Ein prachtvoller Morgen lag über dem Mississippi. Unten wälzte der Strom seine gelben Fluten, denen man es ansah, daß sie aus dem westlichen Lande kürzlich erst allen Winterschmutz aufgenommen hatten; aber am linken Ufer, das vom Wasser allmählich aufwärts steigt, bis der dichte Wald den weiteren Blick versperrt, lagen einzelne kleine Farmen mit ihren roh gezimmerten Häusern und Einzäunungen, zwischen denen sich eine Fahrstraße hinauf nach dem Walde hinzog. Dort oben war eben ein Mann aus den Gebüschen getreten, sah prüfend über die Gegend und scharf den Fluß hinauf.
»Pech, und nichts als Pech, beim Teufel!« brummte er nach einer Weile in deutscher Sprache und fuhr mit der Hand über die verdrießlich zusammengezogene Stirn; »das kann noch Stunden dauern, bis mir eins von den Booten den Gefallen thut, sich sehen zu lassen, und noch nichts im Leibe als ein altes Stück Welschkornbrod, das kein deutscher Holzhacker verdauen könnte.«
Er setzte sich langsam auf einen umgestürzten Baum, der neben dem Wege lag, stützte
den Kopf in die Hand und sah, wie in Gedanken verloren, den Fluß hinauf. Nach einer
Weile zog er aus dem modischen Ueberrocke, der ihm in Verbindung mit dem seinen Hute
ein ganz respectables Ansehen verlieh, eine große, plumpe Schnapsflasche hervor und
that zwei lange Züge daraus. »Scheußlich – Whiskey – und was für ein Stoff!« brummte
er und wischte sich den Mund. »Das also,« fuhr er fort, die Flasche vor sich
hinhaltend, »das ist Alles, was bei der letzten, größten Speculation, die ich je
gemacht, herausgekommen ist. Schöne
Wieder versank er in Gedanken, bis er endlich mit der Hand über das Gesicht fuhr, als
wolle er die trübe Miene daraus hinwegstreichen. »Herr Seifert,« fuhr er in seinem
Selbstgespräche fort und richtete den Kopf langsam auf, »ich glaube, Sie verfallen in
einen Zustand, den man gewöhnlich moralischen Katzenjammer nennt, der aber, wie Sie
wissen, das allerschlechteste Mittel ist, sich wieder auf die Beine zu helfen. Lassen
Sie uns die Verhältnisse ruhig überlegen.« Er setzte die Whiskeyflasche von Neuem an
den Mund, that einen langen Zug, schüttelte sich, während er den Kork darauf steckte,
und ließ sie dann langsam in der Seitentasche seines Rockes verschwinden. »Wir sind
nach diesem Lande gekommen, um unsern etwas zu bedeutend gewordenen Schulden und den
Folgen eines kleinen Wechselgeschäfts aus dem Wege zu gehen; gut! In Deutschland
würden wir jetzt wahr scheinlich Wolle spinnen müssen, während wir hier aus freien
Füßen sind und ein freies Feld vor uns haben, also sind wir in bedeutendem Vortheil.
Als wir in New-York ankamen, haben wir bald erkannt, daß wir zu einem regulären
Geschäfte nicht taugen, daß es hier für den Klugen viel profitablere Wege gibt, um in
diesem freien Lande Lebensunterhalt und Gelb zu machen. Wir haben zwar unser
mitgebrachtes Vermögen in wenig Monaten durchgebracht, sind, was andere Leute
vielleicht einen Erzlumpen nennen, geworden – lassen Sie uns, Herr Geifert, die Sache
nur immer von der schwärzesten Seite ansehen – haben aber dabei die Landessprache,
die Menschen und die Verhältnisse perfect kennen gelernt und jetzt einen Fond in uns
gewonnen, der uns nie im Stiche lassen und den uns Niemand stehlen kann. Wir sind im
Augenblicke zwar ohne Geld und ohne alle Hilfsmittel, stecken hier unten im Süden wie
ein verlorener Posten – sind wir aber nicht schon in viel schlimmeren Lagen gewesen
Er richtete sich langsam aus der gebückten Stellung, die er eingenommen, auf, zog von Neuem die Whiskeyflasche aus Licht und ließ den Rest davon in den Hals laufen. Dann warf er sie mit kräftigem Schwunge in den Wald hinein.
»Und so sei jede Verbindung mit diesem Süden von mir gestreift,« sagte er aufstehend; »wenn wir nur schon das ganze Land mit seinen Niggern und seiner Baumwolle hinter uns hätten!«
Langsam und fortwährend den Fluß beobachtend, schritt er die Straße nach dem Landungsplatze hinunter; er hatte diese aber kaum zur Hälfte zurückgelegt, als hinter einer der Inseln, welche ihm die freie Aussicht auf den obern Theil des Flusses benahmen, ein paar langgezogene Rauchstreifen sichtbar wurden.
»Jetzt« murmelte er vor sich hin, den braunen Schnurrbart streichend und schärfer zugehend, »jetzt bewiesen, daß der Seifert noch der Seifert ist.«
In den nächsten zehn Minuten hatte er den Landungsplatz erreicht, wo aufgestapelte
Baumwollenballen und einzelne
Seifert trat mit nachlässiger Haltung hinzu und beobachtete das herankommende Fahrzeug, bis sich dessen Formen deutlich erkennen ließen.
»Was ist das für ein Boot?« wandte er sich an den Nächststehenden.
»Die ›Fashion‹, Sir!« war die Antwort.
»Sie wissen vielleicht den Namen des Capitäns?«
»Mr. White, Sir!«
»Richtig, das ist das Boot, welches ich erwarte; danke Ihnen, Sir!«
Das mächtige Fahrzeug trieb langsam herbei, das Seil flog nach dem Ufer, wurde dort aufgefangen und befestigt, die Landungsbrücke fiel, und die Schwarzen begannen die Baumwollenballen hinüberzurollen. Seifert betrat raschen Schrittes das Boot, eilte die Treppe nach dem Salon hinauf und hatte bald die Office aufgefunden.
»Haben Sie nicht einen Brief für Henry Wells?« fragte er den dort arbeitenden Clerk.
»Nicht daß ich wüßte, Sir!«
»Dies ist doch die ›Fashion‹?«
»Die ›Fashion‹, Sir!«
»Dann muß Capitän White den Brief selbst haben. Können Sie mir sagen, wo ich ihn treffe?«
»Er ist im Augenblick nach dem State-Room gegangen; dort finden Sie ihn jedenfalls.«
Geifert wandte sich, eine Miene voll besorglicher Erwartung über sein ganzes Gesicht verbreitend, nach der angegebenen Richtung und betrat das allgemeine Versammlungszimmer, in welchem einzelne Gruppen der Reisenden sprechend bei einander standen, während andere schlafend ober lesend auf den Stühlen und Divans umherlagen. Der Eintretende blickte einen Augenblick beobachtend umher, und hielt dann einen der schwarzen Aufwärter, der in seinen Weg kam, an.
»Dort bei den vier Herren – der die Mütze trägt.«
Seifert durchschritt das Zimmer wie ein Mensch, der an solchen Orten nicht fremd ist, und trat zu der bezeichneten Gruppe.
»Capt'n White, nur ein Wort. Ist Ihnen nicht ein Brief an Henry Wells übergeben worden?«
»Ein Brief?« erwiderte dieser, sich umdrehend. »Sie werden in der Office nachfragen müssen, Sir!«
»Ich war bereits da und dort ist nichts; ich hoffte mit Bestimmtheit, er müsse in Ihren Händen sein.«
»Bedaure Sir, aber ich weiß von nichts.«
Seifert's Stirn zog sich in tiefe Falten.
»Well, Capt'n, dann bin ich in einer ganz teufelmäßigen Patsche, wenn mir Ihre Freundlichkeit für den Augenblick nicht heraushilft. Wir sind seit vier Tagen in der Verfolgung eines nichtswürdigen Kerls begriffen, der dem Squire Elliot von Alabama vier Schwarze gestohlen hat; ich war mit zwei von unsern Begleitern einer neuen Spur gefolgt und war von ihnen abgekommen; ich hatte den Weg verloren und bin erst auf allerhand Holzwegen hier wieder aus dem Walde ans Tageslicht gestiegen. Ich sollte nach unserer Verabredung durch die ›Fashion‹ nach Vicksburg Nachricht erhalten – mein Name ist nämlich Wells – und bin so glücklich, gerade wo mir der letzte Cent ausgegangen ist, Ihr Boot zu treffen – haben Sie wirklich keine Nachricht für mich, so möchte ich Sie freundlichst bitten, mich nach Vicksburg zu spediren, wo in Zeit von drei Minuten Ihnen das Fahrgeld erstattet werden soll.«
Der Capitän ließ einen Augenblick den prüfenden Blick über ihn laufen.
»Sie haben kein Gepäck bei sich, Sir?« fragte er dann.
»Ich sage Ihnen ja, Capt'n, daß ich in den Wald gerathen bin, ich weiß nicht. wie!«
war Seiferts eifrige Antwort; »hätte ich Gepäck, so würde ich nicht in die
Verlegenheit
»Sie kennen also Mr. Elliot von Alabama, von dem Sie eben sprachen?« begann einer von den Beistehenden; »ich entsinne mich allerdings des Sklavendiebstahls dort.«
Seifert wandte sich nach ihm und verfärbte sich, aber nur für einen Augenblick und ohne eine Miene zu verziehen. Er war einem schwarzen, scharf auf ihm ruhenden Auge begegnet, das ihn unruhig machte, wenn er sich auch noch keinen bestimmten Grund dafür angeben konnte. »Mr. Elliot habe ich nur ein-oder zweimal gesehen,« erwiderte er, ein höfliches Lächeln versuchend; »ich selbst bin in New-York zu Hause und nur auf einem Ausfluge im Süden. Ich hatte die ganze Expedition eigentlich nur der Merkwürdigkeit halber mitgemacht, da einige Bekannte sich daran betheiligten.«
»Richtig, Sie waren von New-York nach Alabama gekommen; ich glaube mich Ihrer noch ziemlich deutlich zu entsinnen, Sir!« erwiderte der Andere, ohne den festen prüfenden Blick von ihm zu lassen.
Seifert ward wieder einen Schatten blässer, aber sein Blick nahm eine eiskalte Ruhe an. »Es ist wol möglich, Sir, wenn Sie sich nicht in mir irren,« erwiderte er; »mein Name ist Henry Wells.«
»Ihren Namen habe ich nicht gehört,« war die Antwort, und ein sonderbares Lächeln spielte um den Mund des Sprechenden; »ich wollte nur bemerken, daß, wenn unser Capt'n hier Anstand nehmen sollte. Ihnen das Fahrgeld zu creditiren, ich Ihnen gern mit meiner Börse zu Diensten stehe.«
Seifert's Gedanken schienen durch das Anerbieten für einen Augenblick aus allen ihren Fugen geworfen zu sein, wenigstens zeigte sein Gesicht einen ähnlichen Ausdruck; aber der Capitän riß ihn aus der augenblicklichen Verwirrung.
»Schon recht, Sir. Warum soll ich einem ehrlichen Gentleman nicht so weit aus der
Verlegenheit helfen?« sagte
»Dank Ihnen, Capt'n,« erwiderte Seifert wieder mit völliger äußerer Ruhe; »vielleicht finde ich einmal Gelegenheit zu einem Gegendienste!« Er drehte sich weg, um die Gruppe zu verlassen. Kaum hatte er aber einige Schritte gethan, als er den leichten Druck einer Hand auf seiner Schulter fühlte. Er wandte sich um und sah wieder in das scharfe Auge, dem er so eben begegnet.
»Well, Sir – Mr. Wells ist Ihr Name?« begann der Nachkommende, und wieder spielte ein Lächeln wie leichter Spott um seinen Mund; »wenn Sie eben erst aus dem Walde zum Vorschein gekommen sind, so könnte uns ein guter Brandy nichts schaden; begleiten Sie mich nach dem Bar-Room.«
Seifert's Auge verschleierte sich, so daß Niemand eine augenblickliche Empfindung darin gelesen hätte. »Ich danke Ihnen, Sir, und werde in zwei Secunden bei Ihnen sein!« erwiderte er. Mit einer kurzen Verbeugung wandte er sich hinweg und ging raschen Schrittes aus dem Salon, die Treppe hinab und nach dem Ausgange des Bootes, wo eben die letzten Stücke der neuen Ladung vom Lande herübergeschafft wurden. Er trat bei Seite und sah nach dem Ufer. »Aufpassen, Seifert!« brummte er; »etwas ist hier nicht richtig. Wer ist der Mensch, was will er und was weiß er? Ist es besser, lieber das nächste Boot abzuwarten, als hier in eine Falle zu gerathen?« Er sah eine Minute mit zusammengezogenen Augenbrauen in die Weite. »Nichts können sie mir anhaben, gar nichts, kein Zeuge ist da, der mich meines Theils des Negerdiebstahls beschuldigen könnte; mein guter Freund Baker, mein nobler Partner, hat das ganze eigentliche Geschäft allein besorgt – im Nothfall aber bin ich Mr. Wells von New-York; wer will mich etwa verdammen, weil ich zufällig dem Spieler Seifert, der in Alabama sein Wesen getrieben, ähnlich sehe?«
Als die Beiden in den Bar-Room traten, klang hinter ihnen das Geräusch der aufgezogenen Landungsbrücke; die Dampfpfeife ertönte und das Boot drehte sich vom Ufer nach der Mitte des Stromes. Seifert wandte sich nach dem Fenster und warf einen letzten Blick nach dem Lande. »Der Rubikon ist überschritten; jetzt heißt's Cäsar sein und sich nicht blamiren!« murmelte er zwischen den Zähnen.
»Well, Mister – was trinken Sie?« rief sein neuer Bekannter hinter ihm; »entschuldigen Sie, ich vergesse immer Ihren Namen.«
Seifert drehte sich um und trat an den Schenktisch. »Mein Name ist Wells, Henry Wells, aus New-York, Sir, wie ich die Ehre hatte Ihnen schon zweimal zu sagen,« erwiderte er, die Augenbrauen in die Höhe ziehend; »bis jetzt war ich jedoch noch nicht so glücklich, den Ihrigen zu kennen.«
Wiederum zuckte das frühere Lächeln um den Mund des Andern. »William Murphy, heiße ich, Sir,« sagte er dann, »Advokat und in Limestone County, Alabama, wohnhaft.«
»Ich nehme etwas Brandy und Zucker, Mr. Murphy, und freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen,« erwiderte Seifert und bog, ohne eine Miene zu verändern, den Kopf leicht.
Der Brandy kam, und der beiderseitige »Drink« ward genommen. Seifert fühlte jedoch stets den beobachtenden Blick auf sich ruhen, der ihm nicht gestattete, selbst eine Examination seines Gesellschafters anzustellen.
»Wollen wir nicht eine Cigarre anbrennen und uns ins Nebenzimmer setzen? man sitzt
dort ungestört,« begann der
»Eine Cigarre? Wirklich, das könnte nichts schaden; ich glaube, ich habe bei dem verteufelten Abenteuer seit zwei Tagen nicht geraucht,« versetzte dieser und griff in die Cigarrentasche, die ihm entgegengehalten wurde.
»Wir finden Feuerzeug hier,« rief der Advokat und schritt nach dem andern Zimmer voran. Seifert folgte, und die zuklappende Thür trennte sie von dem Bar-Room.
»Well, Sir, es ist hier ganz angenehm,« begann der Erstere. Seifert ein brennendes Zündhölzchen reichend und sich dann bequem in einen der umherstehenden Lehnstühle werfend. »Setzen Sie sich und lassen Sie uns plaudern.«
Seifert brachte erst mit aller Sorgfalt seine Cigarre in Brand und ließ sich dann langsam nieder. »Ich bin zu Ihrer Disposition und ganz Ohr!« sagte er, allem Anschein nach mit vollem Behagen den Rauch von sich blasend.
»Well, es ist eben nichts Besonderes, was ich sagen wollte,« erwiderte der Andere nachlässig, »aber etwas Schwatzen vertreibt die Zeit.« Eine sonderbare Sache, dieser Sklavendiebstahl mit allen damit verbundenen Umständen. Sie werden jedenfalls den Hauptthäter, diesen Mr. Baker gekannt haben, welcher am andern Morgen, nachdem die Schwarzen verschwunden waren, ermordet gefunden wurde.
Seifert fuhr auf und starrte den Redenden einen Augenblick an. »Ermordet? Also Baker wirklich ermordet?« sagte er, als habe ein plötzlicher Schreck seine Stimme gelähmt: »und von wem? Vom Eigenthümer der Schwarzen, Mr. Elliot?«
»Sie scheinen also den Thäter ganz genau gekannt zu haben, Sir, – vielleicht auch
seinen Spielgenossen, der mit den geraubten Schwarzen entfloh und leider von
Niemandem weiter als eine Strecke den Fluß hinauf verfolgt wurde; – wie hieß er doch?
Es war ein Deutscher, wenn ich nicht
Seifert strich sich mit der Hand langsam über das Gesicht. »Es ist entsetzlich, Sir,« sagte er dann mit halbgeschlossenen Augen, »ich habe Mr. Baker allerdings gekannt, und zwar in New-York, wo er sich häufig aufhielt. Es ist entsetzlich, so plötzlich eine solche Nachricht zu erhalten.«
»Aber, lieber Herr, – wie heißen Sie gleich? Habe wirklich schon wieder Ihren Namen vergessen – es scheint doch, als wären Sie ziemlich genau von seiner Betheiligung an der Dieberei unterrichtet gewesen,« erwiderte Murphy, und das frühere sarkastische Lächeln lagerte sich wieder um seinen Mund. »Sagten Sie nicht selbst, als Sie das Boot betraten, Sie seien bei der Verfolgung der Sklavenräuber betheiligt gewesen und dabei vom rechten Wege abgekommen? Dabei ist nur ein curioser Umstand,« und das Lächeln wurde noch schärfer als vorhin, – »daß es nämlich, wie ich aus dem Prozesse über Baker's Ermordung weiß, Niemandem eingefallen ist, den Räuber weiter zu verfolgen. Haben Sie sich das Vergnügen vielleicht auf eigene Faust gemacht?«
Seifert hob langsam die Augenlider und sah seinen Gegner mit einem Auge an, in dem es
schwer gewesen wäre, irgend einen Ausdruck zu entdecken. Er war ziemlich blaß, aber
keine Miene zuckte. »Ich verstehe Sie nicht recht, Sir,« sagte er kalt, »und begreife
überhaupt nicht, was alle diese sonderbaren Bemerkungen sollen. Einer Ihrer südlichen
Landsleute würde sich eine nachdrücklichere Erklärung erbeten haben, doch wir
Nordländer nehmen derartige Dinge kühler auf. Was wollen Sie denn eigentlich von mir?
Mir scheint, Sie steuern auf den künftigen Staatsanwalt los und wollen einmal
versuchen, was sich aus dem einfachen Factum, daß ich fremd und ohne Mittel auf das
Er brachte die Cigarre wieder zum Munde und begann, als berühre nichts seine Seele, ruhig weiter zu rauchen.
Der Advokat schlug das Bein über die eine Lehne des Stuhles und stützte auf die andere Arm und Kopf. »Ihre Taktik wäre gar nicht so übel,« sagte er, »wenn Sie nicht Einiges dabei vergäßen, so z.B. daß es Menschen in der Welt gibt, welche genügenden Grund haben, etwas tiefer in die Art und Weise Ihrer Sklavenverfolgung einzudringen, die auch vielleicht das Vergnügen haben, Sie genauer zu kennen. So erinnere ich mich eines Abends, der mich gegen fünfzig Dollars am Spieltisch kostete, und wenn ich Sie genauer betrachte, Mr. Seifert –« er hielt inne, das Auge fest auf seinen Gefährten gerichtet.
»Nun,« erwiderte dieser, sein Gesicht in eine Dampfwolke hüllend, »mir scheint, Sie fallen aus der Rolle und wollen nicht nur als Staatsanwalt durch Ueberraschungen wirken, sondern auch noch den Zeugen in einer und derselben Person vorstellen?«
»Well, Mr. Seifert?« –
»Pardon, Sir! mein Name ist Henry Wells,« rief Seifert, »und die Geschichte fängt an mir etwas langweilig zu werden. Erlauben Sie einen Augenblick!« Er hob sich rasch, öffnete die Thür zum Bar-Room und sah hinaus – eben so eine zweite, die in das Mitteldeck führte, und schritt dann auf den Advokaten los, der, ohne seine Stellung zu verändern, Seifert's Benehmen beobachtet hatte, jetzt aber bei seiner Annäherung sich geradeauf setzte.
»Einfach, Sir, was wollen Sie von mir?« sagte der Herantretende mit zusammengezogenen Augenbrauen und biß, die Antwort erwartend, die Zähne auf die Unterlippe.
»Erstens Ihnen sagen, daß ich Sie sammt Ihrer letzten Expedition kenne,« erwiderte
der Advokat in voller Ruhe, aber augenscheinlich für irgend eine Bewegung
vorbereitet,
»Noch einmal – mein Name, ist Wells, Sir! Aber angenommen, ich wäre der Mann, von dem Sie sprechen, so fließt doch der Mississippi, auf dem wir uns jetzt befinden, wol nicht in Alabama, und den Sheriff von dort werden Sie wahrscheinlich auch nicht bei sich haben, um den Mann, von welchem Sie sprechen, verhaften zu lassen. Warum soll ich also durchaus dieser Mann sein, mit dem ich vielleicht einige Aehnlichkeit haben mag?«
»Verhaften zu lassen – wer hat von dergleichen gesprochen?« erwiderte Murphy mit einer Miene voll Verwunderung, die aber einen leichten Spott deutlich durchscheinen ließ. »Ich spiele nur nicht gern Komödie mit, ohne zu wissen warum, und liebe es, mich gleich in klare Stellung zu Jedem zu bringen. Ich beabsichtige eigentlich nur, Sie zu fragen,« fuhr er fort und legte sich bequem zurück, »ob Sie nicht vielleicht die Reise nach New-York in meiner Gesellschaft zurücklegen und sich dabei meiner Börse bedienen möchten, da die Ihrige augenblicklich nicht bei der Hand ist – verstehen Sie indessen recht, der Vorschlag sollte nur dem Manne gelten, für den ich Sie hielt, und von einem Incognito gegen mich kann mithin gar keine Rede sein.«
Seifert sah eine Minute schweigend in das Gesicht des Mannes, der mit seinem halbspöttischen Lächeln zu ihm aufsah; aber kein Zug von Ueberraschung über den unerwarteten Vorschlag wurde bei ihm sichtbar. Dann rieb er sich die Stirne, erhob sich und schritt das Gemach auf und ab. An der Thür des Bar-Rooms angekommen, öffnete er diese und sah hinaus; eben so examinirte er wieder den Raum vor der andern Thür und ließ sich dann langsam auf seinen früheren Platz nieder.
»Well, Sir!« begann er dann mit vorsichtig gemäßigter Stimme und setzte langsam seine
Cigarre wieder in Brand,
»Gar nicht so übel geschlossen,« nickte der Advokat, als Seifert eine Pause machte, um seine Cigarre zum Munde zu führen; »ich freue mich über Ihre schnelle Auffassung der Verhältnisse, Mr. Seifert.«
»Wells, wenn ich bitten darf, Sir; Wells unter allen Umständen, diese mögen sich nun gestalten wie sie wollen,« fiel ihm Seifert mit einer kalten Verneigung des Kopfes in die Rede. »Was den ersten Fall anbetrifft, so ist es ganz gleich, ob ich hier unter vier Augen sagen würde, ich bin der Seifert, den Sie meinen, oder nicht – es sollte Ihnen ziemlich schwer werden, zu beweisen, daß ich dies eingestanden – halten Sie mich für wen Sie wollen, nur,« fuhr er mit einem höflichen Lächeln fort, »gebrauchen Sie nicht meinen Namen, der an manchen Orten eben nicht geeignet wäre, mir meinen Weg zu ebnen.«
»Also, Mr. Wells, wenn es nicht anders sein soll!« erwiderte der Advokat, sich aufrecht setzend, »es scheint, wir beginnen uns mehr zu verstehen.«
»Es sollte mich freuen,« sagte Seifert, die Asche von seiner Cigarre schnellend; »was
den zweiten Fall betrifft, so stehe ich gern bei einem anständigen Geschäfte mit
meinen geringen Talenten zur Verfügung, nur müßte mir dabei volles Vertrauen und der
Blick über das ganze Unternehmen gegönnt werden. Für Andere die Kastanien aus
Murphy schien eine Secunde lang mit seinem durchdringenden Blick die innerste Falte von Seifert's Seele ergründen zu wollen; dann sprang er auf und trat ans Fenster, in das von den Rädern des Bootes gepeitschte Wasser hinausschauend. Seifert lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schien bald keine andern Gedanken zu haben, als die Formen der Rauchwolken, die er langsam von sich blies, zu studiren.
»Gut, Sir,« begann nach einer kurzen Weile der Advokat, langsam vom Fenster zurücktretend, »ich glaube mit der nöthigen Offenheit nicht viel bei Ihnen zu riskiren. Es handelt sich um einen Rechtsfall, der gerade in der Gegend von Alabama spielt, wo für Sie der Boden jetzt etwas zu heiß ist, als daß Sie ihn betreten könnten, falls Sie etwa den Verräther von dem zu spielen gedächten, was beabsichtigt wird. Auf der andern Seite hoffe ich Ihnen für die Unterstützung der Sache einen Gewinn verbürgen zu können, der vielleicht Ihre Erwartungen übersteigt, wenn Sie der Mann sind, den ich brauche und den ich in Ihnen vermuthe. Ich will Ihnen ehrlich gestehen, daß, als ich bei Ihrem Eintritt in das Boot von Ihrer Verlegenheit hörte und Sie erkannte, mir es fast scheinen wollte, als habe das Schicksal mir recht absichtlich in den Weg geworfen, was mir gerade fehlte.«
Seifert blies einen wohlgelungenen Ringel in die Luft. »Ich bin vollständig bereit zu
hören, wenn Sie mich Ihres Vertrauens werth halten,« sagte er, »und dann wird es sich
ja wol zeigen, ob das Schicksal recht gehabt hat – jedenfalls würden Sie äußerst
nobel handeln, wenn Sie, um in keiner Art einen moralischen Zwang auszuüben, mein
Fahrgeld bis New-Orleans hinunter vor unserer
Der Andere sah ihn einen Augenblick mit sonderbarem Gesichtsausdrucke an. »Schüchtern sind Sie nicht, Sir, und scheinen Ihren Vortheil beim Schopfe fassen zu können.« sagte er dann. »Was aber, wenn ich nichts zahle, ehe wir nicht mit einander ins Klare gekommen sind, damit ich doch weiß, wofür ich mein Geld gebe?«
»Ihre Sache, Sir,« erwiderte Seifert achselzuckend und erhob sich langsam. »Sie sind zu mir gekommen und haben mir ein Geschäft angeboten, nicht ich zu Ihnen – ich habe Ihnen meine erste Bedingung gesagt, unter welcher ich nach Umständen vielleicht mich mit Ihnen verständigen kann, und Sie sollten meine Gründe dafür würdigen – convenirt Ihnen das kleine Risico nicht – very well, so brechen wir ab.«
»Und wie gedenken Sie in Vicksburg Ihr Fahrgeld zu bezahlen und von dort weiter zu kommen?«
»Gott im Himmel, das ist doch meine Sache, lieber Herr. Sie scheinen mich noch immer für den Vagabunden Seifert, oder wie Sie ihn nannten, halten zu wollen; was wissen Sie denn von meinen Verhältnissen?«
»Schön!« lachte der Advokat auf; »ich sehe, es ist schlecht handeln mit Ihnen, und muß ich mein Vertrauen riskiren, so kann es allerdings auf ein paar Dollars nicht ankommen.« Er zog ein wohlgefülltes Taschenbuch aus seiner Tasche und legte einige Banknoten auf den Tisch. »Hier, legen Sie Ihre Hand darauf und lösen Sie Ihr Ticket selbst, damit ich nicht wieder eine Verwechselung in dem Namen begehe. Die einzige Bedingung ist nur, daß Sie mit mir jetzt ohne Winkelzüge verhandeln, damit wir zum Zweck kommen.«
Im Bar-Room wurden Stimmen laut, die Thür des
»Bleiben wir noch hier oder gehen wir aufs Verdeck, wo sich ganz ungestört weiter reden läßt?« fragte Murphy, dem die Störung augenscheinlich ungelegen kam.
»Ich gehe mit Ihnen,« sagte Seifert halblaut, die erhaltenen Banknoten zusammenlegend, – »Sie haben mir mit Ihrem Gelde eine Arbeit erspart, sonst hätte ich mir meine Reisekosten von diesen Gentlemen hier bezahlen lassen müssen; – Sie sehen, es fehlt Ihnen gerade noch der vierte Mann, und ich wäre also auch ohne Sie wol schwerlich in Verlegenheit gerathen. Ich bemerke dies nur,« sagte er, die Thür öffnend, »daß wir uns bei den kommenden Verhandlungen Beide auf den richtigen Standpunkt stellen.« –
Es war ein prachtvoller Tag, welcher die Beiden auf dem Vorderdeck empfing, und an beiden Seiten der Brustwehr saßen und lehnten Gruppen von Passagieren, um die frische Luft zu genießen. Murphy faßte zwei Rohrsessel und trug sie nach dem vordersten Ende des Schiffes, wo ein Belauschtwerden unmöglich war und jeder sich Nahende sofort bemerkt wer den mußte.
»Denken Sie sich folgenden Fall,« begann der Advokat mit halbgedämpfter Stimme,
nachdem sich Beide niedergelassen hatten. »Ein alter Mann stirbt auf einer Reise im
Hause eines Freundes. Der Todte hat bei Lebzeiten allerhand sonderbare Geschäfte
betrieben, und so findet sich unter seinen Papieren, die einen gar nicht
unbedeutenden Nachlaß ausweisen, auch eine Notiz über einen alten Besitztitel,
lautend auf ein großes Stück Land in Alabama, den der Verstorbene auf irgend eine
Weise erworben bat. Ich muß Ihnen dabei sagen, daß die Grundbesitz-Verhältnisse in
manchen Theilen unseres Staates ziemlich im Argen liegen, und daß mancher Farmer
nicht sicher ist, selbst wenn er sein Grundeigenthum vom Vater ererbt hat, daß eines
Tages
Der Sprecher machte eine Pause und sah auf seinen Gefährten, als erwarte er von diesem eine Bemerkung oder als wolle er den Eindruck seiner Worte auf ihn wahrnehmen. Seifert aber hatte während der ganzen Rede, das Kinn in die Hand gestützt, vor sich auf den Boden gesehen und nur durch ein leises Kopfnicken zu Zeiten seine Theilnahme verrathen. Als er jetzt aufsah, war es nur die vollste Gleichgiltigkeit, was Murphy in seinem Gesichte entdecken konnte.
»Well, Sir!« begann der Advokat wieder, »was meinen Sie?«
»Well, Sir! worüber soll ich etwas meinen?« war die Antwort. »Sie haben mir ja, genau genommen, noch gar nichts gesagt!«
»Wenigstens doch eine Idee gegeben, welcher Profit bei einem solchen Geschäfte herausspringen kann.«
Seifert strich langsam mit der Hand über das Gesicht. »Ich habe eine derartige
Speculation schon im vorigen Jahre mit angesehen,« sagte er kalt; »ich weiß, daß
unter einer Klasse von Advokaten eine Verbindung durch die ganze Union besteht, um
mangelhafte Besitztitel aufzuspüren und auf Grund derselben entweder Processe gegen
die bisherigen Landeigenthümer zu beginnen und sie aus ihrem Besitzthum zu treiben,
oder, wo der beigebrachte fremde Anspruch schwerer durchzuführen ist, sich durch ein
respectables Abstandsgeld Schweigen und Ruhe abkaufen zu lassen – eine ganz angenehme
Speculation das, keiner Frage unterworfen; bei alledem aber immer weit aussehend.
Entweder man trifft
Der Advokat wollte ihn unterbrechen.
»Nur noch einen Augenblick, Sir, da Sie meine Meinung wissen wollen,« sagte Seifert. »Ich bin bei einer solchen Gelegenheit im Staate New-York einmal mit dem Posten eines Kundschafters beehrt worden, möchte aber,« fuhr er mit seinem früheren höflichen Lächeln fort, »für alle Zukunft mit derartigen Geschäften verschont bleiben, bei denen, wie es im gewöhnlichen Leben mit allen armen Teufeln geschieht, das eigentliche Talent in Anspruch genommen und, nachdem es benutzt worden ist, mit einem mageren Knochen zum Teufel geschickt wird. Kann ich alle Enden Ihres Unternehmens sehen und fühlen, so daß ich selbst beurtheilen kann, was es mir für meine Betheiligung abwerfen könnte, so werde ich meinen Entschluß danach fassen – ich will durchaus ehrlich sein und bemerke Ihnen deshalb, ehe Sie mich in Ihre eigentlichen Pläne einweihen, daß ich eben nur meine Mitwirkung versprechen kann, wenn die volle Mitwissenschaft Sie eben so gut in meine Hände liefert und mir dadurch Bürgschaft für Ihre Redlichkeit gegen mich gibt, als Sie mich selbst dadurch in der Hand haben.«
Der Advokat hob, wie in einer unwillkürlichen stolzen Regung den Kopf und ließ den Blick über die ganze Gestalt seines Nachbars gleiten. »Glauben Sie nicht, Sir,« sagte er nach einer kurzen Pause, und ein leichter Hohn legte sich um seinen Mund, »daß ich vielleicht ein klein wenig mehr in die Wagschale werfen und möglicherweise etwas mehr zu verlieren hätte als Sie? und daß es also wol unbillig von Ihnen wäre, auf solchen Bedingungen zu bestehen? Ich werde Sie, in Bezug des profitablen Ausganges für Sie, in jeder Weise sicher stellen. und es soll Sie nichts an mich binden als Ihr eigener Vortheil – was wollen Sie mehr?«
Aus Murphy's Gesicht war einen Augenblick das Blut gewichen. »Ich weiß nicht,« sagte er, »was Sie zu Annahmen berechtigt, für die nirgends ein Grund vorhanden ist?«
»Durchaus nichts als die Sorge der Selbsterhaltung; ich sehe meinen Weg immer gern klar vor mir. Sind Befürchtungen, wie ich sie ausgesprochen, grundlos, desto besser! Um so weniger sehe ich aber auch den Grund ein, warum Sie mir nicht vollkommenes Vertrauen schenken wollen? Entweder Sie verlangen von mir einen Theil von Thätigkeit bei Ihrem Unternehmen – und dann ist ein Verständniß des Ganzen um so dringender nothwendig – oder Sie verlangen nur eine untergeordnete Beihilfe, und dann finden Sie genug Andere an meiner Stelle, die vielleicht nicht dieselben Ansprüche machen.«
Murphy fuhr sich mit der Hand einige Mal durch die Haare. »Und was verlangen Sie denn zu wissen, da ich noch nicht einmal begonnen habe, Ihnen ein Wort des eigentlichen Planes mitzutheilen?«
»Ich möchte,« erwiderte Seifert mit höflicher Neigung des Kopfes, »daß vor allen
Dingen alle Redensarten wie: Setzen Sie den Fall! womit Sie Ihre Mittheilung
begannen, ganz wegfallen. Geben Sie mir klar und bestimmt den Ort, die Namen und den
Sachverhalt – wobei ich mir natürlich vorausbedinge, daß etwaige Abweichungen von der
Wahrheit, die ich in der Zukunft entdecken sollte, mich jedes gegebenen Wortes
entbinden. Entweder Sie vertrauen
Der Advokat hob seine Augen zu denen Seiferts, die in diesem Momente seinen Blick voll aushielten und an seinem Gesichte hingen, wie in der Erwartung von Erkenntniß und Verständniß einer verwandten Seele. Murphy schlug die Augen nieder, aber aufs Neue aufsehend, begegnete er wieder demselben Blicke.
Eine secundenlange Pause erfolgte, in welcher die Augen Beider in einander hingen. »Well, Sir,« begann dann plötzlich Murphy, wie im schnell gefaßten Entschlusse, »ich will Ihnen trauen; hoffentlich sind Sie mein Mann, und der Teufel ist noch immer ehrlicher gewesen als Diejenigen, welche den Herrgott auf der Zunge haben. Sie sollen Namen, Ort und die nähern Umstände von Allem erfahren, worüber ich bereits gesprochen, und dann werde ich Ihnen meinen weiteren Plan entwickeln. Täusche ich mich in Ihnen, wollen Sie nicht darauf eingehen, so ist allerdings ein gutes Geschäft zur Hölle gefahren, da es durchaus keinen fremden Mitwisser verträgt; in anderer Beziehung aber spreche ich wie Sie vorher: es sollte Ihnen ziemlich schwer werden zu beweisen, was ich Ihnen von meinen Gedanken verrathen. Nehmen Sie meine Vorschläge an, so wird mich Ihr eigener Vortheil vor jeder Untreue schützen.«
»Richtig, ich sehe, wir fangen an, uns besser zu verstehen,« erwiderte Seifert mit leiser Ironie. »Schießen Sie ruhig und voll los und das Uebrige wird sich finden.«
Murphy ließ nochmals wie überlegend den Blick auf Seiferts Gesicht haften und stützte
dann Kopf und Ellbogen auf die Schutzwehr des Verdecks. »Der alte Mann, von dessen
Tod und Hinterlassenschaft ich Ihnen erzählte,« begann er dann, »ist ein jüdischer
Pedlar, der im Hause eines Mr. Morton starb, – unweit des Platzes, wo Sie Ihre
Negerentführung bewerkstelligten. Er machte Geldgeschäfte
»Erlauben Sie einmal,« unterbrach ihn Seifert mit großen Augen, »Sie sagen, dieser Herr von Helmstedt habe die Tochter des reichen Elliot geheirathet?«
»Genau so; vom Reichthum des Alten, der seine Hand ganz von der ungehorsamen Tochter
gezogen hat, sieht er indessen nicht viel. Er lebt als Musiklehrer in der Stadt und
sucht seiner jungen Frau ganz alle die Bequemlichkeiten zu erhalten, in denen sie
aufgezogen ist – ein scharfes Auge sieht aber recht wohl, daß das bei seiner
Beschäftigung, so gut sie auch bezahlt werden mag, ein hartes Stück Arbeit ist und
ihm bald tausend Verlegenheiten bereiten wird. Hätte ich mit ihm als Vormund des
Erben, welchem der besprochene alte Besitztitel zufallen muß, Partnerschaft machen
können, so daß er mich zur gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs als Advokaten
angenommen, und wir uns
»Das ist er – das ist er!« nickte Seifert, »gerade wie ich ihn schon in New-York kannte!«
»So, Sie kannten ihn bereits, – dann werden Sie mich um so eher verstehen; und wenn ich Ihnen nun noch sage, daß bei dem einzuleitenden Proceß unter anderm auch der ganze jetzige Grundbesitz des Mr. Elliot, des Vaters seiner Frau, in Frage gestellt wird, so werden Sie begreifen, daß ich, um die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit in die Hand zu bekommen, sie von einer ganz andern Seite angreifen muß, – Well, Sir!« fuhr Murphy mit einem tiefen Athemzuge fort, »so viel ich weiß, will dieser Mr. Helmstedt in einigen Wochen nach New-York gehen, um für die Zukunft seines Mündels die nöthigen Anordnungen zu treffen – dieser Mündel aber muß verschwinden, ehe der Vormund ankommt; und daß der Vormund uns nicht zu zeitig über den Hals gerathe, dafür sorgt ein Freund, den ich zurückgelassen habe.«
Der Advokat ließ den Blick gespannt auf Seiferts Gesicht ruhen, als wolle er den Eindruck seiner letzten Worte darin beachten.
»Und was weiter?« fragte Seifert, dessen belebterer Blick allein ein erhöhtes Interesse ankündigte, nach einer Pause.
»Verstehen Sie mich recht! Dem Jungen soll kein Leid geschehen, wenigstens so weit
ich es verhindern kann,« fuhr Murphy, seine Stimme noch mehr als bisher dämpfend,
Seifert rieb sich die Stirn und Augen. »Und dann?« fragte er.
»Well,« war die Antwort, »die ganze Familie sind Juden und es dürfte mir wol leicht werden, mit dem nächsten majorennen Erben, einen Vertrag, wie ich ihn wünsche, abzuschließen, der ihm einen Gewinn in Aussicht stellt, von dem er nichts gewußt, und dessen Erkämpfung ihn nichts lostet.«
Seifert sah eine Weile vor sich nieder. »Gegen den Plan selbst,« sagte er endlich, »ließe sich kaum etwas einwenden, so weit es meine Betheiligung betrifft; über einige andere Punkte aber sprechen wir später. Die Reise ist lang genug dafür, und ich glaube, wir thun jetzt besser, abzubrechen, wir bekommen zu viel Ohren in die Nähe« Er erhob sich nachlässig – »nehmen wir einen Schluck, Sir?«
Die Dämmerung hatte sich bereits über eins der nördlichen Countystädtchen Alabama's
gesenkt, da schritt in einem nur von dem Feuerschein aus dem Kamin erleuchteten
Zimmer ein junger Mann gedankenvoll auf und ab. Dann und wann hielt er horchend an,
wenn sich in der Ferne das Rollen eines Wagens vernehmen ließ, um aber bald wieder,
wie getäuscht, seinen Gang von Neuem aufzunehmen. Nach einer Weile trat er zum
Fenster, schlug die dicken damastenen Vorhänge zurück und legte die Stirn gegen das
Glas. Mehrere Minuten mochte er so verbracht
Der Mann im Zimmer war vom Fenster zurückgetreten und hatte sich, die Hand vor die Augen gedrückt, in den Schaukelstuhl neben dem Kaminfeuer geworfen – die junge Frau, welche eben den Wagen verlassen, trat ein, legte, mit einem schnellen Blick über das Zimmer, ihren Hut auf einen Seitentisch und eilte dem im Schaukelstuhl Sitzenden zu.
»Guten Abend, August!« sagte sie, und zog ihm die Hand vom Gesichte. Ein ernster, stiller Blick traf den ihrigen. »Bist du ein Brummbär?« fuhr sie fort, und es lag ein seltener Reiz von Süße und neckischer Laune in ihrer Stimme.
Der junge Mann setzte sich aufrecht. »Wo bist du denn gewesen, Ellen?«
»Himmel! warum denn so ein Gesicht bei der Frage, August?« rief sie und nahm seine beiden Hände in die ihren. »Mr. Nelson hat gestern sein neues Buggy bekommen und lud mich ein, es auf der ersten Spazierfahrt zu versuchen – du warst doch den ganzen Tag in der Akademie, als daß ich dir erst hätte etwas davon sagen können!«
»Du weißt, Kind, daß ich dich bat, weder diesem Mr. Nelson noch seinem Freunde Murphy
eine Ermuthigung zu geben, unser Haus zu besuchen; ich traue ihnen Beiden nicht, wenn
ich auch noch keine bestimmten Gründe für das
»Und ist denn dazu nicht jetzt noch Zeit? Nicht wahr, du bist vernünftig, August?« fuhr sie fort und kniete an seiner Seite auf den Teppich nieder, ihre Arme auf seine Knie legend. Der Schein des Feuers beleuchtete ihr feines und doch so frisches Gesicht, sie war bildschön in diesem Momente und ihr dunkles Auge sah mit einem Blicke zu ihm auf, als wisse sie, daß sie ihres Eindrucks sicher sei. »Was hätte ich denn thun sollen? Ich saß hier und langweilte mich – vielleicht hätte ich Mortons besuchen können, um die Zeit hinzubringen; aber es ist ziemlich weit bis dahin, und Pauline ist seit wir verheirathet sind so still und kaum mehr die alte; es ist ein trauriges Loos, das sie hat, seit ihr alter Mann so kränklich ist – da meldete Sarah den Mr. Nelson – sollte ich ihn denn ohne Grund fortschicken? Er hatte mich schon am Fenster gesehen, er wußte, daß du vor Abend nicht nach Hause kommen würdest; welche Ursache hätte ich denn angeben sollen, um sein Anerbieten abzuweisen? Und ich habe mich wirklich amüsirt bei der Fahrt, August – nicht wahr, du zeigst mir jetzt ein anderes Gesicht?«
»War es denn nicht Grund genug, daß du wußtest, du würdest mich betrüben – oder
hättest du wirklich keine Ausflucht finden können, um das Anerbieten des Mannes
abzulehnen? Höre mich, Kind,« fuhr er fort, als sich eine Wolke auf der Stirn der
jungen Frau bildete und sie Miene machte, sich zu erheben – »du weißt, unter welchen
Verhältnissen du mein geworden bist, weißt, daß wir durch unsere Verheirathung wider
deiner Eltern Willen dem ganzen Stolze deiner reichen Verwandten und Bekannten ins
Gesicht geschlagen haben und daß dies auf die sämmtlichen Familien des County
zurückgewirkt hat – weißt,
»Aber was ist denn Böses darin, was schadet es denn deinen Plänen? ich konnte die
Einladung nicht gut ausschlagen, August!« sagte sie, sich langsam erhebend und den
Kopf an das Kaminsims lehnend; »ich mache mir nichts aus dem Manne, aber er gehört zu
den besten Familien des andern County's – ich weiß von Pauline und von dir, daß es
für Frauen nicht Sitte in eurem Lande ist, allein mit einem andern Manne einen
Ausflug zu machen – es ist hier, wo wir leben, anders, das weißt du doch, August;
Der junge Mann erhob sich rasch vom Schaukelstuhle und legte die Hand leicht auf die Schulter seiner Gefährtin. »Ellen,« sagte er, und ein tiefes Gefühl zitterte in seiner Stimme, »weißt du, als du zu mir kamst und sprachst: Hier bin ich! als ich dich in meine Arme nahm und dir sagte, daß ich noch kein Dach für uns Beide hätte, als du muthig versprachst, fest an mir zu halten und ich still die Verantwortung auf mich nahm, dich als ein theueres Kleinod zu erhalten und zu bewahren – damals wußte ich, daß die Prüfungsstunden für uns Beide noch kommen würden – nicht die durch Noth, dagegen war ja gesorgt; aber ich sah voraus, was sich bei der verschiedenen Stellung von uns Beiden noch zwischen uns drängen werde. Sieh, Ellen, es ist leichter, durch Ereignisse gedrängt und in der frischen Aufregung des Gefühls den gewagtesten Schritt zu thun, und alle Folgen auf sich zu nehmen, als im ruhigen Gang der Verhältnisse sich freiwillig und consequent einer Unannehmlichkeit zu unterziehen –«
»Aber, lieber Himmel, was hat denn das Alles mit meiner unschuldigen Spazierfahrt zu thun?« rief sie, den Kopf erhebend, mit einem Beben in der Stimme, als sei ihr das Weinen nahe.
»Ich wollte, du fühltest es, Ellen, dann wäre ich deiner sicherer!« erwiderte er.
»Dieser Mr. Nelson hat deine Bekanntschaft gesucht, nicht als meine Frau, nicht als
Mrs. Helmstedt; er hat zu dir gesprochen, hat dir Aufmerksamkeiten erwiesen, einzig
als die Tochter deines Vaters. Seit ich seinen Freund Murphy mit dessen laxen
Rechtsansichten bei Seite ließ, habe ich für diesen Mr. Nelson nicht mehr existirt.
Er hat zu dir gesprochen, ohne es nur der Mühe werth zu finden, mich zu begrüßen, er
hat sein Recht dazu ganz unverblümt aus seiner Bekanntschaft mit deinem Vater
»Aber ich liebe doch meinen Vater, und er liebt mich – du weißt das!« sagte die junge Frau, den Kopf hebend und den Oberkörper zurückbeugend, daß Helmstedts Hand von ihrer Schulter glitt; »ich habe nie einen andern Gedanken gehabt, als daß ich ihn bald wieder aussöhnen würde. Soll ich denn jedes Wort zurückstoßen, das mir vielleicht von ihm hinterbracht wird? soll ich denn gegen Leute, die freundlich mit mir sind, ohne Grund und Ursache barsch sein? Du bist gereizt, und das macht dich ungerecht, auch ungerecht gegen mich!«
Helmstedt wurde blaß. »Wir verstehen uns nicht, Ellen, und das ist traurig,« sagte er nach einer kurzen Weile – »vielleicht begreifst du erst den Sinn meiner Worte, wenn du aufs Neue zu wählen haben wirst zwischen mir und deinem Vater, wenn dir unser kurzes Liebesglück als bloße jugendliche Thorheit vorgestellt, wenn dir vielleicht ein Ersatz für mich geboten werden wird, der kein Opfer von dir verlangt.«
»Wir verstehen uns eben nicht, Ellen!« sagte er mit einem halben Seufzer und schritt mit gesenktem Kopfe langsam nach der Thür. Sie sah ihm nach, in ihrem Gesichte zuckte es, als wolle sie ihn zurückrufen – aber sie schwieg, und als die Thür hinter ihm zufiel, sank sie in den Schaukelstuhl, drückte ihr Taschentuch vor die Augen und brach in ein kurzes Schluchzen aus. Bald aber, als bemächtigte sich ihrer ein anderer Gedanke, blickte sie wieder in das Feuer, erhob sich dann rasch und trat, die Vorhänge halb zurückschlagend, ans Fenster. Die Straße lag nur noch in der letzten Abendbeleuchtung vor ihr – eben wollte sie sich wieder wegwenden, da schritt ein elegant gekleideter junger Mann die Straße herab, sah nach ihrem Fenster und grüßte tief – es war ihr Begleiter vom Nachmittag. Sie erröthete, ließ die Vorhänge fallen, und trat vor sich hinsinnend zurück nach dem Feuer.
Helmstedt war in das neben dem Parlor befindliche Speisezimmer getreten. Dort war es kalt und unwirthlich; kein Feuer brannte im Kamin, noch ließen sich irgendwie Vorbereitungen für den Abendtisch sehen. Helmstedt sah nach seiner Uhr – es war eine halbe Stunde über sechs. Er schloß die Thür wieder und ging nach dem umzäunten Platze hinter dem Hause; dort stand ein Schwarzer und tränkte zwei Pferde.
»Hast du Sarah nicht gesehen?« fragte Helmstedt.
»Dort kommt sie hergesaust, Sir!« erwiderte dieser lachend und zeigte nach dem Gitterthor, wo eben eine zierliche weibliche Gestalt hereinschlüpfte, die ihrem modernen Putz und den graziösen Bewegungen nach, ohne das schwarze Gesicht, für eine der fashionablen Ladies der Stadt hätte gehalten werden können.
»Haben wir kein Abendbrod heute?« fragte Helmstedt, als sie herankam.
»Mistreß war den Nachmittag ausgefahren und brauchte
»Warte einen Augenblick, Sarah,« sagte Helmstedt. »Bei aller Freiheit, die ich dir gern lasse, mag ich doch nicht darunter leiden. Mit der allzufaulen Zeit als Kammermädchen, weißt du, ist es aus; entweder thust du deine Pflicht und wir bleiben gute Freunde, oder du zwingst mich, dich irgendwo hinzugeben, wo sie nicht so viel Nachsicht mit dir haben möchten. Ich habe schon einige Male in ruhiger Ermahnung zu dir gesprochen, – jetzt werde ich nicht viel mehr reden. Sage Mrs. Helmstedt, daß ich in einer Stunde zum Abendessen wieder zurück sein werde l« Er schritt durch das Gitterthor der Umzäunung in das offene Feld hinaus.
»Hat's einmal etwas abgesetzt?« kicherte der Schwarze, den Kopf halb nach dem Mädchen kehrend.
»Pschah!« sagte diese, und zog die Oberlippe in die Höhe, »er hat eigentlich gar kein Recht, mir etwas zu sagen, ich gehöre der Mistreß an und nicht ihm!«
Sie verschwand in der Küche, und bald wurde ein Geräusch laut, als würden Tiegel und Pfannen kopf über, kopfunter durcheinander geworfen.
Die junge Frau im Parlor hatte sich nach einer Weile, wie sich zusammenraffend, in die Höhe gerichtet und trat in das anstoßende Speisezimmer. Sie sah hier um sich und schritt dann nach der Küche, wo bereits ein prasselndes Feuer im Kochofen brannte. »Es ist wol schon spät, Sarah,« sagte sie zu der eifrig wirthschaftenden Schwarzen, »mache Feuer im Eßzimmer und brenne das Licht an; Mr. Helmstedt wird gewiß schon auf das Abendbrob gewartet haben.«
Die Schwarze erwiderte nichts, setzte aber den Theekessel, welchen sie in der Hand
hielt, auf den Tisch, als wolle sie ein Loch hineinschlagen, und schoß zur Thür
hinaus. Bald
»Nichts Besonderes, Ma'am!« erwiderte diese, ohne aufzusehen; »man weiß nur nicht, was man zuerst thun soll, wenn man der einzige Dienstbote im Hause ist. Kaum eine Stunde bin ich weg gewesen, und Mr. Helmstedt hat mich deshalb schon ausgescholten – er will mich fortgeben – und ich kann doch nichts dafür, wenn ich einmal vergesse, daß wir nicht mehr in Oaklea leben und nicht mehr die guten Zeiten buben, wie sie dort waren.« Sie blies in die Kaminglut, daß Funken und Asche umherstoben.
»Ist Mr. Helmstedt wieder ausgegangen?« fragte die junge Frau nach einer kurzen Pause.
»Er will in einer Stunde zum Abendessen wieder zurück sein,« erwiderte das Mädchen und sah auf. »Aber nicht wahr, Miß Ellen,« fuhr sie fort, »es geht nicht, daß er mich von Ihnen wegschickt, wenn Sie auch Mrs. Helmstedt heißen? Wir sind ja doch zusammen aufgewachsen, und ich gehöre doch nur Ihnen zu –«
»Er wird es auch nicht im Ernst beabsichtigt haben,« erwiderte sie, dem Blicke der Schwarzen ausweichend; »aber vergiß nicht, Sarah, daß die Zeit der Sorglosigkeit vorüber ist, und thue deine Pflicht.«
Sie ging langsam nach dem Parlor, ließ sich wieder in den Schaukelstuhl nieder und stützte den Kopf in die Hand.
Waren es die hingeworfenen Worte der Schwarzen gewesen, welche die Bilder, die jetzt
an ihrer Seele vorbeizuziehen begannen, hervorgerufen hatten, oder waren sie noch die
Rückwirkung des Gesprächs mit ihrem jungen Begleiter vom Nachmittag, der von ihrem
Vater geredet? Wer will alle die oft unbewußten Eindrücke erforschen, welche
In der Straße war es längst tiefe Nacht geworden und das Feuer im Kamin war bis auf ein Häufchen glühender Kohlen niedergebrannt, als die junge Frau mit der Hand über die Augen fuhr und aufsah. Sie schien sich erst besinnen zu müssen, wo sie sei – dann aber erhob sie sich mit einem leisen, wie unwillkürlichen Seufzer, blickte eine Weile sinnend in die Kohlen und nahm dann einen der Leuchter vom Kaminsims. Bald hatte sie sich an der Kohlenglut Licht geschaffen. Die Uhr auf dem Kaminsims wies schon eine halbe Stunde über acht. Sie ließ die Vorhänge an den Fenstern über einander fallen und ging nach der Küche, wo Cäsar, der Schwarze, mit dem Ausbessern eines Pferdezaums beschäftigt war, während Sarah, den Kopf auf den Tisch gelegt, in regelmäßigen Zügen schnarchte.
»Hat noch Niemand etwas von Mr. Helmstedt gesehen?« fragte Ellen.
»Ich bin eben erst herein, Ma'am!« erwiderte der Schwarze und rüttelte das schlafende Mädchen. »Ist Mr. Helmstedt dagewesen?«
Sarah warf auffahrend ihren ersten Blick nach dem Ofen, in welchem längst alle Glut
erloschen war, und sprang dann von ihrem Sitze auf. »Die Biscuits sind schon zweimal
»War er noch nicht wieder hier?« fragte die junge Frau.
»Ich habe nichts von ihm gesehen.«
»Geh in dein Bett, Sarah – ich werde nichts essen, und Mr. Helmstedt hat sicher irgendwo anders zu Abend gespeist. Cäsar wird warten bis er zurückkomm.«
»Sicherlich, Ma'am!« war des Schwarzer. Antwort; »ich habe ohnedies noch eine Weile zu arbeiten.«
Ellen ging langsam zurück nach dem Parlor, der nur trübe von dem einen Lichte erhellt war. Sie brannte ein zweites an, setzte sich in den Schaukelstuhl und wartete. Aber der Zeiger der Uhr wies schon auf zehn, und Helmstedt war noch nicht zurückgekehrt. Unruhig hatte die junge Frau zu verschiedenen Malen sich erhoben, die Vorhänge zurückgeschlagen und in die dunkle, stille Nacht hinausgesehen; jetzt verließ sie von Neuem ihren Sitz, zog die seinen Augenbrauen zusammen und schien mit einem Entschlusse zu kämpfen. Langsam löschte sie eins der Lichter aus und begab sich mit dem andern nach ihrem Schlafzimmer im oberen Stock. Es war das erste Mal seit sie verheirathet war, daß sie diesen Weg allein antrat. Als sie durch die »Halle« schritt, erklang aus der Küche einer der eigenthümlichen Negergesänge, mit welchen sich Cäsar die Zeit vertrieb:
Als Helmstedt sein Haus verlassen, war er eine Strecke zwischen den Feldern hinter
dem Städtchen fortgeschlendert. Er wollte mit sich selbst klar werden, ehe er nach
Hause zurückkehrte – und es lag mancherlei auf seiner Seele, was des ordnenden
Gedankens und des kräftigen Entschlusses bedurfte, mancherlei, von dem die eben
durchlebte Scene mit seiner jungen Frau nur einen Theil bildete. Als Isaac, der alte
Pedlar, der so vielfach in sein Leben eingegriffen und dem er so Manches zu verdanken
hatte, in dem Hause seines Freundes Morton gestorben war, hatte es Helmstedt gern
zugesagt, der Vollstrecker seines letzten Willens zu sein, wie es der Verblichene
gewünscht, aber jetzt fanden sich Schwierigkeiten in der Ausführung dieses
Versprechens, die sich im ersten Augenblick nicht voraussehen ließen. Ein unmündiger
Schwestersohn des Verstorbenen, in New-York wohnhaft, war sein Erbe, und wollte
Helmstedt sein Interesse nicht in fremde, vielleicht unzuverlässige Hände geben, so
mußte er selbst nach dem Osten reisen, um die ganze Angelegenheit zu einem sichern
Abschluß zu bringen. Dazu gehörte aber Geld – Geld für die Reise und den Aufenthalt
in New-York, sowie für den Unterhalt seines Hausstandes, während er abwesend war und
seinem Broderwerb als Musiklehrer in der »Akademie« des Städtchens nicht nachgehen
konnte. Bei seiner Verheirathung hatte Ellen wol ein Capital von etwa
eintausendeinhundert Dollars gehabt, das von ihrem Vater als »Sparbüchse« nach und
nach für sie angesammelt und von diesem an Helmstedt überliefert worden war; davon
war aber der größte Theil für ihre Einrichtung darauf gegangen und der Rest in Ellens
Händen für ihre Garderobe und anderweitige
So weit war er in seinem Gedankengange gelangt, als er seinen Namen nennen hörte. Er sah auf und bemerkte jetzt erst, daß er, willenlos dem Wege folgend, auf die Landstraße gerathen war. Vor ihm hielt ein Schwarzer zu Pferde.
»Wenn Mr. Helmstedt abkommen könnte,« sprach dieser, »so möchte er doch nach Mr. Mortons Hause kommen. Mr. Morton ist heute Nachmittag recht krank geworden und möchte Mr. Helmstedt sehen.«
Der Angeredete hatte sich rasch aus seinen eigenen Gedanken gerissen. »Krank? Ist er sehr trank?« fragte er.
»Ich weiß nicht, Master, aber Mistreß Morton befahl mir, rasch zu reiten.«
Helmstedt stand einen Augenblick unschlüssig. »Ich bin schon zu weit von meinem Hause entfernt, um wieder zurückzugehen,« sagte er dann, »komm herunter Bill, und überlasse mir das Pferd, du kannst langsam nachkommen.«
Der Schwarze stieg gehorsam ab, und im nächsten Augenblick war der junge Mann schon im Sattel.
»Soll ich vielleicht Ihr eigenes Pferd nachbringen?« fragte Bill. Helmstedt aber
sprengte bereits davon und
Mortons Landsitz war über fünf Meilen von dem Städtchen entfernt, und Helmstedt ließ
den steifen Ackergaul unbarmherzig die Hacken fühlen, um rasch vorwärts zu kommen;
aber die völlige Dunkelheit war bereits hereingebrochen, ehe er nur die Hälfte des
Weges zurückgelegt hatte. Als er endlich die erleuchteten Fenster des Hauses und die
dunklen Gruppen der Bäume daneben erblickte, überkam ihn eine ganz eigenthümliche
Empfindung. Morton war es gewesen, der durch eine sonderbare Verkettung von Umständen
der Beschützer seiner Liebe zu Ellen geworden, dessen Hilfe ihm die Vereinigung mit
ihr allein möglich gemacht hatte und der ihm in der ganzen Gegend auch allein ein
Freund geblieben war. Auf demselben Wege, welchen er jetzt ritt, war er vor einigen
Monaten, des Glückes voll, mit seiner jungen Frau von der Trauung zurückgekehrt; wie
jetzt hatten ihm die Lichter desselben Hauses entgegengeschimmert, die er damals als
Leitsterne zu einem sichern Hafen betrachtet. Zum ersten Male, seit er in der Stadt
wohnte, kam er diesen Weg wieder – die Wolken, die sich seit jener Zeit um sein
junges Glück gezogen, traten in ihrer ganzen Trübe vor seine Seele; und doch war es
ihm, je deutlicher das stille Landhaus aus der Dunkelheit hervortrat, als müsse er
hier wieder den rechten Rath finden, der ihn, wie damals, aus seiner Bedrängniß
erlöste. Er suchte sich die Scene zu vergegenwärtigen, welche ihn wol jetzt dort
erwarte, und ein weibliches Bild erhob sich vor seinem innern Blick, an welches er in
den letzten Monaten am allerwenigsten gedacht: Mrs. Morton, seine junge Landsmännin,
welche der alte Pflanzer geheirathet, nur um eine treue Pflegerin zu haben, und die
diesem ihre ganze blühende
Er schien bereits erwartet worden zu sein. Ein Schwarzer öffnete das Gitterthor der Umzäunung, als er heranritt, und nahm ihm das Pferd ab. Helmstedt ging den wohlbekannten Weg nach der Hauspforte, wo ihn das schwarze Kammermädchen der Hausfrau empfing und vor ihm den erleuchteten Parlor öffnete. Dort saß, die Füße bequem gegen das Feuer gestreckt, ein ältlicher Mann, der ihm einen leichten Gruß zunickte und dann mit augenscheinlichem Wohlbehagen den Tabakssaft aus dem Munde in das Kamin spritzte. Helmstedt erkannte einen der Aerzte aus der Nachbarschaft.
»Well, Doctor,« begann er, einen zweiten Stuhl aus Feuer ziehend, »was ist denn so plötzlich über den alten Herrn gekommen? Es hat doch keine Gefahr, hoffe ich?«
»Well, Sir,« erwiderte der Arzt, sich mit seinem Stuhle zurücklehnend und mit der
Hand durch seine dichten Haare fahrend; »ehrlich gestanden, bin ich selbst mit mir
noch nicht im Reinen. Es ist einer von den Fällen, in welchen sich gar keine
bestimmte Krankheit des Körpers classificiren läßt, in welchen anscheinend die ganze
Maschine in Ordnung ist, aber die Triebkraft erlahmt scheint. Bisweilen schleppt sich
bei Patienten dieser Art derselbe Zustand noch jahrelang
»Und ihr Einfluß hat nichts gewirkt?« fragte Helmstedt, die Stirn in die Hand stützend.
»Well, Sir, der alte Herr ist freundlich und geduldig; er scheint sich oft, um nur ihr trostreiches Lächeln erwiedern zu können, stärker zu machen als er ist, aber das ist eben Alles nur äußerlich.«
»Und ist er heute kränker als gewöhnlich?«
»Ja und nein, – nichts als einer seiner gewöhnlichen Zufälle von Schwäche, welchen er in den letzten Wochen unterworfen gewesen ist, der aber heute bestimmter auftrat und länger anhielt als gewöhnlich, und der mich deshalb mehr als früher beunruhigt.«
»Sie werden es gewiß entschuldigen, Mr. Helmstedt, daß wir Ihnen noch die Unannehmlichkeit eines so späten Ritts hierher gemacht haben,« begann sie, und ihr Auge sah mit einer Gleichgiltigkeit und Ruhe in das seine, die ihn in seinem heimlichsten Innern verletzten, ohne daß er sich das wol selbst hätte gestehen mögen. »Mr. Mortons Zustand war indessen so bedenklich und er wünschte so lebhaft Sie zu sehen, daß ich nicht umhin konnte, Sie bitten zu lassen, seinem Wunsche zu willfahren.«
Helmstedt hielt noch immer ihre Hand und sah in ihre Augen ohne sogleich zu antworten, bis ein schwaches Roth in ihr Gesicht trat, das indessen noch schneller verschwand, als es aufgestiegen war, und sie leise ihre Finger aus den seinigen zog. »Wenn Sie mir folgen wollen – Mr. Morton hat sich schon etwas erholt,« sagte sie und wandte sich nach der Thür.
In dem anstoßenden Hinterzimmer saß Morton, zusammengesunken in einem weichen Schaukelstuhle, an dem helllodernden Kaminfeuer, und Helmstedt erschrak über die Veränderung, welche in den letzten Wochen mit dem früher so kräftigen Manne vor sich gegangen war. Ueber des Kranken Gesicht aber flog ein heller Schein der Zufriedenheit, als er den jungen Mann eintreten sah. »Sind Sie wirklich da?« sagte er und streckte, indem er sich aufrecht zu setzen versuchte, ihm die Hand entgegen; »ich glaube beinahe, Ihre besten Bekannten müßten Sie mit Gewalt holen lassen, wenn sie Sie einmal bei sich sehen wollen.«
Helmstedt faßte seine Hand und wollte eine Entschuldigung beginnen. »Lassen Sie doch,« unterbrach ihn Morton; »ich weiß Alles, Sie haben viel zu thun, sind daneben erst ein paar Monate verheirathet – setzen Sie sich zu mir her, Sir, und erzählen Sie mir, wie es Ihnen geht.«
Helmstedt wandte sich nach einem Stuhle und sah sich zugleich nach der jungen Hausherrin um; diese hatte aber bereits das Zimmer wieder verlassen.
»Noch immer die alte Liebes-Glückseligkeit zu Haus?« fuhr Morton fort, als sein Gast neben ihm saß. »Sie sehen recht wohl aus, und das freut mich.«
»Aber Ihr Aussehen will mir nicht gefallen, Mr. Morton,« sagte Helmstedt, ohne auf die erste Frage einzugehen, und drückte ihm die Hand; »ich hörte mit Schrecken, daß Sie so krank seien; was machen Sie denn für sonderbare Geschichten?«
»Es geht jetzt schon wieder,« entgegnete der Kranke, und strich mit der Hand über das
magere Gesicht; »trotzdem freut es mich, daß Sie da sind.« Er hob mit sichtlicher
Anstrengung den Kopf, um im Zimmer umher zu sehen, und ließ ihn, als er keinen
Dritten in ihrer Umgebung bemerkte, wieder matt zurückfallen. »Rücken Sie näher,
Morton lächelte, wie man über einen gut gemeinten, aber nutzlosen Vorschlag lächelt. »Ich werde es thun, lieber Freund, sobald ich nur wieder Kräfte genug gesammelt habe,« sagte er; »ich habe dasselbe schon Mrs. Morton versprechen müssen. Sollte ich aber zufälligerweise nicht dazu kommen, so habe ich Ihre Zusage.« Er drückte eine Weile, wie um auszuruhen, die Hand vor die Augen. »Sonderbar,« sagte er dann, »Sie sollten sich eigentlich vor der Uebernahme von Vormundschaften in Acht nehmen, Sir, Sie bekommen sonst den ganzen Hals voll – das ist jetzt in wenig Monaten schon die zweie; erst der Schwestersohn des Pedlars, – aber gut, daß ich daran denke, wie steht es denn eigentlich damit, haben Sie schon etwas in der Sache gethan?«
»Ich bin so weit,« erwiderte Helmstedt, »daß ich beabsichtige nach New-York zu gehen, so bald ich es ermöglichen kann, um die ganze Angelegenheit ein für allemal zu ordnen.«
Morton sah langsam auf. »Fehlt's an etwas?« fragte er, »ich habe manchmal in den letzten Tagen daran denken müssen, wie der alte Bursche Isaac hier im Hause starb, und zugleich an sein Vertrauen zu Ihnen, und sollte ich etwas helfen können, damit Sie seinen letzten Willen recht ausführen, so sagen Sie es.«
»Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen,« sprach Morton leise und nickte mit dem Kopfe; »haben Sie einen besonderen Grund, Unrechtes zu argwöhnen oder besorgt zu sein?«
»Ich mag, wie gesagt, vielleicht Gespenster sehen,« erwiderte Helmstedt, den Kopf in die Hand stützend, »aber es ist Manches, was mich bedrückt, ohne daß ich durch die ruhigste Ueberlegung davon loskommen kann. Doch lassen wir das vorläufig. Zum Zweiten muß ich erst zusehen, wie ich das nöthige Geld für meine Reise und was dazu gehört, anschaffe – ich hatte heute schon überlegt, ob ich eins von meinen Pferden verkaufen könne.«
Der Kranke setzte sich mit einer Kraft aufrecht, die ihm Helmstedt nicht zugetraut.
»Nun sehen Sie einmal, was für ein Mensch Sie sind,« sagte er mit allen Zeichen des
Aergers. »Sie wissen, wo Sie Freunde wohnen haben, und doch plagen Sie sich lieber
wochenlang mit sich selbst herum, versäumen die wichtigsten Interessen dabei, nur um
Niemandem ein Wort zu gönnen. Was das mit Ihrer Frau betrifft, weiß ich nicht; was es
auch sein mag, so bleibt es besser unter Ihnen Beiden – handelt es sich aber nur
darum, das Frauchen während Ihrer Abwesenheit
Helmstedt wollte etwas erwidern, als sich die Thür halb öffnete und das Gesicht des Arztes hereinsah. »Alle Wetter!« rief dieser, »das spricht ja so frisch, als gäbe es gar keinen Kranken im Haus; ich habe mit Verwunderung die Stimme durch die Wand dringen hören. Und wahrhaftig,« fuhr er eintretend fort, »die Backen sind in dem Gesprächseifer aufgeblüht wie ein paar Matrosen. Störe ich die Herren nicht?«
»Wir sind eben mit dem Nothwendigsten fertig, und Sie sind willkommen, Doctor,« erwiderte Morton, sich langsam in den Schaukelstuhl zurücklegend.
Der Arzt legte die Hand an den Puls des Kranken. »Very well,« sagte er, »so thun wir auch am besten, wir sprechen jetzt nichts mehr und halten uns so ruhig als möglich.«
»Aber ich fühle mich doch gerade jetzt recht wohl, Doctor, und möchte so gern noch mit meinem jungen Freunde plaudern.«
»Damit Sie die Nacht über nicht schlafen können und morgen wieder am Sterben sind, nicht wahr? Lassen Sie mich jetzt Mrs. Morton zu Ihnen schicken, und glauben Sie, daß Sie noch etwas zu reden haben, so thun Sie das morgen oder übermorgen.«
»So geht's, wenn man unter die Hände von solchen Leuten geräth,« sagte Morton und
reichte Helmstedt lächelnd
Helmstedt hatte das Krankenzimmer verlassen und saß im Parlor neben dem Feuer, um auf
das Anspannen der Kutsche zu warten, die ihn wieder nach Hause bringen sollte. Bald
meldete der Schwarze, daß Alles zur Abfahrt bereit sei; aber vergebens sah sich
Helmstedt nach der Hausfrau um, um sich bei dieser zu verabschieden. Erst als er ihr
seinen Gruß durch den Schwarzen gesandt hatte und das Haus verlassen wollte, trat sie
ihm in der Halle entgegen. »Grüßen Sie Ellen!« sagte sie leise und reichte ihm ihre
Hand, die wieder so kalt und leblos in der seinigen lag, daß Helmstedt sie kaum zu
drücken wagte. Er mußte auf seiner Rückfahrt lange Zeit an ihr zurückhaltendes,
stilles Wesen denken – auch hierin war sie, wenn er an frühere Zeiten dachte, wo sich
jede wechselnde Empfindung offen in ihren Zügen gespiegelt, wo ihm ihr Auge wie ein
tiefer klarer Brunnen erschienen war, eine ganz Andere geworden. War das nur die
Folge ihres einsamen Lebens und ihrer Aufopferung für Morton? Helmstedt mußte
unwillkürlich eine Parallele zwischen ihrer Hingebung, die doch nur durch kalte
Pflichttreue geboten sein konnte, und Ellens Handeln ziehen, und ein Gefühl von
Täuschung, ein Gefühl wie die Ahnung eines verfehlten Wurfs für sein ganzes Leben
überkam ihn, so daß er endlich mit Macht sich den drückenden Gedanken zu entziehen
suchte. Er dachte an das Gespräch mit Morton, welches jede Sorge um die Erfüllung
seiner Verpflichtung gegen des Pedlars Erben von ihm nahm; aber erst die Vorstellung,
Ellen in Mortons Hause untergebracht zu sehen, fern von den Intriguen ihres Vaters
und seines jungen Abgesandten, ließ wieder eine stille Beruhigung
Die Wendung des Weges, welcher nahe der Stadt in die Landstraße einbog, störte ihn aus seinem Sinnen auf, und jetzt erst fiel ihm ein, was wol Ellen von seinem Außenbleiben gedacht haben mochte. Er sah scharf nach der Gegend hin, wo er sein Haus stehen wußte, aber kein Lichtschimmer zeigte dort, daß ihn Jemand erwarte. »Wie spät ist es wol?« fragte er den schwarzen Kutscher; »es ist zu dunkel, um etwas auf der Uhr zu erkennen.«
»Es mag 11 Uhr vorbei sein, Sir!« war die Antwort.
Der Wagen rollte nach kurzer Zeit vor das Haus, und Helmstedt, der umsonst nach einem Zeichen des Lebens darin sich umsah, wollte eben verstimmt aussteigen, als Cäsar aus der Dunkelheit hervoreilte und dienstfertig das Schutzleder am Wagen zurückschlug. »Ist meine Frau schon zu Bett?« fragte der Angekommene.
»Mistreß hat bis nach 10 Uhr gewartet,« erwiderte der Schwarze, »und befahl mir dann, wach zu bleiben.«
Helmstedt nickte befriedigter, fertigte den Kutscher mit einem Trinkgelde ab und
schritt ins Haus. Er fand das Schlafzimmer offen, wo das niedergebrannte Kaminfeuer
nur eine kaum noch bemerkbare Helle verbreitete. Leise trat er ein und zündete ein
Licht an. In den schneeigen Kissen des Bettes lag Ellen, das Gesicht ihm zugewandt,
»Und was war es denn so Schönes, was du träumtest?«
»O laß mich,« erwiderte sie, und drehte das Gesicht nach der Wand; »ich war wieder Kind und bei meinem Vater.«
Helmstedt richtete sich mit einem unterdrückten Seufzer auf, kleidete sich aus und löschte dann das Licht.
In Pearl-Street in New-York, da, wo in spätern Jahren der neue Durchbruch gemacht
wurde, stand das Haus des Pfandleihers Abraham Meier. Es war ein niederes,
unscheinbares Gebäude, dem man äußerlich die Räumlichkeiten, welche es enthielt,
nicht ansah. Unter den drei vergoldeten Kugeln, dem Pfandleiherzeichen, gelangte man
durch den Eingang in einen engen, nur spärlich erleuchteten Hausflur, aus welchem
eine Thür nach der geräumigen »Office« führte. Ein starkes Gitter, hinter welchem der
Pfandleiher seinen Platz hatte und das ihn vor jeder Unbequemlichkeit durch seine
Kunden schützte, schied diesen Raum der Länge nach in zwei Hälften. Es hatte zwei
durch Schiebgitter geschützte
Es war Nachmittags zwei Uhr an einem Apriltage. Abraham saß vor seinem Pulte,
blätterte in einem seiner Geschäftsbücher und markirte einzelne Posten mit Bleistift.
Die Office war leer. Mit dem Ausgange des Winters ist die größte Ernte des
Pfandleihers vorüber; was der Arme
»Vierundfünfzig Nummern!« brummte Abraham, als er die letzte beschriebene Seite seines Geschäftsbuchs erreicht hatte. Er stand auf und schloß die beiden Fenster des Gitters; dann öffnete er einen großen eisernen Geldschrank unweit seines Pultes und begann eine Menge kleiner, in weißes Papier gewickelter und numerirter Päckchen daraus hervorzuholen. Bei jedem derselben verglich er die Nummer mit den Angaben seines Geschäftsbuchs, öffnete auch wol hie und da eins derselben und besah mit prüfendem Blick die Uhren, Ringe, Ketten und anderen Schmuckgegenstände, welche sich zeigten, sie aber jedesmal wieder sorgfältig in ihren Umschlag wickelnd, und packte zuletzt den ganzen Haufen in einen flachen Korb, der sichtlich zu diesem Zwecke sich auf dem Geldschrank befand. Nachdem er diesen wieder sorgfältig verschlossen, trug er seine Kostbarkeiten nach einem Nebenzimmer, wo eine ganze Niederlage von Packeten aller Größen sich in großen an der Wand hinziehenden Regalen befand. Vor einem langen Tische stand eine schmächtige Frauengestalt, mit dem Sortiren eines Haufens von Frauenkleidungsstücken beschäftigt.
»Wenn du fertig bist, kleine Rebecka,« sagte er Englisch, »so kommt Alles in den vorderen Keller. Morgen will endlich der Meier Friedmann hier sein, und ich werde den Plunder los sammt den andern Waaren im hintern Keller, die schon länger im Hause sind als gut ist.«
»Ist es nicht ein gefährliches Geschäft, was du treibst seit dem letzten Jahre?« sagte sie.
»Gefährlich? Wie heißt gefährlich!« erwiderte er eifrig, ins Deutsche fallend, und setzte den Korb mit Goldwaaren auf den Tisch. »Ist der Termin für die Einlösung von den Nummern dahier nicht abgelaufen schon seit der letzten Woche? Und spricht auch das Gesetz, daß ich soll halten die Sachen noch so und so lange Zeit nach dem Verfalle, so weiß ich doch, daß Keiner wird kommen und mich daran mahnen, so kenne ich doch die Menschheit, so werde ich doch nicht sein thöricht und lassen das Geld liegen todt in den Sachen ein volles Jahr.«
»Das ist deine Sache, Abraham,« unterbrach ihn die Frau; »aber ich meinte wegen der Waaren in dem hintern Keller.«
»Was willst du, Rebeckche, was willst du?« sagte er, seine Stimme dämpfend, »weiß
ich, woher die Waaren kommen, oder was für ein Recht die Leute daran haben, welche
sie gebracht? Soll ich sie lassen gehen nach einem andern Platze und einem Andern
lassen den Profit daran? Was bringt's ein, wenn man hat ein gar zu genaues Gewissen?
Du hast die Gedanken vom alten Isaak Hirsch, der herumdrehte jedes Geschäft dreimal,
ehe er hat zugefaßt. Was hat er gemacht dabei? Läuft er nicht noch herum unten im
Süden bei den Niggern als Pedlar und hat für den Manuel, den er angenommen an
Kindesstatt und den wir jetzt müssen verpflegen, noch nicht einmal geschickt das
Kostgeld für die letzten drei Monate? Und bist du nicht selber
»Ich hab' dich genommen, weil du warst ein anständiger Mensch und ich meinte, du sei'st ehrlich,« erwiderte sie, den Kopf hoch aufrichtend; »ich habe dir geholfen nun manches Jahr in deinem Geschäfte und zu deinem Verdienste, und wenn ich einmal spreche, wo ich denke es sei Noth, so habe ich nicht verdient, daß du mir vorwirfst, ich sei gewesen arm, als du mich genommen.«
»Rebeckche, was willst du?« sagte er eifrig; »habe ich doch nichts sprechen wollen, was. Dich könnte beleidigen; bin ich nicht anständig noch immer? Gehöre ich doch zur Gesellschaft der Benei Beriß; treibe ich doch mein Geschäft, daß sie schon oft haben gesprochen vom nobeln Abraham Meier; habe ich dir doch gesagt, daß du sollst wegbleiben ganz und gar vom Fenster in der Office und sollst sitzen in deinem Parlor als eine Lady, und daß ich will nehmen den Manuel ins Geschäft an deinen Platz, wenn der Isaak Hirsch noch länger zurückhält mit dem Kostgelde für ihn. Und wegen der Waaren im Hinterkeller,« fuhr er halblaut fort, »weiß Jemand, wo der Weg hineingeht und sucht Jemand dergleichen beim Abraham Meier, der sein Geschäft so nobel betreibt? Warum soll ich nun nicht nehmen einen großen, sichern Gewinn –« er hielt plötzlich inne und horchte auf. »Hast du gehört?« fragte er nach einer Weile.
»Was soll ich haben gehört?« erwiderte sie, »es war Jemand an der Hinterthür.«
»An der Hinterthür – wer hat etwas zu thun an der Hinterthür?« sagte er und horchte noch immer mit gespanntem Gesichte.
»Was thust du so ängstlich? wer soll's anders sein, als Einer, der nicht will gehen
zum Pfandleiher am hellen Tage durch die Vorderthür? Du hattest niemals Angst,
Abraham,
In diesem Augenblicke klappte die Thür der Office und Meier's Gesicht verfärbte sich. »Geh hinaus, Rebeckche, thu' mir's zu Liebe und sieh wer da ist,« sagte er hastig und leise, »morgen kommt der Meier Friedmann, und dann soll kein Stück Waare mehr sehen den Hinterkeller.«
Die Frau ging ruhigen Schrittes nach der Office und Meier hörte, wie sie eins der Fenster des Gitters öffnete.
»Ist der Abraham nicht hier, Ma'am?« klang es in englischer Sprache, »ich komme so eben aus dem Süden, und möchte ihm gern ›guten Tag‹ sagen.«
Meier athmete mit sichtbarer Erleichterung auf, fuhr mit der Hand ordnend durch seine Haare und trat hinaus.
Vor dem Gitter stand ein Mann in elegantem Anzuge, mit dunkelm Schnurrbart und freier Haltung. – Meier's Auge hatte im Nu die ganze Erscheinung überflogen und blieb dann an dem lächelnden Gesichte des Eingetretenen hängen. Es war schon Wochen her, daß Niemand mehr durch die Hinterthür zu ihm gekommen war; die Weise, sie zu öffnen, war nur Einzelnen seiner vertrauten Kunden bekannt, und von dem Gesichte vor ihm kannte Abraham keinen Zug.
»Was steht Ihnen zu Diensten?« fragte er, an das Fenster tretend, während sich seine Frau in das hintere Zimmer zurückzog.
»Hm, kennt Ihr mich nicht mehr, alter Bursche?« erwiderte der Angeredete und reichte ihm die Hand durchs Fenster. »Haben doch schon Manches mit einander zu thun gehabt, wenn auch nur Abends. Mein Name ist Wells, Henry Wells, Sir.«
Meier sah dem Manne noch einen Augenblick befremdet, aber scharf prüfend ins Gesicht.
Dann nahmen seine Züge den Ausdruck der kältesten Höflichkeit an; er bog sich vom
Fenster zurück, ohne die dargebotene Hand zu berühren.
»Well, Sir, Sie müssen mich als alten Bekannten entschuldigen, daß ich, wie früher, den Weg durch die Hinterthür genommen habe,« erwiderte der Andere, ihm mit ungestörtem Lächeln ins Gesicht sehend; »es war mir gerade bequem. Kann ich nicht ein Viertelstündchen mit Ihnen plaudern, ungestörter als gerade hier in der Office?«
»Ich mache nirgends anders Geschäfte, als in meiner Office,« erwiderte Abraham so kalt wie vorher, aber sein Auge begann unruhiger zu werden. »Sagen Sie, was Ihnen zu Diensten steht, ich bin heute sehr beschäftigt!«
Um den Mund des Andern zuckte es wie halber Spott. »Ich bin kein Polizeispion und auch kein ärgerer Spitzbube, als mit denen Sie bereits zu thun gehabt, Mr. Meier,« sagte er mit halbgedämpfter Stimme, »Sie haben also nichts zu fürchten. In Ihrem Hinterhause ist ein kleines, hübsches Stübchen, in welchem Sie schon oft ganz artige Geschäfte abschlossen – warum wollen Sie also durchaus mit mir nur in Ihrer Office verhandeln? Sie sehen doch nun, daß wir alte Bekannte sind, wenn ich auch gestern erst wieder in New-York angekommen bin?«
Meier's Gesicht wurde blaß und sein Auge fixirte von Neuem unsicher den vor ihm Stehenden. »Ich weiß nicht von was Sie reden,« sagte er dann, und suchte hörbar seiner Stimme Festigkeit zu geben, »und dazu kenne ich Sie durchaus nicht –«
»Thut vorläufig gar nichts, alter Freund,« lachte der Fremde, »sagen Sie mir nur, ob
Sie eine Viertel stunde mit mir plaudern wollen oder nicht. Wollen Sie mich nicht in
Ihr Geheimzimmer führen, so thut's auch Ihr Parlor – unsere Unterhaltung soll ganz
unverfänglicher Natur sein, das verspreche ich Ihnen. Hoffentlich wird der
In Meier's Gesicht wechselten Röthe und Blässe; er sah bald unentschlossen vor sich nieder, bald in die halbspöttisch lächelnden Züge seines Gegenüber. »Wenn Sie darauf bestehen –« sagte er endlich und schloß langsam, wie noch im halben Kampf mit sich selbst, das Fenster; als er aber die Gitterthür öffnen wollte, schien ihn ein neues Bedenken zu ergreifen. »Wenn Sie vorweg die Treppe hinaufspazieren wollen –« sagte er, »ich komme Ihnen auf dem Fuße nach.«
Der Andere lachte leicht auf. »Ich habe keine Absichten auf Sie, noch auf Ihr Eigenthum, Abraham,« sagte er und öffnete die Thür nach dem Hausflur, »kommen Sie ruhig hinter Ihrem Gitter hervor.« Aber erst als der Fremde die Office verlassen, schloß Meier die Gitterthür auf, die er, kaum daß er herausgetreten, rasch wieder ins Schloß warf.
Der Parlor im oberen Stock, wohin Abraham seinen aufgedrungenen Gast führte, präsentirte sich so nobel als der Pfandleiher selbst. Ein Carpet von schreienden Farben bedeckte den Boden, und den mit Pferdehaar-Zeug überzogenen Möbeln, wie dem prahlenden Goldrahmenspiegel sah man es an, daß sie den Trödlerladen kennen gelernt hatten. Zwei große Oelgemälde hingen an der Wand, an denen die Rahmen indessen jedenfalls den werthvollsten Theil bildeten, und zwei ordinäre Blumen-Vasen nebst einer gelblackirten Parlor-Lampe schmückten den Kaminsims.
Der Fremde schritt ungenirt dem Schaukelstuhle zu, auf welchen er sich bequem niederließ. »Holen Sie sich einen Stuhl, Abraham,« sagte er, »und lassen Sie vor allen Dingen Ihre ängstliche Miene fahren; ich beiße Sie wahrhaftig nicht und will auch kein Geld von Ihnen.«
Meier ließ sich, die Augen groß auf den Eindringling geheftet, ihm gegenüber nieder.
»Ah – den Isaak Hirsch, vermuthe ich,« sagte der Pfandleiher und sein Gesicht begann an ängstlicher Spannung zu verlieren. »Ist der alte Mann wohl, und hat er Ihnen vielleicht irgend einen Auftrag für mich gegeben?«
»Als ich ihn sah, war er wohl,« erwiderte der Fremde, »sonst hat er mir für Sie nichts Besonderes über tragen. Ist aber nicht etwas wie ein Schwestersohn von ihm vorhanden? wenigstens sprach er –«
»Der Manuel, versteht sich, der Manuel, den ich in Kost habe. Haben Sie etwas für ihn?«
»Nichts von Bedeutung – hilft er mit in Ihrem Geschäfte?«
Meier sah seinem Gaste einen Augenblick scharf in die Augen, ehe er antwortete. »Hat Ihnen der Alte vielleicht Auftrag gegeben, nachzusehen, ob ich unrecht handle an dem Jungen,« sagte er dann, »so mögen Sie ihm nur melden, daß, wenn er mich auch drei Monate ohne das Kostgeld für ihn gelassen habe, der Manuel doch noch immer bei Smith und Johnson, Advocaten in Duanestreet sei, um zu schreiben und die Gesetze kennen zu lernen, wie es der Alte verlangt hat, ehe er das letzte Mal nach dem Süden ging.«
»So, bei Smith und Johnson arbeitet er, und der Alte ist Ihnen noch das Kostgeld für ihn schuldig,« sagte der Fremde und stützte den Kopf in die Hand. »Sagen Sie einmal, Abraham,« fuhr er fort, und es zuckte wie ein unwillkürliches Lächeln über sein Gesicht, »ist der alte Isaak ein stiller Partner von Ihnen gewesen, daß er so genau Bescheid wußte über die Geschäfte, welche Sie bisweilen Abends in Ihrem Geheimzimmer abschließen, daß er mich wegen der Hinterthür zurechtweisen und mir noch weitere derartige Dinge erzählen konnte?«
Meier zuckte wie von einem Stiche getroffen von seinem Stuhle auf und warf wie
unwillkürlich einen scheuen Blick
»Woher weiß ich es, Abraham?« erwiderte der Andere und erhob sich langsam; »ich bin doch gestern erst nach langer Abwesenheit wieder in New-York eingetroffen. Aber,« fuhr er fort und nahm seinen Hut, »Sie haben viel zu thun, und so will ich Sie nicht länger aufhalten. Adieu, und grüßen Sie Mrs. Meier!«
»Nun weiß ich aber doch immer noch nicht, was Sie von mir wollten!« rief Meier aufgeregt und stellte sich vor seinen Gast, als wollte er ihm den Weg vertreten.
»Schreien Sie nicht so, Abraham, das thut in Ihrem Hause nicht gut!« erwiderte dieser, mit der Hand winkend; »ich wollte nichts weiter von Ihnen, als was ich jetzt weiß, adieu!«
»Aber Sie wissen doch nichts, Sie wissen doch bei Gott nichts!« rief der Pfandleiher, mühsam seine Stimme niederhaltend.
»Desto besser für Sie!« sagte der Eindringling mit einem halben Lachen und schritt die Treppe hinab.
Meier hielt noch unentschlossen die Parlorthür in der Hand, als er den Andern schon das Haus verlassen hörte. »Was weiß er, was kann er wissen?« murmelte er unruhig vor sich hin. »Morgen kommt der Meier Friedmann, und dann nimmer wieder ein verdächtiges Geschäft! daß ich Ruhe behalte im Hause – –«
Der Fremde hatte die Richtung nach dem Broadway eingeschlagen und schritt mit der
Miene eines Mannes vorwärts, der ein Geschäft zu seiner Zufriedenheit abgemacht hat.
Dann und wann spielte, wie in Erinnerung an die
An der nächsten Ecke stand eine von den Gestalten, wie man sie in New-York besonders in der Nähe von Trinklocalen so häufig trifft, ein Mensch in modernen Kleidern, von denen indessen jeder Theil, vom zerdrückten Hute bis zu den ungeputzten Stiefeln, eben aus den Trödelbuden gekommen zu sein schien. Er hatte die Hände müßig in den Hosentaschen stecken und musterte mit halbschläfrigem Blicke die vorbeipassirenden Menschen und Fuhrwerke. Der Fremde hatte ihn kaum bemerkt, als er seine Schritte auf ihn zulenkte. »Ich muß Euch heute Abend sehen, Bill, am gewöhnlichen Orte,« sagte er, ohne länger als nur einen Augenblick bei ihm anzuhalten, »es gibt Etwas, seid pünktlich da!«
»All right!« erwiderte der Angeredete, ohne seine Stellung zu verändern, und der Fremde setzte in rascheren Schritten seinen Weg fort, bis er das Astorhaus erreicht hatte und hier nach einem der Zimmer in den obern Stocks hinaufschritt. Dort lag, eine Cigarre rauchend, ein junger Mann auf dem Sopha, der sich indessen aufrichtete, als er den Eintretenden erkannte.
Der Angekommene legte seinen Hut ab und trat dann, mit einem halbsarkastischen Lächeln in das erwartungsvolle Gesicht des Andern sehend, vor diesen.
»Well, Sir,« begann er mit vorsichtig gemäßigter Stimme, »der Erbe wäre aufgefunden, und ich verbürge mich, sein Verschwinden zu veranstalten, ohne daß nur Jemand etwas Unrechtes dabei vermuthen soll. Jetzt fragt es sich vor allen Dingen, wie weit Sie mit Ihrer Arbeit sind.«
»Danke schön!« erwiderte dieser kalt; »Sie aber scheinen mir ein Kind zu sein, Mr. Murphy, das so subtile Speculationen wie die unsern gar nicht unternehmen sollte. Ich heiße Wells, Sir – Henry Wells, mögen wir allein oder in Gesellschaft sein. Den Seifert habe ich in den Mississippi versenkt, als ich dort das Dampfboot bestieg.«
»Gut, gut! ich verspreche Ihnen, es soll keine Namenverwechslung mehr vorkommen,« erwiderte Murphy. »Jetzt setzen Sie sich hierher. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich schon fürchtete, wir würden nicht Zeit genug gewinnen, um unsere Nachforschungen und weiteren Maßregeln ausführen zu können. Hier,« sagte er und zog aus der Brusttasche seines Rockes einen Brief, »lesen Sie und sagen Sie mir dann Ihre Meinung.«
Seifert entfaltete ihn langsam, überflog erst Datum und Unterschrift und begann dann bedächtig zu lesen:
»Big Spring. Alab., April 13. 1850.
Lieber William!
So gut ich auch glaube Deinen Auftrag, der so ganz mit meiner Neigung übereinstimmte,
ausgeführt zu haben, so scheint doch der Deutsche einen Strich durch Deine Rechnung
machen zu wollen, und ich eile, dir das Nöthige zu melden. Als ich zuerst die junge,
reizende Frau sah, welcher ich nach Deinem Plane meine Aufmerksamkeit widmen sollte,
konnte ich ganz den Unwillen ihrer Eltern, sowie der Nachbarschaft begreifen, daß es
einem solchen hergelaufenen deutschen Schlingel hatte gelingen können, diese Perle
für sich wegzufischen. Ich wurde bei einer zufälligen Gelegenheit ihrem Vater
vorgestellt, der ziemliches Gefallen an mir zu finden schien, und bald merkte ich,
als ich, wie unkundig der
So steht die Sache im Augenblick und ich fürchte, daß nur kurze Zeit, nach Ankunft dieses Briefes der Deutsche Deinen Weg kreuzen wird. Handele nun, wie es Dir Deine eigene Klugheit eingibt, und schreibe mir bald; die nächste Postoffice bei Big Spring kennst Du. Wie immer, Dein
John Nelson.«
Seifert faltete den Brief langsam zusammen und sah einen Augenblick nachdenkend vor sich nieder. »Dieser Mr. Nelson,« sagte er dann, »scheint selbst verliebt in die junge Frau zu sein und mit seinem großen Eifer mehr verdorben als genützt zu haben. Zu gleicher Zeit aber muß ich Ihnen gestehen, daß ich persönlich Ursache habe, eine Begegnung mit diesem Mr. Helmstedt, besonders hier in New-York zu vermeiden. Es heißt also vor allen Dingen rasch handeln, und damit ich eine volle Uebersicht des Nothwendigen erhalte, lassen Sie uns den allgemeinen Thatbestand recapituliren. – Sie haben in dem Nachlasse des alten Pedlars. welcher in dem Hause des Mr. Morton in Alabama starb, die Notiz über einen alten Besitztitel gefunden, von der, wie Sie meinen, Niemand etwas weiß. Wie kamen Sie dazu, und warum glauben Sie, daß Sie der Alleinwissende seien?«
Seifert verzog in diesem Augenblick das Gesicht zu einer so ironischen Miene, daß der Redende inne hielt.
»Nun?« fragte er.
»Nichts, gar nichts,« erwiderte Seifert, »als daß ich Ihnen wahrhaftig Ihr voriges Compliment, den ›abgefeimtesten Spitzbuben‹ betreffend, zurückgeben muß. Werden Sie nicht beleidigt dadurch,« fuhr er lachend fort, als er in Murphy's Gesicht ein leichtes Roth treten sah, »die Aeußerung war wenigstens nicht schlimmer gemeint als die Ihrige. Fahren Sie fort.«
Murphy warf einen finsteren Blick in seines Gefährten Gesicht und sah dann zur Erde. »Ich bin zu Ende.« sagte er.
Murphy sah auf und schien einen innern Widerwillen niederzukämpfen. »Was wollen Sie weiter wissen?« fragte er.
»Die Hauptfrage war also,« begann Seifert von Neuem und lehnte sich bequem zurück, »ob der besagte Besitztitel auch wirklich mit allen Rechten auf den alten Pedlar übertragen war, und über diesen Punkt wollten Sie sich hier in New-York Gewißheit verschaffen.«
»Ich habe mich bei Smith und Johnson einführen lassen, die überhaupt alle gerichtlichen Angelegenheiten für den Alten versehen zu haben scheinen,« berichtete Murphy, vor sich nieder sehend, »und es ist mir nach mancherlei Umwegen, um den Hauptzweck meines Besuches zu verdecken, gelungen, Einsicht in das Document zu erhalten. Das unbeschränkte Eigenthumsrecht des Isaak Hirsch daran steht außer allem Zweifel.«
»Schön,« nickte Seifert, »es entsteht aber noch die eine Frage, ob der Alte nicht etwa weitere Depositen bei derselben Firma hat, wodurch, wenn auch die Erben keine augenblickliche Kenntniß des vorhandenen Besitztitels haben, sie doch so zeitig davon unterrichtet werden müßten, daß Ihr ganzer Plan, ein Abkommen deshalb mit den Leuten zu treffen und sich selbst den Hauptgewinn zu sichern, auf sehr bedeutende Schwierigkeiten stoßen dürfte.«
Murphy verzog das Gesicht zu einer geringschätzenden Miene. »Sie dürfen es wol bei einem Advocaten, der es gewohnt ist, alle Seiten eines Falles zu erwägen, voraussetzen,« sagte er, »daß ihm eine solche Hauptfrage nicht entgangen ist. Die sämmtlichen übrigen Depositen bestehen aus Geld und sind bei einem hiesigen Handlungshause untergebracht.«
»Ich kann sie jedenfalls anschaffen,« versetzte der Advocat. »Indessen,« fuhr er fort, seinem Gefährten scharf ins Auge sehend, »möchte ich wol vorher etwas Genaueres über Ihren Plan, sowie über die Verwendung dieses Geldes wissen. Ich habe noch nicht einmal etwas Weiteres als Ihr Wort, daß der Erbe aufgefunden sei.«
Seifert hielt mit einem gemüthlichen Lächeln Murphy's Blick aus. »Wünschen Sie nicht etwa eine gerichtlich gesicherte Bürgschaft, lieber Herr, daß ich wirklich den Judenjungen auf die Seite schaffen werde?« sagte er. »Oder vielleicht eine vor dem Notar beschworene Specification meiner Ausgaben, versehen mit den Quittungen der verschiedenen Herren von der ›Fancy‹, welche ich auf die eine oder die andere Weise bei dem Unternehmen verwenden muß? Ich will Ihnen Eins sagen,« fuhr er fort und setzte sich gerade auf, »die Zeiten, wo man einen wohl verclausulirten Pakt mit dem Teufel machte, sind seit der Erfindung der Polizei vorbei; heut' zu Tage werden alle Geschäfte in dieser Branche nur auf Treue und Glauben gemacht. Ich übernehme die kitzlichste Arbeit in der ganzen Speculation und weiß noch nicht einmal, ob der spätere Erfolg Ihrer Arbeit meine Gefahr lohnt – ich traue nur Ihrem Worte und Ihrer Einsicht. Dasselbe haben Sie bei mir zu thun – ich bin aber gern erbötig, falls Ihnen diese Uebereinkunft nicht convenirt, in diesem Augenblicke noch unsern Vertrag aufzuheben. Sie haben dann am Ende weiter nichts verloren, als die Kosten meiner Reise nach New-York.«
»Wie kann ich das wissen, Sir?« erwiderte Seifert, mit höflicher Miene die Achsel zuckend; »wie kann ich alle Hindernisse, die vielleicht überwunden werden müssen, vorausberechnen? Hundert Dollars mehr oder weniger hängen bei Unternehmungen dieser Art oft von der augenblicklichen Laune der Menschen ab, welche die praktische Arbeit in der Sache zu thun haben. Den Jungen zu entführen ist Kinderspiel; aber es zu veranstalten, daß er nicht vermißt wird, daß die übrigen Erben ohne Hinderniß in das Vermächtniß eingesetzt werden können, daß Sie keine Schwierigkeiten finden, um Ihr Abkommen wegen des Besitztitels zu treffen – das ist ein Unternehmen, welches mehr als gewöhnliche Mittel verlangt. Hier liegt das Geld, falls Sie noch irgend welche Bedenken haben sollten –«
»Nehmen Sie und gehen Sie an die Arbeit,« sagte der Advocat, sich die Stirn reibend, »Sie wissen recht gut, daß ich nicht zurück kann, wenn ich nicht den ganzen Plan aufgeben will.«
Seifert erhob sich, ging auf den Advocaten zu und legte die Hand auf seine Schulter.
»Der Teufel ist noch immer ehrlicher gewesen als die, welche stets den Herrgott auf
der Zunge haben. Das war das Wort, mit dem Sie mir auf dem Dampfboot Ihr Vertrauen
schenkten, und daran mögen Sie nur ruhig festhalten,« sagte er. »Aber,« fuhr er fort,
und sah dem Advocaten mit einem eigenthümlichen Blick ins Auge, »den Teufel haben
auch Wenige
»Habe ich schon etwas gethan, das Sie zu irgend einem Verdachte gegen mich berechtigen könnte?« unterbrach ihn Murphy, den Kopf hoch aufrichtend.
»Zu Thaten war es wol die Zeit noch nicht – eben so wenig wie am Keim einer Pflanze gleich die Früchte hängen, obgleich der Erfahrene genau weiß, wie diese einmal aussehen werden,« erwiderte Seifert mit demselben Blicke wie zuvor.
»Ich verstehe Sie nicht, Sir.«
»Desto besser für Sie, und ich wünsche, daß ich Ihnen den Sinn meiner Worte nicht künftig einmal zu erklären brauche. Halten Sie Ihr Versprechen wegen meines Gewinn-Antheils an dem ganzen Unternehmen später so ehrlich, wie ich meine Zusagen jetzt erfüllen werde, so haben wir Beide nichts zu sorgen.«
Damit drehte er sich weg und ergriff die Banknoten, die er langsam und bedächtig durchwählte und dann in seine Geldtasche packte. »Es ist möglich, Sir, daß Sie mich die ganze Nacht nicht wiedersehen,« sagte er dann, »kommt uns aber bis morgen Mittag dieser Mr. Helmstedt nicht in den Weg, so denke ich, bis dahin die Hauptsache geordnet zu haben.«
Murphy war ans Fenster getreten. »Und wann kann ich darauf rechnen, Sie wieder zu sehen?« fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Jedenfalls morgen um diese Zeit, wenn nicht früher,« erwiderte Seifert und nahm seinen Hut. »Aber noch Eins, Sir, wenn Sie mir die Ehre gönnen wollen, Ihr Gesicht zu sehen.«
Murphy wandte sich langsam um.
»Ich bin,« fuhr er Erstere fort, »unter allen Umständen, mag passiren was da wolle,
Henry Wells, Geschäftsmann von New-York, den Sie schon längere Jahre von seinen
Murphy nickte, und Seifert verließ das Zimmer. – –
In einer der Querstraßen nahe dem Hafen, deren Bewohnerschaft fast nur von dem Gelde der ankommenden Schiffsmannschaft lebt und in den zahlreichen Trinklocalen, Tanzhäusern und Kaufläden aller Gattungen jedes Mittel aufgeboten hat, um auch den letzten Penny aus den Taschen der Matrosen zu locken, stand ein einstöckiges Haus, das sich indessen durch eine Breite von wol sechzig Fuß, einen reinlichen, gelbbraunen Anstrich und durch eine bunte Gaslaterne über der Thür vor den übrigen, größtentheils schmalen und unsaubern Localen auszeichnete. Ein Gang führte von dem Haupt-Eingange nach einem großen, geräumigen Tanzsaale im hintern Theile des Hauses, während sich im vordern Theile auf einer Seite des Ganges ein Trinklocal und auf der andern ein Billardzimmer befand.
Es war zehn Uhr, und aus dem Tanzsaale klangen die Töne einer Polka, oft von dem
Stampfen und Aufjauchzen der Tänzer übertönt, während in dem vorderen Trinkzimmer nur
ein schläfriger Barkeeper hinter dem Schenktische lehnte. Bald aber öffnete sich die
Verbindungsthür und zwei Männer, in heftigem Wortwechsel begriffen, traten aus dem
Saal herein. Der eine war eine Gestalt von weit über sechs Fuß Höhe, mit einem Nacken
und einem Schulternpaare, welche die Natur kaum für etwas Anderes als einen
Lastträger geschaffen zu haben schien, während das frische, gutmüthige Gesicht
darüber jede Sorge über eine Begegnung mit dem Goliath sogleich niederschlug. Der
andere war mehr von geschmeidigem, nervigem Bau, aber seine Züge trugen denselben
Ausdruck von Wüstheit und
»Hier – so!« rief der Erstere, während er die Thür nach dem Saale schloß; »jetzt laß mit dir reden, Ben, und bringe mich nicht in Hitze – du weißt, was dann passirt! Die Mary steht heute Abend unter meinem Schutze, und wer sie anrührt, hat ganze Knochen gehabt! Wir sind in einem freien Lande, und wenn sie dich nicht mehr mag, so mußt du's zufrieden sein.«
»Ich habe mit ihr als Mann und Frau gelebt; das gilt in New-York so viel als verheirathet, und weder du, noch irgend Jemand soll mir mein Recht streitig machen!« rief der Zweite auf den Tisch schlagend.
»Das Mädchen geht mit mir, und das ist Alles.« Er drehte sich nach der Saalthür um, aber die Hand des Riesen, wol um die Hälfte größer als gewöhnliche Menschenhände, legte sich wie Eisen auf seine Schulter.
»Mach mich nicht böse, Ben; du kennst den Dutch Charley!« sagte dieser, und auf seiner Stirn begann sich eine gewaltige Ader zu zeigend »Die Mary will ordentlich werden, will morgen aufs Land und ist nur noch einmal hierher gekommen, um mich hier zu finden. Sie ist meine Landsmännin, sie steht jetzt unter meinem Schutze, und weiter habe ich nichts mit ihr zu thun. Wer sie aber heute anrührt, du oder wer es sein mag, der hat es mit mir zu thun!«
»Laß mich los!« schrie der Andere, und hatte sich mit einer plötzlichen Wendung dem Griffe seines Gegners entwunden; »komm heran!« rief er und sprang zurück, beide Fäuste in Boxerstellung vor sich streckend. In diesem Augenblicke öffnete sich aber die Saalthür, und zwei andere Männer traten hastig ein.
»Dacht' ich doch so 'was!« rief der eine und sprang zwischen die beiden Gegner. »Bist
du toll, Ben, den Charley wild zu machen? und weißt doch, daß das Geschöpf, wenn es
hitzig wird, Alles blind zu Brei schlägt, was
Dutch Charley, den einen Fuß kräftig vorgesetzt, stand mit drohend zusammengezogenen Augenbrauen da, und über seine Stirn schlängelte sich die Ader wie ein blauer Strick. Der Andere sah ihm mit einem bösen Blicke ins Gesicht und ließ dann die geschlossenen Fäuste sinken. »Ich will jetzt keine Unruhe stiften,« sagte er nach einer Pause, »aber ich werde mir mein Recht verschaffen, wenn es Zeit ist.«
»Thue was du willst,« erwiderte der Goliath, »nur wahre dich, daß ich nicht dabei bin.«
»Die Zeit wird Alles lehren!« Damit drehte sich sein Gegner um und schritt zur Thür nach der Straße hinaus.
Eine Minute stand er vor dem Hause und sah wie überlegend die Straße hinab und hinauf. Kein Mensch ließ sich blicken, wie überhaupt selten Jemand, der etwas zu verlieren hat, so spät diese verrufene Gegend betritt. Nur aus den einzelnen Trinklocalen drang wüster Lärm. Ben schritt langsam die Straße nach der Stadt hinauf. Als er um die nächste Ecke bog, hörte er den Tritt eines sich nähernden Mannes – er stand still und beobachtete, und bald sah er die nächste Gaslaterne eine stattliche Figur und einen seinen Anzug bescheinen.
»Wollen Sie mir wol gefälligst sagen, welche Zeit es ist?« fragte er, dem Herankommenden entgegengehend.
Dieser warf einen musternden Blick auf den Frager. »Mit Vergnügen,« sagte er dann; »lassen Sie uns nur hier an die Laterne treten.« Kaum aber war Ben der Aufforderung gefolgt, als ihm auch die sechs Mündungen eines Revolvers ins Gesicht starrten, welchen der Fremde statt der Uhr hervorgezogen hatte.
»Teufel!« rief Jener, überrascht zurückspringend; »ich sehe, daß Sie um die Zeit Bescheid wissen. Ich danke schön für die Auskunft!«
Dieser blieb stehen und warf einen mißtrauischen Blick zurück.
»Der immer Nr. 4 Howardstreet sein Absteigequartier hatte?« setzte der Fremde hinzu.
Der Andere kam vorsichtig heran. »Beim Donner!« rief er plötzlich, »das ist der Graf! Wo in Teufels Namen kommen Sie denn her, um Ihren Bekannten solche Streiche zu spielen?« Er hielt seine Hand hin, die Jener ohne Bedenken ergriff.
»Und wie kommen Sie denn zu den Geschäften, bei denen ich Sie treffen muß, Ben?« sagte der Angeredete. »So weit herunter gekommen seit den paar Monaten, in denen ich von New-York weg war?«
»Nur nicht den Mund so voll genommen, Verehrter,« war die Antwort; »ich erinnere mich der Zeit noch sehr wohl, wo andere Leute gleichfalls so herunter waren, daß sie gern ein Straßengeschäft, wie ich soeben, gemacht hätten, wenn's nicht vielleicht am Besten, an der Courage, gefehlt hätte!«
»Ich danke für diese Art Courage, Beu!«
»All right, Sir! Wie darf man denn aber den Herrn jetzt nennen, ohne anzustoßen?«
»Ich heiße Henry Wells, wenn Ihr nichts dagegen habt!«
»Also amerikanisirt – guter Gedanke das! Und darf man fragen, was den Mr. Wells in diese so wenig fashionable Gegend führt?«
»Fragen darf Jeder – Ihr sollt aber auch eine Antwort haben, Ben; ich habe ein Geschäft mit Bill West abzumachen.«
»Beim Donner, das sind Sie also!« rief der Andere und schlug mit der Faust in die
linke Hand, »und ich hätte die ganze Geschichte beinahe über meinem Aerger vergessen.
Wir gehen mit einander, Squire,« fuhr er fort und faßte
»Auch ein guter Gedanke das!« lachte Seifert und schritt an Bens Arme die Straße hinab, dem Tanzhause zu. »Sagt einmal,« begann er nach einer Weile wieder, »existirt der Todtengräber wol noch? Ich war neun Monate von New-York weg, und muß meine Personal-Kenntniß erst neu ergänzen.«
»Alles noch frisch auf den Beinen; ich habe ihn vor kaum zehn Minuten mitten unter einem Haufen von Mädchen verlassen – er hat an den Medicin-Studenten, denen er Leichen für ihre Studien liefert, seine regelmäßigen Kunden und läßt gern etwas darauf gehen.«
»Das klappt, wie es nur gewünscht werden kann,« brummte Seifert; »steckt ihm ein Wort, daß ich ihn brauche, Ben!«
Sie hatten das Tanzhaus erreicht und schritten in das Trinkzimmer. Ben verschwand im
Tanzsaal und kam bald mit zwei andern Männern zurück, die, ohne ein Wort zu sagen,
dem Neuangekommenen die Hand schüttelten. Einer von ihnen nahm aus einem an der Wand
hängenden Blechkästchen einige Streichzündhölzer und verließ dann durch eine nach dem
Hofe führende Seitenthür das Zimmer. Die vier Männer schienen sämmtlich genau mit der
Localität bekannt zu sein, denn ohne Anstoß und Zögern gelangten sie durch die
Dunkelheit nach einer Fallthür am Ende des Hauses, welche der Vorderste öffnete und,
als der letzte Mann darunter verschwunden war, wieder schloß. Dann entzündete er eins
der Streichhölzer an seinem Aermel, nahm aus einer Vertiefung in der Mauer ein Stück
Licht und brannte es an. Ein Raum, mit gespaltenem Holze und alten Geräthschaften
gefüllt, zeigte sich, der indessen schnell durchschritten ward. Eine Thür an dessen
Ende, anscheinend ohne Schloß, wurde von dem Voranschreitenden durch einen
»Wird hier noch viel gespielt?« fragte Seifert, sich an einem der Tische niederlassend.
»Je nachdem sich etwas fängt,« erwiderte Ben und rückte Stühle in die Nähe des Tisches; »die Geschäfte in dieser Beziehung sind in der letzten Zeit nur mager gewesen.«
»Well, Gentlemen, wir wollen zur Sache gehen,« sagte Seifert, als die Uebrigen Platz genommen hatten. »Ein kleines und ein großes Geschäft sind abzumachen, und bei keinem ist besondere Gefahr. Ihr, Bill, sollt erstens zum Pfandleiher Meier gehen und die Ellenwaaren, welche Ihr vor drei oder vier Tagen dort versetzt habt, wieder einlösen.«
»Wieder einlösen? Was soll dabei herausspringen?« fragte der Genannte, verwundert aufsehend.
»Was dabei herausspringt, ist meine Sache, über die wir nachher sprechen. Ich frage nur, ob Ihr es thun und mich und Ben als Zeugen mitnehmen wollt.«
»Er wird die Waaren nicht mehr im Hause haben, und selbst wenn er sie noch hätte, wird er weder von uns, noch von den Gütern etwas wissen wollen – für derartige Versatzstücke wird kein Pfandzettel gegeben.«
»Ich weiß das Alles und erwarte auch nichts Anderes. Weigert er sich, so gehen wir wieder weg und jeder von euch Beiden hat mit dem Wege zehn Dollars verdient.«
»Sie machen schnurrige Geschäfte, Mr. Wells – indessen geht das uns am Ende nichts an. Ist das Geld zur Hand?«
»Morgen früh um zehn Uhr gehen wir, und Jeder soll die Zahlung in seiner Tasche haben, ehe er einen Schritt thut.«
»Abgemacht, Sir!« und Seifert empfing von Beiden einen bekräftigenden Handschlag.
Jack, der »Todtengräber«, der bis jetzt, das Kinn auf beide Hände gestützt, dem Gespräche zugehört hatte, war augenscheinlich der Jüngste von den Vieren, eine schlanke Figur mit einem Gesichte, das man gutmüthig hätte nennen können, wenn ihm die kleinen, unruhigen Augen nicht etwas Unheimliches gegeben hätten. Jack war jedenfalls ein »Ladies-Man«, denn seine Wäsche war sauber, das rothseidene Halstuch war mit einer koketten Schleife zugebunden, eine vergoldete Uhrkette fiel über seine Weste und der Sitz seiner Kleidung verrieth die größte Sorgfalt für seine äußere Erscheinung. Als ihm Seifert seine Forderung gestellt, begann er sich in den Haaren zu kratzen. »Das ist ein seltener Artikel, Sir,« sagte er nach einer Weile, »und noch schwieriger ist es, ihn an einem bestimmten Tage herbeizuschaffen. Von den Juden kommen nur immer Wenige auf den Armenkirchhof, und ich müßte mich wirklich erst einmal umsehen –«
»Was verlangt Ihr für die Arbeit, Jack?«
Der Todtengräber schüttelte den Kopf. »Ich rede nicht so des Preises wegen,« sagte er, »ich weiß wirklich im Augenblicke noch nicht, welche Schwierigkeiten sich mir entgegenstellen werden und ob ich Sie überhaupt befriedigen kann. Bisher habe ich in meinen Ordres nur die Bezeichnung: männlich ober weiblich, jung oder alt gekannt, auf die Religion hat noch Niemand etwas gegeben –«
»Wenn Ihr noch derselbe Maulwurf seid wie früher,« unterbrach ihn Seifert, »so weiß
ich, daß Ihr irgend einen bestimmten Auftrag ausführen könnt, sobald sich's nur
lohnt; New-York ist groß und bietet ein Assortiment
Jack fuhr sich mit der Hand von Neuem in die Haare. »Und wenn ich auch sagen wollte: fünfzig Dollars,« erwiderte er zögernd, »so weiß ich wegen der Zeit immer noch nicht –«
»Ihr sollt hundert haben und den vierten Theil gleich jetzt als Draufgeld, wenn Ihr Eure alberne Sprödigkeit jetzt bei Seite laßt; ich habe keine Zeit, lange Complimente zu machen, und gehöre auch nicht zu den Grünen.« Er zog eine kleine Rolle Banknoten, die er schon im Voraus abgezählt zu haben schien, aus der Westentasche und legte sie, die Hand darauf haltend, vor sich auf den Tisch. »Nun?«
»Und es muß durchaus ein Jude sein?«
»Eine schwarzköpfige, beschnittene Judenleiche, von etwa vierzehn Jahren, abzuliefern bis spätestens übermorgen Nacht.«
»Und wohin?«
»Bill und Ben werden sie in Empfang nehmen – davon sprechen wir aber nachher. Wie steht's, Jack?«
»Ich werde Hilfe brauchen – es ist das keine gewöhnliche Arbeit –« sagte dieser, seine beiden Kameraden fragend ansehend.
»Nimm den Dutch Charley,« erwiderte Bill, »sag' ihm, die Sache geschehe für einen Doctor, der Untersuchungen anstellen wolle, und er beruhigt sein Gewissen, trägt dir den Körper wohin du willst und schlägt auch noch ein paar Polizisten ohne den geringsten Spectakel nieder, falls sie euch in den Weg kommen sollten.«
Der Todtengräber nickte nachdenklich. »Ich werde das Geschäft übernehmen, Sir,« sagte
er nach einer Pause, und reichte die Hand über den Tisch. Seifert faßte sie, empfing
einen kräftigen Druck und schob ihm dann die Banknoten entgegen. »Fünf und zwanzig
Dollars, richtig gezählt,«
»Ich werde nicht auf mich warten lassen!« erwiderte Jack, während er ein elegantes Portemonnaie aus der Hosentasche holte und das Papiergeld sorgfältig hineinlegte.
»Und nun, Gentlemen, zu dem eigentlichen Hauptgeschäfte,« begann Seifert von Neuem, »denn was Jack thun wird, ist nur ein untergeordneter Theil desselben. Ich werde morgen Mittag gegen ein Uhr an der Landung hier unten mit einem jungen Menschen sein, der für wenige Tage, bis ich ihn selbst abholen werde, unsichtbar gemacht werden muß. Ich hoffe, er wird gutwillig irgend Jemandem, den ich ihm bezeichnen werde, folgen. Weiß Einer von euch einen sichern Ort außerhalb New-Yorks, wo man ihn verbergen könnte? Ich hoffe, daß ein guter Vorwand ihn ruhig halten wird, indessen müßte nöthigenfalls auch für seine zwangsweise Zurückhaltung gesorgt sein.«
»Ich habe morgen Mittag ein Privatgeschäft und muß deshalb bitten, mich zu entschuldigen,« sagte Ben, die Hände in die Hosen steckend und sich auf seinem Stuhle zurücklehnend, »indessen hat Bill Verbindung in Philadelphia –«
»Wenn ich so weit mit dem jungen Menschen gehen darf,« fiel dieser ein, »so wäre es mir ein Leichtes, ihn sicher unterzubringen – es darf natürlich auf einige Dollars dabei nicht ankommen.«
»Natürlich nicht!« nickte Seifert, »und die Entfernung des Orts, wo er untergebracht
wird, ist mir gleich, wenn er dort nur wohl verwahrt ist. Ueber den Geldpunkt werden
wir nachher reden. Diesen jungen Menschen,« fuhr er fort, »werde ich vorher mit neuen
Kleidern versehen lassen; seinen alten Anzug aber hat Einer von euch aufzubewahren
und damit, vom Hemde bis zum Rocke, die Judenleiche zu bekleiden, sobald sie ankommt.
Keine von den Kleinigkeiten, welche ein junger Mensch in der Regel bei sich trägt,
Messer, Notizbuch, Geldtasche und dergleichen, darf dabei verloren
Ben sprang von seinem Stuhle auf. »Bei Gott, Graf,« sagte er und schlug auf den Tisch, »Sie sind noch gerade derselbe wie früher, immer nur großartige, noble Geschäfte. Das ist jetzt wieder einmal eine ganze Intrigue, die ich bewundere, wenn ich auch nur einen einzelnen Faden davon sehe, und ich thäte aus reinem Gefallen daran meine Arbeit umsonst, wenn sie nicht so gar widerwärtiger Natur, wenigstens für mich wäre. Jack hat andere Nerven als ich, oder ist durch die Gewohnheit in seinem Geschäfte abgestumpft.«
»Ich möchte doch wissen, was stärkere Nerven verlangt,« unterbrach ihn der Todtengräber, sich mit indignirter Miene erhebend, »einem lebendigen Menschen mit der Schlinge die Kehle zuziehen und ihm, während er verzweifelnd nach Luft schnappt, die Taschen ausleeren, und was dergleichen Geschäfte noch mehr sind – oder einen stummen Todten, der nichts fühlt, wegtragen und damit der Wissenschaft helfen.«
»Stop, Jack, du bist ein Hauptkerl und sollst meinetwegen Recht haben,« rief der
Andere lachend, »ich habe dir durchaus nicht zu nahe treten wollen. Also jetzt wegen
der Vertheilung der Arbeit. Bill geht morgen mit dem jungen Menschen nach
Philadelphia, und ich werde jedenfalls so viel Zeit erübrigen, um die alten Kleider
in Empfang nehmen zu können. Das Weitere wegen der Toilette der Judenleiche und ihrer
Verwandelung werde ich mit Jack besprechen. Jedenfalls können Sie sich darauf
verlassen, Graf, daß wenn das Ding im North-River aufgefischt wird,
»Gut,« nickte Seifert befriedigt, »ich sehe, Ihr faßt meine Idee gut – also hübsch saubere Arbeit, ich verlasse mich auf Euch! Und nun aufgemerkt, um die Verhandlungen kurz zu machen. Morgen Mittag zahle ich an Bill, wenn er nach Philadelphia geht, fünfzig Dollars, da er Ausgaben haben wird, und Euch, Ben, fünf und zwanzig auf Abschlag. In drei Tagen aber, das ist am nächsten Sonntag, wenn der Knabe bis dahin wohl verwahrt gewesen und auch Bens Arbeit sich als gewissenhaft ausgewiesen hat, Jedem noch einmal fünf und zwanzig Dollars – ich deute so ist in Allem ein richtiges Verhältniß, und zu Eurer Sicherheit will ich vorher den Aufenthalt des Knaben nicht wissen. Bill mag an Ben die Adresse geben, damit ich einen Anhalt habe, falls Einem von euch etwas Polizeiliches passiren sollte. Einverstanden?«
Die Hände der Beiden streckten sich ihm entgegen, und er drückte eine nach der andern. »Sollte außerdem etwas passiren, so wißt ihr, wo Nachricht zu hinterlassen oder zu erhalten ist,« sagte er; »– morgen früh um zehn Uhr den Besuch bei Abraham nicht zu vergessen; und nun,« fuhr er fort, sich erhebend und eine Fünfdollar-Note aus der zweiten Westentasche ziehend, »ist hier etwas für ein paar Schluck Brandy – es ist Alles, was ich heute bei mir trage. Oder,« lachte er nach einer kurzen Pause, als er in die Gesichter vor sich sah, von denen jedes die Note und auch die Bewegungen der beiden Andern zu bewachen schien, »ich werde den Schatzmeister machen, bis wir hinauf kommen und wechseln können.«
»Verdammt klug gethan,« brummte Ben aufstehend und drehte sich auf dem Absatze nach der Thür. Bill zündete das Talglicht an und verlöschte das Gas – und vorsichtig trat die Gesellschaft wieder den Weg nach der Oberwelt an.
Es war am nächsten Tage Nachmittags, als das Dampfschiff »Southerner« von Charleston kommend, im Hafen von New-York einlief und sich neben einen der kleinen Küstendampfer legte, welcher eben für seine Abfahrt zu heizen begonnen hatte. Die Menge der Passagiere hatte bereits das gewaltige Schiff verlassen, als noch ein junger Mann mit seinem Reisesacke langsam über das Verbindungsbret nach dem Ufer schritt; er sah um sich, wie man bekannte Gegenden, die man von Neuem betritt, mustert, und wies den Haufen von Miethkutschen und Handkärrnern, die sich mit Dienstanerbietungen um ihn drängten, mit einer Sicherheit zurück, die deutlich genug bewies, daß er kein Neuling auf New-Yorker Boden war. Eben machte er sich fertig, seinen Weg durch eine der hier ausmündenden Straßen weiter zu verfolgen, als ein Auflauf von Menschen an der Landungsbrücke des kleineren Dampfers seine Aufmerksamkeit erregte. Er schritt näher hinzu und sah eine junge, weibliche Gestalt mit einer Reisetasche an der Hand in dem Kreise der neugierig zusammengelaufenen Menschen, vor welcher ein Mann in schäbigen Kleidern perorirend stand.
»Ladies und Gentlemen,« wandte sich dieser so eben an die Zuschauer, »Sie sehen hier ein Muster von ehelicher Treue vor sich, das mir mit diesem Steamer auf und davon gehen wollte, dem ich aber noch zur rechten Zeit den Weg vertreten habe. Schämst du dich nicht, Mary, vor den Menschen, und willst du mir nicht gutwillig nach Hause folgen?«
»Er lügt, er lügt!« rief das junge Weib zornig, »ich habe mit ihm nicht mehr zu thun gehabt als mit jedem Andern; er ist ein Lump und ein Spitzbube, der mich nicht aus seinen Krallen lassen will.«
»Schimpfe, Mary, wenn du nicht anders kannst,« sagte
»Er lügt, ich war nie seine Frau!« rief das Weib, in einen Strom von Thränen ausbrechend.
»Ja, er lügt!« wurde plötzlich eine gewaltige Stimme laut und ein Mann, der alle Andern überragte, warf die umstehenden Menschen bei Seite und stellte sich neben die Angegriffene. »Bist du da, Ben? So! Und du hast dir meine Warnung, das Mädchen nicht weiter zu verfolgen, nicht zu Herzen genommen? Komm heran, wenn dir der Dutch Charley nicht zu viel ist! Das Mädchen ist weder deine Frau, noch wirst du sie hindern, jetzt aufs Land zu gehen; sie ist meine Landsmännin, die ich kenne und die jetzt unter meinem Schütze steht! Komm mit mir, Mary!«
Der Andere gab seinen beiden Kameraden einen Wink zu folgen, und faßte das junge Weib in dem Augenblicke am Arme, als sie sich mit ihrem Beschützer nach dem Dampfboote wandte. »Sie bleibt, und ich will doch sehen, ob ein Ehemann sein Recht nicht durchsehen kann!«
Charley sah dem Menschen, wie ganz verdutzt über dessen Keckheit, einen Augenblick ins Gesicht; im nächsten hatten diesen aber auch schon die gewaltigen Hände des Riesen gepackt, in die Höhe gehoben und so auf seine zwei nachfolgenden Kameraden geworfen, daß alle Drei wie umgeworfene Kegel im Sande lagen.
Ein brüllendes Gelächter der Umstehenden lohnte die Kraftprobe – mitten hindurch klang die Pfeife des Dampfboots.
Schnell genug hatten sich die Niedergeworfenen aus ihrer augenblicklichen Betäubung erholt und stürzten jetzt, wie Bullenbeißer auf den Bären, auf den Sieger los. Den Ersten traf ein Faustschlag, daß er wieder zurück auf den Boden flog, der Zweite aber hatte mit raschem Griffe die Kehle des Goliaths gepackt, während der Dritte ihn unterlaufen und zum Niederwerfen um den Leib gefaßt hatte.
In diesem Augenblicke bahnten sich zwei Männer in blauen Röcken den Weg durch die Menge – »die Polizei!« flog es durch den Kreis der Zuschauer und schlug wie mit magischer Gewalt in die Ohren der Kämpfenden; jede Hand löste sich und die drei Angreifer waren unter den übrigen Menschen verschwunden, eben als die beiden Beamten den wirklichen Kampfplatz betraten. Der große Dutch Charley allein stand da und fühlte auch sofort die Hand der Obrigkeit auf seiner Schulter.
»Sie sind arretirt!«
»Weshalb?« fragte Charley, sich verwundert umsehend.
»Wegen öffentlicher Schlägerei!«
»Darf sich ein Mensch nicht seiner Haut wehren, oder ein angegriffenes Mädchen in Schutz nehmen?«
»Das wird sich finden, Sie haben jetzt mit mir zu kommen!«
Charley warf einen Blick unter die Menschen, die ihn umstanden hatten, als wollte er sich nach einem Freund in der Noth oder einem Zeugen für seine Sache umsehen; aber mit dem Auftreten der Polizeibeamten hatte sich die Zuschauermenge wunderbar gelichtet und sein Auge traf auf nichts als Leute, welche sich zu entfernen bestrebten.
»Haben Sie denn gesehen, was hier vorgegangen ist?« fragte er endlich, beide abwechselnd ansehend.
Da trat der kurz zuvor mit dem »Southerner« angekommene Passagier heran.
»Der Mann war meines Erachtens nicht im Unrechte, Gentlemen,« sagte er, »und wenn es ihm dienen kann, will ich gern für ihn zeugen; ich habe der ganzen Affaire beigewohnt.«
»Haben Sie ein Interesse an dem Arrestanten?« fragte der Beamte, ihn scharf fixirend.
»So viel als Jemand haben kann, der eben aus dem Süden kommt,« erwiderte er, auf den noch rauchenden Dampfer deutend, »und einen Menschen arretiren sieht, weil er sich eines schutzlosen Mädchens angenommen hat.«
Der Beamte maß den Sprecher von Kopf bis Fuß.
»Würden Sie Bürgschaft für den Mann stellen?«
»Bürgschaft? Ich sehe ihn ja zum ersten Male und biete nur mein Zeugniß über den Hergang des jetzigen Vorfalles an. Er hat nichts Anderes gethan als was ich oder Sie selbst als Gentlemen thun würden, wenn Sie ein Mädchen Ihrer Bekanntschaft bedrängt sähen!«
»Laß ihn laufen!« sagte der zweite Polizeibeamte, sich wegdrehend; »ich glaube kaum, daß etwas bei der Sache herauskommt!«
Der Erstere sah den Arrestanten und seinen Vertheidiger prüfend an.
»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte er zu dem Riesen, »daß ich Sie nicht nochmals bei einem ähnlichen Straßenspectakel finde – es könnte schlimmer auslaufen als heute.«
Damit folgte er langsam seinem bereits davongeschrittenen Collegen, und auch der neuangekommene Passagier wollte seinen Weg fortsetzen, als er sich am Arm gefaßt fühlte.
»Sie werden mich doch ein ›Danke schön‹ zu Ihnen sagen lassen, ehe Sie gehen?« sagte
der erlöste Arrestant,
»Nichts zu danken, Sir,« erwiderte der Fremde, »ich that nur, was ich für eine einfache Pflicht gegen Jeden gehalten hätte.«
»Alles eins, Sir, und ich wollte Ihnen nur sagen, daß, wenn Sie einmal irgend einer Hilfe bedürfen, wozu ein paar feste Arme erforderlich sind, Sie nur ein Wort für den Dutch Charley bei dem alten Omsby in Jamesstreet zu hinterlassen brauchen. Und nun sagen Sie mir auch wenigstens Ihren Namen, damit ich Bescheid weiß.«
»Ich heiße Helmstedt,« sagte der Fremde lächelnd, »und wenn ich auch noch keine Aussicht habe, von Ihrem Anerbieten Gebrauch machen zu können, so nehme ich es doch dankbar an; ich habe noch selten ein paar Arme von einer solchen Kraft gesehen, wie Sie eben gezeigt.«
»O, das war doch eigentlich nur Spaß,« erwiderte Charley geringschätzend; »die drei Halunken sind gute Bekannte von mir, und ich wollte ihnen nicht zu wehe thun – ich kam nicht einen Augenblick in Hitze. Wenn ich böse gemacht werde, nehme ich sechs von diesem Kaliber auf mich.«
»Well, Sir, dann ist es freilich besser Freundschaft mit Ihnen zu halten,« erwiderte Helmstedt lachend; »good bye, ich muß eilen, daß ich in die Stadt hinauf komme.«
Er fühlte einen Händedruck von dem Riesen, daß er hätte aufschreien mögen, und bog dann in die nächste Straße hinein.
Neun Monate waren erst verflossen, seit Helmstedt New-York verlassen hatte, um mit
der ganzen Unternehmungslust der frischen Jugend sein Glück im Süden zu versuchen,
und doch war es ihm, wenn er an jene Zeit zurückdachte, als wäre er neun Jahre älter
geworden. In seinem Fühlen und seiner Weltanschauung war durch Alles, was er
Als ihm dort ein anständiges Zimmer angewiesen worden war, warf er sich auf das
Sopha, um die nächsten Schritte zu überlegen, die ihn zu einem schnellen Abschluß
seiner Geschäfte führen könnten; aber die Erinnerungen aus einem früheren Aufenthalt
in New-York verfolgten ihn und bemächtigten sich bald unabweislich seiner Seele. –
Scene auf Scene zog an ihm vorüber, bis seine Gedanken endlich an einem Bilde hängen
blieben, dem seiner Freundin Pauline Peters, die bei ihrem ersten Begegnen mit ihm
hier in dem fremden Lande sich an ihn geschmiegt hatte wie der Epheu an seine Stütze
und die er, ihr reines Gemüth mißverstehend, kalt und stolz von sich gewiesen. Jetzt
war es ihm, als könne er sich ganz versenken in diese Augen mit dem innigen Ausdruck,
wie sie ihn damals angesehen. Sie hatte bald darauf den alten Pflanzer geheirathet
und war nun Mrs. Morton – kalt und unzugänglich und sich nur der traurigen Pflicht,
der Pflege ihres Mannes widmend; was hinter dieser Außenseite lag, ob eine
Resignation, die mit sich und der Welt fertig ist, oder ein niedergehaltenes
rebellisches Herz, war nicht zu errathen. Er hatte auch geheirathet und war nicht
glücklich geworden; noch niemals aber hatte er so sehr das Verfehlte seiner Wahl
gefühlt als in
Das Alles ging an seinem innern Blick vorüber, und dann trat wieder Paulinens Bild vor ihn, wie sie seine Frau empfangen und diese, als sie in deren verweinte Augen gesehen, bei Seite genommen und ihr zugesprochen hatte gleich einem unzufriedenen Kinde – und wie, als Ellen's Mißmuth vor ihrer Liebenswürdigkeit, wenigstens auf augenblicklich hatte weichen müssen, ein Lächeln ihr Gesicht verklärt hatte, das ihn an die Zeit erinnerte, wo er sie in New-York zuerst gesehen.
Mit einem halb unterdrückten Seufzer strich er sich über das Gesicht und sprang dann auf, als wolle er jetzt alle Erinnerungen von sich abschütteln. Er sah nach der Uhr; jedenfalls war es schon zu spät, um heute noch mit den Geschäften zu beginnen – lieber machte er noch einen Gang durch die Straßen, die er früher so oft durchwandert hatte. –
Am nächsten Morgen war er frühzeitig aus dem Bette, kleidete sich sorgfältig an und
begann das Studium des New-Yorker Wohnungs-Anzeigers. »Abraham Meier« hieß nach den
hinterlassenen Angaben des Pedlars der Mann, bei welchem der Erbe des Verstorbenen in
Pflege war. Aber wie viele hundert Meier, Maier, Mayer und Meyer und wie viele
Abrahams darunter gab es. Helmstedt hatte lange nach usehen, war schon einmal, ohne
zu finden was er suchte, zu Ende gekommen und hatte wieder mit größerer Vorsicht von
vorne begonnen, ehe er einen Meier, der Pfandleiher war und auch Abraham hieß,
entdeckte. Er notirte sich die
Das Haus war schnell gefunden, aber der Eingang war zu Helmstedt's Verwunderung verschlossen. Er klopfte, nachdem er sich vergebens nach einem Klingelzuge umgesehen hatte, mehrere Male stark an; aber erst nach der dritten Wiederholung des Klopfens öffnete sich die Thür gerade weit genug, um ein verstörtes Mädchengesicht heraussehen zu lassen.
»Ich wünsche Mr. Abraham Meier zu sprechen,« sagte Helmstedt.
»Ich glaube nicht, Sir, daß Sie ihn jetzt sprechen können; was wollen Sie von ihm?«
»Ich habe mit ihm wegen des Manuel Goldstein zu reden!«
»Wegen des Manuel?« erwiderte das Mädchen, und es zuckte sonderbar in ihrem Gesichte; »warten Sie, ich werde es Mr. Meier sagen.« Damit schloß sie den Eingang wieder und ließ Helmstedt, der nicht recht wußte, was er aus dem ganzen Benehmen machen sollte, auf der Straße stehen. Bald indessen öffnete sich die Thür von Neuem und das Mädchen lud ihn mit einer stummen Geberde zum Eintreten ein. Sie ging ihm voran, die Treppe hinauf und öffnete dort den Parlor. Nach einigen Minuten des Harrens, in welchen Helmstedt sich die Bilder sammt der übrigen Einrichtung betrachtet und seine stillen Glossen darüber gemacht hatte, erschien Abraham Meier. Er war sichtlich aufgeregt, sein Haar in Unordnung und sein Blick unstät.
»Guten Morgen, Sir!« sagte er; »ist schon etwas entdeckt worden, was zur Aufklärung dienen könnte?«
»Entdeckt worden?« erwiderte Helmstedt verwundert; »Sie nehmen mich wahrscheinlich für die unrechte Person, Sir!« fuhr er lächelnd fort. »Sehe ich Mr. Abraham Meier vor mir?«
Der Pfandleiher starrte ihn eine Weile an und rieb
»Ist mit dem jungen Menschen etwas vorgegangen?« fragte Helmstedt, aufmerksam werdend; »ich komme allerdings nur seinethalben hierher. Ich weiß nicht, ob Sie davon unterrichtet sind, daß der alte Isaak Hirsch vor etwa zwei Monaten in Alabama gestorben ist. Er hatte in seinem letzten Willen den Manuel Goldstein zu seinem Erben eingesetzt und mir dessen Vormundschaft übertragen. Ich kam heute Morgen, um die ganze Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen.« Er zog die Abschrift der letzten Zeilen des Pedlars hervor und reichte sie dem Pfandleiher hin.
Meier hatte den Worten des Redenden anfangs nur wie nothgedrungen zugehört; bald aber drückte sich ein wachsendes Interesse in seinem Gesichte aus; er griff, als Helmstedt geendet hatte, nach dem Papier und las bis zum Schlusse, starrte aber dann noch immer hinein, als beschäftige ihn ein besonderer Gedanke.
»Sie sagen also, der Isaak Hirsch sei gestorben und habe eine Erbschaft hinterlassen?« sagte er endlich aufsehend; »aber,« unterbrach er sich, »wollen Sie nicht Platz nehmen, Sir?« Er holte geschäftig einen Stuhl herbei und setzte sich, als sich Helmstedt niedergelassen hatte, diesem gegenüber. »Es ist wol nicht der Rede werth, was der alte Mann erspart gehabt,« fuhr er in einem Tone fort, der jedenfalls Gleichgiltigkeit ausdrücken sollte, während indessen seine unruhig sich bewegenden Augen kaum die Antwort erwarten zu können schienen.
»Es mögen gegen zehntausend Dollars in Gelbdepositen sein, welche dem Manuel zu Gute kommen werden!« entgegnete Helmstedt.
»Dem Manuel zu Gute kommen?« rief der Pfandleiher, wie plötzlich an etwas momentan
Vergessenes sich erinnernd. »Du großer Gott, das ist ja eben die Geschichte! Der
Auf Helmstedt hatte die ihm so plötzlich gewordene Nachricht, welche den ganzen Zweck seiner Reise vernichtete, eine Wirkung ausgeübt, welche ihm im ersten Augenblick die Sprache nahm und ihn Meier's letzte Worte ganz überhören ließ.
»Das ist heute Morgen geschehen? und der Todte ist recognoscirt und in Ihrem Hause?« fragte er endlich.
»Vor zwei Stunden wurde die Todtenschau beendigt, und wir Alle in unserer Familie sind noch ohne rechten Verstand. Ich hielt Sie bei Ihrer Ankunft für einen Herrn von der Polizei, der uns irgend einen Aufschluß über das Unglück zu geben beabsichtige. Wenn Sie den Körper sehen wollen – er liegt im Hintergebäude, aber es ist ein schlimmer Anblick.«
Helmstedt drückte eine Weile die Hand vor die Augen ohne zu antworten. Endlich erhob er sich langsam. »Bei dieser traurigen Sachlage,« sagte er, »habe ich in Ihrem Hause freilich nichts weiter zu thun und will Sie nicht länger stören.«
»Aber erlauben Sie mir doch,« rief Meier und stand rasch von seinem Stuhle auf, »was soll denn weiter geschehen? Es muß doch etwas gethan werden wegen der Hinterlassenschaft, von welcher hier in dem Papiere steht? Die Sache geht mich vielleicht näher an, als Sie denken!«
»Das ist sehr gut – sehr gut!« sagte Meier und rieb sich die Hände; »aber Sie erlauben mir wol – es ist doch in dem Papier hier nichts über den Betrag der Hinterlassenschaft gesagt; jedenfalls wird doch bei dieser Deponirung irgend ein Nachweis über die Richtigkeit der Summe geliefert werden müssen –«
Helmstedt hob den Kopf empor und sah dem Pfandleiher mit einem so stolzen Blick ins Auge, daß diesem der Nachsatz im Munde erstarb. »Was in der Sache nothwendig ist, wird sich zeigen, wenn die Zeit dafür gekommen ist,« versetzte der junge Mann; »jetzt aber würden Sie mich verbinden, wenn Sie mir jede Antwort auf irgend eine weitere Frage ersparten.« Er schritt nach dem Ausgange des Zimmers und ohne ein weiteres Wort die Treppe hinab.
»Ich wollte nichts sagen, womit ich Sie beleidigen konnte,« stotterte Meier, ihm bis zur Parlorthür folgend. Helmstedt aber schien nicht zu hören, öffnete die Hausthür und verschwand in der Straße.
Eine kurze Strecke war er rasch und noch im Gefühle der Beleidigung, die er sich
angethan glaubte, fortgegangen; bald aber wurde sein Schritt langsamer – er begann zu
überlegen, welche Maßregeln bei der unerwarteten Wendung der Dinge die geeignetsten
für ihn seien. Er wurde durch ein gewaltiges: How do you do, Sir? aus seinen Gedanken
»Sie nehmen es doch nicht übel, Sir, daß ich Sie so ohne Weiteres auf der Straße anrede?« fuhr dieser fort, »Sie machten aber eben ein so trübseliges Gesicht, daß ich fragen mußte, ob Ihnen irgend etwas in die Quere gekommen sei.«
Helmstedt mußte trotz seiner Verstimmtheit über den treuherzigen Ton der Erkundigung lächeln.
»Mir selbst ist nichts besonders Schlimmes passirt,« erwiderte er, »desto mehr aber einem Andern, der mich angeht. Sie haben vielleicht schon von dem Vorfall heute Morgen, der Leiche des Judenknaben gehört, die aus dem North-River gezogen worden ist – das war ein Mündel von mir, wegen dessen ich die weite Reise von Alabama hierher gemacht und den ich nun todt finde.«
Charley hatte bei Erwähnung der Leiche die Augen weit aufgerissen und fuhr sich mit der Hand hinter das Ohr.
»Ihr Mündel, Sir? – und erleidet denn Jemand Schaden durch die Geschichte?« fuhr er nach einer kurzen Pause fort.
»Wol Niemand als der Todte selbst, wenn man so sagen kann,« erwiderte Helmstedt; »es war ihm vor Kurzem erst ein ganz hübsches Vermögen zugefallen, welches ich heute für ihn anlegen wollte – das geht nun in andere Hände.«
Charley begann sich aufs Neue hinter dem Ohr zu kratzen.
»Ja – aber,« sagte er, als könne er mit einem Gedanken nicht fertig werden, »das ist ja eine ganze Teufelsgeschichte! Sagen Sie, Mister, – ich habe Ihren Namen wieder vergessen – wollen wir nicht einmal an die Ecke hier gehen und ein Glas Bier trinken?«
Helmstedt glaubte jetzt den Grund von Charley's großer Theilnahme errathen zu haben,
und nickte lächelnd, um ihn so auf die kürzeste Art loszuwerden. Als der Riese aber
»Das dürfen Sie nicht thun, Sir, ich habe Sie eingeladen,« sagte er und zog ein wohlgefülltes Portemonnaie aus der Tasche, »ich freue mich, daß Sie es nicht verschmäht haben, mit dem Charley zu trinken. Ich wollte auch eigentlich etwas Anderes,« begann er, nachdem er bezahlt, mit gedämpfter Stimme wieder, und führte den jungen Mann bei Seite. »Wollen Sie mir nicht genau den Namen und den Ort, wo Sie zu Hause sind, aufschreiben? Ich möchte Ihren Namen nicht gern wieder vergessen, und dann – ja, dann kann man ja auch nicht wissen was vorfällt – ich meinte nur so,« fuhr er, wie in halber Verlegenheit fort, als ihn Helmstedt verwundert ansah. »Wollen Sie?«
Helmstedt zog bereitwillig sein Notizbuch hervor, riß daraus ein Blatt Papier und schrieb seine volle Adresse darauf.
»Dank Ihnen, Sir, Dank Ihnen!« rief Jener und steckte den Zettel sorgfältig zu seinem Gelde, »ich denke, Sie werden noch einmal von Dutch Charley hören.«
Helmstedt, als er seinen Weg weiter fortsetzte, schüttelte wol einige Male den Kopf, wenn er an seinen sonderbaren Gesellschafter dachte, hatte aber bald den Vorfall über der Sorge für seine nächstgebotenen Verrichtungen vergessen.
An demselben Morgen um acht Uhr war Seifert in das Astorhaus getreten. Sein Gesicht war bleicher als gewöhnlich, das Halstuch saß locker und verschoben um seinen Hals, und Rock wie Hut waren staubig. Er ging nach dem Barroom, stürzte hier ein Glas voll Brandy hinunter, und schritt dann die Treppe nach Murphy's Zimmer hinauf. Der Advocat saß mit einer Zeitung beschäftigt am Fenster und sah dem Eintretenden mit gespannten Augen entgegen, ohne ein Wort zu sagen.
Der Advocat starrte den Erzähler an als seye er ein Gespenst.
»Was ist das? todt aus dem Flusse gezogen?« sagte er, sich langsam erhebend, mit einer Stimme, die wie von einem plötzlichen Schrecken gelähmt schien. »Sie sind wahnsinnig, Seifert, oder Sie wollen mich wahnsinnig machen. Treiben Sie keine schlechten Späße; die ganze Geschichte bis jetzt hat mich ohnedies mehr aufgeregt, als ich mir jemals hätte träumen lassen!«
»Sie sind eben ein Kind, wie ich schon früher gesagt, und hätten an Unternehmungen wie die begonnene gar nicht denken sollen,« erwiderte Seifert lächelnd, und begann sich seines Rockes wie seines Halstuches zu entledigen. »Sie erlauben mir wol, bei Ihnen etwas Toilette zu machen, mein Hotel ist zu weit weg und ich kann mich wirklich in diesem Aufzuge nicht länger in den Straßen zeigen. Ich habe die ganze Nacht die Kleider nicht vom Leibe gebracht und kaum eine Stunde auf einem Stuhle in einer schmutzigen Kneipe geschlafen!«
Er wollte sich nach dem Waschtische wenden, aber der Advocat faßte mit weit aufgerissenen Augen seinen Arm.
»Seifert, haben Sie den jungen Menschen wirklich –?!«
»Ich?« erwiderte dieser, und über sein Gesicht flog ein Ausdruck, als belustige ihn die Scene. »Nein, Sir, mit derartigen Geschäften gebe ich mich selbst nicht ab. Daß er aber todt ist, werden Sie heute schon in allen Abendblättern lesen.«
Des Andern Gesicht begann sich in finstere Falten zu legen. »Ich heiße Wells, Sir, und ich muß Ihnen gestehen, daß mich Ihr jetziges Jammergesicht den Augenblick bereuen läßt, wo ich Ihnen meine Hilfe für Ihr Unternehmen zusagte. Meinen Sie etwa, wenn Sie den Teufel vor Ihren Wagen spannen, Sie können ihn immer lenken, wie ein wohleingefahrenes Pferd, können verhindern, daß er einmal einen unbeabsichtigten Sprung macht? Unser Zweck ist erreicht, das ist vorläufig die Hauptsache – und werden Ihre Nerven für den Augenblick rebellisch, so trinken Sie ein paar tüchtige Schluck Brandy, das wird Ihnen die richtige Anschauung der Dinge zurückgeben.«
Damit drehte er sich herum und begann sein Reinigungsgeschäft, während Murphy ihn noch einen Augenblick anstarrte und sich dann nach dem Fenster drehte.
Seifert hatte mit aller Sorgfalt vor dein Spiegel sein Haar frisirt und sein Halstuch gebunden, sodann seinen Rock gebürstet und seinen Hut geglättet. »Sagen Sie mir nur einmal, Verehrter,« begann er sodann, sich umdrehend, »den Fall gesetzt, der Erbe, dieser Judenjunge, wäre nicht todt, sondern nur verschwunden; würde es denn nicht eine lange Zeit dauern, ehe er als gesetzlich verschollen erklärt und die nächsten Erben in Besitz der Hinterlassenschaft gebracht würden? Zweitens: Könnten Sie für irgend einen Zufall stehen, der ihn während dieser Zeit wieder zum Vorschein brächte und alle gehabte Mühe sammt den verwandten Kosten zu nichts machte? Drittens: Falls er verschwunden bliebe, würde nicht vielleicht während dieser Zeit das Recht des alten Besitztitels, um dessen Erlangung es sich doch bei uns nur handelt, verjähren, da nach den meinerseits eingezogenen Erkundigungen dergleichen Gesetze in jedem Staate bestehen?«
»Und,« fuhr der Erstere fort, »wenn ich Ihnen nun sage, und bereit bin irgend einen Eid darauf zu leisten, daß ich niemals an eine Ermordung des jungen Menschen gedacht, noch in irgend einer Weise dazu beigetragen habe – würden Sie dann nicht das Unglück, an dem wir Beide kein Haarbreit Theil haben und das nun einmal geschehen ist, segnen, da es uns jede Sorge vom Halse nimmt?«
Murphy's Gesicht begann heller zu werden. »Mr. Wells,« sagte er nach einer Pause, »Sie hätten Advocat werden sollen. – Aber lassen Sie einmal dieses unangenehme Lächeln,« fuhr er fort, als sich bei seiner Bemerkung ein beißender Hohn auf Seiferts Gesicht lagerte; »sagen Sie mir, des Geschäfts-Erfolges halber – denn ein Eid wäre bei Ihnen, der an nichts glaubt, doch nur eine taube Nuß – haben Sie auf keinerlei Weise, weder direct noch indirect, zu dem Tode dieses Manuel Goldstein beigetragen?«
»Ich gebe Ihnen Vollmacht, mich zu übervortheilen und zu betrügen, wie Sie können, wenn meinerseits auf irgend eine Art zu dem Todesfalle geholfen wurde!« rief Seifert, die Hand wie zum Schwure hebend, »ist Ihnen das genug?«
»Ich will Ihnen glauben,« erwiderte der Advocat und setzte sich, die Hand eine Weile vor die Augen drückend, auf das Sopha. »Wollten Sie noch etwas Weiteres sagen?« fragte er dann.
»Well, Sir, der erste Schritt wäre gethan – aber auch nur der erste Schritt!« begann
Seifert wieder. »Der nächste Erbe ist, wie Sie wissen, die Frau des hiesigen
Pfandleihers Meier. Ich kenne aber diesen Meier. Bekommt er nur den geringsten Wind
von dem Vorhandensein und dem Werthe des bewußten Besitztitels, so dürfen Sie sicher
sein, daß er ihn mit unbesiegbarer Zähigkeit festhalten wird, und je mehr Sie ihm
dafür bieten, je weniger wird er, in der Hoffnung auf noch größeren Gewinn, zu einem
Uebereinkommen geneigt
»Das kann ich nicht, Sir, das habe ich jetzt kaum noch zur Disposition!« rief der Advocat lebhaft aufspringend, »bedenken Sie, wie Sie mich schon abgezapft haben.«
»Ich, Sie, Mr. Murphy?« sagte Seifert mit verwunderter Miene, »hat denn meine Tasche schon einen Dollar Ihres Geldes gesehen, den ich mein eigen genannt hätte? Sie scheinen ganz zu vergessen, daß bei einem Unternehmen, wie das unsrige jeder Handgriff theuer und ohne daß über den Preis gefeilscht werden darf, bezahlt werden muß.«
»Ich sage Ihnen, ich zahle jetzt nichts mehr!« unterbrach ihn Murphy und warf sich wieder auf das Sopha. »Wollen Sie Partner in unserem Geschäft sein, so warten Sie auch, bis etwas dabei herausspringt – ich habe so alle die nöthigen Mittel hineingeschossen und Sie nichts –«
»Als meine Arbeit und Gefahr, die das Zehnfache Ihrer paar hundert Dollars aufwiegen!« fügte Seifert scharf hinzu. »Indessen,« fuhr er kalt fort, »handeln Sie nach Belieben, ich hoffe mich selbst bezahlt machen zu können, da ich sehe, wie hier die Sachen stehen.«
Er setzte den Hut auf und wandte sich nach der Thür.
»Wo wollen Sie hin?« rief Murphy.
»Das darf Sie wol jetzt wenig kümmern, Sir, da Sie meinen, mich so brevi manu
abschütteln zu können!« war
»Sie wollen zum Pfandleiher Meier und diesem die Kenntniß der Angelegenheit verkaufen!« sagte der Advocat mit mühsam niedergehaltener Stimme.
»Vielleicht, Sir,« erwiderte Seifert und sein Gesicht nahm eine steinerne Undurchdringlichkeit an; »vielleicht gibt es aber auch Leute, die mir für die Mittheilung der ganzen Speculation jetzt, wo das Haupthinderniß, der bevormundete Erbe, beseitigt ist, noch etwas mehr zahlen, als ich von Ihnen verlangte.«
Beide Männer standen einen Augenblick Aug' in Auge gewurzelt.
»Ist dies das letzte Geld, was Sie verlangen?« fragte endlich der Advocat mit halb heiserer Stimme, und ein böser Blick stahl sich unter seinen Wimpern hervor.
»Bis zum Ausgang des Processes, ja, Sir! und daß dieser schnell beginnen kann, dafür werde ich sorgen,« erwiderte der Andere. »Eins aber lassen Sie sich zu Ihrem eigenen Heil sagen: Denken Sie nie daran, den Seifert hinters Licht zu führen oder ihn, wenn Sie sich sicher fühlen, wie ein gebrauchtes Werkzeug bei Seite werfen zu wollen. Ehrlichkeit um Ehrlichkeit – im andern Falle aber erinnern Sie sich immer, daß ich keinen Zug thue, ohne mich genügend zu decken.«
Murphy warf einen finstern, kurzen Blick in seines Gefährten Gesicht und wandte sich dann wieder nach dem Fenster. »Ich werde Ihnen das Geld schaffen,« sagte er ohne sich umzusehen; »was wollten Sie wegen eines schnellen Beginnens des Processes sagen?«
»Eins nach dem Andern, Sir; lassen Sie uns zuerst den Geldpunkt ordnen!« erwiderte Jener, noch immer das Thürschloß in der Hand.
Der Advocat machte eine Bewegung der Ungeduld, zog dann seine Brieftasche hervor und
warf aus dieser eine Bank-Anweisung
»Wird auch nicht viel mehr nothwendig sein. – Sie hätten sich übrigens, wo es sich um Erwerbung von Hunderttausenden handelt, besser vorsehen sollen,« erwiderte Seifert und prüfte lange und aufmerksam das hingeworfene Papier. »Dies genügt für jetzt,« fuhr er fort, die Anweisung sorgsam in sein Portemonnaie bergend und dann den Hut abnehmend. »Jetzt, da wir wieder in Ordnung sind, lassen Sie mich Ihnen noch einige Worte sagen, und kehren Sie mir Ihr freundliches Gesicht wieder zu.«
Murphy nahm langsam auf dem Sopha Platz und stützte ohne aufzusehen die Stirn in die Hand. Seifert beobachtete ihn einige Augenblicke. »Wissen Sie, Mr. Murphy,« begann er sodann und holte sich einen Stuhl herbei, »aus einer verdrießlichen Trompete kommt nie ein fideler Ton, wie die Deutschen sagen, und mit einem Gesicht, wie Ihr jetziges ist, werden wir nie ein flottes Geschäft machen.«
»Lassen Sie mein Gesicht sein wie es will,« winkte der Advocat, »und sagen Sie mir einfach, um was es sich handelt.«
»Wie Sie wollen, Sir, aber es ist Thorheit, sich über die nothwendigen Kosten eines
Geschäfts zu ärgern, wenn man es einmal begonnen. Die Frage ist also, wie der
Pfandleiher Meier, oder vielmehr dessen Frau, welche jetzt die eigentliche Erbin ist,
am schnellsten für unsern Zweck willig zu machen ist. Well, als ich mich nach unserer
Ankunft hier nach Leuten umsah, durch welche der frühere Erbe beseitigt werden
könnte, wollte es der Zufall, daß ich auf einen Menschen stieß, der mit besagtem
Meier oft in einem Geschäftsverkehr gestanden, welcher wenigstens in den Augen der
Polizei nicht ganz sauber ist. Meier macht einfach den Diebeshehler. Ich gab ihm
zuerst Andeutungen, daß ich
Murphy rieb sich die Stirn. »Das Ehepaar soll also für den Preis Ihres Schweigens zu einem Uebereinkommen wegen des Besitztitels vermocht werden,« sagte er; »der Plan ist so übel nicht, wenn er vorsichtig ausgeführt wird. Jedenfalls aber müßten wir aus Werk gehen, ehe die öffentliche Aufmerksamkeit sich der Hinterlassenschaft zuwendet und Smith und Johnson den fraglichen Besitztitel als noch zu dem Eigenthume des Verstorbenen gehörig in die Masse abliefern.«
»Ganz meine Ansicht, Sir!« nickte Seifert. »Ich habe für heute Nachmittag und morgen früh ein kleines Privatgeschäft im Lande abzumachen – wir müssen doch erst die Leiche des jungen Menschen unter die Erde kommen lassen, ehe wir fernere Schritte thun – morgen Mittag aber werden Sie mich hier zur weitern Arbeit bereit finden.«
Er erhob sich und nahm seinen Hut. Der Advocat sah auf. »Ich hoffe, Sie werden nicht auf sich warten lassen,« sagte er, und um seine Augen spielte es wie ein unbestimmter Verdacht.
»Ich fehle nie, wo es sich um mein Interesse handelt,«
Es war in den ersten Tagen des Mai, aber schon hatte die »warme Jahreszeit« in den südlichen Staaten begonnen. Ein dunkelblauer, wolkenloser Himmel spannte sich über die Thäler aus, welche sich zwischen den Ausläufern der Alleghany-Gebirge hinziehen. Kein Lüftchen regte sich, nichts Lebendes war auf den Feldern zu entdecken, kein Laut wurde hörbar, und selbst die Blätter der Bäume schienen, überkommen von der erschlaffenden Wärme, eingeschlafen zu sein. Zwischen seinen hier oft so malerischen Ufern lag der Tennesseefluß regungslos und spiegelte das mannichfach schattirte Gebüsch wieder, wie in einem festen Glase.
Oben an einer der Landungen saß ein einsamer Neger, eben so bewegungslos wie seine
ganze Umgebung, und starrte den Fluß hinauf. Er war reinlich in dunkles, baumwollenes
Zeug gekleidet und mit einem breiten Strohhute versehen. Stunde auf Stunde verrann,
die Sonnenglut schien keinen Einfluß auf sein Gehirn auszuüben, keine Ermattung oder
Langeweile schien über ihn zu kommen, noch sein Blick etwas von der Aufmerksamkeit zu
verlieren, mit welcher er den obern Theil des Flusses beobachtete. Endlich gegen
Abend begannen über den Hügelreihen, welche die östliche Aussicht verdeckten, sich
einzelne kleine Wölkchen zu zeigen, welche wieder verschwanden, um bald durch neu
aufsteigende ersetzt zu werden. Des Negers Aufmerksamkeit schien zu wachsen; eine
Weile noch hielt er den Blick gespannt in die Ferne gerichtet, dann erhob er sich und
verschwand in dem Walde, welcher das Flußufer säumte, um indessen nach kurzer Zeit
mit zwei gesattelten Pferden wieder zu erscheinen. Er befestigte denn Zügel an dem
nächsten Baume und
Der Neger verzog das Gesicht zu einem zufriedenen Grinsen, daß die blendend weißen Zähne bis an ihre Wurzeln sichtbar wurden; er nahm den Strohhut ab, rieb sich den Wollkopf und bedeckte ihn wieder. Jetzt bog das Boot gegen das Ufer; eine Reisetasche, von dem Schwarzen aufgefangen, flog herüber, und ihr nach kam in keckem Sprunge, ohne auf das Niederlegen der Landungsbrücke zu warten, der Reisende.
»Wie geht's, Cäsar?« sagte er, dem Schwarzen die Hand reichend, während das Boot seinen Lauf fortsetzte; »sonst Niemand hier?«
»Ich glaube nicht, Mr. Helmstedt.«
Der Ankömmling sah, die Augenbrauen zusammenziehend, einen Moment um sich und begegnete dann dem Blick des Negers, der erwartend an seinem Gesicht hing. »Es ist doch Alles wohl, Cäsar, und nichts Besonderes vorgefallen?«
»Doch etwas, Sir. Alter Master Morton ist gestorben!« erwiderte der Neger, und in seinem Gesicht begann es sonderbar zu zucken.
Helmstedt sah ihm starr ins Auge; eine ganze Reihe von Gedanken schien ihm plötzlich durch den Kopf zu schießen. »Also wirklich, – ich ahnte fast so etwas!« sagte er endlich langsam. »Und was sonst noch, Cäsar?«
»Well, als sie Mr. Morton begraben hatten, kam der Vater von Mrs. Helmstedt und holte
sie nach Oaklea – und die Sarah nahm er auch mit. Nachher kam Ihr Brief,
Helmstedt sah noch immer unverwandt in des Schwarzen Gesicht. »Und weiter hat meine Frau nichts gesagt? Erzähle mir jedes Wort, – besinne dich, Cäsar!«
»Nichts, Sir. Ich wartete in der Halle, als ich den Brief abgegeben hatte, da kam sie aus dem Parlor – sie war ganz blaß, und sagte mir, was ich thun solle. Im Parlor war Mr. Nelson, der manchmal unser Haus besucht hat, und der Vater von Mrs. Helmstedt; ich hörte sie Beide sprechen.«
Helmstedt wandte den Blick weg und biß die Zähne auf die Unterlippe.
»Soll ich die Pferde losbinden, Sir?« fragte Cäsar nach einer Weile.
»Warte noch einen Augenblick!« erwiderte der Augekommene und schritt, die Augenbrauen dicht zusammengezogen, das Ufer hinauf. Oben setzte er sich auf einen der Baumstümpfe am Wege und rieb sich die Stirn. Lange sah er vor sich ins Weite, und nur ein momentanes Zusammenpressen der Lippen ließ auf den Zustand seines Innern schließen. Cäsar hatte sich zu den Pferden gestellt und schien sich mit den Sattelgurten zu thun zu machen, ließ aber den ersten Blick voller Verständniß nicht von seinem Herrn.
»Hast du den Schlüssel vom Hause mitgebracht?« begann endlich Helmstedt und richtete sich langsam auf.
»Er ist noch bei Mortons, Sir,« erwiderte der Schwarze herbeikommend; »ich glaubte, Sie würden erst dorthin gehen, im Hause ist noch nichts zurecht gemacht.«
Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir Beide können uns schnell genug
einrichten,« sagte er; »eine Zeitlang werden wir jedenfalls unsere Wirthschaft allein
führen
Der Schwarze verzog sein Gesicht, man wußte nicht, war es ein Ansatz zum Lachen oder zum Weinen. »O!« brach er dann los, »die Sarah mag wegbleiben, ich gebe nichts drum – sie hat mehr böse Mucken als das Jahr Tage, und ich war ein Narr, als ich ihr noch jeden Abend nachlief. Der alte Mr. Morton – Gott segne ihn im Grabe – meinte es gut, als er mich an Mr. Helmstedt schenkte, damit ich Sarah heirathen sollte. Sarah hat mir's aber hinterher selber gesagt, daß sie mich nur genommen, weil mir der alte Isaak, als er starb, seinen ganzen Pedlarkasten voll Bänder und Kleider geschenkt habe. Jetzt hat sie den leer gemacht, und nun will sie auch nichts mehr von mir wissen, – mag sie laufen!«
Helmstedt schien kaum auf die Rede des Negers geachtet zu haben. Er war langsam nach den Pferden zurückgegangen, klopfte einem derselben, das den Kopf nach ihm wandte und ihn beschnobberte, den Hals und löste den Zügel vom Baume. »Du reitest jetzt nach Mortons Haus, Cäsar,« sagte er, »bringst der Mistreß meine Empfehlung und fragst, ob sie mich morgen empfangen wolle. Dann nimmst du unsern Wagen, der dort steht, ladest deine Sachen und die Kleinigkeiten, die von mir noch da sein mögen, darauf und bringst Alles zusammen nach unserm Hause. Ich werde dich in der Stadt im Globe-Hotel erwarten, wenn es auch etwas spät werden sollte.«
Der Schwarze nickte ein: »very well, Sir!« Helmstedt bestieg sein Pferd und trabte
auf dem wohlbekannten Wege davon. Jedes weiße Farmhaus, das aus seiner grünen
Umgebung hervortauchte, grüßte ihn als alten Bekannten, aber Helmstedt hatte keinen
Sinn zum Gegengruß.
»Ja, Sir! und ich habe Ihnen noch die Miethe für mich während der letzten Monate zu bezahlen, aber das Geld liegt bereit.«
»Behalte dein Geld. So lange ich deine Arbeit entbehren kann, gönne ich dir gerne den Verdienst!« winkte Helmstedt. »Ich erwähnte die Sache nur, weil du unter den jetzigen Verhältnissen täglich ein paar Stunden mehr für mich wirst haben müssen. Du nimmst deine gewöhnliche Schlafstelle wieder ein und magst Morgens, wenn du die Pferde und die übrigen kleinen Hausgeschäfte besorgt hast, deinem Verdienste nachgehen. Ich nehme meine Mahlzeiten vorläufig im Hotel; von vier Uhr Nachmittags an bleibst du im Haus, damit ich in vorkommenden Fällen Jemand an der Hand habe.«
Nur einen Augenblick ging ein Schatten über Helmstedts Gesicht, dann lächelte er im besten Humor. »Wenn dir die dreihundert fünf und sechzig Mucken deiner Sarah nicht im Wege stehen – ich werde dich nicht zurückhalten!« sagte er. »Benutze deine freie Zeit wie du denkst und magst, nur sei da, wenn ich dich brauche. Jetzt besorge die Pferde und sieh dann nach deiner eigenen Lagerstelle.«
Der Schwarze verzog das Gesicht, als liege noch irgend etwas Anderes auf seiner Seele; als sich aber Helmstedt erhob und ihm den Rücken kehrend an das offene Fenster trat, zuckte er, wie sich selbst beruhigend, die Schultern und verließ das Zimmer.
Helmstedt brannte ein neues Licht an und warf sich dann auf sein Bett, um noch einmal die Eindrücke der letzten Stunden an sich vorübergehen zu lassen. Es war längst zehn Uhr vorüber, als er sich endlich entkleidete und das Licht löschte.
Am nächsten Morgen hatte er bereits bei beginnender Schulzeit in der Akademie den Wiederanfang seiner Musik-Lectionen für den nächsten Tag angezeigt. Er hatte nichts als freundliche Gesichter getroffen, Niemand schien etwas von der Aenderung seiner häuslichen Verhältnisse zu wissen, oder davon Notiz genommen zu haben, und mit freier Seele hatte er sich auf den Weg nach Mortons Farm gemacht. Es war kaum zehn Uhr vorüber, als er an der Einzäunung, welche die nächste Umgebung des Hauses einschloß, von seinem Pferde stieg, um das Gitterthor zu öffnen.
Auf der Treppe, welche nach dem Portico hinaufführte, saß ein Mensch in grober
Kleidung mit gewaltigen Gliedmaßen
»Treten Sie ein, Sir, und seien Sie willkommen,« sagte sie, ihm die Hand bietend. »Sie finden unser Haus vereinsamter, als da Sie es verließen.«
»Ich habe Alles vernommen, Ma'am, und machte deshalb meinen Besuch bei Ihnen zu einem meiner ersten Geschäfte,« erwiderte er, ihre Finger leicht zwischen den seinigen drückend; »Sie wissen es wol selbst, daß Morton eigentlich der einzige Freund war, den ich im ganzen Süden besaß, und daß seinen Tod sicher Niemand aufrichtiger betrauert als ich.«
»Und er verdient das,« sagte sie zu ihm aufsehend, während ihre Augen sich mit Wasser
füllten, »er hat an Sie noch zwei Minuten vorher gedacht, ehe er entschlummerte. Es
war wirklich nichts als ein sanftes Entschlafen,«
Er hatte sich ihr gegenüber niedergelassen – »Well, Ma'am,« begann er, »Sie sind jung, schön und jetzt auch reich –«
Die junge Frau schlug bei diesem Anfange das Auge mit einem so verwunderten Blicke zu ihm auf, daß er sich unwillkürlich unterbrach. »Warum sagen Sie mir das, Mr. Helmstedt?«
Dieser drückte einen Moment die Augen in seine Hand. »Vielleicht,« erwiderte er, »um
Ihnen zu zeigen, daß ich Ihre jetzige Stellung vollkommen zu würdigen weiß, Mrs.
Morton; aber,« fuhr er fort und sah ihr voll in das erwartende Gesicht, »ich wollte
eigentlich nur bemerken, daß Sie jetzt auch allein stehen und daß Ihre Stellung,
vielleicht gerade Ihrer Vorzüge wegen, einen Schützer mehr als je für Sie nothwendig
macht. Ich habe Morton versprechen müssen, Ihnen ein treuer Freund und jeden
Augenblick zu Ihren Diensten zu sein – ich habe das mit ganzem Herzen
Das Auge der jungen Frau schien während Helmstedts Rede dunkler zu werden und an Tiefe zu gewinnen, ein leises Roth stieg in ihre Wangen und ein weicher Zug, halb Schmerz, halb Innigkeit legte sich um ihren Mund. Es war derselbe Ausdruck, an welchen Helmstedt während der letzten Tage so oft hatte denken müssen, dasselbe Gesicht, mit welchem sie am Tage ihres ersten Zusammentreffens in New-York mit ihm an seiner Seite gekniet und zu ihm aufgesehen hatte – und eine stille Wärme, die alle seine Vorsätze von stolzer Zurückhaltung zu zerschmelzen drohte, begann in ihm aufzusteigen. Eine wortlose Secunde lang hingen die Blicke beider in einander; dann aber preßte sie mit einem tiefen Athemzuge die Hand auf die Herzgegend, wurde bleich und senkte langsam den Kopf. Als sie wieder aufsah, begegnete Helmstedts Auge einem Blicke so still und kalt, als er ihn in der letzten Zeit nur jemals an ihr hatte kennen lernen.
»Sie mögen Recht haben, daß ich fast ganz allein stehe,« begann sie leise, »aber Sie wissen wol selbst, Sir, wie lange ich daran gewöhnt worden bin. Habe ich als armes Mädchen es schutzlos mit der Welt aufnehmen müssen, so möchte ich das auch einmal als reiche Frau versuchen; ich habe mich so lange auf meine eigene Energie angewiesen gesehen, selbst während der letzten Monate vor Mr. Mortons Tode, daß ich in meiner jetzigen Stellung kaum etwas Ungewohntes finde. Ich danke Ihnen bei alledem herzlich für Ihr Anerbieten und verspreche Ihnen gern, in ungewöhnlichen Fällen Sie um Ihren freundlichen Rath zu bitten.«
Helmstedt verneigte sich, ohne ein Wort zu sprechen. Eine Empfindung hatte ihn
überkommen, als habe ein Nachtfrost einen ganzen Garten voll Frühlingsblüten in ihm
getödtet; und zugleich fühlte er, daß diesem kalten Auge gegenüber auch sein Stolz
ihm keine Genugthuung mehr
»Lassen Sie uns von Ihren Verhältnissen reden, da ich Ihnen vielleicht einige Einzelnheiten der Vorfälle während Ihrer Abwesenheit geben kann!« fuhr sie fort. »Sie scheinen jedenfalls zu wissen, daß Ellen nicht mehr hier im Hause ist.«
»Ich weiß, Ma'am, daß sie ihrem Vater nach Oaklea gefolgt ist, und offen gestanden, ist mir die Thatsache so genügend, daß ich mich über das Wie oder Warum nicht weiter kümmern möchte!«
Sie sah ihm einen Augenblick aufmerksam ins Gesicht. »Und das ist Alles, was Sie darüber zu sagen haben?« fragte sie dann.
»Ich wüßte nicht, was sonst noch, Ma'am. Jedes weitere Wort kann das Verhältniß zwischen mir und Ellen nur verwirren, statt es der Lösung näher zu bringen. Sie kennt genau die Deutung, welche ich einem Schritte wie dem jetzt von ihr gethanen geben würde – und sie hat ihn gethan. Sie weiß, daß ich ihrer Eltern Haus, welches mir ihr Vater nach unserer Verheirathung deutlich genug verbot, nie betreten werde, wenn nicht eine Ausgleichung vorhergeht, zu welcher sich Elliot, wie ich ihn kenne, nie verstehen wird – also ist das Verhältniß so einfach, daß sich kaum noch etwas darüber sagen läßt.«
»Und Sie wollen keinen Schritt in der ganzen Angelegenheit thun, trotzdem Sie so glücklich in Ihrer Liebe zu Ellen waren?« erwiderte sie, und bückte sich, um eine Falte ihres Kleides zu ordnen.
Helmstedt antwortete nicht; die Frage klang ihm in seiner jetzigen Stimmung und aus
Paulinens Munde fast wie bitterer Hohn. Ein stiller, ernster Blick, mit dem sich
Sie sah ihm nach, als suche sie ein Verständniß für sein Benehmen, dann erhob sie sich ebenfalls. »Noch einen Augenblick, Mr. Helmstedt, ich habe einen letzten Auftrag von Mr. Morton an Sie auszurichten!« Damit ging sie nach einem eleganten Schreibtische an einer der Seitenwände des Zimmers und nahm einen starken Brief, der dort in Bereitschaft zu liegen schien, heraus, ihn dem jungen Manne, der ihr entgegenkam, übergebend. Helmstedt erkannte schnell seine Adresse, von Mortons Hand geschrieben.
»Ich werde die Oeffnung für eine ruhigere Stunde aufsparen,« sagte er, »und falls sich Dinge darin vorfinden sollten, die sich auf mehr als meine eigenen Verhältnisse beziehen, so geben Sie mir wol die Erlaubniß zu einem zweiten Besuche.«
»Sie scheinen mich irgendwie mißverstanden zu haben,« sagte sie, ihm forschend in das ernste Gesicht sehend. »Sie wissen, daß ›Mortons Haus‹ Ihnen immer offen stehen wird, und daß ich mir auch vorbehalten habe, da, wo eine Frau nicht mehr allein durchkommen kann, mir Ihren Rath zu erbitten.«
Der junge Mann verbeugte sich schweigend und barg den erhaltenen Brief in seine Brusttasche.
»Sie werden doch in der Hitze nicht nach Hause reiten wollen, und jedenfalls zu Mittag bei uns bleiben?« fuhr sie fort, als er Miene machte, sich zu verabschieden. »Sie finden Niemand hier als den alten Doctor Ford, der seit Mr. Mortons Tode ein Zimmer bei uns eingenommen hat, weil er meinte, er dürfe mich und die weiße Wirthschafterin nicht allein im Hause lassen.«
»Ich danke Ihnen sehr, Ma'am, ich habe Schatten bis kurz vor die Stadt,« erwiderte er
und warf einen Blick aus dem Fenster nach seinem Pferde. »Ich beginne morgen
Sie sagte nichts; aber das große Auge, das auf ihm ruhte, begann seinen Glanz zu verlieren, ihre Züge nahmen eine marmorne Unbeweglichkeit an, und als er sich nach ihr wandte, um Abschied zu nehmen, neigte sie nur mit einem kurzen »good bye, Sir!« den Kopf und trat an eine der Fensterthüren, welche sich nach dem Portico öffneten.
Helmstedt hatte die kalte Entlassung kaum beachtet; er fühlte sich verwundet, er sehnte sich nach Hause zu kommen und mit allen Herzensforderungen abzuschließen. Auf der Porticotreppe saß der Mensch, welchen er bei seinem Eintritte bemerkt, noch in derselben Stellung wie eine Stunde zuvor; aber Helmstedt hatte kein Auge für ihn. Nur als er sein Pferd losgebunden hatte, warf er halb unbewußt einen Blick aus das Haus zurück und sein Auge blieb einen Moment an der schlanken Gestalt in Trauerkleidern haften, die hinter einer der Fensterthüren des Parlors stand und mit unbeweglichen Zügen ins Weite starrte. Er führte sein Pferd langsam nach dem Gitterthore. Als er dies geöffnet hatte und beim Aufsteigen noch einen letzten Blick zurück sandte, sah er, wie Pauline aus der Halle trat, die Gestalt auf der Treppe sich langsam erhob und beide nach kurzem Gespräch mit einander in das Haus zurückgingen.
Eine Art Neugierde, was die Besitzerin von Mortons Haus mit einer solchen Erscheinung
zu schaffen haben könne, wollte sich Helmstedts bemächtigen, aber was gingen ihn,
dessen aufrichtiger Wille zurückgewiesen worden war, noch die ganzen Verhältnisse
hier an? Er ließ sein Pferd die Schenkel fühlen und sprengte davon – bald aber zog er
unwillkürlich die Zügel wieder an. Zwei Bilder traten trotz seines Grolles immer
unabweislich vor seine Seele: Pauline mit dem dunkeln Auge und dem süßen, innigen
Lächeln, das einen ganzen Himmel verhieß – und Pauline die starre, marmorweiße Büste,
in schwarzer Drapirung, wie
Er erreichte seine Wohnung in einem Zwiespalte mit sich selbst, den er nicht zu lösen
vermochte. Er schloß Mortons Brief, den zu lesen er sich jetzt am wenigsten in der
Stimmung fühlte, in seinen Schreibtisch und ging nach dem Hotel, um seine Mahlzeit zu
nehmen. »Teufelmäßig warm!« – »Zu früh für die Jahreszeit!« – »Wir werden viel
Krankheit diesen Sommer haben!« das waren fast die einzigen Aeußerungen, welche
während des Essens um ihn her fielen, und Helmstedt kam endlich selbst zu der Idee,
daß es das Wetter sein müsse, welches ihm den klaren Kopf nehme. Langsam ging er
wieder nach seinem Hause und nahm sich vor, alle belästigenden Gedanken aus seinem
Gehirne zu verbannen und nur für das zu sorgen, was ihm am nächsten lag. Er holte
seinen Vorrath von Musikalien und das Verzeichniß seiner Schülerinnen hervor, um
morgen für alle Lectionen vorbereitet zu sein; er gab sich mit Eifer seiner Arbeit
hin – bald stieß er auf den Namen einzelner Lieblingsschülerinnen, von deren Talent
er sich viel versprach und deren Unterricht Lichtstellen in seinen oft ermüdenden
Beruf warf – bald wieder stieß er auf die Namen von »hard cases«, für deren
Unterweisung er sich ein eigenes System geschaffen – in Kurzem hatte sich sein ganzes
Interesse auf die vor ihm liegende Arbeit gerichtet, und als er endlich damit zu Ende
gekommen war, hatte sich auch der feste Vorsatz in ihm gebildet, seine Befriedigung
nur in den Erfolgen zu suchen, welche ihm sein jetziger Beruf bieten konnte, alle
ungelösten Dissonanzen in seinem Leben aber ruhig der Zeit zu überlassen. Er brannte
sich eine neue Cigarre an und warf sich in den Schaukelstuhl aus offene Fenster.
Trotz seiner guten Entschlüsse währte es indessen nicht lange, so zogen dennoch an
seinem Geiste alle Scenen des heute verlebten Morgens wieder vorbei, so grübelte er
über Paulinens sonderbares Wesen und begann
Er war zwei- oder dreimal die Stube auf und ab gegangen, als sich die Thür öffnete und Cäsar eintrat. »Ein Brief, Sir!« meldete dieser, ihm ein geschlossenes Schreiben hinreichend. Helmstedt besah die Adresse, und ein leichtes Roth stieg in sein Gesicht. »Wer hat das gebracht?« fragte er, langsam das Couvert öffnend.
»Dick von Oaklea, Sir!« erwiderte der Schwarze; »er will warten, im Fall Mr. Helmstedt wieder etwas zu bestellen hätte.«
Helmstedt hatte die Zuschrift entfaltet und die wenigen Zeilen, welche sie enthielt, gelesen, aber noch immer hielt er die Augen darauf geheftet. Sie lauteten:
»Wenn Mr. Helmstedt den Unterzeichneten zu sprechen wünscht, so wird er ihn morgen und übermorgen in Oaklea anwesend finden.
Elliot.«
»Dick soll einige Minuten bleiben,« sagte Helmstedt endlich; »ich werde ihm Antwort
mitgeben.« Er wandte sich nach dem Schreibtische und ließ sich dort nieder; als aber
der Schwarze das Zimmer verlassen hatte, stützte er den Kopf auf beide Arme und
starrte sinnend auf das vor ihm liegende Papier. »Wenn irgend etwas wie eine
Ausgleichung beabsichtigt würde,« begann er nach einer Weile und lehnte sich zurück,
»wenn noch ein Funke von wirklicher Liebe in Ellen's Herzen für mich wäre, so hätte
sie eine Zeile beigefügt. Was hier vor mir liegt, ist nichts als der ausgeprägte
Pflanzerstolz, welcher ein drückendes Band abstreifen
Er nahm Feder und Papier zur Hand und schrieb:
»Der Unterzeichnete ist sich keines Gegenstandes bewußt, über welchen er mit Mr. Elliot selbst zu verhandeln hätte. Will Mrs. Helmstedt, wie es einem treuen, gewissenhaften Weibe geziemt, in das Haus und unter die Obhut ihres Mannes zurückkehren, so wird sie offene Arme finden. Dies ist aber die unerläßliche Bedingung, ehe der Unterzeichnete auf irgend eine sie berührende Verhandlung eingehen könnte.
August von Helmstedt.«
Der Brief wurde geschlossen und abgesandt. Noch lange nachher aber saß Helmstedt vor seinem Schreibtische, den Kopf in beide Hände gestützt, und suchte sich ein Bild von dem jetzigen Leben in Oaklea zu schaffen und sich die Scenen zu vergegenwärtigen, welche seine Zeilen dort hervorrufen würden. Ein mehrmaliges Räuspern störte ihn endlich auf. Cäsar stand an der Thür.
»Bitt' um Verzeihung,« sagte der Schwarze und knetete seine Hände, als wolle er alle Knochen darin zerbrechen, »ich wollte nur fragen – ich habe nämlich Dick gesagt, daß mich Sarah diesen Abend erwarten soll – ob ich mich vielleicht umsehen oder horchen soll, wie's drüben steht – ich meinte nur so – ich wollte schon gestern deswegen fragen – Mr. Helmstedt ist so gut, und ich möchte so gern etwas thun. –«
Helmstedt hörte ihn an, bis er schwieg und nur noch verlegene Gesichter schnitt. »Du
bist eine gute Haut, Cäsar,« sagte er dann, »und es wird schon einmal eine Zeit
kommen, wo du mir deine Anhänglichkeit beweisen kannst. Drüben in Oaklea aber kümmere
dich nur um deine eigenen Geschäfte; und so wenig ich von dort etwas hierher
berichtet
»All right, Sir!« lachte der Schwarze und nahm die Thür in die Hand; »sie sollen eher vor Neugierde blau werden, ehe sie von mir etwas erfahren.« – –
Es war eine Zeit der nüchternen poesielosen Arbeit, welche jetzt für Helmstedt folgte. Es waren nur noch sieben Wochen bis zu der Zeit, in welcher die Akademie der heißen Jahreszeit wegen geschlossen wurde. Bei diesem Schlusse der Schule aber fand ein Examen statt, dessen Hauptzierde die Musikschüler mit ihren Leistungen bildeten – und Helmstedt warf sich mit seinen ganzen Kräften auf die nöthigen Vorbereitungen. Er gab Extra-Lectionen und widmete seine freie Zeit den Uebungen seiner Schülerinnen; er fand darin das beste Mittel, um seinen eigenen Grübeleien zu entgehen. Abends unternahm er in der Regel einen Ritt in die Umgegend und sprach in dieser oder jener Farm ein, deren Besitzer er durch seine Stellung in der Akademie hatte kennen lernen, kam meistens erst mit beginnender Nacht wieder heim, wo er für alle seine Bedürfnisse von Cäsar aufmerksam gesorgt fand, und schlief den Schlaf der Ermüdung.
Vierzehn Tage waren auf diese Weise vergangen; Helmstedt hatte weder etwas von Mortons Haus, noch von Oaklea, dessen Umgegend er stets auf seinen Ritten vermied, gehört, und wenn ihm sein Leben auch oft selbst so nüchtern und ohne eigentlichen Endzweck vorkam, daß ihm die Frage vor die Seele trat, wohin dieses Verhältniß noch führen solle, so fühlte er doch auch, daß es ihm für den Augenblick den einzigen Halt bieten konnte.
Es war an einem Sonnabend, an welchem die Stadt meist voll von Pflanzern und
kleineren Farmern der Umgegend war, als Helmstedt zur Mittagsstunde das Globe-Hotel
betrat. Die geräumige Halle und der anstoßende Bar-Room waren gefüllt mit den hohen,
kräftigen Gestalten, wie sie der Süden der Vereinigten Staaten erzeugt,
Die Tafel war zu Ende. Helmstedt nahm seinen Hut, zündete in dem Bar-Room eine
Cigarre an und wandte
»Ich sagte Ihnen, Sir, daß ich einige Worte mit Ihnen zu reden hätte!« begann dieser mit zusammengezogenen Augenbrauen.
»Das ist möglich, Mr. Elliot,« erwiderte der junge Mann, dem Pflanzer frei ins Gesicht sehend; »ich spreche aber mit Niemand, der nicht zu mir wie der Gentleman zum Gentleman redet. Sie mögen reicher sein als ich; in allem Uebrigen aber stelle ich mich mit Ihnen auf gleiche Stufe; auch bin ich mir nicht der kleinsten Handlung bewußt, welche mich hindern könnte, die nöthige Achtung gegen mich zu fordern.«
Elliot sah ihn einen Augenblick finster an. »Sie sprechen mit der ganzen Keckheit der Jugend, Sir,« sagte er dann, »und statt zu suchen, hier, wo Sie nicht einmal ansässig sind, sich Freunde zu erwerben, scheinen Sie durch einen übel angebrachten Stolz sich Ihren Weg recht absichtlich erschweren zu wollen.«
»Ich thue nur das, was jeder Mann von Ehre sich selbst schuldig ist,« erwiderte Helmstedt ernst, »und die Folgen dessen, Mr. Elliot, gut oder übel, trag' ich allein.«
»Gut Sir, so erlauben Sie mir, ein paar Worte mit Ihnen zu reden!« sagte der Pflanzer, den Kopf zurückwerfend.
»Mit Vergnügen, Sir,« erwiderte der Deutsche, sich höflich neigend, »bestimmen Sie über mich!«
Elliot schritt nach einem der Seitenzimmer voran, und untersuchte dort jede Thür, ob
sie geschlossen sei. »Well, Sir,« begann er dann, sich langsam auf einem der Stühle
niederlassend, während Helmstedt seinem Beispiele folgte, »Sie haben mich nicht in
meinem Hause sprechen wollen, und so habe ich die Gelegenheit dazu hier wahrnehmen
müssen.« Er machte eine kurze Pause und sah finster vor sich nieder. »Es ist
gekommen,« fuhr er dann fort, »wie
»Sie meinen wahrscheinlich unter diesem Schritte Ellens Verbindung mit mir;« erwiderte Helmstedt, ihm ruhig ins Gesicht sehend, »reden Sie weiter!«
»Ich glaube, Sir, wenn Sie mich nicht absichtlich mißverstehen wollen, genug gesagt zu haben – und wenn Sie durchaus ein directes Wort verlangen, so möchte ich Sie fragen: was soll jetzt werden?«
Helmstedt stützte Arm und Stirn auf die Lehne seines Stuhles.
»Worüber beklagt sich meine Frau, Mr. Elliot?« fragte er. »Hat sie Beschwerden gegen mich, oder gibt es andere triftige Gründe, welche es rechtfertigen können, daß sie nicht wieder in das Haus ihres Mannes zurückgekehrt ist?«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt,« erwiderte der Pflanzer, ungeduldig auf seinem Stuhle rückend, »daß diese ganze Heirath ein Act der Verblendung seitens meiner Tochter war, daß endlich ihre Vernunft zurückgekehrt ist, und daß also nur noch die Frage vorliegen kann, auf welche Weise das bestandene Verhältniß am einfachsten zu lösen ist. Ich habe Sie früher von mancher vortheilhaften Seite kennen gelernt, Sir, und traue daneben Ihrem offenen Verstand zu, daß Sie die vorliegenden Thatsachen richtig genug beurtheilen können; ich frage Sie deshalb einfach: was soll geschehen? Und wenn meinerseits ein Opfer nöthig ist, um ein zufriedenstellendes Resultat zu erzielen, so stellen Sie ungescheut Ihre Bedingungen!«
Helmstedt setzte sich langsam aufrecht.
»In meiner Heimat, Sir,« begann er ernst, »gilt eine eingegangene Ehe als Vertrag für
das ganze Leben, und ich habe immer gemeint, daß nur dadurch das Weib es vor
Elliot machte eine Bewegung zum Sprechen.
»Lassen Sie mich Ihnen noch zwei Worte sagen, und ich bin zu Ende!« fuhr Helmstedt
aufgeregter fort. »Sie wissen, daß kein unreiner Beweggrund irgend einer Art unsere
Verbindung schuf, daß der Drang der Verhältnisse Eins dem Andern in die Arme führte,
und daß ich deshalb mit freiem Auge zu Ihnen reden darf. Wenn in dem letzten Monat
Ellens Gefühle für mich ruhiger wurden, wenn sie sich, abgeschnitten von dem
elterlichen Hause und allein in ihrer einfachen neuen Heimat, unbehaglich zu fühlen
begann, so theilte sie wol nur dasselbe Schicksal mit fast jeder jungen, früher
verwöhnten Frau, die unter ähnlichen Verhältnissen einem Manne gefolgt ist, der noch
für sein Brod arbeiten muß. Handelt es sich nur um Ellens Zufriedenheit, so ist dem
Uebel einfach dadurch abzuhelfen, daß Sie, Sir, unsere Verheirathung mit
freundlicherem Auge ansehen, so daß Ellen nicht mehr gezwungen ist, die traurige Wahl
zwischen Vater und Mann zu treffen, die einen von Beiden stets ausschließt, und daß
Sie mir Gelegenheit geben, Sie nach und nach ganz mit den Dingen, die doch nun einmal
geschehen sind, auszusöhnen. Im andern Falle,« fuhr er fort, als der Pflanzer heftig
den Kopf schüttelte, »werde ich zwar meiner Frau nicht den geringsten Zwang anthun,
werde
»Ist das Ihr letztes Wort, Sir,« fragte der Pflanzer, wieder finster vor sich niedersehend, »oder gibt es irgend ein Mittel, Sie kurz und bündig auf eine andere Weise zufrieden zu stellen? Wenn Sie die hiesige Gegend verlassen und Ihre augenblicklichen Rechte aufgeben würden, so sollte Ihnen ein genügendes Kapital zur anderweitigen Gründung Ihrer Existenz nicht fehlen.«
»Ich glaube, Mr. Elliot, Sie erlassen es mir, auf einen solchen Vorschlag nur zu antworten,« sagte Helmstedt, sich langsam erhebend, »wir thun wol am besten, ganz abzubrechen.«
»Nun, in des Himmels Namen, so sagen Sie mir, was Sie eigentlich wollen!« rief Elliot aufspringend. »Wenn Sie meine Tochter lieben oder geliebt haben, so kann Ihnen nichts daran liegen, sie für ihr ganzes Leben einen einzigen unbesonnenen Schritt bereuen zu machen; wenigstens werde ich, an dem ihre ganze Seele hängt, niemals meine Billigung zu einer Verbindung geben, die meinen Ansichten vom Leben und meinem innersten Wesen direct entgegenläuft. Sie sagen, Sie wollen Ellen keinen Zwang anthun – wollen aber auch das Band zwischen ihr und Ihnen nicht lösen; das heißt, dem armen gefangenen Vogel die Freiheit geben, ihn aber mit einem Faden am Bein an das Fenster binden, damit er nicht entwische.«
Helmstedt schüttelte den Kopf.
»Sie beurtheilen eben mein Verhältniß zu Ellen nach Ihren Ansichten, Sir!« sagte er,
»und deshalb wird eine Verhandlung zwischen uns Beiden auch stets unfruchtbar sein.
Was ich will ist einfach: daß Ellen, welche ihre Verbindung mit mir ohne ihren Vater
schloß, sich auch selbst mit mir wieder auseinander setze, falls sie wirklich auf
einer
»In Ihrer Forderung ist wenigstens Selbstgefühl genug,« erwiderte Elliot mit einem frostigen Lächeln, während er langsam der Thür zuschritt, »ich sehe, daß wir uns schwerlich verständigen werden; lassen wir also die Dinge ihren natürlichen Gang gehen. Noch Eins will ich Ihnen aber sagen, junger Mann,« wandte er sich von der Thür zurück, »sollte der Fall eintreten, daß Sie es trotz Ihres Stolzes für gut befänden, auf ein Uebereinkommen zu Ihrer Abfindung einzugehen, so gebe ich Ihnen zwei Monate, von heute an, Zeit – nach diesem Termin werde ich meine Tochter ohne jede weitere Rücksicht selbst frei zu machen wissen.«
Er nickte leicht und schritt aus dem Zimmer.
Helmstedt hatte, ihm nach, das Hotel verlassen und ging, den Kopf gesenkt, langsam
nach seiner Wohnung. Es war Sonnabend, der freie Tag für alle amerikanischen Schulen,
und er konnte über seine Zeit verfügen. Zwei Gefühle stritten sich in ihm und ließen
keine rechte Befriedigung über die eben stattgefundene Scene in ihm aufkommen. Er
hatte die Kränkung, welche ihm Ellen durch ihre Uebersiedelung in das väterliche Haus
angethan, zu tief empfunden, als daß er nicht auf ihre Rückkehr, als die einzige
Genugthuung für ihn, hätte bestehen sollen, und seine Haltung ihrem stolzen Vater
gegenüber erschien ihm schon durch die eigene Selbstachtung geboten. Im Hintergrunde
seiner Seele aber wurde eine andere Stimme laut, die zweifelnd fragte, ob
Er war an seinem Hause angelangt und schloß, noch mit sich selbst beschäftigt, die Thür auf, als er seinen Schwarzen von einem Holzstück, das zur Seite im Schatten lag, aufstehen und herankommen sah. »Ich habe auf Sie gewartet, Master,« sagte er, und Helmstedt bemerkte einen Ausdruck in seinen Augen, welcher ihm auffiel; »ich möchte Ihnen ein paar Worte sagen.«
»Komm herein, Cäsar, was ist es?« Helmstedt hatte den Parlor geöffnet und setzte sich in den Schaukelstuhl am Fenster, während der Neger an der Thür stehen blieb.
»Ich habe heute morgen einen von den Schwarzen aus Littley Valley gesprochen,« begann der Letztere. »Sie wissen, wo Little Valley ist, Sir?«
»Noch nicht einmal den Namen habe ich gehört, Cäsar.«
»Well, es ist eine Farm, etwa vier Meilen von Mortons Hause nach den Bergen zu, und
gehörte Mr. Morton. Es ist ein Aufseher dort für die Arbeit und Mr. Morton ritt jede
Woche ein Mal hinaus. Mr. Bartlett, das ist nämlich der Aufseher, soll immer strenger
gewesen sein als ein Anderer, aber erst als Mr. Morton seit den letzten Monaten so
kränklich war und nur selten hinkam, ist er so schlimm geworden, daß es jeden Tag
blutige Rücken gegeben hat. Da hat nach Mortons Tod die Köchin in Little Valley das
Elend der Köchin in Mortons Hause geklagt und die hat es der jungen Mistreß, der
jetzt das ganze Eigenthum gehört, erzählt. Die Mistreß hat nun vor vierzehn
Tagen
Helmstedt hatte gespannt zugehört – mehr aber als die Sache selbst befremdete ihn die Angabe der beabsichtigten Empörung durch den Schwarzen. »Nun?« fragte er, als Cäsar schwieg, »willst du, daß der Aufseher gewarnt werde oder was sonst?«
Der Schwarze kratzte sich in seinem Wollhaar. »Ich gebe nichts um Mr. Bartlett, Sir,«
sagte er endlich zögernd, »er ist ein böser Mensch, und nicht nur gegen die Nigger –
es werden sonderbare Geschichten von ihm erzählt; aber es ist mir wegen der armen
schwarzen Kerls. Jetzt schlagen sie ihn todt und denken Wunder, wie viel Recht sie
dazu gehabt haben, und nachher werden sie Alle, die mit Hand an ihn gelegt haben,
gehängt. Und ich wollte noch das sagen, wenn Sie mir es erlauben, Sir; es thut nicht
gut, die heimliche Klatscherei von den schwarzen Weibern; junge Mrs. Morton weiß das
noch nicht so, aber sie sollte sich davor in Acht nehmen – wo ein Master in seiner
Stube ist, da hat die Köchin nichts zu thun, und kann auch nicht horchen, Sir. Ganz
ohne Strenge geht's wol auf dem Felde nicht ab, Sir, ich muß das selber sagen; es ist
manches
Der Schweiß perlte in dicken Tropfen von des Redenden Gesicht und offenbar erleichtert, zu Ende zu sein, wischte er sich die Stirn mit dem Aermel seiner Jacke.
Helmstedt war von seinem Stuhle aufgestanden und ging einige Male nachdenkend das Zimmer auf und ab. »Du magst so Unrecht nicht haben, Cäsar,« sagte er, vor dem Schwarzen stehen bleibend, »glaubst du, daß in der nächsten Zeit etwas zu befürchten ist?«
»Heute ist Sonnabend, da ist der Aufseher meist in der Stadt, und morgen, am Sonntag, wird nicht gearbeitet,« erwiderte der Neger mit einem Gesichte voll Verstand; »aber am Montag früh, Sir, wo die Arbeit noch am wenigsten schmeckt und die Aufseher die Peitsche meist am lockersten haben, am Montag kann's etwas geben.«
»Es ist gut, Cäsar, sattle mein Pferd.« Der Schwarze verschwand mit befriedigter
Miene, und Helmstedt setzte seinen Gang durch das Zimmer fort, bis er endlich am
Fenster stehen blieb und in Gedanken verloren hinausstarrte. Er dachte nicht mehr an
Cäsars Mittheilungen, es stand nur vor ihm, daß er wieder nach Mortons Haus reiten
wollte, welches er seit vierzehn Tagen gemieden; er suchte sich den Gesichtsausdruck
zu vergegenwärtigen, mit welchem ihn nach dem letzten sonderbaren Scheiden Pauline
empfangen würde, und er mußte dabei tief aufathmen, um sich die Brust frei zu machen.
Und wieder sprach die heimliche Stimme vom Nachmittag zu ihm, wie wunderschön es doch
wäre,
»Wahnsinn!« sagte Helmstedt, sich gerade aufrichtend und mit der Hand über seine Augen fahrend. »Erst das alleinstehende Mädchen mit ihrem warmen Herzen zurückgewiesen und dann ihr als reiche Frau die Cour gemacht – ob sie nicht ein Recht hätte, mich zu verhöhnen? Ja, wenn jetzt ein Erdbeben ihre Plantagen und Neger verschlänge, wenn sie wieder so arm oder ärmer würde als zuvor, daß sie einsehen müßte, was aus mir spräche – – aber Phantasie und Unsinn! Wende den Blick von dem Glücke, August, das du selbst verscherzt hast, und wahre dich vor einer neuen Demüthigung!«
Er durchschritt wieder das Zimmer, bis der Schwarze sein Pferd vorführte und das Geräusch der Tritte auf dem Pflaster ihn aus seinen Gedanken weckte.
»Bleibe hier, Cäsar, bis ich zurückkomme, falls ich dich brauchen sollte,« sagte Helmstedt beim Aufsteigen und trabte davon.
Es war ein Tag wie im hohen Sommer, und die Sonnenglut, an welche der Deutsche noch
nicht gewöhnt war, schien ihm nach kurzer Zeit fast unerträglich; er war froh, als er
den Waldschatten erreicht hatte. Aber auch hier war der Ritt in der stillen
Mittagshitze so unleidlich, daß alle müßigen Gedanken, die in ihm aufsteigen wollten,
von selbst verschwan den und daß er sich erschöpfter als jemals fühlte, als er
Mortons Haus erreichte. Er band sein Pferd im Schatten an und ging nach der offenen
Halle, wo ein leises Lüstchen hindurchzog, und ließ sich hier auf eine der
Auf einem der Divans leicht zurückgelehnt saß Pauline mit geschlossenen Augen. Der eine ihrer unverhüllten schönen Arme ruhte auf der Seitenlehne, während der andere, in ihren Schooß gesunken, einzelne Papiere hielt, mit deren Durchsicht sie beschäftigt gewesen schien. Ihr linker Fuß stützte sich auf einen niedern, weichen Schemel, während der rechte, unbedeckt von dem schwarzen Gazekleide, seine eleganten Formen bis über die seinen Knöchel zeigte. Zur Seite ihres Knies saß eine schlanke Mulattin, ein geschlossenes Contobuch auf dem Schooße, und den Kopf auf die Brust gesenkt. Beide schienen ohne ihr Wissen vom Schlaf überrascht worden zu sein.
Helmstedt stand eine Minute lautlos betrachtend. Das Märchen vom schlafenden
Dornröschen in der hundertjährigen Stille, das der Ritter mit einem Kusse aus der
Verzauberung weckte, kam in seinen Sinn. Sie lehnte da so
»Wenn ich gestört habe, Mrs. Morton, so bitte ich von ganzem Herzen um Entschuldigung,« rief er, »aber es geschah ohne meine Schuld.«
»Ich glaube gern, Sir, daß es etwas Besonderes sein muß, was Sie einmal wieder nach Mortons Haus führt,« erwiderte sie, sichtlich noch in halber Verlegenheit, »der Tag scheint überhaupt ein eigenthümlicher zu sein; es ist das erste Mal, daß ich vom Klima überwältigt wurde, ohne etwas davon gewußt zu haben. Aber wollen Sie nicht eintreten?«
Eben schoß die Mulattin, das Gesicht zur Seite gewandt, zur Thür heraus, und Helmstedt folgte lächelnd der Hausherrin in das Zimmer.
»Ich war eben dabei, mir selbst etwas Einsicht in den Stand der Farm zu verschaffen,« sagte diese und räumte die umherliegenden Papiere bei Seite, »und ich denke, ich werde auch mit der Zeit das Hauptsächlichste übersehen können. Aber welcher besondere Grund ist es denn, der mir einmal wieder die Ehre verschafft, Mr. Helmstedt bei mir zu sehen?« fuhr sie fort und ließ sich in dem Schaukelstuhle nieder. Es klang etwas wie halbe Ironie in ihrer Frage, aber Helmstedt mochte nicht darauf achten und nahm der jungen Frau gegenüber Platz.
»Sie haben früher wol das Anerbieten meiner Dienste und meines Rathes zurückgewiesen, Ma'am,« begann er ruhig, »demohngeachtet muß ich mich heute noch einmal aufdrängen.«
»Aufdrängen, Mr. Helmstedt?« sagte sie, sich aufrecht
Helmstedt sah in ihre glänzenden Augen und es stieg bei dem leichten, unbefangenen Tone ihrer Worte ein Weh in seinem Herzen auf, gegen welches sein Stolz vergebens ankämpfte. »Nicht wahr, Pauline,« begann er nach einer Pause plötzlich deutsch, »Sie wollen mich recht demüthigen?«
Ein schwaches Roth trat in das Gesicht der jungen Frau. »Bleiben wir beim Englischen,
Mr. Helmstedt,« sagte sie und ihre Züge wurden ernster, »wir sprechen es Beide gut
»Sie ist noch dort und wird auch wol nicht wieder zurückkehren,« erwiderte Helmstedt und strebte umsonst, sich von einem innern Drucke zu befreien. »Ihr Vater, den ich heute sprach, dringt auf eine Scheidung, die ich meines eigenen Rufes halber in dieser kurzen Weise nicht bewilligen mochte; indessen wird es wol das Beste sein, mich hier von allen Täuschungen, die mir geworden, frei zu machen, sobald ich es kann, und im Osten eine neue Carriere zu beginnen. – Aber ich muß Ihnen den Zweck meines Besuchs mittheilen, Ma'am,« fuhr er fort, ohne den aufmerksamen Blick zu beachten, mit welchem ihn Pauline bei seinen letzten Worten betrachtete, und begann zu erzählen, was er von Cäsar gehört. »Wenn Sie auf meinen Rath hören wollen,« setzte er hinzu, »so handeln Sie in Bezug auf Ihre Schwarzen nicht ohne mit Jemand, welcher über die Plantagen-Verhältnisse ein gereiftes Urtheil hat, sich besprochen zu haben. Unser deutsches Gefühl ist darin für die Praxis oft der übelste Rathgeber. Ich habe Ihnen die Thatsachen, die mir nicht ohne Gefahr scheinen, mitgetheilt, und kann ich Ihnen in Bezug darauf in irgend einer Weise dienen, so disponiren Sie über mich.«
Pauline war sichtlich betroffen. Ehe sie aber antwortete, öffnete sich die Thür und der alte Arzt, welchen Helmstedt schon früher im Hause gesehen, trat ein.
»Da ist Jemand, der uns rathen wird!« rief die junge Frau aufstehend. »Dr. Ford – Mr. Helmstedt, wenn sich die beiden Herren noch nicht kennen. Das Kind scheint eine Thorheit begangen zu haben, Doctor, und Sie sollen den Schaden wieder gut machen helfen!«
»Hoffentlich wird sich den Folgen noch vorbeugen lassen,«
»Es ist wirklich so etwas, Doctor – aber lassen Sie sich von Mr. Helmstedt erzählen, der mir so eben die erste Nachricht von dem, was ich angerichtet habe, gebracht hat.«
Der junge Mann begann von Neuem zu berichten, und Pauline schien ängstlich das Gesicht des Arztes zu bewachen.
»Es ist jedenfalls eine unangenehme Geschichte,« begann dieser, nachdem Helmstedt geendet, und fuhr sich mit der Hand durch das buschige Haar, »ich glaube aber, daß, wenn die richtigen Schritte gethan werden, kaum viel Gefahr zu befürchten ist. Ich werde heute Abend selbst nach Little Valley reiten und ein wirksames Wort mit dem Bartlett reden – ich kenne ihn, aber ich mag ihn selbst nicht leiden, und es wird gut sein, wenn er, sobald ein anderer brauchbarer Mensch an seiner Stelle aufgefunden ist, entlassen wird. Zur Beruhigung der Schwarzen aber ist es am besten, Ma'am, ihre Köchin sofort und spätestens morgen früh nach Little Valley zu versetzen, sollte es auch nur auf vier Wochen sein – die dortige Köchin aber während dieser Zeit mit auf dem Felde arbeiten zu lassen. Die Schwarzen dort kennen jedenfalls den Kanal, durch welchen sie Nachricht von der Stimmung ihrer Herrschaft hier erhalten haben, und die rasche, unerwartete Strafe für die stattgefundene Horcherei wird mehr auf sie wirken und ihnen die Rebellionsgelüste schneller vertreiben, als irgend ein anderes Mittel. Für alle künftigen Fälle aber wird es gut sein.« fuhr er lächelnd fort, »wenn das Kind nicht mehr zu hastig den Regungen seines weichen Herzens folgt und ihren getreuen Rächen ein Wort gönnt, ehe sie handelt.«
»Sie reden gut, Doctor,« rief sie, den Mund zum halben Schmollen verziehend: »bin ich
denn nicht in den meisten Fällen auf mich selbst angewiesen, und muß ich nicht Gott
»Es ist unter allen Umständen das Beste!« erwiderte der Arzt und erhob sich. »Ich werde nachsehen, welche Geschäfte mir heute etwa noch obliegen, und dann bin ich wieder bei Ihnen, ehe ich nach Little Valley reite.«
Er grüßte und verließ das Zimmer und auch Helmstedt stand von seinem Sitze auf.
»Sie gehen doch nicht auch schon, Sir?« fragte die junge Frau.
»Well, Ma'am, was soll ich noch hier?« versetzte er und es klang wie halber Unmuth in seiner Stimme. »Meiner Dienste bedürfen Sie nicht, und um bloße Redensarten kann es Ihnen nicht zu thun sein – ich glaube auch nicht, daß ich der Mann dazu wäre. Ich habe Ihnen meine Mittheilung gemacht, Sie haben Ihre Maßregeln getroffen, und so bin ich mit dem Zwecke meines Besuchs zu Ende.«
»Ich hoffe nicht, Mr. Helmstedt, daß ich etwas gethan habe, was Sie beleidigen konnte?« fragte sie und sah ihn mit großen Augen an.
»Beleidigen? Gewiß nicht, Ma'am!« erwiderte er, »Sie haben mir ja nur vor die Augen geführt, daß ich in früherer Zeit Ihre Theilnahme an meinem Schicksale zurückgewiesen hatte, und daß ich also auch kein Recht habe, jetzt nach dem Ihrigen zu fragen. Mir schien es damals, als ob Sie meine Zurückweisung schmerzte, und ich konnte doch nicht anders; jetzt schmerzt mich Ihr Verfahren, und Sie sind doch darin in vollem Rechte. Das ist Alles! Aber ich rede da mehr, als ich wollte – entschuldigen Sie, Mrs. Morton, es soll nicht wieder geschehen, und so leben Sie wohl!«
Sie hatte ihm ihre Hand geboten, Helmstedt ergriff sie und hielt sie eine kurze Weile schweigend in der seinigen. »Sie wollen etwas für meine Zufriedenheit thun –« sagte er dann und im Tone seiner Stimme, wie im Ausdruck seines Gesichts schienen die verschiedenartigsten Empfindungen mit einander zu kämpfen; »ich sollte fortgehen, Mrs. Morton, denn ich weiß, daß ich ein Narr bin – aber Sie haben mich aufgefordert zu reden. Nun, so denken Sie einmal, das vergangene Jahr sei nicht in der Welt gewesen, reden Sie deutsch zu mir und nennen Sie mich ›August‹, wie Sie es damals in New-York thaten.«
In das Gesicht der jungen Frau schoß das Blut, dann wurde sie blaß – sie wollte ihre Hand zurückziehen, aber Helmstedt hielt sie fest. »Ich glaube nicht, Herr von Helmstedt, daß Sie mich verhöhnen wollen?« sagte sie endlich deutsch, und ein innerer Druck schien ihr fast die Stimme zu benehmen.
»Verhöhnen, Pauline?« erwiderte er, ihre Hand fester pressend, »warum fragen Sie nur so etwas? Ich mag mit meiner Forderung wirklich ein Narr sein, aber ich möchte jetzt die Seligkeit dieser Narrheit um keinen Preis der Welt hingeben. Sagen Sie nur einmal: August, wir wollen Freunde sein, wie ehedem; und ich stelle mich zufrieden. Wollen Sie, Pauline?«
Sie hatte sich marmorbleich zurückgebogen und ihre Hand leicht aus der des jungen
Mannes gewunden. »Sie wissen wol nicht, Herr von Helmstedt,« sagte sie und es
zitterte
Helmstedts Erregung war geschwunden, wie der Wellenschlag unter dem eisigen Nordwinde erstarrt. »Ich darf Ihnen nichts entgegnen,« sagte er nach einer Weile langsam und preßte die Hand gegen die Stirn, »denn Sie haben in einem Punkte nur zu Recht. Es ist so viel anders geworden in unseren gegenseitigen Beziehungen wie in unserer äußeren Lage – ich hatte mir das schon selbst vor die Augen gestellt, – es mußte ja Alles kommen, wie es soeben gekommen ist, mag es denn so sein! In einem süßen deutschen Liede heißt es:
und so geben Sie mir noch einmal Ihre Hand, Pauline, ich werde Sie nicht wieder in Verlegenheit setzen!«
Er drückte leise ihre Finger und ging schweigend zum Zimmer hinaus; bald hatte er sein Pferd bestiegen und ritt, ohne sich umzusehen, davon.
Pauline aber setzte sich, halb hinter den Gardinen verborgen, aus Fenster, stützte Arm und Kopf auf die Stuhllehne und sah dem Davonreitenden sinnend nach, bis er hinter den Büschen verschwunden war.
Als eine der schönsten Besitzungen im nördlichen Alabama galt Elliots Farm, Oaklea
genannt, eben so unter
Diese Ecke von Alabama, sowie ein Theil des angrenzenden nördlichen Staates Georgia war 1850 noch nicht fünfzehn Jahre in dem ausschließlichen Besitz weißer Ansiedler. Das Land hatte zur Reservation der Cherokee-Indianer gehört, welche hier indeß fast sämmtlich feste Wohnplätze gehabt, Ackerbau betrieben und das Land in einer Weise unter Cultur gebracht hatten, wie es nur der weiße, intelligente Ansiedler im Stande gewesen wäre. Unter ihnen hatten auch schon längst Amerikaner gelebt; aber erst in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre wurde eine amtliche Vermessung des Landes vorgenommen und den Indianern ein neuer, westlich liegender Landstrich für ihre Wohnstätten angewiesen – sie wurden, mit dürren Worten gesagt, von dem Boden, den sie urbar gemacht, vertrieben, der Früchte ihres Fleißes beraubt und ohne Rücksicht auf den Grad der Civilisation, welcher bei ihnen bereits Eingang gefunden, wieder in die Wildniß gejagt, um ihre wohlcultivirten Heimstätten dem weißen Manne zur Verfügung zu stellen.
Elliot, von Hause aus nur von geringem Vermögen, aber speculativ, hatte die Gegend
durchreist, den Platz, auf
Es war Nachmittags. In einem Zimmer des oberen Stockwerks, in welches das Licht des Sommertages kaum einen lichten Schein durch die dicht geschlossenen Jalousien und dicken Vorhänge zu werfen vermochte, lag Ellen nachlässig hingeworfen auf einem der gebräuchlichen, sophaähnlichen Ruhebetten. Am Fenster stand Sarah neben einem Korbe voll weißer, geplätteter Unterkleider und Nachtgewänder, welche sie sorgsam zusammenfaltete und in die ihr zur Seite stehende Kommode legte.
»Cäsar war schon zweimal Abends hier, Ma'am,« unterbrach die Schwarze das Schweigen, welches bis jetzt geherrscht hatte, ohne jedoch von ihrer Beschäftigung aufzusehen.
Die junge Frau erhob langsam den Kopf. »Etwas Besonderes, Sarah?«
»Gar nichts, als daß ich mich ärgere, Ma'am; er ist gerade so starrköpfig wie sein Herr – er will nichts weiter wissen, als daß der ruhig seinen Geschäften nachgeht.«
Ellen richtete sich halb aus ihrer liegenden Stellung auf. »Merke Eins, Sarah,« sagte sie, »Mr. Helmstedt ist noch immer dein Herr, wie er mein Mann ist, wenn wir auch jetzt in meines Vaters Hause wohnen; ich mag Ausdrücke, wie du sie eben gebraucht, nicht hören.«
Die Schwarze warf einen kurzen Blick in das Gesicht
»Well, Sarah, was hat das mit deinen Ausdrücken zu thun?«
»Ich habe mich doch geärgert, daß der Cäsar wie ein Stock schweigt, und wenn ich mich deshalb einmal vergesse, schelten Sie mich für den guten Willen.«
Die junge Frau schien antworten zu wollen, legte sich aber langsam zurück.
»Ich möchte wahrhaftig gern die Zeit ganz und gar vergessen, wo wir in der Stadt lebten und Mr. Helmstedt mich unter fremde Leute geben wollte, nur weil ich eine Stunde aus dem Hause gewesen war.« fuhr die Schwarze, eifriger ihre Wäsche faltend, fort, »ich will gern nicht wieder fragen, was dort vorgeht.«
Ein Pochen an der Thür unterbrach die Stille, welche den letzten Worten gefolgt war. Sarah verließ ihre Arbeit und öffnete halb. »Mr. Elliot!« sagte sie, sich zurückwendend.
Ellen sprang auf und ging ihrem eintretenden Vater entgegen. »Laß uns allein, Sarah, bis ich dich wieder rufe,« sagte sie, während der Pflanzer sich bequem auf einen Stuhl niederließ; und als die Schwarze das Zimmer verlassen, faßte sie beide Hände ihres Vaters und sah diesem erwartungsvoll ins Gesicht.
»Ich habe ihn gesprochen,« sagte Elliot nach einer kurzen Pause, in welcher beider Augen in einander hingen, »aber, meine Tochter, es ist wenig Aussicht vorhanden, glatt von ihm loszukommen. Er will einer Scheidung nichts in den Weg legen, aber er verlangt, daß du zuerst in sein Haus zurückkehrst und dich mit ihm auseinandersetzest.«
»Und was hast du ihm gesagt?« fragte sie, ihn mit ängstlicher Spannung ansehend.
»Daß daraus nichts werden könne,« erwiderte er mit
»Aber ich kenne ihn, Pa!« sagte sie, die Hände des Pflanzers pressend, »er geht nicht ab von dem, was er seine Ehre nennt; du hast schon in seinem Processe gesehen, daß er sich lieber in Lebensgefahr brachte, ehe er mich bloßgestellt hätte. Und ich wußte es, als du mich bei Mortons Ableben mit dir nahmst, welche Kämpfe noch folgen würden. Wäre es denn nicht besser, ich ginge zu ihm und sagte: August, wir verstehen uns nicht; die Aufregung hat uns zusammengeführt, laß uns jetzt in Frieden scheiden? Er verdient es gewiß, Vater,« rief sie, als Elliot das Gesicht finster zusammenzog, seine Hände den ihrigen entwand und von seinem Stuhl aufstand.
Der Pflanzer ging nach der Thür, kehrte dann zurück und blieb vor seiner ängstlich
harrenden Tochter stehen. »Wir müssen offen mit einander reden, Ellen, denn du hast
dich jetzt zu entscheiden,« sagte er. »Ich bin schwach gegen dich gewesen, nur zu
schwach, während deiner ganzen Jugend, dafür habe ich aber auch von dem Augenblick
deiner Flucht an mehr innerlich leiden müssen, als du weißt und dir Gott jemals
auferlegen mag. Ich bin jetzt vollkommen klar mit mir, und sollte ich auch noch mehr
zu leiden haben, so will ich doch frei von Vorwürfen gegen mich sein. Entweder hältst
du jetzt zu deinen Eltern und gewährst ihnen die Genugthuung, welche sie sich selbst
verschaffen werden, oder du kehrst zu diesem – zu deinem Manne zurück und scheidest
dich dadurch ein- für allemal vom Vaterhause. Einmal kann das Elternherz einen
Schritt, der unter besonderen Verhältnissen gethan wurde, vergeben, das zweite Mal
aber, wenn die Gelegenheit verworfen wurde, wieder
Er sah der jungen Frau, die erblaßt, aber mit einem Ausdruck der reinsten Kindlichkeit die dunklen Augen zu ihm aufgeschlagen hatte, eine Minute schweigend ins Gesicht; dann nahm er ihre beiden Hände. »Ich will dich jetzt nicht drängen, Ellen,« sagte er; »überlege in Ruhe, aber ich denke, meine Tochter wird vernünftig sein.« Er küßte sie auf die Stirn und verließ langsam das Zimmer.
Ellen ging mit gesenkter Stirn nach ihrem früheren Platze und drückte den Kopf, das Gesicht in beide Arme geborgen, in das Polster.
»How do you do, Squire?« rief es in der Halle, als Elliot die Treppe hinabschritt; »ich freue mich, Sie zu Hause anzutreffen, habe schon in der ganzen Stadt gesucht, da ich Sie heute morgen dort sah.«
Das lachende Gesicht eines wohlgenährten Mannes, welcher, nach der Reitpeitsche und
den Lederhandschuhen in seiner Hand zu urtheilen, eben vom Pferde gestiegen war, sah
dem Pflanzer entgegen und dieser beeilte sich, ihn mit derbem Händeschütteln
willkommen zu heißen. »Kommen Sie mit nach der Bibliothek, Sir,« sagte er und faßte
den Angekommenen unter den Arm; »es ist dort am kühlsten und wir können es uns nach
Belieben bequem machen. Sie haben mich schon in der Stadt gesucht und machen noch
einen Extraritt hierher?« fuhr er fort, während er die Thür zu seinem Arbeitszimmer,
das er gern Bibliothek nannte, obgleich kaum drei kleine Reihen Bücher darin zu sehen
waren, öffnete und seinem Gaste Hut und Reitpeitsche abnahm; »es muß doch etwas ganz
Besonderes sein, was Sie zu der Anstrengung treibt! Setzen Sie sich, Sir,
»Ausgezeichnete Fürsorge bei der Hitze!« lachte der Angekommene und streckte sich bequem in einem Stuhle; »aber Sie haben Recht, es ist eine Teufelsgeschichte, die mich zu Ihnen treibt.« Er füllte die Hälfte eines Glases mit Brandy und mischte ihn mit Wasser. »Excellenter Stoff, Sie sind ein ganzer Mann, Squire,« fuhr er mit der Zunge schnalzend fort, »aber jetzt setzen Sie sich zu mir und rathen Sie, was mich herbringt.«
»Wie soll ich das wissen, Mr. Griswald?« erwiderte Elliot, sich ihm gegenüber setzend. »Irgend eine Rechtssache jedenfalls, denn zum Spaße setzt sich ein Advocat der Hitze nicht aus.«
»Richtig, und was für eine Rechtssache! Teufel! Ich habe soeben davon Wind bekommen. Sie kennen den jungen Murphy aus Limestone-County, der erst vor ein paar Monaten hierher kam und überall herumschnüffelte – nun, ich sage Ihnen, Sir,« fuhr der Redende lachend fort und schlug sich auf den Schenkel, »er ist der geriebenste Spitzbube, und es kann noch einmal etwas aus ihm werden. Was denken Sie, was er will, he? Ihnen die ganze Farm abprocessiren, Sir! Nichts Anderes, sag' ich Ihnen, und wenn Sie gesehen hätten, was mir vor die Augen gekommen ist, würden Sie auch sagen, das ist eine Teufelsgeschichte, Sir!«
Elliot sah den Sprechenden eine Weile ungewiß an. »Ich verstehe Sie nicht recht,« sagte er dann; »er will mir meine Farm abprocessiren? Auf welchen Grund hin – oder wie? Ich begreife kein Wort von dem, was Sie sagen.«
»Nicht wahr?« lachte der Advocat, »und doch ist es so! Ich sage Ihnen, ich habe
Respect bekommen vor dem jungen Sappermenter; er muß eine Nase haben wie ein
Spürhund,
»Well, Sir, wollen Sie mir nicht kurz sagen, um was es sich handelt?« unterbrach ihn Elliot ernst.
»Ich bin eben dabei, Squirel Es ist ein älterer Besitztitel als der Ihrige da – Grenzen und Beschreibung des Landstücks äußerst richtig angegeben – ein Besitztitel, der Siebenachtel von Ihrer Farm und noch Stücke von Ihren nächsten Nachbarn in Anspruch nimmt –«
»Das ist unmöglich, Sir, oder es ist ein Betrug!« rief Elliot, aufgeregt in die Höhe springend. »Ich habe mein Land schon vor Beendigung der Vermessung gesetzlich mit Beschlag belegt und es dann in den Vereinigten Staaten gekauft; hier ist jeder Anspruch von irgend einer Seite herabgeschnitten.«
»Well, Squire, ich weiß, was Sie sagen wollen,« erwiderte der Advocat, sich das Kinn
streichend, »aber Sie können nur glauben, daß ich mich nicht so geschwind zu Ihnen
auf die Beine gemacht hätte, wenn die Sache so einfach wäre. Der Besitztitel stammt
aus der Indianer-Zeit; es mag sein, daß das Stück Land mit einer Gallone Whiskey
erworben worden ist – jedenfalls ist aber in dem Titel den gesetzlichen
Kaufbedingungen genug gethan. Er ist während der kurzen Zeit, in welcher die erste
Land-Office im Cherokee-Lande bestand, dort angemeldet worden, um spätern Claims
vorzubeugen. Nachher brannte aber die Holzbude mit Allem, was sie enthielt, ab, und
dann erst kamen Sie mit Ihrem Kaufe, ohne zu wissen, daß das Land schon einen
Besitzer hatte. Daran ist nichts zu ändern. Die einzige Frage ist, wie weit die
Vereinigten Staaten den frühern Kauf anerkennen werden. – Sie wissen, wie gerade
dieser frühern Verhältnisse und der Liederlichkeit in der spätern Registrirung wegen
unsere Besitztitel-Angelegenheiten im
Elliot stand da, die Arme übereinander geschlagen und mit zusammengezogenen Augenbrauen in das Gesicht des Sprechers starrend. »Und woher kommt dieser ältere Besitztitel mit einem Male?« fragte er, als der Advocat seine Cigarre anzündete.
»Wie kommt der Teufel in die Welt, Sir,« sagte Griswald, den Dampf vor sich herblasend. »Ich habe Ihnen gesagt, der Murphy ist der geriebenste Spitzbube,« fuhr er lachend fort, »und Gott mag wissen, wo der Elementer das Papier aufgetrieben hat; aber richtig und vollkommen gesetzlich ist es, so weit ich sehen kann; ich habe es mit eignen Augen geprüft.«
»Aber in des Himmels Namen, es ist ja doch fast unmöglich!«
»Vollkommen verständig!« nickte der Advocat, einen Schluck aus seinem Glase nehmend. »Wir sind alte Bekannte, Squire, und deshalb habe ich Ihnen die Sache bündig und klar vor die Augen geführt, ohne mich selbst als Rechtsanwalt zu denken. Sie kennen den alten Spruch: Des Clienten Hoffnung ist des Advocaten Futter, und so wohlgethan es auch ist, die Meinung Anderer zu hören, so möchte ich Ihnen dabei nur den Rath geben, sich vor denen zu hüten, welche aus dem Fall eine Bagatelle machen wollen – wir haben lange keinen so fetten Proceß im County gehabt, als dieser es werden muß; daran denken Sie!«
»Sie meinen also auf Ehre und Gewissen, Griswald, daß eine wirkliche Gefahr aus dem Anspruch für mich erwachsen könnte?«
»Könnte? Sie kann nicht nur, sie wird nicht nur, sie ist schon da, Squire!«
»Very well!« sagte Elliot, den Kopf energisch aufrichtend, »so mag sie mich suchen; ich aber werde mein wohlerworbenes Eigenthum mit allen Mitteln vertheidigen, die mir zu Gebote stehen!«
Der Advocat zuckte die Achseln und erhob sich. »Ich habe Ihnen meine Meinung als
Freund gesagt, Elliot, und kann nichts weiter thun,« erwiderte er. »Lassen Sie durch
irgend einen andern Sachverständigen das Document untersuchen, Murphy hält seinen
Anspruch nicht geheim, und
»Warten Sie einen Augenblick,« sagte der Pflanzer, als Griswald nach Hut und Reitpeitsche griff. »Wie viel verlangt dieser Mr. Murphy für seinen Anspruch?«
Der Advocat sah ihn groß an. »Was er verlangt? Ihre Farm verlangt er, Sir! nichts mehr und nichts weniger. Wenn eine Uebereinkunft getroffen werden soll, so ist es an Ihnen, Sir, die nöthigen Schritte deshalb zu thun. Murphy denkt gar nicht daran, und nur unserer alten Bekanntschaft wegen bin ich hierher gekommen, um Sie von dem heranziehenden Ungewitter zu benachrichtigen und Ihnen zu rathen, sich jetzt, wo es vielleicht noch Zeit ist, nach einem Blitzableiter umzusehen.«
»Ich danke Ihnen, Griswald,« erwiderte Elliot finster, »der Schlag kommt in der That über mich wie ein Blitz aus heiterm Himmel; ich werde morgen bei Zeiten in der Stadt sein und dann sprechen wir weiter darüber. – Aber noch Eins,« rief er, als sich der Advocat zum Gehen wandte, und sah eine Weile sinnend vor sich nieder. »Steht der junge Nelson nicht in genauerer Beziehung zu diesem Mr. Murphy? Wenigstens entsinne ich mich, daß ich sie stets bei einander gesehen.«
»Wie nahe ihre gegenseitige Beziehung ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen,« entgegnete Griswald, »jedenfalls aber weiß ich, daß es ihr Plan war, mit einander gemeinsam eine Office zur Betreibung von Advocatengeschäften zu gründen.«
Elliot nickte und reichte dem Sprecher die Hand. »Ich will Sie nicht länger aufhalten,« sagte er; »morgen früh sehe ich Sie und dann denke ich ruhiger urtheilen zu können.«
Griswald ging, von dem Pflanzer bis an die Hausthür begleitet; dann aber kehrte
dieser nach seinem Arbeitszimmer zurück und ging dort in tiefem Sinnen auf und
»Es thut mir leid. Mr. Nelson, daß ich so lange abgehalten worden bin,« sagte der Pflanzer eintretend; »mein alter Freund Griswald sprach im Vorbeireiten ein und hatte so viele Geschichten zu erzählen, daß ich nicht eher abkommen konnte. Jetzt bin ich zu Ihrer Disposition, und wenn uns Mrs. Elliot entschuldigen will, so gehen wir nach der Bibliothek, machen es uns dort bequem und rauchen eine Cigarre. Ich denke, Liebe,« wandte er sich an seine Frau, »Ellen wird mit dir Einiges zu berathen haben.«
Der junge Mann verbeugte sich gegen die Hausfrau und folgte dem Pflanzer.
»Thun Sie wie zu Hause, Sir,« sagte dieser, als sie in das Arbeitszimmer traten, und zog den Schaukelstuhl näher dem Tische zu. »Hier ist Eiswasser und ein Schluck, um den Magen vor Erkältung zu hüten; hier sind Cigarren, langen Sie zu!« Er nahm aus dem Wandschranke ein reines Glas, setzte sich dann auf seinen früheren Platz und zündete sich selbst eine Cigarre an.
»Well, Sir,« begann er, »Sie wollen meine Ellen heirathen. Ich habe Ihnen bereits
gesagt, daß ich im Grunde genommen nichts dawider haben kann; mit meiner Frau haben
Sie ebenfalls gesprochen, und Ellen,« fuhr er lächelnd fort, »scheint mir auch nicht
viele Einwendungen machen zu wollen. Die Scheidung von ihrem bisherigen Manne soll,
hoffe ich, schon im nächsten Monate vor sich gehen, und so weit würde bald Alles in
bester Ordnung sein. Jetzt erlauben Sie mir aber eine Frage: Wie stehen Sie mit
»Wenn es bei unserer früheren Verabredung bleibt, allerdings, Sir,« erwiderte Nelson. »Er ist, wie ich heute hörte, von seiner New-Yorker Reise zurückgekehrt, und ich denke ihn morgen zu sprechen. Murphy ist ein gewandter Advocat, mit dem ich jedenfalls gut fahren werde.«
Elliot lehnte sich bequem zurück. »Gewandt scheint er wirklich zu sein,« sagte er; »Griswald erzählte mir soeben erst, daß er einen alten Besitztitel aufgespürt habe, wodurch er zweien oder dreien unserer Pflanzer im County das Land unter den Füßen wegnehmen wird.«
»O, wirklich so weit?« rief der junge Mann, überrascht aufstehend; »er hat mir nie recht klaren Wein über die Angelegenheit eingeschenkt, mit der seine Reise nach New-York in Verbindung stand – er prophezeite mir nur im glücklichen Falle einen splendiden Anfang für unsere hiesige Praxis.«
»Well, Sir,« sagte Elliot, seine Cigarre weglegend und seinen Gefährten fest anblickend, »ich weiß nicht, wie weit Ihre Liebe zu meiner Tochter geht, aber ich muß Ihnen als ehrlicher Mann sagen, daß der gute Anfang, von welchem Sie sprechen, wahrscheinlich der Ruin meiner Familie sein und somit auch Ellen zu einer blutarmen Partie machen wird. Der Hauptangriff, welcher gethan werden soll, geht gegen mein Besitzthum.«
Der junge Advocat sah ihn einen Augenblick groß an. »Ist denn das wol möglich?« rief er dann aufspringend.
»Ob es möglich ist, weiß ich noch nicht!« erwiderte Elliot, finster lächelnd; »daß
aber Ihr Freund Murphy soeben versucht, es möglich zu machen, ist gewiß genug.
Versichert mögen Sie sein, daß ich mich nicht gutwillig ergeben werde. Indessen ist
jetzt für mich die Hauptfrage, welchen Weg Sie selbst in der Angelegenheit
einzuschlagen gedenken. Wollen Sie nach den jetzigen Eröffnungen noch
»Lassen Sie mich ein Wort sagen,« unterbrach ihn Nelson. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir die Sache sofort mitgetheilt haben; unser Verhältniß wird dadurch zur rechten Klarheit kommen. Wenn ich um Ellen geworben habe, so war mir jeder Nebenzweck dabei fremd, und mögen die Dinge sich jetzt gestalten wie sie wollen, so bleibt es bei unserer Verabredung. Ehe wir aber an den unglücklichsten Fall denken, wollen wir uns die Gefahr etwas näher betrachten. Ich werde sofort gehen, um mit eigenen Augen zu prüfen; ich werde Murphy sprechen und schon heute Abend, wenn es auch spät werden sollte, will ich Ihnen Bericht erstatten.«
»Gut, Sir,« rief Elliot, und hielt dem jungen Manne die Hand hin, welche dieser drückte; »wenn ich auch weiß, daß Ihr Einfluß auf Murphy kaum ins Gewicht fallen kann, wo es sich bei diesem um einen großen Gewinn handelt, so freue ich mich doch über Ihre Gesinnung, welche mir aus Ihnen einen natürlichen Bundesgenossen macht. – Sehen Sie zu, wie die Sache steht, und erwarten Sie mich morgen früh in der Stadt – ich möchte vor unsern Ladies im Hause vorläufig die ganze Angelegenheit noch verschwiegen halten, und da es auffallen müßte, wenn Sie noch am späten Abend hier ankämen, so lassen wir lieber jede weitere Besprechung bis morgen früh.«
»Wie Sie wollen, Sir,« erwiderte Nelson, »wenigstens will ich jetzt aber keinen Augenblick mehr verlieren, um an die Arbeit zu gehen. Sie werden mich doch bei den Ladies entschuldigen –«
»Schon recht, Sir!« sagte Elliot, dem jungen Manne nach der Thür folgend, »und ich
verspreche Ihnen, daß ich die Hindernisse, welche noch zwischen Ihnen und Ellen
liegen, so schnell beseitigen werde, daß Sie sich deshalb nicht
Nelson drückte mit beiden Händen die Rechte des Pflanzers, und verließ dann, von diesem bis zum Portico begleitet, das Haus. – –
Es war mehrere Tage später, als Helmstedt von einem abendlichen Ritt nach der Stadt
zurückkehrte. Zwischen seinen Augen lag ein Ausdruck von Sorge und Verstimmtheit;
wenn er sich aber über das, was ihn drückte, hätte klar aussprechen sollen, wäre es
ihm wol kaum möglich gewesen. Er hatte seit dem letzten Gespräche mit dem Vater
seiner Frau den Rest seiner Liebe für diese zu Grabe getragen – wußte er doch, daß
ohne ihren eigenen Willen Niemand den Versuch hätte machen können, sie von ihm zu
scheiden; auch das neue Gefühl, was ihn zu Pauline Morton zog, hatte er so weit
unterdrückt, daß es ihm nur noch dann und wann im Traume vor die Seele trat – seine
ganze Natur war zu kräftig, als daß sie sich ohne Widerstand einer unerwiederten
Neigung hätte hingeben sollen, und sah es nun auch so öde in ihm aus, daß er gar
nicht mehr an die Zukunft denken mochte, so war es doch ein Druck anderer Art, der
ihn, wie die Ahnung von einem herbeikommenden Unglück, auf dem Herzen lag. Seit zwei
Tagen glaubte er in dem Wesen seiner meisten Schülerinnen eine Veränderung
wahrzunehmen, die er sich nicht erklären konnte. An die Stelle der freundlichen
Herzlichkeit, mit welcher ihm Einzelne sonst immer begegneten, waren Kälte und
Einsilbigkeit getreten – rebellische Charaktere, welche die Achtung vor ihm stets in
den gehörigen Schranken gehalten hatte, waren aufsäßig und schnippisch geworden, und
wo er sonst Fleiß und Eifer gesehen, schien eine plötzliche Lässigkeit sich geltend
zu machen. Er hatte am ersten Tage wenig darauf geachtet; als aber bei seinem
abendlichen Besuch in einzelnen Familien ihn eine sonderbare Stille empfing, als ihm
weder da, wo ein Piano im
Er hatte, sich mit zehnerlei Vermuthungen herumschlagend, von welcher keine Stich halten wollte, die ersten Häuser der Stadt erreicht, als er einen einsamen Spaziergänger in der Dämmerung sich entgegenkommen sah, bei dessen Erblicken er sein Pferd zu langsamerem Schritte zügelte. Er hatte den Vorsteher der Akademie erkannt, einen Mann, welcher ihm immer mit der herzlichsten Freundlichkeit begegnet war, und der Gedanke durchschoß ihn, daß, wenn ihm Jemand seine Zweifel lösen könne, dieser es sein müsse. Er fühlte sich innerlich so wund, daß er keinen Augen blick, in welchem ihm die Gelegenheit zu einer Aufklärung geboten wurde, vorüberstreichen lassen mochte, und ehe noch der Spaziergänger herangekommen, war Helmstedt abgestiegen, und ging, sein Pferd am Zügel nachführend, ihm entgegen.
»Mr. Pierce, ich freue mich, Sie zu treffen, und Sie entschuldigen, daß ich Sie hier so ohne Weiteres auf offener Straße anrede.«
»Sie sind mir an jedem Orte willkommen, Sir!«
»Ich danke Ihnen! Ich möchte eine offene Frage an Sie richten, Sir, und wenn das
jetzt eben geschieht, wo ich Sie zufällig treffe, so ist es, weil ich die Stimmungen
um mich her, die ich nicht verstehe und gegen welche mich mein Gewissen frei spricht,
nicht ertragen kann. Wissen Sie irgend einen Grund, warum die Leute, mit denen ich in
Berührung
»Ich glaube, ich kann Ihnen die nöthige Aufklärung geben, wenn wir es auch hier nicht vornehmen wollen,« erwiderte der Vorsteher in einem Tone, der Helmstedt wohlthat, »und ich gestehe Ihnen, daß ich selbst die aufrichtigste Betrübniß über den Stand der Dinge fühle. Wir haben nur wenige Schritte bis zur Akademie, lassen Sie uns dort einige Worte in Ruhe mit einander sprechen.«
Er wandte sich zurück und Helmstedt ging schweigend an seiner Seite, bis sie das Schulgebäude erreicht hatten. Dort band der junge Mann sein Pferd an die Stacket-Einzäunung und folgte dem Vorsteher nach dessen Arbeits-Zimmer.
»Ich muß Ihnen sagen,« begann der Letztere, nachdem Beide Platz genommen hatten, »daß
ich wahrscheinlich schon morgen Sie ersucht haben würde, sich mit mir auszusprechen,
und es ist mir lieb, daß Sie dem selbst zuvorkommen. Ich will ohne Umschweif zu Ihnen
reden. Sie wissen, wie gern ich Sie hier en agirt habe, als Sie Mr. Morton mir
empfahl, und wie sehr zufrieden ich mit allen Ihren Leistungen gewesen bin. Aber Mr.
Morton, der unser beiderseitiger Freund war, ist jetzt todt und sein Einfluß, welcher
Manches während seinen Lebzeiten ausglich, existirt nicht mehr. Ihre junge Frau ist
zu ihren Eltern zurückgekehrt und die verschiedensten Versionen über die Ursachen
dafür sind plötzlich in Umlauf ge kommen – dabei ist aber das Schlimmste,
Helmstedt wollte sprechen, aber der Vorsteher unterbrach ihn. »Lassen Sie uns alle unnützen Worte sparen, Sir,« sagte er, »ich glaube von Allem, was in Umlauf gesetzt worden ist, kein Wort, ich habe Ihrem Processe beigewohnt und Sie während Ihres nachherigen Lebens genauer als vielleicht irgend Jemand kennen gelernt; aber ich hänge nicht von mir allein ab, ich bin selbst nur Beamter der Gesellschaft, welche die Akademie gegründet hat, und muß dem, was die Mehrzahl der mir zur Seite gesetzten Vertrauensmänner beschließt, folgen. Ich entlasse Sie ungern, sehr ungern, Mr. Helmstedt, aber ich wäre gezwungen gewesen, Ihnen diese Nachricht schon morgen zu geben.«
Helmstedt saß eine Weile ohne ein Wort zu reden da. »Well!« sagte er dann, »ich kenne die Quelle, aus welcher alles dieses fließt – wenigstens bin ich doch jetzt nicht mehr im Unklaren. Ich bin entlassen, weil ich so handelte, wie es jeder rechtliche Mann für allein ehrenhaft gehalten hätte; ich soll Ordre pariren, weil man glaubt, mich durch meine Armuth dazu zwingen zu können. Wir werden sehen! Ich danke Ihnen, Mr. Pierce, für die Freundlichkeit, mit welcher Sie mich stets behandelt haben,« fuhr er aufstehend fort, »danke Ihnen für Ihre gute Meinung über mich, vielleicht kann ich Ihnen noch einmal beweisen, daß Sie Recht hatten. Gute Nacht!« Er drückte kräftig die Hand des Vorstehers und schritt aus dem Zimmer. Als er sein Pferd losgebunden, saß er mit einem Schwung im Sattel, daß es zum Galopp ansprengte und bald hatte er sein Haus erreicht, wo Cäsar auf ihn wartete.
»Er ging nach seinem Zimmer, brannte Licht an und warf sich in den Lehnstuhl vor
seinem Arbeitstische. Eine
Während seines Grübelns hatte sich die Thür geöffnet und Cäsar sich an den Eingang postirt. Helmstedt sah auf – er kannte die verschiedenen Arten von Gesichtsausdruck des Schwarzen und wußte, daß dieser jetzt irgend etwas zu erzählen hatte – aber er kam ihm damit ungelegen. »Was ist es, Cäsar?« fragte er kurz.
»Ich wollte nur etwas fragen, wegen Little Valley, Sir, nichts Bedeutendes gerade –«
Der Schwarze verschwand, und Helmstedt gab seinen Gedanken wieder Raum. Er begann in Gedanken sein ganzes Besitzthum durchzugehen, um zu berechnen, was ihm aus dem Erlös desselben erwachsen könne; er öffnete zu dem Zweck ein Fach seines Schreibtisches, in welchem sich eine Kostenberechnung aller Anschaffungen bei seiner Verheirathung befand. Hier aber fiel ihm zuerst Mortons Brief in die Hände, der unerbrochen und vergessen dagelegen hatte, seit er ihn aus Paulinens Händen erhalten. Helmstedt wollte ihn im ersten Moment wieder bei Seite legen, aber als sein Auge auf die unsichere Handschrift der Adresse fiel, kam ihm wieder das ins Gedächtniß, was der Vorsteher der Akademie über die Freundschaft des Verstorbenen zu ihm und den Einfluß, den er zu seinem Besten geltend gemacht, gesprochen hatte; er sah das biedere Gesicht des alten Pflanzers vor sich, er erinnerte sich, daß dieser an ihn noch in seinen letzten Stunden gedacht, und in plötzlich gemilderter Stimmung löste er das Couvert. Ein neuer, mit Papieren gefüllter Umschlag und ein theilweise beschriebener Bogen zeigten sich. Helmstedt entfaltete den letztern und las:
»Mein lieber junger Freund!
Ich ahne, daß ich Sie nicht wiedersehen werde, und so benutze ich eine Stunde, welche
mir vielleicht zum letzten Mal einige Kraft zurückgibt, um ein Lebewohl an Sie zu
richten und Sie an das Versprechen zu mahnen, welches Sie mir bei unserm letzten
Zusammensein gaben. Pauline weiß nichts von unserm Uebereinkommen: ihr Herz ist so
stolz und stark, daß sie wol glauben mag, sich selbst genug sein zu können, daß sie
jeden aufgedrungenen Beistand von sich weisen würde. Aber ich weiß auch, daß sie ihre
Stärke nur durch Entsagung und Aufopferung erlangt hat: ich kenne mehr von diesem
Herzen, dem ich doch nur Schutz und keine Befriedigung geben konnte, als
Die Werthpapiere, welche ich hier beigelegt habe, betrachten Sie als das Vermächtnis eines Freundes und als ein Zeichen meiner Achtung und Anhänglichkeit; es sind 2000 Doll. Auch hiervon weiß Pauline nichts, damit Ihr Zartgefühl, das so leicht verletzt ist, geschont bleibe, – mögen sie bei irgend einer Gelegenheit Ihnen einmal passend kommen.
Und nun sei es genug, das Schreiben wird mir schwer; – wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, so widmen Sie bisweilen einem Manne, der Ihnen von Herzen wohlgewollt, einen freundlichen Gedanken.
Jas. Morton.«
Helmstedts Hand zitterte, als er zu Ende war; eine lange Weile sah er stumm vor sich
hin, bis sich seine Brust endlich in einem tiefen Athemzuge Luft machte. Dann begann
er die Zuschrift noch einmal von Anfang an durchzulesen. Mit jeder Zeile, die er
langsam beendete, war es ihm, als liege ein tieferer Sinn in diesen letzten Worten
des alten Pflanzers, als er bei der ersten raschen Durchsicht wahrgenommen; er hielt
bei einzelnen Stellen an und begann darüber zu grübeln. Nicht die unerwartete Hilfe,
welche ihm so plötzlich geworden, war es, die ihn hauptsächlich beschäftigte – seine
Gedanken waren bei dem stolzen, starken Herzen, wie es Morton genannt, dem Herzen,
das er doch so weich gekannt und dem er jetzt so gern alle Opfer und Entsagungen
hätte vergessen machen mögen.
Soeben trat der Schwarze wieder ein, um frisches Wasser für die Nacht zu bringen. Er wollte sich nach Beendigung seines Geschäfts leise entfernen, aber Helmstedt, der seinen frühern Platz wieder eingenommen hatte, rief ihn zurück. »Jetzt magst du erzählen, Cäsar,« sagte er, »du hattest etwas wegen Little Valley auf dem Herzen, was ist es?«
Der Neger zog ein halb verlegenes Gesicht und rieb seine Hände. »'S ist nur etwas vom
Hörensagen, Sir, aber ich möchte doch fragen, ob Sie etwas davon wissen? Es heißt,
daß Mr. Barlett, der Aufseher, fortgeschickt werden soll, und das ist schon unter
allen Schwarzen in Little Valley herum. Sie wissen ja wol, die Köchin in Mortons Haus
ist wegen ihrer Horcherei dort nach Little Valley zum Kochen geschickt worden, und
die hat im Aerger über ihre Versetzung dem Aufseher gesagt, lange werde sie doch
nicht dableiben, nur so lange bis er weggejagt sei, und das werde bald genug
geschehen, sie wisse das genau; wenn erst der neue Aufseher komme, dann sei keine
Gefahr mehr, daß ihr gutes Herz ihr wieder einen Streich spiele. Der Aufseher hat
geflucht und sich nach seiner Peitsche umgesehen, da hat sie aber nach einem Topf
voll kochenden Wassers gegriffen und gesagt, er solle nur versuchen, sich an ihr zu
vergreifen, sie fürchte sich gar nicht, ihn zu Tode zu brühen, sie wisse wie sie
stehe. Da soll Mr. Bartlett ganz blaß geworden sein, über verdammte Weiberwirthschaft
geflucht haben,
Helmstedt hatte aufmerksam zugehört und ein Zug von Befriedigung trat in seinem Gesicht hervor; war es ihm doch, als sei Cäsars Erzählung der erste Ruf an ihn, der übernommenen Pflicht gegen Pauline Genüge zu leisten. Er dachte eine kurze Weile nach. »Willst du mir wol angeben,« sagte er dann, »woher du den ganzen, genauen Bericht hast? Ist dir wieder einer von den Schwarzen aus Little Valley begegnet?«
Cäsar verzog das Gesicht und kratzte sich erst auf der einen und dann auf der andern
Seite des Kopfes. »Wenn Sie es zu wissen verlangen, Master, so muß ich es Ihnen
sagen,« erwiderte er mit einem Ausdrucke, der aus Laune und Aengstlichkeit gemischt
schien. »Ich besuche jetzt bisweilen die Mary in Mortons Hause – es ist noch eine
alte Liebschaft von früher her, Sir!« setzte er wie entschuldigend hinzu. »Seit ich
der Sarah nichts klatschen wollte, was hier im Hause vorging, ist sie so bissig
geworden, wie eine Katze, und hat mir, als ich das dritte Mal nach Oaklea kam, nicht
einmal ihre Thür aufgemacht. Da habe ich an die Mary gedacht, die mich immer gern
gehabt, als ich noch auf Mr. Mortons Farm war; ich bin aber damals so versessen auf
die Sarah in Oaklea gewesen, ich glaube wahrhaftig nur, weil sie so stachlig war und
nichts von mir wissen wollte, daß ich der Mary immer aus dem Wege gegangen bin. Well,
Master, der Mary ist die ganze Geschichte gesteckt worden und sie hat sie mir
erzählt; sie hat
Helmstedt schüttelte, wie von einem eigenthümlichen Gedanken berührt, langsam den Kopf. »Komm her, Cäsar,« sagte er nach einer Pause, »du bist ein verständiger Bursche, du möchtest mir auch etwas zu Liebe thun, wie du neulich sagtest – und so will ich dir einen Auftrag geben, bei dem ich mich ganz auf dich verlassen muß. Höre aufmerksam zu. Ich möchte gern, daß Mistreß Morton, die seit ihres Mannes Tode jeden männlichen Beistand verloren hat, von den Unannehmlichkeiten, die ihr bei den jetzigen Verhältnissen erwachsen könnten, befreit bliebe. Wenn ich aber auch gern Alles zu ihrer Unterstützung thue, so habe ich doch nicht Zeit, jeden Tag nach Mortons Hause zu reiten, um zu sehen, was dort geschieht, – nebenbei will es sich auch nicht recht schicken, daß ich eine junge, alleinstehende Frau so oft besuche. Jetzt, Cäsar, sollst du mir helfen. Gehe und mache deiner Mary den Hof, aber theile mir jeden Morgen mit, was in Mortons Hause vorgegangen ist – ob gering oder nicht, ist gleichgiltig; jede kleine Nachricht wird mich über den Stand der Dinge dort im Klaren halten, wird mir zeigen, ob es meinerseits nöthig ist, etwas zu thun, oder nicht, und ich kann unbesorgt meinen eigenen Geschäften nachgehen. Du wirst dabei einsehen, daß von deinem Auftrage nicht das Geringste verlauten darf, wenn die junge Mistreß nicht beleidigt werden soll – ich hoffe, du hast mich vollkommen verstanden, Cäsar?«
»Warum soll ich Sie nicht verstehen, Mr. Helmstedt?« erwiderte der Schwarze mit einem fröhlichen Grinsen. »Entschuldigen Sie, wenn ich lache; es kam mir nur eben so sonderbar vor, daß meine Thorheit mit der Mary noch zu etwas Gutem helfen kann. Sie sollen ordentlich bedient werden, Master, rechnen Sie auf den Cäsar – und,« fuhr er mit einem halben Stocken fort, »Sie werden's gewiß auch so einrichten, daß die Mary keinen großen Schaden von ihrer Gutmüthigkeit gegen mich hat.«
Der Schwarze antwortete nur mit einer Kopfbewegung voller Entschluß und verließ das Zimmer; Helmstedt aber lehnte sich nachdenkend in seinem Armstuhle zurück. Er war im Grunde seiner Seele nicht ganz einig mit sich selbst, ob er durch seinen Auftrag an Cäsar recht gehandelt oder nicht. Es sträubte sich etwas in ihm gegen die Weise, auf welche er sich Nachrichten von Paulinens Begegnissen verschaffen wollte, und doch sah er keinen andern Weg; zudem gab er, seit er in Amerika so manchen Kampf hatte kennen lernen müssen, etwas auf Schicksalswinke, und Cäsars Mittheilung von seiner Liebschaft in Mortons Hause, gerade zu einer Zeit, wo es dem jungen Manne schwer geworden wäre zu bestimmen, wie er sich von dort laufende Nachrichten verschaffen solle, war ihm wie ein bedeutsamer Fingerzeig erschienen. Er rieb sich lange die Stirn, ohne ganz mit sich klar zu werden, bis er endlich beschloß, wenigstens vorläufig den gemachten Anordnungen ihren Lauf zu lassen, bis sich ihm ein anderer Weg zu seinem Zwecke zeigen würde. Er putzte das Licht, suchte Papier hervor, und begann in einem Briefe an den alten Doctor Ford diesem die gegenwärtigen Verhältnisse in Little Valley mitzutheilen.
Die »Law-Office« der Advocaten Griswald und Duncan galt als die bedeutendste im
County, wenn auch die äußere Erscheinung derselben wenig davon wahrnehmen ließ. Ein
vorderes Zimmer, das drei abgenutzte, mit langjährigen Tintenflecken verzierte
Schreibtische und verschiedene halbzerbrochene Stühle enthielt – und ein hinteres mit
besonderm
Es war Abend und die Office geschlossen; in dem hintern Zimmer waren jedoch sämmtliche sechs Stühle von theils ältern, theils jüngern Männern besetzt, während ein siebenter auf dem niedern Geldschranke Platz genommen hatte. Zwei Talglichter auf verrosteten Leuchtern gaben eben Licht genug, um die einzelnen Gesichter erkennen zu lassen.
»Well, Gentlemen,« begann Griswald, welcher am obern Ende des Tisches saß, »es ist jedenfalls gut, wenn wir unsere Sache gemeinschaftlich betrachten und uns vollkommen verständigen. Mr. Murphy will, wie Sie wissen, den in seinen Händen befindlichen Anspruch an das uns bekannte Eigenthum durch den hiesigen Theil der allgemeinen Advocaten-Association vertreten wissen und dafür fünfzig Procent des Ertrages an die hiesigen Mitglieder der Association abgeben. Die einzige Frage, welche jetzt noch in Betracht zu ziehen wäre, ist die: ob die Klage auf vollständige Abtretung des Eigenthums eingeleitet, oder ob der jetzige Inhaber desselben zur Zahlung eines Abstandsquantums vermocht werden soll. Die Frage ist offen, Gentlemen, und ich werde meine eigene Meinung mir bis zuletzt vorbehalten.«
»Wie ich die Angelegenheit betrachte,« ließ sich ein ältlicher Mann vernehmen und bog
seinen Stuhl schaukelnd auf die beiden Hinterfüße, »so sieht der Fall beim ersten
Anblick allerdings bestechend genug aus; indessen glaube ich doch, daß unser Freund
Murphy zu sanguinisch in seinen Hoffnungen gewesen ist. Die Giltigkeit indianischer
Besitztitel in unserm Staate ist im Allgemeinen eine höchst zweifelhafte Sache und
hängt zum großen Theile von der Auffassung des einzelnen Falles ab; und daß in dem
gegenwärtigen der Titel in der Land-Office angemeldet worden
»Well, Gentlemen,« klang Murphy's Stimme vom Geldschranke, »ich habe in den letzten Tagen privatim die Ansicht der meisten hier gegenwärtigen Herren gehört, und allerdings stimmt diese mit der des vorigen Redners überein. Aber was man nicht direct erreichen kann, Gentlemen, läßt sich vielleicht auf einem Umwege erlangen. Ich habe mir als Minimum eines Abstandsgeldes 30,000 Doll. gedacht, etwa der sechste Theil dessen, was der Boden und die Gebäulichkeiten der Farm werth sind, welcher Betrag in einer Mortgage auf das gesammte Eigenthum zu zahlen sein würde. Wie aber mit 30,000 Doll. Mortgage bei der Verfallzeit ein noch viel größerer Werth als das in Rede stehende Eigenthum erlangt werden könnte, wenn nur einigermaßen richtig und auf den Zweck gearbeitet wird, brauche ich den Herren nicht erst aus einander zu setzen.«
Ein Kopfschütteln Griswalds unterbrach den Sprechenden. »Ich glaube, daß derartige
Speculationen über den Zweck der Association hinausgehen,« sagte der alte Advocat;
Ein vielfaches Nicken in dem Kreise der Anwesenden bekräftigte Griswalds Einwurf, und dieser fuhr nach kurzem Räuspern fort: »Wenn der hier anwesende Theil der Association in der Angelegenheit richtig verfährt, den Fall als einen hoffnungslosen für den bedrohten Theil ansieht und ihn so im Gespräche mit Andern behandelt, wenn wir den Einfluß, welchen unsere längere Erfahrung uns über die jüngeren Collegen in der Stadt gibt, richtig verwenden, wenn besonders Mr. Murphy den Besitztitel entfernt von einer möglichen allzugenauen Prüfung Unberufener hält, so bin ich fest überzeugt, daß der jetzige Inhaber des Eigenthums, schon wenn er die allgemeine Meinung der Gesetzkundigen gegen sich sieht und bei der dadurch naturgemäß erzeugten Entmuthigung, sich zu dem in Rede stehenden Abstandsquantum herbeilassen wird, besonders da es nicht in baarem Gelde geleistet werden soll. Ich betrachte zugleich den einzuschlagenden Weg als eine vollkommen ehrliche Taktik. Mit Sicherheit kann in dem vorliegenden Falle Niemand den Ausgang eines einzuleitenden Processes bestimmen; selbst aber den günstigsten Ausgang für den Beklagten angenommen, so würde dieser an Kosten und Gebühren dennoch eine jetzt kaum zu berechnende Summe zu zahlen haben, und wenn sich auch das Abstandsquantum etwas höher als die Proceßkosten belaufen dürfte, so wird für ihn der Unterschied reichlich durch die beseitigte Gefahr eines gänzlichen Verlustes seines Eigenthums und die schnelle Ordnung der Angelegenheit ausgeglichen.«
»Einverstanden!« ließ es sich von mehreren Seiten hören,
»Wenn deshalb Niemand gegen den vorgeschlagenen Plan etwas einzuwenden hat,« fuhr Griswald fort, »so möchte ich empfehlen, langsam und vorsichtig unsere Operationen zu beginnen. Mr. Murphy hat versprochen, sich mit mir in fortwährender Verbindung zu erhalten, und sollte sich irgend etwas von Wichtigkeit ereignen, so soll Ihnen rechtzeitig Mittheilung davon werden. – Wer von den Herren noch irgend etwas vorzutragen hat, möge sich melden. – Niemand! Die Sitzung ist aufgehoben.«
Ohne Geräusch erhob sich ein Jeder. – Griswald schloß die Hinterthür auf, und einzeln, in Zwischenräumen von einer Minute verließen die Anwesenden die Office. Hinter dem letzten schloß Griswald die Thür wieder, löschte die Lichter aus und nahm seinen Weg durch das Vorderzimmer nach der Straße. Er hatte hier kaum einige Schritte gethan, als er seinen Namen nennen hörte.
»Halloh, Mr. Nelson!« rief er, den in der Dunkelheit Herankommenden erkennend, und reichte ihm die Hand; »habe Sie ja wer weiß wie lange nicht gesehen; betreiben jetzt angenehmere Geschäfte als Advocatenpraxis, wie ich mir sagen ließ, he?« Er brach in ein herzliches Gelächter aus und schüttelte dem jungen Manne derb die Hand. »Begleiten Sie mich nach dem Hotel, Sir? Mein Magen ist von der Hitze so schlaff, daß ich ihm einen derben Brandy-Smash zu kosten geben muß. Die Arznei schlägt aber auch das junge, hitzige Blut nieder; was meinen Sie also dazu, Sir?« Er lachte von Neuem.
»Well, ich danke Ihnen, Mr. Griswald, vielleicht nachher!« erwiderte der junge Advocat mit gedämpfter Stimme. »Ich möchte gern ein paar Worte ungestört mit Ihnen reden; ich war Nachmittags schon einige Male in Ihrer Office, ohne Sie treffen zu können.«
»Aber, Mann, doch nichts Geschäftliches heute mehr?«
»Es wäre mir allerdings lieb gewesen, Sir, noch heute mit Ihnen zu reden,« war die Antwort. »Squire Elliot ist bis jetzt in der Stadt geblieben, um aus einer Conferenz zwischen mir und Ihnen etwas bessere Laune mit nach Hause nehmen zu können. Sie kennen ja den sonderbaren Fall, welchen Murphy gegen ihn vertritt!«
»Bah! und da auch noch ein Wort darüber reden!« versetzte Griswald geringschätzig. »Lassen Sie die ganze Sache ruhig gehen und trinken Sie einen Smash mit mir, das ist das Beste, was Sie in der Angelegenheit thun können.«
»Aber, Mr. Griswald –«
»Haben Sie das Document gesehen? Jedenfalls nicht, sonst bin ich von Ihrer eigenen Routine in solchen Dingen überzeugt, daß Sie nur die Achseln gezuckt und Squire Elliot gerathen haben würden, sich auf gute oder schlimme Weise, wie es eben gegangen wäre, mit dem Inhaber des Besitztitels abzufinden. – Ich mag mich irren,« fuhr er, die Schultern hebend, fort, »Elliot mag irgend einen andern erfahrenen Rechtsmann zu Rathe ziehen – ich selbst will aber mit einem solchen verlorenen Posten in keiner Weise mehr in Berührung kommen. Bei Jingo!« setzte er plötzlich lachend hinzu und schlug dem jungen Advocaten auf die Schulter, »da fällt mir ja ein, daß Ihr junges Herz einen Antheil an der Sache hat – Teufelsgeschichte das! Lassen Sie uns unsern Smash trinken und die Sorgen vergessen – das ist wirklich das Einzige, was man jetzt thun kann.«
»Das Document ist mir allerdings noch nicht zu Gesicht gekommen,« sagte Nelson und ging mit halb gesenktem Kopfe neben seinem ältern Collegen dem Hotel zu; »es war immer zur Beurtheilung in andern Händen –«
Griswald ging schweigend weiter, bis sie das Hotel erreicht hatten und er in den Bar-Room eintreten wollte.
»Ich denke, ich trinke jetzt nichts, Sir, Mr. Elliot erwartet mich,« sagte Nelson und
ergriff die Hand seines Begleiters, sie kräftig drückend, »es scheint mir wirklich,
als sei Ihr Rath der beste, und wenn Murphy den von ihm vertretenen Anspruch einer
Prüfung in der Weise, wie Sie es vorschlugen, unterwerfen will, so sehe ich keinen
Grund, warum Mr. Elliot sich nicht jeder einigermaßen annehmbaren Forderung
unterwerfen sollte. Entschuldigen Sie
Er wandte sich die Straße hinab. Griswald sah ihm mit einem kurzen Husten nach und trat dann in den Bar-Room, wo er mit einem gemüthlichen Lachen einen Brandy-Smash »für einen verdrießlichen Magen« forderte.
Es waren kaum zwei Tage vergangen, als auch die Gefahr, welche über dem Besitzer von
Oaklea schwebte, schon das allgemeine Gespräch nicht nur in der Stadt, sondern auch
im ganzen County bildete. Elliots Besitzrecht, welches dieser von den Vereinigten
Staaten erworben hatte, war als so unantastbar betrachtet worden, daß unter die
Grundbesitzer, welche aus zweiter Hand gekauft hatten, mit der Nachricht von der
Bedeutsamkeit des erhobenen Anspruchs ein fast panischer Schrecken gefahren war. Alle
die Advocaten, welche als routinirt in den Land-Verhältnissen galten, hatten beide
Hände voll zu thun, um längst geprüfte Besitztitel einer neuen sorgfältigen
Untersuchung zu unterwerfen; kleine Fehler darin, welche sonst stets unbeachtet
gelassen worden waren, erhielten plötzlich eine beängstigende Wichtigkeit; man
erzählte sich, daß den beiden Nachbarn Elliots, welche, wenn auch nur zu einem
geringen Theile, von dem neu aufgetauchten Besitztitel betroffen wurden, von ihren
Advocaten achselzuckend der Rath ertheilt worden war, abzuwarten, welchen Weg Elliot
einschlagen werde, und sich diesem dann anzuschließen, wenn sie überhaupt sich Kosten
zu machen gedächten; die erfahrensten Rechtsanwälte der Stadt sprachen es unverhohlen
aus, daß nur in einem Uebereinkommen und einem großen Opfer von Elliots Seite einige
Aussicht zur Rettung für diesen zu suchen sei, und keiner von Allen, welche Einsicht
in das alte Document erhalten hatten, schien es nur der Mühe werth zu finden, sich in
eine weitere Deduction des Falles einzulassen. Oaklea hatte in diesen Tagen mehr
Besuche erhalten als jemals zuvor; jedem Ankommenden aber war durch die Schwarze der
Bescheid
Es war am fünften Abende, als Elliot in seiner Bibliothek mit großen Schritten auf- und abging. Zur Seite des Fensters wiegte sich seine Frau mechanisch im Schaukelstuhle und am Tische saß Nelson, den Kopf leicht in die Hand gestützt.
»Ich mag überlegen wie ich will,« sagte der Hausherr stehen bleibend, »so ist ein solcher Betrag kaum geringer als ein Ruin. 30,000 Doll. in einer Mortgage gegeben, machen jährlich 3000 Doll. Zinsen. Woher soll ich diese fortlaufend schaffen, wenn ich nicht nur für das Bestehen meiner Familie arbeiten will?« Er setzte seinen Gang von Neuem fort.
»Nehmen Sie meinen Vorschlag an, Mr. Elliot,« begann Nelson, den Kopf erhebend, »veräußern Sie einen Theil der Farm, und wenn es ein ganzes Viertel sein sollte, und decken Sie mit dem Erlöse die Mortgage, ehe sie zu viele Zinsen frißt. Sie haben das Gutachten unserer ersten Advocaten über den Fall gehört, Sie denken selbst nicht mehr an einen Proceß, und so heißt es jetzt, aus dem Schlimmen das Beste zu machen, was sich machen läßt. Murphy wird bald hier sein, und Sie sollten bis dahin einen klaren Entschluß gefaßt haben.«
»Ich weiß Alles und Sie haben vollkommen Recht!« erwiderte Elliot hastiger
schreitend, »wenn der Entschluß nur so leicht wäre, als Sie meinen. Sie kennen meine
Farm nicht, Sir, sie ist ein so abgerundetes Besitzthum, daß ich nicht weiß, wo
lostrennen, wenn ich für einen Käufer nur ein halbwegs Ganzes daraus schaffen soll.
Meine Nachbarn haben schon mehr Land als sie bewirthschaften, und wer würde außer
diesen dreißigtausend Dollars für ein Eigenthum zahlen, das nichts Halbes und nichts
Ganzes ist? Mein Land hat seinen Werth, die Höhe desselben liegt
Nelson sah trübe vor sich nieder, und die Frau vom Hause verfolgte mit ängstlichem Auge den Gang ihres Mannes.
»Warten wir, bis dieser Murphy kommt, und erzählen Sie mir während der Zeit etwas Anderes,« begann Elliot nach einer Weile wieder und strebte sein Gesicht aufzuklären. »Haben Sie nichts von dem Thun und Treiben des Deutschen wahrgenommen, der noch ein Stein in unserm Wege ist? Ich denke, er wird in den nächsten Tagen selbst kommen und mir seine Propositionen stellen – aber billiger als Mr. Murphy!« fuhr er bitter lächelnd fort.
»Es ist schwer, über die jetzige Lage des Menschen ein Urtheil zu fällen,« versetzte
Nelson aufblickend. »So oft ich ihn sehe, liegt eine Ruhe und Sicherheit in seinem
Gesichte, als könne nichts seine Stellung hier erschüttern. Seit er aus der Akademie
entlassen ist, verbringt er regelmäßig die Stunde nach Mittag bei den Zeitungen im
Hotel, woraus er sich Notizen macht; außerdem hat er sich, wie ich höre, von seinem
Tischnachbar die ›Reden großer amerikanischer Staatsmänner‹ geliehen, und ich glaube,
daß er seine meiste Zeit mit einem Studium der englischen Sprache ausfüllt. In
Geldverlegenheit scheint er durchaus nicht zu sein. Gestern hat er sein Kostgeld im
Hotel für einen Monat vorausbezahlt, und am Abend sah ich seinen Schwarzen einen
Wagen voll Welschkorn zu Pferdefutter abladen. Es will mir fast scheinen, als ständen
ihm Mittel zu Gebote,
»Mittel – hah, ich kenne seine Verhältnisse!« sagte Elliot mit dem Ausdruck gründlicher Verachtung. »Was er hat, stammt von mir oder ist aus Ellens früheren Ersparnissen angeschafft worden. Er mag noch etwas von seinem bisherigen Verdienst übrig haben, mit dem er vielleicht glaubt, den Leuten Sand in die Augen streuen zu können; das kann aber nur noch kurze Zeit anhalten, und dann sitzt er hier ohne auch nur das nöthige Geld zu haben, um nach dem Osten zurückkehren zu können. Ich glaube kaum, daß weitere Schritte gegen ihn nothwendig sind. Hat er noch Umgang?«
»Wol kaum nennenswerth, Sir – seine früheren Besuche bei den Familien der Stadt hat er, so viel ich erfahren, vollständig eingestellt – wie lange das aber anhalten wird, weiß ich nicht. Erst vorgestern sprachen sich ein halbes Dutzend Ladies dahin aus, er habe eine Manier zu grüßen, wenn er ein bekanntes Gesicht auf der Straße treffe, man wisse nicht, solle man es stolz, oder verbindlich, oder beides zusammen nennen, jedenfalls aber sei es durchaus unmöglich, ihn unbeachtet zu lassen. Und wenn ich dazu das Bedauern rechne, welches sich bereits hier und da über den eingetretenen gänzlichen Mangel an Musikunterricht ausspricht, so scheint mir, daß wir bald die Zeit erleben können, wo er, wenn auch nicht in der Akademie, doch in den einzelnen Familien seine Beschäftigung wieder aufnimmt.«
»Er wird es nicht thun, Gir, – niemals unter den jetzigen Umständen!« entgegnete Elliot mit zusammengezogenen Augenbrauen; »entweder läßt er seinen Hochmuth fahren und geht auf meine Bedingungen hin eine Scheidung ein, oder er verläßt den Staat. Lassen Sie mich nur das Dringendste, den Murphy'schen Anspruch, geordnet haben, und dann nennen Sie mich einen Lügner, wenn ich nicht binnen Kurzem mein Wort löse.«
Fünf Minuten mochten wortlos verstrichen sein, als sich die Thür halb öffnete und das Gesicht einer Schwarzen erschien. »Mr. Murphy ist im Parlor, Sir!«
Elliot blieb stehen und sah nach seiner Frau zurück. »Es ist besser, Liebe, du läßt uns jetzt allein,« sagte er halblaut, »ich mag die Angelegenheit nicht im Parlor verhandeln. – Ich lasse Mr. Murphy bitten, sich nach der Bibliothek zu bemühen. Zeige ihm den Weg, Flora,« wandte er sich dann gegen die Schwarze, während die Hausfrau sich erhob und an den Pflanzer herantrat. »Ordne die Sache so glatt und so schnell als du kannst, John, und mache dir keinen Kummer um mich,« sagte sie, ihre Hand auf seine Schulter legend, »was geopfert werden muß, geht ohne unsere Schuld verloren, und darum mache dir das Herz nicht zu schwer damit.«
Er küßte sie leicht auf die Stirn und führte sie nach der Thür, welche in diesem Augenblick durch die Schwarze von außen geöffnet ward, um den angekommenen Advocaten einzulassen. Murphy verbeugte sich tief vor der heraustretenden Hausfrau und wandte sich dann grüßend zu Elliot.
»Treten Sie ein, Sir!« sagte dieser und schloß hinter dem Advocaten die Thür. »Sie müssen entschuldigen, daß ich Ihnen die Mühe des Weges hierher gemacht habe, während ich selbst Sie hätte aufsuchen sollen; ich gestehe Ihnen aber, daß ich eine wahre Angst vor den neugierigen Gesichtern in der Stadt habe, so lange unsere Angelegenheit noch nicht geordnet ist. Sie haben mich durch Ihre Bereitwilligkeit, die Sache hier in Oaklea zu besprechen, wirklich zu Dank verpflichtet. Setzen Sie sich, Sir!«
Murphy neigte nur als Erwiederung auf die Worte des Pflanzers langsam den Kopf, warf
Nelson einen vertraulich
»Well, Sir,« begann Elliot, dem Advocaten gegenüber Platz nehmend, »lassen Sie uns sofort der Sache auf den Leib rücken. Mr. Nelson hat mir Ihren Vorschlag über die Höhe eines Abstandsgeldes für Ihren Anspruch mitgetheilt; ich habe ihm aber auch vor kaum einer Viertelstunde bewiesen, daß die Höhe des Betrages mit meinem Ruin und dem meiner Familie auf gleicher Stufe steht. Wenn ich einmal zu Grunde gehen soll, so gestehe ich Ihnen, daß ich das lieber im offenen Kampfe thue als erst Jahre lang alle Sorgen und Qualen durchzumachen, um die Zinsen für eine Mortgage aufzubringen, die mir am Ende doch noch den Hals brechen muß. Ist es Ihnen daher wirklich um einen Vergleich zu thun, Sir, so stellen Sie eine Summe auf, die ein Mensch in unsern Verhältnissen hier erschwingen kann, wenn es auch selbst mit großen Opfern geschehen müßte.«
Murphy hob den Kopf mit einem kalten Lächeln. »Ich weiß nicht, ob Sie die
Verhältnisse richtig beurtheilen, Sir,« sagte er, »ich stehe nicht hier für einen
Anspruch meinerseits, sondern bin nur Anwalt für die Erben eines Nachlasses, in
welchem sich das bekannte Document vorgefunden hat. Wenn ich nun auch mit völliger
Machtvollkommenheit bekleidet bin, um zur Vermeidung eines kostspieligen Processes
ein Arrangement mit Ihnen zu treffen, so müßte ich doch die schwerste Verantwortung
auf mich laden, wenn ich aus irgend welchen Rücksichten den sichern Erfolg eines so
bedeutenden Processes für einen Betrag, der im Verhältniß dazu eine Bagatelle genannt
werden könnte, eintauschen wollte. – Ich hatte nicht erwartet,« fuhr er fort, das
dunkle Auge ruhig auf dem Pflanzer ruhen lassend, »daß mir hier überhaupt noch ein
Einwand entgegentreten würde. Der Weg, welchen ich ursprünglich einzuschlagen
beabsichtigte, war ein anderer, und nur ein längeres Gespräch mit meinem Freunde
Der Pflanzer blickte in finsterm Schweigen vor sich nieder und schüttelte nur dann und wann, wie einen einzelnen Gedanken verfolgend, den Kopf.
»Wenn Sie auf ein einfaches Ja oder Nein dringen und keiner andern Verhandlung Raum geben wollen,« sagte er endlich aufsehend, »so ist es mir ganz unmöglich, Sir, mich sofort zu entschließen; wenigstens müßten Sie mir eine kurze Zeit lassen, um mich über die Möglichkeit zu versichern, einer Mortgage von so hohem Betrage zur rechten Zeit begegnen zu können.«
Murphy schien nachzudenken.
»Ich will Sie, wie gesagt, nicht drängen, Squire,« sagte er nach einer Weile; »ich glaube mit einer Bedenkzeit meinen Clienten nichts zu vergeben. Sind Ihnen acht Tage genug?«
»Wenn Sie glauben, mir nicht längere Zeit geben zu können, so muß ich zufrieden sein.«
»Gut, Sir, mag es so sein!« erwiderte Murphy, sich erhebend. »Heute über acht Tage
mag mir Freund Nelson
»All right, Sir!« versetzte Elliot mit einem sauren Lächeln und verließ ebenfalls seinen Stuhl. »Jeder hat auf seinen eigenen Vortheil zu sehen, das ist der Welt Lauf.«
»Gute Nacht, Mr. Elliot!«
»Gute Nacht, Mr. Murphy« –
»Glauben Sie mit dem Aufschub etwas gewonnen zu haben?« fragte Nelson, als der Advocat das Zimmer verlassen hatte.
»Jedenfalls Zeit, die nichts kostet,« erwiderte der Pflanzer. »Die Hauptsache aber ist, daß ich während dieser Woche irgend eine Möglichkeit zum Verkaufe eines Theils meiner Ländereien ausfindig mache, und dazu sollen Sie mir helfen, junger Freund. Sollte ich auch alle die Opfer, welche ich voraussehe, dabei bringen müssen, so will ich lieber ein kleineres, freies Eigenthum haben, als ein großes mit einer Mortgage belastet, welche jede Nacht als ein Alp meine Träume heimsuchen würde. Kommen Sie jetzt zum Abendtisch, der wol schon lange auf uns wartet – wir sprechen später mehr über die weitern nothwendigen Schritte. –«
Murphy hatte die Stadt wieder erreicht, das gebrauchte Pferd wieder in den Leibstall zurückgeliefert und ging im Globe-Hotel die Treppe nach dem von ihm bewohnten Zimmer hinauf, um sich von dem Straßenstaube zu reinigen, als er einen Tritt hinter sich vernahm, der sich genau dem seinigen anpaßte. Er sah sich nur flüchtig nach der ihm folgenden Person um, schloß sein Zimmer auf und stellte hier das mitgebrachte Licht auf den Tisch. – Als er sich umwandte, fiel sein Blick auf die Gestalt eines Mannes neben der Thür, von dem sich indessen in der schwachen Beleuchtung nichts Bestimmtes erkennen ließ. »Wer ist da?« fragte Murphy barsch.
Der Advocat starrte den Mann eine Weile sichtbar betroffen an. Schwarzes, lockiges Haar umgab ein glattrasirtes Gesicht; über einer goldenen Brille zeichneten sich ein Paar dunkle, geschwungene Augenbrauen ab, und nur ein eigenthümlicher Zug von Sarkasmus um Mund und Kinn mahnte den Advocaten an frühere Bekanntschaft.
»Bei Gott, jetzt erkenne ich Sie erst wieder, Seifert,« rief dieser endlich wie in unangenehmer Ueberraschung. »Ihre Verwandlung ist gut, aber in des Himmels Namen, was führt Sie denn hierher, wo Sie keinen Augenblick sicher sind, festgenommen zu werden? Sie entsinnen sich doch noch des Sklavendiebstahls beim Squire Elliot?«
»Sklavendiebstahl – festnehmen – hm! Aus dem Loche pfeift also jetzt der Wind!« sagte der Andere ruhig, beide Arme über einander schlagend, »ich denke, wenn man Wells heißt und selbst von dem eigenen Geschäftepartner nicht wieder erkannt wird, so kann die Gefahr nicht so groß sein. Ist Ihnen denn mein Besuch so unangenehm, Sir, daß Sie gleich versuchen müssen, mir die Freude des Wiedersehens zu verbittern? Oder hatten Sie mit etwas zu großer Sicherheit darauf gerechnet, daß mir der Boden hier zu heiß sein würde?«
»Well, Sir, um kurz zu sein: was führt Sie eigentlich hierher?« fragte Murphy mit gerunzelter Stirn.
»Sonderbare Frage!« erwiderte Seifert mit anscheinender Befremdung den Kopf
schüttelnd. »Sind wir nicht Partner in dem Geschäfte, welches Sie jetzt hier
betreiben, habe ich nicht meinen Theil Arbeit gewissenhaft erfüllt, so daß ich jetzt
als Zuschauer Ihre weitern Schritte beobachten darf? Fürchten Sie durchaus nicht, daß
ich Ihnen lästig werde, Sir; ich habe bereits zu meinem großen Vergnügen gehört, wie
meisterhaft Sie alles Nöthige eingeleitet haben,
In Murphy's Gesicht bildete sich ein Zug, halb stiller Aerger, halb Hohn. »Und wenn ich Ihnen nun sage, Sir, daß Sie sich wegen des erwarteten Erfolges verrechnet haben,« sagte er sich gegen den Tisch lehnend, »daß der Proceß gar nicht eingeleitet werden wird und, Alles in Allem, kaum so viel bei dem Unternehmen herausspringen kann, um die von mir daran gewandten Kosten zu decken? Wenn ich Ihnen deshalb sage, daß durchaus keine Ursache für Sie vorhanden ist, um sich hier einer Gefahr der Erkennung preiszugeben?«
»So, so – hm, hm!« entgegnete Seifert mit vollkommener Ruhe. »Trotz alledem, lieber Herr, gedenke ich doch ein Weilchen die hiesige Landluft zu genießen. Ich habe nun einmal die fixe Idee, daß Henry Wells hier keine besondere Gefahr zu fürchten hat, selbst wenn Sie, Sir, um ihn los zu werden, ihm ein Freundschaftsstückchen spielen und die alten Geschichten, welche der Mann Seifert begangen haben soll, wieder aufwärmen wollten. In einem solchen Falle könnte ich eine unterhaltende Historie von einem gestohlenen Depositenscheine aus dem Nachlasse des Pedlars Isaak Hirsch erzählen, könnte ganz merkwürdige Enthüllungen über die Weise geben, wie der Anspruch gegen Squire Elliot in die Hand eines hiesigen Advocaten gespielt worden ist, und dergleichen mehr, was jedenfalls die Glaubwürdigkeit meines Anklägers etwas erschüttern dürfte. Ich halte mich nach dieser Seite hin nicht nur für gedeckt, sondern glaube auch noch erwarten zu dürfen, daß mich Mr. Murphy als seinen alten Freund Henry Wells aus New-York identifiziren würde, wenn es irgend einem andern Jemand einfallen sollte, daran zu zweifeln.«
Murphy hatte sich verfärbt. »Wer sagt Ihnen denn,
»Und wenn es nun kein anderer gewesen wäre, als das Andenken meiner geringen Person bei Ihnen etwas aufzufrischen – käme ich nicht gerade jetzt zur rechten Zeit?« lächelte Seifert mit seiner ironischen Höflichkeit. »Sie sagten so eben noch, es könne bei unserm Unternehmen kaum etwas für mich abfallen, – wäre es nicht besser, Sie überlegten sich die Sache noch einmal?«
»Ich habe Ihnen gesagt, daß der Fall nicht zum Proceß kommen kann,« versetzte der Advocat finster; »ich habe den Werth des Documentes, auf welchem die ganze Speculation ruht, überschätzt. Eine Kleinigkeit werde ich jedenfalls durch den erzeugten Schrecken herauspressen können, und Sie sollen nicht um Ihren Antheil kommen.«
»Very well, Sir!« unterbrach Seifert, ein ernstes, bedenkliches Gesicht ziehend, »ich
darf natürlich an Ihrer Wahrheitsliebe nicht zweifeln – ich muß Ihnen aber Eins
sagen. Wie es Leute gibt, welche hunderttausend Dollars mit Vergnügen stehlen würden,
wenn sie könnten, während sie vor einem Diebstahl von fünf Dollars zurückschaudern,
so würde ich selbst mir die größten Gewissensbisse machen, einen armen Judenjungen zu
Tode und eine achtbare Pflanzerfamilie dem Ruin nahe gebracht zu haben, wie dies
Letztere wenigstens die ganze Stadt behauptet – wenn ein reichlicher Erfolg diese
Sünden nicht lohnte. Und Gewissensbisse sind ein erschreckliches Ding, Sir, wenn sie
den Menschen treiben, wieder gut zu machen, was er verbrochen. Ueberlegen Sie also
noch einmal, Mr. Murphy, was sich thun läßt, um dem Uebel vorzubeugen – in einigen
Tagen sehe ich Sie wieder, und wir werden dann bestimmter mit einander
Murphy, an den Tisch zurückgekehrt, hatte sich während der letzten Worte gezwungen, dem Sprechenden fest ins Gesicht zu sehen, und blieb in seiner Stellung, bis er Seiferts letzte Schritte auf der Treppe verhallen hörte. Mit einem unterdrückten Fluch schlug er dann mit der Faust auf den Tisch und warf sich auf den nächsten Stuhl. Eine Weile sah er finster sinnend vor sich nieder, plötzlich aber, wie von einem lichten Gedanken erfaßt, sprang er auf und sah nach seiner Uhr. »Noch Zeit!« brummte er, griff nach seinem Hut und verließ raschen Schrittes das Hotel. Er bog von der Hauptstraße des Städtchens in einen Nebenweg ein, bis er die Rückseite von Griswalds Office erreichte, wo sich durch die geschlossenen Jalousien ein schwacher Lichtstrahl stahl. Auf ein dreimaliges Klopfen öffnete sich die Thür und er verschwand dahinter.
Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, als er, von Griswald begleitet, wieder heraustrat. »Keinen Schritt darf er unbeaufsichtigt thun, und Sie müssen noch heute die nöthigen Anstalten deshalb treffen,« sagte Murphy mit gedämpfter Stimme, »und sollte sich Ihre Vermuthung bestätigen, so werde ich für das Uebrige Vorsorge treffen.« Beide schieden, sich die Hände schüttelnd.
Es war kaum sechs Uhr am nächsten Morgen, aber Helmstedt saß schon eine Weile vor
seinem Arbeitstische, auf welchem sich an Stelle der früher vorhandenen Musikalien
mehrere Stöße Bücher zeigten, und schien ganz in das Studium
Noch an demselben Nachmittage hatte er sich von einigen Bekannten, welche ihm der Mittagstisch im Hotel näher gebracht, so viele Bücher zusammengeborgt, als er für die erste Zeit zu seinem Zwecke für nothwendig erachtete, und am nächsten Morgen begann er nach einem selbstgeschaffenen Systeme seine Arbeiten, denen er während der folgenden Tage ohne Hast, aber mit voller Beharrlichkeit oblag. Und so saß er auch jetzt am frühen Morgen bereits an seinem Schreibtische.
Eine halbe Stunde mochte er ohne Unterbrechung gearbeitet haben, als sich die Thür öffnete und Cäsar mit einer großen Tasse voll rauchenden Kaffee's erschien; es war dies eine Neuerung, die Helmstedt eingeführt hatte, um nicht in den Morgenstunden des Frühstücks wegen das Haus verlassen zu müssen, und Cäsar hatte schnell genug gelernt, seinen Herrn in deutscher Weise zu bedienen. – Helmstedt schob sein Buch bei Seite und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
»Well, Cäsar, etwas Neues?«
»Nichts Großes, Master,« entgegnete der Schwarze, die Tasse niedersetzend. »Mrs.
Morton ist noch immer traurig und niedergeschlagen; sie habe, meinte Mary, gestern
nicht so viel gegessen, daß ein Vogel daran genug haben könne. Doctor Ford hat ihr
beim Mittagstische erzählt, daß Mr. Elliot wol seine Farm verlieren werde, und das
hat sie so aufgeregt, daß ihr der Doctor ein niederschlagendes Pulver hat geben
müssen. Der Doctor hat gesagt, ihre Reizbarkeit komme vom Klima, das sie noch nicht
gewohnt sei und auch von ihrem einsamen Leben; sie solle sich mehr Zerstreuung
machen; und Mrs. Morton hat gesagt, sie werde nächster Tage einmal nach Little Valley
fahren, sich
»Wie steht es jetzt in Little Valley?« fragte Helmstedt gedankenvoll.
»Es ist noch beim Alten, Sir!« antwortete der Schwarze. »Doctor Ford hat aber gesagt, er werde in den nächsten Tagen einen andern Aufseher schaffen.«
Helmstedt nickte langsam und griff nach seinem Kaffee. »Es ist gut, Cäsar.«
Der Schwarze verließ das Zimmer und Helmstedt wollte sich wieder seiner Beschäftigung zuwenden, aber er konnte seine Gedanken nicht festhalten. Schon Tags vorher hatte ihm Cäsar einen ähnlichen Bericht wie den heutigen gebracht, dem er nur wenig Wichtigkeit beigelegt hatte – heute indessen fiel ihm die wiederholte Meldung mit ihren Details auf. War es nur ein vorübergehendes körperliches Leiden, oder lag die Ursache von Paulinens krankhafter Stimmung tiefer – konnte nicht, bei ihrem jungen warmen Herzen ein Gefühl für irgend eine dritte Persönlichkeit in ihr leben, dem sie in ihrer abgeschlossenen Stellung nicht genug thun konnte und das zugleich die Ursache ihrer Schroffheit gegen ihn selbst und seine freundlichen Anerbietungen war? Helmstedt fühlte, wie ihm der Gedanke das Blut zum Herzen trieb; er erhob sich und durchschritt einige Male langsam das Zimmer; bald hatte er wol seine innere Haltung wieder gewonnen, aber mit dem Interesse an seinem Studium war es für den Augenblick vorbei. Eine erfrischende Luft wehte ihm aus dem offenen Fenster entgegen und er beschloß, einen Gang durch die Stadt zu machen, um sich andere Gedanken zu holen und dann mit neuer Lust an seine Arbeit zurückzukehren. Er kleidete sich an und wanderte dann langsam die Hauptstraße des Städtchens hinab, wo bereits Weiße und Schwarze in lebhaftem Marktverkehr sich durcheinander trieben.
»Es ist ein Brief für Sie da, Mr. Helmstedt – schon
»Für mich, Sir?« fragte der junge Mann zweifelnd.
»Wenigstens steht Ihr Name darauf, treten Sie ein, Sir, zehn Cents Porto!«
Helmstedt empfing ein dickgefülltes Couvert, auf welchem seine Adresse mit voller
Genauigkeit verzeichnet stand, zahlte das Porto und verließ den Store. Er besah die
sonderbar aussehende Zuschrift und schüttelte den Kopf; von wem konnte er wol einen
Brief zu erwarten haben, wer bekümmerte sich in dem großen Amerika um ihn? Das
Postzeichen war so undeutlich aufgedruckt, daß es nicht zu erkennen war, und es
machte ihm Vergnügen, sich in zehnerlei verschiedenen Vermuthungen zu ergehen, ehe er
den Umschlag öffnete. Eine Anzahl Bogen, mit einer Schrift bedeckt, von welcher jeder
Buchstabe reichlich einen halben Zoll maß, fiel in seine Hände; trotz der Größe der
Worte war es aber, wie es Helmstedt bei dem ersten Blick auf die Orthographie
derselben scheinen wollte, eine nicht unbedeutende Arbeit, ihren Sinn zu ergründen.
Er wandte die Bogen, um nach der Unterschrift zu sehen, hatte aber Mühe, das rechte
Ende des Schreibens zu finden, bis seine Augen endlich auf den mit riesigen
Buchstaben geschriebenen Namen: »Karl Meiners, genannt Dutch Charley,« fielen. Ein
heiteres Lächeln ging über Helmstedt's Gesicht, er wandte sich quer über den Weg nach
dem Globe-Hotel und setzte sich dort im Warte-Zimmer nieder, um in Ruhe den Inhalt
des erhaltenen Schreibens zu entziffern. Eine kurze Zeit lang schien ihn das Studium
der verschiedenen Worte zu belustigen; bald aber wurde sein Blick gespannter,
hastiger, und mit zusammengezogenen Augenbrauen arbeitete er sich durch die
Hindernisse, welche sich dem Verständniß des Sinnes entgegenstellten, bis er endlich
zu Ende gelangt, die Hand aufs Papier legte und,
»Lieber Mr. Helmstedt!
Ich habe Ihnen schon vor mehreren Tagen schreiben wollen, ich habe aber meinen
Trouble mit dem Ben gehabt, welcher der Mary noch immer nachstellt und ausgefunden
hat, wo sie sich im Lande aufhält. Sie haben es mit angesehen, wie ich ihn das erste
Mal habe ablaufen lassen; weil ich aber nicht immer bei ihr sein kann, so habe ich
sie nach einem sichern Orte bringen müssen. Sie ist eigentlich nur meine Landsmännin,
aber ich habe auch ehrliche Absichten auf sie und sie ist damit zufrieden. Jetzt aber
das Andere. Sie haben mir damals in New-York gesagt, daß Ihr Mündel um sein Erbe
komme, weil sie ihn haben todt aus dem North-River gezogen. Den sie aber aus dem
Wasser gebogen haben, war nur eine todte Leiche, die ich selber habe helfen vom
Kirchhofe holen, und ich hätte Ihnen schon damals gesagt, wie die Sache steht, wenn
ich bestimmt gewußt hätte, ob Ihre Geschichte auch wirklich die war, von der ich
wußte. Jetzt weiß ich aber Alles: Bill und Ben haben mit dem Gelde, was sie bekommen
haben, ein lustiges Leben geführt und haben mir im Rausche erzählt, um was ich sie
gefragt habe. Also ist die Sache so: Der Graf, wie sie ihn nennen, und weiter weiß
ich von ihm nichts, hat den jungen Verwandten vom Pfandleiher Meier, der wol Ihr
Mündel sein muß, aus der Law-Office, wo er gearbeitet hat, weggelockt und gesagt, ein
alter Onkel von ihm liege todtkrank in Philadelphia und wollte ihn noch einmal sehen,
er müsse auf der Stelle mit ihm gehen, bei Meier's wüßten sie schon um Alles, hat ihn
unterwegs in einem Kleiderladen vom Hemde bis zum Rocke neue Kleider anziehen lassen,
damit er auf der Reise anständig aussehe, und hat ihn durch den Bill richtig nach
Philadelphia in ein Versteck bringen lassen. Während der Zeit haben sie hier
Zehn verschiedene Gedanken über die Beweggründe und den Urheber des gespielten Betruges waren, einer den andern verdrängend, durch Helmstedts Kopf geschossen – vor einem Gedanken aber wichen alle übrigen zurück. Helmstedt hatte aus leicht begreiflichen Gründen sich tiefer für den drohenden Angriff auf Elliots Eigenthum interessirt, als viele Andere. Er hatte zu seiner Verwunderung erfahren, daß Murphy's Vollmacht, welche dieser gern vorwies, um jede Gehässigkeit von sich selbst abzulenken, von Rebekka, Ehefrau des Abraham Meier in New-York, als Erbin des verstorbenen Isaak Hirsch, ausgestellt war, und daß der verhängnißvolle Besitztitel von einer New-Yorker Advocaten-Firma als Eigenthum des Isaak Hirsch in die Erbschaftsmasse abgeliefert worden sein sollte. Wenn es ihm nun möglich wurde, den Aufenthaltsort des bei Seite gebrachten Knaben zu entdecken, so war für den Augenblick der ganze gegen Elliot beabsichtigte Proceß beseitigt, da mit Auffindung des ersten, alleinigen Erben jeder Anspruch einer dritten Partei an den hinterlassenen Besitztitel in sich selbst zerfiel, und alle ferneren Maßregeln lagen einzig in seiner, des Vormundes, Hand. Hieß es doch in des Pedlars letzten Willen:
»Ich bitte Mr. Helmstedt, sich meiner Papiere anzunehmen, welche sich in der Tasche dieses Buches befinden. Es sind die sämmtlichen Depositenscheine meiner Ersparnisse, welche nach meinem Tode meinem Schwestersohne gehören und von genanntem Mr. Helmstedt, falls ihm dies nicht zu viel erbeten dünkt, zum Vortheil meines Erben nach seinem, des Mr. Helmstedts, alleinigem Dafürhalten angelegt oder verwendet werden sollen.«
»Telegraphenoffice!« war die lachende Antwort, »so vorgeschritten sind wir hier im
Hinterwalde noch nicht, Sir!
Helmstedt legte die Hand an seine Stirn. »Also gar keine Möglichkeit, eine dringende Nachricht schnell nach New-York zu befördern?«
»Warum nicht? Senden Sie Ihre Depesche nach Nashville an die Telegraphenoffice, heute Mittag geht eine Post dahin ab. Legen Sie eine Fünfdollar-Note bei und beauftragen Sie die Beamten, Ihnen die Rückantwort, falls Sie diese erwarten, augenblicklich hierher zu senden. Sie sollen von mir sogleich benachrichtigt werden, sobald etwas angekommen ist.«
Helmstedts Gesicht hellte sich auf; er dankte dem Postmeister und schlug ohne weitere Zögerung den Weg nach seinem Hause ein. Dort machte er sich noch einmal an die sorgfältige Durchsicht der erhaltenen Zuschrift und faßte dann die folgende Depesche, mit der von Dutch-Charley angegebenen Adresse versehen, an ihn ab:
»Kommen Sie augenblicklich, sobald Sie genau wissen, wo der Knabe ist; ich trage die Reisekosten. Senden Sie sogleich Antwort per Telegraph an die Nashville-Telegraphenoffice, daß Sie diese Zeilen empfangen haben; ich erhalte Ihre Antwort von dort.«
Das Begleitschreiben an die Telegraphenoffice war schnell angefertigt, die Banknote beigelegt, und nach einer Viertelstunde ruhte der Brief, von Helmstedt selbst überbracht, in der Hand des Postmeisters.
»Jetzt wollen wir weiter sehen!« brummte der junge Mann und wandte seine Schritte
nach dem Bar-Room des Hotels, wo für die Morgenstunde der gewöhnliche
Versammlungsplatz der männlichen Elite des Städtchens war. Gruppen von jüngern und
ältern Herren standen bereits schwatzend darin umher, und Helmstedt hörte bald auch
Murphy's helle Stimme im hinteren Theile des Lokals erklingen. Der Eingetretene ließ
sich ein Glas Sherry mit
»Wollen Sie mir wol zwei Worte erlauben, Sir?« sagte Helmstedt, ihm einen Schritt entgegentretend.
Der Advocat sah auf. »Mit Vergnügen, Sir!« erwiderte er, augenscheinlich etwas verwundert.
»Sie werden einsehen,« begann Helmstedt mit gemäßigterer Stimme, »daß der von Ihnen vertretene Anspruch gegen Mr. Elliot, der mein Schwiegervater ist, mich mehr als jeden andern Dritte berühren muß.«
»Ich sehe das vollkommen ein,« erwiderte Murphy, höflich den Kopf neigend.
»Darf ich Sie also wol um Angabe der Advocatenfirma in New-York bitten, bei welcher das alte Document, welches den jetzigen Anspruch begründet, deponirt war?«
»Gewiß, Sir, wenn Sie sich auch dort nicht viel Trost holen werden; es ist die Law-Office der Herren Smith und Johnson in Duanestreet.«
»Ich danke Ihnen, Sir, das ist Alles.«
Murphy verbeugte sich mit einem verbindlichen Lächeln und verließ das Lokal. Helmstedt trank langsam seinen Wein aus und ging dann in gemessenem Schritte seinem Hause zu. Als er indessen sein Zimmer erreicht hatte, warf er, wie voll von einem Gedanken, seinen Hut bei Seite, suchte Papier hervor und begann zu schreiben. Es war ein Brief an die Herren Smith und Johnson, in welchem er als Vormund des verunglückten Erben einfach anfragte: ob bei Deponirung des in ihren Händen gewesenen, auf Isaak Hirsch überschriebenen Besitztitels kein Empfangsschein ihrerseits gegeben worden sei – und wenn dies der Fall, ob und durch wen derselbe an sie zurückgegeben worden.
Der Brief war fertig; ohne Zögern ging aber Helmstedt an einen zweiten, adressirt an
Mrs. Rebekka Meier.
Die Briefe wurden geschlossen und schlüpften noch eine Stunde vor der abgehenden Post in den Briefschalter.
Helmstedt hatte sich nun wol vorgenommen, in Gelassenheit die verschiedenen Antworten
abzuwarten, aber eine unruhige Spannung, welcher er nicht Herr werden konnte, ließ
ihn nur selten eine Stunde bei seiner Arbeit ausdauern. Vom dritten Tage ab, an
welchem er eine Antwort des Dutch Charley zu erhalten gehofft, hatte er regelmäßig
bei Ankunft der Post nach Briefen für sich gefragt, aber es waren bereits sechs Tage
verstrichen, und das eintönige: »Nothing, Sir!« des Postmeisters war ihm so oft in
die Ohren geklungen, daß er an der Ueberlieferung seiner Depesche vollständig zu
zweifeln begann. Er hatte sich während dieser Tage mehr auf der Straße und im
Bar-Room des Hotels herumgetrieben, als jemals zuvor; er hatte geglaubt, irgendwo ein
Wort auffangen zu können, das ihn über den Weg, welchen Elliot in Bezug auf den
Angriff gegen ihn einzuschlagen beabsichtige, unterrichte, aber Niemand schien etwas
von den Entschließungen des Pflanzers zu wissen, und für Helmstedt begann dieser
Zustand des Harrens fast unerträglich zu werden. Er beschloß, noch einen einzigen Tag
zu warten, und wenn wieder vergebens, durch ein ihm bekanntes New-Yorker Handelshaus
nochmalige und sichere Nachricht an Dutch Charley gelangen zu
Ganz darauf vorbereitet, wieder ein »Nothing, Sir!« zu hören, begab er sich am siebenten Morgen nach der Postoffice; aber schon bei seinem Eintritte hielt ihm der Postmeister einen Brief von dem nämlichen Kaliber, wie den bereits erhaltenen, entgegen, und mit einem erleichternden »Endlich!« erkannte Helmstedt die majestätischen Schriftzüge von Charley's Hand auf der Adresse. Er zahlte das Porto und eilte nach Hause, um ein neues Studium dieser kühn alle Regeln verachtenden Schreibweise zu beginnen. Der Inhalt, in verständliche Worte übersetzt, lautete:
»Yes, Sir!
Ihr telegraphisches Schreiben habe ich erhalten, aber mit der telegraphischen Antwort
war es nichts. Ich hatte einen Brief für Sie fein zugeklebt nach der
Telegraphen-Office gebracht, aber die Kerle dort meinten, zum Telegraphiren müßten
sie ihn aufmachen und durchlesen, was ich nicht leiden mochte, weil Manches darin
stand, was nicht Jeder zu wissen braucht. Also habe ich ihn wieder mit fortgenommen,
und das war ganz gut. Die Weibsperson, welche mit dem Grafen lebt, hatte von diesem
am selbigen Tage einen Brief bekommen, daß er nur noch bis zum 14. Juni an dem
bisherigen Orte bleiben werde; das sei der letzte Tag, welchen er als Frist gestellt
habe, um sein Geld zu erhalten, nachher müsse er wegen des Jungen andere Maßregeln
treffen; sie solle ihm also nicht wieder schreiben, bis sie weitere Nachricht von ihm
bekomme. Ich habe selbigen Brief gefunden, als ich nach dem Zettel suchte, welchen
wir haben mußten, um den Jungen aufzufinden, und den ich Ihnen gern mitschicken
wollte, ehe ich durch die Post an Sie schrieb. Ich bin nämlich ein alter Freund von
der Weibsperson
Helmstedt hatte bei dem Namen »Wells« den Kopf geschüttelt, er war ihm vollständig
unbekannt; sein erster Blick aber, welchen er von dem Schreiben hob, siel auf den
Wandkalender über seinem Arbeitstische und blieb dort nachdenklich hängen. Es war
heute der 13. Wenn ein rascher Erfolg erzielt werden sollte, so mußte die Aufhebung
des sogenannten Grafen, wie des entführten Knaben in des Sheriffs Hände gelegt
werden. Charley war aber der Einzige, welcher den Erstern persönlich kannte, und
somit war seine Gegenwart die nothwendigste Bedingung für irgend einen Schritt.
Helmstedt zweifelte keinen Augenblick, daß der Riese, wenn ihn nicht unterwegs ein
Unglück betroffen, sich zur rechten Zeit einstellen werde, und beschloß deshalb, bis
zum Nachmittag nichts zu thun, als einzelne nöthige Erkundigungen einzuziehen und
einen Ritt nach Oaklea zu machen. Während der ganzen Zeit, in welcher er auf
Nachricht von New-York gehofft, hatte es ihm stets wie eine drückende Ahnung auf dem
Herzen gelegen, daß Elliots Angreifer ihre Beute davon tragen würden, ehe er im
Stande
Er nahm seinen Hut wieder und verließ das Haus. Sein erster Gang war nach der Postoffice. »Können Sie mir wol sagen, Sir, wo Rocky-Creek-Postoffice ist?« fragte er nachlässig, nachdem er sich mit einem schnellen Blick überzeugt hatte, daß er mit dem Postmeister allein sei.
»Kaum fünf Meilen von hier, gerade in die Berge hinein,« erwiderte dieser, mit der Hand die Richtung andeutend; »Sie können kaum fehlen, wenn Sie der Straße folgen; es ist das einzige Wirthshaus am Wege, und die Gegend ist dort ziemlich unbewohnt.«
»Also ist nicht viel zu holen,« lachte der junge Mann.
»Nicht die Spur, Sir! Es gibt dort nur einzelne kleine Farmer, die in dem steinigen Boden mit harter Arbeit ihr Leben fristen.«
Helmstedt dankte und ging. Er sah nach seiner Uhr – es war bereits neun vorüber und hohe Zeit für seinen Ritt, wenn er Mittags zurück sein wollte. Ohne weitern Aufenthalt machte er sich daran, sein Pferd zu satteln, und bald eilte er im scharfen Trabe Oaklea zu.
Es war lange her, daß er zum letzten Male diesen Weg betreten. Damals war er noch
Elliots Hausgenosse gewesen, und sein Herz, erregt von der Jugendfrische und
Lieblichkeit Ellens, hatte kaum begonnen gehabt, für diese zu schlagen; aber alle die
bekannten Umgebungen der Straße mahnten ihn jetzt mir wie an ein längst
abgeschlossenes Kapitel seines Lebens. Selbst Ellens Bild, wie er es sich
Die Pferdetritte wurden unhörbar, als Helmstedt von der Straße abbog und auf dem geschlängelten Sandwege Elliots Wohnung zuritt. Er band sein Pferd an die ihm so wohlbekannte Stelle nahe dem Hause und ging mit festem Schritt, um nicht ungehört einzutreten, die Portico-Treppe nach der Halle hinauf. Hier hatte er kaum die Thür geöffnet, als aus dem Parlor eine weibliche Gestalt ihm entgegeneilte, aber wie im plötzlichen Schrecken stehen blieb, als er ihr sein Gesicht voll zukehrte, und dann todesblaß zwei Schritte zurückwich. Helmstedt stand seiner Frau gegenüber; als er aber in ihre Augen blickte, die ihn mit einer Mischung von peinlicher Ueberraschung und halber Furcht anstarrten, überkam es ihn fast wie Mitleid mit dem jungen Wesen, in dessen Leben er jetzt als hemmendes Gespenst stand.
»Guten Tag, Ellen,« sagte er mit ausgestreckter Hand auf sie zugehend; »ich habe dir doch nicht so viel zu Leid gethan, daß du mich fürchten mußt?«
Sein Gesicht mochte wol noch mehr ausdrücken, als seine Worte thaten, denn ihr starrer Blick löste sich, und zögernd legte sie ihre Hand in die seinige.
»Ich komme nicht unserer Angelegenheit wegen hierher, Ellen,« fuhr er fort und führte
sie einige Schritte weiter in den Parlor hinein, »aber ich freue mich, zwei Worte mit
dir reden zu können. Ich will dir keinen Vorwurf über Das machen, was geschehen ist,
ich habe es verschmerzt;
»Ja, August,« sagte sie mit gepreßter Stimme, während die Thränen in ihre Augen schossen.
Helmstedt wollte weiter reden, aber ein rascher Männertritt in der Halle ließ ihn aufsehen – Elliot stand in der offenen Parlorthür und schien in seiner ersten Betroffenheit über die Gruppe, welche sich ihm bot, die Sprache nicht finden zu können.
Helmstedt fühlte Ellens Hand in der seinen zittern und ergriff sie fester. »Ich hoffe, Sie werden nichts dagegen haben, Squire, daß ich mich mit meiner Frau einmal ausgesprochen habe?« sagte er, dem Pflanzer mit einem offenen Lächeln ins Gesicht sehend; »wir haben eben beschlossen, gute Freunde zu bleiben –«
»Und ich hoffe, Sir, daß ich ein Recht habe, in meinem Hause zu dulden oder nicht zu
dulden, was mir eben gut dünkt!« unterbrach ihn der Pflanzer heftig. »Wollen Sie
etwas in Bezug auf meine Tochter sagen, so haben Sie sich an mich zu wenden, der ich
jetzt ihr natürlicher Anwalt bin; so lange sie in meinem Hause lebt, hört jede
direkte Verbindung
Helmstedts Stirn begann sich zu röthen; er hielt die Hand der jungen Frau so fest als vorher. »Sie handeln unklug, Sir,« erwiderte er und sein klares Auge wurzelte fest in dem des Pflanzers. »Wenn ich mein Recht, verstehen Sie wohl, mein Recht erzwingen wollte, so würde meine Frau noch heute Abend, zu ihrer Pflicht zurückgeführt, in meinem Hause wohnen. Sie scheinen ganz zu vergessen, Sir, daß nur die Rücksicht gegen Ellen selbst alle meine Schritte bisher geleitet hat. Ich wollte das Vertrauen, mit dem sie sich mir übergab, sie niemals bereuen lassen – sie sollte es auch selbst bei ihrer Trennung von mir noch gerechtfertigt finden – das waren die Gründe meines leidenden Verhaltens, Sir. Sie sind jetzt aufgebracht, mich hier zu sehen – well, Mr. Elliot, können Sie denn nicht vermuthen, daß mich freundliche Absichten hierher führten, da ich ohne mein persönliches Erscheinen mir längst hätte volle Genugthuung verschaffen können?«
Um Elliots Mund spielte ein Ausdruck von Verachtung. »Ich hatte Ihnen allerdings Zeit gegeben, mir Vorschläge zu machen,« sagte er; »ich sehe aber dabei durchaus keinen Grund, warum Sie meiner Tochter noch einmal nahe zu treten haben.«
»Sie sind eben im Irrthum, Sir,« erwiderte der junge Mann wieder mit vollkommener
Ruhe. »Mich führen ganz andere Dinge hierher, als das Verhältniß zu meiner Frau, und
wenn ich die Gelegenheit benutzte, mich gegen sie auszusprechen, so bot sie mir der
Zufall. Wenn ich mich einmal von Ellen scheide, so geschieht dies in vollkommen
freier Uebereinkunft zwischen ihr und mir, und ich habe Ihnen, Sir, weder Vorschläge
in Bezug darauf zu machen, noch deren von Ihnen entgegen zu nehmen. Glauben Sie mir
aber, Mr. Elliot, daß jeder Ihrer Eingriffe in meinen freien Willen nur Ihren
Wünschen entgegen arbeitet. Sie werden
Er ließ die Hand der jungen, bleichen Frau los, und diese eilte mit einem besorgten Blick auf ihren Vater, der nur zu warten schien, was sich aus Helmstedts Worten entwickeln würde, aus dem Zimmer.
»Lassen Sie mich jetzt zu dem eigentlichen Zwecke meines Besuches kommen, Sir –« sagte Helmstedt.
»Ich glaube nicht, daß wir noch etwas mit einander zu reden haben,« unterbrach ihn der Pflanzer kurz; »wenigstens kann ich mir keinen weitern Berührungspunkt zwischen mir und Ihnen denken. Es ist heut ein Tag der dringendsten Geschäfte für mich, und ich werde Sie allein lassen müssen.«
»Ich glaube, Sir, daß ein kluger Mann erst hört, ehe er urtheilt,« erwiderte Helmstedt ruhig; »ich kam Ihrer Angelegenheiten und nicht der meinigen wegen hierher.«
Der Pflanzer hatte sich bereits halb nach der Thür gedreht und wandte jetzt den Kopf zurück, »Was ist es?« fragte er unfreundlich. »Wenn es mich betrifft, so sagen Sie es mit zwei Worten; ich habe keinen Augenblick mehr zu verlieren.«
»Haben Sie es denn wirklich so eilig, in Ihr eigenes Unglück zu laufen?« entgegnete Helmstedt, und ein Anflug von gutmüthigem Spott ging über sein Gesicht; »wollen Sie sich denn vorher nicht wenigstens die Zeit nehmen, einen Mann ruhig anzuhören, der auf die Gefahr hin, von Ihnen zum Hause hinaus gewiesen zu werden, hierher kam?«
Elliot drehte sich langsam um und warf einen durchdringenden
»Ich wünsche, Mr. Elliot, daß Sie die Thür schließen,« sagte Helmstedt ernst, »sich einige Minuten zu mir hersetzen und hören, was ich Ihnen zu sagen habe. Sie können sich versichert halten, daß ich mich nicht bis jetzt allen Aeußerungen Ihrer Nichtachtung Preis gegeben hätte, wenn ich meiner Genugthuung nicht sicher wäre.«
Der Pflanzer sah einen Augenblick in das leuchtende Auge des jungen Deutschen, der hoch aufgerichtet vor ihm stand, schloß dann langsam die Thür und rückte zwei Stühle einander nahe. »So setzen Sie sich denn und reden Sie,« sagte er, während er sich selbst niederließ und finster vor sich nieder sah.
»Zuerst eine Frage,« begann Helmstedt, Platz nehmend, »und um Ihrer selbst willen bitte ich, sie mir offen zu beantworten. Haben Sie schon irgend ein Arrangement wegen des Anspruchs auf Ihr Eigenthum getroffen?«
Elliot sah auf. »Was haben Sie mit diesem Anspruch zu thun, Sir?«
»Es scheint, Sie wissen nicht, daß der jetzt geltend gemachte Besitztitel ein Theil einer Erbschaft ist, für welche ich als Vormund des minorennen Erben unumschränkter Verwalter war, und daß erst während der letzten Zeit, seit, wie es hieß, der ursprüngliche Erbe verunglückte, die Hinterlassenschaft in diejenigen Hände überging, welche jetzt ihren Anspruch gegen Sie geltend machen wollen.«
»Das mag sein, Sir,« erwiderte der Pflanzer, aufmerksam werdend; »der Anspruch ist aber in andere Hände übergegangen. Was wollen Sie nun noch?«
Helmstedt warf einen Blick nach der Thür und den Fenstern. »Was ich will, Sir,« sagte
er dann mit gedämpfter Stimme, »ist nichts weiter, als von allem Vorhandenen, den
drohenden Besitztitel einbegriffen, wieder Besitz zu ergreifen, sobald es mir
gelingt, rechtzeitig den Umtrieben
Elliot starrte ihn eine Weile wortlos an. »Ich verstehe zwar vollkommen, was Sie sagen,« erwiderte er endlich, und seine Stimme klang heiser, wie von einem innern Drucke; »ich weiß aber nicht, ob Sie nicht leichtsinnig oder vielleicht selbst getäuscht eine Hoffnung geben, wo keine ist. Ich kenne von den Verhältnissen, welche Sie mir andeuten, nichts, und darum merken Sie auf, Sir – es handelt sich um die Existenz einer ganzen Familie. Ich habe mich allerdings in Unterhandlungen eingelassen, die heute zum Abschluß kommen sollten, und so hoffnungslos das vorgeschlagene Uebereinkommen auch für mich ist, so vergebens ich auch acht Tage lang mich abgemüht habe, es nur auf den Verlust eines Theiles meiner Ländereien zu beschränken, so schützt es mich doch vor augenblicklichem, gänzlichem Ruin. Stoße ich heute den Vergleichs-Vorschlag zurück und ein für mich hoffnungsloser Proceß beginnt, so habe ich die sichere Aussicht, mit meinem Grundeigenthum auch noch meine ganze bewegliche Habe durch die Kosten des Processes zu verlieren. Wollen Sie mich nun, Angesichts dieses Standes der Dinge noch einmal vor einem Uebereinkommen warnen, Sir?«
Helmstedt sah sinnend vor sich nieder. »Es sei ferne von mir,« sagte er nach einer
Pause, »eine schwere Verantwortung leichtsinnig auf mich zu nehmen; wie aber die
Sachen stehen, muß ich Ihnen Alles, was ich selbst weiß,
Elliot, die Arme in einander geschlagen, saß stumm, wie mit sich selbst Rath pflegend, da.
»Es ist dies die sonderbarste Geschichte, die mir jemals vorgekommen ist, und sie mag Ihre Warnung vollkommen rechtfertigen,« begann er nach einer Weile. »Sagen Sie mir aber Eins, Sir!« fuhr er, sich gerade aufsetzend, fort. »Ich mache durchaus nicht darauf Anspruch, bei Ihnen in besonders gutem Andenken zu stehen, und nun frage ich mich vergebens, welche Ursache Sie zu Ihren jetzigen Mittheilungen veranlaßt habe – die Sorge für mein Wohlergehen doch sicherlich am wenigsten. Ich sehe den Angelegenheiten, welche mich berühren, immer gerne auf den Grund, und so wenig ich in die Wahrheit Ihrer Darstellung den geringsten Zweifel setze, so sehr verlangt es doch mein Interesse, daß ich die eigentliche Absicht, welche Sie bei Ihrem jetzigen Schritte gehabt, kennen lerne.«
Helmstedt sah den Pflanzer einen Augenblick groß an, dann stieg ein sonderbares lächeln in sein Gesicht und er erhob sich.
»Warten Sie noch einen Augenblick, Sir,« sagte Elliot, als der junge Mann Miene machte, seinen Stuhl bei Seite zu tragen. »Gesetzt den Fall, Ihre Maßregeln zur Auffindung Ihres Mündels gelängen, und der Anspruch auf Oaklea käme in Ihre Hand – welche bessern Aussichten erwüchsen mir daraus? Oder um mit einer directen Frage der Sachlage näher zu kommen – tragen Sie sich vielleicht mit einer Idee, später durch verständige Behandlung der Angelegenheit in genauere Beziehung zu mir zu treten als bisher?«
Helmstedt sah eine Secunde lang in des Pflanzers forschende Augen.
»Wenn ich Sie recht verstehe,« erwiderte er dann ernst, »so bezieht sich Ihre letzte
Frage auf meine Stellung zu Ihnen durch Ellen. Es gab allerdings eine Zeit, Sir, wo
ich jede Gelegenheit, mich Ihnen näher zu bringen, mit tausend Freuden ergriffen
hätte; diese Zeit, Sir, ist aber vollkommen vorüber. Ich habe eingesehen, daß unserer
Beider Wahl eine verfehlte war, und ich hätte Ellen längst ihre volle Freiheit
zurückgegeben, wenn auf die Forderungen meiner Ehre nur die geringste Rücksicht
genommen worden wäre. Jetzt, nachdem ich lernen mußte, mich über die absichtlich
gegen mich ausgestreuten Gerüchte hinwegzusetzen, bin ich sogar von meiner frühern
Bedingung für eine Trennung – Ellens Rückkehr in mein Haus – zurückgekommen; ich kann
ihre gegenwärtige Lage sogar bedauern, und
Er machte eine kurze Pause, während der Pflanzer, den Hopf zurückgebogen, den erwartenden Blick fest auf ihn geheftet hielt.
»Was den Besitztitel, sobald er in meine Hände gelangt, betrifft,« fuhr Helmstedt fort, »so will ich mich erst überzeugen, mit welchem Recht der jetzige Angriff gegen Sie gemacht wurde. Ich habe verschiedene Gründe, unter der ganzen Angelegenheit eine Gaunerei zu vermuthen, und einer der einleuchtendsten dafür ist wol der, daß Isaak Hirsch, welcher trotz seines seltenen Charakters doch seinen Vortheil wie der beste Advocat wahrzunehmen wußte, sicherlich nicht einen solchen Anspruch unbenutzt hätte liegen lassen, um ihn zuletzt der Verjährung Preis zu geben. Jedenfalls, Sir, haben Sie später einen ehrlichen Mann gegen sich und nicht eine Schaar von gewissenlosen Advocaten. Ich bin mit meinem Geschäft zu Ende, und so überlasse ich Ihnen, nach eigenem Gutdünken zu handeln.«
Er trug seinen Stuhl bei Seite und Elliot erhob sich.
»Ich habe Ihnen zu danken,« sagte der Letztere, und hielt dem jungen Manne die Hand hin, in welche dieser die seinige kalt und ohne einen Finger zu rühren legte; »ich werde vorläufig Ihrem Rathe folgen und hoffe Sie in zwei oder drei Tagen in Ihrem Hause sehen zu können.«
»Mein Haus wird für Sie offen sein,« erwiderte Helmstedt, sich leicht verbeugend. – »Guten Morgen, Sir.«
Er schritt nach der Thür und verließ das Haus, ohne sich umzusehen, ob Elliot ihm folge. Bald saß er im Sattel, und trabte der Hauptstraße wieder zu.
Eine drückende Luft empfing ihn, als er das Freie erreichte;
Mittag war schon einige Stunden vorüber, als er die
Helmstedt hatte überrascht aufgesehen und drückte nach Kräften die Hand des Angekommenen. »Freut mich von Herzen, daß Sie da sind,« sagte er, »es thut mir nur leid, daß Sie auf mich haben warten müssen.«
»Never mind!« erwiderte der Goliath lustig, »ich wünschte, Sie hätten auf meinen Brief nicht länger zu warten brauchen.«
Helmstedt warf einen Blick auf die offene Thür des Bar-Rooms. »Wir brauchen nicht englisch zu reden, daß uns Jeder versteht,« begann er dann deutsch, »sehen Sie sich vor, Charley, daß Sie kein Wort von dem fallen lassen, was Sie mir schrieben; mit einer einzigen Unvorsichtigkeit können wir den Vogel, den ich fangen will, wieder aus dem Garne scheuchen. Ist der sogenannte Graf, dieser Mr. Wells, ein Yankee?«
»Nicht die Spur davon,« entgegnete der Andere, seine Stimme in einer Weise mäßigend, daß sie den Zuhörer an das ferne Grollen des abziehenden Gewitters mahnte; »ächtes deutsches Sauerkraut, Sir; Sie können ihn aber in der Sprache schwer von dem wirklichen Amerikaner unterscheiden.«
Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich verstehe kein Wort von der ganzen Intrigue,« sagte er, »wir werden ja aber sehen. Nehmen Sie vorläufig einen Schluck, während ich ein paar Bissen esse, und dann sprechen wir weiter.«
Eine Viertelstunde später traten Beide in Helmstedts Haus, wo dieser eins der
Hinterzimmer öffnete. »Hier
»Well, Sir, das Bequemmachen kommt mir gerade gelegen,« erwiderte Charley, kopfnickend die Ausstattung des Raumes betrachtend, »ich fühle wirklich, als müßte ich ein paar Stunden schlafen, ehe ich zu was Rechtem tauge. Ich gebe nichts um die zwei Nächte in der Postkutsche, auf einem Wege durch das Gebirge, der eher wie eine steinerne Treppe als eine vernünftige Straße aussah; aber die Hitze hat mir meinen dicken Kopf so dumm gemacht –«
»All right, schlafen Sie,« lachte Helmstedt, »ich werde einstweilen überlegen, was wir zunächst zu thun haben, und wenn ich Sie brauche, werde ich Sie rufen.«
Er schloß die Thür und ging nach seinem Zimmer. Als er dort Hut und Rock von sich gethan, warf er sich aufs Sopha und wollte nochmals Alles, was ihm Charley geschrieben und was er bereits als nothwendig in Bezug darauf beschlossen, sich als klares Bild vor die Seele stellen, aber der schwüle Tag, zusammen mit seinem Ritte in der Mittagshitze, machten auf ihn ihren Einfluß geltend – er wurde vom Schlafe überfallen, ehe er nur dessen Annäherung bemerkt hatte.
Wie lange er gelegen hatte, wußte er beim Erwachen nicht – seine erste Erinnerung war die an unangenehme Träume, deren Eindruck er sich jetzt noch nicht ganz zu entreißen vermochte – ein leichtes Rütteln brachte ihn indessen zur vollen Besinnung. Es war bereits halbe Dämmerung in der Stube, aber über seinem Gesichte erkannte er den Kopf seines Schwarzen, welcher sich mit ängstlicher Miene über ihn gebeugt hatte.
»Was gibt es?« rief Helmstedt und saß rasch aufwärts.
»Sie müssen entschuldigen, Master,« erwiderte Cäsar, augenscheinlich halb außer
Athem, »aber ich dachte, ich müßte
Kurz vor Mittag desselben Tages rollte eine leichte, halbverdeckte Kutsche den Bergen zu. Drinnen saß eine junge, blasse Frau in Trauerkleidern und an ihrer Seite eine Mulattin, welche Zügel und Peitsche regierte. Der Weg war wenig befahren und so von Baumwurzeln durchzogen und mit großen Steinen übersäet, daß es der vollen Aufmerksamkeit der Fahrenden bedurfte, um wenigstens den bedeutenderen Hindernissen auszuweichen. Die junge Frau schien indessen wenig der einzelnen, unvermeidlichen Stöße zu achten, und ließ, als die erste Anhöhe erreicht war, mit aufglänzendem Auge den Blick über die Gegend vor ihr schweifen. Nach allen Richtungen hin breiteten sich sanft abgedachte Hügel, mit jungem Pfirsichgebüsch und dunkeln Gruppen riesiger Wallnußbäume bedeckt, aus; einzelne Schluchten, die sich ausnahmen, wie ein romantisches Stück Landschaft auf einem Miniaturbilde, unterbrachen die Hügelreihe und ließen hier und da einen schäumenden Gebirgsbach hindurch. Hinter diesen Anhöhen indessen erhoben dichtbewaldete Berge von allen Formationen und Schattirungen ihre Häupter – wieder in weiterer Ferne überragt von dem dunkelblauen Zuge des eigentlichen Gebirges, dessen höchste Spitzen noch weiter hinaus mit dem helleren Blau des Himmels zu verschmelzen schienen. Links hinüber, zwischen den verschiedenen Höhenzügen brachen sich die Sonnenstrahlen glitzernd in einem Gebirgssee.
Ein leises Roth begann nach und nach die seinen Züge der jungen Frau zu beleben und
als bei Erreichung einer der folgenden Anhöhen sich plötzlich ein weites Waldthal vor
ihnen öffnete, dessen frischgrüne Rasendecke nur mit
»Ja, es ist schön in den Bergen!« erwiderte die Mulattin, aber ihrem Blicke nach, der forschend in die Ferne gerichtet war, schienen ihre Gedanken kaum bei der Antwort zu sein. Sie trieb das Pferd, das jetzt ebenen Weg unter den Hufen fand, zu rascherem Laufe, und bald war die jenseitige Höhe erreicht, wo die wieder beginnenden Schwierigkeiten des Wegs neue Vorsicht geboten.
»Ich glaube, Ma'am, wir haben in Kurzem ein Gewitter über uns,« sagte die Mulattin, den Himmel vor sich betrachtend, dessen früheres reines Blau durch einen dicken gelblichen Dunst verdeckt schien, »ich wünsche nur, daß wir Little Valley bei Zeiten erreichen!«
»Wie weit haben wir noch?« fragte die junge Frau, mit ihren Augen dem Blick der Farbigen folgend.
»Nur noch zwei Meilen, Ma'am, aber der Weg ist so, daß wir nirgends rasch fahren können, ohne den Wagen zu zerbrechen.«
»Glaubst du, daß irgend eine Gefahr droht, wenn uns das Wetter überrascht?«
»Ich weiß von keiner besonderen Gefahr, Ma'am, der Blitz kann auch ins festeste Haus schlagen, aber die Gewitter in den Bergen sind schrecklich!«
»Dann laß es kommen – höchstens werden wir naß!«
Die Mulattin schien indeß wenig auf den erhaltenen Trost zu geben, sie nahm jede einigermaßen ebene Stelle des Wegs wahr, um das Pferd anzutreiben und theilte, sichtlich besorgt, ihre Aufmerksamkeit zwischen der Beobachtung des Wetter? und dem Fuhrwerk.
Der Wagen hatte eben die Spitze einer neuen Anhöhe erreicht. »Dort ist Little Valley, Ma'am!« sagte die Mulattin mit einem Seufzer der Erleichterung und zeigte nach der Tiefe, wo ein langgestrecktes Thal mit Baumwollenfeldern und einer Gruppe von Hütten sich vor dem Blick aufthat, »in einer Viertelstunde können wir dort sein!« Das Pferd trabte auf dem abwärts gewundenen Wege scharf vorwärts, so daß die junge Frau mit beiden Händen das Wagengestell faßte und sich in der Schwebe zu halten versuchte, um den unvermeidlichen Stößen zu entgehen.
»Gibt es dort kein anderes Obdach als die Negerhütten?« fragte sie nach einer Weile, als eine ebenere Stelle des Wegs ein Gespräch möglich machte.
»Gleich vorn an der Umzäunung ist die Wohnung des Aufsehers, dort das einzeln stehende große Blockhaus,« erwiderte die Farbige, die Richtung mit dem Finger andeutend, »und dort hinten bei den Hütten, das Haus mit dem großen Schornstein, ist die Küche.«
Sie ließ das Pferd von Neuem die Peitsche fühlen, im nämlichen Augenblick aber
richtete sie sich hoch auf und zog die Zügel an – das Thal und die Berge ringsumher
erglänzten einen Moment in weißem Feuer, im nächsten aber erfolgte ein prasselnder,
betäubender Donnerschlag, dem unmittelbar wie das Pelotonfeuer einer Artillerie-Salve
neue krachende Schläge von allen Seiten antworteten, und als wären plötzlich die
Banden der schweren Wolken zersprungen, strömte der Regen hernieder, gleich einer
Sündflut. Hochauf
Die junge Frau war schnell aus dem ersten Schrecken wieder zur Besinnung gelangt. Der Wagen, seiner Vorderräder beraubt, lag nach vorn über und das Verdeck bildete ein genügendes Dach gegen den Regen; aber ohne an den eigenen Schutz zu denken, sprang sie heraus, um nach ihrer Dienerin zu sehen. Das farbige Mädchen lag mit blutendem Kopfe, anscheinend ohne Besinnung, auf der Straße; als ihre Herrin sie aber aufrecht zu setzen versuchte, begann sie zu stöhnen und Anstrengungen zu machen, sich selbst zu erheben. Die junge Frau half, ihr empor, faßte sie unter die Arme und geleitete sie unter ermuthigenden Worten nach dem Wagen. Kaum aber war die Verwundete unter das Verdeck gelangt, als sie in ihrer Bewußtlosigkeit auf die Kissen des Sitzes fiel. Ihre Herrin schloß das Schutzleder des Wagens, schürzte ihre Kleider auf und wanderte raschen Schrittes durch den strömenden Regen nach dem Thale hinab.
Es war ein Haus im rauhesten Hinterwaldstyle, weit ab von den Negerhütten, welches ihr von Mary als die Wohnung des Aufsehers bezeichnet worden war. Eine einzige kleine Fensteröffnung mit zerbrochenen Scheiben zeigte sich daran und der Weg nach dem Eingange führte durch Morast und tiefe Pfützen, welche der Regen gebildet hatte. Die Thür stand offen und ohne langes Besinnen trat die junge Frau ein. Sie nahm zuerst ihren triefenden Sommerhut vom Kopfe und blickte dann in dem düsteren Raume umher, der sich ihren Blicken bot.
Das Haus mochte einmal wohnlich gewesen sein, die Wände wiesen noch Spuren von
angeworfenem Kalke; jetzt aber sahen überall die nackten Baumstämme, aus denen das
Ein einziger Rundblick hatte der Eingetretenen alle diese Einzelheiten gezeigt, und es überkam sie ein unheimliches Gefühl, als sie den frech-neugierigen Blick der Schwarzen und das wüste Auge des Mannes auf sich gerichtet sah. »Sie sind Mr. Bartlett, wenn ich mich nicht irre?« fragte sie.
»Das bin ich,« erwiderte dieser, sich langsam auf die Beine stellend und die unerwartete Erscheinung von Kopf bis zu Fuß musternd.
»Ich hoffe, Sie werden Mrs. Morton noch kennen, Sir! Das Gewitter hat unser Pferd scheu gemacht und mein Mädchen hat einen schweren Fall gethan. Sie liegt jetzt in dem zerbrochenen Wagen nicht weit von hier auf der Straße, und ich wünsche, daß Sie sogleich ein Fuhrwerk hinausschicken, um sie hierher transportiren zu lassen.«
Der Aufseher betrachtete sie noch immer mit einem Ausdrucke von dreister Unverschämtheit. Dann wandte er den Kopf langsam nach der Seite. »Geh, Jane, du hast gehört, Bob soll den kleinen Wagen anspannen. – Noch Eins!« rief er, als das Mädchen eben das Haus verließ, und folgte ihr vor die Thür.
Pauline konnte nichts von seinen weitern Worten vernehmen, und nur ein plötzliches
rohes Gelächter, in welches
Bald erschien der Aufseher wieder und schloß die aus schwerem Eichenholze gefertigte Thür.
»Lassen Sie offen!« gebot Pauline, sich nach ihm wendend.
»Der Regen schlägt herein, Ma'am!« war die Antwort, mit welcher er sich langsam auf sein Bett setzte, die Arme in einander schlug und seinen Gast von Neuem anzustarren begann.
Der jungen Frau begann es unheimlicher als zuvor zu werden; sie fühlte, daß sie diesem Zustande ein Ende machen müsse. »Haben Sie nicht einen andern Raum, wo etwas Feuer gemacht werden könnte, um meine Kleider zu trocknen?« fragte sie und suchte die möglichste Festigkeit in ihre Stimme zu legen.
»Keinen als diesen – wir leben hier nicht so sein, Ma'am!« erwiderte der Aufseher ohne sich zu rühren, aber Pauline glaubte einen unverhohlenen Spott in seinem Tone zu hören.
»Dann verlassen Sie wenigstens auf einige Minuten das Haus, Sir!« rief sie, und die aufsteigende Entrüstung ließ sie ihre Furcht vergessen.
»Ich gehe nicht gern im Regen spazieren, Ma'am,« erwiderte er trocken; »hören Sie nur, wie es gießt.«
»So zwingen Sie mich, selbst zu gehen!« Mit drei Schritten war sie am Ausgange, aber die Thür wich ihrer Bemühung nicht, und dem angestrengten Rütteln antwortete nur ein kurzgestoßenes Lachen des Mannes hinter ihr.
»Oeffnen Sie augenblicklich, Sir – ich will hinaus!« rief sie, und es schien, als sei erst mit der bestimmten Vermuthung von einer ihr drohenden Gefahr ihr Muth erwacht.
»In dieser Weise kein Wort!« erwiderte sie energisch; »öffnen Sie die Thür und dann reden Sie.«
»Sie werden es doch wol anhören müssen, Ma'am!« sagte er, sich mit einem bösen Lächeln zurücklegend und den Kopf auf seinen Arm stützend.
Pauline warf einen Blick um sich. Das einzige Fenster war zu hoch, als daß sie es hätte erreichen können, und sie fühlte eine Sekunde lang, als komme ein Schwindel über sie. Aber das Bewußtsein, keinen andern Beistand als ihre eigene Besonnenheit zu haben, überwand die augenblickliche Schwäche, und nach kurzer Ueberlegung nahm sie den einzigen Stuhl, der sich im Zimmer befand und setzte sich zur Seite des Tisches nieder, so daß dieser sich zwischen ihr und dem Aufseher befand. »Sie zwingen mich also, in Ihrer Gesellschaft auszudauern; very well, ich werde warten bis meine Leute ankommen, und dann werden wir weiter sehen.«
»Ohne Sorge! Es wird uns Niemand vor später Nacht stören!« sagte Bartlett mit einem
heisern Lachen, »und bis dahin, denke ich, sind wir mit einander fertig.« Er setzte
sich wieder langsam aufrecht. »Die Nigger haben mich bei Ihnen verklagt, Ma'am, und
Sie haben mich, einen weißen Mann, zum Narren des schwarzen Viehzeugs gemacht,« fuhr
er mit finsterm Auge fort. »Sie sind jetzt hierher gekommen, um mir die Stelle
aufzukündigen, in der ich nun drei Jahre bin. Ich weiß, daß Sie schon einen neuen
Aufseher an der Hand haben, und ich konnte von einem Weiber-Regimente nichts Anderes
erwarten. Weiber sind nur halbe Geschöpfe, sind nur da zum Vergnügen für den Mann,
und wo sie zur Herrschaft kommen, soll ein rechter Kerl den Platz räumen. Ich wäre
von selber gegangen, diese Nacht schon, und deshalb habe ich mit Ihnen als Mistreß
nichts mehr zu thun. Sie sind aber die Frau, welche einen weißen Mann zum Spott der
Nigger gemacht
Ein wilder, begehrlicher Blick traf die junge Frau, daß ihr Herz still zu stehen drohte – sie hatte mit einem Blick ihre ganze Lage erkannt.
»Beruhigen Sie sich aber jetzt, Ma'am,« begann der Mensch von Neuem und sah mit einem häßlichen Lächeln in Paulinens entsetzte Augen, »wir haben noch Zeit bis ich mich zur Abreise fertig mache; trocknen Sie sich ungenirt Ihre Kleider!«
Er erhob sich und warf, während ihre Blicke jede seiner Bewegungen bewachten, ewige Stücke Holz auf die Glut. Dann legte er sich zurück auf das Bett, ohne indessen den unheimlich leuchtenden Blick von ihr zu lassen.
Paulinens Augen flogen durch den Raum. Der einzig offene Ausgang war die Stiege
hinauf nach dem angebauten Zimmer, unweit des Platzes, welchen sie eingenommen, der
aber eben so wenig Rettung bieten konnte, als ihr jetziger Aufenthalt, und in ihrem
Herzen begann es sich zu regen wie halbe Verzweiflung. Sie wußte, daß sie in Mortons
Hause nicht vor spät Abends zurückerwartet werden konnte, daß Doctor Ford meist nicht
vor zehn Uhr nach Hause kam; sie konnte aus der Sicherheit des Aufsehers schließen,
daß die verwundete Mary unter irgend einem Vorwande bei Seite geschafft worden war
und daß kein fremder Mensch, den nicht ein besonderes Geschäft in diese abgelegene
Gegend führte, sich hierher verirren würde. Die Negerhütten waren so weit entfernt,
daß, selbst wenn sie das Fenster hätte erklimmen können, kein Hilferuf dahin gelangt
wäre. Da fiel ihr irr umherschweifender Blick auf das große spitze Messer unter den
Speise-Ueberresten auf dem Tische, und eine plötzliche Beruhigung überkam sie – jetzt
war die Partie wenigstens gleich, und sie konnte kämpfen für ihre Ehre. Ohne einen
weitern Blick nach ihrem Feinde zu wenden,
Der Regen hatte aufgehört und die frische Helle, welche durch das kleine Fenster strömte, ließ den wiedergekehrten Sonnenschein vermuthen. Pauline horchte scharf, ob nicht irgend ein Ton außerhalb laut werde, aber das einzige Geräusch, welches zu ihren Ohren drang, war das Knarren des Bettes, wenn Bartlett sich halb aufrichtete, um aus einer großen Whiskeyflasche lange Züge zu thun.
Die Sonnenhelle verschwand und eine leichte Dämmerung begann sich in dem Zimmer einzustellen. Pauline fühlte sich in ihrer Stellung, die sie kaum durch die Bewegung eines Armes verändert hatte, fast steif werden – da erhob sich der Aufseher langsam. Er warf zwei große Scheite in das fast erloschene Feuer und drehte sich dann mit verschränkten Armen nach der jungen Frau um.
»Well, süßes Herz, wie steht's?« sagte er mit einem abschreckenden Grinsen. »Vor Gott sind wir Alle gleich, und jetzt in Little Valley auch; Mann ist Mann und Weib ist Weib – verlangt dich's nicht nach meiner Umarmung? Ergib dich in Ruhe, kleines Lamm, ich kann das Schreien nicht hören; der Bartlett will seine Genugthuung haben, darum mache nicht, daß er mit seinen großen Händen dir die kleine Kehle stopfen muß.« Mit einem Blicke voll thierischer Begierde ging er auf sie los; Pauline aber, welche bis jetzt starr ihre Augen auf ihn gerichtet hatte, war mit einem Sprunge in die Höhe, und der Aufseher prallte vor seinem eigenen Bowie-Messer, das ihm in ihrer Hand entgegenblitzte, zurück.
»Keinen Schritt gegen mich, oder ich thue, was ich nicht ändern kann!« rief sie. »Oeffnen Sie die Thür und ich will vergessen, was ich erlitten, wenn Sie auf der Stelle die Farm verlassen!«
Pauline sah ihn vorsichtig gegen sie herankommen, und der Muth wollte sie verlassen. In einer Eingebung ihrer Verzweiflung stürzte sie ihm den schweren Tisch entgegen und eilte die Stiege nach dem obern Raum hinan.
Sie hörte hinter sich den Tisch zu Boden schlagen und einen ergrimmten Fluch Bartletts, welcher dem Geräusch nach mit niedergerissen sein mußte. Sie warf einen hilfesuchenden Blick durch das Gemach, welches sein Licht nur durch die Ritzen zwischen den Baumstämmen der Wände erhielt; aber hier zeigte sich nichts, das ihr nur einige Hoffnung auf Entrinnen hätte geben können. Zwei schmutzige Betten und ein im Bau begriffenes Kamin mit einem Haufen noch unbenutzter Ziegelsteine daneben war Alles, was ihre Augen entdecken konnten. Sie wandte sich wieder der Thür zu, jeden Augenblick erwartend, das bestialische Gesicht des Aufsehers erscheinen zu sehen – aber kein Laut von dort ließ sich hören. Vorsichtig und das Messer für alle Fälle bereit haltend, schlich sie endlich heran, wo die äußerlich abgerissene Thürbekleidung ihr durch die Ritzen der Zwischenwand einen Blick in den untern Raum gestattete, ohne selbst gesehen zu werden.
Einen Schritt von der Stiege entfernt stand Bartlett, den Kopf vorwärts gestreckt,
wie der Tiger auf der Lauer, aber sichtlich unentschlossen. »Er ist feig!« klang es
durch Paulinens Innere und die frühere Scene zwischen dem Aufseher und ihrer Köchin,
welche ihr Doctor Ford mitgetheilt, trat plötzlich vor ihre Erinnerung. Ein neuer
Muth begann in ihr aufzuleben, und mit dem Entschlusse, ihre jetzige
In diesem Augenblicke sah sie, wie Bartlett, stets seinen Knittel vor sich haltend, die Stiege herauf zu kriechen begann. Ein Gedanke durchzuckte sie. Im Fluge hatte sie zwei der großen Ziegelsteine neben dem unvollendeten Kamine ergriffen und trat, einen derselben hoch in beiden Händen haltend, in die Thür. »Zurück, oder ich zerschmettere Ihnen den Schädel!«
Der Aufseher warf einen Blick empor und sprang vor der drohenden Bewegung nach dem Zimmer hinab. »Ich fasse dich doch, und sollte ich dich ausräuchern – wir haben noch Zeit!« sagte er mit der vollen Wuth der Enttäuschung. Er setzte sich wieder auf sein Bett, den gierigen Blick nicht von dem Eingange zu dem obern Raume lassend, und schien zu überlegen.
In dem Hause war es von Minute zu Minute dunkler geworden; Pauline konnte in ihrem
fensterlosen Zufluchtsorte schon geraume Zeit keinen Gegenstand mehr unterscheiden,
und in dem untern Zimmer begann der Schein des Feuers die Hauptbeleuchtung zu bilden.
Bartlett saß noch immer auf seinem Bett, den Blick auf die Stiege geheftet, und
schien fruchtlos mit sich Rath zu pflegen. Durch die Glieder der jungen Frau, die
keinen Blick von der unverwandten Beobachtung ihres Feindes abzuziehen gewagt hatte,
begann es langsam wie eine unbesiegliche Abspannung herauf zu kriechen, während ein
dumpfes Gefühl in ihrem Kopfe sich immer mehr bemerkbar machte. Schon zum zweiten
Male kam es über sie wie die Anwandlung einer Ohnmacht und diese war nur einer
entsetzlichen Furcht, die zugleich in ihr auftauchte, gewichen – sie fühlte, daß sie
diesen Zustand keine halbe Stunde länger ertragen könne und dann wehrlos ihrem Feinde
zum Opfer fallen müsse; da begann sich Bartlett zu bewegen und sonderbare Maßregeln
zu treffen.
Eine Viertelstunde vorher ritten drei Männer im scharfen Trabe durch eine wilde Schlucht des Gebirges, in welcher bei der hereinbrechenden Dunkelheit kaum noch etwas von dem Boden, welchen die Pferde betraten, zu erkennen war. An der Spitze des kleinen Zuges befand sich ein Schwarzer, der mit Sicherheit sein schlankes, flüchtiges Thier durch alle Hindernisse, welche der unebene Pfad bot, leitete, und die beiden Reiter hinter ihm folgten genau den Wendungen, welche er vorzeichnete.
»Bist du sicher, Cäsar, daß wir auf dem rechten Wege sind?« fragte der mittlere Reiter.
»Ohne Sorge, Master,« erwiderte der Schwarze, »ich kenne den Weg in finsterer Nacht. Dort ist das Ende der Schlucht, und dann kommen wir auf die Straße, die von Mortons Haus nach Little Valley führt.«
»Und du bist auch der Geschichte sicher, die du mir erzählt hast?«
»Harriet ist wol ein schlechtes Mädchen geworden und hat
»Laß die Stute ausstreichen, Cäsar: Gott weiß, was dem Allen zu Grunde liegt!« erwiderte der Andere, und in größerer Eile ging es vorwärts. Bald bog der Schwarze aus der Schlucht in einen schmalen, auswärts steigenden Pfad ein; mit sicherem Tritte klommen die Pferde, augenscheinlich an solche Ritte gewöhnt, den Berg hinan, und die Fahrstraße zeigte sich.
»Ausgezeichnete Thiere hier zu Lande, Mr. Helmstedt,« sagte der letzte Reiter, »ich glaubte kaum, daß meine dreihundert und so viel Pfunde so geschwind heraufkommen würden.«
»Geht es mit dem Reiten, Charley?« fragte der Angeredete.
»Müßte nicht zwei Jahre Karrenfuhrmann und Mitglied unserer Dragoner-Compagnie gewesen sein,« war die Antwort; »nur vorwärts, Sir!«
Aufs Neue ging es in scharfem Trabe die jetzt abwärts führende Straße entlang, bis Cäsar plötzlich anhielt. »Dort ist das Haus, Sir,« sagte er, sich zurückwendend, »das Feuer scheint durchs Fenster, aber die Thür ist geschlossen.«
»Dort liegt ein Balken, wir müssen die Thür einstoßen!« schrie er den Nachfolgenden entgegen.
»Never mind, Sir! wenn sie nicht von Eisen ist, geht es so!« erwiderte Charley, mit dem Fuße nach einem festen Halt suchend; ein Druck mit der Schulter dagegen, und alle Fugen stöhnten; ein zweiter, gewaltigerer und prasselnd flogen Riegel und Schloß los. Helmstedt stürzte in den geöffneten Eingang, aber ein furchtbarer Hieb, mit einem dicken Knittel geführt, sauste ihm hier entgegen, noch zeitig genug von Charley's linkem Arm aufgefangen.
»Meinst du's so, Brüderchen?« rief der Goliath, und ein Faustschlag traf Bartletts Gesicht, daß dieser einen Schritt zurücktaumelte – ein zweiter und dritter folgten in wunderbarer Schnelligkeit, und wie ein gefällter Baum fiel der riesige Aufseher neben seiner Matratze und den abgeworfenen Kissen zu Boden.
Helmstedt hatte kaum etwas von dem kurzen Kampfe gesehen, sein Blick war angstvoll suchend durch den Raum geflogen. »Pauline! Pauline!« rief er, als sein Auge nirgends auf ein Zeichen von ihr traf. »August, August!« erklang es jauchzend, und die Stiege herab, das Messer noch immer in der krampfhaft geschlossenen Hand, stürzte die gequälte junge Frau. Helmstedt eilte ihr entgegen, kam aber nur recht, um die bewußtlos Zusammenbrechende in seinen Armen aufzufangen.
»Rasch nach der Küche hinüber und Beistand geholt!« rief Helmstedt dem Schwarzen zu und trug, nach einem halb rathlosen Blick durch den Raum, die Ohnmächtige nach dem einzigen Stuhle, sich selbst darauf setzend und sie auf seinem Schooße ruhen lassend; kaum aber hatte er sie in eine bequeme Lage gebracht, als sie die Augen groß aufschlug, mit dem Oberkörper emporschnellte, und einen Blick des Schreckens um sich warf.
»Sie sind sicher, Pauline, beruhigen Sie sich!« sagte Helmstedt mild.
Sie wandte die Augen wie noch geistesabwesend nach ihm; plötzlich aber schlang sie mit einem unartikulirten Ausrufe beide Arme um seinen Hals. »August, August, bleibe bei mir, verlaß mich nicht wieder, ich habe hart gebüßt!« Das letzte Wort erstarb und ihre Arme lösten sich in neuer Bewußtlosigkeit – in Helmstedts Innern aber sprang es auf wie ein Born junger Seligkeit; eine Minute noch hielt er sie an seiner Brust, dann aber legte er behutsam ihren Kopf in seinen Arm, daß er ihr Gesicht sehen konnte, und hielt sie an sich gedrückt, wie eine Mutter ihr schlafendes Kind.
Charley hatte einige dünne Scheite in das Feuer geworfen, daß es ein helles Licht durch den Raum warf, und kam jetzt mit einem Arm voll Baumwollentissen die Stiege herunter.
»Da oben scheinen die Betten der Mädchen zu sein,« sagte er und begann seine Last in
der leeren Bettstelle des Aufsehers auszubreiten; »lassen Sie uns die Lady hierher
legen, bis frisches Wasser kommt, zum Tode scheint's ja
»Soll ich helfen?«
Helmstedt schüttelte den Kopf und trug die Ohnmächtige nach dem Lager. Ein aufsteigendes Roth in ihrem Gesicht schien die Rückkehr des Bewußtseins zu verkünden, ihre Lippen begannen sich leise zu bewegen, als spreche sie im Traume, aber ihre Augen blieben geschlossen. Helmstedts Blick haftete gespannt auf ihren Zügen, jede Veränderung darin beobachtend, bald aber wurde seine Aufmerksamkeit unterbrochen. Die Köchin und Mary mit verbundenem Kopfe voran, drang ein ganzer Haufen Neger, Alt und Jung ins Zimmer. Nur die beiden ersten richteten ihre Aufmerksamkeit sofort auf die bewußtlose junge Frau – die Blicke der Uebrigen wandten sich zuerst theils scheu, theils schadenfroh dem am Boden liegenden Aufseher zu. Helmstedt sah sich unmuthig um.
»Es ist Niemand hier nothwendig, als Mary und die Köchin,« sagte er, »ihr Uebrigen geht, wohin ihr Abends gehört!«
Ein Haufen halb dummer, halb verwunderter Gesichter wandte sich nach der Allen unbekannten Persönlichkeit, aber Niemand bewegte sich und Helmstedt fühlte, daß hier eine andere Autorität als die seinige nothwendig werde.
»Hier ist der neue Aufseher!« sagte er, – »Charley machen Sie das Zimmer frei!«
»Platz gemacht, hier!« sagte der Gerufene, vom Fuße des Bettes vortretend, »oder ich
nehme den Ersten von euch
Helmstedt hatte den Ausruf gehört und wandte den Blick nach der Stelle, wo der Aufseher gelegen, die jetzt nur durch den zerschnittenen Strick bezeichnet war; aber seine Gedanken waren schnell durch Paulinens unruhige Bewegungen, die noch immer mit geschlossenen Augen da lag, in Anspruch genommen. »Das ist mehr, als eine gewöhnliche Ohnmacht,« sagte er nach kurzer Beobachtung. »Sie, Mary, öffnen alle Bänder und Haken an dem Anzuge Ihrer Mistreß, damit sie von nichts beengt wird – und du, Cäsar, reitest scharf los und siehst, wo Doctor Ford zu finden ist.« Mit einem Blicke, aus tiefer Innigkeit und Besorgniß gemischt, wandte er sich von der Kranken, diese ihren beiden Dienerinnen überlassend, und folgte dem Schwarzen ins Freie, wo die Sterne bereits in wunderbarer Klarheit aufgezogen waren und ihr mattes Licht über die Landschaft warfen.
»Er ist fort, Sir, er ist fort!« empfing ihn hier Charley's unmuthige Stimme, »der Teufel mag wissen, wie er los gekommen ist, ich hatte ihn so fest geknüpft.«
»Ich habe Jane's Gesicht unter den Niggern gesehen,« sagte Cäsar, der eben sein Pferd losband, »sie hat ihn sicher losgeschnitten, Sir, kein Anderer hätte es gethan.«
»Mag er jetzt laufen, wenn es nicht zu ändern ist, er
Cäsar jagte davon und Charley stand eine Weile, mit dem Blicke Helmstedts Schritten folgend, bis dieser wieder in seine Nähe kam. »War das Ihr Ernst, Sir, wegen der Aufseher-Anstellung?« fragte er dann.
»Es war eigentlich nur ein Nothbehelf, was ich sagte, Charley,« erwiderte der Angeredete stehen bleibend, »aber wenn Sie die Stelle annehmen wollen, so denke ich die Sache arrangiren zu können.«
Der Riese schlug mit der Faust in seine Hand, daß es knallte. »Mir gefallen die schwarzen Kerls, Sir,« lachte er, »und ich denke in der rechten Manier mit ihnen umspringen zu können; das Haus ordentlich zurecht gemacht, die Mary bei mir, und es muß eine Lust sein, hier zu wirthschaften. Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, gehe ich einmal nach den Negerwohnungen hinüber und sehe mir das Treiben an.«
»Gehen Sie, wenn es Ihnen Spaß macht,« erwiderte der Gefragte, seinen Gang wieder aufnehmend, »wir werden doch in den ersten Stunden noch nicht von hier wegkommen!« Und mit einem zufriedenen Kopfnicken entfernte sich der Riese, ohne Aufenthalt über die Umzäunung und Gräben hinweg, wie eine gespenstige Erscheinung durch die Nacht schreitend.
Helmstedt blickte in den dunklen Himmel hinauf, und es war ihm, als sähe er des alten
Morton Gesicht mit demselben wohlwollenden Ausdruck ihm zulächeln, wie er ihn zum
letzten Male in seiner Krankheit gesehen. Er dachte nicht daran, daß er seiner
übernommenen Pflicht als stiller Beschützer Paulinens genügt hatte – ihm stand eine
Stelle aus dem Briefe des Verstorbenen vor Augen, zu welcher er erst jetzt das
Verständniß gefunden zu haben glaubte: »Mir ist es, als würde auch noch einmal ein
Frühling für sie blühen und ihr ein Schutz werden, unter dem sie sich
Helmstedt folgte in Hast. Das Zimmer war jetzt in leidliche Ordnung gebracht, eine Lampe brannte auf dem Kamin und beschien das Lager, auf welchem Pauline verhüllt unter einer leichten Decke ruhte. Ihre Wangen leuchteten in hellem Roth, ihre Lippen bewegten sich in schnellen, abgebrochenen Sätzen und eine einzige Prüfung des fliegenden Pulses gab Helmstedt volle Einsicht in den Zustand der Kranken. »Wir können im Augenblicke nichts thun,« sagte er nach einer Weile sorgenvoller Betrachtung; »die Köchin mag gehen und nach ihren Geschäften sehen; Sie, Mary, sind selbst krank, nehmen Sie was an Kissen umher liegt und machen Sie sich, so gut es gehen will, ein Lager zurecht; ich werde wach bleiben und den Doctor erwarten; sollten Sie nöthig sein, so werde ich es Ihnen sagen.« –
Es war schon eilf Uhr vorüber, als endlich Cäsar mit dem alten Arzte anlangte.
»Das kommt davon, wenn die Kinder zu selbstständig sein wollen,« sagte der Letztere kopfschüttelnd, nachdem er die Kranke eine Weile beobachtet. »Cäsar hat mir die ganze Geschichte erzählt; sie muß gestanden haben wie ein Held gegen das Unthier – aber die Lust, Alles selbst zu verwalten, wird ihr jetzt wol vergangen sein.«
»Halten Sie den Zustand für gefährlich, Doctor?« fragte Helmstedt mit ängstlicher Erwartung im Auge.
»Kann noch nichts sagen, Sir, wir werden erst im Laufe
Er wandte sich nach dem Lager der Mulattin, welche sich horchend aufgesetzt hatte, löste die Tücher von ihrem Kopfe und untersuchte ihre Wunden. »Nichts Besonderes, wenn's auch noch etwas weh thut,« sagte er, als das Mädchen unter dem Drucke seines Fingers zusammenzuckte, »morgen wird wenig mehr davon zu spüren sein; magst aber Gott danken, daß noch Negerschädel genug an dir ist, sonst hätte der Puff verdrießlichere Folgen haben können.« Er ging nach Paulinens Lager zurück, zog den Stuhl heran und blieb hier, das seine Handgelenk der Kranken zwischen seinen Fingern haltend, beobachtend sitzen.
Helmstedt begann leise das Zimmer auf und abzugehen, dann und wann einen Blick auf die Kranke und das Gesicht des Arztes werfend, bis Cäsar mit der Köchin und hinter ihnen Charley eintrat.
»Well, Sir,« sagte der Letztere, mit gedämpfter Stimme sich an Helmstedt wendend, »es ist das eine sehr traurige Geschichte mit der Lady, aber ich dachte, ich müßte Ihnen sagen, daß morgen der 14te ist. Sie wissen weswegen – es ist nur, daß ich der Weibsperson in New-York nicht umsonst ihre Kommodenschlösser verdorben habe.«
Helmstedt griff an seine Stirn – die ganze Angelegenheit war vor den eben durchlebten Ereignissen aus seinem Gedächtnisse gewichen. Der Doctor hatte sich bei dem Klange von Charley's dumpfrollender Stimme umgesehen und ließ die Augen bewundernd über die riesigen Gliedmaßen desselben laufen. Er erhob sich vorsichtig und trat zu dem Sprechenden. »Das also ist der Mann, der das Unthier niedergeboxt hat,« sagte er, »freut mich, Sie zu sehen, Sir!«
»Einen Augenblick, Doctor, wenn Sie abkommen können,« unterbrach ihn Helmstedt und
führte ihn abseits nach dem Kamin. Mit kurzen Worten gab er ihm hier einen
»Well, Sir, ich gratulire Ihnen und Elliot zu dem Stande der Dinge,« sagte der Arzt, als Helmstedt eine kurze Pause machte, »jedenfalls wird dies Ihre beiderseitigen Differenzen auf dem schnellsten Wege ausgleichen.«
Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich handle hierin nur als ehrlicher Mann, ohne Rücksicht auf mich,« er widerte er, »ich habe Elliot meine Zustimmung zu einer Scheidung von meiner bisherigen Frau gegeben, und werde sie jetzt selbst betreiben; eine viel wichtigere Verpflichtung als für Elliots Interesse hält mich hier an dem Bette von Mrs. Morton fest, eine Verpflichtung, die ich gegen den alten Mr. Morton kurz vor dessen Tode eingegangen bin und die mich die ganze Angelegenheit, an welche mich soeben mein großer New-Yorker Freund gemahnt, vergessen ließ. Ich theile Ihnen das Alles nur mit, Doctor, weil ich im Augenblicke selbst mit mir im Zwiespalt über das bin, was ich zu thun habe.«
Der alte Arzt ließ eine Secunde lang einen eigenthümlich forschenden Blick auf Helmstedt ruhen. »Für jetzt,« sagte er dann mit halbem Lächeln, »können Sie hier nichts helfen, junger Freund. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich diese Nacht wachen werde. Sehen Sie also, wo Sie mit Ihrem großen Kameraden einen Platz zum Schlafen finden und legen Sie sich aufs Ohr, damit Sie morgen frisch und klaren Geistes sind. Am Morgen werden wir ja sehen, wie die Sachen stehen.« Er wandte sich weg und winkte die Köchin herbei.
»Wenn Sie erlauben, Sir, so meine ich wirklich, der alte Herr hat Recht,« begann
Charley; »man kann nicht wissen, was es morgen wieder durchzufechten gibt – nach der
Geschichte von heute Abend halte ich Alles für möglich.
Helmstedt rieb sich die Stirn. Es widerstrebte seinem ganzen Gefühle, die Nacht nicht an Paulinens Bette wach zu bleiben, und doch mußte er den Vernunftgründen dagegen ihr Recht lassen. Endlich rief er Cäsar herbei. »Sorge für die Pferde und sieh, wo du unterkommst; wir bleiben die Nacht hier,« sagte er. Dann ging er langsam auf den Arzt zu, der wieder am Krankenbette Platz genommen hatte, und legte die Hand auf dessen Schulter. »Well, Doctor, ich werde Ihrem Rathe folgen, aber versprechen Sie mir wenigstens, mich zu rufen, sobald irgend eine Aenderung zum Schlimmen eintritt.«
Der Doctor nickte nur schweigend, und nach einem langen Blicke auf die Kranke, deren Brust sich in kurzen, hastigen Athemzügen hob, winkte er Charley und klomm diesem voran die Stiege nach dem obern Raum hinauf.
Im Hinterzimmer der Law-Office von Griswald und Duncan saßen kurz vor Mittag des
nächsten Tages der Senior der Firma, die Hände über dem wohlgenährten Bauch gefaltet,
und Murphy, die Stirn leicht in die Hand gestützt, einander gegenüber. »Mir scheint
etwas in der Sache nicht ganz richtig zu sein, ohne daß ich doch irgendwo einen
bestimmten Halt für einen Verdacht fassen könnte,« sagte der Letztere. »Elliot hat
seine Entschließung wieder auf zwei Tage weiter hinausgeschoben, und wenn das in den
Augen eines Andern vielleicht nichts ist, so will mir doch die ganze Weise, in der es
geschehen ist, nicht gefallen. Gestern war die erste Frist, welche er sich selbst
gestellt hatte, abgelaufen, und Nelson, der gute Junge, der wirklich Angst
»Well, Sir, ich glaube, die Sache macht Sie zu nervös,« erwiderte Griswald ruhig und
ließ die Daumen seiner beiden Hände um einander laufen; »es ist Ihre erste große
Speculation, und natürlich ist da kaum etwas Anderes zu erwarten. Der einzige
fragliche Punkt in der ganzen Angelegenheit war der Mann, welchen Sie zur Erlangung
des Besitztitels benutzten. Ich habe ihn aber auf das Schärfste beobachten lassen; er
wohnt im Rocky-Creek-Wirthshause – wenigstens hat er dort meist sein Nachtquartier –
und keine Art von Nachfragen hat etwas ergeben, was den Verdacht rege machen könnte,
als habe er noch etwas im Hintergrunde. Der Mann will Geld haben, und darum gibt er,
um es heraus zu schrauben, Dinge zu verstehen, die niemals existirt haben. Ich kenne
diese Art Kameraden. Zugleich kann ich Ihnen die bestimmte Versicherung geben, daß er
weder Elliot hier gesprochen hat, noch in dessen Hause gewesen ist, und so sehe ich
bei ruhiger Betrachtung und nach allen den Arrangements, welche unsererseits
getroffen worden sind, nicht das geringste Verdächtige in Elliots Zögerung. Eine
Mortgage von 30,000 Doll. ist keine Bagatelle, lieber Herr, und mich wundert allein,
daß er nur zwei und nicht nochmals acht Tage Zeit sich ausbedungen hat. Lassen Sie
diese zwei Tage ruhig verstreichen, und dann werde ich ihm mit der Anzeige auf den
Leib rücken, daß Sie mich, als seinen Advocaten, von der nach Verlauf der nächsten
»Wenn ich nur den Menschen mit seiner Forderung vom Halse hätte,« sagte Murphy, in seinen Haaren wühlend, und erhob sich. »Ich habe ihn für heute wiederbestellt, um ihm, sollte es auch mit tausend Dollars sein, die er am Ende verdient hat, den Mund zu stopfen. Er ist im Stande, mich zu blamiren, wenn er von einer neuen Zögerung hört.«
»Alles zu übereilt, Sir; warum nicht vierzehn Tage für mögliche Zwischenfälle rechnen? Er hätte auch bis dahin gewartet. Wie aber die Sachen jetzt stehen, so kümmern Sie sich nicht um das, was Sie Blamage nennen. Sehen Sie irgend eine verdächtige Maßregel seinerseits, so lassen Sie ihn als Negerdieb festnehmen und bezeichnen alle Sie compromittirenden Angaben des Menschen als Lügen. Wir werden dann kurzen Proceß mit ihm machen.«
»Ich muß versuchen, wie sich ein Arrangement ohne zu viel Aufsehen machen läßt,« versetzte Murphy nach der Thür gehend; »ich sehe Sie Nachmittags wieder, Sir!«
Vor der Thür des Hotels läutete einer der schwarzen Aufwärter die Mittagsglocke, als der junge Advocat aus der Office trat, und dieser nahm seinen Weg dem Rufe nach. Er hatte sich kaum, mit seinen Gedanken beschäftigt, an der Mittagstafel niedergelassen, als ihm von der andern Seite des Tisches ein Teller entgegengereicht wurde. »Etwas Huhn, Mr. Murphy?« hörte er eine bekannte Stimme; »ich hoffe, Sie freuen sich, Ihren alten Freund Wells hier zu sehen.«
Murphy warf nur einen Blick nach dem Sprechenden und ergriff das Dargereichte mit einem kurzen: »Danke Ihnen, Sir!« Ohne ferner aufzusehen, verzehrte er sein Mahl, erhob sich dann und winkte seinem Gegenüber mit dem Kopfe. Beide gingen schweigend nach Murphy's Zimmer hinauf.
»Ich muß Ihnen sagen, Seifert,« begann der Advocat, als er die Thür geschlossen,
»daß, wenn wir ein Geschäft
»Sehr schön, lieber Herr,« entgegnete Seifert mit einem höflichen Lächeln; »ich dränge Sie durchaus nicht, wenn Sie mich nur sicher stellen wollen, daß ich – Sie entschuldigen, wenn ich geradeaus rede – daß ich um meinen Antheil am Geschäft nicht betrogen werde. Bei unserer ersten Unterredung meinten Sie, es werde gar nichts für mich abfallen, bei unserer zweiten ließen Sie die Hoffnung auf tausend Dollars oder etwas Aehnliches blicken und bestimmten den heutigen Tag als den letzten zu einer Ausgleichung. Heute ist ein neuer Aufschub eingetreten, und wenn ich jetzt fünftausend Dollars forderte, würden Sie mir dieselben wahrscheinlich unter der Bedingung zusagen, zu warten – bis Sie Ihr Geld in der Tasche haben und der Seifert mit langer Nase abziehen kann. Ich habe Alles das vorausgesehen, lieber Herr, und mich deshalb genügend gedeckt. Ich stelle Ihnen jetzt zwei Propositionen. Entweder führen Sie mich noch heute Nachmittag bei Mr. Elliot ein und stellen mich diesem als Bevollmächtigten Ihrer Clientin vor, an welchen er in Ihrem Beisein das stipulirte Abstandsgeld zu entrichten hat – oder Sie zahlen mir heute noch fünftausend Dollars in Gold oder in verkäuflichen Papieren.«
»Und wenn ich keins von Beiden thue?« fragte Murphy, die Arme verschränkend.
»Dann werde ich meinen eigenen Weg gehen und mir selbst ein Abstandsgeld verschaffen, so hoch als mir gut dünkt.«
»Thun Sie das!« erwiderte Murphy mit Hohn.
»Thun Sie das!« ahmte ihm Seifert nach; »mit welcher Leichtigkeit Sie das
aussprechen. Sie glauben also
Der Advocat hatte sich einen Augenblick verfärbt. »Ich halte Sie für vollkommen fähig, die Komödie von einem auferstandenen Erben in Scene zu sehen,« sagte er dann kalt. »Sie müssen aber nicht glauben, Sir, Leute damit zu schrecken, welche den Hergang der Dinge und Sie selbst kennen.«
»Ist das Ihr letztes Wort, Sir, auch winn ich Ihnen sage, daß es sich nicht um eine Komödie, sondern um eine wirklich vorhandene Person handelt?«
»Ich lasse mich, Drohungen gegenüber, auf nichts ein, Mr. Seifert. Kommen Sie nach acht Tagen in einer vernünftigeren Weise zu mir, so hoffe ich, tausend Dollars für Sie bereit zu haben.«
Seifert sah ihm eine Secunde lang scharf ins Auge. »Sie glauben mir nicht – very well! Nehmen Sie dann auch die Folgen auf sich!«
Er setzte bedächtig seinen Hut auf den Kopf und schritt aus dem Zimmer; er sah nicht zurück, als ihm Murphy die Treppe hinab folgte, und wanderte, als er das Hotel verlassen, gemächlich die Straße hinauf.
Der Advocat war eiligen Schritts in den Bar-Room getreten, wo Griswald, wie jeden Tag
in der Stunde nach Mittag, conversirend stand, und zog diesen nach dem anstoßenden
Wartezimmer. Eine kurze Weile waren Beide im eifrigen Gespräche. »Wir machen den
Menschen sofort
Der alte Advocat verschwand und Murphy durchmaß unruhig das Zimmer.
Seifert war ins Freie gelangt und blieb unter einer breitästigen Eiche wie überlegend
stehen. Links zog sich die große Straße an Farmen und Plantagen vorüber fernhin durch
daß Thal. Rechts führte ein schmaler Fahrweg in den Wald hinein, dem Gebirge zu.
Seifert nahm den Hut ab, wischte sich die Stirn und sah die helle, brennend heiße
Straße hinab; mit einem kurzen Kopfschütteln wandte er sich dann dem Wege rechts zu
und hatte bald ein schattiges Laubdach zwischen sich und der Mittagssonne. Ohne auf
seine Umgebung zu achten, wanderte er vorwärts; dann und wann zuckte es wie ein
bitteres, höhnisches Lächeln über sein Gesicht, und erst nach einer Stunde, als vor
ihm aus einem Nebenwege ein Reiter in seine Straße einbog, sah er auf und beobachtete
mit aufmerksamen Blicken die in der nächsten Biegung des Wegs wieder entschwindende
Erscheinung. Er begann hastiger zu schreiten und nach Verlauf der nächsten halben
Stunde tauchte ein einsames Haus vor ihm auf. An dem Pfahle vor der Thür stand ein
gesatteltes Pferd angebunden. Seifert hielt seinen Schritt an und schien mit sich
Rath zu pflegen; bald aber ging er mit einem Kopfschütteln, als wolle er ein
aufsteigendes Bedenken beseitigen, wieder vorwärts. Kurz vor dem Hause
Fünf Minuten mochte er ruhig weiter geschritten sein, als er plötzlich den Schlag einer Hand auf seiner Schulter fühlte. »Seifert, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes!« klang es in seine Ohren; aber mit einer kräftigen Wendung war er frei und stand seinem Gegner Aug' in Auge. »Ah – M. Murphy – auf diese Weise also!« preßte es sich aus dem Munde des Angegriffenen, »wollen Sie mir wol noch einmal sagen, was Sie wünschen?«
»Ich nehme Sie fest auf Grund dieses Verhaftsbefehls,« erwiderte der Advocat, ein Papier aus der Tasche ziehend und sein Gesicht zu einer finstern Gleichgiltigkeit zwingend, »und rathe Ihnen wohlmeinend, weder Widerstand zu leisten, noch einen Versuch zur Flucht zu machen!«
»Und was ist mein Verbrechen?« fragte Seifert, die Hand nachlässig in die Brusttasche steckend.
»Ich habe Ihnen nichts darauf zu antworten; ich handle nur auf Befehl des Richters in meiner Eigenschaft als Deputy-Sheriff.«
»Jedenfalls als ziemlich neugebackener!« erwiderte Seifert bleich, aber ohne sein höhnisches Lächeln zu verlieren. »Das ist also die Art, wie man hier zu Lande unbequeme Personen beseitigt. Trotz alledem, Herr Deputy-Sheriff, rathe ich Ihnen, umzukehren und den Seifert ruhig seines Wegs gehen zu lassen. Sie wissen aus Erfahrung, daß er für jeden Zug gegen ihn sich immer doppelt gedeckt hat!« Er warf einen raschen Blick über die nächsten Gebüsche und machte eine Wendung, um sich zu entfernen; aber die Mündüngen eines Revolvers, welche ihm plötzlich aus Murphy's Hand entgegenstarrten, hießen ihn stillstehen. »Keinen Schritt, Sir, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« rief der Advocat.
Am Mittag desselben Tages hatten drei Reiter die Straße, welche von der Stadt nach den Bergen führt, eingeschlagen. Kein Wort fiel, während sie neben einander dahin trabten, Jeder schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und erst als nach einer Stunde das einsame Haus am Wege auftauchte, hob einer von ihnen aufmerksam den Kopf. »Ist das dort Rocky-Creek-Haus, Sheriff?« fragte er. Der Angeredete nickte mit einem kurzen: »Yes, Sir!«
»Was meinen Sie,« fuhr der Erstere fort, »wenn mein Freund Charley dort erst einmal nach unserm Manne ausschaute?«
»Es kann nichts schaden,« erwiderte der Sheriff achselzuckend, »obgleich es kaum etwas nützen wird; ich fürchte, wir kommen überhaupt zu spät. Wäre mir gestern im Laufe des Tages eine Mittheilung gemacht worden, so hätte ich während der Nacht meine Maßregeln treffen und den Burschen früh noch im Neste fangen können. Jetzt läßt sich nur vermuthen, daß er schon längst seinen Geschäften nachgegangen ist.«
»So wird doch wenigstens der junge Mensch zu finden sein, um den es sich hauptsächlich handelt.«
»Wir wollen es hoffen,« war die Antwort; »hat aber unser Bursche gerade heute einen
Schlag ausführen und dann die Gegend verlassen wollen, so sollte es mich wundern,
wenn
Charley zog ein nachdenkliches Gesicht. »Es mag wirklich so sein, Mr. Helmstedt,« brummte er, »es ist verdammt viel Sinn in dem, was der Sheriff sagt, und nur der Sicherheit halber will ich einmal das Haus dort in Augenschein nehmen.«
»Reiten Sie zu!« sagte der Beamte, »unser Weg führt hier rechts ab, wir werden langsam vorausreiten, damit Sie uns bald wieder nach sein können.«
Die beiden Parteien trennten sich und der Sheriff bog mit Helmstedt in einen steinigen Waldweg ein, welcher nach Angabe des Ersteren zu Mr. Graws Farm, dem Aufenthaltsorte Seiferts, führen sollte. Sie ritten im langsamen Schritte weiter, bis der harte Trab von Charley's großem Pferde wieder hinter ihnen laut wurde. »Nichts von ihm zu erblicken,« sagte dieser herankommend, »die Leute dort sagen, er habe am Morgen da gefrühstückt, sei aber nach dieser Zeit nicht wieder gesehen worden.«
Der Sheriff nickte nur schweigend und trieb sein Thier zu schnellerem Laufe an; die beiden Andern folgten, bald aber ward der Weg so rauh und eng, daß sich ein langsamer Schritt von selbst gebot.
»Ich hoffe, Sir,« sagte Charley, näher an Helmstedts Seite reitend, »daß Sie es mir nicht zu hoch anrechnen werden, wenn der Graf entwischt? Ich hätte freilich wol einen halben Tag früher hier sein können, aber ich hatte mit keiner Silbe daran gedacht, daß ich selber bei der Sache nothwendig sein könnte.«
Helmstedt schüttelte ruhig lächelnd den Kopf. »Hätten Sie sich einen halben Tag
früher eingesunden, so wären wir wahrscheinlich nicht bei der Hand gewesen, um ein
Unglück in Little Valley zu verhüten, an das ich kaum denken
Charley kratzte sich unter seinem Hute; »'s ist das gewiß recht schön gesagt, Sir, aber der Teufel mag sich immer damit zufrieden geben, und ich hätte wol auch sehen mögen,« setzte er mit einem launigen Blicke auf Helmstedts Gesicht hinzu, »wie Sie sich hineingefunden hätten, wenn wir der Lady in Little Valley zu spät zu Hilfe gekommen wären.«
Helmstedts Gesicht überflog ein dunkler Schatten, welcher sich aber bald wieder in einem klaren Blicke, den er in die Ferne schickte, auflöste. »Sie mögen Recht haben, Charley,« erwiderte er mit einem tiefen Athemzuge, »das Schicksal bewahre Jeden vor solchen Proben.«
Der Sheriff war vorausgeritten und öffnete jetzt das niedere Thor einer Einzäunung,
hinter welcher sich auf einem Hügel inmitten von dürftigen Feldern ein rohes
Blockhaus zeigte. »Bleiben Sie hier, bis ich zurückkomme oder Ihnen winke,« sagte der
Beamte, und schritt, nachdem er sein Pferd festgebunden, dem Hause zu; ehe er es aber
erreichte, trat ihm schon der Farmer aus der offenen Thür entgegen. Beide standen
eine Weile in angelegentlichem Gespräche, der Farmer mehrmals mit dem Kopfe
schüttelnd, bis sie endlich, der Beamte vorweg, in das Haus traten. Zehn Minuten
mochten vergangen sein, als Beide wieder erschienen und der Sheriff mit einem kurzen
Nicken gegen den Farmer nach den Wartenden zurückschritt. »Es ist genau wie ich
gesagt, wir kommen sechs Stunden zu spät!« begann er, als er die Einzäunung erreicht
hatte, und bestieg
Schweigend wurden die Pferde zu schärferem Schritte angetrieben; der größere Theil des felsigen Weges war bereits zurückgelegt und die letzte Biegung nach der Hauptstraße hinab zeigte sich, als plötzlich unweit vor ihnen ein Schuß knallte und fast mit ihm zugleich ein Schrei hörbar wurde. Kaum hatte der voranreitende Sheriff sein Pferd aufhorchend angehalten, als ein Mann hinter der nächsten Buschecke hervorgejagt kam, beim Anblicke der Reiter stutzte und nach einem Augenblicke wilden Umsichsehens auf das nächste Gebüsch zusprang. Aber sein Fuß verwickelte sich in die offen liegenden Wurzeln und Schlingpflanzen am Rande des Weges und in toller Hast, loszukommen, schlug er der vollen Länge nach zu Boden.
Das ganze Ereigniß war so plötzlich eingetreten, daß die Zeit dafür eben nur genügt
hatte, die Pferde zu zügeln;
»Halloh, Graf, wie geht's? Kennen Sie den Dutch Charley nicht mehr?«
Helmstedt hatte, als auch der Sheriff eilig abstieg, nach den Zügeln der beiden Pferde gegriffen; aber seine Augen thaten sich weit auf, als der Beamte zur Verhaftung des Menschen schritt und dieser sein verstörtes Gesicht nach ihm wandte. Sichtlich gespannt folgte der junge Mann seinen beiden Gefährten und trat, die Pferde nach sich führend, zu der Gruppe.
»Also Sie, Seifert, sind der Graf, oder der Mr. Wells, oder wie Sie sonst heißen mögen?« fragte er. »Kennen Sie mich nicht, Seifert?«
»Was wollen Sie von mir?« fragte der Gefangene, die drei Männer der Reihe nach mit starrem Blick ansehend. »Ich habe in Selbstvertheidigung gehandelt und kann nichts dafür, daß der Schuß so unglücklich traf. Er hatte den Revolver auf mich gerichtet, Sie sollen meine Zeugen sein, es ist gut, daß Sie da sind – kommen Sie!«
»Sachte, lieber Mann, wir folgen schon!« erwiderte der Sheriff, als Seifert seinen Arm aus dessen geschlossener Hand reißen wollte, und winkte bedeutsam den beiden Andern, zu folgen.
Sie erreichten bald die nächste Buschecke; wenige Schritte davon zeigte sich die Leiche Murphys quer über den Weg liegend.
»Daß dich –!« rief Charley, erschreckt stehen bleibend,
»Hier liegt sein Revolver, den er mir entgegenstreckte,« sagte der Gefangene und wollte sich nach der Waffe bücken, aber der Beamte zog ihn rauh zurück.
»Das Alles wird sich finden; jetzt aber, lieber Mann, ist die Sache ernster als zuvor!« entgegnete er und zog ein paar Handschellen aus der Tasche; »ich ersuche Sie, ruhig Ihre Arme herzuhalten, damit ich nicht Gewalt anwenden muß!«
»Warum das?« rief Seifert zurückprallend, »ich habe Sie selbst hierher geführt; ich habe in Selbstvertheidigung gehandelt und verlange eine Untersuchung. Ich folge Ihnen ganz freiwillig!«
Helmstedt, welchem beim ersten Anblick der Leiche eine peinliche Erinnerung aus seinem eigenen Leben vor die Seele getreten war, die ihn gespannt den Vorgängen folgen ließ, drückte jetzt die Zügel der Pferde in Charley's Hand und ging rasch auf den Sheriff zu. Eine kurze Weile sprach er in dessen Ohr, und als ein nachdenkliches Nicken desselben seine leise Rede beantwortete, wandte er sich an den Gefangenen.
»Ich hoffe, Sie kennen mich noch, Seifert?«
»Und was weiter, Sir?« erwiderte dieser, den Frager starr anblickend.
»Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, daß Sie wegen Entführung des Manuel Goldstein und wegen des damit verbundenen Betrugs und Schwindels jetzt verhaftet worden sind und daß Alles, was hier geschehen ist, ursprünglich gar nichts mit dieser Verhaftung zu thun hatte.«
»Manuel Goldstein – was soll es doch mit dem?« erwiderte Seifert, als habe er von
Allem, was zu ihm gesprochen, nur den einen Namen gehört. »Seit der hier todt ist,
bezahlt mir doch Niemand mehr einen Gewinn, was soll ich noch mit dem Jungen machen?
Armer, kleiner
»Aber wo ist er, Seifert, damit für ihn gesorgt werden kann? Reden Sie die Wahrheit, und wir wollen glauben, daß Sie bei diesem Morde hier nur in Selbstvertheidigung gehandelt haben; der Sheriff wird die Handschellen wieder einstecken und Sie anständig nach der Stadt bringen.«
Der Gefangene sah mit halb irren Blicken auf.
»Das ist also der Sheriff,« sagte er; »well, Sir, war der Advocat Murphy, der hier todt liegt, einer von Ihren Deputies?«
Ein bittender Blick Helmstedts traf den Beamten.
»Nicht, daß ich wüßte!« erwiderte dieser.
Ein halb verzerrtes Lächeln ging über Seiferts Gesicht.
»Es ist schon wie ich gedacht und Alles recht; der Teufel rächt sich nur, wo er betrogen werden soll. Ich gehe mit Ihnen nach der Stadt, Gentlemen.«
»Und wie soll es mit dem Manuel werden?« fragte Helmstedt dringend.
»Ja, er wird wol jetzt ausfinden müssen, daß der alte Pedlar schon längst todt ist,« erwiderte Seifert mit bedauerndem Kopfschütteln; »es ist am besten, Sie gehen selbst nach dem Rocky-Creek-Hause und sagen es ihm. Er mag warten, bis ich aus der Stadt zurückkomme, dann will ich ihn selbst wieder nach New-York bringen.«
Helmstedt tauschte mit dem Beamten einen Blick aus und ließ dann das Auge über die Leiche streifen.
»Wenn Sie sich einige Minuten gedulden wollen,« sagte er halblaut zu dem Sheriff, »so hole ich aus dem Wirthshause Jemanden als Wächter herbei, der bis zur Ankunft des Koroners hier bleibt. Dann mögen Sie den Gefangenen auf meinem Pferde zwischen sich und Charley nach der Stadt führen und brauchen ihn nicht zu schließen.«
»Ich kann Ihnen nur dankbar sein, wenn Sie die Mühe
Es war Abend geworden und der Platz, auf welchem der Mord vollbracht wurde, wieder so öde wie vorher; nur die geknickten Büsche und das zertretene Gras am Wege zeigten, daß ein besonderer Vorfall mehr Menschen als gewöhnlich auf der Stelle versammelt hatte. Mit der nach der Stadt gebrachten Leiche war aber die Aufregung dort eingezogen, das Hotel, worin der Ermordete lag, umstanden die Menschen in dichten Haufen, und die verschiedensten Gerüchte über die Art und Ursache des Mordes gingen von Mund zu Mund.
Im Bar-Room des Hotels, wo es wie in einem Bienenstocke aus- und einging, stand Griswald in der Vertiefung neben dem Kamin und stürzte so eben den dritten Brandysmash hinunter.
»Ich muß bekennen,« sagte er zu einem an seiner Seite lehnenden ältlichen Manne, »daß ich mich alterirt habe, so kalt ich auch sonst in allen Dingen bin – Teufelsgeschichte das!«
»Und was wird jetzt aus unserer Speculation?« brummte der Andere halblaut; »ist schon etwas geschehen, daß die Sache von den richtigen Händen weiter fortgeführt werden kann?«
»Wettergeführt? Damit ist es vorläufig zu Ende, Sir, und das ist mir eben wie eine Eispille in den Magen gefahren,« erwiderte Griswald, einen Blick um sich werfend. »John, noch einen Smash – Sie nehmen einen Schluck mit mir, Sir? Zwei Smash, John! Wissen Sie denn nichts von der Geschichte, welche der Sheriff erzählt?« fuhr er fort, als er nirgends einen Lauscher in seiner Nähe bemerkte, »nichts von dem jungen Menschen, welchen der Mörder irgendwo hier verborgen gehabt?«
Der Andere sah ihn groß an.
»Nun? Dieser junge Mensch ist der eigentliche Eigenthümer des Besitztitels. Murphy hat sich durch eine Nachricht von seinem Tode düpiren lassen und das Document von Parteien erworben, welche kein Recht darauf haben.«
»Aber ich verstehe nicht –«
»Ich auch noch nicht, Sir; was ich Ihnen aber da sagte, steht so fest wie Murphy's Tod, und daß es überhaupt eine Thorheit bleibt, junge Advocaten, bei denen die Illusionen immer die Gründlichkeit überwiegen, in die Association aufzunehmen. Jetzt können wir mit unserm Gutachten über die Unfehlbarkeit des Besitztitels die schönste Blamage auf den Hals bekommen. Geht morgen das Document in andere als uns befreundete Hände über, so müssen die schlimmsten Vermuthungen über unsere Gesetzeskenntniß oder unsere Ehrlichkeit laut werden – und das kommt Alles davon, wenn junge Leute wie Murphy zu Dingen zugelassen werden, die sie noch nicht zu behandeln verstehen. John, noch einen Smash!«
»Aber was denken Sie, daß nun geschehen sollte?«
»Weiß noch nicht, Sir! Zuerst wollte ich nach Oaklea gehen, um dort zu sondiren – heute Nacht, denke ich werden sich die meisten von unsern Freunden von selbst in meiner Office einfinden, und dann werden wir weiter sehen!«
Er trat an den Schenktisch, um zu bezahlen, und schritt dann in die Straße, wo ein aufgezäumtes Pferd bereits auf ihn wartete. Bald saß er im Sattel und trabte davon.
Zu derselben Stunde schritt Elliot, ein offenes Billet in der Hand, mit großen Schritten in seiner Bibliothek auf und ab. Im Schaukelstuhle wiegte sich die Frau vom Hause und am Finster saß Ellen, daß Kinn in die Hand gestützt, und sah träumerisch in die dämmernde Landschaft hinaus.
»Diese Gefahr wäre also vorläufig vorüber,« sagte der
»Ich glaube, Pa, du beurtheilst Helmstedt ungerecht,« unterbrach ihn Ellen, vom Fenster aufsehend, »und ich möchte dir das zu deiner eigenen Ruhe sagen. Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, warum er mir in so kurzer Zeit entfremdet werden konnte; ich habe mein ganzes Zusammenleben mit ihm durchgegangen, und es war nicht sein Charakter, nicht das, was er als Mensch werth war, was unsere Uebereinstimmung hinderte; es waren unsere verschiedenen Ansichten vom Leben überhaupt, oft bis zu den kleinsten Dingen herab, die, wol Jedem anerzogen, sich immer einander entgegen traten. Helmstedt ist großherzig; er hat es bewiesen, und denkt gewiß jetzt am wenigsten an die Befriedigung irgend eines unedlen Gefühls.«
Der Pflanzer nickte unmuthig. »Das mag die Ansicht junger Ladies sein, Mistreß
Tochter; bejahrte Männer aber urtheilen anders!« sagte er und nahm seinen Gang wieder
auf. »Ich hasse diese Großherzigkeit, diese Uneigennützigkeit, welche sich dann zu
Hause hinsetzt und in der Genugthuung schwelgt, die sie Leuten von mehr Gewicht
gegenüber errungen – es hat mein innerstes Gefühl beleidigt, als dieser junge Mann,
der mein Brod gegessen und dessen armselige Finanz-Verhältnisse ich kenne, wenn er
sie bisher auch noch vor der Welt zu bemänteln gewußt, sich vor
»Aber, Pa, hast du nicht selbst versucht, ihn mit allen Mitteln zu einer Scheidung zu treiben?« sagte Ellen erregt, »und nun willst du es ihm zum Vorwurf machen, daß er dir nachgegeben hat und Alles, was gegen ihn gethan worden ist, mit guten Absichten vergilt?«
»Ich glaube, du hast alle Bescheidenheit gegen deinen Vater verlernt!« ließ die Mutter vom Schaukelstuhle vernehmen.
»Laß sie, sie ist von meinem Schlage,« sagte Elliot mit einem Anfluge von Laune; »wenigstens kann ich mich dabei doch einmal aussprechen und brauche nicht Alles still mit mir herumzutragen. Und was glaubt denn nun meine kluge Tochter, daß ich unter den gegenwärtigen Verhältnissen thun sollte?«
»Nichts, Pa, aber dir auch den Kopf nicht schwer machen um Dinge, die wahrscheinlich gar nicht existiren!« erwiderte die junge Frau. »Ich glaube bestimmt, Helmstedt wird selbst kommen, sobald er nur weiß, wie die Angelegenheiten stehen, und dir die nöthigen Mittheilungen machen, und ich bin überzeugt, daß du ihn nur als Gentleman, der er wirklich ist, zu behandeln brauchst, um jeder Rücksicht sicher zu sein.«
»Und wo möglich bis dahin auch die Scheidungsangelegenheit
»Vater!« rief Ellen vorwurfsvoll, und die Thränen traten in ihre Augen, »womit habe ich das verdient? Ich vertheidige nichts als seinen Charakter. Hätte ich nicht erkannt, wie wenig wir für einander passen, so wäre ich dir sicher nicht nach Oaklea gefolgt, und seit du in meinem Namen eine Rückkehr in sein Haus verweigert hast, weißt du, daß ich nur auf eine Scheidung in deinem Sinne gerechnet habe. Aber wenn Helmstedt nichts weiter verdient, so verdient er Achtung, Vater, und die werde ich ihm bewahren, so lange ich lebe!«
»Mr. Griswald ist im Parlor!« rief in diesem Augenblick eine Schwarze, den Kopf zur Thür hereinsteckend.
Elliot sah auf, als komme ihm die Unterbrechung eben erwünscht. »Führe ihn hierher, Flora, und bringe Licht!« sagte er und setzte dann schweigend seinen Schritt fort.
Nach wenigen Minuten öffnete sich die Thür wieder. »Teufelsgeschichte, das!« rief der Advocat eintretend, » – oh, bitte um Entschuldigung, Ladies; ich hatte keine Ahnung von Ihrer Gegenwart. Familien-Berathung? Ich hoffe, ich störe nicht?«
»Nicht im Geringsten, Sir, setzen Sie sich!« erwiderte Elliot, während die Schwarze zwei Lichter auf den Tisch stellte; »wir besprachen eben nur den außerordentlichen Fall von heute. Ich bin aufrichtig betrübt über Murphy's Tod; er war jedenfalls ein Gegner, mit dem sich sprechen ließ.«
»So – da komme ich also mit meiner Nachricht zu spät,« hustete Griswald, sich niederlassend; »ich habe noch einige Meilen weiter hinaus Geschäfte und dachte, Ihnen im Vorbeireiten die Sache mitzutheilen. Aber – darf ich in der Ladies Gegenwart von Geschäften reden?«
»Immer zu, Sir,« erwiderte der Pflanzer; »leider haben
»Well – ich wollte nur fragen, um etwa nöthige Schritte in Ihrem Interesse thun zu können – hatten Sie mit Murphy bereits ein Uebereinkommen getroffen, was, falls der Anspruch jetzt durch einen andern Bevollmächtigten vertreten werden sollte, gegen diesen geltend gemacht werden könnte?«
»Ich muß Ihnen gestehen, Sir,« sagte Elliot, sich langsam niedersetzend, »daß mir erst in der letzten Zeit manches Unklare in diesem Anspruche aufgestoßen ist, weshalb ich mir auch von Mr. Murphy noch eine weitere Frist ausbitten ließ. Wie die Sache jetzt steht, habe ich mich entschlossen, sie an mich kommen zu lassen.«
»So? – merkwürdig, Sir!« erwiderte Griswald, sich den Schenkel reibend; »ich wünschte, Sie hätten mir Ihre Gedanken mitgetheilt, die vielleicht schon bei der Untersuchung des Documents von Wichtigkeit hätten sein können.«
»Sie meinen doch nicht, daß drei der erfahrensten Advocaten von den Gedanken eines einfachen Farmers etwas hätten profitiren mögen?« lachte Elliot; »meine Bedenken sind ganz privater Natur, und ich muß selbst abwarten wie weit sie Stich halten. Wissen Sie vielleicht schon, wer die Angelegenheit jetzt in die Hand bekommt?«
»Habe noch nicht die Idee davon, Sir; es muß sich aber jedenfalls binnen Kurzem herausstellen, und deshalb meinte ich, es sei gut, Sie schon heute darauf aufmerksam zu machen.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Griswald; wir wollen aber, wie gesagt, erst einmal abwarten, was neuerdings in der Sache gethan werden wird, und dann sehen Sie mich jedenfalls in Ihrer Office.«
»Wie Sie meinen, Squire – es ist Ihre eigene Sache,« murmelte Griswald, »und so will ich mich nicht weiter aufhalten.«
Er erhob sich, verbeugte sich gegen die Damen und verließ mit einem: »Gute Nacht, Sir!« das Zimmer.
Er zog die Zügel an und ritt im scharfen Trabe der Stadt wieder zu.
Als Helmstedt am Nachmittage den Sheriff verlassen und das Rocky-Creek-Haus erreicht
hatte, war seine erste Frage nach dem jungen Menschen gewesen, welcher am Morgen mit
Mr. Wells hier angekommen sei; aber da war Niemand, der etwas wissen wollte, kaum daß
ihm überhaupt eine Antwort gegeben wurde. Als aber Mr. Helmstedt ungeduldig den
Wirth, der ihn eben mit einem halben Wort abspeisen wollte, kräftig beim Arme
festhielt und ihm erklärte, daß hinter den nächsten Büschen ein Mord begangen worden,
daß der Mann, welcher sich Wells nenne, sich bereits als den Mörder bekannt habe und
in der Gewalt des Sheriffs sei – daß dieser Letztere ihn hierher sende, um Leute zur
Bewachung der Leiche zu fordern und den jungen Begleiter des sogenannten Wells unter
seine Obhut zu nehmen, als die anwesenden Gäste wie die Hausbewohner sich bei
Helmstedts lauter Erzählung um die Sprechenden gruppirten, da hatte der Wirth andere
Saiten aufgezogen. Er hatte zwar überhaupt von einem Manne, der Wells heiße, nichts
wissen wollen, aber wenn es derselbe Fremde sei, der am Morgen angekommen, so
überlasse er es Helmstedt selbst, in dessen Zimmer nachzusehen. Damit hatte er ihm
einen Schlüssel eingehändigt und zwei von sei nen Leuten nach dem von
Die Sonne war eben untergegangen, als Helmstedt von seiner Wohnung aus, wo er seinen Mündel unter der Obhut Charley's gelassen, den Weg nach Mortons Hause einschlug. Er sehnte sich mit ganzem Herzen, dort zu sein. Als er am Morgen Little-Valley verlassen, hatte ihm der alte Doctor nur gesagt: »Sie liegt in gesundem, festen Schlaf, gehen Sie in Gottes Namen, ich stehe für Alles. Sobald sie erwacht, vielleicht am Mittag, werde ich sie nach Hause bringen lassen.« – Eine Art von Furcht beschlich ihn jetzt, wenn er an sein Wiederbegegnen mit Pauline dachte. Waren die nächtlichen Scenen noch in ihrem Gedächtniß, oder waren die süßen Worte, die immerfort in seinen Ohren klangen, schon im Paroxismus des Fiebers gesprochen? Er scheute sich seinen Träumereien Raum zu geben, und ritt scharf vorwärts; aber das letzte Tageslicht war schon eine Weile erstorben, als er mit stiller Befriedigung die erleuchteten Fenster von Mortons Haus erblickte. Sie war also wenigstens zurückgekehrt. – Auf dem Vorplatze des Hauses sah er in dem Lichtscheine den zerbrochenen Vorderwagen einer Kutsche liegen – eine Erinnerung an die unglückliche Fahrt. Das scheugewordene Thier hatte die Stücke jedenfalls nach Hause geschleift. Helmstedt band sein Pferd an und schritt nach dem Parlor, den er langsam öffnete. Doctor Ford lag dort bequem im Schaukelstuhle ausgestreckt und las in einer Broschüre.
»Wie befindet sich Mrs. Morton?« fragte Helmstedt, dem Arzte die Hand reichend.
»Danach mögen Sie selbst sehen, Sir!« lachte der Gefragte; »mit solchen Naturen hat unsereins nicht lange zu schaffen Sie sitzt in ihrem Zimmer und hat mir vordemonstrirt, daß sie nicht mehr krank sei und daß sie auf Sie warten müsse, da Sie jedenfalls hier sein würden, sobald Sie nur abkommen könnten. Das Warten ist etwas lang geworden, Sir, und jetzt mögen Sie sich verantworten.«
Helmstedt drückte in einer seltsamen Gefühlsspannung die Augen in seine Hand und wandte sich nach dem Hinterzimmer. Es war dasselbe, in welchem er die letzte Unterredung mit Morton gehabt. Er klopfte an, und die Mulattin, noch immer mit verbundenem Kopf, öffnete ihm.
Matt auf einen Divan, der Thür gegenüber, zurückgelehnt, saß Pauline und richtete sich bei seinem Eintritt mit einem hellen Lächeln der Befriedigung auf.
»Hole noch ein Licht, Mary!« sagte sie, und die Mulattin verschwand mit einer Miene voll Verständniß.
Helmstedt ging auf die junge Frau zu, sah in ihre klaren Augen und fühlte seine Brust wie eingeschnürt.
»Ich freue mich, Mrs. Morton, Sie so schnell hergestellt zu sehen!« sagte er endlich.
Sie blickte lächelnd zu ihm auf.
»Wollen Sie sich einmal zu mir hersetzen, August?« begann sie dann deutsch, und streckte ihm die Hand entgegen; »wir müssen ein paar nothwendige Worte mit einander reden.«
Helmstedt faßte die kleine, weiche Hand, küßte sie – mit mehr Innigkeit, als es wol
die Convenienz erlaubt hätte – und zog dann einen der niedern weichen Sessel ohne
Rücklehne heran, auf welchem er sich dicht neben dem Divan
»Wollen Sie mir wol sagen, August, welcher Zufall Sie gestern nach Little Valley geführt hat?« sagte sie, und ihr Blick ruhte in stiller Spannung in dem seinigen.
Helmstedt sah sie einen Augenblick wortlos an.
»Zufall!« sagte er dann langsam und bemühte sich vergebens, das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken, »muß es den Zufall gewesen sein? Wollen Sie mir denn durchaus nicht das Verdienst gönnen, etwas aus Herzensantrieb für Sie gethan zu haben?«
»Aber, August –«
»Nein, Pauline!« rief er aufspringend, »ich kann jetzt nicht in dieser förmlichen, bedachten Weise mit Ihnen reden. Sie haben mich von sich gewiesen, als ich mich Ihnen als Schützer anbot, aber ich bin doch immer im Geiste bei Ihnen gewesen und habe auf jeden Ihrer Schritte gemerkt; Sie haben wir Ihr kältestes Gesicht gezeigt, und doch war der Gedanke an Sie mein liebster und oft der einzige, der mich aufrichtete. Sie haben es mich bitter empfinden lassen, daß ich ein pedantischer Narr, daß ich blind gewesen bin, als Sie mir wie die Verheißung eines ganzen Lebens voll Glück entgegentraten; Sie haben sich ehrlich und empfindlich gerächt – und doch, Pauline,« fuhr er fort, und faßte ihre beiden Hände, – »doch bin ich wieder hier und gehe auch nicht mehr von Ihnen, und will Ihnen jetzt das Wort abzwingen, daß Sie mich noch lieb haben wie ehedem –«
Ein wunderbares Leuchten strahlte in Paulinens Augen, als sie sich jetzt, seine Hände fest in den ihrigen drückend, langsam erhob.
»Ich habe mich rächen wollen, August?« fragte sie weich, »konnte ich denn anders
handeln, als ich es gethan? Hatten Sie sich denn nicht so kalt von mir gewandt, so
consequent selbst die leiseste Freundlichkeit abgewiesen, daß ich
Fest hielt sie Helmstedt umschlossen.
»Ich liebe dich, Pauline,« sagte er, zu ihrem Ohre geneigt, und der volle Drang seines Herzens zitterte in den leisen Worten, – »ich liebe dich mit meiner ganzen Seele, und will es dir sagen, immer und immer, so lange ich noch athmen kann!« Und als sie in Thränen lächelnd zu ihm emporsah, küßte er ihren Mund, küßte die Thränen von ihren Wimpern und sah ihr dann lange und tief in das feuchte Auge.
»Dies ist der Blick, nach dem ich mich so manchen Tag gesehnt, und von dem ich Nächte hindurch geträumt!« sagte er leise.
»Und doch kamst du heute so spät, August, obgleich du wissen konntest, wie es in mir aussah?« unterbrach sie ihn, sich in seinen Armen aufrichtend.
»Merke auf, du mißtrauisches Kind,« sagte er mit einem Lächeln des Glücks, »dafür habe ich mir aber auch die Macht erobert, alle drückenden Bande von mir zu werfen und dir anzugehören, sobald du mich nur annehmen kannst und magst.«
Er führte sie nach dem Divan, nahm ihre beiden Hände in die seinen und begann ihr
einen Ueberblick seiner Verhältnisse zu Elliot zu geben; bald aber hielt er wieder
inne und seine Blicke hingen schweigenden Glückes voll an den
So mochten sie eine Stunde Hand in Hand bei einander gesessen haben, ohne nur das rasche Schwinden der Zeit zu bemerken, als ein Pochen an die Thür sie aufstörte. Pauline eilte zu öffnen und Doctor-Ford streckte seinen Kopf herein.
»Ich wollte nur zusehen, ob sich meine. Patienitin nicht zu sehr im Gespräch aufgeregt,« sagte er, mit einem Lächeln voll gutmüthiger Laune eintretend; »das Kind, sollte sich Ruhe gönnen und jetzt nicht stundenlange Verathungen halten!«
»Stundenlange, Doctor?« rief Pauline, leicht erröthend einen Blick nach der Uhr auf dem Kaminsims werfend; »es ist kaum eine Stunde, und hat Ihnen das Kind nicht gesagt, daß es nicht mehr krank ist?«
»Jetzt glaub' ichs gern,« lachte der Doctor, »und ich gehe gleich wieder, vollkommen zufrieden, – aber,« unterbrach er sich, als das helle Roth in Paulinens Gesicht schoß, »kennt unser Kind nicht die alte Wahrheit: vor dem Arzte und den Eltern soll man sich nicht geniren? Wenn der alte Ford eine ganze Nacht am Krankenbett gesessen und alle stillen Geheimnisse, die das Fieber ausgeplaudert, in seinen Ohren aufgefangen hat, darf er dann nicht sagen, wenn sich die rechte Medicin gefunden: ich bin zufrieden?«
»Gott behüte Sie, Doctor, für Ihre Meinung von mir,« rief Helmstedt, welchen ein Seitenblick des alten Arztes getroffen, und trat, diesem die Hand reichend, herzu; »nehmen Sie, was die Gesunden noch nicht gegen Sie ausgesprochen, als bereits geschenktes Vertrauen an. Wenn erst auch äußerlich vollkommen klarer Weg vor uns liegt, dann sprechen wir weiter.«
»Es ist schon recht so,« nickte Ford, »und jetzt nehmt meine Störung nicht übel; der alte Knabe war neugierig, und mußte nachsehen, wie die Sachen standen.«
»Supper! – Jetzt erst?« fragte Helmstedt verwundert.
»Ich hatte auf dich gewartet, August,« erwiderte Pauline deutsch, mit einem innigen Blicke zu ihm aufsehend »und jetzt schlägst du mir es doch nicht wieder ab, hier zu bleiben?«
Es war ein seltsamer Abendtisch. Der Doctor schien in seiner rosigsten Laune zu sein, und erzählte eine Schnurre nach der andern, ohne sich darum zu kümmern, daß seine jungen Tischgenossen bisweilen kaum zu hören schienen, und nur das Kichern der bei den aufwartenden Negermädchen seine Späße belohnte. Helmstedt ging wol dann und wann auf seine Bemerkungen ein, oft aber auch saß er wie versunken in sein neues Glück, Paulinens Bewegungen beobachtend, wenn sie mit rosig aufgeblühten Wangen die Pflichten der Wirthin erfüllte; und schlug sie dann das Auge zu ihm auf, und die Blicke Beider blieben tief in einander hängen, als hätten sie ihre ganze übrige Welt vergessen, dann schien der Doctor plötzlich einen wahren Wolfshunger zu bekommen; er setzte die beiden Schwarzen in Bewegung, ihm Alles, was nur von Gerichten auf dem Tische war, einzeln herzureichen, schien aber dann doch keine Wahl treffen zu können und sandte die Aufwärterinnen mit einem derben Spaße zurück, um nur, als habe er sich eines Bessern besonnen, sich dieselben Teller aufs Neue reichen zu lassen. Sie hatten noch nie beim Supper so viel zu lachen gehabt, die schwarzen Mädchen, und konnten an demselben Abend in der Küche nicht genug von dem lustigen alten Doctor erzählen.
Es war spät in der Nacht, als Helmstedt die Stadt wieder erreichte, aber erst beim grauenden Morgen kam der Schlaf über ihn.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Cäsar, bereits zum dritten Mal an demselben
Morgen, mit dem
»Schon spät, Cäsar?«
»Neun Uhr vorüber, Sir; Sie schliefen so fest, daß ich Sie nicht wecken mochte.«
Helmstedt schnellte in die Höhe.
»Ist es möglich? so lange wollte ich nicht schlafen!« rief er. »Wo ist der Knabe?«
»Er ist mit dem großen Gentleman nach dem Hotel zum Frühstück gegangen, wie Sie es angeordnet hatten, Sir; sie sind aber noch nicht zurück. In der Stadt ist so viel Aufregung, daß sie wahrscheinlich noch hören was vorgeht.«
»Aufregung! noch wegen des Mordes?« fragte Helmstedt verwundert.
»Ja, es ist aber noch etwas dazu gekommen, Sir. Es hat geheißen, der Mörder sei ein alter Negerdieb, und schon gestern Abend hatte sich ein Haufen unruhiges Volkt vor dem Gefängniß versammelt, um es zu stürmen und ihn zu hängen. Da hat der Gefangene zu dem Schließer gesagt, er wolle durch das Fenster zu den Leuten reden; was er gethan habe, hätte jeder Andere an seiner Stelle auch gethan; als aber der Schließer wegen der Negerstehlerei zu ihm gesprochen und ihm erzählt hat, daß gerade deswegen Mr. Murphy als Deputy-Sheriff beauftragt gewesen sei, ihn zu verhaften, und daß er also einen Beamten in Ausübung seiner Pflichten getödtet habe – da ist er still geworden. Und heute früh, als ihm der Schließer das Frühstück bringen will, findet er ihn todt, an seinem eigenen Halstuch aufgehängt.«
»Erhängt?« rief der junge Mann mit halb entsetztem Blick.
»Yes, Sir! und vorhin hörte ich, daß der Koroner bereits mit der Todtenschau fertig geworden ist.«
Helmstedt sah dem Schwarzen noch immer ins Gesicht.
»Das ist gräßlich!« sagte er endlich wie zu sich selbst.
»Hier ist auch noch ein Brief, Sir, den mir der Postmeister gestern Abend gab!« sagte der Schwarze, auf das Kaffeebret deutend, und wandte sich der Thür zu.
Helmstedt erhob sich langsam. Ueber das still-selige Gefühl, mit welchem er erwacht war, hatte sich ein tiefer Schatten gelegt. Seifert war mit seinen Erlebnissen in Amerika so verwebt gewesen – was ihm dieser zu Leid gethan, hatte sich so zum Besten für ihn selbst gewandt, daß er nicht ohne Erschütterung das grauenvolle Ende des Menschen hatte vernehmen können. Noch eine lange Weile, nachdem er sich angekleidet, saß er den Kopf in die Hand gestützt in seinem Schaukelstuhl, und alle seine früheren Begegnungen mit dem Unglücklichen gingen an seinem Geiste vorüber, bis er sich endlich mit Gewalt aus diesen Erinnerungen zu reißen versuchte und nach seinem Kaffee griff. Der neben der Tasse liegende Brief kam ihm gerade willkommen, um andere Gedanken zu fassen; es war die Antwort von Smith und Johnson, Advocaten in New-York, auf seine frühere Zuschrift an diese und gab ihm Klarheit über Manches, was ihm bisher noch dunkel gewesen war. Der Brief lautete:
Geehrter Herr!
In Erwiderung auf Ihre Zeilen können wir Ihnen nur anzeigen, daß allerdings eine
Empfangsbescheinigung über den von Ihnen angedeuteten Besitztitel an den Deponenten
Isaak Hirsch gegeben wurde, welche auch Seitens des Advocaten der jetzigen Erbin,
eines Mr. Murphy aus Ihrem Staate, an uns zurückgeliefert und dafür unserseits das
fragliche Document verabfolgt worden ist. Sie äußern, daß sich weder dieser
Depositenschein, noch eine Notiz darüber in dem Nachlasse vorgefunden habe; indessen
scheint uns in dieser Thatsache kein besonderes Gewicht zu liegen, da das Docu ment,
nach verschiedenen
Smith und Johnson.
Eine halbe Stunde später war Helmstedt wieder auf dem Wege nach Oaklea. »Erst reine Bahn machen, und dann glücklich sein!« klang es in ihm. Kurz vor Elliots Farm konnte er seitwärts in der Ferne Mortons Haus blinken sehen; er ließ sein Pferd eine kurze Weile im Schritt gehen und suchte sich eine Vorstellung von Paulinens augenblicklicher Beschäftigung zu machen – sie dachte an ihn, sie erwartete ihn, dessen war er sicher. Er warf einen Kuß hinüber und sprengte weiter.
Seine Ankunft mußte in Elliots Landhause bemerkt worden sein, denn kaum war er in die Nähe desselben gelangt, als auch schon ein Schwarzer ihm entgegen kam und sein Pferd in Empfang nahm. »Mr. Elliot ist in der Bibliothek, Sir!« hieß es.
Helmstedt ging den ihm so bekannten Weg und fand den alten Pflanzer allein, augenscheinlich seiner harrend. »Ich dachte Ihnen den Weg nach der Stadt zu ersparen, den Sie nach meiner gestrigen Mittheilung wahrscheinlich gemacht hätten, Mr. Elliot,« sagte der Eintretende mit einer Art von Herzlichkeit, die aus seinem innern Glück entsprang, ohne sich an die steife Haltung des Pflanzers, mit welcher dieser ihn empfing, zu kehren, »und meinte, es sei besser, Sie einmal zu verfehlen, als daß Sie mich nicht zu Hause träfen.«
Elliot neigte wie zustimmend den Kopf. »Lassen Sie uns setzen, Sir,« sagte er.
Elliot hatte sich wieder steif zurückgelehnt und sah mit halb verschleiertem Auge auf den Sprechenden. »Es mag so sein Sir,« erwiderte er kalt.
»Da es mir hiernach,« fuhr Helmstedt lächelnd fort, »auf keine Weise möglich ist, Ihnen ein unangenehmes Gefühl zu ersparen, so hielt ich es für das Beste, unsere Beziehungen auf möglichst schnelle Weise zu lösen. Wenn Sie Ihrem Advocaten heute noch die nöthigen Vollmachten zukommen lassen wollen, so bin ich bereit, mich morgen mit ihm in Bezug auf die gewünschte Scheidung in Verbindung zu setzen. Ich habe in den nächsten Tagen eine Reise nach New-York zu machen, um meinen Mündel in seine Rechte wieder einsetzen zu lassen, und so könnte vorher das Nöthige für die Erfüllung Ihres Wunsches gethan werden.«
»Es soll geschehen, Sir!« erwiderte der Pflanzer ohne sich zu bewegen.
»Es gibt aber bei derartigen Trennungen, wo jeder Theil zu viel Stolz hat, um irgend
etwas dem andern Zugehöriges in Besitz zur behalten, Auseinandersetzungen, die
peinlich und oft gar verletzend sind,« fuhr Helmstedt fort. »Ich zum Beispiel befinde
mich in dem Falle, daß ich bei vor sich gehender Scheidung Alles, was mir von Ellen
oder Ihnen, Sir, überkommen ist, zurückzugeben, mich für verbunden halte, wenn ich
nicht von Ihnen auf so vollständig gleicher
»Well, Sir, ich weiß nicht, warum Sie diese Angelegenheit jetzt berühren,« erwiderte der Pflanzer, unruhig auf seinem Stuhle hin und her rückend, »ich glaube aber, daß man schon gezwungen sein kann, Jemand auf gleicher Stufe zu behandeln, wenn man sich so in seinen Händen befindet, wie ich mich wahrscheinlich jetzt in den Ihrigen«
»Und um Ihnen zu zeigen,« fuhr Helmstedt fort, als habe er Elliots Worte überhört, »wie wenig ich mich irgend eines Vortheils, der vielleicht in meiner Hand liegt, gegen Sie bedienen mag, übergebe ich Ihnen hier einige Zeilen, die ich soeben von New-York erhalten, und die Sie zugleich jeder Furcht entheben werden, mir für irgend eine Rücksicht gegen Sie Dank zu schulden. Wenn Sie gelesen haben werden, mögen Sie mir gefälligst sagen, wie wir mit einander stehen.«
Elliot entfaltete mit sichtlicher Spannung den dargereichten Brief und Helmstedt trat, während Jener las, ihm den Rücken zukehrend, ans Fenster.
Er währte eine lange Weile, ehe der Pflanzer mit dem Lesen der wenigen Zeilen oder auch vielleicht mit seinen eignen Empfindungen fertig wurde. Endlich hörte Helmstedt seinen Namen nennen, und als er sich umwandte, blickte er in Elliots Gesicht, der ihm mit dem Ausdruck derselben freundlichen Biederkeit die Hand entgegenstreckte, wie sie Helmstedt an ihm gekannt, als er noch in seinem Hause lebte.
»Ich erkenne Ihre Verfahrungsweise vollkommen an, Sir,« begann Elliot, während ihm
Helmstedt langsam die Hand reichte. »Sie müssen einem Manne verzeihen, der alle
Hoffnungen und alle stillen Pläne, die sich an seine einzige Tochter knüpften,
durchkreuzt fand und so unter dem Einfluß eines stets gereizten Gemüths handelte. Sie
haben mit diesen Zeilen nicht nur jede Sorge von mir genommen, sondern mich auch
gezwungen, Sie wieder so hoch zu achten,
»Ich danke Ihnen von Herzen,« erwiderte Helmstedt mit befriedigtem Lächeln; »ich wollte nichts von Ihnen hören, als daß Sie mir Unrecht gethan, und damit bin ich so zufrieden, als Sie es im Augenblick nur selbst sein können. Lassen Sie uns jetzt damit scheiden, Sir, und wenn ich mit Ihrem Advocaten morgen die nöthigen Schritte zur Ordnung meines Verhältnisses mit Ellen gethan haben werde, so lassen Sie uns Alles begraben und vergessen, was Unangenehmes zwischen uns vorgefallen sein mag. Bringen Sie Ellen meinen freundlichen Gruß, Sir, und leben Sie wohl.«
Er drückte Elliots Hand leicht und ging, von diesem begleitet, nach der Thür. Der Pflanzer sah durch das Fenster ihn in den Sattel steigen und schüttelte den Kopf wie vor einem ungelösten Räthsel. Helmstedt aber ließ seinem Pferde die Zügel und sprengte Mortons Hause zu.
Es war acht Tage später, als von Chatham-Street in New-York ein junger Mann mit einem halb erwachsenen Knaben an der Hand nach Pearl-Street einbog. »Was meinst du wol, Manuel, was sie sagen werden, wenn sie dich wieder sehen?« fragte der Erstere.
»Ich bin bange, Sir, Muhme Rebecke bekommt einen Schrecken, der ihr schaden kann. Wir
haben lange mit einander gelebt, auch in Zeiten der Noth, und sie hat doch
Der junge Mann nickte, und nach einem kurzen Wege hatten sie das Haus des Pfandleihers Meier erreicht. Der Knabe trat in das Nebengäßchen, welches nach der Hinterthür des Hauses führte, und sein Begleiter wandte sich nach der Leih-Office. Ein fremdes Gesicht zeigte sich hier hinter dem Gitter. »Ich möchte Mr. Meier persönlich sprechen,« sagte der Eingetretene; »mein Name ist Helmstedt.«
»Bedaure, Sir; Mr. Meier arbeitet nur noch in Stocks und andern Werthpapieren und hat die Office hier an mich vermiethet,« war die Antwort. »Mr. Meier wohnt jetzt in Bondstreet, das dritte Haus vom Broadway; Sie würden ihn gerade jetzt dort antreffen können.«
Helmstedt dankte mit einiger Verwunderung und ging. Bald traf er mit seinem
Schutzbefohlenen einen Omnibus, welcher sie in der bezeichneten Richtung weiter
führte, und nach kurzer Zeit stiegen Beide an Bondstreet aus. »Dein Vetter scheint
großartig geworden zu sein,« sagte Helmstedt, kopfschüttelnd das elegante Haus,
welches ihm angegeben worden war, betrachtend; »setze dich dort hinter das
Eisengitter auf die Bank, bis ich dich rufe.« Er ging die steinerne Treppe nach dem
Portico hinauf, unter welchem auf silberner Platte der Name »Abraham Meier« an der
Thür prangte, und zog die Klingel. Ein Dienstmädchen öffnete, und auf seine Frage
nach dem Hausherrn wurde er in einen Parlor gewiesen, dessen Geschmack und
Ausstattung zeigten, daß er von kundigerer Hand als der frühere in Pearlstreet
eingerichtet worden war. Helmstedt hatte nicht lange zu
»Sie kennen mich wol kaum mehr, Mr. Meier?« fragte Helmstedt; »ich war der Vormund Ihres jungen Vetters Manuel, und kam gerade an dem unglücklichen Tage zu Ihnen, an welchem die Leiche in Ihr Haus gebracht worden war.«
»Ah – ich entsinne mich jetzt,« erwiderte Meier, und zeigte in einem steifen Lächeln seine Zähne; »es war das ein sehr trauriger Tag. Was führt Sie zu mir, Sir?«
»Ich hatte vor kurzer Zeit mir erlaubt, eine schriftliche Anfrage an Mrs. Meier zu richten, auf welche Weise ein dem alten Isaak Hirsch gehöriger Besitztitel in ihre Hände gelangt sei, da sich dieser nachweislich in der Hinterlassenschaft nicht befunden – habe aber darauf keine Antwort erhalten.«
Meier fixirte einen Moment lang seinen Gast. »Der Brief ist allerdings angekommen,« sagte er, »ich glaube aber nicht, Sir, daß wir verpflichtet sind, auf jede Zuschrift an uns zu antworten.«
»Wie Sie das für gut befinden, Sir,« erwiderte Helmstedt, sich lächelnd verbeugend; »so haben Sie jetzt wenigstens die Güte, mich Mrs. Meier zu melden, mit welcher ich eigentlich nur zu thun habe.«
»Mrs. Meier ist jetzt nicht zu sprechen, Sir!« versetzte der gewesene Pfandleiher eifrig; »was Sie mit ihr zu reden haben, können Sie eben so gut mir sagen.«
»Es thut mir leid, daß Sie mir meinen Zweck so schwer machen,« sagte Helmstedt ruhig; »ich wollte ihr auf glimpflichere Weise, als Sie es vielleicht thun könnten, beibringen, daß nicht allein die ganze Angelegenheit auf einem Betruge beruht, sondern daß auch eine schändliche Komödie mit Ihnen Allen und Ihrem kleinen Vetter Manuel gespielt worden ist.«
»Well, Sir, Ihnen gegenüber kann ich ohne Umschweife reden,« fuhr der Letztere fort. »Manuel Goldstein ist unsichtbar gemacht worden, damit, so viel ich in der Sache erkennen kann, eine andere Partei sich in den Besitz des erwähnten Titels hat setzen können. Die Leiche, welche nach Ihrem Hause gebracht wurde, hatte wol Manuels Kleider an, war aber eben so wenig die seinige wie die Ihrige – sie war nichts als ein vom Kirchhofe gestohlener ähnlicher Todter, und Manuel Goldstein ist heute noch so frisch und gesund als wir Beide.«
Meier sah ihn, ohne eine Antwort zu geben, mit weit aufgerissenen Augen an. »Das – das lügen Sie, Sir!« brach er endlich aus; »das soll sicher erst der Betrug werden, von dem Sie redeten!«
In diesem Augenblicke öffnete sich die Parlorthür; eine Dame, einfach in schwarze Seide gekleidet, trat mit verstörtem Gesicht ein und ging, ohne Helmstedt zu beachten, auf Meier los. »Abraham, komm' her, Abraham, ich glaube, ich bin wahnsinnig!« sagte sie mit aufgeregter Stimme, und führte ihn nach dem Fenster, »Abraham, wer sitzt dort unten?«
Helmstedt, ahnend was vorging, war an das zweite Fenster getreten und erblickte Manuel, dem es wahrscheinlich auf der ihm angewiesenen Bank in der Sonnenhitze zu heiß geworden war und der sich jetzt von einer schattigeren Stelle aus das Haus betrachtete.
»Es ist Betrug, Betrug, sage ich!« rief Meier, auf das Fensterbret schlagend, als er einen Blick auf die Straße geworfen; »sie wollen uns wieder um die Erbschaft bringen, es ist ein Complot!«
»Ist das der Manuel, der dort sitzt, oder ist er es nicht, Abraham?« fragte die Frau, wie erschöpft vor innerer Bewegung.
»Fassen Sie sich, Ma'am!« sagte Helmstedt, herzutretend,
Frau Meier wandte sich nach Helmstedt um, als bemerke sie ihn erst jetzt. »Ist er's denn?!« rief sie plötzlich und riß im gleichen Augenblicke das Fenster auf. »Manuel, Manuel!« tönte ihre Stimme über die Straße. Der Knabe stand auf und blickte um sich. Kaum aber hatte sein Auge die Gestalt in dem offenen Fenster getroffen, als er mit zwei Sprüngen an der Eingangstreppe war und hinauf eilte. Fast im gleichen Momente hatte die Frau, aus dem Parlor stürzend, die Hausthur geöffnet und brach hier in die Knie, als der Knabe mit dem Ausrufe: »Rebecke, Rebecke!« an ihren Hals flog. Helmstedt war nachgeeilt und führte Beide nach dem Parlor zurück, wo ihnen Meier mit erdfahlem Gesichte entgegenstarrte. »Regen Sie sich nicht zu stark auf, Ma'am,« sagte der junge Mann; »nehmen Sie Ihren Vetter mit in ein stilles Zimmer und sprechen Sie sich mit ihm aus, das wird Ihnen am schnellsten die Fassung wieder geben; ich rede unterdessen mit Mr. Meier.«
»Ich will, Sir, ich will!« entgegnete sie schluchzend und führte den Knaben, ihn umschlingend, mit sich fort.
»Well, Sir, was wollen Sie von mir? Die Erbschaft wollen Sie haben, das ist Alles, deshalb sind Sie gekommen und wegen weiter nichts!« begann Meier, als sich die Thür geschlossen hatte. »Aber ich werde erst sehen, was Sie für ein Recht haben, für den Manuel aufzutreten, wenn er es wirklich ist, und ob ich nicht eben so gut ein Recht habe, sein Vermögen zu verwalten, als irgend ein Anderer, der hierher kommt, man weiß nicht woher und weiß nicht wer er ist!«
»Das wird sich Alles finden, Mr. Meier,« erwiderte Helmstedt lächelnd; »es sollte
mich freuen, wenn ein Arrangement gemacht werden könnte, welches Ihnen eine
unangenehme Veränderung Ihrer jetzigen Stellung ersparte;
»Very well, Sir, so wollen wir die Dinge abwarten; ich habe jetzt durchaus keine Zeit mehr, ich bin Ihr Diener, Sir.«
»Vorläufig. Mr. Meier,« sagte Helmstedt lächelnd, »müssen Sie mir schon erlauben, hier zu bleiben, bis ich den Manuel wieder unter meine Obhut nehmen kann. Ich glaube gern, daß ich Ihnen lästig bin, aber ich kann es jetzt bei dem besten Willen nicht ändern.«
Meier sah ihn, die Augen bald niederschlagend, bald wieder öffnend, an. »Lästig? Ja, Sie sind mir lästig, Sir,« begann er wieder; »aber ich wünschte, Sie würden es nicht noch mehr. Können Sie nicht ein Arrangement machen, daß ich das Vermögen wenigstens in meinem Geschäfte behalte? Was thut Ihnen das? Was thäte es dem Manuel?«
»Ich glaube nicht, Mr. Meier, daß irgend ein rechtlicher Vormund das Geld seines Mündels zu Fonds-Speculationen benutzen lassen würde,« erwiderte Helmstedt. »Zu was bedürfen Sie es auch? Hatten Sie nicht Ihr ausgezeichnetes Brod, als Sie noch in Pearlstreet wohnten?«
»Pearlstreet, pschaw!« rief der Pfandleiher, die Lippen zu einem verächtlichen Ausdrucke verziehend. »Lassen Sie sich noch ein Wort sagen. Wollen Sie einen Antheil haben an meinen Geschäften und den Manuel in meinem Hause lassen? Sagen Sie, wie viel Procente Sie verlangen; ich geb's Ihnen schriftlich, und Sie können ein gutes Stück Geld dabei machen, Sir!«
Meier sah ihn von der Seite an und begann an seinen Nägeln zu kauen.
»Kann ich Ihnen durchaus nicht mit etwas dienen, Sir?« fragte er nach einer Weile.
»Sie würden mich verbinden, Mr. Meier, wenn Sie dem Manuel sagten, daß ich wegzugehen wünsche. Mrs. Meier kann ihn jeden Tag in der Office der Herren Smith und Johnson sehen, wo er seine Studien in der Advocatur wieder aufnehmen soll, oder auch im Hause des Mr. Johnson, der ihn vorläufig in seiner Familie beherbergen wird.«
»Well, Sir, wo logiren Sie?«
»Im Metropolitan-Hotel, Mr. Meier.«
»Ich möchte Sie heute Abend noch einmal sehen.«
Um Helmstedts Mund zuckte es, als fange er an sich zu belustigen.
»Wie Sie wollen, Sir, ich werde jedenfalls zu Hause sein.«
»So will ich den Manuel rufen!« sagte Meier eifrig und verließ das Zimmer.
Ein Jahr war vergangen. Schon längst hatte Helmstedts Scheidung von Elliots Tochter
stattgefunden. Diese hatte gleich darauf eine Besuchsreise zu Verwandten im Osten
angetreten, und eine lange Zeit glücklichen Stilllebens war für Helmstedt gefolgt.
Die Vormittagszeit hatte er in seinem Arbeitszimmer, seinen begonnenen Studien
obliegend, verbracht, und es hatte Paulinens Herzen keine geringe Genugthuung
gewährt, als er ihr erzählte, daß ihre eigenen Worte es gewesen waren, welche ihn auf
den Gedanken einer neuen Verfolgung der juristischen Laufbahn gebracht, als sie
gehört, wie treu er diese Worte in seinem Gedächtniß bewahrt gehabt. Helmstedt hatte
in New-York ein Uebereinkommen
Für Charley hatte Pauline in Little Valley ein neues bequem eingerichtetes
Aufseherhaus bauen lassen, und dieser schien dort mit seiner Mary wie der Vogel im
Hanfsamen zu leben. Die Schwarzen hatten einen heiligen Respect vor seiner
Körperkraft bekommen, als er einen riesigen Neger, den bei dem frühern Aufseher keine
Peitsche zur Arbeit hatte bringen können, wenn er nicht gewollt, wie ein Stück Holz
über die Feldeinzäunung geworfen und ihm erklärt hatte, daß wer nicht arbeite auch
nicht essen solle, und daß wenn der Faullenzer verhungere, er es sich selbst
zuzuschreiben habe – als schon nach kurzer Zeit der Neger wie ein Bulldog, der seinen
Meister gefunden, scheu herangeschlichen war und von selbst zur Arbeit gegriffen
hatte.
»Ja, was soll es werden?« hatte bei einem gemeinschaftlichen Ritte Doctor Ford zu Helmstedt gesagt; »das Frauerjahr für unser Kind ist bald um, und Sie scheinen mir auf etwas Anderes loszustudiren, als hier bei uns Baumwolle zu pflanzen.«
»Ja, was soll es werden, wissen Sie einen Rath für uns, Doctor? Pauline und ich sind Tannenbäume, die, wenn sie hierher versetzt werden, unter dem milden Himmel und in dem reichen Boden wol leben, aber niemals sich recht entwickeln können.«
»Ich habe das gewußt und mich schon eine Zeitlang damit herumgeschlagen,« hatte der
Doctor erwidert. »Für den Verkauf eines so werthvollen Tigenthums muß ruhig die Zeit
abgewartet werden, und es zu zerreißen, wäre so jammerschade, daß ich glaube, der
alte Morton würde sich darüber im Grabe umkehren. Eine sichere Verpachtung wird das
Vortheilhafteste für Sie sein, und Ihnen mehr einbringen, als vielleicht die eigene
Bewirthschaftung. Ich will, damit Sie eine Sicherheit haben, die ganze Geschichte auf
mich nehmen. Ich will Ihnen gestehen, daß ich einen jungen Menschen in der Welt
herumlaufen habe, dem ich wahrscheinlich einmal meine paar Kapitalien vermache, und
hier
Es war ein schweres Stück Arbeit für Helmstedt gewesen, den Auftrag des Doctors auszuführen – es war das erste Mal, daß er der jungen Wittwe gegenüber deren Vermögensverhältnisse berühren sollte. Aber schon bei seinem ersten Worte gegen sie, das wol mehr gezwungen gesprochen worden war, als daß er es hätte verbergen können, war sie aufgesprungen.
»Jetzt kommt es, ich habe es lange ängstlich erwartet!« hatte sie gerufen. »Sage mir, August, wenn ich deine Frau werden soll, mußt du mich nicht hinnehmen, mit allem Bösen und Guten, was an mir ist? Weißt du nicht, daß wenn jetzt noch dem Stolz größer sein würde, als deine Liebe zu mir, ich sterben müßte? Rede nicht ein einziges Wort zu mir über Alles, was doch nun einmal so ist und was ich nicht mehr ändern kann; verfüge darüber, verschenke, verkaufe, thue was du willst, aber laß mich nie wieder ein Gesicht sehen wie jetzt, das mich an den unglücklichsten Tag meines ganzen Lebens mahnt.«
Es war ein Ausdruck von unendlicher Liebe, der sich in diesen letzten Worten aussprach, – Helmstedt kannte den Tag, den sie meinte, den Tag, an welchem er in New-York ihr volles Herz in falschem Stolz von sich gewiesen, den Tag, an welchem sie nach langem Seelenkampfe sich entschlossen hatte, den alten Pflanzer zu heirathen – und Helmstedt hatte keine Einwendung mehr zu machen gehabt, hatte sie in seine Arme genommen und, sie küssend, gesagt:
»Ich will dein Verwalter sein, Pauline, und also kein Wort mehr darüber.«
Einen Monat darauf hatte die stille Trauungsfeier zwischen
»Es ist doch eigentlich sonderbar,« sagte der Schwarze, welcher das Gepäck auf den Wagen lud, um es nach dem Landungsplatze der Dampfboote zu bringen, zu der helfenden Mulattin; »als sich Master Helmstedt verheirathete, that ich's auch; als ihm seine Frau fortlief, ging meine auch mit davon – jetzt hat er sich neu verheirathet und ich auch – meinst du, daß die Sachen jetzt halten werden?«
»Wenn du gescheid bist, ja!« erwiderte die Mulattin, und gab ihm davonspringend einen Schlag auf den Kopf, »sonst aber kümmere ich mich nicht darum, was die Herrschaft thut und gehe meinen eigenen Weg.«
Cäsar sah ihr mit einem fröhlichen Grinsen nach
»Ich denke, es wird halten, bei mir wie beim Master!« sagte er dann kopfnickend und fuhr in seiner Arbeit fort.
Henry Herz hatte seine Concerte in New-York angekündigt und der Theatersaal, in dem er sich hören ließ, war schon fast eine Stunde vor dem Beginn mit der fashionablen Welt gefüllt. Besonders war die südliche Aristokratie vertreten, welche fast sämmtlich von ihrem Sommeraufenthalt in den Bädern des Ostens nach New-York gekommen war, um den großen Pianisten zu hören.
In einer Loge des ersten Ranges saß noch allein ein junges elegantes Paar, das gegen eitig einzelne Bemerkungen über die Personen und Gegenstände, welche sich dem Auge darboten, austauschte, während an der Brüstung ein halberwachsener Knabe lehnte und mit unverhohlener Bewunderung seine großen schwarzen Augen über die Pracht um sich her laufen ließ.
»Ich habe Cäsar gesagt, daß er bei Zeiten mit dem
»Ich gehe gern mit, August,« erwiderte die junge Frau; »die Familie ist gewissermaßen für uns die Thür in die gute Gesellschaft New-Yorks gewesen, und ich habe schon eine ganze Anzahl angenehmer Bekanntschaften dort gemacht.«
»Dort unten sitzt auch Meier mit der Muhme Rebecke!« wandte sich jetzt der Knabe von der Brüstung zurück.
Helmstedt nickte freundlich.
»Ich habe lange nichts von ihm gehört,« sagte er, »weißt du, mit was er sich jetzt beschäftigt?«
»Kann's nicht recht sagen, Sir,« erwiderte der Gefragte; »er treibt sich in Wallstreet unter den Geldwechslern herum, und Muhme Rebecke sagte, sie wünsche nur, daß es mit seinem Hochmuth kein böses Ende nehme.«
In diesem Augenblick öffnete sich, ein Stück von dem jungen Paare entfernt, eine Logenthür und beide sahen mechanisch hin. Hart an der Brüstung setzte sich eine bildhübsche, junge Frau nieder, an deren Seite ein junger Elegant mit einem gewissen Selbstbewußtsein Platz nahm.
»Mr. und Mrs. Nelson!« sagte Helmstedt überrascht, »ich wußte nicht, daß sie schon verheirathet sind, wie es scheint.«
Pauline war einen Schatten blässer geworden.
»Was meinst du, Pauly,« wandte sich Helmstedt mit einem launigen Lächeln an sie, »wäre es nicht artig, wenn ich sie als gewesene Landsleute begrüßte?«
»August, wenn du gehen würdest –« rief sie, mit einem Ausdruck von halbem Bangen zu ihm aufsehend.
»O, du mißtrauisches Kind!« sagte er mit einem leisen,
Sie sah mit einem zärtlichen Lächeln zu ihm auf.
»Sieh, August!« erwiderte sie, seine Hand fest drückend, »wer erst durch Schmerzen und Kämpfe sich hat ein Gut erringen müssen, der fürchtet immer, wieder etwas davon zu verlieren, und sei es auch nur den kleinsten Theil!«
Aus dem Orchester ließ sich das Klopfen des Dirigentenstabes hören, Stille verbreitete sich über die versammelte Menge und in mächtigen Akkorden nahm die Ouvertüre ihren Anfang.
Ende.