thätigkeit und großer Sparsamkeit konnte eine
genügsame Familie von dem Ertrage dieses Ackers und fleißiger Handarbeit grade
leben. Kleine Besitzungen dieser Art gibt es in Schlesien die Menge, da das
Parcellirungsystem den großen Grundbesitz mannichfach zerstückelt hat. Man
findet Dörfer, wo beinahe jedes Haus seinen eigenen Acker besitzt, welchen die
Inhaber mittelst einer einzigen Kuh bebauen. Den flüchtig Reisenden kann der
Anblick solcher Dörfer, wo alle Welt für sich selbst pflügt und ärndtet, den
Eindruck von allgemein verbreiteter Wohlhabenheit machen, wer jedoch die Sachen
genauer betrachtet und sich bei den so fleißig arbeitenden Leuten selbst
erkundigt, erfährt zu nicht geringer Bestürzung, daß im Allgemeinen große Noth
in solchen Ortschaften herrscht, und daß die meisten dieser kleinen
Genau in dieser Lage befand sich Leberecht. Er hatte zwei Jahre nach der
Katastrophe, die Boberstein in einen Schutthaufen verwandelte und dem im
Auslande lebenden Magnus zur Freigebung seiner Leibeigenen Anlaß gab, die Haide
verlassen, um in fruchtbareren Gefilden Arbeit und Nahrung zu suchen. Das grüne
Schlesien mit seinem ehrlichen, derben, gutmüthigen Volke behagte ihm
vorzugsweise, da er sich hier wie daheim befand. Er war sehr fleißig und sehr
sparsam, und als er nach seinem Dafürhalten genug besaß, um Frau und Kind
ernähren zu können, dachte er an's Heirathen. Nie hatte ihm ein Mädchen besser
gefallen, als die hübsche Marie, die auf dem Zeiselhofe so oft seinetwegen
hungrig vom Tische gehen mußte. Marie diente noch in der Haide, war ebenfalls
sparsam und in jeder Hinsicht wirtschaftlich. Leberecht machte sich also auf,
putzte sich recht stattlich heraus, kaufte ein paar silberne Ohrringe und
besuchte das Mädchen. Umschweife machte er nicht, vielmehr sagte er grade
heraus, was er wollte, bot Marie Herz und Hand an und
Es wollte aber nicht vorwärts gehen. Freilich lag die Schuld nicht an ihm, sondern an der Unzulänglichkeit des Besitzes, der viel Zeit raubte und wenig eintrug, und dennoch konnte sich Leberecht nicht entschließen, Haus und Land zu veräußern, da er mit Leib und Seele Landmann war. Marie mußte auf einen Nebenerwerb denken. Dieser fand sich auch, indem sie, zwar etwas spät, die Weberei erlernte. Oft ward sie freilich in ihrer Thätigkeit gestört, denn ihre Ehe mit Leberecht war sehr fruchtbar. Zur Bekümmerniß beider Aeltern blieb aber von allen Kindern blos ein einziger Sohn am Leben, der weil die Weberei damals grade in Schwung kam, sich derselben ebenfalls widmete.
Geraume Zeit verdiente er mehr als hinreichendes Geld, das er vorsichtig
zusammenhielt, um die auf Haus und Feld der Eltern noch immer lastenden
Schulden nach und nach damit
So standen die Sachen in Leberechts kleinem Hauswesen bei dem Besuche, welchen Heinrich dem seit Jahren nicht mehr gesehenen Freunde zudachte. Die Veranlassung zu diesem Besuche werden wir sogleich mittheilen.
Die drei Wanderer erreichten den Ort gegen Abend und gingen zuerst ins
Wirthshaus oder den Kretscham, um sich zu erfrischen und Erkundigungen
einzuziehen. Diese fielen nach Wunsch aus. Leberecht war noch munter, wie vor
Jahren, Marie fleißig wie immer, und der Sohn hatte den Ruf eines der
tüchtigsten und accuratesten Weber. Heinrich besprach sich mit seinen
Schon von weitem vernahm er das taktmäßige Klappern zweier Webstühle, das ihm von dem Fleiße der Mutter und des Sohnes Zeugniß gab. Trotz der schnell hereinbrechenden Dämmerung fand er wirklich Beide in emsiger Thätigkeit. Erst bei seinem zutraulichen guten Abend hielten die Webeden an und blickten halb neugierig halb verwundert nach dem späten Besuche.
»Kennst Du mich nicht mehr, Marie?« sagte Heinrich, nahe an den Stuhl tretend, dessen Werfte vom letzten Schlag der Lade noch zitterte. »Freilich, die letzten drei Jahre haben mir hart zugesetzt! Ich sehe fast so weiß aus wie ein Stück gut gebleichte Leinwand.«
»Mein Gott, der Maulwurffänger!« rief Marie freudig aus, stand auf und reichte
dem Alten die Hand. »Tausendmal willkommen, wackrer Freund! Nehmt Platz, nehmt
Platz! Dort hinterm Ofen steht ein Polsterstuhl. Ich bitt' Euch, schiebt Euch
den zu mir heran, denn – nichts für ungut, lieber Alter – ich muß noch ein halb
Stündchen schaffen, sonst krieg' ich nicht
Eduard reichte nun dem Freunde seiner Aeltern ebenfalls die Hand zum Gruße und hieß ihn willkommen. Heinrich schüttelte sie derb und setzte sich dann zwischen beide Stühle, wo das Spulrad stand, auf's Treibebänkchen.
»Laß gut sein, Marie, ich kümmere mich schon! Ein Oertel, wie ich's brauchen kann, find' ich immer. Laßt nur den Schützen schnellen, was er laufen mag, ich will mir gleich 'was zu thun machen – Geht's auch langsam, so dreh' ich Euch doch noch ein paar Spulen ab, als hätt' ich erst gestern das Geschäft aufgegeben.«
Damit setzte der Maulwurffänger das Rad in Bewegung, steckte ein »Ledgen« Eine
leere Spule von Schilfrehr. auf die Spille und drehte schnurrend seine Spule,
das Garn accurat auf dem Rohr vor- und rückwärts leitend. Marie lächelte, ließ
den Schützen wieder klirren und arbeitete mit sammt dem Sohne,
»Ich weiß nicht, wo er sich herumtreiben mag,« versetzte Marie. »Er hat heut die paar Körnchen Winterkorn gesät und nachher ist er fortgegangen, ohne zu sagen, wohin.«
»Es wäre mir schon lieb, wenn er bald wieder käme,« meinte der Maulwurffänger, »denn ich habe ihm heut gar Mancherlei zu erzählen. Auch alte Freunde habe ich mitgebracht, die er schwerlich noch kennt.«
»Ei wer könnte denn das sein!« sagte Marie und sah mit ihren freundlichen Augen den Maulwurffänger fragend an.
»Ja, das mußt Du errathen, Marie,« versetzte Heinrich mit verschmitztem Blinzeln – »Du hattest ja immer ein offenes Köpfchen, das die verfänglichsten Fragen zu beantworten wußte.«
Eduard hatte indessen draußen Holz gespalten,
»Der Vater wird gleich kommen,« sagte er. »Er steht unten am Wasser und discurirt mit dem Nachbar. Ich glaube, sie wollen heut' Nacht noch ein paar Reußen stellen.«
»Heut' Nacht?« fiel der Maulwurffänger ein. »Das soll ihm schon vergehen, wenn er mir zuhören will und meine Reisegefährten sieht! Ja, ja, Marie, ich sage die reine Wahrheit! Nicht umsonst bin ich in meinen alten Tagen die zwölf Meilen weit gelaufen, es hat' was zu bedeuten! Und wenn Du fein warten und hinterdrein schweigen kannst, so verheimliche ich Dir kein Wörtchen.«
Indem trat Leberecht ein, die Jacke über der Schulter und eine Rodehacke in der Hand.
»Guten Abend,« sagte er, ohne den Gast zu bemerken, der während seiner Abwesenheit angekommen war.
Frau und Sohn erwiederten den Gruß, der Maulwurffänger aber schlug ihn mit
flacher
Leberecht sah den Fremden ein paar Secunden ernsthaft an, dann schüttelte er ihm tüchtig die Hand und versetzte: »Weiß Gott, er ist's, der Schelm von Maulwurffänger! Nun grüß' Dich Gott, Bruderherz, und sei bedankt, daß Du wieder einmal an uns gedacht hast! Nichts Neues draußen im Flachlande? In der Haide?«
»Will ich meinen,« sagte der Maulwurffänger. »Just deswegen komme ich her, und wenn Du Willens bist, eine Liebe der andern werth zu halten, sollst Du genug erfahren, um ein paar Jahre lang keine Zeitung mehr in die Hände nehmen zu dürfen.«
»Das wäre! Was gibt's denn so Großes?«
»Leberecht,« versetzte Heinrich sehr ernst »wenn Deine Frau nichts dawider hat,
und ich nehme das an, so würdest Du mir einen grausam großen Gefallen thun,
wenn Du mich in die Schenke begleitetest. Dein Eduard kann auch mitkommen – wir
werden ihn brauchen.
»Du hast Dich so lange nicht blicken lassen,« erwiederte Leberecht nach kurzem Schweigen, »daß ich Deinen jetzigen Besuch nur etwas Ungewöhnlichem zuschreiben muß. Ich bin nun zwar auch nicht mehr der Mann von früher, den kein Ungemach lange anfechten konnte, allein für einen Freund habe ich doch noch immer Zeit und Ohr. Wir sind bereit, Dich zu begleiten.«
»Habe Dank für Dein freundliches Entgegenkommen,« sagte der Maulwurffänger, »es wird Dich nicht gereuen! Und Du, Marie, zerbrich Dir nicht unnützerweise den Kopf! Mit Leberechts Zurückkunft wirst Du so gescheid wie er selbst.«
Unverweilt brachen nun die drei Männer nach dem Kretscham auf. Es war eine gute
Strecke Weges bis dahin, welche Heinrich durch Erzählung dessen verkürzte, was
sich in den letzten fünf Wochen zugetragen hatte. So erfuhr denn Leberecht die
wunderliche Auffindung der
»Nicht wahr,« schloß der Maulwurffänger seinen Bericht, »das ist ein Bündel Neuigkeiten für den plauderhaftesten Landkrämer? Wenn Du darüber nicht wieder jung wirst, streiche ich Dich aus der Zahl der Lebendigen.«
»Ich bin erstaunt,« erwiederte Leberecht, »erstaunt, daß so etwas in unseren nüchternen Tagen möglich ist; noch mehr aber muß ich mich wundern, daß Du auf Deinen alten Füßen so weit hergelaufen kommst, um mir diese wunderliche Geschichte zu erzählen. Ich freue mich Deiner alten Anhänglichkeit, aber ich hätte Dir's auch nicht nachgetragen, wenn Du mich blos gelegentlich davon unterrichtet hättest.«
»Wirklich? Das höre ich nicht gern, Leberecht! Ich habe schon gesagt, daß ich Tausch gegen Tausch verlange, was in diesem Falle Erzählung gegen Erzählung bedeutet.«
»Noch begreife ich Dich nicht, Pink-Heinrich.
»Du kanntest den Voigt Ephraim vom Zeiselhofe,« erwiederte der Maulwurffänger, »Du warst sein Stellvertreter während seiner Krankheit, und daß er Dir auf dem Sterbelager Geständnisse eigenthümlicher Art gemacht hat, äußertest Du schon damals mit Entsetzen! In jenen unruhigen Tagen konnte Niemand daraus Nutzen schöpfen; jetzt aber müssen sie dem Enkel Sloboda's von größter Bedeutung sein. Darum, mein Freund, bist Du dringend gebeten, im Beisein des steinalten Wenden, seines Enkels und Deines Sohnes die Beichte des Sterbenden getreu zu wiederholen!«
Sie hatten den Kretscham erreicht, ein langes, nur einstöckiges Gebäude, ganz aus Holz aufgeführt. Eine Schmiede war damit verbunden, in welcher noch zwei riesige Gebirgssöhne auf sprühendes Eisen hämmerten. Aus den kleinen und niedrigen Fenstern der Wohnstube schimmerte Licht.
»Das ist ein Verlangen, welches, fürcht' ich, über meine Kräfte gehen wird,«
gab Leberecht zur Antwort. »Bedenke, daß fast über
»Entschuldigungen werden nicht angenommen,« sagte der Maulwurffänger lachend. »Komm nur herein, sprich mit dem Alten und mit Paul, dem einzigen Nachkommen des frommen, lieblichen Haiderbschens, und Dein Gedächtniß wird sich von selbst erfrischen. Kannst Du uns keine Winke geben, wie wir sie brauchen, so muß ich den guten Alten mit sammt dem frischen Enkel wieder zurück nach Polen schicken, denn wir kommen dann nicht auf gegen die Grafen.«
Zögernd senkte Leberecht das Haupt. Die Runzeln auf seiner Stirn deuteten auf einen heftigen innern Kampf. Er holte einigemale tief Athem, dann legte er seine schwere Hand auf Heinrichs Schulter und sagte entschlossen: »Ich will mich besinnen.«
Sie traten in die große vom Ofenrauch geschwärzte Schenkstube, die zwei dünne
Talglichter nur dämmernd erleuchteten. Blos zwei der täglichen, rothbraun
angestrichenen Tische
»Ulrich,« sagte Leberecht zum Wirth, nachdem er den Wenden durch Zutrinken des dargereichten Glases Bescheid gethan hatte, »wenn Ihr heut Abend keine Gäste im Cabinet erwartet, könntet Ihr uns dasselbe auf eine Stunde abtreten. Wir haben 'was Wichtiges unter einander zu besprechen.«
Zuvorkommend gestattete der Kretschamhalter diese Vergünstigung und alsbald saßen die fünf Freunde ungestört im engen Cabinet nebeneinander. Der Maulwurffänger ließ Speise und Trank auftragen und forderte Leberecht nochmals auf, seine Erzählung zu beginnen. Nach einigem Nachdenken machte die ser den staunenden Zuhörern folgende Mittheilungen.
»Obgleich ich dem Voigte nie sehr freundlich begegnet war, hatte er zu mir doch
ein auffallendes Zutrauen. Freiwillig und in ziemlicher Ausdehnung trug er
seine Macht auf mich über, so daß ich wider Willen statt seiner gebietender
Voigt wurde. So ungern ich mich ihm unentbehrlich machte, so gewissenhaft
erfüllte ich doch meine Pflicht, und weil ich wochenlang alle Geschäfte
»Dieser Zustand währte mehrere Wochen. Die entsetzlichen Ereignisse waren beinahe vergessen, die eine Zeit lang verlassenen Hütten der Unterthanen füllten sich wieder mit ihren heimkehrenden Bewohnern. Die wenigen, welche ganz auswanderten, verschollen, Niemand dachte mehr an sie, Niemand kümmerte sich mehr um das Vergangene. Die Leibeigenen wurden für frei erklärt und dadurch ihr Aufstand gewissermaßen gebilligt. Da nahte Ephraims Ende heran; der Sterbende begehrte mich noch einmal ganz allein zu sprechen. Ungern gewährte ich die Bitte, doch lehrte mich die Menschlichkeit den angeborenen Widerwillen besiegen, den ich stets gegen den hartherzigen Voigt empfunden hatte.«
Ephraim ließ seine gläsernen Blicke lange Zeit auf mir ruhen, als ich einsam
neben seinem Sterbelager Platz genommen hatte. Er schien in meinen Zügen
forschen zu wollen, ob ich das,
»Leberecht, ich will Dir ein Geheimniß beichten.«
»Mir?« unterbrach ich den Sterbenden. »Verschont mich damit, wenn Ihr mich lieb habt. Ich bin kein Pfarrer, ich möchte mich nicht damit vertragen können.«
»Doch, doch, Leberecht, Du mußt! – Sieh, ich leide namenlose Schmerzen – mein Gewissen foltert mich – ich kann nicht sterben, bevor ich bekannt –«
»Was, um Gottes Barmherzigkeit willen wollt Ihr bekennen!« rief ich entsetzt aus, denn, ich glaubte gewiß und wahrhaftig, der Unglückliche habe ein todeswürdiges Verbrechen begangen. »Kann ich Euch vergeben, wenn Ihr gesündigt gegen die Gebote des Herrn?«
»Ja, ja, Du kannst es,« röchelte der Voigt. »Setze Dich, beuge Dein Ohr zu meinem Munde – behalte wohl, was ich Dir sage – Ich werde ruhiger aus dem Leben scheiden!«
Der unglückliche Mann sprach so flehentlich,
»Wie lebt Nathanael?« stotterte Ephraim.
»Nathanael?«
»Jan Slobodas unglücklicher Sohn! O wie, wie lebt er?«
»In stummer undurchdringlicher Geistesnacht.«
»O wohl ihm – wohl ihm!« stammelte der Voigt; »besser, nichts von sich wissen, als von zu vielen Erinnerungen in die finstere Zukunft hinübergejagt zu werden! Vergib mir, armer Betrogener! Fluche mir nicht, Nathanael!«
Schaudernd sah ich den Sterbenden in die gelben verzerrten Züge, suchte in den eingesunkenen wild flackernden Augen zu lesen. Ephraim raffte seine schwindenden Kräfte zusammen, erhob sich mit Gewalt aus den Kissen und schrie mir zu:
»Nathanael ist Vater – sein Sohn lebt!«
»Heiliger Gott,« unterbrach Sloboda den
»Sein Sohn?« wiederholte ich, fuhr Leberecht fort.
»Nein, nein!« schrie der Sterbende, wie ein Rasender das vom Todesschweiß triefende Haupt gespenstisch gegen mich schüttelnd. »Nicht Nathanael's Sohn, der Sohn des Grafen – Er stockte.«
»Des Grafen?«
»Des Grafen – Magnus!« lallte der Sterbende. –
Ich stand wie vom Donner gerührt und starrte den Unglücklichen an, der matt röchelnd mit gebrochenen Augen in die Kissen zurückgesunken war. Meine Neugier wuchs; kaum vermochte ich den Augenblick zu erwarten, wo der Entkräftete sich zu weiterer Mittheilung gesammelt haben würde. Es vergingen fünf peinvolle Minuten. Dann schlug der Voigt seine Augen wieder auf und fuhr fort:
»Ich bestach die Hebamme – auf Magnus Befehl, das Kind der armen Leibeigenen
für todt, für zerstückt auszugeben, was leicht war, da die Gebärende ihre
Besinnung verlor. Der Graf
»Das ist entsetzlich!« sagte Sloboda.
»Mir schlugen die Zähne zusammen,« versetzte Leberecht, »bei diesen Bekenntnissen des Voigts, der sich wie ein Wurm auf seinem Lager krümmte und wiederholt durch wimmernde Schmerzenstöne seine Mittheilungen unterbrach.«
»Kümmert sich der Graf um das verstoßene Kind?« fragte ich instinktmäßig, um nur das Nöthigste dem Sterbenden zu entreißen, dessen Ende sichtlich herrannahte.
»Er erhält seinen Sohn – nothdürftig,« stammelte der Voigt.
»Ephraim nannte mir den Ort, den Namen seiner Pflegeältern, nahm mir aber
zugleich auch das Versprechen ab, das Geheimniß Niemand mitzutheilen, da nach
Slobodas Auswanderung und bei der Geistesverwirrung Nathanaels eine Aufdeckung
des Frevels nutzlos sein müsse. Statt dessen übergab er mir die schriftlichen
Documente über die Geburt des Knaben und beschwor mich, dieselben an einem Orte
auf dem Zeiselhofe zu verbergen, wo sie unversehrt und unentdeckt sehr lange
Zeit erhalten werden konnten. Auch jene Rolle, die ich am Vorabend des
Haidebrandes Eurer Tochter durchaus aufdringen wollte, befand sich mit bei
diesen Papieren. Ephraim drang heftig auf Vernichtung derselben. Ich versprach
auch dies dem Sterbenden, und war in der That entschlossen, mein Versprechen zu
halten, hätte ich nicht später, trotz alles Suchens, die geheimnißvolle Rolle
vermißt. Ich mußte sie verloren haben, in irgend einem der weitläufigen
Wirthschaftsgebäude des Zeiselhofes, was das spätere Auffinden derselben von
Dir, Heinrich, erklärlich macht. Die Hand des Allmächtigen, die sie auf diese
Weise dem Untergange entzog, ist auch in
Hier ließ Leberecht in seinen Mittheilungen eine Pause eintreten. Fragend glitten seine betrübten Augen über die kaum athmenden Zuhörer.
»Endige,« sagte der Maulwurffänger.
»Ich bin zu Ende,« erwiederte Leberecht. »Der Voigt starb noch in derselben Stunde, und ich habe mein ihm gegebenes Versprechen gehalten bis auf den heutigen Tag. Ohne Dein dringendes Zureden, Heinrich, würde es mit mir ins Grab gestiegen sein.«
Sloboda starrte, in tiefe Gedanken versunken, vor sich hin. Paul und Eduard wagten nicht zu sprechen, da das vielverflochtene Gewirr längst begangener Verbrechen sie mit magischer Gewalt umstrickte.
Von Heinrich sanft angestoßen, ermunterte sich der Wende.
»Hast Du vernommen, Jan?« rief er dem Greise zu. »Und siehst Du jetzt ein, daß
ich genügenden Grund hatte, Dich aus der Vergessenheit der polnischen Wildnisse
zurückzurufen? Nicht umsonst hat uns Gott so lange das Leben gefristet.
»Armer unglücklicher Nathanael!« rief Sloboda, ein paar Thränen in seinen hellblauen Augen zerdrückend. »Der Himmel meinte es gut mit Dir, als er ewige Finsterniß in Deine Seele goß. Ruhe in Frieden und träume den Traum des Gerechten!«
»Freund Leberecht,« nahm jetzt der Maulwurffänger das Wort, »ich und diese guten braven Leute sind Dir absonderlich zu Dank verpflichtet für die gegebenen Ausschlüsse, zufriedengestellt bin ich aber noch immer nicht. Du wirst also aus purer Freundschaft noch einige Punkte erläutern und uns jetzt zuvörderst den Namen sagen, welchen der verstoßene Sohn des wüsten Grafen führt und wo er sich aufhält.«
»Ich weiß in der That nicht, ob ich dazu befugt bin,« erwiederte Leberecht.
»Für alle Folgen stehe ich ein.«
»Und wenn der in tiefster Niedrigkeit Erzogene seinen Ursprung erfährt, wird er nicht schäumen vor gerechter Wuth und nach Rache schreien?«
»Du kennst ihn schon.«
»Ich?«
»Du selbst. Seit Jahren sprachst Du bisweilen unbewußt mit ihm. Es ist der Feinspinner Martell in Adrians Fabrik auf Boberstein.«
»Martell, mein Gevatter?« fiel Eduard ein. »Martell, der unlängst vor Schmerz über die Verstümmelung seines jüngsten Sohnes beinahe den Verstand verloren hat und seitdem in stillem Ingrimm sich verzehrt? Martell, der mir das Garn liefert für meinen Webstuhl?«
»Derselbe Martell!«
»Wie ist das?« sagte Sloboda zerstreut. »Versteh' ich Euch recht, Leberecht? Der Sohn meiner erschlagenen Schwiegertochter ist ein Sprößling des Grafen Magnus und dient jetzt als Spinner in der Fabrik seines – seines Bruders?«
»Seines Bruders, des Grafen Adrian,« ergänzte kaltblütig der Maulwurffänger.
»Aber himmlischer Gott, das ist ja entsetzlich, unnatürlich!« rief Sloboda.
»Die Kinder, die armen, unschuldigen Kinder des verstoßenen Sohnes, jetzt die bettelnden, verachteten Sclaven des reichen herzlosen Oheims! – Wo soll das enden!«
»Vor den Schranken des Gerichts,« sprach der Maulwurffänger.
»Ihr seid erschüttert, alter Vater,« fiel Leberecht wieder ein. »Das stand zu erwarten. Nach Allem, was vorausgegangen, wünschte es wohl gar unser gemeinsamer Freund. Beruhigt Euch indeß wieder, damit wir, einmal auf so guter Fährte, jetzt auch rasch dem Feinde zu Leibe gehen und ihn sieghaft angreifen können. Ich bin der Eure mit Leib und Seele, denn ich hasse den selbstsüchtigen Grafen vom Grund des Herzens, weil er vielleicht mit mehr Bewußtsein und süßerem Behagen noch als sein Vater uns arme Feigelassenen wieder zu elenden Sclaven macht, die blindlings, willenlos seinem Wink gehorchen müssen, wenn sie nicht in namenloses Elend versinken sollen!«
Heinrich reichte dem neuen Bundesgenossen die Hand und schüttelte sie.
Schweigend reichten die Freunde einander die Hände und legten dadurch das Gelöbniß ab, sich in Verfolgung ihrer Zwecke mit Rath und That ohne Wanken beizustehen.
Zu ungewöhnlich später Stunde verließ Leberecht mit seinem Sohne den Kretscham und ging durch das längst in tiefem Schlaf versunkene Dorf nach seinem kleinen, verschuldeten Häuschen zurück.
Am dritten Tage nach dieser Unterredung erreichten spät Abends Paul und Eduard ein kleines Haidedorf, das kaum eine Stunde von der ehemaligen Burg Boberstein entfernt war. Sie beschlossen die Nacht hier zuzubringen und am nächsten Morgen sehr früh nach dem Dorf am See aufzubrechen. Damit ihr Kommen möglichst absichtslos erscheinen möge, hatte Eduard seinen Garnsack mitgenommen, um ihn von Neuem zu füllen.
Der Morgen war hell und kalt. Starker Reif lag weißglänzend auf Feld und Wald.
Die langsam rieselnden Bäche setzten Eis an und über der rauschenden Haide
lagerte in weiter Ausdehnung eine breite und hohe Schicht blaugrauen
Umschlossen von neuem Baumwuchs und von kleinen mit Dornen eingehegten Feldern, auf denen jetzt das Kartoffelkraut braun, welk und vom Nachtfrost erstarrt sich zur bereiften Erde herabbeugte, lag das zu Boberstein gehörige Dorf. Hier wohnten blos Fabrikarbeiter mit ihren meist zahlreichen Familien. Der Ort war gassenartig gebaut und schmiegte sich halbkreisförmig um die Ufer des Sees. Alle Häuser in dem Dorfe waren klein, niedrig und von armseligem Aussehen. Ordnung und Reinlichkeit vermißte man vor den Thüren und auf den Gassen. Die Zäune, welche jedes Haus umzirkte, waren schlecht gehalten, selbst die wenigen kleinen Gärtchen, die sich hin und wieder zeigten, ließen die pflanzende Hand eines Gärtners schmerzlich vermissen.
In diesem Wohnort der Fabrikarbeiter, der das traurige Bild einer völlig
verarmten Gemeinde, einer Bevölkerung, wenn nicht von Bettlern,
Auf der Fabrik läutete eben die Glocke zum Arbeitswechsel und die beiden
Wanderer erblickten durch den über dem See schwimmenden Nebel die Fähren und
Kähne, welche die ab- und antretenden Arbeiter herüber und hinüber beförderten.
Fast zugleich mit ihnen landeten die abgelösten
Eduard, schon bekannt mit dem Leben und Treiben, achtete wenig darauf, Paul dagegen war ganz Auge und verschlang See, Fabrik und sonstige Umgebung mit gierigen Blicken. Er sprach kein Wort, allein das tiefe Athemholen und das hastige Umsichblicken verrieth seine heftige Aufregung. Der Geist seiner verstorbenen Mutter, die hier so viel gelitten hatte, umschwebte ihn.
»Dort ist unser Quartier für heute,« sagte Eduard, mit seinem Wanderstecken auf ein niedriges Häuschen zeigend, das gleich den übrigen mit Stroh gedeckt und von einem schadhaften Zaune eingehegt war. »Dort wohnt der arme Martell mit seiner Familie.«
»Martell, der rechtmäßige Mitbesitzer dieser Wälder mit ihren zahlreichen Dörfern und Höfen, in solche Hütte verbannt!« versetzte Paul. »Das ist mehr als hart, das ist grausam, das ist teuflisch!«
»Bedenke, daß wir die ersten Schritte thun, um diese Härte eines ungerechten Verhängnisses in Milde zu verwandeln.«
Eduard legte seine Hand auf die hölzerne
Da es nicht Sitte ist unter armen Leuten, vor dem Eintritt ins Zimmer anzuklopfen, so stieß Eduard unangemeldet die Thür auf und trat mit seinem Begleiter ein.
»Guten Morgen Alle mit einander!« sprach er, die versammelte Familie des Spinners grüßend. »Ein frischer Morgen heut; ich besorge, es wird bald einwintern. Doch Alles gesund und frisch auf, Martell? Gesundheit ist das halbe Leben für arme Leute.«
Eine einzige mürrische Stimme antwortete auf diese Begrüßung und hieß die frühen Gäste willkommen. Diese Stimme gehörte dem Familienvater an, der eben von der nächtlichen Arbeit aus der Fabrik zurückgekehrt war und mit den Seinigen das Frühstück verzehrte.
Die Familie bestand aus sechs Köpfen, aus Mann und Frau, drei Kindern und einem
alten Großvater, der beim Schwiegersohn wohnte, sich
Das Frühstück dieser armen Spinnerfamilie bestand wie das aller ihrer Mitbrüder
aus Kartoffeln mit der Schale, die trocken, mit wenig Salz gegessen oder in
Cichorienkaffee gebrockt wurden. Diese Kost wiederholte sich früh, Mittags und
Abends alle Tage im Jahre, mit Ausschluß der hohen Festtage, wo an die Stelle
der Kartoffeln wenigstens Waizenklöse und in sehr glücklichem Falle ein
Stückchen Schweinefleisch
Martell, ein breitschultriger, starker Mann über Mittelgröße mit schwarzem
lockigem Haar, das ihm in malerischer Wildheit um die hohe bleiche Stirn hing,
lud die frühen Ankömmlinge gastfreundlich ein, das karge Mahl mit ihm und den
Seinigen zu theilen, was jedoch Eduard und Paul ausschlugen, da sie bereits vor
ihrem Aufbruche gefrühstückt hatten. Wer den Grafen Magnus genau gekannt hatte,
mußte unwillkürlich beim Anblick des armen Spinners an ihn denken. Martell war
durchaus sein Ebenbild, aber ein Ebenbild, vor dem man erschrecken konnte, denn
in dem von Kummer, Sorge, Elend und Hunger abgemagerten Gesicht lag ein Stolz
der Verachtung, der mit Entsetzen erfüllte; dies dunkle brennende Auge, von der
nächtlichen Arbeit entzündet, sprühte Haß, Haß Allen denen, die im Glück
geboren, achtlos dem Darbenden
Martell hatte Ursache mit Gott und Menschen zu grollen. Werfen wir einen Blick auf seinen Haushalt, auf seine Lage.
Er war zweiundvierzig Jahr alt, seit achtzehn Jahren verheirathet und seit der Errichtung der Fabrik in Adrians Diensten. Das Häuschen, in dem er mit den Seinigen lebte, hatte er kaufweise von seinem noch lebenden Schwiegervater mit allen darauf lastenden Schulden übernommen. Seine Frau webte, ihr alter Vater fristete sich durch Handgespinnst. Die Kinder, zwei Töchter und ein Sohn, arbeiteten gleich dem Vater in Adrians Fabrik.
Vor drei Wochen war dem zehnjährigen Sohne, Martells jüngstem Kinde, der linke
Fuß von der Maschine halb abgerissen worden. Das arme verstümmelte Kind litt
die entsetzlichsten Schmerzen. Die Wunde hatte sich, aus Mangel an nöthiger
Pflege und passender Kost sehr verschlimmert. Man fürchtete, daß der Brand
dazuschlagen und eine Ablösung des Beines nöthig machen werde. Auch litt der
verunglückte
Dies Alles bemerkte Martell sehr wohl, da er, obwohl ohne besondere Schulbildung, doch aufgeweckten Geistes und außerdem noch mit dem Scharfblick des Mißtrauens begabt war. Er schäumte vor Wuth, als er die sichtliche Vernächlässigung seines Kindes sah und sein Zorn ward um so anhaltender, weil er Nichts sagen durfte, weil er aus Liebe zu seinem Knaben schweigen mußte.
Gerade um diese Zeit hatte Adrian den Anfang gemacht, die Arbeitszeit zu verlängern und die ersten Lohnverkürzungen anzuordnen, obwohl schon Jahrelang das Verdienst eben nur zum mäßigen Auskommen hinreichte.
Lore, die Frau des Fabrikarbeiters war hektisch. Das ewige Sitzen hinter dem
Webstuhle, Kummer und schlechte Kost mochten ein Uebel
Als Muster in so beispielloser Ergebung und gläubigem Hoffen ging dem treuen
Weibe ihr Vater voran. Traugott war ein Siebziger, hatte nie die Fülle
irdischen Glücks kennen gelernt, hatte kaum Tage gehabt, in die ein hellerer
Sonnenstrahl des göttlichen Segens fiel, und war dennoch nie von zweifelnden
Gedanken heimgesucht
Traugott war noch zur Stunde ein solcher beneidenswerther Greis, der in seiner
Armuth lächeln, beten und Gott danken konnte, und der nie eine Secunde lang
über das glücklichere Loos Anderer nur den leisesten Reiz zum Neide empfunden
hatte. Was hätte er auch die Reichen, die Besitzenden beneiden sollen? Was er
beurfte, das hatte ihm im strengsten Sinne des Worts noch niemals gemangelt.
Eine Rinde Brot, ein paar aufspringende Kartoffeln, eine Tasse dünnen Kaffees,
mit so Wenigem war sein nicht leckerer Gaumen vollkommen zufrieden gestellt.
Und außerdem hatte ihm der gütige Gott ein Kleidungsstück am Tage, ein Lager
des Nachts bescheert. Dafür war er dankbar, wenn er bedachte,
Nachdem wir so die Silhouetten der drei Hauptpersonen in dieser Familie entworfen haben, kehren wir zu unserer Erzählung zurück. –
Auf Martells Gruß und Einladung zum Frühstück schob Eduard Garnsack und Stock unter die Bank, welche die Holzwand umgab, und setzte sich dem Freunde gegenüber. Paul nahm neben ihm Platz und ließ seine großen glänzenden in Form und Farbe Haideröschen so überaus ähnlichen Augen mit einer gewissen Aengstlichkeit durch das Zimmer laufen. Martell, von der nächtlichen Arbeit ermüdet und sichtlich aufgebracht, schlug sein Messer zu und legte die letzte, schon halb geschälte Kartoffel wieder in die Schüssel.
»Verzeih mir's Gott,« sagte er zu Lore, seiner Frau, »ist mir's doch, als hätte ich Kieselsteine und Schwefel verschluckt. Der Aerger bringt mich um. Wahrlich, lange halte ich solch Leben nicht mehr aus!«
Lore schwieg, nur ein langer Blick aus ihrem
»Ich habe von dem Unglücke gehört, das Dich betroffen hat,« sprach Eduard; »Du bist von Herzen zu beklagen, aber trag's mit Geduld, wie's einem Christen ziemt.«
»Würden wir armen Arbeiter nur erst wie Christen behandelt, an meiner Geduld sollt's nicht fehlen. So aber sind wir Hunde, die kurz geschlossen an ihrer Kette liegen, und die nicht 'mal heulen, viel weniger um sich beißen sollen, wenn ihnen verfaulte Knochen als Kost vorgesetzt werden! Ist das Gerechtigkeit? frag' ich.«
Martell hatte sich vor Eduard gestellt, und maß jetzt, die nervigen Arme über einandergeschlagen, um die ein zerfetztes, vom Oeldunst der Maschine beschmutztes, Hemd flatterte, bald diesen, bald Paul mit seinen flammenden Blicken.
»Ist der Bursche ein Verwandter?« setzte er gleichgiltig fragend hinzu, den Enkel Slobodas schärfer anblickend.
»Von uns? – Seit wann bin ich mit Dir Freundschaft?«
»Er besitzt nichts.«
»Ha, ha, ha, ha!« lachte Martell wild auf und schüttelte sich, daß seine lockigen Haare wie eine schwarze Mähne um die blassen eingefallenen Wangen flogen. »O, Du hast Recht! Die Freundschaft ist groß, groß wie die Welt, wäre sie nur auch so mächtig, so treu, wie Gold! Grüß Dich Gott, armer Junge!« Und Martell drückte seinem Verwandten die Hand, daß sie ihm schmerzte.
»Woran liegt es, daß die Armen so unmächtig sind?« entgegnete Eduard. »An uns selbst, an uns ganz allein!«
Martell sah ihn düster an, dann senkte er den Blick und schüttelte traurig das Haupt.
»Nein, o nein,« erwiederte er, »das liegt nicht an uns Armen. Wir vermögen
nichts, weil wir nichts haben. Das Geld ist das Mark des Lebens, der Hebel zur
That! Wo dieses fehlt, da gibt es nicht Kraft, nicht Ausdauer, nicht
Zusammenhalten! – O ich weiß es, ich kenne diese entsetzliche Schwäche, an der
Millionen
»Dahin soll es nicht kommen. Wir wollen es verhindern! Ich und Paul, – so heißt unser junger Freund und Bruder, – haben schon viel darüber nachgedacht und willst Du uns hören, so theilen wir Dir gern unsere Ansichten mit. Dies ist eigentlich der Zweck unseres heutigen Kommens.«
»Ihr thut ja äußerst geheimnißvoll? Hat Euer Herr 'was Ungebührliches gethan?«
»Bedarf es dessen, um das Unrecht einzusehen?«
Martell zuckte die Achseln. »Hm,« sagte er, »manchmal hilft es einem doch schneller die Augen öffnen. Ich habe das erfahren bei unserm duftenden Tyrannen da drüben und bin ebenfalls erbötig, Euch Mittheilungen zu machen, über die Ihr erstaunen sollt.«
»Um so besser, so berühren sich vielleicht unsere Pläne,« sagte Paul, der erst
jetzt, als
Lore hatte inzwischen den Tisch abgeräumt, dem Kranken hinter dem Ofen einige sanfte Trostesworte zugeflüstert und sich wieder an den Webstuhl gesetzt. Auch Traugott, der die Unzufriedenheit seines Schwiegersohnes weder theilte noch billigte, begann sein Spinnrad emsig zu drehen und mischte sich nicht in das Gespräch.
Martell ergriff einen Schemel, setzte sich so darauf, daß er seine Arme auf die Lehne übereinanderschlagen und das Kinn darauf stützen konnte, und knüpfte die Unterhaltung wieder an.
»Da hat vor drei Wochen die verfluchte Maschine meinem Hans beim Auflesen der
Wollflocken den linken Fuß abgequetscht, ich sage Euch, so glatt abgequetscht,
als hätte einer Lineal und Winkelmaß darauf gelegt! Der Fuß ist fort, mein
armer Junge ein Krüppel! Nun das kann vorkommen, das ist ein Unglück, wie es
jede Beschäftigung mit sich bringt! Der Junge hätte nicht Wollleser unter der
Maschine werden sollen, wollte er gesunde Glieder behalten! – Nicht wahr, ich
räsonnire ziemlich vernünftig und nehme durchaus keine Partei? – Ungefähr
dasselbe
»Billig!« fuhr er mich an. »Was nennt Ihr billig? Wenn ich mich ruinire eines verkrüppelten Kindes wegen? Gott hättet Ihr bitten sollen, er möge den Fresser je eher, je lieber sterben lassen, so hättet Ihr seinetwegen keine Sorge mehr! Die Maschine verbessert zuweilen, was die Menschen schlecht machen in ihrem Unverstande! Es war ein Wink vom Himmel, warum achtetet Ihr nicht darauf? Und genug, ungethane Arbeit kann ich nicht bezahlen.«
»Das hat Herr am Stein gesagt und er lebt noch?« sprach Eduard, während Paul vor Entsetzen die Hände faltete.
»O, er lebt vortrefflich, der kluge Herr!«
»Weil Ihr Euer Unrecht einseht,« versetzte der Gnädige, »will ich einmal gegen meine Grundsätze handeln. Ihr mögt bleiben, doch nur unter der Bedingung, daß Ihr Euch mit Hätscheln des kleinen Bengels, der aus Unvorsichtigkeit in die Kämme gefallen ist, nicht die Zeit versäumt! Verstanden, Martell?«
»Verstanden, gnädiger Herr.«
»Dann geht an Eure Arbeit. Acht Tage lang will ich die Kurkosten für den
einfältigen Jungen hezahlen. Ich werde dem Chirurgen einschärfen, daß er sich
dazu halten soll, damit
»Die Fabrik hat ihren eignen Chirurgen,« erzählte Martell weiter, »da Verwundungen, Bein- und Armbrüche häufig vorkommen. Wir zählen deren in manchem Jahre an funfzig. – Ob nun der Chirurg Befehle vom Herrn erhalten und dieselben befolgt hat oder nicht, ist mir zur Stunde noch unklar; daß aber mein armer Hans nach Ablauf der verstatteten acht Tage eine zugeheilte Wunde besaß, die wenige Tage später sich heftig entzündete und wieder aufbrach und seitdem den ganzen kleinen Körper in Fieberhitze versetzt hat, das weiß ich. Jetzt besucht der Chirurg mein Kind kaum zweimal in der Woche, pflastert und bindet an dem jammernden Krüppel herum, als wolle er ihm die Seele einwickeln, und schweigt auf alle meine bekümmerten Fragen. Für die Gänge muß ich ihn bezahlen und habe doch nicht satt zu leben.«
»Du hättest in früheren Jahren den Verdienst mehr zusammenhalten sollen, mein
Sohn,« warf hier Traugott warnend ein. »Da warst
»Zusammenhalten!« rief Martell unwirsch. »Ich bitt' Euch, Vater, werft mir die paar Groschen nicht vor, die ich an Sonn- und Festtagen auf einem Spaziergange für mich, mein Weib und Euch ausgab! Es waren, weiß Gott, die einzigen vergnügten Stunden, deren ich mich erinnern kann! Kein halbes Jahr Schulgeld könnte ich davon bezahlen.«
»Freilich, freilich!« entgegnete wieder begütigend der greise Spinner. »Aber die Zeiten sind schwer, Martell, und wir sollen uns doch einmal in die Zeit schicken. Das verlangt ja ausdrücklich die heilige Schrift!«
»Es ist eine Lüge, sag' ich,« fuhr Martell auf. »Die Zeiten sind nicht schwer, man macht sie mit Absicht schwer, um recht viel zu gewinnen. Das ist's, was mich empört und was mich rasend, ja zum wüthenden Thiere machen könnte, sähe ich nur Rettung in Wuth und Tobsucht. Habt Ihr denn schon vergessen, Vater, was vor zehn Tagen geschehen ist?«
»Was geschah da?« fragte Paul neugierig.
»Eine Spitzbüberei ohne Gleichen,« versetzte Martell. »Auf Grund absichtlich
ausgestreuter Gerüchte von schlechtem Absatz baumwollener Waaren, wozu
vorgeblich die englische Concurenz und die beliebteren englischen Fabrikate
beigetragen haben sollten, setzt Herr am Stein den Arbeitslohn in allen
Branchen herab. Wir hatten schon vorher nicht satt zu essen, jetzt ist vollends
gar nicht mehr daran zu denken. Darauf aber speculirt der reiche Mann. Er weiß
genau, daß er uns, die wir ihm alle verschuldet sind, mit Haut und Haar
besitzt, daß uns entlassen, uns und unsere Kinder für immer ruiniren heißt.
Kein Stecken blieb uns übrig, nackt und bloß müßten wir in die Wälder laufen,
und von Wurzeln und Baumsamen leben! – So sind wir denn gezwungen zu arbeiten,
sind gezwungen, die Geißel zu küssen, die uns wund schlägt, und unter den
qualvollsten Seelenschmerzen dankbar zu lächeln. Herr am Stein wird aber
inzwischen ein Millionär, denn der Ueberschuß an Geld, den ihm der verminderte
Lohn abwirft, mehrt sich zu einem bedeutenden Kapital, das er
Paul erinnerte sich von dem Maulwurffänger ähnliche Aeußerungen nach seiner Rückkehr von Boberstein gehört zu haben und erhielt durch die Auseinandersetzung des eingeweihten Fabrikarbeiters tiefere Einsicht in die geheimnißvolle, sicher angelegte und so furchtbare Intrigue der Reichen gegen die Armen, die für sie arbeiten. Sein unverdorbenes, kindlich reines Herz empörte sich und zum ersten Male in seinem Leben sagte er mit aufflammendem Feuerblick:
»Ihr müßt Euch wehren, wehren wie hungrige Wölfe!«
»Das Gefäß ist gefüllt bis an den Rand,« sagte Eduard, »wenige Tropfen werden es überfließen machen und dann wird kein noch so künstlich angelegter Damm eine Ueberschwemmung zerstörendster Art verhindern können!«
»Mein Kopf glüht, mein Gehirn siedet und das Herz steht mir still, wenn ich an
die Zukunft denke,« fuhr Martell fort. »Wohin ich blicke, nichts als Mangel,
nichts als Vermehrung der Armuth! – Arbeiten, Darben, Hungern, nichts will
diesen fürchterlichen Zustand
»Damit dies nicht erfolge, müssen wir uns berathen, vereinigen und in Einem Sinne handeln,« sagte Eduard.
»Es handelt sich gut in Einem Sinne, wenn es an allen Sinnen gebricht!«
erwiederte Martell verächtlich. »Man hat nicht Muth, wenn man keine Zeit hat,
keinen Erfolg voraus sieht. Durch den Druck sind wir so klein und kleinlich
geworden, daß uns der Gedanke an jegliches Große, Gemeinsame gar nicht mehr
beschleicht! – Und wie ist es anders möglich! Um die Krume Brod verlegen, die
ich heut Abend mit meinen Kindern theilen soll, matt, gebrochen von der Arbeit,
die meine Kräfte verzehrt, wo soll mir die Lust herkommen, das allgemeine Leid
zu überschauen und auf Mittel zu denken, diesem abzuhelfen? – Ich muß ja auf
dem Nächsten, Kleinlichsten haften bleiben, auf dem elenden Kummer, der mich
zur Stunde über wältigen will, weil dieser im Augenblick der quälendste ist,
derjenige, um welchen sich meine fluchwürdige Existenz dreht. Dieser Augenblick
»Vergib ihm Vater, denn er lästert!« betete mit leisem Lispeln der spinnende Traugott.
»Vergib Ihnen nicht, denn sie wissen, was sie thun!« rief in furchtbarer Aufregung Martell, indem er beide nackte Arme gen Himmel streckte. »Wer ihnen vergibt, der lästert Gott, der schändet den heiligen Geist in des Menschen Brust!«
»Und ich sage Dir, Martell,« fiel Eduard ein, »es soll ihnen auch nicht
vergeben werden! Ein Rächer, ein Retter wird aufstehen unter Euch und gegen die
Unbarmherzigen furchtbares Zeugniß ablegen! – Wundere Dich immerhin, dennoch
ist es so und es wird geschehen, was ich sage! Noch triumphiren die
Unmenschlichen ihr Triumph wird ihr Grabgeläut sein; denn was sie besitzen,
gehört ihnen nicht allein. Es ist unrechtmäßig zugeeignetes Gut, das man
öffentlich von ihnen zurückfordern wird. Diese Herren am Stein haben Verwandte,
haben Brüder, die lange verschollen waren, und die
Diese Eröffnung machte einen so gewaltigen Eindruck auf Martell, daß er mehrere Minuten die Sprache nicht wieder finden konnte. Selbst Lore, die fleißige Weberin, vergaß das Schifflein durch die Werfte zu schnellen und Traugott hielt sein Spinnrad an. Eine ganz neue, eine unerhörte Welt drängte sich in den eng begrenzten Horizont ihres Lebens.
»Die Herren am Stein hätten Verwandte, um die sie sich nicht kümmern sollten?« sagte Traugott. »Das wird vermuthlich ein Irrthum sein, weil der Brüder Boberstein drei am Leben und in der Welt zerstreut sind. Sie haben ja genug, um die Ihrigen anständig zu verköstigen.«
»Ihr Herr Vater, der verstorbene Graf Magnus war kein Joseph,« erwiederte
Eduard. »Mein Vater weiß davon zu erzählen und gewiß
»Wenn es wahr wäre,« sagte Martell nachdenkend, »so ließe sich darauf eine leichte Hoffnung bauen. Ein Prozeß, – große Geldverluste – Uneinigkeit unter den Brüdern, – ja, das wäre ein Ausweg zur Rettung. Aber ich kann trotz Deiner Versicherung noch nicht daran glauben. Und dein Gefährte sieht auch nicht in das Grafengeschlecht mit seinen blauen Marien-Augen.«
»Der Morgen ist schön, die Luft rein,« sagte Eduard, »ein Gang in den duftenden Wald kann Dir nur gesund sein. Er wird Deinen Kopf frei machen, Deine gelähmte Kraft stählen! Begleite uns! Unterwegs theile ich Dir das Nähere mit, das vorerst nur noch für Dich allein bestimmt ist.«
Diese mit leiser Stimme gesprochenen Worte hatten die beabsichtigte Wirkung. Martell zog schnell seine zerrissene Kattunjacke an, drückte eine fettige Tuchmütze schief auf sein üppiges schwarzes Haar und erklärte sich bereit die jungen Freunde sogleich zu begleiten.
»Im Fall wir Dich überzeugen.«
»Lore, hab' ein Auge auf den armen Hans und Ihr, Vater, verzeiht, wenn ich nicht immer Eurer Meinung sein kann! Ich will das Gute wie Ihr, Ihr wißt es, aber unsere Wege gehen auseinander.«
Traugott murmelte ein Gebet und drehte eifriger denn je sein Rad, aber ein mild versöhnender Blick seines Auges sagte dem ungestümen Martell, daß ihm der Greis längst seine heftigen Worte vergeben habe.
Arm in Arm durch das junge Holz wandelnd, erzählten Eduard und Paul abwechselnd dem Fabrikarbeiter, was wir in dem Vorhergehenden unsern Lesern bereits mitgetheilt haben nur, daß er selbst jener verschollene illegitime Sohn des Grafen Magnus sein solle, verschwiegen sie ihm noch. Das Geheimniß mußte ihm Geheimniß bleiben bis zu dem günstigsten Augenblick.
Martell faßte schnell den angedeuteten Plan und war mit Herz und Seele dabei.
Er hoffte, er sah treue Verbündete und Beides entflammte
»Wenn es nur nicht lange währt! Wenn wir nur rasch zu Ende kommen könnten!« rief er wiederholt mit aufgeblähten Nüstern aus.
»Wir dürfen es hoffen, Martell, wenn Du von heute an vorsichtig unsere wichtigen Neuigkeiten unter allen Arbeitern ausstreust,« versetzte Eduard. »Es muß dies schnell geschehen, damit ein jäher Geist der Unruhe, der freudigen Erwartung sie ergreift. Dann haben sie Muth den Herrn zu bestürmen. Von zwei Seiten in die Enge getrieben, wird er nachgeben und Eure Lage verbessern. Inzwischen beginnt der Prozeß, dessen Ausgang nicht zweifelhaft sein kann. Die Kläger müssen gewinnen!«
Martell erklärte sich zu Allem bereit. Mit erheiterter Stirn, fast lustig und seit Monaten wieder einmal scherzend, führte er die Verbündeten nach ein paar Stunden wieder in seine Hütte wo sie bis zum folgenden Tage ungeachtet ihres Sträubens bleiben mußten.
Früher noch als unsere jungen Freunde das Ziel ihrer Wanderung erreichten, erschien Leberecht, Sloboda und der Maulwurffänger auf dem Zeiselhofe. Diese alte Besitzung der Familie Boberstein war jetzt verpachtet, sollte aber im nächsten Jahre einen andern Bewirthschafter erhalten, da der gegenwärtige Pachter zurücktreten wollte. Die Familie hatte es öffentlich bekannt machen lassen und einsichtsvolle Oeconomen zur Besichtigung des Grundstücks aufgefordert. Dadurch war Jedermann Gelegenheit zu leichtem Zutritt gegeben, und der listige Maulwurffänger, der jeden Zufall zu seinem Gunsten zu nutzen verstand, hatte seinen Plan darauf gebaut.
Unter den drei hochbejahrten Männern war
In welcher Lage sich Leberecht befand, haben wir zu Anfang dieses Buches
angedeutet. Diese Lage war niederdrückend und mußte einen Mann von Leberechts
Fleiß und Redlichkeit mit Unwillen erfüllen. Als Leibeigener geboren, an Druck
und Gehorsam gewöhnt und später durch unerwartetes Zusammentreffen günstiger
Ereignisse unabhängig und frei geworden, hatte er in der Freiheit ein Glück
höherer Art zu finden gedacht. Daß er sich schwer getäuscht, dies lähmte
»Was versteht Ihr denn eigentlich unter Volksfreiheit und Volksselbstständigkeit,« sagte er, »worin Ihr ein Universalheilmittel aller nur denkbaren Uebelstände erblickt? Ich begreife Euch nicht und muß mich deshalb gegen Euch erklären. Gott bewahre mich, daß ich das veraltete Schlechte, das Unnatürliche und Entehrende vertheidigen oder gar zurückwünschen sollte! Nur loben, billigen, preisen kann ich das Neue nicht, das menschenfreundliche Gesinnung als unreife Frucht an dessen Stelle gesetzt hat. Geht doch herum unter dem Volke, fragt den Weber, den Kleinbauer, den Tagelöhner, ob er zufrieden sei? und Alle werden mit trauriger Miene ein wehklagendes Nein antworten.«
»Weil sie den Augenblick nicht benutzen und Alles nach dem alten Schlendrian forttreiben,« unterbrach ihn der Maulwurffänger.
»Das ist die gewöhnliche Redensart Aller,
»Was nennst Du Kette?« fragte der Maulwurffänger.
»Die Lasten, die man nicht von uns genommen hat,« entgegnete Leberecht. – »Ihr
wißt, ich habe ein kleines Häuschen mit nur wenigem Ackerland. Es ernährt mich
nicht in guten Jahren, es stürzt mich immer tiefer in Schulden, tritt Mißwachs
ein. Ich würde es verkaufen, wäre es nicht schon über den eigentlichen Werth
verschuldet. Um also nicht zum Bettler zu werden,
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Alter,« sagte Sloboda. »Das sind die Leiden des freien Bauers ohne Vermögen! Sie schmerzen oft mehr als die Ruthe des Herrn! Es ist traurig, sehr traurig!«
»Wenn das keine Ausnahmen sind, dann wehe uns! Wehe unsern geordneten Saaten! Wehe der Zukunft unseres Volkes!« sagte der Maulwurffänger.
»Du sprichst es aus. Wehe der Zukunft unseres Volkes, wenn gleichsam auf
gesetzmäßigem Wege die Verarmung mit Riesenschritten um sich greifen darf! Weil
es so ist – und es ist leider fast überall so – darum vermaledeie ich die uns
gewordene Freiheit, die uns zur verabscheuungswürdigsten
»Um so entsetzlicher, als Niemand ihm steuern kann!« bemerkte Sloboda.
»Dann stehen wir am Vorabende des Weltunterganges,« fiel der Maulwurffänger ein. »Doch noch haben wir keinen Anlaß zu solcher Verzweiflung, die sich selbst und die Zukunft aufgibt. Noch sind Auswege vorhanden, auf denen das fortwuchernde Elend des Volkes verjagt werden kann. Der Staat muß sich des Volkes annehmen, muß ihm, dem darbenden, die Lasten abnehmen und sie auf die Schultern der Verzehrenden, der Reichen legen.«
»Träume, schöne, bunte ergetzliche Träume!« sagte Leberecht wehmüthig lächelnd. »Ich glaube an keine Träume!«
Zweifelnd schüttelte Leberecht den Kopf, ohne das Gespräch weiter zu führen. Die nahen Gebäude des Zeiselhofes, die über die kahlen Felder emporstiegen, gaben seinen Gedanken eine andere Richtung. Sie bogen in einen flachen Hohlweg ein und sahen sich nach wenig Minuten dem offenstehenden Thorwege des Edelhofes gegenüber.
»Dort drüben,« sagte der Maulwurffänger, indem er mit der Hand nach dem
Herrenhause deutete, »dort drüben begann vor mehr als vierzig Jahren das große
Unglück, dessen Folgen uns
»Amen! Amen!« versetzten Leberecht und Sloboda, indem sie ihre Hüte abnahmen und die Hände bittend falteten. –
Eine genaue Besichtigung des Zeifelhofes war leicht zu erlangen, da, wie bemerkt, ein neuer Pachter gesucht ward. Um nicht aufzufallen und Verdacht zu erwecken, gingen die drei Freunde alle Gebäude der Reihe nach durch, indem sie bei dem herumführenden Verwalter sich genau nach dem Ertrage des Rittergutes mit Sachkenntniß erkundigten. Das Herrenhaus betraten sie zuletzt. Es war nicht mehr in gutem Stand erhalten, denn seit der Catastrophe, welche Magnus auf längere Zeit ins Ausland trieb, hatte es keinen bleibenden Bewohner gehabt. Die späteren Pachter nahmen blos zeitweise davon Besitz, gefielen sich aber in der Verwalterwohnung besser, da sie ihren Neigungen und Bedürfnissen mehr entsprach.
Als sie die breite, ehemals mit kostbaren
»An der dritten Thür rechts lenke die Aufmerksamkeit unseres Begleiters ab und richte es so ein, daß ich ein paar Minuten allein im Zimmer bleiben kann.«
Mit schnellem Augenwink gab Heinrich seine Zustimmung zu erkennen.
»Hier sieht's nicht mehr sehr gräflich aus,« bemerkte Sloboda. »Zeit, Holzwurm und Motte haben arg gewirthschaftet. Man müßte alle Gemächer durchaus neu meubliren und herrichten lassen, wollte man sie mit Vergnügen bewohnen.«
»Es fehlte seither eben ein Herr,« sagte achselzuckend der Begleiter.
»Ah,« unterbrach ihn der Maulwurffänger, »da sind wir ja im Balconzimmer! Wir
doch die alten Zeiten wieder lebendig werden! Wie oft bin ich in diesem Garten
gelustwandelt! Wie viele tausend Maulwürfe habe ich auf jenen Feldern gefangen!
Laßt mich doch nach so langen Jahren wieder einmal einen Blick auf all' die
verwilderten Herrlichkeiten thun! Denn dem
»Von Herzen gern,« versetzte der sie herumführende Begleiter. »Beliebt es auf den Balcon zu treten? Die Herren folgen uns wohl nach?«
Heinrich nahm den Arm des Begleiters, zog ihn mit sich und verstrickte ihn in ein lebhäftes Gespräch. Leberecht und Sloboda blieben allein im Zimmer zurück. Es war dasselbe, in welchem Haideröschen den ersten Ueberfall ihres Gebieters so kräftig abwehrte. Noch war es ganz so meublirt, wie damals. Dieselben Tapeten, jetzt nur geschwärzt und mit Spinnengeweben überzogen, bedeckten noch immer die Wände.
»Hier ist es,« sagte Leberecht, indem er gegen einen verborgenen Knopf in der
Tapete heftig drückte. Die Wand wich kreischend zurück und öffnete den Eingang
zum anstoßenden Zimmer. Ein kaum handbreiter Raum, mit Getäfel verkleidet,
schied beide Zimmer von einander. Dies Getäfel öffnete ein Druck nach innen,
worauf mehrere Fächer sichtbar wurden, die offenbar
»Das sind die Documente?«
»Sie sind es.«
»Gott gebe, wohlerhalten!«
»Ja, das gebe Gott!«
Leberecht schob das Packet in die Brusttasche seines weiten Rockes, ließ das Getäfel wieder in seinen Falz, die verborgene Tapetenthür in ihre Fugen gleiten und folgte dem Maulwurffänger auf den Balcon. Dieser hielt den Begleiter noch fest mit Fragen, welche Adrian und seine Brüder betrafen, um dem Freunde möglichst viel Zeit zu ungestörtem Suchen zu verschaffen.
»Nun seid Ihr fertig mit Eurer Musterung?« sagte er jetzt kurz abbrechend.
»Dann könnten wir allenfalls unsern Auftrag für erledigt betrachten; denn was
mich betrifft, so erspare ich mir ein nochmaliges Beschauen dieser
Als er in den Blicken Leberechts gelesen hatte, daß er glücklich gewesen sei, übermannte den so gemessenen alten Mann eine unglaubliche Unruhe. Er mußte gewaltsam an sich halten, um den Begleiter nicht zu enttäuschen über den wahren Zweck ihres Besuches. Indeß wußte er doch ihren Aufenthalt möglichst abzukürzen. Noch vor Abend verließen die Greise den Zeiselhof und schlugen den Weg nach Königshain ein.
»Was soll jetzt geschehen?« fragte Sloboda, als er die belebten, von freudiger Erwartung strahlenden Züge seines alten Freundes gewahrte: »Gehen wir zu den Freunden in Deine Heimath?«
»Vor Gericht! Vor Gericht!« rief der Maulwurffänger. »Jetzt sind wir die Herren und sie die Knechte!«
Am nächsten Tage früh gegen eilf Uhr sahen mehre Bewohner der Stadt Görlitz
drei Männer in weißen Haaren die gewundene Steintreppe am stattlichen Rathhause
hinaufsteigen. Man wunderte sich über diese Alten in ihrer wunderlichen,
nirgend mehr üblichen Tracht, und
Wind und Regen peitschten die Fenster. Ein Posthorn schallte durch die kalte
stürmische Octobernacht und rasselnd fuhr die schlecht verwahrte Kalesche über
das holprige, stoßende Pflaster Leipzigs. Die Extrapost hielt vor dem Hotel de
Pologne. Diensteifrig stürzte der Oberkellner an den Wagenschlag, um ihn zu
öffnen, wäre aber beinahe von einem behend herausspringenden Manne kräftiger
Statur umgerannt worden, dem ein zweiter, jüngerer wo möglich noch ungestümer
folgte. Die Fremden begehrten zwei Zimmer, befahlen das Gepäck ihnen
nachzubringen und dem Postillon ein tüchtiges Trinkgeld zu geben. Dann
schritten sie Arm in Arm dem vorleuchtenden Kellner nach, zwei Treppen hinauf
»Wie erfahren wir nun die Wohnung unserer Sibylle?« sagte Aurel zu seinem jungen Begleiter. »Auf gut Glück und so geradezu Wirth oder Kellner nach einer Kartenschlängerin fragen kann man doch nicht, ohne sich lächerlich zu machen oder für einen Narren gehalten zu werden.«
»Ueberlassen Sie das mir, Herr Kapitän,« erwiederte Gilbert. »Ein bis zwei Tage müssen wir uns doch hier verweilen. Das ist Zeit genug, um die Geheimnisse dieser Universitäts- und Handelsstadt auszukundschaften.«
»Ich werde mich langweilen zum Sterben, guter Junge. Ich kenne Leipzig und weiß, was es dem Fremden für interessante Seiten zu bieten hat, wenn er nicht Handlungsreisender oder Weinbeflissener ist. Und nun gar dieses Wetter! Man kann keinen Fuß aus dem Hause setzen.«
»Es ist ja die Saison, Herr Kapitän! Da
»Gilbert!«
»Verzeihung, Kapitän! Man sagt so und mich dünkt eine Nachrede solcher Art bringt dem schönen Geschlecht der Stadt keine Schande. Mädchen ohne Liebesblicke, ich bitte Sie, Kapitän, wie soll es ein vernünftiger Mann mit solchen Geschöpfen aushalten? Uns schräg gegenüber im Erker wohnt ein neugieriges Lockenköpfchen – ich hab' es gleich bemerkt. Morgen früh bei Zeiten werd' ich der schönen Nachbarin mit Ihrer gütigen Erlaubniß auf Matrosenart meine Reverenz machen.«
Der Kellner erschien wieder und legte dem Kapitän das Fremdenbuch zur Einzeichnung seines Namens vor. Aurel machte die Förmlichkeit kurz ab und verlangte nochmals den Thee.
»Kapitän am Stein nebst Pflegesohn!« las der Kellner mit einiger Verwunderung. »Vermuthlich ein schiffbrüchiger Kapitän, der sich auf's Festland geflüchtet hat, um daselbst auszuruhen und bessere Zeiten abzuwarten.«
Am andern Morgen war das Wetter etwas erträglicher. Die Sonne schien ab und zu durch fliegende Wolken und gestattete wenigstens einige Spaziergänge. Aurel verbrachte den Tag ziemlich nach Gilberts Vorschlag und dieser knüpfte nicht blos mit seinem hübschen Gegenüber durch Gruß und Blick eine oberflächliche Bekanntschaft an, die zwar nicht geradezu erwiedert aber doch bemerkt und nicht unfreundlich aufgenommen wurde, sondern wußte auch so ge schickt zu manövriren, daß er bereits um die Mittagsstunde sich für wohlunterrichtet halten durfte. Aurel schloß von der Heiterkeit des Jünglings auf die guten Nachrichten desselben und eilte davon Kenntniß zu erlangen.
»Bist Du im Klaren?« fragte er nach Tische bei Kaffee und Cigarre.
»Wie das?«
»Weil sich drei ehemalige Grazien damit abgeben, dem Neugierigen aus Hand und Karte die Zukunft zu enthüllen.«
»Verdammt! Und wer steuert uns?«
»Ich habe schon einen Lootsen gefunden, der mir zuverlässig scheint. Es ist ein alter ve rschmitzter, kupfriger Lohnbedienter, eingeweiht in alle Heimlichkeiten und heimisch auf jedem verbotenen Wege. Dieser Mentor hat mir versprochen, uns gegen doppelte Bezahlung zu der jetzt berühmtesten und namentlich bei den Damen in größtem Ansehen stehenden Sibylle zu geleiten. Bei nur einigermaßen glücklichem Winde müssen wir in den rechten Port kommen, wenn der Musiker in der Mohrentaverne uns nichts aufgeheftet hat.«
Aurel lobte die Vorkehrung Gilberts und schrieb während des Nachmittags, um nur
die Zeit hinzubringen, mehrere Briefe. So kam der Abend heran, der minder
regnerisch zu werden versprach. Um sieben Uhr meldete Gilbert, daß der
Geleitsmann ihrer harre. Aurel schob sogleich Alles bei Seite, warf seinen
Mantel um
Dieser führte die Fremden zum Petersthore hinaus, über den Roßplatz nach der
Johanisvorstadt, dem Stadttheil, wo der ärmere Theil der Bevölkerung Leipzigs
wohnt. Durch schmuzzige finstere Gassen, von kleinen, schlecht gebauten Häusern
gebildet, schritten Aurel und Gilbert dem Führer nach bis an das äußerste Ende
der Stadt. Ein paar zweistockige Häuser schlossen hier die schmale Gasse, die
ungeachtet des scharf wehenden Windes von übelriechender Luft erfüllt war,
welche selbst bis in das Innerste der Häuser drang. In einem dieser Häuser war
eine Schenkwirthschaft. Man hörte es an dem Durcheinander der vielen laut
sprechenden Männerstimmen. Das zweite etwas sauberer aussehende Haus schien
unbewohnt zu sein. Die Thür war verschlossen, an keinem der kleinen Fenster
schimmerte Licht. Der Lohndiener wußte jedoch Bescheid. Er bat die Fremden
etwas zurückzutreten und sich ruhig zu verhalten. Dann hustete er leise und
schnalzte dreimal mit der Zunge, indem er zugleich an der Thür klinkte. Bald
darauf erschien hinter schneeweißen Vorhängen
»Ein gutes Zeichen,« flüsterte Gilbert dem Kapitän zu, als er das rosige Gesicht eines jungen Mädchens an dem Spalt der behutsam geöffneten Thür gewahrte. »Die Weiber haben uns bisher immer Glück gebracht, es wird uns auch heute nicht fehlen, mögen sie uns nun Gutes oder Böses prophezeihen! Ha, der alte Schelm unterhandelt mit der niedlichen Kleinen! Wär' ich doch an seiner Stelle! Ich wollte das plappernde Mündchen so geschickt küssen, wie Thysbe ihren Pyramus durch den Spalt in der Mauer!«
Aurel stand auf Kohlen, denn die Unterhandlung dauerte etwas lange und ward äußerst bedächtig und förmlich geführt.
»Es sind Fremde, zuverlässsge und vornehme Leute,« sagte der Lohnbediente. »Ein Kapitän aus Hamburg, wie ich im Fremdenbuch gelesen habe.«
»Und sein Begleiter?« fragte blinzelnd das Mädchen, mit gebogener Hand das
flackernde Licht gegen den Luftzug schützend. »Sie wissen,
»Die beiden Herrn sind so gut, wie nur eine Person – der Vater mit seinem Pflegesohn.«
»Wollen Beide ihre Zukunft wissen?«
»Was kümmert das Dich, kleiner Schabernack? Mach auf, die Herren haben Eile. Morgen bei Zeiten wollen Sie abreisen.«
»Sie werden schon warten, wenn ihnen an der Klugheit meiner Herrschaft so viel gelegen ist. Noch zwei Minuten Geduld!«
Rasch klirrte ein Kettchen hinter der Thür, das Mädchen verschwand, klapperte die Treppe hinauf und ging denselben Weg, den sie gekommen war, wieder zurück.
Aurel ward ungeduldig. »Ihre Prophetin scheint sehr launenhafter Natur zu sein,« sagte er zu dem Lohndiener. »Wenn die Verhandlungen in gleicher Weise fortgesetzt werden, kommt Mitternacht heran, ehe wir die Orakelsprüche der klugen Frau vernommen haben.«
Der Lohndiener zuckte die Achseln. »Wunderliche Leute wollen apart behandelt
sein,« versetzte er trocken. »Man muß sich ihrem Willen
Das Kettchen ward jetzt abgenommen und die Thür weit geöffnet. Aurel und Gilbert nebst dem Lohndiener traten ein, worauf das Mädchen die Thür wieder fest verschloß und verriegelte. Gilbert konnte sich nicht versagen, die hübsche Pförtnerin, deren Füßchen in plumpen Holzpantoffeln steckten, zu mustern. Sie war in der That frisch wie eine Pfirsiche, vollbusig und von starken Hüften. Dies reizte den kecken Matrosen und eh' es sich die niedliche Dienerin versah, hatte er sie umschlungen und ihr einen Kuß geraubt. Eben so schnell fühlte er aber auch ihr nichts weniger als sanftes Händchen auf seiner Backe.
»Dank, mein süßes Schäfchen!« lachte Gilbert der erröthenden Pförtnerin in die
muntern braunen Augen. »Mit dem Anfange wäre ich zufrieden. Treffen mich nicht
härtere Schläge in
Aurel gebot dem Schwätzer mit zornigem Blick Schweigen. Der Lohndiener, schon bekannt mit der Einrichtung in diesem Hause, war zur Seite in ein Nebenstübchen getreten, um die Rückkehr der Fremden abzuwarten. Das Mädchen ging schmollend vorauf, unterließ aber trotz dem nicht, verstohlene funkelnde Blicke auf den dreisten Burschen mit dem gebräunten Gesicht und den nachtschwarzen Augen zu werfen.
Ueber einen gewundenen Gang, der unter ihren Tritten knisterte und schwankte, kamen sie in ein freundliches Hintergebäude, das neuern Ursprungs zu sein schien. Die saubere Einrichtung und die glänzende Reinlichkeit zeigte, daß es Frauen bewohnten. Die kleinen Zimmer dufteten von mildem Arom und deuteten nichts weniger als eine dürftige oder unbehagliche Existenz an.
»Belieben die Herren einen Augenblick zu verziehen,« sagte die hübsche Pförtnerin in Holzpantoffeln. »Madame wird sogleich erscheinen.«
»Mäßige Dich, Gilbert!« ermahnte Aurel den Jüngling. »Du kannst mit Deinem verliebten Ungestüm das Ziel meiner ganzen Reise verrücken.«
»Warum stellt mir der Versucher so apetitliche Mädchen in den Weg! Aufbrechende Rosenknospen muß ich brechen; es juckt mich in den Fingern, und auf Matrosenehre, Kapitän, Sie würden mir treulich Gesellschaft leisten, wenn Ihre Gedanken nicht gerade so angestrengt auf Ueber- oder Unterirdisches gerichtet wären.«
»Mag sein, mag sein!« versetzte Aurel zerstreut und seufzend. »Wenigstens liegt mir die Erforschung der Vergangenheit mehr am Herzen, die unklare, jedem Sterblichen verhüllte Zukunft.«
Es rauschte hinter der Thür des Nebenzimmers, sie drehte sich klanglos in den
Angeln und eine mittelgroße Frauengestalt, von Kopf zu Fuß in aschgraue Zeuge
gehüllt, stand auf der Schwelle. Die Matrone hielt in der linken Hand eine
kleine silberne Lampe von feiner Arbeit, aus deren
Den Gruß der Fremden erwiederte sie durch mehrere tiefe Verbeugungen, die wunderlich und fast gespenstisch anzusehen waren. Noch immer, ohne zu sprechen, schritt sie dann fest und mit gezwungener Feierlichkeit auf den Tisch zu, winkte den Fremden nieder zu sitzen und nahm selbst Platz auf einfachem Sessel. Die Lampe vor sich hinstellend und das Spiel Karten daneben legend, erhob sie den Blick, um die Fremden genau zu betrachten.
Auf diesen Moment hatte Aurel mit Ungeduld gewartet. Seine scharfen Blicke
begegneten denen der Wahrsagerin und rangen gleichsam sekundenlang mit
einander. Aurel kannte die Matrone so wenig, wie diese ihn. Seine Hoffnung
schwand sogar sehr bedeutend, als er in ein kleines abgemagertes, faltenreiches
Gesicht sah, das nicht gerade häßlich war und in frühern Jahren wohl auch
einmal hübsch gewesen sein mochte, das aber unmöglich jener Herta angehören
konnte, die er suchte und hier zu finden wünschte. Graue Haare legten sich in
dünnen Scheiteln um die
»Sie wünschen die Zukunft zu befragen?« sagte das Mütterchen zu den Fremden. »Wenn Sie nicht aus bloßer Neugierde, sondern aus innerstem Drange des Herzens und mit gläubigem Gemüth zu mir kommen, dürfen Sie hoffen, die reine Wahrheit zu hören.«
Aurel bat durch eine Handbewegung, daß sie fortfahren möge.
»Ziehen Sie es vor, daß ich die Flamme oder die Karte befrage?«
»Ganz nach Belieben, Madame!« entgegnete Aurel. »Ich bin nicht bewandert in den Geheimnissen Ihrer Kunst oder Wissenschaft.«
»Die Flamme erheischt lange Zeit und große Geduld. Sie scheinen mir lebhaften Temperaments und da ich eine Unterbrechung meiner Fragen befürchten muß, was traurige Folgen für Sie haben könnte, so erlaube ich mir mit Ihrer Zustimmung die Karte vorzuziehen.«
Aurel neigte billigend den Kopf und die Wahrsagerin ließ die Lampe sogleich
verlöschen, was so schnell und geheimnißvoll geschah, daß Gilbert darüber
erstaunte und den Kapitän verwundert
Unser Freund würde sehr unbefriedigt davon gegangen sein, hätte nicht seltsamerweise die Sibylle durch einen unerklärlichen Zufall Alles, was ihm in jüngster Zeit Auffallendes begegnet war, aus den Karten gelesen und mit unerschütterlicher Seelenruhe ihm mitgetheilt. Dies machte ihn stutzig, er glaubte sich erkannt, verrathen, und ohne das Ende der Prophezeiung abzuwarten, rief er mit lauter Stimme der Wahrsagerin zu:
»Weib, wer bist Du, daß Du mein vergangenes Denken weißt?«
In seiner Aufregung rüttelte er so heftig am Tische, daß die Karten ordnungslos durch einanderfielen und die ganze, so künstlich zusammengefügte Figur zerstört ward.
Die Wahrsagerin richtete sich auf und ließ prüfender als im Anfange ihre Blicke
über den
»Jesus, er ist es!« rief sie aus. »Nur er allein konnt' ihn haben!«
»Herta!« lispelte im tiefsten Innern erschüttert und von geheimnißvollen Schauern erfaßt der Kapitän. »Herta, so sind Sie es wirklich? Man hat mich nicht hintergangen?«
»Herta?« erwiederte die Wahrsagerin. »Nein nein, ich bin nicht Herta!«
Und sie machte eine Bewegung des En tsetzens, als wolle sie Aurel mit Gewalt von sich abwehren.
»Nicht Herta? Und Sie glauben mich doch zu kennen?«
»Wer ruft den Namen einer längst verschollenen Unglücklichen?« ließ sich jetzt aus der Tiefe des Zimmers eine sanfte Frauenstimme vernehmen. »Es muß etwas Ungewöhnliches vorgehen, wo dieser traurige Name unter Lebenden genannt wird.«
Aurel wandte sich um. Eine Frau in
»Wer nannte Herta? Wer sucht sie? Hier ist, was von ihr übrig geblieben!«
Aurel kehrte ihr das Gesicht zu. Das Unerwartete des vorhergegangenen
Auftritts, die neue Unterbrechung, die gewaltige Spannung
»Es ist sein Sohn!« lallte sie ohnmächtig. »Wie er ihm gleicht, dem Entsetzlichen! – –«
Wir vermessen uns nicht, die Empfindungen beschreiben zu wollen, die nach
dieser Erkennungsscene die Herzen der Betheiligten bestürmten. Herta bedurfte
einer geraumen Zeit, ehe sie vollkommen ihre Fassung wieder erlangte. Emma,
sonst ihre Zofe, jetzt Wahrsagerin aus Noth, um den mehr als kargen Verdienst,
welchen beide gerettete Frauen durch den Fleiß ihrer Hände sich erschwangen, zu
mehren, überfiel dem Fremden gegenüber ein Gefühl der Scham, das sie
beängstigte. Aurel war glücklich und betrübt zugleich, glücklich, weil er eine
ihm theure Verwandte wiedergefunden hatte und sie einer Lage entziehen konnte,
die ihrer Geburt, ihrer geistigen und gesellschaftlichen Bildung unwürdig war;
Diese Entdeckung, dies Wiederfinden hatte der kleine goldene Siegelring bewirkt. Aurel konnte nicht mehr von ihm lassen. Er war ihm ein Talisman, ein wunderkräftiges Amulet geworden.
Mit dieser Ueberzeugung saß er jetzt neben Herta und führte wiederholt die zwar magere, aber noch immer schöne Hand seiner Tante an die Lippen.
»O könnte ich es ungeschehen machen all' das Unglück, das man Ihnen zugefügt hat!« rief er bewegt aus. »Könnte ich diesen gebleichten Locken den Glanz der Jugend, diesem schmerz- und ergebungsvoll blickenden Auge den freudigen Strahl wiedergeben, der aus der Tiefe einer ungetrübten Seele blitzt! Daß ich es nicht vermag, theure Tante, das macht mich unglücklich! O mein Vater! Mein Vater!«
Herta war in Gesinnung und Wesen fast unverändert geblieben. Milde, Versöhnung,
den
»Nun gut denn, so bleiben Sie!« sagte er lebhaft. »Nur verbieten Sie dieser dämonischen Sibylle ferner hin ihre Orakelsprüche! Ich könnte mich sonst in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt sehen, ihre von äußerer Noth dictirten Betrügereien aufdecken zu müssen! Wer gläubigen Herzens ihren Aussagen lauscht, dem können sie verhängnißvoll werden fürs ganze Leben! Es ist Sünde, Frevel, mit dem Geheimniß zu spielen. Oft rächt es sich fürchterlich!«
»Ich verspreche Ihnen, Herr Kapitän, daß Emma ihre Kunst zu unserm Glück an Ihnen zum letzten Male erprobt haben soll.«
»Versprechen Sie mir auch, theure Tante, daß Sie mich nicht mehr verlassen, daß Sie zurückkehren wollen in die Welt, in den Schoos der Familie, deren edelstes Glied Sie sind?«
»O Gott ist barmherzig und gerecht! Sie werden mir folgen!«
»Ich möchte es gern, weil Sie so gut, so großmüthig sind!«
»Werden Sie auch dann noch mich für großmüthig halten, wenn ich Sie bitte, mich einen Blick in Ihr Leben thun zu lassen? Dieser Zauberring fordert dazu auf.«
»Um ihn einzulösen, will ich der Zeit gedenken, wo ich ihn von mir gab.«
»Dann gute Nacht, theure Herta!«
Aurel küßte der Wiedergefundenen nochmals die Hand und winkte Emma, die nicht zu reden vermochte, einen Gruß zu. Gilbert verbeugte sich mit tiefer Ehrfurcht vor der würdevollen, vornehmen Matrone.
Das Mädchen, das sie mit ihren klappernden Holzpantoffeln wieder bis an die Hausthür geleitete, sah schelmisch lächelnd in das sehr ernsthafte Gesicht Gilberts.
»Ist die Liebste untreu geworden?« flüsterte
Sie blies das Licht aus und schob die Fremden mit sammt dem murrenden Lohndiener hastig aus der Thür, die hinter ihnen sogleich wieder fest verriegelt ward.
Zu ungewöhnlich früher Stunde wurde Graf Adrian von seinem Kammerdiener aus dem Schlafe geweckt. Der arme Mensch sah bleich und verstört aus. Der doppelarmige Leuchter mit den Wachskerzen schwankte in seiner Hand.
Adrian erhob sich langsam aus den weichen üppigen Pfühlen und warf ihm einen funkelnden Zornesblick zu.
»Gnädigster Herr, Verzeihung!« stotterte der Kammerdiener. »Herr Vollbrecht sendet mich.«
»Um mir sagen zu lassen, daß er den Verstand verloren hat? Daran habe ich schon lange nicht mehr gezweifelt.«
»Um Vergebung, gnädigster Herr –«
»Ich will nichts hören! Zur Geschäftsstunde
Adrian hüllte sich wieder in die seidene Decke und kehrte dem bestürzten Kammerdiener den Rücken zu.
»Mein Gott, was nun anfangen!« murmelte dieser ganz verzweifelt. »Erfährt er das Unglück erst später, so jagt er uns Alle aus dem Hause!«
»Du sprichst von Unglück?« rief Adrian, indem er jäh auffuhr von seinem Lager. »Wo und wem ist ein Unglück widerfahren?«
»Eben deshalb schickt mich Herr Vollbrecht vor Tagesanbruch zu Ew. Gnaden,« entgegnete der Kammerdiener mit geläufiger Zunge. »Die Spinner in der Fabrik haben die Arbeit eingestellt und sich auf dem großen Hofe in Rotten geordnet. Alles Zureden des Herrn Vollbrecht konnte sie nicht andern Sinnes machen.«
Diese Nachricht kam Adrian so unerwartet, daß er auf der Stelle sein Lager verließ und das Morgenkleid überwarf.
»Wann hat diese Unordnung begonnen?« fragte er ruhig.
»Darüber wird Herr Vollbrecht Ew. Gnaden die erwünschte Auskunft geben können,«
sagte
»Sie sind von dem Vorgefallenen unterrichtet, Herr am Stein?« fragte Vollbrecht.
»Was fällt den Unsinnigen ein?« fuhr der Graf auf. »Wollten sie aus meinen Diensten gehen, so konnten sie dies in aller Ruhe thun, mir gesetzlich aufkündigen und anderwärts ein Unterkommen suchen. Dieses Einstellen der Arbeit aber nimmt die Miene eines Aufstandes an. Man wird sie zwingen und züchtigen müssen!«
»Diese Widersetzlichkeit, Herr am Stein, kann Sie nicht überraschen,« versetzte
Vollbrecht. »Ich habe Sie, wie es meine Pflicht war, genau von der überhand
nehmenden unzufriedenen Stimmung unterrichtet, die seit Ihrer letzten
Lohnherabsetzung den Aeltesten wie den Jüngsten Ihrer Arbeiter ergriffen hat.
Sie lachten meiner Warnungen, erklärten die getroffenen Maßregeln für
unumgänglich nöthig und verboten mir sogar diese Angelegenheit je wieder in
Ihrer Gegenwart zu berühren. – Ich erlaubte mir, Ihren Befehlen entgegen zu
handeln, Ihren Zorn auf mich zu laden. Sie lachten mich aus, Herr am
»Nun, ich will mich einmal tüchtig von Ihnen schulmeistern lassen, lieber Vollbrecht,« erwiederte mit spöttischer Miene Adrian. »Reden Sie, was beabsichtigt dies hungrige Lumpengesindel?«
Der Graf warf sich in einen mit violettem Sammet ausgeschlagenen großen Fauteuil, der neben seinem Bett stand und lehnte den Kopf mit geschlossenen Augen aus das warme nachgebende Polster.
»Wenn dies Lumpengesindel, wie Sie Ihre Arbeiter zu nennen belieben, wirklich
hungrig ist,« entgegnete Vollbrecht, »so vermuthe ich, daß es Brod von Ihnen
verlangen wird. Es wäre dies wenigstens sehr folgerecht. Indeß weiß ich nicht,
wohin Ihr Streben geht. Meine Beobachtungen haben mir nur gesagt, daß seit der
großen Lohnverkürzung sämmtliche Arbeiter eine trostlose herzzerreißende
Niedergeschlagenheit ergriffen hat, der sich bei Einzelnen ein tiefer Unmuth
beigesellte. Mir schien es, als habe der
Adrian riß die Augen weit auf, ohne seine halbliegende bequeme Stellung zu verändern.
»Davon sprechen meine Arbeiter?« sagte er mit bittersüßem Lächeln. »Hm, daraus sehe ich, daß meine bäurischen Freunde, die ich vor ein paar Wochen etwas kühl entließ, ihre Drohungen wahr zu machen suchen. Was weiter, Herr Vollbrecht?«
»Ich muß im Voraus Ihre Verzeihung beanspruchen,« nahm der erste Buchhalter abermals das Wort, »wenn ich mit einer zweiten Mittheilung, die ich Ihnen nicht verheimlichen darf, Ihr Ehrgefühl beleidigen sollte.«
»Mein Ehrgefühl? Ich wüßte nicht, wie Sie dazu kommen sollten, Herr Vollbrecht, das Ehrgefühl des ältesten Grafen von Boberstein beleidigen zu können!«
»Verzeihung, Herr Graf! Gerüchte sind tausendzüngig und meine Kraft ist zu
schwach,
»Man spricht also? – Bitte vollenden Sie! Ihre Geschichten unterhalten mich.«
»Man spricht von einem verstoßenen Bruder, Herr am Stein, von einem älteren natürlichen Sohne des hochseligen Grafen Magnus –«
»Man ist ein Schurke, wenn man so spricht!« rief Adrian mit bebenden Lippen. »Ich will den nichtswürdigen Buben wissen, der solche Schmach auf meinen Namen zu häufen sich erdreistet! Wer ist es?«
Vollbrecht schwieg einige Augenblicke. Ein summendes, dumpfes Geräusch, als ob ferner Donner in Gebirgsschluchten verhallte, ward hörbar. Graf Adrian erhob sich und trat ans Fenster. Grauer Nebel lag auf den Wellen des Sees, der vom Winde bewegt, in gleichmäßigen Pausen gegen das Ufer brandete. Das summende Geräusch wiederholte sich lauter, anhaltender, näher.
»Was bedeutet das, Vollbrecht?«
»Es ist die Stimme des nichtswürdigen Buben, der an das erwähnte Gerücht glaubt! Es sind Ihre Arbeiter, Herr am Stein!«
»Von ihrem Willen bin ich nicht genau unterrichtet, Herr am Stein. Ich komme nicht als ihr Abgesandter, sondern als ein Vorbote, um Sie pflichtschuldigst auf das Nächstfolgende aufmerksam zu machen. Ohne Zweifel haben die armen Menschen, die wirklich von ihrem Verdienst nicht mehr leben können, einen Entschluß gefaßt und bereiten sich jetzt vor, Sie, Herr am Stein, persönlich mit demselben bekannt zu machen.«
Adrian biß sich die Lippen blutig vor Grimm, aber er schwieg. Unverwandt
starrte sein Auge auf den mit schweren Nebelwolken bedeckten See, während sein
Herz vor einer Wiederholung des wüsten Geschreis zitterte, das aus den heisern
Kehlen eines von ihm wahrhaft verachteten Menschenhaufens kam. Dies Geschrei
wiederholte sich in der That und jetzt zwar so nahe, daß an der Ankunft der
aufsätzigen Arbeiter nicht mehr zu zweifeln war. Erbleichend sah Adrian gleich
darauf mehrere dunkle Gestalten wie Schatten durch den Nebel wanken und von
allen Seiten das Haus umringen. Ehe er sich besinnen
»Wünschen Sie die Abgesandten der Arbeiter in Ihrem Schlafzimmer zu empfangen,« fragte Vollbrecht, »oder befehlen Sie, daß man sie abweisen soll? Ich bin bereit, Ihre Befehle zu überbringen.«
»Vollbrecht, Vollbrecht, wo Sie mich hintergehen!« rief Adrian drohend. »Wo Sie mit diesem Gesindel gegen mich conspiriren! – Meine Rache würde fürchterlich sein!«
»Gnädiger Herr,« entgegnete der Buchhalter, »ich bin durchaus nicht Partei in
dieser unerfreulichen Angelegenheit. In Ihren Diensten habe ich nur Ihre
Befehle zu vollziehen. Dieser Pflicht glaube ich bisher zu Ihrer Zufriedenheit
genügt zu haben. Als Arbeiter obschon in anderem Fache und unter andern
Verhältnissen, betrachte ich mich gleichermaßen als ein Bruder und Gefährte
Ihrer Spinner, und war als solcher immerdar bemüht, das nicht sehr
beneidenswerthe Loos dieser Unglücklichen möglichst erträglich zu machen. Nur
aus diesem Grunde sprach
Es ward von Neuem lauter und ungestümer an die Thür gepocht. Hin und wieder aus dem schmutzigen Nebel gellte ein grelles Pfeifen oder ward unter Schimpfen eine wilde Drohung laut.
»Ich muß um schleunigste Entscheidung bitten, gnädiger Herr,« sagte Vollbrecht mit Nachdruck. »Die Leute werden ungeduldig.«
»Nun gut, ich will die Rädelsführer sprechen,«
Während Vollbrecht den erwählten Sprechern der Spinner die Thür öffnete,
kleidete sich Adrian mit Hilfe seines Kammerdieners an und ging in den
Speisesaal. Dieser Saal lag zu ebener Erde und war nicht sehr groß, aber mit
fürstlichem Luxus möblirt. Seidene Tapeten aus Lyon, kunstvoll gewebt und von
einem prächtigen Carmoisin, bekleideten die Wände. Lehnstühle und Sopha's in
verschiedenen Formen, mit entsprechendem Sammet überzogen, standen in reicher
Auswahl um den länglich runden Speisetisch von massivem Mahagony. Hohe breite
Spiegel, in Mahagonyrahmen, mit Rosenholz ausgelegt, waren zwischen den
Fenstern angebracht. Ein erst kürzlich fertig gewordener Kamin von reinstem
Alabaster, auf dessen Sims marmorne Statuen und große antike Vasen mit
duftendem Blumenstaub gestellt waren, schmückte die südliche
Adrian hatte am Ahend des vergangenen Tages einige Gäste bewirthet. Es war sein
Geburtstag gewesen und diesen pflegte er in Gesellschaft Gleichdenkender
festlich zu begehen. Er hatte deshalb auch ein lucullisches Mahl bereiten
lassen. Ueberreste desselben standen durch Nachlässigkeit der Dienerschaft, die
an solchem Freudentage unbeaufsichtigt geblieben und hinsichtlich des Genusses
dem guten Beispiel des Gebieters schuldigst nachgefolgt war, noch jetzt im
grauen Schein des kalten Novembermorgens auf der Tafel. Halbgeleerte
Champagnergläser, kastanienlaubgrüne große Römer, breite Tummler von Purpurglas
und kleine goldgelbe Henkelkrüge zum Genuß heißer Getränke bestimmt, gaben
einen ungefähren Begriff von der schwelgerischen Mahlzeit, die man hier
eingenommen hatte. Dazwischen blinkten die hohen, prächtigen Tafelaufsätze von
gediegenem Silber, zum Theil noch Familienerbstücke des alten
Grafengeschlechtes, die modernen geschmackvollen Karaffen aus Kristallglas
In dieses von Wein und Speisen noch duftende Zimmer begab sich Adrian, um in dem prächtigsten der rothsammtenen Sessel seine Sclaven zu erwarten. Hierher führte Vollbrecht die darbenden, vor Frost und Hunger klappernden Spinner. Der Zufall oder die göttliche Vorsehung hätte keinen passenderen Ort für die folgende Unterredung wählen können.
Adrian hatte kaum mit einem mißbilligenden Blicke auf die noch herrschende Unordnung im Zimmer seinen Platz eingenommen, als Vollbrecht die Flügelthüren des Saales öffnete und vier bis fünf Männer einließ.
»Herr am Stein will Euch anhören,« sprach er zu den frühen Gästen mit seiner milden, herzgewinnenden Freundlichkeit. »Klagt ihm Euer Leid, entwerft ein Bild Eurer Noth und gewiß, Eure Worte werden nicht unbeachtet verklingen!«
Vollbrecht betrat zugleich mit den Arbeitern das Speisezimmer, dessen
schimmernde Pracht jetzt nur von einigen wenigen tief herabgebrannten
Wachslichtern, welche ein Bedienter in größter
Diese fünf Männer waren Spinner aus der Fabrik. Sie gingen in groben geflickten Beinkleidern von weißgrauer Leinwand, trugen Holz- oder Lederschuhe und hatten über das bloße zerrissene Hemd zum Schutz gegen den rauhen feuchten Novembermorgen eine tuchene Jacke gezogen, die über der Brust zugeknöpft war bis an den Hals und die heraushängenden Zipfel eines baumwollenen rothen oder blauen Tuches sehen ließ. Ihre Pelzkappen hielten sie in den Händen oder unter den linken Arm geklemmt.
Anführer dieser verzweifelten Abgesandten einer aufs Aeußerste getriebenen Arbeiterschaar war Martell, der Feinspinner.
Eine unwillkürliche Bewegung des Erstaunens ließ die Eintretenden ein paar
Augenblicke stutzen. Die ungeahnte Pracht des Zimmers blendete sie, verwirrt
schlugen sie die Augen zu Boden. Nur Martell ließ seine finstern blitzenden
Augen über Wand und Boden laufen, um all' den stolzen Luxus, der höhnend ihrer
Noth in's bleiche Antlitz lachte, mit einem Blick aufzufassen. Sein
eingefallenes erdfahles Gesicht
»Herr am Stein!« sagte er sanft und fast traurig.
Adrian, der bisher gethan hatte, als sei außer ihm Niemand im Zimmer, warf stolz den Kopf zurück und erwiederte:
»Blos weil Ihr Euch erfrecht habt, mich wie Räuber zu überfallen, gebe ich Euch Gehör, Macht es kurz, Aufrührer, damit ich die Schuldigen später zur Strafe ziehen kann!«
»Wir sind keine Aufrührer, Herr am Stein, wir sind blos arme unglückliche Menschen, die vom Elend müde gehetzt ihre letzten Kräfte zusammennehmen, um dem Manne, in dessen Hand allein unser kleines irdisches Glück liegt, eine Bitte an's Herz zu legen.«
»Ihr habt eigenmächtig die Arbeit eingestellt, habt die Maschinen verlassen und
stundenlang
»Fordern dürfen Sie, was Ihnen beliebt,« entgegnete, die Augenbrauen zusammenziehend, Martell, »das Geben wird von uns abhängen. Wir haben kein Geld, kein Gut, wir haben nur Thränen und verzweiflungsvolle Blicke! Herr am Stein, im Namen aller Fabrikarbeiter trete ich in Gesellschaft dieser rechtlichen Männer am frühen Morgen zu Ihnen und flehe, flehe Sie aus tiefstem Herzensgrunde an: haben Sie Erbarmen mit Ihren Knechten! Wir arbeiten mit unsern Weibern und Kindern zu Ihrem Wohle und Ruhme Tag und Nacht, wir arbeiten gern und willig, aber unser Fleiß, unsere Arbeitslust muß erschlaffen, wenn es uns aus Mangel an Nahrung an der erforderlichen Kraft gebricht! – Ihr Lohn, Herr am Stein, wie er uns seit drei Wochen ausgezahlt wird, ist zu gering! Wir können dabei nicht mehr bestehen, wir müssen langsam verhungern! Darum bitten wir Sie im Namen Tausender: erhöhen Sie ihn wieder und wir Alle werden Sie preisen und auf Händen tragen!«
Adrian schlug die Beine über einander, zog
»Es thut mir leid – allein, wenn Ihr mir weiter nichts mitzutheilen hattet, bedaure ich, daß Ihr Zeit und mithin Geld verloren habt! Wer sich bei mir zurückgesetzt glaubt, kann gehen! Ich halte ja Niemand, zwinge Niemand, mir zu dienen! Lieber Gott, was will man denn noch? Freier bewegt sich auf Gottes weiter Erde kein König und kein Kaiser, wie meine Arbeiter!«
»Dieser Scherz, Herr am Stein, ist sehr bitter,« entgegnete Martell. »Obwohl arm, haben wir doch ein Herz, das eben so gut und tief fühlt, wie das Ihrige. Was Sie Freiheit nennen, ist unser aller Joch, unter dessen entsetzlicher Last wir sterben.«
»Das scheint mindestens sehr langsam zu gehen, Martell; denn an Deinen und Deiner Genossen Gliedmaßen sehe ich noch keine Todtenflecke.«
»Ja,« sagte er, mit Mühe seine Entrüstung bekämpfend, »es geht freilich recht langsam, so fürchterlich langsam, daß man es mit Fug und Recht eine ausgesuchte Folterqual nennen kann. Wir sterben hundertmal halb, ehe sich der Tod unseres Elendes ganz erbarmt! Und, Herr am Stein, wir haben auch Weiber, haben Kinder! Wissen Sie, wie diese Schwachen leiden? Wie sie die Ohnmacht der Natur durch Ueberspannung reizen, um für Sie, hören Sie, für Sie zu arbeiten? Es ist das ein Anblick zum Erbarmen, der jedem rechtlichen Vater gar sehr, sehr wehe thut!«
»Gott Lob,« entgegnete Adrian, der Himmel hat mich mit dem Amt eines Armenpflegers verschont! Wenn ich mich nicht speciell um das Lamento jedes quakelnden Kindes oder hüstelnden Weibes kümmere, so handle ich nur christlich; denn es heißt, wie Euch bekannt ist, »was Deines Amtes nicht ist, da laß Deinen Fürwitz.« Ich will mich solchen Fürwitzes nicht theilhaftig machen, sag' ich Euch.
Martell warf seine abgetragene Mütze auf
»Herr am Stein,« rief er aus und packte die Platte des mit den Ueberresten des schwelgerischen Nachtmahls noch schwer beladenen Tisches, »Herr am Stein, Sie verdienten, daß man Sie just so behandelte, wie ich hier meine elende Kappe!«
Die schwarzen Augen des Spinners rollten wie glühende Kohlen in ihren Höhlen, jede Muskel seines Körpers bebte, jeder Nerv zitterte. Er fühlte tausend Pulse in sich klopfen.
»Es freut mich, Martell, daß Du so viel Lebensart besitzest, Deinen lächerlichen Verdruß in meiner Gegenwart an einem Kleidungsstück auszulassen, das jedenfalls an solche Behandlung längst gewöhnt ist. Komm, trink ein Glas Wasser, um Dich abzukühlen. Die ungewohnte Unthätigkeit macht Dich üppig! Hier, auf Dein Wohl, auf Deine Rückkehr zur Besonnenheit! Ich kredenze es Dir mit eigener Hand.«
Wirklich füllte Adrian eins der prächtigen Mundgläser von blauem Glas und
reicher Vergoldung, auf denen das stolze Wappen der Boberstein prangte, mit
abgestandenem Wasser
Bei diesem neuen entsetzlichen Hohne ver mochte Martell sich nicht mehr zu bändigen. Ein Faustschlag schleuderte das Glas aus Adrians Hand und warf es in hundert Stücken auf den Teppich.
»Meine Brüder!« rief er, sich zu seinen Gefährten wendend, »Gott will es, daß wir Hand an ihn legen sollen! Er spottet unser Noth, spotten wir denn seines Ranges! Die Zeit des Bittens ist vorüber, erzwingen wir, was der Unmensch uns nicht freiwillig gewährt!«
Martell trat beherzt auf Adrian zu, zögernder schlossen sich die vier andern Spinner ihm an. Ehe jedoch Martell den Grafen erreicht hatte, war dieser kaltblütig aufgestanden, um den Erbitterten, Gereizten zu empfangen. Zugleich trat Vollbrecht zwischen ihn und seine Gefährten.
»Keine Gewaltthat, meine Lieben, ich bitt' Euch!« sagte der gutmüthige Buchhalter.
»Ich danke Ihnen, lieber Vollbrecht,« fiel Adrian ein, »indeß bedarf ich nicht
Ihrer Dazwischenkunft. Auf dergleichen Komödienspiel ist man vorbereitet, wenn
man mit ungehorsamem
Eine doppelläufige Pistole blitzte in der Hand des Grafen. Die Hähne knackten und beide Läufe richteten sich auf die unbeschützte Brust Martells. Gelassen setzte sich der Graf wieder und rauchte ungestört seine Cigarre.
»Wenn es beliebt, können wir jetzt die Unterhandlungen mit einiger Bequemlichkeit fortsezzen,« sagte er zu dem wehrlosen Spinner. »Wir kennen uns jetzt und wissen, was Jeder von dem Andern zu erwarten hat. Sprechen wir uns also ohne allen Rückhalt offen gegen einander aus. Du hast das Wort, Martell.«
Diese unerwartete Ruhe und überlegene Kälte verfehlte nicht ihren Eindruck. Martell mäßigte sich ebenfalls, ohne seinen Zweck aufzugeben.
»Ich bitt' um Vergebung,« erwiederte er mit gebrochener Stimme. »Ich übereilte
mich, die Angst meines Herzens, die Noth meiner Mitbrüder und Freunde riß mich
hin. Erlauben Sie nur, Herr am Stein, daß ich die Frage an Sie
»In fremde Angelegenheiten mische ich mich nicht; das ist Eure Sache.«
»Es ist auch die Ihrige, gnädiger Herr! Ihre Fabrik leidet, wenn die Arbeiter leiden.«
Adrian zuckte die Achseln. »Eine Zeitlang, vielleicht! Sehe ich, daß die alten Kräfte verbraucht sind, so muß ich für neue sorgen.«
»Und was soll aus den alten verbrauchten werden?«
»Man dankt sie ab.«
»Wie nennen Sie das?« fragte Martel eiskalt und seine Blicke lagen wie Dolchspitzen auf dem Gesicht Adrians.
»Lebensklugheit, auch Speculation, wenn Du willst. – Das Alte, Abgenutzte wird überall bei Seite geworfen, um dem Neuen und Kräftigen Platz zu machen. Es ist der Lauf der Welt, nichts weiter!«
»Gott und wir Armen, die wir Gottes sein sollen nach der Schrift, eben weil wir nichts haben,« versetzte Martell mit entsetzlichem Lächeln, »wir nennen das unmenschlich, ohne alle Nebenbedeutung, Herr am Stein, wenn Sie wollen.«
»Wir sollen also wirklich verhungern, wenn Ihr jetziger Lohn uns nicht mehr ernähren kann?« fragte Martell noch einmal.
»Ich muß Euch wirklich das ganz allein überlassen,« antwortete Adrian. »Lebt wie Ihr könnt, ich thue dasselbe.«
»Ha, ha, ha, ha!« lachte Martell laut auf. »Er lebt wie er kann! – O
himmelschreiende Gotteslästerung! – Er lebt wie er kann! Mensch, Unmensch,
heißt dies leben, wie ein vernünftiges Geschöpf Gottes?« Martell ging mit
großen Schritten um den gedeckten Tisch und deutete auf die übrig gebliebenen
Leckerbissen. – »Nur vornehme Sünder wagen es, so zu schwelgen, während tausend
Arme, die für sie arbeiten, hungrig zu Bett und hungrig wieder an die Arbeit
des nächsten Tages gehen müssen! Gott hat es gehört, das Stöhnen meines
hungernden Weibes in vergangener Nacht, er hat Wimmern meiner Kinder vernommen,
die ihre Hände nach mir, ihrem Ernährer, ausstreckten und um Brod, nur um eine
kleine Krume
»Einen consequenten Mann, will ich hoffen,« sagte Adrian.
»Einen Mann ohne menschliche Regung! Einen Mann, dessen Herz von Granit ist, wie die Felsen, auf denen sein Sclavenzwinger ruht! Einen Mann, der Unglückliche verhöhnen kann, während ihm noch die sardanapalische Mast des vorigen Abends aufstößt! O einen Mann, dem alle Guten fluchen und dessen Untergang ein Segen sein würde für Millionen!«
»Du hättest studiren sollen, Martell. Zu einem Stegreifredner scheinst Du
Anlage zu haben. Indeß der Tag bricht an, wie ich sehe, und da denn doch einmal
Alles ein Ende nehmen muß, so bitte ich, falls mein Bescheid Dir und Deinem
liederlichen Anhange genügt, diese
Martell wandte sich mit Abschen ab. Seinen schwarzen Lockenkopf schüttelnd sagte er verächtlich:
»Behüte mich Gott vor solchem Frevel, Herr am Stein! Der Bissen, den ich aus diesen silbernen Schalen zum Munde führte, würde sich auf meiner Zunge in Gift verwandeln! Ein Vater kann so hart sein, daß er thränenlos sein Weib, seine Kinder vor Hunger hinsterben sieht, so grausam, so cannibalisch aber ist er nicht, daß er von dem Herzblut dieses geliebten theuren Weibes, dieser ihm von Gott geschenkten Kleinen seinen Hunger stillen könnte! – Das, Herr am Stein, können nur die Reichen, denen das Gespenst der Armuth nicht allnächtlich als Gardine das Lager umfängt!«
Martells Begleiter sahen einander an und traten dem unerbittlichen Fabrikherrn näher.
»Gott der Herr wird's Ihnen vergelten immer und ewiglich!« rief ein Anderer.
»Wir müssen sonst schlecht, wir müssen Diebe und Räuber werden!« grollten die übrigen.
Vollbrecht trat ebenfalls hinzu. Mit gefaleten Händen, mit einem Blick des tiefsten Bedauerns und mit flehentlich bewegter Stimme sprach er:
»Herr am Stein, ich vereinige meine Bitten mit denen dieser Männer. Es ist
unmöglich, daß sie bei ihrem jetzigen Lohne leben und ehrlich fortkommen
können; es ist aber auch gewissenlos und unverantwortlich, fleißige Menschen
nur deshalb zur Verzweiflung zu treiben, weil mit Durchführung eines geschickt
ausgedachten Systems ein Mehrgewinn erzielt wird, der zu späterer Vergrößerung
des Geschäftes wesentlich beiträgt.« – Ich bitte, hören Sie mich aus, Herr am
Stein! – Die Erfindung der Maschinen, welche dem menschlichen Scharfsinn Ehre
macht, wird nur dann eine Wohlthat für Volk und
Mittlerweile war es Tag geworden. Die Morgenröthe durchbrach den Nebel und warf
matte Lichter in den Saal und auf die von
»Auf Ihre meisterhafte Rede, lieber Vollbrecht, werde ich späterhin antworten,« sagte er mit vornehmem, glattem Lächeln. »Vor der Hand ein letztes Wort mit diesen zudringlichen Menschen.«
Er kehrte sich nachlässig zu Martell, der seitwärts stand mit verschränkten Armen und unheimlich gerunzelter Stirn.
»Ihr seid also unzufrieden in meinen Diensten?« sagte er. »Ja oder nein!«
»Weil wir so nicht bestehen können.«
»Ja oder nein!«
»Ja!«
»Was gedenkt Ihr zu thun, wenn ich dennoch aus höchst wichtigen Gründen Eure Klagen unberücksichtigt lasse?«
»Von Gott kommen gute Gedanken. Gott allein weiß es!« rief Martell.
»So vertrauet auf Gott; er wird Euch helfen,« sagte Adrian und stand auf. »Und
nun
Die Spinner murmelten unverständliche Worte.
»Ja oder nein!« rief Adrian herrisch. »Weigert Ihr Euch nur noch minutenlang,
so entlasse ich Euch in Masse und suche mir andere Arbeiter. Die Fabrik gehört
mir, das Geld ist mein, ich kann Arbeit geben, wem ich will, und diese Arbeit
bezahlen, wie ich will. Wem das nicht ansteht, der gehe in Gottes Namen seiner
Wege. Ich halte Keinen. – Trotzen aber lasse ich mir nicht, am wenigsten von
Leuten, die ich erhalte. Und ehe ich nur um eines Haares Breite von meinem
Vorsatze abweiche, soll meinenthalb das Werk vierzehn Tage still stehn!
Gehorsam will
Diese Antwort war ein Donnerschlag für die armen Spinner. Mit gesenktem Haupt standen sie vor dem allgewaltigen Herrn, nicht wissend, was sie ihm antworten, wozu sie sich entschließen sollten. Da erhob. sich von außen ein lautes Geschrei, das immer heftiger wurde und schnell dem Hause näher kam. Adrian verfärbte sich und ließ einen langen Blick durchs Fenster fallen. Ueber den See der jetzt vom Nebel frei war, kam die Fähre, mit Menschen und Waarenballen belastet. Einige Kähne mit Frauen und Mädchen hatten theils grade angelegt, theils waren sie im Landen begriffen. Aus dem mehrmals sich wiederholenden Geschrei konnte man deutlich eine klagende Frauenstimme unterscheiden. Sie kam näher und näher. Ein Rudel Menschen drängten zur Thür, die Stimme erklang im Hause selbst.
Vollbrecht öffnete die Saalthür. Ein bleiches Weib, kümmerlich in leichte
Kleidung gehüllt, mit verworrenem, flatterndem Haar, ohne Kopf- und Brusttuch,
nacktarmig und mit einem
»Herr am Stein, Sie müssen es wieder lebendig machen,« rief sie hohl und dumpf, »oder ich verfluche Sie mit den gräßlichsten Flüchen!«
Es war Lore, Martells Weib. In ihrer Verzweiflung hatte sie ihren Mann nicht bemerkt. Stier und gläsern das weit aufgerissene Auge, über dessen Lider dicke Thränen auf die erdfahlen Wangen herabrieselten, auf Adrian geheftet, lag sie zitternd auf dem Teppich. Man hörte das Zusammenschlagen ihrer Zähne.
»Lore, mein Weib!« rief Martell und streckte beide Hände nach der Armen aus.
Die Unglückliche wendete sich um. Ein mildes Lächeln lief über ihr
schmerzzerrissenes Antlitz, wie ein goldener Sonnenblick über eine verwüstete
Landschaft. »Martell,« sagte sie gerührt, die rechte Hand dem Gatten
entgegenstreckend, »er ist todt unser Hans! Hier an dieser verwelkten Brust ist
er gestorben! Er wimmerte der gute, liebe Knabe, wimmerte immer leiser,
Martell hatte mit entsetzlicher Ruhe diesen Bericht angehört. Jetzt wendete er Blick und Antlitz wieder dem Grafen zu.
»Mörder!« sprach er düster, »Mörder meines Kindes! Vor Gottes Throne werde ich Dich anklagen! Jetzt sollst Du frei ausgehen.«
Er hob Lore mit sanfter Gewalt auf und wollte sie fortführen.
»Geht an die Arbeit!« sprach er barsch zu seinen Begleitern. »Spinnt, bis Euch die Finger verkrummen und Gott ein Wunder thut.
Und er wird es thun, ich weiß es; es müßte denn in seinem Rathschlusse beschlossen worden sein, daß die Welt untergehen solle!«
Neues Klopfen und ein Zurückweichen der Menge vor der äußern Thür machte die im Zimmer Versammelten aufmerksam. Durch die weit aufgehenden Flügelthüren traten einige Gerichtsdiener ein. Alle erstaunten und sahen einander an.
»Treffen wir hier den hochwohlgeborenen Herrn Grafen Adrian von Boberstein,
genannt
Adrian verneigte sich. Der Gerichtsdiener griff in seine Rocktasche und langte ein großes, versiegeltes Schreiben hervor, das er mit kalter Verbeugung dem Grafen überreichte, indem er sprach:
»Vom Landesgericht zu Görlitz.«
Adrian sah ihn erstaunt an, riß das Sigel auf und warf einen Blick in das Schreiben. Die Umstehenden bemerkten, daß seine Hand zitterte.
»O Sloboda! Sloboda!« murmelte er zwischen den Zähnen. »Er hat's erreicht, ein falscher Boberstein ist aufgefunden!«
Erschöpft sank er in seinen prachtvollen Fauteuil und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.
»Das ist Gottes Hand!« rief Martell. »Er ist mit den Gerechten! Geht, Brüder, an Euer Tagewerk, ich aber, ich will mein gemordetes Kind begraben.«
Schluchzen erstickte seine Stimme. Er schloß Lore in seine Arme, küßte das arme
Weib auf Stirn und Mund und führte sie aus dem glänzenden Saale. Die Uebrigen
folgten dem trauernden
Wohl eine Stunde verharrte Graf Adrian in dieser Stellung. Niemand störte seinen Gedankengang. In und außer dem Haufe, überall war Todtenstille. Der schreiende Haufe seiner Spinner war auseinandergestoben, Vollbrecht und die Diener waren verschwunden. Er hatte vollkommen Zeit, über sich und seine Lage nach zudenken.
Als er die Augen wieder aufschlug, fielen sie auf die gerichtliche Vorladung. Von Neuem erwachte sein Grimm und machte sich in Worten Luft.
»Fluch diesem Sloboda, diesem grauhaarigen Schuft von Maulwurffänger!« rief er
aus. »Gewiß, es ist blos eine freche Erfindung, mit
Ein Bedienter trat ein.
»Was gibt es?«
»Der Briefbote ist angekommen, gnädiger Herr. Wenn Sie ihn etwa persönlich sprechen wollen – im Comptoirzimmer wartet er Ihrer Befehle.«
Adrian war sehr erfreut von dieser Botschaft. Er verließ die kalten prunkvollen
Räume des Speisesaales, steckte die Citation zu sich und ging nach dem
Comptoir. Unterwegs warf er einen Blick auf die weißen Gebäude, auf die
thurmhohen rothbraunen Schornsteine der Fabrik. Sie rauchten und das surrende
Getön, das aus der Luft herabklang, sagte ihm, daß die Spinner
Unter den vielen Geschäftsbriefen befand sich auch ein Schreiben Aurels. Es war kurz und derb, wie der Kapitän es liebte, und verkündigte dem älteren Bruder seine nahe Ankunft. Adrians Züge nahmen einen spöttischen Ausdruck vornehmen Uebermuthes an, der in glücklicher Gefühlsstimmung wie eingemeißelt auf ihnen lag. Adalbert konnte jede Minute eintreffen, Aurel näherte sich mit Sturmeseile – was sollte er, von seinen geliebten Brüdern umgeben, noch für das Haus Boberstein fürchten, das von Allen mit gleicher Liebe umfaßt ward, für das Jeder sein Leben in die Schanze geschlagen hätte?
»Alle diese Stürme werden vorübergehen,« rief er sich voll Selbstvertrauen zu,
»und sich in der Stille beruhigen, wie diese gewagte und so drohend aussehende
Demonstration meiner Spinner. Hatte ich nicht vorausgesehen, daß es dahin
kommen mußte, und wird nicht gerade dieser erfolglos gebliebene Aufstand sie
mir rückhaltlos
Während Adrian diesen Sermon seines gewissenlosen Fabrikchirurgen zu seinem
eigenen Ergetzen sich wiederholte, hatte er sämmtliche mit dem Postboten
empfangene Briefe durchlesen und sich einzelne Notizen an den Rand derselben
gemacht. Ein neuer Transport Waaren war inzwischen über den See geschafft
worden, ohne daß Adrian darauf achtete. Es war ihm daher ein vornehm
gekleideter Herr entgangen, der eine junge schöne Dame am Arm auf der Fähre
auf-und nieder schritt. Daher überraschte ihn die frohe Meldung des Bedienten,
daß Graf Adalbert von Boberstein so eben mit seiner Gemahlin
Adrian kleidete sich zum Empfange seiner Schwägerin mit größter Eleganz schleunigst an und eilte nach dem Salon, wo er die heiß Ersehnten seiner bereits warten fand. Die Begrüßung beider Brüder war warm und herzlich, und trug den Charakter wirklicher Aufrichtigkeit und verwandtschaftlicher Zuneigung.
Von den drei Gebrüdern Boberstein war Adalbert der vornehmste. Aus Ueberzeugung
und Neigung Aristokrat achtete er gleich seinem Vater Magnus das Volk nicht. Er
vermied mit ihm zusammenzukommen, hatte aber nichts dawider, daß man es klug
und mit Vorsicht benutze, um sich zu bereichern und das in größter Fülle zu
verschaffen, was neuerdings dem Adel allein noch Glanz und Nachdruck verleihen
kann, nämlich Geld! Deshalb willigte er auch in die speculativen Pläne seines
älteren Bruders, doch nur unter der Bedingung, daß er selbst mit Arbeitern und
ähnlichem Volk nicht das Mindeste zu schaffen habe. Weil es ihm nicht an
Kenntniß und Scharfsinn gebrach, ja eine gewisse vornehme List ihm zu Gebote
stand, die fast den Namen
Adalbert war seit zwei Jahren mit Beatrice, einer sehr schönen jungen Dame aus fürstlichem Geblüt, vermählt, und hatte aus dieser Ehe ein blühendes Töchterlein, der einzige legitime Sprößling, dessen sich zur Zeit das Haus Boberstein rühmen konnte. Beatrice, nicht weniger vornehm und adelstolz, dabei anmuthig und in hohem Grade liebenswürdig, beglückte ihren Gatten wahrhaft. Dieses Paar lebte, wie bereits andeutet wurde, für gewöhnlich auf seinem Edelsitz in Schlesien, einer einträglichen Herrschaft, zu welcher auch das Dorf gehörte, wo Leberecht mit Frau und Sohn unter Sorge und Kummer sein sauer erworbenes Brod aß.
Wer diese drei Brüder neben einander sah,
Graf Adalbert war groß und schlank, hatte durch aus die Tournüre eines vornehmen Mannes und trug sich stets nach der neuesten Mode, ohne sich ängstlich an ihre Gesetze zu binden. Auch der Schnitt seiner Kleidung war aristokratisch zu nennen, zugleich elegant und graziös ungenirt.
Diesen Mann mit den großen hellgrauen Augen drückte Adrian wiederholt an sein Herz, nachdem er zuvor seine Schwägerin ehrfurchtsvoll begrüßt hatte. Adalbert erwiederte Handschlag und Umarmung mit gleicher Herzlichkeit und zeigte sich hoch erfreut, endlich nach sehr langer Zeit wieder einmal den Stammboden ihrer Familie betreten zu können.
»Ich habe mich eingerichtet, lieber Bruder, nöthigenfalls ein paar Wochen bei
Dir zu bleiben,«
»Vielleicht gelingt es mir oder unserm vielgereisten Bruder Aurel, der stündlich eintreffen kann, diesen Entschluß der gnädigen Frau wankend zu machen,« versetzte Adrian, indem er Beatrice die Hand küßte. »Ich habe hier freilich nicht die rauschenden Zerstreuungen der Residenz, dafür aber ein lustiges und unterhaltendes Waldleben. Und die Eigenthümlichkeiten eines Fabrikvölkchens, die Gräfin Beatrice noch gar nicht kennt, werden kleine Reize genug darbieten, um einige Zeit meiner schönen Schwägerin eine angenehme Unterhaltung zu gewähren.«
»Ich verstehe nur so wenig von Industrie und was mit ihr zusammenhängt,« fiel Beatrice ein, »daß ich zu viel Zeit brauchen würde, um nur einen Begriff davon und mit dem Begriffe den Sinn dafür zu erhalten.«
»Ueberlassen Sie mir das ganz allein, gnädige
»Nun denn,« erwiederte Beatrice, »auf diese Bedingungen hin will ich über meine Zeit noch nicht verfügen. Es wird von Ihrem Erfindungsgeist, von Ihrer geselligen Gewandtheit, von Ihrem Lehrertalent abhängen, ob ich gern Ihre Schülerin bleiben werde oder mich ganz heimlich auf und davon schleiche.«
Beatrice reichte Adrian freimüthig ihre unvergleichlich schöne Hand und Adrian versäumte nicht, während er sie sanft in der seinigen drückte, einen tiefen Blick in die blauschwarzen Augen der Schwägerin zu thun, dessen Feuer sie nicht ertragen konnte.
»Diese erste Conspiration wäre sonach vortrefflich eingeleitet,« sagte Adalbert lachend. »Haben die übrigen Verschwörungen, die uns ja doch hier zusammenführen, gleich raschen Fortgang, so dürfen wir um ein erwünschtes Endresultat nicht besorgt sein.«
Adrian hatte inzwischen in dem luxuriösen Speisesaale ein Frühstück auftragen
lassen, das er jetzt mit seinen lieben Gästen unter den heitersten Gesprächen
verzehrte. Niemand konnte
Nach so fröhlich eingenommenem Frühstück beurlaubte sich Beatrice, um mit Hilfe ihrer Kammerjungfer Toilette zu machen. Adalbert blieb mit Adrian allein und dieser benutzte sogleich die günstige Stunde, um den Bruder von den allerneuesten Vorgängen zu unterrichten und seine Ansichten, seinen Rath darüber zu hören.
Adalbert nahm alle diese Mittheilungen außerordentlich ruhig auf. Zu der gerichtlichen Vorladung lächelte er sogar.
»Du ignorirst diese einfältige Citation,« sagte er, »bis sie wiederholt wird. Dann läßt Du dem Gericht vornehm einen höflichen Gruß entbieten und ladest dasselbe, Krankheit vorschützend, ein, sich zu Dir zu bemühen. Erscheinen die gelehrten Herren, was nicht fehlen kann, so forderst Du ganz ruhig, sie möchten Dir den fraglichen Bruder und Miterben persönlich vorstellen. Man wird ja sehen, aus welchem Kehrichthaufen sie ihren Prätendenten herbeiholen werden.«
»Ich theile vollkommen Deine Meinung, lieber Bruder,« erwiederte Adrian, »und
bin keineswegs
»Der alte Wende mit seinem deutschen Beistande, dem Maulwurffänger, dessen ich mich noch dunkel erinnere, scheinen demnach großen Anhang zu haben,« sagte Adalbert.
»Dieser Maulwurffänger ist ein Teufel!« rief Adrian aus. »Für einen Mann aus
dem Volke besitzt er einen so durchdringenden Scharfsinn,
»Seine Geschichten sind gut erfunden,« lächelte Adalbert vornehm.
»Verzweifelt gut, Bruder! Diese beiden steinalten Greise haben aus ihren Erinnerungen und ein paar moderfleckigen Papierfetzen eine Geschichte zusammengewoben, die sich an all' ihren Theilen fest wie die Glieder einer Kette verschlingt. Unser gemeinschaftliches Streben wird es sein müssen, die falschen Glieder in dieser Kelte aufzusuchen und zu zerbrechen.«
»Ich stelle mir dies leicht vor, sobald das Kapitel von den Beweisen ausgeschlagen wird.«
»Und, wenn sie auch diese beibringen?«
»Thun wir die Unächtheit derselben dar.«
Adrian zuckte die Achseln. »Das scheint mir gefährlich,« sagte er. »Ohne Zeugen werden wir den Gegenbeweis nicht führen können. Und dann – unser seliger Herr Vater ging nicht unbescholten aus der Welt!«
»Das eben ist der Punkt, den wir ins Auge fassen müssen! Der etwas zweideutige
Ruf des
»Mein seit Jahren befolgter Plan nähert sich immer mehr der Reife,« entgegnete Adrian, mit Vergnügen diese Wendung des Gespräches erfassend. »Von dieser Seite, glaube ich, sind wir nunmehr so gut wie unangreifbar. Darum beharre ich auch mit eiserner Festigkeit dabei und lasse mich weder durch Bitten noch Drohungen in meinem Verfahren stören. Findest Du nicht auch, daß es das alleinige Mittel ist, dem in der Meinung des sogenannten Volksbewußtseins gesunkenen Adel den alten Glanz, die alte Obmacht wieder zu verschaffen?«
»Desto größer ist der Ruhm nach gewonnenem Kampfe! – Es sind jetzt etwas über
fünf Jahre, daß ich, von meinen Reisen zurückkehrend, den Entschluß faßte,
unser altes Geschlecht wieder zu Ehren zu bringen. Der Zeitgeist, dies
tausendköpfige Phantom des modernen Lebens, sollte mir dazu verhelfen. Ich
hatte die Schwächen unseres Jahrhunderts wohl erlauscht und wußte, wie man ihm
schmeicheln muß, um es sich dienstbar zu machen. Der Materialismus fing eben
an, von Hoch und Niedrig verehrt zu werden. Das Geld ward die Alles bewegende
Kraft, der Besitz desselben gab Ansehen und Macht. – Du weißt, lieber Bruder,
daß wir grade nur so viel besaßen, um als alte Edelleute anständig und mit dem
nothdürftigsten Aufwande leben zu können. Das konnte nicht besser werden, wenn
man nicht die Zeit benutzte und sich ihrer Schwächen bediente – mißbrauchte,
wenn Du willst. Ich entschloß mich dazu, erbaute mit geborgtem Gelde die Fabrik
und begann meine modernen Speculationen. Das Glück lächelte
»Das Umsichgreifen der sogenannten Volksfreiheit verbunden mit dem offen
ausgesprochenen Haß gegen den Adel war mir von jeher ein Dorn im Auge und
empörte mich wie Dich. Wir haben in frühern Jahren häufig unsere Meinungen
darüber gegen einander ausgesprochen. Betrachtete ich nun dieses gerühmte Volk,
diesen Klumpen anstandsloser, wenig gebildeter Menschen, die in ermattender
Arbeit Zweck und Lust des Lebens finden und jedem höhern geistigen wie
sinnlichen Genusse fremd bleiben, so bemächtigte sich meiner ein
unaussprechlicher Ekel, der jedoch bald einem stillen Jubel der Seele weichen
mußte. Ich glaubte nämlich das Mittel gefunden zu haben, dies freche, plumpe,
auf seine junge Freiheit überstolze dumme Volk demüthigen und es uns, seinen
angestammten rechtmäßigen Herren, wieder unbedingt unterwürfig machen zu
können. Seine Lust, sein Vermögen, dacht' ich, soll seine Geißel werden. Nicht
mit Skorpionen, nein, mit freundlichen Worten will
»Kaum ward es ruchbar, daß Herr am Stein eine große Spinnfabrik anlegen wolle, als sich eine große Menge Arbeiter meldeten. Viele, ja die Meisten kamen von fern her, nur der kleinere Theil waren meine Unterthanen. Ich nahm Jedermann freundlich auf und warb so viele, als ich beschäftigen konnte. Nur bedang ich mir aus, daß, wer bei mir Arbeit finden und behalten wollte, sich auf meinem eigenen Grund und Boden ansässig machen müsse. Anfangs stutzte Mancher bei diesem Verlangen, als ich ihnen aber vorschlug, unentgeltlich ein Stück Land zu geben und für Bau eines kleinen Hauses Geld zu niedrigem Zins vorzuschießen, schlug Jeder ein. Ich fing die Freiheitshelden wie genäschige Mäuschen. Schaarenweise sprangen sie in meine Falle, und so entstand das Spinnerdorf drüben am See.«
»Als meine Schuldner waren diese Thoren von Anfang an in meiner Gewalt, die ich
sogleich hätte gebrauchen können, wenn ich nicht
»Arbeit! Arbeit! Dieser Ruf hallt wieder in aller Welt! Jeder will Arbeit, Jeder preist die Arbeit, Jeder sieht in der Arbeit Gewinn, Ueberfluß, ein schönes, glückliches, sorgenfreies Leben in der Zukunft blühen!«
»Euch soll dies ersehnte Paradies baldigst lachen! dachte ich bei mir und gab
dem freien
»Dahin wollte ich die glückseligen Freien haben. Plötzlich, wie der Wind
umschlug, trete ich eines Tages unter sie mit betrübter Miene und verkündige
ihnen, daß ich den bisherigen Arbeitslohn eingetretener Conjuncturen wegen
nicht mehr zahlen könne, daß ich große Verluste gehabt und meinen Ruin
befürchten müsse, wenn ich dieselben Summen, wie bisher zahlen sollte. Ich
stellte es ihnen daher frei, ob sie mir für geringeren Lohn dienen wollten und
könnten.
»Nicht ein Einziger verließ mich. Die Dankbarkeit, wie ich erwartet hatte, kettete sie an mich. So wenigstens sagten Alle, wenn auch die wahre Veranlassung zu ihrem Bleiben in den Verbindlichkeiten zu suchen war, die sie gegen mich hatten. Das gute freie Volk arbeitete von Stund' an noch emsiger für geringeres Geld, lebte etwas sparsamer, weil es nichts besaß und noch weniger erübrigen konnte, und war zufrieden!« –
»Später wiederholte ich meine Lohnverkürzungen, aber immer bei schicklichen
Gelegenheiten, ich verlängerte zugleich die Arbeitszeit – weil die lieben Leute
Genuß im Arbeiten finden – und erreichte mehr und mehr meinen Zweck. Das alte
Haus Boberstein erhielt wieder den Besitz, verdrängte später aufgeschossene
Glückspilze, brachte alle baare Capitale an sich und entwand das Geld
vollständig dem arbeitenden Volke. Ich ließ ihm lebensgern das Bewußtsein, sich
als freie Männer zu fühlen, ich rief es ihnen, wo ich nur konnte, ins
Gedächtniß, doch je mehr ich die Freiheit pries, desto enger
»Ich blieb nicht auf halbem Wege stehen, mein biederer Bruder. – Da ich weiß,
was Bildung, was sogenannter Fortschritt der Zeit und Volksaufklärung vermag,
und wie grade ihre größere, immer zunehmende Verbreitung unser
allergefährlichster Feind ist, so gab ich mir Mühe, dieselbe zu beschränken.
Bei meinem System war dies eine leichte Aufgabe. Die Arbeiter konnten bald nur
zur höchsten Noth auskommen, sie mußten dabei Vermehrung des Verdienstes
wünschen und erstreben, aber sie durften von mir nicht verlangen, daß ich sie
auf meine Kosten bereichern sollte. Meine Vorkehrungen waren so getroffen, daß
kein Verdacht in ihnen aufsteigen konnte. So geschah, was ich voraus berechnet
hatte. Diese armen Teufel kamen bittweise bei mir um Verkürzung der
Schulstunden ein, damit ihre Kinder ihnen zur Hand sein und auch etwas erwerben
möchten! – Sollte ich den Tyrannen spielen? Ich hätte mich nicht beruhigen
können! – Ich beschränkte
»Noch bin ich nicht am Ziele, aber ich nähere mich ihm. Der heutige Morgen hat
mir gezeigt, daß ich diese freie Arbeiterschaar nicht mehr zu fürchten habe.
Ungeachtet des Lärms, den sie machten, und trotz der heftigen Drohungen
Einzelner bin ich doch überzeugt, daß sie eher neben meinen Maschinen den Geist
aufgeben, als mir die Arbeit aufkündigen. Nur die fatale Geschichte mit dem
Wenden und die schmählichen Gerüchte, die unsere Ehre compromittiren, macht mir
einiges Bedenken und hat auch diesen schon halb bewußtlosen Maschinenmenschen
eine Art Selbstthätigkeit eingeimpft, die ich ihnen kaum zugetraut hätte. Auf
welche Weise wir auch diese unterdrücken und das von uns abhängige
»Herr Aurel am Stein,« meldete der Bediente. Im Feuer des Gesprächs hatte Adrian nicht auf die Fähre geachtet, die einigemale von der Insel ans Land und von diesem wieder nach der Insel gekommen war.
»Sehr willkommen!« rief Adrian, indem er lebhaft aufsprang, um den theuern Bruder zu empfangen.
Aurel stand schon auf der Schwelle. Adrian ging ihm mit offenen Armen entgegen, drückte ihn jubelnd an sich und küßte ihn wiederholt. Auch Adalbert gab seine Freude in gleicher Weise, nur weniger stürmisch zu erkennen.
»Was hast Du denn für wunderliche Begleiter?« fragte Adrian, da er im Vorzimmer einige verhüllte Gestalten bemerkte, die einzutreten zögerten.
»Sehr liebe, werthe Gäste, theure Brüder,« versetzte Aurel mit strahlendem Auge
und bat die Harrenden durch leisen Wink, näher zu treten. Ein paar Frauen, von
Kopf zu Fuß in
Aurel ergriff die größere der Frauen bei der Hand, schlug den Schleier zurück und sagte mit bewegter Stimme:
»Deinem wiederholten Drängen, lieber Adrian, unsern Verwandten nachzuspüren, verdanke ich die unaussprechliche Freude, Dir in dieser würdigen Dame eine schwer Verfolgte vorstellen zu können, an der wir Vieles gut zu machen haben. Es ist Herta, Gräfin von Boberstein, unsere Tante!«
»Herta?« schrie Adrian laut auf und klammerte sich zitternd an Adalbert. »Herta lebt?«
»Fassung!« flüsterte der kältere Adalbert dem Entsetzten zu. »Der Boden weicht unter unsern Füßen. Aurel steht bei unsern Feinden!«
»Herta!« wiederholte Adrian tonlos, dann sank er zusammen. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, die Augen brachen ihm. Bewußtlos fiel der Ueberraschte in die Arme seiner zu seinem Verderben wieder erschienenen Tante.
Ende des dritten Theils.
Sechs heisere Glockenschläge verhallen langsam in der eiskalten Luft. Auf den wundervoll zarten Gebilden des Frostes, auf Palmzweigen, Orchideen und Lotosblumen an den Fensterscheiben der Hütten und Paläste flimmert das Silberlicht des Mondes. Der frisch gefallene Schnee knirscht unter den Fußtritten Vorüberwandelnder, schreit und wehklagt unter dem Räderdruck beschwerter Lastwagen.
Es ist Weihnachten, Weihnachten, das Freudenfest für Kinder und Erwachsene, der
gemeinsame Jubeltag im Jahre für Reiche und Arme! In Städten und Dörfern
entzünden sich die geschmückten Christbäume, um die erwartungsvoll harrenden
Kinder zu begrüßen. Fern
Wie begeht Martell, der tiefgebeugte arme Arbeiter diesen glückverheißenden Jubeltag der gesammten gläubigen Christenheit? Sehen wir uns um nach ihm und den Seinen, betreten wir nochmals die Wohnung des Mittellosen, um zu erfahren, ob er den Schmerz überwunden hat, der sein geängstigtes Vaterherz zerriß über den unverschuldeten Tod seines lieben Knaben.
Martell's Hütte liegt still und finster, von dem gastlichen Fuße keines
Freundes betreten, im funkelnden Schnee. Die Hausthür ist verschneit, kein Weg
gebahnt zur Verbindungsstraße des Arbeiterdorfes. In der Wohnstube brennt kein
geschmückter Tannenbaum, um auf den fröhlichen Jubel der beschenkten Kinder
herabzulächeln mit seinen Flammenaugen, ein spärliches Reißigfeuer nur knistert
im Ofen, das
Die Familie des Arbeiters ist vollzählig versammelt, da wegen des morgenden Festes die Arbeit eingestellt worden ist. Auch der Arme soll ruhen von seiner Arbeit an diesem hohen segensreichen Freudenfeste; auch er soll Zeit und Muße haben, Theil zu neh men an dem allgemeinen Jubel, der die halbe Welt zu Brüdern und Schwestern macht. Darum feiern seit Mittag schon die Maschinen. Darum sieht man nicht die ewigen Rauchsäulen aus den Riesenschornsteinen aufwirbeln; darum liegen die hochstockigen, fensterreichen Gebäude auf den Granitfelsen der Insel heut finster und verlassen.
Warum mag es so still, so freudlos sein in Martells Hütte? Warum rinnen
einzelne große Thränenperlen über die zarten, von kränklichem
Horch! Traugott, der alte gottgläubige Vater spricht. Neben seinem Spinnrade ist er niedergesunken auf die unebene, schmutzige Diele. Der Wiederschein des Mondes und ein zitternder Strahl des flimmernden Lämpchens liegt auf seinem runzelvollen, eingefallenen Gesicht. Mit einem Seufzer erhebt der Greis die Hände und spricht:
»Sechs Uhr! Das ist die Stunde, wo sie
Während Traugott so im Gebet sein Herz beruhigte, erhob Martell langsam seinen Kopf, heftete seine düstern brennenden Augen fest auf den alten Mann und horchte genau auf dessen Worte.
Die arme Frau antwortete nur durch einen unsäglich wehmüthigen Blick, der sanft bittend auf dem convulsivisch zuckenden Antlitze Martells haftete. Dieser jedoch achtete nicht darauf, sondern fuhr fort, indem er seinen Platz verließ und die enge Stube kreuz und quer nach allen Richtungen durchschritt:
»Es leuchtet mir stündlich mehr ein, daß die Armuth den Menschen schlecht,
grausam, ja zum Cannibalen machen kann, wenn er nicht immer an das Wort des
Heilandes denkt: Selig sind die Armen, denn das Himmelreich ist ihr. – Ach das
Himmelreich!« fuhr der
»Ja, Lore,« rief er mit grimmiger Miene seinem Weibe zu, indem er vor ihr stehen blieb. »Du kannst es glauben, daß mich, den Hungernden, heut ein Gedanke nicht rasten und nicht ruhen läßt, vor dem ich selbst mich entsetze!«
»Geduld, Geduld, Armer, es wird besser werden,« tröstete Lore. »Besser? Vielleicht. Bewahre mich nur Gott vor den bösen Träumen, in denen ich mich immer und immer als – Menschenfresser sehe! – Nun, 's ist ein krankhafter Gedanke.«
»So scherzt die Verzweiflung,« sagte Martell trocken und setzte seine Wanderung durch die kälter werdende Stube fort, denn das Reisigfeuer war längst niedergebrannt und die letzte Kohle davon dem Erlöschen nahe.
»Morgen ist Christtag,« fuhr der unglückliche Arbeiter fort, und dem Anscheine
nach gibt es starken Frost. Unser Holzvorrath ist zu Ende, unser Beutel so leer
wie unsere Magen. Erst in acht Tagen haben wir auf einige Pfennige zu hoffen.
Bis dahin müssen wir hungern und frieren, wenn wir's aushalten und nicht etwa
darüber sterben, was beiläufig sehr gescheidt von uns wäre. – Was mich nun
betrifft, so bekenne ich unverholen, das ich für diesmal gar keine Stimmung
habe, dies hochheilige Fest, das der Welt einen Heiland und Erlöser schenkte,
wie die Bibel sagt, hungernd und frierend zu verleben. Mich sehnt wieder einmal
nach menschlicher Existenz oder nach schleuniger gänzlicher
»Vertraue auf ihn, Martell!«
»Auf ihn? Auf den, der oben über den Wolken die Welt beherrscht, lenkt und regiert? – Ich weiß nicht, Lore, ob er mich nicht verstoßen und versäumen wird, wenn ich selbst nicht Kraft genug habe, mich ihm zu nähern! Dazu braucht man Zeit und ich habe keine Zeit zu verlieren.«
»Wenn Du beten wolltest, Martell!«
»Seit uns der Hans gestorben ist, kann und will ich nicht mehr beten,« versetzte der Arbeiter mit trotzigem Stirnrunzeln. »Ich habe ein Gelübde gethan am Grabe unseres Kindes, das ich halten muß, und dies erfordert blos trotzige Kraft, kein Gebet. Meine Seele schwimmt in einem Meer von Haß, sie lechzt und schreit nach Rache. Habe ich mich gerächt und somit meinen Haß gesühnt, dann will ich Gott um Verzeihung bitten und wieder ein stiller, frommer, demüthiger Mensch zu werden versuchen. Früher aber nicht, bei allen Strafen der Verdammniß!«
»Gott hat ihn schon gestraft, überlaß ihm auch die Rache, ihm ganz allein!«
»So wir vergeben; wird auch uns vergeben werden!« sagte Traugott.
»Es mag edel und großmüthig sein, Vater, wenn's nur auch so recht einfach menschlich wäre!«
»Du hast Dein Herz verhärtet, darum fühlst Du nicht mehr rein und lauter. Bete, ach bete, mein Sohn, damit Du nicht in Anfechtung fällst und uns verlorengehst!«
»So Gott mir und den Meinigen Rettung sendet bis zum neuen Jahre, so will ich wieder beten, Vater; wenn nicht, dann fahre dahin, Menschlichkeit, und der Böse rüste mich aus mit der Kraft, die ich bedarf zu meinem Werke!«
Martell riß die Pelzmütze von der Wand und zog seine ärmliche, mit zahllosen Flicken besetzte Winterjacke an.
»Willst Du noch ausgehen so spät?« sagte Lore, indem sie mit einer Stecknadel
den kaum noch glimmenden Docht der Lampe ein wenig ausspreitete und aus einem
zerbrochenen Töpfchen die letzten paar Oeltropfen darauf träufeln ließ. Heller
schoß das Flämchen empor und beleuchtete die bekümmerten, bestürzten und
vergrämten
»Es wird mir zu eng und zu heiß in meinen vier Pfählen,« versetzte Martell mit der fürchterlichen Ironie, die ihm seit seines Knaben Tode zur andern Natur geworden war. »Ihr braucht nicht auf mich zu warten,« fügte er hinzu, »denn wenn mir der heilige Christ in den Weg läuft, wie ich vermuthe, so biet' ich mich ihm zum Begleiter an, wandere mit ihm von Haus zu Haus und ergetze mich an Anderer Freuden. Darum gute Nacht, ihr Lieben. Auf ein frohes Wiedersehen morgen früh!«
Ohne der bittenden Blicke und Worte zu achten, womit Frau und Kinder den verzweifelten Vater zu halten suchten, stürzte Martell aus seiner frostigen öden Behausung, setzte mit großen Schritten durch den hohen Schnee und verlor sich auf der etwas betreteneren Fahrstraße in's Dorf.
Wohin Martell auch seine Blicke richtete, nirgends gewahrte er ein Zeichen
fröhlicher Weihnachtszeit. Still und traurig lagen die einzelnen Häuser im
Schnee vergraben. Hie und da schimmerte Licht durch die geschlossenen
Diese unbedingte Ergebung in ein kaum zu ertragendes Schicksal erbitterte Martell noch mehr. Er fand es feig, unmännlich, charakterlos, ja gemein, für die Qualen des Lebens Dem Dank zu sagen, der anscheinend nichts zu Erleichterung Nothleidender thut. Verwünschungen zwischen den Zähnen murmelnd, schritt der arme Spinner über den knisternden Schnee bis an's Ende des Dorfes. Hier, wo es die Haide mit schattigem Arm umfing, lag ein Schenkhaus. Der Schein vieler Lichter glänzte Martell schon von weitem aus diesem entgegen, und als er näher kam, konnte er aus dem lebhaften Geräusch auf zahlreichen Besuch schließen.
Zaudernd blieb Martell einige Secunden unfern des Hauses stehen. Seine linke
Hand vergrub sich unwillkürlich in die Tasche seiner Beinkleider und suchte mit
krampfhaft gebogenem
Trauriges, fast unvermeidliches Loos der Armuth, die aller Hilfe bar sich von
Gott und
Die Gäste der Schenke, ebenfalls herabgekommene und verzweifelte Familienväter, begrüßten Martell mit heiterm Zutrunk.
»Auf gesunde Feiertage!« – »Auf fröhliches Weihnachten!« – »Auf bessere Tage im
»Hast Du Nachricht?« fragte ihn sein Nachbar zur Rechten, ein langer schlanker Mensch mit schmaler Brust, dem die hellrothen Flecke auf seinen Wangen ein baldiges Ende prophezeiten. »Heut Morgen soll er dem Tode nahe gewesen sein.«
»Pah, er stirbt nicht!« entgegnete Martell. »Wäre auch ein Unglück, wenn er so
plötzlich
»Warum? Wolltest Du sie ihm tödten?«
»Tödten? – Nein,« sagte Martell mit entsetzlichem Lächeln. »Der Tod ist eine Wohlthat, keine Strafe; nur das Leben ist Strafe, wenn es recht tief in Elend eingewickelt wird. Und das, Freunde, glaubt mir, das wollte ich schon besorgen!«
»Wie denn?« fragte der Hektische, ein Gläschen des berauschenden Getränkes hinunterstürzend.
»Hätte der Adrian Jungen, so steckte ich sie unter die Maschinen, grade an
Orten, wo die geringste unzeitige Bewegung unheilbringend ist. Dort müßten sie
herumkrabbeln, bis ihnen nach und nach Hände und Füße zerquetscht würden, wie
meinem Hans, Gott hab' ihn selig und
»Nicht doch,« fiel ein Anderer ein, »solche Rache wäre grausam und unmenschlich! Warum unschuldige Kinder muthwillig verstümmeln? Ihn selbst müßte man unter die Kämme stoßen, und die scharfen Kanten und Zangen ein paarmal über ihn hinrasseln lassen, daß sein Körper wie ein gepflügtes Ackerland aussähe. Das wäre ihm gesund und würde ihn von Grund aus heilen.«
»Du bist im Irrthum, Anton!« erwiederte Martell mit seinem unheimlichen kalten
Lächeln. »Gesetzt, Adrian hätte Kinder, so müßte er seine Missethaten
schlechterdings in der Qual seiner Kinder büßen. Nichts schmerzt heftiger,
länger und tiefer, als die Leiden geliebter Kinder; nichts überwindet ein Vater
schwerer, als die Qualen, die Zufall oder Menschen seinen Kindern zufügen.
Folter ist Genuß gegen solche Pein, und
»Und die Mädchen?« fragte der Hektische. »Sollten die zarten kleinen Dinger auch so gequetscht und zerrissen werden?«
»Mit ihnen würde ich etwas glimpflicher verfahren,« versetzte Martell. »Damit sie einen Begriff bekämen von den Lasten und Mühen ihrer armen gedrückten Mitschwestern und in späteren Jahren, wenn sie nicht mehr Lust hätten, auf Liebschaften auszugehen, sich etwas erzählen könnten, würde ich sie in den Kattundruckereien Adalberts in England als Zieher anstellen.«
»Damit sie dicke Füße, dünne Beine und aufgetriebene Leiber kriegten?« rief ein
roher, halbtrunkener Bursche mit struppigem Flachshaar. »Ha, ha, ha, das ist,
mein Seel', ein teufelmäßig höllisch gescheidter Einfall! Das Ziehen machte sie
häßlich vor der Zeit und ungesund obendrein, und dergleichen Weibsleute sollen
auch unter den Vornehmen sehr schlechten Abgang finden! Heda, Mitgenossen, die
Gläser gefüllt und angestoßen auf die Gesundheit
Alle Umsitzenden stießen an auf das Wohl des zukünftigen Spinnerkönigs. Martell nahm diese Huldigung ruhig hin und fuhr dann fort:
»So scharfsinnig unser Freund und Bruder auch ist in seinen Voraussetzungen so
hat er doch das Wahre nicht getroffen. Freilich werden die Zieher elend und
häßlich in wenigen Jahren und manch Dutzend stirbt, ehe sie mannbar geworden
sind, aber wäre das Strafe, wäre das Rache zu nennen, wie unsere Qualen sie
verdient haben? Nein und abermals nein, sag' ich! Nur wenn augenblickliche Qual
und späteres lebenslanges Hinsiechen sich vereinigen, nur dann könnten wir uns
rühmen, hinreichende Rache geübt zu haben! Deshalb müßten Adrians Töchter –
Gottes Fluch auf sein Haupt, weil er keine hat – gleich jenen unglücklichen
Ziehern, vier und zwanzig Stunden ohne Unterbrechung arbeiten und, damit ihnen
der Schlaf nicht die Kräfte lähmte, von Viertelstunde zu Viertelstunde Nießwurz
schnupfen. Das erhält wach und peinigt grausam das ganze
»Die eigene Noth, Martell, und die bittern Erfahrungen, die Du vor Kurzem gemacht hast,« meinte der besonnene Anton, »führen Dich auf Abwege und lassen Gedanken in Dir entstehen, die nichts gemein haben mit christlicher Milde. Du frevelst, Du versündigst Dich, wenn Du im Ernst solche Wünsche äußern kannst!«
Martell schoß flammende Blicke auf den zurechtweisenden Tadler. Der schnell genossene Branntwein war ihm schon zu Kopfe gestiegen, sein eingefallenes, bleiches Gesicht begann sich zu röthen.
»Ein Hund, der vergibt, was mir geschehen
Jauchzend stießen die Unglücklichen ihre kleinen Gläschen zusammen und stürzten sie mit wilden Blicken, mit wuthgeröthteten Gesichtern aus. Mitten in diesem Taumel wüster Lust hörte Martell sich mit Namen rufen.
»Wer fragt nach mir?« sagte er und wendete sich unwirsch um, denn er besorgte, seine Frau möchte ihm nachgeschlichen sein und ihn heim holen wollen. Statt dessen sah er in die offenen, ernsten und doch so schalkhaft funkelnden kleinen Augen des Maulwurffängers.
»Pink-Heinrich!« sagte er lächelnd und reichte dem Greise die Hand. »Was treibt Euch in die Haide bei solchem Frost- und Schneewetter?«
»Die Sorge um Dich und Deine Familie,« sagte der Maulwurffänger mit ernstem Tone.
»Ich hielt Dich für einen starken Mann, und sehe nun, daß Du schwach bist wie ein Weib. Schäme Dich, Martell!«
»Rechte nicht mit mir, Heinrich, rechte mit der Verzweiflung, die in meinen Adern rast, rechte mit Gott, der mich verlassen hat!«
»Er hat Dich nicht verlassen, er ist mit Dir!«
»Gott mit mir? Ha, ha, ha, ha! Wenn Gott mit mir sein soll, so muß der Teufel eine Betschwester geworden sein! – Heinrich, ich glaube, es gibt keinen Gott oder nur einen Gott für die Reichen!«
»Es gibt einen Gott für Arme und Reiche, für Gute und Böse, und dieser Gott ist mit Dir, Martell, mit Dir vor tausend Andern!«
Der Spinner sah den Maulwurffänger mit ungläubigem Auge an.
»Ah so,« sagte er, ironisch lächelnd, »ich erinnere mich, daß heut Weihnachten ist! Da willst Du vermuthlich den heiligen Christ spielen und mir 'was schenken. Knecht Ruprecht, lieber Alter, würde Dir aber jedenfalls besser zu Gesicht gestanden haben!«
»Ein armer Mann ist immer bereit zu nehmen. Pack' also getrost aus!«
»So lerne einsehen, daß Gott mit Dir ist, Martell!« erwiederte der Maulwurffänger feurig, »und daß er diejenigen züchtiget, die er lieb hat. Du weißt, daß Dein und jedes Rechtlichen Feind, Graf Adrian von Boberstein, krank darniederliegt ob des Schreckens, den der Abfall seines Bruders Aurel von ihm und seiner ungerechten Sache ihm verursacht hat; Du weißt ferner, daß der gegen ihn angehängte Prozeß schwerlich zu seinen Gunsten entschieden werden kann; Du weißt endlich, daß seine Besitzungen in andere Hände übergehen werden und ihm selbst vielleicht nur ein geringer Theil der großen Herrschaft zufällt! Oder wußtest Du dies nicht?«
»Ich weiß es,« sagte Martell.
»Und dennoch verzweifelst Du? Dennoch wirfst Du Dich dem Laster des Trunkes in
die
»Die Noth hat mein Herz verbrannt. Rache würde die Flammen kühlen, die ich in mir lohen fühle!«
»Ich bringe Dir Rache zum Weihnachtsgeschenk.«
»Rache? Ist Adrian todt oder wahnsinnig?«
»Adrian lebt und wird hoffentlich noch lange leben, Du aber Martell, Du bist –«
Der Maulwurffänger hielt inne und heftete fest sein klares Auge auf den aufgeregten Spinner.
»Ich bin ein armer Mann,« sagte Martell, »das weiß ich, das fühle ich in diesem Augenblick mehr als je; mit einem Reichen würdet Ihr Euch keinen solchen Scherz erlauben.«
Schwer fiel die Hand des Maulwurffängers auf Martells Schulter. Er schüttelte ihn heftig. »Ungestümer,« sprach er, »gleichst Du doch ihm, dem Du verwandt bist, in allen Dingen, nur nicht in der kalten Ruhe der Entschlossenheit! Martell, die Stimme des Gerichts nennt Dich einen nahen Verwandten Paul Sloboda's und Adrians am Stein! Zu Deinen Gunsten wird der Prozeß gewonnen!«
»Ich dachte es, daß es ihn fürchterlich erschüttern würde,« murmelte der Maulwurffänger für sich, »Gott Lob, daß ich ihn nicht die volle Wahrheit sagte! Sie hätte ihn getödtet.«
Adrian war schwer, doch nicht lebensgefährlich erkrankt. Er hatte sich von dem geistigen Schwindel, der ihn bei Herta's Ankunft befallen, nicht wieder vollständig erholt. Vermehrte Sorgen, gehäufte feindliche Bewegungen unter seinen nächsten Umgebungen, endlich ein heftiger erschütternder Zwist mit Aurel, dem ein vollkommener Bruch folgte, hatten seine an sich starke und elastische Natur doch untergraben. Ein Nervenfieber warf ihn nieder und hielt ihn noch jetzt ans Lager gefesselt.
In der Zwischenzeit hatte der Maulwurffänger all seine Schlauheit aufgeboten,
um für die Sache seiner Freunde festen Boden zu gewinnen. Er machte riesige
Fortschritte, da Adrian
An dem schon in den ersten Tagen nach Herta's Ankunft auf Boberstein
ausbrechenden Bruderzwiste war Aurels herbe Geradheit Schuld. Adrian, bekannt
mit seines Bruders schroffem und leicht erregbaren Charakter, schlug von Anfang
an die glatten Wege sanft streichelnder und freundlich lächelnder Politik ein.
Er glaubte Aurel durch gleißnerische Ueberredungskünste für seine Pläne
gewinnen zu können. Auch gab er nur Andeutungen, nichts Ausgeführtes. Allein
bei Aurel verfing Alles nicht. Er blieb mit seemännischer Festigkeit bei seinem
Ausspruche: da man vor langen langen Jahren verübtes Unrecht entdeckt habe, sei
es ihre Pflicht, dasselbe möglichst
Diese Vorschläge und Zumuthungen liefen nun freilich den eigennützigen Plänen
Adrians schnurstracks entgegen. Ihm war daran gelegen, jede Spur seines Vaters,
der ein Boberstein sich zu schämen oder richtiger die er zu fürchten hatte, für
immer zu vertilgen, auf ewig in die Nacht der Vergessenheit zu stürzen. Er
wollte die verstreuten Reste verhaßter Verwandten nur kennen lernen, um sie in
der Stille,
Mehrere Tage lang fielen unter den drei Brüdern viele harte Kämpfe vor, ohne
daß Einer den Andern zum Uebertritt auf seine Seite bewegen konnte. Es war an
Einigung, an friedliche Ausgleichung nicht zu denken, da sich fester
Gerechtigkeitssinn und christlicher Humanismus an jesuitischer Schlauheit und
aller sittlichen
Unter keiner Bedingung wollte Adrian gestatten, daß Herta als Familienglied betrachtet werde. Er drang hartnäckig in Aurel, daß er die unheimliche Matrone mit einem tüchtigen Geldgeschenk, welches ihr ein sorgenfreies Leben gewähre, entlassen und ihr einen bestimmten Wohnort anweisen solle, mit der Bedingung, über ihre Vergangenheit gegen Jedermann unverbrüchlich zu schweigen. Diesem Verlangen trat Adalbert sehr energisch bei, indem er nachzuweisen suchte, daß die Ehre ihres Hauses ein solches an sich ganz ehrenwerthes und lobenswürdiges Verfahren erheische. Eine Menge Beispiele aus der Geschichte großer Fürstengeschlechter sollten dem Kapitän beweisen, wie rechtmäßig oder doch wenigstens erlaubt und weltklug solche Handlungsweise sei.
Aurel gab aber nur sarkastische und nichts weniger als beistimmende oder
beruhigende Antworten. Je länger und lebhafter die Unterhandlungen gepflogen
wurden, desto mehr überzeugte sich der schlichte Seemann von der tiefen
Verderbtheit seiner Brüder. Gewohnt, seinen Gedanken
Das konnte ihm bei seiner Umsicht und erlangten Vorkenntniß nicht schwer
fallen. Gilberts Gewandtheit unterstützte ihn außerdem vortrefflich und in Zeit
von kaum acht Tagen war er in das Gewebe, welches der Maulwurffänger zu Adrians
Verderben angezettelt
So groß diese Störungen waren, einen sichtbaren Einfluß auf die
Geschäftsthätigkeit in der Fabrik äußerten sie nicht. Hier blieben alle von
Adrian getroffene Anordnungen in Kraft und erlitten während der ganzen Dauer
seiner Krankheit nicht die geringste Abänderung. Ohne Vollbrechts milde
Verwaltung und Oberaufsicht wäre diese kritische Zeit wohl kaum so gänlich
ungestört vorübergegangen, doch diesem Manne gelang es durch väterliches
Ermahnen und durch Hindeuten auf die nahe Zukunft die Murrenden immer wieder zu
beschwichtigen. Aurel nebst seinen bäurischen Verbündeten mußte freilich an
Aufrechthaltung der Ruhe und strengster Gesetzlichkeit jetzt Alles gelegen
sein, wenn der Prozeß für alle daran Betheiligte einen glücklichen Ausgang
haben sollte. Er fürchtete für seinen namenlos erbitterten, in allen Gefühlen
tiefgekränkten natürlichen Bruder und doch wünschte er vor Allem gerade diesen
gerettet, vor dem Gesetz gerechtfertigt zu sehen. Vollbrecht, auf dessen
Verschwiegenheit man bauen konnte, ward in das Geheimniß gezogen und
Am Weihnachtsabende verließ Adrian zum ersten Male wieder sein Bett. Er war
äußerst schwach geworden und konnte nur mit Hilfe zweier Diener über das Zimmer
gehen. Gebückt, mit zitternden Gliedmaßen, hustend, bleichen Angesichts und mit
tiefen, noch krankhaft lodernden Augen ließ er sich von Sessel zu Sessel
gängeln, bald ans Fenster tragen, um sein brennendes Auge an dem reinen
silbergestickten Winterkleide
»Hat Vollbrecht die Arbeiten einstellen lassen?« fragte er matt. »Es ist mein Wille, daß alle Arbeiter die Feiertage über freie Zeit haben, damit sie sich erholen und Gott danken können für alles Gute, das er an ihnen gethan hat.«
Obwohl Adrian seine abgemagerten Finger dabei faltete, zuckte doch ein flüchtiger Zug grausamen Hohnes um den eingekniffenen Mund, der Zeugniß gab von des Kranken zur Gewohnheit gewordenen Heuchelei.
»Seit heut Morgen stehen die Maschinen still, gnädigster Herr,« versetzte der Kammerdiener.
»Das ist Recht, das freut mich! Wie zufrieden werden meine Arbeiter mit dieser Einrichtung sein!«
»Ew. Gnaden,« sagte der Bediente, unterbrach sich jedoch selbst, da ihn der Kammerdiener unsanft anstieß.
»Nun?« fragte Adrian, als er die Verlegenheit des jungen Menschen und sein
Erröthen
»Es hat Zeit damit bis nach dem Feste,« bemerkte der Kammerdiener.
»Ich will es aber jetzt, will es sogleich wissen und ohne Vorbehalt!« fiel Adrian heftig ein, da ihn der, obwohl gutgemeinte, Widerspruch seines Kammerdieners ärgerte. »Rede oder ich jage Dich noch heute fort, ohne Lohn und Christbescheerung!«
Fragend sah der Diener seinen ältern Gefährten an und da ihm dieser achselzuckend zuwinkte, sagte er:
»Ich wollte blos bemerken, Ew. Gnaden, daß die Mehrzahl der Spinner sehr traurige Feiertage halten wird, da wie Sie wissen, das Fest in die Woche fällt und auf Ihren ausdrücklichen Befehl die Lohnauszahlung erst am Tage nach Neujahr erfolgen soll. Die Meisten sind nun ohne Brod, ohne Holz, ohne Winterkleider und die Kälte ist seit heute Morgen um viele Grade gestiegen!«
Adrian bewegte theilnehmend und bejahend den Kopf, ohne, wie der Kammerdiener
gefürchtet
»Freilich,« sagte er, »das ist sehr schlimm für die guten Leute, allein es wird auch das Gute haben, sie in Zukunft vorsichtiger und sparsamer zu machen. Ich konnte es nicht wissen, daß sie die paar Groschen so gar nöthig brauchten, – ich phantasirte ja! Vielleicht habe ich gar diesen Befehl in der Fieberhitze gegeben, denn ich kann mich durchaus nicht mehr auf ihn besinnen.«
»Befehlen vielleicht Ew. Gnaden, daß Herr Vollbrecht jetzt noch – es ist sechs Uhr vorüber –«
»Nein, nein, nein, keine Störung, kein Widerruf! Ein Herrenwort muß heilig sein, sonst sinkt der Respect. Die guten Leute werden sich behelfen, wie sie können, werden einander borgen und recht sparsam leben. Sie verderben sich nicht die Magen im Christbrod, was sie gern thun, wenn sie's haben, und so stiftet mein Fieberbefehl noch eine gute That!«
Wieder flog jenes teuflische Hohnlächeln über die Züge des kraftlosen Kranken.
Adrian wußte sehr wohl, was er gethan hatte. Er
»Geh,« sagte er nach einer langen Pause zu seinem Kammerdiener, »geh und bitte Herrn Vollbrecht, wenn es ihm gefällig sei, mich bald mit seinem Besuche zu beehren.«
Nach diesem Befehl legte sich der Kranke bequem in den Lehnstuhl zurück, schloß die Augen und schien zu schlafen. Der Bediente entfernte sich, um den Gebieter nicht zu stören, und so gewann dieser Zeit und Ruhe, im Stillen über die mancherlei wichtigen Angelegenheiten, die ihn beschäftigten, mit sich zu Rathe zu gehen.
Nach Verlauf einer Viertelstunde, während dem Adrian kein Zeichen des Lebens von sich gegeben hatte, ließ sich Vollbrecht melden und ward angenommen.
Nie hatte Herr am Stein seinen Buchhalter und Geschäftsführer mit größerer
Innigkeit
Der Buchhalter beglückwünschte den Grafen kühl zu seiner Besserung und überreichte ihm zwei Briefe von Adalbert und dessen Gattin. Ein paar Packete, die zugleich mit angekommen waren, legte er auf den Tisch.
»Mein lieber Herr Vollbrecht,« begann Adrian, mit den Briefen spielend, »ich
habe Ihnen großes Unrecht abzubitten. Heut, wo ich mich zum ersten Male als
einen zum Leben Erwachten ansehen darf, fühle ich mich unwiderstehlich zu
solcher Abbitte gedrungen; denn ich sehe wohl ein, daß ich nur Ihrer Umsicht,
Vorsorge, Treue und Anstrengung den gesegneten Fortgang meines umfangreichen
und verwickelten Geschäftes
Vollbrecht konnte die dargebotene Hand nicht aus schlagen. Adrian drückte und schüttelte seine Rechte wie ein wahrer Freund.
»Mit diesem Händedruck lassen Sie das Vorgefallene vergessen, für immer aus
unserm Gedächtniß verschwunden sein!« fuhr Adrian fort. »Gern möchte ich Ihnen
meine Erkenntlichkeit an den Tag legen, allein ich weiß schon, daß Sie ein
hartnäckig edelmüthiger Mann sind, dem schwer beizukommen ist. Sie nehmen keine
Geschenke an, nicht einmal an Festen, wie das heutige, wo sich die halbe Welt
beschenkt. Wie, Herr Vollbrecht, soll man es denn anfangen um es Ihnen zu
beweisen, daß man Ihnen
»Ich würde mich wahrhaft freuen, ja im Innersten beglückt fühlen, Herr am Stein, wenn Sie das Wohlwollen, welches Sie unverdienterweise mir schenken, auf Diejenigen übertragen wollten, die es in weit höherem Grade verdienen und dessen weit mehr bedürftig sind, als ich.«
»Sie meinen die Arbeiter?«
»Ihre darbenden Arbeiter!«
Adrian schloß auf einige Secunden die Augen, dann sagte er: »Verurtheilen Sie
mich nicht, lieber Herr Vollbrecht, der Schein trügt häufig und Handlungen, die
ursprünglich von der edelsten Gesinnung dictirt werden, können sich,
oberflächlich betrachtet, als verbrecherisch darstellen. Fast scheint es mir,
als geschähe dies mit dem Verfahren, das ich seit längerer Zeit gegen meine
Arbeiter beobachte. Läugnen will ich zwar nicht, daß ich von ihrer
Aufsätzigkeit erbittert, einigemale härter mit ihnen umgegangen bin, als es
vielleicht vom christlich-humanen Standpunkte aus erlaubt war, allein das muß
man auf Rechnung der Gereiztheit setzen, wo auch der beste Mensch sich
schlimmen
Adrian verstand es vortrefflich, eine Rührung zu heucheln, von der sein Herz
nichts wußte. Dennoch ward Vollbrecht von diesem scheinbar ehrlichen und
offenen Bekenntnisse doch überrascht. Genau mit den Neigungen der
Fabrikarbeiter vertraut, mußte er Adrian in vielen Behauptungen Recht geben;
tausend Beispiele bestätigten den Hang dieser Leute leicht und schnell
Erworbenes eben so schnell wieder zu verwüsten! Ihre Neigung zu sinnlich
verschwenderischem Leben, zu hochmüthiger und prunkvoller Tracht ließ sich
nicht verleugnen, und daß sie die Herren gern tyrannisirten, wenn sie die Macht
dazu besaßen, war einer der häßlichsten Züge in ihrem Charakter. Eine gewisse
Beschränkung konnte daher wirklich nöthig und zu ihrer sittlichen Veredlung
dienlich sein, nur durfte eine
»Wenn dies wirklich Ihre höchst ehrenwerthe Absicht ist, Herr am Stein,« versetzte der Buchhalter, »so würden Sie sich mit einemmale die Herzen aller Ihrer Arbeiter gewinnen durch ein Weihnachtsgeschenk, das Sie ihnen verabreichen ließen. Sie dürfen nicht besorgen, daß ein solches Ihre Untergebenen übermüthig machen würde! Dazu besitzen sie sammt und sonders zu wenig; wohl aber würde es viele Thränen trocknen, viele Gemüther beruhigen und einer Bevölkerung von einigen Tausenden den Uebergang aus einem alten Jahre in ein neues versüßen.«
»So glauben Sie in Ihrer Menschenfreundlichkeit, lieber Vollbrecht,« entgegnete
Adrian,
»Ihre Maßregeln zu beurtheilen, gnädiger Herr, erlaube ich mir nicht, da ich Sie in Ihren Entschließungen so fest und unwandelbar finde.«
»Das heißt mit andern Worten: Sie mißbilligen mein Verfahren.«
»Ich billige es nicht, Herr am Stein!«
»Aus Philanthropismus?«
»Fürchten Sie neue Ausbrüche der Unzufriedenheit?«
»Das nicht, Herr am Stein. Es gibt keine Unzufriedenen mehr, es gibt blos noch Verzweifelnde und diese verlangen keine Unterredungen.«
»Sondern? Sie verheimlichen mir noch einen Gedanken!«
»Wenn ich es thue, so geschieht es aus Schonung und Rücksicht für Ihren Gesundheitszustand, Herr am Stein.«
»Dennoch bitte ich Sie, ehrlich mit mir zu verfahren, wie ich es mit Ihnen gethan habe! Was fürchten Sie?«
»Den Wahnsinn Martells!«
»Wahnsinn?« wiederholte Adrian und sein Auge loderte heftiger auf. »Martell ist wahnsinnig? Wahnsinnig über den Tod seines Kindes?«
»Man besorgt allgemein, daß seine Vernunft dem namenlosen Seelenschmerz und der grenzenlosen Noth, die in seiner Familie herrscht, ehestens unterliegen wird. Die Folgen eines solchen Unglücks wage ich nicht voraus zu bestimmen.«
»Immer bis auf den heutigen Tag war er der Erste an der Maschine und der Letzte, welcher den Saal verließ. Er arbeitete stets unverdrossen, aber mit einem Blick, mit einem Lächeln, die das Entsetzliche, das in ihm vorgeht, oder sich vorbereitet, verrathen. Man sagt, er betäube seinen Gram durch Branntwein!«
»Ich begreife nicht, was mich an diesem wilden Menschen anzieht,« sagte Adrian nach kurzem Schweigen,»was mich wünschen läßt, daß er in eine bessere Lage versetzt werden möge, ohne daß ich selbst die Hand dazu reichen darf. Ein unerklärliches Etwas, eine dunkle Warnungsstimme hält mich ab, daß ich es nicht thue! Aber verderben, ganz elend, wohl gar wahnsinnig werden aus Mangel an dem Allernothwendigsten mag ich ihn doch nicht sehen! Geben Sie daher Befehl, lieber Herr Vollbrecht, daß morgen früh der rückständige Lohn nebst dem auf die erste Arbeitswoche im neuen Jahr fallenden Martell ins Haus geschickt werde! Sie werden mir morgen Bericht erstatten, wie der Spinner diese Aufmerksamkeit aufgenommen hat und wie sein geistiges Befinden ist. Gesunde Feiertage!«
Adrian öffnete jetzt die erhaltenen Briefe. Sie enthielten höflich gefaßte, glatte und süße Glückwünsche zum Fest und nahenden Jahreswechsel, und waren außerdem noch von sehr reichen und kostbaren Geschenken begleitet, die Adalbert nebst Gattin dem lieben, kranken Bruder zum Andenken überschickten. Der Kranke freute sich wirklich einen Augenblick darüber, ließ in einem Anfall kindischer Laune die Geschenke vor sich auf dem Tische ausbreiten, an Ermangelung eines Tannenbaums die goldnen Kronleuchter anzünden und weidete sich an dieser stillen kalten Christbescheerung in dem reich meublirten, von würzigem Duft und behaglicher Wärme erfüllten Zimmer.
Um dieselbe Zeit ruhten Martells Töchter,
Gegen Mitternacht schwankte der halbtrunkene Martell am Arme des Maulwurffängers in seine Wohnung und bettete sich für diese verhängnißvolle Nacht auf der Bank hinter dem Ofen. Heinrich rückte die Pelzmütze in die Stirn, verschlang die Arme über die Brust und schlief fest und tief bis an den Morgen.
Nach Tische ließ Vollbrecht dem Herrn Adrian am Stein durch seinen Kammerdiener sagen, daß Martell jede Gabe des Grafen, die nicht zugleich auch seinen Mitarbeitern zu Theil werde, mit Stolz und Verachtung zurückweise!
Adrian zuckte die Achseln, strich das Geld wieder ein und sagte verächtlich:
»So mag er
Dabei flog der Glanz eines leuchtenden Gedankens über sein krankhaft bleiches Gesicht. Er griff nach Papier und Feder, blätterte in seinem Taschenbuche, um sich einige Notizen darin aufzusuchen, und schrieb dann eiligst einen Brief nach Hamburg, den er seinem Kammerdiener zu schneller Besorgung übergab.
Lange Jahre hatte der Zeiselhof keine so heitern Tage gesehen, als das diesmalige Weihnachtsfest. Ein anderer, ein guter Geist, war mit Aurel und seinen Begleitern eingezogen und hatte bald wieder Leben und Frische in die bis dahin verödeten Gemächer gebracht. Der Kapitän, fest entschlossen, das Vaterland vor Ausgang des Prozesses nicht mehr zu verlassen, nahm sich der innern Verwaltung des bedeutenden Rittersitzes mit Eifer an, und obwohl er von Oeconomie wenig verstand, wußte er sich doch mit Hilfe des gegenwärtigen Verwalters schnell so weit zu orientiren, daß er Anordnungen treffen und in streitigen Punkten ein entscheidendes Wort sprechen konnte, ohne sich eine Blöße zu geben.
Herta lebte ebenfalls mehr und mehr wieder auf. Ihr durch die unwürdigsten Verhältnisse und beklagenswerthesten Schicksale so lange niedergedrückter Geist erwachte zu alter schöner Lebendigkeit in den Umgebungen, die ihren frühesten Gewohnheiten entsprachen. Sie hatte zwar nie den Zeiselhof in den Tagen ihres träumerisch-schönen Jugendglücks betreten, aber diese hohen Zimmer mit den veralteten Tapeten waren ihr lieb als Zeugen der Versuchungen, welchen Haideröschen hier so trotziglich widerstanden hatte. Das Andenken dieser unglücklichen, dieser unvergeßlichen Freundin und Lebensgefährtin ehrend, erwählte sie das schmale Balconzimmer, das mit dem ehemaligen Wohnzimmer des Grafen Magnus durch die verborgene Falzthüre in unmittelbarer Verbindung stand, zu ihrem Boudoir.
Später erschien auch Sloboda mit seinem
Zu den Feiertagen hatte Aurel die beiden Alten um einen Besuch auf längere Zeit gebeten. Sloboda und der Maulwurffänger trafen mehrere Tage vor dem Feste ein. Dadurch ward die Sendung des immer rüstigen Heinrich nach Boberstein möglich, die der alte Mann selbst übernehmen mußte, wenn sie glücklichen Erfolg haben sollte. Schon am Abend des Christtages kam der schlaue Greis mit sehr zufriedener Miene wieder zurück und meldete den erwartungsvoll Harrenden, daß Martell vorläufig gerettet und seiner Familie nothdürftig geholfen sei.
Man hatte bisher nicht hinlängliche Ruhe und geistige Sammlung gehabt, um von
Herta die Erzählung ihrer Schicksale erbitten zu können.
Am Abende des zweiten Feiertages hatte sich dieser Zirkel so fremdartiger,
verschiedenaltriger und doch so eng und nah verwandter Personen – die
Repräsentanten dreier Generationen – in Hertas Zimmer am Theetische versammelt.
Man zog es vor, die Diener gänzlich zu entfernen, um völlig ungestört sich der
Vergangenheit und ihren Eindrücken überlassen zu können. Aurel schlug sogar
vor, größerer Sicherheit wegen die Unterhaltung französisch oder englisch zu
führen, man mußte indeß aus Rücksicht für Sloboda und Pink-Heinrich darauf
verzichten. Letzterer konnte nicht umhin bei diesem echt aristokratischen
Vorschlage eine seiner trocknen Bemerkungen zu machen, die hinter
»Schade, mein Herr Seemann,« sagte er, »daß ich dummer Dorfteufel in meinem
langen müssiggängerischen Leben mein Tage nicht den gescheiten Einfall gehabt
habe, das Parlez-vous zu traktiren! An Gelegenheit war kein Mangel dazumal, als
der Bonaparte die Welt mit Schwert und Kanonen regierte; 's wurde mir salt zu
jener Zeit. sogar von einem großbesternten Offizier, den ich als Ordonnanz ins
Oberland begleiten mußte, angeboten, mir unentgeltlich in dem welterobernden
Kauderwelsch Unterricht geben zu lassen, ich Narr bedankte mich aber gar schön
bei selbigem Großen. Denn, mein Herr Seemann, ich schämte mich just in meine
altdeutsche Seele hinein, daß ich die Sprache eines Volkes lernen sollte, deren
vermaledeites Lallen die Tugend unsrer Weiber untergrub! Ich kriegte, so zu
sagen, mit Verlaub den Bittern auf die Parlez-vous und ihr Genäsele, und so bin
ich denn ein altdeutscher ehrlicher Dumrjan geblieben. Beliebt es demnach den
ehrenwerthen Versammelten, so bitte
Aurel nahm diese etwas derbe, aber mit listigem Augenblinzeln gehaltene Entschuldigungsrede seiner Unkenntniß mit Heiterkeit auf, scherzte selbst über sein undeutsches Ansinnen und wußte die Unterhaltung unmerklich so zu leiten, daß sich ein Gespräch über die Vergangenheit ungezwungen daran knüpfen ließ. Man war heiter, traulich und fühlte sich bei dem brausenden Schneesturme, der über die Haide herantobte und Wolken staubfeinen Eises gegen die Fenster jagte, heimlich in der friedlichen Umgebung. Mit komischem Behagen und etwas täppischer Unbeholfenheit genossen Paul, Sloboda und unser Maulwurffänger das aromatische Getränk, das Herta noch mit der ganzen Zierlichkeit und Anmuth ihrer Jugendjahre bereitete. Emma, die natürlich in diesem Kreise auch nicht fehlen durfte, versah das Amt einer Dienerin.
»Ist es mir doch, als hätte ich kurz vor dem Tode meines Oheims zuweilen ebenfalls von diesem Manne sprechen hören,« bemerkte Herta. »Er mußte ein Mann von Gewicht sein.«
»Wie man's nimmt, meine gnädige Gräfin,« versetzte der Maulwurffänger, die
neugefüllte Tasse dankend aus Herta's schmaler Hand empfangend. »Als ich jung
war, fürchtete, haßte und liebte man ihn, je nachdem Einer oder der Andere ein
gutes oder böses Gewissen sich zur Nachtruhe unter den Kopf schieben konnte,
denn der Johannes der Haide, wie er mit seinem richtigen Tauf- und
Familiennamen hieß, war seiner Zeit ein ganz scharfer Richter, bei dem zwei mal
zwei vier, und krumm immer krumm blieb und wenn ihm einer versprochen hätte,
das Oel
»Sonderbar!« fiel Herta ein. »Obwohl ich immer ein düsteres Vorgefühl und eine Scheu vor den Thaten meines Vaters gehabt habe, mit Bestimmtheit konnte ich doch nie erfahren, ob er und der berühmte oder berüchtigte Fürst der Haide ein und dieselbe Person seien! Denn Ihr wißt, braver Alter, daß sich Johannes nach der Zerstörung des Schlosses Boberstein in die abgeschlossenste Einsamkeit zurückzog. Die Streifzüge des Fürsten der Haide wurden aber noch geraume Zeit fortgesetzt – wie ich nunmehr vermuthe, von den Tapfersten seiner Gefährten. Und so erfahre ich mithin erst jetzt, daß Johannes, mein Retter und Rächer, wirklich jenen für alle vornehmen Verbrecher schreckenvollen Namen führte.«
»Es ist so, wie ich sage, meine gnädigste Gräfin,« betheuerte Pink-Heinrich.
»Derselbige Johannes, der in seinen guten Tagen ein Hauptschütze war und ein
wahrer Mordhahn im Fechten und Reiten, und dem just wegen so vortrefflicher
Eigenschaften der gnädigen Gräfin in Gott ruhende liebe Mutter zu tief in Aug'
und Herz
Auf einen Wink Herta's trug Emma die Theemaschine nebst Tassen fort und Herta schickte sich an, in zusammenhängender Erzählung eine Skizze ihres Lebens seit ihrer gezwungenen Flucht von Boberstein den Freunden zu entwerfen.
»Ich beginne von dem Augenblicke an, wo wir von einander schieden,« sprach
Herta, indem sie ihre abgemagerte Hand dem neben ihr sitzenden Maulwurffänger
reichte, als wolle sie ihm nach so langen Jahren nochmals für den ihr
geleisteten Beistand und für die vielen Dienste und Gefälligkeiten, die er
ihrer Freundin erwiesen hatte, Dank sagen. »Umgeben von den vielen Bewaffneten
in Jägerkleidung, immer begleitet von dem häufig erstickenden Brandgeruch der
Haide und überwölbt von einem trübroth flammenden Himmel, rollten wir in
schlechter, schütternder Kalesche auf bald holprigen, bald tief in
»Nach dreitägigem allerdings meist langsamem Vordringen in dem unermeßlichen
Waldesdickicht – des Nachts rasteten wir entweder bei Köhlern oder auf einer
sogenannten Streu, wo sich
Bis zu diesem von allem Verkehr und jeder
»Gegen Abend kamen Alle in großer Verstimmung wieder zurück, namentlich ließ jener mir Furcht und Entsetzen einflößende Häßliche mit dem Wolfsgebiß fortwährend fürchterliche, unverständliche Drohungen hören, auf die jedoch mein Vater nicht achtete. Die beiden Andern blieben mit düstern Blicken und gerunzelten Stirnen still neben einander sitzen.«
»Liebe Tante,« unterbrach hier Aurel die Erzählende,
»Keiner der Männer nannte ihn bei'm Namen,« erwiederte Herta, »abwechselnd hörte ich ihn nur bald Lugauge, bald Wolfszahn rufen.«
»Kein Zweifel, er ist es!« sagte Aurel und verdoppelte wo möglich noch seine Aufmerksamkeit.
»Wer?« fragte Herta. »Den Schrecklichen, in dessen Hand mein unglückliches Leben gerieth, können Sie nie erblickt haben!«
»Davon später, gnädige Tante. Bitte fahren Sie fort, wenn es Ihnen genehm ist.«
»Lugauge oder Wolfszahn, wie ich ihn nennen will, warf meinem Vater
Treulosigkeit, Wortbruch und Egoismus vor und ließ nicht undeutlich merken, daß
ich ihm verhaßt sei. Die kalte Ruhe Johannes erbitterte ihn immer mehr und
verleitete ihn zuletzt Hand an ihn zu legen, indem er wüthend an seine geladene
Büchse schlug. Verächtlich stieß Johannes den Rasenden von sich, rief ihm
barsch zu, daß er sein Theil erhalten habe und ihn fortan ungestört lassen
solle! Er sei Herr seines Willens und könne
»Schon gut,« versetzte Wolfszahn nach dieser eben so kurzen als heftigen Scene, die ich, an Emmas Brust geschmiegt, zitternd und zagend mit angehört hatte, »es wird schon Tag und Stunde kommen, Herr Johannes, wo wir zusammen Abrechnung halten können. Hoffentlich sind wir dann ohne Zeugen und mithin ungestört und weigert sich der gewissenhafte Herr dann abermals, mir gerecht zu werden, so kenne ich ein untrügliches Mittel, mir auf eigne Faust Gerechtigkeit zu verschaffen!«
»Johannes lächelte blos zu dieser Drohung, Lugauge winkte den beiden Schweigsamen und verließ mit ihnen das Bauerhaus. Im Fortgehen schleuderte er mir noch unter grinsendem Lachen einen boshaften Blick zu, der mich lange im Traume noch erschreckte und mir ein namenloses Entsetzen einflößte.«
»Als diese drei Männer endlich im finstern Föhrenwalde verschwanden,« athmete
mein Vater erst frei auf. »Gott Lob und Dank,« rief er mich zärtlich umarmend
aus, »jetzt erst bist Du vollkommen mein, theures, heißgeliebtes Kind;
»In diesem Augenblick klirrte neben uns eine Scheibe, daß die Stücken zur Erde fielen und pfeifend schlug eine Büchsenkugel in den geschwärzten Tragbalken der Decke, daß einige braune Splitter umherflogen.« Ich schrie entsetzt laut auf und barg mein Gesicht an der Brust des Vaters. Dieser that, als sei nichts geschehen. »Unvorsichtigkeit eines Jägerburschen,« sagte er, »der mit Schießgewehr noch nicht umzugehen weiß!« – Ich ahnte aber wohl, aus wessen Büchse diese mahnende Kugel ausgesendet worden war.
»Ohne die traurigen Erinnerungen an grauenvolle hirnverrückende Momente der
Vergangenheit hätte ich jetzt ein zufriedenes, ja glückliches Leben führen
können. Die völlige Abgeschiedenheit, die rauschende Waldeinsamkeit, der
Harzduft der Kiefern und Tannen, die zauberischen Sonnenuntergänge, welche die
unabsehbare Waldung in goldenes, funkenflimmerndes Aetherlicht tauchten – das
Brausen der nächtlichen Stürme, in
»Von den Folgen dieses Brandes hörten wir nichts. Wir waren weit genug von dem Schauplatz des furchtbaren Ereignisses entfernt, um in größter Ruhe auch die außerordentlichsten Ereignisse abwarten zu können. Zeitungen und fliegende Blätter verirrten sich nicht zu uns, nur von ab- und zugehenden Köhlern oder Kienrußhändlern drang bisweilen eine Neuigkeit aus der bewegten Welt des bewohnten Landes in unsre Einsamkeit.«
»Johannestrieb mit einer gewissen Leidenschaft Vieh- und Bienenzucht. Er hatte,
wie er mir später sagte, das von uns bewohnte und bequem mit städtischem Luxus
eingerichtete Haidehaus käuflich an sich gebracht und lebte von dem nicht
unbedeutenden Ertrage desselben. Ein ansehnlicher
»Sehr lebhaft interessirte mich die Bienenzucht, an der ich schon früher, durch
die Bekanntschaft mit Gregor, dem drolligen Schulmeister, Gefallen gefunden
hatte. Ich fürchtete mich zwar noch immer vor den schwärmenden kleinen Thieren,
ließ mich aber doch von Johannes überreden, ihn einigemale in den Wald zu
begleiten und der Pflege der wilden Bienen zuzusehen. Diese bauen in schlanke
Baumstämme ihre durchsichtigen zarten Zellen und gewähren einen sonderbaren
Anblick. Oft siedelten mehrere Schwärme in ein und demselben Stamme
stockwerkartig über einander, oder es standen in weitem Halbkreise eine Menge
hoher Föhren beisammen, die von Millionen Bienen bewohnt waren. In solche
Hecken wilder Bienen einzudringen war nicht immer gefahrlos. Der Bienenvater,
der Zeidler, wie man ihn hier nennt, mußte vertraut sein mit den Gewohnheiten
dieser fleißigen und an sich harmlosen Thiere und die Zeit abpassen, wo die
Sonne zu Rüste ging, oder ihre Strahlen doch nicht gerade den wimmelnden
Zellenbau trafen. Denn im vollen Schein dieses Gestirns flogen die summenden
Thiere sammelnd zu Tausenden
»Mein Vater besaß auf seinem Heideantheil über hundert ›Beuten‹ wilder Bienen, die er mit großer Aufmerksamkeit pflegte und beim Schwärmen durch Anlegung neuer ›Beuten‹ zu mehren suchte. Der Ertrag an Honig war bedeutend und um so gewinnreicher, als er süßer und von Geschmack aromatischer vom Kenner gefunden wurde, als der der zahmen Bienen. Ich erwähne dieser Bienenzucht so ausführlich, weil das Schicksal meines Vaters durch sie eine tragische Wendung erlitt.«
»Zwischen Lectüre, Handarbeit und Erholung meine Zeit eintheilend, kam der Spätherbst heran und nöthigte mich, im Hause zu bleiben. Johannes ging fleißig auf die Jagd, meistentheils allein, nur zuweilen von einem stämmigen Burschen begleitet, der sich in Emmas rosiges Gesicht verliebt hatte und halbe Tage lang, die Pelzmütze in der Hand, neben dem Wandheerde stehen und stumm und stier die Flamme anglotzen konnte. Mit ihr gesprochen hat der Bursche meines Wissens niemals. Oder doch, Emma?«
»Ungeachtet des Abscheues, den ich bei der bloßen Erinnerung an meinen Vetter Magnus empfand, drängte es mich doch, Johannes zu fragen: ob er nichts mehr von ihm und den Seinen gehört habe? Johannes behauptete ohne Nachricht zu sein, doch hatte ich Grund, die Wahrheit dieser Behauptung zu bezweifeln. Mein Vater schrieb und empfing Briefe, an wen und von wem? konnte ich nicht erfahren. Sie mußten aber nicht immer erfreulichen Inhaltes sein, denn oft ward Johannes so davon verstimmt oder gar erschüttert, daß er seine Bewegung mit aller Kraft des Willens nicht verbergen konnte und häufig noch des Nachts seufzend in seiner Kammer auf- und niederging. Ich vermuthe, daß Wolfszahn sich mit Magnus in Verbindung gesetzt und ihm Johannes in einem Licht dargestellt hatte, das ihm gefährlich werden, vielleicht gar seine persönliche Sicherheit gefährden konnte.«
»Es blieb indeß bei diesen momentanen Aufregungen. Johannes ging nach solchen
beunruhigenden
»Tief im Winter ward ich Mutter, Mutter eines muntern braunen Knaben, dessen
kindliche Gesichtszüge mich schaudernd an seinen entsetzlichen Vater
erinnerten. Nichts desto weniger liebte ich das Kind zärtlich, weidete mich an
seinem Lächeln und küßte ihm die trotzigen kleinen Lippen mit namenloser Wonne.
Ich gelobte an der Wiege des schlummernden Knaben durch seine Erziehung die
Vergehungen des herzlosen
»Der Knabe gedieh sichtlich, entwickelte ungewöhnlich zeitig gelenke Körperkraft und geistige Schärfe, lernte sehr bald sprechen und war mit zwei Jahren ein prächtiger Junge. Mein Vater nannte ihn scherzweise den Haidekönig und war nahe daran, ihm zu Liebe dem grausamen Magnus zu verzeihen.«
»In dieser Zeit trug sich nichts Bemerkenswerthes zu. Unser Waldleben war
einsam, eintönig, wie das eines Einsiedlers, und würde mir lästig geworden
sein, hätten wir uns nicht auf mancherlei Weise nützlich und angenehm zu
beschäftigen gewußt. Ueberdies unterhielt mich die eigenthümliche Poesie der
Haide, auf deren Stimme zu lauschen ich nie müde ward. Kein Tag, ja keine
Stunde verging, wo ich nicht ein neues Phänomen entdecken und bewundern konnte.
Ich ward ein Kind der Natur und lebte mich so tief und innig ein in ihre
wunderbaren Geheimnisse, daß mir Alles andere schaal dagegen erschien. Im
nickenden Grase, im Spiel der Käfer und Insecten auf krauslockigen Moosen, in
den phantastischen Schlachten der Wasserspinnen
»Ich fühlte mich glücklich in dieser hehren Abgeschiedenheit; ich vergaß mehr
und mehr den erlittenen Kummer, das mir zugefügte Unrecht und ich zweifle
nicht, daß mich ein fortgesetzter Aufenthalt in dieser waldigen Einöde mit der
Zeit gänzlich den Menschen wieder versöhnt haben würde. Aber es scheint, als
sei es Gottes Wille, die Kräfte seiner Geschöpfe und ihre Geduld bis zum
äußersten Grad der Anspannung zu versuchen und in dieser Versuchung gleichsam
die Probe auf sein Schöpfungsexempel zu machen. Wer in ihr erliegt, der ist
vielleicht noch nicht würdig gewesen in wahrem Sinne sein Kind zu heißen, es
sei denn, daß dem Schwachen
»Es war die Zeit, wo die Bienen zu schwärmen beginnen. Mein Knabe stand im vierten Jahre und konnte kaum den Tag erwarten, wo er den Großvater in den Wald begleiten sollte, um das unterhaltende Schauspiel mit anzusehen und die Behandlung dieser nützlichem Thiere zu erlernen. Johannes hatte ihm eine ›Beute‹ zu stellen versprochen, wenn sich ein gesunder, neuer Schwarm auf seinem Revier anlegte.«
»Um einer glücklichen Bienenärndte versichert zu sein, hatte Johannes schon vorsorglich die leeren ›Beuten‹ mit sogenannter Bienenschminke bestrichen, eine aus vielen wohlriechenden Kräutern unter mancherlei Heimlichkeiten zusammengesetzte Salbe. Diese dient den Spurbienen zum Köder, welche gleichsam als Herolde den Schwärmen vorausfliegen und sich auf den, ihnen am meisten zusagenden, Beutebäumen niederlassen.«
»Endlich erschienen die Bienen. Die ganze Haide summte von den schwärmenden
Thieren und lockte überall die Zeidler auf ihre Standorte
»So ging mein Vater mit dem kleinen lachenden braunlockigen Johannes, der mir
noch von weitem manches Kußhändchen zuwarf, allein in die Haide. Was bis zum
späten Abend im öden Dickicht geschehen sein mag an jenem unheilvollen Tage,
weiß nur Gott allein! Wir armen Zurückgebliebenen, die wir sorglos der
Heimkehrenden warteten, wir haben über das Geschehene nur Vermuthungen
zusammenstellen können. Wir ahnten nichts Böses, wir saßen arbeitend am
blumengeschmückten Fenster und freuten uns der warmen hellen Luft, des sonnigen
windstillen Tages. Bis in die sinkende Nacht beschlich uns
»Noch immer hoffte ich, daß die Zögernden unversehrt heimkehren würden, denn ich kannte die Gewohnheiten meines Vaters, in Folge deren er oft sogar ganze Nächte hindurch bei einem Köhler übernachtete, oder in warmen Sommernächten unter freiem Himmel den jungen Tag erwartete. Eine sonderbare Unruhe, die ihn nie ganz verließ, schien ihn von Zeit zu Zeit in solchen einsamen Nachtspaziergängen im finstern Walde zu nöthigen. Darum ließ ich auch diesmal Mitternacht herankommen, als aber immer noch kein Laut aus der Ferne hörbar ward, der Nebel immer dichter und feuchter wurde und ich für die Gesundheit meines Knaben fürchten mußte, brachen unaufgefordert die Nachbarn mit Laternen und Kienfackeln auf, um zuvörderst die Beutestände mit ihren Umgebungen zu durchsuchen und sodann bei den nächsten Köhlerwohnungen einzusprechen.«
»Sie traten aus dem finstern Dickicht: das knisternde Licht der Kienfackeln
fiel röthlich und fahl auf eine kunstlose Tragbahre, auf welcher der blutige
Leichnam eines Mannes ausgestreckt lag. Ich erkannte schaudernd meinen Vater! –
›Und Johannes, Johannes, mein Sohn!‹ schrie ich, händeringendn an der Bahre
niederstürzend. – ›Wir haben keine Spur von ihm gesehen!‹
»Johannes war unstreitig meuchelmörderisch erschlagen worden. Eine klaffende Wunde am Hinterkopfe deutete auf feigen, verruchten Ueberfall. Sie schien von einer Art herzurühren. Mehrere minder tiefe und kaum unmittelbar tödtliche Wunden im Gesicht und auf der Brust sprachen deutlich für den festen Entschluß des Thäters, den Unglücklichen tödten zu wollen.«
»Eine spätere genauere Besichtigung des Ortes, wo die That wahrscheinlich in
den ersten Nachmittagsstunden geschehen war, führte zu mancherlei Vermuthungen,
aber durchaus zu keiner Gewißheit. Man fand den Ermordeten kaum zwanzig
Schritte von sei nem Beuteplatze. Weitere zwanzig Schritte jenseits des ihm
zugehörenden Reviers steckte seine eigene Zeidelaxt fest in dem schlanken
Stamme einer jungen Fichte auf der, wie man deutlich bemerken konnte, ein
Bienenschwarm sich niedergelassen hatte. Unstreitig war dieser Schwarm durch
Spurbienen verlockt auf nachbarliches Gebiet gerathen und Johannes hatte ihn
nach den bestehenden Zeidler gesetzen
»Bei diesem Wurf der Axt auf das Gebiet des Nachbars mochte sich ein Streit
zwischen Johannes und seinem Gegner entsponnen haben. Wer dieser Gegner
gewesen, – denn der Nachbar konnte sich von allem Verdachte aufs gnügendste
reinigen – blieb unermittelt und wird wohl nie ans Tageslicht kommen. Noch an
dem getroffenen Stamme hatte ein Faustkampf stattgefunden, wie das zerstampfte
Moos am Boden bewies. Man gewahrte Blutspuren, die sich in das Gebiet des
Nachbars verloren, woraus man schloß, daß Johannes seinen Gegner überwunden und
mit einem tüchtigen Denkzettel heimgeschickt habe. Dafür sprach noch mehr die
fast zur
»Mein armer Kleiner blieb von Stund' an verschwunden! Kein noch so anhaltendes
Rufen und aufmerksames Durchsuchen der Haide mit allen ihren Bächen, Teichen
und Morästen zeigte die geringste Spur des Verlorenen. Niemand vermochte zu
ermitteln, ob der arme schuldlose Knabe sich in der Haide verlaufen, oder ob
der Mörder seines Großvaters ihn ebenfalls getödtet und in irgend einen
versteckten Winkel des Waldes verscharrt hatte. Einzelne Stimmen behaupteten,
der Knabe sei entführt worden, doch konnten
»Was ich in diesen Schreckenstagen litt darüber lassen Sie mich schweigen,« fuhr Herta mit thränenden Augen fort. »Ich hatte Alles verloren, was mich noch an die Erde kettete! Ich stand jetzt einsam, verlassen, eine trostlose Waise unter fremden Menschen. Oft wünschte ich in diesen fürchterlichen Schmerzenstagen unter den Trümmern Bobersteins, neben den Gebeinen meines Oheims begraben zu liegen. Aber ich erlag nicht dem Jammer, ich ward nicht einmal krank! Mein schwacher Körper schien unzerstörbar zu sein, meine Nerven empfanden nur den Schmerz, das namenlose Seelenweh, aber ihre Kraft und Elastizität spottete meiner Leiden.«
Tief erschüttert von der bloßen Rückerinnerung an so vernichtende Lebensstürme, unterbrach sich Herta, um ihre schmerzlichen Gefühle zu bemeistern. Aurel Benutzte diesen Augenblick um eine Frage an sie zu richten, zu der es ihn schon längst drängte.
»Glaubten Sie an den Tod Ihres Kindes, gnädigste Tante,« sprach er, »oder
neigten Sie sich zu der Ansicht einiger Ihrer Freunde, daß
»Mein Mutterherz wünschte das Letztere weil es dann hoffen durfte, den Verschwundenen doch einmal wiederzufinden.«
»Und ein anderer schrecklicher Gedanke beschlich Sie nicht?«
»Welcher andere Gedanke hätte mich ängstigen sollen?«
»Sie erwähnten einer Drohung des Menschen, den Sie Wolfszahn oder Lugauge nannten – Sie sprachen von Briefen, die Ihren Vater empörten, ihm die Ruhe raubten – Sie hörten ihn endlich eines Nachts Geld zählen und dabei Worte äußern, die auf einen theuer erkauften Frieden, auf einen unersättlichen Dränger schließen lassen! Wie, gnädigste Tante, wenn unter diesen uns und Ihnen unbekannten Vorfällen und dem Tode Ihres Vaters, wie dem Verschwinden Ihres Sohnes ein geheimnißvoller Zusammenhang stattgefunden hätte?«
»O mein Gott, Aurel, quälen Sie mich nicht!« bat Herta mit flehendem Blick und
legte beide zarte Hände an ihre Stirn. »Mit Gewalt unterdrückte ich solche
Vermuthungen, die ja
»Und dennoch, verehrte Gräfin,« fiel Sloboda ein, »dennoch wird es fast nöthig sein, daß wir Ihnen den Schmerz gewagter Vermuthungen zufügen.«
»Ein glückliches Ungefähr hat schon so Vieles enthüllt,« sagte Aurel, »daß wir uns selbst der Feigheit anklagen müßten, verabsäumten wir auf den aufgespürten Pfaden rüstig weiter zu schreiten. Adrians Aufforderungen an mich, mit Ernst zu forschen, ob ich Spuren entdecken könnte, die auf Bestätigung der Erzählung unserer wackern Freunde hinleiteten, machte mich achtsam und scharfblickend, und darf ich einer Ahnung des Herzens trauen, einer innern prophetischen Stimme des Geistes lauschen, so glaube ich fast behaupten zu können, daß jener Ihnen so furchtbare Mensch, jener Wolfszahn noch lebt.«
Herta ließ einen langen Blick voll Angst und Erwartung auf ihren Neffen fallen.
»Ich kenne ihn, wenn mich nicht Alles täuscht, theure Tante, und seiner
Bekanntschaft
»Und gesetzt, dieser widerliche und vielleicht verbrecherische Mensch lebte wirklich noch,« entgegnete Herta, »was kann uns dies jetzt interessiren?«
»Sind Sie nie wieder mit ihm zusammengetroffen in Ihrem spätern Leben?« fragte Aurel sie unterbrechend.
»Nein,« sagte Herta, »ich selbst sah ihn niemals wieder, Emma aber behauptete, noch einmal mit ihm verkehrt zu haben.«
»Damals, als Sie aus Mangel diesen Siegelring an den Trödler verkauften oder verkaufen ließen!« rief Aurel lebhaft und zog eine Kapsel aus seiner Brusttasche, in der er das ihm so theure Kleinod jetzt aufbewahrte.
Sie betrachtete ihn lange mit bewegten Zügen und untersuchte genau, ob er echt sei. Als sie ihn dafür erkennen mußte, preßte sie die Hände an ihre Brust und sagte mit zitternder Stimme: »Gott im Himmel, es ist wirklich sein Ring!«
»Und Sie ließen ihn durch Emma an jenen betrügerischen Menschen verkaufen?« fragte Aurel abermals.
»Diesen Ring? o nie, nie! Diesen Ring, ein Geschenk meiner Mutter, schob ich an den Finger meines Kindes, als es das dritte Jahr zurückgelegt hatte!«
»Ha, so bin ich belogen worden!« rief Aurel aus. »Belogen um schlimmern Verdacht abzuleiten! – «
»Es will mir vorkommen,« sagte der Maulwurffänger in seiner trocknen Manier,
»als wären wir auf die blutigen Fußstapfen eines Verbrechers gestoßen, der mir
in einer verhängnißvollen Nacht einst das Licht gehalten hat, damit ich nicht
Hals und Beine brechen sollte. Lassen
»Gnädige Tante,« nahm Aurel abermals das Wort, »es sind jetzt zwei Möglichkeiten vorhanden hinsichtlich des kleinen nach Auffindung seines ermordeten Großvaters verlorenen Johannes. Entweder hauchte auch er unter Mörder- und Räuberhand sein junges schuldloses Leben aus, oder –«
»– Oder?« fiel Herta erwartungsvoll ein.
»Oder man entführte ihn auf Anstiften und Befehl eines Dritten, eines Mächtigeren, der vielleicht – mein eigner Vater war!«
»Was veranlaßt Sie zu so gewagten Vermuthungen?«
»Gewagt, gnädige Tante? Im Gegentheil, ich finde, daß es kaum anders sein kann!
Magnus vermählte sich ungefähr zwei Jahre nach der Zerstörung Bobersteins mit
einer reichen stolzen Erbin. Es mußte ihm Alles daran gelegen sein, einen
undurchdringlichen Schleier über die unheilvolle Vergangenheit, über sein
ganzes beflecktes Leben zu werfen. Nichts war natürlicher, als daß er Ihre
Ansprüche, wenn nicht an seine
»Wir wissen bereits wie dieser unbändige Mann bei Sloboda's Schwiegertochter
verfuhr, und wie nur durch die größere Weichherzigkeit seines Helfershelfers
Martell einem qualvollen Leben erhalten ward. Verbindungen mit Personen
anzuknüpfen, die früher Ihren Vater ergeben waren, die seine Verhältnisse,
seine – ich muß es aussprechen, – Vergehungen gegen die sittliche Ordnung des
Staates und gegen die menschliche Gesellschaft kannten, mußte ihm ebenfalls
leicht fallen. Als Johannes seine Getreuen verabschiedete, und die
Hartnäckigsten im Groll ihn verließen, konnten sie da nicht die Angeber
spielen, um ihn stets zu quälen und in ihren Händen zu haben? Sie ahnten selbst
etwas der Art! Mir wird dies mehr als wahrscheinlich, wenn ich der Briefe und
des Geldes gedenke, womit Johannes sich das Schweigen Nichtswürdiger zu
erkaufen glaubte. Gewiß kein Anderer als jener Wolfszahn oder Blutrüssel war
der gefährlichste
Plötzlich versagte dem lebhaft Sprechenden die Stimme und eine dunkle Röthe überflammte sein geistreiches Gesicht.
Ein furchtbarer Gedanke, der zündend mit blendender Helle, einem Blitze gleich in seine Seele schlug, machte ihn schwindeln. Er wagte nicht auszusprechen, was er dachte, was er schaudernd fürchtete.
»O nein doch, nein!« sagte er beschwichtigend zu sich selbst. »Dies kann nicht sein, dies wäre ein zu gräßliches Unglück!«
Und als wollte er um jeden Preis den ihn peinigenden Gedanken aus seiner Seele verscheuchen, bat er seine Tante freundlich um Beendigung ihrer Lebensskizze.
»Meine späteren Schicksale lassen sich in wenigen Worten charakterisiren,«
sagte Herta.
»Nur die größte Sparsamkeit und unsäglicher Fleiß retteten uns Beide vom
Hungertode. Um mehr zu verdienen, übersiedelte ich mich endlich nach Leipzig.
Wie ich dort lebte, wie sich Emma entschloß, die Wahrsagerin zu spielen, weil
sie es nicht mehr ertragen konnte, mich an dem Nöthigsten Mangel leiden zu
sehen, das habe ich Ihnen schon unterwegs mitgetheilt. Und so stünde ich denn
nunmehr am Ende eines
Unter lautem Schellengeläut fuhr jetzt ein Schlitten in den Hof, der Kutscher knallte heftig, die Hunde schlugen an.
»Es kommt noch Besuch,« sagte der Maulwurffänger. »Wäre doch ein hellsehender Geist mit darunter, der mit klarem Blick das lügenhafte Gewebe unserer Feinde durchschaute und sagen könnte: hier packt an und zerreißt es, so findet Ihr, was Ihr begehrt!«
»Klütken-Hannes!« murmelte Aurel dumpf vor sich hin. »Es wäre entsetzlich!«
Der Bediente meldete dem Grafen, daß so eben ein Herr und zwei Damen angekommen wären und ihn zu sprechen wünschten. Aurel beurlaubte sich, trat in's Nebenzimmer und – stand Elvire und Bianka gegenüber. Ihr Begleiter war der alte gutmüthige pedantische Schulmeister Gregor, der ehrliche Bruder des Maulwurffängers.
Wir haben die beiden eben genannten Ankömmlinge so lange aus dem Gesicht verloren, daß es jetzt höchste Zeit ist, die Aufmerksamkeit unserer Leser wieder auf sie zu lenken.
Die Ergebnisse, welche Aurels Besuch in der Mohrentaverne gehabt und seine
unmittelbar darauf folgende eilige Abreise hatten ihm keine Zeit vergönnt, sich
persönlich seiner Schützlinge anzunehmen. Er glaubte Beide für den Augenblick
geborgen und gerettet. Auch bestätigte ein Brief von Madame Oehler, den er
schon in Leipzig erhielt, die mütterliche Freundlichkeit dieser sanften,
zartfühlenden Frau und erfreute ihn durch die Nachricht, daß Elwire bis auf
Weiteres eine zweite Mutter an ihr finden solle. Bianca's
Später setzte er sich mit beiden jungen Mädchen wieder durch Briefe in Verbindung, die mit überströmendem Dank erwiedert wurden. Es tröstete den Kapitän in seiner vielfach zerrütteten Stimmung, daß zwei ihm vollkommen fremde junge und schöne Geschöpfe durch eine natürliche Handlung einfachster Menschlichkeit so fest und dauernd an ihn gekettet waren, daß sie mit unbedingtem Vertrauen sich ihm anschlossen und seinen Befehlen gern und willig gehorchten.
Herta's körperliche Hinfälligkeit bedurfte liebevoller, zarter Pflege, und
obwohl Emma das Muster einer vollkommen treuen und aufopfernden Dienerin
genannt werden konnte, so erlaubte ihr zunehmendes Alter ihr doch nicht mehr,
die verehrte Gebieterin mit gebührender Aufmerksamkeit zu bedienen. Nun war
aber Aurel der Ansicht, daß Herta von Elwire mit kindlicher Anhänglichkeit
Die unerwarteten Ankömmlinge fanden die herzlichste Aufnahme in dem
versammelten Kreise; nur der Schulmeister, dessen Mitkommen man sich anfangs
nicht erklären konnte, verursachte einige staunende Gesichter. Am längsten ward
das seines Bruders. Dieser war auch der Einzige, der seine Verwunderung in
Worte kleidete und
»Natürlich,« versetzte der Schulmeister, indem er seine steifen Gliedmaßen mit nicht geringer Gravität auf den weich gepolsterten Sessel niedersinken ließ, den Gilbert ihm mit komischer Ehrerbietung zutrug. »Natürlich! die gnädigen Fräuleins bedurften eines verläßlichen Wegweisers.«
Und nun erzählte der alte seelengute Mann in seiner barocken Manier, mit unzähliger Wiederholung seines Lieblingswortes, daß die einsamen Reisenden in der Nähe seiner Wohnung umgeworfen und die Deichsel zerbrochen hätten; daß er beispringend Hilfe geleistet und auf Anfrage des Kutschers, der nicht aus der Gegend gewesen, nach dem geradesten und sichersten Weg zum Zeiselhofe aus Menschenliebe und sonderbarer Zuneigung – Gregor liebte die alterthümlichen und veralteten Sprachwendungen über Alles – sich freiwillig zum Geleitsmann angeboten habe.
Die »Fräuleins« wären darüber sehr erfreut gewesen, was ihm »ganz Natur«
scheine, und so befinde er sich denn unter so hochgeborenen Herren
Der Maulwurffänger lachte herzinnig über den steifen Pedanten und unternahm es, ihn bei Aurel zu entschuldigen. Doch hätte es dessen nicht bedurft. Gregor ward als eine Art alter Vertrauter in dem kleinen Kreise aufgenommen und willkommen geheißen, und fühlte sich hoch beglückt, als ihm Herta die Hand reichte und sich dem jetzt alten Manne als das ehemalige Fräulein von Burg Boberstein vorstellte. Der gute Alte erschrak darüber dermaßen, daß ihm buchstäblich der Mund offen stehen blieb und keinerlei Antwort über seine Lippen kam. Er begnügte sich, ein paar tiefe Athemzüge stöhnend von sich zu blasen, schob dann seine Rockschöße zurück, legte beide Hände auf den Knopf seines langen Stockes und blieb kerzengerade, die lächelnden halbgeschlossenen Augen unverwandt auf die gealterte vornehme Dame gerichtet, vor ihr sitzen.
Zu sehr beschäftigt mit den Offenbarungen Herta's, wollte es Aurel nicht recht
gelingen,
Aber auch auf seinem Zimmer fand Aurel keine Ruhe. Er mußte immer wieder an den
ermordeten Vater Herta's, an den verschwundenen Johannes denken, und wie sehr
sich sein Wille auch dagegen sträubte, in seinem ahnenden Herzen vernahm er
Laute, die ihn erschütterten und an die er doch schaudernd glauben mußte. Nach
einigem Schwanken entschloß er sich zu einem ungewöhnlichen Schritte, den er
jedoch in seiner Lage rechtfertigen zu können glaubte. Er ergriff das Licht,
schritt geräuschlos den Corridor entlang und klopfte an das Zimmer Elwirens.
Ein sanftes »Herein« von den Lippen des achtlosen Mädchens, die eine Dienerin
erwarten mochte, ermuthigte ihn und verhieß ihm Glück. Er fand
»Tausend Pardons!« sagte Aurel mit seinem gewinnenden anmuthigen Lächeln.
»Pflicht und Theilnahme veranlassen mich, so rücksichtslos gegen alle Sitte zu
verstoßen und mich in Ihre Schlafzimmer zu drängen. Einem ausgewetterten
Seemanne, schöne Kinder, müssen Sie dergleichen Extravaganzen schon zu Gute
halten. Gewöhnt an das ungenirte Wesen und die oft allzu zutraulichen
Gunstbezeigungen von Sturm und Wogen, kann ich der beliebten Kürze nicht
entsagen, wo vielleicht weite Umwege und schmeichelnde Galanterien zu gleichem
Ziele führen würden und den Beweis guter Erziehung abgäben. Mein Herz, mein
Charakter wissen von diesen beengenden Formen nichts; und da Sie mir schon
einmal vertraut haben, glaube ich auch jetzt noch derselben Gunst in Ihren
Augen theilhaftig geblieben zu sein. Liebe Bianca, ich möchte Ihrer schönen
Begleiterin ein kleines Geheimniß verrathen. Alle Mädchen sind wißbegierig; ich
rechne Sie mit Ihren dunkeln Augen nicht zu den Ausnahmen,
Bianca lächelte, verbeugte sich gegen den Kapitän und verließ das Zimmer. Verschüchtert blieb Elwire allein mit Aurel. Sie schlug die Augen nieder und holte beklommen Athem aus klopfender Brust.
»Theure Elwire!« flüsterte Aurel, des Mädchens Hand ergreifend und die Zaghafte neben sich auf's Sopha niederziehend. »Als ich Sie kennen lernte in trostloser Verlassenheit und es meinen Bitten und Drohungen gelang, Sie für immer den Händen eines Nichtswürdigen, eines moralisch schon Halbuntergegangenen zu entreissen, da sanken Sie dankend an meine Brust und gelobten jeden meiner Wünsche mit der Bereitwilligkeit einer dienenden Magd zu erfüllen! Denken Sie jetzt noch so wie damals, Elwire, oder gereut Sie das im moderfeuchten Keller des Elends gegebene Versprechen?«
»Wie sollte ich anders denken!« erwiederte
»Ich danke Ihnen, holdes Kind! Aber Ihr Vater? Lebt er noch? Sahen Sie ihn wieder?«
»Es war Ihr Wunsch, Herr Kapitän, die Wege sorgfältig zu vermeiden, die mich ihm wieder zuführen könnten. Ach und mein eignes Herz warnte mich vor ihm!«
Elwire schauderte, daß Aurel das Erbeben ihrer schönen Glieder durch die wallenden Falten ihres weißen Nachtgewandes bemerken konnte.
»Aber er lebt?«
»Er lebt!« hauchte das bewegte Mädchen und Thränen des bittersten Schmerzes perlten an ihren langen dunkeln Wimpern. »Er lebt – entsetzlich, entwürdigend, wie seit Jahren!« setzte sie schluchzend hinzu.
»Sie erhielten also Nachricht von ihm und seinem Thun?«
»O, ich sah ihn, ohne daß ich es wollte, ohne daß er selbst es ahnte! Inmitten
eines Trosses trunkener Matrosen begegnete ich ihm auf einer Fahrt nach Altona.
Ich vernahm sein trunkenes Geheul, womit er den Gesang seiner
»Kannten Sie den Armen nie anders?«
»Doch, Herr Kapitän! Als kleines Mädchen, erinnere ich mich, schaukelte er mich
kosend auf seinen Knieen. Damals lebte die Mutter noch, obwobl sie schon sehr
krank und hinfällig war. Wir wohnten noch nicht in einem Keller, sondern in
luftigen, kleinen, aber hübschen Zimmern. Aus den Fenstern konnten wir den
breiten Strom mit den weißbeschwingten zahllosen Schiffen überblicken. Abends
weidete ich mein Auge an dem Glänzen und Schimmern der Fluth und zählte die
Sterne, die mit den schäumenden Wogen bald kamen, bald gingen. Der Vater war
damals immer fleißig, fröhlich und guten Muths. Er ging früh aus und kam meist
erst Nachmittags wieder. Dann klimperte er mit vielen blanken Silberstücken und
ließ es geschehen, daß ich mit meinen kleinen Händen gierig darnach griff und
sie lachend im Zimmer herumkollerte. Er trieb Mäklergeschäfte und nährte sich
gut.
Elwire drückte hier die Hand des Kapitäns leidenschaftlich und mußte offenbar mit sich kämpfen, um sie nicht in überwallendem Gefühl aufrichtigen Dankes an ihre feuchten Lippen zu führen.
»Erinnern Sie sich noch jenes Gefährten Ihres Vaters?« fragte Aurel.
»Leider werde ich ihn nie vergessen können! Zwar kam er nur selten zu uns und immer nur dann, wenn er dem Vater heimliche Mittheilungen zu machen hatte, die sich wohl meistentheils auf den Trödel und etwaige vortheilhafte Einkäufe beziehen mochten. Ich ging, wenn es irgend möglich war, dem Verhaßten stets aus dem Wege, denn ich ahnte und wußte, daß er Abscheuliches mit mir beabsichtigte und dem leicht zu überredenden Vater deshalb beständig in den Ohren lag. Seinen Namen kennen Sie.«
»Blutrüssel?« sagte Aurel.
Elwire bejahte durch stilles Kopfnicken.
»Gesehen und oberflächlich mit ihm verkehrt mußte er schon früher haben,« versetzte Elwire. »Manche Aeußerung in ihren Gesprächen ließ mich dies vermuthen; zu einem vertrauten und häufigen Umgange konnte es aber nicht kommen, da Blutrüssel zu jener Zeit nicht in Hamburg oder dessen Umgegend lebte.«
»Stammte Klütken aus Hamburg?« fiel Aurel rasch fragend ein.
»Nein, Herr Kapitän! Wie so viele, die später in der großen reichen
Handelsstadt ihr Glück machten, war er als zwölfjähriger Knabe in zerrissenen
Kleidern und halb verhungert nach Hamburg gekommen. Sein freundliches Wesen
erweckte das Mitleid eines wohlhabenden Handelsherrn. Er nahm ihn als
Laufburschen an und nannte ihn, da er blos seinen Taufnamen Johannes wußte,
nach dem Besitzer des Hauses, vor dessen Schwelle er ihn in stürmischer
Herbstnacht wimmernd und frierend fand. Seine Aeltern hatte Johannes nicht
gekannt. Er schien überhaupt ein sehr ruheloses Herumstreicherleben geführt zu
haben und bald von Diesem, bald von
»Also doch Johannes,« sprach Aurel in Nachdenken versunken. »Johannes Klütken – ein verlaufenes Kind, – ohne Vater und Mutter –«
»Wundert Sie das so?« unterbrach Elwire das Selbstgespräch des Kapitäns.
»Und so zu enden! So tief zu sinken! Im Augenblicke, wo –«
»Aber was ist Ihnen denn, Herr Kapitän!« rief Elwire erschrocken und ergriff die Hand des träumerisch mit irren Blicken vor sich Hinstarrenden. »Meinen Sie meinen armen, verlorenen Vater, dem Gott gnädig sein mag? Wissen Sie etwas von ihm, von seinen Aeltern?«
Aurel sah melancholisch in die großen schönen Augen des jungen Mädchens und ein
Schauer beseligender Lust und grimmigen Schmerzes schüttelte
»O Vergebung, theure Elwire!« rief er aus, nur mit Mühe Fassung erringend und den aufbrausenden Sturm seiner Gefühle besänftigend. – »Vergebung, edles, unschuldiges Mädchen! Nur eine, eine einzige Frage beantworten Sie mir noch der Wahrheit gemäß! Können Sie beschwören, daß jener Ring, den ich am Tage nach unserer Bekanntschaft am Eingange zur Kellertreppe Ihres Vaters fand und für meiner Familie zugehörig erkannte, können Sie es beschwören, daß jener Ring von Klütken-Hannes im Spiele gewonnen wurde?«
»Ich weiß es nicht anders,« versetzte Elwire verwundert.
»Gewonnen im Spiele mit Blutrüssel!« rief Aurel in leidenschaftlicher Aufregung.
»Klütken spielte nie mit einem Andern, so viel ich weiß.«
»So ist es denn gewiß, unumstößlich gewiß, daß sie seine Mutter!« murmelte er
Elwiren
Aurel ging heftig im Zimmer auf und nieder. Elwire, fest in ihr schimmerndes Nachtkleid gehüllt, zur Hälfte von einer glänzenden Wolke schwarzer Haare umschattet, mit Blicken, die sich bald furchtsam, bald liebevoll und sehnsuchtswarm auf den erschütterten Kapitän hefteten, schmiegte sich bewegungslos in die Ecke des weichen Divans. Jetzt trat Aurel nochmals zu dem schönen Mädchen und nahm ihre beiden Hände in die seinigen.
»Elwire,« sagte er so weich und flehend, wie sie den starken kühnen Mann noch
nie hatte sprechen hören, »Elwire, daß ich Sie gefunden habe ist eine von den
räthselhaften Schickungen Gottes, die starrgläubige Christen Wunder zu nennen
pflegen. Ich meines Theils glaube an keine Wunder; ich glaube nur an die
allwaltende
Das überraschte Mädchen konnte es nicht hindern, daß sie Aurel mit einer raschen Bewegung an seine Brust zog und ein paar brennende Küsse auf ihre blühenden Lippen drückte.
Ohne ihr gute Nacht zu sagen, verließ er hastig das Zimmer.
»Was war das?« fragte sich Elwire ganz bestürzt, mit dem vorgehaltenen feinen Taschentuch die Röthe verbergend, die sich verrätherisch auf ihre zarten Wangen wie ein Teppich duftender Rosen ausbreitete.
Ein paar volle weiße Arme umschlossen sie, und lächelnd antwortete eine rührende Stimme auf diese Frage:
»Das war der erste Hauch glückbringender
Elwire neigte ihr schönes Haupt und lehnte es an den stürmisch klopfenden Busen der sündigen Bianca, die erschrocken über die Heftigkeit des Kapitäns unmittelbar nach seinen letzten Worten wieder ins Zimmer getreten war. –
Als Aurel über den dunkeln Corridor nach seinem Zimmer zurückging, stieß er an ein menschliches Wesen, das ihm entgegen kam. Er fuhr es barsch mit harter Frage an.
»Ein Kreuzer, wie Sie,« versetzte lächelnd der abenteuerlustige Gilbert. »Da es ganz den Anschein hat, als sollten wir hier noch lange vor Anker liegen, so wollte ich blos einen Versuch machen, um nicht ganz aus der Uebung zu kommen, Herr Kapitän. Die beiden schönen Prisen, die sich spät Abends am Horizont zeigten forderten mich dazu auf, und wie ich mit Vergnügen gewahre, sind Sie mir mit gutem Beispiele bereits vorangegangen.«
Der kecke Matrose wollte an seinem Gebieter vorüberschlüpfen, Aurel erfaßte
aber sein Ohrläppchen, und indem er dies tüchtig schüttelte und so heftig
preßte, daß der nächtliche
»In Hamburg oder London, mein Junge, würde ich Deinen Eroberungszug belachen, hier aber muß ich Dich ernstlich bedeuten, für künftig jeden Gedanken daran aufzugeben, wenn Du mich ferner noch zum Freunde haben willst. Die beiden Prisen habe ich in's Schlepptau genommen! – Gute Nacht!«
Gilbert rieb sich sein blau und braun gedrücktes Ohr und murmelte etwas von unglücklichem Philisterleben. Dann suchte er geräuschlos seine Kammer.
Wir überspringen einige Tage, in denen nichts Merkwürdiges vorfiel, und bitten den Leser, uns auf kurze Zeit nach Hamburg zu begleiten.
Es ist Silvesterabend. Auf allen Straßen erschallt gedämpfte Musik. Die langen
Reihen der reichen Kaufmannshäuser mit ihren glänzenden polirten
Spiegelscheiben schimmern von tausend Lichtern und werfen ihren strahlenden
Widerschein auf die weißgetünchten Wände oder die mit Schnee bedeckten Dächer
der gegenüberstehenden Häuser. Die hüpfenden Schatten, die schnell
vorüberschweben an den leisbewegten Gardinen, verrathen den jubelnden Frohsinn,
das lachende Glück, den sichern Uebermuth der Versammelten,
Die Glocken von den Hauptthürmen verkündeten die eilfte Stunde der Nacht. Die
beiden Glockenspiele auf St. Nicolai und St. Petri sangen weitschallend über
Stadt und Strom und Land ihre ernsten, mahnenden Choräle. Aber Niemand von den
Bewohnern Hamburgs achtete auf die ehernen Stimmen, die wie ein Chor
vorüberschwebender Geister aus dem Himmel herabklangen. Die Reichen tanzten,
jubelten und schwelgten in den Prunkgemächern ihrer Paläste,
Mit den letzten Accorden der schrillend auszitternden Töne des Glockenspiels
trat Klütken Hannes aus seinem Keller, hob die trüb brennende Lampe von dem
halbverfaulten Eichpfahle, auf dem sie befestigt war, um spät Vorübergehenden
den Eingang in die dunstige Höhle zu zeigen, und schloß mit doppeltem Riegel
die mit dem schlechten Pflaster in gleicher Höhe angebrachte, aus zwei gleichen
Bretern von starkem Fichtenholz bestehende Thür. Dann löschte er die Lampe aus,
stellte sie in eine Vertiefung der zerbröckelnden Ziegelwand und schlurrte mit
schweren Schritten durch den engen Gang, der jetzt mit beinahe fußhohem Schnee
und Eise bedeckt und hie und da von großen Löchern, die man durch Ausschütten
von Spühlicht in den Schnee
Gewöhnt an solche Fährlichkeiten, hinderten sie Klütken-Hannes nicht im geringsten. Zwar stolperte der schon längst nicht mehr ganz nüchterne Trödler häufig, immer aber wußte er mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit im Gleichgewicht zu bleiben. Um den fatalen kalten Wind, der mit schneidender Schärfe sein bläulich-rothes Gesicht traf, zu verscheuchen, stimmte er ein lustiges Lied an, das er überlaut vor sich hinkrähte. Das erwärmte ihn etwas und ernüchterte zugleich auch seine von häufigem Genuß des schlechtesten Branntweins befangenen Sinne.
Auf den gangbaren Straßen schritt Klütken-Hannes rascher aus. Er hatte noch
einen weiten Weg zurückzulegen bis auf den Hamburger Berg. Dorthin hatte ihn
ein Freund beschieden, um unter gemeinschaftlichem Gespräch bei voller Flasche
das alte Jahr in glückseliger Vergessenheit zu beschließen, das neue in wüstem
Taumel anzutreten. Solche Einladungen schlug der herabgekommene Trödler niemals
aus, er wünschte vielmehr, daß sie sich alle Tage wiederholen möchten, denn
ohne berauschenden Trunk, ohne
Heut jedoch war er überaus lustig und zu den tollsten Unternehmungen aufgeregt. Er hatte Geld, viel Geld, er konnte mithin spielen, im Spiele wagen und noch mehr gewinnen, und überdies schwindelten ihm die exaltirtesten Gedanken durch sein erhitztes Gehirn und ein Bild der glänzendsten Zukunft hob sich gleich einem Feenpalast aus dem brodelnden Sumpf seiner verpesteten Einbildungskraft.
Bald eine Strophe seines wüsten Liedes singend, bald hellauf lachend, hob er von Zeit zu Zeit den trüben Blick zu den glänzenden Häusern empor, aus deren geschmückten Sälen die sanften oder rauschenden Weisen heiterer Tänze erklangen.
»Ha, ha, ha!« rief Klütken-Hannes verächtlich lachend und drohte mit geballter
Faust hinauf nach den verhüllten Spiegelfenstern. »Immer tanzt und schwelgt,
ihr reiches Lumpengesindel – mich ficht das nicht an! In vier Wochen thu' ichs
Euch Allen zuvor, bade mich in Burgunder, spüle mir den Mund mit Champagner
Und johlend schlug der Trödler an seine Tasche, daß die blanken Gold- und Silberstücken zusammenklirrten und sein gemeines Ohr mit dieser lieblichen Musik ergetzten – Dann sang er wieder:
»Ich hab' mein Sach' auf nichts gestellt,
Juchhe!«
»Ich bin liederlich, Du bist liederlich etc.«
den er auch glücklich zu Ende brachte.
Ohne Murren bezahlte Klütken-Hannes den theuern Thorschilling, was er für
gewöhnlich nicht zu thun pflegte, und taumelte dann, des eisigen Nordostwindes
nicht achtend, dem bekannten Tavernenlabyrinth zu. Schon aus ziemlicher Ferne
vernahm man das lärmende Toben und
Blutrüssel belachte den rohen Scherz seines Freundes und führte ihn in ein geheiztes Zimmer. Vor dem rothglühenden eisernen Ofen stand ein Kohlenbecken und über diesem schwebte in gehöriger Entfernung ein kupfernes kesselartiges bauchiges Gefäß an einer eisernen Stange. Das Gefäß war bedeckt, aber der brodelnde Dampf, der zischend und singend aus dem schadhaften Deckel hervordrang, verrieth dem Trödler durch sein einladendes Duften, daß er hier finden sollte, was er suchte.
Blutrüssel schob sofort geschäftig zwei hohe Gläser auf den Tisch, der am Ofen gegenüber an der Ziegelwand stand, hob den Kessel herab und stellte ihn neben die Gläser. Dann langte er einen verzinnt gewesenen bleiernen Vorlegelöffel aus dem Tischkasten, hob den Deckel der heißen Terrine damit ab und schenkte die Gläser voll.
»Stoß' an, borstige Kellerratte!« rief er
Und der rüde Mensch belachte seinen unzarten Witz so anhaltend, daß er gar nicht mehr zu sich kommen konnte und das heiße scharfe Getränk ihn fast erstickt hätte. –
Klütken-Hannes stieß auf diesen Toast zwar an, mit großem Beifall nahm er ihn aber nicht auf. Er runzelte drohend die Stirn, drückte seine gerötheten stechenden Augen halb zu, daß nur die funkelnden Pupillen sichtbar blieben, und erwiederte:
»Eigentlich ist das eine beleidigende Gesundheit, mordverbrannte Seele; denn sie heißt mein schmuckes Mädel im Gedanken zur –«
»Still!« fiel Blutrüssel ein. »Was es heißt, wenn ich einen Witz mache, das
brauchst Du mir nicht auf der Tafel zu erklären! Dem Scharfsinn wie Dein
Gedächtniß haben gelitten im Zugwinde, sonst würdest Du Dich erinnern, daß es
immer Dein Wunsch war, das schlanke
»Keinen Groll deswegen! Weiß ich doch, wie Du's meinst. Deine Kralle her, verwitterter Graukopf, und Freundschaft für heut' und immer!«
Blutrüssel schlug ein. Die Gläser wurden aufs neue gefüllt und fast eben so schnell wieder gelehrt.
»Weißt Du, daß ich noch nie ein Jahr so sorgenlos beschlossen habe?« sagte
Klütken-Hannes mit einem Auflug von Sentimentalität in
»Schon betrunken und hat erst den zweiten Zug gethan!« wieherte Blutrüssel, der in der That die ungewöhnliche Rührung und Weichheit seines Gastes dem Trunke und unzeitiger Betäubung zuschrieb. »Du bist wohl ein reicher Mann geworden im – Hinterstübchen?«
Blutrüssel zeigte dabei auf seinen Hinterkopf und verzog seine abscheuliche Fratze zu dem abschreckendsten Lächeln.
»Lache, lache immer hin, so viel Du willst,« entgegnete Klütken-Hannes, »ich sage doch: so ist es und es grenzt an's Wunderbare, daß es so ist! In der That ich bin reich, kann es wenigstens werden, wenn ich will und – mein Wort darauf – mir ist ganz so zu Muthe, als hätte ich den Willen dazu!«
Von Neuem fiel Blutrüssel in ein heiseres wieherndes Lachen. »Ich bitte Dich,
blaugetüpfelter Glückspilz, theile mit mir, wenn Du
Blutrüssel hatte dies in einem spöttischen Tone gesprochen, der seinen Gast verhöhnen sollte. Allein Klütken-Hannes ließ sich nicht davon anfechten. Er schüttelte seinen borstigen Kopf, schlug mit flacher Hand auf den Tisch und rief aus:
»Es gilt, Blutseele! Nehm' ich's an, so sollst Du mein Gefährte, mein Bruder sein!«
»Befiehlst Du Wasser, Hänschen?« grinste der Gauner. »Dein Kellerloch ist feucht, Du bist daran gewöhnt, ich will Dir einen Kübel voll holen und Dir den Kopf damit waschen, bis Du wieder klar hörst und denkst!«
Klütken-Hannes fuhr in die Tasche seiner Jacke und warf eine Hand voll Ducaten auf den Tisch, stand dann auf und schüttete auch aus beiden Hosentaschen noch eine ansehnliche Summe in Gold- und Silbermünzen.
»Hast Du gestohlen?« fragte der Gauner, »oder einen Schatz gehoben?«
Klütken-Hannes fuhr auf. »Tausend Donner, wie oft soll ich's Dir Vieh denn in die Ohren schreien, daß es mir als Gottesgabe gradezu vom Himmel in den Schooß gefallen ist!«
»Das begreife ich nicht,« entgegnete Blutrüssel zum ersten Male ein ungeheucheltes Erstaunen zeigend.
»Ist auch nicht vonnöthen,« versetzte der Trödler. »Ich habe das Geld, ich kann
alle Tage noch einmal so viel wo nicht das Drei- und
»Du bist wirklich ein Glückskind! Da sieht man, daß es doch etwas auf sich hat mit der Abstammung!«
»Was Abstammung!« lachte Klütken-Hannes. »Kommst Du wieder einmal auf dies abgeschmackte Kapitel, das Du mir so oft vorsangst in besseren Zeiten? Glück! Was will das sagen! Man wird meiner bedürfen, darum überschüttet man mich mit Gold.«
»Aber wer, goldenes Paradiesvögelchen?« schmeichelte Blutrüssel mit seiner süßesten Flüsterstimme, während er einige Goldstücke erwischt hatte und sie spielend durch seine Finger gleiten ließ. »Wer ist so unnatürlich dumm, einem Unbekannten solche Summen zuzuwerfen, ohne daß ein großer Zweck im Hintergrunde ruht!«
»So ist es unstreitig. Und man kennt mich, Glotzauge! Man hat Gutes von mir gehört und traut nur 'was zu! Mein Talent als Mäkler muß viel in der Welt von sich haben sprechen machen, denn ich merke schon, daß man ähnliche Dienste wieder von mir verlangt.«
»Du wirst immer räthselhafter, Hans! Bald
»Nun vielleicht bringt Dein Spitzbubenwitz mehr Zusammenhang in dies beantragte geheime Mäklergeschäft, als mir es zur Stunde hat gelingen wollen. Da lies den Brief! Vor drei Tagen erhielt ich ihn nebst einer Anweisung auf tausend Mark, die mir in rundem Gold und Silber heut baar ausgezahlt worden sind.«
Klütken-Hannes reichte dem grinzenden Gauner einen sehr zerknitterten und mit allerhand Schmutzflecken besudelten Brief.
»Du weißt ja, ich kann blos buchstabiren und noch dazu blos Gedrucktes. Lies mir den Umsinn vor!«
Der Trödler entfaltete nun das Schreiben und brachte mit vielen Unterbrechungen dessen mysteriösen Inhalt zusammen. Der Brief lautete:
»Werther Herr!
Es ist mir von einem schätzenswerthen Manne, der Sie genau zu kennen die Ehre
hat – ›Ehre!‹ warf der Gauner ein. ›Teufel noch 'mal, den Lump möcht' ich
kennen!‹
Gehorsamst
a. – n.«
Die angegebene Reiseroute endigte eine Stunde von Boberstein bei einer tief in der Haide gelegenen Torfgräberhütte, die allgemein unter dem Namen der »Wurzelhütte« bekannt war. Klütken-Hannes hatte den Brief Adrians erhalten, welchen dieser am Weihnachtsabende nach der Unterredung mit Vollbrecht schrieb. Seine früheren langen Gespräche mit Aurel hatten ihn hinlänglich eingeweiht in die Verhältnisse des heruntergekommenen Trödlers, und den Aeußerungen des Bruders zufolge glaubte Adrian in diesem verwilderten, geldgierigen Menschen ein willenloses Werkzeug für seine geheimen verbrecherischen Zwecke gefunden zu haben.
»Ist das Alles?« fragte Blutrüssel, als Klütken-Hannes das Schreiben zusammenfaltete und gelassen einsteckte.
»Aber daraus wird ja kein Teufel klug!«
»Warum denn nicht? Es gibt nichts Kläreres unter der Sonne, das ist plan. Man reist, man läßt sich bestimmen, man streicht Geld ein und lebt fidel und sorgenlos, bis es ein Ende hat!«
»Es kann eine Falle sein,« bemerkte Blutrüssel und rollte seine vorstehenden gelblich-trüben Augen unter furchtbarem Zähnefletschen. »Ich habe Erfahrung darin, Hans! Ehedem reiste ich auf kurze Zeit in ähnlichen Geschäften.«
»Pah! Was Falle! Tausend Mark wirft kein Mensch zum Fenster hinaus, um einem Andern damit bequem den Hals umdrehen zu können!«
»Darüber, siehst Du, blöde Kellerafsel, darüber ließ sich ein Langes und
Breites reden. Weil Du aber für gewisse Feinheiten interessanter Lebensarten
keinen Sinn hast, will ich es unterlassen. Du bist blos für die plumpen, großen
Geschäfte – fürs bequeme Gelderpressen, wenn der Erwerb mit Schwierigkeiten
verbunden
Gleichgiltig zog Klütken-Hannes seinen Brief nochmals vor und nannte die einzelnen Orte, welche berührt werden sollten. Es waren dies mit Ausnahme von zwei bis drei unbedeutenden Landstädtchen immer nur Vorwerke oder einsam gelegene Schenkhäuser, die über wenig befahrene Communicationswege in bedeutender Entfernung von der großen Landstraße tief in die Haide führten. Ueber diese Reiseroute stutzte Blutrüssel mehr wie über Alles. Sein Gesicht würde, wäre dies möglich gewesen, bleifarbig geworden sein, so heftig erschrak er; denn er sah sich auf einmal wieder auf den Schauplatz seiner Jugendvergehungen versetzt. Waren diese auch längst in seinem Gewissen begraben, so traten sie doch als bleiche Geistererscheinungen jetzt unerwartet vor sein inneres Auge und ein Frösteln der Angst, ein Schauer der Verzweiflung rieselte ihm durch Mark und Bein.
»Du kannst mir nichts nützen. Hast ja gehört, daß meine Reise ein Geheimniß bleiben soll! Dein Gesicht ist gar zu interessant. Wer's einmal gesehen hat, kann's nie mehr vergessen!«
»Ich bin bekannt in jenen Gegenden und mich sehnt's, sie wieder einmal zu betreten. Hier geht's ohnehin mit mir zu Ende. Also, Hans, sei klug –«
»Unter einer Bedingung.«
»Sprich!«
»Du wirst mein Knecht und trittst in meine Dienste.«
»Bin dabei, topp!«
»Die Kasse führ' ich ganz allein.«
»Wenn Du für mich zahlst, was ich brauche, mir gleich.«
»Grog so viel ich will – Abends Beefsteak – überhaupt gutes Essen. – und ein Taschengeld zu Geschenken für hübsche Dirnen – gelt?«
»Für den ersten Kuß, den ein Mädel Dir gibt, zahle ich hundert Mark, bei meinen Sünden!«
Klütken-Hannes reichte dem Gauner lachend die Hand über den Tisch und der Pact war geschlossen.
»Wenn brechen wir auf?« fragte Blutrüssel. »Ich gestehe Dir, daß ich aus verschiedenen Gründen Eile habe. Ich halte mich nicht mehr für ganz sicher, seit mir die Mohrentaverne den Schimpf angethan hat, mich eines unfreiwillig gemachten Darlehns wegen vor die Thür zu setzen.«
»In drei, vier Tagen. Bis dahin wird mein Trödel verkauft sein und dann bin ich ein freier Mann.«
»Das wäre demnach in Ordnung. Nun geht mir aber noch ein Gedanke im Kopfe herum, der uns Vorsicht empfiehlt.«
»Was Gedanke! Sind wir nicht unabhängige reiche Leute? Wer Geld hat, braucht
nicht
Blutrüssel trank sein Glas aus bis auf die Nagelprobe. Mit lallender Zunge knüpfte er das Gespräch wieder an.
»Alles vortrefflich,« sagte er, »aber meinen Gedanken lass' ich nur deßhalb nicht nehmen! Du hast den Herrn nicht gekannt, der Dir Dein Kind abkaufte. Wenn's nun ein Schuft war, ein Spion? He!«
»Hol' ihn der Teufel oder die Cholera!«
»An den Galgen kann er Dich bringen, ich kenne das!«
»Geld hilft von Galgen und Rad; und – ich glaube nicht dran.«
»Für Dolch und Pistolen, alter Molch, laß Dich's nicht gereuen, viel Geld auszugeben!«
»Du hast mehr Kenntniß davon, sorge Du also dafür. Hier ist Geld!«
Klütken-Hannes warf sechs Louisdor auf den Tisch, die Blutrüssel mit zufriedener Miene einsteckte.
»Gründen eine famose Wirthschaft,« schloß Blutrüssel.
»Mit einem Schilde, drauf in ellenlangen Buchstaben geschrieben steht – na was denn?«
»Zum goldenen Wallfisch!« schrie der Gauner.
»Pfui! Verbrauchte Phrasen! – Nein, 'was ganz Neues, 'was Unerhörtes muß drauf gemalt sein, das zugleich verlockt und entsetzt und den Gästen die Haare zu Berge treibt.«
»Zum Höllenpfuhl!« grinste Blutrüssel schwankend.
»Zur Rache! klingt besser,« lachte Klütken-Hannes.
»Meinethalb auch. Aufs Gedeihen der neuen Sündenwirthschaft: Zur Rache!«
Die beiden verlorenen Söhne der Welt wiederholten, immerfort trinkend, wohl
hundertmal diese Worte, bis sie in völlige Bewußtlosigkeit versanken. Als sie
mit gläsernen stieren
Auf den Fittichen des Windes, der die melancholischen Melodien der Glocken Hamburgs nach allen Himmelsgegenden verwehte, enteilen wir abermals in die Haide. Noch ist es tiefe finstere, kalte Nacht, aber der vor Mitternacht klar gestirnte Himmel hat sich über diesen unermeßlichen Wäldern jetzt mit schweren grauen Wolken bedeckt. Auf den fernen dunkleren Schichten der Haide liegt es wie Nebel, der rasch sich verdichtet und gleich einem weißgrauen Mantel von ungeheurer Ausdehnung über die Gegend fortrollt. Ein Schneesturm zieht herauf von Norden und durchrast mit namenloser Wuth die Haiden.
Im Spinnerdorfe am See hatten viele Bewohner
Wir wollen unsere Leser nicht in die Hütten dieser Unglücklichen führen, nur eine Scene wollen wir schildern, die in jener Nacht sich dort zutrug.
Bald nach Mitternacht waren die ersten Zeichen des nahenden Schneesturmes
wahrgenommen worden. Dennoch sah man um diese Stunde mehrere Bewohner des
Dorfes ihre baufälligen Hütten verlassen und dem See zueilen. Sie trugen alle
etwas auf ihren Armen, das, in Lumpen gehüllt oder mit einem Mantelfetzen
umwickelt, in den Wirbeln des rieselnden Schnees sich nicht erkennen ließ. Am
Ufer des Sees, da, wo in der guten Jahreszeit die Fähre landete, sammelten sich
die vereinzelt aus dem Dorfe hervorschreitenden Gestalten. Es waren fünf Männer
und eine Frau. Vereint traten diese sechs schweigenden Menschen den Weg über
den See an, der jetzt mit fußdickem Eise bedeckt war und eine gefahrlose Brücke
bis zur Felseninsel bildete. Vor dem bald auf- bald abwärts
Nach mehrmaligem Rasten mitten auf dem öden Schneefelde des See's erreichten
die sechs Meister endlich sehr erschöpft und trotz der schneidenden Kälte
erhitzt das schützende Ufer der Felseninsel. Sie gingen schnurstracks nach dem
modernen Wohnhause des Herrn am Stein. Vor der Thür desselben bildeten sie
einen Kreis, traten den angehäuften Schnee etwas nieder und legten dann, ohne
ein Wort zu wechseln, die Lasten, welche sie trugen, behutsam so auf die
Schwelle nieder, daß sie zur Hälfte sich gegen die Thür anlehnen mußten. Wäre
die Nacht nicht so finster, der Schneesturm nicht so überaus heftig gewesen, so
würde ein heimlicher Zuschauer die starren Leichen von fünf Kindern erkannt
Als die Leichen mit den Gesichtern nach Osten gewandt an die Thür des reichen
Fabrikherrn niedergelegt waren, sprachen die Männer ein Vaterunser, wie über
dem Grabe eben Beerdigter. Nur die Frau, die einzige, welche von allen Müttern
der übrigen Verhungerten den Muth gehabt hatte, ihr Kind, ein Mädchen von
sieben Jahren, auf diesem Schmerzenswege zu begleiten, brach jetzt in lautes
Schluchzen aus. Der Kälte und des tiefen Schnees nicht achtend, stürzte sie
nieder auf ihre Knie, umschloß nochmals mit mütterlichem Arm den entschlafenen
Die Männer schwiegen und ließen die Arme gewähren. Erst als der Schnee in dichteren Flocken niederfiel, und die Knieende schon mit weißem Todtenschleier zu bedecken begann, hoben sie die unglückliche Mutter auf und trugen die Widerstrebende fort. Der Schmerz erpreßte ihr einen gellenden, die Seele zerreißenden Schrei, der selbst im Walde noch einmal wiederhallte.
Diesen grellen, zitternden, langsam verklingenden Jammerruf hörte Adrian auf seinem prunkvollen üppigen Lager.
Der reiche Mann hatte geträumt, anfangs von hohem Glück und süßen Genuß, später
von minder ergetzlichen Dingen. Die Wirren der letzten Monate sanken in Gestalt
eines Knäuels giftiger Schlangen auf seine brennende Stirn und stachen mit
tausend spitzen Zungen nach seinem krampfhaft zitternden blutenden Herzen. Zur
»Gott Lob,« sagte er tief aufathmend, »es war em Traum! – Aber ich werde nicht
mehr schlafen dürfen, denn immer häufiger wiederholen sich diese gräßlichen
Träume. Das macht mein krankes Blut, meine Aufregung bei Tage, die
So sprechend hüllte sich Adrian wieder fester in die weichen Decken und schloß die Augen. Ein zweiter Schrei gleich dem ersten, dessen Wiederhall er nur vernommen hatte, erreichte sein Ohr. Nochmals richtete er sich unter Herzklopfen auf und öffnete weit die matten Augen. Der Sturm peitschte den Schnee an die Fenster, die Fabrikuhr verkündigte die erste Morgenstunde.
»Es wird ein Betrunkener verunglückt sein im Sturmwetter,« sagte er sich beruhigend und legte sich zurück in die schwellenden Kissen.
Ein dumpfer unerquicklicher Schlaf fiel auf den armen Reichen. Wir entfernen
uns von seinem Lager und begleiten die hungernden Arbeiter
Die unglückliche Mutter, die Muth genug besessen hatte, ihr verhungertes Kind auf den eigenen Händen bis vor die Thür des Mannes zu tragen, von dem allein so namenloses Elend über Tausende gekommen war, lag jetzt noch ohnmächtig in den Armen der Spinner. Es war ein schlankes, im Anfange der Vierzig stehendes Weib, dessen eingefallene, von Kummer und Nahrungssorgen scharf und eckig gewordenen Züge die Ueberreste ursprünglicher Schönheit doch nicht ganz verwischen konnten. Weiches blondes Haar war in sehr starken Flechten an ihrem Hinterkopfe in einen starken Knoten geschlungen und jetzt von dem grau gewordenen und hin und wieder zerrissenen Regentuche bedeckt. Nur ein paar feine Locken stahlen sich über der Stirn aus der nonnenartigen Umhüllung hervor und fielen, vom Winde bewegt, in verworrenem Gefaser über das marmorkalte Antlitz der Bewußtlosen.
Maja hatte in dieser Nacht ihr zweites Kind, ein Mädchen von sieben Jahren,
begraben vor dem Palast des Tyrannen der Armen. Sie
An der verschneiten Thür seiner Hütte nahm Simson das halb erstarrte kraftlose Weib auf seine Arme, um die Hilfe seiner Begleiter nicht länger anzusprechen.
»Habt Dank, Unglücksgenossen!« sagte er zu den gleich ihm Beraubten und gab
Jedem der Reihe nach die Hand. »Unser gemeinsames
Mechanisch, wie es zur Gewohnheit gewordene Sitte mit sich bringt, erwiederten die betrübten, durch unablässige Stöße des Schicksals und die ausgesuchtesten Schmerzen stumpf und fast gleichgiltig gewordenen Arbeiter den angelernten Gruß und verloren sich in den verschneiten todtenstillen Häuserreihen des ärmlichen Dorfes. –
Am Neujahrsmorgen entdeckte einer von den Packknechten beim Wegfegen des
Schnees die fünf aufrecht stehenden Kinderleichen. Sein Entsetzen wurde nur
noch von dem der übrigen Hausgenossen und Knechte übertroffen, die der
Erschrockene mit stammelnder Zunge davon benachrichtigte. Von diesen er fuhr es
der Kammerdiener
Wie Alles, was ihn nicht persönlich betraf oder seine Stellung als Grund- und Fabrikherr gefährdete, nahm Adrian auch diese entsetzliche Botschaft mit unglaublicher Gelassenheit auf.
»Wirklich?« sagte er zu dem Kammerdiener, der es sich angelegen sein ließ, das Unerhörte möglichst schonend vorzubringen. »Fünf Kinder aufrecht stehend und bis an den Hals verweht hat man heut Morgen vor meiner Thür gefunden? Kennt man sie?«
Während dieser Gegenfrage tauchte er mit Aufmerksamkeit den feinsten weißen Stollen, in der Haide »Christbrod« genannt, in die lieblich duftende starke Chokolade, bis er von dem aromatischen Saft vollkommen durchzogen war.
»Herr Vollbrecht getraut sich, ihre unglücklichen Aeltern bezeichnen zu können.«
»Sehr wohl. Wo hat man die Leichen hingeschafft?«
»Sie liegen im Schuppen – eine ganze Hand voll Leichen! Befehlen Sie, daß man die armen Kinder Ihnen zeige?«
»Sie scheinen nicht erfroren zu sein,« wagte der Kammerdiener schüchtern zu bemerken.
»Nicht? Dann ist wohl gar eine Gewaltthat, ein Verbrechen begangen worden?« versetzte mit erkünstelter Theilnahme der Herr am Stein. »Ich will, daß man die Verunglückten genau untersuche, und wenn sich nur die geringsten Spuren eines verübten Verbrechens zeigen, ihre Aeltern sogleich gefänglich einziehe!«
»Mit schuldigem Respect, gnädiger Herr, bringe ich Ihnen meinen Glückwunsch zum neuen Jahre,« sagte Vollbrecht, der während dem eingetreten war und die letzten Worte des Grafen noch gehört hatte. »Möge Gott ihre Gesundheit von neuem kräftigen und Ihnen in jeder Hinsicht gnädig sein!«
»Ich danke, mein Lieber! Doch lassen wir
»Sie hat mich nicht überrascht, Herr am Stein! Verwundert aber bin ich, daß sie so still, so ganz ohne ein Zeichen laut jammernder Verzweiflung vorübergegangen ist!«
Adrian gedachte des gellenden Nothschreis in der Nacht und konnte sich jetzt das Markerschütternde desselben erklären. Dennoch stellte er sich mit consequenter Frechheit unwissend, wie ein neugeborenes Kind.
»Mein lieber Vollbrecht,« versetzte er, seine stark vergoldete große Tasse von Meißner Porzellan aufs neue mit Chocolade füllend, »man erfriert meines Wissens ganz in der Stille. Die Aerzte behaupten, es sei ein angenehmer, schmerzloser Tod.«
»Die fünf Kinder, von denen hier die Rede ist, sind nicht erfroren,« sagte Vollbrecht finster.
»Also doch nicht erfroren? Also mit Gewalt, mit Willen getödtet?«
»So ist es, Herr am Stein.«
»Und wer sind die Thäter? Ohne Zweifel diese Feiglinge von Aeltern, denen es
unmöglich
»Davon nachher, Herr am Stein. Der Mörder dieser nunmehr in Frieden ruhenden Kleinen ist – der Hunger.«
Adrian behauptete auch jetzt noch seine unerschütterliche Ruhe.
»Wenn sich dies ärztlich beglaubigen läßt,« versetzte er, »so wundere ich mich nur, weshalb ich bis heut kein Wort von drohender Hungersnoth drüben im Dorfe vernommen habe. Ich bin nicht allwissend, ich kann auch bei meiner fortdauernden Kränklichkeit, die mir größte Schonung und Vermeidung jeglicher Aufregung streng zur Pflicht macht, nicht von Haus zu Haus gehen. Man hätte mir das Vorhandensein des allgemeinen oder theilweisen Nothstandes anzeigen sollen, dann würde man gesehen haben, daß ich, wo es nöthig ist, immer eine offene Hand in Bereitschaft habe. Ich werde sogleich Befehl ertheilen, Lebensmittel in das Dorf schaffen und die Dürftigsten reichlichst speisen zu lassen. Was aber soll zuletzt diese affreuse Farce?«
»Mich dünkt, Sie können aus ihr lernen,
»Es schmerzt mich,« erwiederte Adrian mit erheuchelter Rührung, eine kalte
Thräne in sein funkelndes Auge pressend, »daß ich so arg verkannt werde. Diese
Elenden sind wirklich zu verwildert, um mit ihnen wie mit vernünftigen Menschen
zu reden! Sie wissen es ja, Vollbrecht, wie mein großmüthiges Anerbieten am
Weihnachtstage schnöde zurückgewiesen wurde! Solche Beispiele boshafter
Herzensverhärtung entmuthigen. Hätte Martell vor acht Tagen meine freiwillig
dargebotene Unterstützung angenommen, ich würde unverweilt genaue Erkundigungen
eingezogen haben über die Angelegenheiten auch anderer Familienväter. Seine
lieblose Antwort aber verdroß mich und aus gerechtem Aerger darüber unterließ
ich jede weitere Nachfrage. Die stolzen Thoren haben mithin nur sich, nicht
aber mir das Elend zu danken, das nunmehr über sie hereingebrochen ist. Ich
sehe darin sogar eine warnende Stimme des gerechten Gottes an die
Uebermüthigen, gegen mich
Vollbrecht hielt es für überflüssig, dieser Ansicht des Grafen, dessen innerste teuflische Gesinnung ihm längst kein Räthsel mehr war, zu opponiren. Er fragte kühl, was mit den fünf aufgefundenen Kinderleichen geschehen solle?
»Je nun,« versetzte Adrian mit dem eigenthümlichen um seinen stolzen Mund aufhüpfenden spöttischen Lächeln, »da wir hier kein so kühles Grabgewölbe besitzen, wie auf dem Sanct Gotthardt, so glaube ich mein Gewissen hinlänglich zu salviren, wenn ich die Scheuer auf einen Tag zur Morgue erhebe und das ganze Dorf aufrufe, die Leichen zu beschauen. Auf diese Weise kann jeder Vater, jede Mutter ihr Kind am leichtesten erkennen und wir unsererseits haben die Genugthuung, die maßlos Frechen ebenfalls kennen zu lernen, die unsere Thür ganz naiv zum Kirchhofe machen wollen. Uebrigens erlaube ich, daß man die so oder so Verstorbenen nach christlichem Gebrauche, doch ohne Leichenspectakel, auf meine Kosten beerdige.«
Vollbrecht machte Einwendungen gegen diesen Befehl. Es schien ihm nicht klug zu
sein,
»Sie verzeihen, gnädiger Herr, wenn ich mir noch einen Einwand erlaube,« sagte Vollbrecht. »Ich kenne die Aeltern der Aufgefundenen. Man kann ihnen also ihre Kinder ohne Aufsehen still ins Haus schicken.«
»Wenn auch, besser ist's immer, sie kommen selbst. Haben sie sich die strapaziöse Mühe gegeben, mitten in stürmischer Nacht mir die todten Würmer herzuschaffen, so mögen sie sich ihre Bälger jetzt am Tage, wo die Sonne recht hübsch warm scheint, auch wieder abholen. Sonst müßte ich sie ihnen am Ende noch in meine Staatskarosse heimfahren lassen!«
»Ich lasse es darauf ankommen, lieber Vollbrecht. Im Winter geschehen keine gefährlichen Revolten. Kälte und Regen sind die besten Gemüthsbesänftiger. Erlassen Sie daher in Goltes Namen den Aufruf! Finden sich die betreffenden Aeltern wirklich nicht ein, so weiß ich schon, was ich zu thun babe. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß diese fünf todten Kinder Niemand als ihre leiblichen Väter oder Mütter auf ihren Armen heimtragen sollen!«
Adrians Befehl wurde vollzogen. Die Bekanntmachung lief schnell von Mund zu
Mund, von Haus zu Haus, und schon gegen Mittag zogen Männer, Frauen und Kinder
schaarenweise über den gefrorenen See, um die gefundenen fünf Kiuder zu
betrachten. Diese hatte der Graf aus Vorsicht in eine Art vergitterten Käfig,
der ursprünglich als Gänsestall diente, neben einander legen lassen, um alles
Betasten und allzugroßen Andrang zu verhindern. In vollem Sonnenlicht mitten
auf der Tenne stand diese wunderliche und erschütternde Morgue von vier
Der martervolle Tod hatte die Unglücklichen nicht so sehr entstellt, daß sie für Bekannte und Freunde unkenntlich gewesen wären. Man hörte daher von fast jedem an den Gitterkasten Herantretenden bald laut bald leise ihre Namen nennen und ihre Aeltern beklagen. Mancher mochte sich wohl auch wundern, daß unter so vielen hundert Neugierigen nur allein die Betheiligten fehlten, denn von dem eigentlichen Hergang der Sache war noch Keiner unterrichtet. Wie es nun aber überall geschäftige Seelen gibt, die jedes Ereigniß, sei es erfreulich oder betrübend, sogleich weiter tragen müssen, so fanden sich auch unter den herbeieilenden Fabrikarbeitern sehr bald einige Händeringende, die jammernd rückwärts nach dem Dorfe stürzten, um den betreffenden Aeltern das entsetzliche Unglück ihrer Kinder zu melden. Bei dieser Botschaft mußte nun die eigentliche Todesart an den Tag kommen, die wo möglich von denselben Dienstbeflissenen noch schnellere Verbreitung fand.
Hatte man bisher blos die Verstorbenen und ihre armen Aeltern beklagt, so
verwandelte
Mit eigenthümlichem Lächeln beobachtete Adrian von seinem Zimmer aus unbemerkt
das Benehmen seiner Arbeiter bei diesem ihnen bereiteten Schauspiele. Nichts
dabei schien ihn zu überraschen, denn er wiegte zufrieden das stolze Haupt, als
sich die Zuschauer so plötzlich verloren
Vollbrecht erstattete, wie es von ihm verlangt ward, Bericht über den Hergang
und erbat sich fernere Verhaltungsbefehle. Adrian hielt diese nicht für nöthig.
Kalt und entschieden, wie immer, ließ er sich jetzt die Namen der Aeltern
nennen, die ihrer Kinder auf so entsetzliche Weise beraubt worden waren. Er
notirte sich dieselben in seine Schreibtafel. Dann erkundigte er sich nach den
Arbeitsstellen der Väter und Mütter der Verstorbenen in der Fabrik, fragte, auf
welche Weise diese selbst beschäftigt gewesen wären und wie man ihre Stellen
werde besetzen können? Auf all' diese Fragen gab Vollbrecht genau Antwort, da
sie das Geschäft und dessen ungestörten Fortgang betrafen. Es fiel ihm nicht
auf, daß Adrian auch darüber einige Bemerkungen in seine Schreibtafel machte.
Zuletzt, als der Geschäftsführer sich noch die Frage erlaubte, wohin man die
fünf
Diese Nacht kam heran, sternenklar, still und kalt. Ebenso still und kalt lag das Dorf jenseits des Sees, nur die leuchtenden Sterne des Glückes, der Liebe, der Hoffnung, des Glaubens waren über ihm und seinen trauernden Bewohnern erloschen. Von der Insel aus sah man kein Licht mehr in den Hütten der Arbeiter schimmern. Außer dem Bellen einiger Hunde lag das Schweigen einer kalten todten Winternacht rings auf der waldbedeckten Gegend.
Auch im Hause des Fabrikherrn war es ruhig geworden. Nur Adrian wachte noch in seinem Zimmer und durchschritt es wiederholt mit großen Schritten. Endlich zog er die Klingel. Der Kammerdiener erschien und rieb sich schlaftrunken die Augen.
»So müde, Jean?« fragte der Graf mit ungemeiner Freundlichkeit. »Das ist mir
unlieb.
Jean war durch diese Anrede vollkommen munter geworden. Er verbeugte sich und antwortete:
»Der gnädigste Herr Graf dürfen nur befehlen.«
»Ich hätte eine Bitte an Dich, lieber Jean. Aber Du mußt verschwiegen sein!«
»Wie das Grab, gnädigster Herr Graf!«
»Auch gegen Vollbrecht!«
»Gegen mich selbst, wenn Ew. Gnaden befehlen!«
»Wenn Du mein Vertrauen, das ich Dir in diesem Augenblicke schenken will, rechtfertigst, werde ich Deinen Sohn – still, still, ich kenne Deine kleinen verliebten Abenteuer, ohne Dich deshalb zu schelten! – Deinen Sohn also werde ich erziehen lassen und Dir eine lebenslängliche Pension von dreihundert Thalern aussetzen. Was meinst Du?«
»Der gnädigste Herr Graf sind der großmüthigste Mann auf Erden!«
»Ich werde es sein, wenn Du schweigst!« sagte Adrian nochmals mit einem
bedeutenden,
»Jetzt? Ew. Gnaden wollten –«
»Gehorche und schweige!« raunte ihm der Graf befehlshaberisch zu.
Jean verfärbte sich, schlich auf den Zehen ins Comptoir und überbrachte Adrian, der sinnend in das kleine Flämmchen der Blendlaterne sah, die Schlüssel mit zitternder Hand.
»Meinen Wolfspelz!«
Jean holte auch diesen und warf ihn seinem Gebieter um. »Es ist sehr kalt, gnädiger Herr,« sagte er, »der Doktor würde einen so späten Ausgang gewiß nicht gestatten.«
»Jetzt nimm den großen Henkelkorb, der die neuen Garnproben enthält. Leere ihn und bringe ihn an die Tenne.«
Adrian schritt schon die Treppe hinunter, entriegelte die Hausthür und ging auf
die Tenne zu, wo die Leichen der Kinder, die in seinem Dienst umgekommen waren,
den Schlummer des ewigen Friedens schliefen. Auf den bleichen Gesichtern der
Kleinen spielte der Schimmer der
»Wollen Ew. Gnaden die armen Würmer begraben oder sie eigenhändig ihren Aeltern vor die Hausthüren legen?« stotterte der Kammerdiener, dem die Zähne vor Frost und Furcht klapperten und der seine Zusage längst schon bereute.
»Lege die Leichen in den Korb, Jean,« befahl der Graf, »und schlage dann die graue Deckleinwand sorgfältig über sie zusammen!«
Jean mußte trotz seines namenlosen Grauens das gräßliche Geschäft verrichten, dem Adrian mit verschränkten Armen, still und ernst wie ein Todtenrichter zusah. Dann nahmen Beide den Korb auf, Adrian stellte die kleine Blendlaterne auf die verhüllten Kinderleichen und schlug den Felsenpfad nach der Fabrik ein. Dem Kammerdiener rieselte kalter Schweiß in Bächen über sein Gesicht. Er sprach kein Wort. Keuchend half er dem marmorbleichen, wie eine lebendig gewordene Statue neben ihm fortwandelnden Grafen die schreckliche Last nach den hochgelegenen Fabrikgebäuden tragen.
Das Entsetzen des armen Kammerdieners erreichte seinen höchsten Grad, als sie
die Maschinensäle
»Oeffne den Korb, Jean,« befahl Adrian, »und folge mir mit dem kleinen todten Schlingel, der das Pfeilmaal auf der linken Wange hat!«
Mechanisch hob der Kammerdiener, jetzt in
»Das ist der Ort,« sagte Adrian spöttisch lächelnd. »Drücke dem kalten Schelm die steifen Glieder zusammen, daß er in eine sitzende Stellung kommt, und schiebe ihn unter die Kämme. Er hat da geschafft bei Lebzeiten, er mag sich noch einmal im Tode die ungelenken Finger von den stählernen Rechen krumm biegen lassen. Wenn ihn morgen früh der Herr Papa hier nicken sieht, wird er sich wohl nicht mehr weigern, ihn als redlicher Vater nach Hause zu tragen. Man muß diese pflichtvergessenen Menschen mit der Nase auf das stoßen, was sich schickt, und was sie zu thun haben.«
Jean starrte den Grafen mit offenem Munde, mit schlotternden Knieen und klappernden Zähnen an. Sein Auge schwamm in Thränen, er vermochte nicht zu reden. Nur stammelnd lallte er:
»Gehorsam verhilft zu Gnade!« versetzte Adrian schneidend. »Weil sie mir nicht gehorchen, bin ich ihnen ungnädig gesinnt und bestrafe sie jetzt. Thue also, was ich Dir heiße!«
Jean drückte die Leiche zaudernd in die klirrenden Stähle. Heiße Thränen fielen auf das Gesicht des Todten und blieben an seinen gesenkten Wimpern hängen.
Adrian schritt weiter, beim trüben Schein der Laterne mit Mühe die Notizen in seiner Schreibtafel durchfliegend. In mehrere Säle kehrten die schrecklichen Wanderer ein, überall ein Geschenk des Todes, bald sitzend, bald stehend, bald gegen die Erde gepreßt, bald über die Flucht der Spindeln gebeugt, zurücklassend. Erst nachdem dies nächtliche Geschäft zu Adriaus Zufriedenheit beendigt war, verließen sie schweigend, wie sie gekonnnen, die Fabrik und kehrten, von Niemand gesehen, von Niemand in ihrem grauenvollen Thun belauscht, als von Gott, in die Wohnung am Ufer des Sees zurück.
»Vergiß nicht zu schweigen!« ermahnte der
Jean schwieg. Er wünschte dem Grafen schweigend gute Racht, suchte schweigend das Lager und stand am andern Morgen schweigend wieder auf. Er schwieg fortan immer, sein ganzes Leben hindurch. Das Entsetzen der Nacht hatte ihm die Zunge gelähmt und das Vermögen der Spräche genommen! – Die Vorsehung liebt es zuweilen, die größten Verbrechen am härtesten an denen zu strafen, die nur als blinde Werkzeuge zu deren Vollziehung dienen. –
Noch am Neujahrstage war die Kunde von dem Hungertode der fünf Kinder bis auf
den Zeiselhof gedrungen. Aurel hielt es für eine schamlose Uebertreibung, um
ferne und nahe Unterthanen Adrians gegen diesen aufzuhetzen, und wollte
durchaus nichts davon hören. Anders dachte der Maulwurffänger, der die
gedrückte Lage der Fabrikarbeiter zu genau kannte, um nicht auch einen solchen
Fall für möglich zu halten. Er erbot sich, unverweilt nach Boberstein
aufzubrechen, um sich von den dortigen Verhältnissen zu unterrichten. Die an
sich geringe Entfernung war zu Schlitten in sehr kurzer Zeit zurückzulegen,
weshalb Heinrich ein derartiges Fuhrwerk begehrte. Da er selbst kein
Frühzeitig brachen die Greise am Tage nach Neujahr auf, flogen in leichtem
Schlitten über die spiegelnden Schneefelder der Haide entgegen und entdeckten
bald in der durchsichtigen Luft die Schornsteine der Fabrik. Zu ihrem großen
Befremden lagen keine Rauchwolken über denselben, obwohl neun Uhr Vormittags
schon vorüber war. Der Maulwurffänger trieb Sloboda zu schnellerem Fahren an,
da nur ein ungewöhnlicher
Wir haben früher bemerkt, daß Herr am Stein alls Rücksicht auf seine klug
berechneten Speculationen die Lohnzahlung an seine Arbeiter bis auf den
heutigen Tag verschoben hatte. Obwohl er sehr genau die verzweiflungsvolle Lage
des größten Theils dieser armen, von einem Tage zum andern kümmerlich ihr Leben
hinfristenden, Sclaven seines Willens kannte, glaubte er doch nicht an den
Ausbruch einer wirklichen Hungersnoth. Er hoffte die Mehrzahl werde mit einigem
Darben die wenigen Tage überstehen, werde dann hungrig nach Brod und gierig
nach einigen Groschen schon vor Tage sein Haus umlagern und
Diefe Lohnaustheilung erfolgte auf Adrians Hausflur durch ein Schiebfenster, das mit dem Comptoir in Verbindung stand. Vollbrecht hatte als vereideter Geschäftsführer die Vertheilung zu besorgen. Adrian selbst kümmerte sich nie darum, noch ließ er sich vor seinen Arbeitern blicken.
Martell hatte diesem Zahlungstage in einer kaum zu beschreibenden Gemüthsaufregung entgegengesehen. Das Wort des Maulwurffängers war wie eine Feuerflamme in seine Seele gefallen. Er, der arme, verachtete, mißhandelte Spinner ein Verwandter des reichen allmächtigen Herrn am Stein! Ein Mitglied der Familie, die über fürstliche Besitzungen gebot! Er ein Mann, dem vielleicht gleiche Rechte an diese unermeßlichen Ländereien zustanden, wie dem, unter dessen eiserner Zuchtruthe er grollend seinen Rücken beugte!
»Schweigt Vater!« rief er nach einer abermaligen frommen Ermahnung des
gottvertrauenden
Betrübt über die Halsstarrigkeit seines Schwiegersohnes ging der alte Spinner von seiner Enkelin geführt zur Kirche. Lore blieb ebenfalls daheim, um das sehr zerrüttete Hauswesen einigermaßen in Ordnung zu bringen.
»Mich verlangt es zu erfahren,« sagte Martell zu seiner Frau, »was der
verfluchte Sünder, mein sehr werther Herr Vetter, zu der Neujahrsbescheerung
sagen wird! Ha, ich denke,
»Wenn wir fortzögen von hier, was meinst Du? Wir haben jetzt Freunde, die uns gewiß unterstützen werden. Es gehen so Viele nach Amerika –«
»Nein, Lore, jetzt müssen wir bleiben, und wenn man uns die Glieder einzeln abriß!«
»Es thut nicht gut, Martell! Du vertiefst Dich zu sehr in Deine Gedanken und am Ende, wenn Du keinen vernünftigen Ausweg mehr siehst, begehst Du, was nicht recht ist!«
»Glaubst Du, ich werde ihn, den Herrn Vetter ermorden? Bei meiner unsterblichen Seele, das geschieht nicht!«
»Du bist so heftig, so ungestüm! Ach und den frommen Vater kränkst Du damit!«
»Er ist gut, aber er versteht mich nicht. Dächten wir alle, wie er in seiner
Einfalt, so
»Was, Martell? Sage mir's, ich bitte! Bin ich auch nur ein armes, von Kummer tief gebeugtes Weib, eine trauernde Mutter – was das Rechte ist, das sagt mir mein zitterndes Herz!«
Lore schlang ihre magern Arme um den stämmigen Nacken des zürnenden Mannes und strich ihm die verworrenen langen Locken aus der Stirn, die ihre bleichen Lippen in flüchtigem Kusse berührten. Martell sah ihr lange still und ernst in die liebreichen, von Thränen erfüllten blauen Augen.
»Bedanken will ich mich,« sagte er nach einer geraumen Pause und sein bisher kaltes Auge blitzte in dunkelm Feuer auf.
»Bedanken? Bei wem und für was?«
»Bei meinem Herrn Vetter für die ausgezeichnete Behandlung, die er mir hat zu Theil werden lassen,« erwiederte Martell höhnisch lächelnd.
»Das ist es gerade, was ich fürchte,« seufzte Lore und ließ ihren Arm langsam
von der Schulter des geliebten Mannes gleiten. »Das,
»Ei, mein Schatz, die Wohlthaten, die er uns erzeigt hat, waren auch nicht süß, die Lasten, die wir für ihn trugen, nicht leicht! Ich will blos mit ihm sprechen, wie es ein Vetter darf und soll.«
»Und wenn hast Du die Absicht, eine solche Unterredung unt Herrn am Stein Dir zu erbitten?«
»Ich werde gar nicht darum bitten, arme Taube, ich werde warten, bis es Zeit ist und dann sprechen!«
»Wenn er Dich nur zu Worte kommen läßt!«
»Ich besitze, Gott Lob, eine kräftige Stimme, wahrscheinlich das Einzige, wofür
ich ihm mittelbar Dank schuldig bin, da ich als Saalaufseher das Geräusch der
Maschinen oft überschreien mußte. Andere freilich, deren Lungen nicht kräftig
genug waren, bekamen die Schwindsucht und siechten hin. Grade, weil Gott mich
erhalten hat, scheint mir, soll ich noch zu etwas Besserem berufen sein, als
mein Lebelang blos an hundert und mehr Spindeln
Während dieses Zwiegespräch zwischen Martell und seiner Frau stattfand, war der Aufruf zur Todtenschau auf der Insel an vielen Orten erfolgt. Schaaren Neugieriger eilten nach dem See, denn nur Wenige kannten den Hergang der Sache und wußten um die letzten Augenblicke der Verstorbenen.
»Siehst Du?« sagte Martell lächelnd zu Lore und deutete auf die Reihen der schnell dahin eilenden Menschen. »Graf Adrian hat den Neujahrwunsch seiner getreuen Arbeiter empfangen. Er beeilt sich, ihnen pflichtschuldigst seinen gefühltesten Dank abzustatten – so ungefähr heißt ja die herzlose Redensart, die alle Vornehmen und Hochgeborenen den Armen und Niedrigen gegenüber süß lächelnd in den Mund zu nehmen pflegen.«
Bald nach erfolgtem Aufruf kam Traugott aus der Kirche, zu neuen Leiden
ermuthigt, wie immer, wenn er das Haus des Herrn besucht hatte. Etwas später
erscholl die lähmende Nachricht von dem Hungertodte der fünf Kinder, ihm folgte
das Zurückstürzen der Arbeiter von der Insel und
»Nun freue ich mich auf morgen,« sagte Martell. »Morgen ist Zahltag für den reichen Herrn, da hat er allemal schlechte Laune. Wir merken das immer an den schlechten Geldsorten, die uns dann für vollgiltig zugeworfen werden. Diesmal jedoch soll das nicht wieder einreißen, das steht fest! Ich appellire.«
»Und erhältst den Abschied!« seufzte Traugott. »Ach wenn werde ich Dich demüthig, ergeben und in die Zeit Dich fügend sehen!«
»Sobald es besser geworden ist mit den Arbeitern, Vater, nicht eine einzige Stunde früher! –«
Gegen Abend sprach Simson bei Martell ein. Der unglückliche Mann wohnte nur
wenige Häuser weit und war unserm heißblutigen Freunde immer ein treuer Helfer
in der Noth gewesen, so weit dies unter so beschränkten Verhältnissen möglich
und denkbar ist. Der Mann war völlig rathlos. Händeringend, den stieren
Verzweiflungsblick bald an die schwarzen Dielen heftend, bald zur Decke
aufschlagend, ging er in
»Beim ewigen allbarmherzigen Gott, Martell, ich weiß nicht mehr, was ich anfangen, wie ich die Jammernde besänftigen soll!« rief er aus. »Sie will durchaus ihr Kind wieder haben, um die Leiche noch herzen und küssen zu können, und wir haben uns doch hoch und theuer verschworen, nach Deinem Rath, es nicht eher von des Grafen Schwelle zu heben, als bis er unsere billigen Wünsche genehmigt und erfüllt hat! – Mein Jesus, ich glaube, sie stirbt vor Jammer und Angst noch diese Nacht!«
»Rede ihr zu, Simson, verständig und mild,« erwiederte Martell. »Sie wird sich schon wieder fassen und noch ein paar Stunden gedulden. Unser Aller Zukunft in diesem Jahr hängt ja davon ab.«
»Was gilt das Alles einer Mutter, die ihr Kind beweint!« entgegnete Simson. »Ein Kind das in ihren Armen vor Hunger gestorben ist! Da hat alle Vernunft ein Ende, Martell! Will es doch unser einem den wüsten Kopf auseinander sprengen!«
»Maja muß sich dennoch gedulden, Leidensgenosse!
Simson schlich wieder heimwärts, um der klagenden Mutter Tröstungen zuzuflüstern, an die er selbst nicht glaubte, und eine endlose, von unermeßlichem Schmerz zur Ewigkeit sich ausdehnende Nacht schlaflos mit ihr zuzubringen. –
Hunderte von Arbeitern floh der Schlaf in dieser langen kalten Winternacht. Diese fanden die Ruhe nicht, weil sie von körperlichen Schmerzen – den Folgen des Hungers gepeinigt wurden, Jene rieb die Seelenqual auf um der Ihrigen Zukunft, wenn nicht binnen kürzester Frist ein totaler Umschwung der Verhältuisse, eine Revolution der Gesellschaft eintreten sollte!
Lange vor Tage und noch länger vor der bestimmten Arbeitszeit ward es lebhaft im Dorfe am See. Männer, Frauen und Kinder schaarten sich truppweise zusammen, um sich gegenseitig die allgemeine Noth zu klagen, die Jeder für sich zur Genüge kannte und doch von dem Dritten mit gespannter Aufmerksamkeit nochmals schildern hörte.
Obwohl es noch tiefe Nacht war, zeigten sich doch in der weißlichen Atmosphäre
über den Schornsteinen der Fabrik schon krause dunkle Wölkchen, die von der
kalten Luft niedergedrückt wie schwarze Riesenschlangen mit abenteuerlich
gehörnten Drachenköpfen an den hohen Schloten abwärts krochen und sich auf den
weißen Abhängen
Erwartungsvoll sammelten sich die Spinner vor dem Hause des Fabrikherrn. In diesem war noch kein Laut des Lebens zu hören, dennoch unterließen die schlecht gegen den scharfen Morgenwind Verwahrten jede tumultuarische Bewegung, um nicht zur Unzeit den Zorn Adrians zu reizen. Pünktlich in seinen Anordnungen und Versprechungen, ließ dieser die Thür mit dem ersten Glockenschlage sechs öffnen und gestattete je drei Arbeitern auf einmal den Eintritt in den Flur. Martell war der Erste, ihm schloß sich Simson und jener Anton an, der am Weihnachtsabende die Aufgeregten durch besonnenes Zureden zu beruhigen suchte.
Das freundliche Gesicht Vollbrechts lächelte ihnen durch das Schiebefenster entgegen, und ein freundlicher Morgengruß ward ihnen zu Theil. Als man diesen eben so herzlich erwiederte, sprach Vollbrecht:
»Es ist der ausdrückliche Wunsch und Befehl des Herrn am Stein, daß die Arbeit
nach
Viele murrten über diese Neuerung und machten Miene zu bleiben und durch
Drohungen die ohnehin so lange verzögerte Auszahlung auf der Stelle zu
erzwingen. Martell aber erkannte schnell den Vortheil, der ihnen aus
geschäftiger Willfährigkeit grade in diesem Augenblicke erwachsen mußte, und
forderte die vereinzelten Truppen gebieterisch auf, ihm zu folgen. Da Viele gar
nicht die Veranlassung der sofortigen Ersteigung
Das pfeifende Gezisch des gefesselten Dampfes, das bisweilen aus einem der Sicherheitsventile erklang, und eine schneeweiße wirbelnde Dunstsäule in die kalte Luft entsendete, zeigte an, daß Alles in Bereitschaft sei, um die Maschinen ohne Verzug in Gang zu setzen.
Vollbrecht öffnete die einzelnen Säle, bald entzündeten sich die Lampen an Wänden und Decken, die Arbeiter nahmen ihre Plätze ein und das Zeichen, die Maschinen wirken zu lassen, ward gegeben.
Martell und Simson arbeiteten in demselben Saale an den feinen Spinnmaschinen. Hier waren auch ihre nunmehr verstorbenen beiden Kinder Flockenzupfer unter den hin und wieder rollenden Spindelwagen gewesen.
In seinen Kummer vertieft, auf nichts um sich her achtend, trat der
halbverhungerte Mann an seinen Ort, ergriff mechanisch die
Adrians Wunsch ging wirklich in Erfüllung. Die unglücklichen Aeltern, die ihre
verhungerten
Um desto größer und anhaltender war das Grauen aller Uebrigen. Die Hand jedes
Einzelnen erlahmte, seine Pulse stockten, Schwindel erfaßte Alle, als stünden
sie dicht an einem unergründlichen, höllentiefen Abgrunde, in den eine finstere
Gewalt sie hohnlachend hinabstoßen wolle. Diesem allgemeinen Grauen und
Entsetzen folgte ein Moment unbeschreiblicher Aufregung. Man dachte zwar nicht,
was doch nahe gelegen und worin der rohe Sinn der Menge die sicherste
Genugthuung für die ihr angethane Beleidigung
Zuvörderst ward die Arbeit eingestellt. Vollbrecht selbst, der nicht weniger erschüttert und empört war, als die Arbeiter, ließ die Maschinen hemmen und befahl, den Dampf auszulassen. Als dies geschehen war, versammelte man sich im größten der Säle. Dieser faßte ungefähr die Zahl der anwesenden stimm- und berathungsfähigen Männer. Die Kinder und Frauen wurden heimzugehen bedeutet oder mußten sich ruhig verhalten. Sie zogen sammt und sonders das Letztere vor und blieben.
Diese über drei Stunden dauernde Arbeiterberathung hier zu schildern, kann
nicht unsere Absicht sein. Sie würde den Gang der Begebenheiten nur unnöthig
aufhalten und unsere Leser vielleicht langweilen. Auch würde sie ihres Zweckes
in so fern verfehlen, als die während jener Versammlung gefaßten Beschlüsse an
diesem Tage, wie auch später nicht sogleich zur Ausführung kamen, indem andere
Ereignisse dazwischen
Tiefer in seinem Wesen als Martell konnte Niemand erschüttert sein. Dennoch wußte er sich zu mäßigen und erhielt, wie er wünschte, im Namen seiner Mitgenossen zum zweiten Male den Ehrenposten eines Sprechers.
In der zehnten Stunde endlich verließen sämmtliche Arbeiter die Fabrik, um von Adrian den Lohn in Empfang zu nehmen. Vollbrecht eilte ihnen der Abrede gemäß voraus, um die Ankommenden dem Herrn zu melden. Damit kein nutzloser, nur störender Zudrang entstehen möge, war beschlossen worden, daß bis auf die zehn Abgeordneten, die man erwählt hatte, Niemand an der Verhandlung mit Adrian Theil nehmen sollte. Es schieden sich daher die Nichtbetheiligten einstweilen in einzelne Gruppen, die müßig theils in der Nähe des Hauses, theils auf dem See hin und wieder gingen.
Martell war sehr bleich, als er an das Schiebefenster trat, aus welchem der
Millionair an drei tausend seiner Sclaven mit zögernder Hand den kargen
Zehrpfennig für wenige Tage mit verdrießlicher Miene und falschem Auge reichen
Nach kurzem Zögern klang das Fenster und Adrian, in einem Morgenrocke von kostbarem Seidenstoff gekleidet, nahm Platz auf dem Lehnsessel, den ihm ein Bedienter an das Fenster schieben mußte. Auch Adrian war bleich und um seinen Mund spielte ebenfalls ein seltsames ironisches Lächeln. Sein kleines boshaftes Auge funkelte unter den stark hervorspringenden Stirnknochen wie das einer giftigen Schlange. Die Blicke Martells und Adrians berührten sich und Beide erbebten innerlich, Jeder vor dem Andern. Wer in diesem Augenblicke den beiden sich tödtlich hassenden Männern einen Spiegel hätte vorhalten können, würde wahrscheinlich ein noch größeres Wunder bewirkt haben, denn nie sahen sich zwei Menschen einander ähnlicher.
»Du bist pünktlich, Martell,« sagte Adrian
Martell schwieg, seine Brust hob sich in wildem Kampf. Er rang vergeblich nach der ihm so nöthigen Ruhe. Inzwischen suchte Adrian auf einer langen Tabelle den Namen Martells, um zu sehen, wie viel Lohn der Feinspinner zu fordern habe.
»Hier, Martell, nimm!« sagte er vornehm kalt. »Du verdienst es zwar nicht, daß ich so freundlich mit Dir verkehre, denn Du hast mich letzthin an den Feiertagen, wo ich Dein so väterlich gedachte, durch Deine harte und lieblose Antwort recht sehr beleidigt. Aber ich will Nachsicht haben und Dir Dein Unrecht nicht weiter nachtragen.«
Adrian hielt das Geld aus dem Fenster, doch Martell rührte keine Hand, um es in Empfang zu nehmen. Langsam erhob er seinen strafenden Blick zu dem Grafen, und indem ein schreckliches Lächeln seine todtenbleichen Züge überzitterte, versetzte er:
»Lassen Sie uns erst Ahrechnung halten
»Das steht genau verzeichnet auf der Liste.«
»Mein Verdienst an der Maschine, ja, gnädiger Herr, was Sie mir aber außerdem noch schuldig sind, das weiß nur ich allein!«
Adrian warf einen sonderbar stechenden Blick auf den Spinner im zerrissenen Kittel, doch schwieg er.
»Zuvörderst,« fuhr Martell ruhig fort, »zuvörderst haben Sie mir das Entsetzen zu vergüten, das Ihr schreckliches Erfindungstalent nicht mir allein, sondern Ihren sämmtlichen Arbeitern bereitet hat.«
»Eine Liebe ist der andern werth,« sagte Adrian teuflisch lächelnd.
»Das meine ich auch,« entgegnete Martell. »Sie haben uns schon so viel ähnliche
Liebe geschenkt, daß wir wirklich, ohne ungerecht zu sein, dies nicht mehr
stillschweigend mit ansehen können. Darum werden Sie die Güte haben, nicht nur
die in Ihrem Dienst verhungerten Kinder ehrlich und anständig auf Ihre Kosten
Bei dieser fast spöttisch gegebenen Antwort fühlte Adrian, wie sich sein Herz zusammenzog und erkaltete. Seine Abneigung, sein Haß und seine Furcht, die er immer gegen Martell empfunden hatte, fanden plötzlich die vollkommenste Erklärung. Er ward noch bleicher, seine Augen schienen den armen Spinner durchbohren zu wollen, und die Geldstücken in seiner zitternden Hand, die auf dem Rahmen des geöffneten Fensters ruhte, begannen zu klingen und entglitten eins nach dem andern.
Die Gruppen, welche sich unmittelbar vor
»So ist's, Herr am Stein! Er sagt die Wahrheit! Martell ist Ihr Vetter und könnte Graf sein, so gut wie Sie!«
»Das könnte er auch und das soll er!« rief lautschallend dazwischen die Stimme des Maulwurffängers, der in dem Augenblicke, als Martell dem Grafen mit der erwähnten Verwandlung drohte, die Insel erreicht hatte. Sich jetzt an das gaffende Volk der Arbeiter wendend, fuhr er fort, indem er Martells Hand erfaßte und ihn mitten in's volle Tageslicht führte, so daß von gleich hellem Sonnenschein der Kopf des Grafen und der des Spinners grell beleuchtet wurden:
»Seht her, Ihr Armen, Hungernden und Darbenden! Das ist Adrian, Graf von Boberstein, und hier steht Martell, Graf von Boberstein, sein älterer Bruder! Können zwei Brüder einander körperlich mehr gleichen?«
Die Aehnlichkeit war, wie wir bereits anduteten, auffallend an diesem Tage, wo
alle Leidenschaften in Martell erregt waren, was bekanntlich
»Martell ist des Grafen Bruder! Es lebe Graf Martell!«
Adrian ließ den Schieber sinken und stand auf. Man hörte, daß er röchelnd wiederholt »fort! Fort!« rief und schlürfend in seine Zimmer zurückkehrte.
Martell stand mehrere Minuten ohne Bewegung, nur an dem Zittern seiner Oberlippe und dem krampfhaften Zucken der Augenbrauen konnte man sehen, daß er lebte. Die Augen hielt er krampfhaft geschlossen. Als er sie wieder öffnete, fielen sie zuerst auf die stattliche Figur des greisen Wenden.
»Martell,« redete ihn dieser an, »Martell, Sohn meiner erschlagenen
Schwiegertochter, Dein alter Großvater, der leibeigene Knecht Deines Vaters,
reicht Dir die Hand zum Gruße. Komm an meine Brust, unglücklicher Sohn!
Martell ließ dem Wenden seine kalte, zitternde Hand. Das jetzt wild aufflammende Auge suchte den Maulwurffänger.
»Ist es – wahr?« stammelte er und lehnte seine herkulische Gestalt auf die Schultern Sloboda's.
»Du bist Martell, Graf von Boberstein,« sagte dieser kurz und rund. »Taufschein und sonstiges Papier liegt schon lange auf dem Landesgericht, und geht der Teufel nicht ganz allein hier herum spazieren, so mußt Du binnen Jahr und Tag sein, was der Schalksknecht da drinnen jetzt ist. Straf' ihn Gott!«
»Rache! Rache! Rache!« flüsterte Martell und richtete sich in seiner ganzen wilden Größe auf.
Indem fiel abermals der Schieber am Fenster herab. Vollbrechts Gesicht grüßte die staunende Gruppe.
»Herr am Stein bietet Euch heut' doppelten Lohn,« sagte der Geschäftsführer.
»Eine glückliche Chance, von der er so eben Kenntniß
»Rache!« schrie Martell und schlug sich mit beiden Fäusten an seine mit Lumpen bedeckte Brust.
Ein Theil der lohnbegierigen Arbeiter war nahe daran, dem so plötzlich großmüthig geworden Grafen ein Lebehoch zuzuschreien, ein Wink Antons genügte jedoch, dies zu verhindern.
»Komm, fasse Dich, mein Sohn!« sagte Sloboda »Gott ist gerecht und mild; er wird Dich aus den Tagen der Angst und Noth in Jahre der Freude führen! Komm! Verkündigen wir die frohe Botschaft Deinem Weib und Deinen Kindern!«
Martell widerstrebte nicht, denn er war seiner selbst kaum mächtig. An Heinrich's und Sloboda's Arm verließ er das Haus des gräflichen Bruders.
»Rache! Rache! Rache!« waren die einzigen Worte, die er bald flüsternd, bald schreiend, bald laut auflachend, zahllose Male wiederholte.
Im hohen Bogenfenster des Balconzimmers auf dem Zeiselhofe saßen Herta und Aurel einander einsam gegenüber. Das gedämpfte Licht einer Astrallampe mischte sich mit dem bleichen Silberglanz des Mondes, der draußen auf den dicht beschneiten Bäumen des Gartens flimmerte. Die zarten Hände Herta's ruhten leicht verschlungen auf ihrem Schooße. Ihre großen Augen waren unverwandt auf den Neffen gerichtet und drückten eben sowohl banges Staunen als freudige Ueberraschung aus. Thränen hingen an ihren Wimpern und fielen in großen Perlen langsam auf die gefalteten Hände.
»Vergeben Sie mir, theuerste Tante?« fragte Aurel mit bewegter Stimme, die
Hände der
Herta bewegte die Lippen zu einer Antwort, allein sie vermochte nicht zu sprechen, so mächtig war sie erschüttert. Nur ein leiser Druck ihrer kalten Hände sagte dem Kapitän, daß ihm vergeben sei.
»Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen von ganzem Herzen, theure Tante!« rief Aurel heftig. »Sie sollen nunmehr auch erfahren, daß ich geschlagene Wunden zu heilen nicht säumig bin.«
»Es wird unmöglich sein, mein Freund!« erwiederte Herta bebend. »Ein so tief gesunkener Mensch läßt sich nicht mehr retten. Sein Wille ist gebrochen und mit dem gebrochenen Willen geht alle moralische Kraft, gehen Leib und Seele verloren! O das ist entsetzlich!«
Die arme greise Dame legte still schluchzend die Hände über ihre überströmenden
Augen
»Ich wage noch zu hoffen,« versetzte Aurel. »Thun wir wenigstens ohne Säumen unsere Pflicht. Johannes muß vor Allem seinen demoralisirten Verhältnissen entrissen, seinem bisherigen Umgange entfremdet werden. Der Edelstein, den Gott jedem Menschen bei seiner Geburt in das Allerheiligste des Herzens legt, kann noch nicht gänzlich vom Schmutz der Lasterhaftigkeit zermalmt sein. Man muß den Beklagenswerthen auf diesen leuchtenden Schatz aufmerksam machen, muß ihn anhalten, daß er wieder danach grabe, ihn ans Licht hebe und an seinem magischen Gefunkel Herz und Seele erlabe! Man darf auch nicht unterlassen, auf seinen Ehrgeiz zu wirken! Ahnt er erst, daß er edlen Ursprungs ist, daß ihm noch eine verehrungswürdige, tief gebeugte Mutter lebt, die ihn mit bangem Zagen, mit schmerzlichem Sehnen erwartet, so wird er in sich gehen, den Schmutz mit Abscheu von sich werfen und als ein Wiedergeborener reuig zu den Füßen einer frommen Mutter, einer tugendhaften Tochter niedersinken!«
»Ihn wiedersehen!« rief Herta aus. »Meinen
»Hören Sie mich an, theure Tante!« entgegnete Aurel, der mit überraschender
Geistesgewandtheit einen Plan entworfen hatte. »Meine erprobte Freundin, die
würdige Dame Oehler, bei der ihre gerettete Enkelin eine so traute
Zufluchtsstätte fand, mag sich ins Mittel schlagen. Ihr theile ich mit, was uns
das Zusammentreffen mannigfacher Zufälle entdeckt hat, und fordere sie auf, den
Vater Elwirens zu retten. Sie ist befreundet und verwandt mit den
einflußreichsten Männern Hamburgs, deren Einschreiten in dieser Angelegenheit
nothwendig sein wird. Die unmittelbare Verwendung dieser Männer wird Klütken
aus seiner Dumpfheit aufrütteln
Nach einem längern Zwiegespräch, worin es Aurel gelang, die zahlreichen
Einwürfe und Bedenklichkeiten Herta's siegreich zu bekämpfen und der
Zweifelnden größeres Vertrauen einzuflößen, trennten sich die beiden
vortrefflichen Menschen
Anfangs war Aurel gesonnen, den lebensfrohen Gilbert als Geschäftsträger nach
Hamburg zu schicken, während er aber die erforderlichen Briefe an Madame Oehler
und diesmal auch an deren Tochter schrieb, fiel es ihm ein, daß ein so kecker
und rücksichtsloser Unterhändler nicht die geeignete Person zu glücklicher
Lösung dieser mit großen Schwierigkeiten verknüpften Angelegenheit sei. Weit
geeigneter schien ihm grade dazu der peinlich pünktliche und pedantische
Dirigent des gemeinsamen Handelshauses am
Inzwischen war Elwire von Herta auf die nahe Verwandtschaft vorbereitet worden, die zwischen ihnen bestand. Diese Eröffnung machte das junge Mädchen erblassen. Sie begann krampfhaft zu zittern und es bedurfte der ganzen mütterlichen Zartheit und der sanften tröstenden Worte Herta's, um die Erschrockene nur einigermaßen wieder aufzurichten. Erst als ihre heftige Erregung sich in Thränen auflöste, ward sie wieder ruhiger und den Worten der Großmutter zugänglicher. An die Knie der Matrone geschmiegt und ihr in Thränen gebadetes zartes Gesicht in die seidenen Kleider der Vielgeprüften drückend, weinte sie leise und lange.
»Armes Kind,« sagte Herta, mit ihrer feinen
Elwire richtete sich auf und sah mit unbeschreiblicher Anmuth, die ein tiefer Zug des Schmerzes noch erhöhte, mit feuchten Augen die Großmutter an. »Man hätte es mir eher sagen sollen,« stammelte sie, am ganzen Körper erbebend. »Es ist hart, daß ich es erst jetzt erfahre, nun es mich unglücklich macht!«
Und heftiger, anhaltender, erschütternder, als voher, begann sie aufs Neue zu schluchzen.
Immer die glänzend braunen Haare der schönen wiedergefundenen Enkelin mit unverkennbarer Freude liebkosend, versetzte Herta:
»Es war uns ja selbst ein Geheimniß bis heut! Seit kaum einer Stunde verrieth es mir der gute Kapitän.«
»Er? Er?« rief Elwire lebhaft und stand auf, funkelnde Blicke durch den zitternden Thränenschleier auf Herta sendend. »Kapitän Aurel hat es Ihnen gesagt?«
Eine durchsichtige Röthe hatte während dieser letzten lobpreisenden Worte die
Wangen Elwirens überzogen. Ihre Thränen hörten auf zu fließen, zärtlich,
liebevoll, dankerglühend hingen die Augen der Enkelin an dem Munde der
Großmutter, und als diese endigte, konnte sich
»Großmutter! Liebe, gute Großmutter!« flüsterte sie ihr zu. »Darf ich es denn glauben? Darf ich mich der Wonne hingeben, ein geliebtes Wesen an mich zu drücken, dem ich den süßen heiligen Namen Mutter geben darf? O ich verlor die Mutter fo früh! Ich kannte sie kaum anders als leidend! Und später war ich recht unglücklich! Immer einsam, immer im Wege, von Niemand mehr geliebt!«
Sie begann von Neuem heftig zu weinen und wollte sich weder durch Zureden noch durch die Liebkosungen Herta's beruhigen lassen.
»Du wirst desto inniger geliebt werden von jetzt an, mein Kind,« sagte Herta
zutraulich. »Du bist keine Fremde mehr in diesem Hause, Du gehörst zu uns, Du
hast Theil an unsern Leiden und Freuden, und der schwere Kampf, welchen Aurel
mit seinen hartherzigen Brüdern begonnen hat, wird auch Dich erschüttern,
entzücken,
Mit unbeschreiblichem Liebreiz sah Herta der über sie gebeugten schlanken Enkelin in die glänzenden Augen. In diesem tiefen, seligen Blick erkannten sich die Seelen Beider. Ein Wonneruf des Entzückens entglitt Elwirens Munde, dann brannte ihr Kuß auf den bleichen Lippen der theuern Großmutter und die wiederholt mit bebendem Munde und stürmisch klopfendem Herzen gethane Aeußerung: »Ja, Großmutter, ich bin glücklich, ich werde immer glücklich sein!« klang wie Sphärenmusik zu Herta's tiefbewegtem Herzen.
Lange hielten sich Großmutter und Enkelin umschlungen. Immer von Neuem suchten sich wieder ihre Augen, in deren feuchtem Glanz sie tausend Geheimnisse, tausend Einverständnisse lasen. Alles Elend, aller Druck, alle Schrecknisse der Vergangenheit waren vergessen in diesem höchsten Erdengenuß der Gegenwart. Sie bedurften keiner Worte, um sich zu verstehen, Blick, Händedruck, Kuß und Umarmung sagten tausend Mal mehr, als Worte! –
»Weiß sie es?« fragte er Herta. Diese hejahte mit leisem Kopfnicken.
Rasch trat nun Aurel auf Elwire zu und ergriff ihre Hand.
»Gestatten Sie mir, theure Cousine,« sagte er feurig, indem sein zärtlicher Blick das Auge des lieblich befangenen Mädchens suchte, »gestatten Sie mir, daß ich der Erste sein darf, der Sie als Verwandte willkommen heißt in diesem Hause! Als mich Gott zu Ihnen führte – und nur Gott, der Allsehende und Allgütige, hieß mich jene Wege gehen – damals glaubte ich blos ein armes verlassenes Mädchen der Schande und dem Verderben zu entreißen; daß ich meiner Verwandten diesen geringen Dienst der Menschlichkeit leisten würde, ahnte ich nicht! Elwire, finden Sie nicht auch eine Fügung Gottes in diesem Zusammentreffen?«
»Nun wenn Sie auch schweigen, schöne Cousine,« fuhr Aurel schon vertraulicher fort und drückte ihre Hand in der seinigen, »das glückliche Lächeln Ihres Auges, das frohe Beben Ihres Mundes und die stumme Sprache im verschlossenen Busen haben es mir doch verrathen, daß Sie meine Gefühle, meine Ueberzeugungen theilen. Dafür danke ich Ihnen, liebe Elwire! Und nun erlauben Sie, daß ich das Recht der Vetterschaft übe! Oder ziehen Sie es nach Mädchenart vor, nur im Traum einen jungen Mann zu küssen? Dann muß ich Sie von dieser eigennützigen Liebhaberei heilen!«
Und schnell und gewandt schlang Aurel seinen Arm um die Taille Elwirens und pflückte der zwar zart, aber im Grunde doch nur scheinbar Widerstrebenden ein paar frische Küsse von den rosigen Lippen.
Tief erröthend entwand sich das schöne
»Hast Du die Wache?« redete Aurel den Jüngling scharf an, denn der Kapitän liebte es mit seinem Pfleglinge im Commandoton zu sprechen, sobald er ihm zu ungelegener Zeit in den Weg trat.
»Nein Kapitän,« versetzte Gilbert, indem er so gleich kerzengrade stehen blieb.
»Weshalb störst Du dann meine gnädige Tante?«
»Weil ich Sie hier zu finden hoffte.«
»Warst Du auf meinem Arbeitszimmer?«
»Ja, Kapitän.«
»Ich suchte einen Narren.«
»Junge!«
»Verzeihen Sie, Kapitän! Ich habe mich etwas unklar ausgedrückt. Mein Narr ist der Maulwurffänger.«
»Der brave Mann!« sagte Herta. »Ging es nach Recht und Verdienst, so müßte die Brust dieses Mannes mit den höchsten Orden aller Fürsten geschmückt sein!«
»Er bedarf deren nicht, beste Tante! Der Orden, der ihn mehr ziert, als tausend goldne und silberne Sterne an purpurrothen Bändern, diesen trägt er in der Brust. Es ist sein edles, menschenfreundliches, von allem Arg freies und reines Herz! Was hast Du mit dem Manne? Du weißt doch von Paul, daß er seit heut Morgen einen seiner wichtigen Wege eingeschlagen hat, um zu hören, wie es dem Volk im Gebirge geht? Ich erwarte ihn erst spät in der Nacht zurück.«
»Um so lobenswerther ist es von mir, daß ich mich Ihnen aufdränge, Kapitän! Sie
kennen mich als einen beherzten Burschen, Sie wissen aber auch, daß es mich
juckt, ein mir anvertrautes
Lächelnd zog Gilbert bei diesen Worten einen Brief halb aus der Seitentasche seiner Matrosenjacke.
»Ein Brief für unsern alten Freund? Von wem?«
»Die Botenfrau vom nächsten Orte überreichte ihn mir, als ich in der
Abenddämmerung unter dem Thorwege stand. Dabei erzählte sie mir unaufgefordert,
daß der fromme Schlenker – ich bedaure sehr diesen frommen Mann nicht
persönlich zu kennen – das Schreiben ihr eigenhändig mit der dringenden
Bemerkung übergeben habe, es ja unverweilt an seine Adresse abzuliefern.« Diese
Adresse lautet wunderlicher Weise: – »An den berühmten Maulwurffänger in B ....
genannt Pink-Heinrich. Hochwohledelgeboren. Sonst auf dem Todten. In großer
Eile!« – »Sie werden mir zugestehen, Herr Kapitän, daß solch eine pomphafte und
mysteriöse Adresse wohl die Neugier eines wissensdurstigen
»Laß sehen,« sagte Aurel und betrachtete sehr aufmerksam die Schriftzüge.
»Es ist eine ungeübte Hand. Der Schreiber scheint bejahrt oder in großer Aufregung gewesen zu sein. Ich werde das Schreiben aufbewahren.«
»Sehr wohl, Herr Kapitän.«
»Was hast Du sonst noch auf dem Herzen?«
»Darf ich ganz frei sprechen?«
»Wie ich's immer von Dir verlangt habe.«
»Dann erlaube ich mir, Ihnen unumwunden das Geständniß abzulegen, daß ich mich
unaussprechlich in dieser Unthätigkeit langweile! Ich bin durchaus kein
Verächter des Nichtsthuns, wenn es mich zerstreut und vergnügt, allein in
dieser Todtenstille, wo ich kein Abenteuer anknüpfen kann, wo die Mädchen alle
so kalt oder grob sind, daß sie einem die schönste Artigkeit mit einer Ohrfeige
bezahlen, und wo selbst die allerliebste Bianca, von der ich mir eine
vortreffliche Unterhaltung versprach, matronenhaft
Aurel lächelte über die trotzige Ungeduld seines Lieblings. »Gedulde Dich nur noch eine kurze Zeit, wackrer Ungestüm,« versetzte er, dem kräftigen Burschen auf die Schulter klopfend, »dann will ich Dir alle Hände voll zu thun geben.«
»Schicken Sie mich in's wildeste Wetter; jagen Sie mich wie ein Courierpferd durch dick und dünn, von Ort zu Ort, nur sperren Sie mich nicht länger in diese Zimmer und verlangen, daß ich fein sanft und gelassen sein soll wie ein duckmäusriger Seminarist von der altlutherischen Secte! Ich muß leben und handeln oder – ich mache die ärgsten Dummheiten!«
»Kannst Du Dich gar nicht mehr mäßigen, guter Junge, so gehe in den Garten und baue einen Rutschberg. Das unterhält und gibt späterhin Gelegenheit beim Rutschen Hals und Beine zu brechen, wenn man's recht toll und verkehrt anfängt.«
»Du hast meine Erlaubniß.«
»Danke, Kapitän! Sie sollen mit mir zufrieden sein, und Ihre verehrte Tante soll mir bezeugen, daß ich der geschickteste Mensch bin, der ihr noch je ein Compliment gemacht hat! Paul soll mir helfen. Gute Nacht, Gräfin! Gute Nacht, Kapitän!«
»Tollkopf! So warte doch, bis man Dir erlaubt, Dich zu heurlauben.«
»Zu Befehl, Herr Kapitän!«
»Ist Sloboda zurück aus dem Dorfe?«
»Er kauderwälschte seine Muttersprache schon vor einer halben Stunde mit dem Verwalter.«
In diesem Augenblicke hörte man das Zusammenschlagen von Stahl und Stein auf der Gartenseite, denn die Luft war ganz still und Herta hatte einen Fensterflügel geöffnet, um das unterhaltende Spiel der Sternschnuppen zu beobachten, die in großer Menge durch den glänzend gestirnten Himmel flogen.
»Da kommt Pink-Heinrich,« sagte sie, das Fenster wieder schließend. »Man
erkennt ihn an seiner Gewohnheit, sich während des Gehens
»Eile ihm entgegen, Gilbert,« befahl Aurel, »und schicke ihn sogleich zu mir! Und damit Du für morgen eine Abwechselung hast, so trage diese Briefe nach Görlitz.«
Dankend nahm der abenteuerlustige Jüngling diesen Auftrag hin, empfahl sich nochmals und schickte den ihm an der großen Eingangsthüre zum Zeiselhofe begegnenden Maulwurffänger sogleich zu Aurel.
Heinrich empfing den wunderlich adressirten Brief mit gewohnter Gleichgiltigkeit. Er kannte weder Petschaft, noch Handschrift und konnte durchaus nicht errathen, woher er kommen, noch wer der Schreiber desselben sein könne. Daß er in seiner Heimath richtig abgegeben worden sei, ging aus der Nennung Schlenkers hervor, der in seiner gutmüthigen Gefälligkeit trotz Schnee und Kälte doch einen Weg von mehr als zwei Stunden zurückgelegt hatte, um das Eile heischende Schreiben sobald wie möglich in die Hände des Adressaten zu bringen.
Erst nach Durchlesung des Briefes sprang die Gleichgiltigkeit des
Maulwurffängers in die
»Herr Kapitän, ich wette so viel Thaler, als ich in meinem ruhelosen Leben Maulwürfe gefangen habe, daß dieser ungeleckte Brief eine Tonne Goldes werth ist! Halten Sie die Wette?«
»Ernsthaft, ernsthaft, alter Freund! Jetzt ist gar keine Zeit zu unnützen Scherzen!«
»Sie kennen den alten Pink-Heinrich noch lange nicht aus, gnädiger Herr! – Sonst ermahnten Sie ihn nicht zum Ernste, wo er es von Grund der Seele schon durch und durch ist!«
»Aber was steht denn in dem Briefe?« forschte der ungeduldige Aurel.
»Viel und nichts, wenn Sie wollen, Herr Kapitän! Es kommt Alles darauf an, ob Einer richtig lesen gelernt hat. Denn der Landmann ist just bei den wichtigsten Dingen am kürzesten. Und eigentlich geht mich der Brief auch gar nichts an, sondern Sie und Ihre Familie, oder, um auf ebener Straße zu bleiben, den alten Jan!«
»Gut Ding will Weile haben, mein bester Herr Kapitän, und gut geschmierte Räder laufen am besten! Darum übereile ich mich nie und nirgend. Es ist das so Sitte bei uns Lausitzern von undenklichen Zeiten her. Aber wieder auf das Brieflein zu kommen, so schreibt der Haidekretschamwirth Jürge, daß es ihm ein grausam lieber Gefallen sein würde und eine särgliche särglich. Lausitzisch für: schrecklich. Ehre, wenn ich den Jan Sloboda mit seinem Enkel Paul zu ihm schicken könne! Der Friede, vielleicht die ewige Seligkeit seiner alten sterbenskranken Mutter hinge davon ab. Sie hätte dem alten Wenden eine Entdeckung von äußerster Wichtigkeit zu machen und seufze nach dem Augenblicke, wo Sloboda oder sein Enkelsohn an ihr Schmerzenslager treten und ihr die abgemagerte Hand zum letzten Lebewohl vergebend und vergessend drücken werde!«
»Was haltet Ihr davon? Glaubt Ihr, daß Sloboda der Aufforderung Folge zu leisten habe?«
»Ihr seid gewiß ein guter Freund des Haidekretschamwirthes?«
»Wird nicht gar arg sein, Herr Kapitän! Kennen mag ich ihn wohl, denn wen kennte ich nicht im Umkreise von zehn Meilen! Aber so recht besinnen kann ich mich zur Zeit noch nicht. Indeß wird sich das Gedächtniß schon wieder ermuntern, wenn ich ihn erst sehe, und ich rechne, das muß unverweilt geschehen. Begleiten Sie uns, Herr Kapitän?«
»Wenn Ihr glaubt, daß ich nicht störe, bin ich dabei.«
»Ein Wort ein Mann!« rief Heinrich, seine schwielige Rechte dem Grafen darhaltend. »Jetzt gehe ich zum Sloboda, und Morgen nach dem zweiten Hahnschrei sausen wir allesammt im Galopp durch die Haide!«
Unsere Leser werden sich erinnern, daß Jan Sloboda und sein Enkelsohn bei ihrer Rückkehr aus Polen in einem einsam gelegenen Haidekretscham übernachteten und von dem Wirthe desselben die ersten Erkundigungen über den Maulwurffänger einzogen. Sie werden ferner noch der greisen blödsinnigen Spinnerin gedenken, die mehrmals das Gespräch der Männer durch Absingung von Volksliedern unterbrach, die keinerlei Zusammenhang unter einander hatten.
Diese hochbejahrte Frau, die Mutter des gegenwärtigen Kretschamhalters, war
seit Wochen schon krank und bettlägrig. Wie es jedoch unter den Landleuten zu
gehen pflegt, wenn nicht augenfällige Todesgefahr vorhanden ist, daß sich
Auf die wunderlichen Reden, auf das heimliche, nicht selten unheimliche Lachen
und auf das heftige Gezänk, das sie mit Personen führte, die sie gegenwärtig
glaubte, achtete Niemand, da man die Wunderlichkeiten der alten Mutter sattsam
kannte und ihre Worte für eben so schuldlos als verworrenen Einbildungen
entsprungen hielt, und so konnte denn Maja Tage und Nächte lang nach
Herzenslust die tollsten Geschichten
Jürge, Maja's Sohn, hatte die Mutter immer tiefsinnig, zu stiller Melancholie hinneigend, gekannt. Später nach seines Vaters Tode war sie geistesschwach, endlich vollkommen blödsinnig geworden, wenigstens nannte man sie so, da sie seitdem aus ihrer schauerlichen Schweigsamkeit erwachte und die erwähnten Lieder zu singen begann. Wir wissen, daß Jürge diesen betrübenden Zustand seiner Mutter dem Herzeleid zuschrieb, welches ihr eine unglückliche Tochter zugefügt hatte.
Landleute sind selten empfindsam, obwohl sie häufig mehr Herz besitzen, als die
höchstgebildeten Bewohner der Städte. Fromm und strenggläubig wissen sie sich
mit stiller Ergebenheit in alles Unabänderliche und Nothwendige zu fügen. Zu
dem Unabwendbarsten aber rechnen sie den Tod bejahrter Personen. Wo dieser
späte und ernste Gast an einem Hause anklopft, da empfängt man ihn eben so
ernst und pflegt sich männlich zu fassen. Zuweilen kommt es wohl auch vor, daß
man der Stunde des Abscheidens
In diesem Falle war Jürge. Maja's hohes Alter erlaubte nicht die Annahme, daß
sie wieder genesen werde, und die Geistesnacht, in die versunken sie nur noch
vegetirte, mußte eine baldige Auflösung wünschenswerth machen. Als ein
umsichtiger, praktischer Hausvater von unverwüstlich derber, aber durchaus
gutmüthiger Natur, sorgte er für Alles, was zu einer stattlichen Beerdigung
nöthig war, im Voraus. Er bestellte nicht nur in Zeiten den Sarg, sondern er
ging sogar so weit, zu den bereits vorräthigen zwei Schweinen, die in seinem
Koben grunzten, noch ein fettes dickes, eine »Bachune« zu erhandeln, so
genannt, weil sie von Viehhändlern aus dem Bakonyer Walde in Ungarn bis in
diese Haidestrecken in kleinen Heerden herumgetrieben werden. Es wird Leute
geben, die ein solches durchweg prosaisches Verfahren herzlos finden, diese
werden aber ihr vorschnelles Urtheil zurücknehmen,
Man kann sich nun die Ueberraschung Jürge's denken, als er eines Morgens die
greise Mutter aufrecht auf ihrem Lager sitzen fand und Worte von ihr vernahm,
die klar und verständig lauteten und ihn anmutheten, als würden sie im Traume
gesprochen! Maja's Geistesnacht war plötzlich gewichen, die volle Vernunft war
ihr zurückgekehrt und sie kündigte dem Sohne ruhig an, daß sie ihr Ende nahen
fühle und nicht mehr über vier Tage werde leben können. Jürge wollte ihr
zureden und wagte es, ihre Behauptung zu bestreiten, die alte Mutter ward aber
darüber aufgebracht, hieß ihn schweigen und befahl, daß er thun solle, was sie
von
Anfangs glaubte Jürge in diesem wunderlichen Verlangen ein abermaliges
Verlöschen der geistigen Kräfte zu erblicken, allein Maja sprach so
zusammenhängend, so ruhig und besonnen auch von andern Dingen, daß diese
Annahme an
Drei Tage waren seitdem vergangen und die Kranke wurde sichtlich schwächer und unruhiger. Mit Einbruch der Nacht verwandelte sich ihr Gesicht und nahm jenen eigenthümlichen Ausdruck an, der ein sicheres Zeichen des nahenden Todes zu sein pflegt. Das unruhig flackernde Auge sank tief in die schwarzen Höhlen zurück und leuchtete wie ein Irrlicht auf finsterm Moor. Die Lippen verkürzten sich und entblösten die wenigen verbrochenen Zähne der Sterbenden. Matter und immer matter schlugen die Pulse, und in kurzen Pausen stellte sich ein lebhaftes, ja wildes Phantasiren ein.
Jürge und Lene, die rüstige Hausmagd, saßen wachend an dem Lager der Kranken,
die in dunkle Gewänder gehüllt gleich einem Gespenst sich häufig krampfhaft
aufrichtete, das Auge durch die kleine Kammer schweifen ließ, die Hände seltsam
bewegte und wiederholt
So brach das fahle Dämmerlicht des Morgens an, das grau und kalt durch die
Fensterladen schimmerte. Die Kienspäne brannten düster und krümmten ihre
glimmenden Rispen niederwärts. Hoch auf lohte nur manchmal noch das Kienfeuer,
dem Lene immer von Frischem neue Nahrung gab. Da klingelten endlich Schellen
»In einer Stunde drückst Du mir die Augen zu, mein Sohn,« sagte Maja, indem sie sich lebhaft aufrichtete und ihre kalte, zitternde Hand auf Jürge's Arm legte. »Geh, lasse die Freunden ein; denn sie sind es. Die Stimme hat aufgehört, in das Ohr meines Herzens zu schreien!«
Sie legte sich wieder zurück, strich sich die Haare aus dem Gesicht und faltete die abgemagerten Hände über die Brust. Ihr Blick war ruhig, sanft und matt geworden, die nervöse Spannung ihrer Gesichtsmuskeln wich einer demüthigen Ergebung.
Jürge ging bewegt und von eigenthümlicher Furcht geschüttelt den frühen Gästen entgegen, in denen er auch wirklich unsere Bekannten begrüßte. Ohne große Einleitung führte er sie alle gleich an das Lager seiner sterbenden Mutter.
Maja erkannte Sloboda auf den ersten Blick.
»Ihr seid der Vater Haideröschens,« sagte
Aurel und dem Maulwurffänger schien sie keine besondere Aufmerksamkeit schenken zu wollen, doch ließ sie es geschehen, daß auch sie zu Füßen ihres Sterbelagers Platz nehmen durften. Lene dagegen mußte das Zimmer verlassen und ihr Sohn darauf die Thür verriegeln.
Nachdem dies geschehen war, richtete Maja geraume Zeit ihre dunkeln Augen auf Sloboda, ohne das erwartungsvolle bange Schweigen der Anwesenden zu unterbrechen.
»Kennt Ihr mich denn, gute Mutter?« fragte Jan die Alte gerührt. »Ich kann mich Eures Gesichtes nicht entsinnen. Freilich, mit den Jahren wird das Gedächtniß schwach.«
Maja nickte düster mit dem Kopfe, ihre Züge wurden wieder finster, fast abschreckend und mit hohlem Brustton erwiederte sie:
»Wenn Ihr mich kenntet, Jan Sloboda, so würdet Ihr mich verfluchen! Ich habe Euch viel, viel Böses zugefügt!«
»Ihr mögt Euch wohl irren, gute Mutter,« sagte begütigend der Wende. »Ein kranker Kopf spiegelt uns allerhand schlimme Dinge vor, die wie Nebel vor der Sonne schwinden, wenn die Gesundheit uns wiederkehrt.«
»Ich irre nicht, ich weiß, was ich spreche, und damit ich mit ruhigem Gewissen eine reuige Sünderin aus der Welt gehen kann, will ich mit Euch reden.«
Diese Worte sagte Maja eintönig, hohl, mit einer erschütternden Grabesstimme.
»Ihr hattet eine Tochter, Röschen?« begann sie nach einer Weile abermals. »Man nannte sie ihrer Lieblichkeit wegen Haideröschen. Sie ist todt, ich weiß es. Die Stimme, die mich so oft drohend rief, daß ich zusammenschauderte in mir selbst, hat es mir gesagt!«
»Möge der Friede Gottes auf ihrem Grabe weilen!« sagte Sloboda mit gen Himmel erhobenen thränenden Augen. »Sie schläft schon lange Monde in fremder Erde und ruht aus von den Qualen dieses Lebens.«
»O sie war immer fromm und gut, darum
»Versündigt Euch nicht, Mutter!« bat Jürge. »Der Tod sitzt Euch auf der Zunge und Ihr lästert!«
»Still, still mein Sohn! Ich muß beichten, wenn ich Gnade finden will vor dem Herrn. – Jan Sloboda, ich sprach Eure Tochter nach dem großen Haidebrande. – Als Ihr vorausgingt in das fremde Land mit Eurem Schwiegersohne, kam ich zu ihr, nannte mich ihre Freundin und wollte ihr beistehen in der schweren Stunde, der sie entgegensah.«
»Unglückliche!« rief Sloboda aus. Aurel und der Maulwurffänger beugten sich horchend über das Lager. Auf ihren bleichen Gesichtern spielten die Schatten des flackernden Heerdfeuers.
»Ha!« fuhr Maja auf und hielt die zitternden Hände schirmend über ihre Augen,
die mit wahnsinnigem Ausdruck auf Aurels Antlitze ruhten. »Das ist sein Geist –
der Geist des bösen
»Sie hält mich für Magnus,« flüsterte Aurel dem Maulwurffänger zu. »So straft Gott die Sünden der Väter an ihren Kindern!«
»Geh! Geh! Ich komme schon – ich entfliehe Dir nicht!« fuhr Maja fort. Dann ergriff sie abermals die Hand des Wenden, sah ihn mit grausamen Lächeln an und sagte kalt: »Ich entband Haideröschen von einem Mädchen und raubte es ihr in der Stunde des bitteren Schmerzes. – Graf Magnus wollle es erziehen lassen – im Gemeindehause! Ha, ha, ha, war das nicht lustig von dem vornehmen Schalke?«
Die Kranke fiel jetzt in ein so krampfhaftes Gelächter, daß alle Umstehenden glaubten, ste würde daran ersticken. Aber sie erholte sich wieder und blickte ruhig um sich, als habe sie eine ganz alltägliche unschuldige Geschichte erzählt.
Sloboda klapperten die Zähne, er konnte nicht sprechen. Der Maulwurffänger, dessen scharfes Auge keine Secunde die Sterbende zu beobachten aufgehört hatte, ergriff anstatt des Wenden das Wort.
Maja nannte den Ort. Er gehörte noch zu den Besitzungen der Grafen Boberstein.
»Ward das Kind getauft, arme Mutter?«
»Es erhielt meinen Namen – die Zeugnisse liegen – dort in dem Kasten – unter – dem Ofen –«
Mit ungestümer Hast bemächtigte sich Paul des Kastens, dessen Deckel seinen Faustschlägen nicht lange widerstehen konnte. Er enthielt das Taufzeugniß von Haideröschens Tochter.
»Also doch eine Tochter!« sagte der Maulwurffänger. »Eine Tochter, wie die Sage ging unter dem Volke. Sie hat ein Mal?«
»Einen purpurnen Stern an der – linken Schläfe – von der Größe eines Hirsekorns!«
»Jan Sloboda, Deines Kindes Tochter ist gefunden!« rief der Maulwurffänger. »Sie lebt, in tiefem Weh, aber bald, bald soll sie jauchzen vor Freude, weil der Allmächtige Gericht zu halten beginnt über die Gottlosen!« –
»Und ich, ich soll meine Schwester finden!« lallte Paul schluchzend, während er
Maja schloß jetzt die Augen, ihr Athem ging langsamer, zuweilen röchelte und stöhnte sie und die Lippen bewegten sich wieder in leisem Gesange.
»Sie stirbt!« rief Jürge, dem salzige Thränen schon längst die Augen füllten. »Sie stirbt, ohne mir die Hand zu drücken, ohne mir Adje zu sagen! – Die gute, alte Mutter!«
»Horch, sie singt!« sagte der Maulwurffänger und bedeutete den Uebrigen, sich schweigend zu verhalten. Sloboda erhob wieder sein auf die Brust gesunkenes Haupt und wendete sich der Sterbenden zu. Diese hielt die Augen fortwährend geschlossen, bewegte wie im Tacte die mageren Hände und sang in langsamen melancholischen Weisen folgende Strophen:
»Helf Gott, altes Mütterlein!
Wo ist Euer Aennelein?
Didlomdajom didlomdai,
Wo ist Euer Aennelein?
Nicht zu Haus ist Aennelein,
Scharrten in das Grab sie ein.
Didlomdajom didlomdai,
Scharrten in das Grab sie ein.«
»Hanka sage, was das ist,
Daß Du mir gestorben bist?
Didlomdajom didlomdai,
Daß Du mir gestorben bist?
Was sollt' ich auf dieser Welt,
Wo mir Alles nachgestellt?
Didlomdajom didlomdai,
Wo mir Alles nachgestellt?
Immer dacht' ich dieses doch,
Würden uns bekommen noch,
Didlomdajom didlomdai,
Würden uns bekommen noch.
Jetzt nun weiß ich's ganz gewiß,
Nimmer kann geschehen dies,
Didlomdajom didlomdai,
Nimmer kann geschehen dies.«
»Laßt uns beten!« sagte Sloboda und kniete nieder neben dem Bett der Greisin, die seiner Tochter um schnödes Gold und vielleicht aus Eitelkeit ihr Kind vorenthalten und in's Elend verwiesen hatte. »Laßt uns beten für das Heil ihrer armen Seele! So wie wir vergeben, wird auch uns vergeben werden!«
Alle folgten dem Beispiele des alten Wenden, der mit lauter Stimme aus vollem inbrünstigen Herzen ein Vaterunser betete, das die Uebrigen andächtig leise mitsprachen.
Während dieses Gebetes sang die Sterbende noch abgerissene Strophen ihrer Lieder, bald lustigen, bald traurigen Inhalts. Gegen den Schluß des Vaterunsers erhob sie noch einmal ihre Stimme, und die Betenden verstanden deutlich die Worte:
»Schlößlein dort schimmert im rothen Schein
Jedeweh!
Dort sind erzogen beide wir.
Tod ist der Vater, die Mutter mein,
Jedeweh!
Uns ist vergangen das Schmäuselein.«
»Ein Hemdelein nähe,
Jüdevoi!«
lispelte die Lippe und verstummte für immer. Mit dem letzten Schlage der Uhr war sie entschlafen.
Jürge, ihr Sohn, beugte sich über die Todte, drückte ihr die Augen zu und reichte dann den Umstehenden in stummem Schmerz die Hände. Sprechen und ihnen Dank sagen, daß sie der sündigen Mutter die letzte Stunde durch ihr Kommen erleichtert hatten, konnte er nicht.
Arm in Arm mit dem Maulwurffänger verließ Sloboda das Sterbezimmer. Ebenso folgten Aurel und Paul. Unter der Thüre drückte der Kapitän seinem jungen Freunde die Hand.
»Jetzt zu unsrer Schwester!« sprach er tief bewegt. »Möge der gütige Gott seine
Hand
Schon nach einer Viertelstunde jagten die beiden Schlitten wieder der Haide entgegen auf einem Wege, der sich in der Richtung nach Boberstein im kristallbehangenen Dickicht verlor.
An dem nämlichen Tage erhielt Graf Adalbert von seinem Bruder ein inhaltreiches Schreiben. Dieses Schreiben lautete wörtlich, wie folgt:
»Mein theurer Bruder.
Seit acht Tagen hat sich unsere Familie vermehrt. Wir sind nämlich jetzt der
Brüder Boberstein vier und möglicherweise finden sich in Kurzem noch einige
bisher unbekannte Geschwister zu uns, angelockt von dem reichen Erbe, das wir
besitzen. Du wirst mich vollkommen verstehen, wenn ich Dir mittheile, daß in
der That ein wilder Sprößling unsers hochseligen Herrn Vaters gerichtlich
aufgefunden
Aber nicht wahr, Du bist begierig zu hören, wer denn unser Bruder ist? Wo er
lebt? Wie er sich im Leben nimmt? Was er treibt und besitzt? – Nun, das ist ein
wahrhaft kostbarer Spaß, ein Spaß, wie ihn kein Hofnarr zur Zeit, wo diese
göttlichen Witz- und Possenreisser an fürstlichen Hoflagern noch Sitte waren,
besser hätte erfinden können! Du erinnerst Dich doch des Spectakels, von dem
ich Dir bei Deinem letzten Besuche Einiges erzählte. Damals bezeichnete ich Dir
den Fabrikarbeiter Martell als den gefährlichsten Menschen unter all' meinen
Knechten. Und gerade dieser ungebildete, wüste, leidenschaftliche Bengel ist
unser älterer Herr Bruder! Als ehrlicher Mann gestehe ich, daß mich diese
Entdeckung unangenehm berührt hat, blos deshalb, weil ich jetzt selbst an die
Aechtheit seiner Geburt glaube. Der Mensch steht unserm Herrn Papa zum
Erschrecken ähnlich, wenn ihn die Leidenschaft erregt; und gerade diese
Aehnlichkeit ärgert mich, denn sie compromittirt uns. Deshalb habe ich auch
Mir scheint daher, der von Dir gebilligte Vorschlag sei jetzt mit Energie aufzunehmen und mit Schlauheit auszuführen. Deiner Zustimmung gewiß habe ich nicht angestanden, schon vor der anmuthigen Entdeckung des neuen Bruders Anstalten zu treffen und es ist mir gelungen, em überaus taugliches Individuum dazu aufzufinden. Noch heut oder morgen werde ich persönlich mit diesem Helfer in der Noth zusammenkommen und Alles mündlich abmachen. Vorsicht ist nöthig bei solchen Angelegenheiten und mir wenigstens soll die Welt nicht nachsagen können, daß ich bei allem Speculalionsgeiste doch den eigentlichen Kern und die Blüthe des Glückes – List und Verschlagenheit – nicht besessen hätte.
Mein Befinden ist wieder ganz erträglich. Die reine scharfe Winterluft hat mich
wunderbar
Uebrigens kann ich Dir die tröstliche Versicherung geben, daß ich mein System
consequent durchgeführt habe. Man kann viel erreichen, wenn man klug ist und
die Neigungen und Leidenschaften derer zu benutzen weiß, die uns dienstbar
geworden sind. So habe ich es mit meinen Arbeitern gemacht, die dabei gutmüthig
in dem Wahne bleiben, ich sei auf dem besten Wege mich in Folge ihrer mir zu
Ohren gekommenen Klagen für sie aufzuopfern! Freilich geben sich nicht Alle
diesem kindlichen Glauben hin, aber doch bei weitem die Meisten. Und das Alles,
weil ich ihnen kürzlich doppelten Lohn auszahlen ließ! Ist das nicht amusant?
Beweist das nicht, daß derjenige menschlich genommen immer im Recht ist, der in
Wahrheit vielleicht das größte Unrecht begeht? Haben es die Eroberer und
Despoten alter und neuer Zeit etwa anders gemacht? Und lebt ihr Name nicht
hochgepriesen in der Geschichte fort von Jahrhundert zu Jahrhundert?
Daß man Lust zu solchen Siegen erhält, ist sehr natürlich, wenn man längere
Zeit unter so heruntergekommenem Volke lebt. Ich weiß in der That nicht, ob ich
diese Menschen mehr beklagen oder verachten soll, denn wer sie so sieht, in
Schmutz und geistige Dumpfheit gleich tief versunken, dem ist es zu verzeihen,
wenn er sich urplötzlich auf dem ärgerlichen Gedanken ertappt, es möchten diese
prädestinirten Unglücksphysiognomieen wohl nicht Geschöpfe seines Gleichen
sein! – Ich kann nicht läugnen, daß ich mich selbst einigemale auf dieser
aristokratischen Gedankensünde überrascht habe ganz wider Willen. Nehmen wir
aber an, es bestünde wirklich ein geheimer Unterschied zwischen hoch und
niedrig Geborenen, was, ich frage Dich, was könnte es dann nutzen, wenn wir uns
fruchtlos abmühten, ein von Urfang an minder begabtes, geistiger Entwickelung
unfähigeres Geschlecht zu uns
Ich hoffe, wir verstehen uns und wandeln Hand in Hand unserm großen Ziele entgegen. Laß mich wissen, in wiefern Deine Bemühungen gleichen Erfolg gehabt haben! –
Noch eine Sorge hat sich in diesen Tagen zu den übrigen gesellt. Meme
Haushälterin ist aus meinen Diensten gegangen. Das stört mich mehr, als die
hundert und aber hundert Verwünschungen meiner ohnmächtigen Arbeiter. Ich muß
fast verhungern, so schlecht wird Alles zubereitet! Solltest Du eine passende
Person wissen – wohl zu merken: sie muß
Meiner liebenswürdigen Frau Schwägerin die ehrfurchtsvollsten Grüße!
Adrian.«
Auf diesen Brief, den Adalbert mit großer Seelenruhe las, ging Tages darauf folgendes Antwortschreiben an Adrian ab.
»Mein lieber Bruder.
Die Empfindungen, welche mir das Lesen Deines interessanten, liebevollen Briefes erregte, kann ich nur mit dem unbeschreiblich wohlthuenden Gefühle vergleichen, das unsern Körper nach genommenem Dampfbade durchrieselt. Ich befinde mich ganz à mon aise, äußerst behaglich, befriedigt in jeder Weise und nicht im mindesten aufgelegt, mich künstlich zu melancholisiren, wie dies jetzt in der aristokratischen Welt wohl einigermaßen Mode zu werden beginnt. Für dieses Wohlbefinden bin ich Dir dankbar ergeben, theurer Bruder, und drücke Dir par distance die Hand.
Deine Mittheilungen anlangend, so wüßte ich nicht, was ich darauf zu erwiedern
hätte, es müßte denn das sublimste Lob sein. Da
Eins aber muß ich doch tadeln! Du hast vergessen, mir eine Beschreibung zu liefern von dem Grafen in der Zwillichhose und Kattunjacke! Wie konntest Du so meinen Geschmack verkennen und mich eines Genrebildes berauben, wie es wahrscheinlich vor Deinen Augen nicht zum zweiten Male auftaucht? Du kennst meine romantischen Liebhabereien, meinen Enthusiasmus für die Niederländer, mem Schwärmen für Künstler, die es sich angelegen sein lassen, mit sicherem Pinsel die Zerrissen- und Zerfahrenheiten des Lebens im eigentlichen Sinne des Worts auf die Leinwand zu zaubern!
Gestehe ich's immerhin, daß vielleicht grade dieser capriciöse Hang mich zu
Deinem treuesten Bundesgenossen macht. Etwas und zwar nicht ganz wenig, trägt
er bei, Deinem Systeme zu huldigen! – Es ist so schwer in unserer
unkünstlerischen, nur auf grob Materielles
Da unterhält es mich denn ungemein und bildet mein Urtheil, wie meinen
Kunstsinn zu einiger Meisterschaft aus, wenn ich künstlich ein Leben um mich
her entstehen lasse, das mir, bisweilen allerdings etwas zu naturgetreu, jene
Genrebilder aus den niedrigen und gemeinen Lebenskreisen unmittelbar vor's Auge
führt. Um dasselbe besser aus der Ferne genießen zu können und mir einen
wirklichen Kunstgenuß, also zugleich Bild und Leben, zu verschaffen, habe ich
mir von meiner letzten Reise nach England einen vortrefflichen Dollond
mitgebracht, der sehr weit trägt, die Gegengenstände außerordentlich rein und
scharf und mit zauberischer Klarheit festhält. Mit diesem bewaffnet bringe ich
Stundenlang an den Fenstern meines Schlosses zu und schwelge in den Genüssen,
die er mir aus der dumpfen Gemeinheit des in Schmutz und Schande sich
Aus diesen Andeutungen kannst Du entnehmen, daß ich keineswegs müssig gewesen
bin. Meine Macht wächst täglich, der Unterthan neigt sich gehorsam vor mir und
ist sehr zufrieden, wenn ich ihm nicht das Ohr kneipe. Ich herrsche vollkommen
unumschränkt über Bauern und Weber. Es gibt fast kein Haus mehr in den nächsten
drei Dörfern, das mir nicht angehört, und ich halte sehr streng auf pünktliche
Zinszahlung! Enfin ich bin sehr zufrieden! Uebrigens sind meine Leute
friedlicher gesinnt, als Deine Fabrikarbeiter. Hier denkt Niemand an Empörung
oder gar an Petition. Gott Lob, der Landmann und der bloße Lohnweber gehören
noch der alten Zeit
Du kannst Dir vorstellen, was sich mit solchen gelehrten Büffeln anfangen läßt!
Sie wollen nichts hören von Volksaufklärung, was ich nur billigen muß, und
verleiden meinen Bauern und Webern alle Zeitungen und Bücher durch ihr
fanatisches Eifern gegen die Presse. Ihnen ist Alles schlecht und
verdammenswerth, was nicht in der Vulgata und etwa in einer geistlosen Postille
steht. Kann ich etwas Besseres thun, als diese Ehrenmänner in ihrem Amtseifer
unterstützen und bestärken? Während sie meine Unterthanen geistlich und selig
machen, bringen sie ihnen den
Gesteh' es, lieber Bruder, daß ich Glück habe! Was Andere in einem ganzen Leben voll Mühen nicht erreichen, das fällt mir von selbst in den Schooß. Es erfolgt, was ich wünsche, nur dadurch, daß ich es wünsche. Höchstens gehe ich meinen guten Seelsorger um ein passendes Kirchengebet oder eine eindringliche Predigt an. Und nun sage Einer noch, daß die Interpretation des Lebens wie der Bücher nicht die Hauptsache sei! Daß man nicht Alles in das liebe Leben hinein- und auch wieder aus ihm herauserklären kann, wenn es nöthig ist!
Viel Glück zu der beabsichtigten Unterredung! Führt sie zum Ziele, so geb' ich
ihr
Eine Haushälterin brauchst Du? Hm, es ist fatal, daß wir mit Aurel so übel stehen! Der gute lebenslustige Bruder hat ein paar hübsche Mädchen als Dienerinnen für Herta bei sich, die sehr gut erzogen sein sollen, wie ich in Erfahrung gebracht habe. Auf Umwegen ließe sich die eine oder andere doch vielleicht gewinnen! Ich werde mich erkundigen lassen und Dir später Antwort geben.
Meine Frau erwiedert Deine ehrfurchtsvollen Grüsse sehr angelegentlich.
Ganz
Dein Adalbert«
Ein treues Bild der allgemeinen Noth, die bei Adalberts Unterthanen eingerissen
war und an deren entsetzlichen Ausbrüchen sein Auge sich weidete, gewährte der
Hausstand unsers alten Bekannten Leberecht. Der Mangel hatte ihn vor
Weihnachten in die traurige Nothwendigkeit
So blieb ihm zuletzt nichts übrig, als sein Haus an Adalbert selbst für einen Spottpreis abzutreten, unter der Bedingung, es bis zu seinem Tode ungestört bewohnen zu dürfen und ein paar Aecker in Pacht zu erhalten.
Nun saß der arme bejahrte Mann, der sich sein ganzes Leben lang geplagt hatte,
um sich ein paar Thaler auf seine alten Tage zusammen zu sparen, verlassen da,
und mußte wieder anfangen, für kargen Lohn Tagarbeiterdienste zu thun! Mit
Dreschflegel und Schüttegabel auf der Schulter ging er alle Morgen vor
Sonnenaufgang eine volle halbe Stunde über Feld, oft
Maria und Eduard, ihr Sohn, führten
Oft beschlich die beiden rastlosen Weber der Schlaf. Konnten sie sich gar nicht
mehr retten, so gestattete sich Mutter und Sohn abwechselnd einen kurzen
viertelstündlichen Schlummer, damit sie der Mattigkeit nicht zu lange oder wohl
gar die ganze Nacht erlagen. Traf nun Eduard die Reihe des Wachens, so strengte
er alle seine Kräfte an, um durch schnelleres Arbeiten wo möglich den Verulst
an Zeit wieder einigermaßen auszugleichen. Oder er stand wohl auch auf, wenn er
die Mutter fest schlafend
Schade, daß Adalberts Dollond nicht bis in diese Hütte darbender und arbeitender Armuth dringen konnte! Vielleicht hätte eine einzige Nacht, inmitten dieses zärtlichen Sohnes und dieser schlummernden Mutter verlebt, ihm sein Vergnügen an jenen Genrebildern vergällt, die er über Alles liebte! Aber Adalbert sah nur die Noth vom Licht der Sonne vergoldet, und diese verliert an Schauerlichkeit, an erschütternder Kraft gegen jene bleichen kalten Nachtgemälde gehalten, die im Silberrahmen des Mondlichtes geisterhaft glänzen! –
Der starke Schneefall und die häufigen anhaltenden Stürme, welche gegen Ende
November, namentlich im Gebirge, sich einstellten, erschwerten
Da kam Leberecht eines Abends – es war am Tage vor Pauli Bekehrung – in großer
Aufregung nach Hause. In der Hast des Eintretens hätte er beinahe Marie
umgerannt,
»Weißt Du's, Maria, und Du, Eduard, was in der Haide passirt ist?«
Eduard hielt die Lade an und legte das kreuzförmige Schnellholz, woran das Weberschiffchen mittelst Bindfaden befestigt ist, auf die Werfte.
»Ich bin nicht hinter'm Stuhle vorgekommen, Vater, und an's Fenster hat auch kein Nachbar gepocht – woher soll' ich 'was Neues erfahren haben?«
»Was gibt's denn?« fragte Marie, auf der Ofenbank Platz nehmend und den schmerzenden Kopf in beide Hände nehmend.
»Paul Sloboda hat seine Schwester gefunden!« sagte Leberecht. »Die ganze Haide
ist lebendig geworden von dem Aufruf, denn es hat in den Blättern gestanden!
Die Advocaten, heißt's, sollen vor dem blauäugigen Jungen die Mützen ziehen bis
an die Erde, denn es ist ausgemacht, daß er nun Graf wird und die Schwester
»Wenn's nur Grund hat, Vater!« warf Eduard ein. »Der Lügenkrämer laufen heut' zu Tage gar zu viele herum, und nachher hat's wieder Menschen, die sich eine Lust draus machen, ehrliche Leute anzuführen.«
»Warum wird's nicht!« erwiederte etwas ärgerlich Leberecht. »Der erste Bote hat die Nachricht von Pink-Heinrich selber, und der weiß, was er red't, sonst macht er lieber die Zähne nicht auseinander. Wir aber, Marie, Eduard, wir wollen Gott danken, daß es dahin gekommen ist, denn nun gehen wir gewiß und wahrhaftig besseren Zeiten entgegen!«
»Wer's erlebt!« seufzte Marie, den schmerzenden Kopf immer in leise schwingender Bewegung haltend.
»Nur nicht verzagt!« ermahnte Leberecht die Kranke. »Es ist mit der Noth wie
mit Zahnschmerzen. Auf einmal, wenn's recht entsetzlich gezogen und gestochen
hat, hört's von selber auf und man fühlt sich wie neu belebt. So wird's uns
gehen, gebt acht! Das Elend hat sein
»O Jesus Christus!« wimmerte Marie.
»Was hast Du, Mutter?« fragte Leberecht und setzte sich neben sie, behutsam seinen Arm um die vor Schmerz Zitternde legend.
»Mir ist's, als sollten mir die Augen aus dem Kopfe springen! Nimm mir das Tuch ab – es brennt mich wie glühende Kohlen.«
Leberecht entfernte die Binde und nahm die brennend heißen Leinwandflecken von den entzündeten Augen. Marie preßte die Lider fest zusammen, erst nach einiger Zeit versuchte sie aufzublicken.
»Noch im Finstern?« sagte sie verwundert. »Ich dächte doch, Eduard hätte gewirkt und sich zuvor Feuer angeschlagen.«
»Die Lampe brennt, Mutter!«
»Wo denn?«
»Blinzle ein paar Mal,« sagte Leberecht, »das wird helfen.«
Marie drückte die schmerzenden Augen wieder fest zu und blickte dann mit weit aufgerissenen Lidern um sich.
»Nicht wahr, nun ist's besser, armeTaube?«
»Es ist noch immer finster.«
»Die Lampe, Eduard! Geschwind die Lampe!«
Der erschrockene Sohn sprang mit dem helllohenden Docht heran. Leberecht riß sie ihm aus der Hand und hielt sie dicht vor Marien's Augen. Sie waren ganz trocken und ein dicker grauer Schleier überzog die Pupillen.
»Siehst Du jetzt?«
»Nacht, nichts als Nacht!«
»Barmherziger Gott!« schrie Leberecht und ließ die Lampe fallen, daß der brennende Docht einige Garnflocken erfaßte, die Funken glimmend über die Stube his unter die Webstühle liefen und in wenigen Augenblicken die Werften in helle Flammen setzten.
»Also blind!« jammerte Marie. »Blind
»Feuer! Die Stühle brennen!« schrie Eduard, der die aufschlagenden Flammen zuerst gewahrte. In der Angst stürzte er sich mit Ungestüm auf die Gewebe, schlug mit beiden Händen in die Flammen, um sie zu dämpfen, verschaffte ihnen aber dadurch nur noch mehr Nahrung. Er fühlte nicht, daß er sich furchtbar verbrannte, daß ihm die Haare auf dem Kopfe abfengten und die leckende Flamme schon durch die Fensterritze an den Wänden hinaufschlug.
»Es ist keine Rettung,« sprach Leberecht in verzweifelter Ruhe. »Laß brennen, was mag! Komm, hilf uns die blinde Mutter retten!«
Eduard vermochte aber vor Schmerz keine Hand mehr zu rühren. Er stieß nur die Thür auf, um den Vater mit der theuern Last hinaus zu lassen. Dann stürzte er nach in's Freie und warf sich heulend in den kalten flimmernden Schnee.
Die Glocken stürmten, die Nachbarn eilten zum Löschen herbei, aber Niemand,
Niemand geedachte im Moment der Bestürzung der Unglücklichen! Auf der Schwelle
des Nachbarhauses
Zwölf Tage vor diesem traurigen Ereignisse, das wir des Zusammenhangs wegen schon jetzt unsern Lesern mitzutheilen für schicklich hielten, und einen Tag später, als Adrian an seinen Bruder Adalbert schrieb, flog ein einzelner Schlitten durch die öde, erstarrte Haide. Der Lenker, ein stattlicher Mann mit blassem Gesicht und dünnem braunen Haar, trug starke Fuchshandschuhe und war in einen kostbaren mit feinem Zobel verbrämten Bärenpelz gehüllt. Hinter ihm auf der Pritsche, die Füße in Pelzstiefeln steckend und ebenfalls hinlänglich gegen die Kälte verwahrt, saß der Kutscher oder Bediente oder was der Mann sonst etwa noch vorstellen mochte.
»Darauf gib Acht, Jean!« sagte der Mann im Schlitten, auf die Stange mit der Tafel zeigend. »Schreib Dir die Nummer auf, damit Du Dich später nicht verirrst!«
Jean nickte mit dem Kopfe, zog ein Taschenbuch hervor und notirte sich die Nummerzahl des Pfahles mit der Tafel.
»Wenn Du Dich genau nach diesen Nummern richtest, kannst Du nie fehlen, welche Kreuz- und Querwege Du auch wider Willen einschlagen magst.«
Ein abermaliges Kopfnicken gab dem Leiter des Schlittens die Zustimmung seines Dieners zu erkennen, und in raschem Galopp jagte das feurige polnische Gespann, dessen brillantes Geschirr mit purpurnen Troddeln und Fransen reich aufgeschmückt und mit silbernen melodisch gestimmten Schellen behangen war, in die windige Haide hinein.
Der geneigte Leser hat in diesen einsamen Reisenden bereits den Grafen Adrian
mit seinem
In hohen Schneewehen mehr als zur Hälfte begraben, ragen vier schwarze rissige
starke Mauern mit zerborstenen Fenstern hinter breitem Erdwall in die Luft. Die
schräg liegenden Balken eines niedrigen Wetterdaches geben dem wüsten Gemäuer
einigermaßen ein gastliches Ansehen und eine Breterhütte auf der Südseite, von
ziemlich hoher Planke umgeben und mit über einander geschichteten Aesten und
jungen Stämmen, wie die Windbrüche des Herbstes sie niederwerfen in dichten
Wäldern, geschützt, zeigen an, daß dieser entlegene Ort trotz seiner
schauerlichen Einsamkeit doch bewohnt ist. Ein breiter und tiefer Fluß, jetzt
mit dickem Eis und Schnee bedeckt, krümmt sich in weitem Halbkreis um
Wir befinden uns in der Nähe des »Raubhauses,« jener verfallenen alten Burg, welche ehedem dem »Fürsten der Haide,« Herta's Vater, zum Schlupfwinkel diente. Die größere Cultur der Forste und die vermehrten Kohlenbrennereien und Theerhütten, die neuerdings unter Adrians Herrschaft entstanden waren, hatten auch diesen versteckten und geflohenen Winkel der Haide bekannter und besuchter gemacht, und im Schutz der Mauertrümmer ein Schenkhaus für Köhler, Kien-, Span- und Rußhändler entstehen lassen, dessen genügsamer Wirth sich leidlich nährte. Seit Jahresfrist gehörte Raubhaus und damit verbundene Köhlerkneipe zu den Besitzungen Adrians.
Der Wirth dieser traurigen Waldschenke hatte in den früheren Jahren als
Reitknecht in Adrians Diensten gestanden, durch einen unglücklichen Sturz mit
dem Pferde aber beide Hände gebrochen und war dadurch unbrauchbar zu jedem
Vor drei Tagen hatte Jussuff in einem mehrere Stunden entfernt gelegenen Kretscham, wie Adrian ihm brieflich gemeldet, einen fremden Mann gefunden, dessen Signalement ihn nicht täuschen konnte. Nur sein widerlicher Begleiter machte ihn anfangs stutzig; da ihn jedoch der Fremde für seinen alten treuen Knecht ausgab, ließ er ihn unbedenklich den mitgebrachten Bauerschlitten besteigen und brachte beide nichts weniger als freundlich aussehende Männer in seine abgelegene betretene Behausung. Als dies geschehen war, that er Adrian vorschriftsmäßig Meldung und ließ es den Fremden an nichts fehlen.
»Nun, was hab' ich gesagt, alte Hyäne!«
»Er wird Dich mästen wollen zum sechstausendsten Geburtstage seiner Großmutter, um Dich ihr als sündengespicktes Spanferkel zum Frühstück vorzusetzen,« grinste der ehemalige Räuber. »Aber was thut das! Friß nur immer zu und sauf', so lange der Magen vor Brandlöchern nicht in Stücke zerfällt. Der Teufel soll leben!«
»Und wer's mit ihm hält hier und dort!«
Beide thaten einen tüchtigen Zug aus den dampfenden Krügen und schnalzten vor Wohlbehagen mit den Zungen.
»Bin doch neugierig, wie lange das Satansfest dauern wird,« sagte
Klütken-Hannes.
»Du hast ja noch Geld.«
»Noch dreihundert Mark.«
»Dann scher' ich mich um Niemand. Ich bin hier bekannt, Hannes, denn ich sitze hier auf meiner hohen Schule, und läßt man uns im Stiche, so krieche ich in die alten Gewölbe hier unter uns, suche eine alte Laterne und ein paar Dolche zusammen und schlage mich mit Dir durch Dick und Dünn bis an einen Ort, wo's uns gefällt.«
»Morgen früh hat mir Jussuff vornehmen Besuch angekündigt,« sagte Klütken-Hannes etwas nachdenklich. »Was würdest Du thun, wenn's nun wirklich so ein Stück vom Teufel wäre?«
»Fluchen und lästern.«
»Warum?«
»Das machte ihn guter Laune, denn 's ist ja sein Geschäft.«
»Schade, daß es kein Mädel hier gibt!«
»Ha Dein Töchterchen!« rief Blutrüssel
»Mir Alles gleich!« hohnlachte der verwilderte Klütken-Hannes. »Mädel ist Mädel, und wenn mir der Teufel immer genug Geld, satt Branntwein und fette Bissen zuwirft, so viel ich verlange, thu' ich ihm einen Gefallen, beim brennenden Höllenpfuhl! Es kann doch weiter nichts kosten, als die Seele! Die Seele aber ist Luft, blauer Dunst, siehst Du, alte Hyäne, und das hat kein Gefühl, das! Also mag es schmoren, meinetwegen zehn tausend Millionen Jahre!«
»Auf's Wohlergehen Deines Schmorbratens!« wieherte Blutrüssel, stieß an mit Klütken-Hannes und beide tranken den Höllensoff, bis ihnen die stieren Augen übergingen.
»Noch eine Kanne, Jussuff!« brüllte der Mörder Johannes', sein Herr und Meister fiel ihm aber ins Wort und sagte:
»Halt, Nimmersatt! Das Befehlen ist gegen die Abrede, weißt Du! Ich bin
Gebieter,
Blutrüssel rollte seine vorstehenden Augen wie Feuerräder, ballte die Faust gegen seinen Herrn, schwieg aber doch.
»Ich will mir nicht den Verstand versaufen,« fuhr Klütken-Hannes fort, »damit ich frisch bin, wenn mein großmüthiger Freund und Gönner mich besucht. Ein vernünftiger Herr aber kann kein unvernünftiges Vieh zum Diener brauchen, siehst Du! Also couche und verschnarche den Höllenbräu, den Du angegeben hast. Mich brennen die Eingeweide, als hätt' ich glühendes Blei hinuntergeschüttet, Gott verdamm mich!«
So fluchend warf sich Elwirens unwürdiger Vater auf die Streu, zog die Kotze von Pferdehaaren über sich und fiel bald in dumpfen Schlaf.
Blutrüssel blieb noch geraume Zeit am Zechtisch sitzen und stierte bald in den
sprützelnden Docht der Thranlampe, bald warf er gehässige, wilde Blicke auf den
schlafenden Hannes. Endlich schob er den Schemel zurück und stand auf.
Scheußlich rollten die großen weißgelben Augäpfel
»Noch nicht!« murmelte er finster und seine abschreckenden Züge überschauerte
ein herzloses Hohnlächeln. »Ich will warten bis morgen und horchen, was man
verlangt, was man bietet. Erst Geld, dann Blut! – So hielt ich's mit seinem
Vater, dem fanatischen Tugendhelden, als er geizig und hochmüthig ward; so will
ich's auch mit dem verlorenen Söhnchen halten, das in meiner Schule ein
allerliebstes Mutterfrüchtchen geworden ist! – Ha, ha, ha, ha,« lachte der
Mörder leise durch die Zähne, »welche Freude würde die Alte haben, die in ihren
guten Tagen, weiß Gott, ein wahres Grafenessen war, träte
Während der Verworfene dieses Selbstgespräch hielt, hatte er den Stahl wieder sorgfältig verborgen und sich in kaum fußbreiter Entfernung von dem sorglos schlafenden Klütken-Hannes ebenfalls auf die Streu niedergestreckt. Der heiße Branntweindunst und die Gewohnheit, sich an den verruchtesten Phantasiebildern zu laben, wiegten auch diesen Sohn der Hölle in festen, traumlosen Schlummer. –
Die Betäubten schliefen noch, als Adrians Schlitten am andern Tage ziemlich zeitig an der Köhlerschenke hielt.
»Alles in Ordnung?« fragte er Jussuff, nur die geröthete Nasenspitze aus seinem Pelz hervorsteckend.
»Zu Ew. Gnaden Befehl! Aber –«
»Aber?«
»Ich hab' ihrer zwei gefunden, Ew. Gnaden!«
»Wie ein paar Teufel! Von früh bis in die Nacht nichts wie Lärmen, Fluchen, Saufen mit Ew. Gnaden Erlaubniß!«
»Schon gut! Du hast es ihnen doch an nichts fehlen lassen?«
»Im Gegentheil! Sie empfingen Speis' und Trank im Ueberfluß. Sechs Menschen könnten bequem vier Tage von dem leben, was diese beiden Haifische in einem Tage vertilgen. Sie sehen aus, verzeih' mir's Gott, wie entsprungene Galeerensclaven!«
»Desto besser! Wo hast Du sie untergebracht?«
»Sie schlafen noch, gnädigster Herr. Der Branntweinpunsch von gestern Abend wird ihnen zu Kopfe gestiegen sein.«
»Wecke sie, ich werde warten. Und ist derjenige, welcher sich Klütken-Hannes nennt, nicht vollkommen nüchtern, so begieße ihn so lange mit frischem Wasser, bis er seinen Verstand vollkommen beisammen hat. Wer ist sein Begleiter?«
»Ein grauhaariger Schelm, Ew. Gnaden, mit blutrother langer Nase und
Krokodilsaugen!
Adrian gab Jussuff durch einen Wink zu erkennen, daß er genug wisse, und befahl nochmals, den fremden wüsten Gast zu wecken.
Nach einiger Zeit vernahm er ein heiseres Husten und rauhes Flüstern. Jussuff kam zurück und zeigte seinem Gebieter an, daß der Fremde ganz fest auf den Beinen stehe und sehr begierig auf den Besuch des Herrn sei.
»Den angeblichen Bedienten hab ich abtreten lassen,« fügte er hinzu.
»Ich lobe Dich, mein Getreuer,« sagte Adrian, und folgte dem Wirthe in die abgelegne Kammer.
Klütken-Hannes saß, sein aufgedunsenes Gesicht in die linke Hand gestützt, am
Tische, dessen Platte noch klebrig war von dem verschütten Getränk der
vergangenen Nacht. Da er auf sein Aeußeres nicht eitel war, hingen ihm
Strohhalmen in dem borstigen, ungekämmten Haar, und Gesicht und Hände waren mit
widerlichen Schmutzflecken bedeckt. Bei Adrians Eintritt, der sich durchaus als
vornehmer und gebietender
»Habe ich das besondere Vergnügen, mit Herrn Johannes Klütken aus Hamburg zu sprechen?« fragte Adrian mit großer Freundlichkeit.
»Sie haben dies Vergnügen, mein sehr werther Herr,« erwiederte Klütken-Hannes, seinerseits ebenfalls eine herablassende Miene annehmend, denn er sah wohl, daß er es mit einem hochgestellten mächtigen Herrn zu thun hatte.
»Kommen Sie in Folge eines mit ›a – n.‹ unterzeichneten Briefes, dem tausend Mark in Anweisungen beigefügt waren, an diesen Ort?«
»Tausend Mark, ganz recht! – meine Schulden habe ich bezahlt auf Schilling und Grote – bin gereist, habe mir nichts abgehen lassen, und da sitze ich nun mit noch gut gespicktem Sacke!«
»Dürfte ich um jenen Brief ersuchen?«
»Herr,« sagte Klütken-Hannes, sein Gesicht zu einem bedenklichen Lächeln verziehend, »ganz werde ich das Schreiben nicht mehr zusammen bringen. Es hat sich zerrieben in der Tasche.«
Er suchte indeß und brachte nach einiger
»Ich danke Ihnen, mein sehr lieber Herr! Reichen Sie mir jetzt die Hand und lassen Sie uns im Vertrauen ein ernstes Wort sprechen!«
Klütken-Hannes streckte tölpisch seine ekelhafte Rechte dem Grafen entgegen, welche dieser mit einiger Scheu leis drückte. Dann setzte er sich dem Trödler gegenüber auf demselben Schemel, den Abends vorher der Räuber und Mörder eingenommen hatte.
»Können Sie schweigen, Herr Klütken, wenn man Sie gut dafür bezahlt?«
»Wie das Grab!«
»Auch wenn Sie – durch den Genuß geistiger Getränke in heitere Laune versetzt werden?«
»Dann knüpfe ich mir einen Knoten ins Gedächtniß und über den kommt kein Geheimniß und wär's ein Vatermord!«
»Sie sind gegenwärtig ohne Beschäftigung, Ihr eigener Herr?«
»Sie würden also gern und mit Eifer ein Geschäft für mich ausführen, immer vorausgesetzt, daß man Sie reich dafür bezahlt?«
»Bin nicht heikel, mein sehr verehrter Herr. Was es auch sei, für Geld thu' ich Alles.«
»Demnach würden Sie auch Verrath üben für Geld?«
»Verrath? Vielleicht, wenn man mich königlich belohnte.«
Bei dieser Wendung des seltsamen Gesprächs zeigten sich die Augen Blutrüssels, den Jussuff in einen Verschlag neben der Kammer geführt hatte, an einem zersprungenen Kieferbrett. Stier und blutgierig funkelnd hafteten sie auf der vornehmen Gestalt des Grafen.
»Sie haben dies nicht zu befürchten, Herr Klütken,« erwiederte Adrian lächelnd
auf diese Bemerkung. »Ich betrachte Sie vorläufig als in meine Dienste
getreten, und da ich weder ein König noch ein Fürst bin, sondern blos ein
vermögender Mann, der von zahllosen Feinden umringt ist und schmachvoll
verfolgt wird, so bin ich im Begriff, Sie mit Ueberwachung derer, die ich Ihnen
»Ich halte mich dessen im Gegentheil vollkommen gewachsen.«
»Zur Bestreitung aller dabei vorkommenden nöthigen Ausgaben, etwaiger Reisen, Traktamente usw. biete ich Ihnen einen monatlichen Gehalt von zwei hundert Thalern an. Glauben Sie damit zu reichen?«
»Zwei hundert Thaler!« murmelte mit schlecht verborgener Freude, welche dem Grafen nicht entging, der überraschte Trödler. »Ich – ich will es – wenigstens damit versuchen. Geht es nicht –«
»So erhalten Sie Zuschuß, das versteht sich! Wir sind also einig?«
»Vollkommen, vollkommen!« sagte Klütken-Hannes sehr eilig. »Aber das Geschäft?«
Adrian kehrte sich um und ließ seine scharfen Blicke rund um die Bretterwände
laufen. Blutrüssels glotzende Augen verschwanden an dem gespaltenen Brett.
Zufrieden mit seiner Musterung wendete sich der Graf wieder zu seinem
»Dämpfen wir unsere Stimmen etwas,« sagte er bedeutungsvoll lächelnd. »Dünne
Wände pflegen Ohren zu haben, und ich möchte nicht gern, daß unser intimes
Gespräch zur Kenntniß Vieler käme. – Empfangen Sie vor Allem,« fuhr er
flüsternd fort, indem er ein Packet aus seinem Pelze zog, die Vorausbezahlung
für den ersten Monat, und nun merken Sie wohl auf! Von morgen an haben Sie zu
Fuß oder zu Schlitten, wie es Ihnen bequem ist, diese Haide zu durchwandern bis
an den See von Boberstein. Sie erkennen ihn an der großen Spinnfabrik, die sich
inmitten desselben auf einem Felsen erhebt. Um den See zieht sich ein Dorf, in
dem es ein einziges Wirthshaus gibt. Dies Wirthshaus besuchen Sie des Abends,
um die daselbst einkehrenden Gäste kennen zu lernen. Geben Sie Acht auf die
Gespräche derselben und merken Sie sich diejenigen genau, welche dem Besitzer
der Fabrik alles nur denkbare Böse wünschen! Vor Allem suchen Sie mit einem
schwarzhaarigen großen und starken Manne bekannt zu werden, der Martell heißt
und sich einbildet,
»Soll er trinken auf meine Kosten, bis er sich den Verstand versäuft!«
»Sie besitzen einen bewunderungswürdigen Scharfsinn, mein Herr,« fuhr Adrian mit seinem gewinnendsten Lächeln fort. »Indeß ein starker, an Branntwein gewöhnter Mensch verträgt sehr viel, wie Sie wissen –«
»Teufelmäßig viel, ich weiß es!«
»Es wird daher zweckmäßig sein, daß man die Wirkung des Getränkes zu verstärken sucht durch Anwendung eines unschädlichen Mittels, das ich Ihren Händen hiermit anvertrauen will!«
Ein zweites wohl versiegeltes Packet fiel neben Klütken-Hannes auf den Tisch. Immer flüsternd fuhr Adrian fort:
»Von dem darin enthaltenen Pulver lassen Sie unvermerkt blos einige Körnchen in
jedes Viertelmaß gleiten, das Martell und seine guten Freunde leeren. Die
Gelegenheit werden Sie wohl abzupassen verstehen, dafür bürgt mir Ihre
»Stirbt man von diesem Pulver?« fragte Klütken-Hannes gelassen, indem er eifrig daran roch.
»Man stirbt davon, wenn man viel auf einmal genießt, man welkt aber blos hin, wenn man zur Delicatesse nur davon kostet. Meinen Feinden in geringen Dosen, aber häufig diesen delicaten Genuß zu verschaffen, wird also die Aufgabe Ihres jetzigen Wirkens sein! Drei bis vier Monate dürften hinreichen, Ihr Werk mit gutem Erfolg zu krönen! Sie haben mich doch verstanden?«
»Sehr genau, mein werther Herr! Und Sie haben Ihre Großmuth an keinen Unwürdigen verschwendet!«
»Dessen war ich gewiß! Aller acht Tage kehren Sie hierher zurück auf eine
Nacht. Sie werden dann einen Boten von mir finden, dem Sie
»In meinem Leben macht' ich kein besseres Geschäft!« rief Klütken-Hannes aus, sich vor Freude die Hände reibend. »Ich bin Ihr blind ergebener Knecht, und wenn's mich an den Galgen bringt! Hier meine Hand d'rauf, und der Teufel soll mich lebendig statt Zuckerkant auffressen, wenn ich nicht Wort halte!«
»Gut,« sagte Adrian trocken. »Wie ich höre, haben Sie einen Bedienten? Können Sie sich auf den Menschen verlassen?«
»Wie auf mich selbst!«
»Ich wünsche ihn zu sehen.«
Zögernd erschien die abschreckende Gestalt des Mörders an der Thür. Er blickte dem Grafen tückisch und hohnlächelnd in das bleiche, vom Pelz fast ganz wieder verdeckte Gesicht. Adrian richtete kein Wort an den Abscheulichen. Er begnügte sich, einen kalten Blick über ihn gleiten zu lassen, worauf er Klütken-Hannes höflich grüßte und eilig Kammer und Bretterhütte verließ.
Ein paar Minuten später lauteten wieder die silbernen Schellen und verklangen im Walde. Auf dem Heimwege begegnete Adrian einem seine Bahn kreuzenden Schlitten. Er erkannte Sloboda und den Maulwurffänger, die in raschem Trabe an ihm vorüberflogen. Der Wind jagte ihm von dem Schlitten der Begegnenden einen gedruckten Bogen zu, der an einer Branke des Bärenfelles, das Adrians Füße schützte, hängen blieb.
Klütken-Hannes und Blutrüssel standen
Adrian griff mechanisch nach dem im Winde flatternden Papier und warf
gleichgiltige Blicke darauf. Es war eins jener kleinen, von dem Landvolke viel
und eifrig gelesenen Wochenblättchen, die neben einer Menge gerichtlicher
Vorladungen, obrigkeitlicher Bekanntmachungen und Anzeigen anderer Art die
neuesten Zeitereignisse in dürftigstem Auszuge enthalten. Der reiche Mann nahm
in der Regel nie ein solches Blatt in die Hand, da er die bedeutendsten und
einflußreichsten Zeitungen des In- und Auslandes schon aus Speculation selbst
hielt und daher immer sehr wohl unterrichtet war von Allem, was in der Welt
vorging. Schon wollte er das Blättchen dem Winde wieder Preis geben, als
»Diejenige Person, welche den Namen Maja Pisom als Geburtsnamen führt, in dem Haidedorfe E. am 13. Februar 1791 zur Welt gekommen ist und mithin zur Zeit ein Alter von beinahe zwei und vierzig Jahren erreicht hat, sich auch vor Andern durch ein purpurrothes Muttermal an ihrer linken Schläfe in Gestalt eines kleinen Sternes auszeichnet, wird hierdurch dringend aufgefordet, ihren gegenwärtigen Wohnort anzuzeigen oder sich persönlich im Hause des Maulwurffängers Heinrich zu B. so bald als möglich einzufinden, da man ihr eine höchst wichtige Mittheilung zu machen hat.«
»Was soll das nun wieder heißen?« murmelte Adrian vor sich hin, indem er das
Wochenblatt zusammenfaltete und zu sich steckte. »Zu welchem Zweck verläßt
dieser intriguante alte Mann einen so dringenden Aufruf, und wer mag jene Maja
sein? Maja? Maja Pisom?
Mit dieser Aufforderung hatte es folgende Bewandniß.
Als unsere Freunde das Sterbebett der alten Maja verließen, drangen sie tief in
die Haide ein, um den Geburtsort von Haideröschens Tochter aufzusuchen. Es war
dieser kein eigentliches Dorf, blos ein paar zerstreut stehende Häuser, wie man
sie häufig in jenen endlosen Wäldern findet und mit dem prunkenden Namen eines
Dorfes bezeichnet, bildeten es. Auf seinen Wanderungen hatte der Maulwurffänger
auch diesen
Alle Nachfragen blieben jedoch ohne Erfolg. Die gegenwärtigen Bewohner des Ortes waren zum Theil nicht einheimisch daselbst, sondern vor wenigen Jahren erst aus andern Haideorten hergezogen. Von jener Maja wußte Niemand etwas.
Unter diesen Umständen blieb den Suchenden nichts weiter übrig, als ein
öffentlicher Aufruf
Kaum war daher Adrians rascher Schlitten hinter den beschneiten Stämmen verschwunden, so ließ der Maulwurffänger halten.
»Freund Jan, laß uns umkehren!« versetzte Pink-Heinrich. »Die Spazierfahrt des Herrn am Stein hat was zu bedeuten, ich wette! Er ist viel zu verweichlicht, als daß er um nichts und wieder nichts seine gesteppten Seidenmatratzen von sich würfe und bei solchem Frost mutterseelen allein in die tiefste Haide führe! Es hat das einen Grund und zwar einen gewichtigen! Komm also, Alter, laß uns seiner Fährte folgen und nachspüren, woher er kommt, wo er gewesen ist.«
Dies war eine leichte Aufgabe. Der gefrorene Schnee zeigte sehr deutlich die Geleise des Schlittens, so daß unsere beiden wackern Alten ohne Mühe bis vor die Thür der Köhlerschenke im Schutze des Raubhauses gelangten.
»Also hier hat der Herr Graf gefrühstückt?« sagte der Maulwurffänger lächelnd. »Das sieht ja beinahe aus wie ein Wink des Schicksals! Wie wäre es, Jan, wenn wir die Ueberreste des hochgräflichen Frühstücks kosteten? Ich verspüre meiner Six Hunger, und der Schornstein der verräucherten Bude dampft gar so einladend.«
»Bei Euch geht's wohl um?« fragte er, sich Feuer anschlagend. »Ich hab' immer gehört, beim Raubhause sollt' es nicht geheuer sein. Es ist viel Blut hier herum vergossen worden in alten Zeiten.«
»So lange ich hier schenke, ist mir nichts vorgekommen, alter Vater! Woher des Landes?«
»Aus dem Gefilde, mein Lieber! Aber ich bitt' Euch, steckt mir ein büchen' Spänl an, sonst muß ich pinken bis zu Lichtmeß. Der Schwamm hat angezogen in der kalten Luft.«
»Es hat wohl nicht viel Einkehr?« sagte Sloboda, während Jussuff einen
lichterloh brenneden handbreiten Buchenspan dem Maulwurffänger
»Je nun, gar stark geht's freilich nicht bei so hartem Frost. Ab und zu verlaufen sich doch ein paar Strolche im Walde, und die lassen dann 'was mehr aufgehen, als unsere gar zu genauen Köhler und Torfgräber.«
»Gelt, Ihr habt ein paar solche Goldfinken grade heut irgendwo eingesperrt, damit sie Euch nicht davon fliegen?«
»Pst!« erwiederte Jussuff erschrocken auf diese lächelnd gethane Frage des
Maulwurffängers, denn er besorgte irgend ein Unglück, wenn diese beiden so
würdig aussehenden Männer mit jenen verruchten wüsten Säufern zusammenkämen,
über deren Verkehr mit seinem Gebieter er sich schon gewaltig den Kopf
zerbrochen hatte. »Pst! Es sind ein paar Betrunkene, die mir Alles in Grund und
Boden schlagen, wenn ich sie aus ihrer Klause herauslasse! Sie haben einiges
Geld bei sich – Gott mag wissen, ob's ehrlich erworben ist! – und spielen's
einander jetzt bei der Flasche ab. 's Liegt mir weiß Gott nichts an solchem
Besuch, aber Ihr wißt's ja, ein armer Schenkhalter muß halt die Groschen
mitnehmen,
»Wem seid ihr denn unterthänig?«
»Dem reichen Herrn am Stein, eigentlich Herrn Adrian Grafen von Boberstein, aber er hat's nicht gern, wenn ihn ein armer Mann so nennt, daß es die Leute hören.«
»'s Ist ein Sonderling, hört man sagen, und das muß wohl auch sein, sonst würde er nicht sein zierliches Haus verlassen und in solch einer Hütte einen schlechten Schnaps trinken!«
Jussuff warf dem Maulwurffänger einen lauernden Blick zu, dieser ließ sich aber
nicht im geringsten dadurch stören, sondern versetzte ganz gelassen: »Wir
begegneten ihm eine halbe Stunde von hier. Er mußte es sehr eilig haben, denn
er jagte verteufelt wild in den Wald hinein! Vermuthlich waren ihm die lustigen
Säufer ein Greuel, die jetzt wieder anfangen, einen Höllenspektakel zu
verführen. Da Ihr behauptet, sie wären streit- und zanksüchtig, und wir beiden
Alten grade nicht von der herzhaftesten
Froh, die unwillkommenen Gäste so bald los zu werden, forderte Jussuff eine sehr geringe Summe. Während Sloboda einen kleinen Lederbeutel zog und bezahlte, stieß der Maulwurffänger die Thür auf. In demselben Augenblicke prallte schief über eine zweite starke Bretterthür auf und taumelnd wankten unter Lachen und Fluchen die unheimlichen Gäste Jussuffs an ihm vorüber. Es war zu dunkel, um die Gesichtszüge der Trunkenen erkennen zu können, Pink-Heinrich erhaschte daher nur einen unklaren Schattenriß von ihnen, der indeß vollkommen genügte, ihm die Ueberzeugung beizubringen, daß diese unheimlich wüsten Menschen in irgend einer Verbindung mit Adrian stehen müßten, welche seinen Freunden verderblich werden solle.
»Duldet es Herr am Stein, daß Ihr solchen wüsten Gesellen Obdacht gebt?« fragte er Jussuff. Dieser stotterte und wußte nicht, was er antworten sollte.
»Da könnt' ich Euch schön in die Patsche bringen,« setzte Pink-Heinrich lachend
hinzu, »wenn ich ein schlechter Kerl sein wollte. Ich
»Still doch, still!« raunte ihm Jussuff vertraulich zu. »Er weiß es ja, daß die Schelme da saufen und fressen, aber er will nicht, daß die Schälke seinen Namen erfahren! Nun Ihr versteht mich doch, Alter? Reinen Mund, ich bitte!«
»Das ändert die Sache,« erwiederte munter lachend der Maulwurffänger. »Ich bin kein Spaßverderber, und große Herren, ich weiß, haben zuweilen auch ihre schwachen Stunden! Gott behüt' Euch und gute Einkehr!«
»Jetzt müssen wir auf unsrer Hut sein, Freund Jan,« sprach der Maulwurffänger sehr ernst zu seinem Begleiter, als der Schlitten wieder einsam unter den schneebehangenen Tannen fortglitt. Die beiden Kerle, deren Fratzen ich leider nicht gesehen habe, führen sicher nichts Gutes im Schilde, und ich will keinen Maulwurf mehr fangen, wenn Adrian sie nicht besoldet!
Sehr früh am Morgen dieses Tages, zum Theil auch schon am Abend zuvor war von
den gewöhnlichen Colporteuren und Herumträgern das Wochenblatt mit dem Aufruf
in vielen Ortschaften ausgegeben worden. Man kann annehmen, daß, sei's aus
übertriebener Sparsamkeit, die namentlich für gedrucktes Papier nicht gern Geld
ausgibt, sei's aus Mangel an klingender Münze, die meisten Ortschaften, selbst
wenn sie stark bevölkert sind, sich mit drei bis vier Exemplaren eines
derartigen Blattes begnügen. Obwohl jede einzelne Nummer mit höchstens sechs
Pfennigen vom Herumträger gekauft wird, treten doch immer zwanzig und noch mehr
Familien zusammen, um ein Exemplar gemeinschaftlich zu bezahlen, bei denen es
dann Reih' umgeht
Auch in den Haidedörfern war diese Sitte, Geld zu sparen, allgemein verbreitet. Der Maulwurffänger, dem solche Kleinigkeiten, auf die so leicht Niemand achtet, niemals entgingen, und der in wohlhabenderen Ortschaften auch häufig über gräuliche Knauserei spottete, hatte dies wohl in Ueberlegung gezogen. Blieb man dem Herkommen treu, so konnten Tage vergehen, ohne daß irgend Jemand den Aufruf sah und las, denn leider hielt man zwar das Blättchen, sah aber nicht hinein! Es mußte daher das achtlose, stumpfsinnige Volk gleichsam mit Gewalt zu Ansicht des Wochenblattes gezwungen werden. Dies konnte nur durch unentgeltliche Vertheilung und durch besondern Hinweis auf etwas Beherzigenswerthes, das darin enthalten sei, geschehen, und darum ergriff unser Freund dies sicherste und kürzeste Mittel.
Während er die in der Nähe Bobersteins und des Zeiselhofes gelegenen Dörfer,
Höfe und Vorwerke den Landboten überließ, durchstrich er selbst mit Sloboda die
fern gelegenen Orte in
Ueber den Schornsteinen der Fabrik lag eine breite Schicht schwarzen Rauches, als sie aus dem Hochwald in die niedrige Haide kamen, wo vor zwei und vierzig Jahren der furchtbare Brand gewüthet hatte. Die Lichter des Dorfes flimmerten trüb durch das hängende Gezweig, während über den leis schwankenden Wipfeln die breiten flammenden Fensterreihen der colossalen Fabrik gleich einem prachtvollen Feenschloß aufleuchteten. Der Luftzug wehte bisweilen das dumpfe Surren der tausend und aber tausend Räder herüber über See und Wald.
In unmiltelbarer Nähe des Dorfes bemerkten die Reisenden eine ungewöhnliche
Bewegung unter den Einwohnern desselben. Truppweise eilten die Männer dem
Hauptverbindungswege zu, nach welchem auch der Schlitten unserer
Nach dieser schmalen, jetzt spiegelglatten Gasse drängte sich ein Haufen durcheinander sprechender Menschen. Unsere Freunde besorgten, es möge sich abermals ein Unglück, vielleicht wohl gar ein Selbstmord zugetragen haben, und trieben ihr schnaubendes Pferd grade darauf zu. Die Einwohner des Dorfes waren übrigens so ungewöhnlich aufgeregt, daß sie bisher durchaus nicht auf den heranschellenden Schlitten geachtet hatten. An der Gasse angekommen fanden unsere Freunde dieselbe von Menschen verstopft. Sie mußten nothgedrungen halten und der Maulwurffänger stieg aus.
»Aber so sagt mir doch, Kinder,« rief er zutraulich ein paar junge Bursche an,
die sich auf die Zehen hoben und mit langen Hälsen gaffend über die unruhig
brausende Menge wogender
»Da ist er! Heda, Ihr dort vorn, der Maulwurffänger ist da!« – »Hurrah, Platz für Pink-Heinrich!« – »Macht eine Gasse, daß sie ungestoßen durchschreiten können, er selbst, der kluge Vater, und sein Freund, der wackere alte Wende!«
So ließen sich mehrere Stimmen vernehmen, und ehe noch der Maulwurffänger Zeit gewann, sich nach der Ursache dieses frohen Jubels zu erkundigen, sah er sich halb geschoben, halb getragen vor der weit offen stehenden Hausthür Simson's, aus der Men schen wie in einem schwärmenden Bienenkorbe aus-und eingingen.
Es brannten eine Menge dünner Pfenniglichter in der niedrigen Stube, die vom
rauchenden Ofen kohlschwarz gefärbt und durch einen Webstuhl nebst Treibrad und
dem übrigen unentbehrlichen Hausrath so verengt war, daß kaum sechs bis acht
Menschen stehend bequem darin Platz hatten. Dennoch befanden sich mehr als
Ein wunderlicher Anblick bot sich unserm alten Freunde dar, als er unter dem sich häufig wiederholenden Triumphgeschrei: »Da ist der Maulwurffänger!« – »Der kluge Maulwurffänger kommt!« – »Platz dem Vater der Armen!« usw. in die von Menschen überfüllte Stube fast gewaltsam gedrängt ward.
Auf dem fichtenen Tische, der vor Zeiten mit blauen und rothen Blumen bemalt
gewesen war, wie sie in der Phantasie des Dorfschreiners erblühten, saß auf
niedrigem Treibebänkchen Simsons Frau, vor Frost, Angst, Bestürzung und
Erwartung zitternd. Sie war sehr bleich und elend anzusehen in der dürftigen
schwarzen Trauerkleidung, die sie seit dem Tode ihres Mädchens trug. Neugierig
lauschend und beide Händchen fest an die Platte des Tisches geklammert, sah ihr
zweites Kind, ein neunjähriges Mädchen, mit klarem Kinderauge zu der betrübten
Ehe man noch sprach, wußte der Maulwurffänger bereits, daß sein Aufruf gefruchtet hatte, daß die Gesuchte gefunden sei und hier in der abgehärmten Gestalt Maja Simson's vor ihm sitze!
Man kann sich denken, welcher Schwall von Fragen sich über ihn ergoß! Für solche Scenen aber war Pink-Heinrich der rechte Mann. Er antwortete nicht eine Sylbe, bis er durch wiederholtes Winken die größte Ruhe erzwungen hatte.
»Ich bitt' Euch, Freunde, schweigt, bis Ihr mich gehört habt,« sagte er
nunmehr, und grüßte dankend durch Abnehmen seiner Pelzmütze die Anwesenden.
»Zuvor aber, Maja Simson erlaubt, daß auch ich Euch beunruhige. Ihr wißt ja,
daß Jäger und Maulwurffänger die Fährte genau kennen müssen, ehe sie auf Glück
Statt aller Antwort reichte Simson unserm Freunde die Pathenbriefe, die nach uralter Sitte auch noch heutigen Tages dem Täuflinge von den Pathen geschenkt werden. Geburts- und Tauftag sind regelmäßig in denselben verzeichnet.
Zufrieden mit dem Kopfe nickend und verschmitzt zu der schweigenden Maja aufblickend, gab er die Briefe zurück und sagte:
»Ihr könnt jetzt immer wieder heruntersteigen vom Tische, liebe Frau Simson. Das Komödjespielen, scheint mir, ist Euch nicht angeboren, und da wir nunmehr bestimmt wissen, wer und was Ihr seid, so braucht's weiter keiner Rede mehr und noch weniger unnützen Alarms. Zu seiner Zeit, und ich denke, das soll nicht gar lange dauern, erfährt's jeder Christenmensch in und außer der Haide, was heut Abend hier vorgegangen ist.«
»Aber so redet doch, Pink-Heinrich!« drängte Simson, der gleich den Uebrigen in größter Spannung dastand.
»Was soll ich hier?« fragte dieser mürrisch und kreuzte die Arme über seine Brust.
Da hob der Maulwurffänger Maja Simson vom Tische, führte sie dem finstern Spinner zu und legte sie ihm mit den Worten in die Arme:
»Du sollst Deine Schwester umarmen, die Tochter der Tochter Deines Großvaters!«
Martell zuckte zusammen, doch fing er die erschütterte, weinende Schwester, mit
der er hundertmal die letzte Rinde verschimmelten Brodes getheilt, deren
verzweifelnden Mann er so oft getröstet hatte, auch wenn er selbst untröstlich
war, in seine Arme auf. Secundenlang ruhten seine düster funkelnden Blicke auf
der trauernden armen Weberin, dann küßte er die Leidende sanft auf die Stirn
und das blitzende Auge wild zum
»Gott Lob, Gott Lob, so ist noch mehr Grund zur Rache vorhanden!«
Alle Umstehenden schwiegen ehrfurchtsvoll. Das Schicksal und in seinem Gefolge die zürnende Nemesis war in zu ernster Gestalt unter diese einfachen Menschen getreten. –
Diese Auffindung des letzten natürlichen Kindes des Grafen Magnus blieb Adrian ein Geheimniß. Alle Betheiligten gaben sich das feierliche Versprechen, gegen ihren gemeinsamen Peiniger das tiefste Stillschweigen zu beobachten, damit sie desto ungehinderter das Werk gerechter Wiedervergeltung fördern könnten.
Auf dem Zeiselhofe verbreitete die Kunde von dem so über Erwarten schnell
gelungenen Anschlage des Maulwurffängers ungemeine Freude und näherte einander
die hier versammelten Menschen in immer größerer Vertraulichkeit. Elwire hatte
sich, seit sie wußte, wie nahe sie Herta verwandt war, mit wahrer Kindesliebe
an die stets sanft und mild bleibende Großmutter
Weit unbehaglicher, innerlich unzufrieden und von mancherlei Stürmen bewegt
fühlte sich Bianca. Herausgerissen aus dem betäubenden Strudel des Hamburger
Lebens lastete die friedliche Stille und Einsamkeit des Zeiselhofes drückend
auf ihr. Zu wenig an ernste Beschäftigung gewöhnt und körperlicher Arbeit
entfremdet,
In seinem vornehm kühlen und freundlich zarten Tone schrieb der stolze Bruder
an Aurel, daß er gehört habe, es lebten unter seinem Schutze zwei sehr hübsche
gebildete junge Damen, die alle Eigenschaften besäßen, das Hauswesen eines
wohlhabenden Mannes in Ordnung zu erhalten. Vorausgesetzt, daß er geneigt sei,
eine oder die andere dieser jungen Damen einem
Aurel wunderte sich zwar über diesen Brief, indeß fand er am Ende die Frage nicht so gar ungewöhnlich. Deshalb sprach er mit Herta darüber und als auch diese kein Bedenken trug, dem Gegner in diesem Punkte sich gefällig zu erweisen, theilte er Bianca den Antrag mit, deren wachsender Trübsinn ihn seit einiger Zeit zu beunruhigen begann.
Bianca war auf der Stelle bereit, darauf einzugehen, nur wollte sie sich nicht
eher verbindlich machen, als bis sie Adrian persönlich kennen gelernt und mit
ihm gesprochen haben würde. Sie läugnete nicht, daß sie schon längst
Dieser Bereitwilligkeit freute sich Aurel Biancas wegen, und es ward festgesetzt, daß man Boberstein oder vielmehr das Dorf am See besuchen wolle, sobald die neu entdeckten Documente mit den nöthigen Angaben ihrem Anwalt überliefert sein würden.
Nur Einer konnte sich mit diesen Anordnungen nicht befreunden. Dies war
Gilbert. Der junge lebensfrohe Matrose hatte Bianca angelegentlichst den Hof
gemacht, obwohl ganz ohne Erfolg. Es schien aber gerade, als wünsche und
beabsichtige er dies; denn je kecker, spitziger und trotziger die spröde Schöne
seine Galanterieen beantwortete, desto beharrlicher setzte er sie fort. Es
gewährte ihm unbeschreibliches Vergnügen, von den blühenden Lippen des schönen
Mädchens, in der er eine büßende Magdalene in üppigster Formenpracht erblickte,
die härtesten Wahrheiten anhören zu müssen. Abweisen ließ sich Gilbert durchaus
nicht, so sehr Bianca auf ihrer Hut
Als ihm später Aurel seine Zudringlichkeiten verbot und Bianca dem Späher jeden
Spalt verstopfte, kletterte er in Schnee und Wind an den Wänden hinan, um
durchs Fenster mit seiner Angebeteten zu conversiren, und so brachte er Bianca
fast zur Verzweiflung. Weil sie sah, daß Zürnen, heftige und beleidigende Worte
bei dem jungen Tollkopf nichts furchteten, ließ sie endlich geschehen, was sie
nicht hindern konnte, und ertrug die wunderlichen Aufmerksamkeiten des
verliebten Jünglings mit heroischem Gleichmuth. Sie that, als spräche, flehte
und girrte der tolle Mensch gar nicht, mochte er nun vor der Thür ihre Augen in
einem Sonett besingen oder vor dem Fenster ihres Zimmers klappern,
Gilbert amüsirte sich bei dieser originellen Art, eine hübsche Widerspänstige andauernd zu verfolgen und auf alle Malicen nur süße Liebesworte zu erwiedern, über alle Maßen. Es verging ihm die Zeit dabei und außerdem konnte man ja doch nicht wissen, ob die neue Magdalene nicht zuletzt von der wandellosen Treue ihres Verehrers gerührt werden und ihm dieselbe auf das Anmuthigste belohnen würde. Gilbert hatte Erfahrung genug, um zu wissen, daß oft die sprödesten und widerspänstigsten Mädchen nach einiger Zeit die freundlichsten und hingebendsten werden und daß gerade eine so erzwungene Liebe die genußreichste ist. Darum fiel es ihm nicht ein, seine Nachstellungen aufzugeben und die Vorschriften des Kapitäns zu befolgen.
Als er den Beschluß Biancas hörte, schimpfte er ganz lästerlich, setzte seinen bebänderten Hut schief auf den Kopf und rannte in den Garten, um an dem Rutschberge zu arbeiten, dessen Erbauung ihm Aurel erlaubt hatte.
»Erst soll die verdammte Hexe doch noch Arm und Beine brechen!« rief er aus.
»Ja das
Und wüthend, als säßen ihm Schweißhunde auf den Fersen, häufte er Schnee auf Schnee, schleppte Wasser und arbeitete sich so matt und müde, daß er an diesem Abende nicht einmal das Spalier erklettern und vor dem Fenster seiner grausamen Schönen eine verliebte Serenade ächzen konnte. –
Inzwischen kam der Tag heran, auf welchen Aurel seine Reise nach Boberstein in Begleitung Bianca's festgesetzt hatte. Es war derselbe Tag, an dem Leberechts Haus im Gebirge von den Flammen verzehrt wurde. Zuvor hatte der Kapitän seinem Bruder freundlich geantwortet und ihm gemeldet, daß die jugendliche Bianca, eine seiner Dienerinnen, nach Boberstein abreisen werde, um sich Adrian vorzustellen. Bereitwillig setzte Adalbert den Fabrikherrn von seinen Bemühungen in Kenntniß und zeigte ihm den baldigst zu erwartenden Besuch an.
Auf diesem Ausfluge begleitete nur Paul noch seinen gräflichen Freund. Sloboda
war mit dem Maulwurffänger in dessen Heimath
Paul wollte seine Schwester, Maja Simson, kennen lernen und ihr von der verstorbenen theuern Mutter, von seinen im Kampfe für Polens Freiheit gefallenen Brüdern erzählen. Und Aurel, der nunmehr ebenfalls in ein halbgeschwisterliches Verhältniß zu Paul getreten war, hatte die Absicht, den in Schmerz und Groll und Rachegedanken hinbrütenden Martell von dem bisherigen Schauplatz seiner Leiden zu entfernen und durch unmittelbaren Verkehr mit ihm, durch heitere, liebeathmende Umgebung mildernd auf ihn einzuwirken.
Mit so löblichen Vorsätzen erreichten sie bei guter Zeit Dorf und See. Ueber
beiden lag die schwere dunkle, langsam nach der Haide fortrollende Rauchwolke
der Fabrik, ein Anblick für Bianca, der das nicht unempfindliche Mädchen
gleichermaßen fesselte und erbeben machte. Die ungeheuern Gebäude auf dem
Felsen im See, das bewegte Leben auf diesem selbst, der mit Hand- und
Zugschlitten aller Art bedeckt war; das dröhnende Rollen und Schwirren in der
stillen Luft, das immer zitternd wie die ferne
Sie trat mit Aurel und Paul zuerst in die Hütte Martells, des gräflichen Spinners.
Ein Schrei wäre beinahe ihren Lippen entschlüpft, als der immer finstere und meistentheils schweigsame Martell beim Eintritt des unerwarteten Besuchs von seinem Schemel sich erhob und die reich und modern gekleidete junge Dame begrüßte. Doch faßte sich Bianca eben so schnell und beseitigte die plötzliche Aufregung mit den leis geflüsterten Worten:
»Gott sei Dank, er ist es nicht! Aber welche Aehnlichkeit! Welch interessante Züge!«
Mit eigenthümlichen Empfindungen, die ihr
Auf der Insel angekommen, empfing sie Vollbrecht mit Herzlichkeit, doch konnte er einen leisen Seufzer nicht unterdrücken, als er das wirklich ungemein schöne Mädchen erblickte, und den Kopf mißbilligend schüttelnd, sagte er betrübt: »Solch Glück verdient der Mann nicht, und Sie, mein liebes Fräulein, Sie werden sich ewig Vorwürfe machen, wenn Sie sich, verführt durch seine bestechenden Redensarten, mit Banden an ihn fesseln lassen, die Sie nicht willkürlich lösen können! Darum, mein Fräulein, empfehle ich Ihnen Vorsicht, Vorsicht in allen Dingen!«
Diese Worte konnten die Zuversicht Biancas nicht vermehren. Zagenden Schrittes,
mit kurzem Athem und bleichem Antlitz folgte sie
Bianca lehnte sich gegen einen runden, sehr geschmackvoll gearbeiteten Blumentisch, der das mittelste Fenster des Zimmers grade ausfüllte, und mit den schönsten Exemplaren seltenster ausländischer Gewächse ansprechend aufgeschmückt war. Zu beiden Seiten standen auf kleinen runden gußeisernen und bronzirten Gestellen andere wohlriechende Blumen, die das liebliche Duften ihrer Kelche mit dem kostbaren Rauchwerk vereinigten.
Nach wenigen Minuten öffnete sich eine Seitenthür und Adrian trat ein. Er ging
nachlässig vornehm in einem feinen, bequemen Rock von bronzefarbenem Tuch
gekleidet, trug in der rechten Hand einen seidenen Foulard und wehte
Mit funkelndem Blick und graziösem Lächeln begrüßte er Bianca herablassend. Diese aber erbebte vor dem mittelgroßen, hagern, bleichen Manne mit dem tiefen kaltglühenden Tigerauge. Sie mußte sich festklammern an den Blumentisch, um nicht umzusinken, denn sie fühlte, wie ihr die Sinne zu vergehen drohten.
»Er ist es!« lispelte sie unverständlich, mit dem Ausdrucke des Entsetzens ihr schönes Auge auf ihn heftend. »Er, der schamlose Lügner, der herzlose Verführer und Mörder meiner armen Schwester!«
Adrian hörte nur ein unverständliches Murmeln und da er das Erbleichen Biancas
und ihr sichtliches Zusammenbrechen sah, glaubte er, der allerdings etwas sehr
starke Blumenduft verbunden mit dem süßen Arom des Räucherwerkes habe die
Nerven des schönen Mädchens angegriffen
»Mein Gott,« sagte er, diesmal mit ungeheuchelter Theilnahme, »die Schwüle in diesem üherheizten Zimmer wird Sie umbringen, armes liebenswürdiges Wesen! Fühle ich selbst mich doch unwohl! Aber die ser Aether, womit ich mein Tuch getränkt habe, wird Ihnen bewundernswürdige Dienste leisten. So – so! – Es ist ein wahrer Lebenszauber in diesem Aether!«
Und Adrian von Stein betupfte Stirn, Lippen und Schläfen der matt Aufathmenden mit seinem Taschentuche, bis sich die Erschütterte sichtlich wieder erholte.
Diese kurze Spanne Zeit war aber auch hinreichend gewesen, dem von Natur
beherzten Mädchen ihre ganze Spannkraft und Entschlossenheit wieder zu geben.
Sie wollte nur noch wissen, ob auch Herr am Stein sich ihrer noch erinnerte, um
ihr Benehmen danach einzurichten.
Nun erst holte Bianca beruhigt Athem; ihr Entschluß war gefaßt, ihr Plan in
einem Augenblick entworfen. Sie wollte Rache nehmen an dem Ehrlosen, für die an
ihrer unglücklichen Schwester begangene Schändlichkeit. Sie fühlte urplötzlich
die ganze Folterqual Martells und begriff, wie dieses trotzigen Mannes
unverwüstliche Natur nach dem süßen Genuß der Rache schmachten und zittern
müsse! Aber Bianca war ein Weib, ein betrogenes Weib! – Männer hatten ihr
Liebe, Verehrung, Anbetung geheuchelt und doch nur augenblicklichen Reiz
gesucht! – Sie hatten die Flehende verhöhnt, der Darbenden nicht einmal ein
Almosen gereicht! – Solche Lieblosigkeit, solch grausamer Egoismus hatte in
ihrem Herzen die edleren Gefühle zwar
Kaum also hatte sie die Ueberzeugung gewonnen, daß Adrian am Stein nicht ahne, wer vor ihm stehe, als sie auch bereits einen vollständigen Sieg über den nichtswürdigen Heuchler errungen hatte. Das reizendste Lächeln auf ihren blühenden Lippen, verbeugte sie sich jetzt tief und ehrfurchtsvoll vor dem reichen Herrn und sagte mit musterhaft geheuchelter Befangenheit:
»Verzeihen der gnädige Graf einem armen Mädchen, daß es sich so sehr vergessen und in Ew. Gnaden Gegenwart eine ungebührliche Schwäche zeigen konnte! Verzeihen Sie, gnädigster Herr!«
Und demüthig suchte sie die Hand Adrians, um sie Vergebung erflehend zu küssen.
»Nicht doch, mein Fräulein!« sagte dieser abwehrend, während ein sonderbarer
Schauer durch seine Nerven bebte, der in den flammenden Augen des verschämten
Mädchens seine Quelle zu haben schien. »Nicht doch, mein
»Der gnädige Herr haben ein solches Unglück nicht zu befürchten,« erwiederte Bianca mit schelmischem Lächeln und mit so schmelzend feuchtem Blick, daß Adrians Innerstes wie von einem elektrischen Funken getroffen wurde, »Ihre herablassende Güte vermag nur aufzurichten, Ihr liebevolles Auge die Schwachen nur zu stärken! Nochmals, gnädigster Herr, Verzeihung, und tausend Dank, daß Sie einem so tief unter Ihnen stehenden Geschöpf so aufrichtige Theilnahme schenkten!«
»Ein himmlisches Wesen! Ein wahrer Engel!« sagte Adrian für sich. »Dieses
Mädchen muß bei mir bleiben oder ich bin ein unglücklicher Mann!« Dann wandte
er sich zu der noch immer mit demselben schwimmenden
»Ich hoffe, mein holdes Kind, daß ich mich Ihnen später werde erkenntlich
erweisen können; denn ich will nicht Ihre Willfährigkeit, in meine Dienste zu
treten, in Zweifel ziehen! Wenn ich dies einmal schon meiner selbst wegen
wünschen muß, so möchte ich auch andrerseits um Ihretwillen, daß Sie die
Oberaufsicht in diesem Hause übernähmen. Ich bin allein, einsam, ja verlassen,
denn, was Ihnen ja kein Geheimniß mehr sein kann, Einer meiner Brüder hat sich
von mir losgesagt! Da wäre es mir nun wohl zu gönnen, daß in diese stillen und
verödeten Räume das schöne Bild eines guten reinen Menschen träte, der durch
seine Liebenswürdigkeit mir die Grillen verscheuchte und die finstern Stunden
durch sein heiteres Geschwätz fern von mir hielt! – Sie sind mir empfohlen,
liebes Kind, und obwohl ich mit einigem Mißtrauen Ihrer Ankunft entgegensah,
weil ich Sie ja unter dem Schutze des mir feindlich gesinnten Bruders wußte, so
habe ich doch beim ersten Blick in Ihr kindlich klares Auge mein Unrecht
sogleich erkannt und es Ihnen von ganzem Herzen
Adrian reichte Bianca die Hand. Diese legte schamhaft zögernd die ihrige hinein, indem sie mit leicht gerötheten Wangen erwiederte:
»Leider muß ich bekennen, gnädigster Herr, daß ich mich weit größerer Lieblosigkeit gegen Sie schuldig gemacht habe! Nicht blos Mistrauen gegen die Redlichkeit Ihrer Absichten erfüllte mich, ich hielt Sie auch für einen gar argen Tyrannen nach dem, was ich von Ihnen gehört hatte, und dachte einen Unhold, ein giftig blickendes Ungeheuer in Ihnen zu finden! Da mir nun von dem Allem das Gegentheil begegnet ist,« setzte sie mit naivem Lächeln und wiederholtem schalkhaften Blinzeln ihrer glänzenden Augen hinzu, »so werden Sie wohl mein Erstaunen natürlich finden und mir die Unartigkeit desselben vergeben.«
Adrian war entzückt von den Antworten wie von dem ganzen Benehmen dieses
bezaubernden
Vielleicht empfand er auch bei dem geschilderten Zusammentreffen mit Bianca
nichts Tieferes, Dauernderes; vielleicht waren die angenehmen Regungen, die ihn
durchströmten, nur das willenlose Zittern, das dem sinnlichen Reiz vorangeht;
dennoch aber hatte der eigenthümliche,
Bianca ward von Adrian als Haushälterin unter Bedingungen angeworben, die man dem habgierigen Manne nicht zugetraut hätte. Es ward festgesetzt, daß dieselbe schon am ersten Februar ihr neues Amt antreten und ganz allein über die innern Angelegenheiten des Hauses zu verfügen haben solle!
Adrian genehmigte Alles, um nur das
»Ach,« rief er tief aufseufzend aus, »ein Mann ist doch unglücklich, wenn ihm kein liebendes Weib zur Seite steht! Ich werde mich verheirathen, sobald der Prozeß entschieden ist!« – –
Es schlug zwei Uhr, als Bianca wieder in Martells Hütte trat. Ihre Wangen glühten, ihr Auge flammte. Sie glich in der reichen glänzenden Lockenfülle ihres schwarzen Haares, das vom raschen Gange in liebliche Unordnung gerathen war, einer zürnenden Pallas Athene. Ein Helm auf dieses schöne Haupt mit dem kecken Profil gestürzt, mit Schild und Schwert Arm und Hand dieses Mädchens bewaffnet, und Bianca wäre in eine entzückende Heldin verwandelt worden.
Aurel erkannte sie kaum wieder.
»Was ist geschehen?« fragte er bestürzt. »Sie zittern vor Aufregung, vor Empörung! Hat mein Bruder Ihnen unwürdige Fragen vorgelegt?«
»Herr am Stein war die Artigkeit selbst,« versetzte sie, »und mit Vergnügen werde ich in seme Dienste treten.«
»Bianca, das ist nicht Alles!« fiel Aurel ein. »Sie verheimlichen uns etwas. Die Flamme in Ihrem Auge gemahnt mich an den kalten Todtenschein, der mich zuerst auf Sie aufmerksam macht! Sie verabscheuen meinen Bruder!«
»Verabscheuen? Ja, könnte ich ihn doch auch verachten! Aber ich muß ihn ja nur hassen, ewig, unersättlich hassen!«
»Und wollen dessen ungeachtet in seine Dienste treten?«
»Eben deshalb! Aber ich werde ihm nicht dienen, ich werde ihn mir dienstbar machen. Er soll die Hölle haben auf Erden!«
»Bianca! So schön, so liebenswürdig –«
»Und so vom Teufel besessen? Ja, lieber Kapitän! Nicht nur in diesen Hütten
gibt es Todte zu rächen, es leben auch anderwärts Seelen, die gleich diesen
Armen nach Rache schreien. Ich schließe mich ihnen an und reiche
»Zur Rache bis in den Tod bleibt Martell Ihnen ein treuer Gefährte!« sagte der Spinner und preßte die dargereichte Hand des exaltirten Mädchens an seine Brust.
Aurels Fragen, was ihr zugestoßen, wodurch sie so namenlos, ja dämonisch gegen Adrian aufgebracht worden sei, ließ Bianca unbeantwortet und vertröstete ihn auf spätere Tage, wobei sich denn der theilnehmende Kapitän beruhigen mußte.
Gegen Abend verließen die drei Reisenden wieder das Dorf am See. Als sie an dem Kretscham vorüberfuhren, traten zwei als Köhler gekleidete Gestalten in die Gaststube.
Es waren Blutrüssel, der Mörder, und Herta's Sohn, Klütken-Hannes.
Ende des vierten Theiles.
Drei Wochen nach den zuletzt mitgetheilten Vorgängen finden wir im Hause des Maulwurffängers den Schulmeister Gregor, den frommen Schlenker und den Wenden Sloboda um den Wirth versammelt. Es ist der 13. Februar, der Geburtstag Maja Simsons. Pink-Heinrich, mit Abglättung eines Blaserohrs beschäftigt, hat seine Freunde so eben auf die Wichtigkeit dieses Tages aufmerksam gemacht und bedauert, daß er der schwer geprüften Frau nicht persönlich seine Glückwünsche darbringen könne, denn in Folge schnell eingetretenen Thauwetters sind alle Flüsse ausgetreten und fast überall hin die Communication gehemmt. Selbst vom Zeiselhofe hat man seit mehrern Tagen keine Nachricht erhalten.
»Es ist mit tausend Schrecken, was noch heutigen Tages bei Vornehmen und Reichen passirt! In den Büchern der Chronika und der Könige liest man nichts Grausamlicheres! 's Ist eine auserlesene Geschichte, und ich wollte schon, daß ich schreiben gelernt hätte und die Worte setzen könnte, wie unser lieber Schulmeister, so schrieb ich Alles haarklein auf, wie sich Unglück und Verbrechen, und Strafe Gottes und menschliches Irren durch einander gemengt haben. Das müßte ein Hauptbuch werden für Junge und Alte, und eine moralische Erzählung würde ich's betiteln!«
Schlenker ließ den lahmen Arm fallen, ergriff die Dose, nahm eine tüchtige
Prise und pfropfte sie, den Oberkörper bis auf seine Knie herabbeugend, in
seine breite Stumpfnase. Gregor
»Natürlich! Eine moralische Erzählung für Kinder und Erwachsene. Ganz Natur!«
»Ich möchte schon wissen, wie Ihr das anfangen wolltet, Freund Schlenker?« fiel der Maulwurffänger ein. »Freilich, Moral steckt ein gut Theil in der vornehmen Herrengeschichte, wie sie aber ein vernünftiger Christenmensch zu einem Schulbuche zurechtschneiden will, das begreife ich nicht!«
»Nichts leichter wie das,« sagte Schlenker, die Hand wieder an's rechte Auge
schleudernd, wo dann sogleich der wackelnde Finger mit dem krummen, langen und
braunblauen Nagel seinen angewiesenen Platz einnahm. »Da ist z.B. das
uneheliche Kind Maja, Haideröschens Tochter, am dreizehnten Februar geboren,
hat von Kindesbeinen an ein Leben geführt, wie Hiob und Lazarus zusammen, und
ist wie verlassen von Gott gewesen bis jetzt! Nutzanwendung aus dieser
herzbrechenden Geschichte: weil Maja am 13. Februar zur Welt gekommen ist und
zwar als ein Kind, das nach dem Willen des grundgütigen Gottes eigentlich gar
nicht hätte geboren
Und wieder fiel der steife Arm des Herrnhuters auf den Deckel der Dose, um der immer hungrigen Nase neue Nahrung zufließen zu lassen.
»Kreuzhimmeldonnerwetter,« fuhr der Maulwurffänger auf und warf das Blaserohr so heftig auf den weiß gescheuerten Lindentisch, daß es einen feinen Sprung bekam, »Ihr seid ein Narr mit tausend Schrecken! Ich glaube gar, Ihr beweist mir noch in Eurer unergründlichen Weisheit, daß wir der blinkerblanken Gnade Gottes die Aufdeckung all der erbaulichen Schurkereien zu verdanken haben, über die sich gegenwärtig die hohen Gerichtshöfe des Königreichs die Köpfe zerbrechen!«
»Wir sind Würmer des Staubes ohne die
»Habt Ihr das in der Kirche gelernt, daß Gott erbarm?« fragte der Maulwurffänger, seine Arbeit wieder vornehmend.
»Mir ist das Verständniß gekommen im Tempel des Herrn und in der Kammer der Trübsal, wenn meine Seele im Gebete rang.«
»Ihr scheint mir allzu lange gerungen zu haben, Schlenker! Die gute Seele ist dabei aus den Gelenken geschnappt und kann sich nun nicht mehr zurecht finden in Euerm Kopfe.«
»So man uns verachtet, so gewinnen wir an Heiligung und wachsen in der Gnade des Herrn!« versetzte Schlenker, schlug die Beine über einander, setzte sich eine große Brille vorn auf die Nasenspitze und nahm die Bibel vor, in der er sehr eifrig zu blättern begann.
Der Maulwurffänger mußte lächeln. Sich zu Sloboda wendend, der mit großer
Ausdauer aus frisch geglühtem Draht Fangdrähte bog
»Um die Rechtgläubigkeit ist's doch eine schöne Sache, Jan! Die hilft Dir über Berge hinweg, und reichten sie hinauf bis an den Mond; die trägt Dich unvermerkt über Millionen Meilen breite Abgründe! Kurz, die gleicht nahezu der Allmacht selbst! Sei rechtgläubig, und Du hörst nicht, wenn Dich Jemand einen Schalk schimpft! Gutwillig, nicht murrend und nicht mucksend, läßt Du Dich lästern, schlagen, hänseln, Alles, weil Du fest überzeugt bist, daß jedem Auserwählten solche Fatalitäten zustoßen müssen. Weiß Gott, ich möchte schon manchmal ein Rechtgläubiger sein!«
Schlenker nahm die Brille wieder ab, legte sie in die Bibel und schlug das Buch zu. In etwas predigendem Tone, nur weniger salbungsvoll, sprach er:
»Gott will nicht, daß der Sündige untergehe, sondern daß er lebe und sich
bekehre! – Das, seht Ihr,« fuhr er fort, mit seiner plumpen, ungewaschenen Hand
auf die Bibel schlagend, »das steht da drin, und weil meine alten Augen just
jetzunder darauf gefallen sind, will ich
»Wenn ich das wirklich sein sollte, so würde ich das nach meiner religiösen Ueberzeugung die Gnadenwahl nennen.«
»Natürlich, natürlich!« sagte der Schulmeister.
»Hm! 's ist erstaunlich!« murmelte Schlenker. »Aber es soll nichts ausmachen.
Wir wollen gute Freunde bleiben, Heinrich, und wenn's Euch beliebt, von der
Gnadenwahl wieder auf den Geburtstag Maja's zurückkommen, obwohl's ein Tag von
böser Vorbedeutung ist! Judas, wißt Ihr, verrieth seinen Herrn und Meister,
weil er der Dreizehnte war, und seit der Zeit
»Es wird kein Freudentag für sie sein,« sagte Sloboda, »denn was sie seither von sich und ihrer Mutter erfahren hat, heißt bittern Wermuth schütten in den Kelch ihrer Schmerzen.«
»Schmerzen und Leiden reinigen und läutern das Gemüth,« bemerkte Schlenker. »Darum gibt's keine größere Wohlthat für ein recht sündhaftes Menschenkind, als wenn er so zu sagen mit Bekümmernissen und Trübsalen überschüttet wird! Der stürmische Martell ist freilich nicht dieser gotterleuchteten Ansicht, aber dafür ist's auch ein Mensch mit tausend Schrecken!«
»Natur! Natur! Ganz Natur!«
»Thut mir den außereinzigen Gefallen, Bruder Gregor und Schlenker,« fiel der Maulwurffänger wieder ein, »und laßt den braven Martell in Ruhe! Wollte Gott, wir hätten ein paar tausend so treuherzige und felsenfeste Menschen, es würde dann wahrhaftig besser aussehen auf Erden! Martell nenne ich meiner Religion nach einen Mann nach dem Herzen Gottes!«
Schlenker warf mit krampfhaster Bewegung seine Hand an die Stirn, ließ sie
jedoch gleich
»Unbegreiflich bleibt es mir, alter Freund,« sagte Sloboda, »wie Martell nach solchen Offenbarungen im Stande ist, gleich dem gemeinsten Spinner ohne Murren unverdrossen in der Fabrik seines hartherzigen Bruders fortzuarbeiten! Hat er sich nie darüber ausgelassen?«
Der Maulwurffänger legte das Blaserohr bei Seite, zog Stahl, Stein und Schwamm aus der Tasche seines tuchenen Brustlatzes und schlug sich behaglich Feuer an. Erst als die Pfeife tüchtig qualmte, erwiederte er:
»Kapitän Aurel wünschte, daß Martell bis Austrag der Sache die Arbeit bei
Adrian einstelle, und erbot sich freiwillig, die Kosten für den Lebensunterhalt
seiner Familie zu tragen. Martell aber widersetzte sich diesem großmüthigen
Anerbieten hartnäckig. Ich will spinnen und für ihn, der meinen Sohn gemordet
hat, arbeiten, sagte er, so lange mich das Gericht nicht frei spricht und ihm,
dem ich diene, gleichstellt. Kommt dereinst diese Zeit – und Gott lasse mich
sie erleben – dann werde ich als freier, ihm ebenbürtiger Mann Abrechnnng mit
ihm halten! –
»Arbeitet auch Maja gleich ihrem Halbbruder?«
»Sie ehrt seine Gründe und will dem unglücklichen Bruder nicht nachstehen. Auch ist dies unter den jetzigen Verhältnissen unerläßlich. Durch ein stillschweigendes Uebereinkommen hat man, wie Ihr wißt, die zuletzt gemachte Entdeckung von Maja's Abstammung dem Herrn am Stein verheimlicht. Er weiß jetzt noch nicht, wem mein Aufruf in den Blättern galt und daß die Aufgefundene gleichsam unter seinen Augen wandelt. Dies Geheimniß so lange wie möglich ungelüftet zu lassen, ist unser wohlerwogener Plan, der später seine Früchte tragen wird. Bei der feindseligen Stimmung aller Arbeiter gegen ihren Herren ist es leicht, dies Schweigen Monate lang fortzusetzen. Die Fabrik betritt Adrian mit keinem Fuße mehr, seit er in Martell einen unwillkommenen Bruder gefunden hat, und da Vollbrecht uns blind ergeben ist und Herr am Stein mit diesem ganz allein Alles verhandelt, was Geschäftsangelegenheiten betrifft, so haben wir keinerlei Verrath zu fürchten.«
»Aber wozu, Freund Jan? Ist es denn nicht genug, daß Du in so kurzer Zeit zwei Enkelkinder wieder gefunden hast? Du bist undankbar, Jan, gegen Gott und seine Barmherzigkeit!«
»Nein, alter Freund, undankbar bin ich nicht, aber mich ängstigt ein unheildrohendes Vorgefühl!«
»Immer noch abergläubisch?« sagte gutmüthig lächelnd der Maulwurffänger. »Dein altwendisches Blut bicht doch überall heraus. Nun, was schwant Dir denn wieder?«
»Ein Unglück Martells!«
»Natürlich! Natürlich!« rief Gregor feierlich und drehte seinen langen Rohrstock.
»Martells?« wiederholte fragend der Maulwurffänger, indem er seine breite Stirn nachdenklich runzelte. »Zu so böser Ahnung sehe ich keine Veranlassung.«
»Aber ich, Freund Heinrich, ich sehe sie deutlich, sehe sie in drohender Nähe!
Erinnere
Pink-Heinrich hatte mit größter Aufmerksamkeit dem Wenden zugehört. Jetzt verließ er seinen Sitz hinter dem lindenen Arbeitstische und trat neben Sloboda.
»Wann erhieltest Du diesen Brief?« fragte er den Greis.
»Gestern, während Du über Land warst.«
»Und an welchem Tage ist er geschrieben?«
»Am achten Februar.«
»Von wo datirt?«
Nach diesen raschen Fragen und Antworten ließ der Maulwurffänger seinen Kopf sinken und sah den Wenden mit vieldeutigem Blick lange an.
»Alles erwogen,« sagte er nach einer Pause, »muß Martell dieses ausschweifende Leben wenigstens seit vierzehn Tagen fortsetzen; denn Paul ging Ende Januar nach Boberstein, um Bianca zu Adrian zu bringen, und am sechsten des laufenden Monates ist er spätestens wieder auf dem Zeiselhofe eingetroffen! – Hm! – Und Fremde! Fremde Köhler oder Holzhändler, die allabendlich in der schlechten Schenke am See unzufriedene Fabrikarbeiter frei halten, ihnen Branntwein zu trinken geben, so viel sie wollen? – Könnte nicht irgend eine verteufelte Schurkerei dahinter stecken?«
»Theilst Du nun meine Besorgnisse, meine Ahnungen?«
Der Maulwurffänger drückte dem Wenden statt aller Antwort die Hand, der Schulmeister aber sagte, als sei es Pflicht, für den Bruder zu antworten:
»Natur! Ganz Natur!«
»Ich vermuthe,« sagte Pink-Heinrich nach
»Mir sind ungefähr dieselben Gedanken durch den Kopf gefahren,« erwiederte Sloboda, »wie man aber Martell warnen und seine Verführer, wenn die fremden Köhler diesen Namen verdienen, von ihm fern halten soll, weiß ich nicht.«
»Das wird Zeit und Mühe kosten! Vor Allem muß man die freigebigen Herren kennen
lernen, um zu ermitteln, ob sie sich blos auf ihre eigene Faust einen Scherz
machen, oder im
»Wer, alter Freund, soll hier spioniren! Wir Beide –«
»Haben keine Zeit dazu, das seh' ich ein. Da lebt aber der muntere ausgelassene Zeisig, der gelenke Gilbert auf dem Zeiselhofe. Ihm wird die Zeit übermäßig lang, er verlangt nach Beschäftigung, und keine schickt sich besser für diesen aufgeweckten Jungen, als solche, bei der es etwas zu erlauschen gibt, die an's Abeuteuerliche streift. Gilbert ist just der rechte Mann für unser Geschäft!«
»Der Kapitän wird ihn nur kaum von sich lassen – Bianca's wegen!«
»Ich will das schon vermitteln – und übrigens, Bianca lebt ja im Hause Adrians, das der verliebte Matrose schwerlich betreten wird.«
Schlenker hatte diesem Gespräch sehr aufmerksam zugehört, ohne es durch seine frommen Bemerkungen zu unterbrechen. Jetzt aber stand er auf, ging mit vorgebeugtem Oberkörper, die lahmen Arme mit gespreizten Fingern zu beiden Seiten steif herabhängen lassend, zu den beiden alten Freunden und sagte:
»Und das nennt nun der wackere Apostel seiner Secte Christenthum!« rief
Pink-Heinrich gutmüthig und schmerzlich lächelnd. »Wäre die Gnade und
Barmherzigkeit des Herrn, den gerade seine eifrigsten Bekenner am meisten zu
lästern pflegen, der ihrigen gleich, die Frommen würden einen harten Stand
haben in den paradiesischen
Unerwartet flog jetzt ein leichtes Fuhrwerk die Straße herein und hielt vor dem Hause des Maulwurffängers. Gregor erhob sich lothrecht von seinem Schemel und wendete steif den Kopf nach dem Fenster. Schlenker suchte durch wiederholtes starkes Schnupfen seinen Aerger zu verwinden, den ihm die Bemerkung seines Hauswirths verursacht hatte. Zugleich zog er die grauwollenen Strümpfe, die stets schlotternd um seine dünnen Waden hingen, bis an die zerrissenen Kniehosen herauf und schnallte sie mit einiger Mühe fest unter diese.
»Mein Enkelsohn!« sagte Sloboda. »Was kann der bringen?«
»Es muß etwas Wichtiges sein, denn er hat die junge Stute angetrieben, daß sie ganz und gar mit Schweiß bedeckt ist.«
Und beide gingen zugleich dem Jünglinge bis an die Hausthür entgegen.
Paul begrüßte seinen Großvater und dessen treuen Freund mit treuherzigem
Handschlage, spannte das Pferd aus und zog es in den Holzschuppen, wo er es
eine geraume Zeit auf- und
»Du bist ein Hiobsbote!«
»Gott Lob, doch endlich einmal eine christliche Redensart!« seufzte Schlenker, klappte die zinnerne Dose auf und bot dem Wenden eine Prise an, die dieser auch in der Zerstreuung annahm.
»Zum Theil, Großvater, komme ich, um der Ueberbringer einer Unglücksbotschaft
zu sein,« versetzte Paul. »Leberechts Wohnhaus ist bis auf die Sohle
niedergebrannt, Adelbert hat den unglücklichen armen Mann der Fahrlässigkeit
beschuldigt und ihn sodann aus dem Dorfe gejagt, da im Gemeindehause keine
Stelle frei war. Leberecht hat nun in seiner Verzweiflung die arme Frau bis zu
seinem gegenwärtigen Brodherrn geleitet, der den Flüchtlingen auch ein
Plätzchen in der Scheuer angewiesen hat für einen Tag und eine Nacht. Am andern
Tage mußten die bedauernswerthen Leute, die all' ihre Habe verloren haben,
weiter ziehen, und da Leberecht nirgends ein Unterkommen für sich und die
Seinen erwarten darf, hat er sich mit einem beweglichen Schreiben an den
Kapitän gewandt, und
»Was ihm Graf Aurel nicht abschlagen wird,« fiel der Maulwurffänger ein.
»Mitleidig ließ er nicht allein sogleich ein paar Kammern in Bereitschaft setzen, sondern er schickte den Abgebrannten auch eine ganze Tagereise weit seinen eigenen Kutschwagen entgegen, um die ermüdeten verlassenen Wanderer so bald wie möglich in Sicherheit zu bringen und ihnen die nöthige Pflege angedeihen zu lassen.«
»Und wie lautet die andere Hälfte Deiner Botschaft?« fragte Sloboda, sich wieder an seine Arbeit setzend.
»Diese kenne ich selbst nicht, Großvater. Der Herr Graf, unser Beschützer und Wohlthäter, hat mir nur einen Brief übergeben, den er mir in unseres Freundes, des Maulwurffängers eigene Hände niederzulegen, wiederholt einschärfte. Hier ist dieser Brief.«
Pink-Heinrich nahm sich nicht erst die Mühe, die Adresse zu lesen. Er zerriß
das zierliche Siegel, welches den Abdruck des kleinen Goldringes trug, den
Aurel in Hamburg gefunden hatte. Aufmerksam und mit steigender Theilnahme
»Darf man fragen?« sagte Sloboda.
»Kapitän Aurel hat Nachrichten aus Hamburg erhalten.«
»Auf seine Briefe? Ist der Gesunkene aufgefunden?«
»Klütken-Hannes hat seinen Keller verkauft und Hamburg verlassen.«
»Das ist auffallend!«
»Noch auffallender kommt es mir vor, daß der arme Trödler einen Paß auf alle deutschen Bundesstaaten genommen und genau eingezogenen Nachforschungen zufolge den Weg nach Osten eingeschlagen hat.«
»Sollte er die Spur seiner Tochter verfolgen wollen? Oder sollte ihm seine unnatürliche Handlungsweise gereuen?«
»Darüber steht nichts in dem Briefe. Nur die Bemerkung ist noch hinzugefügt, daß man guten Grund habe, zu glauben, Klütken-Hannes sei nicht allein aus Hamburg abgereist!«
Der Maulwurffänger lehnte sich schweigend
Nach etwa fünf Minuten stand der Maulwurffänger sehr heftig auf und trat so schnell auf Paul zu, daß er den ehemaligen Husaren dabei hart auf seine erfrorenen Zehen trat, was Schlenkern zu den fürchterlichsten Grimassen und zu unbeschreiblich komischen Sprüngen Anlaß gab.
»Heinrich, Heinrich,« rief der Getretene,
Lamentirend hinkte der Fromme nach seiner Stube. Der Maulwurffänger achtete gar nicht auf ihn. Mit jugendlich blitzenden Auge fragte er Paul, wenn er glaube, daß die Stute wieder eingespannt werden könne?
»Zwei Stunden genügen, um das Thier volllommen wieder herzustellen.«
»Nun, dann brechen wir alle drei in zwei Stunden nach dem Zeiselhofe aus. Ich muß nothwendig mit dem Kapitän selbst reden. – Du hattest Recht, Freund Jan! Beobachtung thut Noth. Darum mag Gilbert je eher je lieber in die Haide reisen.«
Zwei Stunden darauf verließ der Maulwurffänger mit Sloboda und Paul sein
trauliches Häuschen, zu nicht geringem Verdrusse Schlenkers, dem er seiner
Unvorsichtigkeit wegen weder ein freundlich entschuldigendes Wort gesagt noch
ihm zum Abschiede einen Gruß zugerufen hatte. Der gute Herrnhuter betheuerte
nochmals, es sei mit tausend Schrecken, wie
Während unsere Freunde dem Zeiselhofe entgegen eilen, jagt eine leicht gebaute
Droschke der Haide zu. In Folge des eingetretenen starken Thauwetters waren die
an sich schon schlechten Wege beinahe unfahrbar geworden und hinderten das
Fortkommen ungemein. Adrian, der Lenker dieses leichten Zweigespanns, stieß vor
Ungeduld die ärgsten Schimpfreden aus und ließ seinen Aerger die unschuldigen
Thiere entgelten, an denen es wahrhaftig nicht lag, wenn der Wagen nicht im
Fluge über Stock und Stein dahin sauste. Der stumme Kammerdiener Jean, den sich
Adrian bei all seinen neuerdings unternommenen Ausflügen zum alleinigen
Begleiter auserlesen hatte, suchte durch Mienen und Gebehrden
»Es wird sinkende Nacht, ehe ich zurückkomme,« murmelte er durch die Zähne, »und wenn ich auf diesen grundlosen Haidewegen nicht den Hals breche, kann ich mich obendrein noch bei dem Wegeverderber bedanken. – Jean, der Mensch wird doch sicher auf mich warten?«
Der Kammerdiener bejahte durch Kopfnicken und Adrian ließ pfeifend die Peitsche um die Köpfe der schnaubenden Rosse knallen.
Herr am Stein war auffallend blaß geworden. Hohle fahle Wangen und tief
liegende brennende Augen sahen unheimlich aus seinem Reisemantel. Sein ganzes
Wesen hatte etwas Hastiges, Unstätes angenommen, das man früher nicht an ihm
bemerkte. Dennoch schien dies
Es dunkelte bereits, als Adrian das Ziel seiner Fahrt, die Köhlerschenke am Raubhause, erreichte. Die Zügel heftig dem Kammerdiener zuwerfend trat er rasch in die räucherige Barake. Jussuff kam ihm mit demüthigen Bücklingen entgegen und fing schmunzelnd an von der hohen Ehre zu schwatzen, die der gnädige Herr ihm wiederfahren lasse. Ohne darauf zu achten, fragte der Graf barsch:
»Wo stecken die Burschen?«
»Meinen Ew. Gnaden die mir empfohlenen Gäste, so werden Sie die immer sehr durstigen Herren in ihrer Kammer finden! Sie befehlen?«
»Marsch, voran! Ich habe Eile!«
Demüthig öffnete Jussuff die Zuschlagthüre, schritt dem nachfolgenden Grafen
einen dunkeln Gang voran und zeigte ihm das Gemach seiner Gäste. Diese waren
übrigens so laut, daß
»Du kannst jetzt gehen, Jussuff,« sagte er etwas sanfter. »Gib meinen Pferden etwas Zucker und wirf ihnen ein Bündel Heu in die Krippe. Für mich halte ein Glas Punsch in Bereitschaft. Sobald ich meine Geschäfte mit diesen Burschen abgethan habe, breche ich sogleich wieder auf, um noch vor gänzlichem Einbruch der Nacht den schlimmsten Theil der Haide zurückzulegen.«
Jussuff entfernte sich und Adrian trat, ohne anzupochen, in die Kammer, wo Blutrüssel und Klütken-Hannes bei ihrem Lieblingsgetränk saßen, schwatzten, lachten, fluchten und Tabak dazu qualmten. Bei dem Erscheinen des vornehmen Mannes, von dessen Herkunft und Beschäftigung Keiner etwas Bestimmtes wußte, fuhren sie auf und unterbrachen ihr Gespräch.
Adrian nickte stolz zum Gruß und deutete dann auf Blutrüssel, worauf er durch
eine leicht zu verstehende Gebehrde zu erkennen gab, daß er mit Klütken-Hannes
allein zu sein wünschte. Der feige Mörder schlich knurrend hinaus, wie
»Ist es durchaus nöthig, Herr Klütken, daß dieser unaustlehliche Schleicher immer bei Ihnen sein muß?« fragte der Graf, indem er sich mit verschlungenen Armen an die Bretterwand lehnte. Eine Elle über seinem Haupte funkelten zugleich die rollenden Augen des Mörders.
»Ich bin ihm von früher her Dank schuldig, gestrenger Herr,« versetzte der ehemalige Trödler, »und Sie kennen das Sprichwort: eine Hand wäscht die andere!«
»Gut. – Stehen Sie für seine Verschwiegenheit? Denn ich verhehle es Ihnen durchaus nicht, Herr Klütken, daß, wenn Sie ein einziges Wort von unserm Abkommen gegen irgend Jemand verlauten lassen, ich nichts mehr von Ihnen weiß und meine Hand auf der Stelle von Ihnen abziehe!«
Klütken-Hannes lächelte, wenn das Grinsen seines breiten Mundes und das Blinzeln seiner kleinen, blutunterlaufenen Augen ein Lächeln genannt werden kann, und zog das Hirschhornheft eines Schiffermessers aus der Brusttasche seiner Jacke.
»Verdammter Hund!« murmelte Blutrüssel und rollte seine Augen so entsetzlich, daß sie blutigen Fleischballen ähnlich sahen. Dann zog er sich zurück und drückte die spitzen Zähne an den Bretterspalt, als wäre es ihm Bedürfniß, etwas vor Ingrimm zermalmen zu müssen.
Adrian schien durch die Antwort seines Verbündeten beruhigt worden zu sein. Er warf sich jetzt auf den Schemel und fuhr fort:
»Obwohl ich Ihren Bemühungen, mir gefällig zu sein, meine Anerkennung nicht versagen kann, Herr Klütken, muß ich Sie doch wiederholt ersuchen, auch fernerhin nicht lässig zu sein! Sie haben Anerkennungswerthes geleistet, es ist wahr, allein es genügt noch lange nicht. Dieser Mensch hat die Kraft eines Riesen und die Natur eines Stieres! Wissen Sie, mein Herr, daß er noch jetzt wie am ersten Tage nach Gebrauch der ihm verschriebenen Arznei seine Arbeit ohne Anstrengung verrichtet?«
»Vielleicht ließen sich die Arzneigaben verdoppeln, da uns die bisherigen Erfahrungen gelehrt haben, daß man dieser unverwüstlichen Natur etwas zumuthen kann.«
»Soll ich?«
»Machen Sie wenigstens einen Versuch.«
»Bei alledem ist das ein Wagstück, mein Herr Gönner; denn sehen Sie, der Teufelskerl hat manchmal die Gewohnheit, einem zuzutrinken, zumal, wenn ihm's Herz aufgeht und die Galle überläuft, und wenn man sich dann weigert, einen tüchtigen Schluck zu nehmen, so wird er unangenehm.«
»Nun, und was thut das?«
»Was das thut? Ei, mein sehr großmüthiger Herr, das kann einem mir nichts Dir nichts das Leben kosten. Denn ein so robuster Kerl ich auch bin, mit dem Martell mag ich doch keine Rauferei anfangen.«
»Es wird nicht gleich ans Leben gehen, Herr Klütken, ein paar Püffe und Striemen müssen Sie aber schon geduldig einstecken, wenn man Sie dafür so anständig bezahlt.«
»Aus Prügeln mache ich mir gar nichts, mein Herr Gönner, denn ich bin in meinem Leben sehr viel geprügelt worden, aber eine Art muß doch Alles haben! Und die hat der Martell nicht!«
»Dann werden Sie ihm Bescheid thun, so oft er es verlangt!«
»Mit doppelt gepfeffertem Trank?«
»Mit verdoppelter Arznei!«
»Herr, das wäre Mord – Selbstmord!«
»Stecken Sie Brechpulver zu sich und trinken Sie viel Wasser dazwischen! Uebrigens haben Sie ja immer einen ganzen Tag Zeit, um sich durch die kräftigsten Speisen wieder zu stärken. Enthalten Sie sich in dieser Zeit aller berauschenden und aufregenden Getränke, so werden Sie nicht die mindeste Abspannung oder gar Hinfälligkeit spüren.«
»Ich kann nicht essen, ohne zu trinken!«
Klütken-Hannes ward unruhig, ob aus Aerger über die Bedingungen seines unheimlichen Wohlthäters oder aus Furcht vor der Zukunft, konnte man aus seinen verwilderten Gesichtszügen nicht herauslesen.
»Ich ersuche Sie dringend, Herr Klütken,« sagte Adrian nach kurzer Pause mit teuflischer Freundlichkeit, »mir gefälligst unumwunden anzugeben, ob Sie gesonnen sind, meinen Wünschen zu entsprechen? Sie sind durchaus frei, wenn Sie wollen, nur freilich fällt alsdann die versprochene Pension weg, da Sie vor Erreichung des ausbedungenen Zweckes aus meinen Diensten treten.«
»Teufel, das ist ein Kerl!« knirschte Blutrüssel, der schon längst seine Augen wieder an den Spalt drückte. »Der hätte vor einigen vierzig Jahren unter uns leben sollen!«
Mit einem Blick, der fast ins Liebevolle hinüberspielte, betrachtete Adrian sein ihm verfallenes Opfer.
»Sie haben noch zwei Minuten Bedenkzeit, Herr Klütken,« sagte er ungemein höflich und zog die goldene Repetiruhr aus der Tasche.
Klütken-Hannes fuhr auf und ballte unwillkürlich die Hände. Einen Augenblick lang war er Willens, sich auf den entsetzlichen Gebieter zu werfen und ihn zu erdrosseln, aber die Liebe zum Leben und der Durst nach möglichst großem und schnellem Gewinn siegten. Den wüsten Kopf auf beide Hände stützend, sah er starr vor sich nieder, ohne einen klaren Gedanken zu fassen.
»Wenn Sie die Güte haben wollen, Herr Klütken, mir Ihren Entschluß kund zu thnn, so mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Ihnen grade noch eine halbe Minute Zeit dazu übrig bleibt!«
Er öffnete ruhig die Thür und rief:
»Jussuff, in einer Minute reise ich ab! Sag' es meinem Diener.«
Und wieder trat er mit dem kalten unerbittlichen Auge eines Todtenrichters vor den noch immer Zaudernden.
»Acht Secunden, mein Herr!«
»Donner und Höllenbrand,« fuhr Klütken-Hannes auf, »wenn's nun einmal nicht anders sein soll, so will ich mit saufen! Läuft's schlecht ab, je nun, so war der Rausch vor dem verfluchten Endreigen doch lustig! Hier meine Hand! Von morgen an soll Martell und wer zu ihm hält, doppelte Portionen schlucken!«
»Gute Nacht, Herr Klütken. Ich danke Ihnen verbindlichst!«
»Es ist mir ganz lieb, wenn sie Alle mit einander zum Teufel fahren. Bleibt auch nur Einer am Leben, so wäre ich keine Stunde mehr mein eigener Herr! Nein, fort müssen sie, fort für immer! Und im Grunde kann man dieser versoffenen Canaille keinen größern Dienst erweisen! – O über den Esel! Zu glauben, ich würde einen Kerl seines Charakters für einen Schurkendienst Gott weiß wie viele Jahre gleich einem Fürsten erhalten!«
Mit Behagen schlürfte er sein Glas Punsch, ließ sich dann von Jussuff in die Kalesche helfen und fuhr, sehr zufrieden mit seinem Verfahren, wieder nach Boberstein zurück. Ungeachtet der entsetzlichen Finsterniß und der schrecklichen Waldwege erreichte er es doch ungefährdet.
Klütken-Hannes verlebte eine qualvolle Nacht; denn zu seinem Entsetzen mußte er
sich die hämischen Vorwürfe seines Verführers und Dieners gefallen lassen, ohne
ein Wort darauf erwiedern zu können. Seit undenklichen Zeiten zum ersten Male
genoß er keine berauschenden
Gegen Sonnenaufgang schlichen sich die beiden Verworfenen wieder in Köhlertracht durch das undurchdringlichste Dickicht und erreichten auf großen Umwegen gegen Mittag das Dorf am See.
Unter dem Geläut der Feierabendglocke fuhren unsere Freunde durch das Dorf nach dem Zeiselhofe. Sie wurden von manchem Vorübergehenden, der eben seine Mütze zum Gebet abnahm, freundlich gegrüßt; denn in dieser Gegend waltet noch die fromme Sitte, beim Mittag- und Abendläuten, sei's unter freiem Himmel oder im heimlichen Zimmer, mit entblößtem Haupt ein Vaterunser zu beten.
Nach alter Gewohnheit pflegte der Maulwurffänger immer zuerst die Gesindestube
zu betreten, um entweder seinen Ranzen nebst Fangdrähten, oder was er sonst
grade bei sich trug, abzulegen, oder sich daselbst nach dem Gebieter zu
erkundigen. Sloboda hatte von seinem alten
Als Pink-Heinrich die schwere Lehmthüre aufzog, gewahrte er in dem großen Raume eine Scene, die ihm ein paar Secunden lang an die Schwelle fesselte.
Wir bitten den Leser, sich zu erinnern, daß die Gesindestube im Zeiselhofe ein großes, mehr langes als breites Zimmer war mit einer Menge Fenster, einer sehr langen Tafel von grobem Holz und einer rund um die Wand laufenden Bank. Dieses Zimmer hatte im Laufe der Zeit keine Veränderung erlitten, es war nicht einmal ausgeweißt worden. Der ungeheure Kachelofen mit dem bequemen Lager hinter ihm, dieselben Schemel und Bänke, wie vor vierzig Jahren, nur wurmstichiger als damals, füllten den nicht eben freundlichen Raum. Sogar das Gezirp und Geschrill der zahllosen Heimchen hatte sich eher vermehrt als vermindert, denn Niemand war es eingefallen, diese unschuldigen Thierchen zu vertreiben.
In diesem Raume nun, den außer den dunkel brennenden Spänen an beiden Enden der
langen Gesindetafel noch einige dünne Talglichter sehr unvollkommen
erleuchteten, gewahrte der Maulwurffänger eine rührende Gruppe. Umwallt von
bläulichen Rauchwolken, die aus dem erlöschenden Wacholderreisigfeuer auf dem
geziegelten Theile der großen Stube aufwirbelten, saß eine hagere, fast ganz
weiß gekleidete Frau in Landestracht auf der Ofenbank. Um den Kopf trug sie
nach Art alter Frauen ein blau und weiß geblümtes Tuch, das am Hinterkopf in
einen einfachen Knoten verschlungen war und beide Zipfel nach beiden Seiten
steif ausbreitete.
»Du mein Jesus, Marie!« rief jetzt der Maulwurffänger und schritt hastig auf
die Gruppe am Ofen zu. »Kehren denn die alten Zeiten zurück ganz und gar? Wie
viele Male habe ich Dich just auf demselben Oertl sitzen und weinen sehen, wenn
ich des Abends einsprach um Essenszeit und der arge Schalk von Großknecht, der
nun so lange Jahre schon Dein Eheherr ist, Dir die Suppe mit dem graugrünen
Heimlichzeuge verdarb! Aber was weinst Du denn, Marie? Ist's nicht eine rechte
Gottesfügung, daß er Alle, die sich lieb haben, so kurz vorm Niederlegen zum
ewigen Schlafe, noch einmal zusammenführt? Ich meines Theils danke ihm dafür
Und der treuherzige Mann reichte sowohl Vater wie Sohn seine harte ehrliche Hand.
Die blinde Marie erkannte den alten Freund an der Stimme. Gewaltsam hielt sie die Thränen zurück, stammelte einen guten Abend und streckte ihm ihre weiße abgemagerte Hand entgegen.
»Sapperment, bin ich denn gar so durchsichtig geworden?« lachte der Maulwurffänger. »Du greifst ja frisch weg in den blauen Dunst hinein, der mich gar angenehm in die Nase sticht! Hier, alte Mutter, hier ist der gutmüthige Narr, der sein Lebelang für andere Leute seine eigene Haut zu Markte trug!«
»Gott erhalte Dich noch lange gesund, Heinrich!« erwiederte Marie, mit beiden
Händen die
»Das wolle er in Gnaden thun, der gute alte Gott, sonst möcht' es mir übel ergehen auf meine alten Tage! Ich habe weder Kind noch Kegel, und die Hand, die mich pflegen wird, soll noch geboren werden.«
»Wir setzten uns dann neben einander, Heinrich, auf den grünen Plan vor dem Gemeindehause, und wenn wir die warme Sonne auf dem Gesichte fühlten, bildeten wir uns ein, wir könnten auch noch die von ihr beschienene Landschaft sehen.«
»Aber Marie! Wie magst Du so reden!«
»Die Mutter ist blind,« sagte Eduard kalt. »In der Stunde, wo das Licht ihrer Augen erlosch, ging unser Häuschen in Flammen auf und ich verbrannte mich zum Krüppel! Auf dieser Welt kann ich keinen Faden mehr drehen, keinen Schützen mehr schnellen! Ich muß eben betteln gehen, wenn mitleidige Seelen sich meiner nicht erbarmen.«
Der Maulwurffänger erblaßte bei dieser Nachricht, seine stets sichere Hand
zitterte. Er
»Wie war dies möglich, Marie?« sagte er nach einer Pause. »Wie bist Du um Deine Augen gekommen, armer Engel?«
»Durch die Arbeit!« seufzte die Blinde. »Das Weben bei Nacht vertrugen meine
Augen nicht, und weil sie mich so sehr schmerzten und das Licht nicht mehr
ertragen konnten, löschte sie der liebe Gott lieber ganz aus. Seit ich blind
bin, habe ich keine Schmerzen mehr. Auch das Leid Anderer rührt mich nicht,
denn ich sehe ja nicht ihr Elend! O ich sage Dir, Pink-Heinrich, eine größere
Wohlthat als Blindheit kann es für den gefühlvollen Armen nicht geben! Ihn
»Hat Euch Paul mein Schreiben eingehändigt?« fragte jetzt Aurel, um diesen schmerzlichen Auftritt zu beendigen. »Ich bin dann begierig, Eure Meinung zu hören.«
»Um uns mit Ihnen zu berathen, Herr Kapitän, sind wir Beide, Sloboda und ich, unverweilt mit Paul hierher gekommen. Es steht nicht Alles gut um Boberstein!«
»Von meinem Enkel erfuhren wir die Verirrung Martells,« sagte der alte Wende. »Wir vermuthen, daß eine böse List dahinter verborgen liegt.«
»Dieser Ansicht bin ich ebenfalls, wackere Freunde, doch macht sie mir wenig
Sorge. Martell ist ein sehr kräftiger Mann, den sein geistiger Stolz schon
nicht untergehen läßt. Er
»Blos unbestimmte, Herr Kapitän.«
»Laßt hören!«
»Bewahre mich der Himmel! Was ich denke, erfährt gegenwärtig kein Mensch! Aber ich bin der Meinung, Spione nach Boberstein zu schicken.«
»Wollt Ihr selbst einen so schwierigen Posten übernehmen?«
»Hätte ich nur zwanzig Jahre weniger auf dem Rücken, so machte ich mir wohl den Spaß, aber jetzt, Herr Kapitän, jetzt bin ich doch etwas zu unzuverlässig geworden. Ein flinker Junge wie der Gilbert ist der rechte Mann dazu.«
»Er ist zu leichtsinnig, zu verliebt!«
»Desto mehr wagt er, und einen Wagehals brauchen wir. Kann er auch zechen?«
»Wie ein Bacchus!«
»So ist er wie geschaffen zu dem Posten, den ich ihm zugedacht habe.«
»Einen Gefährten und einen Spion zugleich! Ein Bursche, der es mit dem Spinner und seinen Freunden aufnimmt, kann auch erfahren, wer den fremden Köhlern immer von Neuem den Geldbeutel füllt!«
Dies leuchtete Aurel ein, und nach kurzem Bedenken gab er seine Zustimmung.
Unterdessen war es auch den vereinten Bemühungen Hertas und Elwirens gelungen,
die Blinde zu beruhigen, indem sie nicht allein ihr selbst, sondern eben so
bestimmt auch Leberecht und Eduard Obdach und Unterhalt zusicherten. Marie
preßte Herta's Hände wiederholt an ihre Lippen, ohne Worte des Dankes für so
viel Liebe und Theilnahme zu finden. Es erschütterte die gealterte, von tausend
Stürmen durch ein sorgenschweres Leben gepeitschte Frau tief, daß sie am Ende
ihres Erdenwandels wieder durch die Noth an dieselbe Bank gefesselt war, die
sie vor mehr als vierzig Jahren ebenfalls nur zu ihrem traurigen Ruhesitz hatte
erwählen müssen. Nur waren die Gefühle, welche jetzt in ihr aufstiegen, Gefühle
des Dankes, und
Mit einigem Geräusch erschienen jetzt die Knechte und Mägde, um ihr frugales Abendbrod gemeinsam zu verzehren. Aurel hatte nicht die Absicht, durch seine und der Frauen Gegenwart diese braven, arbeitsamen Menschen in ihrer Unterhaltung zu stören, und bot deshalb seiner Tante den Arm, um sie in ihre Zimmer zu geleiten.
»Ich hoffe, Ihr und Euer alter Freund werdet den Thee mit uns trinken,« sagte er im Aufbrechen zu dem Maulwurffänger. »Gilbert wird ebenfalls erscheinen und so können wir ohne große Mühe gleich Alles ins Reine bringen.«
Der Maulwurffänger schlug blinzelnd sein graues Auge zu dem Kapitän auf und sah ihn mit der schlauesten Miene an, die seine Gesichtszüge annehmen konnten.
»Wollen der Herr Kapitän, daß ich oberländisch sprechen darf?« sagte er lächelnd.
»Ganz nach Belieben, braver Alter!«
»Nun dann bitt' ich ganz gehorsamst um Urlaub, mein Herr Kapitän! Die gnädige
Gräfin
Dies Lob des alten Mannes machte die Blinde lächeln. Zugleich ward sie aber
auch gerührt
»Habt Dank, Alter! Die blinde Mutter wird heut mit Euch zu Abend essen, und wenn auch ein paar Thränen aus ihren erloschenen Augen mit auf Euern hölzernen Teller fallen, Ihr werdet ihr deshalb doch nicht grollen.«
Herta traten die Thränen in die Augen. Sie entzog Aurel ihren Arm, um in dem vorgehaltenen Taschentuche ihre Rührung zu verbergen.
»Gelt, Herr Kapitän, Sie entschuldigen den Grobian von Maulwurffänger und lassen ihn in der alten räucherigen Erdfahrt, in die er von Rechts wegen gehört?«
»Gott segne Euch und Euer Mahl!« rief Aurel bewegt. »Laßt es Euch so wohl schmecken wie in Euren besten Tagen! Gilbert werde ich von Euch grüßen und auf seine Sendung vorbereiten.«
Unter dem lauten und gemeinsamen Zuruf aller Dienstboten, die ihrer Herrschaft von Herzen gute Nacht wünschten, verließ Aurel mit Herta und Elwire die Gesindestube.
Auf dem Wege nach dem Herrnhause fragte
Mit niedergeschlagenen Augen begrüßte Elwire ihren Vetter. Auch Aurel war ein klein wenig befangen, da er heut nicht seinen gewöhnlichen, scherzhaft kecken Ton anstimmen wollte, in den er gern bei ungenirter Unterhaltung mit jungen Mädchen verfiel.
»Liebe Elwire,« sagte er nach einigen unbedeutenden Fragen, die das kluge Mädchen gewiß belacht hätte, wäre sie nicht eben so befangen gewesen, wie Aurel. »Liebe Elrwire, ich erbat mir die Erlaubniß zu diesem Gespräch unter vier Augen, um von Ihren schönen Lippen mein Schicksal zu erfahren.«
»Glauben Sie, daß ich wahrsagen kann?« fiel Elwire mit einem reizenden Anflug
von Uebermuth ein. »Emma hat mir nie Unterricht gegeben in der Kunst, aus den
gemalten Herzen auf
»Sie spotten, Elwire! Ist es möglich, daß Sie mich so gar nicht verstehen, daß ich Ihnen ein Fremder geblieben bin?«
Auf diese mit sichtbarer innerer Bewegung gesprochenen Worte senkte Elwire den Kopf und seufzte. »Bitte, sprechen Sie!« sagte sie kaum hörbar, aber unendlich sanft und zärtlich.
»Ja, das sind Sie, das ist wieder die schüchterne Taube, die sich duckend an meine schützende Brust flüchtete und an dieser wieder zum Leben erwachte! – Wozu viele Worte machen, theure Elwire, wozu in langen nichtssagenden Tiraden die heiligsten Empfindungen des Herzens profanisiren, wenn es doch so einfach, so natürlich ist, durch einen einzigen Blick, einen herzlichen Händedruck sich zu verständigen! Sie kennen mich zur Genüge, meine schöne Cousine, um längst zu wissen, daß ich ein Feind aller Umschweife bin. Ich liebe ein gerades, offenes Wesen, ein klares bestimmtes Wort. Ein solches Wort will ich jetzt an Sie richten, indem ich die Bitte hinzufüge, mir durch ein eben so gerades Wort zu antworten. Wollen Sie?«
»Wir dürfen hoffen,« suhr Aurel fort, »daß binnen wenigen Monden dieser
anscheinend so verwickelte Proze?, der uns hier zusammengeführt hat, sein Ende
erreicht. Ich bin keineswegs in Sorge oder nur zweifelhaft über seinen Ausgang,
denn Alles, was zur Bildung eines gerechten Urtheils, selbst im Sinne unserer
höchst unvollkommenen Gesetze nöthig war, ist beinahe im Uebermaße vorhanden.
Alle aufgefundenen Documente sind als ächt von Zeugen beschworen worden und so
hat denn unser altes sündhaftes Geschlecht eine Anzahl von Verwandten bekommen,
die späterhin nach Maßgabe des Richterspruches Antheil haben werden an unsern
Gütern. Ich weiß aus den Berichten unseres Anwaltes, daß dieser Spruch sehr
bald erfolgen wird und muß, und bin schon jetzt hoch erfreut darüber, da viele
Menschen durch ihn glücklich, wohl nur ein Einziger unglücklich werden wird.
Daß dieser Einzige grade mein ältester Bruder
»So lange meine geliebte Tante lebt, werde ich mich nicht von ihr trennen!«
»Unter keiner Bedingung, Elwire? Wirklich unter keiner? – Sie seufzen! Ach geben Sie diesem Seufzer Worte! Lassen Sie Ihr Herz sprechen, wie das meinige zu Ihnen spricht! Knüpfen Sie Ihr Schicksal an das meinige!«
Aurel fühlte die Hand Elwirens in der seinigen zittern, aber sie schwieg, den Blick zu Boden gesenkt. Mit gedämpfter Stimme fuhr Aurel fort:
»Ein Wort, Elwire, ein einziges Wort genügt, um mich glücklich zu machen!
Können Sie
Aurel drückte heftig ihre Hand an seine Lippen und heftete wieder fragend sein brennendes Auge auf die liebliche zarte Gestalt.
»Elwire!« bat er. »Ist es denn so schwer, sich zu entscheiden? Laß mich in Dein Auge schauen! In ihm will ich lesen, ob über meinem zukünftigen Dasein der Azurbogen eines sonnigen Himmels schweben soll!«
Da erhob Elwire zögernd ihr schönes Haupt, die Blicke begegneten sich und jauchzend sanken sie einander in die Arme.
»Ewig Dein!« hauchte Elwire, als Aurel die bebende Braut wieder aufrichtete. »Möchte es mir nur auch vergönnt sein, Dir ein kleiner lichter Stern am Himmel Deines Lebens zu werden!«
Lächelnd schloß ihr Aurel den lieblichen Mund durch einen Kuß.
»Zu Herta!« sagte er. »Die Großmutter
Elwire lächelte jetzt ebenfalls schelmisch, hüpfte leichten Fußes am Arme Aurels in Herta's Zimmer und ließ sich von dem Kapitän der liebreichen Tante als Braut vorstellen.
»Hat sie doch endlich geplaudert, der liebe Schalk?« sagte Herta, legte die Hände der Liebenden in einander und gab ihnen ihren großmütterlichen Segen.
Als gleich darauf Gilbert eintrat und die Verlobung erfuhr, schnitt er ein sehr verdrießliches Gesicht, das sich indeß sehr bald wieder aufheiterte, da er den Auftrag erhielt, am nächsten Tage nach Boberstein abzureisen.
»Das ist höchst gescheidt von dem Kapitän,« sagte er nach eingenommenem Thee. »Heirathen mag ich zwar nicht, aber lieben muß ich wieder. Und dazu ist Bianca die passendste Person!«
Es schlug neun auf der Fabrikuhr. Die Nacht war finster, die Luft still. Das gewöhnliche Brausen der Haide erstarb in einem kaum bemerkbaren Säuseln und Flüstern. Als der letzte Glockenschlag verhallte, stieß die Fähre vom Lande und durchschnitt langsam die trägen schwarzen Gewässer des See's, der große schwere Eisschollen in Menge trieb.
Auf dieser Fähre kehrte Adrian von seinem heimlichen Besuche im Raubhause zurück. Es war derselbe Abend, an dem wir die blinde Marie auf dem Zeiselhofe begrüßt haben, beinah dieselbe Stunde, in welcher Aurel Elwiren seine Liebe gestand.
Adrian holte tief und seufzend Athem, als
Wie kam es, daß Adrian sein hohles Auge unter Herzklopfen an jenen irrlicht trüben Lichtschimmer heftete, der spielend auf dem Gewässer gaukelte? Um diesen geheimnißvollen Zauber zu begreifen, müssen wir die prächtige Wohnung des Fabrikherrn betreten und uns in dieser etwas genauer umsehen. –
Hier kommen wir in ein kleines behagliches Zimmer, dessen Wände mit blauen
Tapeten ausgeschlagen sind. Ein reiches Möblement gibt diesem wohnlichen Zimmer
jenen fesselnden Reiz, den wahrer Comfort immer mit sich führt. Vor einem hohen
und breiten, in kostbaren Goldrahmen gefaßten Spiegel brennen auf zwei
dreiarmigen Leuchtern starke Wachskerzen und gießen ihr volles stilles Licht
über eine weibliche Gestalt aus, die auf gesticktem Sessel in einem blendend
Dieses Mädchen ist Bianca, die ihre Abendtoilette macht. Die zarten Hüllen des weißen Kleides mit den kurzen Aermeln, die ein breiter Spitzenbesatz umflattert, zeigen ihren schlanken und doch edlen Wuchs auf das Vortheilhafteste und erhöhen die natürliche Anmuth des schönen Geschöpfes noch durch ihre ausgesuchte Einfachheit, in welcher ein Kenner die raffinirteste Koketterie erblicken würde.
Bianca betrachtet sich lange im Spiegel, läßt die starken schwarzen Locken so
lange durch ihre Finger laufen, bis sie die marmorweißen vollen Schultern
berühren, welche das weit ausgeschnittene Kleid nicht verhüllt. Um den
schlanken Hals trägt sie ein Collier von ächten Perlen, deren reines Wasser
gegen den zarten Glanz der sammetnen Haut nicht aufkommen kann. Es ist ein
Geschenk Adrians, Bianca
Bianca machte ihrem Spiegelbilde mit reizendem Lächeln eine graziöse
Verbeugung, setzte den Leuchter wieder fort und schlang ein rosaseidnes Band
gürtelartig um ihre schlanke Taille. Erst nachdem dies geschehen war, erklärte
sie mit stolzem Kopfnicken ihre Toilette für beendigt, schritt bedächtig durch
mehrere Gemächer, bis sie Adrians Wohnzimmer erreichte, wo sie Alles zum
Abendtisch ordnete. Dann zog sie sich zurück und ging, die Hände über
Bald darauf hörte sie die befehlshaberische Stimme Adrians. Sie erbebte leis
und ein fulckelnder Blitz schoß aus ihren großen schwarzen Augen. Ihre
schwellenden Lippen zuckten und ein Zug bitteren Hohnes, ja tiefer Verachtung
verunstaltete auf einige Secunden ihr tadellos schönes Gesicht. Lauschend blieb
sie an der Thür stehen, die Stirn in ihre linke Hand stützend, an deren kleinem
Finger ein Brillantring blitzte. Als sie sich überzeugt hatte, daß ihr Gebieter
nach seinem Zimmer gegangen sei, zog sie ein zusammengefalteles Blatt aus dem
Busen, schlang schnell eine bereit liegende Schnur darum, an welcher ein
Schlüssel hing, öffnete eben so rasch Fenster und Jalousie und warf Beides
unter dreimaligem Husten hinaus. Bald darauf schlüpfte hinter der Scheuer, auf
deren Tenne Adrian die verhungerten Kinder ausgestellt hatte, eine dunkle hohe
Gestalt hervor, schlich behutsam nach dem Hause und ergriff das weiße Papier,
das Bianca absichtlich ruckweise am Boden flattern ließ. Als sie es in den
rechten Händen wußte, ließ sie die Schnur
Wieder trat sie vor den Spiegel, um sich von ihrem Liebreiz zu überzeugen. Sie sah jetzt weit bleicher aus, als zuvor, allein diese Blässe that ihren Reizen keinen Abbruch, sondern machte sie eher noch verführerischer. Selbst ihr Lächeln, das nichts weiblich Sanftes an sich hatte, und nur wie eine Maske über die ursprünglich reinen Züge geworfen war, konnte durch die Eigenthümlichkeit des spöttischen Ausdruckes bezaubern, in dem sich Schallhaftigkeit und Laune höchst anmuthig umarmten.
Fast erschöpft lehnte sich Bianca jetzt an den Divan und wartete ruhig, bis sie Adrians Schritte vernahm. Vor diesem Tone schauderte sie zusammen, ob vor Wonne oder Entsetzen würde schwer zu entscheiden gewesen sein, denn ihr Blick blieb kalt, ihre Miene ruhig.
Sie ergriff abermals einen der Armleuchter, und indem sie das Zimmer verließ, sprach sie flüsternd zu sich selbst:
»Nun, Gott der Rache, sende mir Deine schrecklichen Engel, daß ich ihn züchtigen mag, wie er es verdient hat!«
Der Herr am Stein war sehr zufrieden mit seiner jungen schönen Haushälterin. Bianca war fleißig, sorgsam, accurat und die Aufmerksamkeit selbst. Besser war Adrian nie bedient worden, delicater hatte er nie gespeist. Und was ihm besonders gefiel, war, daß Bianca selbst die Stelle eines Dieners versah und ihm eigenhändig die Speisen reichte. Dabei erschien sie täglich in geschmackvoller Kleidung, immer einfach und immer reizend.
Zwar bat Adrian das schöne Mädchen, es möge die Aufwartung seinen Bedienten überlassen und Theil nehmen an seinem Mahle; wie dringend er aber auch bat, Bianca ließ sich nicht dazu bewegen. Sie wisse gar wohl, was ihr zukomme, behauptete sie mit dem allerschelmischsten Blick ihrer leidenschaftlichen Augen, und wenn der gnädige Herr nur zufrieden sei mit ihren Leistungen, so würde sie mit dem größten Vergnügen als Dienerin ihm während der Mahlzeit Gesellschaft leisten. –
Von diesem Entschlusse war Bianca nicht abzubringen, so große Mühe sich Adrian
auch
Schon beim ersten Besuche Bianca's war Adrian in das Netz dieses unendlich
verführerischen Geschöpfes gerathen, wie wir wissen. Das heitere, verschämte,
naive Mädchen hatte ihn so gefesselt, daß er bei sich beschloß, ihr nach
Beendigung des Prozesses seine Hand zu reichen. Daß Bianca einen solchen ihr
gemachten Antrag ausschlagen könne, daran dachte er nicht. Er selbst glaubte
sich noch rüstig und liebenswürdig
Durch dieses schlaue Betragen erreichte Bianca in unglaublich kurzer Zeit ihren Zweck. Es war wohlüberdachter Plan bei ihr, den Verführer und Mörder ihrer armen Schwester bis zum Wahnsinn in sich verliebt zu machen, ohne die geringste Hoffnung auf Gegenliebe in ihm aufkommen zu lassen. Sie wußte im Voraus, daß ihr dies vollkommen gelingen würde, und deshalb rüstete sie sich mit dem ganzen Scharfsinn weiblicher List aus, um Schritt vor Schritt langsam und sicher ihr Opfer zu umgarnen.
Adrian widerstand Bianca's meisterhaft geheuchelter Zärtlichkeit, die jedoch
immer die Zärtlichkeit eines schuldlosen Kindes von höchster Anmuth blieb,
nicht einen Tag, er widerstand ihr um so weniger, als er das reizende Mädchen
zu seiner Gattin erheben und durch Freundlichkeit sich ihm geneigt machen
wollte. Darum überhäufte er sie schnell mit kostbaren Geschenken und ließ sie
ahnen, was er für sie fühlte. Ihr scheues Zurückschrecken bei solchen
Andeutungen war ihm freilich nicht angenehm, da es
Am Tage war dieser Zustand noch zu ertragen, denn dann weidete sich der
unglückliche Liebende an seiner grausamen Zauberin, aber des Nachts erreichte
die Pein der rasenden Leidenschaft, die sich seiner bemächtigt hatte, die
größte Höhe irdischer Folterqualen. Adrian fiel in einen traumdurchrasten
Schlaf, der ihm in tausend bunten Gestalten immer und immer Bianca's
liebreizende Gestalt vorführte, und zwar in so lockender Schöne, daß ein
Verschwinden dieses lächelnd an ihn heranschwebenden Bildes dem furchtbarsten
Seelenschmerz gleichkan. Und doch
Diese göttlichen Träume voll süßer Höllenqualen wechselten ab mit jenen düstern Erscheinungen, die Adrian seit seiner Krankheit häufig im Schlafe verfolgten, wie wir wissen. Auf diese Weise glich sein Leben seit Bianca zu ihm gezogen war, einer nie endenden Folter. Er mußte sich dies selbst gestehen, aber schon hatte ihn die grausame Schöne so ganz mit ihren diabolischen Zauberfäden umsponnen, daß er lieber diese Qual fort erdulden und sie immer um sich wissen, als ohne sie in vielleicht ähnlicher Pein fortleben wollte.
Der schlauen, ihren Plan mit wahrhaft
Da flog ein glänzendes Lächeln rachsüchtiger Freude über die schönen Züge des Mädchens, und die kleine Hand ballend, schwor sie, dem Verhaßten noch schrecklichere Qualen zu bereiten.
Die Folter des Unglücklichen sollte in dieser Nacht beginnen!
Um ihren Zweck zu erreichen, hatte sich Bianca mehr wie je mit allem Liebreiz
geschmückt und keine der vielen kleinen Toilettenkünste verschmäht,
Adrian hatte, ermüdet von der beschwerlichen nächtlichen Fahrt durch den morastigen Wald, bereits sein Hauslkeid angelegt und es sich in dem behaglichen Zimmer bequem gemacht. Auf Bianca's Befehl war der runde Tisch schon gedeckt und mit Allem versehen, was zu einem reichlichen Abendimbiß erforderlich war. Sie selbst hatte nur für Bereitung des Thees Sorge zu tragen, und den Grafen, wie er es seit Kurzem gewohnt war, in ihrer anmuthigen und graziösen Weise zu bedienen.
Heiter lächelnd trat die Sirene Adrian entgegen, grüßte ihn mit zierlicher Verbeugung, wußte aber auch sogleich ihren so eben noch überaus muntern Zügen einen Ausdruck der Bestürzung und Sorge zu verleihen, welcher den Grafen vollkommen täuschte.
»Mein Gott!« rief sie mit geheucheltem Schrecken aus, ihr Arbeitskörbchen neben
die singende Theemaschine setzend und lebhaft auf den Gebieter zuschreitend.
»Wie blaß, wie angegriffen
Und Bianca legte sanft schmeichelnd ihre weiche warme Hand auf die Stirn des Grafen, der unter dieser magnetischen Berührung in süßen Schauern erbebte.
»Sehe ich denn wirklich so angegriffen aus, gutes Kind?« erwiederte er lächelnd. »Nun, wenn dies der Fall ist, so mag die Ursache davon wohl anderswo zu suchen sein, als in meiner heutigen, allerdings angreifenden Waldreise. Wäre ich aber auch zum Tode krank, von solchen Engelslippen bedauert, von so theilnehmendem Auge angeblickt, würde ich alsbald genesen! Theure Bianca, eine Berührnng Ihrer Hand hat tausendmal mehr Wunderkraft, als alle Arzneien der Welt! Wissen Sie, schönes Kind, daß Sie heut entzückend sind?«
»Gefalle ich Ihnen?« fragte die Verführerin zurück, indem sie die vergoldete
Tasse des Grafen
»Offenbarer Neid gefallsüchtiger Mädchen! Ich finde, daß keine Farbe besser zu dem glänzenden Schwarz Ihrer Haare paßt, als dieses durchsichtige silberweiße Gewebe! Und welche Einfachheit! Welcher Geschmack! Man sollte glauben, Sie hätten Jahre lang die Kunst der Toilette auf der Bühne studirt, so meisterhaft finde ich Ihren Anzug den Regeln des guten Geschmackes angepaßt!«
»Da machen Sie mir ein sehr zweideutiges Compliment, gnädigster Herr,« versetzte Bianca schelmisch. »Wir armen Mädchen halten uns immer für geborene Genies, was Geschmack anbelangt, und da uns die Natur so stiefmütterlich ausgestattet hat den Männern gegenüber, so sind wir ja schon gezwungen, unsern Geschmack zu bilden, um mittelst einiger Bänder, Spitzen und Haarwickel die Mängel vergessen zu machen, die uns in so abhängiger Stellung erhalten.«
»Ich kann Ihnen die Versicherung geben,
Bianca nippte mit großer Zierrlichkeit ihren Thee, wobei sie nicht unterließ, häufig zu Adrian aufzublicken und ihre schönen Zähne aus dem feuchten Purpur ihrer vollen Lippen hervorglänzen zu lassen. Jetzt schob sie ihren Sessel um einen Schritt näher an den Lehnstuhl Adrians, und indem sie ihren bloßen vollen Arm auf die purpursammetne Lehne desselben legte und ihre zarten Finger mit dem Rosabande spielen ließ, das ihre Taille umschlang, sagte sie naiv:
»Wie muß nur das sein, gnädiger Herr, wenn man von Leidenschaft hingerissen wird?«
Ihre schwarzen Augen ruhten bei dieser verführerischen Frage mit so innigem warmen Ausdruck auf Adrian, daß diesem fast die Sinne vergingen. Er suchte sich indeß zu mäßigen und fragte das verführerische Mädchen seinerseits:
»Hat Ihnen denn noch kein Mann eine Neigung abgewinnen können?«
»Ich bin allen hübschen und artigen Männern
»Wahrhaftig, Bianca?«
»Ganz im Ernst, Herr am Stein! Ein Mädchen, das so allein, so ganz einsam in der Welt dasteht, wie ich, hat wahrhaftig kein beneidenswerthes Loos gezogen! Man täuscht, man betrügt uns und macht uns zuletzt unglücklich!«
Ein paar Thränen stürzten in Bianca's Augen. Sie zupfte zerstreut an ihrem
Kleide und wußte dadurch geschickt ihren wunderhübschen Fuß zu enthüllen, den
ein feiner durchbrochener Strumpf kaum bedeckte. Diesen reizenden Fuß stellte
sie jetzt absichtlich auf ein niedriges Tabourett, das Adrian immer neben sich
stehen hatte, um ebenfalls bisweilen seine Füße, in denen er oft Anfälle
podagrischer Schmerzen fühlte, darauf ruhen zu lassen. Sie bewegte das zierlich
gebildete Füßchen so kokett in dem schmalen Atlasschuh, daß Adrians Herz
heftiger zu schlagen
»O bitte, gnädigster Herr!« sagte Bianca, den Arm zurückziehend. »Eine solche Huldigung könnte mich ja eitel machen! Man küßt, so viel ich aus Büchern und Erzählungen weiß, nur vornehmen Damen, Gräfinnen und Prinzessinnen die schönen Hände. Arme Mädchen, wie ich, müssen sich solche Aufmerksamkeiten verbitten.«
»Von der Hand zum Munde ist nicht aus der Welt, Sie lieber Schalk!« erwiederte Herr am Stein. »Und da Sie nach Ihrem eigenen Geständniß noch gar nicht wissen, wie man liebt, so will ich Ihnen für Ihre kleine Bosheit die Ahnung dieser Empfindung beibringen!«
Und mit gewandtem Arm unrschlang Adrian Bianca's vollen Körper, zog sie an sich und drückte heiße, flammende Küsse auf ihren Mund.
Zitternd und erröthend entwand sich das reizende Mädchen der heftigen Umarmung des Grafen, indem sie ihn zürnend anblickte.
»Gnädigster Herr,« sagte sie, die klare
Sie stand auf und schenkte in einer wo möglich noch koketteren Stellung abermals Thee ein. Dabei kehrte sie dem Grafen halb den Rücken zu, so daß die Flamme der Astrallampe ihren vollen Schein über sie ausgoß und die anmuthigen Rundungen ihrer classischen Formen durch die leichte Gewandung deutlich erkennen ließ.
»Aber Bianca!« rief Adrian aufgeregt.
»Sie befehlen, Herr Graf?« sagte die Schöne und wendete, schon wieder schelmisch lächelnd, ihr volles Gesicht mit den tanzenden schwarzen Locken gegen ihn.
»Schelten Sie mich, lachen Sie mich aus, nennen Sie mich einen Thoren, ja
mißhandeln Sie mich, wenn Sie wollen, nur dulden Sie es, daß ich Sie lieben
darf, Bianca!« rief Adrian leidenschaftlich, indem er den Sessel, welchen
Bianca inne hatte, näher an seinen Sitz zog. Diese sah ihn mit großen Augen
verwundert an, nur auf ihren Lippen spielte ein schalkhaftes
»Wenn ich nun thörigt genug wäre, Ihre in einem Moment der Aufregung gesprochenen Worte für wahr zu halten,« sagte Bianca, indem sie ihren Kopf so gegen den Grafen beugte, daß eine ihrer glänzenden Locken fast dessen Lippen berührte, »wenn ich solch eine Thörin wäre, dann würde ich mich wahrscheinlich in Ihre Arme werfen und, wenn ich im Herzen auch nichts für Sie fühlte, Ihnen eine glühende Leidenschaft heucheln. Ich bin aber weder so albern noch so eingebildet, und deshalb erlaube ich mir denn, Ihnen auf das Freundschaftlichste für die mir zugedachte Ehre zu danken und sich vor der Hand noch mit meiner vollkommensten Achtung und innigsten Freundschaft zu begnügen! Sind der gnädigste Herr damit zufrieden?«
Wieder ruhten Biancas Augen mit unbeschreiblichem Liebeszauber auf Adrian,
während jeder Zug ihres lieblichen Gesichtes nur dankbare Ergebenheit
ausdrückte. Der wunderbaren
»Bianca! Geliebte Bianca, habe Mitleid mit einem Unglücklichen!«
Bianca lächelte noch reizender und beugte sich, da sie das tändelnde Zupfen Adrians an ihrer Locke schmerzlich empfand, so über ihn, daß der Graf ihren nur halb bedeckten wallenden Busen erblicken mußte.
»Haben Sie lieber Mitleid mit nur, Sie raufen mich ja!«
»Ich sterbe, Bianca!«
»Vor Liebe? Behüte Gott! Man sagt ja immer, die Liebe belebe, das Auge der Geliebten sei die Sonne, in deren Licht der Liebende die Seligkeiten und Wonnen des ewigen Lebens empfinde! Nun, ich dächte, dieses Auge wäre Ihnen doch jetzt nahe genug? Oder muß ich Sie mit meinen Blicken versengen?«
»Könnt' ich sterben in Deinen Armen, Grausame!« stammelte der Graf, die erfaßte Locke des schönen Mädchens immer fester um seine Finger schlingend. »Jahrtausende des verheißenen jenseitigen Lebens wollte ich dafür opfern!«
»Pfui, gnädigster Herr, wer wird einem
»Sprich, daß Du mich lieben willst, Bianca! Versprich, meine Geliebte, mein Weib zu werden! Alles was ich besitze, soll Dein sein! ... Nur verstoße, verschmähe mich nicht!«
Und Adrian preßte seinen Mund wie ein Rasender auf den klopfenden Busen Biancas.
Satanischer Freudenglanz strahlte in diesem Moment aus den Augen der schönen Sünderin. Secundenlang ließ sie den vor Liebe und Wollust zitternden Grafen in ihren Reizen schwelgen, dann entriß sie ihm die festgehaltene Locke und sprang, ihn von sich stoßend, zurück. Adrian wollte ihr folgen.
»Keinen Schritt, mein Herr, oder ich muß nach Hilfe rufen!« sagte Bianca mit
einer Stimme, die vor Entrüstung zitterte und von Thränen des Zorns gedämpft
ward. »Es ist abscheulich, ein schwaches Mädchen auf so hinterlistige Weise
festzuhalten und mit Küssen fast zu
Dies »gute Nacht!« klang bereits wieder so verlockend, so sanft und süß, daß Adrian bei diesem Sirenentone wüthend aufsprang und die zürnende Schöne um Vergebung flehend abermals in seine Arme schließen wollte. Allein Bianca war schon hinter der Thür verschwunden und das Vorschieben des Riegels verhinderte wenigstens im Augenblick jede Verfolgung.
Adrian war sehr unzufrieden mit sich. Er beehrte sich mit allen möglichen Ehrennamen, die ihm einfielen, und ging dabei aufgeregt im Zimmer auf und nieder. Sein Blut kochte, seine Adern hämmerten, die Aufreizung seiner Nerven hatte den höchsten Grad erreicht.
»Dies Mädchen ist ein Dämon, eine Zauberin, die mir atomweise Herz und Seele
zerpflückt!
»Ha, bin ich bleich und verfallen!« sagte er niedergeschlagen. »Ich werde von Tage zu Tage elender, ich fühl' es, aber ich kann sie nicht aus den Gedanken bringen! ... Wenn nur die Nächte nicht wären – diese qualvollen, endlosen Nächte! ... Oder wenn nur ihr holdes Bild mich umschwebte und mir nur einmal des Nachts die schmachtende Lippe mit dem Hauche ihres Göttermundes kühlte! ... Aber jenes Schattenbild, jenes elende Geschöpf, das ich verachte, es verdrängt immer dies Kind des Himmels und erstickt mich mit seinen kalten Umarmungen!«
Vom See herüber erklang jetzt ein lautes schrilles Pfeifen, dem ein matteres, dem Echo ähnliches, antwortete. Adrian in seine Gedanken vertieft achtete nicht darauf.
»Ich muß sie zu versöhnen suchen,« fuhr er fort, »denn ich fürchte, daß ich sie
wirklich beleidigt habe. – Sie ist gut, ein unschuldiges, liebes Kind – sie
wird mir vergeben und mir
Ein zweites Pfeifen, diesmal um Vieles näher, machte die Fensterscheiben schrillen. Adrian schien auch dieses nicht zu hören, denn er zündete mit zitternder Hand ein Licht an und schritt nach der Thür.
»Wenn ich mich schon jetzt als ein Reuiger bei ihr melde,« sprach er, »dann wird sie mir um so lieber vergeben, weil ihr dies ein Beweis von meiner Gutmüthigkeit und Nachgiebigkeit sein muß! Schmollt sie aber dennoch, dann werde ich sie morgen durch ein kostbares Geschenk zur Vergebung zwingen. Reichen Gaben hat noch kein Mädchen widerstanden. Gutes Glück, das Du mir so lange treu geblieben bist, verlasse mich auch ferner nicht!«
So sprechend verließ Adrian sein Wohnzimmer und ging mit unhörbaren Schritten bis zu Bianca's Thür.
»Sie muß schon zur Ruhe gegangen sein,« sagte er sich selbst beruhigend. »Ich werde ihrem Beispiele folgen und von ihrem entzückenden Engelslächeln träumen.«
Bianca schlief aber nicht. Sie hatte die schlürfenden Schritte des herzlosen
Mannes wohl vernommen und mit Entzücken sein Bitten und Seufzen gehört. Die Uhr
schlug elf, kurz nachdem Adrian ihre Thür wieder verlassen hatte. Sie bereitete
sich nunmehr auf das nächtliche Rachewerk vor, das sie sich ersonnen. Den
reizenden Schmuck der Abendtoilette abwerfend, legte sie ein verschossenes
leichtes Kattunkleid an, das sie zum Andenken an ihre unglückliche Schwester
aus deren Nachlaß behalten hatte. Dann löste sie ihr reiches langes Haar,
feuchtete
Ueber eine halbe Stunde ging Bianca unruhig, aber so behutsam, daß Niemand ihre
Schritte hören konnte, im Zimmer auf und nieder. Manchmal blieb sie auch stehen
und warf einen Blick in den Spiegel, worauf sie wild die feuchten Locken
schüttelte und ihre Wanderung durch's Zimmer fortsetzte. Nun sah sie nach der
Uhr, und da sich kein Laut im ganzen Hause regte, eilte sie ohne Licht durch
die ihr bekannte Reihe der Gemächer bis an Adrian's Zimmer. Sie öffnete es
behutsam und fand es leer, ohne Licht. Die Thür zum Schlafzimmer war nur
angelehnt. Dahin schlich sie, lauschte, lauschte lange und hörte, daß Adrian in
unruhigem Schlafe röchelte. Wie ein erzürnter Geist flog sie auf schwebenden
Sohlen zurück, zündete eine
»Haben Sie die Thür wieder verschlossen?« fragte das wild blickende Mädchen.
»Fest und sicher.«
»So kommen Sie, doch ziehen Sie zuvor Ihre harten Schuhe aus!«
Hand in Hand mit dem Fremden erstieg sie die Treppe und geleitete ihn bis vor Adrians Zimmerthür. Hier erst öffnete Bianca die Laterne und ließ ihr volles Licht auf den Fremden fallen. Es war Martell, der Spinner.
Dieser Arme zeigte jetzt hohle, tief eingefallene Wangen, sein finster blickendes Auge brannte wie in Fieber, und ein leichtes Zittern war an seinen Händen zu bemerken.
»Nein,« versetzte Martell düster und verstimmt, »ich habe mich allein behelfen müssen, aber es ist nicht das! Man wird nur mürrisch davon.«
»Ich sage Ihnen, Martell, sein Sie auf Ihrer Hut! Man will nicht Ihr Bestes, man beabsichtigt, Sie zu Grunde zu richten!«
»Das ist nicht mehr nöthig,« erwiederte der Spinner. »Ich bin schon so sehr zu Grunde gerichtet, daß es ganz gleichgiltig ist, ob es einen Tag früher oder später zu Ende geht. Und überdies zerstreuen mich die beiden lustigen Schälke und machen mir zum ersten Male, seit ich denken kann, das Leben leicht. Dafür bin ich ihnen dankbar und deshalb trinke ich mit ihnen, so lange die Haut über diesen Knochen zusammenhängt. – Aber Sie, Bianca, was haben Sie vor? Welch Schauspiel wollen Sie mir bereiten?«
»Leise, Martell, damit wir nicht gestört werden!« – Bianca hob sich auf ihre Zehen und flüsterte dem gebeugt neben ihr stehenden Spinner zu:
»An seinen Qualen werd' ich mich weiden. Ich lechze nach seinem Blut, nach
seiner Seele, obwohl er mein Bruder ist! Denn, sehen Sie, schönes Fräulein,
mein liebster Junge ist von seinen Maschinen zerrissen worden und hat
elendiglich umkommen müssen, weil ihn der Chirurg auf seinen Befehl schlecht
curirte. Er starb am
»Verhalten Sie sich ganz ruhig und Sie sollen mit Zittern schauen, daß Adrian leidet!«
Bianca schloß die Laterne und Beide umfloß dichte Finsterniß.
»Halten Sie sich nur fest an meine Hand! Im Zim mer waltet spärliche Dämmerung.«
Geführt von dem rachedurstigen Mädchen trat Martell in das Schlafgemach seines
gräflichen Bruders. Die nur halb geschlossenen Jalousien ließen gerade so viel
Licht eindringen, daß man nach einiger Zeit alle Gegenstände des mittelgroßen
Zimmers wie von leichtem Nebel verschleiert erkennen konnte. Auf breitem, mit
seidenen Decken und schwellenden Kissen reich erfüllten Bett lag Adrian in
tiefem Schlummer. Er ruhte auf dem Rücken, die linke Hand war überrücks
geworfen und schmiegte sich fest geballt an seinen mit dünnem Haar bedecken
Scheitel. Das feine weiße Hemd entblößte zur Hälfte den Arm und war auch auf
der stark behaarten Brust weit gelüftet. Vor dem Bett breitete sich ein
pupurrother Teppich aus. Zu Füßen des Lagers stand ein sehr bequemer
Polsterstuhl. Auf
»Setzen Sie sich und geben Sie Acht, ohne einen Laut hören zu lassen!«
Nun stellte sich das schöne Mädchen dicht neben Martell, legte ihre Hände gefaltet über den Busen und richtete ihre beiden dunkeln Augen unverwandt auf den schlummernden schwer athmenden Grafen.
Es ist bekannt, daß der Blick des Menschen, fest auf einen Schlummernden geheftet, eine geheimnißvolle magnetische Kraft ausübt. Diese Kraft steigert sich bis zum Wunderbaren, wenn dem Magnetiseur ein starker Wille zu Gebote steht. Noch gewaltiger und überraschender ist die Wirkung, wenn zwischen zwei auf solche Weise mit einander in Rapport tretende Personen Bande der Verwandtschaft oder leidenschaftliche Zuneigung obwalten.
Bianca kannte Adrians leidenschaftliche Liebe zu ihr, sie wußte, daß er Tag und
Nacht nur an sie dachte, von ihr träumte, und sie hatte das grausame
Experiment, das sie mit kaltblütiger Ueberlegung jetzt zu Martells Genugthuung
wiederholen wollte, schon mehrmals mit gutem Erfolge
Dieses grausame Experiment gelang ihr bewunderungswürdig. Schon nach wenigen Minuten hob sich die Brust des Schlummernden unter schmerzlichem Stöhnen. Er bewegte das bleiche, schweißtriefende Haupt und die Lippen öffneten sich zu flüsterndem Gespräch.
»Grausame!« stöhnte Adrian. »Warum diese Dolchspitzen in Deinen Blicken? ... Sie verwunden ... mein Herz ... sie schneiden tief ... tief in das Mark ... meiner Gebeine!.. Sieh ... Du kannst lächeln ... o wie süß lächeln! ... Nun kommst Du ... näher ... nun fühle ich ... Deinen warmen ... Athem ... Dein Busen ... klopft an meiner Brust ... o welche Wonne! ... Ha, Gespenst ... Fort, fort! ...«
Adrian wand sich convulsivisch auf seinem Lager, während Bianca lautlos, kalt,
mit entsetzlicher Entschlossenheit und verstärktem Willen
»Therese,« wimmerte der Träumende, »noch immer verfolgst Du mich? ... Willst Du mir ... denn nie ... vergeben? ... O diese brennenden Locken! ... Wie sie glühen! ... Wie sie mich umlohen ... wie Flammen ... der Hölle! ... Nein, ich will nicht ... diese triefende Hand! ... Diese blauen, schaudernden Lippen sollen ... mich nicht berühren ... Bianca! O rettender, heiliger, geliebter, süßer Engel ... verscheuche ... erwürge ... dies Gespenst! ...«
Bianca warf ihre Haare zurück und erhob sich etwas, doch ohne ihre Augen von dem Röchelnden zu verwenden. Mit der Hand winkte sie Martell, daß er sich langsam bis an die Thür zurückziehen solle.
Adrian's Gesichtszüge trugen die Spuren der furchtbarsten Seelenschmerzen, aber
gebannt
»Tödte mich!« flehte er wimmernd, »nur diese Blicke ... bohre nicht in meine jammernde Seele! ... Ich war nicht Schuld ... an Deinem Tode ...«
»Elender! Selbst im Traume noch lügt er!« flüsterte Bianca verächtlich und wich, Martell folgend, Schritt vor Schritt nach der Thür zurück.
»Ha ... Gott Lob ... Gott Lob ... das Gespenst ... zerrinnt! ... Ich lebe ... wieder ... Ich fühle meine Pulse wieder schlagen! ... O des Jammers!«
Mit einem stöhnenden Schrei fuhr Adrian wild auf vom Lager. Seine Augen waren noch auf Bianca gerichtet, die in diesem Augenblick an der Thür verschwand. Ihren Schatten erhaschte der erwachende Graf, und beide Hände heulend über sein Gesicht drückend, warf er sich zurück in die Kissen und wimmerte:
»Barmherziger Himmel, es ist wirklich ihr
Geräuschlos und schweigend, wie Bianca den Spinner die Treppe heraufgeleitet hatte, führte sie ihn wieder hinunter. Auf der Flur öffnete sie abermals ihre Blendlaterne. Alle Fibern ihres schönen Gesichtes zitterten, aber sie lächelte.
»Nun, Martell, gefällt Ihnen diese Art Rache?« fragte sie mit einem Zuge teuflischer Schalkheit um den jetzt bleich gewordenen Mund.
»Sie ist eines Weibes würdig,« erwiederte Martell.
»Dünkt Ihnen diese Art, sich an seinem Todfeinde zu rächen, allzu grausam?«
»Nein, schönes Fräulein! Sie gefällt mir blos nicht.«
»Warum, mein Freund?«
»Weil der Bestrafte bewußtlos leidet.«
»Haben Sie sein Stöhnen gehört, seine Worte vernommen, sein krampfhaftes Beben gesehen? Und nennen Sie das bewußtlos leiden?«
»Sobald er erwacht, glaubt er, ein böser Traum hat ihn gequält, oder hält es
für Alpdrücken!
»Aber ein Spuk, der sich allnächtlich wiederholt! Der Tag beginnt ihm nur zu scheinen, damit er sich während seiner Dauer vor den höllischen Schrecknissen der Nacht fürchtet! Wäre dies aber auch nicht der Fall, so peinigte ihn doch seine Liebe zu mir.«
»Er – Adrian liebt Sie?«
»Ja, mein Freund,« lächelte Bianca und strich sich die wilden Locken aus der Stirn, »er liebt mich bis zur Tollheit und ich bin so freundlich, ihn immer noch verliebter in mich zu machen. Das gibt mir größere Gewalt über ihn, und daß ich diese auf die denkbarste Weise zu benutzen verstehe, haben Sie gesehen! Sie könnten künftighin Theil nehmen an meiner Rache!«
»Nein, Fräulein! Ich will lieber warten, bis ich ihn wachend quälen kann, das ist männlicher; gegen wache Qual kann er sich, wenn er Kraft und Muth besitzt, vertheidigen.«
»Wie Sie wünschen, mein Freund! Aber nicht wahr, Martell, mein Wort hab' ich
gehalten und die Schwester, die seinetwegen frewillig aus dem Leben ging und
mich um Tugend und
»Ich muß Sie bewundern, ohne Sie loben zu können.«
»Gute Nacht denn, mein Freund! Sinnen Sie alsbald nach, wie Sie den Wachenden züchtigen wollen, ich will indeß fortfahren, den Schlafenden auf die Qualen der Hölle vorzubereiten, die er tausendfach verdient hat. Nochmals gute Nacht!«
Bianca sprach dieses zweite »gute Nacht« wieder mit jenem verführerischen Sirenentone, daß es Martell heiß über den ganzen Körper lief. Er floh mit raschen Schritten dem See zu, indem er ausrief:
»Steh' Gott jedem Manne bei, der in die Schlingen dieser furchtbaren Schönheit fällt!«
Langsamer ging die verkörperte Nemesis nach ihrem Zimmer, wo sie sich ruhig entkleidete und mit vergnügtem Lächeln auf den sich wieder röthenden Lippen ihr weiches Lager bestieg und schnell sanft und ruhig entschlummerte.
Mit den nöthigen Instructionen versehen kam inzwischen Gilbert nach Boberstein. Zu Erreichung seines Zweckes würde es nicht rathsam gewesen sein, wenn er sich wie ein Schatten an Martells Fersen geheftet hätte. Er zog es daher vor, dem Spinner nur besuchsweise zu begegnen, sein Quartier aber auf der Insel selbst aufzuschlagen. Dies ließ sich leicht und ohne Aufsehen bewerkstelligen, da Vollbrecht bereitwillig die Hand zu jedem Schritte bot, der seinem verhaßten Gebieter verderblich werden konnte und sollte.
Gilbert enthusiasmirte sich sogleich für das Fabrikwesen, weniger aus
wirklichem Interesse an der Sache, als weil seine lebhafte Natur das
Vollbrecht benutzte dies hohe Interesse des Jünglings zur Förderung der Zwecke
seiner Freunde. Er weihte ihn mehr und mehr in das Geheimleben des Geschäftes
ein, nahm ihn, so oft er konnte, mit auf sein Comptoir, um ihm aus den Büchern
darzuthun, wie unendlich verwickelt das Geschäft sei, dem er vorstand,
Bei diesen täglichen langen Besuchen in der Fabrik lernte Gilbert nicht allein
die Wirksamkeit der Maschinen, ihre Sructur und wie man sie zu leiten habe,
kennen, er that auch einen tiefen Blick in das Leben der Arbeiter, die in
diesen öldunstigen, ungesunden Räumen mühselig ihr Brod verdienten. Sein leicht
empfängliches Herz empörte sich beim Anblick dieser kümmerlichen Existenz so
vieler Menschen und wenn je, so wünschte er jetzt dem, welcher dieselbe über
sie verhing, alles nur erdenkliche Böse. Begreifen aber konnte er nicht, wie es
Martell nach den gemachten Entdeckungen noch möglich war, mit dieser wahrhaft
heroischen Ruhe täglich oder nächtlich, wie eben die Reihe ihn traf, fleißig
und ohne Murren zu schaffen und für den
Das anfänglich absichtliche Zögern, das sich nach einigen Tagen von selbst
unabsichtlich verlängerte, hätte beinahe seine ganze Sendung fruchtlos gemacht.
Denn als der junge Matrose nach Verlauf von etwa acht bis zehn Tagen die
Dorfschenke in später Abendstunde aufsuchte und Martell daselbst inmitten
seiner freigebigen Freunde zu treffen glaubte, begegnete er nur fremden
Gesichtern. Mehrere Tage hinter einander setzte er seine regelmäßigen Besuche
mit keinem bessern Erfolge fort. Martell war und blieb verschwunden und auf
Befragen des Wirthes erfuhr Gilbert zu seinem großen Leidwesen, daß ein Zwist
den
Das war ein ärgerlicher Zufall und Gilbert machte sich ernstliche Vorwürfe, daß er über Gebühr gezögert und das Vertrauen seiner Freunde so wenig gerechtfertigt hatte. Von Martell selbst war nichts zu erfragen, obwohl Gilbert kein Mittel unversucht ließ, um den Spinner geschickt auszuhorchen. Der finstere Mann schwieg hartnäckig auf alle Fragen. Doch zeigten sich täglich immer unverkennbarer die Folgen seiner unregelmäßigen, aufreibenden Lebensweise! Sein bisher bleiches eingefallenes Gesicht begann sich zu röthen, die Haut erschien rissig und glänzend und das Zittern seiner Hände war, namentlich am frühen Morgen, so heftig, daß die große Uebung Martells dazu gehörte, um diesen Uebelstand wieder auszugleichen. Jeder andere minder Geschickte würde alles in Grund und Boden verdorben, vielleicht gar die Maschine in momentanes Stocken gebracht und dadurch unübersehbares Unglück hervorgerufen haben.
Von Lore erfuhr Gilbert, daß Martell, wenn seine Arbeitszeit es gestattete, mit
Anbruch der Nacht regelmäßig das Haus verlasse und
Unserm jungen Freunde blieb nach diesen Erkundigungen weiter nichts übrig, als auf eigene Faust zu handeln und das Versäumte wo möglich nachzuholen. Dies erforderte aber große Vorsicht, da in Martell bereits Verdacht gegen den jungen Matrosen erwacht war und er sich möglichst fern von ihm zu halten suchte. Dennoch sollte Gilbert seinen Zweck noch früher erreichen, als er nach dem Vorhergegangenen selbst glaubte. Bianca bot ihm dazu freundlich die Hand.
Seit der im vorigen Kapitel geschilderten Nacht fühlte Martell bisweilen das
schreckliche Bedürfniß, seinen Todfeind sich winden zu sehen unter den Qualen,
die das dämonische Mädchen über ihn verhing. Er verständigte sich mit Bianca
und diese ließ den Spinner auf ein verabredetes
Die jetzige Haushälterin Adrians hatte Gilbert bei seiner Ankunft nach
Boberstein weit freundlicher empfangen, als es der Jüngling vermuthen und
erwarten durfte. Diese Zuvorkommenheit veranlaßte ihn zu häufigen Besuchen bei
der Schönen und bald verging kein Tag mehr, wo nicht beide junge Leute ein
Stündchen angenehm mit einander verplauderten. Bianca war die Anmuth selbst,
immer heiter, zuvorkommend, bis zu gewissem Grade dienstfertig, aber freilich
an ein Kundgeben von Neigung war bei alledem nicht im Entferntesten zu denken.
Es schien wirklich, als besitze dieses unerklärbare Wesen das Geheimmittel,
gegen Jedermann die
Gilbert gab es daher auch auf, das Herz der Schönen zu bestürmen, obwohl er nicht immer genug Herr über sich war, der lächelnden Spötterin dies nicht merken zu lassen. Unwillkürlich fiel er bisweilen aus der Rolle eines Freundes in die eines feurigen Verehrers, und Bianca hatte dann die angenehme Pflicht, mit der liebreizendsten Grazie ihn darauf aufmerksam zu machen.
In seinen Gesprächen mit diesem Mädchen gedachte er auch Martells und seines
unregelmäßigen Lebens. Wider Erwarten fand er in ihr eine ganz entschiedene
Bundesgenossin, die kein Mittel für unerlaubt hielt, wenn es nur zur Rettung
des Unglücklichen dienen konnte. Ohne langes Bitten erfuhr er von Bianca, wohin
Martell und seine bedenklichen Freunde sich gewendet hatten und schon in der
nächsten Nacht sehen wir Gilbert, mit seinem Dolche bewaffnet,
Diese wichtige Entdeckung machte unser junger Freund Anfang März. Das Versteck lag eine halbe Stunde von Boberstein in einer nicht mehr benutzten Torfgräberei und bestand aus einer bloßen Bretterhütte, wie sie zum Obdach für die Waldwächter häufig in den großen Waldungen angetroffen werden. Zu ungestörter Zwiesprach eignete sich die Oertlichkeit vortrefflich; denn es führten nicht allein blos schmale, wenig betretene und sich noch dazu mehrmals kreuzende Fußsteige nach dem Versteck, die alte Torfgrube war außerdem auch noch durch steile Wände von dem übrigen Haidelande abgeschnitten, so daß es einem Unbekannten schwer ward, in die Tiefe hinabzusteigen und die Hütte zu erreichen.
Lauschend blieb Gilbert am Rande der Torfgrube stehen. Aus der schlechten
Hütte, die graues Nebeldüster kaum erkennen ließ, drangen Töne verworrener
Stimmen, heiseren Lachens und das matte Klingen voller Gläser zu ihm herüber.
Rundum war Alles todtenstill bis auf
Furcht kannte Gilbert nicht, dennoch schlich er zaudernd an dem Rande der
finstern Grube fort, da er keine Spur von Weg entdecken konnte und auf
Gerathewohl in die Tiefe hinabzuspringen doch keine Lust hatte. Es verging eine
geraume Zeit, ehe er eine Stelle fand, die man im Nothfalle für einen Weg
halten konnte. Der Boden war naß und glatt, so daß es kaum möglich war, Fuß
darauf zu fassen. Indessen, an halsbrecherische Pfade gewöhnt und im kühnen
Klettern geübt, wagte der junge Matrose, diesen kaum erkennbaren Weg zu
betreten, der ihn auch sehr schnell auf den Grund der Grube beförderte, obwohl
in einer Weise, die er nicht beabsichtigt hatte. Unten angekommen fand er sich
in einem Tümpel zähen Schlamms bis an die Knöchel stehen, den er unter
kräftigem Fluche durchwatete. Zum Glück hielt die Lache nur wenige Schritte im
Durchmesser; Gilbert erreichte bald das Trockene, eine etwas höher gelegene
Schicht lettigen Erdreichs, das dammartig die Grube durchschnitt und in gerader
Richtung auf die Hütte zuführte. Ueber diesen Damm lief
Eiligen Schrittes näherte sich nun der jugendliche Späher der Torfhütte, deren Thür von innen fest verriegelt war, wie ein behutsamer Druck auf die Klinke ihm sagte. Auch das einzige kleine Fenster schützte ein Bretterladen gegen Wind, Wetter und Blicke Zudringlicher. Gilbert fand auch diesen so stark befestigt, daß er ihn nicht bewegen konnte. An den Seiten schimmerte zwar der Lichtschein durch, allein Raum für einen Blick in's Innere gewährten die feinen, kaum sichtbaren Spalten nicht.
Wie ein Luchs umschlich Gilbert die Hütte, um irgend eine Oeffnung zu
entdecken. Lange blieb sein Suchen fruchtlos llnd die Geduld des heftigen
jungen Menschen begann zu wanken. Am liebsten hätte er mit beiden Fäusten gegen
die dünnen Bretter gedonnert und die lustigen Kumpane dadurch zu einem Ausfalle
gezwungen; allein er besann sich, welche Folgen so übereiltes Thun haben könne
und begann von Neuem die Hütte zu umschleichen. Endlich entdeckte er einen Ast,
der sich in der etwas erweiterten Oeffnung hin und wiederschieben ließ.
»Gott erbarme sich!« rief er flüsternd aus. »Das ist Elwirens Vater und der scheußliche Musiker aus der Mohrentaverne! – Und zwischen Beiden mitten inne der unglückliche Martell! ... Bei meiner Mutter Haupt, sie trinken brennenden Punsch oder Grog ... und der Spinner, des Kapitäns Halbbruder, er ist wahrhaftig betrunken wie ein Neger! ... Aber was lärmen und lachen diese Elenden denn über den armen Fabrikarbeiter? Laßt doch hören!«
Und statt des Auges legte jetzt Gilbert sein
»Heda, Schwarzkopf, aufgeschaut!« sagte Klütken-Hannes, indem er Martell, der auf seinem Sessel hin und her wankte, derb anstieß. »Was meinst Du zu einer neuen Gesundheit auf Ihn? Das Glas ist voll und singt schon von selber vor Freude über den Toast, den es sich mit anhören soll. Bei allen blaubrennenden Branntweinteufeln, Kerl, laß das Kopfwackeln sein und stoß' mit an! Der Fabrikherr –«
»Soll leben wie ich!« fiel Martell ein, erhob mit zitternder Hand sein Glas und goß die glühend heiße Flüssigkeit gurgelnd in den Schlund. Gleich darauf schlug er mit dem Kopf gegen den Tisch und bewußtlos brach der riesige Körper des Betäubten zusammen.
»Er hat genug!« grinste Blutrüssel, indem er schnell sein Glas ausgoß und es trotzig vor sich hinstellte.
»Heut glaub' ich selber, das Pulver wirkt,« entgegnete Klütken-Hannes, folgte dem Beispiele seines entmenschten Gefährten und richtete alsdann den Berauschten mit Hilfe Blutrüssels auf.
»Dummer Teufel!« lachte Blutrüssel. »Säuft, was wir ihm vorsetzen, weil's ihn munter macht, und schließt Freundschaft mit zwei stockfremden Kerlen blos deswegen, weil sie den Mann, den er haßt, einen Menschenschinder nannten! – Ich bitt' Dich, Hannes, ist Dir je noch ein unschuldigerer Lümmel begegnet unter hungerndem Lumpenpack?«
»Mir wär's am liebsten, er läge schon in den letzten Zügen,« versetzte Klütlen-Hannes. »Sieh, er rührt sich wieder! ... So macht er's nun alle Abende trotz der doppelten Gaben! Und ich, der ich doch blos nippe, ich spür' es in allen Gliedern!«
»Ha, ha, ha, ha! Du wirst mit ihm abfahren, gröhlend und brüllend, wie ein gestochenes Schwein! Es ist zum Todtlachen! Ha, ha, ha!«
»Ah was! Meinetwegen lebe noch hundert Jahre, ich hindere Dich nicht daran, aber lachen müßt' ich doch, wenn Du drauf gingst, wie ein Hund.«
»Und warum, Geselle des Teufels?«
»Weil Du so dumm gewesen bist, einen so einfältigen Contract abzuschließen. Mit Schuften, Freundchen, muß man ganz anders unterhandeln.«
»Nun beruhige Dich, alter Sünder, Du sollst mir auch im Tode Gesellschaft leisten!«
»Doch nicht gleich?« höhnte Blutrüssel. »Ich bitte Dich, wohlgerathenes Muttersöhnchen, laß mir nur Zeit, zuvor das gewonnene Geld in Sicherheit zu bringen, dann kann der Tanz losgehen, wenn Du willst. Du kennst meine Finten!«
Und das viehische Scheusal zog sein Messer und schwang es mit blutgieriger Freude mehrmals um sein grauhaariges Haupt.
»Schweig, Hund! Er richtet sich auf, wir müssen ihn unterstützen, daß er keinen
Verdacht
Von den Armen der beiden Verworfenen gehalten, kehrte Martell das Bewußtsein zurück. Das Gesicht röthete sich, die Augen bekamen wieder Glanz, aber einen Glanz, der entsetzen mußte, so glühten die finstern Sterne. Die Hände flogen, als würden sie von electrischen Schlägen fortwährend in Bewegung gesetzt. Seine Stimme lallte blos, denn auch die Zunge des Unglücklichen gehorchte nicht mehr seinem Willen.
»Ich habe Feuer ... im Herzen,« stammelte Martell. »Gebt mir ... Wasser, daß ich ... die Gluthen ... auslösche! Hu! Wie mich friert! ... Als ob ... die Hand ... des Todes auf ... meiner Stirn ... ruhte!«
»Er hat das Fieber,« lachte Blutrüssel. »Wie wär's, wackrer Kumpan, wenn Du noch ein Gläschen oder ein halbes aufgössest? Feuer muß man mit Feuer löschen, das ist probat!«
»Ja, ja, ... einen Schluck ... Himmel wie's mich wirft!«
»Du hast Dich erkältet, armer Bursche,« sagte Klütken-Hannes. »Der Abend ist
auch
»Mantel!« schrie Martell wie rasend und riß sich mit gewaltiger Anstrengung aus den Armen der beiden falschen Freunde. »Ich zermalme Euch wie ein paar Regenwürmer, wenn Ihr ... davon sprecht! Ein elender Spinner ... einen ... Mantel!«
Die Kraft verließ den Unglücklichen abermals und ermattet fiel er wieder in die Arme seiner Genossen.
»Also noch ein Schlückchen Halbwarmen, wie? ... Zur Stärkung für den Heimweg. Denn es ist, Gott verdamm' mich, schon in der eilften Stunde! Vor Mitternacht erreichen wir den See nicht!«
Mit diesen Worten reichte Klütken-Hannes dem zum Tode Verurtheilten von Neuem das gefüllte Glas, geleitete die zitternde Hand des Unglücklichen zum Munde und ließ nicht ab, bis er es ganz geleert hatte.
»Nicht wahr, das wärmt?«
»Es brennt ... aber ... das thut nichts ... Wenn nur ihn der Teufel holt! ... Wie ist's ... Morgen?«
»Dann geht's wieder volle acht Tage, wie heut!« setzte Blutrüssel hinzu.
»Wie heut? Hu! ... dann ging's ... schlecht! – Ich brenne und ... erfriere zu gleicher Zeit! ... O, das ist ... gräßlich!«
Martell warf sich an die Erde und wälzte sich convulsivisch auf dem Boden.
»Er macht's aus,« flüsterte Klütken-Hannes seinem verbrecherischen Genossen zu. »Morgen, stellt uns der Teufel kein Bein, können wir unser Geld einstreichen und fröhlich von dannen ziehn!«
»Noch nicht! – Er wird schon wieder ruhig.«
»Sieh, wie er zuckt! – Das ist der Todeskampf!«
»Lassen wir ihn liegen? – Das Vieh mag ohne uns himmeln.«
»Und wenn er wieder zu sich kommt?«
»Hol' ihn die Pest, oder – mein Messer hilft dem Pulver nach! ... Ich bin es überdrüssig, mich länger mit der wildtrotzigen Fratze herum zu martern!«
»So lange es mir gefällt!« grinste der Mörder. »Will ich mein altes Handwerk wieder aufnehmen, so hast Du am längsten Wasser geschluckt! – Na, sei ruhig Freund! Ich erinnere Dich blos, wenn Du die Pflichten der Dankbarkeit im Unmuth hintansetzen willst. Wir bleiben Freunde, denk' ich, bis uns beim lustigsten Trunk der Teufel selbander holt.«
Klütken-Hannes mußte nothgedrungen die dargereichte Hand des Entsetzlichen
annehmen. Beide Verworfene schüttelten sich die verbrecherischen Hände und
gelobten sich unter gräßlichen Eidschwüren auf's Neue unverbrüchliche Treue.
Inzwischen raffte sich Martell doch wieder auf. Nach den erschütternden
Krämpfen schien ihm die angeborene Riesenkraft zurückzukehren. Er stand vom
Boden auf ohne Beihilfe, schüttelte mehrmals sein lockiges Haupt und forderte
dann die beiden Andern barsch zum Aufbruche auf. Diese zeigten sich willig und
nachdem Klütken-Hannes das Licht behutsam ausgelöscht und die Ueberreste des
Branntweins in einem Verschlage verborgen
Mit angehaltenem Athem hatte Gilbert diesem Gespräch zugehört und daraus den abscheulichen Anschlag auf Martells Leben entnommen. Er konnte keinen Augenblick zweifeln, daß Adrian der Anstifter dieser Schändlichkeit sei, daß hier ein Bruder seinen Bruder auf Befehl eines dritten Bruders meuchlings morden solle, vielleicht schon gemordet hatte; denn wer konnte wissen, ob die Riesennatur Martells der Gewalt des genossenen Gistes widerstehen oder erliegen werde!
Da es thöricht gewesen wäre, den beiden heimtückischen Mördern den Weg vertreten zu wollen, so hielt sich Gilbert bei ihrem Aufbruche aus der Torfhütte ganz ruhig. Er ließ sie eine Strecke vorausgehen, bis sich die rauhen Stimmen der laut Sprechenden im Dickicht des Waldes verloren. Dann folgte er ihrer Spur und traf fast zu gleicher Zeit mit ihnen im Arbeiterdorfe ein.
In seiner Wohnung angekommen, überlegte
Allein und auf seine Verantwortung hin mochte er nicht handeln. Deshalb schrieb er wenige dringende Zeilen an Aurel, worin er ihm meldete, daß er Entdeckungen von der größten Wichtigkeit gemacht habe. Der Kapitän möge daher unmittelbar nach Empfang dieser Zeilen nach Boberstein aufbrechen und wo möglich den Maulwurffänger mitbringen!
Dann weckte er Vollbrecht, bat diesen inständigst, er möge ihm einen zuverlässigen Boten nennen, dem die Besorgung eines wichtigen Briefes anzuvertrauen sei, und beruhigte sich erst, als ein solcher gefunden und mit der wichtigen Meldung nach Boberstein abgeschickt worden war.
Vollbrechts Fragen ließ Gilbert unbeantwortet,
So kam der Morgen heran, ohne daß unser junger Freund ein Auge geschlossen hatte. Um sich zu zerstreuen, eilte er in die Fabrik. Hier fand er Martell schon an der Arbeit, zitternder als gewöhnlich und mit fahlem eingefallenen Todtengesicht. Der Spinner reichte ihm die Hand; sie war heiß und trocken und ein schneller, harter Puls klopfte in den blutstrotzenden Adern. Von einem Rausche konnte man übrigens nichts bemerken, nur ein trockener Husten, ein pfeifendes Athemholen und zuweilen tiefes Stöhnen ließen den Ausbruch einer Krankheit vermuthen, die bereits in den Eingeweiden des Unglücklichen wühlte.
Schon gegen Abend trafen Aurel, der Maulwurffänger und Paul Sloboda,
Haideröschens jüngster Sohn, auf raschem Fuhrwerk in Boberstein ein. Gilbert
war ihnen eine Strecke Wegs entgegen gegangen, um sie zu verhindern, in der
Wohnung Martells einen Besuch zu machen. Er wünschte, daß ihre Ankunft ganz
verborgen bleibe. Deshalb bat er auch den
Aurel mußte diese Vorsichtsmaßregeln billigen. Die mündlichen Mittheilungen Gilberts entsetzten sowohl ihn als den Maulwurffänger und es dauerte geraume Zeit, ehe sie daran glauben konnten.
»Es wäre doch zu entsetzlich,« rief der Kapitän wiederholt aus, »wenn sich alles so verhielte, wie Du behauptest! – Arme Herta! Unglückliche Elwire! – Und dieser Blutrüssel –!«
»Ich täusche mich nicht, Kapitän! Die Nacht in der Mohrentaverne ist meinem Gedächtniß zu tief eingeprägt. Kein Anderer, als jener scheußliche Musikant, von dem Sie Kunde erhielten, daß Ihre gnädige Tante noch am Leben sei, war gestern Nacht des Trödlers Gefährte!«
»Weißt Du seinen Aufenthalt? Wir müssen ihn unschädlich machen.«
»Nein, Kapitän! Gedulden Sie sich aber bis morgen Nacht, so können wir die beiden Unholde gefangen nehmen.«
»Weshalb so lange zögern?«
»Weil sie heut in Geschäften, wie ich aus
»Sind sie bewaffnet?«
»Mit langen Messern.«
»Dann müssen wir die Torfhütte umstellen, sie einschließen und überrumpeln!«
»Damit die beiden Teufel dem armen Martell die Kehle abschneiden?« warf der Maulwurffänger ein. »Wenn Sie erlauben, mein Herr Kapitän, so möchte ich mich diesem Feldzugsplane widersetzen. Ich habe einen andern Gedanken.«
»Laßt hören, braver Alter!« sagte Aurel.
»Aus der Beschreibung des flinken Matrosen kann ich mir abnehmen,« erwiederte
der Maulwurffänger, »daß die verruchten Satanskinder Ihren Herrn Halbbruder
nach jener Torfgrube gelockt haben, die in der Haide unter dem Namen des
Binsenloches bekannt ist. Ich kenne die alte Wächterhütte ganz gut, denn sie
hat mir manche Nacht zum Obdach gedient. Groß ist das Bretterhäusel freilich
nicht, aber um sich drin zu verstecken, hat es doch Raum genug. Es besteht aus
zwei ungleichen Hälften und einem Verschlage, um Lebensmittel drin zu
verschließen.«
Aurel fand diesen Vorschlag so annehmbar, daß er sich dankend dafür entschied
und den
Am frühen Morgen des nächsten Tages ging Aurel sehr zeitig mit Gilbert aus, um die Torfgrube zu besichtigen und sich mit den Oertlichkeiten bekannt zu machen. Sie fanden die Thür der Hütte unverschlossen, in dem Verschlag einen großen Vorrath von Branntwein und Rum, ein Kohlenbecken nebst Feuerzeug und mehrere Gläser und Kannen. Die Kammer war bis auf einige von Ratten und Mäusen zernagte Strohsäcke ganz leer. Sie eignete sich vortrefflich zu einem Versteck, da an der Thür ein schmales Schiebefenster angebracht war, das man nach Belieben öffnen und schließen konnte. Um unbemerkt zu bleiben, ordnete Aurel die Schemel in der Stube so um den Tisch, daß die nächtlichen Zecher der Thür den Rücken zukehren mußten.
Den Rest des Tages verbrachte der Kapitän mit Gilbert auf der Jagd, da
Vollbrecht aus Adrians Gewehrzimmer unbemerkt ein paar vortreffliche
Doppelflinten hatte entnehmen können. Mit der Abenddämmerung kehrten sie zurück
und eilten sogleich in ihr Versteck, wo
Lange mußten sie vergeblich warten, erst in der neunten Stunde hörten sie, daß sich schlürfende Schritte der Hütte näherten und drei Männer schweigend in die Stube traten. Einer von ihnen schlug Feuer an, entzündete ein Talglicht und stellte es auf den Tisch. Aurels Späherauge erkannte in ihm Klütken-Hannes. Inzwischen beschäftigte sich Blutrüssel mit Entflammen der Kohlenpfanne, um das scharfe Getränk zu erhitzen, Martell aber, welcher diesen Vorbereitungen schweigend zusah, stützte beide Arme auf die Lehne seines Schemels und schien kaum den Augenblick erwarten zu können, wo das erste Glas des vernichtenden Getränkes seine fieberhaft brennende Lippe benetzen werde.
»Beim ewigen Gott, sie sind es!« flüsterte Aurel dem Maulwurffänger zu. »Und solchen Menschen soll ich Bruder nennen! – O fast möchte ich wünschen, nie das Licht dieser entsetzlichen Welt erblickt zu haben!«
»Still!« sagte der Maulwurffänger. »Der Kerl, der mir damals den Span hielt,
als ich Herta's Vater gegen ihren Cousin zu Hilfe rief
»Mordelement,« kreischte Blutrüssel, ein Glas füllend, und die heiße Flüssigkeit anzündend, »brennt das nicht wie ein Todtenlicht? Und wie lebendig machts einen resoluten Kerl, der solche Flammen dutzendweise einschlürft! Wer will?«
Mit krampfhaft zitternder Hand griff Martell nach dem Glase, weidete ein paar Secunden lang seine Blicke an der zuckend spielenden Flamme, in deren blauer Lohe sein Gesicht einer Todtenmaske ähnlich ward, blies sie dann aus und leerte das Glas auf einen Zug. Als er es auf den Tisch niedersetzte, benutzte Klütken-Hannes den günstigen Moment und schüttete weißes Pulver in das Gefäß, während Blutrüssel es sogleich wieder füllte. Martell hatte nichts bemerkt.
»Heiliger Gott, er vergiftet ihn!« stammelte Aurel und wollte die Thür aufreißen.
»Geduld, Herr Kapitän!« ermahnte der Maulwurffänger. »Wir können immer noch eine Weile zusehen. Unser Geschäft hat Zeit, bis Martell wirklich trinkt.«
»Von dem halben Kaffeelöffel Giftpulver stirbt er nicht,« versetzte der Maullwurffänger mit großer Ruhe. »Der Magen eines Armen verträgt 'was. Er wird hart und schwielig, wie die Hand, die ihn erhalten muß.«
»Jetzt laß mal hören, armer Teufel,« sagte Klütken-Hannes, »was das für eine Geschichte ist mit dem Prozesse, von dem wir gestern sprechen hörten? Du sollst ja auch mit dabei sein. Aber um was, in's Teufels Namen, prozessirst denn Du? Bist ja ärmer wie eine Kirchenmaus!«
»Ich prozessire nicht, ich lasse es nur geschehen,« erwiederte Martell mit finsterer Miene, »und weil ich gar nichts davon wissen mag, darum sitze ich hier und trinke mit Euch – auf Eure Kosten. Euer Geldsack soll leben!«
»Hurrah! Und sich immer von Neuem füllen!«
»Sauf!« schrie Blutrüssel und stieß mit Martell an. Der Spinner trank, spie
aber schon nach dem ersten Schluck den Branntwein wieder
»Nun, was hast Du?« fragte Klütken-Hannes. »Was ist das für Manier, uns für unsern guten Willen nicht Bescheid zu thun?«
»Das Gesöff schmeckt nicht. Es ist verdorben.«
»Albernheiten! Es schmeckt ja uns!«
»Koste! – Aber wie zum Henker sieht das Zeug denn aus! Ganz trüb und wolkig! Puh, und wie riecht das! Wie Knoblauch!«
»Ich rieche nichts,« sagte Blutrüssel. »Trinke nur und ich wette, es schmeckt Dir wie kein anderes.«
Martell setzte das Glas abermals an die Lippen und versuchte zu trinken. Aber nur wenige Tropfen vermochte er zu verschlucken. Schaudernd setzte er es nieder und warf einen furchtbar ernsten Blick auf die beiden Schurken, die unvorsichtig verrätherische Blicke unter einander gewechselt hatten.
»Ich glaube,« sagte er mit schauerlicher Ruhe, »Ihr seid alle Beide ein paar
elende Hunde! Eure Satansaugen haben Euch mir verrathen!
»Er ist betrunken!« lachte Blutrüssel.
»Sei kein Narr; gieße das Glas aus und laß Dir's mit frischem Branntwein füllen. Wer weiß, was zufällig mit hineingekommen ist.«
»Halt!« donnerte Martell, als Klütken-Hannes das vergiftete Getränk auf die
Diele gießen wollte. Kein Tropfen soll davon verloren gehen, bevor es ein
Apotheker untersucht hat. Seit vorgestern will mir ein entsetzliches Licht über
Euch aufgehen! Mein armes Weib, das mich weinend umfing, als ich zitternd und
taumelnd in die elende Kammer trat, mein Weib hat mich zuerst darauf aufmerksam
gemacht. Der grimmige Schmerz in meinen Eingeweiden, der während der Nacht
wiederkehrte und sich erst verlor, als ich mich erbrechen mußte, dieser
Schmerz, behaupt' ich, rührte von einem Giftstoffe her, den Ihr mir unvermerkt,
wenn ich halb trunken war, in's Glas geschüttet habt! Seit einiger Zeit fühle
ich ein merkliches Abnehmen meiner Kräfte, eine Schwäche meines Gedächtnisses.
Ich werde elend, ich zittere, wie Espenlaub, meine Farbe hat sich
Martell ergriff seinen Schemel, schob ihn vor die Thür der Hütte und stellte sich in seiner ganzen riesigen Größe hinter denselben.
»Gebt Antwort, oder ihr sollt empfinden, daß Ihr es mit einem Verzweifelten zu thun habt, der trotz Eurer verfluchten Tränke doch noch im Stande ist, ein paar Hallunken zu züchtigen!«
»Genug des Spectakels jetzt!« entgegnete Blutrüssel, dem an Aufrechthaltung des Friedens am meisten gelegen war. »Deine alberne Gans von Frau hat Dir die Narrheit in den Kopf gesetzt, und weil Du angegriffen warst vom Arbeiten und Trinken, so hast Du das dumme Zeug geglaubt. Was sollten wir denn profitiren, wenn wir Dir das Lebenslicht ausbliesen? He?«
»Man hat Euch bestochen, erkauft! Pfui über Euch Wichte!« schrie Martell und spuckte vor ihnen aus, »aber ich will es Euch eintränken, so wahr ich ein geborener Graf bin!«
»Du ein Graf! Ein Graf in zerrissener Leinwandhose!« höhnte Blutrüssel. »Wie theuer schlägst Du Deine Garderobe wohl los? Etwa für ein halbes Spitzglas?«
»Dafür, Du Hund!« schrie Martell, indem er dem Mörder mit geballter Faust ins Gesicht schlug, daß er krachend mit sammt dem Schemel zu Boden stürzte.
Dieser Faustschlag war das Signal zu einem allgemeinen fürchterlichen Kampfe,
der sich jetzt zwischen den beiden Verworfenen und dem gereizten Martell
entspann. Eine Zeit lang hielt der starke Spinner die Angriffe seiner wüthend
gewordenen Gegner mit Kraft und Gewandheit ab; selbst das versuchte feige
Unterlaufen des heimtückischen Blutrüssel, der mordlustig sein Messer gegen den
Unglücklichen schwang, vereitelte er. Allein bald ermatteten seine nur
künstlich gespannten Kräfte, er wankte, ward von KlütkenHannes
Jubelnd stürzte sich Blutrüssel auf den gefallenen Riesen, kniete ihm auf die Brust und zückte das Messer.
»Mit wie vielen Stichen willst Du zur Hölle fahren, verrückter Teufel?« schrie ihm der bestialische Mensch in's Ohr. »Geschwind, thu's Maul noch ein mal auf, eh' ich einen Schlund daraus mache; denn fort mußt Du, durch Stahl oder Gift, das ist unser Geschäft!«
»Erbarmen!« röchelte Martell, von Klütken-Hannes Händen wie von eisernen Klammern umschlungen.
»Kein Erbarmen!« rief der ehemalige Trödler. »Die Canaille verräth uns doch, wenn sie wieder frei kommt, also nur zugestoßen! Je tiefer, desto besser!«
Blutrüssel fiel in ein gräßliches Gelächter. Er zog sein langes dolchartiges Messer durch die schwarzen Locken des Spinners, erhob es dann langsam vor dessen Augen und begann zu zählen, während eben so langsam die scharfe Spitze der Mordwaffe sich wieder gegen den Hals des Wehrlosen senkte:
Da hörte man ein Krachen, wie von zerberstenden Brettern, und eine unsichtbare Gewalt ergriff hinterrücks den Mörder und schleuderte ihn mit Riesenkraft gegen die Diele.
Ein zornig flammendes Auge und ein stolzes, von edler Entrüstung geröthetes Antlitz beugte sich über den Missethäter, während drei andere Männer theils seinen Genossen gleich ihm zu Boden warfen, theils dem Gemißhandelten beisprangen. In der kümmerlichen Beleuchtung und der qualmigen Atmosphäre der Hütte, die von Kohlendampf geschwängert war, erkannten weder Blutrüssel noch Klütken-Hannes ihre Ueberwältiger. Erst nachdem Beide gefesselt am Boden lagen, ließ Aurel seine zürnenden Blicke von Einem zum Andern gleiten und sagte:
»Elende, kennt Ihr mich?«
Keiner antwortete, sei es, weil der Schreck sie betäubte, oder sei es, daß sie
wirklich in dem
»Klütken-Hannes! Als ich mich Deines schuldlosen Kindes gegen Dich und Deine brutalen Forderungen annahm, als ich es für immer Deinen Händen entriß; damals machte ich es Dir zur Bedingung, Dich nie mehr um Deine Tochter zu bekümmern, nie mehr meine Wege zu kreuzen. Du hast nicht Wort gehalten.«
»Zum Teufel mit Ihrem Geschwätz, Herr!« entgegnete der frühere Trödler. »Denken Sie denn, es liegt mir 'was daran, Ihnen wieder vor's Gesicht zu kommen? Wer heißt Sie sich zu mir drängen, he? Oder haben Sie mich und meinen Freund nicht überfallen wie Räuber? Mithin laufen Sie mir in den Weg, nicht ich Ihnen. Das ist klar wie Alsterwasser.«
»Um Euch an einem Morde zu hindern, überfiel ich Euch. Was aber, Klütken-Hannes was führt Dich in diese Gegend?«
»Ich müßte klüger sein, als Eulenspiegel, wenn ich darauf genaue Antwort geben
sollte. Was meinen Sie dazu, wenn ich sage: ich wollte mich in der Welt
umsehen, da mich nichts mehr in Hamburg festhielt und ich aller Noth und
»Ich würde Dich einen Lügner nennen, denn ich weiß, daß Du auf Veranlassung eines Dritten hier bist.«
»Wer sich mit dem Teufel einläßt, darf sich nicht wundern, daß ihm Krallen wachsen,« hemerkte mit höhnischem Lachen Blutrüssel. »Ich rieth Dir gleich ab von dem Handel, so einträglich er sich auch anließ, Du mochtest aber nicht hören. Nun haben wir die Bescheerung, denn ich will mir gleich die Zunge abbeißen, wenn der hochnasige Herr nicht selber der Schreiber jenes Wisches ist, der uns eine goldene Zukunft versprach. Fluch und Verdammniß!«
»Da stößt der Maulwurf auf!« bemerkte Pink-Heinrich leise. »Senken Sie nun behutsam die Fangdrähte in die Fährte und Sie werden der glatten Bestie sicher den Hals zuschnüren!«
»Mit Dir spreche ich später,« sagte Aurel Blutrüssel den Rücken zukehrend. Zu Klütken-Hannes gewandt, fuhr er fort:
»Du erhieltst also einen Brief, der Dich für Geld in diese Gegend lockte?«
»Was solltest Du hier?«
»Trinken, bis mir die Seele flammend aus dem Leibe und wie vor Zeiten Elias auf Feuerrädern in den Himmel führe!«
»Um dieses Verhör abzukürzen, will ich Dir das Weitere selbst vorerzählen. Du kamst in die Haide und erhieltest von einem vornehmen Manne, der – besinne Dich – mir etwas ähnlich sah, den Auftrag, einen armen Arbeiter, Namens Martell, durch Branntwein zu betäuben, diesem Getränk Gift beizumischen und den Unglücklichen auf diese Weise langsam zu tödten. Ist es nicht so?«
»Sie spielen unter einer Decke,« murmelte Blutrüssel.
»Fahren Sie nur fort, Herr Kapitän,« erwiederte Klütken-Hannes äußerst brutal. »Ich habe nichts dagegen, meine Zunge zu schonen, die ohnedies heut Nacht sehr trocken geblieben ist; auch macht es mir Spaß, von einem Fremden mein eigenes Leben so hübsch erzählen zu hören.«
»Sehr verbunden, Herr Kapitän. Es freut mich zu hören, daß Sie von Ihrem eigenen Auftrage kein Wort vergessen haben. Die Komödie fängt nunmehr an mich zu belustigen.«
»Diese Lust wird sich bald in Entsetzen verwandeln, Unglücklicher!« rief Aurel, indem er dem Gefesselten näher trat. »Betrachte mich genau und erinnere Dich, daß ich mich Dir als Kapitän am Stein zu er kennen gab!«
»Kapitän am Stein, ganz recht. Das paßt zusammen, wie Ober- und Untertasse.«
»Von Boberstein?« schrie Blurüssel auf und strich sich die borstigen grauen Haare aus der Stirn. »Ha, dann bricht die Hölle über uns herein!«
Und heulend schlug sich der Mörder mit den eigenen Fäusten Brust und Stirn.
»Sieh, selbst dieser verwilderte Elende erschrickt vor meinem bloßen Namen! Glaubst Du jetzt an namenlosen Jammer, an unaussprechliche Vergehungen, die Du zum Theil begangen hast, zum Theil begehen wolltest?«
Klütken-Hannes hatte sich aufgerichtet und schloß die gebundenen Hände unwillkürlich wie zum Gebet. Sein entsetztes Auge hing fragend an den Lippen des Kapitäns.
»Es gibt der Grafen von Boberstein drei, alle Söhne eines Vaters, der zu den
unglücklichsten Menschen gehörte,« fuhr der Kapitän fort. Er war leichtsinnig
und beging in sträflichem Leichtsinn schwer zu sühnende Uebelthaten. Eine der
entsetzlichsten bestand darin, daß er schöne Mädchen mit Gewalt sich dienstbar
machte und die unglücklichen Geschöpfe späterhin verstieß. Die
»O Gott erbarme sich!« stammelte Klütken-Hannes. »Ein Bruder wollte den Bruder ermorden!«
»Wir sind noch nicht zu Ende, Unseliger! Nicht genug, daß der Bruder aus Geiz und Habsucht Mörder gegen den Bruder dang, er suchte sich zu diesem gedungenen Mörder auch einen – dritten Bruder aus in – Dir!«
»Erbarmen!« winselte Klütken-Hannes.
»Ja, Beklagenswerther! Du, ein verlorenes Kind, als Knabe von diesem Scheusal,
das sich jetzt winselnd zu Deinen Füßen krümmt, auf Befehl Deines Vaters in die
Welt hinausgestoßen, Du bist der Sohn Herta's, der Cousine des
Aurel vermochte nicht mehr zu sprechen. Thränen des Jammers erstickten seine Stimme. Er setzte sich auf einen der Schemel, legte beide Arme gekreuzt auf den Tisch, senkte den Kopf und schluchzte laut.
Stumm und ernst umstanden der Maulwurffänger, Gilbert und Paul die Opfer dieser schauerlichen gesellschaftlichen Verbrechen, unter deren qualvollen Last die Betheiligten jammernd zusammenbrachen. Nach einiger Zeit ermannte sich Aurel wieder und fuhr fort:
»Die unerforschliche Vorsehung hat mir das Amt vorbehalten, als Ankläger und
Richter gegen meine eigenen Brüder auftreten zu müssen. So schwer dieses Amt
ist, so halte ich es doch für meine Pflicht, es zu übernehmen. – Johannes
Klütken, Du bleibst mein Gefangener. Ich verhafte Dich, als Mörder, als
Brudermrörder! – Und Du, Blutrüssel, oder wie Du sonst heißen magst, Dich
verhafte ich als Mörder desjenigen
Zerknirscht und überwältigt von der so unerwartet hereingebrochenen Nemesis, wagte der freche Mörder nicht zu läugnen. Die Angst des Entsetzens schüttelte ihn wie Fieberfrost, preßte ihm Töne aus, die dem fernen Geheul hungernder Wölfe glichen.
»Bis zum Anbruch des neuen Tages bleibt Ihr in dieser Hütte, von meinen Begleitern bewacht. Morgen werde ich Euch dem strafenden Arm der Gerechtigkeit überliefern. Zeigt Ihr Euch reuig, so kann ich vielleicht zu Milderung der über Euch zu verhängenden Strafe in Betracht der eigenthümlichen Verhältnisse ein fürsprechendes Wort einlegen, seid Ihr aber halsstarrig, verstockt und in Sünden verhärtet, dann treffe Euch die ganze Strenge des Gesetzes! –«
Aurel wandte sich nun zu Martell, der dem Bisherigen mit demselben ernsten
Schweigen beigewohnt hatte, das alle Uebrigen beherrschte.
»Muth, Martell, und Selbstbeherrschung, und ich hoffe noch auf dieser düstern Stirn das Lächeln der Freude glänzen zu sehen! Dein unversöhnlicher Feind wird seine verbrecherischen Absichten nicht erreichen; Du wirst leben und glücklich sein.«
Martell schüttelte das Haupt und schlug die krankhaft blitzenden Augen zu dem Kapitän auf.
»Wie kann ich glücklich werden, selbst wenn ich am Leben bleibe?« sagte er. »Mein Vertrauen zu den Menschen ist dahin, mein Glaube an das gerechte Walten eines höchsten Wesens hat den wildesten Zweifeln weichen müssen. Ich kann nicht mehr lieben, ich möchte nur hassen. Sündige ich, nun so möge Gott mir in Gnaden vergeben und diejenigen zur Verantwortung ziehen, die mich zu einem so unglücklichen Menschen gemacht haben!«
»Zeit und sanfte Umgebungen werden Dir andere Gefühle einflößen, armer
Gedrückter. Komm jetzt, wenn Du Dich stark genug fühlst. Begleite mich auf
einem Gange durch die Haide.
»Nicht um die Welt, Kapitän!« unterbrach ihn Martell heftig und ungestüm. »Ich mag meine baufällige Hütte nicht verlassen, ich will ein Bettler, ein verachteter Lohnarbeiter bleiben, bis die Stimme des Gerichtes gesprochen hat. Ist dies geschehen, so – wandere ich vielleicht aus, vielleicht lege ich mich hin und sterbe! Denn nütz bin ich auf dieser Welt doch einmal nichts mehr!«
Aurel wollte den Erbitterten, von dem genossenen Gift noch krankhaft Erregten durch Widerspruch nicht noch mehr reizen und ließ deshalb die Zukunft des Spinners einstweilen auf sich beruhen. Ein bittender Blick auf den Maulwurffänger genügte, diesen als Wächter in der Hütte zurückzuhalten. Ihm gesellten sich Gilbert und Paul zu, der Kapitän aber und Martell verließen den Schauplatz eines mit so ausgesuchter Bosheit vorbereiteten Verbrechens.
»Gebt mir Wasser!« kreischte Blutrüssel, als
Pink-Heinrich öffnete den Verschlag, fand einen Krug Brunnenwasser darin und reichte ihn dem scheußlichen Mörder. Nachdem dieser getrunken hatte, sah ihn der Maulwurffänger mit seinen grauen durchdringenden Augen forschend an.
»Du kennst mich wohl nicht mehr, alter Knochen?« redete er den Gefesselten an. »Vor langen Jahren hielten wir einmal eine verwunderliche Zwiesprach mit einander, an einem Orte, der just auch nicht zu den apart schönen Palästen gehörte.«
»Ich kenne Euch nicht,« sagte Blutrüssel mürrisch.
»Das beweist mir, daß Du für Dein schlechtes Gewerbe nicht das tauglichste Subject bist. Hättest meiner Seele 'was Besseres werden können! Aber freilich der Wächterdienst im Raubhause –«
»Im Raubhause?«
»Ei ja doch! Dazumal warst Du zwar auch kein Ausbund von Schönheit, aber doch
ein fixer Bursche, dem's Maul auf dem rechten
»Hm! Ihr seid also der berühmte Maulwurffänger vom Todten? Dachte, der Satan hätte Euch längst das Genick umgedreht.«
»Wäre ich so eng mit ihm befreundet, wie Du, dann hätte er mir diesen Liebesdienst wahrscheinlich erwiesen. So aber hielt ich es lieber mit seinem mächtigen Erbfeinde und der geleitete mich noch immer an seiner starken Hand durch alle Fährnisse dieses wechselvollen Lebens.«
Blutrüssel murmelte unverständliche Worte in den Bart. Der Maulwurffänger warf einen Blick auf den verwahrlosten Sohn der engelguten Herta, und wiewohl es ihn drängte, einige Worte an den doppelt Unglücklichen zu richten, unterließ er es doch, um die Seelenleiden des Armen nicht zu vermehren. In sich versunken, regungslos, nur zuweilen mit den warzenbedeckten Händen krampfhaft in sein verworrenes Haar fahrend, schreiende Seufzer ausstoßend und von Zeit zu Zeit die blutunterlaufenen Augen rollend, so saß Klütken-Hannes am Boden der Hütte.
Eine endlose, für Alle gleich entsetzliche Nacht
In derselben Nacht hatte Adrian einen sonderbaren Traum.
Er wandelte einsam durch die Säle seiner Fabrik. Die Maschinen standen still,
kein Arbeiter war zu sehen, dennoch aber hörte er das Schwirren der Räder und
Spindeln, und eine leichte Wolke feinen Wollstaubes umhüllte ihn. Er konnte
nicht unterscheiden, ob es Tag oder Nacht war, denn obgleich die Lampen nicht
brannten, glühten und leuchteten doch die gläsernen Kugeln, welche sie umgaben,
und ein röthliches scharfes Licht strahlte von ihnen aus. Auch der Himmel war
hell und durchsichtig blau wie am Tage, nur schien es, als sei statt der Sonne
der Mond aufgegangen. Die goldglänzende
Die Glocke schlug die zwölfte Stunde, dann läutete es. Die Thüren aller Säle, die Adrian auf einmal übersehen konnte, thaten sich auf, und in langem Zuge erschienen die Spinner. Es waren aber keine Menschen von Fleisch und Bein, sondern graue durchsichtige Schatten mit kummervollen Mienen, tief eingefallenen, entsetzlich leuchtenden Augen, die sie alle unverwandt auf den erschrockenen Gebieter richteten. Jeder trat an seinen Ort und das ganze Heer dieser murmelnden Schatten begann zu spinnen.
Kaum bewegten sich die Maschinen, als Adrian einen namenlosen Schmerz empfand.
Er sah, wie seine Haare sich bäumten, wie die Finger der gespenstischen Spinner
darnach griffen und sie an die Spindeln hefteten. Dabei hörte er das Höhnen und
Lachen von tausend Stimmen, die sich freuten über seine Qualen. Die
verhungerten Kinder krochen hervor unter den rasselnden Walzen, umringten ihn
und führten einen phantastischen Tanz auf, während er von
Da sah er in ein dunkles, feuchtes Gewölbe. Einander gegenüber saßen zwei scheußliche Gestalten, die bald sich bald ihn verfluchten. Zwischen ihnen kniete eine greise Frau in schwarzen Gewändern. Er erkannte in ihr Herta, seine Tante. Sie betete und rief um Gnade für ihren Sohn, über den eine strafende Stimme laut das Todesurtheil aussprach, so laut, daß Adrian jedes Wort deutlich verstehen und an dem Tone die Stimme seines Bruders Aurel erkennen konnte. Obwohl der Träumende diesen Sohn weder sah noch kannte, fühlte er doch die Nähe desselben und bei diesem Gefühl ward ihm so schwer und bang, daß er zu ersticken glaubte. Er wollte nach Hilfe rufen, konnte aber nicht, denn die nassen kalten und schönen Haare Theresens, die seinetwegen sich den Tod gegeben hatte, umschnürten seinen Hals!
Lange mußte er röchelnd die erschütternde Gruppe in dem dunkeln Gewölbe
betrachten, ohne
Als endlich auch dieser gespenstische Zug in feurigem Dunst verschwand, hörte er von fern Trompetengeschmetter, das schnell näher kam. Adrian erbebte vor diesen rauschenden, schreienden Tönen, denn ihm kam es vor, als solle das Weltgericht beginnen und von allen Geschöpfen sei er allein der Verworfene, zu ewigen Qualen Verdammte! Nochmals erklang der Ruf der Trompete, das seinen Hals umschlingende Haar löste sich, er konnte athmen und erwachte!
Dieser wüste Traum, ein treues Abbild von Adrians Seelenzustande, schien mit
der Wirklichkeit einigermaßen im Zusammenhange zu stehen. Es war lichter Tag
und Adrian hörte jetzt wirklich das laute Geschmetter einer Trompete, das
Adrian stand nun auf und eilte an's Fenster. Mitten auf dem See schwamm die Fähre gegen die Insel. Sie war mit Menschen dicht besetzt, aus deren Mitte ein Reiter hervorragte, der von Zeit zu Zeit in eine Trompete stieß, worauf sowohl die Menschen auf der Fähre, als die Bewohner des Dorfes ein lang andauerndes Hurrah erschallen ließen. Der Name Martell ward häufig unter jauchzendem Zuruf genannt.
Irgend eine neue Demonstration vermuthend, warf sich der Graf schnell in die Kleider und griff nach seinen stets geladenen Pistolen. In seinem Zimmer fand er bereits Bianca in einem wundervollen Negligé, beschäftigt, den Frühstückstisch zu ordnen. Mit dem anmuthigsten Lächeln wünschte sie Adrian guten Morgen und ließ es geschehen, daß er dankend ihr die Hand drücken durfte.
»Hören Sie den Lärm?« fragte er mit verstellter
»Ein klein wenig Geduld, gnädiger Herr, wird uns sogleich davon in Kenntniß setzen. Die Fähre nähert sich bereits dem Ufer. – Befehlen Sie Chokolade?«
»Wenn Sie mir Gesellschaft beim Frühstück leisten wollen, schönes Kind, wird mir Alles munden, was Sie mir reichen! – In dieser Nacht waren Sie mein Schutzengel.«
»Danke sehr! – War ich hübsch?«
Bei dieser Frage neigte Bianca sich mit so verführerischem Blick zu Adrian, daß es diesem große und schmerzliche Ueberwindung kostete, das Mädchen nicht an sich zu reißen und mit Küssen zu bedecken.
»Nicht hübsch, aber schön, entzückend schön, wie jetzt! – Bianca, bitte –«
»Still, still! – Sie machen mich eitel! – Oder meinen Sie, ein armes Mädchen bleibe gleichgiltig, wenn es von so liebem Munde immer mit so großen Lobsprüchen überschüttet wird?«
»Ich bin Ihnen also doch lieb, Bianca?«
»Vom lieb sein bis zum lieben ist nur ein Schritt. Versuchen Sie doch, mit Ihrem zierlichen Fuße diesen Schritt zu thun, der einen unglücklichen Mann auf einmal unaussprechlich glücklich machen würde!«
»Ich bin nicht liebenswürdig, gnädigster Herr, ich scheine es blos zu sein. Sie würden erschrecken, wenn ich Thörin genug wäre und mich von Ihrem Zureden bestimmen ließe, Ihren Wünschen Gehör zu geben!«
Diese Worte sprach Bianca mit so meisterhafter Kunst, daß Adrian nie ein hinreißenderes Weib gesehen und gehört zu haben glaubte. Er wollte darauf antworten, als die räthselhafte Trompete dicht unter den Fenstern erklang.
»Soll ich mich nach der Neuigkeit erkundigen, die der Mann unstreitig zu verkündigen hat?« sagte Bianca. »Vermuthlich eine wichtige Bekanntmachung.«
»Gehen wir zusammen,« erwiederte Adrian. »Ich vermuthe, es wird abermals etwas sein, das meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.«
»Mein Bruder!« sagte Adrian, der Aurel unter dem hervordrängenden Menschenhaufen gewahrt hatte. »Was kann der Kapitän auf Boberstein wollen?«
»Mein großmüthiger Beschützer? Dann hoffe ich, ist die Zeit der Versöhnung gekommen. Gehen wir dem wackern Manne entgegen!«
Bianca hing sich schmeichelnd an Adrians Arm. Einer solchen Berührung konnte dieser nicht widerstehen. Vor Seligkeit bebend schritt er mit dem heiter plaudernden Mädchen die Treppe hinunter nach dem freien Platze vor dem Hause.
Dieser war von einer Menge sehr aufgeregter Menschen umstellt, in deren Mitte
Martell an Aurels Arme, der Trompeter zu Roß und der greise Maulwurffänger dem
Grafen sogleich in's Auge fielen. Als die Menge den Herrn der Fabrik ansichtig
ward, erhob sich verworrenes Geschrei und die heftigsten Verwünschungen wurden
gegen ihn ausgestoßen. Nur die schöne Mädchengestalt an seinem Arme hielt die
Heftigsten ab, Hand an ihn zu legen. Dennoch blieb
»Was hat dieser Auflauf zu bedeuten? Wünscht Herr Kapitän Aurel am Stein mir eine Mittheilung zu machen, so folge er mir in meine Zimmer. Ich liebe nicht, im Beisein tumultuirenden Pöbels Privatangelegenheiten zu verhandeln.«
Sogleich trat die Menge zurück und machte dem Kapitän Platz. Aurel, immer den Spinner festhaltend, trat vor und näherte sich seinem Bruder. Hinter ihm schloß sich abermals der Haufe.
»Es ist eine öffentliche, keine Privatangelegenheit, die mich heut nach Boberstein führt,« sagte der Kapitän. »Unser Streit ist zu Ende, wir können, wenn die Parteien sich einigen, uns binnen wenigen Minuten versöhnen. Das Gericht hat in unserer Rechtssache entschieden.«
»So schnell?« stotterte Adrian.
»Wo es an Beweisen nicht mangelt, kann ein Urtheil rasch gesprochen werden, mein Bruder! Der Prozeß ist in meinem und meiner Freunde Sinne gewonnen, mithin für Dich verloren.«
»So bin ich ein Bettler!« rief Adrian erbleichend.
»Keineswegs,« versetzte Aurel. »Das Gericht ist nicht ungerecht verfahren. Es
spricht
Adrian athmete wieder auf. Er bat den Bruder durch einen Wink, fortzufahren.
»In den nächsten Tagen werden uns die Details des Urtheilsspruches zugefertigt und dieser selbst späterhin im Namen des Gerichts vollzogen werden. Gegenwärtig habe ich nur um die Vergünstigung zu bitten, Du wollest diesen meinen Halbbruder vor der hier versammelten Menge laut und öffentlich ebenfalls als Bruder anerkennen und versöhnend umarmen.«
Ein spöttisches Lächeln kräuselte Adrians Lippe. Tückisch ruhte sein Blick einige Secunden auf dem zerlumpten, in Folge des genossenen Giftes gleich einem altersschwachen Greise zitternden Martell.
»Ich weiß nicht,« versetzte er mit schneidender Höflichkeit, »ob mein Herr
Bruder vielleicht vorher die Güte haben wird, dem neuen Verwandten, dessen
Anerkennung das Gericht uns aufzwingen will, zu bedeuten, daß er Schmutz und
Aurel antwortete blos durch eine stumme Verbeugung. Dann kehrte er sich um und winkte den Umstehenden, daß sie zurücktreten möchten. Dies geschah so schnell, als sei Jedermann darauf vorbereitet. Zugleich wurden die beiden Gefangenen, von Gilbert, Paul und dem Maulwurffänger bewacht, sichtbar. Adrian trat einen Schritt zurück und erbleichte, als hätte er Geister gesehen. Der Kapitän fixirte ihn unverwandt und erkannte schaudernd die Schuld auf den fahlen Zügen des Bruders.
»Was ist das für Gesindel?« rief Adrian heftig und befehlshaberisch. »Ich will,
daß man alle Landstreicher, die auf meinen Besitzungen
»Tretet vor!« befahl Aurel.
Die Gefesselten gehorchten und näherten sich bis auf wenige Schritte dem bestürzten Grafen. Der Kapitän flüsterte Klütken-Hannes in's Ohr:
»Ist dieser Mann derselbe, von dem Du in Sold genommen und mit jenem verbrecherischen Befehle beauftragt wurdest?«
»Er ist es!« sagte kalt und fest der Gefangene.
»Mein Herr Bruder wird erlauben,« wandte sich darauf Aurel zu Adrian, »daß man diesen beiden Uebelthätern ein festes Gefängniß einräume. Man hat sie ergriffen in dem Augenblicke, wo sie einen Schuldlosen vergiften wollten. Das Corpus delicti ist in unsern Händen. Sie waren frech genug, sich nur für Werkzeuge eines höher Gestellten auszugeben und wagten sogar den Namen eines Mannes zu nennen, den wir einer solchen Frevelthat nicht für fähig halten können. Schon aus diesem Grunde muß es wünschenswerth sein, die Verbrecher in festes Gewahrsam zu bringen. Die spätere Untersuchung wird das Uebrige enthüllen. Dürfen wir also hoffen –?«
Aurel stand jetzt an Adrians Seite. Hinter
»Man schaffe sie fort –! Vollbrecht wird einen passenden Raum für sie wissen.«
Aurel winkte, daß die Gefangenen abgeführt würden. Es geschah unter staunendem Gaffen des Volkes. Als sie hinter dem Hause verschwanden, beugte sich Aurel zu dem gebückt dastehenden Bruder und sagte, nur ihm vernehmbar:
»Der Mann, welcher den Namen Klütken-Hannes führt und dem armen Martell den Gifttrank mischte, gehört auch mit zu den Erben der Boberstein'schen Güter. Es ist der verlorene Sohn Herta's!«
Adrian erstarrte bei dieser Kunde. Sein Auge ruhte gläsern auf dem zürnenden Antlitz des Kapitäns. Dennoch faßte er sich; nur an dem röchelnden Athemholen und den zuckenden Bewegungen seiner Hände, die nach einem Halt an seiner Kleidung suchten, konnte man die große Erschütterung erkennen, der er fast erlag.
Da berührte die Hand des Maulwurffängers den Unglücklichen.
»Hurrah! Hoch lebe Martell, unser neuer Graf und Gebieter!« jubelte die Menge, indem sie sich, den riesigen Spinner in ihrer Mitte, zerstreute, um auf die Fabrik an ihr Tagewerk zu gehen.
Auch Aurel und der Maulwurffänger zogen sich zurück.
Bianca, die während dieser Scene entschlüpft war, um die Blicke der Menge nicht auf sich zu ziehen, trat jetzt wieder vor und schob ihre Hand unter Adrian's Arm. Freundlich lächelnd blickte sie ihn an, indem sie mit hinreißender Zärtlichkeit sagte:
»Sie werden sich erkälten, Herr Graf! Bitte, folgen Sie Ihrer gehorsamen Dienerin in's warme, trauliche Zimmer!«
Diese Stimme rief Adrian wieder in's Leben. Er drückte den weichen, vollen Arm der Schönen und ließ sich von ihr in's Haus geleiten.
Graf Adrian hatte drei entsetzliche Tage verlebt. Er schloß sich in sein Zimmer
ein und ließ Niemand zu sich, als Bianca. Ihr Kommen und Gehen, ihr immer
gleich anmuthiges, zartes und theilnehmendes Betragen war in dieser schweren
Zeit seine einzige Zerstreuung. Unschlüssig, ob er sich dem Ausspruche des
Gerichtes fügen oder dagegen appelliren sollte, ging er mit großer Genauigkeit
alle Schriften und Documente durch, die ihm inzwischen von seinem Anwalt
zugeschickt worden waren. Aus diesen konnte er leider keine Hoffnung schöpfen!
Martell, Maja Simson und Klütken-Hannes waren unläugbar Kinder seines Vaters,
blieben trotz seines Sträubens und seines innern Entsetzens,
Ein Brief Adalberts, dem es zu gemein erschien, persönlich sich in diese Angelegenheit zu mischen, und der sich deshalb nur durch Mittelspersonen darum bekümmert hatte, richtete den niedergeschlagenen Herrn am Stein einigermaßen auf. Adalbert schrieb:
»Mein theurer Bruder,
Es ist mir von Seiten des Gerichtes die Mittheilung gemacht worden, daß wir
unsern Prozeß gegen Jan Sloboda und Consorten verloren haben. Obwohl ich auf
diesen Ausgang gefaßt war, hat er mich doch überrascht. Die Justiz ist überaus
eilig gewesen und hat sich der Sache mit einem Eifer angenommen, den wir für
gewöhnlich nicht an ihr rühmen können. Unstreitig sind Dir wie mir die nöthigen
Mittheilungen zugekommen. Bei Durchsicht derselben
»Meine Frau, deren Ansichten fast immer mit den meinigen zusammen treffen,
billigt vollkommen, daß wir uns stolz zurückziehen und mit vornehmer
Gelassenheit den Bettlern das begehrte Almosen auszahlen. Man kann ja nicht
wissen, ob sie es lange genießen werden! – Ereilt sie der Tod bald, was ich
Theile mir Deine Ansichten recht bald darüber mit, füge Dich, wie ich es thue, mit stoischer Ruhe in das Unvermeidliche und eile in die Arme Deines Bruders
Adalbert.«
Die Nothwendigkeit solchen Entschlusses sah Adrian ein, an schleuniger
Ausführung desselben hinderte ihn aber Verschiedenes. Adalbert wußte nicht, daß
Klütken-Hannes des beabsichtigten
Ungeachtet seiner schrecklichen Lage verzweifelte Adrian nicht. Er hielt es sogar für möglich noch zu siegen und selbst den Schein der Mitwissenschaft von sich abzuwenden, wenn er Zeit gewinnen konnte. War dies geschehen, dann stand einer Zusammenkunft mit seinem Bruder nichts mehr im Wege.
Es gab zwei Mittel, dies Ziel zu erreichen, Flucht oder Tod der beiden Gefangenen. Die Pflicht der Selbsterhaltung, die Nothwehr gebot ihm, zu dem zu greifen, das ihm das sicherste dünkte. Dies konnte nur ein Mord sein, ein heimlicher Mord, der unentdeckt blieb.
Adrian schauderte vor solcher That nicht mehr zurück. Er überlegte nur, wie man sie ausführen müsse, um sicher zu gehen, und als er mit sich darüber einig war, fühlte er eine Anwandlung von Freude.
Ein Umstand trug bei, die Ausführung ihm
Unglücklicherweise bedurfte er noch einer Mittelsperson, da er einen nicht zu überwindenden Abscheu vor persönlicher Ausübung des Verbrechens empfand. Die Anordnungen dazu zu treffen, den Plan zu entwerfen, selbst die Mittel herbeizuschaffen, schien ihm weniger entsetzlich und strafbar, als die Vollbringung der That. Sophistik half ihm über alle Skrupel hinweg und beruhigte ihn vollkommen.
»Ich bin ja kein Mörder,« rief er sich ermuthigend zu, »wenn ich nicht selbst Hand anlege! Ich gebe blos Rathschläge und überlasse die Ausführung, die Anwendung derselben andern Händen.«
Es war gegen Abend. Blitzende Goldfäden spannen sich durch die dunkelgrünen
Nadelbehänge der Haide und warfen ein zitterndes Strahlennetz über den leis
wallenden See. Adrian saß auf kostbarem Rollstuhle am Fenster und warf von Zeit
zu Zeit einen zerstreuten Blick auf den prachtvoll glühenden Abendhimmel. Seine
Gedanken schienen aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt zu sein, denn das
erhebende Schauspiel des Sonnenunterganges erheiterte nicht seine düstern,
unheimlichen Mienen. Er war so tief in sich versunken, daß er nicht einmal das
Kommen und den schwebenden Schritt Biancas hörte, die, wie immer reizend
angekleidet, für den
»Immer aufmerksam, immer liebenswürdig und gut,« sagte er mit einem Anflug von Schwermuth.
»Meine Schuldigkeit, gnädigster Herr.«
»Werden Sie mir nicht auch den Rücken kehren nach diesem Unglück?«
»Warum sollte ich? Sie sind ja gütig gegen mich, wie früher.«
»Ich werde aber sehr mürrisch, zänkisch, herrisch, vielleicht gar tyrannisch werden, denn ich hasse die Menschen, weil sie mich hassen und betrogen haben.«
»Nicht doch, Herr am Stein! Nun und wenn auch bisweilen wirklich die böse Stunde Sie überfällt, so werde ich armes Kind durch meine Possen den garstigen Feind aus dem Felde zu schlagen bemüht sein, und geben Sie Acht, er weicht! Meine Blicke kann er nicht ertragen. Was meinen Sie?«
Bianca kniete vor Adrian nieder, der noch ihre Hand gefaßt hielt, und ließ
einen jener schmelzenden, seelenbezaubernden Blicke auf ihn
»Was könnte Ihnen unmöglich sein, entzückendes Kind!« erwiederte der Graf. »Ich glaube, Sie können Todte erwecken und Verdammte selig machen!«
»O nein, so umfassend ist meine Macht nicht,« versetzte die Schöne lächelnd und die Liebkosungen ihres Gebieters ohne Sträuben duldend, was sie bisher noch nie gethan hatte. »Höchstens vermag ich Kranke zu heilen und mürrischen Trotzköpfen ein freundliches Lächeln abzugewinnen. Begeben Sie sich unter meine Herrschaft, und Sie werden der heiterste Mensch werden!«
»O Bianca, habe ich das nicht immer gewünscht? Aber Du wiesest mich ja von Dir!«
»Die Kriegskunst haben Sie nicht studirt, das sieht man!« sagte mit
schalkhaftem Lächeln die verführerische Kokette, und legte ihr duftendes
Lockenhaupt auf seinen Schooß. Adrian küßte wiederholt die weichen glänzenden
Haare und die Gluth der Leidenschaft, die ihm Bianca eingeflößt hatte, gab sich
in dem Zittern seiner
»Wollen Sie mich glücklich, mich ruhig machen?«
»Sie wissen es ja!«
»Dann reichen Sie mir Ihre schöne Hand und werden meine treue, verschwiegene Bundesgenossin!«
»Recht gern, Herr Graf, doch blos unter der Bedingung, daß Sie keinen offenen Krieg gegen Ihre Feinde beginnen wollen. Wir Mädchen, wissen Sie, haben vor allen Arten von Waffen eine unwiderstehliche Furcht.«
»Ich suche eine Bundesgenossin, die sich auszeichnet durch Treue, Verschwiegenheit und List. Sollte ich mich irren, wenn ich diese drei Vorzüge Ihnen zutraute?«
»Es käme auf die Probe an.«
»Und wenn Sie diese Probe nicht beständen?«
»Nun was dann?«
»Dann würden Sie mich vielleicht unglücklich machen und sich selbst schwerer Verfolgung aussetzen.«
»Auf diese Gefahr hin hätte ich beinahe Lust, den Versuch zu wagen.«
»Im vollen Ernst! Hier meine Hand!«
»Engel! Retterin! Göttin meines Lebens!« rief Adrian, das noch immer vor ihm knieende Mädchen zu sich emporziehend, mit leidenschaftlicher Gluth umarmend und es wiederholt an sein Herz drückend.
»Nicht so ungestüm, Lieber!« flehte Bianca, ihrerseits eine schmachtende, verschämte Hingebung heuchelnd, die den Grafen vollends in seinem Vorsatze bestärkte und jede Vorsicht bei Seite setzen ließ. Sie blieb aus seinem Schooße sitzen, das Gesicht an seine Brust gedrückt, den rechten, halb entblösten Arm lose um seinen Nacken geschlungen.
»Habe wohl Acht aus das, was ich Dir jetzt sage,« flüsterte Adrian, bald die linke weiche Hand der Schönen an seine Lippen drückend, bald einen Kuß auf ihre klare Stirn hauchend. »Sahst Du die beiden wüsten, verwilderten Männer, die mein Bruder Aurel vor einigen Tagen in Banden hierher brachte?«
Bei dem Namen »Aurel« erbebte Bianca unmerklich. Ohne auszublicken, gab sie dem
»In wenigen Tagen wird man die Elenden verhören,« fuhr Adrian fort. »Ich weiß, daß sie mich verläumdet, daß sie mich bei Aurel und dem Maulwurffänger angeschwärzt haben, um ihre verbrecherischen Handlungen zu bemänteln. Eine Klage steht bevor, wenn sie ihre Aussagen frech zu Protocoll erklären und eine endlose, meinen Namen befleckende Untersuchung wird die besten Jahre meines Lebens vergiften. Dem muß man zuvorkommen, dem müssen und können wir vereint steuern!«
»Wie?« fragte Bianca und erhob ihren Kopf, das dunkelflammende Auge fragend und neugierig auf den Grafen heftend. »Wie stünde das in unserer, namentlich in meiner Macht? Ich weiß ja von nichts, ich kann nicht einmal Zeuge sein!«
»Kleine Thörin, wie du Dich einfältig stellst! Hörst Du nicht, daß es gar nicht bis zum Verhör kommen darf, wenn ich nicht compromittirt werden soll?«
»Also?«
»Man soll ihnen demnach zur Flucht behilflich sein?«
»Daß ist mein Plan, indeß –«
»Indeß?« erwiederte Bianca, strich sich die ausgegangenen Locken zurück und legte beide Hände auf ihren Busen.
»Der Vorsicht wegen müßte noch etwas Anderes geschehen –«
»Etwas Anderes! Und worin soll dies bestehen?«
»Wozu mir die kluge, schlaue, treue und verschwiegene Bundesgenossin, deren Wort ich besitze, behilflich sein wird!«
Bianca neigte ernst und schweigend den Kopf und entschlüpfte dem Schooße des Grafen. Adrian ergriff ihre Hand.
»Schelmen, wie es jene beiden sind, ist nie zu trauen. Läßt man sie also
entfliehen, so können sie mir immer noch einen Streich spielen, denn es sind
von Grund aus verworfene und dem Henker anheim gefallene Menschen. Jedes
Gericht muß sie zum Tode verurtheilen, den sie mehr als ein Mal verdient haben.
Es wäre
»Bitte, sprechen Sie weiter!« lispelte Bianca.
»Ich bin entschlossen, mir dieses Verdienst zu erwerben, allein ich bedarf eines Gehilfen, der mich versteht, der mich dabei unterstützt und – verschwiegen ist!«
»Das begreife ich. Nur weiter, Herr Graf!«
»Du hast Dich mir verbündet, Bianca – Du kennst, Du verstehst, Du liebst mich – Deine Hand –«
»Soll die verfluchte Hand einer Mörderin werden?«
»Bianca! Welche Schlußfolgerung! Welche Verwandlung Deines Wesens! – Was geht in Dir vor?«
In der That hatte die verführerische Schöne während der letzten
einschmeichelnden Worte des Grafen eine ganz andere, eine furchteinflößende
Miene angenommen. Ihre schlanke Gestalt hoch aufgerichtet, ihre großen
zornsprühenden Augen auf Adrian geheftet, die vollen Arme fest
»Brudermörder! Zweifacher Brudermörder!« rief Bianca und schleuderte Blitze des Zorns und der Verachtung auf den Grafen. »Endlich hab' ich Dich gefangen, Elender!«
»Wozu diese Verstellung,« entgegnete Adrian, indem er ebenfalls aufstand und das dämonisch schöne Mädchen umschlingen wollte. »Wir verstehen uns ja doch, und ein so schöner und süßer Mund, wie der Deinige, wird nicht aus der Schule plaudern! Deine Hand aber bleibt zart und weich, wie immer. Von ihr wird nichts weiter begehrt, als daß sie einen silbernen Löffel erfasse und mit der ihr eigenen graziösen Bewegung den armen Gefangenen einen warmen Trank mit Zucker versüße. Sollte das meinem lieben, freundlichen und klugen Mädchen nicht möglich sein?«
Adrian wollte schmeichelnd die Hand Bianca's wieder erfassen, diese aber trat stolz einen Schritt zu rück und donnerte ihn an:
»Bianca,« rief er, die Hände flehend gegen sie ausstreckend, »Bianca, vergib mir! ... Sei barmherzig! Sei ein mildes, sanftes Weib!«
»Ha, ha, ha!« lachte die Rachedurstige. »Erbarmen, Sanftmuth, Vergebung, weibliche Milde suchst Du bei der, deren Schwester Du herzlos in den Tod gejagt hast?«
Todtenblässe lag auf Adrians eingefallenen Zügen. Die vor Seelenangst zitternden Hände gegen das zürnende Mädchen ausstreckend, lallte er:
»Wer ... wer ... bist Du?«
»Ich bin die Schwester Theresens, des armen Dienstmädchens, das ob Deiner grausamen, kalten Treulosigkeit ihrem Leben in den Fluthen der Saale ein Ende machte! Kennst Du dies?«
Und die Rächerin ihrer Schwester hielt dem Grafen jene höhnischen Zeilen vor,
die der
»Gerechter Gott, ich bin gerichtet!« schrie Adrian und stürzte Bianca zu Füßen.
»Gerichtet und verdammt!« sagte die Unerbittliche streng und kalt. »Winsele,
bis der letzte Kieselstein dieser Welt Empfindung bekommt; krümme Dich
Millionen Jahre hier und dort vor meinen Füßen, um Vergebung von mir zu
erlangen; ich werde nur höhnende Worte, tödtende Blicke, verachtendes Lächeln
für Dich haben, denn ich will Rache, Rache für meine schuldlos hingeopferte
Schwester! Als Weib habe ich keine andere Waffe, als die Lust der Rache, die
aus Hohn und Spott und Verachtung ihren Honig saugt; wär' ich ein Mann, so
würde ich Dich vor die Mündung einer Pistole oder die Spitze eines Degens
fordern, um Deine schwarze Seele möglichst früh zur Hölle zu senden! Da ich
dies nicht kann, will ich mich wenigstens weiden an der feigen Angst Deiner
frechen Seele, an der Qual, die jede Minute Deines unseligen Lebens vergiftet!
O könnte ich noch tausend Jahre leben und Dich in meiner Nähe tausend Jahre
leiden sehen, –
»Ist es möglich, Bianca!« wimmerte der zu Boden geschmetterte Graf. »So schön, so voll süßer Reize und so erbarmungslos?«
»Es ist mein Amt. Gott will es, daß ich es treu und redlich übe!«
»O und ich, ich liebte Dich, ich liebe Dich noch!«
»Die Strafe des Himmels! Das Verhängniß, das richtend über uns waltet!«
»Finsterer Wahnsinn packt mich, wenn Du von mir gehst, wenn ich Dich nicht mehr um mich sehen kann!«
»Zur Steigerung Deiner Seelenqualen will ich nicht von Deiner Seite weichen.«
»O diese Nächte! Diese endlosen, einsamen, gräßlichen Nächte!« jammerte Adrian. Bianca sah dämonisch lächelnd auf ihn herab.
»Sie nennen ihre Nächte einsam?« sagte sie, aus dem zürnenden Tone plötzlich in
einen scherzenden übergehend. »Sie sind sehr ungerecht, Herr Graf. Ich war
immer bei Ihnen, oft Stundenlang. – An Ihrem Lager knieend bannte ich Ihre
Seele in den Zirkel meiner
»Furie!« rief er, »göttliche Furie! Peinige mich im Leben und im Tode, nur ein Mal schließe mich in Deine Arme!«
Lange blickte Bianca auf den zu ihren Füßen sich krümmenden Grafen. Dann schlug sie die Augen zum Himmel auf und sagte:
»Schwester Therese, wenn es Dir vergönnt ist, aus dem Jenseits herabzublicken auf diese verbrecherische Welt, dann öffne Dein Auge und sieh, wie ich Deinen Verführer gezüchtigt habe! Ich bin mit mir zufrieden.«
In diesem Augenblicke pochte es.
»Man kommt!« sagte Bianca. »Bitte, Herr
Seufzend erhob sich Adrian. Das Pochen an der Thür wiederholte sich.
»Sie erlauben, Herr Graf?« sagte die schöne Furie und hüpfte graziös zur Thür, die sie öffnete und einige Worte mit dem Bedienten wechselte.
Inzwischen war die Sonne untergegangen. Nur blutiges Abendroth überflammte noch Himmel, Haide und See, und warf einen duftigen Widerschein in's Zimmer. Adrian stand wie in einer dunkeln Feuerwolke. Bianca trat wieder zu ihm.
»Ein Mann wünscht mit Ihnen zu sprechen, gnädigster Herr,« sagte sie mit dem sanftesten und bescheidensten Tone von der Welt, indem sie die Falten ihrer kleinen Atlasschürze, welche Adrians Festhalten in diese gedrückt hatte, mit der Hand sorgfältig ausglättete. »Befehlen Sie, daß ich ihn vorlassen soll?«
»Ich bin nicht in der Stimmung –«
»Um Fremde zu empfangen, wollen Sie sagen? Zu Ihrer Beruhigung, gnädiger Herr,
Adrian sah die boshaft Lächelnde mistrauisch an.
»Sein Name?«
»Ihr Bedienter meinte, eigentlich solle er den Mann als Graf Martell melden, indeß –«
»Martell!« wiederholte Adrian und seine verstörten Züge nahmen den Ausdruck des wildesten Hasses an. Bianca aber winkte, hüpfte nach der Thür und warf dem auf der Schwelle ihr begegnenden Spinner mit verliebtem Blick eine Kußhand zu.
Als sich Adrian umwandte, stand ihm Martell allein gegenüber.
Die beiden Halbbrüder standen einander Minutenlang schweigend gegenüber und maßen sich mit finstern feindlichen Blicken. So betrachten sich zwei Raubthiere, ehe sie zum tödtenden Sprunge sich erheben.
Martell trug noch seine gewöhnliche schlichte Arbeitstracht, grobe leinwandene
Beinkleider und eine Zwillichjacke. Seine abgegriffene Pelzmütze hielt er in
der Hand. Ein schwarzbaumwollenes Tuch, von dessen Schadhaftigkeit die vielen
Fasern und Troddeln am verschlungenen Knoten Zeugniß ablegten, war lose um den
stämmigen Hals geschlungen. Ihm gegenüber stand Graf Adrian in einem kostbaren
Pelz, im Uebrigen
Der Spinner war sehr bleich, seine tiefliegenden schwarzen Augen brannten in den dunkeln Höhlen, sein dichtes schwarzlockiges Haar schien einen Todtenkopf zu bedecken.
»Was beliebt?« redete Adrian den unversöhnlich beleidigten, fast zum Lastthier herabgewürdigten Bruder an, seine heimliche Furcht in ein trotziges und hochfahrendes Wesen hüllend.
»Herr am Stein,« erwiederte Martell, »oder wie ich eigentlich sagen sollte, Herr Bruder, ich komme, Ihnen anzuzeigen, daß ich nicht mehr Ihr unterthäniger Knecht bin und von morgen an als Arbeiter Ihre Fabrik verlasse.«
»Das hättet Ihr Euch ersparen können. Nach dem Vorgefallenen verstand sich dies von selbst. Guten Abend!«
»Sie erlauben, Herr am Stein! Ehe ich Sie von meiner, ich kann es mir wohl denken, verhaßten Gegenwart befreie, habe ich noch einige Worte mit Ihnen zu sprechen.«
»Jedenfalls muß ich auf die größte Kürze dringen,« fiel Adrian ein. Ohne auf diese Bemerkung Rücksicht zu nehmen, fuhr Martell fort:
»Ist man Euch rückständigen Lohn schuldig, so wendet Euch an Vollbrecht.«
»Von Geld ist hier nicht die Rede Herr am Stein, sondern von einer moralischen Abrechnung.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Dann muß ich es Ihnen erklären,« sagte Martell mit grollender Stimme und trat dem grausamen Bruder, der an einem Spigeltische lehnte, um einige Schritte näher. »Ich will nicht anheben von dem Beginn unserer Verbindung und von den Ungerechtigkeiten, die ich während derselben von Anfang an erduldet habe. Es sind deren so viele, daß ich mich ihrer nicht mehr erinnern kann. Deshalb vergesse ich sie geflissentlich und nehme an, sie hätten mich nie oder doch nur als ein unabwendbares Schicksal getroffen!«
»Ihr würdet sehr gut thun, wenn Ihr Euer ganzes Leben als von so unabwendbarem Schicksal gleitet betrachten wolltet.«
»Ich weiß zu unterscheiden, Herr am Stein,
Adrian zuckte vornehm die Achseln und zog die Stirn in noch krausere Falten.
»Durch Ihre Schuld ist der Tod in meine Hütte gebrochen,« rief Martell, »und hat mir den einzigen Sohn unter grausamen Martern geraubt. Dafür fordere ich jetzt Genugthuung!«
Adrian verharrte, ohne aufzublicken, in seinem vornehmen Schweigen.
»Mein armes geliebtes Weib liegt in Folge der verlängerten Arbeitszeit auf dem Siechbette und wird langsam eines elenden Todes sterben. Auch dafür fordere ich Genugthuung!«
Abermals tiefes und unverbrüchliches Schweigen von Seiten Adrians.
»Ihr teuflisches System, durch vermehrte Arbeit der Unbemittelten Ihr eigenes
Vermögen ins Ungeheure zu vergrößern, hat mich selbst der Liebe entfremdet, hat
mich beinahe zum Gotteslästerer
»Dafür werdet Ihr jetzt auch die Früchte meiner schweren Mühen mit genießen,« fiel Adrian ironisch dem Spinner in's Wort.
»Zuvor fordere ich für diesen Diebstahl, den Sie rechtlos an meinem besseren Selbst begangen haben, Genugthuung!«
Der Graf lächelte und fing an mit der Spitze seines Fußes auf der parkettirten Diele zu trommeln.
»Nummer drei,« sagte Adrian spöttisch. »Ich muß die einzelnen Punkte in meinem Gedächtnisse numeriren, damit ich nicht in die Irre gerathe. Viertens? Bitte, mein sehr unterhaltender Herr Bruder, fahren Sie fort. Es fängt an dunkel zu werden und ich würde in der That Etwas entbehren, könnte ich Ihr interessantes Mienenspiel bei diesen Mittheilungen nicht mehr beobachten. – Also Viertens, Herr – Martell?«
»Sie haben mich geistig beinahe getödtet,« sagte tief erschüttert der ehemalige
Fabrikarbeiter, »und körperlich mich zum Krüppel gemacht! – Aus elendem,
niedrigen Geiz, aus
»Ist Herr Martell zu Ende?«
»Sogleich. Ich habe blos noch zu fragen, ob Herr am Stein mir diese Genugthuung geben will?«
»Man muß Euch etwas zu Gute halten,
»Wollte ich mich verständlicher ausdrücken, so müßte ich Ihnen den schurkischen Hals umdrehen,« rief Martell, dessen erkünstelte Ruhe der angeborenen Lebhaftigkeit des Temperamentes zu weichen drohte.
»Das ist schon deutlicher,« erwiederte Adrian. »Ich fange an, den Sinn Ihrer Worte ahnungsweise zu begreifen. Aber was wollen Sie, Herr Martell, daß ich thun soll?«
»Herr, mir Genugthuung geben! Ist das deutlich?«
»Ihre Stimme ist laut, ich habe die Worte vollkommen verstanden. Doch lassen Sie hören! Auf welche Weise verlangen Sie von mir Genugthuung?«
»Ich wünsche Sie dieselben Qualen empfinden zu lassen, die mir seit Jahren das
Herz zerrissen haben,« raunte Martell seinem kalt lächelnden Halbbruder zu,
indem er dicht an seine Seite trat. »Ja,« fuhr er fort, »ich habe unter
»Diese Bekenntnisse machen Ihnen als Mensch und Bruder viel Ehre. Ich danke Ihnen dafür.«
»Werden Sie mir Genugthuung geben, Herr am Stein?«
»Muß ich nicht?« versetzte Adrian. »Das Gericht, gegen dessen Weisheit ich
nicht die geringsten Zweifel hege, hat Sie einstimmig zum Cavalier erhoben. Sie
sind mein leiblicher Halbbruder,
Adrian lachte und begann im Zimmer, das jetzt ganz dunkel geworden war, auf und nieder zu gehen.
Martell, etwas verblüfft durch die leichtfertige, beinahe cordiale Art und Weise, wie sein Halbbruder den von ihm gemachten Antrag hinnahm, schwieg eine Weile.
»Befehlen Sie Licht, Herr Martell?« fragte der Graf, der jetzt seine ganze Sicherheit, seinen geübten gesellschaftlichen Ton ungeachtet der Aufregung, die in ihm tobte, äußerlich doch wieder gewonnen hatte. Mich dünkt, es wäre schicklicher. Feinde müssen einander Aug' in Auge blicken können, wenn sie es ehrlich meinen.
Und Adrian zog mehrmals die Klingelschnur, daß die Glocke laut durch das stille Haus dröhnte.
Als der Bediente Licht gebracht hatte, blieb Adrian vor seinem Halbbruder stehen.
»Beliebt es, Herr Martell, so können wir unsere Angelegenheit vollends
beendigen,« sagte er. »Sie haben zu bestimmen, in welcher Weise
»Sie werden sich mit mir schlagen.«
»Ich muß bemerken, mein Herr,« versetzte Adrian sehr höflich, »daß dies abermals zu den unnöthigen Aeußerungen gehört, auf denen ich Sie schon einigemale ertappt habe. Man schlägt sich immer, wenn man Genugthuung fordert! Es handelt sich jetzt um Ort, Zeit und Waffen.«
Martell schwieg eine lange Weile, dann richtete er sein schwarzes Auge durchbohrend auf den Halbbruder und erwiederte:
»Obgleich mein Haus sehr schnell bestellt sein wird, da ich zur Zeit nichts besitze, habe ich dennoch mancherlei Anordnungen zu treffen, die mich aufhalten können. Deshalb wünsche ich, daß unser Zusammentreffen morgen um Mitternacht stattfinde.«
»Um Mitternacht? Wir werden dann auf gut Glück wie Blinde mit einander kämpfen! Fürchten Sie etwa das Tageslicht oder schreckt Sie die blanke Waffe die drohende Oeffnung einer geladenen Pistole?«
»Das Zusammentreffen selbst wird Ihnen beweisen, daß ich keine Furcht kenne! Uebrigens soll es an dem erforderlichen Licht nicht fehlen.«
»Nun so sei es! Und der Ort, wenn ich fragen darf?«
»Der Saal in der Fabrik, wo ich unter Kummer, Sorge und Angst Ihnen arbeitete, damit Sie ein reicher Mann werden konnten.«
»Sie haben seltsame Gelüste, mein Herr! Indeß, wenn man sich auf Tod und Leben schlägt, kommt es nicht auf den Ort an, wo man zum letzten Mal sein Auge schließt. Ich bin also auch damit einverstanden.«
»Um nicht gestört zu sein, werde ich Herrn Vollbrecht beauftragen, in dieser Nacht die Arbeiter jenes Saales zu beurlauben.«
»Es sei! – Nun aber die Waffen. – Vermuthlich verstehen Sie den Degen nicht zu führen und wünschen deshalb Pistolen?«
»Nein, Herr am Stein! Weder Degen noch Pistolen vermögen mir Genugthuung zu
verschaffen, das vermag einzig und allein Gott,
»Ah, jetzt verstehe ich,« sagte Adrian mit verächtlichem Zucken der Lippen. »Sie haben es auf einen Faustkampf, auf eine Rauferei abgesehen, und weil Sie in solchen Fechterkünsten natürlich sehr geübt sein müssen als geborener und erzogener Proletarier, so hoffen Sie mich auf die leichteste Weise besiegen und zum Krüppel schlagen zu können! – Sie sind sehr großmüthig, mein Herr, indeß mein Grafenwort darauf, zu solcher Gemeinheit reiche ich Ihnen nicht die Hand.«
Martell schoß das Blut ins Gesicht. Den Grafen verächtlich anblickend erwiederte der Spinner:
»Stünden Sie auf meinem Platze, Herr am Stein, dann würden Sie vielleicht dies
Auskunstsmittel ergriffen haben, ich, bei Gott dem Herrn sei es geschworen, ich
habe nie daran gedacht! Nur Gleichheit der Waffen wünsche, fordere ich, und da
ich nun weder ein Fechter noch ein Schütze bin, weil die Noth des Lebens mir
keine Zeit zu Spiel und Lust gestattete, so verwerfe ich auch diese Waffen. –
Adrian setzte sich und sah den Spinner halb erstaunt, halb ungläubig an. Der Gedanke, Martell möge in Folge des genossenen Giftes an seinem Verstande gelitten haben, gewann bei ihm die Oberhand.
»Das ist Alles recht schön, Herr Martell,« entgegnete er, »und zeugt von einem ungewöhnlich zarten Schicklichkeitsgefühl, allein, da es auf Ihr eigenes Verlangen zwischen uns denn doch zum Blutvergießen kommen soll, so erklären Sie sich jetzt gefälligst, wie wir dies zu bewerkstelligen haben!«
»Ihr Blut, Herr am Stein, habe ich nie gewollt,« sagte Martell mit stolzer,
eiserner Ruhe, »nur Genugthuung für alle mir und den Meinigen zugefügten
Beleidigungen und Qualen, nur Abrechnung für das, was ich unter Ihrer
Willkürherrschaft gelitten habe! Das sühnt kein Blut, das sühnt nur ein Kampf,
wie er mir vorschwebt, ein Kampf, der Sie lehrt, wie dem
»Verstehe ich Sie recht,« sagte Adrian erschrocken, »so wollen Sie mich dem Hungertode Preis geben.«
»Nichts von alledem! Ich werde Sie vielmehr sich selbst und Ihrer Geschicklichkeit überlassen. Sie sind ein kluger, ein fürchterlich kluger Mann; Sie sind gewandt und in tausenderlei Fertigkeiten geübt; Ihnen gebricht es weder an Um- noch an Vorsicht! Das Alles geht mir ab. Ich bin rasch, ungestüm, körperlich ungeübt, geistig nicht halb so gewandt, wie Sie. Ueberdies hat das von Ihnen nur beigebrachte Gift meinen Körper geschwächt, daß all seine Muskeln ein krampfhaftes Zittern rastlos bewegt. Ich bin also nur noch der Schatten eines Menschen! Dennoch vertraue ich Gott und meiner Geschicklichkeit und auf Gott, der ja auch über Ihnen waltet, auf Gott und Ihre Geschicklichkeit sind Sie jetzt von mir gefordert!«
»Mein Gott, das sind aber ja keine Waffen!« rief Adrian erstaunt aus. »Besäße
ich auch hundert Fertigkeiten, wäre ich gelenk wie ein
»Dennoch bestehe ich darauf,« erwiederte Martell. »Sie haben mir die Wahl der Waffen freigestellt und ich wähle als völlig gleiche Waffen unsere beiderseitige Geschicklichkeit. Antwort: Sind Sie damit zufrieden?«
Adrian sann lange hin und her, was der rachsüchtige Spinner wohl unter einem Kampfe verstehen könne, bei welchem einzig und allein die Geschicklichkeit gleichsam als Waffe dienen sollte, er konnte aber zu keinem haltbaren Resultate kommen. Längst schon der Unterhaltung müde, obwohl ihn das unbeholfene Wesen seines Halbbruders einige Male vergnügt hatte, sagte er ärgerlich:
»Nun denn, der bloßen Curiosität wegen bin ich mit dieser neuen Art, einen sogenannten Ehrenhandel zu schlichten, einverstanden. Ich nehme die Waffen an, Waffen, von denen ich zur Stunde noch gar keine Vorstellung habe.«
»Morgen um Mitternacht.«
»Angenommen!«
»Ohne Zeugen!« sagte Adrian und legte seine kleine weiße Hand in die harte, zitternde des Spinners.
»Gute Nacht denn, auf Wiedersehen!«
Martell ließ die Hand des Grafen sinken, kehrte ihm den Rücken und verließ das kostbar meublirte Zimmer des reichen Halbbruders, ohne einen Laut von diesem als Gegengruß zu vernehmen.
»Dieser Mensch ist fürchterlich!« sagte Adrian, als die schweren Schritte des Davongehenden auf dem Corridor verhallt waren. »Hat je ein Mensch so etwas gehört! Ein Duell auf Geschicklichkeit! Man sollte glauben, der Tollkopf wolle mich zwingen, nach Art der Jongleure scharfe Messerklingen im Kreise um mich zu werfen! Müßte ich nicht wider Willen seiner Ehrlichkeit vertrauen, nie und nimmer wäre ich diesen Handel eingegangen. So aber sei es der puren Seltsamkeit wegen und um zu zeigen, daß der legitime Erbe von Boberstein dem Bastard an Muth in keiner Weise nachsteht.«
Sehen wir jetzt, welchen Eindruck die erwähnten Vorfälle auf die stillen Bewohner des Zeiselhofes machten.
Aurel war nach erfolgter Einkerkerung der Verbrecher mit seinen Freunden wieder abgereist und hatte in den nächsten Tagen Herta auf die schonendste Weise von dem Wiederfinden ihres verlorenen Sohnes unterrichtet. Es war die traurigste Aufgabe für den Kapitän, die so schwer Geprüfte jetzt auf das Entsetzliche vorzubereiten, ihr beizubringen, in welchem Zustande der Erniedrigung Klütken-Hannes betroffen worden war, wie man einen tief gesunkenen Verbrecher in ihm gefunden habe!
Herta bedurfte geraumer Zeit, um dies
»Also in Boberstein lebt der Unglückliche?« sagte Herta mit gepreßter Stimme, »und wenn mein Herz dabei brechen, wenn ich auf der Stelle vor Gram und Kummer sterben sollte, noch einmal ihn sehen, vielleicht mit einem Blick meines Mutterauges ihn trösten muß ich!«
»O stehen Sie ab davon!« bat Elwire, deren Schmerz sich in einer Fluth von Thränen Luft machte. »Es muß Sie tödten!«
»Halte mich nicht, liebes Kind, es ist meine Pflicht!«
Elwire viel schluchzend der Großmutter um den Hals und bedeckte sie mit Küssen.
»Die Tante hat Recht,« sagte der Kapitän nach einer Pause. »Wenn irgend etwas
den
Herta drückte dem Neffen dankend die Hand.
»Nicht wahr, Sie eilen?«
»Sobald Sie wünschen, können wir aufbrechen.«
»Auf morgen denn?«
»Ich bin bereit.«
»Herta! Theure Großmutter!« schluchzte Elwire.
»Fürchte nichts, mein Kind! Ich bin durch ein Leben voll Schrecknisse an das Entsetzliche gewöhnt. Ich werde auch dies ertragen, ich werde die Zusammenkunft mit meinem Sohne, der ... ein Mörder ... geworden ist, .. still überleben.«
Thränen erstickten ihre Stimme. Sie verbarg ihr Gesicht in den Locken der schmerzlich bewegten Enkelin.
»Nehmen Sie mich mit, Großmutter,« sagte Elwire nach einiger Zeit und sah bittend mit ihren großen von Thränen verschleierten Augen zu Herta auf, vor der sie kniete.
»Bitte, nehmen Sie mich mit!« flehte das schöne Mädchen dringender. »Ich sterbe vor innerer Angst, wenn ich allein zurückbleiben soll!«
»Liebe Elwire,« sagte Aurel, indem er die Weinende sanft aufhob und sie nöthigte, an Hertas Seite niederzusitzen, »es würde Dich zu heftig erschüttern! Du bist ja nicht allein, die treue, erprobte Dienerin der Tante, die sorgende Emma bleibt bei Dir.«
»Nein, nein, Aurel, ich verlasse die Großmutter nicht!« rief Elwire mit leidenschaftlicher Heftigkeit.
»Bedenke, welch ein Wiedersehen! Welch Zusammentreffen!«
Elwire trocknete ihre Thränen und schlug die Augen zu dem Geliebten auf.
»Wiedersehen!« sagte sie dann düster und ein Frostschauer überrieselte ihren zarten Körper. »Nein, Aurel, ich will ihn nicht wiedersehen, aber ich will um Euch, ich will in Eurer Nähe sein.«
Der Kapitän küßte sie auf die Stirne und drückte zärtlich ihre Hand.
»Bin ich nicht Deine Braut?« sagte Elwire durch Thränen lächelnd. »Du darfst meinem Wort vertrauen, wie meinem Blicke! –«
Nach diesem Entschlusse machte sich eine größere Ruhe bei den Bewohnern des Zeiselhofes geltend. Die Frauen trafen die nöthigsten Vorkehrungen zu der bevorstehenden kleinen Reise, Aurel schrieb eine Menge Briefe an ferne und nahe Freunde. Ausführlich berichtete er das Vorgefallene sowie den Ausgang des Prozesses an Madame Oehler in Hamburg und sprach die Hoffnung aus, sie recht bald wiederzusehen.
Der Maulwurffänger war in seinen Wohnort zurückgekehrt, um Gregor und Schlenker
die frohe Kunde von dem Ausgange des Prozesses mitzutheilen. Er hatte
versprochen, in einigen Tagen wieder nach Boberstein zu gehen, da seine
Anwesenheit dort nöthig sein konnte, um Martell theils zu beaufsichtigen,
theils zu beruhigen. Man durfte also hoffen, den treuen Bundesgenossen
Es war am Tage nach der merkwürdigen Unterredung zwischen Adrian und Martell, als Kapitän Aurel mit Herta, Elwire und Sloboda, der nunmehr für immer seine Wohnung auf dem Zeiselhofe aufgeschlagen hatte, nach Boberstein fuhr, um die Gefangenen zu sehen und zu sprechen. Wir eilen den trauernden Reisenden voraus, um uns nach den Verbrechern zu erkundigen, die wir am Morgen des wichtigen Tages verließen, welcher den drei gräflichen Brüdern drei Halbgeschwister unter so erschütternden Umständen zuführte.
Vollbrecht hatte die Verbrecher in einen sichern Ort geführt, aus dem kein
Entkommen möglich war. Dieser lag unter den Fabrikgebäuden und bestand aus
einem kellerartigen Gewölbe, das für gewöhnlich zu Aufbewahrung von
Waarenballen benutzt ward. Feste Thüren und Riegel, ein hohes vergittertes
Fenster mit
Unmittelbar neben diesem Kellergewölbe befand sich eine der Maschinenkammern, weßhalb die Gefangenen das dumpfe, monotone Stampfen und Rauschen der arbeitenden Maschine Tag und Nacht vernahmen. Auf dieser Seite war auch die Mauer des Gewölbes neueren Ursprungs und, wie ein leises Klopfen daran deutlich verrieth, bei weitem nicht so stark. Der Keller mochte beim Brande der Burg zum Theil eingestürzt, später aber die schadhaften Stellen mittelst Mauerwerk aus Backsteinen wieder aufgeführt worden sein.
Dies Gewahrsam war für ein Gefängniß ein ganz erträglicher Aufenthaltsort.
Vollbrecht ließ einen Tisch nebst ein paar Stühlen hereinschaffen, ein eiserner
Ofen half die etwas dunstige und feuchte Luft erwärmen, Matratzen wurden auf
den gedielten Fußboden gebreitet und außerdem für Lebensmittel die nöthige
Sorge getragen. Nicht einmal Fesseln legte man den Verbrechern an, da
Vollbrecht keinen Auftrag
So konnten denn die beiden Verbrecher nach Belieben in ihrem gemeinsamen Kerker umhergehen, sich nach Herzenslust unterhalten und treiben, was ihnen gefiel. Täglich drei Mal brachte ein Bedienter des Grafen den Gefangenen Speise und Trank in Fülle und weit besser zubereitet, als sie es erwarten durften. Selbst auf ihre schlechten Gewohnheiten nahm Vollbrecht Rücksicht, indem er den Elenden täglich eine halbe Kanne Branntwein verabreichen ließ.
Anfangs beobachteten Beide ein finsteres Stillschweigen. Jeder schien über die mißliche Lage nachzudenken, in welche sie rohe Gewinnsucht und unüberlegtes Handeln gebracht hatte. Keiner sprach mit dem Andern. Wie grimmige Bestien gingen sie mürrisch, bisweilen wüthende Blicke sich zuwerfend, an einander vorüber.
Dies Schweigen dauerte den ganzen ersten Tag ihrer Gefangenschaft. Am nächsten
Morgen aber fühlte sich Blutrüssel doch gar zu sehr gelangweilt und so hielt er
es für klüger, seinen
»Guten Morgen, Hans. Wie hast Du auf Deiner Stammburg geschlafen?«
Klütken-Hannes antwortete nicht. Er wendete dem Sprecher den Rücken zu und seufzte.
»Hm,« fuhr der Mörder fort, »der hat noch Lust zu träumen von den Herrlichkeiten, die seiner warten.«
»Daß Du ersticktest!« murmelte Elwirens Vater.
»Bruder, sei kein Narr,« erwiederte Blutrüssel, »laß uns lieber vernünftig mit einander reden. Wir sitzen Beide in einer verdammt ärgerlichen Patsche, aber der Teufel müßte über Nacht all' seinen Witz verloren haben, wenn wir nicht mit heiler Haut davon kämen. Laß uns einig sein und wir sind geborgen!«
»Hätte ich Dich nie gesehen, nie auf Dein
»Bleib mir vom Leibe mit solchen Redensarter, alter Junge! – Unglücklich gemacht – was will das sagen! – Und hier und ewiglich! Da ist kein Menschenverstand drin!«
»Ich ... ein Brudermörder! ... O Fluch, Fluch, tausendmal Fluch über Dich seelenverderbendes Scheusal!«
»Recht so, Hans, tobe Dich aus! Das klärt die Seele auf und stärkt den Körper. – Sobald Du Dich satt geschimpft hast, wollen wir zusammen reden wie Brüder. – Ich weiß, daß Du mir ruhig zuhören wirst, denn halb und halb bin ich Dein Stiefvater und – kann das von Dir verlangen.«
»Mörder, ich werde mich rächen!« drohte Klütken-Hannes, erhob drohend seine Faust gegen Blutrüssel und schüttelte wild das struppige graue Haar.
»Ja doch,« sagte sein Verführer, immer räche Dich, das ist in der Ordnung. Wenn
heut zu Tage ein ehrlicher Kerl eine Ohrfeige kriegt, so hat er keine ruhige
Minute, bis er zwei Ohrfeigen zurückgegeben hat. Das nennt
»Du bist ein Teufel ... mit Deinem Hohn! – O meine Mutter, meine Mutter!«
»Deine Mutter, die alte Frau, ist in guten Händen. Nach einigen Jahren schlechten Lebens geht es ihr vortrefflich, fast so vortrefflich, als es eine Gräfin verlangen kann.«
»Sie wird sterben um mich, um ihren verworfenen Sohn! ... Sie wird sich die weißen Haare ausraufen um den elenden Verbrecher ... den Brudermörder! ... Und mein Kind – meine Tochter!«
»Wärst Du meinen Rathe gefolgt, so brauchtest Du jetzt nicht diese lamentable
Höllenlitanei statt des Morgensegens zu beten. Dein blankes, glattes Mädel
gehörte dahin, wohin ich sie Dir zu verhandeln rieth, als es mit dem Trödel
nicht mehr vorwärts gehen wollte. Dort wäre sie gut aufgehoben gewesen und Dein
Lebetage hättest Du nichts von den Dummheiten erfahren, die im vergangenen
Jahrhundert Deine
»Gottes Finger! Gottes Finger!« rief Klütken-Hannes, beide Hände über sein Gesicht schlagend. »Ich fühle, wie er meinen Scheitel berührt – wie er im sündhaften Sohne die Verbrechen des sündhaften Vaters strafen und sühnen will!«
»Das muß ein sehr widerliches Gefühl sein, mit Verlaub,« erwiederte Blutrüssel höhnisch, »ungefähr so widerlich, als ein nüchterner Magen, der sich nach einem derben Stück Fleisch und einem kräftigen Glas Porter sehnt. – Teufel noch' mal, ich glaube, die Bestien wollen uns Hungers sterben lassen!«
Er sprang von seinem Lager auf und suchte Klütken-Hannes, der schon früher
aufgestanden war und ruhelos im Kerker auf- und niederging, den Weg zu
vertreten. Dieser wich ihm aber geflissentlich aus, um alle Reibung zu
verhindern und durch die frechen und höhnischen
Klütken-Hannes, im tiefsten Innersten erschüttert durch die furchtbaren Aufschlüsse über seine Abstammung und sein Verhältniß zu der Familie der Grafen Boberstein, bereute jetzt wirklich sein unseliges Leben, seinen sträflichen Leichtsinn, seine habgierige Verblendung! Ihm graute vor sich selbst, wenn er seine jüngste Vergangenheit überblickte; denn wohin er sein zitterndes Auge wandte, überall begegnete er einer rohen Gewaltthatt oder einem heimlichen Frevel! Verkäufer seines eigenen Kindes – wüster Säufer – frecher Gotteslästerer – gewissenloser Heuchler – und endlich gedungener Mörder! – Alle Sünden und Laster der weiten Welt fühlte er bei dieser Rundschau auf sich lasten, ja Satan selbst schien ihm nicht entsetzlicher, nicht fluch- und verabscheuungswürdiger zu sein, als er, der verachtete Trödler, der Sohn einer frommen, rechtschaffenen, liebenswürdigen Mutter aus altem Geschlecht.
»Und sie lebt noch!« rief er wie wahnsinnig. »Sie muß leben, um den
grauenvollen Untergang
Drei Tage lang wiederholten sich diese Klagen des bedauernswerthen Mannes. In dieser ganzen Zeit vermied er jede Gemeinschaft mit seinem verbrecherischen Genossen, obwohl er gezwungen war, stets um ihn zu sein. Blutrüssel ward dadurch sehr erbittert, doch ließ er sich nichts merken, da er sehr richtig voraussah, daß Klütken-Hannes neuen Verkehr mit ihm anknüpfen werde, sobald er die ersten tobenden Stürme der Verzweiflung überstanden haben würde.
Der abgefeimte Bösewicht hatte sich nicht getäuscht. Schon am Abend des dritten Tages gab Herta's Sohn auf seine Fragen zusammenhängendere Antworten, was der ergraute Sünder für ein günstiges Zeichen hielt. Er hatte neue Pläne entworfen und wollte diese nunmehr seinem Genossen mittheilen, doch verschob er dies bis auf den künftigen Tag, um recht sicher zu gehen.
Klütken-Hannes war am nächsten Morgen,
»Wenn wir klug sind und uns Einer auf den Andern verlassen, so können wir in ein paar Tagen wieder unsere eigenen Herren sein.«
»Daran liegt mir nichts,« erwiederte Klütken-Hannes. »Habe ich gefrevelt, so will ich auch jetzt Strafe dafür leiden.«
»Und Dich aufknüpfen oder, was noch wahrscheinlicher ist, von unten auf rädern lassen? Denn das ist jetzt Sitte in manchen civilisirten Staaten. Ich sage Dir, Du hast einen schlechten Geschmack. Aus daß Du bessere Einfälle bekommst, – stoß' an!«
»Mit Dir? – Nun und nimmermehr, und sollte es mir die Seligkeit losten!«
»Weshalb nicht?« sagte er barsch. »Bin ich Dir nicht gut genug?«
Klütken-Hannes saß mit untergestemmtem Arm am Tische, runzelte die blatternarbige Stirn und trank häufig kurze Züge aus seinem vollen Glase.
»Antwort verlange ich!« rief der Bösewicht heiser kreischend und stieß sein Gegenüber unsanft an. »Ob ich Dir nicht mehr gut genug bin, Herr – Bettelgraf, frag ich?«
»Du bist mein böser Geist,« versetzte dumpf und ernst Herta's Sohn.
»Ha, ha, ha!« lachte Blutrüssel. »Weil der Narr jetzt weiß, daß er aus anderm Teig geknetet ward, als ich und Hunderttausend meines Gleichen, und weil ich so gescheidt war, einen talentvollen Jungen bei Zeiten ins harte Leben hineinzustoßen, damit er auch Einer der Unsrigen, ein armer Teufel werde, der von seinem Erwerb sich das Leben fristen muß, deshalb bin ich jetzt sein böser Geist. – Hans, alter Hans, ich, siehst Du, ich finde das lächerlich.«
»Ich aber fürchterlich, unaussprechlich grauenvoll!«
»Vergiß, was vorüber ist, und schau vorwärts! Ein rechter Kerl kümmert sich den Henker um die Vergangenheit!«
»Auch nicht um seinen Vater, seine Mutter?«
»Um diese schon gar nicht, denn sie gehen ihn nichts an, wenn er sich so lange wie Du allein und ohne Hilfe in der Welt hat forthelfen müssen.«
»Ohne Dich wäre ich glücklich, wäre ich ein guter Mensch, ein dankbarer Sohn geworden!«
»Oho!« rief Blutrüssel. »Am Ende soll ich gar daran Schuld sein, daß Du Dein liebes Brüderchen, den Mohrenkopf, mit Gift vergeben wolltest!«
»Bei der ewigen Pein, das bist Du!«
»Kellerhaus!« drohte Blutrüssel und ballte die Hand gegen ihn. »Trödelbube, mach mich nicht mürrisch!«
»Ja,« fuhr Klütken-Hannes fort, mit der Faust auf den Tisch schlagend, »Du bist
es, der
»Der kennt mich nicht, so gut ich ihn nicht kenne,« höhnte der Mörder, »und überdies, da ich nicht zu seiner Gerichtsbarkeit gehöre, lache ich Deiner Klage.«
»Gotteslästerer!« murmelte Klütken-Hannes. »Seine Hand wird Dich ereilen, ehe Du es vermuthest!«
»Ach das ist gut,« erwiederte der Bösewicht, »Du fängst schon an zu predigen – und wirst mich mithin belehren, wenn wir uns noch einige Wochen Gesellschaft leisten sollten.«
»Dann erwürge ich Dich!«
»Im Schlafe, nicht wahr? Denn wachend fürchte meine Kralle!«
»Mörder meines Großvaters!« sagte Klütken-Hannes dumpf vor sich hin und schauderte unwillkürlich zusammen. »Und mit ihm muß ich den Kerker theilen!«
»Ein witziger Einfall, fürwahr! Aber warum war auch Dein Großpapa so albern und
lief mir in den Weg, da ich eben beschäftigt
»Mord! Mord! Nichts als Mord und Todtschlag!« rief Herta's Sohn händeringend. »Mord an Aeltern, Brüdern, Verwandten! ...«
»Noch nicht, aber es kann dahin kommen,« sagte Blutrüssel trocken. »Wer Nesseln sät, der ärndtet Nesseln, und das Zeug brennt wie Feuer, wenn's recht gedeiht. Ha, und Du bist gediehen, teufelmäßig gediehen!«
Und das Scheusal fiel in ein so fürchterliches Hohngelächter, daß Klütken-Hannes aufsprang und mit zorniger Miene dem Unholde näher trat.
»Vermaledeiter Hund!« schrie er ihm zu. »Du höhnst mich noch? Du wagst zu
lachen, wenn sich die Haare einzeln auf meinem Scheitel bäumen über das
grauenvolle Verhängniß, das an meinem Geschlechte nagt? An dessen
»Wenn Ew. Gnaden erlauben, so lache ich,« versetzte Blutrüssel. »Denn es macht mir Vergnügen zu sehen, daß meine Aussaat so vortreffliche Früchte getragen hat. Auf Du und Du mit einem Grafensohne leben, noch dazu mit dem Sprößlinge des übermüthigsten Aristokraten, der je einen Wappenring am Finger und goldene Sporen an den Fersen trug; mit einem Sohne des Mannes, der alle übrigen Menschen nur als Spielpuppen seiner Laune behandelte und kein größeres Unglück kannte, als Armuth, Mangel, niedere Geburt und schlechte Gesellschaft – was die Großen so nennen – ja bei dem Fluch aller Flüche, das macht mir Vergnügen, das ergetzt mich, wie's etwa den Teufel ergetzen mag, wenn er ein schuldloses Seelchen in sein Netz gelockt hat!«
Mit harter Faust packte Klütken-Hannes seinen Verführer am Arm und schüttelte ihn heftig, indem er ihm zurief:
»Du kanntest also meine Abstammung? Du wußtest wirklich, daß eine verzweifelte Mutter um mich weinte?«
»Und hattest kein Mitleid mit ihr, mit mir?«
»Ich hatte Geld, viel Geld, gnädiger Herr Graf und Mitgefangener, und wenn ich Geld hatte, so kannte ich das Wort ›Mitleid‹ niemals.«
»Wie kam es, daß Du mich späterhin verließest?« fuhr Klütken-Hannes mit kalter Inquisitorstimme fort, den abscheulichen Mörder zu verhören. »Denn ich erinnere mich erst, Dich in spätern Jahren, als ich schon Comptoirdiener war, gesehen zu haben.«
»Das ging sehr einfach zu, mein Vortrefflichster. Du warst ein hübscher,
kräftiger Junge mit prächtigen Haaren und einem allerliebsten frischen
Gesichtchen. Eine herumziehende Schauspielerbande fand Dich liebenswürdig,
machte mir annehmbare Anträge und so schlug ich Dich für ein gutes Handgeld
los. Du wirst billig sein und mir dies nicht verdenken! – Ich hatte es satt,
die Kindermuhme zu spielen und Dich bei meinen Wanderungen auf den Armen
herumzuschleppen. Im Grunde bist Du mir sogar vielen Dank dafür schuldig, denn
ich konnte Dich, straf' mich Gott, abstechen, wie eine Gans, die
»Um mich langsam und desto sicherer zu tödten! Um mich dem ewigen Verderben zu opfern!« rief Klütken-Hannes aus. »Und dafür, meinst Du, dafür soll ich Dir jetzt dankbar sein?«
»Als guter und treuer Kumpan, beim Element, ja! Das ist Sitte und Brauch bei allen honetten Leuten.«
»Wir sind nicht honette Leute, wird sind Elende – Verbrecher!«
»Oho! Verbrecher sind auch honett. Oder haben wir nicht honett gehandelt mit – mit – den beiden Brüdern?«
Klütken-Hannes fühlte, das sein Blut sich mehr und mehr empörte. Er vermochte sich nicht mehr zu zügeln. Einen Schritt zurücktretend, knirschte er mit den Zähnen und spie dem Abscheulichen den Geifer der Wuth in's Gesicht.
»Nimm das für Deine Judasdienste,« rief er ihm zu, »und verflucht will ich sein, wenn ich von dieser Stund' an noch einen Bissen Brod mit Dir theile! Wenn ich je wieder Deine vermaledeite Hand berühre!«
Herta's Sohn hatte einen so ungestümen Angriff nicht erwartet. Ohne Waffe, ungeübt im Ring- und Faustkampfe, überdies von dem häufigen Genuß starken Branntweins geschwächt, vermochte er dem Anstürmen des wüthend gemachten Mörders kaum zu begegnen. Er empfing rasch hinter einander mehrere empfindliche Stöße mit dem scharfen Fuß des zerbrochenen Glases und sah Hände, Arme und Gesicht alsbald von heißem Blute überströmt. In der Angst ergriff er zwar einen Schemel und wehrte sich tapfer gegen den Blut- und Rachedurstigen. Auch rief er mehrmals laut schreiend um Hilfe. Wenn aber auch Jemand in der Nähe gewesen wäre, den wimmernden Ruf würde er kaum gehört haben, da das Rauschen der Maschine im Erdgeschoß und das dumpfe Gesurr der Spindeln in den obern Stockwerken jeden andern Laut übertäubten.
Blutrüssel, erhitzt bis zu sinnloser Wuth,
»Recht so, mein Honigpüppchen,« sagte der Schreckliche, indem er ihm mit furchtbarem Stoße die Lippen abschnitt, »das wird Dich satt machen für immer und Dich verhindern, honetten Leuten wieder ins Gesicht zu speien. – So! – Du hattest ja die Spitzgläser lieb, gib ihm noch einen innigen Kuß! – Ha, wie das rieselt! – Das hilft fürs Ausplaudern! ...«
»Ha!« rief er aus. »Willst Du gleich die Deckel schließen, Satanskind? Willst Du?«
Der Sterbende hörte ihn nicht mehr. Die Augen stierten weit geöffnet und regungslos den Entmentschten an.
»Nun so empfangt von mir die Sargnägel!« tobte Blutrüssel in der Raserei des Mordens und schlug mit zwei furchtbaren Schlägen das spitze Glas dem jahrelangen Genossen in beide Augenhöhlen. Die Stöße waren so gewaltig daß ihm das Blut in's Gesicht spritzte. Klütken-Hannes zuckte noch einige Male und verschied.
Jetzt erst kehrte dem blutbesudelten Mörder die Besinnung zurück. Er entsetzte
sich vor seiner gräßlichen That und die Angst der Verzweiflung kam über ihn.
Die innere Qual zu betäuben, trank er rasch den noch vorräthigen Rest
Der verzweifelte Mörder hatte noch kaum zehn Minuten in dieser Stellung verharrt, da nahten sich Tritte und er hörte das Klirren von Schlüsseln. Zusammenschaudernd sprang er von dem Tische, trat zurück und lehnte sich im äußersten Winkel des Gewölbes an die kalte, trockene Steinwand.
In diesem Augenblicke knarrte der Schlüssel im Schloß und die Thür ward geöffnet.
Der Eintretende war Vollbrecht. Er blieb unter der Thüre stehen und wunderte sich über die Ruhe der beiden Gefangenen, von denen er keinen erblickte.
»Klütken-Hannes!« rief er nach kurzer Pause. »Wo bist Du? Man will Dich besuchen.«
Keine Antwort. Vollbrecht ließ jetzt seine Augen nochmals durch den etwas düstern Kerker schweifen und bemerkte die unsichern Umrisse von Blutrüssels Gestalt, der regungslos an der Wand lehnte.
»Es ist sehr ungezogen von Euch,« fuhr er fort, »daß Ihr für die gute
Behandlung, die Euch zu Theil wird, nicht einmal so viel Erkenntlichkeit
Jetzt erhob sich der Mörder und ging mit wankenden Schritten nach der Thür. Zugleich trat Aurel neben Vollbrecht. Man konnte das Schluchzen Herta's, die hinter ihm stand, hören.
»Klütken-Hannes! Unglücklicher Bruder!« sagte der Kapitän gerührt und mit weicher Stimme. »Tritt hervor aus der Dunkelheit und reiche mir Deine Hand! Ich möchte Dich gern einem Wesen zuführen, das Dir theuer sein muß das Dich noch einmal umarmen und, wenn auch unter bittern Schmerzensthränen, verzeihend, sühnend, segnend seine zitternde Hand auf Dein sündiges Haupt legen will! Armer beklagenswerther Mann, Deine Mutter – will Dich sehen!«
Beide Männer traten jetzt in den Kerker. Blutrüssel, den die entsetzliche Wucht des eben verübten Verbrechens fast zu Boden drückte stöhnte in unarticulirten Tönen und schüttelte sein wüstes, blutbeflecktes Haupt wie ein wildes Thier.
»Tritt zurück, Kannibale!« befahl Aurel, seiden
»Er ... schläft, murmelte der Mörder.«
»Wo aber? Das Lager ist ja leer?«
»Dort ... hinter ... dem Ofen,« stotterte Blutrüssel, indem er sich wieder auf den Tisch setzte, der unter seiner Körperlast knackte.
»Dort?« wiederholte der Kapitän, schnell gegen den Ofen vorschreitend. »Ist ihm etwas zugestoßen?«
»Beim Teufel ja!« schrie Blutrüssel in einem Anfalle wahnsinnigen Humors auf und brach in ein schallendes Gelächter aus. »Es ist ihm so viel zugestoßen, daß er sich verblutet hat.«
Diese scharf und gellend ausgestoßenen Worte vernahm Herta. Sogleich folgte sie den vorangegangenen Männern in den Kerker, stützte sich auf Vollbrechts Arm und sagte leise zu dem Geschäftsführer:
»Kommen Sie, kommen Sie, ehe er stirbt!«
Aurel stieß an die Füße des Getödteten. Er kniete nieder, ergriff seine Hand,
sah die Blutlache, die ihn umgab und wie ein dunkelrother Saum die tiefe
Wandseite umfing; er entdeckte die zahllosen Wundenmale, die blutigen,
»O Gott!« rief er aus, mit schnellem Griff eine der Matratzen erfassend und sie mitleidig über den Verstümmelten werfend. »Seine Leiden sind vorüber, man hat ihn getödtet!«
Obwohl Aurel nur leise sprach, konnte Herta doch den Sinn seiner Worte erfassen, und mit dem jammernden Weheruf »getödtet?« stand sie an Aurels Seite neben dem entseelten Schlachtopfer der Mordlust Blutrüssels.
»Lassen Sie uns gehen, theuerste Tante!« bat der Kapitän, indem er die unglückliche, vor Entsetzen bebende Mutter sanft umfaßte. »Dieser Anblick ist nicht für Frauen, denn hier hat die Hölle selbst eine ihrer gräßlichsten Thaten vollbracht.«
Allein Herta ließ sich nicht zurückhalten. Ohne auf die Bitten Aurels zu hören,
sank sie in die Knie, streckte ihre magern weißen Hände nach der Matratze aus,
hob sie langsam empor und heftete ihre in Thränen schwimmenden Augen auf das
blutbedeckte, von Mörderhand zersetzte, Antlitz des Mannes, in dem sie ihren
Sohn wieder erkennen wollte. Lange betrachtete sie
»So ruhe wohl, Kind der Schmach und des Unglücks! Möge der Segen Deiner armen Mutter, von deren Herzen Dich unbarmherzige Räuberhände rissen, die Pforten des Himmels Dir erschließen und Dir Vergebung Deiner Frevel bei dem Allbarmherzigen erwirken!«
Kaum hatte die erschütterte Dame diese Worte geflüstert, so verließen sie die Kräfte. Sie brach zusammen, sank vorwärts auf die Leiche des Sohnes und tauchte ihre weichen erbleichenden Locken in das warme Blut des eigenen Kindes. –
Aurel hob die Ohnmächtige schnell auf und legte sie in die Arme Vollbrechts, der vor dieser unerhörten Frevelthat verstummt war.
»Schützen Sie die Arme,« sagte er, »ich
Blutrüssel saß noch immer regungslos auf dem Tische, die schrecklich rollenden Augen scheu zu Boden schlagend. Seine blutigen Hände hatte er in die Seitentasche der Jacke gesteckt, die ebenfals mit Blut besudelt war.
»Aus welchem Grunde hast Du Deinen Genossen getödtet?« fragte der Kapitan streng und kalt. »Hattet Ihr Streit mit einander?«
»Es mochte so 'was sein, denn er spie mir ins Gesicht.«
»Du bekennst Dich also zu seinem Mörder?«
»Was hilft's Läugnen, wenn es unmöglich ist?« grinste der Entsetzliche.
»Unglücklicher!« sagte Aurel. »Zwei-, ja dreifacher Mörder! Erhebe Deine rollenden Augen und sieh hin auf dies trauernde, dem Grabe zuwankende Weib! Kennst Du die Arme?«
»Es mag wohl die gefallene Gräfin sein,« versetzte der Mörder mit kalter
Gleichgiltigkeit. »Ich erkenne sie an der Art, die Haare zu tragen. Als sie
jung war, hätte ich 'was drum gegeben, wenn es mir erlaubt gewesen wäre, ihr
»Du hast Deinen Schwur gehalten, Entsetzlicher! Denn nicht allein ihren Vater erschlugst Du meuchelmörderisch, Du raubtest ihr auch ihren Sohn, verführtest ihn zu grauenhaftem Lasterleben und, als Du ihn herabgezogen hattest in Deine Lebenskreise, als Du ihn zum Morden verleitet, erschlugst Du auch ihn! – Elender, hörst Du nicht den Rachegesang der Furien, die in engerem und immer engerem Kreise Dich umschleichen?«
Zwar hatte den mordgewöhnten Bösewicht die gräßliche Blutthat selbst überrascht
und ihn, wie wir gesehen haben, in eine geistige Dumpfheit hinabgedrückt, die
ihn vielleicht die strafende Stimme des Gewissens auf einige Augenblicke
vernehmen ließ. Allein Blutrüssel war zu sehr an alle Arten von Verbrechen
gewöhnt, er hatte von Jugend auf im Schlamm der tiefsten Lasterhaftigkeit
gelebt, die raffinirtesten Sünden hatten ihn ergetzt; es war ihm Genuß,
Zerstreuung gewesen, bald hier bald dort eine neue Uebelthat zu begehen oder
ihr wenigstens Vorschub zu leisten, daß ein Aufzählen seiner Schandthaten den
»Auf dieser curiosen Welt hat Jeglicher sein Geschäft. Wer das gut besorgt und zu einigem Aufschwung bringt, der wird belobt. Wozu also Ihr jammervoller Lärm? Raub und Mord war mein Geschäft, der Herr Vater dieser Dame, den ich zuletzt nach Verdienst das Lebenslicht ausblies, hat mich darin unterrichtet und war immer zufrieden mit der Ausführung seiner Aufträge. Ich finde es daher ganz ordnungsmäßig, daß ich auch den Enkel abthue, wenn er mir nicht mehr gefällt. Immer besser, von der Hand eines geübten Mörders zu sterben, als von einem Stümper geschlachtet zu werden! Ich hab's gethan, und ich meine, das Werk soll den Meister loben. Basta!«
Blutrüssel hatte seine ganze Frechheit während dieser Gegenrede wieder erlangt.
Er fühlte sich sicher, ja in gewissem Sinne groß und stolz, und ohne sich
weiter um den Kapitän und seine
»Nun so zittere!« sagte empört über die Rohheit des Mörders der Kapitän. »Für Dich keine Gnade, kein Erbarmen! Für Dich die härteste Strafe des Gesetzes!«
»Bah!« lachte Blutrüssel. »Es kostet doch weiter nichts als den Kopf, und der ist bei mir grau und alt genug, um abgeschüttelt zu werden!«
Heiseres Lachen begleitete diese höhnischen Worte. Aurel fühlte, wie ein unabweisbares Grauen vor diesem Scheusal sich seiner bemächtigte, und da er sah, daß Herta sich wieder zu regen begann, faßte er sie unterm Arm und geleitete die zum Leben Erwachende mit Vollbrechts Hilfe aus dem Kerker.
»Schließen Sie den Wütherich fest ein,« befahl er, »und lassen Sie ein paar sichere Leute vor die äußere Thür stellen, denn dieses Scheusal soll der Strafe nicht entgehen!«
Mit größter Schonung führten die beiden Männer die noch halb bewußlose Herta
zurück in Vollbrechts Wohnung, wo Elwire in Biancas
Blutrüssel aber erhob grinsend seinen Kopf bei den letzten Worten des Kapitäns und sah mit gleichgiltigem Lächeln die Thür verschließen.
»Nicht entgehen soll ich der Strafe?« wiederholte er. »Meinst Du, weil Du Graf bist, werde das Gericht Dir schneller zu Handen sein? Dummkopf, das weiß ich besser! –«
Hastig schritt er einigemal im Gewölbe auf und nieder Das brausende Stöhnen der Maschine hinter der tönenden Wand und die verworrenen Stimmen mehrerer Menschen, die in der Maschinenkammer laut mit einander sprachen, machte ihn aufmerksam. Er blieb stehen und horchte.
Auf den Zehen, als fürchte er gehört zu werden, schlich jetzt der blutige Mörder nach der Wand, hinter welcher die Maschine stampfte und fauste. Geraume Zeit legte er sein Ohr an das Gestein, um zu horchen. Dann richtete er sich wieder auf und fletschte die häßlichen Zähne, wie zum Hohn.
»Sie sind fort,« sprach er nachdenkend »aber es waren Menschen da, was ein Beweis ist, daß hinter dieser Wand ein Raum sich befindet, den man betreten kann.«
Seine vorstehenden Augen liefen forschend über das graue Gestein und mit gekrümmten Fingern pochte er mehrmals daran.
»Kein Zweifel,« fuhr er fort, »es ist eine Wand aus Ziegelsteinen. – Sie kann
nicht dick sein, sonst könnte ich die Stimmen der Sprechenden nicht so deutlich
gehört haben. – Das
Diesen Plan in seinem verbrecherischen Gehirn ausbildend, setzte sich Blutrüssel ruhig wieder auf seinen Schemel und vertrieb sich die Zeit, so gut als es gehen wollte, durch Absingung unsittlicher Lieder.
Um die Mittagsstunde trat Aurel in die Hütte Martells, die schon seit einiger Zeit häufig der Versammlungsort derjenigen gewesen war, die sich als Verbündete die Hand gereicht hatten. Der Kapitän war bei seiner Ankunft am Morgen nur auf Augenblicke bei seinem Halbbruder eingekehrt, um ihm die Veranlassung seines Besuches auf Boberstein zu melden. Später hatte er wiederzukommen versprochen, um noch manches Wichtige mit dem ehemaligen Fabrikarbeiter zu besprechen.
Er traf die Familie nebst Gilbert bereits beim Mittagsmahle, das noch immer so
einfach wie früher, nur etwas reichlicher war, da Aurel dem halsstarrigen
Halbbruder fast mit Gewalt
Der entsetzliche Anblick im Kerker hatte Aurel so gewaltig erschüttert, daß sich der Schreck darüber noch jetzt in seinen Mienen aussprach. Martell bemerkte dies, weshalb er ruhig sagte:
»Du hast etwas erlebt.«
»Etwas Unerhörtes,« erwiederte der Kapitän, aus Lore's Händen den Schemel annehmend, den ihm die kränkelnde Frau an den Tisch schob.
»Herta ist ein Unglück begegnet,« rief Martell. »Ihr Herz brach beim Anblick des maßlos Verwilderten!«
»Vielleicht wäre erfolgt, was Du sagst, hätte die Vorsehung nicht anders über sie bestimmt Die Tante hat ihren Sohn nicht gesprochen, sie hat ihn nur sehen und weinend segnen können für ein besseres Leben. Er war todt.«
»Todt! Schon todt! Und vor drei, vier Tagen noch die Gesundheit selbst? Wie ist dies möglich?«
»Er starb an Gift,« warf Gilbert ein. »Kredenzte er Ihnen doch wiederholt den
vergifteten
»O nein,« sagte Aurel betrübt, »er starb eines fürchterlichen, qualvollen Todes durch Mörderhand.«
»Blutrüssel erschlug ihn!« rief Gilbert.
»Mein Gott, welche Gräuel!« sagte Lore. »Und das heißt eine christliche Welt!«
»Betet, betet,« flehte der greise Traugott, »damit die Seele des unvorbereitet Dahingegangenen Gnade finde vor dem Herrn!«
»Ich habe Auftrag gegeben,« fuhr Aurel fort, »den gräßlich verstümmelten Leichnam aus dem Kerker, wo er jetzt noch liegt, zu entfernen. Sein Tod sühnt seine Verbrechen. Wir wollen dem Irrenden, dem Verführten von Herzen verzeihen und seine Gebeine ehrenvoll bestatten. Obwohl ein tiefgesunkener Mensch, war er doch unser Bruder, und sein Zwist mit dem Ungeheuer Blutrüssel, dem er mit Recht und in harten Ausdrücken seine moralische Verwilderung Schuld gab, beweißt, daß er im Herzen sein sündhaftes Leben bereute und auf dem Wege war, sich zu bekehren. Darum Friede seiner Asche und keinen Groll seinem Andenken!«
»Vollbrecht überbrachte ihm die Nachricht.«
»Wie nahm er sie auf?«
»Mit gewohnter Ruhe, nur wollte der Geschäftsführer ein seltsames Glänzen seiner kleinen Augen bemerkt haben.«
»Wohl denkbar, der Tod des Bruders freut ihn,« sagte Gilbert.
»Er kommt ihm wenigstens gelegen,« versetzte Martell. »Mit dem letzten Athemzuge dieses Unglücklichen verschwindet auch der letzte Zeuge gegen ihn, denn Blutrüssel ist ein unschädlicher Mensch, ja wer weiß –«
»Du ziehst die Stirn in Falten? Welch ein Gedanke foltert Dich?«
»O nichts, nichts! Ich überlegte nur, wie ich mich bei meinem Abschiede von Adrian benehmen soll.«
»Bestehst Du noch immer darauf?« sagte Lore. »Wozu diese fortwährende Qual?
Bleib fern vor der Insel und überlasse den, der uns so viel Uebles zugefügt
hat, der Strafe seines Gewissens! – Ich kenne Dich, Martell, ich weiß, daß Du
Dich in bittern Aerger hineinredest,
»Ich muß zuvor Abrechnung halten,« versetzte Martell trocken.
»Abrechnung! Was hast Du denn noch zu fordern? Es ist kein Lohn mehr rückständig.«
»Das verstehst Du nicht,« erwiederte der Spinner. »Mein Herz, mein Gewissen, meine und Eure Zukunft verlangen, daß ich dennoch eine Abrechnung mit dem Manne der Willkür und des Eigennutzes halte, wie ich sie als Euer Oberhaupt und Versorger zu fordern habe. Also laß mich, Lore, und bringe mich nicht auf durch Widerspruch. Adrian ist überdies schon davon unterrichtet und erwartet mich.«
»Wann?« fragte Aurel lebhaft.
»Heute Nacht.«
»Ich begleite Dich.«
»Bis zu Vollbrecht, wenn Du willst, aber nicht weiter, bei meinem Zorne!«
»Martell!« bat Lore.
»Bruder, Du thust mir Unrecht,« erwiederte
Martell lächelte unheimlich.
»Ich fürchte nichts,« sagte er ruhig, »aber Du magst mich begleiten, wenn es Dich beruhigt, doch bestehe ich nochmals darauf, daß Du meine Zusammenkunft mit Adrian, die mehrere Stunden dauern kann, unter keiner Bedingung störst!«
»Wunderlicher, einsinniger Mensch!« versetzte Aurel. »Wenn es nicht anders sein kann, so muß ich mich ja wohl fügen.«
Zur Bekräftigung seines Wortes reichte er Martell die Hand, zugleich aber wechselte er mit Gilbert einen bedeutungsvollen Blick, den der kluge Matrose vollkommen verstand. –
Die übrige Tageszeit brachte der Kapitän mit Besprechungen zu, welche die
künftige Einrichtung seiner Halbgeschwister betrafen. Martell nebst Frau, sowie
Maja Simson und ihr Gatte, bei dem Sloboda eingekehrt war, nahmen lebhaften
Antheil daran. Es ward beschlossen, zum nahen Osterfeste, bis wohin eine
Ausgleichung möglich war, die bisherigen Wohnungen zu verlassen
Sloboda fühlte sich nunmehr wahrhaft glücklich. Er konnte sich von der Tochter
seines geliebten Kindes gar nicht mehr trennen, folgte ihr auf Schritt und
Tritt und war im Stande Stundenlang vor ihr zu sitzen, sie mit seinen
gutmüthigen hellblauen Augen fröhlich lächelnd zu betrachten und vergnügt sich
die Hände zu reiben. Die Freude, schien es, hatte den Geist des alten Mannes so
heftig erschüttert, daß eine sich meldende Verstandesschwäche, eine Rückkehr in
die Kindheit kaum mehr zu bezweifeln stand. Ihm war es daher auch ganz
gleichgiltig, wohin seine Enkel sich jetzt wendeten. Nur immer bei ihnen zu
bleiben und ruhig die letzten Tage seines
Seltsamerweise ließ den ehrwürdigen Greis die Nachricht von dem schrecklichen Ende Klütkens ganz unberührt. Er nahm sie hin, wie etwas Alltägliches, sah mit ernster Miene drein, da er die bestürzten und betroffenen Gesichter der Uebrigen bemerkte, aber sein Herz wußte offenbar nichts davon.
Diese schnelle unerwartete Verwandlung des alten Wenden machte seine Freunde sehr besorgt um ihn, und ließ sie stillschweigend der Aeßerung Aurels beistimmen, welcher Gilbert zuflüsterte:
»Es geht eilig mit ihm zu Ende! Deshalb müssen auch wir uns sputen.«
Gegen Abend kehrte Aurel auf die Insel zurück, um Herta und Elwire nicht länger
allein ihren Gram zu überlassen. Um Mitternacht, wo Martell seine letzte
Zusammenkunft mit Adrian halten wollte, versprach ihn der Kapitän am Ufer des
Sees zu treffen, was der ehemalige Spinner zusagte. Gilbert erhielt von Aurel
den Auftrag, erst mit Martell, aber ungesehen von ihm, nach Boberstein zu
kommen und alsdann
So waren menschlicher Berechnung nach alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, um einen etwa gefährlichen Plan des verschlossenen Spinners zu vereiteln, und die Sorge Aurels um beide Brüder verminderte sich merklich.
Herta und Elwire fand der Kapitän ziemlich gefaßt in Bianca's Gesellschaft. Er hütete sich wohl, von der Ermordung des Unglücklichen zu sprechen, aber es freute ihn, daß Elwire heiße Thränen des Andenkens dem unwürdigen Vater weinte. –
Es war schon spät, als Bianca die Trauernden verließ, um in ihr noch nicht
gelöstes Dienstverhältniß zu Adrian zurückzukehren. Sie hatte Herta entdeckt,
welchen Frevel der Graf an ihrer Schwester begangen, wie sie dafür Rache
genommen und welche qualvolle Strafe sie über den gewissenlosen Verführer
verhangen. Sie versprach den hinlänglich Gestraften, dem sie eine aufreibende
Neigung eingeflößt hatte, zu
Wie gewöhnlich versah auch Bianca an diesem Abend bei Tisch das Amt einer Dienerin mit der ihr eigenen Anmuth und Grazie. Adrian suchte sich möglichst zu beherrschen, um nicht den schrecklichen Hohn der grausamen Schönen zu reizen und sich durch eigene Schuld brennende Schmerzen zu bereiten, allein ganz vermochte er seinem Vorsatze nicht treu zu bleiben, und so suchte denn sein Blick mehr als einmal mit flehender Sehnsucht das diabolisch lächelnde Auge seiner entzückenden Peinigerin.
Von dieser unseligen Leidenschaft abgesehen, war Adrian seit Mittag ein fast
heiterer und glücklicher Mensch geworden. Der Tod Klütken-Hannes' entriß ihn
plötzlich aller Sorge. Der gefürchtete Bruder war von Mörderhand gefallen, ohne
daß er eine Ahnung davon gehabt hatte; mit dem Ermordeten war das Geheimniß
begraben, das ihm (dem Grafen) noch schwere Stunden
Bianca blieb bis nach zehn Uhr bei Adrian, dann verabschiedete sie der Graf, indem er um die Vergünstigung bat, sie küssen zu dürfen.
»Weshalb?« fragte die Schöne. »Sie wissen, daß ich Sie hasse, Ihnen alles nur mögliche Böses wünsche, daß ich, so lange es mir vergönnt ist, als Furie um Ihr Lager wandeln werde. Wie also können Sie mich küssen wollen?«
»Um Sie zu versöhnen, armes, verblendetes Kind! Es ist dies ja meine Pflicht.
Oder sehen Sie nicht ein, daß ich das Unrecht, welches ich Ihrer Schwester
zugefügt habe (hier bemühte sich Adrian schwermüthig zu seufzen) an Ihnen wider
gut machen muß? Ich bin nicht so schlecht, als Sie und mit Ihnen so viele
meiner Feinde glauben! Die Verhältnisse allein sind es, die meinem Charakter
eine Richtung gegeben haben, welche der allzustrenge Sittenrichter
Adrian erhob flehend seine Hände zu Bianca, die stolz lächelnd vor ihm stand.
»Bemühen Sie sich nicht weiter, Herr Graf, mich durch geübte Heuchelei und wohl
einstudirte Verstellung meinem Vorsatz abwendig machen zu wollen,« erwiederte
sie höflich. »Ich habe Sie durchschaut und lasse mich nicht von Ihnen täuschen.
Ich weiß, was ich von Ihrer Zerknirschung zu halten habe! Ihrem Wunsche gemäß
bin ich in ihre Dienste getreten. Diesen Diensten
Bianca ging, Adrian war allein. Die Fabrikuhr schlug halb eilf.
»Ihre Liebe und ich wäre glücklich!« murmelte der einsame, von Allen verlassene vornehme Mann. »Aber sie ist ein Dämon – ein entzückender Dämon, bei dessen Erscheinen ich Himmel und Hölle zugleich in mir fühle! – Diese Raserei der Leidenschaft wird mich noch tödten, wenn ich dieser unnatürlich schönen Gorgo nicht das Herz im Busen umwenden kann!«
Er machte einen Gang durchs Zimmer und trat dann an's Fenster, um einen Blick auf See und Haide zu werfen, die im weichen bläulichen Silberlicht des Mondes zauberisch glänzten.
»Wie die Stunden schleichen!« rief er aus. »Wäre es nur erst Mitternacht, damit
ich den
Und Adrian setzte sich, in trübes Nachdenken versunken, in den weichsten seiner
Lehrstühle, neigte den Kopf auf seine Hand und schloß die Augen. So saß er
lange, lange; man hätte glauben können, er schlafe, wenn er sich nicht
bisweilen bewegt, den Kopf geschüttelt oder tief und schwer Athem geholt hätte
... Allemal, wenn die
Als es zwei Viertel nach Eilf geschlagen hatte, belebte sich der See. Die Arbeiter aus dem Dorfe ruderten sich nach der Insel, um nach Mitternacht ihre Brüder und Schwestern abzulösen.
Jetzt stand der Graf auf, öffnete das Fenster und sah starr hinaus auf den glitzernden See, über welchen unter leise rauschenden Ruderschlägen die dunkeln Nachen herüberglitten nach der Felseninsel. Obwohl der Mond sehr hell schien, konnte er doch Niemand erkennen, denn es flirrte ihm vor den Augen, so regte ihn die Erwartung auf.
Endlich landeten die Nachen, die Arbeiter stiegen an's Land und schlugen unter verworrenem Gespräch truppweise den Weg nach der Fabrik ein. Adrian hörte ein dreimaliges Händeklatschen.
»Er kommt,« sagte er und sein bleiches aschfarbenes Gesicht wurde noch bleicher
und fahler. Dann beantwortete er das Zeichen auf die nämliche Weise. Langsam
schritt Martell,
Adrian beugte sich jetzt weit aus dem Fenster, winkte Martell, der unsern des Hauses stehen blieb, schloß das Fenster, löschte die Lichter aus und verließ sein Zimmer. Vor Biancas Thür blieb er einige Augenblicke stehen und horchte. Es war still darin; seufzend, eine gute Nacht mit sehnsüchtiger Lippe lispelnd, schritt der Graf die Treppe hinunter, schloß die Hausthüre auf und sah sich dem finstern Halbbruder gegenüber. –
Zwischen Beiden ward kein Wort gewechselt. Sie begrüßten sich nur mit Blicken,
in denen Jeder die Gedanken des Andern zu lesen suchte. Martell war eben so
bleich, wie Adrian, Hände und Arme zitterten ihm merklich. Neben einander
Sie gingen sehr langsam, um den Arbeitern nicht zu begegnen, die sich im Hofe versammelten und daselbst so lange warteten, bis die Fabrikglocke das Ende der Arbeitszeit verkündigte.
Mit dem Schlage zwölf standen sie unter dem ehemaligen Burgthore, über dessen gothischer Wölbung das verwitterte Wappen der Boberstein mit seinen Emblemen und seiner colossalen Grafenkrone, wie sich unsere Leser erinnern werden, noch sichtbar war.
»Zur Seite!« sagte Martell, das erste Wort, welches die feindlichen Brüder mit einander wechselten, und deutete nach einer tiefen Mauerblende, die wohl in früherer Zeit als Wachthaus benutzt worden sein mochte. Diese Blende lag im Schatten und war geräumig genug, um zwei bis drei Personen fassen und verbergen zu können. Die Brüder traten in die Vertiefung und ließen hier, den Blicken Aller entzogen, die Schaar der abgelösten Arbeiter schweigend an sich vorüberwandeln. Erst als es wieder still geworden war, verließen sie ihr Versteck und betraten den fünfeckigen großen Hof der Fabrik.
Adrian bemerkte dieses Kreuz zuerst, blieb stehen und machte seinen Begleiter darauf aufmerksam.
Gleichgiltig betrachtete es Martell, sein fest verschlossener Mund verzog sich zu einem matten Lächeln, er zuckte die Achseln und ging nach der Fabrikthüre, die zu seinem Saale führte. Auf diesem Wege mußten sie an Blutrüssels Kerker vorüber und Beiden schien es, als belustige sich der Gefangene damit, daß er in einem gewissen Tacte Schläge gegen die Mauer führte. Sie beachteten indeß dieses Geräusch durchaus nicht, da sie mit sich selbst viel zu beschäftigt waren.
An der Treppe blieb Martell stehen und lud Adrian durch eine Handbewegung ein,
ihm voranzuschreiten. Stirnrunzelnd und einen scharfen
»Wo können die seltsamen Menschen hingegangen sein?« sagte der Kapitän. »Ich sehe Niemand.«
»Ohne Zweifel in den Saal der Spinner, deren Arbeiter nach strenger Weisung des Herrn Grafen in dieser Nacht Urlaub erhalten haben,« erwiederte Vollbrecht.
»Aber das ist ja unbegreiflich räthselhaft!«
»So lassen Sie uns eilen, damit wir es enträthseln!«
Drei Minuten später erstiegen die drei Freunde dieselbe Treppe, die so eben erst unter den Fußtritten Martells und Adrians geseufzt hatte.
Wir haben schon erwähnt, daß die Nacht sternhell und still war. Die halbvolle Mondsichel goß ihr silbernes Licht in blendender Fülle über die schlummernde Gegend und spiegelte sich in den zahllosen Fensterscheiben der Fabrik.
Zögernd betrat Adrian von Martell gefolgt den Spinnsaal. Bei dem Anblick der
jetzt ruhenden Maschinen mit ihren tausend Rädern und Zangen, mit den
unheimlichen Hebeln, Stangen und Bügeln, mit den gezahnten Wellen, die sich in
Manneshöhe kreuzten und verbanden, und auf deren polirtem Stahl jetzt der Mond
seine bleichen Flammen spielen ließ, überlief den Herrn am Stein ein kalter
Schauer. Noch niemals hatten seine Maschinen einen so gewaltigen, so
Ja, das war derselbe Saal, in dem er sich damals unter körperlosen Arbeitern qualvoll wandeln sah! So schwarzblau, kalt und eisern glänzte in jener Traumnacht über ihm der Himmel, so hell und blendend und ohne Wärme schien der Mond in die weiten Räume. Genau so lange düstre ölige Flammen lohten aus den gläsernen Lampenhüllen und verbreiteten einen widerlichen stinkenden Dunst im öden menschenleeren Saale! – Adrian blieb wie verzaubert an der Thür stehen und richtete seine fragenden Blicke auf Martell.
Dieser lächelte, winkte dem Halbbruder und schritt nun mit ihm den breiten Gang
entlang, welcher den Saal in zwei gleiche Hälften schied, bis etwa in dessen
Mitte. Hier befanden sich hart neben einander die beiden Spindelfluchten, an
denen Martell und Simson gearbeitet hatten,
Man hörte das Surren der Maschinen aus den übrigen Sälen, in denen gearbeitet wurde, das Sausen und Zischen des Dampfes und empfand das schütternde Dröhnen des ganzen Gebäudes, im Uebrigen aber unterbrach kein Laut die mitternächtliche Stille.
»Wir sind zu Stelle,« sagte Martell. »Hier ist der Ort, wo Sie mir Genugthuung geben werden, Herr am Stein.«
Adrian verneigte sich zustimmend. Zugleich er schienen Aurel, Gilbert und Vollbrecht an der Thüre, die sie nur angelehnt fanden. Sie erkannten die beiden gegeneinander überstehenden Brüder und konnten genau Alles beobachten, was in dem nun folgenden Auftritte sich zwischen Beiden zutrug.
»Sie haben mir Genugthuung zu geben versprochen,« sagte Martell, »und mir Ort, Zeit und Wahl der Waffen zu bestimmen überlassen nicht wahr?«
»Wie ich Ihnen schon sagte, Herr am Stein, bin ich kein Fechter, ich kann mich also nicht in hergebrachter Weise schlagen. Ebenso müßte ich ein Duell mit Pistolen ablehnen, da mich Ihre brüderlichen Gifttränke zum alten zitternden Manne gemacht haben, und endlich konnte ich mich aus seltsamen Gewissenscrupeln nicht entschließen, an einem so liebevollen Bruder zum Mörder zu werden.«
»Es bedarf keiner Wiederholung, Herr Martell, da ich Sie nochmals versichere, daß ich mich genau des jüngst zwischen uns Verabredeten erinnere. Ich bitte, kommen wir zur Sache.«
»Erlauben Sie, Herr am Stein, daß ich mich offen gegen Sie ausspreche, denn was ich von Ihnen begehre, bedarf der Rechtfertigung.«
Martells Züge wurden jetzt finsterer, seine Stimme drohend. Er fuhr fort:
»Als mein Sohn unter diesen Walzen zum Krüpel gequetscht wurde, um dann in
Folge grausamer Behandlung einem schmerzlichen Tode zu unterliegen, da schwur
ich Ihnen Rache! Ich wußte damals noch nicht, daß ich Ihr Bruder
»Sie wollen mir großmüthig verzeihen,« fiel Adrian wieder aufathmend ein, denn
der Oeldunst des Saales, die von Wollstaub geschwängerte
»Verzeihen? – Nein, Herr am Stein! Ich vermochte meine wilden Leidenschaften zu zügeln, meinen Zorn zu bändigen, aber die aus meinem Herzen gerissene Liebe diesem wiederzugeben, das konnte ich nicht! Das überstieg alles menschliche Empfinden! – Verzeihen kann ich Ihnen als schwacher unvollkommener Mensch nicht, aber – ich lege die Strafe in Ihre eigene Hand.«
»Wie das?« fragte Adrian zögernd.
»Ihre Geschicklichkeit wird die Waffe sein, mit der Sie gegen mich fechten sollen!«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich werde es Ihnen sogleich erklären. – Zu wiederholten Malen, wenn ich und
meine armen Mitarbeiter unterthänigst bittend zu Ihnen kamen, um Ihnen
vorzustellen, daß Verlängerung der Arbeitszeit einer Art Folter gleichzustellen
sei, wiesen Sie uns bald mit harten Worten, bald mit spöttischem Lächeln von
sich. Sie glaubten uns nicht allein nicht, Sie behaupteten sogar,
Martell kreuzte seine Arme über der Brust und sah mit zornfunkelndem stolzen Blick herab auf den zaghaften Bruder.
»Fahren Sie fort,« sagte Adrian kaum hörbar. »Der Aufenthalt in diesem Saale greift mich an. Ich bin noch hinfällig von meiner letzten Krankheit her.«
Martell lächelte. »Schon jetzt?« erwiederte er. »Nun das höre ich gern. Es
liegt in diesem Bekenntniß eine Bestätigung meiner Behauptung, die meiner
Strafe nur größeren Nachdruck geben wird. – Glauben Sie denn, Herr am Stein,
wir Spinner, die wir doch Menschen, hinfällige, Krankheiten und anderen
Zufällen gleich Ihnen unterworfene Menschen sind, glauben Sie
»Zehn Stunden?« rief Adrian entsetzt. »Ich bitte –«
»Sie irren, Herr am Stein,« unterbrach ihn Martell. »Nicht zehn, sondern zwölf
Stunden dauert nach Ihren letzten Verordnungen die Arbeit bei den Feinspinnern.
Sie werden also zwölf Stunden mit mir hier bleiben und, damit Sie aus eigener
Erfahrung das Leben Ihrer Fabrikarbeiter kennen lernen, damit Sie fühlen, wie
süß, wie erheiternd, wie stärkend für Geist und Körper dies Dasein, diese
irdische Bestimmung
»Um Gottes Willen, Martell!«
»Sie werden mit mir spinnen, Herr am Stein, ohne alle Widerrede! Bei der geringsten Weigerung vergesse ich, daß wir Brüder sind, und erwürge Sie, wie einen Hund! – Ich mache es Ihnen ja leicht,« fuhr Martell mit zuckendem Munde fort, »ich strafe Sie ja blos mit Ihren eigenen Gesetzen. Was Sie Tausenden Ihrer Brüder jahrelang zumutheten, das können Sie selbst versuchsweise wohl eine Nacht probiren! – Sie werden also an Ihren eigenen Maschinen mit mir spinnen, werden Alles das thun und üben, was von Ihren Arbeitern verlangt wird, und haben Sie das gethan, dann sollen Sie frei ausgehen und – ich hoffe es – menschlicher werden. Diese Nacht an Ihrer Maschine als Spinner verbracht wird Ihnen unvergeßlich bleiben und Sie erkennen lehren, wie grausam Sie gegen hilflose Kreaturen verfahren sind! Das ist das Duell, welches ich mit Ihnen auskämpfen will – und hier die Maschinen sind unsere Waffen! Wohlan, fangen wir denn an!«
»Ich verstehe ... die Behandlung ... nicht,« stotterte der Entsetzte.
»Die Behandlung ist leicht und gefahrlos,« entgegnete Martell. »Sie dürfen nur
Ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Arbeit richten. – Belieben Sie mir zu folgen,
Herr am Stein, und sich wohl einzuprägen, was ich Ihnen sage! Sobald Sie diesen
Bügel hier heben und diesen Schraubenflügel links drehen, setzt sich die
Maschine mit der gemeinsamen Dampfwelle in Verbindung und die Arbeit beginnt.
Der Spindelwagen läuft gegen anderthalb Ellen vorwärts auf Sie zu, dann bleibt
er eine Secunde lang stehen. Diese Secunde benutzen Sie, um den Haken hier
oberhalb der Würtel aufzuheben, wodurch das Aufrollen des gesponnenen Garnes
bewirkt wird. Sobald dies geschehen ist, läuft der
»Einen Augenblick ... Geduld!« bat Adrian. »Mir schwirrt es ... vor den ... Augen ... Ich fühle ... Schwindel ...«
»Sie theilen alle Gefühle Ihrer Arbeiter,« erwiederte Martell, dessen Stimme ruhig, aber kalt und ehern klang, »der Schwindel verläßt uns nie, allein Noth kennt kein Gebot, und so lernen wir auf bewundernswürdige Weise balanciren. Ich will Ihnen jetzt vorspinnen.«
Nun trat Martell an die Maschine, welche Adrian durch zwölf Stunden bedienen
sollte, verfuhr
»Haben Sie jetzt begriffen, Herr am Stein?« fragte er höflich.
»Ich ... glaube ... wenn Sie ... noch einmal ... bei mir bleiben ... wollen –«
»Mit Vergnügen. Einen Schüler muß man unterstützen. Beliebt es?«
Adrian ergriff mit zitternder Hand den Bügel, drückte die Schraube, und sausend rollte der Wagen gegen ihn. Er stand, der Haken ward aufgehoben, die Würtel klirrten, und abermals lief der Stahlwagen mit seinen scharfen Zangen, Rädern und Spießen auf den Eisenrollen in der ihm vorgeschriebenen Bahn.
»Vortrefflich!« sagte Martell. »Sie bedienen die Maschine wie ein geübter
Spinner. – Fahren Sie nun so fort, Herr am Stein, und Sie werden das größte
Vergnügen haben, wenn Sie später einmal sagen können: so viele hundert Ellen
Garn habe ich mit eigner Hand auf meinen eigenen Maschinen gesponnen. – Nur
hüten Sie sich, den Messingflügeln dieser Welle nahe zu kommen. Sie versteht
keinen Spaß.
Mit angehaltenem Athem hatten unsere Freunde diesem Gespräche der Brüder zugehört. Bei dem Geräusch der in Bewegung gesetzten Maschinen wagten sie zum ersten Male einige Worte mit einander zu wechseln.
»Eine eigenthümliche, originelle und in gewissem Sinne großartige Rache!« flüsterte Aurel dem Geschäftsführer zu. »An ihr erkenne ich, daß Bobersteinsches Blut in den Adern dieses willensstarken Mannes fließt.«
»Er sammelt feurige Kohlen auf das Haupt des Hartherzigen,« erwiederte Vollbrecht, »nicht, indem er ihm Gutes mit Bösem vergilt, sondern indem er seine Lippen zwingt, aus dem Kelch der Arbeit zu trinken und ihre Bitterkeit zu kosten. Es gibt kein besseres, kein wirksameres Mittel, Verstockte zu bekehren. Wohl bekomm' es ihm!«
»Still!« sagte Gilbert. »Auch Martel tritt an seine Maschine und läßt das Spiel der Spindeln beginnen.«
Eine Zeitlang spannen die beiden Brüder ungestört fort, dann aber rissen auf Adrians Spindelflucht mehrere Fäden und er mußte die Maschine hemmen. Es gelang ihm erst, nachdem der Wagen noch mehrmals auf – und niedergerollt und eine Menge Fäden abgerissen waren.
»Das ist die gewöhnliche Arbeiterkrankheit, Bruder Adrian,« versetzte Martell, ohne seine Maschine einzuhemmen. »Alle leiden daran, Einige kurze Zeit, Andere immerwährend, und für den Lohn, den sie für ihre Mühen erhalten, zeigt es wahrlich von Ausopferung und großer Geduld, wenn sie dabei zufrieden bleiben. Aber schnell, schnell, sonst wird man Dir den Lohn verkürzen!«
»Habe Erbarmen!« winselte Adrian, noch beschäftigt mit ungeübter Hand die zerrissenen Fäden anzuknüpfen und die Wollflocken aus einigen gehemmten Kämmen zu zupfen. »Ich vermag nicht, mit Dir ... gleichen Schritt zu ... halten!«
»Hatte der Herr am Stein Erbarmen, als sein armer Bruder Martell darum flehte?
Hatte er Erbarmen, als fünf Kinder seiner Arbeiter Hungers starben? ... Nein,
er hatte kein Erbarmen!
Adrian raffte sich zusammen und ließ die Maschine wieder spinnen. Aber von
Minute zu Minute vermehrten sich seine Leiden! – Der verhängnißvolle Traum
tanzte wie ein Schattenspiel vor seinen brennenden Augen auf und nieder. Er
glaubte wirklich den Saal sich bevölkern zu sehen mit den grauen durchsichtigen
Gestalten der Arbeiter, die für gewöhnlich ihn füllten. Sie schwebten um ihn
wie ein Heer drohender Geister ... Sie grüßten ihn, winkten ihm zu, schlugen
ihm Schnippchen, höhnten ihn durch lautes Gelächter! ... Ach, und auch die
Spindeln der Maschinen um ihn hörte er klirren; er vernahm das Knarren und
Knirschen ihrer Stahlzähne, das Rollen und Klappern der langgestreckten Wagen!
... Und die Schattenkörper standen daneben, beugten sich über die Spindeln,
knüpften die Fäden, hoben Bügel, drehten Schrauben, krochen mit eingezogenen
Beinen unter den haspelnden Kämmen herum und richteten – o Entsetzen
»Erbarmen, Bruder, Erbarmen! Ich werde wahnsinnig in diesem Troß spinnender Gestalten!«
»Das macht der fliegende, geölte Wollstaub. Er täuscht und quält die armen Spinner, wenn sie sich nicht an die Luft gewöhnen können, mit sonderbaren Bildererscheinungen. Aber nur an's Werk! Die Zeit vergeht!«
Es schlug ein Uhr.
»Noch eilf Stunden!« sagte Martell zu Adrian. »Für einen, der blos zur Bereicherung seiner Kenntnisse spinnt, ein wahres Kinderspiel!«
»Eilf Stunden!« wiederholte Adrian und ließ verzweiflungsvoll den Wagen wieder
rollen. Aber seine Qualen, obwohl sie blos Ausgeburten eines schuldbeladenen
Gewissens und eines krankhaften,
»Gnade, Gnade, Bruder! Ich bekenne mich besiegt!«
»Spinne!« sagte Martell und fließ ihn zurück an die Maschine.
Keuchend ging Adrian nochmals an das für ihn entsetzliche Werk. Die
Phantasiegestalten verschwanden noch immer nicht, sie mehrten sich eher. Unter
seiner eigenen Maschine glaubte er jetzt den verstümmelten Hans kauern zu sehen
... neben ihm seine Mutter in der elenden Tracht der Armuth, zerlumpt,
frierend, ein Bild des schrecklichsten Erdenjammers! ... Und über den Spindeln
breitete ein junges Mädchen die weißen Arme aus, kroch auf ihn zu und flüsterte
in markdurchschütterndem Geistertone: ich starb für
»Ha, das ist die Hölle!« rief Adrian, in der Angst seiner Verzweiflung mit der Hand in die Spindeln schlagend, um das Gespenst zu verscheuchen, daß er sie blutend und zerschnitten wieder zurückzog. »Tödte mich, entsetzlicher Rächer, nur mache diesen Qualen ein Ende!«
»Spinne!« wiederholte eintönig, grabeshohl die Richterstimme des rächenden Bruders. »Spinne, bald geht die zweite Stunde zu Ende!«
Adrian ging nochmals an die für ihn gräßliche Arbeit und wieder sah er das
gespenstische Leben eingebildeter Personen im Saale, wieder hörte er ihr
Zischeln, ihr Lachen, ihr Flüstern, ihr Rufen! ... Um der Pein dieses Anblickes
zu entgehen, richtete er seine Blicke starr auf die arbeitende Maschine. Da
ward es heller vor seinen Augen ... Funken flogen herüber, hinüber, Feuerballen
rollten und zischten um ihn ... ein Meer von blitzender Gluth stieg empor von
der dunkeln Diele, schwoll gegen ihn heran, brandete an seiner Brust und
enthüllte ihm eine goldene Bernsteinmuschel, in deren Innerm, von rosigem
»O rette, rette mich, gütiger Engel!« schrie Adrian in wilder Fieberhitze.
»Spinne!« klang Martells Todtenstimme zurück. »Spinne, bis Deine Zeit um ist! Im Schweiße seines Angesichts, heißt es, soll der Mann sein Brod essen, und wer nicht arbeitet, der soll auch nicht leben! Also arbeite und spinne!«
»Ich will aber nicht leben!« rief Adrian noch aufgeregter, indem sich sein Gesicht in convulsivischem Krampfe verzog. »Zu ihr nur will ich, zu meiner Retterin, zu meiner süßen Bianca, die mir vergebend, mit zauberischem Lächeln die rettende Hand entgegenstreckt. – O, ich komme, ich komme ...!«
Und Adrian drängte sich hochaufrichtend dem rückwärtsrollenden Spindelwagen
nach, streckte die Arme aus, streifte mit dem Haupthaar die metallenen
Schaufeln der eisernen Welle, die unmittelbar von der Dampfmaschine in Bewegung
gesetzt ward, und war im nächsten Augenblicke – skalpirt! Ein entsetzlicher,
alle Mauern durchdringender Schmerzensschrei entschlüpfte ihm – seine Hände
erfaßten die blitzende, schwingende
Die Maschine stand – auch in den übrigen Sälen, wo man den Schrei gehört hatte, wurden die Maschinen gehemmt. Die Zuschauer an der Thür stürzten athemlos herein – da vernahm man von unten herauf einen zweiten, dem ersten ähnlichen Schrei, und Alles ward still.
Martell aber neigte sein Haupt und sagte düster:
»Gott hat ihn gerichtet!«
Auf der Fabrikuhr schlug die Glocke die zweite Morgenstunde.
Dieser unerwartete, unbeabsichtigte Ausgang des von Martell ersonnenen Duells
machte auf einmal allem Streit und Hader ein Ende. Das Erscheinen seiner
Freunde, die er fern gelaubt hatte von dem Orte, wo er auf edle Weise seinen
grausamen Bruder bestrafen wollte, war ihm jetzt, obwohl unerwartet, doch sehr
lieb. Sie konnten, als Zeugen des Ausgangs, im Nothfalle eidlich erhärten, daß
Martell vollkommen schuldlos sei am Tode seines Halbbruders, daß diesen nur die
innere Seelenangst, die von wilder Leidenschaft und Sinnenlust erhitzte
Phantasie in den Tod gejagt habe. – Martells Absicht bei dem von ihm ersonnenen
Duell war eine durchaus ehrenwerthe gewesen. Sein Herz
Adrian war eines schmerzlosen, schnellen
»Gott hat ihn gerichtet!«
und erhob seine Rechte wie zum Schwur. Von allen Sälen stürzten nun die Arbeiter herbei, drängten in den Saal und umstanden bald in dichten Reihen die vier Männer, die sich vergeblich abmühten, die zerbrochenen Glieder des Unglücklichen von dem Eisenschaft abzulösen.
Es konnte den Arbeitern nicht verborgen bleiben, wer auf so schreckliche Weise
geendet habe. »Es ist der Herr am Stein!« – »Unser Graf, unser Gebieter!« –
»Die Maschine hat ihn zermalmt, den Armen!« so lief es flüsternd von Mund zu
Mund. Kein Laut der Schadenfreude, kein Ruf des Triumphes, kein Schrei der
Rache ward vernommen, was man von diesen größtentheils ungebildeten Leuten,
denen der Todte nie Wohlthaten erwiesen hatte, so sehr fürchten mußte. Das
unmittelbare Eingreifen von Gottes allmächtiger Hand wehrte aller niedern
Leidenschaftlichkeit. Jeder fühlte sich erschüttert, gedemüthigt! Es war, als
ob man die Nähe
»Gott sei ihm gnädig und vergeb' uns unsere Sünden!«
»Ehrt seinen Namen, flucht ihm nicht! Er ist gestorben wie ein Märtyrer!«
»Es sei ihm von ganzem Herzen vergeben!«
»War er doch unser Brodherr, der uns Kleider und Nahrung gab, wenn schon nicht immer gute und reichliche! Aber ohne ihn, was wäre aus uns geworden!«
»Darum Friede mit ihm! Der Herr lasse sein heiliges Antlitz über ihn leuchten!«
»Ja, Friede mit ihm! Amen! Amen!«
So riefen sich alle Arbeiter zu, nahmen ihre Mützen ab, falteten die Hände und beteten für die Seele des Verunglückten mit gläubigem Herzen ein Vaterun ser.–
Inzwischen wurde es laut auf dem Hofe. Einige waren fortgestürzt, um das
Geschehene der Dienerschaft des Grafen zu melden und seine Leute herbeizurufen.
Andere eilten mit ungläubiger Miene in die Maschinenkammer, aus der
Mitten in diese Verwirrung die mit dem tiefen Frieden der wunderbar klaren und milden Nacht seltsam contrastirte, trat athemlos der Maulwurffänger. Er hatte bereits von einem Unglück gehört, wen es aber betroffen habe nicht erfahren können.
»Wer ist zermalmt worden von der Maschine?« rief er jetzt in den drängenden Haufen hinein, seine durchdringende Stimme erhebend, und arbeitete sich vorwärts bis an die trüb erhellte Thür zur Maschinenkammer, die mit Menschen dicht angefüllt war.
»Der Mörder! Der Mörder!« antworteten eine Menge Stimmen. »Dem Bösewicht ist Recht geschehen! – Der Teufel hat ihn geholt, wie er's verdiente!«
»Welcher Mörder!« sagte der Maulwurffänger, der von den Vorgängen dieses Tages noch nichts wußte. »Es sitzen deren zwei im Gefängniß, wenn sich nicht einer durch irgend ein Mauseloch auf und davon gemacht hat.«
»Wie er noch die Zähne fletscht! Wie er grinst!«
»Ja und darum verdreht er auch die häßlichen Augen so greulich!«
Unter diesen Bemerkungen der Gaffenden erreichte der Maulwurffänger das Innere
der Maschinenkammer. Diese war eng und bot nur so viel Raum dar, als nöthig
war, um Denjenigen, welche die Maschine zu bedienen hatten, Zutritt zu
verstatten. Die ungeheuern Hebel streiften beinahe die Wände und machten es
unmöglich, daß Menschen sie nach allen Seiten hin umgehen konnten. Am nächsten
berührten die Hebel jene schwache Ziegelwand, welche den Kerker des Mörders von
der Maschinenkammer schied. Diese Wand und ihr gegenüber zwischen Wand und
Hebeln ein abgestumpfter Eichenpfosten, der mit zur Maschine gehörte, waren
jetzt das Augenmerk der Ab- und Zugehenden. Die Wand zeigte sich nämlich
durchbrochen und in der entstandenen Oeffnung, die gerade so weit war, daß ein
mittelstarker Mann sie vollkommen ausfüllte, hing der blutige Rumpf eines
Menschen. Der Kopf war hart an den Achseln abgerissen und von der Kraft des
tödtenden Hebels
Pink-Heinrich, den es bei diesem widerlichen Anblick und bei den rohen Bemerkungen, welche sich die Arbeiter über den Tod des Elenden zu machen erlaubten, kalt überlief, wendete sich mit Abscheu ab und ging in's Innere der von Menschen überfüllten Fabrik. Schon an der Treppe begegnete ihm Aurel und Vollbrecht. Sie führten Martell, der sich jetzt kaum noch auf den Füßen erhalten konnte. Hinter ihnen ging Gilbert und sodann trugen vier Arbeiter den zerschmetterten Leichnam Adrians, den Niemand mehr erkennen konnte.
»Der Maulwurffänger!« rief Aurel aus, als er den alten Mann, erschüttert von
dem Schauspiel, das sich ihm darbot, am Fuß der Treppe auf seinen
Schlehdornstock gestützt, mit
»Er ist's!« erwiederte Pink-Heinrich kummervoll. »Aber er kommt diesmal zu spät, um zu helfen! – Die That ist geschehen, wehe dem, der sie vollbrachte!«
Der alte Mann entblößte sein Haupt und wischte sich eine Thräne aus den Augen.
»Ihr seid im Irrthum, braver Alter,« versetzte Aurel. »Dieses Unglück, wenn wunderbare Schicksalsfügungen solchen Namen verdienen, dieses Unglück lastet auf keines Sterblichen Gewissen! Wir drei waren Zeugen des Hergangs, wir können mit den heiligsten Eiden beschwören, daß Martell am Tode des Herrn am Stein, unseres unglücklichen Bruders, eben so schuldlos ist, als Ihr selbst, wackerer Mann! – Es war Gottes Hand, die ihn schlug, und wo diese in die Geschicke der Menschen eingreift, da müssen wir uns beugen und ausrufen: Sein Wille geschehe für und für! – Die Phantasieen des Verunglückten jagten ihn in den Tod! Gott sei ihm gnädig!«
Der Maulwurffänger schloß sich dem Trauerzuge
Das heftige Laufen so vieler Menschen und das damit verbundene unvermeidliche
Rufen und Schreien, hatte die Frauen aufgeschreckt, und ihnen das Geschehene
verrathen. Sie erwarteten am Portale des Hauses den nahenden Zug. Bianca, die
zwischen Herta und Elwire in der Mitte stand, machte auf Aurel einen
unauslöschlichen Eindruck. Während nämlich Großmutter und Enkelin schwarz
gekleidet waren, trug Bianca ein durchsichtiges weißes Gazekleid, das ihre
vollendeten Formen mehr enthüllte als verbarg. Ihre schwarzen Haare waren über
der blassen Stirn gescheitelt, im Nacken durch eine Perlenschnur zusammengefaßt
und ergossen sich in fesselloser Pracht, eine glänzende Lockenwelle, bis weit
über ihre Hüften. Diese phantastische Kleidung war reizend und abschreckend
zugleich.
Der Tod ist ein mächtiger Vermittler. Das fühlte in diesem unvergeßlichen Augenblicke selbst die unerbittliche Rächerin. Thränen wahrhaft weiblichen Mitgefühls füllten ihre bis dahin kalten Augen, die wohl zuweilen geweint hatten, aber nur vor Wuth und vor Begierde sich zu rächen. Der Anblick des grausam Zerrissenen erschütterte sie, das starre Herz brach ihr im Busen und weinend beugte sie sich über den Todten, um ihm vergebend die Hand zu drücken.
»Ich verzeihe Dir, Unglücklicher!« sagte sie. »Ich verzeihe Dir im Namen meiner
Schwester.
Die Leiche ward ins Haus getragen und hier in jenem prachtvollen Speisesaale, wo Adrian die bittenden Arbeiter so schnöde abgewiesen und Lore ihr Kind in brennendem Mutterschmerz von ihm zurückgefordert hatte, auf reiche Teppiche niedergelegt. Hier kniete Bianca nochmals neben dem Todten an die Erde, ein Strom heißer Thränen entfloß ihren Augen und Reue über ihr unbarmherziges, unglaublich hartes und sündiges Verfahren versetzte sie in tiefe Traurigkeit. Da trat Vollbrecht an sie heran, hob sie liebevoll auf und sagte:
»Lassen Sie ihn ruhen! Wir können die Geschicke nicht ändern. Sie aber, meine Freundin, werden vor Gott gerechtfertigt erscheinen, denn Sie waren in seiner Hand ein Werkzeug der Strafe! Ein Leben voll Milde, Sanftmuth und Liebe wird auch Sie vergessen lassen, was Ihnen geschah und was Sie verübten! Kommen Sie!«
Der gutmüthige Geschäftsführer zog die nur schwach Widerstrebende mit sich
fort. Herta und Elwire folgten. Die Männer aber gingen zusammen
In dieser Unterredung erfuhr der Maulwurffänger erst die Ermordung des
unglücklichen Klütken-Hannes, dessen Leichnam auf der Tenne der Scheuer lag.
Eine unerklärbare Unruhe hatte den Maulwurffänger vom Hause fortgetrieben. Er
war trotz seines hohen Alters rastlos fortgewandert, hatte erst nach
Mitternacht das Dorf am See erreicht und bei Martell den Rest der Nacht
zubringen wollen. Von Lore benachrichtigt, daß ihr Mann in dieser Nacht eine
Zusammenkunft mit seinem Halbbruder habe, um Abrechnung mit ihm zu halten,
trieb es ihn ruhelos fort nach der Felseninsel. Leider fand er keinen Fährmann;
er mußte sich also mit eigener Hand über die Gewässer rudern, was ein Wagstück
für ihn war, da er keine Uebung in der Schifferkunst besaß. Er brauchte daher
auch verhältnißmäßig lange Zeit, ehe er die Insel erreichen konnte, denn mehr
als einmal trieb er seinen Kahn rückwärts anstatt vorwärts. Daher kam er erst
nach der schrecklichen Katastropfe an, die durch sein früheres Auftreten
In der nun folgenden, bis an den Morgen dauernden Berathung ward beschlossen,
den beiden an einem Tage umgekommenen Brüdern ein feierliches Begräbniß zu
veranstalten und sämmtliche Mitglieder der Familie dazu zusammen zu rufen.
Adalbert von den erschütternden Ereignissen zu benachrichtigen, übernahm Aurel
in einem ausführlichen Briefe, der eben so wahr, offen und gerade, als
liebenswürdig und versöhnlich geschrieben war, und wohl geeignet sein konnte,
auch das haßerfüllteste Herz zu erschüttern und wider Willen zur Versöhnung zu
zwingen. Da er Adalbert als einen vornehmen und abgeschlossenen Aristokraten
kannte, hütete er sich wohl, in einen allzuvertraulichen Ton zu fallen, obwohl
sein Herz diesen gern angeschlagen hätte. Seinen Zweck zu erreichen und
zugleich den feindlich gesinnten Bruder von der Schuldlosigkeit dessen zu
überzeugen, auf den ein Bösgesinnter wohl einige Schuld wälzen konnte, zog er
es vor, mehr die Klugheit als das Gefühl sprechen
»Mein vielgeliebter Bruder,
Es ist löblich, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen! Mit diesem
treuherzigen Bibelwort, von dem ich freilich nicht behaupten will, daß ich es
ganz wörtlich nach Luthers Uebersetzung citirt habe – denn es ist eine ziemlich
lange Reihe von Jahren seit der Zeit verflossen, wo ich mich bibelfest nennen
durfte – mit obigem Wort also rufe ich Dir heut einen wohlgemeinten, von Herzen
kommenden Gruß zu. Wir haben vor wenigen Tagen einen Prozeß gegen arme und
rechtliche Leute verloren, die ein unerforschlicher Wille der Vorsehung von
Geburt an zu unsern nächsten Verwandten auserwählte, ohne daß wir eine Ahnung
davon hatten. Gewiß, ein ganz anderer Geist hätte unser Aller Leben und Wirken
beseelt, wäre vor nur zehn Jahren diese für uns so wichtige Entdeckung gemacht
worden! Weil dies nicht geschah, nicht geschehen konnte und sollte, deshalb
trennten wir uns in einer finstern Stunde und standen
»Alles fordert uns dazu auf, der verlorene Prozeß, der für uns gewonnen ist, wenn wir, wie ich gethan habe, diejenigen als unserm Geschlecht zugehörig anerkennen, welche vermöge ihrer Abstammung ein unbestrittenes Recht dazu haben! Das Schicksal, das den Samen der Zwietracht unter uns ausgestreut hat, und endlich die Vorsehung selbst, die in diesem Augenblick uns schwer ihre strafende Hand fühlen läßt!«
»Ich sehe Dich grollend die Stirn runzeln, aber höre mir geduldig zu und Du wirst mir Recht geben!«
»Unser armer Bruder Adrian, den ein seltsamer
»Du weißt, daß er seit langer Zeit kränkelte. Eine gewisse Schwäche, die sich in nervöser Reizbarkeit und nicht selten in unheimlichen, erschreckenden Einbildungen bekundete, verließ ihn seit jener Zeit nie mehr. Aerger, Verdruß, wohl auch wahrhafter Kummer steigerten diese krankhafte Gemüthserregung, und eine unbegreifliche Leidenschaft, die ihn mit dämonischer Gewalt überfiel und zum willenlosen Kinde eines armen, aber schönen Mädchens machte, das seine Neigung nicht er wiederte, rieb ihn geistig und körperlich beinahe auf.«
»In dieser Gemüthsstimmung überraschte
»Brauche ich Dir noch zu sagen, daß seit jenen Tagen unsern armen Bruder eine
Melancholie befiel, die uns ernstlich um ihm besorgt machte? Aber wer, wer
sollte ihn nahen, wer ihn bewachen! Sein Mißtrauen war grenzenlos, seine
Heftigkeit nicht zu ertragen! Abgemagert bis zum Skelett, erkannte man ihn kaum
noch. Seine Phantasieen, die ihm
»Durch den plötzlichen Tod jenes Bruders, der als angeklagter Verbrecher im Kerker saß, von Neuem ungewöhnlich erschüttert, machte er seiner Gewohnheit nach tief in der Nacht einen Besuch in der Fabrik, wo vor Kurzem die Arbeiter ihre Stellen gewechselt hatten. Lampenlicht, Mondschein, Oeldunst und Maschinengerassel verwirrten seine Gedanken – er hielt die Spinner für Geister, glaubte in dem blitzenden Glänzen einer eisernen Welle, die senkrecht vom Fußboden zur Decke sich erhebt und das ganze Werk durch alle Stockwerke treibt, das heiß geliebte Mädchen zu erblicken ... eilte darauf zu und ... ward von der Dampfkraft zerschmettert!«
»Traure mit mir um den beklagenswerthen Bruder, dessen Leiden so tragisch enden
sollten!
»Dieser unvermuthete, nicht allein uns Brüder sondern auch Adrians sämmtliche
Unterthanen tief darniederbeugende Tod ruft uns mahnend zu: Vergebt und
vergeßt! Seid einander wieder liebende Brüder und lebt als solche in
christlicher Eintracht! Laßt allen Groll auf immer dahin fahren und vertragt
Euch, wie Brüder es sollen! – Und was, theurer Bruder, was soll uns denn
eigentlich entfremden? – Haben wir uns gegenseitig um unser Eigenthum gebracht?
– Nein, wir haben es in brüderlich gutem Einverständniß vermehrt! – Sind wir
Schuld daran, daß alte Frevel zu sühnen waren, daß tief Gekränkten
Gerechtigkeit verschafft werden mußte? – Keineswegs! – Nun und haben wir denn
an unserer Ehre etwas verloren, wenn wir denen, die Gottes Wille aus der Nacht
unverdienter Armuth zu uns emporhob in den mildernden und bildenden
»Adalbert, laß uns großmüthig, laß uns ritterlich handeln! Nimm die Hand, die ich zu aufrichtiger Versöhnung Dir entgegenstrecke, vertrauensvoll an und laß uns treue Brüder sein und bleiben, so lange uns Gott am Leben erhält!«
»Schwere, traurige Gedanken ziehen durch meinen Geist und stören die Ruhe
meiner Seele! – Mich dünkt, wir haben den ernsten Wink der Vorsehung zu spät
verstanden! Schon damals sollten wir froh und frei uns einigen in Liebe, als
wir die ersten Spuren entdeckten von den Fußstapfen, welche verlorene Kinder
unseres Vaters in den Staub der Armuth, in den Schlamm der Erniedrigung
gedrückt hatten! Es war an uns zu vergeben, zu sühnen, was ein Verstorbener vor
uns gesündigt. Glücklich und beneidenswerth sind die
»In fünf Tagen soll die feierliche Beerdigung des Abgeschiedenen stattfinden. Ich weiß, Du wirst nicht dabei fehlen, denn ich kenne Dein Herz, das gern geneigt ist zum Vergeben, wenn es auf ehrliches Entgegenkommen rechnen kann.«
»Mit schmerzlicher Sehnsucht erwarte ich Dich und Beatrice, meine schöne, liebenswürdige Schwägerin, der ich mich angelegentlichst zu empfehlen bitte! Lebe wohl bis dahin Ueber den Sarg des geliebten Bruders reicht Dir die Hand zur Versöhnung
Dein treuer Bruder
Aurel.«
Die kleine Abweichung von der Wahrheit, welche sich der Kapitän in diesem
Briefe erlaubte,
Aurel hatte sich übrigens nicht verrechnet. Sein Bruder kam früher in Boberstein an, als der Kapitän vermuthete. Beatrice begleitete ihn. Der Empfang war zwar nicht herzlich, aber doch erwärmt. Blick, Händedruck und Bewegung Adalberts sagten Aurel, daß er seinen Zweck erreicht habe. Der vornehme, stolze Herr bat sogar, der Kapitän möge ihm seine Halbgeschwister vorstellen und stattete zu diesem Behufe einen, freilich sehr kurzen Besuch in Martells und Simsons Hütte ab. Ueber den Eindruck, welchen der einsilbige Spinner auf den Aristokraten gemacht haben mochte, sprach sich Adalbert nicht aus.
Mit großem Pomp fand am fünften Tage nach der Zerschmetterung Adrians die
Beerdigung
Die beiden geschmückten Särge, auf denen das Wappen der Boberstein prangte, wurden feierlich in die alte, noch wohl erhaltene Grafengruft eingesenkt. Außer den Leidtragenden, zu denen Aurel, Adalbert, Martell, Herta, Elwire, Maja, Simson, Paul und Sloboda gehörten, begleiteten die sämmtlichen Arbeiter ihren verunglückten Gebieter zur Gruft und weinten ihm eine Thräne des Mitleids, zollten ihm ein Wort der Theilnahme und der Verzeihung.
Ueber der Gruft reichten die bis dahin so feindlich gesinnten Brüder, Schwestern und Verwandten einander die Hände zur Versöhnung. Auch der Maulwurffänger, der gleich den Uebrigen dem Leichenconduct beiwohnte, erhielt von Adalbert und Beatrice den versöhnenden Handschlag.
Nach der Beerdigung reisten Adalbert und seine Gattin sogleich wieder ab. Er
versprach Aurel, recht bald zu schreiben und ihm seine Gedanken
Man trennte sich mit der Ueberzeugung, daß die Vergehungen des alten Geschlechts zugleich mit den sterblichen Ueberresten Adrians und Johannes Klütken's gesühnt und für immer in die Gruft gesenkt worden seien. –
In derselben Nacht trugen zwei Spinner, von Aurel und Gilbert begleitet, die Leiche des Mörders nach der Torfhütte und vergruben sie in den tiefsten Moor. Ueber den schlammigen Hügel sprachen die beiden Seemänner ein stilles, andächtiges Gebet.
Es ist stiller Sonnabend, jener Tag vor Ostern, den der Landmann fromm und ernst zu verleben pflegt. Alle noch lebenden Glieder der Familie Boberstein mit Ausschluß von Adalbert und Beatrice sind auf der ehemaligen alten Stammburg versammelt. Aurel hat den verheißenen Brief von seinem Bruder erhalten, dessen Inhalt er den Versammelten mittheilt. Dieser Brief lautete:
»Mein theurer Bruder,
Durch den schnellen Hintritt unseres Bruders Adrian sind der Familie eine
beträchtliche Anzahl Güter zugefallen, über deren Vertheilung wir uns in jener
schönen Eintracht berathen wollen, die ferner unter uns obwalten soll. Als dem
Nächstältesten in der Familie fällt Dir Boberstein nach Recht und Gesetz zu
»Adrians Tod hat mich so heftig angegriffen, daß ich mich durch eine Reise
zerstreuen muß. Ich werde nach dem Orient gehen, dessen hohe Eigenthümlichkeit,
dessen mysteriöse Ueberreste alter Kunst mich immer wunderbar angezogen haben.
Beatrice begleitet mich. So genußreich, belehrend und bildend unstreitig eine
solche Reise ist, so viele Gefahren bietet sie auch dar. Wer dergleichen
unternimmt, muß zuvor mit dem Leben abschließen, muß auf ewig von seinen Lieben
Abschied nehmen
»Wenn Du diese Zeilen erhältst, bin ich schon weit von Dir! Ich habe dies vorgezogen, damit Du mich nicht mit Einwendungen bestürmen und mich wankend machen mögest in meinem Entschlusse! Die Verwaltung meiner Güter ist treuen und zuverlässigen Händen übergeben. Nochmals, lebe wohl! Im Leben und im Tode, in der Nähe und Ferne immer
Dein treuer Bruder
Adalbert.«
Aurel ward von diesem Schreiben sehr unangenehm berührt. Adalberts Reise sah
vollkommen
Er wendete sich darauf zu den Versammelten und sagte:
»Liebe Geschwister, Vettern und Verwandte! Als rechtmäßiger Erbe dieser Besitzungen steht mir das Recht zu, über dieselben zu verfügen, wie ich es für gut und zweckmäßig halte. Ich bin kein Fabrikant, kein Kauf- und Handelsherr, ich bin nur ein schlichter, grader Seemann, dies aber mit Herz und Seele!«
»Bravo!« rief Gilbert aus, der an der
»Daraus folgt,« fuhr Aurel fort, »daß ich diese Fabrik, der wir die Wiederkehr unseres ehemaligen Wohlstandes zu verdanken haben, nicht leiten kann, ohne ihr zu schaden, ohne vielleicht das ganze Geschäft zu zerstören und damit die Quelle unseres gemeinsamen Glückes zu verstopfen. Es ist daher, sofern Niemand Einspruch thut, mein Wille, daß statt meiner unser ältester Bruder Martell nicht blos die Leitung der Fabrik antrete, sondern auch Boberstein mit allen Pertinenzien als wirklicher Erbe übernehme!«
»So soll es sein!« sagten sämmtliche Anwesende, wie aus einem Munde und reichten dem neuen Besitzer der großen Herrschaft, der schweigend in ihrer Mitte saß, die Hände.
»Unter Martells Leitung,« sprach Aurel weiter, »wird die Fabrik gedeihen und blühen, allein ich habe noch einen andern wichtigen Vorschlag zu machen, worüber ich Eure Meinungen zu hören wünsche. Um ihn zu rechtfertigen, muß ich etwas weit ausholen. Ich erbitte mir also für einige Zeit Eure ungetheilte Aufmerksamkeit!«
»Es gibt eine sehr große Anzahl Menschen,
»Nein, liebe Geschwister und Freunde, die Maschinen sind ein Segen Gottes, eine
Wohlthat für die Menschheit! Ihre Beibehaltung, ihre Vermehrung und
Verbesserung muß der Wunsch jedes Biedermannes sein; allein man muß sich ihrer
nur bedienen zur Befreiung, nicht zur Unterjochung der arbeitenden Klassen!
Leider ist letzteres so häufig geschehen und geschieht
»Und dahin, geliebte Geschwister und Freunde, dahin muß es kommen! Darauf laßt uns hinwirken! Damit laßt uns einen Anfang machen!«
Alle Versammelten jauchzten Aurel Beifall zu und erhoben sich von ihren Sitzen.
»Ich schlage vor,« fuhr der Kapitän fort, »und mache es meinem Bruder Martell
zur unerläßlichen Bedingung, daß er seinen Arbeitern den Arbeitslohn
verdoppele, daß er ihnen außerdem einen Antheil am Gesammtgewinn sichere,
diesen Antheil aber nicht in baarem Gelde auszahle, sondern blos verzinse,
damit zu größerem Nutzen das Betriebskapital nicht allein ungeschmälert bleibe,
sondern auch von Jahr zu Jahr sich mehre! Dadurch werden dem Fabrikherrn nicht
die unerläßlichen großen Geldmittel, dem Arbeiter nicht der kleine Vortheil,
den er beanspruchen darf, entzogen. Auf Verlangen wird den Arbeitern am
Schlusse des Jahres, Rechenschaft abgelegt über den Stand der Sachen, und je
nachdem die Geschäfte sich verbessert oder verschlechtert haben, die Theilnahme
der Arbeiter am
»Ohne Bedenken!« sagte Martell. »Ich will ein Mensch sein unter Menschen, nicht ein Despot unter Sclaven. Lieber will ich verhungern!«
»Dann bin ich zu Ende, meine Lieben. Vollbrecht, der fleißige, gewissenhafte und umsichtige Geschäftsführer unseres verstorbenen Bruders ist bereit, dem kaufmännischen Theile des Geschäfts wie bisher vorzustehen. Seine Rechtlichkeit ist eben so anerkannt, wie seine milde Gesinnung. Alle Arbeiter lieben und vertrauen ihm. Sie werden auch seinen Worten Glauben schenken, wenn er am Schluß des ersten Jahres ihnen Rechenschaft ablegt und mittheilt, welcher Antheil am Gesammtgewinn ihnen zufällt.«
»Seine Rechtlichkeit soll mir Vorbild sein,« sagte Martell.
»Was nun mich betrifft, meine Freunde,«
»Zu Befehl, Herr Kapitän!« sagte Gilbert, die Thür öffnend und militärisch grüßend. »Ich bin bereit, in jedem Augenblick die Anker zu lichten.«
»Du sollst mich begleiten, braver Junge und, verschlingt mich dereinst eine Sturzsee, mein wackerer Nachfolger werden.«
»Hurrah!« schrie Gilbert aus Leibeskräften, wie toll seinen bebänderten Matrosenhut schwenkend. »Es lebe Kapitän Aurel, hoch!«
Alle Anwesenden stimmten in die tolle Lustigkeit des muntern Burschen ein und brachten dem braven uneigennützigen Manne ebenfalls ein Lebehoch.
Noch während desselben zeigte sich der Maulwurffänger,
»Was bringst Du?« fragte Aurel erschrocken.
»Wenn der Herr Kapitän mit Ihren Ge-Geschäften zu Ende sind,« versetzte Pink-Heinrich, »so möchte ich Sie ersuchen, mit Ihren lieben Angehörigen in größter Eile in Martells bisherige Behausung zu kommen.«
»Ist ein Unglück geschehen?« fragte Martell.
»Kein Unglück, ach nein, aber Lore säh' es doch gern, wenn ihr alter Vater Dich segnen könnte, bevor er hinübergeht.«
»So plötzlich?« versetzte Martell »Und ich verließ ihn doch ganz munter heut Morgen!«
»Es ist stiller Sonnabend,« bemerkte der Maulwurffänger, »und da lieben es alte frommgläubige Väter, Abschied vom Leben zu nehmen.«
»Nun so laßt uns aufbrechen!« sagte Aurel. »Bis her ist uns der Tod nur in
schrecklicher Gestalt
Die Versammlung verließ die prunkende Wohnung des Reichthums, um in der Armuth Hütte einzukehren und dem Tode des greisen Spinners beizuwohnen.
Schon in einiger Entfernung von der ärmlichen Hütte vernahm man den gedämpften Gesang eines Kirchenliedes. Die Stimmen waren nicht grade sehr rein und angenehm, kamen aber aus bewegten Herzen und ergriffen deshalb die Hörer. Der Gesang klang feierlich und erhebend zugleich in der dämmernden Abendstille, die sich über See und Haide bereits auszubreiten begann.
Beim Eintritt unserer Freunde gewahrten sie einige Nachbarn, die auf den Knieen lagen und mit thränenfeuchten Augen das alte Kirchenlied:
»O Haupt voll Blut und Wunden etc.«
andächtig absangen. Traugott hatte noch einmal
Die Freunde störten die Andächtigen nicht in ihrem Gesange. Schweigend beugten auch sie ihre Knie und stimmten zum Theil mit in das Lied ein, wie z.B. der Maulwurffänger und Sloboda. Erst als der Gesang endigte, drängte Martell mit einigem Ungestüm zum Sterbelager des ehrwürdigen Greises, beugte sich mit Heftigkeit über ihn und fragte besorgt:
»Wie geht es, Vater? Soll ich nicht nach dem Doctor schicken?«
Traugott drückte dem Schwiegersohn matt die Hand und schüttelte lächelnd sein Haupt.
»Der Herr kommt,« sagte er flüsternd, »und der ist der beste Doctor. – Aber
setze Dich zu mir, mein Sohn, und höre ... was ich Dir sagen werde ... Ihr
Andern, Nachbarn und gute Freunde, auch Ihr könnt meine Worte in einem feinen
Herzen bewahren, denn ... sie
Er schwieg eine lange Zeit, um Athem zu schöpfen und seine letzten Kräfte zu sammeln. Christel, seine jüngste Enkeltochter zündete die Lampe an, bei deren flimmernden Schein die Mutter gar manche Nacht am Webstuhl den kalten morgen herangewacht hatte, und stellte sie auf den Ofensims, daß ihr Schimmer auf das welke Gesicht des sterbenden Großvaters fiel.
»Mein Sohn,« nahm jetzt Traugott das Wort wieder auf, »so arm wie ich, wills Gott, noch heut aus der Welt scheide, um morgen mit Jesu Christo das Auferstehungsfest im Himmel zu feiern, so arm trat ich in die Welt, so arm lebte ich an die achtzig Jahre!.. Es heißt etwas, ein solches Leben zurückzulegen; es erfordert nicht blos Mühe und Geduld, es erfordert vor Allem Glaube und Liebe und Gehorsam! ... O Martell, ich kenne Dein Herz und weiß, daß es im tiefinnersten Grunde gut ist und rechtschaffen, aber Glaube, Liebe und Gehorsam, – diese drei – sie haben darin nicht ihre bleibende Stätte gefunden.«
Martell wollte dem Greise antworten,
»Unterbrich mich nicht, laß mich endigen, denn meine Zeit ist kurz.«
Traugott holte einigemal tief Athem, dann fuhr er fort:
»Sieh, mein Sohn, so arm ich war und blieb bis auf den heutigen Tag, so fröhlich schlug doch immer mein Herz auch unter den härtesten Bedrängnissen!.. Du wirst sagen, das mache mein glückliches, heiteres Temperament, ich aber rufe dagegen, das machte der Glaube, aus dem Liebe und Gehorsam, die beiden sichersten Führer durch die Irrwege der Welt, uns erwachsen ... Ach warum lacht die heutige Welt über den Glauben, warum kennt sie die Liebe nicht, warum will sie den Gehorsam nicht mehr? ... Am Abend meines Lebens kommt mir dies vor wie ein Frevel an der heiligen Lehre des Sohnes Gottes und es will mir scheinen, als müsse daraus nur Böses entstehen, Unfrieden und Blutvergießen!« ... »Liebet einander!« sagte der sterbende Evangelist Johannes, und »liebet einander!« rufe auch ich Euch zu als die letzte väterliche Mahnung.
»Beruhigt Euch, Vater –«
»Still! Keine Versprechungen! Keine Eide! ... Seit die Welt so rasch bei der Hand ist mit dem Schwur, seitdem sind Vertrauen und Ehrlichkeit noch seltener geworden als klingende Münze! ... Nun es mag sein ...«
»Gönnt Euch Ruhe, Vater!« bat Lore. »Der Athem geht Euch aus!«
»Laß ihn, werde ich doch bald Paradiesesluft
Martell legte seine zitternde Hand in die seines Schwiegervaters.
»Blicke zurück und Du wirst einsehen, daß die Pfade gut waren, welche der Herr
Dich
Der Greis sank völlig entkräftet von dem langen Sprechen zurück auf sein dürftiges Lager und schloß die Augen. Lore küßte ihn wiederholt auf die erkaltenden Lippen und die beiden Enkeltöchter erfaßten weinend seine Hände.
»Habt Ihr mir vergeben Vater?« fragte Martell.
»Ich habe nichts zu vergeben,« murmelte der Sterbende, ohne die Augen zu
öffnen. »Ich wollte nur mein Herz noch einmal ausschütten ... vor meinem Tode
und mich rechtfertigen
»Wer, Vater?« fragte Lore. »Die Nachbarn beten still für sich, es singt Keiner.«
»In lieblichen Tönen ... in sanften ... reinen Silberstimmen ... Und wie die Sonne glänzt ... dort ... über den ... Bergen! ...«
»Er schwärmt!« sagte Aurel. »Die Seele ringt sich los von den Banden des Körpers.«
»So sterben Dulder und Gerechte,« sagte der Maulwurffänger und legte seine Hand auf die Stirn des alten Spinners.
»Sie ist schon ganz kalt. Bald wird es mit ihm vorüber sein.«
»Ueber mir ... unter mir ... Alles ... blauer, sonniger .. Himmel! Die Orgel tönt ... der Ostermorgen tagt .. Sie singen Alle ... Alle .. Alle:
O Haupt voll Blut und Wunden etc.«
Und ganz leise und zitternd stimmte der Sterbende nochmals sein Lieblingslied
an. Unwillkürlich fielen die Versammelten einer nach dem andern mit ein und
unter diesem erhebenden Gesange
Martell, Lore und ihre Kinder neigten schluchzend ihre Häupter über den Todten, über den Armen, der nie sein Kreuz zu schwer gefunden hatte und nur Dank, innigen Dank gegen Gott auf der Lippe, glücklicher gestorben war, als tausend Reiche.
»Wir wollen die Trauernden nicht stören,« sagte der Maulwurffänger. »Es ist schon der Mühe werth, einen solchen Vater zu beweinen!«
Still schlichen sich Freunde und Nachbarn aus dem Sterbezimmer. Als eine Viertelstunde später Martell und Lore sich wieder aufrichteten waren sie allein. Zu Füßen des Lagers knieten betend die beiden Schwestern. Das kleine Flämmchen der Lampe brannte düster und das Silberlicht des Vollmonds wob um das Greisenhaupt Traugotts einen verklärenden Heiligenschein.
Der Maulwurffänger hatte seinen Sonntagsrock angezogen, den wohl gebürsteten dreieckigen Hut aufgesetzt und stand wartend mitten in der Wohnstube seines kleinen, saubern Häuschens zu B .... In ähnlicher Kleidung, nur weniger accurat und reinlich, saß Schlenker auf der Ofenbank, die zinnerne Tabaksdose häufig unruhig auf- und zuklappend.
Ein Wagen, mit zwei jungen muthigen Füchsen bespannt, fuhr vor. Pink-Heinrich schüttelte den Kopf, stampfte ungeduldig mit seinem Schlehdornstecken auf die Diele und sagte:
»Na, da haben wir's! Krücken-Gottlobs-Friedel, (so genannt, weil sein Vater
Gottlob an Krücken ging), hält schon vor der Thür und
»Mein Gott, wo wird er bleiben!« versetzte Schlenker. »Wo er immer steckt, zu Hause. Er trödelt gar mit tausend Schrecken!«
»Hast Du ihn nicht gesehen, da kommt er über die Wiese hergestiefelt!« sagte der Maulwurffänger, sein würdiges Gesicht zu ironischem Lachen verziehend. »Nimm Dir Zeit, Bruder Schulmeister, sonst kannst Du noch eine Lerche schießen, daß Dir acht Tage lang die Ohren gellen! – Friedel,« rief er durch das Schiebefenster dem jungen Burschen am Wagen zu. »Krempele die Plane auf, daß man eine Umsicht hat! Das Wetter ist schön heut und die Luft würzig und warm. Obgleich wir drei alte Knackse sind, vertragen wir doch noch ein Bissel Zugluft. Nicht wahr?«
»Natürlich, natürlich, ganz Natur!« sagte Gregor, der eben ins Zimmer trat, als der Maulwurffänger diese Frage an Schlenker richtete.
»Aber wo steckst Du denn, Bruder Schulmeister?« rief ihm Pink-Heinrich zu. »Es
geht schon auf zwölf, wir haben noch einen langen Weg zurückzulegen und um vier
sollen wir doch
»Aufbrechen, natürlich! Dennoch mußte ich mein Chronikon erst schließen! – Jetzt geht kein Sterbenswort verloren, ganz Natur!«
»Wovon, Bruder Schulmeister?«
»Von der grausamverwickelten, in vielem Betracht erschrecklichen, dabei aber wiederum hochlehrsamen und moralischen Geschichte, welche anhob mit dem sonderbaren Betragen des hochseligen Grafen Magnus von Boberstein, genannt Blauhut. Selbige Geschichte ist nunmehr von meiner Hand sorgfältig zu Papier gebracht bis auf den heutigen Tag, und zwar leserlich, höchst leserlich, natürlich!«
»Hast Du auch nichts vergessen?«
»Nichts Wesentliches. Und weil heut des Mannes Geburtstag ist, der unverschuldet durch sein schönes Tochterlein Rose oder Röse, genannt Haideröschen, Veranlassung gab zu so traurigen Vergehungen und herzbrechenden Ungerechtigkeiten, darum wollte ich ihm und seinen nunmehr gesetzlich anerkannten Nachkommen dies wohlausgearbeitete und schön niedergeschriebene Chronikon zum Präsent machen.«
»Natürlich! Und hätte mir beinahe den Fuß vertreten.«
»Es ist meiner Six mit tausend Schrecken!« sagte Schlenker, den Schulmeister mit einer Art von Verwunderung betrachtend. »Ich hätt's Euch nicht zugetraut, verzeih' mir's Gott; nun aber, da Ihr's doch zu Stande gebracht habt, nun flößt Ihr mir, so zu sagen, einen ehrfürchtigen Respect ein. Glaubt Ihr's, Schulmeister?«
»Glaub's. Ganz Natur!«
»Und ich glaube,« sagte der Maulwurffänger, »es wird jetzt ebenfalls sehr natürlich sein, wenn wir einsteigen und die beiden Füchse austraben lassen, was Zug und Zeug hält. Ist's also genehm, so bitt' ich, einen Anfang zu machen! Unter der Plane können wir noch schwazzen, daß alle Sterne blau davon anlaufen.«
Von dem jugendlichen Fuhrmann unterstützt, bestiegen die drei Alten den leichten Wagen, der nun rasch auf der wohl erhaltenen Straße den Königshainer Bergen entgegen rollte, die im duftigsten Blau ihre malerischen Gipfel über das Blachfeld erhoben.
»Es wird heut just ein Jahr sein,« sprach
Er rief nun dem Kutscher zu, vom graden Wege abzubeugen und nach dem genannten Gebirgsstock einzulenken. Da die Pferde jung und kräftig waren und fast ununterbrochen lustig galoppirten, so erreichten die Greise in verhältnißmäßig kurzer Zeit den Fuß des Todtensteines. Hier ließ der Maulwurffänger halten, fragte seine Begleiter, ob sie mit ihm die Berglehne ersteigen wollten, und schritt, da er bejahende Antwort erhielt, rüstig den holprigen Fußsteig hinan.
Auf einem Kreuzwege rastete er, da Gregor und Schlenker ihm nicht so schnell folgen konnten.
»Wo nehmt Ihr nur die Kräfte her, Ihr Tausendsasa!« sagte Schlenker puhstend,
indem er sein blau-und rothgewürfeltes, mit Tabakflecken romantisch
gezeichnetes Taschentuch mühsam
»Ganz Natur!« sagte Gregor mit größter Ernsthaftigkeit, die Hände auf den Knopf seines Stockes legend und die Gegend mit freudigem Auge überblickend. »Wir leben doch in einem herrlichen Landstriche, Gott segne ihn ewiglich!«
»Ist es mir doch, als wäre die Geschichte erst gestern passirt,« bemerkte der
Maulwurffänger, nachdenklich den Ort betrachtend, wo er rastete. »Ja, Freunde,
ich möchte einen körperlichen Eid ablegen, daß wir uns genau auf der Stelle
befinden, vor welcher vor nunmehr dreiundvierzig Jahren Graf Magnus das
liebliche Haideröschen entführte! Dort liegt die Meierei, ihre weißen
Schornsteine aus den Saftgrün der Buchen glänzend emporstreckend, und jenseits
der bewaldeten Hügelkette führt die Straße nach dem Zeiselhofe! Wer hätte
damals gedacht, daß dieser freche Raub eines leibeigenen Mädchens so viel
Unglück über die hohe Familie des Räubers
»Immer gerecht!« wiederholte Schlenker, der durch lebhaftes Kopfnicken dem Maulwurffänger seinen Beifall zu erkennen gab. Gregor stieß ein trockenes, »natürlich« aus und haspelte neben dem stark ausschreitenden Bruder die Berglehne vollends hinan.
Trotz Schlenkers Abmahnen, der seiner lahmen Arme wegen alles Klettern vermeiden mußte, und den Maulwurffänger auch nicht mehr die nöthige Gewandtheit zutraute, schwang sich Pink-Heinrich doch die Stufen in dem zerklüfteten Felsen hinauf und erschien nach wenigen Minuten auf der Platform desselben. Der Schulmeister der dem Bruder zu folgen Anstalt machte und auch den besten Willen dazu hatte, mußte das schwierige Unternehmen aufgeben. Seinen steifen Gliedmaßen fehlte es an aller Geschicklichkeit so halsbrecherische Pfade ohne Fall und Sturz wandeln zu können.
Der Maulwurffänger begnügte sich mit kurzer Umsicht. Dann bückte er sich, riß
aus einem
»Jetzt kann's wieder fortgehen, alte, ehrliche Seelen,« sagte er heiter. »Ich habe mich wahrhaft erquickt an der prächtigen Aussicht und in den Lüsten der Erinnerung, die da oben das alte Gestein umsäuseln. Ich werde lustig sein, wie ein Junggeselle, dem ein liebes Mädel zum ersten Mal verheißungsvoll in's Auge schaut. Auf, auf nach dem Zeiselhofe!«
Noch vor der festgesetzten Zeit erreichten die Greise diesen alten, stattlichen
Edelsitz, der heut' überaus belebt war. Aurel und Gilbert, Beide festlich
gekleidet, empfingen die Freunde und geleiteten sie in das Herrenhaus. Hier
kamen dem Maulwurffänger lauter bekannte Gesichter entgegen. Es war nämlich die
ganze Familie Boberstein zum Geburtstage des alten Wenden auf dem Zeiselhofe
zusammen gekommen. Selbst Vollbrecht, dessen geräuschlosem Wirken man viel zu
verdanken hatte, fehlte nicht. Martell und Lore mit ihren beiden Töchtern,
jetzt alle zwar einfach, aber gut und reinlich gekleidet, Maja und Simson mit
ihrer vom Hungertode verschonten Tochter, der kräftige Paul, der ausgelassene
Gilbert,
Den allverehrten Mittelpunkt des festlichen Tages bildete Jan Sloboda. Nach so
vielen glücklich durchgekämpften Lebensstürmen wollte der alte Wende eingedenk
bleiben seiner Abstammung und seiner früheren Leiden. Deshalb legte er heut',
was er seit langer Zeit nicht gethan hatte, den glänzenden Lederriemen, das
Zeichen ehemaliger Knechtschaft, wieder um Haar und Stirn
Man verbrachte den Tag heiter, ohne ausgelassen zu sein, was bei den traurigen Erinnerungen, die jedem Einzelnen der Versammelten sich aufdrängen mußten, moralisch unmöglich war. Spät Abends, als von dem Bedienten die Lichter angezündet wurden, bemerkte der Maulwurffänger, daß man der ereignißvollen Vergangenheit wegen auch derer gedenken möge, welche mittelbar zur Enthüllung der vielen Geheimnisse beigetragen hätten, die anfangs ihren Bestrebungen kein vortheilhaftes Ende verhießen.
»Ich vermisse die gute blinde Mutter, Marie, Leberechts getreue Ehefrau, nebst
Vater und Sohn,« sagte der wackere Mann. »Sie haben uns Allen wesentliche
Dienste geleistet und, wenn wir ehrlich sein wollen, für das Haus Boberstein
Gesundheit und Leben mehr denn einmal in die Schanze geschlagen. Ich schlage
daher dem vielgereisten Herrn Kapitän und seiner hohen Verwandtschaft in aller
Demuth vor: machen wir den Armen, die sich am heutigen Tage nicht mit
Des Maulwurffängers Antrag fand lebhafte Unterstützung; ehe man jedoch zur Ausführung schritt in der Weise, wie Pink-Heinrich es vorschlug, schickte der Kapitän seinen Merkur Gildert erst als Gesandten an die Bewohner der Gesindestube ab, um diese auf den ihrer wartenden Besuch vorzubereiten und die Dienstboten während der Dauer desselben zu entfernen.
Mit lautem Hurrah kehrte der junge Matrose zu rück, verkündete der zahlreichen
Gesellschaft, daß Leberecht und Marie bis zu Thränen gerührt dem verheissenen
Besuche ihrer großmüthigen
Unverweilt brach nun die Versammlung unter Vortritt mehrerer Bedienten auf, die
jedoch an der Zuschlagthüre der Gesindestube die Weisung erhielten, sich wieder
zu entfernen. Elwire, von Jugend, Glück und Schönheit strahlend, geleitete den
alten Wenden, der lächelnd seine feenhafte Führerin betrachtete. Herta mit
Aurel, Bianca und Vollbrecht, und hinter diesen die Uebrigen schlossen sich
paarweise an und nahmen, wie sie einander folgten, Platz auf Schemeln und
Bänken an der langen fichtenen Tafel, an deren beiden Enden lohende Kienspäne
brannten, wie dies seit Jahrhunderten gebräuchlich war. Am obersten Ende
quervor auf etwas erhöhtem Stuhl, dem einzigen, den es in diesen Räumen gab,
mußte der greise Wende, der Held des Tages, niedersitzen, von Herta und Elwire
umgeben. Diesem gegenüber am untersten Ende auf der Ofenbank saß die blinde
Marie zwischen Leberecht und Eduard. Aurel ließ von Paul und Gilbert einige
Karaffen edlen Weines holen, um die Gesundheit Slobodas in diesen Umgebungen
mit den Versammelten zu trinken. Lebhaft und
Als es wieder ruhig geworden war, erhob sich Aurel nochmals um der Gesellschaft seine Verlobung mit Elwire anzukündigen. Dabei ergriff Gilbert rasch die Gelegenheit, um seine schöne, zukünftige Kapitänin leben zu lassen und auf ihr Wohl mehr als ein Glas zu leeren.
»Der vorlaute Bursche hat Recht,« sagte Aurel, da einige noch Zweifel in den
schon früher ausgesprochenen Entschluß des Grafen zu setzen schienen. »Es ist
mein fester Wille, nach dem Pfingstfeste aus Eurer Mitte zu scheiden, meine
Lieben! Ich werde mein Schiff ›die Hoffnung‹ wieder besteigen, aber diesmal
nicht allein. Ein Engel, ein Engel des Glückes, der Liebe, des Friedens wird
mich begleiten. Elwire wird mein Weib und Schutzgeist sein! – Vernehmt nun an
diesem Freudentage, der nach so langem Jammer den Anfang einer schönern Zukunft
verkündet, vernehmt jetzt von mir, daß ich den dritten Theil meines Vermögens
allen Armen und Hilfsbedürftigen schenke, die auf Bobersteinschem Grund und
Boden geboren worden sind und daselbst leben! Ich habe mehr als ich bedarf,
Freudig stimmte Jeder auch in diesen Toast ein, der ebenso die Menschenliebe wie die Großmuth des Kapitäns kund gab. Elwire lächelte dem Geliebten glücklich zu und führte auf sein Wohl das volle Glas nippend zum schönen Munde.
»Nunmehro mag es aber gut sein,« fiel der Maulwurffänger in seiner trockenen Weise ein. »Das viele Trinken, treibt's Einer auch noch so vorsichtig, macht einem zuletzt doch schwer im Kopfe, und davon, muß ich sagen, bin ich kein aparter Liebhaber. Statt also das Gesundheittrinken fortzusetzen, was eine ganz hübsche Sitte ist, wenn's nicht zu lange dauert, hätte ich mit Verlaub einen Vorschlag zu machen, der mir passend scheint.«
»Und dieser besteht?« fragte Aurel.
»Mir recht, so erfahre ich 'was Neues,« flüsterte Gilbert Bianca zu, hinter deren Schemel er sich meistens aufhielt. »Die Wenden sollen merkwürdige Einfälle haben.«
»Bilden wir uns ein,« fuhr der Maulwurffänger fort, »wir hätten uns hier eingefunden zur Spinnte –«
»Ja, ja, zur letzten Spinnte!« fiel Sloboda ein, sein greises Haupt in Erinnerung an die traurige Vergangenheit bedeutungsvoll neigend. »In der letzten Spinnte beschlossen sie den Besuch am Todtenstein! – Es ist seltsam – seltsam!«
»Denken wir,« sprach der Maulwurffänger weiter, »die Spinnräder schnurrten, die Weifen klapperten! Es würde an die Thür geklopft und ein Dudelsackpfeifer träte mit vielen Bücklingen ein und verspräche ein lustiges Stücklein zu pfeifen! Davon wachten die schläfrigen Geister auf, würden heiter, lustig, ausgelassen – begönnen Volkslieder zu singen und Tänze aufzuführen und schlössen zuletzt, wie's Sitte ist beim Volk der Wenden, mit –« (hier ließ der Maulwurffänger den Kopf hängen und schwieg).
»Nun, womit denn?« fragte Gilbert.
»Hole mich Der und Jener, ich weiß nicht, ob ich's rund heraussagen darf, denn 's fällt mir eben ein, daß außer Jan Sloboda kein geborner Wende unter uns ist, und dann, seht, dann habe ich mich selber zum Narren gehabt!«
»Kann jetzt nichts helfen, mein Freund!« sagte Aurel. »Ihr habt angefangen, seht nun zu, wie Ihr zu Ende kommt!«
»Der Vorschlag ist gut, wenn nur der Erzähler sich findet,« meinte Herta.
»Eigentlich,« sagte der Maulwurffänger, »dachte ich dabei an die blinde Marie, denn ich weiß, daß sie ehemals in den wendischen Liedern und Geschichten fast eben so bewandert war, wie Sloboda's Tochter.«
»Wie mein Haideröschen, das arme Kind! Gott beglücke sie in seinem Paradiese!«
»Wirst Du mich in Schande bringen, Marie?« fragte Pink-Heinrich die Blinde, ihre Hand erfassend. »Suche in Deinem Gedächtniß, und ich möchte wetten, daß im verborgensten Fache des Betkästchens eine Perle ersten Wassers herumkollert, die sich auf Deiner Zunge in den allerfeinsten geistigen Honigseim verwandelt.«
Marie lächelte, drückte dem Jugendfreund die Hand und sagte:
»Laß mir eine Weile Zeit, Maulwurffänger! Alles hab' ich noch nicht vergessen,
aber es
»Besinne Dich, Mutter, und die Engel im Himmel sollen Dein Lobpreisen!«
»Die Engel werden ihr Lobpreisen,« wiederholte in seiner Geisteszerstreuung der Wende, seine hellblauen Augen zum Himmel aufschlagend. »Sie war schon auf Erden ein Engel.«
Es trat eine kurze Pause ein. Das monotone Schrillen der Heimchen in den Wänden unterbrach allein die allgemeine Stille. Da erhob Marie anmuthig lächelnd ihr auf die Brust geneigtes Haupt, ließ die erblindeten glanzlosen Augen über die Gesellschaft gleiten, als könne sie jeden Einzelnen erblicken, und sagte:
»Deutlich erinnere ich mich blos einer einzigen Geschichte, die ich zu erzählen bereit bin, so gut ich's vermag. In manchem Betracht kann sie uns Allen zur Beruhigung dienen und uns über das Schicksal derer trösten, die unfreiwillig, in ihrer Sünden Blüthe, aus dem Leben schieden.«
»Ohne Einleitung erzähle! Jedes Wort soll uns ein Evangelium sein.«
»Natürlich!« sagte Gregor zu Schlenkern
Lipskulijans Bett.
»Es war aber ein armer Mann, der sich fast nicht mehr ernähren konnte und doch hatte man ihm noch große Abgaben auf sein Haus gelegt. Und er mußte auf's Stöcke-Roden gehen. Und als er eines Tages auch sehr traurig in die Haide ging, begegnete ihm ein Männchen, das ihn fragte: Weshalb bist Du so traurig? Der arme Mann antwortete ihm: Du kannst mir auch nicht helfen. – Wer weiß? sagte das Männchen, sage mir es, so will ich Dir helfen.«
Der arme Mann erzählte ihm, daß er in großer Noth sei und daß es ihm unmöglich
wäre, die Steuern zu geben. – Darauf sagte das Männchen: Wenn Du mir das
versprichst, wovon Du in Deinem Hause nichts weißt, so will ich Dir helfen. –
Der arme Mann gedachte bei
Als dies geschehen war, sagte das Männchen: Nach sechszehn Jahren bringe mir das, was Du mir versprochen hast, auf dieselbe Stelle. Und es gab ihm eine große Summe Geld. Und nach einiger Zeit gebar seine Frau einen Sohn, und er erinnerte sich, was sich der Teufel bedungen hatte, und war sehr traurig.
Der Knabe wuchs aber, und lernte sehr fleißig, so daß ihn der Vater studiren ließ, und als er funfzehn Jahr alt war, da hatte er schon ausstudirt. Und weil sich die Zeit näherte, wo er an das Männchen ausgeliefert werden sollte, so grämte sich sein Vater je länger je mehr. Er sagte daher: Was seid Ihr so traurig, lieber Vater? – Ach, antwortete ihm dieser, ich habe Dich schon ehe als Du geboren wurdest, dem Teufel versprochen und hab' ihm eine Schrift darüber gegeben, und erzählte ihm die ganze Sache. Er aber sagte: Keine Sorge! Ich werde mir selbst diese Schrift holen. –
Nach einer Weile kam auch der Räuber und frug ihn, wohin er gehe. – Da that ihm der Räuber nichts, sondern gab ihm zu essen und zu trinken und bat ihn des andern Tages am Morgen, er möge doch so gut sein und den Teufel fragen, was Lipskulijan zu erwarten habe? –
Und als er in die Hölle gekommen war, war dort grade kein Anderer, als der
oberste Teufel. Der wußte aber von der Schrift nichts und sagte, das ginge ihn
nichts an und er solle ihn in Frieden lassen. Da besprengte er ihn mit
Weihwasser und der oberste Teufel fing so an zu
Da sagte der oberste Teufel: Werft ihn auf Lipskulijans Bett! – Da gab sie der lahme Teufel. Und als er die Schrift erhalten hatte, frug er, was für ein Bett Lipskulijan bekommen würde? Und sie zeigten es ihm, und es war von der Art, daß, als er seinem Degen hineinsteckte und ihn wieder herauszog, die Klinge, so weit sie in das Bett hineingestoßen worden war, zerschmolzen war, denn das Bett bestand aus lauter glühendem Eisen.–
Hierauf ging er wieder nach Hause und,
»So wird er Dir auch gnädig sein,« wiederholte Sloboda, ohne sein auf dem untergestemmten Arm ruhendes Haupt zu erheben. – Marie fuhr fort:
»Und er führte Lipskulijan ein Stück von der Straße ab, errichtete dort einen kleinen Hügel und pflanzte darauf eine Gerte und sprach: Auf dem Hügel bete Du, und wenn die Gerte Aepfel tragen wird, so magst Du daraus erkennen, daß Dir Deine Sünden vergeben werden. Hierauf ging er nach Hause.«
Nach langer Zeit, als er schon ein hoher Geistlicher war, fuhr er durch
denselben Wald und es erblickte dort sein Diener schöne Aepfel auf einem Baume.
Er wollte einen pflücken, aber wie er ihn berühren wollte, da hörte er eine
Stimme, welche sprach: Du hast mich
Er erzählte dies in aller Schnelligkeit seinem Herrn. Der ging hin, und als er zu dem Aepfelbaum kam, fand er unter demselben einen knieenden Menschen und besann sich auf Lipskulijan. Und der wollte ihm beichten. Und als er ihm die Sünden vergeben hatte, zerfiel Lipskulijan in lauter Staub, und die Aepfel, welche die Seelen derer waren die er ermordet hatte, verschwanden alle. Und eine weiße Taube flog zum Himmel auf und sang:
Aepflein trug das Gertelein,
Meine Seele muß nun selig sein.
Und er hatte so die Gewißheit, daß Lipskulijan selig gestorben sei.
Als Marie dies eigenthümliche wendische Mährchen beendigt hatte, hörte man ein
leises Schluchzen. Es war Bianca, welche, ergriffen von dem tiefen Sinn der
ungekünstelten Volksdichtung, ihre Gefühle nicht länger verheimlichen konnte.
Schlenker gab seinen Beifall durch lebhafte Gebehrden zu erkennen und reichte
in seiner Freude der Blinden sogar eine Prise. Sloboda's
Die Kienspäne mit ihren langgekrümmten Rispen brannten dunkel und verbreiteten über Stube und Versammlung mehr Schatten als Licht.
»Der greise Wende ist, glaub' ich, vor Ermüdung eingeschlafen,« sagte Elwire leise, um den Schlummernden nicht zu stören.
»So schnell?« erwiederte Aurel. »Und er hat doch vor Kurzem noch gesprochen?«
»Sonderbar!« sagte Herta. »Der wackere alte Mann schläft so sanft, daß man ihn nicht einmal athmen hört!«
Bei dieser Bemerkung verließ der Maulwurffänger seinen Platz und näherte sich dem Wenden. Behutsam neigte er sein Ohr zu dem Schlummernden. Da aber auch er keinen Athemzug entdecken konnte, erlaubte er sich, seine Hand auf das Silberhaar des Greises zu legen und ihn laut bei Namen zu rufen.
Sloboda antwortete nicht.
Da schob der Maulwurffänger seine Hand unter die Stirn des Wenden und richtete ihn sanft auf.
Wir haben unserer Erzählung nur wenige Worte noch hinzufügen.
Sloboda ward feierlich auf dem Kirchhofe des zum Zeiselhofe gehörigen Dorfes in
der herrschaftlichen Gruft beerdigt. Vierzehn Tage später reichte vor dem Altar
der nämlichen Kirche die glückliche Elwire dem Kapitän ihre Hand als Gattin.
Die Neuvermählten verließen Heimath, Verwandte und Freunde, um wenige Wochen
später auf dem Schiffe »die Hoffnung« nach Amerika unter Segel zu gehen, nicht,
weil sie Europa fliehen wollten, sondern weil es Aurel für rühmlicher hielt,
sein Leben in rüstiger Thätigkeit zum Besten des Volkes zu verbringen. Gilbert
begleitete ihn und erhielt die Stelle eines Schiffslieutenants,
Elwire folgte dem geliebten Gatten mit leichtem Muth und bewährte ihren Heroismus auf glänzende Weise.
Nach Jahresfrist kehrten die Seefahrer wieder auf längere Zeit nach Europa zurück und statteten ihren Freunden einen mehrtägigen Besuch auf Boberstein und dem Zeiselhofe ab. Sie fanden Vieles verändert.
Marie war Sloboda in die Gruft nachgefolgt und Martell, der sich nur scheinbar von seiner Entkräftung erholt hatte, wankte sichtlich dem Grabe zu. Er war fast zum Geripp abgemagert und ging jetzt in denselben Gemächern, die sein schuldiger Bruder so oft in der Angst seiner Seele durchwandert hatte, rastlos umher, um die Schmerzen, die seinen Körper folterten, zu unterdrücken. Sein Geist aber hatte sich beruhigt. Er verzieh dem Verstorbenen vollkommen und wünschte nichts sehnlicher, als neben ihm zu schlummern. Noch im Herbst desselben Jahres ward sein Wunsch erfüllt.
Darüber war Gilbert sehr ärgerlich, weshalb er sich auch allen Ernstes vornahm, sich für solche Untreue, die so gar wenig guten Geschmack verrieth, an Bianca, der allerliebsten Geschäftsführerin, empfindlich zu rächen. Der leidenschaftliche Jüngling hielt auch wirklich Wort, indem er bei seiner Rückkehr nach Hamburg um die Hand Clara's anhielt und die freundlichste Aufnahme fand. Der wilde Sohn des Meeres ward durch seine Liebe zu dem klugen Mädchen sogar unerwartet zahm, denn er entschloß sich, da Clara sich entschieden weigerte, zur See zu gehen, als Compagnon in das Haus »Am Stein und Comp.« zu treten, und einige Jahre später finden wir ihn als geschickten, thätigen und höchst soliden Handelsmann wieder.
Paul übernahm die Bewirthschaftung des Zeiselhofes, wobei ihm Leberecht, Eduard
und Simson treulich zur Hand gingen. Man sprach bei der erstmaligen Wiederkehr
des Kapitäns von
Herta lebte in tiefstem Frieden fortwährend auf dem Zeiselhofe und versprach zugleich mit ihrer Zofe Emma ein sehr hohes Alter zu erreichen.
Von Adalbert hörte man nie wieder etwas Bestimmtes. Er schien sich im Orient niedergelassen zu haben.
Der Maulwurffänger ging noch immer seinen Geschäften nach, kehrte häufig auf dem Zeiselhofe ein, pilgerte nicht selten auch nach Boberstein und verschmähte nie, einer tüchtigen Mahlzeit mit gesundem Appetit zuzusprechen.
Schlenker und Gregor kamen nur selten aus, desto lebhafter konnten sie Stunden- und Tagelang über Dinge streiten, die sie hochwichtig fanden, während der Maulwurffänger sie dummes Zeug nannte.
Die Fabrik gedieh, die Arbeiter wurden verhältnißmäßig wohlhabend und Niemand
hat je wieder gehört, daß irgend Einer mit seinem Loose unzufrieden gewesen
wäre oder die Erfindung der Maschinen als ein Werk des Teufels verwünscht