Mit dem an der Spitze dieses Buches stehenden lateinischen Spruche des seligen,
nunmehr längst vergessenen Egesippus führe ich die Leser in das Buch und mit dem
Buche in mein altes, fern von hier stehendes Vaterhaus ein. Der Spruch spielte einmal
eine Rolle in einer meiner Auszeichnungen in der Schule, und schon deshalb hatte ich
ihn mir für alle meine Zukunft gemerkt; allein er fiel mir nachher immer wieder ein,
wenn ich so in den Räumen meines Vaterhauses herum ging; denn das Haus stak voll von
verschiedenen Dingen unserer Vorfahren, und ich empfand wirklich, in den Dingen herum
gehend, die seltsamliche Freude und das Vergnügen, von denen Egesippus in seinem
Spruche sagt. Dieses Vergnügen haftete aber nicht etwa bloß in dem Geiste des Kindes,
sondern es wuchs mit mir auf, der ich noch immer alte Sachen gerne um mich habe und
liebe. Ja ich denke oft jetzt schon, da ich selber alt zu werden beginne, mit einer
Gattung Vorfreude auf jene Zeit hinab, in der mein Enkel oder Urenkel unter meinen
Spuren herum gehen wird, die ich jetzt mit so vieler Liebe gründe, als müßten sie für
die Ewigkeit dauern, und die dann doch, wenn sie an den Enkel geraten sind, erstorben
und aus der Zeit gekommen sein werden. Das hastige Bauen des Greises, die
Störrigkeit, auf seine Satzungen zu halten, und die Gierde, auf den Nachruhm zu
lauschen, sind doch nur der dunkle, ermattende Trieb des alten Herzens, das so
Diese Dinge empfindend erschien es mir nicht zwecklos, den Spruch des Egesippus an die Spitze eines Gedenkbuches zu stellen, das von meinem Urgroßvater und seiner Mappe handelt.
Ich will die Erzählung von ihm beginnen.
Mein Urgroßvater ist ein weitberühmter Doktor und Heilkünstler gewesen, sonst auch ein gar eulenspiegliger Herr und, wie sie sagen, in manchen Dingen ein Ketzer. Das alles ist er auf der hohen Schule zu Prag geworden, von wo er aber, da er kaum den neuen Doktorhut auf hatte, seinem eigenen Ausdrucke nach wie ein geschnellter Pfeil fortschießen mußte, um sein Heil in der Welt zu suchen. Die Ursache, warum er so schnell fort gemußt hatte, hat er, der Erzählung meines Großvaters zu Folge, nie dazu gesetzt. Welche sie auch gewesen ist, so hat sie ihn doch zu jener Zeit in die schöne Waldeinsamkeit seiner Heimat geführt, wo er sofort viele Meilen in der Runde kurierte. Vor wenigen Jahren erzählte von ihm noch manche verhallende Stimme des Tales, ja in meiner Knabenzeit kannte ich noch manchen verspäteten Greis, der ihn noch gekannt und mit seinen zwei großen Rappen herum fahren gesehen hatte.
Als er uralt und wohlhabend geworden war, ging er endlich auch den Weg von manchem
seiner einstigen Pflegebefohlenen, und hinterließ meinem Großvater Ersparnisse und
Hausrat. Das Ersparte ist zuerst fortgekommen, und zwar im Preußenkriege; der Hausrat
aber ist noch stehen geblieben. Von der Art und Weise des Doktors,
Aber seltsam, wenn ich recht weit zurück gehe, so ist es eigentlich Trödel, der gar
so tief wirkte, nicht Dinge, denen ich heute mein Augenmerk schenke. Da ist tief in
dem Nebel der Kindheit zurück eine schwarze Weste, die so wundersam war; ich höre
noch heute die Leute staunen und rufen, wie nun gar kein so unverwüstlicher Levantin
mehr gemacht werde, und wie man das Alte aufbewahren und achten soll – dann trieb
sich unter unsern Spielsachen eine dunkle, verwitterte Hutfeder herum, deren Rückgrat
geknickt war – aus den Spänen und Splittern der Holzlaube blickte einmal eine
geschundene Deichsel hervor – im Garten wucherte noch unausrottbar die
Angelikawurzel; daneben stand ein grauer Stamm, dessen zwei einzige grüne Äste noch
alljährlich schwarze Vogelkirschen trugen und im Herbste blutrote Blätter fallen
ließen; – dann waren zwei himmelblaue Wagenräder, die ich als Knabe einmal sauber
abzuwaschen strebte, weil sie von darauf geworfenen Pflügen und Eggen voll Kot
geworden waren; – dann bestand, weil man sagt, daß der Doktor ein vornehmes Fräulein
soll geheiratet haben, auf Diele und Scheune noch allerlei den jetzigen Bewohnern
unbekannter Kram, der wohl nicht aller von ihm herrühren mochte; aber wenn unter die
berechtigten Hausdinge etwas Wunderliches geriet, das niemand erklügeln konnte, sagte
man immer: »Das ist
Es mochte damals noch viel mehr Altertümliches gegeben haben, wenn wir Kinder den Schauer vor so manchem unrichtigen Winkel hätten überwinden können der noch bestand, und wohin sich seit Ewigkeit her der Schutt geflüchtet hatte. Da war zum Beispiele ein hölzerner, dunkler Gang zwischen Schüttboden und Dach, in dem eine Menge urältester Sachen lag; aber schon einige Schritte tief in ihm stand auf einem großen Untersatze eine goldglänzende heilige Margaretha, die allemal einen so drohenden Schein gab, so oft wir hinein sahen; dann waren die unentdeckten allerhintersten Räume der Wagenlaube, wo sich verworrene Stangen sträubten, alternde Strohbünde bauschten, noch bekannte Federn längst getöteter Hühner staken, tellergroße schwarze Augen aus den Naben alter Räder glotzten, und daneben im Stroh manch tieferes Loch gor, so schwarz wie ein Doktorhut. Ja die Scheu steigerte sich, da einmal der Knecht gesagt hatte, daß man durch die Sachen hindurch in die Haberstelle der Scheune kriechen könne, was wohl bestaunt, aber nicht gewagt wurde.
In der Finsternis der Truhe bewahrte auch lieb Mütterlein manche Kostbarkeiten auf,
die keinen andern Zweck hatten, als daß sie immer liegen blieben, und die wir
gelegentlich zu sehen bekamen, wenn sie einmal etwas Seltenes suchen ging und wir die
Köpfe mit in die Truhe steckten. Da war eine Schnur angefaßter rasselnder, silberner
Gupfknöpfe, ein Bündel Schnallen, langstielige Löffel, eine große silberne Schale,
von der sie sagten, daß der Doktor das Blut der vornehmen Leute in dieselbe gelassen
habe, – dann waren zwei hornerne Adlerschnäbel, einige Bündel von Goldborden, und
anderes, was in der Dunkelheit so geheimnisvoll leuchtete, und worin wir nie
Früher mochten noch mehrere Gedenksachen allgemach den Weg der Zerstörung und Vergessenheit gegangen sein. Ich denke noch klar eines Wintermorgens, an dem man daran ging, das Ungeheuer eines weichen Schreines mit Äxten zu zerschlagen, das seit Kindesdenken prangend mit dem eingelegten Worte ›Zehrgaden‹ wie ein Schloß neben der Küche gestanden war, und ich weiß noch heute recht gut, wie ich damals als winziges Kind einen beinahe bitteren Schmerz empfand, als der wunderbare kaffeebraune Berg vor mir in lauter schnöde Späne zerfiel, im Innern zu höchster Überraschung so gewöhnlich weiß wie die Tannenscheite im Hofe. Lange nachher hatte ich immer ein Gefühl verletzter Ehrfurcht, so oft ich die große lichte Stelle an der Mauer sah, wo er gestanden war.
Und wie vieles mochte in der vordenklichen Zeit verloren sein. Wie oft, wenn wir Wallfahrer spielten und ein Fähnlein auf einem langen Stabe trugen, dazu wir einen Lappen aus dem Kehrichte gezogen hatten, mochte der Lappen aus einem schmeichelnden Kleide gewesen sein, das einst die Glieder eines lieben Weibes bedeckt hat. Oder wir saßen im Grase, streichelten mit den Fingern an den schillernden Fäden des hingesunkenen Fähnleins und sangen: »Margaretha, Margaretha«; denn die Mutter hatte uns oft von einer Margaretha erzählt, die eine schöne, weiche Frau unserer Vorfahren gewesen sein soll. – Wir sangen: »Margaretha, Margaretha«, bis wir selber eine Art Furcht vor dem Lappen hatten.
Wie der Mensch doch selber arbeitet, daß das vor ihm Gewesene versinke, und wie er
wieder mit seltsamer Liebe am Versinkenden hängt, das nichts anderes ist, als der
Wegwurf vergangener Jahre. Es ist dies die Dichtung
Es ist etwas Rührendes in diesen stummen, unklaren Erzählern der unbekannten
Geschichte eines solchen Hauses. Welches Wehe und welche Freude liegt doch in dieser
ungelesenen Geschichte begraben, und bleibt begraben. Das blondgelockte Kind und die
neugeborne Fliege, die daneben im Sonnengolde spielt, sind die letzten Glieder einer
langen unbekannten Kette, aber auch die ersten einer vielleicht noch längern, noch
unbekannteren; und doch ist diese Reihe eine der Verwandtschaft und Liebe, und wie
einsam steht der einzelne mitten in dieser Reihe! Wenn ihm also ein blassend Bild,
eine Trümmer, ein Stäubchen von denen erzählt, die vor ihm gewesen, dann ist er um
viel weniger einsam. Und wie bedeutungslos ist diese Geschichte; sie geht nur zum
Großvater oder Urgroßvater Zurück, und erzählt oft nichts als Kindtaufen, Hochzeiten,
Begräbnisse, Versorgung der Nachkommen – aber welch ein unfaßbares Maß von Liebe und
Schmerz liegt in dieser Bedeutungslosigkeit! In der andern, großen
Da der Vater noch lebte, durfte von des Doktors Habschaften nichts verrückt werden, da er ihn hoch verehrte und fast ausschließlich immer in einem ledernen Handschriftenbuche desselben las, welches Buch aber später ganz abhanden gekommen war. In jener Zeit stand der alte Hausrat noch wie eine eherne Chronik umher; wir Kinder lebten uns hinein, wie in ein verjährtes Bilderbuch, dazu der Großvater die Auslegung wußte und erzählte, er, der der eigentlichste, lebendigste Lebensbeschreiber seines Vaters, des Doktors, war.
Wenn er manchen Abend zwischen diesen Denkmalen niedersaß und in dem Buche seiner
Jugend nachsann, dessen Zeichen bloß tiefe Stirnrunzeln und weiße Haupthaare waren,
und von den Taten und Abenteuern des Doktors erzählte, von seiner Furchtlosigkeit bei
Tag und Nacht, in Wald und auf Haiden, wenn er so zu seinen Kranken fuhr – wie er
Scherze und Schnurren trieb wie er Arzneigläser hatte, die rot und blau glänzten, wie
Karfunkel und Edelstein – wie er Macht hatte über die Dinge auf der Erde und in der
Luft – – und wenn nun das eine und andere Gerätstück, wie es ja noch leibhaftig vor
uns stand, anfing, in der Geschichte mit zu spielen, bald, weil es in einem
bedeutungsvollen Augenblicke in ihm krachte, oder plötzlich ein Glas den Platz
wechselte – bald, weil ein Schwerverwundeter darauf ächzte,
Ich dachte mir damals oft, wie denn ein so unsägliches Gewimmel von überirdischen
Dingen und ganz unerhörten
»Ja wohl,« pflegte die Großmutter zu sagen, wenn auf diese Dinge die Rede kam, »alles nimmt ab, der Vogel in der Luft und der Fisch im Wasser. Wenn sonst in den Losnächten oder Samstag abends aus den Pfingstgräben oder der Hammerau deutlich ein Weinen oder Rufen gehört wurde, so ist heute in den Gegenden alles stille und ausgestorben, selten, daß einem noch ein Irrlicht begegnet, oder der Wassermann am Ufer sitzt. Die Leute glauben auch heut zu Tage nicht mehr so fest wie sonst, obwohl die Alten, die dies erzählten, ebenfalls keine Toren waren, sondern furchtlose, aufgeklärte Männer. Wie gerne will die Jugend alles besser wissen, und kömmt doch mit den Jahren immer wieder auf die Reden der Alten, und gesteht es ein, daß sie darauf kömmt.«
So pflegte meine Großmutter zu sagen; ich aber hörte ihr mit begierig hingerichteten Augen zu und brauchte gar nicht auf ihre Worte zu kommen; denn ich glaubte ohnehin alles gerne und fest.
So war es in meiner Kindheit, und so flossen die Jahre dahin.
Die Jahre waren damals sehr, sehr lange, und es verging ungemein viele Zeit, ehe wir ein wenig größer geworden waren.
Da endlich ich als der Älteste ziemlich herangewachsen war, starb der Vater, und ich
mußte bald darauf in die Abtei in die Studien. Später kam ein Stiefvater und eine
neue Regierung in das Haus. Es wurden neue, schöne Geräte gemacht, und alle die alten
Dinge, die früher da
Mütterlein war ein altes Weib geworden, die neuen, schönen Geräte, die zu meiner
Studienzeit gekommen waren, waren jetzt auch alt und verschossen; keine Großeltern
gingen mehr im Hause herum, aber dafür spielten die kleinen Kinder der Schwester, die
selbst ein Kind gewesen,
Alles war so herrlich und prangend wie sonst, ja es war noch prachtvoller und
ernster, als ich es einst begreifen konnte. Nur das Haus war kleiner geworden, die
Fenster niedriger und die Stuben gedrückt. Alles, was sonst unendlich war, die
dunklen Gänge, die gähnenden Winkel, das war nun klar, und was darinnen lag, war
Wust. In der braunen Stube standen die alten Dinge in der Ordnung, wie ich sie
einstens hingestellt hatte, oder eigentlich, sie hingen kaum mehr an den Wänden
herum. Das einzige Schreibgerüste stand noch dicht und fest mit allen seinen
Zieratengeländern und Fröschen da, ein wahres Kunstwerk in uralter Eichenschnitzerei.
Die Mutter gab es mir auf meine Bitte gerne zum Hochzeitsgeschenke. All das andere
aber waren gewöhnliche Trümmer und Reste; die Fugen klafften, das Licht schien durch
sie, der Holzwurm hatte die Balken angebohrt, und der Staub rieselte heimlich in
seine Gänge. Als ich weiter durch das Haus wandelte, war hier eine Holztreppe
weggenommen, dort eine andere aufgestellt – ein Geländer war hier herabgebrochen,
dort eines befestiget worden – das Brunnenwasser rann in eine neue Kufe, die
Mütterlein, Gattin und Schwester saßen im Hofstübchen und verplauderten die Zeit,
weil draußen Straße und Garten in Wasser schwammen; ich, gleichsam aus einem alten
Zuge der Kindheit, der gerne das sanfte Pochen des Regens auf Schindeldächern hörte,
war fast bis auf den äußersten Boden emporgestiegen und geriet auch in den Gang
zwischen Schüttboden und Dach. Da stand noch die goldglänzende heilige Margaretha auf
demselben Platze, auf dem sie vor so vielen Jahren gestanden war. Eine Menge
weggeworfener Sachen lag, wie einst, um sie herum. Jetzt fürchtete ich den düsteren
Goldschein nicht mehr, sondern ich holte die Gestalt hervor, um sie zu betrachten. Es
war ein sehr altes, gut vergoldetes, hölzernes Standbild, halb lebensgroß, aber in
dem Laufe der Zeiten war es bereits vielfach abgerieben und zerschleift worden. Ich
dachte mir, daß es etwa von einer eingegangenen Feldkapelle unserer Besitzungen
herrühre, aus Zufall in den Gang gekommen und hier vergessen worden sei. Aber fast
sollte man glauben, daß es keinen Zufall gäbe. – Daß das Bildnis hier stand, daß es
heute regnete, daß ich herauf stieg und es wegnahm
Welch seltsame, sonderbare Dinge! Da waren ganz unnütze Blätter, dann andere, auf
denen nur ein paar Worte standen, oder ein Spruch – andere mit ausgestochenen Herzen
und gemalten Flammen – meine eigenen Schönschreibbücher, ein papierner Handspiegel,
von dem aber gerade das Spiegelglas herausgebrochen war – Rechnungen, Rezepte, ein
vergelbter Prozeß über eine Hutweide – dann unzählige Blätter mit längst verklungenen
Liedern, Briefe mit längst ausgebrannter Liebe, nur die schön gemalten Schäfer
standen noch am Rande und stellten sich dar – dann waren Schnitte für Kleider, die
jetzt niemand mehr trägt, Rollen Packpapiers, in das nichts mehr gewickelt wird –
auch unsere Kinderschulbücher
Als ich so diese Bücher heraus legte und der Blätter, auf denen viel hundertmal die Kinderhände geruht haben mochten, sorgsam schonte, daß sie mir nicht auseinander fielen, kam ich auch auf ein anderes Buch, das diesen gar nicht glich und von jemanden ganz andern herrühren mußte als von einem Kinde. Durch Zufall lag es hier unter den Büchern der Kinder, aber es war von einem Greise, der längstens gelebt hatte, und der längstens schon in die Ewigkeit gegangen war. Das Buch bestand aus Pergament, hatte die Höhe von vier an einander gelegten Schulbüchern und war eigentlich aus lauter ungebundenen Heften zusammen gelegt. Ich schlug sie auf, aber nichts war da als die Seitenzahlen, mit starken Ziffern und roter Tinte hingemerkt, das übrige war weißes Pergament, nur von außen mit dem gelben Rande des Alters umflossen. Im einzigen ersten Hefte war ungefähr die Dicke eines Daumens mit alter, breiter, verworrener Schrift besetzt, aber auch die Lesung dieser Worte war gleichsam verwehrt; denn immer je mehrere der so beschriebenen Blätterwaren an den Gegenrändern mit einem Messer durchstochen, durch den Schnitt war ein Seidenband gezogen und dann zusammen gesiegelt. Wohl fünfzehn solcher Einsieglungen zeigte der Anfang des Buches. Die letzte leere Seite trug die Zahl achthundertfünfzig, und auf der ersten stand der Titel: ›Calcaria Doctoris Augustini tom. II.‹
Mir war das Ding sehr seltsam und rätselhaft, ich nahm
Ohne nun die Einsamkeit des Bodens zu verlassen, da mich unten niemand vermißte und
gewiß alle in ihre Gespräche vertieft sein mochten, nahm ich das Buch vor, ich
reinigte es zuerst ein wenig von dem schändenden
Bevor ich in dem Buche las, wollte ich eher diese Dinge des Vaters anschauen, Blatt
nach Blatt ging durch meine Hände, da waren Lieder, ferner Bemerkungen und
Abhandlungen – auch ein Märchen war da – Erzählungen aus seinem Leben – Worte an uns
Kinder – ferner ein morsches, zerfallendes Kalenderblatt, darauf mit zerflossener,
entfärbter Tinte geschrieben stand: ›Heute mit Gottes Segen mein geliebter erster
Sohn geboren.‹ – – Ich las in vielem, und es deuchte mir, das Herz, dem ich zwanzig
Jahre nachgejagt hatte, sei gefunden: es ist das meines Vaters, der vor langem
gestorben war. Ich nahm
Ich konnte nun in dem Lederbuche nichts lesen – es klangen mir längst vergessene Worte in den Ohren, von denen mir die Mutter erzählt hat, daß er sie einstens gesagt: »Ich darf es dem Knaben nicht zeigen, wie sehr ich ihn liebe.« Ich ging in den Hof hinab und sah trotz des Regens, der niederströmte, auf jedes Brett, das er einst befestigt, auf jeden Pflock, den er einst eingeschlagen, und im Garten auf jedes Bäumchen, das er gesetzt oder sonst mit Vorliebe gehegt hatte. Die Kiste mit den Büchern des Doktors und mit den anderen Dingen hatte ich in mein Zimmer hinab bringen lassen.
Als ich wieder in die Wohnung zurück kam, saßen die Mutter und die Gattin noch immer in dem Hofstübchen beisammen und redeten. Die Mutter erzählte mir, wie so gut meine Gattin sei, daß sie nun schon so lange hier sitzen und von allem Erdenklichen geplaudert haben, und daß sie gar nicht geglaubt hätte, wie eine Stadtfrau gar so gut, lieb und einfach reden könne, als sei sie hier geboren und erzogen worden.
Spät am Abende, da sich die Wolken zerrissen hatten und, wie es gewöhnlich in unserer
Heimat ist, in dichten, weißen Ballen über den Wald hinaus zogen, als schon im Westen
hie und da die blassen, goldenen Inseln des heitern Himmels sichtbar wurden und
manche mit einem Sternchen besetzt waren, saßen wir wieder alle, auch der Stiefvater
und der Schwager, die am Morgen weggefahren und nun wieder gekommen waren, in der
Wohnstube an dem großen Tische beisammen, man zündete nach und nach die Lichter an,
und ich erzählte ihnen von meinem Funde. Kein Mensch in unserem Hause hatte von der
Truhe gewußt. Die Mutter entsann sich wohl, daß ein solches Ding, da wir noch kaum
geboren waren, immer
Während wir so sprachen, standen die winzig kleinen Kinder der Schwester herum, horchten zu, hielten die trotzigen Engelsköpfchen ganz stille, und manches von ihnen hatte ein altes Blatt aus der Truhe in der Hand, auf dem Blumen oder Altäre abgebildet waren, die einst ihre Ur-Ur-Großmutter in geheimer Wonne an das Herz gedrückt hatte, oder auf dem Verse standen, die von Schmerzen und Untaten sangen, über die hundert Jahre gegangen waren.
Das Lederbuch lag aufgeschlagen auf dem Tische, und bald das eine, bald das andere
von uns blätterte darinnen und sah neugierig nach. Aber keinem war es für den
Augenblick möglich, die Schrift zu entziffern, oder die Gedanken zu reimen, die
einzeln herausfielen. Es müsse des Doktors Leben darin sein, sagte die Mutter, denn
in manchen Abenden, wo der Vater darinnen gelesen, indes sie mit den Kindern und der
Hauswirtschaft zu tun gehabt, habe er ausgerufen: »Welch ein Mann!« Sie selber habe
das Buch nie zur Hand genommen, weil sie doch zum Lesen nie Zeit gehabt und ihr die
Kinder mehr Arbeit
Sehr spät gingen wir in jener Nacht schlafen, jedes seine Kammer suchend, und ich die schweren Pergamentbücher des Doktors im Arme tragend.
Des andern und die folgenden Morgen saß ich nun manche Stunde in der braunen Stube, und las und grübelte in dem alten Buche, wie einst der Vater. Was ich da gelesen hatte und zusammenstellen konnte, erzählte ich gerne abends im Kreise unserer Angehörigen, und sie wunderten sich, daß bisher alles so gewöhnlich sei wie in dem andern Leben der Menschen. Wir dachten uns hinein, so daß wir schon immer auf den nächsten Abend neugierig waren, was da wieder geschehen sein werde.
Aber wie alles im menschlichen Dasein vergeht, und dieses selber dahinflieht, ohne
daß wir es ahnen, so vergingen
Wir saßen stumm in dem Wagen, und Zoll um Zoll drehten sich die Räder in dem morgenfeuchten Staube der Straße. Berge und Hügel legten sich nach und nach hinter uns, und wenn wir umblickten, sahen wir nichts mehr, als den immer blauern, dämmernderen zurückschreitenden Wald, der so viele Tage mit seiner lieblichen Färbung auf unsere Fenster und auf uns selber niedergeblickt hatte.
Die Gattin redete nichts, ich aber dachte im Herzen: jetzt wird jeder, der da kömmt, an dem Hause ändern und bauen, und wenn ich einmal in meinem Alter wieder komme, wird vielleicht ein neues, prunkendes Ding da sein; ich werde als zitternder Greis davor stehen, und die erblödenden Augen anstrengen, um alles zu begreifen.
So stehe es auf dem ersten Blatte dieses Buches, wie ich es getreu erfüllen werde:
›Vor Gott und meiner Seele verspreche ich hier einsam und allein, daß ich nicht falsch sein will in diesen Schriften, und Dinge machen, die nicht sind, sondern daß ich es lauter schöpfe, wie es gewesen ist, oder wie es mir mein Sinn, wenn er irrig war, gezeigt hat. Wenn ein Hauptstück zusammengekommen, dann schneide ich mit einem feinen Messer einen Spalt in die Pergamentblätter, oben und unten, und ziehe ich ein blaues oder rotes Seidenbändlein durch, mit selbem die Schrift zu sperren, und siegle ich die Enden zusammen. Wenn aber von dem Tage an drei ganze Jahre vergangen sind, dann darf ich das Bändlein wieder abschneiden und die Worte wie Sparpfennige lesen. Verstanden, daß es nicht allezeit meine Schuldigkeit ist, etwas hineinzuschreiben, aber daß es allezeit meine Schuldigkeit ist, das Eingetragene drei Jahre aufzubewahren. So wird es sein bis zu meinem Ende, und gebe mir Gott einen reumütigen Tod und eine gnädige Auferstehung.‹
Zum Bemerken. Es ist eine fast traurige und sündhafte Begebenheit, die mir das Gelöbnis und Pergamentbuch eingegeben hat; aber die traurige Begebenheit wird in Heil ausgehen, wie schon das Pergamentbuch der Anfang des Heiles sein muß.
Man sagt, daß der Wagen der Welt auf goldenen Rädern einhergeht. Wenn dadurch
Menschen zerdrückt werden, so sagen wir, das sei ein Unglück; aber Gott schaut
gelassen zu, er bleibt in seinen Mantel gehüllt und hebt deinen Leib nicht weg, weil
du es zuletzt selbst bist, der ihn hingelegt hat; denn er zeigte dir vom Anfange her
die Räder, und du achtetest sie nicht. Deswegen zerlegt auch der Tod das Kunstwerk
des Lebens, weil alles nur
Noch trag ich ein, was ich so bitter überlegt habe: Weil es von heute an gewiß ist, daß ich mir kein Weib antrauen werde und keine Kinder haben werde, so dachte ich, da sie mir das gebundene Buch brachten, wie ich es angeordnet, und da ich die vielen Seiten mit roter Tinte einnumeriert hatte, wer wird es denn nun finden, wenn ich gestorben bin? wie werden die irdischen Dinge gegangen sein, wenn einer die Schere nimmt, das Seidenbändlein abzuschneiden, das ich nicht mehr gekonnt, weil ich eher fortgemußt? Es ist ein ungewisses Ding, ob damals viele Jahre vergangen sind, oder ob schon morgen einer die Blätter auf dem Markte herumträgt, die ich heute so liebe und für so viele Zukunft heimlich in die Lade tue.
Wer weiß es, und wer kann es wissen – ich aber werde sie doch hineintun.
Deine Vorsicht, Herr, erfülle sich, sie mag sein, wie sie will. Verzeihe nur die Sünde, die ich begehen gewollt, und gebe mir in Zukunft die Gnade, daß ich weiser und stärker bin, als ich vordem töricht und schwach gewesen.
Eingeschrieben zu Thal ob Pirling am Medarditage, das ist, am achten des Brachmonats Anno 1739.
Morgen der Obrist.
Ich saß nämlich vor drei Tagen bei einem Weibe, das noch jung und unvermählt ist, und
redete viele Stunden
Aber ich hörte sie nicht.
Das Himmelblau rückte immer tiefer in die Wipfel. Von
Die Grille zirpte nicht.
Aber der Obrist war mir nachgelaufen, als er mich hatte in den Wald herauf gehen gesehen, und griff mir jetzt, den ich gar nicht herzutreten gehört hatte, ganz leise an die Schulter. Ich erschrak sehr, sprang um den Baum herum und schaute zurück. Da sah ich den alten Mann stehen, mit den weißen Haaren auf seinem Kinne und Scheitel.
Er redete zuerst und sagte »Warum erschreckt Ihr denn so sehr?«
Ich aber antwortete: »Ich erschrecke nicht, und was wollt Ihr denn von mir, Obrist?«
Er wußte anfangs nicht, was er sagen sollte – aber dann fing er langsam an und erwiderte: »Nun – – ich habe Euch heraufgehen gesehen, und da meinte ich, daß ich Euch auch nachgehen könnte, weil Ihr diese Stelle ganz besonders zu lieben scheint, – und daß wir da vielleicht mit einander redeten – – ich hätte Euch etwas zu sagen – – aber wenn Ihr wollt, so können wir es auf ein andermal lassen.«
»Nein, nein, redet gleich«, sagte ich, »redet, so lange Ihr wollt, ich will Euch geduldig anhören und nicht zornig werden. Aber wenn Ihr geendet habt, dann müßt Ihr mich lassen, weil ich dahier noch ein Geschäft habe.«
»O nein, Doktor,« antwortete er, »ich will Euch nicht stören, wenn Ihr ein Geschäft
habt – mein Ding kann warten – – ich habe nur gemeint, wenn es sich so zufällig
ergäbe – – ich lasse Euch schon. – Es tut nichts; weil ich einmal da bin, so kann ich
gleich in den Reutbühl hinübergehen; der Knecht sagt ohnedem, daß sie mir Holz
Diese oder ähnliche Worte hat er gesagt; denn ich habe sie mir nicht genau merken können. – Dann zauderte er noch ein wenig – dann tat er aber höflich sein Barett ab, wie er es gewohnt ist, und ging davon. Er scheint auf keine Antwort gewartet zu haben, und ich habe auch keine geben gewollt. Ich schaute ihm nach und sah, wie er immer weiter hinter die Baumstämme zurückkam, bis es wieder war, als wenn gar niemand da gewesen wäre.
Ich wartete noch ein wenig, dann nahm ich das Tuch aus meinem Busen und warf es mit Ingrimm weit von mir weg in die Büsche. –
Dann aber blieb ich noch auf der Stelle stehen, und getraute mir nicht, aus dem Walde
zu gehen. Ich schaute die Dinge an und bemerkte, daß es schon unterdessen
Ich blieb noch recht lange in dem Walde.
Es war endlich die Zeit des Abendgebetes gekommen, und manche Tannenäste wurden rot. – Siehe, da klang auf einmal hell und klar, wie ein Glöcklein, die Stimme der Grille und klopfte mit einem silbernen Stäblein an mein Herz – gleichsam mit einem feinen, silbernen Stäblein klopfte das mißachtete Tier an mein Herz, als sagte es mir deutliche menschliche Worte. Beinahe hätte ich mich gefürchtet.
Und wie ich dann von der Stätte fortging, klang auch das Abendlied der Ammer, es klang so dünne und dicht neben mir, als flöge das Vöglein heimlich mit und zöge ein zitternd Goldfädlein von Zweig zu Zweig. – Und wie ich weiter gegen die Felder hinauskam, lichtete und lohete der Wald immer mehr und mehr – die Augen des Himmels sahen herein, und die dünnen Stämme waren wie feurige Stäbe. Und wie ich nun gänzlich hinauskam, lag die ruhige Saat des Kornes da, welche der Obrist angeschaut hatte – weithin lag sie dunkelgrün und kühl da, nur die Spitzen waren ganz ein wenig rot gestreift von dem Widerscheine des Himmels. Die Wiesen droben waren schon dunkel und wie mit grauem Reife bedeckt, und hinter dem Walde draußen war die Sonne untergegangen.
Als ich zu Tal gekommen und an mein Haus getreten war, führte der Knecht meine zwei schwarzen Pferde aus der Schwemme heim, und grüßte mich; ich aber ging in die Stube, wo die Bücher sind, und aß des Abends keinen Bissen mehr.
Des andern Tages war ein Sonntag, es war der vorgestrige Tag, und ich fuhr um fünf
Uhr früh zu dem Erlebauer
Da sendete ich noch in der Nacht zu dem Obrist und ließ ihm melden, daß ich morgen kommen würde, wenn es ihm genehm wäre. Ich wolle zuerst die Kranken versorgen, und dann würde ich hinauf gehen, wenn er zu Hause sei, das ist gegen zehn Uhr, oder um weniges später. Er solle mir zurücksagen lassen, wenn er da nicht könne und es anders wolle. Aber der Obrist vermeldete mir durch meinen Knecht, daß er mit vieler Freude auf mich warten werde, und daß ich keinen Kranken übereilen solle. Er werde den ganzen Tag in seinem Hause oder in seinem Garten herum sein, daß ich ihn leicht finde.
Dann legte ich mich nieder und gab vorher dem Knechte noch, in Anbetracht, daß heute Sonntag war und er den Gang getan hatte, ein Glas Wein. – Ach Gott – der Keller war schon fertig, und ich wollte ein großes Haus darauf bauen – und ich weiß nun nicht, für wen ich es baue. Ein recht großes, schönes Haus wollte ich bauen, weil mich Gott so gesegnet hat, und weil mein Vater doch nur ein Kleinhäusler gewesen ist, mit einer Hütte und Steinen darauf, wie sie noch überall auf den Waldhöhen herum stehen. Nur der Obrist ist gekommen und hat: ein Haus mit steinernen Mauern gebaut, das nun als Vorbild weithin gegen die Fichten leuchtet. Dann las ich noch bis Mitternacht in Hochheimbs Buche.
Am andern Morgen, da ich schon lange nicht mehr schlafen konnte, stand ich sehr früh
auf, und fuhr, als noch der Tau lag, durch den Wald an dem Bache hinunter, daß ich
meine Kranken besuche. Das Wasser rollte kühl über
Als wir in seiner Stube angelangt waren, sah ich, daß er seine grünseidenen Vorhänge
über die Fenster herabgelassen hatte, wodurch eine unliebe Totendämmerung um alle
Dinge floß. Er schritt gegen die Fenster, zog die Vorhänge empor, ließ sie dann
wieder nieder, und zog sie doch endlich empor. Sodann nahm er mir die Handschuhe und
das Barett, legte beides auf sein Bette, und stand dann da, und hatte die weißen
Haare so genau und reinlich
Endlich nahm er das Wort und sagte: »Das ist ein schöner Tag, Herr Doktor.«
»Ja, ein sehr schöner«, antwortete ich.
»Ist die alte Sara schon besser, und was macht der Erlebauer?«
»Die Sara ist ja schon seit drei Wochen nicht mehr krank, und der Erlebauer wird auch schon besser.«
»Das ist gut; es wäre schade um den Mann gewesen, er ist sehr tätig und hat fünf lebende Kinder.«
»Gestern hat er die Krisis überstanden, und die nützliche Luft wird ihn bald heilen.«
»Habt Ihr noch viele Kranke?« »Nicht sehr viele.«
»Der Meilhauer hat ja auch einen Fuß gebrochen.«
»Freilich, weil er sich nicht wahrt; eine Buche hat ihn gestreift.«
»Im Thaugrunde wars?« »Im Thaugrunde.«
»Ihr kommt ja jetzt öfter in den Haslung hinunter, ist es wahr, daß sie das Gehäng reuten?«
»Lauter Felder, seit sie sich los gekauft haben.«
»Und in den drübigen Hofmarken mähen sie schon Heu?« »Es ist kein Halm mehr auf den Wiesen.«
»Das ist ein gesegnetes, schönes Jahr. Wenn uns der Herr noch weiter hinaus behütet und das Verheißene gut einbringen läßt, dann kann sich mancher helfen. – Wollt Ihr Euch denn nicht ein wenig auf das Sitzbette niederlassen, Doktor?«
Nach diesen Worten nötigte er mich auf das Sitzbette, das er vor dem Tische hat, und
setzte sich zu mir. Nachdem er die Falten an dem Teppiche gleich gestrichen und die
Brosamen herabgestreift hatte, sagte er plötzlich: »Das ist recht schön, Doktor, daß
Ihr gekommen seid, und
»Nein, Obrist«, antwortete ich; »nein, ich weiß es schon, daß Ihr mir nichts getan habt. Ihr seid ja ein freundlicher Mann gegen jedes Geschöpf. Ihr habt allen Leuten im Walde herum wohl getan, und wenn einer undankbar war, so seid Ihr hingegangen und habt ihm eine neue Güte erwiesen. Wie sollte ich Euch zürnen? nein, eher muß ich Euch jetzt sagen, was ich noch nie gesagt habe: Ihr seid der beste und sanfteste Mensch, den ich auf der Welt kennen gelernt habe.«
»Bin ich das,« erwiderte er, »so macht mir die Freude, Doktor, und tut Euch kein Leid an.«
Mir rollten die Tränen hervor, und ich sagte, daß ich es nun nicht mehr tun wolle.
»Ich bin vorgestern,« sagte er, »mit großer Angst durch den Reutbühl gegangen; denn
der Mensch vermag hierin nichts zu ändern, und ich ließ Euch in Gottes Hand zurück.
Als die Sonne untergegangen war, stand ich an dem Fenster und betete – und da sah ich
Eure Gestalt am Saume des Kornes nach Hause gehen, wie manches Mal an andern Tagen,
wenn Ihr mit einem Buche unter den Birken gewesen seid – und es kam eine recht
ruhige, freundliche Nacht in mein Haus. – Seht, da ich damals von Euch fort gegangen
war, bin ich im Reutbühl auch an unsere Föhrenpflanzung gekommen, die Ihr im vorigen
Frühlinge mit mir angelegt habt, und habe gesehen, daß kaum ein einziges Pflänzchen
ausgegangen ist; manche sind schon sehr hoch und ballen mit ihren Wurzeln das
Steingerölle. – Am andern Tage bin ich von der Stube in den Stall gegangen, von dem
Stalle in den Garten, und von da wieder herein – und habe über die kleinen
Felderhügel geschaut, und über die Spitzen der Wälder, in denen Ihr vielleicht fahren
werdet oder sonst etwas tun. Da kam in der Nacht Euer Knecht und brachte mir große
Ich konnte den Mann nicht anschauen, und sagte, weil ich schon so viel eingestanden hatte, daß ich so zerdrückt sei und die Tage her keinem Menschen, nicht dem Knechte, nicht der Magd und keinem Tagelöhner in die Augen sehen könne.
»Das ist unrecht,« antwortete er, »und es wird sich ändern. Tut ihnen Gutes, seid ein rechter Arzt, und Ihr werdet wieder ihres Gleichen. Auch wissen sie ja nichts.« »Aber ich weiß es.«
»Ihr werdet es vergessen.«
»Und mit einer solchen Schwermut fahre ich an den Fichten und Tannen vorüber, daß an meinen Augen stets das Weinen ist. Ich bin gleich recht gerne zu meinen Kranken gegangen, auch zu denen, die schon besser sind, auch zu dem alten Keum bin ich gegangen, der sterben muß, weil er das Zehrfieber hat, und habe ihn ein wenig getröstet.«
»Das ist immer so,« antwortete der Obrist, »daß aus dem harten Steine Zorn der weiche Funken Wehmut kömmt. So fängt Gott die Heilung an.«
»Schont mich vor der Welt, Obrist.«
»Redet nicht so. Nur der Herr im Himmel und ich haben es gesehen, und beide schweigen. Lasset nun die Zeit fließen, und es werden Hüllen nach Hüllen darauf kommen. Die Seele hat einen Schreck erhalten, und wird sich ermannen. Es ist nun alles gut, lassen wir es gehen, und reden von andern Dingen. – Sagt mir, Doktor, habt Ihr denn den Thomas abgedankt, daß gestern ein anderer Knecht zu mir gekommen ist?«
»Nein, aber er ist jetzt bloß bei den Pferden. Den andern habe ich zu den Geschäften im Hause und zum Botengehen genommen. Er ist der Sohn des Inbuchsbauer.«
»Nur noch zwei Mägde.«
»So habt Ihr das Bauen einstweils eingestellt?«
»Nein, ich habe es für das heurige Frühjahr nur noch nicht begonnen. Wir waren erst ein wenig an dem großen Brunnen, aber seit der Bernsteiner im Steinbühel den Keller gräbt, habe ich ihm alle meine Leute hinüber gehen lassen. Er will bis zu dem Schützenfeste fertig sein.«
»Ich war schon lange nicht in Pirling, und wußte nicht, daß er graben läßt. Im Steinbühel muß er wohl stark in die Felsen sprengen.«
»Sie schießen ja schon drei Wochen, und alle Leute, die ich sonst hatte, sind dabei beschäftiget.«
»Ich möchte auch manches in meinem Hause ändern, und wenn der Grunner zu empfehlen ist, so müßt Ihr ihn mir einmal herauf schicken. Mit dem ganzen Hinterecke möchte ich gegen den Eichenhag hinaus fahren, auch möchte ich eine neue Stiege und einen neuen Kellereingang machen lassen.«
»Meinen Brunnen wenigstens hat der Grunner vortrefflich herausgebaut.«
»O Doktor, Ihr habt eine schöne Lage in der Biegung des Tales; Ihr seid noch jung, und wenn Ihr Euch bestrebet, so kann es ein schönes Besitztum werden, das seinen Herrn und seine Frau erfreut, wenn einmal eine einzieht. Meine Tage sind schon wenige, ich gehe dem Grabe entgegen, und wenn Margarita einmal fortzieht, wer weiß, in welche Hände dies Gebäude kommt, das ich so eifrig aufgeführt habe. – – Lieber Doktor, ich möchte noch recht gerne von etwas Längerem und Ausführlicherem mit Euch reden.«
»So redet.«
»Ihr werdet jetzt vielleicht seltener zu mir kommen, und
»Ich muß nur abends noch zur Haidelis hinaus, und vor dem Schlafengehen noch den Erlebauer sehen, sonst habe ich heute nichts mehr zu tun. Sprecht also nur, Obrist, wie Ihr es für gut haltet, und fragt dann und bittet, was Ihr wollt.«
»Wißt Ihr noch, ich habe vorgestern im Birkenstande zu Euch gesagt, daß ich etwas mit Euch zu reden hätte – das war aber damals unwahr; sondern da ich Euch von hier forteilen, nach Hause gehen und dann über den Zaun und die Wiesen gegen den Wald schreiten sah, ahnte mir Böses; ich lief Euch nach, um ein Unglück zu verhüten; aber da Ihr mich ober von dem Platze fortdrängtet, wußte ich mir nicht zu helfen und sagte nur die Worte – allein seitdem habe ich es mir so ausgebildet, daß ich mit Euch von meiner Vergangenheit reden möchte, die gewesen ist, ehe ich in dieses Tal gekommen bin. Nehmet es nur nicht übel, daß ich alt bin, und etwa weitschweifig in meinen Worten.«
»Nein, Obrist«, sagte ich; »sind wir nicht manchen Abend in dem Walde gegangen, und habe ich nicht gezeigt, daß mir Eure Worte lieb und angenehm waren?«
»Ja, das ist wahr, das habt Ihr getan; darum mag ich auch jetzt gerne zu Euch reden.
Ihr habt mich vor einer Weile den sanftesten Menschen geheißen, den Ihr auf Erden
gekannt habt – ich muß Euch bekennen, daß es mir wohl tat, daß Ihr das gesagt habt.
Ihr seid der zweite Mensch auf dieser Erde, der es sagte; der erste hat vor vielen
Jahren gelebt, und ich werde Euch später
»Meint Ihr den berüchtigten Casimir Uhldom?«
»Dieser berüchtigte Casimir Uhldom bin ich.«
»Ihr?«
»Ja, ich. Spieler, Raufer, Verschwender – und jetzt das, was Ihr seit einigen Jahren kennt.«
»Nein, das ist nicht möglich – als ich noch auf der Schule war, gingen zwar unbestimmte, aber unheimliche Gerüchte von dem Grafen.«
»Sie sind vielleicht wahr; ich bin nicht gut gewesen. Manches war ich im besseren
Sinne, als es die Leute wußten, das Schlimme kannten sie zu genau, manch Gutes, wie
ein Schlimmes, und das Beste gar nicht – und das bin ich fast durch Kummer geworden.
Höret mich ein wenig an: Als mein Vater starb, war ich sechzehn Jahre alt, mein
Bruder zwanzig. Die ganze Zeit war er immer der bessere gewesen, ich der schlimmere.
Als nun die Leute beisammen waren und das Testament geöffnet wurde, war er auch der
Erbe, ich enterbt. Ich habe damals noch nicht gewußt, ob er gefehlt habe oder nicht;
aber ich hieß ihn einen Schurken, und nahm mir vor, in die weite Welt zu gehen. Es
erschien mir dazumal ein leichtes, Befehlshaber zu werden und ein großer
Feldhauptmann, wie der Waldstein und die andern im Dreißigjährigen Kriege. Ich ging
mit dem wenigen Gelde, das von Rechts wegen mein gehörte, vom Hause fort und bot dem
Brandenburger meine Dienste an, ich bot sie dem Churfürsten von Baiern an, und dem
Pfalzgrafen, aber es war überall nichts; sie wollten mich entweder in das Volk
stecken, oder in eine Soldatenschule tun, und beides litt ich nicht. Daher ging ich
weiter und eines Tages, als jede Welle des schönen Rheines im
Als der Obrist diese Worte gesagt hatte, stand er auf und suchte in den Laden seines Schreines. Er sammelte aus demselben mehrere Schriften, trat wieder zu mir und breitete sie auf dem Tische aus. Es waren richtig lauter Empfangsbriefe über verschiedene Summen und Stücke, welche der Graf Casimir Uhldom, Spieles wegen, der Armensache übergeben hatte, und welche durch die Namen der Väter bestätiget wurden, in deren Hände das Gut niedergelegt worden war. Als er mir mit dem Finger auf alles gewiesen hatte und der Punkt abgetan war, schob er die Papiere auf dem Tische zurück und sperrte sie nicht wieder ein.
Dann fuhr er fort: »Ich lud am Nachmittage den langen, blassen Mann zum Zweikampfe,
und sagte ihm keine Ursache; aber da ich ihn durch die Schulter gestochen hatte,
hielt ich ihm diese Schriften vor die brechenden Augen und schrie ihm zu, wer ich
sei. Ich hielt ihn damals für sterbend und war damit zufrieden. Aber er starb nicht,
ich lernte ihn viele Jahre darnach von neuem kennen, achtete ihn damals sehr hoch,
und ich glaube, er mich auch. Als ich von dem Kampfplatze fort ging, spießte ich eine
andere Schrift, die mir von dem Könige war zugeschickt worden und mir einen
schlechten Platz in dem Heere anwies, auf meinen Degen und
Nach diesen Worten hielt der Obrist eine Weile inne. Er stand auf und ging in den
Raum des Zimmers vor. Die Schriften, die noch immer auf dem Tische gelegen waren,
nahm er weg und sperrte sie wieder ein. Zuletzt ließ er noch die grünen
Fenstervorhänge herab, die er früher aufgezogen hatte. Ich glaubte, daß er es darum
tue, weil doch die Sonne zu uns herüber zu rücken schien. Dann setzte er sich wieder
zu mir und sagte: »Ich will Euch nun auch das Ende von meinem Lebenslaufe erzählen.
Die Jahre sind wieder vergangen, aber immer eines schneller als das andere, und ich
bin nach und nach Obrist geworden. Da ich wieder verwundet wurde, erhielt ich einen
Ruhegehalt und durfte hingehen, wo ich wollte. Ich habe einmal auf meinen Kriegszügen
ein schönes Tal gesehen, das zwischen hohen Bergen lag; in dieses schaffte ich meinen
Körper und meine Habe, um an dem Orte zu verbleiben. Ich fing dort an, die Bücher zu
sammeln, die jetzt da sind, und die Gemälde, deren Art ich in den Niederlanden kennen
und lieb gewinnen gelernt hatte. Manches ist teuer gekommen, Ihr würdet es kaum
denken, und es reute mich schon oft, daß ich auf meine Freude so viel verwende, das
nach meinem Tode andern zu Gute kommen sollte; – aber sei es nun, wie es sei. – In
dem Tale bekamen meine Päckchen
Hier setzte der Obrist wieder aus, dann fuhr er fort: »Ich habe früher von einem
Menschen geredet, der der erste war, der gesagt hat, daß ich ein gutes Herz habe, wie
Ihr heute der zweite, und ich habe versprochen, daß ich Euch von ihm erzählen werde,
damit Ihr seht, wie sehr es mich von beiden freute. Der Mensch hat mit mir in dem
Tale gelebt, es war ein Weib – mein eignes Weib ist es gewesen – und von ihm möchte
ich Euch noch etwas sagen, wenn Ihr nämlich nicht müde werdet, mich anzuhören. Ich
weiß es nicht, war sie besser oder schlechter als tausend andere ihres Geschlechtes –
ich habe die andern zu wenig gekannt – aber einen Vorzug hatte sie vor allen, die da
leben, und dieser war, daß ich sie sehr geliebt habe. Oft war es mir, als sei ihr
Leib meiner, als sei ihr Herz und ihr Blut das meinige und als sei sie mir statt
aller Wesen in der Welt. Ich hatte sie am Rheine kennen gelernt, wo sie von
Verwandten hart gehalten wurde. Da ich eingerichtet war, holte ich sie herüber. Sie
hatte mich nicht geliebt, aber sie war mit gegangen. Da sie am Vermählungstage unter
ihren Angehörigen als verzagende Braut stand, sah sie nach meinen Augen, als wenn sie
darin Treuherzigkeit suchte. Ich habe sie in mein Haus geführt, und habe sie auf der
Schwelle desselben geküßt, was sie nicht erwiderte. Da ich sie in der Stube auf
meinem Stuhle sitzen sah, noch den Hut auf dem Haupte und die Oberkleider an: nahm
ich mir vor, daß ich sie ehren und schonen werde, wie es mein Herz vermag. Ich rührte
nun ihre Hand nicht an, ich ließ sie in dem Hause gehen, und lebte wie ein Bruder
neben ihr. Da sie allgemach sah, daß sie hier walten dürfe, daß sie
Hier hörte der Obrist zu reden auf, und schwieg eine Weile. Ich dachte anfangs, daß
er sich nur sammeln wolle, aber als ich genauer hin schaute, sah ich in der
Dämmerung, daß ihm schnelle Tränen, eine nach der andern, über den weißen Bart herab
träufelten, und daß
Hier hielt der Obrist wieder inne; dann aber fuhr er fort: »So ist es auch geschehen.
Wo der Bach seinen schmalen Ausgang hat, ließ ich sie aus dem Tale bringen, und kam
gegen Mittag in mein Haus. Der Ruf hatte das Unglück schon ausgebreitet. Mehrere
Menschen standen auf meiner Gasse, und gute Freunde wollten mich in einen Wagen tun
und fort führen, bis alles vorüber wäre. Ich aber meinte, daß dieses gegen die
eheliche Treue sei, und blieb bei ihr. Bloß da die Frauen kamen, sie zu waschen und
umzukleiden, ging ich an der Gesindestube vorbei zurück in das Stüblein gegen den
Garten, wo mein Kind war. Ich nahm das Mädchen bei der Hand, führte es durch den
hintern Gang auf die Gasse, tat es in den Wagen, den die Freunde herbei geschafft
hatten, und ließ es zu einer entfernten Bekannten führen, damit das Kind nicht sähe,
was hier geschieht, und sich einmal daran erinnere. Als sie mich riefen, ging ich
wieder hinvor in das Zimmer, wo die Menschen waren, und setzte mich nieder. Sie lag
in dem weißen Gewande, das sie sonst hatte, auf ihrem Bette, und der Schreiner legte
seinen schwarzen Zollstab zusammen, und ging hinaus. Gegen Abend kam der Sarg, der
sonderbarer Weise in dem rechten Maße schon fertig gewesen war, und man legte sie
hinein, wo sie lang und schmal ruhen blieb. Als nach und nach die Neugierigen und die
andern fort gegangen waren und ich fast allein blieb, ging ich hin, faltete ihr die
Hände anders, als es die Frauen getan hatten, und gab ihr ein Kreuz. Ich legte auch
noch von ihren Blumen, die noch da standen, etwas um das reine, unbewegliche Haupt.
Dann setzte ich mich nieder und blieb sitzen, wie Stund an Stund verging. Damals
dachte ich oft an das alte Volk
Der Obrist hörte mit diesen Worten zu reden auf, und blieb eine bedeutend lange Zeit neben mir sitzen und schwieg. Ich schwieg auch.
Endlich nahm er wieder das Wort und sagte: »Ich habe nichts als Margarita, sie gleicht ihrer verstorbenen Mutter im Angesichte und in der ganzen Art so sehr, wie man es kaum glauben sollte, – – Doktor, tut mir nicht weh in meinem Kinde.«
»Nein, Obrist, das tue ich nicht – – ich reiche Euch die Hand, daß ich es nicht tue.«
Bei diesen Worten reichte ich ihm meine Hand, er gab mir die seine auch, und wir schüttelten sie uns gegenseitig zum Zeichen des Bundes.
Dann blieben wir noch eine Weile sitzen, ohne zu sprechen.
»Seht, wir werden heute ein Gewitter bekommen,« sagte der Obrist, der an dem Fenster stehen geblieben war und hinaus schaute, »es geht ein dichter, dunstiger Himmel über den Kirmwald herüber, und am Rande des Reutbühls ziehn sich diese milchigen Streifen, was alle Mal ein Anzeichen von einem Gewitter ist.«
Ich stand auch auf und trat zu ihm. Die friedliche, schöne, in sanfte Gewitterschwüle gehüllte Gegend schaute zu uns herein und grüßte huldvoll an das Herz.
Wir standen und genossen der freien Luft, die bei dem Fenster herein strömte, das er nun auch geöffnet hatte.
Über eine Weile sagte er wieder: »Ich möchte Euch gerne zu Margarita führen – Ihr müsset mit einander reden redet gut mit einander, daß sich alles einfach löse. Ich habe Gewußt, daß es so sein wird, wie es jetzt ist. Ihr habt beide gefehlt. Margarita tat auch nicht recht, aber sie konnte nach ihrer Art nicht anders, so wie Ihr nicht anders konntet. Geht hinüber zu ihr, sucht sie nicht zu bewegen, tröstet sie eher – aber sprecht nur mit einander, ich meine, daß es gut ist. Nicht wahr, Doktor, Ihr tut das?«
Wir blieben nach dieser Rede beide noch eine Zeit lang stehen, ich hatte keine rechte Antwort und schwieg daher verlegen, er drang auch nicht in mich.
»Nun? soll ich Euch zu ihr führen?« fragte er endlich recht sanft.
»Ja«, sagte ich.
Und nach diesen Worten nahm er mich unter den Arm und führte mich hinaus. Wir gingen
über den Gang, und
»Wartet hier ein wenig,« sagte er, »ich werde hinein gehen und sie Euch senden. Vielleicht könnte sie nicht in der Lage sein, Euch zu empfangen. Wenn sie aber erscheint, werde ich selber nicht wieder heraus kommen, sondern mit dem Schlüssel das Bücherzimmer öffnen und durch dasselbe in meine Wohnung zurückkehren.«
Er ging durch die halbgeöffnete Tür in das anstoßende Zimmer, und wahrscheinlich auch in das fernere.
Ich blieb heraußen stehen, und es war sehr stille. Endlich, da ich eine Weile gewartet hatte, bewegte sich schwach der halbe, etwas offen stehende Türflügel – und sie trat heraus. Ihre Augen waren auf mich gewendet – –
– Morgen Margarita. –
Ehe ich weiter gehe und eintrage, was geschehen ist, will ich noch des Obrists gedenken und mir seine Seele vor die Augen halten – ich muß den Mann hoch ehren, und will es in diesem Buche nieder schreiben, wie er ist. Was der Obrist sagte und tat, habe ich bisher nicht nach meinem Gedächtnisse allein aufgeschrieben, sondern nach der Handschrift, die er mir gelassen, und die er über diese Dinge aus seinen versiegelten Päcken genommen hat, wie ich ihn ja selber in diesem meinem Buche nachzuahmen versuche. Was ich weiter sage und eintrage, weiß ich ja schon längst, aber es ist mir nie so klar und deutlich vor die Augen gekommen als an diesen Tagen. Wie gut er ist, nicht nur gegen mich, sondern auch gegen alle andern, wie einfach und schön er ist, zeigt sich ja viel deutlicher in dem, was er tut, als es mit allen andern Worten je gesagt werden könnte.
Die Sache breitete sich aber aus, und wenn jetzt ein Bube sich verleiten ließ, hinter dem Walde in die schöne Wiese mit einem Rinde hinein zu kommen, so stand er immer so, daß er das Angesicht gegen den Eichenhang wendete, wo der Obrist heraus zu kommen drohte.
Wirklich kam der Obrist einmal eines sehr frühen Morgens aus den Eichen heraus, da
eben ein Knabe zwei Kühe auf der Wiese hütete. Der Knabe sah den Obrist kommen,
konnte die Kühe nicht schnell genug wegschaffen, und ergriff, sie im Stiche lassend,
die Flucht. Diesmal trieb der Obrist die Kühe nicht auf die Haselweide ins Gereut
hinauf, sondern als Pfand in sein eigenes Haus, wo er sie in dem Stalle anhängen
ließ. Gegen Mittag kam ein Weib, eine Witwe, aus dem Sillerwalde gebürtig, zu ihm in
das Haghaus herauf und sagte, daß ihr die Kühe gehören, die er gepfändet habe, daß
sie ihr einziges Gut seien, daß sie den Buben schon gestraft habe, weil er in fremdes
Eigentum gegangen sei, daß er es nicht mehr tun werde, und daß sie bitte, der Obrist
möchte ihr die Kühe ausliefern lassen, weil sie und ihr Knabe davon leben. Der Obrist
ließ ihr die Kühe, die gut gefüttert worden waren, herausgeben, und gab ihr auch,
wenn sie etwa als ein Weib mit dem Zuhausetreiben nicht zurecht kommen könnte, einen
Knecht mit, der ihr helfen mußte. Weil aber später die Gerichte von dieser Sache
Umgang nahmen und, obwohl der Obrist erklärte, daß er auf allen Schadenersatz
verzichte und der Witwe alles schenke, doch von derselben mit Auslassung des
Schadenersatzes den Wiesenfrevelbetrag, der von den Gesetzen auf solche Fälle gesetzt
ist, unabwendbar
Weil er auf diese Weise nicht immer in das Gras gehen, Rinder nach Hause treiben und
den Leuten den Grundfrevelbetrag geben wollte, und weil er auch dem Altknechte, der
sagte, man solle nur die Sache ihm überlassen, sie doch nicht überließ, weil er sie
nicht recht machen könnte, so fing er im Winter, ehe die Erde fror, einen Zaun um die
Wiese zu ziehen an, fuhr im nächsten Frühjahre damit fort, bis, ehe die Blümchen weiß
und gelb die ganze Wiese überzogen, dieselbe von allen Seiten mit einem starken,
stattlichen, hohen Gehege umgeben war. Er hatte die Pfähle aus Eichen gemacht und
unten anbrennen lassen, daß sie doch eine gute Zahl von Jahren hielten. Die Spelten
zu den Mittelstücken waren Tanne, schlank gespalten und gut in einander geflochten –
eine Art, wie man bei uns bis dahin die Zäune nicht gemacht hatte, und wie sie ihm in
andern Ländern, die er früher besucht hatte, vorgekommen waren. Zur Einfahrt der
Wägen in die Wiese hatte er eine Holzgittertür machen lassen, die mit einem eisernen
Schlosse verschlossen war. Schlüssel dazu wurden sieben verfertigt, die an einem
schnell in die Augen fallenden Pfosten der Scheune hingen, damit niemand mit dem
Aufsperren in Verlegenheit komme, wenn etwa einer, der schon einen Schlüssel in der
Tasche habe, in den Feldern damit herum gehe. Wie er überhaupt gerne baute, hatte er
auch kurz darauf, als er den Zaun angefangen hatte, schon seine Freude daran, er nahm
mehr Arbeitsleute, ging täglich mehrere Male hinaus, ordnete alles an, sah zu, daß es
recht gemacht werde, und legte nicht selten Hand an, um den Leuten zu zeigen, was sie
nicht wußten. Ich stand öfter bei ihm auf der Wiese, wenn ich ihn zu besuchen hinauf
kam; die verschiedenen Feuer rauchten, an denen die Pfähle
Auch die Wiese liebte er jetzt mehr als früher, da er sich so lange mit ihr beschäftigt hatte, und sie sah in den folgenden Jahren noch schöner und noch grüner aus als in allen vorangegangenen.
Seine Leute sagten, er werde durch solche Dinge sein Ansehen einbüßen, wenn er so
schwach sei, wenn er sich mißbrauchen lasse, und wenn er nicht ein Mal ein Beispiel
der Strenge aufstelle; aber er büßte es nicht ein, und wurde vielmehr von jedermann
in der Gegend verehrt und geliebt. Seine Hausgenossen selber, wenn er lächelnd einen
Fehler verwies und mit Gründen in denselben einging, nahmen sich in acht, daß sie in
Zukunft diesen Fehler nicht mehr machten. Freilich machten sie dafür einen andern. Er
war aber auch zuweilen in Fällen, wo es sein mußte, unbeweglich, und gab nicht nach,
wenn man auch mehrere Jahre an ihm Versuche machte. So war es der Fall mit der
Sillerbrücke. Kein Mensch kann eigentlich, wie es niemand so weiß wie ich, der ich zu
meinen Kranken auf allen Wegen herum muß, an dem Sillerbruche, wo sie auch aus
Nachlässigkeit den Waldsturz mit den so vielen Blöcken und Steinen in das Tal
niedergehen ließen, über den reißenden Bach gelangen, der von dem oberen Walde
herabgeht, Steine, Gerölle mit führt, Holz und Schlamm wälzt, da ich ihn nach Regen
wild und gelb niederhadern sah, als wollte er alles zerreißen und zerschleudern –
kein Mensch kann eigentlich hinüber gelangen, wenn nicht in heißen Sommern
Da ich von Prag zu Fuße fort ging, weil ich meine Lernzeit, die ich der
Heilwissenschaft widmen mußte, zu Ende gebracht hatte, und ein Pergament in dem
Ränzlein trug, das mich zum Doktor der hohen Kunst ernannte und mich der Zunft der
Heilmänner einverleibte, als ich viele Tage lang sachte durch das schöne Land der
Böhmen gegen Mittag ging, von wo mir die Bläue des Waldes immer deutlicher und näher
entgegen schimmerte – als ich endlich diesen Wald und die Gegend meiner Heimat
erreicht hatte, um mich dort bleibend anzusiedeln und den Menschen Gutes zu tun: da
war ich der einzige in dem Walde, der etwas anderes gesehen hatte als eben den Wald –
die andern waren da aufgewachsen, und sahen, was sie alle ihre Jugendzeit gesehen
hatten. Wer einmal Berge, auf denen die geselligen Bäume wachsen, dann lange dahin
ziehende Rücken, dann das bläuliche und dunkle Dämmern der Wände und das Funkeln der
Luft darüber lieb gewonnen hat, der geht alle Male wieder gerne in das Gebirge und in
die Wälder. Ich kam nicht in die Gegend meiner Heimat zurück, um mich da zu
bereichern, sondern um in all diesen Tälern, wo die Bäche rinnen, und auf den Höhen,
wo die Tannenzacken gegen die weiße Wolke ragen, zu wirken und denen, die da leben,
Wohltaten zu erweisen. Ich war sehr jung. In dem Lande weit herum war kein
eigentlicher Arzt, sondern manche Frau, die in verschiedenen Dingen erfahren war,
riet Mittel und gab sie den Leuten – mancher Bürger
Der Vater stand seitwärts, und getraute sich nicht, weil er nur ein Kleinhäusler war,
der ein Gespann Kühe und etwas Wiesen und Felder hatte, davon er lebte, den Sohn zu
begrüßen, der ein Gelehrter geworden war und da heilen wollte, wo niemals ein Doktor
oder ein Arzt gesehen worden war. Der Sohn hatte aber einstweilen das
Dann ging es sogleich an das Ausräumen. Die Schwestern fingen an, die Schreine zu
leeren, die da standen, der Vater trug selber manches Frauenkleiderstück, das ihm in
die Hände kam, hinaus, der Hirtenbube Thomas, der jetzt mein Pferdeknecht ist, und
den der Vater damals hatte, daß er als Bube in der kleinen Wirtschaft helfe, kam auch
gegen Abend nach Hause und half mit. Es wurde der große Schrein, der immer seit
Menschengedenken in dem Gemache gestanden war und den größten Teil desselben
eingenommen hatte, mit dem Beistande des Thomas, des Vaters, der Schwestern und mit
meiner eigenen Hülfe hinausgebracht, der Tisch, der in dem größeren Zimmer stand,
wurde hereingestellt, daß ich darauf schreiben könnte, der Vater wollte sich derweil,
bis ein neuer verfertigt würde, mit einem anderen zum Essen behelfen, der bisher
immer in dem Vorhause gestanden war und zusammen zu fallen drohte – ein Kästchen, das
in der großen Stube bisher gedient hatte, daß Nägel, Bohrer und dergleichen darin
lagen, wurde in das Gemach gestellt, damit ich meine Fläschchen mit den Arzneien,
wenn sie ankämen, hinein tun könnte – Lucia hatte unterdessen auch ein Weib aus den
unteren Häusern herauf geholt, und man fing an, den Fußboden zu waschen und zu
scheuern. – – Mitten unter diesem Getreibe wurde ich zu meinem ersten Kranken
gerufen. Der
Da ich wieder in unsere Hütte kam, brannte eben falls auf der Leuchte ein lustiges
Feuer, welches die ganze große Stube taghell erleuchtete. Als ich eintrat, wurde eine
Kerze angezündet. Katharina führte mich, da sie dieselbe trug, in mein Zimmer und
zeigte mir dessen Einrichtung. Wo der große Kasten gestanden war, war jetzt recht
viel Raum, und das Zimmer schien selber viel größer, als es sonst gewesen war. Auf
der Stelle des Kastens stand jetzt ein Bett – schneeweiße Tücher waren über dasselbe
gespannt, und es harrte auf mich, um in der Nacht meine ermüdeten Glieder
aufzunehmen. Der Tisch, den man
»Tue das, Sohn,« antwortete der Vater, »tue das.«
Den gebrechlichen Tisch, der in dem Vorhause war, hatte man in die Stube herein
gebracht, und er stand mit weißen Tüchern aufgedeckt und mit Tellern und Eßbestecken
beladen da. Daß er nicht breche, hatte man an den einen Fuß, der der schlechteste
war, einen Stab angebunden, der die Tafel stützte. Nun wurde das Abendmahl
aufgetragen, und wir setzten uns alle dazu. Es war sogar eine Flasche Wein da, die
der Vater neulich, da er wohl meine Ankunft, aber nicht den Tag wußte, zur Feier
derselben nach Hause gebracht hatte, da er auf dem Lande draußen gewesen war. Als das
Mahl verzehrt und der Wein getrunken war, begaben wir uns alle zur Ruhe. Die
Schwestern hatten rückwärts ein Kämmerlein, das gegen den Garten hinausging, und in
dem die zwei Betten standen und ein Kasten, in den sie ihren Putz oder etwa andere
Schätze taten, die sie gelegentlich bekamen. Der Bube Thomas ging in das Heu, und der
Vater legte sich in das Ehebette, das in der großen Stube stand, und aus dem ihm die
Gattin schon längstens, daß ich mich ihrer kaum mehr entsinne, weggestorben war. Ich
schloß meine zwei Fenster, schürte im Ofen die noch übrige Glut auseinander, daß es
nicht zu warm werde, und bat
Am andern Morgen frühe ging ich zu dem Knechte des Meilhauer hinab. Als ich wieder zurück kam, waren an meinem Fenster zwei sehr schöne, weiße Vorhänge, die gestern noch nicht gewesen waren, und die Katharina aus irgendeinem schönen Linnen gemacht hatte. Ich freute mich darüber und dankte ihr sehr. Es warteten bereits wieder viele Leute, die in verschiedenen Dingen meinen Rat und meine Hülfe verlangten. Ich redete recht freundlich mit ihnen und nahm die kleine Gabe, die sie darboten, an. Ich hatte jedes einzeln in mein Gemach kommen lassen, auf dessen Tische noch nicht einmal ein einziges Blatt Papier lag, sondern nur mein Stock und mein Barett. Der Vater hatte viele Freude und ging mit einem sonnenscheinhellen Gesichte in dem Hause herum. Bei den Schwestern schien es auch, als hätten sie schönere Gewänder an, als ich es sonst an ihnen zu sehen gewohnt war. Nachmittag bestellte ich bei dem Schreiner, der nicht weit von uns wohnte, einen Tisch, das erste, was ich aus meinem Erwerbe anschaffen und aufbauen lassen wollte: dann ging ich zu jenen Kranken, die Vormittag nicht zu mir hatten kommen können, sondern nur die Bitte geschickt hatten, daß ich sie besuchen möchte.
So ging es nun fort. Nach einigen Tagen kamen die Kisten, die ich in Prag mit Dingen
meines Berufes gefüllt und einem Fuhrmanne empfohlen hatte. Ich packte sie aus und
richtete mein Zimmer damit ein. Es war recht schön; die Fläschchen standen in dem
Kästchen, und auch außer demselben auf dem Tische herum – die anderen Sachen kamen in
Laden des Kastens oder des Tisches, bis der Arzneischrein fertig wäre, den ich mir
wollte machen lassen, und zu dem ich schon die Zeichnungen angefangen hatte. Die
Bücher wurden außen auf dem Kasten aufgestellt, und auf den Tisch wurde Papier zum
Schreiben
Der Knecht des Meilhauerbauers ist in zwei Wochen gesund geworden, er ist an einem Sonntage zu mir heraufgekommen und hat mir von seinem Lohne ein wenig Geld geben wollen, ich habe es aber nicht angenommen, in Anbetracht, daß er ein Knecht ist.
Damals war es in der Gegend nicht so, wie es jetzt ist, obwohl nur wenige Jahre
vergangen sind. Die Veränderungen sind dennoch bedeutend gewesen. Es mochte sich
einst ein großer, undurchdringlicher Wald über alle die Berge und Täler ausgebreitet
haben, die jetzt meine Heimat sind. Nach und nach hat sich die eine und andere Stelle
gelichtet, je nachdem entweder ein mächtiger
So war es genau noch, als ich nach der Beendigung meiner Wissenschaften in meine
Heimat zurückkehrte. Von dem hinteren hohen Walde, der noch in der ursprünglichen
Schönheit und Unentworrenheit prangte, ging ein angenehmer Waldwinkel herum, es
blickte schon hie und da ein hellgrüner Fleck, und wenn Ernte war, ein goldener aus
der finstern Farbe des Waldes hervor, die Flecke wurden immer mehr, je weiter man
gegen das Land hinaus kam, bis endlich, wo es ebener wurde, wallende Felder gingen,
mancher Kirchturm schimmerte und glänzte, und sich nur schmale Streifen vom Gehölze
dahin zogen. In dem Waldwinkel, weil er sich sehr günstig bog und sich gegen die
Sonne lehnte, war es im Sommer sehr warm, ja oft heißer, als man es sich denken kann,
aber im Winter auch sehr kalt, es war hoher Schnee und ein Gestöber, wie man es sich
ebenfalls nicht zu denken vermag.
Da ich, um mein Amt auszuüben, nach Hause kam, hatte sich der Anbau der Felder schon viel näher und unterbrechender in die Wälder herein gezogen, allein in der Gegend, wo das Haus meines Vaters lag, breitete sich noch immer viel weiter das Dunkel und Dämmer des Waldes aus, als der Schimmer und der Glanz des Getreides.
Aber etwas anderes hatte sich verbessert, dessen Nutzen ich sehr bald, als ich mich
in der Gegend aufhielt, empfinden lernte. Es waren, da ich als Knabe fortzog, schier
keine anderen Wege als nur Fußwege durch die Gehölze und auf den Höhen herum. Wo man
fahren konnte, hatte sich der Weg nur durch Gewohnheit gebildet, indem man nämlich
die Gründe, wo ein Wagen gehen konnte, benützte, und sich so die Gleise bildeten, auf
denen dann in der Zukunft die Wägen sich folgten. Aber da der Boden der Gleise
ungleich dicht war, entstanden Gruben und Vertiefungen, welche das Fahren zu einer
schweren Arbeit machten, wenn man Holz oder etwas anderes nach Hause zu schaffen
hatte. Daß man sich auf einen Wagen setzen und sich auf demselben fortfahren lassen
könne, bloß zu dem Behufe, daß man nicht gehen dürfe, davon hatten die Waldbewohner
keinen Begriff. Es wäre auch beschwerlicher und viel langsamer gewesen als das Gehen;
sie setzten sich nur auf einen Wagen, wenn derselbe zufällig leer war, um etwas fahr,
und hauptsächlich auf einem schmalen, von Gestrüpp begrenzten und
In diesem Zustande fand ich die Dinge, als ich in meiner Heimat ankam, um meine
Tätigkeit zu beginnen. Es kamen immer mehr Leute, die von mir Rat und Hülfe
verlangten. Ich sprach mit allen sehr freundlich, und wenn ich auf meinen vielen
Gängen vor manchem Hause oder mancher Hütte vorbei kam, wo ich bekannt war, entweder
noch von meiner Kinderzeit her, oder weil ich ihnen jetzt schon einen Dienst zu
leisten im Stande gewesen war, ging ich hinein und redete mit ihnen entweder von
ihren eigenen Angelegenheiten, oder von andern verschiedenen Dingen. Oftmal saß ich
in der Abendsonne auf der Bank vor einem Hause, und sprach oder spielte mit den
Kindern, und ging dann, wenn der Himmel recht schön golden war, von den vielen Bäumen
begrüßt und von dem langsamen Sausen der Föhrennadeln begleitet, durch den Kirmwald
nach Hause. Die Gebirgsbewohner sind sehr verständig, und meistens sind
Ich gewann die Gegend allgemach immer lieber, und wie ich mich früher manchmal aus der Stadt in den Wald gesehnt hatte, so war es auch jetzt wieder gut, wenn ich von Pirling, was doch nicht gar weit ist, oder von Gurfeld, von Rohren, von Tanberg, wohin ich öfter gerufen wurde, nach Hause fuhr und das Grün der Tannen wieder von den Höhen herab grüßte, manches Bächlein, das zwischen den Waldklemmen ging, mir rauschend entgegen sprang, mancher Birkenstamm von den Bergen leuchtete, mancher dorrende Holzklotz am Wege lag, weil man hier nicht besonders darauf zu achten hat, und manche Baumversammlung sich immer dichter folgend an dem Wege stand, die wehenden Äste oberhalb hinüber streckend und unten an einem Stamme irgendein Bildchen enthaltend. Wenn ich von den schönen, fast gerade laufenden Straßen der Ebene hereinkam, war es mir wie ein gutes Heimatgefühl und tat mir beinahe wohl, wenn sie abbrachen und unsere schmalen, krummen, hin und her gehenden Wege anfingen, auf denen man langsamer fahren mußte.
Weil ich gleich in dem ersten Herbste zu sehr vielen Leuten gerufen wurde, die weit
auseinanderlagen, daß ich es mit Gehen nicht erzwingen konnte, und weil die Fuhrwerke
in den Bergen nicht zu haben sind, oder selber auf den Feldern zu tun haben, oder zu
meinem Zwecke nicht taugten, kaufte ich mir selber ein Pferd, ließ in Pirling ein
Wägelchen machen, und gedachte, mich in Zukunft dieser Dinge zu bedienen. Ich hatte
noch im späten Herbste, da die Erde schon gefroren war, angefangen, an unsere Hütte
noch einen schönen Stall aus guter doppelter
»Ach unser Doktor«, sagte der Josikrämer, der einmal zufällig bei einem solchen Gespräche zugegen war, »geht schon noch eine Weile, er ist jung und gerüstet. Wenn ich mit meinem Packe auf allen Wegen bin, so sehe ich ihn auch, wie er durch den Wald oder in den Feldern geht und seinen Stock in den Sand stößt.«
»Ja, das Gehen durch Wald und Feld ist schön,« antwortete ich, »man kann nicht
begreifen, wenn man in einer Stadt ist, daß es dort Leute gibt, die immer in der
Stube sitzen, oder durch ihren Beruf in einem Laden oder Gewölbe gehalten werden, und
nur des Abends unter ein paar schlechte Bäume gehen, und sagen, daß sie sich da
erholen und Luft genießen. Aber wenn man von der Hast getrieben wird, wie etwa ein
Mittel, das man gab, gewirkt haben mag, wenn man nicht weiß, wie viel schlechter der
wird, der einen rufen ließ, derweil man durch Wald und Feld geht, und wenn noch einer
wartet, der weit droben, jenseits der entgegengesetzt liegenden Höhen wohnt, und wenn
man nach Hause kömmt, einen weglassen mußte, der doch auch vielleicht heute gehofft
hatte, daß man komme, und wenn man denkt: hast du auch alles recht gemacht, du mußt
gleich in den Büchern nachsehen; dann ist das Gehen zuweilen doch sauer, und ein
ermüdeter Körper ist auch nicht so verständig, als ein ausgeruhter und rüstiger. Aber
es tut nichts, es tut nichts, es geht schon noch eine Weile, wie Ihr gesagt habt, ich
werde nicht müde – und oft ist ja ein Stein, ein umgestürzter Baumstrunk, ein Blick
über alle die blauen Wälder in Weite und Breite – und dann geht es schon wieder. Wißt
Ihr, Josi, wie wir selber einmal bei einander gesessen sind, Ihr mit Eurem Packe, und
wie Ihr mir erzählt habt? Auch ist ja der Drang nicht immer gleich stark. Vor zwei
Wochen war die Gesundheit so gesegnet,
So sprach ich damals im allgemeinen, und die Männer gaben mir ungefähr recht.
Den Goldfuchs, welchen der Rothberger Wirt hatte, kannte ich sehr wohl. Ich war in der ersten Zeit einige Male mit ihm gefahren, und später, da sich meine Tätigkeit ausbreitete, und wenn mich größere Entfernungen verlangten, hatte ich den Buben Thomas hinabschicken müssen, daß der Vetter Martin den Fuchs in Bereitschaft hielte. Wir nannten ihn immer Vetter, weil er wohl ein Verwandter von uns war, aber in solcher Entfernung, daß dieselbe niemand mehr angeben konnte. Mein Vater war immer erfreut, wenn ihn der Wirt Vetter nannte, und jetzt schien es mir, daß der Wirt es nicht ungern sehe, wenn ich ihn mit Vetter anredete.
Als der kleine Stall fertig war, den ich im Herbste zu bauen angefangen hatte, ging
ich zu Vetter Martin hinab und redete mit ihm, ob er mir den Goldfuchs zu kaufen
überlassen wolle. Da er gerade nichts dagegen hatte und wir über den Preis einig
geworden waren, wurde der Fuchs samt allem Geschirre, das zu ihm gehörte, von
Meine Wirksamkeit breitete sich immer mehr und mehr aus. Ich nahm die kleinen Gaben, welche die Leute gebe konnten, an; von den Armen nahm ich gar nichts, außer es war irgendein Kleines, von dem ich wußte, daß e ihnen nicht abgehe, und daß die Zurückweisung sie kränken würde. Von den Reichen forderte ich mehr: und wie unbemerkt die Dinge flossen, so war doch Gottes: Segen dabei, und die Wohlhabenheit mehrte sich immer mehr.
Im Frühlinge konnte ich schon von Allerb ein gutes Stück Grund und Feld kaufen, das unter unserer Hütte lag, und wenn man von dem Hange hinab kömmt, recht schön eben fort läuft. Weil es dort unten viel wärmer und von Winden gesicherter ist, weil der Boden nach oben sich hin breitet, und lieblich hie und da manche Bäume stehen, wollte ich ein Haus dahin bauen, in welchem ich alle meine Lebenszeit zu wohnen beschloß. Ich hatte den ganzen Winter daran gezeichnet, um mein Vorhaben recht klar und reinlich darzustellen und es dem Baumeister begreiflich machen zu können. Ich konnte ebenfalls im Frühjahre den Bau schon ein wenig beginnen, in so ferne die Räume bestimmt und Baubedürfnisse herbeigeschafft wurden. Ich wollte dem Vater und den Schwestern mehrere recht schöne Stübchen herrichten lassen.
Der Gregordubs hatte zwei Füllen, welche im Alter nur um wenige Tage verschieden
waren, und welche so gleichmäßig schwarz waren, daß keines auch nicht ein einziges
weißes Härchen besaß. Freilich war die Farbe in der noch etwas vorherrschenden Wolle
noch nicht anders als dunkel graubraun, aber sie zeigten, daß sie glänzendschwarze
Pferde werden würden. Ich kaufte ihm die Füllen ab, und wollte sie mir recht
vorzüglich für meine Zukunft erziehen. Ich nahm außer dem Buben Thomas noch einen
Der Bau konnte im Sommer schon sehr gefördert werden. Ich wollte im Zusammenhange mit dem ganzen Plane doch zuerst eine Stube für mich vollständig fertig haben, daß ich noch im Winter darin wohnen könnte, dann einen Stall, worin zuerst die drei Pferde in Sicherheit wären, eine Hütte für Wagen und Schlitten, und dann jene Räume, die zu diesen Dingen noch notwendig wären.
Die Einrichtung war im Herbste schon fertig.
Aber ehe der Winter einbrach, starb der Vater und starben die zwei Schwestern. Ich hatte ihnen nicht helfen können, wie sehr ich gewollt. Die gute Katharina war die letzte gewesen.
Die Hütte stand nun allein. Ich konnte sie nicht ansehen und die Schwelle nicht überschreiten.
Obwohl ich wußte, daß die Mauern noch feucht waren, und obwohl ich wußte, daß die
feuchten Mauern schädlich sein können, ließ ich doch alle meine Sachen von der Hütte
in die fertige Stube herab bringen, um da zu wohnen. Ich ließ die drei Pferde in den
neugebauten Stall führen, der Knecht Thomas mußte mit herab, der andere blieb in der
Hütte, um die Kühe zu versorgen, die noch da waren, und das Kalb, welches wir
aufzuziehen angefangen hatten. Ich hätte sie verkaufen sollen, man redete mich darum
an, aber ich konnte sie nicht weg tun. Ein Weib, welches uns kochen sollte, wurde
aufgenommen, und schlief in einem Kämmerlein neben der Notküche. Bei Tage, wenn ich
aus war, ließ ich in allen Öfen, die schon zu benützen waren, heizen und dazu die
Türen und Fenster öffnen. Des Nachts stellte ich überall, wo jemand schlief, auch in
den Stall, ein weites Gefäß, in
Es ist ein trauriger Winter gewesen. Die Leute in der ganzen Gegend waren recht freundlich und gütig gegen mich, weil ich allein war – und wenn ich nach Hause kam, zündete ich die Kerzen an, und saß in meiner Stabe und schaute in die Bücher, oder schrieb ein, was heute notwendig geworden war.
Im Frühjahr fand ich eine Quelle, von der ich dachte, daß sie heilsam sein müsse. Sie enthält Salze, ich versuchte das Wasser und fand, daß Dinge darin seien, welche in den Quellen sind, die man als heilsam bekannt gemacht hatte.
Das Bauen wurde im Frühlinge auch wieder begonnen, da die Fröste die Erde verlassen hatten und nicht zu befürchten war, daß wieder einige kommen könnten. Im Herbste war wieder viel mehr fertig als in dem vorigen, und das bereits früher Fertige konnte besser eingerichtet werden. Es war das Haus, wenn gleich Teile fehlten, welche in meiner Zeichnung auf dem Papiere standen, daß sie nach und nach dazu gefügt werden sollten, doch für unkundige Augen so, als wäre es fertig. Wir führten die drei Kühe – denn das Kalb war unterdessen auch eine geworden – von der Hütte herab und nahmen Geräte, die notwendig oder im brauchbaren Zustande waren, mit. Der Knecht, der das Jahr oben gewohnt hatte, kam auch in das Haus herunter.
Da dieses geschehen war, ließ ich die Hütte abbrechen. Von dem Schnitzwerke, das in
meiner Kammer gewesen war, ließ ich vieles in meinen Stuben, namentlich in meinem
Schreibgemache anbringen; das andere hob ich so auf. Auch manche weitere Dinge,
welche mir gefielen, und welche dem Gedächtnisse meiner kindlichen Jahre merkwürdig
waren, ließ ich nicht zerbrechen, sondern in
So war also jetzt ein ganz anderer Stand der Dinge, als ich gedacht und so lieb gehofft hatte.
An demselben Herbste bekam ich auch Ursache, mit dem Wasser, welches ich gefunden
hatte, zufrieden zu sein. Es kam im Monate Julius der Inbuchsbauer aus dem oberen
Astung zu mir herunter; er hatte seinen Buben bei sich, der früher die Füllen des
Gregordubs gehütet hatte, und bat mich, ich möchte dem Buben an zwei Tagen in der
Woche etwas zu Mittag zu essen geben, die andern Tage hätte er schon bei guten Leuten
gefunden, und der untere Beringer habe erlaubt, daß er in seinem Heu schlafen dürfe.
Die Keum Anna sei recht schlecht gewesen, ihr Fuß habe sich verschlimmert und große
Schmerzen gebracht. Da habe sie aus dem Heilwasser, welches im Grundbühel
hervorfließe, getrunken, und habe in demselben Wasser, das sie ihr beim Klum gewärmt
hätten,
Der Bube dankte recht schön, und kam alle Tage zu mir. Er bekam in einem Kämmerlein,
das hinter der Küche lag, und das wir bestimmt hatten, wenn einmal noch ein
weiblicher Dienstbote mehr in das Haus käme, daß er
Wir hatten Räume genug, die nach und nach fertig geworden waren, und die wir nicht
brauchten, weil wir unser so wenig waren. Ich suchte eine Kammer aus, die schon im
vorigen Jahre getüncht war. Sie lag, wenn man von dem Tore links über den Hof ging,
allein, weil die Stube, die daneben entstehen sollte, die gegen den Garten
hinausging, und die ich vorhatte mit schönen Tragebalken und anderer Schnitzerei zu
verzieren, noch nicht fertig war, und Blöcke und Bretter und Erdhaufen in derselben
herum lagen. Die Haushälterin, die alte Maria, richtete einen Strohsack zurechte, gab
anderes Bettzeug, das wir nicht brauchten, dazu, und brachte eine Lagerstätte zu
Stande, die recht war. Das Gestelle war aus Brettern, die wir hatten, zusammen
geschlagen worden. Seinen Stuhl und Tisch bekam er aus dem Kämmerlein, in dem er bis
jetzt gegessen hatte, hinüber. In dieser Stube saß er nun, wenn er nicht in der
Gegend, wie ich ihm vorgeschrieben hatte, herum ging. Gegen Michaelis, wo es kalt
wurde, sagte ich zu ihm, jetzt müsse er mit dem Gebrauche des Wassers aufhören, und
auch sonst werden wir bis zum Frühjahre nichts anwenden. Er war, wie ich meinte,
vollkommen hergestellt. Die Verletzungen am Halse und am Genicke waren geschlossen,
ohne eine Spur zurück zu lassen, und die Augen waren heiterer und glänzender, und die
Wangen röteten sich. Sein Vater war zweimal herunten gewesen. Spät im Herbste, da sie
meine väterliche Hütte abtrugen, war er wieder da, und wollte den Buben nach Hause
nehmen. Ich aber sagte
Ich bekam jetzt wieder mehr Leute in mein Haus. Der Bube Thomas pflegte die Pferde,
den Fuchs, und die zwei jungen Tiere, die wirklich so schön und glänzend schwarz
geworden waren wie Agat, und die, weil sie nicht gerne in dem Stalle blieben,
polterten, empor stiegen und Dinge herunter bissen. Die wenigen Stunden, die sie auch
im Winter täglich herumgeführt wurden, reichten ihnen doch nicht hin, weil sie im
Sommer schier die meiste Zeit im Freien zugebracht hatten. Außer seiner Beschäftigung
mit den Pferden arbeitete Thomas noch mancherlei in dem Hause herum. Dann war der
Knecht, welcher im vorigen Jahre die Kühe gepflegt hatte. Er grub den ganzen Garten
um, der erst hergerichtet wurde, er besorgte mein Holz, nagelte manches an, wenn es
irgend wo herunter brach, und tat auch noch andere schwere Arbeit. Die Kühe pflegte
er ebenfalls fort. Dann war die Haushälterin Maria, welche die Speisen, die Wäsche,
die Kleider, die Zimmerreinigung und dergleichen besorgte, und endlich
Wir mußten einen schweren Winter überstehen. So weit die ältesten Menschen zurück
denken, war nicht so viel Schnee. Vier Wochen waren wir einmal ganz eingehüllt in ein
fortdauerndes graues Gestöber, das oft Wind hatte, oft ein ruhiges, aber dichtes
Niederschütten von Flocken war. Die ganze Zeit sahen wir nicht aus. Wenn ich in
meinem Zimmer saß und die Kerzen brannten, hörte ich das unablässige Rieseln an den
Fenstern, und wenn es licht wurde und die Tageshelle eintrat, sah ich durch meine
Fenster nicht auf den Wald hin, der hinter der Hütte stand, die ich hatte abbrechen
lassen, sondern es hing die graue, lichte, aber undurchdringliche Schleierwand herab;
in meinem Hofe und in der Nähe des Hauses sah ich nur auf die unmittelbarsten Dinge
hinab, wenn etwa ein Balken empor stand, der eine Schneehaube hatte und unendlich
kurz geworden war, oder wenn ein langer, weißer, wolliger Wall anzeigte, wo meine im
Sommer ausgehauenen Bäume lagen, die ich zum weitern Baue verwenden wollte. Als alles
vorüber war und wieder der blaue und klare Winterhimmel über der Menge von Weiß
stand, hörten wir oft in der Totenstille, die jetzt eintrat, wenn wir an den Hängen
hinunter fuhren, in dem Hochwalde oben ein Krachen, wie die Bäume unter ihrer Last
zerbrachen und umstürzten. Leute, welche von dem jenseitigen Lande über die Schneide
herüber kamen, sagten, daß in den Berggründen, wo sonst die kleinen, klaren Wässer
gehen, so viel Schnee liege, daß die Tanne n von fünfzig Ellen und darüber nur mit
den Wipfeln heraus schauen. Wir konnten nur den leichteren Schlitten brauchen – ich
hatte nämlich noch einen machen lassen –, der etwas länger, aber schmäler war als der
andere. Er fiel wohl öfter um, aber konnte auch leichter durch die Schlachten, welche
die Schneewehen bildeten, durchdringen. Ich
Wir kamen zuerst zu dem Karbauer, der ein krankes Kind hatte. Von dem Hausdache hing
ringsum, gleichsam ein Orgelwerk bildend, die Verzierung starrender Zapfen, die lang
waren, teils herabbrachen, teils an der Spitze ein Wassertröpfchen hielten, das sie
wieder länger und wieder zum Herabbrechen geneigter machte. Als ich
Ich ging in das Haus. Der Mantel wurde auf den Schragen gehängt, und wie ich die Filzkappe auf den Tisch des Vorhauses legte, war sie wie ein schimmerndes Becken anzuschauen.
Als wir wieder fortfahren wollten, zerschlugen wir das Eis auf unsern Hüten, auf unsern Kleidern, an dem Leder und den Teilen des Schlittens, an dem Riemzeug des Geschirres, und zerrieben es an den Haaren der Mähne und der Hufe des Fuchses. Die Leute des Karbauers halfen uns hiebei. Das Kind war schon schier ganz gesund. Unter dem Obstbaumwalde des Karhauses, den der Bauer sehr liebt und schätzt, und der hinter dem Hause anhebt, lagen unzählige kleine schwarze Zweige auf dem weißen Schnee, und jeder schwarze Zweig war mit einer durchsichtigen Rinde von Eis umhüllt und zeigte neben dem Glanze des Eises die kleine frischgelbe Wunde des Herabbruchs. Die braunen Knösplein der Zweige, die im künftigen Frühlinge Blüten- und Blätterbüschlein werden sollten, blickten durch das Eis hindurch. Wir setzten uns in den Schlitten. Der Regen, die graue Stille und die Einöde des Himmels dauerten fort.
Wir hatten in den letzten Häusern der Dubs etwas zu tun, ich machte die Gange, da die
Orte nicht weit auseinander lagen, zu Fuße, und der Fuchs wurde in den Stall getan,
nachdem er wieder von dem Eise, das an ihm rasselte, befreit worden war. Der
Schlitten und die Kleider des Thomas mußten ebenfalls ausgelöset werden; die meinigen
aber, nämlich der Mantel und die Filzkappe, wurden nur von dem, was bei
oberflächlichem Klopfen und Rütteln herabging, erleichtert, das andere aber daran
gelassen, da ich doch wieder damit in dem Regen herum gehen mußte und neue Lasten auf
mich lud. Ich hatte mehr Kranke, als sie sonst in dieser Jahreszeit zu sein pflegen.
Sie waren aber alle ziemlich in der Nähe beisammen, und ich ging von dem einen zu dem
andern. An den Zäunen, an den Strunken von Obstbäumen und an den Rändern der Dächer
hing unsägliches Eis. An mehreren Planken waren die Zwischenräume verquollen,
als
Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute.
Die Leute schlugen manche der bis ins Unglaubliche herabgewachsenen Zapfen von den Dächern, weil sie sonst, wenn sie gar groß geworden waren, im Herabbrechen Stücke der Schindeln oder Rinnen mit sich auf die Erde nahmen. Da ich in der Dubs herum ging, wo mehrere Häuser um den schönen Platz herum stehen, den sie bilden, sah ich, wie zwei Mägde das Wasser, welches im Tragen hin und her geschwemmt haben würde, in einem Schlitten nach Hause zogen. Zu dem Brunnen, der in der Mitte des Platzes steht, und um dessen Holzgeschlacht herum schon im Winter der Schnee einen Berg gebildet hatte, mußten sie sich mit der Axt Stufen hinein hauen. Sonst gingen die Leute gar nicht aus den Häusern, und wo man doch einen sah, duckte er oben mit dem Haupte vor dem Regen in sein Gewand, und unten griff er mit den Füßen vorsichtig vorwärts, um in der unsäglichen Glätte nicht zu fallen.
Wir mußten wieder fort. Wir fuhren mit dem Fuchs, den wir wieder hatten scharf machen lassen, durch die ebenen Felder hinüber gegen das Eckstück, welches die Siller am höher stehenden Walde einfaßt, und wo mehrere Holzhäuser stehen. Wir hörten, da wir über die Felder fuhren, einen dumpfen Fall; wußten aber nicht recht, was es war. Auf dem Raine sahen wir einen Weidenbaum gleißend stehen, und seine zähen, silbernen Äste hingen herab, wie mit einem Kamme nieder gekämmt. Den Waldring, dem wir entgegen fuhren, sahen wir bereift, aber er warf glänzende Funken und stand wie geglättete Metallstellen von dem lichten, ruhigen, matten Grau des Himmels ab.
Da wir endlich gegen den Thaugrund kamen und der Wald, der von der Höhe herüber
zieht, anfing, gegen unsern Weg herüber zu langen, hörten wir plötzlich in dem
Schwarzholze, das auf dem schön emporragenden Felsen steht, ein Geräusch, das sehr
seltsam war, und das keiner von uns je vernommen hatte – es war, als ob viele
Tausende oder gar Millionen von Glasstangen durcheinander
Als wir an die Stelle kamen, wo wir unter die Wölbung des Waldes hinein fahren
sollten, blieb der Thomas stehen. Wir sahen vor uns eine sehr schlanke Fichte zu
einem Reife gekrümmt stehen und einen Bogen über unsere Straße bildend, wie man sie
einziehenden Kaisern zu machen pflegt. Es war unsäglich, welche Pracht und Last des
Eises von den Bäumen hing. Wie Leuchter, von denen unzählige umgekehrte Kerzen in
unerhörten Größen ragten, standen die Nadelbäume. Die Kerzen schimmerten alle von
Silber, die Leuchter waren selber silbern, und
Wie wir noch da standen und schauten – wir hatten noch kein Wort geredet – hörten wir
wieder den Fall, den wir heute schon zweimal vernommen hatten. Jetzt war er uns aber
völlig bekannt. Ein helles Krachen, gleichsam wie ein Schrei, ging vorher, dann
folgte ein kurzes Wehen, Sausen oder Streifen, und dann der dumpfe, dröhnende Fall,
mit dem ein mächtiger Stamm auf der Erde lag. Der Knall ging wie ein Brausen durch
den Wald und durch die Dichte der dämpfenden Zweige; es war auch noch ein Klingeln
und Geschimmer, als ob unendliches Glas durcheinander geschoben und gerüttelt würde –
dann war es wieder wie vorher, die Stämme standen und ragten durch einander, nichts
regte sich, und das still stehende Rauschen dauerte fort. Es war merkwürdig, wenn
ganz in unserer Nähe ein Ast oder Zweig oder ein Stück Eis fiel; man sah nicht, woher
es kam, man sah nur schnell das Herniederblitzen, hörte etwa das Aufschlagen, hatte
nicht das Emporschnellen des verlassenen und erleichterten
Es wurde uns begreiflich, daß wir in den Wald nicht hineinfahren konnten. Es mochte irgendwo schon über den Weg ein Baum mit all seinem Geäste liegen, über den ir nicht hinüber könnten, und der nicht zu umgehen ar, weil die Bäume dicht stehen, ihre Nadeln vermischen und der Schnee bis in das Geäste und Geflechte des Niedersatzes ragte. Wenn wir dann umkehrten und auf dem Wege, auf dem wir gekommen waren, zurück wollten, und da sich etwa auch unterdessen ein Baum herüber legt hätte, so wären wir mitten darinnen gewesen. Der Regen dauerte unablässig fort, wir selber waren schon wieder eingehüllt, daß wir uns nicht regen konnten, ohne die Decke zu zerbrechen, der Schlitten war schwerfällig und verglaste, und der Fuchs trug seine Lasten – wenn nirgends etwas in den Bäumen um eine Unze an Gewicht gewann, so mochte es fallen, ja die Stämme selber mochten brechen, die Spitzen der Zapfen, wie Keile, mochten nieder fahren, wir sahen ohnedem auf unserm Wege, der vor uns lag, viele zerstreut, und während wir standen, waren in der Ferne wieder dampfe Schläge zu vernehmen gewesen. Wie wir umschauten, woher wir gekommen, war auf den ganzen Feldern und in der Gegend kein Mensch und kein lebendiges Wesen zu sehen. Nur ich mit dem Thomas und mit dem Fuchse waren allein in der freien Natur.
Ich sagte dem Thomas, daß wir umkehren müßten. Wir stiegen aus, schüttelten unsere
Kleider ab, so gut es möglich war, und befreiten die Haare des Fuchses von dem
anhangenden Eise, von dem es uns vorkam, als wachse es jetzt viel schneller an als am
Vormittage, war es nun, daß wir damals die Erscheinung beobachteten und im Hinschauen
darauf ihr Fortgang uns langsamer vorkam, als Nachmittag, wo wir andere Dinge zu tun
hatten und
Als ich das so gesagt hatte, wollte mein Knecht Thomas nicht zugeben, daß ich allein
gehe; denn der Weg, den ich beschrieben hatte, wäre hüglig und ging an Höhen von
Wiesen hinauf, wo gewiß überhängende Schneelehnen sind, und wo in dem glatten Eise
das Klimmen und
Ich sah das alles ein, was mein Knecht Thomas sagte, und da ich mich auch nicht ganz genau erinnerte – man schaut das nicht so genau an – ob denn wirklich überall da, wo ich zu gehen vor hatte, keine Bäume stünden, oder ob ich nicht einen viel weiteren Umweg zu machen oder gar wieder zurück zu gehen hätte, wenn ich nicht vordringen könnte; so gestattete ich ihm, daß er mit gehe, damit wir unser zwei sind und die Sache mit mehr Kräften beherrschten.
Ich habe in meinem Schlitten immer Steigeisen eingepackt, weil ich oft aussteigen und
über manche Hügel hinauf, die in unserem Lande sind und steile Hänge haben, zu
Kranken gehen muß, wo ich, wenn Glatteis herrscht, gar nicht oder mit Gefahr und Mühe
auf den Wegen, die niemand pflegt, oder die verschneit und vereiset sind, hinauf
kommen könnte. Weil es aber auch leicht möglich ist, daß etwas bricht, so führe ich
immer zwei Paare mit, daß ich in keine Ungelegenheit komme. Heute hatte ich sie nicht
gebraucht, weil ich immer an ebenen Stellen zu gehen hatte, und weil ich die Füße
nicht an immer dauernde Unterstützung gewöhnen will. Ich suchte die Steigeisen aus
dem Schlitten heraus und
Auf dem offenen Felde, ehe wir wieder in die Nähe des Thaugrundes kamen, gingen wir
ohne Steigeisen bloß mit Hülfe der Stöcke fort, was sehr beschwerlich war. Als wir in
die Nähe des Waldes kamen und uns das fürchterliche Rauschen wieder empfing, beugten
wir links ab gegen die Wiesen des Meierbacher hin, die eine Lichtung durch den Wald
bilden, und die uns den Weg darstellen sollten, auf dem wir nach Hause gelangen
könnten. Wir erreichten die Wiesen, das will sagen, wir erkannten, daß wir uns auf
dem Schnee über ihrer Grenze befanden, weil die Rinde nun sanft abwärts zu gehen
begann, wo unten der Bach sein sollte, über dem aber zwei Klafter hoher Schnee, oder
noch höherer, stand. Wir wagten, da der Grund nicht zerrissen ist und die Decke mit
ihrem Glänzen ein gleichmäßiges Abgehen zeigte, das Hinabfahren mit unseren
Bergstöcken. Es gelang gut. Wir hätten wohl mittelst der Steigeisen lange gebraucht
hinabzukommen, aber so gelangten wir in einem Augenblicke hinunter, daß
Wir hielten uns nicht lange an diesem Platze auf, sondern suchten in die Büsche der
Erlen einzudringen und durch sie hindurch zu kommen. Die Steigeisen hatten wir
weggetan und trugen sie über unsern Rücken herab hängend. Es war schwer, durch die
Zweige, die dicht aus dem Schnee nach allen Richtungen ragten, zu kommen. Sie hielten
uns die starren Ausläufe wie unzählige stählerne
Da wir endlich heraus waren und an den Hagweiden standen, wo wir hinunter in das Tal sahen, in dem mein Haus ist, dämmerte es wirklich, aber wir waren schon nahe genug, und besorgten nichts mehr. Durch die allgemeine dicke, weißgraue Luft sahen wir mein Haus, und ein gerader bläulicher Rauch stieg aus demselben empor, wahrscheinlich von dem Feuer kommend, an dem Maria, die Haushälterin, unser Mahl in Bereitschaft richtete. Wir legten hier wieder die Steigeisen an und gingen langsam hinunter, bis wir auf ebenem Boden waren, wo wir sie wieder weg taten.
Vor den Türen der Häuser, die in der Nähe des meinigen sind, standen Gruppen von Menschen und schauten den Himmel an.
»Ach, Herr Doktor,« riefen sie, »ach, Herr Doktor, wo kommt Ihr denn an diesem fürchterlichen Tage her?«
»Ich komme von der Dubs und von den Eidunhäusern,« sagte ich, »mein Pferd und den Schlitten ließ ich zurück, und bin über die Meierbacher Wiesen und die Hagweiden gekommen, weil ich nicht mehr durch den Wald konnte.«
Ich blieb ein wenig bei den Leuten stehen. Wirklich war der Tag ein furchtbarer. Das Rauschen der Wälder war von ringsum bereits bis hierher zu hören, dazwischen tönte der Fall von Bäumen, und folgte immer dichter auf einander; ja sogar von dem hohen obern Walde her, wo man gar nicht wegen der Dicke des Nebels hin sehen konnte, konnte man das Krachen und Stürzen vernehmen.
»Gott genade dem Menschen, der jetzt im Freien ist, oder gar im Walde«, sagte einer aus den Umstehenden.
»Er wird sich wohl gerettet haben«, sagte ein anderer; »denn heute bleibt niemand auf einem Wege.«
Ich und der Thomas trugen starke Lasten, die schier nicht mehr zu erhalten waren,
deswegen nahmen wir Abschied von den Leuten und gingen unserm Hause zu. Jeder Baum
hatte einen schwarzen Fleck um sich, weil eine Menge Zweige herab gerissen war, als
hätte sie ein starker Hagelschlag getroffen. Mein hölzernes Gitter, mit dem ich den
Hof von dem Garten, der noch nicht fertig war, abschließe, stand silbern da, wie vor
dem Altare einer Kirche; ein Pflaumenbaum daneben, der noch von dem alten Allerb
herrührte, war geknickt. Die Fichte, bei welcher mein Sommerbänklein steht, hatten
sie dadurch vor Schaden zu verwahren gesucht, daß sie mit Stangen, so weit sie
reichen konnten, das Eis herabschlugen – und wie der Wipfel sich gar schier zu neigen
schien, ist der andere Knecht, Kajetan, hinauf gestiegen, hat vorsichtig oberhalb
sich herab geschlagen und hat dann an die obersten Äste zwei Wiesbaumseile gebunden,
die er herab hängen ließ, und an denen er von Zeit zu Zeit rüttelte. Sie wußten, daß
mir der Baum lieb war, und er ist auch sehr schön, und mit seinen grünen Zweigen so
bebuscht, daß sich eine ungeheure Last von Eis daran gehängt und ihn zerspellt oder
seine Äste zerrissen hätte. Ich ging in meine Stube, die gut gewärmt war, legte alle
Dinge, die ich aus dem Schlitten zu mir gesteckt hatte, auf den Tisch, und tat dann
die Kleider weg, von denen sie unten das Eis herab schlugen und sie dann in die
Küchenstube aufhängen mußten; denn sie waren sehr feucht.
Ich aß ein weniges von meinem aufgehobenen Mahle. Die Dämmerung war schon weit vorgerückt und die Nacht bereits herein gebrochen. Ich konnte jetzt das verworrene Getöse sogar in meine Stube her ein hören, und meine Leute gingen voll Angst unten in dem Hause herum.
Nach einer Weile kam der Thomas, der ebenfalls gegessen und andere Kleider angetan hatte, zu mir herein und sagte, daß sich die Leute der Nachbarhäuser versammeln und in großer Bestürzung seien. Ich tat einen starken Rock um und ging mittelst eines Stockes über das Eis zu den Häusern hinüber. Es war bereits ganz finster geworden, nur das Eis auf der Erde gab einen zweifelhaften Schein und ein Schneelicht von sich. Den Regen konnte man an dem Angesichte spüren, um das es feucht war, und ich spürte ihn auch an der Hand, mit welcher ich den Bergstock einsetzte. Das Getöse hatte sich in der Finsternis vermehrt, es war rings herum an Orten, wo jetzt kein Auge hindringen konnte, wie das Rauschen entfernter Wasserfälle, – das Brechen wurde auch immer deutlicher, als ob ein starkes Heer oder eine geschreilose Schlacht im Anzuge wäre. Ich sah die Leute, als ich näher gegen die Häuser kam, stehen, aber ich sah die schwarzen Gruppen derselben von den Häusern entfernt mitten im Schnee, nicht etwa vor den Türen oder an der Wand.
»Ich kann euch nicht helfen, Gott ist überall groß und wunderbar, er wird helfen und retten«, sagte ich, indem ich zu ihnen hinzu trat.
Wir standen eine Weile bei einander und horchten auf die Töne. Später vernahm ich aus ihren Gesprächen, daß sie sich fürchteten, daß bei der Nacht die Häuser eingedrückt werden könnten. Ich sagte ihnen, daß sich in den Bäumen, insbesondere bei uns, wo die Nadelbäume so vorherrschend sind, in jedem Zweige, zwischen den kleinsten Reisern und Nadeln das unsäglich herunter rinnende Wasser sammle, in dem seltsamen Froste, der herrsche, gefriere und durch stetes nachhallendes Wachsen an den Ästen ziehe, Nadeln, Reiser, Zweige, Äste mit herab nehme, und endlich Bäume biege und breche; aber von dem Dache, auf welchem die glatte Schneedecke liege, rinne das Wasser fast alles ab, um so mehr, da die Rinde des Eises glatt sei und das Rinnen befördere. Sie möchten nur durch Haken Stücke des Eises herab reißen, und da würden sie sehen, zu welch geringer Dicke die Rinde auf der schiefen Fläche anzuwachsen im Stande gewesen sei. An den Bäumen ziehen unendlich viele Hände gleichsam bei unendlich vielen Haaren und Armen hernieder; bei den Häusern schiebe alles gegen den Rand, wo es in Zapfen niederhänge, die ohnmächtig sind, oder losbrechen, oder herab geschlagen werden können. Ich tröstete sie hiedurch, und sie begriffen die Sache, die sie nur verwirrt hatte, weil nie der gleichen oder nicht in solcher Gewalt und Stärke erlebt worden war.
Ich ging dann wieder nach Hause. Ich selber war nicht so ruhig, ich zitterte
innerlich; denn was sollte das werden, wenn der Regen noch immer so fort dauerte und
das Donnern der armen Gewächse in so rascher Folge zunahm,
Nach einer Stunde kam der Thomas und sagte, daß die Leute zusammen gekommen seien und beten; das Getöse sei furchtbar. Ich erwiderte ihm, es müsse sich bald ändern, und er entfernte sich wieder.
Ich ging in dem Zimmer, in das der Lärmen, wie tosende Meereswogen, drang, auf und nieder, und da ich mich später auf das lederne Sitzbette, das da stand, ein wenig niedergelegt hatte, schlief ich aus Müdigkeit doch ein.
Als ich wieder erwachte, hörte ich ein Sausen oberhalb meinem Dache, das ich mir
nicht gleich zu erklären vermochte. Als ich aber aufstand, mich ermannte, an das
Fenster trat und einen Flügel öffnete, erkannte ich, daß es Wind sei, ja, daß ein
Sturm durch die Lüfte dahin gehe. Ich wollte mich überzeugen, ob es noch regne, und
ob der Wind ein kalter oder warmer sei. Ich nahm einen Mantel um, und da ich durch
das vordere Zimmer ging, sah ich seitwärts Licht durch die Tür des Gemaches
herausfallen, in welchem Thomas schläft. Er ist nämlich in meiner Nähe, damit ich ihn
mit der Glocke rufen könne, wenn ich etwas brauche, oder falls mir etwas zustieße.
Ich ging in das Gemach hinein und sah, daß er an dem Tische sitze. Er hatte sich gar
nicht nieder gelegt, weil er sich, wie er mir gestand, zu sehr fürchtete. Ich sagte
ihm, daß ich hinunter gehe, um das Wetter zu prüfen. Er stand gleich auf, nahm seine
Lampe, und ging hinter mir die Treppe hinab. Als wir unten im Vorhause angekommen
waren, stellte ich mein Licht in die Nische der Stiege und
Nach einer Weile, in welcher der Wind immer heftiger und, wie wir meinten, auch immer wärmer geworden war, wünschten wir uns eine gute Nacht, und gingen nach Hause. Ich begab mich auf meine Stube, entkleidete mich, legte mich in das Bett, und schlief recht fest bis an den Morgen, da schon der helle Tag an dem Himmel stand.
Als ich erwacht war, stand ich auf, legte die Kleider an, die ich am Morgen gerne
habe, und ging an die Fenster. Der Sturm hatte sich noch gesteigert. Ein weißer
Schaum jagte an dem Himmel dahin. Der blaue Rauch, der aus der Hütte des Klum
herausging, zerflatterte, wie ein zerrissener Schleier. Wo sich ein Stück einer
schwarzen Wolke hinter einem Walde hervorragend sehen ließ, wälzte es sich am Himmel
hin, und war gleich wieder nicht sichtbar. Es schien, als sollte jeder Dunst verjagt
werden und sogleich das reine Blau zum Vorschein kommen; allein es quoll der weiße
Qualm immer wieder heraus, als würde er in der Tiefe des Himmels erzeugt; und
braunliche und graue und rötliche Stücke jagten in ihm dahin. Die Dächer der
Nachbarhütten schimmerten naß; in den Mulden des Eises, das über dem Schnee lag,
stand Wasser, und wurde gekräuselt und in feinen Tropfen in die Lüfte zerspritzt; das
andere nasse Eis glänzte schimmernd, als wäre die Weiße des Himmels darauf geworfen,
die Wälder ragten finsterer und die schwarze Farbe des Sturmes gewinnend gegen den
Himmel, und wo ein näherer Baum seine Äste im Winde wiegte, stand oft augenblicklich
ein langer Blitz da und verschwand, und selbst über die ferneren Wände der Wälder
lief es noch zu Zeiten wie verlorenes Geschimmer und Geglänze. In meinem Hofe war es
naß, und die einzelnen,
Die Gefahr, in welcher wir schwebten, war nun eine andere und größere als gestern, wo nur für die Wälder und Gärten ein großer Schaden zu fürchten gewesen war. Wenn das Wasser von dem außerordentlich vielen Schnee, der in dem Winter gefallen war, auf einmal los gebunden wird, so kann es unsere Felder, unsere Wiesen und unsere Häuser zerstören. Der Wind war noch wärmer, als in der vergangenen Nacht; denn ich öffnete die Fenster des Ganges, um ihn zu empfinden. Wenn einmal die dichte Eisdecke, die sich gestern wie zum Schutze auf die Erde gelegt hatte, durchfressen ist, dann wird der Schnee, das lockere Gewirre von lauter dünnen Eisnadeln, schnell in Tropfen zerfallen, die wilden Ungeheuer der Waldbäche werden aus den Tälern herausstürzen und donnernd die Felder, die Wiesen, die Flächen mit Wasser füllen; von allen Bergen werden schäumende Bänder niedergehen; das beweglich gewordene Wasser wird, wo Felsen und jähe Abhänge empor ragen, die Lawinen, welche Steine, Schnee und Bäume ballen, die Bäche dämmen und vor sich ein Meer von Wasser erzeugen.
Ich legte meine Kleider an, aß schnell mein Frühmahl und bereitete mich zu dem
heutigen Tagewerke. Ich ging zu dem Knaben Gottlieb hinab, um nachzuschauen; aber er
war ganz gesund und sah sehr gut aus. Ich sendete zu dem Vetter Martin, dem Wirt am
Rothberge, hinunter, daß er mir heute ein Fuhrwerk leihe, denn durch den
Während ich auf den Knecht wartete, den mir der Wirt am Rothberge mit einem Fuhrwerke senden sollte, untersuchte ich die Eisrinde des Schnees. Sie war noch nicht zerstört, aber an vielen Stellen in der Nähe meines Hauses so dünn, daß ich sie mit meiner Hand zerbrechen konnte. In muldenförmigen Gräben rann das Wasser auf der glatten Unterlage bereits sehr emsig dahin. Der Regen hatte ganz aufgehört, höchstens daß noch mancher einzelne Tropfen von dem Winde geschleudert wurde. Der Wind aber dauerte fort, er glättete das Eis, auf dem er das dünne Wasser dahin jagte, zu dem feinsten Schliffe, und lösete durch seine Weichheit unablässig alles Starre und Wassergebende auf.
Der Knecht des Wirtes am Rothberge kam, ich nahm mein Gewand gegen den Wind zusammen
und setzte mich in den Schlitten. Ich habe an diesem Tage viele
Gegen Abend wurde es kühler, und der Wind hatte sich beinahe gelegt.
Als ich mich zu Hause in andere Kleider gehüllt hatte und um den Thomas fragte, kam
er herauf zu mir und sagte, daß er mit dem Fuchse noch glücklich nach Hause gekommen
sei. Er habe die gestürzten Bäume überklettert, man sei mit Sägen mit ihm gegangen,
um wenigstens die größeren Stücke von dem Wege zu bringen, und da er zurück gekommen
war, sei es schon ziemlich frei gewesen. Über die kleineren Stämme und über die
Ähnliche Nachrichten kamen aus verschiedenen Teilen meiner Nachbarschaft; von der Ferne konnte ich keine bekommen, weil sich niemand getraute, unter diesen Umständen einen weiteren Weg zu gehen. Selbst zwei Boten, die mir von entfernten Kranken Nachricht bringen sollten, sind ausgeblieben.
So brach die Nacht herein und hüllte uns die Kenntnis aller Dinge zu, außer dem Winde, den wir über die weiße, wassergetränkte, gefahrdrohende Gegend hinsausen hörten.
Am andern Tage war blauer Himmel, nur daß einzelne Wölklein nicht schnelle, sondern
gemach durch das gereinigte Blau dahin segelten. Der Wind hatte fast gänzlich
aufgehört, und zog auch nicht mehr aus Mittag, sondern ganz schwach aus Untergang
Auch war es kälter geworden, zwar nicht so kalt, daß es gefroren hätte, doch so, daß
sich kein neues Wasser mehr erzeugte. Ich konnte auf meinen Wegen fast überall
durchdringen, außer an zwei Stellen, wo das Wasser in einer solchen Tiefe von
aufgelösetem und durchweichtem Schnee dahin rollte, daß es nicht möglich war, durch
zu gehen
Am nächsten Tage war es wieder schön. Es war in der Nacht so kalt gewesen, daß sich die stehenden Wässer mit einer Eisdecke überzogen hatten. Diese schmolz am Tage nicht weg, wohl aber zerbrach sie, indem die Wässer in die unterhalb befindliche Grundlage des Schnees schnell einsanken und versiegender wurden. Es war doch gestern gut gewesen, daß ich zu dem Kumberger Franz auf dem Floße hinüber gefahren bin, denn das Mittel, welches ich ihm da gelassen hatte, hatte so gut gewirkt, daß er heute viel besser war und fast die Gefahr schon überstanden hatte. Auch zu den andern zweien konnte ich schon gelangen. Man konnte zwar nicht fahren, weil es unter dem Wasser zu ungleich war, aber mit einer Stange und meinem Bergstocke, den ich daran band, konnte ich durchgehen. Die nassen Kleider wurden, nachdem ich die zweiten, die ich mit führte, im Gollwirtshause angelegt hatte, in den Schlitten gepackt.
Am nächsten Tage konnte ich auch schon wieder durch den Thaugrund in das Eidun und in die Dubs hinüber gelangen.
Es kamen nun lauter schöne Tage. Eine stetige, schwache Luft ging aus Sonnenaufgang.
Nachts fror es immer, und bei Tage tauete es wieder. Die Wässer, welche sich in jenem
Sturme gesammelt hatten, waren nach und nach so versiegt und versunken, daß man keine
Spur von ihnen entdecken konnte, und daß man auf allen Wegen, die sonst im Winter
gangbar sind, wieder zu gehen und anfangs mit Schlitten und später mit Wägen zu
fahren
In den ersten Tagen nach jenem Ereignisse mit dem Eise, als die Leute sich allgemach
wieder auf entferntere Wege wagten, konnte man die Zerstörungen erst recht ermessen.
An manchen Orten, wo die Bäume dicht standen und wegen Mangel an Luftzug und Licht
die Stämme dünner, schlanker und schwächer waren, dann an Gebirgshängen, wo sie
mageren Boden hatten, oder durch Einwirkung herrschender Winde schon früher schief
standen, war die Verwüstung furchtbar. Oft lagen die Stämme wie gemähte Halme
durcheinander, und von denen, die stehen geblieben waren, hatten die fallenden Äste
herab geschlagen, sie gespalten oder die Rinde von ihnen gestreift und geschunden. Am
meisten hatte das Nadelholz gelitten, weil es zuerst schon, namentlich, wo es dicht
steht, schlankere, zerbrechlichere Schafte hat, dann weil die Zweige auch im Winter
dicht bebuscht sind und dem Eise um viel mehr Anhaltsstellen gewähren, als die der
anderen Bäume. Am wenigsten wurde die Buche mitgenommen, dann die Weide und Birke.
Die letztere hatte nur die feinsten herabhängenden Zweige verloren, die wie Streu
herum lagen; – wo ein Stamm dünne genug war, hatte er sich zu einem Reife gebogen,
derlei Reifen man dann im Frühlinge viele herum stehen sehen konnte; ja noch im
Sommer und selbst nach mehreren Jahren waren manche zu sehen. Allein, wie groß auch
die Zerstörung war, wie bedeutend auch der Schaden war, der in den Wäldern
angerichtet wurde, so war dieses in unserer Gegend weniger empfindlich, als es in
andern gewesen wäre; denn da wir Holz genug hatten, ja, da eher
Von den Gruppen von Bäumen, die in meiner Wiese und in der Nachbarschaft herum stehen, und die ich so liebe, haben mehrere gelitten. Einige sind geknickt, haben ihre Äste verloren, und drei Eschen sind ganz und gar umgeworfen worden.
Im Thurwalde, der vielleicht der höchste ist, den man vom Hage und vom Hange sehen kann, ist eine Lawine herabgegangen und hat das Holz genommen, daß man jetzt noch den Streifen mit freiem Auge erblicken kann.
Als einige Zeit vergangen war und die Wege an den Orten wieder frei wurden, hörte man
auch von den Unglücksfällen, die sich ereignet hatten, und von wunderbaren Rettungen,
die vorgekommen waren. Ein Jäger auf der jenseitigen Linie, der sich nicht hatte
abhalten lassen, an dem Tage des Eises in sein Revier hinauf zu gehen, wurde von
einer Menge stürzender Zapfen erschlagen, die sich am oberen Rande einer Felswand
losgelöst und die weiter unten befindlichen mitgenommen hatten. Man fand ihn mitten
unter diesen Eissäulen liegen, da man sich am andern Tag trotz des Sturmes und
Auch den Josikrämer hielt man für verunglückt. Er war im Haslung am Morgen des
Eistages fortgegangen, um durch den Dusterwald in die Klaus hinüber zu gehen. Allein
in der Klaus ist er nicht angekommen, auch ist er in keinem der umliegenden Orte,
nachdem er vom Haslung bereits drei Tage weg war, erschienen. Man meinte, in dem
hohen Dusterwalde, dessen Gangweg ohnedem sehr gefährlich ist, wird er um das Leben
gekommen sein. Er war aber von den letzten Höhen, die von Haslung aus noch sichtbar
sind, hinabgegangen, wo das Tal gegen die wilden Wände und die vielen Felsen des
Dusterwaldes hinüber läuft und sich dort an der Wildnis empor zieht, dann ist er
schräg gegen die Wand gestiegen, die mit dem vielen Gesteine und den dünne stehenden
Bäumen gegen Mittag schaut, und wo unten im Sommer der Bach rauscht, der aber jetzt
überfroren und mit einer unergründlichen Menge von Schnee bedeckt war. Weil der Weg
längs des Hanges immer fort geht und über ihn von der Höhe bald Steine rollen, bald
Schnee in die Tiefe abgleitet, so hatte der Krämer seine Steigeisen angelegt; denn
wenn sich auch auf der Steile nicht viel Schnee halten kann, vor dem Versinken also
keine große Gefahr war, so kannte er doch den Regen, der da nieder fiel und gefror,
sehr gut, und fürchtete, an mancher Schiefe des Weges auszugleiten und in den Abgrund
zu fallen. Da er, ehe es Mittag wurde, bei dem Kreuzbilde vorbei ging, das vor Zeiten
der fromme Söllibauer aus dem Gehänge hatte setzen lassen, hörte er bereits das
Rasseln und das immer stärkere Fallen des Eises. Da er weiter ging, die Sache immer
ärger wurde und zuletzt Bedenklichkeit gewann, kroch er in eine trockene Steinhöhle,
die nicht
Spät im Sommer fand ich einmal auch die zusammengedorrten Überreste eines Rehes, das von einem Baume erschlagen worden war.
Ich werde die Herrlichkeit und Größe jenes Schauspieles niemals vergessen. Ich konnte es vielleicht nur allein ganz ermessen, weil ich immer im Freien war und es sah, während die andern in den Häusern waren und, wenn sie auch durch einen Zufall hinein gerieten, sich bloß davor fürchteten.
Ich werde es auch schon darum nicht vergessen, weil sich im Frühlinge darauf etwas angefangen hat, was mir auf ewig in dem Herzen bleiben wird. – – Ach du guter, du heiliger Gott! das werde ich gewiß nie, nie, nie vergessen können!
Es verging der Schnee so gemach, daß alles offen und grüner wurde als sonst, und daß
in den tiefsten Tiefen schon die Bäche zu einer Zeit wieder rauschten, wo wir sonst
noch manche weiße Inseln auf den Feldern sahen. Es wurde bald warm, und die Wässer
des Schnees, die wir so gefürchtet hatten, waren nicht vorhanden. Sie waren entweder
in die Erde eingesickert, oder rannen jetzt in den schönen, plätschernden Bächen
durch alle Täler dahin. Die Bäume belaubten sich sehr bald, und wunderbar war es, daß
es schien, als hätte ihnen die Verwundung des Winters eher Nutzen als Schaden
gebracht. Sie trieben fröhliche junge Schossen, und wo einer recht
Als der erste Schnee weg ging und der spätere, den mancher Apriltag noch nieder
werfen wollte, sich nicht mehr halten konnte, als die Erde schon gelockert und
gegraben werden konnte, kam der Obrist in unsere Gegend. Er hatte sich schier das
ganze obere Hag eigentümlich gekauft, und begann an dem Eichenhage die Grundfesten
eines Hauses aufwerfen zu lassen. Es war beinahe genau die Stelle, von der ich schon
früher zuweilen gedacht hatte, daß hier eine Wohnung sehr gut stehen und recht
lieblich auf die Wälder herum blicken könnte. Ich kannte den Obrist nicht. Ich wußte
nur – und ich hatte es bei dem Wirte im Rothberge gehört, – daß ein fremder, reicher
Mann in Unterhandlung um das obere Hag sei, und daß er sich ansässig machen wolle.
Später sagte man, daß der Handel geschlossen sei, und man nannte auch die Summe. Ich
hielt nicht viel darauf, weil ich solche Gerüchte kannte, daß sie bei wahren
Veranlassungen gewöhnlich sehr gerne über die Wahrheit hinaus gehen, und ich hatte
auch keine Zeit, mich an der wahren Stelle um den Sachverhalt zu erkundigen, weil
jener Winter gerade viel mehr Kranke brachte als jeder andere. Im Frühlinge hieß es,
daß schon gebaut werde, daß Wägen mit Steinen fahren, daß man im Sillerwalde das
Bauholz behaue,
Ich sah mir die Sache, wie sie hier begonnen wurde, sorgfältig an, und der Plan, wie ihn mir der Werkführer auseinandersetzte, gefiel mir sehr wohl.
Ich fragte gelegentlich auch um den Bauherrn und erfuhr, daß es ein alter Obrist sei. Weiter wußten die Leute selber nichts von ihm.
Ich baute selber in diesem Frühjahre wieder weiter. Da wir bereits genug Steine im
Vorrate zusammengeführt hatten, wurde die Gartenmauer angefangen. Die lieben, schönen
Obstbäumchen, die ich hatte bringen lassen, schlugen in dem allgemeinen warmen,
feuchten Frühlinge sehr gut an; die Blätter waren auf ihre Art fast zu groß und zu
dunkel, und die Zweige waren strotzig und breiteten sich in kurzer Zeit sehr breit um
die Stämmchen aus. Auch die Gemüsebeete, die ersten, die ich hatte, dehnten sich
schön grün in den Strahlen der Sonne hin. Die Blumen, die Rosensträuche nämlich, die
Flieder und andere – alles, alles begann sich zu rühren. Wegen der Tulpen, wegen der
Zucht der Hyazinthen durch Samen und wegen der Nelken und anderer mußte ich mich erst
mit dem Kaufherrn in Gurfeld bereden; denn alles konnte nicht auf einmal sein. Die
Stuben im oberen Stocke sollten diesen Sommer alle hergerichtet, mit Öfen versehen
und fertig sein, daß ich daran gehen könnte, sie mit Geräten zu schmücken. Ich wollte
alle Stuben des Stockwerkes zu meiner Wohnung bestimmen, das will sagen: die
Eckstube, zu der man aus der roten Gartentür, zu der ich immer den Schlüssel führe,
hinauf kann, sollte mein Schlafgemach sein, wie sie es jetzt schon ist, nur mußten
alle Geräte noch anders werden. Außer dem Bette mußten allerlei Gerüste zu
Schreibereien und Büchern darin sein, damit ich gleich meine Geschäfte in Ruhe
versehen könne. Daran soll das wahre Schreibgemach und auch Wohngemach stoßen. Es
werden wohl noch viele Jahre vergehen, ehe ich mir werde das Schreibgerüste schnitzen
lassen können, auf das ich sinne, an dem ich schon mehrere Jahre zeichnete und es
änderte, und zu dem jetzt immer noch nicht angefangen worden ist. Aber es wird
kommen, und die Kästen werde ich mir selber zeichnen und machen lassen. Dann sollen
die anderen
Ach! alles im ganzen ersten Stockwerke sollte desselben Sommers fertig sein, und jetzt, da ich dieses schreibe und schon der dritte Sommer ist, sind kaum die weißen Fenstervorhänge da, welche mir Maria, die alte Haushälterin, heraufbrachte, und welche ich, weil sie mich sehr darum bat, gutwillig annahm.
Wann werden die Dinge fertig sein, an denen ich so viele Freude hatte, – ich muß es sagen, bei denen mir das Herz vor Freude hüpfte?!
Der schönste Frühling kam, alles drängte, blühte und schauerte von Fülle. Alle Hügel
waren grün, die Felder wogten; auch die neuen, die man erst heuer an dem Mitterwege
hinauf, wohin die Fenster des Hauses des Obrists recht schön werden schauen können,
angelegt hatte, wallten
In dem Knaben Gottlieb hatte ich mich nicht getäuscht. Wie gleich meine Meinung
gewesen war, daß er wieder gesund werden würde, so hat es sich bestätigt. Er war
In jenen Tagen kam die Nachricht, daß der Obrist mit seiner Tochter in seiner neuen Heimat angelangt ist. Sie haben sich eine hölzerne Hütte recht bequem gebaut. Dieselbe hat drei Zimmer, eine schöne Küche und eine große Stube für die Mägde. Ein Diener, der mit dem Obrist gekommen ist, hat einen Verschlag neben der Stube seines Herrn, in dem er schläft. So wollen sie sich behelfen, bis einige Zimmer des neuen Hauses zu bewohnen sind, in welche sie dann einziehen werden. Diese Dinge habe ich gehört, und habe nicht weiter darauf geachtet. Ich hatte wohl früher schon die Hütte selber aufschlagen gesehen, und hatte bemerkt, daß der Bau des Hauses aus der Erde hervor gerückt sei; aber da ich länger nicht zu der Stelle hinauf gekommen war, wußte ich nicht, wie weit die Sache jetzt sei, und kam auch ferner nicht hinauf.
An einem Sonntage in der Kirche sah ich sie zum ersten Male, den Vater und die
Tochter. Ich fahre gerne, wenn ich Zeit habe, zum Hauptgottesdienste hinaus, sonst
»Nein,« antwortete ich, »ich kenne ihn noch gar nicht.«
»So ist er allein heraus gekommen«, sagte der Pfarrer; »denn da steht ja schon sein Wagen, er kömmt jeden Sonntag, und da ich Euch heute auch hier sehe, meinte ich, Ihr seid gleich hinter einander heraus gefahren.«
»Ich habe freilich diese Sonntage her nicht kommen können,« antwortete ich, »weil es zu viele Hülfsbedürftige gab, und ich war genötigt, mein göttliches Wort bald in dieser Kirche zu suchen, bald in jener; in der Dubs, im Haslung, und einmal war ich gar schon in Pirling draußen.«
»So ist es, so ist es,« sagte der alte Pfarrer, »Ihr habt viel zu tun und müsset an manchen Orten helfen. Der Kirchen gibt es ja auch andere. So sind die Kranken wieder mehr geworden?«
»Nein,« antwortete ich, »sie sind um viele weniger als in der vorigen Woche; der Frühling hilft mir, und in dieser guten Luft werden alle gesund, daß ich eine große Freude habe. Darum konnte ich ja heute mit Ruhe zu Euch heraus fahren.«
»Das ist schön, das ist schön. Nun so werdet Ihr Euren neuen Nachbar in der Kirche sehen. Er ist ein sehr vorzüglicher Mann, und gar nicht stolz, wenn auch alle Leute sagen, daß er sehr reich und vornehm sei. – Ich wünsche Euch einen sehr gesegneten Morgen, Doktor.«
Mit diesen Worten verbeugte sich der Pfarrer, und ging, das schneeweiße Haupt ein
wenig vorgebeugt, Über den
Ich hatte ihm sehr ehrfurchtsvoll gedankt, und blieb noch ein wenig, um den Wagen des Obrists anzuschauen. Es waren braune Pferde vorgespannt, nicht mehr gar jung; aber schön gehalten, und sehr frisch. Der Wagen war wohl gebaut und gut. Der Knecht sagte mir, daß er später ausspannen und in die Kirche gehen werde, wie es mein Thomas auch immer tut. Die Pferde stehen in dem trocknen und reinen Stalle des Wirtes gut genug. Die vielen und mancherlei Wägelchen der Bauern, die von der Ferne zur Kirche gefahren kommen, bleiben angespannt auf der Gasse, die Tiere werden angebunden, und einige Leute des Wirtes sind auch schon angewiesen, auf sie die Aufsicht zu führen.
In der Kirche sah ich den Obrist. Ich erkannte ihn sogleich vor den andern. Er saß mit seiner Tochter vorne in dem Querstuhle. Mein Sitz ist in der Mittelreihe neben den Bewohnern des Hanges. Ich habe ihn mir erst recht spät nach dem Tode meines Vaters bestellen können. Der Obrist hatte einen schwarzen Rock von Sammet an, darauf sein weißer Bart, den er gestutzt trug, mit sanftem Scheine niederfiel. Sein Haupthaar sah ich mit Freude an: es war länger, als man es gewöhnlich trägt, war glänzend weiß und fiel sehr reinlich gekämmt gegen den Nacken zurück. Daraus sah das Angesicht mit den vielen feinen Falten und den weißen Augenwimpern heraus. Seine Tochter war auch in Sammet, aber in dunkelgrünen gekleidet. Ihre braunen Haare waren über der Stirne abgeteilt. Ich kann die bestaubten Perücken, die man aufsetzt, nicht gerne anschauen, darum gefiel es mir, daß beide so gekleidet waren.
Als ich aus der Kirche kam, mich in meinen Wagen gesetzt hatte und nach Hause fuhr,
sah ich sie, da ich einmal umschaute, hinter mir in einiger Entfernung nachfahren.
Man hat den Ort, wo mein Haus steht, immer den Hang oder auch Waldhang genannt. Dies war noch so, als mein Vater seine Hütte bewohnte, auch noch so, als ich nach Prag ging; aber wie die Häuser mehrere wurden und Zahlen erhielten, nannten sie uns Thal ob Pirling. Dieses erscheint darum so, weil wir, obwohl wir in einem Tale sind, viel höher liegen als Pirling, zu dem unsere Wässer hinab fließen. Ich kann mich an eines nicht gewöhnen, und sage und schreibe, wie das Volk, bald das eine, bald das andere: Hang oder Thal ob Pirling.
Da die Kranken immer weniger wurden, gleichsam als wollte der Frühling alles gut
machen, was der Winter, namentlich sein Ende, Übles getan hatte, das so viele
Krankheiten, wenn auch wenig Tod gesendet hatte – so gewann ich Zeit, nicht bloß bei
der Arbeit in meinem Hause nachzuschauen, sondern auch manchmal in der Gegend herum
zu gehen, wie ja das Gehen meine Gewohnheit ist, und wie ich, wenn die Kranken
weniger sind, in den Wäldern herum gehen muß, Pflanzen anschauen und nach Hause
nehmen, oder unter einem Baume sitzen, etwas lesen, oder etwas auf ein Papier
aufschreiben, oder gar nur auf die Täler und Waldrücken hinaus schauen, die so schön
sind, und auf denen das liebe Blau liegt, und aus deren Schoße manchmal ein dünner,
lichter, freundlicher Rauchfaden aufsteigt. So kam ich einmal durch das Eichenhag,
das ich sehr liebe, hervor und wollte den Bau des Hauses ein wenig anschauen.
»Ich bin der Arzt,« sagte ich, »jung bin ich auch, und wenn die Gegend Gutes sagt, so vergißt sie, zuerst dem zu danken, von dem alles Gelingen kömmt; ich kann nichts tun, als das Gelernte anzuwenden. Wenn ich Dank verdiene, so könnte es eher sein, weil ich auch zuweilen außer meinem ärztlichen Berufe mich bestrebe, den Leuten einiges Gute zu tun.«
»Weil ich Euch hier bei meinem angefangenen Werke sehe,« fuhr der Obrist fort, »so erlaubt, daß ich Euch eine Bitte vortrage. Ich will hier, in dieser ursprünglichen Gegend, den Rest meines Lebens zubringen. Darum möchte ich mit einigen Nachbarn, mit denen ich in Beziehungen geraten werde, und die ich nach ihrem Rufe schon im voraus schätzen muß, in liebe Bekanntschaft und freundlichen Umgang kommen. Erlaubt mir daher, daß ich Euch in diesen Tagen in Eurem Hause einen Besuch abstatte, der mir als dem Ankommenden und Fremden geziemt, und der als Anfang guter Nachbarschaft gelten möge. Meine Tochter müsset Ihr entschuldigen. Ich werde sie nicht mitbringen; denn da Ihr unvermählt seid, möchte es sich nicht schicken, daß ich sie Euch ins Haus führe. Sagt mir, wenn ich Euch in Euren Arbeiten am wenigsten beirre?«
»Ich werde es mir zur Ehre rechnen, Euren Besuch zu empfangen,« antwortete ich, »und weil Ihr so gut seid, Euch nach meiner Zeit richten zu wollen, so wählet die Nachmittagszeit um zwei Uhr, drei Uhr, oder vier Uhr; vormittags bin ich nie zu Hause, weil ich zu denen muß, die auf mich harren.«
»Ich werde zu dieser Zeit kommen«, antwortete er. »Ihr baut ja auch,« fuhr er fort,
»da Ihr also an dieser Sache
Er begleitete mich, da ich nach diesen Worten in den Bau hinein ging, selber in denselben, und setzte mir, da wir darin herum gingen, den allgemeinen Plan auseinander. Da wir noch Verschiedenes, aber hauptsächlich über das Bauen gesprochen hatten, beurlaubte ich mich und nahm meinen Weg nach Hause. Er begleitete mich bis an die Grenze seines Besitztumes, die durch abgesteckte, weit auseinander stehende Pfähle angezeigt war.
Das war also der Anfang dieser Bekanntschaft.
Ich erkannte im Hinabgehen zum Hange gleich, daß er viel geschickter, ineinandergreifender und auch viel schneller baue als ich. Er mußte in dem Dinge bedeutend mehr Erfahrung besitzen.
Als ich zu Hause angelangt war, besuchte ich noch meine Leute, diese grüßten mich freundlich, und arbeiteten lustig fort, während die warme Luft durch die leeren Räume meiner Zimmer strich und schöne weiße Frühlingswolken über den Wald her bei den Fenstern herein schauten. Kajetan trieb die Rinder bei dem Gittertore herein, die Mägde trugen Wasser, weil der Brunnen, der mitten in meinem Hofe sein sollte, immer noch nicht angefangen war, und den Thomas hörte ich aus dem Stalle, wo er mit den Pferden beschäftigt war, bis in meine Stabe herauf singen.
Nach zwei Tagen kam der Obrist zu mir zum Besuche.
Ich führte ihn in meine Stube hinauf; denn ich hatte ihn kommen gesehen und war ihm entgegen gegangen. Wir setzten uns nieder und redeten eine Weile. Er fragte mich um meine Wirksamkeit, und ich setzte ihm dieselbe aus einander. Dann sprachen wir über die Leute, wie sie so in dem Walde vorkommen, und wie sie fügsam oder unfügsam sind. Wir sprachen von den Pflichten der Kirche und Schule, und von denen der Bürger und Untertanen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß er sein Besitztum so erkauft habe, daß es ganz frei ist, ohne Hörigkeit und Lasten, die er schuldig sei. Als er aufstand, zeigte ich ihm mein Haus, wie er mir das seinige gezeigt hatte, und sagte ihm, was ich für Pläne hatte. Er lobte alles und sagte doch hie und da etwas, aus dem ich lernen konnte. Ich zeigte ihm auch meine jungen Pferde, die ihm sehr gefallen hatten. Er mußte viel mit Pferden umgegangen sein. Die Rinderzucht des Kajetan lobte er auch, und bat mich, wenn ich überhaupt Kälber aus diesem Schlage weggebe, daß ich ihm einige zukommen lassen möchte, er würde sich aus dieser Zucht einen Anfang zu der seinigen wählen. Ich versprach es ihm gerne.
Da er fortging, begleitete ich ihn ebenfalls, wie er mich begleitet hatte. Ich ging
mit ihm bis über die Stelle hinauf, wo die Hütte meines Vaters gestanden war. Dort
sagte ich ihm, daß hier die Grenze meiner Besitzung sei, und daß ich mich hier
beurlauben werde. Als wir Abschied nahmen, als er mir die Hand reichte, als wir so
beisammen standen, er, der alte Mann, und ich, der ganz junge – als ich ihm dann, da
er fort war, ein wenig nachschaute
Nach zwei Tagen, ebenfalls Nachmittag, wo ich wieder ganz frei war, erwiderte ich seinen Besuch. Ich habe nämlich nicht dafür gehalten, daß mein zufälliges Zusammentreffen mit ihm bei seinem Baue für einen Besuch zu rechnen sei. Ein alter Diener, den ich fragte, führte mich in das hölzerne Haus hinein. Der Hauptgang des Hauses, der an der Küche vorüber führte, hatte zwei Türen gegenüber, die eine rechts, die andere links. Der Diener führte mich durch die Türe rechts zu dem Obristen hinein. Er saß auf einem niederen Holzstuhle und fütterte selber die zwei schönen Wolfshunde, die ich dazumal zum ersten Male sah, und die mich jetzt so lieben. Die Hunde knurrten auf mich, weshalb er einige Worte zu ihnen sagte, auf die sie sich sogleich, wie im Verständnisse, beruhigten. Das Zimmer war sehr leicht, nur aus genagelten Brettern aufgeführt, einige Koffer standen da, Papiere und Bücher lagen herum, und die wenigen Geräte waren aus weichem Holze zusammengeschlagen.
Der Obrist stand auf, als er mich herein gehen sah, legte die Dinge, die er in der Hand hatte, weg und sagte: »Seid gegrüßt, Doktor, ich muß die eingebildeten Narren manchmal selber füttern, sie meinen, was sie nicht Gutes bekommen, wenn ich ihnen etwas hinein schneide. Wir sind ein wenig weit spazieren gewesen. Wir waren durch das ganze Eichenhag hindurch und gar oben auf den Weiden. Da habe ich selber erst spät mein Mittagmahl gehalten, und dann meinen zwei Begleitern das ihrige gegeben. Ich wollte Euch zum Sitzen einladen, wenn hier etwas wäre, darauf man mit gutem Fuge sitzen könnte.«
Ich legte mein Barett ab und saß auf einen hölzernen Stuhl neben dem tannenen Tische
nieder, an dem er stand.
Wir sprachen wieder von verschiedenen Dingen, wie es bei einem solchen Besuche der Fall zu sein pflegt. Dann sagte er, er wolle mir seinen Bau zeigen, wie ich ihm den meinigen gezeigt hätte. Wir gingen in das Haus, sahen herunten alles an, und stiegen dann auf die Gerüste und betrachteten den bisherigen Fortgang. Er führte mich auch in die Hütte, wo die Steinmetzarbeiten gemacht wurden, und zu dem Platze, wo man mit Kalkbrennen und mit Löschen desselben beschäftiget war. Ich sah, wenn der Mann in diesem Sommer mit dem Hause fertig werden wolle, daß dies auf die Weise kaum gehe, wie es bisher betrieben worden war. Und in den Herbst und Winter hinein konnte er ja doch nicht in den Bretterstuben wohnen bleiben, wenn die Gemächer, die er im neuen Hause beziehen wollte, nicht gehörig ausgetrocknet wären. Ich trug ihm daher an, ich wolle ihm für diesen Sommer alle meine Leute, welche bei der Förderung meines Hauses arbeiteten, überlassen, da er sonst doch keine andern bekäme. Bei mir wäre es einerlei, ob ich sie habe oder nicht. In meinen Stuben, die einmal zu unserer Unterkunft eingerichtet wären, könnten wir fort wohnen, sie bedürfen keiner weitern Vorrichtung, und die andern Gemächer könnten heuer so gut leer bleiben und unvorgerichtet, wie sie es im vorigen Jahre gewesen sind. Im nächsten Sommer würde ich sie dann schon machen lassen, und er und ich, wir könnten uns dann in die Leute teilen, wie wir es für zweckmäßig fänden.
Der Obrist sah ein, daß dieser Vorschlag gut sei, und nahm ihn sehr gerne an.
Da er mir noch die ganze Bretterhütte gezeigt hatte, wie sie eingerichtet sei,
freilich schlecht und nur zu dem
Nach einem kleinen Weilchen, da wir wieder an dem tannenen Tische saßen, ging sie bei der Tür herein. Sie war heute in ganz weißen Kleidern, und diese Kleider hüllten sich recht gut um ihren Körper. Da sie näher trat, war sie in dem ganzen Angesichte sehr errötet. Der Obrist stand auf, ich auch sogleich, er nahm sie bei der Hand, stellte sie vor mich und sagte: »Margarita, das ist der Arzt, der unten im Hange wohnt. Er ist ein sehr rechtschaffener Mann. Wenn wir ihn auch noch nicht näher kennen, so spricht doch der allgemeine Ruf nur lauter Gutes von ihm. Du wirst in ihm, wie ich mir zu hoffen getraue, in Zukunft unsern guten Nachbar und unsern Freund verehren.«
Dann sagte er, indem er sich zu mir wendete: »Diese ist meine Tochter Margarita, sie hat nur mich allein, und wohnt jetzt mit mir in dieser Bretterhütte, und wird dann mit mir in dem Hause wohnen, wenn es einmal fertig geworden ist.«
Sie hat zu diesen Worten nichts gesagt, sondern nur die Augen niedergeschlagen und sich verneigt.
»Du kannst nun schon wieder hinüber gehen in dein Zimmerchen, mein Kind«, sagte er.
Worauf sie sich noch einmal verneigte, und fort ging.
Wir blieben noch eine Weile bei einander sitzen, und dann nahm ich Abschied und ging nach Hause.
Am andern Tage sagte ich meinen Arbeitern, was ich für
Nachdem wir diese zwei Anfangsbesuche gemacht hatten, wobei wir beide in unsern
schönsten Kleidern waren, ging die Sache schon in einem leichteren Geleise. Die
Krankheiten des Winters hatten sich so glücklich gehoben, und der Gesundheitszustand
des schönen Sommers war so vorzüglich geworden, daß ich viele Zeit frei hatte und zu
meinem Belieben verwenden konnte. Das Bauen hatte für mich eine solche Annehmlichkeit
gewonnen, und meine Zimmer und mein Haus erschienen mir so leer, seit ich die Leute
zu dem Obrist hatte hinauf gehen lassen, daß ich öfter selber in das Hag hinauf ging,
um dem Bauen zuschauen zu können. Die Sache ging jetzt wirklich sichtbar rascher,
seit er die mehreren Hände gewonnen hatte, als früher, obwohl es da auch, wie ich
schon gesagt habe, viel schneller von statten ging als einstens bei mir. Der Obrist
kam auch häufig zu mir, und wir sahen sehr bald schon nicht mehr darauf, wer dem
andern einen Besuch aus Höflichkeit schuldig sei oder nicht, sondern wie es einen
anmutete, daß er zu dem andern gehen sollte, nahm er sein Barett und ging. Es ist
eine wahre Freude für mich geworden, die Gespräche dieses Mannes anhören zu können,
und es tat mir auch wohl, von dem, was ich dachte, was ich erforschte, und was ich
für die Zukunft vor hatte, zu ihm reden zu können. Ich war jetzt gewöhnlich vor
meinem Mittagsmahle schon mit meinen Tagesgeschäften fertig, und ging nachmittags,
wenn die Sommersonne wie ein glänzendes Schild zu den Abendwäldern sachte
Seine Tochter Margarita war sehr schön. Ich habe einmal eine in Prag gekannt, Christine, die Tochter eines Kaufherrn, die sehr schön gewesen ist, aber Margarita war viel schöner.
Das einzige, was in meinen Sachen dieses Sommers gefördert wurde, war der Wagen, welchen ich für die zwei jungen Pferde bestellt hatte, und welcher ankam. Wir versuchten die Tiere darin, und der Obrist war herunten, und gab uns in vielen Kleinigkeiten hiebei seinen Rat, der uns außerordentlich zum Vorteile war. Er nahm einmal sogar selber die schlanken Rappen in die Leitriemen zusammen und fuhr mit ihnen so geschickt den Weg entlang, als wären sie seine Wolfshunde, die ihm sehr folgen. Der Wagen war schön, leicht, und war in seinen Einrichtungen und in seiner Gestalt zu meiner Zufriedenheit ausgefallen. Der Obrist zeigte dem Thomas mehrere Anstalten, wie er die jungen Pferde behandeln solle, damit sie im besten Gedeihen fort lebten.
Mehrere Tage nach der Sonnenwende wurde das Dach auf das Haus des Obrist gesetzt. Es
war der Richter der oberen Häuser, worunter das Hag gehört, zugegen, es war
Am darauf folgenden Tage begann man die Deckung des Daches, und es wurden die Stuben, die der Obrist im Winter zu bewohnen gedachte, und welche bereits eingedielt waren, im Innern vorgenommen, daß sie heraus geputzt würden, daß man die Kamine verziere, die Fenster setze, und wenn die Mauern gehörig ausgetrocknet wären, sie mit einer sanften Farbe übertünche.
Der Sommer war aber auch so überaus günstig, wie selten einer über unsere schönen Wälder herabgekommen ist. Es war oft eine Reihe von Tagen hinter einander einer schöner als der andere, und wenn auch Wolken erschienen, so dienten sie bloß zur Verzierung des Himmels, indem sie am Tage in Silber und Edelsteinen schimmerten und abends in rotbrennenden Bändern und Schleiern über die Bäume, über die Berge und über die Saaten hinaus standen. Und weil der viele Winterschnee so langsam geschmolzen ist, so war trotz der langen Regenlosigkeit keine Dürre, sondern die tiefe, innere Feuchtigkeit der Erde machte ein Grün auf unsern Wäldern und Feldern, daß einem das Herz lachte, und die Quellen und Bäche der Täler hüpften und sprangen ohne Abgang des Wassers, als würden sie heimlich immer wieder von Geistern oder Engeln genährt.
Als das Haus des Obrists eingedeckt war, als alle Dielen und Fußböden gelegt waren,
als man von außen die Mauern herab beputzt und die Fenster eingesetzt hatte, sah es,
noch ehe die heißen Tage des Erntemonats vorüber gegangen waren, von außen aus, als
ob es schon vollkommen fertig wäre. Die Gerüste und alle die Balken und rohen
Werkzeuge des Baues waren entfernt, und das Haus
Als die goldgelben Wagen des Kornes und der Gerste in die Scheuern gingen, kamen
eines Tages auch andere Wagen, die mit Truhen und Verschlägen bepackt waren. Sie
enthielten Sachen des Obrists, mit denen er in die fertigen Gemächer seines Hauses
einziehen wollte. Als die Dinge abgepackt, heraus genommen und nach ein paar Tagen
gestellt waren, führte er mich in die Zimmer hinein. Das Haus des Obrists hat kein
Stockwerk wie das meinige, sondern die Wohnungen sind an der Erde und nur um einige
Stufen gehoben, weil unter ihnen Vorratskammern, Obstlagen und andere derlei kühle
Behältnisse angebracht waren, deren kleine, vergitterte Fenster nur wenig oberhalb
des Sandes des Gartenweges heraus schauten. Das Innere des Hauses enthält einen Gang,
dessen eine Seite durch sehr große Glasfenster geschlossen ist, außer denen ein
gläsernes Haus ist, in welchem Gewächse stehen. Die andere Seite enthält die Türen zu
den Wohnungen; eine zu zwei Zimmern des Obrists, eine andere zu denen Margaritas.
Zwischen beiden ist das Bücherzimmer; man kann aber durch dasselbe von dem Obrist zu
Margarita kommen. Das eine Ende des Ganges, gleich neben Margaritas Tür, ist durch
ein großes Zimmer geschlossen, das viele und große Fenster hat, weil das Zimmer
In diesem Sommer trockneten die Mauerwerke so schnell, daß man es kaum glauben sollte; desohngeachtet schliefen der Obrist und Margarita immer in der hölzernen Hütte, und waren nur am Tage, wo alle Fenster offen standen, in ihrer Wohnung. Alles, sagte der Obrist, sollte so trocken sein, als es nur immer möglich ist, und dann würden sie erst im späten Herbste, wenn es in der Bretterhütte bereits zu kalt würde, ganz und gar in ihre Wohnung hinüber gehen. Auf gleiche Weise hielt er es mit den Dienstbotenzimmern und dem Stalle, die auch schon fertig und zu beziehen waren.
Als die Arbeit an dem Hause und deshalb auch die Aufsicht immer weniger wurde, gingen
wir an den Nachmittagen, weil die Hitze sich milderte und die sanfteren Tage des
Herbstes heran rückten, sehr viel in der Gegend herum. Wir gingen täglich spazieren.
Ich führte den Obrist an manche Stellen der Wälder, wo der Eistag des Winters große
Zerstörungen angerichtet hatte und die dorrenden Bäume noch über einander lagen; denn
ich kannte viele Stellen sehr gut, und fand sie, wenn ich auf meinen Gängen die
Wälder in verschiedenen Richtungen durchschnitt, oder oft ohne allen Weg über einen
Bühel oder eine Waldschneide gerade herüber ging. Wir waren auch in der Höhle im
Dusterwalde gewesen, in welcher der Josikrämer drei Tage und Nächte des Winters hatte
zubringen müssen. Margarita war meistens mit uns. Wir gingen öfter durch das ganze
Eichenhag hinaus, wir gingen über die Weidebrüche, in die entfernteren Ortschaften,
auf einen Berggipfel, so zwar, daß schon manchmal die Sterne flimmerten und oberhalb
uns das leise,
Zuweilen besuchten sie mich auch in meinem Hause. Als Margarita zum ersten Male herunten gewesen war, zeigte ich ihr meine schwarzen Pferde, ich zeigte ihr auch meinen Hühnerhof, wo die Geflügel zwischen einer großen Einzäunung herum gehen können, und ich zeigte ihr dann den Vorrat der Scheuer, und die schönen Kühe, welche Kajetan und die Magd pflegen und zu meiner Zufriedenheit so rein halten. Als sie die Kälber sah, sagte sie, wenn ich schon dem Vater eines geben wolle, wie es im Vornehmen sei, so sollte ich ihm doch dieses geben. Sie hatte eines ausgesucht mit sehr schönem weißem Kopfe, mit weißer Fahne und dunkelbraunen Lenden. Sie gehen nicht häufig mit einer solchen Zeichnung in unsern Waldweiden herum. Ich sagte ihr, daß ich wohl selber gedacht habe, dieses würde ich hinauf senden, und sobald der Stall im Hage oben im bewohnlichen Zustande wäre, so würde das Kalb geschickt werden und mit ihm ein anderes, das fast eben so aussähe, nur in dem Augenblicke nicht hier sei, damit ein Anfang gemacht würde zu schönen, glänzenden, zutulichen Rindern.
Als der Winter hereinbrach, war er so milde, wie ich mich nicht erinnere, je einen solchen in unserem Lande erlebt zu haben. Der Obrist und Margarita zogen im späten Herbste, da sonst lange schon Reife und Fröste auf unseren Wiesen gewesen waren, heuer aber noch immer eine milde Spätsonne herunter lächelte, in ihre Wohnung. Sie wendeten auf meinen Rat ebenfalls das Mittel der ausgeglühten Pottasche an; aber dieselbe zeigte, wenn sie eine Zeit in der Wohnung gestanden war, so wenig Zuwachs an Wasser, daß die äußeren Dicken der Mauern gewiß als vollkommen trocken angesehen werden konnten. Der Obrist ließ im Winter immer in seinen noch nicht fertigen Räumen ein wenig fortarbeiten.
So hatte ich oft verschiedene Zufälle auf meinen Wanderungen.
Als der Winter weiter vorrückte und der Schnee schon eingefallen war, ging ich öfter,
wenn ich erst spät nach Hause kam, wie es bei der Jahreszeit fast täglich der Fall
war, noch im Abende oder in der Dunkelheit der Nacht in das Haghaus hinauf. Der
Obrist hatte in das Bücherzimmer eine sehr große Heize machen lassen, darin man die
Scheite, welche hinein getan wurden, durch ein feines Gitter hindurch lodern sehen
konnte. Auch hat er Geräte von denen, welche angekommen waren, hinein gestellt, daß
man auf ihnen herum sitzen und den Schein des Feuers auf dem Fußboden anschauen
konnte. Wenn dann die große Lampe kam, die, auf den Tisch gestellt, das ganze Gemach
mit Licht erfüllte, sahen wir Schriften an, wovon der Obrist manche aus verschiedenen
alten und merkwürdigen Zeiten hat, oder Bücher, in denen etwas gelesen wurde, oder
wir saßen bloß vergnügt in der so freundlichen Stube und redeten von den
verschiedensten Dingen der Welt. Und wenn ich dann nach Hause ging und ein Gestöber
war, oder die weiche Schneefläche vor mir lag, die in der trübsten Nacht einen feinen
Schimmer gab, begleiteten mich gerne die zwei Wolfshunde, sie gingen oft bis an den
Hügel mit, auf welchem die Eschen
Im Winter kamen auch Verschläge an, in denen Bilder waren, welche der Obrist in verschiedenen Zeiten seines früheren Lebens erworben hatte. Wenn ich dann an einem schönen, klaren Wintertage hinauf kam, zeigte er mir sie, lehrte sie mich kennen und ihre Vollkommenheiten empfinden. Einige sehr schöne hing Margarita in ihren Zimmern auf, die anderen wurden in den Zimmern des Obrists an verschiedenen Stellen, die er recht sorgfältig auswählte und prüfte, aufgemacht. Ich habe nie so schöne Dinge gesehen, oder ich habe sie in den früheren Zeiten meines Lebens nicht erkannt.
Als der Frühling kam, der heuer so früh eintrat, wie ihn niemand vermutete, fing der
Obrist, da nur erst der Schnee weg war und die Erde weich wurde, sogleich alle seine
Arbeiten wieder an. Er ließ das Eichenhag, in so weit es sein Eigentum war, reinigen,
das dichtere, unnützere Gestrippe mußte weg, der Boden wurde von den häßlichen
Abfällen befreit und, daß er schönes Gras treibe, mit eisernen Rechen gerechet. Die
dürren Bäume wurden umgehauen, und wo einer auch nur einen verdorrten Ast zeigte,
wurde derselbe an ihm, wie man es kaum an einem Obstbaume tun könnte, mit der größten
Sorgfalt weg gesägt. Die Senkung, wie ich es schon am Eingange dieser Schrift gesagt
habe, ein lichtbraunes, faules Moor, darauf nur die kleinen Sumpfföhren und die roten
Moosbeeren wuchsen und ein gelbes Gras war, dessen Spitzen braun wurden, hatte er an
sich gekauft, und fing an, es, wie ich schon oben aufgeschrieben habe, zu einer Wiese
umzugestalten. Auch seine Felder, die er zugleich mit dem Hausplatze gekauft hatte,
wurden in Arbeit genommen und zur Saat vorbereitet. Er hatte deshalb
Um diese Zeit kamen auch die Bücher an. Mehrere große Truhen von weichem Holze wurden
abgeladen, in denen sie waren. Sodann wurden sie ausgepackt. Der Obrist hatte die
traulichen Geräte, unter denen wir den Winter zugebracht hatten, aus der Stube fort
geschafft, und Haufen von Büchern lagen herum. Die mehreren Schreine, in welche sie
kommen sollten, waren fertig geworden und wurden an den Wänden an ihren Stellen
aufgestellt. Wenn der Obrist nicht Zeit hatte, weil ihn die verschiedenen Arbeiten
bald hierhin, bald dorthin riefen und bei sich behielten, half ich selber die Bücher
ordnen und an ihre gehörigen Plätze stellen. Eine solche Bücherei wäre eigentlich
meine rechte Freude. Oft stand ich auf der Doppelleiter, die man hatte machen lassen
und deren Füße mit Tuch überzogen waren, daß sie den Boden nicht beschädigen, und
stellte die Bücher, eines nach dem andern, auf verschiedene Plätze, wie es mir
tauglich schien, und wie sie sich der Natur zu Folge reihen sollten. Margarita stand
unten, und reichte sie mir dar. Dann schrieben wir auf, wie wir sie gestellt haben,
daß man sie wieder
Margarita hatte jetzt noch mehrere Bilder in ihre Zimmer bringen und dort aufhängen lassen. Sie führte mich zu manchen hin und zeigte mir, wie ihr dieses daran gefalle, und dann dieses, und dieses.
Da die warmen Tage heran rückten und das weiche grüne Gras die Hügel bedeckte, obwohl
der harte Obstbaum noch keine Knospe trieb, und nur erst das niedere Gesträuch an den
Bächen, dann die Holunder, die Weiden sich mit kleinen Blättern und grauen Kätzchen
bedeckten, wurde das Fest der Grundsteinlegung des Hauses gefeiert. Es waren ungefähr
die nämlichen Menschen zugegen, wie damals, da der Zimmermannsspruch bei der
Aufstellung des Dachstuhles abgehalten wurde. Man öffnete die Marmorplatte des
Steines, der unter dem Haupteingange des Hauses lag, welcher Eingang durch ein
Vorgemach in den Blumensaal führte, aus dem man dann in den Gang kam, an den die
Wohnzimmer des Obrists und Margaritas grenzen. Unter der gehobenen Marmorplatte kam
ein hohler Würfel, ebenfalls aus Marmor, zum Vorscheine, der durch eine sehr starke
Glasplatte geschlossen war. Als man auch diese Platte gehoben hatte, zeigte sich der
hohle Raum, der bestimmt war, die Gedenksachen, die man hinein tun wollte,
aufzunehmen. Der Raum war ganz mit Glas, welches nämlich gar keiner Art Fäulnis
Der Obrist, deucht mir, hat solche Feste wie die zwei,
Nur die Arbeiter hatte er im Hause, die zu den Dingen notwendig waren, die noch hergerichtet werden mußten, daß das Haus gleichsam als fertiges betrachtet werden konnte. Dann hatte er noch an Gesinde im Hause, was er zur Bearbeitung und Herrichtung der Grundstücke und zur Versehung der Hausarbeit brauchte. Ich hatte ihm auch heuer an Leuten wieder überlassen, was ihm nötig sein mochte, ohne daß er um die Abtretung etwas wußte. Ich förderte in meinem Hause so viel wie gar nichts, ich bin noch jung und kann alles nachholen, er aber ist alt, hat an dem, was er hier angefangen hatte, Freude, und soll sie noch so viel genießen, als es in dem Überreste des Lebens möglich ist, den er noch hat.
Es war von Besuchen und Leuten, die kommen sollten, bei ihm nun gar nichts vorhanden:
nur ich allein, wie der Frühling mit aller Pracht und Herrlichkeit herein brach und
mir, wie gewöhnlich, eine große Verminderung meiner Berufsgeschäfte brachte, ging
beinahe täglich zu ihm hinauf – und ich glaube, daß ich sehr gerne gesehen worden
war; denn wenn ich doch eines Tages verhindert wurde, weil etwas Unversehenes
ausbrach, daß ich bis tief in die Nacht zu fahren oder gehen hatte; oder wenn ich
wegen einer Angelegenheit, die mir schwer denken machte, bei den Büchern oder in
eigenem Nachdenken sitzen mußte, daß ich nichts verfehle; so sandte er gleich
jemanden herab, um fragen zu lassen, ob ich wohl sei, oder ob sonst etwas Wichtiges
eingetreten wäre, daß ich nicht gekommen sei. Ich ließ ihm immer die Ursache genau
zurück sagen. Nur eins fiel mir ein, das mir großes Denken
Ich ging also täglich in das Haghaus hinauf, wie es meine Berufsgeschäfte
gestatteten, und wie meine Zeit aus war, die ich an diesem Tage zu meinen Pflichten
anwenden mußte. Eine liebliche, eine schier unaussprechlich schöne Zeit war auf uns
herabgekommen, meine Felder standen in wirklicher Pracht, die des Obristen auch, und
wir hatten unsere Freude darüber. Ich zeigte Margarita einmal meine Rappen, weil ich
schon zuweilen mit ihnen fuhr, und sie liebte die schönen, schlanken und herrlichen
Tiere, die so lustig und jugendlich, und fromm und folgsam waren. Wir gingen weit und
breit in den Feldern und Wäldern herum. Ich nannte Margariten die kleinen Blümchen,
die oft da waren, die kleinsten, die ein Äuglein aufmachen, das man im winzigen Grün
nicht sieht;
Ich willigte freudig ein, als er dieses gesagt hatte, und schämte mich, einen so kleinen Zweck gehabt zu haben.
Wir erstanden recht leicht und um ein billiges Geld das Steingewände, und mancher Nachbar, der davon hörte, hielt die Sache für eben so unklug, als ich sie selber anfangs dafür gehalten hatte. Der Obrist schickte einen Mann hinaus, der in den Abständen, in denen die Pflänzchen zu stehen kommen sollten, kleine Vertiefungen in die Steine machen und sie unten lockern mußte. In diese Vertiefungen wurde dann Erde getan, aber eine nur um ein kleines bessere, als sonst in den Rissen des Steingewändes war, damit die Pflänzlein, wenn sie die ersten Wurzeln in dem guten geschlagen und dasselbe gewöhnt hätten, nicht dann stürben, wenn sie ihre Fasern in den Fels treiben müßten. Der Obrist wählte den Samen dann von Föhren, die oberhalb des Gehänges in noch steinigerem Grunde standen, als der unsere war, damit ihm der bessere Grund wohltue und er in demselben gut anschlagen möge. An einem Tage legten wir mit Hülfe mehrerer Leute den Samen in die mit Erde gefüllten Vertiefungen und deckten ihn wohl zu. Margarita hatte vorher die schönsten Körner ausgesucht.
Der Obrist hatte auch noch einen andern Plan, der ihm aber viel schwerer auszuführen
schien, woran er aber demohngeachtet nicht verzagte, wie es ja schon seine Natur war.
Er wollte die Leute der Gegend vermögen, aus den obwohl gut erhaltenen Wegen doch
noch bessere, nämlich gleich Straßen zu machen. Er sagte, er hoffe auf die Zeit.
Vorerst aber legte er als Beispiel ein Stück einer solchen Straße auf seinem Grunde
an, wo nämlich der Weg von Sillerau durch ihn nach Haslung führt, auf welchem Wege
doch so manche Menschen Gelegenheit hatten, zu
Aus dem Frühlinge war endlich der Sommer geworden. Der Baum des Waldes, der Strauch des Hages, das Obst der Gärten, das Gras der Wiesen und die Frucht der Felder, alles stand recht schön. Ich hatte, wenn ich um drei Uhr oder auch um vier Uhr des Morgens aufbrach, bis gegen Mittag all meine Dinge abgetan, und brachte den Nachmittag im Haghause zu. Wenn ich hinauf ging und die Hunde mir nicht entgegen sprangen, wußte ich, daß der Obrist nicht zu Hause, sondern mit ihnen auf irgendeiner Stelle seiner Felder sei. Wenn dann unter dem Gesinde, das sich rührte, oder unter den Knechten, die die Arbeit taten, Margarita mit ihrem feinen Strohhute stand, gingen wir mit einander, den Vater zu suchen, oder wir gingen auch in dem Felde oder in dem Walde dahin und redeten von verschiedenen Dingen. Ich legte ihren Arm sanft auf den meinigen.
Eines Tages gingen wir auf dem Wege des Lidenholzes. Sie war in dem aschgrauen?
geglänzten Gewande, das so schön ist. Sie trägt nicht die Kleider, wie es jetzt die
Frauen so anfangen, daß sie von den Hüften weg stehen, sondern sanft hinab gehend,
daß die junge Gestalt freundlich ausgedrückt ist. Das Lidenholz wurde vor vielen
Jahren an vielen Stellen ausgehauen, daß man überall die Durchsicht hat und an vielen
Plätzen auf freien, mit Stöcken und hohem Grase besetzten Flächen dahin geht. In den
Holzschlägen wachsen verschiedene Blumen gemischt, und oft seltnere und gewiß
schönere, als man sie auf gewöhnlichen Wiesen zu finden vermöchte. – – Da fragte ich
Margarita, ob sie mich recht liebe. – – Wir standen vor einer Grasstelle, wo die
hohen, äußerst dünnen Schäftchen aus derselben emporstanden und oben ein Flinselwerk
trugen, grau oder silbern, in welchem die Käfer summten oder Fliegen und
Schmetterlinge spielten.
Als wir in das Haus kamen, fanden wir den Obrist in dem Bücherzimmer. Er saß vor dem Tische, hatte etwas Wein vor sich, und von den runden weißen Broden, die er so gerne ißt. Er sagte, daß er auf dem Felde sich sehr viel Hunger gesammelt habe, und daß er hier sein Nachmittagbrod halte. Margarita setzte sich neben ihm auf einen Stuhl, redete einige Worte, schwieg dann, und sann. Ich blieb auch nicht lange, sondern, als er mit seiner Erquickung fertig war und in den Garten ging, nahm ich Abschied und begab mich auf den Heimweg.
Als ich über den Hügel, wo die Eschen stehen, hinab wandelte, ging die Sonne, wie ein
prachtvolles goldenes Schild, zwischen mehreren Bergen von Wolken unter, die sogleich
zu brennen anhoben. Durch den ganzen Himmel
Da ich in meinen Hof hinein ging, kam mir der Bube Gottlieb entgegen und zeigte mir sein Buch, in das er schreibt, und wie er schon große Fortschritte gemacht habe. Ich erzählte ihm, was ich eigentlich hatte verschweigen wollen, daß ich ihm schon ein Stück Wiese gekauft habe, das er einst bekommen wird, und daß ich schon für ihn sorgen werde, wenn er gut lernt und ein ordentlicher, braver Mann wird, der sich eines Geschäftes annimmt. – Dann ging ich in meine Stube.
Es kam jetzt eine schöne Zeit. Ich liebte meine Kranken, es tat mir das Herz oft viel woher, wenn ich ein Kindlein in dem Bette liegen sah, die armen Augen auf mich geheftet, und wenn ich nicht im Stande war, die Krankheit zu beschleunigen, daß das unschuldige Wesen bald befreit werde – oder wenn ich einen Jüngling sah, dessen rosige Wangen durch das Fieber noch röter und dunkler und von harter Farbe wurden, und er mich bat, ich möchte ihm nur etwas geben, daß die Hitze aufhöre; denn dann sei er schon ganz gesund; ich aber einsah, daß durch diese Hitze, die er so leicht weg zu bringen vermeinte, leichtlich seine ganze heitere rosenfarbene Zukunft abgeschnitten werden möchte – oder wenn ich zu einem alten Mütterlein kam, das niemand mehr hatte, dem alle weggestorben waren, das in Ergebung auf den Tod wartete, und dennoch, wenn ich fort gehen wollte, den Blick auf mein Auge heftete, ob sie darin Hoffnung lesen könnte. Ich gab manchmal dem Kranken die Arznei und ein Stück Geld dazu, daß er sich eine Suppe verschaffen konnte.
Als ich am andern Tage, da ich die Frage an Margarita getan hatte, wieder in das
Haghaus hinauf gekommen war, ging sie mir entgegen, nahm mich bei der Hand und führte
mich in ihr Zimmer hinein. Sie führte mich an
Sie zeigte mir auch ihre Hühner und das andere Geflügel, und führte mich in den Stall, und zeigte mir die zwei Kälber, wie sie schön seien, und wie sie sich jetzt schon völlig ausgewachsen hätten. Wenn sie groß würden und wieder Nachkommen hätten, dann würde das andere Vieh nach und nach weg getan, und nur, das von ihnen gekommen, aufbehalten.
Ich brachte ihr, wenn ich in Tunberg oder in Pirling draußen gewesen war, bald eine Blume mit, bald ein Steinchen, das sie noch nicht hatte, oder ein Band, oder sonst etwas, zum Beispiele ein Ding, wo hinein sie ihre Nadeln und Scheren legen konnte. Sie fing auf einem seidenen Tuche Blumen zu sticken an, und sagte, das würde über die große Tasche gespannt werden, in welcher ich immer meine Papiere hatte; dann machte sie mit Gold und Seide ein Ding auf mehrere Bänder, und erklärte mir, das müsse auf die Halsgeschirre der Rappen getan werden, wenn ich einmal im Winter im Putze mit ihnen ausführe.
Wir fahren an allen Sonn- und Festtagen in die Kirche nach Sillerau. Da sahen alle
Menschen nach ihrer Schönheit hinüber, wenn sie in dem Querstuhle vorn neben ihrem
Vater saß. Er hatte an allen großen Festtagen die goldene Kette um, die ihm der
Kaiser einmal gegeben hatte, und sie hatte alsdann ein seidenes Gewand mit
Gegen Ende des Sommers kletterte ich einmal um eine seltene Blume auf die Schneide des Dusterwaldes, weil ich wußte, daß sie dort um diese Zeit blühe, und brachte sie ihr. Sie hatte eine sehr große Freude darüber.
So ging der Sommer dahin. Wir wandelten wieder, wie im vorigen, in allen Wäldern, Wiesen und Feldern herum, nur daß wir heuer oft noch viel weiter waren, als im vorigen Jahre, und manchen beschwerlichen Weg machten, um irgendeinen Platz zu besuchen, von dem man Pracht und Schönheit der Wälder überblicken konnte, oder wo die schauerliche Majestät war, da sich Felsen türmten, Wasser herab stürzten und erhabene Bäume standen.
Ich hatte den ganzen Sommer hindurch nicht mehr gefragt, ob sie mich liebe. Einmal aber, im späten Herbste, da wir im Eichenhage draußen bei der großen Eiche ihres Vaters standen, alle Gesträuche schon die gelben Blätter fallen ließen, nur die Eichen noch ihren rostbraunen Schmuck recht fest in den Zweigen hielten, fragte ich sie wieder: »Margarita, habt Ihr mich wohl lieb?«
»Ich liebe Euch sehr,« antwortete sie, »ich hab Euch über alles lieb. Nach meinem Vater seid Ihr mir der liebste Mann auf der Welt.«
Sie hatte dieses Mal die Augen nicht niedergeschlagen, sondern sie sah mich an, aber auf die Wangen ging doch ein recht schönes, sanftes Rot, als sie dieses sagte.
»Ich liebe Euch auch recht innig,« antwortete ich, »ich liebe Euch mehr, als alle
andern Menschen dieser Erde, und da mir alle Angehörigen gestorben sind, so seid Ihr
auf dieser Welt das Höchste, das ich liebe. Ich werde
Sie reichte mir ihre Hand. Ich faßte sie, und wir drückten uns die Hände. – Wir ließen dann dieselben nicht los, sondern hielten uns an ihnen. Wir blieben noch länger stehen, schwiegen, und sahen in das verdorrte Gras nieder. Einzelne gelbe Blätter lagen von den Gesträuchen, die unter den Eichen wuchsen, und die schwach wärmenden Sonnenstrahlen der späten Jahreszeit spielten zwischen den Stämmen und den Zweigen rötlich herein.
Dann gingen wir in das Haghaus, und sie mußte dem Vater an dem Tage noch lange vorlesen. Ich hörte zu, und ging in der Nacht nach Hause.
Ach – es war jetzt so schön auf der Erde – so mit Worten unaussprechlich schön. Ich kniete einmal auf den Schemel, der in meiner Stube vor dem Fenster ist, nieder, da draußen Nacht war und unendlich viele Herbststerne an dem Himmel glänzten, und dankte Gott für mein Glück. Seit meine Angehörigen gestorben waren, war keine so schöne Zeit gewesen.
Ich ging jeden Tag in das Haghaus hinauf. Selbst als der Winter gekommen war, und als
ich nicht nur den Vormittag, wie sonst, sondern meistens auch den Nachmittag in
meinen Geschäften zubringen mußte – denn erstens konnte ich wegen der großen
Finsternis nicht früh genug ausfahren, und zweitens hatten sich die Krankheiten
vermehrt – ging ich doch noch immer, wenn nur die Nacht nicht zu weit vorgerückt war,
in das Haus hinauf, und sah die letzten Scheite in der großen Heize in dem
Büchergemache verglimmen. Wenn ich zuweilen ganz durchnäßt nach Hause kam, weil es
nicht selten von dem Wagen oder Schlitten weg noch durch wilde Schneehaufen oder
Wässer zu einer Hütte, in der ein Kranker lag, zu klettern war: kleidete ich mich um,
Wenn das Gedränge der Ratholenden geringer war, und ich gesagt hatte, daß ich morgen schon am Nachmittage bei scheinender Sonne kommen würde, so stand sie unter der Tür des Hauses, machte wegen des Glanzes der Wolken und des Schnees, der auf den Höhen lag, mit ihrer Hand einen Schirm über die Augen und sah der Fläche nach hinab. – Sie sagte mir nachher, daß sie nach mir ausgeschaut hatte.
So floß der Winter nach und nach vorwärts. Wir lasen etwas aus den Büchern oder aus den seltenen Schriften des Obrists, deren er eine ganze Sammlung hat, oder wir sprachen von verschiedenen Dingen. Der Obrist fragte um alle möglichen Verhältnisse der Menschen des Waldes, und wenn ich ihm sagte, was mir bekannt war, sah ich, daß er alles ohnehin schon am richtigsten wußte. Oft war wohl auch ein Mann aus der Umgegend da, der Obrist setzte ihm ein Glas Wein und Brod vor, und ehe die Nacht weit vorwärts rückte, machte sich der Besuchende wieder auf, und begab sich nach Hause.
Wenn solche lichte Nachmittage waren, wie ich oben sagte, sahen Margarita und ich sehr gerne die Bilder an, die da waren. Sie zeigte mir vieles und erklärte mir vieles; denn hier wußte sie mehr als ich, weil sie seit ihrer Kindheit immer die Bilder um sich gehabt und von dem Vater die Einsicht in dieselben bekommen hatte es ist unglaublich, welch Wunderbares und Schönes in diesen Bildern liegt. Manchmal gingen wir dann hinaus und sahen die Wolken und andere Dinge an, und erkannten und freuten uns, daß sie auf den Bildern so gemacht waren, wie sie sind. Ein anderes Mal sagte sie mir wieder alles auf, was sie von mir gelernt hatte, und fragte mich, ob es so recht sei.
Ein paar Male war er mit Margarita auch sogar bei mir herunten, und das letzte Mal ließ ich seine Braunen heimlich in das Haghaus zurück gehen und führte ihn dann mit Margarita mit meinen Rappen hinauf, da sie zum ersten Male die schönen Bänder, die ihnen von Margarita gemacht worden waren, auf sich hatten.
Manchmal, wenn wir so an späten Abenden bei einander saßen, draußen strenge Kälte
herrschte, und herinnen in der Heize die großen Blöcke glommen, ihren roten Schein
mit dem weißen der Lampe im Raume des Zimmers mischten, der Obrist an seinem schönen
weißen Barte von der Glut rosenfarben angeleuchtet in dem Armsessel saß, und ich und
Margarita neben einander ihm gegenüber: so legte sie gerne ihre Hand auf die meine,
wir faßten unsere Hände, und hielten uns längere Zeit dabei, während von ganz fremden
Dingen der Welt draußen, oder von anderen, die uns schon näher angingen, die Rede
war. Der Obrist hat dieses gesehen, er hat aber nie etwas darüber gesagt. Wenn andere
eine Neigung zu einander haben, suchen sie dieselbe zu verheimlichen, wir aber taten
dieses nicht, sagten aber auch nichts, und lebten so mit einander fort. Wir haben
auch zu uns selber
So war der Winter endlich dahin und wieder der Frühling gekommen, die liebliche Freude unserer Wälder. Da geschah etwas, das alles änderte.
Zwar der Obrist ist nicht geändert worden. Wenn ihm sogar etwas Böses angetan wird, so erkennt er es für einen Irrtum, hat Mitleid und trägt nicht nach. Ist nicht die schöne Unterredung, die er mit mir hatte, selber ein Beweis davon?
Ich habe mich so gerne bei der Zeit meiner Ankunft verweilt, ich habe mich gerne bei der Zeit verweilt, in der ich zu bauen und zu wirtschaften angefangen habe; es war eine einfache, schuldlose Zeit – ich weilte gerne dabei, wie der Obrist gekommen ist, mit ihr, der Lieben, der Guten; es war eine glückselige Zeit – – alles ist aus – und sie, gerade sie hat mir so große Schmerzen gemacht; aber es ist nicht sie, ich erkenne es jetzt wohl, sondern ich, ich allein. – Es liegt die lange, schwere Zeit vor mir, und viele Jahre wird es brauchen, bis ich mich in sie hinein lebe.
Ich will alles eintragen.
Als die Tage der Blüten gekommen waren – mein Vogelkirschbaum, der liebe, große,
kronenreiche Baum, den ich noch von Allerb auf mich gebracht hatte, war mit einem
ganzen weißen Meere von Blüten bedeckt; in den
Als, wie ich oben anfing, die Zeit der Blüten über uns war, fand sich in dem Haghause ein Besuch ein, auf den alle nicht vorbereitet waren. Es kam Rudolph, der Bruderssohn des Obrists. Einen schöneren Jüngling würde man sich wohl kaum denken können. Es gingen von dem rosenfarbenen Angesichte die dunklen, schwarzen Haare zurück, und die großen Augen blickten sehr wohlgebildet aus dem Angesichte. Sein Vater und seine Mutter waren schon vor längerer Zeit gestorben. Er war gekommen, um eine große Summe, die in Vorschein gekommen, und verloren geglaubte Schuldgelder, die eingegangen waren, mit dem Oheime zu teilen, dem einstens unrecht geschehen war. Der Obrist nahm ihn mit vielen Freuden auf, zeigte ihm große Liebe und gab ihm viele Geschenke, die er als Denkmale seines Aufenthaltes bei seinen Verwandten auf sein Schloß mitnehmen und aufheben sollte. Von der Summe aber nahm er nicht den Teil, den ihm der Jüngling geben wollte, sondern, wie in früherer Zeit, wieder das wenigste, das sich noch mit seinen Pflichten gegen Margarita vertrug. Rudolph lebte mit einem Manne, einem Amtmanne seines Vaters, den er sehr liebte und ehrte, ganz allein auf dem Schlosse, und bewirtschaftete sein Vermögen. Mir wurde er, da ich in jenen Tagen hinauf kam, vorgestellt, und er war immer sehr bescheiden und ehrfurchtsvoll gegen mich. Da man ihn sehr bat, blieb er viel länger bei dem Oheime, als er sich eigentlich vorgenommen hatte.
Als ich einmal in dem Lidenholze heimlich auf die Wulst der Felsen, die sich da in
der Nähe des Holzschlages
Ich wollte nun gar nicht zu ihnen hinab gehen, sondern ich nahm meinen Stock, den ich
in die Gräser nieder gelegt hatte, und zerschlug mit demselben alle Steinbrechen, die
in der Tat noch nicht blühten, daß der Ort wild und wüst war. Dann stieg ich
rückwärts an dem Felsen wieder hinab, wo ich hinaufgekommen war – denn an anderen
Stellen ist die Wulst kaum zugänglich – ich stieg so schnell hinab, daß ich mir die
Hände blutig riß. Dann ging ich nicht nach Hause, obgleich das Mittagessen auf mich
wartete. Ich war gerade darum recht bald zu meinen Kranken gefahren, und war bald
zurück gekommen, damit ich zu den Steinbrechen gehen und ihr die Blumen, wenn ich
einige fand, noch vor dem Essen
Ach, ich bin ja sonst nicht so zornig – es ist meine Art nicht so. Ein Rückfall in
meine Kindheit mußte es sein, wo mich, wie der Vater sagte, meine früh verstorbene
Mutter verweichlichte, daß ich oft, wenn mir ein Hindernis entgegen kam, mich zu
Boden warf und tobte. – Ich stieg von dem Lidkessel durch das Sandgerölle empor,
indem ich die Hand wieder in die Gesträuche schlug, daß sie blutete, und mich an den
hervorstehenden scharfen Steinen hielt, daß ich nicht niederrollte. – Ich kam an dem
Rotheck heraus, wo sich die Okersteine am Gipfel
Ich hatte mir nun alles fest gesetzt, wie ich tun solle. Ich ging in der großen Krümmung des Waldes herum, daß ich fast gegen Abend oberhalb des Eichenhages heraus kam, durch das ich in das Haus des Obrists ging. Er selber war nicht zu Hause. Margarita, sagten sie, sei in dem Garten. Ich schritt durch das Hoftor in den Garten, sah sie aber dort nicht, und vermutete sogleich, daß sie in das angrenzende Feld hinaus gegangen sein möge, weil das Hintergitter des Gartens offen stand. Ich sah sie wirklich, da ich das Gitter erreicht hatte und den Blick in das Freie tat, an dem breiten Wiesensaume, der neben dem Korne lief, wandeln, wie sie in der lauen, schönen Abendsonne den langen Schatten über das Getreide warf. Sie war allein – es war dieses nichts Wunderbares – aber ich verwunderte mich darüber. Nur die zwei schönen Wolfshunde ihres Vaters gingen ruhig neben ihr, sie lieben das Mädchen sehr, gehen ihm immer zu, und sind viel ruhiger, wenn Margarita in unserer Gesellschaft ist. Als ich in der Öffnung des Gartengitters erschien und sie mich erblickten, sprangen und tanzten sie lustig gegen mich zu, und auch Margarita ging etwas schneller mir entgegen, da sie merkte, daß ich auf sie zueile. Sie hatte das weiße Kleid an, war so schlank und schön wie am Vormittage, und trug das reine Angesicht meinen Augen entgegen, so schimmernd und sanft, wie es am Vormittage gewesen war.
»Margarita, Ihr liebt mich gar nicht!« antwortete ich.
Sie richtete ihre Augen auf mich und sagte: »Wie kömmt denn diese Rede zu Euch? – ich liebe Euch ja mehr, als Ihr ahnen könnt: ich bin so freudig, wenn Ihr herauf kommt, es tut mir leid, wenn Ihr fort geht, und ich denke auf Euch, wenn Ihr fern seid.«
»Ihr liebt mich nicht«, sagte ich wieder, und sie mochte bemerken, wie es in meinem Angesichte vor Schmerz zuckte.
»Was ist Euch denn,« sagte sie, – »Ihr könnt ja eigentlich nicht so reden. – Seid Ihr krank? Ihr müßt wohl einen weiten Weg gemacht haben, ich sehe es an Euren Kleidern. Habt Ihr schon etwas gegessen?«
»Nein, ich habe noch nichts gegessen«, antwortete ich.
»Nun so kommt nur schnell in das Haus herein,« erwiderte sie, »ich werde Euch etwas geben, es sind noch Dinge genug da, Ihr müsset gleich etwas essen!«
»Ich esse nichts«, antwortete ich.
»So wollt Ihr etwa mit dem Vater reden,«sagte sie, »kommt, wir wollen uns auf die Gartenbank setzen, wo man den Weg weit übersieht, auf dem er kommen wird.«
»Ich will nicht mit dem Vater reden,« antwortete ich,
»Ich liebe den Vetter Rudolph,« sagte sie, »weil es sich gebührt, aber ich liebe Euch mehr – ihn liebe ich anders – und Ihr müßt selber sagen, ob er es nicht wert ist, da er sich so schön gegen uns, seine Verwandten, gezeigt hat?«
»Ja, ja, er ist es wert, und Ihr werdet ihn immer mehr und mehr, und endlich sehr lieben«, erwiderte ich.
»Ich werde ihn auch sehr lieben,« entgegnete sie, »wenn er noch öfter wird zu uns gekommen sein, wie er es gesagt hat.«
»Nun, so ist es gut, und wir sind in Ordnung«, antwortete ich.
Jetzt gingen wir eine Weile schweigend neben einander her, bis wir zu dem Gartengitter gekommen waren, wo die Rosen stehen, deren Reiser wir mit einander eingelegt hatten. Dort blieb sie stehen, wendete ihr Angesicht und ihre Augen auf mich und sagte: »Ich bitte Euch, lieber, teurer Freund, seht, ich bitte Euch aus der innersten Inständigkeit meines Gemütes, lasset diese Dinge und diese Worte aus Eurem Herzen fahren.«
»Ich lasse ja die Dinge alle,« antwortete ich, »Ihr liebet mich nicht, und ich lasse die Dinge aus meinem Herzen fahren.«
»Ich habe im Eichenhage zu Euch gesagt,« erwiderte sie, »daß ich Euch außer meinem Vater mehr liebe, als alle andern Menschen auf der Erde.«
»Ja, Ihr habt es gesagt,« antwortete ich – »ob es aber auch wahr ist!?«
Auf diese Rede erwiderte sie gar nichts. Sie sagte kein Wort mehr. Sie ging durch das
Gartengitter hinein, und ich auch. Sie zog einen Schlüssel aus der Tasche ihres
Kleides, machte das Gitter zu und sperrte mit dem Schlüssel das Schloß. Dann ging sie
auf dem geraden
»Ihr könnt ihm in meinem Namen eine gute Nacht sagen,« antwortete ich, »ich gehe nach Hause.«
»So werde ich es tun«, sagte sie, indem sie stehen blieb.
Ich wendete mich von ihr, ging neben dem Blumensaale durch das große Tor hinaus und schritt auf dem Wege nach meinem Hause hinunter.
Am andern Tage hatte ich nur zu dem Erlebauer zu fahren, der etwas bedeutend krank war, dann zur Mechthild, die ein Gallenfieber hatte, und dann noch zu einigen andern von geringer Bedeutung. Ich fuhr sehr frühe des Morgens aus, damit ich bis zu Mittag mit allen meinen Kranken und mit dem Schreiben, das notwendig geworden war, fertig wäre.
Als ich die Suppe, die ich als einzige Speise an diesem Mittage zu mir nahm, gegessen hatte, ging ich in das Haghaus hinauf.
Ich ging zuerst zu dem Obrist, der in einem Buche las. Er stand auf, grüßte mich wie
sonst, und war um gar nichts anders, als er sich stets gegen mich benommen hatte. Er
sagte mir nach einigen gewöhnlichen Worten, daß gestern sein Vetter Rudolph fort
gereiset sei, daß er mich noch gesucht, aber nicht gefunden habe, und mir daher durch
ihn die schönsten Grüße zum Abschiede sagen lasse. Er fügte dann noch hinzu, daß der
junge Mann ein vortrefflicher Mensch sei, daß er sich freue, daß
Von unsern andern Dingen sprach der Obrist kein Wort.
Nach einer Weile der Unterredung sagte ich, daß ich zu Margarita hinüber gehen müsse. Er stand auf, und ich beurlaubte mich. Es war mir zu allen Zeiten erlaubt gewesen, allein zu Margarita hinein zu gehen, und der Obrist hatte es nie so eingerichtet, daß dieses nicht geschehen durfte.
Ich ging durch den Gang zu ihr hinüber. Als ich die Türe geöffnet hatte, sah ich sie an ihrem Tischchen stehen, und sie schien mich erwartet zu haben. Sie war manchmal, wenn sie wußte, daß ich zu ihrem Vater hinein gegangen sei, voll Freude herüber gekommen; heute war das nicht der Fall gewesen. Sie war recht schön gekleidet, aber das Gewand war ein anderes als gestern. Auf dem Wandtische neben der Tür lag noch der welke Strauß Feldblumen, den sie gestern gepflückt hatte, und seine Stengel waren noch mit demselben Feldgrase gebunden, das sie gestern genommen hatte. Ich erkannte, daß er einige Blumen enthielt, die in unserem Kräuterbuche noch nicht waren, oder die wir schlecht gepreßt hatten.
Da ich bis zu ihr vorwärts gekommen war und gegen ihre Augen geblickt hatte, sagte sie: »Ich habe Euch heute erwartet, und da muß ich Euch die Worte sagen, die ich mir in der Nacht gedacht habe, und die Euch zu wissen notwendig sind. Ich habe recht gerne Eure Gattin werden gewollt, der Vater hat Euch auch in hohem Grade lieb; – aber da nun alles anders geworden ist, muß ich Euch sagen, daß es nicht mehr geschehen kann.«
Ich sah sie an. Da ich in das Haghaus hinauf ging, wußte ich noch nicht, was ich
sagen werde, nur die Empfindung
Auf diese Worte sprang ich auf und sagte: »Nein, das dürfet Ihr nicht tun, das sollt Ihr nicht nötig haben – es ist schon alles gut, gut, gut.«
Und da war es, wo eine solche Vergessenheit aller Dinge des Himmels und der Erde über mich kam!! – – Ich wendete mich um, ging zur Tür hinaus, gewann durch das Tor das Freie und eilte nach meinem Hause hinunter. –
Es war nun alles gleich. Ich wollte die Dinge der Weit zerreißen, vernichten, strafen. –
Ich habe es im Anfange dieses Buches eingeschrieben, wie ich in den Kirmwald zu einer Birke hinaufgeeilt bin, die mir in den Gedanken gekommen war, und wie mir der Obrist an jene Stelle nach gegangen war und mit mir in dem Walde geredet. – –
Es ist eine sehr lasterhafte Tat gewesen, die ich habe begehen gewollt, und sie hat
meine Seele tief erschreckt. Ich habe sonst meine Geschäfte ruhig getan, und weiß
Ich muß mein Amt mit noch größerem Eifer verwalten, ich muß in die tiefsten Dinge desselben nieder steigen, und muß die größten Schwierigkeiten und die kleinsten Pflichten desselben tun, damit wieder alles ausgeglichen werde.
Ich habe diese Sache darum auch gleich am Anfange dieses Buches eingeschrieben, weil sie mich so erschreckt hat, daß nur eine Möglichkeit gewesen ist, daß ein solches Beginnen in meinen Sinn und in meine Denkweise kommen konnte!!
Ich bin sehr traurig gewesen. Am Abende bin ich nach Hause gegangen und habe mich in
das Bett gelegt – nicht zum Schlafen. Den andern Tag habe ich mit mir allein
zugebracht. Am folgenden bin ich zu dem Obrist hinauf gegangen. Er hat mir seine
Lebensgeschichte erzählt, und hat mich sehr erschüttert. Dann hat er mich gefragt, ob
ich zu Margarita hinüber gehen wollte, um mit ihr gütig zu reden; und da ich
eingewilligt hatte, führte er mich durch den Gang und über die gelbe Rohrmatte in ihr
erstes Zimmer hinein. Als sie in demselben nicht war, sagte er, ich solle hier
warten, er werde sie holen – dann werde er selber nicht mehr heraus kommen, sondern
durch das Bücherzimmer in seine Stube zurück gehen. Er kam auch nicht mehr heraus –
es öffnete sich schwach der halbe Türflügel, den der Obrist hinter sich offen
gelassen hatte, und Margarita trat heraus. Ihre Augen waren auf mich gerichtet. Sie
war so einfach schön, wie das Ding, wovon sie den Namen hat; denn Margarita heißt ja
in der alten Römersprache die Perle. Der Obrist hatte nichts von dem gesagt, was ich
hatte tun wollen, ich erkannte es wohl; denn sie hätte mich nicht mehr angesehen. Sie
ging bis in die Mitte des Zimmers hervor, wo
»Margarita,« sagte ich, »Euer Vater hat bei Euch fürgesprochen, daß ich zu Euch herüber kommen und mit Euch reden dürfe. Wir werden nun nicht mehr so oft zusammen kommen, und werden nicht so oft mit einander durch die Felder und Wälder gehen wie bisher – – ich werde weniger in das Haghaus herauf gehen können, als es in den vergangenen Zeiten der Fall gewesen ist – – fürchtet Euch nicht, ich werde heute nicht so reden wie vorgestern, sondern gut und ruhig – ich werde Euch um nichts bitten.« –
Sie hatte während dieser Worte nicht geantwortet, obwohl sie in Zwischenräumen gesagt worden waren, sondern war vor mir gestanden, und hatte ihre Arme an ihrem Kleide niederhängen lassen.
»Margarita,« sagte ich dann wieder, »verzeihet mir!«
»Ich habe Euch nichts zu verzeihen,« antwortete sie, »Ihr habt mir nichts getan.«
Während wir diese Worte sprachen, kam der Obrist wieder durch das Bücherzimmer zu uns herüber, und trug etwas in der Hand. Da er bis zu uns gelangt war, legte er es auf den Tisch nieder und sagte: »Hier sind einige getrocknete Stämmchen Edelweiß. Sie sind die Hälfte von denen, welche mir meine Gattin gepflückt und auf den Hut gesteckt hat, als sie an ihrem letzten Tage mit mir auf dem hohen Gebirge gewesen war. Ihr werdet beide diese Pflanze nicht kennen, da sie hier nicht wächst, und werdet sie daher auch nicht in euren Kräuterbüchern haben. Ich gebe euch diese mehreren Stämmchen, teilt sie unter einander, und bewahret euch dieselben auf.«
Als er dieses gesagt hatte, wendete er sich um und begab
»Ja«, sagte sie.
Hierauf schwiegen wir wieder eine Weile – dann sagte ich: »Ich werde jetzt mein Amt recht eifrig erfüllen und allen Hülfsbedürftigen, nah und ferne, den willfährigsten Beistand leisten.«
»Ja, tut das, tut das«, sprach sie lebhaft.
Dann fuhr ich fort: »Denkt zuweilen an mich, Margarita, und wenn auch alles anders wurde, lasset doch mein Bild in mancher Zeit vor Eure Augen treten.«
»Ich habe geglaubt, daß Ihr sehr gut und sehr sanft seid«, antwortete sie.
»Ich bin es,« sagte ich, »ich bin es, Margarita, nur könnt Ihr es jetzt noch nicht sehen, und könnt es jetzt noch nicht glauben. Drum lebet wohl, Margarita, lebet recht wohl.«
»Wartet noch ein wenig«, sagte sie.
Dann trat sie an den Tisch, nahm jene Abteilung des Edelweißes, die ich als die ihrige bezeichnet hatte, legte sie auf meine Seite und sagte: »Nehmet dieses.«
Ich sah auf sie, konnte aber ihr Angesicht nicht sehen, weil sie sich abgewendet hatte.
»Margarita,« sagte ich, »lebet recht wohl.«
Ich konnte nicht hören, daß sie etwas antwortete, sah aber, daß sie mit der Hand winkte.
Es war nun alles vorüber. Ich nahm das Edelweiß, das sie mir gegeben hatte, von dem
Tische, tat es in das Buch, das ich immer bei mir trage, und ging zur Tür hinaus. Ich
schritt zum letzten Male über die gelbe Rohrmatte, ich ging durch die große
Blumenstube, in welcher manche
Es waren nämlich auch seine zwei Hunde bei ihm. Er ging ein Stück des Weges, den ich eingeschlagen hatte, mit mir, dann sagte er: »Lasset eine Zeit verfließen. Wie ich Euch schon in meiner Stube gesagt habe, so wiederhole ich es auch hier, ihr habt beide gefehlt. Denkt an meine Gattin: sie stürzte ohne den leisesten Angstruf in den Abgrund, damit sie mich nicht erschrecke. Margarita gleicht ihr sehr. Sogar darin ist sie ihr ähnlich, daß sie eine solche Vorliebe für weiße Kleider hat, obwohl ihr niemand erzählt hat, daß es bei ihrer Mutter auch so gewesen ist. Sie ist eben so stark und eben so demütig und zurückweichend vor dem harten Felsen der Gewalttat.«
Ich antwortete im Augenblicke nicht auf diese Rede. Es war heute das erste Mal gewesen, daß der Obrist von dem Stande der Dinge zwischen mir und Margarita gesprochen hatte. Wir gingen noch eine Weile neben einander, bis ein Weg seitwärts gegen seine Wiese hinein ging. Dort beurlaubte er sich, und wandelte auf dem Wege, der ihn gegen die Wiese führte, mit seinen Hunden dahin.
Der Pfad aber, den ich eingeschlagen hatte, war nicht der zu meinem Hause hinunter,
sondern der, welcher von dem Haghause weg durch die Felder empor geht und dann in die
Weidebrüche einlenkt, wo man im Sommer
Als ich zwischen die Haselstauden der Weiden hinauf gekommen war und nicht gesehen werden konnte, blieb ich ein wenig stehen. Ich richtete mir das Barett zu rechte, welches schief gesunken war, und sagte mir gleichsam selber die Worte: »Wenn dir nun in Zukunft noch ein Widerstand in den Weg kommt, Augustinus, den du nicht überwinden zu können meinst, so denke an den Obrist und an seine standhafte Tochter.«
Dann ging ich wieder zwischen den Haselbüschen weiter.
Ich hatte jetzt niemanden mehr als meine Kranken, und es schien mir in dem Augenblicke, als warteten sie alle auf mich.
Ich sollte zwar erst gegen den Abend zur Haidelis hinaus, und hatte mir vorgenommen zu fahren; aber da es doch etwas weit ist, so dachte ich, werde ich bei langsamem Gehen, wenn auch der Tag noch hoch steht, doch erst gegen den Abend hin kommen. Ich mochte von dem Obrist nicht nach Hause gehen und meine Pferde holen. Ich ging langsam – langsam und denkend durch die Wälder dahin. – Auch war ich ein wenig bei dem hinteren Wirte in dem Schlagholze und aß etwas von der Kost, die an seinem Mittagstische übrig geblieben war.
Als ich von der Haidelis weg durch andere Wälder nach Hause ging und die Sonne schon
ziemlich nahe gegen ihren Untergang neigte, schien es sich erfüllen zu wollen, was
der Obrist heute gegen Mittag vorausgesagt hatte: denn von der Scheide des Hochwaldes
herüber, von woher im Winter die Wolken mit dem Regen gekommen
Zu meinem Hause ging ich nur hinzu, um den Fuchs anspannen zu lassen, damit ich noch zu dem Erlebauer hinaus führe, zu dem ich vor Abends mußte, und wieder zurück käme, bevor das Gewitter ausbräche.
Als ich mit dem Thomas durch die letzten Bäume des Thaugrundes zurück fuhr, leuchteten schon die Blitze durch die Zweige herein und zogen manchmal über den fernen Wald ihre geschlungenen Geißellinien. Auch an dem Abendhimmel war es nun anders. Wo die Sonne zwischen rotschimmernden Wolken und blaßgelb leuchtenden Stücken heiteren Himmels untergegangen war, war nun alles zusammen geflossen, und aus der dunkeln Lagerung der Wolken brach zu Zeiten Feuer hervor. Ich habe darum den Fuchs zu dieser Fahrt genommen, weil er das himmlische Feuer nicht scheut. Die jungen Rappen entsetzen sich davor.
Als ich von dem Wege ablenkte und durch mein Gitter in meinen Hof hinein fahren
wollte, sprengte in der Dämmerung, in der die ruhigen Bäume standen und die Blitze
zuckten, ein Mann herbei und rief mich an, ich möchte augenblicks kommen, ich sei bei
dem untern Aschacher sehr notwendig. Sie tragen ihn eben von dem Schwarzholze herein,
wo ihn ein fallender Baum fürchterlich verwundet habe. Er, der dieses sage, sei
selber dabei gewesen, sei voraus gelaufen, habe ein Pferd genommen und sei her
geritten, um den Doktor in größter Schnelle zu holen. Ich befahl dem Thomas
umzulenken, und wir fuhren hinter dem Boten, der vor uns her ritt, zu dem
wohlbekannten Hause des untern Aschacher hinab,
Das Gewitter ist nicht herein gebrochen. Als ich mit dem Thomas auf dem schlechten Feldwege zurückfuhr, zogen seine regenlosen, schwarzen Stücke über den Lidwald hinaus, man hörte schier keinen Donner, und nur die zeitweisen Blitze zielten gegen die ferneren Länder hinaus, die von uns gegen Morgen liegen.
Es verging eine ängstliche, unruhige Nacht. Ich war sehr düster!
Es war am folgenden Tage, da der untere Aschacher sich so schwer verwundet hatte, wieder ganz heiter. Nicht ein einziger Tropfen war in der Nacht gefallen. Ich ging um fünf Uhr früh den näheren Weg durch die Felder zu ihm hinunter. Sie hatten die ganze Zeit getan, wie ich gesagt hatte, und ich befahl wieder, daß sie stets, wenn das Eis ausgeht, ein neues Teil von mir holen sollten. Es war die Verwundung gerade in dem Stande, wie ich es an dem vorhergegangenen Abende voraus gesehen hatte, und ich konnte den Jammernden die Versicherung geben, daß er ganz gewiß gesund werden würde.
Da ich über die Stiege zu meiner Schlafstube hinauf stieg, in welche mir die alte Maria immer mein Frühmahl stellt, fand ich in dem Vorgemache ein Weib, welches meiner harrte. Ich kannte sie, es war Susanna, die Einwohnerin des Klum. Als ich sie in meine Stube hinein geführt hatte, tat sie ihr blaues Tuch auseinander, das sie sonst gewöhnlich um die Schultern hatte, und in dem sie heute etwas eingewickelt trug, und sagte, sie sei gestern in dem Birkengehege im Kirmwalde gewesen und habe sich etwas dürres Holz und Reisig gebrochen, um es sich nach Hause zu tragen. Da habe sie in einer Hecke dieses Tuch gefunden, und Hanna, meine Magd, habe ihr gesagt, daß es ein meiniges sei. Sie bringe es daher, und habe es in ihr Schultertuch eingewickelt, daß es nicht schmutzig werde.
Ich hatte nur ein wenig hin geschaut, und erkannte, daß es mein buntes Tuch sei, das ich auf dem Birkenplatze im Kirmwalde weggeworfen hatte.
Ich gab dem Weibe ein kleines Geschenk, weil sie arm ist – das Tuch aber ließ ich ihr auch.
Dann, als ich alles hergerichtet hatte, was zu dem heutigen Tage notwendig war, wurden die Rappen eingespannt und die Rundfahrt zu den Kranken angetreten.
Ich dachte über mein Amt, das mir die Gottheit gegeben hatte, nach. Es kann nicht
recht sein, daß man dasjenige, was andere getan und gefunden haben, in mehrere Bücher
zusammen trägt, dasselbe sich sehr gut in das Gedächtnis prägt, und es dann in der
gleichen Gestalt immer ausübt – es kann nicht recht sein. Man muß die Gebote der
Naturdinge lernen, was sie verlangen und was sie verweigern, man muß in der steten
Anschauung der kleinsten
So dachte ich, und so hatte ich vor.
Als ich mit meinem Wagen zurück gekommen war, ging ich noch einmal zu dem untern Aschacher hinab. Sein Übel, wie es ihn auch ergriff, war doch in sehr gutem Stande. Ich ging von nun an täglich zweimal zu ihm.
Nach einiger Zeit kam dieses Buch, wie ich es in Tunberg bestellt hatte. Große
Blätter von Pergament, in Korduanleder gebunden und mit guten messingenen Spangen zu
verschließen. Ich wollte es auch so machen wie der
Nach einer Woche, seit ich zum letzten Male in dem Haghause gewesen bin, kam der Obrist zu mir herunter und erzählte mir, daß er Margarita habe fort reisen lassen. Es seien nun vier Tage, daß sie frühe am Morgen fort gefahren sei. Er habe sie eine Tagereise weit begleitet, und sei vorgestern zurück gekehrt. Sie werde einige Zeit bei einer weitläufigen Verwandten, einer lieben alten und kinderlosen Frau, wo sie wie eine Tochter werde gehalten werden, verweilen, und dann wieder nach Hause zurückkehren.
Ich sagte auf diese Mitteilung nichts – ich fragte auch nicht, wie lange Margarita ausbleiben würde. Wer weiß, wie lange es ist – wer weiß was sich ergibt, dachte ich und wer weiß, ob sie nicht etwa aufhören wird, eine Bewohnerin des Haghauses zu sein. –
Ich zeigte dem Obristen mein rotes, in Leder gebundenes Buch, sagte, daß ich seine Einschreibgungen nachahme, und erklärte ihm, wie ich es mache. Er billigte es und erkannte die rot- und blauseidenen Bändlein gar wohl.
Dann gingen wir zum Aschacher hinunter, und er tröstete den leidenden Mann. Hierauf schlug er den Weg in das Haghaus hinauf ein, und ich begleitete ihn die größte Strecke desselben. Als wir Abschied genommen und uns die Versicherung gegeben hatten, daß wir in der Zukunft einander oft besuchen wollen, kehrte ich um und ging wieder zu meinem Hause hinunter.
So will ich denn nun Thal ob Pirling, dachte ich, über
Der Brunnen, den der Grunner im Frühlinge herausgemauert hatte, ist ohnehin nun fertig. Ein Strahl des klarsten Wassers schießt in die Granitschale, wenn man an dem Metallknopfe des Geständers zieht. Ein anderer silberglänzender, lebendiger Strahl soll noch immer in dem Garten fließen, dazu sie die Steinkufe im Schwarzholze hauen; denn Quellen gibt es ja in der Gegend genug. Die Bäume, Balken, Pfosten, die noch überall von dem Baue herumliegen, sollen weg, daß der Hof rein und gefegt sei und der Saum des Steinpflasters um denselben sich klar ins Gesicht stelle.
Weil ich aus Güte die meisten meiner Leute, so wie einstens zu dem Obrist, so jetzt zu dem Wirte Bernsteiner nach Pirling gehen gelassen hatte, der in die Felsen des Steinbühels einen Keller sprengt, und denselben vor seinem Schützenfeste, das er den nächsten Sommer übers Jahr gibt, fertig haben möchte, so befand ich mich jetzt selber im Mangel. Aber ich will an allen anderen Orten nach Arbeitern suchen; und von ihm auch noch diejenigen, die er entbehren kann, zu mir herüber ziehen.
Ich werde unverweilt die lieblichen Schnitzereien, mit denen ich die Hinterstube
gegen den Garten zur Freundlichkeit
So habe ich in jenen Tagen gedacht, und so habe ich es gleich in Tätigkeit gesetzt.
Ich kaufte desselben Sommers für den Buben Gott lieb auch noch ein kleines Grundstück, damit ich es ihm dereinst, wenn es ihm nützlich ist, geben könnte. Ich habe beschlossen, den Buben nicht mehr von mir zu tun und für ihn, wie es ihm frommt, zu sorgen. Es ist unglaublich, wie er dankbar ist, und wie er arbeiten möchte. Er hat eine Freude, wenn er für mich einen Gang tun kann, daher ich ihm auch, daß er sich freue, oft einen Botengang auftrage, den er mit Genauigkeit vollbringt. Sein alter Vater, wenn er zuweilen herunter kömmt, zeigt großen Dank und große Zufriedenheit, daß es so ist. Wenn der Bube Lust und Geistesvermögen hat, lasse ich ihn vielleicht künftig unterrichten, und er mag mein Amt antreten und wirken und sorgen.
Ich kam, da die schönen, langen Sommertage dauerten, oft zu dem Obrist hinauf, und er oft zu mir herunter. Er sah alle Dinge, die bei mir in der Arbeit waren, wir redeten von den verschiedensten Sachen, saßen manchmal auf meinem Sommerbänklein unter der schönen Fichte beisammen, oder gingen in dem Walde herum, oder waren bei ihm in dem Garten, oder in der Stube, in der er die Bücher hat.
Von Margarita sagte er nie ein Wort. Ich fragte auch nicht. So verging endlich der Sommer, so verging der Winter, und es kam der nächste Sommer.
Da ich dann von dem Garten in den Hof ging, schauten mich die Herdsteine, die Dachsteine, und andere, die ich von der Hütte meines Vaters hatte nehmen lassen, und die in die Gartenmauer eingesetzt waren, recht freundlich an, wenn auch mancher verwittert und mancher fast dunkelschwarz war. Ich habe nämlich die Gartenmauer nicht tünchen lassen? damit nicht immer der unliebe weiße Strich in den grünen Farben des Tales stehe.
In dem Sommer habe ich auch, was mir schon früher einmal in den Sinn gekommen ist,
das achteckige Eckzimmer meines Hauses wie zu einer Hauskapelle einzurichten
begonnen. Ich bekam den Gedanken, daß das Bildnis der heiligen Margarita als
Schutzherrin darinnen stehen müsse, dann werden jedes Sommers am dreizehnten Julius
abends zwei große Wachskerzen brennen. Über die
Auch mit den Menschen ist es mir anders geworden. Es sind mir die Augen aufgegangen, daß viele um mich wohnen, die ich zu beachten habe. Ich bin mit diesem und jenem zusammen gekommen, ich habe dieses und jenes geredet, habe Rat gegeben und empfangen, und habe von den Schicksalen der Welt erfahren: wie sie hier leben, wie sie dort leben, wie sie hier Freude haben und dort leiden und hoffen. Und überall, wie sich die Fluren hindehnen, schlagen allerlei Herzen von Menschen und Tieren, und blicken allerlei Augen – aber alle bauen sie an einem kleinen Orte der Fluren einen Wohnplatz, wie ich, über dessen Rand sie kaum hinaus sehen auf die andern, die überall leben. –
So verging mir ein Tag wie der andere, so verging eine Jahreszeit nach der andern – und so wandelte die ganze Zeit.
Es waren endlich drei Jahre dahin, seit der Obrist allein in dem Haghause wohnt. – –
O Vater, o Mutter, daß ihr nicht mehr lebt, um zu sehen, wie sich eure Hütte
verändert hat – und auch ihr, Schwestern, daß ihr nicht mehr seid, um es zu schauen!
Das Haus steht nunmehr fertig, und die Sonne scheint auf sein glänzend Dach hernieder
– der Garten schreitet in die Weite, und die Fruchtbäume, einst das Eigentum der
Nachbarn, stehen schön darinnen, und jetzt besser gepflegt, lassen sie wie in
Dankbarkeit die Last ihrer Äste bis zu meinen Fenstern herüber schimmern. Ich
schreite von Gemach zu Gemach; aber einsam – nur eine heilige Margarita steht jetzt
schon auf dem Hausaltare und grüßt mich, wenn ich eintrete, mit dem goldenen
Schimmer. Die Luft des Abends weht in den weißen Fenstervorhängen und umfließt mich
Wandelnden, während sie von
Und dann nehme ich an Nachmittagen ein Buch, gehe durch den Hof, wo Hühner und Geflügel sind, durch den Garten voll Sperlingsgeschrei, die meine Kirschen stehlen, hinaus in die Felder, wo meine Ernte reift – ein viel zu großes Feld für mich einzelnen – bis ich in den Wald gelange, bei dessen Birken ich jetzt wieder gerne bin, und der mir die Gedanken leicht und stille aus dem Buche lesen läßt und mir neue gibt.
So steht und gedeiht alles. Meine Kranken genesen. Der untere Aschacher, dessen Fuß so fürchterlich geschält war, geht wieder lustig und krückenfrei herum. Ich vermag in die fernsten Gegenden zu wirken – und es wird das frevle Wort immer weniger wahr, das ich einmal niedergeschrieben habe: ›Einsam, wie der vom Taue gerissene Anker im Meere, liegt mir das Herz in der Brust.‹
Ich habe das Wort nicht in dieses Buch eingetragen, weil ich mich schämte.
Das Wort wird immer weniger wahr, und das Herz liegt nicht mehr so. Wenn einige gute Kräfte tätig sind, schaut das Herz zu, und es kann nicht anders, es muß ja vergnügt darüber sein.
Auch kleine Dinge erscheinen, die mich freuen. Morgen kömmt der geschnitzte lange Schrein, der in das Schreibgemach gestellt wird – der Kreuzenzian, den ich in dem Garten versuchte, gedeiht recht gut, und die Mägde müssen ihn morgen jäten – und so ist noch anderes und anderes – manches Liebliche und manches Heitere.
Ich bin mehrere Tage zitternd, bebend, zu Gott betend gewesen. Wenn ich auf und
nieder ging, legte ich die Hände auf die Brust, daß sie ruhig sei. Wie ernst und
schwer oft Fälle des menschlichen Lebens sind! Es ward ein schöner, starker Jüngling
zu mir gebracht und lag in meinem Hause. Sie hatten ihm auf eine kleine Wunde, die er
sich durch Zufall in die Brust geschlagen hatte, Pflaster von Pech und andern
Klebedingen gelegt und ihn an den Rand des Grabes gebracht. Als ihnen die Sorge
stieg, brachten sie ihn von weit jenseits des Hochwaldes, wo ich noch nie gewesen
war, zu mir herüber. Ich legte ihn in das grüne Zimmer, weil es meiner Stube am
nächsten ist. Ich entfernte alle Afterdinge, Unglücksbildungen und bereits begonnene
Zerstörungen, bis es mich selbst schauerte – ich hatte Vater und Mutter nicht zu
gelassen, damit sie durch Schreien oder Gejammer nicht die Ruhe zerstörten, – das
Messer ward durch die Wissenschaft immer weiter geführt – – ich empfahl meine Seele
Gott – und tats. Als ich fertig war, war sehr vieles, und an einer Stelle schier
alles weg, so daß ich an dieser Stelle durch das einzige innerlich gebliebene
Häutchen die Lunge wallen sehen konnte. Ich sagte nichts, ging hinaus und sendete
Vater und Mutter heim. Dann ging ich wieder hinein und führte die Sache weiter. Ich
war ganz allein und hatte niemanden, der mir helfen konnte. Ich gab dem Kranken nur
das wenigste zu essen, daß er nicht erhungere, damit die Glut der Entzündung nicht
komme und zerstöre. Er lag geduldig da, und wenn seine ruhigen und unschuldigen
Augen, da ich an ihm vorbei ging, auf meinem Angesichte hafteten, wußte ich, wie viel
meine Miene wert sei, und bat Gott, daß er sie ge lassen zeige. Kein einziger Mensch
wußte, wie es sei. Nur den Obristen führte ich einmal hinein und zeigte ihm
Die Halme unseres Kornes hatten sich zur Reife geneigt, die heißeste Waldsonne,
welche alle Jahre um diese Zeit Über unsern Häusern zu stehen pflegt, war schon eine
etwas kühlere geworden – die Gerste, die in unserer Gegend ganz besonders gedeiht,
lag schon gefällt auf den Äckern in den gewöhnlichen Mahden wie in goldenen Zeilen
dahin – der Weizen, der auf das Beispiel des Obrists hin nun sichtbarlich mehr und
fast mit Vorliebe gebaut wurde, war schon in die Scheuern gebracht, ich fuhr zu
meinen Kranken, die sehr unbedeutend waren, herum – der Obrist kam öfter zu mir
herab, ich zu ihm hinauf – die Zeit näherte sich allmählich dem milderen Herbste: da
geschah es, daß ich einmal mit dem Obrist im Thaugrunde an dem Wege stand. Er zeigte
mir, wie auf sein Vorbild die Leute schon an den Wegen die Verbesserungen in dem
Sinne machen, daß sie Straßen werden – so ging namentlich durch den Thaugrund schon
ein schönes, gewölbtes Stück mit Gräben an beiden Seiten durch, wo vor zehn Jahren
noch der morastige, fürchterliche Weg gewesen war – und dann fragte er noch
gelegentlich, ob ich dem bevorstehenden Schützenfeste in Pirling beiwohnen werde, er
würde zugegen sein. Ich erwiderte, daß ich auch kommen würde, wenn sie mich einladen;
nur, bemerkte ich, könne ich einige Tage vor
O Pirling, du freundlicher Ort, ich bin dir immer geneigt gewesen; aber wer hätte gedacht, daß du mir so teuer werden würdest. Wie erfreut sich mein Herz, wenn es deiner Schönheit gedenket: wie du so lieblich einsam auf deinem sammetgrünen Hügel liegst und deine weißen Häuser auf den Fluß herab sehen, der seinen Saum benetzt, und der so emsig durch deine Holzbrücke rollt, auf welcher das rote Türmchen steht, das das Bildnis des heiligen Johannes enthält – sei mir von heute an gesegnet, und sei mir in Ewigkeit gegrüßt.
Ich will alles in dieses Buch einschreiben.
Die Siller ist bei uns ein Bach, dann wird sie größer und rollt über geglättete Kiesel dahin. Dann geht sie hinaus in die freieren Länder, wo die grünen Wiesen sind und die unzähligen Gesellschaften der Laubbäumegruppen stehen. Im Eidun wandelt sie um eine Waldecke herum, ist schon gelassener, und geht dann in einer Wiege zwischen zwei sanften und breiten Waldrücken gegen Pirling hinaus. Dort schaut der Saum der grünen Wiesenhügel, auf denen der Ort steht, in ihre Wasser, dort ist die erste große Brücke über sie geschlagen, und von dort geht sie mündig mit großen Schlangen in die noch weitern, noch ebenern Länder hinaus, während alle Bäche, die aus den Waldtälern, aus den Hügelrinnen hervor kommen, fortfahren, ihren Zoll zu ihr hinzu zu tragen.
Aus den Feldern Pirlings, die links an der Siller liegen und, von den Häusern aus
angesehen, sich gegen Sonnenaufgang breiten, steigt ein seltsamer Fels empor. Er
steht ohne Vorbereitung geradezu mitten aus dem Getreide empor. An seinen Seiten ist
mancher Baum und Strauch, aber auf dem Gipfel trägt er eine große Versammlung
Als ich von meiner kleinen Reise, auf die man mich zu einer ärztlichen Beratung
gerufen hatte, zurück gekehrt war, fuhr ich an dem Tage vor dem Scheibenschießen, das
heuer wieder abgehalten werden sollte, in Geschäften nach Pirling. Ich traf den
ganzen Marktflecken in Vorbereitungen zu dem morgigen Tage. Als ich auf der oberen
Straße, die von den Eidunhäusern herab führt, durch das Tor hereingefahren und bis zu
dem Marktplatze und dem obern Wirtshause gekommen war, schwenkten meine Rappen,
welche gewohnt waren, daß ich sie da stehen lasse, gleichsam von selbst auf den Platz
vor dem Wirtshause hinum und hielten da an. Ich stieg aus und befahl dem Thomas, daß
er bei den Tieren bleiben und auf sie Acht haben solle, weil sie noch jung seien und
sich leicht schreckten. Er führte die Pferde und den Wagen ein wenig seitwärts an die
Mauer des Hauses, um dort, wie gewöhnlich, auf mich zu warten. Der Wirt stand auf der
Gasse und hatte sein grünes Barett auf. Vor ihm wurde ein sehr schöner, langhaariger
weißer Bock gewaschen. Es wuschen mit Seife drei Knechte an ihm, und der Wirt
beaufsichtigte die Sache. Als ich ausgestiegen war, tat er sein Barett ab, grüßte
mich und sagte: »Seid Ihr wieder glücklich zurückgekommen, Doktor, glücklich zurück?
»Wenn ich geladen bin«, antwortete ich.
»Muß ja die Schützenkanzlei schon herum geschickt haben,« sagte er, »muß ja schon herum sein. Seht, der untere Wirt tut auch schon seine Schuldigkeit.«
Ich sah in diesem Augenblicke den alten, ernsthaften Bernsteiner mit einem großen Wagen voll Tannenreiser die obere Gasse herein fahren, wahrscheinlich zu Triumphbogen, Ehrensäulen und dergleichen. Er grüßte mich recht freundlich, da er mich sah, und seine drei Söhne, die mit Hacke und Streumesser neben dem Wagen her gingen, hatten ebenfalls die fröhlichsten Angesichte, und grüßten ehrerbietig herüber.
Als ich das kleine Gläschen Wein, welches mir der Wirt jedesmal aufnötigt, von dem Teller seines Töchterleins genommen und getrunken hatte, schickte ich mich an, meine Kranken zu besuchen, derentwillen ich herein gekommen war. Ich nahm mein Rohr und verschiedene andere Dinge aus dem Wagen und machte mich auf den Weg.
Die Kranken waren nicht von Bedeutung, und gerade die übel zu werden gedroht hatten,
hatten sich gebessert; aber da ich so herum kam, sah ich erst das Rüsten zu dem
morgigen Tage. Der Kaufherr des Ortes, der wohlhabendste Mann, ein Mann in
vorgerückten Jahren, stand auf der Gasse und tat sein Barett ab und grüßte die
Vorübergehenden.
Ich habe dieses alles darum eingetragen, weil es mir zu Herzen gegangen ist. Es ist mir lieb und treu gewesen seit meiner Kindheit her. Hätten sie mit fürstlichem Aufwande ein Schießen gerüstet, es hätte vor meinen Augen nicht eine Binse schwer gewogen.
Da ich auf meinem Heimwege wieder auf die Fel der hinaus gekommen war, und von dem
hinter mir arbeitenden Pirling kein Ruf, kein Hammerschlag mehr vernehmbar war,
sondern nur mehr ein sanftes Läuten seiner Glocken hinter mir her schwamm: war ich
fast traurig. – Ich legte das Buch, in welchem ich gerne zu lesen pflege, in den
Wagen seitwärts, lehnte mich auf dem Sitze zurück, kreuzte die Arme, und sah so
empor. Der herbstliche Himmel spiegelte heiter, lag ganz unbeschreiblich glänzend
über den Wäldern, und diese standen ruhig und empfanden die Wärme der Mittagssonne –
mein Thomas saß unbeweglich vor mir, mir den Rücken und den großen Hut zuwendend, und
nur von Zeit zu Zeit die Zügel leichthin regend, indes meine jungen Rappen freudig in
der heitern Luft vor ihm her tanzten und fast unnatürlich in diesem Sonnenscheine
glänzten. Ach diese guten, diese treuen, diese willigen Tiere – sie sind am Ende doch
das einzige auf dieser Erde, was mich so recht vom Grunde aus liebt. – – So dachte
ich mir. – – Die Felder flogen rasch zu meinen beiden Seiten zurück und funkelten;
sie waren zum Teile geackert, zum Teile in Stoppeln; aber es war kein Mensch auf
ihnen – es war sehr stille, selbst das Mittagläuten von dem Turme zu Pirling konnte
ich nicht mehr vernehmen – die Waldwiege lag sanft vor mir, und in ihrer Tiefe war
ein kaum sichtbarer Dunststreifen, den Lauf der Siller anzeigend. Es gibt solche
Herbsttage, in denen es ruhig auf Feld und Wäldern spinnt, wie ein
Wir waren unterdessen in die Waldwiege gekommen und fuhren in ihrem Schatten. Als wir
wieder jenseits ihr hinaus gelangten, waren wir auf den Feldern des Eidun. Man sieht
dort die Siller wieder, und sie ist in dieser Tageszeit gewöhnlich glänzend,
gleichsam als wäre ein geschlungener Silberblitz in das Tal geworfen worden. Wir
fuhren durch die weit zerstreuten Häuser des Eidun hin, unsern bekannten
Waldbeständen zu. Die Pferde witterten die Heimat und liefen lustiger dahin. Rechts
hatten wir das Schwarzholz, in dem wir vor drei Wintern das fürchterliche Rauschen
des Eissturzes zuerst gehört hatten, und vor uns war der Thaugrund, dem wir uns
näherten. – Rascher rollte der Wagen, als wir diesen Wald erreicht hatten, auf der
festgestampften, von dem Obrist veranlaßten Straße in ihn hinein, und als sich die
letzten Bäume desselben wieder auseinander getan hatten, lag der weiße Punkt meines
Hauses vor uns, und ich sah hinter ihm den Obstgarten, dessen Bäume mich gleichsam
erwarteten, daß ich nachsehe, wie es stehe, und ob keinem ein Ast gebrochen sei. Die
Pferde flogen durch das Grün, und in wenig Augenblicken knirschte der Wagen durch den
Kies meines Hofgitters hinein. Ich sprang ab, klopfte die Rappen auf ihre Nacken und
lobte sie. Die klugen Tiere nickten und schmeichelten mit den Köpfen, als verstünden
sie es – und sie verstanden es auch. Dann warfen sie die Augen und Ohren freudig
herum, daß sie endlich daheim
Nachmittag ging ich zu einigen, wo zwar keine Hilfe notwendig war, aber Trost.
Am andern Tage fuhr ich sehr früh aus, damit ich meine Pflicht getan hatte und nicht
gar zu spät zu dem Scheibenschießen käme, was die Einladenden gekränkt hätte. Auch
dachte ich daran, daß ich dem Obristen meine Gesellschaft versprochen hatte. Es war
nichts Wichtiges vorgefallen, ich tat alles ab, und um zwei Uhr nachmittags ließ ich
meine müden Tiere langsam auf den Feldern, wo man von dem Eidun herab kömmt, gegen
Pirling hinein gehen. Als ich durch die obere Gasse vorwärts gekommen war, lenkten
die Pferde wieder dem Wirtshause zu und waren sichtlich erfreut. Ich hatte eigentlich
durch den Ort durch und auf dem Feldwege bis zu dem Fuße des Felsens fahren wollen;
aber die Zuversicht der Tiere, mit welcher sie hier, wo ihr gewöhnlicher Ruheplatz
war, zubogen, und ihre Müdigkeit, die sie sich am ganzen Vormittage gesammelt hatten,
dauerte mich, und ich sagte dem Thomas, er solle nur vollends auf die Wirtsgasse
hinzufahren. Er tat es; aber kein Wirt und keine Wirtin kamen auf die Gasse, uns zu
bewillkommnen; der ganze Marktplatz war verödet, und nicht einmal ein Hund bellte;
denn alle waren sie in den Steinbühel hinaus. Ich half also selber dem Thomas die
Pferde ausspannen und in den Stall bringen, wo ich ihnen eine eigene Kammer halte, in
die nie andere Pferde kommen, damit sie mir gesund bleiben. Ich empfahl die Tiere der
Obhut des Thomas, sagte, wenn er ebenfalls auf den Steinbühel hinaus ginge, solle er
zusperren und den Schlüssel zu sich
Als ich dies abgetan hatte und am unteren Ende des Ortes in das Freie getreten war, schaute der für heute so merkwürdige Fels schon aus den Feldern herüber, und ich erkannte mit meinen ziemlich guten Augen sehr bald, daß man ein Gezelt zwischen den Bäumen gespannt haben müsse; denn es schimmerte deutlich und festtäglich weiß zwischen dem dunklen Föhrengrün herüber. Ich ging durch die Felder dahin. Sie waren meistens schon nur mehr mit Stoppeln bedeckt; bloß der Haber stand noch von Getreide da; aber er neigte auch schon ins Gold, und hatte seine Körner an den leichten Fäden neben mir hängen. Da ich dem Felsen näher gekommen war, sah ich auch, wie hoch über den Wipfeln seiner Bäume das Schützenfähnlein wehte, eine lange, wallende Zunge, rot und weiß, welche Farben sich sanft von der tiefen Bläue des Himmels abhoben. Auch manches bläulich geringelte oder weiße Rauchwölklein ward zuweilen über den Laubkronen sichtbar, und man konnte schon die einzelnen Schüsse vernehmen.
Da ich endlich an dem Fuße des Felsens angekommen war, wandelte ich langsam auf
seinem geschlungenen Pfade empor, den ich als Knabe, wenn ich mit den Meinigen
Als ich bis zu dem Schießstande empor gekommen war, trat ich ein. Es mußte eben ein guter Schuß getan worden sein, wie ich aus dem Krachen des Feldmörsers, den man aufgestellt hatte, und aus dem Jauchzen des Schützenzielers vernahm. Der Stand hatte das gewöhnliche Aussehen, wie es an solchen Tagen ist. Zwei lagen vorne mit ihren Büchsen am Schießbaume und zielten und warteten – andere standen hinter ihnen in Bereitschaft, wenn sie abgeschossen hätten und weggegangen wären, einzutreten – wieder andere waren noch weiter zurück und arbeiteten an ihren Büchsen, um sie zurecht zu richten der alte Bernsteiner wischte sein schlechtes Gewehr und schleuderte die schwarzen Lappen seitwärts. Wenn man es mir auch nicht gesagt hätte, daß er bisher den besten Schuß getan habe, so hätte ich es doch aus seinem freudigen Gesichte erraten. Auch den oberen Wirt sah ich, den Forstmeister, den Marktschreiber und viele andere Bekannte.
Es streckten sich mir mehrere Hände und, wie es bei uns gebräuchlich ist, manches
Glas zum Gruße entgegen. Ich dankte nach den verschiedenen Seiten und tat Bescheid.
Und als ich die Einladung, daß ich doch heute auch mit schießen möge, mit den Worten
abgelehnt hatte, daß ich nicht mehr so schießen könne wie in meinen Schuljahren, und
daß mir meine Geschäfte auch keine Übung erlauben: schaute ich die Anstalten an. Die
hölzernen Säulen des Standes waren mit Flittern umwunden. Auf dem Gipfel des Gebäudes
hing die schwere, große Schützenfahne nieder, zum Unterschiede der schmalen, langen,
die über den Baumwipfeln des Felsens flatterte. Alle Nadeln und Finger der Pirlinger
Mädchen hatten daran gearbeitet
Als ich alles eine Weile angeschaut hatte, trat ich wieder unter die Bäume hinaus. Ich hatte mir vorgenommen, ehe ich in das Gezelt ginge und nach dem Obristen forschte, den Gipfel des Felsens zu besuchen, um den eine so reine und klare Umsicht liegt. Ich hatte sie schon lange nicht gesehen, und wollte sie ein wenig anschauen. Ich trat unter die Bäume hinaus, und es wehte mich eine duftende Waldluft an, die gegen den Pulverrauch recht angenehm wirkte. Ich ging an mehreren sehr jungen Mädchen vorüber, die eine hölzerne, an einer Schnur hängende Taube nach einem Ziele stoßen ließen – ich ging dann an einer Rasenbank vorbei, auf welcher zwei Frauen saßen, die ich nicht kannte, sie mußten Fremde sein das Gezelt und die hölzerne Hütte hatte ich links liegen lassen – dann kam ich noch an mehreren hervorragenden Steinblöcken vorüber die Bäume und Gesträuche hörten auf, ich ging über den Rasen und gelangte auf den freien Gipfel empor. Es war kein einziger Mensch auf demselben, weil sie alle unterhalb in dem Gebüsche und in dem Wäldchen waren, wo sie sich der Lustbarkeit ergaben.
Die Sonne war schon tiefer gesunken, fast in die Mitte des letzten Vierteiles ihrer Bahn. Es lagen unter mir die einfärbigen, falben Stoppeln der abgemähten Getreidefelder – jenseits derselben stand der einsame Kirchturm und die Häuser des verlassenen Pirling, und weiter zurück der blaue, duftige Wald, in welchem das Eidun und meine Heimat ist. In dem Tale konnte man die Siller erblicken, aus welcher die schief stehende Sonne dahin rinnendes, geschlängeltes Silber machte.
Als ich noch schaute, war der Obrist zu mir herauf gekommen. Er war hinter mir auf
dem gewöhnlichen Wege gekommen, und ich bemerkte ihn erst, als ich seine Tritte
»Ich danke Euch,« antwortete ich ihm, »und ich muß Euch sagen, daß mein Herz eine große Freude hat, daß sie da ist. Ich habe immer an sie gedacht.«
Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Ich weiß es, ich weiß es. – – Lieber, teurer
junger Freund! werbt um sie. Wißt Ihr noch, wie ich einmal sagte: lasset nur eine
Zeit verfließen, es wird alles gut werden? – Es ist gut geworden. Ich habe euch beide
sehr lieb, Ihr werdet es wohl wissen. Ich habe euch beiden ein Opfer dargebracht. Ich
habe Margarita mit Absicht fort gegeben. Ich habe, da ich mit der Zeit geizen muß,
weil ich alt bin, doch drei Jahre meiner Freude hingegeben. Ich tat es, um zu sehen,
wie alles werden würde. Es ist gerade so geworden, wie ich es vorher gesehen habe.
Margarita ist so gut zurück gekehrt, wie sie fort gegangen ist – oder eigentlich zu
sagen, sie ist noch besser geworden. Sie hat sogleich nach Euch gefragt. Sie war sehr
freudig, daß sie mich wieder habe, und sie hat gebeten, daß ich sie nicht mehr fort
schicken solle. Wir sind in den Tagen, da Ihr auf der
»Hört auf, Obrist,« rief ich, indem ich ihn unterbrach, »redet nicht von diesen Dingen – wie kann ich Euch denn für Eure Liebe danken, und wie kann ich es denn begreifen, daß Ihr so gut und groß seid.«
»Nein, ich bin nicht gut,« antwortete er, »ich suche in Euch nur meine Freude. Wir bleiben nun alle beisammen. Ihr werdet in dem oberen Hause wohnen, oder auch in dem unteren, oder es mag Margarita, wie es das natürlichste ist, bei Euch sein, und ich oben in meinem Hause. Ihr werdet oft bei mir sein, ich oft bei euch, und es wird sich ein Umgang spinnen, der noch freundlicher ist als bisher. Ich kann Euch nur sagen: Ihr erhaltet in Margarita ein sehr gutes Weib, das Ihr ehren müsset, und sie wird in Eurem Hause so glücklich sein, wie es meine Gattin in dem meinigen gewesen ist, gebe ihr nur Gott dereinst einen späteren und einfacheren Tod als ihrer Mutter. – Aber jetzt, Doktor, müssen wir zu den anderen hinunter gehen. Sie wissen schon, daß Ihr da seid, Ihr müßt ihnen auch eine kleine Zeit gönnen, da Ihr ohnehin immer durch Euer Amt aufgehalten seid und zu solchen Dingen gewöhnlich erst spät kommen könnt.«
»Wartet noch einen Augenblick, Obrist,« sagte ich, »Ihr wißt wohl, wie ich Euch stets
verehrt und geliebt habe;
»Ihr habt es ja erfahren, ich bin es auch, ich bin Euer Vater«, antwortete er, »und werde es in der Zukunft noch mehr sein. – Aber jetzt kommt, laßt uns hinunter gehen, die anderen warten schon und möchten es übel nehmen, wenn gerade wir zwei nicht an der Fröhlichkeit Anteil nähmen.«
Nach diesen Worten wendeten wir uns beide von dem Gipfel des Felsens und stiegen auf dem Wege, der um Steine und graue Klippen geht, hinunter. Wir hatten oben von der allgemeinen Freude nicht viel vernommen. Die Schüsse hörten wir nur gedämpft, und von dem Wäldchen mochte manchmal ein einzelner Ruf herauf gekommen sein, den wir nicht beachteten. Da wir aber hinab gingen, näherten sich uns gleichsam wieder die Schüsse, die Töne der Waldhörner, die Rufe der Knaben und Mädchen, und das ruhige Gemurmel des allgemeinen Durcheinandersprechens der Menschen. Wir schlugen weiter unten einen andern Weg ein, als den ich heraufgegangen war, und näherten uns der hölzernen Hütte, dem Gezelte und überhaupt dem Platze, wo die Menschen mehr zu ihrer Lust zusammengedrängt waren.
Wir kamen wieder zu wandelnden Gruppen und zu spielenden Kindern. Auf einem grünen
Platze unter den Bäumen war ein Stand aufgeschlagen, wo man Lebkuchen verkaufte, und
nicht weit davon war einer, in welchem der Josikrämer stand und seine Sachen zum
Verkaufe ausgelegt hatte. Er hatte gerade diejenigen gewählt, welche für den heutigen
Tag die passendsten waren. Weil ich und er die einzigen waren, die in der Gegend am
meisten herum kommen und auf ihren Wanderungen sich öfter
Endlich kamen wir zu dem Gezelte. Es war nicht ein von allen Seiten geschlossenes, sondern man hatte über einen großen Tisch, an welchem die vorzüglicheren Bewohner der Gegend saßen, gleichsam einen weißen Baldachin in die Baumäste geknüpft, um die Sonnenstrahlen abzuhalten; aber es war dennoch wie ein rings herum begrenzter Saal, weil gerade um den Platz die schönsten und dichtesten Föhren und Birken standen. Als wir durch den Eingang eingetreten waren, sahen von dem oberen Ende des Tisches zwei sanfte Augen auf mich herüber – ach Gott! ich erkannte sie gleich – es waren Margaritas Augen, – sie blickten mit dem schönen, demütigen Lichte, das einst meine Freude und mein Entzücken gewesen war. Wir gingen an den Menschen, die an dem Tische saßen, nach einander hinauf, damit ich sie begrüße, und damit wir, der Obrist und ich, die Stühle einnähmen, die man an ihrer Seite für uns leer gelassen hatte. Da ich bis zu ihr gekommen war, sagte ich: »Seid mir herzlich schön gegrüßet, Margarita, ich bin abwesend gewesen, da Ihr angekommen seid, sonst hätte ich meinen Willkommensgruß schon in das Haghaus hinauf gebracht. Euer Vater hat es mir erst vor wenigen Augenblicken gesagt, daß Ihr auf dem Steinbühel seid. Seid mir recht, recht schön gegrüßt.«
Sie war aufgestanden, als ich zu ihr getreten war, und zog den Handschuh aus, um mir
die Hand zu reichen. Sie war errötet, und die Hand, die sie mir reichte, zitterte
sehr. »Seid mir auch gegrüßt«, antwortete sie. »Ich war schon drei Tage zu Hause,
während Ihr fort waret, und heute morgens sind wir bei Euch gewesen, um Euch selber
meine Ankunft zu sagen; aber Ihr seid sehr früh ausgefahren,
Wir faßten uns bei den wechselseitig dargereichten Händen und drückten uns dieselben recht freundlich.
Sie zog dann den Handschuh wieder an und setzte sich nieder. Obwohl sie zu Hause immer in bloßen Händen ist, und uns auch so auf unsere Spaziergänge und zum Pflücken der Blumen begleitet hatte, so hielt der Obrist doch bei solchen Gelegenheiten darauf, daß sie den Anstand beobachte und die Anwesenden ehre. Darum war er selber auch in einem schönen dunklen Gewande. Er saß auf dem Stuhle zu ihrer Rechten, und ich setzte mich auf den, der links war, und den man mir aufgehoben hatte. Ich setzte mich ein wenig weiter weg und gab Acht, daß ich an ihrem Gewande nicht streife.
Ich wußte jetzt eigentlich nicht, was ich sagen sollte.
Es waren viele Menschen zugegen, welche ich kannte. Es saß der Kaufherr von Pirling mit seinen Töchtern gleich neben dem Obrist; es waren Bürger von Tunberg da; Frauen und Männer von Pirling; es war der sehr alte ehrwürdige Pfarrer von Sillerau zugegen, und saß neben seinem Amtsbruder aus Pirling; es waren Frauen und Töchter von Ratsherren da, deren Männer und Väter aber in dem Schießhause drüben waren; es waren geachtete Landleute da, der Erlebauer mit seinen Töchtern, der Vetter Martin, der Wirt am Rothberge, mit seiner Tochter Josepha; dann einige aus Haslung, aus dem Eidun und andere. Ich kannte beinahe alle. Sie grüßten mich, als ich nieder gesessen war, und einige machten mir den Vorwurf, warum ich denn so spät gekommen sei. Ich antwortete, daß meine Geschäfte von dem Zufalle abhingen, daß ich sie mir nicht auf eine gewisse Stunde lassen oder mir vorarbeiten könne, und daß ich daher erst zu erscheinen vermöge, wenn sie abgetan sind und mich entlassen.
Als sie noch kaum ausgeredet hatte, kam die Tochter des alten Bernsteiners nebst zwei Mägden, welche Kuchen, allerlei kalte Speisen, schön verziert, und angenehm geordnetes Obst vor mich hin stellten.
Ich dankte für die Aufmerksamkeit und sagte, daß ich von den Dingen schon nehmen werde. Rings herum auf der Tafel standen vor denen, die da saßen, ähnliche Sachen, die Beschlußstücke eines gehaltenen Mahles. Die Männer hatten Wein, die Frauen und Mädchen Kuchen, Obst und dergleichen, und an mehreren Stellen stand auch ein Becher süßen Weines für manche ältliche Frau.
Der Obrist redete mit dem Kaufherrn und mit dem Forstmeister, der von dem Schießhause
herüber ge kommen und hinter ihre Stühle getreten war. Sie verhandelten alle
Verhältnisse, die eben an der Zeit waren und für die Gegend größere oder kleinere
Dringlichkeit hatten. Ich sprach einige Worte zu dem Pfarrer von Sillerau und zu
anderen, die in meiner Nähe waren. Einige fragten mich um verschiedene Kranke, wie es
ihnen gehe, und ob Hoffnung
Die Mädchen und Frauen hatten ihre sonntäglichen Kleider an, und manche waren sehr geputzt. Man erblickte silberne und sogar goldene Verzierungen auf den Miedern und Spangen. Margarita saß recht einfach neben mir auf ihrem Stuhle. Sie hatte ein graues, geglänztes Kleid an, welches sie nach den weißen am meisten liebt. Auf dem ganzen Gewande war keine andere Zierde als eine kleine rotseidene Schleife am Halse, wo das Gewand geschlossen war. Den feinen Strohhut, den sie im Sommer gerne trägt, hatte man ihr von dem Haupte genommen und ihn an den Ast einer Birke gehängt. Obwohl sie nicht ihren sonntäglichen oder gar festtäglichen seidenen Putz an hatte, in dem sie mir immer gleichsam etwas fremd vorkam, so hielt ich doch dafür, daß sie unter denen, die hier versammelt waren, die schönste sei, noch schöner als die Töchter des Erlebauer.
Wir konnten nicht viel reden und sagten nur gewöhnliche Dinge. Ihre Antworten waren recht lieb und gut und hold und freundlich. Ich weiß nicht, ob die Leute wußten, in welcher Beziehung ich zu Margarita gestanden war; aber niemand sagte ein Wörtlein, das dahin abzielte oder eine Andeutung auf die Sache ahnen ließ, selbst dann nicht, als ich aufgestanden war und längs des Tisches hinab ging, um mit allen, die ich näher kannte, ein freundliches Wort zu reden. Sie hatten alle zu viele Achtung für mich, als daß sie es taten.
Nachdem diese Unterredung aus war, und nachdem ich noch manchen andern, die herum
standen oder ein und aus gingen, auf ihre Fragen eine Antwort erteilt hatte, ging ich
wieder zu meinem verlassenen Sitze zurück. Da sah ich an der Seite des Obrists und
Margaritas, wo man Platz gemacht hatte, zwei fremde dunkelgekleidete
Die Frauen waren beide alt, freundlich und einfach. Man hatte zufällig nach ihrer Entfernung ihre Sitze besetzt, und räumte sie ihnen jetzt wieder ein. Sie sprachen zu mir und fragten mich um einige Dinge, wie das bei ersten Bekanntschaften der Fall zu sein pflegt. Es sprachen auch der Forstmeister, die Bürgermeisterin, der Kaufherr und der Pfarrer mit ihnen, wie man Fremde auf höfliche Weise in einer Umgebung einheimisch zu machen sucht. Indessen hatte sich auch die Gesellschaft um mehrere Schützen vermehrt, welche die ihnen zugewiesenen Schüsse ausgeschossen hatten, und jetzt hier im Gezelte bei ihren Frauen, Schwestern oder anderen Angehörigen waren und sich vergnügten.
Als die Gespräche so gingen, kam der Kutscher des Obrists herein, ging zu seinem Herrn und sagte ihm, daß der Wagen heute gar nicht gemacht werden könne, weil der Schmied nicht eine einzige Kohle zu Hause habe, und weil er keine am Sonntage von dem Meiler, wo sie liegen, herein bringen dürfe, und weil auch gar niemand zu Hause sei; denn das alles habe ihm nur die alte Großmutter des Schmiedes gesagt.
»Ich habe es wohl so erwartet«, antwortete der Obrist.
Auf meine Frage, was es sei, sagte er, es sei ihnen ein Nabenring an dem Wagen zersprungen, es habe nicht so viel auf sich, aber es sei doch nicht so zuversichtlich zu fahren.
»Freilich nicht,« antwortete ich, »die Nabe könnte zerfallen, und dann wären Rad und Speichen auf die Straße gestreut. Nehmt von mir den Wagen und die Pferde, Obrist, und laßt den Eurigen in Pirling, daß er morgen gemacht werde.«
Als er sich hierauf weigerte und sagte, es wäre schon genug, wenn ich ihm nur den Wagen gäbe, er könne seine eigenen Pferde einspannen, stand ich auf, ging zu ihm hin, da er mit dem Kutscher abseits an die Bäume getreten war, und sagte: »Nein, Obrist, nehmt auch die Pferde – laßt mir die Freude, daß sie meinen Wagen gebraucht, als wäre er schon der ihrige. Ich nehme ein offenes Wägelchen in Pirling, spanne Eure Pferde vor und fahre mit Eurem Kutscher hinter Euch nach. Ihr könnt dann morgen, wenn der Reifen geschweißt ist, das Wägelchen nach Pirling schicken und mit den Pferden Euren fertigen Wagen zurücknehmen.«
Hierauf willigte er ein, ich gab seinem Kutscher den Auftrag, wenn er meinen Thomas sehe, ihm zu sagen, daß er den zweiten Sitz unseres Wagens in Bereitschaft richten und, wenn der Schützenzug in Pirling angekommen wäre, gefaßt sein möchte, jeden Augenblick einspannen zu können. Als der Kutscher dieses vernommen und sich entfernt hatte, fragte ich den oberen Pirlinger Wirt, der indessen auch seine Schüsse ausgeschossen hatte und zu uns herein gekommen war, ob er sein offenes Wägelchen zu Hause habe, und ob er es mir bis morgen mittag leihen könne. Er bejahte beides, und daher war diese Sache in Ordnung.
Es waren in dieser Zeit die Sonnenstrahlen immer schiefer
Die Scheiben standen leer und ihrer Pflicht entbunden, von dem rosenroten Lichte der Sonne beleuchtet, am Walde draußen. In dem Schützenstande, in welchen jetzt alles hinein durfte, richtete mancher Schütze seine Geräte in seinen Büchsensack zusammen, oder ließ es von seinem Diener tun; der Schützenschreiber tat sein Buch in das lederne Fach, das er zusammen schnallte, und der Schützenmeister, der obere Wirt, befahl, daß alles in gehörige Bereitschaft gesetzt werde.
Es war gebräuchlich, daß die ganze Schützenschaft nach solchen Tagen einen Einzug in Pirling halte, und daß die anderen Anwesenden gewöhnlich vom Steinbühel bis Pirling hinter dem Zuge hergehen. Heute sollte es auch so sein, nur ward befohlen, daß man erst die Sonne untergehen lassen müsse.
Margarita, der Obrist und die zwei fremden Frauen standen in einem Kreise von
Pirlinger Bewohnern, meistens Frauen, und redeten. Ich ging daher noch einen
Augenblick auf den Gipfel des Felsens. Aber wie war der Anblick jetzt verändert: auf
den Stoppeln und den Wäldern lag der Abendschein, in dem ferneren Tale waren die
Ich ging gleich wieder hinab, weil es jetzt sehr bald zum Heimgange nach Pirling kommen würde. Aus der hölzernen Hütte, in welcher viele aus den niederen Ständen gewesen waren, Knechte, Diener und andere, sah ich manche herauskommen und den Hügel hinab gehen, weil sie vor dem Einzuge in Pirling sein mußten. Darunter war mein Thomas, der sich sehr beeilte, damit er, wenn wir angekommen sein würden, angespannt hätte und mit dem Wagen in Bereitschaft stünde.
Die Scheiben waren abgeschlagen und herein getragen worden, der weiße Baldachin war aus den Bäumen gelöset, und selbst Tische und Stühle wurden den Felsen hinab getragen, wo ein Wagen wartete, daß sie nicht in dem Nachttaue draußen blieben. Die Menschen hatten sich meistens unter den Föhren neben dem Schießstande eingefunden, wo der Zug sich ordnen und anfangen sollte. Der Schützenmeister las endlich aus einem Papiere vor, wie sie sich alle stellen müssen, und so, wie er es gelesen hatte, stellten sie sich, und da die Musik das Zeichen dazu gab, fingen sie an zu gehen.
Zuerst war der geschlungene Weg über den Felsen hinab zurück gelegt, und dann dehnte sich der Zug über die Felder hin. Hinten fuhr der Wagen mit den Tischen und Stühlen nach.
Es nahm sich seltsam aus, wie die Menschen so gingen. In den rötlich scheinenden
Stoppeln der Felder bewegte es sich Pirling zu. An der Spitze ging der Schützenbote
und trug die große Schützenfahne, nach ihm kamen zwei
Wie wir uns Pirling näherten, standen an dem Wege schon hie und da Zuschauer, und sie wurden immer mehr, je mehr wir uns dem Orte näherten, und waren endlich dicht gedrängt an Büschen, Hecken und Planken. Es waren solche, die zu Hause geblieben, oder von dem Steinbühel früher herein gegangen, oder von benachbarten Ortschaften herzu gekommen waren, um die Sache zusehen. Am Eingange des Marktes war, wie gewöhnlich, eine Musik aufgestellt, die uns erwartete und empfing.
Da der Zug bis zu dem unteren Wirtshause gekommen war, in welchem in dieser Nacht der
Schützentanz sein sollte, erkannte man erst, warum es nicht erlaubt gewesen war, vor
Sonnenuntergang vom Steinbühel herein zu
Der ganze Zug ging, wie es gebrauchlich ist, samt dem Bocke in den Tanzsaal. Dort gaben die Schützen ihre Büchsen und die anderen Schießvorrichtungen an Diener oder selbst an Söhne ab, welche sie nach Hause trugen. Der alte Bernsteiner hob die Talerkrone dem Bocke vom Haupte und gab sie seiner freundlichen, eben so alten Gattin, daß sie zu anderen Schützensiegeszeichen in den Glasschrein des Schlafzimmers gestellt werde. Der Bock aber mußte jetzt in den Stall.
Die Zeit von der Ankunft im Tanzsaale bis zum Beginne des Tanzfestes verwendeten die Einheimischen gerne zu einem Gange zu den Ihrigen, zum Umkleiden oder dergleichen. Die Fremden blieben in dem Gasthause, und richteten sich auch zu dem her, was da kommen sollte. Wir hatten beschlossen, auf den Anfang des Tanzes zu warten, und dann nach Hause zu fahren.
Ich wurde in dieser Zwischenzeit sogar zu einem gerufen, der plötzlich krank geworden war. Es war von keiner Wichtigkeit, und ich gab ihm ein betreffendes Mittel.
Als ich wieder in den Saal zurück gekehrt war, waren die meisten schon anwesend, und
es wurde zur Einleitung des Festes geschritten. Die Tische in den Speisegemächern
waren besetzt, die Paare in dem Saale stellten sich an, die Musik begann, und durch
einen ruhigen, schönen Einleitungstanz wurde das Schützennachtfest eröffnet. Der
Obrist zeigte Margariten und den zwei Frauen alles, wie man es hier mache, er blieb
bei den zwei ersten Tänzen mit ihnen als Zuschauer, dann aber empfahlen wir uns als
solche, die noch einen weiten Weg nach
Ich hatte an dem Wagen gewartet. Margarita war mit den Frauen aus dem Hause gekommen, der Obrist aber noch nicht. Ich half den Frauen in den Wagen, und wollte es mit Margarita desgleichen tun. Ich faßte ihre Hand, die sie aus dem Überrocke hervorgestreckt hatte, aber ich half ihr nicht auf den Wagentritt, sondern ich hielt die Hand einen Augenblick, und sagte, weil mein Herz so gerührt war: »Margarita, werdet Ihr mir es verzeihen, daß ich einmal so heftig an Euch gehandelt habe?«
»O, verzeiht Ihr mir nur,« antwortete sie, »daß ich so gewesen bin – einziger, lieber Freund meiner Jugend – o ich weiß es schon, und der Vater hat es gesagt, was Ihr für ein herrlicher Mann geworden seid.«
»Nein, Margarita,« sagte ich, »Euer Vater ist gut, er weiß es schon, welche Fehler ich habe – und Ihr seid ein Engel!«
Ich vergaß mich, und schlang meine Arme um ihren Nacken, wie man eine Schwester nach langem Entferntsein begrüßet. Sie tat ihre Arme auch um meinen Hals, drückte ihr Angesicht an das meinige und fing so heftig zu weinen an, daß ich es gar nicht fassen konnte. Ich empfand das Naß ihrer Tränen auf meinen Wangen. Ich beugte nur einen Augenblick zurück, und wir drückten dann mit einem Male unsere Lippen an einander. Ich hielt sie fest an mein Herz gepreßt, wie eine verlorene und wiedergefundene Braut.
Als sich die Arme wieder gelöset hatten und ich ihre liebe Hand hielt, sagte ich: »Margarita, darf ich morgen Euren Vater um Euch bitten?«
»O bittet,« antwortete sie, »es ist gut für uns beide.«
Dann wandte sie sich zu den Frauen, die im Wagen saßen, und sagte: »Nehmet es mir nicht übel, was ich tat; er ist mein Bräutigam.«
»Steiget jetzt ein, Margarita,« sagte ich, »morgen komme ich sehr, sehr bald zu Euch hinauf. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, antwortete sie, und wir drückten uns sehr innig die Hände.
»Steige nur ein,« sprach plötzlich der Obrist, der neben uns stand, »ihr werdet recht glückliche Men schen mit einander sein.«
Margarita warf sich an sein Herz, er hielt sie einen Augenblick sanft und half ihr dann in den Wagen. Ich nahm ihn bei der Hand, drückte sie und konnte nichts sagen, weil meine Augen voll Wasser standen.
»So ist es also offenkundig geworden, daß diese zwei Brautleute sind, und Ihr dürft es unten bei dem Feste verkünden. Ich wollte es noch ein wenig geheim halten, aber sie haben sich selber verraten«, sagte der Obrist zu dem oberen Wirte, der ein wenig weiter zurück stand, weil er von dem Tanzsaale herauf gegangen war, um den Obrist zu dem Wagen zu geleiten.
»Das ist ein erfreuliches Ereignis,« sagte der Wirt, »das ist ein erfreuliches Ereignis.«
»Jetzt gute Nacht, Doktor,« sprach der Obrist zu mir, »und kommet morgen bald zu uns hinauf.«
»Gute Nacht«, antwortete ich, und war ihm behülflich, wie er in den Wagen stieg.
Dann ging ich zu dem Thomas hinvor und sagte ihm, daß er Acht habe und vorsichtig
fahre, damit den Freunden
»Ich wünsche recht viel Glück, Doktor,« sagte der Wirt, »ich wünsche recht viel Glück.«
»Ich danke,« antwortete ich, »ich danke. Aber Mann, das ist ein Weib, welches ich erst verdienen muß.«
»Ihr seid aber auch der rechte Mann zu ihr,« sagte er, »und das wird eine Freude in der Gegend sein.«
»Wird es,« erwiderte ich, »nun so freut es mich, und es tut mir sehr wohl, wenn man mir Margarita gönnet. Aber jetzt seid so freundlich und lasset mir Euren Wagen richten, damit ich ebenfalls nach Hause fahren kann. Ich muß morgen sehr früh wieder fort.«
»Ist schon gerichtet, und darf nur angespannt werden«, antwortete er.
Als die Braunen des Obrists in das offene Wägelchen des Wirtes gespannt waren, ich meinen Oberrock genommen hatte und eingestiegen war, fuhr der Kutscher des Obrists mit mir durch die obere Gasse auf die Felder hinaus, wo die Straße gegen das Eidun und gegen meine Heimat zielte. Ich konnte von den Vorausfahrenden nichts mehr vernehmen, weil wahrscheinlich mein Thomas aus Eifer und Ehrgeiz sehr gut und auch sehr schnell dahin fuhr.
An dem Himmel über mir standen unzählige schöne, freundliche Sterne – und in meinem Herzen war eine Freude, welche ich noch niemals in meinem Leben empfunden habe. Ich ging schon gegen die dreißig Jahre, und es war so wohl, so süß, so herrlich in mir, als wenn ich im achtzehnten wäre, wo man ein Kind ist, unerfahren ist, und die ganze Welt an das Herz drückt, damit es nur gestillt werde.
Ich dachte: ›O mein Gott, o mein Gott, was ist es für ein Glück zu wissen, daß ein
einziges Herz in dieser Welt ist, das uns liebt, das es durchaus und vom Grunde
Ich fuhr in der dunklen, stillen Nacht hin, und kam endlich bei meinem Hause an. Ich gab dem Kutscher eine Belohnung und schickte ihn mit den Pferden zu seinem Herrn hinauf. Die meinigen waren schon zu Hause, ich ging noch in den Stall hinein und streichelte die guten Tiere, die sie unverletzt in ihre Wohnung gebracht hatten. Dann ging ich in mein Zimmer. Ich zündete mit Freude meine Lichter an, ich war heute zum ersten Male gleichsam nicht mehr allein, und setzte mich zu meinem Schreibgerüste nieder.
Es war eine Ruhe, Stille und Feierlichkeit in meinem Hause. –
Aber ich blieb nicht lange sitzen, sondern ich stand auf, ging zu dem Fenster, öffnete es und lehnte mich hinaus. Auch draußen war Ruhe, Stille, Feierlichkeit und Pracht – und es rührten sich die unzähligen silbernen Sterne am Himmel.
So weit habe ich, der Urenkel, aus dem Lederbuche des Doktors ausgezogen, und so weit
ist alles an ihm, der uns immer wie ein Wundermann erschienen war, gewöhnlich, wie
bei allen andern Leuten, und wird auch in dem ganzen Buche fort gewöhnlich sein. Es
ist noch recht viel übrig; aber das Lesen ist schwer. Oft ist kein rechtes Ende, oft
deutet sich der Anfang nur an, manchmal ist die Mitte der Ereignisse da, oder es ist
eine unverständliche Krankengeschichte. Ich habe in den mit dem Messer verwundeten
Blättern geblättert. Ich mußte da über viele Jahre gegangen sein; denn es war ein
häufiger Tinten- und Schriftwechsel, es standen Witterungsbeobachtungen,
Ich habe noch recht viel zu erzählen, und werde es in der Zukunft tun, wenn ich es zu Ende geziffert und ausgezogen habe: wie die Hochzeit gewesen ist, wie Margarita von allen Bewohnern des Doktorhauses geliebt worden ist, wie er mit dem herben, weichen, kindlichen Mädchen gelebt habe. Wie ihr Vater, der Obrist, uralt geworden, wie er gestorben sei, und eine Ruhestätte neben seinem Weibe habe, wie der Doktor fortgewirkt, wie er bei der Einführung der Kartoffeln so viele Hindernisse gehabt habe, wie er, wenn die früheren Pferde alt und untauglich wurden, immer wieder Rappen hatte, wie er zu Kranken weit und breit ging, wie viele in sein Haus kamen, und dann bei den Ihrigen erzählten, daß eine schöne, milde, alternde Frau in seinem Hause herum gehe, wie er selber sehr alt geworden ist – ich muß endlich erzählen, wie das obere Haus weg gekommen ist, ich muß erzählen, wie die Bilder fort gekommen sind, sowohl die, welche Margarita zur Aussteuer erhalten hat, als auch die, welche sie erbte.
Mein Großvater hat erzählt, daß der Doktor, als er sehr alt war, als ihm seine
Strümpfe schlotterten, als sein Rücken gekrümmt war, als ihm die Schnallenschuhe zu
groß geworden waren, oft an seinem kunstreich geschnitzten Schreibgerüste, auf das er
in seinem langen Leben
Seine letzte Heilung ist ein Kind gewesen. Er war schon lange nirgends mehr hin gegangen, in der Gegend waren drei neue Doktoren aufgestanden – da war im Eidun ein Kind krank, ein schönes Mädchen freundlicher Eltern man hat ihm alles gegeben, was möglich war, aber das Kind wurde immer schlechter. Die Ärzte sagten endlich, es sei vergebens, das Kind müsse sterben. Da fiel den Eltern der alte Doktor ein, der zu Thal ob Pirling ein Haus habe, dort wohne und in dem Garten sitze. Sie gingen zu ihm und baten recht dringend. Er fuhr hinab, und ging an seinem Stabe mit den schneeweißen Haaren und gebeugt zu dem Kinde hinein. Da er es gesehen und um alles gefragt und eine Weile geschwiegen hatte, sagte er huldreich: »Das Kind wird nicht sterben.«
Er gab den Leuten etwas und sagte, daß man morgen zu ihm kommen und wieder etwas holen solle. – Die Eltern trugen den alten Mann fast wie einen Engel zu seinem Wagen hinaus. Sie gaben dem Kinde täglich, was sie von dem alten Doktor holten, es ward gesund, und blühte noch lange, da der Greis schon in seinem kühlen Grabe lag.
Er hatte zuletzt so weiße Haare, wie sie einst der Obrist gehabt hatte, nur daß der Obrist auch den weißen Bart trug, während der Doktor immer sauber rasiert ging.
Weil er gut gewirkt hat, ist er nie ein Kinderspott geworden.
Bei seinem Tode trug sich etwas Rührendes zu. Als man den Leichenzug ordnete, gingen plötzlich alle Zigeuner mit, welche sich zuweilen in den Wäldern gezeigt und nieder gelassen hatten, weil er sie einstens zu mehreren Malen freiwillig behandelt und manche aus ihnen geheilt hatte.
Friede mit ihm!