Es war an einem Abende in der Mitte des Septembers 1849, als unter den Bäumen des Parks vor City-Hall in New-York ein junger Mann lässig auf einer der dort angebrachten Bänke ruhte. Er hatte den Strohhut abgenommen und das volle dunkle Haar der Abendluft preisgegeben. Die Sommerkleidung, die er trug, war sauber und von elegantem Schnitte und das strohgelbe seidene Halstuch, über welches zwanglos der blendend weiße Kragen fiel, stach gefällig von seinem leicht gebräunten, kräftigen Halse ab. Eine fein geschnittene Nase, mit dem schwarzen, wohlgepflegten Schnurrbarte darunter und den regelmäßig gezeichneten Brauen darüber, gaben seinem Gesichte einen Anstrich von Noblesse, während die zwei Furchen an der Nasenwurzel und das leicht in die Höhe gezogene Kinn ihm den Charakter einer festen Bestimmtheit aufdrückten.
Seine Augen hatten bisher planlos über alle die Gestalten, welche geschäftig den Platz durchkreuzten, hinweg geschweift; in diesem Augenblicke aber waren sie plötzlich auf einem Punkte haften geblieben, der sein besonderes Interesse zu erregen schien. Vom Broadway aus war eine der fashionable gekleideten Damen, wie sie diesen Theil der Stadt bevölkern, in den Park getreten und bog jetzt in einen Seitenweg ein, der dicht an dem Sitze des jungen Mannes vorüberführte.
»Da ist sie wahrhaftig wieder, und dies ist heute der dritte Abend, an dem sie um dieselbe Zeit kommt!« brummte der Dasitzende vor sich hin. »Wäre ich eitel, so könnte ich denken, ich hätte eine Eroberung gemacht!«
Der Andere sah ihr kopfschüttelnd nach, bis ihn ein Schlag auf die Achsel aus seiner Verwunderung riß.
»Guten Abend, Herr von Helmstedt, wie geht's Hochdenen?« klang die Stimme des Angekommenen, der indessen in seinem abgetragenen, bis an den Hals zugeknöpften Rocke und dem alten schwarzen Hute, der schon theilweise der Krempe untreu geworden war, einen auffallenden Contrast mit dem Ersteren bildete. »Ich sehe, Sie bewundern die schöne Natur in allen ihren Branchen,« setzte er hinzu, mit dem Kopfe nach der forteilenden Frauengestalt hindeutend, »es sollte mir leid thun, wenn ich gestört hätte!«
»Hat nichts zu sagen,« erwiderte Jener und nahm seinen früheren Platz ein, »ich möchte mich nur todtärgern, daß ich so ein Dummkopf im Englischsprechen bin. Ueber zwei Monate schon treibe ich mich hier herum und kann noch nicht einmal eine einzige Frage verstehen!«
»Ich habe Ihnen das vom Anfange an prophezeit,« sagte der neue Gefährte, indem er
sich mit der aristokratischen Nachlässigkeit eines Berliner Gardelieutenants auf die
Helmstedt hatte ihm schon sein Etui hingehalten, aus welchem sich der Andere bediente, hierauf in seiner sich bescheiden verbergenden Weste ein Schwefelholz suchte und bald mit der Miene eines Kenners den blauen Rauch in die Luft blies. »Ja,« fuhr er dann behaglich fort, »ich bin doch kaum achtzehn Monate länger hier als Sie, aber ich kann wirklich sagen, daß ich in den meisten New-Yorker Verhältnissen vollkommen zu Hause bin, und meine augenblickliche Lage würde auch eine bessere sein, hätte ich in den letzten Monaten nicht positives Malheur gehabt. Erstlich hatte meine letzte Freundin, deren Wohnung ich theilte, die seltsame Marotte, daß ich ihr Geld nicht zum Spiele verwenden solle – und als ich ihr darin nicht willfahren konnte, finde ich mich am Morgen nach einer etwas wilden Nacht allein in dem vollkommen ausgeräumten Quartiere, verlassen von dem tollen Mädchen und von allen Existenzmitteln. Ich gehe nun nothgedrungen in ein Boardinghaus, werde aber hier schon nach der ausgebliebenen Zahlung für die erste Woche freundlich ersucht, Raum zu machen, und gegen alles Gesetz werden mir auch noch meine Habseligkeiten inne behalten. Die Wirthe werden jetzt wirklich jeden Tag gemeiner und illiberaler. Indessen,« fuhr er fort, zwei wohlgelungene Ringel in die Luft blasend, »ich habe bereits wieder Aussichten; es ist merkwürdig, wie hier ein nobles Air geliebt wird!«
Helmstedts Augen überliefen bei diesen Worten die äußere Erscheinung seines Gefährten und er konnte ein halb sarkastisches Lächeln nicht unterdrücken.
»O, Sie verziehen den Mund über mein jetziges Derangement,«
Helmstedts Gesicht war nachdenklich geworden. »Sie malen schwarz, Seifert,« sagte er nach einer Weile; »ich habe mir indessen schon manche Freunde erworben, die mir ihre Hilfe zugesagt, und ich denke, ich will doch wenigstens den Anfang zu einer Existenz gewinnen, ehe ich ganz auf dem Trockenen sitze. Uebrigens,« fuhr er lebendiger fort, »haben Sie denn so große Resourcen? Sie scheinen mir den Prediger zu machen und auch in eigener Person die abschreckenden Beispiele darzustellen.«
»Durchaus fehlgeschossen,« erwiderte der Andere ernsthaft und schnippte die Asche von
seiner Cigarre. »Ihre
»Und in welcher Eigenschaft werden Sie dort sein?« fragte Helmstedt, den Kopf in die Hand stützend.
»In einer rein menschenfreundlichen!« antwortete Seifert und warf das letzte Endchen seiner Cigarre weg. »Ich werde erstens den ankommenden Fremden zu einem guten Hotel verhelfen, zweitens aber ihr Beistand in allen Verlegenheiten des Fleisches oder Geldbeutels, überhaupt in allen Dingen sein, die nicht in das öffentliche Geschäftsleben hineinpassen.«
»Das heißt einfach, Sie werden Runner, Kuppler, Wuchergehilfe und dergleichen werden.«
»Was wollen Sie, lieber Freund? Wir sind in Amerika und jedes geldbringende Geschäft ist achtungswürdig – nur die Dummheit wird hier gebrandmarkt. Uebrigens können Sie unter unseren Upper Tens Manchen finden, der mit nichts Besserem angefangen hat, und ich habe eine gewaltige Achtung vor diesen Leuten.«
Helmstedt drückte mit einem tiefen Athemzuge die Hand vor die Augen. »Wo logiren Sie denn, Seifert, seit Sie Ihr Boardinghaus verlassen haben?« fragte er nach einer Weile, als wolle er das eingetretene Schweigen unterbrechen.
»Vorläufig im Hotel Park!« war die Antwort.
»Hotel Park? Wo ist das?«
»Kennen Sie das größte und interessanteste Hotel New-Yorks
Helmstedt richtete sich aus seiner gebückten Stellung in die Höhe.
»Ich gestehe Ihnen ehrlich,« sagte er nach einer Pause, »daß ich nicht geglaubt hätte, einen Deutschen von Ihrer Erziehung sich so wohlgefällig im Schlamme seiner Erniedrigung wälzen zu sehen. Sagen Sie mir nur, finden Sie denn nicht selbst Ihr Leben unter aller Würde schmutzig und gemein?«
Seifert zog ein halb lächelndes, halb nachdenkliches Gesicht, langte nach dem auf der Bank liegenden Etui und zündete sich eine neue Cigarre an.
»Vom Standpunkte des deutschen Moralprincips aus mögen Sie Recht haben!« – sagte er
dann; »ich huldige aber durchaus der Zweckmäßigkeits-Theorie, der einzig in Amerika
anwendbaren, und sobald nur der Erfolg am Ziele lohnt, ist die Art des Weges dahin,
ob schmutzig oder trocken, ziemlich gleichgiltig. Ich kann Ihre Indignation
vollständig verstehen, denn Sie sind noch ein Kind für Amerika; Sie werden mich aber
anders beurtheilen, wenn Sie später denselben Grundsatz nicht allein im
Geschäftsleben, sondern auch in allen Branchen unserer Staatsmaschine durchgeführt
finden. – Jetzt lassen Sie uns aber das bewußte Supper zu
Sie erhoben sich und verließen den Platz, Seifert fortwährend schwatzend, Helmstedt mit widerwilligem Gesichte neben ihm hergehend. –
Am Abend des nächsten Tages saß der junge Mann wieder auf seinem alten Platz, ohne
aber dem regen Treiben vor seinen Augen einen Blick zu schenken. Sein bewölktes
Gesicht war zur Erde niedergewandt. Das Bild von dem Schicksale so manches jungen
Deutschen, das Seifert Tags vorher vor ihm aufgerollt, hatte mehr Eindruck auf ihn
gemacht, als er sich selbst gestehen wollte; er hatte noch denselben Abend sein Geld
durchgezählt und mit Schrecken die bedeutende Abnahme desselben wahrgenommen; er
hatte den Morgen darauf die Runde bei allen seinen Bekannten gemacht, um ein klares
Bild von den Aussichten zu erhalten, die er habe; – aber die ganze Beute, die er
heimbrachte, war: daß für den Augenblick keine passende Stellung für ihn aufzutreiben
sei, daß sich aber gewiß mit der Zeit etwas finden würde, daß sich solche
Angelegenheiten eben nicht zwingen ließen und abgewartet werden müßten, und daß er
nur den guten Muth nicht verlieren solle. Helmstedt aber sah die Sache heute anders
an als gestern und erblickte schon die Zeit vor sich, wo er, aller Existenzmittel
baar, dieselben Vertröstungen werde hören müssen. Er erkannte die dringende
Nothwendigkeit, selbst und energisch zur Gründung einer Existenz Hand anzulegen, aber
wie? Er war preußischer Referendar gewesen, hatte sich während der verunglückten
Revolution mit dem Staate und seiner Familie entzweit und war mit der letzten
Unterstützung, die ihm die väterliche Hand gereicht, ohne Plan, aber wohlgemuth nach
dem Lande der Freiheit gegangen. Er hatte gerade nicht mehr gelernt, als sein
Brodstudium und eine allgemeine Bildung erforderten; alle praktischen Kenntnisse, um
hier fortzukommen, fehlten ihm gänzlich. Je mehr er seine Fähigkeiten prüfte, je
So weit war er in seinen Gedanken gekommen, als ein verdunkelnder Körper vor seinen gesenkten Kopf trat – er blickte auf und sah gerade in das Gesicht der Dame von gestern, die mit demselben neckischen Lächeln ihr Auge auf ihm ruhen ließ. Unruhig, in eine neue Sprachverlegenheit zu gerathen, sprang er auf, aber im reinsten Deutsch hörte er die Frage: »Heißen Sie nicht August von Helmstedt?«
»Ja, – zu Befehl – jawol heiße ich so!« antwortete er etwas verblüfft und starrte die Fragerin an, – »mit wem habe ich die Ehre –«
»Keine besondere Ehre!« erwiderte diese und zeigte lachend ihre schönen Zähne. »Kennen Sie mich wirklich nicht, Herr ›August‹ ich heiße Pauline Peters.«
»Pauline – meine kleine Nachbarin aus der Friedrichsstraße?« rief Helmstedt halb erstaunt, halb ungläubig.
»Gerade dieselbe, die aber während der Zeit ziemlich groß geworden ist.«
»Aber um Gottes willen, Fräulein, was hat Sie denn nach New-York geführt?«
»O lassen Sie doch das Fräulein weg!« rief sie mit einem halb schmollenden, halb
bittenden Ausdruck, »sind wir denn nicht Duzfreunde gewesen? Und wenn Sie sonst
nichts hier hält, so geben Sie mir Ihren Arm, lassen Sie
Ehe noch Helmstedt recht wußte wie, hatte er schon den halben Park an des Mädchens Seite durchschritten und fühlte ihren Arm leicht wie eine Feder in dem seinen liegen, aber gerade diese leise Berührung ging ihm durch alle Nerven; er sah in ihr frisches Gesicht und hatte doch eigentlich noch kein Wort von ihrem Geplauder bis hierher gehört.
»Aber sagen Sie mir doch nur für's Allererste, wie Sie nach New-York kommen!« begann er wieder, »sind denn Ihre Eltern auch hier?«
Ein Schatten zog über das Gesicht seiner Begleiterin und als sie die Augen nach ihm hob und wieder senkte, war der Ausdruck darin ein so ganz von ihrem frühern neckischen Blick verschiedener, daß der junge Mann seine Frage fast bereute. Ein wunderbarer Reiz aber lag in der leichten Beweglichkeit ihrer Züge, welche die kleinste Seelenregung wiederzuspiegeln schienen.
»Meine Eltern sind ja schon drei Jahre todt; sie starben in der Choleraperiode,«
sagte sie augenscheinlich gedrückt. »Sie waren damals schon längst aus Ihrem
elterlichen Hause. Ich mußte unter fremde Leute gehen und schlimme Zeiten
durchmachen; ich war wirklich mehr zur ›Gräfin‹ geboren, – wie Sie in früheren Jahren
oft meinten, wenn Sie mir recht was Schönes sagen wollten,« und ein lächelnder,
schelmischer Sonnenblitz brach aus ihrem Auge, das sie einen Moment zu ihrem
Begleiter aufschlug, »meine Hände waren für schwere Arbeit zu dünn und zu klein, und
um den ganzen Tag am Nähtische zu sitzen, hatte ich zu viel elastisches Gummi in mir
– es war wirklich eine ganz unglückselige Geschichte. Endlich erhielt eine Freundin
von mir, die sich auch am Nähtische schon halb den Rücken zerbrochen hatte, von einem
Bruder hier in New-York das Geld zur Reise nach Amerika gesandt, und im Briefe
dabei
»Und so leben Sie jetzt bei den Verwandten Ihrer Freundin?«
»Nicht mehr; die Familie ist ins Land gezogen und ich wollte New-York nicht verlassen. – Ich stehe jetzt hier ziemlich allein.«
Helmstedts Auge überflog die reiche, fashionable Kleidung des Mädchens und ein unangenehmer Gedanke dämmerte in ihm auf, der aber nicht zur vollen Macht kommen wollte, als er einen Blick in ihr Gesicht warf, dessen rosige, weiche Züge trotz des koketten Schelmes, der daraus hervorguckte, noch mit dem unberührten Duft der Jungfräulichkeit überhaucht zu sein schienen.
»Sie stehen allein hier, Fräulein?« fragte er nach einer augenblicklichen Pause, aber die leise Veränderung in seinem Tone schien ihr Alles, was in ihm vorging, verrathen zu haben. »Ja, fast allein, Herr von Helmstedt,« erwiderte sie und blickte ihn ernst und voll an, »aber ich will Ihnen zweierlei sagen: Erstens genießt die Frau hier zu Lande einen ganz merkwürdigen Schutz, wenn sie sich nur selbst schützen will, und zweitens können Sie, ohne Sorge, Ihre Ehre zu gefährden, sich mit mir in den Straßen New-Yorks zeigen!«
»Aber Fräulein –«
»Aber Herr von Helmstedt! Warum nennen Sie mich ›Fräulein‹, warum legen Sie einen
solchen Gespensterton in Ihre Frage, ob ich allein stehe, und verderben mir meine
ganze Freude, Sie wieder zu sehen? Ich bin doch nicht an vier hintereinanderfolgenden
Tagen durch den Park gegangen, nur um sicher zu werden, ob Sie es auch wirklich
seien, der auf die Bank dort gebannt schien, wie der trauernde Genius dort unten im
Marbleshop auf dem Grabstein, den Niemand
»Aber liebe Pauline, es ist mir ja doch nicht eingefallen –«
»Gut, Herr August, ich bin jetzt schon zufrieden – sagen Sie mir nun aber auch, wollen Sie wol heute Abend den Thee mit mir nehmen? – ich meine in meiner Wohnung, wir werden ganz allein sein!«
»Ja – von Herzen gern!« erwiderte Helmstedt, dem bei dieser Einladung zehn verschiedene Vorstellungen durch den Kopf schossen und eine eigenthümliche Befangenheit in ihm erzeugten – als er sie aber anblickte, traf er auf ein so feuchtes, inniges Auge, welches zu ihm aufschaute, daß er ihren Arm fester an sich zog, ohne sich von den ihn durchkreuzenden Gefühlen Rechenschaft zu geben.
Sie hatten Broadway erreicht und diesen eine Strecke verfolgt, ohne daß die lebhafte Passage ihnen viel Worte erlaubt hätte; jetzt aber bog Helmstedts Begleiterin in eine Seitenstraße ein. »Wir haben noch ein gutes Stück bis zu meiner Wohnung,« sagte sie, »aber lassen Sie uns den Weg durch eine der stilleren Avenues nehmen – und jetzt sagen Sie mir doch nur mit zwei Worten, was Sie nach New-York gebracht? Ich hörte noch in Berlin, daß Sie Ihr Examen bestanden und beim Kammergericht eingetreten waren; das ist etwa ein und ein halbes Jahr her und ich habe mir in den letzten Tagen fast den Kopf wirre gedacht, was sie aus Ihrer Carriere nach Amerika hat werfen können. Hätte mich der Schnurrbart nicht unsicher gemacht – 's ist schon so lange her, daß ich Sie zum letzten Male gesehen – so hätte ich Sie schon am ersten Abend angesprochen.«
Helmstedt fühlte sich von der naiven Theilnahme, die sich in jedem Worte des Mädchens
aussprach, warm und
»Ich denke, ich bewerbe mich irgendwo um eine Schulmeisterstelle!«
»Um – um eine Schulmeisterstelle?« wiederholte seine Begleiterin, die plötzlich ihren Schritt anhielt und in ein Lachen ausbrach, so hell und klar wie Silber. »Sie, August, Schulmeister? – aber seien Sie nicht böse, ich konnte mir wahrhaftig nicht helfen!« sagte sie weitergehend, augenscheinlich bemüht, ihre lustige Laune zu bändigen; »wie um Gottes willen sind Sie denn auf die Idee gekommen?«
»Ja, wie!« erwiderte Helmstedt, und trotz aller sorgenvollen Gedanken, die plötzlich wieder vor seine Seele traten, hätte ihn beinahe das Lachen seiner Gefährtin angesteckt. »Wissen Sie vielleicht etwas anderes für mich?«
»Aber Sie sind doch Jurist,« erwiderte sie, ernster werdend, »warum gehen Sie nicht zuerst als Schreiber zu einem Advocaten und lernen, was Ihnen hier noch Noth thut, halten nachher Reden, werden bekannt, bekommen dadurch tüchtige Praxis oder lassen sich in ein paar Jahren zu irgend einem Amte wählen? Wenn ich ein Mann wäre, ich würde in Amerika gar nichts anderes als Advocat!«
»Well, das ist bald gelernt. Sie nehmen sich für ein paar Monate einen Lehrer und halten sich von aller deutschen Gesellschaft fern. Stehe ich auch allein, so habe ich doch einen Freund, der Sie in die beste amerikanische Gesellschaft bringen kann – ich weiß, August, daß es gerade Ihnen unter den Amerikanern gar nicht fehlen kann, wenn Sie nur wollen!«
Helmstedt antwortete nicht sogleich, aber sein Gesicht verrieth einen ganzen Berg trüber Gedanken. »Sie sind ein liebes, gutes Kind, Pauline,« sagte er nach einer Weile, »aber mit dem Plane ist es nichts.«
»Aber der Grund?«
»Weil's – weil's eben nicht geht. Hätte ich zwei Monate, die ich bereits in New-York verlebt, nach Ihren Ideen genutzt, so hätte ich diese vielleicht verfolgen können, – jetzt ist es zu spät!«
Das Mädchen sah ihm einen Augenblick forschend ins Gesicht, dann schien ihr plötzlich ein Verständniß aufzugehen, das sich wie ein Sonnenschein über ihre Züge verbreitete. »Dort ist meine Wohnung,« begann sie nach einer kurzen Pause, »wir wollen dort weiter über die Sache reden, vielleicht läßt sich trotz aller Unmöglichkeiten doch ein Ausweg finden.« Helmstedt sah das strahlende Lächeln in ihrem Gesichte, aber er begriff es nicht, wie ihm das ganze Mädchen und ihre Verhältnisse ein Räthsel waren.
Ueber einen von Bäumen beschatteten grünen Vorplatz, von der Straße durch ein
eisernes Gitter abgeschlossen, schritt ihm das Mädchen nach einem kleinen, im
eleganten »Cottagestile« gebauten Hause voran. Sie sprang behend die Außentreppe
hinauf, zog die Klingel und eine Mulattin, knapp und Zauber gekleidet, öffnete. Sie
machte der Eintretenden eine Meldung in englischer Sprache, von der Helmstedt aber
nur die Worte: »Ihr Onkel ist hier gewesen, Miß Peters!« verstehen konnte, er sah
aber, wie das Gesicht seiner Jugendfreundin
Sie schritten die elegante, mit dicken Teppichen belegte Treppe nach einer Vorhalle hinauf, aus welcher Helmstedt in ein Zimmer trat, das eine Empfindung in ihm hervorbrachte, als werde er mit einer weichen, duftigen Decke umhüllt. Die Luft war von jenem unbeschreiblichen Wohlgeruch geschwängert, der das Eigenthum der Bekleidung jeder wahren Dame zu sein scheint; die schweren Gardinen ließen die Helle nur gebrochen ins Zimmer fallen, und die Anordnung der Meubles, der weichen Divans und niederen Ruhesessel gaben in Gemeinschaft mit dem schweren Fußteppiche, der keinen Schritt hören ließ, dem Zimmer einen Charakter von wunderbarer Heimlichkeit. Helmstedt hatte noch nie den Comfort des amerikanischen Südens gesehen, wie er sich hier darbot, und als seine Begleiterin ihm mit einem Lächeln den Hut aus der Hand nahm, dann sich des ihrigen entledigte, Mantille und Handschuhe bei Seite that, mit einem kurzen Blick in den Spiegel die Haare zurückstrich und nun die kleine Hand hinstreckend auf ihn zutrat, wollte ihn das Gefühl einer entnervenden Aufregung überkommen, wie sie ihm bis jetzt vollkommen fremd war.
»Sie wohnen allein hier, Pauline?« fragte Helmstedt, nur leise die dargebotene Hand zwischen die seine nehmend.
»Mary und ihr schwarzer Mann haben das Basement inne,« erwiderte sie, ihm ruhig ins
Gesicht sehend – »und das sind zwei Dienstboten treu wie Bulldoggen. Mr. Morton, dem
das Haus gehört und der Zeitweise ein paar Zimmer hier oben einnimmt, hat sie erst
vor drei Monaten aus Alabama mit herausgebracht. Mr. Morton ist nämlich ein alter
Herr, den ich Onkel nenne,« setzte sie mit einem neuen Anflug von Röthe hinzu ohne
indessen das
»Stolz – ich?«
»Daß jede angebotene Hilfe wie eine Beleidigung, wie ein Zweifel an Ihrer eigenen Kraft von Ihnen aufgenommen wird – Sie waren wenigstens als wilder Junge so und Sie haben gerade noch denselben Zug zwischen den Augen!«
»Nun, und wenn ich nun noch so wäre?«
»Hören Sie einmal, August – nicht wahr, Ihnen fehlt weiter nichts als das Geld, um hier wieder Ihre alte Carriere einzuschlagen? Wenigstens habe ich das errathen!«
»Nun?«
»Und wenn Sie nun Jemand dadurch glücklich machen können, daß Sie seine Hilfe annehmen, würden Sie sie zurückstoßen? – halt, warten Sie erst!« rief sie aufspringend, als Helmstedt Miene machte sich zu erheben, und faßte seine beiden Arme, »August, wir sind doch Freunde aus der Kindheit und wenn mir irgend ein Glück widerfahren wäre, so hätt's nicht größer sein können, als das, Sie wiederzusehen – ich habe ein Recht, Ihnen zu helfen; nicht wahr, Sie schlagen mir's nicht ab, da ich's kann?« Ihr Blick wurzelte in dem seinen mit einer Innigkeit, die ihm bis tief ins Herz drang.
»Aber ich will Ihnen Rechenschaft geben!« rief sie leidenschaftlich aufspringend – »ich weiß, was du denkst, August, aber es ist nicht so, und du sollst noch Alles erfahren – sei jetzt gut gegen mich, wie du's früher warst – 's ist eine glänzende Einöde, in der ich hier lebe; aber an dem Tage, an welchem ich dich in dem Parke sitzen sah, war mir's, als blühe ein ganzes Paradies in mir auf! sei kein gefühlloser Bär, August,« rief sie, als Helmstedt sich erheben wollte und legte ihre beiden Arme auf seine Schultern, »ich will ja nichts, als daß du mich ein klein wenig lieb haben sollst – ein ganz klein Bischen nur, denn dann wirst du mir's nicht verweigern, daß ich dir helfe und daß ich dich lieb haben darf wie mein Leben!« Sie hatte seinen Kopf zwischen ihre Hände genommen, Helmstedt fühlte einen brennenden Kuß auf seinen Lippen, dann aber hatte sie sich umgedreht, war nach dem Fenster gegangen und brach dort in ein krampfhaftes Weinen und Schluchzen aus. Helmstedt sprang auf, von zehn widerstreitenden Empfindungen bestürmt. »Pauline, seien Sie kein Kind!« sagte er und wollte sie in seinen Arm nehmen, aber sie wand sich leicht los, trat in die Vertiefung des nächsten Fensters und war in kurzem Kampfe bald ihrer Aufregung Herr geworden. »'S ist schon gut, August,« sagte sie mit einem Lächeln in Thränen sich umkehrend; »ich bin eine Närrin, aber seien Sie mir nicht bös darüber!«
»Sie sind ein leidenschaftliches Kind, Pauline, und haben mir noch nicht einmal Zeit
zu einem einzigen Worte gelassen!« erwiderte Helmstedt und nahm ihre Hand zwischen
Sie nickte still mit dem Kopfe. »Aber, gesetzt den Fall, Sie hätten eine reiche Braut, die Sie liebten,« sagte sie nach einer kurzen Weile, »würden Sie sich auch von der nicht Ihren Weg erleichtern lassen?«
»Ich glaube nicht, daß, wenn ich selbst nicht viel Geld hätte, ich jemals ein reiches Mädchen zu meiner Braut machen könnte.«
»Supper is ready!« rief die Mulattin durch die halbgeöffnete Thür.
»Lassen Sie uns hinunter zum Abendbrode gehen!« sagte das Mädchen mit einem trüben Blicke und wollte ihre Hand aus der des jungen Mannes ziehen; dieser hielt sie aber mit kurzem Drucke fest. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Pauline,« sagte er, »aber ich meine, es ist besser, wenn ich nach Hause gehe, wir sind Beide zu aufgeregt, ich sehe Sie ein andermal wieder!«
»Ich will Ihnen zu nichts mehr zureden,« erwiderte sie mit gedrückter Stimme, »ob wir
uns so bald wiedersehen werden, weiß ich auch nicht; Mr. Morton ist angekommen und
hat über mich zu bestimmen. Aber um Eins bitte ich Sie, August! Wenn einmal eine Zeit
kommen sollte, wo Ihre eigene Kraft die Hindernisse hier im Lande nicht mehr bändigen
kann und wo eine helfende Hand nicht mehr gegen Ihre Ehre ist, so vergessen Sie
nicht, daß Sie hier trotz Ihres Stolzes eine warme Freundin haben, wärmer – als Sie
es verdienen!« Sie schlug einen Moment das Auge überquellend zu ihm auf, dann machte
sie ihre Hand los
An der Ecke von Broadway stand, einen Korb voll kleiner Toiletten-Gegenstände zum
Verkauf um den Hals gehangen, ein Junge mit ausgeprägt jüdischen Zügen. Ein wild
gewordenes Pferd mit einem Wagen hinter sich kam prasselnd die Straße herab, und in
dem augenblicklichen Gedränge, das durch die flüchtenden Fußgänger auf dem Seitenwege
entstand, wurde dem kleinen Verkäufer der Korb vom Halse gerissen, und alle
Herrlichkeiten darin über das Pflaster gestreut. Der Bube versuchte weinend seine
Sachen wieder zusammen zu lesen und vor den Tritten der Passirenden zu schützen, und
Helmstedt, der den ganzen Jammer des jungen Herzens mitfühlte, trat rasch hinzu, um
aus dem Bankerott retten zu helfen, was wöglich. Als aber in dem wieder gefüllten
Korbe, der jetzt ein Chaos von zerbrochenen Seifenstücken und in den Schmutz
getretenen Allerhands bot, sich die ganze Größe des Unglücks zeigte und der Knabe
nach einem trostlosen Blicke darauf in ein bitteres Schluchzen ausbrach, klopfte ihm
Helmstedt in einer Aufwallung des Mitgefühls auf den schwarzen Krauskopf. »Heule
nicht, Bub, das Malheur wird sich ja noch gut machen lassen!«
»Halloh, Herr von Helmstedt, so einsam im Halbdunkel?« rief Seifert, der in diesem Augenblick zur Thür hereintrat, »delibrirend? O! Cassa machend – Ausgezeichnetes Geschäft! – aber lassen Sie sich nicht stören!« fuhr er fort, als Helmstedt das noch offen liegende Geld in die Börse zurückstrich, sie im Koffer verbarg und diesen zuschlug, »ich wollte Ihnen im Vorübergehen nur einen guten Abend wünschen!« Helmstedt sah auf und hätte kaum den früheren Menschen in ihm wiedererkannt; ein flotter, modischer Frack saß wie angegossen um ihn, über die weiße Weste fiel eine goldene Kette, das Fischbeinstöckchen schlug die enganschließenden Beinkleider und auf dem wohlfrisirten Haare saß keck ein feiner Kastor.
»Mit Ihnen ist ja eine merkwürdige Veränderung vorgegangen!« sagte Helmstedt, ihn musternd, und es war ihm, als nehme seine Erscheinung eine Sorge von ihm, die noch über die Ausführung seiner eben gefaßten Entschlüsse auf ihm gelastet. »Kommen Sie her und nehmen Sie Platz!«
»Meinen Sie mich oder meinen Frack, dem diese Ehre zum ersten Mal widerfahren soll?«
lachte Seifert, »aber ich
»Vielleicht hätte sie auch bei mir gepaßt,« erwiderte Helmstedt, und machte einen Stuhl von den darauf liegenden Kleidungsstücken frei, »wenn Sie mir nicht erst gestern von Ihren verschiedenen Anstellungen erzählt hätten, wozu natürlich eine entsprechende Livree gehört. Also setzen Sie sich ohne Sorge um ein Mißverständniß.«
»Fein revanchirt, beißend revanchirt,« sagte Seifert mit einem Lächeln, dessen Deutung schwer gewesen wäre, »aber Sie wissen, wir differiren in einzelnen Punkten, und darum lassen Sie uns die Streitaxt begraben.«
»Sie kommen mir eigentlich gerade recht,« begann Helmstedt, sich auf seinen Koffer niederlassend und die Stirn in die Hand stützend, »ich möchte mir ein paar Fragen an Sie erlauben. Haben Sie wol die Dame genau gesehen, mit der ich sprach, als Sie mich gestern im Park trafen?«
»Mir entgeht Derartiges nicht leicht,« sagte der Besucher und lehnte sich auf seinen Stuhl zurück, »und ich gestehe Ihnen, daß mich Ihr Glück einigermaßen frappirt hatte.«
Helmstedt hob den Kopf. »Davon ist nicht die Rede. Ich möchte nur wissen, ob Sie das Gesicht in Ihren Kreisen einmal irgendwo vor die Augen bekommen haben?«
»Das heißt – erlauben Sie,« lachte Seifert, »in dem Falle hätte ich mir andere Bemerkungen gegen Sie und Ihre stillen Vergnügungen erlaubt, ich habe nicht einmal einen Zweifel in mir laut werden lassen, so fremd war mir die Erscheinung.«
Helmstedt ließ den Kopf wieder in die Hand sinken. »Seifert, ich glaube, Sie haben Recht, ich muß amerikanische Gesellschaft suchen – aber wie?« begann er nach einer Weile wieder, »ich möchte zuerst aus diesem Hause heraus und mich kopfüber unter das englisch-sprechende Publikum stürzen!«
»Je eher, je lieber,« erwiderte Helmstedt, sich erhebend, »aber lassen Sie mich Eins sagen, Seifert, bringen Sie mich nicht an Orte, gegen die ich nun einmal grundsätzlich einen Widerwillen habe. Sie werden gewiß irgendwo muntere, aber anständige Gesellschaft wissen und ich will's Ihnen doppelt danken, wenn Sie diese Rücksicht für mich nehmen!«
»Werde Ihr jungfräuliches Gefühl möglichst zu schonen wissen! Lassen Sie sehen. Heute Abend sind Sie mein Gast bei einem Familien-Supper – fünf bis sechs noble junge Leute, einige Damen – das macht den Anfang, morgen werde ich Ihnen ein amerikanisches Boardinghaus, für Ihren Zweck vorzüglich geeignet, zuweisen, und dann findet sich das Uebrige.«
»Aber, lieber Freund, ich will nicht extravagiren, meine Mittel sind so geschmolzen, daß ich mich einschränken muß so viel als möglich!«
Seifert zuckte die Achseln. »Richten Sie sich ein wie Sie wollen,« sagte er, »einmal gehen Sie doch zu Ende und die Hauptfrage bleibt nur, auf welche Weise der möglichste Nutzen daraus zu ziehen ist. Aber wir verstehen uns darin nicht, und ich will Ihnen auch nie eher wieder einen Rath geben, als bis Sie mich bestimmt darum bitten. Jetzt wollen Sie amerikanisches Leben und die Sprache kennen lernen, gut, ich bin Ihr Mann, im Uebrigen folgen Sie Ihrem eigenen Gutdünken.«
»Und um welche Zeit findet Ihr Supper statt?« fragte der Andere, seine Stirne reibend.
»Wir können sogleich gehen!« war die Antwort, »wir
Helmstedt ging zum Spiegel, ordnete Haar und Anzug, verschloß dann sorgfältig seinen Koffer und Beide verließen das Haus.
In einer der Straßen im obern Theile von New-York, nicht weit ab von Broadway, stand
eine Stunde später Seifert in Begleitung seines Landsmannes und eines Dritten vor
einem Hause, das sich in nichts von den übrigen Wohnhäusern unterschied, und zog die
Glocke. Ein Portier öffnete und ließ sie nach Abforderung ihrer Einlaßkarten
passiren. Seifert, der volle Lokalkenntniß zu haben schien, schritt nach dem hintern
Theile der Halle voran und öffnete dort die Thür zu einem schwach erleuchteten
Zimmer, das eine Art Garderobe vorzustellen schien. Als sie hier ihre Hüte neben
mehrere bereits vorhandene ablegten, sah Helmstedt die dritte Person, die bei ihnen
war und eben Seifert eine Bemerkung zuraunte, zum ersten Male genauer an, da ihre
gegenseitige Vorstellung nur flüchtig und im Halbdunkel des Hotel-Ausganges erfolgt
war; und wenn auch Kleidung und Haltung den Mann aus der fashionablen Welt
bezeichneten, so lag doch in diesem Augenblick ein solcher Ausdruck von gemeiner
Begierde in seinem Gesichte, und Seiferts Lachen auf seine Bemerkung stimmte so dazu,
daß sich Helmstedt eines widerwilligen Gefühls nicht erwehren konnte. In diesem
Augenblicke aber flog die Thür des nächsten Zimmers auf, strahlender Lichtschein und
helles Lachen brachen heraus, und mit zwei Schritten standen die Ankömmlinge in einem
prachtvoll erleuchteten geöffneten Doppelparlor. Die Divans, die ohne besondere
Ordnung umherstanden, nahmen zwanglose Gruppen von jungen Männern und lachenden
Fraüngestalten ein. Hier kniete Einer und küßte die Hand einer feinen Blondine,
während
»Mesdames et Messieurs!« rief Seifert, neben seine beiden Begleiter tretend und in französischer Sprache fortfahrend, »ich habe die Ehre, Ihnen zwei meiner Freunde, hier, ›le comte de Helmstedt‹, der sich unter Ihre Fittige begibt, um Englisch zu lernen, und hier Mr. Baker von Alabama vorzustellen. Beides zwei ausgezeichnete Jungen, die ich Ihrer Fürsorge empfehle. Aber ich sehe mit Bedauern, daß Sie auf uns gewartet haben, und da ich ausersehen bin den Wirth zu spielen, so bitte ich zu Tische zu gehen, damit der Champagner nicht warm wird.« Aller Augen hatten sich bei der Vorstellung den neuen Ankömmlingen zugewandt und hauptsächlich die Blicke der Mädchen nach der noblen Gestalt des »comte« gerichtet. »Zu Tisch!« rief Seifert aus dem Hinterparlor, der bereits den Kopf einer Flasche bearbeitete; die Gruppen erhoben sich und eben als Helmstedt überlegte, wie er sich am besten benehme, stand ein schwarzlockiges, blitzäugiges Mädchen vor ihm, das ihm mit einem »s'il vous plait, Monsieur!« die Hand reichte und ihn zu Tische führte. – –
Am andern Morgen erwachte Helmstedt in seinem Zimmer mit einem Gefühle von bleierner
Schwere im Kopfe. Er richtete sich langsam auf und die Erinnerung des vergangenen
Abends begann in einzelnen Zügen in ihm aufzudämmern. Er sah seine Tischnachbarin,
wie sie ihn in Beschlag nahm, ihm unaufhörlich einschenkte und credenzte, zuletzt
aber ihr Glas zu Boden warf und nur aus dem
Plötzlich schien ein zweiter Gedanke durch seinen Kopf zu zucken. Er fuhr auf und
ließ mit Blitzesschnelle den Blick über alle Gegenstände im Zimmer laufen, nahm mit
Hast seine umherliegenden Kleidungsstücke vom Tische und den Stühlen – es war seine
goldene, mit aus Deutschland gebrachte Uhr, die er suchte; aber auch davon war
nirgends
Helmstedt ging ins Gastzimmer hinab, ließ den Wirth rufen und theilte ihm in möglichster Fassung das Geschehene mit; der Mann sah ihm einen Augenblick scharf in das bleiche Gesicht und rief dann den Porter. Es sei spät in der Nacht gewesen, erzählte dieser, als er auf das Anziehen der Klingel die Thür geöffnet; derselbe Herr, mit dem Helmstedt gestern Abend ausgegangen, habe ihn, der total betrunken gewesen sei, zur Thür hereingeführt, habe sich von ihm, dem Porter, ein Stück Licht und den Schlüssel zum Zimmer geben lassen und sodann den Betrunkenen mühsam zur Treppe hinauftransportirt – nach kurzer Zeit sei er aber wieder herunter gekommen und habe ihn zur Hilfe geholt, da Helmstedt ganz besinnungslos sei und er ihn nicht allein weiter bringen könne. Helmstedt habe auf einem Absatz der Treppe gelegen und von dort hätten ihn Beide nach seinem Zimmer getragen, hätten das Stück Licht an der Gasflamme angebrannt und ihn dann ins Bett gelegt. Der Herr sei sodann mit ihm, dem Porter, wieder die Treppe herabgekommen, und er habe ihn zur Hausthüre hinausgelassen. – Helmstedt hatte mit peinlicher Aufmerksamkeit dem Berichte zugehört.
»Und ist der Mann, der mich brachte, nicht allein im Zimmer gewesen?« fragte Helmstedt nach einer augenblicklichen Pause.
»So viel ich weiß, nicht,« war die Antwort. »Er gab mir den Schlüssel, als wir hinaufkamen, und ich schloß auf, da er Sie beim Kopfe trug; nachher sind wir zusammen heruntergegangen.«
»Haben Sie meine Uhr beim Auskleiden nicht bemerkt?« fragte Helmstedt.
Der Porter dachte einen Augenblick nach. »Ich glaube nicht, daß ich etwas von einer Uhr überhaupt gesehen habe.«
»Und die Thür ist die ganze Nacht offen geblieben?« fragte Helmstedt weiter.
Der Wirth schüttelte den Kopf. »Es hätte mir nichts Unangenehmeres begegnen können,« sagte er, »aber für die Leute im Hause möchte ich mich verbürgen. Wo war Ihr Kofferschlüssel, als Sie gestern ausgingen?«
»In meinen Beinkleidern!«
»Und wo war er heute Morgen?«
»Noch an derselben Stelle in meiner Tasche!«
»Haben Sie wieder geschlafen, während der Herr hier von dem andern die Treppe allein hinaufgebracht wurde?« wandte sich der Wirth an den Porter.
»Ich glaube nicht, aber ich war müde!«
Der Wirth nickte. »Ich will Ihnen sagen, lieber Herr, Sie scheinen in die allerschlimmste Gesellschaft gerathen zu sein. Wo Sie gewesen sind, geht mich nichts an, aber es ist ziemlich klar, daß der gute Mann, der Sie heimgebracht, sich die Gelegenheit und Ihren Zustand bestens zu Nutze gemacht, Ihnen Uhr und Kofferschlüssel abgenommen und Sie auf der Treppe hat liegen lassen, bis er Ihr Geld aus dem Koffer geholt. Nachher hat er den verschlafenen Porter gerufen. Auf jeden Fall müssen Sie selbst durch eine Unvorsichtigkeit ihm Kenntniß von dem Gelde gegeben haben und ich kann Ihnen nur rathen, der Polizei sofort von dem Falle Kenntniß zu geben, oder noch besser, gleich mit einem Officier dem Burschen auf's Quartier zu rücken.«
»Und nun weiß ich nicht einmal, wo er wohnt!« rief Helmstedt und schlug sich mit der
Faust vor den Kopf, »aber halt! ich finde ihn!« Und von einem lichten Gedanken
gefaßt, verließ er das Zimmer und ging im Sturmschritt Broadway zu. Im
Metropolitan-Hotel mußten sie etwas von dem Menschen wissen; er hatte den Abend
vorher mit allen Aufwärtern vollkommen bekannt gethan, und außerdem logirte dort ihr
Gefährte von letzter Nacht, Mr. Baker von Alabama, der sicherlich auch einige
Auskunft über Seiferts
»Kann ich Ihnen mit etwas diene?« ließ sich jetzt eine Stimme neben ihm hören. »Sie sind bestohle worden, hat mir mein Schwestersohn gesagt, der heute Morgen bei Ihne war?« Helmstedt sah, sich umwendend, in das Gesicht desselben Juden, der ihn Tags vorher schon auf der Straße angesprochen hatte, aber das graubärtige Gesicht erschien ihm heute wie eine Hilfe in der Noth. »Well, Sir, ich kenne Sie zwar nicht,« begann er –
»Aber ich kenne Sie schon, wenn ich auch nicht weiß,
Helmstedt warf einen Blick in sein Gesicht, das trotz der schlauen Augen eine eigenthümlich gutmüthige Theilnahme zeigte, trat mit ihm bei Seite und hatte ihm schnell genug sein Unglück und die Absicht, die ihn hierhergeführt, mitgetheilt.
»Wird nicht viel zu hole sein!« erwiderte der Jude nachdenklich. »Ich kenne den Mann von Alabama, den Sie meine – ich kenne ihn,« wiederholte er, langsam mit dem Kopfe nickend und ein Zug wie stiller Ingrimm zuckte über sein Gesicht, »und den Andern hab' ich gestern mit ihm zusammen gesehen – wird nicht viel zu hole sein – können's aber probire, komme Sie!« Damit schritt er Helmstedt nach dem Innern des Hotels voran, wandte sich an den Klerk der »Office« und begann mit diesem ein Gespräch, von dem Helmstedt eben nur das Kopfschütteln des Klerks und das Nicken seines Begleiters verstehen konnte. »'S ist schon, wie ich gedacht!« sagte dieser endlich achselzuckend, sich dem Ausgange zuwendend, »Mr. Baker ist heute Morgen abgereist, und den Andern, der ihn gestern Abend abgeholt, kennen sie nicht weiter, als daß er früher oft hierher gekommen ist – er ist nicht hier beschäftigt und sie wissen auch nichts von seiner Wohnung. Jetzt komme Sie mit mir nach der Polizei, vielleicht kann die den Vogelfange – aber's Geld schlagen Sie sich nur aus den Gedanken, das ist Ihr Lehrgeld gewese!«
Ueber Helmstedt kam es wie ein Schwindel, als er an der Seite des Alten die Straße
hinab ging, die ganze Hilflosigkeit seiner Lage trat wie ein Gespenst vor ihn. Wenn
sein Wirth ihm nicht der Barmherzigkeit willen Credit geben wollte, bis er irgend
einen Verdienst gefunden, so mußte er Alles, was er nicht zum Allernothwendigsten an
Kleidern und Wäsche brauchte, verkaufen und konnte, wenn das aufgezehrt war, im Hotel
Park logiren mit der Aussicht,
»Habe Sie denn gar kein Geschäft?« begann der Alte an seiner Seite das Gespräch wieder. Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich bin im Gerichtsfach in Preußen angestellt gewesen,« sagte er, »und das kann ich hier nicht brauchen.«
»Nun, habe Sie denn nicht irgend einen Gedanken gehabt, wie Sie hier Ihr Leben machen wollen?«
»Ich habe gedacht, es würde sich irgend eine Stelle für mich finden, wie so viele Andere auch ihr Leben durchbringen, aber das Schlimmste ist, das ich kein Englisch verstehe.«
»Ja, was wolle Sie denn jetzt anfange?« fragte der Jude kopfschüttelnd; »an der Eisenbahn oder am Kanal könne Sie doch nicht arbeiten, da ist mit solchen Händchens nichts zu mache – so geht's nun den großen Herren, wenn's einmal heißt: hilf dir selber!«
Helmstedt warf einen Blick auf seinen Begleiter und preßte dann die Lippen aufeinander, ohne zu antworten. Der Alte sah ihn von der Seite an. »Ja, das thut weh, weil's den Stolz beißt!« sagte er, »und der müßte auch erst ganz todt sein, ehe's eine Möglichkeit wäre, daß Ihnen irgendwie geholfen werden könnte!«
Helmstedt ließ mit zusammengezogenen Augenbrauen noch einmal den Blick über die reinliche aber schäbige Kleidung seines Begleiters laufen und blieb dann stehen. »Ich danke Ihnen für den Dienst, den Sie mir erwiesen haben,« sagte er, »aber ich finde jetzt schon einen Bekannten, der mit mir nach der Polizei geht.«
Der Alte nickte mit dem Kopfe. »Sehen Sie, der Stolz schlägt hinten und vorn aus, trotz Ihrer Noth! Sie haben mir doch gesagt, daß Sie Niemand wissen, der Ihnen einen bestimmten Rath für Ihr Fortkommen geben kann, und doch schieben Sie mich fort, blos weil ich Ihnen gradaus ein bischen sage, was Sie hören müssen.«
»Da doch der Jud' nichts ohne Profit thut, meine Sie?« sagte der Alte weitergehend. »Nun, ich hab' vielleicht meinen Profit dabei, wenn auch bei Ihnen jetzt nichts zu holen ist. Sie sind ein Mann, der's Herz grad hat, wo's sein muß, auf einem bessern Fleck, als viele von Ihren Christenleuten, das hab' ich blos an der kleinen Sache mit meinem Schwestersohn gemerkt und in Ihrem Gesichte steht auch noch was geschrieben. Ob ich aber mit all' meinem guten Willen helfen kann, das muß erst untersucht werden. Sie müssen mir sagen, was Sie gelernt haben, dann sage ich Ihnen meine Meinung, und ob Sie die annehmen wollen, ist nachher Ihre Sache!«
Helmstedt strich mit der Hand über das Gesicht. Die Rede seines Begleiters war ihm bald wie das bloße Wichtigmachen eines aufdringlichen Menschen vorgekommen, bald hatte aber auch wieder eine Sicherheit mit halbem Spott gemischt darin gelegen, die ihn beleidigte und doch unwillkürlich imponirte.
»Ich kann eben nichts, als was man auf deutschen Schulen und Universitäten lernt, ich hab's Ihnen schon gesagt,« erwiderte er, »und ein bischen Clavierspielen daneben; sollten Sie nicht wirklich eine Hoffnung für mich haben, so lassen Sie uns lieber das Gespräch abbrechen, damit mir wenigstens eine neue Täuschung erspart wird.«
»Ja, wenn Sie aber hier in Amerika Ihren Weg machen wollen, so dürfen Sie nicht so kurz gebunden sein, dürfen keine Gelegenheit fortstoßen, wo viel leicht was für Sie herausspringen könnte, wenn's auch zehnmal nichts damit ist. Sie verlieren doch nichts dabei, wenn wir hier mit einander sprechen?«
Helmstedts Gesicht färbte sich höher, aber er schwieg.
Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich mag mit derartigen Dingen nichts zu thun haben, wenn's auch zum Schlimmsten kommen sollte,« sagte er finster, »aber selbst wenn ich mich in ordentlichen Bierhäusern als Clavierspieler herumtreibe, so ist das wol etwas um augenblicklich Essen und Obdach zu verdienen und ich muß Jedem danken, der mir irgendwo zu so einem Platze verhilft – was es dann aber mit meiner Zukunft werden soll, weiß ich nicht, ich lerne nirgends dabei und kann doch nicht ewig zum Bier Musik machen?«
Der Alte nickte wieder. »'S ist schon recht!« sagte er. »Mit dem Clavierspielen
werden Sie aber doch wol anfangen müssen, erst muß einer für morgen sorgen, ehe er an
über's Jahr denkt. Das Musikmachen dauert nur den Abend über und Sie haben den ganzen
Tag für sich. Ich habe noch einen andern Bekannten, der Sie wol in seinem Store
arbeiten ließe, wenn er nichts dafür zu bezahlen brauchte, wo Sie aber geschwinder
Englisch lernen und sich für's amerikanische Leben passend machen können, als mit
zehn Professoren. Es kommt freilich für Jeden, der nicht daran gewöhnt ist, hart an,
den ganzen Tag zu arbeiten und zu lernen und den Abend erst das nöthigste Stückchen
Brod zu verdienen, härter, als es Mancher mit den besten Vorsätzen durchführen kann,
und deswegen rühr' ich auch keine Hand für Sie eher, bis Sie mit mir einen Contract
gemacht haben. Ich verschaffe Ihnen eine Clavierspielerstelle in einem anständigen
Hause, das Sie so gut bezahlt
Helmstedt schaute dem Alten ins Gesicht, das aber in diesem Augenblicke vollkommen undurchdringlich schien; er war unsicher, wie er den seltsamen Vorschlag aufnehmen sollte. Sechs Monate für nichts arbeiten! und doch war dies jedenfalls der einzige Weg, der ihm die nöthigen Kenntnisse und ein mögliches Fortkommen in der Zukunft sichern konnte – aber welchen Nebenzweck oder Vortheil hatte der Jude dabei? – »Ist es ein ehrenwerthes Haus, wohin Sie mich bringen wollen?«
»Wenn ich mich bei unserem Contract nur auf Ihr ehrliches Wort verlassen muß, so werde ich mit Ihnen auch wol kein unehrliches Spiel treiben dürfen!«
»Aber warum soll ich denn keinen Contract gegen Bezahlung eingehen, wenn die Bedingungen günstig sind? Jeder Contrahent muß doch die einzelnen Punkte verstehen können, über die sich geeinigt wird!«
»Der Punkt ist, glaub' ich, ganz verständlich, und was ich für Gründe habe, daß ich ihn verlange, ist eben meine eigene Sache. Ich will Ihnen aber nicht zu- und nicht abrathen – wollen Sie den Contract eingehen, so versprechen Sie mir mit Handschlag, daß Sie ihn halten werden; wollen Sie nicht, so habe ich Ihnen wenigstens den guten Willen gezeigt und wir sagen Adje zu einander.«
Der Sprecher war stehen geblieben und sah dem jungen Mann mit einem Ausdruck von stiller Spannung ins Auge.
»So ist es gut!« erwiderte der Jude, ihm die seinige reichend, »jetzt lassen Sie uns nach der Polizei gehen, Nachmittags will ich alles Nothwendige für Sie besorgen und dann komme ich in Ihr Boardinghaus.«
Es war Mitte December, aber in den beglückten Thälern, wie sie zwischen den südlichen Ausläufern des Alleghany- und Kumberland Gebirges liegen, hatte noch kein unfreundlicher Sturm die Blätter von den Bäumen geweht. Der »Indian-Summer« lag mit seinem tiefblauen Himmel mild über den buntschattirten Wäldern und nur die kahlen Felder verriethen die weit vorgerückte Jahreszeit. Eins dieser Thäler, von allen Seiten durch abgestufte bewaldete Höhenzüge gedeckt, zieht sich von der südlichen Biegung des Tennessee-River nach Alabama hinein, und wen sein Reiseglück einmal hindurchgeführt hat, dem schwindet das üppige Landschaftsbild, in das der menschliche Reichthum überall seine Spuren eingestreut, sobald nicht wieder aus der Seele. So weit das Auge von der gut chaussirten Hauptstraße abschweifen kann, trifft es überall auf weiße, aus dem sie umgebenden Grün hervorleuchtende Villa's, sämmtlich aus Stein im italienischen Stile gebaut und von ausgedehnten Gartenanlagen umgeben. Es sind die Wohnhäuser der Pflanzer, die hier durchgängig mit viel größerem Geschmack ihren Reichthum zeigen, als in irgend einem andern Theile des südwestlichen Landes.
In einem der Frontparlors saß eine junge, bleiche Dame im Schaukelstuhle und vor ihr, sich ungenirt auf den Hinterbeinen eines Stuhles wiegend, ein Mann im Ausgange der Zwanziger, dessen Anzug und Bewegungen man es ansah, daß er die östlichen Hauptstädte gesehen.
»Sie sind ein Kind, Alice!« sagte er soeben und fuhr mit der Hand nach dem Munde, als wolle er ein Gähnen verbergen. »Ich habe Sie geliebt, sehr geliebt, aber es war dennoch kein Gefühl für die Ewigkeit. Wechsel kommen in uns, ohne daß wir etwas dazu thun. Ich bin kaum aus dem Osten zurück und statte Ihnen schon meinen Besuch ab,« fuhr er mit einem Lächeln fort, das einen häßlichen Zug um seinen Mund legte, »können Sie noch mehr Aufmerksamkeit verlangen?«
Das Mädchen schlug ein großes dunkles Auge zu dem Redenden auf. »Ich kenne Sie, Henry, ich kenne Ihre ganze Schlechtigkeit und doch zwinge ich mich oft nicht daran zu glauben. Meinetwegen sind Sie doch heute nicht hierher gekommen,« fuhr sie mit einem leichten Zittern in der Stimme fort, »was ist denn also der eigentliche Grund Ihres Besuches?«
Der Mann hatte nur zu Anfang ihrer Rede einen Blick
Alice sah rasch auf und sank dann, von aller Spannkraft verlassen, in sich zusammen. »Ich habe kein Geld Mr. Baker,« erwiderte sie langsam, »Vater kommt erst nächste Woche zurück und ich habe kaum genug, um unsere Ausgaben zu bestreiten.«
»Sie werden doch vielleicht etwas haben, Miß Morton, wenn ich Sie darum bitte!« erwiderte er, ohne seine Stellung zu verändern.
»Ich habe nichts, wie ich Ihnen sagte!«
»Oder werden für die Hausbedürfnisse sich anderwärts etwas anschaffen können.«
»Ich kann nicht, ohne mich allerlei Vermuthungen auszusetzen.«
»Besser ungegründete Vermuthungen, als gegründetes Gerede!«
Das Mädchen fuhr im Schaukelstuhl in die Höhe wie von einer Schlange gestochen. »Henry,« sagte sie, sich todtenblaß erhebend, »Henry, Sie sind ein Teufel!«
»Warum denn nun gleich ein Teufel?« sagte er, sich mit dem früheren häßlichen Lachen umdrehend. »Sagen Sie, Alice, haben Sie mich nicht früher oft genug einen Engel genannt, und jetzt, weil ich einen kleinen nothwendigen Liebesdienst von Ihnen fordere, muß ich so verändert sein?«
»Aber ich kann doch nicht, ich weiß nicht einmal den geringsten Vorwand, Geld irgendwo zu verlangen.«
Baker zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen, Miß Morton!« sagte er kalt und ging nach dem Ausgange.
Des Mädchens Augen folgten ihm weit aufgerissen. »Henry!« rief sie, als er ohne Zögern die Thür öffnete.
Das Mädchen zuckte wie unter verhaltenem Schluchzen zusammen. »Nehmen Sie, dort legt es,« sagte Sie endlich langsam, »aber tödten Sie mich nicht noch.«
Baker sah einen Augenblick scharf prüfend auf sie, zuckte dann die Achseln und leerte das Portemonnaie, jede Banknote glatt legend, sie durchzählend und sorgfältig in sein Taschenbuch steckend. »Ich danke vorläufig, Alice!« sagte er dann und verließ das Zimmer. Als er sein Pferd auf dem Hinterplatze losband, kam von der Seite des Portiko her, auf den sich einzelne mit Jalousien geschlossene Glasthüren des Parlors öffneten, den Baker eben verlassen, ein unter der Last seines Kastens gebückter alter Pedlar und ging, ohne aufzusehen, nach den Hütten der Schwarzen zu, die einige hundert Schritte hinter dem Hause ihren Anfang nahmen. – –
Eine halbe Meile weiter dem Gebirge zu, aber näher dem Flusse, lag auf einer Erhöhung
ein zweites Landhaus, das kaum mit dem Dache über den Kranz von Eichen, der die
untere Hälfte des Hügels einsäumte, heraussah. Nach
Das Abenddunkel war schon hereingebrochen, als zwischen den Negerhütten hervor ein hoher, stattlicher Mann dem Landhause zuritt. Als er einen der hintern Seitenflügel desselben, worin Küche, Waschhaus und die Vorrathskammern sich befanden, erreicht hatte, hielt er das Pferd an und sah scharf nach einem Gegenstande hinter dem Hause. »Wer ist hier?« rief er nach einer kurzen Weile. Die Gestalt eines jungen schlanken Schwarzen näherte sich. »Ich bin's, Mr. Elliot – Cäsar!« sagte er und nahm seine Mütze ab.
»So? Well, wie steht die Geschichte? Bist du mit Sarah im Klaren? Ich mag das Herumschleichen hier am Hause bei Nacht nicht gerne leiden. Macht eure Sache kurz ab, dann will ich mit deinem Herrn irgend ein Arrangement treffen, daß er dich mir abtritt, und ihr könnt euren Haushalt mit einander anfangen.«
»Bitte, Master, sein Sie nicht böse auf mich, aber die
»So? Seid ihr denn nicht vorher mit einander einverstanden gewesen?«
»Ich dachte so, Master!«
»Well, das nächtliche Herumstreichen taugt nichts, die Sache muß zu einem Ende kommen. Geh jetzt heim, Cäsar, ich werde mit dem Mädchen reden und morgen Abend soll sie dir selbst Bescheid geben.«
»Dank Ihnen tausend Mal, Master!« und mit einem Sprunge war der Schwarze über die nächste Einzäunung und verschwand im Dunkeln. Elliot wandte sich nach den Ställen, wo ihm ein Neger das Pferd abnahm, und ging sodann dem Hause zu.
In einem Zimmer des obern Stockes befanden sich währenddem zwei Mädchen, die ein
eigenthümliches Genrebild geboten hätten. Das eine, frisch wie eine aufbrechende
Rosenknospe, lag an dem geöffneten Fenster nachlässig im Schaukelstuhle und wiegte
sich, die Spitzen der beiden kleinen Füße auf einen gepolsterten Schemel gestützt,
langsam rück- und vorwärts. Sie war halb entkleidet und die kaum entwickelten Formen
wurden nur leicht durch einen dünnen Shawl verdeckt. An dem geräumigen, von Marmor
eingefaßten Kamine, in welchem trotz des milden Abends ein prasselndes Feuer brannte,
stand das andere Mädchen, und der Lichtschein brach sich in einem ebenholzschwarzen
Gesichte, das trotzdem die klare Röthe des aufsteigenden Blutes erkennen ließ. Der
kleine Mund war kaum mehr aufgeworfen, als erforderlich war, um dem Gesicht einen
pikanten Charakter zu geben, dem die abgestumpfte, aber zierliche Nase und die
blitzenden schwarzen Augen vollkommen entsprachen. Eine kokette Schooßjacke schloß,
die vollen Formen abzeichnend, knapp um eine Taille, die den Neid mancher Salondame
erregt haben würde, und wie sie so dastand, den einen Arm auf das Kaminsims gelehnt
und mit dem
»'S ist hübsch im Osten, Sarah!« sagte soeben das Mädchen im Schaukelstuhle, »viel Pracht und äußerliche Herrlichkeit, aber mir ist es immer so steif vorgekommen, wie auf einem Haubenstock zur Schau ausgestellt; ich bin froh, daß mich Vater sobald wieder geholt hat, ich gebe unsern warmen Himmel und unser grünes Oaklea nicht für den ganzen Osten hin.«
»Aber, Miß Ellen, gibt's nicht eine ganze Menge feiner Herren dort, wie wir ein paar im Globe-Hotel in der Stadt sahen, als Sie zurück kamen? oder wie – Mr. Baker?«
»Mr. Baker, pah!« sagte die Erstere und kräuselte in nachlässiger Geringschätzung die Lippe, »du hast doch sonst einen besseren Geschmack, Sarah! – Und was haben mich denn die Herren im Osten gekümmert? Ich habe kaum ein Paar zu Gesichte bekommen. Und du solltest lieber an den armen Cäsar denken, als von solchen Dingen schwatzen.«
»Cäsar, pah!« erwiderte die Schwarze mit aufgeworfener Oberlippe.
»Nun?« fragte Ellen, sich halb aufrichtend, »'s ist doch Alles zwischen euch in Ordnung?«
»Ich weiß noch gar nicht!«
»Du bist das launigste Ding!« lachte die Andere auf, »aber der arme Junge thut mir leid!«
Die Schwarze sah nur mit verzogenem Mund ins Feuer.
Es pochte an die Zimmerthür. »Sarah soll zu Mr. Elliot kommen, wenn sie von Miß Ellen nicht mehr gebraucht wird!« klang es hindurch; und Sarah warf ihrer jungen Herrin das Negligé über, vertauschte deren Stiefeletten mit weichen Sammetschuhen und ließ sie allein.
»Komm her, Mädchen,« sagte er, »wie steht's mit dem Cäsar? Ich will die Sache zu Ende haben!«
»Ich will ihn nicht, Sir!«
»So, was ist denn die Ursache auf einmal?«
»Ich mag ihn nicht!«
»Gut, wie du willst, Sarah! aber merk' auf. Du bist durch Ellen verwöhnt und hast Capricen, mehr als mir lieb ist. Erst war Cäsar Alles und Ellen quälte mich, ihn zu kaufen, damit ihr hier zusammenleben könntet – jetzt, wo ich bereit bin, willst du ihn wieder nicht. Hör' an! Bei deiner nächsten Liebschaft mag dein neuer Schatz sehen, daß sein Herr dich kauft, dann werde ich für Ellen ein anderes Mädchen finden, obgleich du mit ihr aufgewachsen bist.«
Er sah forschend in ihr Gesicht, aber keine Miene verzog sich dort.
»'S ist mir Alles recht, Sir!« sagte sie kalt.
»Du kannst gehen!«
Das Mädchen verließ das Gemach, blieb aber plötzlich an der offenen Hinterthüre des Hauses, die sie passirte, horchend stehen. Sie sah sich vorsichtig um, steckte hierauf den Kopf hinaus, einen spähenden Blick umherwerfend, und schlüpfte dann an dem Hause hingleitend in die Dunkelheit hinein.
Elliot schlug seine Zeitung zusammen, zündete ein Licht an und setzte sich dann an
seinen Arbeitstisch, langsam die Blätter eines dort liegenden Contobuches umschlagend
und überschauend. Er war noch nicht lange damit beschäftigt, als das Gesicht einer
alten Negerin durch die geöffnete
»Gib ihm ordentlich zu essen, Flora,« erwiderte Elliot, »und sage ihm, ich möchte alsdann noch ein paar Worte mit ihm sprechen.«
»Gegessen hat er schon, Sir!«
»Aha! Und euch auch schon die Taschen ausgeleert!«
»Noch nicht ganz, Sir,« kicherte die Negerin, »aber er hätte recht schöne Sachen für Weihnachten, läßt er dem Master sagen.«
»'S ist schon gut, er soll herein kommen.«
Nach kurzer Zeit trat mit einem Bückling ein alter Mann mit grauem Barte ins Zimmer, dessen Züge den Juden nicht verkennen ließen. Elliot stand auf, rückte einen Stuhl ans Feuer und deutete dem Eingetretenen an, Platz zu nehmen. »Well, Isaac, wie steht's,« sagte er, als dieser seinem Winke gefolgt war.
»Well, Sir, 's Geld ist rar, aber Sie können haben, was Sie verlangten, ich hab' heute erst Nachricht bekommen; sobald Sie die Papiere fertig haben, werde ich sorgen, daß auch das Geld da ist.«
»So!« erwiderte der Pflanzer und stützte den Kopf in die Hand. »'S ist ein schlimmes Ding, schon auf die nächste Ernte los borgen zu müssen, und bekommen wir ein schlechtes Jahr für die Baumwolle, so sitzt man noch weiter drin.«
Der Jude zucke die Achseln. »Was hilft's? wo viel Geld fortgeht und keins gleich wieder zufließt, kommt einmal eine Klemme.«
Elliot fuhr mit der Hand über das Gesicht. »Ich muß das für die Zukunft ändern,« sagte er nach einer kurzen Pause. »Wie steht's mit dem jungen Menschen, Isaac, von dem Ihr mir sagtet?«
»Er wird zu Weihnachten hier sein, wie Sie's wünschten, Sir, und ich denke, wir
werden nachher wol kein Geschäft
»Macht Ihr viele solcher Geldgeschäfte hier herum, Isaac?«
»Ich habe ein schlechtes Gedächtniß, Sir, aber es kann wol schon passiren, daß Einer als ein reicher Mann gilt, den Sommer mit seinen Ladies in Saratoga und anderen Bädern zubringt, viel Geld ausgibt und doch die Ernte auf drei Jahre hinaus nicht mehr sein eigen ist. Sie brauchen sich unser jetziges Geschäft nicht zu Herzen zu nehmen.«
»Sagt einmal, Isaac, Ihr pedelt doch nicht, um Euer Leben zu machen?«
»Der Jude zuckte wieder die Achseln. Warum reiten Sie oft den ganzen Tag auf Ihrer Farm herum, schwitzen und kommen so schmutzig heim, wie der ärgste Nigger? 'S gehört Alles zum Leben machen, wenn Einer ein Geschäft hat.«
»Sonst was Neues, Isaac?«
»Ich wollte nur noch sagen, Sir, es treibt sich ein verteufelt bissiger Fuchs hier herum; ich sah heute erst ein wunderschönes Huhn, das zwischen seinen Zähnen zappelte, und wenn ich nicht ganz falsch bin, schleicht er auch um Ihren Hühnerstall, Sir.«
Elliot hatte den Kopf gehoben. »Was ist das? sprecht deutlich!«
Isaac schüttelte den Kopf. »Man soll das Wild nicht scheu machen, wenn man's fangen will, ich habe selber noch eine kleine Rechnung mit ihm. Ich wollte Ihnen nur sagen, Sir, daß Sie die Augen offen halten. Aber,« fuhr er fort und stand auf, »kann ich Ihnen nicht etwas von Zeugen, Tüchern, Bändern und billigen Schmucksachen für die Weihnachten verkaufen, Sir?«
»Morgen früh! meine Ellen mag aussuchen, was sie an die Schwarzen verschenken will.
Aber wenn Ihr irgendwo
»Es war an einem andern Platze, wo ich das Huhn zappeln sah,« erwiderte der Pedlar, »und so kann ich eben nichts weiter sagen, als halten Sie Wache am eigenen Hühnerstall. Gute Nacht, Sir, – bis morgen früh!«
Der Tennessee-River strömt während des kurzen Abstechers, den er nach Alabama macht,
zwischen bewaldeten Höhen hin, die steil in das Flußbett abfallen und selbst für die
Holzstationen der Dampfschiffe überall nur die schlechteste Bequemlichkeit bieten.
Hier und da windet sich wol ein Fußweg durch das Unterholz des Ufers hinauf, der aber
eben nur von einzelnen Menschen erklommen werden kann. An einem dieser Anlegeplätze
der Boote war indessen das Ufer nächst dem Flusse geebnet und mit einer Art hölzerner
Platform versehen und der aufwärts führende Weg in der Anhöhe so ausgestochen, daß er
selbst in der Dunkelheit bei einiger Vorsicht nur wenige Schwierigkeiten bieten
konnte. Auf dem Kamme des Ufers angelangt, wand er sich in den Wald hinein und lief
eine halbe Meile, weiter in eine ziemlich gut unterhaltene Straße, wie sie dort nach
den landeinwärts liegenden Farmen führen. Hier stand, etwa hundert Schritt von dem
ausmündenden Fußweg entfernt, eine wettergraue Taverne, halb aus rohen
Gebirgssteinen, halb aus Holz erbaut, aber augenscheinlich dicht und fest; an dem
vorspringenden, unvermeidlichen Portiko hing ein halb erloschenes Schild »Postoffice«
und ein Blick in die offene Hausthür zeigte einen Ladentisch, hinter dem das mit
Flaschen, Kasten und zehnerlei Allerhand besetzte Regal die »Grocery« verrieth. Es
war ein kühler Tag und das Feuer von zwei halben Baumstämmen
»Gibt's was Neues,« begann der Erste und stieß eine Rauchwolke von sich, »ich muß ehrlich gestehen, daß vorläufig das Leben hier verteufelt langweilig ist und daß mir die Leidenschaftlichkeit der Leute durchaus nicht munden will. Der Gewinn steht in gar keinem Verhältniß zu der Gefahr. Wie stehen denn die übrigen Actien?«
Der Angeredete richtete sich auf. »Nur Vorsicht und Geduld, Seifert!« sagte er mit gedämpfter Stimme und warf einen Blick durch den Raum. »Es geht Alles in den Hauptsachen, wie es soll. Eine Geldquelle, auf die ich hier sicher rechnete, fängt freilich an zu versiegen – ich mag den Strick nicht zu hart spannen und das Mädchen zu einem Verzweiflungsschritte treiben, der mir das ganze Spiel verderben möchte – sobald wir aber hier Ade sagen, werde ich noch den letzten Rest herausholen, der dann gerade zur rechten Zeit kommt.«
»Ja, aber die Hauptsache?« wiederholte Seifert, sich nachlässig auf dem Stuhle schaukelnd.
Der Andere reckte beide Arme von sich und sprang auf. »'S könnte Alles beinahe in
Ordnung sein,« sagte er dann, näher zu seinem Gefährten tretend, »die kleine schwarze
Katze auf Elliot's Farm habe ich am Faden, sie geht mit mir nach dem Norden, ich
heirathe sie dort und sie wird Mistreß – und dreien von ihren Brüdern, straffe
Jungens, die wenigstens ihre tausend Dollars Jeder werth sind, hat sie schon so viel
von den Herrlichkeiten New-Yorks, wo sie
Seifert hatte sich horchend vorwärts gebogen. »Und Mr. Baker heirathet die Schwarze und sie glaubt das?« rief er jetzt, ein schallendes Gelächter aufschlagend.
»Vorsicht!« mahnte der Erstere, mit der Hand winkend, »warum soll sie's nicht glauben? ich habe noch nie elegantere und doch so volle Formen im Arme gehalten, als die ihrigen und sie weiß, was in ihr steckt. Sie kann ihre 1500 Dollars beim Verkaufe einbringen.«
»Nun, und warum denn nicht vorwärts?«
»Erstens brauchen wir mehr Geld zur Ausführung, als wir jetzt haben, das erst zusammengebracht werden muß, und zweitens –« sagte Baker innehaltend, während ein Zug von niederer Begierde sich um seinen Mund legte, »zweitens möchte ich während der Zeit noch ein anderes Vögelchen kirre machen, das eben erst, so frisch wie aus dem Ei gekrochen, ins Nest geflogen ist.«
»Geldspeculation?«
»Glaube kaum, das Mädchen gehört zu einem andern Schlage – sie ist noch so unberührt, so kräftig, und doch so scheu, daß es mich in allen Gliedern gekitzelt hat, wenn ich ihr zu nahe kam. Ich wäre im Stand sie zu heirathen,« fuhr er fort und drückte die Hand vor die Augen, »wenn weiter nichts hilfe, und dann wollte ich Ihnen die Schwarze sammt ihren drei Brüdern als Entschädigung gesetzlich zum Geschenk machen.«
»Schöner Plan!« erwiderte Seifert und warf sein Cigarrenende ins Feuer,
»bewundernswürdig sogar, wenn er gelänge, und ich wollte meine Bekanntschaft mit
Ihnen und unsere Reise segnen. Sie jagen jetzt also schwarzes und weißes Wild in
einem Reviere, wie es scheint, was wenigstens amüsanter ist, als mein Herumstreichen,
bald in dem Neste, das Stadt genannt wird, bald in allerhand verborgenen Winkeln, mit
der Aussicht auf ein noch längeres Leben
»Seien Sie einmal vernünftig, Seifert, wenn wir überhaupt mit einander weiter arbeiten wollen!« sagte Baker und zog die Augenbrauen zusammen. »Ich gelte hier als ein Pflanzer aus dem Süden des Staats; als solcher habe ich mich letzten Sommer in Saratoga an mehrere der hiesigen Familien, die dort waren, angeschlossen und, seit wir hierher gekommen sind, die Bekanntschaft erneuert. Niemand hat eine Idee, daß ich ein Mann aus dem Norden bin, oder daß ich zu Ihnen in irgend einer Beziehung stehe, und so wird es allein möglich, daß wir ein profitables Spiel an einem Orte zusammenbringen; Sie halten Bank und ich kann fette Leute herzuziehen, wenn es auch oft nur durch die hingeworfenen Worte, daß ich mir dort die Zeit vertreiben würde, geschieht – und daneben kann ich noch auf die unverdächtigste Weise den Hauptprofit aus den kleinen Kartenspielen machen – das einzige ›Poker‹ gestern Abend ging bis auf Dollars 200 hinauf und in meine Tasche – wäre ich nicht eine ganze unverdächtige Person gewesen, hätte der Grünspecht niemals mit mir angeknüpft.«
»Weiß nicht, ob er nicht doch was merkte!« erwiderte Seifert, sich in den Haaren kratzend, »er that wenigstens so ungeberdig und wüthend nach seinem Verluste und ließ Worte fallen, wie sie sich im Osten kein anständiger Spieler erlauben würde.«
»Ich habe diesen Schlag lieber als die ewig Ruhigen,« sagte Baker, »denn die
Zuschauer treten selten auf Seite des Spectakelmachers, während die Stillen, wenn sie
verloren haben, mit halben Worten zu den Anwesenden den Spieler oft für den ganzen
Abend verdächtigen können. Wie wir aber unsere Negerspeculation fertig bekommen
wollen, wenn wir uns, um Verdacht zu vermeiden, nicht
»Ja, und wie lange soll denn Ihre neueste Speculation währen? Mir scheint, wir sind lange genug in dieser Gegend, fast vier Monate, eine ungeheure Zeit für ein Incognito, und ich habe ein eigenthümliches Gefühl in mir, in Worte übersetzt: ›Mach' dich aus dem Staube!‹ das mich wenigstens früher niemals täuschte, wenn mir meine Gläubiger auf der Spur waren.«
Baker ging einmal rasch das Zimmer auf und ab. »Well,« sagte er dann stehen bleibend, »ich habe selbst ein Gesicht bemerkt, das mir in der Gegend nicht gefällt. Bis zu Neujahr will ich sehen, ob ich meinen scheuen Vogel fangen kann – den Alten bekomme ich dann schon; ist es nichts, so gehen wir in der Neujahrsnacht an unser anderes Werk; das ist der letzte Feiertag der Schwarzen, wo das Verschwinden einiger derselben am wenigsten auffällt.«
Vor der Thür hielt ein Farmerswagen, der Fuhrmann trat ins Haus und zog sich einen Stuhl aus Feuer.
»Wir sehen uns heute Abend!« sagte Baker und knöpfte seinen Rock zu, »ich mache noch einen Ritt zu ein paar Bekannten, ich denke, wir werden volle Gesellschaft bekommen.«
Seifert begleitete ihn zur Thür. »Haben Sie Ihren Revolver bei sich?« fragte er leise.
»Immer! weshalb denn?«
»Ich fragte nur – mir gefällt meine Stimmung heute durchaus nicht.«
»Sie haben wahrscheinlich zu viel gegessen, das taugt in diesen Klimaten nichts; trinken Sie ein Glas heißen Whiskey-Punsch, das bringt Sie wieder in die Höhe.«
Seifert zuckte die Achseln und Beide trennten sich. – –
Es war gegen sieben Uhr Abends, als sich die »Grocery« mit allerhand Gästen zu füllen
begann. Einzelne Reiter
»Könnte ich nicht zwei Worte mit Ihnen reden, Sir?« fragte dieser.
»Jetzt, Mann?« erwiderte der Andere, »die Zeit scheint mir nicht die beste, – ist es so eilig?«
»Ich denke, Sir, nur zwei Minuten.«
»Well, so kommt!«
Beide gingen ins Freie. »Sie kommen hierher zum Spielen, Mr. Aston?« begann der Pedlar, »ich möchte, Sie thäten es heute nicht und gingen wieder nach Hause.«
»Beim Teufel, alter Schwerenöther, was habt Ihr Euch denn darum zu kümmern? Ist das Alles, was Ihr mir sagen wolltet?«
»Noch ein paar Worte, Mr. Aston. Sie haben nächste Woche eine New-Yorker Note zu decken und beabsichtigen, sie nicht zu zahlen, Sie erwarten Ihre neuen Waaren von New-York und gedenken dann einen vortheilhaften Bankerott zu machen – dahin hat Sie blos das Spiel gebracht!«
»Halt an, Ihr lügt, alter Halunke!« sagte der Andere, bleich geworden, mit gedämpfter
Stimme und fuhr mit der Hand nach seiner Brusttasche, aber ein eiserner Griff des
»Hören Sie nur noch zwei Worte, Mr. Aston, Ihr Revolver würde Sie unnöthig zum Mörder machen. Ihre New-Yorker Waaren werden nicht kommen – darin haben Sie sich verrechnet« – der Widerstand gegen die Hand des Pedlars erstarb – »ich bin Ihr Freund, folgen Sie mir und lassen Sie das Spiel; Sie haben gestern viel verloren, würden aber heute noch mehr verlieren; bei ordentlicher Anstrengung können Sie jetzt noch das Geld für die Note auftreiben, – bezahlen Sie und bleiben Sie ein ehrlicher Mann, dann kann sich auch Ihr Credit im Osten wiederherstellen.«
Der junge Mann starrte den Alten einen Augenblick mit großen, halbentsetzten Augen an, dann aber schien er sich gewaltsam zu fassen. »Und woher habt Ihr denn die merkwürdigen Neuigkeiten,« sagte er mit einem halben Lachen voll erzwungenen Hohnes, »oder was kennt Ihr denn von meinen Gedanken, von denen ich selber nichts weiß? Wißt Ihr wol, verdammter Jude,« fuhr er mit aufsteigendem Ingrimme fort, »daß ich Euch niederschießen sollte wie einen Hund, für solche Verleumdungen, die einen Geschäftsmann zu Grunde richten müssen?« Er wollte mit einem Ruck seine Hand aus der des Gegners reißen, aber wie ein Schraubstock lag der Griff des Pedlars um sein Handgelenk.
»Sein Sie zwei Minuten ruhig, Sir!« sagte der Alte, »der Revolver hilft Ihnen nicht
vom Untergange, wenn Sie's nicht thun. Ich weiß nicht mehr, als was Ihre
Geschäftsfreunde im Osten auch wissen, daß Sie spielen, daß Sie im unglücklichen
Falle in einer Nacht ruinirt sind. Alles in der Welt wirft Schatten, auch die
Gedanken eines Menschen werfen ihren Schatten über sein Thun und Treiben, der zum
Verräther wird, wenn er sich auch noch so geheim hält. Ihre New-Yorker Freunde kennen
Ihre geheimen Absichten, das ist Alles, was ich sagen kann, gehen
Im oberen Stockwerke hatten sich in einer kahlen, weiß angestrichenen Stube sechzehn
bis zwanzig Männer versammelt. Hinter einem langen Tische, auf welchem drei
Talglichte nur die nöthigste Helle verbreiteten, stand Seifert und ließ soeben ein
neues Spiel Karten, das er aus dem Papier genommen, durch die Hände gleiten. »Machen
Sie Ihr Spiel, Gentlemen!« rief er und nahm aus seinem Taschenbuche ein Packet
Banknoten, die er nach ihrem verschiedenen Werthe ordnete und in einzelnen Haufen
dicht vor sich hinlegte. Ein Theil der Anwesenden begann sich langsam vor dem Tische
zu gruppiren und bald nahm eine Art vereinfachtes Faro in einzelnen Aufsätzen von ein
bis zwei Dollars seinen Anfang, dem sich aber bald die meisten
»Sie spielen nicht, Sir?«
»Well, ich mache mir eben nicht viel daraus,« erwiderte Baker, »ich gehe nur dann und wann hierher der Abwechslung wegen, indessen stehe ich Ihnen gerne zu einer Partie Poker oder was Sie sonst wünschen, zu Diensten. Ein Spiel neue Karten!« rief er einem halbwüchsigen Schwarzen zu, welcher in der Ecke saß, und eben hatten sich die Beiden zum Spiel zurecht gesetzt, als Aston zur Thür hereintrat. Er warf einen raschen Blick durch das Zimmer und schritt dann auf Baker los. »Pardon, Sir!« sagte er zu dessen Gegner, »nehmen Sie vielleicht Jemand anders an Stelle dieses Herren hier an? Er ist mir Revanche von gestern Abend schuldig.« Der Angeredete war höflich aufgestanden. »Ich schaffe Ihnen sogleich einen ehrlichen, anständigen Jungen,« fuhr Aston fort und winkte mit dem Kopfe einem der beiden Männer, die seine Begleiter beim Eintritt in das Haus gewesen waren und der jetzt zuschauend unter der übrigen Menge stand, herbei. »Sie werden bei dem Tausche unter keinen Umständen etwas verlieren, Sir!«
Baker hatte bei der Unterbrechung keine Miene verzogen, aber sich langsam zurückgelehnt und den Neueingetretenen kalt fixirt. »Sie wollen mit mir spielen?« sagte er, als Astons Gefährte herantrat, »ich stehe Ihnen jederzeit zu Diensten, aber ich wollte, Sie thäten es nicht; Sie haben zu wenig Glück und sind durch Ihre Hitze einem kalten Spieler gegenüber zu sehr im Nachtheil!«
»Das ist wol meine Sache allein, Sir!« erwiderte Aston, dessen Gesicht ein leichtes Roth überflog, »es fragt sich nur ob Sie mir die Revanche verweigern wollen!«
»Hat nichts zu sagen!« erwiderte Aston. Baker zuckte kalt die Achseln und schob seinem Gegner das noch unangerührte Spiel Karten hin. Dieser öffnete es, ließ die Blätter prüfend durch die Finger laufen und gab dann.
Das Gespräch hatte wohl die Aufmerksamkeit einzelner Farospieler erregt, die sich aber, als das Spiel der Sprechenden ruhig seinen Anfang nahm, schnell wieder ihrem eigenen Interesse zuwandte. Nur der eine von Astons früheren Begleitern hatte sich als Zuschauer neben sie gestellt, der andere hatte mit Bakers vorigem Gegner den zweiten Spieltisch eingenommen.
Das Glück schien sich auf Seite Astons zu neigen; das erste und zweite Spiel waren sein und dreißig Dollars gewonnenes Geld lagen vor ihm. Er hatte beim dritten Spiele zu geben. Baker übersah seine Karten und sagte: »Fünfundzwanzig Dollars, wenn's Ihnen recht ist! Ich muß suchen, die Sache wieder auszugleichen.«
»Dreißig, Sir!« erwiderte Aston, sein Geld vorschiebend.
»Auch recht – drei Damen und ein Aß!« rief Baker und legte seine Karten auf.
»Drei Könige und ein Aß!« war Astons Antwort, dessen Stimme seine wachsende Aufregung kund gab.
Der Andere zog einen Bündel Banknoten aus einer Seitentasche, warf ruhig dreißig Dollars auf den Tisch und begann zu geben. Aston blickte in seine Karten und ein merkbares Roth überzog sein Gesicht. »Sechszig Dollars, Sir!« sagte er.
Baker schien zu überlegen. »Sie scheinen mich durch Ueberrumpelung fangen zu wollen,«
sagte er, »aber Ihr
»Zweihundert, wenn Sie wollen!« sagte Baker kalt und legte neue Hundert Dollars zu seinem Aussatze.
»Es gilt!« Aston zog mit einem leisen Beben der Aufregung sein Taschentuch hervor und zählte das nöthige Geld ab. Nur ein geringer Rest schien sich außerdem darin noch zu befinden. »Wieder drei Könige und ein Aß!« sagte er, seine Karten auflegend.
»Reicht diesmal nicht aus, Sir! Hier sind drei Aß und ein König!« Wie zu Stein verwandelt blickte der junge Mann einen Augenblick die offenen Karten seines Gegners an, aber mit einem »Halt!« sprang er dann plötzlich auf, beide Hände Bakers fassend, die soeben die Banknoten auf dem Tische einstrichen. »Sir, erst eine Erklärung!« rief er. »Sie haben drei Aß und ich eins, und doch sah ich zufällig, daß das Herzaß die unterste Karte war, als Sie gaben – wie kommen Sie dazu – oder gibt's im Spiel zwei Herzaß?«
Baker sah ohne Zucken in das Gesicht vor sich, hinter dem ein ganzer Sturm mühsam zurückgehalten schien, das aber dabei bleich war wie die Wand. »Wollen Sie zuerst Ihre Hände von den meinigen thun, Sir?« entgegnete er scharf.
»Nicht eher, als bis ich mich überzeugt habe!« war die Antwort, bei welcher die
Lippen des Sprechenden bebten. »John, wende die Karten um!« Astons Begleiter, der dem
Spiel mit unverrückter Aufmerksamkeit gefolgt war, hatte auch schon das ungebrauchte
Pack der Karten auf die Rückseite gelegt – eine Zehn lag zu unterst. Aston warf nur
»Sie sind ein Narr, lieber Herr!« entgegnete Baker mit eisiger Kälte, »ich habe Sie vorher gewarnt und frage Sie zum letzten Male, wollen Sie Ihre Hände wegthun?«
»Sir, Sie sind ein falscher Spieler, ein Schuft und ein Lügner!« brach es jetzt aus Astons Munde und schlug in die Ohren der übrigen Anwesenden, daß diese von ihrem Spiele herumfuhren, – mit einem Ruck aber hatte Baker seine Hände losgerissen und seine Faust traf Astons Gesicht, daß dieser zurücktaumelte; im nächsten Augenblick indessen, und ehe die aufgeschreckte übrige Gesellschaft nur wußte, um was es sich handelte, hatten Beide schon ihre Revolvers gezogen, zwei Schüsse knallten fast zu gleicher Zeit, Baker wankte, blieb aber stehen, Aston jedoch brach in den neben ihm stehenden Stuhl zusammen. Baker, leichenblaß, aber ruhig, zog seine von der Kugel des Gegners zerschmetterte Uhr aus der Tasche. »Gentlemen,« sagte er, »Sie sehen, daß ich vor den Folgen dieses unvernünftigen Angriffs nur durch das sichtbare Walten der Vorsehung beschützt worden bin. Ich habe diesen jungen Mann gewarnt nicht zu spielen; hier sind Herren, die es bezeugen werden: ich habe nur nachgegeben, weil er es zur Ehrensache machte, und wer von Ihnen eine Anschuldigung wie die, welche Sie gehört haben, mit kaltem Blut hingenommen hätte, der mag zuerst seine Hand an mich legen.« Noch während er sprach, war der Wirth eingetreten, ein Blick hatte ihn wol von dem Thatbestande genügend unterrichtet, denn er begann ohne weitere Frage die Kleider des Verwundeten, der völlig bewußtlos schien, zu öffnen, unterstützt von dessen Gefährten, und dorthin wendete sich jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit.
»Daß ich mich ruiniren soll?« erwiderte Jener halblaut und strich die umhergestreuten Banknoten auf dem Tische zusammen, »reden Sie nicht mit mir und bleiben Sie ruhig bei Ihrem Spiele.«
»'S ist eine Wunde in der Seite, aber ich kann nicht bestimmen, wie gefährlich sie ist,« sprach der Wirth, der eben ein Stück Leinwand mit Wasser getränkt als Verband zurecht machte, »jedenfalls ist es das Beste für ihn und für uns Alle, daß die Herren von über dem River ihn sofort nach Hause nehmen und ärztliche Hilfe holen – meine beiden Schwarzen mögen zur Vorsorge bis ans andere Ufer mitgehen – so entsteht auch das wenigste Aufsehen bei der Sache.«
»Ich werde die Herren selbst begleiten,« sagte jetzt Baker, »ich habe das Unglück angerichtet, aber Gott helfe mir, ich konnte nicht anders und Niemand kann betrübter darüber sein als ich selbst. Aber wir dürfen nicht zögern. Unten im Hofe habe ich eine kurze Leiter bemerkt. Wir legen Betten darauf und binden Mr. Aston mit den Betttüchern hinein, so liegt er bequem und sicher und kann selbst das Ufer hinab leicht getragen werden.«
Der Wirth nickte und verließ das Zimmer; den Meisten in der Gesellschaft aber schien in diesem bequemen Auskunftswege eine unangenehme Last von der Seele zu gehen; es bildeten sich wieder einzelne Gruppen und die peinliche Stille während der Untersuchung der Wunde ging in halblaute Gespräche über. Bald waren die Vorbereitungen zum Transport getroffen und auf der improvisirten Tragbahre ward der noch immer besinnungslose Verwundete hinweggeschafft.
»Gentlemen,« sagte Baker, die Thür in die Hand nehmend, »ich verlasse mich auf Ihre
Ehre, daß das unglückliche
In der Grocery saß der Pedlar wieder in seinem Winkel, als der Zug hindurch ging, und Bakers Auge traf aufschauend den starren Blick, den Jener auf ihn geheftet hielt. Einen Augenblick nur schien er davon betroffen zu sein, wandte aber im nächsten schon das Auge wieder zur Thür hinaus.
»Sonderbar,« brummte der Alte und stützte die Stirn in die Hand, »die eine Frucht fällt beim ersten Herbstwehen und die andere reift so langsam, daß sie gebrochen werden muß. Aber die Zeit dazu wird auch kommen.«
Vom obern Zimmer wurde nach Whiskey-Punsch gerufen und bald war das Spiel dort flotter im Gange als zuvor.
Auf der Straße, welche von der Hauptstraße ab nach Oaklea führt, trabte am Mittag des
ersten Christtages ein Reiter hin, hinter ihm drein ein Schwarzer im vollen
Feststaate der modernen Welt. Hatte auch der »Ofenrohr-Hut« einige Beulen und wollte
der glättenden Bürste nicht mehr gehorchen, so saß er doch so keck auf dem Wollkopfe,
wie der des ersten New-Yorker Herumtreibers. Standen auch die Vatermörder etwas zu
weit über das rothseidene Halstuch hinaus, so daß die dicken Backenknochen darauf zu
ruhen schienen, so war der Contrast, den sie mit der schwarzen Haut bildeten, ein um
so entschiedener, und das etwas zu viereckige Gesicht erhielt eine gewisse Abrundung;
war auch der Rock etwas zu weit und nach irgend einem antiken Muster geschnitten, so
stand er in um so größerer Harmonie mit den etwas schweren Schuhen und großen Händen
und gab der ganzen Erscheinung einen Anstrich von
»Dick, Sir.«
»Well, Dick, Ihr könnt mich schwer verstehen?«
»'S geht schon, Master, mit einem Bischen Aufpassen!«
»Ihr müßt mir sagen, Dick, wo ich nicht recht spreche!«
Der Neger verzog das gutmüthige Gesicht zu einem Grinsen. »Miß Ellen wird das besser können, oder Mister Elliot, Sir.«
»Wer ist Miß Ellen?«
»Ich meinte, Sie müßten sie kennen, da Sie in die Familie kommen, 's ist Miß Elliot, die Tochter von unserem Herren, sie ist so als kleines Mädchen zwischen uns aufgewachsen, daß die schwarzen Leute alle sie nur bei ihrem Vornamen nennen.«
Der weiße Reiter schwieg, aber trabte schärfer zu und ließ das Auge wieder über die Landschaft schweifen. Dick schlug sich auf seinen Hut, den der Wind eben wegtreiben wollte und ließ sein Pferd gleichen Schritt mit dem andern halten. Er schnitt ein paarmal Gesichter, als wolle er zum Sprechen ansetzen, wisse aber nie wie. »Ich möchte Sie wol was fragen, Mister – ich habe Ihren Namen schon wieder vergessen, er ist so schwer zu merken –«
»Helmstedt heiße ich« antwortete der Andere. »Mr. Helmstedt, Sie müssen's doch wissen, da Sie von New-York kommen,« fuhr der Schwarze fort und sein ganzes Gesicht verwandelte sich in eine Miene von halber Verlegenheit und halber Neugierde – »ist es wahr, daß die Schwarzen dort alle Herren sind?«
»Well, sie sind frei, aber wenn sie nicht scharf arbeiten, oder neben den vielen
weißen Arbeitern, die's dort gibt, keine Arbeit bekommen, müssen sie Noth leiden, so
gut wie
Dick kratzte sich in den Haaren, daß ihm beinahe der Hut wieder vom Ohre flog. »Aber es soll doch Leute geben, die für die schwarzen Menschen sorgen, wenn sie hinkommen?«
»Weiß nichts davon, Dick, sie würden's doch wol erst für Ihre weißen Brüder thun, und unter denen ist bei Manchem das Elend so groß, daß er sich aus Verzweiflung das Leben nimmt.«
Dick zog wieder ein paar Gesichter, deren Ausdruck wol der größte Physiognom nicht hätte classificiren können, rückte bald vor- bald rückwärts auf dem Sattel, sagte aber kein Wort, bis sich auf dem nächsten Hügel Oaklea vor ihnen zeigte. Einzelne Jauchze wurden von dort hörbar, und dann und wann trug auch der Wind Geigenklänge und helles Lachen herüber. »Das ist unser Haus, Sir!« sagte er und seine Blicke schienen den Eindruck desselben in Helmstedts Gesicht zu beobachten, »'s ist jetzt lustige Zeit da.«
Helmstedt übersah mit glänzendem Auge die Landschaft, that dann einen langen Athemzug und sprengte im Galopp dem Orte, von dem er eine neü Heimat erwartete, entgegen.
Die kurze Entfernung bis zum Landhause war bald zurückgelegt. An dem geschmackvollen weißen Stackete, das die Gartenanlagen, welche das Haus umgaben, von der übrigen Besitzung abschloß, sprang Dick vom Pferde und öffnete das Gartenthor. Ein breiter Kiesweg führte von hier dem Hause zu, wo ein Mann, der in dem Portico auf- und abging, die Ankommenden bereits zu erwarten schien.
»Freut mich, daß Sie da sind, Sir!« rief er mit einem kurzen musternden Blicke, als Helmstedt vom Pferde stieg und warf dem ihm nachgekommenen Schwarzen die Zügel desselben zu. »Ich heiße Elliot.«
»Ihre beiden Koffer sind schon hier,« fuhr Elliot fort; »der Bursche, der sie holte, ist den kürzeren Weg durchs Holz gefahren und Ihnen zuvorgekommen; dem schwarzen Volke macht das Christfest alle Gelenke noch einmal so geschmeidig als sonst. 'S ist Feuer in Ihrem Zimmer und was sonst nöthig ist, wenn Sie sich den Staub herunterschütteln wollen,« fuhr er fort, »und wenn Sie mit mir kommen wollen, zeige ich Ihnen den Weg.«
Der junge Mann folgte durch das Haus nach einem der Seitenflügel, wo Elliot eine Thür zu ebener Erde vor ihm öffnete. »Sie finden mich nachher im Parlor, Sir!« sagte er und ließ den Ankömmling allein.
Helmstedt trat ein und ein wunderbar heimliches Gefühl überkam ihn. Das Zimmer war
nur schlicht tapezirt, aber durch die dichten Vorhänge warf gebrochene abendliche
Helle in Verbindung mit dem Scheine des prasselnden Feuers ein warmes Colorit über
alle Gegenstände darin; ein dicker Fußteppich bedeckte den Boden, ein Bett mit weißer
Ueberdecke nahm die eine Wand ein, während gegenüber zwischen den Fenstern ein
geräumiger Waschtisch mit dem Spiegel darüber alle nöthigen Bequemlichkeiten bot.
Eine Kommode, ein großer Tisch an der dritten Wand und ein kleiner neben dem Bette,
ein aus Rohr geflochtener Schaukelstuhl und drei andere ähnliche Stühle vollendeten
die einfache Ausstaffirung, und doch wollte es Helmstedt scheinen, als habe er noch
nie ein wohnlicheres Zimmer gesehen, das so ganz von den Vorstellungen abwich, die er
sich auf seiner Herreise gemacht hatte. Seine beiden Koffer, die in der
Fenstervertiefung standen, grüßten ihn wie alte Bekannte und mit einem Gefühle der
Sicherheit, wie er es in Amerika noch nicht gehabt, öffnete er sie, entledigte sich
dann der
Elliot saß mit einem Zeitungsblatt am Fenster, als Helmstedt den Parlor betrat, und nicht weit von ihm in einem der Divans eine ältliche Dame. »Kommen Sie näher, Sir, nehmen Sie Platz!« rief der Erstere und zog den nächststehenden Stuhl herbei, »das ist meine Frau – Mr. Helmstedt, unser neuer Hausgenosse!« fuhr er, Beide einander vorstellend fort, »was sonst zum Hause gehört, werden Sie schon kennen lernen und nun lassen Sie uns für's Erste eine halbe Stunde plaudern und selbst mit einander Bekanntschaft machen.« Die Frau hatte aufstehend mit einem: »Seien Sie uns willkommen!« dem jungen Manne die Hand gereicht, verließ aber jetzt das Zimmer.
»Well, Sir,« begann Elliot, als Helmstedt den angewiesenen Platz eingenommen, »was Sie bei uns sollen, wird Ihnen ja wol bekannt sein und ich denke, Sie werden sich auch bei uns gefallen, wir sind wenigstens keine bösen Leute und von Ihnen habe ich auch nur das Beste gehört.«
»Ich muß zuerst wegen meines unvollkommenen Englisch um Entschuldigung bitten,« begann Helmstedt, »ich hoffe aber, es soll mit jeder Woche besser werden; im Uebrigen weiß ich nur als einen Theil meiner Aufgabe, daß ich Ihre Bücher in Ordnung halten soll: das Weitere – schrieb mir der Mann, der mir die Aufforderung zur Hierherreise und auch das Reisegeld sandte – würde ich von Ihnen selbst erfahren.«
»Das ist der alte Isaac; kennen Sie ihn und seine Verhältnisse näher?«
»Isaac Hirsch unterzeichnete er sich, Sir, sonst habe ich ihn aber erst zweimal im Leben gesehen, und weiß nur, daß ich durch seinen guten Rath aus der bittersten Lage meines Lebens kam, und diesem vielleicht meine ganze Zukunft in Amerika verdanke.«
»Mag sein, daß er mich mehr kennt, als ich weiß, Sir, ich gestehe Ihnen ehrlich, daß er für mich eine räthselhafte Person ist. Er brachte mich, als ich durch einen erlittenen Diebstahl gänzlich hilflos dastand, vor vier Monaten in das Exportgeschäft eines seiner Bekannten, wenigstens nannte er den Besitzer so, damit ich dort für mein ferneres Fortkommen Geschäft und die Sprache lernen sollte, ich mußte ihm aber versprechen, sechs Monate auszuhalten, – es war eine harte Schule für mich, das Verständniß jedes Wortes in meiner Umgegend und jedes Stück Kenntniß in dem neuen Fach mußte erst erarbeitet werden; ich wurde von früh bis Abends nicht losgelassen und eine anderweite Abendbeschäftigung, die ich nebenbei übernommen, fand auch in einem amerikanischen Hause statt, so daß ich im ersten Monate oft in halber Verzweiflung nur um die allernothwendigste Conversation war; ich sah aber ein, daß es der einzige Weg zu meinem Heile war; ich hatte obendrein dem alten Manne mein Wort gegeben und so blieb ich. Dort mag er mich vielleicht haben beobachten lassen. Zu welchem Zwecke kann ich freilich nicht errathen – und welches Interesse er an mir nehmen könnte, ist mir ebenfalls unbegreiflich – ich habe nicht einmal gewußt, daß sein eigentlicher Aufenthalt die hiesige Gegend ist, bis ich seinen Brief erhielt, mich bei Ihnen zu melden.«
»'S ist ein sonderbarer Mensch,« sagte Elliot kopfschüttelnd, »aber bei den vielerlei
Arten von Geschäften, die er hier herum macht, hat sich noch Niemand über ihn zu
beklagen gehabt und ich denke, so wird er auch in Ihnen jetzt den rechten Mann für
uns besorgt haben. Sie sollen allerdings meine Bücher in Ordnung halten, das verlangt
aber mehr Treue und Gewissenhaftigkeit, als viele Arbeit; mir
Elliot nahm seinen Hut und erhob sich und Helmstedt folgte ihm zur Thür hinaus, aber
nicht mit halb so leichtem Herzen, als er den Parlor betreten hatte. Trotz der
Leichtigkeit, mit welcher sein Principal über die von ihm zu übernehmenden Geschäfte
gesprochen hatte, war es doch über ihn gekommen, als solle ihm eine halbe Welt von
Verantwortlichkeit auf die Schultern gelegt werden und zwar für Dinge, von denen er
nicht einmal einen rechten Begriff hatte. Was verstand er von dem Betrieb einer
Pflanzung? Er wollte wol Bücher führen – aus seinen früheren Studien in Deutschland
hatte er die Kenntnis der Staatsbuchhaltung mitgebracht und das Verständniß der
englischen kaufmännischen Buchhaltung war ihm schon in den ersten Wochen seiner
Handels-Carriere in New-York vollkommen klar geworden – dazu hatte er eine
oberflächliche Kenntniß der Baumwolle erhalten, da sie den Hauptexport-Artikel
»Sehen Sie dort, Sir! ob Sie schon so was gesehen haben!« rief Elliot, von Neuem
lachend. Sie standen am Anfange der Senkung, auf welcher die Negerhütten zerstreut
lagen. Unten im Thale, über das sich bereits dunkle Abendschatten gesenkt hatten, war
ein großes Viereck mit Brettern belegt, das von tanzenden Schwarzen bedeckt war. Auf
zwei Fässern standen zwei schwarze Violinkünstler, beide mit den Füßen den Takt zu
ihrer Musik stampfend, während der eine die Touren einer eben aufgeführten Quadrille
mit heiser geschrieener Stimme ausrief. Rings umher trieben sich Gruppen anderer
Schwarzen, Mädchen und Männer, lachend und tollend durcheinander. Der Tanzplatz
selbst aber bot eine treue Nachahmung fashionabler Manieren. Die Tänzer, trotz des
kalten Abends meist in weißen Hosen, viele in alten Fracks und steifen Vatermördern,
einige der größten Stutzer darunter sogar mit abgetragenen Glaçehandschuhen,
bestrebten sich, ihre Tänzerinnen mit so viel Grazie zu führen, als sich nur mit
Kopswerfen und Beinverdrehen erzielen ließ, während die Stillstehenden mit
süßzärtlich gezogenem Gesichte sich zu ihren Schönen bogen; die Humoristen unter der
Gesellschaft aber tanzten mit einem
»Sind denn die Neger hier sämmtlich Ihr Eigenthum?« fragte Helmstedt.
»I, durchaus nicht,« lachte Elliot, »aber meine Leute geben heute Abend den Schwarzen von der Nachbarfarm einen Ball, morgen sind sie wahrscheinlich selbst wo anders hin eingeladen – das geht fort im Tanzen und Lustigmachen bis Neujahr; was sie sich das Jahr über erspart haben – und das ist oft nicht unbedeutend, weil jede Negerfamilie aus ihrer eigenen Hühner- und Schweinezucht oder dergleichen so viel machen darf, als sie kann – das geht bei den Meisten am Christtage wieder fort. Die Sorge für den morgenden Tag kennt freilich Keiner von ihnen.«
Beide waren auf den gedielten Tanzplatz getreten, wo eben ein Dutzend heller
Papierlaternen an die ringsum stehenden Bäume gehangen wurden, die das ganze
Schauspiel nur um so grotesker machten, und sahen sich das Treiben der
Neger-Gesellschaft, die sich in keiner Bewegung durch die Anwesenheit der neuen Gäste
stören ließ, in der Nähe an – da tauchte nahe vor Helmstedt, wie ein Sonnenblick
zwischen dunklen Gewitterwolken, ein weißes lachendes Mädchengesicht aus der
schwarzen Menge auf, das vor Helmstedts überraschtem Blick leicht erröthete, dann
sich aber nach dem herzutretenden Elliot wandte. »Meine Tochter Ellen,« sagte dieser,
sie dem jungen Mann leichthin vorstellend, »und das,« wandte er sich zu ihr, »ist Mr.
Helmstedt, der euch Frauenzimmern helfen wird, den Winter hinzubringen!« Ein Blick,
halb Scheu, halb Neugierde, aber voll wunderbarer Klarheit, traf den Ankömmling, und
er wollte eben
»Es wird so kalt, daß ich besser thue, ich fahre nach Hause,« sagte sie, sich an ihre junge Gefährtin wendend, »Mr. Morton ist ohnedies Abends nicht gern ohne mich.«
Der Hausherr warf zwar lachend ein, sie solle ihren Mann nicht verwöhnen und es sei Unrecht, wenn sie den Abend nicht mit ihnen zubringen wolle; sie aber zog ihren Ueberwurf höher und sagte mit einem Anflug der schelmischen Miene, welche Helmstedt die ganze Scene im City-Hall-Park wieder vor Augen führte: Niemand habe eine Vorstellung, was ihr Mann für ein Bär sei; dann nahm sie Ellens Arm, winkte einer Mulattin, die bei Seite stand, ihr zu folgen, und sich leicht aber vollkommen fremd gegen Helmstedt verbeugend, gingen die beiden schlanken Gestalten dem Hause zu.
»Well, Sir, ich denke, unser Thee wird fertig sein, und wir machen uns ebenfalls
wieder zurück, wenn Sie sonst nicht noch hier bleiben wollen,« sagte Elliot, und für
»Well, Sir, wir sind heute allein, und müssen uns den ersten Christtag selbst so angenehm als möglich machen,« sagte Elliot, als er dem jungen Manne seinen Platz am Theetische, Ellen gegenüber, anwies, »Sie werden aber müde sein, sonst hätten Sie uns heute noch etwas spielen und singen müssen, ich verstehe zwar nicht viel von der Kunst, wie Ellen sagt, 's ist aber was Hübsches um die Musik bei geschlossenen Fensterladen und einem hellbrennenden Feuer.«
»Woran man gewöhnlich süß einschläft!« fiel Ellen lachend ein, wurde aber auch zugleich mit einer hellen Röthe übergossen, als habe sie sich zu weit gehen lassen.
»Well, warum nicht?« sagte Elliot launig, »das ist eben die Macht der Musik, oder
auch vielleicht nur deiner Musik, 's kommt eben auf die Probe an, wenn ich etwas
»Ist Mrs. Morton aus dem Osten?« begann Helmstedt, – »mir ist es, als hätte ich sie schon in New-York gesehen.«
»Ich glaube, sie ist eine New-Yorkerin,« erwiderte Elliot, »jedenfalls kann sich aber Morton zu dem Frauchen gratuliren, wenn sie auch wirklich arm sein soll, wie es heißt. Seine Tochter ist durch ihre Erziehung und die alljährlichen Badereisen so fashionable geworden, daß sie sich hier auf dem Lande unglücklich fühlt und anstatt das Haus heiter zu machen, einen verdrießlichen, schwermüthigen Nebel über alles wirst.«
»Vater,« sagte Ellen mit einem Vorwurfe im Gesichte, der ihrem kleinen Munde wunderhübsch stand, »du redest so hart und kennst Alice gar nicht. 'S ist kaum erst sechs oder acht Monate her, daß sie so ist, aber es liegt ihr etwas auf dem Herzen, das sie drückt – sie war früher nie froher, als wenn sie aus dem Osten wieder nach Hause kam.«
»Du bist falsch, Kind,« sagte der Alte mit einem halb sarkastischen Gesichtsausdrucke. »Herz ist nicht mehr fashionable, die Nerven sind jetzt bei den Damen nur noch in der Mode, also hat sie ein Nervenleiden, das klingt gleich ganz anders.«
»Vater, das ist häßlich von dir, du thust Alice Morton Unrecht.«
»Gut also, ich thue ihr Unrecht, ich kann aber diese Gesichter, die immer aussehen wie Regen und zusammenzucken, wenn Jemand ins Zimmer tritt, als wären Sie keinen Augenblick sicher vor einem Ueberfall, nicht leiden.«
Ellen nickte wie ein halbtrotziges Kind und sah vor sich auf ihren Teller, Mistreß
Elliot aber strich ihr mit einem kleinen Lächeln das Haar. »Weißt ja, Vater spricht
schlimmer, als er's meint!« sagte sie; »morgen macht jedenfalls
Das Mädchen sah langsam auf und um ihren Mund lagerte sich ein unbeschreiblicher Zug von Widerwillen. »Ich kann ihm nicht wehren, zu kommen; wär' er aber ein Gentleman, so wär' er längst weggeblieben; nach dem, was ich ihm gesagt,« erwiderte sie, »mich soll er wenigstens nicht wieder treffen, entweder bin ich morgen krank oder ich reise irgendwohin zu Besuch.«
Elliot strich sich lächelnd das Kinn. – »Du thust ihm Unrecht, du kennst ihn gar nicht!« sagte er.
Das Mädchen sah ihm rasch ins Gesicht. »O, das ist Revanche, aber mich fängst du nicht so, Papa!« rief sie und vor dem aufsteigenden Muthwillen schwand jede Spur des Unwillens aus ihrem Gesichte, »ich reite morgen aus.«
»Dick ist zur Partie geladen und kann dich nicht begleiten!«
»Well – vielleicht will sich Mr. Helmstedt einmal die Gegend ansehen,« – erwiderte sie zögernd mit einem fragenden Blick auf diesen.
»Ich stehe mit allen meinen Kräften zu Befehl, Miß!« sagte Helmstedt, den bei der durchgespielten Familienscene ein vollkommen heimisches Gefühl überkommen hatte, »wenn Mr. Elliot nicht anders über mich bestimmt.«
»Ja, vor dem neuen Jahre, wo Alles erst wieder in Ordnung kommt, werden wir freilich an keine andere Arbeit gehen können, als uns mit den Weiberlaunen herumzuschlagen,« erwiderte dieser; »jetzt aber wollen wir Sie nicht länger bei uns halten, Sie sind gewiß von der Reise müder, als wir berücksichtigt haben!« fuhr er fort und erhob sich vom Tische.
»Und wann soll ich morgen zu Diensten stehen, Miß?« fragte Helmstedt.
»Ich bin fertig, sobald Sie ordentlich ausgeschlafen
Helmstedt saß in seinem Zimmer auf dem Schaukelstuhle am Feuer und überließ sich seinen verschiedenartigen Gefühlen. Bald war ihm, wenn er den Familienkreis, in den er getreten, und das Entgegenkommen seines Principals überdachte, als habe ihm das Schicksal einen Weihnachtsbaum mit tausend Lichtern angebrannt, bald aber legte sich die Sorge, wie es möglich sei, den Haupttheil seiner Stellung auszufüllen, wie eine finstere Wolke darüber, daraus aber tauchte Ellens helles Gesicht hervor, wie aus der Masse der schwarzen Gesellschaft, bis Pauline Peters sich mit ihr vor seinen Geist stellte, das Mädchen, das sich vor kaum vier Monaten in voller Liebe an seinen Hals gehangen und jetzt in Kälte eingehüllt ihn von oben herab ansah. Die Wärme des Feuers hatte bald seine Wirkung ausgeübt, die Bilder verwirrten sich und bald war er eingeschlafen. Wie lange er so zugebracht, wußte er nicht, aber ein leises, wiederholtes Pochen an eines der Fenster weckte ihn; er horchte, das Pochen wiederholte sich. Er öffnete den geschlossenen Fensterladen und sah hinaus. Draußen stand der Pedlar.
»Machen Sie mir die Thür, gleich im Gange neben Ihrer Stubenthür, auf,« sagte er leise, »ich möchte Einiges mit Ihnen reden und mag nicht das ganze Haus wieder aufwecken – die Nigger schlafen fest wie die Ratten.«
Helmstedt, wenn auch etwas überrascht, befolgte die Weisung und bald trat der alte Mann mit leisem Schritte ins Zimmer.
»Sie müssen es mir nicht übel nehmen, wenn ich Sie noch so spät aufwecke,« sagte er und zog sich einen Stuhl aus Feuer, »aber ich gehe morgen für eine Woche oder zwei weiter südlich und möchte Sie Ihrer selbst wegen vorher sprechen. Sie machen sich doch nichts d'raus, wenn Sie eine halbe Stunde Schlaf verlieren?«
Isaac nickte still mit dem Kopfe und reichte ihm seine Hand zu einem kurzen Drucke hin, »'s ist schon recht dem Danke,« sagte er, »aber Sie haben's mir früher selbst einmal auf die Zunge gelegt, der Jud' thut nichts ohne Profit und mit dem bloßen Danke ist nichts zu verdienen. Werden's erleben, ob bei Ihnen mehr dahinter steckt als Worte.«
»Haben Sie irgend etwas auf dem Herzen, so kommen Sie heraus damit,« entgegnete Helmstedt und nahm seinen früheren Platz wieder ein, »was sich mit eines Menschen Ehre verträgt, können Sie von mir verlangen.«
»Wird sich alles ausweisen; jetzt wollt' ich von was Anderm reden. Hat Mr. Elliot schon über Ihr Geschäft mit Ihnen gesprochen?«
»Ja, ich weiß aber ehrlich gestanden noch nicht, wie ich damit durchkommen soll, mir sind die Verhältnisse hier so vollkommen fremd, daß es mir wie ein Stein auf dem Herzen liegt, wenn ich nur daran denke.«
Isaac nickte wieder mit dem Kopfe. »Wenn Sie sie nicht kennen, weiß ich Bescheid,«
sagte er, »und Sie sollen schnell genug darin zu Hause sein – hab' keine Angst bei
Ihnen; das hat aber Zeit, bis ich wiederkomme. Sehen Sie sich nur vorläufig die
Bücher und Papiere durch, damit Sie eine deutliche Vorstellung bekommen, was und wo's
bei Ihnen fehlt, nachher sprechen wir weiter. Jetzt möchte ich Ihnen nur ein päar
Worte über allgemeine Verhältnisse sagen und dann eine Meinung von Ihnen hören.« Er
strich sich mit der Hand langsam über das hagere Gesicht und machte eine Pause, als
überlege er, wie anzufangen. »Sie haben wol schon gehört,« begann er endlich, »daß
der Platz, wo der ganze Handel Amerika's zusammenkommt,
Helmstedt hatte bei der letzten Wendung, den die Rede nahm, den Kopf erhoben. »Nun?« sagte er, als der Pedlar inne hielt.
»Nun, ich möchte wol Ihre Meinung hören, was Sie von der Sache denken.«
»Das heißt also, der gescheidte und zuverlässige Mann soll ich sein.«
»Sie könnten es werden, von sollen ist keine Rede.«
Helmstedt rieb sich die Stirne. »Ich wollte, Sie sprächen geradezu mit mir, Isaac,«
sagte er nach kurzem Nachdenken, »sprächen: ich habe gemeint in Ihnen einen Werkzeug
für uns ziehen zu können, habe Ihnen deshalb aus der Noth
»Richtig, lieber Herr,« nickte der Pedlar, »und wenn's nun auch so wäre? Ich freue mich über Ihren Scharfblick und möchte nur noch hinzusetzen, daß Sie mit Ihrem vornehmen Wesen gerade wie für die Südländer gemacht sind und Ihrem Charakter nach, auf den man sich auch in unangenehmen Lagen verlassen kann, sind Sie der Mann für uns. Das Geschäft mag Ihnen vielleicht jetzt unangenehm vorkommen; Jeder aber, der es führt, wird es zu dem machen, was er selber ist. Der gemeine Mensch wird ein Spionirmesser daraus bilden – ein anderer aber mag der stille Verbesserer aller Handelsverhältnisse in seinem Umkreise werden, mag wie der Gärtner die wilden Zweige abschneiden, daß die guten desto mehr Kraft gewinnen –«
»Isaac,« unterbrach ihn Helmstedt, langsam mit dem Kopfe schüttelnd, »'s mag sein, daß Sie's gut meinen, aber ich fürchte, Sie haben sich in mir geirrt. Verlangen Sie, ich soll noch ein ganzes Jahr um das nackte Leben arbeiten, und ich will es thun, wenn Ihnen ein Gefallen damit geschieht; aber für ein Geschäft wie das angebotene bin ich nicht gemacht, meine ganze Natur sträubt sich dagegen.«
»'S ist schon so, wie ich mir's ungefähr dachte,« sagte der Alte, »aber ich meine,
Sie haben zu viel Verstand, als daß Ihr Widerwille anhalten sollte, und ich möchte,
daß Sie die Sache ordentlich überlegten, bis ich wiederkomme. Damit Ihnen aber kein
Punkt dazu fehle, will ich Ihnen noch ein paar andere Worte sagen. Sie sind hier so
freundlich aufgenommen worden, daß Sie mehr als zufrieden sind. In jeder andern
Familie der Umgegend wäre Ihnen dasselbe
»Und wenn ich trotzdem Nein sagte, was dann?«
»Legen Sie sich ins Bett, schlafen Sie und sehen Sie sich morgen die Sache bei Sonnenlicht an –«
»Warten Sie, Isaac, wollen Sie mich durch die Drohung zur Annahme zwingen, daß ich am Ende hier als unbrauchbar entlassen würde, daß ich durch mein blindes Vertrauen hier im fremden Lande ohne jeden Bekannten rath- und hilflos dastehen müßte?«
»Sie erhitzen sich, lieber Herr, und das taugt nichts für eine ruhige Unterredung,«
sagte der Alte und erhob sich langsam. »Denken Sie bei meiner Zurückkunft noch
»Isaac, Sie sind mir böse,« sagte Helmstedt aufstehend, »ich kann Ihnen aber versichern –«
»'S ist besser, Sie lassen die Redensarten, bei denen eben so wenig herauskommt, wie
beim Danksagen,« erwiderte der Pedlar nach der Thüre gehend, »überlegen Sie morgen
ruhig – Schwindelei und halben Diebstahl zu verhindern, ist, glaub' ich, gegen keines
Menschen Ehre – und nach Neujahr frage ich noch einmal zu.« Damit öffnete er die Thür
und der Zurückbleibende hörte bald darauf seine Schritte außerhalb des Hauses.
Helmstedt ging nach, um die ins Freie führende Thür wieder zu verriegeln, und suchte
dann sein Bett. Lange währte es aber, ehe er einschlafen konnte. Daß der Alte sich
nicht aus reiner Menschenliebe in New-York um ihn bekümmert, ihm sodann die jetzige
Stellung verschafft und auch noch das nicht unbedeutende Reisegeld dazu gesandt,
hatte ihm schon längst scheinen wollen, er war sogar auf irgend einen Anspruch
desselben vorbereitet und entschlossen gewesen, seine Verpflichtung gegen ihn nach
Kräften und auf irgend eine Weise abzutragen – aber sich als Spion zu verkaufen!? Und
mochte er auch die Sache im besten Lichte betrachten, mochte er sich sagen, daß zehn
Andere die Gelegenheit ohne zu große Scrupel ergriffen hätten, um sich eine Zukunft
zu gründen – die Grundbedingung des Geschäftes, die Spionage, blieb immer stehen und
er fühlte, daß er eher zu Grunde gehen könne, als danach zu greifen. Mochte auch der
Jude, der seinen Widerwillen nicht verstehen konnte, ihn in seiner Unkenntniß der
Verhältnisse ohne Rath lassen,
Es mußte schon spät sein, als Helmstedt am andern Morgen erwachte. Die Sonne hatte sich durch die geschlossenen Jalousien Bahn ins Zimmer gebrochen und das Feuer, das wie es schien bei Zeiten angezündet worden, war schon fast herunter gebrannt. Er sprang rasch auf und vermißte einmal wieder mit Schmerzen seine gestohlene Uhr. Bald war er in den Kleidern und ging nach dem Speisezimmer, wo Sarah bereits mit dem Aufräumen der Frühstücksreste beschäftigt war. Sie zeigte ihm lächelnd ihre blitzweißen Zähne und machte ein frisches Gedeck zurecht.
»'S ist wol schon ziemlich spät?« fragte Helmstedt, »es thut mir leid, daß ich nicht früher aufgewacht.«
»Erst neun Uhr vorüber, Sir!« erwiderte die Schwarze, »Mr. Elliot wollte haben, daß Sie nicht gestört würden.«
Helmstedt trat ans Fenster und sah bereits zwei Pferde gesattelt, an einen Baum
gebunden, stehen – er machte
»Sehen Sie dort drüben das weiße Haus?« begann jetzt Ellen; »dort wohnt Mrs. Morton, die Sie gestern Abend gesehen; wollen wir den Weg dahin einschlagen, daß wir doch wenigstens ein Ziel haben?«
»Sie haben nur zu befehlen, Miß!«
»Befehlen!« rief sie, den Kopf rasch nach ihm wendend, »sind Sie immer so steif, Sir? Mir war's, als ich Sie gestern Abend mit dem Vater ankommen sah, als müßte nun ein Leben voll lauter Lust und Unterhaltung losgehen, und nun sprechen Sie kein Wort.«
»Ich wußte wirklich nicht, Miß Elliot, ob Ihnen ein Gespräch angenehm sein würde!« erwiderte Helmstedt, dem eine Empfindung das Blut ins Gesicht trieb, er wußte nicht, war's Freude oder Aerger über sich selbst.
»Ich glaube, Sie haben einen ganzen Sack voll New-Yorker seinen Ton nach unserem
Hinterwalde mitgebracht!« rief sie lachend, »was wollen denn zwei Menschen anders
thun als sprechen, wenn sie allein mit einander auf der Straße sind? Lassen Sie uns
schärfer zureiten, daß wir warm werden, dann wird das Plaudern vielleicht besser
gehen!« und mit einem neckischen Seitenblicke nach ihm trabte sie auch schon von
seiner Seite. Ihr Begleiter ließ seinem Pferde den Zügel und folgte. »Sitzen Sie wol
fest, Sir?« rief sie muthwillig, als er heran kam, und ließ ihr
»Versuchen Sie, was ich leisten kann!« erwiderte er, und dahin sausten die beiden Pferde, Helmstedt das seinige genau nach der Schnelle des ihrigen regelnd und dann und wann einen Blick in ihr Gesicht werfend, aus dem das lebendige Vergnügen strahlte. Sie sprengten eben an einer Waldecke in die gänzlich offene Gegend hinaus, als das junge Mädchen ihr Pferd so plötzlich zügelte, daß Helmstedt eine kurze Strecke vor ihr vorbeischoß. Umwendend sah er, wie sie ihr schnaufendes Thier zum Stillstand nöthigte und scharf nach einem Gegenstande vor ihnen auf der Straße blickte. »Dort kommt der unangenehmste Mensch, den ich nur kenne,« sagte sie und strich sich das Haar aus dem erhitzten Gesichte, »er muß uns schon gesehen haben, sonst wendete ich geradewegs wieder um! Bitte, Mr. Helmstedt, bleiben Sie hart an meiner Seite, damit er mich wo möglich gar nicht anspricht.«
Ein Stück vor ihnen kam ein Reiter auf sie zu, es waren bekannte Gesichtszüge für Helmstedt, wenn er auch nicht gleich wußte, wo damit hin, bis ihm plötzlich die Erinnerung den Abend vor seiner Beraubung in New-York vorführte – es war Baker, Seiferts damaliger Begleiter. Zu weiteren Gedanken hatte er nicht viel Zeit, denn Ellen ritt bei Bakers Nahen hart an die Feldeinzäunung längs des Weges, augenscheinlich um an dieser Seite keinen Platz neben sich zu lassen, und forderte ihren Begleiter mit einem Blicke zum Folgen auf. »Jetzt ist die Zeit zum Plaudern da, Sir,« sagte sie und bog sich, als wären sie schon jahrelange Bekannte, zu ihm, »ich werde Ihnen erst eine ganze Menge erzählen, wenn auch nicht viel Sinn darin ist; die Hauptsache ist, daß wir gar nicht thun, als bemerkten wir den Mann; und nun geben Sie mir auch eine Antwort, daß die Sache natürlich aussieht.«
»Wohnt der Herr hier in der Nachbarschaft?« fragte
»Ich weiß wirklich gar nichts, als daß er der unausstehlichste Mensch ist,« unterbrach ihn das Mädchen, »und daß meine Mama den schlechten Geschmack hat, ihn liebenswürdig zu finden und mich mit seiner Gesellschaft zu quälen.«
»Guten Morgen, Miß Elliot!« klang Bakers Stimme, der mit seinem Pferde vor dem ihrigen hielt, daß es zum Stillstand gezwungen war, »ich wollte mir eben das Vergnügen machen, Ihnen in Oaklea einen Besuch abzustatten.«
»Well, Sir, Sie finden Mama zu Hause,« erwiderte das Mädchen, ohne ihn anzublicken, »wollen Sie uns nur jetzt den Weg frei machen!«
Helmstedt sah ein halbspöttisches Lächeln um Bakers Gesicht zucken. »Ich wollte aber eben nur Sie sehen, Miß Elliot, und Sie werden doch sicher so höflich sein, ein paar Worte von mir anzuhören?«
Ellens Gesicht begann sich höher zu färben, aber ihrer Entgegnung kam Helmstedt zuvor.
»Wollen Sie so freundlich sein, der Dame freien Weg zu geben, die unter meinem Schutz ist? Oder gedenken Sie hier irgend einen Zwang auszuüben?« sagte er mit fester Ruhe und trieb sein Pferd einen Schritt weiter vor.
Baker warf einen Blick auf ihn, als bemerke er ihn erst jetzt. »Lächerlich!« sagte er, die Achseln zuckend, »Zwang! ich spreche Miß Elliot mit Genehmigung ihrer Eltern und so wird sie mir wahrscheinlich jetzt für ein paar Minuten den Platz an ihrer Seite erlauben!«
»Nein, sie wird nichts erlauben, Sir!« rief jetzt Ellen, das blitzende Auge auf ihn richtend, aber mit einem Zittern der Stimme, das ihre innere Aufregung verrieth. »Sprechen Sie mich mit Genehmigung meiner Eltern, so mögen Sie's auch in ihrer Gegenwart thun – lassen Sie mich vorüber!«
»Well, Miß, Sie sind noch so jung und dabei doch so
»Eben weil ich zu solchen wichtigen Dingen noch zu jung bin!« rief sie und gab im Aerger ihrem Pferde einen Schlag, daß es sich bäumte, Helmstedts Pferd bei Seite drängte und auf die Mitte der Straße sprengte; Baker wollte an ihre Seite gelangen, aber Helmstedt hatte sein Pferd schon dazwischen geschoben. »Halt an, Sir, Sie haben die Meinung der Dame gehört, thun Sie keinen Schritt weiter, oder ich behandle Sie nicht als Gentleman!« rief er. Baker zog die Brauen zusammen und maß ihn mit finsterem Blicke. »Well, Sir,« sagte er, »ich werde das Vergnügen haben, Sie an einem andern Orte zu treffen, vorläufig erbitte ich mir Ihren Namen!«
»Thut mir leid, daß Sie ihn vergessen haben, Sir; Ihr Freund Seifert machte Sie schon einmal damit bekannt. Ich heiße Helmstedt und wohne jetzt im Hause des Mr. Elliot.«
Bakers Gesicht überflog eine leichte Blässe. »Seifert?« wiederholte er, »soll es eine neue Beleidigung sein, daß Sie mich und den Spieler zu Freunden machen? Haben Sie mich vielleicht einmal im Riverhause getroffen, obgleich ich mich dessen nicht einmal entsinne, was berechtigt Sie, den Menschen zu meinen Freunden zu zählen?«
Helmstedts Augen wurden größer. »Also ist er doch hier mit Ihnen?« sagte er nach
einem Augenblicke langsam, »Sie haben wol vergessen, daß Sie Beide New-York mit
einander verließen? 'S ist genügend, was ich weiß, im Uebrigen stehe ich Ihnen zu
irgend einer Zeit zu Diensten!« Damit wandte er sein Pferd und trabte davon, um
»War ich doch so froh heute Morgen, und nun muß mir die Begegnung die ganze Laune verderben,« sagte Ellen, als Helmstedt wieder an ihrer Seite ritt, »ich weiß nicht, was sie zu Hause alle an dem Manne finden, Vater, Mutter und selbst Sarah; ich kann's gar nicht ausdrücken, was ich fühle, wenn er nur sein Auge auf mich heftet – bisweilen komme ich mir vor wie eine arme hilflose Fliege, um die eine Spinne anfängt ihre Fäden zu schlingen.« Sie gab wie in innerem Unmuth ihrem Pferde einen neuen Schlag und galoppirte davon, zügelte es aber bald wieder und ließ ihren Begleiter herankommen. »Nicht wahr, Sie lachen mich nicht aus?« sagte sie mit einem so zutraulich bittenden Blick im Auge, daß in Helmstedts Herzen jedes drückende Gefühl über seine Stellung, das noch zurückgeblieben sein mochte, wie leichter Schnee vor der Sonne zerrann, »ich meine, Sie lachen nicht innerlich über mich, daß ich mich so gegen Sie gehen lasse?«
»Sprechen Sie nur, Miß Elliot, wenn es Sie dazu drängt,« erwiderte er, »und denken Sie, Sie hätten einen verschwiegenen Bruder neben sich; ich verstehe Ihre Empfindung gegen den Menschen vollkommen, und wenigstens in einer unbeschreiblichen Abneigung gegen ihn haben Sie in mir einen Bundesgenossen.«
»Haben Sie ihn schon früher gekannt?« fragte Sie lebhaft, »Vater sagt, er sei reich,
er solle aus dem Süden des Staates sein; Mutter spricht von seiner Liebenswürdigkeit
und« – sagte sie stockend, während ein hohes Roth ihr Gesicht übergoß, »und ich mag
gar nicht daran denken, wozu sie mir das sagen.« Sie trieb ihr Pferd an, als
»Ich weiß nicht, ob Sie Ihr Gefühl gegen den Mann nicht vollkommen richtig leitet, Miß,« begann er, seinem Pferde die Mähne glatt streichend, »ich habe eine Ahnung, daß mit ihm nicht alles ist, wie es sein soll, und ich glaube, ich kann mir bald Gewißheit verschaffen, wenn Sie meinen Dienst nur annehmen wollen.«
»Glauben Sie das?« rief sie rasch aufschauend, »ich wollte Ihnen so von Herzen danken – aber wie wollen Sie Gewißheit erhalten? Vater würde ohne die gründlichsten Beweise nur wieder über mich spotten.«
»Well, Miß,« erwiderte er nach augenblicklichem Nachdenken, »ich will Ihnen nichts versprechen, bis ich nicht selbst einen bestimmten Anhalt habe; das aber, denke ich, soll geschwind geschehen – haben Sie bis dahin Vertrauen zu mir.«
»Ich habe ja schon so viel, daß ich selbst davor erschrecke!« sagte sie, ihm das Gesicht zukehrend, in dem sich ein helles Lächeln wieder Bahn brach. Sie zog die Hand aus dem Stulpenhandschuhe und reichte sie ihm hinüber, »ich bin ja froh genug, daß ich mit meinem Widerwillen gegen den Mann nicht mehr allein in unserm Hause stehe.«
Helmstedt hielt einen Augenblick die kleine, weiche Hand in der seinigen, und wollte sie dann an seine Lippen führen, sie aber zog sie rasch hinweg. »Das ist keine Mode in unserm Hinterwalde!« rief sie, auflachend wie ein Kind, und ließ das Pferd wieder im Galopp davon gehen.
Beide ritten schweigend eine Strecke weiter, als sich aber Mortons Landhaus, das Ziel ihres Rittes, in kurzer Entfernung zeigte, hielt Helmstedt sein Pferd an. »Einen Augenblick, Miß Elliot,« sagte er, »wie lange gedenken Sie bei Ihrer Freundin zuzubringen?«
»Nach der Begegnung von vorhin blieb ich am liebsten den ganzen Tag da!« erwiderte
sie, »ich bin gewiß, daß
»Well, Miß, kennen Sie einen Ort, der das Riverhaus heißt? Ich denke dort etwas über unsern Mann erfahren zu können und möchte die Zeit zu einem Ritte dahin benutzen.«
»Ich habe wol schon von dem Orte gehört,« erwiderte das Mädchen nachsinnend, »das müssen aber wenigstens sieben bis acht Meilen von hier sein. Er liegt drei Meilen seitwärts der Stadt, am Flusse, so viel ich weiß, und wenn Sie von Mortons Hause nach der Hauptstraße hinüber biegen, so können Sie wenigstens den Weg nach der Stadt nicht verfehlen, wo Sie jedenfalls die genauere weitere Richtung würden erfragen müssen.«
»Sie wollen warten, bis ich zurück bin, Miß?«
»Sicherlich, Sir!«
Sie hatten die weiße Einzäunung des Landhauses erreicht; Helmstedt sprang vom Pferde, um das Gartenthor für seine Begleiterin zu öffnen und als er zwei Damen aus dem Hause treten und dem Gaste entgegeneilen sah, schwang er sich wieder in den Sattel und schlug die nächste breite Fahrstraße, die seitwärts abging, ein. Ein Neger, der im vollen Feststaate, die dampfende Cigarre zwischen den dicken Lippen, umher spazierte, benahm ihn auf seine Frage jeden Zweifel, daß er auf dem rechten Wege sei, und im scharfen Trabe verfolgte er die Richtung weiter.
Was Helmstedt mit seinem jetzigen Ritte erzielen wollte, war ihm eigentlich selbst
noch nicht ganz klar. Bei Bakers Anblick hatte er zuerst nur an Seifert als den Dieb
seines Geldes gedacht, und deshalb nach diesem gefragt; dann aber war ihm des Mannes
momentane Verlegenheit, sowie dessen Bestreben, die Bekanntschaft mit Seifert von
sich zu weisen, aufgefallen, und dies in Verbindung mit der Weise, in welcher er ein
Gespräch mit Ellen Elliot anknüpfen wollte, hatte ein dunkles Gefühl in Helmstedt
erzeugt, als gewahre er das äußerste Ende eines verborgenen Spitzbubenstreiches, und
Drinnen stand, mit dem Queue in der Hand, Seifert selbst in Lebensgröße. Helmstedt trat wieder zurück, um nicht gesehen zu werden und überlegte. So sehr ihn das Zusammentreffen auch jeder weiteren Mühe überhob, so wenig war er doch noch darauf vorbereitet, – nach kurzer Weile schien er indessen mit sich einig zu sein und schritt, wenigstens äußerlich ruhig, durch die Thüröffnung. Im Zimmer, das sein Auge rasch überflog, befanden sich außer den Spielern an den beiden Billards, nur einzelne aufmerksame Zeitungsleser. Seifert kehrte ihm den Rücken zu und pointirte den Fortschritt seines Gegners im Spiele. Helmstedt klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Aah –!« rief dieser, sich umkehrend, als erwarte er einen Bekannten zu sehen; sobald er aber seinen Mann mit dem Blicke gefaßt, begannen seine Augen groß und starr zu werden, als sähe er ein Gespenst; das Blut ging aus seinem Gesichte, »Mister –?« begann er endlich mit unsicherer Stimme und augenscheinlich nach Fassung ringend. »Helmstedt, if you please, Sir!« erwiderte dieser lachend, »kennen Sie mich denn nicht mehr, Seifert? Sie sehen,« fuhr er deutsch fort, »Berg und Thal kommen nicht zusammen, aber Menschen können sich wiederfinden.«
»Helmstedt?!« erwiderte der Andere und in seinem Gesichte zeigte sich ein sonderbarer Kampf, sollte er die Bekanntschaft anerkennen oder nicht.
»Ja natürlich, wer denn sonst, Mann? Ich freue mich, einmal wieder einen Bekannten zu treffen. – Sie haben mir in New-York wirklich gefehlt, wo Sie verschwanden, ohne mir nur einmal ein Wort von Ihrer Abreise zu sagen. Aber lassen Sie sich jetzt nicht stören, wir sprechen, wenn Sie mit Ihrer Partie durch sind und trinken dann eine Flasche Wein zusammen, oder irgend einen andern Stoff.«
Helmstedt starrte den Menschen einen Augenblick überrascht an – so viel Frechheit hatte er nicht erwartet. »Sie sind diesmal ein Narr, Seifert,« sagte er dann, »ich will noch zwei Worte deutsch reden und dann englisch, wenn Sie's wünschen. Hätte ich Böses gegen Sie im Sinne, so wäre ein gerichtlicher Haftbefehl gegen Sie in meiner Hand gewesen, ehe ich Sie angesprochen. Sie sind ein Spieler von Profession, ich bin jetzt Familien-Mitglied eines der ersten Pflanzer hier, dessen Einfluß mir vollkommen zu Gebote steht, verstehen Sie wohl, – ich komme zu Ihnen als alter Bekannter, der Sie vielleicht sogar um einen Dienst bitten möchte, – spielen Sie jetzt ehrliches Spiel mit mir und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Ihren Spitzbubenstreich gegen mich vergessen und begraben will – wollen Sie nicht, nun, Herr Seifert, so habe ich englisch sprechen gelernt.«
»Sie reden so überzeugend, Herr von Helmstedt,« erwiderte Seifert, ohne eine Miene zu
verziehen, »daß wirklich in meinem Gedächtniß eine Erinnerung aufdämmern will – aber
entschuldigen Sie, mein Gegner wird ungeduldig, ich stehe Ihnen nachher weiter zu
Diensten!« und damit wandte er sich, von Helmstedts leisem Kopfschütteln gefolgt, dem
Billard wieder zu. Dieser ließ sich durch den Aufwärter Cigarren bringen und setzte
sich, dem Spiele zusehend, in einen der leerstehenden Divans, bis Seifert mit einigen
brillanten Stößen die Partie endigte, den gemachten Aussatz einzog und sich neben
Helmstedt placirte. »Wie gesagt,« begann er, und brannte sich eine der daliegenden
»Lassen Sie einmal den Unsinn, Seifert,« unterbrach ihn Helmstedt, sich aufrecht setzend, »Sie wissen, ich habe immer unverblümt mit Ihnen gesprochen, das will ich auch jetzt thun; vielleicht wissen Sie auch, daß ich ein gegebenes Wort unter allen Umständen halte, und so können Sie sich auch im Guten oder Bösen auf das verlassen, was ich Ihnen jetzt zusagen werde. Sie haben mich in New-York um Alles bestohlen, was ich hatte, ohne Mitleid, obgleich Sie wußten, daß ich dadurch hilfloser als jeder Andere dastehen mußte –«
»Erlauben Sie einen Augenblick.« fiel Seifert ein, »wenn dies der Weg sein soll, meinen Erinnerungen zu Hilfe zu kommen, so weiß ich wirklich nicht, ob es ein glücklicher ist.«
»Die Beweise dafür sind natürlich durch Zeugenaussagen vor dem New-Yorker Polizeigericht vollständig festgestellt,« fuhr Helmstedt, ohne sich unterbrechen zu lassen, fort – »mir ist aber die Sache zum Glück ausgeschlagen, und so habe ich hier nicht daran gedacht, etwas gegen Sie zu unternehmen. Ich weiß ziemlich genau, was Sie hier treiben, kenne Ihr Riverhaus und Ihre dortigen Verbindungen, mir liegt aber, einer Angelegenheit halber, die nur mich allein betrifft, an einer Auskunft über Ihren – ich weiß nicht recht, wie ich ihn nennen soll – Ihren Genossen, den Mr. Baker, und wenn Sie hierin aufrichtig zu mir sprechen wollten, würde ich Ihnen Alles vergeben, was Sie mir gethan, würde sogar meine Anklage unter einem plausiblen Vorwande in New-York zurücknehmen, wohin Sie doch über kurz oder lang wieder gehen möchten.«
Seifert blies eine große Rauchwolke von sich. »Je mehr ich mir Ihre Worte überdenke,
Herr von Helmstedt, je vernünftiger scheinen Sie mir für den Mann zu sein, den Sie
damit vor Augen haben; ich weiß aber wirklich noch nicht, ob ich auch dieser Mann bin
– ich hatte zum Beispiel
Helmstedt unterdrückte eine Bewegung der Ungeduld.
»Ueber Ihren Freund Baker, mit dem Sie New-York verließen,« sagte er; »ich versichere Ihnen dabei, daß Niemand erfahren wird, woher ich meine Informationen erhalten habe. Seine Verbindung mit Ihnen kenne ich bereits und ich möchte Sie nur nochmals bitten, ehrlich gegen mich zu sein, lieber zu sagen, Sie wollen sich nicht aussprechen, als mich belügen.«
»Wenn Sie Alles das wissen, was Sie andeuten,« erwiderte Seifert, die Asche von seiner Cigarre klopfend, »so weiß ich eigentlich nicht, was ich Ihnen sagen soll, es scheint mir beinahe, als wüßten Sie mehr als ich selber.«
»Gut, Seifert, also ein paar bestimmte Fragen. Wo ist der Mann her und was wissen Sie über seine Verhältnisse? Sodann: in welcher Beziehung steht er zu Ihnen?«
»Ich muß Ihnen gestehen, Herr von Helmstedt, weil Sie es wünschen, daß die Beantwortung mir aus hundert Gründen unmöglich ist. Der erste davon ist, daß ich selbst nichts Genaues über den Mann weiß und so werden Sie mir wol die Aufführung der übrigen neun und neunzig erlassen.«
Helmstedt sah ihn einen Augenblick scharf an und erhob sich sodann. »Well, Sir,« sagte er kalt, »Sie wollen sich mit mir nicht in Freundlichkeit ausgleichen, so mögen Sie hinnehmen, was auf einer andern Seite kommt, und sich nicht über mich beklagen.« Er setzte sich den Hut fester und ging, wie mit einem Entschlusse fertig, nach der Thür, ohne dem Andern noch einen Blick zu gönnen. Es lag keine Berechnung in Helmstedts jetziger Bewegung, er fühlte, daß er dieser geriebenen Spitzbubennatur gegenüber zu schwach sei und wollte somit wenigstens sein eigenes Interesse durch polizeiliche Hilfe zu wahren suchen.
»Ich sage Ihnen einfach, daß Sie mich nicht mehr täuschen, Seifert!« erwiderte Helmstedt. »Wollen Sie mir die Wahrheit mittheilen, gut, so will ich Ihnen jetzt noch halten, was ich versprochen; merke ich, daß Sie mich belogen haben, so bin ich an nichts gebunden.«
»Lassen Sie uns wieder Platz nehmen, es ist nicht nöthig, die Aufmerksamkeit der Gäste auf uns zu lenken, selbst wenn sie uns nicht verstehen. Meine Bedingung,« fuhr Seifert fort, als sie wieder an dem früheren Orte saßen, »ist, daß Sie bis zum Neujahrstage keinen Gebrauch irgend einer Art von meinen Mittheilungen machen; ich habe mit dem bewußten Manne selbst ein kleines Geschäft und mein Interesse würde, käme er früher in übeln Geruch, am meisten leiden. Ich gestehe Ihnen, daß ich mit meiner Stellung nicht zufrieden bin und mir den längsten Termin einer Verbindung mit ihm bis Neujahr gestellt habe. Sie werden also die gestellte Bedingung nur billig finden.«
»Ich gehe sie ein,« erwiderte Helmstedt nach kurzem Nachdenken, »und gebe Ihnen mein Wort sie zu halten.«
»Ich kenne Sie, Herr von Helmstedt, und baue darauf
»Er hat also keine Besitzungen in Alabama?«
»Eben so wenig wie ich und Sie, er mag aber früher sich viel im Süden herumgetrieben haben und die Verhältnisse genau kennen. 'S ist ein New-Yorker Kind und ich möchte wol seine Terrainkenntniß, durch die er sich dort in den ersten Familien bewegt, haben. – Well, Sir, ich glaube, das dürfte Ihnen vielleicht genügen, ich habe Ihnen so weit reinen Wein eingeschenkt, und es sollte mir leid thun, wenn weitere Fragen meine speziellen Interessen beträfen, die ich nicht ebenso beantworten könnte.«
»All right, Sir!« rief Seifert, laut genug, um von allen Gästen gehört zu werden und sich mit der Miene eines befriedigten Geschäftsmannes erhebend. »Spielen wir vielleicht eine Partie?«
Helmstedt schüttelte den Kopf. »Werde schwerlich Zeit haben; ich will nur ein paar Bissen zu mir nehmen – habe heute fast noch nichts im Leibe – und dann heimreiten.« –
Es war ein wunderbares Gefühl, was den jungen Mann beherrschte, als er nach kaum einer halben Stunde wieder zur Stadt hinaustrabte. Dachte er an Ellen, die auf ihn wartete, so durchwehte es ihn wie heranziehender Frühling, und doch war es ihm, als werfe eine schwarze Wolke im Hintergrunde einen Schatten in seine Welt hinein.
Die Sonne stand schon tief, als Helmstedt bei Mortons Landhause wieder anlangte. Er
ritt durch die Einzäunung nach dem Hause, band sein Pferd an einen Baum, und als er
nirgends einen der Schwarzen entdecken konnte, der seine Anmeldung übernommen hätte,
schritt er zögernd durch die offene Thür der eleganten »Halle,« in welche die übrigen
Zimmer ausliefen. Es war ihm nach der eigenthümlichen Begegnung, die er am Abend
zuvor mit »Mrs. Morton« gehabt, unangenehm, das Haus zu betreten, er war mit sich
selbst in Zwiespalt, wie er sich ihrer sonderbaren Haltung gegenüber benehmen sollte,
ob ebenso stolz und fremd wie
»Ich kam nur, um Miß Elliot abzuholen!« begann Helmstedt deutsch, sich freundlich verbeugend.
»Sie ist schon vor mehreren Stunden durch ihren Vater abgeholt worden!« war die leise, englische Antwort. – Helmstedt schwankte einen Augenblick, ob er nicht kalt und kurz seinen Abschied nehmen sollte, aber ein Gefühl, halb Neugierde, halb Theilnahme siegte darüber.
»Darf ich wol fragen, Mrs. Morton, warum Sie so fremd und förmlich sind,« fuhr er deutsch fort, »während ich mich doch so aufrichtig freue, Sie hier wiedergefunden zu haben?«
Das Gesicht der vor ihm Stehenden wurde bleich, ihre Mienen wie ihr Auge nahmen eine starre Unbeweglichkeit an. »Ich glaube, Sir,« erwiderte sie, das Englisch beibehaltend, »wir haben keinen Berührungspunkt mehr gemein. Es thut mir leid, daß ich Ihnen das erst mit Worten sagen muß.«
Dem jungen Manne trat das Blut ins Gesicht, wie einem Schüler, der einen Verweis
bekommt. »Wie Sie wünschen, Ma'am, meine Frage war von Herzen gut gemeint,« sagte er,
»ich bitte um Entschuldigung!« und sich leicht verbeugend, verließ er das Zimmer. Er
schwang sich auf sein Pferd und sprengte im Galopp der Straße zu; er ärgerte sich
über das Wesen der frischgebackenen Dame,
Als die Hufschläge von Helmstedts Pferd laut geworden, war Pauline Peters, die jetzige Mrs. Morton, langsam zum Fenster getreten und hatte dem Reiter nachgesehen, bis er hinter den immergrünen Büschen verschwunden war. Dann fiel sie in einen der Divans, drückte das Gesicht in die Seitenkissen und brach in ein krampfhaftes Weinen aus. Sie schien gewaltsam jeden Laut davon ersticken zu wollen, aber jedes Glied ihres Körpers bebte unter einem Schluchzen, in dem sich ihre ganze Seele entleeren zu wollen schien; lange lag sie so, als sie aber endlich in gewaltsamer Fassung den Kopf wieder von den Kissen erhob, legten sich zwei weiche Arme um ihren Nacken. »Pauline, Mütterchen, um Christi willen, was ist dir denn?« sagte eine Stimme, die in voller Theilnahme zitterte, und Pauline sah in ein paar dunkle, melancholische Augen.
»'S ist nichts, Alice!« erwiderte sie, sich zusammenraffend und versuchte ein Lächeln, »das Weinen kommt mir wol einmal ohne großen Grund, und da mache ich es gleich für drei Monate zusammen ab.«
Das bleiche Mädchen, das vor ihr stand und die Arme nicht von ihrem Nacken ließ, sah
ihr tief in die nassen Augen und schüttelte langsam den Kopf. »Du verhöhnst dich
selbst,« sagte sie, »nur um mir nicht dein Vertrauen zu schenken, und doch habe ich
dich nie mehr geliebt, als eben jetzt – ich weiß, wie das Unglück schluchzt, Paully.
Als Vater mir dich als Mütterchen und als Schwesterchen mitbrachte, als du mich
behandeltest wie ein krankes Kind, da hätte ich mich gar oft gern an deinem Halse
ausgeweint, aber dem Gesicht war klar und froh, als hätte es noch keine Thräne
gesehen und dein Herz noch kein Unglück gekannt – ich weiß jetzt, Paully, daß auch
ein lachendes Auge
»Und doch habe ich keine eigentliche Ursache, die mich hätte so außer mir bringen können,« sprach sie, sich nach einer Weile ruhiger aufrichtend und sich die Augen trocknend, »und wenn ich dir auch Alles mittheilen wollte, was in mir vorging, so würdest du mich doch nur für ein Kind halten, das noch einmal über ein liebes Spielzeug weint, das schon lange zerbrochen ist.«
»Komm, Paully, erzähle mir,« sagte Alice und eine leichte Röthe stahl sich über ihr Gesicht, »ich habe noch nie recht in dein Herz sehen können. Mache es frei und – mache mir Muth,« fuhr sie mit bebender Stimme fort, »daß ich bei dir eine Zuflucht suchen kann, wenn ich in meiner Einsamkeit verzweifeln will.«
Pauline sah sie mit aufglänzendem Auge an. »Soll ich wirklich deine Herzensfreundin werden? Du sollst mich kennen lernen ohne Rückhalt, mit allen meinen Kämpfen; dann aber mußt du auch mir einen Theil von dem geben, was dich drückt, damit ich dir tragen helfe.«
»Ich will, Paully, aber –« sagte das Mädchen mit einem tiefen Athemzuge, als wollte sie sich von einem beklemmenden Gefühle befreien, »aber jetzt nicht. Schlafe in meinem Zimmer heute Nacht und laß uns sprechen, wenn es dunkel ist.«
Pauline küßte sie schweigend und erhob sich. – –
Helmstedt hatte die kurze Strecke bis Oaklea schnell zurückgelegt und Dick, der ihm
sein Pferd abnahm, wies ihn auf seine Frage nach Elliot nach der, »Bibliothek«.
Helmstedt's Auge überflog die Fenster des Hauses, ob sich nicht
»Ich muß wirklich um Entschuldigung bitten, daß ich so lange ausgeblieben bin,« erwiderte Helmstedt, »ich bekam während meines Rittes mit Miß Ellen eine Nachricht, bei der sich vielleicht ein paar hundert Dollars verlornes Geld wieder erlangen ließen und ritt deshalb ohne Verzug nach der Stadt; ich bin freilich, wenigstens was das Geld betrifft, vergebens geritten.«
Elliot nickte, als denke er an etwas Anderes. »Brauchen Sie nur Ihre Zeit, wie Sie wollen, Sir,« sagte er nach einer Weile, »bis Neujahr sind Festtage und Sie finden vielleicht in der Stadt einige Zerstreuung – ich habe Ihnen dort auf dem Tische eine Bankanweisung auf Ihr halbjährliches Gehalt hingelegt.« Helmstedt verbeugte sich dankend. »Haben Sie mir sonst irgend etwas zu sagen, Mr. Elliot?«
»Durchaus nichts, verfügen Sie ganz über sich!« erwiderte dieser, ohne von seinem
Buche aufzusehen. Helmstedt ging, aber lag ihm auch keine Sorge über seine
eigenmächtige Abwesenheit mehr auf dem Herzen, so bedrückte ihn jetzt Elliots kalter,
nachlässiger Ton, der so sehr von seiner gestrigen Herzlichkeit abstach. Irgend etwas
war in seiner Abwesenheit vorgegangen und Baker, der bei seiner Begegnung mit ihm auf
dem Wege nach Oaklea gewesen war, stand jedenfalls damit in Verbindung. Indessen
hatte Helmstedt sein halbjährliches Gehalt in der Tasche, und Neujahr, wo er über
Baker sprechen durfte, war nach fünf Tagen. Die Dinge konnten abgewartet werden. Er
ging
Die Familie saß bereits, als er das Speisezimmer erreichte. Elliot lud ihn mit einer stummen Handbewegung ein, seinen Platz einzunehmen. Mrs. Elliot füllte schweigend seine Tasse und Ellen sah nach kurzem Aufblicke wieder auf ihren Teller. Auch als Helmstedt sich gesetzt hatte, fiel von keiner Seite ein Wort, Jeder schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein, und die allgemeine Schweigsamkeit brachte einen beengenden Eindruck auf den Eingetretenen hervor; es wurde ihm fast, wenn er an Elliots veränderten Ton gegen ihn dachte, als müsse die auffallende Stille directen Bezug auf ihn haben.
»'S ist während der Feiertage ziemlich einsam und langweilig bei uns,« begann Elliot, als fühle er sich selbst unbehaglich, »unser Städtchen hat aber zu der Zeit desto mehr Leben und so muß man sich dort helfen.«
»Ich hatte nicht daran gedacht, wieder nach der Stadt zu gehen,« erwiderte Helmstedt, »ich hatte mir vorgenommen, bis Neujahr Ihre Bücher und Rechnungen zu meiner Information durchzusehen und die Einrichtungen der Farm kennen zu lernen – zur Unterhaltung aber ist ja ein Piano hier und wenn Miß Ellen glaubt, von mir etwas profitiren zu können und nichts anderes vor hat, so ließe sich jetzt ein recht guter Anfang damit machen.«
Ellen warf rasch aussehend ihn einen Blick zu, der sprechen zu wollen schien, sah
dann seitwärts auf ihre Mutter und suchte wieder ihren Teller; Mrs. Elliot aber sagte
kalt, ohne die Augen aufzuschlagen: »Ich glaube kaum, daß meine Tochter hier sein
wird!« und damit trat die vorherige Stille wieder ein, bis sich die Hausherrin erhob
und mit Ellen das Zimmer verließ. Elliot setzte sich ans Feuer. »Nehmen Sie Platz,
Sir!« sagte er und winkte Helmstedt, einen andern Stuhl einzunehmen. »Es thut mir
leid, Sir,«
»Kennen Sie den Herrn genau, von dem Sie eben sprachen?« fragte Helmstedt, »ich muß Ihnen ganz offen gestehen, daß ich vielleicht seiner Zudringlichkeit gegen Miß Elliot nicht so entgegengetreten wäre, wenn ich nicht den Mann für etwas Anderes gehalten hätte, als er sich gibt –«
»'S ist schon recht,« unterbrach ihn Elliot, »ich mache Ihnen auch keinen Vorwurf, ich bemerke es Ihnen nur, weil der Gentleman dann und wann unser Haus besucht und zu den genauern Bekannten meiner Frau gehört – und,« fuhr er mit einem gutmüthigen Lächeln fort, »wenn Sie in Amerika rasch fortkommen wollen, Sir, so müssen Sie es mit den Ladies nicht verderben.«
Helmstedt saß und schwankte, ob er die Familie in ihrer Sicherheit warnen sollte, aber jede unbestimmte Warnung hätte eine genauere Erklärung nach sich ziehen müssen, und er verwünschte die gegen Seifert eingegangene Bedingung. »Ich möchte von Herzen wünschen,« sagte er endlich, »daß ich heute im Unrecht gewesen wäre. Sie wissen gewiß am besten, wem Sie Ihre Familie öffnen.«
»Sicherlich, Sir!« erwiderte Elliot und hob langsam den Kopf, »eins nur möchte ich Ihnen noch freundlichst sagen. Unsere amerikanischen jungen Leute sind etwas rasch, besonders hier im Süden – lernen Sie Land und Menschen erst ruhig kennen, damit ein Urtheil, das Sie fällen, Ihnen nicht vielleicht unerwartet schlimme Folgen einbringt!«
Helmstedt biß sich auf die Lippen, erwiderte aber nichts,
»Ich will Sie nicht länger belästigen,« sagte er aufstehend, »und wenn Sie mir erlauben, erbitte ich mir morgen früh Bücher und Rechnungen.« – »Wie Sie das halten wollen, Mr. Helmstedt!« nickte Elliot, und der junge Mann verließ das Zimmer. Als er die Thür zugedrückt hatte und an der erleuchteten Treppe, die ins obere Stockwerk führte, vorübergehen wollte, flatterte ein weißer Gegenstand vor ihm nieder. Er bückte sich darnach – es war ein zusammengelegtes Papier. Helmstedt warf überrascht einen Blick nach oben; dort war aber weder etwas zu hören noch zu sehen, und mit einem sonderbaren Gefühle der Spannung betrat er sein Zimmer und brannte Licht an. Das Papier war ohne Adresse und enthielt nur die folgenden mit Bleistift und augenscheinlich in Eile geschriebenen Zeilen:
»Mutter sagt mir jeden Augenblick, ich sei ein verzogenes Kind, und Vater mahnt mich,
die Launen abzulegen; ich weiß aber, es geschieht nur wegen des Mannes, den ich nicht
ansehen mag. Er hat sich bei der Mutter eingeschmeichelt, und Vater thut, worauf
Mutter dringt. Ich höre aus jedem gesprochenen Worte, was beabsichtigt wird, und sehe
keinen Weg, wie ich mir helfen soll; was Mutter will, setzt sie durch. Ich habe seit
heute eine Angst im Herzen, wie noch nie. Der Mann, den ich gar nicht nennen mag, muß
Mr. Helmstedt verdächtigt haben, denn Mutter hat den Vater geplagt, mich bei Mortons
zu suchen, damit ich nicht mit einem gestern hergekommenen Ausländer, den noch
Niemand kenne, wie sie sich ausgedrückt hat, den ganzen Tag allein in der Welt
herumreite. Wenn Etwas gegen
Ellen.«
Helmstedt las das Papier zweimal, dreimal über, dann warf er sich auf einen Stuhl, drückte die Hände vor die Augen und wollte überlegen – aber er sah nur Ellen mit ihrer kindlichen Naivität, mit ihrem klaren Auge, in dem sich noch kein Gedanke, der des Schleiers bedurfte, gespiegelt haben konnte, vor sich, sah jetzt den Ausdruck, den ihre Zeilen bekundeten, über ihre Züge gebreitet – er fuhr rasch mit der Hand über das Gesicht, sprang auf und ging die Stube auf und ab. Was sollte er thun? Jede Warnung seinerseits ohne bestimmte Beweise war, wie die Sachen jetzt standen, vollkommen unsinnig; die wenigen Tage bis Neujahr mußten aber vergehen, und dann durfte nur an Baker die Aufgabe gestellt werden, die Nachweise seines Besitzes im Süden oder seines Vermögens zu schaffen, um den Menschen zu entlarven. Das Erste und Notwendigste blieb jetzt, dem Mädchen den Muth wiederzugeben, um für jeden möglichen Fall bis dahin Widerstand zu leisten; morgen, meinte Helmstedt, werde er jedenfalls, eine Gelegenheit herbeiführen können, um ihr das Nöthige zu sagen. Er nahm das Papier wieder zur Hand, sah auf die zierlichen, flüchtigen Schriftzüge und machte eine Bewegung, als wolle er es zu seinem Munde führen, hielt aber auf halbem Wege inne »Sei kein Narr, August!« sagte er, »hier ist kein Feld wo dir Rosen blühen können.« Er legte das Papier langsam zusammen und öffnete dann seinen Koffer. »Aber ich kann sie doch in der Seele tragen, selbst wenn sie es nicht wissen darf!« fuhr er innehaltend fort und drückte das Papier an seine Lippen. »Gute Nacht, Ellen, und rechne auf mich.« –
Als Helmstedt am andern Morgen erwachte, war es
Eine trübe, warme Luft empfing ihn, als er seine Stube verlassen hatte und durch die hintere Thür ins Freie trat; einer jener schnellen Temperaturwechsel war eingetreten, wie er eine Eigentümlichkeit Amerika's ist. Die Bäume und Sträuche, die in zwei Tagen ihre Blätter verloren hatten, waren von Nebel umsponnen und Helmstedt fühlte einen unangenehmen Einfluß, den die veränderte Luft und das trübselige Aussehen der Landschaft auf seine eben noch so klare Stimmung ausübte. Er umschritt langsam das Haus und überdachte das sonderbare Verhältniß, in welches er gerathen war. Die Hausherrin, die das innere Regiment allein zu führen schien, war bereits gegen den »Ausländer« eingenommen – in welchem Grade wußte er noch nicht einmal; Elliot, bei aller äußerlichen Gutmüthigkeit ihn doch nur als Miethling betrachtend, – und dazwischen Ellen, die sich an ihn anklammerte und auf Schutz gegen ihre Eltern rechnete. Und brachte er es auch dahin, Bakers Gaunereien offen zu legen, so mußte von dem Augenblicke an sein Verhältniß zu Ellen ein schiefes, wo nicht gar beargwohntes, und seine Stellung in der Familie eine durchaus unhaltbare werden. Mochte es aber auch – er war ja im höchsten Nothfalle nicht hier gebunden und konnte dann wenigstens eine süße Erinnerung mit sich forttragen.
Als er um das Haus bog, sah er eine angespannte Kutsche an der Vorderthür halten,
Dick auf dem Bocke und Sarah an dem geöffneten Schlage – eben trat Elliot mit Frau
und Tochter vom Portico herab, hob Beide in den Wagen, winkte ihnen noch ein »good
bye« zu, und fort rollten sie. Helmstedt ging in sein Zimmer zurück; er hatte
Nach beendigtem Mahle erbat sich Helmstedt Elliots Rechnungsbücher; er wollte scharf
arbeiten, um sich alle lästigen Gedanken vorläufig aus dem Kopf zu schaffen, und sich
zugleich bis zur Rückkunft des Pedlars Klarheit über das zu verschaffen was ihm fehle
– und bald saß er mit einem Haufen ungeordneter Papiere in seinem Zimmer. Er begann
zu fortiren, durchlas Briefe und Rechnungen, um so viel als möglich erst die Weise
des Betriebes kennen zu lernen, aber er las oft eine Sache dreimal über und wußte
doch nicht, wovon die Rede war. Seine Gedanken waren überall, nur nicht bei seiner
Beschäftigung, und je mehr er sich zur Aufmerksamkeit zwingen wollte, desto mehr
bemächtigte sich eine unbestimmte Unruhe seiner, die ihn endlich vom Stuhle austrieb.
Er öffnete seinen Koffer und holte Ellens Zeilen hervor – aber ehe er sie entfaltete,
legte er sie wieder zurück. »Oel ins Feuer!« murmelte er; er setzte sich wieder an
seinen Arbeitstisch und stützte den Kopf in die Hand, sinnend und sich in seine
Gedanken verlierend. Erst nach einer langen Weile erhob er sich wieder. »So wird das
nichts heute!« sagte er und rieb sich die Stirne. Er nahm seinen Hut, ging nach dem
Stalle und sattelte sein Pferd; er wollte einen Rundritt durch die Farm machen, aber
als er sich nach einer Weile nach seinem Wege umsah, befand er sich auf derselben
Straße, die er Tags zuvor mit Ellen zurückgelegt. Er ritt weiter und sah bald in der
Ferne Mortons Wohnhaus durch die neblige Luft leuchten, aber die Gedanken an die
jetzige Mrs. Morton,
Eine Meile mochte er, aufmerksam die Gegend musternd, fortgeritten sein, als ihm endlich ein Neger zu Pferde begegnete, bei dem er sich nach dem rechten Wege erkundigte.
»Well, Sir, Sie drehen Oaklea beinahe den Rücken zu,« erwiderte dieser; »wollen Sie hier mit mir quer durch den Busch reiten, bis auf die andere Straße jenseits, so kann ich Ihnen den Weg beschreiben.« Helmstedt folgte dem Führer, dessen höfliche Bereitwilligkeit ihn wohlthuend berührte, und horchte, wie der im Freien angekommen, einer verwickelten Beschreibung von Wegen. Nachdem er den Schwarzen mit einem kleinen Geschenke entlassen, machte er sich auf den Heimweg, der seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Es war fast Mittag, als er Oaklea erreichte, aber das kleine Ereigniß hatte ihm seine Controle über sich selbst wiedergegeben; er war ruhig geworden und konnte sich Nachmittags mit Ernst an die Morgens unterbrochene Arbeit machen.
Zwei einförmige Tage waren vergangen – Ellen und ihre Mutter waren noch nicht
zurückgekehrt; Elliot schien sich in seiner Bibliothek abgeschlossen zu halten und
Helmstedt beschloß am dritten, nach der Stadt zu reiten und seine
Die Schwarze huschte herein. »Ist es wol wahr, Sir,« begann sie vorsichtig, »daß Mr. Baker und Miß Ellen Neujahr mit einander versprochen werden sollen?«
Helmstedt fühlte, daß er kalt wurde. »Neujahr? dazu wird's, glaub ich, noch nicht kommen,« sagte er nach kurzer Pause, »woher weißt du das?«
»Well, Mr. Elliot spaßt manchmal mit mir und meinte heute Morgen, es sei das Beste, wenn ich jetzt noch Mortons Cäsar nähme, mit dem ich einmal ein Verhältniß gehabt, den ich aber nicht mag, dann könnte's bald zwei Hochzeiten geben, und Dick hat gehört, wie Mistreß Elliot gesagt, Mr. Baker müsse gleich nach Neujahr abreisen und die Sache könne an dem Tage wenigstens vorläufig abgemacht werden. Dick ist bestellt, morgen die Ladies wieder heimzuholen.«
»Ich glaube nicht, Sarah, daß Mr. Baker daran denken wird.«
»Glauben Sie wirklich nicht, Sir?«
»Wenn du Angst wegen Cäsar hast, so will ich dir sogar bestimmt versichern, daß Niemand an die Sache denken wird.«
Sarahs Gesicht begann sich aufzuklären. »Dank Ihnen, Sir, ich konnte mir's auch denken,« sagte sie und verschwand.
Helmstedt zog eilig sein Pferd heraus, nahm die Reitpeitsche und schwang sich auf.
Die Sache wurde Ernst – er mußte Seifert finden und ihm wo möglich einen Tag
abhandeln. Im scharfen Trabe ritt er die Straße hin, er erreichte die Waldecke, wo er
mit Ellen auf Baker getroffen, und fast auf derselben Stelle parirte er sein Pferd.
Keine
Helmstedt, die zusammengezogenen Augen auf den Herankommenden gerichtet, schien einen Augenblick unschlüssig, was zu thun; dann aber, wie von einem hellen Gedanken belebt, ritt er langsam weiter. Baker trabte herbei, den Kopf hoch und das Gesicht den Feldern zugekehrt, als denke er gar nicht daran, von der Begegnung Notiz zu nehmen; als er aber nahe genug heran war, trieb Helmstedt sein Pferd quer über des Andern Weg, daß dieser genöthigt war, die Zügel anzuziehen. Die Augen der beiden Männer trafen sich und wurzelten eine Secunde lang ineinander. »Was soll das?« brach Baker los, »geben Sie Raum, Sir!«
»Ich habe Ihnen ein paar Worte zu sagen, die Sie anhören werden!« entgegnete Helmstedt ruhig, aber mit fest auf ihn gerichtetem Blicke.
»Habe nichts mit Ihnen zu reden, geben Sie freien Weg, oder ich verschaffe mir ihn!«
»Vielleicht sind Sie mir dankbar, daß ich Sie angehalten und reiten von selbst nicht weiter. Ein verständiger Mann hört doch erst.«
Bakers Blick schien einen Augenblick das ernste Gesicht seines Gegners durchdringen zu wollen. »Was ist es? machen Sie es kurz!«
»Kaum ein paar Worte, Sir! Ich möchte Ihnen nur mittheilen, daß ziemlich genaue Nachrichten über Sie selbst und Ihren Grundbesitz eingelaufen sind, die hämischer Weise benutzt werden sollen, um Sie am Tage Ihrer Verlobung mit Miß Elliot als Schwindler festnehmen zu lassen. Sie müssen selbst am besten wissen, was Sie zu befürchten haben und ich mache Ihnen die Mittheilung nur, um vielleicht der Familie Elliot einen öffentlichen Scandal zu ersparen. Das ist Alles, Sir!«
»Halt an!« rief Baker, sich verfärbend, als Helmstedt jetzt sein Pferd zurückziehen
wollte. »Sie scheinen es darauf
»Ziehen Sie sich bei Zeiten zurück, Sir!« erwiderte Helmstedt, als Jener sein Pferd drehte, »Sie haben bis übermorgen Zeit, es ohne öffentliche Schande zu thun; was später erfolgt, mögen Sie sich selbst zuschreiben!« Baker warf ihm nur noch einen Blick zu, der ohne Worte sprach, und trabte sodann davon. Helmstedts Auge suchte nach dem Revolver, der aber in den dornigen Gesträuchen und dem buschigen Unkraut so verborgen lag, daß sein Auffinden mehr als Schwierigkeit erfordert haben würde, und ritt dann seines Weges weiter. Es war ihm zu Muthe wie einem jungen Feldherrn, der seine erste Schlacht gewonnen hat.
Erst spät Nachmittags kam er aus der Stadt zurück. Er hatte sein Geld in der Bank erhalten, aber Seifert trotz längeren Wartens und Suchens nicht getroffen. Als er hinter dem Wohnhause vom Pferde stieg, sah er Sarah neben den Ställen vorüberschlüpfen und rief ihr zu. Die Schwarze kam langsam heran.
»Hast du Mr. Baker gesehen, während ich weg war?« fragte er halblaut. Das Mädchen sah ihn an wie in plötzlicher Betroffenheit. »Mr. Baker?« wiederholte sie zögernd.
»Ich meine, ob er hier gewesen und mit Mr. Elliot geredet hat?«
»No, Sir!« rief sie, als fasse sie jetzt erst seinen Gedanken, »Mr. Elliot ist Vormittag ins Land geritten und jetzt noch nicht wieder zurück.« Helmstedt nickte befriedigt und brachte sein Pferd in den Stall.
Sylvester-Nachmittag war herangekommen. – Helmstedt war schon eine Viertelstunde lang
in seiner Stube auf- und abgegangen, hatte sich dazwischen auf einen Stuhl geworfen
und zu lesen versucht, war ans Fenster getreten, hatte die eintönige Landschaft und
den grauen Himmel betrachtet und dann wieder die Stube gemessen. Es lag ein
drückendes Gefühl über ihm; er wußte nicht, sollte er es der eigenthümlichen Luft,
die sich schon seit zwei Tagen geltend machte, oder der ungewissen Spannung
zuschreiben, in welcher er sich während Mittag befand. Dick war am Morgen
weggefahren, um die Damen des Hauses heimzuholen, und Elliot hatte während des
Mittagessens hingeworfen: wie er sich freue, einmal wieder einen belebten Abend haben
zu können; Baker werde sich wahrscheinlich auch einstellen, um das neue Jahr in
Gesellschaft der Familie zu erwarten. Helmstedt hatte dazu geschwiegen, war indessen
den Nachmittag über bei jedem Geräusche, das in der Gegend des Hauses laut wurde,
aufgefahren, ob es nicht durch die Ankunft des verhaßten Menschen verursacht werde.
Er traute diesem recht wohl die Frechheit zu, seine Rolle in der Familie
durchzuspielen; der zu gewinnende Preis war schon einiger Gefahr werth; welches
Verhalten aber Helmstedt nach seiner Ankunft beobachten sollte, wußte er selbst noch
nicht recht. – Er konnte von seinem Zimmer aus einen Theil der großen Straße jenseits
der äußeren Einfriedigung, sowie das Gatterthor, welches den Eingang zu der Besitzung
bildete, sehen, dorthin fiel bei seinem Gange durch die Stube jedesmal sein Blick, so
oft er das Gesicht den Fenstern zukehrte, und dort gewahrte er endlich einen
heranrollenden Wagen. Er trat rasch zum Fenster und sah scharf hinüber, er erkannte
Elliots Kutsche mit den Damen und das Blut schoß ihm nach dem Herzen, daß er
genöthigt
Zwei Stunden später stand am Riverhause ein schwitzendes Pferd angebunden, das dann
und wann unruhig den Kopf hob und in die Luft hineinschnaubte. In einem Hinterzimmer
hatte sich Baker auf einen Stuhl geworfen und wischte sich den Schweiß von Kopf und
Gesicht. Seifert saß, den Kopf in die Hand gestützt, an dem Tische daneben. »Punkt
elf Uhr also sind Sie am Platze!« begann der Erstere, vorsichtig seine Stimme
dämpfend, und warf sich den Hut auf den Kopf, »sind Sie pünktlich, so ist ein
Fehlschlag ganz unmöglich, es wird eine Nacht wie in einem Sacke. Der Capitain ist
benachrichtigt und wird von zwei Uhr bis zum Morgengrauen mit dem Boote harren. Ich
denke, wir schlagen abzüglich der Unkosten unsere viertausend
Seifert nickte. »Sie scheinen recht schnell zu Ihrem Entschlusse gekommen zu sein,« sagte er mit einem Anfluge von Spott, »schneller, als es sich nach Ihren bisherigen Erfolgen erwarten ließ.«
»Ist es Ihnen nicht recht?«
»Vollkommen, es hat mich nur überrascht!«
»Well, Sir,« erwiderte Baker, sich langsam erhebend, »vielleicht war ich zu rasch –
nach Neujahr aber, wo wieder eine strengere Beaufsichtigung der Neger eintritt, wäre
das Unternehmen nur mit doppelter Schwierigkeit ausführbar gewesen. Meine
anderweitigen Erfolge stehen noch genau so fest wie früher, aber ich habe seit
einigen Tagen ein Gefühl, als habe der Teufel Unkraut unter meinen Weizen gesäet; ich
fühle meinen Boden nicht fest unter mir und weiß nicht, ob ich beim nächsten kecken
Schritte sicheren Grund finde oder Sumpf, tief genug, um darin zu versinken. Ich habe
gestern Morgen ein Malheur gehabt, das mich meinen
Es mochte gegen zehn Uhr Abends sein, als er im langsamen Schritt von der Hauptstraße abbog, und den Weg durch die dicke Finsterniß nach Mortons Landhause einschlug. Er leitete sein Pferd vorsichtig durch die hereingebrochene Finsterniß, bis sich ihm die weiße Masse des Landhauses bemerkbar machte. An der äußern Einzäunung stieg er ab, befestigte den Zügel daran und schritt, jedes Geräusch vermeidend, dem Hause zu. Die Fenster waren geschlossen und dunkel, nur durch die Jalousien eines der Front-Parlors stahl sich ein schwacher Lichtschein. Die »Hall« -Thür öffnete sich auf Bakers Druck, er schloß sie leise hinter sich und trat mit gleicher Vorsicht in das Zimmer, in welchem er Licht bemerkt hatte. Eine einzelne Kerze, auf einem der Seitentische stehend, erhellte schwach den weiten Raum und ließ eine weibliche Gestalt, welche in der entferntesten Ecke zusammengedrückt auf einem Stuhle saß, im Halbdunkel. Baker blieb an der Thür stehen. »Sind wir allein, Alice?« fragte er halblaut. Das Mädchen fuhr in die Höhe, als bemerke sie jetzt erst sein Eintreten, und sank dann wieder in sich zusammen. »Sie schlafen schon Alle und haben Ruhe!« erwiderte sie eintönig.
Baker warf einen prüfenden Blick auf sie. »Ich danke Ihnen, daß Sie meiner Bitte um
eine Unterredung Gehör
Das Mädchen hatte sich, während er sprach, langsam aufgerichtet, ihr bleiches Gesicht sah in der matten Beleuchtung todtenähnlich aus. »Zertreten Sie mich, Mann,« sagte sie, »ich will es dulden, wenn ich dadurch meine Schande mit mir begraben kann – aber fordern Sie keine Unmöglichkeit, kein Geld mehr von mir – Sie haben mich ausgepreßt wie den Schlauch, der den letzten Tropfen hergegeben hat, und der nur noch unter Ihren Händen zerreißen kann.«
»Haben Sie wirklich im Augenblicke kein Geld,« erwiderte Baker kalt, ihr näher tretend, »so besitzen Sie Schmuck. Ueberlegen Sie, daß ich Sie heute das letzte Mal sehe, wenn Sie mich auf irgend eine Weise befriedigen können. Ich will Ihnen nicht Ihren eigenen Reichthum an Kostbarkeiten vorzählen.«
»Es ist längst Alles geopfert und veräußert, um Ihre Ansprüche zu befriedigen und mir eine kurze Rast zu erkaufen – ich bin seit Monaten nicht aus dem Hause gegangen, um nicht das Verschwinden selbst des letzten Stückes bemerkbar werden zu lassen.«
»Gut, Alice, ich komme aber ohne Geld nicht weg; soll ich den Werth Ihrer Briefe einem Andern verrathen und mir darauf Geld leihen, damit dieser den Betrag später mit Zinsen wieder von Ihnen herauspresse?«
Die Augen des Mädchens erweiterten sich wie im Entsetzen. »Henry!« rief sie mit
heiserer, unterdrückter Stimme, »was soll ich denn thun? ich kann doch nicht morden
und stehlen, um Sie zu befriedigen! Seien Sie barmherzig!«
Baker kehrte sich ab und schritt durch das Zimmer. »Sie machen mir einmal wieder eine Scene, Alice, und wissen, wie ich dergleichen Auftritte hasse – ich werde ein andermal wieder kommen!« fuhr er fort, als er die Thür erreicht hatte – er öffnete sie –
»Henry! geben Sie mir die Briefe!« stöhnte das Mädchen, die Arme nach ihm ausstreckend, aber Baker hatte das Zimmer verlassen, durcheilte rasch den Raum bis zu seinem Pferde und ritt bald in das Dunkel hinein. Er hatte die Richtung nach Oaklea genommen und trabte eine kurze Strecke auf der Straße hin, bald aber nöthigten ihn Löcher und Wurzeln im Wege, die nur durch das häufige Straucheln des Pferdes bemerkbar wurden, vorsichtig Schritt zu reiten.
Die Luft lag so bewegungslos über der Gegend, daß auch nicht das Rauschen eines
einzigen Blattes hörbar wurde, und der Hufschlag des Pferdes klang weit über die
Straße hin. Plötzlich hielt der Reiter an und horchte, als sei ihm ein ungewöhnliches
Geräusch aufgefallen – aber ringsum war Todtenstille. Er ritt weiter, bis zu einem
schmalen Weg, der sich zwischen den eingezäunten Feldern von Oaklea nach der
Rückseite der Besitzung hinunter zog, und bog hier ein. Wieder schien ihn irgend ein
befremdender Laut zum Halten zu bringen – er horchte aufmerksam und lange, aber in
der schweren, stillen Luft war nicht das leiseste Geräusch zu hören. Vorsichtig ritt
er weiter, er spähte hinüber nach Elliot's Haus, konnte aber kein Licht mehr
entdecken, und verfolgte nun rascher seinen Weg, bis zu dem Saum des Waldes, der
einige Minuten hinter den Negerhütten seinen Anfang nahm. Hier unterbrach ein
geschlossenes Thorgatter die übrige Einfriedigung, und Baker sprang vom Pferde.
Scharf spähete er umher und that einen leisen Pfiff – ein ebenso leises Pfeifen
antwortete ihm, er band jetzt sein Pferd an und kletterte über die
Es mochte halb elf Uhr sein, als er sich erhob, das Ende seiner Cigarre in das
niedergebrannte Feuer warf und leise das Zimmer verließ. Er hatte, um möglichst jedes
Geräusch zu vermeiden, seine leichten Morgenschuhe angezogen. Er umging das Haus,
spähete nach jedem Fenster, ob nicht irgendwo »ein Verräther wache«; aber das ganze
Gebäude lag dunkel und stumm, und jetzt erst, an der Rückseite wieder angekommen,
suchte er die ihm bezeichnete Stelle. Die Hinterthür war durch einen auf vier Säulen
ruhenden Portico überdacht, welcher sich bis zur Höhe des oberen Stockes erhob.
Daneben, im unteren Geschosse befanden sich zu beiden Seiten Vorrathskammern und nur
die Zimmer darüber waren bewohnt. Helmstedt sah nach dem von Ellen angedeuteten
Fenster, es war dunkel wie die
»Ich glaube – aber sprechen Sie nicht so laut, ich vergehe vor Angst, daß uns Jemand
hören könnte und doch weiß ich nicht, was sonst zu thun?« – Helmstedt hatte die
geflüsterten Worte mehr errathen als gehört; es wurde ihm klar, daß auf diese Weise
eine Unterredung unmöglich war – und doch fühlte er, daß ihm eben so viel daran lag,
dem Mädchen Waffen gegen den aufgedrungenen Bräutigam in die Hände zu geben, als es
nur bei ihr selbst der Fall sein konnte. »Ich werde suchen, Ihnen näher zu kommen!«
rief er leise hinauf, nachdem er mit Auge und Gedächtniß sich die Form des Hauses
vergegenwärtigt. – Kaum einen Fuß vom Portico entfernt, befand sich das erste Fenster
des Erdgeschosses, das sich von den Stufen aus, welche zur Thür hinauf führten,
leicht erreichen ließ; daneben wanden sich immergrüne Schlingpflanzen, von einzelnen
Querleisten gehalten, die an der Mauer befestigt waren, empor, und setzte man vom
Fenster aus den Fuß auf eine dieser Leisten, so erforderte es nur wenig
Geschicklichkeit, um sich auf das Dach des Portico zu schwingen. Das war es, was sich
Helmstedt in kurzer Ueberlegung zusammengestellt hatte und was er jetzt ohne weiteres
Zögern auszuführen versuchte. Er stand, sich an eine der Portico-Säulen haltend, bald
»Wo stehen Sie denn?« kam die ängstlich geflüsterte Frage zurück.
»Gleich hier auf dem Fenstervorsprung!«
»Um Christi willen, Sie müssen fallen, Mr. Helmstedt, Sie haben keinen Halt und ich ängstige mich zu Tode, so lange ich Sie in der Stellung weiß!«
Dem Deutschen begann es beinahe selbst zu scheinen, als werde er seinen Platz nicht
lange behaupten können, er hatte seiner Stellung nur dadurch einige Festigkeit
gegeben, daß er seinen rechten Arm fest in die Fensteröffnung, vor der er stand,
gedrückt hatte; diese war aber so flach, daß es ihm war, als müsse jeden Augenblick
sein Arm herausgleiten. »Miß Elliot, ich muß unter allen Umständen mit Ihnen reden,«
sagte er und versuchte sich fester anzuklammern, »es ist die höchste Zeit dazu –
wollen Sie mir erlauben, daß ich versuche bis zu Ihnen zu kommen, ich
»Ich habe ja nichts dagegen, aber Sie werden gewiß dabei herunterstürzen, Sie können ja keinen Schritt weit vor sich sehen!«
»Bleiben Sie stehen, wie jetzt, Miß, Ihre helle Kleidung gibt mir einen Punkt fürs Auge, im schlimmsten Falle ist die Höhe vom Boden nicht so ungeheuer!« Er schob sich vorsichtig bis zum Ende des Vorsprunges, klammerte sich mit der rechten Hand fest an die Fensterbekleidung, preßte sich platt an die Mauer und that, mit ausgestrecktem linken Arme, um sofort in Ellens Fenster fassen zu können, langsam einen weiten Schritt. Er fühlte die Ecke des nächsten Simses unter seinem Fuße, seine linke Hand hatte schon festen Halt gewonnen, als sein Schuh abglitt und plötzlich die ganze Last seines Körpers an seinem Arme hing. Ein unterdrückter Schrei zeigte ihm, daß Ellen seinen Unfall wahrgenommen; er strebte vergebens, sich soweit hinauf zu ziehen, um mit dem Knie die Simsecke wieder zu erreichen, immer ging ihm die Kraft aus, ehe er so weit gelangt war; sein rechter Arm suchte vergebens an der glatten Mauer daneben einen Halt zur Unterstützung zu gewinnen und ließ eben die möglichen Folgen eines Falles durch seinen Kopf schießen, als er von oben seinen Rockkragen gefaßt fühlte. »Noch einmal!« hörte er Ellens aufgeregte Stimme, »versuchen Sie mit aller Macht jetzt, ich helfe!« und die Kraft, mit der er sich gefaßt fühlte, überraschte ihn. Noch einmal nahm er alle seine Stärke zusammen und mit einem Zuge hatte er das Sims unter dem Knie, seine rechte Hand faßte das Fenster und aufrecht stand er wieder – aber Ellens Hand zog noch immer; es kam Helmstedt vor, als halte sie sich wie in einem plötzlichen Krampfe an ihn, und keinem andern Gedanken als einer über ihn kommenden Angst nachgebend, stieg er rasch durch das Fenster ins Zimmer. Ellen fiel bewußtlos in seine Arme.
»Ich gehe schon, Miß,« erwiderte er, und bemühte sich, die Bewegung in seiner Stimme zu unterdrücken, »ich sah Sie ohnmächtig werden und die Besorgniß hat mich hereingetrieben.«
Er wandte sich nach dem Fenster. »Aber nicht wieder da hinaus!« rief sie auffahrend
und griff nach seinem Arme, als trete eist jetzt die klare Erinnerung wieder vor sie.
Beider Blicke trafen sich und blieben in einander hängen;
Helmstedt trat ihr langsam näher und kniete an ihrem Sitze nieder. »Ellen, Leben meiner Seele!« sagte er im vollen Ausdruck seiner Empfindung, »ich will dich erringen, oder selbst dabei zu Grunde gehen – ich habe gestrebt, meine Leidenschaft in mich zu verschließen, aber das Schicksal wollte es anders – sieh mich an!« Er zog ihr sanft die Hände herab und blickte in ein Auge, in dem sich Scham und Liebe stritten, – ein wundersames Gemisch von Innigkeit und halber Scheu lag in ihren Zügen, und Helmstedt mußte an die frisch aufgebrochene Rose denken, die zum ersten Male von dem Strahle des Tages berührt wird. »Ellen,« fuhr er fort, »hast du nicht ein Wort für mich?«
Sie hob langsam den Blick zu ihm und über ihr Gesicht verbreitete sich das Lächeln, das Helmstedt so gut kannte. »Und ich weiß noch nicht einmal Ihren vollen Namen!« sagte sie.
»Augustus heiße ich, aber sprich den Namen aus wie in meiner Muttersprache, sage: August, und ich will denken, ich habe Heimat und alles verlorne in dir wiedergefunden.«
»August,« wiederholte sie halblaut und sah ihm tief ins Auge. Dann lehnte sie ihre Stirne gegen die seinige. »August,« ich glaube, »mir hat es geahnt, daß es so kommen mußte, daß ich durch Sie vor dem Menschen Baker gerettet werden würde –«
Ein blendender Blitz, der für einen Augenblick Tageshelle in dem Zimmer schuf, ein
Donnerschlag, der die Fenster klirren machte, schreckten Beide auseinander, und kaum
war
In diesem Augenblicke fiel der Schein einer Laterne über den Platz hinter dem Hause und Dicks Stimme wurde vernehmbar: »Ich bin schon hier, Master!« Zugleich unterschied Helmstedt die Sprache dreier anderer Personen, welche eben um das Haus zu biegen schienen. »Das ist Pa!« flüsterte Ellen an seiner Seite. Sie eilte nach der Stubenthür und horchte, dann öffnete sie diese behutsam und sah hinaus. »Alles ist ruhig!« rief sie leise zurück. Helmstedt trat auf den Zehen heran – kein Laut war von Außen vernehmbar. »Gute Nacht, Ellen, träume von mir!« Einen Moment noch hing sie an seinem Halse, dann drängte sie ihn aus dem Zimmer.
Vorsichtig ging er einige Schritte, bis er das Treppengeländer fühlte und schlüpfte dann geräuschlos hinab. – –
Als Baker spät am Nachmittage das Riverhaus verlassen, hatte sich der Pedlar, der in
der Ecke saß, in seiner vollen Höhe aufgerichtet und zeigte eine so kräftige Formung
der Glieder, wie sie ihm bei seinem gewöhnlichen gebückten Gange Niemand angesehen
hätte. Das alte Gesicht schien von einem erregenden Gedanken belebt und das Auge
blitzte in vollem Feuer unter den buschigen Brauen hervor
»Er muß gleich wieder hier sein, Sir, er ist nur noch einmal nach dem Stalle, wir haben ein krankes Pferd,« war die Antwort, »wollen Sie nicht so lange hereinkommen?«
Der Pedlar hielt die Uhr gegen das herausscheinende Licht – es war zehn vorüber. Er sah einen Augenblick sinnend in die dunkeln Wolken. »Wenn sie noch in der Nacht den Fluß erreichen wollen,« brummte er, »so müssen sie spätestens um elf Uhr aufbrechen und ich kann mich hier nicht aufhalten. – Ich werde lieber selbst nach dem Stalle gehen!« fuhr er fort und wandte sich, durch die Dunkelheit seinen Weg suchend, Mortons Landhause zu. Er erreichte das weitläufige Stallgebäude, sah in alle Abtheilungen hinein, aber nirgends war ein Mensch zu sehen. »Jedenfalls auf dem Wege verfehlt!« brummte er wieder, »und ich weiß nicht einmal den Ort, wo sie sich treffen wollen; ich kann nicht allein gehen!« Er nahm in Hast seinen Weg wieder zurück nach den Negerhütten und eben als er das früher verlassene Haus erreichte, trat der Gesuchte aus der Thür. »Halloh, Cäsar, vorwärts, oder wir kommen zu spät!« Er zog von Neuem seine Uhr – es war fast halb elf. »Ich habe schon lange auf Sie gewartet, Sir!« sagte der Schwarze, »sie wollen um elf zusammen aufbrechen!«
»Dann los, was die Beine hergeben wollen,« rief der Pedlar, »ich mußte erst, der Gewißheit wegen, die ganze Schusterei aus dem Munde des Menschen selbst hören, und das hat mich aufgehalten!« Der Alte schritt durch die Felder, als hätten seine Beine doppelte Länge erhalten und Cäsar hatte Mühe, gleichen Schritt zu halten.
»Haben Sie etwas Neues gehört, Sir?« fragte der Schwarze.
»Lauf jetzt, und schwatze nicht,« erwiderte der Alte, »oder deine schöne Sarah geht
auf Nimmerwiedersehen
»Yes, Sir!«
»Gut!«
Der Schwarze war fast außer Athem, als sie Elliots Haus durch die Dunkelheit schimmern sahen; der Pedlar aber schien trotz seines langen Marsches gegen jede Ermüdung gestählt zu sein; sein langer, gleichförmiger Schritt hatte noch keinen Zoll eingebüßt. Eben öffnete er das Gatterthor an dem Platze vor dem Hause, als ein blendender Blitz und ein krachender Donnerschlag eine Secunde lang seine Schritte hemmte. »Well, Cäsar, das wird sie wol aufwecken und uns langes Pochen ersparen!« sagte er, sich nach dem Schwarzen umsehend, »die Spitzbuben haben eine schlechte Nacht getroffen, denn bei dem einen Schusse wird es nicht bleiben.« Er wandte sich nach der Seite des Hauses und klopfte an Helmstedts Fenster – er klopfte zum zweiten Male, und stärker, als keine Antwort erfolgte, aber mit eben so wenig Erfolg. Kopfschüttelnd wandte er sich nach kurzem Zögern der Vorderthür zu und begann hier sein Pochen von Neuem.
Ein Fenster im obern Stocke öffnete sich: »Ist Jemand hier?« fragte Elliots Stimme.
»Isaac, Sir!« antwortete der Alte. »Kommen Sie herunter, der Wolf ist unter Ihren schwarzen Schafen – Sarah und ihre drei Brüder sind eben daran, auf und davon zu gehen!«
Elliot stieß einen unverständlichen Laut aus und verschwand vom Fenster. Nach kurzer Zeit erschien er, nothdürftig angekleidet, in der geöffneten Hausthür. »Ihr seid's, Isaac? wer ist auf und davon?«
»Sarah und ihre drei Brüder, Sir, doch wenn wir rasch sind, können wir sie sammt dem weißen Wolfe wol noch fassen.«
»Halt, Sir!« rief der Alte und faßte Elliots Arm, »hier heißt's handeln und sich nicht lange besinnen. Merken Sie auf: der Mann, der Ihre Schwarzen stiehlt, heißt Baker – ich bin seiner Fährte nachgegangen, so lange er hier in der Gegend ist, denn wo er hinkommt, läßt er Unheil zurück; ich habe ihn belauscht in seinem verborgenen Quartiere im Riverhause, konnte aber nur aus einzelnen Worten errathen, was er im Werke hatte; da half mir Cäsar hier zufällig auf die Spur, der in seiner Eifersucht bald ausgefunden hatte, wer ihm seine Sarah abwendig gemacht; – well, Sir, ich habe ihn angestellt, um unter den Schwarzen selbst dem Plan des Spitzbuben auf die Fährte zu kommen, fragen Sie ihn jetzt, was er weiß – ich habe erst vor ein paar Stunden genug aus dieses Mr. Bakers eigenem Munde gehört, um Ihnen zu sagen, daß jetzt, in diesem Augenblicke, Ihre Schwarzen entführt, nachher aber im Süden wieder verkauft werden sollen.«
»Baker?« sagte Elliot und fuhr mit der Hand nach dem Kopfe. »Baker?«
»Wenn Sie entschuldigen wollen, Master,« begann Cäsar unruhig, »Mr. Baker hat Sarah und die Andern wirklich um eilf Uhr in den Busch an das hintere Thorgatter bestellt; sie haben geglaubt, ich ginge auch mit – und es muß schon eilf vorbei sein!«
»Baker – wir werden sehen!« sagte Elliot, wie plötzlich zu einem Entschlusse gelangt. »Geh', Cäsar, und rufe Dick, er soll schnell kommen!« Dann trat er rasch vom Portico herunter und schritt nach der hintern Seite des Hauses. »Das Beste wird sein, wir ziehen die Pferde heraus; kommt her, Isaac!«
»Lassen Sie ruhig die Thiere, wo sie sind,« erwiderte
Eben erschien Dick mit der Laterne. »Lassen Sie uns den eigenen Füßen vertrauen, und ich führe Sie!« fuhr der Alte fort, »pochen Sie Helmstedt heraus und ziehen Sie dann rasch Ihre Stiefeln an, ich werde mit den beiden Schwarzen für alle Fälle Ihre Büchsen aus der Bibliothek holen und laden, und in fünf Minuten können wir auf dem Wege sein!«
»Ihr mögt Recht haben!« erwiderte Elliot, »besorgt das Nothwendige und ich werde mit Helmstedt sogleich wieder bei der Hand sein.« Er eilte nach dem Hause zurück – der Pedlar störte das Licht in der Laterne heller auf und folgte mit den Negern. Als sie die Halle erreicht und den Seitengang nach der Bibliothek einschlagen wollten, kam ihnen Elliot aus dem entgegengesetzten, der nach Helmstedts Zimmer führte, schon wieder entgegen. »Der Deutsche ist nicht da!« rief er, »sein Zimmer ist offen, aber sein Bett noch unberührt, leuchtet einen Augenblick mit der Laterne her!«
»Er muß noch irgendwo auswärts sein,« sagte Isaac, als sich das leere Zimmer zeigte und das Bett nur einen Eindruck von Elliots Hand verrieth, »ich pochte schon vorher vergebens an seine Fensterladen; aber lassen Sie uns nicht dabei aufhalten; es wäre gut, wenn er da wäre, es muß aber auch so gehen, vorwärts!«
Sie trennten sich in Eile, als aber der Schein der Laterne verschwunden war, kam
Helmstedt hinter einem Tragepfeiler der Treppe hervor, wohin ihn bei seiner Flucht
aus Ellens Zimmer Elliots Eintritt ins Haus getrieben hatte. Hastig trat er in seine
Stube, suchte im Finstern Stiefel und Kopfbedeckung und machte sich dann durch die
Hinterthür wieder ins Freie; er wollte sich, um jeden Verdacht
Wenige Minuten darauf trat die Gesellschaft auf den Portico heraus – Dick beschäftigt, die Laterne an einen Stock zu binden.
»Einen Augenblick!« sagte Elliot zu dem Schwarzen. »Jetzt, da Mr. Helmstedt da ist, magst du hier bleiben, wenn du willst – ich mag dir nicht zumuthen, deine eigenen Kameraden jagen zu helfen. Ich würde sie ruhig laufen lassen und keinen Finger nach Ihnen strecken – das wäre ihre sicherste Strafe – wenn's mir nicht darum zu thun wäre, dem weißen Menschenräuber den Weg zu verlegen. Gib' die Laterne her!«
»Haben Sie keine Sorge um mich, Sir!« erwiderte Dick, den letzten Knoten festziehend. »Ich habe schon die ganze Zeit her gedacht, daß es bald ein paar schwarze Narren geben würde, seit der weiße Mann hier Abends hinter, den Zäunen herumschlich. Ich gehöre nicht zu der Sorte: 's thut kein weißer Mensch 'was umsonst für den weißen; möchte also wissen, warum er sich für den schwarzen aufopfern sollte!«
»Da ist wenigstens gesunder Verstand darin!« lachte Isaac; »nun aber keine Worte weiter verloren, wir haben ohnedies nur noch die Hoffnung, daß sie sich verspätet haben oder auf keine Verfolgung rechnen.«
»Jetzt müssen wir weiter ohne Licht, damit wir uns nicht verrathen,« sagte Isaac, als sie die letzte Einzäunung überstiegen hatten, und verbarg die Laterne unter seinem Rocke, »es können kaum noch dreihundert Yards von hier nach dem bezeichneten Platze sein. Vorwärts, aber so still als möglich!«
»Habt Ihr Recht in Bezug auf Baker, so kommt mir der Mensch nicht lebendig davon!« sprach Elliot halblaut, an die Seite des rasch dahinschreitenden Pedlars tretend. »Ich habe, so lange ich ein Mann bin, noch keinen solchen Fall gehabt, wie jetzt – nur im Süden von Georgia habe ich als junger Mensch erlebt, daß flüchtige Sklaven in die Sümpfe verfolgt und mit Hunden herausgehetzt wurden; das war damals eine Pflicht der Selbsterhaltung, denn ganze Banden davon, schlimmer als wilde Thiere, lebten in den Rohr-Dickichten versteckt. In unserer Gegend hier sind Sklaven-Entweichungen ein Unding gewesen und ich möchte lieber den doppelten Verlust auf einer andern Seite haben, als daß mir zuerst so Etwas passiren muß.«
»Sein Sie froh, Sir, daß Sie den Schaden nicht an Ihrem eigenen Fleisch und Blut zu bejammern haben, wie's noch viel leichter hätte kommen können!« erwiderte der Alte kurz und schritt schärfer vorwärts.
Sie waren nur noch ein kurzes Stück von dem Thorgatter entfernt, als ein neuer
gewaltiger Blitz die ganze Gegend erhellte; zehnfacher betäubender Donner in immer
sich erneuernden Schlägen folgte nach und zugleich stürzte,
»Los denn!« rief Elliot, »das Wetter wird nicht länger als eine Viertelstunde anhalten und Gewitterregen trocknet man am besten durch scharfe Bewegung!«
Der Pedlar voran, das wohlgeschützte Licht in seiner linken Hand, ging es durch
Regen, Donner und Blitz vorwärts – nach wenigen Minuten durch nasses Unterholz, bis
sich ein schmaler Waldweg aufthat. Der Alte schien eiserne Glieder zu haben. Mit
immer gleich langen, eiligen Schritten verfolgte er den Weg und bog jedem Hinderniß
bei Zeiten aus, daß die Nachfolgenden es bald am gerathensten fanden, sich dicht
hinter ihm im Scheine der Laterne zu halten. Kein Wort wurde laut. Jeder hatte genug
zu thun, sich vor dem Fallen auf dem schlüpfrigen Boden und vor Beschädigungen an den
im Wege stehenden Bäumen
Schweigend, aber in vermehrter Hast ging es weiter. Die Wolken hatten sich verzogen und in wunderbarer Klarheit blitzten die Sterne am dunkeln Himmel. Als der Pfad sich dem Ausgang des Waldes näherte, löschte der Pedlar ohne seinen Schritt anzuhalten, die Laterne. »Das Ding blendet jetzt mehr, als es hilft!« sagte er. Ein paar Minuten währte es, ehe sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bald aber ließen sich in dem matten Sternenlichte die einzelnen Formationen der freien Ebene unterscheiden.
»Dort sind sie, soll mir Gott helfen!« rief plötzlich der Alte und zeigte mit dem
Finger vorwärts, »dort,« fuhr er fort, als Elliot an seine Seite sprang, »gerade
herüber von der Waldecke!«
»'S ist dies ein Stück der Hauptstraße, was sie passiren müssen,« erwiderte Isaac, »dort unten nach dem Riverhause zu geht's wieder ins Dickicht – aber ich denke, unser Weg soll noch kürzer werden. Folgen Sie dicht hinter mir!« Er bog links ab, überkletterte eine Einzäunung und durch die Stoppeln eines Maisfeldes schritt er, den Uebrigen voran, wieder dem Gebüsche zu. Ein schmaler Pfad, in der Nacht nur dem geübten Auge erkennbar, öffnete sich nach kurzer Zeit und der Wald nahm die Männer wieder auf. Der Boden war hier dick mit abgefallenem Laube bedeckt, die Schritte wurden leichter und rascher, aber oft schien es, als nehme der Führer seinen Weg mitten durch das Unterholz, und einer mußte dicht hinter den Andern bleiben, um sich vor den zusammenschlagenden Zweigen zu schützen und nicht in der Dunkelheit von einander getrennt zu werden. »Seid Ihr recht, Isaac?« fragte Elliot nach einer Weile.
»Ohne Sorge, Sir!« erwiderte dieser, »wenn der Pedlar, der das ganze Jahr durch die Gegend streift, seinen Weg nicht kennen soll, dann weiß ich nicht, wer außerdem.«
Eine Viertelstunde war im scharfen Schritte verflossen, als sich aus der Ferne ein Brausen wie das eines Wasserfalles hörbar machte, auf Augenblicke wieder schwieg und dann von Neuem begann.
»Was ist das, hört Ihr nichts, Isaac?« fragte Elliot stutzend.
»Nur jetzt nicht angehalten Sir!« entgegnete der Pedlar, seine Schritte noch mehr
beeilend, »'s ist das Dampfboot, das im Flusse auf die Spitzbuben wartet; jetzt kommt
es
Vorwärts ging es, so schnell es die Hindernisse des Weges erlauben wollten, nach einigen Minuten lief der Pfad in die Straße nahe dem Riverhause aus; ohne aber nur einen Blick um sich zu werfen, schlug der Pedlar den von hier aus nach dem Flusse führenden Weg ein; seine Schritte schienen mit Hilfe seines Stockes halbe Sprünge zu werden, daß die Nachfolgenden trotz Spannung und Erwartung kaum nachzufolgen vermochten und nur in Elliot schienen durch die nahe Entscheidung frische Kräfte erwacht zu sein. Das Brausen des Dampfbootes trat mit jedem Schritte deutlicher hervor – »wir schneiden sie ab, nur rasch!« rief Isaac an der Spitze des Zuges; da klang vom Flusse ein Geräusch herüber, wie das Fallen schwerer Gegenstände auf einen hohlen Boden, das bisherige Brausen erstarb plötzlich – die letzte Wendung des Weges lag vor den Verfolgern und kaum zwanzig Schritte davon zeigte sich hell der freie Himmel über dem Flusse, von den ersten Lichtblicken des aufgehenden Mondes beschienen; in wenigen Secunden war die kurze Strecke zurückgelegt – in demselben Augenblicke aber, in welchem Isaac das hohe Ufer erreichte, stieß auch unten das Boot vom Lande und ging mit voller Dampfkraft den Fluß hinab.
»God –!« rief Elliot im vollen Ausbruche der Enttäuschung und starrte dem davon
eilenden Boote nach, »da geht's hin – und bei meiner Seligkeit, dort sieht eins von
den schwarzen Gesichtern über das Deck.« Isaac stand eine Minute wie zu Stein
geworden; dann stützte er sich auf seinen Stock und sank langsam, als verlasse ihn
alle Kraft, in sich zusammen. »Wirklich zu spät!« sagte er, »ich hörte die
Davonläufer auf die Platform hinunterspringen, aber ich wollte mir selbst nicht
glauben – und fort ist der weiße Teufel mit ihnen.« – Die Schwarzen sahen mit
Elliot fuhr in die Höhe. »Halloh, das gäbe noch die einzige Möglichkeit eines Erfolges!« rief er und blickte stromaufwärts, wo eine doppelte Rauchwolke sich in dem Mondlicht abzeichnete und rasch heranzog, »bei Gott, das ist einer unserer größeren Dampfer, das gibt Hoffnung; es soll mir kein Betrag zu hoch sein, wenn ich nur dadurch dem Schufte aus Genick kommen und ihm seinen Streich wett machen kann. Brennt die Laterne an, Isaac, rasch, daß wir signalisiren können, der Mond läßt den Fluß unten noch in vollem Dunkel.«
»Aller Augen hatten sich dem herankommenden Dampfboote zugewandt – das andere war bereits in der nächsten Flußbiegung verschwunden«; Isaac zog ein Taschenfeuerzeug hervor und bald brannte das Licht. »Ich glaube kaum, Sir, daß wir viel ausrichten werden,« sagte er, »und von der Energie, welche sich bis jetzt in seinem ganzen Wesen ausgedrückt, war kein Schatten mehr in seiner Stimme hörbar, ich glaube, wir sollen den Menschen nicht haben, sonst wäre ich trotz aller Mühe und Umsicht heute nicht überall zu spät gekommen – zu spät im Riverhause, um den ganzen Plan zu belauschen; zu spät zu Cäsar, der auf mich wartete; zu spät, um dem Spitzbuben die Flucht in Oaklea abzuschneiden; zu spät hier – ich gebe etwas auf solche Zeichen, Sir!«
»Nach dem Ufer hinunter und seid kein Narr, Isaac, dort kommt das Dampfboot!« rief
Elliot und schritt rasch den Weg nach dem Landungsplatze hinab – die Uebrigen
»Wo ist der Capitain?« rief Elliot, als er den ersten Fuß auf das Fahrzeug gesetzt.
»Wenn er nicht schon schläft, wird er im Bar-Room sein,« war die Antwort eines der Arbeiter, »gleich dort links im untern Deck.«
»Bleibt hier, bis ich wiederkomme!« winkte der Erstere seiner Begleitung zu und verschwand in der Dunkelheit des Raumes.
Die Maschine hatte ihre Arbeiten auf's Neue begonnen und das Boot schwamm in seiner gewöhnlichen Schnelligkeit den Fluß hinab. Wenige Minuten waren indessen verflossen, als Elliot wieder hörbar wurde. »Sie wissen, wer ich bin, Capitain, und ich stehe mit Allem, was ich habe, für jede Unannehmlichkeit ein!«
»Es wäre Alles recht, Sir,« erwiderte eine zweite Stimme, »ich kenne das Boot vom Mississippi her, 's ist in allen Flüssen zu Hause, wo's einen Schurkenstreich gilt, und ich würde Ihnen gern die Hand zur Hilfe reichen – Sie haben aber weder einen Marschall noch irgend eine andere obrigkeitliche Person bei sich; wie und mit welchem Rechte wollen Sie das Boot zum Beilegen zwingen?«
»Well, Sir, wir nehmen es einfach mit dem Rechte des Bestohlenen; ich und meine Leute sind zusammen fünf bewaffnete Männer, und daß Ihre Deckarbeiter mit voller Seele dabei sind, dafür lassen Sie mich sorgen.«
»Und nachher lassen wir uns den Prozeß wegen Flußräuberei machen!«
»Unsinn!« ließ sich Elliots ungeduldige Stimme hören, »glauben Sie im ganzen Süden
von Amerika eine Jury von zwölf Männern zusammen zu bekommen, die Jemand
»Well, Sir, lassen Sie mich zu den Passagieren sprechen, die noch wach sind.«
Elliot maß mit raschen Schritten den Raum vor der Bar-Zimmerthür, durch welche der
Capitain verschwunden war, er hatte aber nicht lange zu warten. Die Thür flog auf und
laute Ausrufe klangen heraus: »Los, Cap'tn, Sie verdienten ein nördliches Canalboot
zu führen, wenn Sie sich nur einen Augenblick noch bedenken wollten.« – »Halloh, wo
ist der Gentleman? wir hängen den weißen Halunken auf, wenn wir ihn fassen und ich
will meinen Theil mit für den Schaden stehen!« – »Drauf, es gibt doch wenigstens
einmal eine Aufregung auf euren langweiligen Hinterwaldsflüssen!« rief eine dritte
Stimme. Fünf bis sechs Männer in sichtlich erregter Stimmung traten hinter dem
Capitain in das Zwischendeck heraus, in dessen Hintergrund, von dem Feuerscheine des
Maschinenraumes bestrahlt, sich bereits eine Anzahl Deckarbeiter versammelt hatte.
»Well, Jungens, es gibt noch Nachtarbeit,« sagte der Capitain, »ich stehe euch aber
für eine gute Extrabezahlung. 'S ist ein fremdes Boot kurz vor uns, das Kidnappers
mit ihrem Raube an Bord hat – wir müssen es abfangen und es ist möglich, daß die Jagd
eine ernstliche Wendung nimmt. Ich will Keinem befehlen, sich weiter zu betheiligen,
als es der Dienst auf dem Boote verlangt – wer aber freiwillig die Sache mit
durchfechten will, wenn es so weit kommen sollte, der mag es thun und einer
anständigen Belohnung sicher sein. – Keinen Spectakel jetzt!« fuhr er mit der Hand
winkend fort, als er in den Gesichtern der
Zehn Hände faßten auf einmal in die aufgeschichteten Holzscheite, bald war der Feuerraum nur eine lohende Flamme, die Maschine begann hastiger zu arbeiten und in Kurzem durchschnitt das Boot, das Wasser vor sich her werfend, in verdoppelter Schnelligkeit den Fluß.
Elliot, seine Begleiter und die übrige Gesellschaft hatten sich nach dem freien Raum auf dem obern Deck begeben, der Mond war höher getreten und warf sein Licht schon in den Fluß, und jedes Auge spähte gierig nach dem verfolgten Fahrzeuge aus, aber eine Viertelstunde verging, ohne daß sich dem schärfsten Blicke eine Spur davon zeigen wollte.
»Wie lange hatte das Boot das Land verlassen, als Sie uns anriefen?« fragte der neben Elliot stehende Capitain.
»Kaum fünf Minuten, Sir! Ich vermuthe aber, sie gehen mit so vieler Dampfkraft, als nur möglich, um schnell aus der hiesigen Gegend zu kommen!«
»Scharfes Feuer!« rief der Capitain in den Raum hinunter, »so viel als der Kessel aushalten kann, dünneres Holz genommen und fleißig nachgelegt!«
Die Maschine begann zu keuchen, das Wasser flog von den Rädern zu Schaum gepeitscht und das Boot schoß in wunderbarer Schnelle vorwärts. – Isaac lehnte gebückt, beide Hände vor sich auf seinen Stock gestützt, an der Kajütenwand und hielt die zusammengezogenen Augen starr in die Ferne gerichtet; jetzt bog der Dampfer um einen hervorspringenden Berg des Ufers und zum ersten Male gab es eine freie Aussicht den Fluß hinauf. –
In geraumer Entfernung zeigte sich jetzt die langgezogene Rauchwolke des verfolgten
Schiffes, und einzelne Ausrufe
Eine lange Pause, nur unterbrochen durch das Geräusch der arbeitenden Maschine und das Brausen der Räder, erfolgte; alle Blicke hingen an dem Boote vor ihnen, dessen Formen deutlich hervortraten.
»In zehn Minuten haben wir sie, wenn sie nicht Unrath merken,« sagte der Capitain, »die Entfernung erschien durch das falsche Licht größer, als sie wirklich war.«
»Ich glaube kaum, daß sie eine Verfolgung fürchten,« erwiderte Elliot, »sie können kaum vermuthen, daß ihre Flucht schon entdeckt sei.«
»Wenn uns das schwarze Gesicht nicht erkannt hat, das gerade bei der Abfahrt aus dem Boote sah – wir standen im besten Lichte;« ließ sich jetzt Isaacs Stimme vernehmen. »Sehen Sie die Rauchwolken, Sir, ob die Menschen dort nicht riechen, was hinter ihnen herkommt!«
»'S ist so, sie fangen an zu feuern,« sagte der Capitain beobachtend, »aber viel soll es ihnen nicht helfen. Wir sind ihnen auf dem Nacken, unsere Kessel sind neu und haben schon einen andern Druck ausgehalten. Theer ins Feuer, wenns das Holz nicht mehr thun will!« rief er nach dem Raume hinunter, »aber scharf auf den Regulator am Kessel gemerkt!«
Der Dampfer schien bald durch das Wasser zu fliegen und die Entfernung zwischen
beiden Fahrzeugen nahm sichtlich ab – es ließ sich fast berechnen, wann das vordere
Boot erreicht sein würde – da machte dieses eine plötzliche Wendung und steuerte dem
Ufer zu; ein Brett fiel auf's Land und hinüber huschten mehrere Gestalten – beide
Dampfer waren sich schon so nahe, daß jeder einzelne Vorgang
»Hölle und Teufel!« schrie Elliot, »legen Sie an, Capitain; so weit gegangen, lasse ich die Sache jetzt nicht stecken.«
»'S ist Unsinn, Sir,« warf Isaac ruhig ein, »ehe wir ans Land kommen, sind sie schon über den Berg weg, und dann suchen Sie bei Nacht in einem unbekannten Walde!«
»Es thut mir leid, aber der Mann hat Recht!« sagte der Capitain, »sicherlich haben die Halunken Wind bekommen, daß ihnen nachgesetzt wird, und werden jedenfalls jetzt ihre Wege zu Land kennen. Es war eine vergebliche Anstrengung – da schwimmt das verteufelte Ding wieder so langsam und unschuldig, als hätte es noch nichts anderes als reguläre Geschäfte gerochen. Wir sind nicht weit von Ditto's, gehen Sie bis dahin mit, Sir, und erlassen Sie gleich Anzeigen in den Zeitungen – dort finden Sie auch schnell eine Gelegenheit zur Rückfahrt – jetzt läßt sich an der Sache doch nichts ändern.« Er ging nach dem Steuerhäuschen und bald erklang das Zeichen zum Nachlassen der Dampfkraft.
»Verdammt pfiffige Spitzbuben! 's ist jammerschade, daß die Geschichte so schnell zu Ende ging!« sagte einer aus der das Vorderdeck einnehmenden Gesellschaft, »jetzt, Gentlemen, sucht man aber wol am Besten das Bett!«
Elliot hielt noch immer die Blicke auf den Punkt geheftet, wo die entflohenen Sklaven ans Land gesprungen waren, und erst nach einer Weile drehte er sich langsam um. »Wir wollen hineingehen und einen Platz zum Ausruhen suchen;« sagte er, »ich hätte mir nichts aus dem Verlust der Schwarzen gemacht, die noch erkennen werden, wo ihre beste Heimat war, wenn ich nur den weißen Schurken, der nahe daran war mir Haus und Familie zu entehren, hätte fassen können.«
»'S hat nicht sein sollen; warum, kann ich freilich nicht
Das Deck war leer und gemächlich zog der Dampfer seine Furchen weiter durch das mondbeglänzte Wasser.
– – Es war am Morgen gegen acht Uhr, als Elliot mit seinen Begleitern bereits wieder bei der Landung am Riverhause das Ufer hinaufstieg. Bald nachdem sie in der Nacht »Ditto's« erreicht hatten, war ein kleiner Dampfer den Fluß herausgekommen und Elliot hatte die Gelegenheit zur Heimfahrt ohne Zaudern ergriffen. Der Morgen war klar und erfrischend, aber über den Rückkehrenden schien ein Nebel von Erschlaffung und getäuschter Hoffnung zu liegen; kein Wort war beim Betreten des Landes laut geworden, langsam wurde das Ufer erstiegen und nur Helmstedt schien einen Theil seiner Spannkraft behalten zu haben – den Andern voraus hatte er die Höhe erreicht, in seinem Herzen war goldiger Morgen wie rings um ihn, er sehnte sich, nach Hause zu kommen, um in Ellens hellen Augen die Bestätigung seines nächtlich errungenen Glückes zu lesen.
»Wir wollen sehen, daß wir im Riverhause ein Frühstück und einen Wagen zum Heimfahren bekommen,« begann Elliot, als sie den Wald betreten hatten, »das Stück Arbeit hat mich wirklich müde gemacht. Ihr, Isaac, thut mir nachher den Gefallen, und begleitet mich nach Oaklea, damit Ihr mir, wenn sich noch irgend ein Umstand vorfinden sollte, für die Zukunft als Zeuge dienen könnt; ich will die Sache gegen den Menschen so weit verfolgen, als ich kann.«
»'S ist schon recht, Sir!« erwiderte Isaac, der mit gesenktem Kopfe, wie vollständig ermattet, hinter den Uebrigen herging.
Helmstedt war an des Pedlars Seite getreten. »Sind Sie krank oder nur übermüdet?« fragte er, »Sie sehen schlecht aus, Isaac.«
»Wenn man alt wird, so wirkt ein einzelner Fehlschlag mehr, als zehn Jahre verlorner Arbeit in der Jugend,« erwiderte dieser eintönig. »Dem Alter fehlt die Zeit und das Vertrauen, um wieder von vorn anzufangen – was verloren ist, bleibt verloren!«
Helmstedt sah ihm einen Augenblick in das abgespannte, hagere Gesicht. »Ich verstehe Sie nicht ganz,« sagte er dann. »Daß Baker und die Schwarzen zum Kuckuk sind, ist doch kein solcher Fehlschlag für Sie, daß er Ihnen mit einem Male alle Kraft und alle Energie nehmen kann?«
Der Alte zuckte die Achseln. »Meinen Sie wirklich, es läuft in Amerika Einer vierzig Meilen, wie ich gestern, Alles zusammengerechnet, blos um einen Andern vor Schaden zu bewahren, der nicht einmal groß dafür dankt?«
»Sprechen Sie sich aus, wenn ich's wissen darf,« sagte Helmstedt, als Jener schweigend weiter schritt, »'s ist besser, als wenn Sie Ihren Aerger auf diese Weise in sich zehren lassen, und es thut mir leid, Sie so mitgenommen und niedergedrückt zu sehen.«
»Glaub's schon, daß Ihr Herz gut ist,« erwiderte der Alte, angeregter als zuvor, »'s ist kein Geheimniß, das ich verbergen müßte, und vielleicht thut's mir auch gut, einmal gegen Jemand zu reden, aber dazu ist es jetzt der Platz nicht. Ein andermal vielleicht.«
Sie gingen wieder schweigend weiter, bis das Riverhaus erreicht war. Auf Elliots
Anfrage, versprach der Wirth die Gesellschaft nach Oaklea fahren zu lassen, sobald
der Schwarze, der mit den Pferden Holz hole, zurück sei. Ein derbes Frühstück im
Hinterwaldsstile ward hergerichtet,
»Halloh, Isaac!« begann endlich Helmstedt auffahrend, »seien Sie munter, das Hinbrüten hilft zu nichts, als daß Sie sich noch in schlimmere Stimmung bringen, die am Ende nicht einmal so viel Grund hat, als Sie denken.«
Der Pedlar setzte sich langsam aufrecht und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
»Ich dachte eben an vergangene Zeiten,« sagte er, »und wie der Mensch mit allem
Verstande und aller Mühe doch so wenig an dem ändern kann, was sein soll; eigentlich
sind wir doch nur, wie alles Andere, was geschaffen ist, bloße Zahlen, aus denen das
große Welt-Rechenexempel gemacht wird. Ich habe Ihnen einmal von meinem Schwager
erzählt, der durch seine Handelsverbindungen mit dem Süden zu Grunde ging – well,
Sir, der Schwager war ich selber. Bankerott werden ist aber schon mehr Leuten passirt
und eben keine große Schande in Amerika – also fing ich auch an, mich wieder auf die
Beine zu stellen, so gut es gehen wollte, und war nur froh, daß ich keinen
Weiberjammer bei dem Unglücke zu hören hatte. Meine Frau war schon manches Jahr todt,
und meine Tochter Esther war ein Mädchen, wie sie nicht alle Tage geboren wird –
schön, wie ihre Mutter gewesen, und mit einem Willen so stark, daß sie sich die Augen
für unsern Unterhalt blind gearbeitet hätte, wenn's nöthig gewesen wäre, ohne eine
trübe Miene zu ziehen. – Es fing schon an mir wieder besser zu gehen, ich hatte
Credit für die kleinen Geschäfte, die ich machte, da kam eines Tages
Isaac hatte den Kopf vor sich in die hohle Hand gestützt und schwieg eine Weile. »Ich
bin nach dieser Zeit lange am Nervenfieber krank gewesen und ins Hospital geschafft
worden,« fuhr er dann langsam fort, »und fremde Leute hatten sich meines
Schwestersohnes, der bei mir lebte, angenommen.
»Ich hatte niemals so ein Schicksal in Ihrem Leben
Eine lautlose Viertelstunde verstrich, bis endlich der erwartete Schwarze mit seiner Ladung Holz ankam und die Pferde vor den viereckigen Familienwagen des Wirthes spannte, und nach kurzem Aufenthalt rollten die Männer Oaklea zu. Elliot schien durch die Bewegung des Wagens in einen Halbschlummer zu verfallen, der Pedlar sah schweigend in die Gegend hinaus und vor Helmstedts Seele trieben sich bald Bilder aus Isaacs Erzählungen herum, bald trat Ellen vor sein innerstes Auge, und bunte Vorstellungen von der Gestaltung seines künftigen Lebens in Elliots Hause durchkreuzten ihn. Nur die Schwarzen auf dem vordersten Sitze des Wagens ließen ihr halbgeflüstertes Gespräch nicht ausgehen, so lange die Fahrt währte.
»Ich möchte wol, daß wir unseren Weg gleich hinüber nach dem hintern Thorgatter nähmen und den Platz dort besichtigten; das zurückgelassene Pferd wird auch noch dort sein, wenn es sich nicht abgerissen hat –« begann Elliot, als der Wagen fast in der Höhe von Oaklea war; – »wenn wir hier absteigen, haben wir nur ein paar Minuten durch den Wald zu gehen.«
»Wie Sie wollen, Sir!« erwiderte der Pedlar und die Gesellschaft stieg aus; Elliot schickte den schwarzen Kutscher mit dem Fuhrwerke wieder zurück, die Uebrigen durchschritten den Wald, bis sie den Pfad erreichten, auf dem sie in der Nacht die Flüchtlinge verfolgt, und bald hatten sie die erste Einzäunung der Pflanzung im Gesichte.
»Dort steht das Pferd und hängt den Kopf,« rief Dick, der seitwärts den Andern vorangegangen war, »es scheint jämmerlichen Durst zu haben.«
Helmstedt war, von dem Tone des Ausrufs erschreckt, mit zwei Sprüngen herbeigeeilt und folgte dem Pflanzer über die Umzäunung, welche dieser langsam hinabstieg.
In dem vergilbten Grase lag ein menschlicher Körper hingestreckt, dessen Wäsche und Kleider wie in Blut getaucht schienen. Das Gesicht war nach oben gekehrt und eine blaue Spur, wie von einem schweren Schlage zeigte sich auf der Stirn. Helmstedt hatte kaum einen Blick darauf geworfen, als er auch wie angewurzelt stehen blieb. »Baker!« das war das einzige Wort, was er in seiner Ueberraschung hervorbringen konnte.
»Baker! – wirklich Baker!« sagte Elliot auf die Leiche starrend. »Den wir verfolgt haben bis Ditto's hinauf, der liegt hier ermordet auf meinem Grunde – das ist eine furchtbare Geschichte!«
In diesem Augenblicke kam Isaac, den Kopf vorgestreckt und, das Gesicht von Aufregung geröthet, heran. Einen langen gierigen Blick heftete er auf das Gesicht des Erschlagenen, dann faßte er nach dessen Handgelenke. »Todt und steif!« sagte er langsam, als der Arm, seiner Hand entgleitend, wieder schwer auf den Boden zurückfiel, »er hat seinen Lohn und ich habe freventlich gemurrt.«
»Aber, um der Barmherzigkeit willen, wie kommt er hierher und wem haben wir denn
nachgejagt?« rief Elliot, aus seiner ersten Betroffenheit zu sich kommend; »sind wir
nicht am Ende in einem ungeheuren Irrthum gewesen? Wenn die Neger mit ihrem Entführer
auf und davon sind – und ich habe selbst das weiße Gesicht unter den Schwarzen
»Halt, Sir,« sagte Isaac sich aufrichtend, »der hier liegt, ist der wahrhaftige Räuber, dessen Schultern so schwer von Sünden waren, daß der Herrgott sich das Gericht über ihn selber vorbehalten und ihm schon sein Ziel gesteckt hatte, als wir ihn noch zu fangen gedachten. Den Sie auf dem Flusse unter den Schwarzen gesehen, das war nur sein Gehilfe – Beide hatten sich verabredet, gestern Nacht die Flucht mit den Negern anzutreten, das haben diese meine Ohren gehört, und es ist Gottes sichtbare Hand, die ihn hier niedergestreckt, damit er nicht wie die Andern seiner Strafe entgehe.«
»'S ist Alles recht, Gottes Hand ist überall,« sagte Elliot mit einem Anfluge von Ungeduld, »damit allein aber ist der entsetzliche Vorfall nicht abgethan und auch der Coroner nicht befriedigt. Wir dürfen keine Zeit verlieren, um das gräßliche Geheimniß aufzuklären. Bleiben Sie mit Dick hier, Mr. Helmstedt, bis ich andere Leute zur Wache hergeschickt habe, und sehen Sie darauf, daß Alles in dem Zustand verbleibt, wie wir es gefunden – ich will sogleich den Coroner aus der Stadt holen lassen. Kommt mit mir, Isaac, ihr werdet den nothwendigsten Zeugen abgeben müssen.«
Er ging, von Cäsar und dem Pedlar gefolgt, davon und Helmstedt begann, sich die
Stirne reibend, auf und ab zu schreiten. Die ungewohnten Ereignisse waren während der
letzten zwölf Stunden so rasch auf einander gefolgt, daß ihm der ganze Kopf anfing
wirre zu werden. Des Pedlars Erzählung summte durch sein Gehirn und wenn er einen
Blick auf das Gesicht und die stieren Augen der Leiche richtete, schien ihm der
jetzige Mord ein so nothwendiges Schlußkapitel dazu zu bilden, daß es gar nicht hätte
ausbleiben können. Bald erschien ihm die Leiche nur
»Bin froh, daß es heller Tag ist, Sir, mir graut's vor dem todten Menschen dort und ich möchte ihm nicht so in die verdrehten Augen sehen, wie Sie!« Helmstedt wandte sich um; der Schwarze hatte sich bis an die Umzäunung zurückgezogen und saß dort mit verlegenem Grinsen auf einem Baumstumpfe.
»Warum nicht, Dick? 's ist eben nur ein todter Mensch, der Niemand mehr etwas zu Leide thun wird,« erwiderte der Deutsche; als er aber den Blick jetzt wieder auf die Leiche fallen ließ, war es ihm, als wolle ihm selbst ein Grauen ankommen; die gläsernen Augen stierten ihn mit demselben finstern Blicke an, wie damals, als er mit dem lebenden Manne den ersten ernsthaften Streit gehabt.
»'S ist freilich nur ein todter Mensch,« sagte der Schwarze, als sei er froh, sprechen zu können, »aber ich möchte ihn doch nicht herausfordern, ob er mir etwas zu Leide thun könne, es soll eine sonderbare Sache mit Ermordeten sein.«
Helmstedt begann wieder schweigend auf und ab zu schreiten, er ließ den Blick über
die Gegend schweifen, sah in den Himmel über sich, der, blau wie Azur, selbst der
abgestorbenen Landschaft einen freundlichen Charakter verlieh; aber so oft er den
daliegenden Körper passirte, wurde sein Blick wie magnetisch wieder darnach
hingezogen und traf den drohenden Ausdruck in den todten Augen; er drehte sich
endlich ganz weg und trat an die Umzäunung, aber je mehr er an etwas anderes denken
wollte, um so deutlicher stand das Gesicht des Ermordeten vor seiner Seele. »Ich habe
die Nacht nicht geschlafen und meine Nerven sind aufgeregt wie noch nie!« sagte er,
»'s ist Alles natürlich!« aber er
Elliot stand in der Hinterthür, als Helmstedt herankam, und obgleich aus des Letzteren Seele beim Erblicken von Ellens Fenster alle dunkeln Bilder wie Schatten vor der aufsteigenden Sonne wichen, so wagte er doch jetzt nicht hinaufzuspähen. »Ich habe nach dem Coroner geschickt,« sagte Elliot, »aber es kann manche Stunde vergehen, ehe er ankommt und es ist am besten, wir benutzen die Zeit zum Schlafen, damit wir nachher klaren Kopf haben; wir werden es Alle brauchen können. 'S ist Neujahrstag heute,« fuhr er, die Augen in die Hand drückend fort, »ein schöner Anfang des Jahres!«
»Sind die Ladies schon unterrichtet?« fragte Helmstedt, der sich Ellens Gesichtsausdruck beim Empfang der Nachricht zu vergegenwärtigen suchte.
»Ich ging diese Nacht weg, Sir, und wußte nicht, ob ich nach dem, was Isaac gemeldet, nicht selbst das Leben dieses Menschen nehmen mußte – meine Frau wußte das und dies war ihre bitterste Stunde: jetzt ist die Nachricht von seinem Morde durch eine andere Hand nicht das Schlimmste, was ich heimbringen konnte – steht es doch eigentlich noch gar nicht fest, ob wir die Betrogenen waren, oder ob sich Isaac nicht selbst betrog. Es wird hoffentlich Alles klar werden – gehen Sie jetzt zu Bette, wie ich es thun werde; sobald die Todtenschau beginnt, werden wir geweckt.«
Helmstedt ging nothgedrungen nach seinem Zimmer; zweimal noch verließ er es, als Elliot unsichtbar geworden war um vorsichtig umher zu spähen – einen einzigen Blick nur hätte er mögen mit in seine Träume nehmen, aber er mußte sein Bett suchen, ohne seine Sehnsucht gestillt zu sehen.
Helmstedt mußte lange geschlafen haben – als er erwachte, schien die Sonne in seine Fenster, und doch konnte das nur bei vorgerücktem Morgen geschehen. Undeutlich entsann er sich, daß ihn böse Träume einige Male aufgeschreckt hatten und da war es dunkel um ihn her gewesen – er mußte also den Nachmittag des vergangenen Tages und die darauf folgende Nacht in einem Striche durchgeschlafen haben. Kopfschüttelnd sprang er vom Bette, auf welches er sich mit der Kleidung geworfen hatte und machte sich fertig, um beim Frühstücke erscheinen zu können; sonderbar kam es ihm vor, daß er am Abende vorher von Niemand geweckt worden war, und wäre es auch nur des Nachtessens wegen gewesen. Er ging endlich nach dem Speisezimmer, sah aber hier an dem Zustande des Tisches, daß die Hausbewohner schon sämmtlich ihr Frühstück eingenommen hatten; in dem ganzen Hause aber herrschte eine Todtenstille, die Küche war leer und auch in der Umgebung des Hauses war nirgend eine menschliche Gestalt zu entdecken. Helmstedt schüttelte von Neuem den Kopf, aber ein peinlicher Hunger, der sich bei ihm einzustellen begann, ließ jetzt nicht viel andere Gedanken daneben aufkommen und er machte sich nach kurzem Warten an die kalten Ueberreste des Frühstücks. Er hatte nothdürftig seinen Appetit befriedigt, als die ersten Tritte in der Halle hörbar wurden, aber sie klangen schwer und fremd und der Deutsche wollte sich eben erheben, um nach dem Angekommenen zu sehen, als eine massive Männergestalt, einen starken Hakenstock am Arme, in der Thür des Zimmers erschien.
»Sind Sie der deutsche Gentleman, Mr. – ich vergaß den Namen!« begann der Eintretende
und nahm ein zusammengelegtes
»Ich heiße Helmstedt.«
»Richtig, so war's! Sie müssen gleich mit mir nach der Tavern zum Coroner kommen – Sie wissen, wegen des Mordes, hier ist Ihre Vorladung!«
»Recht gern,« erwiderte der junge Mann, dem der Vorfall durchaus erwartet kam, »lassen Sie mich nur meinen Hut holen und nachsehen, ob Jemand im Hause ist, es scheint gerade wie ausgestorben.«
»Ich sah Mrs. Elliot am Fenster, als ich herkam, Sie brauchen sich deshalb nicht auszuhalten,« sagte der Beamte, »und die Schwarzen werden wol nur einen Augenblick dem Spectakel nachgelaufen sein!« Die Sprache des Mannes war weder rauh, noch unhöflich, dem ohngeachtet lag in dem Tone eine Bestimmtheit, die Helmstedt unangenehm berührte, noch mehr fiel es ihm aber auf, daß, als er nach seinem Zimmer ging, der Beamte ihm Schritt für Schritt folgte – das Ganze bekam fast den Anschein eines Arrestes. Er öffnete seine Vorladung nochmals – »als Zeuge« wurde er darin verlangt – »das Benehmen des Mannes mochte also wol nur übertriebener Diensteifer oder Wichtigthuerei sein.«
»Wie weit ist der Ort?« fragte der Deutsche, als er seinem aufgedrungenen Begleiter folgte.
»Die Tavern liegt kaum mehr als eine Meile die Hauptstraße hinunter, wir werden bald dort sein.«
Helmstedt hätte gern nach den bis jetzt schon stattgefundenen Verhandlungen gefragt, aber der Beamte ging schweigend neben ihm her, that auch während des ganzen Weges den Mund selbst nicht zur kleinsten gleichgiltigen Bemerkung auf, und so hielt es Helmstedt für das Beste, seine Neugierde zu unterdrücken, bis er zur Stelle gelangt sei.
Die Nachricht von dem stattgehabten Mord schien sich bereits wie ein Lauffeuer über
die ganze Gegend verbreitet
Der ziemlich weite Raum im Erdgeschoß der Tavern war zum Gerichtszimmer für den
Coroner und die von ihm aus dem County schnell aufgebrachte Jury eingerichtet. Der
Coroner selbst saß hinter einem langen Tische und an seiner Seite ein das Protokoll
führender Gehilfe. Rechts von ihnen befanden sich die zwölf Jurors neben einander auf
einer Bank, links schienen die Zeugen zu sein, wenigstens bemerkte Helmstedt, dessen
Auge beim Eintritt den Raum überflog, Elliots Gesicht dort und dahinter die Wollköpfe
von Dick und Cäsar; umsonst suchte er aber des Pedlars Züge. Der übrige Raum war so
dicht mit Zuschauern gefüllt, daß die beiden Ankömmlinge Zeit und Kraft brauchten, um
vorzukommen. Helmstedts Erscheinen erregte sichtliches Aufsehen. Der Coroner, welcher
sich eben über das Protokoll beugte, fuhr auf die leise Meldung des Beamten rasch in
die Höhe und maß den Deutschen mit einem kurzen scharfen Blicke, die Jurors steckten
die Köpfe zusammen, unter den Zuschauern entstand leises Murmeln und die Hintersten
hoben sich auf die Zehen, um den Eingetretenen besser zu sehen. Helmstedt bemerkte
alles das, er fand aber nur die eigenthümliche Neugierde der Amerikaner darin, die
sich eifrig auf die unbedeutendste Sache wirft, sobald sie nur etwas Fremdartiges an
sich hat. Er sah nach Elliot hinüber, um
»Well, Sir,« begann jetzt der Coroner, »Sie werden uns einige Fragen beantworten, die in der vorliegenden Untersuchung von Wichtigkeit sind. Geben Sie erst Ihren vollen Namen, Alter, Wohnung und Beschäftigung an und leisten Sie dann den gewöhnlichen Zeugeneid, der Ihnen vorgesagt werden wird; nachher erzählen Sie uns, was Sie von dem stattgehabten Morde wissen.«
Die Anfangs-Formalitäten warm bald beseitigt und Helmstedt berichtete mit allen Einzelheiten, wie Baker am Morgen vorher aufgefunden worden war, und seine eigene Betheiligung daran.
»Ist dies Alles, was Ihnen von dem Morde bekannt ist?«
»Nach meinem besten Wissen, Alles!«
»Ihre Kenntniß davon beginnt also erst von dem Augenblicke, an welchem Sie den Ermordeten todt und kalt gesehen?«
»Yes, Sir.«
»Gut, dann werden Sie suchen müssen, uns einige Umstände zu erklären; der Ermordete ist zwar, wie die stattgefundene Examination ergibt, durch einen Stich mit einem scharfen, einschneidigen Instrumente, dem Anscheine nach einem gewöhnlichen Messer, zu seinem Tode gekommen, seine Stirne trägt aber auch die Spur eines kräftigen Schlages, der ihm jedenfalls vor der Todeswunde beigebracht worden. Unweit der Leiche hat sich nun dieser messingene Knopf hier vorgefunden, welcher nach Aussage zweier Zeugen zu einer nur von Ihnen in Gebrauch gehabten Reitpeitsche gehört. Haben Sie vielleicht eine Idee, wie der Knopf dorthin gekommen ist?«
»Ich glaube, die Erklärung ist leicht!« erwiderte Helmstedt ruhig und erzählte kurz sein Zusammentreffen mit Baker am Tage vor Sylvester. »Jedenfalls,« schloß er, »ist der Knopf, den der Mann damals als ›Memorandum‹ – wie er sich ausdrückte, behielt, bei dem Morde aus seiner Tasche geglitten.«
»Recht gern,« erwiderte Helmstedt, dem jetzt plötzlich eine Ahnung kam, daß irgend ein Verdacht auf ihm ruhe – welcher Art, war ihm freilich noch nicht klar. »Der ermordete Mann war ein gewöhnlicher New-Yorker Spieler und Industrieritter, der sich in mehrere Familien hier eingeschlichen hatte und eben im Begriff stand, sich durch seine Vorspiegelungen auf das engste mit der Familie meines Principals zu verbinden. Ich hatte schon versucht, Mr. Elliot vor dem Menschen zu warnen, fand indessen kein Gehör und konnte auch auf diesem Wege nichts weiter thun, da mir augenblicklich die Beweise gegen den Schwindler fehlten. Ich benutzte aber deshalb das Zusammentreffen auf der Straße mit Baker, um ihm zu sagen, daß er und seine Vergangenheit bekannt seien und daß ich, wenn er nicht die hiesige Gegend verlasse, veröffentlichen werde, was ich wisse.«
»Hatten Sie nicht irgend ein eigenes Interesse, den Mann von hier entfernt zu sehen? In der Regel bricht man, fremder Interessen halber, nicht einen gefährlichen Streit vom Zaune!«
In Helmstedts Gesicht schoß ein helles Roth, das aber eben so schnell wieder verschwand. »Ich hatte in dem angeführten Streite mit dem Ermordeten keine andere Absicht,« sagte er langsam und bestimmt, »als ein Unglück von Mr. Elliots Familie abzuwenden. Hätte ich selbst auch etwas gegen den Mann und seinen Charakter gehabt, so dachte ich doch damals nicht daran.«
»Ich werde Ihre Aussagen mit den bereits abgegebenen Zeugnissen zusammenstellen,«
erwiderte kalt der Coroner,
Helmstedts Auge war während der Worte des Coroners immer gespannter geworden. »Ich möchte erst meine Stellung hier kennen, ehe ich ein Wort weiter rede,« sagte er; »bin ich irgend einer Schuld angeklagt, so möchte ich das wissen; meine Aussagen werden kritisirt und verdächtigt, und der öffentliche Ankläger scheint mit dem Richter hier eine Person zu bilden.«
»Sie sind weder angeklagt, noch bin ich Richter, Sir. Mir, als Coroner liegt nur ob, auf Grund vorgefundener Thatsachen oder abgegebener Zeugnisse jede Spur zu verfolgen, durch welche Licht in das Geheimniß des stattgehabten Mordes gebracht werden kann, und das ist es auch nur, was ich jetzt in Bezug auf Sie thue.«
»Ich kann nur versichern,« sagte Helmstedt nach einer kurzen Pause, »daß jedes meiner
Worte die strengste Wahrheit enthalten hat, und wenn Isaac, der alte Pedlar, hier
»Möglich, Sir, vielleicht auch nicht. Sie werden mir einräumen müssen, daß, wenn man nur Sklaven stehlen will, es dazu nicht nothwendig ist, sich den Eintritt in den innersten Schooß einer Familie zu verschaffen; daß es aber, wenn man wie Mr. Baker auf dem Punkte steht, selbst Glied dieser Familie und rechtmäßiger Theilhaber ihres Glückes und Reichthums zu werden, es ein Wahnsinn wäre, Alles das wegzuwerfen, nur um heimlich ein paar Schwarze zu stehlen. Isaac ist übrigens mit seinen desfallsigen Behauptungen seit gestern Abend unsichtbar geworden, er scheint seinen Irrthum selbst eingesehen zu haben – und was die Aussagen des Negers Cäsar betrifft, selbst wenn sein Zeugniß etwas gelten könnte, so erstreckt sich seine ganze Wissenschaft nur auf halbe Worte, die er unter den entflohenen Schwarzen aufgefangen haben will. Wir müssen uns also vorläufig nur an das halten, was wahrscheinlich und vernünftig aussieht, und so will ich, wenn Sie nach dieser Darstellung mir nicht etwa noch Etwas zu sagen haben sollten, meine letzte Hauptfrage an Sie richten.«
Helmstedt hatte seine ganze Kenntniß über Baker erst aus zweiter Hand – dabei war
seine Hauptquelle, Seifert, eben nicht die reinste und zuverlässigste – jetzt erst,
bei den angeführten Zeugnissen für den Ermordeten, bei des Coroners ruhiger
Betrachtung der Verhältnisse, dachte er hieran, und zum ersten Male kam ihm der
Gedanke, ob er sich nicht durch seine aufkeimende Eifersucht wenigstens in Bezug auf
die Stellung des Mannes zu falschen Voraussetzungen hatte hinreißen lassen, an die er
um so lieber geglaubt, da sie mit seinen Wünschen übereingestimmt hatten.
»Der Ermordete,« fuhr der Coroner fort, »ist gegen sechs Uhr Abends gesehen worden, wie er auf dem von ihm gewöhnlich gebrauchten Pferde vom Riverhause abritt. Nachts eilf Uhr wurde dasselbe Pferd an der Stelle angebunden bemerkt, wo der Mord geschehen und wo es noch den Morgen darauf stand. Bei der dunkeln Nacht hat der Reiter wenigstens drei Stunden gebraucht, um diesen Ort zu erreichen, wenn er nämlich auf gradem Wege gekommen, möglich auch, daß er erst später als neun Uhr angelangt; daß aber der Mord vor eilf stattgefunden, beweist das durch den starken Gewitterregen vom Blute reingewaschene Gras. Ich erwähne aller dieser Umstände, damit Sie die volle Wichtigkeit der Frage, die ich an Sie stellen werde, fühlen mögen. Nach den Aussagen einiger Ihrer eigenen Hausgenossen sind Sie um eilf Uhr noch nicht in Ihrem Bette gewesen, sind erst, kurz nach eilf, bei schon beginnendem Regen, von Außen in das Haus eingetreten und haben angegeben, daß Sie sich beim Nachhausekommen verspätet hätten. Nun geht aber bei einer Stockdunkelheit, wie sie an jenem Abende herrschte, Niemand ohne Zweck spazieren und ich möchte Sie fragen, wo Sie jenen Abend zwischen zehn und eilf Uhr zugebracht.«
Ueber Helmstedts Gesicht zog eine tiefe Blässe; er starrte den Coroner einen
Augenblick an und senkte dann die Augen – die verschiedenen zusammentreffenden
Umstände traten plötzlich, zu einem mächtigen Verdachtsgrunde vereinigt, gegen ihn
auf – erst sein mit Baker begonnener Streit und die von ihm zugegebene Absicht, den
Mann aus der Gegend zu treiben; dann der neben dem Todten gefundene
Reitpeitschenknopf und zuletzt seine vermuthete Abwesenheit
»Well, Sir,« sagte der Coroner, »Sie müssen doch zu irgend einem Zwecke das Haus verlassen haben und irgendwo gewesen sein? antworten Sie mir also!«
Helmstedt war kurz mit seinem Entschlüsse fertig geworden – Ellens Ruf durfte auf keine Gefahr hin preisgegeben werden, mochte auch sein eigenes Schicksal jetzt laufen wie es wollte, und als in diesem Augenblick des Mädchens Bild vor seine Seele trat, wie sie ihn in der vollen Verschämtheit ihrer Liebe angesehen, da fühlte er, daß ihm keine Marter ein Wort, das ihr weh thun mußte, hätte entreißen können.
»Ich glaube nicht,« sagte er und hob den Kopf frei in die Höhe, »daß ich im Stande sein werde, die vorgelegte Frage zu beantworten, so leicht ich auch unter andern Umständen meine gänzliche Unkenntniß an dem stattgefundenen Verbrechen nachweisen könnte.«
Der Coroner sah ihm einen Augenblick scharf in das Gesicht. »Sie wissen vielleicht die Folgen nicht, Sir, die diese Ablehnung der Antwort nach sich ziehen kann?«
»Ich erkenne sie vollkommen,« erwiderte Helmstedt, ohne das Auge zu senken, »muß aber, selbst auf die Gefahr hin persönlich des Mordes verdächtig zu erscheinen, jede Auskunft über meinen Aufenthalt während der bezeichneten Zeit verweigern. Ich meine, es sei nicht zu schwer sich Verhältnisse denken zu können, die selbst den unschuldigsten Mann zum Schweigen zwingen können.«
Helmstedt erbleichte einen Augenblick, verbeugte sich dann aber und sagte ruhig: »Thun Sie, wie Sie müssen, Sir; die gänzliche Grundlosigkeit einer Anklage gegen mich wird sich hoffentlich bald von selbst herausstellen.«
»Bryan, führen Sie den Gentleman einstweilen ins Oberzimmer, neben dem Raum wo der Todte liegt,« rief der Coroner einem der Beamten zu – »heute Abend kommt er mit nach der Stadt ins County-Gefängniß.«
Helmstedt folgte ohne ein Wort dem Winke des herbeitretenden Officiers und schritt ihm voran durch eine der Seitenthüren – hinter ihm aber machten sich die bis jetzt unterdrückten Gefühle der Zuhörerschaft durch ein wirres Durcheinander von Sprechen und Ausrufungen Luft.
Der Verhaftete trat in ein kahles, weißes Zimmer, in welchem sich nur ein einziger
Stuhl mit drei Beinen befand. Einzelne auf dem Boden liegende Welschkornähren zeigten
den Zweck an, zu welchem es gewöhnlich benutzt werden mochte. Die Thür fiel hinter
ihm zu und der Schlüssel knirschte von außen im Schlosse. Von der Straße herauf drang
das Geräusch der durcheinander sprechenden Menge, Helmstedt hatte aber, auf- und
abschreitend, über seinen Gedanken Aug und Ohr für seine Umgebung verloren.
Anfänglich lag, trotz der stillen Begeisterung, welche ihn den jetzigen Weg hatte
einschlagen lassen, das unheimliche Gefühl zum ersten Male Gefangner zu sein, über
ihm; bald aber hatte er dies von sich geschüttelt und fing an sich
Die Jury hatte ihre Sitzung bis zum nächsten Morgen vertagt, die Menge war auseinander gelaufen und der Coroner saß in dem leergewordenen Raume, den Kopf auf die Hand gestützt und Papiere durchblätternd, während sein Gehilfe das Protokoll zu vervollständigen schien. Nach einer Weile trat Elliot, der bereits die Handschuhe zum Wegreiten angezogen hatte, ein. »Noch etwas Besonderes, Sir?«
»Setzen Sie sich einen Augenblick hierher,« erwiderte der Coroner. »Ich hatte durch zwei Beamte eine genaue Durchsuchung des Zimmers, das der Verhaftete in Ihrem Hause bewohnt, sowie der sämmtlichen Möbel darin angeordnet. Die Beamten sind soeben zurück, und obgleich nicht das Geringste entdeckt worden, was zur directen Verstärkung des Verdachtes dienen könnte, so hat sich doch in einem der Koffer dieser kleine Zettel vorgefunden, der wahrscheinlich den Beweggrund der That wird erklären helfen. Die Sache scheint mir zu tief in Ihr Privatleben einzugreifen, als daß ich Sie nicht erst davon hätte benachrichtigen sollen, um wenigstens jede unnöthige Veröffentlichung zu verhüten.«
Elliot las und wurde blaß. Es waren die Zeilen, welche Ellen vor einiger Zeit an Helmstedt geschrieben hatte.
»Setzen Sie diese Stelle an,« fuhr der Coroner fort, »hier heißt's: Wenn etwas gegen
den Mann aufgefunden werden kann – womit augenscheinlich Baker gemeint ist – so muß
es bald geschehen; mir ist, als hätten sich heute die Fäden so fest um mich gezogen,
daß ich nicht mehr heraus kann, oder als wäre ich heute in meiner Abwesenheit
»Um Gottes willen bringen Sie meine Familie nicht vor die Oeffentlichkeit!« rief Elliot, von seinem Hinstarren auf das Papier auffahrend – er sprang auf, schlug die Hand vor den Kopf und lief in dem Gemache auf und ab. »Ein Verhältniß,« sprach er, plötzlich vor dem Coroner stehen bleibend, »ein Verhältniß hat zwischen beiden sicher nicht stattgefunden, denn meine Tochter war während der kurzen Anwesenheit des Deutschen kaum zwei Tage im Hause, aber,« fuhr er langsam fort, die Augen in die Hand drückend, »es ist um so fürchterlicher, wenn ein Mädchen bei einem Fremden vor ihren eigenen Eltern Schutz sucht. Bringen Sie meine Familie nicht vor das Gericht, Sir!«
»Seien Sie ruhig, Sir, und hören Sie mich. Bleibt Ihre Tochter hier, so ist Ihrer Vorladung und Vernehmung fast nicht auszuweichen. Folgen Sie meinem Rathe, so gehen Sie jetzt heim, sprechen mit Ihrer Frau, sagen aber Ihrer Tochter von dem ganzen Gange des Prozesses kein Wort und schicken Beide auf vier bis sechs Wochen nach New-Orleans zum Besuch. Das ist Alles, was ich sagen kann – ich werde von keiner Ihrer Maßregeln Etwas wissen.«
Elliot sah dem Coroner einen Augenblick starr in die Augen, dann drückte er ihm, ohne ein Wort zu sagen, die Hand und eilte zur Thür hinaus.
Es war über Nacht Winter geworden, wirklicher Winter. Der Schnee lag fußhoch und die Sonnenstrahlen brachen sich auf der hartgefrorenen Oberfläche, ohne sie erweichen zu können.
In einer der oberen Zellen des County-Gefängnisses saß Helmstedt an dem vergitterten
Fenster und starrte, den Kopf in die Hand gestützt, in den Hof hinab, wo eine Schaar
kleiner gelber Vögel suchend im Schnee herumpickte. – Zehn Tage waren seit seiner
Verhaftung vergangen und seit dieser Zeit saß er einsam hier, den Zusammentritt der
Grandjury und deren Anklage erwartend. Die ersten Tage seiner Haft hatte er in einer
stillen Spannung zugebracht; einzelne ihm völlig fremde Amerikaner hatten sich mit
eigenthümlicher Dreistigkeit eingefunden, um ihre Neugierde zu befriedigen; drei
Advocaten waren da gewesen, um vorsichtig nach seinen Geldverhältnissen zu forschen
und ihm ihre Dienste als Vertheidiger anzubieten – und in jedem neuen Besuche hatte
Helmstedt den Träger einer Botschaft von Oaklea zu sehen gehofft. Als aber Tag für
Tag verging, und die Besuche aufhörten, als er durch den Gefängnißwärter den Schluß
der Co roner-Untersuchung und seine Ueberweisung an die Grandjury vernahm, da begann
er unruhig zu werden. An sein eigenes Schicksal dachte er weniger, denn vor ihm lag
noch die ganze eigentliche Criminal-Untersuchung, und bis zu deren Schluß konnten
tausend Fälle eintreten, die seine Unschuld oder den wahren Thäter ans Licht brachten
– wie war es aber möglich, daß Ellen ohne Kenntniß seiner währen Lage geblieben, wo
Hunderte von Zeugen den Verhandlungen beigewohnt hatten? Oder was war mit ihr
vorgegangen, daß sie behindert war, ihm wenn auch nur ein paar Worte des Trostes zu
senden? Ihr energischer
Helmstedt sah auf das Blatt und es war ihm, als seien alle seine Gedanken erstarrt.
Sein innerstes Heiligthum, seine Liebe, war auf die öffentliche Landstraße geworfen
und in den Koth getreten; das blühende harmlose Kind, aus seiner schützenden
Häuslichkeit gerissen und gebrandmarkt vor die Blicke der ganzen Welt gestellt –
Ellen zu einer kalten berechnenden Mörderin gemacht. Helmstedt sprang auf, faßte mit
beiden Händen seinen Kopf und blieb mitten in der Zelle stehen – es war ihm, als
müsse er – oder die ganze übrige Welt wahnsinnig geworden sein. Er nahm das Blatt
nochmals auf und las langsam Satz für Satz – die Logik darin war so teuflisch und
doch so natürlich, daß er selbst daran geglaubt hätte, wäre er ein Anderer als er
selbst gewesen. Er fiel in den Stuhl am Fenster, stützte den Kopf auf beide Arme und
starrte vor sich hin. Ellen war abgereist, vielleicht übers Meer, um dem öffentlichen
Scandal, der ihren Namen durch alle Zeitungen
Das Rasseln des Schlüssels im Schlosse störte ihn aus seinen Gedanken auf. Wahrscheinlich wieder ein neugieriger Besuch, war sein Gedanke, denn es war weder Zeit für ein Mahl, noch für die Runde des Schließers; aber er fühlte sich durch die Aussicht erleichtert, sich gegen einen Menschen, wenn auch den fremdesten, aussprechen zu können und Nachrichten von der Außenwelt zu erhalten. Eine Frauengestalt, in ein weites Tuch gehüllt, Kopf und Gesicht in eine schwarzseidene Kapuze verborgen, trat ein. »Pochen Sie nur, Ma'am, wenn Sie wieder gehen wollen!« sagte der Schließer und ließ hinter sich die Thür ins Schloß fallen. Die Frau riß hastig ihre Kapuze vom Kopfe und kam mit ausgestreckter Hand auf Helmstedt los. »Guten Tag, August!« sagte sie mit bebender Stimme.
Der Gefangene war überrascht aufgesprungen. »Mrs. – Morton!« rief er, und legte nur zögernd seine Hand in die ihre, »ich hätte eher etwas Anderes vermuthet –«
»'S ist jetzt nicht Mrs. Morton, ist Pauline Peters, die zu Ihnen kommt,« unterbrach
sie ihn und das Wasser trat in ihre Augen, »ich weiß Alles was Sie sagen können,
August, Sie mögen sagen, daß ich eigentlich das Recht verloren habe, an Ihnen Theil
zu nehmen – aber Umstände ändern viel, vielleicht urtheilen Sie anders über mich,
noch ehe ich das Zimmer verlassen habe. Setzen Sie sich wieder
»Ich muß erst Alles zwischen uns ins Klare bringen, ehe ich Ihnen sage, weshalb ich gekommen bin,« begann sie, ihm voll in die Augen sehend, »Sie müssen Vertrauen zu mir gewinnen lernen, August, und sollten Sie mich jeden Rückhalt irgend einer Art verachten sehen, so blicken Sie auf Ihr Gefängniß, so denken Sie daran, unter welchen Verhältnissen wir jetzt mit einander reden und daß diese mich zur vollsten Offenheit drängen. – Sie sind überrascht gewesen, mich hier als Frau eines reichen Pflanzers wiederzufinden – das,« fuhr sie mit einem trüben Lächeln fort, »das war jedoch Ihr Werk, August!«
»Mein Werk?« rief dieser verwundert, aber sonderbar von dem leichten, schmerzlichen Zuge berührt, der sich einen Augenblick um ihren weichen Mund gelegt hatte.
»'S ist eine einfache Geschichte, die Ihnen das erklären wird,« erwiderte sie und
senkte das Auge, »ich bin Ihnen den ersten Theil davon eigentlich schon schuldig,
seit ich Sie in New-York traf und Sie nicht wußten, für was Sie mich halten sollten.
Lassen Sie sich einmal die kurze Erzählung nicht langweilen, ich muß sie
voranschicken, wenn Sie mich ganz verstehen sollen – Sie sollen mich kennen lernen,
durch und durch, wie ich bin. – Daß ich mit einer Bekannten von Europa nach New-York
reiste, wissen Sie schon,« fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »ebenso, daß deren
Verwandte, an die wir uns anschließen wollten, schon vor unserer Ankunft ins Land
gezogen waren«. In New-York mußte es mir bei dem, was ich mit der Nadel gelernt,
verhältnißmäßig leicht werden meinen Unterhalt zu verdienen, während ich nicht wußte,
was in einer kleinen Stadt meiner harrte, und so ließ ich meine Freundin allein
reisen. Das Glück hatte mich in ein anständiges Boardinghaus
Am zweiten Nachmittag darauf wurde ich aus der Arbeitsstube gerufen, da mich ein
Gentleman zu sprechen wünsche. Es war der alte Herr vom Ball, der mich aufforderte,
einen Spaziergang mit ihm zu machen, da er durchaus ungestört mit mir sprechen müsse.
»Sagen Sie nur der Mistreß, daß ich ein Onkel von Ihnen sei – wenigstens,« setzte er
hinzu, »will ich versuchen, ob ich den Namen von Ihnen verdienen kann.« Ich glaube,
es war kein anderes Gefühl, als das der Neugierde, was mich bewog, dem Ansinnen zu
willfahren – der Mann mit seiner Theilnahme
Sie hielt inne und Helmstedt sah in die Höhe. »Vergeben Sie mir, Pauline,« sagte er, ihr seine Hand hinstreckend.
»Lassen Sie das,« unterbrach sie ihn, »das war Alles vorbei und vergessen, als ich Ihr Unglück erfuhr. Ich mußte jetzt durch unbedingte Offenheit Ihr Vertrauen gewinnen und wenn das erreicht ist, ist Alles geschehen, was ich wollte. Nun sagen Sie mir nur das eine: Kennen Sie Ihre Lage genau?«
»Es ist dafür gesorgt, daß mir kein bitterer Tropfen entgeht!« erwiderte er, auf das Zeitungsblatt zeigend.
»Und werden Sie nicht das einzige Rettungsmittel ergreifen, was Ihnen übrig bleibt, und angeben, wo Sie während der Zeit des Mordes gewesen sind?«
»Nein!« erwiderte er, langsam den Kopf erhebend.
Sie sah ihm, wie von dem Tone des kurzen Wortes betroffen, in die Augen. »Sie
mißtrauen mir doch nicht wieder, August?« sagte sie, »ich verlange Ihre Geheimnisse
nicht zu wissen, ich mußte aber bestätigt hören, was ich schon wußte, daß Sie lieber
irgend einem Unglück trotzen, ehe Sie Etwas verrathen, wo Sie das für Unrecht halten.
»Wir wollen es abwarten!« sagte Helmstedt, den Kopf in die Hand stützend.
»Abwarten? Ihr sicheres Unglück? Ich weiß, daß es Ihnen nichts hilft, August; hier heißt es handeln und – Lüge gegen Lügen setzen, wenn darin die einzige Rettung ruht.«
»Was meinen Sie?« fragte Helmstedt, sie mit großen Augen ansehend.
»Geben Sie einen Ort an, wo Sie gewesen sein können,« erwiderte sie, während sich mit jedem Worte ihr Gesicht höher färbte, »sagen Sie – daß Sie die Zeit bei mir zugebracht haben, mich aber durch die Angabe nicht hätten compromittiren wollen – oder ich will es angeben und bestätigen Sie es nur. Es ist für mich kein solches Opfer, wie Sie vielleicht meinen. – Für Sie aber, denken Sie daran, August, die einzige Möglichkeit Ihrer Rettung.«
Helmstedt sah in das erregte Gesicht der jungen Frau, ohne augenblicklich eine
Erwiderung finden zu können. Es war ihm wol schon bei ihrem letzten Worte klar
gewesen, daß er nie einen Weg einschlagen konnte, wie sie ihn eben angedeutet, selbst
wenn dieser weniger gefährlich gewesen wäre, als es sich ihm auf den ersten Blick
zeigte – seine ganze Natur sträubte sich dagegen; das gänzliche Vergessen ihrer
selbst aber, das sich in ihrem Vorschlage auszusprechen schien, zusammen mit dem
Ausdrucke ihres Auges, in dem eine Sorge und Hingebung zitterten, die er so wenig
verdient
»Ich kenne Alles, August, habe jede Folge überdacht, die daraus entspringen kann,« erwiderte sie lebhaft; »ich wiederhole Ihnen aber nochmals, ich bringe kein besonderes Opfer dabei – lassen Sie mich handeln und widersprechen Sie meinen Angaben nicht, das ist Alles, was ich von Ihnen verlange.«
Helmstedt drückte einen Augenblick die Hand vor die Augen. »Die Sache ist zu ernst,« sagte er dann, »als daß ich nicht mit der vollsten Aufrichtigkeit, selbst wenn sie mir und Ihnen wehe thun sollte, sprechen müßte. Sie sind verheirathet und in sichern Verhältnissen für Ihr ganzes Leben, Pauline; was Sie jetzt beabsichtigen, müßte, wenn es volle Wirkung haben und mein Schweigen erklären sollte, Sie aus dem Kreise Ihrer jetzigen Familie stoßen. Lassen Sie mich ausreden,« rief er, als sie Miene machte, ihn zu unterbrechen. »Das Alles wäre nichts, wenn Sie das Opfer einem Manne brächten, der die Verpflichtung, die Sie ihm dadurch auferlegen, mit seinem Herzen vereinigen könnte, der es zu seinem höchsten Ziele machte, Ihnen durch volle Hingebung das zu vergelten, was Sie ihm aufgeopfert und Ihre Ehre vor der Welt durch eine legale Vereinigung wieder herstellte; das – Pauline – das ist Alles aber bei mir nicht der Fall – ich bin Ihnen ein Geständniß schuldig, das bisher noch nicht über meine Lippen gekommen ist; ich bin mit Wort und Neigung anderwärts gebunden, und so wäre es Niederträchtigkeit, selbst in der höchsten Noth ein Opfer anzunehmen, das in keiner Beziehung nach Verdienst wieder vergolten werden könnte.«
»Sind Sie nun fertig, Sir?« erwiderte sie und in ihren leicht beweglichen Zügen
spielte ein Ausdruck, halb aus
Helmstedt war von seinem Stuhle aufgesprungen und schritt einigemal die Stube auf und ab. »Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, Pauline,« sagte er dann vor ihr stehen bleibend, »aber jedes Opfer trägt einen Grund und eine Berechtigung seiner selbst in sich. Den Fall gesetzt, daß Ihr Vorschlag ausführbar wäre, so würden Sie im geringsten Falle Ihren guten Ruf dabei verlieren – weshalb wollen Sie denn also das Opfer bringen, wenn ich selbst keinen Theil an Ihrem Beweggrunde habe? Sie werden einsehen, daß mein Irrthum ein ganz natürlicher war, und meine Einwendung eine ehrliche, gebotene.«
»Mein Opfer, wenn Sie es so nennen wollen, hat einen Grund und eine Berechtigung,«
erwiderte sie, während die Farbe aus ihrem Gesichte wich, »ich habe Ihnen aber
gesagt, August, daß meine Zunge mehr gebunden ist, als die Ihre es sein kann und Sie
werden deshalb nicht weiter forschen. Nehmen Sie doch die Sache, wie sie ist, als den
einzig möglichen Weg, um eine ungeheure Ungerechtigkeit des Gerichts zu verhüten,
wenn Sie selbst sich nicht rechtfertigen dürfen und kümmern Sie sich nicht um meinen
Grund – eine Lüge kann oft zur nothwendigen und erhabenen
Helmstedt maß wieder die Stube. »Es geht nicht!« sagte er nach einer Weile. »Ich will einmal gar nicht von meinem eigenen Widerwillen reden – aber wollen Sie, Pauline, willent- und wissentlich einen falschen Eid schwören, ohne den Sie gar nicht zur Zeugenschaft zugelassen werden?«
»Es bedarf dessen nicht!« erwiderte sie eifrig – »und hätten Sie mir Zeit gelassen, so würde ich Ihnen auch schon den Weg, der eingeschlagen werden soll, mitgetheilt haben. Es gibt Mittel und Wege, den Richer und die Jury von Ihrem Aufenthalte bei mir zu unterrichten und dadurch ihr Urtheil zu leiten, ohne daß es auf der Zeugenbank laut wird – Mr. Morton steht mit allen den Gerichtspersonen auf vertrautem Fuße und hat Einfluß auf einen großen Theil der Familien im County. Jeder, dem die Sache mitgetheilt werden muß, wird einsehen, daß sie, ohne unserer Familie einen schweren Schlag zuzufügen, nicht vor die Oeffentlichkeit gebracht werden kann – sie wird demohngeachtet öffentlich werden, aber es wird nur dazu dienen, Ihre unbedingte Freisprechung herbeizuführen und mir jedes eigene Zeugniß ersparen. Und nun, August,« fuhr sie auf ihn zutretend fort, »sträuben Sie sich nicht länger, wo es sich allein darum handelt, Sie aus einer Lage zu reißen, in der Sie zu Grunde gehen können.«
Helmstedt hatte bei ihren letzten Worten gespannt aufgehorcht. »Mr. Morton weiß also um Ihren Plan?« fragte er.
»Ich würde nichts unternommen haben ohne seine bestimmte Einwilligung!« antwortete sie ernst.
Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich will nicht weiter fragen und forschen,« sagte er
nach einer kurzen Pause, »mag der Grund Ihres Vorschlages liegen, worin er will, ich
danke Ihnen von Herzen dafür; aber,« fuhr er fort, ihre
Pauline hatte, während er redete, leise ihre beiden Hände zurückgezogen und stand jetzt, bleich wie die Wand der Zelle, vor ihm. »Ich habe kein Wort mehr zu sagen,« sprach sie mit gedrückter Stimme, »mag der Weg, den Sie einschlagen wollen, zu Ihrem Heile führen. Lassen Sie mich aber das Eine wissen, wenn ich es wissen darf, ist es Ellen, von der Sie reden?«
»Ich bin Ihnen Wahrheit schuldig, Pauline, Sie haben den rechten Namen genannt, aber
werfen Sie das Verhältniß nicht unter die alltäglichen. Die erste halbe Stunde, die
mich mit ihr ohne das Wissen ihrer Eltern zusammenführte, war auch unsere einzige und
letzte – und je mehr unser kaum geborenes Verhältniß gebrandmarkt und in den Schmutz
gezogen werden soll, um so heiliger wird es für mich, je mehr möcht' ich es vor dem
kleinsten wirklichen Flecken bewahren. Ich habe keine Nachricht von ihr seit
»Ich danke Ihnen,« erwiderte sie, mit einem stillen Blicke zu ihm aufsehend, »mag denn Alles, was ich gesprochen habe, ungesagt sein, da Sie es nicht anders wollen. Brauchen Sie aber Hilfe irgend einer Art, so denken Sie daran, wo Ihre Freunde wohnen – das ist jetzt noch das Einzige, was ich Ihnen bieten kann.« Sie verhüllte ihren Kopf wieder in die Kapuze, pochte an die Thür und reichte ihm, als die Tritte des Schließers hörbar wurden, mit einem »Adieu, August!« die Hand. Helmstedt sah in ihr Gesicht, das in der schwarzen Umhüllung noch bleicher erschien, und hielt ihre Hand einen Augenblick fest. »Können Sie meine Gründe verstehen, Pauline, oder gehen Sie böse von mir weg?«
Sie schüttelte trübe den Kopf. »Ich habe nur Sorge um Ihr nächstes Schicksal, das Sie selbst viel zu leicht nehmen, weil Sie das Land und die Leute nicht kennen. Wenn nicht ein plötzliches Ungefähr kommt, das Sie herausreißt, ohne daß Sie Zeit haben mit ihren Bedenklichkeiten dagegen zu remonstriren, so sehe ich bei dem Stande der Dinge nur den trübsten Ausgang. Die glückliche Dazwischenkunft irgend eines Umstandes ist noch meine einzige Hoffnung für Sie,« fuhr sie fort und über ihr Gesicht zog es wie ein Sonnenblick eines bestimmten Gedankens – »Alles das wäre aber nicht nothwendig gewesen – adieu, und lassen Sie uns ein Wort wissen, wenn Ihnen etwas fehlt.« Sie war zur Thür hinaus.
Helmstedt horchte noch eine Weile auf das verschwindende
»G.M. Elliot, Esquire,« las der Gefängnißwärter und ließ die Banknote, die ihm Helmstedt mit dem Briefe übergeben in seiner hohlen Hand verschwinden, »well, Sir,« fuhr er sich hinter dem Ohre kratzend fort, die Besorgung werde ich wol kaum übernehmen können.
»Warum nicht?« fragte Helmstedt, dem die Farbe aus dem Gesicht ging, »'s ist nichts darin, was nicht Jedermann lesen könnte.«
»Ich meine auch nicht deshalb,« erwiderte der Schließer. »Mr. Elliot ist aber, schon seit die Coroners-Untersuchung zu Ende ist, nicht mehr hier, und seine eigenen Leute wissen nicht, wohin er gereist ist, wahrscheinlich seiner Frau und Tochter nach. Er hat einen Agenten auf seine Farm gesetzt, der auch nichts von seinem Wohin wissen will, und es ist der allgemeine Glaube, daß er, um allem Aerger und Spectakel aus dem Wege zu gehen, gar nicht wiederkommen und sein Grundeigenthum hier verkaufen lassen wird.«
Helmstedt sah den Mann einen Augenblick wie zu Stein geworden an, dann nahm er ihm den Brief langsam wieder aus der Hand. Die Sache war zu einfach und natürlich, als daß er nur eine Frage hätte thun mögen. »Ich danke Ihnen!« sagte er und ging nach dem Fenster; als er aber die Thür wieder zuklappen hörte, fiel er in den neben ihm stehenden Stuhl. Die Ueberzeugung war plötzlich wie ein Gespenst vor ihn getreten, daß ihm jetzt fast jede Möglichkeit zu einer Rechtfertigung abgeschnitten war, und daneben kroch der Gedanke durch sein Gehirn, wie doch als Sühnopfer der begangenen That sich Niemand besser eigene, als er, der verlassene und unbekannte Fremde.
Der Termin der Gerichtseröffnung war herangekommen, die neue Jury war gebildet und in das Städtchen schien sich die ganze Bevölkerung des Countys ergossen zu haben, um Zeuge der Verhandlungen des Mordprozesses zu sein. Schon von früh an belagerten bunte Haufen das Courthaus, um das Oeffnen der Thüren zu erwarten und allerwärts cursirten die seltsamsten Geschichten über den Ausgang der Untersuchung. Bald waren so reiche und vornehme Familien in die That verwickelt, daß an eine Veröffentlichung des eigentlichen Verlaufs des Verbrechens gar nicht zu denken war – bald war der Staatsanwalt und die Jury bestochen, daß schon die Nichteinigung der Jury im Voraus ausgemacht sei, um den Prozeß weiter hinauszuschieben, bis der Unwille des Volkes verraucht und der Thäter ohne Gefahr freigelassen werden könne. – Ein Mord war etwas seltenes in den friedlichen Thälern, aber es war nicht nur die Besorgniß, einen Theil der Befriedigung ihrer Neugierde zu verlieren, was sich unter den Massen aussprach; es war ein vollkommen ausgebildetes Mißtrauen gegen die Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit der Gerichtsbeamten, und der denkende Beobachter, der zwischen den Menschen hindurchging, konnte leicht zu der Wahrheit gelangen, das ausbrechende »Mobs« und »Lynchgerichte« weniger in der Zügellosigkeit der Massen, als in der tief eingefressenen Ueberzeugung von der Corruption aller öffentlichen Beamten liegen.
Helmstedt war, zur Vorbeugung jeder Straßenunruhe, schon bei Tagesgrauen in ein
Zimmer des Courthauses gebracht worden. Morton hatte ihm, kurz nachdem er die
Vorschläge von dessen junger Frau abgewiesen, einen der bekanntesten Advocaten der
Gegend als Vertheidiger zugesandt, aber der Gefangene hatte sich auch gegen diesen in
keine Erklärung über seinen Aufenthalt zur Zeit des Mordes
Es mochte acht Uhr sein, als sein Advocat zu ihm ins Zimmer trat. »Verteufelt kalt!«
sagte er, sich in die Hände reibend, »haben Sie nicht bei diesem Wetter bisweilen in
Ihrem Loche frieren müssen? Wir sind hier gar nicht auf ein so strenges
Winterregiment eingerichtet und unser Gefängniß am allerwenigsten. – Ich denke, wir
werden bald vorkommen,« fuhr er fort, sich mit dem Rücken ans Feuer stellend, als
sich Helmstedt mit Gewalt aus seinen Gedanken aufriß, aber nicht gleich antwortete,
»nur den Muth nicht verloren, junger Freund«. Haben wir auch keine Entlastungszeugen
vorzuführen, so fehlen der Anklage doch ebenfalls die Hauptzeugen zu ihrer
Unterstützung. Elliot ist nicht da, wenn er nicht mitten in der Nacht angelangt ist.
Alle kleineren Zeugnisse der schwarzen Gesichter werden als unstatthaft
zurückgewiesen, es bleiben also nur die bei der Todtenschau ermittelten Thatsachen
stehen, und es kommt einzig darauf an, wie diese aufgestutzt und entkräftet werden.
Jedenfalls wird es eine der interessantesten Verhandlungen geben. Unser Staatsanwalt
ist ein geriebener Patron und es ist möglich, daß er einen Ehrenpunkt daraus macht,
Helmstedt fühlte sich zu aufgeregt, als daß er auf die kalte geschäftliche Weise,
seine Aussichten zu besprechen, hätte eingehen mögen und er war froh, als der Beamte
eintrat, um ihn vor den Gerichtshof zu führen. Der hohe, geräumige Saal war überfüllt
von Menschen, und ein geräuschvolles Murmeln zog durch die Menge, als er, bleich von
innerer Spannung und ausgestandener Haft, aber mit frei gehobenem Kopfe und
sorgfältiger Toilette nach dem ihm angewiesenen Platze schritt. Kaum hatte er sich
gesetzt und sein Vertheidiger den Platz vor ihm eingenommen, als auch der Richter
Ruhe gebot und der Staatsanwalt seine Anklage eröffnete. Es war keine Advocatenrede,
voll logischer Schlüsse und Gesetzesstellen, die er begann, es war ein rhetorisches
Meisterstück, voll Leben und Wärme; der Ankläger wurde zum Dichter, zum Maler, zum
Geschichtsschreiber. Er schilderte die Zustände im Staate, die allgemeine Sicherheit,
wie sie im offenen Walde und auf dem freien Felde geherrscht habe, wie selten es der
Landbewohner für nöthig gehalten, Nachts die Thür seines Hauses zu verschließen, wie
das allgemeine Vertrauen der sicherste Schutz und der Segen für den Staat geworden.
Er gab eine statistische Uebersicht der Verbrechen und wies nach, wie in einer Reihe
von Jahren kein Kapital-Verbrechen geschehen, das nicht offen vor dem Auge von Zeugen
vollbracht und aus augenblicklicher Leidenschaft entsprungen gewesen, die selbst in
ihrer Offenheit noch etwas Edles an sich getragen habe. Er schrieb diese Zustände dem
glücklichen Charakter der eingeborenen Bevölkerung zu, er wünschte sich und seinen
Mitbürgern Glück, Bewohner von Alabama zu sein. Jetzt, nach langer Zeit zum ersten
Male, waren die Bürger in
Dann begann er auf Helmstedt selbst überzugehen lind es schien ihm kaum ein Moment
von dessen Leben in Amerika unbekannt zu sein. Er schilderte ihn, wie er hergekommen,
ohne Mittel und Empfehlungen als die eines jüdischen Pedlars, der selbst eine unklare
Person und seit Beginn des Prozesses verschwunden sei – wie er vertrauensvoll in eine
der besten Familien aufgenommen worden und das Vertrauen nur benutzt habe, um in
unendlich kurzer Zeit die Tochter des Hauses aller Sitte und ihrer kindlichen
Pflichten abtrünnig zu machen, wie seinen Speculationen nur der von den Eltern
erkorene Schwiegersohn im Wege gestanden und er kein anderes Mittel gewußt, um seine
Zwecke zu erreichen, als ihn aus dem Wege zu räumen. Jetzt begann er mit schlagender
Logik alle gegen Helmstedt sprechenden Thatsachen, sowie seine nächtliche Abwesenheit
Eine Todtenstille herrschte im Saale als der Staatsanwalt schwieg, und das
siegesgewisse Auge, mit welchem er Richter, Jury und Publikum überschaute, zeigte,
daß er sich des ganzen Eindrucks bewußt war, den seine Rede hervorgebracht. Nur
Helmstedt, auf den sich jetzt die Blicke von allen Seiten richteten, schien wenig die
Beredtsamkeit der Anklage zu würdigen und saß, das Auge fest auf den Staatsanwalt
gerichtet, in voller Ruhe da; selbst die auffallende Blässe seines Gesichts hatte
sich verloren und einer lebhafteren Farbe Platz gemacht. Eine augenscheinliche
Erschütterung machte sich indessen bei ihm geltend, als jetzt zwischen einer Gruppe
von Advocaten, welche eine Ecke innerhalb des für das Gericht bestimmten Raumes
eingenommen hatten, Elliot hervortrat, um als erster Zeuge für die Anklage zu dienen,
ohne nur einen Blick nach dem Angeklagten zu wenden. Und als hätte Helmstedts
Vertheidiger dessen Gedanken errathen, wandte er sich nach ihm um: »'s ist wie
gesagt, ein geriebener Patron, der Staatsanwalt, ich ahnte schon heute Morgen eine
Ueberraschung!« sagte er. »Aber er soll uns nicht verblüffen und wenn er seine Zeugen
vom Nordpol holte. Nur Muth und ein
Was sich aber in Helmstedts Innern regte, war nichts was eine Ermuthigung dieser Art bedurfte. Er hätte ein Stück von seinem Leben hingeben wollen, wenn er vor den Verhandlungen Elliot hätte sprechen, ihm den Sachverhalt darlegen und zu seinem Herzen, das er zu kennen glaubte, hätte reden können. Es war ihm, als hätte sich jede Verwickelung ganz von selbst lösen müssen, wenn er nur gegen ihn sein eigenes Herz frei gemacht – und nun stand Elliot da zur Unterstützung der Anklage, und jedes Wort, das Helmstedt zu seiner Rechtfertigung hätte sagen können, mußte nur zur Verstärkung dessen dienen, was die Meinung des Volkes über sein Verhältnis mit Ellen zusammengereimt und ein neuer Schlag auf des Vaters Haupt sein, dessen gedrücktes Auftreten schon jetzt deutlich aussprach, welche Last auf ihm ruhte.
Elliots abgegebenes Zeugniß bestätigte Helmstedts Abwesenheit aus dem Hause zur Zeit des Mordes und dessen eigenes Zugeständniß derselben, gab auch an, wie der Angeklagte schon am Tage nach seiner Ankunft in Alabama bei einer zufälligen Begegnung auf einem Spazierritte mit seiner Tochter dem Ermordeten ohne besonderen Grund entgegengetreten, und erwähnte dabei, daß das Mädchen schon am nächsten Morgen mit ihrer Mutter eine Besuchsreise angetreten habe und bis zum Tage vor Neujahr abwesend gewesen sei, was irgend ein Verständniß ihrerseits mit dem Angeklagten zu einer Unmöglichkeit mache. Und wenn aus dem aufgefundenen Briefe seiner Tochter Etwas gefolgert werden solle, so könne dies nur der Trotz eines verzogenen Kindes sein, das zum ersten Male auf einen ernsten Willen bei seinen Eltern treffe und sich, durch das einschmeichelnde Wesen des neuen Hausgenossen verführt, zu einem unbedachten Schritte habe hinreißen lassen.
Helmstedt senkte den Kopf, über das Gesicht seines Advocaten
»Damn! das geht zu weit!« rief jetzt Helmstedts Advocat mit kaum halb unterdrückter Stimme und erhob sich.
»Möge mir der Gerichtshof ein Wort erlauben, ich muß gegen jedes Zeugniß, was sich
auf die Angabe von Negern gründet oder durch diese selbst beigebracht wird, als
vollkommen unstatthaft protestiren –« er wurde aber von Helmstedts Hand durch einen
Griff an seinem Arme unterbrochen. Er wandte sich um und ein kurzes leises Gespräch
Es war lange Mittag vorüber, als der letzte Zeuge für die Anklage gesprochen, und der
Richter hob die Sitzung für eine Stunde auf. Von der Masse der Zuschauer schien
Der Richter gebot Ruhe, und der Vertheidiger erhob sich. »Lassen Sie mich selbst mit ein paar Worten beginnen, wenn das erlaubt ist!« flüsterte diesem Helmstedt mit erregter Stimme zu, »ich denke, es soll der Sache nicht schaden und Sie mögen dann mit Ihrer Gesetzeskenntniß nachbessern.«
»Um so mehr denke ich selbst nachhelfen zu müssen, wo ich die Kraft fühle,« sagte Helmstedt und sein Gesicht nahm eine erhöhte Farbe an, »zu verderben fürchte ich nichts und Ihrer Rechtslogik bleibt dann immer noch die Hauptsache!«
Der Advocat nickte und zeigte dem Gerichtshofe an, daß der Angeklagte für einige Bemerkungen selbst das Wort ergreifen werde. Die Ankündigung rief eine allgemeine Bewegung unter dem Publikum hervor, daß der Richter von Neuem Ruhe gebieten mußte, und alle Blicke richteten sich gespannt auf die Anklagebank, wo sich Helmstedt langsam aber mit frei aufgerichtetem Kopfe und lebendigem Gesichte erhob.
Er begann die ersten Worte mit einer Stimme, der man die tiefe Erregung anhörte, und
eine Stille legte sich über die Versammlung, in der das Summen einer Fliege
vernehmbar geworden wäre. Seiner Aussprache des Englischen klebte noch überall der
deutsche Accent an; aber seine Ausdrucksweise, seine Wendungen waren neu, ungewohnt
für die Zuhörer und darum um so anregender. Jeder fühlte, daß die Worte mitten aus
dem Herzen des Redenden kamen, und je weiter er sprach, je freier schien er zu
werden, je leichter und reicher schien sich Gedanke und Ausdruck in ihm zu
entwickeln. Er bat um Entschuldigung, daß er selbst das Wort ergreife, wenn es auch
ungewöhnlich sei; ich meine aber, jeder Jury müsse es nur recht sein, den
Angeklagten, über den sie abzuurtheilen habe, selbst und nicht erst durch
Eine Todtenstille herrschte, als er sich niedersetzte, kein Zeichen des Beifalles,
keines des Mißfallens, wie es sonst trotz aller gebotenen Ordnung sich hörbar macht,
wurde laut, die Jurors sahen ernst vor sich hin oder geradeaus in die Luft, und ein
Gefühl der Unsicherheit, einer fehlgeschlagenen Hoffnung fing an in Helmstedts Seele
heraufzukriechen. Der Platz seines Vertheidigers vor ihm war leer; als er aber jetzt
ausblickte, sah er diesen, augenscheinlich erregt, zwischen den Menschen
hervorkommen. Helmstedt fing einen Wink von ihm auf, den er sich nicht deuten konnte.
In diesem Augenblicke aber trat der Advocat in die Mitte des Saales und sagte laut:
»Wolle mir der Gerichtshof das Wort erlauben, ich werde im Stande sein, einige Zeugen
zu Gunsten der Vertheidigung vorzuführen!« und aus der Menge heraus folgte ihm ein
alter Herr in Begleitung von zwei verschleierten Damen. Helmstedt erkannte Morton,
als dieser den Zeugenplatz einnahm und das Gesicht nach ihm drehte; die eine von
dessen Begleiterinnen schien ihm Pauline zu sein; die zweite aber, schlanker und von
eleganteren Formen als jene, war ihm unmöglich zu errathen. Es war nur von
verhältnißmäßig untergeordneter Bedeutung,
»Was um Christi willen willst du bezeugen, wer hat dich denn hierher gebracht?«
»Was ich muß, Vater,« erwiderte sie, ihm groß in die Augen sehend, »laß mich jetzt, ich komme nachher zu dir!«
Aller Augen waren gespannt auf die Scene gerichtet; Elliot, dem das hervorgerufene
Aufsehen erst jetzt beifallen mochte, sah um sich und trat zögernd zurück. Ellen aber
warf einen neuen lächelnden Blick voll Tröstung und Verheißung nach Helmstedt und
leistete dann den Zeugeneid. »Sie habe nichts von dem ganzen Falle, der jetzt
verhandelt werde, erfahren,« begann sie und ihre klare, weiche
»Möge mir der Gerichtshof erlauben,« ließ sich jetzt der Staatsanwalt vernehmen, »der Angeklagte selbst hat uns auf das Schlagendste nachgewiesen, wie seine Schuld gar nicht ohne die der eben abgetretenen jungen Dame bestehen kann, und das von ihr abgegebene Entlastungszeugniß scheint mit Rücksicht darauf so verdächtig, daß ich mich verpflichtet fühle, auf vorläufige Verhaftung derselben anzutragen.«
Der Anblick der einzelnen Gruppen im Saale hätte in diesem Momente den Stoff zu einer
der effectreichsten Genrebilder dargeboten. Unter den Zuschauern war bei dem Antrage
des Staatsanwalts eine plötzliche Bewegung entstanden; die Köpfe der Vordersten
richteten sich mit dem Ausdrucke der Befriedigung in die Höhe, die Hinteren streckten
die Hälse und erhoben sich auf den Zehen, ein Murmeln, das mit jedem Augenblicke
stärker wurde, zog durch die Menge und der Beobachter mußte überzeugt werden, daß nur
eine Meinung das Publikum beherrschte, welcher der Staatsanwalt jetzt Ausdruck
gegeben; – Elliot war rasch neben seine Tochter getreten, als wolle er sie schützen,
und sah mit einem Ausdrucke, halb Zorn und halb Entsetzen auf den Ankläger; – mit ihm
zugleich war Morton hastig vorgeschritten und stand gegen den Richter gekehrt, als
erwarte er nur den günstigen Augenblick zum Reden; – der Staatsanwalt ließ einen
Blick voll hämischer Befriedigung von der erregten Menge nach der Anklagebank laufen,
wo Helmstedt so weiß und starr wie ein Steinbild stand und nichts von dem
unzufriedenen Blicke sah, den ihm der Vertheidiger zuwarf; – der Richter aber hatte
sich erhoben und rief zur Ordnung. Die Unruhe in der Menge schien sich eben legen zu
wollen, als eine Bewegung am Eingange des Saales entstand, Stimmen wurden laut, die
Zuschauer in der Nähe der Thür erhoben sich und drehten
»Wenn Sie Beamter sind, so rufen Sie mir den Vertheidiger, ich muß vor – hier handelt sich's um mehr als um Pfannenkuchen!« klang jetzt eine ärgerliche Stimme klar in den Saal herein; Helmstedts Advocat horchte auf und brach sich dann Bahn in den Zuschauerraum. Ein paar Minuten voll stiller Spannung folgten und selbst der Richter schien neugierig der Dinge zu harren, die sich entwickeln würden; bald er schien der Vertheidiger wieder und hinter ihm trat gebückt ein hoher alter Mann aus der Menge, welchem zwei Frauen in der Tracht der niederen Stände folgten. »Wolle mir der Gerichtshof erlauben, einige weitere Zeugen vorzuführen, ehe dem gestellten Antrage seitens der Anklage stattgegeben wird!« begann der Advocat mit lauter Stimme; in diesem Augenblicke aber schoß die eine der Frauen durch den Raum zwischen ihr und dem Zeugenstande, fiel vor Elliot und dessen Tochter in die Knie und umfaßte die Füße Beider mit den Armen. Die Kappe, die ihre Züge bedeckt hatte, fiel in ihren Nacken und ein schwarzes Gesicht kam zum Vorschein, in welchem sich die überwallende Empfindung soeben durch ein ausbrechendes Weinen und Schluchzen Luft machte.
»Sarah ist es, Vater! 's ist Sarah!« rief Ellen, die bis jetzt mit ängstlich gespanntem Gesichte, aber sichtlich ohne rechtes Verständniß den Vorfällen gefolgt war; sie bog sich zu der Negerin und schien in ihrer Ueberraschung einen Augenblick den Ort und ihre Stellung gänzlich vergessen zu haben; eine neue Bewegung begann sich der Versammlung zu bemächtigen; der Richter aber gab dem dienstthuenden Beamten einen Wink, die Schwarze ward, noch immer schluchzend, nach ihrem früheren Platze zurückgeführt und die Drohung des Richters, bei weiterer Störung den Saal von Zuschauern räumen zu lassen, schaffte Ruhe.
Jetzt hob der alte Mann den Kopf, nickte Helmstedt ernsthaft zu und schritt vor.
Schon bei seinem Eintritt schien das Gesicht des Angeklagten neues Leben gewonnen zu
haben, er hatte Isaac, den Pedlar, erkannt, obgleich dieser in wenigen Wochen zehn
Jahre älter geworden zu sein schien. Seine Backen waren eingefallen und seine Augen
lagen tief in ihren Höhlen, er stützte sich, sichtlich matt, auf seinen Stock und
ließ dann und wann ein leises Husten, das Jener noch nie an ihm bemerkt hatte, hören.
Was Helmstedt eigentlich von Isaacs Dazwischenkunft hoffte, war ihm selbst nicht
klar, der Mann war aber gerade zu einer Zeit erschienen, als sich Helmstedts Seele
ein Gefühl bemeistert hatte, als schwimme er vor dem offenen Rachen eines Haifisches,
dem er nicht entrinnen könne und dem auch sein Liebstes, was sich zu seiner Rettung
genaht, soeben zum Opfer fallen solle, als ihm jede helfende Hand verschwunden zu
sein schien; Isaac mußte Ursachen haben, daß er so lange nichts von sich hatte hören
lassen und erst jetzt wieder auftauchte, und die Art, wie er sich einführte, zeigte,
daß er nicht leer und ohne vollwichtigen Grund erschien. Ein peinliches Gefühl von
Hoffnung, spannender Erwartung und Furcht vor einer neuen Enttäuschung ergriff den
Gefangenen, als die Anfangsformalitäten zu des Pedlars Vernehmung geschlossen waren
und dieser jetzt zu sprechen begann. »Des Herrn Wege sind wunderbar, Gentlemen,«
sagte der Alte und richtete sich aus seiner gebückten Stellung auf, »ich wurde
verhindert in der Coroners-Untersuchung mein Zeugniß abzugeben; ich lag nieder, auf
den Tod nieder und durfte kein lautes Wort reden, konnte nichts thun und nichts
helfen, wo ich doch klar sah, daß nach den Thatsachen, die bei der Todtenschau
festgestellt waren, der
»Ich möchte den Zeugen ermahnen, sich nur an das zu halten, was zur Sache gehört,« ließ sich jetzt der Richter vernehmen, »und in möglichster Kürze angeben, um was es sich bei ihm handelt.«
»Es handelt sich um eines Menschen Glück oder Elend, Richter, und das soll man nicht
übers Knie brechen,« erwiderte der Pedlar, »und wenn ich einmal dem Herrgott sein
Recht gebe, das er selten genug erhält, so wird das wol auch keinen Schaden bringen.
'S gehört übrigens nur zur Sache, was ich erzählen werde.« Er hustete ein paarmal
leicht auf und fuhr dann fort: »Der gemordete Mann war ein Spieler von Profession,
hatte seine Niederlage im Riverhause und war dort schon einmal seinem Tode wegen
falschen Spieles nur durch ein Wunder entgangen. Der Wirth im Riverhause mochte auch
wol noch mehr von seinem hiesigen Treiben wissen, wodurch Licht in den Fall geschafft
werden konnte, und ich machte mich gleich nach der Todtenschau dorthin auf, um zu
horchen, ehe sich dem Manne, seines eigenen Interesses wegen, der Mund über das
nächtliche Treiben in seinem Hause schloß. Mein eigenes Zeugniß über den Charakter
des Todten schien keinen rechten Glauben gefunden zu haben, und so lag mir mit daran,
andere Beweise dafür beizubringen. Aber die Nachricht von dem Morde war schon im
Riverhause, der Wirth schien alles Gedächtniß verloren zu haben und ich entschloß
mich, über den Fluß zu gehen, wo der Mann einen Store hielt, welcher den letzten
Streit wegen Spielbetrugs mit Baker gehabt und dabei von diesem einen Schuß in die
Seite bekommen hatte. Der Mann, der bekannt genug in der Gegend ist, hatte in der
letzten Zeit viel Geld verspielt,
Der Pedlar hob den Kopf und machte wie ermüdet eine Pause, die durch keinen Laut, selbst nicht durch eine Bewegung des Richters unterbrochen wurde.
»Ich will nur noch wenig sagen,« fuhr er dann fort; »die Wirthin der Tavern, welche die erste Erzählung der Schwarzen mit anhörte, ist hier gegenwärtig und wird bezeugen, daß keinerlei Einwirkung auf das Mädchen stattgefunden hat. Sarah scheute sich, als sie von der Abreise der Elliot'schen Familie hörte, allein wieder nach Oaklea zu gehen und sie blieb deshalb in der Tavern, bis ich im Stande sein würde, ihr Zeugniß an die rechte Stelle zu bringen. Und das ist mir erst heute und auch heute nur mit Anstrengung möglich geworden. Sie mögen nun die Schwarze selbst über das Nähere befragen; sollte aber ihre Aussage nicht die volle Geltung haben, so wird doch jedenfalls dadurch der richtige Weg gezeigt und ich werde selber im Stande sein Angaben zu machen, die auf die Ursachen der That das nothwendige Licht werfen.«
Seine Stimme war während der letzten Sätze matter geworden, die Hand gegen die Brust
gedrückt, hustete er ein paar Mal, trat dann zu einem der Stühle in seiner Nähe und
ließ sich langsam nieder. Mit ihm zugleich aber hatte auch Morton hastig seinen Platz
verlassen und war zu dem Staatsanwalte getreten, und als sich jetzt der Vertheidiger
mit der Bemerkung erhob, daß der öffentliche Ankläger keinesfalls einen Einwand gegen
Zeugen erheben werde, wie er sie selbst zur Unterstützung der Anklage benutzt, schien
dieser kein Ohr zu haben als für die Worte des alten Pflanzers. Wenige Augenblicke
darauf aber richtete er sich in die Höhe und sagte: »Möge es dem Gerichtshof
gefallen, eine Pause von einer halben Stunde eintreten zu lassen. Es werden mir mit
Rücksicht auf das letztabgegebene
Keine ordnungslose Bewegung wie früher ergab sich, als der Richter die Unterbrechung der Verhandlungen verkündete; ein nachdenklicher Ernst schien sich der Menge bemächtigt zu haben, nur ein Flüstern der Erwartung durchzog die stillen Reihen und mancher Kopf, der bei dem Antrage zu Ellens Verhaftung befriedigt genickt hatte, wande sich jetzt halb scheu, wie mit dem Bewußtsein einer Uebereilung kämpfend, nach dem Angeklagten. Pauline war an Mortons Arm durch eine Seitenthür dem Staatsanwalt gefolgt; – Ellen saß neben ihrem Vater, der, die Stirn in tiefe Falten gezogen, wortlos vor sich hinstarrte, und richtete bald einen besorgten Blick auf diesen, bald ließ sie das Auge, sich selbst vergessend, in Helmstedts Auge ruhen; – Sarah hatte sich, scheu ihre Herrschaft beobachtend, neben den Pedlar gedrückt, der theilnahmlos den Kopf wie im halben Schlafe gegen die Brust gesenkt, dasaß und nur dann und wann ein leises Husten hören ließ; – der Vertheidiger war zu den übrigen Advocaten getreten und selbst hier wurde das Gespräch nur in gedämpftem Tone geführt; Niemand außer einigen Männern von der Jury hatte den Saal verlassen. Die Abenddämmerung hatte sich bereits bei den letzten Auftritten der Verhandlung bemerkbar gemacht und ein Beamter zündete die Lampen an. Der Zuschauerraum blieb bald in halbem Dunkel, während sich der Platz für Richter, Jury und Zeugen in vollem Lichte befand.
Eine Ruhe, die keines Ordnungsgebotes bedurfte, legte sich über die Versammlung, als von der einen Seite der Richter und gleich nach ihm von der andern der Staatsanwalt eintrat und Beide ihre Plätze einnahmen. Die Sitzung wurde für eröffnet erklärt, und der Staatsanwalt bat um das Wort.
Ein Augenblick der Stille folgte, als der Staatsanwalt zurücktrat, dann aber erhob sich ein Summen wie in einem riesigen Hummelschwarme, in welchem die letzten Worte des Richters untergingen.
Helmstedt sah sich von seinem Advocaten beglückwünscht und von seinem Platze mitten unter fremde Gestalten geführt; der Richter kam einen Augenblick auf ihn zu und drückte ihm die Hand; aber umsonst sah er sich nach einem befreundeten Gesichte um. Er hörte das Geräusch der Menge, die sich ohne ein Zeichen des Beifalles oder Mißfallens unter nur halber Befriedigung den Ausgängen zudrängte; überall traf er auf nichts als neugierige Blicke, und das Gefühl des Alleinstehens in der Fremde war ihn noch nie, selbst nicht im Gefängnisse, so bitter überkommen als in diesem Momente. Er wandte sich mit einem kurzen Worte der Entschuldigung von seinem Advocaten nach dem Platze, wo die Zeugen gesessen hatten – aber weder von Ellen und ihrem Vater, noch von Sarah war Etwas zu sehen, und nur der Pedlar, zu dem sich die aus dem Lande mitgekommene Wirthin niederbog, saß noch gebückt auf seinem Stuhle.
»Sind Sie nicht wohl, Isaac?« fragte Helmstedt und legte die Hand auf seine Schulter.
Der Alte richtete sich langsam auf. »'S ist wol nur
»Lassen Sie uns nach dem Hotel gehen,« sagte Helmstedt, als wolle er damit die
weiteren Bemerkungen des Pedlars abbrechen, »ich weiß wenigstens jetzt nicht, wo
anders hin, und Sie werden dort auch am besten aufgehoben sein. Sie sind krank und
angegriffen, Sie thun am besten, gleich Ihr Bett zu suchen und ich bleibe bei Ihnen.
Morgen früh reden wir dann mehr mit einander.« In diesem Augenblicke
Helmstedt sah ihr einen Augenblick in die Augen und die warme Innigkeit, die ihm daraus entgegenstrahlte, that ihm wunderbar wohl. »Haben Sie Elliot nicht gesehen?« fragte er dann.
»Er war der Erste, der mit Ellen und Sarah den Saal verließ, und es ist gut so, August,« erwiderte sie, »lassen Sie die Wellen sich erst etwas legen und die Tochter mit dem Vater aussprechen, ehe Sie sich ihm zeigen, ich habe ihr selbst dazu gerathen, sich jetzt nicht aufzuhalten.«
Helmstedt drückte die Hand vor die Augen, es erwachte ein Gefühl in ihm, dem es mit Macht widerstrebte, die Gegend seines früheren Aufenthaltes wieder zu sehen, ehe er über seine Stellung dort im Klaren war. »Ich gestehe Ihnen offen,« sagte er nach einer Pause, »daß ich heute lieber in der Stadt und allein für mich bliebe; Sie haben mir mit Ihrem Vorschlage so wohl gethan, Pauline, wie ich es Ihnen kaum sagen kann, aber ich möchte erst, ehe ich irgend Jemand wieder unter die Augen trete, in mir selbst Ordnung schaffen und meine Lage recht ins Auge fassen. Außerdem möchte ich auch heute nicht von meinem alten Freunde Isaac gehen, der es wahrhaftig nicht um mich verdient hat, daß ich ihn jetzt allein lasse. Und nicht wahr, Sie sind mir darum nicht böse?« fuhr er ihre Hand ergreifend fort, als er ihre leicht beweglichen Züge denselben trüben Ausdruck annehmen sah, den er schon kannte.
»Sie sind consequent in Ihren Zurückweisungen, August, Sie könnten's gegen Ihre
gefährlichste Feindin nicht mehr sein,« erwiderte sie, »Isaac findet bei uns besseren
Platz, als in dem engen Hotel, das heute bis zum Dache überfüllt ist, und von Ihren
übrigen Gründen will ich gar nicht
»Well, Sir, das geht nicht!« rief Morton mit derber Biederkeit, »und ich erbitte es mir als eine Gefälligkeit, deren Werth Sie vielleicht selbst noch nicht kennen, daß Sie mein Haus für das Ihrige ansehen. Wir sind Ihnen Genugthuung schuldig, wie wir sie Ihnen vielleicht kaum leisten können, und ich würde Sie nicht für den Mann halten, für den ich Sie kennen gelernt habe, wenn ich unter solchen Umständen eine Zurückweisung von Ihnen fürchten sollte.«
Helmstedt fühlte in diesem Augenblicke vielleicht zum ersten Male, daß ein Stolz in
ihm wurzelte, der größeren Einfluß auf seine Handlungen ausübte, als er selbst
gewußt. So lange sich dieser nur durch Zurückweisen von Hilfe und Unterstützung
Anderer geäußert, hatte er es für etwas durchaus Edles gehalten, was sich in ihm
regte; als aber jetzt der reiche Amerikaner vor ihm stand und ihm, mehr mit der Miene
eines Bittenden, als eines Beschützers sein Haus anbot, als bei dem Tone des Mannes
sich das wohlthuende Gefühl, »auf gleichem Fuße« behandelt zu werden, Helmstedts
bemächtigte und eine Befriedigung in ihm hervorrief, vor der alle Gründe, welche ihn
in der Stadt hielten, ganz wunderbar ihre Macht verloren, da schoß ihm ein Strahl von
Selbsterkenntniß durch den Kopf. Fast hätte er, nur um sich nicht selbst eine Blöße
zu geben, auch Mortons Anerbieten zurückgewiesen, aber Paulinens Auge ruhte so still
und trübe auf ihm, daß es ihm wurde, als sei er eben
»Sie sind wirklich so freundlich gegen mich, daß ich nicht weiß, wie ich es verdient habe,« sagte er endlich, »ich bin mit Ehren in Freiheit gesetzt worden, und das ist wol alle Genugthuung, die ich verlangen kann – aber ich will mit ganzem Herzen Ihre Einladung annehmen, da Mrs. Morton sagt, daß Isaac uns begleiten darf; ich bin es ihm schuldig, ihn jetzt nicht zu verlassen!«
»Ganz gut, Sir!« erwiderte Morton, einen Blick auf den Pedlar werfend, »er mag sich bei uns auscuriren, und Platz im Wagen haben wir auch. Sprechen Sie mit ihm und ich lasse währenddem Ihre Sachen aus dem Gefängnisse herüberschaffen, – in einigen Minuten können wir unterwegs sein.« Er drückte nochmals die Hand des jungen Mannes kräftig, warf seiner Frau einen Blick zu und ging davon.
»Sind Sie mir noch böse, Pauline?« fragte Helmstedt und hielt dieser seine Hand hin.
»Ich bin Ihnen in meinem Leben noch nicht böse gewesen!« erwiderte sie, mit einem halben Lächeln zu ihm aufsehend, »höchstens war ich traurig, wenn Sie mich so wenig verstanden. Sprechen Sie aber jetzt mit Isaac!« fuhr sie fort und trat, sich wegdrehend, einige Schritte in den Saal hinein.
Helmstedt folgte der Aufforderung.
»Hab' die Verhandlungen gehört,« sagte der Alte, »und wenn Sie durchaus bei mir sein wollen, so folge ich Ihnen. Hier oder dort – für mich wird's ziemlich gleich bleiben; meine Wirthin schläft bei ihrer Schwester in der Stadt, für Sie aber kann es nur gut sein, wenn Sie mit den Leuten gehen, es wird Ihnen manchen Stein für die Zukunft aus dem Wege räumen!«
»Deshalb thue ich es nicht, Isaac.«
Der Pedlar zuckte nur die Achseln, hustete ein paar Mal
Der Saal war leer geworden, die Lampen wurden nach und nach ausgelöscht, bis endlich
nur noch eine einzige das nothdürftigste Licht verbreitete. Pauline stand am
Ausgange, auf Morton wartend, und Helmstedt maß den Boden mit langsamen Schritten –
seine Gedanken waren in Oaklea. War das ganze Unglück der letzten Wochen nur ein
nothwendiges Mittel für das Schicksal gewesen, um ihn rasch seinem Glücke, seiner
Vereinigung mit Ellen entgegenzuführen – oder warf es ihn wieder zurück in eine
schlimmere Lage als die, in welcher er Alabama betreten? Dachte er an die feindliche
Stellung, welche Elliot während der Untersuchung gegen ihn eingenommen, an den
starren Ausdruck seines Gesichtes, den dieser nach der Abgabe von Ellens Zeugniß
behauptet, so mußte er auch an des Pedlars frühere Warnungen denken – morgen
vielleicht schon war das Mädchen von ihrem Vater nach irgend einem Theile der Welt
gebracht und damit war der ganze Roman beendigt, und ihm selbst blieb nichts übrig,
als den Rest des erhaltenen Salairs, der ihm streng genommen nicht einmal gehörte,
zur Rückreise nach New-York zu benutzen, wo sich ihm wenigstens noch die Möglichkeit
einer Existenz durch eigene Kraft bot. Aber er mußte zugleich auch an Ellen denken,
an die freudige Festigkeit, mit welcher sie, unbeirrt durch ihres Vaters Einfluß, zu
seiner Rechtfertigung vor die Oeffentlichkeit getreten war, und sein Herz zitterte
noch, als er sich die Scene zurückrief – sie mußte die Reise hierher ohne Wissen
ihrer Verwandten angetreten haben, dafür sprach Elliots Ueberraschung bei ihrem
Anblicke; die volle Energie der Liebe mußte in ihr erwacht sein, die wol jetzt für
ihr beiderseitiges Glück kämpfte. Sie war des Vaters Liebling, und wenn sie nun auch
wirklich seinen Widerstand brach, was dann weiter? Sollte er als ungern geduldetes
Mitglied in die Familie treten und sich von
Seine Gedanken wurden durch Mortons Eintritt unterbrochen, der »Alles fertig« meldete. Der Pedlar erhob sich, die Gesellschaft schritt nach dem wartenden Wagen hinunter und bald rollte dieser durch die mondhelle Nacht dem Landhause entgegen. Helmstedt hatte sich mit Gewalt aus seinen Sinnen gerissen und versuchte ein Gespräch einzuleiten; Morton selbst schien aber, seit sie die Stadt verlassen hatten, mit seinem Geiste wo anders zu sein; auf seinem Gesichte hatte sich ein Ausdruck von Sorge gelagert, und er beantwortete Helmstedts Bemerkungen wol freundlich, aber ohne weiter darauf einzugehen; Pauline saß ebenfalls still in ihre Ecke gedrückt und legte nur dann und wann, mit einem Aufblicke zu ihrem Manne, ihre Hand auf die seinige, was dieser mit einem schwachen Lächeln beantwortete. Isaac schien zu schlafen, und so überließ sich auch Helmstedt bald wieder seinen eigenen Gedanken. Erst als der Wagen von der Straße abbog, schien Morton mit sich selbst fertig geworden zu sein. »Sie werden Hunger haben, Sir, sammt unserm Isaac,« sagte er, »hoffentlich finden wir aber ein ordentliches Abendbrod bereit!«
»Fühle eben nicht wie essen,« erwiderte der Alte, »wenn Sie aber Etwas für mich thun wollen, so lassen Sie mir gleich mein Bett zeigen, das wird wol für eine Weile Alles sein, was ich brauche – das Fahren hat mich schlimmer durchgeschüttelt, als ich mir's vorgestellt.«
»Sind Sie wieder krank, Isaac?« fragte Pauline theilnehmend.
»Weiß eigentlich selbst nicht – 's wird wol wieder vorübergehen!«
»Setzen Sie sich, Sir, machen Sie sich's bequem und betrachten Sie sich zu Hause,« sagte dieser, zwei Stühle ans Feuer rückend, »wir kennen uns zwar noch nicht genauer, aber ich denke, das soll bald geschehen, wenigstens so weit, als ich dazu beitragen kann. Ich bin Ihnen mancherlei Aufklärungen schuldig,« fuhr er fort, als sich Beide niedergelassen, »ich denke aber, wir ersparen uns das bis nach dem Thee; sagen Sie mir nur jetzt, ob Sie sich schon irgend einen Plan für Ihre künftigen Schritte gemacht haben, zu dem ich Ihnen irgendwie behilflich sein könnte. Ihr früheres Verhältniß zu Elliot scheint wenigstens in der Art unmöglich geworden zu sein; bei der Stärke aber, mit der Ellen an Ihnen zu hängen scheint und nach dem öffentlichen Schritte, den das Mädchen heute gethan, sehe ich für ihren Vater fast keinen andern Weg, als daß er sich mit Ihnen verständigt, wenn er nicht verkaufen und ganz von hier wegziehen will –«
»Sie wissen vielleicht, wie Ellen so plötzlich hierher gekommen ist, da Sie mit Ihnen in dem Gerichtszimmer erschien?« unterbrach ihn Helmstedt.
»Ich weiß es und Sie sollen auch von Allem unterrichtet werden. Ich möchte Sie nur
fragen, ob ich vielleicht einleitende Schritte zwischen Ihnen und Elliot thun soll?
Daß das Verhältniß zwischen Ihnen und seiner Tochter so schnell gereist ist, daran
ist er mit seiner Blindheit gegen den Schurken, der jetzt vor Gottes Richterstuhle
steht, selbst schuld – 's ist eine Fügung des Himmels gewesen, wodurch das Mädchen
Kraft zum Widerstand erhalten, sonst könnte er jetzt über sich und sein Kind jammern,
wie Andere es thun müssen –« er hielt inne und blickte wie von einem Gefühle
überwältigt vor sich ins Feuer. Helmstedt sah die
Helmstedt sah eine Minute schweigend vor sich hin. »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Sir,« sagte er dann langsam, »aber ich weiß nicht, welche Schritte ich gegen Elliot thun könnte, ohne den schmutzigen Verdacht, der meinem Verhältnisse zu Ellen untergelegt worden, zur Wahrheit zu machen. Ich bin vorläufig nichts und habe nichts, darin liegt Alles, und wenn mich Elliot bei meinem ersten Worte um seine Tochter wie einen ertappten Glücksritter zur Thür hinausjagte, würde ich mich kaum zu beklagen haben. Wäre Ellen arm und an Armuth gewöhnt, so sollte uns kein Tag mehr von einander trennen und wenn ich unsern Unterhalt mit Holzspalten verdienen sollte.«
Morton schüttelte den Kopf. »Sie können doch nicht gut von Elliot erwarten, daß er Ihnen jetzt entgegenkommen und das Mädchen anbieten soll? – und nach Allem, was Ellen gethan, hat sie wol auch ein Recht, einen Schritt von Ihnen zu verlangen, selbst wenn er gegen Ihren Stolz laufen sollte.«
Helmstedt richtete den Kopf auf. »'S ist wahrhaftig nicht Stolz, der aus mir redet,
Sir,« sagte er und in seinem Gesichte sprach sich der ganze Druck aus, der auf seiner
Seele ruhte, »ich würde gern hingehen zu Elliot und ihm mein ganzes Herz ausschütten
und mich an keine Demüthigung kehren; wo soll es aber hinführen? Kann ich denn Ellen
nur das kleinste Loos bieten, um sie vor Entbehrungen sicher zu stellen, oder soll
ich mit um ihres Vaters Geld freien, wenn er nach meinen Existenzmitteln fragt? Ich
»Lassen wir die Sache einmal vorläufig ruhen und uns unsern Thee nehmen,« sagte Morton aufstehend, »später läßt sich weiter reden.« Als ihm Helmstedt folgte, sah er Pauline, die unhörbar eingetreten sein mußte, hinter ihren Stühlen stehen.
Sie gingen nach dem Speisezimmer, aber wenig ward während des Mahles gesprochen. Helmstedt war durch die mit Morton gewechselten Worte selbst erst klar über seine jetzige Stellung geworden und Entschlüsse aller Art zogen durch seinen Kopf. Des Hausherrn schien sich, sobald er zum Tische getreten, ein trübes Sinnen bemächtigt zu haben, das er nur dann und wann durch ein paar einzelne Worte unterbrach, und selbst Pauline schien ihre eigenen Gedanken zu verfolgen. Die schweigsame Mahlzeit war fast zu Ende als Cäsar eintrat und meldete, daß der alte Isaac gern Helmstedt zu sprechen wünsche.
»Fühlt er sich nicht gut?« fragte Morton.
»Well, er sieht schlecht genug aus,« erwiderte der Schwarze, »aber wol nicht schlimmer als wie er ins Haus kam. Ich habe ihn schon gefragt, ob ich bei ihm bleiben solle, er verlangt aber nur nach Mr. Helmstedt.«
Der junge Mann erhob sich und folgte dem Neger. Als sie den ersten Treppenabsatz erreicht hatten, hielt dieser an und sagte: »Sie sind doch nicht böse auf mich, Master, daß ich heute keine andere Aussage gemacht? Ich sah's Ihnen im Gesicht an, daß es nicht recht war, aber im Gerichte hatten sie mir den Kopf vorher so dumm und dick gemacht, daß ich eigentlich gar nicht mehr wußte, was ich gesehen hatte und was nicht.«
»Und noch Eins, Sir, ist es wahr, daß heute Nachmittag Elliots Sarah wieder zurückgekommen ist?«
»'S ist so, Cäsar,« erwiderte Helmstedt und mußte über dessen seltsam verzogenes Gesicht lächeln, »wenn Ihr jetzt noch einmal bei ihr anpocht, wird sie kaum wieder nein sagen.«
Der Schwarze fuhr mit der rechten Hand in seine Kraushaare und zog das linke Knie fast bis zur Brust empor – ein pantomimisches Jauchzen – dann sprang er auf den Zehen den Rest der Treppe hinauf und öffnete die Thür nach des Pedlars Zimmer.
Helmstedt fand den Alten in halbsitzender Lage in seinem Bette, und in den weißen Kissen erschien das eingefallene Gesicht, von dem Lichte einer kleinen Schirmlampe beschienen, gelb und fast blutlos. Er hatte die Augenlider geschlossen, öffnete sie aber, als sich der junge Mann seinem Lager näherte und zeigte nach einem Stuhl zur Seite des Bettes. »Es sind mir so mancherlei Gedanken durch den Kopf gefahren,« sagte er mit matter, aber vollkommen klarer Stimme, nachdem Helmstedt Platz genommen und Cäsar die Thür geschlossen hatte, »daß ich gern heute noch mit Ihnen reden möchte; ich weiß nicht, ob ich nicht vielleicht morgen wieder in die Hand des Doctors falle, der mir für eine Zeit jedes Wort verbietet. Haben Sie sich denn schon einen Gedanken gefaßt, was Sie für die Zukunft thun wollen?«
Helmstedt schüttelte schweigend den Kopf.
»Sie werden das Mädchen nicht lassen mögen,« fuhr der Alte fort, »vielleicht haben
Sie auch recht, da's einmal so weit gekommen ist, und es gäbe wol auch einen Weg,
Ihnen eine Stellung zu verschaffen, gegen die der Alte nichts einwenden könnte und
die Ihre ganze Zukunft sicherte. Ich habe schon früher einmal mit Ihnen von den
hiesigen
Helmstedt hatte den Kopf in beide Hände sinken lassen. »Sagen Sie mir, Isaac,« begann
er nach einer Weile aufsehend und dem Auge des Alten begegnend, das in sichtlicher
Der Pedlar schüttelte langsam den Kopf. »Es hält schwer für den Mann aus dem Osten, sich hier wirkliches Vertrauen zu erwerben. Heirathen Sie aber in Elliots Familie und halten Sie sich Mortons zu Freunden, so wird Ihnen bald das Innerste der Familien im halben Staate offen stehen – das ersetzt alle Geschäftsgewandtheit, die Ihnen im Anfange noch fehlen könnte, die sich aber bald genug von selbst finden würde.«
Helmstedt sah eine Weile stumm vor sich nieder. »Lassen Sie mich eine Nacht überlegen,« sagte er dann tief Athem schöpfend, »wir sprechen morgen weiter, Isaac.«
»Morgen! wer weiß, was morgen ist!« erwiderte der Pedlar erregt, »wer ein Glück haben will, muß rasch zugreifen –«
»Ich bin mir heute selbst nicht recht klar,« unterbrach ihn Helmstedt, »mir widerstrebt ein Geschäft, welches das Vertrauen, das ich hier erlangen könnte, nur als Mittel zum Auskundschaften benutzt – und doch weiß ich nicht, ob ich nicht zu weit gehe und das, was ich Andern schuldig bin, meinen eigenen Gefühlen hintenansetze. Lassen Sie uns morgen entscheiden, Isaac!«
Isaac ließ den erhobenen Kopf zurückfallen und der Anflug von Belebtheit in seinem
Gesichte machte schnell einer tiefen Erschlaffung Platz. Helmstedt wartete auf eine
Erwiderung, der Alte schloß aber wortlos die Augen und nach einer kurzen Weile sank
der Kopf nach der Seite. Der junge Mann bog sich über ihn, und als er seine matten,
kurzen Athemzüge hörte, verließ er leise das Zimmer. Auf dem matterleuchteten
Corridor aber blieb er eine Weile stehen und drückte das Gesicht in beide Hände. Das
Bild einer Stellung als geachteter Kaufmann, wie es bei Isaacs Worten vor ihn
getreten war, verbunden mit den besten
Morton saß mit seiner jungen Frau im Parlor vor dem Feuer und ein dritter Stuhl stand
für Helmstedt bereit, als dieser eintrat. »Setzen Sie sich, Sir,« sagte der Pflanzer,
ohne eine weitere Frage an ihn zu richten und nur Paulinens Auge ruhte einen
Augenblick forschend in dem Gesichte des Eingetretenen, »lassen Sie uns einmal einen
Augenblick von Ihren Angelegenheiten abgehen, sonst werden wir uns wahrscheinlich
nicht verstehen lernen. Sie haben eine böse Zeit durchgemacht und sind jetzt in eine
Lage geworfen, die bei Ihrem Charakter, wie ich ihn durch meine Frau und Ihre eigenen
Bemerkungen habe kennen lernen, Sie doppelt schwer drücken muß. Wenn ich Ihnen nun
sage, daß Sie mir Freiheit lassen müssen, Ihre Zukunft wieder herzustellen, so
geschieht das nur, Sir, weil
Der Erzähler machte eine Pause und sah starr vor sich ins Feuer. »Ich kann Ihnen nur
die Hauptpunkte des Nächstfolgenden geben, soviel mir selbst davon bekannt geworden
ist,« fuhr er dann fort. »Es war nicht Liebe, nicht
»Well, Sir, ich danke Ihnen,« erwiderte Morton, der den Kopf hob, als habe er ein gefürchtetes, unangenehmes Geschäft vollendet, »aber mit den bloßen Redensarten fangen wir die Ratte nicht. Ich würde sagen: lassen Sie uns warten bis morgen früh und dann in Ruhe überlegen, wenn unser Nachbar Elliot nicht ein Mann wäre, der wenig Zeit verstreichen läßt, bis er einen gefaßten Entschluß zur Ausführung bringt. Was geschehen soll, muß heute Abend beschlossen werden, morgen im Laufe des Vormittags ist der Mann mit seiner Tochter vielleicht nach irgend einem Theile der Welt unterwegs und dann, sehe ich recht wohl, wäre Alles, was außerdem gethan werden könnte, so gut wie nichts!«
»Ich glaube kaum, daß Ellen, wie ich sie kenne, jetzt ihrem Vater so ruhig folgen wird, als das erste Mal,« warf Pauline ein, mit einem halben Blicke zu ihrem Manne aufsehend.
»Was kann sie aber thun?« erwiderte Morton; »hier unser junger Freund will sie nicht
eher haben, bis er nicht eine Zukunft hat und sie vor Entbehrungen schützen kann, wie
er sagt, und es liegt ein Verstand darin, den ich vielen
Helmstedt sprang von seinem Stuhle auf und durchschritt aufgeregt das Zimmer. »Es
wäre Tollheit von mir,« sagte er endlich wieder herantretend, »Ihre Hilfe in der
Lage, in welcher ich mich befinde, abzuweisen, ich werde Sie selbst noch an Ihre
Zusage wieder erinnern – aber Ihren letzten Vorschlag, so freundlich er auch ist,
kann ich nicht annehmen; für mich bliebe es doch nur immer eine Noth- und
Barmherzigkeitsstellung und Sie müßten in eine ganz unangenehme Lage zu Elliot,
vielleicht auch zu der ganzen hiesigen Gesellschaft gerathen – Sie hätten gleiche
Sache mit dem Fremden gemacht, der nichts ist und nichts hat und doch seine Hand nach
einem Mädchen aus der Blüte des Landes ausstreckt; Sie würden dem Gefühle aller
reichen Eltern, die Töchter besitzen, geradezu ins Gesicht schlagen und
wahrscheinlich Ihr Opfer, so aufrichtig das auch jetzt gebracht sein mag, bald genug
bereuen. – Ich muß mir irgend eine Stellung, irgend eine Selbstständigkeit zu
verschaffen suchen,« fuhr er fort und nahm seinen vorigen Gang wieder auf, »ich werde
um Ihren Rath und Ihre Hilfe dazu bitten, aber ich weiß, daß das nicht im Nu
geschehen kann. Ich werde morgen in aller Frühe nach Oaklea gehen – ich müßte
ohnedies mit Mr. Elliot reden, ich bin noch nicht von ihm entlassen, habe aber mein
Gehalt für ein halbes Jahr im Voraus, erhalten – ich werde zu ihm sprechen, wie es
mir der Augenblick eingeben wird, werde ihm zeigen, daß er es wenigstens mit einem
ehrlichen Manne zu thun
»Ob Ihr Weg gerade der praktischste ist, weiß ich nicht,« entgegnete Morton, seine Haare durcheinander streichend, »man tritt einem wildgewordenen Pferde nicht gern geradezu in den Weg und in Dinge, die sich nicht ändern lassen, ergeben sich die Leute meist viel eher, als da, wo ihnen noch eine Hand darin erlaubt ist. Aber ich darf gegen Ihre Gründe nichts sagen.«
»Haben Sie auch wol an Ellen und ihr Glück gedacht, wenn die Zusammenkunft mit ihrem Vater schroffer zwischen Ihnen Beiden endigen sollte, als Sie es vielleicht jetzt vermuthen?« begann Pauline und Helmstedts Auge begegnete einem so ernsten Blicke, wie er ihn noch nie an ihr gekannt. »Fast möchte ich dran glauben, daß auch die Liebe des besten Mannes sich nicht frei von Egoismus machen kann, mag der nun Ehre oder Stolz oder sonst wie genannt werden.«
»Und glauben Sie wirklich, daß ein Mann der Halt für eine Frau sein würde, – daß sie mit der Achtung zu ihm aufsehen könnte, wie es sein sollte, wenn er seine Grundsätze auch nur einen Augenblick, und sollte es selbst seinem höchsten Lebensglücke sein, aufopfern könnte?« sagte Helmstedt angeregt. »Ich habe noch wenig vom hiesigen Leben gesehen und mein Urtheil mag nicht ganz richtig sein, aber mir scheint, daß das ganze amerikanische Familien-Verhältniß ein anderes sein würde, wenn viele Männer mehr Männer in diesem Sinne wären. – Lassen Sie mich jetzt zu Bett gehen,« fuhr er dann ruhiger fort, »vielleicht kommt mir irgend ein glücklicher Gedanke während der Nacht, ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Theilnahme.«
Helmstedt reichte seine Hand der jungen Frau. »Können Sie mir nicht Recht geben?« fragte er.
»Es gehört für eine Frau viel Liebe dazu, um Ihren Standpunkt zu würdigen,« sagte sie, ohne aufzublicken, »sehen Sie zu, daß Sie vor Ellen bestehen, dann will ich gern nichts weiter sagen.« –
Helmstedt lag in seinem Bette, aber wie Morton es vorausgesagt, ohne zu schlafen. Er
überlegte sein morgendes Auftreten bei Elliot, er sann darüber nach, was er ihm sagen
wollte, er arbeitete eine große Rede aus und als ein Anflug von Schlaf ihm unbewußt
die Augen schloß, arbeitete er im Traume weiter, quälte sich mit den Gedanken herum,
für die er den Ausdruck nicht finden konnte, bis er, geängstigt und aufgeregt, wieder
erwachte. Er warf sich auf die andere Seite und suchte Ruhe zu gewinnen – aber sein
Gehirn arbeitete, ohne seinem Willen zu gehorchen. Wenn Elliot ihm kalt die Thüre
wies oder ihn gar nicht vor sich ließ, welchen Weg sollte er dann einschlagen? Er
mochte es sich selbst nicht gestehen, aber er fühlte, daß sich sein ganzer Stolz
dagegen empört hatte, »seine Frau« in eine Stellung zu bringen, in welcher er von
Paulinens Mann abhing – es lag, wenn er an seine erste Begegnung mit dieser in
New-York und an die Art, wie er sie von sich gewiesen, dachte, eine ganze Welt von
Demüthigung für ihn in dem Gedanken. Wo war aber ein anderer Weg für ihn, wenn
»So werde ich wahnsinnig,« sagte er sich aufrecht setzend. »Ruhe, August; den Weg gerade und offen zum Alten mußt du thun; was daraus entsteht, liegt in der Hand des Schicksals, mag es walten – es ist Thorheit, sich im Voraus darüber den Kopf zu verdrehen. Jedenfalls werde ich morgen Ellen sehen, auf die eine oder die andere Weise, und was dann wird – das überlasse dem Morgen. Jetzt schlafe, August!« Er legte sich zurück, er dachte an Ellen, der ganze kurze Roman seiner Liebe zog in einzelnen Bildern an ihm vorüber und spann sich bald in ruhige rosige Träume hinüber.
Der Morgen war bei Helmstedts Erwachen weiter vorgerückt, als es ihm lieb war. Er
hatte gehofft, schon gleich nach dem Frühstück in Oaklea sein zu können und jetzt
konnte er Gefahr laufen, Elliot nicht mehr zu treffen. Sein Zimmer war wohlthuend
durchwärmt und er warf sich rasch in die Kleider. Als er die Treppe hinabstieg, sah
er die junge Hausherrin bereits fertig angezogen durch die »Halle« gehen, aber bei
dem Klange seiner Tritte stehen bleiben und ihn erwarten. Mit einem Gesichte, dessen
strahlender Ausdruck ihn lebhaft an das erste Zusammentreffen mit ihr in New-York
erinnerte, faßte sie seinen Arm und führte ihn mit einem: »Kommen Sie, August!« nach
einem der hinteren Zimmer. Die Thür öffnete sich und von einem Stuhle am Kamin erhob
sich eine schlanke Gestalt in blauem Reitkleide. Helmstedt sah in ein bleiches
Gesicht, das sich soeben zu einem sonnigen Lächeln verklärte, sah in zwei große
dunkle Augen,
In diesem »hier bin ich« aber klang ein Ton, welcher dem jungen Manne durch alle Nerven schauerte – es war das gänzliche Aufgeben ihrer selbst, das Versprechen eines Himmels voll Seligkeit für ihn, und doch auch die Mahnung an eine Verantwortlichkeit, für die er noch nicht vorbereitet war. Er nahm ihren Kopf in beide Hände und küßte die zwei einsamen Thränen hinweg, die noch an ihren Wimpern hingen. »Aber, Ellen, süßes Leben, weißt du denn wol, daß ich arm, wirklich arm bin?« begann er dann.
Sie nickte, ihm tief in die Augen sehend. »Ich hätte dich wol außerdem nie hier bei uns zu sehen bekommen!« sagte sie.
»Daß ich – gestern aus dem Gefängniß gekommen, wo meine letzte Wohnung war – kein Dach habe, was ich dir anbieten könnte, daß ich noch keine Stellung besitze, um auch nur das Nothwendigste für uns zu erwerben?«
Sie nickte mit einem stillen Lächeln von Neuem. »Und
Helmstedt sah in ihr erregtes Gesicht, das von Verstand durchstrahlt in diesem Augenblicke schöner war als je und zog sie wieder auf sein Knie. »Ich bin so reich und weiß es selbst nicht!« sagte er, sie anblickend, als wolle er sich ganz in ihr Auschauen versenken, bis sie ihm mit beiden Händen die Augen zuhielt. »So habe ich es nicht gemeint und du weißt es!« rief sie, »gibt es aber jetzt noch immer Räthsel für dich?«
Er nahm ihre Hände in die seinen und sagte, ernst werdend: »Betrügst du dich denn nicht vielleicht selbst mit glänzenderen Hoffnungen, als sie sich verwirklichen können? Ich habe gestern Abend mit Mortons über meine Zukunft Rath gepflogen und Niemand wußte wirklichen Rath –«
»Weil Mr. Morton ein alter Mann ist und Pauline die Gesellschaft hier noch zu wenig kennt,« unterbrach sie ihn, »und doch wird selbst der alte Herr mir Recht geben, sobald ihm nur der Gedanke vor die Augen gebracht wird. Verlangst du denn noch eine größere Sicherheit, als daß ich alles Elend, was daraus entspringen mag, mit dir tragen will? Entscheide dich nur, ob du hier auf dem Lande bleiben oder in die Stadt gehen willst, und es wird wenig Worte kosten, um deine ganze Stellung geordnet zu haben.«
Helmstedt sah einen Augenblick nachdenkend vor sich nieder. »Laß uns mit Mr. Morton
reden,« sagte er dann, »ich werde ihn jedenfalls bedürfen, um mir an den nöthigen
Orten den ersten Eintritt zu verschaffen. Wenn er aber mit dir in der Ansicht der
Dinge übereinstimmt,« fuhr er
Die Röthe der Erregung wich aus Ellens Wangen, sie erhob sich. »Thue es, ich will stolz darauf sein,« sagte sie, »aber denke daran, daß mein Vater Gewalt über mich hat, so lange ich nicht durch das Gesetz dein bin, und daß, wenn er mich auch jetzt wie ein trotziges Kind hat gehen lassen, sich doch der Sinn der Menschen ändert, wie sich der Wind dreht!«
Helmstedt sah rasch auf in ihr dunkles, ernst gewordenes Auge und es überkam ihn, als stände er vor dem Scheidepunkte seines ganzen künftigen Lebens. Er drückte einen Moment die Hand vor die Stirn. »Laß uns mit Mortons reden,« sagte er aufspringend, »und dann mag uns das Schicksal führen, wie es will!« Er nahm sie in seine Arme, sah ihr in die Augen und küßte sie, küßte sie zum zweiten Male – es war ihm, als wisse er nicht, sei es der Brautkuß, oder der letzte Kuß vor der Trennung. »Komm!« sagte er dann und führte sie nach dem Parlor.
Im Fenster stand Pauline, die sich bei ihrem Eintritte herumdrehte und sie mit einem stillen Lächeln empfing – aber ihre Augen schienen verweint, und jetzt ging es durch Helmstedts Kopf, ein fremdartiges Gefühl in ihm erregend, daß sie ihn doch zu Ellen geführt und er nicht einmal wußte, zu welcher Zeit sie das Zimmer wieder verlassen hatte. Aber es blieb ihm nicht lange Zeit, seinen Erinnerungen nachzuhängen, denn von einem Divan, nahe dem Feuer erhob sich Morton und schritt auf sie mit der Frage zu, wie weit sie mit einander gekommen seien.
»Ich möchte mit Ihnen ein paar Minuten berathschlagen, vielleicht auch Ihre Hilfe erbitten,« sagte der junge Mann, »lassen wir die Ladies so lange allein!«
Morton nickte schweigend, faßte ihn beim Arme und
Helmstedt theilte ihm in kurzen Worten mit, was sich zwischen Ellen und ihrem Vater zugetragen und gab ihm deren Ideen und Hoffnungen für seine Zukunft. Morton hatte, ohne ihn mit einem Worte zu unterbrechen, zugehört. »Well, Sir,« erwiderte er dann, »ich will Ihnen zweierlei sagen. Das Kind ist klüger als wir Alle zusammen, das mag aber ihre Liebe thun, die ihr die Augen geschärft hat. Sagen Sie, Sie wollen Pianolehrer werden, so will ich Ihnen mit irgend einer Summe Ihren Erfolg garantiren – dumm genug, daß wir nicht selbst darauf gekommen sind, da doch in unserem ganzen Süden nichts mehr gesucht ist, als Männer mit solchen Kenntnissen. Morgen, wenn Sie wollen, will ich mit Ihnen nach beiden Akademien gehen, Sie können ein Wohlthäter für die meisten Familien in unserer ganzen Gegend werden, die jetzt das theuere Geld für ihre Töchter nach dem Osten schicken. Wollen Sie aber unter allen Umständen Glück machen, Sir, so müssen Sie eine Frau haben; die meisten der jungen Ladies, die Ihnen anvertraut werden sollen, sind zwar in vieler Beziehung noch Kinder, aber doch oft sechzehn, siebzehn Jahre alt – und darum sage ich Ihnen zweitens, gehen Sie vom Platze weg mit Ellen zum Friedensrichter; ich werde dafür sorgen, daß Ihnen kein Hinderniß dort in den Weg tritt – das gibt erstens ein Punktum als Schluß zu Ihrem Prozesse, der Ihnen das volle Vertrauen und die allgemeine Theilnahme sichert; zweitens aber wissen Sie nicht, was Elliot thun mag, wenn er Mittags nach Haus kommt und sein Mädchen ausgeflogen findet – er mag vielleicht nicht an die Energie des Kindes geglaubt haben – und, Sir, aufrichtig gesprochen, Sie sind es Ellen schuldig! Wollen Sie zu ihrem Vater gehen, wie Sie gestern Abend meinten, so gehen Sie wenn nichts mehr zu ändern ist!«
»Ich rathe Ihnen dazu als ehrlicher Mann,« war die ernste Antwort, »der mit unparteiischerem Auge die Sachen ansieht, als es ein Vater könnte – rathe es Ihnen Ihres eigenen und des Mädchens Besten wegen, die Ihnen ihren Ruf geopfert hat, den Sie ihr wiederherstellen müßten, wenn Sie auch nicht einmal an ihr übriges Glück denken wollten –«
»Es ist genug, Mr. Morton, ich danke Ihnen,« unterbrach ihn Helmstedt, seine Hand ergreifend, und athmete auf, wie nach dem Abwerfen, einer Bürde, »geben Sie mir die nöthigsten Anweisungen über wo und wie, und wenn Ellen bereit ist, so thue ich jetzt sogleich die nöthigen Schritte. Wenn wir aber zurückkommen, muß ich Sie dann um Obdach für uns bitten, bis meine übrigen Verhältnisse geordnet sind.«
»Well, Sir, das ist doch endlich ein vernünftiges Wort,« sagte Morton, seine Hand schüttelnd »Ich schreibe ein paar Zeilen an einen Freund von mir der Friedensrichter ist und keine Umstände mit Ihnen machen wird, und schicke, um jede Zögerung zu vermeiden, den Cäsar damit nach der Stadt voraus – in einer halben Stunde sollen Sie die kleine zweisitzige Kutsche haben und dann gehen Sie los. Jetzt lassen Sie aber unser Kind nicht länger warten.«
Helmstedt verließ mit Morton, der nach der Hinterthür des Hauses ging, das Zimmer zu
gleicher Zeit; als er aber am Eingange zum Parlor angelangt war, blieb er stehen und
drückte die Hand gegen die Stirn, er fühlte sich wie im Traume. Durch die Thür klang
Ellens Stimme, derselbe klare, weiche Ton, der ihm Tags zuvor im Gerichtssaale
Im Divan, nahe dem Fenster, saß Ellen, den Kopf in die Hand gestützt, und ein leichtes Roth schoß in ihr bleiches Gesicht, als der junge Mann eintrat. An einem Seitentische stand Pauline und schien in den dort liegenden Büchern zu blättern, aber Helmstedt bemerkte sie nicht. Er ging auf das Mädchen los und kniete schweigend vor ihr nieder. »Willst du mich denn annehmen, wie ich bin?« sagte er, »willst du dich denn an mich ketten und mit mir tragen, was da kommt, Leid und Freude, Sonnenschein und Sturm?« Sie bog sich nieder zu ihm, umschlang seinen Nacken und legte den Kopf gegen den seinigen. »Warum fragst du denn noch, August? Habe ich dir denn nicht gesagt, daß ich nicht wider von dir gehe?«
Die Thür klappte leise, Pauline hatte das Zimmer verlassen, aber die beiden Glücklichen hörten es nicht. – –
Die kurze Abenddämmerung desselben Tages ging bereits in Dunkelheit über, als Helmstedt, aus der Stadt zurückkehrend, das Gatterthor an Mortons Besitzung öffnete und bei dem Hause wieder vorfuhr. Morton schien nach den Ankommenden ausgesehen zu haben und trat in den Portico heraus, eben als Helmstedt die weibliche Gestalt, die den Sitz mit ihm getheilt, aus den Wagen hob. »Alles in Ordnung?« fragte der alte Pflanzer. »Da ist meine Frau!« sagte der Angekommene und schlug den Schleier von Ellens erröthendem Gesichte. Morton bog sich zu ihr hinab und küßte sie. »Denke, es sei der Kuß deines Vaters, Kind,« sagte er, »wenn der auch jetzt noch zu hartköpfig dazu ist, und Gott gebe euch Beiden seinen reichsten Segen! – Er ist hier gewesen, der Alte,« fuhr er fort, »ich ahnte doch schon heute Morgen das Rechte; geht jetzt nur zuerst nach dem Parlor, dort liegt ein Brief von ihm, nachher sprechen wir weiter!«
Der erleuchtete Parlor war leer, auf dem Mitteltische aber lag in die Augen fallend ein dicker Brief. Helmstedt half erst seiner jungen Frau aus den Hüllen, dann griff er, während sie ihre Hände auf seinen Schultern ruhen ließ, nach dem Schreiben und öffnete es mit gespannter Seele. Es war an ihn gerichtet und enthielt als Beilage ein kleines Buch. Der Inhalt des Briefes lautete:
»Sir!
Meine Tochter hat den von ihr eingeschlagenen Weg weiter verfolgt und ich komme zu
spät, um sie vor einem unausbleiblichen trüben Geschicke zu bewahren. Ich mache Ihnen
keine Vorwürfe, denn kaum weiß ich, wie Sie nach dem Vorgefallenen anders hätten
handeln können; ich will Ihnen auch zugestehen, daß ich bei der geringen Zeit und
Gelegenheit, welche Sie in meinem Hause hatten, nicht an eine vorsätzlich gesponnene
Intrigue Ihrerseits glaube – ich mache auch meiner Tochter keine Vorwürfe, diese
fallen alle auf mich selbst und die Art, wie ich mein gewesenes Kind erzog, zurück.
Bei alledem werden Sie einsehen, daß Ihr heute gethaner Schritt Ellen für alle Zeit
aus ihrer Familie ausschließen muß, und ich kann deshalb nichts weiter thun, als Gott
bitten, daß er sie vor zu großem Unglück bewahre, wie ich für jeden Fremden beten
würde, und ihr beigehend das ihr gehörende Eigenthum zu übersenden. Dahin gehört die
Ueberbringerin: Sarah; ein Bankbuch, worin der aufgesammelte Betrag des für Ellens
Nutznießung bestimmt gewesenen Stückes Farm in den einzelnen Depositen verzeichnet
Elliot.«
Helmstedt sah noch, nachdem er ausgelesen, einen Augenblick wortlos auf die Zeilen; er hatte Anderes, Schlimmeres erwartet. Als er aber den Blick in das Gesicht seiner schweigenden jungen Frau warf, sah er ihre Augen in hellen Thränen glänzen. »Es wird gewiß noch Alles ganz gut werden, August!« sagte sie leise, »ich kannte meinen Vater, und wenn er sich auch jetzt zwingt hart zu sprechen, so kann er sein Herz doch nicht ganz von mir reißen. Jetzt haben wir doch schon einen Anfang und brauchen keine Hilfe von anderen Leuten und laß nur eine Zeit verstreichen, bis er dich ganz hat kennen lernen, und es wird Alles vergessen und vergeben sein!«
Es klang so wunderhübsch in dem Munde dieses jungen verwöhnten Kindes: »wir haben doch schon einen Anfang!« daß Helmstedts ganze Seele hätte lachen mögen. »Halte fest an mir, du mein ganzes Glück,« sagte er und drückte sie an sich, »und ich will dich tragen, daß kein Stein deinen Fuß berühren soll, so lange ich selbst noch aufrecht stehe!«
Sie wurden durch Mortons Eintritt unterbrochen. »Ich störe euch, Kinder,« sagte er,
»aber das wird euch wol noch oft in euren glücklichsten Lebensstunden passiren, –
Glück und Trauer liegen oft kaum einen Schritt von einander.
»Ist er so krank geworden, oder ist sonst Etwas mit ihm vorgegangen?« rief der junge Mann besorgt; Morton aber antwortete nicht, öffnete die Thür und schritt den Beiden die Treppe hinan nach dem Zimmer voraus, in welchem Helmstedt den Pedlar am Abend vorher verlassen.
Der alte Mann lag mit geschlossenen Augen in seinem Bette – die weiße Decke, die ihn einhüllte, war mit Blut gefärbt. Seine abgemagerte Hand ruhte neben einem offenen Notizbuche vor ihm; zur Seite des Lagers stand ein Arzt, dem chirurgischen Bestecke nach zu urtheilen, das er eben zusammenwickelte, und am Fuße des Bettes lehnte Pauline, die indessen beim Eintritte der jungen Leute das Zimmer verließ. Helmstedt war rasch bis zum Lager vorgegangen, warf einen Blick auf die Umgebungen und dann in das bleiche, unbewegliche Gesicht des Daliegenden.
»Ist er todt?« fragte er nach augenblicklicher Pause mit erschütternder Stimme.
»Das Leben scheint ihn schon seit länger als zwölf Stunden verlassen zu haben,« erwiderte der Doctor, »er hat augenscheinlich während der Nacht einen Blutsturz bekommen – wie lange er aber nachher noch gelebt, läßt sich nicht bestimmen; jedenfalls scheint er schon vorher eine Ahnung von seinem Ende gehabt zu haben, nach der Art von Testament zu schließen, welches sich hier in seinem Notizbuche findet.«
»Ja, er ist todt, der alte Kamerad!« sagte Morton und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Er hat ausgewandert und sein Kasten wird ihn nicht mehr drücken – möchten wir nur Alle so leicht aus dem Leben gehen, wie er es gethan.«
Helmstedt faßte die kalte Hand des Todten. »Aber um Gottes willen,« rief er, »ich
habe doch letzte Nacht ein langes Gespräch mit ihm gehabt und es war heute fast
Mittag,
»Sehen Sie ihn nur an, ob er nicht aussieht, als schliefe er in voller Harmlosigkeit,« sagte Morton; »so fand ihn Cäsar, als er heute Morgen ins Zimmer sah und ging zurück, um ihn nicht zu stören; so ließ sich dieser das zweite Mal, kurz vor Mittag, täuschen und erst als ich Nachmittags selbst mit heraufging, um nach dem alten Manne zu sehen, wurde das Blut auf dem Bette wahrgenommen und wir merkten, wie die Sachen standen. Ich schickte nach dem Doctor hin, um nichts zu verabsäumen; aber, wie er sagt, der Tod hat wahrscheinlich schon während der Nacht stattgefunden. – Da sind seine letzten Zeilen, die er für Sie aufgeschrieben hat,« fuhr Morton fort und reichte dem jungen Manne das Notizbuch vom Bette, »lesen Sie vorläufig – ich denke, der Coroner, nach dem ich aller Vorsicht wegen geschickt habe, muß in einer halben Stunde hier sein, und dann mögen Sie das Buch ganz an sich nehmen.«
Auf einem ausgerissenen Blatte standen mit sichern englischen Schriftzügen die nachfolgenden mit Bleistift geschriebenen Zeilen:
»Ich weiß nicht, ob mir nicht während der Nacht etwas Menschliches zustoßen kann, ich
habe schon den ganzen Abend Blutgeschmack im Munde und ein sonderbares Gefühl in der
Brust; sollte es sein, so bedauere ich es nicht, denn ich habe jetzt nicht mehr viel
in der Welt zu thun, und ich bitte nur Mr. Helmstedt, sich meiner Papiere anzunehmen,
welche sich in der Tasche dieses Buches befinden. Es sind die Depositenscheine meiner
Ersparnisse, welche nach meinem Tode meinem Schwestersohne gehören sollen. Alle die
hierfür nöthigen Nachweisungen sind auf dem ersten Blatte dieses Buches verzeichnet.
– Mr. Helmstedt bitte ich ferner, da ihm sein Stolz doch nicht erlauben würde, Etwas
von mir anzunehmen, den alten Isaac nicht ganz zu vergessen
Isaac Hirsch.«
Das Schriftstück war bis auf die Namensunterschrift mit fester Hand geschrieben und mußte zeitig in der Nacht angefertigt worden sein. – Helmstedt schloß das Buch, legte es unter die Hand des Todten und drückte diese leise.
»Lassen Sie uns jetzt gehen,« sagte Morton nach einer kurzen Stille. »'S ist noch etwas Anderes, was ich mit Ihnen ordnen möchte, Mr. Helmstedt; dem Todten mußte zuerst sein Recht werden, doch das Leben hat an Sie heute mehr Anspruch, als an irgend einem andern Tage. Kommen Sie mit hinunter.«
Er öffnete die Thür, ließ die Anwesenden hinausgehen und verschloß sie sodann. Der
Arzt verabschiedete sich, sobald sie die Halle erreicht hatten, Morton aber ging nach
dem Speisezimmer voraus, wo bereits das Abendessen aufgetragen war und Pauline
wartend stand. Sie streckte Helmstedts Frau die Hand entgegen und küßte sie
schweigend, als diese sich in ihre Arme warf; dann reichte sie dem jungen Manne die
Hand. »Sein Sie glücklich, August!« sagte sie in deutscher Sprache, daß diesem bei
dem ungewohnten Klange das Herz weich wurde, und ließ ihn eine Secunde in ein Auge
sehen, das lächeln wollte und doch vor Weh nicht zu können schien. Helmstedt drückte
ihre Hand in einem Gefühle, das ihm selbst nicht klar war; sie aber zog sie leise
»Einen Augenblick noch, Paully, ehe wir uns niedersetzen!« sagte Morton, »dann sind wir mit Allem fertig. Ich möchte heute gern noch einen Menschen glücklich machen, das ist Cäsar, der ganz verdreht thut, seit Sarah wieder, zurückgekommen ist – und ich glaube, so viel ich heute gesehen, wird ihn das Mädchen nicht wieder fortstoßen. Ist es nicht so, Mary?« rief er der bei Seite stehenden Schwarzen zu und diese ließ ein kicherndes: »ich glaube selbst, Sir!« hören. »Sarah ist jetzt euer Eigenthum, Kinder,« fuhr er fort, »und Ellen, die von Jugend auf an sie gewöhnt ist, wird sie schwer entbehren können, darum thut mir die Liebe, nehmt Cäsar zu euch und laßt die Beiden mit einander wirthschaften – betrachtet den schwarzen Burschen als eine kleine Gabe zu eurer Hochzeit, und wenn ihr meint, er sei zu viel fressendes Kapital für eure jetzigen. Verhältnisse, so vermiethet ihn an ihn selbst; er ist ein tüchtiger Zimmermann, der so viel verdienen kann, als er nur will. Wenn er euch auch eine ordentliche Miethe für sich zahlt, so wird er doch noch Geld genug zurücklegen können, um selbst ein kleines Vermögen zu sammeln, und Niemand wird glücklicher dabei sein, als er selber. Abgemacht, wie?«
»Ich kann doch nichts dagegen sagen, wenn heute noch Jemand glücklich gemacht werden soll?« erwiderte Helmstedt, seine Hand in die Mortons legend; »im Uebrigen aber unterwerfe ich mich Allem, was meine kleine Frau über Verhältnisse der Art beschließen wird; ich habe auch wol noch nicht die Spur von Kenntniß darin – und auch wol kein eigentliches Recht!«
»Das wird sich Alles später finden und ordnen. Heute Abend scheint Mistreß Helmstedt
noch nicht viel von dem eigenen Rechte wissen zu wollen!« lachte Morton und warf
einen Blick voll Laune auf die junge Frau, die still an
Eine halbe Stunde später geleitete Morton das junge Paar nach dem Hinterzimmer, in welchem Helmstedt am Morgen desselben Tages Ellen getroffen, und das vorläufig zur Wohnung für Beide eingerichtet worden war. Er schüttelte Helmstedt derb die Hand, küßte Ellen auf die Stirn – und die Thür schloß sich hinter Beiden, – Morton ging nach einem der hintern Flügel des Hauses, wo sich die Küche befand, aus welcher sich dann und wann das eigenthümliche Lachen fröhlicher Schwarzen hören ließ. –
Pauline hatte, schon als sich das Abendessen seinem Ende zuneigte, still das Speisezimmer verlassen und im Dunkeln ihr Schlafzimmer gesucht. Da kniete sie vor ihrem Bette nieder und drückte den Kopf in die Kissen. Lange blieb sie so und nur ein zeitweiliges Zusammenzucken ihres ganzen Körpers ließ auf den Zustand ihres Innern schließen. Als sie sich endlich erhob, verrieth nichts als noch ein unwillkürliches Schluchzen die überwundene Aufregung. Sie tauchte ein Tuch in das Wasser auf dem Waschtische und preßte es gegen die Augen; dann ging sie ruhig nach dem Parlor, um dort Mortons Rückkehr abzuwarten.
Schluß des Pedlar.