Die Ihr gleich goldnen Blumen auf zertretnem Feld wieder aufsprosset zuerst! In fröhlichen Zukunftsträumen der Muttererde huldigt, harrend voll heiligem Glauben, daß endlich Eurer Ahnung Gebild vollende der Genius und Fesseln der Liebe Euch umlege und großer Männer Unsterblichkeit in den Busen Euch säe. –
Die Ihr immer rege, von Geschlecht zu Geschlecht, in der Not wie in des Glückes Tagen auf Begeistrungspfaden schweift; in Germanias Hainen, auf ihren Ebnen und stolzen Bergen, am gemeinsamen Kelch heiligkühner Gedanken Euch berauschend, die Brust erschließt und mit glühender Träne im Aug Bruderliebe schwört einander, Euch schenk ich dies Buch.
Euch Irrenden, Suchenden! Die Ihr hinanjubelt den Parnassos, zu Kastalias Quell; reichlich der aufbrausenden Flut zu schöpfen den Heroen der Zeit und auch den Schlafenden im schweigenden Tal, schweigend, feierlichen Ernstes die Schale ergießt.
Die Ihr Hermanns Geschlecht Euch nennt, Deutschlands Jüngerschaft! – Dem Recht zur Seite, klingenwetzend der Gnade trotzt; mit Schwerterklirren und der Begeistrung Zuversicht der Burschen Hochgesang anstimmt:
»Landesvater, Schutz und Rater!«
Mit flammender Fackel, donnernd ein dreifach Hoch dem Herrscher, dem Vaterland, dem Bruderbunde jauchzt, und:
»Strömen gleich, zusammenrauschet in ein gewaltig Heldenlied.«
Ihr, die mit Trug noch nicht nach nichtiger Hoffnung jagtet! – Wenn der Philister Torengeschlecht den Stab Euch bricht, so gedenket, Musensöhne, daß ihre Lärmtrommel des leuchtenden Pythiers Geist nicht betäubt; keine Lüge haftet an ihm, keine Tat, kein Gedanke! Er ist wissend! – Und lenkt, daß, unberührt von des Gesetzes Zwang, schnellen feurigen Wachstums, das Göttliche erblühe und in der Zeiten Wechsel ein milder Gestirn über Euch hinleuchte.
Der Plaudergeist in meiner Brust hat immerfort geschwätzt mit Dir, durch den ganzen holperigen Wald bis auf den Trages, wo alles schon schlief, sie wachten auf und sagten, es wäre schon ein Uhr vorbei, auf dem Land blasen sie abends die Zeit aus wie eine Kerz, die man sparen will. Wie ich erzählte, daß Du mitgefahren warst bis Hanau, da hätten sie Dich all gern hier haben wollen, ein jeder für sich allein, da wär ich doch um Dich gekommen. Durch Dich feuert der Geist, wie die Sonn durchs frische Laub feuert, und mir geht's wie dem Keim, der in der Sonn brütet, wenn ich an Dich denken will, es wärmt mich, und ich werd freudig und stolz und streck meine Blätter aus, und oft bin ich unruhig und kann nicht auf einem Platz bleiben, ich muß fort ins Feld, in den Wald; – in freier Luft kann ich alles denken, was im Zimmer unmöglich war, da schwärmen die Gedanken über die Berg, und ich seh ihnen nach.
Alles ist heut nach Meerholz gefahren zum Vetter mit der zu großen Nas, ich bin allein zu Haus, ich hab gesagt, ich wollt schreiben, aber die Hauptursach war die Nas.
Eben komm ich aus der Lindenallee, ich hab das ganze Gewitter mitgemacht, die Bäum geben gut Beispiel, wie man soll standhaft sein im Ungewitter, Blitz und Donner hintereinander her, bis sie außer Atem waren, nun ruhen alle Wälder. Ich war gleich naß, und so warm der Regen, hätt's nur stärker noch regnen wollen, aber bald war's schön Wetter, und der Regenbogen auf dem Saatfeld, ich war wohl eine halbe Stund weit gelaufen und ihm doch nicht näher gekommen, da fiel mir ein, daß man oft denkt, es wär so nah alles, was man gern erreichen möcht, und wie man mit allem Eifer doch nicht näherrückt. Wenn nicht die Schönheit vom Himmel herab uns überstrahlt, von selbst ihr entgegenlaufen ist umsonst, – ich hab den ganzen Nachmittag verlaufen, eben kommen sie schon angefahren.
Sonntag
Gestern ging ich noch allein in der Dunkelheit durchs Feld. Da fiel mir wieder ein
alles, was wir am Sonntag von Frankfurt bis Hanau im Wagen zusammen geredet haben;
– wer von uns beiden zuerst sterben wird. Jetzt bin ich schon acht Tag hier, unser
Gespräch klingt noch immer nach in mir. »Es gibt ja noch Raum außer dieser kleinen
Tags- und Weltgeschichte, in dem die Seel ihren Durst, selbst etwas zu sein,
löschen dürfe«,
Bettine
Ich habe die Zeit über recht oft an Dich gedacht, liebe Bettine. Vor einigen Nächten träumte mir, Du seist gestorben, ich weinte sehr darüber und hatte den ganzen Tag einen traurigen Nachklang davon in meiner Seele. Als ich den Abend nach Hause kam, fand ich Deinen Brief; ich freute mich und wunderte mich, weil ich glaubte, einen gewissen Zusammenhang zwischen meinen Träumen und Deinen Gedanken zu finden.
Gestern abend ist Clemens hier angekommen, ich wollte, Du wärst hier, es würde ihm viel behaglicher und heimlicher sein, ich glaube, wenn Du nicht bald hierher kömmst, so geht er nach Trages.
In diesem ganzen Brief ist wohl noch kein einziges Wort, was Dich erfreut? Du drehst das Blatt herum und siehest, ob nicht eine Art von russischem Kabriolett gefahren kommt; aber es will nichts kommen; weißt Du, warum? Weil ich Ihn in der ganzen Zeit nur zwei Minuten gesehen habe; weil Er geritten kam, und weil Er kein vernünftiges Wort gesprochen hat. Sei lustig, Bettine, und laß Dir nicht mit Kabrioletts im Herzen herumfahren.
Grüße den Savigny recht freundlich von mir, erinnere ihn doch zuweilen an mich, ich habe ihn sehr lieb, aber nach Trages komme ich doch nicht.
Tue mir den Gefallen und frage die Sanchen, ob ich nicht einen Chignonkamm und eine Kette in Trages hätte liegen lassen? – Wenn Du noch nicht bald wieder zu uns kommst, so schreibe mir wieder, denn ich habe Dich lieb, sage mir auch, wie Ihr lebt.
Karoline
Grüße doch auch die Gundel von mir. Auf meiner Heimfahrt von Hanau hab ich das
Gespräch gedichtet, es ist ein bißchen vom Zaun gebrochen. –
SCHÜLER. Weiser Meister! Ich war in den Katakomben der Schwedenkönige, ich nahte mich dem Sarg des Gustav Adolf mit sonderbarem schmerzlichem Gefühl, seine Taten gingen an meinem Geist vorüber, ich sah zugleich sein Leben und seinen Tod, seine überschwengliche Tatkraft und die tiefe Ruhe, in der er schon dem zweiten Jahrhundert entgegenschlummert; ich rief mir die grausenvolle Zeit zurück, in der er lebte, mein Gemüt glich einer Gruft, aus der die schwankenden Schatten der Vergangenheit heraufsteigen. Ich weinte so heiße Tränen seinem Tod, als sei er heute erst gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! sagte ich mir, sind dies des großen Lebens Früchte alle? – Ach! – Ich mußte die Gruft verlassen, ich suchte Zerstreuung, ich suchte andre Schmerzen, aber der unterirdische trübe Geist verfolgt mich, ich kann die Wehmut nicht loswerden, die wie ein Trauerflor über meine Gegenwart sich legt, dies Zeitalter ist mir nichtig und leer, sehnlich und gewaltig zieht mich's in die Vergangenheit dahin! Vergangen, so ruft mein Geist. O möcht ich mit vergangen sein und diese schlechte Zeit nie gesehen haben, in der die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren ist. –
LEHRER. Verloren ist nichts, junger Schüler, und in keiner Weise, nur das Auge vermag nicht des Grundes unendliche Folgenkette zu übersehen. Aber willst du auch dies nicht bedenken, du kannst doch nicht verloren nennen und dahin, was so mächtig auf dich wirkt; – dein eigen Geschick, die Gegenwart bewegen dich so heftig nicht wie das Andenken des großen Königs, lebt er da nicht jetzt noch mächtiger in dir als die Gegenwart, oder nennst du nur Leben, was im Fleisch und im Sichtbaren fortlebt, und ist dir dahin und verloren, was noch in Gedanken wirkt und da ist? –
SCHÜLER. Wenn es Leben ist, so ist es doch nicht mehr als Schattenleben, dann ist die Erinnerung des Gewesenen mehr als die bleiche Schattenwirklichkeit.
LEHRER. Gegenwart ist ein flüchtiger Augenblick, sie vergeht, indem du sie erlebst, des Lebens Bewußtsein liegt in der Erinnerung, in diesem Sinn nur kannst du Vergangnes betrachten, gleichviel ob es längst oder eben nur vorging.
SCHÜLER. Du sprichst wahr! – So lebt denn ein großer Mensch nicht nach seiner Weise in mir fort, sondern nach der meinen. Wie ich ihn aufnehme, wie und ob ich mich seiner erinnern mag? –
LEHRER. Freilich lebt das nur fort in dir, was dein Sinn befähigt ist aufzunehmen,
insofern es Gleichartiges mit dir hat, das Fremdartige in dir tritt nicht mit ihm
in Verbindung, darauf kann er nicht wirken, und mit
SCHÜLER. So muß ich glauben, nichts gehe verloren, da alle Ursachen in ihren Folgen fortleben, daß sie aber nur wirken auf das, was Empfänglichkeit oder Sinn für sie hat. – Der Welt mag genügen an diesem Nichtverlorensein, an dieser Art fortzuleben, mir ist es nicht genug, ich möchte zurück in der Vergangenheit Schoß, ich sehne mich nach unmittelbarer Verbindung mit den Manen der großen Vorzeit.
LEHRER. Hältst du es denn für möglich? –
SCHÜLER. Ich hielt es für unmöglich, als noch kein Sehnen mich dahin zog, gestern hätte ich noch jede Frage danach für töricht gehalten, heute wünsche ich schon, die Verbindung mit der Geisterwelt wäre möglich, ja mir deucht, ich wäre geneigt, sie glaublich zu finden.
LEHRER. Mir deucht, die Manen des großen Gustav Adolf haben deinem innern Auge zum Lichte verholfen. So vernehme mich denn. So gewiß alles Harmonische in Verbindung stehet, es mag sichtbar oder unsichtbar sein, so gewiß sind auch wir in Verbindung mit dem Teil der Geisterwelt, der mit uns harmoniert. Ähnliche Gedanken verschiedener Menschen, auch wenn sie nie voneinander wußten, ist in geistigem Sinn schon Verbindung, der Tod eines Menschen, der in solcher Berührung mit mir stehet, hebt sie nicht auf; der Tod ist ein chemischer Prozeß, eine Scheidung der Kräfte, aber kein Vernichter, er zerreißt das Band zwischen mir und ähnlichen Seelen nicht, aber das Fortschreiten des einen und das Zurückbleiben des andern kann wohl diese Gemeinschaft aufheben, wie einer, der in allem Trefflichen fortgeschritten ist, mit dem unwissend gebliebnen Jugendfreund nicht mehr zusammenstimmen wird. Du wirst dies leicht ganz allgemein und ganz aufs besondere anwenden können.
SCHÜLER. Vollkommen! – Du sagst, Harmonie der Kräfte ist Verbindung, der Tod hebt diese Verbindung nicht auf, da er nur scheidet und nicht vernichtet.
LEHRER. Ich fügte hinzu, das Aufheben dessen, was diese Harmonie bedingt, müßte auch notwendig diese Verbindung aufheben – eine Verbindung mit Verstorbenen kann also statthaben, insofern sie nicht aufgehört haben, mit uns zu harmonieren.
SCHÜLER. Ich kann es fassen.
LEHRER. Es kommt nur darauf an, diese Verbindung gewahr zu werden. Bloß geistige
Kräfte können unsern äußern Sinnen nicht offenbar werden, sie wirken nicht durch
Aug und Ohr, sondern durch das Organ, durch das allein eine Verbindung mit ihnen
möglich ist; durch den innern Sinn, auf ihn wirken sie unmittelbar. Dieser innere
Sinn, das tiefste und feinste Seelenorgan, ist bei fast allen Menschen
unentwickelt und nur dem Keim nach da. – Das Weltgeräusch, der Menschheit Handel
und Wandel, der nur oberflächlich und nur die Oberfläche berührt, lassen es zu
keiner Ausbildung, zu keinem Bewußtsein kommen, so wird es nicht erkannt, und
Wessen Geistesauge Licht auffängt, der sieht dem andern unsichtbare, mit ihm verbundene Dinge. Aus diesem innern Sinn sind die Religionen hervorgegangen, und so manche Apokalypsen alter und neuer Zeit. Aus dieser Sinnenfähigkeit, Verbindungen wahrzunehmen, die andere, deren Geistesauge verschlossen ist, nicht fassen, entsteht die prophetische Gabe, Gegenwart und Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden, den notwendigen Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen zu sehen. Prophezeiung ist Sinn für die Zukunft. Man kann die Wahrsagerkunst nicht erlernen, der Sinn für sie ist geheimnisvoll, er entwickelt sich geheimnisvoller Art; er offenbart sich oft nur wie ein schneller Blitz, der dann von dunkler Nacht wieder begraben wird. Man kann Geister nicht durch Beschwörung rufen, aber sie können dem Geist sich offenbaren, das Empfängliche kann sie empfangen, dem inneren Sinn können sie erscheinen. –
Der Lehrer schwieg und sein Zuhörer verließ ihn. Mancherlei Gedanken bewegten sein Inneres, und seine ganze Seele strebte, sich das Gehörte zum Eigentum zu machen.
Du weißt, daß der Bostel hier ist, – der läuft mir immer nach und sagt: »Bettine,
warum sind Sie so unliebenswürdig?« – Ich frag: »Wie soll ich's machen, um
liebenswürdig zu sein?« – »Sein Sie wie Ihre Schwester Loulou, sprechen Sie ruhig
mit einem und bezeigen Sie doch nur ein klein wenig Teilnahme an, was man Ihnen
sagt, aber wenn man Sie auch aus Mitleid wie ein Mädchen, das schon was bedeutet,
behandlen wollt, es ist nicht möglich. Sie haben nicht weniger Unruh als eine
junge Katz, die einer Maus nachläuft; derweil man Ihnen die Ehre antut, mit Ihnen
zu sprechen, klettern Sie auf Tisch und Schränken herum, Sie steigen zu den alten
Familienporträten und scheinen weit mehr Anteil an deren Gesichter zu nehmen als
an uns Lebenden.« – »Ja, Herr von Bostel, das ist bloß, weil die dort so ganz
übersehen und vergessen sind, weil kein Mensch mit denen spricht, da geht's mir
grade, wie es Ihnen mit mir geht. Aus Mitleid,
Ich hätt Dir die Dummheiten nicht erzählt, wenn's nicht einen großen Lärm gegeben hätt, der Clemens wollte das vom guten Bostel nicht haben, sie redeten so heftig hin und her von Schelmufsky und dem Großmogul, und im kleinen Häuschen, wo sie zusammen hingegangen waren, ward es so laut, daß es sich von weitem wie Streit anhörte, ich ging hinunter und wartete, bis der Bostel herauskam, der war ganz erhitzt, ich nahm alles auf mich und bat um Verzeihung, daß ich so unartig gewesen sei, und was weiß ich, was ich alles sagte, bis er endlich versprach, mit dem Clemens nicht mehr bös zu sein, und wenn ich meine Unart eingestehe, so wolle er mir verzeihen. – Ich gestand alles zu, dachte aber doch heimlich, was der vor ein possierlicher Kerl wär; der Clemens kam dazu, da ward von beiden Seiten die Schuld auf mich geschoben; ich ließ es ohne Widerspruch geschehen und besänftigte beide, sie gaben einander die Hand und mir gute Lehren.
Die Menschen sind gut, ich bin es ihnen von Herzen, aber wie das kommt, daß ich
mit niemand sprechen kann? – Das hat nun Gott gewollt, daß ich nur mit Dir zu Haus
bin. – Die Manen les' ich immer wie der, sie wecken mich recht zum Nachdenken. Du
meinst, daß Dir die Sprache nicht drin gefällt? – Ich glaub, daß große Gedanken,
die man zum erstenmal denkt, die sind so überraschend, da scheinen einem die Worte
zu nichtig, mit denen man sie aufnimmt, die suchen sich ihren Ausdruck, da ist man
als zu zaghaft, einen zu gebrauchen, der noch nicht gebräuchlich ist, aber was
liegt doch dran? Ich wollt immer so reden, wie es nicht statthaft ist, wenn es mir
näher dadurch kommt in der Seel, ich glaub gewiß, Musik muß in der Seele walten,
Stimmung ohne Melodie ist nicht fließend zu denken; es muß etwas der Seele so
recht Angebornes geben, worin der Gedankenstrom fließt. – Dein Brief ist ganz
melodisch zu mir, viel mehr wie Dein Gespräch. »Wenn Du noch nicht bald wieder zu
uns kommst, so schreibe mir wieder, denn ich habe Dich lieb.« Diese Worte haben
einen melodischen Gang, und dann: »Ich habe die Zeit über recht oft an Dich
gedacht, liebe Bettine! Vor einigen Nächten träumte mir, Du seiest gestorben, ich
weinte sehr darüber und hatte den ganzen Tag einen traurigen Nachklang davon in
meiner Seele.« Ich auch, liebstes Günderödchen, würde sehr weinen, wenn ich Dich
sollt hier lassen müssen und in eine andre Welt gehen, ich kann mir nicht denken,
daß ich irgendwo ohne Dich zu mir selber kommen möcht. Der musikalische Klang
jener Worte äußert sich wie der Pulsschlag Deiner Empfindung, das ist lebendige
Liebe, die fühlst Du für mich. Ich
Weißt Du, wie mir's wird? – Dreherig – Schwindel krieg ich in den Kopf, und dann,
weißt Du noch? – Ich schäm mich, – ja ich schäm mich, so mit Hacken und Brecheisen
in die Sprach hineinzufahren, um etwas da herauszubohren, und daß ein Mensch, der
gesund geboren ist, sich ordentliche Beulen an den Kopf denken muß und allerlei
physische Krankheiten dem Geist anbilden. – Glaubst Du, ein Philosoph sei nicht
fürchterlich hoffärtig? – Oder wenn er auch einen Gedanken hat, davon wär er klug?
– O nein, so ein Gedanke fällt ihm wie ein Hobelspan von der Drechselbank, davon
ist so ein weiser Meister nicht klug. Die Weisheit muß natürlich sein, was braucht
sie doch solcher widerlicher Werkzeuge, um in Gang zu kommen, sie ist ja lebendig?
– Sie wird sich das nicht gefallen lassen. – Der Mann des Geistes muß die Natur
lieben über alles, mit wahrer Lieb, dann blüht er, – dann pflanzt die Natur Geist
in ihn. Aber ein Philosoph scheint mir so einer nicht, der ihr am Busen liegt und
ihr vertraut und mit allen Kräften ihr geweiht ist. – Mir deucht vielmehr, er geht
auf Raub, was er ihr abluchsen kann, das vermanscht er in seine geheime Fabrik,
und da hat er seine Not, daß sie nicht stockt, hier ein Rad, dort ein Gewicht,
eine Maschine greift in die andere, und da zeigt er den Schülern, wie sein
Perpetuum Mobile geht, und schwitzt sehr dabei, und die Schüler staunen das an und
werden sehr dumm davon. – Verzeih mir's, daß ich so fabelig Zeug red, Du weißt,
ich hab's mit meinem Abscheu nie weiter gebracht, als daß ich erhitzt und
schwindelig geworden bin davon, und wenn die großen Gedanken Deines Gesprächs vor
mir auftreten, die doch philosophisch sind, so weiß ich wohl, daß nichts Geist ist
als nur Philosophie, aber wend's herum und sag: Es ist nichts Philosophie, als nur
ewig lebendiger Geist, der sich nicht fangen, nicht beschauen noch überschauen
läßt, nur empfinden, der in jedem neu und ideal wirkt, und kurz: der ist wie der
Äther über uns. Du kannst ihn auch nicht fassen mit dem Aug, Du kannst Dich nur
von ihm überleuchtet, umfangen fühlen, Du kannst von ihm leben, nicht ihn für Dich
erzeugen. Ist denn der Schöpfernatur ihr Geist nicht gewaltiger als der Philosoph
mit seinem Dreieck, wo er die Schöpfungskraft drin hin und her stößt, was will er
doch? – Meint er, diese Gedankenaufführung sei eine unwiderstehliche Art, dem
Naturgeist nahzukommen?
Bettine
Es kömmt mir bald zu närrisch vor, liebe Bettine, daß Du Dich so feierlich für meinen Schüler erklärst, ebenso könnte ich mich für den Deinen halten wollen, doch macht es mir viele Freude, und es ist auch etwas Wahres daran, wenn ein Lehrer durch den Schüler angeregt wird, so kann ich mit Fug mich den Deinen nennen. Gar viele Ansichten strömen mir aus Deinen Behauptungen zu und aus Deinen Ahnungen, denen ich vertraue, und wenn Du so herzlich bist, mein Schüler sein zu wollen, so werd ich mich einst wundern, was ich da für einen Vogel ausgebrütet habe.
Deine Erzählung vom Bostel ist ganz artig, nichts lieber tust Du, als die Sünden
der Welt auf Dich nehmen, Du trägst keine Last an ihnen, sie beflügeln Dich
vielmehr zu Heiterkeit und Mutwillen, man könnte denken, Gott habe selber sein
Vergnügen an Dir. Aber dahin wirst du es nicht bringen, daß die Menschen Dich als
etwas Bessers achten, als sie selber
Ich habe mit wahrem Vergnügen Dir Dein Zimmer dargestellt, weil es wie ein optischer Spiegel Deine aparte Art zu sein ausdrückt, weil es Deinen ganzen Charakter zusammenfaßt; Du trägst allerlei wunderlich Zeug zusammen, um eine Opferflamme dran zu zünden, sie verzehrt sich, ob die Götter davon erbaut sind, das ist mir unbekannt.
Karoline
(Ein apokalyptisches Fragment)
1. Auf hohem Fels im Mittelmeer stand ich, vor mir der Ost, hinter mir der West, und der Wind ruhte auf der See.
2. Die Sonne sank, kaum war sie verhüllt im Niedergang, enthüllte im Aufgang sich das Morgenrot; Morgen, Mittag, Abend und Nacht jagten in schwindelnder Eile um des Himmels Bogen.
4. Ich wollte ins Morgenrot mich stürzen oder mich tauchen in die Schatten der Nacht, eilend mit ihr dahinströmend, um nicht so langsam zu leben, aber im Schauen versunken ward ich müde und entschlief.
5. Da sah ich ein Meer vor mir, von keinem Ufer umgeben, nicht im Ost, noch Süd, noch West, noch im Nord; kein Windstoß bewegte die Wellen, aber in ihren Tiefen bewegte sich, wie von innerer Gärung gereizt, die unermeßliche See.
6. Und mancherlei Gestalten stiegen auf aus dem tiefen Meeresschoß, und Nebel stiegen auf und senkten sich in Wolken, und in zuckenden Blitzen berührten sie die gebärenden Wogen.
7. Und immer mannigfaltiger entstiegen der Tiefe Gestalten, mich ergriff Schwindel und Bangheit, meine Gedanken wurden hiehin und dorthin getrieben, wie eine Fackel vom Sturmwind, bis meine Erinnerung erlosch.
8. Als ich wieder erwachte und von mir zu wissen anfing, da besann ich mich nicht, ob ich Jahrhunderte oder Minuten geschlafen, denn in den dumpfen, verworrenen Träumen war mir nichts begegnet, was mich an die Zeit erinnert hatte.
9. Es war dunkel in mir, als habe ich geruht in dieses Meeres Schoß und sei wie andere Gestalten ihm entstiegen. – Ich schien mir ein Tropfen Taues, ich bewegte mich lustig in der Luft hin und wieder und freute mich, und mein Leben war, daß die Sonne sich in mir spiegle und die Sterne mich beschauten.
10. Ich ließ von den Lüften mich dahin tragen in raschen Zügen, ich gesellte mich zum Abendrot, zu des Regenbogens siebenfarbigen Tropfen, ich reihte mit meinen Gespielen mich um den Mond, wenn er sich bergen wollte, und begleitete seine Bahn.
11. Die Vergangenheit war mir dahin, nur der Gegenwart gehörte ich an, eine Sehnsucht war in mir, die ihr Begehren nicht kannte, ich suchte immer, und was ich fand, war nicht das Gesuchte, und sehnend trieb ich mich umher im Unendlichen.
12. Einst ward ich gewahr, daß alle die Wesen, die dem Meer entstiegen waren, wieder zu ihm zurückkehrten und in wechslenden Formen sich wieder erzeugten. Mich befremdete diese Erscheinung, denn ich hatte von keinem Ende gewußt. Da dachte ich, meine Sehnsucht sei auch, zurückzukehren zu der Quelle des Lebens.
13. Und da ich dies dachte und lebendiger fühlte als all mein Bewußtsein, ward plötzlich mein Gemüt wie mit betäubenden Nebeln umfangen. Aber sie schwanden bald, ich schien mir nicht mehr ich, meine Grenzen konnte ich nicht mehr finden, mein Bewußtsein hatte ich überschritten, es war größer, anders, und doch fühlte ich mich in ihm.
14. Erlöset war ich von den engen Schranken meines Wesens und kein
15. Drum wer Ohren hat zu hören, der höre! Es ist nicht zwei, nicht drei, nicht Tausende, es ist eins und alles; es ist nicht Leib und Geist geschieden, daß das eine der Zeit, das andere der Ewigkeit angehöre, es ist eins, gehört sich selbst und ist Zeit und Ewigkeit zugleich und sichtbar und unsichtbar, bleibend im Wandel, ein unendliches Leben.
Wie wir hier leben, das will ich Dir erzählen. Morgens kommen wir alle im Schlafzimmer von Savignys zusammen. Da wird gegalert und als ein bißchen Krieg mit Kopfkissen und Rouleaux geführt, und im Nebenzimmer wird gefrühstückt dabei. Wir nehmen uns zwar sehr in acht, den großen Savigny zu treffen, aber er ist gescheut, wenn's Gefecht heiß wird, da zieht er sich zurück. Später zerstreut sich alles. Wir sind auch jetzt schon zweimal geritten, ich bin beidemal heruntergefallen, einmal wie wir bergauf ritten und einmal vor Lachen. Nachmittags gehen wir manchmal in den Wald, und Savigny liest vor, da hab ich meine Not mit dem Zuhören, auf dem Waldrasen hab ich gar zu viel Zerstreuung, alle Augenblick ist ein Kräutchen oder ein Spinnchen oder ein Räupchen oder ein Sandsteinchen, oder ich bohr ein Löchelchen in die Erd und find allerlei da, der Savigny sagt, ich sei hoffärtig und wollt nicht zuhören, er kann's nicht leiden, drum setz ich mich hinter seinen Kopf, da merkt er's als nicht. Wir gehen auch als auf die Jagd, und ich nehm die kleine Flint, ich schieß aber immer, was Du wohl weißt, wonach ich immer auf die Jagd geh, Hirngespinste aus der Luft, gestern wollte mir der Bostel lehren, nach den Vögelchen zielen, ich schoß, und das Vögelchen fiel herunter, ich dacht gar nicht, daß ich's treffen würde, ich war sehr erschrocken, aber der Bostel machte so großen Lärm von meinem scharfen Blick, und die andern lobten mich alle, daß ich so gut ziele, daß ich meine Reue über diesen ersten Mord nicht merken ließ. Ich nahm das Vögelchen in die Hand, wo es vollends erkaltete, in der Nachtstille hab ich's begraben unter dem Fenster von Deiner Schlafkammer und nicht ohne schwere Nachgedanken; wahrlich, ich hab es nicht mit Willen getan, aber doch mit Leichtsinn. Was liegt am Vogel, alle Jäger schießen ihn ja! – Aber ich nicht, ich hätt es niemals getan, aus dem Laub, in seiner heiteren Lebenszeit den Vogel herunterzuschießen, den Gott mit der Freiheit des Flugs begabt hat. Gott schenkt ihm die Flügel, und ich schieß ihn herunter, o nein, das stimmt nicht!
Eben kommt Dein Brief an, Deinen Kamm und die Kette hast Du wohl erhalten? Ich hab
sie an Mienchen geschickt in einer kleinen Schachtel, Clemens hat einen kleinen
Brief beigeschlossen an Deine Schwester und
Bettine
Heut haben wir den 19. Mai, am 7. Mai hat's zum erstenmal gedonnert in diesem Jahr, das wird gerad gewesen sein, wo Du das verdammte apokalyptische Fieber hattest.
Noch vierzehn Tag bleiben wir, alles blüht, ein Abhang voll Kirschbäume, so
dunkelrote Stämmchen, so jung wie unsereins, ich geh alle Morgen früh hinaus und
such die Raupennester dort ab; soviel ich hinanreichen kann, bieg ich die Zweige
herab und brech die boshaften Raupennester heraus, sie sollen sich freuen dies
Jahr, die Bäume, und nicht mit kahlen Häuptern dastehen vor dem Herbst. – Ich tu's
auch, weil ich mich gegen Dich zusammennehmen will, hast Du Deine
Regenbogenkränzchen und Deine Mondkoterien, wo Du übers Bewußtsein hinausspazierst
und das Heimkehren vergißt, mit Deiner Haiden, mit Deiner Nees, mit Deiner Lotte
Serviere Reigen im Sternennebel tanzest, so hab ich meine einsame Unterredungen
mit den jungen Erbskeimen und mit den Mirabellen und Reineclauden und Kirschbäumen
in der Blüte, und gestern war ich mit dem Gingerich drauß am Goldweiher, da haben
wir eine Hütte gemacht von Moos, da haben die zwei jungen Wiedertäufer geholfen,
der mit dem braunroten Bart, der so stolz drauf ist; der schöne Hans und der
blonde Georg; sie ließen beide ihre Pflüge stehen und kamen heran, mir zu helfen,
und schnitten mir Tannenäste herunter, und alles, was ich Loses an mir hatte,
damit hab ich die Äste festgebunden, mit meiner hellblauen Schärpe und mit dem
rosa Halstuch, wovon Du die andre Hälfte hast, hab ich sie zusammengeknüpft, und
am Nachmittag kam der Savigny heraus und legte sich in die Hütte, sehr vergnügt,
und ich las vor, Gedichte vom Bruder Anton, eine Wasserreise nach den
verschiedenen Sauerbrünnchen und ein Gedicht auf Euphrosyne Maximiliane und eine
philosophische Abhandlung von einem gläsernen Esel, der auf einer blumenreichen
Wiese sich sattgefressen hatte, und dem die seltensten Blumen durch den Bauch
schimmern und ihn so verschönen, daß er die Bewunderung aller Laubfrösche ist, die
alle auf ihn hinaufhüpfen und sich vergebens abmühen, in diesem schönen
Blumenlabyrinth herumzuhüpfen, so müssen sie sich's vergehen lassen, weil der
gläserne Bauch es umschließt, und dann die Moral ist von dieser wunderbaren Fabel:
»Streben nach unmöglichen Genüssen hilft zu nichts und verdirbt die Zeit«, denn
einmal hatte Gott schon früher diese schöne Blumenweide
Den Savigny und alle hat die Geschichte des Anton höchlich amüsiert, es wurde noch viel gelacht und zuletzt unter Gesang beim Untergehen der Sonne nach Hause gewandert.
Ich wollte zwar früher zurückkommen, und mein Gewissen mahnt mich auch, nicht alles, was ich dort angefangen, solang aus den Augen zu lassen; aber es schleicht ein Tag nach dem andern so anmutig vorüber, und der Savigny ist so anmutig und kindisch, daß wir ihn nicht verlassen können, alle Augenblick hat eins ihm ein Geheimnis anzuvertrauen, der führt ihn in den Wald, der andre in die Laube, und die Gundel muß sich's gefallen lassen, und Gescheitsein ist gar nicht Mode, der Clemens hat ihm schon ein paar Wände mit abenteuerlichen Figuren vollgemalt, und Verse und Gedichte werden mit schwarzer Farbe an alle Wände groß geschrieben. Der Clemens hat Wieland, Herder, Goethe und die Prinzessin Amalie grau in grau gemalt und den Dir bekannten Vers dazu. – Heut muß ich aufhören, ich schick Dir eine Schachtel mit dem großen Maiblumenstrauß, schmücke Deinen Hausaltar und verrichte eine Andacht für mich, es ist meine liebste Blum. Geh in Dich und frag Dich, wer Dir am nächsten steht von allen Menschen; und frag Dich recht deutlich, wer sich am liebsten an Dein Herz schmiegt ohne große Anforderungen an ein hyperboräisches Glück, und da wirst Du sagen müssen, daß ich's bin, die allein das Recht hat, Dir nahzustehen, und wenn Du das nicht einsiehst, so ist der Schade mein, aber Dein auch.
Bettine
Der Aufsatz, der im Hemsterhuis lag
Es sind aber drei Dinge, aus diesen entspringt der Mensch, nicht nur ein Teil oder eine Erscheinung von ihm, sondern er selber mit allen Erscheinungen in ihm, und sein Same und Keim liegt in diesen drei Dingen, diese aber sind die Elemente, aus welchen die ganze erschaffne Natur sich in dem Menschen wieder bildet.
Das erste ist der Glaube, aus diesem entspringt der gewisse Teil des Menschen, nämlich der Leib oder das Kleid des Geistes; der Gedanke; dieser ist die Geburt und sichtliche Erscheinung des Geistes und eine Befestigung seines Daseins. Der Glaube aber ist Befestigung, und ohne diesen schwebt alles und gewinnt keine Gestalt und verfliegt in tausend Auswegen, die die erschaffende Natur noch nicht unter sich gebracht hat, so wie der Natur Eigenschaft aber ist, den ewigen Stoff, die Zeit zu bearbeiten, so ist jener ihre Eigenschaft, die Gestalt von sich abzustoßen und nicht anzunehmen, bis sie von der Natur in seligem Kampf besiegt ist.
Der Glaube aber ist die Erscheinung Gottes in der Zeit, der Glaube ist
Daher ist auch alles in dem Menschen, der die Erscheinung Gottes ist; daher begreift er einzig in sich Gott und den Glauben an ihn, weil sein Sein der Glaube ist, sein Wesen aber Gott.
Was also der Mensch erblickt mit seinen Augen außer sich, das ist Gottes Blick in ihm, was er aber hört mit seinen Ohren außer sich, das ist Gottes Stimme in ihm, was er aber fühlt mit seinem ganzen Leib und Geist außer sich, das ist Gottes Berührung, der Funke der Begeisterung in ihm, was aber in ihm ist, das erschafft und bildet aus ihm, was aber erschaffen und außer ihm ist, das spricht ihn an und bildet sich wieder in ihn hinein, in ihm aber liegt auch die Zeit, und es ist das Werk des Erschaffens nichts anders als die Zeit umwandlen in die Ewigkeit, wer aber die Zeit nicht umwandelt in die Ewigkeit oder die Ewigkeit herabziehet in die Zeit, der wirkt Böses, denn alles, was ein Ende nimmt, das ist böse.
Die Ewigkeit in die Zeit herabziehen aber heißt, wenn die Zeit der Ewigkeit mächtig wird, wenn die Nichtigkeit mächtiger wird als die Gewalt des Schaffens, wenn der Stoff des Meisters sich bemeistert, der ihn behandelt.
Böse ist also der Selbstmord, denn der Willen der Vernichtung ist zeitlich, und der Gedanke geht in sich selbst zugrund, weil er ein Kleid der Zeitlichkeit ist, nicht aber eine sichtbare Erscheinung des ewigen Geistes, und hier lehnt sich der Stoff – die Zeit, gegen seinen Meister (das Schicksal der Ewigkeit) auf.
Wenn man aber sagt, der Mensch ist im Guten geboren, so ist dieses wahr, weil er im Glauben geboren ist; wenn man aber sagt, er hat das Böse nicht, sondern er zieht es nur an, so ist dieses nicht wahr, denn er hat die Kraft, das Böse von sich zu stoßen, nicht aber es an sich zu ziehen, denn das Böse ist die Zeit, und sie dient zur Nahrung für das Göttliche und Ewige, die Zeit aber frißt die Ewigkeit und den Geist, der ewig sein soll, wenn er sich nicht ihrer bemächtigt und sich zur Nahrung nimmt; denn das ist das Böse, daß das Zeitliche, Irdische das ewige Himmlische verschlingt, das Gute aber ist, wenn das ewige Himmlische das Irdische in sich umwandelt und alles zu Gott in ihm macht.
Gott aber hat das Zeitliche nicht in sich, denn sein Sein ist die Umwandlung des Zeitlichen ins Himmlische, weil er aber ist, so ist die Ewigkeit.
Die Vernunft aber ist eine Säule, festgepflanzt in dem Menschen, sie ist aber ewig und also eine Stütze des Himmels, und wie sie eingegraben ist in uns und mit uns eins ist, so geht ihr Haupt in die Wolken, und in ihrer Wurzel liegt die Zeit, aber wie sich aus dem Stoff der Geist entwickelt, so entwickelt sich die Ewigkeit aus dieser Zeit und steigt in der Vernunft zur Ewigkeit, und der Mensch wird durch die Vernunft aus einem Irdischen ein Himmlisches.
Frankfurt
Melonen, Ananas, Feigen, Trauben und Pfirsich und die Fülle südlicher Blüten, die eben in Eurem Hause sorglich verpackt werden, haben mir Lust gemacht, Dir das Violen- und Narzissensträußchen (Wandel und Treue) beizulegen, ich hätte mich gern selbst mit hineingelegt. Der Heliotrop mit den Nelken und Jasmin zusammen ist ein aparter Strauß vom Gontard für Dich, er trug mir auf, es Dir zu melden. Es ist mir jetzt recht traurig, da Du fort bist. – Das Schicksal frönt Deiner Zerstreutheit, bei Euch auch ist ein ewiges Wandern, Kommen, Gehen. Ich bitte Dich, schreib, wie lange Ihr bleibt oder zu bleiben gedenkt. Erst wollt ich nicht, daß Du hier bliebst, und wärst Du nun schon wieder da! – Es ist keine heitere Zeit in mir, viel Muse und keine Begeisterung für sie; man hängt von manchem ab, dem man gar keinen Einfluß zugestehen würde, die Gewohnheit, Dich zu erwarten am Nachmittag, hängt mir wie ein zerrißner Glockenstrang in den Kopf! – Und doch muß ich immer in die Ferne lauschen, ob ich Deinen Tritt nicht höre.
Der Sommer in der Stadt – es bedroht mich ganz dämonisch, den hellen Himmel zu versäumen. – Meine Spaziergänge um das Eschenheimer Tor ertöten mich gänzlich. Auch die Engländer wollen Euch diese Woche noch besuchen, alles geht fort.
Schreib mir viel, auch über meine Sachen, ich schicke dann mehr. Daß ich als
Narziß mich gegen Dich verschanze, besser wie im Gespräch, wo Du immer recht
behältst, mußt Du Dir gefallen lassen, so mein ich's, und so hab ich recht, und Du
hast unrecht; und ich meine, Du könntest immer zufrieden sein damit, so empfunden
zu sein durch Deine eigne frische Natur, daß Du meiner sicher bist. Wer im ganzen
etwas sein kann, der wird sich auch fühlbar zu machen wissen, und so wird der
Wandel nirgend anders als bei der Treue heimkehren, denn sie ist die Heimat. Du
bist ja auch heute nicht, was Du gestern gewesen, und doch bist Du eine ewige
Folge Deiner selbst. Mir scheint es noch außerdem höchst verkehrt, durch
selbstisches Bestehen auf dem, was nur wie Sonnenschein vorübergehendes Geschenk
der Götter ist, dem Geist die Freiheit zu verkümmern. Treue wächst in dem Geist
auf, der liebt, gedeiht sie zu einem starken Baum, so wird kein Eisen so scharf
sein, ihn auszurotten, aber ehe die Treue von selbst stark geworden, kann man ihr
nichts zumuten, sie würde nur bei einer Anforderung ihr aufkeimendes Leben
einbüßen; wenn sie aber einmal vollkommen ausgebildet ist, dann ist sie kein
Verdienst mehr, dann ist sie Bedürfnis geworden, Lebensatem; – sie hat keine
Rechte mehr zu befriedigen, weil sie ganz organisches Leben geworden ist. – Das
sei unsre Sorge, daß jede Lebensregung eigentümliches, organisches Leben werde,
das sei unsre Fundamentaltreue, durch die wir in allem Erhabenen mit den Göttern
uns vermählen. Bis dahin laß uns einander treffen in ihrem Tempel, die Gewohnheit,
uns da zu finden, einander die Hand zu bieten in gleicher Absicht,
Ich habe mich mit dem Gedanken oft herumgetragen, ob nicht alles, was sich vollkommen und also lebendig in der Seele ausbilde, ein selbständiges Leben gewinnen müsse, das dann als willenskräftige Macht (wie jene Treue, mit der Du mich magnetisierst) Menschengeister durchdringt und sie zu höherem Dasein inspiriert. – Was sich im Geist ereignet, ist Vorbereitung einer sich ausbildenden Zukunft, und diese Zukunft sind wir selber. – Du sagst, alles gehe ins Innere herein und Du empfändest die Welt nicht von außen. Aber ist denn die äußere Welt nicht Dein Inneres? – oder soll sie es nicht werden? – Von innen heraus lernt man Sehen, Hören, Fühlen, um das Äußere ins Innere zu verwandeln, das ist nicht anders, als wie wenn die Bienen den Blumenstaub in die Kelche vertragen, die für die Zukunft sich befruchten sollen. In der Seele liegt die Zukunft in vielfältigen Knospen, da muß aus reiner Geistesblüte der lebendige Staub hineingetragen werden. Das scheint mir Zukunft zu sein. – Jahre vergehen gleich einem tiefen Schlaf, wo wir nicht vorwärts und nicht zurück uns bewegen, und wirkliche Zeitschritte sind nur die, in denen der Geist die Seele befruchtet, in der Zeiten Raum geht das wirkliche Leben aus solchen einzelnen befruchtenden Momenten wie die Blütenperlen dicht aneinander auf. – Was ist auch Zeit, in der nichts vorgeht? – die nicht vom Geist befruchtet ist? – Pause, bewußtloses Nichts! – Raum, den wir durchschreiten, der noch unerfüllt ist. – Aber jene Momente müssen noch so dicht gesäet werden, daß der ganze Raum ein ewiges Blütenmeer von befruchtenden Lebensmomenten sei. – Alle Anreizung in selbständiges Leben entwicklen, das geistbewaffnet nach eigentümlicher Weise die Zukunftsblüten erweckt, das allein ist lebendige Zeit, aber uns selbst für abgeschlossen halten und einer Zukunft entgegenschreiten, die nicht wir selbst sind, das scheint mir Unsinn und ebensowenig wahr, als wenn unsere Einsicht nicht Folge unseres Begriffs wäre. Ich habe mich zusammengenommen, um deutlich zu sein, allein das ist das Schwerste, man empfindet etwas unwidersprechlich und kann's dennoch nicht aussprechen. – Deine Eifersucht um mich, die ich wahrhaftig erst für Laune hielt, später aber ihr Gerechtigkeit widerfahren ließ, obschon ich sie nicht billigen kann, leitete mich zu diesen Betrachtungen. Ich bin Dir nicht entgegen, Bettine, daß Du mit Ernst und auch mit besonderem und vielleicht auch mit mehr Recht teil an mir habest wie alle die andern; denn da wir so unwillkürlich manchen lebendigen Begriff nur gegenseitiger Berührung zu danken haben und ich mehr Dir als Du mir, so sollte dies organische Ineinandergreifen uns auch frei machen von jeder kleinlichen Eigensucht, und wir sollten wie die Jünglinge, während sie nach dem Ziel laufen, nicht uns Zeit gönnen, an was anders zu denken als im schwebenden Lauf auszuharren. Und was habe ich auch am Ende von allen andern? – Du kannst Dir das selbst wohl beantworten und Deiner Seele darüber den höchsten Frieden gönnen. –
Karoline
Den ersten Tag, als wir ankamen, war's so heiß, daß es mehr wie unerträglich war;
wir warfen unsere Nankingreisejacken aus und legten uns in den Unterkleidern, in
Hemdsärmeln, auf den Gang vor unserer Zimmertür ins Fenster, von da kann man,
versteckt hinter Bäumen, auf eine Terrasse sehen, wo sich die Gesellschaft zum Tee
bei der Kurprinzessin von Hessen versammelt, die grade unter uns wohnt. Das machte
mir Spaß, man konnte manches verstehen, und ein Wort aus der Ferne, wenn's auch an
sich unbedeutend ist, ist immer anregend wie eine Komödie. Doch hat das Vergnügen
dran nicht lang gedauert; ein krebsroter Kammerherr, der mir im Anfang Vergnügen
machte zu sehen, wie er hin und wieder lief und den Frauen allerlei in die Ohren
zischelte, und dann ein Herzog von Gotha mit langen Beinen, rotem Haar und sehr
melancholischen Gesichtszügen und ein großes weißes Windspiel zwischen den Knien,
der trägt einen leberfarbnen Rock; dann viele Damen mit überflüssigem Putz, die
Hauben aufhatten, als wär's die Flotte von Nelson mit aufgeschwellten Segeln, und
dann französische Schiffe, wenn so zwei miteinander parlierten, das war grad, als
ob einzelne Schiffe handgemein würden, bald brüstete sich das Schiff, dann thronte
es wieder, dann streckte es seinen Schnabel in die Höh, und Herren und Damen von
besonderer Affektion gegeneinander; bald zerstreuten sie sich auf der Promenade,
und plötzlich stand der rote Kammerherr hinter uns auf dem Gang. Die Tonie
entsetzte sich und ging ins Zimmer, ich aber war gar nicht erschrocken und fragte,
was er wünsche; er war verlegen und sagte, er wünschte der Dame Bekanntschaft zu
machen; ich fragte: »Warum werden Sie denn so rot?« Er ward noch roter und wollte
mich bei der Hand nehmen, ich sagte: »Nein!« und ging ins Zimmer, er drängte sich
mir nach, ich rief: »Tonie, helf mir den Mann bezwingen!« Sie war aber so voll
Angst, daß sie sich nicht vom Platz regte, denk Dir nur, und ich lehnte mich mit
aller Gewalt wider die Tür und der rote Mann
Es wächst hier viel Schierling in dem feuchten Moorgrund, ich fürchte es aber nicht, obschon's Gift ist; es ist mir ein geheiligt Kraut, ich breche es ab im Vorübergehn und berühre es mit meinen Lippen, weil der Sokrates den Schierlingsbecher getrunken. Lieber Platon, es ist meine Reliquie, die mich von bösen Schwächen heilen soll, daß ich vor dem Tod nicht verzagen muß, wenn es gilt. – Gute Nacht, mein Schwan, gehe dort schlafen auf dem Altar des Eros. –
Am Sonntag – Schlangenbad
Hier ist auch eine Kapelle und eine kleine Orgel, die hängt an der Wand, die
Kapelle ist rund, ein mächtiger Altar nimmt fast den ganzen Platz ein, ein großer
goldener Pelikan krönt ihn, der einem Dutzend Jungen sein Blut zu trinken gibt.
Das Ende der Predigt hörte ich aus, als ich hineinkam, ich weiß nicht, war's der
goldne Pelikan, die mit vielen Spinnweben überflorten Zieraten und Kränze von
Golddraht, die frischen Sträußer daneben von Rosen und gelben Lilien und die
düsteren Scheiben, wo oben grad über dem Pelikan die dunkelroten und gelben
Scheiben die Sonnenstrahlen färben. Der Geistliche war ein Franziskaner aus dem
Koster bei Rauental. »Wenn ich jetzt von Unglück sprechen höre, so fallen mir
immer die Worte Jesu ein, der zu einem Jüngling sagte, der unter seine Jünger
wollte aufgenommen werden: ›Die Füchse haben Gruben, die Vögel des Himmels haben
ihre Nester, aber des Menschen Sohn hat keinen Stein, da er sein Haupt hinlege.‹ –
Ich frage euch, ob durch diese Worte allein nicht schon alles Unglück gebannt ist?
– Er hatte keinen Stein, um auszuruhen, viel
Wie ich nach Haus kam, waren alle bei Leonhardi versammelt und tranken
Lieb Günderödchen, über allen Wechsel und Zerstreuung von heute hinweg klingen
noch immer die Worte der Predigt in mich hinein, als wär heut ein feierlicher Tag
gewesen. – Es ist ja wahr, Du und ich sind bis jetzt noch die zwei einzigen, die
miteinander denken, wir haben noch keinen dritten gefunden, der mit uns denken
wollt; oder dem wir vertraut hätten, was wir denken, Du nicht und ich nicht;
niemand weiß, was wir miteinander vorhaben, und wir lassen jetzt schon ein ganzes
Jahr die Leute sich wundern, warum ich doch alle Tag ins Stift lauf. – Aber den
Geistlichen, – wär's in Frankfurt gewesen, den hätt ich angeredet, daß er mit mir
zu Dir gegangen wär. – Der hat gewiß keinen Freund – sein Geist wird sein Freund
sein müssen, der wird ihm antworten. Ich denk, ob einer mit seinem eignen Geist
reden kann? – Der Dämon des Sokrates, wo ist der geblieben? – Ich glaub, jeder
Mensch könnte einen Dämon haben, der mit ihm sprechen würde, aber worauf der Dämon
antworten kann, das muß unverletztes Forschen nach Wahrheit sein; da mein ich mit,
es darf sich kein andrer Wille dreinmischen als bloß die Begierde zur Antwort. –
Frage ist Liebe und Antwort Gegenliebe. Wo die Frage bloß Liebe zum Dämon ist, da
antwortet er, der Lieb kann Geist nicht widerstehen, wie ich nicht und Du nicht.
Solang ich vom Sokrates weiß, geh ich dem Gedanken nach, wie er einen Dämon zu
haben; er hatte wohl ein inneres Heiligtum, ein Asyl, wo der Dämon zu ihm kommen
mochte, ich hab in mir gesucht nach dieser Türe zum Alleinsein, wo ich diesem
Wahrheitsgeist ins Gesicht sehen könnt, flehend um Lieb. Aber Du hast recht, ein
mutwilliger Wind jagt meine Gedanken wie Spreu auseinander, ich werd fortgerissen
von einem zum andern von meiner Zerstreutheit, dann ist's so nüchtern in mir und
so beschämend
Heut sind die Früchte angekommen und die Blumen all noch frisch, Dein Brief duftet
mit dem Heliotrop und gelben Jasmin in meiner Brust, wo ich ihn hingesteckt hab. –
Was Du mir sagst, scheint mir auch vom Dämon durch Dich gemeldet, Du kleidest
seine Weisheit in Balsam hauchende Redeblüten – ich soll und muß Dir rechtgeben,
nicht wahr? – Meinst Du, es wird den Dämon verdrießen, wenn ich ihm nicht nachgebe
mit der Eifersucht? – Und daß meine Leidenschaft in so stolzen Flammen aufsprüht
und will ihn gefangen nehmen, wo er sich verborgen hat in Dir? – Eifersucht fährt
heraus aus dem Geist der Liebe, als wär's der Dämon selber, sie ist eine starke
bewegende Kraft, ich weiß, was ich ihr zu danken hab; – ja, vielleicht ist sie
eine Gestalt, in die sich der Dämon kleidet; wenn ich eifersüchtig bin, ist mir's
immer göttlich zumut, alles muß ich verachten, alles seh ich unter mir, weil es so
hell in mir leuchtet, und nichts scheint mir unerreichbar, ich fliege, wo andre
mühselig kriechen; und während mir's im Herzen ängstlich pocht, da rauscht's im
Geist so übermütig, ich biete Trotz, so arg Trotz, daß ich ohnmächtig werden muß,
aber mein Mut sinkt nicht, der ist noch stärker, wenn ich mich erhole, nach was
verlang ich denn? – Was will ich mir erzwingen? – Ja, es ist gewiß der Dämon, den
ich wittere;
Gute Nacht! Bettine
Günderödchen. Die Engländer sind recht närrische Passagiere, sie brachten mir
einen Brief vom L'ange mit, der mich warnt, mich nicht in sie zu verlieben. – Der
mit dem gepuderten Haupte, Mr. Haise ließ sich gestern in einem Nankingmorgenrock
auf der Terrasse sehen und gelben Pantoffeln, die Tonie sah zum Fenster hinaus,
sie wollte nicht hinunter, sie schämte sich vor den Leuten, wenn er mit ihr
spreche, weil er so absonderlich aussieht. – Ich sah aber, wie er herauflugte nach
unsern Fenstern, und wie er die Tonie erblickte, da rief er sie an, bei dem
herrlichen Wetter herunterzukommen, ich mußte mit; er spannte einen grünen
Parapluie über ihr auf, um sie vor der Sonne zu schützen, so mußte sie mit ihm die
Terrasse auf und ab wandlen, ich lief herauf und machte eine Zeichnung davon, die
ich der Tonie ins Arbeitskästchen legte, was sie immer mitnimmt auf die Terrasse
zum Tee, und freute mich schon auf die Bewundrung, wenn es erblickt würde. Aber
sie legte das Papier schnell zusammen und wickelte Seide drauf; sie wollte nachher
schmälen, ich hatte ihr aber einen so schönen Kranz gemacht von Farrenkraut, der
ihr so gut stand und ihre Wunderschönheit noch erhöhte, daß wir ganz kontent auf
den Ball kamen, der beinah aus soviel Karikaturen bestand, als Menschen da waren.
Der Clemens hat mir aus Weimar geschrieben und mich gewarnt vor dem Verlieben, –
überflüssig! – wär er doch auf dem Ball gewesen – höchstens, daß man einem
Rippenstoß ausgesetzt ist, sonst ist keine Gefahr. – L.H. war auch da mit seinen
Schwestern, wird alle Tage blauschwärzer von seinen Stahlbädern; sein extraweißer
Jabot und Halsbinde machten dies in die Augen fallend, er war sehr fein und
elegant gekleidet, denn da er eine diplomatische Ambition hat, so versäumt er
keine Gelegenheit sich standesmäßig auszuzeichnen. Solange wir am Eingang saßen,
wo viele Menschen sich drängten,
Der Clemens mit seinen Warnungen? – Ich hab ihm heut geschrieben. Die Linden
blühen wohl noch und hauchen einem süß an, aber keine Menschen, und die Natur ist
schöner und gütiger und größer als alle Weisheit dieser Welt. Was einer mit mir
spricht, darauf möcht ich ihm antworten mit einem Tannenzapfen, den ich ihm in die
Hand drücke oder eine Schnecke, die am Weg kriecht, oder einen angebißnen
Holzapfel, es wär immer noch gescheiter als die Antwort, die mir einfällt. Mich
geht kein Erdenschicksal was an, weil ich doch nicht Freiheit es zu lenken hab. –
Wär ich auf dem Thron, so wollt ich die Welt mit lachendem Mut umwälzen, sagte ich
gestern abend zum Voigt. »Meinetwegen,« sagte er, »schad ist's nicht drum, auf der
neuen Seite kann sie nicht verkehrter liegen als auf der alten. Alle die
mühseligen Personagen, die etwas unter Narren bedeuten, sind ein absurdes Zeugnis
von ihrer lächerlichen Autorität, solche haben so großen Respekt vor ihrer hohen
Tendenz, daß sie sich nicht getrauen, sich ins Gewissen zu reden, sie meinen, was
durch sie geschähe, wär der Schicksalsschlüssel, der durch sie die Zukunft
aufschließt, die schon fertig da läge und nicht erst durch ihren Unsinn verkehrt
gemacht wird, sie würden sich nicht getrauen, vollkommne Menschen aus sich zu
bilden und allenfalls die Bedürfnisse der höheren Menschenrechte vor sich selber
zu vertreten. O nein! Je dringender die Forderungen der Zeit ihnen auf den Hals
rücken, je mehr glauben sie sich mit Philistertum verschanzen zu müssen und suchen
sich Notstützen an alten wurmstichigen Vorurteilslasten und erschaffen Räte aller
Art, geheime und öffentliche, die weder heimlich noch öffentlich anders als
verkehrt sind – denn das rechte Wahre ist so unerhört einfach, daß schon deswegen
es nie an die Reihe kommt. Wenn alle Pharisäer an der Regierungsmaschine auf
einmal die Starrsucht bekämen, es würde der Welt nichts abgehen an ihrer
Gesundheit, nicht einmal verschnupfen würde sie.« – So politisiert mir der Voigt
gewöhnlich unterm Sternenhimmel noch eine Stunde vor, wo ich bei schönem Wetter
auf der menschenleeren Terrasse mit ihm wandle; er sagt: »Hören Sie mir immer zu,
Sie sind noch jung und haben mehr Energie im Judicium vor den andern allen oder
vielmehr: wo ist's geblieben, könnte man die andern fragen, denen die Ohren nach
Fabeln jücken, und die sich von der Wahrheit abwenden oder sie nach eignem Gelüst
auslegen, daß sie ihnen zur Fabel wird.« – Den Voigt will kein Mensch anhören,
jedermann schreit über ihn, ich aber fühl mich sehr geehrt, daß er mir gern das
ernste Große seines Geistes darlegt, ich hör ihm begierig zu. Er ist so kurz und
entschieden zwischen Recht und Unrecht, daß man keine Zeit im Schwanken verliert,
und daß man einen Heldencharakter bedarf, ihm zu folgen. »Für einen Freund muß man
in den Tod gehen können. – Wer nicht alles hingibt, den eignen Genuß, die
selbsterworbne
Montag
Zwei-, dreimal zwischen Eichen und Buchen und jungem lichten Gebüsch, bergauf,
bergab – da kommt man an einen Fels, glatte glänzende Basaltfläche, die die
Sonnenstrahlen wie ein dunkler Zauberspiegel auffängt, dazwischen grüne Moossitze;
heute morgen war ich hierher gegangen, es ist mein gewöhnlicher Spaziergang, wenn
ich allein bin, nicht zu weit und doch versteckt – da sah ich noch den Nebel wie
jungen Flaum zwischen den Felsspalten hin und her schwimmen, und über mir ward's
immer goldner, die Morgenschatten zogen ab, die Sonne krönte mich, sie prallte
scharf vom schwarzen Stein zurück, sie brennte sehr stark, sie drückte doch nicht
meine Stirn, ich wollte eine Krone schon tragen, wenn sie nicht schärfer drückt
als die heiße Augustsonne, so saß ich und sang gegen die Felsen hin und hörte aufs
Echo, und die Regierungsgedanken stiegen mir in den Kopf. So nach Grundsätzen die
Welt regieren, die in innerster Werkstätte meiner Empfindung erzeugt wären, und
alles Philistertum um und um stoßen, das sind solche Wünsche, die an einem so
heißen Sommermorgen mir in den Kopf steigen, und wozu Voigts Sternengespräche
einen starken Reiz geben; er sagte, alles Gefühl, aller Begriff werde zu einem
Vermögen, es ziehe sich wohl zurück, aber zur unerwarteten Stunde trete es wieder
hervor – und da setze ich mich an einsame Orte und simuliere so ins Blaue hinein
und komme zu nichts, zu keinem hellen Augenblick, nur daß mir oft das Herz
unbändig kopft, wenn ich dran denke, daß ich das Geschrei der Philister, die des
Geistes Stimme mit Grundsätzen bedrängen, durch das bloße Regiment meiner
Empfindung ersticken wolle; ja, es wär eine himmlische Satisfaktion für die
Rutenstreiche, womit sie blind alle Begeistrung verfolgen. Günderode, ich wollt,
Du wärst ein regierender Herr und ich Dein Kobold, das wär meine Sach, da weiß ich
gewiß, daß ich gescheut würde vor lauter Lebensflamme. Aber so! – ist es ein
Wunder, daß man dumm ist? – Und so war ich bald im Sonnenbrand ganz träumerisch
versunken und jagte im Traum auf einem Renner wie der Wind nach allen
Bettine
Erste Scene
Eine offene schwarze Höhle am Eingang der Unterwelt, im Hintergrunde der Höhle sieht man den Styx und Charons Nachen, der hin und her fährt, im Vordergrund der Höhle ein schwarzer Altar, worauf ein Feuer brennt. Die Bäume und Pflanzen am Eingang der Höhle sind alle feuerfarb und schwarz, sowie die ganze Dekoration, Hekate und Charon sind schwarz und feuerfarb, die Schatten hellgrau, Immortalita weiß, Erodion wie ein römischer Jüngling gekleidet. Eine große feurige Schlange, die sich in den Schwanz beißt, bildet einen großen Kreis, dessen Raum Immortalita nie überschreitet.
CHARON. Sieh die Schlange zu deinen Füßen, noch ist sie fest geschlossen, der Zauber dauert, solange dieser Kreis dich umschließt, du weißt es, warum fragst du mich?
IMMORTALITA. Ungütiger Greis, wenn es mich nun tröstet, die Verheißung einer bessern Zukunft noch einmal zu vernehmen, warum versagst du mir ein freundlich Wort?
Er fährt hinweg.
IMMORTALITA streut Weihrauch auf den Altar. Hekate! Der Mitternacht Göttin! Der Zukunft Enthüllerin, die schläft in des Nichtseins dunklem Schoß! Geheimnisvolle Hekate! Hekate! erscheine.
HEKATE. Mächtige Beschwörerin! Was rufst du mich aus den Höhlen ewiger Mitternacht; dies Ufer ist mir verhaßt, sein Dunkel zu helle, ja mir deucht, ein niederer Schein aus des Lebens Lande habe hierher sich verirrt.
IMMORTALITA. Wie? – die undurchdringliche Scheidewand, die mein Reich scheidet von der Oberwelt, wird sie einst zerfallen?
HEKATE. Zähle nicht die Stunden, bei Dir ist keine Zeit. Siehe zur Erde! – die Schlange, die ängstlich sich windet – fester beißt sie sich ein, vergeblich möcht in ihrem engen Kreis sie dich gefangen halten, vergeblich ist ihr Widerstand – des Unglaubens Herrschaft, der Barbarei und der Nacht sinkt dahin.
Sie verschwindet.
IMMORTALITA. O Zukunft, wirst du ihr gleichen? – jener seligen fernen
Vergangenheit, wo ich mit Göttern in ewiger Klarheit wohnte. Ich lächelte sie alle
an, und ihre Stirnen verklärte mein Lächeln, wie kein Nektar sie verklären konnte,
und Hebe dankte ihre Jugend mir, und immer blühender Aphrodite ihre Reize. Aber
durch der Zeiten Finsternis getrennt von mir, noch ehe mein Hauch ihnen Dauer
verliehen, stürzten von ihren Thronen
CHARON fährt mit Schatten vorüber. Neigt euch, Schatten, der Königin des Erebos, daß ihr noch lebt nach eurem Leben, ist ihr Werk.
Sie fahren weg.
Charons Nachen landend. Erodion springt ans Ufer. Immortalita im Hintergrund.
ERODION. Zurück, Charon, von diesem Ufer, das kein Schatten darf betreten! Was siehst du mich an? – Ich bin kein Schatten wie ihr; eine frohe Hoffnung, ein träumerischer Glaube haben meines Lebens Funken zur Flamme angefacht.
CHARON für sich. Gewiß ist dieser der Jüngling, der die goldne Zukunft in sich trägt.
Er fährt ab mit seinem Nachen.
IMMORTALITA. Ja, du bist's, von dem Hekate mir weissagte, bei deinem Anblick werde des Tages Strahl durch diese alten Hallen, durch diese erebische Nacht hereinbrechen.
ERODION. Wenn ich der Mann bin deiner Weissagungen, Mädchen oder Göttin! Wie ich dich nennen soll, so glaube, du bist die innerste Ahnung des Herzens mir.
IMMORTALITA. Sage, wer bist du, wie heißest du, und wo fandst du den Weg zum pfadlosen Gestade hierher? – wo Schatten nicht noch Menschen wandlen dürfen, nur unterirdische Götter.
ERODION. Ungern möcht ich zu dir von anderm reden als nur von meiner Liebe. Aber
red ich dir von meiner Liebe, so ist's ja mein Leben. Höre mich denn: Eros' Sohn
bin ich und seiner Mutter Aphrodite, der Liebe und Schönheit Doppelverein hatte in
mein Dasein schon die Idee jenes Genusses gelegt, den ich nirgend fand und überall
doch ahnete und suchte. Lange war ich ein Fremdling auf Erden, von ihren
Schattengütern mocht ich nichts genießen,
IMMORTALITA. Wie Knabe! – so hast du mich geliebt, daß lieber den Helios und das Morgenrot du nicht mehr sehen wolltest, als mich nicht finden?
ERODION. So hab ich dich geliebt, und ohne dich konnte die Erde nicht mehr mich ergötzen, nicht mehr der blumige Frühling, der sonnige Tag, die tauige Nacht, die zu besitzen der finstere Pluto gern sein Zepter hätt vertauscht. Aber wie eine größere Liebe in meiner Eltern Umarmungen sich vereint hatte als alle andre Liebe – denn sie waren die Liebe selbst – so die Sehnsucht auch, die zu dir mich trieb, war die mächtigste, und über alle Hindernisse siegreich war mein Glaube, dich zu finden; denn meine Eltern wußten, daß, der aus Lieb und Schönheit entsprungen, nichts Höheres auf Erden finde als sich selbst, und hatten diesen Glauben zu dir mir gegeben, daß meine Kraft nicht sollt ermüden, nach Höherem zu streben außer mir.
IMMORTALITA. Aber wie kamst du endlich zu mir? Unwillig nimmt Charon Lebende in das morsche Fahrzeug, für Schatten nur erbaut.
ERODION. Einst war mein Sehnen dich zu schauen so groß, daß alles, was die Menschen erdacht, dich ungewiß zu machen, mir klein erschien und nichtig. Mut begeisterte mein ganzes Wesen: ich will nichts, nichts als sie besitzen, so dacht ich, und kühn warf ich dieser Erde Güter alle weg von mir und führte mein Fahrzeug hin zu dem gefahrvollen Fels, wo alles Irdische scheitern sollte. Noch einmal dacht ich: wenn du alles verlörst, um nichts zu finden? – aber hohe Zuversicht verdrängte den Zweifel, fröhlich sagt ich der Oberwelt das letzte Lebewohl, die Nacht verschlang mich – eine gräßliche Pause! – ich fand mich bei dir. – Die Fackel meines Lebens flammt noch jenseits der stygischen Wasser.
IMMORTALITA. Die Heroen der Vorwelt haben diesen Pfad schon betreten, der Mut hat herüber zu streifen gewagt, aber der Liebe nur war vorbehalten, ein dauernd Reich hier zu gründen. Die Bewohner des Orkus sagen, mein Dasein hauche ihnen unsterbliches Leben ein; so sei denn auch du unsterblich; denn du hast Unnennbares in mir bewirkt, ich lebte ein Mumienleben, aber du hast mir eine Seele eingehaucht. Ja, teurer Jüngling! In deiner Liebe erblicke ich mich verklärt; ich weiß nun, wer ich bin, daß ein sonniger Tag diese alten Hallen beglänzen wird.
Hekate tritt hinter dem Altar hervor.
HEKATE. Erodion, trete in den Kreis der Schlange. Er tut es: die Schlange
verschwindet. Zu lange, Immortalita, warst du, durch die Macht des Unglaubens und
der Barbarei, von wenigen gekannt, von vielen bezweifelt,
Der Schauplatz verwandelt sich in einen Teil der elysäischen Gärten, die Szene ist matt erleuchtet, man sieht Schatten hin und wieder irren. Zur Seite ein Fels, im Hintergrund der Styx und Charons Nachen.
Die Vorigen
HEKATE. Sieh, Erodion, diesen einsturzdrohenden Fels, er ist die unübersteigliche Scheidewand, der des sterblichen Lebens Reich von dem deiner Gebieterin scheidet, er verwehrt der Sonne, ihre Strahlen her zu senden, und getrennten Lieben, sich wieder zu begegnen. Erodion! versuch es, diesen Felsen einzustürzen, daß deine Geliebte auf seinen Trümmern aus der engen Unterwelt steigen möge, daß ferner nichts Unübersteigliches das Land der Toten von dem der Lebenden mag trennen.
Erodion schlägt an den Felsen, er stürzt ein, es wird plötzlich helle.
IMMORTALITA. Triumph! Der Fels ist gesunken, von nun an sei den Gedanken der Liebe, den Träumen der Sehnsucht, der Begeisterung der Dichter vergönnt, aus dem Lebenslande in das Schattenreich herabzusteigen und wieder zurückzugehen auch.
HEKATE. Heil! Dreifaches, unsterbliches Leben wird dies blasse Schattenreich beseelen, nun dein Reich gegründet ist.
IMMORTALITA. Komm, Erodion, steige mit mir auf in ewige Klarheit; und alle Liebe, alles Hohe soll meines Reiches teilhaftig werden. Du, Charon, entfalte deine Stirn, sei freundlicher Geleiter denen, die mein Reich betreten wollen.
ERODION. Wohl mir, daß ich die heilige Ahnung meines Herzens wie der Vesta Feuer treu bewahrte; wohl mir, daß ich, der Sterblichkeit zu sterben, der Unsterblichkeit zu leben, das Sichtbare dem Unsichtbaren zu opfern Mut hatte.
Es ist eine Kleinigkeit, die deiner Aufmerksamkeit nicht wert ist, daß ich es ein Geschenk des Himmels achte, dich zu verstehen, du edles Leben. Siehst du zur Erde nieder, gibst gleich der Sonne du ihr einen schönen Tag, doch auf zum Himmel wirst du vergeblich schauen, suchst deinesgleichen du unter den Sternen.
Er sieht dich an, ein Liebender! Wie stille Rosen und schwankende Lilien schweben deiner segnenden Gedanken Blicke ihm zu. Vertraute, nahe dem Herzen sind sie. Wahrhaftiger, heller und schöner beleuchten sein Ziel sie ihm und seinen Beruf, und auf schweigendem Pfade der Nacht sind hochschauende Sterne Zeugen seiner Gelübde dir.
Doch ist eine Kleinigkeit nur, die deiner Aufmerksamkeit nicht wert ist, daß ich als ein Geschenk des Himmels es achte, dich zu verstehen, du edles Leben.
Emil August
Dein Brief, liebe Bettine, ist wie der Eingang zu einem lieblichen Roman, ich habe
ihn genippt wie den Becher des Lyäus, der ein Sorgenbrecher ist, es tat mir auch
sehr wohl, mich bewegten grade Sorgen um Dinge, die eine notwendige Folge des
Lebens und daher nicht unerwartet sind; die ich Dir nicht mitteile, weil sie in
Deinen Lebensgang nicht einstimmen. Du bist mein Eckchen Sonne, das mich erwärmt,
wenn überall sonst der Frost mich befällt. Ich werde die Stadt auf ein paar Wochen
verlassen, ein Brief wird mich am Donnerstag noch treffen, dann aber, den nächsten
find ich, wenn ich zurückkomme, und dann sind wir bald wieder ganz beisammen.
Lasse Deine Briefe recht heiter sein ohne schwermütigen Nachklang, Deiner Natur
ist eine freie ungehemmte Lebenslust gemäß; die trüben mißmutigen Regungen, mit
denen Du zuweilen prahlst, sind nur Zeichen geheimnisvoller Gärungen, denen der
Raum zu eng ist, sich zu läutern, das muß ich glauben, wenn ich Deine jetzige
natürliche Stimmung vergleiche mit jener gereizten, die Dich zuletzt hier befiel,
wo mir ganz bange um Dich war. Es war Dir nichts weiter nötig, als die beengende
Stadtluft nicht mehr zu atmen. Du bist wie eine Pflanze, ein bißchen Regen
erfrischt Dich, die Luft begeistert Dich, und die Sonne verklärt Dich. – Die Tonie
schreibt hierher, daß Du gesund aussähest und keine Spur von der interessanten
Blässe übrig sei; – rate, wer darüber seinen Ärger nicht verhehlen kann? – »Elle
ne sera plus ce quelle a été« gab er mir auf alle Trostgründe zur Antwort.
Indessen hoffe ich, daß unsereins auch noch bei Dir gilt, und mir ist's lieber,
daß Du auf Kosten jener interessanten Blässe zunimmst, als daß ich immer hören
muß, Deine Lebendigkeit werde Dich noch töten, was komisch klingt und auf mich
gestichelt ist. Ich habe mir selber die Vorwürfe nicht erspart. – Was Du
Schlaftrunkenheit nenntest, das war nach Sömmering Nervenfieber, er sagt, Du
habest keinen Sinn für Krankheitszustände,
Deine Begebenheiten, Deine Bemerkungen, alles macht mir Freude, sorge, daß mir nichts verloren gehe, wenn's nur Deiner Gesundheit nicht schadet, so schreibe doch jeden Abend, darum bittet der Dämon, der mir's zuflüstert und gern alles von Dir bewahren will.
Wo soll ich mit Deinem Kanarienvogel hin? Ich nehme ihn mit in fremde Lande, es wird nicht viel Mühe machen, ich kann ihn niemand anvertrauen, so wenig wie Dich. – Apropos! Wenn ich nun auch eifersüchtig sein wollte auf die Prinzeß, mit der Du immer Hand in Hand gehst! Hast Du Dich je von mir an der Hand führen lassen, wenn wir draußen waren? – Summtest umher wie eine wilde Hummel durch alle Gebüsche und ließest mich allein nachsteigen? Was vermag doch diese Fürstlichkeit über Dich, daß Du Dich so zahm an der Hand führen läßt im Freien? – Dein Vogel ist mir ebenso zahm geworden, daß er mir in den Mund pickt, das ist nichts anders als Liebe zu mir, ich weiß nicht, ob er mir jetzt nicht mehr zutunlich ist wie Dir, grad wie Du mit der Kurprinzeß. – Ich war in Sorgen um ihn; denn wie ich einmal zur Gartentür hinausging, flog er mir nach in den Garten, aber wie er eine Weile unter den Bäumen herumgeflattert war, setzte er sich mir auf den Kopf und ließ sich ruhig wieder hineintragen, ich war recht froh; denn ich hätte nicht gewußt, wie ich bestehen solle, wenn Du ihn nicht wiederfandst. – Der Feigen waren elf an Deinem Baum, ich habe am Montag Ernte gehalten, drei davon habe ich vom Baum verspeist, drei habe ich in Gesellschaft verzehrt mit dem Jemand, der mir in der Tür begegnete, er begleitete mich nach Haus und schien sich zu freuen, daß der Baum, der von ihm stammt, so süße Früchte bringt. Nun liegen noch fünf Früchte, die noch etwas härtlich waren, unter der Glasglocke beim Apoll, die ich in die Sonne gestellt habe, sie haben auch schon nachgereift, ich werde sie vor meiner Abreise in Kompagnie verzehren, aber mit niemand, der sie allenfalls wie eine unbedeutende Frucht mit Stumpf und Stiel hinunterschluckte, sondern mit jemand, der Deiner Pflege für den Baum die Süßigkeit der Früchte zuschreibt und sie dankbar genießt. –
Karoline
Eine Merkwürdigkeit muß ich Dir noch melden von Deiner Altan, die Spinnen haben
eine große Brabanter Spitze gewoben von einem Ende zum andern, von der kleinen
Edeltanne über den Orangenbaum, über die Bohnenlaube,
Mit der einen Hand hab ich meinen Brief dem Bot' gereicht, mit der andern Deinen
genommen, wir kamen eben von unserm Sonnenaufgang zurück, so sah ich den Bot'
überm Tal am Berg hersteigen, ich wollt mit ihm zusammen ankommen, ich lief, die
andern wußten nicht warum, sie riefen mir nach, ich galoppierte als an der
Bergwand hin und schlug mit dem Stecken an die Äst, das regnete im heißen Lauf
kühlen Tau auf mich, dann schoß ich bergab ins Tal und konnt nicht einhalten, der
gut Bot' stellte sich gegenüber und fing mich auf; oben stand die ganze
Gesellschaft, ein Kopf über dem andern, der Mstr. Haise in der Mitt und guckt
durchs Perspektiv, ich legt mich ins Gras und schnaufte aus. – Potztausend,
wieviel Hämmerchen pochten in meinem Kopf, lauter Goldschmied, und der große
Hammer in meiner Brust, das war ein Grobschmied; die andern kamen herbei, wie ich
im hohen Gras verschwand, glaubten sie, ich sei ohnmächtig oder sonst was, der
Voigt schrie, Gott bewahr, solche Einbildungen hat sie nicht; ich guckte aus dem
Gras hervor und lachte sie aus, aber da schrie alles: ich hätt können den Hals
abstürzen, ich hätt können Arm und Bein brechen, mich hätt können der Schlag
rühren, unvorsichtig, tollkühn, sinnlos schrien sie. – Was Guckuck, ich wollt's
nicht mehr hören, ich setzt mich wieder in Galopp, der Badepeter hatte grad die
Bäder angelassen, ich rief ihm zu: »Sagt nicht, wo ich geblieben bin!« Und sprang
ins Wasser mit Schuh und Strümpf und allen Kleidern; da unterm Wasser warf ich die
Kleider ab und dacht nicht gleich, daß ich Deinen Brief im Busen stecken hatt, bis
er auf dem Wasser schwamm, ich hab ihn gleich auseinander gelegt und an dem Strick
Weißt Du noch, wie ich's Dir still nachsang, was Du so schauerlich mir vorsagtest,
und weißt Du wohl, daß da mein Herz ganz voll Tränen war, mehr
Denn mein Schwert umgibt wie Blitzes Flügel
Das hab ich so oft gesungen und auch am Fels vorgestern, und ich kann so schöne
Melodien drauf, die mir alle durchs Herz gehen, und wenn wir auf der Burg sind den
Herbst, dann wollt ich Dir's vorsingen, wenn's dunkel ist, eh das Licht kommt; wie
kannst Du denn nur denken, daß ich die Kurprinzeß lieber haben könnt? – Aber Du
denkst es auch nicht, Du stellst Dich nur so, denn sonst wär's gar zu traurig für
mich, daß Du nicht betrübt darüber wärst. – Ich kann mir unter Collas Tochter
immer nur Dich denken; denn sie schläft, der Frauen erste! – Und so hab ich in
mancher Stunde mit Tränen Dich besungen; denn ich kann das nicht singen, ohne daß
es mein Herz so stark bewegt, abends wenn ich allein bin, daß ich oft meinen Kopf
in die Kopfkissen stecke und will alle Wehmut ersticken, weil sie mich gar zu
schmerzlich befällt. – Aber was soll ich doch hier, so fern von Dir, Dir von
meinen bitteren Stunden sagen, das kann Dich nur traurig machen, und Du bist jetzt
so betrübt. – Aber laß dich's nicht betrüben von mir, das ist nur so
vorübergehend, wie eben die Schloßen, die hier fielen, ich will Dir lieber noch
weiter erzählen von der Kurprinzeß, Du weißt, daß ich traue in Deine Lieb und gar
nicht denk, daß ich Dir gleichgültig bin, und auch nicht, daß Du an mir zweifelst.
Die Kurprinzeß verlangte heut morgen, ich sollte ihr noch ein Lied singen zur
Gitarre, das sie als zuweilen vom Fenster gehört habe, das erschreckte mich sehr,
denn der Herzog stand dabei und zog den Mund so kurios zusammen und sagte, er hab
auch meine Stimme gehört, sie sei sehr schön; ich hätt gern ausgewichen, aber ich
fühlte, daß es unschicklich war, ich holte also meine Gitarre, und unterwegs
bezwang ich meine Angst vor dem Herzog, vor der Prinzeß hätt ich mich auch nicht
gefürcht; denn ich hatte schon oft die Abende in dem Laubgang vor ihrem Fenster
allerlei Melodien improvisiert, weil mich einmal eine geheime Neigung zu ihr
anregte, daß ich als recht zärtliche Melodien erfand. Vor dem Herzog hätt ich
Und dies zweite Mal sang ich noch besser, mit tieferer Stimme und war
selbstfühliger; es sind die zwei Stellen, die ich aus Deinem Lied auswendig weiß,
weil Du sie in meiner Gegenwart gemacht hast im Dunkel und sagtest zu mir: »Behalt
es auswendig, bis Licht kommt, ich will unterdes weiter dichten,« und ich
wiederholte immer vier Verse, bis noch vier dazu fertig waren, die Du auch meinem
Gedächtnis vertrautest und immer weiter schifftest im Ozean, Günderode, wie schön
war doch das? – Wie werd ich je Schöneres erleben als mit Dir? – Dem Herzog hab
ich Dein Gedicht gegeben und gesagt, es sei von Dir und auch den Don Juan hab ich
ihm geschenkt, er lag dabei, ich dacht, du gibst mir's wieder; ich wollt ihm es so
gern geben, weil ich sah, daß er große Freude dran hatte, Du gibst mir's wieder. –
Die Kurprinzeß verlangte, ich soll ihr die Melodie abschreiben lassen von dem
Lied, ich sagte ja, aber wo ist die hin? Ich weiß nicht mehr – sie hat mich auch
noch herzlich geküßt auf beide Wangen; und der Tonie sagte sie sehr freundlich,
wenn sie es erlaube, so wolle sie den Strauß aus der Ananas mitnehmen und zum
Andenken in ihrem Treibhaus pflanzen lassen. – Gelt, das war so freundlich, und
ich will Dir's nur gestehen, daß mir heimlich recht leid getan hat, wie sie fort
war, und alles kam mir so leer vor, daß ich doch drüber weinen mußte, obschon ich
nicht wollt, ich hielt mich auch gar
Am Samstag –
Den Kanarienvogel schenk ich dir, Du sollst ihn behalten, er hat Dich lieber wie
mich, und ich bin ihm gut, was soll ich ihm seine eingesperrte Lebensfreud
verketzern. Ich bin aber kein Kanarienvogel, und Du kannst mich nicht hingeben
wollen; denn ich schenk Dir alles, Du sollst mich nicht hergeben. – Meine Altan
ist doch schön, nicht wahr? – Als Kinder hat uns da der
Sonntag
Heut morgen war man zum letzten Frühstück versammelt; denn morgen geht alles fort,
der ganze Vormittag verging mit Spaziergängen von Paar und Paar im Wald, ich
schlenderte mit dem Voigt nach einem grünen Platz und las ihm vor aus Deiner
Brieftasche, ich las ihm die Manen vor und knüpfte allerlei Ideen dran, die ich
nicht recht aussprechen konnt, ich kann vor niemand sprechen wie vor Dir, ich fühl
auch die Lust und das Feuer nicht dazu als nur bei Dir, und was ich Dir auch sag
oder wie es herauskommt, so spür ich, daß etwas sich in mir regt, als ob meine
Seele wachse, und wenn ich's auch selbst nicht einmal versteh, so bin ich doch
gestärkt durch Deine ruhigen klugen Augen, die mich ansehen, erwartend, als
verständen sie mich, und als wüßten sie, was noch kom men wird, Du zauberst
dadurch Gedanken aus mir, deren ich vorher nicht bewußt war, die mich selbst
verwundern, andre Leute haben mit mir keine Geduld, auch der Voigt nicht, der
sagt: »Ich weiß schon, was Sie wollen,« und sagt etwas, was ich gar nicht gewollt
hab. – Dann mach ich's aber wie Du und hör ihm zu, und da hör ich allemal was
Kluges, Gutes. – Heut sagte er: die Vernunft sei von den Philosophen als ihr Gott
umtanzt und angebetet, wie jeder seinen Gott anbete, nämlich als ein Götze, der zu
allem gelogen werde, was man nur in der Einbildung für wahr halte, Dinge, die man
auf dem Weg des Menschensinnes
Gute Nacht
Am Montag
Gestern hätt ich nun rechte Zeit gehabt, Dir zu schreiben, alles ist fort, aber
ich war müde. Tonie liegt auf dem Bett und schläft, man war bis spät in der Nacht
aufgewesen, ich ging noch auf die Terrasse, um Abschied zu nehmen, weil am Morgen
alles vor Tag abreiste; nur der Voigt blieb da bis Mittag, weil er nur bis Mainz
ging. Er ging mit mir in die kleine Kapelle zur Messe, da war eben die Predigt
wieder am Ende, es war unser Franziskaner. »Warum hat Jesus, da er ans Kreuz
geschlagen ist und die bittersten Schmerzen leidet, zugleich eine himmlische
Glorie um sein Haupt, die allen Anwesenden das Mitleid verbietet, die zugleich das
seligste ruhmvollste Entzücken andeutet mit dem menschlichen Kampfe im Elend? –
Warum liegt in jedem seiner Taten, seiner Worte, das Irdische mit dem Ewigen so
eng verbunden? – Er hat seine Leiden nicht mit Freuden vertauscht, da er es wohl
vermochte. – Also, Mensch hab dein Schicksal lieb, wenn es dir auch Schmerz
bringt, denn nicht dein Schicksal ist traurig, wenn es dir auch noch so viel
Wir waren am Rhein und sind wieder den andern Tag zurück spät abends, so ist heut
schon Donnerstag, es war schön in Rüdesheim, die Tonie hatte dort über jemand zu
sprechen, der als Geistlicher in unser Haus soll, ich guckte indes auf der
Bremserin aus dem großen schwarzen Gewölb auf
Am Montag
Ich hab Deinen letzten Brief noch oft gelesen, er kommt mir ganz besonders vor, wenn ich ihn mit andern vergleiche, die ich auch hier in derselben Zeit erhalten hab, so muß ich denken, daß es Schicksale gibt im Geist, die so entfernt sind voneinander und so verschieden, wie im gewöhnlichen Tagesleben, der eine wird sich's nicht einbilden vom andern, was der denkt und träumt, und was er fühlt beim Träumen und Denken. – Dein ganz Sein mit andern ist träumerisch, ich weiß auch, warum; wach könntest Du nicht unter ihnen sein und dabei so nachgebend, nein, sie hätten Dich gewiß verschüchtert, wenn Du ganz wach wärst, dann würden Dich die gräßlichen Gesichter, die sie schneiden, in die Flucht jagen. – Ich hab einmal im Traum das selbst gesehen, ich war erst zwei Jahr alt, aber der Traum fällt mir noch oft plötzlich ein, daß ich denke, die Menschen sind lauter schreckliche Larven, von denen ich umgeben bin, und die wollen mir die Sinne nehmen, und wie ich auch damals im Traum die Augen zumachte, um's nicht zu sehen und vor Angst zu vergehen, so machst Du auch im Leben aus Großmut die Augen zu, magst nicht sehen, wie's bestellt ist um die Menschen, Du willst keinen Abscheu in Dir aufkommen lassen gegen sie, die nicht Deine Brüder sind; denn Absurdes ist nicht Schwester und nicht Bruder; aber Du willst doch ihr Geschwister sein, und so stehst Du unter ihnen mit träumendem Haupt und lächelst im Schlaf, denn Du träumst Dir alles bloß als dahinschweifenden grotesken Maskentanz. – Das lese ich heute wieder in Deinem Brief, denn es ist jetzt so still hier, und da kann man denken – Du bist zu gut, für mich auch, weil Du unter allen Menschen gegen mich bist, als wärst Du mehr wach; als machtest Du die Augen auf und trautest wirklich mich anzusehen, o, ich hab auch schon oft dran gedacht, wie ich Deinen Blick nie verscheuchen wollte, daß Du nicht auch am Ende nachsichtig die Augen zumachst und mich nur anblinzelst, damit Du alles Böse und Schlechte in mir nicht gewahr werdest.
Du sagst: »Wir wollen unbedeutend zusammen sein!« – Weißt Du, wie ich mir das
ausleg? – Wie das, was Du dem Clemens letzt in einem Brief schriebst: »Immer neu
und lebendig ist die Sehnsucht in mir, mein Leben in einer bleibenden Form
auszusprechen, in einer Gestalt, die würdig sei, zu den Vortrefflichsten
hinzuzutreten, sie zu grüßen und Gemeinschaft mit ihnen zu haben. Ja, nach dieser
Gemeinschaft hat mir stets gelüstet, dies ist die Kirche, nach der mein Geist
stets wallfahrtet auf Erden.« – Du
Am Montag
So ernsthaft hab ich geschrieben, ich weiß selbst nicht, wie ich dazukomme, doch
ist's der Nachklang von vor Mitternacht. Ich weiß selbst nicht, wenn ich's ansehe,
warum's dasteht. Du gehst weit über mich hinaus im reinen Schauen; denn Du bist
ein Seher, ich betrachte nur die Schatten des Geistertanzes in den Lüften, die
Dich umschweben. Was soll das alles vor Dir, ich fühl, daß ich von einer viel
niederen Stufe zu Dir hinanrufe, ob dies und das so ist; ich ahne auch, daß Du mit
einem leisen Zauberschlag mich strafen kannst, daß ich bei solchen Nachgedanken
mich aufhalte. Ich weiß und weiß nicht. – Im Tau baden, in den Mond schauen bei
nächtlicher Weile
Offenbach, Mai 1805
Sorg nicht um meine Gesundheit; im Dachstübchen bin ich ganz fidel; ich muß mit
meinem Schatten an der Wand lachen. Drei Sätz die Trepp herauf, und die Flügel
gespreizt und herunter hinter die Pappelwand, wo was Weißes flattert. – Da, wo wir
vorm Jahr den Spitz begraben haben, spielte der Wind im Mondschein mit einem
Papier; es flog aber gleich über die Gartenwand, wie ich's haschen wollt. Mit dem
guten Spitz fürchtete ich mich nicht in der Nacht; er bellte mir als immer die
Geister aus dem Weg. Der Klavierhofmann ist noch immer unser Nachbar; heut nacht,
wie ich im Bett lag, da jagte er wieder wie sonst seine enharmonischen Läufe im
gestreckten Galopp auf und ab; ich gab meinen Schlaf auf und meine Sinne freudig
drein, die jagten mit. – Mit dem Verstand Musik fassen wie die musikalischen
Philister, das geht nicht – ich muß empfinden. – Sinnegewiegt von der Musik – mich
hingeben wie schlummernd, dann hab ich Gedanken, schnell – wie die Sterne
dahinfahren, oft – am Himmel. Ich bekümmre mich als, daß ich nicht denken kann,
was ich will, und muß von allem mich irren lassen, wie auf dem Markt, wo man hin
und her läuft
20. Mai
Gestern war Sonntag, heut morgen war ich gar nicht ärgerlich, wie mich die Hühner
aus dem besten Traum gegagst haben wie als in Frankfurt, wo die Liesbeth als grad
Holz in Ofen geworfen hat, wie eben ein goldner Vogel mir wollt auf die Hand
fliegen. Die Akazien im Hof sind recht gewachsen, sie schneien im Sonnenschein ihr
letztes Silber aufs Grün. Der Garten lag so morgentrunken vorm Fenster, ich ging
hinab, meinen alten Weg nach der Bretterwand hinter den Pappeln und kletterte
herüber ins Boskett, wo ich Dir hier schreib. – Daß doch immer meine Kleider
reißen, wenn ich recht jauchzend bin. Zank nur nicht, daß ich mein Gewand nicht
geschont habe. Dornenröschen hat mir ein Fetzchen davon behalten, wie ich versucht
hab, ob ich noch zwischen dem Eisengeländer vom Boskett durchwitschen kann;
Dein Brief macht mir Freude, es ist ein gesundes, munteres Leben darin, das ich immer lieb in Dir gehabt habe. Du führst eine Sprache, die man Stil nennen könnte, wenn sie nicht gegen allen herkömmlichen Takt wär. Poesie ist immer echter Stil, da sie nur in harmonischen Wellen dem Geist entströmt, was dessen unwürdig ist, dürfte gar nicht gedacht werden, oder vielmehr darf alles Ereignis den Geist nur poetisch berühren, sonst leidet er Abbruch, wie ich das heute morgen habe erfahren müssen, wo mir von Hanau eine veraltete Familien-Schuhmacherrechnung von 17 Flr. zugeschickt wurde, die ich nicht bezahlen kann, meine Verlegenheit poetisch aufzulösen, schicke ich Dir den kleinen Apoll als Geisel samt Türkheims Lorbeerkranz, gib mir das Geld.
Wenn Du einige Stunden in der Geschichte genommen hast, so schreibe doch darüber; besonders in welcher Art Dein Lehrmeister unterrichtet, und ob Du auch rechte Freude dran hast. – An dem Märchen hab ich die Zeit sehr fleißig geschrieben, aber etwas so Leichtes, Buntes, wie mein erster Plan war, kann ich wohl jetzt nicht hervorbringen; es ist mir oft schwer zumut, und ich habe nicht recht Gewalt über diese Stimmung.
Grüße den Clemens, wenn Du schreibst, ich denke daran ihm zu schreiben und warte nur den Moment ab, wo mir's wieder leichter ist, damit ich ihm mit gutem Gewissen seinen Unmut und seine Launen vorwerfen kann.
Karoline
Geld liegt im Pult am großen Spiegel, in der dritten Schublad links, in den andern
Schubladen liegt aber auch vielleicht noch, zieh alle Schubladen ganz heraus, ob
etwas dahinter gefallen ist. Der Schlüssel liegt unter dem Blumenkasten auf der
Altan, wo die Kapuzinerblumen stehen, den Apoll halt rein
Am Montag
Der Geschichtslehrer kommt dreimal die Woch, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag,
eingeklammert hinten und vorn in zwei Faulenzer, Freitag, Samstag am End, Sonntag,
Montag am Anfang. – Er unterrichtet mich so, daß ich wahrscheinlich der Zukunft
ewig den Rücken drehen werde und so auch um die liebe Gegenwart geprellt wär, wenn
die unreifen Aprikosen in der Großmutter Garten nicht meinen Diebssinn weckten,
mit dem ich doch für meinen Verstand etwas Handgreiflicheres zu erbeuten gedenke,
als: »Die Geschichte Ägyptens ist in den ersten Zeiten dunkel und ungewiß.« Das
ist ein Glück, sonst müßten wir uns auch noch darum bekümmern – »Menes ist der
erste König, von dem wir wissen« – mir auch recht, wenn wir nur was Gescheites von
ihm erfahren haben. – »Er erbaute Memphis und leitete den Nil in ein sicheres
Bett. Möris grub den See Möris, die schädlichen Überschwemmungen des Nils zu
hindern. – Dann folgt Sesotris der Eroberer, der sich selbst entleibte.« – Warum?
– War er schön? – Hat er geliebt? – War er jung? – War er melancholisch? – Auf all
dies erfolgt vom Lehrer keine Antwort, nur die Bemerkung, er möge wohl eher alt zu
denken sein. – Ich demonstrierte ihm vor, daß er jung war, bloß um das Rad der
Zeit in Schwung zu bringen, das im Geschichtskot der Langenweil immer
steckenbleibt. – Es rumpelte auch noch über den Busiris, der Thebä erbaute,
Psamtichus, der die geteilten Staaten unter seine Flügel nahm, dann die Kriege mit
Babylonien, Nebukadnezar, dem's der Kambyses, Cyrus' Sohn, wieder abnimmt. Die
Ägypter vereinen sich mit Lybien, machen sich wieder frei, kriegen mit den
Persern, bis Alexander dem Streit und zu meinem Vergnügen dieser Geschichte ein
End macht. – Das ist der Inhalt der ersten Stunde, Du siehst, daß ich aufgepaßt
hab. Hätt ich aber den Sporn nicht gehabt, Jagd auf die Langeweile zu machen und
Dir zu zeigen, wie unnütz es ist, die Asche, von der die Natur
Der Tau war so stark, ich war ganz naß geworden; als ich nach Hause kam, da trat mir der Lehrer schon mit dem achtzehnhundertsten Jahr der Welt entgegen, wo Nimrod Babylonien gestiftet. Ich wollte nicht fragen, wer der Nimrod war, aus Furcht, er möcht mir's sagen, und es wär eben auch unnütz, es zu wissen. Wenn nun der Nimrod ein guter Kerl war, um den es schad wär, und der mir besser gefallen könnt, als die jetzigen Menschen, so wollt ich ihm wohl die Dauer der Unsterblichkeit gönnen, aber der Lehrer jagte gleich den Assyrer Ninus hinterdrein, der das Reich erobert, von wo er Mittelasien beherrscht, ich jagte also ohne Aufenthalt mit, bis das Reich wieder befreit wird durch Nabopolasar, von dem ich auch nicht weiß, woher er geflogen kam. – Nebukadnezar erobert Ägypten; Babylonier, Assyrer, Meder führen Krieg – bis Cyrus, der Perser, alle Reiche wieder erobert. – Babylonische Geschichte umfaßt sechzehnhundert Jahr, hat um elf Uhr angefangen und Glockenschlag zwölf Uhr aus, ich spring in Garten.
Freitag
Heut morgen war der Geschichtskerl nicht da, da hab ich Generalbaß studiert, von
dem könnte ich eher sagen, daß ich was gelernt hab, über den hab ich Gedanken, er
spricht mich an wie Geheimnis, obschon der Hoffmann sagt: Alles ist klar wie der
Tag – ich geb's zu – deswegen ist der klare Tag mir auch ein Geheimnis, so gut wie
der einfache Harmoniensprung, von dem Hoffmann heut sagte: »Betrachtet man die
Tonika nicht allein als solche, sondern auch in bezug auf jede andre Tonika, als
eine ihr verwandte Tonart, wo sie vermöge und in dem Grade ihrer Verwandtschaft
wieder Beziehung hat auf alle Seitenverwandtschaften und daher immer wieder als
solche sich geltend machen kann; so sieht man leicht, wie alle möglichen Gattungen
von Dreiklängen vermittels einfacher Harmoniensprünge aufeinander folgen können.«
Ich glaub's, aber begreif's nicht – betrachten? – kann man denn alles betrachten,
wie man will? – kann ich die Wolken da oben betrachten wie mein Daunenbett, so
werden sie doch nicht herunterkommen, mich zudecken. Der kleine Hoffmann sieht
mich an, erstaunt über meine Dummheit, und wird selbst ganz dumm, denn er
verstummt.
Samstag
Ach gestern war ein Tag voll Sonnenschein, die Mückchen und Käfer haben ihn vertanzt und versummt, die verstehen das Schwelgen im Genuß; ich hab sie belauscht, im hohen Gras überbaut von der Leinwand, die da auf der Bleiche liegt. Die alte Cousine begoß sie ein paarmal in der Mittagsglut, es dauerte eine Weile, bis die einzelnen Tropfen durchkamen und mich benetzten, ich hörte da unten der Musikprobe zu von den Symphonien, die aus dem Boskett herüberschallten in mein ungebildet Ohr und es in Erstaunen setzten über alles, was es nicht fassen konnt. Musik – in Tönen daher getragen durch die Lüfte, die ganze Gewalt der Offenbarung über uns ausströmend und dann verschwebend – wer kann sie wieder wecken, wenn sie verhallt ist; ich bin so närrisch, mir deucht, ich müßt verzweifeln, daß sie verklungen ist und hab ihr nichts abgewinnen können. So wird's noch manchmal gehen, es wird klingen und ich werd's nicht fassen. Gestern sprach ich mit der Großmutter, die sagte: »Was der Verstand nicht faßt, das begreift das Herz.« – Ich begreif das wieder nicht.
Heut morgen sagt der Hoffmann: »Der einfache Harmoniensprung ist, wenn zwischen
zwei aufeinander folgenden Akkorden eine Harmonie im Verstande gehört wird.« – Ich
hör nicht im Verstand diese Harmonie, ich bin ganz durchdrungen von dem, was ich
fühle, nicht was ich versteh. – Glaub's, Musik wirkt, begeistert, entzückt, nicht
dadurch, daß wir sie hören, sondern durch die Macht der übergangnen
dazwischenliegenden Harmonien,
Am lichten Tag zerstiebt das Geisterheer der Gedanken, aber dort unter der Leinwand, wo die Sonne durch die gesammelten Wassertropfen auf mich tropfte, wo ich im Netz gefangen lag all der blühenden Gräser, dort war mir's klar: Nicht, was wir mit den Sinnen vernehmen, ist wahre Wollust, nein! – vielmehr das, was unsere Sinne bewegt – zum Mitleben, Mitschaffen, das ist Leben, das ist Wollust – wirkend sein! – Genug, die Geister waren mächtig in mir während der Musik; deutlich riefen sie mir zu: »Eine Geige nimm und fall ein, so wie du fühlst, daß du zur Entfaltung des Harmonienstroms mitwirken kannst, und kannst ihn heben und dich geltend machen im Verbrausen deiner Begeistrung – und dort auf der Höhe dich ausdehnen, dich fühlen in jedem Ton durch die Verwandtschaft deiner Stimme mit.« – Sollte einer Harmonielehre verstehen und mit Verstand anwenden, er müßte heimlich die Welt beherrschen, ohne daß es einer merkt, und das ganze Universum kläng ihm wie eine Symphonie, und die ganze Weltgeschichte trommelte und pfiff und schalmeiete zu seinem großen Weltpläsier.
Ja, ich versteh's, dem Hoffmann werd ich's zwar so nicht sagen, dem werd ich den ersten, zweiten und dritten Grad aller Verwandtschaften darlegen, und wie alles mir unterworfen ist zu dienen, wie ich jedem die Herrschaft übertragen kann und wieder abnehmen und wie ich also immer herrsche, solang ich im Strom göttlicher Harmonie mitschwimme.
Adieu! Ich strecke wie ein Krebs meine Scheren aus dem seichten Grund meiner Wahrnehmungen und packe, was ich zuerst erwische, um mich aus dem eignen Unverstand loszuwinden.
Halte doch noch eine Weile aus mit Deinem Geschichtslehrer; daß er Dir möglichst
kurz die Physiognomien der Völkerschaften umschreibt, ist ganz wesentlich. Du
weißt jetzt, daß Ägypten mit Babylonien, Medien und Assyrien im Wechselkrieg war,
fortan wird dieses Volk kein stehender Sumpf mehr in Deiner Einbildung sein.
Regsam und zu jeder Aufgabe kräftig – waren ihre Unternehmungen für unsre
Fassungsgabe beinah zu gewaltig; sie zagten nicht, bei dem Beginn das Ende nicht
zu erreichen, ihr Leben verarbeitete sich als Tagwerk in die Bauten ihrer Städte,
ihrer Tempel, ihre Herrscher waren sinnvoll und umfassend heroisch in ihren
Plänen, das wenige, was wir von ihnen wissen, gibt uns den Vergleich von der
Gewalt ihrer Willenskraft, die stärker war als die jetzige Zeit zugibt, und leitet
zu dem Begriff hin, was die menschliche Seele sein könnte, wenn sie fort und fort
wüchse, im einfachen Dienst ihrer selbst. Es ist mit der Seelennatur wohl wie mit
der irdischen, ein Rebgarten auf einen öden Berg gepflanzt, wird die Kraft des
Bodens bald durch den Wein auf Deine Sinne wirken lassen; so auch wird die Seele
auf Deine Sinne wirken, die vom Geist durchdrungen den Wein Dir spendet der Kunst
oder der Dichtung oder auch höherer Offenbarung. Die Seele ist gleich einem
steinigten Acker, der den Reben vielleicht grade das eigentümliche Feuer gibt,
verborgne Kräfte zu wecken und zu erreichen, zu was wir vielleicht uns kein Genie
zutrauen dürften. Du stehst aber wie ein lässiger Knabe vor seinem Tagwerk, Du
entmutigst Dich selbst, indem Du Dir den steinigten Boden, über den Dorn und
Distel ihren Flügelsamen hin und her jagen, nicht urbar zu machen getraust.
Unterdes hat der Wind manch edlen Keim in diese verwilderte Steppe gebettet, der
aufgeht, um tausendfältig zu prangen. – Dein scheuer Blick wagt nicht den Geist in
Dir selber aufzufassen. Du gehst trutzig an Deiner eignen Natur vorüber, Du
dämpfst ihre üppige Kraft mit mutwilliger Verschwörung gegen ihren
Wahrnehmungsgeist, der Dir's dann doch wieder über dem Kopf wegnimmt, denn mitten
in Deiner Desolationslitanei sprühst Du Feuer, wo kommt es her? – Haben Dich die
Erdgeister angehaucht? – Fällt Dir's vom Himmel? – Schlürfst Du's mit der Luft in
Dich? – Ich weiß es nicht, soll ich Dich mahnen, soll ich Dich stillschweigend
gewähren lassen? – Und vertrauen auf den, der Dir's ins Gesicht geschrieben hat?
Ich weiß es wieder nicht. – Ich möchte wohl, aber dann wird mir zuweilen so bange,
wenn ich, wie in Deinem letzten Brief, das Vermögen in Dir gewahr werde, wie das
lässig in sich verschränkt keinen Mucks tut, als ob der Schlaf es in Banden halte,
und wenn's sich regt, dann ist's wie im Traum, nur Du selber schläfst um so
fester, nach solchen Explosionen! – Ob ich recht tue, Dir so was zu sagen? – Das
quält mich auch, man soll den nicht wecken, der während dem Gewitter schläft! – Du
kommst mir nun immer vor, als entlüden sich elektrische Wolken über Deinem
verschlafenen Haupt in die träge Luft, der Blitz fährt Dir in die gesunkne Wimper,
erhellt
Karoline
Sei mir ein bißchen standhaft, trau mir, daß der Geschichtsboden für Deine Phantasien, Deine Begriffe ganz geeignet, ja notwendig ist. – Wo willst Du Dich selber fassen, wenn Du keinen Boden unter Dir hast? – Kannst Du Dich nicht sammeln, ihre Einwirkung in Dich aufzunehmen? – Vielleicht weil, was Du zu fassen hast, gewaltig ist, wie Du nicht bist. – Vielleicht weil der in den Abgrund springt freudigen Herzens für sein Volk, so sehr hatte ihn Vergangenheit für Zukunft begeistert, während Du keinen Respekt für Vaterlandsliebe hast – vielleicht weil der die Hand ins Feuer legt für die Wahrheit, während Du Deine phantastischen Abweichungen zu unterstützen nicht genug der Lügen aufbringen kannst, denen Du allein die Ehre gibst und nicht den vollen süßen Trauben der Offenbarung, die über Deinen Lippen reifen.
Ob Hoffmann Deine musikalischen Erleuchtungen unter der nassen Leinwand begreifen wird, bin ich begierig zu erfahren. – Wenn er verstehen soll, ob Du recht verstanden hast, so wirst Du ihm wenigstens in deutlicheren Modulationen Deinen enharmonischen Schwindel vortragen wie mir. – Das ist es eben – die heilige Deutlichkeit – die doch allein die Versicherung uns gewährt, ob uns die Geister liebend umfangen. – Wenn's nur nicht bald einmal aus wird sein mit der Musik wie mit Deinen Sprachstudien, mit Deinen physikalischen Eruptionen und Deinen philosophischen Aufsätzen und dies alles als erstarrte Grillen in Dein Dasein hineinragt; wo Du vor Hochmut nicht mehr auf ebnem Boden wirst gehen können, ohne jeden Augenblick einen Purzelbaum wider Willen zu machen. –
Karoline
Du strahlst mich an mit Deinem Geist, Du Muse, und kommst, wo ich am Weg sitze,
und streust mir Salz auf mein trocken Brot. – Ich hab Dich lieb! Pfeif in der
schwarzen Mitternacht vor meinem Fenster, und ich reiß mich aus meinem mondhellen
Traum auf und geh mit Dir. – Deine Schellings– philosophie ist mir zwar ein
Abgrund, es schwindelt mir, da hinabzusehen, wo ich noch den Hals brechen werd, eh
ich mich zurecht find in dem finstern Schlund, aber Dir zulieb will ich
durchkriechen auf allen Vieren. – Und
Heute hat die Vergangenheit ausgespien, so kurz wie möglich, denn ich saß ihr auf
dem Dach, das assyrische Reich, von Asser gleich nach dem babylonischen Reich
gestiftet; das Wort »gestiftet« macht mir immer Zerstreuung, vom Kloster her noch,
wo ich so oft hab vorlesen müssen, der heilige Bonifazius stiftete den heiligen
Orden der Benediktiner, oder der Antonius von Padua oder Franziskus und so weiter,
es gemahnt mich an jene Kämpfe, die diese heiligen Feldherrn mit der Legion Teufel
zu bestehen hatten, und da denk ich mir gleich alle Völker, mit denen sie im Kampf
waren, gehörnt mit Bocksfüßen, feuerspeiend und pestilenzialischen Gestank
verbreitend, den mir die Vergangenheit herüberweht. – Die heiligen Assyrer aber in
Kutten, die ihnen das Kämpfen erschweren. – Ich denk, ich denk – alle Teufel,
unterdes Ninus der Eroberer von Mittelasien herüberwitscht, Ninive die Hauptstadt
von Assyrien, erbaut, mit Tod abgeht, seinem kriegs- und baulustigen Weib
Semiramis noch ein Stück Babylon zu bauen übrig läßt, worauf sie glänzende
Feldzüge macht – das alles versäumt über dem Kloster und Waldteufel samt heiligen
Ordensmännern. – Durch Winkelzüge und Fragen kriegt ich's aus dem Lehrer noch
heraus, daß weiter nichts passiert war. Über der Geschichte der Semiramis hat
Vergangenheit so dicken Schimmel wachsen lassen, daß sie noch eben mit dem blauen
Aug der Unsterblichkeit ihres Namens davonkommt, sonst wüßten wir gar nichts. In
der Folge beherrschten die Meder Assyrien, es machte sich wieder frei, bis der
Babyloner König Nabopolasar (unter welchem ich mir einen Centaur denk, der
Silbenfall seines Namens hat etwas Ähnliches mit dem Galopp eines leichten
arabischen Renners) es erobert und mit den Persern teilt. – Damit hat die
Vergangenheit für heute noch nicht genug, sondern meldet ferner: Die älteste
Geschichte der Meder ist unbekannt, Arbazes, ihr Statthalter, befreit durch
Überwindung des Sardanapal vom assyrischen Joch im Jahr der Welt 3108, genau
gemessen, des Lehrers Phantasie erstreckt sich lediglich aufs Jahr der Welt.
Dejozes erbaut Eckbatana (lies Tians Offenbarungen über diese herrliche Stadt). –
Astyages (wo kommt der her?) vermählt seine Tochter dem Perserkönig Kambyses,
dessen Sohn Cyrus seinen Großvater vom Thron stieß (der also zu lang sitzen
geblieben war) –, er vereinigt Medien, Assyrien und Persien und stiftet das große
medopersische Reich, der Jud Hirsch vom Geschlecht Esau streckt seine rauhe Hand
herein, es in Besitz zu nehmen, er wird's unterjocht halten in seinem alten Sack,
bis Du's befreiest,
Schreib vom Märchen. –
Schreib dem Clemens nichts von mir, sag ihm nur nichts von meiner Ausgelassenheit,
er meint gleich, ich wär besessen, er tut mir tausend Fragen, er ist ganz
verwundert, daß ich so bin, er forscht, er sucht eine Ursach und frägt andre Leut,
ob ich verliebt sei, wo ich doch nur im heiligen Orden meiner eignen Natur lebe.
Zum Beispiel wenn er wüßte, daß ich abends auf dem Dach vom Taubenschlag sitz und
der untergehenden Sonne auf dem Flageolett vorblase, würde er's gutheißen? – Mein
arm jung Leben liegt mir am Herzen, ich kann ihm nichts versagen. – Red nichts von
mir, laß die Leute bei ihrer herzlich schlechten Meinung von mir, es ist meine
beste Freud, ich geh mit meinem Dämon um, der sagt: Du sollst dich nicht
verteidigen. – Ich tu, was er will, alles andre ist mir einerlei; einmal hab ich
Visionen von ihm, so gut ward's der Psyche nicht, sie sah doch nicht seinen
Widerschein; denn es war stockfinstre Nacht um sie, ich aber, wenn ich's im Herzen
fühl, so seh ich's auch, was mich entzückt, warum ich leben mag, himmlisch feucht
Leben im Jugendstrahl, vortretend, ein bißchen auf die Seit geneigt, steht er
immer vor mir, nicht den Blick mir grade zuwendend, nein, bescheiden zeigt er sich
in meiner Brust, der Gott, dem ich mich einschmeichle, mit süßen Tränen, der mich
morgens vom Lager schüttelt, wo's kaum tagt, ich soll mich aufmachen, vielleicht
begegne ich ihm bei Tagesanbruch, so eil ich flüchtig vorwärts, ich fühl mich
schön im Herzen, ich fühl meine Schönheit, mein Geist ist ein Spiegel, der ist
voll himmlischem Reiz – jeder Tautropfen am Weg sagt mir, ich gefalle meinem –
ihm, was braucht's mehr, wem sollt ich noch gefallen wollen außer ihm? – Nein,
glaub's doch nur, er ist wirklich! Er schreitet so leicht, er entschwindet mit
jedem Tritt, aber er ist gleich wieder da! Wie sich das Licht im Auge spiegelt,
mich blendend deckt es sich im Schatten, dann faßt es wieder Licht, dann
schwindelt's, es sieht den Strahl verschweben, doch leuchtet der fernerhin wieder
auf, das Auge sucht ihn, es hat ihn schon gefunden, dann schließt sich's und
siehet innerlich, das ist ein still Genießen. – O, ich weiß alles! – Ich weiß zu
lieben, aber nur den Genius. – Keiner darf wissen das Geheimnis, was sich im
Feuerkreis um mich schwingt. – Wenn ich so dasteh, still – mit geschlossenen
Armen. – Und der Blick, den nennt die Großmama starr – »Mädele, was starrst –
sollt man glauben, Du wärst außer der Welt entrückt.« – Ich fuhr auf – da lacht
sie. – »Gutes Kind, wo bischt? – bischt beim Schutzengel?« – und zieht meine Hand
an ihre Brust – »so sagen die Schwaben, wenn einer so in sich verstummt.« – Ich
wollt's bejahen und konnt doch nicht. – Der ruft mir: »Schweig!« – und sollt ich
einen Laut tun? –? Nein, er sagt: »Schweig!« Das schließt mir den Mund auf ewig. –
Ewig, Günderod. – Du bist der Widerhall nur, durch den mein irdisch Leben den
Geist vernimmt, der in mir lebt, sonst hätt ich's nicht, sonst wüßt ich's nicht,
wenn ich's vor Dir nicht ausspräch.
Ach, Du stocktest. Das hab ich meiner Ungeduld zu danken – zu hören, nein, zu fühlen Deinen süßen Wörtertanz, wie er sich mit vollem Busen sanft hinablehnte zu den Wellen, die ihn umfassen wollten und kühlen. – Ich konnt's nicht erwarten, daß Du weiter tanztest Deiner Seele Tanz. – Und da war's vorbei; da macht ich einen Vers dazwischen, um Dich in Trapp zu bringen, Du sagtest: »Geh, Du Esel« – da war's aus. – Ach, wieviel Melodien hab ich auf diesen Vers gesungen, alle Stimmungen hat er müssen aufnehmen, heut noch längs der Gartenwand schlug ich mit einem Stock ans Eisengitter, das dröhnte mir im Herzen wider, als wär's Herzpochen, und sang dazu so kühn, so laut, so schreivoll, als stünd mein Herz mitten in Flammen und eilte sich mit Pochen über alle Maßen. Weißt Du nicht weiter zu singen, was passiert, wenn sich das Blut pochend zum Herzen drängt? – Oder willst mir's nicht sagen? – Bin ich Dir dazu auch noch zu jung? – Wenn Du das meinst, dann will ich Dir beweisen, daß ich weit drüber hinausgreif, und daß ich mehr weiß als viele, denen das Herz schon gepocht hat wie mir nicht. – Einmal erregt sich das Herzpochen durch Anlächeln – das hab ich aus eigner Wahrnehmung, gestern abend erst auf der Bank vor der Hoftür, da saß ich – es war elf Uhr, alles schlief, beim Nachbar brannte ein Nachtlämpchen.
Adieu, schlaf recht wohl, denn es ist elf Uhr, alles schläft wieder, ich will wieder mich auf die Bank setzen vor die Hoftür, es ist Vollmond, geht gleich auf, ich will ihn steigen sehen. Gute Nacht.
Dein buntes Füllhorn fröhlicher Verschwendung erlöst mich vom Übel. – Gedanken
sind mir oft lästig in der Nacht, die mir am Tage einen trüben Nachklang geben, so
war's heute! – Dein jung frisch Leben, das Schmettern und Tosen Deiner
Begeisterung und besonders Dein Naturgenuß sind
Dem Clemens will ich gern von Deinen Briefen an mich nichts sagen, weil Du es
nicht willst, und ich fühl auch, daß es nicht sein kann, es wär Störung ohne
Gewinn, er sieht Dich so ganz anders, ohne daß er Dich falsch beurteilt, nur sieht
er in jedem Farbenstrahl Deines Wesens wie Diamanten, die er meint fassen zu
müssen und doch nicht erfassen kann, weil es eben nur Strahlenbrechen Deiner
Phantasie ist, die ihn und jeden verwirrt. Glaubst Du denn, daß ich ruhig bin,
wenn Du so mit mir sprichst, von einem zum andern springst, daß ich Dich jeden
Augenblick aus dem Auge verliere? Du hebst mich aus den Angeln mit Deinen
Wunderlichkeiten! – Doch ich will nicht freveln! – Dein Lachen, das mich oft außer
mir gebracht hat, womit Du mich beschwichtigen wolltest – nun, ich muß mir es
gefallen lassen, daß Du mit allen Pfeilen wie ein armes Wild mich hetzest. – Und
der Clemens, der mich immer spornt mit Dir zu lernen, der immer von mir wissen
will, was und wie Du es treibst. Dem es leid tut um jeden Atemzug, der von Dir
verloren geht, der hingerissen ist von Deinen kleinen Briefen an ihn, wo Du ganz
anders wie ein Kind schreibst, so fromm, und an mich so ausgelassen, was soll ich
dem nur sagen? – Das eine tu mir nur und rappel mir nicht einmal vom Dach herunter
mit Deinem Flageolett; hätt ich nicht Vertrauen in Gott, daß der weiß, zu was
alles in Dir so ist und nicht anders, und daß es ja doch nur ihn angeht, da es
sein Belieben war, Deine Seele so zu bilden. – Was sollt ich von Dir denken? –
Clemens schreibt, Du müßtest fortwährend dichten und nichts dürfe Dich berühren
als nur was Deine Kräfte weckt, es ist mir ordentlich rührend, daß während er
selber sorglos leichtsinnig, ja vernichtend über sich und alles hinausgeht, was
ihm in den Weg kommt, er mit solcher Andacht vor Dir verweilt, es ist, als ob Du
die einzige Seele wärst, die ihm unantastbar ist, Du bist ihm ein Heiligtum, wenn
er manchmal von Offenbach herüberkam, da war er ganz still in sich vertieft, wo
sonst seine Koketterie fortwährend gespannt war, kleine Kritzeleien von Dir hat er
oft sorgfältig aufgehoben, es wäre traurig, wenn Du keinen liebenden Willen zu ihm
hättest; schreib doch nicht mehr »passiert«, das Wort ist nicht deutsch, hat einen
gemeinen Charakter und ist ohne Klang, kannst Du nicht lieber in den reichen
deutschen Ausdrücken wählen, wie es der reine Ausdruck fordert. Vorgehet,
Karoline
Drei Uhr morgens! – Hier bin ich – auf der Terrasse am Main, ich wollt als immer
einmal hergehn in der Früh, wenn der Tag noch nicht auf den Beinen ist und Lärm
macht, am Tag bin ich zerstreut, was mir immer wie Sünde deucht, daß ich Anteil
nehm an was mich nichts angeht. – Aber in der Früh, da hab ich ein ganz lauter
Herz; und schäm mich nicht, die Natur zu fragen, und ich versteh sie auch, gestern
abend war mir so wohl hier, wie Bernhards Schiff mit der Harmonie hin und her fuhr
auf dem Main, die meisten Leut waren nachgefahren auf Nachen, wir blieben am Ufer,
ich hatt mich ganz in die Ecke gesetzt, da steht ein großer Zitronenbaum, es war
Wetterleuchten, aber die Hitz war doch nicht abgekühlt, und die Blüten vom Baum
wetterleuchteten auch, oder sollt ich mich getäuscht haben? – denn ich war
eingeschlafen über der Musik, und wie ich aufwachte, da sah ich ganz verwundert,
wie der Zitronenbaum Flammen hauchte aus den Blüten. – Ich kann's doch nicht
geträumt haben? – Denn ich guckte eine ganze Weile zu, bis ein leiser Regen kam,
da gingen wir nach Haus. Wer weiß, was doch alles vorgeht in der Natur, was sie
uns verbirgt. Der Mensch hat ja auch als Gefühle, die er nimmer wollt belauscht
Und jetzt geh ich, Dir hab ich alles eingeprägt, das ist nicht ausgeplaudert, mich lockt's, damit es nicht vergessen sein soll, daß ich Dir's vertraut hab.
Nr. 2. Am Abend
Heut ist der Jud erst um sieben Uhr kommen.
Mit der Großmama bin ich im besten Vernehmen, solang die Tante im Bad ist, bleib
ich hier, es gefällt ihr, daß ich gern bei ihr bleib, ich hab aber noch so manch
andres, was mich anzieht, wovon sie nichts weiß. Heut morgen kam ich dazu, wie der
Bernhards-Gärtner mit einem Nelkenheber die dunkelroten Nelken in einen Kreis um
einen Berg von weißen Lilien versetzte, in der Mitte stand ein Rosenbusch. Diese
Früharbeit gefiel mir wohl und hab mit Andacht dabei geholfen, der Dienst der
Natur, der ist wie Tempeldienst. Wenn der Knabe Jon vor die Tempelhalle tritt und
die ziehenden Störche bedeutet, daß sie ihm die Zinne des Tempels nicht
verunreinigen sollen, wenn er dann die Schwelle mit kühler Flut besprengt, die
Halle fegt und schmückt, so fühl ich in diesem einsamen Tagwerk ein hohes
Geschick, vor dem ich Ehrfurcht habe. Ach ich möcht ein Knab sein, Wasser holen in
der Morgenfrische, wenn alles noch schläft, den Marmor polieren von den Säulen,
meine Götterbilder still bedeutsam waschen und alles reinigen vom Staub, daß es
leuchte im Dämmerlicht; dann, nach der Arbeit die heiße Stirn auf die kühlen
Stufen legen und ruhen, in heimlichem Genügen; ruhen die Brust, die schwillt von
Tränen, daß es so schön ist in der dämmrigen Stille im Tempel; so scheint mir auch
die heutige Arbeit
Wie die Natur eingeht zum Tempel im Winter und ruht da im Gottfühlen aus, das nennen die Menschen Winterschlaf, dann kehrt sie wieder mit neuer Blütekraft und taut und duftet den eingesognen Himmelsatem, und ewig ist der Tempel Gottes angehaucht von der Liebe der Natur.
Ich schreib's dahin, daß mir's so wohl ist heut, weil die Sonn mir aufs Papier scheint und meine Gedanken beleuchtet, da lese ich so deutlich in meinem Herzen. –
Der Gärtner ist so gut, er suchte mir aus allen Büschen die schönsten Blumen
heraus, der Strauß ragte mir über den Kopf mit schönem Bandgras, auch frisches
Laub dabei, und vom Lerchenbaum und von der Scharlacheiche. Dieser Baum ist, was
man schön gewachsen nennt, er streckt sein scharlachrot Laub in die blaue Luft
hinaus zum Tanzen, der leiseste Wind bewegt ihn. – Im Heimgehn hatt ich Gedanken,
die mich ergötzten, an denen mir gelegen ist, daß sie wahr sein möchten, sie waren
nicht in mich gepflanzt, sie wuchsen von selbst auf wie jene Blumen auf der Heide.
– Morgenstund hat Gold im Mund – wär ich nicht früh draus gewesen, so hätt ich sie
nicht denken können. – Natur ist lehrsam, wer ihre Lehrstund nicht versäumt, der
hat zu denken genug, er kriegt die trocknen Lebenswege gar nicht
Vom Clemens glaub doch nicht, daß ich ihn belüg, ich bin anders mit ihm in meinen
Briefen, weil ich so sein muß. In Bürgel die kleine Orgel hat elf Register, groß
und kleine Choralstimm, Harfenstimm, Trompetenstimm, Posaunenton, schnarrende
Engelsstimm, was weiß ich's alles – und vox humana, der Hoffmann hat mir gestern
eine halbe Stund lang davon erzählt, und daß es Orgeln gibt, die dreißig Register
haben, er sagt, meine Kehl wär wie so eine Orgel, ich zög allemal ein ander
Register, wenn ich sanft oder begeistert sing, oder schmetternd, wenn ich tob,
oder bewegt, wenn's zum Seufzen stimmt in meiner Brust, oder gewaltig, wenn mir's
ist, als ob ich's allein alles zwingen müßt. – Das hat der kleine Kerl alles
gewußt, er hat mir zugehört gestern abend, wie ich einen homerischen Hymnus an die
Diana ableierte auf dem Dach, weil's Vollmond ist. Das deuchte mir so schön,
dieser Göttin einen vollen strömenden Gottesdienst aus meiner Brust zu halten, daß
ich nicht dran dachte ans Belauschen und hab recht geschmettert. – Der Hoffmann
sagt, es war zum Verwundern. – Nun ich mein, der Clemens zieht immer das Register
der Kinderstimm aus meiner
Mit dem Clemens versteh ich Dich, oder ahne doch wie es zusammenhängt, ich hab
auch gar nicht die Idee, daß es anders sein solle, nur über das, was er von Dir
sagt, wie er Dich ausspricht, und das geschieht oft, ist mir manchmal so
wunderlich zumut, weil er ganz prophetisch Dich durchsieht, andre Leute sagen, er
schneide auf, und das ist auch eigentlich so, aber er trifft die Wahrheit, wie ich
unter allen allein es am besten weiß. – Dann um seine Extravaganz zu beweisen,
fällt wohl alles hinter seinem Rücken über Dich her, was in seiner Gegenwart man
nie wagt, wo man immer stillschweigt, mir ist's oft peinlich gewesen, über Dich
urteilen zu hören, jetzt aber hab ich diese kleinliche Ängstlichkeit überwunden.
Gestern war Ebel, St. Clair, Link, die Lotte und ich im kleinen Kabinett bei der
Tonie, da ich weiß, wie weit die Pfeile vom Ziele ablenken, die man gegen Dich
schnellt, so hatt ich keine Furcht um Dich, Ebel ist nicht aus persönlichem
Widerwillen, sondern aus Abgeneigtheit seiner Natur wider Dich. Und weil er
während dem Hiersein von Clemens immer am meisten erdulden mußte, da er aus
Zaghaftigkeit seinem Eifer nie auszuweichen wagte, so ist's ihm nicht zu
verdenken, daß er jetzt mit vollem Genuß sich schadlos halte. St. Clair schüttelte
mit dem Kopf und sah mich an, weil die Lotte perorierte: gänzlicher Mangel an
historischem Sinn und gar keine Logik beweise, daß du ein Narr seist. Er sagte:
Gebt ihr eine Fahne in die Hand und laßt sie uns voranschreiten, so führt sie uns
sicher, trotz ihrem Mangel an historischem Sinn, zu einem gesunden Wendepunkt der
Geschichte. Möcht Ihr mit Eurer Logik in Gefahr schweben, so wird sie ihr entgehen
lehren, so unlogisch sie's nach Eurer Weise auch anfangen würde. Und geht doch,
sagte er, mit Eurem Weisheitsurteil über ein Naturkind, das von ihr nicht
stiefmütterlich behandelt ist, es ist ihr an der Stirne geschrieben, daß ihr keine
Sorge zugemessen ist. Er reichte mir die Hand, er sah mir's an, daß es mich
freute; auf der Lotte ihre breite Rede, die nun mit verdoppeltem Eifer sich
durchdrängte mit ihrer Weisheit, sagte er nichts weiter, und keiner; das Gespräch
ging aus wie ein Licht, das ein starker Windzug ausgeblasen. – Um so mehr bin ich
geneigt, Dich vor allen zu verschweigen. – Der Clemens – er wird Dich einst nach
hundert Jahren auf dem Berge Arafat finden, – wie Adam, als er nach seiner
Verbannung aus dem Paradiese die Eva aus den Augen verlor, die in der Nähe von
Mekka auf jenem Berge weilte, er aber auf Serendib oder die Insel Ceylon
verschlagen war, er kannte sie wohl, ihre Seele war in seine Seele eingeprägt, und
suchte sie fleißig; oft auch redete er die wilden Tiere an und
Adieu! Am Märchen schreib ich nicht. – Der vergißt mit dem Pflug umzudrehen; über den Sternen, die er im Wasser blinken sieht. Leb wohl und gedenke meiner.
Karoline
Die Ursache, warum der Streit angegangen war über Dich, war ein Brief von Dir, den Du im achten oder neunten Jahr, kurz vor Deines Vaters Tod aus dem Kloster an ihn geschrieben hattest, und der Deinen Vater sehr gefreut haben soll, so daß er ihn in seiner Krankheit oft gelesen, St. Clair hatte ihn vom Clemens, der ihn aufbewahrt, abgeschrieben, und sagte, in diesem Briefe läge Deiner ganzen Anmut Keim. Das wollte die Lotte nicht zugeben und meinte, es sei lächerlich nur ihn als Brief zu rühmen, der Clemens verdrehe Dir den Kopf. Der Brief lautete wie folgt, da magst Du selbst Dich beurteilen: »Lieber Papa! Nix – die Link (da war eine Hand mit der Feder gezeichnet) durch den Jabot gewitscht auf dem Papa sein Herz, die Recht (wieder eine Hand gemalt) um den Papa sein Hals. Wenn ich keine Händ hab, kann ich nit schreiben.
Ihre liebe Tochter Bettine
Fritzlar 1796 am 4 ten April«
Was mich verstimmte, war, daß die Lotte den Brief fortwährend mit gellender Stimme vortrug und die Dummheit eines achtjährigen Kindes und die Liebe des verstorbenen Vaters nicht schonte, ich warf dem St. Clair vor, daß er ihn herausgegeben hatte. »Ach!« sagte er, »ich hab's schon hundertmal bereut. – Man kann ihr auch einst zurufen wie dem Simson: Bettine, Philister über dir, zum Glück liegt ihre Stärke nicht in den Locken, die man abschneiden kann, sondern im Geist, und der wird sich nicht gefangengeben.« Gelt, das ist ein gut Geschichtchen, ich glaub, der St. Clair liebt Dich, die Lotte meinte, Du habest letzt auf der Gerbermühl eine so lange Unterhaltung heimlich mit ihm gepflogen.
Vor ein paar Jahren wohnte hier nebenan in dem jetzt leerstehenden Haus ein Mann,
der war aus der Fremde gekommen, ich glaub, es war die Schweiz, der tat Wunder mit
seiner Willenskraft, bei Tisch war viel die Rede, er könne mit seinem Blick die
kranken Menschen zum Schlafen bringen, daß die ihm dann über ihre Krankheit im
Schlaf mitteilen, wie man sie heilen könne, und daß sie auch hellsehen in die
Zukunft und in die Vergangenheit, beim Erwachen aber nichts mehr davon wissen –
dieser Mann hatte mir was Geheimnisvolles, da die Leute so unheimlich von ihm
Die Eule, die Jungfer Salome, der weise Meister im Abendschein, eine Vision des Philistertums, in dessen Geist sie versammelt waren.
In der Bibliothek hab ich heute einen geschnittnen Stein gefunden; der blecherne lackierte Kerl, der heut aus Homburg herüberkam, der G.r.g., der die Welt durchs Perspektiv beguckt, um alles zu durchschauen (zufällig passiert nichts vorm Guckloch), erklärt den Stein für antik, sonst wollt die Großmama mir ihn schon schenken für Dich. – Daphnis, vom Apoll verfolgt, wurzelt fest mit der flüchtigen Sohle und sprießt in Lorbeer auf. Das paßt so schön auf Dich. Dein Schicksal, Du siehst's vor Augen. Geliebt, verfolgt, umfangen vom Gott der Musen, und dann, ewig immerdar goldne Keime aufschossend, und der Dichter reiner Orden, der Dich umwandelt, mit Dir sich zu berühren, das ist kein Philistertum, solche Geschicke wie heilige Gefäße umfaßten ein Menschenleben zur Zeit der Griechen. (Ist mir doch, als spräch ich mit Deinen Lippen.) Aber heut! Aber ich – mein Kopf ein Feld, das brach liegt – ich wandle zwischen Hecken, seh jede Erdscholle benutzt, der Salatkopf in der Mitt, die Bohnenstangen oben drüber, und mir bangt, daß ich nicht angepflanzt bin, ich denk, daß Du Dir Müh gibst mit mir, daß es nichts hilft. Nachts denk ich als, wenn die Sonn aufgeht, will ich lernen, am Tag wollt ich, die Nacht käm doch, daß ich allein wär und könnt mich selbst verstehen, ich armes Käuzlein kleine.
Und stiftete das große Medopersische Reich. – Da sind wir geblieben, da hab ich
ein groß Medusenhaupt in mein Geschichtbuch gezeichnet mit aufgesperrtem Rachen,
fräß es doch die ganze alte Geschichte mit samt dem Arenswald auf. Ich war so froh
über die Pfingsttage – eine ganze Woche war er ausgeblieben, ich hatte mich so
schön entwöhnt! – Die Perser, von den Griechen Cephonen genannt, von Cepheo, dem
Sohne Belli, dessen Tochter Andromeda Perseus, der Sohn Jupiters und der Danae,
geehelicht, ich glaub, der Kerl hat gefaukelt, ich mein den Geschichtslehrer. Wird
ein Götterjüngling ein Philister sein und ehelichen. Indes meldet Arenswald einen
Sprößling dieser Ehe, der das Cephonenland beherrscht unter dem Namen Persien,
Cyrus vereint's mit Medien, erobert Babylon, Kleinasien, bleibt in der Schlacht
gegen die Königin der Masageten. Ich frag gar nicht mehr, wer und woher – wer kann
das Volk all im Kopf behalten! – 3458, Kambyses erobert Ägypten, bekriegt die
Äthioper, der Magier Smerdis schwingt sich auf den Thron und hätt das Land
bezaubern können, die Großen des Reichs, zu eselhaft, von einem Zauberer sich
beherrschen zu lassen, entthronten ihn durch Mord. – 3462, Darius Hystaspis
bezwingt Babylon im Aufruhr, erobert Thrazien, Mazedonien, Indien. – Sein Sohn
Xerxes bezwingt Ägypten im Aufruhr, zieht gen Griechenland, wird besiegt
(Am 10.)
Heut morgen hab ich Deinen Brief beim Frühstück der Großmama vorgelesen, sie ist
schon so alt, sie nimmt's all mit ins Grab, sie hat Dich so lieb, sie sagt, Du
wärst die edelste Kreatur, die sie je gesehen, und dann sprach sie von Deiner
Anmut; sie spricht immer schwäbisch, wenn sie recht heiter ist. »Siehst, Mädele,
wie anmutig und doch gar bequem deine Freundin ist.« – Sie ist wirklich
liebreizend, und da las ich ihr auch meinen Brief vor, sie sagt, »Du bischt halter
e verkehrt's Dingele,« und dann hat sie mir den Stein mit der Daphnis doch
geschenkt für Dich, ich lasse ihn fassen, Du mußt ihn tragen und mußt nicht sagen,
von wem er ist. – Was ist Dein Brief voll schöner Geschichten, nur der Clemens ist
doch mein Adam nicht, das prophezeist Du schlecht, daß er mich erst nach hundert
Jahren auf dem Berg der Erkenntnis treffen werde. Ich hab ihn so lieb, so lang
kann ich nicht Versteckelches mit ihm spielen, und doch hast Du vielleicht recht,
im nächsten Brief will ich's sagen, aber dem Clemens fall ich um den Hals und küss
ihn, da hat er mich, wie ich bin. Aber! – es geht ein Weg – der führt in die
Alleinigkeit. – Ist der Mensch in sein eignen Leib allein geboren, so muß er auch
in seinen Geist allein geboren sein. – Der St. Clair ist gut, voll Herz, er wollt
ja zum kranken Hölderlin reisen – er soll doch hin! nach Homburg – ich möcht wohl
auch hin. – Er sagt, es würde dem Hölderlin gesund gewesen sein, ich möcht wohl,
ich darf nicht. – Der Franz sagte: »Du bist nicht recht gescheut, was willst du
bei einem Wahnsinnigen? willst du auch ein Narr werden?« – – Aber wenn ich wüßt,
wie ich's anfing,
St. Clair gab mir den Ödipus, den Hölderlin aus dem Griechischen übersetzt hat,
er sagte, man könne ihn so wenig verstehen oder wolle ihn so übel verstehen, daß
man die Sprache für Spuren von Verrücktheit erklärt, so wenig verstehen die
Deutschen, was ihre Sprache Herrliches hat. – Ich hab nun auf seine Veranlassung
diesen Ödipus studiert; ich sag Dir, gewiß, auf Spuren hat er mich geleitet, nicht
der Sprache, die schreitet so tönend, so alles Leiden, jeden Gewaltausdruck in ihr
Organ aufnehmend, sie und sie allein bewegt die Seele, daß wir mit dem Ödipus
klagen müssen, tief, tief. – Ja, es geht mir durch die Seele, sie muß mittönen,
wie die Sprache tönt. Aber wie mir das Schmerzliche im Leben zu kränkend auf die
Seele fällt, daß ich fühl, wie meine Natur schwach ist, so fühl ich in diesem
Miterleiden eines Vergangnen, Verlebten, was erst im griechischen Dichter in
seinen schärfsten Regungen durch den Geist zum Lichte trat, und jetzt durch diesen
schmerzlichen Übersetzer zum zweitenmal in die Muttersprache getragen, mit
Schmerzen hineingetragen – dies Heiligtum des Wehtums, – über den Dornenpfad trug
er es schmerzlich durchdrungen. Geweihtes Blut tränkt die Spur der verletzten
Seele, und stark als Held trug er es herüber. – Und das nährt mich, stärkt mich,
wenn ich abends schlafen gehe, dann schlag ich's auf und lese es, lese hier dem
Päan gesungen, den Klaggesang, den sing ich abends auf dem Dach vom Taubenschlag
aus dem Stegreif, und da weiß ich, daß auch ich von der Muse berührt bin, und daß
sie mich tröstet, selbst tröstet. O, was frag ich nach den Menschen, ob die den
Mangel an historischem Sinn und der Logik an mir rügen, ich weiß den Teufel, was
Logik ist. – Und daß mir St. Clair so viel zutraut, daß ich die Fahne glücklich
schwingen werde und sicher, und die Besseren und Hohen unter ihr sammeln. – Sag
ihm von mir, ich werde nicht fehlen, was mir einer zutraut, alle Kräfte dran zu
setzen. Den kleinen
Lese hier den Klaggesang, dem Päan geweiht, ob's Dir nicht durch die Seele weint.
So hab ich mir die Zeilen zusammengerückt, sie zu singen, diese Leidensprache, und sie fesselt mich an seine Ferse, der sich Frevler nennt.
In die Ferne sehend, nach dem Taunus, still getränkt im Abendschein, der die Nebel
durchlichtet, die flüchtenden, die ihn umschweifen; – da denk ich mir das Grabmal
selber ihm erkoren von Vater und Mutter, sein Kithäron. Da sing ich meinen Gesang
hinüber, und der Wind spielt mich an, und gewiß, er bringt mein Lied hinüber zum
Grab; mir ist's eins, ob der Zeiten Last sich drüber gewälzt, doch dringt die Trän
hinab, das Grab zu netzen, drang doch sein Weh herauf zu mir; und heute nur
stieg's auf mir im Herzen, als ich die Laute dem Gott – die jammernden, der ganzen
Welt geschrien – zaghaft in Musik verwandelte. – Und dort wohnt auch er, der die
noch lebenswarme Brust voll Wehe, und gesäet voll der Keime des Dichtergottes,
jetzt zermalmt im Busen die Saat, – in aufseufzenden Tönen herübertrug ins
Mutterland und wärmte – das Jammergeschick des Zwillingsbruders – in der Liebe,
die aus der Verzweiflung Abgrund ihn mit heißer Begierde heraufrief, das müde
jammervolle Haupt sanft zu
Was willst Du? Halte mir's zugut, Günderode, daß ich so spreche, verfolg den Faden meiner Gedanken, so wirst Du sehen, es geht nicht anders. Du trägst ja auch mit mir, daß sie Dich meiner Narrheit beschuldigen. Mangel an historischem Sinn – ist es doch, das Weh, was in der Fabelwelt begraben liegt, mit dem zu mischen des heutigen Tages. – Sie haben Recht, mir keine Logik zuzusprechen, da müßt ich ja den dort verlassen, der aufgegeben ist, da müßt ich mich aufgeben, was doch nichts fruchtet. – Sei nicht bang um mich, ich bin nicht alle Tage so, aber ich komm eben vom Taubenschlag, wo die Sonne mir die blauen Berge anglänzte, wo Hölderlin schläft über dem Grabe des Ödipus, und hab ihnen den Gesang gesungen, mit Tönen unzurechnungsfähig der Kunst, auffassend, was sie vermochten an scharfem Wehe, und es besänftigend mit dem Schmelz der Liebe, den ich durch die Stimme hinzugoß aus dem Herzen, daß der durch die Wolken dringe – hinab am Horizont, hinauf – wo die gewaltigen Geschicke immer auch weilen – und sich mische mit ihren bitteren, salzigen Fluten. Was wären doch die Dichter, wären sie es nicht, die das Schauervolle ins Göttliche verwandeln. – Wo der Gesang doch allein aus meinen Sinnen hervordringt, nicht aus dem Bewußtsein, da spricht's nachher so aus mir, daß Stimmen aus mir reden, die mit keinem andern im Einklang sind, der Ton, der Rhythmus, den ich übe, ist es auch nicht; keiner würde zuhören wollen, aber jene, denen ich singe, die müssen's doch wohl hören, nicht wahr? –
Es ahnt mir schon, Du wirst wieder bange werden um mich wie vorm Jahr! – aber Du
weißt ja, es ist nichts, ich rase nicht, wie die andern mich beschuldigen
Liebe Bettine! – Du drückst mir die Schreibefinger zusammen, daß ich kaum atme, noch weniger aber es wage zu denken, denn aus Furcht, ich könne willkürliche Gedanken haben, denke ich lieber gar nicht, magst Du am Ende meines Briefes fühlen, ob ich in den engen Grenzen meiner geistigen Richtungen Dich nicht verletzte, so daß Dein Vertrauen ohne Hindernis hinabströme zu mir, ja hinab, denn ich bin nichts. So lasse mich denn gesund mit Dir sprechen, da nichts mir fremd ist in Dir, denn in Deine Töne eingehen, das wäre Deinen Lauf stören.
In Dein Lamento über Deine Geschichtsmisere stimme ich ein, sie macht mich mit kaputt, kauf in Gottes Namen ein paar Beinkleider als Sühnopfer und entlasse Deinen Arenswald in Gnaden. Clemens schreibt, daß ich ihm Antwort schuldig sei, ich wußte nicht, daß er in Marburg ist, wenn Du ihm schreibst, so gib ihm die Einlage, er ist mehr wie unendlich gut gegen Dich, und es ist ein eigen Schicksal, daß unser beider Bemühung, Dich zu einer innern Bildung zu leiten oder vielmehr sie Dir zu erleichtern, nicht gelingen will, so schreibt er mir heute. Unter vielen Witzfaseleien, träumerischem Geseufze und Beteuerungen, daß er gar nicht mehr derselbe sei, ist es das einzige, was auf Dich Beziehung hat. Weil er Dich immer auffordert, Deine phantastischen Ahnungen zu sammeln, diese Fabelbruchstücke Deiner Vergleiche, Deiner Weltanschauung in irgendeiner Form niederzulegen, so meinte ich wie ein guter Bienenvater Deinen Gedankenschwärmen eine Blumenwiese umher zu bauen, wo Deine Gedanken nur hin und her summen dürfen, Honig zu sammeln. Ein glücklicher Schiffer muß guten Fahrwind haben; ich dachte, Deine Studien sollten wie frischer Morgenwind Dir in die Segel blasen. – Ich schrieb heute an Clemens, es werde sich nicht tun lassen, Deinen Geist wie Most zu keltern und ihn auf Krüge zu füllen, daß er klarer trinkbarer Wein werde. Wer nicht die Trauben vom Stock genießen will, wie Lyaeus der Berauscher, der Sohn zweier Mütter, der aus der Luna geborne, endlich sie reifen lasse, der Vorfechter der Götter, der Rasende; – und heilige Bäume pflanzte, heilige Wahrsagungen aussprach.
Ich hab mir's nicht gedacht, daß ich so sein könnt in diesen schönen Tagen. In
Deinem Brief, Zeile für Zeile, lese ich nichts Trauriges und doch macht er mich
schwer. – Du redest von Dir, als seist Du anders wie ich, ganz
Das mühselige Menschengeschlecht plappert wie die Elstern, es versteht nicht das
Stöhnen der Liebe, das muß ich sagen, weil die Nachtigallen so süß stöhnen über
mir. Vier Nachtigallen sind's, auch im vorigen Jahr waren's vier. Ja, lieben werd
ich wohl nie, ich müßt mich vor den Nachtigallen schämen, daß ich's nicht könnt
wie die. – Wie hauchen sie doch ihre
Gestern hab ich vergessen Dir zu schreiben, daß ich Dein Gedicht an den Clemens
geschickt hab nach Marburg, ich hab mir's aber erst abgeschrieben, ich wollt Dir
auch sagen, wie schön ich's find. Aber vor Dankbarkeit, daß ich Dich als Freundin
hab, hab ich's versäumt. Aber Du siehst's doch im Brief gespiegelt, daß es Dein
groß Herz ist, das mich rührt, und daß ich mich unwert halt, Deine Schuhriemen zu
lösen. – Du wählst Dir einen schönen Gedanken und fügst ihn in Reime zu einem
Ehrenmantel für den Clemens, ach, was hast Du da für eine schöne Tugend, hebst den
Geist heraus
Ach, ich hab eine Sehnsucht, rein zu sein von diesen Fehlern. Ins Bad steigen und mich abwaschen von allen Verkehrtheiten. Die ganze Welt kommt mir vor wie verrückt, und ich schußbartele immer so mit, und doch ist in mir eine Stimme, die mich besser belehrt. – Lasse uns doch eine Religion stiften, ich und Du, und lasse uns einstweilen Priester und Laie darin sein, ganz im stillen, und streng danach leben und ihre Gesetze entwickeln, wie sich ein junger Königssohn entwickelt, der einst der größte Herrscher sollt werden der ganzen Welt. – So muß es sein, daß er ein Held sei und durch seinen Willen alle Gebrechen abweise und die ganze Welt umfasse, und daß sie müsse sich bessern. Ich glaub auch, daß Gott nur hat Königsstämme werden lassen, damit sie dem Auge den Menschen so erhaben hinstellen, um ihn nach allen Seiten zu erkennen. Der König hat Macht über alles, also erkennt der Mensch, der seinem öffentlichen Tun zusieht, wie schlecht er es anfängt, oder auch wenn er's gut macht, wie groß er selber sein könne. Dann steht grade der König so, daß ihm allein gelinge, was kein andrer vermag, ein genialer Herrscher reißt mit Gewalt sein Volk auf die Stufe, wohin es nie ohne ihn kommen würde. Also müssen wir unsere Religion ganz für den jungen Herrscher bilden. – O wart nur, das hat mich ganz orientiert, jetzt will ich schon fertig werden. Ach ich bitt Dich, nehm ein bißchen Herzensanteil dran, das macht mich frisch, so aus reinem Nichts alles zu erdenken wie Gott, dann bin ich auch Dichter. Ich denke mir's so schön, alles mit Dir zu überlegen, wir gehen dann zusammen hier in der Großmama ihrem Garten auf und ab, in den herrlichen Sommertagen, oder im Boskett, wo's so dunkle Laubgänge gibt, wenn wir simulieren, so gehen wir dorthin und entfalten alles im Gespräch, dann schreib ich's abends alles auf und schick Dir's mit dem Jud in die Stadt, und Du bringst es nachher in eine dichterische Form, damit, wenn's die Menschen einst finden, sie um so mehr Ehrfurcht und Glauben dran haben, es ist ein schöner Scherz, aber nehm's nur nicht für Scherz, es ist mein Ernst, denn warum sollten wir nicht zu sammen denken über das Wohl und Bedürfnis der Menschheit?
Aber ein Gesetz in unserer Religion muß ich Dir hier gleich zur Beurteilung vorschlagen, und zwar ein erstes Grundgesetz. Nämlich: Der Mensch soll immer die größte Handlung tun und nie eine andre, und da will ich Dir gleich zuvorkommen und sagen, daß jede Handlung eine größte sein kann und soll. – Ach hör! – Ich seh's schon im Geist, wenn wir erst ins Ratschlagen kommen, was wird das für Staubwolken geben. –
Wer nit bet, kan nit denken,
das laß ich auf eine erdne Schüssel malen, und da essen unsre Jünger Suppe draus. – Oder wir könnten auch auf die andre Schüssel malen: Wer nit denkt, lernt nit beten. Der Jud kommt, ich muß ihm eilig unsere Weltumwälzung in den Sack schieben, auch wir werden einst sagen können, was doch Gott für wunderbare Werkzeuge zum Mittel seiner Zwecke macht, wie die alt Nonn in Fritzlar. Siehst Du den St. Clair? – Grüß ihn.
Oder am besten können wir sagen: Denken ist Beten, damit ist gleich was Gutes
ausgerichtet, wir gewinnen Zeit, das Denken mit dem Beten, und das Beten mit dem
Denken. Du willst ungereimtes Zeug vorbringen, Du bist ungeheuer listig und
meinst, ich soll es reimen. Deine Projekte sind immer ungemein waghalsig, wie
eines Seiltänzers, der sich darauf verläßt, daß er balancieren kann, oder einer,
der Flügel hat und weiß, er kann sie ausbreiten, wenn der Windsturm ihn von der
Höhe mit fortnimmt. Übrigens hab ich Dich wohl verstanden, trotz der vielen süßen
Lobe, die Du einstreust wie Opfergras, daß ich das Opfer bin, was Du geschächtest
hast, um mit dem Jud zu reden. Ich fühl's, daß Du recht hast, und weiß, daß ich zu
furchtsam bin, und kann nicht, was ich innerlich für recht halte, äußerlich gegen
die aus der Lüge hergeholten Gründe verteidigen, ich verstumme und bin beschämt
grade, wo andre sich schämen müßten, und das geht so weit in mir, daß ich die
Leute um Verzeihung bitte, die mir unrecht getan haben, aus Furcht, sie möchten's
merken. So kann ich durchaus nicht ertragen, daß einer glaube, ich könne Zweifel
in ihn setzen, ich lache lieber kindisch zu allem, was man mir entgegnet, ich mag
nicht dulden, daß die,
Ich hab jetzt so viele Gesellschaftsnot, ich muß diese Woche schon zum zweitenmal
in den schwarzen Stiftstalar kriechen, auch dahinein verfolgt mich meine närrische
Feigheit, ich komme mir so fremd drin vor, es ist mir so ungewöhnlich, eine
angelehnte Würde öffentlich zu behaupten, daß ich immer den Kopf hängen muß und
muß auf die Seite sehen, wenn ich angeredet werde. Gestern haben wir in corpore
beim Primas zu Mittag gespeist, da verlor ich mein Ordenskreuz, es lag unterm
Stuhl, ich fühlte es mit der Fußspitze, das machte mich so konfus, und denk nur,
der Primas selbst hat es aufgehoben und bat um Erlaubnis, es anzuheften auf die
Schulter, dazu kam unsere Duenna und nahm die Mühe auf sich, Gott sei Dank, – ich
konnte doch die ganze Nacht nicht vor der Geschichte schlafen,
Ich bin nicht wohl, sonst wär ich heut hinausgekommen – so sehr interessiert mich Dein Brief, Du hängst Dich an die Gipfel der Lebenshöhen wie das junge Gefieder und siehst Dich gleich um, wie am besten nach der Sonne zu steuern sei, dann zerstreuest Du Dich ebenso leicht wieder. Wenn ich wohl bin, so komme ich die Woche noch, ich glaube, die Angst vor dem Aderlassen macht mich krank, ich kann mich nicht drein finden, wenn ich denk, daß ich Blut vergießen soll, so wird mir übel. – Schreibe mir doch heute noch von der Schwebereligion, was das heißen soll, daß ich was zu denken und zu faseln hab, weil ich nichts anfangen kann und das Zimmer hüten muß.
Karoline
Ach lasse doch ja nicht zur Ader, aus tausend Gründen, denn (vielleicht): wenn
einer nur einmal zur Ader gelassen hat, so kann er kein Soldat mehr sein, kein
Held! Man kann gar nicht wissen, was so ein Eingriff in die Natur
Morgens
Da hab ich so nachgedacht und bin drüber eingeschlafen. Die Rose hab ich mit ins Bett genommen. – Was soll sie im Glas langsam welken – überall sollt man ein Heiligtum der Natur mit herumtragen, das frei macht vom Bösen, wer kann in Gegenwart einer Rose nicht mit edlen Gedanken erfüllt sein, ich hab's lieb, das Röschen, mit dem ich geschlafen hab, – es war matt, nun hab ich's ins Wasser gestellt, es erholt sich. – Ich bin so dumm, ich schreib so einfältig Zeug – der arme Gärtner. –
Der Jud kommt heut um fünf Uhr und sagt, er hatt den Brief heut morgen im Stift
abgegeben und hat nichts von Dir gehört, der ungeheure Esel mußte heute wie ein
Windspiel herumlaufen, er hätt müssen Paradiesäpfel zum Lauberhüttenfest
einkaufen, da hätt er nicht warten können, der Kerl sah
Am Mittag
Ach Günderode, ich weiß was das ist, die Weltseele, ich hab oft gedacht, was doch
so braust, wenn ich ganz allein sitze in der Mittagssonne, denn da ist das Brausen
am stärksten; das ist mein Geliebter, der unter der Linde mit mir ist und im
Abendwind. – Der heilige Geist ist die Weltseele. – Er berührt alles, er weckt von
den Toten auf, und hätt ich ihn nicht, so wär alles tot. – Und Leben ist Leben
wecken, ich war verwundert, als der Geist mir's sagte. – Ich besann mich, ob ich
Leben wecke oder ob ich tot sei. – Und da fiel mir ein, daß Gott sprach: Es werde,
und daß die Sprach Gottes ein Erschaffen sei; – und das wollt ich nachahmen. Ich
ging am Mainufer am Abend, ich sah in der Ferne den blauen Taunus und sah ihn
drauf an, daß er lebendig solle werden. Wie bald war mein Wille erfüllt! Du
hättest sehen sollen und fühlen den Strom lebendigen Atems, der herüberwallte von
ihm auf mich, wo ich saß. – Die Schwalben kamen vorausgeflogen, die Nebel
Heute nachmittag brachte der Büri der Großmama ein Buch für mich – Schillers Ästhetik – ich sollt's lesen, meinen Geist zu bilden; ich war ganz erschrocken, wie er mir's in die Hand gab, als könnt's mir schaden, ich schleudert's von mir. – Meinen Geist bilden! – Ich hab keinen Geist – ich will keinen eignen Geist; – am Ende könnt ich den heiligen Geist nicht mehr verstehen. – Wer kann mich bilden außer ihm. – Was ist alle Politik gegen den Silberblick der Natur! – Nicht wahr, das soll auch ein Hauptprinzip der schwebenden Religion sein, daß wir keine Bildung gestatten – das heißt kein angebildet Wesen, jeder soll neugierig sein auf sich selber und soll sich zutage fördern wie aus der Tiefe ein Stück Erz oder ein Quell, die ganze Bildung soll darauf ausgehen, daß wir den Geist ans Licht hervorlassen. Mir deucht, mit den fünf Sinnen, die uns Gott gegeben hat, könnten wir alles erreichen, ohne dem Witz durch Bildung zu nahe zu kommen. Gebildete Menschen sind die witzloseste Erscheinung unter der Sonne. Echte Bildung geht hervor aus Übung der Kräfte, die in uns liegen, nicht wahr? – Ach, könnt ich doch alle Ketten sprengen, die uns daran hindern, jeder innern Forderung Genüge zu leisten; – denn dadurch allein würden die Sinne in ihre volle Blüte aufbrechen. –
Ich lese eben meinen Brief durch und wundre mich über den Paradegaul von
prahlerischen Gedanken, der drin an der Leine im Kreis läuft. – Ein
Gestern abend kam ich von Hanau, wo ich drei Tage in prosaischen
Geschäftsaufträgen verbrachte. Deine zwei Briefe lagen auf meinem Kopfkissen, und
einer von Clemens, der nach Dir frägt, weil er die ganze Zeit nichts von Dir
gehört habe, keine Antwort auf mehrere Briefe. Er meint, Du könntest krank sein,
hast Du ihm denn gar nicht geschrieben? – Versäume doch nicht, gleich zu
schreiben, er frägt nach Deinen Studien und meint, Dein Generalbaßeifer, von dem
Du mit so viel Begeistrung ihm geschrieben, sei wohl auch wieder ins Stocken
geraten. Ich soll Dein faselig Wesen zur Besonnenheit bringen, und schilt mich
einen Faselhans und klagt mich an, ich versäume Dich, ich mache mir selber
Vorwürfe und kann doch nach allem Überlegen zu keinem besseren Resultat kommen,
als eben Dich ganz Dir selber überlassen. – Der Clemens meint, Du habest ein
enormes Talent zu jeder Kunst, und es müsse die Steine am Wege erbarmen, Dich so
dahinschlampen zu lassen, Deine Selbstzufriedenheit hänge davon ab, daß Du Dich
mit Leib und Seel einmal dran gebest, es sei der Schlüssel Deines ganzen Lebens. –
Ich darf ihm nicht sagen, daß Du ein Religionsstifter bist und die ganze
Menschheit auf Dich genommen hast und willst sie lassen von der Luft leben und
bildungslos dahertappen und willst nichts Gekochtes mehr essen, von lauter rohen
Mohrrüben und Zwiebel leben und die Bratspieße alle zum Teufel werfen und Dir das
ganze Taunusgebirg zur Gesellschaft bitten, und daß Deine Religion schweben solle,
und daß Du in dem Gärtner einen adeligen Herrn entdeckt hast, das darf ich ihm
doch alles nicht sagen. Was soll ich ihm denn sagen? – Da helf' mir doch einmal
ein bißchen drauf. – Der rasche Wechsel von Anregungen in Deinen Briefen würden
dem Clemens die Haare zu Berge stehen machen, und Dein zärtlicher Umgang mit dem
Heiligen Geist, wie Du das nennst, den Du gleich einem Jagdhund witterst, das
würde ihm unsägliche Sorge machen. Er frägt mich, was Du mir schreibst, denn er
wisse, daß ich enorm lange Briefe von Dir bekomme. Wo er das her weiß, das ist mir
ein Rätsel, ich hab mit niemand davon gesprochen. Ich mein, daß der Clemens recht
hat, denn wenn Du auch ein neues Leben ausgefunden hast, indem Du mit Dir selber
zusammentriffst, wie Du sagst, so mußt Du doch auch fühlen: so gut wie in jenen
Naturerscheinungen, die Dein Genius, wie Du meinst, benutzt, um zu Dir zu
gelangen, so würde er jede Kunst wohl auch benutzen dazu, wenn Du ihm
Ich schreib nicht den Ball ab, ich freu mich recht drauf, ich bin jetzt schon vier
Wochen recht vergnügt hier und will auch durchaus noch bei der Großmama bleiben,
bis die Tante aus dem Bad kömmt, wir haben uns gar sehr ineinander gewöhnt, die
Großmama und ich, ich hab sie um Erlaubnis gefragt, ob es ihr nicht unlieb sei,
wenn ich auf den Ball gehe. Sie sagt: »Nein, gut Mäuschen, hast lang genug hier
ausgehalten, wann kommst du wieder? – Denn du wirst doch wohl den andern Tag in
Fr. bleiben?« – Ich sagte, ich wolle noch in der Nacht wieder herauskommen, denn
ich sah ihr an, daß
Es ist noch nicht aus mit der Musik, es sind noch keine erstarrten Grillen. Ich
bin aufrichtig, und die einzige Tugend der Wahrheit geht durch mein Nervensystem,
alles ist in ihr aneinandergereiht wie's menschliche häusliche Leben in meinem
Geist. Wenn ich Dir den großen Einfluß, den die Musik auf mich hat, zu
verschiedenen Malen mitgeteilt hab, so kannst Du denken, daß ich dabei nicht
stehenblieb, allein wenn man Wege betritt, die noch zu keinem Ziel geführt haben,
wo alles noch wüste ist, noch keine Lösung hat, noch selber mir nicht einleuchtet,
was kann ich da viel sprechen? – Die Bekanntschaft mit dem innern Leben einer
Musik wird von den Virtuosen ganz auf eine Weise gemacht, die bloß auf
Auseinandersetzung ihrer einzelnen Teile geht, und sie wissen sich recht viel mit
ihrer gelehrten Unterhaltung darüber; sie wirbelt mir auch nicht wie ein blauer
Dunst durch den Kopf –, mir geht noch zugleich ein romantisch oder geistig Bild
dabei auf, das eine gibt mir Stimmungen, das andere wohl Offenbarungen –, erst
gestern wurde im Boskett unter verschiedener neuer Musik, die mich gar nicht
anregte, eine Symphonie aufgeführt von Friedrich II. Gleich vorne steigt er mit
klirrenden Sporen in Steifstiefeln mutig auf, von allen Seiten her tönt's ihm
wider, er müsse keck über die schüchterne Menschheit weggaloppieren, und bald
macht er sich kein Gewissen mehr draus; nur die einzige Muse, die Tonkunst, tritt
ihm fest entgegen, sein Roß hat ihn in die einsamste Öde getragen, fern von den
Menschen, die er wie eine Koppel Hunde mit einem Pfiff lenkt. Hier sinkt er vor
der einzig Übermächtigen nieder, hier bekennt er die weite Leere seines Gemüts,
hier will er Balsam auf alle Wunden gelegt haben, ungeduldig und zärtlich,
demutsvoll küßt er die Spuren ihres Wandels, und mit Vertrauen beugt das gekrönte
Haupt
Wie aber ist's mit der Symphonie von Beethoven, die gleich drauf folgte? – Willst Du mit hinüber unter jenes Ölwalds gleiche Stämme mit Laub wie Samt, schwimmend im Wind, der Wellen schlägt in ihren grünen Schleiern und sanft auf flockigem Rasen den einsam lautlosen Tritt Dir umflüstert? – Komm! – Schau die Sonne im Feuerpanzer ihre Pfeilstrahlen vom Bogen strömend ins ewige Blau. – Bald vom Wechsel der Wogen getragen, schwankt unter Dir das unendliche Meer. Der Wind fährt daher zwischen türmenden Wellen – bahnt Weg silbernen Göttern, die aufrauschend sich umschlingen mit Dir, nach himmlischen Rhythmen Dir aus der Brust geboren. So nah ist alles verwandt Dir. – Doch ohne End wechselnd dies Meer, fährt es dahin, in seiner Launenverzückung durchschlüpft Färbung auf Färbung sein Wellenspiel, fesselt Dein Schauen – durchdringt Deine Sinne, schmachtend und dann feurig, lächelnd, weinend, blendend und verhüllt wieder – so rasch vorüber streift's wie von geliebten Augen der Begeistrung Blick; kannst ihn nicht fassen, nicht lassen von ihm. – – Rein von Gewölk der Himmel, sein Hauch sanft jagt vor sich her Wellchen – unzählige – eins ums andere, und sterben am Ufer alle mit leisem Geseufz. – Ach! – süßer Moment herrschend über der Leidenschaften Meer! – Da stockt Dein Atem und möchtest halten – ganz und immer, was jeden Augenblick ohne Aufhören Dir alles entschwindet. –
Was ist's, die Seele im Meer der Musik? – fühlt sie Schmerzen? – Hat sie Wonnen,
die wunderbar Bewegliche? – Kein Gedanke mag ihr folgen – fühlt sie mit durch
Rückwirkung alle Regungen? – Liebt sie, wenn wir lieben? – Schmeichelt's ihrem
Schäumen, wenn unsre Tränen hinein sich mischen? – O ich möcht hinein mich werfen
in die smaragdnen Lagunen, über die leise hingetragen durchs ungeheure Meer bis zu
seiner Höhe, uns zwei verwandte Seelen harmonisch der Kahn wiegt bis zum letzten
Ton – und dann – dieselbe Luftstille, dieselbe Himmelsreinheit, derselbe Atem, süß
– unberührt – dasselbe Sonnenlicht im Geist – trunken von süßem Schwanken der
Töne, die durch den Busen wühlen. Doch bald erhebt sich's! Der große Geist des
Erschaffens – Du hörst im Brausen seine Stimme, der alles sich schmiegt, veratmen
– dann hebt im Schauer Deiner Brust ihr Hauch sich wieder – und jetzt – gewaltig –
in unermüdlichem Steigen und Sinken strömt sie schäumend den Winden entgegen, die
dröhnen – in Abgrund
Ach, wie ist's doch da in der Brust? – Ja, gesteh! – Ist sie nicht das Meer, die Musik? – Und er, der Beethoven, ist er es nicht, der ihm gebietet? – Und fühlst nicht auch hier: das Göttliche, was den Geist des Erschaffens gibt, sei die ungebändigte Leidenschaft? – Und glaubst nicht, daß Gottes Geist sei nur lauter Leidenschaft? – Was ist Leidenschaft, als erhöhtes Leben durchs Gefühl, das Göttliche sei Dir nah, Du könnest es erreichen, Du könnest zusammenströmen mit ihm? – Was ist Dein Glück, Dein Seelenleben als Leidenschaft, und wie erhöht sich Deines Wirkens Kraft, welche Offenbarungen tun sich auf in Deiner Brust, von denen Du vorher noch nicht geträumt hattest? Was ist Dir zu schwer? – Welches Deiner Glieder würde sich nicht regen in ihrem Dienst, – wo bleibt Dein Durst, Dein Hunger? – Siehst Du wohl, da fängst Du schon an von der Luft zu leben; leicht wie ein Vogel übersteigst Du Unersteigliches, und in die Ferne hinüber sendest Du Deiner Unsterblichkeit Flammen, und sie entzünden Ewiges, und es weiht sich Deinem Dienst, ergießt sich auch in Leidenschaftsströmen, in den großen Ozean, über dem die ewigen Sterne Dir leuchten und die Nacht in ihrem Glanz erbleicht und die Morgenröten freudig aufwachen. – Ja drum! – der Irrtum der Kirchenväter, Gott sei die Weisheit, hat gar manchen Anstoß gegeben; denn Gott ist die Leidenschaft. – Groß, allumfassend im Busen, der alles Leben spiegelt wie der Ozean, und alle Leidenschaft ergießt sich in ihn wie Lebensströme. Und sie alle umfassend ist Leidenschaft die höchste Ruhe.
Jetzt will ich Dir was sagen: ich will nicht mehr haben, daß Du voll Angst
seufzest um mein Nichtstun! Ich weiß wohl – und wenn ich's beim Licht betracht, so
konnt ich meine Zeit besser zubringen, als sie zu dem verdammen, was mein Herz
nicht erfüllt, so hätt ich mir selbst mehr gewonnen, und meine Liebe zum Besten,
zum Höchsten hätt die Ungerechtigkeit nicht zur Stütze gehabt, ich weiß wohl, daß
ich im Eifer allem, was mir nicht unmittelbar Lebensnahrung war, unrecht getan
hab. Ich hab mich immer im voraus gewaffnet, da ich nicht wußt, ob es Streit geben
werde; ich hab hundertmal die Wahrheit selbst über die Klinge springen lassen,
wenn ich sagte, dieses oder jenes rege meinen Geist nicht an, denn alles regt ihn
an, ja alles, und ich fühle Deinen Beruf, mich zu leiten, mich zu lehren mit einer
Gott sei die Poesie, hab ich in meinem letzten Brief gesagt, und die Weisheit,
sagen die Kirchenväter, ich hab's geleugnet und gesagt, Gott sei die Leidenschaft,
die Weisheit, die kommt ihm zugut, das Leidenschaftsall zu bestehen, aber sie ist
nicht er selber; meine Gründe: was sollte Gott mit aller Weisheit, wenn er sie
nicht anbringen kann! Wenn aus allem, was geschaffen ist, sich Neues erzeugt, wenn
keine Gewalt, keine Kraft überflüssig ist, sondern grad um ihrer höchsten
Entwickelung willen sich ewig selbst anregend steigern muß, so kann die Weisheit
Gottes nicht selbst die Händ in den Schoß legen wollen. – Himmel und Erde
regieren, wo Sonn und Mond und alle Stern schon für die Ewigkeit angepappt sind,
das kann der Weisheit kein Reiz sein; sich in Menschenangelegenheit mischen, ihre
Gebete erhören, die alle verkehrt sind, das muß bei himmlischer Hofhaltung doch
wohl von selber gehen. Sollte Gott sich des Dings selber annehmen – es wäre
unweise – denn der Hauch Gottes überwiegt alles geistige Wehen der Menschheit, so
würde diese denn nimmer der eignen Weisheit Keim lösen können in sich. Unser Geist
ist feuermächtig, er soll sich selbst anfachen; wir haben die Leidenschaft, sie
soll im Geistesfeuer gen Himmel steigen zum ewigen Erzeuger, in seiner
Leidenschaften Glut mit allem übergehen; nicht umsonst steigt in der Leidenschaft
der mächtige Geist der Unsterblichkeit auf, jeder Hauch, jeder Blick soll ewig
währen, das sagt eine innere Stimme. Alles, was mich entzückt in der Natur, dem
schwör ich ewige Treue, der Lüfte Liebkosungen, wie könnt ich ihnen den heißen
Atem weigern, der heiß nur ist, um in der Lüfte Liebe sich zu kühlen. Die klaren
schwankenden Wässer, wie sollt ich ihnen nicht vertrauen, die mich tragen, ruhig
gebettet, auf ewig regem Leben, wie die Liebe das Geliebte trägt, und die sanfte
weiche Erde, wie sollten die Sinne ihr sich abwenden, die keine Regung ungeboren
lässet, jeden Keim in die Lüfte trägt und Flügel gibt, heimlich in die Wiege alles
Geschaffnen, die der Geist mächtig zum Himmel einst entfalte, wenn er gereift ist
durch ihre Spende – sie, die himmlische Erde – auf der frohlockend sich alles
Leben tummelt und alles trägt im Busen und über ihm – die sie auf sich
herumtrapplen läßt, all die Lebendigen – und gibt ihnen die Milch ihrer Kräuter
und Früchte, die in so großer Fülle aus dem Busen ihr springen – ja, wie sollt ich
nicht mit heißer Liebe sie lieben, die Doppelliebige? – Und dann – das Licht, das
niedersteigt ins Dunkel einsam drin zu spielen; – und der Einsamkeit Odem
einbläset und der Erde Kräfte nährt und tränkt, die dann den Geist umspielen, daß
er im verschlossenen Dunkel seiner selbst des Lichtes Leidenschaft für ihn sich
erinnere und auch ihm zuwachse sich mit ihm zu küssen. Wenn Ihr alle dichtet von
jenen Wahrheiten, so mächtig, so selbstlebend, daß sie dem Dichter den Busen
bewegen, daß er ihr Element werde, und sie ewig ausspreche,
Daß Gott die Weisheit sei, das haben wir protestiert, aber daß Weisheit und Tapferkeit ineinander verliebt seien – aber nicht die der Kirchenväter – das ist unsere Lehre; sie sind der Herd, auf dem die Leidenschaften flammen, ohne sie kann Leidenschaft nicht atmen. – Und wenn es keine brennenden Leidenschaften zwischen der Kraft und dem Geist gäbe, wo sollt ihr Feuer herkommen? Denn um nichts ist wieder nichts – sie würden sich schlafen legen und absterben, die Kräfte und der Geist – aber der heiße Trieb ineinander zu schwelgen, einander zu besitzen, die schüren das Lebensfeuer in ihnen, da ist fortwährend innerlich Bewegen zueinander. Gefühl in jeder Regung, sie sei empfunden von der andern – das ist das innere lebendige Leben, und alles andre ist nicht lebendig in uns. Für was würde man sich vor sich selber schämen, wär nicht diese innerliche Liebesdespotin, die das Gefühl zur Rechenschaft forderte, daß man einem inneren Mächtigen die Treue gebrochen oder einer Schwäche sich hingegeben vor dem Geliebten. Was ist das Gewissen anders als der Minnehof des Geistes mit den Sinnen – wo sie sich einander hingeben, und Opfer, Heldentaten für einander tun, und innerlichen Minnesold empfangen. Und dann jene Stimme, die jegliche Stimmung prüft; je tiefer und weiter sich dies Leben ausbildet, je fester gründet sie die Ansprüche und Berechtigungen, je leichter verletzbar. Ach ich sag Dir, es liegt ein Adel, ein steigernder Trieb in der Seele, der auf die Außenseite des Lebens zurückstrahlt, alles aus leidenschaftlicher Berührung der Sinne mit dem Geist; wenn Du schreitest, wenn Du Dich wendest, wenn Du die Stimme erhebst – was auch des geringsten nur, Dich einen Augenblick aus der Gegenwart (Einwirkung) jener Lebensregungen entfernt, fühlst Du nicht Vorwürfe? – ein Stocken, eine Ohnmacht in Dir? –
Heut seh ich, daß ich Dir von nichts geschrieben hab, was Du mich frägst, und bin
aus Mangel an Logik ins Geschwärm geraten. Und doch wollt ich Dir nur sagen, ich
studier noch Geschichte fort, nur wollt ich Dir keine trocknen Auszüge mehr davon
in meinen Briefen machen, dafür zeichne ich Landkarten und hab andre
Spekulationen, so studier ich die Woche zweimal mit Hoffmann Musik, nicht mehr
Generalbaß, er meint, ich werd den von selbst in mich kriegen, ich soll lieber
meine Melodien aufschreiben, auf die er einen Wert legt und mir gern zuhört, wenn
ich abends sing, auch hat er mehrere Gänge mir abgehört und sie aufgeschrieben,
und letzt hat er im
Jetzt will ich Dir auch noch auf Deine letzte Frage antworten von der gemeinen
Frau, das war kurz ehe ich von Frankfurt hier herauskam, da war ich allein von dem
Bockenheimer Tor aus dem Garten, wo die Tonie wohnt, hereingegangen in die Stadt.
Da begegnete mir eine Frau, der war das Band aufgegangen am Schuh, und sie konnte
sich nicht bücken, denn sie ging mit einem Kinde und seufzte sehr unter ihrer
Last, ich ließ sie ihren Fuß auf mein Knie stellen, um das Schuhband ihr
zuzubinden, dann aber führte ich sie nach ihrer Wohnung, weil sie so sehr jammerte
über Schmerzen, es war schon dämmerig, als wir in die Stadt kamen, da begegnete
mir eben auch die Frau Euler, welche unser beider böser Dämon zu sein scheint, ich
machte ihr eine tiefe Verbeugung zu meinem Pläsier, und schleppte die Frau weiter,
die fing aber an, mir bang zu machen, denn sie seufzte so schwer und ward so blaß
und der Schweiß trat ihr auf die Stirn, da kam der gute Doktor Neville, dem
übergab ich die Frau, und als ich auf den Roßmarkt kam, da begegnete mir der
Moritz, der sagte: »Ach, wie blaß sehen
Ich bin jetzt glücklich, sei Du's auch! – Schöne Träume hab ich, und das ist ein
Zeichen, daß die Götter mit mir zufrieden sind. – Im Herzen ist mir's, wenn ich
erwache am Morgen, als ob ich von Dichterlippen geküßt sei, ja merk Dir's, von
Dichterlippen. Nein, ich fürchte mich nicht mehr vor der Zukunft! – Ich weiß,
durch was ich sie mir zum Freund mache, ja ich weiß es. Ich will auch wie die
Großmama einen Ewigkeitspreis mit meinem Leben schließen, nicht wie Du gesagt
hast, jung sterben. Viel wissen, viel lernen, sagtest Du, und dann jung sterben,
warum sagst Du das? – Mit jedem Schritt im Leben begegnet Dir einer, der was zu
fordern hat an Dich, wie willst Du sie alle befriedigen? – Ja sage, willst Du
einen ungespeist von Dir lassen, der von Deinen Brosamen fordert? – Nein, das
willst Du nicht! – Drum lebe mit mir, ich hab jeden Tag an Dich zu fordern. Ach! –
wo sollt ich hin, wenn Du nicht mehr wärst? – Ja dann, gewiß vom Glück wollt ich
die Spur nimmer suchen. Hingehen wollt ich mich lassen, ohne zu fragen nach mir,
denn nur um Deinetwillen frag ich nach mir, und ich will alles tun, was Du willst.
– Nur um Deinetwillen leb ich – hörst Du's? – Mir ist so bang – Du bist groß, ich
weiß es – nicht Du bist's – nein so laut will ich Dich nicht anreden – nein, Du
bist's nicht, Du bist ein sanftes Kind, und weil's den Schmerz nicht tragen kann,
so verleugnet es ihn ganz und gar – das weiß ich, so hast Du Dir gar manchen
Verlust verschleiert. Aber in Deiner Nähe, in Deiner Geistesatmosphäre deucht mir
die Welt groß; Du nicht – fürchte Dich nicht, – aber weil alles Leben so rein ist
in Dir, jede Spur so einfach von Dir aufgenommen, da muß der Geist wohl Platz
gewinnen, sich auszudehnen und groß zu werden. – Verzeih mir's heut, ein Spiegel
ist vor meinen Augen, als hätte einer den Schleier vor ihm weggezogen, und so
traurig ist mir's, lauter Gewölk seh ich im Spiegel, und klagende Winde – als müßt
ich ewig weinen, weil ich an Dich denk – ich war draus heut abend am Main, da
rauschte das Schilf so wunderlich – und weil ich in der Einsamkeit immer mit Dir
allein bin, da fragte ich Dich in meinem Geist. »Was ist das? Redet das Schilf mit
Dir?« hab ich gefragt. Denn ich will Dir's gestehen, denn ich möchte nicht so
angeredet sein, so klagvoll, so jammervoll, ich wollt's von mir wegschieben! – Ach
Günderode, so traurig bin ich, war das nicht feige von mir, daß ich die Klagen der
Natur abwenden wollt von mir, und schob's auf Dich – als hätte sie mit Dir geredet
wie sie so wehmutsvoll aufschrie im Schilf. – Ich will ja doch gern alles mit Dir
teilen, es ist mir Genuß, großer Genuß, Deine Schmerzen auf mich zu nehmen, ich
bin stark, ich bin hart, ich spür's nicht so leicht, mir sind Tränen zu ertragen,
und dann sprießt die Hoffnung so leicht in mir auf, als könnt wieder alles werden
und besser noch, als was die Seele verlangt. – Verlaß Dich auf mich! – Wenn's Dich
ergreift – als woll es Dich in den Abgrund stoßen, ich werde Dich begleiten
überall hin – kein
Montag
Jetzt hab ich schon drei Tage an diesem Brief geschrieben, und heute will ich ihn
abschicken, ach, ich mag ihn nicht überlesen, geschrieben ist er, wahrheitsvoll
ist er auch, wenn Du die augenblickliche Stimmung der Wahrheit würdigest, wie ich
sie deren würdige und nur sie allein, obschon die Philister sagen, sie sei die
Wahrheit nicht, nur was nach reiflichem Überlegen und wohlgeprüft vom
Menschengeist sie angenommen, das sei Wahrheit. Ach diese Stimmungen, sie bauen
das Feld, und was uns zukommt, als sei die Seele mit im Abendrot zerschmolzen,
oder als löse sie sich frei vom Gewölk und tue sich auf im weiten Äther – das
bringt uns auch wie das fruchtbare Wetter Gedeihen. Ist mir's doch, da ich meinen
Brief schließen will, als ob das schönste Leben uns bevorstehe, wenn Du nur willst
und willst so viel mich würdigen, daß Du ruhig Deine Hand in der meinen liegen
lässest, wenn ich sie fasse. – Ich war heut morgen draus und hab mir den
Aschenkranz zum Ball bestellt – wie Du's gesagt hast – aber, gelt der Moritz hat
Dir's gesagt, ich soll den Kranz aufsetzen? – Ich kam hin zum Gärtner, er stand
zwischen der Tür vom Boskett und dem Blumengarten gelehnt, gewiß er hat auf mich
gewartet, denn ich war schon zwei Tage nicht da gewesen. Aber gestern abend, wie
ich schlafen ging, da hatt ich mir fest vorgenommen, ich wollt gewiß keinen
Menschen unglücklich machen, oder besser, ich wollt gewiß jedem geben an Glück,
was ich kann. – Und mir soll's nicht zu gering sein, und was ist ehrender, als
wenn Du mit einem Blick oder Wort wohltun kannst! – Nun hör nur mein lieb Gespräch
mit dem Gärtner an. – Weil ich kam, so sagt ich: »Ich hätt wohl eine Bitte an den
Anton. (Denn ich rede ihn nicht anders an, denn ich mag
Gestern, um halb acht Uhr fuhr ich mit der Tonie auf den Ball, auf dem Weg nach dem Forsthaus waren die Leute vom Moritz mit Fackeln zu Pferd und begleiteten die Wagen, von weitem war's ergötzlich, all die Fackeln galoppierend durch den hochstämmigen Weg im Wald. Das Wäldchen war mit bunten Lampen erleuchtet. Ach, wie schön war's! – Und dazu lächelten die unendlichen Sterne! – Der Moritz empfing uns, – ich sagte: »Ach, wie schön ist's hier!« – »Ja? – gefällt dir's? – Du bist auch schön!« – und so ging er wieder. – Ach ich war so vergnügt – ich mußte lächeln mit mir, – es weckte mich aus dem Traum, als ich tanzen mußte, und der Traum war so schmeichelig selbstvergessen – mitten im Getümmel ein Wonnegrab, da kamen die Grabesschauer mir nachgeflogen und weckten Gedankenseelen in der Brust begraben, die gaukelten über mir im Blauen, und der Tag heut spiegelt die Nacht und die Nacht wieder den Tag, die ist so helleglänzend, daß die Sterne erblassen und der Tag so schattig kühl, daß die Sonne nichts vermag. –
Ich nahm diese letzten Zeilen zwischen die Lippen von Zeit zu Zeit und stieß sie im Gesang hinausrufend in die weit schlafende einsame Weite, und der Mond eilte mit hinter leichtem Gewölk hervor. »Hörst du auch wieder die alten Hymnen, Latone, deinen Söhnen gesungen?« rief ich, – und so füllten sich allmählich meine Sinne und rauschten auf, als seien sie von einem Harfenrührer erschüttert mit goldnem Plektron und jugendbrausendem Mut. – Glückliche Nacht, wo die Gedanken wie Blüten im Südwind sich auftun fröhlicher Hoffnung voll – und ein Gefühl heitern Geschickes wie glänzende Strahlen aus den feurigen Blitzen sich ergießt, die der Drache in die kühlen Mondlüfte spie!
So kamen wir nach Offenbach, ich wendete links ab, statt in die Domstraße zu
fahren, der Reitknecht wollt mir in die Zügel greifen, weil ich den Weg verfehle,
ich wehrte ihm, und so fuhr ich rasch am Boskett vorüber, wo die Pappeln so
anmutig sich neigten, so schüchtern rauschten, als wollten sie mich grüßen. Ich
lenkte in den engen Weg nach des Gärtners Haus, ich hatte gesagt, um halb zwölf
Uhr, es war drei Uhr in der Nacht, der Tag war im Aufwachen, der Gärtner stand vor
seiner Tür und nahm die Mütze ab, als er mich kommen hörte. »Guten Morgen,« sagte
ich, »heut werd ich nicht in den Garten kommen, ich will ausschlafen, da ist Euer
Kranz,« und lenkte wieder um voll Vergnügen, daß ich's durchgeführt hatt mit dem
Kranz, denn ich war unterwegs voll Zweifel, ob ich's tun solle oder nicht. – »Dem
Moritz den Gürtel, dem Gärtner den Kranz,« sagte ich mir immer; aber eine innere
Stimme sagte mir, warum soll der Gärtner den Kranz entbehren, er gehört doch sein,
und er war ihm früher versprochen, und dann
Zu Haus im Bett wie war mir's da? – Letzt sah ich dem Franz sein Kindchen an der Amme trinken, da mußte es so schnell schlucken, es konnt nicht eifrig genug trinken, so strömte ihm die Milch zu. Grad so war mir's im Herzen, ich schluckte süße Milch, alle süße Erinnerung strömte, so wie meine Gedanken nur einen Augenblick wollten an ihr saugen, und wie's Kindchen sich von einer Brust zur andern wendet, weil sie zu voll strömen, bis es vor Ermüdung des Saugens einschläft, so wendete ich mich von einer Seite zur andern und schlief auch endlich vor Ermüdung des Genießens ein. – So hab ich geschlafen bis Mittag, da brachten sie mir einen Strauß, der war mir aus dem Boskett geschickt worden. – Hör nur, was das für ein Strauß war, und wie witzig der Gärtner ist; und wie gebunden, und was das bedeuten mag, – in der Mitte eine Moosrosenknospe, da herum Vergißmeinnicht und Heidekraut, die einen Kranz bilden, dann rund herum höher herauf Wacholderzweige und Nesseln, die schirmt wieder allerlei Dornwerk und Laub, was höher steigt, so zierlich gebunden wie ein Kelch, in dessen tiefster Mitte die Moosrose glüht. Das lese ich so: Die Moosrose ist mein Geschenk, der Kranz; das Heidekraut, was die Rose schirmt, das ist der bescheidne Gärtner, eine Blume, wie sie unzählig sich auf dem Feld ausbreitet, die Vergißmeinnicht, das ist das ewige Andenken; er wird's nimmer vergessen, daß ich ihm den Kranz geschenkt hab, der Wacholder ist der schlichte Weihrauch, den er meiner Gabe als Opferrauch duftet, die Nesseln bedeuten, daß es ihm im Herzen brennt und schmerzt, das Dornwerk und das Laub, was rundum in Kelchform aufsteigt, die Rose zu verbergen, die sagen, daß es in seinem Herzen soll geheim bleiben, und daß er es im Herzenskelch vor aller Augen still bewahren wolle. – Der St. Clair ist wieder zurück, hat mir die Tonie gesagt. War er bei Dir? – Was hat er vom Hölderlin erzählt? –
Der St. Clair war bei mir, er kam von Mainz, heut erst geht er nach Homburg,
bleibt acht Tage oder länger dort, wenn er zurückkommt, das wird am Sonntag sein,
will er nach Offenbach kommen, er glaubt, Du werdest
Am Mittwoch reise ich auf drei Wochen zur Nees auf ihr Gut bei Würzburg; von dort will ich Dir deutlicher schreiben, hier im Augenblick von kleinen Reiseangelegenheiten gestört, kann ich nicht, wie ich wohl möchte, antworten auf Deine Liebe, der ich eben auch vertrau wie dem untadeligen Grund Deiner Seele. Schon fühl ich mich bewogen, Deine Empfindungen, Dein Tun ohne Einwurf gelten zu lassen, tue, wie Dir's der Geist eingibt, weil es das beste und einzige ist, wo keines Menschen Rat auslangt; und auch weil Du so nur den unberufnen Vorkehrungen und Ratgebern kannst ausweichen; das ist, was hier zu befahren ist; – nicht Dein kühner Sinn; Dein sicher abwägendes Gefühl haben wir nicht zu befahren, aber das Messen mit dem Maßstab, der nirgendwie mit Dir zusammenstimmt. Ich selber weiß oft nicht, mit welchem Winde ich steuern soll, und überlasse mich allen. Hab Geduld mit mir, da Du mich kennst, und denke, daß es nicht eine einzelne Stimme ist, der ich zu widersprechen habe, aber eine allgemeine, die wie die lernäische Schlange immer neue Köpfe erzeugt. Was Du sagst und treibst und schreibst, geht mir aus der Seele oder in die Seele; ich fühle zu nichts Neigung, was die Welt behauptet; und mustere ich gelassen ihre Forderungen, ihre Gesetze und Zwecke, so kommen sie allesamt mir so verkehrt vor wie Dir, – aber Deine absurdesten Demonstrationen, wie sie Deine Gegner nennen, habe ich noch nie in Zweifel gezogen, ich hab Dich verstanden wie meinen eignen Glauben, ich hab Dich geahnt und begriffen zugleich, und doch muß ich in die Sünde verfallen, Dich zu verleugnen; es ist mir nicht gleichgültig, daß ich diese Schwäche habe, kannst Du sie mir ausrotten helfen, so bin ich willig zur Buße. Das sei Dir genug zum Fühlen wie die Vorwürfe, die Du Dir um mich machst, mich nur drücken können. Das Produkt jener Stunde, wo Deine Liebe dieser gewaltsamen Stimmung in mir so streng entgegentrat, leg ich Dir hier bei. – Dichten in jedem Herzensdrang hat mich immer neu erfrischt, ich war nicht länger gedrückt, wenn ich mein Verstummen konnt erklingen lassen.
Du schreibst mir doch! – Schicke Deine Briefe ins Stift, dort ist am Samstag und den Donnerstag drauf Gelegenheit, etwas an mich zu schicken. – Ich wäre gern noch hinausgekommen, glaubst Du, daß George mich im Kabriolett hinausfahren ließe? – Wolltest Du wohl bei ihm drum fragen? –
Was Dir die Großmama aus ihrem Leben erzählt, das merk Dir doch alles, wenn's auch nur mit wenig Zeilen ist, später ist es einem gar interessant. Adieu und bleib mir gut, ich will Dir's abzuverdienen suchen.
Karoline
Warum Du aufs Landgut grade gehst, wie wir im besten Verkehr sind, das begreif ich
nicht, es war schon als hätt ich Wurzel gefaßt in diesem schönen Briefleben, wie
die Erdbeeren beim Erröten fühlt ich einen aromatischen Duft in mir, wenn ich mich
heiß geschrieben hatte, Du bist immer unterwegs, ich begreif nicht, wo Du Zeit
hernimmst zu allem! – Dies schöne Gedicht! – Wann hast Du's geschrieben? – Es
dreht sich im Tanz und spielt sich selbst dazu auf – so leicht, als ob sich's so
nur aus Deiner Brust atme ohne Anstoß. – Dein Gedicht, was Du in der klanglosen
Stunde geschrieben, ist doch klangreich, es schöpft die Töne aus der Brust und
stimmt sie zu Melodien. – Doch weile ich lieber bei dem ersteren, denn das hast Du
doch später gemacht, nicht wahr? Und fühlst auch wie ich, daß die Schmerzen im
Geist immer mit auf die Pein der Langeweile gegründet sind. – Denn nehm's, wie Du
willst; bräche das Leben sich mit einmal eine neue Bahn und wär sie auch noch so
uneben und holprig, die Verzweiflung hätt ein Ende. Denn alles Schmerzgefühl, alle
Sehnsucht kommt doch nur daher, weil die grade Bahn des Lebens gehemmt ist. –
Besinn Dich doch auf unsere Reiseabenteuer, die wir den Winter miteinander
durchmachten, keiner von uns hatte eine trübe Minute den ganzen Winter nicht,
Deine Sehnsucht ins Innere von Asien hinein brachte uns immer unter die wilden
Tiere, Tiger und Löwen und Elefanten haben uns Schabernack gespielt. Was haben wir
für Sonnenhitz ausgestanden mitten im Eis; erst später merkte ich, wie sehr wir
uns in dies Leben vertieft hatten, da alle Leute diesen Winter als einen der
kältesten durchgehustet haben. Weißt Du, am Neujahrstag kam ich zu Dir! Alle Räder
pfiffen an den vielen Staatswagen, die gepuderten Kutscher mit den rotgefrornen
Gesichtern! – Da kam ich zu Dir in die Stube herein und sagte: Gott, es ist so
heiß hier in Asien, daß wir nur so hinschmachten, und drauß vor der Tür in
Frankfurt, da hängen dem Kutscher die Eiszapfen am Knebelbart. – Was haben wir
gelacht, Günderode; – und haben unter Zimmetbäumen eine Tasse Schokolade
getrunken, die wir in Deinem Öfchen kochten mit wohlriechendem Sandelholz; und da
kam ein Salamander ins Feuer und färbte sich da in
Was wollt ich Dir doch sagen! – Ja, daß damals mir zuerst der Gedanke kam, wie das
Leben nur als Notbehelf vernutzt werde. Ich dachte, daß wir Gedanken haben, so
rasch, und daß die Zeit hinten nachkommt und mag nichts erfüllen, und daß die
Melancholie allein aus dieser Quelle des Lebensdranges fließt, der sich nirgend
ergießen kann. – Die Welt muß voll dessen sein, was unser Leben entwickelt, kämen
die Taten und überflügelten unsere Sehnsucht, daß wir nicht immer ans Herz
schlagen müßten über den trägen Lebensgang, – nicht wahr, Du fühlst es auch – das
wär die wahre Gesundheit, und wir würden dann scheiden lernen von dem, was wir
lieben, und würden lernen die Welt bauen, und das würde die Tiefen der Seele
beglücken. So müßte es sein, denn es ist viel Arbeit in der Welt, mir zum
wenigsten deucht nichts am rechten Platz. – Und was ich niemand sage wie nur Dir,
ich mein immer, ich müsse die ganze Welt umwenden, ja, ich sage Dir, es liegt mir
so nah, daß ich oft in Träumen mich nach dem Szepter umsehe, wo Gott den für mich
hingelegt hat, und würde gewiß die Verwirrung lichten. Nur ein einzig Ding, am
rechten Ende angefaßt, zieht eine Menge andere nach sich, die von selbst dann ins
rechte Geschick kommen würden. Die Menschen lernen dann allmählich auch das Rechte
denken, wenn sie erst eine Weile das Rechte haben tun müssen. Denn ich sage nur
immer so: konnten sie so fest in der Unnatur sich einwurzeln, wieviel fester und
kräftiger dann im Boden, der ihre höhere Natur erzieht? Sollt ich irren? –
Menschengeist horcht auf Göttergebot in der eignen Stimme; horcht auf jene heilige
Urphilosophie, die ohne Lehre als Offenbarung jedem sich gibt, der mit reinem
Willen zur Wahrheit betet. – Das hast Du selber gesagt, es sind Deine eignen
Worte. Wie oft hab ich doch einsam um Wahrheit gefleht! – Und wie unermeßlich ist
doch Vollendung über die Sterne hinauf, – und die Zeit darf nicht mehr sein, da,
wo wir sie gegenwärtig fühlen. – O bessere Tage, wo seid ihr? O kommt uns
entgegen, laßt nicht immer nur harren auf euch, daß nicht auch wir nur
Ich bin traurig – ich kann nicht von Dir los – Dein Lied schmerzt mich – ja es weckt Melodien – aber so schmerzliche – daß ich in ihrem Gesang den Widerhall Deines Wehs empfinde und mich schäme, daß ich so heiter war diese Zeit über, an jedem Weg mir Blumen sammelte und Dir zuwarf in Scherz und Übermut, und das war schlecht lieben gelernt von mir, wo ich doch herausgezogen war, um dieser Schule mich ganz zu widmen.
Was werd ich dem Clemens sagen, wenn er auf meine Bildung zu sprechen kommt? – Ich
freu mich sehr auf den Clemens, das wird mich für Dein Fortlaufen trösten, ich mag
gar nicht dran denken, daß Du mit so viel Menschen umgehen kannst, mit denen ich
kein ungescheut Wort zu sprechen vermag. – Wie ist mir doch Hören und Sehen
verkürzt durch Dein Weggehen! – Gestern abend noch blies mir die hundertjährige
Cousine das Licht aus, ich solle nicht die ganze Nacht durch schreiben, meinte
sie, oder sie wolle es der Großmama sagen, daß ich meine Gesundheit verderbe, ich
hatte einen Schachteldeckel vors Licht gestellt, daß sie's nicht sehen sollt
durchs Schlüsselloch, aber sie bemerkte den Widerschein; – ich sagte: »Sie alte
Hundertjährige, was will Sie mit mir auf der Welt, Sie kann doch unmöglich noch
einmal hundert Jahr leben, dann gehen wir zusammen.« – »Nein, wenn Du's so machst,
dann kannst Du mir nit e mal
Weil ich jetzt weiß, daß Du außer der Welt bist, so hab ich ein ganz ander Leben
angefangen, und mein Sinn hat sich ganz geändert. – Ich möcht auch fort in die
Welt, ja ich möcht fort! – Ich bin doch in meinem Leben noch auf keinen Berg
gestiegen, von wo aus man die ganze Welt übersieht, und in meiner Seel überseh ich
doch die Welt. – Du zankst, daß ich alles besser
Bei der Großmama wird jetzt abends allerlei Politisches unter den Emigranten
verhandelt, da wird die Umwälzung des großen Weltkürbis von allen Seiten versucht,
er deucht ihnen angefault. Außer Choiseil, Ducailas, d'Allaris, die immer das Wort
führen, kamen gestern noch ein Herr von Marcelange und Varicourt, dieser letztere
besonders schön von edler Haltung, ritterlich, ich könnt keinen Augenblick
glauben, daß ihm je etwas Unebenes in den Sinn komme; er wendete sich immer zu
mir, als ob er um meinen Beifall werbe – ai-je raison? Seine Reden machten mir
Eindruck, er war in Begleitung einer Herzogin von Bouillon (Hessen-Rothenburg) und
einer Prinzeß Biron, die mittags auch die Großmama besucht hatten, durch Frankfurt
gekommen, ein Graf Catälan hat ihn zur Großmama geführt, die litt nicht, daß die
Emigranten wie gewöhnlich Politik sprachen, weil sie meistens geteilter Gesinnung
sind, später erzählte sie, daß sein Bruder jener Varicourt sei, der als garde du
roi am 6. Oktober 1790 in Versailles an der Tür der Königin ermordet wurde, als er
ihr zurief: »Königin! Retten Sie sich, es ist der letzte Dienst, den ich Ihnen
leiste!« Die Großmama erzählte mir von seiner Mutter, die sie kurz nachher in der
Schweiz auf einem verfallenen Landsitz bei Nyon getroffen hatte in einer düstern
großen Vorhalle, die zugleich Küche war, mit alten wollnen Tapeten so faltig
behangen, ein altes Ruhebett, auf dem der Hut ihres Sohns mit weißer Kokarde lag,
ein paar Strohstühlchen, ein ungeheuer großer Kamin mit einem kleinen Feuer von
einigen Rebenreisern, wo ein Kesselchen mit Teewasser für die kranke alte Frau
kochte, eine schlafende Katze zu ihren Füßen, ein einziges schmales hohes Fenster
in diesem zerfallenen Wohnsitz einer ausgestorbenen Familie, da habe die Frau den
Hut ihr gezeigt und gesagt, es war eine Zeit, wo das weiße Band ganz Frankreich
zum Gehorsam für seinen König aufrief usw. – Ich hörte der Großmutter gern zu,
solang sie dies erzählte, dabei brachte sie aber noch so manches andre vor, was
keinen Zusammenhang damit hatte, so sprach sie von einer Herde mehrerer hundert
Kühe,
Da ging die Tür auf, Clemens kam herein, große Freud! – Sie stärkt – es blitzt
innerlich. – Ist mein Verstand mir verloren und such ihn an der leeren weißen Wand
und find ihn nicht, aber in dem schönen großen Aug von Clemens find ich ihn. Du
sagst, Du kannst ihm nicht in die Augen sehen, weil er einen verzehrenden Blick
habe, ich nicht, ich schöpf Freud drin, und ich weiß nicht was, von lebendiger
Nahrung Unübersetzbares. – Vor allem möcht ich Herr werden über mein Denken; daß
ich nämlich die Zeit ausfülle mit lebendigem (lebengebendem) Denken. Es gibt ein
Denken,
Das Schlafen kann mit dem Denken im Rapport gesetzt werden, das Schlafen, was aus dem Denken entspringt, erzeugt wieder Denkkraft, – so kann sich der denkbeflissne Geist erschaffen. – Überall mit Geist durchdringen, so ist das Schlechte gesprengt, denn es hat keinen Platz mehr, denn es ist zu schwach und zu eng, um Geist zu fassen.
Ich wundre mich über meine Gedanken! – Dinge, über die ich nie etwas erfahren, die ich nie gelernt, oder vielleicht grade das Gegenteil davon, stehen hell und deutlich in meinem Geist. – Kann ich denn wissen, ob ich nicht vielleicht von einem Geist besessen bin? – Und ist Besessensein nicht vielleicht ein Aufgeben der Individualität, und sind die Widerspenstigen, die sich dem Geist widersetzen, nicht vielleicht individuell stärker, als die vom Geist Durchdrungnen? – Ach, liegt wohl die Stärke im Hingeben? – Ist nicht manches im Geist und in der Seele Wirkung anderer Welten? – Die Liebe, die Leidenschaft, ist die nicht Anziehungskraft von der Sonne? –
Wir saßen auf der Hoftreppe, ich und der Clemens, in der Dämmerung und schwatzten
allerlei. – »Es ist alles recht lieblich, was du da vorbringst«, sagte er – »aber
werd nur nicht faselig, manchmal ängstigt mich's, was aus dir werden soll, du
zersplitterst deinen Geist, mit dem du dir eine so herrliche Freiheit erringen
könntest. – Ach, kannst du dich denn nicht auf eins hinwenden mit deinen fünf
Sinnen und das ganz auffassen? – Wenn du sprichst, bist du gescheit und gibst
manchen Aufschluß, von dem die Philosophen noch nichts wissen. – Schreib doch was!
– Hast du mir nicht Kindermärchen versprochen? – Schreib doch alles auf, was du im
Kloster erlebt hast, du kannst so schön davon erzählen. – Was treibst du denn mit
der Günderode? – Lernst du mit ihr? – Ich hab so große Sorge um dich, ich muß
manchmal die Hände ringen, daß alle Anmut deines Geistes den vier Winden
preisgegeben ist.« – Der liebste Clemens! – Ich mußte ihn küssen in der stillen
Nachtdämmerung auf seine leuchtende Stirn unter den schwarzen Locken für seine
Liebe. Es ward windig, da saßen wir beide in seinem Mantel gewickelt und sahen den
Wolken zu, wie sie sich eilten, da sagte der Clemens so viel von Dir, was Dich
gewiß freut, Du seist so hell wie der Mond. – Das flüchtige unstete Wesen, was
Dich oft befalle, sei nur wie Wolken, die über den Mond hinziehen und verdunklen –
aber Du selber seist reines poetisches Licht und Du drängest tief ins Gehör, der
Klang Deiner Gedichte sei Geistesmu sik, – und dies sei jetzt nur der Eingang zum
Geisteskonzert, in dem sich immer und nach allen Seiten Melodien entfalten; und es
sei so edel, sich innerlich einem solchen Leben hingeben, und so könnte und sollte
ich auch mich sammeln, daß ich meinen Geist nicht wegwerfe und ein Leben führe,
das würdig sei. – Was meinst Du, daß ich zu all diesem gesagt hab? – Nichts! – Mir
wird bang einen
Bettine
Ich hab ihm versprechen müssen, daß ich bei seiner Rückkehr was wollt geschrieben
haben, ich werde nie besser verstehen lernen, wie die Welt mit Brettern zugenagelt
ist, als wenn ich versuche ein Buch zu schreiben, und wenn nun gar der Clemens von
einer freien Zukunft spricht, und daß ich, ohne ein Buch zu schreiben, nie meine
Zukunft werde genießen! – Ein Buch ist dick und hat viel leere Seiten, die alle
vollzuschreiben kann ich doch nicht aus der Luft greifen, mir deucht dies erst
recht eine Fessel meiner Freiheit. – Wenn ich mich an den kienernen Schreibtisch
setze und es fällt mir gar nichts Extraes ein und ich schneide mit dem Federmesser
eine dumme Fratze nach der andern in den Tisch, die mich alle auslachen, daß mir
nichts einfällt, da werf ich mein Buch weg, wo lauter Versanfänge drin stehen und
kein Reim drauf. – Es ist wirklich eine Unmöglichkeit. Ich möcht dem Clemens alles
zulieb tun, was er will, aber ich hab einmal keine Gedanken; andre Leute waren
schon vor mir da, ich bin zuletzt gekommen, also was ich auch vorbringen könnt, so
haben's andre schon früher erlebt; ich ging einmal mit dem Clemens dies Frühjahr
spazieren, da waren allerlei neu aufgeblühte Kräuter, die ich nicht kannte, die
wollt ich brechen; er sagte: »Wenn du bei jedem Mauseöhrchen oder Vergißmeinnicht
hocken bleibst, so werden wir nicht weit kommen.« Daran denke ich jetzt immer,
wenn ich was Neues in mir selber erfahr, daß andre dies alles wohl schon wissen
und nichts Neues mehr für sie mehr sein mag, wie jene Violen und Gänseblümchen am
Weg, die ich mir sammeln wollte. So schreib ich's denn nicht auf, und auch weil
die Gedanken sich an mich hängen wie Schmetterlinge an die Blumen, wer soll sie
haschen? – Sie merken's gleich und fliegen davon, und fasse ich einen, so hab ich
bald seine schöne Farbe abgewischt mit dem Schreibefinger oder seine Flügel
erlahmen. Und so ein Gedanke in der Luft flattert so lustig, aber auf dem Papier
kann er sich nicht wiegen wie auf der Blume; und kann sich nicht auf die Rosen
setzen von einer zur andern, er sitzt da wie angespießt. Ich seh's ja an denen
paar, die ich so erwischt und aufgeschrieben hab. – Da war ich grad am End vom
Garten, ich lief eilig hinein, weil ich ihn geschwind ins Buch schreiben wollt, eh
ich ihn vergesse und jetzt, so oft ich das Buch aufmache,
Die Hoch sagte: »Sie haben das Lied schön verketzert, kein Mensch wird's für ein Andachtslied erkennen.« – »Ich hab es doch mit wahrer Andacht gesungen, ist es eine Sünde, so wollen wir lieber ein Bußlied singen, damit mir nicht gar noch ein Bart davon wächst.« Die Hoch sagte: »Ach, gehn Sie doch, das wär Ihnen grad recht, wenn Ihnen ein Bart wüchse.«
Am andern Morgen ging die Tonie zum Tiroler und ich ging mit, um mir sein Antlitz
einzuprägen, ich dachte, wenn man sich so was tief in die Seel schreibt, so
blüht's am End mit einem auf, und weil die Tonie Handschuh aussuchte, setzte sich
ein Schmetterling, der vom Main herübergeflogen kam, auf den Strauß an seinem Hut.
»Ach, guck den Schmetterling, den haben die Blumen an deinem Hut herbeigelockt!« –
Der Tiroler fragte: »Was ist das für ein Ding, ein Schmetterling?« und sieht ihn
fliegen und
Ob Tugend nicht auch Genialität sein möchte, und ob wir vielleicht nur deswegen so mühselig hinanklettern zum Erhabenen, weil wir kein Genie haben.
Das war auf der Pappel, an der ich so bequem hinaufklettern kann, ich sah die Vögel geflogen kommen und dacht in mir, du hast kein Genie, du mußt mühselig zu allem hinanklettern, und dann kannst du dich nicht oben erhalten, mußt immer wieder hinunter. – Und da fühlt ich recht in mir, wie alles in mir schwankt, nichts erreichen kann, wie ein Feuer in mir braust, jede Kunst liegt in mir so nah, ich mein, ich hätte sie schon in mir, die Wangen glühen mir gleich so hoch, sie brennen mir, wenn ich nur in die Ferne denk, da liegen mir goldne Berge. Ich steh da, als hätt ich nur den Zauberstab in der Hand, alles inwendig im Geist, aber wenn's heraus soll, da bleib ich beim Buchdeckel und muß mühselig Sandkörnchen für Sandkörnchen zusammentragen. Wie ich von der Pappel herunter die Trepp herauf war und hatte meinen ersten papiernen Gedanken aufgeschrieben, der mich noch immer anlachte – so wollt ich doch noch ein bißchen im Abendschein mich wiegen, denn beim Wiegen kommen mir Gedanken. Kaum war ich der halben Pappel hinaufgeklettert, so fiel mir schon wieder was ein, ich klettert also gleich wieder herunter und wieder die Trepp hinauf und schrieb auf:
Der ganze Mensch muß in sich einverstanden sein nämlich Herz und Kopf und Hand und Mund.
Da stand ich noch so eine Weile vor dem Gedanken still und dacht, vor dem hätt ich
immer auf der Pappel können sitzen bleiben, und es tat mir schon leid, daß ich das
Buch mit bekleckst hatte, aber weil der Clemens gesagt hatte, ich soll alles
schreiben, was mir durch den Kopf geht, so wollt ich's durchsetzen. Jetzt gefällt
mir aber doch etwas in dem Gedanken, ich kann ihn ja zu was Großem machen, wenn
ich einen großen Sinn hineinlege, und wenn ich alles, was ich so schreib, ohne zu
wissen warum, mit
Den Geist nähren, das ist Religion.
Ja, wenn ich das könnt, dacht ich, wie ich wieder auf meiner Pappel saß und jetzt nicht mehr herunter wollt; denn es war so schön geworden der ganze Himmel, Abendrot, und der Luftkristalle unendlich viele, die schnell im Purpur anschossen, was hab ich alles gesehen von Farben und von wogenden Wipfeln, die sich einschmelzenden Farben und Lichtglanz in der Ferne, und wie war die Natur so gütig gegen mich, grad als ob ich sie nicht verleugnet hätt gehabt mit meinem Aberwitz auf dem Papier. Alles Selbstdenken kommt mir wie Sünde vor, wenn ich in der Natur bin; könnt man ihr nicht lieber zuhören? – Ja, Du meinst, davon denkt man ja, daß man ihr zuhört, nein, das ist doch noch ein Unterschied. Wenn ich der Natur lausche, Zuhören will ich's nicht nennen; denn es ist mehr, als man mit dem Ohr fassen kann, aber lauschen, das tut die Seele. – Siehst Du, da fühl ich alles, was in ihr vorgeht, ich fühl den Saft, der in die Bäume hinaufsteigt bis zum Wipfel, in meinem Blut aufsteigen, ich steh so da und lausch – und dann – da empfind ich – ich denk aber nicht grad oder doch nicht, daß ich's wüßt, aber wart nur einmal, wie's weiter geht. – Alles, was ich anseh – ja, das empfind ich plötzlich ganz – grad, als wär ich die Natur selber oder vielmehr alles, was sie erzeugt, Grashalme, wie sie jung aus der Erd heraustreiben, dies fühl ich bis zur Wurzel und alle Blumen und alle Knospen, alles fühl ich verschieden. – Seh ich den großen Rosenstrauch an da auf dem Inselberg, er hatte beinah schon abgeblüht, jetzt ist ein Nachschuß da, das betracht ich alles, das dringt mir alles mit etwas ins Herz, soll ich's Sprach nennen? – Mit was berührt man denn die Seel, ist die Sprach nicht die Lieb, die die Seel berührt, wie der Kuß den Menschen berührt? – Vielleicht doch, nun, so ist das, was ich in der Natur erfahr, gewiß Sprache; denn sie küßt meinen Geist, – jetzt weiß ich auch, was Küssen ist; denn sonst wär's nichts, wenn's das nicht wär', jetzt geb acht:
Küssen ist, die Form und den Geist der Form in uns aufnehmen, die wir berühren, das ist der Kuß, ja, die Form wird in uns geboren.
Und darum ist die Sprache auch Küssen, es küßt uns jedes Wort im Gedicht, alles
aber, was nicht gedichtet ist, das ist nicht gesprochen, das ist
Montag
Ich hab heut im Schlaf gedacht, ich bin doch recht glücklich, alles was ich Dir gestern aufgeschrieben hab, das war in meinem Buch mit folgenden ledernen Gedanken bezeichnet:
Nein, daraus würde wohl keiner klug werden! – und auch keiner sich drum kümmern, so ein Gedanke, den man aufbewahrt, ist wie eine gedürrte Pflaume, ganz verhutzelt und verkohlt. Nein, es ist eine Unmöglichkeit, ein Buch zu machen aus dem, was mir durch den Kopf geht, es ist ungehobeltes Zeug, was sich sperrt, wenn's in Gedanken soll gefaßt werden. – Und kein Mensch kann's brauchen, selbst der Clemens würde fürchten, daß ich übergeschnappt sei, von Dir erwart ich, daß Du mich ungestört anhörst, es ist doch einmal nicht zu ändern, Ihr gebt Euch Mühe, meine Ge danken zu konzentrieren (auf etwas fest richten soll das, glaub ich, heißen), das ist aber grad, was nie geschehen wird; denn ich selbst kann's nicht erzwingen von mir, ich sag mir oft, nur jeden Tag eine halbe Stunde Geduld, so wirst du gewiß Herr über alles, was du lernen magst. – Aber wenn ich das denk, so schaudert's mich, als ob ich gesündigt hätt mit dem Gedanken. Gestern nahm mich die Großmama ins Gebet über meine vermöglichen Fähigkeiten, sie sagt, wer den Most nicht fassen kann in Gefäße, der kann ihn nicht bewahren, da hielt sie mich mit beiden Händen und sah mich so groß an, da versprach ich ihr alles, da sagte sie: »Lern doch Latein,« und ich versprach's ihr, aber gleich befiel mich eine frevelige Angst, und mir klopfte das Herz vor Ungeduld, daß sie mich loslassen solle, aber aus Ehrfurcht bleib ich vor ihr stehen, und wie sie sah, daß meine Wangen so brennten, da sagt sie: »Geh hinaus, lieb's Mädele, in die Luft, und morgen wollen wir weiter sprechen.« – Gleich klettert ich aufs Dach von der Waschküch und erwischte so einen Akazienzweig und kletterte hinüber auf den Akazienbaum und hab ihn umhalst und wieder abgebeten, daß ich gesagt hab, ich wollt Latein lernen.
Bettine
Ich habe Deine Briefe erhalten, die Du seit meiner Abreise mir schreibst. Ich muß
mich kalt machen, daß Dein Flammen mich nicht angreifen, doch such ich Dir
nachzuempfinden, und meine Mühe ist nicht ganz umsonst – doch staun ich, wie
gewaltig Dich alles ergreift, und daß dies alles nicht Deine Gesundheit aufreibt;
denn wie mir einleuchtet, so kannst Du unmöglich viel schlafen? – Und dabei dies
unruhige Leben, wo jeder Augenblick Dich aufs neue reizt – ich glaub selber, daß
Du einen Dämon hast, der Dich wieder stärkt, wie könntest Du sonst alles fassen? –
Und Dein Herz, ist es nicht voll zum Überlaufen, der Gärtner, der Moritz, der
Franzose, der Clemens und ich doch auch – und Deine frühen Wanderungen im Boskett,
Du schläfst nicht aus, es wird nicht lange so fortdauern können – ich selbst fühl
mich hier anders wie sonst. – Die Zukunft leuchtet mir nicht helle, und
Ist denn das alles von Gedanken, was Du in Dein Buch aufgeschrieben, o verliere nichts. Hier sende ich Dir ein paar Lieder, lese sie, wie man Gedichte liest, ohne zu großen Affekt. Denk, daß der Reim auch die Stimmung leitet, und glaub nicht gleich, ich sei zu traurig. – Gedichte sind Balsam auf Unerfüllbares im Leben; nach und nach verharscht es, und aus der Wunde, deren Blut den Seelenboden tränkte, hat der Geist schöne rote Blumen gezogen, die wieder einen Tag blühen, an dem es süß ist, der Erinnerung Duft aus ihnen zu saugen.
Die »Pilger« hab ich vor acht Tagen geschrieben, auf das letzte: »Der Lethe-Fluß«, hatte Dein Emigrantenverkehr Einfluß; ich weiß nicht wie.
Ist St. Clair noch nicht zurückgekehrt? War er bei Dir? –
Schon zehn Tage bist Du fort, alle Tag kommt der Jud mit dem leeren Sack, ich ließ ihn heut den Sack um und um kehren, weil ich dacht, es müsse sich Dein Brief drin finden, den ich so sicher erwartete, aber es war nichts herausgefallen als Brotkrümel und kein Krümelchen Deiner Feder für mich – wonach ich gar nicht so hungrig bin, wenn ich nur weiß, daß alles noch beim alten ist, und daß Du gesund bist. – Weißt Du mir nichts zu schreiben, so such mir aus meinen Briefen meine Religionsprinzipien zusammen, ich hab noch allerlei Nachgedanken berauschender Quellen der Natur hervorströmen, und mir deucht, ich sollte sie auch noch zu schöpfen versuchen. –
Bei der Großmama ist ewiger Besuch, heute spazierte man zu siebzehn
Fürstlichkeiten im Garten auf und ab, die Großmama zum Bewundern, in Anmut und
Würde alle überstrahlend, Isenburg, Reuß, Erbach und etliche hessische
Durchlauchten und nebenbei noch der Herzog von Gotha, der schon längere Zeit
täglich Brot ist im Haus, nämlich alle Mittag um drei Uhr kommt er herausgefahren
und läßt sich von mir die Depeschen vorlesen und Journale, dann geht er in den
Garten, wo er Bohnen gepflanzt hat, die muß ich ihm begießen helfen. Die Großmama
spricht von seinem Genie, mir gefällt, daß er mit mir umgeht wie mit einem Kind,
er nennt mich Du! Frägt mich nie nach was anderm, als was ich mit Ja oder Nein
beantworten kann, weiter hab ich ihm nichts gesagt bis jetzt – im Garten läßt er
mich in der Sonnenhitze den Regenschirm tragen, und er trägt die Gießkanne, letzt
war er so matt, daß er sie hinstellen mußte, ich sagte, er solle den Parapluie
tragen, ich wolle die Gießkanne nehmen, er meinte, die sei wohl zu schwer für
mich, als er aber sah, daß ich sie mit ausgestrecktem Arm weitab durch die Luft
trug, um mein Kleid nicht naß zu machen, so nennt er mich seitdem die starke Magd.
– Seine roten Haare, die einen verzweiflungsvollen Schwung haben wie ein schweres
Ährenfeld, das der Hagel verwüstet hat, und sein blasses Angesicht geben ihm in
der Abenddämmerung das Ansehen von einem Geist; ich hab mich vor ihm gefürchtet,
wie er mich abends durchs Boskett begleitete. Die Großmama hatte alle
Fürstlichkeiten an der Wagentüre begrüßt und dagegen protestiert, daß sie unter
das Dach ihrer Grillenhütte kommen, sie wollten aber absolut in die Grillenhütte
herein, und so ward diese bald zu eng. – Im Garten machte der Herzog selbst eine
Weinkaltschale mit Pfirsich; denn er panscht gern, ich mußte dazu alles
herbeiholen in die Geisblattlaube, da er mich nun immer starke Magd nannte, so
passierte ich bei der hohen Gesellschaft für ein so seltnes Monstrum; zuletzt
sagte er noch: »Geh an unsern Bohnenstangen und sorge, daß die breitfüßigen und
krummbeinigen Spaziergänger sie nicht umtreten!« Ich holte mir die Schawell und
setzte mich mitten ins Bohnenfeld, wo ich nicht mehr bemerkt wurde, es war mir
eine Labung; denn ich war betäubt und müde, alles kann ich ertragen, nur nicht das
Brausen der Menschenreden, die kein Feuer, keinen Zweck haben und immer in der
Luft herumgreifen
17ten
St. Clair war heute hier, zwischen zehn und ein Uhr, ich lag noch zu Bett, ich
hatte die Großmama um Erlaubnis fragen lassen auszuschlafen, weil mich am Abend
der Duft der Orangerie ganz betäubt hatte, er wartete auf mich hinter der
Pappelwand. – Es gibt Weh, darüber muß man verstummen; die Seele möchte sich mit
begraben, um es nicht mehr empfinden zu müssen, daß solcher Jammer sich über einem
Haupte sammeln könne, und wie konnte es auch? – O ich frage! und da ist die
Antwort: weil keine heilende Liebe mehr da ist, die Erlösung könnte gewähren. Oh,
werden wir's endlich inne werden, daß alle Jammergeschicke unser eignes Geschick
sind? – Daß alle von der Liebe geheilt müssen werden, um uns selber zu heilen.
Aber wir sind uns der eignen Krankheit nicht mehr bewußt, nicht der erstarrten
Sinne; daß das Krankheit ist, das fühlen wir nicht – und daß wir so wahnsinnig
sind und mehr noch als jener, dessen Geistesflamme seinem Vaterland aufleuchten
sollte – daß die erlöschen muß im trüben Regenbach zusammengelaufner
Alltäglichkeit, der langweilig dahinsickert. – Hat doch die Natur allem den Geist
der Heilung eingeboren, aber wir sind so verstandlos, daß selbst der harte Stein
für uns ihn in sich entbinden lässet, aber wir nicht – nein, wir können nicht
heilen, wir lassen den Geist der Heilung nicht in uns entbinden, und das ist unser
Wahnsinn. Gewiß ist mir doch bei diesem Hölderlin, als müsse eine göttliche Gewalt
wie mit Fluten ihn überströmt haben, und zwar die Sprache, in übergewaltigem
raschen Sturz seine Sinne überflutend und diese darin ertränkend; und als die
Strömungen verlaufen sich hatten, da waren die Sinne geschwächt und die Gewalt des
Geistes überwältigt und ertötet. – Und St. Clair sagt: ja, so ist's – und er sagt
noch: aber ihm zuhören, sei grade, als wenn man es dem Tosen des Windes
vergleiche; denn er brause immer in Hymnen dahin, die abbrechen, wie wenn der Wind
sich dreht – und dann ergreife ihn wie ein tieferes Wissen, wobei einem die Idee,
daß er wahnsinnig sei, ganz verschwinde, und daß sich anhöre, was er über die
Verse und über die Sprache sage, wie wenn er nah dran sei, das göttliche Geheimnis
der Sprache zu erleuchten, und dann verschwinde ihm wieder alles im Dunkel, und
dann ermatte er in der Verwirrung und meine, es werde ihm nicht gelingen,
begreiflich
Es gebe höhere Gesetze für die Poesie, jede Gefühlsregung entwickle sich nach neuen Gesetzen, die sich nicht anwenden lassen auf andre; denn alles Wahre sei prophetisch und überströme seine Zeit mit Licht, und der Poesie allein sei anheimgegeben, dies Licht zu verbreiten, drum müsse der Geist und könne nur durch sie hervorgehen. Geist gehe nur durch Begeistrung hervor. – Nur allein dem füge sich der Rhythmus, in dem der Geist lebendig werde! – wieder: –
Wer erzogen werde zur Poesie in göttlichem Sinn, der müsse den Geist des Höchsten für gesetzlos anerkennen über sich und müsse das Gesetz ihm preisgeben; nicht wie ich will, sondern wie du willst! – und so müsse er sich kein Gesetz bauen; denn die Poesie werde sich nimmer einzwängen lassen, sondern der Versbau werde ewig ein leeres Haus bleiben, in dem nur Poltergeister sich aufhalten. Weil aber der Mensch der Begeisterung nie vertraue, könne er die Poesie als Gott nicht fassen. – Gesetz sei in der Poesie Ideengestalt, der Geist müsse sich in dieser bewegen und nicht ihr in den Weg treten, Gesetz, was der Mensch dem Göttlichen anbilden wolle, ertöte die Ideengestalt, und so könne das Göttliche sich nicht durch den Menschengeist in seinen Leib bilden. Der Leib sei die Poesie, die Ideengestalt, und dieser, sei er ergriffen vom Tragischen, werde tödlich faktisch; denn das Göttliche ströme den Mord aus Worten, die Ideengestalt, die der Leib sei der Poesie, die morde – so sei aber ein Tragisches, was Leben ausströme in der Ideengestalt – (Poesie); denn alles sei tragisch. – Denn das Leben im Wort (im Leib) sei Auferstehung (lebendig faktisch), die bloß aus dem Gemordeten hervorgehe. – Der Tod sei der Ursprung des Lebendigen.
Die Poesie gefangennehmen wollen im Gesetz, das sei nur, damit der Geist
Dann sagte er am andern Tag wieder: es seien zwei Kunstgestalten oder zu berechnende Gesetze, die eine zeige sich auf der gottgleichen Höhe im Anfang eines Kunstwerks und neige sich gegen das Ende; die andre wie ein freier Sonnenstrahl, der vom göttlichen Licht ab sich einen Ruhepunkt auf dem menschlichen Geist gewähre, neige ihr Gleichgewicht vom Ende zum Anfang. Da steige der Geist hinauf aus der Verzweiflung in den heiligen Wahnsinn, insofern der höchste menschliche Erscheinung sei, wo die Seele alle Sprachäußerung übertreffe, und führe der dichtende Gott sie ins Licht; die sei geblendet dann und ganz getränkt vom Licht, und es erdürre ihre ursprüngliche üppige Fruchtbarkeit vom starken Sonnenlicht; aber ein so durchgebrannter Boden sei im Auferstehen begriffen, er sei eine Vorbereitung zum Übermenschlichen. Und nur die Poesie verwandle aus einem Leben ins andre, die freie nämlich. – Und es sei Schicksal der schuldlosen Geistesnatur, sich ins Organische zu bilden, im regsam Heroischen, wie im leidenden Verhalten. – Und jedes Kunstwerk sei ein Rhythmus nur, wo die Zäsur einen Moment des Besinnens gebe, des Widerstemmens im Geist, und dann schnell vom Göttlichen dahingerissen, sich zum End schwinge. So offenbare sich der dichtende Gott. Die Zäsur sei eben jener lebendige Schwebepunkt des Menschengeistes, auf dem der göttliche Strahl ruhe. – Die Begeistrung, welche durch Berührung mit dem Strahl entstehe, bewege ihn, bringe ihn ins Schwanken; und das sei die Poesie, die aus dem Urlicht schöpfe und hinabströme den ganzen Rhythmus in Übermacht über den Geist der Zeit und Natur, der ihm das Sinnliche – den Gegenstand – entgegentrage, wo dann die Begeistrung bei der Berührung des Himmlischen mächtig erwache im Schwebepunkt (Menschengeist), und diesen Augenblick müsse der Dichtergeist festhalten und müsse ganz offen, ohne Hinterhalt seines Charakters sich ihm hingeben – und so begleite diesen Hauptstrahl des göttlichen Dichtens immer noch die eigentümliche Menschennatur des Dichters, bald das tragisch Ermattende, bald das von göttlichem Heroismus angeregte Feuer schonungslos durchzugreifen, wie die ewig noch ungeschriebene Totenwelt, die durch das innere Gesetz des Geistes ihren Umschwung erhalte, bald auch eine träumerisch naive Hingebung an den göttlichen Dichtergeist oder die liebenswürdige Gefaßtheit im Unglück; – und dies objektiviere die Originalnatur des Dichters mit in das Superlative der heroischen Virtuosität des Göttlichen hinein. –
Ich verstehe alles, obschon mir vieles fremd drin ist, was die Dichtkunst belangt,
wovon ich keine klare oder auch gar keine Vorstellung habe, aber ich hab besser
durch diese Anschauungen des Hölderlin den Geist gefaßt, als durch das, wie mich
St. Clair darüber belehrte. – Dir muß dies alles heilig und wichtig sein. – Ach,
einem solchen wie Hölderlin, der im labyrinthischen Suchen leidenschaftlich
hingerissen ist, dem müssen wir irgendwie begegnen, wenn auch wir das Göttliche
verfolgen mit so reinem Heroismus wie er. – Mir sind seine Sprüche wie
Orakelsprüche, die er als der Priester des Gottes im Wahnsinn ausruft, und gewiß
ist alles Weltleben ihm gegenüber wahnsinnig; denn es begreift ihn nicht. Und wie
ist doch
Günderode, weil Du schreibst, daß Dir mein Denken und Schreiben und Treiben die Seele ausfülle, so will ich nicht aufhören, wie es auch kommen mag, und einst wird sich Dir alles offenbaren, und ich selber werde dann, wie Hölderlin sagt, mich in den Leib des Dichtergottes verwandeln; denn wenn ich nur Fassungskraft habe! – Denn gewiß, Feuer hab ich, – aber in meiner Seele ist es so, daß ich ein Schicksal in mir fühle, das ganz nur Rhythmus des Gottes ist, was er vom Bogen schnellt, und ich auch will mich bei der Zäsur, wo er mir ins eigne widerstrebende Urteil mein göttlich Werden gibt, schnell losreißen und in seinem Rhythmus in die Himmel mich schwingen. Denn wie vermöcht ich sonst es? – Nimmer! Ich fiel zur Erde wie alles Schicksallose. –
Und Du, Günderode, so adelig wie Du bist in Deinen poetischen Schwingungen! Klirrt da nicht die Sehne des Bogens des Dichtergottes? Und lässet die Schauer uns fühlen auch in diesen leisen träumentappenden Liedern:
Sagst Du nicht dasselbe hier? – Klingt nicht so der Widerhall aus der Öde in Hölderlins Seele? –
Ach, ich weiß nicht zu fassen, wie man dies Höchste nicht heilig scheuen sollte, dies Gewaltige, und wenn auch kein Echo in unseren Begriff es übertrage, doch wissen wir, daß der entfesselte Geist über Leiden, die so mit Götterhand ihm auferlegt waren, im Triumph in die Hallen des Lichts sich schwinge, aber wir! – Wissen wir Ungeprüften, ob je uns Hellung werde? – Jetzt weiß ich's, ich werd ihm noch viel müssen nachgehen, doch genug zwischen uns davon; eine Erscheinung ist er in meinen Sinnen, und in mein Denken strömt es Licht. –
I
II
Wenn dich eine höhere Vorstellung durchdringt von einer Menschennatur, so zweifle nicht, daß dies die wahre sei; denn alle sind geboren zum Ideal, und wo du es ahnst, da kannst du es auch in ihm zur Erscheinung bringen; denn er hat gewiß die Anlage dazu.
Wer das Ideal leugnet in sich, der könnte es auch nicht verstehen in andern, selbst wenn es vollkommen ausgesprochen wär. – Wer das Ideal erkannte in andern, dem blüht es auf, selbst wenn jener es nicht in sich ahnt.
Frankfurt
Günderödchen, der Clemens läßt Dich tausendmal grüßen. Ich muß es zuerst schreiben, denn er steht hinter mir und zwingt mich dazu, er spricht von einem Dompfaffen oder Blutfinken, der in Dich verliebt sei, und er sei so anmutig dumm, daß er Dir prophezeit, Du werdest ihm nicht widerstehen; denn die Dummheit sei Deine Schwäche, Du fallest drüber her wie ein Raubvogel über ein neugeboren Gänschen, und er hab Dich mehrmals sehen lauern und schweben mit gierigem Blick über Dummheitsphänomenen, und die würdest Du Dir auch nie haben abjagen lassen, und Du seist gewiß im Rheingau auf der Jagd danach, während hier die merkwürdigsten Exemplare Dir in die Hände laufen würden und auch mehrere für ein Geringes an Geld zu sehen sind.
Alleweil hat er den Hut genommen, um zu dem Puppenspiel Plätze zu bestellen, er
will die Pauline hineinführen, um ihr augenscheinlich zu machen, wie es in ihrem
Magen aussieht. Denn sie habe ein Puppenspiel im Leib und wenn sie mit ihm
spricht, so antwortet er dem Pantalon, dem Skaramutsch, dem Hanswurst, der
Colombine usw. – und sooft sie was sagt, so oft antwortet er einer andern Person
vom Puppenspiel und so passend, daß das Puppentheater, nämlich der Pauline Magen,
am meisten vom Lachen erschüttert wird. Er ist unerschöpflich an Witz, und alles
läuft ihm nach. Daß Du nicht hier bist, hat ihn merklich betroffen, er wollt, ich
könnt Dich bewegen zu kommen, aber Du wirst die Gärten des Dionysos nicht
verlassen, wo Du jeden Morgen reife Beeren kostest, die der Gott Dir zum Fenster
hinanreicht, um hier auf der schmutzigen Mess die Bären tanzen zu sehen. Hätt der
Clemens nicht hier auf mich gewartet, so hätt ich mögen mit Dir im Rheingau
bleiben, der Franz hätt's wohl erlaubt, ich hab mehrmals dran gedacht; wie schön
wär's gewesen, da wären wir herumgeschweift – überall – wo andre Menschen nicht
hinkommen – oft ist ein klein verborgen Plätzchen, das niemand kennt, das Schönste
von der Welt. – Ich sag Dir, wir hätten Quellchen entdeckt, tief im Gras und
Gestein und einsame Hüttchen im Wald und vielleicht auch Höhlen – ich
durchforschel gar zu gern die Natur Schritt vor Schritt. Ich dächt, wir sähen uns
auch einstweilen um nach einem Ort, wo wir unsre Hütten bauen wollen – Du auf dem
Berg weit ins Freie hinaus und ich im Tal, wo die Kräuter hoch wachsen und alles
versteckt ist, oder im Wald, aber nah beisammen, daß wir uns zurufen
Wie der Clemens nach Haus gekommen war, hat er gleich nach meinem Brief gefragt,
er wollt auch dran schreiben, ich hab ihn aber zerstreut durch allerlei, was ich
von Dir erzählte; denn ich wollt ihn nicht gern lesen lassen, daß ich als
Einsiedler mit Dir leben wollt, denn er hätt's gewiß im Puppenspiel angebracht, so
erzählt ich ihm von unsrer Rheinfahrt in der Mondnacht mit der Orangerie auf dem
Verdeck, das machte ihm so viel Freude, er frug nach allem, was noch vorgefallen,
nach jedem Wort, nach den Ufern, nach dem Mond; und ich erzählte ihm alles; denn
ich wußte alles, jed Lüftchen, was sich erhoben hatte, und wie der Mond durch die
Luken und Bogen hinter den Bergfesten geschimmert hat, und alles, und er frug
auch, was wir gesprochen, ich sagte: nichts oder nur wenig Worte, denn es sei die
ganze Natur so schweigend gewesen. – Und wie er alles ausgeforscht hatte, da ging
er fort und sperrte mich ein und sagte, ich sollt ein Gedicht davon machen, grad
so wie ich's erzählt habe, und sollt es nur aufschreiben immer in kurzen Sätzen,
wenn es sich auch nicht reime, er wolle mich schon reimen lehren, und so ging er
hinaus und schloß die Tür ab, und vor der Tür rief er: »Nicht eher kommst Du
heraus, bis Du ein Gedicht fertig hast!« – Da stand ich – ganz widersinnig im
Kopf. – Ans Aufschreiben dacht ich nicht. – Aber ich dacht an das Versmachen, wie
seltsam das ist. – Wie in dem Gefühl selbst ein Schwung ist, der durch den Vers
gebrochen wird. – Ja, wie der Reim oft gleich einer beschimpfenden Fessel ist für
das leise Wehen im Geist. Belehr mich eines Besseren, wenn ich irre, aber ist es
nicht wahrscheinlich, daß Reim und Versmaß auf den ursprünglichen Gedanken so
einwirke, daß er ihn verfälscht? – Überhaupt, was seelenberührend
Gott ist Poesie, gar nichts anders, und die Menschen tragen es über in eine tote Sprache, die kein Ungelehrter versteht, und von der der Gelehrte nichts hat als seinen Eigendünkel. – So wie denn das Machwerk der Menschen überall den Lebensgeist behindert, in allem, in jeder Kunst, daß die Begeistrung, durch die sie das Göttliche wahrnehmen, von ihnen geschieden ist, – und ich muß mich kurz fassen, sonst wollt ich mich noch besser besinnen.
Die Berührung zwischen Gott und der Seele ist Musik, Gedanke ist Blüte der Geistesallheit, wie Melodie Blüte ist der Harmonie.
Alles, was sich dem Menschengeist offenbart, ist Melodie in der Geistesallheit getragen, das ist Gottpoesie. Es enthüllt sich das Gefühl in ihr, sie genießend, empfindend, keimt auf in der Geistessonne, ich nenn es Liebe. Es gestaltet sich der Geist in ihr, wird Blüte der Poesie Gottes, ich nenn es Philosophie. Ich mein, wir können die Philosophie nicht fassen, erst die Blüte wird in uns. Und Gott allein ist die Geistesallheit, die Harmonie der Weisheit. – Ach, ich hab das alles nicht sagen wollen, der Kopf brennt mir, und das Herz klopft mir zu stark, wenn ich will denken, als daß ich deutlich sein könnt. Ich wollt vom Reimen sprechen.
Mir kommen Reime kleinlich vor, so wie ich sie bilden soll, ich denke immer: ach, der Gedanke will wohl gar nicht gereimt sein, oder er will wo anders hinaus, und ich stör ihn nur, – was soll ich seine Äste verbiegen, die frei in die Luft hinausschwanken und allerlei feinfühlig Leben einsaugen, was liegt mir doch daran, daß es symmetrisch verputzt sei! Ich schweife gern zwischen wildem Gerank, wo hie und da ein Vogel herausflattert und mich anmutig erschreckt oder ein Zweig mir an die Stirne schnellt und mich gedankenwach macht, wo mich die alte Leier eingeschläfert hätt. –
Als der Clemens mich aus der Prison entließ, hatte ich das Märchen gereimt von der alten Frau Hoch, vom Hofnarren, der seinem König lehrt Fische fangen, und ihn selber im Hamen fängt und ins Wasser taucht und sagt, so fangen die Narren Fische, aber der König im Hamen wird keinen fangen. Im Puppenspiel war Clemens von beseligtem Humor, die Witze echappierten ihm, wie wenn ein Feuerwerk ihm in der Tasche sich entzündet hätt, jeden Augenblick flog eine Rakete auf, bis endlich das Puppenspiel ihn übermannte, wo er vor Lachen nicht mehr witzig sein konnt.
Gestern wanderten wir durch die Judengasse, es liefen so viel sonderbare Gestalten herum und verschwanden wieder, daß man an Geister glauben muß, es ward schon dämmerig, und ich bat, daß wir nach Haus gehen wollten, der Clemens rief immer: seh den, seh da, seh dort, wie der aussieht, und es war, als liefen sie mir alle nach, ich war sehr froh, als wir zu Haus waren.
Leb wohl, es ist mir nicht geheuer, daß Du nicht da bist, wo ich mich erholen kann, wo ich zu mir selbst komme; es ist mir so fremd. –
Bettine
Liebe Bettine, so wie Dein Brief anfängt mit den tausend Grüßen von Clemens, so
beantworte sie ihm doch auch in meinem Namen, es tut mir auch recht leid, daß ich
nicht mit Euch bin, allein die Luft und die Trauben tun meinen Augen so gut und
ist mir wohltätig im ganzen. – Obschon mich Euer Treiben höchlich ergötzen würde
und namentlich das Puppenspiel; – ich übergehe alles, – was Du vom Rhythmus sagst,
leg ich Dir so aus: Du ahnest ein höheres rhythmisches Gesetz, einen Rhythmus, der
Geist ist im Geist, der den Geist aufregt und zu neuen Offenbarungen leitet, Du
glaubst, daß der Reim die geringste, ja oft erniedrigende Stufe dieses metrischen
Sprachgeistes ist und oft die Ahnung oder die Gewalt des Gedankens brechen könnte,
daß der sich nicht zu jener Höhe entwickelt, zu der er ursprünglich
Du wirst aber auch zugeben, daß im Dichter auch eine Begeistrung waltet, die von höherer Macht zeugt, da diese kindlichen Gesetze, zu denen er sich bequemt, ihn grade zur Kunst anleiten, die an sich schon ein höherer Instinkt ist. Du sagst zwar in bezug auf Kunst, das Machwerk der Menschen behindre überall den Lebensgeist, das glaube doch ja nicht, daß jene, die vielleicht kein hohes Genie im Gedicht entwickeln, nicht hierdurch zu Höherem gebracht würden; denn erst werden sie doch auf eine Kunst vorbereitet, sie haben eine Anschauung von Gedanken oder Gefühlen, die durch Kunstform eine höhere sittliche Würde erlangen oder behaupten, und dies ist der Beginn, daß der ganze Mensch sich da hinübertrage; es ist nicht zu verachten, daß im Unmündigen sich der Trieb zum Licht regt. – Und darum mein ich, daß kein Gedicht ohne einen Wert sei.
Gewiß, jedes Gefühl, so einfach oder auch einfältig es geachtet werden könnte, so ist der Trieb, es sittlich zu verklären, nicht zu verwerfen, und manchen Gedichten, die keinen Ruf haben, habe ich doch zuweilen die Empfindung einer unzweifelhaften höheren Wahrheit oder Streben dahin angemerkt, – und es ist auch gewiß so. Die Künstler oder Dichter lernen und suchen wohl mühsam ihren Weg, aber wie man sie begreifen und nachempfinden soll, das lernt keiner, – nehme es doch nur so, daß alles Streben, ob es stocke, ob es fließe, den Vorrang habe vor dem Nichtstreben. – Gute Nacht, für heut kann ich nicht mehr sagen; nicht alles, ist mir gleich deutlich in Deinem Brief, Du sagst mir wohl über manches noch mehr oder dasselbe noch einmal. – Der Ton in der Sprache tut auch viel zum Verstehen, wären wir beisammen, würde sich leichter und vielseitiger ergeben, was wir wollen und meinen, und auf den Sprachgeist vertraue ich auch schon, daß er uns nicht verlassen würde. – Himmlische Nächte sind hier – winddurchbrauste, und Gewitter, die Sommer und Herbst auseinander donnern. –
Du führst eine heilige Sprache, Du bist heilig, wenn Du sprichst; in Dir fühl ich
den Rhythmus, der deinen Geist trägt zu höherer Erkenntnis; – und ich fühl, daß
die Güte, die Milde die Erzeugerin ist all der reinen Wahrheit in Dir, wie Du ihr
Abdruck bist; wollt ich doch nicht alles auf einmal sagen, so wär ich deutlicher,
Du bist mäßig, drum ist alles so überzeugend, was Du sagst; wüßt ich doch noch,
was ich Dir geschrieben hab, nur um Dich wieder zu hören, mag ich denken, nur daß
Du aus dem Anklang meines Geistes Melodien bildest. Jeder Ton besteht für sich,
aber er bildet durch
Musik ist sinnliche Natur der Geistesallheit. Wir möchten wissen, was Musik ist, die so fühlbar ist und doch so unbegreiflich – das Ohr rührt und dann das Herz und dann den Geist weckt, daß der tiefer denke. Sie ist die sinnliche Geistesnatur; aller Geist ist sinnenbewegter Leib des Geistigen, ist also auch Musik, drum sind Gedanken in der Musik unwillkürliche, sie erzeugen sich in dieser Sinnenregung der Seele. – Ach, Worte fehlen – und zu allseitig dringt es auf mich ein – und es bangt mir um den Ausdruck von dem, was mir in der Seele blitzt – und hab Angst, der könne meinen Begriff umtauschen – und – »o gib vom weichen Pfühle träumend ein halb Gehör!« so leiert's im langweiligen Hintergrund meiner schlummernden Denkkraft, und dann wühle ich mich ein bißchen aus meiner Faulheit heraus und lausch träumend dem Traum, und dann singt's wieder bei der Gedanken Spiele, – ach schlaf, was willst du mehr. Wenn eine schlummernde Ahnung wach wird in der Musik, da breiten sich alle Gefühle mächtig aus, und jeder Ton spricht verstärkte Empfindung aus, und ein inneres Streben zum Höheren, zum Bemächtigen gewaltigerer Fähigkeiten begleitet den rhythmischen Gang, ja wird von ihm geleitet, ich hab's erfahren: Bei meinem Saitenspiele segnet der Sterne Heer die ewigen Gefühle. –
Und so wahr ist's, daß aller Geist sinnliche Musik ist, daß wie in der Harmonie jedes Bewegen eines Tons neue Wege öffnet oder, wenn ich in andern Beziehungen nur augenblicklich vorempfinde, so dringt die Harmonie wie durch neu geöffnete Bahn mächtig ein, so ist im Geist jedes Vorempfinden eines inneren Zusammenhangs mit ferner liegendem ein ewiger Harmonienwechsel, und die Melodie der Gedanken weicht aus den engeren Schranken zu höherer Anschauung. Die ewigen Gefühle heben mich hoch und hehr aus irdischem Gewühle. –
Und so ist alles, was unabweisbare Wahrheit ist, in ewig wechselnder Lebensbewegung – und ich fürcht mich vor dem Denken so allein. – Wenn wir beisammen wären! Da teilen wir uns, und durch Dein Begreifen gibst Du meinem Geist die Fassung, der muß nach dem sich richten, und dann hab ich auch Ruhe und Versichrung im Geist, daß ich mich ausdrücken lerne: Vom irdischen Gewühle trennst Du mich nur zu sehr, bannst mich in diese Kühle.
Und könnten wir doch immer zusammen sprechen, der lieblichen Unordnung entsteigt alles. – Ja, da fühl ich, wie das ist, daß der Geist aus dem Chaos aufstieg, nehm's nicht zu genau. Gib nur im Traum Gehör, ach, auf dem weichen Pfühle schlafe! Was willst Du mehr?
Denn; wie auch das Allebendige sich berühre, es entsteigt Wahrheit aus ihm, aus dem chaotischen Wogen und Schwanken entstieg die Welt als Melodie? –
Caroline
Ja! Und alle Sterne sind Melodien, die im Strom der Harmonie schwimmen, Weltseelen, die den Geist Gottes hervorblühen, Töne, die mit verwandten Tönen anklingen, und wenn wir zu den Sternen aufsehen, so klingen unsere Gedanken an mit ihnen; denn wir gehören in die Sippschaft ihnen verwandter Akkorde – und wie jeder Gedanke, jede Melodie Seele ist, so soll der Menschengeist durch sein Allumfassen Harmonie werden – Poesie Gottes – nehm's nicht zu genau und gib es deutlicher wieder, als ich's sagen kann.
So wär der Menschengeist durch sein Fassen, Begreifen befähigt, Geistesallheit, Philosophie zu werden, also die Gottheit selbst? – Denn wär Gott unendlich, wenn er nicht in jeder Lebensknospe ganz und die Allheit wär? – So wär jeder Geistesmoment, die Allheit Gottes in sich tragend, aussprechend? –
Caroline
Ja! Das beweist die Musik, jeder Ton spricht seinen Akkord aus, jeder Akkord
spricht seine Verwandtschaften aus, und durch alle Verwandtschaft strömt der ewig
wechselnde Gang der Harmonien zu, der ewig erzeugende Geist Gottes. Denken ist
Gott aussprechen, ist sich gestalten in der Harmonie, – ich wage nicht einen
Seitenblick zu tun, aber ich fühl's, daß im Begreifen der Geist Gottes sich
erzeugt im Menschengeist, und zu was wär dieser Keim der Gotterscheinung im
Menschengeist, wenn er nicht durch ewiges Streben ihn ganz entwickeln sollte? –
Der einzige Zweck alles Lebens: Gott fassen lernen, und das ist auch unser innerer
Richter. Was Gott nicht entwickelt, das bliebe lieber ungeschehen; denn es ist
nicht Melodie, – was aber unmelodisch ist, das ist Sünde; denn es stört die
Harmonie Gottes in uns, es klingt falsch an, aber alle große Handlung weckt die
Harmonie, alle Sterne klingen mit ein, drum ist groß Denken, groß Handlen auch so
selbst befriedigend, es löst die gebundnen Akkorde in uns auf in höhere Harmonien,
und steigern sich die musikalischen Tendenzen
Du lebst und schwebst in freier Luft, und die ganze Natur trägt Deinen Geist auf Händen; ich dräng mich durch zwischen Witz und Aberwitz, und hier und dort nimmt mich die Albernheit in Beschlag; und wenn ich abends zum Schreiben komm und muß das Unmögliche denken, was unmöglich ist auszusprechen, dann bin ich gleich traumtrunken, und dann schwindelt mir, wenn ich die Augen öffne; die Wände drehen sich, und der Menschen Treiben dreht sich mit. – Und ob's doch nicht noch in der Sprache verborgne Gewalten gibt, die wir noch nicht haben? – noch nicht zu regieren verstehen; – das schreib mir, ob Du es auch glaubst, und ob wir da hindringen könnten, das Ungesagte auszusprechen; denn gewiß, so wie die Sprache sich ergibt, so muß der Geist hineinströmen; denn der ganze Geist ist wohl nur ein Übersetzen des Geist Gottes in uns. Gute Nacht.
Bettine
Du meinst, wenn Du taumelst und ein bißchen trunken bist, das wär unaussprechlicher Geist? – Und Du besäufst Dich aber auch gar zu leicht, – weil Du den Wein nicht verträgst, Du meinst, es müßten neue Sprachquellen sich öffnen, um Deine Begriffe zu erhellen. Werd ein bißchen stärker oder trinke nicht so viel auf einmal, wolltest Du Dich fester ins Auge fassen, die Sprache würde Dich nicht stecken lassen.
Von der Sprache glaub ich, daß wohl ein Menschenleben dazu gehört, um sie ganz fassen zu lernen, und daß ihre noch unentdeckten Quellen, nach denen Du forschest, wohl nur aus ihrer Vereinfachung entspringen. Den Rat möchte ich Dir geben, daß Du bei Deinem Aussprechen von Gedanken das Beweisen aufgibst, dies wird Dir's sehr erleichtern. Der einfache Gedankengang ergießt sich wohl von selbst in den Beweis, oder was das nämliche ist: die Wahrheit selbst ist Beweis. Beweislos denken ist Freidenken; Du führst die Beweise zu Deiner eignen Aushilfe. Ein solches freies Denken vereinfacht die Sprache, wodurch ihr Geist mächtiger wird. Man muß sich nicht scheuen, das, was sich aussprechen will, auch in der unscheinbarsten Form zu geben, um so tiefer und unwidersprechlicher ist's. Man muß nicht beteuern, weil das Mißtrauen gegen die eigne Eingebung wär. – Nicht begründen: weil es eingreift in die freie Geisteswendung, die nach Sokrates vielleicht Gegenwendung wird, und nicht bezeugen oder beweisen wollen in der Sprache, weil der Beweis so lang hinderlich ist, dem Geist im Wege ist, bis wir über ihn hinaus sind; und weil diese drei Dinge unedel sind, sowohl im Leben wie im Handeln, wie im Geist. Es sind die Spuren des Philistertums im Geist.
Alles, was wir aussprechen, muß wahr sein, weil wir es empfinden. Mehr müssen wir für andre auch nicht tun; denn das sondert jene nur von dem kindlichen ursprünglichen Begriff. – Wir müssen des andern Geist nicht als Gast in unsre Begriffe einführen, so wie ein Gast auch weniger das Heimatliche begreift, er muß selbst durch das Mangelnde im Ausdruck auf die Spur des Begriffs geleitet werden, da nur im unverfälschten Vertrauen oder im vollkommnen Hingehenlassen, selbst in scheinbar Nachlässigem (was doch nur vertrauungsvolle heilige Scheu der Liebe ist) sich der Geist oft erst orientiert; zum wenigsten wird's ihm viel leichter. –
Mag nicht oft tiefere Wahrheitsspur verschwunden sein, wo nach ihrer Bekräftigung suchend ihr ursprünglicher Keim verletzt wurde?
Haben nicht die geistschmiedenden Zyklopen mit dem einen erhabenen Aug auf der Stirne die Welt angeschielt, statt daß sie mit beiden Augen sie gesund würden angeschaut haben? – Das frag ich in Deinem Sinne die Philosophen, um somit hier alle weitere Untersuchung aufzuheben, und erinnere mich zu rechter Zeit an Deine leichte Reizbarkeit.
Leb wohl! An meinem Fenster gibt's heute zu viel Einladendes, als daß ich widerstehen könnt der Muse, die mich dahin ruft. – Leb wohl! Ich habe Dich recht lieb.
Caroline
Mit Dir kann ich so sprechen, Du verstehst es, kein andrer wahrscheinlich. – Oder wer müßte das sein? –
Ich war heut drauß bei der Großmama, sie war allein, den ganzen Nachmittag, und
wir sprachen erst von Dir, die Großmama war einen Augenblick beschäftigt, so lief
ich in den Garten, um ihn nach langer Zeit wiederzusehen, aber wie war ich da
erschrocken, wie ich auf die Hoftreppe kam, ich erkannte den Garten nicht wieder;
denke! – Die hohe schwankende Pappelwand, die himmelansteigenden Treppen, die ich
alle wie oft hinangestiegen bin, um der Sonne nachzusehen, um die Gewitter zu
begrüßen, durchgeschnitten! – Zwei Drittel davon in grader Linie abgesägt! – Ich
Die alte hundertjährige Bas kam mir vor der Tür auch damit entgegen: »Ist's nicht barbarisch? – Und daß die Großmama stillschweigt dazu, – wärst du nur hier gewesen, es wär nicht geschehen.« –
Ich bin noch einmal in den Garten gegangen, wie es dunkel war; denn am Tag hingehen schien mir beleidigend für die edlen Bäume; – ich hab Abschied genommen vom Garten, ich mag nicht wieder hineingehen. – Ich hab auch den Gärtner besucht im Boskett, der sagte mir, es habe ihn sehr betrübt, daß diese Bäume abgehauen wären, er habe so manches sich immer gedacht dabei, jetzt könne er nichts mehr von ihnen sehen und hätt auch die Lust verloren, die Rosenhecke zu pflegen. – »Nun!« – sagte ich, »aber in Gedanken können wir immer alles sehen, was wir lieb haben?« – Das gab er zu. – »So gebt doch auch die Rosenhecke nicht auf, je höher sie wächst, je mehr könnt Ihr Euch dabei denken, daß im Gedächtnis alles Schöne fortblüht.« – Das bewilligte er mir, und er meinte, ich solle gewiß nicht klagen, daß er sie versäumt hätte, wenn ich wieder käm. – Im Gärtner liegt wahres Genie zu einem solchen Umgang mit seiner Umgebung in der Natur. –
Noch kurz, eh ich mit Dir bekannt war, hab ich manchmal oben in dem Baumwipfel meine Stimmungen über die Naturerscheinungen aufgezeichnet; so kindisch und unvermögend mich auszusprechen, ich hab sie in einer Mappe aufgehoben, da schreib ich Dir eines auf zur Gedächtnisfeier.
Vor zwei Jahren geschrieben am Ostermontag
O himmlisch Grün, das unter Eis und Schnee in brauner Hülle sich barg und jetzt dein glühend Haupt im Antlitz der Sonne krönt.
Geliebter Baum! Könnt ich umwandeln doch in dein sanft rauschend Laub jene flüsternde Sprossen, die mit glänzendem Finger die Muse bricht, himmlischer Glorie voll, die Stirn zu umflechten dem Liebling, der mit Helm und Speer oder bogengerüstet, wo viel goldne Pfeile dahinfliegen, oder Rosse jagend oder mit leichtem Fuß zwölfmal umrennend das Ziel oder aufleuchtend mit der Flamme des Lieds, um sie wirbt.
O Baum, dich umdrängt heute der Bienen Schar, sie ziehen dem Duft nach der
honigregnenden Blüte, sie sammeln ihren befruchtenden Staub und
Begegne dir nichts, was dich beleidigt, o Baum! Den keiner der Unsterblichen umwandelt. Ich zwar träume den Frühling in deinem Schatten, und mir deucht von Unnennbarem widerhallen zu hören rings die Wälder und die Hügel.
Ich lese Deinen Brief und schäme mich vor Dir, wie Du so edel und einfach mein
verwirrtes Denken zurechtrichtest, und ich kann nicht ans Antworten denken, weil
ich so voll Unruh bin. Die Bäume kränken mich; ich kann's nicht begreifen, wie die
Großmama sich nicht besser gewehrt hat, das ist ihre zu tiefe Empfindlichkeit,
unterdessen hat man ihren Lieblingen den Hals abgeschnitten, man muß sich wehren
für die Seinigen und dem Schlechten in den Arm greifen, der es antastet. Alles
Erhabne und Schöne ist Eigentum der Seele, die es erkennt, und durch die
Erkenntnis ist sie schutzverpflichtet. Alles ist der Teufel, es sei denn reine
freie Gewissenswahrheit, und ich weiß keine höhere Anweisung an den Geist als:
frag dich selber! Und wenn da einer nicht das Rechte findet, so ist er ein Esel,
und alles, was sich Schreckendes dem inneren Willen entgegenwirft, das muß
bekämpft und verachtet werden, er ist der Ritter, der das Wasser des Lebens
zwischen feuerspeienden Drachen und eisernen Riesen schöpft, vor seiner Verachtung
und seinem Mut werden sie ohnmächtig. In Feenmärchen ist die heiligste Politik und
auch die mächtigste; ich wollt der größte Staatsmann werden und die ganz Welt
unter meinen Fuß bringen, bloß daß die blaue Bibliothek mein geheimer Kabinettsrat
wär; und die Leut würden sich erstaunen, was ich als für Weisheit besäß. – Der
Großmama möcht ich's sagen, sie wird es ganz gut aufnehmen; und ich brauch sie
auch nicht zu schonen. – Was ist? – Die Großmama hat eine tiefe Seele, – andre
nennen's Empfindsamkeit, Tiefe ist allemal Gewalt, aber sie ist gebunden und die
Gewalt weiß nicht, wie leicht sie die Fessel abwerfen kann, hab ich mir doch
manchmal den Atem fast ausgeblasen, wenn wir morgens im Wald uns ein Feuerchen
wollten machen zu unserm Pläsier, und es ist immer wieder ausgegangen, und ich
hab's immer am kleinsten Köhlchen wieder angezünd't, ich will auch blasen in der
Großmutter ihr Judizium, warum ist sie betrübt, wenn es nicht ist, daß sie dadurch
begreifen lernt, was sie den Bäumen schuldig war, alle Kraft ist man der Welt
schuldig und dem der uns am nächsten steht, am ersten. Alle Anregung ist ein
Aufwühlen des inneren Herzgrund, und das Unkraut muß untergepflügt werden,
Am Montag
Die Meline geht mit Savigny nach Marburg und sagt, ich soll auch mit, ich sag
nicht ja, aber die Meline sagt: »Wer soll für dich sorgen, wenn ich's nicht tu, du
wirst hier alles verschlampen, alles vergessen, alles verreißen, alles
verschenken, alles verderben, Du mußt mit.« – Kommst Du früher, als die gehen, so
bleib ich hier; denn da hab ich einen Altar, an den ich mich festhalte, kommst Du
aber nicht, so weiß ich, daß ich auf dem Glatteis, wie mir's unter den Fuß kommt,
dahinfliege ohne Widerstand, es führt mich ja auch ebenso schnell zurück zu Dir,
aber der Savigny schreibt, ich soll Dir sagen, daß er in den Sternen gelesen habe,
Du werdest nach Marburg kommen. – Da leg ich Dir noch ein Blatt aus meiner
Pappelbaumkorrespondenz bei, ich hab doch alle Pfingsten, der ich mich erinnere,
unter diesen Pappeln zugebracht, – dies schrieb ich ihnen am letzten Pfingstfest,
die schönsten Tage im Jahr sind Pfingsten, der Frühling feiert gekrönt seinen
Sieg. Wie war ich so seelenzufrieden an jenen Tagen, alles ging aus ins weite Feld
spazieren, alles fuhr über Land in schönen Kleidern, ich war auch weiß geputzt,
und die Haare schön gelockt und mit flatterndem Band und gelben Schuhen besucht
ich schon früh den Baum; heut konnt ich nicht hinaufklettern, ich hätte Schuhe und
Kleid verdorben, darum dauerte mich der Baum, so fuhr ich lieber nicht mit
spazieren und hielt ihm Gesellschaft, und weißt Du, was mich der Natur so anhängig
macht? – Daß sie manchmal so traurig ist, – andre nennen das Langeweile, was einem
zuweilen so mitten im Sonnenschein wie ein Stein aufs Herz fällt, ich aber leg es
so aus: plötzlich steht man, ohne es zu wollen, ihr, der Allgöttin gegenüber, ein
geheim Gefühl der unendlich zärteren Sorge, die sie auf uns verwendet, als auf
alle anderen Geschöpfe, macht uns schüchtern; alles umher gedeiht, jed Stäudchen,
jed klein Käferchen zeigt von so tiefer feingegliederter Bildung, aber wo ist auch
nur ein Knöspchen in unserm Geist, was nicht vom Wurm angenagt wär, sind wir nicht
von Staub befleckt und zeigt sich ein Blättchen unserer Seele in seinem glänzenden
Grün? – Wenn ich einem Baum begegne, der vom Meltau oder vom Raupenfraß erkrankt
ist, oder eine Staude, die verkeimt, dann mein
»Beweislos denken ist frei denken!« Dies eine nur laß mich Dir mit einem Beweis noch bekräftigen zum Beweis, daß ich Dich versteh! – Denken selbst ist ja von der Wahrheit sich nähren, sonst wär's Faseln und nicht Denken, Denken ist, jenen Balsam trinken, den die Mutter aus ihrem Blute mischt, der uns von Schwächen heilt, ist ja Gehör geben ihren zärtlichen Vorwürfen; und durch Beweis dem eignen Herzen die Liebe darlegen wollen, die so ohne Rückhalt sich uns ergibt, ist Beweis genug, daß sie das Herz nicht rührte. – Die Wahrheit rührt das Herz, ist Geist, der augenblicklich höher steigt im Empfangen der Wahrheit selbst und sich nach Höherem umsieht. Du bist höher gestiegen in dieser Erkenntnis der reineren Geistesform, Du hast seine Krücken weggeworfen. – Sie sagen: wie will der Geist fortkommen ohne Krücken? – Er hat ja keine Füße! – Er wirft des Anstands enges Wams auch noch ab. – »Seht, ich habe Flügel!« Und Deine Verteidigung, wie willst Du die führen, wenn Du keine Waffen hast, fragen die Philister. – »Ich bin Gottathlete, wer mit mir ringen wird, der mag meinen Triumph ohne Waffen um so tiefer fühlen, ich bin dann, und sie sind nicht mehr, die mit mir ringen; und wen ich nicht überwinde, der reicht auch nicht an mich heran, mich zu bekämpfen.« – Ja, ich fühl's deutlich, wie tief recht Du hast, es ist einzig reine und heilige Sprachquelle, die Wahrheit ohne Beweis führen. Sprach und Geist müssen sich lieben, und da braucht's keiner Beweise füreinander, ihr gegenseitiges Erfassen ist Liebe, die sich in ewigen Gefühlen zu den Sternen hebt, – Du bist überwunden, Du bist ein Gefangner des Geistes – er besitzt Dich und tritt vor und spricht Dich aus. – Gute Nacht! Schon sehr spät. –
Vor zwei Jahren geschrieben am Pfingstmontag
Bäume, die ihr mich bergt, mir spiegelt in der Seele sich euer dämmernd Grün, und von euern Wipfeln seh ich sehnend in die Weite.
Dorthin fließt der Strom und hebt nicht zum Ufer die Wellen, und es jagt nicht mit den Wolken seine fröhlichen Schiffe der Wind.
Der hellere Tag flieht und mein Gedanke lauscht, ob Antwort vielleicht ein sausender Bote von dir ihm bringe, Natur!
Schauder über Schauder flößt mir, Herr! Herr! deine Natur ein.
Da senkt sich der Wagen des Donnerers, die Berge hallen, es braust und duftet und weht! – Wohin ihr Nebel? – Ihr Rauchsäulen? – Wohin wandelt ihr alle? – Warum bin ich! – Warum mich an deinen Busen Natur, wenn nicht erquickend mir's quillt aus deinen Tiefen, wie aus den Bergen quellen die rauschenden Wasser.
Ich hör dich Donnerer, langsam ziehn am windstillen Tag übers Gebirg, in meiner Seele Saiten tönt's nach, sie bebt, die Seele, und kann nicht seufzen.
Lust und Hoffnung, ihr habt oft mich gewiegt wie die rauschenden Wipfel, ihr schienet endlos mir einst wie jetzt mein düsterer Tag.
Da brechen die Wolken und strömen unter dir, Befreier! – Und rings trinkt die Erde – und deine Donner – wohin? – Und ihr atmet wieder, Wiegengesang flüstert, wogt in eurem Laub, das mich umfängt.
Und ich will gern wieder leben mit euch allen, ihr Bäume, die ihr trinkt segnende Ströme vom Himmel und fröhlich wieder säuselt im Wind.
Heut morgen wach ich auf vom Rufen der Italiener, die Parapluies feiltragen, die
wahre Lockstimme für mich, – unwiderstehlich, ich denk gleich, der Italiener mag
Regen wittern; denn sonst gehn sie nicht so früh herum, ich lass' die Liesbet den
Mann heraufholen und lauf zur Meline – die liegt noch im Bett, – ob wir nicht
einen Parapluie wollen kaufen, mitzunehmen nach Marburg? Die Meline kriegt einen
Schrecken – sie glaubt, ich hab's Fieber, daß ich nach einem Parapluie frag,
unterdessen war il signor Pagliaruggi vor der Tür, und ein grünseidner Regenschirm
gekauft, den ich auch gleich probieren wollt, so ging ich vors Tor in die Mess am
Main, und so blieb ich bei den Klickerfässern stehen und kauft an dreißig Klicker,
einer schöner wie der andre, von Achat und Marmor und Kristall, damit ging ich
hinunter am Main, wo die Steinergeschirrleut halten, und besuchte die in ihren
strohernen Hütten und die Esel, die mit herzlichem Geschrei mich begrüßten, und
die kleinen Hemdlosen, die da herumlaufen und klettern – und teilt ihnen meine
Klicker aus, sie hatten keine Taschen, weil sie nackend laufen, so mußt ich ihnen
meine Handschuh geben, daß sie die Klicker konnten aufheben, die banden sie sich
mit Bindfaden um den Leib fest, das war kaum geschehen, so rief mich ein Schiffer
an, ob ich nicht wollt überfahren. – Ich frag: »Es wird wohl regnen?« – »Nun, was
schad's, Sie haben ja ein Wetterdach bei sich.« Wie ich drüben war, so denk ich,
ich will nach Oberrat gehen zur Großmama ihrer Milchfrau und da Milch trinken, wie
ich an der Milchfrau ihr Haus komm, so sagen die
Ich werd auch geruhen, des schmeckenden Schneckenfressers außerordentliche
Verdienste um die Selbsterhaltung zu belohnen, durch den Jud Hirsch, der morgen
nach Offenbach geht; wenn mir's nur nicht bis morgen aus den Gedanken kommt wie
der Parapluie, ein Fehler, den ich mit allen hohen Häuptern gemein hab. – Die
Großmama war mir sehr freundlich, wir sprachen von Dir, sie will, daß Du sie
besuchst, wenn Du zurückkehrst. Ich sagte ihr, daß ich, wenn sie es erlaube, nach
Marburg gehen werde mit der Meline, diese kleine Ehrfurchtsbezeugung, um ihre
Einwilligung zu bitten, schmeichelte ihr sehr, sie gab mir ihren besten Segen
dazu, nannte mich
Der Pappeln wollt ich nicht gedenken, die jammervolle Person des Arenswald, der so
munter und grün über sein Elend hinaussteigt ins Freie, hatte mich aus den Angeln
der Empfindsamkeit gehoben, ich will wetten, jetzt, wo er Waldschnecken fressen
kann, daß er noch viel mehr wagt, und wenn er nur so viel hat, daß er seine Beine
reisefertig kriegt, so muß das andre mit und muß allerlei andre Dinge noch dazu
fressen lernen. Die Großmama fing aber von selbst von den Bäumen an, bei
Gelegenheit des Wappens, sie erzählte, der Spruch sei wirklich Ersatz dem
Großvater geworden, und er habe oft bei der Einschränkung, in der er später leben
mußte, gesagt: »Besser konnt ich mir's nicht wünschen.« – Das Wappen hing über
seinem Schreibtisch, und da er bei Bauer und Bürger in großem Ansehen stand, so
kamen sie oft zu ihm in schwierigen Angelegenheiten, da hat er denn durch den
Spruch vom Wappen manchen zur Gerechtigkeit oder zur Nachsicht bewogen, er sei
dadurch so im Ansehen gestiegen, daß sein Urteil mehr wirkte wie alles
Rechtsverfahren, und mancher, der dem Buchstaben des Gesetzes nach sich
durchfechten konnte, hat, um nicht das Urteil des Großvaters gegen sich zu haben,
sich verglichen, und der Kurfürst hat sich auch wieder mit ihm versöhnt und ihm
vollkommen recht gegeben, aber der Großvater schlug seine Anstellung aus, die der
Kurfürst ihm wieder anbot; er sagte: »Hat mir Gott das Hemd ausgezogen und
gefällt's ihm, mich schon auf Erden nackt und bloß herumlaufen zu sehen, so will
ich mir keine Staatslivree als Feigenblatt für den menschlichen Ehrgeiz vorhalten,
Der Großvater schrieb noch in einem andern Brief an den Kurfürst über den Mißbrauch der vielen Feiertage und Verehrung der Heiligen, er wollte, daß eine reinere Grundlage eine verbesserte Religion sei. – Statt so viel Heiligengeschichten und Wundertaten und Reliquien, alle Großtaten der Menschen zu verehren, ihre edlen Zwecke, ihre Opfer, ihre Irrungen auf der Kanzel begreiflich zu machen, sie nicht in falschem, sondern im wahren Sinn auszulegen, kurz die Geschichte und die Bedürfnisse der Menschheit als einen Gegenstand notwendiger Betrachtung dem Volk deutlich zu machen, sei besser, als sie alle Sonntagnachmittag mit Brüderschaften verbringen, wo sie sinnlose Gebetverslein und sonst Unsinn ableierten; – und schlägt dem Kurfürst vor, statt all dieses mattherzige zeitversündigende Wesen unter seinen Schutz zu nehmen, so soll er doch lieber eine Brüderschaft stiften, wo den Menschen der Verstand geweckt werde, statt sie zu Idioten zu bilden durch sinnlose Übungen; da könne er ihnen mit besserem Gewissen Ablaß der Sünden versprechen; denn die Dummheit könne Gott weder in dieser noch in der andern Welt brauchen; aber Gott sei ein besserer Haushalter wie der Kurfürst, der lasse den gesunden Geist in keinem zugrunde gehen, aber in jener Welt könne nichts leben als der Geist, das übrige bleibe und gehöre zur Petrefaktion der Erde. –
Es ist eine einfache edle Korrespondenz, wo der Großpapa seinen Charakter nicht
einmal verleugnet, der Kurfürst schreibt schön und edel, und schon das ist ein
Verdienst, daß er ein Wohlgefallen an so tüchtigen Wahrheiten findet; – man hielt
ihn wegen seinem dicken Leib für gar nicht besonders geistbeweglich. – Ich frug
die Großmama, ob der Großvater denn Einfluß gehabt habe auf ihn. – Sie sagte:
»Mein Kind, die geringste Luft hat ja Einfluß auf die menschliche Seele! Warum
sollte der reine uneigennützige Geist deines Großvaters keinen Einfluß auf den
Kurfürst
Es war Mittag, ich wär gern den ganzen Tag bei der Großmama geblieben, wenn man in Frankfurt gewußt hätte, wo ich war. – An der Gerbermühl begegnete mir Clemente mit meinem verlornen Parapluie, er war gleich hinter mir übergefahren und hatte ihn vom Schiffmann mitgenommen, war aber bei Willemers geblieben, jetzt fuhren wir zusammen im Sonnenschein unter aufgespanntem Baldachin auf dem Main zurück. Der Clemens geht morgen nach Mainz, er besucht Euch am End. – Beim Primas gestern große Parade, alle altadeligen Flaggen wehten. – Über die fünf Ellen langen Schleppen mußten die Herren mit hocherhobnen Beinen hinaussteigen, der Primas führte mich ins Kabinett, wo die Blumen stehen, und ließ zwei Sträuße binden für mich und die Meline, dies war als eine hohe Auszeichnung bemerkt worden, man hatte großen Respekt, der sich noch sehr steigerte, als mir der Primas beim Abschied ein Paket gab, sehr sauber in Papier eingesiegelt. Alle glaubten, es sei ein fürstlich Präsent, vielleicht ein Schnupftabaksdosen-Kabinettstück. Kein Mensch bedachte, daß der Primas zu witzig ist, um mir eine solche Albernheit anzutun. Nur wunderte man sich, daß ich mein Geschenk so ohne Umstände, ohne mich zu bedanken, unter den Arm geklemmt habe; ich hatte tausend Spaß, die vielen Glossen zu hören und konnte am End vor Vergnügen über die Neugierde nicht umhin, im Vorzimmer zu tanzen, während mich alles umringte mit Bitten, es zu öffnen, wozu ich mich nicht bewegen ließ, sonst wär der Spaß aus gewesen. Besonders quälte die Neugierde den Moritz im grünen Samtrock, der den ganzen Abend alle Spiegel mit der eignen Bewundrung seiner Person besetzt hielt. So wie er die Überreichung dieses mystischen Pakets gewahr ward, lief er mir nach, dem hätt ich's aber grad nicht gesagt, im Paket war nichts, als was Du wohl schon denken kannst, ein paar alte Judenjournale und die Drusenfamilie für die Großmama; ich soll's lesen, was mir eine harte Nuß ist. – Sagt ich's, so würde man den Primas wohl eher für einen Narren halten, daß er auf mein Urteil einen Wert legt, als mich für gescheit genug, dieser Auszeichnung Ehre zu machen, so mag's denn die Leut mir im Respekt halten; wüßten sie, es sei nur Papier und keine Dose, hielten sie mich zum Narren gehalten vom Primas.
Heut nacht fiel mir ein, daß ich meinen Kanarienvogel dem Bernhards-Gärtner geben
will, der hebt ihn gewiß gut auf und macht ihm Freud, dann weiß er doch, daß er
wieder was von mir erfährt, es waren doch liebe Tage, wo er mich pfropfen lehrte,
Du weißt noch gar nicht alles, was ich da lernte, vom Fortpflanzen der
Orangenbäume mit einem Blatt von Nelken – und dann will ich ihm auch meine
Granatbäume schicken und den Orangenbaum und den großen Myrtenbaum, er gibt sich
gewiß Müh, daß er den zum Blühen bringt, ich hab so immer fürchten müssen, daß sie
verdarben im Winter. – Das eine tut mir auch leid, daß ich von der Großmama weg
muß,
Es ist hier alles beschäftigt mit dem Empfang von Bonaparte, es wird ein großer Triumphbogen erbaut auf dem Rabenstein, wo der Galgen gestanden hat. –
Was Du von Arenswalds außerordentlichem Heißhunger nach der Natur schreibst, so
daß er darüber sich selbst zu speisen vergißt, dauert mich sehr, versäum's nicht,
ihm zu helfen, und schreib mir's, ob Du's auch nicht vergessen hast. Die
Geschichte von den Bäumen ist höchst betrübt; war's Deine Schilderung oder sind
auch mir diese Stimmen, die so friedlich mitrauschten, wenn wir dort wandelten, so
zu Herzen gegangen, ich kann mich auch nicht darüber trösten. Wir waren gestern
auf dem Ostein, da rauschen die Eichen königlich. – Die Großmama und die
Geschichten vom Großvater haben mich gefreut und gerührt, wenn ich auch nicht so
viel Interesse an solchen erlebten Dingen hätte, als ich wirklich habe, so würde
mir eine solche Beschäftigung, als diese Erzählungen aus der Großmutter Mund zu
sammeln, für Dich sehr schön erscheinen und lieblich. – Alles, was das Gemüt
anregt, erfrischt und erfüllt, ist mir heilig, sollte auch im
Und ich denke mir darin einen großen Genuß für Dich, daß Du die große, weite Natur
im Winterkleid vor Dir hast; denn die Gegend von Marburg ist sehr schön und lacht
einem zum Fenster herein – oder ist es Dir lieber in jener Zerstreuung, bald dies,
bald jenes beginnend und endlich mit Verdruß an Dir selber verzweifelnd, daß Du zu
nichts gekommen bist? – Ich glaub, daß Du alle Deine guten Vorsätze sehr
erleichtern könntest
Caroline
Buonaparte ist durch und hat seinen Tempel nicht gesehen, der Galgen ist abgeschlagen worden und auf das alte Postament ein Tempel gebaut, ich glaube gar mit seiner Bildsäule, und das Ganze ist illuminiert worden zum Volksfest, wobei noch allerlei Belustigungen vorfielen; daß das Galgenfeld zu diesem Platz ausersehen war, machte besonders den Sachsenhäusern Spaß. –
Clödchen ist krank und liegt auf dem Kanapee, ich bin meistens den ganzen Tag bei
ihr und wache auch nachts, wenn sie sich unwohler fühlt. Es geht hier wieder alles
nach der alten Leier, Dein Brief kam zu rechter Zeit, um mit allen Umständen
zusammen mich zu überzeugen, daß Du recht hast, die Engländer sind Hauptpersonen
hier; abends wird im Teezimmer vom Moritz die »Delphine« von der Staël vorgelesen,
für mich das Absurdeste, was ich hören kann, ich mach einen Plumsack von meinem
Schnupftuch und amüsiere die Kinder derweil, das hat den Lekteur nicht wenig
verdrossen, ja ich muß fort. – Am Montag war Ball bei Leonhardi, um seine neue
Einrichtung zu zeigen, lauter ägyptische Ungeheuer hat er an die Wand malen
lassen. – Gestern war schon wieder Cour beim Primas, ich war's so satt, daß ich
mich versteckte beim Wegfahren, sie suchten mich überall; ich war in meinem Bett
versteckt, und der Franz war bös, aber um ihn wieder gut zu machen, hab ich mir
eine besondre List ersonnen, ich fand in der Tonie ihrem Küchenrevier einen großen
Korb mit weißen Rüben, den hab ich vorgenommen mit den Leuten, sie ganz dünn
abgeschält und ausgehöhlt inwendig, in jede ein Wachslicht gesteckt und so die
ganze Treppe illuminiert und den Vorplatz – ich hab bis nach Mitternacht mit zu
tun gehabt, es war recht dumm, es wär besser gewesen, ich wär mitgangen; denn der
Primas ließ mir sagen, weil ich nicht mitgekommen wär, so soll ich am Freitag mit
ihm und dem Weihbischof zu Mittag speisen und Fasttag halten. Ja, ich geh fort,
ich bin in Gedanken schon unterwegs, die Meline hat auch schon alle Vorkehrung
getroffen, ja, ich geh! – Es tut
Dem Arenswald hab ich, ohne mich im geringsten arm zu machen, Geld geschickt, ich hab beim Durchsuchen meiner Papiere allerlei verloren Geld zusammengefunden, von dem ich gar nicht wußt, daß es da war, ich hab alles in einem kleinen Beutel ihm geschickt und dem Gärtner den Kanarienvogel. Eh wir abreisen, geh ich noch mit der Meline hinaus zur Großmama, dann will ich sie bitten, daß ich, wie Du meinst, Briefe mit ihr wechsle. Adieu, vielleicht schreib ich Dir nicht mehr von hier. – Ich bin so lustig, daß ich fortgeh, ich freu mich so drauf, auf die schöne Winterlandschaft, die Du mir beschrieben hast, die mir ins Fenster hereinsehen wird – ich weiß es schon, ich werd selig sein. – Ich hab keine Ruh zum Schreiben, das Reisen steckt mir in den Gliedern, ich spring treppauf, treppab, die arme Claudine, wer wird sie pflegen? Sie hat mir aber versprochen, sie wollt, solang ich fort bin, nicht krank werden; denn ich bin eifersüchtig drauf, wie manche Nacht hab ich da gewacht und simuliert und hübsche Bücher gelesen, aber wenn sie krank wird, so gehst Du wohl als zu ihr. – Drauß auf dem Wall war ich auch, um noch von unserm Lieblingsspaziergang Abschied zu nehmen, die meisten Blätter sind schon gefallen, ich ging in einem Rauschen durch, alle Bäum regneten noch Blätter auf mich. – Der Moritz bleibt also mit seiner »Delphine« hier sitzen, das macht mich auch ganz vergnügt, daß ich das auch nicht mehr anzuhören brauch.
Bettine
Marburg
Weißt Du denn, wer meine erste Bekanntschaft ist, die ich hier gemacht hab? – Ein
Jud! – aber was für einer? – Der schönste Mann! – Ein weißer Bart von einer halben
Elle, große braune Augen, so schöne einfache Gestalt, die ruhigste Stirn,
prächtige, majestätische Nase, Rednerlippen, aber von denen die Weisheit süß
hervortönen muß. Unser Hauswirt, der Professor Weiß, rief mich und sagte: »Wollen
Sie einen schönen Juden sehen, so kommen Sie in meiner Frau ihr Zimmer, sie
verhandelt ihm eben ihr Hochzeitkleid.« Die Meline wollte nicht mitgehen und war
verwundert, daß Weiß uns einlud, einem Handelsjud die Aufwartung zu machen, ich
hab's aber nicht bereut, es war ein Bild zum Malen, er saß in einem sehr reinen
Rabbiner- oder Gelehrtengewand am Tisch, seine Hand guckte aus dem schwarzen
weiten Ärmel, und das Abendrot leuchtete durch die Scheiben; die Frau Professorin
stand vor ihm und hielt ihren Hochzeitkontusch oder war's der von ihrer Mutter,
denn es schien sehr altertümlicher Stoff, an beiden Ärmeln ausgebreitet, ihre
Kinder standen zu beiden Seiten
Von Frankfurt hab ich Abschied genommen wie ein Has übers beschneite Feld jagt,
man sieht kaum seine Pfötchen im Schnee, und es war auch kein Jäger da, der mich
gern geschossen hätt. Beim Primas war ich sehr lustig auf der Fastenmahlzeit, wie
ich Abschied nahm, sagte er: »Ich freu mich
Eh wir abreisten, hatte ich noch manchen Kampf mit den andern, man war nicht
einig, ob ich dem Savigny nicht lästig sein würde, weil man glaubt und gewiß weiß,
daß er nichts auf mich hält. Ich halte nun auch eben nichts Besondres von mir; ich
hab ihn immer noch wie sonst lieb, und so scheu ich mich gar nicht mit ihm zu
leben, obschon er einen Widerwillen gegen meine Natur zu haben scheint, um so
glanzvoller erscheint mir Deine Nachsicht mit mir; und er behauptet, ich sei
hochmütig – manchmal glaub ich's gar, weil er doch gescheiter ist als wir alle –
und kann also einen Charakter besser beurteilen. – Und dann kann ich Dir sagen,
freu ich mich ordentlichermaßen über diesen Hochmut und denke, es muß doch wohl
auch was hinter mir sein; denn ohne Ursache dazu würd er nicht drauf kommen; was
glaubt er wohl, daß mich so hochmütig macht? – Ha ha ha! – Das heißt:
Wer mag nun schärfer sehen, der Savigny meinen Hochmut oder der Jud meinen
vorurteilsfreien, zutraulichen Blick? – Ich geb aber dem Savigny nicht unrecht;
denn was ist doch die überglückliche übermütige Lust, daß ich ihn mit dem Jud
anführ, als nur Hochmut? – Es haben mir's auch schon mehr Leut gesagt, noch wie
ich Abschied nahm, sagte der Moritz, ich sei hochmütig, weil ich behauptete, ich
gehe von Frankfurt, daß er seine fünf Bände lange »Delphine« abends vorlesen
könne, wenn er damit fertig sei, wolle ich wiederkommen. Da schrie das ganze
Teegewimmel auf mich ein, ich sei das hoffärtigste Ding von der Welt, für alles
scheine ich mir zu gut, von nichts meint ich noch was lernen zu können, die
»Delphine«, von der ersten Schriftstellerin Europas geschrieben, die ennuyiere
mich; wenn irgend jemand was Gescheites vorbrächt, so lege ich mich an den
Nächstens schreib ich Dir von allem genauer, von der ganzen Gegend, von den Leuten, von unserer Wohnung. Meline wohnt mit mir ganz hoch oben am Berg, Savignys unten, alles ist hier terrassenförmig. – Adieu, ich muß der Meline helfen, einen Diwan für uns zurechtpolstern.
Bettine
Schon die dritte Woch ist's, und ich hab noch nicht geschrieben und Du auch nicht,
was ist schuld dran? – Ich hab in der Zeit die neugierig Gegend rund um mich
durchspäht, auf dem Boden nach allen Seiten durch die Gaublöcher mich orientiert,
im dichtesten Laubregen den Wald durchwallfahrtet, von einem hohen Stamm zum
andern. Bäume sind Bäume, aber sie sehen doch verächtlich auf die Menschen herab,
die um der Gesundheit willen so hastig unter ihnen herlaufen und nicht einmal den
Blick zu ihnen hinaufrichten; ich hab dort mit dem Savigny die ganze
motionmachende Fakultät begegnet; im mottenfräßigen Pelz, Nebelkappe, großen
Filzschuhen und antiken Stiefelmanschetten durchkreuzen sie die Wege. Hügeliger
Boden, dichtes Moos überglast vom Reif, reine kalte Luft, die herzhaft macht,
alles neu, überraschend, die Muse führte mich über Stock und Stein und schenkte
mir den ganzen Wald für Dich, ich hab auch bei jeder vornehmen Waldkrone
stillgestanden und bis zum Wipfel betrachtet und zum Zeichen der Besitznahme mit
dem Stock dran geschlagen, jetzt laß den alten Kurfürst von Hessen-Kassel meinen,
was er Lust hat, der Wald gehört Dein, und wenn ich drin herumlauf, so hab ich
meine Freud, daß ich auf Deinem Grund und Boden bin. Im Frühjahr muß es hier sein,
wie inwendig in der Seel; Frühling draus, Frühling drin, ein Wille und ein Tun –
blüht der Apfelbaum, so hab ich rote Backen, stürzt sich der eigensinnige Bach die
Klippentrepp hinab, so setz ich ihm nach und spring kreuz und quer über ihn weg,
ruft die Nachtigall, so komm ich gerennt, und tanzen die Mühlräder mit der Lahn
einen Walzer ins Tal hinab, so pfeif ich auf dem Berg ein Stückchen dazu und guck
über die rauchenden Hütten und über die schirmenden Bäume hinaus, wie sie ihren
Mutwill verjuchzen und der Müller und sein Schätzchen auch, die denken, kein
Mensch säh's. – Morgenrührung, Abendwehmut wird nicht statuiert, in den Hecken
blüht Frühlingsfeier genug, Schnurren und Summen und Windgeflüster. Aber weil's
Winter ist und kein Frühling, so wollt ich nur sagen, wie alles so herzhaft und
sorgenfrei ist in der Natur hier, so unverhehlte Lebenslust, man müßte sich
schämen, der Ahnungswehen und Sehnsuchtträume, statt lustig mit
Der Molitor hat mir einen Erziehungsplan geschickt von Herrn Engelmann, weil ich
so gern mit ihm in die Musterschule ging, muß er glauben, Erziehung interessiere
mich überhaupt; das war aber nur wegen der armen Judenkinder, die dort mit den
Christen zusammen ihr kleines Fleckchen Anteil an menschlicher Behandlung hatten,
und wenn ich sagen soll, so schien mir dies eine Alleinerziehung; nämlich: Kinder
gleichen Alters, gleicher Fähigkeiten früh dran zu gewöhnen, daß sie auch gleich
menschliche Rechte haben, sie mögen Juden oder Christen sein; sei also so gut und
Bettine
Ich hab unwillkürlich meinem Brief da mit Aufträgen ein End gemacht und wollte Dir
noch so viel anders sagen über Moose und über Pflanzen, die ich im Wald gefunden
hab, reine architektonische Figuren. Sind Worte nicht einzelne architektonische
Teile? Sind sie nicht symmetrisch zu ordnen im Gedanken? – Ein Wort ist immer
schön an sich, aber Gedanken sind nicht schön, wenn die schönen Worte nicht in
einer heiligen Ordnung ihn aussprechen; es gibt aber eine gewisse romantische
Unordnung oder vielmehr Zufallsordnung, die so was Lockendes, ja ganz Hinreißendes
hat in der Natur; die einem so mit Lust und Lieb durchdringt, daß sie allen Luxus
und alle Erhabenheit weit überwiegt in ihrer Verwandtschaft mit der Seele; so hab
ich mir immer gedacht, wenn in Feenmärchen über Nacht ein prächtiger goldner
Palast entstand gegenüber der Hütte von zwei Bettelkindern, wie traurig es sei,
daß die nun die Mooshütte verlassen müßten, um in den stolzen Palast zu ziehen,
und dann war mir bang, er könne die Gegend verstecken, und nichts deucht mir
schöner, als wenn die Natur ihre Launen zärtlich durchflechten kann, wo der Mensch
etwas einrichtet; sollte
In Deinen Gedichten weht mich die stille Säulenordnung an, mir deucht eine weite
Ebne; an dem fernen Horizont rundum heben sich leise wie Wellen auf beruhigtem
Meer die Berglinien; senken und heben sich wie der Atem durch die Brust fliegt
eines Beschauenden; alles ist stille Feier dieses heiligen Ebenmaßes, die
Leidenschaften, wie Libationen von der reinen Priesterin den Göttern in die
Flammen des Herdes gegossen, und leise lodern sie auf – wie stilles Gebet in
Deiner Poesie, so ist Hingebung und Liebesglück ein sanfter Wiesenschmelz tauigter
Knospen, die auf weitem Plan sich auftuen dem Sternenlicht und den glänzenden
Lüften, und kaum, daß sie sich erheben an des Sprachbaus schlanker Säule, kaum daß
die Rose ihren Purpur spiegelt im Marmorglanz heiliger Form, der sie sich
anschmiegt; so – verschleiernd der Welt, Bedeutung und geheime Gewalt, die in der
Tiefe Dir quellen – durchwandelt ein leiser schleierwehender Geist jene Gefilde,
die im Bereich der Poesie Du Dir abgrenzest. – So ist mir immer, wenn ich mich
erkühne, aus meinem kindischen Treiben hinaufzuschauen nach dem Deinen, als säh
ich eine geschmückte Braut, deren priesterliche Gewande nicht verraten, daß sie
Braut ist, und deren Antlitz nicht entscheidet, ob ihr wohl ist oder weh vor
Seligkeit. – Mir aber liegt ein Schmerz in der Seele, den ich oft unterdrückte in
Deiner Gegenwart, und was mir schwer war; aber eine geheime Sehnsucht, Dich Dir
selber zu entführen, Dich Dir selber vergessen zu machen, nur einmal jene
Säulengänge, vor denen die Myrte schüchtern erblüht, zu verlassen und in meiner
Waldhütte einzukehren, auf ihrer Schwelle am Boden sitzend mit mir, von tausend
Bienchen umsurrt, die sich satt trinken in meines Gartens blühenden Kelchen, von
den Tauben zärtlich umflattert, die unter mein Dach heimkehren am Abend und da
mehr zu Haus sind, mehr Wirtschaft machen als Freundschaft und Liebe der Menschen,
denn sie behaupten ihr Vorrecht, alle Gedanken zu übertönen mit ihrem Gegurre. Ja,
so erschein ich mir im
Bettine
Meine Abwesenheit von Frankfurt hat gedauert bis im Anfang dieser Woche, ich dachte sicher Briefe von Dir zu finden und bin etwas besorgt, doch sagt mir ein geheimer Geist, Du wirst nächstens in Fluten angeströmt kommen und mich wegschwemmen. Mein Aufenthalt in Heidelberg war angenehm und lehrreich, welches letztere Du nicht wirst gelten lassen, wenn ich Dir aber sag, es waren die alten Mauern und nicht die Menschen, die ihren Geist über mich ergehen ließen, da wirst Du gleich gläubig sein. Du hast bei Deiner Abreise Ostertags schlechte Übersetzung des Suetonius in meine Behausung geschickt, vermutlich soll sie auf die Bibliothek zurück, noch in keinem Buch fand ich so viel Spuren Deines fleißigen Studiums als in diesem; vier bis fünf Blätter mit Auszügen, wo Du alle Missetaten der zwölf Kaiser auf eine Rechnung gebracht hast. Was bewegt Dich zu solchen Dir sonst ganz fremden Forschungen? Ich such mir's zu erläutern, denkst Du in Ansehung jener, die als große Männer nicht frei ausgingen von der Tyrannei Sünde, Deinen großen Mann zu absolvieren? – Ich scherze, aber ich möchte doch dabei in Dein Gesicht sehen, ob Du ganz frei von jener Begeistrung bist, die aus aufgeregtem Gefühl entsteht bei dem ewigen Gelingen aller Schicksalslösungen, und die ich lieber Schwindel nennen möchte, und den andre Weltpatriotismus nennen und sich leicht verführen lassen eine Rolle zu spielen, wenn sie ihnen geboten würde, weil es heißt, er hat einen Glücksstern, und da fühlt man sich gedrungen dem zu frönen, aus astralischem Emanationsgefühl, und da tritt man bald von der reinen Einfalt zum Götzendienst über. – Aber ich will Deinen Zorn nicht auf mich laden, sondern Dir offenherzig sagen, woher mir die bösen Gedanken kommen. Sie kommen nicht aus mir, die Leute sagen nämlich, Dich habe alles so aufgeregt, als der Kaiser durchkam, und Du habest geweint, und seist ganz außer Dir gewesen, als Du ihn gesehen hattest, das hat die Claudine mir gesagt, ist's wahr, so braucht doch das nicht wahr zu sein, daß Du von ihm hingerissen bist, denn man kann erschüttert werden ohne Begeistrung für das, was uns erschüttert, mehr will ich Dich nicht mit diesen mißlichen Worten peinigen, die nur Scherz sein sollen und auch Dich ein wenig strafen, daß Deine Briefe sich verspäten.
Von Offenbach ist mir ein Pack Schriften zugekommen für Dich, die Novelle
wahrscheinlich – soll ich sie Dir aufbewahren oder zurückschicken? – Von Clemens
hab ich Dir auch noch viel zu sagen, Gutes und Vergnügliches, heiße Anhänglichkeit
an Dein Wohl; – es ist sein tiefer Ernst, wenn er sagt, Du gehest durch Deinen
Leichtsinn der Zukunft verloren, und dieser Ernst gehet so weit, daß er im Eifer
meint, ich sei mit dran schuld. Einen Brief hast Du ihm geschrieben, wo Du meine
Ansicht über Dich als Zeugnis zitierst, daß es nicht in Deinem Charakter liege, zu
dichten oder vielmehr etwas hervorzubringen. Dies hab ich büßen müssen, denn er
zeigte mir Deinen Brief und meinte, wer so schreibe, der dichte auch, ich
Caroline
Lieber Widerhall, ich hab Dir was zu sagen von meiner schmerzlichen Langenweil,
die ich bei allem empfinde, weil ich immer noch nichts von Dir weiß, ich mein,
wann ich nicht rufe, so mußt Du rufen, aber nein, Du bist der Widerhall, und ich
darf nun nicht eher hoffen, als bis mein Rufen bei Dir angeschlagen hat. Gestern
hab ich meinen Brief zugemacht dem Bedienten mit auf die Post gegeben, und siehe,
er brachte ihn mit einem großen Paket angekommener Briefe wieder zurück, in der
Meinung, ihn dort für mich empfangen zu haben, jetzt ging er erst heute um vier
Uhr ab, dies Verzögern, dies Vormirliegen meines Briefes, dem ich Flügel
angewünscht hätte, und den ich gewohnt bin, nie eher zuzumachen, als bis er die
Reise antritt, war mir sehr unheimlich, ich bin so gedächtnislos, daß wenn ich den
Brief schließe, ich schon nicht mehr weiß, was er enthält; und nur ein Nachgefühl
läßt mir die Ahnung zurück, wie er Dich berühren werde; aber bald fang ich an zu
zweifeln, ob's nicht lauter Einbildung sei, daß ich mir denke, Dir tiefe innere
Anschauungen mitgeteilt zu haben, und so fühl ich ermattende Zweifel, und ich
denk, was soll doch das dicke Briefpaket, da kann doch unmöglich lauter Klugheit
drin stehen, wo soll ich's her haben, ist's doch so leer mir im Kopf! – Und dann
tut mir's so leid, daß ich Dir nicht meine Seele konnt hingeben, nackt und bloß,
wie sie Gott zu sich aufnimmt, daß ich statt ihrer Dir einen Schwall von Worten
schickte, die suchen und suchen, Dir eine Flamme aus den Wassern dieses bodenlosen
Ozeans, in dem wir alle schwimmen, entgegen zu hauchen; da möcht ich den Brief
aufbrechen und nur einen Augenblick wahrnehmen, daß ich's Herz auf der Zunge
hatte, und doch kommt er mir so versiegelt vor, als sei er Dein Eigentum schon,
was mich nichts mehr angeht, weil's immer Gott gleich von mir nimmt, sobald ich's
in der Glut meines Angesichts hingeschrieben hab. Ja es ist mir ein paarmal
geschehen, daß ich einen Brief von mir bei Dir gefunden hab, so war er mir ganz
fremd, und die Worte und Gedanken wunderten mich recht. Heute hab ich also Deinen
Brief unverletzt entlassen aus wahrer Pietät, weil er Dein gehört, und weil ich
mich nicht in die Geheimnisse eindringen will, die Gott Dir durch meine Hand
vertraut, denn sonst würde er nicht so schnell das Gedächtnis von mir nehmen,
Christian, der mir nach Frankfurt so ernste und liebende Briefe geschrieben hatte, vor denen ich mich oft schämte, weil sie viel höhere Kräfte mir zutrauten und wecken sollten, als je erwachen werden, der geht hier um mich herum und betastet mein Ingenium, und entdeckt, daß die Fundgruben des Genies zum Teil leer sind und die Felder des Wissens steinigter Acker, und das Licht der Begeistrung lauter Nebel, doch verläßt er mich nicht und sorgt für Lehrer. Der Schäfer sollte Geschichte mit mir treiben, da er aber sehr ernst und gründlich ist und durchaus will, daß der freie aufgeweckte Mensch mit vollem Interesse dabei sei, so konnte er's nicht mit mir aushalten, es ging gegen sein Gewissen, er hat dem Christian bedeutet, es sei besser, mich auf andre Weise zu beschäftigen; da ich eine nervenangreifende Empfindung habe, wenn ich Zahlen wahrnehmen soll, wenn ich das Frühere vom Späteren unterscheiden soll, wenn ich Namen behalten soll, so sei es nicht möglich, bei gutem Gewissen mir Zeit und Geld zu rauben. Es tut mir leid, daß auch der mit Blindheit geschlagen ist über mich und von der närrischen Idee besessen, ich lerne, um was zu wissen, um Kenntnis zu sammeln; Gott bewahr, da könnte ich nur innerlichen Raum mit Dingen ausfüllen, die mir im Weg sind, wenn sich ein Reisender viel Besitztum anschafft, so hat er erst die Not, alles unterzubringen, und hat er sich an Überflüssiges gewöhnt, so muß er einen Bagagewagen hinter sich drein fahren haben. Den Mantel umgeschwungen und damit zum Fenster hinaus und alles Gerümpel dahinten gelassen, das ist meine Sinnesart, lernen will ich wie Luft trinken. – Geist einatmen, wodurch ich lebe, den ich aber auch wieder ausatme, und nicht einen Geistballast in mich schlucken, an dem ich ersticken müßt. Das will mir aber keiner zugeben, daß solche Unvernunft naturgemäß sei. Ich würde am End freilich nichts wissen, was ich ihnen gern zugebe, aber ich würde wissend sein, was die mir nicht zugestehen – aber durchgeistigt sein von des Wissens flüchtigem Salz, einen Hauch der Belebung durch es empfinden, einen Kuß, wenn Du's erlaubst, einen flüchtigen – dem ich eine Weile noch nachfühle, der in mir sich verwirklicht, verewigt.
Wissen und Wissendsein ist zweierlei, erstes ist eine Selbständigkeit gewinnen in
der Kenntnis, eine Persönlichkeit werden durch sie. Ein Mathematiker, ein
Geschichtsforscher, ein Gesetzlehrer – gehört alles in die versteinert Welt, ist
Philistertum in einem gewissen tieferen Sinn. Wissendsein ist Gedeihendsein im
gesunden Boden des Geistes, wo der Geist zum Blühen kommt. Da braucht's kein
Behalten, da braucht's keine Absonderung der Phantasie von der Wirklichkeit, die
Begierde des Wissens selbst scheint mir da nur wie der Kuß der Seele mit dem
Geist; zärtliches Berühren mit der Wahrheit, energisch belebt werden davon, wie
Liebende von der Geliebten, von der Natur. – Die Natur ist die Geliebte der Sinne,
die Geistesnatur muß die Geliebte des Geistes sein; durch fortwährendes Leben mit
Da hab ich noch eine Lust, – der alt Herr hat ein klein Treibhaus, eine Kammer mit
zwei Fenstern nach der Sonne hin, wo er selbsterzogne und jahrelang gepflegte
Gewächse bewahrt. Ich bin mit ihm gewesen und hab ihm helfen die Gewächse vom
Staub reinigen, viele hab ich nicht gekannt, er sagte mir ihren Namen, ihr
Vaterland, ihre Geschichte, wie er dazu gekommen, was er für Glück und Unglück mit
ihrer Pflege gehabt, das alles ist lebendig und interessant, denn er ist alt und
hat viel Kinder und also viel Sorgen und ist kränklich; und nun ist seine Freude
aus der sogenannten Fülle dieses großen weiten wissenschaftlichen Lebens, die paar
südliche Pflanzen, die hier unter seiner Liebe Schutz ihr Leben im fremden Klima
fristen, mit einer dürftigen Blüte ihn erfreuen; im Keim schon unterscheidet er,
ob der Knospen bringen wird oder bloß Blätter, zählt alle, betrachtet alle Tage,
wie sie vorrücken, da regt sich kein Blättchen, er sieht's und versteht's, Du
solltest zuhören, wie er ihre Färbung, ihr Erschließen bemerkt, wie er ihnen das
bißchen Licht ökonomisch austeilt, daß keins zu kurz kommt, und dabei geht als
sein altes ledernes Kolleg, was er nun schon im einundzwanzigsten Jahr jährlich
zweimal den Studenten vorträgt, mit
Wissen ist Handwerker sein, aber wissend sein, ist Wachstum der Seele, Leben des Geistes mit ihr in der Natur; Leben ist aber Liebe. – Sei nachsichtig gegen mich, ich muß Dir alles zurufen, lieber Widerhall, keine Sorge um mich, wenn Dir's nicht wie gesunder Menschenverstand vorkommt, man ahmt ja wohl den Vogel im Busch nach oder den Wind zum Vergnügen oder das Wild im Wald. – Der Weiß hat mir ein botanisch Buch gegeben, wie er sah, daß ich so viel Freud hab an Pflanzen, ich hab mir die Moose heraus gesucht, weil man die unterm Schnee noch finden kann, ich hab eine Lupe, ich betrachte sie, ich entdeck eine Welt, alles läuft und stürmt durch, wie durch einen Forst, es fehlt nur der Jagdhörnerschall, das Hundgebell und der Schuß; so könnt man denken, man wär auf einer königlichen Jagd; ich hab noch das Pläsier, von oben herab wie Gott vom Himmel da hinein zu sehen; wenn ich's dem Weiß vorerzähl, wie mir alles vorkommt, das hört er an wie's Evangelium, es erquickt ihn, die Lügen und Fabeln meiner Einbildung zu hören, er sagt: »Wenn ich nicht im Pflug gehen müßt, so schwätzt ich den ganzen Tag mit Ihnen.« – Das ist gut für mich, sonst wär mir's zu viel.
Samstag
Der gestrige Abend war ein gedulderprobender, es war wieder Dämmerungsstunde,
erfüllt mit allerlei Gaben der Muse. Schäfer, der ein feiner und geistreicher Mann
ist, hörte mit zu; Savigny ist gar liebenswürdig mit seinen Freunden und
Bekannten, die höchste Güte leuchtet aus ihm, so befindet sich alles kindlich wohl
und heiter um ihn her. Es wurden Gedichte vorgelesen vom Autor; das ist schwierig
für den Leser und für den Hörer, da sind zwei Fragen: wo kommen die Gedichte her,
und wo wollen sie hin? Die meisten behaupten ihre Abkunft aus dem Feuergeist der
Liebe und behaupten ihr Recht, ins Herz einzukehren. – Ich saß in der Ecke und
hörte ein lang Gedicht mit den Ohren, die Seele sehnte sich hinaus in den Schnee,
in die sternenhallende Luft; die Sterne haben einen Ton, einen sprechenden Laut,
der viel vernehmlicher ist in klarer Winternacht wie im
Montag
Nun kam gestern ein Brief von Clemente an mich mit feierlichen Mahnungen, doch
mein Leben nicht zu verscherzen, so innig, so herzlich, als wär ich eine
Blumenknospe, die auf seinem Stamm wüchse, und der Stamm treibt sorglich alle
Kräfte dahin, daß sie sich auftue, aber die Knospe ist so fest, daß nicht Regen
und nicht Sonnenschein sie weckt – was kann ich da? – Der Christian straft mich
mit Worten, es sei kein Ernst in mir, und wenn ich wollte nach Italien reisen, so
sollt ich Winckelmanns Kunstgeschichte studieren und Italienisch lernen, das hab
ich probiert, aber die Kunstgeschicht, wie sollt ich mit der mich abgeben, wenn
ich dran denk, daß ich nach Italien reisen sollt. Ei, laß doch alles mit Augen
sehen, und wenn ich trunken bin vor Seligkeit, daß dort andre Bäume, andre Blumen
und Früchte sind, wenn ein schönerer Himmel über mir wogt, wenn Menschen, Knaben,
Jünglinge, die mir verwandter sind im Blut, in der Faulheit, als die
Ich denk mich so oft mit Dir wandelnd zum nächsten Tor hinaus, den reizendsten Pfad entlang, der Clemens aber drängt mich an des Parnassus Stufen und will, ich soll hinauf, und so hab ich ihm geschrieben: »Am Dichten hindert mich mein Gewissen, wenn ich denk, wieviel reiner tiefer Sinn dazu gehört, um so weniger kann ich mir's zutrauen; manchmal wandelt es mich freilich an, ich sehne mich danach wie ein eingesperrtes Kind nach dem Spiel in freier Luft, auf grüner Wiese im Sonnenschein; ja es schmerzt mich tief, daß ich nicht kann, wie ich will, und daß alle Sprache, mit der ich mein Sinnen festzuhalten versuche, nur wie dürres Holz in der Glut meines Herzens zusammenbrennt; wie oft hatte ich Momente, deren feierliche Mahnung mich auf etwas Ernstes, Tiefes vorbereiteten, die Poesie schien mir dann ein reifer Schmetterling, der mit dem leisesten Regen die leichte Hülle sprengte und auf in die Lüfte steigend in den mannigfaltigsten Blüten meiner Seele schwelgend. Dann fühlt ich wie ein göttlich Unsichtbares, dem ich geboren, ich war stolz, und wenn die Natur rings mich mit feurigem Blick anglühte, dann war ich spröde und verschlossen gegen die Feuerkraft, und doch hätt ich mein Herz dargereicht dem ersten kühnen Augenblick, der mir die Sprache gelöst hätt, in der meine Lieder geflossen wären. Doch all dies Leben, dies innere Beben und Aufrauschen ging vorüber, ohne etwas festzuhalten oder zu erzeugen, und wird vielleicht noch tausendfach in mir erscheinen – und keine Spuren zurücklassen.«
Das hab ich Dir abgeschrieben aus meinem Brief an ihn, weil's etwas Erlebtes ist,
was sich mit unendlichen Modulationen mir im Geist wiederholt, ich hab Visionen,
wenn ich die Augen zumache, ich seh nicht allein, ich hör auch entzückende Töne,
wie wenn himmlische Empfindung zu Ton könnt werden; nun fehlt ja nur die eine
Stufe, daß der Ton sich in Geist der Sprache übersetzte; aber in dies Inselland
will's keine Brücke schlagen, im Gegenteil, alle Erscheinung zerfließt vor der
Sprache. – Ich hab wohl einen
Dem Clemente hab ich geschrieben, daß ich hier sehr vergnügt bin, nicht sowohl um Savignys willen, dessen Gegenwart freilich einem Aufenthalt alle Reize verleiht, sondern um der reinen Einsamkeit halben, in der ich von aller Kleinheit entfernt lebe, die mich in Frankfurt immer bedrängte und meine Freiheit schmälerte, wenn ich so sagen darf. Hier kann ich doch leichtsinnig sein, ohne daß die Inkonsequenzen davon mich gleich erschrecken, und ruhig und ernsthaft, ohne daß man glaubt, ich sei verliebt oder krank, und verliebt in Himmel und Erd, die einzig und allein schön hier sind, ohne daß man mich der Koketterie beschuldigt.
Da kommt Dein Brief, Du gibst ihn der Claudine, daß die ihn beischließe, und die
hat grad noch zwei Tage ihn liegen lassen, denn so lang hat sie an
Bettine
Marburg. Dezember
Heut morgen bin ich aus dem Bett gesprungen, um das Eis mit meinem Hauch zu
schmelzen. Um halb acht kamen die Studenten den Berg herauf gejubelt, es war noch
dämmerig und der Nebel so dicht, daß sie wie Schatten bloß durchschimmerten. Die
Meline und ich sehen jeden Morgen mit großem Gaudium, wie sie zu unserm Professor
Weiß ins Kolleg marschieren, – sie können uns nicht sehen, denn unsre Fenster sind
hart gefroren, wir steigen auf den Tisch und hauchen an der obersten Scheibe ein
Löchelchen ins Eis, wo grad ein Aug durchsehen kann; ein jeder hat ein
verschiednes Abzeichen, treiben sich immer eine Viertelstunde herum, bis sie im
Gang nach dem Kolleg verschwinden, den der Professor Weiß präzis acht Uhr
aufschließt, indessen treiben sie lauter Übermut, wir dachten schon, daß sie
vielleicht uns zu Ehren die großen Sätze machen von einer Trepp zur andern, einer
über des andern Kopf weg, sie können uns zwar nicht sehen, weil die Fenster
verhängt sind und jetzt auch gefroren, so leuchten ihnen doch unsre grünen
Vorhänge ganz mystisch in die Augen, uns macht's tausend Spaß, die Liebschaft mit
dem ganzen Kolleg ist im besten Gang, wir haben sie geteilt, die Meline sagt, der
ist mein, und ich, der ist mein, so haben wir zwei Regimenter, und ihre Balgereien
werden mit großer Freude und Triumph belacht, jede Partei hat einen Hauptmann, der
eine mit der roten Mütze, die er nie auf dem Kopf hat, sondern immer auf einem
dicken Stock (der Student nennt ihn Ziegenhainer) herumschwenkt, ist meiner, er
ist immer der erste auf dem Platz, die andern versammeln sich um ihn und hören zu,
was er sagt, er mag wohl das Haupt einer Burschenschaft sein; er ist so jung und
schön, er ist der größte von allen, wenn er den Mund auftut, kommt eine große
Duftwolke heraus, die setzt sich gleich als Reif an seinen kleinen Bart, mit dem
er sehr groß tut, denn er zieht ihn alle Augenblick durch die Finger. Wir nennen
ihn den Blonden, er hat braunes Haar, er hat aber ein so blondsonnig Gesicht, das
mit seinen roten Backen so freundlich durch den Morgennebel lacht, und dann hat er
auch einen hellen Rock; der Meline ihrer heißt der Braune, der ist ganz blond,
aber er hat einen braunen Rock, dieser trägt eine blaue Mütze mit einer Quaste,
die ihm auf der Nase herumspielt, er sitzt gelassen auf der Mauer und sieht zu,
wenn die andern sich mit Schneeballen werfen, ringen, übereinander wegspringen,
dazu ringelt er sich seine blonden strahlenden Phöbuslocken über
In mir ist's wunderlich. Vor Menschen versink ich in mir selbst, vor denen fühl
ich mich nicht, nur wenn ich, durch den ersten Schlaf in der Nacht abgetrennt von
allem, wieder erwache, dann stellen sich große ungeheure Fragen vor meine
Gedanken, es sind Fragen in mein Gewissen, vor dem ich verstummen muß. – Tugenden!
– Was sind die? – Denk ich doch an die letzte Zeit mit den Emigranten bei der
Großmama, es ging alles durcheinander, es war, als ob das Unglück vor der Tür
geschehen sei mit dem Tod des Enghiens, was für bittere Tränen vergoß der alte
Choiseul mit dem Ducailas und dem Maupertuis, wie rangen sie die Hände und riefen
zu Gott um diesen jammervollen Tod, meinst Du, das habe mir nicht einen tieferen
Eindruck gemacht als alles glorreiche Durchbrausen der Welt? – Meinst Du, ich
könne je dem Unrechterliegenden mich lossagen und auch nur in Gedanken übergehen
zu dem Unrecht, das vor der Welt Recht behält, ich fühle, es liegt größere
Freiheit darin, mit dem Unterdrückten die Ketten tragen und schmählich vergehen,
als mit dem Unterdrücker sein Los teilen. Was ist mir Talent, das seine Bahn
bezeichnet mit Friedensbruch, mit Meuchelmord? – Ich würde selbst solche Bahn
durchfliegen wollen? Ja gewiß! – Ich möchte hoch bauen, daß keiner mir nahen
könnt, er müßte denn fliegen, aber nicht wie ein Raubvogel, der die Göttin Fortuna
zerfleischt, um sich satt an ihr zu fressen und sie dann als Aas liegen läßt; –
aber durch heiligen Friedensschluß, nicht durch Verrat an ihm; durch Schutz der
Kindlichen, nicht durch ihren Mord; durch freie, heilige, unantastbare
Posaunenstimme der Wahrheit, nicht, daß ich ihr die Kehle zudrücke! – Dein Scherz
erzürnt mich, ich wollte mir Gelassenheit erschreiben, aber ich muß durchglühen. –
Der da! – Eine schwindelnde Eingebildheit, ohne Scham, ohne
Schreib nicht mehr so ungefüg, sonst kriegst Du ungefüge Briefe; ich ärgere mich über alles, was ich so schreib, weil's ist, als ob ich einen Prozeß mit Deiner gesunden Vernunft führe, und allen Zeitungswitz und Emigrantenpolitik zusammenhielt, um recht gegen Dich zu behalten.
Jetzt muß ich auf die alte Wart, es ist Neumond, ich muß sehen, wie er seine
stumme verzauberte Silberwelt anstrahlt. Die Meline schläft schon, ich steig zum
Schlafzimmerfenster hinaus auf den Berg. – Heut war Speisemahl bei
Am Sonntag
Ich bin gestern noch droben gewesen; beim Aufsteigen große Angst vor nichts, oben himmlische große Befreiungsluft, – Stille – allumfassende, – tief schlummernd alles umher. – Ruhe und Freiheit winkten alle Sterne! – So einsam, so sicher! – So muß einem sein, der das Leben abgeschüttelt hat, – unterwegs schreckten mich ein Kohlstrunk und ein krummer Ast, ich wußt, daß es nichts war, und fürchtete mich doch. So weiß der innerliche Mensch, daß alle Furcht nichtig ist, er muß das Reich der Einbildung durchkämpfen zur Wahrheit, die kann nicht fürchterlich sein, weil sie lebendig ist und frei und auch nur das Lebendige und Freie berührt, nicht den gebundnen Geist, der alles fürchtet, weil er es nicht faßt. Erkenntnis hebt jede Gegenmacht auf. Ich will Dir sagen, wie es ist beim Sterben, ich hab's auf der alten Warte gelernt. – Unten mit schwebender Angst hinauf geklettert, – die innerliche Wahrheitsstimme half mir die Einbildung, die so frech selbst mit Erscheinungen mich bedrängte, bezwingen, ein paarmal zagte ich zwischen Erd und Himmel auf der morschen Leiter, aber die Luft hauchte schon herab, so erhob ich mich plötzlich, und von allen Seiten atmete mich Freiheit an, so grad ist's beim Sterben; je weniger das Leben Licht erstritten hat, Geist geworden ist, je mehr scheut es den Geist, je mehr drängt sich am Lebensende die Einbildung ihm auf und beschränkt den Lichtkreis des Lebendigen, der Wahrheit. Der Mensch ist Sklave der Einbildung, die ihm sein Inneres leugnet, aber die göttliche Wahrheit haucht schon in den dunklen baufälligen Turm zu ihm nieder, daß er die morschgewordne Leiter, die zur Freiheit führt, mit doppelter Kühnheit erschwingt, und unmöglich kann diese im finstern Turm mit dem Aufschwung ins Freie fortdauern, denn sie war Einbildung. – Man könnt vielleicht das, was ich vom Sterben sag, gering achten, weil's so einfältig ist und so fabelmäßig und vielleicht schon oft gesagt, ja es war mir selbst nichts Neues, aber doch ist's was anders, weil ich's erlebt hab und nicht bloß mit den äußeren Sinnen erfaßt, der freie Sternenhimmel hat mich's gelehrt, und ich war so vergnügt da bei der Sterbelektion, und ich werd noch mehr lernen da oben.
Am Dienstag
Heut hab ich Dir was Lustiges zu erzählen, es war Studentenkomödie, und wir waren
drin, unter dem Schutz von einer großen Begleitung; das Stück war eine
Selbsterfindung der Studenten, worin drei Duelle vorkamen von Schuß, Stich und
Hieb; wie der Schuß vorkam, war der Meline schon nicht wohl zumut, wie der Stich
vorkam, ward uns grün und blau vor den Augen,
Bettine
Wenn Du recht behalten willst, so hast Du gewiß recht, ich will auch nicht noch einmal wiederholen, daß ich scherzte, denn dies ist ja grade doppelte Sünde, weil der ganze Scherz sich nicht zwischen uns beiden eignet, Du kannst es von mir am wenigsten ertragen, daß ich falsch in die Saiten greife, – es war ein Erdenscherz und kein luftiger leichter, und es war noch dazu ein Notanker, ich war verwirrt geworden durch das Reisen hin und her vom Rhein zum Neckar und dann zum alten Haushalt; da ist mir so manches verronnen, was mir lieb und leid ist, der Winter hat mich auch doppelt hier betroffen.
Clemens hat mir geschrieben. Wie ein böser Traum sind mir manche bitteren und
trüben Erinnerungen von ihm vorübergegangen, sein Brief hat mich betrübt, weil er
mir die verworrnen Schmerzen seines Gemüts deutlich und doch wieder dunkel
darstellt, auch wenn ich ihn nie gesehen hätte, würde mich dieser kalte
Lebensüberdruß tief und schmerzlich bewegen. – Er stellt sich so an den Rand der
Jugend, als habe sie ihn ausgestoßen, wie mich das schmerzt, wollt er es doch
anders sein lassen, lieber die vergangne Zeit zurückrufen und fortleben ewig
frisch, jung und träumerisch, wie er es gewiß könnte; es wird und muß wieder so
mit ihm werden, und Du mußt ihm jetzt recht anhänglich schreiben, Dein freieres
Bewegen, wo Du sonst so von ihm abzuhängen schienst, wird ihm wohl auch ungewohnt
und empfindlich sein; Du kannst es nicht ändern, aber ersetze es ihm, Du schriebst
ja immer nur kurze Briefe an ihn, aber schreib doch öfter. – Sein Beifall an
meinen Gedichten erfreut mich, und mehr wird es keiner. Er schreibt, Savigny habe
die Nachricht aus Paris, daß eine Übersetzung dort vom Tian
Dem Molitor hab ich Deine Ansichten über die Erziehungen lesen lassen, es freute
ihn und verspricht Dich nicht mehr zu stören, das ist mir lieb, denn wenn auch
Deine Argumente, womit Du das Philistertum bestürmst, keinen Bodensatz haben und
unleugbar aus der Luft gegriffen sind, so ist mir doch lieber zu lesen, wie Du
unmittelbar mit den Elementen verkehrst, als wenn Du Deinen Sinn im Widerspruch
auf irgendein gegebenes Bestehendes anwendest. Deine Wahrheiten streifen wohl den
inneren Sinn der Menschen; sie möchten Dir recht geben, aber was ist's damit? –
Bis einmal das Morgenlicht der Poesie in jeder Brust den Geist weckt, da wird wohl
manches verstanden und doch muß es wieder versinken; drum ist es mir lieber, Du
selbst erschaffst Dich, bist Dir Lehrer und Schüler zugleich, weil es da was
fruchtet und Deine Lehren einen so gründlichen tiefen Eingang in Dich haben. –
Hast Du Dich doch gegen die Philosophie gesperrt, und Deine Natur spricht sie doch
so ganz persönlich aus, als Geist und Seele und Leib. Ich will damit Dich nicht
auf Dich selbst zurückführen, es ist eine Bemerkung, die ich im Spiegel mache, und
Du kannst ja gleich davonfliegen und den Spiegel leer lassen, auch gibt meine
Bemerkung Dir recht; denn wenn Deine organische Natur ganz Philosophie ist, so
wird sie sich nicht in der Anschauung erst erwerben sollen. – Sie wird einen
Jugendleib haben, der mit einem anderen Frühling zusammentrifft, und ein anderes
Verständnis haben mit dem Geistigen der Welt. – Um so mehr deucht es mir Mißgriff,
wenn Du mit dem Wirklichen Dich begegnest und ihm Deinen Geist anmessen magst. Ich
suche in der Poesie wie in einem Spiegel mich zu sammeln, mich selber zu schauen
und durch mich durchzugehen in eine höhere Welt, und dazu sind meine Poesien die
Versuche. Mir scheinen die großen Erscheinungen der Menschheit alle denselben
Zweck zu haben, mit diesen möcht ich mich berühren, in Gemeinschaft mit ihnen
treten und in ihrer Mitte unter ihrem Einfluß dieselbe Bahn wandeln, stets
vorwärts schreiten mit dem Gefühl der Selbsterhebung, mit dem Zweck der
Vereinfachung und des tieferen Erkennens und Eingehens auf die Übung dieser Kunst,
so daß wie äußerlich vielleicht die hohen Kunstwerke der Griechen als vollkommne
göttliche Eingebung galten und auf die Menge als solche zurückstrahlten und von
den Meistern auch in diesem Sinn mit dieser Konzentration aller geistigen Kräfte
gebildet wurden, so sammelt sich meine Tätigkeit in meiner Seele; sie fühlt ihren
Ursprung, ihr Ideal, sie will sich selbst nicht verlassen, sie will sich da
hinüberbilden. Du aber bist das Kind, geboren im Land, wo Milch und Honig fleußt,
die Sorge ist da überflüssig, die Trauben hängen Dir in den Mund, alles ist
Gedeihen und Klima Deiner Wiege, alles trägt Dich und nährt und schützt Dich,
solang Du das Klima nicht wechselst, und ob das, was Du dadurch erbeutest, der
Welt genießbar sei, darauf kömmt es hier fürs erste gar nicht an, wenn Du nur
durch eigne Sünde nicht im Werden gestört wirst, denn das ist die einzige
Dein klein Gedicht, was Du bei Gelegenheit der Langenweile gemacht, beweist mir,
daß wir beide recht haben, für jeden andern wollt ich es als Gedicht rechnen, aber
für Dich nicht, denn Du sprichst darin eine äußere Situation aus, nicht die
innere, und ein Gedicht ist doch wohl nur dann lebendig wirkend, wenn es das
Innerste in lebendiger Gestalt hervortreten macht, je reiner, je entschiedner dies
innere Leben sich ausspricht, je tiefer ist der Eindruck, die Gewalt des Gedichts.
Auf die Gewalt kommt alles an, sie wirft alle Kritik zu Boden und tut das ihre.
Was liegt dann dran, ob es so gebaut sei, wie es die angenommne Kunstverfassung
nicht verletze? – Gewalt schafft höhere Gesetze, die keiner vielleicht früher
ahnte oder auszusprechen vermochte; höhere Gesetze stoßen allemal die alten um,
und – wir sind doch noch nicht am End! – Wenn doch der Spielplatz, wo sich die
Kräfte jetzt nach hergebrachten Grundsätzen üben, freigegeben wäre, um der Natur
leichter zu machen, ihre Gesetze zu wandlen! Ich will nicht, daß Du auf meine
Produkte in der Poesie anwendest, was ich hier sage; ich habe mich auch
zusammengenommen und gehorchen lernen; und es war gut, denn es sammelte meinen
Stoff in meinem Geist, der mir vielleicht als Inhalt nicht genügt haben würde,
wenn mir die Form, die ich der Anmut zu verweben strebte, nicht den Wert dazu
geliehen hätte; ich glaube, daß nichts wesentlicher in der Poesie sei, als daß ihr
Keim aus dem Inneren
Der größte Meister in der Poesie ist gewiß der, der die einfachsten äußeren Formen bedarf, um das innerlich Empfangne zu gebären, ja dem die Formen sich zugleich mit erzeugen im Gefühl innerer Übereinstimmung.
Wie gesagt, wende nichts auf mich an von dem, was ich hier sage, Du könntest sonst
in einen Irrtum verfallen. Ob zwar ich grad durch mein Inneres dies so habe
verstehen lernen. Ich mußte selbst oft die Kargheit der Bilder, in die ich meine
poetischen Stimmungen auffaßte, anerkennen, ich dachte mir manchmal, daß ja dicht
nebenan üppigere Formen, schönere Gewande bereit liegen, auch daß ich leicht einen
bedeutenderen Stoff zur Hand habe, nur war er nicht als erste Stimmung in der
Seele entstanden, und so hab ich es immer zurückgewiesen und hab mich an das
gehalten, was am wenigsten abschweift von dem, was in mir wirklich Regung war;
daher kam es auch, daß ich wagte, sie drucken zu lassen, sie hatten jenen Wert für
mich, jenen heiligen der geprägten Wahrheit, alle kleinen Fragmente sind mir in
diesem Sinn Gedicht. Du wirst wohl auch dies einfache Phänomen in Dir erfahren
haben, daß tragische Momente Dir durch die Seele gehen, die sich ein Bild in der
Geschichte auffangen, und daß sich in diesem Bild die Umstände so ketten, daß Du
ein tief Schmerzendes oder hoch Erhebendes mit erlebst; Du kämpfst gegen das
Unrecht an, Du siegst, Du wirst glücklich, es neigt sich Dir alles, Du wirst
mächtig große Kräfte entwickeln, es gelingt Dir, Deinen Geist über alles
auszudehnen; oder auch: ein hartes Geschick steht Dir gegenüber, Du duldest, es
wird bitterer, es greift in die geweihte Stätte Deines Busens ein, in die Treue,
in die Liebe; da führt Dich der Genius bei der Hand hinaus aus dem Land, wo Deine
höhere sittliche Würde gefährdet war, und Du schwingst Dich auf seinen Ruf, unter
seinem Schutz, wohin Du dem Leid zu entrinnen hoffst, wohin ein innerer Geist des
Opfers Dich fordert. – Solche Erscheinung erlebt der Geist durch die Phantasie als
Schicksal, er erprobt sich in ihnen und gewiß ist es, daß er dadurch oft
Erfahrungen eines Helden innerlich macht, er fühlt sich von dem Erhabenen
durchdrungen, daß er sinnlich vielleicht zu schwach sein würde, zu bestehen, aber
die Phantasie ist doch die Stätte, in der der Keim dazu gelegt und Wurzel faßt,
und wer weiß, wie oder wann, als mächtige und reine Kraft in ihm aufblüht. – Wie
sollte sonst der Held in uns zustande kommen? – Umsonst ist keine solche
Werkstätte im Geist, und wie auch eine Kraft sich nach außen betätigt, gewiß nach
innen ist ihr Beruf der wesentlichste. – So fühl ich denn eine Art Beruhigung bei
dem Unscheinbaren und Geringfügigen meiner Gedichte, weil
Ich habe Dir jetzt genug gesagt, ich hab es aus Liebe zu Dir getan, so wie Du so manches aus Liebe zu mir gesagt und getan hast, und Du hast außerdem noch einen nahen Anteil an allem, wie denn dies nicht anders möglich ist. – Ich bitte Dich aber dringend, lasse es in Deine Stimmung nicht einwirken, sondern sorg, daß Du mir hübsch ganz Du selbst bleibst, Dein Manuskript ist an den Primas besorgt worden.
Caroline
Das Wetter hat sich geändert, der grüne Bergrasen lacht das bißchen Schnee aus,
was Winter sein will, ich bin den ganzen Tag nicht zu Haus. Die Sonn und der Mond
gehn abends zusammen am Himmel spazieren, ich war gestern früher oben, um zu
sehen, wo sie bleiben, ich guckte in die Luft, die so weich weht, und in die
veränderte Landschaft, weil über Nacht der Schnee weggeschmolzen war, und konnt
mich auf nichts mehr besinnen in der schmeicheligen Natur, so geht's gewiß den
schneeentlasteten Tannen auch und den Wiesen; und die gelben Weiden und die Birken
taumeln in dem lauen Wehen wähnend und schwankend, als könnt der Frühling wohl
einmal den Winter überhüpfen; sie sind im Winterschlaf vom Frühlingstraum geneckt,
ich auch, – ob nicht alle Seligkeit hier Traum von später ist? Sie ist so kurz, so
zufällig. – Frühling ist Seligkeit, weil's Begeistrung ist von der Zukunft,
Seligkeit ist Begeistrung zum Leben, das ist Frühling. Wer ewig zum Leben
begeistert ist, der ist immerdar Lebensfrühling, das Leben ist aber bloß
Begeistrung, denn sonst ist's Tod; und so ist das Leben heut und immer
knospenschwankend im Wind, der die Zeit ist, knospenschwellend in den Sinnen, was
die Natur ist, und knospenduftend im Geist, der die Sonne ist. Das ganze Leben ist
bloß Zukunftsbegeistrung, nicht ein Moment kann aus dem andern hervorgehn, wär's
nicht Begeistrung der Natur fürs Leben. Die Zeit würde aufhören, wär die Natur
nicht mehr frühlingbegeistert, denn bloß daß sie ewig nach der Zukunft strebt,
macht, daß sie lebt; und daß sie ewig den Frühling erneuert, das ist ihre Seele,
ihr Wort, das Fleisch geworden ist. Sie öffnet die Lippen und schöpft Atem
Alt ist keiner als nur, wer die Zeit achtet als bestehend. – Die Zeit ist nicht bestehend – Schwinden ist Zeit. An Schwindendes kann sich Begeistrung nicht hängen, an nichts kann sie hängen, sie muß frei sein, bloß in sich; denn sonst wär sie kein Leben. Also die Natur atmet Begeistrung, das ist Frühling; Sommer und Herbst entströmen dem Atem der Natur, das ist, wo sie alles hingibt, um aufs neue den Frühling einzuatmen. – Da ist's deutlich, daß der Geist auch nur Frühlingsatem schöpft, und daß Jugend nicht in Zeit sich einschränkt, die vergeht, da Lebenslust nicht vergehn kann, weil, wie Natur Frühling aufatmet, wir Lebensbegeistrung aufatmen. –
Es ist dumm, was ich hier sag, ist nicht uneingehüllter Geist, der den Wahn
vernichtet, aber unter der armseligen Hülle des zwanzigmal wiederholten Vergleichs
liegt einer zerschmetternden Antwort Keim auf das, was Du mir schon mehr als
einmal gesagt hast: »Recht viel wissen, recht viel lernen, und nur die Jugend
nicht überleben. – Recht früh sterben!« Ach Günderode! Atme aus, um wieder
aufzuatmen, Begeistrung zu trinken – denn: ist Natur nicht bloß dieser Begeistrung
Leben? – Und wär Jugend etwas, wenn's nicht ewig wär? – Wie ich auf der Warte saß
gestern und sah, wie die Natur dem Frühling schon vorausträumte – da fiel mir's
ein, daß Jugend ja ein ewiger Lebensanspruch ist, wer den aufgibt allein, atmet
nicht mehr auf, er läßt den Atem sinken. – Ich weiß nicht, was Du Jugend nennst? –
Ist's nicht jugendlich, den Leib dem Geist aufopfern? – Strebt sie nicht mit allen
Kräften, Geist zu werden? – Was ist denn also die Zeit? – Nichts als Jungwerden. –
Leben muß man immer wollen, denn wenn der Tod kommt, das ist grade, wo die Jugend
sich mündig fühlt zur Unsterblichkeit; wessen Jugend aber früher abstirbt, wie
kann der unsterblich werden? – Wer dächte: ich will nicht über die Jahre hinaus,
wo ich mit zwanzig zähle, denn mit dreißig ist der Jugend der Stab gebrochen, der
müßte einer sein, der Zeit hätt, so was zu denken, und stünd ebensogut müßig am
Ufer als Ladung für den Charonsnachen, mir deucht aber, Dein Geist, der wie die
Natur blütenaufatmend ist, kann nicht vor späterer Zeit zurückweichen wollen.
Nein! – Geistessehnsucht bildet Frühlingskeime, und Lebenwollen ist
Erdenleben ist Mutterhülle der geistigen Jugend, mag sie uns schützen wie die Zwiebel den Keim des Narzissus schützt, bis sie im Spiegel ihr eignes Ideal erkennt.
Am Mittwoch! –
Ich war gestern lustig, aber ein Brief der Claudine über Dich, den ich fand, als
ich vom Turm kam, hat mich bewegt, Dir so ernst zu schreiben: wenn's dunkel ist,
kann man sich allerlei weismachen, eben weil Gelegenheit ist, so mannigfaltig mit
Schatten zu spielen; glaubt man auch nicht an den verzognen Schatten, so duldet
man doch nicht gern das groteske und doch so ähnliche Bild, und man kann am
wenigsten leiden, was man doch nicht glaubt; so nimm meinen Brief; ich hab nie
Deine Reden über Leben und
Hier leg ich Dir das Blatt bei, das ich, eh der Claudine Brief kam, geschrieben hatte, am Montag, wo's auf dem Turm so frühlingsmäßig war, daß ich an keinen Winter mehr glaubte.
Erstes Blatt vom Montag
Der poetische Vortrag vom Sonnabend hat mir seinen wechselnden Rhythmus wie in eine Orgelwalze eingehämmert, der sogar meine Reden einschnürt; so leicht kann eine fremde Kraft meinen Geist überwältigen. Dem Weiß hab ich gestern meinen Gutenachtgruß, wie er behauptet, in Hexametern vorgestammelt, wundre Dich nicht, daß ich diesem Plaggeist, weil ich so abendmüde bin, die Zügel schießen lasse und Dir die Naturseltenheit eines frühlingsträumenden Winterabends in aufdringlichen Rhythmen vortanze.
Weißt Du noch jenen Abend, im Frühjahrsanfang, wo der Arnim auf dem Trages seine Gedichte uns vorlas? – Da hab ich mich auf dem Turm in dem laulichen keimetreibenden Wetter wieder dran erinnert, und der Rhythmus, der, wie gesagt, noch aus jener Vorlesung mich verfolgt, schien mir dies alles, was hier auf dem Papier so ganz dürr aussieht, in großer Fülle auszusprechen; ich wollt es Dir auch nicht schreiben, aber wo soll ich hin mit? – Meine Briefe an Dich sind wie das Bett der Quelle, alles muß durchströmen, was in mir ist.
Meine Bemühungen, Lieder fürs Wunderhorn aufzufinden, haben mich mit wunderlichen Leuten zusammengeführt, die wie angenehme Schäferspiele mich ergötzen. – Ich brauch Überredungskünste, um ein Bauermädchen dahinzubringen, ihre Lieder herzusingen. Da kommen sie meistens zuerst mit verkruzten Opernarien, ich hab noch wenig Körnlein aus dieser Spreu gesammelt, die sie aus Mangel an Unschuld, im Überfluß an Unwissenheit ersticken und vermodern lassen, und die man endlich doch nur stückweise ans Tagslicht bringen kann; – ich tu's dem Clemens und Arnim zu Gefallen.
Letzt war mir ein allerliebst Mädchen vom Pfarrer Bang geschickt worden, weil es sehr viel schöne Lieder kann; die ganze Familie gehört zu dem Singgeschlecht, das sich ernährt mit Kräutersuchen für die Apotheken in der Umgegend und im Frühjahr mit Erdbeeren- und Heidelbeerensuchen. Das Kind war zwei Tage bei mir, es schlief im Vorzimmer; so ein allerliebst Kind kannst Du Dir gar nicht denken, auch von Schönheit; ich nahm's mit hinaus, da hat's mich neue Wege geführt, wo ich noch gar nicht gewesen war, ich sagte, wir wollen einmal gradaus gehen, es mag in Weg kommen, was will, so ging's bergauf, bergab, bis wir hinter die Brunnenleitung in den Wald am See kamen, und ich war mutwillig übermäßig, bis ich mich endlich, überrascht, weil ich rückwärts ging, in einem Sumpf befand. –
Was mich am meisten ergötzt, ist die Kenntnis aller Kräuter und Wurzeln, die das
Kind hat, ohne doch je gelernt zu haben, es ist eine traditionelle
In allen Wandlungen der Natur deucht mich Salomonis Weisheit mit Geistesbuchstaben
eingezeichnet, die klein oder groß – die Seele mit Schauer erfüllen, weil sie alle
rufen: »Hebe wie der Vogel die Schwingen über den Erdenstaub hinaus und fliege
aufwärts, so hoch du vermagst. Der Vogel fliegt mit seinem Leib, du aber kannst
mit dem Geist fliegen, dein Leib hat keine Flügel, weil du lernen sollst, mit dem
Geist dich aufschwingen.« – Du weißt, wie oft wir uns besannen, warum die
Sehnsucht zu fliegen durch jeden Vogel rege werde. Hätten wir Flügel wie die
Vögel, so würde diese Sehnsucht nicht wach sein, die jetzt uns bewegt, immer dran
zu denken, und so unsern Geist befiedert, mit dem wir einst fliegen werden; denn
alles Denken ist doch das im Geist, was das Wachsen und Treiben in der Natur ist.
– Nun weißt Du auch, warum in meiner botanischen Taufe der Storchschnabel die
Zepterblume heißt. – Mein botanisch Heft hat sich schon vergrößert bis zur
siebzehnten Pflanze, die ich genau beobachtet und so bezeichnet hab, wie mein
Beschauen es mir lehrte, bald ist's das Blatt, bald die Krone oder Wurzel, bald
die Form der Staude, die mir irgendein Rätsel löst oder eine Zauberformel aufgibt;
dem alten Weiß bring ich meine Exemplare,
Mit dem Erdbeermädchen bin ich noch einen Nachmittag im Freien am Waldrand gewesen, wo wir Feuer machten, und wo die Sonne glühendrot unterging und wir durch die einsamen Felder auf dem Heimweg sangen, da hab ich ein paar schöne Lieder entdeckt, es hatt ihrer gewiß noch manche im Kopf stecken, Melodien, die wie durch einen Magnet mit dem Inhalt zusammenhängen, die tragen eines durchs andre die Stimmung auf einem über. –
Heute erhalte ich einen Brief von Dir, die Claudine schrieb mir, daß sie Dich schreibend getroffen, schon am zweiten Blatt, ich weiß, daß, wenn ich meinen Brief jetzt fortschicke, daß mir der Bote einen zurückbringt, ich freu mich, unterdessen will ich auf den Turm laufen und meine freudige Ungeduld mit den Geistern verjackern. –
Bettine
Ich habe große Liebe zu den Gestirnen, ich glaub, daß alle Gedanken, die meine
Seel belehren, mir von ihnen kommen. Auf die Warte zu gehen möchte ich keine Nacht
versäumen, ich dächte, ich hätt ein Gelübde gebrochen, was sie mir auferlegten,
und sie hätten dann umsonst auf mich gewartet. Was mir Menschen je lehren wollten,
das glaubte ich nicht, was mir aber dort oben in nächtlicher Einsamkeit in die
Gedanken kommt, das muß ich wohl glauben. Denn: der Stimme vom Himmel herab mit
mir zu reden – soll ich der nicht glauben? – Fühl ich denn nicht ihren Atem von
allen Seiten, der mich anströmt? – Das ist, weil ich hier einsam in der Nacht
ihnen so ganz vertraue. Ich gehe den Weg, der mich ängstigt, um zu ihnen zu
gelangen, ich komme zum dunklen Turm, da zittert mir das Herz, ich
Was soll's, ob Jugend oder Alter mein Leben genannt werde, wenn die Natur ihre Sprache mir lehrt, die Geduld nicht mit ihrem Jünger verliert, wenn alles von Tag zu Tag feuriger mich begeistert bis zum letzten Tag! Welcher von denen, die mir Jugend absprechen, wird so elektrisch aufblühen, auf welchem Herd werden so hohe Flammen lodern, und wo wird des Lebens Fülle in hohen Wellen dahin sich ergießen als in meinem Lebensstrom? – Lasse sie doch, die was wissen von Jugend, lasse die kalte Welt, die dich berechnet, kleinlich nach Jahren sagen, Du seist alt oder jung, – wer der Natur vertraut, der läßt von ihr sich umschmelzen, sooft und wie sie will.
»Willst du was,« sagen die Sterne, »komm zu uns.« – Das gelobe ich ihnen. – Wo sollt ich mich auch sonst noch hinwenden? – Wo sollt ich suchen? – Keines Menschen Arm ist so zärtlich umfassend als der Sterne Geist, er umfaßt mich und Dich, denn wenn ich mich sammle innerlich, so hab ich Dich im Sinn. Was ich mit ihnen spreche, das hör ich nicht, ich les es auch nicht, es ist ihr Geflimmer, das wirkt mir's ein, und mit meinem Zutrauen versteh ich's; – und wer könnt mir meinen Glauben nehmen? – Und wenn einer balsamtrunken ist und fühlt's in den Adern, wie könnt der zweifeln? – Es ist auch nicht, daß sie mir treffende Wahrheiten mitteilen, oder daß ich was vernehm im Geist, was mir wie Weisheit dünkt. – Sie nicken nur meinen geheimen Wünschen Gewährung, – Du weißt wohl, was das ist. – Innerlich siegend wegfliegen über alles; äußerlich nicht erkannt, nicht verstanden; ja lieber verachtet als nur ahnen lassen, wie es ist. Diese göttliche Dreieinigkeit zwischen mir und Dir und den Sternen. – Wenn ich für Dich mit ihnen was vorhab – ich streck die Hände aus zu ihnen, sie wissen's. –
Dein Brief hat heute einen Geisterring um mich gezogen, Du hast mich in einen tieferen Kreis eingelassen, das macht mich wehmütig und doch macht es mich eifersüchtig auch, ich empfind, daß Du mich hinter Dir läßt, wenn Du mit Deinen großen weiten Flügeln Dich aufschwingen wolltest. –
Du hast recht in allem, was Du sagst. Das heißt, ich versteh Dich, – aber es
drängt sich mir ein Gefühl auf, ein schmerzliches, das überwiegt alles Große, was
Du mir über Dich sagst, allen heiligen Rat, den Du mir über mich gibst. – Der
Freund, der weit über Land reisen wollt, würde so sprechen zum Abschied! Es ist
nicht wie Deine früheren Briefe, die mitten drin sind im Spiel meiner Gedanken, Du
stehst auf der Höhe, übersiehst alles, befiehlst mir alles an, als wolltest Du von
mir scheiden. Du sagst zwar, was ich von Dir schreibe, habe Dich gerührt, darum
seist Du mir näher gerückt, und es ist auch eine tiefe Harmonie in dem, was Du von
Dir sagst, mit
Glaube ist Aberglaube, – aber Geist ist Glaube. – Da könnte einer fragen, was mein
Vertrauen in die Sterne ist, wenn nicht Glaube, und also Aberglaube? Zwischen den
Sternen und mir ist nur der Geist, ich fühl's, alle sind Spiegel des Geistes, der
aus meiner Brust steigt, sie fangen ihn auf und strahlen ihn zurück; was Du
denkst, das einzig ist die Wahrheit, sagen sie, klemme nicht Deine Flügel ein,
fliege so hoch und so weit Dich deine Flügel tragen, ihre Kraft zu proben ist
nicht Sünde; wie der Kolumbus dahinfuhr auf uferlosem Meer, so fürchte Du nicht
die Ufer aus dem Aug zu verlieren, an denen Menschenwitz gelandet und furchtsam
sich dran festklammert; nicht umsonst ist Gott überall, so darf der Menschengeist
auch überall sein; denn er trifft mit Gott zusammen in der ungangbaren Wüste; das
Umherschweifen nach einer neuen Welt, die Deine Ahnung Dir weissagt, ist nicht
Sünde, denn der Geist ist geschaffen, der Welten unzählige zu entdecken, und diese
Welten sind, und sind das Leben des Geistes, ohne diese würde er nicht leben, denn
des Geistes Leben ist Welten zu entdecken, und der Welten Leben ist im Geist
aufzusteigen. Denn alle sind im Geist geboren, die wollen zu Schiff und fort, um
neue Welten zu entdecken. Aber die Menschenfurcht ist so groß vor dem Geist, daß
sie den Hafen sperrt, und duldet nicht, daß er die Segel ausspanne, sondern alle
rufen: »Steiniget ihn, steiniget ihn, denn seht, er will den Hafen verlassen, in
dem wir gelandet sind«, und so steinigen sie ihn und töten ihn, eh sie zugeben,
daß er den Hafen verlasse, damit nie Gottes Weisheit den Menschenwitz auf freiem
Meer geleite; denn sie wollen der neuen
So hab ich heute gedacht auf der Warte, weil mich Dein Brief ergriffen hat; ein
Zorn ist in mir aufgelodert, der mir diese Gedanken zurief, es ist ein Fordern an
Dich, Du sollst Dir und mir treu sein, da ein Geist sich mit uns beiden
eingeschifft hat, so verlaß seine Flagge nicht, der Eid, den Du geschworen, heißt:
freudiger Mut, da Geist in ihm nimmer verloren gehen kann und außer ihm aber
erstirbt. – Nun versteh mich da heraus. – Der Traum leuchtet zu stark in mich
hinein, als daß ich nicht etwas verwirrt sollte reden müssen. – Ich kehre zurück
in tieferen Schlaf; – wo ich's nicht mehr fasse wie eben, was in mir webt und
will. – Wie wär das Wunderbare möglich? – Ja wohl! Wie wär der Geist möglich in
der Menschenbrust,
Donnerstag
Ich muß Dir alles sagen; alles was mit luftiger Eile sich mir durch den Kopf
schwingt. – Ist mir's doch, als fahren wir auf Wolken dahin, und meine Worte
verhallen in der Weite, aber ich muß Dir rufen – wie ich Dich dahinschwimmen seh
am Himmelsozean, als hätten Dich die Winde aufgerafft – und mich auch, und als
flög Dein Wolkenpferd weit vor mir; – meine Stimme flattert an Dich heran: Du
hörst doch? – So hell der Mond auch scheint im unendlichen Blau der Nacht, das
Dich dahinnimmt? – Es gibt nichts wie die Liebe! – Doch weißt Du wohl! – Menschen
unterscheiden zwischen Lieb und Freundschaft und zwischen besonderer Treue für
diesen oder jenen, aber nicht ich und Du? – Was spricht mich an? – Das sag mir
doch? – Vielleicht der Dämon – der findet mich hier auf der einsamen Warte und
spricht mit mir von Dir – und lehrt mich beten für Dich. Dich denken, wie Dein
Geist sich höher und höher entfaltet, das ist beten. – Und warum wüßt ich von Dir,
wie Du bist, nach was Du dürstest, warum vernehm ich Dich so tief und fühlte Dein
Sein? – Lieb will ich das nicht nennen – wenn's nicht ist, daß ich vor Gott Dich
aussprechen lerne? – Denn alles Sein ist Geist Gottes, und Geist will sich
aussprechen, sich in den Geist übertragen, und die Sprache ist der Widerhall, das
Gedächtnis des Seins. Ich spreche Dich aus vor Gott, so ist mein Gebet rein vor
Gott, so hat es mich Dein Genius heute gelehrt oben auf der Warte, – und hab
ruhig, wie Du bist, mit den Sternen überlegt; und dann hab ich Deinen Namen
eingezeichnet in den Schnee; und dann den Namen des Königs der Juden, der kindlich
zu Gott ruft: Vater! hab ich Dir als Wächter hinzugeschrieben und dies Zeichen von
Dir im kalten Schnee; da ist Dein Geist frei von bösem Wahn, da oben in reiner
kalter Luft, die Dich anweht. Und der Geist Gottes über Dir, und der
menschgewordene Geist der Liebe Dich umschwebend – daß Du sein mußt – und nicht
Dich aufgeben wollend auf dieser leuchtenden Bahn. – Ja, so muß es sein, denn Du
bist ein Schoßkind Gottes, denn wenn ich in der kalten Nacht hinaufseh, dann seh
ich Dich sanft hinaufschreiten, als sei es Dein gewohnter Weg, und gehest ein und
vorwärts, aber Dein Geist verzweifelt nicht. – Leb doch wohl, jetzt bin ich wieder
still – und fürchte nichts für Dich – eins will ich Dir sagen von meinen Briefen,
Bettine
Du wirst mir doch nicht übel deuten, daß ich mich ein wenig vor Dir fürchte? – Und machst mir auch Furcht vor mir selber! – und dann fürchte ich auch für Dich, nimm Dich um Gotteswillen in acht, daß Du nicht fällst. Deine Turmbegeistrungen erfreuen mich, aber ich will gewiß sein, daß Du keiner Gefahr ausgesetzt bist, sonst machst Du mich krank, schreib mir gleich, daß Du nicht mehr auf der Mauer herumlaufen willst, sonst kann und will ich nichts mehr von da oben hören, mir war's wohltätig, Deine Stimme von da oben herab, so frei und leicht wie Wolken jagen, zu vernehmen, aber wollt ich doch, der Turm fiel eines Morgens ein, lieber als daß du am End in der Nacht selbst herunterfällst. – Ich weiß nicht, bist Du das Spiel böser Dämonen? – Oder sichern Dich die Guten, so gib ihnen wenigstens nicht so viel zu tun, die bis zu mir dringen, ich soll Dich mahnen, nicht zu freveln. Liegt darin nicht schon der Beweis, daß sie Dich nicht schützen können? – Nehme ich Deine Weissagungen in mich auf und ergrüble das Tonspiel Deines Geistes, in das der Zufall so oft eingreift wie der Wind, der alle Töne auseinandersprengt, und sammle gern, was Du zerstreuest in die Lüfte: so folg mir doch auch – und ich bitte Dich darum, sonst kann ich nicht ruhig denken an Dich; – aber wenn Du es nicht lassen willst, oder wie Du meinst, daß Du es nicht lassen kannst, dann schweig lieber ganz, oder wie soll ich's machen, daß ich die Furcht überwinde, Du möchtest elend und unwillkürlich da hinab ins Grab stürzen.
Du hast eine Bangigkeit um mich, als läge mir was Trauriges im Sinn; das solltest Du ja nicht – es war im Gegenteil ein ganz freier Augenblick, wo alle störenden oder zerstreuenden Bilder erblaßt waren, wo ich mit hellen Sinnen mein Inneres vor Dir aufschloß. –
Warum ich Dich mahnte, an den Clemens zu schreiben, das will ich Dir hier
offenbaren. Du sagst, Du liebst den Clemens, der Idee nach kann ich ihm auch
herzlich gut sein, allein sein wirkliches Leben scheint mir so entfernt von
demjenigen, das ich ihm dieser Idee nach zumute, daß es mir immer ein wahres
Ärgernis ist, deswegen kann ich auch nie eine feste
Savigny hat mir selbst geschrieben, tue mir doch den Gefallen und schicke
Und nun möcht ich wohl diesen Raum an Papier hier mit etwas ausfüllen, was Du nicht erwartest, weil es etwas Altes und oft Wiederholtes ist; aber doch liegt es mir auf der Zunge und auch immer im Geist, wenn ich Deine Briefe lese, mit denen mir's freilich ganz anders geht wie mit denen von Clemens, wo ich nur nachsinne und überlege, während ich bei den Deinen nur empfinde und zwar so wohltätig, als käme mir ein Luftstrom aus dem gelobten Land. Um so mehr wird Dich befremden, wenn ich frage, aber was wird bei Deinem zwischen Himmel und Erde Schweben, aus der Musik, aus dem Generalbaß, aus der Komposition? – Ist es nicht dumm, daß ich so frage? – Aber bedenk, wieviel Genuß es Dir schon in Offenbach gewährte, was Du Dir selber und dem, was Dir lieb war, schon zu Gefallen tun konntest, wie wohltätig wirkte es auf Dein Aufbrausen, wie oft beschwichtigtest Du es damit, wie schön versöhntest Du oft Deine Stimmungen in dem Unerreichbaren durch Dein Singen, – und was hast Du mir alles selbst beglaubigt, wie tief Musik in Dich eingreife; sollte nun auf einmal dies alles verschwunden sein? Oder hast Du nur versäumt, mir drüber zu schreiben? – Lebe wohl, Liebe, und ermüde doch nicht mir zu schreiben.
Caroline
Deine Kolumbusansicht erfreut mich ungemein und macht mich ganz scharfsinnig, – schicke dem Clemens Deine rhythmische Vision, es macht ihm vielleicht Freude, ich empfinde darin mehr lebendige als gemalte Flamme, schon fließt die Abendschilderung und das Ganze aus lebendiger Erinnerung, die prophetischer Sang dem Untergang der Welt ist und dem neu erblühenden tausendjährigen Reich erwartet. Prophezeit doch Apoll auch aus der Vermählung der Poesie und Philosophie. Ich erinnere mich noch des seligen Übermuts in dem Liede von Arnim: Wie der trunkne Pag in warmen Nächten in geheimnisvoller Liebe Mantel wohl verkappt der Herrin Lager suchend, taumelnd in die Höhle war geraten, wo die Löwin ihre Jungen säugte.
Hab ich Dir denn nicht vom Koch erzählt, der mich wöchentlich zweimal kreuzigt mit
dem Generalbaßunterricht? – und daß er mir alles korrigiert, was ich komponiere? –
Er schneidet mir alles zurecht, bis nicht ein Ton mehr, nicht ein Taktteil am
alten Fleck sitzt, und wenn er's so weit verputzt hat, daß es sich ausnimmt wie
ein geschorner Blumenstrauß, so hängt er ihm noch Manschetten an aus seiner eignen
Garderobe. Arnims irdische
Es wär Frevel, wollt ich dichten, weil ich den Wein trinke und im Rausch den Gott empfinde. Weil der Vergötterungstrieb des Geistes mich durchschauert. Ich kann's nicht erzeugen, das Göttliche, so sag ich Dir, und doch – es ist mir gewiß, daß ich es inbrünstig liebe und es auch im einfachsten Keim erkenne, aber ich selbst werd nicht Lieb erzeugen so wenig als ein Gedicht, ich fühl's, und es liegt auch ein geheimer Widerspruch in mir, daß ich nicht gestört sein will in der inneren Werkstätte meines Geistes, durch Gegenliebe.
Es begegnet mir aber nichts oder wenig in der Menschenwelt, was einfach genug ist,
was ganz reiner Lebenstrieb ist, – was mich rührt, wie der Grashalm, – die
frischen Spitzen der Saat, ein Vogelnest mit Treue gebaut, das Blau des Himmels! –
Das alles ergreift mich, als ob's menschlich wär, und inniger wie das Menschliche,
und die Entzückungen, die es mir erregt, von der Natur berührt zu sein, sind, als
ob es eine mich mitfühlende Gewalt
Es wird Dichtung meiner Natur sein, daß ich so liebe; – aufnehmend, hingebend, aber nicht aufgenommen werdend. – Drum! Es ist die Liebe, die dichtet den Menschengeist, und des Gedichtes Inhalt ist Liebe ohne Gegenliebe – die höchste elektrische Kraft! – Geistestrieb! – – Der meinige! – –
Vielleicht sind Naturen Gedichtkeime, sie sollen ohne Fehl sich entwickeln, und ist das ihr einziger Beruf. Ich wollt, ich sproßt aus einem großen Dichtergeist, der allerhaben fühlt und menschlich doch auch; – keine üppige schwärmende Aufregung, nein süße Naturkraft, selbstbewußte – gefühlige, – die aus Innigkeit mich erzeugte, – aus beglückendem Reiz des Frühlingslichts! Ja, ich wollt, ich wär kein schlecht Gedicht. Gedrängter quellet Zwillingsbeeren und reifet schneller und glänzend voller! Euch brütet der Mutter Sonne Scheideblick, euch umsäuselt des holden Himmels fruchtende Fülle; euch kühlet des Mondes freundlicher Zauberhauch, und euch betauen – ach, – aus diesen Augen, – der ewig belebenden Liebe vollschwellende Tränen. – Dies Gedicht, ist mir's doch, als sei ich es! So reifend unter den Berührungen der Natur und unter den Tränen des Dichters. Und wie oft hab ich in der Singezeit dies Lied gesungen und mich ganz drin gefühlt, die wachsende Beere, die der Tau der Liebesträne nährt, der nicht ihr geflossen ist.
Montag
Gestern waren wir in der Elisabetherkirch, der Reif um den Turmknopf war von der
Sonn zum Diamant umgeschmolzen, in allen kleinen Rosetten hingen Diamanttropfen;
und der Kreis von Rosen, der um die Pforten in Stein sehr fein gemeißelt ist, war
ein Diamantkranz! Die Kirch sah aus wie im Brautschmuck. Auf dem Kirchhof spielten
die Wipfel im spiegelnden Geschmeide. Die Kirch, von der Wintersonne außen so
herrlich geschmückt, war so still innen, so einsam helldunkel, und der Teppich,
von den heiligen Händen der Elisabeth gewebt, lag vor dem Altar, erblaßt von
Farben ohne Prunk, nicht dem Aug erfreulich, nur die Seele rührend; und da sah ich
mich um, daß nur ein blinder Mann an der Tür saß, sonst war die Kirch leer. Da
fühlt ich mich elektrisch berührt, wie's der Geist der Poesie mir tut.
»Herbstgefühl?« Ja – sollt ich meinen Erzeuger nicht lieben? – Die ich im Tau
seiner heißen Tränen mich wachsend fühl! – Es beredet mich in der Einsamkeit der
Geist der Poesie, wenn der Mond mich anhaucht da oben in den Nächten, und die Luft
spielt um mich, dann fühl ich den Dichter über mir, der um Gedeihen für mich fleht
zu ihnen, und gibt die vollschwellende Träne hinzu. Nur den Zwillingsbeeren, die
frisch und kindlich zu ihm aufstreben, keinem andern schenkt er der ewig
belebenden Liebe Tau, so kann ich ja nichts anders sein wollen als die herbe
Traube, die milde reift von seinen Feuertränen; ich hab mir's einmal so gesagt und
Es ist ein großer Unterschied zwischen den Geistern der Poesie. Manches ist die
Natur selbst, die mit deutlichen sinnlichen Worten mich anredet, manches ist vom
Genius nach allen Richtungen geprüfter Geist, der in der Unsterblichkeit einfachem
Stil die Seele beruft, daß sie den Göttern den Herd weihe und nur immer des
Göttlichen gedenke – der Genius bleibend werd ein ihr – in großen Gestalten heilig
kühner Gedanken. Und so sind viele Bewegungen im Geist gar verschieden, als könne
die Poesie die Seelen rühren wie Saiten, die erbrausen im Feuer, – und wieder
still und schüchtern aufblühen wie Keime, die sich umsehen im Lebenslicht, neu
geboren, nicht begreifend dies Leben, aber zum Leben vereint. Wenn ich Dir dies
sagen könnt, was mich ohnmächtig macht, daß ich schüchtern werd und mich wehre
gegen den Eindruck, als müsse ich ihm mein Ohr versagen, und ihm doch heimlich
lausche, weil's mich hinreißt, und weiß nicht, ob's der Klang ist oder der Inhalt,
und wie beide wechselnd mich bewältigen und wie ich – ja ich will Dir's sagen: –
ein göttlich persönlicher Geist dringt auf mich ein, den ich lieben will, lieben
muß im Gedicht, daß ich herzzerrissen bin von großer Wehmut. – Nein mehr! – Tiefer
geht's: – daß ich ausbrechen muß in ein schmerzlich Ach. – Und wenn ich's nicht
fühlte, dies Geistige, Persönliche in der Dichtung – über mir schwebend, wie
beglückt über seinen Triumph, ich glaub, ich müßte wie wahnsinnig ihm nachirren –
aufsuchen und nicht finden – und wiederkommen und mich besinnen und vergehen dran;
und das ist der Goethe, der so wie Blitze in mich schleudert und wieder heilend
mich anblickt, als tuen ihm meine Schmerzen leid, und hüllt meine Seele in weiche
Windeln wieder, aus denen sie sich losgerissen, daß sie sich Ruhe erschlummere und
wachse, schlummernd – im Nachtglanz, in der Sonne; und die Luft, die mich wiegt,
denen vertraut er mich, und ich mag mich nicht anders mehr empfinden zu ihm als in
diesem Gedicht, das ist meine Wiege, wo ich mich seiner Teilnahme, seiner Sorge
nah fühle und seine Tränen der Liebe auffang und mich wachsend fühle. – Du hast
gesagt, wir wollen ihn sehen den Großen, Wolkenteilenden, Ätherdurchglänzenden,
und ich hab gesagt, ja wir wollen ihn sehen! – Aber wie ich's gesagt hatte, aus
Liebe und Mitfühlen mit Dir, da wurd ich eifersüchtig und weinte zu Haus in der
Einsamkeit bittere Tränen, weil ich's gesagt hatte: wir wollen ihn sehen! – Und
das kommt daher, weil er so lange schon mächtig mir die Seele besaitet hat und
dann hineingreift, sturmaufregend, und mich sanft wieder einlullt wie ein Kind, –
und ich bin gern das Kind, auf dem sein Blick befriedigt weilt. Und wär ich nicht
genährt von der Natur und wie es aus tiefster Brust ihm hervorquillt! – wie könnt
ich sein, wie ich bin? – Und weiter will ich doch nichts sein. Und ich weiß gewiß,
und nicht alle sind geeignet wie ich, daß der Geist persönlich aus der Dichtung
hervor über mir walte und mich reife in seiner geheimsten Seelentiefe
vollschwellendem Übermaß. Aber sag Du! Wie könnt ich atmen und
Du sagst selbst, wo kein Wunsch uns hinzieht, das ist für uns verloren, und man hält wohl für unmöglich, was nur des Begehrens bedürfte, um wirklich zu sein, und seit Du es mir gesagt hast – und Du sagst, Harmonie der Kräfte ist Verbindung – so hab ich mir's denn getraut, weil ich ihn liebe, so nehm ich alles willig hin, Schmerz und Entzücken; – denn es ist immerdar Entzücken, ihn empfinden! – Denn er schenkt mir's ihn zu fühlen, wie er aus seiner Dichtung Blüte mich anhaucht, das will er, das beglückt ihn, – daß ich erschüttert bin, das begeistert den Dichtergeist, und andre kennen nur die verschloßne Knospe, mir aber öffnet sich die Blüte, und das nimmt mich weg! – Drum bin ich ihm allein und er mir allein! – Und die ganze Welt mag sich seiner teilhaftig meinen, ich weiß, daß es anders ist, und muß drauf beharren, denn sonst verzehrt mich die Eifersucht. – Und Du hast gesagt, »das Aufheben dessen, was eigentlich diese Harmonie ausmachte, müsse auch notwendig diese Verbindung aufheben.« Das wird mir nicht geschehen. Du sagst, »das Geräusch der Welt, das Getreib der Geschäfte, die Gewohnheit, nur die Oberfläche zu berühren, die lassen dieses tiefste und feinste Seelenorgan nicht zur Ausbildung kommen.« – Was spricht mich denn an in dem Geliebten? – Fühl ich denn nicht das Große und Gewaltige, was viel höher ist als ich selber? – Ja, was mir höher oft vorkommt als der Geliebte selbst; und ist es nicht dies, dem ich nachgeh? – Und erscheint dieses Gewaltige mir nicht auch ganz allein außer ihm? – Und ist das nicht die Erinnerung an ihn und zugleich auch noch jene höhere Erscheinung, von der Du sagst, daß sie sich durch die Harmonie mit ihr offenbare? – und kann ich ihm untreu sein in dieser, wenn ich mich der hingebe? – Und ist es nicht immer dasselbe, was Begeistrung zu erregen vermag? – Ach nein! Man kann in der Liebe nicht untreu sein, nur außer ihr. – Ich fühl's an der Heiterkeit, die mich beflügelt, daß in der Begeistrung keine Untreue ist. – Ich weiß von keiner Untreue und glaube oft, ich versündige mich an was ich liebe, wenn ich nicht alles liebe. Es sind Dinge (Naturen, Geister), die muß ich lieben, weil sie mich nähren, wie die Pflanze vom Licht, vom Wasser, von Erde und Luft sich nährt. Alles, was mich begeistert, ist mir der Sonne Strahl.
Wenn die Sonne eine Blume durchglüht, da fühlt man wohl, daß sie die herablassende ist, und daß die Blume von ihr mit heißer Leidenschaft zehrt. Wer wollte das nicht Liebe nennen, und ob die Sonne Gegenliebe genießt, wer weiß das? – Ja, wer weiß, ob die Blume ihr wieder gibt? – Du weißt wohl, wenn die Sonne recht heiß brennt, dann duftet keine Blume, aber abends, wenn sie scheidet, dann duften ihr alle Blumen nach, und morgens, wenn sie kommt, dann duften ihr alle entgegen. – Ob das bis zu ihr hinaufsteige?
Die Sonne hat einen heißen Schein, mit dem sie brennt, so hat der Geist auch ein heißes Licht, das brennt, wohin es leuchtet.
So kam heut einer nach dem andern zum Beichtstuhl geschlichen in der Kirche, und der Pater, der Beicht saß, guckte mich an, ob ich nicht auch kommen wollt? – Und aus Blödigkeit geh ich in den Beichtstuhl und beicht, daß ich mich immer verwundern müsse, warum die heiligen drei Könige das göttliche Kind nicht in ihren Schutz genommen haben, sondern haben es im Stall liegen lassen und wären doch überzeugt gewesen, es sei Gottes Sohn, da noch obendrein ein Stern sich am Firmament aufgemacht, um sie hin zu geleiten, sie hätten das Kind sollen mitnehmen in ihr Land. Und doch wären sie weiter gezogen, das käme mir nicht vor, als wenn sie heilig wären, sondern zerstreute Weltleute; der Beichtvater sagte: »So ist der Weltlauf, sie haben ihre Geschäfte gehabt wie heutzutag auch. – Aber«, sagte er, »das braucht man nicht zu beichten, das sind Sünden wie für die Katz vom Tellerchen zusammengekratzt, da gibt Gott keinen roten Heller davor. – Da bet sie ein halb Vaterunser zur Buß, oder meinetwegen ein viertel.« – Und wie ich aus der Kirche kam in die frische Luft, da war's schon drei Uhr vorbei, die Sonne wollt schon bald untergehen. Da kam ich auf den Turm und besann mich, daß ich Dir wollt alles beichten, wie ich Eifersucht gegen Dich gehabt, und hatte Dir nicht wollen gönnen, daß Du mit mir zugleich bei ihm wärst, ich wollt ganz allein mit ihm sein. Aber jetzt bin ich dieser Sünde los, und im Denken teilt sich alles Böse wie Nebel vor den Augen, daß man sieht, es war nur Wahn; alles, was nicht Großmut ist, das ist nur Wahn. Denn ich mein, der Dichter ist meine Sonne, so bist Du die Luft, die das Böse um mich her verweht und meinen Geist aufsteigen lehrt. Wie kann ich ohne Dich bestehen vor ihm! – So mag wohl jeder Menschengeist von Elementen genährt werden, die einer dem andern sein muß, und merk Dir's, daß Du meine Luft bist, ohne die ich nicht aufatmen kann auch nur einmal.
Bettine
Dem Clemens hab ich geschrieben, einen langen Brief, und ihm auch von Dir gesagt, daß Du ihm gut bist, und daß ich Dir lange Briefe schreibe, auf die Du nur kurz oder auch wohl gar nicht antwortest. Ich hab ihm erzählt, ich spreche zu Dir, wie zum Widerhall, um mich zu fühlen, zu hören, und lege meinen Gedanken und Einbildungen keinen Zaum an; und daß es sei, als ob ein guter Genius diese Briefe hervorbringe; – so antwortet er: »Um deine Briefe ist die Günderode zu beneiden, wenn sie das sind, was dein Genius hervorbringt, wenn sie aber so wenig antwortet, so ist das gar wunderlich, entweder ist nichts zu antworten oder alles schon abgetan.« –
Heute schreibt er mir den langen Brief über Dich, ich hab doch recht, er hat Dich lieb und hat Dich nicht wollen beleidigen, und seine Seelen alle sind doch nur eine gute, denn bist Du ein Kind, so ist er es auch zu Dir; aber Kinder lassen sich nicht drauf ein, empfindlich zu sein, sie sind gleich wieder gut und lassen den Strom vom Ufer wegspülen die Spielzeuge, die sie einander zerbrochen haben, und erfinden sich neue, ergötzlichere. Lese den Brief nicht mit Vorurteilen und denk, daß es neckende Stimmen sind in ihm von Kobolden, die ihm oft selber einen Streich spielen, aber die Seele – die eine, gütige, die sie umschwärmen, die ist doch nur ein Kind wie Du, und was ein freier himmelanstrebender Geist nicht in noch höherem Sinn nimmt als er selber ist, das ist für ihn kleinlich, und was kleinlich ist, das muß man gar nicht annehmen, sonst lernt man die Wahrheit nicht begreifen. – Und ich denk: von allen Geschichten des Herzens und der Seele Berührungen geben wir den Leitfaden der Gottheit in die Hand, die leitet immer zum richtigen unmittelbaren Verstehen. – Und wenn Du mißverstanden wirst, so sieh doch nur den Gott selber an in der Liebe, gegen den kannst Du alles wagen, denn der muß Dich verstehen. –
Ich geb Dir Lehren, Günderode, die Dir nicht fremd sind, besinn Dich, auf dem
Rhein, wie wir unsren Briefwechsel besprachen, da sagtest Du, es sei eine Seele,
die uns mit Liebe an sich ziehe, in jedem Verhältnis, es müsse eine Zeitigung
erlangen in uns, sonst sei es Untreue, Mord, Ersticken eines göttlichen Keims. –
Und wo eine Anziehungskraft sei, da sei auch eine Strebekraft und wir sollten ihre
Empfindung festhalten, dadurch allein könne die Seele wachsen, jede Berührung mit
des andern Geist sei bloß Seelenwachstum, so wie alles Reizerweckende bloß sei wie
das Erwecken und Entfalten des Pflanzenlebens. – Der Menschengeist bereite sich
auf die jüngste Stufe der Natur, auf die der Pflanze, während der Leib auf der
letzten stehe, auf der des Tieres, der Leib ersterbe, aber im Geisterreich sei des
Geistes erste Metamorphose die Pflanzenwelt. – Du meintest da, ich sei zerstreut
und höre auf die Waldhörner am Ufer, nun hörst Du, daß ich doppelte Ohren hab, und
daß ich alles nicht allein für mich gehört hab, sondern auch für Dich, denn Du
hast es vielleicht schon vergessen. – Du sagtest, Du liebst Dich selbst in mir; so
lieb Dich doch auch
Entlasse ihn nicht, liebe Günderode, kämpf Dich mit ihm durch, der die Idee in sich trägt, die Du ihm zumutest, und die so hoch ist, daß er hinter ihr zurückbleibt; denn die andern tragen gar keine Idee in sich, und bleiben nicht zurück und kommen nicht vorwärts. –
Da hab ich mich so vertieft in Gedanken, daß ich einschlief, es geschieht mir so oft, daß ich einschlafen muß im besten Denken, wenn ich eben empfind, als wolle ein tieferer Geist in mir wach werden, wo ich höchlich gespannt bin zu erfahren, was sich in mir erdichten will, und statt daß es in mir erwacht, so muß ich drüber einschlafen, als ob eine idealische Natur mir nicht wolle wissen lassen, wie sie in mir denkt und empfindet. Es ist ein Zauberer in uns, der sieht uns streben nach seinem Wissen, der macht all mein Streben zunichte, wenn ich nah bin und die Offenbarung schon durchschimmern seh, so schläfert er mich ein. – Ich lese jetzt zum zweitenmal den »Wilhelm Meister«, als ich ihn zum erstenmal las, hatte mein Leben Mignons Tod noch nicht erreicht, ich liebte mit ihr, wie ihr, waren die andern in der Geschichte des Buchs mir gleichgültig, mich ergriff alles, was die Treue ihrer Liebe anging, nur in den Tod konnt ich ihr nicht folgen. – Jetzt fühl ich, daß ich weit über diesen Tod hinaus ins Leben gerückt bin, aber auch um vieles unbestimmter bin ich, schon so früh drückt mich mein Alter, wenn ich hier dran denke. – Ich hab mit ihr empfunden, ich bin mit ihr gestorben damals, und jetzt hab ich's überlebt, und sehe auf meinen Tod herab.
Gewiß stirbt der Mensch mehr wie einmal, mit dem Freund, der ihn verläßt, muß er
sterben, und wenn ich mit jenem Kind leiden und sterben
Ich hab auch jetzt schon lange wieder nichts von Dir gehört, auf den Clausner kann ich mich nicht verlassen, von Dir will ich keine Briefe fordern, Du hast viel zu denken, und vielleicht Deine Augen sind leidend, aber doch bin ich immer voll Sorgen, wenn ich an dem Tag keine Briefe von Dir hab, wo ich mir's in Kopf gesetzt hab; dann steigert sich's bis zur Angst, wenn noch ein Posttag vergeht, und dann hilft mir's nur, wenn ich in der Sternennacht auf der Warte an Dich denke, da trau ich's meinem Geist seinem mächtigen Willen zu, daß er Dich schütze. Die Nächte war so tiefer Schnee gefallen, daß ich mir erst am Tag einen kleinen Pfad zum Turm schaufeln mußte, denn so lang ich vermag, wird mich nichts abhalten, daß ich da hinaufgeh und in Gedanken zu Dir dringe und für Dich bet, bis ich wieder bei Dir bin. – Im Rheingau hast Du mir auch geschrieben, nur kurz, weil Du Augenweh hattest, aber ich las doch in den zwei Zeilen, wie Du gestimmt warst, zutunlich. –
Deine Briefe haben mir viele Freude gemacht, zweifle nicht daran, liebe Bettine, weil ich Dir selbst so sparsam geschrieben habe, aber Du weißt, viel denken und oft schreiben ist bei mir gar sehr zweierlei; auch hab ich die Zeit schrecklich viel Kopfweh gehabt.
Du schreibst mir gar nichts von Gundel und Savigny, tue es doch.
Ich stelle mir Eure Lebensart recht still, vertraulich und heimlich vor. – Aber
ich fürchte nur, Du kommst wieder zu gar nichts. – Dem Clausner hast Du
geschrieben, Du treibst Mathematik mit einem alten Juden, und vielleicht werdest
Du auch Hebräisch lernen, Du habest schon einen Teil vom Abc inne – mit der
Geschichte treibst Du Dich herum wie ein Kätzchen mit einem Spielball, der am
Faden hängt; Du wirfst ihn hin und her, solang es Dich ergötzt, und dann läßt Du
ihn müßig liegen, was Du über Musik vorbringst, ist lauter Larifari, meinst Du,
wenn etwas schlecht gelingt und sich gegen den Geist sträubt, das sei ein Zeichen,
daß man es aufgeben solle? – Da bin ich grade der entgegengesetzten Meinung, und
wenn auch etwas Dir trivial erscheint, so ist deswegen die Sache es gar nicht,
sondern Dein Begriff ist nicht gelichtet, an was willst Du Deine Kräfte üben, wenn
nicht an dem, was Dir noch schwer dünkt? – Ich glaube, so manches, was Du Dir
jetzt fremd glaubst, würde seine innere Verwandtschaft zu Dir geltend machen. – Du
hast Wissenstrieb ohne Beständigkeit, Du willst aber alles zu gleicher Zeit
wissen, und so weißt Du keinem Dich ganz hinzugeben und setzest nichts recht
durch, das hat mir immer leid an
Vom Clemens weiß ich nicht, ob ich wohltun würde, ihm so nachzugehen, wie Du es meinst, es läßt sich da nicht einbiegen und ihm in den Weg treten, um ihm zu begegnen, wo ich ihn aber begegnen werde, da sei überzeugt, daß es nur friedliche und herzliche Gesinnung sein wird, ich bin weit entfernt, ihn aufzugeben, er steht mir vielmehr zu hoch für meine Kräfte, die nicht an ihn reichen. Mein Tadel ist, daß er diese hohen Anlagen alle vergeude, aber ich glaube Dir, daß dies kleinlich von mir ist, und hab mich auch schon gebessert.
Ich weiß nicht, ob ich so reden würde, wie er meinen Brief in dem seinigen reden läßt; aber es kommt mir sonderbar vor, daß ich zuhöre, wie ich spreche, und meine eignen Worte kommen mir fast fremder vor als fremde. – Auch die wahrsten Briefe sind meiner Ansicht nach nur Leichen, sie bezeichnen ein ihnen einwohnend gewesenes Leben, und ob sie gleich dem Lebendigen ähnlich sehen, so ist doch der Moment ihres Lebens schon dahin; deswegen kommt es mir vor, wenn ich lese, was ich vor einiger Zeit geschrieben habe, als sähe ich mich im Sarg liegen, und meine beiden Ichs starren sich ganz verwundert an.
Mein Zutrauen war freilich kein liebenswürdiges Kind, es wußte sich nicht beliebt zu machen, nichts Schönes zu erzählen, dabei flüsterten ihm die Umstehenden immer zu: »Kind sei klug! gehe nicht weiter vorwärts, der Clemens wird Dir plötzlich einen Streich spielen und Dir die Schuld geben, daß er Dich nicht mehr ausstehen könne.« Da wurde das Kind verwirrt und ungeschickt, es wußte nicht recht, wie man klug sei, und schwankte hin und her, darf man ihm das so übelnehmen? – Aber eigensinnig ist das Kind nicht. Wenn es im Hause freundlich und gut aufgenommen wird, kehrt es sicher lieber um, als daß es länger auf der Straße verweile.
So kannst Du dem Clemens über mich berichten, auch daß seine Scherze über meine Art zu schreiben und die ungefügen Worte, die ich gebrauche, mich nicht verdrießen, ich muß mich bei dieser Stelle seines Briefs immer auslachen und werde das Wort Ratschläge gar nicht mehr gebrauchen können, überdem erinnert es mich auch noch an Purzelbäume. –
Ich kenne wenig Menschen und vielleicht niemand ganz genau, denn ich bin sehr
ungeschickt, andre zu beobachten. – Wenn ich daher einen Moment verstehe in ihm,
so kann ich von diesem nicht auf alle übrigen
Caroline
Ich lese Deinen Brief und den meinen und erkenne, wie verschieden unsre Stimmungen sind, aber ich fürchte nicht, daß Du an mir zweifelst, oder mein Übergehen unrichtig auslegest; was soll man dazusetzen oder einfallen wollen, wo sich etwas frei und wahr ergibt wie Deine Mitteilungen, aber das, was Du übergehst, das muß ich berühren. Du kommst mir vor wie ein Eroberer, der alle Waffen verschmäht aus Heldenmut, der alles verachtet, was ihn schützen, verteidigen könnte, und jede Waffe, die er zum Erobern bedarf; ja, ich glaub, das Hemd möchtest Du abwerfen. Doch sind Wissen, Begreifen, Lernen nicht allein die Armaturen des Geistes, sie sind vielmehr seine Glieder, mit denen er sich wehrt, und sich aneignet, was seinem Genie zukommt. Bedenk's alles und neige meinen Lehren ein herablassend Gehör. –
Deine Beichte hab ich mit Sanktion angehört und erteile Dir Absolution und verspreche Dir, auch Dich zu begleiten, wenn Du deinen Erzeuger aufsuchst. Ich werde wohl nicht die erste Rolle übernehmen müssen bei dieser Überraschung langgehegten Begehrens. –
Schreibe mir ein bißchen ordentlich über das Chaos Deiner Verwirrungen.
Die Frankfurter haben mir geschrieben und haben mich schon ausgepelzt mit allerlei
verwunderlichen Prophezeiungen. – Erstens: ich soll mir häusliche Tugenden
angewöhnen. Zweitens: wo ich einen Mann hernehmen will, wenn ich Hebräisch lern? –
So was ekelt einem Mann, schreibt der lieb, gut Engels-Franz, als wie die
spartanische Suppe; an einen solchen Herd wird sich keiner niederlassen wollen und
eine Schüssel Mathematik, von einem alten schwarzen Juden assaisonniert, sei auch
nicht appetitlich, darauf soll ich mir keine Gäste einladen, und der Generalbaß
als Dessert, das sei so gut, wie eingemachter Teufels-Dr. – Das wär eine schöne
häusliche Tafel usw. und man spotte meiner allgemein, daß die Lulu eher geheiratet
habe, und dann meint er ganz gutherzig, daß, wenn ich ebensoviel häusliche
Tugenden geäußert hätte, ich gewiß auch einen Mann bekommen haben würde. – Ich
schrieb ihm, er soll nur immer mitspotten, denn es sei jetzt nicht mehr Zeit mich
zu ändern; und der ganz Jud sei nur in meine Tagsordnung einrangiert, um mich vor
dem Mottenfraß der Häuslichkeit zu bewahren, und ich hätt gemerkt, daß man
Dem Clemens hab ich alles übermacht. – Deine eigne Sorge um meine Ausschweifungen
im Lernen, die lasse sich legen. Der Wind zaust mich und schüttelt mir alles aus
dem Kopf. – Wenn Du meinst, ich könnt was dafür, daß ich nichts kann, da tust Du
mir unrecht. Es ist nicht möglich, meine Lerngedanken zusammenzubringen, sie
hüpfen wie die Frösche auf einem grünen Anger herum. Meinst Du, ich mach mir keine
Vorwürfe? – Meinst Du, ich raffel mich nicht alle Tage zusammen? – mit dem festen
Vorsatz es durchzunehmen, bis es mir ganz geläufig ist? – Aber weißt Du, was mich
zerstreut? – Daß ich's allemal schon weiß, noch eh es der Lehrer mir ganz
auseinandergesetzt hat, nun muß ich warten, bis er fertiggekaut hat, da nehmen
unterdes meine Gedanken Reißaus, und dann ist es nachher nicht, daß ich es nicht
gelernt hab, sondern ich hab's nur gar nicht gehört, was er gesagt hat; mit dem
Hofmann in Offenbach war's eine andre Sach, er lehrte so problematisch, er ließ
mir hundert interessante Fragen, die er freilich oft unbeantwortet ließ, die oft
zu ganz fremden Dingen führten, aber dies regte mich an, immer darauf
zurückzukehren. Ich will mich damit nicht entschuldigen, ich weiß, daß es ein
Fehler, eine Schwäche, eine Krankheit ist; ich geb's auch nicht auf, sie zu
bekämpfen, und sollt ich bis an meines Lebens End damit zu tun haben, ich geb's
nicht auf, das fort zu lernen, was mir einmal Begierde, ja ich kann wohl sagen,
Leidenschaft erregt hat. – Generalbaß! – Wenn Du ahnen könntest, welches Ideal mir
in diesem Wort vor den Sinnen schwebt, und welchen alten Manschettenkerl mir die
Lehrer vorführen und behaupten, das sei er, Du würdest mich bedauern, daß ich den
Genius unter dieser Gestalt sollte wieder erkennen müssen. Nein, er ist es nicht.
Die ganze Welt ist eben Philistertum, so haben sie nicht eher geruht, bis sie auch
das Wissen dahingezerrt haben. Wär es frei behandelt mit Genie, dann wär sein
Beginnen kindlich, nicht aberwitzig mit lauter Gebot und Verbot, die sich nicht
legitimieren: Das darfst Du nicht, das mußt Du – warum? – weil's die Regel ist. –
Nun aber! – ich fühl's, das soll mich nicht abhalten, und ich werde tun nach
Kräften, und das andre wird der Gott meinen mangelnden Kräften zugut halten, und
auch mußt Du etwas auf einen bestimmten Naturtrieb rechnen, der mich mit Gewalt zu
andern Gedanken reizt, einen Vorteil hab ich davon, meine großen Anlagen werden
jetzt sehr in Zweifel gezogen oder vielmehr mir gänzlich abgeleugnet, und meine
Genialität gilt für Hoffart, und mein Charakter für einen Schußbartel, dem man
alle Dummheiten zutrauen kann, ohne ihm eine zum Vorwurf machen zu können. Da fühl
ich mich sehr bequem in meiner Haut, und es ist mir noch einmal so behaglich unter
den Menschen;
Du fragst nach Savigny. Der ist eben wie immer. Die höchste Güte leuchtet aus ihm,
die höchste Großmut, die größte Nachsicht, die reinste Absicht in allem, das
edelste Vertrauen zu dem Willen und Respekt vor der individuellen Natur. Nein, ich
glaub nicht, daß es ein edleres Verhältnismaß gibt. Das stört mich also gar nicht,
daß er mich hundertmal hoffärtig nennt, und daß er über meine Albernheiten lacht,
und daß er mir noch größere zutraut, und daß er keinen Glauben an meinen gesunden
Menschenverstand hat, er tut das alles mit so liebenswürdiger Ironie, er ist so
gutmütig dabei, so willenlos einem zu stören, so verzeihend; ei, ich wüßt nicht,
wie ich mir's besser wünschen könnte, als so angenehm verbannt zu sein, und ich
komme mir vor wie ein Schauspieler, der sich unter einem Charakter beliebt gemacht
hat, und der diesen nun immer beibehält, weil er sich selbst drin gefällt. Der
Clemens klagt zwar und meint, er habe immer keine Antwort von ihm erhalten auf all
sein Vertrauen und habe sich immer zurückgestoßen gefühlt – und der Savigny ließe
gleichsam das Tretrad der Studiermaschine so lang aus Höflichkeit stehen, bis
einer ausgeredet habe, er habe sich oft geärgert, daß, wenn er zu ihm ins Zimmer
kam, um ihm was warm mitzuteilen, so habe er keine Antwort, nur Gehör erlangt, und
kaum sei er draus gewesen, so rumpelte die Studiermaschine wieder im alten Gleis.
– Da hat aber der Clemens unrecht. Erstens ist Savignys Anteil am Leben außer
seiner wissenschaftlichen Sphäre nur ein geliehener, und vielleicht bloß gutmütig;
und dann ist es ein Irrtum vom Clemens, der meint, er müsse ihm Mitteilungen
machen, da er sie ihm nicht honoriert, oder sich ihm mitteilen will, wo Savigny
einer anderen Ansicht über ihn zugetan ist. – Mir fällt's gar nicht ein, ihm etwas
der Art sagen zu wollen, mir ist's ganz recht, daß er mir die Fehler und
Albernheiten, die in mir nun einmal vorausgesetzt werden, noch als erträglich
anrechnet. – »Was willst du wieder für eine Dummheit vorbringen,« sagen sie oft,
oder: »Ich bitt dich, schwätz nicht so extravagant,« oder: »Wie kannst du denn so
was sagen, die Leute verstehn dich nicht.« – Und es fallen mir dann auch immer die
Extravaganzen ein, und ich sag sie immer nur, um's zu hören, wie ich ausgezankt
werd. – Da siehst Du also, es geht mir pläsierlich; und eifersüchtig darfst Du
nicht sein, kein Mensch teilt dies Vertrauen, dies tiefere zu Dir, – drum aber,
bin ich auch eifersüchtig auf Dich und oft auch bang, denn nicht allein die
Menschen sind mir im Weg, ich fürchte auch jeden Zufall, jede Laune
Mein Lehrer in der Mathematik ist mein alter Herbstjud. Morgens an meiner Tür in
einem schwarzen Kleid, weißem Kragen und der Bart spiegelglatt, stand er an meiner
Tür und fragte um Erlaubnis, mich zu besuchen, ich freute mich über ihn, er sieht
soviel edler aus als die andern Menschen, mit denen man täglich verkehrt, die man
in großen Versammlungen sieht; ich hab im Schauspielhaus mich oft vergeblich nach
einem erhabnen Gesicht umgesehen. Er setzte sich auch gleich in anständiger
Bequemlichkeit an den Tisch, den Arm drauf legend, merkte meine Verwundrung über
seine Angenehmheit, lächelte mich an und sah aus wie ein Fürst, – ich fragte: »Wo
sind Sie denn so lang gewesen?« – »Nun!« sagte er, »was reden Sie doch so fremd,
bin ich nicht noch der Alte? – heiß ich nicht mehr: Lieber Jud?« – Ich mußt ihm
die Hand reichen, ich sagte, ja! – Hättest Du nur die ironische Miene gesehen in
dem erhabnen Gesicht und das milde herablassende Lächeln zu mir; – er sagte:
»Nicht aus jedem Mund gefällt einem das Ihr oder Du, mit dem der Jude sich muß
anreden lassen, aber Ihrem lasse ich's nicht gern abgewöhnen.« – Dir hätte der
Mann so viel Freud gemacht, Günderod, er erzählte nur Gewöhnliches aus seinem
Leben, von seinen siebzehn Enkeln, wie die sich gefreut haben, ihn wieder zu
sehen; ich frug nach allen, wie alt sie sind, wie sie aussehen; da sind ihm doch
die fünf, die Vater und Mutter verloren haben, die liebsten, von denen sagte er:
»Der älteste, der gleicht mir, man erkennt ihn schon von weitem für meinen Enkel –
und der zweite? – Der schlägt ganz nach mir, der hat für nichts Sinn wie für die
Mathematik und hält sich so apart.« – »Wie ist denn der dritte, gleicht der Euch
auch?« – »Der ist noch ein klein Jüngelchen, aber er verleugnet den Großvater
nicht, und die Töchter sind schon so hilfreich, die eine ist dreizehn und die
andre elf Jahr, aber sie sorgen fürs Haus und für die Kleidung.« – Das waren alles
gewöhnliche Reden, aber wie erfüllt von Herzlichkeit – ganz wie die Natur, mit
Enthusiasmus Sorg und Plage tragend. – Er war früher bloß Lehrer der Mathematik
und lehrte in Gießen, in Marburg die Studenten, und in der Ferienzeit ging er nach
Haus zu den Seinen. – Zwei Söhne und eine Tochter verheiratet; seine Tochter
starb, nachdem sie ihren Mann begraben hatte, den sie sehr liebte, und ließ die
fünf Kinder zurück. – Der alte Ephraim konnt keinen andern Erwerbszweig ergreifen,
sie zu ernähren, als an den er von Jugend gewohnt war, der seine Leidenschaft ist
– worüber er so manches Schmerzliche hat vergessen, sagte er, – so ist er denn auf
dem Heimweg in den
Adieu
Bettine
Noch eins setz ich hier hin: alles, was Dir geschieht, soll Dein Geistesleben befördern, – so, auf die Weise begreif meinen Umgang mit dem Juden.
Ein mathematischer Vergleich vom Jud: Begeisterung ist ein Reich des Seins, das
wir zwar aus der Wirklichkeit verbannt haben, aber in dem wir seine Gewißheit
fühlen. – Wie könnte dies Reich nicht wahrhaft sein, da der Geist die Wirklichkeit
verläßt, denn wo soll der Geist leben als in der Begeisterung, da er immer nur
lebt, wenn er begeistert ist. – Aus dieser Schlußfolge legte er mir nun aus, was
er von mir gefaßt wollte wissen – und ich ergriff seine Hand und sagte: »Ach
Ephraim, jetzt weiß ich, wer Ihr seid, Ihr seid der Sokrates.« – »Ich bin der
Sokrates nicht, aber er ist ein Stück von meiner Religion.« – »So?« – sagt ich,
»habt Ihr ihn studiert; wie seid Ihr denn dazu gekommen?« – »Da könnt ich ja wohl
fragen, wie ist ein so junges Töchterchen dazu gekommen, von ihm zu wissen?« –
»Ich hab ihn der Günderode stückweis vorgelesen, aber ich war zerstreut und weiß
nichts von ihm, als nur, daß er solche Schlußfolgen macht wie Ihr.« – »Wer ist die
Günderode?« – »Meine Freundin, der ich alles
»Daß der Leib in sich begeistigt ist – einen Geist in sich habe, erkennen wir darin, daß er sich geheiligt empfindet im Denken. – Ein Denkender, ein geistig Erregter hat einen geheiligten Leib.«
Dies war das letzte von unserem Gespräch, was dazwischen lag, weiß ich nicht mehr; – aber auf dem Turm, in der kalten Winternacht plauderten die Sterne weiter mit mir:
»In der Liebe ist das erste, was wir weihen, der Leib – und dies ist die Wurzel und der Keim der Liebe – und ohne diese Weihe wird keine Liebe bestehen, sie welkt wie eine Blume, die man bricht, aber durch diese Weihe, mit ihr, muß die Liebe bestehen, jede Erkenntnis des Höheren fängt mit dieser Weihe an; wenn der Geist göttlich empfindet, das heiligt den Leib.«
»Jedes Annähern im Geist sucht den Sitz des Geistes im Innersten und das empfindest Du umgeben vom Leib, – wie Du die Tempelhalle geweiht achtest, von der Du weißt, daß inner ihren Mauern die Opferflamme lodert.«
»Der Tempel stellt den eignen Leib dar und des Gottes Lehre den eignen Geist.«
»Den Geist des andern empfinden, so wie der sich selber empfand, als er dachte, das befruchtet den Geist.« –
»Verstehen ist unmittelbares Berühren der Geister, und dies ist Lebendigsein, erzeugt selbständig Leben, und alles andre ist nicht Verstehen, – und der geringste Keim selbständig in der Brust ist Offenbarung.«
»Drum befruchtet das wahre Verstehen den Geist.«
»Fürchte nicht, daß Deine Liebe verloren sei, die Geister tragen sie hin, wo sie wirkt, wo sie erzeugt, wo sie ins Leben eindringt des Geistes. – Und das ist ja der Liebe einziger Bedarf, aufgenommen zu sein; und was nicht ihrer Empfängnis fähig ist, das ist auch nicht der Liebe Gegenstand, drum fürchte nicht, daß die Liebe ihr Ziel nicht fände, alles wahrhafte Leben hat ein Ziel.«
»Also hast Du eine lebendige, aus der Großmut entsprungne Liebe, so verfehlt sie nicht ihr Ziel, denn es liegt in ihr selber, wie der Atem in der Brust liegt.«
»Alle Handlung, die nicht Großmut ist, ist Lüge, ist Scheinleben; alles was nicht Geist ist, ist Lüge – Großmut muß Scheinleben in wahres Leben verwandeln.«
»Was ist Großmut? – Geist? – Denken, Handeln und Fühlen zugleich. – Großmut muß aus dem tiefsten Geist sich entwickeln – Geist umfaßt alles, jede Regung fließt aus ihm. Je mehr Du Geist ausströmst, je mehr strömt er Dir zu.«
»Großmut ist recht eigentlich sinnlicher Geistesstrom, alles was die Großmut hemmt, ist geistlos.«
Das waren so die Nachzügler von meinem Gespräch mit dem Juden. Bin ich nicht
glücklich, Günderode, daß mir Gott einen solchen an die Tür geschickt
Wenn ich zu Savigny hinunterkomm, da bin ich immer ganz ausgelassen lustig vor heimlicher Freud, daß ich so einen liebenswürdigen Meister hab, dem ich so von Herzen zugetan bin, ich würde für ihn durchs Feuer laufen, – für Dich auch – ich hab immer die Studenten drum beneidet, wenn ich mir dacht, daß sie so ein Verhältnis zu ihrem Professor haben, daß sie so stolz drauf sind, seine Schüler zu sein, und ihm die Stange zu halten; damit mein ich, daß sie sich ihm widmen mit ihrem ganzen jugendlichen Enthusiasmus. – Es ist nichts Schöneres in der ganzen Welt als dies. Wär ich ein weiser Meister; wenn mir die Studenten aus vollem Herzen ein freudig Lebehoch brächten, wenn sie im Fackelzug anmarschiert kämen, ja, das wär mir am liebsten von allen Ehrenkränzen. – Der Ephraim hat so einen Charakter, der imponieren und die Schüler anziehen muß, wenn der Philosoph wär, was er doch eigentlich ist, so müßten die Schüler mit Leidenschaft an ihm hängen, – er sagt, meine Schüler lieben mich auch, aber die Vorurteile liegen wie unersteigliche Berge zwischen uns. – Savignys fragen als: »Nun, war dein alter Mathematikus bei dir, hast du wieder Judenweisheit studiert? – Bist du heut wieder klüger wie die andre Menschheit, hat dich dein Jud eingeweiht?« – Ich sag ja und lach mit und freu mich, daß ich allein alles weiß von ihm – ich will Dir was sagen, ich hab ihm die Manen vorgelesen und ihn gefragt darüber manches, er hat mit Bleistift drunter geschrieben: »Du solltest Geister rufen und sie sollten deinem Ruf nicht folgen? – das glaub nimmer.«
Wenn ich abends auf den Turm geh, an Tagen, wo er da war, sind die Gedanken, die
mir da oben von den Sternen kommen, immer so übereinstimmend mit seinen Reden, daß
ich manchmal meinen muß, sie hätten's ihm eingegeben für mich. – Solche Gedanken,
die mir lieb sind, schreib ich in ein Buch, um die schönsten draus zu wählen und
Dir zu schreiben; am Tag vorher, als ich vom Turm kam – es war spät, ich war müde
und schrieb eilig, ohne mich zu besinnen, was mir noch im Kopf schwärmte, von da
oben:
»Gott hat den Adam nicht aus dem Paradies verjagt, der Adam ist ihm von selbst entlaufen. Wo könnt ein Engel eine gottgeschaffne Kreatur aus dem Paradies jagen wollen? – Alles Göttliche ist Steigen, was nicht mitsteigen kann, das sinkt.«
»Wo könnte aber das Göttliche aufsteigen, wenn nicht aus dem Ungöttlichen? – Wie könnte das Göttliche vom Ungöttlichen sich sondern wollen? – Nein, es ist recht seine göttliche Natur, sich nicht von ihm zu sondern; es mischt sich mit ihm und reizt es, des Göttlichen inne zu werden, nur Verachtung löst sich ab vom Göttlichen, nur der Tod löst sich ab, und vieles ist der Tod selbst, wodurch die Menschen sich vom Ungöttlichen absondern wollen, – sich des ewigen Lebens teilhaftig machen wollen.« –
»Die Freiheit muß zur Sklavin werden des Sklaven, sie muß sich dem Sklavensinn erobern, wie könnt sie sonst Freiheit sein? – In was kann Freiheit sich aussprechen als im Gebundensein und unterworfen dem göttlichen Trieb, das Ungöttliche göttlich zu machen! – Wer ist mächtig die Ketten zu tragen, wenn nicht die Freiheit? – Und wer kann die ohnmächtigen Sinne beleben als nur das Leben selbst?« –
»Man sagt zwar, das Göttliche vertrage nicht das Ungöttliche, aber es muß alles vertragen können, nur in ewigem Verwandeln in sich besteht das Göttlichsein.«
Das hab ich heut auf dem Turm gelernt, und dann hab ich noch gedacht:
»Wenn du dich im Geist begegnest mit dem, was du liebst, so trete auf im Schmuck deiner Begeistrung, sonst würde es dich nicht erkennen.«
»Daß dich der Geliebte berühre im Geist, kann nur aus Begeistrung geschehen, so kann auch nur Begeistrung zu ihm reden.« –
Als ich den Ephraim begleitet hatte, ging ich gleich auf den Turm, obschon das
nicht gilt, wenn die Sterne noch nicht am Himmel stehen; aber ich mochte nicht
wieder ins Haus, es war mir zu behaglich in freier Luft. Fühlst Du das auch, das
Glücklichsein, bloß weil Du atmest, – wenn Du im Freien gehst und siehst den
unermeßlichen Äther über Dir – daß Du den trinkst, daß Du mit ihm verwandt bist,
so nah, daß alles Leben in Dich strömt von ihm? – Ach, was suchen wir doch noch
nach einem Gegenstand, den wir lieben wollen? – Gewiegt, gereizt, genährt,
begeistigt vom Leben – in seinem Schoß bald, bald auf seinen Flügeln; ist das
nicht Liebe? Ist das ganze Leben nicht Lieben? – Und Du suchst, was Du lieben
kannst? – So lieb doch das Leben wieder, was Dich durchdringt, was ewig mächtig
Dich an sich zieht, aus dem allein alle Seligkeit Dir zuströmt; warum muß es doch
grade dies oder jenes sein, an das Du Dich hingibst? – Nimm doch alles Geliebte
hin als eine Zärtlichkeit, eine Schmeichelei vom Leben selbst, häng mit
Begeistrung am Leben selbst, dessen Liebe Dich geistig macht; – denn daß Du lebst,
das ist die heiße Liebe des Lebens zu Dir; es allein hegt
Ja, so ein Gedanke, Günderode! Einer könnt fragen, ob er nicht Einbildung sei? – Aber mich kümmert's nicht, ob alle es nicht glauben, ich bin mir genug und brauch keine Beglaubigung dazu. Tiefere Wahrheit erkennen ist ja das Leben verstehen – so empfindet man ja, daß große Taten die schönsten Momente des Lebens sind; also ein wirkliches heißes Umarmen mit dem Leben selbst. Solche himmlische Momente, aus denen sich nachher die Gewißheit der Liebe ergibt. – Ja, eine große Tat allein ist Feier der Liebe mit dem Leben, und sind die Menschen nicht lebentrunken, wenn sie groß gehandelt haben, wie der Liebende trunken ist vom Genuß, von der Gewißheit, geliebt zu sein? – Ist das nicht jene Seligkeit, deren jeder andere bar ist, der nicht den Mut hat, der heiligen Inbrunst des Lebens sich liebend hinzugeben, und an der großen Tat vorbeischleicht? – Ja, was ist der innere Genuß solcher Beglückter, als trunken sein von Begeistrung, die zu ihnen strömt als Gegenliebe; denn rein und groß sein im innersten Gewissen, das ist von dem Leben durchdrungen sein. –
Man sagt, die große Tat belohnt sich selbst, oder, er hat den Lohn in der eignen Brust, – und so ist keiner zu ermessen, in dessen Brust dies Verheißen ewiger Inbrunst zwischen Leben und Lebendem diesen Lohn erzeugt. Es ist der einsame tiefverborgne Glücksmoment, der keinen Zeugen hat, der nie sich nachfühlen läßt, den jeder wahrhaft Liebende verschweigt, der ihn über alles Erdenschicksal hebt, und der auch über alles, was in der Welt anerkannt wird, ihn stellt, was ihm das Gepräg des Erhabnen gibt.
Ja, die Großtaten, die leidenschaftlichen Küsse des Lebens lassen einen sichtlichen Eindruck zurück, der sich selbst, ich will's glauben, auf Kinder und Kindeskinder vererbt, denn wo käme der Adel her? – Ist der nicht aus der heiligen Kraft entsprossen, wo das Leben mit seiner Liebe den Geliebten errungen hat? – Dies heimliche innerliche Genießen einer den andern ungekannten Seligkeit? Wo man alles aufgibt, bloß um dem Liebenden – dem Leben zu genügen? – Ja, das muß wohl auch in der Erscheinung – im Leib sich abdrücken; und man könnte darauf kommen, in den Gesichtern alter Geschlechter nachzuspüren, was wohl für eine Art von Begeistrung den Keim zu diesen veredelnden Zügen, zu dieser erhabnen Vornehmheit legte, ob es kühnes Tun, mutiges oder selbstverleugnendes war, was diese Liebesopfer einst vom Ahnen heischten – das ist mir schon bei Arnims Zügen eingefallen –, und ein Mann göttlicher Leidenschaft fürs Leben, der ist ein Gründer des erhabensten Geschlechts, der ist ein Fürst unter den Menschen und sollte er selbst in Lumpen unter den Menschen wandeln, und wer vor diesem Adel nicht Ehrfurcht hat, das ist der Pöbel, der nimmer zum Adel taugt, weil er das verkennt, was sein Ursprung ist, ihn also nicht in sich erzeugen kann, er nenne sich Fürst oder Knecht. – Das war mein Gespräch heut mit den Sternen.
Heute ist der siebente Tag, daß ich meinen ersten Brief abschickte, am Samstag der zweite und heut? – Soll ich diesen schließen und Dir schicken? – Ich mein als, es sei Dir zuviel vielleicht – das wird aber nicht, ich hab Dir's versprochen, Dir alles von da oben zu schreiben, Du hast mich mehrmals dazu aufgefordert, was kann ich davor, daß mir so viel in den Kopf kommt, oder vielmehr in die Feder, denn, wenn ich glaub, mit einer Zeil fertig zu sein, so bring ich die selbst nicht aufs Papier vor so viel hundert andern, die sich dazwischendrängen. So hatt ich gestern im Sinn, wie es doch so dumm ist, wenn man sich über sein eigen Leben wollt besinnen und glauben, es läg schon hinter einem, was doch noch nicht der Anfang ist vom Leben, sondern nur der Grund, die Veranlassung dazu. –
Wenn der deutsche Kaiser gekrönt ist, vom Dom bis zum Römer über eine Bahn von Scharlachtuch geht, so fällt das Volk dicht hinter ihm über das Tuch her und schneidet es unter seinen Tritten ab, zerreißt's in Fetzen und teilt es unter sich, so daß, wenn er auf dem Römer ankommt, so ist nichts mehr von der Scharlachbahn zu sehen. So scheint mir auch aller Lebenseingang wie die rote Kaiserbahn, gleich nach jedem Schritt aufgehoben und nichts sein, bis das Leben Dich wie den Kaiser in so große Verpflichtung nimmt, daß kein Augenblick mehr Dein gehöre, sondern Du ganz im Leben aufgehest, da kannst Du erst Deines Lebens Anfang rechnen, dann aber hebt sich das Sterbenwollen von selbst auf. Alles Leben, was sich mit Dir berührt, hängt von Dir ab, aber Du bist kein abgesondertes Leben mehr, – und wirkliches Leben ist ein Ausströmen in alles, das läßt sich nicht aufheben, – wie's mich verwundert hat, wie Du sagtest, viel lernen und dann sterben, jung sterben! – Es kam mir in den Sinn, als hätt ich wohl meine Zeit sehr vernachlässigt, daß ich nun schon so alt sei und noch gar nichts gelernt, so würd ich wohl das Jungsterben bleiben lassen müssen, oder lieber gar nichts lernen. – Aber die kaiserliche Scharlachbahn! – Ich sag Dir, alles, was Du Dir vom Leben abschneiden kannst, ist bloß das Präludium dazu, und das hebt sich von selbst auf, es ist vielleicht ein idealischer Voranfang; – willst Du mit diesem das Leben aufheben? – Das heißt den Kaiser mit samt dem Tuch zerrissen. – Und doch ist das ganze Leben nur, daß Du eine Ehrenbahn durchwandelst, die Dich wieder ins Ideal ausströmt. Ich fühl's, wie kann man zu was Höherem gelangen, als daß man sich allen Opfern, die das Leben auferlegt, willig hingebe, damit der Wille zum Ideal sich in das Leben selbst verwandle – wie kann man Selbst werden als durch Leben? – Und so muß man auch willig das Alter ertragen wollen, und die ganze Lebensaufgabe muß aufgenommen sein und kein Teil derselben verworfen. – Wenn Du früh sterben willst, wenn Du es unwürdig achtest, weiterzugehen, wirst Du damit nicht jeden schmähen, der seine Lebensbahn nicht aufhob? – Die da mühselig ihre Last tragen, sind die zu schmähen? – Heldentum ist höher als Schmach! –
Was war's also mit Deinem Frühsterbenwollen? – Wem zu gefallen willst Du das? –
Dir selbst zulieb? – Also rechnest Du die scharlachne Kaiserbahn für Deine
Jugendblüte, bloß weil sie so glanzvoll schimmert, aber sieh doch, die Welt achtet
sie ja nicht, sie zerreißt sie in Fetzen, und Du stehst an ihrem End, und ist
nicht mehr eine Spur davon, und da willst Du Dich mit zerreißen? Aber der Trieb zu
blühen ist erst dann wahre Geisteseingebung, wenn jene Scheinblüte Dich nicht mehr
täuscht, wenn Du die Blüte ganz aus Dir selbst erzeugst, dann will ich sagen: »Ja,
Du bist der Geist des Frühlings« – aber mutlos das Leben verwerfen ist nicht
Jugendgeist –, ach ich fühle wohl, daß ich hier weit mehr recht hab wie Du, und
daß ich Dir Trotz bieten kann; aber ich weiß auch, daß Du die tiefere
Geisteswahrheit, die in meinem Vergleich liegt, deutlicher wahrnimmst als ich, und
daß Du gewiß Gewaltigeres ahnest, als ich begreife. Es geht immer so zwischen
unseren vertrauungsvollen Reden, daß ich stottere, und daß Du mir dann reiner
begreiflich machst, was ich wollte. – Mir steht hier nur der Jude vor Augen, der
über die sinkende Blüte der Eltern hinaus die schweren Lebensbedingungen erfüllt,
jeden mühevollen Weg zur Erhaltung der Enkel macht, keinen Tag mehr als den seinen
verlebt, nicht um sich selber sich kümmert, in der Tagshitze zu den Seinen
hinwandernd, sich mühsam beugt, um die Brosamen zu sammeln auf dem Weg und sie den
verwaisten Kindern zu bringen. – Sein Weg war sonst Wissenschaft, Studium der
alten Sprache, Philosophie; und nun! – Wirft ihn das Geschick hinaus aus der Bahn,
durch seine Aufgaben, die mehr mit dem wirklichen Leben zusammenhängen? – Mir
deucht nicht, – mir deucht, es sei die erste heilige Blütezeit seines
jugendsprossenden Geistes, – so ist er auch friedevoll und ruhig im jungen
Sonnenlicht keimend und treibend, lebenswarm ist der Boden, die Luft und sein
Wille und sein Denken – und was er sagt, ist wie die Rebe, in die der Saft steigt
einstiger Begeisterung – und ich weiß nichts mehr
Die Sterne haben mir's gesagt für Dich. –
Es ist ja noch gar nicht so lang, daß Du mir geschrieben hast, es sind jetzt
vierzehn Tage, und wenn ich Deinen Schreibetag hinzurechne und die Reise und das
Abgeben des Briefs, so sind es sechzehn oder siebzehn Tage; – Du bist nicht Herr
Deiner Zeit wie ich – denn ich hab gar nichts anders zu tun, als alles Leben zu
Dir hinzuschicken, ich wollt auch lieber gar nicht denken, wenn ich Dir's nicht
wiedergeben könnt, mir kommt expreß alles in den Sinn wegen Dir. Aber ich weiß,
daß es Dummheit ist, sich immer ängstigen zu wollen. Nur das eine kann ich nicht
ausstehen, wenn sie mir schreiben, die Günderod läßt Dich grüßen. – Ich kann noch
eher leiden, wenn sie sagen, man sieht die Günderod nicht. – Aber das eine nur, es
ist mir wie ein Nebel zwischen mir und Dir, ich glaub Dich an meiner Seite und
sprech mit Dir immerfort und der Nebel ist so dicht, daß ich Dich nicht seh, und
auf einmal ruf ich: Bist Du noch da? – Du gibst keine Antwort. – Da ängstige ich
mich und weiß nicht, wo mich hinwenden. Da mein ich als, alles, was ich Dir gesagt
hab, sei nur ein Abirren von Dir, statt daß es mich hätt an Dich ziehen sollen;
und da denk ich, deswegen hättst Du Dich von mir entfernt, weil ich Dir so manches
sag, was Deine Seele nicht hören will, was sie stört. – Ach, Deine Seele, ich bin
einmal geboren dazu, daß ich sie umflattere. Es ist mir zwar jetzt nicht mehr so
heimlich auf dem Turm, weil mir immer zuerst einfällt, ob das, was mir da oben in
den Sinn kommt, Dir auch recht sein mag, aber ich geh doch hinauf – nein, es
treibt mich hinauf, – wie der Wind da oben als geht, das glaubst Du nicht, er
könnt einen gleich forttragen, das jagt alles, – Wolken und Mond aneinander vorbei
– jedes seinen Weg, – recht zwieträchtig, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
– Der Weg hinauf wird mir täglich ängstlicher. Ich war schon beinah dran gewöhnt
und freut mich auf den Weg, und jetzt ist's wieder wie ein Stein, der auf mir
liegt, manchmal bin ich so zerstreut, daß ich's gar vergeß und erst dran denk,
ganz spät, und jeder Schatten macht mir bang. Aber wo soll ich hin, ich muß doch
hinauf, ich mein, ich muß da oben die Welt helfen festhalten. – Was das heut für
ein Gestürm war! – Es wächst da oben auf der Mauer ein Vogelkirschbaum, der hatte
bis jetzt noch seine roten Beeren an sich hängen, ich hatte recht meine Freud
dran,
Am Sonntag hat der Bang hier gepredigt, ich versprach ihm zuzuhören, wenn er wollt
von den Juden predigen, wie die Christen ihr unchristlich Herz gegen die
verschließen, daß die Juden gar nicht das Christentum empfinden können. Der Bang
predigte, wie Christus seine Jünger aufforderte, dem Volk das wenige, was sie an
Nahrungsmitteln bei sich hatten, hinzugeben, ohne sich selbst zu bedenken. »Siehe!
da war plötzlich Überfluß für alle! Und wenn es ein Wunder ist, daß der Überfluß
in den Körben gesammelt ward, über das ihr staunt und Gott anbetet, so wollet doch
auch als göttliches Wunder achten, daß die Liebe aus dem Herzen aller strömte, wie
durch elektrische Berührung der Liebe des Sohns Gottes zu allen, so daß von
Nachbar zu Nachbar sie einander mitteilten, und wollten lieber darben als darben
lassen. Und so waltete der Segen in den wenigen Broten, als jeder das seine mit
dem andern teilte, und kam daher der große Überfluß. – Wenn ihr das nicht als
Wunder bekennt, sondern es als ein natürliches Ereignis nicht würdig achtet, zu
den göttlichen Wundern gezählt zu werden, ist es dann nicht um so mehr von denen
zu erwarten, die sich seine Jünger nennen, daß dieses natürliche Wunder infolge
des Göttlichen ersprieße? – Und da es doch zwischen euch, die ihr Jünger Christi
seid, nicht auf die göttliche Weisheit ankommt, sondern bloß ums tägliche Brot
euch streitet, so mag nun die göttliche Kraft des Wunders
Mögen doch eure Herzen geschickt sein, Bruderliebe zu üben, so ist euch gewiß, daß das Wunder göttlicher Weisheit in euch erblühen werde, was von innen als Fülle des Segens über alle gleich sich ergießt, und nicht über diesen allein, weil er Christ ist, und über jenen nicht, weil er Jude ist. – Denn so oft wir den Segen, sei er irdisch oder himmlisch, abteilen wollen, so erstirbt er in uns, denn sein Leben ist: Gemeinschaft des Heiligen. Mit dem inneren Sinn sollen wir die Welt regieren, das äußere Regiment greift in ihre Gestaltung nur vorübergehend oder gar nicht ein und kann nur das Geistige, die wirkliche Entwicklung hindern, aber der innere Sinn, durchdrungen von dem höheren Regiment der Welt, breitet sich aus und greift um sich, ihm ist nicht Einhalt zu tun, erzeugt sich in allen Herzen, jeder pflanze den Kern dieser süßen Frucht ins eigne Herz, er ist der Frühling des Lebens, ohne den werden wir nicht ernten und keine Gewalt haben.« –
Bang sagte mir nach der Kirche, er habe wohl gemerkt, daß ihm niemand zugehört habe als nur ich allein, die ganze Kirch hab geschlafen. –
Ich hab von dieser Predigt in einem Brief an den Voigt geschrieben, weil ich ihm
nichts Besseres zu erzählen wußte, so hat er mir geantwortet: »Der innere Sinn
greift mehr um sich wie alles Regiment der Welt, der Flügelsame des Geistes kann
nicht abgesperrt werden, der treibt umher, und der Wind der geistigen Natur
überwältigt alle Vorkehrungen, drum ist's lächerlich, was die Menschen sich für
Mühe geben, alles in der Zucht halten zu wollen oder durch etwas anders die
Freiheit zu erkaufen als durch den Geist. Freiheit ist die strengste Zucht, denn
sie greift da ein, wo kein Gebot noch Verbot was wirkt, sie zermalmt das Schlechte
in der Wurzel; denn Freiheit ist eine göttliche Kraft, die nur Gutes wirken kann,
aber die Menschen verstehen nicht, was Freiheit ist, sie wollen sich ihrer
bemächtigen, das ist schon sie ertöten. Der Freiheit kann man sich nicht
bemächtigen, sie muß als göttliche Kraft in uns erscheinen, sie ist das Gesetz,
aus dem sich der Geist von selbst aufbaut. Innere Gebundenheit und äußere Freiheit
sind doppelt schwere Ketten, weil die Trunkenheit noch dazukommt, die die Sinne
bindet und verwirrt.« – Das ist ungefähr das Bedeutendste,
Vom Hölderlin hab ich auch erzählen hören, aber lauter Trauriges, was ich Dir
jetzt nicht erzählen mag, denn wir beide würden nichts darüber erdenken können;
und in meinem Herzen steht geschrieben: Streue die Saat der Tränen auf sein
Andenken, vielleicht daß aus diesen die Unsterblichkeit einst ihm aufs neue
erblüht! – Ach, auch er hat gesagt: Wer mit ganzer Seele wirkt, irrt nie! Ja, wer
unzerstreut und mit ganzer Seele
Gestern abend haben sich jung und alt beschert, mir sind die leeren
Weihnachtsbäume zuteil geworden, ich hab mir sie ausgebeten, ich hab sie vor die
Tür gepflanzt, man geht durch eine Allee von der Treppe über den breiten Vorplatz
bis zu meiner Tür, diese grünen Tannen, so dicht an meiner Tür, beglücken mich –
und die Welt ist noch so groß! Ach es steigt mir die Lust im Herzen auf, daß ich
reisen möcht – mit Dir – wär das denn nicht möglich? – Bin ich denn so ganz
gefangen, kann ich mir hierin nicht willfahren? – Und willst Du auch nicht das
Unglück meiden, jener die sterben, ohne den Jupiter Olymp gesehen zu haben? – Ich
fühl, daß mir alle Sehnsucht gestillt könnte werden, hoch auf dem höchsten Berg
die Lande, die Weite zu überschauen, ich würde mich wahrlich erhaben und mächtig
fühlen, denn wessen das Aug sich bemeistert, dessen fühlt der Großherzige sich
Herr. Ach, Günderode, ich weiß nicht, ob Du's auch schon gefühlt hast, aber mir
ist jetzt vor allem der Sinn des Aug's gereizt, sehen möcht ich, nur sehen. – Wie
groß und herrlich die Kraft, mit dem Aug alles zu beherrschen, alles in sich zu
haben, zu erzeugen, was herrlich ist, – wie würden da die Geister uns umflügeln
auf einsamer Stelle? – Und dann kennen wir uns, wir würden ineinander so
einheimisch sein, es bedürfte keiner Mitteilung, die Gedanken flögen aus und ein,
in' einen wie in' andern, was Du siehst, das ist in Dir, denn ich auch, ich hab
mich nicht vor Dir verschlossen;
Mein Brief ist zerstreut geschrieben, das ist, weil ich Dich suche, – sonst stehst Du vor mir, wenn ich Dir schreibe, da spreche ich mit Dir, die Hälft sind da meine Gedanken, und die Hälft Deine Antwort, denn ich weiß allemal, was Du antwortest, wenn ich Dir was sage; so lerne ich immer das Tiefere, das Weise, das Bestätigende aus Dir. – Die Post geht ab – ich lasse den Brief noch liegen, vielleicht kommt ein Brief, dann bitte ich Dir gleich noch in diesem meine Beschwerde ab. – Ach käm doch ein Brief. –
Nein, es ist kein Brief gekommen.
Ich bin böse – aber nicht auf Dich – auf mich bin ich böse, woher kommt mir die
Krankheit? – Ja, es ist Krankheit, und schon lange lag es in mir; – es ist ja als
ob ich nichts von Dir wisse, so verzage ich ganz, war ich denn im vorigen Jahr so
bang? – Da sind doch auch Zeiten vergangen, wo Du nicht schriebst. Du hast mich
verwöhnt mit Deinen kleinen Briefen aus dem Rheingau, ich kenne ja doch Deine
große Ruhe, in die Du manchmal so schweigsam versunken warst, daß ich oft
stundenlang mit Dir war, und Du sprachst nicht, so wird's jetzt auch sein – der
Nachhall Deiner stillen Begeistrung ist's, oder es wiederholen sich tiefe Melodien
Deiner Seele in Dir, denen horchst Du zu. Ja! Wie's in jener himmlischen
zauberhaften Nacht war, auf dem Rhein, wo wir zusammen unter der blühenden
Orangerie auf dem Verdeck saßen. – Wie schön war's doch, daß die grade von Köln
nach Mainz fuhr, und daß wir beide auf dem Schiff die einzigen waren, die in der
Nacht da oben blieben, die andern fürchteten die kalte Nachtluft, das war ein
rechtes Glück. Wir freuten uns, als der letzte hinabgeflüchtet war und wir waren
ganz allein und bloß der Steuermann und die Ruder und die große Stille, – und
meinen Pelz warf ich um Dich und saß zu Deinen Füßen, und der deckte mich auch
noch, und wie schön war die Mondnacht, es sollte nicht ein Wölkchen am Himmel
sein, der unermeßliche Luftozean, in dem allein der Mond schwamm. – Da warst Du
auch so stille, und wenn ich ein Wort sagte, so verlor sich's gleich im tiefen
Schweigen – daß ich auch nicht mehr reden mochte aus Ehrfurcht vor der stillen
Versunkenheit
Ja, wir wollen fort, Günderode, wir zusammen; – es war ein Schicksalsruf, jene himmlische Nacht unter südlichen Blüten, – sie rief uns zu dem Land, dort wohin mein Sehnen geht, um das ich schon mit der Mignon meine Nächte verweint habe. – Das erste, wenn wir uns wiedersehen, soll es sein, daß wir einen festen und reifen Plan machen. – Es ist am End ganz lächerlich, wenn wir alles Schöne und Herrliche, von dem gesprochen wird, im Geist berühren und genießen, und wir sitzen in der Wirklichkeit wie eingefroren. Ich bin begierig, ob wir's nicht dazu bringen, in der pappendeckelnen Welt; das ist's eben, daß sie von Pappendeckel ist. – Da fällt mir wieder mein Kindertraum ein, wo ich auf einem backsteinernen Fluß auf der Reise war und die Ruderer vergeblich Wellen schlagen wollten, und nur mit den Stechstangen ging's langsam vorwärts, – und das krachte so unangenehm, es pfiff, daß es mir zwischen den Zähnchen weh tat. Ach und die Reisegefährten schnitten so fürchterliche Gesichter, – da hab ich recht in Natura gesehen und ohne Schleier, was ein Philister für eine fürchterliche Lebenslarve hat. – Der Trieb zur Schönheit ist doch wohl noch das einzige, was von einer höheren Natur übrig ist. –
Am Feiertag wollt ich, der Ephraim sollt mich besuchen, es war mein Lerntag, aber
weil's Feiertag war, so konnt ich einmal die Stund verplaudern mit ihm, wozu ich
so große Lust hatte, und mit meinen Tannenbäumen eine Laube um seinen Sitz gebaut,
das hat mir groß Vergnügen gemacht, ich schenkte ihm auch Wein ein, da kam der
Professor Weiß dazu, der hatte mit ihm zu reden wegen zwei Schülern, der sprach
auch mit großer Achtung mit ihm, daß er so große Kenntnisse habe. Sein Enkel holte
ihn ab und blieb noch eine Weile da, aber er setzte sich nicht vor seinem
Großvater und blieb stehen, und von dem Wein nippte er nur – und ich will Dir
gestehen, daß ich die ganze Zeit von Dir gesprochen hab, denn ich kann auch nicht
gut von anderem sprechen, weil ich doch immer dran denk, ob ich bald einen Brief
von Dir krieg. – Was soll ich noch von ihm erzählen, er hat eine eigne Art, es
scheint nur Bescheidenheit, aber man fühlt, daß es Herablassung ist und Güte; ich
möcht Dir auch gern noch manches von ihm sagen, aber weil ich gar nichts weiß von
Dir, das bricht mir den Mut, ich weiß ja nicht einmal, ob Du es mit Anteil liest.
– Er sagte mir, daß er bis
Ich fürchte mich für den Ephraim, oder ich wollt, ich könnt mit ihm gehen, – so,
ein Stock in der Hand, und immer vorwärts geschritten, in neue Lande, wo andre
Luft weht, andre Bäume blühen, – jetzt hat's aber noch eine Weile Zeit damit; – so
– ruhig sprechend – mit einem Weisen aus Morgenland. – Ich bin von Natur so
neugierig, wenn ich nur in ein unbekannt Dorf komm, da kommt mir alles so
sonderbar vor, und die kleinen Reisen, die ich bis jetzt gemacht hab, – wie war
mir alles so auffallend –, wenn wir im Dunkeln vor einem Posthaus hielten, wie sah
mich da der halberleuchtete Gang so seltsam an, als könnt er sprechen und erzählte
mir: Ja, hier gehen allerlei Geschichten vor! – Und so eine Nacht in unbekannte
Gegend gefahren, oder im fremden Nachtquartier, wenn man da aus dem Traum aufwacht
und hört die Glock schlagen, und noch eine, und dann wieder eine. Da dacht ich
als: da sind also viel Kirchen, wie mögen die aussehen? Und dann der Nachtwächter,
der ein ganz fremd Lied singt mit heiserer Stimme, und die Schellen an den
Häusern, die man noch läuten hört, und dann am Morgen sieht alles wieder anders
aus, und ist wieder so neu und überraschend, als wär die ganze Welt wie ein
Spielsachenladen und Häuser und der Markt vor der Tür und die Leute, die da wohnen
und laufen, das sei lauter Spielzeug, und die Hunde, die herumspringen, die
Brunnen, wo die Leut Wasser holen, das kommt einem alles vor bloß wie zum
Vergnügen, lauter Bilder, man freut sich, daß alles so niedlich eingerichtet ist
und gar nichts vergessen. So fremde Orte, sie sind wie Feenmärchen. – Das alles
möcht ich mit Dir genießen! Es ist ja nur der Eingang, aber Himmel und Erde, im
Freien – in die Weite hinaus, – wo man stumm steht und sieht die Berge sich
aufrichten und mit dem Morgenlicht sich küssen, und alles Unendliche, was da
vorgeht, was stumm macht und alle Weisheit überflüssig, denn wie's Kindchen, wenn
ihm die Milch zuströmt aus der Mutter Brust, genug damit zu tun hat, sie zu
schlucken, mit der Fülle fertig zu werden, so ist's auch mit der Natur, sie gibt
so vollauf dem Blick, dem Herzen, daß es nicht zu Atem kommen kann. – Aber der
Ephraim liegt mir am Herzen, daß der jetzt, wo die Natur schläft und nur
aufrührische Träume hat, die eisige bergige Straße wandert, wo es so früh Nacht
ist, und wo er in schlechte Herbergen kommt; aber er sagt, er habe einen Tag schon
versäumt wegen dem Wetter und seine Enkel warten alle auf ihn, die würden so schon
in großen Sorgen um ihn sein, und das Sturmwetter werde er schon ertragen, er habe
es schon mehr mitgemacht, und sein Enkel trägt den Bündel. – Er muß die Kinder
sehen; da muß man ihn nicht abwendig machen, er sah auch gar nicht sorglich
Wie ich ganz klein war; der Vater hatte mich am liebsten von allen Kindern, ich kann kaum zwei Jahr alt gewesen sein, wenn die Mutter was von ihm zu bitten hatte, da schickte sie mich mit einem Billett zu ihm, denn sie schrieben sich immer, sie sagte, wenn der Papa das Billett liest, so bitte, daß er Ja schreibt, und er richtete oft nach meinen Bitten seinen Beschluß. Er sagte: »Mein liebes Kind, weil Du bittest, so sag ich ja, ja.« – Alle Kinder fürchteten sich vor dem Vater, denn so freundlich er war, so hatten alle eine Ehrfurcht, die sie hinderte, ihrer Lustigkeit nachzugeben, und ein ernstes Gesicht vom Vater machte, daß sie alle vor ihm wichen; ich hatte viel mehr Lust mit ihm zu spielen, und wenn ich wußt, daß er nachmittags allein auf dem Sofa schlief, wo niemand sich ins Zimmer getraute, da schlich ich auf den Zehen herbei und kroch in den Schlafrock auf der einen Seite herein und konnt mich so geschickt um seinen Leib schmiegen und auf der andern Seite wieder heraus, das konnt ich so geschickt, da gab er mir allerlei italienische Schmeichelnamen im Schlaf und schlief dann weiter fort. – Er war niemals verdrießlich. – Wie die Mutter starb, da fürchteten sich alle Kinder vor seinem Schmerz, keiner wagte sich in seine Nähe. Abends war er allein im Saal, wo ihr Bild hing, da lief ich hinein und hielt ihm den Mund zu, wenn er so sehr schmerzvoll seufzte. – Ich besinn mich, daß ich als gern in der Karmeliterkirch war, wo niemand mehr hineinging, sie war immer leer, weil sie so düster ist, und weil so viel Tote da begraben liegen; Vater und Mutter liegen auch da und viele Geschwister. Ich hab mich niemals gefürchtet vor traurigen Orten. – Wie manchmal, wenn die Sonn drauß schien, da ging ich da hinein, da war's so feucht und so trüb, daß man glaubte, es sei der traurigste Herbsttag. – Ich erzähl Dir's, – ich wollt Dir nur sagen, ich scheu mich nicht vor traurigen Orten und auch nicht vor traurigen Menschen, und wenn Du was hast, was Dich trübsinnig macht, so brauchst Du mir's nicht zu sagen, aber scheu Dich doch nicht vor mir, ich weiß so stillzuhalten.
Gestern hatt ich mich den ganzen Tag gesehnt nach dem Abend, weil ich auch am Tag
keine Ruh hab. Wenn ich doch ein einzig Wort von Dir hätt nur, über Dich! – Ich
hab nur lauter Halbgedanken, sie kommen tief aus der Brust, aber ich mag sie nicht
prüfen. – Wenn Du mir das einzige schreibst: »Bettine, ich bin Dir gut«, das wär
genug! Wär ich doch wie die Uferfelsen, die den stürzenden, verspritzten
Lebensstrom wieder im ruhigen Lauf sammeln,
Dann bin ich schlafen gegangen, wie ich so weit geschrieben hatte, und hab
vergessen auf den Turm zu gehen, wo ich doch den ganzen Tag unruhig
»Ich trinke die Liebe, um stark zu werden, wenn ich denke, so bewegt mich heimliche Begeistrung für meine eigne Erhöhung; – wenn ich liebe auch. – Nur: in der Liebe fühl ich mich flehend wie im Tempel; wenn ich denke, kühn wie ein Feldherr.«
»Alles von sich selber verlangen, ist der nächste und unmittelbarste Umgang mit Gott; dem Göttlichen geben die Sterne die sicherste Gewährleistung für die Erfüllung eines höheren Willens. – Die dreiste Überzeugung, daß wir unserer Forderung genug tun sollen.« – So raten uns die Sterne. – Günderode, drum sei ja mutig zu allem, und endlich kann auch kein falscher Trieb sich dazwischen durchwuchern, denn die Seele ist ganz erfüllt von eigenem Geist und allein für ihn tätig.
Das haben mir die Sterne für Dich gesagt, als ich sie fragte um die tiefen Lebensgeheimnisse in Deiner Brust, sie wollen, Du sollst Deinen Schild tragen – kühn und frei über die Lebensgipfel weg. Alles ist Höhe, nichts ist Tiefe. Du sollst sie schauen, die so hoch sind, vor denen nichts Abgrund ist, was ihr Licht nicht entbehrt.
»Es gibt eine Zauberkunst, ihre Hauptgrundlage ist des Geistes fester Wille zum Mächtigen, der sich auflöst in die Übermacht dessen, was er im Geist erkennt.«
So hast Du mir einmal gesagt, und die Sterne haben mich gemahnt, ich soll Dich dran erinnern.
»Nie muß man dem Höheren gegenüber selbst etwas wollen, sonst wehrt man sich gegen den eignen Willen.«
Das haben die Sterne noch hinzugefügt und mich gemahnt, ich soll Dir das scharf und eindringlich wieder sagen. –
Ich leg mir das so aus, der Mensch soll nicht dem eignen Schicksal nachgehen,
Noch sagen die Sterne: »Ohne Zauber kann sich der innere Mensch nicht erscheinen«, – o die Sterne sind gütig, sie sagen viel und Großes und bedeuten uns, daß wir selber groß sind.
»Ach, das Endziel aller Wahrheit ist, sie hinzugeben an höhere Wahrheit, sie ist Zauber, durch den der innere Mensch sich erscheint, sie ist Entwickeln der göttlichen Natur; der Himmel entwickelt sich aus der Sehnsucht, und aus des Himmels unendlichem Frieden wird höhere Sehnsucht sich entwickeln; – die Wahrheit geht hervor aus der Wahrheit und geht über in Wahrheit.
Das Höchste, was die Wahrheit vermag, ist, sich auflösen in höhere Wahrheit; – ja, sie sagt Nein! – Verneint sich. –
Nie darf der Geist sich am höchsten halten, sondern jene muß er höher halten, auf die er wirkt, denn die befördern ihn – entwicklen ihn.
Die Wahrheit, die Lieb ist Sklave, der ist Herr, den sie nährt.«
So reden die Sterne, wenn ich mit ihnen von Dir spreche, – sie lieben Dich, sie sind Deine Sklaven, die höhere Erkenntnis, die sie auf Dich herabblitzen, die entwickelt ihr Vermögen, auf den Menschengeist zu wirken, das Hohe auszusprechen, und sie werden mehr noch sagen, wenn's Dein Ohr trifft. – O sie sagten es mir für Dich in der Neujahrsnacht – – und viel reicher war die Saat liebender Mahnungen, aber ich konnt's nicht alles tragen in meinem Geist, was sie sagen; – vertrau ihnen und Du wirst erleben – schwere Garben bring ich Dir heimgeschleppt; – da siehst Du, was Leben ist, Keime der Erkenntnis säen die Sterne Dir in' Geist, und Du wolltest verzweifeln, weil Deine Füße am Boden wurzeln. – Ja, das ist's, Deine Seele hat Licht getrunken und will nun schlafen, so leg Dich doch und ruhe, ich will sorgen, daß Du schlafen kannst und wachen zugleich, – und wart doch, was die Sterne endlich mit uns anfangen, bist Du nicht neugierig? – Was gottgesandte Boten Dir zuflüstern, magst Du das nicht erlauschen und kannst nicht alles andre darüber vergessen? –
O hör, denn als sie so gesprochen hatten, da bekräftigte der Schlag von
Mitternacht in die tiefe Einsamkeit hineinschallend, daß, so die Jahre
hinabrollen, der Geist doch ewig blühend am Himmel steht; und daß unsere
Begeistrung dieser Jugend zuströme, das stürmte mir herauf aus der tiefen Stadt,
wo alles lebend, jubelnd die verjüngte Zeit begrüßte. Warum rührten sie die
Trommeln und schmetterten von den Kirchtürmen – die Trompeten! – Und warum
erfüllte das Jauchzen die Luft? Als weil die ewig sich verjüngende Zeit alle
kindliche Freudenstimmen weckt über die unsterbliche Jugend. – Mir war so selig
dort auf der schwindelnden Höh, wo die Studentenlieder wie ein Meer um mich
himmelan brausten und mich einhüllten in ihren Jubellärm wie in eine Wolke und
aufwärts trugen. O wie schön ist's in der Welt, denk doch, so viel junge Stimmen
hier im kleinen Städtchen, alle freudebrausend! – Wer wollte im Leben wohl
Was könnte Dich doch verzagen machen? – Sieh doch, wieviel Leben verdirbt, aber doch ist's nur scheinbar, es steht mit verschwisterten Gewalten wieder auf und versucht's von neuem. Aber das muß nicht sein, daß Du Dich aus ihren Reihen loskettest, denn alle gehören einander, und das muß Dich nicht traurig machen, daß manches, was sie als Tugend preisen, nur glänzende Fehler sind. Ist doch oft auch Tugend, was Fehler ist.
Ich mag diesen Brief nicht schicken; ich bin nicht zu entschuldigen, schieb's aufs
Wetter in meiner Brust. Es ist Gewitterzeit in mir, wie konnt es so angstvoll in
mir aufsteigen sonst? – Gewitter sind's, die über mich hinstürzen und alle
blühende Kraft niederdrücken, und das Gewölk hängt schwer über mir, und das Herz
arbeitet und glüht und möcht sich Luft machen und zückt; denn sonst könnt ich
nicht so schmerzvolle Augenblicke haben und immer so schwere Gedanken über Dich.
Aber es ist auch traurig, heut erhalt ich erst Nachricht von der Claudine, daß Du
sie beauftragt hattest, mir Deine Abwesenheit von Frankfurt zu schreiben, und daß
Du bei der kranken Schwester bist. Mein Herz ist der brausende Brunnen, ein paar
Tropfen Öl besänftigen ihn ja, ich war ganz verkehrt, ich erwache vom bösen Traum.
Ach, Gott sei Dank, daß es anders ist. – Ich bin noch niedergeschlagen und seh die
Träume unwillig dahinziehen am düstern Tag, sie hätten mich wohl länger noch
gepeinigt. – Wie Du auch meine Briefe aufnehmen magst, ich will Dich der Mühe
überheben, mich darüber zurechtzuweisen, und will's alles vor Dir aus sprechen,
was ich von mir denk. Ich hab Dir eine Reihe von Briefen geschrieben, ich weiß
nicht mehr was; – sollt ich mir Rechenschaft geben, was ich damit wollte,
enthielten sie selber eine Rechenschaft meines Seelenlebens? – Ist ein einziger
früherer Vorsatz drin nur berührt? – Ist mir nicht alles fern abgeschwunden, was
ich mir als heilig Gelübde auferlegte? Hab ich nicht mir und Dir zugesagt, ich
wolle mich streng den Bedingungen einer Kunst unterwerfen? Hab ich nicht immer und
immer aufs neue wieder alles Begonnene verfaselt? – und was konntest Du mit mir
endlich anfangen? Ich gestand Dir immer alles zu, ja, ich sagte mir täglich Deine
wahren, Deine tiefen Begriffe vor, über die Anstrengung des Geistes in sich zu
erzeugen,
Und diesen Forderungen von Dir habe ich geschworen, wie einer auf die Fahne
schwört, und war meiner eignen Begeistrung so gewiß und hätte mir's zugetraut,
alles mit Ernst und Treue zu verwalten, was die innere Stimme mir auferlegte, und
dieser geheime Trieb, göttlich zu werden, durchdringt mich noch. Und wenn ich
hundertmal eins ums andre verlassen hab, so verzag ich nicht, wieder zu beginnen.
Ich will zu Dir, in Deinem Schoß will ich lernen; ich weiß, daß es so sein muß,
daß wir beieinander sind. Wenn ich Dir nicht jeden Tag enthüllen kann, was für
Gedanken in mir aufsteigen, dann bin ich gleich weggerissen. Ja, das muß ich Dir
auch noch von mir sagen, daß ich's oft nicht weiß, wie es kommt, daß ich oft
plötzlich weit von dem, wozu ich mich ganz hingewendet hab, hinweggerissen bin; –
nicht mit meinem Willen, aber ich bin dann erfüllt und bestürmt vom
Bettine
Ich mußte abreisen und konnte Dir nicht einmal ausführlich schreiben. Eine
Schwester, die schon länger unwohl ist und jetzt nach mir verlangte. Das wird mich
auch wohl sobald nicht dazu kommen lassen. Denke nicht, ich vernachlässige Dich,
liebe Bettine, aber die Unmöglichkeiten, dem nachzukommen, was ich in Gedanken
möchte, häufen sich, ich weiß sie nicht zu überwinden und muß mich dahin treiben
lassen, wie der Zufall es will, Widerstand wär nur Zeitaufwand und kein Resultat,
Du hast eine viel energischere Natur wie ich, ja wie fast alle Menschen, die ich
zu beurteilen fähig bin, mir sind nicht allein durch meine Verhältnisse, sondern
auch durch meine Natur engere Grenzen in meiner Handlungsweise gezogen, es könnte
also leicht kommen, daß Dir etwas möglich wäre, was es darum mir noch nicht sein
könnte, Du mußt dies bei Deinen Blicken in die Zukunft auch bedenken. Willst Du
eine Lebensbahn mit mir wandlen, so wärst Du vielleicht veranlaßt, alles Bedürfnis
Deiner Seele und Deines Geistes meiner Zaghaftigkeit oder vielmehr meinem
Unvermögen aufzuopfern, denn ich wüßte nicht, wie ich's anstellen sollte, Dir
nachzukommen, die Flügel sind mir nicht dazu gewachsen. Ich bitte Dich, fasse es
beizeiten ins Aug und denke meiner als eines Wesens, was manches unversucht muß
lassen,
Ich wollte Dir wünschen, Bettine (unter uns gesagt, denn dies darf niemand hören),
daß jede tiefe Anlage in Dir vom Schicksal aufgerufen würde und keine Prüfung Dir
erlassen, daß nicht im Traum, aber in der Wirklichkeit Dir das Rätsel auf eine
glorreiche Art sich löse, warum es der Mühe lohnt, gelebt zu haben. – Pläne werden
leicht vereitelt, drum muß man keine machen. Das beste ist, sich zu allem bereit
finden, was sich einem als das Würdigste zu tun darbietet, und das einzige, was
uns zu tun obliegt, ist, die heiligen Grundsätze, die ganz von selbst im Boden
unserer Überzeugung emporkeimen, nie zu verletzen, sie immer durch unsre
Handlungen und den Glauben an sie mehr zu entwickeln, so daß wir am End gar nicht
mehr anders können, als das ursprünglich Göttliche in uns bekennen. Es gibt gar
viele Menschen, die große Weihgeschenke der Götter mitbekommen haben und keines
derselben anzuwenden vermögen, denen es genügt, über dem Boden der Gemeinheit sich
erhaben zu glauben, bloß weil der Buchstabe eines höheren Gesetzes in sie geprägt
ist, aber der Geist ist nicht in ihnen aufgegangen, und sie wissen nicht, wie weit
sie entfernt sind, jenen Seelenadel in sich verwirklicht zu haben, auf den sie
sich so mächtig zugut tun. – Dieses scheint mir also die vornehmste Schule des
Lebens, darauf zu achten, daß nichts in uns jene Grundsätze, durch die unser
Inneres geweiht ist, verleugne, weder im Geist noch im Wesen. Jene Schule entläßt
den edlen Menschen nicht bis zum letzten Hauch seines Lebens. Dein Ephraim wird
mir recht geben und ist ein Beweis dafür. Ich glaub auch, daß es die höchste
Schicksalsauszeichnung ist, zu immer höheren Prüfungen angeregt zu sein. – Und man
müßte wohl das Schicksal eines edlen Menschen aus seinen Anlagen weissagen können.
– Du hast Energie und Mut zur Wahrhaftigkeit, und zugleich bist Du die heiterste
Natur, die kaum das Unrecht spürt, was an ihr verübt wird. Dir ist's ein leichtes,
zu dulden, was andre nicht ertragen können, und doch bist Du nicht mitleidsvoll,
es ist Energie, was Dich bewegt, andern zu helfen. – Sollt ich Deinen Charakter
zusammenfassen, so würd ich Dir prophezeien, wenn Du ein Knabe wärst, Du werdest
ein Held werden; da Du aber ein Mädchen bist, so lege ich Dir all diese Anlagen
für eine künftige Lebensstufe aus, ich nehme es als Vorbereitung zu einem
künftigen energischen Charakter an, der vielleicht in eine lebendige regsame Zeit
geboren wird. – Auch wie das Meer Ebbe und Flut hat, so scheinen mir die Zeiten zu
haben. Wir sind in der Zeit der Ebbe
Deine Schwester Lulu fragte mich, ob Du wohl mit ihnen auf ein paar Monat nach Kassel gehen werdest. Tu es doch, mir ist's, als würde eine Unterbrechung Deines Lebens Dir jetzt recht gesund sein, obschon ich sonst nicht dafür sein würde.
Caroline
Ich hab einmal tief aufgeatmet. Dein Brief ist da! Weißt Du, was ich getan hab?
Drei Tag hab ich mich hingelegt und mich gestreckt und geruht, als wär ich einer
schweren Arbeit los. – Ich will gewiß nie wieder so sein. Doch wer kann für solche
Gewitterluft. Über Deinen Brief will ich gar nicht mit dir sprechen, als bloß, daß
ich Dich mit heimlichen Schauern gelesen hab. – Es ist vielleicht noch
nachziehende Schwermut, ich weiß nicht, was es ist; ich will Dein Herz nicht
anrühren, mir ist, als wollt es ausruhen in sich, mir ist der ganze Brief wie ein
Abschluß – ach nein, das nicht – wie ein Ordnen vor dem Abschied, wo Du mich ins
Leben schickst wie ein älterer Bruder den jüngeren, nicht wahr? – aber nicht auf
lang? – Du willst nur, ich soll mich mit mir allein besinnen, damit ich auch
lerne, mir selbst raten. Drum vom Brief wollen wir nichts reden. Ich verstehe
alles. Und entweder empfind ich manches noch mit Weh, weil ich noch verwundet mich
fühl, oder weil ich nicht stark bin, eine göttliche Stimme aus Dir zu vernehmen;
mit Weinen horch ich auf Dich. Ich lese aus Deinem Brief Deiner Stimme Laut,
dieser rührt mir die Sinne, sonst nichts. Ich bin ein krankes Kind von müd
gewordner Liebesanstrengung, und so muß ich jetzt weinen, daß die Sorge, ach ja!
die Verzweiflung mir genommen ist! – Dumm bin ich und launisch! – So heftig
klopfte mir das Herz, als Dein Brief da war, es war schon Nacht, – ich nahm ihn
aber mit auf den Turm und bat die Sterne, daß alles sehr gut sein möge, was drin
steht, und hab gefragt, ob es mir wohl Ruh geben werde, was drin steht? Was mir
die Sterne geantwortet haben? – Ach, ich weiß es gar nicht! Aber ich wollt die
Unruh einmal nicht wieder auf mich nehmen. – Günderode! Wenn ich auch je verdiente
an Dir, daß Du Dich von mir wendest, ist hab's im voraus abgebüßt. – Dein Brief
kam mir wie Nebel vor – ja wie Nebel –, und dann war's, als wenn dadurch ein Altar
schimmert mit Lichtern, dann ist es wie ein Flüstern, wie Gebet in diesem Brief. –
Ein Zusammenfassen all Deiner Geisteskräfte, als wolltest Du den Geist der Trauer
in mir beschwören. – – Als der Ephraim heut kam, ich war gar nicht geneigt zum
Lernen; – ich vergaß ihn zu grüßen, da er doch eben von der Reise gekommen war, er
sprach aber von selbst von seinen Enkeln allen, er saß, und ich stand am Tisch;
aber weil er so freundlich immer meine Stille durch sanfte melodische Mitteilungen
anglänzte, wie sanfter Abendschein eine Wolke anleuchtet! – Die Wolke war so weich
geworden von dem Leuchten der scheidenden Sonne, daß sie weinen mußte; ich traute
nicht den Mann anzuschauen, den alles Schicksal zur Schönheit reifte; – und sein
Leben eine lautere Sprache mit dem Göttlichen. – Denn was konnt ich vorbringen,
warum ich so war? – Ich sagte, bleibt noch, als er glaubte, ich wollt gern allein
sein; – denn, sagt ich: die Wände da sagen, du bist für nichts auf Erden, wenn ich
allein bin. – Aber wenn Ihr da seid, so tun sich die Wände auf und ich seh hinaus
in den unendlichen Osten. Ich nahm seine Hand in die meine, die er festhielt, und
nun sprachen wir von seinen
Der wahre Geist ist nicht allein, er ist mit den Geistern, – so wie er ausstrahlt, so strahlt es ihn wider, seine Erzeugnisse sind Geister, die ihn wiedererzeugen.
Geist sind Sonnen, die einander strahlen, – Licht nimmt Licht auf, – Licht sehnt sich nach Licht, – Licht geht über ins Licht, – Licht vergeht im Licht. – Vielleicht ist das die Liebe. –
Was sich nach Licht sehnt, ist nicht lichtlos, denn die Sehnsucht ist schon Licht, die Rose trägt das Licht in der Knospe verschlossen. –
Die Schönheit, die sinnlich vergeht, die hat einen Geist, der sich weiterentwickeln will, der Rose Geist steigt höher, wenn ihre Schönheit verblühte. – Im Geist blühen tausend Rosen, die Sinne sind der Boden, aus dem das Schöne in den Geist aufblüht, die Sinne tragen die Rosen, sie blühen in dem Geist auf. – Der Geist ist der Äther der Sinne, – die Rose berührt den Atem, das Gesicht und das Gefühl! – Warum bewegt die Rose das Gefühl? – Atme ihren Duft, und Du wirst bewegt; – gewiß liegt in ihrem Dasein Seligkeit, die nur ihr eigen ist, – gewiß war diese Seligkeit einmal die Deine – und jetzt, wo Du ihren Duft einatmest, fühlst Du den Geist der Rose, die längst verblühte, in Dir fortblühen.
Was ist Erinnerung? – Erinnerung ist viel tiefer, als sich auf das besinnen, was wir erlebten. Auch in ihren Verwandlungen berührt sie ewig den Geist – sie ist unendlich – sie wird Gefühl – dann wird sie Gedanke, der reizt den Geist zur Leidenschaft; als Leidenschaft erzeugt sie den Geist aufs neue.
Aus jedem Lebenskeim entsteht Leben, Leben erzeugt fortwährend Lebenskeime, die alle blühen müssen. Alles Erlebte ist Lebenskeim, die Erinnerung trägt sie im Schoß.
Ich weiß wohl, warum von Rosen die Rede war mit den Sternen. – Einmal war ich heiter geworden, wie der Ephraim fort war, – und dann schwamm noch rötlich Gewölk am Himmel, als ich oben auf der freien Warte ankam, und dann will ich nie wieder unfrei atmen! Das ist nicht meine Sach, unter der Last keuchen! – Setzest Du mir nicht einmal ums andre immer wieder neue Flügelpaare an, und die Sterne, wie lehren die mich doch die Flügel schwingen! Und trag ich nicht Dein Leben in meiner Brust und meines auch? – Und wenn ich so viel Flügel hab, was soll mir eine Last sein? – Alles schwing ich auf gen Himmel, Schweiß wird mir's kosten, warum nicht Lasten tragen, wenn ich sie aufschwingen kann in die Himmel. – Was ist das, ein Athlet sein und nicht den Erdball auf den Fingern tanzen lassen? –
Haben wir's nicht ausgemacht, wir wollen das gemeine Leben unter uns sinken
lassen, haben wir nicht zueinander gesagt, laß uns schweben und
Ein Held sein und sich vor nichts fürchten, da kommt der Geist geströmt und macht Dich zum Weltmeer. – Die Wahrheit erfüllt Dich, der Mut umarmt die allumarmende Weisheit. – Die Wahrheit sagt zum Mut, brich deine Fesseln, – und dann fallen sie ab von ihm. – Der Schein ist Furcht, die Wahrheit fürchtet nicht, wer sich fürchtet, der ist nicht wirklich, der scheint nur. – Furcht ist Vergehen, Erlöschen des wahrhaften Seins. – Sein ist der kühnste Mut zu denken. Denken ist gottbewegende Schwinge. – Wie sollte das göttliche Denken sich an die Sklavenfessel legen? – Ist das, was Ihr für wahr ausgebt, Wahrheit, so schwing ich mich im Denken zu ihr auf. –
Wenn ich mich aufschwinge, so ist's in die Wahrheit, lieg ich an der Fessel, so bin ich nicht an die Wahrheit gekettet. Freisein macht allein, daß alles Wahrheit sei, von was ich mich fesseln lasse, das wird zum Aberglauben. Nur was geistentsprungen mir einleuchtet, das ist Wahrheit, – was aber den Geist fesselt, das wird Aberglaube. Geist und Wahrheit leben ineinander und erzeugen ewig neu. –
So hab ich mich freigemacht von meiner Furcht, weil Furcht Lüge ist. – Und Mut muß die Lüge überwinden. Und ich bin wieder eins mit Dir.
Ach, wieviel Strahlen brechen sich doch heut in meiner Seele!
Adieu und der Lulu hab ich versprochen, daß ich mit nach Kassel geh, sie schreibt: nur auf drei Wochen. –
Ich bin heut auf mancherlei Weise beglückt, erstlich hab ich heut wirklich einen
Rosenstock in meinem Zimmer stehen, den mir einer heimlich hereingestellt hat, mit
siebenundzwanzig Knospen, das sind Deine Jahre, ich hab sie freudig gezählt und
daß es grad Deine Jahre trifft, das freut mich so; ich seh sie alle an, das
kleinste Knöspchen noch in den grünen Windeln, das ist, wo Du eben geboren bist.
Dann kommt das zweite, da lernst Du schon lächeln und dahlen mit dem kleinen
grünen verschlossenen Visier Deines
Der Ephraim war nicht da heute, wo sein Tag ist, – den er sonst nicht versäumt, und als ich abends auf den Turm wollt, da kam sein Enkel mir zu sagen, daß er unwohl ist, – ich sag, was fehlt ihm? – Nur matt ist er, sagte der Enkel, sonst ist er ganz wohl, ich sag, sieh den schönen Rosenstock, er sagt, ich kenne ihn wohl, der Großvater hat ihn heute morgen durch mich geschickt, und weil es noch früh war, so hab ich ihn vor die Tür gesetzt, – ich frag: »Habt Ihr ihn denn selbst gepflegt?« – »Ja, der Großvater hat ihn schon zum zweitenmal zur Blüte gebracht.« –
Es ist schön, daß der Rosenstock mein ist, wär doch der Ephraim wieder gesund, denn Du hast mir ja geschrieben, ich soll mit ihm von Dir sprechen, das letztemal konnt ich nicht, weil ich zu bang war; – vielleicht aber ist's, daß er meint, ich wär zum Lernen nicht aufgelegt, warum er sich's verbietet, zu kommen, ich hab ihn aber bitten lassen, zu kommen, wenn er besser ist, ich hab ihm auch alten Madeira geschickt, er wird schon besser werden; es war sehr schön heut auf dem Turm, es ist Frühlingsluft, und die Abende sind heiter und rein, ich geh früher jetzt, schon immer, wenn die Sonne untergegangen ist, eh ich nach Haus geh, ist doch schon sternige Nacht, nun werd ich den Turm bald verlassen, die Lulu schreibt, am siebzehnten wird sie kommen, Du hast's gesagt, ich soll mit ihr gehen, und ich wollt ihr's auch nicht abschlagen, – es war schön hier und vielbedeutend, und was soll ich mich fragen, was in mir geworden ist? Mein Geist ist voll geheimer Anregung, das ist genug, die Natur hab ich nicht beleidigt und meine innere Stimme auch nicht verleugnet.
Was den Geist verleugnet, das versiegt eine Geistesquelle, – Buße ist ein Wiedersuchen, Wiederfinden dieser Quelle, denn echter Geist strömt Geist, – Großmut verzeiht alles, aber duldet nicht, was gegen den Geist ist.
Großmut ist Stammwurzel des Geistes, durch die der Geist einen Leib annimmt, Handlung wird. Was nicht aus ihr hervorgeht, ist nicht Tugend.
Großmut dehnt sich willenlos aus über alles, wo sie sich konzentriert, da ist sie Liebe.
In der Liebe brennt Deine Seele in der Flamme der Großmut, sonst ist's keine Liebe. – Nur in der Großmut hat alles Wirklichkeit, weil in ihr allein der Geist lebt, – so also nur kann die Liebe selig machen. –
Jede Liebe ist Trieb, sich selbst zu verklären. Wenn nicht dem Liebenden die
Ein Liebender ist Fürst, die Geister sind ihm untertan, wo er geht und steht, begleiten sie ihn, sie sind seine Boten und tragen seinen Geist auf den Geliebten über. –
Das war meine gestrige Sternenlektion, seit die Rosen in meinem Zimmer blühen, sprechen sie als mit mir von Liebe.
Heut morgen hab ich den Rosenstock wieder ans Fenster gestellt, eh die Studenten kamen, und hab hinter dem Vorhang gelauscht, ob sie wieder heraufgucken, sie haben sich bemüht, die Rosen zu zählen, einer zählte siebzehn, der andere fünfzehn, soviel sind grade zu sehen, die andern sind noch zu klein, – könnt ich jedem eine hinunterwerfen, sie an seine Mütze zu stecken.
Heut war der Ephraim bei mir, er wußte, daß ich die andre Woche geh, wir sprachen von meinem Wiederkommen, denn ich bleib nur drei Wochen mit der Lulu aus. – Wir sprachen von Dir, er sagte soviel Gutes von Dir, er las auch meine letzten Blätter an Dich, er sagte, man müsse nicht fürchten, daß was man liebe, einem verloren gehn könne, weil er wohl erkannte, etwas in Deinem Brief mache mir bang um Dich; er sagte, Du seist einzig in Deiner Art, Du habest eine große Bahn, und wer nicht andre Wege gehe als die schon gebahnten und angewiesnen, der sei nicht Dichter. Es sind nicht tausend Dichter, es ist nur einer, die andern klingen ihm nur nach; – klingen mit. – Wenn eine Stimme erschallt, so weckt sie Stimmen. Dichter ist nur, der über allen steht. Der Dichtergeist geht durch viele, und dann konzentriert er sich in einem. – Oft wird er nicht erkannt und doch steht er höher als alle. – –
Wer nicht andre Wege geht, als die schon gebahnten und angewiesenen, der ist nicht Dichter. Und wenn nicht auf eignem Herd das Feuer brennt, das ihn erleuchte und wärme, der wird kein anderes dazu beraten finden. Lodert aber auf Deinem Herd die Flamme, dann wird jede Dir leuchten und alle Dich wärmen. – Man kann ruhen im Geist, man kann tätig sein im Geist; aber alles was nicht im Geist geschieht, ist verlorne Zeit. – Es wird wohl selten dem Dichtergeist sein Recht getan, der kühne Adel jener Gedanken, die wir als Dichtung erfahren, sollte wie Helden uns ewig imponieren. – – – Und so schwätzten wir noch ein Weilchen, und nicht alles hab ich behalten, was sich da ergab, – aber der Ephraim war blaß, und sein Enkel brachte ihm noch einen Mantel; einmal will ich ihn noch sehen. –
Auf dem Turm gewesen, aber nichts aufgeschrieben, es tut mir leid, daß ich mich
vom Turm trenne; wo wird's wieder so schön sein und was hab ich den Sternen nicht
alles zu verdanken. Sie haben mir Wort gehalten. Nicht wahr, sie haben uns beide
zusammen gepflegt, und was sie mir sagten, das haben sie auch Dir gesagt, – und
wir waren beide recht verschwistert in ihrer Hut. – Wie wird's sein, wenn ich
wiederkehre? – Diese vier Monate
Ihr guten Studenten! Heut haben sie wieder nach den Rosen gesehen, – ich möcht sie euch alle abbrechen, eh ich weggeh, und sie euch auf den Kopf werfen. –
Der Ephraim darf nicht mehr den Berg heraufkommen, es ermüdet ihn zu sehr, auf seiner Reise zu den Enkeln da war's so kalt, da hat er sich zu sehr angestrengt, er darf nicht mehr herauf, vielleicht wenn ich wiederkehr, ist er wieder gesund, einundsiebzig Jahr ist er alt, aber mir wird er gesund bleiben; – wenn wir dies Frühjahr zusammen auf dem Trages sind, Savigny meint, Du werdest hinkommen, dann wollen wir ihm zusammen Briefe schreiben, nicht wahr? – Und recht heitere, – dies wird der letzte lange Brief sein, den ich Dir von hier schreib.
Die Lulu hat mir viel Grüße von Dir gebracht und sagt, Du freust Dich aufs Trages zu kommen, und Dein kleiner Brief bestätigt es auch, sie sagt, Du bist recht heiter, so bin ich auch ganz glücklich, ach, was hab ich Dich doch gepeinigt mit meiner Ängstlichkeit, die mir sonst nicht eigen ist. Gott weiß, wo's herkam, ich bin ganz lustig, ich begreif's nicht, daß ich so dumm war. Ich glaub, der Winterwind und die Sterne haben mich im Kopf und Herzen verwirrt gemacht, übermorgen reisen wir ab.
Weißt Du, was ich getan hab? – Ich ließ dem Ephraim sagen, ich werde zu ihm
kommen, gestern, und ich hab mich zu ihm führen lassen um dieselbe Stund, wo er
gewöhnlich kommt, aber es war gestern Freitag, und wie ich kam, saß er
feingekleidet auf seinem Sessel, und eine Lampe mit vier Lichtern war angezündet
auf dem Tisch. Er wollte aufstehen, aber er ist müde. Und wie ist es doch? – Ob er
wohl heimgeht zu seinen Vätern? – Ich brachte ihm zwei Goldstücke für meinen
Unterricht, er machte ein kleines Kästchen auf, wo ein Paar Trauringe drin liegen
und allerlei Schmuck, er sagt, es sei von seiner verstorbenen Frau und von seinen
Kindern. Er legte die Goldstücke dazu, das alles ist so fein, so edel. Welch ein
geistig Gemüt. O Ephraim, du gefällst mir unendlich wohl. Ich hatte ihm seinen
Rosenstock zurückgebracht, er sollt ihn aufbewahren, die Rosen sind viel mehr
aufgeblüht, wie schön standen sie bei der hellen Lampe zu seinem schneeweißen
Bart. Ich sagte, die Rosen und euer Bart gehören zusammen, und es ist mir lieb,
daß ich keine abgebrochen habe, denn Ihr seid vermählt zusammen
Er hat mich aber gesegnet, wie ich von ihm ging, und ich hab ihm die Hand geküßt; und wie ist doch der Geist so schön, wenn er ohne Tadel reift. Sein Enkel mußte mich nach Haus begleiten auf seinen Befehl, weil ich nur eine Magd bei mir hatte. Ich schickte ihn aber bald wieder zurück und hab dem Enkel gesagt, er soll dem Großvater sagen, daß er alle Tage meiner gedenke, bis ich wiederkomm. – Als ich wegging vom Ephraim, legte er mir die Hand auf den Kopf und sagte: »Alles Werden ist für die Zukunft.«
Ich ging zu Hause gleich nach dem Turm, weil ich mich noch einmal recht deutlich besinnen wollt auf dieses mächtige und doch so einfache friedenhauchende Geistesgesicht, so wie ich ihn eben verlassen hatte im Schimmer der hellen polierten vierfachen Lampe, die Rosen bis zu seinem weißen Bart sich neigend, so hab ich ihn zum letztenmal gesehen. Deutet dies nicht auf seinen Abschied vom Erdenleben, das er so mühevoll, so friedlich, so freudevoll durchführte, denn auch mir hat er beim Abschied gesagt: »Sie haben mir viel Freude gegeben.« – Und wie ich eine ganze Weile an ihn gedacht hatte, so besann ich mich auf seine Worte: »Alles Werden ist für die Zukunft.« – Ja, wir nähren uns von der Zukunft, sie begeistert uns. – Die Zukunft entspringt dem Geist wie der Keim der nährenden Erde. – Dann steigt er himmelauf und blüht und trägt Erleuchtung. – Der Baum, die Pflanze ist der Geist der Erde, der aufsteigt zum Licht, zur Luft. Der Geist der Erde will sich dem Licht vermählen, das Licht entwickelt die Zukunft.
Alles echte Erzeugnis ist Auffahren zum Himmel, ist Unsterblichwerden.
Und die Schönheit dieses Mannes leuchtete mir da in der letzten Stunde auf dem Turm so recht hell auf, denn das Bild mit den Rosen, es war, als hätt es mein Genius bestellt, daß ich's recht fassen solle, wie Du die Tempelhalle geweiht achtest, von der Du weißt, daß inner ihren Mauern die Opferflamme lodert, der Tempel ist nur dann heilig, wenn er den Menschen, den eignen Leib darstellt, – und des Gottes Lehre den eignen Geist. – Das hat er einmal gesagt zu mir.
Und eben sah ich noch die Studenten ins Kolleg gehen, und sie waren recht verwundert, daß der Rosenstock nicht mehr da war. Ich sah's ihnen an, es war ihnen leid, sie hatten nun schon acht Tage hintereinander die Rosen gezählt. – Wartet nur, ihr werdet ihn bald ausfindig machen, und dann werden die Artigsten unter euch meine Rosen in der Weste tragen dürfen.
Bettine