Das Vermächtnis des Pedlars : ELTeC ausgabe Ruppius, Otto (1819-1864) ELTeC conversion Leonard Konle 97300 278 COST Action "Distant Reading for European Literary History" (CA16204) Zenodo.org ELTeC ELTeC release 1.1.0 ELTeC-deu ELTeC-deu release 1.0.0 Das Vermächtnis des Pedlars Ruppius, Otto Otto Ruppius: Das Vermächtnis des Pedlars. Folge des Romans: »Der Pedlar«, Leipzig: Philipp Reclam jun., [o.J.].Erstdruck: Berlin (Duncker) 1859.

German Converted by checkUp script for new releaseConverted to level1 Converted by checkUp script for new releaseChecked by checkup script Checked by releaseChecker script Conversion from Kallimachos Kernkorpus

I.

Ein prachtvoller Morgen lag über dem Mississippi. Unten wälzte der Strom seine gelben Fluten, denen man es ansah, daß sie aus dem westlichen Lande kürzlich erst allen Winterschmutz aufgenommen hatten; aber am linken Ufer, das vom Wasser allmählich aufwärts steigt, bis der dichte Wald den weiteren Blick versperrt, lagen einzelne kleine Farmen mit ihren roh gezimmerten Häusern und Einzäunungen, zwischen denen sich eine Fahrstraße hinauf nach dem Walde hinzog. Dort oben war eben ein Mann aus den Gebüschen getreten, sah prüfend über die Gegend und scharf den Fluß hinauf.

»Pech, und nichts als Pech, beim Teufel!« brummte er nach einer Weile in deutscher Sprache und fuhr mit der Hand über die verdrießlich zusammengezogene Stirn; »das kann noch Stunden dauern, bis mir eins von den Booten den Gefallen thut, sich sehen zu lassen, und noch nichts im Leibe als ein altes Stück Welschkornbrod, das kein deutscher Holzhacker verdauen könnte.«

Er setzte sich langsam auf einen umgestürzten Baum, der neben dem Wege lag, stützte den Kopf in die Hand und sah, wie in Gedanken verloren, den Fluß hinauf. Nach einer Weile zog er aus dem modischen Ueberrocke, der ihm in Verbindung mit dem seinen Hute ein ganz respectables Ansehen verlieh, eine große, plumpe Schnapsflasche hervor und that zwei lange Züge daraus. »Scheußlich – Whiskey – und was für ein Stoff!« brummte er und wischte sich den Mund. »Das also,« fuhr er fort, die Flasche vor sich hinhaltend, »das ist Alles, was bei der letzten, größten Speculation, die ich je gemacht, herausgekommen ist. Schöne Gegend – es scheint, mein Stern ist im Untergehen, wie der des Wallenstein.«

Wieder versank er in Gedanken, bis er endlich mit der Hand über das Gesicht fuhr, als wolle er die trübe Miene daraus hinwegstreichen. »Herr Seifert,« fuhr er in seinem Selbstgespräche fort und richtete den Kopf langsam auf, »ich glaube, Sie verfallen in einen Zustand, den man gewöhnlich moralischen Katzenjammer nennt, der aber, wie Sie wissen, das allerschlechteste Mittel ist, sich wieder auf die Beine zu helfen. Lassen Sie uns die Verhältnisse ruhig überlegen.« Er setzte die Whiskeyflasche von Neuem an den Mund, that einen langen Zug, schüttelte sich, während er den Kork darauf steckte, und ließ sie dann langsam in der Seitentasche seines Rockes verschwinden. »Wir sind nach diesem Lande gekommen, um unsern etwas zu bedeutend gewordenen Schulden und den Folgen eines kleinen Wechselgeschäfts aus dem Wege zu gehen; gut! In Deutschland würden wir jetzt wahr scheinlich Wolle spinnen müssen, während wir hier aus freien Füßen sind und ein freies Feld vor uns haben, also sind wir in bedeutendem Vortheil. Als wir in New-York ankamen, haben wir bald erkannt, daß wir zu einem regulären Geschäfte nicht taugen, daß es hier für den Klugen viel profitablere Wege gibt, um in diesem freien Lande Lebensunterhalt und Gelb zu machen. Wir haben zwar unser mitgebrachtes Vermögen in wenig Monaten durchgebracht, sind, was andere Leute vielleicht einen Erzlumpen nennen, geworden – lassen Sie uns, Herr Geifert, die Sache nur immer von der schwärzesten Seite ansehen – haben aber dabei die Landessprache, die Menschen und die Verhältnisse perfect kennen gelernt und jetzt einen Fond in uns gewonnen, der uns nie im Stiche lassen und den uns Niemand stehlen kann. Wir sind im Augenblicke zwar ohne Geld und ohne alle Hilfsmittel, stecken hier unten im Süden wie ein verlorener Posten – sind wir aber nicht schon in viel schlimmeren Lagen gewesen und haben uns mit einem Schlage herausgerissen? Warum also trübselig sein? Wir sind ein einziges Mal dumm gewesen, eigentlich das einzige Verbrechen, was es in Amerika gibt – das ist richtig, und die Strafe dafür fühlen wir jetzt; lassen Sie uns aber sehen, Herr Seifert, ob das wirklich unsere eigene Schuld war. Wir trafen einen Landsmann in New-York, einen guten Jungen, aber voll deutscher Vorurtheile, aus dem nur durch die Noch etwas werden konnte. Wir erkannten das, und um ihn schneller zum Amerikaner zu machen, benutzten wir die Gelegenheit, um ihm Geld und Uhr zu entführen. Für ihn mußte das, trotz einer ersten Verlegenheit, zur Wohlthat werden, und uns half es, um die nöthigen Mittel zu einer Speculation hier im Süden zu erhalten. Soweit ist Vernunft und Logik in der Sache, die Folge hat es bewiesen. Wir haben den jungen Mann hier unten wieder getroffen, verwandelt und gestutzt, wie es eben nur die Noth zuwege bringen kann – und wir machten mit dem Gelde als Anlage unser ganz angenehmes Geschäft am Spieltisch, so gut es sich nur im Hinterwalde unter den wohlhäbigen, harmlosen Leuten thun läßt. Warum waren Sie nicht damit zufrieden, Herr Seifert? Hatten Sie nicht in dem Spielgeschäfte noch dazu einen tüchtigen Partner, der hier den reichen Pflanzer vorstellte, immer Kunden zuführte und dem Sie mit aller Pfiffigkeit noch nicht beikommen? Warum ärgerten Sie sich, daß er den großen Herrn spielte und in allen Familien aus- und einging, was Sie als offner Spieler und Bankhalter nicht konnten? Das war eigentlich schon dumm; wurde doch der Gewinn gleich getheilt, war doch selbst unsere letzte Speculation in schwarzem Menschenfleische, das leicht genug zu entführen und leicht genug zu verlaufen war, auf gleiche Profittheile berechnet. Wer hat die ganze Speculation aber verdorben, sagen Sie doch, Herr Seifert – wie konnte die ganze schlau eingefädelte Entführung der schwarzen Burschen entdeckt werden, und die Verfolger uns so schnell auf die Fersen bringen, wenn nicht eine ungeheure Dummheit begangen worden wäre? Nur ehrlich, Herr Geifert, wenn wir allein sind – das warm Sie! Ließen Sie sich nicht ganz verblüffen, als Sie mit dem guten Jungen aus New York hier wieder zusammentrafen? Ließen Sie sich nicht breitschlagen ihm zu verrathen, wer Ihr Partner eigentlich war, ohne nur danach zu fragen, warum der das wissen wollte? Beichteten Sie nicht so schön wie ein unschuldiges Mädchen, nur damit er über die New-Yorker Geschichte, die ihm Geld und Uhr gekostet, schweigen sollte? Nun, was war die Folge? Der gute Junge, dieser Herr von Helmstedt – ich werde den Namen wol nicht gleich wieder vergessen – war auf derselben Farm angestellt, wo Ihr Partner den Hausfreund spielte und das schwarze Fleisch entführen wollte – wundern Sie sich nun noch, daß diesem von der Zeit an auf die Finger gesehen ward, daß wir beinahe auf der That ertappt wurden und ich nur mit knapper Noth die schwarzen Häute in Sicherheit bringen konnte? Ja, und wenn's nur dabei geblieben wäre – nehmen Sie sich eine Lehre daraus, Herr Seifert, was eine einzige Dummheit zuwege bringen kann. Sie haben keine Idee von Ihrem Partner wieder zu sehen bekommen, und wenn er den hitzigen Pflanzern, besonders diesem Mr. Elliot, der um seine Schwarzen zu kurz kommen sollte, in die Hände gefallen ist, so haben Sie wahrscheinlich sein Leben auf dem Gewissen. Das wäre indessen noch nicht das Aergste, – haben denn aber die schwarzen Affen Zutrauen fassen wollen, als er ausblieb? Haben sie nicht die Sonne beobachtet und gemerkt, daß ich sie nicht nach dem Osten in die Freiheit, sondern weiter nach dem Südwesten führte, wo sie sich das, was mit ihnen geschehen sollte, von selbst abfingern konnten? Sind sie mir denn nicht während einer schönen Nacht sammt und sonders durchgegangen, und hatten noch dazu im Nachtquartier so verdächtige Aeußerungen fallen lassen, daß ich froh war, die Fragen des Wirths mit einem derben Stück Gelde, fast Alles was ich bei mir trug, abschneiden und davon kommen zu können? Habe ich mich nicht, um jeder Gefahr aus dem Wege zu gehen, auf Holz- und Seitenwegen durchschlagen, auf versteckten Farmen übernachten und mit Welschkornbrod und Schweinefleisch füttern lassen müssen, und sitze nun endlich hier am Mississippi, ohne etwas in der Tasche zu haben als die Whiskeyflasche von einem der schwarzen Schwerenöther? Well, Herr Seifert, das sind die Folgen einer einzigen Dummheit, Sie werden sich das merken. – Im Uebrigen aber werfen Sie jetzt alle trüben Gedanken aus der Seele – wir werden wieder nach New-York kommen, wo unser eigentlicher Boden ist, und jetzt, wo die erste Nothwendigkeit ist, trotz unserer leeren Tasche eine anständige Passage auf einem Dampfboote zu bekommen, gilt's ein zuversichtliches Gesicht zu zeigen!«

Er richtete sich langsam aus der gebückten Stellung, die er eingenommen, auf, zog von Neuem die Whiskeyflasche aus Licht und ließ den Rest davon in den Hals laufen. Dann warf er sie mit kräftigem Schwunge in den Wald hinein.

»Und so sei jede Verbindung mit diesem Süden von mir gestreift,« sagte er aufstehend; »wenn wir nur schon das ganze Land mit seinen Niggern und seiner Baumwolle hinter uns hätten!«

Langsam und fortwährend den Fluß beobachtend, schritt er die Straße nach dem Landungsplatze hinunter; er hatte diese aber kaum zur Hälfte zurückgelegt, als hinter einer der Inseln, welche ihm die freie Aussicht auf den obern Theil des Flusses benahmen, ein paar langgezogene Rauchstreifen sichtbar wurden.

»Jetzt« murmelte er vor sich hin, den braunen Schnurrbart streichend und schärfer zugehend, »jetzt bewiesen, daß der Seifert noch der Seifert ist.«

In den nächsten zehn Minuten hatte er den Landungsplatz erreicht, wo aufgestapelte Baumwollenballen und einzelne grobgeschnittene Farmergesichter neben halbnackten Schwarzen die Ankunft des Dampfers zu erwarten schienen.

Seifert trat mit nachlässiger Haltung hinzu und beobachtete das herankommende Fahrzeug, bis sich dessen Formen deutlich erkennen ließen.

»Was ist das für ein Boot?« wandte er sich an den Nächststehenden.

»Die ›Fashion‹, Sir!« war die Antwort.

»Sie wissen vielleicht den Namen des Capitäns?«

»Mr. White, Sir!«

»Richtig, das ist das Boot, welches ich erwarte; danke Ihnen, Sir!«

Das mächtige Fahrzeug trieb langsam herbei, das Seil flog nach dem Ufer, wurde dort aufgefangen und befestigt, die Landungsbrücke fiel, und die Schwarzen begannen die Baumwollenballen hinüberzurollen. Seifert betrat raschen Schrittes das Boot, eilte die Treppe nach dem Salon hinauf und hatte bald die Office aufgefunden.

»Haben Sie nicht einen Brief für Henry Wells?« fragte er den dort arbeitenden Clerk.

»Nicht daß ich wüßte, Sir!«

»Dies ist doch die ›Fashion‹?«

»Die ›Fashion‹, Sir!«

»Dann muß Capitän White den Brief selbst haben. Können Sie mir sagen, wo ich ihn treffe?«

»Er ist im Augenblick nach dem State-Room gegangen; dort finden Sie ihn jedenfalls.«

Geifert wandte sich, eine Miene voll besorglicher Erwartung über sein ganzes Gesicht verbreitend, nach der angegebenen Richtung und betrat das allgemeine Versammlungszimmer, in welchem einzelne Gruppen der Reisenden sprechend bei einander standen, während andere schlafend ober lesend auf den Stühlen und Divans umherlagen. Der Eintretende blickte einen Augenblick beobachtend umher, und hielt dann einen der schwarzen Aufwärter, der in seinen Weg kam, an.

»Welches ist Capt'n White?«

»Dort bei den vier Herren – der die Mütze trägt.«

Seifert durchschritt das Zimmer wie ein Mensch, der an solchen Orten nicht fremd ist, und trat zu der bezeichneten Gruppe.

»Capt'n White, nur ein Wort. Ist Ihnen nicht ein Brief an Henry Wells übergeben worden?«

»Ein Brief?« erwiderte dieser, sich umdrehend. »Sie werden in der Office nachfragen müssen, Sir!«

»Ich war bereits da und dort ist nichts; ich hoffte mit Bestimmtheit, er müsse in Ihren Händen sein.«

»Bedaure Sir, aber ich weiß von nichts.«

Seifert's Stirn zog sich in tiefe Falten.

»Well, Capt'n, dann bin ich in einer ganz teufelmäßigen Patsche, wenn mir Ihre Freundlichkeit für den Augenblick nicht heraushilft. Wir sind seit vier Tagen in der Verfolgung eines nichtswürdigen Kerls begriffen, der dem Squire Elliot von Alabama vier Schwarze gestohlen hat; ich war mit zwei von unsern Begleitern einer neuen Spur gefolgt und war von ihnen abgekommen; ich hatte den Weg verloren und bin erst auf allerhand Holzwegen hier wieder aus dem Walde ans Tageslicht gestiegen. Ich sollte nach unserer Verabredung durch die ›Fashion‹ nach Vicksburg Nachricht erhalten – mein Name ist nämlich Wells – und bin so glücklich, gerade wo mir der letzte Cent ausgegangen ist, Ihr Boot zu treffen – haben Sie wirklich keine Nachricht für mich, so möchte ich Sie freundlichst bitten, mich nach Vicksburg zu spediren, wo in Zeit von drei Minuten Ihnen das Fahrgeld erstattet werden soll.«

Der Capitän ließ einen Augenblick den prüfenden Blick über ihn laufen.

»Sie haben kein Gepäck bei sich, Sir?« fragte er dann.

»Ich sage Ihnen ja, Capt'n, daß ich in den Wald gerathen bin, ich weiß nicht. wie!« war Seiferts eifrige Antwort; »hätte ich Gepäck, so würde ich nicht in die Verlegenheit gekommen sein, Sie um das jetzige kurze Vertrauen zu bitten.«

»Sie kennen also Mr. Elliot von Alabama, von dem Sie eben sprachen?« begann einer von den Beistehenden; »ich entsinne mich allerdings des Sklavendiebstahls dort.«

Seifert wandte sich nach ihm und verfärbte sich, aber nur für einen Augenblick und ohne eine Miene zu verziehen. Er war einem schwarzen, scharf auf ihm ruhenden Auge begegnet, das ihn unruhig machte, wenn er sich auch noch keinen bestimmten Grund dafür angeben konnte. »Mr. Elliot habe ich nur ein-oder zweimal gesehen,« erwiderte er, ein höfliches Lächeln versuchend; »ich selbst bin in New-York zu Hause und nur auf einem Ausfluge im Süden. Ich hatte die ganze Expedition eigentlich nur der Merkwürdigkeit halber mitgemacht, da einige Bekannte sich daran betheiligten.«

»Richtig, Sie waren von New-York nach Alabama gekommen; ich glaube mich Ihrer noch ziemlich deutlich zu entsinnen, Sir!« erwiderte der Andere, ohne den festen prüfenden Blick von ihm zu lassen.

Seifert ward wieder einen Schatten blässer, aber sein Blick nahm eine eiskalte Ruhe an. »Es ist wol möglich, Sir, wenn Sie sich nicht in mir irren,« erwiderte er; »mein Name ist Henry Wells.«

»Ihren Namen habe ich nicht gehört,« war die Antwort, und ein sonderbares Lächeln spielte um den Mund des Sprechenden; »ich wollte nur bemerken, daß, wenn unser Capt'n hier Anstand nehmen sollte. Ihnen das Fahrgeld zu creditiren, ich Ihnen gern mit meiner Börse zu Diensten stehe.«

Seifert's Gedanken schienen durch das Anerbieten für einen Augenblick aus allen ihren Fugen geworfen zu sein, wenigstens zeigte sein Gesicht einen ähnlichen Ausdruck; aber der Capitän riß ihn aus der augenblicklichen Verwirrung.

»Schon recht, Sir. Warum soll ich einem ehrlichen Gentleman nicht so weit aus der Verlegenheit helfen?« sagte er mit derber Gutmüthigkeit. »Sie finden mich nach fünf Minuten in der Office, wo ich die Sache ordnen werde. Machen Sie sich's bequem.«

»Dank Ihnen, Capt'n,« erwiderte Seifert wieder mit völliger äußerer Ruhe; »vielleicht finde ich einmal Gelegenheit zu einem Gegendienste!« Er drehte sich weg, um die Gruppe zu verlassen. Kaum hatte er aber einige Schritte gethan, als er den leichten Druck einer Hand auf seiner Schulter fühlte. Er wandte sich um und sah wieder in das scharfe Auge, dem er so eben begegnet.

»Well, Sir – Mr. Wells ist Ihr Name?« begann der Nachkommende, und wieder spielte ein Lächeln wie leichter Spott um seinen Mund; »wenn Sie eben erst aus dem Walde zum Vorschein gekommen sind, so könnte uns ein guter Brandy nichts schaden; begleiten Sie mich nach dem Bar-Room.«

Seifert's Auge verschleierte sich, so daß Niemand eine augenblickliche Empfindung darin gelesen hätte. »Ich danke Ihnen, Sir, und werde in zwei Secunden bei Ihnen sein!« erwiderte er. Mit einer kurzen Verbeugung wandte er sich hinweg und ging raschen Schrittes aus dem Salon, die Treppe hinab und nach dem Ausgange des Bootes, wo eben die letzten Stücke der neuen Ladung vom Lande herübergeschafft wurden. Er trat bei Seite und sah nach dem Ufer. »Aufpassen, Seifert!« brummte er; »etwas ist hier nicht richtig. Wer ist der Mensch, was will er und was weiß er? Ist es besser, lieber das nächste Boot abzuwarten, als hier in eine Falle zu gerathen?« Er sah eine Minute mit zusammengezogenen Augenbrauen in die Weite. »Nichts können sie mir anhaben, gar nichts, kein Zeuge ist da, der mich meines Theils des Negerdiebstahls beschuldigen könnte; mein guter Freund Baker, mein nobler Partner, hat das ganze eigentliche Geschäft allein besorgt – im Nothfall aber bin ich Mr. Wells von New-York; wer will mich etwa verdammen, weil ich zufällig dem Spieler Seifert, der in Alabama sein Wesen getrieben, ähnlich sehe?«

Er warf noch einen letzten überlegenden Blick ans Ufer; dann schritt er, wie mit seinem Entschlusse fertig, mit kurzem Kopfnicken wieder in das Boot. Als er in dem untern Raum den Weg nach dem Bar-Room suchte, empfing ihn schon außerhalb der Thür desselben der Mann mit dem Lächeln, welches ihm so wenig gefallen wollte; fast schien es, als habe ihn dieser beobachtet.

Als die Beiden in den Bar-Room traten, klang hinter ihnen das Geräusch der aufgezogenen Landungsbrücke; die Dampfpfeife ertönte und das Boot drehte sich vom Ufer nach der Mitte des Stromes. Seifert wandte sich nach dem Fenster und warf einen letzten Blick nach dem Lande. »Der Rubikon ist überschritten; jetzt heißt's Cäsar sein und sich nicht blamiren!« murmelte er zwischen den Zähnen.

»Well, Mister – was trinken Sie?« rief sein neuer Bekannter hinter ihm; »entschuldigen Sie, ich vergesse immer Ihren Namen.«

Seifert drehte sich um und trat an den Schenktisch. »Mein Name ist Wells, Henry Wells, aus New-York, Sir, wie ich die Ehre hatte Ihnen schon zweimal zu sagen,« erwiderte er, die Augenbrauen in die Höhe ziehend; »bis jetzt war ich jedoch noch nicht so glücklich, den Ihrigen zu kennen.«

Wiederum zuckte das frühere Lächeln um den Mund des Andern. »William Murphy, heiße ich, Sir,« sagte er dann, »Advokat und in Limestone County, Alabama, wohnhaft.«

»Ich nehme etwas Brandy und Zucker, Mr. Murphy, und freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen,« erwiderte Seifert und bog, ohne eine Miene zu verändern, den Kopf leicht.

Der Brandy kam, und der beiderseitige »Drink« ward genommen. Seifert fühlte jedoch stets den beobachtenden Blick auf sich ruhen, der ihm nicht gestattete, selbst eine Examination seines Gesellschafters anzustellen.

»Wollen wir nicht eine Cigarre anbrennen und uns ins Nebenzimmer setzen? man sitzt dort ungestört,« begann der Advokat nach einer Weile, als Seifert, wortlos gerade aussah, als wolle er die Natur der verschiedenen Flaschen und Gläser vor ihm studiren.

»Eine Cigarre? Wirklich, das könnte nichts schaden; ich glaube, ich habe bei dem verteufelten Abenteuer seit zwei Tagen nicht geraucht,« versetzte dieser und griff in die Cigarrentasche, die ihm entgegengehalten wurde.

»Wir finden Feuerzeug hier,« rief der Advokat und schritt nach dem andern Zimmer voran. Seifert folgte, und die zuklappende Thür trennte sie von dem Bar-Room.

»Well, Sir, es ist hier ganz angenehm,« begann der Erstere. Seifert ein brennendes Zündhölzchen reichend und sich dann bequem in einen der umherstehenden Lehnstühle werfend. »Setzen Sie sich und lassen Sie uns plaudern.«

Seifert brachte erst mit aller Sorgfalt seine Cigarre in Brand und ließ sich dann langsam nieder. »Ich bin zu Ihrer Disposition und ganz Ohr!« sagte er, allem Anschein nach mit vollem Behagen den Rauch von sich blasend.

»Well, es ist eben nichts Besonderes, was ich sagen wollte,« erwiderte der Andere nachlässig, »aber etwas Schwatzen vertreibt die Zeit.« Eine sonderbare Sache, dieser Sklavendiebstahl mit allen damit verbundenen Umständen. Sie werden jedenfalls den Hauptthäter, diesen Mr. Baker gekannt haben, welcher am andern Morgen, nachdem die Schwarzen verschwunden waren, ermordet gefunden wurde.

Seifert fuhr auf und starrte den Redenden einen Augenblick an. »Ermordet? Also Baker wirklich ermordet?« sagte er, als habe ein plötzlicher Schreck seine Stimme gelähmt: »und von wem? Vom Eigenthümer der Schwarzen, Mr. Elliot?«

»Sie scheinen also den Thäter ganz genau gekannt zu haben, Sir, – vielleicht auch seinen Spielgenossen, der mit den geraubten Schwarzen entfloh und leider von Niemandem weiter als eine Strecke den Fluß hinauf verfolgt wurde; – wie hieß er doch? Es war ein Deutscher, wenn ich nicht irre, – wissen Sie es vielleicht?« fragte der Advokat, ohne sich im Geringsten in seiner Bequemlichkeit stören zu lassen, aber das schwarze Auge scharf auf den vor ihm Sitzenden gerichtet.

Seifert strich sich mit der Hand langsam über das Gesicht. »Es ist entsetzlich, Sir,« sagte er dann mit halbgeschlossenen Augen, »ich habe Mr. Baker allerdings gekannt, und zwar in New-York, wo er sich häufig aufhielt. Es ist entsetzlich, so plötzlich eine solche Nachricht zu erhalten.«

»Aber, lieber Herr, – wie heißen Sie gleich? Habe wirklich schon wieder Ihren Namen vergessen – es scheint doch, als wären Sie ziemlich genau von seiner Betheiligung an der Dieberei unterrichtet gewesen,« erwiderte Murphy, und das frühere sarkastische Lächeln lagerte sich wieder um seinen Mund. »Sagten Sie nicht selbst, als Sie das Boot betraten, Sie seien bei der Verfolgung der Sklavenräuber betheiligt gewesen und dabei vom rechten Wege abgekommen? Dabei ist nur ein curioser Umstand,« und das Lächeln wurde noch schärfer als vorhin, – »daß es nämlich, wie ich aus dem Prozesse über Baker's Ermordung weiß, Niemandem eingefallen ist, den Räuber weiter zu verfolgen. Haben Sie sich das Vergnügen vielleicht auf eigene Faust gemacht?«

Seifert hob langsam die Augenlider und sah seinen Gegner mit einem Auge an, in dem es schwer gewesen wäre, irgend einen Ausdruck zu entdecken. Er war ziemlich blaß, aber keine Miene zuckte. »Ich verstehe Sie nicht recht, Sir,« sagte er kalt, »und begreife überhaupt nicht, was alle diese sonderbaren Bemerkungen sollen. Einer Ihrer südlichen Landsleute würde sich eine nachdrücklichere Erklärung erbeten haben, doch wir Nordländer nehmen derartige Dinge kühler auf. Was wollen Sie denn eigentlich von mir? Mir scheint, Sie steuern auf den künftigen Staatsanwalt los und wollen einmal versuchen, was sich aus dem einfachen Factum, daß ich fremd und ohne Mittel auf das Boot gekommen bin, machen läßt. Sie haben Recht, es vertreibt die Zeit; fahren Sie also fort.«

Er brachte die Cigarre wieder zum Munde und begann, als berühre nichts seine Seele, ruhig weiter zu rauchen.

Der Advokat schlug das Bein über die eine Lehne des Stuhles und stützte auf die andere Arm und Kopf. »Ihre Taktik wäre gar nicht so übel,« sagte er, »wenn Sie nicht Einiges dabei vergäßen, so z.B. daß es Menschen in der Welt gibt, welche genügenden Grund haben, etwas tiefer in die Art und Weise Ihrer Sklavenverfolgung einzudringen, die auch vielleicht das Vergnügen haben, Sie genauer zu kennen. So erinnere ich mich eines Abends, der mich gegen fünfzig Dollars am Spieltisch kostete, und wenn ich Sie genauer betrachte, Mr. Seifert –« er hielt inne, das Auge fest auf seinen Gefährten gerichtet.

»Nun,« erwiderte dieser, sein Gesicht in eine Dampfwolke hüllend, »mir scheint, Sie fallen aus der Rolle und wollen nicht nur als Staatsanwalt durch Ueberraschungen wirken, sondern auch noch den Zeugen in einer und derselben Person vorstellen?«

»Well, Mr. Seifert?« –

»Pardon, Sir! mein Name ist Henry Wells,« rief Seifert, »und die Geschichte fängt an mir etwas langweilig zu werden. Erlauben Sie einen Augenblick!« Er hob sich rasch, öffnete die Thür zum Bar-Room und sah hinaus – eben so eine zweite, die in das Mitteldeck führte, und schritt dann auf den Advokaten los, der, ohne seine Stellung zu verändern, Seifert's Benehmen beobachtet hatte, jetzt aber bei seiner Annäherung sich geradeauf setzte.

»Einfach, Sir, was wollen Sie von mir?« sagte der Herantretende mit zusammengezogenen Augenbrauen und biß, die Antwort erwartend, die Zähne auf die Unterlippe.

»Erstens Ihnen sagen, daß ich Sie sammt Ihrer letzten Expedition kenne,« erwiderte der Advokat in voller Ruhe, aber augenscheinlich für irgend eine Bewegung vorbereitet, »und daß ich auch weiß, daß wol Niemand in Vicksburg Ihr Fahrgeld bezahlen wird, wenn ich es nicht thue, Mr. Seifert.«

»Noch einmal – mein Name, ist Wells, Sir! Aber angenommen, ich wäre der Mann, von dem Sie sprechen, so fließt doch der Mississippi, auf dem wir uns jetzt befinden, wol nicht in Alabama, und den Sheriff von dort werden Sie wahrscheinlich auch nicht bei sich haben, um den Mann, von welchem Sie sprechen, verhaften zu lassen. Warum soll ich also durchaus dieser Mann sein, mit dem ich vielleicht einige Aehnlichkeit haben mag?«

»Verhaften zu lassen – wer hat von dergleichen gesprochen?« erwiderte Murphy mit einer Miene voll Verwunderung, die aber einen leichten Spott deutlich durchscheinen ließ. »Ich spiele nur nicht gern Komödie mit, ohne zu wissen warum, und liebe es, mich gleich in klare Stellung zu Jedem zu bringen. Ich beabsichtige eigentlich nur, Sie zu fragen,« fuhr er fort und legte sich bequem zurück, »ob Sie nicht vielleicht die Reise nach New-York in meiner Gesellschaft zurücklegen und sich dabei meiner Börse bedienen möchten, da die Ihrige augenblicklich nicht bei der Hand ist – verstehen Sie indessen recht, der Vorschlag sollte nur dem Manne gelten, für den ich Sie hielt, und von einem Incognito gegen mich kann mithin gar keine Rede sein.«

Seifert sah eine Minute schweigend in das Gesicht des Mannes, der mit seinem halbspöttischen Lächeln zu ihm aufsah; aber kein Zug von Ueberraschung über den unerwarteten Vorschlag wurde bei ihm sichtbar. Dann rieb er sich die Stirne, erhob sich und schritt das Gemach auf und ab. An der Thür des Bar-Rooms angekommen, öffnete er diese und sah hinaus; eben so examinirte er wieder den Raum vor der andern Thür und ließ sich dann langsam auf seinen früheren Platz nieder.

»Well, Sir!« begann er dann mit vorsichtig gemäßigter Stimme und setzte langsam seine Cigarre wieder in Brand, »wie ich die Sache ansehe, handelt es sich jedenfalls um die Ausführung eines scharfen Streiches – man macht sonst dergleichen Anerbieten, wie Sie es eben thaten, nicht so ohne Weiteres. Entweder soll der Mann, den Sie durchaus in mir erkennen wollen, dadurch zum Bekenntniß seiner Identität vermocht und so in eine Falle gebracht werden – und das wäre allerdings unter Umständen ein ganz gelungener Streich – oder es ist irgend ein subtiles Unternehmen, das nicht Jedermanns Geschmack ist, im Werke, zu welchem der Mann, den Sie in mir suchen, hilfreiche Hand leisten soll.«

»Gar nicht so übel geschlossen,« nickte der Advokat, als Seifert eine Pause machte, um seine Cigarre zum Munde zu führen; »ich freue mich über Ihre schnelle Auffassung der Verhältnisse, Mr. Seifert.«

»Wells, wenn ich bitten darf, Sir; Wells unter allen Umständen, diese mögen sich nun gestalten wie sie wollen,« fiel ihm Seifert mit einer kalten Verneigung des Kopfes in die Rede. »Was den ersten Fall anbetrifft, so ist es ganz gleich, ob ich hier unter vier Augen sagen würde, ich bin der Seifert, den Sie meinen, oder nicht – es sollte Ihnen ziemlich schwer werden, zu beweisen, daß ich dies eingestanden – halten Sie mich für wen Sie wollen, nur,« fuhr er mit einem höflichen Lächeln fort, »gebrauchen Sie nicht meinen Namen, der an manchen Orten eben nicht geeignet wäre, mir meinen Weg zu ebnen.«

»Also, Mr. Wells, wenn es nicht anders sein soll!« erwiderte der Advokat, sich aufrecht setzend, »es scheint, wir beginnen uns mehr zu verstehen.«

»Es sollte mich freuen,« sagte Seifert, die Asche von seiner Cigarre schnellend; »was den zweiten Fall betrifft, so stehe ich gern bei einem anständigen Geschäfte mit meinen geringen Talenten zur Verfügung, nur müßte mir dabei volles Vertrauen und der Blick über das ganze Unternehmen gegönnt werden. Für Andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen,« fuhr er mit seinem früheren verbindlichen Lächeln fort, »und dann die verbrannten Finger als einzigen Lohn zu behalten, ist eine Erfahrung, die man nicht gern mehrere Male macht.«

Murphy schien eine Secunde lang mit seinem durchdringenden Blick die innerste Falte von Seifert's Seele ergründen zu wollen; dann sprang er auf und trat ans Fenster, in das von den Rädern des Bootes gepeitschte Wasser hinausschauend. Seifert lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schien bald keine andern Gedanken zu haben, als die Formen der Rauchwolken, die er langsam von sich blies, zu studiren.

»Gut, Sir,« begann nach einer kurzen Weile der Advokat, langsam vom Fenster zurücktretend, »ich glaube mit der nöthigen Offenheit nicht viel bei Ihnen zu riskiren. Es handelt sich um einen Rechtsfall, der gerade in der Gegend von Alabama spielt, wo für Sie der Boden jetzt etwas zu heiß ist, als daß Sie ihn betreten könnten, falls Sie etwa den Verräther von dem zu spielen gedächten, was beabsichtigt wird. Auf der andern Seite hoffe ich Ihnen für die Unterstützung der Sache einen Gewinn verbürgen zu können, der vielleicht Ihre Erwartungen übersteigt, wenn Sie der Mann sind, den ich brauche und den ich in Ihnen vermuthe. Ich will Ihnen ehrlich gestehen, daß, als ich bei Ihrem Eintritt in das Boot von Ihrer Verlegenheit hörte und Sie erkannte, mir es fast scheinen wollte, als habe das Schicksal mir recht absichtlich in den Weg geworfen, was mir gerade fehlte.«

Seifert blies einen wohlgelungenen Ringel in die Luft. »Ich bin vollständig bereit zu hören, wenn Sie mich Ihres Vertrauens werth halten,« sagte er, »und dann wird es sich ja wol zeigen, ob das Schicksal recht gehabt hat – jedenfalls würden Sie äußerst nobel handeln, wenn Sie, um in keiner Art einen moralischen Zwang auszuüben, mein Fahrgeld bis New-Orleans hinunter vor unserer weiteren Besprechung berichtigen wollten. Das Fahrbillet in meiner Tasche würde Ihnen größere Bürgschaft für die Aufrichtigkeit meines Entschlusses geben, als es alle Worte thun könnten.«

Der Andere sah ihn einen Augenblick mit sonderbarem Gesichtsausdrucke an. »Schüchtern sind Sie nicht, Sir, und scheinen Ihren Vortheil beim Schopfe fassen zu können.« sagte er dann. »Was aber, wenn ich nichts zahle, ehe wir nicht mit einander ins Klare gekommen sind, damit ich doch weiß, wofür ich mein Geld gebe?«

»Ihre Sache, Sir,« erwiderte Seifert achselzuckend und erhob sich langsam. »Sie sind zu mir gekommen und haben mir ein Geschäft angeboten, nicht ich zu Ihnen – ich habe Ihnen meine erste Bedingung gesagt, unter welcher ich nach Umständen vielleicht mich mit Ihnen verständigen kann, und Sie sollten meine Gründe dafür würdigen – convenirt Ihnen das kleine Risico nicht – very well, so brechen wir ab.«

»Und wie gedenken Sie in Vicksburg Ihr Fahrgeld zu bezahlen und von dort weiter zu kommen?«

»Gott im Himmel, das ist doch meine Sache, lieber Herr. Sie scheinen mich noch immer für den Vagabunden Seifert, oder wie Sie ihn nannten, halten zu wollen; was wissen Sie denn von meinen Verhältnissen?«

»Schön!« lachte der Advokat auf; »ich sehe, es ist schlecht handeln mit Ihnen, und muß ich mein Vertrauen riskiren, so kann es allerdings auf ein paar Dollars nicht ankommen.« Er zog ein wohlgefülltes Taschenbuch aus seiner Tasche und legte einige Banknoten auf den Tisch. »Hier, legen Sie Ihre Hand darauf und lösen Sie Ihr Ticket selbst, damit ich nicht wieder eine Verwechselung in dem Namen begehe. Die einzige Bedingung ist nur, daß Sie mit mir jetzt ohne Winkelzüge verhandeln, damit wir zum Zweck kommen.«

Im Bar-Room wurden Stimmen laut, die Thür des kleinen Zimmers öffnete sich und mehrere Reisende traten ein, gefolgt von dem Aufwärter, der einen der Tische abputzte und ein Packet Karten darauf legte.

»Bleiben wir noch hier oder gehen wir aufs Verdeck, wo sich ganz ungestört weiter reden läßt?« fragte Murphy, dem die Störung augenscheinlich ungelegen kam.

»Ich gehe mit Ihnen,« sagte Seifert halblaut, die erhaltenen Banknoten zusammenlegend, – »Sie haben mir mit Ihrem Gelde eine Arbeit erspart, sonst hätte ich mir meine Reisekosten von diesen Gentlemen hier bezahlen lassen müssen; – Sie sehen, es fehlt Ihnen gerade noch der vierte Mann, und ich wäre also auch ohne Sie wol schwerlich in Verlegenheit gerathen. Ich bemerke dies nur,« sagte er, die Thür öffnend, »daß wir uns bei den kommenden Verhandlungen Beide auf den richtigen Standpunkt stellen.« –

Es war ein prachtvoller Tag, welcher die Beiden auf dem Vorderdeck empfing, und an beiden Seiten der Brustwehr saßen und lehnten Gruppen von Passagieren, um die frische Luft zu genießen. Murphy faßte zwei Rohrsessel und trug sie nach dem vordersten Ende des Schiffes, wo ein Belauschtwerden unmöglich war und jeder sich Nahende sofort bemerkt wer den mußte.

»Denken Sie sich folgenden Fall,« begann der Advokat mit halbgedämpfter Stimme, nachdem sich Beide niedergelassen hatten. »Ein alter Mann stirbt auf einer Reise im Hause eines Freundes. Der Todte hat bei Lebzeiten allerhand sonderbare Geschäfte betrieben, und so findet sich unter seinen Papieren, die einen gar nicht unbedeutenden Nachlaß ausweisen, auch eine Notiz über einen alten Besitztitel, lautend auf ein großes Stück Land in Alabama, den der Verstorbene auf irgend eine Weise erworben bat. Ich muß Ihnen dabei sagen, daß die Grundbesitz-Verhältnisse in manchen Theilen unseres Staates ziemlich im Argen liegen, und daß mancher Farmer nicht sicher ist, selbst wenn er sein Grundeigenthum vom Vater ererbt hat, daß eines Tages sich nicht ein älterer Besitztitel findet, welcher ausgestellt ward, als das Land noch nichts werth war, dann vergessen wurde und von dem ein späterer Besitzergreifer, der sich auf freiem Boden niederzulassen glaubte, nichts wußte; daß der Inhaber desselben Familien aus ihren wohlcultivirten Farmen treiben und sich ruhig, ohne einen Cent Entschädigung, hineinsetzen kann. Wie es mit dem Besitztitel des verstorbenen Mannes, von dem ich spreche, sich verhält, weiß ich noch nicht ganz genau; ist es aber wie ich vermuthe, so steht der größte Theil der Existenz von mehr als einem unserer reichsten Farmer auf dem Spiel – falls nämlich die Sache in die richtigen Hände kommt, die aus ihr etwas zu machen verstehen – und der Entdecker des Anspruchs kann sich von dem Eigenthümer des älteren Besitztitels, der auf keinen Fall seinen Vortheil kennt oder auch die Mittel nicht hat, um einen langwierigen Proceß gegen drei oder vier der reichsten Pflanzer zu beginnen, einen Gewinnantheil bei Durchführung des Anspruchs sichern, der ihn selbst reich machen muß. Ich weiß nun, wo sich dieser Besitztitel befindet, und die Notiz darüber, welche sich in dem Nachlasse befand, ist in meinen Händen, ohne daß ein anderes Auge als das meinige einen Blick darauf geworfen hat. Der ganze Nachlaß dieses verstorbenen Mannes ist seinem minderjährigen Schwestersohne, der in New-York lebt, vermacht, und als Vormund über diesen ein junger Mann bestellt, der erst seit kurzer Zeit in Alabama wohnt, der aber das ganz besondere Vertrauen des Erblassers genossen haben muß. Ich dachte im ersten Augenblick daran, ihn von dem Funde in Kenntniß zu setzen und halbpart bei dem einzuleitenden Processe mit ihm oder seines Mündels Interesse zu machen, fand aber bald heraus, daß er durchaus kein Mensch für Geschäfte der Art ist, und obenein hat er noch die Tochter eines der Farmer zur Frau, gegen welche sich ein Haupttheil der ganzen Procedur richten müßte. Bei ihm würde ich durch ein paar unvorsichtige Worte Gefahr gelaufen sein, die ganze Angelegenheit zu verderben, ehe sie noch begonnen, und so blieb mir, um vielleicht ein Kapital von 200,000 Dollars für mich selbst herauszuschlagen, nichts übrig, als selbstständig einen andern Weg zu gehen, der, wenn er sich auch etwas holprig gestalten und ich dabei Hilfe nothwendig haben mag, doch um so schneller und sicherer zum Ziele führen muß.«

Der Sprecher machte eine Pause und sah auf seinen Gefährten, als erwarte er von diesem eine Bemerkung oder als wolle er den Eindruck seiner Worte auf ihn wahrnehmen. Seifert aber hatte während der ganzen Rede, das Kinn in die Hand gestützt, vor sich auf den Boden gesehen und nur durch ein leises Kopfnicken zu Zeiten seine Theilnahme verrathen. Als er jetzt aufsah, war es nur die vollste Gleichgiltigkeit, was Murphy in seinem Gesichte entdecken konnte.

»Well, Sir!« begann der Advokat wieder, »was meinen Sie?«

»Well, Sir! worüber soll ich etwas meinen?« war die Antwort. »Sie haben mir ja, genau genommen, noch gar nichts gesagt!«

»Wenigstens doch eine Idee gegeben, welcher Profit bei einem solchen Geschäfte herausspringen kann.«

Seifert strich langsam mit der Hand über das Gesicht. »Ich habe eine derartige Speculation schon im vorigen Jahre mit angesehen,« sagte er kalt; »ich weiß, daß unter einer Klasse von Advokaten eine Verbindung durch die ganze Union besteht, um mangelhafte Besitztitel aufzuspüren und auf Grund derselben entweder Processe gegen die bisherigen Landeigenthümer zu beginnen und sie aus ihrem Besitzthum zu treiben, oder, wo der beigebrachte fremde Anspruch schwerer durchzuführen ist, sich durch ein respectables Abstandsgeld Schweigen und Ruhe abkaufen zu lassen – eine ganz angenehme Speculation das, keiner Frage unterworfen; bei alledem aber immer weit aussehend. Entweder man trifft auf einen Mann, der Geld hat und sich seiner Haut wehrt – und dann können Jahre vergehen, ehe etwas herausspringt – oder der Mann hat wenig, und dann ist auch nicht viel zu haben, was der Zeit und Mühe verlohnte.«

Der Advokat wollte ihn unterbrechen.

»Nur noch einen Augenblick, Sir, da Sie meine Meinung wissen wollen,« sagte Seifert. »Ich bin bei einer solchen Gelegenheit im Staate New-York einmal mit dem Posten eines Kundschafters beehrt worden, möchte aber,« fuhr er mit seinem früheren höflichen Lächeln fort, »für alle Zukunft mit derartigen Geschäften verschont bleiben, bei denen, wie es im gewöhnlichen Leben mit allen armen Teufeln geschieht, das eigentliche Talent in Anspruch genommen und, nachdem es benutzt worden ist, mit einem mageren Knochen zum Teufel geschickt wird. Kann ich alle Enden Ihres Unternehmens sehen und fühlen, so daß ich selbst beurtheilen kann, was es mir für meine Betheiligung abwerfen könnte, so werde ich meinen Entschluß danach fassen – ich will durchaus ehrlich sein und bemerke Ihnen deshalb, ehe Sie mich in Ihre eigentlichen Pläne einweihen, daß ich eben nur meine Mitwirkung versprechen kann, wenn die volle Mitwissenschaft Sie eben so gut in meine Hände liefert und mir dadurch Bürgschaft für Ihre Redlichkeit gegen mich gibt, als Sie mich selbst dadurch in der Hand haben.«

Der Advokat hob, wie in einer unwillkürlichen stolzen Regung den Kopf und ließ den Blick über die ganze Gestalt seines Nachbars gleiten. »Glauben Sie nicht, Sir,« sagte er nach einer kurzen Pause, und ein leichter Hohn legte sich um seinen Mund, »daß ich vielleicht ein klein wenig mehr in die Wagschale werfen und möglicherweise etwas mehr zu verlieren hätte als Sie? und daß es also wol unbillig von Ihnen wäre, auf solchen Bedingungen zu bestehen? Ich werde Sie, in Bezug des profitablen Ausganges für Sie, in jeder Weise sicher stellen. und es soll Sie nichts an mich binden als Ihr eigener Vortheil – was wollen Sie mehr?«

»Sie haben wol Recht; aber etwas, gegen das Sie mir wahrscheinlich keine genügende Sicherheit geben können,« erwiderte Seifert mit vollkommen liebenswürdigem Lächeln und leichtem Achselzucken, »ist im möglichen Falle daß Zuchthaus, verehrter Herr! Das aber würde mir genau so schlecht schmecken als Ihnen und dagegen kann ich mich nur allein wahren, und zwar nur, wenn ich alle Fäden genau kenne.«

Aus Murphy's Gesicht war einen Augenblick das Blut gewichen. »Ich weiß nicht,« sagte er, »was Sie zu Annahmen berechtigt, für die nirgends ein Grund vorhanden ist?«

»Durchaus nichts als die Sorge der Selbsterhaltung; ich sehe meinen Weg immer gern klar vor mir. Sind Befürchtungen, wie ich sie ausgesprochen, grundlos, desto besser! Um so weniger sehe ich aber auch den Grund ein, warum Sie mir nicht vollkommenes Vertrauen schenken wollen? Entweder Sie verlangen von mir einen Theil von Thätigkeit bei Ihrem Unternehmen – und dann ist ein Verständniß des Ganzen um so dringender nothwendig – oder Sie verlangen nur eine untergeordnete Beihilfe, und dann finden Sie genug Andere an meiner Stelle, die vielleicht nicht dieselben Ansprüche machen.«

Murphy fuhr sich mit der Hand einige Mal durch die Haare. »Und was verlangen Sie denn zu wissen, da ich noch nicht einmal begonnen habe, Ihnen ein Wort des eigentlichen Planes mitzutheilen?«

»Ich möchte,« erwiderte Seifert mit höflicher Neigung des Kopfes, »daß vor allen Dingen alle Redensarten wie: Setzen Sie den Fall! womit Sie Ihre Mittheilung begannen, ganz wegfallen. Geben Sie mir klar und bestimmt den Ort, die Namen und den Sachverhalt – wobei ich mir natürlich vorausbedinge, daß etwaige Abweichungen von der Wahrheit, die ich in der Zukunft entdecken sollte, mich jedes gegebenen Wortes entbinden. Entweder Sie vertrauen mir, oder vertrauen mir nicht, und in dem letztern Falle, was aber durchaus nichts Beleidigendes für mich haben würde, ist eben jedes Geschäft zwischen uns unmöglich.«

Der Advokat hob seine Augen zu denen Seiferts, die in diesem Momente seinen Blick voll aushielten und an seinem Gesichte hingen, wie in der Erwartung von Erkenntniß und Verständniß einer verwandten Seele. Murphy schlug die Augen nieder, aber aufs Neue aufsehend, begegnete er wieder demselben Blicke.

Eine secundenlange Pause erfolgte, in welcher die Augen Beider in einander hingen. »Well, Sir,« begann dann plötzlich Murphy, wie im schnell gefaßten Entschlusse, »ich will Ihnen trauen; hoffentlich sind Sie mein Mann, und der Teufel ist noch immer ehrlicher gewesen als Diejenigen, welche den Herrgott auf der Zunge haben. Sie sollen Namen, Ort und die nähern Umstände von Allem erfahren, worüber ich bereits gesprochen, und dann werde ich Ihnen meinen weiteren Plan entwickeln. Täusche ich mich in Ihnen, wollen Sie nicht darauf eingehen, so ist allerdings ein gutes Geschäft zur Hölle gefahren, da es durchaus keinen fremden Mitwisser verträgt; in anderer Beziehung aber spreche ich wie Sie vorher: es sollte Ihnen ziemlich schwer werden zu beweisen, was ich Ihnen von meinen Gedanken verrathen. Nehmen Sie meine Vorschläge an, so wird mich Ihr eigener Vortheil vor jeder Untreue schützen.«

»Richtig, ich sehe, wir fangen an, uns besser zu verstehen,« erwiderte Seifert mit leiser Ironie. »Schießen Sie ruhig und voll los und das Uebrige wird sich finden.«

Murphy ließ nochmals wie überlegend den Blick auf Seiferts Gesicht haften und stützte dann Kopf und Ellbogen auf die Schutzwehr des Verdecks. »Der alte Mann, von dessen Tod und Hinterlassenschaft ich Ihnen erzählte,« begann er dann, »ist ein jüdischer Pedlar, der im Hause eines Mr. Morton starb, – unweit des Platzes, wo Sie Ihre Negerentführung bewerkstelligten. Er machte Geldgeschäfte für östliche Häuser mit unsern Pflanzern, kaufte Baumwolle auf und verlieh Geld darauf, und mag so auf irgend eine Weise zu dem alten Besitztitel, den er, wie es mir sicher scheint, mit allen Ansprüchen auf sich hat übertragen lassen, gekommen sein. Ueber das Nähere darüber habe ich mir noch Gewißheit zu verschaffen. Der eingesetzte Vormund seines Erben ist ein junger Deutscher. Namens Helmstedt, der seit Kurzem erst als Buchhalter auf Mr. Elliots Pflanzung beschäftigt war, auf demselben Platze, wo Ihr Kamerad Baker mit Ihnen den Negerdiebstahl ausführte, aber dabei ermordet wurde, während Sie mit den Schwarzen schon auf und davon waren. Dieser Mord ist eine ganz verwickelte Geschichte, die uns aber jetzt nicht kümmert und von der ich Ihnen später einmal das Nähere mittheilen werde. Baker hatte sich, wie Sie wissen, in Mr. Elliots Familie eingeführt und würde sicher dort die einzige Tochter des reichen Pflanzers gekapert haben, wenn nicht eben der junge Deutsche, in den sich das Mädchen sterblich verliebt hatte, da gewesen wäre und es endlich so weit gebracht hätte, daß er sich mit ihr gegen den Willen ihres Vaters trauen ließ.«

»Erlauben Sie einmal,« unterbrach ihn Seifert mit großen Augen, »Sie sagen, dieser Herr von Helmstedt habe die Tochter des reichen Elliot geheirathet?«

»Genau so; vom Reichthum des Alten, der seine Hand ganz von der ungehorsamen Tochter gezogen hat, sieht er indessen nicht viel. Er lebt als Musiklehrer in der Stadt und sucht seiner jungen Frau ganz alle die Bequemlichkeiten zu erhalten, in denen sie aufgezogen ist – ein scharfes Auge sieht aber recht wohl, daß das bei seiner Beschäftigung, so gut sie auch bezahlt werden mag, ein hartes Stück Arbeit ist und ihm bald tausend Verlegenheiten bereiten wird. Hätte ich mit ihm als Vormund des Erben, welchem der besprochene alte Besitztitel zufallen muß, Partnerschaft machen können, so daß er mich zur gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs als Advokaten angenommen, und wir uns dann in die Hälfte alles Dessen, was herausgekommen wäre, getheilt hätten, so wäre ihm ein sorgenfreies Leben sicher gewesen. Es ist aber ein Mensch, der eher zu Grunde geht, ehe er etwas gegen das thut, was er seine Ehre nennt – er hat das schon in dein Processe wegen Bakers Ermordung bewiesen, wo er beinahe als Mörder gehangen worden wäre, weil er nicht verrathen wollte, daß er die ganze Zeit, in welcher der Mord vollbracht ward, in seines Mädchens Kammer gewesen, bis das muthige kleine Ding selbst vor Gericht erschien und seine Unschuld bewies.«

»Das ist er – das ist er!« nickte Seifert, »gerade wie ich ihn schon in New-York kannte!«

»So, Sie kannten ihn bereits, – dann werden Sie mich um so eher verstehen; und wenn ich Ihnen nun noch sage, daß bei dem einzuleitenden Proceß unter anderm auch der ganze jetzige Grundbesitz des Mr. Elliot, des Vaters seiner Frau, in Frage gestellt wird, so werden Sie begreifen, daß ich, um die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit in die Hand zu bekommen, sie von einer ganz andern Seite angreifen muß, – Well, Sir!« fuhr Murphy mit einem tiefen Athemzuge fort, »so viel ich weiß, will dieser Mr. Helmstedt in einigen Wochen nach New-York gehen, um für die Zukunft seines Mündels die nöthigen Anordnungen zu treffen – dieser Mündel aber muß verschwinden, ehe der Vormund ankommt; und daß der Vormund uns nicht zu zeitig über den Hals gerathe, dafür sorgt ein Freund, den ich zurückgelassen habe.«

Der Advokat ließ den Blick gespannt auf Seiferts Gesicht ruhen, als wolle er den Eindruck seiner letzten Worte darin beachten.

»Und was weiter?« fragte Seifert, dessen belebterer Blick allein ein erhöhtes Interesse ankündigte, nach einer Pause.

»Verstehen Sie mich recht! Dem Jungen soll kein Leid geschehen, wenigstens so weit ich es verhindern kann,« fuhr Murphy, seine Stimme noch mehr als bisher dämpfend, fort. »Ich selbst kenne New-York zu wenig, um die Wege zu wissen, wie man einen Menschen unsichtbar machen, vielleicht nach einer fremden Himmelsgegend auf Nimmerwiederkommen schicken kann –« er hielt wieder inne und Seifert nickte – »das sollte eben ein Theil Ihres Antheils an der Arbeit werden.«

Seifert rieb sich die Stirn und Augen. »Und dann?« fragte er.

»Well,« war die Antwort, »die ganze Familie sind Juden und es dürfte mir wol leicht werden, mit dem nächsten majorennen Erben, einen Vertrag, wie ich ihn wünsche, abzuschließen, der ihm einen Gewinn in Aussicht stellt, von dem er nichts gewußt, und dessen Erkämpfung ihn nichts lostet.«

Seifert sah eine Weile vor sich nieder. »Gegen den Plan selbst,« sagte er endlich, »ließe sich kaum etwas einwenden, so weit es meine Betheiligung betrifft; über einige andere Punkte aber sprechen wir später. Die Reise ist lang genug dafür, und ich glaube, wir thun jetzt besser, abzubrechen, wir bekommen zu viel Ohren in die Nähe« Er erhob sich nachlässig – »nehmen wir einen Schluck, Sir?«

II.

Die Dämmerung hatte sich bereits über eins der nördlichen Countystädtchen Alabama's gesenkt, da schritt in einem nur von dem Feuerschein aus dem Kamin erleuchteten Zimmer ein junger Mann gedankenvoll auf und ab. Dann und wann hielt er horchend an, wenn sich in der Ferne das Rollen eines Wagens vernehmen ließ, um aber bald wieder, wie getäuscht, seinen Gang von Neuem aufzunehmen. Nach einer Weile trat er zum Fenster, schlug die dicken damastenen Vorhänge zurück und legte die Stirn gegen das Glas. Mehrere Minuten mochte er so verbracht haben, als wieder das Geräusch eines Wagens hörbar wurde und ihn aus seinem Sinnen aufstörte. Ein Cabriolet, eleganter und moderner gebaut, als es in diesen Hinterwaldsthälern trotz des Reichthums der Pflanzer gebräuchlich war, fuhr so eben an der Hausthür vor; ein junger Mann, dessen Rock- und Hosenschnitt man es auf den ersten Blick ansah, daß seine Heimat im Osten war, sprang heraus und bot einer neben ihm sitzenden Dame die Hand, an welcher sich diese leicht zur Erde schwang. Ein ehrerbietiger Gruß Seitens des Mannes, ein paar mit einem heitern Lächeln begleitete Worte der Dame, und er saß wieder im Wagen, während sie in das Haus trat.

Der Mann im Zimmer war vom Fenster zurückgetreten und hatte sich, die Hand vor die Augen gedrückt, in den Schaukelstuhl neben dem Kaminfeuer geworfen – die junge Frau, welche eben den Wagen verlassen, trat ein, legte, mit einem schnellen Blick über das Zimmer, ihren Hut auf einen Seitentisch und eilte dem im Schaukelstuhl Sitzenden zu.

»Guten Abend, August!« sagte sie, und zog ihm die Hand vom Gesichte. Ein ernster, stiller Blick traf den ihrigen. »Bist du ein Brummbär?« fuhr sie fort, und es lag ein seltener Reiz von Süße und neckischer Laune in ihrer Stimme.

Der junge Mann setzte sich aufrecht. »Wo bist du denn gewesen, Ellen?«

»Himmel! warum denn so ein Gesicht bei der Frage, August?« rief sie und nahm seine beiden Hände in die ihren. »Mr. Nelson hat gestern sein neues Buggy bekommen und lud mich ein, es auf der ersten Spazierfahrt zu versuchen – du warst doch den ganzen Tag in der Akademie, als daß ich dir erst hätte etwas davon sagen können!«

»Du weißt, Kind, daß ich dich bat, weder diesem Mr. Nelson noch seinem Freunde Murphy eine Ermuthigung zu geben, unser Haus zu besuchen; ich traue ihnen Beiden nicht, wenn ich auch noch keine bestimmten Gründe für das Gefühl angeben kann, – und nun fährst du einen halben Nachmittag mit dem Einen spazieren. Ich bin schon länger als zwei Stunden zu Haus und hatte mir vorgenommen, so Vieles mit dir durchzusprechen.«

»Und ist denn dazu nicht jetzt noch Zeit? Nicht wahr, du bist vernünftig, August?« fuhr sie fort und kniete an seiner Seite auf den Teppich nieder, ihre Arme auf seine Knie legend. Der Schein des Feuers beleuchtete ihr feines und doch so frisches Gesicht, sie war bildschön in diesem Momente und ihr dunkles Auge sah mit einem Blicke zu ihm auf, als wisse sie, daß sie ihres Eindrucks sicher sei. »Was hätte ich denn thun sollen? Ich saß hier und langweilte mich – vielleicht hätte ich Mortons besuchen können, um die Zeit hinzubringen; aber es ist ziemlich weit bis dahin, und Pauline ist seit wir verheirathet sind so still und kaum mehr die alte; es ist ein trauriges Loos, das sie hat, seit ihr alter Mann so kränklich ist – da meldete Sarah den Mr. Nelson – sollte ich ihn denn ohne Grund fortschicken? Er hatte mich schon am Fenster gesehen, er wußte, daß du vor Abend nicht nach Hause kommen würdest; welche Ursache hätte ich denn angeben sollen, um sein Anerbieten abzuweisen? Und ich habe mich wirklich amüsirt bei der Fahrt, August – nicht wahr, du zeigst mir jetzt ein anderes Gesicht?«

»War es denn nicht Grund genug, daß du wußtest, du würdest mich betrüben – oder hättest du wirklich keine Ausflucht finden können, um das Anerbieten des Mannes abzulehnen? Höre mich, Kind,« fuhr er fort, als sich eine Wolke auf der Stirn der jungen Frau bildete und sie Miene machte, sich zu erheben – »du weißt, unter welchen Verhältnissen du mein geworden bist, weißt, daß wir durch unsere Verheirathung wider deiner Eltern Willen dem ganzen Stolze deiner reichen Verwandten und Bekannten ins Gesicht geschlagen haben und daß dies auf die sämmtlichen Familien des County zurückgewirkt hat – weißt, daß sogar unser Beschützer Mr. Morton, dem wir allein unser jetziges Glück zu verdanken haben, darunter zu leiden hat, und daß es ihm jetzt doppelt angerechnet wird, eine junge Deutsche, unsere Pauline, geheirathet und in die hiesige Gesellschaft eingeführt zu haben, von der Niemand unter allen den reichen Leuten weiß, wer sie ist, noch aus welchen Verhältnissen sie stammt. Ich hatte mir vorgenommen, sobald ich diese Verhältnisse erkannte, dem Pflanzerstolze dieser Menschen hier genug zu thun und deinen Vater mit der Zeit zu versöhnen; ich wollte ihnen zeigen, daß sie mich und meine Fähigkeiten brauchen, aber ich nicht sie; wollte mich nirgends in ihre Gesellschaft eindrängen, aber mir ihre Achtung durch mein Leben und meine Leistungen erzwingen; ich glaubte, Ellen, du würdest mir darin beistehen; der Muth, den du entwickeltest, als es unsere Vereinigung galt, würde sich auch bewähren, wenn es heißen würde, durch uns selbst und nicht durch deines Vaters Einfluß oder Geld eine Stellung zu erringen; wir versuchten es nirgends seit ich meine jetzige Stellung in der Akademie erhielt, uns an die hiesigen Privatfamilien enger anzuschließen, wir ersparten uns jede Demüthigung, ich fühlte schon, daß ich gerade dadurch anfing, eine Art Boden unter mir zu gewinnen – und nun fährst du einen ganzen Nachmittag mit einem Manne spazieren, den du kaum zweimal gesehen hast, obgleich du wußtest, wie wenig ich gerade dies wünschte – nur weil du dich langweiltest!«

»Aber was ist denn Böses darin, was schadet es denn deinen Plänen? ich konnte die Einladung nicht gut ausschlagen, August!« sagte sie, sich langsam erhebend und den Kopf an das Kaminsims lehnend; »ich mache mir nichts aus dem Manne, aber er gehört zu den besten Familien des andern County's – ich weiß von Pauline und von dir, daß es für Frauen nicht Sitte in eurem Lande ist, allein mit einem andern Manne einen Ausflug zu machen – es ist hier, wo wir leben, anders, das weißt du doch, August; und außerdem – er hat meinen Vater gesprochen, vielleicht gelingt mir eine Aussöhnung mit ihm, zeitiger als wir Beide denken.«

Der junge Mann erhob sich rasch vom Schaukelstuhle und legte die Hand leicht auf die Schulter seiner Gefährtin. »Ellen,« sagte er, und ein tiefes Gefühl zitterte in seiner Stimme, »weißt du, als du zu mir kamst und sprachst: Hier bin ich! als ich dich in meine Arme nahm und dir sagte, daß ich noch kein Dach für uns Beide hätte, als du muthig versprachst, fest an mir zu halten und ich still die Verantwortung auf mich nahm, dich als ein theueres Kleinod zu erhalten und zu bewahren – damals wußte ich, daß die Prüfungsstunden für uns Beide noch kommen würden – nicht die durch Noth, dagegen war ja gesorgt; aber ich sah voraus, was sich bei der verschiedenen Stellung von uns Beiden noch zwischen uns drängen werde. Sieh, Ellen, es ist leichter, durch Ereignisse gedrängt und in der frischen Aufregung des Gefühls den gewagtesten Schritt zu thun, und alle Folgen auf sich zu nehmen, als im ruhigen Gang der Verhältnisse sich freiwillig und consequent einer Unannehmlichkeit zu unterziehen –«

»Aber, lieber Himmel, was hat denn das Alles mit meiner unschuldigen Spazierfahrt zu thun?« rief sie, den Kopf erhebend, mit einem Beben in der Stimme, als sei ihr das Weinen nahe.

»Ich wollte, du fühltest es, Ellen, dann wäre ich deiner sicherer!« erwiderte er. »Dieser Mr. Nelson hat deine Bekanntschaft gesucht, nicht als meine Frau, nicht als Mrs. Helmstedt; er hat zu dir gesprochen, hat dir Aufmerksamkeiten erwiesen, einzig als die Tochter deines Vaters. Seit ich seinen Freund Murphy mit dessen laxen Rechtsansichten bei Seite ließ, habe ich für diesen Mr. Nelson nicht mehr existirt. Er hat zu dir gesprochen, ohne es nur der Mühe werth zu finden, mich zu begrüßen, er hat sein Recht dazu ganz unverblümt aus seiner Bekanntschaft mit deinem Vater hergeleitet. – Dich mochte seine ganze Art und Weise kaum berührt haben, und wenn es mich auch schmerzte, daß dem so war, so hütete ich mich doch, ein Wort darüber fallen zu lassen; ich meinte immer, dein eigenes feineres Gefühl müsse dir allein den rechten Weg zeigen – mir aber war's dabei, als würde die erste Sonde angesetzt, um zu untersuchen, wie stark des Band sei, das uns zusammenhält. Ich konnte dich nur bitten, den beiden Menschen keine Ermuthigung zu geben – fühlst du denn nun, Ellen, was es für mich heißt, wenn du mit dem Einen trotz meiner Bitte einen ganzen Nachmittag allein herumfährst und zu deiner Rechtfertigung sagst, er habe von deinem Vater mit dir gesprochen; wenn du Langeweile und dein Amüsement vorschützest, wo es sich bei uns, wenn wir uns selbst eine Stellung erringen wollen, noch um ernste Kämpfe handelt, in denen mein Arm erlahmen müßte, wenn du nicht fest und dicht zu deinem Manne hieltest, damit sich nichts, und wäre es dein eigener Vater, zwischen uns drängen kann?«

»Aber ich liebe doch meinen Vater, und er liebt mich – du weißt das!« sagte die junge Frau, den Kopf hebend und den Oberkörper zurückbeugend, daß Helmstedts Hand von ihrer Schulter glitt; »ich habe nie einen andern Gedanken gehabt, als daß ich ihn bald wieder aussöhnen würde. Soll ich denn jedes Wort zurückstoßen, das mir vielleicht von ihm hinterbracht wird? soll ich denn gegen Leute, die freundlich mit mir sind, ohne Grund und Ursache barsch sein? Du bist gereizt, und das macht dich ungerecht, auch ungerecht gegen mich!«

Helmstedt wurde blaß. »Wir verstehen uns nicht, Ellen, und das ist traurig,« sagte er nach einer kurzen Weile – »vielleicht begreifst du erst den Sinn meiner Worte, wenn du aufs Neue zu wählen haben wirst zwischen mir und deinem Vater, wenn dir unser kurzes Liebesglück als bloße jugendliche Thorheit vorgestellt, wenn dir vielleicht ein Ersatz für mich geboten werden wird, der kein Opfer von dir verlangt.«

»August, und dies Alles um die eine Spazierfahrt?«

»Wir verstehen uns eben nicht, Ellen!« sagte er mit einem halben Seufzer und schritt mit gesenktem Kopfe langsam nach der Thür. Sie sah ihm nach, in ihrem Gesichte zuckte es, als wolle sie ihn zurückrufen – aber sie schwieg, und als die Thür hinter ihm zufiel, sank sie in den Schaukelstuhl, drückte ihr Taschentuch vor die Augen und brach in ein kurzes Schluchzen aus. Bald aber, als bemächtigte sich ihrer ein anderer Gedanke, blickte sie wieder in das Feuer, erhob sich dann rasch und trat, die Vorhänge halb zurückschlagend, ans Fenster. Die Straße lag nur noch in der letzten Abendbeleuchtung vor ihr – eben wollte sie sich wieder wegwenden, da schritt ein elegant gekleideter junger Mann die Straße herab, sah nach ihrem Fenster und grüßte tief – es war ihr Begleiter vom Nachmittag. Sie erröthete, ließ die Vorhänge fallen, und trat vor sich hinsinnend zurück nach dem Feuer.

Helmstedt war in das neben dem Parlor befindliche Speisezimmer getreten. Dort war es kalt und unwirthlich; kein Feuer brannte im Kamin, noch ließen sich irgendwie Vorbereitungen für den Abendtisch sehen. Helmstedt sah nach seiner Uhr – es war eine halbe Stunde über sechs. Er schloß die Thür wieder und ging nach dem umzäunten Platze hinter dem Hause; dort stand ein Schwarzer und tränkte zwei Pferde.

»Hast du Sarah nicht gesehen?« fragte Helmstedt.

»Dort kommt sie hergesaust, Sir!« erwiderte dieser lachend und zeigte nach dem Gitterthor, wo eben eine zierliche weibliche Gestalt hereinschlüpfte, die ihrem modernen Putz und den graziösen Bewegungen nach, ohne das schwarze Gesicht, für eine der fashionablen Ladies der Stadt hätte gehalten werden können.

»Haben wir kein Abendbrod heute?« fragte Helmstedt, als sie herankam.

»Mistreß war den Nachmittag ausgefahren und brauchte mich nicht, Sir,« erwiderte sie, den Hut eilig aufbindend und vom Kopfe nehmend, »und ich vergesse so oft, daß ich jetzt auch die Köchin machen muß, daß ich mich bei meinem Ausgange verspätete.«

»Warte einen Augenblick, Sarah,« sagte Helmstedt. »Bei aller Freiheit, die ich dir gern lasse, mag ich doch nicht darunter leiden. Mit der allzufaulen Zeit als Kammermädchen, weißt du, ist es aus; entweder thust du deine Pflicht und wir bleiben gute Freunde, oder du zwingst mich, dich irgendwo hinzugeben, wo sie nicht so viel Nachsicht mit dir haben möchten. Ich habe schon einige Male in ruhiger Ermahnung zu dir gesprochen, – jetzt werde ich nicht viel mehr reden. Sage Mrs. Helmstedt, daß ich in einer Stunde zum Abendessen wieder zurück sein werde l« Er schritt durch das Gitterthor der Umzäunung in das offene Feld hinaus.

»Hat's einmal etwas abgesetzt?« kicherte der Schwarze, den Kopf halb nach dem Mädchen kehrend.

»Pschah!« sagte diese, und zog die Oberlippe in die Höhe, »er hat eigentlich gar kein Recht, mir etwas zu sagen, ich gehöre der Mistreß an und nicht ihm!«

Sie verschwand in der Küche, und bald wurde ein Geräusch laut, als würden Tiegel und Pfannen kopf über, kopfunter durcheinander geworfen.

Die junge Frau im Parlor hatte sich nach einer Weile, wie sich zusammenraffend, in die Höhe gerichtet und trat in das anstoßende Speisezimmer. Sie sah hier um sich und schritt dann nach der Küche, wo bereits ein prasselndes Feuer im Kochofen brannte. »Es ist wol schon spät, Sarah,« sagte sie zu der eifrig wirthschaftenden Schwarzen, »mache Feuer im Eßzimmer und brenne das Licht an; Mr. Helmstedt wird gewiß schon auf das Abendbrob gewartet haben.«

Die Schwarze erwiderte nichts, setzte aber den Theekessel, welchen sie in der Hand hielt, auf den Tisch, als wolle sie ein Loch hineinschlagen, und schoß zur Thür hinaus. Bald hörte man sie unter dem gespaltenen Holze im Hofe rasseln, wieder zur Hinterthür hereinkommen und das Holz auf die Steine vor dem Kamin im Speisezimmer werfen. Die Hausherrin war langsam zurückgegangen. »Wieder etwas in deinen Kopf gefahren, Sarah?« sagte sie, mit einem zerstreuten Lächeln den Kopf nach der Schwarzen wendend.

»Nichts Besonderes, Ma'am!« erwiderte diese, ohne aufzusehen; »man weiß nur nicht, was man zuerst thun soll, wenn man der einzige Dienstbote im Hause ist. Kaum eine Stunde bin ich weg gewesen, und Mr. Helmstedt hat mich deshalb schon ausgescholten – er will mich fortgeben – und ich kann doch nichts dafür, wenn ich einmal vergesse, daß wir nicht mehr in Oaklea leben und nicht mehr die guten Zeiten buben, wie sie dort waren.« Sie blies in die Kaminglut, daß Funken und Asche umherstoben.

»Ist Mr. Helmstedt wieder ausgegangen?« fragte die junge Frau nach einer kurzen Pause.

»Er will in einer Stunde zum Abendessen wieder zurück sein,« erwiderte das Mädchen und sah auf. »Aber nicht wahr, Miß Ellen,« fuhr sie fort, »es geht nicht, daß er mich von Ihnen wegschickt, wenn Sie auch Mrs. Helmstedt heißen? Wir sind ja doch zusammen aufgewachsen, und ich gehöre doch nur Ihnen zu –«

»Er wird es auch nicht im Ernst beabsichtigt haben,« erwiderte sie, dem Blicke der Schwarzen ausweichend; »aber vergiß nicht, Sarah, daß die Zeit der Sorglosigkeit vorüber ist, und thue deine Pflicht.«

Sie ging langsam nach dem Parlor, ließ sich wieder in den Schaukelstuhl nieder und stützte den Kopf in die Hand.

Waren es die hingeworfenen Worte der Schwarzen gewesen, welche die Bilder, die jetzt an ihrer Seele vorbeizuziehen begannen, hervorgerufen hatten, oder waren sie noch die Rückwirkung des Gesprächs mit ihrem jungen Begleiter vom Nachmittag, der von ihrem Vater geredet? Wer will alle die oft unbewußten Eindrücke erforschen, welche Gedanken hervorrufen und den Gang anderer bestimmen? Vor Ellens Geiste stand das schöne, grüne »Oaklea«, indem sie geboren und ausgewachsen, in welchem ihre jungen Jahre, gehätschelt von einem zärtlichen Vater und nur leicht überwacht von einer nachsichtigen Mutter, wie ein wolkenloser Frühlingstag verstrichen waren. Sie empfand, wie mit dem Gefühle eines drückenden Traumes, noch einmal die Zeit, in welcher es sich in ihrer reinen Sphäre zum ersten Male wie die Ahnung eines kommenden Gewitters sammelte, in welcher der unangenehme Mensch Baker, den ihre Eltern zu ihrem künftigen Lebensgefährten bestimmt hatten, in ihren Kreis trat; die Zeit, in der sie ihren Vater nicht begreifen und den ihrer wartenden Zwang nicht fassen konnte; in der ihre schwärmerische, kindliche Anhänglichkeit mit dem Widerwillen gegen den aufgedrungenen Bräutigam in Kampf trat; sie sah Helmstedts edles Gesicht und treues Auge neben sich in der Familie auftauchen, bei deren erstem Anblick es ihr gewesen war, als müsse ihr in dem Neuangekommenen ein helfender Freund in ihrer Noth erstehen – Alles ging an ihr vorüber wie ein Traum, in welchem man schon vorher weiß, was kommen wird, und in dem man sich über nichts wundert. Sie sah sich durch den Drang der Verhältnisse an Helmstedts Brust geworfen, und es trat klar vor sie, daß doch eigentlich nur die Aufregung jener Tage ihren Gefühlen für ihn eine Färbung gegeben hatte, die sie für Liebe genommen und die sie für die erste Zeit auch wol eben so beseligt hatte; daß doch nur die ungewohnte Hartnäckigkeit ihrer Eltern in Verfolgung des beschlossenen Heirathsprojectes, zusammen mit Helmstedts Edelmuth, der sich lieber der höchsten Gefahr ausgesetzt, als daß er einen Schatten auf ihre Ehre hätte fallen lassen, sie zu den äußersten Schritten, zu einem Aufgeben ihrer Heimat und zu einer raschen Verbindung mit Helmstedt hatte treiben können. Sie träumte fort, und es fiel wie ein heller Sonnenstrahl in ihre Gedanken – das waren die Worte, welche ihr heute von ihrem Vater gesandt worden waren; ihr Herz schwoll, und die Liebe zu dem Manne, der sie ihr ganzes Leben lang wie eine theure Blume gehegt und gepflegt, brach in ihr mächtiger als jemals hervor, so daß sich unbewußt ihre Augen mit Thränen füllten. Und auch die Gestalt des jungen Ueberbringers der väterlichen Botschaft, welcher jetzt in dem Hause ihrer Eltern aus- und einging, stieg vor ihrer Seele auf; es war ihr als sei sie durch die Berührung mit ihm aus einem Kreise, wohin sie nicht gehörte, wo ihr Fühlen und Denken nicht verstanden wurde, heraus- und wieder auf den Boden ihrer angeborenen Heimat getreten. Ein wohlthuendes Gefühl, wie die Lösung einer verdeckten, uneingestandenen Dissonanz, überkam sie. – –

In der Straße war es längst tiefe Nacht geworden und das Feuer im Kamin war bis auf ein Häufchen glühender Kohlen niedergebrannt, als die junge Frau mit der Hand über die Augen fuhr und aufsah. Sie schien sich erst besinnen zu müssen, wo sie sei – dann aber erhob sie sich mit einem leisen, wie unwillkürlichen Seufzer, blickte eine Weile sinnend in die Kohlen und nahm dann einen der Leuchter vom Kaminsims. Bald hatte sie sich an der Kohlenglut Licht geschaffen. Die Uhr auf dem Kaminsims wies schon eine halbe Stunde über acht. Sie ließ die Vorhänge an den Fenstern über einander fallen und ging nach der Küche, wo Cäsar, der Schwarze, mit dem Ausbessern eines Pferdezaums beschäftigt war, während Sarah, den Kopf auf den Tisch gelegt, in regelmäßigen Zügen schnarchte.

»Hat noch Niemand etwas von Mr. Helmstedt gesehen?« fragte Ellen.

»Ich bin eben erst herein, Ma'am!« erwiderte der Schwarze und rüttelte das schlafende Mädchen. »Ist Mr. Helmstedt dagewesen?«

Sarah warf auffahrend ihren ersten Blick nach dem Ofen, in welchem längst alle Glut erloschen war, und sprang dann von ihrem Sitze auf. »Die Biscuits sind schon zweimal kalt geworden, und der Schinken dorrte so aus, daß ich ihn von der heißen Platte habe nehmen müssen« sagte sie brummig; »ich kann nichts dafür, wenn Mr Helmstedt wieder zankt.«

»War er noch nicht wieder hier?« fragte die junge Frau.

»Ich habe nichts von ihm gesehen.«

»Geh in dein Bett, Sarah – ich werde nichts essen, und Mr. Helmstedt hat sicher irgendwo anders zu Abend gespeist. Cäsar wird warten bis er zurückkomm.«

»Sicherlich, Ma'am!« war des Schwarzer. Antwort; »ich habe ohnedies noch eine Weile zu arbeiten.«

Ellen ging langsam zurück nach dem Parlor, der nur trübe von dem einen Lichte erhellt war. Sie brannte ein zweites an, setzte sich in den Schaukelstuhl und wartete. Aber der Zeiger der Uhr wies schon auf zehn, und Helmstedt war noch nicht zurückgekehrt. Unruhig hatte die junge Frau zu verschiedenen Malen sich erhoben, die Vorhänge zurückgeschlagen und in die dunkle, stille Nacht hinausgesehen; jetzt verließ sie von Neuem ihren Sitz, zog die seinen Augenbrauen zusammen und schien mit einem Entschlusse zu kämpfen. Langsam löschte sie eins der Lichter aus und begab sich mit dem andern nach ihrem Schlafzimmer im oberen Stock. Es war das erste Mal seit sie verheirathet war, daß sie diesen Weg allein antrat. Als sie durch die »Halle« schritt, erklang aus der Küche einer der eigenthümlichen Negergesänge, mit welchen sich Cäsar die Zeit vertrieb:

»Der alte Tommy wußte wohl Mit Mädchen umzugehn; Und kam sein Schatz um sechse nicht, So harrt' er bis um zehn. Bei Frauenzimmern heißt's: subtil, Wenn man ihr Herz gewinnen will. O Tommy, Tommy, Tommy, Tommy War ein kluger Mann.«

Ellen horchte einen Augenblick auf das Lied, das sie so oft von dem Schwarzen in dem Hause ihres Vaters hatte singen hören, zog dann die Lippen in einer sonderbaren Mischung von Spott und Bitterkeit zusammen und verschwand in ihrem Schlafgemach.

Als Helmstedt sein Haus verlassen, war er eine Strecke zwischen den Feldern hinter dem Städtchen fortgeschlendert. Er wollte mit sich selbst klar werden, ehe er nach Hause zurückkehrte – und es lag mancherlei auf seiner Seele, was des ordnenden Gedankens und des kräftigen Entschlusses bedurfte, mancherlei, von dem die eben durchlebte Scene mit seiner jungen Frau nur einen Theil bildete. Als Isaac, der alte Pedlar, der so vielfach in sein Leben eingegriffen und dem er so Manches zu verdanken hatte, in dem Hause seines Freundes Morton gestorben war, hatte es Helmstedt gern zugesagt, der Vollstrecker seines letzten Willens zu sein, wie es der Verblichene gewünscht, aber jetzt fanden sich Schwierigkeiten in der Ausführung dieses Versprechens, die sich im ersten Augenblick nicht voraussehen ließen. Ein unmündiger Schwestersohn des Verstorbenen, in New-York wohnhaft, war sein Erbe, und wollte Helmstedt sein Interesse nicht in fremde, vielleicht unzuverlässige Hände geben, so mußte er selbst nach dem Osten reisen, um die ganze Angelegenheit zu einem sichern Abschluß zu bringen. Dazu gehörte aber Geld – Geld für die Reise und den Aufenthalt in New-York, sowie für den Unterhalt seines Hausstandes, während er abwesend war und seinem Broderwerb als Musiklehrer in der »Akademie« des Städtchens nicht nachgehen konnte. Bei seiner Verheirathung hatte Ellen wol ein Capital von etwa eintausendeinhundert Dollars gehabt, das von ihrem Vater als »Sparbüchse« nach und nach für sie angesammelt und von diesem an Helmstedt überliefert worden war; davon war aber der größte Theil für ihre Einrichtung darauf gegangen und der Rest in Ellens Händen für ihre Garderobe und anderweitige kleine Bedürfnisse geblieben, und Helmstedt hätte wol lieber selbst still die größten Entbehrungen ertragen, ehe er von dieser Summe einen Cent zurückverlangt hätte. Aber er besaß zwei Reitpferde von ausgezeichneter Race, welche ihm gleichfalls bei seiner Verheirathung von Ellens Vater übermacht worden und von denen ihm wenigstens eins schon längst ein unnützer Fresser geschienen hatte, besonders jetzt, wo ihm nichts zuwuchs und er jeden Bushel Futter kaufen mußte. Ellen war freilich seit frühester Jugend an den Luxus eines eigenen Reitpferdes gewöhnt – und sie ritt gern – während die Verhältnisse des Landlebens ein Pferd für ihn selbst nothwendig machten. Er hatte gerade bei ihr heute sondiren wollen, wie groß das Opfer sei, das sie ihm durch die Abschaffung des ihrigen bringen würde. Der Ertrag desselben hätte ihm das augenblicklich benöthigte Geld herbeigeschafft, das, da die Wiedererstattung desselben aus der Hinterlassenschaft nicht lange auf sich warten lassen konnte, ihm zugleich ein Reservecapital für Krankheiten oder unvorhergesehene Fälle geworden wäre. Denn was er mit angestrengter Arbeit jetzt verdiente, ging Null für Null in seinem Hausstande auf. Er hatte heute nicht mit Ellen über diese Dinge reden können – und ob er dies jemals zu thun im Stande wäre, wußte er jetzt nicht; es drückte ihn jedoch, mehr als die ganze Angelegenheit, die Ursache, die eine gegenseitige Aussprache verhindert hatte. Im Hintergrunde seiner Seele stand, seit er sein Haus verlassen, ein Gespenst, das er mit Macht zurückdrängen wollte und doch nicht los werden konnte. Dies war die empordämmernde Ueberzeugung, daß nicht die Liebe zu ihm das Alles durchdringende, jeden andern Einfluß ausschließende Element in Ellens Seele war, das Element, welches ihre Gedanken und Handlungen leitete, wie er es sich in den Stunden stiller Träumereien vorgestellt – da ihre Gefühlsweise, wie die Auffassung ihrer jetzigen Verhältnisse eine durchaus andere war als die seinige – daß er sich nicht mit ihr verstand. Er sah einen Menschen in seinen Kreis treten, gegen welchen ihn ein Gefühl, von dem er sich selbst keine Rechenschaft geben konnte, auf seiner Hut zu sein hieß – er sah diesen augenscheinlich das Vertrauen seiner Frau gewinnen und sein Anstreben dagegen machtlos – er fühlte eine fremde Macht, den Einfluß von Ellens Eltern, sich zwischen ihn und seine Frau, auf deren Festigkeit er den Plan seines ganzen künftigen Lebens gebaut, drängen, eine Macht, deren Einfluß sich schon soweit geltend machte, daß darüber selbst die gewöhnlichste Rücksicht gegen ihn, die der einfachste Arbeiter in seinem Hause verlangt: eine pünktliche Mahlzeit, wenn er von der Arbeit zurückkehrt, vergessen wurde. – Er stand still und drückte die Hand vor die Augen – was sollte er thun?

So weit war er in seinem Gedankengange gelangt, als er seinen Namen nennen hörte. Er sah auf und bemerkte jetzt erst, daß er, willenlos dem Wege folgend, auf die Landstraße gerathen war. Vor ihm hielt ein Schwarzer zu Pferde.

»Wenn Mr. Helmstedt abkommen könnte,« sprach dieser, »so möchte er doch nach Mr. Mortons Hause kommen. Mr. Morton ist heute Nachmittag recht krank geworden und möchte Mr. Helmstedt sehen.«

Der Angeredete hatte sich rasch aus seinen eigenen Gedanken gerissen. »Krank? Ist er sehr trank?« fragte er.

»Ich weiß nicht, Master, aber Mistreß Morton befahl mir, rasch zu reiten.«

Helmstedt stand einen Augenblick unschlüssig. »Ich bin schon zu weit von meinem Hause entfernt, um wieder zurückzugehen,« sagte er dann, »komm herunter Bill, und überlasse mir das Pferd, du kannst langsam nachkommen.«

Der Schwarze stieg gehorsam ab, und im nächsten Augenblick war der junge Mann schon im Sattel.

»Soll ich vielleicht Ihr eigenes Pferd nachbringen?« fragte Bill. Helmstedt aber sprengte bereits davon und hörte nichts mehr. Der Schwarze sah ihm nach und kratzte seinen Wollkopf. »Da habe ich nun noch ein gutes Ende Weges bis zu meinem Abendbrod!« sagte er mehr launig als ärgerlich und schlug, langsam davonschlendernd, den Rückweg ein.

Mortons Landsitz war über fünf Meilen von dem Städtchen entfernt, und Helmstedt ließ den steifen Ackergaul unbarmherzig die Hacken fühlen, um rasch vorwärts zu kommen; aber die völlige Dunkelheit war bereits hereingebrochen, ehe er nur die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte. Als er endlich die erleuchteten Fenster des Hauses und die dunklen Gruppen der Bäume daneben erblickte, überkam ihn eine ganz eigenthümliche Empfindung. Morton war es gewesen, der durch eine sonderbare Verkettung von Umständen der Beschützer seiner Liebe zu Ellen geworden, dessen Hilfe ihm die Vereinigung mit ihr allein möglich gemacht hatte und der ihm in der ganzen Gegend auch allein ein Freund geblieben war. Auf demselben Wege, welchen er jetzt ritt, war er vor einigen Monaten, des Glückes voll, mit seiner jungen Frau von der Trauung zurückgekehrt; wie jetzt hatten ihm die Lichter desselben Hauses entgegengeschimmert, die er damals als Leitsterne zu einem sichern Hafen betrachtet. Zum ersten Male, seit er in der Stadt wohnte, kam er diesen Weg wieder – die Wolken, die sich seit jener Zeit um sein junges Glück gezogen, traten in ihrer ganzen Trübe vor seine Seele; und doch war es ihm, je deutlicher das stille Landhaus aus der Dunkelheit hervortrat, als müsse er hier wieder den rechten Rath finden, der ihn, wie damals, aus seiner Bedrängniß erlöste. Er suchte sich die Scene zu vergegenwärtigen, welche ihn wol jetzt dort erwarte, und ein weibliches Bild erhob sich vor seinem innern Blick, an welches er in den letzten Monaten am allerwenigsten gedacht: Mrs. Morton, seine junge Landsmännin, welche der alte Pflanzer geheirathet, nur um eine treue Pflegerin zu haben, und die diesem ihre ganze blühende Jugend zum Opfer gebracht hatte. Helmstedt wußte, daß sie ihn selbst einmal geliebt, als sie noch ihren Mädchennamen, Pauline Peters, führte, ein Bewußtsein, das ihm damals fast drückend geworden war; als aber jetzt ihr frisches Gesicht mit den weichen, feinen Zügen vor ihm auftauchte, als mit der Erinnerung an durchlebte Scenen ihr klares, lachendes Auge vor ihn trat, da wollte es ihm fast sonderbar scheinen, wie er früher nur einen so gleichgiltigen Blick dafür hatte haben können – und je mehr er sich diesem innern Anschauen hingab, desto mehr begann ein stilles, wohlthuendes Gefühl ihn zu durchziehen, dem er sich überließ ohne zu grübeln oder sich darüber Rechenschaft geben zu wollen, bis er die Pflanzung erreichte.

Er schien bereits erwartet worden zu sein. Ein Schwarzer öffnete das Gitterthor der Umzäunung, als er heranritt, und nahm ihm das Pferd ab. Helmstedt ging den wohlbekannten Weg nach der Hauspforte, wo ihn das schwarze Kammermädchen der Hausfrau empfing und vor ihm den erleuchteten Parlor öffnete. Dort saß, die Füße bequem gegen das Feuer gestreckt, ein ältlicher Mann, der ihm einen leichten Gruß zunickte und dann mit augenscheinlichem Wohlbehagen den Tabakssaft aus dem Munde in das Kamin spritzte. Helmstedt erkannte einen der Aerzte aus der Nachbarschaft.

»Well, Doctor,« begann er, einen zweiten Stuhl aus Feuer ziehend, »was ist denn so plötzlich über den alten Herrn gekommen? Es hat doch keine Gefahr, hoffe ich?«

»Well, Sir,« erwiderte der Arzt, sich mit seinem Stuhle zurücklehnend und mit der Hand durch seine dichten Haare fahrend; »ehrlich gestanden, bin ich selbst mit mir noch nicht im Reinen. Es ist einer von den Fällen, in welchen sich gar keine bestimmte Krankheit des Körpers classificiren läßt, in welchen anscheinend die ganze Maschine in Ordnung ist, aber die Triebkraft erlahmt scheint. Bisweilen schleppt sich bei Patienten dieser Art derselbe Zustand noch jahrelang fort, bisweilen welkt der Leidende schnell dahin, ohne daß man im streng medicinischen Sinne eigentlich sagen kann, er sei wirklich krank gewesen, – bisweilen wird durch Gemüthseinflüsse, denn dort ist der eigentliche Sitz des Uebels zu suchen, eine innere Umwälzung hervorgebracht, und der Kranke gesundet ganz von selbst – jedenfalls können in solchen Zuständen Arzneien aus der Apotheke das Wenigste thun. Sie haben, wie ich weiß, Mr. Mortons Vertrauen genossen, und so werden Sie auch die traurige Geschichte mit seiner Tochter kennen, die dem Wahnsinn verfiel. Ich habe das unglückliche Mädchen, die sein einziges Kind war, damals selbst nach Montgomery in eine Irrenanstalt gebracht. Sie starb schon kurze Zeit darauf und hier scheint mir die Wurzel der Krankheit, wenn ich es so nennen soll, zu stecken. Hätte irgend etwas einen wohlthätigen Einfluß auf unsern alten Freund ausüben können, so hätte dies die hingebende Pflege seiner jungen Frau thun müssen, die mir in diesen letzten Wochen, in denen ich Morton besuche, eben so heroisch in ihrer Freudigkeit, womit sie Alles opfert, was man sonst für das Lebenselement junger Frauen hält, wie eine von den katholischen barmherzigen Schwestern erschienen ist.« Er schüttelte, wie im weitern Ausspinnen des Gedankens, still den Kopf.

»Und ihr Einfluß hat nichts gewirkt?« fragte Helmstedt, die Stirn in die Hand stützend.

»Well, Sir, der alte Herr ist freundlich und geduldig; er scheint sich oft, um nur ihr trostreiches Lächeln erwiedern zu können, stärker zu machen als er ist, aber das ist eben Alles nur äußerlich.«

»Und ist er heute kränker als gewöhnlich?«

»Ja und nein, – nichts als einer seiner gewöhnlichen Zufälle von Schwäche, welchen er in den letzten Wochen unterworfen gewesen ist, der aber heute bestimmter auftrat und länger anhielt als gewöhnlich, und der mich deshalb mehr als früher beunruhigt.«

Beide sahen eine Weile schweigend ins Feuer, bis das Oeffnen der Thür Helmstedt sich umsehen ließ. Eine weibliche Gestalt im weißen, halben Negligé trat ein und ging auf den jungen Mann zu. Helmstedt wußte, daß er Pauline, die jetzige Mrs. Morton, vor sich hatte – aber das war nicht mehr dieselbe, die er früher gekannt. Das frische Roth ihres Gesichts hatte einer feinen, durchsichtigen Blässe Platz gemacht; ihr Auge, das ihm ernst entgegensah, schien größer geworden und voll tieferen Ausdrucks zu sein. Noch lag das weiche, süße Lächeln, das er früher gekannt, um ihren Mund, aber ein Hauch von Melancholie hatte sich ihm beigesellt. Sie war nicht mehr dieselbe wie früher, aber fast schien es Helmstedt, als habe er sie nie schöner gesehen. Er war aufgesprungen und hatte ihre Hand gefaßt, die sie ihm mit leichtem Gruß entgegenhielt – er hatte diese Hand oft in der seinigen gehalten und ihren warmen Druck gefühlt – jetzt aber, als er ihre Finger umschloß, blieben diese kalt und bewegungslos.

»Sie werden es gewiß entschuldigen, Mr. Helmstedt, daß wir Ihnen noch die Unannehmlichkeit eines so späten Ritts hierher gemacht haben,« begann sie, und ihr Auge sah mit einer Gleichgiltigkeit und Ruhe in das seine, die ihn in seinem heimlichsten Innern verletzten, ohne daß er sich das wol selbst hätte gestehen mögen. »Mr. Mortons Zustand war indessen so bedenklich und er wünschte so lebhaft Sie zu sehen, daß ich nicht umhin konnte, Sie bitten zu lassen, seinem Wunsche zu willfahren.«

Helmstedt hielt noch immer ihre Hand und sah in ihre Augen ohne sogleich zu antworten, bis ein schwaches Roth in ihr Gesicht trat, das indessen noch schneller verschwand, als es aufgestiegen war, und sie leise ihre Finger aus den seinigen zog. »Wenn Sie mir folgen wollen – Mr. Morton hat sich schon etwas erholt,« sagte sie und wandte sich nach der Thür.

»Ich bin vollkommen zu Ihren Diensten, Ma'am,« erwiderte Helmstedt und folgte der leicht Voranschreitenden.

In dem anstoßenden Hinterzimmer saß Morton, zusammengesunken in einem weichen Schaukelstuhle, an dem helllodernden Kaminfeuer, und Helmstedt erschrak über die Veränderung, welche in den letzten Wochen mit dem früher so kräftigen Manne vor sich gegangen war. Ueber des Kranken Gesicht aber flog ein heller Schein der Zufriedenheit, als er den jungen Mann eintreten sah. »Sind Sie wirklich da?« sagte er und streckte, indem er sich aufrecht zu setzen versuchte, ihm die Hand entgegen; »ich glaube beinahe, Ihre besten Bekannten müßten Sie mit Gewalt holen lassen, wenn sie Sie einmal bei sich sehen wollen.«

Helmstedt faßte seine Hand und wollte eine Entschuldigung beginnen. »Lassen Sie doch,« unterbrach ihn Morton; »ich weiß Alles, Sie haben viel zu thun, sind daneben erst ein paar Monate verheirathet – setzen Sie sich zu mir her, Sir, und erzählen Sie mir, wie es Ihnen geht.«

Helmstedt wandte sich nach einem Stuhle und sah sich zugleich nach der jungen Hausherrin um; diese hatte aber bereits das Zimmer wieder verlassen.

»Noch immer die alte Liebes-Glückseligkeit zu Haus?« fuhr Morton fort, als sein Gast neben ihm saß. »Sie sehen recht wohl aus, und das freut mich.«

»Aber Ihr Aussehen will mir nicht gefallen, Mr. Morton,« sagte Helmstedt, ohne auf die erste Frage einzugehen, und drückte ihm die Hand; »ich hörte mit Schrecken, daß Sie so krank seien; was machen Sie denn für sonderbare Geschichten?«

»Es geht jetzt schon wieder,« entgegnete der Kranke, und strich mit der Hand über das magere Gesicht; »trotzdem freut es mich, daß Sie da sind.« Er hob mit sichtlicher Anstrengung den Kopf, um im Zimmer umher zu sehen, und ließ ihn, als er keinen Dritten in ihrer Umgebung bemerkte, wieder matt zurückfallen. »Rücken Sie näher, Sir,« sagte er dann, »ich will Ihnen offen gestehen, daß ich mich keinen Tag sicher fühle, meine Erdenrechnung abschließen zu müssen.« Er winkte mit der Hand, als Helmstedt Miene machte, ihn zu unterbrechen, und fuhr fort: »Was Sie mir sagen wollen, weiß ich; lassen wir aber jetzt alle Redensarten bei Seite; die Erkenntniß meines Zustandes, welche mir die letzten Tage nur zu sehr bestätigt haben, stammt nicht von heute, und ich bin vollständig auf das Kommende gefaßt. Eins nur bekümmert mich, und dies war die Ursache, daß ich Sie heute, wo ich nicht wußte, wie es mit mir ausgehen würde, zu mir bitten ließ.« Er hielt eine Weile, wie vom Sprechen erschöpft, inne. »Sie wissen vielleicht,« fuhr er dann fort, »daß Mrs. Morton in unserer Nachbarschaft wenig Verbindungen angeknüpft hat, daß meine thätige Theilnahme an Ihrer Verheirathung mit Elliots Tochter uns die umwohnenden Familien außerdem entfremdete, und daß sich jetzt manche Vorurtheile gegen Mrs. Morton richten, da sie ihre Abkunft nicht von einer unserer reichen Familien herleiten kann und obendrein eine Ausländerin ist. Mrs. Morton, die mir in meiner sinkenden Gesundheit mehr war, als die treueste Tochter, hat sich glücklicherweise nicht viel um diese Stimmung in der Nachbarschaft gekümmert, und so hatte ich noch viel weniger Ursache dazu; aber die Zeit kann bald kommen, wo sie allein steht, und wenn ich auch für sie gesorgt habe, so gut ich es gekonnt, so wird sie sich doch nicht sogleich von hier losreißen können und eines Schützers und Verathers nothwendiger bedürfen, als jedes Andern; ich aber weiß Niemand, den ich um die Uebernahme einer solchen Verpflichtung gegen sie lieber bitten möchte, als gerade Sie, Sir. Daß Ihnen dabei durch etwaige Vernachlässigung Ihres jetzigen Berufs, wie durch Zeitversäumniß kein pecuniärer Schaden erwachsen soll, dafür habe ich gesorgt; es bleibt nur die Frage, ob Sie mich durch das Versprechen, sich nöthigenfalls durch Rath und That meiner Frau anzunehmen, beruhigen wollen.«

Helmstedt machte sich in diesem Augenblicke keine Gedanken über das Verhältniß, in das er treten sollte; er dachte nur an den Zustand des Mannes, der vor ihm saß. »Wenn es Sie beruhigen kann, Mr. Morton,« sagte er, »so gebe ich Ihnen gern das Wort eines ehrlichen Mannes, mit allen meinen Kräften Ihren Wunsch zu erfüllen. Sorgen Sie doch aber vorher und zu allererst für sich selber; geben Sie sich nicht so willenlos Ihrer Krankheit hin, und Sie werden sie gewiß besiegen. Gehen Sie weg von hier, wo vielleicht traurige Erinnerungen ein Aufraffen Ihrer selbst erschweren, machen Sie einen Ausflug nach dem Osten.«

Morton lächelte, wie man über einen gut gemeinten, aber nutzlosen Vorschlag lächelt. »Ich werde es thun, lieber Freund, sobald ich nur wieder Kräfte genug gesammelt habe,« sagte er; »ich habe dasselbe schon Mrs. Morton versprechen müssen. Sollte ich aber zufälligerweise nicht dazu kommen, so habe ich Ihre Zusage.« Er drückte eine Weile, wie um auszuruhen, die Hand vor die Augen. »Sonderbar,« sagte er dann, »Sie sollten sich eigentlich vor der Uebernahme von Vormundschaften in Acht nehmen, Sir, Sie bekommen sonst den ganzen Hals voll – das ist jetzt in wenig Monaten schon die zweie; erst der Schwestersohn des Pedlars, – aber gut, daß ich daran denke, wie steht es denn eigentlich damit, haben Sie schon etwas in der Sache gethan?«

»Ich bin so weit,« erwiderte Helmstedt, »daß ich beabsichtige nach New-York zu gehen, so bald ich es ermöglichen kann, um die ganze Angelegenheit ein für allemal zu ordnen.«

Morton sah langsam auf. »Fehlt's an etwas?« fragte er, »ich habe manchmal in den letzten Tagen daran denken müssen, wie der alte Bursche Isaac hier im Hause starb, und zugleich an sein Vertrauen zu Ihnen, und sollte ich etwas helfen können, damit Sie seinen letzten Willen recht ausführen, so sagen Sie es.«

Helmstedt rieb sich die Stirn. Alles, was ihn bedrängte, trat in diesem Augenblick wie zu einem Bilde vereinigt vor ihn. »Es ist nicht mein Interesse, um das es sich handelt,« sagte er nach einer kurzen Weile aufsehend, »und darum kann ich Ihnen meine Verlegenheit ohne Rückhalt gestehen. Gehe ich Wochenlang, vielleicht noch länger nach New-York, so muß ich meine Frau ohne Rath und Schutz zurücklassen, und ich weiß nicht, welche Einflüsse sich während dieser Zeit bei ihr geltend machen mögen. Ich sehe vielleicht Gespenster,« setzte er hinzu, als er Mortons verwundertem Blicke begegnete, »aber Ellen ist jung und liebt dazu ihren Vater fast mehr, als in ihren jetzigen Verhältnissen selbst die Bibel erlaubt.«

»Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen,« sprach Morton leise und nickte mit dem Kopfe; »haben Sie einen besonderen Grund, Unrechtes zu argwöhnen oder besorgt zu sein?«

»Ich mag, wie gesagt, vielleicht Gespenster sehen,« erwiderte Helmstedt, den Kopf in die Hand stützend, »aber es ist Manches, was mich bedrückt, ohne daß ich durch die ruhigste Ueberlegung davon loskommen kann. Doch lassen wir das vorläufig. Zum Zweiten muß ich erst zusehen, wie ich das nöthige Geld für meine Reise und was dazu gehört, anschaffe – ich hatte heute schon überlegt, ob ich eins von meinen Pferden verkaufen könne.«

Der Kranke setzte sich mit einer Kraft aufrecht, die ihm Helmstedt nicht zugetraut. »Nun sehen Sie einmal, was für ein Mensch Sie sind,« sagte er mit allen Zeichen des Aergers. »Sie wissen, wo Sie Freunde wohnen haben, und doch plagen Sie sich lieber wochenlang mit sich selbst herum, versäumen die wichtigsten Interessen dabei, nur um Niemandem ein Wort zu gönnen. Was das mit Ihrer Frau betrifft, weiß ich nicht; was es auch sein mag, so bleibt es besser unter Ihnen Beiden – handelt es sich aber nur darum, das Frauchen während Ihrer Abwesenheit unter sichern Schutz zu stellen, so wissen Sie selbst, wie viel Platz in meinem Hause ist, und daß meine Frau immer eine Freundin der Ihrigen war, bei der sie sich nicht unheimisch fühlen wird. Was nun die nöthigen Geldmittel für Ihre Reise nach New-York anbetrifft, so hätten Sie schon Ihres Versprechens gegen den alten Pedlar und seines Erben wegen längst bei mir anklopfen sollen. Ich werde dafür sorgen, daß Sie morgen das Nöthige in der Hand haben, und Sie zahlen es mir zurück, sobald die Erbschaft flüssig ist.«

Helmstedt wollte etwas erwidern, als sich die Thür halb öffnete und das Gesicht des Arztes hereinsah. »Alle Wetter!« rief dieser, »das spricht ja so frisch, als gäbe es gar keinen Kranken im Haus; ich habe mit Verwunderung die Stimme durch die Wand dringen hören. Und wahrhaftig,« fuhr er eintretend fort, »die Backen sind in dem Gesprächseifer aufgeblüht wie ein paar Matrosen. Störe ich die Herren nicht?«

»Wir sind eben mit dem Nothwendigsten fertig, und Sie sind willkommen, Doctor,« erwiderte Morton, sich langsam in den Schaukelstuhl zurücklegend.

Der Arzt legte die Hand an den Puls des Kranken. »Very well,« sagte er, »so thun wir auch am besten, wir sprechen jetzt nichts mehr und halten uns so ruhig als möglich.«

»Aber ich fühle mich doch gerade jetzt recht wohl, Doctor, und möchte so gern noch mit meinem jungen Freunde plaudern.«

»Damit Sie die Nacht über nicht schlafen können und morgen wieder am Sterben sind, nicht wahr? Lassen Sie mich jetzt Mrs. Morton zu Ihnen schicken, und glauben Sie, daß Sie noch etwas zu reden haben, so thun Sie das morgen oder übermorgen.«

»So geht's, wenn man unter die Hände von solchen Leuten geräth,« sagte Morton und reichte Helmstedt lächelnd die Hand. »Ich werde Ihnen jedenfalls besorgen, was wir eben besprochen, und wegen des Uebrigen wissen Sie, wo mein Haus ist. Wollen Sie wirklich gewissenhaft sein, so lassen Sie keinen Tag unnöthig verstreichen – um so eher werden Sie Zeit gewinnen, an das, was Sie mir zugesagt haben, zu denken.«

Helmstedt hatte das Krankenzimmer verlassen und saß im Parlor neben dem Feuer, um auf das Anspannen der Kutsche zu warten, die ihn wieder nach Hause bringen sollte. Bald meldete der Schwarze, daß Alles zur Abfahrt bereit sei; aber vergebens sah sich Helmstedt nach der Hausfrau um, um sich bei dieser zu verabschieden. Erst als er ihr seinen Gruß durch den Schwarzen gesandt hatte und das Haus verlassen wollte, trat sie ihm in der Halle entgegen. »Grüßen Sie Ellen!« sagte sie leise und reichte ihm ihre Hand, die wieder so kalt und leblos in der seinigen lag, daß Helmstedt sie kaum zu drücken wagte. Er mußte auf seiner Rückfahrt lange Zeit an ihr zurückhaltendes, stilles Wesen denken – auch hierin war sie, wenn er an frühere Zeiten dachte, wo sich jede wechselnde Empfindung offen in ihren Zügen gespiegelt, wo ihm ihr Auge wie ein tiefer klarer Brunnen erschienen war, eine ganz Andere geworden. War das nur die Folge ihres einsamen Lebens und ihrer Aufopferung für Morton? Helmstedt mußte unwillkürlich eine Parallele zwischen ihrer Hingebung, die doch nur durch kalte Pflichttreue geboten sein konnte, und Ellens Handeln ziehen, und ein Gefühl von Täuschung, ein Gefühl wie die Ahnung eines verfehlten Wurfs für sein ganzes Leben überkam ihn, so daß er endlich mit Macht sich den drückenden Gedanken zu entziehen suchte. Er dachte an das Gespräch mit Morton, welches jede Sorge um die Erfüllung seiner Verpflichtung gegen des Pedlars Erben von ihm nahm; aber erst die Vorstellung, Ellen in Mortons Hause untergebracht zu sehen, fern von den Intriguen ihres Vaters und seines jungen Abgesandten, ließ wieder eine stille Beruhigung in seine Seele einziehen. Der Gedanke tauchte in ihm auf, ob er nicht die junge Frau ein- für allemal den Einflüssen, welche die Ruhe seines ganzen Lebens bedrohten, entführen könne; er kam jetzt nach New-York, und vielleicht war es ihm möglich, dort irgend ein profitables Unterkommen zu erhalten; aber wenn er seine jetzige Lage mit einer Stellung verglich, wie er sie dort selbst im glücklichsten Falle erhalten konnte, so mußte er selbst jede Aenderung eine Thorheit nennen – und wie hätte er auch von Ellen verlangen können, ihren gepriesenen Süden zu verlassen und vielleicht nichts als Entbehrungen dagegen einzutauschen!

Die Wendung des Weges, welcher nahe der Stadt in die Landstraße einbog, störte ihn aus seinem Sinnen auf, und jetzt erst fiel ihm ein, was wol Ellen von seinem Außenbleiben gedacht haben mochte. Er sah scharf nach der Gegend hin, wo er sein Haus stehen wußte, aber kein Lichtschimmer zeigte dort, daß ihn Jemand erwarte. »Wie spät ist es wol?« fragte er den schwarzen Kutscher; »es ist zu dunkel, um etwas auf der Uhr zu erkennen.«

»Es mag 11 Uhr vorbei sein, Sir!« war die Antwort.

Der Wagen rollte nach kurzer Zeit vor das Haus, und Helmstedt, der umsonst nach einem Zeichen des Lebens darin sich umsah, wollte eben verstimmt aussteigen, als Cäsar aus der Dunkelheit hervoreilte und dienstfertig das Schutzleder am Wagen zurückschlug. »Ist meine Frau schon zu Bett?« fragte der Angekommene.

»Mistreß hat bis nach 10 Uhr gewartet,« erwiderte der Schwarze, »und befahl mir dann, wach zu bleiben.«

Helmstedt nickte befriedigter, fertigte den Kutscher mit einem Trinkgelde ab und schritt ins Haus. Er fand das Schlafzimmer offen, wo das niedergebrannte Kaminfeuer nur eine kaum noch bemerkbare Helle verbreitete. Leise trat er ein und zündete ein Licht an. In den schneeigen Kissen des Bettes lag Ellen, das Gesicht ihm zugewandt, und der halbgeöffnete lächelnde Mund schien von einem süßen Traume zu erzählen. Einzelne Theile ihres dunklen Haares waren auf die weiße, zartgebaute Schulter, die sich aus dem Nachtüberwurf gestohlen, herabgefallen, und die kleinen, eleganten Hände ruhten leicht über einandergelegt auf der Decke. Helmstedt stand eine Weile in ihre Betrachtung versunken – er hätte viel darum gegeben, wenn er die Bilder gekannt hätte, welche jetzt vor ihrer Seele vorübergingen. Er bog sich vorsichtig nieder und drückte leise einen Kuß auf ihre Lippen – sie lächelte; dann aber ward sie unruhig, schlug die Augen auf und sah ihn groß an. »Du bist es!« sagte sie endlich, die Augen reibend; »hättest du mir doch meinen Traum gelassen!«

»Und was war es denn so Schönes, was du träumtest?«

»O laß mich,« erwiderte sie, und drehte das Gesicht nach der Wand; »ich war wieder Kind und bei meinem Vater.«

Helmstedt richtete sich mit einem unterdrückten Seufzer auf, kleidete sich aus und löschte dann das Licht.

III.

In Pearl-Street in New-York, da, wo in spätern Jahren der neue Durchbruch gemacht wurde, stand das Haus des Pfandleihers Abraham Meier. Es war ein niederes, unscheinbares Gebäude, dem man äußerlich die Räumlichkeiten, welche es enthielt, nicht ansah. Unter den drei vergoldeten Kugeln, dem Pfandleiherzeichen, gelangte man durch den Eingang in einen engen, nur spärlich erleuchteten Hausflur, aus welchem eine Thür nach der geräumigen »Office« führte. Ein starkes Gitter, hinter welchem der Pfandleiher seinen Platz hatte und das ihn vor jeder Unbequemlichkeit durch seine Kunden schützte, schied diesen Raum der Länge nach in zwei Hälften. Es hatte zwei durch Schiebgitter geschützte Fenster, welche sich durch einen einfachen Mechanismus im Nu schließen konnten. Hinter dem ersten thronte neben einem hohen Pulte Abraham Meier selbst, und hier war der Ort für den Versatz von Allem, was in das Bereich der edlen Metalle und Juwelen schlug, während Mrs. Meier hinter dem zweiten Fenster sich mit der Prüfung von jeder Art Bekleidungsstücken aus Seide, Sammet, Tuch oder Leinwand, wie sie in das Lokal wanderten, beschäftigte. Abraham Meier war noch wenig über die Vierzig hinaus, trug sein Haar, selbst im Geschäft, wohlfrisirt und seinen Bart glatt geschoren; er sprach stets Englisch, wenn er nicht durch »grüne« Kunden zum Deutschsprechen gezwungen war, aber auch in diesem letzteren Falle suchte er den anerzogenen jüdischen Accent möglichst zu verbergen. Abraham Meier galt im Allgemeinen für einen vorsichtigen Geschäftsmann seiner Art, denn noch war kein Fall von einiger Bedeutung vorgekommen, in welchem die Polizei bei ihren Nachforschungen nach gestohlenen Gütern ihm etwas hätte zur Last legen können. Er galt aber auch bei der unverheiratheten, jungen Männerwelt für einen der wenigen Pfandleiher, mit welchen ein Mensch von Erziehung zu thun haben konnte, ohne das Demüthigende seiner augenblicklichen Lage zu sehr zu empfinden. Seine Taxirung von Pfandgegenständen geschah ohne geringschätzende Miene und beleidigendes Achselzucken. Mit höflicher Geschäftsmiene gab er die Summe an, zahlte oder wies bedauernd eine höhere Forderung zurück, und so gehörte seine Bekanntschaft unter dieser Klasse von Geldbedürftigen zu den ausgebreitetsten, wenn auch seine Taxirungen, von denen er nie wich, eben nicht zu den höchsten gehörten.

Es war Nachmittags zwei Uhr an einem Apriltage. Abraham saß vor seinem Pulte, blätterte in einem seiner Geschäftsbücher und markirte einzelne Posten mit Bleistift. Die Office war leer. Mit dem Ausgange des Winters ist die größte Ernte des Pfandleihers vorüber; was der Arme entbehren konnte, hat er für Feuerung und Lebensmittel geopfert; die Masse von jungen Leuten aber, deren Einkommen mit ihren Ansprüchen auf Vergnügungen, an denen die große Stadt im Winter so reich ist, nicht im Einklange stehen, haben »springen« lassen, was einigermaßen entbehrlich war, oder auch zum Versetzen auf die eine oder andere, oft nicht zu rechtliche Weise beschafft wurde, und so versiegt mit den ersten Frühlingstagen eine Quelle des Pfandleihers, welche seinen Hauptgewinn bildet, da selten an eine Wiedereinlösung der versetzten Gegenstände gedacht wird.

»Vierundfünfzig Nummern!« brummte Abraham, als er die letzte beschriebene Seite seines Geschäftsbuchs erreicht hatte. Er stand auf und schloß die beiden Fenster des Gitters; dann öffnete er einen großen eisernen Geldschrank unweit seines Pultes und begann eine Menge kleiner, in weißes Papier gewickelter und numerirter Päckchen daraus hervorzuholen. Bei jedem derselben verglich er die Nummer mit den Angaben seines Geschäftsbuchs, öffnete auch wol hie und da eins derselben und besah mit prüfendem Blick die Uhren, Ringe, Ketten und anderen Schmuckgegenstände, welche sich zeigten, sie aber jedesmal wieder sorgfältig in ihren Umschlag wickelnd, und packte zuletzt den ganzen Haufen in einen flachen Korb, der sichtlich zu diesem Zwecke sich auf dem Geldschrank befand. Nachdem er diesen wieder sorgfältig verschlossen, trug er seine Kostbarkeiten nach einem Nebenzimmer, wo eine ganze Niederlage von Packeten aller Größen sich in großen an der Wand hinziehenden Regalen befand. Vor einem langen Tische stand eine schmächtige Frauengestalt, mit dem Sortiren eines Haufens von Frauenkleidungsstücken beschäftigt.

»Wenn du fertig bist, kleine Rebecka,« sagte er Englisch, »so kommt Alles in den vorderen Keller. Morgen will endlich der Meier Friedmann hier sein, und ich werde den Plunder los sammt den andern Waaren im hintern Keller, die schon länger im Hause sind als gut ist.«

Die Frau sah langsam von ihrer Arbeit auf und zeigte ein ernstes Gesicht, dessen Schnitt und dunkler Teint die orientalische Abkunft nicht verläugnen ließ. Sie war augenscheinlich bedeutend jünger als der Pfandleiher und hätte, wäre nicht ein sonderbarer Zug von Erschlaffung über ihr ganzes Gesicht verbreitet gewesen, bei Vielen für eine Schönheit gelten können.

»Ist es nicht ein gefährliches Geschäft, was du treibst seit dem letzten Jahre?« sagte sie.

»Gefährlich? Wie heißt gefährlich!« erwiderte er eifrig, ins Deutsche fallend, und setzte den Korb mit Goldwaaren auf den Tisch. »Ist der Termin für die Einlösung von den Nummern dahier nicht abgelaufen schon seit der letzten Woche? Und spricht auch das Gesetz, daß ich soll halten die Sachen noch so und so lange Zeit nach dem Verfalle, so weiß ich doch, daß Keiner wird kommen und mich daran mahnen, so kenne ich doch die Menschheit, so werde ich doch nicht sein thöricht und lassen das Geld liegen todt in den Sachen ein volles Jahr.«

»Das ist deine Sache, Abraham,« unterbrach ihn die Frau; »aber ich meinte wegen der Waaren in dem hintern Keller.«

»Was willst du, Rebeckche, was willst du?« sagte er, seine Stimme dämpfend, »weiß ich, woher die Waaren kommen, oder was für ein Recht die Leute daran haben, welche sie gebracht? Soll ich sie lassen gehen nach einem andern Platze und einem Andern lassen den Profit daran? Was bringt's ein, wenn man hat ein gar zu genaues Gewissen? Du hast die Gedanken vom alten Isaak Hirsch, der herumdrehte jedes Geschäft dreimal, ehe er hat zugefaßt. Was hat er gemacht dabei? Läuft er nicht noch herum unten im Süden bei den Niggern als Pedlar und hat für den Manuel, den er angenommen an Kindesstatt und den wir jetzt müssen verpflegen, noch nicht einmal geschickt das Kostgeld für die letzten drei Monate? Und bist du nicht selber geblieben ein so armes Josim, daß du hast zugegriffen, als der Abraham Meier zu dir kam, wenn er auch war zwanzig Jahre älter?«

»Ich hab' dich genommen, weil du warst ein anständiger Mensch und ich meinte, du sei'st ehrlich,« erwiderte sie, den Kopf hoch aufrichtend; »ich habe dir geholfen nun manches Jahr in deinem Geschäfte und zu deinem Verdienste, und wenn ich einmal spreche, wo ich denke es sei Noth, so habe ich nicht verdient, daß du mir vorwirfst, ich sei gewesen arm, als du mich genommen.«

»Rebeckche, was willst du?« sagte er eifrig; »habe ich doch nichts sprechen wollen, was. Dich könnte beleidigen; bin ich nicht anständig noch immer? Gehöre ich doch zur Gesellschaft der Benei Beriß; treibe ich doch mein Geschäft, daß sie schon oft haben gesprochen vom nobeln Abraham Meier; habe ich dir doch gesagt, daß du sollst wegbleiben ganz und gar vom Fenster in der Office und sollst sitzen in deinem Parlor als eine Lady, und daß ich will nehmen den Manuel ins Geschäft an deinen Platz, wenn der Isaak Hirsch noch länger zurückhält mit dem Kostgelde für ihn. Und wegen der Waaren im Hinterkeller,« fuhr er halblaut fort, »weiß Jemand, wo der Weg hineingeht und sucht Jemand dergleichen beim Abraham Meier, der sein Geschäft so nobel betreibt? Warum soll ich nun nicht nehmen einen großen, sichern Gewinn –« er hielt plötzlich inne und horchte auf. »Hast du gehört?« fragte er nach einer Weile.

»Was soll ich haben gehört?« erwiderte sie, »es war Jemand an der Hinterthür.«

»An der Hinterthür – wer hat etwas zu thun an der Hinterthür?« sagte er und horchte noch immer mit gespanntem Gesichte.

»Was thust du so ängstlich? wer soll's anders sein, als Einer, der nicht will gehen zum Pfandleiher am hellen Tage durch die Vorderthür? Du hattest niemals Angst, Abraham, als du noch ließest deine Hand von verdächtigen Waaren.«

In diesem Augenblicke klappte die Thür der Office und Meier's Gesicht verfärbte sich. »Geh hinaus, Rebeckche, thu' mir's zu Liebe und sieh wer da ist,« sagte er hastig und leise, »morgen kommt der Meier Friedmann, und dann soll kein Stück Waare mehr sehen den Hinterkeller.«

Die Frau ging ruhigen Schrittes nach der Office und Meier hörte, wie sie eins der Fenster des Gitters öffnete.

»Ist der Abraham nicht hier, Ma'am?« klang es in englischer Sprache, »ich komme so eben aus dem Süden, und möchte ihm gern ›guten Tag‹ sagen.«

Meier athmete mit sichtbarer Erleichterung auf, fuhr mit der Hand ordnend durch seine Haare und trat hinaus.

Vor dem Gitter stand ein Mann in elegantem Anzuge, mit dunkelm Schnurrbart und freier Haltung. – Meier's Auge hatte im Nu die ganze Erscheinung überflogen und blieb dann an dem lächelnden Gesichte des Eingetretenen hängen. Es war schon Wochen her, daß Niemand mehr durch die Hinterthür zu ihm gekommen war; die Weise, sie zu öffnen, war nur Einzelnen seiner vertrauten Kunden bekannt, und von dem Gesichte vor ihm kannte Abraham keinen Zug.

»Was steht Ihnen zu Diensten?« fragte er, an das Fenster tretend, während sich seine Frau in das hintere Zimmer zurückzog.

»Hm, kennt Ihr mich nicht mehr, alter Bursche?« erwiderte der Angeredete und reichte ihm die Hand durchs Fenster. »Haben doch schon Manches mit einander zu thun gehabt, wenn auch nur Abends. Mein Name ist Wells, Henry Wells, Sir.«

Meier sah dem Manne noch einen Augenblick befremdet, aber scharf prüfend ins Gesicht. Dann nahmen seine Züge den Ausdruck der kältesten Höflichkeit an; er bog sich vom Fenster zurück, ohne die dargebotene Hand zu berühren. »Möglich, Sir, daß wir schon ein Geschäft zusammen gemacht haben, ich kann mich Ihrer aber durchaus nicht entsinnen; es gehen vielerlei Art Leute jährlich in meiner Office aus und ein. Was steht zu Ihren Diensten?«

»Well, Sir, Sie müssen mich als alten Bekannten entschuldigen, daß ich, wie früher, den Weg durch die Hinterthür genommen habe,« erwiderte der Andere, ihm mit ungestörtem Lächeln ins Gesicht sehend; »es war mir gerade bequem. Kann ich nicht ein Viertelstündchen mit Ihnen plaudern, ungestörter als gerade hier in der Office?«

»Ich mache nirgends anders Geschäfte, als in meiner Office,« erwiderte Abraham so kalt wie vorher, aber sein Auge begann unruhiger zu werden. »Sagen Sie, was Ihnen zu Diensten steht, ich bin heute sehr beschäftigt!«

Um den Mund des Andern zuckte es wie halber Spott. »Ich bin kein Polizeispion und auch kein ärgerer Spitzbube, als mit denen Sie bereits zu thun gehabt, Mr. Meier,« sagte er mit halbgedämpfter Stimme, »Sie haben also nichts zu fürchten. In Ihrem Hinterhause ist ein kleines, hübsches Stübchen, in welchem Sie schon oft ganz artige Geschäfte abschlossen – warum wollen Sie also durchaus mit mir nur in Ihrer Office verhandeln? Sie sehen doch nun, daß wir alte Bekannte sind, wenn ich auch gestern erst wieder in New-York angekommen bin?«

Meier's Gesicht wurde blaß und sein Auge fixirte von Neuem unsicher den vor ihm Stehenden. »Ich weiß nicht von was Sie reden,« sagte er dann, und suchte hörbar seiner Stimme Festigkeit zu geben, »und dazu kenne ich Sie durchaus nicht –«

»Thut vorläufig gar nichts, alter Freund,« lachte der Fremde, »sagen Sie mir nur, ob Sie eine Viertel stunde mit mir plaudern wollen oder nicht. Wollen Sie mich nicht in Ihr Geheimzimmer führen, so thut's auch Ihr Parlor – unsere Unterhaltung soll ganz unverfänglicher Natur sein, das verspreche ich Ihnen. Hoffentlich wird der noble Abraham einen alten Bekannten, der nicht einmal etwas von ihm verlangt, nicht in seiner Office abspeisen, wie etwa einen Menschen, der zum armseligen Pack gehört.«

In Meier's Gesicht wechselten Röthe und Blässe; er sah bald unentschlossen vor sich nieder, bald in die halbspöttisch lächelnden Züge seines Gegenüber. »Wenn Sie darauf bestehen –« sagte er endlich und schloß langsam, wie noch im halben Kampf mit sich selbst, das Fenster; als er aber die Gitterthür öffnen wollte, schien ihn ein neues Bedenken zu ergreifen. »Wenn Sie vorweg die Treppe hinaufspazieren wollen –« sagte er, »ich komme Ihnen auf dem Fuße nach.«

Der Andere lachte leicht auf. »Ich habe keine Absichten auf Sie, noch auf Ihr Eigenthum, Abraham,« sagte er und öffnete die Thür nach dem Hausflur, »kommen Sie ruhig hinter Ihrem Gitter hervor.« Aber erst als der Fremde die Office verlassen, schloß Meier die Gitterthür auf, die er, kaum daß er herausgetreten, rasch wieder ins Schloß warf.

Der Parlor im oberen Stock, wohin Abraham seinen aufgedrungenen Gast führte, präsentirte sich so nobel als der Pfandleiher selbst. Ein Carpet von schreienden Farben bedeckte den Boden, und den mit Pferdehaar-Zeug überzogenen Möbeln, wie dem prahlenden Goldrahmenspiegel sah man es an, daß sie den Trödlerladen kennen gelernt hatten. Zwei große Oelgemälde hingen an der Wand, an denen die Rahmen indessen jedenfalls den werthvollsten Theil bildeten, und zwei ordinäre Blumen-Vasen nebst einer gelblackirten Parlor-Lampe schmückten den Kaminsims.

Der Fremde schritt ungenirt dem Schaukelstuhle zu, auf welchen er sich bequem niederließ. »Holen Sie sich einen Stuhl, Abraham,« sagte er, »und lassen Sie vor allen Dingen Ihre ängstliche Miene fahren; ich beiße Sie wahrhaftig nicht und will auch kein Geld von Ihnen.«

Meier ließ sich, die Augen groß auf den Eindringling geheftet, ihm gegenüber nieder.

»Ich komme soeben aus Alabama,« begann dieser leicht, »und habe da einen Verwandten von Ihnen, einen alten Pedlar, getroffen.«

»Ah – den Isaak Hirsch, vermuthe ich,« sagte der Pfandleiher und sein Gesicht begann an ängstlicher Spannung zu verlieren. »Ist der alte Mann wohl, und hat er Ihnen vielleicht irgend einen Auftrag für mich gegeben?«

»Als ich ihn sah, war er wohl,« erwiderte der Fremde, »sonst hat er mir für Sie nichts Besonderes über tragen. Ist aber nicht etwas wie ein Schwestersohn von ihm vorhanden? wenigstens sprach er –«

»Der Manuel, versteht sich, der Manuel, den ich in Kost habe. Haben Sie etwas für ihn?«

»Nichts von Bedeutung – hilft er mit in Ihrem Geschäfte?«

Meier sah seinem Gaste einen Augenblick scharf in die Augen, ehe er antwortete. »Hat Ihnen der Alte vielleicht Auftrag gegeben, nachzusehen, ob ich unrecht handle an dem Jungen,« sagte er dann, »so mögen Sie ihm nur melden, daß, wenn er mich auch drei Monate ohne das Kostgeld für ihn gelassen habe, der Manuel doch noch immer bei Smith und Johnson, Advocaten in Duanestreet sei, um zu schreiben und die Gesetze kennen zu lernen, wie es der Alte verlangt hat, ehe er das letzte Mal nach dem Süden ging.«

»So, bei Smith und Johnson arbeitet er, und der Alte ist Ihnen noch das Kostgeld für ihn schuldig,« sagte der Fremde und stützte den Kopf in die Hand. »Sagen Sie einmal, Abraham,« fuhr er fort, und es zuckte wie ein unwillkürliches Lächeln über sein Gesicht, »ist der alte Isaak ein stiller Partner von Ihnen gewesen, daß er so genau Bescheid wußte über die Geschäfte, welche Sie bisweilen Abends in Ihrem Geheimzimmer abschließen, daß er mich wegen der Hinterthür zurechtweisen und mir noch weitere derartige Dinge erzählen konnte?«

Meier zuckte wie von einem Stiche getroffen von seinem Stuhle auf und warf wie unwillkürlich einen scheuen Blick durch das Zimmer. »Was hat er gesagt, was weiß er, was kann er erzählt haben?« stieß er hervor und sah seinen Gast mit aufgerissenen Augen an. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich von allen solchen Worten nichts verstehe? Und wegen des Isaak – so ist er doch nicht mehr als zweimal in meinem Hause gewesen im letzten Jahre – was kann er wissen?«

»Woher weiß ich es, Abraham?« erwiderte der Andere und erhob sich langsam; »ich bin doch gestern erst nach langer Abwesenheit wieder in New-York eingetroffen. Aber,« fuhr er fort und nahm seinen Hut, »Sie haben viel zu thun, und so will ich Sie nicht länger aufhalten. Adieu, und grüßen Sie Mrs. Meier!«

»Nun weiß ich aber doch immer noch nicht, was Sie von mir wollten!« rief Meier aufgeregt und stellte sich vor seinen Gast, als wollte er ihm den Weg vertreten.

»Schreien Sie nicht so, Abraham, das thut in Ihrem Hause nicht gut!« erwiderte dieser, mit der Hand winkend; »ich wollte nichts weiter von Ihnen, als was ich jetzt weiß, adieu!«

»Aber Sie wissen doch nichts, Sie wissen doch bei Gott nichts!« rief der Pfandleiher, mühsam seine Stimme niederhaltend.

»Desto besser für Sie!« sagte der Eindringling mit einem halben Lachen und schritt die Treppe hinab.

Meier hielt noch unentschlossen die Parlorthür in der Hand, als er den Andern schon das Haus verlassen hörte. »Was weiß er, was kann er wissen?« murmelte er unruhig vor sich hin. »Morgen kommt der Meier Friedmann, und dann nimmer wieder ein verdächtiges Geschäft! daß ich Ruhe behalte im Hause – –«

Der Fremde hatte die Richtung nach dem Broadway eingeschlagen und schritt mit der Miene eines Mannes vorwärts, der ein Geschäft zu seiner Zufriedenheit abgemacht hat. Dann und wann spielte, wie in Erinnerung an die eben durchlebte Scene, ein spöttisches Lächeln um seinen Mund, und erst als er Chathamstreet kreuzte, wo die starke Passage von Fuhrwerk ihn zur Vorsicht mahnte, nahm sein Gesicht den Ausdruck von scharfer Beobachtung an, der ihm, nach den zwei tiefen Falten an der Nasenwurzel und den wie gewohnheitsmäßig halb zugedrückten Augen natürlich zu sein schien.

An der nächsten Ecke stand eine von den Gestalten, wie man sie in New-York besonders in der Nähe von Trinklocalen so häufig trifft, ein Mensch in modernen Kleidern, von denen indessen jeder Theil, vom zerdrückten Hute bis zu den ungeputzten Stiefeln, eben aus den Trödelbuden gekommen zu sein schien. Er hatte die Hände müßig in den Hosentaschen stecken und musterte mit halbschläfrigem Blicke die vorbeipassirenden Menschen und Fuhrwerke. Der Fremde hatte ihn kaum bemerkt, als er seine Schritte auf ihn zulenkte. »Ich muß Euch heute Abend sehen, Bill, am gewöhnlichen Orte,« sagte er, ohne länger als nur einen Augenblick bei ihm anzuhalten, »es gibt Etwas, seid pünktlich da!«

»All right!« erwiderte der Angeredete, ohne seine Stellung zu verändern, und der Fremde setzte in rascheren Schritten seinen Weg fort, bis er das Astorhaus erreicht hatte und hier nach einem der Zimmer in den obern Stocks hinaufschritt. Dort lag, eine Cigarre rauchend, ein junger Mann auf dem Sopha, der sich indessen aufrichtete, als er den Eintretenden erkannte.

Der Angekommene legte seinen Hut ab und trat dann, mit einem halbsarkastischen Lächeln in das erwartungsvolle Gesicht des Andern sehend, vor diesen.

»Well, Sir,« begann er mit vorsichtig gemäßigter Stimme, »der Erbe wäre aufgefunden, und ich verbürge mich, sein Verschwinden zu veranstalten, ohne daß nur Jemand etwas Unrechtes dabei vermuthen soll. Jetzt fragt es sich vor allen Dingen, wie weit Sie mit Ihrer Arbeit sind.«

»Seifert,« sagte der Dasitzende, mit einem Lachen der Befriedigung aufspringend und seine Hände auf die Schultern des Andern legend, »bei Gott, ich erkläre Sie für den abgefeimtesten Spitzbuben, den ich jemals gesehen!«

»Danke schön!« erwiderte dieser kalt; »Sie aber scheinen mir ein Kind zu sein, Mr. Murphy, das so subtile Speculationen wie die unsern gar nicht unternehmen sollte. Ich heiße Wells, Sir – Henry Wells, mögen wir allein oder in Gesellschaft sein. Den Seifert habe ich in den Mississippi versenkt, als ich dort das Dampfboot bestieg.«

»Gut, gut! ich verspreche Ihnen, es soll keine Namenverwechslung mehr vorkommen,« erwiderte Murphy. »Jetzt setzen Sie sich hierher. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich schon fürchtete, wir würden nicht Zeit genug gewinnen, um unsere Nachforschungen und weiteren Maßregeln ausführen zu können. Hier,« sagte er und zog aus der Brusttasche seines Rockes einen Brief, »lesen Sie und sagen Sie mir dann Ihre Meinung.«

Seifert entfaltete ihn langsam, überflog erst Datum und Unterschrift und begann dann bedächtig zu lesen:

»Big Spring. Alab., April 13. 1850.

Lieber William!

So gut ich auch glaube Deinen Auftrag, der so ganz mit meiner Neigung übereinstimmte, ausgeführt zu haben, so scheint doch der Deutsche einen Strich durch Deine Rechnung machen zu wollen, und ich eile, dir das Nöthige zu melden. Als ich zuerst die junge, reizende Frau sah, welcher ich nach Deinem Plane meine Aufmerksamkeit widmen sollte, konnte ich ganz den Unwillen ihrer Eltern, sowie der Nachbarschaft begreifen, daß es einem solchen hergelaufenen deutschen Schlingel hatte gelingen können, diese Perle für sich wegzufischen. Ich wurde bei einer zufälligen Gelegenheit ihrem Vater vorgestellt, der ziemliches Gefallen an mir zu finden schien, und bald merkte ich, als ich, wie unkundig der bestehenden Verhältnisse, seiner Tochter erwähnte, daß es vielleicht ein noch stärkeres Mittel geben könne, um den Deutschen von seiner Reise nach New-York abzuhalten, als die Eifersucht – das war die Liebe, mit welcher der alte Mann an seinem Kinde hing und die in jeder seiner Aeußerungen eben so unwillkürlich hervorbrach, wie sein Mißfallen an ihrer Verbindung mit dem Deutschen. Schon bei meinem nächsten Besuche, welchen ich der jungen Frau machte, während ihr Mann seinem Musikunterricht außer dem Hause nachging, sah ich, daß jedes Wort, das ich von ihrem Vater sprach, tiefere Wirkung hatte, als ich selbst gehofft – sah, daß sie sich in der Stellung, in die sie sich durch ihre schnelle Heirath gebracht, nicht heimisch fand, und bestrebte mich von dieser Zeit an, ein verbindendes Glied zwischen ihr und ihrem elterlichen Hause zu sein. Ich brachte es wirklich dabei fertig, ihren Mann, selbst wenn er bei meinen Besuchen anwesend war, vollständig zu ignoriren und ihn, wie mir sein ganzes Benehmen bewies, mit größerer Sorge um den Frieden seiner Häuslichkeit und den ungestörten Besitz seiner Frau zu erfüllen, als es mit meinen bloßen Aufmerksamkeiten für die letztere, und wären diese noch so auffallend gewesen, möglich geworden wäre. Ich hielt es schon für ganz gewiß, daß Du wenigstens für die nächsten Wochen ruhig dort arbeiten könntest, ohne seine Abreise von hier fürchten zu müssen, als er plötzlich mit einer Entschlossenheit einen Streich ausführte, die ich ihm nicht zugetraut, einen Streich, der mich vollständig aus dem Sattel geworfen hat. Du kennst den alten Mr. Morton, welcher die junge deutsche Frau hat, – nach dessen Farm hat gestern unser Mann Alles, was in seinem Hause lebt und Beine hat, übergesiedelt. Ich begegnete ihm, als er sein junges Frauchen hinfuhr, auf der Landstraße. Er sah finster geradaus und that, als ob er mich nicht bemerkte; sie hatte rothgeweinte Augen und erwiderte meinen Gruß nur halb. Wenige Minuten danach traf ich einen Wagen mit ihrem Schwarzen als Kutscher und bepackt mit einigen Kisten, auf welchen ihre schwarze Köchin saß. Ein paar Worte, welche ich mit dieser wechselte, belehrten mich über das, was geschah, und von einer Schülerin der Akademie, die ich später traf, erfuhr ich ohne Mühe, daß Mr. Helmstedt für vierzehn Tage Urlaub genommen habe, um eine nothwendige Reise nach New-York zu machen. An dem von ihm bisher bewohnten Hause waren Läden und Thüren fest geschlossen. Ich beruhigte mich dabei nicht, sondern ritt noch denselben Nachmittag, da mir Gefahr im Verzuge schien, nach Mortons Farm und ließ mich bei Mrs. Helmstedt anmelden; der Schwarze brachte mir aber den kurzen Bescheid, daß die Mistreß, so lange sie hier sei, keine Besuche anzunehmen wünsche.

So steht die Sache im Augenblick und ich fürchte, daß nur kurze Zeit, nach Ankunft dieses Briefes der Deutsche Deinen Weg kreuzen wird. Handele nun, wie es Dir Deine eigene Klugheit eingibt, und schreibe mir bald; die nächste Postoffice bei Big Spring kennst Du. Wie immer, Dein

John Nelson.«

Seifert faltete den Brief langsam zusammen und sah einen Augenblick nachdenkend vor sich nieder. »Dieser Mr. Nelson,« sagte er dann, »scheint selbst verliebt in die junge Frau zu sein und mit seinem großen Eifer mehr verdorben als genützt zu haben. Zu gleicher Zeit aber muß ich Ihnen gestehen, daß ich persönlich Ursache habe, eine Begegnung mit diesem Mr. Helmstedt, besonders hier in New-York zu vermeiden. Es heißt also vor allen Dingen rasch handeln, und damit ich eine volle Uebersicht des Nothwendigen erhalte, lassen Sie uns den allgemeinen Thatbestand recapituliren. – Sie haben in dem Nachlasse des alten Pedlars. welcher in dem Hause des Mr. Morton in Alabama starb, die Notiz über einen alten Besitztitel gefunden, von der, wie Sie meinen, Niemand etwas weiß. Wie kamen Sie dazu, und warum glauben Sie, daß Sie der Alleinwissende seien?«

»Das ist einfach,« erwiderte Murphy, der stillschweigend die Ueberlegenheit seines Gesellschafters anzuerkennen schien. »Als der Tod des Pedlars, welcher Nachts in seinem Bette an einem Blutsturze starb, entdeckt wurde, blieben seine sämmtlichen Effecten unberührt, wie dies gewöhnlich geschieht, bis der Koroner die Todtenschau vorgenommen hat. Der Koroner aber, nach welchem der alte Morton sandte, war krank und ernannte mich, der ich ein Bekannter von ihm bin und zufällig in der Nähe war, für diesen Fall zu seinem Deputy. So hielt ich denn die Todtenschau ab und fand unter den Papieren in seinem Taschenbuch, auf welche eine Art Testament von ihm hinwies, die Quittung über einen bei Smith und Johnson in New-York deponirten Besitztitel mit genauer Angabe seines Inhalts. Ich habe ziemlich viel in den Besitztitel-Angelegenheiten des nördlichen Theiles unseres Staates gearbeitet und erkannte, sobald ich die Nummer der Landsection und andere Bezeichnungen las, sofort die Wichtigkeit des Papiers für einen Mann, der etwas daraus zu machen weiß, während es in der Hand des Unkundigen vollkommen werthlos war. Ich setzte mich unbemerkt in seinen Besitz und übergab die übrigen Papiere dem Deutschen, Helmstedt, welcher in dem erwähnten Testament als Vollstrecker desselben namhaft gemacht worden war.«

Seifert verzog in diesem Augenblick das Gesicht zu einer so ironischen Miene, daß der Redende inne hielt.

»Nun?« fragte er.

»Nichts, gar nichts,« erwiderte Seifert, »als daß ich Ihnen wahrhaftig Ihr voriges Compliment, den ›abgefeimtesten Spitzbuben‹ betreffend, zurückgeben muß. Werden Sie nicht beleidigt dadurch,« fuhr er lachend fort, als er in Murphy's Gesicht ein leichtes Roth treten sah, »die Aeußerung war wenigstens nicht schlimmer gemeint als die Ihrige. Fahren Sie fort.«

Murphy warf einen finsteren Blick in seines Gefährten Gesicht und sah dann zur Erde. »Ich bin zu Ende.« sagte er.

Ein Zug von Hohn, der aber schon im nächsten Moment verschwunden war, zuckte um Seiferts Mund. »Ich glaube, Sir,« entgegnete er, »es ist jetzt wenig Zeit, den Empfindlichen zu spielen, falls Sie Ihr Unternehmen überhaupt noch verfolgen wollen.«

Murphy sah auf und schien einen innern Widerwillen niederzukämpfen. »Was wollen Sie weiter wissen?« fragte er.

»Die Hauptfrage war also,« begann Seifert von Neuem und lehnte sich bequem zurück, »ob der besagte Besitztitel auch wirklich mit allen Rechten auf den alten Pedlar übertragen war, und über diesen Punkt wollten Sie sich hier in New-York Gewißheit verschaffen.«

»Ich habe mich bei Smith und Johnson einführen lassen, die überhaupt alle gerichtlichen Angelegenheiten für den Alten versehen zu haben scheinen,« berichtete Murphy, vor sich nieder sehend, »und es ist mir nach mancherlei Umwegen, um den Hauptzweck meines Besuches zu verdecken, gelungen, Einsicht in das Document zu erhalten. Das unbeschränkte Eigenthumsrecht des Isaak Hirsch daran steht außer allem Zweifel.«

»Schön,« nickte Seifert, »es entsteht aber noch die eine Frage, ob der Alte nicht etwa weitere Depositen bei derselben Firma hat, wodurch, wenn auch die Erben keine augenblickliche Kenntniß des vorhandenen Besitztitels haben, sie doch so zeitig davon unterrichtet werden müßten, daß Ihr ganzer Plan, ein Abkommen deshalb mit den Leuten zu treffen und sich selbst den Hauptgewinn zu sichern, auf sehr bedeutende Schwierigkeiten stoßen dürfte.«

Murphy verzog das Gesicht zu einer geringschätzenden Miene. »Sie dürfen es wol bei einem Advocaten, der es gewohnt ist, alle Seiten eines Falles zu erwägen, voraussetzen,« sagte er, »daß ihm eine solche Hauptfrage nicht entgangen ist. Die sämmtlichen übrigen Depositen bestehen aus Geld und sind bei einem hiesigen Handlungshause untergebracht.«

»Very well,« erwiderte Seifert, »Sie müssen mir aber schon erlauben, daß ich bei einem Unternehmen, in welchem mir selbst der gefährlichste Theil zufällt, nie etwas voraussetze. Und da bisher Alles in Ordnung und reif zum Handeln ist, so gehe ich zur letzten Frage. Ich werde noch heute Abend etwa 300 Dollars bedürfen, um meine Operationen beginnen zu können. Werden diese zur Stelle sein?«

»Ich kann sie jedenfalls anschaffen,« versetzte der Advocat. »Indessen,« fuhr er fort, seinem Gefährten scharf ins Auge sehend, »möchte ich wol vorher etwas Genaueres über Ihren Plan, sowie über die Verwendung dieses Geldes wissen. Ich habe noch nicht einmal etwas Weiteres als Ihr Wort, daß der Erbe aufgefunden sei.«

Seifert hielt mit einem gemüthlichen Lächeln Murphy's Blick aus. »Wünschen Sie nicht etwa eine gerichtlich gesicherte Bürgschaft, lieber Herr, daß ich wirklich den Judenjungen auf die Seite schaffen werde?« sagte er. »Oder vielleicht eine vor dem Notar beschworene Specification meiner Ausgaben, versehen mit den Quittungen der verschiedenen Herren von der ›Fancy‹, welche ich auf die eine oder die andere Weise bei dem Unternehmen verwenden muß? Ich will Ihnen Eins sagen,« fuhr er fort und setzte sich gerade auf, »die Zeiten, wo man einen wohl verclausulirten Pakt mit dem Teufel machte, sind seit der Erfindung der Polizei vorbei; heut' zu Tage werden alle Geschäfte in dieser Branche nur auf Treue und Glauben gemacht. Ich übernehme die kitzlichste Arbeit in der ganzen Speculation und weiß noch nicht einmal, ob der spätere Erfolg Ihrer Arbeit meine Gefahr lohnt – ich traue nur Ihrem Worte und Ihrer Einsicht. Dasselbe haben Sie bei mir zu thun – ich bin aber gern erbötig, falls Ihnen diese Uebereinkunft nicht convenirt, in diesem Augenblicke noch unsern Vertrag aufzuheben. Sie haben dann am Ende weiter nichts verloren, als die Kosten meiner Reise nach New-York.«

Murphy stand auf und ging, vor sich hinsehend, einige Mal im Zimmer auf und ab. Dann öffnete er seinen Koffer und nahm ein mit Banknoten gefülltes Etui heraus. »Es sind genau dreihundert Dollars,« sagte er, indem er es leerte; »zählen Sie nach. Jetzt werden Sie mir aber wenigstens sagen können, ob überhaupt oder wie viel etwa fernere Mittel nothwendig sein werden, um Ihren Theil an unserer Arbeit zu einem bestimmten Ende zu bringen«

»Wie kann ich das wissen, Sir?« erwiderte Seifert, mit höflicher Miene die Achsel zuckend; »wie kann ich alle Hindernisse, die vielleicht überwunden werden müssen, vorausberechnen? Hundert Dollars mehr oder weniger hängen bei Unternehmungen dieser Art oft von der augenblicklichen Laune der Menschen ab, welche die praktische Arbeit in der Sache zu thun haben. Den Jungen zu entführen ist Kinderspiel; aber es zu veranstalten, daß er nicht vermißt wird, daß die übrigen Erben ohne Hinderniß in das Vermächtniß eingesetzt werden können, daß Sie keine Schwierigkeiten finden, um Ihr Abkommen wegen des Besitztitels zu treffen – das ist ein Unternehmen, welches mehr als gewöhnliche Mittel verlangt. Hier liegt das Geld, falls Sie noch irgend welche Bedenken haben sollten –«

»Nehmen Sie und gehen Sie an die Arbeit,« sagte der Advocat, sich die Stirn reibend, »Sie wissen recht gut, daß ich nicht zurück kann, wenn ich nicht den ganzen Plan aufgeben will.«

Seifert erhob sich, ging auf den Advocaten zu und legte die Hand auf seine Schulter. »Der Teufel ist noch immer ehrlicher gewesen als die, welche stets den Herrgott auf der Zunge haben. Das war das Wort, mit dem Sie mir auf dem Dampfboot Ihr Vertrauen schenkten, und daran mögen Sie nur ruhig festhalten,« sagte er. »Aber,« fuhr er fort, und sah dem Advocaten mit einem eigenthümlichen Blick ins Auge, »den Teufel haben auch Wenige noch ungestraft betrogen, und Sie mögen auch dieser Wahrheit in unserem Falle sicher sein.«

»Habe ich schon etwas gethan, das Sie zu irgend einem Verdachte gegen mich berechtigen könnte?« unterbrach ihn Murphy, den Kopf hoch aufrichtend.

»Zu Thaten war es wol die Zeit noch nicht – eben so wenig wie am Keim einer Pflanze gleich die Früchte hängen, obgleich der Erfahrene genau weiß, wie diese einmal aussehen werden,« erwiderte Seifert mit demselben Blicke wie zuvor.

»Ich verstehe Sie nicht, Sir.«

»Desto besser für Sie, und ich wünsche, daß ich Ihnen den Sinn meiner Worte nicht künftig einmal zu erklären brauche. Halten Sie Ihr Versprechen wegen meines Gewinn-Antheils an dem ganzen Unternehmen später so ehrlich, wie ich meine Zusagen jetzt erfüllen werde, so haben wir Beide nichts zu sorgen.«

Damit drehte er sich weg und ergriff die Banknoten, die er langsam und bedächtig durchwählte und dann in seine Geldtasche packte. »Es ist möglich, Sir, daß Sie mich die ganze Nacht nicht wiedersehen,« sagte er dann, »kommt uns aber bis morgen Mittag dieser Mr. Helmstedt nicht in den Weg, so denke ich, bis dahin die Hauptsache geordnet zu haben.«

Murphy war ans Fenster getreten. »Und wann kann ich darauf rechnen, Sie wieder zu sehen?« fragte er, ohne sich umzudrehen.

»Jedenfalls morgen um diese Zeit, wenn nicht früher,« erwiderte Seifert und nahm seinen Hut. »Aber noch Eins, Sir, wenn Sie mir die Ehre gönnen wollen, Ihr Gesicht zu sehen.«

Murphy wandte sich langsam um.

»Ich bin,« fuhr er Erstere fort, »unter allen Umständen, mag passiren was da wolle, Henry Wells, Geschäftsmann von New-York, den Sie schon längere Jahre von seinen Reisen im Süden her kennen. Es können Fälle eintreten, wo an einer einzigen Unvorsichtigkeit in dieser Beziehung der ganze Erfolg meiner Arbeit scheitern kann.«

Murphy nickte, und Seifert verließ das Zimmer. – –

In einer der Querstraßen nahe dem Hafen, deren Bewohnerschaft fast nur von dem Gelde der ankommenden Schiffsmannschaft lebt und in den zahlreichen Trinklocalen, Tanzhäusern und Kaufläden aller Gattungen jedes Mittel aufgeboten hat, um auch den letzten Penny aus den Taschen der Matrosen zu locken, stand ein einstöckiges Haus, das sich indessen durch eine Breite von wol sechzig Fuß, einen reinlichen, gelbbraunen Anstrich und durch eine bunte Gaslaterne über der Thür vor den übrigen, größtentheils schmalen und unsaubern Localen auszeichnete. Ein Gang führte von dem Haupt-Eingange nach einem großen, geräumigen Tanzsaale im hintern Theile des Hauses, während sich im vordern Theile auf einer Seite des Ganges ein Trinklocal und auf der andern ein Billardzimmer befand.

Es war zehn Uhr, und aus dem Tanzsaale klangen die Töne einer Polka, oft von dem Stampfen und Aufjauchzen der Tänzer übertönt, während in dem vorderen Trinkzimmer nur ein schläfriger Barkeeper hinter dem Schenktische lehnte. Bald aber öffnete sich die Verbindungsthür und zwei Männer, in heftigem Wortwechsel begriffen, traten aus dem Saal herein. Der eine war eine Gestalt von weit über sechs Fuß Höhe, mit einem Nacken und einem Schulternpaare, welche die Natur kaum für etwas Anderes als einen Lastträger geschaffen zu haben schien, während das frische, gutmüthige Gesicht darüber jede Sorge über eine Begegnung mit dem Goliath sogleich niederschlug. Der andere war mehr von geschmeidigem, nervigem Bau, aber seine Züge trugen denselben Ausdruck von Wüstheit und Verlebtheit, welchen man so oft unter den Besuchern dieser Tanzhäuser trifft.

»Hier – so!« rief der Erstere, während er die Thür nach dem Saale schloß; »jetzt laß mit dir reden, Ben, und bringe mich nicht in Hitze – du weißt, was dann passirt! Die Mary steht heute Abend unter meinem Schutze, und wer sie anrührt, hat ganze Knochen gehabt! Wir sind in einem freien Lande, und wenn sie dich nicht mehr mag, so mußt du's zufrieden sein.«

»Ich habe mit ihr als Mann und Frau gelebt; das gilt in New-York so viel als verheirathet, und weder du, noch irgend Jemand soll mir mein Recht streitig machen!« rief der Zweite auf den Tisch schlagend.

»Das Mädchen geht mit mir, und das ist Alles.« Er drehte sich nach der Saalthür um, aber die Hand des Riesen, wol um die Hälfte größer als gewöhnliche Menschenhände, legte sich wie Eisen auf seine Schulter.

»Mach mich nicht böse, Ben; du kennst den Dutch Charley!« sagte dieser, und auf seiner Stirn begann sich eine gewaltige Ader zu zeigend »Die Mary will ordentlich werden, will morgen aufs Land und ist nur noch einmal hierher gekommen, um mich hier zu finden. Sie ist meine Landsmännin, sie steht jetzt unter meinem Schutze, und weiter habe ich nichts mit ihr zu thun. Wer sie aber heute anrührt, du oder wer es sein mag, der hat es mit mir zu thun!«

»Laß mich los!« schrie der Andere, und hatte sich mit einer plötzlichen Wendung dem Griffe seines Gegners entwunden; »komm heran!« rief er und sprang zurück, beide Fäuste in Boxerstellung vor sich streckend. In diesem Augenblicke öffnete sich aber die Saalthür, und zwei andere Männer traten hastig ein.

»Dacht' ich doch so 'was!« rief der eine und sprang zwischen die beiden Gegner. »Bist du toll, Ben, den Charley wild zu machen? und weißt doch, daß das Geschöpf, wenn es hitzig wird, Alles blind zu Brei schlägt, was vor ihm ist, und wäre sein leiblicher Vater darunter! Laßt jetzt den Streit, 's ist noch zu früh, und wenn Ihr euch durchaus hauen müßt, so thut's später!«

Dutch Charley, den einen Fuß kräftig vorgesetzt, stand mit drohend zusammengezogenen Augenbrauen da, und über seine Stirn schlängelte sich die Ader wie ein blauer Strick. Der Andere sah ihm mit einem bösen Blicke ins Gesicht und ließ dann die geschlossenen Fäuste sinken. »Ich will jetzt keine Unruhe stiften,« sagte er nach einer Pause, »aber ich werde mir mein Recht verschaffen, wenn es Zeit ist.«

»Thue was du willst,« erwiderte der Goliath, »nur wahre dich, daß ich nicht dabei bin.«

»Die Zeit wird Alles lehren!« Damit drehte sich sein Gegner um und schritt zur Thür nach der Straße hinaus.

Eine Minute stand er vor dem Hause und sah wie überlegend die Straße hinab und hinauf. Kein Mensch ließ sich blicken, wie überhaupt selten Jemand, der etwas zu verlieren hat, so spät diese verrufene Gegend betritt. Nur aus den einzelnen Trinklocalen drang wüster Lärm. Ben schritt langsam die Straße nach der Stadt hinauf. Als er um die nächste Ecke bog, hörte er den Tritt eines sich nähernden Mannes – er stand still und beobachtete, und bald sah er die nächste Gaslaterne eine stattliche Figur und einen seinen Anzug bescheinen.

»Wollen Sie mir wol gefälligst sagen, welche Zeit es ist?« fragte er, dem Herankommenden entgegengehend.

Dieser warf einen musternden Blick auf den Frager. »Mit Vergnügen,« sagte er dann; »lassen Sie uns nur hier an die Laterne treten.« Kaum aber war Ben der Aufforderung gefolgt, als ihm auch die sechs Mündungen eines Revolvers ins Gesicht starrten, welchen der Fremde statt der Uhr hervorgezogen hatte.

»Teufel!« rief Jener, überrascht zurückspringend; »ich sehe, daß Sie um die Zeit Bescheid wissen. Ich danke schön für die Auskunft!«

»Einen Augenblick noch!« rief der Fremde, als sich der betrogene Spitzbube in die nächste Seitenstraße schlagen wollte, und senkte seine Waffe; »ist das nicht der Ben?«

Dieser blieb stehen und warf einen mißtrauischen Blick zurück.

»Der immer Nr. 4 Howardstreet sein Absteigequartier hatte?« setzte der Fremde hinzu.

Der Andere kam vorsichtig heran. »Beim Donner!« rief er plötzlich, »das ist der Graf! Wo in Teufels Namen kommen Sie denn her, um Ihren Bekannten solche Streiche zu spielen?« Er hielt seine Hand hin, die Jener ohne Bedenken ergriff.

»Und wie kommen Sie denn zu den Geschäften, bei denen ich Sie treffen muß, Ben?« sagte der Angeredete. »So weit herunter gekommen seit den paar Monaten, in denen ich von New-York weg war?«

»Nur nicht den Mund so voll genommen, Verehrter,« war die Antwort; »ich erinnere mich der Zeit noch sehr wohl, wo andere Leute gleichfalls so herunter waren, daß sie gern ein Straßengeschäft, wie ich soeben, gemacht hätten, wenn's nicht vielleicht am Besten, an der Courage, gefehlt hätte!«

»Ich danke für diese Art Courage, Beu!«

»All right, Sir! Wie darf man denn aber den Herrn jetzt nennen, ohne anzustoßen?«

»Ich heiße Henry Wells, wenn Ihr nichts dagegen habt!«

»Also amerikanisirt – guter Gedanke das! Und darf man fragen, was den Mr. Wells in diese so wenig fashionable Gegend führt?«

»Fragen darf Jeder – Ihr sollt aber auch eine Antwort haben, Ben; ich habe ein Geschäft mit Bill West abzumachen.«

»Beim Donner, das sind Sie also!« rief der Andere und schlug mit der Faust in die linke Hand, »und ich hätte die ganze Geschichte beinahe über meinem Aerger vergessen. Wir gehen mit einander, Squire,« fuhr er fort und faßte Seiferts Arm; »Bill hatte mich bestellt, um Ihrer Conferenz mit ihm beizuwohnen – wissen Sie, wir arbeiten seit einiger Zeit bei größeren Geschäften im Partnership.«

»Auch ein guter Gedanke das!« lachte Seifert und schritt an Bens Arme die Straße hinab, dem Tanzhause zu. »Sagt einmal,« begann er nach einer Weile wieder, »existirt der Todtengräber wol noch? Ich war neun Monate von New-York weg, und muß meine Personal-Kenntniß erst neu ergänzen.«

»Alles noch frisch auf den Beinen; ich habe ihn vor kaum zehn Minuten mitten unter einem Haufen von Mädchen verlassen – er hat an den Medicin-Studenten, denen er Leichen für ihre Studien liefert, seine regelmäßigen Kunden und läßt gern etwas darauf gehen.«

»Das klappt, wie es nur gewünscht werden kann,« brummte Seifert; »steckt ihm ein Wort, daß ich ihn brauche, Ben!«

Sie hatten das Tanzhaus erreicht und schritten in das Trinkzimmer. Ben verschwand im Tanzsaal und kam bald mit zwei andern Männern zurück, die, ohne ein Wort zu sagen, dem Neuangekommenen die Hand schüttelten. Einer von ihnen nahm aus einem an der Wand hängenden Blechkästchen einige Streichzündhölzer und verließ dann durch eine nach dem Hofe führende Seitenthür das Zimmer. Die vier Männer schienen sämmtlich genau mit der Localität bekannt zu sein, denn ohne Anstoß und Zögern gelangten sie durch die Dunkelheit nach einer Fallthür am Ende des Hauses, welche der Vorderste öffnete und, als der letzte Mann darunter verschwunden war, wieder schloß. Dann entzündete er eins der Streichhölzer an seinem Aermel, nahm aus einer Vertiefung in der Mauer ein Stück Licht und brannte es an. Ein Raum, mit gespaltenem Holze und alten Geräthschaften gefüllt, zeigte sich, der indessen schnell durchschritten ward. Eine Thür an dessen Ende, anscheinend ohne Schloß, wurde von dem Voranschreitenden durch einen Druck geöffnet, und ein geräumiges Zimmer mit Tischen, Stühlen, lederüberzogenen Sophas und Gasvorrichtung ausgestattet, that sich auf. Bald brannte ein helles Gaslicht und der Führer schloß vorsichtig die Thür.

»Wird hier noch viel gespielt?« fragte Seifert, sich an einem der Tische niederlassend.

»Je nachdem sich etwas fängt,« erwiderte Ben und rückte Stühle in die Nähe des Tisches; »die Geschäfte in dieser Beziehung sind in der letzten Zeit nur mager gewesen.«

»Well, Gentlemen, wir wollen zur Sache gehen,« sagte Seifert, als die Uebrigen Platz genommen hatten. »Ein kleines und ein großes Geschäft sind abzumachen, und bei keinem ist besondere Gefahr. Ihr, Bill, sollt erstens zum Pfandleiher Meier gehen und die Ellenwaaren, welche Ihr vor drei oder vier Tagen dort versetzt habt, wieder einlösen.«

»Wieder einlösen? Was soll dabei herausspringen?« fragte der Genannte, verwundert aufsehend.

»Was dabei herausspringt, ist meine Sache, über die wir nachher sprechen. Ich frage nur, ob Ihr es thun und mich und Ben als Zeugen mitnehmen wollt.«

»Er wird die Waaren nicht mehr im Hause haben, und selbst wenn er sie noch hätte, wird er weder von uns, noch von den Gütern etwas wissen wollen – für derartige Versatzstücke wird kein Pfandzettel gegeben.«

»Ich weiß das Alles und erwarte auch nichts Anderes. Weigert er sich, so gehen wir wieder weg und jeder von euch Beiden hat mit dem Wege zehn Dollars verdient.«

»Sie machen schnurrige Geschäfte, Mr. Wells – indessen geht das uns am Ende nichts an. Ist das Geld zur Hand?«

»Morgen früh um zehn Uhr gehen wir, und Jeder soll die Zahlung in seiner Tasche haben, ehe er einen Schritt thut.«

»Abgemacht, Sir!« und Seifert empfing von Beiden einen bekräftigenden Handschlag.

»Nun erst ein Wort mit unserm Jack, damit er sich nicht langweilt,« fuhr Seifert fort. »Jack, ich brauche die Leiche eines Judenjungen von ungefähr 14 Jahren, und zwar morgen oder übermorgen Nacht; es ist nicht nothwendig, daß sie ganz frisch ist.«

Jack, der »Todtengräber«, der bis jetzt, das Kinn auf beide Hände gestützt, dem Gespräche zugehört hatte, war augenscheinlich der Jüngste von den Vieren, eine schlanke Figur mit einem Gesichte, das man gutmüthig hätte nennen können, wenn ihm die kleinen, unruhigen Augen nicht etwas Unheimliches gegeben hätten. Jack war jedenfalls ein »Ladies-Man«, denn seine Wäsche war sauber, das rothseidene Halstuch war mit einer koketten Schleife zugebunden, eine vergoldete Uhrkette fiel über seine Weste und der Sitz seiner Kleidung verrieth die größte Sorgfalt für seine äußere Erscheinung. Als ihm Seifert seine Forderung gestellt, begann er sich in den Haaren zu kratzen. »Das ist ein seltener Artikel, Sir,« sagte er nach einer Weile, »und noch schwieriger ist es, ihn an einem bestimmten Tage herbeizuschaffen. Von den Juden kommen nur immer Wenige auf den Armenkirchhof, und ich müßte mich wirklich erst einmal umsehen –«

»Was verlangt Ihr für die Arbeit, Jack?«

Der Todtengräber schüttelte den Kopf. »Ich rede nicht so des Preises wegen,« sagte er, »ich weiß wirklich im Augenblicke noch nicht, welche Schwierigkeiten sich mir entgegenstellen werden und ob ich Sie überhaupt befriedigen kann. Bisher habe ich in meinen Ordres nur die Bezeichnung: männlich ober weiblich, jung oder alt gekannt, auf die Religion hat noch Niemand etwas gegeben –«

»Wenn Ihr noch derselbe Maulwurf seid wie früher,« unterbrach ihn Seifert, »so weiß ich, daß Ihr irgend einen bestimmten Auftrag ausführen könnt, sobald sich's nur lohnt; New-York ist groß und bietet ein Assortiment jeder Art. Noch einmal, und antwortet ohne viele Umstände: was verlangt Ihr?«

Jack fuhr sich mit der Hand von Neuem in die Haare. »Und wenn ich auch sagen wollte: fünfzig Dollars,« erwiderte er zögernd, »so weiß ich wegen der Zeit immer noch nicht –«

»Ihr sollt hundert haben und den vierten Theil gleich jetzt als Draufgeld, wenn Ihr Eure alberne Sprödigkeit jetzt bei Seite laßt; ich habe keine Zeit, lange Complimente zu machen, und gehöre auch nicht zu den Grünen.« Er zog eine kleine Rolle Banknoten, die er schon im Voraus abgezählt zu haben schien, aus der Westentasche und legte sie, die Hand darauf haltend, vor sich auf den Tisch. »Nun?«

»Und es muß durchaus ein Jude sein?«

»Eine schwarzköpfige, beschnittene Judenleiche, von etwa vierzehn Jahren, abzuliefern bis spätestens übermorgen Nacht.«

»Und wohin?«

»Bill und Ben werden sie in Empfang nehmen – davon sprechen wir aber nachher. Wie steht's, Jack?«

»Ich werde Hilfe brauchen – es ist das keine gewöhnliche Arbeit –« sagte dieser, seine beiden Kameraden fragend ansehend.

»Nimm den Dutch Charley,« erwiderte Bill, »sag' ihm, die Sache geschehe für einen Doctor, der Untersuchungen anstellen wolle, und er beruhigt sein Gewissen, trägt dir den Körper wohin du willst und schlägt auch noch ein paar Polizisten ohne den geringsten Spectakel nieder, falls sie euch in den Weg kommen sollten.«

Der Todtengräber nickte nachdenklich. »Ich werde das Geschäft übernehmen, Sir,« sagte er nach einer Pause, und reichte die Hand über den Tisch. Seifert faßte sie, empfing einen kräftigen Druck und schob ihm dann die Banknoten entgegen. »Fünf und zwanzig Dollars, richtig gezählt,« sagte er; »die übrigen fünf und siebzig, sobald die Waare abgeliefert und untersucht ist.«

»Ich werde nicht auf mich warten lassen!« erwiderte Jack, während er ein elegantes Portemonnaie aus der Hosentasche holte und das Papiergeld sorgfältig hineinlegte.

»Und nun, Gentlemen, zu dem eigentlichen Hauptgeschäfte,« begann Seifert von Neuem, »denn was Jack thun wird, ist nur ein untergeordneter Theil desselben. Ich werde morgen Mittag gegen ein Uhr an der Landung hier unten mit einem jungen Menschen sein, der für wenige Tage, bis ich ihn selbst abholen werde, unsichtbar gemacht werden muß. Ich hoffe, er wird gutwillig irgend Jemandem, den ich ihm bezeichnen werde, folgen. Weiß Einer von euch einen sichern Ort außerhalb New-Yorks, wo man ihn verbergen könnte? Ich hoffe, daß ein guter Vorwand ihn ruhig halten wird, indessen müßte nöthigenfalls auch für seine zwangsweise Zurückhaltung gesorgt sein.«

»Ich habe morgen Mittag ein Privatgeschäft und muß deshalb bitten, mich zu entschuldigen,« sagte Ben, die Hände in die Hosen steckend und sich auf seinem Stuhle zurücklehnend, »indessen hat Bill Verbindung in Philadelphia –«

»Wenn ich so weit mit dem jungen Menschen gehen darf,« fiel dieser ein, »so wäre es mir ein Leichtes, ihn sicher unterzubringen – es darf natürlich auf einige Dollars dabei nicht ankommen.«

»Natürlich nicht!« nickte Seifert, »und die Entfernung des Orts, wo er untergebracht wird, ist mir gleich, wenn er dort nur wohl verwahrt ist. Ueber den Geldpunkt werden wir nachher reden. Diesen jungen Menschen,« fuhr er fort, »werde ich vorher mit neuen Kleidern versehen lassen; seinen alten Anzug aber hat Einer von euch aufzubewahren und damit, vom Hemde bis zum Rocke, die Judenleiche zu bekleiden, sobald sie ankommt. Keine von den Kleinigkeiten, welche ein junger Mensch in der Regel bei sich trägt, Messer, Notizbuch, Geldtasche und dergleichen, darf dabei verloren gehen, Alles muß in den Taschen verbleiben. Sobald dies geschehen ist, wird mit irgend einem schweren, stumpfen Werkzeuge das Gesicht der Leiche unkenntlich gemacht und diese dann in den North-River geworfen. Der Erfolg der ganzen Arbeit hängt von der genauen Befolgung dieser Anweisung ab. Die Verwandlung und Beseitigung des todten Körpers muß eine Stunde nachdem ihn Jack abgeliefert hat, geschehen sein. Damit wäre das Geschäft beendigt, und nun theilt euch in die Arbeit und macht euere Preise.«

Ben sprang von seinem Stuhle auf. »Bei Gott, Graf,« sagte er und schlug auf den Tisch, »Sie sind noch gerade derselbe wie früher, immer nur großartige, noble Geschäfte. Das ist jetzt wieder einmal eine ganze Intrigue, die ich bewundere, wenn ich auch nur einen einzelnen Faden davon sehe, und ich thäte aus reinem Gefallen daran meine Arbeit umsonst, wenn sie nicht so gar widerwärtiger Natur, wenigstens für mich wäre. Jack hat andere Nerven als ich, oder ist durch die Gewohnheit in seinem Geschäfte abgestumpft.«

»Ich möchte doch wissen, was stärkere Nerven verlangt,« unterbrach ihn der Todtengräber, sich mit indignirter Miene erhebend, »einem lebendigen Menschen mit der Schlinge die Kehle zuziehen und ihm, während er verzweifelnd nach Luft schnappt, die Taschen ausleeren, und was dergleichen Geschäfte noch mehr sind – oder einen stummen Todten, der nichts fühlt, wegtragen und damit der Wissenschaft helfen.«

»Stop, Jack, du bist ein Hauptkerl und sollst meinetwegen Recht haben,« rief der Andere lachend, »ich habe dir durchaus nicht zu nahe treten wollen. Also jetzt wegen der Vertheilung der Arbeit. Bill geht morgen mit dem jungen Menschen nach Philadelphia, und ich werde jedenfalls so viel Zeit erübrigen, um die alten Kleider in Empfang nehmen zu können. Das Weitere wegen der Toilette der Judenleiche und ihrer Verwandelung werde ich mit Jack besprechen. Jedenfalls können Sie sich darauf verlassen, Graf, daß wenn das Ding im North-River aufgefischt wird, kein Coroner es anders als nach den Kleidern, die es trägt, und nach den Gegenständen darin beurtheilen kann.«

»Gut,« nickte Seifert befriedigt, »ich sehe, Ihr faßt meine Idee gut – also hübsch saubere Arbeit, ich verlasse mich auf Euch! Und nun aufgemerkt, um die Verhandlungen kurz zu machen. Morgen Mittag zahle ich an Bill, wenn er nach Philadelphia geht, fünfzig Dollars, da er Ausgaben haben wird, und Euch, Ben, fünf und zwanzig auf Abschlag. In drei Tagen aber, das ist am nächsten Sonntag, wenn der Knabe bis dahin wohl verwahrt gewesen und auch Bens Arbeit sich als gewissenhaft ausgewiesen hat, Jedem noch einmal fünf und zwanzig Dollars – ich deute so ist in Allem ein richtiges Verhältniß, und zu Eurer Sicherheit will ich vorher den Aufenthalt des Knaben nicht wissen. Bill mag an Ben die Adresse geben, damit ich einen Anhalt habe, falls Einem von euch etwas Polizeiliches passiren sollte. Einverstanden?«

Die Hände der Beiden streckten sich ihm entgegen, und er drückte eine nach der andern. »Sollte außerdem etwas passiren, so wißt ihr, wo Nachricht zu hinterlassen oder zu erhalten ist,« sagte er; »– morgen früh um zehn Uhr den Besuch bei Abraham nicht zu vergessen; und nun,« fuhr er fort, sich erhebend und eine Fünfdollar-Note aus der zweiten Westentasche ziehend, »ist hier etwas für ein paar Schluck Brandy – es ist Alles, was ich heute bei mir trage. Oder,« lachte er nach einer kurzen Pause, als er in die Gesichter vor sich sah, von denen jedes die Note und auch die Bewegungen der beiden Andern zu bewachen schien, »ich werde den Schatzmeister machen, bis wir hinauf kommen und wechseln können.«

»Verdammt klug gethan,« brummte Ben aufstehend und drehte sich auf dem Absatze nach der Thür. Bill zündete das Talglicht an und verlöschte das Gas – und vorsichtig trat die Gesellschaft wieder den Weg nach der Oberwelt an.

IV.

Es war am nächsten Tage Nachmittags, als das Dampfschiff »Southerner« von Charleston kommend, im Hafen von New-York einlief und sich neben einen der kleinen Küstendampfer legte, welcher eben für seine Abfahrt zu heizen begonnen hatte. Die Menge der Passagiere hatte bereits das gewaltige Schiff verlassen, als noch ein junger Mann mit seinem Reisesacke langsam über das Verbindungsbret nach dem Ufer schritt; er sah um sich, wie man bekannte Gegenden, die man von Neuem betritt, mustert, und wies den Haufen von Miethkutschen und Handkärrnern, die sich mit Dienstanerbietungen um ihn drängten, mit einer Sicherheit zurück, die deutlich genug bewies, daß er kein Neuling auf New-Yorker Boden war. Eben machte er sich fertig, seinen Weg durch eine der hier ausmündenden Straßen weiter zu verfolgen, als ein Auflauf von Menschen an der Landungsbrücke des kleineren Dampfers seine Aufmerksamkeit erregte. Er schritt näher hinzu und sah eine junge, weibliche Gestalt mit einer Reisetasche an der Hand in dem Kreise der neugierig zusammengelaufenen Menschen, vor welcher ein Mann in schäbigen Kleidern perorirend stand.

»Ladies und Gentlemen,« wandte sich dieser so eben an die Zuschauer, »Sie sehen hier ein Muster von ehelicher Treue vor sich, das mir mit diesem Steamer auf und davon gehen wollte, dem ich aber noch zur rechten Zeit den Weg vertreten habe. Schämst du dich nicht, Mary, vor den Menschen, und willst du mir nicht gutwillig nach Hause folgen?«

»Er lügt, er lügt!« rief das junge Weib zornig, »ich habe mit ihm nicht mehr zu thun gehabt als mit jedem Andern; er ist ein Lump und ein Spitzbube, der mich nicht aus seinen Krallen lassen will.«

»Schimpfe, Mary, wenn du nicht anders kannst,« sagte der Mann mit der Miene gekränkter Unschuld – »Sie wissen, Gentlemen, wer schimpft hat immer Unrecht! Aber sage, Mary, sind wir nicht seit länger als einem Monat Mann und Frau, wohnen in einem Zimmer und theilen dasselbe Bett? Hier, Gentlemen,« fuhr er fort, auf zwei Männer desselben Schlags wie er, hinter sich deutend, »hier sind Zeugen, die meine Aussagen bestätigen können. Komm', Mary, und thue was recht ist; fort darst du doch nicht, und wenn ich die Polizei zu Hilfe nehmen sollte.«

»Er lügt, ich war nie seine Frau!« rief das Weib, in einen Strom von Thränen ausbrechend.

»Ja, er lügt!« wurde plötzlich eine gewaltige Stimme laut und ein Mann, der alle Andern überragte, warf die umstehenden Menschen bei Seite und stellte sich neben die Angegriffene. »Bist du da, Ben? So! Und du hast dir meine Warnung, das Mädchen nicht weiter zu verfolgen, nicht zu Herzen genommen? Komm heran, wenn dir der Dutch Charley nicht zu viel ist! Das Mädchen ist weder deine Frau, noch wirst du sie hindern, jetzt aufs Land zu gehen; sie ist meine Landsmännin, die ich kenne und die jetzt unter meinem Schütze steht! Komm mit mir, Mary!«

Der Andere gab seinen beiden Kameraden einen Wink zu folgen, und faßte das junge Weib in dem Augenblicke am Arme, als sie sich mit ihrem Beschützer nach dem Dampfboote wandte. »Sie bleibt, und ich will doch sehen, ob ein Ehemann sein Recht nicht durchsehen kann!«

Charley sah dem Menschen, wie ganz verdutzt über dessen Keckheit, einen Augenblick ins Gesicht; im nächsten hatten diesen aber auch schon die gewaltigen Hände des Riesen gepackt, in die Höhe gehoben und so auf seine zwei nachfolgenden Kameraden geworfen, daß alle Drei wie umgeworfene Kegel im Sande lagen.

Ein brüllendes Gelächter der Umstehenden lohnte die Kraftprobe – mitten hindurch klang die Pfeife des Dampfboots.

»Vorwärts, Mary, das Schiff geht ab!« rief Charley dem Mädchen zu, »ich halte dir die Burschen vom Leibe!« und bereitwillig öffnete sich der Menschenkreis, um die Verfolgte durchzulassen.

Schnell genug hatten sich die Niedergeworfenen aus ihrer augenblicklichen Betäubung erholt und stürzten jetzt, wie Bullenbeißer auf den Bären, auf den Sieger los. Den Ersten traf ein Faustschlag, daß er wieder zurück auf den Boden flog, der Zweite aber hatte mit raschem Griffe die Kehle des Goliaths gepackt, während der Dritte ihn unterlaufen und zum Niederwerfen um den Leib gefaßt hatte.

In diesem Augenblicke bahnten sich zwei Männer in blauen Röcken den Weg durch die Menge – »die Polizei!« flog es durch den Kreis der Zuschauer und schlug wie mit magischer Gewalt in die Ohren der Kämpfenden; jede Hand löste sich und die drei Angreifer waren unter den übrigen Menschen verschwunden, eben als die beiden Beamten den wirklichen Kampfplatz betraten. Der große Dutch Charley allein stand da und fühlte auch sofort die Hand der Obrigkeit auf seiner Schulter.

»Sie sind arretirt!«

»Weshalb?« fragte Charley, sich verwundert umsehend.

»Wegen öffentlicher Schlägerei!«

»Darf sich ein Mensch nicht seiner Haut wehren, oder ein angegriffenes Mädchen in Schutz nehmen?«

»Das wird sich finden, Sie haben jetzt mit mir zu kommen!«

Charley warf einen Blick unter die Menschen, die ihn umstanden hatten, als wollte er sich nach einem Freund in der Noth oder einem Zeugen für seine Sache umsehen; aber mit dem Auftreten der Polizeibeamten hatte sich die Zuschauermenge wunderbar gelichtet und sein Auge traf auf nichts als Leute, welche sich zu entfernen bestrebten.

»Haben Sie denn gesehen, was hier vorgegangen ist?« fragte er endlich, beide abwechselnd ansehend.

»Genug, um Sie zu verhaften,« erwiderte der Eine, »und Sie thun gut, keine großen Umstände zu machen.«

Da trat der kurz zuvor mit dem »Southerner« angekommene Passagier heran.

»Der Mann war meines Erachtens nicht im Unrechte, Gentlemen,« sagte er, »und wenn es ihm dienen kann, will ich gern für ihn zeugen; ich habe der ganzen Affaire beigewohnt.«

»Haben Sie ein Interesse an dem Arrestanten?« fragte der Beamte, ihn scharf fixirend.

»So viel als Jemand haben kann, der eben aus dem Süden kommt,« erwiderte er, auf den noch rauchenden Dampfer deutend, »und einen Menschen arretiren sieht, weil er sich eines schutzlosen Mädchens angenommen hat.«

Der Beamte maß den Sprecher von Kopf bis Fuß.

»Würden Sie Bürgschaft für den Mann stellen?«

»Bürgschaft? Ich sehe ihn ja zum ersten Male und biete nur mein Zeugniß über den Hergang des jetzigen Vorfalles an. Er hat nichts Anderes gethan als was ich oder Sie selbst als Gentlemen thun würden, wenn Sie ein Mädchen Ihrer Bekanntschaft bedrängt sähen!«

»Laß ihn laufen!« sagte der zweite Polizeibeamte, sich wegdrehend; »ich glaube kaum, daß etwas bei der Sache herauskommt!«

Der Erstere sah den Arrestanten und seinen Vertheidiger prüfend an.

»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte er zu dem Riesen, »daß ich Sie nicht nochmals bei einem ähnlichen Straßenspectakel finde – es könnte schlimmer auslaufen als heute.«

Damit folgte er langsam seinem bereits davongeschrittenen Collegen, und auch der neuangekommene Passagier wollte seinen Weg fortsetzen, als er sich am Arm gefaßt fühlte.

»Sie werden mich doch ein ›Danke schön‹ zu Ihnen sagen lassen, ehe Sie gehen?« sagte der erlöste Arrestant, »Sie haben besser an mir gehandelt als alle die verdammten Kerle, wie sie dahin laufen, die mich, ohne ein Wort zu sagen, hätten einstecken lassen, obgleich sie wußten, daß ich nichts Unrechtes gethan.«

»Nichts zu danken, Sir,« erwiderte der Fremde, »ich that nur, was ich für eine einfache Pflicht gegen Jeden gehalten hätte.«

»Alles eins, Sir, und ich wollte Ihnen nur sagen, daß, wenn Sie einmal irgend einer Hilfe bedürfen, wozu ein paar feste Arme erforderlich sind, Sie nur ein Wort für den Dutch Charley bei dem alten Omsby in Jamesstreet zu hinterlassen brauchen. Und nun sagen Sie mir auch wenigstens Ihren Namen, damit ich Bescheid weiß.«

»Ich heiße Helmstedt,« sagte der Fremde lächelnd, »und wenn ich auch noch keine Aussicht habe, von Ihrem Anerbieten Gebrauch machen zu können, so nehme ich es doch dankbar an; ich habe noch selten ein paar Arme von einer solchen Kraft gesehen, wie Sie eben gezeigt.«

»O, das war doch eigentlich nur Spaß,« erwiderte Charley geringschätzend; »die drei Halunken sind gute Bekannte von mir, und ich wollte ihnen nicht zu wehe thun – ich kam nicht einen Augenblick in Hitze. Wenn ich böse gemacht werde, nehme ich sechs von diesem Kaliber auf mich.«

»Well, Sir, dann ist es freilich besser Freundschaft mit Ihnen zu halten,« erwiderte Helmstedt lachend; »good bye, ich muß eilen, daß ich in die Stadt hinauf komme.«

Er fühlte einen Händedruck von dem Riesen, daß er hätte aufschreien mögen, und bog dann in die nächste Straße hinein.

Neun Monate waren erst verflossen, seit Helmstedt New-York verlassen hatte, um mit der ganzen Unternehmungslust der frischen Jugend sein Glück im Süden zu versuchen, und doch war es ihm, wenn er an jene Zeit zurückdachte, als wäre er neun Jahre älter geworden. In seinem Fühlen und seiner Weltanschauung war durch Alles, was er geistig und körperlich durchlebt hatte, eine Veränderung mit ihm vorgegangen, deren er erst jetzt recht inne wurde. Er hatte fast unwillkürlich den Weg nach dem Boardinghause in der Williamstreet eingeschlagen, in welchem er, so lange er in New-York lebte, gewohnt hatte. Als ihm aber hier neben manchen andern Veränderungen auch ein neues Schild mit fremdem Namen entgegenblinkte, blieb er stehen und drehte sich langsam wieder um – es war ihm, als sei jetzt jede Verbindung seines früheren Lebens in New-York mit seinem gegenwärtigen Aufenthalte abgebrochen. Er dachte einen Augenblick nach, und als er eine leere Miethkutsche die Straße herauskommen sah, ließ er sich nach einem der Broadway-Hotels fahren.

Als ihm dort ein anständiges Zimmer angewiesen worden war, warf er sich auf das Sopha, um die nächsten Schritte zu überlegen, die ihn zu einem schnellen Abschluß seiner Geschäfte führen könnten; aber die Erinnerungen aus einem früheren Aufenthalt in New-York verfolgten ihn und bemächtigten sich bald unabweislich seiner Seele. – Scene auf Scene zog an ihm vorüber, bis seine Gedanken endlich an einem Bilde hängen blieben, dem seiner Freundin Pauline Peters, die bei ihrem ersten Begegnen mit ihm hier in dem fremden Lande sich an ihn geschmiegt hatte wie der Epheu an seine Stütze und die er, ihr reines Gemüth mißverstehend, kalt und stolz von sich gewiesen. Jetzt war es ihm, als könne er sich ganz versenken in diese Augen mit dem innigen Ausdruck, wie sie ihn damals angesehen. Sie hatte bald darauf den alten Pflanzer geheirathet und war nun Mrs. Morton – kalt und unzugänglich und sich nur der traurigen Pflicht, der Pflege ihres Mannes widmend; was hinter dieser Außenseite lag, ob eine Resignation, die mit sich und der Welt fertig ist, oder ein niedergehaltenes rebellisches Herz, war nicht zu errathen. Er hatte auch geheirathet und war nicht glücklich geworden; noch niemals aber hatte er so sehr das Verfehlte seiner Wahl gefühlt als in den jüngst vergangenen Tagen, in welchen er die Vorbereitungen zu seiner Reise nach New-York gemacht. Er hatte seiner Frau die Nothwendigkeit derselben freundlich vorgestellt und sie gebeten, die kurze Zeit seiner Abwesenheit in Mortons Hause zuzubringen, des Anstandes und seiner Beruhigung wegen; sie aber hatte ihn mit aufglänzendem Auge angesehen und gefragt, warum sie in ein fremdes Haus und nicht zu ihren Eltern gehen solle, die sie mit tausend Freuden ausnehmen würden? Er hatte ihr, wenn auch innerlich erregt durch ihre Antwort, die manche seiner leisen Befürchtungen bestätigte, doch äußerlich ruhig auseinandergesetzt, daß, so lange der Widerwille ihres Vaters gegen ihn und seine Verbindung mit ihr bestehe, der Aufenthalt bei ihren Eltern sich von selbst verbiete, wenn sie ihren Mann nicht bloßstellen wolle; daß nicht allein ihre Liebe zu ihm, sondern auch ihr Takt sie von einem Wunsche wie der geäußerte hätte zurückhalten sollen. Da war sie in ein schluchzendes Weinen ausgebrochen und hatte gefragt, ob sie denn, wenn der Sinn ihres Vaters sich nicht ändere, zeitlebens fern von diesem und unglücklich sein solle? Helmstedt hatte bei dem Ausbruch gefühlt wie der Ritter in dem Märchen von der »Schwanenjungfrau«, der sich ein Weib aus dem Feenlande gewonnen, das ihn wol hätte lieben können, wenn nicht die Sehnsucht nach ihrer schöneren Heimat sie verzehrt hätte, – und eine drückende Ahnung, daß ein solches Verhältniß für die Dauer nicht bestehen könne, hatte sich seiner bemächtigt. Die Worte des alten Pedlars, welche dieser noch kurz vor seinem Tode warnend zu ihm gesprochen: »Ich habe noch niemals rechten Segen aus einer Heirath zwischen Leuten entstehen sehen, die mit einer verschiedenen Art zu fühlen geboren, und mit so verschiedenen Gewohnheiten erzogen werden, wie Deutsche und Amerikaner!« waren plötzlich vor seine Seele getreten, und ein starker Entschluß, allen Verhältnissen zum Trotz wenigstens seine äußere Ehre zu wahren, hatte sich in ihm gebildet. Was dann später kommen mochte überließ er dem Schicksal. Er hatte seiner Frau gesagt: entweder liebe sie ihn wie ein rechtes Weib ihren Mann lieben solle, das, wenn sie sich ihm einmal zu eigen gegeben, auch fest zu ihm stehe und wäre die ganze Welt gegen ihn, das kein anderes Interesse habe als ihr gemeinschaftliches – und dann werde sie gern seinem Wunsche Folge leisten und sich einstweilen unter Mortons Obhut begeben, – oder ihre Liebe zu ihm sei nur eine Selbsttäuschung gewesen, und dann würden sie weiter mit einander reden, wenn er von New-York zurückkäme; bis dahin verlange es aber seine eigene Selbstachtung, daß sie von einer ihm befreundeten Hand beschützt werde, zu welchem Zwecke Mortons Haus vorläufig der geeignetste Aufenthalt für sie sei. Da war sie aufgesprungen und hatte ihn mit blitzenden Augen, denen man keine Spur von Thränen mehr angesehen, gefragt, ob er sie zwingen wolle, zu thun was ihr lästig sei, oder sich an einem Orte aufzuhalten, den sie nicht liebe? Und Helmstedt, der in diesem Augenblick mehr als je die breite Kluft erkannte, die zwischen ihnen lag, hatte kalt erwidert, sie möge thun, was sie für gut halte; mit dem morgenden Tage aber werde er ihr beiderseitiges lebendiges Eigenthum an Morton zum Verwahr übergeben und das Haus schließen. Wolle sie dann dem ganzen County Stoff zu einem Scandal liefern und dem Manne, den sie sich erst vor wenig Monaten allen ihren Freunden zum Trotz erkoren, davon laufen, so möge sie es thun, er werde auch das im Gefühle seines Rechtthuns zu ertragen wissen. – Da hatte sie von Neuem zu weinen begonnen, war an ihm vorüber zur Stube hinaus gegangen und hatte sich in ihr Schlafzimmer eingeschlossen. Sie hatte den ganzen Tag über Niemanden zu sich gelassen als ihr schwarzes Dienstmädchen, und jede Hoffnung Helmstedts, ihr noch einmal zu Herzen reden zu können, war fehlgeschlagen, selbst als er Abends das gemeinschaftliche Bett gesucht. Sie hatte sich dicht in eine besondere Decke gehüllt und keine Notiz von ihm genommen. Am Morgen, als Alles zur Uebersiedelung nach Mortons Farm fertig war, hatte er ihr durch ihr Mädchen Nachricht davon geben lassen, und sie hatte, ohne ein Wort zu Helmstedt zu reden, den Wagen bestiegen, nur an die Schwarze den Auftrag zurücklassend, ihre bereits gepackte Garderobe nachzubringen; sie hatte auch kein Wort während der ganzen Fahrt nach Mortons Haus geäußert, obgleich Helmstedt mehrere Male versucht hatte, ihr freundlich zuzusprechen.

Das Alles ging an seinem innern Blick vorüber, und dann trat wieder Paulinens Bild vor ihn, wie sie seine Frau empfangen und diese, als sie in deren verweinte Augen gesehen, bei Seite genommen und ihr zugesprochen hatte gleich einem unzufriedenen Kinde – und wie, als Ellen's Mißmuth vor ihrer Liebenswürdigkeit, wenigstens auf augenblicklich hatte weichen müssen, ein Lächeln ihr Gesicht verklärt hatte, das ihn an die Zeit erinnerte, wo er sie in New-York zuerst gesehen.

Mit einem halb unterdrückten Seufzer strich er sich über das Gesicht und sprang dann auf, als wolle er jetzt alle Erinnerungen von sich abschütteln. Er sah nach der Uhr; jedenfalls war es schon zu spät, um heute noch mit den Geschäften zu beginnen – lieber machte er noch einen Gang durch die Straßen, die er früher so oft durchwandert hatte. –

Am nächsten Morgen war er frühzeitig aus dem Bette, kleidete sich sorgfältig an und begann das Studium des New-Yorker Wohnungs-Anzeigers. »Abraham Meier« hieß nach den hinterlassenen Angaben des Pedlars der Mann, bei welchem der Erbe des Verstorbenen in Pflege war. Aber wie viele hundert Meier, Maier, Mayer und Meyer und wie viele Abrahams darunter gab es. Helmstedt hatte lange nach usehen, war schon einmal, ohne zu finden was er suchte, zu Ende gekommen und hatte wieder mit größerer Vorsicht von vorne begonnen, ehe er einen Meier, der Pfandleiher war und auch Abraham hieß, entdeckte. Er notirte sich die Adresse genau, suchte aus seiner Brieftasche eine beglaubigte Abschrift der letzten Verfügung des Pedlars hervor und machte sich nach 10 Uhr auf den Weg nach Pealstreet.

Das Haus war schnell gefunden, aber der Eingang war zu Helmstedt's Verwunderung verschlossen. Er klopfte, nachdem er sich vergebens nach einem Klingelzuge umgesehen hatte, mehrere Male stark an; aber erst nach der dritten Wiederholung des Klopfens öffnete sich die Thür gerade weit genug, um ein verstörtes Mädchengesicht heraussehen zu lassen.

»Ich wünsche Mr. Abraham Meier zu sprechen,« sagte Helmstedt.

»Ich glaube nicht, Sir, daß Sie ihn jetzt sprechen können; was wollen Sie von ihm?«

»Ich habe mit ihm wegen des Manuel Goldstein zu reden!«

»Wegen des Manuel?« erwiderte das Mädchen, und es zuckte sonderbar in ihrem Gesichte; »warten Sie, ich werde es Mr. Meier sagen.« Damit schloß sie den Eingang wieder und ließ Helmstedt, der nicht recht wußte, was er aus dem ganzen Benehmen machen sollte, auf der Straße stehen. Bald indessen öffnete sich die Thür von Neuem und das Mädchen lud ihn mit einer stummen Geberde zum Eintreten ein. Sie ging ihm voran, die Treppe hinauf und öffnete dort den Parlor. Nach einigen Minuten des Harrens, in welchen Helmstedt sich die Bilder sammt der übrigen Einrichtung betrachtet und seine stillen Glossen darüber gemacht hatte, erschien Abraham Meier. Er war sichtlich aufgeregt, sein Haar in Unordnung und sein Blick unstät.

»Guten Morgen, Sir!« sagte er; »ist schon etwas entdeckt worden, was zur Aufklärung dienen könnte?«

»Entdeckt worden?« erwiderte Helmstedt verwundert; »Sie nehmen mich wahrscheinlich für die unrechte Person, Sir!« fuhr er lächelnd fort. »Sehe ich Mr. Abraham Meier vor mir?«

Der Pfandleiher starrte ihn eine Weile an und rieb sich dann mit der Hand die Augen, »Ah so,« sagte er, »entschuldigen Sie mich; ich dachte Sie kämen wegen des Manuel, wenigstens sagte das Dienstmädchen so etwas.«

»Ist mit dem jungen Menschen etwas vorgegangen?« fragte Helmstedt, aufmerksam werdend; »ich komme allerdings nur seinethalben hierher. Ich weiß nicht, ob Sie davon unterrichtet sind, daß der alte Isaak Hirsch vor etwa zwei Monaten in Alabama gestorben ist. Er hatte in seinem letzten Willen den Manuel Goldstein zu seinem Erben eingesetzt und mir dessen Vormundschaft übertragen. Ich kam heute Morgen, um die ganze Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen.« Er zog die Abschrift der letzten Zeilen des Pedlars hervor und reichte sie dem Pfandleiher hin.

Meier hatte den Worten des Redenden anfangs nur wie nothgedrungen zugehört; bald aber drückte sich ein wachsendes Interesse in seinem Gesichte aus; er griff, als Helmstedt geendet hatte, nach dem Papier und las bis zum Schlusse, starrte aber dann noch immer hinein, als beschäftige ihn ein besonderer Gedanke.

»Sie sagen also, der Isaak Hirsch sei gestorben und habe eine Erbschaft hinterlassen?« sagte er endlich aufsehend; »aber,« unterbrach er sich, »wollen Sie nicht Platz nehmen, Sir?« Er holte geschäftig einen Stuhl herbei und setzte sich, als sich Helmstedt niedergelassen hatte, diesem gegenüber. »Es ist wol nicht der Rede werth, was der alte Mann erspart gehabt,« fuhr er in einem Tone fort, der jedenfalls Gleichgiltigkeit ausdrücken sollte, während indessen seine unruhig sich bewegenden Augen kaum die Antwort erwarten zu können schienen.

»Es mögen gegen zehntausend Dollars in Gelbdepositen sein, welche dem Manuel zu Gute kommen werden!« entgegnete Helmstedt.

»Dem Manuel zu Gute kommen?« rief der Pfandleiher, wie plötzlich an etwas momentan Vergessenes sich erinnernd. »Du großer Gott, das ist ja eben die Geschichte! Der Manuel ist ja verschwunden gewesen seit gestern Mittag, und heute Morgen haben sie ihn todt im North-River aufgefischt. Sein Kopf ist ja so jämmerlich zerschlagen gewesen, daß Niemand gewußt hätte, wer er war, wenn er nicht sein Memorandum, worin sein Name und seine Wohnung steht, bei sich gehabt hätte – und da haben sie mir vor zwei Stunden die Leiche ins Haus gebracht. – Zehntausend Dollars! Der arme Junge! Man hätte soviel dem alten Hirsch niemals zugetraut! Das fällt also nun an seinen zweitnächsten Erben! Und Sie haben das Geld in Ihrem Verwahr, Sir?«

Auf Helmstedt hatte die ihm so plötzlich gewordene Nachricht, welche den ganzen Zweck seiner Reise vernichtete, eine Wirkung ausgeübt, welche ihm im ersten Augenblick die Sprache nahm und ihn Meier's letzte Worte ganz überhören ließ.

»Das ist heute Morgen geschehen? und der Todte ist recognoscirt und in Ihrem Hause?« fragte er endlich.

»Vor zwei Stunden wurde die Todtenschau beendigt, und wir Alle in unserer Familie sind noch ohne rechten Verstand. Ich hielt Sie bei Ihrer Ankunft für einen Herrn von der Polizei, der uns irgend einen Aufschluß über das Unglück zu geben beabsichtige. Wenn Sie den Körper sehen wollen – er liegt im Hintergebäude, aber es ist ein schlimmer Anblick.«

Helmstedt drückte eine Weile die Hand vor die Augen ohne zu antworten. Endlich erhob er sich langsam. »Bei dieser traurigen Sachlage,« sagte er, »habe ich in Ihrem Hause freilich nichts weiter zu thun und will Sie nicht länger stören.«

»Aber erlauben Sie mir doch,« rief Meier und stand rasch von seinem Stuhle auf, »was soll denn weiter geschehen? Es muß doch etwas gethan werden wegen der Hinterlassenschaft, von welcher hier in dem Papiere steht? Die Sache geht mich vielleicht näher an, als Sie denken!«

»Versteht sich, wird etwas gethan werden, Sir!« erwiderte Helmstedt, welchen das Wesen des Pfandleihers unangenehm zu berühren anfing, »und ich will Ihnen gern sagen, was ich zu thun gedenke. Ich werde zuerst nach der Polizei-Office gehen, um mich über den Stand der Dinge in Betreff des Todes meines Mündels zu unterrichten, läßt sich an seinem Ableben nicht mehr zweifeln, so werde ich die gesammte Hinterlassenschaft bei der hiesigen Stadtbehörde deponiren, bis die Erbansprüche irgend einer oder der andern Person erwiesen sind.«

»Das ist sehr gut – sehr gut!« sagte Meier und rieb sich die Hände; »aber Sie erlauben mir wol – es ist doch in dem Papier hier nichts über den Betrag der Hinterlassenschaft gesagt; jedenfalls wird doch bei dieser Deponirung irgend ein Nachweis über die Richtigkeit der Summe geliefert werden müssen –«

Helmstedt hob den Kopf empor und sah dem Pfandleiher mit einem so stolzen Blick ins Auge, daß diesem der Nachsatz im Munde erstarb. »Was in der Sache nothwendig ist, wird sich zeigen, wenn die Zeit dafür gekommen ist,« versetzte der junge Mann; »jetzt aber würden Sie mich verbinden, wenn Sie mir jede Antwort auf irgend eine weitere Frage ersparten.« Er schritt nach dem Ausgange des Zimmers und ohne ein weiteres Wort die Treppe hinab.

»Ich wollte nichts sagen, womit ich Sie beleidigen konnte,« stotterte Meier, ihm bis zur Parlorthür folgend. Helmstedt aber schien nicht zu hören, öffnete die Hausthür und verschwand in der Straße.

Eine kurze Strecke war er rasch und noch im Gefühle der Beleidigung, die er sich angethan glaubte, fortgegangen; bald aber wurde sein Schritt langsamer – er begann zu überlegen, welche Maßregeln bei der unerwarteten Wendung der Dinge die geeignetsten für ihn seien. Er wurde durch ein gewaltiges: How do you do, Sir? aus seinen Gedanken gerissen und sah aufsehend den Mann vor sich, welchen er gestern am Hafen vor der Verhaftung geschützt hatte.

»Sie nehmen es doch nicht übel, Sir, daß ich Sie so ohne Weiteres auf der Straße anrede?« fuhr dieser fort, »Sie machten aber eben ein so trübseliges Gesicht, daß ich fragen mußte, ob Ihnen irgend etwas in die Quere gekommen sei.«

Helmstedt mußte trotz seiner Verstimmtheit über den treuherzigen Ton der Erkundigung lächeln.

»Mir selbst ist nichts besonders Schlimmes passirt,« erwiderte er, »desto mehr aber einem Andern, der mich angeht. Sie haben vielleicht schon von dem Vorfall heute Morgen, der Leiche des Judenknaben gehört, die aus dem North-River gezogen worden ist – das war ein Mündel von mir, wegen dessen ich die weite Reise von Alabama hierher gemacht und den ich nun todt finde.«

Charley hatte bei Erwähnung der Leiche die Augen weit aufgerissen und fuhr sich mit der Hand hinter das Ohr.

»Ihr Mündel, Sir? – und erleidet denn Jemand Schaden durch die Geschichte?« fuhr er nach einer kurzen Pause fort.

»Wol Niemand als der Todte selbst, wenn man so sagen kann,« erwiderte Helmstedt; »es war ihm vor Kurzem erst ein ganz hübsches Vermögen zugefallen, welches ich heute für ihn anlegen wollte – das geht nun in andere Hände.«

Charley begann sich aufs Neue hinter dem Ohr zu kratzen.

»Ja – aber,« sagte er, als könne er mit einem Gedanken nicht fertig werden, »das ist ja eine ganze Teufelsgeschichte! Sagen Sie, Mister, – ich habe Ihren Namen wieder vergessen – wollen wir nicht einmal an die Ecke hier gehen und ein Glas Bier trinken?«

Helmstedt glaubte jetzt den Grund von Charley's großer Theilnahme errathen zu haben, und nickte lächelnd, um ihn so auf die kürzeste Art loszuwerden. Als der Riese aber in der Bierhalle sein Glas Bier hinuntergestürzt, als sei es ein Fingerhut voll, und Helmstedt bezahlen wollte, hielt ihn Jener zurück.

»Das dürfen Sie nicht thun, Sir, ich habe Sie eingeladen,« sagte er und zog ein wohlgefülltes Portemonnaie aus der Tasche, »ich freue mich, daß Sie es nicht verschmäht haben, mit dem Charley zu trinken. Ich wollte auch eigentlich etwas Anderes,« begann er, nachdem er bezahlt, mit gedämpfter Stimme wieder, und führte den jungen Mann bei Seite. »Wollen Sie mir nicht genau den Namen und den Ort, wo Sie zu Hause sind, aufschreiben? Ich möchte Ihren Namen nicht gern wieder vergessen, und dann – ja, dann kann man ja auch nicht wissen was vorfällt – ich meinte nur so,« fuhr er, wie in halber Verlegenheit fort, als ihn Helmstedt verwundert ansah. »Wollen Sie?«

Helmstedt zog bereitwillig sein Notizbuch hervor, riß daraus ein Blatt Papier und schrieb seine volle Adresse darauf.

»Dank Ihnen, Sir, Dank Ihnen!« rief Jener und steckte den Zettel sorgfältig zu seinem Gelde, »ich denke, Sie werden noch einmal von Dutch Charley hören.«

Helmstedt, als er seinen Weg weiter fortsetzte, schüttelte wol einige Male den Kopf, wenn er an seinen sonderbaren Gesellschafter dachte, hatte aber bald den Vorfall über der Sorge für seine nächstgebotenen Verrichtungen vergessen.

An demselben Morgen um acht Uhr war Seifert in das Astorhaus getreten. Sein Gesicht war bleicher als gewöhnlich, das Halstuch saß locker und verschoben um seinen Hals, und Rock wie Hut waren staubig. Er ging nach dem Barroom, stürzte hier ein Glas voll Brandy hinunter, und schritt dann die Treppe nach Murphy's Zimmer hinauf. Der Advocat saß mit einer Zeitung beschäftigt am Fenster und sah dem Eintretenden mit gespannten Augen entgegen, ohne ein Wort zu sagen.

»Well, Sir,« sagte dieser, den Hut bei Seite stellend, »die Sache wäre somit fertig. Der Erbe ist vor etwa einer Stunde todt aus dem Wasser gezogen worden, und Sie haben jetzt freien Weg. Ich komme soeben vom Polizeistationshaus, wo der Coroner den Körper als den des Manuel Goldstein identifizirt und sein Urtheil abgegeben hat, das freilich die Angelegenheit in etwas räthselhaftem Lichte erscheinen läßt, da der ganze Kopf zerschlagen war und einen wirklich schauerlichen Anblick bot.«

Der Advocat starrte den Erzähler an als seye er ein Gespenst.

»Was ist das? todt aus dem Flusse gezogen?« sagte er, sich langsam erhebend, mit einer Stimme, die wie von einem plötzlichen Schrecken gelähmt schien. »Sie sind wahnsinnig, Seifert, oder Sie wollen mich wahnsinnig machen. Treiben Sie keine schlechten Späße; die ganze Geschichte bis jetzt hat mich ohnedies mehr aufgeregt, als ich mir jemals hätte träumen lassen!«

»Sie sind eben ein Kind, wie ich schon früher gesagt, und hätten an Unternehmungen wie die begonnene gar nicht denken sollen,« erwiderte Seifert lächelnd, und begann sich seines Rockes wie seines Halstuches zu entledigen. »Sie erlauben mir wol, bei Ihnen etwas Toilette zu machen, mein Hotel ist zu weit weg und ich kann mich wirklich in diesem Aufzuge nicht länger in den Straßen zeigen. Ich habe die ganze Nacht die Kleider nicht vom Leibe gebracht und kaum eine Stunde auf einem Stuhle in einer schmutzigen Kneipe geschlafen!«

Er wollte sich nach dem Waschtische wenden, aber der Advocat faßte mit weit aufgerissenen Augen seinen Arm.

»Seifert, haben Sie den jungen Menschen wirklich –?!«

»Ich?« erwiderte dieser, und über sein Gesicht flog ein Ausdruck, als belustige ihn die Scene. »Nein, Sir, mit derartigen Geschäften gebe ich mich selbst nicht ab. Daß er aber todt ist, werden Sie heute schon in allen Abendblättern lesen.«

Murphy's Hand preßte sich krampfhaft um seines Gefährten Arm. »Seifert, ich habe das nicht gewollt – soweit nicht, und das wußten Sie – meine Hand ist rein an dem Morde, wenn er begangen worden ist.«

Des Andern Gesicht begann sich in finstere Falten zu legen. »Ich heiße Wells, Sir, und ich muß Ihnen gestehen, daß mich Ihr jetziges Jammergesicht den Augenblick bereuen läßt, wo ich Ihnen meine Hilfe für Ihr Unternehmen zusagte. Meinen Sie etwa, wenn Sie den Teufel vor Ihren Wagen spannen, Sie können ihn immer lenken, wie ein wohleingefahrenes Pferd, können verhindern, daß er einmal einen unbeabsichtigten Sprung macht? Unser Zweck ist erreicht, das ist vorläufig die Hauptsache – und werden Ihre Nerven für den Augenblick rebellisch, so trinken Sie ein paar tüchtige Schluck Brandy, das wird Ihnen die richtige Anschauung der Dinge zurückgeben.«

Damit drehte er sich herum und begann sein Reinigungsgeschäft, während Murphy ihn noch einen Augenblick anstarrte und sich dann nach dem Fenster drehte.

Seifert hatte mit aller Sorgfalt vor dein Spiegel sein Haar frisirt und sein Halstuch gebunden, sodann seinen Rock gebürstet und seinen Hut geglättet. »Sagen Sie mir nur einmal, Verehrter,« begann er sodann, sich umdrehend, »den Fall gesetzt, der Erbe, dieser Judenjunge, wäre nicht todt, sondern nur verschwunden; würde es denn nicht eine lange Zeit dauern, ehe er als gesetzlich verschollen erklärt und die nächsten Erben in Besitz der Hinterlassenschaft gebracht würden? Zweitens: Könnten Sie für irgend einen Zufall stehen, der ihn während dieser Zeit wieder zum Vorschein brächte und alle gehabte Mühe sammt den verwandten Kosten zu nichts machte? Drittens: Falls er verschwunden bliebe, würde nicht vielleicht während dieser Zeit das Recht des alten Besitztitels, um dessen Erlangung es sich doch bei uns nur handelt, verjähren, da nach den meinerseits eingezogenen Erkundigungen dergleichen Gesetze in jedem Staate bestehen?«

Murphy hatte während Seiferts Rede langsam den Kopf gehoben und sich halb umgedreht.

»Und,« fuhr der Erstere fort, »wenn ich Ihnen nun sage, und bereit bin irgend einen Eid darauf zu leisten, daß ich niemals an eine Ermordung des jungen Menschen gedacht, noch in irgend einer Weise dazu beigetragen habe – würden Sie dann nicht das Unglück, an dem wir Beide kein Haarbreit Theil haben und das nun einmal geschehen ist, segnen, da es uns jede Sorge vom Halse nimmt?«

Murphy's Gesicht begann heller zu werden. »Mr. Wells,« sagte er nach einer Pause, »Sie hätten Advocat werden sollen. – Aber lassen Sie einmal dieses unangenehme Lächeln,« fuhr er fort, als sich bei seiner Bemerkung ein beißender Hohn auf Seiferts Gesicht lagerte; »sagen Sie mir, des Geschäfts-Erfolges halber – denn ein Eid wäre bei Ihnen, der an nichts glaubt, doch nur eine taube Nuß – haben Sie auf keinerlei Weise, weder direct noch indirect, zu dem Tode dieses Manuel Goldstein beigetragen?«

»Ich gebe Ihnen Vollmacht, mich zu übervortheilen und zu betrügen, wie Sie können, wenn meinerseits auf irgend eine Art zu dem Todesfalle geholfen wurde!« rief Seifert, die Hand wie zum Schwure hebend, »ist Ihnen das genug?«

»Ich will Ihnen glauben,« erwiderte der Advocat und setzte sich, die Hand eine Weile vor die Augen drückend, auf das Sopha. »Wollten Sie noch etwas Weiteres sagen?« fragte er dann.

»Well, Sir, der erste Schritt wäre gethan – aber auch nur der erste Schritt!« begann Seifert wieder. »Der nächste Erbe ist, wie Sie wissen, die Frau des hiesigen Pfandleihers Meier. Ich kenne aber diesen Meier. Bekommt er nur den geringsten Wind von dem Vorhandensein und dem Werthe des bewußten Besitztitels, so dürfen Sie sicher sein, daß er ihn mit unbesiegbarer Zähigkeit festhalten wird, und je mehr Sie ihm dafür bieten, je weniger wird er, in der Hoffnung auf noch größeren Gewinn, zu einem Uebereinkommen geneigt sein. Ich habe indessen unsere Angelegenheit so vorbereitet, daß ich den Mann jetzt ziemlich in meiner Hand habe, daß er mich fürchtet, und ich glaube mich für eine theilweise Abtretung des Papiers seinerseits verpflichten zu können. Nur ist hier noch ein kleiner Punkt,« fuhr er höflich lächelnd fort. »Sie werden einsehen, daß ich in meiner Lage das Ende des zu erwartenden Prozesses nicht abwarten kann, ohne wenigstens etwas Geld für mich in die Hand zu bekommen. Ich bitte Sie deshalb vorläufig um etwa fünfhundert Dollars Vorschuß, worauf ich ohne weitere Ansprüche bis zum Ausgang der Verhandlungen mich gedulden werde.«

»Das kann ich nicht, Sir, das habe ich jetzt kaum noch zur Disposition!« rief der Advocat lebhaft aufspringend, »bedenken Sie, wie Sie mich schon abgezapft haben.«

»Ich, Sie, Mr. Murphy?« sagte Seifert mit verwunderter Miene, »hat denn meine Tasche schon einen Dollar Ihres Geldes gesehen, den ich mein eigen genannt hätte? Sie scheinen ganz zu vergessen, daß bei einem Unternehmen, wie das unsrige jeder Handgriff theuer und ohne daß über den Preis gefeilscht werden darf, bezahlt werden muß.«

»Ich sage Ihnen, ich zahle jetzt nichts mehr!« unterbrach ihn Murphy und warf sich wieder auf das Sopha. »Wollen Sie Partner in unserem Geschäft sein, so warten Sie auch, bis etwas dabei herausspringt – ich habe so alle die nöthigen Mittel hineingeschossen und Sie nichts –«

»Als meine Arbeit und Gefahr, die das Zehnfache Ihrer paar hundert Dollars aufwiegen!« fügte Seifert scharf hinzu. »Indessen,« fuhr er kalt fort, »handeln Sie nach Belieben, ich hoffe mich selbst bezahlt machen zu können, da ich sehe, wie hier die Sachen stehen.«

Er setzte den Hut auf und wandte sich nach der Thür.

»Wo wollen Sie hin?« rief Murphy.

»Das darf Sie wol jetzt wenig kümmern, Sir, da Sie meinen, mich so brevi manu abschütteln zu können!« war die Antwort. Seifert legte die Hand auf das Thürschloß und Murphy sprang auf, des Davongehenden Hand erfassend.

»Sie wollen zum Pfandleiher Meier und diesem die Kenntniß der Angelegenheit verkaufen!« sagte der Advocat mit mühsam niedergehaltener Stimme.

»Vielleicht, Sir,« erwiderte Seifert und sein Gesicht nahm eine steinerne Undurchdringlichkeit an; »vielleicht gibt es aber auch Leute, die mir für die Mittheilung der ganzen Speculation jetzt, wo das Haupthinderniß, der bevormundete Erbe, beseitigt ist, noch etwas mehr zahlen, als ich von Ihnen verlangte.«

Beide Männer standen einen Augenblick Aug' in Auge gewurzelt.

»Ist dies das letzte Geld, was Sie verlangen?« fragte endlich der Advocat mit halb heiserer Stimme, und ein böser Blick stahl sich unter seinen Wimpern hervor.

»Bis zum Ausgang des Processes, ja, Sir! und daß dieser schnell beginnen kann, dafür werde ich sorgen,« erwiderte der Andere. »Eins aber lassen Sie sich zu Ihrem eigenen Heil sagen: Denken Sie nie daran, den Seifert hinters Licht zu führen oder ihn, wenn Sie sich sicher fühlen, wie ein gebrauchtes Werkzeug bei Seite werfen zu wollen. Ehrlichkeit um Ehrlichkeit – im andern Falle aber erinnern Sie sich immer, daß ich keinen Zug thue, ohne mich genügend zu decken.«

Murphy warf einen finstern, kurzen Blick in seines Gefährten Gesicht und wandte sich dann wieder nach dem Fenster. »Ich werde Ihnen das Geld schaffen,« sagte er ohne sich umzusehen; »was wollten Sie wegen eines schnellen Beginnens des Processes sagen?«

»Eins nach dem Andern, Sir; lassen Sie uns zuerst den Geldpunkt ordnen!« erwiderte Jener, noch immer das Thürschloß in der Hand.

Der Advocat machte eine Bewegung der Ungeduld, zog dann seine Brieftasche hervor und warf aus dieser eine Bank-Anweisung auf den Tisch. »Hier ist, was Sie verlangen,« sagte er; »jetzt habe ich kaum noch so viel, um meine Hotel-Rechnung zu bezahlen und die Reisekosten nach Hause zu bestreiten.«

»Wird auch nicht viel mehr nothwendig sein. – Sie hätten sich übrigens, wo es sich um Erwerbung von Hunderttausenden handelt, besser vorsehen sollen,« erwiderte Seifert und prüfte lange und aufmerksam das hingeworfene Papier. »Dies genügt für jetzt,« fuhr er fort, die Anweisung sorgsam in sein Portemonnaie bergend und dann den Hut abnehmend. »Jetzt, da wir wieder in Ordnung sind, lassen Sie mich Ihnen noch einige Worte sagen, und kehren Sie mir Ihr freundliches Gesicht wieder zu.«

Murphy nahm langsam auf dem Sopha Platz und stützte ohne aufzusehen die Stirn in die Hand. Seifert beobachtete ihn einige Augenblicke. »Wissen Sie, Mr. Murphy,« begann er sodann und holte sich einen Stuhl herbei, »aus einer verdrießlichen Trompete kommt nie ein fideler Ton, wie die Deutschen sagen, und mit einem Gesicht, wie Ihr jetziges ist, werden wir nie ein flottes Geschäft machen.«

»Lassen Sie mein Gesicht sein wie es will,« winkte der Advocat, »und sagen Sie mir einfach, um was es sich handelt.«

»Wie Sie wollen, Sir, aber es ist Thorheit, sich über die nothwendigen Kosten eines Geschäfts zu ärgern, wenn man es einmal begonnen. Die Frage ist also, wie der Pfandleiher Meier, oder vielmehr dessen Frau, welche jetzt die eigentliche Erbin ist, am schnellsten für unsern Zweck willig zu machen ist. Well, als ich mich nach unserer Ankunft hier nach Leuten umsah, durch welche der frühere Erbe beseitigt werden könnte, wollte es der Zufall, daß ich auf einen Menschen stieß, der mit besagtem Meier oft in einem Geschäftsverkehr gestanden, welcher wenigstens in den Augen der Polizei nicht ganz sauber ist. Meier macht einfach den Diebeshehler. Ich gab ihm zuerst Andeutungen, daß ich sein ganzes Treiben kenne; als er aber trotz seiner Betroffenheit von nichts Unrechtem wissen wollte, schickte ich zwei von den Menschen, welche gestohlene Waaren bei ihm versetzt hatten, in seine Office, um die Sachen wieder einzulösen. Die Kerls mußten die Rolle von ehrlichen Leuten spielen; sie erzählten ihm, daß sie erst durch die Zeitung erfahren hätten, daß die Güter, welche sie ihm gebracht, gestohlenes Eigenthum seien, sie wären durch die dritte Hand in ihren Besitz gekommen und sie müßten die Waaren wieder zurück haben, um bei der Polizei Anzeige davon zu machen und nicht selbst in den Verdacht des Diebstahles zu kommen. Ich kam gleich zu Anfang der Verhandlung wie durch Zufall hinzu. Meier war bleich wie eine Kalkwand, läugnete aber, nur zu wissen, von was die Männer sprächen, und wollte es auf eine Durchsuchung seines Hauses ankommen lassen – er hatte sich jedenfalls der verdächtigen Gegenstände schon längst entledigt. – Als jetzt die beiden Kerls drohten, sofort nach der Polizei zu gehen und selbst Anzeige zu machen, warf ich mich biederherzig dazwischen und sagte ihnen, sie möchten doch zuerst dem Pfandleiher Zeit zum Nachdenken lassen, er werde sich vielleicht noch besinnen; morgen möchten sie wieder kommen – und so gingen die Beiden, nachdem ich gewichtig mein Notizbuch gezogen und mir zwei X beliebige Namen als die ihrigen hatte nennen lassen, ab. Ich aber begann nun dem Meier eine Strafrede zu halten – und ich weiß jetzt noch nicht, hat er mich für einen gutmüthigen Polizeispion oder für einen halben Pfaffen genommen – sagte ihm, daß ich selbst seine heimlichen Geschäfte schon längst kenne, daß jetzt zwei bestimmte Zeugen gegen ihn vorhanden seien und daß er sich bei einer Anzeige nimmermehr von der Verurtheilung als Diebeshehler losmachen könne. Ich muß wol sehr eindringlich gesprochen haben, denn Madame Meier kam aus der Hinterstube weinend herbei und mit ihrem: ›Siehst du, siehst du, Abraham!‹ mir gerade gelegen. Ich wurde natürlich von dem Intermezzo ziemlich gerührt und erklärte dem Pfandleiher, der, ohne ein weiteres Wort reden zu können, mit weißen Lippen dastand, daß nur in Rücksicht auf seine arme Frau ich mir noch einmal überlegen werde, was ich in der Sache zu thun habe, ohne meine Pflicht und mein Gewissen zu verletzen – und ging weg. Das war vorgestern; ich vermuthe aber, daß das Meier'sche Ehepaar seit dieser Zeit wenig geschlafen haben wird und daß ihnen bei jeder Oeffnung ihrer Thür ein Schrecken durch die Glieder gefahren ist. Hoffentlich, Sir,« fuhr Seifert fort und zog ein Gesicht voll ironischer Treuherzigkeit, »werden Sie aus dieser kurzen Skizze ersehen, daß ich ehrlich und umsichtig meine Pflicht als Partner erfüllt habe und wol Ihr geschätztes Vertrauen verdiene, das Sie mir so wenig angedeihen lassen wollen.«

Murphy rieb sich die Stirn. »Das Ehepaar soll also für den Preis Ihres Schweigens zu einem Uebereinkommen wegen des Besitztitels vermocht werden,« sagte er; »der Plan ist so übel nicht, wenn er vorsichtig ausgeführt wird. Jedenfalls aber müßten wir aus Werk gehen, ehe die öffentliche Aufmerksamkeit sich der Hinterlassenschaft zuwendet und Smith und Johnson den fraglichen Besitztitel als noch zu dem Eigenthume des Verstorbenen gehörig in die Masse abliefern.«

»Ganz meine Ansicht, Sir!« nickte Seifert. »Ich habe für heute Nachmittag und morgen früh ein kleines Privatgeschäft im Lande abzumachen – wir müssen doch erst die Leiche des jungen Menschen unter die Erde kommen lassen, ehe wir fernere Schritte thun – morgen Mittag aber werden Sie mich hier zur weitern Arbeit bereit finden.«

Er erhob sich und nahm seinen Hut. Der Advocat sah auf. »Ich hoffe, Sie werden nicht auf sich warten lassen,« sagte er, und um seine Augen spielte es wie ein unbestimmter Verdacht.

»Ich fehle nie, wo es sich um mein Interesse handelt,« lächelte Seifert in seiner eigenthümlichen Weise. »Vergessen Sie nur nie, mich daran fest zu halten.«

V.

Es war in den ersten Tagen des Mai, aber schon hatte die »warme Jahreszeit« in den südlichen Staaten begonnen. Ein dunkelblauer, wolkenloser Himmel spannte sich über die Thäler aus, welche sich zwischen den Ausläufern der Alleghany-Gebirge hinziehen. Kein Lüftchen regte sich, nichts Lebendes war auf den Feldern zu entdecken, kein Laut wurde hörbar, und selbst die Blätter der Bäume schienen, überkommen von der erschlaffenden Wärme, eingeschlafen zu sein. Zwischen seinen hier oft so malerischen Ufern lag der Tennesseefluß regungslos und spiegelte das mannichfach schattirte Gebüsch wieder, wie in einem festen Glase.

Oben an einer der Landungen saß ein einsamer Neger, eben so bewegungslos wie seine ganze Umgebung, und starrte den Fluß hinauf. Er war reinlich in dunkles, baumwollenes Zeug gekleidet und mit einem breiten Strohhute versehen. Stunde auf Stunde verrann, die Sonnenglut schien keinen Einfluß auf sein Gehirn auszuüben, keine Ermattung oder Langeweile schien über ihn zu kommen, noch sein Blick etwas von der Aufmerksamkeit zu verlieren, mit welcher er den obern Theil des Flusses beobachtete. Endlich gegen Abend begannen über den Hügelreihen, welche die östliche Aussicht verdeckten, sich einzelne kleine Wölkchen zu zeigen, welche wieder verschwanden, um bald durch neu aufsteigende ersetzt zu werden. Des Negers Aufmerksamkeit schien zu wachsen; eine Weile noch hielt er den Blick gespannt in die Ferne gerichtet, dann erhob er sich und verschwand in dem Walde, welcher das Flußufer säumte, um indessen nach kurzer Zeit mit zwei gesattelten Pferden wieder zu erscheinen. Er befestigte denn Zügel an dem nächsten Baume und nahm dann seinen frühern Platz ein. Die Wölkchen waren verschwunden; bald aber brachen sie neu und kräftiger hinter einem der naheliegenden Hügel hervor, und wenige Minuten danach wurde in der nächsten Biegung des Flusses ein herbeikommendes Dampfschiff sichtbar. Der Neger schritt langsam das Ufer nach der Landung hinab, das Fahrzeug kam näher, und schon von fern konnte man einen einzelnen Reisenden am vorderen Buge desselben erkennen.

Der Neger verzog das Gesicht zu einem zufriedenen Grinsen, daß die blendend weißen Zähne bis an ihre Wurzeln sichtbar wurden; er nahm den Strohhut ab, rieb sich den Wollkopf und bedeckte ihn wieder. Jetzt bog das Boot gegen das Ufer; eine Reisetasche, von dem Schwarzen aufgefangen, flog herüber, und ihr nach kam in keckem Sprunge, ohne auf das Niederlegen der Landungsbrücke zu warten, der Reisende.

»Wie geht's, Cäsar?« sagte er, dem Schwarzen die Hand reichend, während das Boot seinen Lauf fortsetzte; »sonst Niemand hier?«

»Ich glaube nicht, Mr. Helmstedt.«

Der Ankömmling sah, die Augenbrauen zusammenziehend, einen Moment um sich und begegnete dann dem Blick des Negers, der erwartend an seinem Gesicht hing. »Es ist doch Alles wohl, Cäsar, und nichts Besonderes vorgefallen?«

»Doch etwas, Sir. Alter Master Morton ist gestorben!« erwiderte der Neger, und in seinem Gesicht begann es sonderbar zu zucken.

Helmstedt sah ihm starr ins Auge; eine ganze Reihe von Gedanken schien ihm plötzlich durch den Kopf zu schießen. »Also wirklich, – ich ahnte fast so etwas!« sagte er endlich langsam. »Und was sonst noch, Cäsar?«

»Well, als sie Mr. Morton begraben hatten, kam der Vater von Mrs. Helmstedt und holte sie nach Oaklea – und die Sarah nahm er auch mit. Nachher kam Ihr Brief, Sir, und ich mußte ihn nach Oaklea bringen, und dort sagte mir Mrs. Helmstedt, daß Sie heute mit dem Dampfboot ankommen würden und daß ich Sie mit den Pferden erwarten solle. Das ist Alles, Sir!«

Helmstedt sah noch immer unverwandt in des Schwarzen Gesicht. »Und weiter hat meine Frau nichts gesagt? Erzähle mir jedes Wort, – besinne dich, Cäsar!«

»Nichts, Sir. Ich wartete in der Halle, als ich den Brief abgegeben hatte, da kam sie aus dem Parlor – sie war ganz blaß, und sagte mir, was ich thun solle. Im Parlor war Mr. Nelson, der manchmal unser Haus besucht hat, und der Vater von Mrs. Helmstedt; ich hörte sie Beide sprechen.«

Helmstedt wandte den Blick weg und biß die Zähne auf die Unterlippe.

»Soll ich die Pferde losbinden, Sir?« fragte Cäsar nach einer Weile.

»Warte noch einen Augenblick!« erwiderte der Augekommene und schritt, die Augenbrauen dicht zusammengezogen, das Ufer hinauf. Oben setzte er sich auf einen der Baumstümpfe am Wege und rieb sich die Stirn. Lange sah er vor sich ins Weite, und nur ein momentanes Zusammenpressen der Lippen ließ auf den Zustand seines Innern schließen. Cäsar hatte sich zu den Pferden gestellt und schien sich mit den Sattelgurten zu thun zu machen, ließ aber den ersten Blick voller Verständniß nicht von seinem Herrn.

»Hast du den Schlüssel vom Hause mitgebracht?« begann endlich Helmstedt und richtete sich langsam auf.

»Er ist noch bei Mortons, Sir,« erwiderte der Schwarze herbeikommend; »ich glaubte, Sie würden erst dorthin gehen, im Hause ist noch nichts zurecht gemacht.«

Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir Beide können uns schnell genug einrichten,« sagte er; »eine Zeitlang werden wir jedenfalls unsere Wirthschaft allein führen müssen.« Er machte eine kurze Pause. »Wir hatten Beide an ein und demselben Tage Hochzeit gemacht, Cäsar,« fuhr er dann mit mattem Lächeln fort, – »jetzt sind wir unsere Frauen auch an einem Tage wieder los geworden; wir müssen uns vorläufig drein ergeben.«

Der Schwarze verzog sein Gesicht, man wußte nicht, war es ein Ansatz zum Lachen oder zum Weinen. »O!« brach er dann los, »die Sarah mag wegbleiben, ich gebe nichts drum – sie hat mehr böse Mucken als das Jahr Tage, und ich war ein Narr, als ich ihr noch jeden Abend nachlief. Der alte Mr. Morton – Gott segne ihn im Grabe – meinte es gut, als er mich an Mr. Helmstedt schenkte, damit ich Sarah heirathen sollte. Sarah hat mir's aber hinterher selber gesagt, daß sie mich nur genommen, weil mir der alte Isaak, als er starb, seinen ganzen Pedlarkasten voll Bänder und Kleider geschenkt habe. Jetzt hat sie den leer gemacht, und nun will sie auch nichts mehr von mir wissen, – mag sie laufen!«

Helmstedt schien kaum auf die Rede des Negers geachtet zu haben. Er war langsam nach den Pferden zurückgegangen, klopfte einem derselben, das den Kopf nach ihm wandte und ihn beschnobberte, den Hals und löste den Zügel vom Baume. »Du reitest jetzt nach Mortons Haus, Cäsar,« sagte er, »bringst der Mistreß meine Empfehlung und fragst, ob sie mich morgen empfangen wolle. Dann nimmst du unsern Wagen, der dort steht, ladest deine Sachen und die Kleinigkeiten, die von mir noch da sein mögen, darauf und bringst Alles zusammen nach unserm Hause. Ich werde dich in der Stadt im Globe-Hotel erwarten, wenn es auch etwas spät werden sollte.«

Der Schwarze nickte ein: »very well, Sir!« Helmstedt bestieg sein Pferd und trabte auf dem wohlbekannten Wege davon. Jedes weiße Farmhaus, das aus seiner grünen Umgebung hervortauchte, grüßte ihn als alten Bekannten, aber Helmstedt hatte keinen Sinn zum Gegengruß. Seine ganze Zukunft war bei dem ersten Schritt auf heimatlichen Boden – denn das hatte ihm Alabama werden sollen – als ein ungelöstes Räthsel vor ihn getreten. Seine Frau war zu ihren Eltern gehangen und hatte sich dadurch von ihm losgesagt, – sie war das verbindende Glied zwischen ihm und diesem Lande, auf ihr Festhalten an ihm hatte er alle seine künftigen Pläne gebaut; und hatte er auch gesehen, daß er sich nie mit ihr so verstehen würde, wie er anfänglich geträumt, so war ihm, dem Deutschen, doch der Begriff der Ehe noch ein so ehrwürdiger, ein so für das ganze Leben bindender Act, daß er wol auf Mittel und Wege, ihre beiderseitige Differenz auszugleichen, aber nie an eine Trennung gedacht hatte. So hatte er wenige Tage vor seiner Abreise von New-York einen Brief an die junge Frau geschrieben, in welchem er ihr seine Rückreise meldete. Es hatte ihn nach einem herzlichen Empfang zu Hause verlangt und er hatte mit warmen Worten Alles besprochen, was vor seiner Abreise von Alabama zwischen ihnen zu stehen schien, hatte ihr das Verhältniß zu ihren Eltern, in welches sie durch schnelle Heirath mit ihm getreten war, klar vor die Seele geführt und ihr versprochen, keine Anstrengung zu scheuen, daß ihr Vater selbst noch stolz auf ihre Wahl werden solle. Er hatte sie gebeten, ihn am Tage seiner Ankunft selbst an der Landung zu erwarten; jetzt hatte er die Antwort auf seine Zeilen – diese Zeilen, welche ihm das reinste Herz und der beste Wille dictirt hatten. Er wußte, als habe ihm es Jemand erzählt, daß Mortons Tod nur ein Vorwand für die Eltern seiner Frau, vielleicht für diese selbst gewesen war, um einen Schritt zu thun, der unter den obwaltenden Verhältnissen und bei seiner ganzen Denk- und Gefühlsweise auch der erste Schritt zu einer Trennung zwischen ihnen Beiden sein mußte. Er hätte seine Frau zurückfordern, hätte sie zwingen können, mit ihm weiter zu leben – aber was wäre dann sein weiteres Leben gewesen? Und sollte er sie den schnellen Schritt, der sie mit ihm vereinigt hatte, den sie vielleicht in Selbsttäuschung, aber doch im vollen Vertrauen zu ihm gethan, für immer bereuen lassen? der ganze Roman seiner Liebe ging noch einmal, Bild für Bild, an seiner Seele vorüber – er konnte, er mochte sie zu nichts zwingen, was ihr Herz ihr nicht selbst dictirte. Aber er wollte selbst auch keinen Schritt zur Lösung der Differenz thun, er wollte die stolze Familie an sich kommen lassen – hatte er sich doch nichts vorzuwerfen. Er wußte, daß er sich jetzt einen ganz neuen Plan für seine Zukunft entwerfen mußte; wußte, daß er allein niemals unter den reichen Pflanzern Alabama's Wurzel schlagen konnte, um eine Selbstständigkeit für sich zu erringen – aber so weit hinaus zu denken, war es noch nicht an der Zeit; die nächsten Tage allein schon mußten alle seine Gedanken in Anspruch nehmen. – Er dachte an Pauline, die er am folgenden Morgen besuchen wollte, um ihr, gemäß dem Versprechen, welches er dem verstorbenen Morton gegeben, seine Hilfe für alle nöthigen Fälle anzubieten. Wie schnell sich doch die Stellung der Menschen zu einander ändern kann! Noch kein Jahr war es her, daß er sie als einzeln dastehendes Mädchen in New-York getroffen, daß sie ihre beiderseitige Kinderfreundschaft von Deutschland her gegen ihn hatte geltend machen und sich warm an ihn hatte anschließen wollen, daß er sich, ihr ganzes Wesen mißdeutend, steif von ihr gewandt – fast wollte es ihm scheinen, wenn er sich die damaligen Scenen und das weiche, lachende Mädchengesicht vergegenwärtigte, als habe er ein ganzes Paradies von sich gestoßen, um einem Phantom nachzujagen. Jetzt war sie eine reiche Erbin, eine junge, schöne Wittwe, welcher überall die glänzendsten Partien zu Gebote stehen mußten – jetzt wollte er um die Gunst bitten, ihr dienen zu dürfen. Der kalte, jede Annäherung abweisende Gesichtsausdruck, mit welchem sie ihm vor seiner Reise nach New-York entgegengetreten war, stand wieder vor seiner Seele, und es wurde ihm, als müsse es ihm bis ins innerste Herz hinein wehe thun, müßte ihn demüthigen wie noch nie zuvor, wenn sie ihm bei seinem morgenden Besuche in derselben Weise begegnen würde. Und doch hatte er kaum ein Recht, etwas Anderes zu erwarten. Mochte es aber auch so sein, er war Mannes genug dazu, um sich selbst und seine Gefühle zu bezwingen; noch war Stolz genug in ihm, daß er sich nach keiner Seite hin eine Blöße zu geben brauchte – konnte er auch keine Zukunft von einiger Verheißung hier im Süden mehr für sich erblicken, so wollte er doch seine gegenwärtige Laufbahn mit Ehren gegen sich selbst zu Ende bringen – für das Weitere mochte dann das Schicksal sorgen. – Helmstedt hatte sich am Schlusse seines Gedankenganges straffer im Sattel ausgerichtet und das Pferd fühlte zum ersten Male seine Schenkel. Die äußersten, zerstreuten Häuser des Städtchens lagen vor ihm; bald begegneten ihm einzelne Menschen, von denen fast Jeder einen Gruß für ihn hatte. Mädchengruppen zu zweien und dreien blieben am Rande der Straße stehen und lachten ihm mit einem: »Wieder zurück, Mr. Helmstedt?« entgegen – es waren Schülerinnen der Akademie, und als er am Globe-Hotel abgestiegen war, dessen Piazza der abendliche Versammlungsplatz der männlichen Aristokratie des Ortes war und ihm hier zehn »How do you do!« auf einmal entgegen gerufen wurden, da war seine gedrückte Stimmung verschwunden, er wußte kaum selbst wie – er fühlte, er hatte bereits einen Boden unter sich, den nicht zufällige Beziehungen, sondern sein eigener Werth und seine Thätigkeit ihm geschaffen hatten. Bald saß er in der Mitte der Männer, gab das verunglückte Ergebniß seiner Reise und andere New-Yorker Neuigkeiten, wie sie ihm dort zu Ohren gekommen waren, zum Besten; bald schlug unter den Anwesenden ein Witz und ein derber Scherz den andern, und als endlich Cäsar anlangte, um seinem Herrn zu melden, daß er alle Aufträge besorgt, wußte dieser kaum, wie schnell ihm die Zeit verstrichen.

Als er freilich sein Haus mit den geschlossenen Läden betrat, als Cäsar lange in der Küche umhersuchen mußte, ehe er ein Schwefelholz und ein Stümpfchen Licht aufgefunden hatte, als er endlich sein Schlafzimmer betrat, wo Alles verschwunden war, was an den Aufenthalt einer Frau erinnern konnte, und ihm nur offene Kasten und Schrankthüren entgegengähnten – da wollte wol etwas von seiner früheren Stimmung wieder über ihn kommen; als aber sein Auge den Schwarzen an der Thür traf, dessen Gesicht ein sonderbares Gemisch von Theilnahme und Beobachtung ausdrückte, fühlte er auch, daß er sich nicht gehen lassen dürfe, daß die erste Nothwendigkeit für seine künftige Stellung der Welt gegenüber Selbstbeherrschung sei. Er sandte den Neger weg, um Wasser und Lichte herbeizuholen, öffnete sodann die Fenster und brachte das Zimmer in Ordnung. Der zurückkehrende Schwarze fand ihn, eine Cigarre rauchend, gemächlich in den Schaukelstuhl gestreckt. »Well, Cäsar,« sagte er, »laß uns kurz überlegen, wie wir unsere Einrichtungen machen, bis die Weiber wieder zurück sind; du bist Zimmermann und hast bis jetzt für dich selbst gearbeitet –«

»Ja, Sir! und ich habe Ihnen noch die Miethe für mich während der letzten Monate zu bezahlen, aber das Geld liegt bereit.«

»Behalte dein Geld. So lange ich deine Arbeit entbehren kann, gönne ich dir gerne den Verdienst!« winkte Helmstedt. »Ich erwähnte die Sache nur, weil du unter den jetzigen Verhältnissen täglich ein paar Stunden mehr für mich wirst haben müssen. Du nimmst deine gewöhnliche Schlafstelle wieder ein und magst Morgens, wenn du die Pferde und die übrigen kleinen Hausgeschäfte besorgt hast, deinem Verdienste nachgehen. Ich nehme meine Mahlzeiten vorläufig im Hotel; von vier Uhr Nachmittags an bleibst du im Haus, damit ich in vorkommenden Fällen Jemand an der Hand habe.«

»Dank Ihnen, Sir, Dank Ihnen,« erwiderte der Schwarze; »aber – wenn ich noch etwas fragen dürfte,« fuhr er fort und rieb sich wie in halber Verlegenheit die Hände, »könnte ich wol, bis Alles wieder in Ordnung ist, dann und wann nach Oaklea gehen, um die Sarah zu sehen? Oder –«

Nur einen Augenblick ging ein Schatten über Helmstedts Gesicht, dann lächelte er im besten Humor. »Wenn dir die dreihundert fünf und sechzig Mucken deiner Sarah nicht im Wege stehen – ich werde dich nicht zurückhalten!« sagte er. »Benutze deine freie Zeit wie du denkst und magst, nur sei da, wenn ich dich brauche. Jetzt besorge die Pferde und sieh dann nach deiner eigenen Lagerstelle.«

Der Schwarze verzog das Gesicht, als liege noch irgend etwas Anderes auf seiner Seele; als sich aber Helmstedt erhob und ihm den Rücken kehrend an das offene Fenster trat, zuckte er, wie sich selbst beruhigend, die Schultern und verließ das Zimmer.

Helmstedt brannte ein neues Licht an und warf sich dann auf sein Bett, um noch einmal die Eindrücke der letzten Stunden an sich vorübergehen zu lassen. Es war längst zehn Uhr vorüber, als er sich endlich entkleidete und das Licht löschte.

Am nächsten Morgen hatte er bereits bei beginnender Schulzeit in der Akademie den Wiederanfang seiner Musik-Lectionen für den nächsten Tag angezeigt. Er hatte nichts als freundliche Gesichter getroffen, Niemand schien etwas von der Aenderung seiner häuslichen Verhältnisse zu wissen, oder davon Notiz genommen zu haben, und mit freier Seele hatte er sich auf den Weg nach Mortons Farm gemacht. Es war kaum zehn Uhr vorüber, als er an der Einzäunung, welche die nächste Umgebung des Hauses einschloß, von seinem Pferde stieg, um das Gitterthor zu öffnen.

Auf der Treppe, welche nach dem Portico hinaufführte, saß ein Mensch in grober Kleidung mit gewaltigen Gliedmaßen und finsterem, dreisten Blick, der, ohne sich zu rühren oder Miene zu einem Gruße zu machen, dem Ankommenden entgegensah. Helmstedt band sein Pferd an einen Baum und ging dann mit leichtem Kopfnicken an ihm vorüber nach der offenen Halle. Seine Gedanken waren zu sehr mit dem Zwecke seines Besuchs beschäftigt, als daß er die einigermaßen auffallende Erscheinung hätte beachten sollen. Er legte seinen Hut ab; eben aber als er sich vergebens nach einem der Schwarzen, der ihn hätte melden können, umgesehen und die Parlorthür öffnen wollte, that sich diese auf, und Mrs. Morton, die bei seinem unerwarteten Anblicke einige Schritte zurückwich, befand sich vor ihm. Auch Helmstedt war zurückgetreten und Beide standen einen Augenblick wortlos einander gegenüber. Sie war in tiefer Trauerkleidung, aber diese zeichnete um so bestimmter ihre feinen, gerundeten Formen ab und verlieh ihrer ganzen Erscheinung einen Anstrich von vollendeter Aristokratie. Ihr tadelloser Teint, eben nur von dem Roth der Ueberraschung überhaucht, trat zarter als je hervor und der Anflug von Trauer um den weichen Mund erschien Helmstedt fast noch reizender als das frische Lächeln, das er früher an ihr gekannt.

»Treten Sie ein, Sir, und seien Sie willkommen,« sagte sie, ihm die Hand bietend. »Sie finden unser Haus vereinsamter, als da Sie es verließen.«

»Ich habe Alles vernommen, Ma'am, und machte deshalb meinen Besuch bei Ihnen zu einem meiner ersten Geschäfte,« erwiderte er, ihre Finger leicht zwischen den seinigen drückend; »Sie wissen es wol selbst, daß Morton eigentlich der einzige Freund war, den ich im ganzen Süden besaß, und daß seinen Tod sicher Niemand aufrichtiger betrauert als ich.«

»Und er verdient das,« sagte sie zu ihm aufsehend, während ihre Augen sich mit Wasser füllten, »er hat an Sie noch zwei Minuten vorher gedacht, ehe er entschlummerte. Es war wirklich nichts als ein sanftes Entschlafen,« fuhr sie fort und trocknete sich die Augen; »ich weiß kaun ob er selbst die unmittelbare Nähe des Todes ahnte. Aber setzen Sie sich, Mr. Helmstedt.« Sie ließ sich auf einen der Divans nieder und Helmstedt wandte sich nach einem Stuhle. So oft er auch schon in den Parlors von Mortons Hause gewesen war, so hatte er doch nie ein besonderes Auge für deren Einrichtung gehabt. Heute aber ließ er unwillkürlich einen beobachtenden Blick über die reiche, geschmackvolle Ausstattung gleiten, die im vollen Verhältnisse zu dem eleganten Hause und dem ausgedehnten Grundbesitze des Verstorbenen stand. Dieses Alles gehörte jetzt – wenn er Mortons Worte, die dieser zu ihm über seine letztwillige Verfügung gesprochen hatte, richtig verstand – der jungen Frau, welche vor ihm saß, und das drückende Gefühl, welches schon Tags zuvor sich bei Betrachtung ihrer beiderseitigen Verhältnisse seiner bemächtigt hatte, überkam ihn wieder.

Er hatte sich ihr gegenüber niedergelassen – »Well, Ma'am,« begann er, »Sie sind jung, schön und jetzt auch reich –«

Die junge Frau schlug bei diesem Anfange das Auge mit einem so verwunderten Blicke zu ihm auf, daß er sich unwillkürlich unterbrach. »Warum sagen Sie mir das, Mr. Helmstedt?«

Dieser drückte einen Moment die Augen in seine Hand. »Vielleicht,« erwiderte er, »um Ihnen zu zeigen, daß ich Ihre jetzige Stellung vollkommen zu würdigen weiß, Mrs. Morton; aber,« fuhr er fort und sah ihr voll in das erwartende Gesicht, »ich wollte eigentlich nur bemerken, daß Sie jetzt auch allein stehen und daß Ihre Stellung, vielleicht gerade Ihrer Vorzüge wegen, einen Schützer mehr als je für Sie nothwendig macht. Ich habe Morton versprechen müssen, Ihnen ein treuer Freund und jeden Augenblick zu Ihren Diensten zu sein – ich habe das mit ganzem Herzen versprochen, und jetzt bin ich hier, um Sie zu bitten, in irgend einer Weise über mich zu disponiren.«

Das Auge der jungen Frau schien während Helmstedts Rede dunkler zu werden und an Tiefe zu gewinnen, ein leises Roth stieg in ihre Wangen und ein weicher Zug, halb Schmerz, halb Innigkeit legte sich um ihren Mund. Es war derselbe Ausdruck, an welchen Helmstedt während der letzten Tage so oft hatte denken müssen, dasselbe Gesicht, mit welchem sie am Tage ihres ersten Zusammentreffens in New-York mit ihm an seiner Seite gekniet und zu ihm aufgesehen hatte – und eine stille Wärme, die alle seine Vorsätze von stolzer Zurückhaltung zu zerschmelzen drohte, begann in ihm aufzusteigen. Eine wortlose Secunde lang hingen die Blicke beider in einander; dann aber preßte sie mit einem tiefen Athemzuge die Hand auf die Herzgegend, wurde bleich und senkte langsam den Kopf. Als sie wieder aufsah, begegnete Helmstedts Auge einem Blicke so still und kalt, als er ihn in der letzten Zeit nur jemals an ihr hatte kennen lernen.

»Sie mögen Recht haben, daß ich fast ganz allein stehe,« begann sie leise, »aber Sie wissen wol selbst, Sir, wie lange ich daran gewöhnt worden bin. Habe ich als armes Mädchen es schutzlos mit der Welt aufnehmen müssen, so möchte ich das auch einmal als reiche Frau versuchen; ich habe mich so lange auf meine eigene Energie angewiesen gesehen, selbst während der letzten Monate vor Mr. Mortons Tode, daß ich in meiner jetzigen Stellung kaum etwas Ungewohntes finde. Ich danke Ihnen bei alledem herzlich für Ihr Anerbieten und verspreche Ihnen gern, in ungewöhnlichen Fällen Sie um Ihren freundlichen Rath zu bitten.«

Helmstedt verneigte sich, ohne ein Wort zu sprechen. Eine Empfindung hatte ihn überkommen, als habe ein Nachtfrost einen ganzen Garten voll Frühlingsblüten in ihm getödtet; und zugleich fühlte er, daß diesem kalten Auge gegenüber auch sein Stolz ihm keine Genugthuung mehr bieten konnte – traf doch jedes ihrer Worte so folgerecht und bestimmt seine frühere Haltung gegen sie, daß sie kaum anders hätte reden dürfen, daß er nur sich selbst die schiefe Stellung zuschreiben mußte, in die er sich nun durch sein jetziges Dienstanerbieten gebracht sah.

»Lassen Sie uns von Ihren Verhältnissen reden, da ich Ihnen vielleicht einige Einzelnheiten der Vorfälle während Ihrer Abwesenheit geben kann!« fuhr sie fort. »Sie scheinen jedenfalls zu wissen, daß Ellen nicht mehr hier im Hause ist.«

»Ich weiß, Ma'am, daß sie ihrem Vater nach Oaklea gefolgt ist, und offen gestanden, ist mir die Thatsache so genügend, daß ich mich über das Wie oder Warum nicht weiter kümmern möchte!«

Sie sah ihm einen Augenblick aufmerksam ins Gesicht. »Und das ist Alles, was Sie darüber zu sagen haben?« fragte sie dann.

»Ich wüßte nicht, was sonst noch, Ma'am. Jedes weitere Wort kann das Verhältniß zwischen mir und Ellen nur verwirren, statt es der Lösung näher zu bringen. Sie kennt genau die Deutung, welche ich einem Schritte wie dem jetzt von ihr gethanen geben würde – und sie hat ihn gethan. Sie weiß, daß ich ihrer Eltern Haus, welches mir ihr Vater nach unserer Verheirathung deutlich genug verbot, nie betreten werde, wenn nicht eine Ausgleichung vorhergeht, zu welcher sich Elliot, wie ich ihn kenne, nie verstehen wird – also ist das Verhältniß so einfach, daß sich kaum noch etwas darüber sagen läßt.«

»Und Sie wollen keinen Schritt in der ganzen Angelegenheit thun, trotzdem Sie so glücklich in Ihrer Liebe zu Ellen waren?« erwiderte sie, und bückte sich, um eine Falte ihres Kleides zu ordnen.

Helmstedt antwortete nicht; die Frage klang ihm in seiner jetzigen Stimmung und aus Paulinens Munde fast wie bitterer Hohn. Ein stiller, ernster Blick, mit dem sich Helmstedt erhob, traf die junge Frau, als sie aufsah. »Lassen Sie uns abbrechen, Ma'am!« sagte er ruhig und trug seinen Stuhl bei Seite.

Sie sah ihm nach, als suche sie ein Verständniß für sein Benehmen, dann erhob sie sich ebenfalls. »Noch einen Augenblick, Mr. Helmstedt, ich habe einen letzten Auftrag von Mr. Morton an Sie auszurichten!« Damit ging sie nach einem eleganten Schreibtische an einer der Seitenwände des Zimmers und nahm einen starken Brief, der dort in Bereitschaft zu liegen schien, heraus, ihn dem jungen Manne, der ihr entgegenkam, übergebend. Helmstedt erkannte schnell seine Adresse, von Mortons Hand geschrieben.

»Ich werde die Oeffnung für eine ruhigere Stunde aufsparen,« sagte er, »und falls sich Dinge darin vorfinden sollten, die sich auf mehr als meine eigenen Verhältnisse beziehen, so geben Sie mir wol die Erlaubniß zu einem zweiten Besuche.«

»Sie scheinen mich irgendwie mißverstanden zu haben,« sagte sie, ihm forschend in das ernste Gesicht sehend. »Sie wissen, daß ›Mortons Haus‹ Ihnen immer offen stehen wird, und daß ich mir auch vorbehalten habe, da, wo eine Frau nicht mehr allein durchkommen kann, mir Ihren Rath zu erbitten.«

Der junge Mann verbeugte sich schweigend und barg den erhaltenen Brief in seine Brusttasche.

»Sie werden doch in der Hitze nicht nach Hause reiten wollen, und jedenfalls zu Mittag bei uns bleiben?« fuhr sie fort, als er Miene machte, sich zu verabschieden. »Sie finden Niemand hier als den alten Doctor Ford, der seit Mr. Mortons Tode ein Zimmer bei uns eingenommen hat, weil er meinte, er dürfe mich und die weiße Wirthschafterin nicht allein im Hause lassen.«

»Ich danke Ihnen sehr, Ma'am, ich habe Schatten bis kurz vor die Stadt,« erwiderte er und warf einen Blick aus dem Fenster nach seinem Pferde. »Ich beginne morgen meine Lectionen wieder und kann den Nachmittag für meine Vorbereitungen nicht entbehren.«

Sie sagte nichts; aber das große Auge, das auf ihm ruhte, begann seinen Glanz zu verlieren, ihre Züge nahmen eine marmorne Unbeweglichkeit an, und als er sich nach ihr wandte, um Abschied zu nehmen, neigte sie nur mit einem kurzen »good bye, Sir!« den Kopf und trat an eine der Fensterthüren, welche sich nach dem Portico öffneten.

Helmstedt hatte die kalte Entlassung kaum beachtet; er fühlte sich verwundet, er sehnte sich nach Hause zu kommen und mit allen Herzensforderungen abzuschließen. Auf der Porticotreppe saß der Mensch, welchen er bei seinem Eintritte bemerkt, noch in derselben Stellung wie eine Stunde zuvor; aber Helmstedt hatte kein Auge für ihn. Nur als er sein Pferd losgebunden hatte, warf er halb unbewußt einen Blick aus das Haus zurück und sein Auge blieb einen Moment an der schlanken Gestalt in Trauerkleidern haften, die hinter einer der Fensterthüren des Parlors stand und mit unbeweglichen Zügen ins Weite starrte. Er führte sein Pferd langsam nach dem Gitterthore. Als er dies geöffnet hatte und beim Aufsteigen noch einen letzten Blick zurück sandte, sah er, wie Pauline aus der Halle trat, die Gestalt auf der Treppe sich langsam erhob und beide nach kurzem Gespräch mit einander in das Haus zurückgingen.

Eine Art Neugierde, was die Besitzerin von Mortons Haus mit einer solchen Erscheinung zu schaffen haben könne, wollte sich Helmstedts bemächtigen, aber was gingen ihn, dessen aufrichtiger Wille zurückgewiesen worden war, noch die ganzen Verhältnisse hier an? Er ließ sein Pferd die Schenkel fühlen und sprengte davon – bald aber zog er unwillkürlich die Zügel wieder an. Zwei Bilder traten trotz seines Grolles immer unabweislich vor seine Seele: Pauline mit dem dunkeln Auge und dem süßen, innigen Lächeln, das einen ganzen Himmel verhieß – und Pauline die starre, marmorweiße Büste, in schwarzer Drapirung, wie er sie hinter dem Fenster des eben verlassenen Hauses gesehen.

Er erreichte seine Wohnung in einem Zwiespalte mit sich selbst, den er nicht zu lösen vermochte. Er schloß Mortons Brief, den zu lesen er sich jetzt am wenigsten in der Stimmung fühlte, in seinen Schreibtisch und ging nach dem Hotel, um seine Mahlzeit zu nehmen. »Teufelmäßig warm!« – »Zu früh für die Jahreszeit!« – »Wir werden viel Krankheit diesen Sommer haben!« das waren fast die einzigen Aeußerungen, welche während des Essens um ihn her fielen, und Helmstedt kam endlich selbst zu der Idee, daß es das Wetter sein müsse, welches ihm den klaren Kopf nehme. Langsam ging er wieder nach seinem Hause und nahm sich vor, alle belästigenden Gedanken aus seinem Gehirne zu verbannen und nur für das zu sorgen, was ihm am nächsten lag. Er holte seinen Vorrath von Musikalien und das Verzeichniß seiner Schülerinnen hervor, um morgen für alle Lectionen vorbereitet zu sein; er gab sich mit Eifer seiner Arbeit hin – bald stieß er auf den Namen einzelner Lieblingsschülerinnen, von deren Talent er sich viel versprach und deren Unterricht Lichtstellen in seinen oft ermüdenden Beruf warf – bald wieder stieß er auf die Namen von »hard cases«, für deren Unterweisung er sich ein eigenes System geschaffen – in Kurzem hatte sich sein ganzes Interesse auf die vor ihm liegende Arbeit gerichtet, und als er endlich damit zu Ende gekommen war, hatte sich auch der feste Vorsatz in ihm gebildet, seine Befriedigung nur in den Erfolgen zu suchen, welche ihm sein jetziger Beruf bieten konnte, alle ungelösten Dissonanzen in seinem Leben aber ruhig der Zeit zu überlassen. Er brannte sich eine neue Cigarre an und warf sich in den Schaukelstuhl aus offene Fenster. Trotz seiner guten Entschlüsse währte es indessen nicht lange, so zogen dennoch an seinem Geiste alle Scenen des heute verlebten Morgens wieder vorbei, so grübelte er über Paulinens sonderbares Wesen und begann sich den verschiedenartigen Ausdruck ihres Gesichtes zu vergegenwärtigen, bis er endlich mit einem tiefen Athemzuge aufsprang. »Bin ich denn ein Kind?« sagte er und rieb sich die Augen; »ich will mich aus diesen weichherzigen Gefühlsstimmungen herausreißen. Ist denn das für einen Menschen von Charakter nicht genug? Sie meint, ihre Zeit sei jetzt gekommen, und will Revanche haben, das ist Alles! Very well, so sei ein Mann, August, und bewache dich selbst.«

Er war zwei- oder dreimal die Stube auf und ab gegangen, als sich die Thür öffnete und Cäsar eintrat. »Ein Brief, Sir!« meldete dieser, ihm ein geschlossenes Schreiben hinreichend. Helmstedt besah die Adresse, und ein leichtes Roth stieg in sein Gesicht. »Wer hat das gebracht?« fragte er, langsam das Couvert öffnend.

»Dick von Oaklea, Sir!« erwiderte der Schwarze; »er will warten, im Fall Mr. Helmstedt wieder etwas zu bestellen hätte.«

Helmstedt hatte die Zuschrift entfaltet und die wenigen Zeilen, welche sie enthielt, gelesen, aber noch immer hielt er die Augen darauf geheftet. Sie lauteten:

»Wenn Mr. Helmstedt den Unterzeichneten zu sprechen wünscht, so wird er ihn morgen und übermorgen in Oaklea anwesend finden.

Elliot.«

»Dick soll einige Minuten bleiben,« sagte Helmstedt endlich; »ich werde ihm Antwort mitgeben.« Er wandte sich nach dem Schreibtische und ließ sich dort nieder; als aber der Schwarze das Zimmer verlassen hatte, stützte er den Kopf auf beide Arme und starrte sinnend auf das vor ihm liegende Papier. »Wenn irgend etwas wie eine Ausgleichung beabsichtigt würde,« begann er nach einer Weile und lehnte sich zurück, »wenn noch ein Funke von wirklicher Liebe in Ellen's Herzen für mich wäre, so hätte sie eine Zeile beigefügt. Was hier vor mir liegt, ist nichts als der ausgeprägte Pflanzerstolz, welcher ein drückendes Band abstreifen möchte, aber dem armen Ausländer gegenüber es unter seiner Würde findet, selbst einen Schritt dafür zu thun. Gut, wir werden sehen, wessen Stolz zuerst bricht.«

Er nahm Feder und Papier zur Hand und schrieb:

»Der Unterzeichnete ist sich keines Gegenstandes bewußt, über welchen er mit Mr. Elliot selbst zu verhandeln hätte. Will Mrs. Helmstedt, wie es einem treuen, gewissenhaften Weibe geziemt, in das Haus und unter die Obhut ihres Mannes zurückkehren, so wird sie offene Arme finden. Dies ist aber die unerläßliche Bedingung, ehe der Unterzeichnete auf irgend eine sie berührende Verhandlung eingehen könnte.

August von Helmstedt.«

Der Brief wurde geschlossen und abgesandt. Noch lange nachher aber saß Helmstedt vor seinem Schreibtische, den Kopf in beide Hände gestützt, und suchte sich ein Bild von dem jetzigen Leben in Oaklea zu schaffen und sich die Scenen zu vergegenwärtigen, welche seine Zeilen dort hervorrufen würden. Ein mehrmaliges Räuspern störte ihn endlich auf. Cäsar stand an der Thür.

»Bitt' um Verzeihung,« sagte der Schwarze und knetete seine Hände, als wolle er alle Knochen darin zerbrechen, »ich wollte nur fragen – ich habe nämlich Dick gesagt, daß mich Sarah diesen Abend erwarten soll – ob ich mich vielleicht umsehen oder horchen soll, wie's drüben steht – ich meinte nur so – ich wollte schon gestern deswegen fragen – Mr. Helmstedt ist so gut, und ich möchte so gern etwas thun. –«

Helmstedt hörte ihn an, bis er schwieg und nur noch verlegene Gesichter schnitt. »Du bist eine gute Haut, Cäsar,« sagte er dann, »und es wird schon einmal eine Zeit kommen, wo du mir deine Anhänglichkeit beweisen kannst. Drüben in Oaklea aber kümmere dich nur um deine eigenen Geschäfte; und so wenig ich von dort etwas hierher berichtet haben will, eben so wenig wünsche ich etwas von hier hinübergetragen.«

»All right, Sir!« lachte der Schwarze und nahm die Thür in die Hand; »sie sollen eher vor Neugierde blau werden, ehe sie von mir etwas erfahren.« – –

Es war eine Zeit der nüchternen poesielosen Arbeit, welche jetzt für Helmstedt folgte. Es waren nur noch sieben Wochen bis zu der Zeit, in welcher die Akademie der heißen Jahreszeit wegen geschlossen wurde. Bei diesem Schlusse der Schule aber fand ein Examen statt, dessen Hauptzierde die Musikschüler mit ihren Leistungen bildeten – und Helmstedt warf sich mit seinen ganzen Kräften auf die nöthigen Vorbereitungen. Er gab Extra-Lectionen und widmete seine freie Zeit den Uebungen seiner Schülerinnen; er fand darin das beste Mittel, um seinen eigenen Grübeleien zu entgehen. Abends unternahm er in der Regel einen Ritt in die Umgegend und sprach in dieser oder jener Farm ein, deren Besitzer er durch seine Stellung in der Akademie hatte kennen lernen, kam meistens erst mit beginnender Nacht wieder heim, wo er für alle seine Bedürfnisse von Cäsar aufmerksam gesorgt fand, und schlief den Schlaf der Ermüdung.

Vierzehn Tage waren auf diese Weise vergangen; Helmstedt hatte weder etwas von Mortons Haus, noch von Oaklea, dessen Umgegend er stets auf seinen Ritten vermied, gehört, und wenn ihm sein Leben auch oft selbst so nüchtern und ohne eigentlichen Endzweck vorkam, daß ihm die Frage vor die Seele trat, wohin dieses Verhältniß noch führen solle, so fühlte er doch auch, daß es ihm für den Augenblick den einzigen Halt bieten konnte.

Es war an einem Sonnabend, an welchem die Stadt meist voll von Pflanzern und kleineren Farmern der Umgegend war, als Helmstedt zur Mittagsstunde das Globe-Hotel betrat. Die geräumige Halle und der anstoßende Bar-Room waren gefüllt mit den hohen, kräftigen Gestalten, wie sie der Süden der Vereinigten Staaten erzeugt, und alle Arten von Anzügen, vom blauen Baumwollenfrack und geflochtenen Schilfhute bis zum Nankinhabit und dem modernen Panamahute, mischten sich bunt durch einander. Helmstedt nahm eine Zeitung und wollte sich eben an ein Fenster setzen, um das Läuten für den Mittagstisch abzuwarten, als sein Blick auf einen Mann fiel, der an einem der Kaminsimse lehnte und dem Anscheine nach einem neben ihm stehenden Farmer zuhörte, aber das Auge unverwandt auf den Deutschen geheftet hielt. Es war Elliot. Helmstedt blickte ihm einen Moment voll ins Gesicht; als jener aber jetzt das Ohr zu dem Farmer an seiner Seite bog, als wisse er durchaus nichts von der Richtung seiner Augen, ließ sich Helmstedt auf einem Stuhle nieder und barg das Gesicht hinter seiner Zeitung. Er fühlte, daß dieses Anstarren, ohne doch von ihm Notiz zu nehmen, eine Demonstration von Nichtachtung vorstellen sollte und er gab sich das Versprechen, sich diesem Hochmuth gegenüber kein Haarbreit etwas zu vergeben. Seine ferneren Gedanken schnitt die Mittagsglocke ab; die Anwesenden stürmten in amerikanischer Manier nach dem Speisesaale, Einer suchte den Andern zu überholen, um einen Stuhl an der Tafel zu gewinnen, und Helmstedt, der als ständiger Kostgänger seinen Platz reservirt wußte, war einer der Letzten. Als er aber eben den Speisesaal betrat, hörte er neben sich Elliots Stimme: »Ich wünsche Sie nach Tische ein paar Minuten zu sprechen, Sir!« Helmstedt veränderte weder eine Miene, noch antwortete er. Das ganze Wesen des Pflanzers traf seinen Stolz an der wundesten Stelle. Er nahm langsam und mit aufgerichtetem Kopfe seinen Platz ein, nickte einigen bekannten Gesichtern in seiner Nachbarschaft zu und ging auf die um ihn her fallenden Bemerkungen so unbefangen ein, als habe nichts Ungewöhnliches seine Seele berührt.

Die Tafel war zu Ende. Helmstedt nahm seinen Hut, zündete in dem Bar-Room eine Cigarre an und wandte sich, um das Hotel zu verlassen, als er den Vater seiner Frau dicht vor sich erblickte.

»Ich sagte Ihnen, Sir, daß ich einige Worte mit Ihnen zu reden hätte!« begann dieser mit zusammengezogenen Augenbrauen.

»Das ist möglich, Mr. Elliot,« erwiderte der junge Mann, dem Pflanzer frei ins Gesicht sehend; »ich spreche aber mit Niemand, der nicht zu mir wie der Gentleman zum Gentleman redet. Sie mögen reicher sein als ich; in allem Uebrigen aber stelle ich mich mit Ihnen auf gleiche Stufe; auch bin ich mir nicht der kleinsten Handlung bewußt, welche mich hindern könnte, die nöthige Achtung gegen mich zu fordern.«

Elliot sah ihn einen Augenblick finster an. »Sie sprechen mit der ganzen Keckheit der Jugend, Sir,« sagte er dann, »und statt zu suchen, hier, wo Sie nicht einmal ansässig sind, sich Freunde zu erwerben, scheinen Sie durch einen übel angebrachten Stolz sich Ihren Weg recht absichtlich erschweren zu wollen.«

»Ich thue nur das, was jeder Mann von Ehre sich selbst schuldig ist,« erwiderte Helmstedt ernst, »und die Folgen dessen, Mr. Elliot, gut oder übel, trag' ich allein.«

»Gut Sir, so erlauben Sie mir, ein paar Worte mit Ihnen zu reden!« sagte der Pflanzer, den Kopf zurückwerfend.

»Mit Vergnügen, Sir,« erwiderte der Deutsche, sich höflich neigend, »bestimmen Sie über mich!«

Elliot schritt nach einem der Seitenzimmer voran, und untersuchte dort jede Thür, ob sie geschlossen sei. »Well, Sir,« begann er dann, sich langsam auf einem der Stühle niederlassend, während Helmstedt seinem Beispiele folgte, »Sie haben mich nicht in meinem Hause sprechen wollen, und so habe ich die Gelegenheit dazu hier wahrnehmen müssen.« Er machte eine kurze Pause und sah finster vor sich nieder. »Es ist gekommen,« fuhr er dann fort, »wie ich es meiner bethörten Tochter vorausgesagt; sie bereut den Schritt, den sie in einer Verblendung gethan, welche ich mir heute noch nicht erklären kann, und will das elterliche Haus nicht mehr verlassen.« Er sah auf, wie eine Antwort erwartend.

»Sie meinen wahrscheinlich unter diesem Schritte Ellens Verbindung mit mir;« erwiderte Helmstedt, ihm ruhig ins Gesicht sehend, »reden Sie weiter!«

»Ich glaube, Sir, wenn Sie mich nicht absichtlich mißverstehen wollen, genug gesagt zu haben – und wenn Sie durchaus ein directes Wort verlangen, so möchte ich Sie fragen: was soll jetzt werden?«

Helmstedt stützte Arm und Stirn auf die Lehne seines Stuhles.

»Worüber beklagt sich meine Frau, Mr. Elliot?« fragte er. »Hat sie Beschwerden gegen mich, oder gibt es andere triftige Gründe, welche es rechtfertigen können, daß sie nicht wieder in das Haus ihres Mannes zurückgekehrt ist?«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt,« erwiderte der Pflanzer, ungeduldig auf seinem Stuhle rückend, »daß diese ganze Heirath ein Act der Verblendung seitens meiner Tochter war, daß endlich ihre Vernunft zurückgekehrt ist, und daß also nur noch die Frage vorliegen kann, auf welche Weise das bestandene Verhältniß am einfachsten zu lösen ist. Ich habe Sie früher von mancher vortheilhaften Seite kennen gelernt, Sir, und traue daneben Ihrem offenen Verstand zu, daß Sie die vorliegenden Thatsachen richtig genug beurtheilen können; ich frage Sie deshalb einfach: was soll geschehen? Und wenn meinerseits ein Opfer nöthig ist, um ein zufriedenstellendes Resultat zu erzielen, so stellen Sie ungescheut Ihre Bedingungen!«

Helmstedt setzte sich langsam aufrecht.

»In meiner Heimat, Sir,« begann er ernst, »gilt eine eingegangene Ehe als Vertrag für das ganze Leben, und ich habe immer gemeint, daß nur dadurch das Weib es vor ihrem eigenen Gefühle rechtfertigen kann, wenn sie sich ganz und gar dem Manne ihrer Wahl hingibt. Was sollte aus unserm Familienleben, aus unsern ganzen gesellschaftlichen Verhältnissen werden, wenn unter dem einfachen Vorgeben: verblendet gewesen zu sein, sich Mann und Weib nach wenigen Monaten scheiden könnten, um dann eine andere Verbindung, eine dritte und so fort nach Gefallen einzugehen? Ich glaube Ellens weibliches Gefühl zu kennen, und wenn sie im Augenblick mit Ihren Wünschen übereinstimmen sollte, so darf ich viel eher annehmen, daß sie jetzt verblendet ist, als daß dies früher der Fall gewesen, als sie mir Liebe für das ganze Leben gelobte.«

Elliot machte eine Bewegung zum Sprechen.

»Lassen Sie mich Ihnen noch zwei Worte sagen, und ich bin zu Ende!« fuhr Helmstedt aufgeregter fort. »Sie wissen, daß kein unreiner Beweggrund irgend einer Art unsere Verbindung schuf, daß der Drang der Verhältnisse Eins dem Andern in die Arme führte, und daß ich deshalb mit freiem Auge zu Ihnen reden darf. Wenn in dem letzten Monat Ellens Gefühle für mich ruhiger wurden, wenn sie sich, abgeschnitten von dem elterlichen Hause und allein in ihrer einfachen neuen Heimat, unbehaglich zu fühlen begann, so theilte sie wol nur dasselbe Schicksal mit fast jeder jungen, früher verwöhnten Frau, die unter ähnlichen Verhältnissen einem Manne gefolgt ist, der noch für sein Brod arbeiten muß. Handelt es sich nur um Ellens Zufriedenheit, so ist dem Uebel einfach dadurch abzuhelfen, daß Sie, Sir, unsere Verheirathung mit freundlicherem Auge ansehen, so daß Ellen nicht mehr gezwungen ist, die traurige Wahl zwischen Vater und Mann zu treffen, die einen von Beiden stets ausschließt, und daß Sie mir Gelegenheit geben, Sie nach und nach ganz mit den Dingen, die doch nun einmal geschehen sind, auszusöhnen. Im andern Falle,« fuhr er fort, als der Pflanzer heftig den Kopf schüttelte, »werde ich zwar meiner Frau nicht den geringsten Zwang anthun, werde sie frei ihren Weg ziehen lassen, aber auch vorläufig zu keiner leichtfertigen Lösung unserer Ehe meine Hand bieten – ich glaube dies Ellens Ehre und meiner eigenen schuldig zu sein, Mr. Elliot.«

»Ist das Ihr letztes Wort, Sir,« fragte der Pflanzer, wieder finster vor sich niedersehend, »oder gibt es irgend ein Mittel, Sie kurz und bündig auf eine andere Weise zufrieden zu stellen? Wenn Sie die hiesige Gegend verlassen und Ihre augenblicklichen Rechte aufgeben würden, so sollte Ihnen ein genügendes Kapital zur anderweitigen Gründung Ihrer Existenz nicht fehlen.«

»Ich glaube, Mr. Elliot, Sie erlassen es mir, auf einen solchen Vorschlag nur zu antworten,« sagte Helmstedt, sich langsam erhebend, »wir thun wol am besten, ganz abzubrechen.«

»Nun, in des Himmels Namen, so sagen Sie mir, was Sie eigentlich wollen!« rief Elliot aufspringend. »Wenn Sie meine Tochter lieben oder geliebt haben, so kann Ihnen nichts daran liegen, sie für ihr ganzes Leben einen einzigen unbesonnenen Schritt bereuen zu machen; wenigstens werde ich, an dem ihre ganze Seele hängt, niemals meine Billigung zu einer Verbindung geben, die meinen Ansichten vom Leben und meinem innersten Wesen direct entgegenläuft. Sie sagen, Sie wollen Ellen keinen Zwang anthun – wollen aber auch das Band zwischen ihr und Ihnen nicht lösen; das heißt, dem armen gefangenen Vogel die Freiheit geben, ihn aber mit einem Faden am Bein an das Fenster binden, damit er nicht entwische.«

Helmstedt schüttelte den Kopf.

»Sie beurtheilen eben mein Verhältniß zu Ellen nach Ihren Ansichten, Sir!« sagte er, »und deshalb wird eine Verhandlung zwischen uns Beiden auch stets unfruchtbar sein. Was ich will ist einfach: daß Ellen, welche ihre Verbindung mit mir ohne ihren Vater schloß, sich auch selbst mit mir wieder auseinander setze, falls sie wirklich auf einer Trennung besteht. Ich werde sie in diesem Falle nicht halten; ich habe aber ein Recht, ihr Vertrauen zu fordern; ich habe ein Recht, mich dagegen aufzulehnen, daß sie durch ein heimliches Verlassen ihres Mannes und ihrer neuen Heimat meine Ehre jeder beliebigen Deutung des Geschehenen blosstellt. Ellen soll, da es jetzt noch Zeit dazu ist, zu mir zurückkehren, soll ihren Platz in unserem Hause wie früher wieder einnehmen und dann wollen wir unsere Angelegenheit mit einander ordnen – einen andern Weg zur Ausgleichung der jetzigen Differenz kenne ich nicht, Sir!«

»In Ihrer Forderung ist wenigstens Selbstgefühl genug,« erwiderte Elliot mit einem frostigen Lächeln, während er langsam der Thür zuschritt, »ich sehe, daß wir uns schwerlich verständigen werden; lassen wir also die Dinge ihren natürlichen Gang gehen. Noch Eins will ich Ihnen aber sagen, junger Mann,« wandte er sich von der Thür zurück, »sollte der Fall eintreten, daß Sie es trotz Ihres Stolzes für gut befänden, auf ein Uebereinkommen zu Ihrer Abfindung einzugehen, so gebe ich Ihnen zwei Monate, von heute an, Zeit – nach diesem Termin werde ich meine Tochter ohne jede weitere Rücksicht selbst frei zu machen wissen.«

Er nickte leicht und schritt aus dem Zimmer.

Helmstedt hatte, ihm nach, das Hotel verlassen und ging, den Kopf gesenkt, langsam nach seiner Wohnung. Es war Sonnabend, der freie Tag für alle amerikanischen Schulen, und er konnte über seine Zeit verfügen. Zwei Gefühle stritten sich in ihm und ließen keine rechte Befriedigung über die eben stattgefundene Scene in ihm aufkommen. Er hatte die Kränkung, welche ihm Ellen durch ihre Uebersiedelung in das väterliche Haus angethan, zu tief empfunden, als daß er nicht auf ihre Rückkehr, als die einzige Genugthuung für ihn, hätte bestehen sollen, und seine Haltung ihrem stolzen Vater gegenüber erschien ihm schon durch die eigene Selbstachtung geboten. Im Hintergrunde seiner Seele aber wurde eine andere Stimme laut, die zweifelnd fragte, ob es nicht dennoch besser gewesen wäre, ein Verhältniß schnell zu lösen, in welchem die Grundbedingung, auf welche es gebaut worden: Ellens aufopfernde Liebe für ihn, geschwunden war, in dem er, selbst wenn eine neue Vereinigung möglich gewesen, wol nie wieder seine ganze Befriedigung hätte finden können, ob es nicht besser gewesen sei, die alten Bande von sich zu streifen, lieber auf eine Genugthuung zu verzichten, aber berechtigt zu sein, in neuer Freiheit ein neues Glück zu suchen?

Er war an seinem Hause angelangt und schloß, noch mit sich selbst beschäftigt, die Thür auf, als er seinen Schwarzen von einem Holzstück, das zur Seite im Schatten lag, aufstehen und herankommen sah. »Ich habe auf Sie gewartet, Master,« sagte er, und Helmstedt bemerkte einen Ausdruck in seinen Augen, welcher ihm auffiel; »ich möchte Ihnen ein paar Worte sagen.«

»Komm herein, Cäsar, was ist es?« Helmstedt hatte den Parlor geöffnet und setzte sich in den Schaukelstuhl am Fenster, während der Neger an der Thür stehen blieb.

»Ich habe heute morgen einen von den Schwarzen aus Littley Valley gesprochen,« begann der Letztere. »Sie wissen, wo Little Valley ist, Sir?«

»Noch nicht einmal den Namen habe ich gehört, Cäsar.«

»Well, es ist eine Farm, etwa vier Meilen von Mortons Hause nach den Bergen zu, und gehörte Mr. Morton. Es ist ein Aufseher dort für die Arbeit und Mr. Morton ritt jede Woche ein Mal hinaus. Mr. Bartlett, das ist nämlich der Aufseher, soll immer strenger gewesen sein als ein Anderer, aber erst als Mr. Morton seit den letzten Monaten so kränklich war und nur selten hinkam, ist er so schlimm geworden, daß es jeden Tag blutige Rücken gegeben hat. Da hat nach Mortons Tod die Köchin in Little Valley das Elend der Köchin in Mortons Hause geklagt und die hat es der jungen Mistreß, der jetzt das ganze Eigenthum gehört, erzählt. Die Mistreß hat nun vor vierzehn Tagen den Mr. Bartlett kommen lassen, und hat ihm scharf zugesetzt, wie die Köchin in Mortons Hause wissen will, und ihm gesagt, daß sie keine Grausamkeiten dulden werde. Mr. Bartlett aber hat Alles abgeläugnet, ist böse nach Little Valley zurückgegangen, und hat zwölf Schwarze Einen nach dem Andern gehauen, bis er nicht mehr konnte, damit sie angeben sollten, wer über ihn geklagt habe, aber Keiner hat etwas gewußt. Die Köchin dort aber hat bald erfahren, was die junge Mistreß gesagt hat; es ist jetzt schon unter allen Schwarzen herum, denn die Köchin hat zwei Söhne mit auf dem Felde – und jetzt haben sie sich vorgenommen, bei dem ersten neuen Peitschenschlage Rebellion zu machen und den Aufseher todtzuschlagen. Das ist es, Sir, und ich erzähle es Ihnen, weil Sie mit der jungen Mistreß gut bekannt sind.«

Helmstedt hatte gespannt zugehört – mehr aber als die Sache selbst befremdete ihn die Angabe der beabsichtigten Empörung durch den Schwarzen. »Nun?« fragte er, als Cäsar schwieg, »willst du, daß der Aufseher gewarnt werde oder was sonst?«

Der Schwarze kratzte sich in seinem Wollhaar. »Ich gebe nichts um Mr. Bartlett, Sir,« sagte er endlich zögernd, »er ist ein böser Mensch, und nicht nur gegen die Nigger – es werden sonderbare Geschichten von ihm erzählt; aber es ist mir wegen der armen schwarzen Kerls. Jetzt schlagen sie ihn todt und denken Wunder, wie viel Recht sie dazu gehabt haben, und nachher werden sie Alle, die mit Hand an ihn gelegt haben, gehängt. Und ich wollte noch das sagen, wenn Sie mir es erlauben, Sir; es thut nicht gut, die heimliche Klatscherei von den schwarzen Weibern; junge Mrs. Morton weiß das noch nicht so, aber sie sollte sich davor in Acht nehmen – wo ein Master in seiner Stube ist, da hat die Köchin nichts zu thun, und kann auch nicht horchen, Sir. Ganz ohne Strenge geht's wol auf dem Felde nicht ab, Sir, ich muß das selber sagen; es ist manches faule Volk dort, das die Rüben und Süßkartoffeln roh äße, wenn sie nicht für Alle gekocht würden, und das am liebsten den ganzen Tag auf dem Rücken läge – 's ist nicht ein Nigger wie der andere, Sir – und so kann die junge Mistreß mit ihrer Güte viel Unglück anrichten, Sir; sie sollte, wenn Sie's erlauben, Sir, vielleicht Jemand zu sich nehmen, der hier recht Bescheid weiß – und Sie nehmen es nicht übel, Sir, was ein dummer Nigger da geredet hat, aber ich dachte, ich müßte es Ihnen sagen, Sir!«

Der Schweiß perlte in dicken Tropfen von des Redenden Gesicht und offenbar erleichtert, zu Ende zu sein, wischte er sich die Stirn mit dem Aermel seiner Jacke.

Helmstedt war von seinem Stuhle aufgestanden und ging einige Male nachdenkend das Zimmer auf und ab. »Du magst so Unrecht nicht haben, Cäsar,« sagte er, vor dem Schwarzen stehen bleibend, »glaubst du, daß in der nächsten Zeit etwas zu befürchten ist?«

»Heute ist Sonnabend, da ist der Aufseher meist in der Stadt, und morgen, am Sonntag, wird nicht gearbeitet,« erwiderte der Neger mit einem Gesichte voll Verstand; »aber am Montag früh, Sir, wo die Arbeit noch am wenigsten schmeckt und die Aufseher die Peitsche meist am lockersten haben, am Montag kann's etwas geben.«

»Es ist gut, Cäsar, sattle mein Pferd.« Der Schwarze verschwand mit befriedigter Miene, und Helmstedt setzte seinen Gang durch das Zimmer fort, bis er endlich am Fenster stehen blieb und in Gedanken verloren hinausstarrte. Er dachte nicht mehr an Cäsars Mittheilungen, es stand nur vor ihm, daß er wieder nach Mortons Haus reiten wollte, welches er seit vierzehn Tagen gemieden; er suchte sich den Gesichtsausdruck zu vergegenwärtigen, mit welchem ihn nach dem letzten sonderbaren Scheiden Pauline empfangen würde, und er mußte dabei tief aufathmen, um sich die Brust frei zu machen. Und wieder sprach die heimliche Stimme vom Nachmittag zu ihm, wie wunderschön es doch wäre, wenn er Elliots Scheidungsanerbietungen kurz angenommen hätte, wenn er jetzt Paulinens beide Hände fassen und sagen könnte: Ich bin ein Narr gewesen und blind dazu, aber ich bin sehend geworden und habe meine Bande von mir geworfen; hier bin ich, und nun thue mit mir wie du willst. Stoße mich zurück, aber ich werde bei dir bleiben; fliehe mich, ich werde dir folgen, bis du mich erkannt hast und mir wieder zulächelst wie ehedem.

»Wahnsinn!« sagte Helmstedt, sich gerade aufrichtend und mit der Hand über seine Augen fahrend. »Erst das alleinstehende Mädchen mit ihrem warmen Herzen zurückgewiesen und dann ihr als reiche Frau die Cour gemacht – ob sie nicht ein Recht hätte, mich zu verhöhnen? Ja, wenn jetzt ein Erdbeben ihre Plantagen und Neger verschlänge, wenn sie wieder so arm oder ärmer würde als zuvor, daß sie einsehen müßte, was aus mir spräche – – aber Phantasie und Unsinn! Wende den Blick von dem Glücke, August, das du selbst verscherzt hast, und wahre dich vor einer neuen Demüthigung!«

Er durchschritt wieder das Zimmer, bis der Schwarze sein Pferd vorführte und das Geräusch der Tritte auf dem Pflaster ihn aus seinen Gedanken weckte.

»Bleibe hier, Cäsar, bis ich zurückkomme, falls ich dich brauchen sollte,« sagte Helmstedt beim Aufsteigen und trabte davon.

Es war ein Tag wie im hohen Sommer, und die Sonnenglut, an welche der Deutsche noch nicht gewöhnt war, schien ihm nach kurzer Zeit fast unerträglich; er war froh, als er den Waldschatten erreicht hatte. Aber auch hier war der Ritt in der stillen Mittagshitze so unleidlich, daß alle müßigen Gedanken, die in ihm aufsteigen wollten, von selbst verschwan den und daß er sich erschöpfter als jemals fühlte, als er Mortons Haus erreichte. Er band sein Pferd im Schatten an und ging nach der offenen Halle, wo ein leises Lüstchen hindurchzog, und ließ sich hier auf eine der Ruhebänke nieder, um sich einige Minuten abzukühlen, ehe er sich bei der Hausherrin melden ließ. Innerhalb des Hauses wie in seiner Umgebung schien kaum etwas Lebendiges vorhanden zu sein; eine Stille herrschte, daß Helmstedt das leise Rauschen der Blätter außerhalb vernehmen konnte, wenn ein Luftzug sie bewegte. Fast wirkte die Rast und die Kühle nach dem warmen Ritte einschläfernd auf ihn und nach kurzer Zeit raffte er sich wieder auf, um in dem hintern Theile des Hauses nach einem der schwarzen Dienstboten zu sehen – aber nirgends ließ sich ein menschliches Wesen entdecken. Helmstedt öffnete endlich den Parlor, dessen Fenster durch grüne Jalousien vor der Sonne geschützt waren, und trat in den halbdunkeln Raum, auf dessen Boden nur einzelne helle Lichtpunkte sich wie hingestreutes Gold abzeichneten. Er sah um sich und wollte eben wieder zurücktreten, als sein Auge in einer Ecke des Zimmers ruhen blieb, wo sich ihm ein Bild bot, wie man es eben nur im Süden beim frühen Eintritt der heißen Jahreszeit antreffen kann.

Auf einem der Divans leicht zurückgelehnt saß Pauline mit geschlossenen Augen. Der eine ihrer unverhüllten schönen Arme ruhte auf der Seitenlehne, während der andere, in ihren Schooß gesunken, einzelne Papiere hielt, mit deren Durchsicht sie beschäftigt gewesen schien. Ihr linker Fuß stützte sich auf einen niedern, weichen Schemel, während der rechte, unbedeckt von dem schwarzen Gazekleide, seine eleganten Formen bis über die seinen Knöchel zeigte. Zur Seite ihres Knies saß eine schlanke Mulattin, ein geschlossenes Contobuch auf dem Schooße, und den Kopf auf die Brust gesenkt. Beide schienen ohne ihr Wissen vom Schlaf überrascht worden zu sein.

Helmstedt stand eine Minute lautlos betrachtend. Das Märchen vom schlafenden Dornröschen in der hundertjährigen Stille, das der Ritter mit einem Kusse aus der Verzauberung weckte, kam in seinen Sinn. Sie lehnte da so mädchenhaft in ihrer Erscheinung und doch so alle Sinne aufregend, daß es eine Seligkeit hätte sein müssen, den erlösenden Ritter zu spielen. Kaum hatte er sich indessen zum geduldigen Warten in der Halle wieder niedergelassen, als auch Pauline in der geöffneten Parlorthür erschien. Ein leichtes Roth überflog sie, als sie Helmstedt, der von seinem Sitze aufsprang, erblickte.

»Wenn ich gestört habe, Mrs. Morton, so bitte ich von ganzem Herzen um Entschuldigung,« rief er, »aber es geschah ohne meine Schuld.«

»Ich glaube gern, Sir, daß es etwas Besonderes sein muß, was Sie einmal wieder nach Mortons Haus führt,« erwiderte sie, sichtlich noch in halber Verlegenheit, »der Tag scheint überhaupt ein eigenthümlicher zu sein; es ist das erste Mal, daß ich vom Klima überwältigt wurde, ohne etwas davon gewußt zu haben. Aber wollen Sie nicht eintreten?«

Eben schoß die Mulattin, das Gesicht zur Seite gewandt, zur Thür heraus, und Helmstedt folgte lächelnd der Hausherrin in das Zimmer.

»Ich war eben dabei, mir selbst etwas Einsicht in den Stand der Farm zu verschaffen,« sagte diese und räumte die umherliegenden Papiere bei Seite, »und ich denke, ich werde auch mit der Zeit das Hauptsächlichste übersehen können. Aber welcher besondere Grund ist es denn, der mir einmal wieder die Ehre verschafft, Mr. Helmstedt bei mir zu sehen?« fuhr sie fort und ließ sich in dem Schaukelstuhle nieder. Es klang etwas wie halbe Ironie in ihrer Frage, aber Helmstedt mochte nicht darauf achten und nahm der jungen Frau gegenüber Platz.

»Sie haben früher wol das Anerbieten meiner Dienste und meines Rathes zurückgewiesen, Ma'am,« begann er ruhig, »demohngeachtet muß ich mich heute noch einmal aufdrängen.«

»Aufdrängen, Mr. Helmstedt?« sagte sie, sich aufrecht setzend, »sind Sie denn wirklich noch so empfindlich, wie Sie es immer waren, daß Sie, vielleicht auf ein hastig gesprochenes Wort hin, einen solchen Ausdruck gebrauchen müssen? Lassen Sie mich offen zu Ihnen reden, und unser beiderseitiges Verhältniß feststellen,« fuhr sie lebhaft fort, »das wird uns manches Mißverständniß in der Zukunft ersparen. Sie glauben Mr. Morton einige Verbindlichkeiten schuldig zu sein, und da er Sie vor seinem Tode gebeten, mich künftig mit Rath und That zu unterstützen, so halten Sie es für eine Ehrensache, dieser Bitte nachzukommen. Es versteht sich nun von selbst, Sir, daß Sie zu jeder Zeit in Mortons Hause willkommen sind, und daß mir Ihre Ankunft stets eine besondere Freude machen wird – aber, Mr. Helmstedt, verpflichten mag ich Sie zu gar nichts mir gegenüber. Wir sind früher schon über unsere gegenseitigen Gefühle klar geworden. Sie waren zu stolz, auch nur die leiseste Hilfeleistung von Jemand anzunehmen, für den Sie kein Interesse fühlten, wie von mir zum Beispiel, und es kann Sie Niemand deshalb tadeln; ich aber habe in meiner Einsamkeit auch so viel gelernt, daß es mehr Befriedigung gewährt, sich selbst genug zu sein und nur auf die eigenen Kräfte zu bauen, als auf Hilfe zu rechnen, die nur des Anstandes und der Ehre wegen gewährt wird. So, Mr. Helmstedt, sind Sie mir als Gast und wohlmeinender Rathgeber immer hochwillkommen; ich möchte aber nicht, daß Sie sich auch nur unter der leisesten Verpflichtung gegen mich glaubten.«

Helmstedt sah in ihre glänzenden Augen und es stieg bei dem leichten, unbefangenen Tone ihrer Worte ein Weh in seinem Herzen auf, gegen welches sein Stolz vergebens ankämpfte. »Nicht wahr, Pauline,« begann er nach einer Pause plötzlich deutsch, »Sie wollen mich recht demüthigen?«

Ein schwaches Roth trat in das Gesicht der jungen Frau. »Bleiben wir beim Englischen, Mr. Helmstedt,« sagte sie und ihre Züge wurden ernster, »wir sprechen es Beide gut genug, um uns zu verstehen. Ich habe mit allen meinen Erinnerungen abgerechnet, als ich zuerst Mortons Haus betrat, und will auch nicht eine wieder wach rufen. – Ist Ellen noch bei ihren Eltern?« fragte sie nach einer Weile, als wolle sie den Gegenstand des Gesprächs wechseln.

»Sie ist noch dort und wird auch wol nicht wieder zurückkehren,« erwiderte Helmstedt und strebte umsonst, sich von einem innern Drucke zu befreien. »Ihr Vater, den ich heute sprach, dringt auf eine Scheidung, die ich meines eigenen Rufes halber in dieser kurzen Weise nicht bewilligen mochte; indessen wird es wol das Beste sein, mich hier von allen Täuschungen, die mir geworden, frei zu machen, sobald ich es kann, und im Osten eine neue Carriere zu beginnen. – Aber ich muß Ihnen den Zweck meines Besuchs mittheilen, Ma'am,« fuhr er fort, ohne den aufmerksamen Blick zu beachten, mit welchem ihn Pauline bei seinen letzten Worten betrachtete, und begann zu erzählen, was er von Cäsar gehört. »Wenn Sie auf meinen Rath hören wollen,« setzte er hinzu, »so handeln Sie in Bezug auf Ihre Schwarzen nicht ohne mit Jemand, welcher über die Plantagen-Verhältnisse ein gereiftes Urtheil hat, sich besprochen zu haben. Unser deutsches Gefühl ist darin für die Praxis oft der übelste Rathgeber. Ich habe Ihnen die Thatsachen, die mir nicht ohne Gefahr scheinen, mitgetheilt, und kann ich Ihnen in Bezug darauf in irgend einer Weise dienen, so disponiren Sie über mich.«

Pauline war sichtlich betroffen. Ehe sie aber antwortete, öffnete sich die Thür und der alte Arzt, welchen Helmstedt schon früher im Hause gesehen, trat ein.

»Da ist Jemand, der uns rathen wird!« rief die junge Frau aufstehend. »Dr. Ford – Mr. Helmstedt, wenn sich die beiden Herren noch nicht kennen. Das Kind scheint eine Thorheit begangen zu haben, Doctor, und Sie sollen den Schaden wieder gut machen helfen!«

»Hoffentlich wird sich den Folgen noch vorbeugen lassen,« sagte der alte Herr lächelnd, nachdem er Helmstedt begrüßt hatte, und nahm auf dem nächsten Stuhle Platz; »hat das Kind irgendwo ein scharfes Messer angefaßt, und sich in den Finger geschnitten?«

»Es ist wirklich so etwas, Doctor – aber lassen Sie sich von Mr. Helmstedt erzählen, der mir so eben die erste Nachricht von dem, was ich angerichtet habe, gebracht hat.«

Der junge Mann begann von Neuem zu berichten, und Pauline schien ängstlich das Gesicht des Arztes zu bewachen.

»Es ist jedenfalls eine unangenehme Geschichte,« begann dieser, nachdem Helmstedt geendet, und fuhr sich mit der Hand durch das buschige Haar, »ich glaube aber, daß, wenn die richtigen Schritte gethan werden, kaum viel Gefahr zu befürchten ist. Ich werde heute Abend selbst nach Little Valley reiten und ein wirksames Wort mit dem Bartlett reden – ich kenne ihn, aber ich mag ihn selbst nicht leiden, und es wird gut sein, wenn er, sobald ein anderer brauchbarer Mensch an seiner Stelle aufgefunden ist, entlassen wird. Zur Beruhigung der Schwarzen aber ist es am besten, Ma'am, ihre Köchin sofort und spätestens morgen früh nach Little Valley zu versetzen, sollte es auch nur auf vier Wochen sein – die dortige Köchin aber während dieser Zeit mit auf dem Felde arbeiten zu lassen. Die Schwarzen dort kennen jedenfalls den Kanal, durch welchen sie Nachricht von der Stimmung ihrer Herrschaft hier erhalten haben, und die rasche, unerwartete Strafe für die stattgefundene Horcherei wird mehr auf sie wirken und ihnen die Rebellionsgelüste schneller vertreiben, als irgend ein anderes Mittel. Für alle künftigen Fälle aber wird es gut sein.« fuhr er lächelnd fort, »wenn das Kind nicht mehr zu hastig den Regungen seines weichen Herzens folgt und ihren getreuen Rächen ein Wort gönnt, ehe sie handelt.«

»Sie reden gut, Doctor,« rief sie, den Mund zum halben Schmollen verziehend: »bin ich denn nicht in den meisten Fällen auf mich selbst angewiesen, und muß ich nicht Gott schon danken, daß Sie wenigstens hier im Hause zu unserm Schutze Ihr Quartier genommen haben, wenn ich Sie auch jeden Tag nur eine kurze Minute sehe? Aber ich verspreche Ihnen, vorsichtiger zu sein, Sie sollen noch an der festen Hand des Kindes, mit welcher es die Geschäfte leitet, Ihre Freude haben. Und damit Sie den guten Anfang sehen, Doctor, sollen heute noch Ihre Anordnungen befolgt werden.«

»Es ist unter allen Umständen das Beste!« erwiderte der Arzt und erhob sich. »Ich werde nachsehen, welche Geschäfte mir heute etwa noch obliegen, und dann bin ich wieder bei Ihnen, ehe ich nach Little Valley reite.«

Er grüßte und verließ das Zimmer und auch Helmstedt stand von seinem Sitze auf.

»Sie gehen doch nicht auch schon, Sir?« fragte die junge Frau.

»Well, Ma'am, was soll ich noch hier?« versetzte er und es klang wie halber Unmuth in seiner Stimme. »Meiner Dienste bedürfen Sie nicht, und um bloße Redensarten kann es Ihnen nicht zu thun sein – ich glaube auch nicht, daß ich der Mann dazu wäre. Ich habe Ihnen meine Mittheilung gemacht, Sie haben Ihre Maßregeln getroffen, und so bin ich mit dem Zwecke meines Besuchs zu Ende.«

»Ich hoffe nicht, Mr. Helmstedt, daß ich etwas gethan habe, was Sie beleidigen konnte?« fragte sie und sah ihn mit großen Augen an.

»Beleidigen? Gewiß nicht, Ma'am!« erwiderte er, »Sie haben mir ja nur vor die Augen geführt, daß ich in früherer Zeit Ihre Theilnahme an meinem Schicksale zurückgewiesen hatte, und daß ich also auch kein Recht habe, jetzt nach dem Ihrigen zu fragen. Mir schien es damals, als ob Sie meine Zurückweisung schmerzte, und ich konnte doch nicht anders; jetzt schmerzt mich Ihr Verfahren, und Sie sind doch darin in vollem Rechte. Das ist Alles! Aber ich rede da mehr, als ich wollte – entschuldigen Sie, Mrs. Morton, es soll nicht wieder geschehen, und so leben Sie wohl!«

Pauline hatte sich während seiner Rede erhoben, in ihrem Auge lag ein Ausdruck wie stille Sorge. »Gehen Sie nicht so fort, Mr. Hemstedt,« sagte sie, »Sie sind bitter, und ich kann, offen gestanden, keinen rechten Grund dafür finden – fast eben so verließen Sie mich das letzte Mal. Ich erkenne recht gut, daß Ihr jetziges Verhältniß zu Ellen Sie reizbar machen muß; kann ich aber etwas für Ihre Zufriedenheit thun, so sagen Sie es und Sie werden mich bereit finden.«

Sie hatte ihm ihre Hand geboten, Helmstedt ergriff sie und hielt sie eine kurze Weile schweigend in der seinigen. »Sie wollen etwas für meine Zufriedenheit thun –« sagte er dann und im Tone seiner Stimme, wie im Ausdruck seines Gesichts schienen die verschiedenartigsten Empfindungen mit einander zu kämpfen; »ich sollte fortgehen, Mrs. Morton, denn ich weiß, daß ich ein Narr bin – aber Sie haben mich aufgefordert zu reden. Nun, so denken Sie einmal, das vergangene Jahr sei nicht in der Welt gewesen, reden Sie deutsch zu mir und nennen Sie mich ›August‹, wie Sie es damals in New-York thaten.«

In das Gesicht der jungen Frau schoß das Blut, dann wurde sie blaß – sie wollte ihre Hand zurückziehen, aber Helmstedt hielt sie fest. »Ich glaube nicht, Herr von Helmstedt, daß Sie mich verhöhnen wollen?« sagte sie endlich deutsch, und ein innerer Druck schien ihr fast die Stimme zu benehmen.

»Verhöhnen, Pauline?« erwiderte er, ihre Hand fester pressend, »warum fragen Sie nur so etwas? Ich mag mit meiner Forderung wirklich ein Narr sein, aber ich möchte jetzt die Seligkeit dieser Narrheit um keinen Preis der Welt hingeben. Sagen Sie nur einmal: August, wir wollen Freunde sein, wie ehedem; und ich stelle mich zufrieden. Wollen Sie, Pauline?«

Sie hatte sich marmorbleich zurückgebogen und ihre Hand leicht aus der des jungen Mannes gewunden. »Sie wissen wol nicht, Herr von Helmstedt,« sagte sie und es zitterte eine tiefe Empfindung in ihrem Auge, »daß in einem Jahre der Mensch zehn Jahre älter werden kann? Die Zeit, von der Sie reden, liegt so weit hinter mir, daß ich kaum noch daran glauben würde, wenn Sie sie nicht zurückgerufen hätten. Mit Ihnen ist es anders gewesen, Sie sind einen Weg des innern Glücks gewandelt, und was für Sie jetzt die Erlangung einer leichten Befriedigung sein mag, das heißt bei mir, Todte aus dem Grabe rufen. Lassen wir sie ruhen, Herr von Helmstedt!«

Helmstedts Erregung war geschwunden, wie der Wellenschlag unter dem eisigen Nordwinde erstarrt. »Ich darf Ihnen nichts entgegnen,« sagte er nach einer Weile langsam und preßte die Hand gegen die Stirn, »denn Sie haben in einem Punkte nur zu Recht. Es ist so viel anders geworden in unseren gegenseitigen Beziehungen wie in unserer äußeren Lage – ich hatte mir das schon selbst vor die Augen gestellt, – es mußte ja Alles kommen, wie es soeben gekommen ist, mag es denn so sein! In einem süßen deutschen Liede heißt es:

Behüt' dich Gott, es war' zu schön gewesen, Behüt' dich Gott, es hat nicht sollen sein!

und so geben Sie mir noch einmal Ihre Hand, Pauline, ich werde Sie nicht wieder in Verlegenheit setzen!«

Er drückte leise ihre Finger und ging schweigend zum Zimmer hinaus; bald hatte er sein Pferd bestiegen und ritt, ohne sich umzusehen, davon.

Pauline aber setzte sich, halb hinter den Gardinen verborgen, aus Fenster, stützte Arm und Kopf auf die Stuhllehne und sah dem Davonreitenden sinnend nach, bis er hinter den Büschen verschwunden war.

VI.

Als eine der schönsten Besitzungen im nördlichen Alabama galt Elliots Farm, Oaklea genannt, eben so unter den Freunden des Idyllischen, wie unter den praktischen Menschen, welche eine Plantage nur nach ihrer Größe und Ertragsfähigkeit beurtheilen. Das Landhaus, aus weißem Sandstein, auf einer sanft emporsteigenden Anhöhe erbaut und mit einem breiten, von Säulen getragenen Portico geschmückt, war von Gartenanlagen umgeben, durch welche sich helle Kieswege schlängelten; den Fuß des Hügels aber umzog ein dicker Kranz von Eichen und bildete dort ein schattiges Wäldchen. Ein Stück hinter dem Hause, den Abhang hinab, lagen die Negerhütten, ein kleines Dorf bildend, das von einem klaren Gebirgsbach durchströmt ward. Von hier aus erstreckten sich die weitläufigen, wohleingezäunten Felder und Wiesen weit nach allen Seiten hin und gaben sowol von der guten Bewirthschaftung, wie von dem Reichthum des Besitzers ein sprechendes Zeugniß.

Diese Ecke von Alabama, sowie ein Theil des angrenzenden nördlichen Staates Georgia war 1850 noch nicht fünfzehn Jahre in dem ausschließlichen Besitz weißer Ansiedler. Das Land hatte zur Reservation der Cherokee-Indianer gehört, welche hier indeß fast sämmtlich feste Wohnplätze gehabt, Ackerbau betrieben und das Land in einer Weise unter Cultur gebracht hatten, wie es nur der weiße, intelligente Ansiedler im Stande gewesen wäre. Unter ihnen hatten auch schon längst Amerikaner gelebt; aber erst in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre wurde eine amtliche Vermessung des Landes vorgenommen und den Indianern ein neuer, westlich liegender Landstrich für ihre Wohnstätten angewiesen – sie wurden, mit dürren Worten gesagt, von dem Boden, den sie urbar gemacht, vertrieben, der Früchte ihres Fleißes beraubt und ohne Rücksicht auf den Grad der Civilisation, welcher bei ihnen bereits Eingang gefunden, wieder in die Wildniß gejagt, um ihre wohlcultivirten Heimstätten dem weißen Manne zur Verfügung zu stellen.

Elliot, von Hause aus nur von geringem Vermögen, aber speculativ, hatte die Gegend durchreist, den Platz, auf welchem sich seine jetzige Plantage befand, zuerst mit Beschlag belegt und dann, als die vermessenen Ländereien zum öffentlichen Verkauf kamen, um einen geringen Preis erworben. Der Ackerboden war so vortrefflich ausgerodet, daß nirgends mehr ein alter Baumstumpf zu finden war, und so war es ihm, mit Hilfe eines Capitals, das ihm seine Frau zugebracht, und vorsichtigem Zusammenhalten des Erworbenen schon in den nächsten zehn Jahren gelungen, sich zu einer der respectabelsten Stellungen unter den Grundbesitzern der Umgegend in die Höhe zu arbeiten. Erst zwei Jahre zurück hatte er das steinerne Wohnhaus bauen und die Parkanlagen um dasselbe ausführen lassen.

Es war Nachmittags. In einem Zimmer des oberen Stockwerks, in welches das Licht des Sommertages kaum einen lichten Schein durch die dicht geschlossenen Jalousien und dicken Vorhänge zu werfen vermochte, lag Ellen nachlässig hingeworfen auf einem der gebräuchlichen, sophaähnlichen Ruhebetten. Am Fenster stand Sarah neben einem Korbe voll weißer, geplätteter Unterkleider und Nachtgewänder, welche sie sorgsam zusammenfaltete und in die ihr zur Seite stehende Kommode legte.

»Cäsar war schon zweimal Abends hier, Ma'am,« unterbrach die Schwarze das Schweigen, welches bis jetzt geherrscht hatte, ohne jedoch von ihrer Beschäftigung aufzusehen.

Die junge Frau erhob langsam den Kopf. »Etwas Besonderes, Sarah?«

»Gar nichts, als daß ich mich ärgere, Ma'am; er ist gerade so starrköpfig wie sein Herr – er will nichts weiter wissen, als daß der ruhig seinen Geschäften nachgeht.«

Ellen richtete sich halb aus ihrer liegenden Stellung auf. »Merke Eins, Sarah,« sagte sie, »Mr. Helmstedt ist noch immer dein Herr, wie er mein Mann ist, wenn wir auch jetzt in meines Vaters Hause wohnen; ich mag Ausdrücke, wie du sie eben gebraucht, nicht hören.«

Die Schwarze warf einen kurzen Blick in das Gesicht ihrer jungen Herrin. »Sie wollten doch selbst gern wissen, Ma'am, was im Hause in der Stadt vorging, seit Mr. Helmstedt zurück war!« entgegnete sie und bog den Kopf tiefer auf die Kleider, mit denen sie beschäftigt war.

»Well, Sarah, was hat das mit deinen Ausdrücken zu thun?«

»Ich habe mich doch geärgert, daß der Cäsar wie ein Stock schweigt, und wenn ich mich deshalb einmal vergesse, schelten Sie mich für den guten Willen.«

Die junge Frau schien antworten zu wollen, legte sich aber langsam zurück.

»Ich möchte wahrhaftig gern die Zeit ganz und gar vergessen, wo wir in der Stadt lebten und Mr. Helmstedt mich unter fremde Leute geben wollte, nur weil ich eine Stunde aus dem Hause gewesen war.« fuhr die Schwarze, eifriger ihre Wäsche faltend, fort, »ich will gern nicht wieder fragen, was dort vorgeht.«

Ein Pochen an der Thür unterbrach die Stille, welche den letzten Worten gefolgt war. Sarah verließ ihre Arbeit und öffnete halb. »Mr. Elliot!« sagte sie, sich zurückwendend.

Ellen sprang auf und ging ihrem eintretenden Vater entgegen. »Laß uns allein, Sarah, bis ich dich wieder rufe,« sagte sie, während der Pflanzer sich bequem auf einen Stuhl niederließ; und als die Schwarze das Zimmer verlassen, faßte sie beide Hände ihres Vaters und sah diesem erwartungsvoll ins Gesicht.

»Ich habe ihn gesprochen,« sagte Elliot nach einer kurzen Pause, in welcher beider Augen in einander hingen, »aber, meine Tochter, es ist wenig Aussicht vorhanden, glatt von ihm loszukommen. Er will einer Scheidung nichts in den Weg legen, aber er verlangt, daß du zuerst in sein Haus zurückkehrst und dich mit ihm auseinandersetzest.«

»Und was hast du ihm gesagt?« fragte sie, ihn mit ängstlicher Spannung ansehend.

»Daß daraus nichts werden könne,« erwiderte er mit Bestimmtheit. »Er mag sich seine eigenen Bedingungen für eine anderweite Abfindung steilen; ich habe ihm zwei Monate Zeit dafür gegeben – und wenn du, Kind, mit deinen Eltern wieder auf dem alten Fuße leben willst, so schlägst du dir die ganze Angelegenheit aus dem Sinne und läßt mich für dich handeln.«

»Aber ich kenne ihn, Pa!« sagte sie, die Hände des Pflanzers pressend, »er geht nicht ab von dem, was er seine Ehre nennt; du hast schon in seinem Processe gesehen, daß er sich lieber in Lebensgefahr brachte, ehe er mich bloßgestellt hätte. Und ich wußte es, als du mich bei Mortons Ableben mit dir nahmst, welche Kämpfe noch folgen würden. Wäre es denn nicht besser, ich ginge zu ihm und sagte: August, wir verstehen uns nicht; die Aufregung hat uns zusammengeführt, laß uns jetzt in Frieden scheiden? Er verdient es gewiß, Vater,« rief sie, als Elliot das Gesicht finster zusammenzog, seine Hände den ihrigen entwand und von seinem Stuhl aufstand.

Der Pflanzer ging nach der Thür, kehrte dann zurück und blieb vor seiner ängstlich harrenden Tochter stehen. »Wir müssen offen mit einander reden, Ellen, denn du hast dich jetzt zu entscheiden,« sagte er. »Ich bin schwach gegen dich gewesen, nur zu schwach, während deiner ganzen Jugend, dafür habe ich aber auch von dem Augenblick deiner Flucht an mehr innerlich leiden müssen, als du weißt und dir Gott jemals auferlegen mag. Ich bin jetzt vollkommen klar mit mir, und sollte ich auch noch mehr zu leiden haben, so will ich doch frei von Vorwürfen gegen mich sein. Entweder hältst du jetzt zu deinen Eltern und gewährst ihnen die Genugthuung, welche sie sich selbst verschaffen werden, oder du kehrst zu diesem – zu deinem Manne zurück und scheidest dich dadurch ein- für allemal vom Vaterhause. Einmal kann das Elternherz einen Schritt, der unter besonderen Verhältnissen gethan wurde, vergeben, das zweite Mal aber, wenn die Gelegenheit verworfen wurde, wieder gut zu machen was geschehen, mag man wol noch Mitleid fühlen – die einmal zurückgestoßene Verzeihung aber kommt niemals wieder. Entweder habe ich mich, sowie Mr. Nelson in dir getäuscht und nur eine Laune hat dich für kurze Zeit zu uns zurückgebracht, oder du hältst fest an deinem natürlichen Boden und läßt mich zu deinem Besten handeln.«

Er sah der jungen Frau, die erblaßt, aber mit einem Ausdruck der reinsten Kindlichkeit die dunklen Augen zu ihm aufgeschlagen hatte, eine Minute schweigend ins Gesicht; dann nahm er ihre beiden Hände. »Ich will dich jetzt nicht drängen, Ellen,« sagte er; »überlege in Ruhe, aber ich denke, meine Tochter wird vernünftig sein.« Er küßte sie auf die Stirn und verließ langsam das Zimmer.

Ellen ging mit gesenkter Stirn nach ihrem früheren Platze und drückte den Kopf, das Gesicht in beide Arme geborgen, in das Polster.

»How do you do, Squire?« rief es in der Halle, als Elliot die Treppe hinabschritt; »ich freue mich, Sie zu Hause anzutreffen, habe schon in der ganzen Stadt gesucht, da ich Sie heute morgen dort sah.«

Das lachende Gesicht eines wohlgenährten Mannes, welcher, nach der Reitpeitsche und den Lederhandschuhen in seiner Hand zu urtheilen, eben vom Pferde gestiegen war, sah dem Pflanzer entgegen und dieser beeilte sich, ihn mit derbem Händeschütteln willkommen zu heißen. »Kommen Sie mit nach der Bibliothek, Sir,« sagte er und faßte den Angekommenen unter den Arm; »es ist dort am kühlsten und wir können es uns nach Belieben bequem machen. Sie haben mich schon in der Stadt gesucht und machen noch einen Extraritt hierher?« fuhr er fort, während er die Thür zu seinem Arbeitszimmer, das er gern Bibliothek nannte, obgleich kaum drei kleine Reihen Bücher darin zu sehen waren, öffnete und seinem Gaste Hut und Reitpeitsche abnahm; »es muß doch etwas ganz Besonderes sein, was Sie zu der Anstrengung treibt! Setzen Sie sich, Sir, hier sind Cigarren, und ich denke, ich habe auch noch einen Tropfen bei der Hand, um die Hitze niederzuschlagen.« Er nahm aus einem Wandschranke eine Flasche mit Brandy und setzte sie nebst dem weißen Wasserkruge und zwei Gläsern auf den Tisch.

»Ausgezeichnete Fürsorge bei der Hitze!« lachte der Angekommene und streckte sich bequem in einem Stuhle; »aber Sie haben Recht, es ist eine Teufelsgeschichte, die mich zu Ihnen treibt.« Er füllte die Hälfte eines Glases mit Brandy und mischte ihn mit Wasser. »Excellenter Stoff, Sie sind ein ganzer Mann, Squire,« fuhr er mit der Zunge schnalzend fort, »aber jetzt setzen Sie sich zu mir und rathen Sie, was mich herbringt.«

»Wie soll ich das wissen, Mr. Griswald?« erwiderte Elliot, sich ihm gegenüber setzend. »Irgend eine Rechtssache jedenfalls, denn zum Spaße setzt sich ein Advocat der Hitze nicht aus.«

»Richtig, und was für eine Rechtssache! Teufel! Ich habe soeben davon Wind bekommen. Sie kennen den jungen Murphy aus Limestone-County, der erst vor ein paar Monaten hierher kam und überall herumschnüffelte – nun, ich sage Ihnen, Sir,« fuhr der Redende lachend fort und schlug sich auf den Schenkel, »er ist der geriebenste Spitzbube, und es kann noch einmal etwas aus ihm werden. Was denken Sie, was er will, he? Ihnen die ganze Farm abprocessiren, Sir! Nichts Anderes, sag' ich Ihnen, und wenn Sie gesehen hätten, was mir vor die Augen gekommen ist, würden Sie auch sagen, das ist eine Teufelsgeschichte, Sir!«

Elliot sah den Sprechenden eine Weile ungewiß an. »Ich verstehe Sie nicht recht,« sagte er dann; »er will mir meine Farm abprocessiren? Auf welchen Grund hin – oder wie? Ich begreife kein Wort von dem, was Sie sagen.«

»Nicht wahr?« lachte der Advocat, »und doch ist es so! Ich sage Ihnen, ich habe Respect bekommen vor dem jungen Sappermenter; er muß eine Nase haben wie ein Spürhund, sonst weiß ich nicht, wie er zu seiner Kenntniß der Dinge hat kommen können. Und die Geschichte trifft Sie nicht allein, Sir, wenn Sie auch wol am schlimmsten dabei fahren werden –«

»Well, Sir, wollen Sie mir nicht kurz sagen, um was es sich handelt?« unterbrach ihn Elliot ernst.

»Ich bin eben dabei, Squirel Es ist ein älterer Besitztitel als der Ihrige da – Grenzen und Beschreibung des Landstücks äußerst richtig angegeben – ein Besitztitel, der Siebenachtel von Ihrer Farm und noch Stücke von Ihren nächsten Nachbarn in Anspruch nimmt –«

»Das ist unmöglich, Sir, oder es ist ein Betrug!« rief Elliot, aufgeregt in die Höhe springend. »Ich habe mein Land schon vor Beendigung der Vermessung gesetzlich mit Beschlag belegt und es dann in den Vereinigten Staaten gekauft; hier ist jeder Anspruch von irgend einer Seite herabgeschnitten.«

»Well, Squire, ich weiß, was Sie sagen wollen,« erwiderte der Advocat, sich das Kinn streichend, »aber Sie können nur glauben, daß ich mich nicht so geschwind zu Ihnen auf die Beine gemacht hätte, wenn die Sache so einfach wäre. Der Besitztitel stammt aus der Indianer-Zeit; es mag sein, daß das Stück Land mit einer Gallone Whiskey erworben worden ist – jedenfalls ist aber in dem Titel den gesetzlichen Kaufbedingungen genug gethan. Er ist während der kurzen Zeit, in welcher die erste Land-Office im Cherokee-Lande bestand, dort angemeldet worden, um spätern Claims vorzubeugen. Nachher brannte aber die Holzbude mit Allem, was sie enthielt, ab, und dann erst kamen Sie mit Ihrem Kaufe, ohne zu wissen, daß das Land schon einen Besitzer hatte. Daran ist nichts zu ändern. Die einzige Frage ist, wie weit die Vereinigten Staaten den frühern Kauf anerkennen werden. – Sie wissen, wie gerade dieser frühern Verhältnisse und der Liederlichkeit in der spätern Registrirung wegen unsere Besitztitel-Angelegenheiten im Argen liegen, wissen, daß jeder ältere Besitztitel mit genauen Bezeichnungen schon in sich selbst die größere Glaubwürdigkeit vor ungenauen spätern, wie es so viele in dem frühern Cherokee-Lande gibt, trägt, und daß die Angelegenheit jedenfalls einen langwierigen Proceß abgibt, in welchem die ersten Instanzen, wie es schon mehrfalls dagewesen, zu Gunsten des Klägers entscheiden. Sollte nun auch das Obergericht der Vereinigten Staaten den Verkauf während der Indianerzeit nicht anerkennen, was übrigens immer noch in Zweifel zu ziehen ist, so können doch, besonders wenn man einen so geriebenen Gegner wie den Murphy vor sich hat, so viele Kosten für Sie erwachsen, daß diese Ihre sämmtlichen Neger auffressen, denn es würde Ihnen nicht einmal gelingen, auf Ihre Ländereien, so lange Ihr Eigenthumsrecht daran in Frage gestellt ist, ein Kapital aufzunehmen. So, Squire, habe ich es für meine Pflicht gehalten, Ihnen den Rath zu geben, bei Zeiten und ehe die Sache zur gerichtlichen Procedur kommt, ein Abkommen mit dem Inhaber des alten Besitztitels zu versuchen – selbst ein großes Opfer muß noch immer ein Gewinn für Sie sein. Aber ich nehme eine Cigarre, Squire; Sie haben immer ausgezeichneten Stoff in jeder Beziehung!«

Elliot stand da, die Arme übereinander geschlagen und mit zusammengezogenen Augenbrauen in das Gesicht des Sprechers starrend. »Und woher kommt dieser ältere Besitztitel mit einem Male?« fragte er, als der Advocat seine Cigarre anzündete.

»Wie kommt der Teufel in die Welt, Sir,« sagte Griswald, den Dampf vor sich herblasend. »Ich habe Ihnen gesagt, der Murphy ist der geriebenste Spitzbube,« fuhr er lachend fort, »und Gott mag wissen, wo der Elementer das Papier aufgetrieben hat; aber richtig und vollkommen gesetzlich ist es, so weit ich sehen kann; ich habe es mit eignen Augen geprüft.«

»Aber in des Himmels Namen, es ist ja doch fast unmöglich!« rief Elliot und stand eine Weile, die Hand gegen die Stirn gepreßt. Dann schritt er einige Mal die Stube auf und ab und blieb zuletzt wieder vor dem Advocaten stehen. »Sie werden einsehen, Mr. Griswald,« sagte er, »daß, so viel ich auch auf Ihren richtigen Blick in allen Rechtsfragen gebe, ich mich doch erst näher über diesen beabsichtigten Raub zu unterrichten habe – als etwas Anderes kann ich es nicht betrachten – und zugleich die Meinung einiger Freunde hören muß.«

»Vollkommen verständig!« nickte der Advocat, einen Schluck aus seinem Glase nehmend. »Wir sind alte Bekannte, Squire, und deshalb habe ich Ihnen die Sache bündig und klar vor die Augen geführt, ohne mich selbst als Rechtsanwalt zu denken. Sie kennen den alten Spruch: Des Clienten Hoffnung ist des Advocaten Futter, und so wohlgethan es auch ist, die Meinung Anderer zu hören, so möchte ich Ihnen dabei nur den Rath geben, sich vor denen zu hüten, welche aus dem Fall eine Bagatelle machen wollen – wir haben lange keinen so fetten Proceß im County gehabt, als dieser es werden muß; daran denken Sie!«

»Sie meinen also auf Ehre und Gewissen, Griswald, daß eine wirkliche Gefahr aus dem Anspruch für mich erwachsen könnte?«

»Könnte? Sie kann nicht nur, sie wird nicht nur, sie ist schon da, Squire!«

»Very well!« sagte Elliot, den Kopf energisch aufrichtend, »so mag sie mich suchen; ich aber werde mein wohlerworbenes Eigenthum mit allen Mitteln vertheidigen, die mir zu Gebote stehen!«

Der Advocat zuckte die Achseln und erhob sich. »Ich habe Ihnen meine Meinung als Freund gesagt, Elliot, und kann nichts weiter thun,« erwiderte er. »Lassen Sie durch irgend einen andern Sachverständigen das Document untersuchen, Murphy hält seinen Anspruch nicht geheim, und Jeder, der nicht ein Nebeninteresse hat, wird meine Meinung bestätigen!«

»Warten Sie einen Augenblick,« sagte der Pflanzer, als Griswald nach Hut und Reitpeitsche griff. »Wie viel verlangt dieser Mr. Murphy für seinen Anspruch?«

Der Advocat sah ihn groß an. »Was er verlangt? Ihre Farm verlangt er, Sir! nichts mehr und nichts weniger. Wenn eine Uebereinkunft getroffen werden soll, so ist es an Ihnen, Sir, die nöthigen Schritte deshalb zu thun. Murphy denkt gar nicht daran, und nur unserer alten Bekanntschaft wegen bin ich hierher gekommen, um Sie von dem heranziehenden Ungewitter zu benachrichtigen und Ihnen zu rathen, sich jetzt, wo es vielleicht noch Zeit ist, nach einem Blitzableiter umzusehen.«

»Ich danke Ihnen, Griswald,« erwiderte Elliot finster, »der Schlag kommt in der That über mich wie ein Blitz aus heiterm Himmel; ich werde morgen bei Zeiten in der Stadt sein und dann sprechen wir weiter darüber. – Aber noch Eins,« rief er, als sich der Advocat zum Gehen wandte, und sah eine Weile sinnend vor sich nieder. »Steht der junge Nelson nicht in genauerer Beziehung zu diesem Mr. Murphy? Wenigstens entsinne ich mich, daß ich sie stets bei einander gesehen.«

»Wie nahe ihre gegenseitige Beziehung ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen,« entgegnete Griswald, »jedenfalls aber weiß ich, daß es ihr Plan war, mit einander gemeinsam eine Office zur Betreibung von Advocatengeschäften zu gründen.«

Elliot nickte und reichte dem Sprecher die Hand. »Ich will Sie nicht länger aufhalten,« sagte er; »morgen früh sehe ich Sie und dann denke ich ruhiger urtheilen zu können.«

Griswald ging, von dem Pflanzer bis an die Hausthür begleitet; dann aber kehrte dieser nach seinem Arbeitszimmer zurück und ging dort in tiefem Sinnen auf und ab. Erst nach einer Weile hielt er seinen Schritt an, strich mit der Hand über das Gesicht, als wolle er jeden sorgenvollen Zug daraus verwischen, und ging dann langsam nach dem Parlor. Dort saß in Gesellschaft mit der Frau vom Hause ein junger eleganter Mann, und das Gespräch schien, nach den aufgeregten Mienen Beider, ein belebtes gewesen zu sein.

»Es thut mir leid. Mr. Nelson, daß ich so lange abgehalten worden bin,« sagte der Pflanzer eintretend; »mein alter Freund Griswald sprach im Vorbeireiten ein und hatte so viele Geschichten zu erzählen, daß ich nicht eher abkommen konnte. Jetzt bin ich zu Ihrer Disposition, und wenn uns Mrs. Elliot entschuldigen will, so gehen wir nach der Bibliothek, machen es uns dort bequem und rauchen eine Cigarre. Ich denke, Liebe,« wandte er sich an seine Frau, »Ellen wird mit dir Einiges zu berathen haben.«

Der junge Mann verbeugte sich gegen die Hausfrau und folgte dem Pflanzer.

»Thun Sie wie zu Hause, Sir,« sagte dieser, als sie in das Arbeitszimmer traten, und zog den Schaukelstuhl näher dem Tische zu. »Hier ist Eiswasser und ein Schluck, um den Magen vor Erkältung zu hüten; hier sind Cigarren, langen Sie zu!« Er nahm aus dem Wandschranke ein reines Glas, setzte sich dann auf seinen früheren Platz und zündete sich selbst eine Cigarre an.

»Well, Sir,« begann er, »Sie wollen meine Ellen heirathen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich im Grunde genommen nichts dawider haben kann; mit meiner Frau haben Sie ebenfalls gesprochen, und Ellen,« fuhr er lächelnd fort, »scheint mir auch nicht viele Einwendungen machen zu wollen. Die Scheidung von ihrem bisherigen Manne soll, hoffe ich, schon im nächsten Monate vor sich gehen, und so weit würde bald Alles in bester Ordnung sein. Jetzt erlauben Sie mir aber eine Frage: Wie stehen Sie mit Ihrem Freunde Murphy? Ich höre, Sie wollen Ihre Advocatenpraxis hier mit ihm gemeinschaftlich beginnen?«

»Wenn es bei unserer früheren Verabredung bleibt, allerdings, Sir,« erwiderte Nelson. »Er ist, wie ich heute hörte, von seiner New-Yorker Reise zurückgekehrt, und ich denke ihn morgen zu sprechen. Murphy ist ein gewandter Advocat, mit dem ich jedenfalls gut fahren werde.«

Elliot lehnte sich bequem zurück. »Gewandt scheint er wirklich zu sein,« sagte er; »Griswald erzählte mir soeben erst, daß er einen alten Besitztitel aufgespürt habe, wodurch er zweien oder dreien unserer Pflanzer im County das Land unter den Füßen wegnehmen wird.«

»O, wirklich so weit?« rief der junge Mann, überrascht aufstehend; »er hat mir nie recht klaren Wein über die Angelegenheit eingeschenkt, mit der seine Reise nach New-York in Verbindung stand – er prophezeite mir nur im glücklichen Falle einen splendiden Anfang für unsere hiesige Praxis.«

»Well, Sir,« sagte Elliot, seine Cigarre weglegend und seinen Gefährten fest anblickend, »ich weiß nicht, wie weit Ihre Liebe zu meiner Tochter geht, aber ich muß Ihnen als ehrlicher Mann sagen, daß der gute Anfang, von welchem Sie sprechen, wahrscheinlich der Ruin meiner Familie sein und somit auch Ellen zu einer blutarmen Partie machen wird. Der Hauptangriff, welcher gethan werden soll, geht gegen mein Besitzthum.«

Der junge Advocat sah ihn einen Augenblick groß an. »Ist denn das wol möglich?« rief er dann aufspringend.

»Ob es möglich ist, weiß ich noch nicht!« erwiderte Elliot, finster lächelnd; »daß aber Ihr Freund Murphy soeben versucht, es möglich zu machen, ist gewiß genug. Versichert mögen Sie sein, daß ich mich nicht gutwillig ergeben werde. Indessen ist jetzt für mich die Hauptfrage, welchen Weg Sie selbst in der Angelegenheit einzuschlagen gedenken. Wollen Sie nach den jetzigen Eröffnungen noch Ihre Absicht in Bezug auf Ellen festhalten, so werden Sie sich wahrscheinlich das einstige Erbe Ihrer Frau nicht selbst abprocessiren wollen – im andern Falle natürlich –«

»Lassen Sie mich ein Wort sagen,« unterbrach ihn Nelson. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir die Sache sofort mitgetheilt haben; unser Verhältniß wird dadurch zur rechten Klarheit kommen. Wenn ich um Ellen geworben habe, so war mir jeder Nebenzweck dabei fremd, und mögen die Dinge sich jetzt gestalten wie sie wollen, so bleibt es bei unserer Verabredung. Ehe wir aber an den unglücklichsten Fall denken, wollen wir uns die Gefahr etwas näher betrachten. Ich werde sofort gehen, um mit eigenen Augen zu prüfen; ich werde Murphy sprechen und schon heute Abend, wenn es auch spät werden sollte, will ich Ihnen Bericht erstatten.«

»Gut, Sir,« rief Elliot, und hielt dem jungen Manne die Hand hin, welche dieser drückte; »wenn ich auch weiß, daß Ihr Einfluß auf Murphy kaum ins Gewicht fallen kann, wo es sich bei diesem um einen großen Gewinn handelt, so freue ich mich doch über Ihre Gesinnung, welche mir aus Ihnen einen natürlichen Bundesgenossen macht. – Sehen Sie zu, wie die Sache steht, und erwarten Sie mich morgen früh in der Stadt – ich möchte vor unsern Ladies im Hause vorläufig die ganze Angelegenheit noch verschwiegen halten, und da es auffallen müßte, wenn Sie noch am späten Abend hier ankämen, so lassen wir lieber jede weitere Besprechung bis morgen früh.«

»Wie Sie wollen, Sir,« erwiderte Nelson, »wenigstens will ich jetzt aber keinen Augenblick mehr verlieren, um an die Arbeit zu gehen. Sie werden mich doch bei den Ladies entschuldigen –«

»Schon recht, Sir!« sagte Elliot, dem jungen Manne nach der Thür folgend, »und ich verspreche Ihnen, daß ich die Hindernisse, welche noch zwischen Ihnen und Ellen liegen, so schnell beseitigen werde, daß Sie sich deshalb nicht eine einzige unruhige Minute mehr zu machen brauchen. Unser Interesse ist von heute an ein vereintes.«

Nelson drückte mit beiden Händen die Rechte des Pflanzers, und verließ dann, von diesem bis zum Portico begleitet, das Haus. – –

Es war mehrere Tage später, als Helmstedt von einem abendlichen Ritt nach der Stadt zurückkehrte. Zwischen seinen Augen lag ein Ausdruck von Sorge und Verstimmtheit; wenn er sich aber über das, was ihn drückte, hätte klar aussprechen sollen, wäre es ihm wol kaum möglich gewesen. Er hatte seit dem letzten Gespräche mit dem Vater seiner Frau den Rest seiner Liebe für diese zu Grabe getragen – wußte er doch, daß ohne ihren eigenen Willen Niemand den Versuch hätte machen können, sie von ihm zu scheiden; auch das neue Gefühl, was ihn zu Pauline Morton zog, hatte er so weit unterdrückt, daß es ihm nur noch dann und wann im Traume vor die Seele trat – seine ganze Natur war zu kräftig, als daß sie sich ohne Widerstand einer unerwiederten Neigung hätte hingeben sollen, und sah es nun auch so öde in ihm aus, daß er gar nicht mehr an die Zukunft denken mochte, so war es doch ein Druck anderer Art, der ihn, wie die Ahnung von einem herbeikommenden Unglück, auf dem Herzen lag. Seit zwei Tagen glaubte er in dem Wesen seiner meisten Schülerinnen eine Veränderung wahrzunehmen, die er sich nicht erklären konnte. An die Stelle der freundlichen Herzlichkeit, mit welcher ihm Einzelne sonst immer begegneten, waren Kälte und Einsilbigkeit getreten – rebellische Charaktere, welche die Achtung vor ihm stets in den gehörigen Schranken gehalten hatte, waren aufsäßig und schnippisch geworden, und wo er sonst Fleiß und Eifer gesehen, schien eine plötzliche Lässigkeit sich geltend zu machen. Er hatte am ersten Tage wenig darauf geachtet; als aber bei seinem abendlichen Besuch in einzelnen Familien ihn eine sonderbare Stille empfing, als ihm weder da, wo ein Piano im Hause war, die gewöhnliche Aufforderung, etwas vorzutragen, wurde, noch an andern Orten seine Schülerinnen es der Mühe werth fanden, während seiner kurzen Anwesenheit im Zimmer zu bleiben; als am zweiten Tage sich bei seinem Unterricht dieselbe Erscheinung wie Tags zuvor zeigte, und bei einem Ritt in die Umgegend ihm in zwei Pflanzerfamilien ein ähnlicher Empfang wie in der Stadt wurde, – da fühlte er, daß eine feindliche Macht in sein Leben griff, ohne daß er sich das Wie und Warum hätte erklären können.

Er hatte, sich mit zehnerlei Vermuthungen herumschlagend, von welcher keine Stich halten wollte, die ersten Häuser der Stadt erreicht, als er einen einsamen Spaziergänger in der Dämmerung sich entgegenkommen sah, bei dessen Erblicken er sein Pferd zu langsamerem Schritte zügelte. Er hatte den Vorsteher der Akademie erkannt, einen Mann, welcher ihm immer mit der herzlichsten Freundlichkeit begegnet war, und der Gedanke durchschoß ihn, daß, wenn ihm Jemand seine Zweifel lösen könne, dieser es sein müsse. Er fühlte sich innerlich so wund, daß er keinen Augen blick, in welchem ihm die Gelegenheit zu einer Aufklärung geboten wurde, vorüberstreichen lassen mochte, und ehe noch der Spaziergänger herangekommen, war Helmstedt abgestiegen, und ging, sein Pferd am Zügel nachführend, ihm entgegen.

»Mr. Pierce, ich freue mich, Sie zu treffen, und Sie entschuldigen, daß ich Sie hier so ohne Weiteres auf offener Straße anrede.«

»Sie sind mir an jedem Orte willkommen, Sir!«

»Ich danke Ihnen! Ich möchte eine offene Frage an Sie richten, Sir, und wenn das jetzt eben geschieht, wo ich Sie zufällig treffe, so ist es, weil ich die Stimmungen um mich her, die ich nicht verstehe und gegen welche mich mein Gewissen frei spricht, nicht ertragen kann. Wissen Sie irgend einen Grund, warum die Leute, mit denen ich in Berührung bin, anders gegen mich sind, als jemals früher? Wissen Sie eine Ursache, die mir meine Schüler entfremdet haben könnte, wie es mir seit zwei Tagen so auffällig entgegengetreten ist, daß es mir wehe gethan hat? Ich mag Ihnen mit meinen hastigen Fragen aufgeregt erscheinen, Mr. Pierce, und Sie müssen mich deshalb entschuldigen; aber die Veränderung um mich her ist seit einigen Tagen so sonderbar, und hat mich eben erst so empfindlich berührt, daß mir das Begegnen mit Ihnen wie eine Fügung erschien, um mir Gewißheit über meine Stellung zu verschaffen.«

»Ich glaube, ich kann Ihnen die nöthige Aufklärung geben, wenn wir es auch hier nicht vornehmen wollen,« erwiderte der Vorsteher in einem Tone, der Helmstedt wohlthat, »und ich gestehe Ihnen, daß ich selbst die aufrichtigste Betrübniß über den Stand der Dinge fühle. Wir haben nur wenige Schritte bis zur Akademie, lassen Sie uns dort einige Worte in Ruhe mit einander sprechen.«

Er wandte sich zurück und Helmstedt ging schweigend an seiner Seite, bis sie das Schulgebäude erreicht hatten. Dort band der junge Mann sein Pferd an die Stacket-Einzäunung und folgte dem Vorsteher nach dessen Arbeits-Zimmer.

»Ich muß Ihnen sagen,« begann der Letztere, nachdem Beide Platz genommen hatten, »daß ich wahrscheinlich schon morgen Sie ersucht haben würde, sich mit mir auszusprechen, und es ist mir lieb, daß Sie dem selbst zuvorkommen. Ich will ohne Umschweif zu Ihnen reden. Sie wissen, wie gern ich Sie hier en agirt habe, als Sie Mr. Morton mir empfahl, und wie sehr zufrieden ich mit allen Ihren Leistungen gewesen bin. Aber Mr. Morton, der unser beiderseitiger Freund war, ist jetzt todt und sein Einfluß, welcher Manches während seinen Lebzeiten ausglich, existirt nicht mehr. Ihre junge Frau ist zu ihren Eltern zurückgekehrt und die verschiedensten Versionen über die Ursachen dafür sind plötzlich in Umlauf ge kommen – dabei ist aber das Schlimmste, daß Sie, wie es heißt, des zu erwartenden Vermögens wegen in keine Scheidung willigen wollen, und daß, wenn diese ja auf irgend eine Weise erzwungen werden sollte, alle Eltern für ihre Töchter, welche sie hierher zur Erziehung geben, fürchten, so lange Sie den Musik-Unterricht leiten.«

Helmstedt wollte sprechen, aber der Vorsteher unterbrach ihn. »Lassen Sie uns alle unnützen Worte sparen, Sir,« sagte er, »ich glaube von Allem, was in Umlauf gesetzt worden ist, kein Wort, ich habe Ihrem Processe beigewohnt und Sie während Ihres nachherigen Lebens genauer als vielleicht irgend Jemand kennen gelernt; aber ich hänge nicht von mir allein ab, ich bin selbst nur Beamter der Gesellschaft, welche die Akademie gegründet hat, und muß dem, was die Mehrzahl der mir zur Seite gesetzten Vertrauensmänner beschließt, folgen. Ich entlasse Sie ungern, sehr ungern, Mr. Helmstedt, aber ich wäre gezwungen gewesen, Ihnen diese Nachricht schon morgen zu geben.«

Helmstedt saß eine Weile ohne ein Wort zu reden da. »Well!« sagte er dann, »ich kenne die Quelle, aus welcher alles dieses fließt – wenigstens bin ich doch jetzt nicht mehr im Unklaren. Ich bin entlassen, weil ich so handelte, wie es jeder rechtliche Mann für allein ehrenhaft gehalten hätte; ich soll Ordre pariren, weil man glaubt, mich durch meine Armuth dazu zwingen zu können. Wir werden sehen! Ich danke Ihnen, Mr. Pierce, für die Freundlichkeit, mit welcher Sie mich stets behandelt haben,« fuhr er aufstehend fort, »danke Ihnen für Ihre gute Meinung über mich, vielleicht kann ich Ihnen noch einmal beweisen, daß Sie Recht hatten. Gute Nacht!« Er drückte kräftig die Hand des Vorstehers und schritt aus dem Zimmer. Als er sein Pferd losgebunden, saß er mit einem Schwung im Sattel, daß es zum Galopp ansprengte und bald hatte er sein Haus erreicht, wo Cäsar auf ihn wartete.

»Er ging nach seinem Zimmer, brannte Licht an und warf sich in den Lehnstuhl vor seinem Arbeitstische. Eine Weile ließ er alle Gedanken und Gefühle, welche das Gespräch mit seinem bisherigen Prinzipale in ihm erregt hatte, durcheinander wogen; bald aber setzte er sich aufrecht und begann seine augenblickliche Lage bestimmt ins Auge zu fassen. Ein Wunsch stand im Vordergrunde seiner Seele, dem Angriffe, welcher so heimtückisch auf seine Existenz gemacht worden war, nicht weichen zu müssen. Er wußte, daß wenn er den Staat verließ, wozu man ihn jetzt wahrscheinlich zwingen wollte, es leicht genug gemacht war, eine Scheidung seiner Frau von ihm zu erzielen – gaben doch schon seine jetzt mangelnden Subsistenzmittel Grund genug dafür ab, und wenn er auch, wie das Verhältniß zwischen ihm und Ellen stand, einer Trennung nie einen eigentlichen Widerstand hätte entgegensetzen mögen, sobald nur seine Mannesehre dabei gewahrt wurde, so empörte sich doch Alles in ihm gegen die Weise, wie sie ihm abgedrungen oder gegen seinen Willen bewerkstelligt werden sollte. Die Frage war jetzt: wie materiell bestehen, um nicht seinen Feinden ohne Schlag das Feld zu räumen. Mit einem ferneren Erwerbe durch Musik-Unterricht war es wenigstens in der nächsten Umgegend zu Ende, und seine ganzen Mittel bestanden in der Summe, welche ihm wenige Tage vorher als Betrag des Unterrichtsgeldes für den laufenden Monat ausgezahlt worden war. Sollte er sich an ein anderes Erziehungs-Institut im Staate um Erlangung von Beschäftigung wenden, oder mußte er nicht fürchten, daß der Einfluß, welcher ihn von hier vertrieb, ihm auch dorthin folgen würde?«

Während seines Grübelns hatte sich die Thür geöffnet und Cäsar sich an den Eingang postirt. Helmstedt sah auf – er kannte die verschiedenen Arten von Gesichtsausdruck des Schwarzen und wußte, daß dieser jetzt irgend etwas zu erzählen hatte – aber er kam ihm damit ungelegen. »Was ist es, Cäsar?« fragte er kurz.

»Ich wollte nur etwas fragen, wegen Little Valley, Sir, nichts Bedeutendes gerade –«

»Dann laß es bis ein andermal, ich bin jetzt beschäftigt.«

Der Schwarze verschwand, und Helmstedt gab seinen Gedanken wieder Raum. Er begann in Gedanken sein ganzes Besitzthum durchzugehen, um zu berechnen, was ihm aus dem Erlös desselben erwachsen könne; er öffnete zu dem Zweck ein Fach seines Schreibtisches, in welchem sich eine Kostenberechnung aller Anschaffungen bei seiner Verheirathung befand. Hier aber fiel ihm zuerst Mortons Brief in die Hände, der unerbrochen und vergessen dagelegen hatte, seit er ihn aus Paulinens Händen erhalten. Helmstedt wollte ihn im ersten Moment wieder bei Seite legen, aber als sein Auge auf die unsichere Handschrift der Adresse fiel, kam ihm wieder das ins Gedächtniß, was der Vorsteher der Akademie über die Freundschaft des Verstorbenen zu ihm und den Einfluß, den er zu seinem Besten geltend gemacht, gesprochen hatte; er sah das biedere Gesicht des alten Pflanzers vor sich, er erinnerte sich, daß dieser an ihn noch in seinen letzten Stunden gedacht, und in plötzlich gemilderter Stimmung löste er das Couvert. Ein neuer, mit Papieren gefüllter Umschlag und ein theilweise beschriebener Bogen zeigten sich. Helmstedt entfaltete den letztern und las:

»Mein lieber junger Freund!

Ich ahne, daß ich Sie nicht wiedersehen werde, und so benutze ich eine Stunde, welche mir vielleicht zum letzten Mal einige Kraft zurückgibt, um ein Lebewohl an Sie zu richten und Sie an das Versprechen zu mahnen, welches Sie mir bei unserm letzten Zusammensein gaben. Pauline weiß nichts von unserm Uebereinkommen: ihr Herz ist so stolz und stark, daß sie wol glauben mag, sich selbst genug sein zu können, daß sie jeden aufgedrungenen Beistand von sich weisen würde. Aber ich weiß auch, daß sie ihre Stärke nur durch Entsagung und Aufopferung erlangt hat: ich kenne mehr von diesem Herzen, dem ich doch nur Schutz und keine Befriedigung geben konnte, als sie weiß, und ich erkenne alle die Schwierigkeiten, welche ihr nach meinem Tode, so lange sie in den jetzigen Verhältnissen lebt, entgegentreten und sie verwunden müssen. Darum lassen Sie das Auge nicht von dem, was um sie vorgeht, wenn auch unbemerkt von ihr – der Blick eines von der Welt Scheidenden sieht klarer als sonst, und mir ist es, wenn ich die Dinge um mich her betrachte, als würde auch noch einmal ein Frühling für sie blühen, und ihr ein Schutz werden, unter dem sie sich gern bergen wird.

Die Werthpapiere, welche ich hier beigelegt habe, betrachten Sie als das Vermächtnis eines Freundes und als ein Zeichen meiner Achtung und Anhänglichkeit; es sind 2000 Doll. Auch hiervon weiß Pauline nichts, damit Ihr Zartgefühl, das so leicht verletzt ist, geschont bleibe, – mögen sie bei irgend einer Gelegenheit Ihnen einmal passend kommen.

Und nun sei es genug, das Schreiben wird mir schwer; – wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, so widmen Sie bisweilen einem Manne, der Ihnen von Herzen wohlgewollt, einen freundlichen Gedanken.

Jas. Morton.«

Helmstedts Hand zitterte, als er zu Ende war; eine lange Weile sah er stumm vor sich hin, bis sich seine Brust endlich in einem tiefen Athemzuge Luft machte. Dann begann er die Zuschrift noch einmal von Anfang an durchzulesen. Mit jeder Zeile, die er langsam beendete, war es ihm, als liege ein tieferer Sinn in diesen letzten Worten des alten Pflanzers, als er bei der ersten raschen Durchsicht wahrgenommen; er hielt bei einzelnen Stellen an und begann darüber zu grübeln. Nicht die unerwartete Hilfe, welche ihm so plötzlich geworden, war es, die ihn hauptsächlich beschäftigte – seine Gedanken waren bei dem stolzen, starken Herzen, wie es Morton genannt, dem Herzen, das er doch so weich gekannt und dem er jetzt so gern alle Opfer und Entsagungen hätte vergessen machen mögen. »Des Todten Wille soll treulich erfüllt werden,« sagte er still vor sich hin, »ich will über sie wachen, ohne daß sie es weiß, will die Sorge für sie zu meinem Lebenszweck machen, bis sie selbst sich wieder einen natürlichen Schutz gewählt.« Er konnte einen halben Seufzer nicht unterdrücken, aber wie ärgerlich über sich selbst sprang er auf. »Wie das Schicksal will!« rief er, beide Arme von sich streckend, »jetzt aber heißt es: dem eigenen Herzen, wie der Außenwelt Trotz geboten!«

Soeben trat der Schwarze wieder ein, um frisches Wasser für die Nacht zu bringen. Er wollte sich nach Beendigung seines Geschäfts leise entfernen, aber Helmstedt, der seinen frühern Platz wieder eingenommen hatte, rief ihn zurück. »Jetzt magst du erzählen, Cäsar,« sagte er, »du hattest etwas wegen Little Valley auf dem Herzen, was ist es?«

Der Neger zog ein halb verlegenes Gesicht und rieb seine Hände. »'S ist nur etwas vom Hörensagen, Sir, aber ich möchte doch fragen, ob Sie etwas davon wissen? Es heißt, daß Mr. Barlett, der Aufseher, fortgeschickt werden soll, und das ist schon unter allen Schwarzen in Little Valley herum. Sie wissen ja wol, die Köchin in Mortons Haus ist wegen ihrer Horcherei dort nach Little Valley zum Kochen geschickt worden, und die hat im Aerger über ihre Versetzung dem Aufseher gesagt, lange werde sie doch nicht dableiben, nur so lange bis er weggejagt sei, und das werde bald genug geschehen, sie wisse das genau; wenn erst der neue Aufseher komme, dann sei keine Gefahr mehr, daß ihr gutes Herz ihr wieder einen Streich spiele. Der Aufseher hat geflucht und sich nach seiner Peitsche umgesehen, da hat sie aber nach einem Topf voll kochenden Wassers gegriffen und gesagt, er solle nur versuchen, sich an ihr zu vergreifen, sie fürchte sich gar nicht, ihn zu Tode zu brühen, sie wisse wie sie stehe. Da soll Mr. Bartlett ganz blaß geworden sein, über verdammte Weiberwirthschaft geflucht haben, und daß er sich schon helfen werde. Seit dem Tage aber ist er kaum ein paar Mal aufs Feld gekommen und hat die Arbeiter thun lassen, was sie gewollt; die zwei schwarzen Mädchen aber, mit denen er in seinem Hause lebt, haben erzählt, daß er noch einmal so viel Whiskey trinke, als sonst und die Hälfte des Tages verschlafe. Die Köchin hat sich bis jetzt noch nicht getraut, die junge Mistreß wissen zu lassen, wie es steht, und so habe ich gedacht, es wäre gut, wenn ich es Ihnen erzählte, Master.«

Helmstedt hatte aufmerksam zugehört und ein Zug von Befriedigung trat in seinem Gesicht hervor; war es ihm doch, als sei Cäsars Erzählung der erste Ruf an ihn, der übernommenen Pflicht gegen Pauline Genüge zu leisten. Er dachte eine kurze Weile nach. »Willst du mir wol angeben,« sagte er dann, »woher du den ganzen, genauen Bericht hast? Ist dir wieder einer von den Schwarzen aus Little Valley begegnet?«

Cäsar verzog das Gesicht und kratzte sich erst auf der einen und dann auf der andern Seite des Kopfes. »Wenn Sie es zu wissen verlangen, Master, so muß ich es Ihnen sagen,« erwiderte er mit einem Ausdrucke, der aus Laune und Aengstlichkeit gemischt schien. »Ich besuche jetzt bisweilen die Mary in Mortons Hause – es ist noch eine alte Liebschaft von früher her, Sir!« setzte er wie entschuldigend hinzu. »Seit ich der Sarah nichts klatschen wollte, was hier im Hause vorging, ist sie so bissig geworden, wie eine Katze, und hat mir, als ich das dritte Mal nach Oaklea kam, nicht einmal ihre Thür aufgemacht. Da habe ich an die Mary gedacht, die mich immer gern gehabt, als ich noch auf Mr. Mortons Farm war; ich bin aber damals so versessen auf die Sarah in Oaklea gewesen, ich glaube wahrhaftig nur, weil sie so stachlig war und nichts von mir wissen wollte, daß ich der Mary immer aus dem Wege gegangen bin. Well, Master, der Mary ist die ganze Geschichte gesteckt worden und sie hat sie mir erzählt; sie hat aber der Köchin wegen der jungen Mistreß noch kein Wort zu sagen gewagt.«

Helmstedt schüttelte, wie von einem eigenthümlichen Gedanken berührt, langsam den Kopf. »Komm her, Cäsar,« sagte er nach einer Pause, »du bist ein verständiger Bursche, du möchtest mir auch etwas zu Liebe thun, wie du neulich sagtest – und so will ich dir einen Auftrag geben, bei dem ich mich ganz auf dich verlassen muß. Höre aufmerksam zu. Ich möchte gern, daß Mistreß Morton, die seit ihres Mannes Tode jeden männlichen Beistand verloren hat, von den Unannehmlichkeiten, die ihr bei den jetzigen Verhältnissen erwachsen könnten, befreit bliebe. Wenn ich aber auch gern Alles zu ihrer Unterstützung thue, so habe ich doch nicht Zeit, jeden Tag nach Mortons Hause zu reiten, um zu sehen, was dort geschieht, – nebenbei will es sich auch nicht recht schicken, daß ich eine junge, alleinstehende Frau so oft besuche. Jetzt, Cäsar, sollst du mir helfen. Gehe und mache deiner Mary den Hof, aber theile mir jeden Morgen mit, was in Mortons Hause vorgegangen ist – ob gering oder nicht, ist gleichgiltig; jede kleine Nachricht wird mich über den Stand der Dinge dort im Klaren halten, wird mir zeigen, ob es meinerseits nöthig ist, etwas zu thun, oder nicht, und ich kann unbesorgt meinen eigenen Geschäften nachgehen. Du wirst dabei einsehen, daß von deinem Auftrage nicht das Geringste verlauten darf, wenn die junge Mistreß nicht beleidigt werden soll – ich hoffe, du hast mich vollkommen verstanden, Cäsar?«

»Warum soll ich Sie nicht verstehen, Mr. Helmstedt?« erwiderte der Schwarze mit einem fröhlichen Grinsen. »Entschuldigen Sie, wenn ich lache; es kam mir nur eben so sonderbar vor, daß meine Thorheit mit der Mary noch zu etwas Gutem helfen kann. Sie sollen ordentlich bedient werden, Master, rechnen Sie auf den Cäsar – und,« fuhr er mit einem halben Stocken fort, »Sie werden's gewiß auch so einrichten, daß die Mary keinen großen Schaden von ihrer Gutmüthigkeit gegen mich hat.«

»Verlaß dich darauf!« nickte Helmstedt befriedigt, »sie soll nirgends erwähnt werden. Nun geh und laß mich sehen, ob du ein Bursche bist, dem sein Herr etwas anvertrauen kann.«

Der Schwarze antwortete nur mit einer Kopfbewegung voller Entschluß und verließ das Zimmer; Helmstedt aber lehnte sich nachdenkend in seinem Armstuhle zurück. Er war im Grunde seiner Seele nicht ganz einig mit sich selbst, ob er durch seinen Auftrag an Cäsar recht gehandelt oder nicht. Es sträubte sich etwas in ihm gegen die Weise, auf welche er sich Nachrichten von Paulinens Begegnissen verschaffen wollte, und doch sah er keinen andern Weg; zudem gab er, seit er in Amerika so manchen Kampf hatte kennen lernen müssen, etwas auf Schicksalswinke, und Cäsars Mittheilung von seiner Liebschaft in Mortons Hause, gerade zu einer Zeit, wo es dem jungen Manne schwer geworden wäre zu bestimmen, wie er sich von dort laufende Nachrichten verschaffen solle, war ihm wie ein bedeutsamer Fingerzeig erschienen. Er rieb sich lange die Stirn, ohne ganz mit sich klar zu werden, bis er endlich beschloß, wenigstens vorläufig den gemachten Anordnungen ihren Lauf zu lassen, bis sich ihm ein anderer Weg zu seinem Zwecke zeigen würde. Er putzte das Licht, suchte Papier hervor, und begann in einem Briefe an den alten Doctor Ford diesem die gegenwärtigen Verhältnisse in Little Valley mitzutheilen.

VII.

Die »Law-Office« der Advocaten Griswald und Duncan galt als die bedeutendste im County, wenn auch die äußere Erscheinung derselben wenig davon wahrnehmen ließ. Ein vorderes Zimmer, das drei abgenutzte, mit langjährigen Tintenflecken verzierte Schreibtische und verschiedene halbzerbrochene Stühle enthielt – und ein hinteres mit besonderm Eingange, welches einige Reihen Gesetzbücher, einen kleinen eisernen Geldschrank und sechs wackelige Sessel um einen eben so ausgedienten eirunden Tisch zeigte, bildeten die ganzen Räumlichkeiten, denen man es daneben noch ansah, daß jährlich kaum einige Mal sich der Besen darin blicken ließ.

Es war Abend und die Office geschlossen; in dem hintern Zimmer waren jedoch sämmtliche sechs Stühle von theils ältern, theils jüngern Männern besetzt, während ein siebenter auf dem niedern Geldschranke Platz genommen hatte. Zwei Talglichter auf verrosteten Leuchtern gaben eben Licht genug, um die einzelnen Gesichter erkennen zu lassen.

»Well, Gentlemen,« begann Griswald, welcher am obern Ende des Tisches saß, »es ist jedenfalls gut, wenn wir unsere Sache gemeinschaftlich betrachten und uns vollkommen verständigen. Mr. Murphy will, wie Sie wissen, den in seinen Händen befindlichen Anspruch an das uns bekannte Eigenthum durch den hiesigen Theil der allgemeinen Advocaten-Association vertreten wissen und dafür fünfzig Procent des Ertrages an die hiesigen Mitglieder der Association abgeben. Die einzige Frage, welche jetzt noch in Betracht zu ziehen wäre, ist die: ob die Klage auf vollständige Abtretung des Eigenthums eingeleitet, oder ob der jetzige Inhaber desselben zur Zahlung eines Abstandsquantums vermocht werden soll. Die Frage ist offen, Gentlemen, und ich werde meine eigene Meinung mir bis zuletzt vorbehalten.«

»Wie ich die Angelegenheit betrachte,« ließ sich ein ältlicher Mann vernehmen und bog seinen Stuhl schaukelnd auf die beiden Hinterfüße, »so sieht der Fall beim ersten Anblick allerdings bestechend genug aus; indessen glaube ich doch, daß unser Freund Murphy zu sanguinisch in seinen Hoffnungen gewesen ist. Die Giltigkeit indianischer Besitztitel in unserm Staate ist im Allgemeinen eine höchst zweifelhafte Sache und hängt zum großen Theile von der Auffassung des einzelnen Falles ab; und daß in dem gegenwärtigen der Titel in der Land-Office angemeldet worden ist, thut nichts zu seiner Verbesserung. Die Anmeldung hat durchaus keine andere Bedeutung, wie die jedes einfachen Claims, und die betreffende Person hätte sich auf dem beanspruchten Lande niederlassen müssen, was augenscheinlich nicht geschehen ist. Als einfacher Proceß zwischen zwei streitenden Parteien angesehen, würde der Fall sicherlich ein ausgezeichneter zu nennen sein; es läßt sich von beiden Seiten für den Advocaten viel daraus machen; soll aber die Association selbst Partei darin ergreifen, so muß ein schneller, reeller Erfolg vor allen Dingen ins Auge gefaßt werden, den ich bei einer Klage auf Eigenthumsabtretung im vorliegenden Falle nicht sehen kann, und es wäre deshalb meine Meinung, die nöthigen Anordnungen zu treffen, um den jetzigen Inhaber des Eigenthums zur Zahlung eines verhältnißmäßigen Abstandsgeldes für den erhobenen Anspruch zu bestimmen. Ich glaube, daß selbst Mr. Murphy mit mir darin einverstanden sein wird.«

»Well, Gentlemen,« klang Murphy's Stimme vom Geldschranke, »ich habe in den letzten Tagen privatim die Ansicht der meisten hier gegenwärtigen Herren gehört, und allerdings stimmt diese mit der des vorigen Redners überein. Aber was man nicht direct erreichen kann, Gentlemen, läßt sich vielleicht auf einem Umwege erlangen. Ich habe mir als Minimum eines Abstandsgeldes 30,000 Doll. gedacht, etwa der sechste Theil dessen, was der Boden und die Gebäulichkeiten der Farm werth sind, welcher Betrag in einer Mortgage auf das gesammte Eigenthum zu zahlen sein würde. Wie aber mit 30,000 Doll. Mortgage bei der Verfallzeit ein noch viel größerer Werth als das in Rede stehende Eigenthum erlangt werden könnte, wenn nur einigermaßen richtig und auf den Zweck gearbeitet wird, brauche ich den Herren nicht erst aus einander zu setzen.«

Ein Kopfschütteln Griswalds unterbrach den Sprechenden. »Ich glaube, daß derartige Speculationen über den Zweck der Association hinausgehen,« sagte der alte Advocat; »ich stimme ganz mit dem ersten Redner überein, daß nur ein schneller, reeller Erfolg ins Auge gefaßt werden kann, wie er durch ein Abstandsquantum zu erzielen ist, mag dieses auch durch Mortgage gezahlt werden; die Verwandlung derselben in baares Geld wird auf keine Schwierigkeiten stoßen und die Ansprüche eines Jeden von uns sofort befriedigt werden können.«

Ein vielfaches Nicken in dem Kreise der Anwesenden bekräftigte Griswalds Einwurf, und dieser fuhr nach kurzem Räuspern fort: »Wenn der hier anwesende Theil der Association in der Angelegenheit richtig verfährt, den Fall als einen hoffnungslosen für den bedrohten Theil ansieht und ihn so im Gespräche mit Andern behandelt, wenn wir den Einfluß, welchen unsere längere Erfahrung uns über die jüngeren Collegen in der Stadt gibt, richtig verwenden, wenn besonders Mr. Murphy den Besitztitel entfernt von einer möglichen allzugenauen Prüfung Unberufener hält, so bin ich fest überzeugt, daß der jetzige Inhaber des Eigenthums, schon wenn er die allgemeine Meinung der Gesetzkundigen gegen sich sieht und bei der dadurch naturgemäß erzeugten Entmuthigung, sich zu dem in Rede stehenden Abstandsquantum herbeilassen wird, besonders da es nicht in baarem Gelde geleistet werden soll. Ich betrachte zugleich den einzuschlagenden Weg als eine vollkommen ehrliche Taktik. Mit Sicherheit kann in dem vorliegenden Falle Niemand den Ausgang eines einzuleitenden Processes bestimmen; selbst aber den günstigsten Ausgang für den Beklagten angenommen, so würde dieser an Kosten und Gebühren dennoch eine jetzt kaum zu berechnende Summe zu zahlen haben, und wenn sich auch das Abstandsquantum etwas höher als die Proceßkosten belaufen dürfte, so wird für ihn der Unterschied reichlich durch die beseitigte Gefahr eines gänzlichen Verlustes seines Eigenthums und die schnelle Ordnung der Angelegenheit ausgeglichen.«

»Einverstanden!« ließ es sich von mehreren Seiten hören, und Murphy, der ungeduldig auf dem Geldkasten umher gerückt war, hielt sichtbar eine Erwiderung zurück.

»Wenn deshalb Niemand gegen den vorgeschlagenen Plan etwas einzuwenden hat,« fuhr Griswald fort, »so möchte ich empfehlen, langsam und vorsichtig unsere Operationen zu beginnen. Mr. Murphy hat versprochen, sich mit mir in fortwährender Verbindung zu erhalten, und sollte sich irgend etwas von Wichtigkeit ereignen, so soll Ihnen rechtzeitig Mittheilung davon werden. – Wer von den Herren noch irgend etwas vorzutragen hat, möge sich melden. – Niemand! Die Sitzung ist aufgehoben.«

Ohne Geräusch erhob sich ein Jeder. – Griswald schloß die Hinterthür auf, und einzeln, in Zwischenräumen von einer Minute verließen die Anwesenden die Office. Hinter dem letzten schloß Griswald die Thür wieder, löschte die Lichter aus und nahm seinen Weg durch das Vorderzimmer nach der Straße. Er hatte hier kaum einige Schritte gethan, als er seinen Namen nennen hörte.

»Halloh, Mr. Nelson!« rief er, den in der Dunkelheit Herankommenden erkennend, und reichte ihm die Hand; »habe Sie ja wer weiß wie lange nicht gesehen; betreiben jetzt angenehmere Geschäfte als Advocatenpraxis, wie ich mir sagen ließ, he?« Er brach in ein herzliches Gelächter aus und schüttelte dem jungen Manne derb die Hand. »Begleiten Sie mich nach dem Hotel, Sir? Mein Magen ist von der Hitze so schlaff, daß ich ihm einen derben Brandy-Smash zu kosten geben muß. Die Arznei schlägt aber auch das junge, hitzige Blut nieder; was meinen Sie also dazu, Sir?« Er lachte von Neuem.

»Well, ich danke Ihnen, Mr. Griswald, vielleicht nachher!« erwiderte der junge Advocat mit gedämpfter Stimme. »Ich möchte gern ein paar Worte ungestört mit Ihnen reden; ich war Nachmittags schon einige Male in Ihrer Office, ohne Sie treffen zu können.«

»Aber, Mann, doch nichts Geschäftliches heute mehr?« sagte Griswald mit komischem Entsetzen; »ich versichere Sie, mein Kopf und mein Magen sind so herunter, daß ich kaum noch einen Gedanken fassen kann – ist es so eilig? Was ist es denn?«

»Es wäre mir allerdings lieb gewesen, Sir, noch heute mit Ihnen zu reden,« war die Antwort. »Squire Elliot ist bis jetzt in der Stadt geblieben, um aus einer Conferenz zwischen mir und Ihnen etwas bessere Laune mit nach Hause nehmen zu können. Sie kennen ja den sonderbaren Fall, welchen Murphy gegen ihn vertritt!«

»Bah! und da auch noch ein Wort darüber reden!« versetzte Griswald geringschätzig. »Lassen Sie die ganze Sache ruhig gehen und trinken Sie einen Smash mit mir, das ist das Beste, was Sie in der Angelegenheit thun können.«

»Aber, Mr. Griswald –«

»Haben Sie das Document gesehen? Jedenfalls nicht, sonst bin ich von Ihrer eigenen Routine in solchen Dingen überzeugt, daß Sie nur die Achseln gezuckt und Squire Elliot gerathen haben würden, sich auf gute oder schlimme Weise, wie es eben gegangen wäre, mit dem Inhaber des Besitztitels abzufinden. – Ich mag mich irren,« fuhr er, die Schultern hebend, fort, »Elliot mag irgend einen andern erfahrenen Rechtsmann zu Rathe ziehen – ich selbst will aber mit einem solchen verlorenen Posten in keiner Weise mehr in Berührung kommen. Bei Jingo!« setzte er plötzlich lachend hinzu und schlug dem jungen Advocaten auf die Schulter, »da fällt mir ja ein, daß Ihr junges Herz einen Antheil an der Sache hat – Teufelsgeschichte das! Lassen Sie uns unsern Smash trinken und die Sorgen vergessen – das ist wirklich das Einzige, was man jetzt thun kann.«

»Das Document ist mir allerdings noch nicht zu Gesicht gekommen,« sagte Nelson und ging mit halb gesenktem Kopfe neben seinem ältern Collegen dem Hotel zu; »es war immer zur Beurtheilung in andern Händen –«

»Noch ein Wort!« unterbrach ihn Griswald, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen stehen bleibend, »ich nehme im Grunde genommen so viel Antheil an Elliot, daß ich ihn gern von einem unausbleiblichen Ruin retten möchte. Sie haben Einfluß auf ihn, wenigstens kann bei dem Verhältniß, in welches Sie künftig zu ihm treten wollen, kein Verdacht gegen Ihre Aufrichtigkeit in ihm entstehen. Rathen Sie ihm, den alten Titel durch drei unserer erfahrensten Rechtsanwälte prüfen zu lassen – ich glaube kaum, daß Murphy bei der Gewißheit seiner Sache einen Einwand dagegen machen wird – und wenn der Squire dann die Gewißheit von seiner Gefahr, an die er noch gar nicht zu glauben scheint, eingesehen hat, so mag er seinen Stolz einmal in die Tasche stecken, sich zu Murphy begeben und mit diesem über ein Abstandsgeld unterhandeln. Elliot ist im Besitz des streitigen Eigenthums und hat dadurch, dem Sprichwort nach, zwei Drittel des Rechts für sich. Murphy wird jedenfalls alle seine Mittel aufbieten müssen, um, wenn sich Elliot wehrt, den Proceß durchzuführen, und wird so, wie ich mir denke, sein Ohr nicht gegen einen vernünftigen Vorschlag verschließen. Arbeiten Sie für diesen Gedanken, junger Mann, wenn Sie wirklich Elliots Freund sind, bringen Sie ihn zur vollen Erkenntniß seiner Lage; das ist der einzige Weg, um den Ruin von ihm und seiner Familie abzuhalten.«

Griswald ging schweigend weiter, bis sie das Hotel erreicht hatten und er in den Bar-Room eintreten wollte.

»Ich denke, ich trinke jetzt nichts, Sir, Mr. Elliot erwartet mich,« sagte Nelson und ergriff die Hand seines Begleiters, sie kräftig drückend, »es scheint mir wirklich, als sei Ihr Rath der beste, und wenn Murphy den von ihm vertretenen Anspruch einer Prüfung in der Weise, wie Sie es vorschlugen, unterwerfen will, so sehe ich keinen Grund, warum Mr. Elliot sich nicht jeder einigermaßen annehmbaren Forderung unterwerfen sollte. Entschuldigen Sie mich jetzt, Mr. Griswald, ich sehe Sie jedenfalls morgen wieder.«

Er wandte sich die Straße hinab. Griswald sah ihm mit einem kurzen Husten nach und trat dann in den Bar-Room, wo er mit einem gemüthlichen Lachen einen Brandy-Smash »für einen verdrießlichen Magen« forderte.

Es waren kaum zwei Tage vergangen, als auch die Gefahr, welche über dem Besitzer von Oaklea schwebte, schon das allgemeine Gespräch nicht nur in der Stadt, sondern auch im ganzen County bildete. Elliots Besitzrecht, welches dieser von den Vereinigten Staaten erworben hatte, war als so unantastbar betrachtet worden, daß unter die Grundbesitzer, welche aus zweiter Hand gekauft hatten, mit der Nachricht von der Bedeutsamkeit des erhobenen Anspruchs ein fast panischer Schrecken gefahren war. Alle die Advocaten, welche als routinirt in den Land-Verhältnissen galten, hatten beide Hände voll zu thun, um längst geprüfte Besitztitel einer neuen sorgfältigen Untersuchung zu unterwerfen; kleine Fehler darin, welche sonst stets unbeachtet gelassen worden waren, erhielten plötzlich eine beängstigende Wichtigkeit; man erzählte sich, daß den beiden Nachbarn Elliots, welche, wenn auch nur zu einem geringen Theile, von dem neu aufgetauchten Besitztitel betroffen wurden, von ihren Advocaten achselzuckend der Rath ertheilt worden war, abzuwarten, welchen Weg Elliot einschlagen werde, und sich diesem dann anzuschließen, wenn sie überhaupt sich Kosten zu machen gedächten; die erfahrensten Rechtsanwälte der Stadt sprachen es unverhohlen aus, daß nur in einem Uebereinkommen und einem großen Opfer von Elliots Seite einige Aussicht zur Rettung für diesen zu suchen sei, und keiner von Allen, welche Einsicht in das alte Document erhalten hatten, schien es nur der Mühe werth zu finden, sich in eine weitere Deduction des Falles einzulassen. Oaklea hatte in diesen Tagen mehr Besuche erhalten als jemals zuvor; jedem Ankommenden aber war durch die Schwarze der Bescheid geworden, daß der Squire mit der Familie ausgefahren sei, und die Neugierigen hatten unverrichteter Sache wieder abziehen müssen.

Es war am fünften Abende, als Elliot in seiner Bibliothek mit großen Schritten auf- und abging. Zur Seite des Fensters wiegte sich seine Frau mechanisch im Schaukelstuhle und am Tische saß Nelson, den Kopf leicht in die Hand gestützt.

»Ich mag überlegen wie ich will,« sagte der Hausherr stehen bleibend, »so ist ein solcher Betrag kaum geringer als ein Ruin. 30,000 Doll. in einer Mortgage gegeben, machen jährlich 3000 Doll. Zinsen. Woher soll ich diese fortlaufend schaffen, wenn ich nicht nur für das Bestehen meiner Familie arbeiten will?« Er setzte seinen Gang von Neuem fort.

»Nehmen Sie meinen Vorschlag an, Mr. Elliot,« begann Nelson, den Kopf erhebend, »veräußern Sie einen Theil der Farm, und wenn es ein ganzes Viertel sein sollte, und decken Sie mit dem Erlöse die Mortgage, ehe sie zu viele Zinsen frißt. Sie haben das Gutachten unserer ersten Advocaten über den Fall gehört, Sie denken selbst nicht mehr an einen Proceß, und so heißt es jetzt, aus dem Schlimmen das Beste zu machen, was sich machen läßt. Murphy wird bald hier sein, und Sie sollten bis dahin einen klaren Entschluß gefaßt haben.«

»Ich weiß Alles und Sie haben vollkommen Recht!« erwiderte Elliot hastiger schreitend, »wenn der Entschluß nur so leicht wäre, als Sie meinen. Sie kennen meine Farm nicht, Sir, sie ist ein so abgerundetes Besitzthum, daß ich nicht weiß, wo lostrennen, wenn ich für einen Käufer nur ein halbwegs Ganzes daraus schaffen soll. Meine Nachbarn haben schon mehr Land als sie bewirthschaften, und wer würde außer diesen dreißigtausend Dollars für ein Eigenthum zahlen, das nichts Halbes und nichts Ganzes ist? Mein Land hat seinen Werth, die Höhe desselben liegt aber dennoch viel in der Liebhaberei und stützt sich auf den Zusammenhang der ganzen Farm – dazu sind die Zeiten nicht eben brillant. Reißen Sie heute ein Stück ab, das erst neuer Gebäulichkeiten und neuer Einrichtungen bedarf, lassen Sie die Leute wissen, daß ich verkaufen muß, und ich will Ihnen danken, wenn Sie mir einen Käufer bringen, welcher nur die Hälfte des hier geltenden Ackerwerthes zahlt. Ich weiß, daß ich in den sauren Apfel beißen muß, nur weiß ich noch nicht wie, um mir nicht die Zähne für alle Zeit zu verderben.«

Nelson sah trübe vor sich nieder, und die Frau vom Hause verfolgte mit ängstlichem Auge den Gang ihres Mannes.

»Warten wir, bis dieser Murphy kommt, und erzählen Sie mir während der Zeit etwas Anderes,« begann Elliot nach einer Weile wieder und strebte sein Gesicht aufzuklären. »Haben Sie nichts von dem Thun und Treiben des Deutschen wahrgenommen, der noch ein Stein in unserm Wege ist? Ich denke, er wird in den nächsten Tagen selbst kommen und mir seine Propositionen stellen – aber billiger als Mr. Murphy!« fuhr er bitter lächelnd fort.

»Es ist schwer, über die jetzige Lage des Menschen ein Urtheil zu fällen,« versetzte Nelson aufblickend. »So oft ich ihn sehe, liegt eine Ruhe und Sicherheit in seinem Gesichte, als könne nichts seine Stellung hier erschüttern. Seit er aus der Akademie entlassen ist, verbringt er regelmäßig die Stunde nach Mittag bei den Zeitungen im Hotel, woraus er sich Notizen macht; außerdem hat er sich, wie ich höre, von seinem Tischnachbar die ›Reden großer amerikanischer Staatsmänner‹ geliehen, und ich glaube, daß er seine meiste Zeit mit einem Studium der englischen Sprache ausfüllt. In Geldverlegenheit scheint er durchaus nicht zu sein. Gestern hat er sein Kostgeld im Hotel für einen Monat vorausbezahlt, und am Abend sah ich seinen Schwarzen einen Wagen voll Welschkorn zu Pferdefutter abladen. Es will mir fast scheinen, als ständen ihm Mittel zu Gebote, welche ihm seinen Verdienst als Musiklehrer ganz entbehrlich machen.«

»Mittel – hah, ich kenne seine Verhältnisse!« sagte Elliot mit dem Ausdruck gründlicher Verachtung. »Was er hat, stammt von mir oder ist aus Ellens früheren Ersparnissen angeschafft worden. Er mag noch etwas von seinem bisherigen Verdienst übrig haben, mit dem er vielleicht glaubt, den Leuten Sand in die Augen streuen zu können; das kann aber nur noch kurze Zeit anhalten, und dann sitzt er hier ohne auch nur das nöthige Geld zu haben, um nach dem Osten zurückkehren zu können. Ich glaube kaum, daß weitere Schritte gegen ihn nothwendig sind. Hat er noch Umgang?«

»Wol kaum nennenswerth, Sir – seine früheren Besuche bei den Familien der Stadt hat er, so viel ich erfahren, vollständig eingestellt – wie lange das aber anhalten wird, weiß ich nicht. Erst vorgestern sprachen sich ein halbes Dutzend Ladies dahin aus, er habe eine Manier zu grüßen, wenn er ein bekanntes Gesicht auf der Straße treffe, man wisse nicht, solle man es stolz, oder verbindlich, oder beides zusammen nennen, jedenfalls aber sei es durchaus unmöglich, ihn unbeachtet zu lassen. Und wenn ich dazu das Bedauern rechne, welches sich bereits hier und da über den eingetretenen gänzlichen Mangel an Musikunterricht ausspricht, so scheint mir, daß wir bald die Zeit erleben können, wo er, wenn auch nicht in der Akademie, doch in den einzelnen Familien seine Beschäftigung wieder aufnimmt.«

»Er wird es nicht thun, Gir, – niemals unter den jetzigen Umständen!« entgegnete Elliot mit zusammengezogenen Augenbrauen; »entweder läßt er seinen Hochmuth fahren und geht auf meine Bedingungen hin eine Scheidung ein, oder er verläßt den Staat. Lassen Sie mich nur das Dringendste, den Murphy'schen Anspruch, geordnet haben, und dann nennen Sie mich einen Lügner, wenn ich nicht binnen Kurzem mein Wort löse.«

Er setzte finster seine Wanderung durchs Zimmer fort, während sich Nelson, den Kopf wieder in die Hand gestützt, seinen Gedanken überließ, und die Hausfrau matt zurückgelehnt aufs Neue sich in ihrem Stuhl zu wiegen begann.

Fünf Minuten mochten wortlos verstrichen sein, als sich die Thür halb öffnete und das Gesicht einer Schwarzen erschien. »Mr. Murphy ist im Parlor, Sir!«

Elliot blieb stehen und sah nach seiner Frau zurück. »Es ist besser, Liebe, du läßt uns jetzt allein,« sagte er halblaut, »ich mag die Angelegenheit nicht im Parlor verhandeln. – Ich lasse Mr. Murphy bitten, sich nach der Bibliothek zu bemühen. Zeige ihm den Weg, Flora,« wandte er sich dann gegen die Schwarze, während die Hausfrau sich erhob und an den Pflanzer herantrat. »Ordne die Sache so glatt und so schnell als du kannst, John, und mache dir keinen Kummer um mich,« sagte sie, ihre Hand auf seine Schulter legend, »was geopfert werden muß, geht ohne unsere Schuld verloren, und darum mache dir das Herz nicht zu schwer damit.«

Er küßte sie leicht auf die Stirn und führte sie nach der Thür, welche in diesem Augenblick durch die Schwarze von außen geöffnet ward, um den angekommenen Advocaten einzulassen. Murphy verbeugte sich tief vor der heraustretenden Hausfrau und wandte sich dann grüßend zu Elliot.

»Treten Sie ein, Sir!« sagte dieser und schloß hinter dem Advocaten die Thür. »Sie müssen entschuldigen, daß ich Ihnen die Mühe des Weges hierher gemacht habe, während ich selbst Sie hätte aufsuchen sollen; ich gestehe Ihnen aber, daß ich eine wahre Angst vor den neugierigen Gesichtern in der Stadt habe, so lange unsere Angelegenheit noch nicht geordnet ist. Sie haben mich durch Ihre Bereitwilligkeit, die Sache hier in Oaklea zu besprechen, wirklich zu Dank verpflichtet. Setzen Sie sich, Sir!«

Murphy neigte nur als Erwiederung auf die Worte des Pflanzers langsam den Kopf, warf Nelson einen vertraulich grüßenden Blick zu und ließ sich auf dem nächststehenden Stuhle nieder.

»Well, Sir,« begann Elliot, dem Advocaten gegenüber Platz nehmend, »lassen Sie uns sofort der Sache auf den Leib rücken. Mr. Nelson hat mir Ihren Vorschlag über die Höhe eines Abstandsgeldes für Ihren Anspruch mitgetheilt; ich habe ihm aber auch vor kaum einer Viertelstunde bewiesen, daß die Höhe des Betrages mit meinem Ruin und dem meiner Familie auf gleicher Stufe steht. Wenn ich einmal zu Grunde gehen soll, so gestehe ich Ihnen, daß ich das lieber im offenen Kampfe thue als erst Jahre lang alle Sorgen und Qualen durchzumachen, um die Zinsen für eine Mortgage aufzubringen, die mir am Ende doch noch den Hals brechen muß. Ist es Ihnen daher wirklich um einen Vergleich zu thun, Sir, so stellen Sie eine Summe auf, die ein Mensch in unsern Verhältnissen hier erschwingen kann, wenn es auch selbst mit großen Opfern geschehen müßte.«

Murphy hob den Kopf mit einem kalten Lächeln. »Ich weiß nicht, ob Sie die Verhältnisse richtig beurtheilen, Sir,« sagte er, »ich stehe nicht hier für einen Anspruch meinerseits, sondern bin nur Anwalt für die Erben eines Nachlasses, in welchem sich das bekannte Document vorgefunden hat. Wenn ich nun auch mit völliger Machtvollkommenheit bekleidet bin, um zur Vermeidung eines kostspieligen Processes ein Arrangement mit Ihnen zu treffen, so müßte ich doch die schwerste Verantwortung auf mich laden, wenn ich aus irgend welchen Rücksichten den sichern Erfolg eines so bedeutenden Processes für einen Betrag, der im Verhältniß dazu eine Bagatelle genannt werden könnte, eintauschen wollte. – Ich hatte nicht erwartet,« fuhr er fort, das dunkle Auge ruhig auf dem Pflanzer ruhen lassend, »daß mir hier überhaupt noch ein Einwand entgegentreten würde. Der Weg, welchen ich ursprünglich einzuschlagen beabsichtigte, war ein anderer, und nur ein längeres Gespräch mit meinem Freunde Nelson, dem ich, schon unserer gemeinschaftlichen Zukunft halber, gern einen Einfluß auf meine Handlungen als Anwalt gestatte, bewog mich, einen Betrag als Abstandsgeld zu stipuliren, welcher kaum den sechsten Theil des Werthes Ihrer Farm ausmacht, und die Verantwortlichkeit dafür auf mich zu nehmen, bewog mich auch zu gleicher Zeit, Ihnen als dem Freunde Nelsons selbst entgegen zu kommen. Ich fühle mich unglücklich, störend in Ihr häusliches Glück treten zu müssen; das ist nun aber einmal des Advocaten Loos im Allgemeinen. Ich will Sie durchaus nicht zu einem Vergleich drängen, Mr. Elliot; ich werde mich vielleicht ruhiger fühlen, wenn ohne weitere Verantwortlichkeit meinerseits die Angelegenheit den gewöhnlichen Proceßweg nimmt. Da aber einmal ein Vorschlag gemacht ist, so lassen Sie mich einfach wissen, ob Sie ihn anzunehmen gedenken oder nicht.«

Der Pflanzer blickte in finsterm Schweigen vor sich nieder und schüttelte nur dann und wann, wie einen einzelnen Gedanken verfolgend, den Kopf.

»Wenn Sie auf ein einfaches Ja oder Nein dringen und keiner andern Verhandlung Raum geben wollen,« sagte er endlich aufsehend, »so ist es mir ganz unmöglich, Sir, mich sofort zu entschließen; wenigstens müßten Sie mir eine kurze Zeit lassen, um mich über die Möglichkeit zu versichern, einer Mortgage von so hohem Betrage zur rechten Zeit begegnen zu können.«

Murphy schien nachzudenken.

»Ich will Sie, wie gesagt, nicht drängen, Squire,« sagte er nach einer Weile; »ich glaube mit einer Bedenkzeit meinen Clienten nichts zu vergeben. Sind Ihnen acht Tage genug?«

»Wenn Sie glauben, mir nicht längere Zeit geben zu können, so muß ich zufrieden sein.«

»Gut, Sir, mag es so sein!« erwiderte Murphy, sich erhebend. »Heute über acht Tage mag mir Freund Nelson Ihren definitiven Bescheid überbringen. Die ganze Angelegenheit ist mir herzlich leid, Mr. Elliot, und ich kann Sie nur bitten, mich als Menschen nicht entgelten zu lassen, was der Advocat gegen Sie zu thun hat.«

»All right, Sir!« versetzte Elliot mit einem sauren Lächeln und verließ ebenfalls seinen Stuhl. »Jeder hat auf seinen eigenen Vortheil zu sehen, das ist der Welt Lauf.«

»Gute Nacht, Mr. Elliot!«

»Gute Nacht, Mr. Murphy« –

»Glauben Sie mit dem Aufschub etwas gewonnen zu haben?« fragte Nelson, als der Advocat das Zimmer verlassen hatte.

»Jedenfalls Zeit, die nichts kostet,« erwiderte der Pflanzer. »Die Hauptsache aber ist, daß ich während dieser Woche irgend eine Möglichkeit zum Verkaufe eines Theils meiner Ländereien ausfindig mache, und dazu sollen Sie mir helfen, junger Freund. Sollte ich auch alle die Opfer, welche ich voraussehe, dabei bringen müssen, so will ich lieber ein kleineres, freies Eigenthum haben, als ein großes mit einer Mortgage belastet, welche jede Nacht als ein Alp meine Träume heimsuchen würde. Kommen Sie jetzt zum Abendtisch, der wol schon lange auf uns wartet – wir sprechen später mehr über die weitern nothwendigen Schritte. –«

Murphy hatte die Stadt wieder erreicht, das gebrauchte Pferd wieder in den Leibstall zurückgeliefert und ging im Globe-Hotel die Treppe nach dem von ihm bewohnten Zimmer hinauf, um sich von dem Straßenstaube zu reinigen, als er einen Tritt hinter sich vernahm, der sich genau dem seinigen anpaßte. Er sah sich nur flüchtig nach der ihm folgenden Person um, schloß sein Zimmer auf und stellte hier das mitgebrachte Licht auf den Tisch. – Als er sich umwandte, fiel sein Blick auf die Gestalt eines Mannes neben der Thür, von dem sich indessen in der schwachen Beleuchtung nichts Bestimmtes erkennen ließ. »Wer ist da?« fragte Murphy barsch.

Die Gestalt kam einige Schritte näher, nahm den Hut ab, verbeugte sich und sagte: »Mein Name ist Wells, Sir – Henry Wells, Ihnen zu dienen!«

Der Advocat starrte den Mann eine Weile sichtbar betroffen an. Schwarzes, lockiges Haar umgab ein glattrasirtes Gesicht; über einer goldenen Brille zeichneten sich ein Paar dunkle, geschwungene Augenbrauen ab, und nur ein eigenthümlicher Zug von Sarkasmus um Mund und Kinn mahnte den Advocaten an frühere Bekanntschaft.

»Bei Gott, jetzt erkenne ich Sie erst wieder, Seifert,« rief dieser endlich wie in unangenehmer Ueberraschung. »Ihre Verwandlung ist gut, aber in des Himmels Namen, was führt Sie denn hierher, wo Sie keinen Augenblick sicher sind, festgenommen zu werden? Sie entsinnen sich doch noch des Sklavendiebstahls beim Squire Elliot?«

»Sklavendiebstahl – festnehmen – hm! Aus dem Loche pfeift also jetzt der Wind!« sagte der Andere ruhig, beide Arme über einander schlagend, »ich denke, wenn man Wells heißt und selbst von dem eigenen Geschäftepartner nicht wieder erkannt wird, so kann die Gefahr nicht so groß sein. Ist Ihnen denn mein Besuch so unangenehm, Sir, daß Sie gleich versuchen müssen, mir die Freude des Wiedersehens zu verbittern? Oder hatten Sie mit etwas zu großer Sicherheit darauf gerechnet, daß mir der Boden hier zu heiß sein würde?«

»Well, Sir, um kurz zu sein: was führt Sie eigentlich hierher?« fragte Murphy mit gerunzelter Stirn.

»Sonderbare Frage!« erwiderte Seifert mit anscheinender Befremdung den Kopf schüttelnd. »Sind wir nicht Partner in dem Geschäfte, welches Sie jetzt hier betreiben, habe ich nicht meinen Theil Arbeit gewissenhaft erfüllt, so daß ich jetzt als Zuschauer Ihre weitern Schritte beobachten darf? Fürchten Sie durchaus nicht, daß ich Ihnen lästig werde, Sir; ich habe bereits zu meinem großen Vergnügen gehört, wie meisterhaft Sie alles Nöthige eingeleitet haben, am unserm Geschäft einen vollständigen Erfolg zu sichern. Ich habe das größte Vertrauen zu Ihrem Talente, und ich gestehe Ihnen, daß ich bereits in der Idee schwärme, endlich einmal etwas wie ein wohlhabender Mann zu werden.«

In Murphy's Gesicht bildete sich ein Zug, halb stiller Aerger, halb Hohn. »Und wenn ich Ihnen nun sage, Sir, daß Sie sich wegen des erwarteten Erfolges verrechnet haben,« sagte er sich gegen den Tisch lehnend, »daß der Proceß gar nicht eingeleitet werden wird und, Alles in Allem, kaum so viel bei dem Unternehmen herausspringen kann, um die von mir daran gewandten Kosten zu decken? Wenn ich Ihnen deshalb sage, daß durchaus keine Ursache für Sie vorhanden ist, um sich hier einer Gefahr der Erkennung preiszugeben?«

»So, so – hm, hm!« entgegnete Seifert mit vollkommener Ruhe. »Trotz alledem, lieber Herr, gedenke ich doch ein Weilchen die hiesige Landluft zu genießen. Ich habe nun einmal die fixe Idee, daß Henry Wells hier keine besondere Gefahr zu fürchten hat, selbst wenn Sie, Sir, um ihn los zu werden, ihm ein Freundschaftsstückchen spielen und die alten Geschichten, welche der Mann Seifert begangen haben soll, wieder aufwärmen wollten. In einem solchen Falle könnte ich eine unterhaltende Historie von einem gestohlenen Depositenscheine aus dem Nachlasse des Pedlars Isaak Hirsch erzählen, könnte ganz merkwürdige Enthüllungen über die Weise geben, wie der Anspruch gegen Squire Elliot in die Hand eines hiesigen Advocaten gespielt worden ist, und dergleichen mehr, was jedenfalls die Glaubwürdigkeit meines Anklägers etwas erschüttern dürfte. Ich halte mich nach dieser Seite hin nicht nur für gedeckt, sondern glaube auch noch erwarten zu dürfen, daß mich Mr. Murphy als seinen alten Freund Henry Wells aus New-York identifiziren würde, wenn es irgend einem andern Jemand einfallen sollte, daran zu zweifeln.«

Murphy hatte sich verfärbt. »Wer sagt Ihnen denn, Sir, daß ich etwas gegen Sie unternehmen will? Ich weiß leider nur zu gut, wie ich mit Ihnen stehe,« sagte er und suchte seinen Zügen sichtlich Festigkeit zu geben; »aber ich frage, was ist der Zweck Ihres Hierseins, das nichts nützen, Sie aber jeden Augenblick in Verlegenheit bringen und mich mit hineinziehen kann?«

»Und wenn es nun kein anderer gewesen wäre, als das Andenken meiner geringen Person bei Ihnen etwas aufzufrischen – käme ich nicht gerade jetzt zur rechten Zeit?« lächelte Seifert mit seiner ironischen Höflichkeit. »Sie sagten so eben noch, es könne bei unserm Unternehmen kaum etwas für mich abfallen, – wäre es nicht besser, Sie überlegten sich die Sache noch einmal?«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß der Fall nicht zum Proceß kommen kann,« versetzte der Advocat finster; »ich habe den Werth des Documentes, auf welchem die ganze Speculation ruht, überschätzt. Eine Kleinigkeit werde ich jedenfalls durch den erzeugten Schrecken herauspressen können, und Sie sollen nicht um Ihren Antheil kommen.«

»Very well, Sir!« unterbrach Seifert, ein ernstes, bedenkliches Gesicht ziehend, »ich darf natürlich an Ihrer Wahrheitsliebe nicht zweifeln – ich muß Ihnen aber Eins sagen. Wie es Leute gibt, welche hunderttausend Dollars mit Vergnügen stehlen würden, wenn sie könnten, während sie vor einem Diebstahl von fünf Dollars zurückschaudern, so würde ich selbst mir die größten Gewissensbisse machen, einen armen Judenjungen zu Tode und eine achtbare Pflanzerfamilie dem Ruin nahe gebracht zu haben, wie dies Letztere wenigstens die ganze Stadt behauptet – wenn ein reichlicher Erfolg diese Sünden nicht lohnte. Und Gewissensbisse sind ein erschreckliches Ding, Sir, wenn sie den Menschen treiben, wieder gut zu machen, was er verbrochen. Ueberlegen Sie also noch einmal, Mr. Murphy, was sich thun läßt, um dem Uebel vorzubeugen – in einigen Tagen sehe ich Sie wieder, und wir werden dann bestimmter mit einander reden. Einstweilen leben Sie wohl. Sollten wir uns heute noch im Bar-Room sehen, so wissen Sie, wer ich bin und wie lebhaft unsere alte Freundschaft für einander ist.« Er nickte dem Advocaten lächelnd zu und schritt langsam aus dem Zimmer.

Murphy, an den Tisch zurückgekehrt, hatte sich während der letzten Worte gezwungen, dem Sprechenden fest ins Gesicht zu sehen, und blieb in seiner Stellung, bis er Seiferts letzte Schritte auf der Treppe verhallen hörte. Mit einem unterdrückten Fluch schlug er dann mit der Faust auf den Tisch und warf sich auf den nächsten Stuhl. Eine Weile sah er finster sinnend vor sich nieder, plötzlich aber, wie von einem lichten Gedanken erfaßt, sprang er auf und sah nach seiner Uhr. »Noch Zeit!« brummte er, griff nach seinem Hut und verließ raschen Schrittes das Hotel. Er bog von der Hauptstraße des Städtchens in einen Nebenweg ein, bis er die Rückseite von Griswalds Office erreichte, wo sich durch die geschlossenen Jalousien ein schwacher Lichtstrahl stahl. Auf ein dreimaliges Klopfen öffnete sich die Thür und er verschwand dahinter.

Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, als er, von Griswald begleitet, wieder heraustrat. »Keinen Schritt darf er unbeaufsichtigt thun, und Sie müssen noch heute die nöthigen Anstalten deshalb treffen,« sagte Murphy mit gedämpfter Stimme, »und sollte sich Ihre Vermuthung bestätigen, so werde ich für das Uebrige Vorsorge treffen.« Beide schieden, sich die Hände schüttelnd.

VIII.

Es war kaum sechs Uhr am nächsten Morgen, aber Helmstedt saß schon eine Weile vor seinem Arbeitstische, auf welchem sich an Stelle der früher vorhandenen Musikalien mehrere Stöße Bücher zeigten, und schien ganz in das Studium eines vor ihm liegenden dickleibigen Bandes versunken zu sein. Dann und wann machte er auf einem Papierbogen kurze Bemerkungen und fuhr dann um so eifriger in seiner Lectüre fort. – In den ersten zwei Tagen nach seiner Entlassung aus der Akademie hatte er kaum gewußt, was er mit seiner Zeit beginnen sollte; er hatte während der heißen Stunden des Tages, die ihn ins Haus bannten, stundenlang auf seinem Sopha gelegen und mit offenen Augen geträumt von dem vergangenen Jahre, das in seinen mannichsachen Ereignissen ihm oft wie ein halbes Leben dünkte, geträumt von einer Zukunft voller Seligkeit und Befriedigung, die er doch selbst für unmöglich hielt. Er hatte sich wol bald selbst gesagt, daß diese Lebensweise nicht lange fortdauern dürfe, wenn er nicht erschlaffen und sich untüchtig für eine spätere geregelte Thätigkeit machen solle – aber das: was beginnen, ohne seinen jetzigen Aufenthaltsort zu verlassen, war die Frage, welche er nicht zu beantworten vermochte. So hatte er sich am dritten Tage unzufrieden mit sich selbst wieder auf das Sopha geworfen. Seine Zukunft kam ihm fast eben so planlos vor, als zu der Zeit, wo er in New-York gelandet und in ungezwungenem Müßiggange sein Geld hatte verzehren müssen – da tauchte mit den Bildern aus seinem damaligen Leben plötzlich der Rath in seiner Erinnerung auf, welchen ihm Pauline nach ihrem ersten Zusammentreffen mit ihm gegeben, ein Rath, den er in jener Zeit bei seiner Unkenntniß der englischen Sprache und der ganzen amerikanischen Verhältnisse so kindlich naiv gefunden, daß er sich des Lachens nicht hatte erwehren können. »Sie sind doch von Haus aus Jurist und haben ein glänzendes Examen bestanden,« hatte sie ihm gesagt, »warum werfen Sie sich hier nicht wieder auf Ihr altes Fach, gehen zu einem Advocaten und lernen, was Ihnen in dem hiesigen Lande noch Noth thut, halten nachher Reden, werden bekannt, bekommen dadurch eine tüchtige Praxis, oder lassen sich in ein paar Jahren zu einem Amte wählen? Wenn ich ein Mann wäre, ich würde in Amerika gar nichts Anderes als Advocat!« – Jetzt war es ihm, als werde es mit einem Male hell in seiner Seele. Was damals für ihn unmöglich gewesen, das durfte er jetzt wenigstens als erreichbar betrachten – und in jedem Falle hatte er ein neues Ziel für sein Streben gefunden. Erregt setzte er sich aufrecht. Er dachte wol einen Augenblick an alle die Schwierigkeiten, welche dem Deutschen in einer solchen Carriere entgegentreten müssen, sobald er sich über den großen Troß des Standes zu erheben gedenkt – er dachte an alle die großen Lücken, welche er auszufüllen haben würde, an alle die Arbeit, welche vor ihm lag – aber Arbeit war es gerade, was er brauchte. Zuerst wollte er sich vollkommen zum Meister der englischen Sprache machen; er fühlte, daß er nur dies bedurfte, um überzeugend auf irgend ein Publikum wirken zu können, und mit einem stillen Behagen erinnerte er sich der Complimente, welche ihm seine eigene Vertheidigungsrede während des Baker'schen Mordprocesses von gewiegten Advocaten eingetragen hatte. Daneben sollte es zu einem gründlichen Studium der neuern Geschichte der Vereinigten Staaten, besonders wo diese auf Rechtsfragen Einfluß haben konnte, gehen – das war vorläufig Arbeit für die nächsten sechs Monate, und dann erst wollte er seinen weitern Studiengang nach den Verhältnissen, wie sie sich bis dahin für ihn gestaltet haben würden, bestimmen. Es kam eine Beruhigung, wie er sie noch niemals in Amerika gefühlt, über ihn, als er mit diesen Entschlüssen im Klaren war; er hatte längst gefühlt, daß sein bisheriger Beruf als Musiklehrer eben nur Nothbehelf für ihn gewesen war und stets nur geblieben wäre, so sehr auch bis jetzt sein ganzes Interesse sich darauf gerichtet hatte, und zum Handelsstande, wozu ihn der alte Pedlar gedrängt hatte, paßte seine ganze Natur nicht. Konnte er sich der Advocatur zuwenden, so kam er wieder auf den Boden, welchem er sein ganzes Arbeiten und Streben in Deutschland gewidmet, und wenn sich jemals eine Gelegenheit dazu für ihn bieten konnte, so war sie jetzt da, wo er für eine Zeitlang die Mittel zum Leben und volle Zeit für die nöthigen Studien hatte.

Noch an demselben Nachmittage hatte er sich von einigen Bekannten, welche ihm der Mittagstisch im Hotel näher gebracht, so viele Bücher zusammengeborgt, als er für die erste Zeit zu seinem Zwecke für nothwendig erachtete, und am nächsten Morgen begann er nach einem selbstgeschaffenen Systeme seine Arbeiten, denen er während der folgenden Tage ohne Hast, aber mit voller Beharrlichkeit oblag. Und so saß er auch jetzt am frühen Morgen bereits an seinem Schreibtische.

Eine halbe Stunde mochte er ohne Unterbrechung gearbeitet haben, als sich die Thür öffnete und Cäsar mit einer großen Tasse voll rauchenden Kaffee's erschien; es war dies eine Neuerung, die Helmstedt eingeführt hatte, um nicht in den Morgenstunden des Frühstücks wegen das Haus verlassen zu müssen, und Cäsar hatte schnell genug gelernt, seinen Herrn in deutscher Weise zu bedienen. – Helmstedt schob sein Buch bei Seite und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

»Well, Cäsar, etwas Neues?«

»Nichts Großes, Master,« entgegnete der Schwarze, die Tasse niedersetzend. »Mrs. Morton ist noch immer traurig und niedergeschlagen; sie habe, meinte Mary, gestern nicht so viel gegessen, daß ein Vogel daran genug haben könne. Doctor Ford hat ihr beim Mittagstische erzählt, daß Mr. Elliot wol seine Farm verlieren werde, und das hat sie so aufgeregt, daß ihr der Doctor ein niederschlagendes Pulver hat geben müssen. Der Doctor hat gesagt, ihre Reizbarkeit komme vom Klima, das sie noch nicht gewohnt sei und auch von ihrem einsamen Leben; sie solle sich mehr Zerstreuung machen; und Mrs. Morton hat gesagt, sie werde nächster Tage einmal nach Little Valley fahren, sich die Farm betrachten und zusehen, was dort gethan werden müsse; das werde ihr Arbeit und Zerstreuung geben.«

»Wie steht es jetzt in Little Valley?« fragte Helmstedt gedankenvoll.

»Es ist noch beim Alten, Sir!« antwortete der Schwarze. »Doctor Ford hat aber gesagt, er werde in den nächsten Tagen einen andern Aufseher schaffen.«

Helmstedt nickte langsam und griff nach seinem Kaffee. »Es ist gut, Cäsar.«

Der Schwarze verließ das Zimmer und Helmstedt wollte sich wieder seiner Beschäftigung zuwenden, aber er konnte seine Gedanken nicht festhalten. Schon Tags vorher hatte ihm Cäsar einen ähnlichen Bericht wie den heutigen gebracht, dem er nur wenig Wichtigkeit beigelegt hatte – heute indessen fiel ihm die wiederholte Meldung mit ihren Details auf. War es nur ein vorübergehendes körperliches Leiden, oder lag die Ursache von Paulinens krankhafter Stimmung tiefer – konnte nicht, bei ihrem jungen warmen Herzen ein Gefühl für irgend eine dritte Persönlichkeit in ihr leben, dem sie in ihrer abgeschlossenen Stellung nicht genug thun konnte und das zugleich die Ursache ihrer Schroffheit gegen ihn selbst und seine freundlichen Anerbietungen war? Helmstedt fühlte, wie ihm der Gedanke das Blut zum Herzen trieb; er erhob sich und durchschritt einige Male langsam das Zimmer; bald hatte er wol seine innere Haltung wieder gewonnen, aber mit dem Interesse an seinem Studium war es für den Augenblick vorbei. Eine erfrischende Luft wehte ihm aus dem offenen Fenster entgegen und er beschloß, einen Gang durch die Stadt zu machen, um sich andere Gedanken zu holen und dann mit neuer Lust an seine Arbeit zurückzukehren. Er kleidete sich an und wanderte dann langsam die Hauptstraße des Städtchens hinab, wo bereits Weiße und Schwarze in lebhaftem Marktverkehr sich durcheinander trieben.

»Es ist ein Brief für Sie da, Mr. Helmstedt – schon seit zwei Tagen!« hörte er eine Stimme neben sich und sah aufschauend in das Gesicht des Postmeisters, welcher indessen das Postamt nur als eine Unterabtheilung seines Stores führte, vor dessen Thür er eben jetzt auf- und ab spazierte.

»Für mich, Sir?« fragte der junge Mann zweifelnd.

»Wenigstens steht Ihr Name darauf, treten Sie ein, Sir, zehn Cents Porto!«

Helmstedt empfing ein dickgefülltes Couvert, auf welchem seine Adresse mit voller Genauigkeit verzeichnet stand, zahlte das Porto und verließ den Store. Er besah die sonderbar aussehende Zuschrift und schüttelte den Kopf; von wem konnte er wol einen Brief zu erwarten haben, wer bekümmerte sich in dem großen Amerika um ihn? Das Postzeichen war so undeutlich aufgedruckt, daß es nicht zu erkennen war, und es machte ihm Vergnügen, sich in zehnerlei verschiedenen Vermuthungen zu ergehen, ehe er den Umschlag öffnete. Eine Anzahl Bogen, mit einer Schrift bedeckt, von welcher jeder Buchstabe reichlich einen halben Zoll maß, fiel in seine Hände; trotz der Größe der Worte war es aber, wie es Helmstedt bei dem ersten Blick auf die Orthographie derselben scheinen wollte, eine nicht unbedeutende Arbeit, ihren Sinn zu ergründen. Er wandte die Bogen, um nach der Unterschrift zu sehen, hatte aber Mühe, das rechte Ende des Schreibens zu finden, bis seine Augen endlich auf den mit riesigen Buchstaben geschriebenen Namen: »Karl Meiners, genannt Dutch Charley,« fielen. Ein heiteres Lächeln ging über Helmstedt's Gesicht, er wandte sich quer über den Weg nach dem Globe-Hotel und setzte sich dort im Warte-Zimmer nieder, um in Ruhe den Inhalt des erhaltenen Schreibens zu entziffern. Eine kurze Zeit lang schien ihn das Studium der verschiedenen Worte zu belustigen; bald aber wurde sein Blick gespannter, hastiger, und mit zusammengezogenen Augenbrauen arbeitete er sich durch die Hindernisse, welche sich dem Verständniß des Sinnes entgegenstellten, bis er endlich zu Ende gelangt, die Hand aufs Papier legte und, wie vollkommen überwältigt von dem Gelesenen, vor sich ins Zimmer starrte. Was er herausbuchstabirt hatte, lautete:

»Lieber Mr. Helmstedt!

Ich habe Ihnen schon vor mehreren Tagen schreiben wollen, ich habe aber meinen Trouble mit dem Ben gehabt, welcher der Mary noch immer nachstellt und ausgefunden hat, wo sie sich im Lande aufhält. Sie haben es mit angesehen, wie ich ihn das erste Mal habe ablaufen lassen; weil ich aber nicht immer bei ihr sein kann, so habe ich sie nach einem sichern Orte bringen müssen. Sie ist eigentlich nur meine Landsmännin, aber ich habe auch ehrliche Absichten auf sie und sie ist damit zufrieden. Jetzt aber das Andere. Sie haben mir damals in New-York gesagt, daß Ihr Mündel um sein Erbe komme, weil sie ihn haben todt aus dem North-River gezogen. Den sie aber aus dem Wasser gebogen haben, war nur eine todte Leiche, die ich selber habe helfen vom Kirchhofe holen, und ich hätte Ihnen schon damals gesagt, wie die Sache steht, wenn ich bestimmt gewußt hätte, ob Ihre Geschichte auch wirklich die war, von der ich wußte. Jetzt weiß ich aber Alles: Bill und Ben haben mit dem Gelde, was sie bekommen haben, ein lustiges Leben geführt und haben mir im Rausche erzählt, um was ich sie gefragt habe. Also ist die Sache so: Der Graf, wie sie ihn nennen, und weiter weiß ich von ihm nichts, hat den jungen Verwandten vom Pfandleiher Meier, der wol Ihr Mündel sein muß, aus der Law-Office, wo er gearbeitet hat, weggelockt und gesagt, ein alter Onkel von ihm liege todtkrank in Philadelphia und wollte ihn noch einmal sehen, er müsse auf der Stelle mit ihm gehen, bei Meier's wüßten sie schon um Alles, hat ihn unterwegs in einem Kleiderladen vom Hemde bis zum Rocke neue Kleider anziehen lassen, damit er auf der Reise anständig aussehe, und hat ihn durch den Bill richtig nach Philadelphia in ein Versteck bringen lassen. Während der Zeit haben sie hier in New-York eine Judenleiche vom Kirchhofe gestohlen, haben ihr die alten Sachen von dem jungen Menschen angezogen und sie in den North-River geworfen. Nachher hat es geheißen, der aufgefundene Todte sei Ihr Mündel. Warum das Alles so gethan worden ist und warum der Graf so viel Geld dafür gespendet hat, kann ich nicht sagen. Der Graf hat nachher Ihren Mündel ins Land irgend wohin gebracht, wo sie ihn verwahrt haben, hat sich selber eine Weile in New-York herumgetrieben und mit einer Weibsperson, die sich durch schlechten Lebenswandel Geld gemacht hat, zusammen gewohnt. Ich habe selbige Weibsperson von früher her gekannt, gehe auch ab und zu jetzt noch einmal hin, weil sie mich besonders leiden mag und immer ein paar Quarters für mich hat, und so habe ich von ihr erfahren, daß der Graf eine Speculation in Alabama hat, die ihm viel Geld bringen soll, wovon er, zusammen mit dem Weibsbilde, ein seines, liederliches Haus in New-York errichten will. Bei der Speculation muß aber wol Ihr Mündel etwas zu thun haben, denn ich habe mir aus den gefallenen Reden zusammengereimt, daß er ihn mit hinunter nach dem Süden nehmen will. Vor etwa einer Woche ist nun der Graf nach Alabama abgereist und hat auch der Weibsperson hinterlassen, wohin sie ihm schreiben soll, wenn etwas vorkommen sollte; ich habe aber den Zettel noch nicht erwischen können. Das habe ich Ihnen also geschrieben, weil ich nicht mag dazu geholfen haben, daß ein junger Mensch um sein Erbe komme, und weil ich gedacht habe, daß Ihnen mit diesem Schreiben ein Gefallen geschähe. Jetzt muß ich aber noch etwas sagen. Ich möchte aus dem liederlichen Leben hier heraus, möchte was Ordentliches treiben und nachher die Mary heirathen. Wenn es also unten bei Ihnen Beschäftigung gäbe, die sich lohnte, so könnten Sie mir es wol schreiben, ich wohne noch immer beim alten Ormsby in Jamesstreet. Es heißt freilich, daß im Süden die Nigger alle Arbeit thäten, aber ich glaube, ich könnte es mit Dreien aufnehmen, und wenn Sie etwas für mich wüßten, so könnte ich auch, bis Sie mir wieder schreiben, den Zettel zu Gesicht bekommen, damit Sie erfahren, wo Sie Ihren Mündel wiederfinden können. Das Geld zur Reise habe ich.«

Zehn verschiedene Gedanken über die Beweggründe und den Urheber des gespielten Betruges waren, einer den andern verdrängend, durch Helmstedts Kopf geschossen – vor einem Gedanken aber wichen alle übrigen zurück. Helmstedt hatte aus leicht begreiflichen Gründen sich tiefer für den drohenden Angriff auf Elliots Eigenthum interessirt, als viele Andere. Er hatte zu seiner Verwunderung erfahren, daß Murphy's Vollmacht, welche dieser gern vorwies, um jede Gehässigkeit von sich selbst abzulenken, von Rebekka, Ehefrau des Abraham Meier in New-York, als Erbin des verstorbenen Isaak Hirsch, ausgestellt war, und daß der verhängnißvolle Besitztitel von einer New-Yorker Advocaten-Firma als Eigenthum des Isaak Hirsch in die Erbschaftsmasse abgeliefert worden sein sollte. Wenn es ihm nun möglich wurde, den Aufenthaltsort des bei Seite gebrachten Knaben zu entdecken, so war für den Augenblick der ganze gegen Elliot beabsichtigte Proceß beseitigt, da mit Auffindung des ersten, alleinigen Erben jeder Anspruch einer dritten Partei an den hinterlassenen Besitztitel in sich selbst zerfiel, und alle ferneren Maßregeln lagen einzig in seiner, des Vormundes, Hand. Hieß es doch in des Pedlars letzten Willen:

»Ich bitte Mr. Helmstedt, sich meiner Papiere anzunehmen, welche sich in der Tasche dieses Buches befinden. Es sind die sämmtlichen Depositenscheine meiner Ersparnisse, welche nach meinem Tode meinem Schwestersohne gehören und von genanntem Mr. Helmstedt, falls ihm dies nicht zu viel erbeten dünkt, zum Vortheil meines Erben nach seinem, des Mr. Helmstedts, alleinigem Dafürhalten angelegt oder verwendet werden sollen.«

Helmstedt kannte die Stelle auswendig; zum ersten Mal aber fiel es ihm auf, wie der alte Isaak, der alle seine Angelegenheiten in so musterhafter Ordnung gehalten und mit so freiem Bewußtsein seinen letzten Willen abgefaßt hatte, nicht an ein so wichtiges Document wie der vielbesprochene Besitztitel hatte denken können. – Helmstedt wußte genau, daß sich in den hinterlassenen Papieren auch nicht die Spur einer Notiz darüber befunden hatte, und je mehr er darüber nachdachte und die kaum glaublichen Angaben des vor ihm liegenden Briefes damit verglich, je verdächtiger wollte ihm die ganze Angelegenheit erscheinen, wenn er auch noch nicht wußte, nach welcher Seite hin er einen Verdacht richten sollte. Er beschloß, jedenfalls Schritte zu thun, um sich Klarheit über das Woher der so plötzlich aufgetauchten Urkunde zu verschaffen – das war indessen nicht die Hauptsache. Schnelle, bestimmte Maßregeln mußten zur Herbeischaffung seines Mündels getroffen werden, denn in jedem Augenblick konnte Elliot, um sich Ruhe zu verschaffen, zu Schritten verleitet werden, die vielleicht niemals wieder gut zu machen waren. Helmstedt schwanke eine Weile, ob er nicht durch eine weitere Mittheilung des Briefes vorläufig allen möglichen Unterhandlungen mit dem Pflanzer Einhalt thun sollte; schnell genug aber erkannte er, daß, wenn irgend eine an dem jetzigen Proceß betheiligte Partei ihre Hand in dem Bubenstück gegen seinen Mündel gehabt, wie es nach Charley's Schreiben fast schien, das tiefste Schweigen über dessen Mittheilung walten müsse, sollte nicht der Knabe von seinem jetzigen Aufenthaltsort aufs Neue, und wahrscheinlich für immer, verschwinden. Eine kurze Weile dachte er scharf nach, dann barg er den Brief in die Brusttasche seines Rockes und schritt wieder über die Straße nach dem Store des Postmeisters. »Wie weit ist wol die nächste Telegraphenoffice, Sir?« fragte er diesen.

»Telegraphenoffice!« war die lachende Antwort, »so vorgeschritten sind wir hier im Hinterwalde noch nicht, Sir! Die nächste ist meines Wissens in Nashville, Tennessee, etwa 150 Meilen oder so etwas weit.«

Helmstedt legte die Hand an seine Stirn. »Also gar keine Möglichkeit, eine dringende Nachricht schnell nach New-York zu befördern?«

»Warum nicht? Senden Sie Ihre Depesche nach Nashville an die Telegraphenoffice, heute Mittag geht eine Post dahin ab. Legen Sie eine Fünfdollar-Note bei und beauftragen Sie die Beamten, Ihnen die Rückantwort, falls Sie diese erwarten, augenblicklich hierher zu senden. Sie sollen von mir sogleich benachrichtigt werden, sobald etwas angekommen ist.«

Helmstedts Gesicht hellte sich auf; er dankte dem Postmeister und schlug ohne weitere Zögerung den Weg nach seinem Hause ein. Dort machte er sich noch einmal an die sorgfältige Durchsicht der erhaltenen Zuschrift und faßte dann die folgende Depesche, mit der von Dutch-Charley angegebenen Adresse versehen, an ihn ab:

»Kommen Sie augenblicklich, sobald Sie genau wissen, wo der Knabe ist; ich trage die Reisekosten. Senden Sie sogleich Antwort per Telegraph an die Nashville-Telegraphenoffice, daß Sie diese Zeilen empfangen haben; ich erhalte Ihre Antwort von dort.«

Das Begleitschreiben an die Telegraphenoffice war schnell angefertigt, die Banknote beigelegt, und nach einer Viertelstunde ruhte der Brief, von Helmstedt selbst überbracht, in der Hand des Postmeisters.

»Jetzt wollen wir weiter sehen!« brummte der junge Mann und wandte seine Schritte nach dem Bar-Room des Hotels, wo für die Morgenstunde der gewöhnliche Versammlungsplatz der männlichen Elite des Städtchens war. Gruppen von jüngern und ältern Herren standen bereits schwatzend darin umher, und Helmstedt hörte bald auch Murphy's helle Stimme im hinteren Theile des Lokals erklingen. Der Eingetretene ließ sich ein Glas Sherry mit Eis geben, lehnte sich gegen den Schenktisch und beobachtete still, was um ihn her vorging, bis die Gruppe von Advocaten, in welcher Murphy gestanden, sich löste und dieser langsam dem Ausgang zuschritt.

»Wollen Sie mir wol zwei Worte erlauben, Sir?« sagte Helmstedt, ihm einen Schritt entgegentretend.

Der Advocat sah auf. »Mit Vergnügen, Sir!« erwiderte er, augenscheinlich etwas verwundert.

»Sie werden einsehen,« begann Helmstedt mit gemäßigterer Stimme, »daß der von Ihnen vertretene Anspruch gegen Mr. Elliot, der mein Schwiegervater ist, mich mehr als jeden andern Dritte berühren muß.«

»Ich sehe das vollkommen ein,« erwiderte Murphy, höflich den Kopf neigend.

»Darf ich Sie also wol um Angabe der Advocatenfirma in New-York bitten, bei welcher das alte Document, welches den jetzigen Anspruch begründet, deponirt war?«

»Gewiß, Sir, wenn Sie sich auch dort nicht viel Trost holen werden; es ist die Law-Office der Herren Smith und Johnson in Duanestreet.«

»Ich danke Ihnen, Sir, das ist Alles.«

Murphy verbeugte sich mit einem verbindlichen Lächeln und verließ das Lokal. Helmstedt trank langsam seinen Wein aus und ging dann in gemessenem Schritte seinem Hause zu. Als er indessen sein Zimmer erreicht hatte, warf er, wie voll von einem Gedanken, seinen Hut bei Seite, suchte Papier hervor und begann zu schreiben. Es war ein Brief an die Herren Smith und Johnson, in welchem er als Vormund des verunglückten Erben einfach anfragte: ob bei Deponirung des in ihren Händen gewesenen, auf Isaak Hirsch überschriebenen Besitztitels kein Empfangsschein ihrerseits gegeben worden sei – und wenn dies der Fall, ob und durch wen derselbe an sie zurückgegeben worden.

Der Brief war fertig; ohne Zögern ging aber Helmstedt an einen zweiten, adressirt an Mrs. Rebekka Meier. Er zeigte ihr darin an, daß auf Grund eines Documentes, welches, wie er nachweisen könne, nicht zu dem Nachlasse des Pedlars Isaak Hirsch gehört habe, von ihr, als Erbin des Verstorbenen, Ansprüche auf ein Grundeigenthum erhoben würden, die seine eigenen Privat-Verhältnisse auf das Empfindlichste berührten. Ehe er nun eine Untersuchung über den Ursprung und die Aechtheit des Documentes einleiten lasse, bitte er sie um Nachricht, auf welche Weise sie zu dem alten Papiere gelangt oder wie sie von seiner Existenz unterrichtet worden sei, damit er in keinem Falle einem Unschuldigen zu nahe trete.

Die Briefe wurden geschlossen und schlüpften noch eine Stunde vor der abgehenden Post in den Briefschalter.

Helmstedt hatte sich nun wol vorgenommen, in Gelassenheit die verschiedenen Antworten abzuwarten, aber eine unruhige Spannung, welcher er nicht Herr werden konnte, ließ ihn nur selten eine Stunde bei seiner Arbeit ausdauern. Vom dritten Tage ab, an welchem er eine Antwort des Dutch Charley zu erhalten gehofft, hatte er regelmäßig bei Ankunft der Post nach Briefen für sich gefragt, aber es waren bereits sechs Tage verstrichen, und das eintönige: »Nothing, Sir!« des Postmeisters war ihm so oft in die Ohren geklungen, daß er an der Ueberlieferung seiner Depesche vollständig zu zweifeln begann. Er hatte sich während dieser Tage mehr auf der Straße und im Bar-Room des Hotels herumgetrieben, als jemals zuvor; er hatte geglaubt, irgendwo ein Wort auffangen zu können, das ihn über den Weg, welchen Elliot in Bezug auf den Angriff gegen ihn einzuschlagen beabsichtige, unterrichte, aber Niemand schien etwas von den Entschließungen des Pflanzers zu wissen, und für Helmstedt begann dieser Zustand des Harrens fast unerträglich zu werden. Er beschloß, noch einen einzigen Tag zu warten, und wenn wieder vergebens, durch ein ihm bekanntes New-Yorker Handelshaus nochmalige und sichere Nachricht an Dutch Charley gelangen zu lassen, dann aber auch zugleich, auf jede Gefahr hin, Elliot von dem Stande der Dinge zu unterrichten, um wenigstens den möglichen Schritten für einen Vergleich von dessen Seite vorzubeugen.

Ganz darauf vorbereitet, wieder ein »Nothing, Sir!« zu hören, begab er sich am siebenten Morgen nach der Postoffice; aber schon bei seinem Eintritte hielt ihm der Postmeister einen Brief von dem nämlichen Kaliber, wie den bereits erhaltenen, entgegen, und mit einem erleichternden »Endlich!« erkannte Helmstedt die majestätischen Schriftzüge von Charley's Hand auf der Adresse. Er zahlte das Porto und eilte nach Hause, um ein neues Studium dieser kühn alle Regeln verachtenden Schreibweise zu beginnen. Der Inhalt, in verständliche Worte übersetzt, lautete:

»Yes, Sir!

Ihr telegraphisches Schreiben habe ich erhalten, aber mit der telegraphischen Antwort war es nichts. Ich hatte einen Brief für Sie fein zugeklebt nach der Telegraphen-Office gebracht, aber die Kerle dort meinten, zum Telegraphiren müßten sie ihn aufmachen und durchlesen, was ich nicht leiden mochte, weil Manches darin stand, was nicht Jeder zu wissen braucht. Also habe ich ihn wieder mit fortgenommen, und das war ganz gut. Die Weibsperson, welche mit dem Grafen lebt, hatte von diesem am selbigen Tage einen Brief bekommen, daß er nur noch bis zum 14. Juni an dem bisherigen Orte bleiben werde; das sei der letzte Tag, welchen er als Frist gestellt habe, um sein Geld zu erhalten, nachher müsse er wegen des Jungen andere Maßregeln treffen; sie solle ihm also nicht wieder schreiben, bis sie weitere Nachricht von ihm bekomme. Ich habe selbigen Brief gefunden, als ich nach dem Zettel suchte, welchen wir haben mußten, um den Jungen aufzufinden, und den ich Ihnen gern mitschicken wollte, ehe ich durch die Post an Sie schrieb. Ich bin nämlich ein alter Freund von der Weibsperson und kann in ihre Stube kommen, auch wenn sie nicht zu Hause ist. Also hatte ich heute die rechte Zeit getroffen, habe ein paar Schlösser an ihrer Kommode verdorben und den Zettel gefunden und abgeschrieben. Hierbei will ich noch bemerken, daß sich der Graf ›Henry Wells‹ unterschrieben hat, wenn Ihnen der Name zu etwas dienen kann. Jetzt werde ich diesen Brief zumachen und auf die Post geben; nachher setze ich mich auf die Eisenbahn und gehe zur Mary, um ihr zu sagen, wie es mit mir steht, und von da geht es gerades Wegs hinunter zu Ihnen. Ich denke also, ich werde einen halben Tag, oder, wenn es viel wird, einen Tag später kommen als dieser Brief. Die Post-Office, wohin das Weibsbild dem Grafen geschrieben hat, heißt Rocky-Creek in Alabama, und er selber wohnt, wie es in seinem Briefe heißt, bei einem Farmer mit Namen McGraw.«

Helmstedt hatte bei dem Namen »Wells« den Kopf geschüttelt, er war ihm vollständig unbekannt; sein erster Blick aber, welchen er von dem Schreiben hob, siel auf den Wandkalender über seinem Arbeitstische und blieb dort nachdenklich hängen. Es war heute der 13. Wenn ein rascher Erfolg erzielt werden sollte, so mußte die Aufhebung des sogenannten Grafen, wie des entführten Knaben in des Sheriffs Hände gelegt werden. Charley war aber der Einzige, welcher den Erstern persönlich kannte, und somit war seine Gegenwart die nothwendigste Bedingung für irgend einen Schritt. Helmstedt zweifelte keinen Augenblick, daß der Riese, wenn ihn nicht unterwegs ein Unglück betroffen, sich zur rechten Zeit einstellen werde, und beschloß deshalb, bis zum Nachmittag nichts zu thun, als einzelne nöthige Erkundigungen einzuziehen und einen Ritt nach Oaklea zu machen. Während der ganzen Zeit, in welcher er auf Nachricht von New-York gehofft, hatte es ihm stets wie eine drückende Ahnung auf dem Herzen gelegen, daß Elliots Angreifer ihre Beute davon tragen würden, ehe er im Stande sei, sein Schweigen zu brechen; jetzt wenigstens wollte er nicht mehr zögern, um dem Pflanzer vorsichtig einen Wink zu geben, und er empfand eine eigenthümliche Genugthuung bei dem Gedanken, zur Vergeltung aller der gegen ihn gespielten Intriguen dem stolzen Manne eine Hoffnung in dessen jetziger Bedrängniß entgegenbringen zu können. Er dachte im Augenblicke nicht einmal daran, daß es für Elliot den bittersten Nachgeschmack abgeben mußte, wenn er hörte, daß sich sein Wohl und Wehe in Helmstedts Hand befinden würde.

Er nahm seinen Hut wieder und verließ das Haus. Sein erster Gang war nach der Postoffice. »Können Sie mir wol sagen, Sir, wo Rocky-Creek-Postoffice ist?« fragte er nachlässig, nachdem er sich mit einem schnellen Blick überzeugt hatte, daß er mit dem Postmeister allein sei.

»Kaum fünf Meilen von hier, gerade in die Berge hinein,« erwiderte dieser, mit der Hand die Richtung andeutend; »Sie können kaum fehlen, wenn Sie der Straße folgen; es ist das einzige Wirthshaus am Wege, und die Gegend ist dort ziemlich unbewohnt.«

»Also ist nicht viel zu holen,« lachte der junge Mann.

»Nicht die Spur, Sir! Es gibt dort nur einzelne kleine Farmer, die in dem steinigen Boden mit harter Arbeit ihr Leben fristen.«

Helmstedt dankte und ging. Er sah nach seiner Uhr – es war bereits neun vorüber und hohe Zeit für seinen Ritt, wenn er Mittags zurück sein wollte. Ohne weitern Aufenthalt machte er sich daran, sein Pferd zu satteln, und bald eilte er im scharfen Trabe Oaklea zu.

Es war lange her, daß er zum letzten Male diesen Weg betreten. Damals war er noch Elliots Hausgenosse gewesen, und sein Herz, erregt von der Jugendfrische und Lieblichkeit Ellens, hatte kaum begonnen gehabt, für diese zu schlagen; aber alle die bekannten Umgebungen der Straße mahnten ihn jetzt mir wie an ein längst abgeschlossenes Kapitel seines Lebens. Selbst Ellens Bild, wie er es sich vor die Seele rief, umgeben von all dem Reiz, welcher ihn damals zu jedem Wagniß für sie begeistert hatte, ließ ihn völlig gleichgiltig; er hatte erkennen gelernt, daß keine Regung ihrer Seele etwas Verwandtes mit der seinigen hatte, daß er, und würden sie ein Menschenalter mit einander leben, immer unverstanden an ihrer Seite stehen müßte. – Je näher er Oaklea kam, desto mehr fühlte er eine Sicherheit in sich, als reite er der Abschließung des alltäglichsten Geschäfts entgegen.

Die Pferdetritte wurden unhörbar, als Helmstedt von der Straße abbog und auf dem geschlängelten Sandwege Elliots Wohnung zuritt. Er band sein Pferd an die ihm so wohlbekannte Stelle nahe dem Hause und ging mit festem Schritt, um nicht ungehört einzutreten, die Portico-Treppe nach der Halle hinauf. Hier hatte er kaum die Thür geöffnet, als aus dem Parlor eine weibliche Gestalt ihm entgegeneilte, aber wie im plötzlichen Schrecken stehen blieb, als er ihr sein Gesicht voll zukehrte, und dann todesblaß zwei Schritte zurückwich. Helmstedt stand seiner Frau gegenüber; als er aber in ihre Augen blickte, die ihn mit einer Mischung von peinlicher Ueberraschung und halber Furcht anstarrten, überkam es ihn fast wie Mitleid mit dem jungen Wesen, in dessen Leben er jetzt als hemmendes Gespenst stand.

»Guten Tag, Ellen,« sagte er mit ausgestreckter Hand auf sie zugehend; »ich habe dir doch nicht so viel zu Leid gethan, daß du mich fürchten mußt?«

Sein Gesicht mochte wol noch mehr ausdrücken, als seine Worte thaten, denn ihr starrer Blick löste sich, und zögernd legte sie ihre Hand in die seinige.

»Ich komme nicht unserer Angelegenheit wegen hierher, Ellen,« fuhr er fort und führte sie einige Schritte weiter in den Parlor hinein, »aber ich freue mich, zwei Worte mit dir reden zu können. Ich will dir keinen Vorwurf über Das machen, was geschehen ist, ich habe es verschmerzt; wir wollen auch unsere gegenseitigen Gefühle nicht zergliedern. Ist es denn aber nothwendig, daß wir kein freundliches Wort für einander haben dürfen, wenn wir nicht mehr als Mann und Frau mit einander leben können? Müssen wir uns denn durchaus hassen, weil die Liebe zwischen uns gestorben ist? Haben wir uns denn gegenseitig so viel vorzuwerfen, daß wir uns am besten stumm trennen, um dann einander wie Todfeinde meiden zu müssen? Ich mag nicht, Ellen, daß wir uns im öffentlichen Leben auszuweichen brauchen und der Welt das Recht zu jeder beliebigen Vermuthung über die Gründe unserer Trennung geben – und so sage mir, wollen wir, wenn auch geschieden, Freunde bleiben, die sich gegenseitig achten, die, wenn auch gefesselt durch neue Bande, sich offen ins Auge sehen können? Wollen wir das, Ellen?«

»Ja, August,« sagte sie mit gepreßter Stimme, während die Thränen in ihre Augen schossen.

Helmstedt wollte weiter reden, aber ein rascher Männertritt in der Halle ließ ihn aufsehen – Elliot stand in der offenen Parlorthür und schien in seiner ersten Betroffenheit über die Gruppe, welche sich ihm bot, die Sprache nicht finden zu können.

Helmstedt fühlte Ellens Hand in der seinen zittern und ergriff sie fester. »Ich hoffe, Sie werden nichts dagegen haben, Squire, daß ich mich mit meiner Frau einmal ausgesprochen habe?« sagte er, dem Pflanzer mit einem offenen Lächeln ins Gesicht sehend; »wir haben eben beschlossen, gute Freunde zu bleiben –«

»Und ich hoffe, Sir, daß ich ein Recht habe, in meinem Hause zu dulden oder nicht zu dulden, was mir eben gut dünkt!« unterbrach ihn der Pflanzer heftig. »Wollen Sie etwas in Bezug auf meine Tochter sagen, so haben Sie sich an mich zu wenden, der ich jetzt ihr natürlicher Anwalt bin; so lange sie in meinem Hause lebt, hört jede direkte Verbindung zwischen ihr und Ihnen auf. Geh nach deinem Zimmer, Ellen!«

Helmstedts Stirn begann sich zu röthen; er hielt die Hand der jungen Frau so fest als vorher. »Sie handeln unklug, Sir,« erwiderte er und sein klares Auge wurzelte fest in dem des Pflanzers. »Wenn ich mein Recht, verstehen Sie wohl, mein Recht erzwingen wollte, so würde meine Frau noch heute Abend, zu ihrer Pflicht zurückgeführt, in meinem Hause wohnen. Sie scheinen ganz zu vergessen, Sir, daß nur die Rücksicht gegen Ellen selbst alle meine Schritte bisher geleitet hat. Ich wollte das Vertrauen, mit dem sie sich mir übergab, sie niemals bereuen lassen – sie sollte es auch selbst bei ihrer Trennung von mir noch gerechtfertigt finden – das waren die Gründe meines leidenden Verhaltens, Sir. Sie sind jetzt aufgebracht, mich hier zu sehen – well, Mr. Elliot, können Sie denn nicht vermuthen, daß mich freundliche Absichten hierher führten, da ich ohne mein persönliches Erscheinen mir längst hätte volle Genugthuung verschaffen können?«

Um Elliots Mund spielte ein Ausdruck von Verachtung. »Ich hatte Ihnen allerdings Zeit gegeben, mir Vorschläge zu machen,« sagte er; »ich sehe aber dabei durchaus keinen Grund, warum Sie meiner Tochter noch einmal nahe zu treten haben.«

»Sie sind eben im Irrthum, Sir,« erwiderte der junge Mann wieder mit vollkommener Ruhe. »Mich führen ganz andere Dinge hierher, als das Verhältniß zu meiner Frau, und wenn ich die Gelegenheit benutzte, mich gegen sie auszusprechen, so bot sie mir der Zufall. Wenn ich mich einmal von Ellen scheide, so geschieht dies in vollkommen freier Uebereinkunft zwischen ihr und mir, und ich habe Ihnen, Sir, weder Vorschläge in Bezug darauf zu machen, noch deren von Ihnen entgegen zu nehmen. Glauben Sie mir aber, Mr. Elliot, daß jeder Ihrer Eingriffe in meinen freien Willen nur Ihren Wünschen entgegen arbeitet. Sie werden es nie ins Werk setzen, und wenn Sie mir jeden Fuß breit Boden unter den Füßen abzugraben versuchten, mich zu einem Schritte zu zwingen, den ich meiner unwürdig halte. Ich kann leben und bestehen, Sir, ohne eines einzigen Menschen Gunst hier zu bedürfen. Das mußte ich Ihnen sagen, Mr. Elliot, und nun möchte ich Ellen bitten, uns zu verlassen, da mich Geschäftsangelegenheiten hierher geführt haben, welche sich nur unter Männern besprechen lassen.«

Er ließ die Hand der jungen, bleichen Frau los, und diese eilte mit einem besorgten Blick auf ihren Vater, der nur zu warten schien, was sich aus Helmstedts Worten entwickeln würde, aus dem Zimmer.

»Lassen Sie mich jetzt zu dem eigentlichen Zwecke meines Besuches kommen, Sir –« sagte Helmstedt.

»Ich glaube nicht, daß wir noch etwas mit einander zu reden haben,« unterbrach ihn der Pflanzer kurz; »wenigstens kann ich mir keinen weitern Berührungspunkt zwischen mir und Ihnen denken. Es ist heut ein Tag der dringendsten Geschäfte für mich, und ich werde Sie allein lassen müssen.«

»Ich glaube, Sir, daß ein kluger Mann erst hört, ehe er urtheilt,« erwiderte Helmstedt ruhig; »ich kam Ihrer Angelegenheiten und nicht der meinigen wegen hierher.«

Der Pflanzer hatte sich bereits halb nach der Thür gedreht und wandte jetzt den Kopf zurück, »Was ist es?« fragte er unfreundlich. »Wenn es mich betrifft, so sagen Sie es mit zwei Worten; ich habe keinen Augenblick mehr zu verlieren.«

»Haben Sie es denn wirklich so eilig, in Ihr eigenes Unglück zu laufen?« entgegnete Helmstedt, und ein Anflug von gutmüthigem Spott ging über sein Gesicht; »wollen Sie sich denn vorher nicht wenigstens die Zeit nehmen, einen Mann ruhig anzuhören, der auf die Gefahr hin, von Ihnen zum Hause hinaus gewiesen zu werden, hierher kam?«

Elliot drehte sich langsam um und warf einen durchdringenden Blick auf seinen Gast. »Was wollen Sie von mir, Sir?«

»Ich wünsche, Mr. Elliot, daß Sie die Thür schließen,« sagte Helmstedt ernst, »sich einige Minuten zu mir hersetzen und hören, was ich Ihnen zu sagen habe. Sie können sich versichert halten, daß ich mich nicht bis jetzt allen Aeußerungen Ihrer Nichtachtung Preis gegeben hätte, wenn ich meiner Genugthuung nicht sicher wäre.«

Der Pflanzer sah einen Augenblick in das leuchtende Auge des jungen Deutschen, der hoch aufgerichtet vor ihm stand, schloß dann langsam die Thür und rückte zwei Stühle einander nahe. »So setzen Sie sich denn und reden Sie,« sagte er, während er sich selbst niederließ und finster vor sich nieder sah.

»Zuerst eine Frage,« begann Helmstedt, Platz nehmend, »und um Ihrer selbst willen bitte ich, sie mir offen zu beantworten. Haben Sie schon irgend ein Arrangement wegen des Anspruchs auf Ihr Eigenthum getroffen?«

Elliot sah auf. »Was haben Sie mit diesem Anspruch zu thun, Sir?«

»Es scheint, Sie wissen nicht, daß der jetzt geltend gemachte Besitztitel ein Theil einer Erbschaft ist, für welche ich als Vormund des minorennen Erben unumschränkter Verwalter war, und daß erst während der letzten Zeit, seit, wie es hieß, der ursprüngliche Erbe verunglückte, die Hinterlassenschaft in diejenigen Hände überging, welche jetzt ihren Anspruch gegen Sie geltend machen wollen.«

»Das mag sein, Sir,« erwiderte der Pflanzer, aufmerksam werdend; »der Anspruch ist aber in andere Hände übergegangen. Was wollen Sie nun noch?«

Helmstedt warf einen Blick nach der Thür und den Fenstern. »Was ich will, Sir,« sagte er dann mit gedämpfter Stimme, »ist nichts weiter, als von allem Vorhandenen, den drohenden Besitztitel einbegriffen, wieder Besitz zu ergreifen, sobald es mir gelingt, rechtzeitig den Umtrieben einer Spitzbubenbande entgegen zu treten, welche meinen noch lebenden Mündel um sein Erbe und Sie um Ihr Eigenthum bringen will. Weiter etwas zu sagen, wäre eine strafbare Unvorsichtigkeit, da meine ganze Hoffnung augenblicklich nur in der geträumten Sicherheit der Gauner beruht. Trotzdem und ehe ich noch einen vollen Erfolg meiner Maßregeln verbürgen kann, habe ich es für meine Pflicht gehalten, Sie vor jeder Uebereinkunft mit den jetzigen Inhabern des Besitztitels zu warnen, und ich will nur hoffen, daß ich damit nicht zu spät gekommen bin.«

Elliot starrte ihn eine Weile wortlos an. »Ich verstehe zwar vollkommen, was Sie sagen,« erwiderte er endlich, und seine Stimme klang heiser, wie von einem innern Drucke; »ich weiß aber nicht, ob Sie nicht leichtsinnig oder vielleicht selbst getäuscht eine Hoffnung geben, wo keine ist. Ich kenne von den Verhältnissen, welche Sie mir andeuten, nichts, und darum merken Sie auf, Sir – es handelt sich um die Existenz einer ganzen Familie. Ich habe mich allerdings in Unterhandlungen eingelassen, die heute zum Abschluß kommen sollten, und so hoffnungslos das vorgeschlagene Uebereinkommen auch für mich ist, so vergebens ich auch acht Tage lang mich abgemüht habe, es nur auf den Verlust eines Theiles meiner Ländereien zu beschränken, so schützt es mich doch vor augenblicklichem, gänzlichem Ruin. Stoße ich heute den Vergleichs-Vorschlag zurück und ein für mich hoffnungsloser Proceß beginnt, so habe ich die sichere Aussicht, mit meinem Grundeigenthum auch noch meine ganze bewegliche Habe durch die Kosten des Processes zu verlieren. Wollen Sie mich nun, Angesichts dieses Standes der Dinge noch einmal vor einem Uebereinkommen warnen, Sir?«

Helmstedt sah sinnend vor sich nieder. »Es sei ferne von mir,« sagte er nach einer Pause, »eine schwere Verantwortung leichtsinnig auf mich zu nehmen; wie aber die Sachen stehen, muß ich Ihnen Alles, was ich selbst weiß, mittheilen; Ihr persönliches Interesse, Sir, wird Sie vor jedem unvorsichtigen Gebrauche desselben bewahren, und Sie mögen dann handeln, wie es Ihr eigenes Urtheil Ihnen vorschreibt.« Er gab darauf dem Pflanzer eine kurze Skizze von der seinerseits übernommenen Vormundschaft und seinen Erlebnissen in New-York; er hob es hervor, daß der aus dem Wasser gezogene Judenknabe nur durch seine Kleider und die bei ihm gefundenen Gegenstände recognoscirt worden war; er nahm Charley's ersten Brief aus der Tasche und gab die nöthigen Auszüge daraus. »Es handelt sich nur noch um zwei Tage Zeit, Sir,« schloß er; »ich habe weitere Nachricht, die mich wenigstens zu der Hoffnung berechtigt, meinen Mündel wieder aufzufinden und unter meine Obhut zu bringen. Können Sie also noch einige Tage Zeit gewinnen, so thun Sie es, und warten Sie den Lauf der Ereignisse ab.«

Elliot, die Arme in einander geschlagen, saß stumm, wie mit sich selbst Rath pflegend, da.

»Es ist dies die sonderbarste Geschichte, die mir jemals vorgekommen ist, und sie mag Ihre Warnung vollkommen rechtfertigen,« begann er nach einer Weile. »Sagen Sie mir aber Eins, Sir!« fuhr er, sich gerade aufsetzend, fort. »Ich mache durchaus nicht darauf Anspruch, bei Ihnen in besonders gutem Andenken zu stehen, und nun frage ich mich vergebens, welche Ursache Sie zu Ihren jetzigen Mittheilungen veranlaßt habe – die Sorge für mein Wohlergehen doch sicherlich am wenigsten. Ich sehe den Angelegenheiten, welche mich berühren, immer gerne auf den Grund, und so wenig ich in die Wahrheit Ihrer Darstellung den geringsten Zweifel setze, so sehr verlangt es doch mein Interesse, daß ich die eigentliche Absicht, welche Sie bei Ihrem jetzigen Schritte gehabt, kennen lerne.«

Helmstedt sah den Pflanzer einen Augenblick groß an, dann stieg ein sonderbares lächeln in sein Gesicht und er erhob sich.

»Ich will Ihnen die Frage beantworten, Sir,« sagte er. »Es liegt im deutschen Charakter, lieber ein selbsterlittenes Unrecht zu vergessen, wenn es nothwendig wird, als mit offenen Augen ein Unrecht an Andern geschehen zu lassen. Ich kann mir denken, daß ein so einfacher Grund Sie fremdartig berührt; ich habe aber keine andere Erklärung für mein Handeln zu geben. Sie wissen jetzt, was ich Ihnen mitzutheilen für nothwendig fand, nun handeln Sie nach eigenem Ermessen.«

»Warten Sie noch einen Augenblick, Sir,« sagte Elliot, als der junge Mann Miene machte, seinen Stuhl bei Seite zu tragen. »Gesetzt den Fall, Ihre Maßregeln zur Auffindung Ihres Mündels gelängen, und der Anspruch auf Oaklea käme in Ihre Hand – welche bessern Aussichten erwüchsen mir daraus? Oder um mit einer directen Frage der Sachlage näher zu kommen – tragen Sie sich vielleicht mit einer Idee, später durch verständige Behandlung der Angelegenheit in genauere Beziehung zu mir zu treten als bisher?«

Helmstedt sah eine Secunde lang in des Pflanzers forschende Augen.

»Wenn ich Sie recht verstehe,« erwiderte er dann ernst, »so bezieht sich Ihre letzte Frage auf meine Stellung zu Ihnen durch Ellen. Es gab allerdings eine Zeit, Sir, wo ich jede Gelegenheit, mich Ihnen näher zu bringen, mit tausend Freuden ergriffen hätte; diese Zeit, Sir, ist aber vollkommen vorüber. Ich habe eingesehen, daß unserer Beider Wahl eine verfehlte war, und ich hätte Ellen längst ihre volle Freiheit zurückgegeben, wenn auf die Forderungen meiner Ehre nur die geringste Rücksicht genommen worden wäre. Jetzt, nachdem ich lernen mußte, mich über die absichtlich gegen mich ausgestreuten Gerüchte hinwegzusetzen, bin ich sogar von meiner frühern Bedingung für eine Trennung – Ellens Rückkehr in mein Haus – zurückgekommen; ich kann ihre gegenwärtige Lage sogar bedauern, und ich mag ihrem fernern Glück nicht hindernd im Wege stehen. Sie hat wir heute versprochen, mir diejenige Achtung in Wort und That zu bewahren, auf welche ich jedenfalls ihr gegenüber Anspruch machen kann, und so, Sir, bin ich jeden Augenblick bereit, einen Trennungsact ohne weitere Bedingungen zu unterzeichnen.«

Er machte eine kurze Pause, während der Pflanzer, den Hopf zurückgebogen, den erwartenden Blick fest auf ihn geheftet hielt.

»Was den Besitztitel, sobald er in meine Hände gelangt, betrifft,« fuhr Helmstedt fort, »so will ich mich erst überzeugen, mit welchem Recht der jetzige Angriff gegen Sie gemacht wurde. Ich habe verschiedene Gründe, unter der ganzen Angelegenheit eine Gaunerei zu vermuthen, und einer der einleuchtendsten dafür ist wol der, daß Isaak Hirsch, welcher trotz seines seltenen Charakters doch seinen Vortheil wie der beste Advocat wahrzunehmen wußte, sicherlich nicht einen solchen Anspruch unbenutzt hätte liegen lassen, um ihn zuletzt der Verjährung Preis zu geben. Jedenfalls, Sir, haben Sie später einen ehrlichen Mann gegen sich und nicht eine Schaar von gewissenlosen Advocaten. Ich bin mit meinem Geschäft zu Ende, und so überlasse ich Ihnen, nach eigenem Gutdünken zu handeln.«

Er trug seinen Stuhl bei Seite und Elliot erhob sich.

»Ich habe Ihnen zu danken,« sagte der Letztere, und hielt dem jungen Manne die Hand hin, in welche dieser die seinige kalt und ohne einen Finger zu rühren legte; »ich werde vorläufig Ihrem Rathe folgen und hoffe Sie in zwei oder drei Tagen in Ihrem Hause sehen zu können.«

»Mein Haus wird für Sie offen sein,« erwiderte Helmstedt, sich leicht verbeugend. – »Guten Morgen, Sir.«

Er schritt nach der Thür und verließ das Haus, ohne sich umzusehen, ob Elliot ihm folge. Bald saß er im Sattel, und trabte der Hauptstraße wieder zu.

Eine drückende Luft empfing ihn, als er das Freie erreichte; das Aussehen der Landschaft hatte sich in kaum einer Stunde so verändert, daß jeder Gedanke an die eben erlebten Scenen in dem jungen Manne schwand und er sich besorgt umsah. Der Himmel in seinem Rücken war dick mit gelbgrauen Wolken umzogen, die einen unheimlichen Schatten über die Gegend warfen, und während nur leichte Staubwirbel vom Boden aufstiegen, bogen sich die Kronen der riesigen Waldbäume und brausten wie unter einem gewaltigen Drucke. Helmstedt kannte diese Zeichen und trieb sein Pferd zu schärferem Trabe an, um womöglich noch vor Ausbruch des Wetters die Stadt zu erreichen; fast schien es auch, als solle ihm noch Zeit dafür bleiben; die Staubwirbel legten sich, die Bäume schwankten nur noch leise und bald war eine Stille eingetreten, in welcher kein Halm und kein Blatt sich mehr rührte; eben als Helmstedt aber an einer freien Stelle des Wegs anlangte und noch einmal sich nach dem Wetter umsehen wollte, schien es urplötzlich, als stehe der ganze Himmel in Feuer – der Schein verschwand, aber ein Donnerschlag folgte unmittelbar nach, als berste die Erde von einander, als brächen, eins dem andern folgend, die Gebirge rings umher zusammen, so daß Helmstedt aus der plötzlich ihn überkommenen Betäubung nur durch einen Sprung seines erschreckten Pferdes wieder zur Besinnung gerufen wurde. Er hatte Mühe, das geängstigte Thier zu beruhigen und machte sich bereit, einem neuen Schlage mit der erforderlichen Geistesgegenwart zu begegnen; aber das Gewitter schien sich in der einzigen gewaltigen Kraftäußerung erschöpft zu haben und nur dann und wann grollte noch ein ferner Donner nach. Als er endlich aus dem bis jetzt verfolgten Waldwege in die große Straße einbog, lag die County-Stadt wieder im Sonnenscheine vor ihm, während hinter ihm in der Ferne schwarzblaue Wolken und herniederströmender Regen die Aussicht verdeckten.

Mittag war schon einige Stunden vorüber, als er die Stadt erreichte, und er nahm seinen Weg ohne Aufenthalt nach dem Globe-Hotel, um seinen knurrenden Magen zu befriedigen. Kaum war er aber dort abgestiegen und beschäftigt, sein Pferd anzubinden, als aus der Piazza eine mächtige Gestalt auf ihn zuschritt und ohne lange Ceremonie seine Hand faßte. »Hier ist der Dutch-Charley, Sir,« klang eine gewaltige Stimme, »und nun sehen Sie zu, was Sie mit ihm anfangen können!«

Helmstedt hatte überrascht aufgesehen und drückte nach Kräften die Hand des Angekommenen. »Freut mich von Herzen, daß Sie da sind,« sagte er, »es thut mir nur leid, daß Sie auf mich haben warten müssen.«

»Never mind!« erwiderte der Goliath lustig, »ich wünschte, Sie hätten auf meinen Brief nicht länger zu warten brauchen.«

Helmstedt warf einen Blick auf die offene Thür des Bar-Rooms. »Wir brauchen nicht englisch zu reden, daß uns Jeder versteht,« begann er dann deutsch, »sehen Sie sich vor, Charley, daß Sie kein Wort von dem fallen lassen, was Sie mir schrieben; mit einer einzigen Unvorsichtigkeit können wir den Vogel, den ich fangen will, wieder aus dem Garne scheuchen. Ist der sogenannte Graf, dieser Mr. Wells, ein Yankee?«

»Nicht die Spur davon,« entgegnete der Andere, seine Stimme in einer Weise mäßigend, daß sie den Zuhörer an das ferne Grollen des abziehenden Gewitters mahnte; »ächtes deutsches Sauerkraut, Sir; Sie können ihn aber in der Sprache schwer von dem wirklichen Amerikaner unterscheiden.«

Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich verstehe kein Wort von der ganzen Intrigue,« sagte er, »wir werden ja aber sehen. Nehmen Sie vorläufig einen Schluck, während ich ein paar Bissen esse, und dann sprechen wir weiter.«

Eine Viertelstunde später traten Beide in Helmstedts Haus, wo dieser eins der Hinterzimmer öffnete. »Hier mag vorläufig Ihr Quartier sein, bis wir mit unserm Hauptgeschäfte zu Ende sind und ich Sie an einem ordentlichen Platze untergebracht habe,« sagte er, »jetzt machen Sie es sich vor allen Dingen bequem.«

»Well, Sir, das Bequemmachen kommt mir gerade gelegen,« erwiderte Charley, kopfnickend die Ausstattung des Raumes betrachtend, »ich fühle wirklich, als müßte ich ein paar Stunden schlafen, ehe ich zu was Rechtem tauge. Ich gebe nichts um die zwei Nächte in der Postkutsche, auf einem Wege durch das Gebirge, der eher wie eine steinerne Treppe als eine vernünftige Straße aussah; aber die Hitze hat mir meinen dicken Kopf so dumm gemacht –«

»All right, schlafen Sie,« lachte Helmstedt, »ich werde einstweilen überlegen, was wir zunächst zu thun haben, und wenn ich Sie brauche, werde ich Sie rufen.«

Er schloß die Thür und ging nach seinem Zimmer. Als er dort Hut und Rock von sich gethan, warf er sich aufs Sopha und wollte nochmals Alles, was ihm Charley geschrieben und was er bereits als nothwendig in Bezug darauf beschlossen, sich als klares Bild vor die Seele stellen, aber der schwüle Tag, zusammen mit seinem Ritte in der Mittagshitze, machten auf ihn ihren Einfluß geltend – er wurde vom Schlafe überfallen, ehe er nur dessen Annäherung bemerkt hatte.

Wie lange er gelegen hatte, wußte er beim Erwachen nicht – seine erste Erinnerung war die an unangenehme Träume, deren Eindruck er sich jetzt noch nicht ganz zu entreißen vermochte – ein leichtes Rütteln brachte ihn indessen zur vollen Besinnung. Es war bereits halbe Dämmerung in der Stube, aber über seinem Gesichte erkannte er den Kopf seines Schwarzen, welcher sich mit ängstlicher Miene über ihn gebeugt hatte.

»Was gibt es?« rief Helmstedt und saß rasch aufwärts.

»Sie müssen entschuldigen, Master,« erwiderte Cäsar, augenscheinlich halb außer Athem, »aber ich dachte, ich müßte Sie wecken – mir scheint etwas nicht richtig – ich bin gelaufen – –«

IX.

Kurz vor Mittag desselben Tages rollte eine leichte, halbverdeckte Kutsche den Bergen zu. Drinnen saß eine junge, blasse Frau in Trauerkleidern und an ihrer Seite eine Mulattin, welche Zügel und Peitsche regierte. Der Weg war wenig befahren und so von Baumwurzeln durchzogen und mit großen Steinen übersäet, daß es der vollen Aufmerksamkeit der Fahrenden bedurfte, um wenigstens den bedeutenderen Hindernissen auszuweichen. Die junge Frau schien indessen wenig der einzelnen, unvermeidlichen Stöße zu achten, und ließ, als die erste Anhöhe erreicht war, mit aufglänzendem Auge den Blick über die Gegend vor ihr schweifen. Nach allen Richtungen hin breiteten sich sanft abgedachte Hügel, mit jungem Pfirsichgebüsch und dunkeln Gruppen riesiger Wallnußbäume bedeckt, aus; einzelne Schluchten, die sich ausnahmen, wie ein romantisches Stück Landschaft auf einem Miniaturbilde, unterbrachen die Hügelreihe und ließen hier und da einen schäumenden Gebirgsbach hindurch. Hinter diesen Anhöhen indessen erhoben dichtbewaldete Berge von allen Formationen und Schattirungen ihre Häupter – wieder in weiterer Ferne überragt von dem dunkelblauen Zuge des eigentlichen Gebirges, dessen höchste Spitzen noch weiter hinaus mit dem helleren Blau des Himmels zu verschmelzen schienen. Links hinüber, zwischen den verschiedenen Höhenzügen brachen sich die Sonnenstrahlen glitzernd in einem Gebirgssee.

Ein leises Roth begann nach und nach die seinen Züge der jungen Frau zu beleben und als bei Erreichung einer der folgenden Anhöhen sich plötzlich ein weites Waldthal vor ihnen öffnete, dessen frischgrüne Rasendecke nur mit einzelnen Gruppen dichtbelaubter Bäume besetzt war, durch welche sich der Weg in mannichfachen Windungen schlängelte, so daß man eher hätte glauben mögen, in einen geschmackvoll angelegten Park, als in ein wildes Thal der Alleghany's hinabzusteigen, da hob ein tiefer, langer Athemzug ihre Brust. »Ich wußte nicht, Mary, daß es so viel Schönheiten hier gibt!« sagte sie.

»Ja, es ist schön in den Bergen!« erwiderte die Mulattin, aber ihrem Blicke nach, der forschend in die Ferne gerichtet war, schienen ihre Gedanken kaum bei der Antwort zu sein. Sie trieb das Pferd, das jetzt ebenen Weg unter den Hufen fand, zu rascherem Laufe, und bald war die jenseitige Höhe erreicht, wo die wieder beginnenden Schwierigkeiten des Wegs neue Vorsicht geboten.

»Ich glaube, Ma'am, wir haben in Kurzem ein Gewitter über uns,« sagte die Mulattin, den Himmel vor sich betrachtend, dessen früheres reines Blau durch einen dicken gelblichen Dunst verdeckt schien, »ich wünsche nur, daß wir Little Valley bei Zeiten erreichen!«

»Wie weit haben wir noch?« fragte die junge Frau, mit ihren Augen dem Blick der Farbigen folgend.

»Nur noch zwei Meilen, Ma'am, aber der Weg ist so, daß wir nirgends rasch fahren können, ohne den Wagen zu zerbrechen.«

»Glaubst du, daß irgend eine Gefahr droht, wenn uns das Wetter überrascht?«

»Ich weiß von keiner besonderen Gefahr, Ma'am, der Blitz kann auch ins festeste Haus schlagen, aber die Gewitter in den Bergen sind schrecklich!«

»Dann laß es kommen – höchstens werden wir naß!«

Die Mulattin schien indeß wenig auf den erhaltenen Trost zu geben, sie nahm jede einigermaßen ebene Stelle des Wegs wahr, um das Pferd anzutreiben und theilte, sichtlich besorgt, ihre Aufmerksamkeit zwischen der Beobachtung des Wetter? und dem Fuhrwerk.

Der Himmel schien sich mit jeder Minute dichter zu umziehen, der Sonnenschein war längst verschwunden und ein eigenthümlicher Druck der Luft machte sich bemerkbar. Die Berge, kaum noch so freundlich in der klaren Mittagsbeleuchtung, schienen jetzt wie finstere, drohende Riesen herabzublicken und die Wipfel der Bäume begannen bereits in langsamen Schwingungen sich vor dem heraufziehenden Wetter zu beugen.

Der Wagen hatte eben die Spitze einer neuen Anhöhe erreicht. »Dort ist Little Valley, Ma'am!« sagte die Mulattin mit einem Seufzer der Erleichterung und zeigte nach der Tiefe, wo ein langgestrecktes Thal mit Baumwollenfeldern und einer Gruppe von Hütten sich vor dem Blick aufthat, »in einer Viertelstunde können wir dort sein!« Das Pferd trabte auf dem abwärts gewundenen Wege scharf vorwärts, so daß die junge Frau mit beiden Händen das Wagengestell faßte und sich in der Schwebe zu halten versuchte, um den unvermeidlichen Stößen zu entgehen.

»Gibt es dort kein anderes Obdach als die Negerhütten?« fragte sie nach einer Weile, als eine ebenere Stelle des Wegs ein Gespräch möglich machte.

»Gleich vorn an der Umzäunung ist die Wohnung des Aufsehers, dort das einzeln stehende große Blockhaus,« erwiderte die Farbige, die Richtung mit dem Finger andeutend, »und dort hinten bei den Hütten, das Haus mit dem großen Schornstein, ist die Küche.«

Sie ließ das Pferd von Neuem die Peitsche fühlen, im nämlichen Augenblick aber richtete sie sich hoch auf und zog die Zügel an – das Thal und die Berge ringsumher erglänzten einen Moment in weißem Feuer, im nächsten aber erfolgte ein prasselnder, betäubender Donnerschlag, dem unmittelbar wie das Pelotonfeuer einer Artillerie-Salve neue krachende Schläge von allen Seiten antworteten, und als wären plötzlich die Banden der schweren Wolken zersprungen, strömte der Regen hernieder, gleich einer Sündflut. Hochauf hatte sich das Pferd gebäumt und einen Satz zur Seite gethan, daß der Wagen gegen einen Baum flog und die Mulattin in die Mitte der Straße geschleudert wurde – auf und davon jagte das Thier, die zerbrochene Deichsel und einen Theil des Vorderwagens hinter sich herschleifend.

Die junge Frau war schnell aus dem ersten Schrecken wieder zur Besinnung gelangt. Der Wagen, seiner Vorderräder beraubt, lag nach vorn über und das Verdeck bildete ein genügendes Dach gegen den Regen; aber ohne an den eigenen Schutz zu denken, sprang sie heraus, um nach ihrer Dienerin zu sehen. Das farbige Mädchen lag mit blutendem Kopfe, anscheinend ohne Besinnung, auf der Straße; als ihre Herrin sie aber aufrecht zu setzen versuchte, begann sie zu stöhnen und Anstrengungen zu machen, sich selbst zu erheben. Die junge Frau half, ihr empor, faßte sie unter die Arme und geleitete sie unter ermuthigenden Worten nach dem Wagen. Kaum aber war die Verwundete unter das Verdeck gelangt, als sie in ihrer Bewußtlosigkeit auf die Kissen des Sitzes fiel. Ihre Herrin schloß das Schutzleder des Wagens, schürzte ihre Kleider auf und wanderte raschen Schrittes durch den strömenden Regen nach dem Thale hinab.

Es war ein Haus im rauhesten Hinterwaldstyle, weit ab von den Negerhütten, welches ihr von Mary als die Wohnung des Aufsehers bezeichnet worden war. Eine einzige kleine Fensteröffnung mit zerbrochenen Scheiben zeigte sich daran und der Weg nach dem Eingange führte durch Morast und tiefe Pfützen, welche der Regen gebildet hatte. Die Thür stand offen und ohne langes Besinnen trat die junge Frau ein. Sie nahm zuerst ihren triefenden Sommerhut vom Kopfe und blickte dann in dem düsteren Raume umher, der sich ihren Blicken bot.

Das Haus mochte einmal wohnlich gewesen sein, die Wände wiesen noch Spuren von angeworfenem Kalke; jetzt aber sahen überall die nackten Baumstämme, aus denen das Gebäude erbaut worden, hervor, der Fußboden war ausgetreten und voll klaffender Spalten und eine zerbrochene Stiege führte nach einem von außen angebauten obern Raume, an welchem nur noch eine halb abgerissene Thürbekleidung zeigte, daß er einmal verschließbar gewesen war. Auf einem schmutzigen Tische lagen neben einem großen blinkenden Messer die Ueberreste eines groben Mittagsmahles, ein schwarzes Mädchen kniete am Kamine, bemüht, einen Haufen nasser Reiser zum Brennen zu bringen, und von einem Bett im Hintergrunde erhob sich langsam eine männliche Gestalt mit wirrem Haar, nur mit einem schmutzigen Paar Beinkleidern und einem dunklen Hemd, welches die behaarte Brust sehen ließ, bekleidet.

Ein einziger Rundblick hatte der Eingetretenen alle diese Einzelheiten gezeigt, und es überkam sie ein unheimliches Gefühl, als sie den frech-neugierigen Blick der Schwarzen und das wüste Auge des Mannes auf sich gerichtet sah. »Sie sind Mr. Bartlett, wenn ich mich nicht irre?« fragte sie.

»Das bin ich,« erwiderte dieser, sich langsam auf die Beine stellend und die unerwartete Erscheinung von Kopf bis zu Fuß musternd.

»Ich hoffe, Sie werden Mrs. Morton noch kennen, Sir! Das Gewitter hat unser Pferd scheu gemacht und mein Mädchen hat einen schweren Fall gethan. Sie liegt jetzt in dem zerbrochenen Wagen nicht weit von hier auf der Straße, und ich wünsche, daß Sie sogleich ein Fuhrwerk hinausschicken, um sie hierher transportiren zu lassen.«

Der Aufseher betrachtete sie noch immer mit einem Ausdrucke von dreister Unverschämtheit. Dann wandte er den Kopf langsam nach der Seite. »Geh, Jane, du hast gehört, Bob soll den kleinen Wagen anspannen. – Noch Eins!« rief er, als das Mädchen eben das Haus verließ, und folgte ihr vor die Thür.

Pauline konnte nichts von seinen weitern Worten vernehmen, und nur ein plötzliches rohes Gelächter, in welches die Schwarze ausbrach, drang zu ihren Ohren. Einen Augenblick kam eine ungewisse Furcht über sie, und sie fragte sich, ob es nicht trotz des noch immer strömenden Regens besser sei, das Haus zu verlassen – schon im nächsten aber schalt sie sich selbst eine Thörin und trat schaudernd vor Nässe an das eben entzündete prasselnde Kaminfeuer.

Bald erschien der Aufseher wieder und schloß die aus schwerem Eichenholze gefertigte Thür.

»Lassen Sie offen!« gebot Pauline, sich nach ihm wendend.

»Der Regen schlägt herein, Ma'am!« war die Antwort, mit welcher er sich langsam auf sein Bett setzte, die Arme in einander schlug und seinen Gast von Neuem anzustarren begann.

Der jungen Frau begann es unheimlicher als zuvor zu werden; sie fühlte, daß sie diesem Zustande ein Ende machen müsse. »Haben Sie nicht einen andern Raum, wo etwas Feuer gemacht werden könnte, um meine Kleider zu trocknen?« fragte sie und suchte die möglichste Festigkeit in ihre Stimme zu legen.

»Keinen als diesen – wir leben hier nicht so sein, Ma'am!« erwiderte der Aufseher ohne sich zu rühren, aber Pauline glaubte einen unverhohlenen Spott in seinem Tone zu hören.

»Dann verlassen Sie wenigstens auf einige Minuten das Haus, Sir!« rief sie, und die aufsteigende Entrüstung ließ sie ihre Furcht vergessen.

»Ich gehe nicht gern im Regen spazieren, Ma'am,« erwiderte er trocken; »hören Sie nur, wie es gießt.«

»So zwingen Sie mich, selbst zu gehen!« Mit drei Schritten war sie am Ausgange, aber die Thür wich ihrer Bemühung nicht, und dem angestrengten Rütteln antwortete nur ein kurzgestoßenes Lachen des Mannes hinter ihr.

»Oeffnen Sie augenblicklich, Sir – ich will hinaus!« rief sie, und es schien, als sei erst mit der bestimmten Vermuthung von einer ihr drohenden Gefahr ihr Muth erwacht.

»Jetzt nicht,« erwiderte der Aufseher kalt; »ich habe zuerst etwas mit Ihnen zu reden.«

»In dieser Weise kein Wort!« erwiderte sie energisch; »öffnen Sie die Thür und dann reden Sie.«

»Sie werden es doch wol anhören müssen, Ma'am!« sagte er, sich mit einem bösen Lächeln zurücklegend und den Kopf auf seinen Arm stützend.

Pauline warf einen Blick um sich. Das einzige Fenster war zu hoch, als daß sie es hätte erreichen können, und sie fühlte eine Sekunde lang, als komme ein Schwindel über sie. Aber das Bewußtsein, keinen andern Beistand als ihre eigene Besonnenheit zu haben, überwand die augenblickliche Schwäche, und nach kurzer Ueberlegung nahm sie den einzigen Stuhl, der sich im Zimmer befand und setzte sich zur Seite des Tisches nieder, so daß dieser sich zwischen ihr und dem Aufseher befand. »Sie zwingen mich also, in Ihrer Gesellschaft auszudauern; very well, ich werde warten bis meine Leute ankommen, und dann werden wir weiter sehen.«

»Ohne Sorge! Es wird uns Niemand vor später Nacht stören!« sagte Bartlett mit einem heisern Lachen, »und bis dahin, denke ich, sind wir mit einander fertig.« Er setzte sich wieder langsam aufrecht. »Die Nigger haben mich bei Ihnen verklagt, Ma'am, und Sie haben mich, einen weißen Mann, zum Narren des schwarzen Viehzeugs gemacht,« fuhr er mit finsterm Auge fort. »Sie sind jetzt hierher gekommen, um mir die Stelle aufzukündigen, in der ich nun drei Jahre bin. Ich weiß, daß Sie schon einen neuen Aufseher an der Hand haben, und ich konnte von einem Weiber-Regimente nichts Anderes erwarten. Weiber sind nur halbe Geschöpfe, sind nur da zum Vergnügen für den Mann, und wo sie zur Herrschaft kommen, soll ein rechter Kerl den Platz räumen. Ich wäre von selber gegangen, diese Nacht schon, und deshalb habe ich mit Ihnen als Mistreß nichts mehr zu thun. Sie sind aber die Frau, welche einen weißen Mann zum Spott der Nigger gemacht hat, und deshalb wird Ihnen der Mann noch heute zeigen, zu was die Weiber nur in der Welt sind, und wird seine Genugthuung haben, mögen Sie sich dagegen wehren oder nicht!«

Ein wilder, begehrlicher Blick traf die junge Frau, daß ihr Herz still zu stehen drohte – sie hatte mit einem Blick ihre ganze Lage erkannt.

»Beruhigen Sie sich aber jetzt, Ma'am,« begann der Mensch von Neuem und sah mit einem häßlichen Lächeln in Paulinens entsetzte Augen, »wir haben noch Zeit bis ich mich zur Abreise fertig mache; trocknen Sie sich ungenirt Ihre Kleider!«

Er erhob sich und warf, während ihre Blicke jede seiner Bewegungen bewachten, ewige Stücke Holz auf die Glut. Dann legte er sich zurück auf das Bett, ohne indessen den unheimlich leuchtenden Blick von ihr zu lassen.

Paulinens Augen flogen durch den Raum. Der einzig offene Ausgang war die Stiege hinauf nach dem angebauten Zimmer, unweit des Platzes, welchen sie eingenommen, der aber eben so wenig Rettung bieten konnte, als ihr jetziger Aufenthalt, und in ihrem Herzen begann es sich zu regen wie halbe Verzweiflung. Sie wußte, daß sie in Mortons Hause nicht vor spät Abends zurückerwartet werden konnte, daß Doctor Ford meist nicht vor zehn Uhr nach Hause kam; sie konnte aus der Sicherheit des Aufsehers schließen, daß die verwundete Mary unter irgend einem Vorwande bei Seite geschafft worden war und daß kein fremder Mensch, den nicht ein besonderes Geschäft in diese abgelegene Gegend führte, sich hierher verirren würde. Die Negerhütten waren so weit entfernt, daß, selbst wenn sie das Fenster hätte erklimmen können, kein Hilferuf dahin gelangt wäre. Da fiel ihr irr umherschweifender Blick auf das große spitze Messer unter den Speise-Ueberresten auf dem Tische, und eine plötzliche Beruhigung überkam sie – jetzt war die Partie wenigstens gleich, und sie konnte kämpfen für ihre Ehre. Ohne einen weitern Blick nach ihrem Feinde zu wenden, dessen Auge sie jede ihrer Bewegungen hatte belauern sehen, beschloß sie, ruhig zu warten. Die Hitze vom Kamin zog wohlthuend durch ihre Glieder, und ihr Blut begann wieder rascher seinen Kreislauf zu nehmen.

Der Regen hatte aufgehört und die frische Helle, welche durch das kleine Fenster strömte, ließ den wiedergekehrten Sonnenschein vermuthen. Pauline horchte scharf, ob nicht irgend ein Ton außerhalb laut werde, aber das einzige Geräusch, welches zu ihren Ohren drang, war das Knarren des Bettes, wenn Bartlett sich halb aufrichtete, um aus einer großen Whiskeyflasche lange Züge zu thun.

Die Sonnenhelle verschwand und eine leichte Dämmerung begann sich in dem Zimmer einzustellen. Pauline fühlte sich in ihrer Stellung, die sie kaum durch die Bewegung eines Armes verändert hatte, fast steif werden – da erhob sich der Aufseher langsam. Er warf zwei große Scheite in das fast erloschene Feuer und drehte sich dann mit verschränkten Armen nach der jungen Frau um.

»Well, süßes Herz, wie steht's?« sagte er mit einem abschreckenden Grinsen. »Vor Gott sind wir Alle gleich, und jetzt in Little Valley auch; Mann ist Mann und Weib ist Weib – verlangt dich's nicht nach meiner Umarmung? Ergib dich in Ruhe, kleines Lamm, ich kann das Schreien nicht hören; der Bartlett will seine Genugthuung haben, darum mache nicht, daß er mit seinen großen Händen dir die kleine Kehle stopfen muß.« Mit einem Blicke voll thierischer Begierde ging er auf sie los; Pauline aber, welche bis jetzt starr ihre Augen auf ihn gerichtet hatte, war mit einem Sprunge in die Höhe, und der Aufseher prallte vor seinem eigenen Bowie-Messer, das ihm in ihrer Hand entgegenblitzte, zurück.

»Keinen Schritt gegen mich, oder ich thue, was ich nicht ändern kann!« rief sie. »Oeffnen Sie die Thür und ich will vergessen, was ich erlitten, wenn Sie auf der Stelle die Farm verlassen!«

Bartlett hatte sich nach dem Hintergrunde des Zimmers zurückgezogen, wo ein Haufen Feuerholz aufgeschichtet lag, und blickte von hier aus die hoch aufgerichtete junge Frau mit dem Auge eines ergrimmten Bulldoggen an. »Will die Hummel stechen?« sagte er verbissen und zog einen starken Knittel aus dem Holzstoße neben sich; »schade, wenn ich ihr die seinen Hände zerschlagen müßte.«

Pauline sah ihn vorsichtig gegen sie herankommen, und der Muth wollte sie verlassen. In einer Eingebung ihrer Verzweiflung stürzte sie ihm den schweren Tisch entgegen und eilte die Stiege nach dem obern Raum hinan.

Sie hörte hinter sich den Tisch zu Boden schlagen und einen ergrimmten Fluch Bartletts, welcher dem Geräusch nach mit niedergerissen sein mußte. Sie warf einen hilfesuchenden Blick durch das Gemach, welches sein Licht nur durch die Ritzen zwischen den Baumstämmen der Wände erhielt; aber hier zeigte sich nichts, das ihr nur einige Hoffnung auf Entrinnen hätte geben können. Zwei schmutzige Betten und ein im Bau begriffenes Kamin mit einem Haufen noch unbenutzter Ziegelsteine daneben war Alles, was ihre Augen entdecken konnten. Sie wandte sich wieder der Thür zu, jeden Augenblick erwartend, das bestialische Gesicht des Aufsehers erscheinen zu sehen – aber kein Laut von dort ließ sich hören. Vorsichtig und das Messer für alle Fälle bereit haltend, schlich sie endlich heran, wo die äußerlich abgerissene Thürbekleidung ihr durch die Ritzen der Zwischenwand einen Blick in den untern Raum gestattete, ohne selbst gesehen zu werden.

Einen Schritt von der Stiege entfernt stand Bartlett, den Kopf vorwärts gestreckt, wie der Tiger auf der Lauer, aber sichtlich unentschlossen. »Er ist feig!« klang es durch Paulinens Innere und die frühere Scene zwischen dem Aufseher und ihrer Köchin, welche ihr Doctor Ford mitgetheilt, trat plötzlich vor ihre Erinnerung. Ein neuer Muth begann in ihr aufzuleben, und mit dem Entschlusse, ihre jetzige Stellung mit aller Energie zu vertheidigen, bis irgend eine Hilfe von Außen erscheine, kehrte ihre fast erloschene Hoffnung zurück.

In diesem Augenblicke sah sie, wie Bartlett, stets seinen Knittel vor sich haltend, die Stiege herauf zu kriechen begann. Ein Gedanke durchzuckte sie. Im Fluge hatte sie zwei der großen Ziegelsteine neben dem unvollendeten Kamine ergriffen und trat, einen derselben hoch in beiden Händen haltend, in die Thür. »Zurück, oder ich zerschmettere Ihnen den Schädel!«

Der Aufseher warf einen Blick empor und sprang vor der drohenden Bewegung nach dem Zimmer hinab. »Ich fasse dich doch, und sollte ich dich ausräuchern – wir haben noch Zeit!« sagte er mit der vollen Wuth der Enttäuschung. Er setzte sich wieder auf sein Bett, den gierigen Blick nicht von dem Eingange zu dem obern Raume lassend, und schien zu überlegen.

In dem Hause war es von Minute zu Minute dunkler geworden; Pauline konnte in ihrem fensterlosen Zufluchtsorte schon geraume Zeit keinen Gegenstand mehr unterscheiden, und in dem untern Zimmer begann der Schein des Feuers die Hauptbeleuchtung zu bilden. Bartlett saß noch immer auf seinem Bett, den Blick auf die Stiege geheftet, und schien fruchtlos mit sich Rath zu pflegen. Durch die Glieder der jungen Frau, die keinen Blick von der unverwandten Beobachtung ihres Feindes abzuziehen gewagt hatte, begann es langsam wie eine unbesiegliche Abspannung herauf zu kriechen, während ein dumpfes Gefühl in ihrem Kopfe sich immer mehr bemerkbar machte. Schon zum zweiten Male kam es über sie wie die Anwandlung einer Ohnmacht und diese war nur einer entsetzlichen Furcht, die zugleich in ihr auftauchte, gewichen – sie fühlte, daß sie diesen Zustand keine halbe Stunde länger ertragen könne und dann wehrlos ihrem Feinde zum Opfer fallen müsse; da begann sich Bartlett zu bewegen und sonderbare Maßregeln zu treffen. Pauline suchte nochmals alle ihre Kräfte wach zu rufen und lauschte mit athemloser Aufmerksamkeit. Er nahm zwei mit Baumwolle gestopfte Kissen von seinem Lager und band sie sich mit einem Strick um Leib und Brust; dann ergriff er die Strohmatratze, hielt sie wie ein Dach über seinen Kopf und schritt auf die Stiege los. Pauline stieß einen Schrei aus, sie wußte, daß diesen Vorbereitungen gegenüber alle ihre Waffen nutzlos waren; kaum ihrer selbst noch mächtig, warf sie, als der Angreifer die Stiege betrat, den ersten Stein nieder, der indessen harmlos von der Matratze abprallte und in den untern Raum flog; der zweite folgte, aber nur ein kurzgestoßenes Lachen Bartletts war die Folge des Wurfs; die junge Frau brach in die Knie zusammen, nur noch instinktmäßig das Messer vor sich haltend – Bartlett aber, bei jedem Tritte innehaltend und scharf vor sich spähend, schritt langsam Stufe für Stufe hinan. – –

Eine Viertelstunde vorher ritten drei Männer im scharfen Trabe durch eine wilde Schlucht des Gebirges, in welcher bei der hereinbrechenden Dunkelheit kaum noch etwas von dem Boden, welchen die Pferde betraten, zu erkennen war. An der Spitze des kleinen Zuges befand sich ein Schwarzer, der mit Sicherheit sein schlankes, flüchtiges Thier durch alle Hindernisse, welche der unebene Pfad bot, leitete, und die beiden Reiter hinter ihm folgten genau den Wendungen, welche er vorzeichnete.

»Bist du sicher, Cäsar, daß wir auf dem rechten Wege sind?« fragte der mittlere Reiter.

»Ohne Sorge, Master,« erwiderte der Schwarze, »ich kenne den Weg in finsterer Nacht. Dort ist das Ende der Schlucht, und dann kommen wir auf die Straße, die von Mortons Haus nach Little Valley führt.«

»Und du bist auch der Geschichte sicher, die du mir erzählt hast?«

»Harriet ist wol ein schlechtes Mädchen geworden und hat sammt der Jane zwei Jahre mit dem Aufseher gelebt« – erwiderte Cäsar, ohne seine Aufmerksamkeit von dem Wege abzuwenden; »aber lügen kann sie nicht, Sir, ich kenne sie, ich bin auf Mortons Farm mit ihr groß geworden. Der Aufseher hat sie vorige Woche geschlagen und aus seinem Hause geworfen, weil sie ihm eine derbe Wahrheit gesagt hat, aber sie hält noch immer zur Jane, und von der ist ihr heute Mittag die Geschichte in die Ohren gezischelt worden. Sie hat gleich wollen nach Mortons Haus laufen, denn von den Niggern hätte sich doch keiner etwas zu thun getraut, und ich traf sie glücklich auf halbem Wege, da ich wußte, daß Mary heute in Little Valley sein würde. So viel ist sicher, Sir, Mary liegt krank und mit zerschlagenem Kopfe bei der Köchin, von Mrs. Morton hat aber noch keine Seele etwas gesehen!«

»Laß die Stute ausstreichen, Cäsar: Gott weiß, was dem Allen zu Grunde liegt!« erwiderte der Andere, und in größerer Eile ging es vorwärts. Bald bog der Schwarze aus der Schlucht in einen schmalen, auswärts steigenden Pfad ein; mit sicherem Tritte klommen die Pferde, augenscheinlich an solche Ritte gewöhnt, den Berg hinan, und die Fahrstraße zeigte sich.

»Ausgezeichnete Thiere hier zu Lande, Mr. Helmstedt,« sagte der letzte Reiter, »ich glaubte kaum, daß meine dreihundert und so viel Pfunde so geschwind heraufkommen würden.«

»Geht es mit dem Reiten, Charley?« fragte der Angeredete.

»Müßte nicht zwei Jahre Karrenfuhrmann und Mitglied unserer Dragoner-Compagnie gewesen sein,« war die Antwort; »nur vorwärts, Sir!«

Aufs Neue ging es in scharfem Trabe die jetzt abwärts führende Straße entlang, bis Cäsar plötzlich anhielt. »Dort ist das Haus, Sir,« sagte er, sich zurückwendend, »das Feuer scheint durchs Fenster, aber die Thür ist geschlossen.«

»Wir werden schnell ins Klare kommen, nur jetzt keinen Aufenthalt!« rief Helmstedt, und sprengte dem Schwarzen voraus. An der Umzäunung angelangt, band er hastig sein Pferd fest, und wollte sich eben nach dem Hause wenden, als dort der laute Schrei einer weiblichen Stimme hörbar wurde. Ein elektrischer Schlag schien durch seinen Körper zu zucken, in der nächsten Minute schlugen aber auch schon seine Fäuste gegen die verschlossene Thür und seine Schulter dagegen gestemmt versuchte er vergebens, sie zum Weichen zu bringen.

»Dort liegt ein Balken, wir müssen die Thür einstoßen!« schrie er den Nachfolgenden entgegen.

»Never mind, Sir! wenn sie nicht von Eisen ist, geht es so!« erwiderte Charley, mit dem Fuße nach einem festen Halt suchend; ein Druck mit der Schulter dagegen, und alle Fugen stöhnten; ein zweiter, gewaltigerer und prasselnd flogen Riegel und Schloß los. Helmstedt stürzte in den geöffneten Eingang, aber ein furchtbarer Hieb, mit einem dicken Knittel geführt, sauste ihm hier entgegen, noch zeitig genug von Charley's linkem Arm aufgefangen.

»Meinst du's so, Brüderchen?« rief der Goliath, und ein Faustschlag traf Bartletts Gesicht, daß dieser einen Schritt zurücktaumelte – ein zweiter und dritter folgten in wunderbarer Schnelligkeit, und wie ein gefällter Baum fiel der riesige Aufseher neben seiner Matratze und den abgeworfenen Kissen zu Boden.

Helmstedt hatte kaum etwas von dem kurzen Kampfe gesehen, sein Blick war angstvoll suchend durch den Raum geflogen. »Pauline! Pauline!« rief er, als sein Auge nirgends auf ein Zeichen von ihr traf. »August, August!« erklang es jauchzend, und die Stiege herab, das Messer noch immer in der krampfhaft geschlossenen Hand, stürzte die gequälte junge Frau. Helmstedt eilte ihr entgegen, kam aber nur recht, um die bewußtlos Zusammenbrechende in seinen Armen aufzufangen.

Cäsar, welcher von der Thür aus scheu den rasch folgenden Ereignissen zugesehen, kam jetzt herbei, und eine unverhohlene Befriedigung zeigte sich in seinem Gesicht, als Charley, nach einem Blick auf das der jungen Frau entfallene Messer, mit einer Art Wuth nach dem am Boden liegenden Stricke griff und dem in halber Bewußtlosigkeit grunzenden Aufseher Hände und Füße zusammenschnürte.

»Rasch nach der Küche hinüber und Beistand geholt!« rief Helmstedt dem Schwarzen zu und trug, nach einem halb rathlosen Blick durch den Raum, die Ohnmächtige nach dem einzigen Stuhle, sich selbst darauf setzend und sie auf seinem Schooße ruhen lassend; kaum aber hatte er sie in eine bequeme Lage gebracht, als sie die Augen groß aufschlug, mit dem Oberkörper emporschnellte, und einen Blick des Schreckens um sich warf.

»Sie sind sicher, Pauline, beruhigen Sie sich!« sagte Helmstedt mild.

Sie wandte die Augen wie noch geistesabwesend nach ihm; plötzlich aber schlang sie mit einem unartikulirten Ausrufe beide Arme um seinen Hals. »August, August, bleibe bei mir, verlaß mich nicht wieder, ich habe hart gebüßt!« Das letzte Wort erstarb und ihre Arme lösten sich in neuer Bewußtlosigkeit – in Helmstedts Innern aber sprang es auf wie ein Born junger Seligkeit; eine Minute noch hielt er sie an seiner Brust, dann aber legte er behutsam ihren Kopf in seinen Arm, daß er ihr Gesicht sehen konnte, und hielt sie an sich gedrückt, wie eine Mutter ihr schlafendes Kind.

Charley hatte einige dünne Scheite in das Feuer geworfen, daß es ein helles Licht durch den Raum warf, und kam jetzt mit einem Arm voll Baumwollentissen die Stiege herunter.

»Da oben scheinen die Betten der Mädchen zu sein,« sagte er und begann seine Last in der leeren Bettstelle des Aufsehers auszubreiten; »lassen Sie uns die Lady hierher legen, bis frisches Wasser kommt, zum Tode scheint's ja noch nicht gehen zu wollen – aber auf den Kissen des Halunken dort sollte sie nicht liegen – halloh! Du bleibst wo du bist, Gevatter, bis andere Leute kommen« rief er, nach dem Aufseher blickend, als dieser eine vergebliche Anstrengung machte, sich zu erheben, und fuhr dann ruhig in seiner Beschäftigung fort. Es bot ein sonderbares Bild, die große, massive Gestalt die Kissen zurechtlegen und sorgsam jede Falte ausstreichen zu sehen; als ihm aber endlich Alles recht zu sein schien, wandte er sich nach dem jungen Mann:

»Soll ich helfen?«

Helmstedt schüttelte den Kopf und trug die Ohnmächtige nach dem Lager. Ein aufsteigendes Roth in ihrem Gesicht schien die Rückkehr des Bewußtseins zu verkünden, ihre Lippen begannen sich leise zu bewegen, als spreche sie im Traume, aber ihre Augen blieben geschlossen. Helmstedts Blick haftete gespannt auf ihren Zügen, jede Veränderung darin beobachtend, bald aber wurde seine Aufmerksamkeit unterbrochen. Die Köchin und Mary mit verbundenem Kopfe voran, drang ein ganzer Haufen Neger, Alt und Jung ins Zimmer. Nur die beiden ersten richteten ihre Aufmerksamkeit sofort auf die bewußtlose junge Frau – die Blicke der Uebrigen wandten sich zuerst theils scheu, theils schadenfroh dem am Boden liegenden Aufseher zu. Helmstedt sah sich unmuthig um.

»Es ist Niemand hier nothwendig, als Mary und die Köchin,« sagte er, »ihr Uebrigen geht, wohin ihr Abends gehört!«

Ein Haufen halb dummer, halb verwunderter Gesichter wandte sich nach der Allen unbekannten Persönlichkeit, aber Niemand bewegte sich und Helmstedt fühlte, daß hier eine andere Autorität als die seinige nothwendig werde.

»Hier ist der neue Aufseher!« sagte er, – »Charley machen Sie das Zimmer frei!«

»Platz gemacht, hier!« sagte der Gerufene, vom Fuße des Bettes vortretend, »oder ich nehme den Ersten von euch bei den Beinen und prügele damit die Andern hinaus!« und ein panischer Schrecken schien beim Anblicke der riesigen Gestalt, wie beim Klange der gewaltigen Stimme unter das schwarze Volk zu fahren. Ein kurzes Drängen nach dem Ausgange erfolgte, und in kaum zwei Minuten war das Zimmer leer. Charley, der mit derben Worten zur Eile treibend dem Haufen bis nach der Thür gefolgt war, drehte sich jetzt um, ließ die Augen durch den Raum gleiten und stand eine Weile wie sich besinnend. »Da fehlt mir doch etwas,« sagte er endlich, »da ist doch etwas nicht richtig?! Donnerwetter, das ist es,« brach er dann los, »der Halunke ist mit fort!« und mit einer plötzlichen Wendung war er hinter der Thür verschwunden.

Helmstedt hatte den Ausruf gehört und wandte den Blick nach der Stelle, wo der Aufseher gelegen, die jetzt nur durch den zerschnittenen Strick bezeichnet war; aber seine Gedanken waren schnell durch Paulinens unruhige Bewegungen, die noch immer mit geschlossenen Augen da lag, in Anspruch genommen. »Das ist mehr, als eine gewöhnliche Ohnmacht,« sagte er nach kurzer Beobachtung. »Sie, Mary, öffnen alle Bänder und Haken an dem Anzuge Ihrer Mistreß, damit sie von nichts beengt wird – und du, Cäsar, reitest scharf los und siehst, wo Doctor Ford zu finden ist.« Mit einem Blicke, aus tiefer Innigkeit und Besorgniß gemischt, wandte er sich von der Kranken, diese ihren beiden Dienerinnen überlassend, und folgte dem Schwarzen ins Freie, wo die Sterne bereits in wunderbarer Klarheit aufgezogen waren und ihr mattes Licht über die Landschaft warfen.

»Er ist fort, Sir, er ist fort!« empfing ihn hier Charley's unmuthige Stimme, »der Teufel mag wissen, wie er los gekommen ist, ich hatte ihn so fest geknüpft.«

»Ich habe Jane's Gesicht unter den Niggern gesehen,« sagte Cäsar, der eben sein Pferd losband, »sie hat ihn sicher losgeschnitten, Sir, kein Anderer hätte es gethan.«

»Mag er jetzt laufen, wenn es nicht zu ändern ist, er entläuft dem Galgen doch nicht!« erwiderte Helmstedt und begann langsam vor dem Hause auf- und abzugehen.

Cäsar jagte davon und Charley stand eine Weile, mit dem Blicke Helmstedts Schritten folgend, bis dieser wieder in seine Nähe kam. »War das Ihr Ernst, Sir, wegen der Aufseher-Anstellung?« fragte er dann.

»Es war eigentlich nur ein Nothbehelf, was ich sagte, Charley,« erwiderte der Angeredete stehen bleibend, »aber wenn Sie die Stelle annehmen wollen, so denke ich die Sache arrangiren zu können.«

Der Riese schlug mit der Faust in seine Hand, daß es knallte. »Mir gefallen die schwarzen Kerls, Sir,« lachte er, »und ich denke in der rechten Manier mit ihnen umspringen zu können; das Haus ordentlich zurecht gemacht, die Mary bei mir, und es muß eine Lust sein, hier zu wirthschaften. Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, gehe ich einmal nach den Negerwohnungen hinüber und sehe mir das Treiben an.«

»Gehen Sie, wenn es Ihnen Spaß macht,« erwiderte der Gefragte, seinen Gang wieder aufnehmend, »wir werden doch in den ersten Stunden noch nicht von hier wegkommen!« Und mit einem zufriedenen Kopfnicken entfernte sich der Riese, ohne Aufenthalt über die Umzäunung und Gräben hinweg, wie eine gespenstige Erscheinung durch die Nacht schreitend.

Helmstedt blickte in den dunklen Himmel hinauf, und es war ihm, als sähe er des alten Morton Gesicht mit demselben wohlwollenden Ausdruck ihm zulächeln, wie er ihn zum letzten Male in seiner Krankheit gesehen. Er dachte nicht daran, daß er seiner übernommenen Pflicht als stiller Beschützer Paulinens genügt hatte – ihm stand eine Stelle aus dem Briefe des Verstorbenen vor Augen, zu welcher er erst jetzt das Verständniß gefunden zu haben glaubte: »Mir ist es, als würde auch noch einmal ein Frühling für sie blühen und ihr ein Schutz werden, unter dem sie sich gern bergen wird.« Hatte der alte Mann Helmstedts unhaltbare Verhältnisse zu Ellen erkannt und tiefer in Paulinens verschlossenes Herz gesehen, als diese selbst geahnt? – Er nahm langsam seinen Gang wieder auf und Träume von einem stillen Glücke kamen über ihn, bis die Mulattin die Thür des Hauses öffnete und ihn heranrief. »Sie redet im Schlafe, Sir,« sagte sie, »es ist wol besser, Sie sehen einmal nach ihr; mir ist selbst, als könnte ich nicht mehr lange aufrecht stehen.«

Helmstedt folgte in Hast. Das Zimmer war jetzt in leidliche Ordnung gebracht, eine Lampe brannte auf dem Kamin und beschien das Lager, auf welchem Pauline verhüllt unter einer leichten Decke ruhte. Ihre Wangen leuchteten in hellem Roth, ihre Lippen bewegten sich in schnellen, abgebrochenen Sätzen und eine einzige Prüfung des fliegenden Pulses gab Helmstedt volle Einsicht in den Zustand der Kranken. »Wir können im Augenblicke nichts thun,« sagte er nach einer Weile sorgenvoller Betrachtung; »die Köchin mag gehen und nach ihren Geschäften sehen; Sie, Mary, sind selbst krank, nehmen Sie was an Kissen umher liegt und machen Sie sich, so gut es gehen will, ein Lager zurecht; ich werde wach bleiben und den Doctor erwarten; sollten Sie nöthig sein, so werde ich es Ihnen sagen.« –

Es war schon eilf Uhr vorüber, als endlich Cäsar mit dem alten Arzte anlangte.

»Das kommt davon, wenn die Kinder zu selbstständig sein wollen,« sagte der Letztere kopfschüttelnd, nachdem er die Kranke eine Weile beobachtet. »Cäsar hat mir die ganze Geschichte erzählt; sie muß gestanden haben wie ein Held gegen das Unthier – aber die Lust, Alles selbst zu verwalten, wird ihr jetzt wol vergangen sein.«

»Halten Sie den Zustand für gefährlich, Doctor?« fragte Helmstedt mit ängstlicher Erwartung im Auge.

»Kann noch nichts sagen, Sir, wir werden erst im Laufe der Nacht sehen, was sich entwickelt. Ich bleibe jedenfalls hier und Cäsar mag vorläufig die Köchin rufen, damit ich einige Anordnungen treffen kann.«

Er wandte sich nach dem Lager der Mulattin, welche sich horchend aufgesetzt hatte, löste die Tücher von ihrem Kopfe und untersuchte ihre Wunden. »Nichts Besonderes, wenn's auch noch etwas weh thut,« sagte er, als das Mädchen unter dem Drucke seines Fingers zusammenzuckte, »morgen wird wenig mehr davon zu spüren sein; magst aber Gott danken, daß noch Negerschädel genug an dir ist, sonst hätte der Puff verdrießlichere Folgen haben können.« Er ging nach Paulinens Lager zurück, zog den Stuhl heran und blieb hier, das seine Handgelenk der Kranken zwischen seinen Fingern haltend, beobachtend sitzen.

Helmstedt begann leise das Zimmer auf und abzugehen, dann und wann einen Blick auf die Kranke und das Gesicht des Arztes werfend, bis Cäsar mit der Köchin und hinter ihnen Charley eintrat.

»Well, Sir,« sagte der Letztere, mit gedämpfter Stimme sich an Helmstedt wendend, »es ist das eine sehr traurige Geschichte mit der Lady, aber ich dachte, ich müßte Ihnen sagen, daß morgen der 14te ist. Sie wissen weswegen – es ist nur, daß ich der Weibsperson in New-York nicht umsonst ihre Kommodenschlösser verdorben habe.«

Helmstedt griff an seine Stirn – die ganze Angelegenheit war vor den eben durchlebten Ereignissen aus seinem Gedächtnisse gewichen. Der Doctor hatte sich bei dem Klange von Charley's dumpfrollender Stimme umgesehen und ließ die Augen bewundernd über die riesigen Gliedmaßen desselben laufen. Er erhob sich vorsichtig und trat zu dem Sprechenden. »Das also ist der Mann, der das Unthier niedergeboxt hat,« sagte er, »freut mich, Sie zu sehen, Sir!«

»Einen Augenblick, Doctor, wenn Sie abkommen können,« unterbrach ihn Helmstedt und führte ihn abseits nach dem Kamin. Mit kurzen Worten gab er ihm hier einen Ueberblick dessen, was ihm Charley in seinen Briefen gemeldet, erzählte ihm zugleich von seinem Besuche bei Elliot am Morgen und wie dessen augenblickliches Heil allein von seiner Thätigkeit abhänge.

»Well, Sir, ich gratulire Ihnen und Elliot zu dem Stande der Dinge,« sagte der Arzt, als Helmstedt eine kurze Pause machte, »jedenfalls wird dies Ihre beiderseitigen Differenzen auf dem schnellsten Wege ausgleichen.«

Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich handle hierin nur als ehrlicher Mann, ohne Rücksicht auf mich,« er widerte er, »ich habe Elliot meine Zustimmung zu einer Scheidung von meiner bisherigen Frau gegeben, und werde sie jetzt selbst betreiben; eine viel wichtigere Verpflichtung als für Elliots Interesse hält mich hier an dem Bette von Mrs. Morton fest, eine Verpflichtung, die ich gegen den alten Mr. Morton kurz vor dessen Tode eingegangen bin und die mich die ganze Angelegenheit, an welche mich soeben mein großer New-Yorker Freund gemahnt, vergessen ließ. Ich theile Ihnen das Alles nur mit, Doctor, weil ich im Augenblicke selbst mit mir im Zwiespalt über das bin, was ich zu thun habe.«

Der alte Arzt ließ eine Secunde lang einen eigenthümlich forschenden Blick auf Helmstedt ruhen. »Für jetzt,« sagte er dann mit halbem Lächeln, »können Sie hier nichts helfen, junger Freund. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich diese Nacht wachen werde. Sehen Sie also, wo Sie mit Ihrem großen Kameraden einen Platz zum Schlafen finden und legen Sie sich aufs Ohr, damit Sie morgen frisch und klaren Geistes sind. Am Morgen werden wir ja sehen, wie die Sachen stehen.« Er wandte sich weg und winkte die Köchin herbei.

»Wenn Sie erlauben, Sir, so meine ich wirklich, der alte Herr hat Recht,« begann Charley; »man kann nicht wissen, was es morgen wieder durchzufechten gibt – nach der Geschichte von heute Abend halte ich Alles für möglich. Oben in den Mädchenbetten sind noch Kissen genug für uns, und so bleiben wir auch bei der Hand, wenn hier etwas vorkommen sollte.«

Helmstedt rieb sich die Stirn. Es widerstrebte seinem ganzen Gefühle, die Nacht nicht an Paulinens Bette wach zu bleiben, und doch mußte er den Vernunftgründen dagegen ihr Recht lassen. Endlich rief er Cäsar herbei. »Sorge für die Pferde und sieh, wo du unterkommst; wir bleiben die Nacht hier,« sagte er. Dann ging er langsam auf den Arzt zu, der wieder am Krankenbette Platz genommen hatte, und legte die Hand auf dessen Schulter. »Well, Doctor, ich werde Ihrem Rathe folgen, aber versprechen Sie mir wenigstens, mich zu rufen, sobald irgend eine Aenderung zum Schlimmen eintritt.«

Der Doctor nickte nur schweigend, und nach einem langen Blicke auf die Kranke, deren Brust sich in kurzen, hastigen Athemzügen hob, winkte er Charley und klomm diesem voran die Stiege nach dem obern Raum hinauf.

X.

Im Hinterzimmer der Law-Office von Griswald und Duncan saßen kurz vor Mittag des nächsten Tages der Senior der Firma, die Hände über dem wohlgenährten Bauch gefaltet, und Murphy, die Stirn leicht in die Hand gestützt, einander gegenüber. »Mir scheint etwas in der Sache nicht ganz richtig zu sein, ohne daß ich doch irgendwo einen bestimmten Halt für einen Verdacht fassen könnte,« sagte der Letztere. »Elliot hat seine Entschließung wieder auf zwei Tage weiter hinausgeschoben, und wenn das in den Augen eines Andern vielleicht nichts ist, so will mir doch die ganze Weise, in der es geschehen ist, nicht gefallen. Gestern war die erste Frist, welche er sich selbst gestellt hatte, abgelaufen, und Nelson, der gute Junge, der wirklich Angst um Elliots Eigenthum und das Erbtheil seiner künftigen Frau hat, mahnte ihn an eine Entscheidung, da er mir Antwort versprochen habe. Alles aber, was er als Erwiderung erhielt, lautete: Es hat wol keine so große Eile, Sir; ich hoffe, Ihr Freund Murphy wird noch zwei Tage warten, damit ich mich arrangiren kann! – Ich habe den Mann kennen gelernt, Sir, und weiß, daß, wenn er nicht eine bestimmte Hoffnung auf irgend eine Hinterthür hätte, er heute ohne Weiteres den Vergleich abgeschlossen haben würde.«

»Well, Sir, ich glaube, die Sache macht Sie zu nervös,« erwiderte Griswald ruhig und ließ die Daumen seiner beiden Hände um einander laufen; »es ist Ihre erste große Speculation, und natürlich ist da kaum etwas Anderes zu erwarten. Der einzige fragliche Punkt in der ganzen Angelegenheit war der Mann, welchen Sie zur Erlangung des Besitztitels benutzten. Ich habe ihn aber auf das Schärfste beobachten lassen; er wohnt im Rocky-Creek-Wirthshause – wenigstens hat er dort meist sein Nachtquartier – und keine Art von Nachfragen hat etwas ergeben, was den Verdacht rege machen könnte, als habe er noch etwas im Hintergrunde. Der Mann will Geld haben, und darum gibt er, um es heraus zu schrauben, Dinge zu verstehen, die niemals existirt haben. Ich kenne diese Art Kameraden. Zugleich kann ich Ihnen die bestimmte Versicherung geben, daß er weder Elliot hier gesprochen hat, noch in dessen Hause gewesen ist, und so sehe ich bei ruhiger Betrachtung und nach allen den Arrangements, welche unsererseits getroffen worden sind, nicht das geringste Verdächtige in Elliots Zögerung. Eine Mortgage von 30,000 Doll. ist keine Bagatelle, lieber Herr, und mich wundert allein, daß er nur zwei und nicht nochmals acht Tage Zeit sich ausbedungen hat. Lassen Sie diese zwei Tage ruhig verstreichen, und dann werde ich ihm mit der Anzeige auf den Leib rücken, daß Sie mich, als seinen Advocaten, von der nach Verlauf der nächsten zwölf Stunden stattfindenden Einreichung Ihrer Klage benachrichtigt hätten. Sie sollen sehen, wie das ziehen wird!«

»Wenn ich nur den Menschen mit seiner Forderung vom Halse hätte,« sagte Murphy, in seinen Haaren wühlend, und erhob sich. »Ich habe ihn für heute wiederbestellt, um ihm, sollte es auch mit tausend Dollars sein, die er am Ende verdient hat, den Mund zu stopfen. Er ist im Stande, mich zu blamiren, wenn er von einer neuen Zögerung hört.«

»Alles zu übereilt, Sir; warum nicht vierzehn Tage für mögliche Zwischenfälle rechnen? Er hätte auch bis dahin gewartet. Wie aber die Sachen jetzt stehen, so kümmern Sie sich nicht um das, was Sie Blamage nennen. Sehen Sie irgend eine verdächtige Maßregel seinerseits, so lassen Sie ihn als Negerdieb festnehmen und bezeichnen alle Sie compromittirenden Angaben des Menschen als Lügen. Wir werden dann kurzen Proceß mit ihm machen.«

»Ich muß versuchen, wie sich ein Arrangement ohne zu viel Aufsehen machen läßt,« versetzte Murphy nach der Thür gehend; »ich sehe Sie Nachmittags wieder, Sir!«

Vor der Thür des Hotels läutete einer der schwarzen Aufwärter die Mittagsglocke, als der junge Advocat aus der Office trat, und dieser nahm seinen Weg dem Rufe nach. Er hatte sich kaum, mit seinen Gedanken beschäftigt, an der Mittagstafel niedergelassen, als ihm von der andern Seite des Tisches ein Teller entgegengereicht wurde. »Etwas Huhn, Mr. Murphy?« hörte er eine bekannte Stimme; »ich hoffe, Sie freuen sich, Ihren alten Freund Wells hier zu sehen.«

Murphy warf nur einen Blick nach dem Sprechenden und ergriff das Dargereichte mit einem kurzen: »Danke Ihnen, Sir!« Ohne ferner aufzusehen, verzehrte er sein Mahl, erhob sich dann und winkte seinem Gegenüber mit dem Kopfe. Beide gingen schweigend nach Murphy's Zimmer hinauf.

»Ich muß Ihnen sagen, Seifert,« begann der Advocat, als er die Thür geschlossen, »daß, wenn wir ein Geschäft machen wollen, Sie mich nicht in dieser Weise drängen dürfen. Ich komme soeben von einer Berathung mit einigen andern Advocaten, und es ist die Gewährung einer neuen Frist für die Zahlung eines Abstandsgeldes als das Beste erkannt worden. Dergleichen Dinge lassen sich nicht über das Knie brechen!«

»Sehr schön, lieber Herr,« entgegnete Seifert mit einem höflichen Lächeln; »ich dränge Sie durchaus nicht, wenn Sie mich nur sicher stellen wollen, daß ich – Sie entschuldigen, wenn ich geradeaus rede – daß ich um meinen Antheil am Geschäft nicht betrogen werde. Bei unserer ersten Unterredung meinten Sie, es werde gar nichts für mich abfallen, bei unserer zweiten ließen Sie die Hoffnung auf tausend Dollars oder etwas Aehnliches blicken und bestimmten den heutigen Tag als den letzten zu einer Ausgleichung. Heute ist ein neuer Aufschub eingetreten, und wenn ich jetzt fünftausend Dollars forderte, würden Sie mir dieselben wahrscheinlich unter der Bedingung zusagen, zu warten – bis Sie Ihr Geld in der Tasche haben und der Seifert mit langer Nase abziehen kann. Ich habe Alles das vorausgesehen, lieber Herr, und mich deshalb genügend gedeckt. Ich stelle Ihnen jetzt zwei Propositionen. Entweder führen Sie mich noch heute Nachmittag bei Mr. Elliot ein und stellen mich diesem als Bevollmächtigten Ihrer Clientin vor, an welchen er in Ihrem Beisein das stipulirte Abstandsgeld zu entrichten hat – oder Sie zahlen mir heute noch fünftausend Dollars in Gold oder in verkäuflichen Papieren.«

»Und wenn ich keins von Beiden thue?« fragte Murphy, die Arme verschränkend.

»Dann werde ich meinen eigenen Weg gehen und mir selbst ein Abstandsgeld verschaffen, so hoch als mir gut dünkt.«

»Thun Sie das!« erwiderte Murphy mit Hohn.

»Thun Sie das!« ahmte ihm Seifert nach; »mit welcher Leichtigkeit Sie das aussprechen. Sie glauben also wirklich den Teufel ungestraft betrügen zu können, und ich hatte Sie doch vor dem Versuche gewarnt. Ich sehe wohl, ich muß meine Karten auflegen. Wir haben den Erben beseitigt, das ist richtig, Sir,« fuhr er fort, ebenfalls die Arme in einander schlagend; »wie wäre es denn aber, wenn ich mir besagten Erben zu meiner Privat-Disposition lebendig in irgend einem Eckchen der Welt aufbewahrt hätte, wenn ich jetzt zu Mr. Elliot ginge und ihn fragte: Was geben Sie mir, wenn ich Sie mit einem Male aus Ihrer jetzigen Gefahr erlöse? Wie wäre das wol, Mr. Murphy?«

Der Advocat hatte sich einen Augenblick verfärbt. »Ich halte Sie für vollkommen fähig, die Komödie von einem auferstandenen Erben in Scene zu sehen,« sagte er dann kalt. »Sie müssen aber nicht glauben, Sir, Leute damit zu schrecken, welche den Hergang der Dinge und Sie selbst kennen.«

»Ist das Ihr letztes Wort, Sir, auch winn ich Ihnen sage, daß es sich nicht um eine Komödie, sondern um eine wirklich vorhandene Person handelt?«

»Ich lasse mich, Drohungen gegenüber, auf nichts ein, Mr. Seifert. Kommen Sie nach acht Tagen in einer vernünftigeren Weise zu mir, so hoffe ich, tausend Dollars für Sie bereit zu haben.«

Seifert sah ihm eine Secunde lang scharf ins Auge. »Sie glauben mir nicht – very well! Nehmen Sie dann auch die Folgen auf sich!«

Er setzte bedächtig seinen Hut auf den Kopf und schritt aus dem Zimmer; er sah nicht zurück, als ihm Murphy die Treppe hinab folgte, und wanderte, als er das Hotel verlassen, gemächlich die Straße hinauf.

Der Advocat war eiligen Schritts in den Bar-Room getreten, wo Griswald, wie jeden Tag in der Stunde nach Mittag, conversirend stand, und zog diesen nach dem anstoßenden Wartezimmer. Eine kurze Weile waren Beide im eifrigen Gespräche. »Wir machen den Menschen sofort unschädlich, das ist das Einfachste, mag nun hinter seinem Geschwätz etwas stecken oder nicht!« rief endlich Griswald; »warten Sie, bis ich vom Richter zurück bin, es dauert nur zwei Minuten. Unser Mann, welcher den Schwerenöther bis jetzt beobachtet hat, geht mit einem Verhaftsbefehl nach Elliots Farm, falls er diesen Weg eingeschlagen haben sollte, und Sie gehen mit der gleichen Vollmacht nach Rocky-Creek. Sie Beide kennen allein den Menschen, also werden Sie für heute zu Deputies des Sheriffs ernannt, und Beistand finden Sie, wo es sich um einen Negerdieb handelt, nöthigenfalls überall.«

Der alte Advocat verschwand und Murphy durchmaß unruhig das Zimmer.

Seifert war ins Freie gelangt und blieb unter einer breitästigen Eiche wie überlegend stehen. Links zog sich die große Straße an Farmen und Plantagen vorüber fernhin durch daß Thal. Rechts führte ein schmaler Fahrweg in den Wald hinein, dem Gebirge zu. Seifert nahm den Hut ab, wischte sich die Stirn und sah die helle, brennend heiße Straße hinab; mit einem kurzen Kopfschütteln wandte er sich dann dem Wege rechts zu und hatte bald ein schattiges Laubdach zwischen sich und der Mittagssonne. Ohne auf seine Umgebung zu achten, wanderte er vorwärts; dann und wann zuckte es wie ein bitteres, höhnisches Lächeln über sein Gesicht, und erst nach einer Stunde, als vor ihm aus einem Nebenwege ein Reiter in seine Straße einbog, sah er auf und beobachtete mit aufmerksamen Blicken die in der nächsten Biegung des Wegs wieder entschwindende Erscheinung. Er begann hastiger zu schreiten und nach Verlauf der nächsten halben Stunde tauchte ein einsames Haus vor ihm auf. An dem Pfahle vor der Thür stand ein gesatteltes Pferd angebunden. Seifert hielt seinen Schritt an und schien mit sich Rath zu pflegen; bald aber ging er mit einem Kopfschütteln, als wolle er ein aufsteigendes Bedenken beseitigen, wieder vorwärts. Kurz vor dem Hause mündete ein schmaler, steiniger Fahrweg in der Straße aus – hier bog Seifert ein und ein Zug von Spott legte sich über sein Gesicht, als das Haus hinter dem dichten Gebüsche verschwunden war.

Fünf Minuten mochte er ruhig weiter geschritten sein, als er plötzlich den Schlag einer Hand auf seiner Schulter fühlte. »Seifert, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes!« klang es in seine Ohren; aber mit einer kräftigen Wendung war er frei und stand seinem Gegner Aug' in Auge. »Ah – M. Murphy – auf diese Weise also!« preßte es sich aus dem Munde des Angegriffenen, »wollen Sie mir wol noch einmal sagen, was Sie wünschen?«

»Ich nehme Sie fest auf Grund dieses Verhaftsbefehls,« erwiderte der Advocat, ein Papier aus der Tasche ziehend und sein Gesicht zu einer finstern Gleichgiltigkeit zwingend, »und rathe Ihnen wohlmeinend, weder Widerstand zu leisten, noch einen Versuch zur Flucht zu machen!«

»Und was ist mein Verbrechen?« fragte Seifert, die Hand nachlässig in die Brusttasche steckend.

»Ich habe Ihnen nichts darauf zu antworten; ich handle nur auf Befehl des Richters in meiner Eigenschaft als Deputy-Sheriff.«

»Jedenfalls als ziemlich neugebackener!« erwiderte Seifert bleich, aber ohne sein höhnisches Lächeln zu verlieren. »Das ist also die Art, wie man hier zu Lande unbequeme Personen beseitigt. Trotz alledem, Herr Deputy-Sheriff, rathe ich Ihnen, umzukehren und den Seifert ruhig seines Wegs gehen zu lassen. Sie wissen aus Erfahrung, daß er für jeden Zug gegen ihn sich immer doppelt gedeckt hat!« Er warf einen raschen Blick über die nächsten Gebüsche und machte eine Wendung, um sich zu entfernen; aber die Mündüngen eines Revolvers, welche ihm plötzlich aus Murphy's Hand entgegenstarrten, hießen ihn stillstehen. »Keinen Schritt, Sir, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« rief der Advocat.

Das Hohnlächeln in Seiferts Gesicht ging in Verzerrung über; seine Hand fuhr mit Blitzesschnelle aus der Brusttasche, ein Schuß knallte – und Murphy stürzte mit einem Aufschrei rücklings zu Boden. Der Rauch verzog sich und Seifert stand, mit vorgebogenem Oberkörper die stieren Augen auf den Gefallenen gerichtet; als aber auch nicht ein Glied mehr an diesem zuckte, schien ein plötzliches Entsetzen über ihn zu kommen; er warf den hervorgezogenen Revolver weit von sich ins Gebüsch und lief, wie von allen Furien der Hölle gejagt, auf dem einsamen Wege dem Gebirge zu. – –

Am Mittag desselben Tages hatten drei Reiter die Straße, welche von der Stadt nach den Bergen führt, eingeschlagen. Kein Wort fiel, während sie neben einander dahin trabten, Jeder schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und erst als nach einer Stunde das einsame Haus am Wege auftauchte, hob einer von ihnen aufmerksam den Kopf. »Ist das dort Rocky-Creek-Haus, Sheriff?« fragte er. Der Angeredete nickte mit einem kurzen: »Yes, Sir!«

»Was meinen Sie,« fuhr der Erstere fort, »wenn mein Freund Charley dort erst einmal nach unserm Manne ausschaute?«

»Es kann nichts schaden,« erwiderte der Sheriff achselzuckend, »obgleich es kaum etwas nützen wird; ich fürchte, wir kommen überhaupt zu spät. Wäre mir gestern im Laufe des Tages eine Mittheilung gemacht worden, so hätte ich während der Nacht meine Maßregeln treffen und den Burschen früh noch im Neste fangen können. Jetzt läßt sich nur vermuthen, daß er schon längst seinen Geschäften nachgegangen ist.«

»So wird doch wenigstens der junge Mensch zu finden sein, um den es sich hauptsächlich handelt.«

»Wir wollen es hoffen,« war die Antwort; »hat aber unser Bursche gerade heute einen Schlag ausführen und dann die Gegend verlassen wollen, so sollte es mich wundern, wenn er sich durch Hinterlassung des jungen Menschen selbst gezwungen hätte, nochmals an seinen alten Platz zurückzukehren – wenigstens müßte er dann nicht halb so gerieben sein, wie ihn Ihr New-Yorker Freund hier schildert.«

Charley zog ein nachdenkliches Gesicht. »Es mag wirklich so sein, Mr. Helmstedt,« brummte er, »es ist verdammt viel Sinn in dem, was der Sheriff sagt, und nur der Sicherheit halber will ich einmal das Haus dort in Augenschein nehmen.«

»Reiten Sie zu!« sagte der Beamte, »unser Weg führt hier rechts ab, wir werden langsam vorausreiten, damit Sie uns bald wieder nach sein können.«

Die beiden Parteien trennten sich und der Sheriff bog mit Helmstedt in einen steinigen Waldweg ein, welcher nach Angabe des Ersteren zu Mr. Graws Farm, dem Aufenthaltsorte Seiferts, führen sollte. Sie ritten im langsamen Schritte weiter, bis der harte Trab von Charley's großem Pferde wieder hinter ihnen laut wurde. »Nichts von ihm zu erblicken,« sagte dieser herankommend, »die Leute dort sagen, er habe am Morgen da gefrühstückt, sei aber nach dieser Zeit nicht wieder gesehen worden.«

Der Sheriff nickte nur schweigend und trieb sein Thier zu schnellerem Laufe an; die beiden Andern folgten, bald aber ward der Weg so rauh und eng, daß sich ein langsamer Schritt von selbst gebot.

»Ich hoffe, Sir,« sagte Charley, näher an Helmstedts Seite reitend, »daß Sie es mir nicht zu hoch anrechnen werden, wenn der Graf entwischt? Ich hätte freilich wol einen halben Tag früher hier sein können, aber ich hatte mit keiner Silbe daran gedacht, daß ich selber bei der Sache nothwendig sein könnte.«

Helmstedt schüttelte ruhig lächelnd den Kopf. »Hätten Sie sich einen halben Tag früher eingesunden, so wären wir wahrscheinlich nicht bei der Hand gewesen, um ein Unglück in Little Valley zu verhüten, an das ich kaum denken mag!« sagte er. »Es geht Alles in der Welt, Charley, wie es soll, und der Mensch mit seinem Fünkchen Verstand thut meist das Wenigste dazu. Wer nach rechtem Gewissen seine Pflicht thut, damit er sich selbst nichts vorzuwerfen hat, der soll sich um das nicht grämen, was vielleicht anders hätte sein können – und so wollen wir auch jetzt thun, was sich mit besten Kräften thun läßt, und schießen wir dennoch fehl, so mag es vielleicht gerade zu etwas dienlich sein, was wir jetzt noch nicht einmal ahnen.«

Charley kratzte sich unter seinem Hute; »'s ist das gewiß recht schön gesagt, Sir, aber der Teufel mag sich immer damit zufrieden geben, und ich hätte wol auch sehen mögen,« setzte er mit einem launigen Blicke auf Helmstedts Gesicht hinzu, »wie Sie sich hineingefunden hätten, wenn wir der Lady in Little Valley zu spät zu Hilfe gekommen wären.«

Helmstedts Gesicht überflog ein dunkler Schatten, welcher sich aber bald wieder in einem klaren Blicke, den er in die Ferne schickte, auflöste. »Sie mögen Recht haben, Charley,« erwiderte er mit einem tiefen Athemzuge, »das Schicksal bewahre Jeden vor solchen Proben.«

Der Sheriff war vorausgeritten und öffnete jetzt das niedere Thor einer Einzäunung, hinter welcher sich auf einem Hügel inmitten von dürftigen Feldern ein rohes Blockhaus zeigte. »Bleiben Sie hier, bis ich zurückkomme oder Ihnen winke,« sagte der Beamte, und schritt, nachdem er sein Pferd festgebunden, dem Hause zu; ehe er es aber erreichte, trat ihm schon der Farmer aus der offenen Thür entgegen. Beide standen eine Weile in angelegentlichem Gespräche, der Farmer mehrmals mit dem Kopfe schüttelnd, bis sie endlich, der Beamte vorweg, in das Haus traten. Zehn Minuten mochten vergangen sein, als Beide wieder erschienen und der Sheriff mit einem kurzen Nicken gegen den Farmer nach den Wartenden zurückschritt. »Es ist genau wie ich gesagt, wir kommen sechs Stunden zu spät!« begann er, als er die Einzäunung erreicht hatte, und bestieg sein Pferd. »Heute Morgen hat er mit dem jungen Menschen und einer starkgefüllten Reisetasche die Farm verlassen, hat Abschied genommen und reichlich für seinen Unterhalt gezahlt; jedenfalls scheint der Bursche aber in unserer Gegend besser bekannt zu sein, als ich vermuthete; er hat sich schon im vergangenen Winter im Riverhause, wo damals stark gespielt wurde, aufgehalten, und dort will ihn Mr. Graw beiläufig kennen gelernt haben. Weg ist er von hier, das steht fest« – fuhr er fort und setzte sein Thier wieder in Bewegung, »ich habe die drei Stuben des Hauses durchgesehen und nirgends einen Gegenstand wahrgenommen, der an einen Mann von feineren Gewohnheiten erinnert hätte – indessen will ich doch die Angelegenheit noch nicht aufgeben. Mit einer schweren Reisetasche läuft man nicht gern die fünf Meilen bis zur Stadt und wenn es sich bei dem jungen Menschen um Verborgenheit handelt, so wird er diesen auch nicht am hellen Tage dorthin geführt haben. Im Rocky-Creekhause soll jetzt Abends gespielt werden – lassen Sie uns bis zur ebenen Straße hinabreiten und ich werde Ihnen dann Weiteres sagen!«

Schweigend wurden die Pferde zu schärferem Schritte angetrieben; der größere Theil des felsigen Weges war bereits zurückgelegt und die letzte Biegung nach der Hauptstraße hinab zeigte sich, als plötzlich unweit vor ihnen ein Schuß knallte und fast mit ihm zugleich ein Schrei hörbar wurde. Kaum hatte der voranreitende Sheriff sein Pferd aufhorchend angehalten, als ein Mann hinter der nächsten Buschecke hervorgejagt kam, beim Anblicke der Reiter stutzte und nach einem Augenblicke wilden Umsichsehens auf das nächste Gebüsch zusprang. Aber sein Fuß verwickelte sich in die offen liegenden Wurzeln und Schlingpflanzen am Rande des Weges und in toller Hast, loszukommen, schlug er der vollen Länge nach zu Boden.

Das ganze Ereigniß war so plötzlich eingetreten, daß die Zeit dafür eben nur genügt hatte, die Pferde zu zügeln; jetzt aber richtete sich Charley hastig in den Bügeln auf und war mit einem: »Das ist er ja, das ist er!« vom Pferde, ehe noch einer der Andern Miene dazu gemacht hatte. Mit zwei Sprüngen hatte er den Mann, der von dem Falle halb betäubt schien, erreicht und richtete ihn wie ein Kind in die Höhe. »Bei Gott, er ist es, ich sagt' es ja, und nur die verdammte Brille, die er trug, machte mich einen Augenblick unsicher!« rief er, den Mann, der ihn wie geistesabwesend anstarrte, an beiden Armen festhaltend.

»Halloh, Graf, wie geht's? Kennen Sie den Dutch Charley nicht mehr?«

Helmstedt hatte, als auch der Sheriff eilig abstieg, nach den Zügeln der beiden Pferde gegriffen; aber seine Augen thaten sich weit auf, als der Beamte zur Verhaftung des Menschen schritt und dieser sein verstörtes Gesicht nach ihm wandte. Sichtlich gespannt folgte der junge Mann seinen beiden Gefährten und trat, die Pferde nach sich führend, zu der Gruppe.

»Also Sie, Seifert, sind der Graf, oder der Mr. Wells, oder wie Sie sonst heißen mögen?« fragte er. »Kennen Sie mich nicht, Seifert?«

»Was wollen Sie von mir?« fragte der Gefangene, die drei Männer der Reihe nach mit starrem Blick ansehend. »Ich habe in Selbstvertheidigung gehandelt und kann nichts dafür, daß der Schuß so unglücklich traf. Er hatte den Revolver auf mich gerichtet, Sie sollen meine Zeugen sein, es ist gut, daß Sie da sind – kommen Sie!«

»Sachte, lieber Mann, wir folgen schon!« erwiderte der Sheriff, als Seifert seinen Arm aus dessen geschlossener Hand reißen wollte, und winkte bedeutsam den beiden Andern, zu folgen.

Sie erreichten bald die nächste Buschecke; wenige Schritte davon zeigte sich die Leiche Murphys quer über den Weg liegend.

»Daß dich –!« rief Charley, erschreckt stehen bleibend, während Seifert an der Hand des Sheriffs gerade auf den Körper losschritt.

»Hier liegt sein Revolver, den er mir entgegenstreckte,« sagte der Gefangene und wollte sich nach der Waffe bücken, aber der Beamte zog ihn rauh zurück.

»Das Alles wird sich finden; jetzt aber, lieber Mann, ist die Sache ernster als zuvor!« entgegnete er und zog ein paar Handschellen aus der Tasche; »ich ersuche Sie, ruhig Ihre Arme herzuhalten, damit ich nicht Gewalt anwenden muß!«

»Warum das?« rief Seifert zurückprallend, »ich habe Sie selbst hierher geführt; ich habe in Selbstvertheidigung gehandelt und verlange eine Untersuchung. Ich folge Ihnen ganz freiwillig!«

Helmstedt, welchem beim ersten Anblick der Leiche eine peinliche Erinnerung aus seinem eigenen Leben vor die Seele getreten war, die ihn gespannt den Vorgängen folgen ließ, drückte jetzt die Zügel der Pferde in Charley's Hand und ging rasch auf den Sheriff zu. Eine kurze Weile sprach er in dessen Ohr, und als ein nachdenkliches Nicken desselben seine leise Rede beantwortete, wandte er sich an den Gefangenen.

»Ich hoffe, Sie kennen mich noch, Seifert?«

»Und was weiter, Sir?« erwiderte dieser, den Frager starr anblickend.

»Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, daß Sie wegen Entführung des Manuel Goldstein und wegen des damit verbundenen Betrugs und Schwindels jetzt verhaftet worden sind und daß Alles, was hier geschehen ist, ursprünglich gar nichts mit dieser Verhaftung zu thun hatte.«

»Manuel Goldstein – was soll es doch mit dem?« erwiderte Seifert, als habe er von Allem, was zu ihm gesprochen, nur den einen Namen gehört. »Seit der hier todt ist, bezahlt mir doch Niemand mehr einen Gewinn, was soll ich noch mit dem Jungen machen? Armer, kleiner Kerl, wenn er nur schon wieder in New-York wäre, er ist mir so gutwillig überallhin gefolgt, um endlich einmal den alten Pedlar zu finden.«

»Aber wo ist er, Seifert, damit für ihn gesorgt werden kann? Reden Sie die Wahrheit, und wir wollen glauben, daß Sie bei diesem Morde hier nur in Selbstvertheidigung gehandelt haben; der Sheriff wird die Handschellen wieder einstecken und Sie anständig nach der Stadt bringen.«

Der Gefangene sah mit halb irren Blicken auf.

»Das ist also der Sheriff,« sagte er; »well, Sir, war der Advocat Murphy, der hier todt liegt, einer von Ihren Deputies?«

Ein bittender Blick Helmstedts traf den Beamten.

»Nicht, daß ich wüßte!« erwiderte dieser.

Ein halb verzerrtes Lächeln ging über Seiferts Gesicht.

»Es ist schon wie ich gedacht und Alles recht; der Teufel rächt sich nur, wo er betrogen werden soll. Ich gehe mit Ihnen nach der Stadt, Gentlemen.«

»Und wie soll es mit dem Manuel werden?« fragte Helmstedt dringend.

»Ja, er wird wol jetzt ausfinden müssen, daß der alte Pedlar schon längst todt ist,« erwiderte Seifert mit bedauerndem Kopfschütteln; »es ist am besten, Sie gehen selbst nach dem Rocky-Creek-Hause und sagen es ihm. Er mag warten, bis ich aus der Stadt zurückkomme, dann will ich ihn selbst wieder nach New-York bringen.«

Helmstedt tauschte mit dem Beamten einen Blick aus und ließ dann das Auge über die Leiche streifen.

»Wenn Sie sich einige Minuten gedulden wollen,« sagte er halblaut zu dem Sheriff, »so hole ich aus dem Wirthshause Jemanden als Wächter herbei, der bis zur Ankunft des Koroners hier bleibt. Dann mögen Sie den Gefangenen auf meinem Pferde zwischen sich und Charley nach der Stadt führen und brauchen ihn nicht zu schließen.«

»Ich kann Ihnen nur dankbar sein, wenn Sie die Mühe übernehmen wollen,« erwiderte der Angeredete – und nach einigen Minuten sprengte Helmstedt dem Rocky-Creek-Hause zu. –

Es war Abend geworden und der Platz, auf welchem der Mord vollbracht wurde, wieder so öde wie vorher; nur die geknickten Büsche und das zertretene Gras am Wege zeigten, daß ein besonderer Vorfall mehr Menschen als gewöhnlich auf der Stelle versammelt hatte. Mit der nach der Stadt gebrachten Leiche war aber die Aufregung dort eingezogen, das Hotel, worin der Ermordete lag, umstanden die Menschen in dichten Haufen, und die verschiedensten Gerüchte über die Art und Ursache des Mordes gingen von Mund zu Mund.

Im Bar-Room des Hotels, wo es wie in einem Bienenstocke aus- und einging, stand Griswald in der Vertiefung neben dem Kamin und stürzte so eben den dritten Brandysmash hinunter.

»Ich muß bekennen,« sagte er zu einem an seiner Seite lehnenden ältlichen Manne, »daß ich mich alterirt habe, so kalt ich auch sonst in allen Dingen bin – Teufelsgeschichte das!«

»Und was wird jetzt aus unserer Speculation?« brummte der Andere halblaut; »ist schon etwas geschehen, daß die Sache von den richtigen Händen weiter fortgeführt werden kann?«

»Wettergeführt? Damit ist es vorläufig zu Ende, Sir, und das ist mir eben wie eine Eispille in den Magen gefahren,« erwiderte Griswald, einen Blick um sich werfend. »John, noch einen Smash – Sie nehmen einen Schluck mit mir, Sir? Zwei Smash, John! Wissen Sie denn nichts von der Geschichte, welche der Sheriff erzählt?« fuhr er fort, als er nirgends einen Lauscher in seiner Nähe bemerkte, »nichts von dem jungen Menschen, welchen der Mörder irgendwo hier verborgen gehabt?«

Der Andere sah ihn groß an.

»Nun?«

»Nun? Dieser junge Mensch ist der eigentliche Eigenthümer des Besitztitels. Murphy hat sich durch eine Nachricht von seinem Tode düpiren lassen und das Document von Parteien erworben, welche kein Recht darauf haben.«

»Aber ich verstehe nicht –«

»Ich auch noch nicht, Sir; was ich Ihnen aber da sagte, steht so fest wie Murphy's Tod, und daß es überhaupt eine Thorheit bleibt, junge Advocaten, bei denen die Illusionen immer die Gründlichkeit überwiegen, in die Association aufzunehmen. Jetzt können wir mit unserm Gutachten über die Unfehlbarkeit des Besitztitels die schönste Blamage auf den Hals bekommen. Geht morgen das Document in andere als uns befreundete Hände über, so müssen die schlimmsten Vermuthungen über unsere Gesetzeskenntniß oder unsere Ehrlichkeit laut werden – und das kommt Alles davon, wenn junge Leute wie Murphy zu Dingen zugelassen werden, die sie noch nicht zu behandeln verstehen. John, noch einen Smash!«

»Aber was denken Sie, daß nun geschehen sollte?«

»Weiß noch nicht, Sir! Zuerst wollte ich nach Oaklea gehen, um dort zu sondiren – heute Nacht, denke ich werden sich die meisten von unsern Freunden von selbst in meiner Office einfinden, und dann werden wir weiter sehen!«

Er trat an den Schenktisch, um zu bezahlen, und schritt dann in die Straße, wo ein aufgezäumtes Pferd bereits auf ihn wartete. Bald saß er im Sattel und trabte davon.

Zu derselben Stunde schritt Elliot, ein offenes Billet in der Hand, mit großen Schritten in seiner Bibliothek auf und ab. Im Schaukelstuhle wiegte sich die Frau vom Hause und am Finster saß Ellen, daß Kinn in die Hand gestützt, und sah träumerisch in die dämmernde Landschaft hinaus.

»Diese Gefahr wäre also vorläufig vorüber,« sagte der Pflanzer, stehen bleibend; »aber ich weiß kaum, ob ich mich darüber freuen soll. Im Grunde genommen ist es kaum mehr als eine Galgenfrist, und ich hatte bis jetzt wenigstens Gegner, mit denen man, ohne sich etwas zu vergeben, unterhandeln konnte. Was soll ich aber mit diesem Deutschen thun, der jetzt das Heft gegen mich in die Hand bekommt? Soll ich ihn aufsuchen, wie ich es ihm in einer Stunde der Bedrängniß zugesagt, und seinem Hochmuthe die Krone aufsetzen? Er mag das erwarten, sonst hätte er mir wol kaum so eilig die Meldung von der Auffindung seines Mündels geschickt.«

»Ich glaube, Pa, du beurtheilst Helmstedt ungerecht,« unterbrach ihn Ellen, vom Fenster aufsehend, »und ich möchte dir das zu deiner eigenen Ruhe sagen. Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, warum er mir in so kurzer Zeit entfremdet werden konnte; ich habe mein ganzes Zusammenleben mit ihm durchgegangen, und es war nicht sein Charakter, nicht das, was er als Mensch werth war, was unsere Uebereinstimmung hinderte; es waren unsere verschiedenen Ansichten vom Leben überhaupt, oft bis zu den kleinsten Dingen herab, die, wol Jedem anerzogen, sich immer einander entgegen traten. Helmstedt ist großherzig; er hat es bewiesen, und denkt gewiß jetzt am wenigsten an die Befriedigung irgend eines unedlen Gefühls.«

Der Pflanzer nickte unmuthig. »Das mag die Ansicht junger Ladies sein, Mistreß Tochter; bejahrte Männer aber urtheilen anders!« sagte er und nahm seinen Gang wieder auf. »Ich hasse diese Großherzigkeit, diese Uneigennützigkeit, welche sich dann zu Hause hinsetzt und in der Genugthuung schwelgt, die sie Leuten von mehr Gewicht gegenüber errungen – es hat mein innerstes Gefühl beleidigt, als dieser junge Mann, der mein Brod gegessen und dessen armselige Finanz-Verhältnisse ich kenne, wenn er sie bisher auch noch vor der Welt zu bemänteln gewußt, sich vor mich als Retter hinstellte und zugleich, um seine Uneigennützigkeit zu beweisen, jeden Anspruch auf eine nähere Beziehung zu mir von sich wies. Hätte er damals noch zu mir gesagt: Rücksicht gegen Rücksicht, Sir, ich nehme Ihre Sorgen von Ihnen und trete dafür als anerkanntes Glied in Ihre Familie ein – so weiß ich nicht, zu was ich mich hätte verleiten lassen, denn es wäre Verstand und Gegenseitigkeit in dem Vorschlage gewesen; aber er ging weg, kaum daß er es der Mühe werth fand, meine Hand zu ergreifen, mit der einzigen Genugthuung den Großmüthigen gespielt und mich ihm gegenüber in eine unsichere Stellung gebracht zu haben.«

»Aber, Pa, hast du nicht selbst versucht, ihn mit allen Mitteln zu einer Scheidung zu treiben?« sagte Ellen erregt, »und nun willst du es ihm zum Vorwurf machen, daß er dir nachgegeben hat und Alles, was gegen ihn gethan worden ist, mit guten Absichten vergilt?«

»Ich glaube, du hast alle Bescheidenheit gegen deinen Vater verlernt!« ließ die Mutter vom Schaukelstuhle vernehmen.

»Laß sie, sie ist von meinem Schlage,« sagte Elliot mit einem Anfluge von Laune; »wenigstens kann ich mich dabei doch einmal aussprechen und brauche nicht Alles still mit mir herumzutragen. Und was glaubt denn nun meine kluge Tochter, daß ich unter den gegenwärtigen Verhältnissen thun sollte?«

»Nichts, Pa, aber dir auch den Kopf nicht schwer machen um Dinge, die wahrscheinlich gar nicht existiren!« erwiderte die junge Frau. »Ich glaube bestimmt, Helmstedt wird selbst kommen, sobald er nur weiß, wie die Angelegenheiten stehen, und dir die nöthigen Mittheilungen machen, und ich bin überzeugt, daß du ihn nur als Gentleman, der er wirklich ist, zu behandeln brauchst, um jeder Rücksicht sicher zu sein.«

»Und wo möglich bis dahin auch die Scheidungsangelegenheit aufzuschieben,« versetzte Elliot, stehen bleibend, »und zuzusehen, ob der junge Herr sich nicht vielleicht eines Bessern besonnen hat, und sich zu einer Aussöhnung bewegen läßt; nicht so?«

»Vater!« rief Ellen vorwurfsvoll, und die Thränen traten in ihre Augen, »womit habe ich das verdient? Ich vertheidige nichts als seinen Charakter. Hätte ich nicht erkannt, wie wenig wir für einander passen, so wäre ich dir sicher nicht nach Oaklea gefolgt, und seit du in meinem Namen eine Rückkehr in sein Haus verweigert hast, weißt du, daß ich nur auf eine Scheidung in deinem Sinne gerechnet habe. Aber wenn Helmstedt nichts weiter verdient, so verdient er Achtung, Vater, und die werde ich ihm bewahren, so lange ich lebe!«

»Mr. Griswald ist im Parlor!« rief in diesem Augenblick eine Schwarze, den Kopf zur Thür hereinsteckend.

Elliot sah auf, als komme ihm die Unterbrechung eben erwünscht. »Führe ihn hierher, Flora, und bringe Licht!« sagte er und setzte dann schweigend seinen Schritt fort.

Nach wenigen Minuten öffnete sich die Thür wieder. »Teufelsgeschichte, das!« rief der Advocat eintretend, » – oh, bitte um Entschuldigung, Ladies; ich hatte keine Ahnung von Ihrer Gegenwart. Familien-Berathung? Ich hoffe, ich störe nicht?«

»Nicht im Geringsten, Sir, setzen Sie sich!« erwiderte Elliot, während die Schwarze zwei Lichter auf den Tisch stellte; »wir besprachen eben nur den außerordentlichen Fall von heute. Ich bin aufrichtig betrübt über Murphy's Tod; er war jedenfalls ein Gegner, mit dem sich sprechen ließ.«

»So – da komme ich also mit meiner Nachricht zu spät,« hustete Griswald, sich niederlassend; »ich habe noch einige Meilen weiter hinaus Geschäfte und dachte, Ihnen im Vorbeireiten die Sache mitzutheilen. Aber – darf ich in der Ladies Gegenwart von Geschäften reden?«

»Immer zu, Sir,« erwiderte der Pflanzer; »leider haben Sie in der letzten Zeit mehr daran Theil nehmen müssen, als mir lieb war.«

»Well – ich wollte nur fragen, um etwa nöthige Schritte in Ihrem Interesse thun zu können – hatten Sie mit Murphy bereits ein Uebereinkommen getroffen, was, falls der Anspruch jetzt durch einen andern Bevollmächtigten vertreten werden sollte, gegen diesen geltend gemacht werden könnte?«

»Ich muß Ihnen gestehen, Sir,« sagte Elliot, sich langsam niedersetzend, »daß mir erst in der letzten Zeit manches Unklare in diesem Anspruche aufgestoßen ist, weshalb ich mir auch von Mr. Murphy noch eine weitere Frist ausbitten ließ. Wie die Sache jetzt steht, habe ich mich entschlossen, sie an mich kommen zu lassen.«

»So? – merkwürdig, Sir!« erwiderte Griswald, sich den Schenkel reibend; »ich wünschte, Sie hätten mir Ihre Gedanken mitgetheilt, die vielleicht schon bei der Untersuchung des Documents von Wichtigkeit hätten sein können.«

»Sie meinen doch nicht, daß drei der erfahrensten Advocaten von den Gedanken eines einfachen Farmers etwas hätten profitiren mögen?« lachte Elliot; »meine Bedenken sind ganz privater Natur, und ich muß selbst abwarten wie weit sie Stich halten. Wissen Sie vielleicht schon, wer die Angelegenheit jetzt in die Hand bekommt?«

»Habe noch nicht die Idee davon, Sir; es muß sich aber jedenfalls binnen Kurzem herausstellen, und deshalb meinte ich, es sei gut, Sie schon heute darauf aufmerksam zu machen.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Griswald; wir wollen aber, wie gesagt, erst einmal abwarten, was neuerdings in der Sache gethan werden wird, und dann sehen Sie mich jedenfalls in Ihrer Office.«

»Wie Sie meinen, Squire – es ist Ihre eigene Sache,« murmelte Griswald, »und so will ich mich nicht weiter aufhalten.«

Er erhob sich, verbeugte sich gegen die Damen und verließ mit einem: »Gute Nacht, Sir!« das Zimmer.

»Hat hier der Teufel schon ein Ei in die Wirthschaft gelegt?« brummte er, als er sein Pferd bestiegen hatte und langsam davon ritt; »was will er mit seinen Bedenken? Bedenken – lächerlich! Der Anspruch gegen ihn bleibt immer bestehen, ob in dieser oder jener Hand – und daß der jetzige Eigenthümer, oder wer diesen vertritt, recht berathen werde, dafür wird der Griswald sorgen.«

Er zog die Zügel an und ritt im scharfen Trabe der Stadt wieder zu.

XI.

Als Helmstedt am Nachmittage den Sheriff verlassen und das Rocky-Creek-Haus erreicht hatte, war seine erste Frage nach dem jungen Menschen gewesen, welcher am Morgen mit Mr. Wells hier angekommen sei; aber da war Niemand, der etwas wissen wollte, kaum daß ihm überhaupt eine Antwort gegeben wurde. Als aber Mr. Helmstedt ungeduldig den Wirth, der ihn eben mit einem halben Wort abspeisen wollte, kräftig beim Arme festhielt und ihm erklärte, daß hinter den nächsten Büschen ein Mord begangen worden, daß der Mann, welcher sich Wells nenne, sich bereits als den Mörder bekannt habe und in der Gewalt des Sheriffs sei – daß dieser Letztere ihn hierher sende, um Leute zur Bewachung der Leiche zu fordern und den jungen Begleiter des sogenannten Wells unter seine Obhut zu nehmen, als die anwesenden Gäste wie die Hausbewohner sich bei Helmstedts lauter Erzählung um die Sprechenden gruppirten, da hatte der Wirth andere Saiten aufgezogen. Er hatte zwar überhaupt von einem Manne, der Wells heiße, nichts wissen wollen, aber wenn es derselbe Fremde sei, der am Morgen angekommen, so überlasse er es Helmstedt selbst, in dessen Zimmer nachzusehen. Damit hatte er ihm einen Schlüssel eingehändigt und zwei von sei nen Leuten nach dem von dem jungen Manne bezeichneten Platze gesandt, denen Alles, was sonst noch im Hause Beine hatte, nachgeströmt war. Helmstedt hatte das ihm vom Wirthe bezeichnete Zimmer geöffnet und dort wirklich einen halberwachsenen Knaben auf dem Bette liegend und in einem Buche lesend getroffen, der indessen bei seinem Anblick überrascht aufgesprungen war. »Kennen Sie mich noch, Manuel?« hatte der Eintretende, langsam auf ihn zugehend, gefragt, aber nur ein zweifelndes Kopfschütteln war die Antwort gewesen. Da hatte sich Helmstedt neben ihn auf das Bett gesetzt und ihn an die Zeit erinnert, wo er ihn als kleinen Pedlar mit seinem zertrümmerten Krame am Broadway in New-York getroffen – hatte dem Knaben dann mitgetheilt, was dessen Oheim, der alte Isaak Hirsch, für ihn selbst gethan und wie er ihn bei seinem Tode zum Vormund Manuels eingesetzt – hatte diesem dann eine Uebersicht der Betrügereien gegeben, deren Opfer er geworden war, und ihm erzählt, wie jetzt die rächende Hand über seinen Entführer gekommen sei. – Der Knabe hatte mit großem, verständigen Auge der Erzählung zugehört, er hatte Helmstedt lange betrachtet und endlich gesagt, er erinnere sich seiner und auch dessen, was sein Oheim Isaak immer von Helmstedts Rechtschaffenheit gesprochen; er habe schon längst Verdacht gegen Seifert gehegt, der ihn von einem Orte zum andern mitgenommen, immer unter dem Vorgeben, ihn dem alten Isaak, der ihn bei sich haben wolle, nachzuführen – ihn oft wochenlang an einem Ort unter Aufsicht anderer Leute gelassen, ihn aber immer gut behandelt habe und allen seinen Wünschen nachgekommen sei, so daß er sich endlich gar keinen rechten Grund für eine Unredlichkeit gegen ihn habe vorstellen können. Manuel hatte dann angelegentlich gefragt, wo und wie der alte Pedlar gestorben, und Helmstedt hatte von Allem, was er wußte, Bericht gegeben, wie auch dem Knaben versprochen, ihn die letzten Zeilen seines Oheims lesen zu lassen, sobald sie nach der Stadt kämen. Manuel hatte sichtlich bald volles Zutrauen zu ihm gewonnen und war mit ihm nach dem Wartezimmer des Wirthshauses gegangen; und als in den Gesprächen und Ausrufen der von dem Schauplatz des Mordes zurückgekehrten Menschen sich jedes Wort bestätigte, was Helmstedt über die letzten Erlebnisse erzählt, als endlich der Koroner anlangte und Seiferts Reisetasche in Beschlag nahm, da rückte er, als komme eine plötzliche Furcht über ihn, dichter an Helmstedt heran und hatte sich, als Charley mit den Pferden angekommen war, bereitwillig hinter seinem Beschützer in den Sattel heben lassen.

Die Sonne war eben untergegangen, als Helmstedt von seiner Wohnung aus, wo er seinen Mündel unter der Obhut Charley's gelassen, den Weg nach Mortons Hause einschlug. Er sehnte sich mit ganzem Herzen, dort zu sein. Als er am Morgen Little-Valley verlassen, hatte ihm der alte Doctor nur gesagt: »Sie liegt in gesundem, festen Schlaf, gehen Sie in Gottes Namen, ich stehe für Alles. Sobald sie erwacht, vielleicht am Mittag, werde ich sie nach Hause bringen lassen.« – Eine Art von Furcht beschlich ihn jetzt, wenn er an sein Wiederbegegnen mit Pauline dachte. Waren die nächtlichen Scenen noch in ihrem Gedächtniß, oder waren die süßen Worte, die immerfort in seinen Ohren klangen, schon im Paroxismus des Fiebers gesprochen? Er scheute sich seinen Träumereien Raum zu geben, und ritt scharf vorwärts; aber das letzte Tageslicht war schon eine Weile erstorben, als er mit stiller Befriedigung die erleuchteten Fenster von Mortons Haus erblickte. Sie war also wenigstens zurückgekehrt. – Auf dem Vorplatze des Hauses sah er in dem Lichtscheine den zerbrochenen Vorderwagen einer Kutsche liegen – eine Erinnerung an die unglückliche Fahrt. Das scheugewordene Thier hatte die Stücke jedenfalls nach Hause geschleift. Helmstedt band sein Pferd an und schritt nach dem Parlor, den er langsam öffnete. Doctor Ford lag dort bequem im Schaukelstuhle ausgestreckt und las in einer Broschüre.

»Sind Sie endlich da?« rief er, sich aufsetzend, als er den Eintretenden kannte, »entweder hat unser Kind Unrecht, oder Sie haben eine lange Jagd gehabt, Sir!«

»Wie befindet sich Mrs. Morton?« fragte Helmstedt, dem Arzte die Hand reichend.

»Danach mögen Sie selbst sehen, Sir!« lachte der Gefragte; »mit solchen Naturen hat unsereins nicht lange zu schaffen Sie sitzt in ihrem Zimmer und hat mir vordemonstrirt, daß sie nicht mehr krank sei und daß sie auf Sie warten müsse, da Sie jedenfalls hier sein würden, sobald Sie nur abkommen könnten. Das Warten ist etwas lang geworden, Sir, und jetzt mögen Sie sich verantworten.«

Helmstedt drückte in einer seltsamen Gefühlsspannung die Augen in seine Hand und wandte sich nach dem Hinterzimmer. Es war dasselbe, in welchem er die letzte Unterredung mit Morton gehabt. Er klopfte an, und die Mulattin, noch immer mit verbundenem Kopf, öffnete ihm.

Matt auf einen Divan, der Thür gegenüber, zurückgelehnt, saß Pauline und richtete sich bei seinem Eintritt mit einem hellen Lächeln der Befriedigung auf.

»Hole noch ein Licht, Mary!« sagte sie, und die Mulattin verschwand mit einer Miene voll Verständniß.

Helmstedt ging auf die junge Frau zu, sah in ihre klaren Augen und fühlte seine Brust wie eingeschnürt.

»Ich freue mich, Mrs. Morton, Sie so schnell hergestellt zu sehen!« sagte er endlich.

Sie blickte lächelnd zu ihm auf.

»Wollen Sie sich einmal zu mir hersetzen, August?« begann sie dann deutsch, und streckte ihm die Hand entgegen; »wir müssen ein paar nothwendige Worte mit einander reden.«

Helmstedt faßte die kleine, weiche Hand, küßte sie – mit mehr Innigkeit, als es wol die Convenienz erlaubt hätte – und zog dann einen der niedern weichen Sessel ohne Rücklehne heran, auf welchem er sich dicht neben dem Divan niederließ. So war sein Gesicht, als sie sich wieder in ihre frühere Stellung zurücklehnte; in gleicher Höhe wir dem ihrigen.

»Wollen Sie mir wol sagen, August, welcher Zufall Sie gestern nach Little Valley geführt hat?« sagte sie, und ihr Blick ruhte in stiller Spannung in dem seinigen.

Helmstedt sah sie einen Augenblick wortlos an.

»Zufall!« sagte er dann langsam und bemühte sich vergebens, das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken, »muß es den Zufall gewesen sein? Wollen Sie mir denn durchaus nicht das Verdienst gönnen, etwas aus Herzensantrieb für Sie gethan zu haben?«

»Aber, August –«

»Nein, Pauline!« rief er aufspringend, »ich kann jetzt nicht in dieser förmlichen, bedachten Weise mit Ihnen reden. Sie haben mich von sich gewiesen, als ich mich Ihnen als Schützer anbot, aber ich bin doch immer im Geiste bei Ihnen gewesen und habe auf jeden Ihrer Schritte gemerkt; Sie haben wir Ihr kältestes Gesicht gezeigt, und doch war der Gedanke an Sie mein liebster und oft der einzige, der mich aufrichtete. Sie haben es mich bitter empfinden lassen, daß ich ein pedantischer Narr, daß ich blind gewesen bin, als Sie mir wie die Verheißung eines ganzen Lebens voll Glück entgegentraten; Sie haben sich ehrlich und empfindlich gerächt – und doch, Pauline,« fuhr er fort, und faßte ihre beiden Hände, – »doch bin ich wieder hier und gehe auch nicht mehr von Ihnen, und will Ihnen jetzt das Wort abzwingen, daß Sie mich noch lieb haben wie ehedem –«

Ein wunderbares Leuchten strahlte in Paulinens Augen, als sie sich jetzt, seine Hände fest in den ihrigen drückend, langsam erhob.

»Ich habe mich rächen wollen, August?« fragte sie weich, »konnte ich denn anders handeln, als ich es gethan? Hatten Sie sich denn nicht so kalt von mir gewandt, so consequent selbst die leiseste Freundlichkeit abgewiesen, daß ich der eigenen Selbstachtung halber Alles vergraben mußte, was in mir lebte – hatte ich denn nicht so tief gelitten, daß, als es einmal überwunden war, ich davor zurückbebte, noch einmal die alten Gefühle auferstehen zu lassen, und vielleicht noch einmal in neuer Täuschung den alten Kampf durchzufechten? Sage mirs doch jetzt, August,« es sie plötzlich mit verdunkeltem Auge, »sage mir doch, daß du mich liebst, damit ich daran glauben lerne; sage mirs doch zehnmal, tausendmal!« und in ein schluchzendes Weinen ausbrechend, fiel sie an seine Brust.

Fest hielt sie Helmstedt umschlossen.

»Ich liebe dich, Pauline,« sagte er, zu ihrem Ohre geneigt, und der volle Drang seines Herzens zitterte in den leisen Worten, – »ich liebe dich mit meiner ganzen Seele, und will es dir sagen, immer und immer, so lange ich noch athmen kann!« Und als sie in Thränen lächelnd zu ihm emporsah, küßte er ihren Mund, küßte die Thränen von ihren Wimpern und sah ihr dann lange und tief in das feuchte Auge.

»Dies ist der Blick, nach dem ich mich so manchen Tag gesehnt, und von dem ich Nächte hindurch geträumt!« sagte er leise.

»Und doch kamst du heute so spät, August, obgleich du wissen konntest, wie es in mir aussah?« unterbrach sie ihn, sich in seinen Armen aufrichtend.

»Merke auf, du mißtrauisches Kind,« sagte er mit einem Lächeln des Glücks, »dafür habe ich mir aber auch die Macht erobert, alle drückenden Bande von mir zu werfen und dir anzugehören, sobald du mich nur annehmen kannst und magst.«

Er führte sie nach dem Divan, nahm ihre beiden Hände in die seinen und begann ihr einen Ueberblick seiner Verhältnisse zu Elliot zu geben; bald aber hielt er wieder inne und seine Blicke hingen schweigenden Glückes voll an den ihrigen, bis sie, ihm mit der Hand die Augen zuhaltend, ihn an den weitern Bericht mahnte.

So mochten sie eine Stunde Hand in Hand bei einander gesessen haben, ohne nur das rasche Schwinden der Zeit zu bemerken, als ein Pochen an die Thür sie aufstörte. Pauline eilte zu öffnen und Doctor-Ford streckte seinen Kopf herein.

»Ich wollte nur zusehen, ob sich meine. Patienitin nicht zu sehr im Gespräch aufgeregt,« sagte er, mit einem Lächeln voll gutmüthiger Laune eintretend; »das Kind, sollte sich Ruhe gönnen und jetzt nicht stundenlange Verathungen halten!«

»Stundenlange, Doctor?« rief Pauline, leicht erröthend einen Blick nach der Uhr auf dem Kaminsims werfend; »es ist kaum eine Stunde, und hat Ihnen das Kind nicht gesagt, daß es nicht mehr krank ist?«

»Jetzt glaub' ichs gern,« lachte der Doctor, »und ich gehe gleich wieder, vollkommen zufrieden, – aber,« unterbrach er sich, als das helle Roth in Paulinens Gesicht schoß, »kennt unser Kind nicht die alte Wahrheit: vor dem Arzte und den Eltern soll man sich nicht geniren? Wenn der alte Ford eine ganze Nacht am Krankenbett gesessen und alle stillen Geheimnisse, die das Fieber ausgeplaudert, in seinen Ohren aufgefangen hat, darf er dann nicht sagen, wenn sich die rechte Medicin gefunden: ich bin zufrieden?«

»Gott behüte Sie, Doctor, für Ihre Meinung von mir,« rief Helmstedt, welchen ein Seitenblick des alten Arztes getroffen, und trat, diesem die Hand reichend, herzu; »nehmen Sie, was die Gesunden noch nicht gegen Sie ausgesprochen, als bereits geschenktes Vertrauen an. Wenn erst auch äußerlich vollkommen klarer Weg vor uns liegt, dann sprechen wir weiter.«

»Es ist schon recht so,« nickte Ford, »und jetzt nehmt meine Störung nicht übel; der alte Knabe war neugierig, und mußte nachsehen, wie die Sachen standen.«

»Super is ready!« rief die Mulattin durch die halbgeöffnete Thür.

»Supper! – Jetzt erst?« fragte Helmstedt verwundert.

»Ich hatte auf dich gewartet, August,« erwiderte Pauline deutsch, mit einem innigen Blicke zu ihm aufsehend »und jetzt schlägst du mir es doch nicht wieder ab, hier zu bleiben?«

Es war ein seltsamer Abendtisch. Der Doctor schien in seiner rosigsten Laune zu sein, und erzählte eine Schnurre nach der andern, ohne sich darum zu kümmern, daß seine jungen Tischgenossen bisweilen kaum zu hören schienen, und nur das Kichern der bei den aufwartenden Negermädchen seine Späße belohnte. Helmstedt ging wol dann und wann auf seine Bemerkungen ein, oft aber auch saß er wie versunken in sein neues Glück, Paulinens Bewegungen beobachtend, wenn sie mit rosig aufgeblühten Wangen die Pflichten der Wirthin erfüllte; und schlug sie dann das Auge zu ihm auf, und die Blicke Beider blieben tief in einander hängen, als hätten sie ihre ganze übrige Welt vergessen, dann schien der Doctor plötzlich einen wahren Wolfshunger zu bekommen; er setzte die beiden Schwarzen in Bewegung, ihm Alles, was nur von Gerichten auf dem Tische war, einzeln herzureichen, schien aber dann doch keine Wahl treffen zu können und sandte die Aufwärterinnen mit einem derben Spaße zurück, um nur, als habe er sich eines Bessern besonnen, sich dieselben Teller aufs Neue reichen zu lassen. Sie hatten noch nie beim Supper so viel zu lachen gehabt, die schwarzen Mädchen, und konnten an demselben Abend in der Küche nicht genug von dem lustigen alten Doctor erzählen.

Es war spät in der Nacht, als Helmstedt die Stadt wieder erreichte, aber erst beim grauenden Morgen kam der Schlaf über ihn.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Cäsar, bereits zum dritten Mal an demselben Morgen, mit dem Kaffee in seines Herrn Schlafzimmer trat, wo er diesen endlich mit offnen Augen daliegend fand.

»Schon spät, Cäsar?«

»Neun Uhr vorüber, Sir; Sie schliefen so fest, daß ich Sie nicht wecken mochte.«

Helmstedt schnellte in die Höhe.

»Ist es möglich? so lange wollte ich nicht schlafen!« rief er. »Wo ist der Knabe?«

»Er ist mit dem großen Gentleman nach dem Hotel zum Frühstück gegangen, wie Sie es angeordnet hatten, Sir; sie sind aber noch nicht zurück. In der Stadt ist so viel Aufregung, daß sie wahrscheinlich noch hören was vorgeht.«

»Aufregung! noch wegen des Mordes?« fragte Helmstedt verwundert.

»Ja, es ist aber noch etwas dazu gekommen, Sir. Es hat geheißen, der Mörder sei ein alter Negerdieb, und schon gestern Abend hatte sich ein Haufen unruhiges Volkt vor dem Gefängniß versammelt, um es zu stürmen und ihn zu hängen. Da hat der Gefangene zu dem Schließer gesagt, er wolle durch das Fenster zu den Leuten reden; was er gethan habe, hätte jeder Andere an seiner Stelle auch gethan; als aber der Schließer wegen der Negerstehlerei zu ihm gesprochen und ihm erzählt hat, daß gerade deswegen Mr. Murphy als Deputy-Sheriff beauftragt gewesen sei, ihn zu verhaften, und daß er also einen Beamten in Ausübung seiner Pflichten getödtet habe – da ist er still geworden. Und heute früh, als ihm der Schließer das Frühstück bringen will, findet er ihn todt, an seinem eigenen Halstuch aufgehängt.«

»Erhängt?« rief der junge Mann mit halb entsetztem Blick.

»Yes, Sir! und vorhin hörte ich, daß der Koroner bereits mit der Todtenschau fertig geworden ist.«

Helmstedt sah dem Schwarzen noch immer ins Gesicht.

»Das ist gräßlich!« sagte er endlich wie zu sich selbst. »Laß mich jetzt allein, Cäsar,« fuhr er dann fort, »ich will aufstehen.«

»Hier ist auch noch ein Brief, Sir, den mir der Postmeister gestern Abend gab!« sagte der Schwarze, auf das Kaffeebret deutend, und wandte sich der Thür zu.

Helmstedt erhob sich langsam. Ueber das still-selige Gefühl, mit welchem er erwacht war, hatte sich ein tiefer Schatten gelegt. Seifert war mit seinen Erlebnissen in Amerika so verwebt gewesen – was ihm dieser zu Leid gethan, hatte sich so zum Besten für ihn selbst gewandt, daß er nicht ohne Erschütterung das grauenvolle Ende des Menschen hatte vernehmen können. Noch eine lange Weile, nachdem er sich angekleidet, saß er den Kopf in die Hand gestützt in seinem Schaukelstuhl, und alle seine früheren Begegnungen mit dem Unglücklichen gingen an seinem Geiste vorüber, bis er sich endlich mit Gewalt aus diesen Erinnerungen zu reißen versuchte und nach seinem Kaffee griff. Der neben der Tasse liegende Brief kam ihm gerade willkommen, um andere Gedanken zu fassen; es war die Antwort von Smith und Johnson, Advocaten in New-York, auf seine frühere Zuschrift an diese und gab ihm Klarheit über Manches, was ihm bisher noch dunkel gewesen war. Der Brief lautete:

Geehrter Herr!

In Erwiderung auf Ihre Zeilen können wir Ihnen nur anzeigen, daß allerdings eine Empfangsbescheinigung über den von Ihnen angedeuteten Besitztitel an den Deponenten Isaak Hirsch gegeben wurde, welche auch Seitens des Advocaten der jetzigen Erbin, eines Mr. Murphy aus Ihrem Staate, an uns zurückgeliefert und dafür unserseits das fragliche Document verabfolgt worden ist. Sie äußern, daß sich weder dieser Depositenschein, noch eine Notiz darüber in dem Nachlasse vorgefunden habe; indessen scheint uns in dieser Thatsache kein besonderes Gewicht zu liegen, da das Docu ment, nach verschiedenen abgegebenen Entscheidungen des Obergerichts der Vereinigten Staaten über die Giltigkeit ähnlicher Besitzurkunden, durchaus keinen Werth hat. Die Vereinigten Staaten erkennen Landverkäufe durch die Indianer nicht als bindend für sie selbst an, und wir haben deshalb auch nach unserm Gewissen dem verstorbenen Isaak Hirsch den Rath ertheilen müssen, sich keiner Hoffnung wegen eines zu erhebenden Anspruchs auf Grund des fraglichen Besitztitels hinzugeben. Mit Achtung

Smith und Johnson.

Eine halbe Stunde später war Helmstedt wieder auf dem Wege nach Oaklea. »Erst reine Bahn machen, und dann glücklich sein!« klang es in ihm. Kurz vor Elliots Farm konnte er seitwärts in der Ferne Mortons Haus blinken sehen; er ließ sein Pferd eine kurze Weile im Schritt gehen und suchte sich eine Vorstellung von Paulinens augenblicklicher Beschäftigung zu machen – sie dachte an ihn, sie erwartete ihn, dessen war er sicher. Er warf einen Kuß hinüber und sprengte weiter.

Seine Ankunft mußte in Elliots Landhause bemerkt worden sein, denn kaum war er in die Nähe desselben gelangt, als auch schon ein Schwarzer ihm entgegen kam und sein Pferd in Empfang nahm. »Mr. Elliot ist in der Bibliothek, Sir!« hieß es.

Helmstedt ging den ihm so bekannten Weg und fand den alten Pflanzer allein, augenscheinlich seiner harrend. »Ich dachte Ihnen den Weg nach der Stadt zu ersparen, den Sie nach meiner gestrigen Mittheilung wahrscheinlich gemacht hätten, Mr. Elliot,« sagte der Eintretende mit einer Art von Herzlichkeit, die aus seinem innern Glück entsprang, ohne sich an die steife Haltung des Pflanzers, mit welcher dieser ihn empfing, zu kehren, »und meinte, es sei besser, Sie einmal zu verfehlen, als daß Sie mich nicht zu Hause träfen.«

Elliot neigte wie zustimmend den Kopf. »Lassen Sie uns setzen, Sir,« sagte er.

»Ich glaube, Sir,« begann Helmstedt, nachdem er sich niedergelassen, ihm frei ins Gesicht sehend, »Ihre beiden größten Wünsche sind im Augenblicke die, meine Verbindung mit Ihrer Familie rückgängig zu machen, und die Sorgen, welche Ihnen der gegen Ihr Eigenthum erhobene Anspruch macht, von Ihnen genommen zu sehen. Ihre beiden Haupt-Verdrießlichkeiten aber sind wol die, daß ich selbst mit der Erfüllung dieser Wünsche etwas zu thun habe, und daß Sie sich mir zu Dank verpflichtet fühlen müssen, wenn ich in Bezug auf den bestehenden Anspruch das Mögliche zu Ihrer Erleichterung thue. Ist das nicht so, Sir?«

Elliot hatte sich wieder steif zurückgelehnt und sah mit halb verschleiertem Auge auf den Sprechenden. »Es mag so sein Sir,« erwiderte er kalt.

»Da es mir hiernach,« fuhr Helmstedt lächelnd fort, »auf keine Weise möglich ist, Ihnen ein unangenehmes Gefühl zu ersparen, so hielt ich es für das Beste, unsere Beziehungen auf möglichst schnelle Weise zu lösen. Wenn Sie Ihrem Advocaten heute noch die nöthigen Vollmachten zukommen lassen wollen, so bin ich bereit, mich morgen mit ihm in Bezug auf die gewünschte Scheidung in Verbindung zu setzen. Ich habe in den nächsten Tagen eine Reise nach New-York zu machen, um meinen Mündel in seine Rechte wieder einsetzen zu lassen, und so könnte vorher das Nöthige für die Erfüllung Ihres Wunsches gethan werden.«

»Es soll geschehen, Sir!« erwiderte der Pflanzer ohne sich zu bewegen.

»Es gibt aber bei derartigen Trennungen, wo jeder Theil zu viel Stolz hat, um irgend etwas dem andern Zugehöriges in Besitz zur behalten, Auseinandersetzungen, die peinlich und oft gar verletzend sind,« fuhr Helmstedt fort. »Ich zum Beispiel befinde mich in dem Falle, daß ich bei vor sich gehender Scheidung Alles, was mir von Ellen oder Ihnen, Sir, überkommen ist, zurückzugeben, mich für verbunden halte, wenn ich nicht von Ihnen auf so vollständig gleicher Stuft behandelt werde, daß ich es vor mir selbst verantworten kann, kein Gewicht auf diesen Punkt zu legen.«

»Well, Sir, ich weiß nicht, warum Sie diese Angelegenheit jetzt berühren,« erwiderte der Pflanzer, unruhig auf seinem Stuhle hin und her rückend, »ich glaube aber, daß man schon gezwungen sein kann, Jemand auf gleicher Stufe zu behandeln, wenn man sich so in seinen Händen befindet, wie ich mich wahrscheinlich jetzt in den Ihrigen«

»Und um Ihnen zu zeigen,« fuhr Helmstedt fort, als habe er Elliots Worte überhört, »wie wenig ich mich irgend eines Vortheils, der vielleicht in meiner Hand liegt, gegen Sie bedienen mag, übergebe ich Ihnen hier einige Zeilen, die ich soeben von New-York erhalten, und die Sie zugleich jeder Furcht entheben werden, mir für irgend eine Rücksicht gegen Sie Dank zu schulden. Wenn Sie gelesen haben werden, mögen Sie mir gefälligst sagen, wie wir mit einander stehen.«

Elliot entfaltete mit sichtlicher Spannung den dargereichten Brief und Helmstedt trat, während Jener las, ihm den Rücken zukehrend, ans Fenster.

Er währte eine lange Weile, ehe der Pflanzer mit dem Lesen der wenigen Zeilen oder auch vielleicht mit seinen eignen Empfindungen fertig wurde. Endlich hörte Helmstedt seinen Namen nennen, und als er sich umwandte, blickte er in Elliots Gesicht, der ihm mit dem Ausdruck derselben freundlichen Biederkeit die Hand entgegenstreckte, wie sie Helmstedt an ihm gekannt, als er noch in seinem Hause lebte.

»Ich erkenne Ihre Verfahrungsweise vollkommen an, Sir,« begann Elliot, während ihm Helmstedt langsam die Hand reichte. »Sie müssen einem Manne verzeihen, der alle Hoffnungen und alle stillen Pläne, die sich an seine einzige Tochter knüpften, durchkreuzt fand und so unter dem Einfluß eines stets gereizten Gemüths handelte. Sie haben mit diesen Zeilen nicht nur jede Sorge von mir genommen, sondern mich auch gezwungen, Sie wieder so hoch zu achten, wie ich es nur jemals früher vermocht habe. Wenn es Ihnen irgend eine Befriedigung gewähren kann, so will ich Ihnen sagen, daß Ellen, die stets Ihre Partie gegen mich genommen, mir eine ähnliche Scene wie die jetzige erst noch gestern vorausgesagt hat. Kann ich jetzt etwas für Sie thun,« fuhr er fort, die Hand des jungen Mannes drückend, »möchte es auch selbst mit einem Opfer meinerseits verbunden sein, so sagen Sie es und es wird mir zu einer wohlthuenden Genugthuung gereichen, Ihnen das, was in der letzten Zeit geschehen ist, vergessen zu machen!«

»Ich danke Ihnen von Herzen,« erwiderte Helmstedt mit befriedigtem Lächeln; »ich wollte nichts von Ihnen hören, als daß Sie mir Unrecht gethan, und damit bin ich so zufrieden, als Sie es im Augenblick nur selbst sein können. Lassen Sie uns jetzt damit scheiden, Sir, und wenn ich mit Ihrem Advocaten morgen die nöthigen Schritte zur Ordnung meines Verhältnisses mit Ellen gethan haben werde, so lassen Sie uns Alles begraben und vergessen, was Unangenehmes zwischen uns vorgefallen sein mag. Bringen Sie Ellen meinen freundlichen Gruß, Sir, und leben Sie wohl.«

Er drückte Elliots Hand leicht und ging, von diesem begleitet, nach der Thür. Der Pflanzer sah durch das Fenster ihn in den Sattel steigen und schüttelte den Kopf wie vor einem ungelösten Räthsel. Helmstedt aber ließ seinem Pferde die Zügel und sprengte Mortons Hause zu.

Es war acht Tage später, als von Chatham-Street in New-York ein junger Mann mit einem halb erwachsenen Knaben an der Hand nach Pearl-Street einbog. »Was meinst du wol, Manuel, was sie sagen werden, wenn sie dich wieder sehen?« fragte der Erstere.

»Ich bin bange, Sir, Muhme Rebecke bekommt einen Schrecken, der ihr schaden kann. Wir haben lange mit einander gelebt, auch in Zeiten der Noth, und sie hat doch für mich gesorgt und mich lieb gehabt wie ihr eigenes Kind; das war, ehe der alte Issak Hirsch etwas für mich thun konnte und der Meier die Rebecke heirathete. Ich möchte nicht, daß sie mich so unerwartet wieder sieht. Machte dochschon Mr. Johnson ein paar Augen, als säheer ein Gespenst, als Sie mich auf ihn zuführten, und ich glaube, es ist besser, wenn Sie erst in das Haus gehen und mich dann rufen.«

Der junge Mann nickte, und nach einem kurzen Wege hatten sie das Haus des Pfandleihers Meier erreicht. Der Knabe trat in das Nebengäßchen, welches nach der Hinterthür des Hauses führte, und sein Begleiter wandte sich nach der Leih-Office. Ein fremdes Gesicht zeigte sich hier hinter dem Gitter. »Ich möchte Mr. Meier persönlich sprechen,« sagte der Eingetretene; »mein Name ist Helmstedt.«

»Bedaure, Sir; Mr. Meier arbeitet nur noch in Stocks und andern Werthpapieren und hat die Office hier an mich vermiethet,« war die Antwort. »Mr. Meier wohnt jetzt in Bondstreet, das dritte Haus vom Broadway; Sie würden ihn gerade jetzt dort antreffen können.«

Helmstedt dankte mit einiger Verwunderung und ging. Bald traf er mit seinem Schutzbefohlenen einen Omnibus, welcher sie in der bezeichneten Richtung weiter führte, und nach kurzer Zeit stiegen Beide an Bondstreet aus. »Dein Vetter scheint großartig geworden zu sein,« sagte Helmstedt, kopfschüttelnd das elegante Haus, welches ihm angegeben worden war, betrachtend; »setze dich dort hinter das Eisengitter auf die Bank, bis ich dich rufe.« Er ging die steinerne Treppe nach dem Portico hinauf, unter welchem auf silberner Platte der Name »Abraham Meier« an der Thür prangte, und zog die Klingel. Ein Dienstmädchen öffnete, und auf seine Frage nach dem Hausherrn wurde er in einen Parlor gewiesen, dessen Geschmack und Ausstattung zeigten, daß er von kundigerer Hand als der frühere in Pearlstreet eingerichtet worden war. Helmstedt hatte nicht lange zu warten. Mr. Meier erschien mit steif zurückgebogenem Kopfe, ließ einen taxirenden Blick über die elegante Toilette seines Gastes laufen und deutete dann nach dem Sopha.

»Sie kennen mich wol kaum mehr, Mr. Meier?« fragte Helmstedt; »ich war der Vormund Ihres jungen Vetters Manuel, und kam gerade an dem unglücklichen Tage zu Ihnen, an welchem die Leiche in Ihr Haus gebracht worden war.«

»Ah – ich entsinne mich jetzt,« erwiderte Meier, und zeigte in einem steifen Lächeln seine Zähne; »es war das ein sehr trauriger Tag. Was führt Sie zu mir, Sir?«

»Ich hatte vor kurzer Zeit mir erlaubt, eine schriftliche Anfrage an Mrs. Meier zu richten, auf welche Weise ein dem alten Isaak Hirsch gehöriger Besitztitel in ihre Hände gelangt sei, da sich dieser nachweislich in der Hinterlassenschaft nicht befunden – habe aber darauf keine Antwort erhalten.«

Meier fixirte einen Moment lang seinen Gast. »Der Brief ist allerdings angekommen,« sagte er, »ich glaube aber nicht, Sir, daß wir verpflichtet sind, auf jede Zuschrift an uns zu antworten.«

»Wie Sie das für gut befinden, Sir,« erwiderte Helmstedt, sich lächelnd verbeugend; »so haben Sie jetzt wenigstens die Güte, mich Mrs. Meier zu melden, mit welcher ich eigentlich nur zu thun habe.«

»Mrs. Meier ist jetzt nicht zu sprechen, Sir!« versetzte der gewesene Pfandleiher eifrig; »was Sie mit ihr zu reden haben, können Sie eben so gut mir sagen.«

»Es thut mir leid, daß Sie mir meinen Zweck so schwer machen,« sagte Helmstedt ruhig; »ich wollte ihr auf glimpflichere Weise, als Sie es vielleicht thun könnten, beibringen, daß nicht allein die ganze Angelegenheit auf einem Betruge beruht, sondern daß auch eine schändliche Komödie mit Ihnen Allen und Ihrem kleinen Vetter Manuel gespielt worden ist.«

»Wie so, Sir?« unterbrach ihn Meier mit großen Augen, als Helmstedt eine kurze Pause machte.

»Well, Sir, Ihnen gegenüber kann ich ohne Umschweife reden,« fuhr der Letztere fort. »Manuel Goldstein ist unsichtbar gemacht worden, damit, so viel ich in der Sache erkennen kann, eine andere Partei sich in den Besitz des erwähnten Titels hat setzen können. Die Leiche, welche nach Ihrem Hause gebracht wurde, hatte wol Manuels Kleider an, war aber eben so wenig die seinige wie die Ihrige – sie war nichts als ein vom Kirchhofe gestohlener ähnlicher Todter, und Manuel Goldstein ist heute noch so frisch und gesund als wir Beide.«

Meier sah ihn, ohne eine Antwort zu geben, mit weit aufgerissenen Augen an. »Das – das lügen Sie, Sir!« brach er endlich aus; »das soll sicher erst der Betrug werden, von dem Sie redeten!«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Parlorthür; eine Dame, einfach in schwarze Seide gekleidet, trat mit verstörtem Gesicht ein und ging, ohne Helmstedt zu beachten, auf Meier los. »Abraham, komm' her, Abraham, ich glaube, ich bin wahnsinnig!« sagte sie mit aufgeregter Stimme, und führte ihn nach dem Fenster, »Abraham, wer sitzt dort unten?«

Helmstedt, ahnend was vorging, war an das zweite Fenster getreten und erblickte Manuel, dem es wahrscheinlich auf der ihm angewiesenen Bank in der Sonnenhitze zu heiß geworden war und der sich jetzt von einer schattigeren Stelle aus das Haus betrachtete.

»Es ist Betrug, Betrug, sage ich!« rief Meier, auf das Fensterbret schlagend, als er einen Blick auf die Straße geworfen; »sie wollen uns wieder um die Erbschaft bringen, es ist ein Complot!«

»Ist das der Manuel, der dort sitzt, oder ist er es nicht, Abraham?« fragte die Frau, wie erschöpft vor innerer Bewegung.

»Fassen Sie sich, Ma'am!« sagte Helmstedt, herzutretend, »und wenn Sie den Manuel wirklich so lieb haben, wie er sagt, so freuen Sie sich, daß Sie nur betrogen und er nicht todtgeschlagen worden ist.«

Frau Meier wandte sich nach Helmstedt um, als bemerke sie ihn erst jetzt. »Ist er's denn?!« rief sie plötzlich und riß im gleichen Augenblicke das Fenster auf. »Manuel, Manuel!« tönte ihre Stimme über die Straße. Der Knabe stand auf und blickte um sich. Kaum aber hatte sein Auge die Gestalt in dem offenen Fenster getroffen, als er mit zwei Sprüngen an der Eingangstreppe war und hinauf eilte. Fast im gleichen Momente hatte die Frau, aus dem Parlor stürzend, die Hausthur geöffnet und brach hier in die Knie, als der Knabe mit dem Ausrufe: »Rebecke, Rebecke!« an ihren Hals flog. Helmstedt war nachgeeilt und führte Beide nach dem Parlor zurück, wo ihnen Meier mit erdfahlem Gesichte entgegenstarrte. »Regen Sie sich nicht zu stark auf, Ma'am,« sagte der junge Mann; »nehmen Sie Ihren Vetter mit in ein stilles Zimmer und sprechen Sie sich mit ihm aus, das wird Ihnen am schnellsten die Fassung wieder geben; ich rede unterdessen mit Mr. Meier.«

»Ich will, Sir, ich will!« entgegnete sie schluchzend und führte den Knaben, ihn umschlingend, mit sich fort.

»Well, Sir, was wollen Sie von mir? Die Erbschaft wollen Sie haben, das ist Alles, deshalb sind Sie gekommen und wegen weiter nichts!« begann Meier, als sich die Thür geschlossen hatte. »Aber ich werde erst sehen, was Sie für ein Recht haben, für den Manuel aufzutreten, wenn er es wirklich ist, und ob ich nicht eben so gut ein Recht habe, sein Vermögen zu verwalten, als irgend ein Anderer, der hierher kommt, man weiß nicht woher und weiß nicht wer er ist!«

»Das wird sich Alles finden, Mr. Meier,« erwiderte Helmstedt lächelnd; »es sollte mich freuen, wenn ein Arrangement gemacht werden könnte, welches Ihnen eine unangenehme Veränderung Ihrer jetzigen Stellung ersparte; jedenfalls muß aber der verstorbene Isaak Hirsch seine Gründe gehabt haben, warum er Ihnen die Vormundschaft nicht übertragen hat. Ich habe das Interesse meines Mündels in die Hände der Herren Smith und Johnson, ausnehmend rechtliche Advocaten, welche Sie kennen müssen, gelegt, und ihnen auch den Hauptzeugen, welcher nötigenfalls den ganzen gespielten Betrug offen legen wird, zur Disposition gestellt, und so ist kein Grund vorhanden, Sir, daß wir uns jetzt persönlich irgend ein unangenehmes Wort sagen. Lassen wir den Dingen ihren Lauf!«

»Very well, Sir, so wollen wir die Dinge abwarten; ich habe jetzt durchaus keine Zeit mehr, ich bin Ihr Diener, Sir.«

»Vorläufig. Mr. Meier,« sagte Helmstedt lächelnd, »müssen Sie mir schon erlauben, hier zu bleiben, bis ich den Manuel wieder unter meine Obhut nehmen kann. Ich glaube gern, daß ich Ihnen lästig bin, aber ich kann es jetzt bei dem besten Willen nicht ändern.«

Meier sah ihn, die Augen bald niederschlagend, bald wieder öffnend, an. »Lästig? Ja, Sie sind mir lästig, Sir,« begann er wieder; »aber ich wünschte, Sie würden es nicht noch mehr. Können Sie nicht ein Arrangement machen, daß ich das Vermögen wenigstens in meinem Geschäfte behalte? Was thut Ihnen das? Was thäte es dem Manuel?«

»Ich glaube nicht, Mr. Meier, daß irgend ein rechtlicher Vormund das Geld seines Mündels zu Fonds-Speculationen benutzen lassen würde,« erwiderte Helmstedt. »Zu was bedürfen Sie es auch? Hatten Sie nicht Ihr ausgezeichnetes Brod, als Sie noch in Pearlstreet wohnten?«

»Pearlstreet, pschaw!« rief der Pfandleiher, die Lippen zu einem verächtlichen Ausdrucke verziehend. »Lassen Sie sich noch ein Wort sagen. Wollen Sie einen Antheil haben an meinen Geschäften und den Manuel in meinem Hause lassen? Sagen Sie, wie viel Procente Sie verlangen; ich geb's Ihnen schriftlich, und Sie können ein gutes Stück Geld dabei machen, Sir!«

»Es ist besser, wir reden über die Sache nicht mehr,« erwiderte Helmstedt, und ließ sich bequem auf einen Stuhl am Fenster nieder.

Meier sah ihn von der Seite an und begann an seinen Nägeln zu kauen.

»Kann ich Ihnen durchaus nicht mit etwas dienen, Sir?« fragte er nach einer Weile.

»Sie würden mich verbinden, Mr. Meier, wenn Sie dem Manuel sagten, daß ich wegzugehen wünsche. Mrs. Meier kann ihn jeden Tag in der Office der Herren Smith und Johnson sehen, wo er seine Studien in der Advocatur wieder aufnehmen soll, oder auch im Hause des Mr. Johnson, der ihn vorläufig in seiner Familie beherbergen wird.«

»Well, Sir, wo logiren Sie?«

»Im Metropolitan-Hotel, Mr. Meier.«

»Ich möchte Sie heute Abend noch einmal sehen.«

Um Helmstedts Mund zuckte es, als fange er an sich zu belustigen.

»Wie Sie wollen, Sir, ich werde jedenfalls zu Hause sein.«

»So will ich den Manuel rufen!« sagte Meier eifrig und verließ das Zimmer.

Ein Jahr war vergangen. Schon längst hatte Helmstedts Scheidung von Elliots Tochter stattgefunden. Diese hatte gleich darauf eine Besuchsreise zu Verwandten im Osten angetreten, und eine lange Zeit glücklichen Stilllebens war für Helmstedt gefolgt. Die Vormittagszeit hatte er in seinem Arbeitszimmer, seinen begonnenen Studien obliegend, verbracht, und es hatte Paulinens Herzen keine geringe Genugthuung gewährt, als er ihr erzählte, daß ihre eigenen Worte es gewesen waren, welche ihn auf den Gedanken einer neuen Verfolgung der juristischen Laufbahn gebracht, als sie gehört, wie treu er diese Worte in seinem Gedächtniß bewahrt gehabt. Helmstedt hatte in New-York ein Uebereinkommen mit der Advocatenfirma Smiths und Johnson getroffen, um für die Zukunft den praktischen Theil seiner Studien bei diesen zu machen; es war eine selbstverstandene Sache zwischen ihm und seiner Braut, wenn es auch noch niemals bestimmt ausgesprochen war, daß sie mit einander den Süden, in dem sie nie hätten ganz heimisch werden können, und der nur eine Reihe unangenehmer Erinnerungen für sie hatte, verlassen würden, sobald nur irgend Arrangements in Bezug auf Mortons hinterlassenes Grundeigenthum getroffen werden konnten. Helmstedt bracht seine Nachmittage und Abende sämmtlich m Mortons Hause zu, sah die alten Contobücher durch und rechnete oder machte in Gesellschaft des alten Doctors Ritte durch das ausgedehnte Eigenthum, um einen vollkommenen Einblick in den Werth der Besitzungen zu ermöglichen. Es war eine größere Hinterlassenschaft als er jemals geahnt und oft nur, wenn er in Paulinens Auge sah, die ganz in ihrer Leibe zu ihm aufgegangen schien, die erst recht zu leben begann, wenn Nachmittags der Tritt seines Pferdes vor dem Hause laut wurde, warf er alle Bedenken seines Stolzes bei Seite, der ihm in einzelnen Stunden zuflüsterte, daß er sich doch nur durch seine künftige Frau zum reichen Manne machen lasse.

Für Charley hatte Pauline in Little Valley ein neues bequem eingerichtetes Aufseherhaus bauen lassen, und dieser schien dort mit seiner Mary wie der Vogel im Hanfsamen zu leben. Die Schwarzen hatten einen heiligen Respect vor seiner Körperkraft bekommen, als er einen riesigen Neger, den bei dem frühern Aufseher keine Peitsche zur Arbeit hatte bringen können, wenn er nicht gewollt, wie ein Stück Holz über die Feldeinzäunung geworfen und ihm erklärt hatte, daß wer nicht arbeite auch nicht essen solle, und daß wenn der Faullenzer verhungere, er es sich selbst zuzuschreiben habe – als schon nach kurzer Zeit der Neger wie ein Bulldog, der seinen Meister gefunden, scheu herangeschlichen war und von selbst zur Arbeit gegriffen hatte. Die Meisten der Schwarzen aber hingen auch, wie Doctor Ford jede Woche berichtete, wie Kinder an dem deutschen Goliath, da er mit seinem allezeit fertigen, derben Humor die Arbeiter in guter Laune erhielt, wo er nur hinkam – ein williges Ohr für jeden hatte, der seine Pflicht that, und oft selbst die Runde durch die Hütten machte, um sich von dem Zustande der Dinge zu überzeugen. Noch war keine Peitsche in Charley's Hand gesehen worden – über die Feldeinzäunung geflogen und vom Abendessen ausgeschlossen waren freilich schon mehrere, und fast hatte es geschienen, als thue das tolle Gelächter, das bei einer solchen Gelegenheit unter den Schwarzen aus brach, dem Betheiligten weher als alle früheren Peitschenhiebe.

»Ja, was soll es werden?« hatte bei einem gemeinschaftlichen Ritte Doctor Ford zu Helmstedt gesagt; »das Frauerjahr für unser Kind ist bald um, und Sie scheinen mir auf etwas Anderes loszustudiren, als hier bei uns Baumwolle zu pflanzen.«

»Ja, was soll es werden, wissen Sie einen Rath für uns, Doctor? Pauline und ich sind Tannenbäume, die, wenn sie hierher versetzt werden, unter dem milden Himmel und in dem reichen Boden wol leben, aber niemals sich recht entwickeln können.«

»Ich habe das gewußt und mich schon eine Zeitlang damit herumgeschlagen,« hatte der Doctor erwidert. »Für den Verkauf eines so werthvollen Tigenthums muß ruhig die Zeit abgewartet werden, und es zu zerreißen, wäre so jammerschade, daß ich glaube, der alte Morton würde sich darüber im Grabe umkehren. Eine sichere Verpachtung wird das Vortheilhafteste für Sie sein, und Ihnen mehr einbringen, als vielleicht die eigene Bewirthschaftung. Ich will, damit Sie eine Sicherheit haben, die ganze Geschichte auf mich nehmen. Ich will Ihnen gestehen, daß ich einen jungen Menschen in der Welt herumlaufen habe, dem ich wahrscheinlich einmal meine paar Kapitalien vermache, und hier ist eine Gelegenheit für ihn, sich schon vorher auf die Beine zu bringen; ich denke gerade noch lange genug zu leben, um ihm, wenn er brav ist, einen sichern Boden unter die Füße zu schaffen. Sprechen Sie mit dem Kinde, meine Garantie für das Pachtgeld wird ihr genügen, und dann ordnet die Sache für meinen Jungen so gut als Ihr könnt.«

Es war ein schweres Stück Arbeit für Helmstedt gewesen, den Auftrag des Doctors auszuführen – es war das erste Mal, daß er der jungen Wittwe gegenüber deren Vermögensverhältnisse berühren sollte. Aber schon bei seinem ersten Worte gegen sie, das wol mehr gezwungen gesprochen worden war, als daß er es hätte verbergen können, war sie aufgesprungen.

»Jetzt kommt es, ich habe es lange ängstlich erwartet!« hatte sie gerufen. »Sage mir, August, wenn ich deine Frau werden soll, mußt du mich nicht hinnehmen, mit allem Bösen und Guten, was an mir ist? Weißt du nicht, daß wenn jetzt noch dem Stolz größer sein würde, als deine Liebe zu mir, ich sterben müßte? Rede nicht ein einziges Wort zu mir über Alles, was doch nun einmal so ist und was ich nicht mehr ändern kann; verfüge darüber, verschenke, verkaufe, thue was du willst, aber laß mich nie wieder ein Gesicht sehen wie jetzt, das mich an den unglücklichsten Tag meines ganzen Lebens mahnt.«

Es war ein Ausdruck von unendlicher Liebe, der sich in diesen letzten Worten aussprach, – Helmstedt kannte den Tag, den sie meinte, den Tag, an welchem er in New-York ihr volles Herz in falschem Stolz von sich gewiesen, den Tag, an welchem sie nach langem Seelenkampfe sich entschlossen hatte, den alten Pflanzer zu heirathen – und Helmstedt hatte keine Einwendung mehr zu machen gehabt, hatte sie in seine Arme genommen und, sie küssend, gesagt:

»Ich will dein Verwalter sein, Pauline, und also kein Wort mehr darüber.«

Einen Monat darauf hatte die stille Trauungsfeier zwischen ihnen stattgefunden, die beiden Farmen waren an den Doctor übergeben worden und das junge Paar trat in Begleitung von Cäsar und Mary die Uebersiedelungsreise nach New-York an.

»Es ist doch eigentlich sonderbar,« sagte der Schwarze, welcher das Gepäck auf den Wagen lud, um es nach dem Landungsplatze der Dampfboote zu bringen, zu der helfenden Mulattin; »als sich Master Helmstedt verheirathete, that ich's auch; als ihm seine Frau fortlief, ging meine auch mit davon – jetzt hat er sich neu verheirathet und ich auch – meinst du, daß die Sachen jetzt halten werden?«

»Wenn du gescheid bist, ja!« erwiderte die Mulattin, und gab ihm davonspringend einen Schlag auf den Kopf, »sonst aber kümmere ich mich nicht darum, was die Herrschaft thut und gehe meinen eigenen Weg.«

Cäsar sah ihr mit einem fröhlichen Grinsen nach

»Ich denke, es wird halten, bei mir wie beim Master!« sagte er dann kopfnickend und fuhr in seiner Arbeit fort.

Henry Herz hatte seine Concerte in New-York angekündigt und der Theatersaal, in dem er sich hören ließ, war schon fast eine Stunde vor dem Beginn mit der fashionablen Welt gefüllt. Besonders war die südliche Aristokratie vertreten, welche fast sämmtlich von ihrem Sommeraufenthalt in den Bädern des Ostens nach New-York gekommen war, um den großen Pianisten zu hören.

In einer Loge des ersten Ranges saß noch allein ein junges elegantes Paar, das gegen eitig einzelne Bemerkungen über die Personen und Gegenstände, welche sich dem Auge darboten, austauschte, während an der Brüstung ein halberwachsener Knabe lehnte und mit unverhohlener Bewunderung seine großen schwarzen Augen über die Pracht um sich her laufen ließ.

»Ich habe Cäsar gesagt, daß er bei Zeiten mit dem Wagen hier sein soll, falls du nicht das ganze Concert anhören magst,« jagte der junge Mann, »und wir fahren dann, wenn es dir recht ist, noch einen Augenblick zum alten Smith. Seit er nur noch dem Namen nach in der Firma existirt und ich als arbeitendes Glied mit eingetreten bin, kann er kaum leben, wenn er nicht täglich von dem, was vorgeht, wenigstens etwas erfährt und darüber schwatzen kann.«

»Ich gehe gern mit, August,« erwiderte die junge Frau; »die Familie ist gewissermaßen für uns die Thür in die gute Gesellschaft New-Yorks gewesen, und ich habe schon eine ganze Anzahl angenehmer Bekanntschaften dort gemacht.«

»Dort unten sitzt auch Meier mit der Muhme Rebecke!« wandte sich jetzt der Knabe von der Brüstung zurück.

Helmstedt nickte freundlich.

»Ich habe lange nichts von ihm gehört,« sagte er, »weißt du, mit was er sich jetzt beschäftigt?«

»Kann's nicht recht sagen, Sir,« erwiderte der Gefragte; »er treibt sich in Wallstreet unter den Geldwechslern herum, und Muhme Rebecke sagte, sie wünsche nur, daß es mit seinem Hochmuth kein böses Ende nehme.«

In diesem Augenblick öffnete sich, ein Stück von dem jungen Paare entfernt, eine Logenthür und beide sahen mechanisch hin. Hart an der Brüstung setzte sich eine bildhübsche, junge Frau nieder, an deren Seite ein junger Elegant mit einem gewissen Selbstbewußtsein Platz nahm.

»Mr. und Mrs. Nelson!« sagte Helmstedt überrascht, »ich wußte nicht, daß sie schon verheirathet sind, wie es scheint.«

Pauline war einen Schatten blässer geworden.

»Was meinst du, Pauly,« wandte sich Helmstedt mit einem launigen Lächeln an sie, »wäre es nicht artig, wenn ich sie als gewesene Landsleute begrüßte?«

»August, wenn du gehen würdest –« rief sie, mit einem Ausdruck von halbem Bangen zu ihm aufsehend.

»O, du mißtrauisches Kind!« sagte er mit einem leisen, innigen Lachen an ihre Seite rückend und ihre Hand ergreifend, – »denkst du denn wirklich, den bitter Getäuschten gelüstet es danach?«

Sie sah mit einem zärtlichen Lächeln zu ihm auf.

»Sieh, August!« erwiderte sie, seine Hand fest drückend, »wer erst durch Schmerzen und Kämpfe sich hat ein Gut erringen müssen, der fürchtet immer, wieder etwas davon zu verlieren, und sei es auch nur den kleinsten Theil!«

Aus dem Orchester ließ sich das Klopfen des Dirigentenstabes hören, Stille verbreitete sich über die versammelte Menge und in mächtigen Akkorden nahm die Ouvertüre ihren Anfang.

Ende.