Ab der Landstraße, die durch das rauschende Waldthal führt, zieht sich ein Fahrweg bergan durch den Wald und dann zwischen lebendigen Buchenhecken nach einem einsamen Gehöfte, einer sogenannten Einzechte.
Die Gleise auf dem Wege sind alle gleich, denn hier bewegen sich nur Wagen von derselben Spurweite, wer hier auf und abzieht, hat mit dem Bauer von der langen Furche zu thun; denn dieser Weg gehört dem Furchenbauer zu eigen und führt nur zu ihm; wer von da wieder zurück will zu anderen Menschen, muß auf demselben Wege wieder umkehren.
So stattlich und weit sich auch Haus und Scheunen dort ausnehmen, die mit ihren grauen Strohdächern fast felsenartig in's Thal herniederschauen; sie haben doch nicht Raum genug für all das reiche Erträgniß des Feldes, denn hüben und drüben in den Feldern sehen wir die kegelförmig gebauten Garbenhaufen, Feimen genannt, die erst nach und nach abgedroschen werden und in den noch herbstgrünen Bergwiesen stehen lustige Scheunen, sogenannte Stadel, deren Wände und Dach von graugewordenen Brettern viel nahrhaftes Heu in sich bergen.
Wir sind längst auf Grund und Boden des Furchenbauern, aber der Weg ist noch lang genug, daß wir uns einstweilen erinnern können, zu wem wir gehen, bis wir den Mann selbst vor uns haben. Damals, als wir mit dem Brosi auf der lustigen Hochzeit in Endringen waren und den Bändelestanz entstehen sahen, damals hatten wir uns vorgesetzt, die Geschichte des Furchenbauern zu erzählen. Wer damals das glückselige und reich gesegnete junge Paar erschaute, konnte nicht ahnen, welch ein schweres Geschick ihm bevorstand, das sich mit der Zeit erfüllte.
Freilich, stolz und eigenmächtig war der junge Furchenbauer schon damals: hatte er ja
dem armen Brosi einen Taglohn dafür geben wollen, wenn er mit Tanzen und Singen die
Hochzeitsgäste erlustige; schon damals blickte der Furchenbauer mit einer stillen
innern Verachtung auf Jeden herunter, der ihm nicht gleichstand und hielt es nur
selten der Mühe werth, in
Mit einem stolzen gesättigten Behagen sah der Christoph, oder wie er jetzt – da ihm
seine Würde erst den rechten Namen verlieh – hieß, der Furchenbauer am Morgen nach
seiner Hochzeit zum Fenster hinaus und schaute zu, wie der Wind mit den Morgennebeln
spielte, fast so wie er selber die Tabakswolken vor sich her blies. Der Vater hatte
ihm die Zeit lang gemacht, Christoph war ledigerweise viel älter geworden, als die
Bauernsöhne seinesgleichen, der Vater schien
Die freudige Stimmung jenes ersten Morgens nach der Hochzeit ist schon lange
verklungen. Wenn man bald vierzig Jahre im Besitze einer Macht ist, denkt man kaum
mehr der Stunde, da man damit bekleidet wurde. Der Furchenbauer hat seitdem
Mancherlei erlebt. Von neun Kindern waren ihm vier verblieben, drei Söhne und eine
Tochter; er hatte die Freude, den ältesten zum Schmalzgrafen erhoben zu sehen, denn
er erbte das Gut des Muttervaters; aber schon nach wenigen
Wir sind am Hofe. Dumpfes Bellen und Kettenrasseln zweier Hofhunde, die in ihrem Bellen sich bald ablösen und bald zusammenstimmen, zeigt an, daß kein Fremder sich unbemerkt hier nahen darf; über das Bellen hinaus tönt aber der Taktschlag von sechs Dreschern und dazwischen vernimmt man das rasche Klappern einer Handmühle, der sogenannten Putzmühle, die statt des ehedem üblichen Wurfelns das Korn säubert. Häuser, Ställe und Scheuern sind im Gevierte gebaut, das Thor steht offen; halten wir aber noch eine Weile inne, bevor wir eintreten. – Auf der Leiter an einem Zwetschgenbaum im Hausgarten steht eine Frauengestalt in üblicher Landestracht, die rothen Strümpfe umschließen ein mächtiges Wadenpaar. Aus dem offenen Hofthore kommt ein schlanker junger Bauer, drei mächtige Strohbündel auf dem Rücken.
»Ameile, fall nicht abe,« ruft der junge Mann.
»Da unten ist auch schwäbisch,« antwortet es in die Zweige hinein und die Strohbündel hüpfen auf und nieder von dem Lachen des jungen Mannes, während die Frauengestalt wieder fragt:
»Was willst denn mit dem Stroh?«
»Der Bauer will, daß man die Breitlingäpfel dort dießmal nicht brechen soll, man hab' kein' Zeit dazu, ich soll sie schütteln und Stroh unterlegen. Steig abe und gieb mir die Leiter.«
»Bist zu steif? Kannst nicht 'naufkrebseln?« spottet
»Du sollst auflesen, ich muß gleich wieder an's Dreschen.« Behende ist er auf den Baum geklettert, der ganze Baum wird hin und hergeschüttelt, es rasselt in den Zweigen und dumpf prasselnd auf das knisternde Stroh und darüber hinaus fallen die rothbackigen Aepfel. Das Mädchen will bald da bald dort anfangen aufzulesen, aber wo es sich zeigt, wird ein Ast mächtiger geschüttelt und manchmal getroffen von einem Apfel grillt es auf und schilt den tückischen Mann auf dem Baume. Dieser steigt ab, schaut das Mädchen kurz an und will nach dem Hofe gehen.
»Du machst unsaubere Arbeit!« sagt das Mädchen lachend und fährt auf den Baum deutend fort: »Schau, dort hängt noch ein Apfel und dort noch einer.«
Im Fortgehen erwidert der Bursche:
»Du vergißst's immer wieder und ich hab' dir's schon oft gesagt: wenn man einem Obstbaum nicht Alles abnimmt, trägt er im nächsten Jahre um so gewisser.«
Ameile (Amalie) hält einen Apfel in der Hand und will den Weggehenden damit werfen, aber noch im Ausholen hält sie an, ein zweiflerischer Gedanke scheint ihr die Hand zu senken, sie steckt den Apfel in die Tasche und auf das Stroh kniend, rafft sie die Aepfel zusammen und singt dazu:
»Schätzele, Engele,
Laß mi e wengele –«
»Schätzele wasele?«
»Nur mit dir basele?«
Im Hofe, in dessen Mitte der große mit Stangen eingezäunte Düngerhaufen, daran eine
Jauchenpumpe sich befindet, ist reiche lebendige Bewegung: da wird Korn auf einen
Wagen geladen, dort Stroh und dort Aepfelsäcke getragen, die zahlreichen Hühner und
Enten wissen geschickt auszuweichen und überall etwas zu ernaschen. Rechts von dem
Eingangsthor unter einem breiten Hollunderbaume, der jetzt schon schwarze
Beerenbüschel trägt, steht der Röhrbrunnen, der seinen hellen, armdicken Strahl in
den langen Eichentrog ergießt und rings um den Brunnen ist der Boden vortrefflich
gepflastert, so daß nicht wie sonst oft gerade hier Alles unsauber ist; der Abfluß
des Brunnens hat einen gepflasterten Weg nach dem Baumgarten links am Thor und bildet
dort sogar einen kleinen See. Die Kühe und Rinder werden zur Tränke geführt, denn die
Ochsen und Pferde sind draußen im Feld beim Pflügen und Eggen. Der Kühbub knallt, daß
es im Hofe widerhallt. Eine glänzend schwarze Kalbin, die auch nicht ein anderes
Härchen hat und in Schönheit strahlt, tanzt lustig im Hofe hin und her, steht bald
still und schaut wie neckisch und verwundert drein und hüpft
»Hannesle, gieb Acht, daß dem Schwärzle nichts geschieht, thu's ein.«
Das ist aber nicht so leicht, auch ein Thier läßt sich in seiner Lustbarkeit nicht gern unterbrechen, und erst mit Hülfe der Drescher, die sich wie es scheint, auch gern ein wenig im Freien umhertummeln, gelingt es dem Kühbub, das Schwärzle in den Stall zu bringen. Das Schwärzle ist eine wichtige und beliebte Erscheinung auf dem Furchenhofe, dem hohe Ehren bevorstehen und Jedermann spricht nur Gutes von ihm.
Wir wollen aber jetzt der Stimme aus dem Dunkel folgen, deren Ruf Alles gehorchte.
Das rollt und quetscht und platzt in dem dunkeln Schuppen und ein eigener süßer Duft
dringt uns entgegen. In einem fast halbrunden Eichentroge wird ein steinernes Rad
gewälzt, das die eingeschütteten rothbackigen und grünen Aepfel zerdrückt und dort
hinten rinnt es aus der Presse in die Kufe; wir sind beim Mosten. Ein einäugiger
schlanker junger Bursche treibt die Stange vorwärts, die mitten im Steinrade steckt,
und ein anderer älterer Mann mit röthlich grauem Haar drückt sie wie der zurück,
wobei Einer dem andern hilft. Ein alter schlanker Mann mit enganliegenden schwarzen
Lederhosen
Das ist der Furchenbauer. Er sieht langgestreckt, dürr und hartknochig aus, und das ganze Wesen hat etwas Zähes, Unbeugsames. Die weißen Haare, die den spitzen Oberkopf ringsum bedecken, sind kurz geschoren, die hohe Stirne ist runzelvoll, über den grauen Augen sind die Ausläufer der dicken Brauen in die Höhe gewirbelt, die linke mehr als die rechte, man sieht offenbar, daß der Mann seine Brauen oft mit der Hand bewegen muß, und wenn er auch die Augen ganz aufschlägt, hängt noch immer die Haut des Augenlides schlaff und fast wie ein Vordach auf den Backenwinkel des Auges, die Backenknochen stehen dürr hervor und tiefe Furchen ziehen sich zu beiden Seiten der knolligen Nase herunter; das sind Furchen, die das Schicksal gepflügt. Die schmalen Lippen des Mundes sind so sehr einwärts gezogen, daß man fast gar kein Roth sieht. Dabei hat der Mann in seinem Behaben noch etwas Bewegliches, wenn dieß auch eckig und herb ist.
Man wird in vielen Bauerngesichtern etwas Trotziges und Widersacherisches finden, es
ist das nicht immer Ausdruck einer innerlichen Gemüthsverfassung, sondern rührt meist
von der schweren Arbeit her, gegen die es
Wie jetzt der Furchenbauer nach einem großen Sack Aepfel ausgreift, um ihn zu wenden, haben seine Mienen etwas Grimmiges, das sich noch steigert, da er seiner Schwäche gewahr wird und ächzend ruft er:
»Helfet doch, ihr faulen Kerle!« Der ältere Mann gehorsamt rasch diesem Zuruf, der jüngere Einäugige aber sagt ruhig stehen bleibend:
»Vater, ich mein', es wär genug für heut. Ich möcht' lieber dreschen als mosten.«
»Ich weiß was du lieber thätest, gar nichts wär' dir am liebsten,« erwidert der Furchenbauer zornig und schüttet mit Hülfe des älteren Mannes die Aepfel in den Trog. Die Aepfel platzen und zischen wieder unter dem steinernen Rad und erst als Alles in die Presse gebracht war, als die Spindeln der Presse krachten und knackten und der Saft nur noch tröpfelnd in die Kufe floß; erst als der Einäugige schon zweimal gesagt hatte, daß die Drescher bereits aufgehört hätten, gehen die Drei endlich nach dem Röhrbrunnen, waschen sich dort die klebrigen Hände, die sie nur durch Abschütteln trocknen, und treten endlich in das Haus.
Die Drescher und Feldtaglöhner schienen schon lange auf den Hausherrn zu warten, sie
umstehen den Sattler, den sich der Furchenbauer ins Haus genommen hat und der auf
einem Seitentische der großen Stube ganze Felle zerschnitt, um daraus neue
Pferdegeschirre zu machen und die alten in Stand zu setzen. Kaum ist der Hausherr in
der Stube und plötzlich Stille eingetreten,
»Dominik, wenn du draußen fertig bist, komm' 'rein, ich hab' dir was zu sagen.«
Nach einem Gutnacht in verschiedenen Tonarten verlassen die Drescher und Taglöhner mit schweren Tritten die Stube und erst draußen vor dem Hause hört man sie unter einander sprechen und lachen. Mehrere machen sich bald davon und zerstreuen sich in die Häuslerwohnungen, die da und dort im Thale stehen und an den Bergen hangen; nur einige, die aus fernen Gegenden sind, gehen in die Scheunen und legen sich in's Heu.
Die Bäuerin, eine alte wohlbeleibte Frau, kommt jetzt auch aus der Küche, bringt sich ihr Essen mit und verzehrt es neben ihrem Mann. Dieser sagt ihr, daß er morgen nach Wellendingen (einem in der Mitte des Bezirks gelegenen Dorfe) fahre, da dort das jährliche landwirthschaftliche Bezirksfest sei und daß Dominik das Schwärzle hinführen müsse; Ameile nehme er zu sich auf das Bernerwägele.
»Du solltest den Vinzenz mitnehmen,« sagt die Frau in etwas schüchternem Tone.
»Wie soll ich ihn denn mitnehmen? Ich kann ihn doch nicht die Kalbin führen lassen? Und er und der Dominik können nicht miteinander vom Hof weg sein. Wenn ich was sag', mußt du dich vorher dreimal besinnen, eh du was dreinredest.«
»Ich hab' nur gemeint, weil du doch auch für den
»Da brauch' ich ihn grad nicht dazu, das kann ich am besten allein. Zuerst muß Ich die Sach' fertig haben, dann kommt erst er.«
Die Bäuerin schweigt und der Bauer liest die Zeitung, den Wälderboten, den der Milchbub, wenn er Morgens die Milch nach der Stadt führt, mitbringt, den aber der Bauer täglich ruhig warten läßt und die Weltnachrichten, Vergantungen und Fruchtpreise jedesmal erst am Abend wenn alle Arbeit abgethan, liest. Er zwirbelt sich dabei mit der Hand die linke Augbraue und manchmal fährt er sich über die Stirne, denn er liest heute zerstreut. Der Gedanke, daß er keinen ebenbürtigen Nachbar habe und darum für seine Kinder sich auswärts umthun müsse, geht ihm durch den Sinn. In dem Blättchen stand, daß in Klurrenbühl wiederum Liegenschaften versteigert werden. Der Hofbauer von Klurrenbühl war der einzige ebenbürtige Nachbar gewesen, aber er hat schon vor Jahren sein Gut verkauft und ist Papierer geworden. Der Hirzenbauer von Nellingen hat die unverzeihliche That begangen, sein schönes, von alten Zeiten her unzerspaltenes Gut unter seine Kinder zu zertheilen.
Der Furchenbauer schüttelt den Kopf und holt tief Athem, er schaut nachdenklich steif in's Licht, dann steht er plötzlich auf und stellt sich fest hin indem er beide Fäuste ballt; er mag es fühlen, daß er bald der Einzige ist in der Gegend, der einzige mächtige Stamm, während Alles ringsum abgeholzt ist. Er ist fest genug, sich von keinem Sturm entwurzeln zu lassen.
Nach geraumer Weile tritt Dominik der Oberknecht ein und stellt sich ruhig wartend an den Tisch des Sattlers. Der Bauer liest noch ein wenig weiter, dann sagt er aufschauend:
»Du stehst heut Nacht um zwei auf und giebst Acht, daß gut gefüttert wird, besonders das Schwärzle, und vor Tag machst du dich mit dem Schwärzle Wellendingen zu. Du fahrst den Hennenweg über Jettingen, der Boden ist oben linder als auf der Landstraß und das Schwärzle hat weiche Klauen, du thust recht gemach und laßst dir Zeit. Daß du mir aber ja nicht über Nellingen fahrst; kannst deiner Mutter Bescheid geben lassen, daß sie zu dir nach Wellendingen kommt. Du ziehst dein Sonntagsgewand an und in Wellendingen im Apostel wartest auf mich, wenn ich noch nicht da bin.«
Ohne ein Wort zu sagen, will Dominik weggehen, da ruft ihm noch der Bauer nach:
Dominik stolpert über einen Stuhl als er die Stube verläßt.
»Soll ich dir was mitbringen von Wellendingen?« fragt Dominik in der Küche beim Pfeifenanzünden das Ameile, und diese erwidert:
»Ich fahr' mit dem Vater. So? Gehst du auch hin?«
»Ja, und ich krieg' ein' Denkmünz und das Schwärzle vielleicht auch. Mensch und Vieh ist eins. Es ist nur schad, daß man die Menschen nicht auch verkaufen und metzgen kann.«
»Der Dominik thät bitter und sauer schmecken,« sagt die Großmagd, eine stämmige und handfeste Person, während ihr verliebter Blick sagt, daß ihr dieser grobe Witz keineswegs ernst war. Ameile aber setzt hinzu: »Es muß dich freuen, Dominik, daß du den Ehrenpreis kriegst. Wenn ich ein Dienstbote wär' –«
»Dann wärst du nicht des Furchenbauern Ameile,« unterbricht sie Dominik und geht davon, denn er hörte wie die Stubenthür sich öffnet. Die Bäuerin ruft Ameile in die Stube.
Bald kommt Ameile wieder, nimmt die kupferne Gelte und geht damit zum Brunnen. Die
Nacht ist stille und sternlos, am Himmel jagen sich die Wolken, aus den Ställen
vernimmt man das Kettenrasseln der Pferde, das Brummen der Kühe und Ochsen, ein
lautes Zwiegespräch zwischen Knechten oder fremden Taglöhnern, das oft von Lachen
unterbrochen wird,
Die Gelte ist schon lange bis über den Rand gefüllt und lauft über, aber noch steht Ameile mit auf der Brust über einander geschlagenen Armen träumend davor. Ein plötzlicher Windstoß macht den Hollunderbusch rauschen und sich beugen, der Brunnenstrahl wird seitwärts gebogen und Tropfen davon gerissen, die Ameile ins Gesicht spritzen, sie wischt mit der einen Hand die Tropfen ab und steht wieder still. Jetzt vernimmt man ein Geräusch in der Stallkammer, Ameile ruft den Kühbuben um ihr aufzuhelfen, aber statt des Gerufenen kommt Dominik.
»Holst noch Wasser?« sagt dieser die Gelte Ameile auf's Haupt hebend und sie erwidert:
»Ja, und weil du da bist, grüß' mir dein' Mutter und sag' ihr, ich schick' ihr mit Nächstem was.«
»Dank, weiß nicht, ob ich mein' Mutter seh.«
»Ja und wegen dem Ehrenpreis muß ich dir noch einmal sagen, du mußt dich mit freuen, du versündigst dich, wenn du's nicht thust. Ich freu' mich auch mit. Es ist ja auch eine Ehre für uns, daß du so lang bei uns bist, und sei nur recht stolz.«
»Freilich, freilich,« erwiderte Dominik, »gut Nacht.«
Ameile geht nach dem Hause, aber schon auf halbem Wege begegnet ihr die Mutter, die nach Dominik ruft und als dieser bei ihr steht ihm sagt:
»Du mußt morgen in Reichenbach anhalten und schauen was mein Alban macht. Wir haben
seit der Heuet nichts von ihm gehört. Des Nagelschmieds Vreni
Dominik kommt endlich zu Worte:
»Der Bauer hat mir verboten über Reichenbach zu fahren, ich soll den Waldweg über Jettingen.«
»Geh du nur über Reichenbach. Du wirst schon eine Ausrede finden, und wenn alle Sträng' brechen, nehm' ich's auf mich; thu's mir zulieb und bring' mir Bescheid.«
Dominik zuckt die Achseln und antwortet: »Will sehen was zu machen ist.«
In dem Herzen dieses Knechtes gehen an diesem Abende seltsame Kämpfe vor. Er gesteht
es sich selbst nicht und hütet sich wohl, es irgend eine Menschenseele merken zu
lassen, daß er eigentlich seines Bauern Tochter liebt. Das ist ein unverzeihlicher
wahnsinniger Uebergriff, und sowohl um sich selbst zu wahren als auch um als treuer
Diener seines Herrn zu bestehen, sucht er jede Aeußerung dieser Zuneigung zu
bekämpfen. Das hätte aber Alles nichts gefruchtet, wenn er nicht erwogen hätte, daß
es ein unnützes und frevlerisches Spiel sei, das Kind – denn er betrachtete Ameile
noch immer als Kind, weil er schon ein hochaufgeschossener Bub war, ehe sie noch in
die Schule ging – das Ameile, das ihn wie einen alten Ohm ansah, mit solchen Dingen
zu plagen, und wenn sie auch einst oder vielleicht morgen an einen Großbauern
verheiratet wurde, so war's besser, sie hat nichts davon gewußt. Heute Abend in der
Küche hat er sich aber doch etwas verrathen, und die Großmagd, die ihm allzeit
nachstellt
Ein Dienstbote ist doch allezeit angebunden, sein Leben und seine Tage gehören einem Fremden.
Im Zorn über dieses Gefühl der eigenen Abhängigkeit weckt Dominik mit Schelten und Püffen seinen Untergebenen, den Kühbub, der ein Sohn des Nagelschmieds ist, und befiehlt ihm die Nacht aufzubleiben, damit er zur Zeit wecke.
Auf dem Hofe ist es jetzt still und dunkel wie ausgestorben, der Halbmond blickt bald
unter jagenden Wolken hervor und verschwindet schnell wieder, und die Häuser und
Scheunen des Furchenhofes mit ihren schweren wie Kappenschilde überhängenden
Strohdächern erscheinen wie unförmliche Felsengebilde. Die Hofhunde sind von der
Kette gelassen und schleichen still und frei umher, legen sich bald da bald dort
nieder und richten sich wieder auf bei jedem Geräusche. Der Kühbub geht hinab in den
Hofraum und spielt mit den Hunden, um sich wach zu erhalten; der Türkle, ein rother
Wolfshund,
Noch als das Licht gelöscht war, hatte der Bauer seiner Frau gesagt, daß er auch hoffe, morgen für das Ameile einen rechten Bräutigam aufzubringen, die Frau hatte nichts geantwortet, denn sie betete still für sich und in ihr Gebet schloß sie einen Namen ein, den sie schon seit bald einem Jahre nicht vor ihrem Manne nennen durfte, es war Alban, seit dem Tode des Schmalzgrafen ihr ältester Sohn ...
In dem Hause, wo überall nichts als Fülle und vielgepriesener Wohlstand sich kundgab, wachte in stiller Nacht die Mutter und klagte um ihren Sohn, der in der Fremde als Knecht dient. Sie brach bald ab und wollte einschlafen, denn sie hatte auch eine wunderbare Macht über ihre Gedanken und konnte sich zwingen, Störendes und Unruhvolles zu verbannen. Wie zu lästigen Bettlern konnte sie jetzt zu Erinnerungen, die mit klagender Stimme an sie herantraten, barsch und doch wieder wohlwollend sagen: kann euch heute nicht brauchen, kommet morgen wieder, oder ein andermal – und sie gingen. Heute aber verschlug das nicht ...
Dieses stete Rückschauen nach der Heimath, dieses Preisen derselben als eines
allezeit friedsamen stillen
Und das war in der That der Fall.
Der Furchenbauer war offenbar ein rechter Mann, karg an Worten, aber arbeitsam von früh bis spät, pünktlich und auf Ehre haltend; er ließ seine Frau in ihrem Bereich gewähren, er wußte was sich für einen großen Bauernhof und für die Tochter des Schmalzgrafen schickte. In solchen Verhältnissen hat man überhaupt nicht lange mit Gemüthsangelegenheiten zu thun, der Tag hat seine hundertfältigen Pflichten; in einem solchen großen Anwesen gilt es überall zur Stelle zu sein, anzuordnen und selbst Hand anzulegen, und das ruhige Gefühl, Alles gehörig im Stand zu halten, und dazu noch ein gewisser Stolz der Herrschaft und des Besitzes füllt Alles aus.
Die beiden Eheleute lebten in Frieden und hielten einander in Ehren.
Es mag hart klingen, aber es ist doch wahr und erweist sich bei näherer Betrachtung
auch milder: bei den Bauern, besonders aber bei den Großbauern, ist die Ehe vielfach
nur ein Vertragsverhältniß in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes. Erkennen die
Eheleute, daß die Verschiedenartigkeit ihrer Naturen sich
Offene Zerwürfnisse oder gar Trennungen aus Mangel an Liebe kommen darum im Leben der Großbauern fast nie vor.
Nur selten, zu einem Jahrmarkt, zu einer Gevatterschaft oder Hochzeit verließ man den
Hof, und die Bäuerin hörte überall mit Befriedigung, wie hochgepriesen sie und ihr
Mann waren und wie sie als eine Zierde der ganzen Gegend galten, so daß es immer
hieß: solche Bauersleute seien schon lange nicht in der Gegend gewesen. Die Bäuerin
hörte solchen Lobpreis immer mit ruhigem Behagen an, sie hatte sich von ihrem Mann
angewöhnt, auch kein übrig Wort zu reden. Nie kam es ihr in den Sinn, von ihrem
Reichthum einen andern Genuß haben zu wollen als den, ihn zu erhalten und zu
vermehren und wie sich's gebührt, den armen Leuten der Gegend ihre Gaben zukommen zu
lassen. Die schwere Kriegszeit, die in den Anfang ihrer Ehe fiel, verschonte auch den
Furchenhof nicht, ja sie brachte Noth und Gefahr. Gegen eine Einquartirung, die sich
unziemlich gegen die schöne
Der Furchenbauer lebte ganz für sich, er schloß sich an Niemand an, er hatte keinen Freund, keinen Vertrauten; mit seiner Schwester und seinem einzigen Schwager, dem Gipsmüller, lebte er in oberflächlicher Beziehung, die sich nachmals durch einen Streit in gegenseitiges einander Vergessen verwandelte; nicht einmal mit seiner Frau beredete er was er vorhatte, er war eine einsame Natur, ohne Anhänglichkeit und ohne Abhängigkeit, man kann fast sagen: er selber war ein geschlossenes Gut.
Es kamen mehr Kinder als sonst in einem solchen Bauernhofe gewöhnlich ist. Der Bauer war oft unwirsch; wenn er aber den Neugeborenen auf den Armen hielt, war er seltsam weich und liebevoll. Vier Kinder lagen auf dem eine Stunde weit entfernten Kirchhofe, drei Söhne und Ameile waren geblieben, der Alban war nach dem Schmalzgrafen der älteste, Vinzenz der jüngste. Da wurde abermals ein Sohn geboren, und als zwei Tage darauf Vinzenz mit dem Vater vom Kornmarkt heimfuhr, sagte der kecke Bursche:
»Vater es ist ein' Schand und Spott und Ihr solltet Euch auch schämen wie ich, daß
ich noch ein kleines Brüderchen bekommen hab'.« Der Furchenbauer
Das war ein Jammer, als der Vater mit dem einäugigen Sohn heimkam und in derselben Stunde war das kleine Brüderchen gestorben, dem die Wehmutter noch die Nothtaufe gab.
Es war nun ein seltsam zerstörtes Leben auf dem Furchenhofe. Der alte Bauer lebte in
Unfrieden mit sich und mit der Welt, er schlug die Augen nieder wenn er den Vinzenz
sah, den er so jämmerlich verletzt hatte und verhätschelte ihn auf allerlei Weise.
Der Vinzenz zeigte jetzt ein herrisches und tückisches Wesen und lebte in stetem
Hader mit seinem ältern Bruder Alban, der bis jetzt, so weit es ging, der natürliche
Herrscher des Hauses gewesen war. Denn Alban war zu Allem anstellig und allezeit
aufgeweckt und wußte besonders gut mit den neuen Pflügen, Häckselschneide- und
Säemaschinen umzugehen, die der Furchenbauer angeschafft hatte, da er den Ruhm eines
aufgeklärten Landwirthes besitzen und es gern so weit es seinem Vortheil entsprach,
den studirten und adeligen Gutsbesitzern der Gegend gleichthun wollte. Jetzt schien
Alles auseinanderzufahren, Niemand war mehr recht bei der Arbeit; aber ein
festgefugtes Anwesen hat so viel innere Stetigkeit, daß es auch ohne besondere
Leitung noch eine Weile seinen geregelten Gang fortgeht; und dazu kam noch, daß
Dominik sich jetzt in seiner ganzen Verständigkeit und Treue zeigte: er ließ die drin
im Hause zanken und schelten und sorgte unermüdlich dafür, daß
Zu Lichtmeß 1848 kehrte Alban wieder auf den väterlichen Hof zurück. Die Mutter hatte
ihre Freude an dem schönen Burschen und betrachtete ihn oft, als wäre er ein Fremder.
Die braunen Haare, die nur am ovalen Hinterkopfe ganz glatt geschoren waren, trug er
auf dem breiten Oberhaupte gescheitelt. Wie leuchtete die weiße Stirne, doppelt hell
über dem sonnverbrannten Antlitze mit dem braunen Schnurr- und Knebelbarte, wie
glänzten die braunen Augen, die er so hoch aufschlug, daß man unter den tief
hereinstehenden Brauen gar kein Augenlid sah. Er trug ein nach vorn geöffnetes kurzes
graues Burgunderhemd, die sogenannte Blouse, und alle seine Bewegungen, jeder
Schritt, jede Stellung und Wendung war allezeit geschlossen und mit gesammelter
Kraft, Alles machte den Eindruck der Frische und straffen Jugendlichkeit. Die Mutter
hatte nicht allein ihre Freude an dem schönen Sohne, wer auf den Hof kam, konnte sein
nicht Rühmens genug finden und die ganze Gegend war stolz auf ihn. Die Mutter hatte
es vollkommen getroffen,
Begriff und Wort Jüngling sterben jetzt allmälig fast aus: Alban war noch ein Jüngling in der frischen Bedeutung des Wortes, kindlich hingebend und hell aufflammend. Er war in dem Jahre seiner Abwesenheit fast jünger geworden. Er hatte ein freies Behaben aus der Fremde mitgebracht, das aber heimathlich anmuthete. Er hatte fremde Gedanken mitgebracht wie auch fremde Lieder, die man ihm bald auf dem Hofe nachsang, aber zum Ruhme seiner Lehrer wie seines eignen Naturells muß gesagt werden: er hatte sich in keinerlei Weise der Heimath entfremdet, sein Wesen hatte nur etwas Sonntägliches und das paßte ganz zu dem neuen glorreichen Sonntag, der jetzt über der Welt aufgegangen war. Einstimmig wurde Alban zum Leitmann gewählt, als man, von dem noch jetzt unerklärten Franzosenlärm geschreckt, sich vorerst mit gestreckten Sensen bewaffnete. Auch Dominik war mit unter den Bewaffneten, der Furchenbauer hatte ihm ausdrücklich die Erlaubniß gegeben.
Wie oft stand die Mutter mit Ameile hinter dem »Käppele« und schaute nach dem Thal,
wo ihr Sohn wie ein Feldherr regierte, oder sie ging gegen ihre Gewohnheit am
Werktage nach dem Thal, um in der Nähe zu sehen wie ihr Sohn commandirte, und mit
Hülfe des Dominik und des Nagelschmieds, eines ehemaligen Soldaten, der als Häusler
und Taglöhner auf dem Hellberge wohnte, militärische Ordnung einübte. Wenn
Der Furchenbauer sah die Erwählung seines Alban doppelt gern und zog daraus manchen trostreichen Gedanken, den er aber in sich verschließen mußte.
Schon die Erwägungen, die bei der Wahl der Führer in Dörfern und Städten zu Tage kamen, zeigten eine gewisse Unentschiedenheit der Gemüther, die sich bald im großen Ganzen kenntlich und verderblich darstellte. Es herrschte die allgemeine Stimmung, daß der Nagelschmied als ehemaliger Soldat und redlicher gescheiter Mann Führer sein sollte; man sah das wohl ein, aber man wollte doch auch wieder einen Mann von Ansehen, der auch Bedeutung hatte. Die Parteien vereinigten sich zuletzt und um Allem gerecht zu sein, wählte man keinen Hofbauern, sondern den Sohn eines solchen und Alban war nach Stellung und Persönlichkeit dazu am geeignetsten.
Auf dem Hofe standen Knechte und Mägde oft bei einander und der Hauptgegenstand ihres
Gespräches war der Alban, wie der so gut und zutraulich gegen Jedermann sei und
selbst der Kuhbub wußte Lobendes von ihm zu erzählen, Alban hatte ihm versprochen,
daß er
Jenes wonnige Beben, das damals die gedrückten Herzen in ganz Europa durchzitterte,
jene freudige Ahnung, daß die Zeit der Noth und der Ehrlosigkeit
Es war die Zeit der Zeichen und Wunder, alle Sehnsucht und alle Verheißung, die mehr oder minder klar in den Gemüthern ruhte, sollte ihre Erfüllung finden; die Erlösung war da für die hochstrebenden, die ganze Menschheitentwicklung erfassenden Geister, wie auch für diejenigen, die in beschränkte Gesichtskreise eingeschlossen waren.
Die Hoffnung, daß eine Zeit gekommen sei, in der man seines Schweißes froh werde,
bildete sich oft abenteuerlich aus. Oft wenn Einer in verborgener Thalschlucht oder
tief im Walde arbeiten mußte, überkam es ihn plötzlich wie ein jäher Schreck, daß er
jetzt den Triumphzug versäume, der die Heerstraße dahinzieht und Alles glückselig
macht. Die Taglöhner sprachen oft wild durcheinander wegen Vertheilung der Allmend
und des Gemeindewaldes, wegen Erhöhung des Tagelohnes und Kürzung der Arbeitszeit,
und mancher lang verwundene und halb vergessene Schmerz kam an den Tag. Alban sprach
da und dort mit beredtem Munde und hatte einen hülfreichen Beistand an dem
verständigen Nagelschmied, der mit seiner Tochter Vreni auf dem Furchenhof als
Taglöhner arbeitete. Der Nagelschmied hieß nur noch so, aber er war es nicht mehr.
Noch vor wenigen Jahren hatte er im Sommer als
Jetzt hoffte der Nagelschmied wieder sein Gewerbe aufnehmen zu dürfen, und Alban versprach, ihm zur Anschaffung des Handwerkszeuges, das er in der Noth verkauft hatte, behülflich zu sein.
Auf dem Furchenhofe wurde allzeit mit doppelter Lebhaftigkeit und unter Lachen und Singen gearbeitet, Jeder war lustig ohne zu wissen warum und ohne weiter darnach zu fragen. Im Frühling, wo gerade die härteste Nothzeit ist, da die Wintervorräthe aufgebraucht sind, vertheilte Alban freiwillig Korn als Vorschuß unter die Taglöhner und der alte Furchenbauer mußte ihm trotz der Widerrede Recht geben; denn andere Großbauern wurden zu Dem gezwungen, was er freiwillig gethan hatte und wofür er nun Dank erhielt.
Alban und der Vater ritten einst zu der großen Versammlung in Wellendingen, die der
Candidat für die Stelle eines Reichstags-Abgeordneten anberaumt
»Ja, das thu' ich auch. Man muß jetzt mitthun.«
»Und ich mit,« rief Alban.
»Ja so,« fuhr der Vater fort, »du stimmst ja auch? Das hab' ich fast vergessen. Freilich es ist ja jetzt Alles gleich, Vater und Kind und wer was hat und wer nichts hat; es ist All eins. Ich bin froh, daß ich tief in den Sechzig bin, das ist kein' Welt für mich; die Bettelleut dürfen nicht mitreden, der Nagelschmied darf nicht mitstimmen wie ich.«
Alban schwieg, er traute sich's nicht zu, seinen Vater zu anderer Ueberzeugung zu bringen; auch war er an die natürliche und altherkömmliche Oberherrlichkeit des Vaters gewöhnt und wagte es nicht ihm geradezu zu widersprechen.
Man würde indeß dem Furchenbauer schwer Unrecht thun, wenn man einen gewissen Freimuth desselben in Zweifel zöge.
Der Bauer auf Einzechten – wie man die weit auseinanderliegenden geschlossenen Güter
nennt – ist ein ganz anderer, als der in den Dörfern lebt. Die Alles in ihr Netz
spannende neue Regierungskunst, oder vielmehr Polizeikunst hat nur eine lose
Verknüpfung mit solchen einsamen Höfen und nur selten betritt ein
Unser Furchenbauer galt von jeher als ein Liberaler und er war dieß auch nach dem
bisher gewohnten Begriff. So oft er mit den Beamten in Berührung trat, war er stolz
und zäh. Wenn er aufs Amt kam, sagte sein Gang, seine Miene: »Was seid denn ihr
Schreiber gegen mich? Ich bin der Furchenbauer,« und nur Einmal vertraute er in sonst
nie vorgekommener Offenherzigkeit dem Hirzenbauer von Nellingen einen Geheimgedanken
mit den Worten: »Die Beamten haben doch weit mehr Respekt vor Einem, der kein
unterthäniger Jamensch ist, wenn sie ihn auch nicht leiden mögen.« Dazu kam, daß
trotz seines Stolzes ihm die Vertraulichkeit der angesehenen Männer aus der
organisirten liberalen Partei wohlthat; er duzte sich mit mehreren Advokaten und
sogar mit dem ausgetretenen Geheimrath, der trotz seines Liberalismus doch beharrlich
Geheimrath betitelt wurde. Der Furchenbauer hörte sich gern als freien Mann rühmen,
der nach Niemand was zu fragen habe, er sprach bei den Wahlversammlungen
Jetzt war eine andere Zeit gekommen. Freilich war es schön, daß zwei von den Duzbrüdern des Furchenbauern jetzt Minister waren. Damit sollte aber auch die Welt zufrieden sein, und unerträglich war's, daß jetzt Jeder die Keckheit hatte, auch ein Liberaler sein zu wollen; das ist doch etwas, was nur Leuten zusteht, die nach Niemand was zu fragen haben, wie kommt so ein Häusler dazu? Und himmelschreiend war's, daß jetzt auch ein Kind, das noch keinen Kreuzer eigen Vermögen besaß, mitstimmen durfte wie der Vater.
Diese Wahrnehmungen machten den Furchenbauer oft unwirsch, aber er verschloß seinen Widerstreit in sich. Nur Einmal gab er ihn kund, indem er Alban befahl und als dies nichts half, ihn sogar bat, von seinem Stimmrechte keinen Gebrauch zu machen; aber Alban ließ sich das nicht nehmen, er hatte von der Volksversammlung das Schlagwort mitgebracht: »Wehrpflicht, Wahlrecht;« und was er einmal in seinem Herzen aufgenommen, ließ er nicht mehr los. Alban war bei der Volkswehr und ein Jubeltag war es für ihn, als er zum Erstenmal im Leben seine Stimme abgab. Vinzenz hatte dem Vater willfahrt und darauf verzichtet.
Im Laufe des Sommers kam ein Ereigniß, das auch den alten Furchenbauer plötzlich für
die neue Zeit
»Jetzt bin ich so viel wie ein Baron und ich schaff' mir jetzt für unser Käppele eine Glock' an, ich darf's jetzt so gut wie ein Baron; ich brauch' Niemand darum anfragen,« sagte der Furchenbauer zu seiner Frau und seinen Kindern und strich sich behaglich mit der breiten Hand über die rothe Brustweste. Er ging lächelnd und behend durch Ställe und Scheunen, auf die Felder und in den Wald und betrachtete Alles neu, als grüßte er's erst jetzt als sein rechtes Eigenthum. Vinzenz zuckte mit dem einen Auge als der Vater am Abend zu ihm und Alban sagte:
»Ihr Buben kriegt's besser als wir's gehabt haben, ihr seid Freiherren.«
»Ja, und jetzt darf man mit dem Hof schalten und walten wie man will,« setzte Vinzenz hinzu.
»Vor der Hand bleib' Ich noch ein' Zeitlang Freiherr, Punktum,« schloß der Vater und
keiner der Söhne wagte mehr ein Wort zu reden; sie mußten es schon
»Der Professor aus der Volksversammlung hat Recht gehabt,« sagte Alban halb für sich, »es darf keine Grundherren mehr geben, nur noch einen Himmelsherrn.«
Der alte Furchenbauer antwortete nichts hierauf.
So lange schon dieser Boden die nährende Frucht hervorbringt und von Geschlecht zu Geschlecht sättigt, wurde die Sichel gewiß noch nie freudiger gehandhabt als in diesem Jahre, und der erste Garbenwagen, den Dominik vierspännig in den Hof einführte, war bekränzt und ihm nach jauchzten Schnitter und Schnitterinnen. Alban hätte gern den ersten Garbenwagen unter dem Gesang aller Arbeitenden in den Hof geleitet, aber das ging jetzt in der hohen Ernte nicht an. Wenn auch das Wetter ständig schien, durfte man doch keine Minute Zeit verlieren; denn nur was man glücklich unter Dach oder in Feime und Stadel hat, darf man erst recht sein Eigen nennen. Der Vater hätte es nicht geduldet, daß man Zeit damit verlor, einen Kranz zu winden, und darum war es klug von Vreni, daß sie einen fertigen Kranz mitgebracht hatte.
Der alte Furchenbauer sah scheel dazu, aber er sagte nichts, als Alban an einem Nagel
des Scheunenthores ein Papier aufhängte, die Garben beim Abladen zählen ließ und die
Summe auf das Papier verzeichnete; er wollte dem Alban den unschuldigen Stolz gönnen,
die neue Art zu zeigen, die alles Erträgniß buchte.
Die Sonne war schon hinabgesunken und nur noch leichte rothe Wolkenstreifen standen ruhig über den blauen Waldbergen und kündigten für morgen einen gleichen gesegneten Tag, als man für heute den letzten Garbenwagen einführte, und hinter ihm sangen Schnitter und Schnitterinnen helle Lieder und die Lerchen über den Feldern erhoben sich nochmals zum letzten Abendsang. Alban ging unter den Taglöhnern und sang mit, seine Stimme tönte rein und hell; er hatte auf der Ackerbauschule nach Noten singen gelernt, war aber den Weisen seiner Heimath in nichts fremd geworden, er stimmte mit doppelter Lust ein in den Gesang, der von Natur sich vierstimmig setzte. Seine Stimme und die Vreni's begannen stets.
Jeder der Vreni sah mußte gestehen, daß sie eine frische und anmuthende Erscheinung
war, wenn Mancher auch die Zartheit ihrer Gesichtsfarbe auf Rechnung ihres braunen
röthlich glänzenden Haares schrieb, das ihr wie allen Kindern des Nagelschmieds die
Bezeichnung der Goldfuchsen gegeben. Niemand aber ersah Vreni so schön als Alban.
Wenn er seinen Blick auf sie richtete, erglühte ihre Stirne, sie senkte das Auge in
Demuth, aber aus ihrem ganzen Angesicht leuchtete es wie eine Strahlenglorie. Jetzt
beim Singen hielt sie zum Erstenmal seinen Blick unverwandt mit offenem
Nach dem Abendessen ging es erst recht lustig her, denn es kam ein Mann, der mit dem Athem seines Mundes Alles tanzen und springen machte. Auf dem Hellberge in der ehemaligen Nagelschmiede wohnte das alte Müllerle, genannt »die Obedfüchti« (Abendfeuchtigkeit) weil es in der Regel in der Dämmerungsstunde vor den Bauernhäusern erschien und die Klarinette blies. Die Obedfüchti arbeitete nicht und sorgte nicht und war doch allzeit lustig und wohlauf. Vor Zeiten war das Müllerle ein Kamerad des Geigerlex gewesen und war auch ein Nachkomme jenes närrischen Musikanten, der am Felsen beim Hellberge sein Leben vergeigte und wovon der Fels noch immer den Namen: des Geigerle's Lotterbett hat.
Auf dem Furchenhofe war die Obedfüchti bei Alt und Jung beliebt und ging nie leer aus.
»Die Obedfüchti! die Obedfüchti!« schrie Alles, als man jetzt Klarinettenton vom Hofe hörte und trotz der Ermüdung von der Arbeit wurde noch in der Tenne getanzt.
Alban war auch hier der unermüdlichste, aber obgleich seine hübschen Basen, die
beiden Töchter des Gipsmüllers, auch dazu gekommen waren, tanzte er
Bevor Alban schlafen ging, rief ihn der Vater zu sich und sagte ihm:
»Ich will dir ein für allemal zu wissen thun: mach' mir mit der Vreni keinen so Spaß mehr.«
»Was hab' ich denn than?«
»Du hast ihr gesagt, sie muß Bäuerin auf dem Furchenhof werden. Das geht über den Spaß. Oder willst's leugnen?«
»Nein, es kann sein, daß ich's gesagt hab'.«
»Du hast's gesagt. Punktum. Und so ein Spaß darf nicht mehr vorkommen.«
»Nein,« schloß Alban und ging tiefathmend die Treppe hinauf. Hatte er bei der ersten
Probe seine Liebe verleugnet? Bei aller innigen Hingebung, bei aller leicht
beschwingten Freudigkeit lastete doch ein geheimer Druck auf dem Herzen Albans, der
sein scheinbar so entschlossenes und festes Wesen in stillen Stunden zaghaft und
zweiflerisch machte. Nicht sowohl das Hauswesen als die ganze starre Art des Vaters
war ihm bei der Heimkehr fremd und unerträglich. Der Lehrer in der Ackerbauschule
hatte ihm beim Abschied an's Herz
Widerwillige und ungläubige Hörer würde man heut zu Tage finden, wenn man die Reden
und Schicksale dieses Bauernjünglings erzählen wollte; der Hauch der Zeit hatte ihn
mit einem Prophetengeist angeweht, wie uns ein Gleiches nur von alten Zeiten
berichtet wird und er besiegelte seine Sendung mit dem Märtyrertode. Damals riß er
alle Herzen in unwiderstehlicher Gewalt fort. Alban fühlte bei den Reden des Lenz
alles Blut in seine Wangen treten und oftmals ergriff es ihn, als würde er von einem
Sturm davon getragen, er wollte
Es schien fast nicht möglich, daß Alban noch mächtiger ergriffen werden könnte als von der Rede des Lenz von Röthhausen, und doch war es so. Unter allgemeinem Jubel trat nach dem Lenz von Röthhausen ein ehemaliger Offizier mit vornehmem Namen auf und die Worte, die er sprach, glühten von einer höheren Weihe, die Alban fast kirchlich erschien; in der That wiederholte der Redner auch oft die Bibelworte: »Kain! Wo ist dein Bruder Abel?« Er griff die bisherige Erbfolge im Güterbesitz an und zeigte deren gräßliche Verderbniß und Ungerechtigkeit. »Der Schweiß deines Bruders, den du dir zum Knecht machst, der Schweiß deines Bruders schreit wider dich zum Himmel und die Stimme deines Gewissens muß rufen: Kain, wo ist dein Bruder?«
Jetzt drängte es Alban nicht mehr zum Reden, in ihm sprach es immer: »Kain, wo ist dein Bruder?«
Alban war ein Gemüth, das dem empfangenen Eindruck sich widerstandlos hingab und kein
Hinderniß
»Wart's ab, du kannst dich wieder anders besinnen,« sagte der Vater, worauf Alban aufflammend entgegnete: »Ich werd' nie ungerechtes Gut haben.«
Alban war erst spät heimgekommen, er behauptete so lange in Wellendingen gewesen zu sein, er hatte sich aber auf dem Hellberg bei des Nagelschmieds Vreni aufgehalten.
Des Menschen Herz ist, wie es heißt, trotzig und verzagt und unerforschlich in seinen
Widersprüchen. Weil Alban vor aller Welt der unsichtbaren väterlichen Gewalt sich
gebeugt hatte, sprach er sich wiederum davon frei in Dingen, die nur ihn allein
angingen, und gleichsam als Lohn seiner Unterwürfigkeit streifte er dieselbe ab,
folgte dem Drange seines Herzens und die Erregung, die noch in seinem Gemüthe
nachzitterte, ergoß sich in feuriger Liebe zu Vreni auf dem Hellberg. Dort unter
freiem Himmel hatten es heute Tausende gehört und im Innern nachgesprochen, daß Arm
und Reich, Hoch und Nieder gleich sei, Alban machte es zu einer Wahrheit. Dennoch war
noch Tage und Wochen lang genug Bauernstolz und Furcht vor dem Vater in ihm, daß er
oft innerlich zitternd einherging, er zitterte vor dem, was mit ihm geschehen war.
Wenn Vreni auf dem Hof als Taglöhnerin arbeitete, scherzte er nicht mehr mit ihr; er
befolgte in dieser Weise das Verbot des Vaters, aber aus ganz anderen Gründen. Seine
innere Liebe und das demüthige und doch so hohe Wesen Vreni's ließen ihm jeden Scherz
als eine Entwürdigung und Rohheit erscheinen, zumal da das Mädchen in seiner
untergeordneten Stellung sich dagegen nicht hätte auflehnen dürfen und nur dem Spotte
der Genossinnen ausgesetzt war. Der kecke allzeit wohlgemuthe und singende Alban
hatte jetzt oft etwas Scheues und träumerisch in sich Versunkenes; er, der sonst
allezeit
Der Winter ging schnell vorüber, die wundersamen
In diesem Winter vollführte Alban eine Arbeit, auf die er nicht wenig stolz war, über die indeß der Vater lächelnd den Kopf schüttelte. Alban entwarf nämlich mit verschiedenen Farben eine Karte des ganzen Hofgutes: Berg und Thal, Feld und Wald und alle Wege waren darauf genau angegeben. Es war allerdings kein Meisterstück, aber Alban verdroß es doch, daß der Vater sagte: das sei unnütz. Die Mutter lobte ihn indeß dafür um so mehr, sie ließ die Karte einrahmen und hing sie in der Stube auf und nicht ohne Stolz hatte der Urheber: »Alban Feilenhauer gez.« darunter geschrieben.
Einst gegen den Frühling, Alban hatte sich vorgenommen, daß dieß das Letztemal sein
solle, war er wieder auf dem Hellberg, da erzählte ihm der Nagelschmied, daß sein
Großvater es von seinem Vater gehört habe, wie vor Zeiten der Hellberg ein
großer
Als Alban heimwärts ging, war es ihm immer als spräche ihm Jemand in's Ohr: »Das ist ein Doppelhof, das waren einst zwei Höfe, dein Vater will nicht leiden, daß du den Hof bekommst und die Vreni heirathest, gut, so zerreiß' es wieder, nimm den Hellberger Hof für dich und die Deinigen, das muß er thun.« Alban war aber doch auch wieder ein stolzer Bauernsohn, berechtigt zu dem großen und ganzen Erbe, er warf den Gedanken weit hinter sich, die Hälfte seiner Habe leichtfertig zu opfern und doch kam ihm wieder zu Sinn, daß der Nagelschmied und die Obedfüchti ja auch von reichen Bauern abstammten, warum sollte nicht eines von des Nagelschmieds Kindern wieder zu reichem Besitzthum gelangen? Alban sah weit hinaus in die Zukunft, wie einst auch erblose Nachkommen, die von ihm abstammten, zu Taglöhnern wurden, Vreni sollte glücklich sein, ... aber die Schwiegereltern, die Schwäger und Schwägerinnen waren eine beschwerliche Last. –
Dort, wo eine auf Stützen umgelegte Tanne den Weg einhegt, dort wo der Fels jählings
in's Thal abspringt, den man des Geigerles Lotterbett nennt, wo drunten der Bach
rauscht, den jetzt die Schneewasser
Endlich machte sich Alban entschlossen auf mit dem festen Vorsatz, diesen Weg nie mehr in solchen Gedanken zu beschreiten; er war ein großer Hofbauer und war verpflichtet, eine Neigung in sich zu bekämpfen.
»Wenn ein Großbauer sich auch noch eine Frau nach reiner bloßer Herzensneigung wählen dürfte, dann hätten ja die Reichen Alles auf der Welt, Gut und Geld und alle Herzensfröhlichkeit auch noch dazu. Das wär' zu viel, drum ist's vertheilt; die Einen haben dies, die Andern haben das, und des Vaters Wille muß gelten: ein Großbauer hat vor Allem daran zu denken, daß die Familie in alten Ehren bleibt.« Das waren die Gedanken, mit denen Alban sein stürmisches Herz zu beschwichtigen suchte.
Theils durch die Anlage seiner Natur, hauptsächlich aber durch sein Verweilen außer
dem elterlichen Hause hatte sich Alban Kenntnisse und Lebensanschauungen angeeignet,
die ihr Förderndes, aber auch ihre Zwiespältigkeiten in ihm und mit seiner gewohnten
Umgebung zu Tage brachten. Schon die ernstliche Neigung zu Vreni und die Erwägungen
hierüber waren ein Ergebniß davon und der vollbrachte Sieg hätte ihn vielleicht
Alban hatte einen dreischarigen Felgpflug angeschafft und bearbeitete damit eine schon im Herbst abgerodete und umgepflügte Waldstrecke, er spannte jetzt zwei junge Stiere hinter einem vorausgehenden Pferde an den Pflug. Noch nie hatte man hier zu Lande Stiere an die Feldarbeit gewöhnt, man bediente sich dazu der zahmen Ochsen. Der Vater lachte Alban über den neuen Versuch aus, den dieser in der Schweiz gesehen und hier nachahmen wollte, aber nach viel Mühe und Schweiß gelang es ihm, und die wilden Thiere fügten sich in die Arbeit.
Der alte Furchenbauer war trotz vielen Scheltens doch stolz auf seinen Alban und auf dem samstägigen Fruchtmarkt in der Stadt, wenn er bei dem gräflich Sabelsbergischen Pächter in Reichenbach saß, sagte er oft: »Der Alban braucht gar nichts; der Bauer, dem ich den Alban für seine Tochter gebe, der muß mir noch Geld herauszahlen.«
Am Ostersonntag fuhr der Furchenbauer mit seiner Frau, den beiden Söhnen und Ameile
nach der über
Es giebt ganz gewöhnliche Ereignisse, die oft so seltsam berühren, daß man sich einen Grund dazu gar nicht erklären kann. Alban hat nachmals oft erzählt, daß ihn der Befehl, die Zügel abzugeben, im Innersten erschreckt habe, ohne daß er wußte warum. Vinzenz nahm ihm mit einem so raschen Griff die Zügel aus der Hand und der sonst so gewandte und behende Alban stieg so ungeschickt ab und verwirrte seine Füße in die Zügel, daß er fast zu Boden fiel.
Kann sein, daß Alban sich Alles was diesem Ereigniß folgt, erst später so bestimmt ausdeutete, genug, er stand auch jetzt eigenthümlich erschüttert vor dem Vater, der nach einer Weile begann:
»Alban, es ist Zeit, daß du jetzt für dich selber zu bauern anfangst.«
»Wie Ihr meinet, Vater, ich hab' glaubt, Ihr wollet warten, bis das Ameile versorgt ist.«
»Das ist mein' Sach'. Es ist gescheiter du heirathest jung, ich bin ein bisle zu spät dazu kommen, ich möcht' aber doch noch mit meinen lebendigen Augen sehen, wie's meinen Kindern geht.«
»Und ich will Euch thun was ich Euch an den Augen absehen kann,« betheuerte Alban und hielt vor innerer Bewegung still, der Vater aber schritt fürbaß, knurrte etwas vor sich hin und sagte endlich:
»Aber Vater, warum soll ich denn aus dem Haus? Wer kriegt denn unser Gut?«
»Der dem ich's geb'. Das Sach' ist mein.«
»Wer ist denn der älteste?«
»Still sag' ich, du hast nichts zu fragen. Ich kann nicht nur Mulle, ich kann auch
Kuz sagen Mulle ist ein Ausdruck beim Schmeicheln, Kuz beim Verscheuchen einer
Katze.. Nein, horch, bleib' ein bisle stehen und laß mich ausschnaufen. Guck Alban,
ich hab' viel auf dich gewendet, du bist ein Kerle, der sich sehen lassen kann, du
bist mein Augapfel gewesen ... Ich brauch' dich beim Teufel nicht fragen, du mußt
thun was Ich will ... Nein, horch, der Vinzenz ist freilich der jüngere, aber guck,
da, da, du hast deine zwei Augen ... Du Heidenbub, guck mich nicht so an, du mußt
thun was Ich will. Red' mir kein Wort. Still sag ich. Du bist jetzt freilich der
Aelteste, aber das Gut ist jetzt auch frei, ich kann mit thun was ich mag. Ich kann's
verlumpen. Alban,
Alban hatte die Hand dargereicht, sein Vater hielt sie fest umklammert wie eine
Zange, sei es daß er der Betheuerung Nachdruck geben oder seine Kraft noch beweisen
wollte. Der Vater sah schauerlich aus. Seine Lippen zogen sich völlig einwärts und
seine Augen quollen weit heraus. Alban sah ihn so mitleidig und unterwürfig an, daß
der Vater jetzt mit dem Kopf schüttelte und die Augen niederschlug. Alban war in
diesem Augenblicke so von Kindesliebe und gewohntem Gehorsam überwältigt, daß er
trotz des Sturmes, der in ihm waltete, dem Vater noch aufrichtig versprach,
willfährig zu sein. Er hatte ihm Anfangs nur zum Schein und um ihn zu begütigen,
gehorchen wollen, jetzt war es sein aufrichtiger Wille. Schweigend gingen Vater und
Sohn bis zu dem Hof, der Alte hatte auf Einmal einen raschen festen Tritt. Alban
hatte etwas
Als man in den Hof eintrat, stand Vinzenz an die Stallthüre gelehnt und pfiff lustig.
Alban glaubte in seinem Gesichte eine Siegesmiene zu finden, ja er bemerkte, daß
Vinzenz den Vater fragend ansah und dieser mit dem Kopfe nickte. So war also was
jetzt geschehen sollte, längst beschlossen, der Vater hatte das dem Einäugigen
versprochen, und während Alban emsig und friedfertig daheim war, war er schon längst
ausgestoßen? Grimmige Wuth erfüllte Alban, er wollte widerrufen, daß er dem Vater
zulieb nur einen Schritt aus dem Haus thue. Schon zweimal hatte man ihn zum Essen
gerufen, er stand wie festgewurzelt auf dem väterlichen Boden, den Blick zur Erde
geheftet und die Fäuste geballt. Als endlich die Mutter kam und ihn lobte, daß er
sich wieder als guter Sohn beweise, schaute er wie höhnisch auf, er verschloß aber
seine Gedanken: man hatte ihn betrogen, er wollte Gleiches mit Gleichem vergelten; er
faßte den Vorsatz, dem Vater zum Scheine
»Vergieb dich nicht, du bist uns noch nicht unwerth und hast nichts zu eilen. In keinem Fall mach's fest, eh' ich sie auch gesehen hab'; ich kenn' die Familie wohl, aber das Weib kenne ich nicht. Fahr' auf dem Heimweg über Siebenhöfen und sieh was dein Bruderskind macht, kauf unterwegs was und bring's ihm.«
Lustig knallend fuhr Alban davon und der Furchenbauer, der ihm nachsah, sagte zu seiner Frau:
»Wenn ich ein' einzige Tochter hätt' und wüßt einen Burschen wie den Alban, ich thät nicht ruhen, bis er mein Schwiegersohn wär'.«
Alban fuhr indeß mit dem Spitzgäbele, einem lustigen alten Männchen mit lauter Falten im Gesicht, ruhig die Pferde lenkend den abschüssigen Weg hinab, dabei hörte er die Lobeserhebungen des Kupplers über den Eichenhof.
Vor einer geschmückten Frauengestalt, die am Wege ging, standen die Pferde plötzlich still, Alban wollte schon mit der Peitsche ausholen, da rief Spitzgäbele: »Halt!« und zu der abgekehrten Frauengestalt gewendet:
»Mädle wohin?«
»Gen Reichenbach, Gevatter stehen.«
»Willst mitfahren?«
»Dank' schön.«
»Komm nur 'rauf. Halt doch Alban. Mädle, du kannst auf meinen Schooß sitzen.«
Das Mädchen war Niemand anders als Vreni, sie stieg nach wiederholter Ermahnung, wobei Alban beharrlich schwieg, auf und setzte sich auf den Habersack hinter dem Sitz, wobei Spitzgäbele Mancherlei zu rühmen hatte.
Alban fuhr wildrasend dahin, er fuhr zur Freiet und hinter ihm saß Vreni. Er fuhr doppelt rasch, damit Spitzgäbele nicht mit seinen Scherzen fortfahren konnte.
Vor Reichenbach bat Vreni, daß er anhalte, und behend war sie vom Wagen gesprungen.
Jetzt erst
»Bei wem stehst Gevatter?«
»Bei meiner Schwester.«
»Mit wem?«
»Mit meinem Vater. Mein Schwager hat Niemand anders finden können, es ist das siebente Kind.«
»Da, bring' das als Gevatterschenk von mir,« sagte Alban, langte in die Tasche und holte ein groß Stück Geld. Vreni wollte es nicht annehmen, Alban aber warf es hin, daß es zu Boden fiel und fuhr rasch davon. Spitzgäbele konnte sich nicht enthalten zu fragen:
»Ich hab' gemeint, du kennst das Mädle gar nicht. Wem gehört's denn?«
»Es ist des Nagelschmieds Tochter, ihr Vater taglöhnert bei uns und ihr Bruder ist unser Kühbub,« sagte Alban und es war ihm als brennten ihm die Lippen, da er diese Worte sprach.
»So?« spottete Spitzgäbele, »vielleicht gar ein heimlicher Schatz von dir? Das hat gar nichts zu sagen. Die Bäuerin hat mir selber bestanden, sie sei gar nicht eifersüchtig, aber natürlich gescheit mußt sein. Das versteht sich.«
Alban fuhr immer mehr seinem Ziele zu und bei jedem Schritte wäre er gern umgekehrt. Nur Einmal sagte er zu Spitzgäbele:
»Ihr müsset mir vor meinem Vater bezeugen, daß nicht ich die Vreni auf den Wagen genommen hab', aber Ihr.«
Einstweilen begann Spitzgäbele allerlei lustige Geschichten zum Besten zu geben. Alban hörte ihn kaum, er rückte seinem Ziel immer näher und war in Gedanken doch nur in Reichenbach bei Vreni und ihrer Schwester; er dachte darüber nach, ob sie wohl sein Gevatterschenk hergebe, gewiß, sie ist ja gescheit und wird sich mit den Ihrigen davon einen lustigen Tag machen. Tief in die Seele schnitt es ihm, wenn er darüber nachdachte, welch ein schreckliches Loos das sei, daß man nicht einmal mehr einen Gevatter für ein Kind finde und des Nagelschmieds stammten doch auch von reichen Hofbauern. Der genehme Schluß dieser Betrachtung aber war doch: darum muß man dafür sorgen, daß man nie in Armuth geräth.
Im Dorfe vor dem Eichhofe, wo man mit einbrechender Nacht einkehrte, hörte Alban aus dem dunkeln Stall heraus einen Knecht zu einem andern sagen:
»Das ist gewiß wieder ein Freier für die Eichbäuerin, ich bin froh, daß ich ein Knecht bin und mich nicht zu verkaufen brauch'.«
Der Spitzgäbele verstand den Alban gar nicht, als er jetzt am Ziel angelangt, wieder
umkehren und gar nicht auf den Eichhof gehen wollte. Nur die Erwähnung des Vaters
brachte Alban dahin, daß er sich endlich bewegen ließ, wenigstens auf den Eichhof zu
gehen. Auf dem Wege bedauerte Spitzgäbele, daß es Nacht sei und Alban die schönen
fetten Aecker nicht
Gerade dieser Ruf erschütterte jetzt Alban, daß es ihm war, als müßte er in den Boden sinken. Eine Stimme antwortete auf den Ruf: »Ich komm' gleich.« Auch die Stimme war ähnlich.
Als wäre er verzaubert, fast taumelnd trat Alban in den Hof und als er in die Stube trat fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. Es war ja wieder als ob Vreni hier wäre, nur war diese hier wohlbeleibter und sah trotziger drein.
Spitzgäbele machte die Vorstellung leicht und sprach, da noch mehr Leute da waren, von einem Roßhandel. Die Frau, die Vreni so ähnlich sah, hatte denselben Namen und war die Bäuerin.
Alban ließ sich nicht lange zum Sitzen nöthigen, die Kniee brachen ihm fast. Er schaute sich in der Stube um, Alles war stattlich und anheimelnd und in ihm war es wie ein Ausspruch der Gewißheit, daß er hier sein Lebensziel gefunden habe.
Sehr häufig machen die Menschen gerade die verzwicktesten Gesichter, wenn diese von
einem betrachtenden Auge aufgenommen oder gar abgemalt werden sollen. Der Gedanke,
das jetzt diese Formen selbständig und dauernd festgehalten werden, prägt eine
Erschlaffung oder eine unnatürliche Spannung in ihnen aus. In ähnlicher Lage war
jetzt Alban, er wußte nicht,
Alban hatte aus Trotz gegen seinen Vater und eigentlich um ihn zu täuschen, sich zu
dieser Brautfahrt entschlossen, und jetzt sah er sich davon gefesselt. Als er aber im
hellen Morgen mit seinem Gefährten den nächtlich beschrittenen Weg dahinging, als die
Lerchen so jubelnd sangen über den grünen Feldbreiten, die Spitzgäbele als sein
künftiges Eigenthum pries, und besonders auf das Winterfeld zeigte, das so gut
angeblümt war und hie und da schon buschig zu werden begann, da wurde es Alban fast
bräutlich jubelvoll zu Muthe. Wenn die Eichbäuerin am Tag so schön war wie sie am
Abend erschien, so konnte sich nicht leicht eine mit ihr vergleichen. Nochmals
stellte sich des Nagelschmieds Vreni vor die Erinnerung Albans, aber er sagte sich,
daß er sie nicht hätte heirathen können, auch wenn er Bauer auf dem Furchenhofe
geworden wäre, der Vater hatte Recht; und abermals lebte die Kindesliebe und der
Gehorsam in Alban auf und er fühlte sich im Tiefsten erquickt im Gedenken an die
Heiter glänzenden Antlitzes trat er in den Eichhof und aus dem Grunde seines Herzens sagte er mit heller Stimme der Bäuerin »Guten Morgen« und streckte ihr die Hand entgegen; sie reichte ihm nur die Linke, sie trug ein wohl kaum zweijähriges Kind auf dem Arm, das sich vor den Männern erschreckt und schreiend umwandte und sein Gesicht am Halse der Mutter verbarg. Diese hieß die beiden Männer sich setzen und suchte das Kind zu beschwichtigen, Alban tief anschauend sagte sie zu dem Kinde: »Peterle, wenn du umguckst und eine Patschhand giebst, schenkt dir der Vetter da ein Gutle, das er dir mitbracht hat.«
Alban schaute verdutzt drein, er hatte es ganz vergessen und es fiel ihm jetzt schwer auf's Herz, daß er Vater eines fremden Kindes sein sollte; er war jedoch willigen Herzens genug, um dem Kinde jede Liebe zu erweisen. Jetzt wurde ihm auf Einmal klar, warum die Bäuerin am Abend so oft von dem Kinde seines verstorbenen Bruders gesprochen hatte. Während er aber schweigend darüber nachsann, sah ihn die Bäuerin nochmals mit großen Augen an, dann verließ sie mit dem Kinde die Stube und ging in die Kammer. Nach einer Weile, in der man hörte, wie sie das Kind abküßte, rief sie Spitzgäbele zu sich und sagte ihm:
»Warum? Was ist?«
»Der junge Furchenbauer soll sich eine andere suchen. Ich hab' gemeint, er wird von seinem Bruderskind her wissen, was ein verlassenes Kind ist. Es ist nicht so. Sitzt er gestern den ganzen Abend da und fragt nicht nach meinem Kind, und heut' hat er ihm nicht für ein Kreuzers Werth mitgebracht. Eh ich so Einen nehm', bleib' ich lieber allein.«
Spitzgäbele bemühte sich mit allen möglichen Einreden, aber die Bäuerin blieb dabei: »Es kann brav sein, ich hab' nichts gegen ihn, aber wir passen nicht zu einander.«
Zweimal mußte Spitzgäbele seine Worte wiederholen, als er bei Alban eintretend ihm sagte, er möchte mit fort gehen, die Sache sei aus.
Wie taumelnd ging Alban davon, er hörte im Hofe Knechte und Mägde lachen – das konnte nur ihm gelten. Die Lerchen auf dem Wege sangen im gleichen Jubel, aber Alban hörte sie nicht, sein Athem ging rasch, er ballte die Fäuste und erhob kaum den Blick; er schämte sich vor seinem Begleiter, der die Absageworte der Bäuerin wiederholte und dann gegen seine Gewohnheit schweigsam neben ihm ging.
Ohne nochmals in die Wirthsstube einzutreten, spannte Alban an, aber er mußte
innerlich fluchend mit dem Leitseil in der Hand lange auf Spitzgäbele warten. Man war
nüchtern nach dem Eichhofe gegangen, man wollte bei der Braut sich gütlich thun;
Spitzgäbele brachte
Als er das gegen Spitzgäbele herauspolterte und dieser sein Gesicht in noch mehr
Falten zog, wurde Alban plötzlich gewahr, daß er sich verrathen und seine besten
Handhaben abgebrochen habe; es war ja viel
Lautlos dahinfahrend dachte Alban nur immer an seine Beschimpfung, und wenn auch in seinem jetzigen Zustande nur halb, erkannte er doch in gewisser Weise eine Entweihung, die mit ihm vorgegangen war: er hatte sein ganzes jugendliches Leben hingegeben und war damit zurückgewiesen. Er, der Alban, der jedem Menschen frei in's Gesicht sah, mußte fortan vor manchem Worte den Blick zur Erde schlagen. Es half nichts, daß Spitzgäbele oft wiederholte:
»Ein junger Bursch macht sich aus so was nichts, er setzt den Hut auf die linke Seite und freit um eine Andere, Schönere.« Alban wurde seine schmerzlichen Gedanken nicht los.
»Wie ist dir's gangen?« fragte die Mutter noch vor dem Absteigen und Alban erwiderte trotzig:
»Wie unserm Fuchsen auf dem Wellendinger Markt.«
»Was hast? Was redest?«
»Deutsch. Man verkauft nicht jedes Stückle Vieh, das man zu Markt bringt.«
Er blieb im Stall bei Dominik, bis die Mutter ihn holte, gegen die er kurz den Schwur aussprach, nie mehr eine solche Fahrt zu machen; er habe als gehorsamer Sohn gehandelt und jetzt sei's genug.
Der Vater redete gar nichts mit ihm von der Sache. Er fragte nur, wo der Spitzgäbele abgestiegen sei, denn von diesem wollte er sich den ordnungsmäßigen Bescheid holen; eine mit Betheuerungen und allerlei Zubehör untermischte Auskunft war nicht nach seinem Geschmack. Er blieb beim Ordnungsmäßigen.
Ein von der Reise Ankommender ist so zu sagen körperlich und geistig eine Zeitlang
ungelenk in der Mitte derer, die in der Gewohnheit des häuslichen Lebens verharrten,
und der Angekommene kann noch geraume Zeit eine gewisse Unruhe nicht los werden. Dies
war nun heute bei Alban doppelt der Fall. Er
Er war kaum auf dem Hellberg angekommen und hatte Vreni noch nicht gesehen, die von
dem Montagsrechte Gebrauch machend, im Walde war, um Holz zu holen: als Dominik ankam
und ihm im Namen des Vaters den Befehl brachte, nach Hause zurückzukehren. Alban
willfahrte nur langsam und als er heimkam, that sein Vater als ob er gar nicht da
wäre; erst durch die Mutter erfuhr er, daß sie es gewesen, die nach ihm geschickt
hatte, weil sie das Zornesmurmeln des Vaters verstanden hatte und ihm zuvorkommen
wollte, daß sie aber Dominik verboten hatte, Alban dies zu sagen. Dieser sah in dem
ganzen Vorgang nur das Eine, daß die einzigen Menschen, die er sich treu und
anhänglich glaubte, die Mutter und Dominik, auch hinterhältig gegen ihn waren und
sich vor den Gewaltthätigkeiten des Vaters fürchteten. Er ging im Hofe hin und her
als müsse er irgendwo räuberisch einbrechen und den schlummernden Streit freiwillig
wecken; er blieb aber doch nicht lang in dieser Stimmung, und sei es im Angedenken an
die heute erlebte Schmach, sei es aus Verlangen, doch vielleicht noch Alles gütlich
auszugleichen, oder aus altgewohnter Arbeitslust – im Hof stand ein leerer Wagen, auf
dem Kornspeicher hörte man schaufeln; Alban erinnerte sich, daß morgen
»Es war doch eine lustige Zeit, alle Menschen waren Brüder, wie wir das Korn da eingethan haben,« da konnte Alban nicht umhin, mit rothglühendem Antlitz hinzu zu setzen:
»Und jetzt sind's doch wieder Sklaven, die das Brod von dem ferndigen (vorjährigen) Korn essen.« Dabei ließ er sich nicht aufhelfen, sondern schwang mit leichter Mühe einen Malter Spelz auf die Schulter, trug ihn die knarrende Stiege hinab und lud ihn auf den Wagen.
Der Vater preßte die Lippen zusammen und schaute ihm mit weit aufgerissenen Augen
nach. Noch neben dem geladenen Wagen schaute er Alban mehrmals von Kopf bis zu Fuß
an, er öffnete mehrmals den Mund
Noch in der Nacht fuhr Dominik mit dem Fruchtwagen nach der Stadt. Am Morgen fuhr der
Vater mit Vinzenz auf den Kornmarkt und Alban ackerte wieder auf dem Neubruch am
Kugelberger Feld. Es war ein regnerischer Frühlingstag, die Luft war knospenfrisch,
der freie Athem und die Arbeit waren doppelt erquickend nach einem verstürmten Tage.
Ein Hagelschauer kam wie im Zorn dahergestürmt, aber der Hagel zerging rasch wieder
in den offenen Schollen und auf den grünenden Wiesen, und nur seine Tropfen säuselten
noch im nahen Walde, sonst vernahm man nichts als bisweilen den verstohlenen Pfiff
eines Vogels aus dem Nest oder das Krächzen eines Raben, der seinen Gefährten anrief,
trotz des Wetters mit ihm in's Weite zu ziehen. Alban zählte die Stunden ab, wann der
Vater in der Stadt sein und wann Spitzgäbele ihm den gestrigen Vorgang erzählen
könne; er war voll Unruhe, denn auf den Schelm war doch kein Verlaß, heute zum
Erstenmal wurde seine Schande ruchbar und Vinzenz war dabei. Im Angesicht Albans
prägte sich die giftige Schadenfreude aus, die er sich in Vinzenz dachte, und jetzt
fühlte es Alban wie einen Stich mitten durch's Herz, denn zum Erstenmal lebte ganz
deutlich der Haß gegen den Bruder in ihm auf. Die Thiere waren heute gar nicht zu
bändigen, es gelang dem Treibbuben schwer, sie in der Linie zu halten, Alban wollte
sich nicht bekennen, daß er sie mit in seine Unruhe hineingerissen und er fuhr nun
auf dem weiten
Der Vater war am Morgen mit Vinzenz ausgefahren und dieser triumphirte innerlich über
den zurückgesetzten Bruder, er sprach aber seine Siegesfreude nur dadurch aus, daß er
lustig mit der Peitsche knallte und den Kragen des Mantels, den er über hatte,
oftmals zurückwarf. Als man im Thal dahinfuhr, wo man
»Er ist gestern noch da oben gewesen.«
»Wer?« fragte der Vater.
»Ha der Alban, die Mutter hat ihm aber gleich nachgeschickt und ihn holen lassen, damit Ihr's nicht erfahret.«
Der Vater schaute nur kurz nach seinem Sohne um, aber sein Blick fiel gerade auf das gespenstisch leere Auge, er hielt sich die Hand vor seine beiden Augen und erwiderte nichts.
Man fuhr durch Reichenbach. Am Hause des Schultheißen stand dessen älteste Tochter und hielt einen grauen Mantel auf dem Arm, sie rief Vinzenz, er möge anhalten und übergab ihm den Mantel, den der Vater vergessen hatte und den er in der Stadt abliefern solle.
»Ich nähm' dich auch noch mit,« scherzte Vinzenz.
»Ich wills gut behalten für ein Andermal. Schön Dank,« sagte das Mädchen lachend und stolz fuhr Vinzenz davon.
Als es bergan ging sagte der Vater: »Das ist ein saubers Mädle,« und schnell fügte Vinzenz hinzu:
»Und Ihr müsset selber sagen, eine rechtschaffenere Familie als des Schultheißen giebt es nicht.«
»Ho ho, es giebt noch mehr.«
»Freilich, freilich, aber das wär' eine Söhnerin, die den Schwiegereltern die Händ' unter die Füße legen thät.«
»Hast denn schon was angezettelt und bist denn schon so weit?«
»Du hast schon noch Zeit«, erwiderte der Vater und mit unterwürfigem Ton fuhr Vinzenz fort:
»Wie gesagt, wie Ihr wollet, ich wünsch' Euch noch ein langs Leben und wenn ich hundert Jahr alt werde, will ich's immer Kindeskindern sagen, was Ihr für ein Mann gewesen seid und wie Ihr Alles so zusammengehalten habt und kein Hängenlassen duldet –«
»Brauch' dein Lob nicht,« unterbrach ihn der Vater. »Wie kommst du dazu mich zu loben? Wenn ich mich unterstanden hätt' so was zu meinem Vater zu sagen, er hätt' mir die Zähn' in den Rachen geschlagen.«
»Ja, Ihr habt's beim Vetter Dekan auch anders vor Euch gesehen; ich muß mir's vorsagen, was Ihr für ein Mann seid, damit ich nicht auch lern' ... Ich will aber lieber nichts sagen.«
»Was? Was? Was sollst lernen? Gleich sag's. Was?«
»Ich sag's nicht gern, aber jeder Knecht und jeder Taglöhner giebt dem Alban Recht, wenn er sich berühmt, er habe den Hof erst zu Etwas gemacht und das soll erst noch einmal ganz anders werden, wenn er ihn erst ganz in der Hand hat ... wenn mein Alter, wie er nie anders sagt –«
»Mit Einem Aug, wenn Ihr mir nicht das auch noch ausschlaget,« erwiderte Vinzenz wieder und der Vater begann nach einer Weile in ruhigem Ton:
»Guck, Vinzenz, ich halt' dir mein Wort.«
»Aber Ihr fürchtet Euch doch vor dem Alban, das in's Reine zu bringen?«
»Nein, das nicht, aber es soll nicht heißen und soll auch nicht sein, daß du mich gegen deinen Bruder verhetzest. Was ich thu, das thu ich weil ich mein eigener Herr bin und weiß was ich thu und der Alban ist mein Kind so gut wie du, und er hat sein Lebenlang noch kein böses Wort auf dich zu mir gesagt und auf mich zu Anderen gewiß auch nicht, ich glaub's nicht; ich weiß, die Leute sind schmeichlerisch und verdrehen Einem das Wort auf der Zunge. Mein Alban ist ein folgsames, ehrerbietiges Kind.«
»Ich kann Euch alle Dienstleute bis auf den Dominik und seinen Schwiegervater den Nagelschmied zu Zeugen stellen, wenn Ihr mir nicht glauben wollt.«
»Ich will nichts davon. Das wär' mir schön, die Dienstleute abzuhören. Red' jetzt nichts mehr. Ich will gar nichts wissen!«
Vinzenz fuhr schweigend dahin. Er setzte sich's als eine kluge Regel vor, nichts mehr gegen Alban zu sagen, aber darum nicht minder auf baldige Erledigung der schwebenden Sache hinzuarbeiten. –
Was geht denn vor in der Welt? ...
Das sollte sich bald zeigen.
Auf dem Kornmarkt war heute eine seltsame Bewegung. Mitten unter dem aufgewirbelten Staub, unter Feilschen um den Preis und Abmessen des Korns, sprach man von nichts als von der Revolution im Nachbarlande und es hieß, daß es auch hier bald losgehe.
Der alte Furchenbauer stand ruhig an die aufgestellten Säcke gelehnt, auf denen mit großen Buchstaben: Christoph Feilenhauer und die Jahreszahl 1849 geschrieben stand. Er mußte oftmals die Frage beantworten, ob es wahr sei, daß sein Alban unter die Freischärler gegangen. Niemand konnte sagen, woher das Gerücht entstanden war, und doch war es da.
Unter solchen Umständen war es natürlich, daß es nach dem hiesigen Landesausdrucke »abgehrte« d.h. daß die Fruchtpreise fielen, und selbst zu niedrigen Preisen konnte man nicht verkaufen. Der Furchenbauer, der sonst das Unverkaufte in der Stadt lagern ließ, befahl jetzt, daß Alles wieder aufgeladen und heimgeführt werde; er traute der Sicherheit in der Stadt nicht.
Spitzgäbele war heute früher als sonst in der Rose; und während um ihn her Alles im
wilden Gespräche über die Zustände des Nachbarlandes und des eigenen
Spitzgäbele glaubte dem Gerücht, daß Alban unter die Freischärler gegangen sey, trotz der heftigsten Gegenbetheuerungen des Furchenbauern; er bewunderte wiederholt die unerschütterliche Ruhe dieses Mannes, er glaubte nicht anders, als der Furchenbauer wünsche noch einen weitern Zornesgrund gegen seinen Sohn und theils um ihm diesen zu gewähren, theils auch um sich selber im Glanz zu erweisen, erzählte er nun, wie Alban Alles verkehrt gethan und sich zuletzt noch berühmte, er habe die Brautfahrt nur gemacht, um seinen Vater zu betrügen.
Der Furchenbauer verzog bei diesen Mittheilungen keine Miene, ja er hob das Glas auf, um zu trinken, aber kaum brachte er es an die Lippen, als er es wieder absetzte, es däuchte ihm Alles wie Galle.
Der Lärm in der Stadt war heute dem Furchenbauer zu toll. Auf den Nachmittag hieß es,
kämen hunderte mit Doppelbüchsen bewaffnete Holzhauer von Wellendingen herüber, wo
sie sich beim Apostel unter Anführung des Lenz von Röthhausen sammelten, eine
Volksversammlung sei in der Stadt angesagt und jetzt müsse Alles mitthun. Theils um
diesen Fährlichkeiten zu entgehen und in solchen Verhältnissen auf seinem Hofe zu
sein, theils aber auch aus einer gewissen Bangigkeit um Alban, eilte der Furchenbauer
mit
Eine wunderliche Gespensterfurcht hatte sich der Menschen am hellen Tag bemächtigt. Der Aufstand, durch den der letzte Versuch gemacht werden sollte, die Freiheit zu erobern, erschien zuerst als Gefährdung von Gut und Blut.
Der Furchenbauer hatte den Dominik mit dem Fruchtwagen bald eingeholt, und so sehr war er von der allgemeinen Bangigkeit befangen, daß er fürchtete, die Freischärler hätten es auf seinen Fruchtwagen abgesehen. Er befahl daher dem Dominik, langsam weiter zu fahren, bis er Gegenbefehl erhalte.
Der Tag hatte sich aufgeklärt, der ganze Himmel war mit rothen Wolken überzogen, als der Furchenbauer mit Vinzenz von der Straße ab in seinen eigenen Weg einlenkte.
»Gottlob, da ist der Alban,« rief Vinzenz und der Vater schaute dem neben ihm
Sitzenden, der doch seinen Bruder lieben mußte, freudig in's Gesicht. Als aber
Vinzenz mit der Miene klugen Einverständnisses hinzusetzte: »Seid nur jetzt auch gut
gegen ihn, nur jetzt keine Händel, er ist unser Schutz,« da knirschte der Vater die
Zähne zusammen, gerade weil Vinzenz Etwas
»Ich brauch' Niemand, ihn nicht und dich nicht; ihr könnet alle Beide zum Teufel gehen,« und gleichsam als Zeichen, daß er selber noch am Platze sei, riß er dem Vinzenz Peitsche und Leitseil aus der Hand und hieb zornig auf die Pferde ein.
Dennoch konnte er sich nicht leugnen, daß er eine gewisse Freude hatte, seinen Alban dort zu sehen; er hatte zuletzt fast selbst an das Gerücht geglaubt und er beklagte schon leise den verloren geglaubten Sohn; er merkte doch jetzt, wie lieb er eigentlich den Alban hatte, er war stolz und unbeugsam wie er selbst, nur anders, etwas vornehmer, und ein Vater liebt in seinen Kindern selbst seine Fehler, zumal wenn sie zugleich auch als Tugenden oder mindestens als Kraft erscheinen. Der Furchenbauer sagte sich, daß er eigentlich keinen Schutz von seinem Sohn wolle, aber es war ihm doch lieb, ihn in der Unruhe bei sich zu haben, wie man bei einem drohenden Gewitter gern alle Angehörigen wach und um sich versammelt hat.
Alban mußte gehört haben, daß sich das Gefährte nahe und der Furchenbauer hob
mehrmals die Peitsche hoch, um ihm zu winken, ja er knallte; aber Alban schaute nicht
um und in dem Vater stieg plötzlich wieder der ganze Zorn auf, daß dieser Sohn, wie
Spitzgäbele
Alban hatte den Pflug draußen im Feld inmitten der Furche liegen lassen, um ihn morgenden Tages wieder aufzunehmen; wohlgemuth das Schleswig-Holstein-Lied pfeifend, war er mit den ledigen Thieren zurückgekehrt, als er plötzlich mitten im Pfeifen abbrach, er sah von fern den Vater mit Vinzenz daherkommen; sie fuhren müßig in der Welt umher und thaten sich gütlich, sie waren die Herren, während er daheim sich als Knecht abarbeiten mußte. War er der Knecht und nicht der Erste im Erbgang? War er nicht der künftige Hofbauer und hatte er nicht aus übermäßiger Nachgiebigkeit sich dem Schimpf blosgestellt, von der Eichbäuerin abgewiesen zu werden? Nicht eine Handbreit von seinem Recht wollte er künftighin preisgeben, und jetzt da der Vater ihm nahe war, drückte er die Thiere an den Zaun und stellte sich neben sie, damit das Gefährte bequem vorbei könne. Er rief den Ankommenden keinen Gruß zu und als der Vater neben ihm war, knallte er mit der Peitsche hart an seinem Ohr und höhnte dabei:
»Das ist ein Gruß von Spitzgäbele.«
Beim Abendessen that er, als ob nichts vorgefallen wäre, nach demselben aber blieb er in der Stube und harrte eine Weile, daß der Vater zu reden anfangen werde. Als dies aber nicht geschah, fragte er geradezu:
»Was hat denn der Lump, der Spitzgäbele, von mir gesagt?«
»Weil du ihn so heißst, ist Alles wahr,« entgegnete der Vater und erzählte nun mit
beißendem Spott und mit einer Zuthat des Ingrimms, wie sehr ihn Alban verhöhnt habe
und wie er überhaupt hinterrücks sich als Bauer geberde und alle Maßnahmen des Vaters
verhöhne. Vinzenz, der dabei in der Stube war und seine Saat aufgehen sah, setzte
sich auf die Ofenbank und spielte mit seinem Lieblingshund, dem Greif, den er sich
angeschafft hatte und der fast ausschließlich nur ihm gehorchte. Der Vater hatte
heute wieder seine »Flözerstimme« wie sie die Mutter bei sich nannte. Sie wußte zwar
schon längst, daß er jedesmal wenn er vom Kornmarkt heimkam, lauter sprach; er
behielt den Ton noch bei, den er dort unter dem Lärm gebrauchte, aber heute war's
doch übermäßig. Sie winkte ihm mit den Augen, ja sie erhob beide Hände flach in der
Luft zu begütigenden Zeichen, aber es half nichts. Der Vater erklärte weiter, daß
Alban ganz anders werden müsse, ganz anders, wenn Friede im Hause sein solle. Als
Alban hierauf entgegnete, daß er nicht wisse, worin
»Was Deinesgleichen? Was weißt du wer du bist? Mein Knecht bist du wenn ich will, und ich will's. Ja, es bleibt dabei, du suchst dir einen andern Hof, denn den kriegt der Vinzenz. Still sag ich! Was Deinesgleichen? Meinst du, weil andere Väter jetzt sich von ihren Buben über's Ohr hauen lassen, meinst ich leid's auch? Ich bin Herr und Meister, und mit dir mach' ich was ich will und mit meinem Hof mach' ich was ich will.«
»Das könnet Ihr nicht,« rief Alban fest auftretend, »der Hof gehört im Erbgang mir, es wird sich zeigen, ob Ihr mir ihn nehmen könnt!«
»Was wird sich zeigen? Ich bin noch über dich 'naus studirt. Du meinst weil du herrelen – den vornehmen Mann spielen – kannst, du seist was? Nichts bist. Ja, reib' nur deinen Bocksbart. Wenn du nicht augenblicklich mich um Verzeihung bittest und mir versprichst, mir in Allem zu folgen, ohne Widerrede, da kannst mein' Hand auch noch in deinem Gesicht spüren.«
Die Mutter und Ameile suchten den heftig Erregten zu beruhigen, auch Vinzenz trat auf den Vater zu und sagte:
»Ich bitt' Euch, haltet nur jetzt Friede. Wir werden uns als Brüder vergleichen.«
»Du willst mir auch dreinreden? Wer bist denn du? Naus sag ich, oder ihr habt die
Wahl, ob ihr
»Vater, rühret mich nicht an. Ich geh allein, ich geh von selber, und da schwör' ich's: nie, nie mehr komm' ich daher vor Eure Augen, wenn Ihr mich nicht selber darum bittet.«
Er nahm seinen breitkrämpigen grauen Hut vom Ofenstängele und ging hinaus. Drin in der Stube hörte man noch Schelten zwischen Mann und Frau und dann lautes Weinen, das erst aufhörte, als die Thüre zugeschlagen und dann noch einmal mit dem Fuß darauf getreten wurde.
Am Röhrbrunnen stand Alban mit seinem Bruder und dieser sagte:
»Alban, ich bin oft neidisch auf dich gewesen, aber jetzt mein' ich's gut. Du wirst sehen, ich werd' dir Alles geben, was recht ist.«
»Ich brauch' nichts von dir, du eher von mir.«
»Sei jetzt nicht bös, ich kann nichts dafür. Sieh da, sieh her, siehst das da?«
»Ja, dein blindes Aug'.«
»Und weißt wovon das ist?«
»Wie du vom Wagen gefallen bist. Was geht mich das jetzt an?«
»Es geht dich an. Zum Erstenmal in meinem
Alban faßte zitternd die beiden Hände seines Bruders.
»Ja,« fuhr Vinzenz fort, »es weiß es sonst kein Mensch als er und ich, du bist der Erste, und ich hab ihm einen Eid geschworen, es Niemand zu sagen, aber ich muß ihn jetzt brechen. Und weil mir der Vater das than hat, hat er mir den Hof versprochen und das Abendmahl drauf genommen.«
Alban stand still neben dem Bruder. Man hörte lange nichts als das Rauschen des Brunnens und ein sanftes Flüstern des Hollunderbaumes. Plötzlich raffte sich Alban zusammen, reichte dem Bruder die Hand und sagte:
»Behüt' dich Gott. Ich geh fort.«
»Wohin?«
»Ich weiß selbst nicht.«
»Bleib' lieber da und geh nur nicht unter die Freischärler. Man sagt, sie sammeln sich jetzt im Thal, und in der Stadt hat's auch geheißen, du seist schon dabei, und deßwegen ist der Vater auch so bös gewesen.«
»So?« rief Alban gedehnt, rückte den Hut fester in die Stirne und reckte sich mit allen Gliedern, »hauset mit einander wie ihr wollet. Trifft mich ein' Kugel, ist mir's recht, und komm' ich wieder, wollen wir schon abrechnen.«
Ohne nochmals die Hand zu reichen, rannte er zum
Raschen Laufes schritt er dahin, nur Einmal stand er still, denn ihn hemmte der Gedanke, ob nicht Vinzenz in ausgefeimter Falschheit ihm diesen Weg gezeigt hatte und ihn scheinbar abhielt, um ihn so sicherer darauf zu lenken und seiner entledigt zu werden. Er konnte an solche Bosheit des Menschen nicht glauben. Und war es nicht sein Bruder? Und zitterte nicht seine Stimme so kläglich, als er die grause That des Vaters erzählte? Mit neuem Muth schritt Alban dahin. Da begegnete ihm ein Wagen, er kannte den Tritt der Pferde, das Rollen des Wagens und das eigenthümliche Peitschenknallen des Dominik. Er hatte sich nicht getäuscht, Dominik kam mit dem Fruchtwagen.
»Wohin noch?« fragte Dominik erstaunt.
»Gen Reichenbach.«
»So? Da komm' ich gewiß,« entgegnete Alban und erzählte nun alles Vorgegangene. Alban war erstaunt, als Dominik ohne große Theilnahme sagte:
»Ich weiß schon lang, doch du bist auch kein rechter Freisinniger. Hättest du den Hof allein bekommen, es wär' dir nicht eingefallen, daß deine Geschwister durch das alte Herkommen verkürzt werden, du wärst halt ein großer Hofbauer wie Andere, wenn auch ein bisle gutmüthiger.«
»Das verstehst du nicht,« entgegnete Alban zornig.
»Freilich, ich bin nur als armer Knecht aufgewachsen. Was kann so Einer wissen.«
Alban stand betroffen, aber er wollte jetzt von nichts Anderem wissen und ging fast zornig davon. Er hatte Dominik um ein Darlehen bitten wollen, aber jetzt that er ihm diesen Gefallen nicht.
In Reichenbach wurde Alban mit großem Jubel bewillkommt. Es klärte sich jetzt Alles auf. Der Lenz hatte dem Alban schon am Morgen einen Boten geschickt, der Bote hatte die Weisung angenommen, war aber wahrscheinlich nach einer andern Gegend entflohen, weil er sich vor der Verantwortlichkeit fürchtete. Mitten im Sturm war Alban für sich plötzlich hoch erfreut. So war es also nicht Lüge und Falschheit von Vinzenz, daß man in der Stadt gesagt hatte, er sei bereits unter den Freischärlern, er bat dem Bruder in Gedanken jeden Zorn ab, den er gegen ihn gehegt hatte ...
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Monatelang hörte man nichts von Alban, bis auf den Furchenhof plötzlich die Nachricht kam, der Alban habe sich eine Zeitlang beim Hirzenbauer in Nellingen aufgehalten und diene jetzt als Knecht auf dem Sabelsbergischen Gut in Reichenbach. Die Mutter eilte zu ihm, um ihn nach Haus zu bringen, aber er ging nicht und beharrte auf seinem Eid, der Vater müsse ihn holen. Es war unerhört, daß der Sohn des Furchenbauern bei dessen Lebzeiten Knecht sein, an der Schwelle des väterlichen Hofes fremden Leuten dienen sollte. Alban war unnachgiebig, als auch Ameile und Dominik nach einander zu ihm kamen, er wiederholte Beiden: er wolle dem Vater zeigen, daß er Knecht sein könne, aber nur bei fremden Leuten, nicht auf dem väterlichen Hof, dazu werde er sich nie verstehen; der Vater, der ja für seine Nachkommen sorgen wolle, könne jetzt bei Lebzeiten an ihm sehen, wie es ihnen einst ergehe.
Es war ein strenger Befehl des Vaters, daß in seinem Beisein Niemand von Alban reden durfte, auch die Mutter nicht; ja sie hatte es so weit gebracht, selbst ihren Gedanken zu wehren, daß sie zu ihm hingingen. Ueber ihre Träume aber hatte sie keine Macht ....
Heute waren alle die stürmischen und trüben Erinnerungen in der Seele der Mutter erwacht, und als sie endlich eingeschlafen, schrak sie plötzlich auf und rief laut den Namen Albans, von dem sie seit länger als einem Jahre ihre Lippen entwöhnen mußte. Sie horchte still, ob ihr Mann nichts gehört habe, der aber schlief ruhig.
Die ganze Welt war wieder in ihr altes Geleise zurückgekehrt, die gerade gestreckten
Sensen waren wieder umgebogen und einzelne, bei denen sich das nicht mehr thun ließ,
waren zum alten Eisen geworfen; die Gemeinden, die auf allgemeine Kosten Waffen
angeschafft, hatten diese wieder verkauft und nur hier und da sah man noch einen
einzelnen Heckerhut mit schlaffer Krempe, der allmälig zertragen wurde. Die Jahre der
Bewegung, die auch in der entlegensten Hütte eine Erschütterung hervorgebracht,
schienen jetzt vergessen wie ein Traum. Auf dem Furchenhofe war auch Alles wieder wie
ehedem, ja der Furchenbauer war wieder einer der Liberalen, die man freilich jetzt
anders nannte, denn bei der Einführung der Geschwornengerichte hatte man ihn, der
doch auf der Liste der Höchstbesteuerten stand, eben wegen seiner ehemaligen
Gesinnung nicht zum Geschwornen er nannt, vielmehr waren viel Geringere aus der
Gemeinde dazu berufen. Alles war wieder in's alte Gleise zurückgekehrt, nur mit Alban
war dies nicht der Fall. Trotz aller Ruhe und gewohnten Ordnung, die auf dem
Furchenhofe herrschte,
Sprach der alte Furchenbauer nur äußerst selten mit seiner Frau von Alban, so that er dies um so öfter mit Dominik. Dieser war eine treue Stütze des Hauses, und wenn gleich nur Knecht, doch wohl angesehen. Der Bauer wußte, that aber als ob er Nichts davon gemerkt habe, daß ihn die Mutter schon mehrmals zu Alban geschickt hatte; er suchte daher von ihm zu erfahren, was denn eigentlich Alban vorhabe, aber Dominik war behutsam und klug und gab nur knappe Antworten. Der Vater, der seinem Sohn keine unmittelbare Nachricht gab, wollte doch, wie man sagt, es seine Meinung auf die Post geben; er that, als ob er nur Dominik mittheilte, daß er den Hof diesmal höher schätzen lasse als es von Alters her bräuchlich sei, damit die abgefundenen Kinder auch ein Erkleckliches hätten, daß er aber Alban ganz enterbe, wenn er nicht von des Nagelschmieds Vreni lasse. Dominik hörte das ruhig an und erwiderte in der Regel nichts, nur manchmal fragte er geradezu, ob er das Gehörte dem Alban im Namen des Vaters mittheilen solle, was der Furchenbauer streng verneinte; er durfte sich weder vor seinem Sohn noch vor dem Knecht eine Blöße geben.
»Es ist wahrscheinlich dumm was ich sag', aber ich weiß nicht, der Pfarrer sagt doch immer, Gott allein sei die Vorsehung und ich weiß jetzt nicht: wollet Ihr nicht mit dem was Ihr vorhabet, wie man bei uns in Nellingen sagt, in Gottes Kanzlei steigen und Vorsehung spielen? Kann man da nicht auch zu viel thun und muß man nicht unserm Herrgott die Hauptsach' überlassen, was er für künftige Zeiten vorhat?«
»Du bist gar nicht so dumm, gar nicht, aber du verstehst die Sach nicht,« hatte
darauf der Bauer erwidert und Dominik war mit dieser Antwort mehr als zufrieden und
blieb doppelt bestärkt in seinem gehaltenen Benehmen. Er mischte sich trotz aller
geheimen und offenen Aufforderungen nicht eigentlich in die
Als jetzt die Furchenbäuerin in der Nacht erwachte und hörte, wie der Dominik das Schwärzle aus dem Stall zog, däuchte es ihr eine Ahnung, daß sie erwacht war; jetzt zog ja ihre Botschaft zu ihrem Alban, denn sie hoffte, daß Dominik dem Willen des Bauern ungetreu über Reichenbach fahren werde.
Der Kühbub hatte Dominik zur Zeit geweckt und Dominik war bald zur Abfahrt bereit, er
war aber entschlossen, mindestens auf dem Hinweg dem ausdrücklichen Befehl des Bauern
zu gehorchen; wenn er ihm zuwiderhandelte, wollte er es lieber zu eigenem Nutzen thun
und eine halbe Stunde ab des Wegs zu seiner Mutter nach Nellingen gehen. Er war
darüber noch nicht mit sich einig, als er von der Landstraße ab den Waldweg
einschlug. Das Schwärzle brummte vor sich hin, als man in den nächtig säuselnden Wald
eintrat, wo die dunklen Wipfel rauschten, obgleich
Die Gelehrten haben vielleicht nicht unrecht, daß sie den Hennenweg eigentlich
Hünenweg nennen, ungeheuerlich genug ist er und die Felsblöcke und seltsamen
Erdwälle, die hüben und drüben sind, können wohl für Hünengräber gelten; die
Volksmeinung aber bleibt dabei, der Weg gleiche einer Hühnersteige und darum heißt er
der Hennenweg. Das Schwärzle, einmal im frischen Lauf, konnte klettern wie eine Ziege
und das war natürlich; das Schwärzle war von echter Schwyzerrasse, die Mutter war
unmittelbar aus dem Appenzell gekommen und unter der Obhut des Dominik war das
Schwärzle aufgewachsen und so gediehen, daß ihm der Preis nicht fehlen konnte. Wie
ein Hund seinem Herrn, folgte das Schwärzle dem Dominik, und erst als man auf der
Anhöhe war, hielten Beide an, Dominik stopfte sich eine Pfeife und das Schwärzle fand
in der Nacht ein thaufeuchtes Maulvoll Gras am Wege, das war für den Hunger und für
den Durst. »Vorwärts in Gottes Namen« sagte jetzt Dominik und mit einem schnell
erhaschten Vorrath für den Weg folgte das Schwärzle. Dominik fürchtete weder
Gespenster noch lauernde Uebelthäter, aber der Ruf, den er vorhin gethan, erlöste ihn
doch von einem gewissen Gefühl der bangen Einsamkeit und dabei schlug er sich an die
Hüfte und überzeugte sich, daß sein im Hirschhorngriffe feststehendes Messer dort
sicher ruhte. Der Meister hatte Recht, der Weg war von jetzt an bequem
An einer starken Lichtung, die jetzt am Wege war, erkannte Dominik den Grenzstein vom
Gute seines Herrn. Wer wird doch noch Recht behalten? Alban oder der Vater? Wer weiß,
es kann noch bös werden, zwei harte Mühlsteine mahlen nicht gut, sagt das Sprüchwort.
Es raschelte Etwas im Walde, das allgemein bewaffnete Jahr muß doch noch nicht alles
Wild weggepirscht haben, das Schwärzle brummte leise und drängte sich näher an
Dominik. Gen Morgen zeigte sich allmälig ein lichteres Grau, die Nebel senkten sich,
das Schwärzle begrüßte durch lautes Schreien den jungen Tag. Ein Rabe hockt noch
verschlafen auf einem Baumast, er hat den Kopf unter den Flügeln, jetzt erwacht er,
schüttelt sträubend sein Gefieder, öffnet den Schnabel wie gähnend und fliegt
krächzend waldaus. Ein enges grünes Thal thut sich auf, über den Waldbergen jagen die
Nebel in zerrissenen Wolken dahin, die Elstern schnattern und fliegen von Baum zu
Baum, auf einem blätterlosen Kirschbaum klagt der Fink regenverkündend: es gießt! es
gießt! und hoch oben schwebt
Im Dorfe zeigte sich schon frühes Leben, dort ging
Es mag wohl von dem ehemaligen Hirtenleben des Dominik herkommen, daß er nie ein rechtes Auge für die Schönheiten des Pferdes hatte, um so mehr aber für die des Rindviehs, und er erquickte sich wahrhaft daran.
»Du verdienst auch den Preis,« sagte Dominik fast laut, dem Thier auf den Bug klatschend »friß jetzt nicht, du kriegst was Besseres, ich vergeß dich nicht wenn ich was zu mir nehm'.«
Auf den Wiesen wurde es nun lebhaft. Die Kühe, die den ganzen Sommer im Stall gehalten wurden, sprangen jetzt auf der Weide lustig klingend hin und her und die Hütenden rannten hin und wieder, knallten und jodelten und sangen bei dem Feuer, in dem sie ihre Kartoffeln brieten. Dominik gedachte, wie auch er einst ein armer Hirtenbub war und jetzt hatte er's doch so weit gebracht. Dieses stete Untersichschauen, dieses beständige Erwägen was er einst gewesen und wie weit er's gebracht, machte ihn weniger kühn und muthig und mehr bescheiden und demüthig als eigentlich seine Natur mit sich brachte. Jetzt sang ein Hirtenbub dasselbe Lied, das Ameile gestern ihm nachgesungen und das Antlitz des Dominik erleuchtete plötzlich in Freude.
Nun wußte er's: nicht der Ehrenpreis war es, der ihn so innerlichst fröhlich machte, das Lied lag ihm im Sinn und weiterschreitend sang er:
»Schätzele, Engele
Laß mi e wengele –
Schätzele, wasele?
Nur mit dir basele.«
Das Lied verließ ihn auf dem ganzen Weg nicht mehr und hob seine Schritte und lachte ihn aus mit all seinem Denken und gab ihm auf Alles Antwort.
»Es hat einmal Einer einen Bärenpelz verkauft, ehe er den Bären geschossen hat.«
»Wie? Was meinst?«
»Es hat einmal Einer ein Mädle aufgeben, bevor er's gehabt hat. So ist's.« Der
Mädchenstolz schien beleidigt, daß eine Liebe preisgegeben wurde, um die noch gar
nicht geworben war. Wollte sie ihn zurückweisen, wenn dies geschehen war? Ameile
schien nun ein grausames Spiel mit Dominik zu treiben, sie ging allezeit trällernd
und lachend umher und die Natur selber mußte ihr helfen, denn sie wurde mit jedem Tag
schöner und liebreizender. Wo sie nur konnte, hänselte sie den Dominik, und die
Mutter selber schalt sie oft darüber, der Vater aber hatte seine heimliche Freude an
dem lustigen Kind und seinen Scherzen und es war nicht uneben, als er einmal sagte:
»Sie ist grad wie ein Kanarienvogel, je mehr Lärm und Untereinander
Auf dem einsamen Furchenhof war damals eine Bewegung der Gemüther wie sie sich nur
selten aufthut, und in Stube und Stall und Scheune sagte man einander, daß es gewiß
nirgends lustiger hergehe. Man wußte nicht und wollte nicht wissen, was denn
eigentlich vorging und warum Jedes am Morgen so fröhlich aus dem Schlafe sich erhob,
man fragte nicht darnach und konnte es nicht sagen und das ist die beste aus innen
quillende Freude. So viel aber wußte doch ein Jedes, daß Ameile der Mittelpunkt aller
Lustbarkeit war. Selbst der alte Furchenbauer, der eine gewisse finstere Miene nie
ablegte, konnte sich des Einflusses der »Blitzhexe« wie er Ameile auch bisweilen
nannte, nicht erwehren, und es war doppelt zum Lachen, wenn man sah, welche Mühe er
sich gab, bei den losen Streichen und Reden Ameile's seine ernste Miene zu bewahren,
wie es aber innerlich zuckte und er am Ende doch nicht anders konnte, als laut
auflachen. Oft an Winterabenden, wenn der Vater im Stüble saß und den Wälderboten
studirte, während Ameile mit dem
Als Dominik jetzt auf seinem Gang an diese Zeiten und besonders den sieben und vierziger Winter dachte, leuchtete die Heiterkeit von damals wieder aus seinem Antlitz.
Als im Vorfrühling darauf Alban aus der Fremde heimkehrte, trat plötzlich mit ihm ein anderer Geist ein. Ein Angehöriger und doch vielfach fremden Wesens war auf den Hof gekommen. Man hatte heiter und erfüllt gelebt in seiner Abwesenheit und es war als ob jedes gewaltsam Raum schaffen müsse für das Gebaren des neuen Ankömmlings, der so zu sagen der zweite Meister war und alsbald überall zugriff.
Mit Ameile ging eine besondere Veränderung vor, sie betrachtete den Bruder oft mit staunender Verehrung und glühte vor Entzücken, da ihr Alban stets mit etwas fremder und so zu sagen höflicher und doch wieder brüderlicher Zutraulichkeit begegnete.
Bald nach der Ankunft Albans hatte auch jene Bewegung begonnen, die so wunderbar die
ganze Welt umstellte. Hand in Hand geleitete oft Ameile ihren schönen und so
vornehmen Bruder hinab in's Thal zu den Waffenübungen, sie blieb mit der Mutter in
der Ferne am Käppele stehen und sah ihm zu und ihr Herz lachte vor Freude. Hundertmal
wünschte sie sich im Scherz und Ernst, auch ein Bursche zu sein und klagte, daß bei
der neuen Welt gar nichts für die Mädchen herauskäme. Dominik war mit unter den
Bewaffneten,
»Dem Dominik gönn' ich's am ehesten, daß er dein Kamerad ist.«
Dennoch war Ameile äußerst zurückhaltend, und wollte Dominik sich ihr nähern, hatte sie immer eine scherzende Abweisung. Als der Zerfall zwischen dem Vater und Alban eingetreten war, wurde Ameile oft still und in sich gekehrt und einmal sagte sie zu Dominik:
»Es ist doch Recht, daß du mich schon lang aufgeben hast, dabei wollen wir auch bleiben.«
Fortan verhielten sich Dominik und Ameile so, als ob nie etwas zwischen ihnen
vorgegangen wäre. Ameile, die ihren Bruder so sehr geliebt hatte, wurde
wunderbarerweise bald wieder so heiter wie ehedem; sie war überzeugt, daß ihr Bruder
unbedingt Unrecht habe und
Der Vater wurde nun noch besonders liebreich gegen Ameile, da er sie so reden hörte und er ging einmal so weit, daß er ihr sagte: »Du bist mein einzig Kind, an dem ich Freud' hab'.«
Dominik war wortkarg und ging still seiner Arbeit nach. Wenn ihn auch Ameile auch oft ermahnte: »Bös brauchen wir just nicht mit einander zu sein; wir dürfen doch mit einander lachen.« Dominik ging nicht darauf ein.
Ein stolzer Bauernbursche wie Alban, der kann es wagen, eine neue Regel für sich aufzustellen und keck über altgewohnte Schranken hinwegzusetzen; ein Knecht, der sich sein Leben lang fügen und ducken mußte und allezeit nach seiner Herkunft schaut, findet die erforderliche Spannkraft hierzu nicht. Es giebt Naturen, die die Abhängigkeit immer weicher und zaghafter macht.
Das Vertrauen, das nach dem Zerfalle mit Alban der Furchenbauer jetzt seinem Knechte schenkte, erweckte in diesem den alten Vorsatz: er wollte Ameile nicht in's Unglück stürzen und dem Vater nicht neuen Kummer bereiten.
Darum hatte er noch gestern beim Aepfelschütteln so herb gegen Ameile gethan und am
Abend am Brunnen sich zu wenigen Worten herbeigelassen. Jetzt aber,
In Jettingen, wo Dominik das Schwärzle einstellte, daß es sich an Futter und Ruhe
erhole, gönnte er sich selber keine Rast. Er eilte eine halbe Stunde ab des Weges zu
seiner Mutter nach Nellingen, er hatte sich nicht darüber berathen und sich nicht
dazu entschlossen, es trieb ihn unwiderstehlich fort. Im armseligen väterlichen
Hause, das nun der ältere Bruder besaß, traf er die Mutter nicht; sie war, wie die
heimgebliebenen Bruderskinder sagten, beim Kartoffelausthun auf dem Felde des
Hirzenbauern. Dominik kannte das Feld und eilte dorthin. Auf dem Wege schlug ihm das
Herz gewaltig, da er bedachte: wie grausam es sei, daß die alte Frau noch taglöhnern
müsse; er kam sich als schlechter Sohn vor, denn er überdachte, wie oft er sich
gutthue und seiner Mutter vergesse. Im Hinausschreiten gelobte er sich, dies fortan
zu ändern. Die Mutter, eine lange dürre Gestalt, reichte ihrem Sohn die Hand und hob
gleich wieder die Harke und wollte während des Harkens mit ihm weiter sprechen; der
Sohn des Hirzenbauern, der den Dominik freundlich bewillkommte, sagte ihr aber, sie
solle nur mit ihrem Sohn heimgehen, sie solle doch ihren Taglohn erhalten. Dominik
dankte und ging langsam neben der Mutter durch das Dorf hinein, die Wangen brannten
ihm; denn er mußte eilen, er hatte gegen den ausdrücklichen Befehl seines Herrn
diesen Abweg gemacht, aber er zwang sich doch zur Ruhe. Er hatte der Mutter nichts
mitgebracht als den verheißenden Gruß, den Ameile ihm mitgegeben; sie
Als Dominik schon die Thüre in der Hand hatte, fragte ihn noch die Mutter: »Ist's denn wahr, daß dir dein Bauer sein' einzige Tochter giebt?«
»Wer hat das gesagt?«
»Ich hab's gehört, die Leut reden davon. Mach nur, daß ich's noch erleb'.«
»Da könnt Ihr lang leben bis dahin,« schloß Dominik und machte sich eilig auf den Rückweg durch den Wald. Das Schwärzle brummte ihm entgegen, als er in den Stall trat und ohne Säumen machte er sich nun mit ihm auf nach ihrem Ziel.
Draußen vor Jettingen fuhr der Hirzenbauer an ihm vorüber und winkte ihm zu, sich zu
beeilen; Dominik glühte vor Erregung, es war schon spät, er konnte die ganze
Feierlichkeit versäumen und mit seinem Herrn hart zusammentreffen; es war
unbegreiflich einfältig, daß er nach Nellingen gesprungen war, er hatte ja doch
nichts mit seiner Mutter reden können und was sollte er auch? Das Schwärzle mußte in
langsamem Gang erhalten werden, damit es nicht erhitzt und abgemattet ankomme, das
hätte neuen gerechten Zank gegeben vor aller Welt, und heute sollte er ja wegen
seiner treuen Dienste öffentlich belohnt werden. Dominik wünschte sich Riesenkraft,
damit er das Schwärzle tragen und mit ihm davon rennen könne; er hätte ihm
Erst nach geraumer Weile, als aus einzelnen Gehöften Leute kamen, die gleich ihm ein Rind oder einen Stier zur Preisbewerbung nach Wellendingen führten, beruhigte er sich und schalt sich innerlich über seinen unnöthigen Jast; es war ja noch früh an der Zeit und in der That war er einer der Ersten an dem Wirthhaus zum Apostel in Wellendingen.
Der Furchenbauer war noch nicht da. Heitern Sinnes war er am Morgen mit seiner
Tochter ausgefahren. Er war festtäglich gekleidet, er trug seinen schwarzsammtnen,
roth ausgeschlagenen kragenlosen Rock, dazu die rothe Weste mit silbernen
Kugelknöpfen, den breiten schwarzen Hut mit nach hinten flatternden Band-Enden. Auch
Ameile war im vollen Putz. Der safrangelbe hohe Strohhut mit schmaler nach vier
Seiten eingebogener Krämpe, die schwarzen um das Kinn gebundenen breiten Sammetbänder
hoben noch die frischen Farben ihres runden Antlitzes, um den Hals war ein
schwarzblaues seidenes Tuch geschlungen, dessen rothe Endstreifen im Nacken
flatterten und lange Zöpfe mit
Die beiden Schweißfuchsen gingen ruhig, der alte Mann lenkte sie leicht und nur manchmal draußen vor den Dörfern überließ er Ameile auf ihr Bitten das Leitseil und Ameile schnalzte mit der Zunge und fuhr lustig. Auf dem allzeit finstern Antlitze des Bauern ruhte heute der Abglanz des Triumphes, daß vor aller Welt heute sein Knecht und sein Vieh mit dem Preis ausgezeichnet würde; der eigentliche Ruhm davon gehörte doch dem Herrn und Meister.
Wäre nicht der geheime Kummer um Alban gewesen, in dem Furchenbauern hätte lauter Freude und Wohlbehagen gelebt. Er gedachte jenes Tages, da er mit Sorge um seinen Fruchtwagen diesen Weg gefahren; jetzt war die Welt wieder ruhig, und gehörte er auch nicht gerade ganz zu Denen, die Dem Recht geben, der Recht behalten, oder, wie der Klein-Rotteck von Nellingen sagt, dem Anderen zuvorgekommen und ihn zuerst ins Loch gesteckt hat: so dachte er doch nicht mehr viel an solcherlei Dinge. Die Hauptsache war auch ihm, daß man jetzt wieder die Erträgnisse des Ackers gut absetzt; im Uebrigen mag die Welt regieren wer will und wer kann.
Seit vielen Jahren war der Furchenbauer Mitglied
»Die Leute werden Alle sehen, wie gut es meine eigenen Kinder bei mir haben, wenn es mein Knecht so gut hat, wie sich öffentlich ausweist.«
Er schien dieser Rechtfertigung vor sich und der Welt zu bedürfen. Ameile, die diese
Worte wohl hörte, erwiderte nichts darauf und der Vater sah sie scharf darob an. Er
ärgerte sich aber nicht nur über das Schweigen des Kindes, sondern auch über seine
eigene
Unmittelbar vor dem Dorfe Reichenbach wäre den Fahrenden beinahe ein Unglück
geschehen. Alban kam gerade mit einem großen Düngerwagen aus dem Dorf heraus, als der
Furchenbauer in dasselbe einfuhr; sei es nun, daß der Vater die Zügel in zitternder
Hand lenkte oder daß die Pferde Alban erkennend auf ihn zueilten – unversehens hingen
die beiden Fuhrwerke in einander und konnten nicht vom Fleck und um ein Kleines wäre
Alban dazwischen zerquetscht worden. Ameile riß dem Vater rasch die Zügel aus der
Hand, rief Alban, er möge sein Gespann halten, daß es nicht vorwärts gehe und drang
in den Vater, daß er absteige, so lange sie die Pferde halte. Alban stand eine Weile
an seinen Sattelgaul gestemmt, der sich hoch bäumte, aber er bändigte ihn, und mit
einer geschickten Wendung löste er rasch die Stränge, sprang behend über die Deichsel
und löste die Stränge dem andern Pferde gleichfalls. Nun konnte sein Fuhrwerk nicht
mehr vom Fleck und keinen Schaden mehr anrichten. Er eilte nun, dem Vater beim
Absteigen zu helfen. Dieser hatte den einen Fuß über der Leiter und wagte trotz der
Ermahnungen Ameile's nicht, den andern Fuß nachzuziehen; das Ungemach und das
Zusammentreffen mit Alban hatte ihn ganz wirr und blöde gemacht. So stand er noch,
mit hülfesuchendem Blick umherschauend als schwebte er am Rande eines Abgrundes, da
kam Alban, faßte ihn mit starken Armen,
»Es hat schon so sein müssen, Vater, daß wir einander auffahren.«
»Fahr' zu!« herrschte der Furchenbauer gegen Ameile als Antwort, und an die Schwester gewendet mit zornig wehmüthigem Tone sagte Alban wieder:
»Wohin geht's?«
»Gen Wellendingen zum landwirthschaftlichen Bezirksfest, unser Dominik kriegt heut einen Preis und vielleicht das Schwärzle auch. Kehr' um und führ' uns, wir können so Beide nicht fahren, hast gesehen,« entgegnete Ameile und der Vater befahl nochmals: »Fahr' zu!«
»Ich kann nicht mit,« sagte Alban vor sich niederschauend, »ich bin hier Knecht.« Er
reichte der Schwester die Hand und schloß: »B'hüt dich Gott.« Auch dem Vater streckte
er die Hand entgegen und sagte: »B'hüt's Gott Vater.« Er zog die dargereichte Hand
aber leer zurück, denn der Vater riß Zügel und Peitsche an sich und fuhr davon.
Ameile schaute noch einmal zurück und winkte dem Alban, dieser aber sah sie nicht,
Draußen vor dem Dorf sagte der Furchenbauer:
»Der Malefizbub ist mir überall im Weg. Wenn ihm der Dominik Bescheid gegeben hat, geht's dem schlecht. Der Malefizbub hat's gewiß erfahren, wann ich komm', und hat mir zeigen wollen, wie er Knecht ist, und aufgefahren ist er auch mit Fleiß, es kann ja kein Hofkutscher besser fahren wie er.«
»Nein Vater, da thuet Ihr ihm Unrecht, er hat halt die Besinnung verloren, wie er uns gesehen hat, wie wir Beide auch.«
»Ich nicht.«
»Man sieht ihm aber nichts mehr von seiner Krankheit an,« begann Ameile nach einer Pause, und der Vater fragte:
»Ist er denn krank gewesen? Woher weißt du's?«
»Ich hab' des Jörgpeters Maranne von hier Setzling (zu Kohl) verkauft und die hat mir gesagt, daß er's auf der Brust hab'.«
»Das ist nichts. In unserer Familie ist Alles gesund auf der Brust und der Alban hat eine Brust wie ein Faß.«
»Er sieht doch aber aus wie ein Graf.«
»Viel zu wenig, zum Geringsten wie ein Prinz. Red' mir heut kein Wort mehr von ihm. Punktum. Ich werd's heut wieder von fremden Leuten schon genug hören müssen.«
Trotz dieser Mahnung sagte Ameile doch nochmals:
»Ich will aber keine Hand und kein Wort von ihm. Still jetzt, du darfst mir heut seinen Namen nimmer gedenken, oder ich zeig' dir, daß ich über dein Schneppebberle auch Meister bin. Punktum sag' ich zum Letztenmal.«
Der Furchenbauer konnte den Seinigen verbieten, von Alban zu sprechen, selbst aber sein zu gedenken, dessen konnte er sich nicht erwehren. Er hatte seit anderthalb Jahren die Stimme seines Kindes zum Erstenmal wieder gehört, das Auge des Kindes hatte lange auf diesem starren Antlitze geruht und die Mienen wurden nur noch finsterer und die schmalen Lippen wurden oft zwischen die Zähne gekniffen.
Erst als er sich Wellendingen näherte und den Leuten begegnete, die ihr Vieh zur Preisbewerbung führten, lächelte der Furchenbauer vor sich hin. Als Dominik am Apostel auf ihn zukam, rief er diesem barsch zu.
»Bist doch über Reichenbach gefahren und hast dem Alban gesagt, daß ich auch komm'?«
»Nein, ich bin wie Ihr befohlen, über Jettingen gefahren; der Hirzenbauer kann mir's bezeugen.«
»Schon recht. Ist das Schwärzle gut gelaufen?«
»Ja, wie ein Hirsch.«
Der Furchenbauer ging mit Ameile nach der Wirthsstube, wo Spitzgäbele ihn alsbald bewillkommte.
Seitdem wieder jede freie und natürliche Strömung des Volkslebens gebunden ist, seit
die Verzweiflung an der Macht des rein sittlichen Gedankens immer allgemeiner zu
werden droht, seit man Eidbruch und Verhöhnung des Rechts und Ehrgefühls als nicht zu
erörternde Thatsachen hinstellt, ist von dem stolzerhabenen Fahnenrufe der
vergangenen Jahre Alles verlöscht worden und nur das eine Wort: Wohlstand stehen
geblieben. Die öffentlichen Stimmen rufen es allein aus und jeder Einzelne dünkt sich
weise und gewitzigt und berühmt sich dessen, daß der günstige Geschäftsbetrieb, der
Wohlstand, doch das einzige Wünschenswerthe sei. Höheren Ortes – wie man es nennt –
wird diese Richtung sorglich gepflegt und ihr allenfalls noch durch Erweckung eines
kirchlichen Sabbathsinnes ein Gegengewicht zu geben versucht; jede Bürgerehre, jede
sittliche Verbindung der Staats-und Volksgenossenschaft wird als entbehrlich, ja
vielfach als strafwürdig angesehen. Wenn sich hierdurch die bürgerlich-sittliche
Gemeinschaft immer mehr aufzulösen droht, so wird der einsichtige Kenner der
Menschengeschichte dennoch nicht trostlos verzweifeln, vielmehr die Zuversicht
schöpfen, daß trotz aller eigensüchtigen Zerfahrenheit doch am Ende wieder Ehre und
Freiheit sich entwickeln muß, wenn auch zunächst nur als die höchsten Güter des
Genusses oder des Wohlstandes, wenn man es so nennen will.
Die vergangenen Jahre haben es oft dargethan, daß der Bauernstand die Pfahlwurzel
alles gesunden Staats- und Nationallebens sei, und ihm wendet sich nun die höchste
und allerhöchste Fürsorge zu. Während man jede Volkssitte, die frecherweise ohne
höhere Genehmigung aufgewachsen ist, auszutilgen sucht, während man das öffentliche
Singen der Volkslieder in den Dörfern verbietet, während man die Spinnstuben in Acht
und Bann erklärt und sogar polizeilich sprengt, während man die Kirchweihen alle auf
Einen Sonntag verlegt und so Nachbardorf von Nachbardorf absperrt – will man in den
landwirthschaftlichen Vereinen und Festen ein mit Kanzleitinte verschriebenes
Surrogat dafür setzen. Da sollen die politischen Schreier einmal zeigen, ob sie
wirklich etwas wissen zur Hebung des Nothstandes und zur besseren Ausnutzung der
Arbeits- und Naturkräfte! Jeder Hinweis auf die große Strömung des
Nationalbesitzthums und seine Erfordernisse erscheint natürlich alsbald als
Flausenmacherei; es handelt sich hier nur darum, wie die Cultur, natürlich der
Gewächse, zu fördern, wo man russischen Weizen und Luzerne pflanze, wie der belgische
Pflug zu handhaben, wie der Dünger zu behandeln und welche Vortheile
Eine mit Eichenlaubgewinden, mit Astern und mannichfachen besonders ausgezeichneten Jahreserzeugnissen geschmückte Tribüne erhob sich am Gartenzaun des Apostelwirths, so daß die Versammlung auf der Straße zwischen dem Wirthshause und der breiten Tribüne sich aufstellen konnte; Fuhrwerke, die des Weges kamen, mußten um das Apostelwirthshaus herum weiter fahren. Hier war noch vor wenigen Jahren eine fast beständige Tribüne für Volksversammlungen gewesen; hier war der Reichstagsabgeordnete gewählt und waren Proteste gegen ihn erlassen worden, der Lenz von Röthhausen hatte hier seine glänzendsten Triumphe gefeiert. Der Ort war vortrefflich in der Mitte des Bezirkes gelegen und der Wirth war einer der eifervollsten Freisinnigen und rauchte beständig aus einer Heckerpfeife. Seitdem hat er sich anders besonnen, hat sich das Rauchen abgewöhnt, schnupft nur noch echten Pariser und ist sogar fromm geworden.
Eine Musikbande war im obern Stock des Wirthshauses
Die Thiere wurden vorgeführt und von allen Seiten gemustert, der Domänenrath riß
ihnen das Maul auf, um das Alter zu erkunden, seine Hände trieften von Schaum; er gab
seine Stimme ab: erster oder zweiter Preis, worauf die Andern in der Regel laut
beistimmten,
Nun bestiegen die Preisrichter die Tribüne. Der Oberamtmann in seiner Uniform mit der gelben Schärpe und dem Degen an der Seite stellte sich auch dort auf. Ihm folgte die Oberamtmännin, die nicht abließ, bis auch Ameile mitging; sie stellte sich aber immer hinter die Oberamtmännin, so daß sie kaum gesehen werden konnte. Der Domänenrath hielt nun einen Vortrag über den Flurzwang und die Vortheile des Zusammenlegens der Grundstücke, den er mit manchen anschaulichen Bildern und Scherzen zu würzen wußte, so daß oft ein verhaltenes Lachen durch die Versammlung sauste.
Auf seinen Wink ertönte dann ein Trompetenstoß und die Austheilung der
Dienstbotenpreise begann, wobei noch ausdrücklich bemerkt wurde, daß nur solche
belohnt würden, die ohne nahe Verwandtschaft viele Jahre in Einem Hause vorwurfsfrei
gedient haben.
Dominik steckte das Empfangene ruhig in die Tasche, schaute nur flüchtig auf und sich
ungeschickt verbeugend und stolpernd kehrte er zu seinem Thiere zurück. Dort erst
öffnete er das Kästchen und es enthielt ihm jetzt in der That einen hohen Ehrenpreis.
Der Furchenbauer brachte nun dem Dominik eine mächtige Kuhschelle mit neuem rothem
Riemen, die er vorsorglich im Wagensitze mitgenommen. Das Schwärzle ließ sich nicht
ohne Unruhe die Schelle umhängen und vom Apostelwirth den Kranz auf's Haupt setzen.
Der Apostelwirth war ein kluger, politischer Kopf, er hatte Kränze bereit
Der Domänenrath hielt hierauf noch eine sehr in's Salbungsvolle übergehende Anrede über die Tugenden eines wackeren Dienstboten; ein aufmerksamer Zuhörer hätte es ihm deutlich angehört, daß er auf einen Uebergang zu der nun erfolgenden Handlung spekulirte und in seiner Rede hin und her tappte; er fand aber den richtigen Ausweg nicht und half sich endlich damit, daß er wieder einen Marsch aufspielen ließ. Der Rainbauer von Hirlingen – der sogenannte Scheckennarr, weil er nur scheckiges Vieh hielt und es oft theuer bezahlte – erhielt den ersten Preis für einen selbstgezogenen hochbeinigen holländischen Zuchtstier, den vier Mann führen mußten. Unmittelbar darauf wurde das Schwärzle vorgeführt, unter dem Kranze hervor schaute sein Auge keck hinauf zu den Preisrichtern, während der Furchenbauer den Hut abzog, da er seinen Namen ausrufen hörte und wieder Trompetentusch erschallte. Er geleitete den Dominik noch aus der Reihe hinaus und befahl ihm, jetzt nur der Straße nach heimzufahren. Durch alle Dörfer sollte nun sein Ruhm erklingen, der noch verewigt wurde im Wochenblättle.
Dominik wartete indeß noch auf den Hirzenbauer, und als er ihn sah, übergab er ihm
das Kästchen sammt der Denkmünze und bat ihn, solches seiner Mutter in Nellingen zu
zeigen und ihr drei Gulden darauf zu leihen. Der Hirzenbauer entgegnete, daß er von
Dominik kein Pfand brauche, er nahm aber
Gern hätte Dominik noch einmal Ameile gesehen, er konnte sie aber mit keinem Blicke erspähen, und mit verlangendem Herzen machte er sich auf den Heimweg. Das Fest, vor dem er sich gestern noch fast gefürchtet hatte, war nun doch ein freudiges geworden, aber freilich nicht blos durch die von oben gesetzte Anordnung.
Kaum war Dominik eine halbe Stunde von Wellendingen, als ihm ein wilder Reiter auf schnaubendem Rosse begegnete und staunend erkannte er den Alban; er hielt an und fragte:
»Wohin des Weges?«
»Wo du herkommst,« erwiderte Alban.
»Dein Vater ist drin.«
»Das weiß ich und eben deßwegen komm' ich. Ich bin's satt zu warten bis er mich ruft; heim komm' ich nicht, aber wo er sich in der Welt sehen läßt, muß er mir Rede stehen. Ich bin lange genug das verstoßene Kind gewesen. Heut auf Einmal ist mir's eingefallen, daß ich keinen Tag mehr versäumen darf.«
»Wenn du mir folgst,« belehrte Dominik ruhig, »kehrst wieder mit mir um; vor allen Leuten machst die Sache nur ärger, da kann dir dein Vater nicht nachgeben, wenn er auch wollt', und glaub mir, er möcht' und weiß nur nicht wie. Kehr' mit mir um. Ich hab' dir einen Gruß von deiner Mutter. Du machst einen Unschick, wenn du weiter rennst.«
»Was Unschick?« rief Alban, »ich bin kein Knecht,
Dominik rief ihm noch nach, das Ameile sei auch da, aber Alban hörte schon nicht mehr.
Im obern Saale des Apostels hielt unterdeß der Domänenrath eine sehr geschickte Rede; er sagte, es sei noch ein wichtiger Gegenstand auf der Tagesordnung zu erledigen, er glaube aber allgemeiner Beistimmung sicher zu sein, wenn er voraussetze, daß ein anderer Gegenstand noch viel dringender und das sei, daß man vorher esse. Alles schrie durcheinander »Ja wohl! Bravo!« und manche riefen vorzeitig: »Der Herr Domänenrath soll leben hoch und abermals hoch.« Es war eben eine Versammlung der materiellen Interessen und Jeder beeilte sich einen guten Platz dafür zu erlangen. Der Furchenbauer erhielt seinen Platz zwischen Spitzgäbele und dem Hirzenbauer.
Die Oberamtmännin kam und bat in wohlwollenden Worten, daß Ameile bei ihr sitzen dürfe. Der Furchenbauer willfahrte mit doppelter Freude, denn das war nicht nur eine hohe Ehre, sondern auch ein Gegengewicht gegen seine vertrauliche Nachbarschaft mit dem Hirzenbauer, der als unbezwinglicher Radikaler bekannt und von den Beamten übel angesehen war.
Der Oberamtmann, der in seinem häuslichen Kreise nicht ungern zarte Empfindungen hegte, hatte seine Frau zu überzeugen gesucht, daß die Gebildeten keine Festesattribute für das Volk aufbringen können und die Oberamtmännin hatte trotz ihrer übergreifenden Wünsche innere Kraft genug, das was sich nicht äußerlich und allgemein darstellen ließ, in einer innerlichen Beziehung und bei Einzelnen zu suchen und sich von keiner Herbheit abstoßen zu lassen.
Die Oberamtmännin stand noch unter dem Einflusse der Nachwirkung, daß sie sich einst
öffentlich lächerlich gemacht hatte: sie war eben in dem Gedanken, daß den
Vereinigungen der neuen Zeit auf's Neue Schmuck und Zier gegeben werden müsse, mit
Blumen und Aehren auf dem Haupte erschienen. Sie erfuhr bald den Fehlgriff, den sie
begangen und dessen Folgen nicht so bald schwanden, aber sie war ehrlich und stark
genug, nicht aus Empfindlichkeit fortan ihren innersten Bestrebungen untreu zu
werden. Heute nun hatte sie gewonnen, wonach sie so lange trachtete: Ameile war ein
holdes frisches Naturkind und noch dazu verklärt
»Er hat gewiß aber auch so feine Händ' wie die Frau Oberamtmännin?«
Hieran knüpfte sich nun ein immer weiter gehendes vertrauliches Gespräch und die beiden Frauen, so verschieden in Bildungsstufe und Lebensanschauung, wurden immer vertrauter mit einander.
Man wird es immer finden, daß edelsinnige Frauenherzen, wenn sie durch sich selbst oder durch äußere Bedingungen über gewisse Begrenzungen hinausgehoben sind, sich bei rascher Begegnung leicht aneinander anschließen; die gesellschaftlichen Unterschiede und Schranken sowie die starren Besonderheiten von Beruf und Gesinnung, die den Mann kennzeichnen, fallen bei Frauen oft leichter weg; der Lebenskreis hat trotz aller Verschiedenheit doch wieder im Wesentlichen ein Gleichartiges. Die Oberamtmännin verstand das herauszufinden, und bald erzählte ihr Ameile mit bewegter Stimme das Leben auf dem väterlichen Hof und – da es doch schon in der Welt bekannt war – den Zerfall mit Alban.
»Das geht nicht, Gott behüte, das geht nicht,« entgegnete Ameile.
»Und warum? Mein Mann ist die beste Seele.«
»Glaub's wohl, aber das geht nicht, das thät ich nicht leiden, nie. Was für Zwei ist, ist nicht für Drei, hat mein' Mutter im Sprüchwort. Es ist schon arg genug, daß unser Familienstreit draußen in der Welt herumfährt; das wär' gar noch eine unerhörte Schand', wenn man mit einander vor Amt ging'.«
Dieses starre Festhalten, eine Familiensache nie zum Austrag vor das bestellte Gericht zu bringen, erschien der Oberamtmännin als jene Feindseligkeit, von der sie schon oft gehört hatte, indem man die bestellten Beamten als natürliche Feinde und Widersacher ansieht. Sie seufzte vor sich hin und betrachtete in schweigendem Nachdenken Ameile. Mit welcher Widerspenstigkeit und welchem verschlossenen Trotze hatte das Mädchen jene Worte gesprochen. Wie ist das sonst so offenbar Scheue in diesem Wesen mit solcher schroffen Widersetzlichkeit vereinbar? Ist aber das Scheue nicht gerade eine verhüllende Form der Wildheit und Unzähmbarkeit?
Als die Oberamtmännin Ameile zu Tisch führte, war diese voll Lustigkeit und äußerst
gesprächsam; sie bat die Frau Oberamtmännin auch einmal auf den Furchenhof zu kommen,
damit sie ihr die Ehre auch in etwas vergelten könne. Die Oberamtmännin sagte zu,
indem sie beifügte, man habe ihr von einer schönen
Die Oberamtmännin war nun äußerst heiter und versprach zum Frühling zu kommen; vorher aber müsse Ameile sie in der Stadt besuchen.
Ameile thaute immer mehr auf und manche kluge Rede kam über ihre runden Lippen; die Oberamtmännin machte heute eine seltsame Erfahrung, denn Ameile sagte ihr einmal zutraulich keck:
»Sie sind so gescheit wie die rechteste Bauernfrau.«
Dieses Lob erschien Anfangs eben so wunderlich als übermüthig, bald aber erkannte die Oberamtmännin, daß Ameile sie nach ihrem Herzen nicht besser loben konnte. Der Bauer ist nichts weniger als bescheiden, er traut den Gebildeten und Studirten fast nur verdrehten Verstand zu, weil er sie oft über Dinge entzückt und über andere mit Abscheu erfüllt sieht, die ihm solche Empfindung gar nicht einflößen. Das höchste Lob was ein Bauer Einem aus dem Herrenstande zu spenden vermag, ist, daß er ihm den Lebensverstand zuerkennt; und am Ende kann Niemand anders als mit eigenem Maße messen, nur der Freigebildete anerkennt bis zu einem gewissen Grade auch solche Dinge und Anschauungen, die ihm nicht genehm sind.
Während Ameile am obern Tisch viel lachte, war der Vater von Spitzgäbele und dem Hirzenbauer in die Mitte genommen.
Der Furchenbauer hätte sich gern vom Klein-Rotteck zurückgezogen, denn er war ihm innerlich neidisch, weil er sehen mußte, wie dieser zwei Söhne, wovon einer die Eichbäuerin geheirathet hatte, und einen Tochtermann hier bei Tische hatte, während er allein stand; auch hänselte ihn der Klein-Rotteck wiederholt, indem er sagte: »Es nutzt dich jetzt nichts mehr, daß du ein Aristokrat sein möchtest, du hast einmal als Altliberaler ein' Bläß und das schmiert dir kein' Kanzleitinte zu, und du bist grad so übel angesehen wie ich. Sie haben dich auch nicht zum Geschwornen gewählt wie mich. Drum wär's besser, du thätest gleich mit uns.«
Wir haben schon oft gehört, daß der Hirzenbauer Klein-Rotteck heißt und müssen nun auch erzählen, woher das kam; es entstand einfach, daß er in den dreißiger Jahren bei einer Versammlung in Freiburg öffentlich sprach, worauf ihm der berühmte Rotteck auf die Schulter klopfte und sagte: »Ihr könnt so gut öffentlich sprechen wie wir.«
Der Klein-Rotteck war heute in gereizt übermüthiger Laune und es war nicht abzusehen,
wohin das führt. Der Furchenbauer hörte ihm nicht zu, als er giftigen Spott über
Uniform, Degen und Schärpe des
»Wenn die Sach' nicht in der Kanzlei angesetzt wär', müßten wenigstens die Dienstboten, die den Ehrenpreis bekommen haben, da mit uns am Tisch sitzen.«
»Und die Kühe und Ochsen auch,« ergänzte Spitzgäbele lachend; der Furchenbauer aber nahm ruhig das Wort und sagte:
»Der Ehrenpreis gehört eigentlich dem Meister, weil er's so lang mit dem Lumpengesindel aushält. Es ist ein wahres Elend, daß man so viel Dienstboten halten muß.«
»Darum zerschlag' dein Gut wie dein Alban will,« schaltete Klein-Rotteck ein; der Furchenbauer hörte nicht darauf, sondern fuhr fort:
»Wenn Eines von meinen Dienstboten was verfehlt hat und ich halt's ihm vor, ruhig und streng, darf es sich nicht entschuldigen, das leid' ich nicht, es muß einfach eingestehen: das und das war nicht recht. Es ist verteufelt, wie stockig sie oft sind und der Dümmste findet noch Ausreden, nur um nicht sagen zu brauchen, ich hab's dumm gemacht, ich bin dumm gewesen; und wenn man einen Dienstboten fortschickt, da sieht man erst, wie galgenfalsch sie gewesen sind –«
»Das mußt du bald wieder erfahren,« sagte Spitzgäbele und zog den Furchenbauer nahe
an sich, damit es der Klein-Rotteck nicht höre. Er erzählte nun, wie er es so viel
als richtig gemacht habe, daß der älteste Sohn des Scheckennarren das Ameile
heirathe, aber jetzt sei Alles wieder auseinander; ein Jedes rede davon,
»Weißt mir Niemand für meinen Vinzenz?« fragte der Furchenbauer heimlich, und Spitzgäbele erwiderte ebenso:
»Das geht nicht, bis du mit deinem Alban abgemacht hast; das sagt Jedes.«
Ohne zu wissen warum wendete der Furchenbauer plötzlich seinen Blick nach dem Empor
des Saales, wo die Musikanten waren. Hatte ihn der Wein benebelt oder was war das?
Dort schaute ja Alban mit festem Blick auf ihn herab. Er fragte Spitzgäbele ob er
nichts
»Mit Hunden hetz' ich dir deinen Dominik aus dem Haus,« knirschte er vor sich hin.
Man hat in den letzten Jahren so oft gepredigt, daß England der Musterstaat sei; die
Beamten haben wenigstens so viel davon angenommen, daß sie das erste Glas mit
Segenssprüchen den Erdengöttern weihen. Der Oberamtmann hatte den ersten Toast dem
»gekrönten fürstlichen Landwirthe« gebracht, der in der That für Hebung des Ackerbaus
Ersprießliches gethan. Hierauf ging es an ein gegenseitiges Beräuchern. Der Verein
ließ den Präsidenten, der Präsident den Verein, das älteste Mitglied das jüngste, das
jüngste das älteste, der Studirte den Unstudirten, der Dickste den Dünnsten, der
Dünnste den Dicksten u.s.w. leben. Der Jubel und glückselige Untereinander war
allgemein, man schüttete sich beim Anstoßen den Wein über Rock und Hände und lachte
dazu, man drückte sich an's Herz, man reichte sich die Hände und unter rauschender
Musik, bei der man kaum sein eignes Wort hörte, sagte Eines dem Andern, wie
glückselig man sei und welch ein herrlicher unvergeßlicher Tag das geworden. Der
Domänenrath hemmte indeß noch einmal den gemüthlichen
»Will Jemand das Wort ergreifen?« fragte er.
Lautlose Stille.
Da rief eine Stimme vom Empor: »Ich, ich will da gegenreden.«
Der Furchenbauer erbleichte. War das nicht die Stimme Albans?
Der Oberamtmann schickte einen Landjäger auf den
»Ja wohl,« rief jetzt eine Stimme neben dem Furchenbauer, daß dieser zusammenfuhr.
Ein Lachen und Murmeln zog durch die Versammlung, aus dem man vielfach das Wort
hörte: »Ah! der Klein-Rotteck.« Dieser stand auf, hielt das Messer in der Hand und
stemmte dessen Spitze auf den Tisch; er schaute gelassen hin und her und wartete bis
Ruhe eingetreten war, dann begann er: wie er auch meine, daß große Bauern dem Staat
nützlich seien, weil sie noch die einzigen sein könnten, die nicht unterducken; daß
dies aber nicht der Fall sei, wo die Ehre und der Verstand fehle »und die hat« setzte
er mit erhobener Stimme hinzu »ein Taglöhner, der mit dem Handkarren fährt, ein
Bettelmann, der seine Schuhe in der Hand trägt, oft grad so gut und noch besser als
Einer der vierspännig fährt. Der Furchenbauer da neben mir,« der Erwähnte fuhr wieder
zusammen, »der Furchenbauer hat einen Knecht, ihr habt ihm heute einen Preis gegeben,
sein Urgroßvater war ein Bruder von meinem und hat fast nichts bekommen. Darf man die
Enkel zu Bettlern machen, warum denn nicht seine Kinder zu Mittelleuten?« Er erhob
sein Messer und fuhr fort: »Da liegt ein Laib Brod, ich will sagen er ist mein, ich
zertheil' ihn und geb' Jedem von meinen Kindern ein gut Stück; so hab' ich's auch mit
meinem Hofgut und so darf ich's haben und Niemand, kein Gesetz und Niemand soll mir's
wehren. Das ist und bleibt ein Grundrecht, sei's
Der Klein-Rotteck hielt eine Weile inne und eine Stimme rief: »der vier und zwanzigste,« worauf der Redner fortfuhr:
»Also im 24. Paragraph haben wir Freiheit des Eigenthumsrechts. Die Hofmetzgerei ist ein Elend, ein großes Elend, das ist wahr; aber ist nicht ganz Deutschland auch ein zerstückeltes Gut, in der Hofmetzgerei geschlachtet? Und die Zwergwirthschaft –«
Ein allgemeiner Sturm entstand, der Präsident verwies den Klein-Rotteck zur Ordnung und dieser fuhr ruhig fort, aber nur noch mit halbem Nachdrucke, das freie Schalten über jegliches Eigenthum zu vertheidigen. »Die niedern Leute,« schloß er, »müssen auch Gelegenheit haben, ein Stück Acker zu erwerben, daß sie nicht ewig in der Luft stehen. Ich bin dafür: man kann ein Ausmaaß stellen, bis wie weit ein Gut vertheilt werden darf für die Zukunft; man muß aber auch ein Ausmaaß stellen, bis wie weit man Grund und Boden in Einer Hand besitzen darf. Die Adeligen kaufen von den Ablösungsgeldern, die sie von uns bekommen haben, jetzt wieder alle Güter auf. Wie lange wird's dauern, da giebt's wieder nur noch Beständer? (Pächter). Dagegen muß auch Vorkehrung getroffen werden. Wenn diese beiden Punkte hineinkommen, dann unterschreib' ich.«
Der Klein-Rotteck setzte sich lächelnd nieder und zerschnitt den Laib Brod in Stücke; den Furchenbauer fröstelte es: er wußte nicht, warum, er schüttete ein groß Glas Wein in Einem Zuge hinab.
Der Domänenrath wollte erwidern, aber man sah deutlich in der Ferne, wie ihm der
Oberamtmann abwehrte, er wollte dies selbst übernehmen, und bald begann er in
gemäßigtem Tone zuerst den Klein-Rotteck zu loben, daß er frei herausgesprochen habe,
dann aber vertheidigte er, oft vom Beifall unterbrochen, mit hinreißender
Beredtsamkeit die Bedeutung eines mächtigen Bauernstandes. Zuletzt wendete er sich
nochmals gegen den Vorredner und erging sich in scharfem Spotte über »unverzapftes
und sauer gewordenes acht und vierziger Gewächs«. Er hielt dem Klein-Rotteck den
Widerspruch vor, daß er gegen die Zerstückelung Deutschlands eifere (worauf dieser
einwarf: »Bin deßwegen zur Ordnung gerufen, darf nicht erwähnt werden«) und bei
Privateigentum in Grund und Boden doch einer solchen das Wort rede. Er suchte
darzulegen, daß man diese Frage »die schwierigste der Volkswirthschaft« nicht mit
einigen liberalen Redensarten abthun könne. »Das ist eine Sache,« rief er spottend,
»die sich nicht mit dem Brodmesser schneiden läßt, da braucht es die feinsten
Instrumente der staatlichen Heilkünstler. Der Hirzenbauer
Ueberhaupt deckte der Oberamtmann mit schonungsloser Schärfe nicht nur die Widersprüche sondern auch die Lücken auf, die aus der Darlegung des Klein-Rotteck sich ergaben. Er lobte ihn wiederholt wegen seines selbständigen Denkens und seiner unumwundenen Aussprache, zeigte ihm aber, daß ihm die Uebersicht und der Zusammenhang fehle und er traf den Hauptpunkt indem er sagte, daß der Hirzenbauer schlagend und oft unwiderleglich sei, wenn er eine einzelne Bemerkung mache, daß er sich aber auch immer verhaspele, wenn er einen zusammenhängenden Vortrag halten wolle; seine Reden seien eben auch keine geschlossenen Güter. Zuletzt erwies er mit großem Scharfsinn, daß die Freiheit des Eigenthums auf Grund und Boden angewendet nur darin bestehe, daß man in keiner Weise gehindert sein dürfe, sein Grundeigenthum zu bebauen und auszunutzen, wie man den Verstand dazu habe; der Staat aber müsse ein Recht haben; die Zerstörung seines eigenen Bestandes, seines eigenen Bodens, und das sei die Zerstückelung des Grundeigentums, zu verhindern und mit den Worten Justus Mösers schloß er: »Der Boden ist des Staates.«
Der Klein-Rotteck verzichtete auf jede Entgegnung und während der Domänenrath die Petition vorlas, kam der Apostelwirth und rief auch den Furchenbauer ab.
Er wurde nach einer hintern Stube geführt, vor deren Thüre ein Landjäger stand. Als
er eintrat, sah
»Was kann geschehen?« fragte der Furchenbauer trotzig.
»Das ist ein rasender, ein fürchterlicher Mensch!« rief die Frau, »Euer Sohn vergreift sich am Landjäger und kommt in's Zuchthaus, wenn Ihr nicht Friede stiftet.«
»Meinetwegen, er ist nichts Besseres werth, er ist widerspenstig gegen seinen Vater und gegen die ganze Welt,« entgegnete der Furchenbauer kalt.
Die Oberamtmännin ließ die Arme sinken, im Innern that sie ihrem Mann Abbitte, weil sie ihm oft nicht glauben wollte, wie roh die Menschen seien. Der Oberamtmann hatte sich das Sprüchwort angewöhnt: Elf Ochsen und ein Bauer sind dreizehn Stück Rindvieh. Zeigt sich nicht hier eine stiere Unbeugsamkeit? Der Furchenbauer wendete sich wieder nach der Thüre, die Oberamtmännin hielt ihn fest und erzählte hochathmend wie es Alban gewesen sei, der vom Empor gerufen habe, wie ihn der Landjäger verhaftet und er nach Ameile schickte, diese sie rufen ließ, wie sie sich dafür verbürgt habe, daß Alban frei ausgehen solle, und daß dieser unerwartete Ueberfall zum Frieden und zur Versöhnung führen müsse.
Der Furchenbauer rieb sich mit beiden Händen Schläfe und Wange, der Wein schlug ihm zum Gesichte heraus, er athmete schwer; endlich sagte er:
Ameile gehorchte und wieder sagte der Vater:
»Was will denn der ungerathene Bub da? Red', red', sag' ich.«
Alban schwieg beharrlich und der Vater fuhr fort: »Da sehet Ihr's wie er ist. Recht war's wie der Domänenrath von alten Zeiten erzählt hat, da hat der Vater seinen Sohn aufknüpfen dürfen. Er hat ihm das Leben gegeben, er darf's ihm auch nehmen. Darf ein Kind jetzt seinen Vater durch Ungehorsam umbringen?«
Seine Stimme stockte und er hielt inne.
»Vater, er ist brav, er will brav sein,« beschwichtigte Ameile.
»Still Du, mit dir hab' ich allein zu reden, dein' Falschheit ist am Tag; aber wart nur, komm nur heim,« polterte der Furchenbauer gegen Ameile.
Die beiden Frauen standen rathlos. Endlich begann Alban: »Ich will auch Friede, nichts als Friede; ich schäm' mich in's Herz hinein, daß ich da so da stehen soll.« –
»Hast's auch nöthig.« –
»Ich kehr' wieder heim, aber unter einer Bedingung.« –
»Ho, ho! Er will Bedingung stellen.« –
»Ich hab's geschworen und der Vater muß bitten.« –
Der Furchenbauer schlug sich auf den Mund und rief:
»So lang die Zung' da lallen kann, nicht, darauf kannst du dich verlassen. Herr Gott,
was ist das für eine Welt! Mein Vater wär' hundert Jahr' alt geworden, wenn er sich
nicht Schaden gethan hätt'; ich werd'
Jetzt mit bebender Stimme sagte Alban: »Vater! Ich will Euch in Ehren halten, ich will Euch jeden Tag doppelt vergelten, den ich Euch Kummer gemacht hab'. Vater! Wenn ich fest bin in dem was ich gesagt hab', so hab' ich das von Euch, Ihr habt mich's gelehrt und mich darüber gelobt; Ihr dürfet mich jetzt nicht dafür verstoßen.« Er warf sich vor dem Vater auf die Knie und schrie schluchzend: »Da bitt' ich Euch um Alles in der Welt, saget das eine Wort! Draußen steht der Landjäger, ich vergreif' mich an ihm, ich will zu Grunde gehen, ich will in's Zuchthaus, Vater! zum Letztenmal halt' ich Eure Hand, saget nur die paar Worte und ich bin wieder am Leben. Vater! lieber Vater! saget's.«
»Könnet Ihr widerstehen, dann seid Ihr ein Unmensch,« rief die Oberamtmännin unter Thränen die Faust ballend.
»Nun meinetwegen, ich bitt' dich, komm heim,« sagte endlich der Furchenbauer. Die Oberamtmännin faltete die Hände und umarmte Ameile und küßte sie, während Alban schluchzend am Halse des Vaters hing. Dieser riß sich rasch los und sagte: »Komm 'rein und trink' einen Schoppen.«
Der Landjäger vor der Thüre entfernte sich auf Geheiß der Oberamtmännin. Alles staunte als Alban mit dem Vater eintrat.
Als Alban nicht trinken wollte, sagte der Vater:
Alban trank.
Der Furchenbauer war der letzte, der die Petition unterschrieb, er konnte vor Zittern die Feder nicht führen und befahl Alban seinen Namen für ihn zu schreiben. Alban wollte das Geschriebene zuerst lesen, aber der Vater befahl ihm unbedingt zu unterschreiben und Alban willfahrte.
»Erst nächsten Montag setzen wir Alles auseinander,« sagte der Vater jetzt zu Alban, »bis dahin reden wir kein Wort, und du mußt fleißig sein, ich thue einen Knecht weg.«
Alban zuckte bei diesem Worte und sagte nur:
»Ich will den Hirzenbauer zum Schiedsrichter, wenn's einen Streit geben sollt'.«
»Wirst keinen brauchen. Es darf Niemand Fremdes sich drein mischen.«
Spitzgäbele hielt zu guter Letzt auch noch eine Rede, die mit großem Beifall aufgenommen wurde. Er verkündete, daß am Rhein und im Taunus heuer die Aepfel ganz mißrathen seien, während man hier zu Land nicht wisse wohin damit, er habe daher von zwei Wirthen in Frankfurt, die »Aeppelwein schenken« den Auftrag, das Simri Aepfel zu 28 Kreuzer, frei nach der Amtsstadt an den Neckar geliefert zu kaufen und lege zu dem Behufe eine Liste auf, in die Jeder einschreiben möge, wie viel er liefere.
Allgemeines Gelächter entstand als der Klein-Rotteck
Bei der Cigarre und Pfeife, die jetzt dampften, ward Allen erst recht behaglich. Der Domänenrath kam auf den Klein-Rotteck zu und schüttelte ihm die Hand wegen seines freimüthigen Ausspruches; der Klein-Rotteck vergalt es durch aufrichtigen Ausspruch seines Respects vor dem Domänenrath, dessen Eifer und Verdienst um den Verein und seine Zwecke er wohl erkannte.
Der Domänenrath verwand dadurch die betrübende Erfahrung, daß seine Gelehrsamkeit noch nicht allseitig stichhaltig sei, denn der Oberamtmann hatte ihm so eben auseinander gesetzt, wie in England die ungetheilte Vererbung von Grund und Boden und die Fideicommisse überhaupt nicht als Gesetz, sondern nur als Sitte bestehen.
Die Oberamtmännin, die eine besondere Gönnerin des Klein-Rotteck war und es ihm blieb trotz seines Radikalismus, so daß er ihr jedesmal, wenn er als Schultheiß nach der Stadt kam, seine Aufwartung machte, scherzte nun in freundlicher Weise mit ihm und selbst der Oberamtmann that freundlich und neckte seine Frau, daß er eifersüchtig werde. So schien am Ende doch Alles in eine freundliche und versöhnliche Stimmung auszuklingen.
Der Pächter von Reichenbach entließ Alban sogleich aus dem Dienst und als Ameile auf
den Wagen stieg, küßte die Oberamtmännin sie herzlich; aber Ameile war
Alban hatte das Reitpferd, das er mitgebracht, hinten an den Wagen gehängt, um es in Reichenbach abzugeben. Jetzt saß er vor dem Vater und der Schwester und lenkte die gewohnten Thiere. Die Pferde, allezeit rasch wenn es der Heimath zugeht, waren es heute doppelt; ahnten sie vielleicht, daß ihr junger Herr sie lenkte und daß sie auch ihn wieder heimbrachten? Alban hatte nur immer die Zügel fest anzuhalten. Die drei Fahrenden sprachen kein Wort, diese Versöhnung war so urplötzlich in gewaltiger Gemüthsüberwallung gekommen und nichts war mit ihr geschlichtet und ausgeglichen.
Ameile schloß still die Augen und dachte in sich hinein, was nun geschehen werde,
auch mit ihr; der plötzliche unbegreifliche Zorn des Vaters, was war sein Grund und
seine Folge? Sie wagte es nicht, jetzt den Vater zu fragen, was er gegen sie habe,
sie war ein seltsam und streng in's Haus gebanntes Wesen, nicht einmal auf offener
Straße, wo man allein mit einander war, durfte eine Erörterung der Familiensachen vor
sich gehen, das durften nur die vier Wände des Hauses in sich schließen; deswegen war
sie ja gegen Alban auf Seite des Vaters gestanden und hatte dieser ihr so viel Liebe
zugewendet. Aus diesem Denken heraus sagte sie nur
Erst in Reichenbach erwachte sie, wo Alban das Pferd abgab, seine Habseligkeiten zusammenraffte und aufpackte. Man erfuhr auch, daß Dominik das Schwärzle hier zurückgelassen weil es zu hinken begann; er war allein heimgeeilt.
Nur um das Schwärzle kümmerte sich jetzt der Furchenbauer mit eifriger Sorgfalt und Beredtsamkeit und empfahl dem Wirth in Reichenbach gute Pflege und Abwartung.
Man fuhr weiter. Der Furchenbauer öffnete den Mund kaum zu den gleichgültigsten Worten. Es war ihm nicht minder unbehaglich, daß mit Alban Nichts entschieden ausgeglichen war; die Oberamtmännin, die ihm zudringlich erschien, hatte das verhindert. Er hoffte aber doch jetzt mit dem mürber gewordenen Burschen fertig zu werden und was Zufall gewesen war, erschien ihm jetzt als eine kluge That: Alban hatte ja selber die Petition unterschrieben, die gegen jegliche Güterzersplitterung gerichtet war.
Spät in dunkler Nacht wie Alban einst aus dem väterlichen Haus entflohen war, kehrte er wieder in dasselbe zurück.
Der Kühbub, der trotz des Zerwürfnisses auf dem Hof verblieben war, kam mit der Laterne den Anfahrenden entgegen und leuchtete Alban in's Gesicht, er prallte zurück und schien seinen Augen nicht zu trauen.
»Ich bin's wirklich,« sagte Alban lachend indem er abstieg.
»Wo ist der Dominik?« fragte der Furchenbauer einen zweiten Knecht.
»Er schläft schon.«
»So weck' ihn, ich hab' ihm was zu sagen.«
»Vater,« begann Alban, »ich will gern für den Dominik schaffen, was er heut noch zu thun hat. Lasset ihn jetzt schlafen; er muß grausam müde sein; er hat die wilde Kalbin den weiten Weg hin und her geführt und ich hab's gesehen, sie hat ihm schier den Brustkasten von einander gerissen.«
»So? Fangst schon gleich so an?« sagte der Vater
Er schritt voran und Alban stand eine Minute wie angewurzelt. War er darum zurückgekehrt, um die Stelle des Oberknechtes einzunehmen?
Die beiden Hofhunde waren wie toll, der Greif bellte grimmig, er erkannte Alban nicht, das Türkle aber winselte an der Kette und sprang hin und her. Alban löste ihm die Kette und das Thier sprang an ihm empor und leckte ihm die Wangen.
Die Mutter lag schon im Bette und trotzdem, daß Ameile gehört hatte, daß etwas mit Dominik vorgehen solle, vergaß sie jetzt ihres Kummers, eilte zur Mutter und verkündete ihr, daß Alban wieder da sei.
»Komm 'rein Alban! komm 'rein,« rief die Mutter aus der Kammer, als Alban in die Stube trat: er kam zu ihr und sie bedeckte sein Antlitz mit heißen Küssen.
»Gottlob daß ich dich hab', und sei nur jetzt auch brav und dank's dem Vater, daß er
dich geholt hat. Ach! du riechst so frisch, du bringst mir wieder neue Luft, mein
Husten ist weg. Stell' die Ampel da vorn hin, noch besser, daß ich dich auch sehen
kann; du bist magerer, gelt, Dienstbotenbrod ist doch ein hartes? Nun Gottlob, daß es
vorbei ist. Du hast mich manche
»Er will wieder Alles gut machen, er hat mir versprochen folgsam zu sein in Allem.«
Er verließ bald die Kammer wieder und ging in die Stube, denn Dominik war eingetreten, fast noch verschlafen taumelnd. Alban trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand; der Knecht rieb sich die Stirne mit der einen Hand, mit der andern faßte er Alban fest, er wollte sicher sein, daß er nichts träume.
»Jetzt freut mich's, daß Ihr mich aus dem Schlaf habt wecken lassen,« sagte er mit heller Stimme. Ohne darauf zu hören, sagte der Furchenbauer sich setzend und die Beine über einander legend:
»Ich hab' was mit dir zu reden. Vom letzten Viertelfahr bin ich dir noch deinen Lohn schuldig und ein Vierteljahr vorher muß ich dir aufkündigen. Das ist's. So, jetzt ist's geschehen.«
»So? Darf ich fragen, warum Ihr mich so Knall und Fall fortschicket?«
»Freilich.«
»So saget mir warum?«
»Weil ich will.«
»Das ist kein Grund.«
»Haufengenug für dich. Einen andern sag' ich dir nicht. Meinst du, du sollst dich
berühmen können, wegen dem und dem, ich weiß nicht wegen was, seist du fortkommen?
Und wenn ich hör', daß du Eines von meinen Kindern in's Geschrei bringst, hast du's
mit mir zu thun. Bist aber brav, so kannst in einem
Der Furchenbauer hatte sich trotz seiner schlauen Verdecktheit doch verrathen, er sah das schnell und wollte nun die Anhänglichkeit des Dominik an sein Haus ködern und binden.
»Wenn's an dem ist,« sagte Dominik, »dann geh ich lieber gleich.«
»Ist mir auch recht. Lieber heut Nacht als morgen früh. Ich bezahl' dir noch den Lohn auf vier Wochen, aus Gutheit, das wirst einsehen, von Kost ist ohnedies kein' Red weil du von selber gehen willst.«
Alban wollte sich dreinmischen, er hatte aber kaum die Worte gesagt: »Aber Vater,« als dieser ihm streng zurief kein Wort zu reden. Er zählte Dominik das Geld auf den Tisch und legte das für die vier Wochen besonders. Dominik war eine Minute zweifelhaft, ob er dieses auch nehmen solle und Alban zuckte und hielt sich die Hand vor den Mund als er es wirklich nahm. Er konnte nicht ermessen, daß der von Haus aus allezeit arme Bursch sich nicht das Recht und den Muth zutraute, seiner Ehre zulieb einige Gulden wegzuwerfen und noch dazu seinem langjährigen Herrn gegenüber.
»B'hüts Gott,« sagte Dominik und ging mit dem Geld aus der Stube. Die Mutter in der Kammer und Alban wagten nicht ein Wort zu reden.
Ameile hatte in der Küche Alles gehört. Als jetzt Dominik an ihr vorüberging, sagte sie so laut, daß man es in der Stube hören konnte:
»So? Jetzt gehst fort? Nun so b'hüt dich Gott und
Alban war doch dem Dominik nachgegangen und hatte ihm herzlich zugeredet, sich nicht unnöthigen Kummer zu machen, er solle allzeit Bruderhülfe bei ihm finden. Dominik schwieg zu Allem und packte seine Kleider ein. Erst als Alban sagte, daß er ihm wegen Leben und Sterben ein Schriftliches geben wolle über die Darlehen, die er bei ihm gemacht, sagte er, daß es in guter Hand stehe, bis er es brauche um auszuwandern.
Dominik wollte noch vor Tag aus dem Hofe fort. Alban kehrte in das Haus zurück. Er ging nach der Kammer wo Vinzenz schon schlief und wo sein Bett noch stand von alten Zeiten. Hinter ihm drein war der Vater geschlichen und lauschte an der Thür.
Als Alban seinen Bruder Vinzenz aus dem Schlafe weckte, rief dieser um sich schlagend: »Thu mir nichts, du darfst mir nichts thun.« Alban war erschreckt von diesem Ausrufe und erzählte nun dem Bruder, wie er in Friede mit dem Vater heimgekehrt, wie Alles gütlich ausgeglichen sei und er dem Vater nachgeben wolle.
Vinzenz richtete sich jetzt im Bett auf und sagte:
»Ich mein',« schloß Alban, »die Sünde, daß er dir ein Aug' ausgeschlagen hat, läßt ihn nicht ruhen. Wir wollen's vertuschen, so gut als wir können.«
Der Horchende erbebte. So war seine That Alban bekannt und er konnte ihn der Schande preisgeben! Eine Minute dachte er, daß Alban doch bis jetzt brav gewesen, er hatte diese grause That doch bis jetzt Niemand verrathen; schnell aber sprang er wieder in eine andere Stimmung über: der eigenwillige Bursche wußte also warum der Vater nicht anders handeln konnte, und war doch unnachgiebig! Neuer Zorn entbrannte gegen ihn, in den sich nur noch der gegen Vinzenz mischte, der das Geheimniß verrathen hatte. Wenn er Beide hätte enterben können, er hätte es gethan, und fast schien es besser, den muthigen offenen Alban einzusetzen, als den hinterhältigen Vinzenz, der doch nur ein halber Mensch war.
Alban hatte sich in sein Bett gesteckt und sich behaglich streckend rief er:
»Ah! Da ist's doch am besten. Es ist mir wie einem Vogel, der in sein altes Nest kommen ist. Man liegt nirgends besser als daheim. Jetzt horch' auf Vinzenz, was ich dir sag'. Wir machen's so. Hörst auch gut zu?«
»Ich widersprech' nicht, wenn der Vater dir das Gut giebt und es abschätzt wie er will. Ich heirath' die Vreni und bleib' bei dir als Knecht.«
»So? Das wirst nicht wollen? Das ist nicht dein Ernst.«
»Freilich, aber nur auf die Art, wie ich's mein'. Wir thun dem Vater nur zum Schein seinen Willen. Er ist bald siebzig und lebt nicht ewig, und wir wollen ihm den Willen lassen so lang er lebt; er soll meinen, das Sach sei alles dein und bleib' bei einander. Du giebst mir aber schriftlich mit zwei Zeugen unterschrieben, daß du nach des Vaters Tod den Hof abschätzen läßst von Unparteiischen und zu gleichen Theilen mit mir und dem Ameile theilst. Auf die Art ist des Vaters Willen geschehen und doch auch wieder Keines von den Kindern verkürzt, und wir erhalten den Frieden und der Vater kann in Ruhe seine Tage verleben. Zu Zeugen nehmen wir den Hirzenbauer von Nellingen und unsern Vetter den Gipsmüller, die halten Alles verschwiegen und geheim. Ist das nicht recht? Ist das nicht ordentlich gesprochen? Hast du was dagegen? So gieb doch Antwort. Schnarch' nicht, ich glaub' nicht, daß du schlafst. Das ist falsch von dir, Vinzenz; hab' mich nicht zum Narren. Man kann's ja nicht brüderlicher machen als ich geredet hab'. Vinzenz, gieb Antwort. Ich reiß' dich an den Haaren aus dem Bett, wenn du mich so zum Narren hast. Vinzenz, willst du mich auch des Teufels machen?«
Alban sprang aus dem Bett und schüttelte den
Schon wollte der lauschende Vater zum Schein die Treppe heraufspringend zu Hülfe eilen, als er Alban sagen hörte:
»Sei ruhig. Ich thu dir nichts. Hast denn nicht gehört, was ich gesagt hab'? Hast wirklich geschlafen?«
»Halb und halb.«
»Und was sagst dazu?«
»Ich versteh' die Sach' noch nicht recht, aber so viel weiß ich, ich bin zum Krüppel geschlagen und mir gehört was im Voraus. Ich kann aber heut nimmer viel schwätzen. Morgen ist auch ein Tag. Gut Nacht.«
Alban erhob im Bett seine Hände und betete: »Herr Gott! Laß mich heut' Nacht sterben, wenn ich was Unrechtes will. Ich weiß nicht anders. Es ist nicht meine Schuld, daß ich so bin. Ich muß anfangen, das Unrecht, das von Geschlecht zu Geschlecht gegangen ist, umzustoßen. Ich wollt' es müßt's ein Anderer thun, aber ich muß. Wenn ich Unrecht hab', nimm' mich im Schlaf von der Welt und zu dir –.« Er murmelte noch unverständliche Worte, in denen nur deutlich, wie im gewohnten Kindesgebete, Vater und Mutter vorkamen, dann war Alles still ...
Dem Furchenbauer schoß es in die Knie, er mußte sich auf die Treppe setzen. Erregte
vorhin der Plan ihn zu täuschen seinen brennenden Ingrimm, so traf ihn jetzt jedes
Wort im Gebete Albans wie ein Blitzschlag. War das sein hartherziger Sohn? Welch ein
Kind war das! Er hatte seine geheimsten Gedanken
Während hier der ungelöste Bruderstreit vom Vater belauscht sich kundgegeben hatte, standen unter dem Apfelbaume im Obstgarten zwei Liebende beisammen und sie sprachen wenig und ihre leisen Worte verhallten von keinem fremden Ohre belauscht und zogen hinan zu den Sternen, die in der Herbstnacht hell glitzerten und funkelten.
»Was soll denn das jetzt noch?« hatte Dominik zu Ameile gesagt. »Es ist besser, du bist frei, ich will dir nicht vor dein Glück stehen und mit mir hättest du nur Elend und glaub' mir, ich könnt's nicht ertragen, wenn du nicht mehr leben könntest wie du's gewöhnt bist.«
»Ich bin an nichts gewöhnt als an dich und dabei bleib' ich, und wenn ich von Vater
und Mutter und von der ganzen Welt fort muß, mit dir geh' ich nach Amerika, wie
wenn's nach Reichenbach wär'. Ich will froh sein, wenn ich aus unserm Haus bin, da
ist ja Jedes immer wie eine geladene Pistol. Ich will Gott danken, wenn ich nur
dreimal Kartoffeln des Tages hab' und Ruhe und Friede dazu; aber sie müssen mir mein
Vermögentheil geben, im nächsten Jahr werd' ich großjährig. Halt' nur fest aus wie
ich. Du mußt wegen meiner aus dem Haus. Ich weiß es. Aber da
Dominik faßte die dargereichte Hand nicht, er sagte nur:
»Du kannst auf Einmal reden wie eine Große –«
»Ich bin kein Kind mehr.«
»Freilich, aber deiner Eltern Kind bist noch und dagegen will ich dich nicht aufstiften.«
»Weil du kein' Kurasche hast,« sagte Ameile zornig und Dominik erwiderte:
»Ich hab' mehr als du glaubst, ich könnt' für dich durch's Feuer laufen, ich thät' mich nicht besinnen. O Ameile!« seine Stimme stockte und sich an seinen Hals hängend rief das Mädchen.
»Was? Wer wird heulen? Rechtschaffen und lustig –«
Die Beiden redeten lange kein Wort mehr, der Quell des Wortes war versiegelt, in stiller Nacht hingen sie Lippe an Lippe.
»Sieh den Stern!« rief Ameile nach einer fliegenden Sternschnuppe den Kopf wendend, aber nicht nach ihm deutend, denn es ist bekannt, daß man mit Hindeuten nach einem Stern einem Engel die Augen aussticht. In begeistertem Ton fuhr Ameile fort: »Weißt noch wie du mir gesagt hast, ein Sternschuß ist ein verirrter Stern, der wieder an seinen Ort heimkehrt? So sind wir Zwei jetzt auch. Da, jetzt wollen wir uns Braut und Bräutigam heißen. Du mußt mir eine Trau geben. Weißt was? Deine Denkmünze, das ist mir das Liebste.«
»Wo hast sie denn?«
»Ich hab' sie meiner Mutter geschickt. Ich hab' sie dem Hirzenbauer versetzt, daß er meiner Mutter ein paar Gulden geben soll. Ich hätt' dir das nicht sagen sollen, ich will mich aber nicht berühmen. Ich hab' im Gegentheil an meiner Mutter bisher zu wenig gethan.«
»Vor mir darfst dich berühmen. Das ist mir lieb, daß ich jetzt auch weiß wo du hingehst. Ich bin doch dumm. Ich hab' gemeint, du mußt in die wilde Welt hinaus. Du hast ja auch ein' Mutter. Das ist gut. Grüß sie von mir und sag' ihr, sie soll mir meine Trau gut aufheben und soll sich am Leben erhalten, bis sie auf unserer Hochzeit lustig ist. Und wenn dir was vorkommt, daß du eine Annahme brauchst, geh' nur zur Oberamtmännin und sag's ihr nur frei, du seist heimlich mein Hochzeiter, sie weiß schon so was, und die wird dir in Allem helfen und beistehen, die hat den klaren Verstand zu Allem und ist so grad wie eine rechtschaffene Bauernfrau, gar nicht wie eine Herrenfrau. Und noch Eins: verding' dich nicht in einen andern Platz, du wirst dir schon so forthelfen und thu's mir zulieb und geh' heut' nicht in der Nacht fort, du hast nächt (vergangene Nacht) nicht geschlafen und bist müd; wart bis Tag ist.«
Noch Vieles plauderten die Liebenden zusammen in Scherz und Ernst, sie wollten gar nicht voneinander lassen; endlich aber mußten sie sich doch trennen.
Ameile ging still und gedankenvoll nach dem Hause,
»Wer bist? Wer ist da?«
Ameile schrie laut auf. Die Mutter kam mit Licht herbei und sah wie der Vater die Tochter fest in den Armen hielt.
»Du bist's?« rief der Vater, »So? Ich weiß wo du gewesen bist, aber still, still, nicht gemuckst, daß Niemand im Haus Etwas erfährt, still sag ich.«
Er schleppte Ameile nach ihrer Kammer, schloß sie ein und nahm den Schlüssel zu sich.
Ein gut gestelltes Hauswesen geht ordnungsmäßig fort, ohne täglich frisch aufgezogen
zu werden. Der rasche Taktschlag der Drescher war schon laut, als Dominik ärgerlich
ob seines langen Schlafes erwachte; er besann sich aber, daß er ja das Hans verlassen
müsse, aus dem er so plötzlich gewiesen war. Er sputete sich. Verwirrt schaute er
sich im Hof um; wie viel hundertmal hatte er's gehört und sich selbst gesagt, daß er
wie das Kind im Hause gehalten sei und jetzt – abgelohnt, fortgeschickt, du gehörst
nicht mehr hieher ... Da war kein Werkzeug im Hof, das er nicht gehandhabt, an dem er
nicht Etwas gerichtet hatte, jedes Thier kannte ihn, seinen Tritt und seine Stimme,
Noch nie in seinem Leben war Dominik an einem Werkeltags-Morgen so lange müßig
dagestanden, heute konnte er nicht vom Fleck und er durfte ja thun und lassen was er
wollte, er war Herr über sich und seine Zeit. Dennoch war's ihm manchmal wieder, als
müsse er auch zu den Dreschern; das ist die gewohnte Ordnung, das muß sein, davon
kann ihn Niemand abhalten. Eine Weile lächelte er vor sich hin, indem er dachte, wie
der Meister aufschauen würde, wenn er ohne ein Wort zu sagen, mit den Dreschern zum
Morgenimbiß käme. Es wird ihm selber Recht sein, daß seine Uebereilung nicht
ausgeführt ist; er ist allezeit so hitzig und denkt oft in der nächsten Minute nicht
mehr daran. Wenn er dich aber vor allen Leuten aus dem Haus jagt? Was dann? Gestern
vor aller Welt für treue Dienste mit der Denkmünze belohnt und heute mit Schimpf und
Schande aus dem Haus gejagt. – Was wird Ameile dazu sagen? Bis jetzt hast du selber
Sieh, die Thüre öffnet sich – nein, es ist die Großmagd, die nach dem Brunnen geht, um Wasser zu holen, sie ruft Dominik zu: »So, du bist noch da? Glück auf den Weg.« Sie trommelte mit einem Scheit Holz auf dem Kübel zum Aerger des Dominik, denn nach altem Brauch ist dies Trommeln auf den Kübel ein Zeichen des Spottes und der Mißachtung gegen einen »wandernden« Dienstboten. Sie ging nach dem Brunnen und während sie wartete, bis der Kübel voll war, sang sie:
Heut ischt mein Bündelestag,
Morn (morgen) ischt mein Ziel,
Schickt mi mein Bauer fort
Geit (giebt) mir et viel.
Dominik kehrte nach der Stallkammer zurück, schnürte seine Gewandung noch fester zusammen, hob sie auf die Schulter und verließ den Hof ohne noch einmal umzuschauen. Er hatte schon zu lange gezögert.
Als er aber jetzt an das äußere Hofthor kam, wurde ihm doch eine Ehrenbezeigung zu
Theil. Die Knechte kamen mit Peitschen, an deren schwanke Spitzen sie rothe Bänder
geknüpft hatten, und nun begannen sie allesammt nach einer bestimmten Melodie zu
knallen, daß es weithin schallte. Dominik dankte für dieses Ehrengeleit, denn wie man
einem Soldaten in's Grab schießt, so gilt es als Ausdruck der Ehre und Liebe der
Mitdienenden, daß man einem wandernden Dienstboten
Es ist ein tiefdeutiger Spruch: ein Mädchen, das ein ausgelöschtes Licht aus dem glimmenden Docht wieder anblasen kann, ist eine reine Jungfrau. War die Liebe des Dominik nicht schon einmal ausgelöscht? Und wie hellleuchtend hatte sie der Athem Ameile's wieder angefacht.
Die Gedanken des Dominik, noch vor Kurzem so betrübt und unverzeihlich weichmüthig,
wurden auf einmal freudig und fest. Nur über Eines war er noch nicht mit sich im
Reinen: ob er es geradezu aller Welt
Wohlgemuth zog Dominik seines Weges. Heute konnte er welchen Weg er wollte
einschlagen, heute befahl ihm Niemand mehr. Du bist dein eigener Herr, sagte er sich,
aber doch stieg er wieder den Henneweg hinauf. Der Nebel stand fest über Thal und
Wald, von den Zweigen floßen Tropfen, aber Dominik wandelte hin wie in lauter Sonne
und lichter Freudigkeit. Als er wieder auf dem begrasten Weg und endlich am
Grenzstein des Furchengutes dort an der Waldeslichtung war, dachte er nicht mehr an
die Pachtung der Schafweide: er wollte mit seinem Ameile ein gut Stück von diesem
Gute haben, und wenn nicht im Boden selbst, doch in Geld. Noch einmal dachte Dominik,
ob es nicht klüger wäre, wieder umzukehren und nach Reichenbach zu gehen; dort war
jetzt Albans Stelle offen, das war ein Ehrenplatz, und er war näher beim Furchenhof.
Aber Ameile hat ihn gebeten, nicht in einen neuen Dienst zu treten ... Während des
Ueberlegens schritt er immer rasch voran, er wollte, wenn er sich anders entschließe,
keine Zeit versäumt haben, und wirklich blieb er auch dabei, zu seiner Mutter zu
gehen.
In Klurrenbühl im Wirthshaus hielt er an und traf heute große Bewegung, einem der Angesehensten des Dorfes wurden heute im Gantverfahren seine Liegenschaften verkauft. Man erinnerte Dominik, wie vor fünf Jahren hier ein großes Hofgut, das er noch gekannt hatte, zerschlagen wurde; der heut zu Vergantende, ein fleißiger, haushälterischer Mittelmann, kaufte übermäßig viel ein, und nun ist er schon der Dritte, der dadurch vergantet wird, zwei Mißernten und die Kapitalschulden erdrückten ihn und jetzt ist auch sein früheres Besitzthum damit verloren und er ein Bettelmann.
Die Leute, die Dominik kannten, staunten, als er fragte, was denn das ganze Anwesen im Schätzungswerthe betrage, und als er auf die Auskunft erwiderte: das wär' mir zu klein. Dominik sah schon vor sich, wie er ein mittleres Gut kaufte, es durch Fleiß und Bewirthschaftung höher hob und am Ende doch noch Ameile in ein Glück setzte, wie es ihr gehörte. Er war jetzt in der Stimmung, daß er auf die halbe Welt ein Anbot gethan hätte, so frisch ausgerüstet fühlte er sich. Fast vor seinem eigenen Muthe fliehend, ging er beim Beginn der Versteigerung davon, und immer wehmüthiger ward es ihm jetzt im Herzen, daß er mit jedem Schritt weiter weg von Ameile sei. Es fiel der erste Schnee, der aber alsbald wieder zerging, und der abgerissene Klang aus dem Liede zog Dominik durch den Sinn:
Berg und Thal, kalter Schnee –
Von Herzlieb scheiden und das thut weh.
Wann wird er den Weg wieder zurückkehren, freudig getrieben von lockender Glückseligkeit? Wenn nur Ameile nicht gar zu hoch über ihm stünde! Freilich, sie hat ein festes Herz, aber sie weiß doch noch nicht, was es heißen will, aus solch einem vollen Hause fortzugehen: der Milchkeller ist allzeit voll und es ist etwas Anderes, wenn man jeden Tropfen sparen muß; daheim ist die Mehltruhe, der Schmalztopf allzeit gefüllt, da heißt es nur: geh da geh dort hin und schöpf; wie aber dann, wenn's klein hergeht und wenn man nach dem was man braucht überallhin ausschicken muß? Wir wollen mit Lieb und Freud jeden Bissen salzen und schmalzen.
Ein guter Kamerad gesellte sich unversehens zu Dominik, der wußte die besten Herzensgedanken, und der Kamerad war das Lied, das er also vor sich hin sang:
Es steht ein Baum in Oesterreich
Der trägt Muskatenbluth,
Die erste Blume, die er trug
War Königs Töchterlein.
Dazu da kam ein junger Knab,
Der freit um Königs Tochter;
Er freit sie länger als sieben Jahr
Und kann sie nicht erfreien.
Laß ab, laß ab du junger Knab,
Du kannst mich nicht erfreien;
Ich bin viel höcher geboren denn du
Von Vater und auch von Mutter.
Bist du viel höcher geboren denn ich,
Vom Vater und auch von Mutter,
So bin ich dein Vaters gedingter Knecht
Und schwing dem Rößlein das Futter.
Bist du mein Vaters gedingter Knecht,
Und schwingst dem Rößlein das Futter,
So giebt dir mein Vater auch guten Lohn,
Daran laß dir genugen.
Der große Lohn und den er giebt,
Der wird mir viel zu sauer;
Wenn andre zum Schlafkämmerlein gehn,
So muß ich zu der Scheuer.
Des Nachts wohl um die Mitternacht,
Das Mägdlein begunnte zu trauern,
Sie nahm ihre Kleider in ihren Arm
Und ging wohl zu der Scheuer ...
Das war ein braves Lied. Dominik wußte wohl, es hat noch mehr »G'sätzle«, aber er
kannte sie nicht und erinnerte sich nur, daß der Knecht des Königs Schwiegersohn
wurde. Und was in alten Zeiten geschehen ist, kann auch wieder geschehen. Und wenn
Ameile auch »höcher ist denn er von Vater und auch von Mutter,« so ist sie doch keine
Königstochter und hat ihn gewiß mehr lieb als die von alten Zeiten. »Dich nehm' ich
und keinen Andern« das sind ihre Worte gewesen. Wenn's nicht wahr wär', hätt' man
kein Lied darauf gesetzt. Und Dominik sang die Verse aber- und abermals mit voller
Lust und heute hörte er nicht auf den Ruf der Gabelweihe, nicht auf das
In Jettingen erwachte er wieder plötzlich wie aus einem Traum, hier wo er gestern das Schwärzle eingestellt hatte, ließ er jetzt seine Habseligkeiten zurück und wanderte ledig nach seinem Geburtsorte. Er wollte nicht unterwegs Jedem Red und Antwort stehen, weil er seine Habe bei sich trug und jetzt fiel es ihm doch wieder schwer auf's Herz, daß er so Knall und Fall fortgeschickt war; er konnte ja nicht Jedem sagen, wie ganz anders sich das noch wenden müsse. Heute ließ er sich Zeit zu dem Weg nach Nellingen, und war er ihm gestern unbegreiflich lang erschienen, so däuchte er ihm heute ebenso unbegreiflich kurz. Er dachte sich aus, wie seine Mutter und Geschwister seine Rückkunft aufnehmen würden und wie er sich dabei verhalten solle, als er schon vor dem elterlichen Hause stand. Glücklicherweise war Niemand daheim als zwei kleine Bruderskinder und Dominik ging bald wieder fort und geraden Weges zu dem Hirzenbauer. Nach dem ersten Erstaunen und nachdem er mit auffallender Hast die verpfändete Denkmünze ausgelöst, erzählte er dem Hirzenbauer den ganzen Hergang. Der Hirzenbauer wollte nun seinem Spott über den Furchenbauer Luft machen, Dominik fiel ihm aber in's Wort indem er sagte:
»Redet nicht so von meinem Meister, ich darf das nicht mit anhören.«
»Ja so,« lachte der Hirzenbauer, »er wird ja dein Schwäher.«
»Nein, nein was ich dabei thun kann, soll mit Freuden geschehen. Was willst denn jetzt anfangen?«
»Wenn Ihr mich als Drescher brauchen könnet, wär' mir's recht.«
»Gut, das kann schon sein, und es mangelt uns grad ein Knecht, da kannst derweil aushelfen und bist auf dem Sprung wenn's auf dem Furchenhof losgeht, denn da geht's noch durcheinander.«
Als Dominik fortgehen wollte, sagte der Hirzenbauer:
»Wart ein bisle, ich geh mit dir. Ich will's deinen Leuten schon zu verstehen geben, daß du was hast, was du ihnen nicht sagen kannst und daß sie noch Ehr' an dir erleben. Die Schwägerin ist gar anfechtig, (reizbar) die meint gleich, du trägst ihr das halb Haus weg. Dein Mädle hat mir gestern wohl gefallen und die hat ganz das Ansehen dazu, die führt aus was sie will.«
Wie glückselig war Dominik als er mit dem Hirzenbauern durch das Dorf ging. Das war doch noch ein Ehrenmann, der sich eines Jeden annahm sei es wer es wolle, und der errieth wo es Einem fehlt, und wie brav war's, daß er an die Heirath mit Ameile so fest glaubte, und er wußte doch nicht einmal Alles was sie ihm heilig versprochen hatte.
Bei den Angehörigen des Dominik, die diesen nur mit halber Freude willkommen hießen,
wußte der Hirzenbauer Alles fein herzustellen. Man schien zufrieden und ihm zu
trauen, aber doch nur halb. Dominik sollte erst später erfahren warum. Das aber stand
Es ist keine Mutter so arm, sie hält ihr Kindlein warm, sagt ein gutes Sprüchwort, das zeigte sich auch an der Mutter des Dominik. Vor dem älteren Sohne und der Schwiegertochter zeigte sie ihre Liebe nicht, ja sie that auch wie die Anderen fast erzürnt über seine Rückkehr; als sie aber allein mit ihm war, öffnete sich ihr ganzes Mutterherz, das sich in den Worten aussprach:
»Und wenn du aus dem Zuchthaus kämst, du wärst doch mein liebstes Kind, du bist von kleinauf die beste Seele gewesen.«
Die Mutter wußte nicht anders, als Dominik habe sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht, sonst wäre er ja nicht so plötzlich gekommen und hätte nicht den Hirzenbauer zu seinem Fürsprech geholt. Dominik konnte der Mutter nicht sagen, was vorging, sie hatte ihm ja geklagt, daß sie das gestern erhaltene Geld der Söhnerin gezeigt und ihr habe geben müssen und er wußte wohl, daß sie noch weit weniger als Geld ein Geheimniß vor der Schwiegertochter bergen konnte, mit der sie doch scheinbar in stetem Unfrieden lebte. Die Mutter war redselig und da sie Niemand anders hatte als die Söhnerin, sprach sie mit ihr Alles aus. Jeden Tag war sie nun glücklich, denn Dominik war ehrerbietig und liebreich gegen sie, was sie schon lange nicht gewohnt war.
»Es geht uns grad wie den Hechingern. Ich bin vor Kurzem wieder dort gewesen. Ihr könnt euch gar nicht denken wie elend das Städtle jetzt dran ist. Früher hat's doch einen Glanz gehabt und seinen Fürsten und Alles, und jetzt können sie Blut schwitzen und haben nichts und sehen nichts. Der Hirzenbauer ist unser Fürst gewesen und jetzt wird Alles lauter Lumpen und unser Nellingen das elendeste Nest so weit man Hosen flickt.«
Dominik stand allein mit seinen Entgegnungen, er konnte den Bettelstolz, der an
Hartnäckigkeit keinem andern Stolz nachsteht, nicht besiegen; er wußte aber auch
keine Antwort auf den praktischen Vorhalt, wie beim nächsten Geschlecht, wenn der
Hirzenhof noch einmal verschnitzelt wäre, jeder Abkömmling Alles allein
bewirthschaften könne, dann hätten die armen Leute
In der Abendruhe saß Dominik jedesmal beim Hirzenbauer. Dieser hätte wohl ein Menschenverächter werden können, wenn seine Natur dazu angelegt gewesen wäre; er kannte genau die Lage in der er sich befand und wie die Menschen um ihn her ihm gesinnt waren, er glich einem mediatisirten Fürsten, dessen Herablassung kaum noch halb als solche angesehen wird. Er ließ sich dadurch nicht abhalten, seine Wohlmeinenheit in doppelter Macht Jedem kund zu geben, aber einen gewissen Spott konnte er manchmal nicht zurückhalten, daß man ihm verargte, weil er gethan, was recht und billig ist, und in diesem Bewußtsein beharrte er. Er erzählte Dominik, wie er im Testament angeordnet habe, daß der Boden nur bis zu einem gewissen Grade zertheilt werden solle, sei es so weit, so sollten die Uebrigen auswandern. Es war eine eigne Erregung, als Dominik einmal hierauf sagte:
»Jetzt das gefällt mir, so thät ich's auch machen und dabei blieb' ich.«
Der Klein-Rotteck verhehlte sich nicht, welch ein Widerspruch darin lag, daß er für künftige Zeiten eine Beschränkung heischte, die er jetzt aufhob; aber er wußte keinen andern Ausweg. »Man muß thun, was man in seiner Zeit für Recht hält: andere Zeiten können's wieder anders machen,« war sein Wahlspruch.
Schön ist der Baum mit seinen farbigen Blüthen, schön ist der Baum mit seinen
farbigen Früchten, aber schöner ist ein Tisch, daran Vater und Mutter sitzen
Auf dem Hirzenhof war ein anderes Leben als beim Furchenbauer, stattliche Schwiegertöchter, vollwangige Enkel gingen aus und ein und überall war ein schön gesättigtes Leben in Arbeit und Frohmuth.
Der Hirzenbauer bewahrte daheim und in seinem Werktagsgewande allzeit eine gewisse phlegmatische Ruhe, eine langsame Stetigkeit in Reden und Mienen und in allem Thun. Das lag nicht nur in seiner Natur, sondern auch bei allem Freimuth im Bewußtsein seiner höheren Stellung. Kleine Leute, denen kommt es zu, ein aufgeregtes, gehetztes, leidenschaftliches Leben zu haben; ein Großbauer muß allezeit mit eisenfester Gemessenheit zu Werk gehen; das schickt sich nicht anders für ihn, so verlangt es seine Würde.
Wenn hier auf dem Hirzenhof Etwas erörtert wurde, merkte man wohl die natürliche Oberherrlichkeit des Vaters, aber es kam nie zu tyrannischen Machtsprüchen, es gab nie ein lautes Wort.
Unserm Dominik erquickte das Reden und Thun des Hirzenbauern das Herz, und dennoch
erschien ihm wieder die Welt oft ganz verwirrt. Dort auf dem Furchenhof war
Zwietracht wegen ungetheilter Vererbung des Gutes, und hier schimpften die Leute im
Dorf, weil man das Gut zertheilt habe und der Bruder des Dominik wollte diesen auch
aufhetzen, mit ihm und
Vom Furchenhof verbreiteten sich plötzlich seltsame Gerüchte, die Einen sagten, der Furchenbauer habe den Alban so geschlagen, daß er am Tode läge; die Anderen sagten, Alban habe den Bruder erstochen. Es duldete Dominik nicht mehr länger in der Ferne.
Es war ein wunderlicher Geleitsspruch, den der Hirzenbauer dem Dominik zum Abschied mitgab, denn er sagte:
»Wenn du auf den Furchenhof kommst, tritt fest auf. So lang man Einen für gutmüthig
hält, trampelt ein Jedes auf ihm herum. Ich hab' dich in den Tagen neu kennen
gelernt. Glaub' mir, die Menschen kriegen erst Respekt vor Einem, wenn man ihnen die
Gurgel zusammenpreßt, daß sie nimmer schreien können.
Kaum acht Tage waren es, seit Dominik diesen Weg beschritten, als er wieder eilig auf demselben zurückkehrte. Er hatte nichts mitgenommen, als seine Denkmünze. Die Angst trieb ihn unaufhaltsam vor sich hin. Es überlief ihn heiß und kalt, wenn er sich ausdachte, was geschehen sein könnte, und einmal schlug er sich heftig auf die Stirn, als träfe er damit leibhaftig den Gedanken, der dort entsprungen war; denn es fuhr ihm durch den Sinn, ob nicht aus dem Unheil der Familie sein Heil erwachsen könne. Er wünschte einem Jedem Heil und Frieden, er wollte ihnen nur in der Wirrniß beistehen und machte sich jetzt Vorwürfe, daß er fortgegangen war, während er doch sah wie über dem Hause, dem er treu angehört, bös Wetter auf's Neue aufzog. Es ist ein alter Glaube: wenn man mit Fingern auf ein Gewitter weist, dann schlägt es ein. Hatte Dominik das gethan? Mitten in allem Bangen, Sorgen und Selbstanklagen durchflammte wieder die Liebe das Herz des Dominik, denn es ist eine sattsam bekannte Wahrnehmung, daß gerade mitten in den heftigsten Erschütterungen des Lebens oft die Seele am meisten nach Liebe lechzt. Dominik schärfte sich die Lippen und genoß im Voraus die Küsse, deren Süßigkeit er so lange entbehrt hatte. Und heftiger klopften seine Pulse und rascher gingen seine Schritte, er ging zwei Armen entgegen, die sich selig ausbreiten, um ihn an's Herz zu schließen.
Am selben Morgen, an dem Dominik den Furchenhof verlassen, war es im Hause wirr hergegangen. Natürlich konnte sich Ameile nicht am Fenster und nicht an der Thüre zeigen, denn sie saß im Stüble bei der Mutter und weinte, daß ihr die Augen schwollen, diese Augen, die sonst nur mit hellem Freudenglanz in die Welt hineinlachten. Der Vater hatte Ameile schon früh aus dem Gewahrsam geholt und es war ihm ein Leichtes, mit harten Worten und drohend aufgehobener Hand das Mädchen zusammen zu brechen, daß es auf den Boden sank. Der Vater ließ sie am Boden liegen und ging, die Hände auf dem Rücken übereinander gelegt, die Stube auf und ab; er fuhr fort, ihr Vergehen in heftigen Worten zu züchtigen und mit der Faust an die Wand schlagend verwünschte er sein Mißgeschick, das ihm lauter widerspenstige Kinder gegeben, die ihn in Schande und vor der Zeit unter den Boden bringen, aber er schwur, ihrer Meister zu werden. Als er jetzt auch gegen Dominik, »den Heuchler und Verführer, den meineidigen treulosen hergelaufenen Lumpenbuben« loszog, da sprang Ameile plötzlich auf, stellte sich fest vor den Vater hin und sagte:
»Vater, Ihr könnet mit mir machen was Ihr wollet, aber das leid' ich nicht; ja,
gucket mich nur so an, Ihr könnet mich todtschlagen, aber das leid' ich nicht, er ist
ehrlich und treu und rechtschaffen und er hat mich nicht verführt und wir können vor
Gott und
»Dein Dominik? Wart ich will dich dein Dominik –«
»Ja, das wird ein' Kunst sein, eine arme Tochter, die sich nicht wehren kann, zu schlagen. Die gut' Oberamtmännin die hat's geahnt, die hat nicht umsonst gestern aus heiler Haut zu mir gesagt: Mädle wenn du einmal Beistand brauchst, vergiß nicht wo ich bin. –«
Es dröhnte ein polternder Sturz an der Kammerthür und man hörte kein Wort mehr in der Stube. Die Mutter kam aus der Kammer, sie sah schnell was geschehen war, Ameile lag am Boden und der Vater saß am Tisch und hielt die geballte Faust auf demselben. Sie führte Ameile schnell in die Kammer und ließ nicht ab, bis sie sich auf das Bett setzte, dann eilte sie zu ihrem Mann und redete ihm mit klugen Worten zu, doch kein Aufsehen zu machen, man müsse die Sache vertuschen; reize er aber das Kind, so mache er's damit ja ärger, das Kind habe nichts mit dem Knecht, es sei nur eine alte Anhänglichkeit, das Kind sei gescheit und werde sich auch wenn etwas wahr sei, so eine Narrheit bald aus dem Kopf schlagen; mache man aber viel Wesens daraus und käme so etwas in der Leute Mund, so müßte man Ameile mehr als das doppelte Heirathgut geben, um sie an den rechten Mann zu bringen.
Diese Gründe leuchteten dem Furchenbauer wohl ein und er sagte nur noch: »Aber das Teufelsmädle will die Sach' selber an die große Glock' hängen und will Alles der Oberamtmännin berichten.«
»Nicht meine, sag' das nicht, es ist nicht meine.«
»Das wollen wir jetzt nicht ausmachen. Ameile!« rief sie laut, »geh' 'naus und thu Schmalz und Mehl 'raus und back Sträuble. Hurtig, mach voran, seit wann muß ich dir was zweimal sagen? Wasch' dir die Augen ab und laß dir vor den Mägden nichts merken. Sei brav und man hält dich brav.«
Der kindliche Gehorsam in der Wirthschaftlichkeit bewältigte den Kummer in dem sich
Ameile fast verzehren wollte: ihr Geliebter war aus dem Haus gejagt und sie selber
mißhandelt. Noch als sie am prasselnden Feuer stand, rann ihr manche Thräne über die
Wangen und sie sagte der Großmagd, daß heute der Rauch sie so sehr beiße. Mit Trauer
und Klage im Herzen buck sie den Festkuchen. Als ihr die boshafte Großmagd, die
Wasser geholt hatte, erzählte, wie sie den Dominik verhöhnt habe, der dagestanden
habe wie der Gott verlaß mich nicht, kam kein Laut der Erwiderung über Ameile's
Lippen; sie war der Großmagd
Alban kam mit freudiger Morgenfrische in die Küche, die Hinterhältigkeit des Bruders war ihm ganz aus dem Sinn gekommen. Alban hatte in aller Frühe geordnet und gewirthschaftet und es that ihm wohl, wieder im väterlichen Hause zu walten und die Freudenbezeigungen der Taglöhner und Dienstleute erhellten ihm das Gemüth. An Dominik dachte er kaum mehr, er war ein Knecht, er hatte ihn freilich besonders lieb und war ihm zu Dank verpflichtet, aber es ist doch nicht von besonderer Bedeutung, wenn ein Knecht aus dem Haus zieht. Das Herz, das lange der Freude entbehrte, wird oft so eigensüchtig, daß es sich jedes störende Begegniß gern ablenkt. Alban hörte den betrübten Ton nicht, in dem Ameile sagte, daß sie zur Feier seiner Ankunft Sträuble backe; er freute sich nur kindisch ob dieses Schmauses.
Dem Vater und der Mutter sagte er im Stüble mit heller Stimme »Guten Morgen,« und selbst der Vater nickte freundlich; er mochte wohl der Erschütterung gedenken, die er in der Nacht beim Horchen empfunden; auch hatte er heute schon Kummer genug gehabt, er durfte sich eine Freude wohl gönnen.
Bei dem Morgenschmause waren die Eltern und beiden Söhne äußerst wohlgemuth. Ameile trug ab und zu. Der Vater wollte sie jetzt zwingen, fröhlich zu sein und sich mit an den Tisch zu setzen, sie aber schützte allerlei Arbeit vor und als der Vater darob zornig werden wollte, sagte die Mutter nach dem Weggehen Ameile's:
Als man aufstand, bat die Mutter, daß ihr Alban noch ein wenig bei ihr sitzen bleibe und der Vater befahl es ihm ausdrücklich. Er machte seiner Frau gern eine Freude und heute besonders, er fühlte doch, daß sie ihn von manchem unüberlegten Aufbrausen abhielt und vielleicht gelingt ihr jetzt bei Alban, wovor ihm noch immer bangte.
»Gelt, du bist jetzt brav und hörst auf zu widerspensten?« sagte die Mutter mit freudig herzlichem Blicke.
»O Mutter!« rief Alban erregt. »Es giebt doch kein' größere Freud' auf der Welt als seinen Eltern Freud' machen. Wenn ich draußen in der Welt ein Lob bekommen hab' über Das und Jenes, hab' ich tausendmal denken müssen: Was nützt mich das Alles? Was thu ich mit eurem Lob und eurer Zufriedenheit? Das geht Alles in Wind auf, weil meine Eltern es nicht hören und sehen können, für die allein möcht' ich der rechtschaffenste und aller Orten gepriesene Mensch sein. Wenn's meine Eltern nicht hören und sehen, ist Alles nichts. Es hat den Schein gehabt, als wenn ich ungehorsam wär', aber jetzt erst seh ich's, ich bin nichts gewesen als ein verirrtes Kind im wilden Wald, das jammert und weint, und weint und ruft nach Vater und Mutter. Mir wär' am liebsten, ich thät jetzt sterben, daß Ihr und der Vater mit Freude an mich denken könntet.«
»Lieber Gott, ich hab's ja gar nicht gewußt, was du für ein Kind bist,« brachte endlich die Mutter hervor, und helle Freudenthränen rannen ihr über die Wangen.
Eine Weile waren die Beiden still, die heiligste Regung klang noch in ihnen aus; aber kein Leben, am mindesten das werkthätiger Menschen duldete eine solche in's Höchste versetzte Erhebung lange.
Die Hände in einander legend und ihren Sohn mit behaglichem Lächeln betrachtend sagte die Mutter endlich wieder:
»Du bist doch auch wie dein Vater, nur in anderer Art und bist besser geschult. Es
ist wunderig! Dein verstorbener Bruder ist der Einzige gewesen, der meiner Familie
nachgeartet ist, der ist grad gewesen wie mein Vater selig, von dem hat man auch sein
Lebtag kein laut Wörtle gehört. Dein Vater hat ihn oft
»Wie ich in den Krieg kommen bin –«
»Davon will ich nichts wissen. Wie ist dir's denn als Knecht ergangen?«
»Gut. Nur um Weihnachten war mir's am ärgsten –«
»Kann mir's denken, da hast rechtschaffen Jammer (Heimweh) gehabt?«
»Nein, nicht mehr als sonst, aber schrecklich ist mir's gewesen, daß ich mich hab' müssen beschenken lassen. Ich hätt' gern dem Meister die Schenkasche vor die Füß' geworfen und hab's doch nicht dürfen; er hat's gut gemeint. Und fürchterlich ist's, wie die Dienstboten gegen einander sind. Wenn Eines dem Andern das Leben recht sauer machen kann, ist's ihm ein Freud'.«
»Ihr Kinder und besonders du hast's uns ja nie glauben wollen, was für ein schlechtes Corps das ist, jetzt bist selber drunter gewesen, jetzt wirst uns Recht geben. Freu dich nur jetzt, daß du wieder Haussohn bist. Mach' nur, daß Alles mit Gutem ausgeht und laß die Kirch' im Dorf.«
»Ich thu was ich kann, Mutter! Ich laß mir da die Hand abhacken, eh ich eine Ungerechtigkeit leid'. Wenn nur der Vinzenz auch brav ist, redet mit ihm, mit mir brauchet Ihr nicht zu reden; er soll Euch sagen wie ich's im Vorschlag hab' und was er dazu will. Mir giebt er keinen Bescheid.«
Noch als Alban weggegangen war, ruhte ein Freudenglanz auf dem Angesichte der Mutter, als ob sie ihn noch vor sich sähe; in Aug und Mund ruhte ein stilles Lächeln, und die Hände faltend mit einem Blick nach oben ging sie an ihre Arbeit.
Auf dem Hofe war Niemand so vollauf glückselig wie die Mutter. In ihrer ruhig thätigen und leidenschaftslosen Natur glaubte sie auch nicht an die Leidenschaftlichkeit Anderer und die Erfahrung hatte sie belehrt, daß all das heftige Gethue nichts als verhetzte Sinnesweise, unnöthig und übertrieben sei; und eben dadurch weil sie nicht an die unbändige Heftigkeit der Menschen glaubte, hatte sie dieselbe oft bewältigt. Wenn ihr Mann oft in Wildheit gegen Kinder und Dienstboten zu rasen begann, konnte sie ihm sagen: »Christoph, das mußt nicht leiden, so darf dich der Hassard nicht übermannen,« und er wurde still und ruhig.
Es ist eine viel zu wenig beachtete Erfahrung, daß
Es war wieder ein neues rühriges Leben auf dem Furchenhof, Alban arbeitete rastlos vom Morgen bis in die Nacht und pfiff und sang allezeit. Jede Arbeit machte ihm jetzt doppelte Freude, er that sie nicht mehr als Knecht, sondern als freier Sohn des Hauses. Der Vater ließ ihn gewähren und schaute ihn oft mit Zufriedenheit an; er that als ob er es nicht wüßte, wenn Alban noch spät Abends oft zu Vreni auf den Hellberg ging; dieses Verhältniß schien ihm jetzt genehm. Je mehr sich Alban mit Vreni einließ, um so weniger konnte er den Hof beanspruchen; er mußte mit einer erklecklichen Auszahlung zufrieden sein und konnte damit nach Amerika auswandern, wenn er sich hier zu Land nicht in ein Häuslerleben schicken mag.
Auf dem Hellberg ging es allzeit lustig her. In dem Hause, wo man die Kartoffeln
zählte, ehe man sie an's Feuer stellte, sah doch Jedes wohlgenährt und munter aus.
Das machte die Freude, denn hier war
Zwischen hinein erzählte die Obedfüchti allerlei lustige Streiche aus alten Zeiten, wie er einst eine tüchtige Zeche bei einem Wirthe angetrunken und als er nicht bezahlen konnte eine Ohrfeige erhielt, worauf sie ruhig antwortete: »So gut ist mir's noch nie gangen, hab' kein Geld gehabt und doch noch was heraus bekommen.« Der Wirth lachte darob so sehr, daß er aufs Neue einschenkte. Eine Hauptgeschichte erzählte die Obedfüchti aber stets unter neuem Lachen. Er war einst im Sommer nach Klurrenbühl auf den dortigen Hof gekommen, als eben Sträuble gebacken wurden; er bat auch darum, wurde schnöde abgewiesen und ging; da sah er ein Kind neben einem Weiher sitzen, schnell tunkt er es in's Wasser und trägt es als vom Tode gerettet in das Haus. Nun wurde er reichlich beschenkt und ging nie mehr leer aus, so oft er kam.
An längst genossenem Wein und Leckerbissen erlabte sich noch das alte Männchen und
seine Zuhörer zehrten mit. In diesem Hause, wo das tägliche Leben so wenig
Der Nagelschmied sprach manchmal mit Alban über das Zerwürfniß mit dem Vater. Er war
klug und fest, denn er vermied jeden Schein, als ob er Alban aufhetze, und Alban war
stolz und eigenwillig genug, daß dieß gerade das Gegentheil hervorgebracht hätte. Der
Nagelschmied hatte daher nur allerlei unhaltbare Einwände gegen den Plan Albans
vorzubringen und ließ sich gern von ihm widerlegen; daneben wußte er aber ernste
Andeutungen zu geben, daß er mit seiner Tochter Vreni nicht spielen lasse und daß er
sein Leben an den wage, der mit der Krone seines Hauses leichtfertigen Scherz treiben
wolle oder gar sie verunehre; er wiederholte stets, daß er Alban nicht damit meine,
daß er zu ihm alles Vertrauen hege, er wußte ihm aber dabei immer deutlich zu machen,
daß der arme Mann
Nächsten Montag war der Vater siebzig Jahre alt. Am Samstag Morgen wurde Alban in
aller Frühe mit den beiden Fuchsen nach Siebenhöfen geschickt, um die kleine Tochter
des verstorbenen Schmalzgrafen zu holen; auf dem Rückweg sollte er Abends in der
Stadt die Ankunft des Eilwagens abwarten, mit dem der Bruder des Furchenbauern, der
Dekan im Oberlande war, kommen sollte. Mit dem einzigen Bruder und dem einzigen Enkel
des Vaters sollte Alban dann zurückkehren. Die letzte Entscheidung nahte. Der Vater
schien dazu Alles was ihm angehörte um sich versammeln und feierlich mit der Welt
abschließen zu wollen. Alban war es trotz aller innern Entschiedenheit schwer zu
Muthe auf dieser Fahrt. Vinzenz war ihm immerdar ausgewichen und hatte ihm nie einen
richtigen Bescheid auf seinen in der ersten Nacht gestellten Vorschlag gegeben. Alban
fand keinen Schlaf mehr neben dem Bruder, der verstockt und wortlos blieb; theils um
doch Schlaf zu finden, theils auch aus innerer Furcht, daß er sich einmal im Grimm an
seinem Bruder vergreife, hatte sich Alban nun in der Stallkammer das Bett des Dominik
zum Lager gewählt und schließlich hatte das auch noch den besonderen Vortheil, daß
man ihm seine Ausflüge nach dem Hellberge und
»Das ist grad nicht nöthig, daß du in der Knechtskammer schläfst, bleib' du nur bei deinem Bruder, und wenn er dir was hinterwärts gegen mich einfädeln will, sag' ihm nur: es gilt Alles nichts als was Ich festsetz', das allein hat Bestand.«
Hatte Vinzenz dem Vater die erste Unterredung verrathen? Alban konnte nicht klug daraus werden. Er blieb aber jetzt um so mehr bei seinem Nachtlager, und um den Greif nicht zum Lärm zu bringen, ließ er einen Laden im Heuschuppen nach der Feldseite offen und schlüpfte durch denselben allabendlich herein. Im eigenen elterlichen Hause hatte er einen verborgenen Eingang. Jetzt im Fahren gedachte er, wie fremd er doch eigentlich noch im Elternhause war.
Als er in der Ferne am Eichhof vorbeifuhr, wo er vor anderthalb Jahren um die Wittwe
gefreit, erwachten in ihm wieder Scham und Trotz von damals, und doch konnte er sich
des Gedankens nicht erwehren, wie ausgeglichen und friedlich Alles wäre, wenn er hier
oben bauern würde, vielleicht hielt er jetzt schon ein eigen Kind auf dem Arm ...
Alban liebte trotz alledem die Vreni vom Hellberg innig und aufrichtig;
In Siebenhöfen wurde Alban herzlich bewillkommt. Man glückwünschte ihm zur baldigen Uebernahme des Hofes und empfahl ihm reiche Bauerntöchter aus der Nähe zur Auswahl. Alban widersprach in Nichts; er wollte den Leuten nicht sagen, wie es noch ungewiß sei, ob er in den Erbgang trete; dieß schien hier ausgemacht und fraglos. Alban wollte fast selber daran glauben, denn eine Zuversicht von außen, so wenig begründet sie dem Hörer auch erscheint, hat doch immer etwas so Einschmeichelndes und Anmuthendes, daß sie sich unvermuthet in der Seele festsetzt und alle Zweifel der eigenen besseren Erkenntniß überdeckt. Alban genoß harmlos die Ehre des Hoferben. Wer weiß, ob es nicht zum Letztenmal ist, daß er sich ihrer erfreuen darf.
Die Mutter hatte Recht: hier im Gäu ging Alles viel bedachtsamer und stetiger her, der Menschen Thun und Reden war gelassener und nicht so laut wie daheim.
Hätte die Eichbäuerin heute gesehen, wie sorgsam und innig Alban um sein Bruderskind
bedacht war, sie hätte ihn nicht mehr der Hartherzigkeit geziehen. Als Alban mit der
kaum eilfjährigen Amrei (Anna Marie) davon fuhr, war er voll Entzücken; jedes Wort,
das das Kind sprach, erquickte ihm das Herz und ein lang nicht gekanntes Lächeln
ruhte beständig auf seinem
Der Dekan war ein Mann, der nichts übereilte, Alban hielt schon die Zügel der angespannten Pferde in der Hand, als der Dekan noch gemächlich seinen Schoppen trank und dazu die mit ihm angekommene Landeszeitung las.
Beim Aufsteigen gab es zwei saure Gesichter, ein altes und ein junges. Das Kind
weinte, weil es allein bei dem Pfarrer sitzen sollte, es wollte zu Alban und dieser
mußte sich nun mit auf den gemeinschaftlichen Sitz einzwängen; er setzte sich indeß
so auf die Kante, daß der Oheim Platz genug hatte. Das Kind saß zwischen ihnen. Im
Fahren verschwindet bald jede anfängliche Ungemächlichkeit, man richtet sich allmälig
ein und merkt zuletzt, daß Jedes noch genugsam Raum inne hat. Der Dekan, der stets
die Hände gefaltet auf der Brust hielt, war ein wohlwollender und behaglicher Mann.
Er sprach mit seinem Neffen von dessen vormaligem Leben in der Ackerbauschule, er war
selber ein eifriger Landwirth und machte Versuche mit Tabaksbau und Seidenzucht; dann
ließ er sich von Alban von den Freischärlerzeiten und dem Leben in Reichenbach
erzählen. Erst nachdem dieses ordnungsmäßig abgethan war, wobei sie oft von
Anrufungen des Kindes unterbrochen
Als Alban berichtete, daß er noch immer aus dem Erbgang gestoßen werden solle, als er die ganze Wirrniß auseinander zu haspeln suchte und zuletzt damit schloß, wie er darauf bestehe, daß Alles zu gleichen Theilen getheilt werde, sagte der Dekan ohne eine Miene zu verziehen und ohne die Finger auseinander zu falten:
»Dann hab' ich auch noch Ansprüche und der Gipsmüller auch; unsere Abfindung beruht nur darauf, daß das Gut beieinander bleibt; wird es getheilt, gehört es gar nicht mehr deinem Vater allein.«
»Wie soll's denn aber gemacht werden?« frug Alban, der von dieser Rede ganz verwirrt wurde, und der Dekan erwiderte lächelnd:
»Wie's Recht ist. Kannst ruhig sein, ich verlang' in keinem Fall etwas und der Gipsmüller wohl auch nicht! Aber ruhig muß Alles gehen. Friede und Duldsamkeit! Mußt nicht gleich glauben, wenn Einer was anders will als du, das sei schlecht; es hat ein Jedes seinen eigenen Weg. Darum nur Friede!«
»O lieber Gott! Ja, den stiftet,« rief Alban inbrünstig mit lauter Stimme aus, und der Dekan befahl ihm, sich auch in seiner Friedensanrufung zu mäßigen, man könne Alles in der Welt viel besser mit leisen Worten beilegen.
»Ich will mein Leben lang für Euch beten, wenn Ihr mir beistehet.«
»Ich bete selber für mich und ich stehe nur dem Rechten bei, keiner Person,« entgegnete der Dekan.
In Reichenbach hielt man an, hier mußte der Dekan auf länger einsprechen, er war hier vor Jahren Pfarrer gewesen.
Es war schon mehrere Stunden Nacht als man nach dem Furchenhofe fuhr, das Kind schlief und schmiegte sich traulich an Alban; er hatte Mühe die Pferde zu lenken ohne das Kind zu wecken. Alban und der Dekan sprachen fast gar nicht.
Als man auf dem Furchenhof ankam, war große Bewegung. Der Vater eilte dem Bruder mit einem Stuhl entgegen und reichte ihm die Hand, der Gipsmüller stand hinter ihm. Die Mutter umhalste ihr Enkelchen und weckte es mit Küssen, Ameile trug das noch halb Schlaftrunkene nach dem Hause.
In der Stube war heute Abend eine feierliche Weihestimmung, und selbst die Knechte
und Mägde im Hofe
Am Sonntagmorgen wurde den Pferden das neue Geschirr angelegt, und die Menschen zeigten sich alle in ihren besten Kleidern. In zwei Wagen fuhr die ganze Familie nach der über eine Stunde entfernten Kirche; neben Vinzenz saß die Mutter, hinter ihnen der Oheim Dekan und der Vater, Alban hatte Ameile und die kleine Amrei bei sich. Die ganze Familie außer Amrei war noch nüchtern, denn man ging heute zur Communion. Die Häusler, die bald da bald dort den Wiesenweg von einsamen Gehöften herabkamen, grüßten ehrerbietig, und der Furchenbauer dankte ernst dem Gruß, der seinem geistlichen Bruder galt. Die Fußgänger schauten der stattlichen Auffahrt noch lange verwundert nach und redeten allerlei darüber. In der Kirche verrichtete der Dekan das Meßamt und reichte den Seinen das Abendmahl.
Eine festtäglich gehobene Kirchenstimmung brachte
»Ameile, wenn ich sterbe, so will ich dir's gesagt haben, daß ich dem Dominik gegen vierhundert Gulden schuldig bin und er hat nichts Schriftliches von mir.«
Ameile wollte den Bruder ob solcher Rede auslachen, aber er wehrte ihr, er sagte zwar, solche Todesgedanken seien närrisch, aber es sei ihm so schwer im Herzen und er habe sich nun doch erleichtert, daß noch Jemand von seiner Schuld an Dominik wisse, er wolle das auch der Mutter mittheilen.
Woher kam Alban diese Todesahnung? Ein Volksglaube sagt: wer ein umwandelndes Gespenst, einen Geist erlöst, muß bald sterben. Hat Alban den Geist der Gerechtigkeit erlöst und muß er darob sterben? Ist es ein nothwendiges Gesetz der Menschengeschichte im großen wie im kleinen Leben, daß die einseitig hingegebenen Vertreter eines unterdrückten Rechtsgedankens auch dessen Märtyrer werden müssen? ...
Am Abend wallfahrteten alle Hausbewohner nach dem »Käppele,« der Dekan sprach dort den üblichen Abendsegen.
Der Gipsmüller mit seinen Töchtern war auch herbeigekommen und nun war große
Familienzusammenkunft in der Stube. Ein Jedes lauschte nur auf die Worte des Dekans,
der, dem Scherze nicht abhold,
Der Dekan kannte die alte Geschichte der Familie und wußte besonders viel zu erzählen von jenem Urahn, der auch Alban hieß und der durch Klugheit und Nachgiebigkeit den Hellberger Hof und den Kandelhof – so hieß ehedem das Furchengut – mit einander vereinigte. Dieser Urahn hatte am Michelstag einen mit zwei Pferden bespannten Pflug rings um das Gut geführt und hatte dabei stets die Sonne im Angesicht und ohne zu rasten kam er erst mit sinkender Nacht wieder auf der Ausgangsstelle an. Von jener Zeit hatte das Gut den Beinamen: von der langen Furche.
Der Dekan erzählte noch, daß das Geschlecht der Feilenhauer vor Zeiten Feigenhauer geheißen habe und adelig gewesen sei.
Der alte Furchenbauer schmunzelte, aber zum Staunen Aller sagte Alban:
»Und die Vorfahren dieser Adeligen sind doch auch wieder Bürgerliche gewesen; drum bleiben wir gleich dabei.«
Man ging früh auseinander, denn man wollte morgen mit Tagesanbruch den Feldumgang
halten. Der Gipsmüller hatte Abhaltungen, wegen deren er nicht
Als Alban dem Oheim Dekan die Hand reichte und ihm eine »ruhsame Nacht« wünschte, erschrack er fast, da der Geistliche vor Allen ohne Scheu sagte:
»Nun schlaf heut noch gut und mach' dich recht rein im Gewissen, denn morgen Nacht gehst du als Furchenbauer zu Bett.«
War der Ohm Dekan auf seiner Seite? Das hatte er nimmer gedacht. Heute zum Erstenmal
ging Alban nicht nach dem Hellberg und doch fand er lange keine Ruhe. In stiller
Nacht kam die Versuchung über ihn. Er war der Erstgeborne, er trat in den Erbgang:
warum sollte es ein Unrecht sein, wenn er den Hof zu geringem Preis annahm und sich
erlabte am reichen übermächtigen Besitz? Er konnte den Geschwistern später schenken
was er wollte. Er nahm sich fest vor, das zu thun, er feilschte mit sich selber über
die Summen, die er dafür festsetzen wollte, er konnte nicht einig mit sich werden und
blieb am Ende dabei, Zeit und Maß seiner Leistungen an die Geschwister nach seinem
Gutdünken und nach dem Erträgniß guter Jahrgänge zu bestimmen. Dabei wollte er
bleiben und ruhig schlafen, aber er fand keine Ruhe und plötzlich sprang er aus dem
Bett, faßte das Gesangbuch, das er noch vom Kirchgange bei sich hatte und es in
beiden Händen haltend sprach er laut: »Vor Gott und meinem eigenen Gewissen schwör'
ich's: ich will kein unrecht Gut. Ich gebe meinen Geschwistern den vollen Theil des
Erbes, den ganzen, ohne Vorbehalt und vor aller Welt. Du,
Jetzt erst fand Alban den Schlaf, der ihn Hoffnung und Qual vergessen machte.
Während Alban nach dem Selbstgelöbniß die ersehnte Ruhe fand, war drin im Hause heftige Zwiesprache und Unruhe.
Der Dekan schlief im Leibgedingstüble der verstorbenen Eltern. Als ihn der Furchenbauer dahin geleitete, sagte er:
»Das versteh' ich nicht. Der Herr Dekan – der Furchenbauer redete mit seinem Bruder stets in der dritten Person – spricht von Frieden und Verträglichkeit und hetzt das eigene Kind gegen den Vater auf.«
»Wie thu' ich denn das?«
»In meinem Verstand heißt das aufgehetzt, wenn man dem Alban sagt, er sei der Lehnhold und er sei morgen Nacht Furchenbauer, und das wird er mit meinem Willen nie, und ich habe dem Herrn Dekan schon gesagt, warum ich den Vinzenz einsetzen muß.«
»Die Sünde an dem Einen wird dadurch nicht gut gemacht, daß man eine Sünde an dem Andern thut.«
»So soll ich also meineidig werden?«
»Davor bewahre uns Gott. Für ein ungerechtes Versprechen kann Der Buße thun, der es gegeben hat. Der Alban soll dann etwas mehr hergeben, daß du dem Vinzenz eine Versorgung kaufen kannst.«
»Drum komm' ihm zuvor und theil' selbst.«
»Das kann der Dekan nicht ernst meinen, er ist ja Keiner von den Revoluzern nie gewesen. Das wär' ja gegen alle rechtschaffene Ordnung.«
»Setz' dich, ich will dir was erzählen,« sagte der Dekan und setzte sich selbst
nieder. »Hör' zu: vor Jahren ist ein Mann zu einem Pfarrer in die Beichte gekommen,
der nicht aus seinem Ort war, die Stimme war kräftig, etwas stolz im Ton, und viele
Jahre ist der Mann immer wieder gekommen und hat immer dasselbe gebeichtet: ich leb'
mit meiner Frau in Fried' und Einigkeit, aber wenn sie mir das glückseligste
Geheimniß anvertraut, gehen wir immer Beide umher wie zwei junge Leute, die sich
verfehlt haben, und ich wünsche den Tod des Kindes noch bevor es geboren ist, und
wenn es geboren ist und größer geworden, da zerreißt es mir das Herz, weil ich nicht
weiß, welches Kind mir am wenigsten wehe thäte, wenn es stürbe. Mein Weib findet sich
bälder darein, sie nimmt es als eine Schickung Gottes auf sich, mich aber verläßt der
Gedanke nicht und ich kann nicht ruhen und nicht rasten und ich habe Gott gebeten, er
soll mir die große Kinderzahl abnehmen und es ist geschehen und jetzt ist doch mein
Herz schwer ob dieser Sünde.« »Und warum hast du einem jungen Leben den Tod
gewünscht?« »Damit
Wie vom Blitz getroffen fuhr der Bauer empor, da der Dekan sich plötzlich erhoben hatte und seine Hand mit schwerem Schlag ihm auf die Schulter legte. Schnell aber ermannte er sich, und allen Respekt bei Seite setzend rief er:
»Ist das recht, daß du ein Beichtgeheimniß so verrathest?«
»Mit dir allein darf ich so reden, und ich muß es – weil du noch in der alten Sünde bist. Du willst das eine Kind am Lebensgute tödten, um das andere damit zu bereichern. Folgtest du dem Zwange des Erbganges, du könntest dich vielleicht freisprechen, die Schuld liegt hinter dir in alten Zeiten. Jetzt aber willst du neues Unrecht pflanzen. Das dulde ich nicht. Ich ziehe meine Hand ab von deinem Thun. Entweder setzest du Alban ein, oder du theilst. Bleibst du bei deinem Vorhaben, so schüttle ich den Staub von den Füßen und ziehe wieder dahin, von wannen ich gekommen.«
Der Furchenbauer hatte noch allerlei Einwände und besonders über Einen wurde der
Dekan auf's Aeußerste aufgebracht, indem der Bauer erklärte, daß er am Tode
Der Dekan faßte nochmals in neu gesammelter Ruhe alle die sittlichen Bedingungen zusammen, die hier in Frage stehen, dann ging er auf die praktischen Bedenken über. Der Furchenbauer beharrte dabei, daß er auch ohne die Beschädigung des Vinzenz diesen doch einsetzen würde, denn Alban sei von Haus aus begabter und könne sich leicht forthelfen. Als ihm aber der Bruder erklärte, wie es gegen alles Recht und Herkommen sei, daß ein Beschädigter Lehnhold werde, das geschehe nie, so wenig ein mangelhafter Mensch eine Krone erben dürfe – da stutzte der Furchenbauer. Endlich preßte er das Geständniß hervor, er möchte wohl nachgeben und Alban einsetzen, aber Vinzenz habe ihn in der Hand und werde seine letzten Lebenstage noch der Schande preisgeben. An diesen Ausspruch hielt sich nun der Dekan und redete dem Bruder noch in mildester Weise zu.
Wie ganz anders erwachte Alban. Eine innere Beseligung durchströmte sein ganzes Sein und er trat in die gewohnte Welt mit geweihtem prophetengleich geklärtem Herzen.
Der Oheim Dekan war unwohl und erklärte den Markungsumgang nicht mitmachen zu können; der Vater und Vinzenz standen indeß dazu bereit und gewaffnet, denn Jeder trug im linken Arme die übliche Handaxt, auch Alban mußte sich eine solche holen, und als er damit wiederkam, hieß ihn der Vater den Quersack aufnehmen, der auf der einen Seite Speisen, auf der andern mehrere gefüllte Weinkrüge enthielt. Alban wußte nicht, ob das Tragen des Mundvorraths eine Pflicht des Lehnholden oder des Abgefundenen war.
Alles hatte heute wieder etwas eigentümlich Feierliches und Ceremonielles. Der Vater reichte der Frau und Ameile die Hand zum Abschiede, und als er dem Dekan die Hand reichte, hielt dieser sie fest, legte die Linke auf die Schulter des Bruders und sagte:
Die Zurückgebliebenen standen unter der Thür und schauten den Weggehenden nach; aber schon im Hofe gab es einen kleinen Aufhalt. Vinzenz wollte seinen Hund, den Greif, mitnehmen; der Vater wehrte ihm das streng und er mußte etwas Verwunderliches und Herausforderndes im Blicke Albans bemerkt haben, denn er sagte zu diesem gewendet:
»Wer im Herzen spottet über das was heute geschieht, der ist ein schandbarer Mensch, vor Gott und der Welt verdammt. Unsre Väter und Urahnen haben's so gehalten, und das ist heiliger Brauch.«
Unter dem Hofthor stand der Furchenbauer noch einmal verschnaufend still, er mochte denken, daß er zum Letztenmal hier als Herr und Meister stand; wenn er wiederkehrte, gehörte das Alles einem Andern. Mit dem grünen Maien auf dem Hut wird am Abend ein Jüngerer als Meister hier eintreten.
Wer wird es sein?
Man ging von Sonnenaufgang nach Untergang, schweigend bis zum ersten Marksteine. Dort hielt der Vater an, nahm ein Brod, zerschnitt es in drei Stücke, aß zuerst von dem einen und reichte dann die beiden anderen den Söhnen. Alban erhielt das erste Stück aus seiner Hand. Jetzt füllte der Vater ein Glas, schüttete daraus zuerst ein wenig auf den Markstein und trank; dann reichte er es zuerst Vinzenz, dieser trank, gab das Glas in die Hand Albans, der auf den Wink des Vaters den Rest austrank.
Der Vater schlug mit dem Haus (breiten Rücken) des Beiles dreimal auf den Markstein, die beiden Söhne mußten das Gleiche thun und der Vater sprach:
»Keine Gnade finde Der bei Gott, der diesen Markstein verrückt.«
Der Vater stieß das Messer, mit dem er das Brod geschnitten, dreimal in den Boden und sagte, als er es zum Letztenmal herauszog, halb vor sich hin:
»Rein ist das Wasser, rein ist der Boden und schärft den Stahl.«
Man schritt weiter. Alban schauderte es im Innern.
Auf dem zweiten Markstein saß ein Rabe und sah den Ankommenden ruhig entgegen. Der Vater winkte aufscheuchend mit der Hand, aber nach Art dieser kecken Thiere, die alsbald merken, wenn man waffenlos gegen sie ist, blieb der Rabe ruhig sitzen. Vinzenz bückte sich und hob eine Scholle auf; aber der Vater hielt ihm den Arm, indem er sagte:
»Man darf nach einem Raben nicht mit Ackererde werfen.«
Erst als man ganz nahe war, flog der Rabe kreischend davon. Dieselbe Weihehandlung wiederholte sich hier, nur sprach der Vater beim Aufstehen keine Verwünschung mehr aus, vielmehr brockelte er Brod ringsumher auf den Boden und sagte dabei:
»Das ist für die hungrigen Vögel in Feld und
Der dritte Markstein war am Waldessaum. Der Vater setzte sich auf den Stein und befahl den Söhnen: »Holt Wanderstäbe!« Sie eilten in das Dickicht und bald hörte man es knacken. Alban war der Erste, der wieder zurück kehrte, und im Angesichte des Vaters zuckte es seltsam, da ihm Alban einen abgezweigten Schwarzdornstock übergab und dann wieder in das Dickicht ging, um sich selbst einen zu holen. Vinzenz brachte zwei noch mit den Zweigen behangene Stöcke; der Vater befahl ihm, einen wegzuwerfen und einen für sich zu behalten. Als nun auch Alban mit seinem Stocke wiederkam, erhob sich der Vater und rief in gebieterischer Haltung:
»Zerbrecht Eure Stöcke!« Vinzenz schaute den Vater verwundert an, der Stock Albans knackte und bald darauf auch der des Vinzenz und der Vater rief wieder:
»Werft die Splitter weg!« Es geschah, und der Vater fuhr fort, seinen Stab erhebend:
»Seht, ich allein halte den Stab, ich allein habe Macht über euch und ihr müßt mir
gehorsam und unterthänig sein in Allem.« Vinzenz rief laut »Ja,« und gegen ihn
gewendet sprach der Vater: »Ihr habt nicht zu antworten und ich hab' euch nicht zu
fragen. Von Gott eingesetzt ist es, daß das Kind nach dem Willen des Vaters thue,
ohne Widerrede; und so ist es treu und fromm von Alters her in unserer Familie
gehalten, und darum stehen wir unter den Ersten im Lande.« Mit erleichtertem
In der That schien sich der Furchenbauer erst jetzt leicht und frei zu fühlen, er schritt an dem frisch geschnittenen Stabe behend dahin; der Waldweg war breit, seine beiden Söhne gingen neben ihm, Vinzenz war zur Linken, sein blindes Auge stets an der Seite des Vaters. Dieser erzählte abermals die Geschichte von dem Urahn, der die Furche um sein Gut gezogen und ihm den Namen gegeben. Im Walde waren viele Menschen, Männer, Weiber und Kinder, die Dürrholz rafften, denn am Montag übten sie von Alters her diese Gerechtsame. Jedes dem man begegnete, erhielt nach alter Sitte Wein und Brod und die Kinder sogar kleine Münze. Im Walde jauchzte und jubelte es von allen Seiten und der Tag hellte sich auf. Der Vater sagte, daß nun die Uebergabe des Gutes überall besprochen werde. Er wendete sich mit seinen Worten jetzt vorherrschend und besonders freundlich an Alban und plauderte von allerlei.
Es war schon gegen Abend, als man am Markstein unweit des Felsens, den man des Geigerle's Lotterbett nennt, wieder den üblichen Halt machte. Drunten rauschte der Waldbach und der Vater fragte jetzt Alban geradezu:
»Jetzt sag' einmal: wie thätest du denn das Gut übernehmen?«
»Zehnfach so hoch als es bis jetzt geschätzt ist, aber ich will –«
»Man kann den Wald am Kugelberg schlagen und –«
»So? So fangen die rechten Lumpen an, der Wald muß büßen, was der Acker nicht vermag. Was die Voreltern aufgespart haben, kommt unter die Axt. Am Wald sich versündigen ist das Schlechteste. Du willst gescheit sein und hast kein Loth Verstand. Wenn ein Bauer keinen Wald mehr hat, hat er keinen Anhalt mehr. Drum hab' ich ihn auch geschont wie meine Vorfahren auch. Du thätest es dahin bringen, daß du kein' eigene Tanne mehr hättest, aus der man dir eine Bahre machen kann. Siehst jetzt ein, daß ich Recht hab'? Siehst ein?«
»Wenn meine Geschwister lieber baar Geld wollen – es ist ein Käufer für den Hellberger Hof da.«
»So? Hast schon einen?«
»Ja, der Graf Sabelsberg hat mit mir davon gesprochen –«
»Von meinem Ablösungsgeld? O du bist ein vermaledeiter Bub. Eh ich das zugeb', laß
ich mir lieber ein Glied vom Leib abhacken. Mein Gut laß ich nicht verreißen, nie,
nie. Sag jetzt gradaus. Guck mich nicht so an, Vinzenz, ich kann machen, was ich
will, ich hab' den Stab in der Hand; da komm her, Alban, versprichst du mir in die
Hand hinein, des Nagelschmieds Vreni laufen zu lassen und dir eine rechtschaffene
Frau
»Ich mein'« –
»Nichts, nichts, kein ander Wort, Ja oder Nein. Willst du jetzt das Maul aufthun, oder soll ich dir alle Zähn' in Rachen schlagen?«
»Ich kann nicht, Vater.«
»Gut, dabei bleibt's. Du hast gesehen, ich hab's gut mit dir gemeint, jetzt ist's vorbei, aus und vorbei, oder ich will verdammt sein auf ewig, hier und dort. Komm her, Vinzenz.« Der Vater stand auf, mit zitternder Hand brach er einen Zweig von einer Tanne, nahm dem Vinzenz den Hut ab, steckte den Zweig darauf, setzte ihm den Hut wieder auf's Haupt, reichte ihm die Hand und sagte: »Du bist der Furchenbauer und dabei bleibt's so wahr mir Gott helfe. Alban, du sollst nicht zu kurz kommen, dafür laß nur mich sorgen und sei folgsam. Sei der Erste, der deinem Bruder Glück und Segen wünscht und er soll allezeit brüderlich an dir handeln.«
Alban schaute starr vor sich nieder, jetzt erhob er sein Antlitz, wilde Raserei flammte daraus.
»Ich leid's nicht,« rief er, »ich leid's nicht,« und riß dem Vinzenz den Zweig vom Hute. »Es giebt noch eine Gerechtigkeit. Die Gerichte sollen entscheiden. Das Gut muß und muß getheilt werden.«
Der Furchenbauer war wunderbar ruhig, seine Züge waren eisenstarr, er bückte sich
selbst, hob den Hut auf,
»Kommet heim. Oder Alban willst du gleich von hier aus zu Amt? Ich steh' dir nicht im Weg. Ich hab' dir nichts zu befehlen. Du willst mein Kind nicht sein, ich bin dein Vater nicht. Die Gerichte nehmen sich deiner an; und dort werden wir uns sehen. Was hat das Geländer gethan, daß du mit dem Beil darauf loshaust? Hau da zu, da, da ist mein alter Kopf. Komm, Vinzenz.«
Der Vater ging mit Vinzenz davon. Als Alban seine Axt aus dem Balken zog, der querliegend am Rande des Felsweges als Geländer befestigt war, kollerte der Balken krachend und knisternd den jähen Fels hinab und klatschte drunten im schäumenden Waldbach auf. Alban schaute nur eine Minute hinab in den Tobel und beugte sich hinaus, er konnte mit der Hand den Wipfel einer hohen Tanne fassen, die drunten im Thale steht, der Bach war bald sichtbar, bald verschwand er unter vorspringenden Felsen. Alban war's, als müsse er sich hinab stürzen, und wieder, als zöge ihn eine Hand zurück, richtete er sich auf und folgte dem Vater und dem Bruder hintendrein. Er kam sich verlassen und verloren vor in der weiten Welt, und doch konnte er nicht anders und willenlos folgte er dem Schritte des Vaters; er war an seine Macht gebannt.
Alban drängte sich an die Seite des Vaters und dieser schritt machtvoll und fest zwischen seinen beiden Söhnen dem Hause zu. Er dankte kaum dem Gruße seiner Dienstleute.
Der Furchenbauer hackte seine Handaxt in die Thürpfoste, daß die Wand dröhnte, dann ging er hinein in's Haus. Die Mutter und Ameile standen in der Küche am prasselnden Feuer, sie bereiteten das Festmahl, das dem heutigen Tag sich ziemte. Der Vater ging ohne Gruß an ihnen vorüber nach der Stube. Dort saß der Gipsmüller mit seinen Töchtern beim Dekan, die Mutter kam hinter Vinzenz drein, sie mußte hören was vorging. Sie hörte es nur allzubald, denn der Bauer war rasend ob des widerspenstigen Sohnes. Niemand wagte zu widersprechen außer dem Dekan. Ameile trug das Essen auf. Man setzte sich dazu nieder, aber es däuchte Allen eher ein Leichenmahl denn ein Freudenfest.
Alban war nicht zu Tisch gekommen, er hatte sich gleich nach der Stallkammer begeben, die Mutter hatte nach ihm geschickt, ja sie war selbst bei ihm gewesen, aber er gab Niemand eine Antwort, sondern saß, das Antlitz mit den Händen bedeckt, auf dem Bett.
»Nichts da, keine guten Worte, ich ruf' ihn und ich will sehen, ob er mir folgt oder nicht.« Er öffnete das Fenster und rief in den Hof hinab:
»Alban, komm gleich 'rauf, Ich ruf' dich!«
Kaum eine Minute verging und Alban trat in die Stube. Das Licht mochte ihn blenden, denn er rieb sich die Augen, alle Röthe war von seinen Wangen gewichen, sein Antlitz war leichenfahl.
Der Dekan und der Gipsmüller allein dankten seinem Gruß, Niemand wagte es ein Wort an ihn zu richten. Nur die kleine Amrei rief:
»Alban, setz' dich hurtig her, die Ahne hat einen ganzen Haufen Schnitz gekocht. Hast du Schnitz auch gern?«
»Und Schnitzgeigerle's,« höhnte der Furchenbauer. Niemand hörte darauf, Alles
beschäftigte sich nur mit Amrei und brachte sie immer mehr zum Reden. Ein Jedes
fühlte die Erfrischung, daß ein harmloses Gemüth unter ihnen war, das von allem
Wirrwarr nichts wußte und wollte. Das Kind fand sich selbstgefällig in die Rolle, daß
Alles sich ihm zuwendete und plauderte allerlei kunterbunt durcheinander, Kluges und
Albernes, aber Alles wurde belacht. Selbst der Großvater konnte nicht umhin, seine
Miene zu einem Lächeln zu verziehen; man sah es ihm aber an, nur die Oberfläche
erheiterte sich, in der Tiefe grollte und kochte ein gewaltiger Zorn. Desto
glückseliger waren aber
Das Abendessen ging durch das Kind ziemlich heiter vorüber. Nur einmal als Amrei fragte:
»Alban, was machst für ein Gesicht? Bist bös mit mir?« sagte der Vater:
»Der? Der ist viel zu sanftmüthig, der beleidigt kein Kind.«
Man stand auf, Amrei betete vor, die Stimmen der Männer bildeten den dunklen Grundton zu der hellen Stimme des Kindes.
Alban wollte die Stube verlassen, da rief ihm der Vater:
»Da bleibst.«
Alban setzte sich auf die Ofenbank, es gesellte sich Niemand zu ihm, er saß da wie
ein armer Sünder. Da sprang Amrei vom Schooße der Großmutter und schmiegte sich an
die Knie Albans. Der Vater befahl Ameile, das Kind in's Bett zu bringen, es folgte
nur mit Weinen und Alban war's, als jetzt das Kind von
Ein Feuer, das der Blitz entzündete, kann menschliche Gewalt nicht löschen, so lehrt der allgemeine Volksglaube. Der Gedanke der Gerechtigkeit, der in jener bewegten Zeit wie ein feuriger Funke in die Seele Albans gefallen, war in ihm unauslöschlich. Mitten unter allen Einreden und Ruhestörungen erhob sich sein Herz, nicht in Gier nach Besitz, sondern in einer märtyrergleichen Hingebung an das Unabänderliche. Sein Herz blutete aus tausend Wunden, die ihm Liebe und Haß schlug, und er zagte und zweifelte jetzt keinen Augenblick mehr, er war bereit zu sterben, aber mit dem Bekenntniß der Wahrheit auf den Lippen.
Immer wieder auf's Neue toste es an ihn heran, aber er stand fest, unbeweglich wie
ein Fels. Zuletzt kam der Vater zitternd auf ihn zu und schwur, ihm Alles zu
verzeihen, wenn er umkehre; er schilderte noch einmal wie es ihm das Herz
zerfleische, daß sich das Kind nicht beweisen lasse, wie Unrecht es habe. »Mein Vater
selig,« rief er zuletzt, »hätt' nicht so lang mit einem Kind geredet, er hätt'
gesagt: das geschieht und
Alban verstand sich endlich nur dazu insoweit nachzugeben, daß er sagte:
»Ich thue keinen Schritt, so lang Ihr nichts thut, aber dann auch ohne Widerrede.«
»So soll also auf meinem Grabe mein Gut zerrissen werden?« fragte der Vater weinend vor Zorn. Alban schwieg und die Männer in der Stube mußten abwehren, daß ihn der Vater nicht erdrosselte.
»Red' du, red' du mit ihm,« wendete sich der Bauer an seine Frau, »so red' doch was, du gehörst auch dazu.«
»Mein' Mutter selig hat nie in Mannshändel drein geredet. In den Krieg trag' ich keinen Spieß, hat sie immer gesagt. Wie ihr's ausmachet, muß mir's recht sein. Nur haltet Friede. Bei uns daheim ist's der Brauch, daß –«
»Das merk' ich an deinem teufelmäßigen Schreien und Toben.«
Wie von einem Blitz durchzuckt standen Mann und Frau plötzlich still, sie merkten, daß vor den Kindern, vor fremden Menschen, ein Widerstreit zwischen ihnen zu Tage gekommen war, der tief in ihnen Beiden wurzelte. Die plötzlich eintretende Stille machte die scharfe Widerrede noch schärfer. Alban wendete sich nach der Thür und diese Bewegung des Sohnes zeigte den Eltern auf's Neue was geschehen war und sprach den härtesten Vorwurf aus.
Alban verließ die Stube, die Mutter wollte ihm folgen, aber der Vater hielt sie zurück und so heftig, daß sie laut schrie.
Der Dekan erklärte, daß er am Morgen früh wieder abreise, der Gipsmüller verließ mit seinen Töchtern bald das Haus.
Am Morgen führte ein Knecht den Dekan nach der Stadt, Alban wirthschaftete im Hause
umher als wäre gar nichts geschehen; er schien den Plan in der That ausführen zu
wollen, bei Lebzeiten des Vaters keinen öffentlichen Widerstreit anzufachen. Der
Bauer stand in der Stube und sah, die heiße Stirne an die Scheiben gedrückt, dem
widerspenstigen Sohne zu. Ein Gedanke durchfuhr ihn und er bäumte sich hochauf. Er
trat zu Alban und befahl ihm einen Sack Kartoffeln aufzuladen und sie in den Keller
zu tragen. Alban gehorchte, der Vater folgte ihm, er befahl ihm den
»Was soll das?« fragte Alban.
»Ich will dich in Schatten stellen, daß dich die Sonne nicht verbrennt.«
Mit einem heftigen Griff und noch einem riß Alban das Lattenwerk zusammen und stieg heraus; aber jetzt faßte ihn der Vater und warf ihn zu Boden.
»Vater, was ist das?« rief Alban; »Vater, es ist Keiner in der ganzen Gegend, der mich zwingen kann, Ihr könnet's, weil ich mich nicht wehren darf. Lasset los, auf diese Art zwinget Ihr mich nicht, so nicht.«
»Aber so,« keuchte der Furchenbauer, er hatte sich sein Halstuch abgeknüpft und band damit Alban die Hände zusammen, dann schwur er, ihn nicht an's Tageslicht zu lassen, bis er nachgebe.
»Du bist mit dabei gewesen,« schloß er, »wie ich gehört hab': in alten Zeiten hat der Vater über Leben und Tod seiner Kinder richten können. Ich bin noch aus der alten Welt. Ich will dir zeigen, daß ich's bin.«
Er sprang behend die Treppe hinauf und wälzte mit ungewohnter Kraft ein Faß und mehrere Kartoffelsäcke auf die Fallthüre.
Während dieß im Keller geschah, hatte die Bäuerin ihre große Noth im Hause.
Bettelleute aus allen Himmelsgegenden waren angekommen, denn es war bräuchlich, daß
der junge Lehnhold allerlei Geschenke bei der Gutsübernahme austheilte. Die
Obedfüchti spielte lustige Tänze vor dem Haus. Die Bäuerin fand
»Dominik, was thust denn du da?«
»Ich hab' gehört, daß, daß –«
»Daß Untereinander bei uns ist und da willst du ihn noch vergrößern?«
»Nein, ich hab' eben sehen wollen, ob man mich nicht brauchen kann. Wenn ich unwerth bin, kann ich schon wieder gehen, aber ich –«
»Ich kann dir nichts sagen, ich weiß selber nicht, ob ich noch da hergehöre, ob ich noch auf der Welt bin, und jetzt kommst du auch noch und jetzt geht die Geschichte mit dem Mädle noch einmal an.«
»Ich hab' mit dem Alban was zu reden.«
»Darf ich's nicht wissen?«
Dominik erstarb die Antwort auf den Lippen, er starrte drein als sähe er ein Gespenst. War das der lebende Furchenbauer oder sein umwandelnder Geist? Wenn er's selber war, hatte er sich in den acht Tagen fürchterlich verändert. Der Furchenbauer sah ihn steif an, seine Lippen zuckten, aber er sprach kein Wort, er wusch sich die Hände in der Küche und sagte endlich:
»Weißt noch Bäuerin? Wir haben einmal den Türkle an den Apostelwirth verkauft gehabt und nach drei Tagen ist er wieder kommen mit dem abgebissenen Seil. Der da ist grad wie der Türkle.«
»Ein Hund bin ich grad nicht,« knirschte Dominik.
»Ich will zum Alban,« sagte Dominik stolz.
»Such ihn wo er ist,« antwortete der Bauer.
Ohne eine Erwiderung abzuwarten ging der Bauer nach der Stube. Dominik ging auch davon, er schaute um und um, aber er sah Ameile nicht. Er stand wieder draußen vor dem Hofe. In einem Acker am Wege grub ein Mann eine Grube, eine sogenannte Miete, um die rings umher aufgehäuften Futterrüben einzukellern. Man sah von dem Manne nichts als seine Mütze und die Schaufeln voll Erde, die er herausschleuderte.
»Guten Tag!« rief Dominik. Der Mann dankte und streckte seinen Kopf aus der Grube heraus, es war Vinzenz. Er war hocherfreut den Dominik zu sehen und schloß damit: »Könntest mir wohl helfen.« Dominik war dazu bereit, sprang rasch in die Grube und ergriff die Haue.
»Wo ist dein Alban?« fragte Dominik während des Arbeitens und Vinzenz erwiderte lachend:
»Ich hab ihn nicht im Sack. Weiß wohl, er ist dir Geld schuldig, er kann dir jetzt baar heimzahlen, er kriegt genug. Wie viel ist er dir schuldig? Soll ich's zurückhalten von seinem Zukommen?«
Dominik verneinte und seine Mienen erheiterten sich. Er hatte jetzt die Gewißheit,
daß das Gerücht in jeder Weise gelogen hatte, Alban war so wenig beschädigt als der
Furchenbauer, und um jenen war ihm
»Wenn du zu mir hältst und den Alban zurechtbringst, da will ich dir was sagen: ich hab' nichts dagegen, im Gegentheil ich helf' dir dazu, wenn dich mein Ameile will, sie kriegt auch ein schönes Vermögen; der Alban heirathet dann sein' Vreni und du und das Ameile ihr gehet Alle mit einander nach Amerika, da könnet ihr euch mit dem Geld einen Hof kaufen, zehnmal so groß als der da, und ihr zwei, ihr seid ja Bauern oben 'raus, ihr könnet den Hof hinstellen, daß es eine Pracht ist. Das ist doch gewiß ehrlich und gutmeinend gesprochen. Kann man aufrichtiger sein? Wenn ich nicht so in dem Unglück wär', ich thät's gleich, ich thät's um den Frieden zu erhalten. Man muß den Vater vor Allem ehren. Ich hab' kein Wort dagegen gesprochen, wie er den Alban zum Lehnhold hat machen wollen, er soll selber sagen, ob ich nur Laut geben hab'; aber jetzt bin ich Lehnhold und jetzt bleib' ich's, und was der Vater festgesetzt hat, muß man in Ehren halten.«
Noch nie hatte Dominik eine so lange und eindringliche Rede von Vinzenz gehört; der
in sich gekehrte wortkarge Bursche schien durch seine ausgesprochene Würde plötzlich
viel reifer, viel offener und einsichtiger. Dominik machte der Gedanke, daß er einen
Beistand im Hause habe, um Ameile zu gewinnen, die Wangen glühen; freilich war
Vinzenz nicht der eigentlich genehme
»Und dir thät's gar nichts ausmachen, wenn deine Geschwister in die weite Welt gingen und du weit und breit Niemand mehr hättest?«
»Was geht denn das dich an?« sagte Vinzenz zornig. »Ich bin zu gutmüthig, daß ich so viel mit dir red'. Ich will den Frieden und ich hab' gemeint du auch. Du vermagst viel beim Alban, mehr als wir Alle, und es wär' dein Glück auch. Ich red' aber nichts mehr. Ich brauch' dich nicht und brauch' keinen Menschen.«
Während Dominik grub, entdeckte er in seiner Seele einen verborgenen ungekannten Schatz: der Hirzenbauer hat Recht, mit der Gutheit allein führt man nichts aus. – Jetzt hatte Dominik ein Mittel, das seinem Verlangen Nachdruck verschaffte, er mußte seinen Einfluß auf Alban verwerthen, er mußte Vermittler, gewiß vor Allem zum Frommen Albans, aber auch zu seinem eigenen sein.
Aus Trübsal heraus und noch mitten in ihr empfand Dominik eine nie gekannte
Glückseligkeit; denn nicht nur die begeisterte mit Hingebung erfüllte That erhebt das
Herz mit innerster Erquickung: auch das Bewußtsein: die Lebensbegegnisse mit kluger
Umsicht zu
Während man die Rüben in die Grube schüttete, kam der Bauer auch herbei. Er stand verduzt.
»Was thust du noch da?« fragte er Dominik und Vinzenz erwiderte:
»Ich hab's ihn geheißen und lasset es dabei, Vater. Lasset nur uns Zwei machen, und Ihr werdet sehen, es geht Alles gut aus. Der Dominik hat was und damit kann er den Alban um einen Finger wickeln.«
»Was denn?«
Halb aus Verschlagenheit, halb auch, weil er doch noch nicht recht wußte, was er sagen sollte, that Dominik sehr geheimnißvoll, aber nichts desto minder zuversichtlich.
Der Bauer sah ihn starr an und ging ohne ein Wort zu reden nach dem Hofe zurück.
Dominik und Vinzenz vollendeten die Miete, der letztere wollte die Sache nur rasch
abthun, aber Dominik ließ sich von seiner Sorgfalt nicht abbringen, er bedeckte
zuerst Boden und Wände der Grube mit Stroh und schüttete dann die Rüben hinab.
Nachdem er sie mit einer Lage Stroh zugedeckt, wollte er für jetzt aufhören, aber
seine Einwendung half nichts, daß man noch eine Weile bis es gefriere, die Frucht
verdunsten lassen müsse. Vinzenz befahl ihm streng, sogleich Erde
Mitten in Unruhe und innerer Hast that Dominik jede Arbeit, die er zur Hand nahm, vollkommen. Wer über solch ein Thun nachdenken mag, wird wissen was das zu bedeuten hat.
Als Ameile mit dem Kind an der Hand in die Stube trat, wie erstaunte sie, den Dominik hier zu sehen; er stand neben Vinzenz, grade dort an der Kammerthür, wo sie im Ringen um ihn niedergefallen war. Sie wußte sich jetzt nicht anders zu helfen, als sie nahm das Kind auf und umhalste und küßte es mit Inbrunst.
»Wo ist der Alban?« hieß es allgemein. Man suchte, man rief im ganzen Hause, nirgends eine Antwort, nirgends eine Spur. Man setzte sich zu Tisch, der Platz Albans blieb leer.
Der Bauer aß fast gar nicht, er schärfte sich immer die Lippen mit den Zähnen. Hätte nicht wieder das Kind bei Tische gesprochen; man hätte keinen Laut gehört.
Als abgegessen und gebetet war, sagte der Bauer zu Dominik:
»Ich muß dir's noch einmal sagen, deines Bleibens ist nicht da. Ich brauch dich nicht.«
Spitzgäbele stieg aus und nach ihm zwei fremde Männer. Das waren keine vom Gericht. Der Furchenbauer ging ihnen entgegen ...
Die Welt geht ihren Gang fort in Handel und Wandel, mag Wirrniß da und dort herrschen. Spitzgäbele brachte die beiden Männer, die Aepfel einkauften. Auf dem landwirthschaftlichen Bezirksfeste hatte der Furchenbauer eine große Masse davon versprochen, und wie kam jetzt die Erfüllung zur Unzeit! Der Furchenbauer that freundlich und unbefangen; und doch brannte es ihm im Innern. Er hatte gedacht, seinen Alban zu befreien, er hatte sich doch übereilt, und jetzt konnte er es vor den fremden Menschen nicht. Wer weiß, was der wilde, nun doppelt verhetzte Bursch im ersten Augenblick anfängt?
Der Furchenbauer mußte im wahren Sinn des Wortes in einen sauren Apfel beißen und
zwar in mehr als einen: er mußte seine Frucht proben und proben lassen, er mußte die
Männer im Garten, in den Scheunen geleiten und zuletzt in die Stube führen und
Spitzgäbele ließ nicht ab, bis der Furchenbauer den fremden Herren zeigte, was für
einen guten Tropfen ein Oberländer Bauer im Keller hege. Glücklicherweise war
Während der Furchenbauer mit den Fremden zu thun hatte, stand Ameile wieder bei Dominik im Garten.
»Ich hab's gewußt, daß du kommst, du hast müssen kommen,« sagte sie nach den ersten
Begrüßungen. »O Dominik! Wie sieht's bei uns aus. Ich thät' sterben vor Gram wenn ich
nicht dich hätte. Laß dich nur nicht verscheuchen, du mußt da bleiben; ich muß einen
Beistand haben, es kann jeden Augenblick auch gegen mich losgehen. Du bist mein'
Hülf' und mein Zuflucht und mein Alles.« Natürlich war Alban bald der einzige
Gegenstand des Gesprächs. Ameile konnte sich gar nicht erklären, wohin er
verschwunden war; die Mutter glaube, daß er nach der Stadt vor Amt sei; sie aber habe
ihr nicht gesagt, wie sie in seiner Kammer nachgesehen, da seien all seine Kleider
und er sei nicht ein solcher, der unordentlich in die Welt hinaus laufe. Sein
Gesangbuch sei aufgeschlagen, und weinend sprach sie die Ahnung aus, daß sie fürchte,
Alban habe sich ein Leides angethan, er habe am Sonntag, als sie
Beruhigt mit dieser Auskunft ging Ameile nach dem Hause und Dominik nach dem Hellberge.
Zum Nachtessen kam Dominik nicht in die Stube, Ameile brachte ihm Speise in die Stallkammer und hörte, daß Alban seit zwei Tagen nicht auf dem Hellberg gesehen worden.
Der Vater war heute voll Unruhe und brummte immer in sich hinein. Er schickte Alles früh zu Bett, aber Ameile konnte nicht schlafen und hörte jeden Tritt ...
Als Alles still im Hause war, schlich der Vater nach dem Keller. Er versuchte es,
jetzt die Säcke und das Faß von der Fallthüre zu wälzen, aber die Kraft versagte ihm,
er setzte sich ermattet nieder und rief: »Alban!« Keine Antwort. »Alban, ich bin's,
dein Vater ruft.« Immer noch lautlose Stille. Dem Vater standen die Haare zu Berge.
Hätte sich Alban ein Leid angethan? Kam er zu spät? Mit bebender Stimme rief er:
»Alban, du bist mein gutes Kind, Alban, sei fromm und brav, thu' mir das nicht an, es
stoßt mir
»Was wollt ihr thun?« rief eine Stimme von unten und der Bauer athmete frei auf. Alban lebte. Er antwortete lange nicht und erst auf die wiederholte Frage von unten sagte er:
»Du wirst jetzt einsehen, daß ich Recht hab', du mußt's einsehen, du hast dich im Stillen besonnen. Guck, ich könnt' ja warten, ich könnt' ja gar nicht abgeben so lang' ich leb' und mein Testament machen und das muß dann gehalten werden, und das müssen die Gerichte schützen; aber ich will nicht, auch nach meinem Tod sollen die Amtsleut' sich nicht in meine Sach' mengen und ich möcht' auch noch meine Kinder verheirathet und auch noch Enkel sehen. Ist das ein schlechter Vater, der das will? Sag', willst du Allem folgen, was ich thu?«
»Nein.«
»Dann siehst du das Tageslicht nicht bis du anders wirst.«
Der Bauer erhob sich und schlich wieder langsam die Treppe hinauf in seine Schlafkammer .....
Sie nahm ihre Kleider in ihren Arm
Und ging wohl zu der Scheuer.
Das Wort aus dem Lied erneuert sich. Aus dem ersten Schlaf wurde Dominik geweckt.
Ameile rief ihm. Sie hatte des Vaters nächtigen Gang belauscht und
»Nichts geheim! Dein Vater muß wissen was wir thun. Er darf uns nicht wehren. Das ist unmenschlich! Er muß froh sein, daß wir nicht unter die Leut' bringen, was er thut. Jetzt haben wir Ihn in der Hand, jetzt muß er thun was Wir wollen. Komm, Ameile.«
Nur wie ein flüchtiger Blitz erkannte Ameile, welch' ein kräftiger Muth in Dominik erwacht war, »du bist unser Aller Heil,« rief sie und seine Hand festhaltend eilte sie mit ihm nach dem Hause.
Dominik weckte Alles mit lauter Stimme, als er Alban aus dem Keller rufen hörte. Der Vater, die Mutter und Vinzenz kamen herbei und Alban stieg aus dem Keller empor und starrte sie an wie ein vom Tod Auferstandener.
Dominik hielt den Alban in seinen Armen und sagte: »Thu' nichts was Gott verboten hat; die Hand, die sich gegen den Vater erhebt, wächst aus dem Grabe.«
Alles war still, der Furchenbauer trommelte mit den Fingern auf dem Faß.
Die Mutter umhalste ihren geliebten mißhandelten Sohn und jetzt hörten die Kinder ein entsetzliches Wort aus ihrem Munde gegen den Vater.
Man ging nach der Stube, die Mutter wusch dem Alban selbst die Hände und das Antlitz und trug ihm Essen auf. Der Vater wollte aus Allem einen Scherz machen, Alban redete kein Wort; er aß ruhig und ging dann mit Dominik schlafen.
Als ihm Dominik den gutmeinenden Plan des Vinzenz darlegte, lachte er vor sich hin.
Der Tag graute kaum, als Alban einen der Fuchsen gesattelt aus dem Stall zog, er
schwang sich behend auf und ritt im Nebel zum Thor hinaus und davon. Ohne Aufhalt wie
ein Feuerbote jagte er im raschen Galopp dahin und er war in der That ein Feuerbote,
er wollte in der Stadt Schutzmittel suchen gegen den Brand, der in seinem elterlichen
Hause entflammt war. In der Stadt angekommen und ganz brennend vor Zorn befiel ihn
doch noch einmal Bangigkeit darüber, daß er einen Familienzwist vor die Gerichte
bringen solle; die alte strenge Zucht war doch noch mächtiger in ihm, als er geahnt
hatte. Er glaubte sein Auge nicht aufschlagen zu können vor dem Richter, dem er die
Sache vorbringe. Der Kreuzwirth, noch ein standfester Republikaner, dessen
Wirthschaft darum auch von Vielen, die es mit dem Amte nicht verderben wollten,
gemieden wurde, galt für einen klugen
»So? Da treff' ich dich?« sagte Dominik zu Alban und richtete einen Gruß von Ameile an die Oberamtmännin aus, mit der Bitte, sie möge so bald als möglich auf den Furchenhof kommen, der Vater habe Respect vor ihr und sie könne viel machen. Die Oberamtmännin gab nun feste Zusage, und auf dem Weg nach dem Wirthshause sagte Dominik zu Alban:
»Dein Vater hat mich dir nachgeschickt, du sollst ja nicht vor Gericht gehen. Er will Alles thun.«
»Will er theilen?«
»Das glaub' ich nicht, aber sonst Erkleckliches, und wenn du nachgiebst, ist's mein Glück auch.«
»Ich geh' nicht um ein Haarbreit ab von dem was ich gesagt hab',« erwiderte Alban, ohne auf das Letzte zu hören und im Zorne rief Dominik:
»Meinetwegen, und es wird sich zeigen, wer stärker ist.«
Im Kreuz traf man den Klein-Rotteck. Alban bat ihn, doch auch Morgen früh auf den Furchenhof zu kommen und ihm beizustehen. Der Klein-Rotteck lehnte entschieden ab, er mische sich nicht in fremde Händel, da putze sich Jedes an Einem ab. Auf des Dominik Zureden und auf dessen leisen Zusatz, daß er ihm zulieb kommen möge, zumal er es ihm ja versprochen habe, ihm beizustehen, sagte endlich der Klein-Rotteck mit einem Handschlag zu.
Der Hirzenbauer war sehr betrübt, obgleich er heute einen Prozeß gewonnen hatte. Seine Ortseinwohner hatten ihn wirklich verklagt, weil er sein Gut getheilt hatte, kein Advokat aus der Nachbarschaft hatte sich dazu hergegeben, den Klägern eine Eingabe zu machen, sie hatten aber einen Winkeladvokaten, einen sogenannten Entenmaier gefunden, der ihnen die Sache als sehr bedeutsam und erfolgreich darstellte; ja er hatte behauptet, die Advokaten hätten nur deßhalb keine Klagschrift gemacht, weil sie alle Parteigenossen des Klein-Rotteck seien. Nun hatte der Klein-Rotteck heute den Prozeß in erster Instanz gewonnen, aber das sah er, er hatte keine Nachbarn mehr, das sind lauter Feinde, ja, sie denunzirten jetzt bei Gericht, was er im Jahr 1848 gesprochen und wäre der Richter nicht doch noch wohlwollend gewesen, er hätte einen neuen Strick für ihn drehen können.
»Das beweist eben wieder, daß du kein' Ehr' im Leib hast.«
Es war schon Nacht als man am Hellberg ankam, vom Hause schimmerte Licht und die Klarinette der Obedfüchti tönte in's Thal. Alban stieg ab und befahl Dominik, das ledige Pferd an der Hand heim zu führen. Dominik rieth ihm, jetzt zu den Eltern nach Hause zu gehen, die seiner sehnsüchtig harrten, aber Alban erwiderte:
»Ich bin drei, ja vier Tage sind's, nicht dort gewesen. Ich muß wieder hin.«
Raschen Schrittes sprang er den Berg hinan. Die Obedfüchti spielte sich allein etwas vor in ihrer zerfallenen Behausung. Ein Hund schlug auf Alban an. Was ist das? Das ist ja der Greif. Wie kommt der daher? Alban eilte die Treppe hinan, Vreni kam ihm entgegen.
»Geh' nicht hinein,« sagte sie.
»Warum? Wer ist da?«
»Was will er?«
»Nur Gutes. Er hat dem Vater auch vierhundert Gulden versprochen, daß er mit uns kann, wenn du mit mir auswandern willst. Alban, jetzt werden wir ja glücklicher als wir's je gedacht haben. Jetzt leg' deinen Stolz ab und es ist Alles gut.«
»Für deinen Vater sorg' Ich und nicht mein Bruder. Er hat nicht mehr als ich auch. Ich und die Meinigen wir nehmen nichts geschenkt. Laß mich.«
Er riß sich von Vreni los und stürmte in die Stube. Vinzenz zuckte zusammen als er ihn sah.
»Du hast nichts da zu schaffen. Marschir' dich,« gebot Alban.
»Das Haus ist mein,« entgegnete Vinzenz, »und ich kann dich 'nausjagen.«
Der Nagelschmied stellte sich vor Alban und Vinzenz verließ die Stube.
Der Nagelschmied redete nun dem Alban gütlich zu und dieser sagte endlich, er müsse seinem Bruder nach und noch einmal im Guten mit ihm reden. Er eilte von dannen und rief seinen Namen. Unweit des Felsens, dort wo sie vorgestern am letzten Marksteine gesessen, von dorther hörte Alban das Bellen eines Hundes und eine Stimme rief: »Fass' ihn!« Der Greif sprang wie ein Tiger an Alban empor, aber dieser kam ihm zuvor, faßte ihn am Genick und schleuderte ihn in die Schlucht.
»Du hetzest den Hund auf mich!« schrie Alban, rannte nach seinem Bruder, packte ihn
und stumm
Dunkle stille Nacht war's, als Alban erwachte. Er griff um sich und schaudernd prallte er zurück, er faßte ein Menschenantlitz. Die Erinnerung tauchte in ihm auf, das war Vinzenz, sein eines Auge glitzerte starr in der dunkeln Nacht. Er rief ihn mit Namen, er wusch ihm das Antlitz, kein Laut, keine Bewegung. Er legte sein Ohr an das Herz des Bruders. Ach zu spät! Dieses Herz schlug nicht mehr. Er rief laut um Hülfe zu Gott und den Menschen, vergebens, keine Antwort ertönte. Er raffte sich auf und trug den Bruder in den Armen am Bachesufer fort, er riß sich blutig an den Felsen, aber er ließ nicht los. Jetzt schritt er in den Wald, aber er brach zusammen unter der Last und laut weinend warf er sich auf sie nieder und sprang dann davon, durch die Nacht hin immer: »Vinzenz! Vinzenz!« rufend. Er stand vor dem elterlichen Hause, Alles kam ihm entgegen.
»Wo ist dein Bruder?« fragte der Vater.
»Im Walde, todt,« stöhnte Alban und ein Blutstrom quoll ihm bei diesen Worten aus dem Munde.
Der Vater riß die Axt aus der Thürpfoste und wollte auf Alban los, Alban kniete
nieder wie ein
»Habt Ihr nicht genug Elend, wollt Ihr noch mehr?«
»Du legst Hand an mich?« schrie der Furchenbauer.
»Ja ich,« erwiderte Dominik trotzig. Er hob Alban in die Höhe und fragte ihn, wo Vinzenz liege. Alban bezeichnete die Stelle, dort wo er am Tage vorher im Unmuthe mit dem Beil das Geländer hinabgeschleudert hatte.
Die Knechte, die fremden Drescher, die in den Scheunen schliefen, wurden aufgeboten und mit Fackeln zog man hinaus: Alban wollte mit, aber beim ersten Schritt brach er zusammen und mußte in die Stube getragen werden.
Durch den nächtigen Wald lief der Furchenbauer mit der Fackel und rief immer: »Vinzenz! Vinzenz!« so daß er zuletzt nur noch mit heiserer Stimme den Namen lallen konnte.
Es wurde Tag, aber das war kein Tag, ein fester Nebel stand über Berg und Thal, man ging in Wolken, man sah nicht Himmel nicht Erde, kaum den Schritt breit wo man stand. Im Haupthaar und im Barte des Furchenbauern stand der eisige Reif und nur noch vor sich hin murmelte er den Namen: Vinzenz.
Man fand Vinzenz an der bezeichneten Stelle nicht, Alban mußte nicht recht gewußt haben, wo er ihn abgelegt.
Der Tag stieg höher, aber der Nebel wich nicht, er war mit Händen zu greifen, als
sechs Mann auf
Man hatte einen reitenden Boten nach dem Arzte geschickt, er kam zugleich mit dem Oberamtmann und dessen Frau und bald darauf fuhr auch der Hirzenbauer in den Hof.
Der Nagelschmied mit seiner Vreni kam auch und durch Alle hindurch drang Vreni und Niemand wagte es, sie abzuhalten, daß sie zu dem Kranken eilte.
Wie war jetzt der Hof so voll von fremden Menschen, und von den eigenen war der eine Sohn todt und der Arzt erklärte jeden Belebungsversuch vergebens und der andere hatte vielleicht eine Todeswunde und raste mit seiner letzten Kraft!
Der Oberamtmann ging nach dem Felsen, um den Thatbestand in Augenschein zu nehmen, er fand die unverzeihliche Fahrlässigkeit: den Mangel eines Geländers. Die Oberamtmännin blieb bei den Frauen und erwies sich in Allem ordnend und hülfereich.
Im Leibgedingstüble lag die Leiche des Vinzenz, der Vater saß dabei und noch immer
hörte man keinen Laut von ihm; das Wort, das zuerst über diese starren
zusammengepreßten Lippen ging, mußte Zerschmetterndes bekunden. Als der Hirzenbauer
zu dem Trauernden eintrat, wies er ihn mit der Hand hinaus
Im Hofe war es lautlos still, nur bisweilen hörte man den raschen Hufschlag eines Pferdes; kein Taktschlag aus den Scheunen ertönte, selbst die fremden Drescher, die nicht im Taglohn standen, feierten, ihre Hände zitterten noch, sie hatten die Leiche getragen und auf dem Heu saßen sie bei einander und sprachen leise davon, wie elend doch auch der große Reichthum machen könne.
Alban war in Ruhe gesunken, der Arzt verordnete, daß man ihm Schnee auf's Haupt lege. Ein Drescher und der Kühbub wurden mit Kübeln nach dem zwei Stunden entfernten hohen Berge geschickt, wo es bereits geschneit haben sollte. Ein Knecht wurde mit einem der Fuchsen nach der Stadt in die Apotheke geschickt.
Um Mittag begannen die Drescher plötzlich zu dreschen und Alban erwachte laut
schreiend: »Wo ist dein Bruder?« Er klagte, daß ihm jeder Schlag das Hirn träfe.
Dominik eilte, den Dreschern Einhalt zu thun. So viele Hände waren zu beschäftigen
und man dachte nicht daran, sie müßig zu lassen. Dominik befahl ihnen, die Aepfel auf
die Wagen zu laden, der Furchenbauer hatte ihm gesagt, daß er sie heute abliefern
wolle und der Nagelschmied fand sich bereit, die Ablieferung zu übernehmen. Man
konnte dem großen Leide im Hause in Nichts beistehen, es blieb nichts übrig, als die
Der Oberamtmann stand beim Hirzenbauer am Brunnen und sie wogen miteinander hin und her abermals die Vortheile und Nachtheile der geschlossenen Güter. Der Hirzenbauer sagte: »O Herr Oberamtmann! Ich habe auf der Versammlung und öffentlich nicht Alles sagen können und ich mag's noch nicht sagen, was für Schandbarkeiten mit dem geschlossenen Erbgang verbunden sind. Der Furchenbauer da hat das traurige Glück gehabt, daß ihm fünf Kinder als klein gestorben sind. Ich weiß wohl, daß mit dem Zertheilen neues Unglück haufengenug kommt, aber kann man's anders machen und darf man?« Der Oberamtmann war heute besonders freundlich mit dem Hirzenbauer, denn er erkannte den wenn auch starren doch reinen Gerechtigkeitssinn des Mannes.
Als der Hirzenbauer und der Oberamtmann mit seiner Frau wegfuhren, kam gerade der
Kühbub mit einem Kübel voll Schnee, er war vorausgeeilt, der Drescher blieb
klugerweise noch einige Stunden auf dem
Einen Tag und eine Nacht saß der Furchenbauer bei der Leiche seines Sohnes und aß nicht und trank nicht und sprach kein Wort.
Als man am Morgen darauf die Leiche des Vinzenz zu Grabe führte, schwankte er am Stabe, den Alban ihm geschnitten, hinter der Leiche drein. Erst auf dem Kirchhof, wo er die eingesunkenen Kreuze an den Gräbern der Kinder sah, die Vinzenz vorausgegangen waren, brach er zum Erstenmal in lautes und heftiges Weinen aus.
Auf der Heimfahrt – der Gipsmüller that es nicht anders, er mußte sich auf den Wagen setzen – sprach der Furchenbauer das erste Wort zu seinem Schwager und die zitternde Hand erhebend sagte er:
»Gott hat mich hart gestraft, aber er hat mir doch Recht gegeben, mein Gut bleibt doch bei einander.«
Gleich nach dem Leichenbegängniß führte der Nagelschmied Amrei nach Siebenhöfen. Seit der Zerrüttung des Hauses weinte das Kind unaufhörlich nach seiner Mutter und verging fast vor Heimweh.
Alban hatte nichts davon gemerkt, als man die Leiche seines Bruders fortbrachte, jetzt, da man das Kind fortführte, merkte er es auf seinem Krankenlager und sagte vor sich hin:
»B'hüt dich Gott Amrei.«
Der Zustand Albans war veränderlich, der Arzt wollte trotz allen Drängens keinen ganz tröstlichen Bescheid geben.
Eines Tages mußte Alles die Stube verlassen, nur Dominik und Vreni durften zurückbleiben. Die Beiden mußten Alban im Bett aufrichten und er sprach:
»Dominik, es wird Alles dein. Meinem Peiniger vertrau' ich's nicht. Gieb mir dein Hand drauf, daß du dem Nagelschmied und meiner Vreni mein Erbtheil giebst. Mein' Vreni ist vor Gott mein.«
Dominik reichte die Hand und sagte:
»Du bist nicht so krank, aber du kannst's gerichtlich machen, wenn du willst, wenn's dich beruhigt.«
»Ich will nichts mehr vom Gericht ... Familiensache ... Ich glaub' dir ... und wenn du Kinder bekommst, sei gerecht, Gerechtigkeit ... Wo ist dein Bruder? ... Gerechtigkeit ...«
Das waren die letzten hellen Worte, die Alban sprach, er raste noch mehrere Tage
besinnunglos und
Mit den Worten: »Wo ist dein Bruder?« hauchte er seinen letzten Athem aus. Seine Wangen waren roth.
Als man dem Furchenbauer den Tod seines Sohnes berichtete, stampfte er zornig auf und seine Faust ballte sich.
»Das ist sein letzter –« schrie er, er verschwieg die anderen Worte. Er mochte es als eine Unthat seines Sohnes betrachten, daß er ihm durch den Tod seine letzte Hoffnung zerstörte, sein Gut kam in fremde Hand.
Bald nach Alban begrub man auch die Mutter, sie hatte Niemand ihr Leid geklagt und eines Morgens fand man sie todt im Bette.
Der Furchenbauer, der nun Dominik als einzigen Erben vor sich sah, redete ihm viel zu, daß er ihm verspreche, wenn er Kinder bekomme, das Gut nie zu theilen. Dominik weigerte dies und sagte zuletzt, er habe dem sterbenden Alban das Gelöbniß gegeben, gerecht gegen jedes seiner Kinder zu sein.
Der Furchenbauer ging starr und stumm im Hofe umher, er redete mit Niemand und ging durch Stall und Scheunen wie ein Gespenst. Im Wald ließ er sich eine alte Tanne hauen, sie zu Brettern versägen und brachte sie selbst auf den Hof.
Im Frühling, am selben Tag als der Nagelschmied mit seiner Familie auswanderte, fand man den Furchenbauer plötzlich todt. Dunkle Gerüchte gingen über seine Todesart. Man hat nie etwas Bestimmtes darüber erfahren.
Aus der zerrissenen Erde sprießt die Saat, aus den Gräbern wachsen Blumen. Trübe Schwermuth lagerte auf dem Gemüth des Dominik wie Ameile's. Die Oberamtmännin war eine milde Trösterin, denn sie kam jetzt im Frühling auf mehrere Wochen auf den Hof. Sie fand eine Erquickung darin, in die Tiefe der Gemüther zu schauen, die ihre Empfindungen nicht in Worten ausdrücken können, sie aber hatte die Macht des Wortes und wie linder Balsam heilten sie die Wunden. Was ihr im Großen und Umfassenden nicht gelingen wollte, gelang ihr im Einzelnen; das Herz der Höherstehenden einte sich mit denen, die im beschränkten Lebenskreise verharren. Es war nicht Gefühllosigkeit, sondern unverwüstlicher Lebensmuth, daß Ameile sich fast bälder in das Unabänderliche fügte und sich der Heiterkeit nicht verschloß wie Dominik, aber auch diesem gelang es endlich.
Oft betrachtete Ameile mit Wehmuth die Karte des Hofgutes, die Alban in jenem letzten friedlichen und hoffnungsvollen Winter gezeichnet. Das war das Einzige, was von ihm übrig geblieben und die Karte hing noch an derselben Stelle, wo sie die Mutter aufgehängt hatte. An die Mutter und an Alban mußte Ameile oft denken und die Beiden waren ja auch immer dem Dominik gut gewesen. Dann aber strich sie sich wieder rasch über das Gesicht und alle Wehmuth war daraus weggenommen.
Die Hochzeit wurde still gefeiert, die Oberamtmännin und die Mutter des Dominik gingen an der Seite Ameile's, Dominik ging zwischen dem Hirzenbauer und dem Gipsmüller zum Traualtar.
Ameile trug zur Freude ihres Mannes und aller Anwesenden einen besonderen Schmuck auf der Brust: sie hatte die Denkmünze des Dominik an einen Henkel fassen lassen und trug sie an der Granatenschnur. »Das ist mein schönster Ehrenschmuck,« sagte sie lächelnd beim Hochzeitmahl.
Dominik behielt seine Mutter bei sich auf dem Furchenhof. Sie hatte allzeit über ihre Söhnerin in Nellingen geklagt; sie hatte jetzt glückselige Tage; aber sie hielt es doch nicht lange aus, sie hatte Heimweh nach der keifenden Söhnerin, nach den Nachbarn und vor Allem nach den Kindern ihres ältesten Sohnes. Dominik brachte sie wieder nach Nellingen und versorgte sie gut.
Erst als auf dem Furchenhof das erste Kind geboren wurde, kam sie wieder und blieb dort.
Auf dem landwirthschaftlichen Feste fehlt Ameile
Bei der letzten Heimfahrt vom landwirthschaftlichen Bezirksfeste war der neue Furchenbauer gar lustig und er sagte zu seiner Frau:
»Bäuerin,« – denn so redet er sie jetzt auch nach herkömmlicher Art an – »ich kann dir nicht sagen, wie wohl mir's doch wieder auch ist und wie glückselig ich bin. Wenn ich so in ein Wirthshaus komm' und ich lass' mir geben was der Brauch ist, und da denk' ich bei mir: und du kannst's bezahlen und es thut dir nichts. Ich mein' oft noch, ich sei der Kühbub, und dann wird mir's doppelt wohl, daß ich jetzt so dasteh' und mir was erlauben darf.«
»Und das sollst du recht oft thun und dir auftragen lassen nach Herzenslust. Du bist manchmal noch ein bisle zu genau. Ich denk' auch bei den Armen immer daran, daß wir auch für die Todten ihr Theil Gaben geben müssen. Aber da ist's schon wieder, hilf mir, daß ich nicht immer und bei Allem dran denk', wie meine Brüder und meine Eltern aus der Welt gegangen sind.«
»Ich will dir schon helfen. Drum denk' jetzt nicht dran. Du bist halt ein Prachtweible. Ein Andere hätt' gewiß gesagt: nimm dich in Acht und laß dich nicht verleiten! man vergißt gar bald wo man herkommen ist. Du kennst mich aber und du gunnst mir was Gutes und du hast nicht bang, daß ich dir dein' Sach verthu'.«
»Und meine Kinder sollen nicht vergessen, was ihr Vater gewesen ist. Und wenn ich zehn Theile machen muß, ich will sie schon so Herrichten, daß ein Jedes glücklich und zufrieden sein kann.«
* * *
Am Allerseelentag brennen auf dem Kirchhof neun Lichter ganz nahe bei einander, es sind die für den Furchenbauer, seine Frau und seine Kinder. Dominik und Ameile knieen mit ihren Kindern betend dabei, und erst wenn die Lichter verlöscht sind, kehren sie heim in die Behausung, wo einst so viel Leidenschaft und Jammer war, und jetzt ein stiller Friede waltet.