Hanns von Scharnast hatte ein lächerliches Fideikommiß gestiftet. Seine Burg
Rothenstein samt Zugehör an Untertanen, an Jagd-, Fisch- und Berggerechtigkeit solle
sich in gerader Linie immer auf den ältesten Sohn forterben; ist kein Sohn da, auf
Töchter, und in Ermanglung dieser auf die älteste Seitenlinie und so fort, bis etwa
einmal der Fall eintritt, daß weder ein Kognat, noch ein Agnat von benanntem Hause
übrig ist, wo sodann die Burg samt Zugehör an den Fiskus fällt. Bis hieher wäre alles
richtig; aber eine Bedingung fügte er dem Fideikommisse bei, welche der ganzen Sache
eine andere Wen dung gibt. Jeder nämlich, dem die Burg als Erbschaft zufiel, mußte,
ehe sie ihm ausgeantwortet würde, zweierlei Dinge leisten: erstens mußte er schwören,
daß er getreu und ohne geringsten Abbruch der Wahrheit seine Lebensgeschichte
aufschreiben wolle, und zwar von der Zeit seiner ersten Erinnerung an bis zu jener,
da er nur noch die Feder zu halten im Stande war. Diese Lebensbeschreibung solle er
dann Heft für Heft, wie sie fertig wird, in dem feuerfesten Gemache hinterlegen, das
zu diesem Zwecke in den roten Marmorfels gehauen war, der sich innerhalb der Burg
erhebt; – zweitens mußte er schwören, daß er sämtliche bereits in dem roten Steine
befindlichen Lebensbeschreibungen lesen wolle, wobei es ihm aber nicht gestattet ist,
irgendeine von dem Gemache ihrer Aufbewahrung wegzutragen. Wer eine von
Der Grund, der Hannsen leitete, eine so seltsame Klausel an sein Fideikommiß zu hängen, war ein zweifacher. Erstens, obwohl er ein sehr frommer und tugendhafter Mann war, so hatte er doch in seinem Leben so viele Narrheiten und Übereilungen begangen, und es war ihm daraus so viel Beschämung und Verdruß zugewachsen, daß er beschloß, alles haarklein aufzuschreiben, ja auch seinen Nachfolgern die Pflicht aufzulegen, daß sie ihr Leben beschreiben, damit sich jeder, der nach ihnen käme, daran zu spiegeln und zu hüten vermöge.
Der zweite Grund war: daß sich jeder, der nur die entfernteste Anwartschaft auf Rothenstein hätte, gar wohl von Laster und Unsitte fern halten würde, damit er nicht dereinst in die Lage käme, sie beschreiben zu müssen, oder sie doch halbswegs einzugestehen, wenn er den Eid von sich schiebe.
Was nun den ersten Punkt anlangt, so hatte Hanns das Unglück, das schnurgerade
Gegenteil von dem zu erreichen, was er erzielen wollte. Es mußte nämlich von ihrem
Ahnherrn her so viel tolles Blut und so viel Ansatz zur Narrheit in den Scharnasts
gelegen haben, daß sie, statt durch die Lebensbeschreibungen abgeschreckt zu
In Bezug des zweiten Punktes, der Tugend nämlich, war es nicht recht klar, in wie weit der Gründer seinen Zweck erreicht habe; man sagte wohl den Scharnasts verschiedenes Böse nach, allein es kroch immer nur so im Dunkel herum: andrerseits stand aber auch die Tatsache fest, daß man sich nie einer Zeit erinnern konnte, wo einer von ihnen als ausnahmsweises Muster der Tugend wäre aufgestellt worden.
Heutzutage liegt die Burg beinahe in Trümmern, und seit der letzte Scharnast in Afrika erschossen worden ist, konnte man auch gar keinen Anwärter mehr auf den Rothenstein auftreiben, und ein Schalk warf bereits die lächerliche Rechtsfrage auf, ob nun auch der Fiskus seine Lebensbeschreibung werde schreiben müssen.
So standen aktengemäß die Sachen, als sich das zutrug, was wir in den folgenden Blättern erzählen wollen.
Eines schönen Sommertages gegen Abend im Jahre 1836 schritt ein junger, leidlich
schmucker Bursche das romantische Waldtal der Fichtau an dem Flusse Pernitz entlang.
Dieser Mann war trotz des jungen freundlichen Gesichtes lächerlich anzusehen; denn er
war verworren angezogen und mit den seltsamsten Dingen bepackt. An einem
Des Abends nun an jenem schönen Tage, dessen wir oben erwähnten, ging er schleuniger als gewöhnlich neben der Pernitz hin, und machte mit Händen und Armen allerlei Bewegungen, wie einer, der ungeduldig und hastig ist, oder mit sich selbst redet. – Freilich war der Mann schon in seiner Jugend mit diesem Übel der lauten Selbstgespräche behaftet, und was noch ärger ist, er deutete auch immer mit den Händen dazu, besonders, wenn er von Eifer oder Ungeduld gestachelt war, in welche beide er übrigens sehr leicht geriet.
Er hatte eine Gruppe Häuser vor sich, auf die er zusteuerte. An einer Stelle nämlich, wo sich das Tal am meisten erweiterte und der Fahrweg ordentlich in eine breite Straße auseinanderging, stand das Wirtshaus der Fichtau, zur grünen Fichtau geheißen, zwar nur aus Holz gezimmert, aber mit einer glänzenden Fensterreihe auf den Straßenplatz heraussehend, der so groß und eben war, daß hundert Wagen hätten darauf stehen können. – Mit Scheunen und Schoppen und einem großen Garten ging das Haus in den geräumigen Winkel eines Seitentales zurück, aus dem ein starker Bach hervorsprudelte. Jenseits des Baches steht eine Sägemühle, dann ist noch eine Schmiede, und weiter zurück hinter dem Wirtsgarten sind vier oder fünf Häuser mit blanken Fenstern und dem schönen flachen Gebirgsdache.
»Gott grüß Euch, Vater Erasmus«, sagte er eilig zu dem Wirte, der mit seinem großen Hunde auf der Gasse stand und mit dem Schmiede und einem Fuhrmann plauderte, welcher Fuhrmann eine Art Wochenbote war und alle Sonnabende bei dem Wirte zur grünen Fichtau anzukommen pflegte, wo er alles abgab, was immer für die Fichtauer aus dem Flachlande eingelaufen sein mochte. Sein Schecke stand im Stalle, sein Wagen im Schoppen, und er saß in der Abendsonne auf der langen Gassenbank des Wirtshauses, seine Gebirgspfeife rauchend und Neuigkeiten aus dem Lande draußen auskramend. »Gott grüß Euch, Vater Erasmus«, sagte also der angekommene Wanderer; »ich werde nur schleunig diese Sachen auf mein Zimmer hinauftragen, und sogleich wieder herabkommen und Euch eine Menge ausfragen. Ich habe heute die wundervollsten Ruinen entdeckt, und sie sogar gezeichnet.« Und somit ging er die Treppe hinan.
»Nun das geht dem noch ab, daß er das verrückte Schloß gefunden hat«, sagte der Wirt zu den zwei andern, aber der hinauflaufende Mann hatte diese Worte mit seinem scharfen Gehöre vernommen, und wurde dadurch nur noch mehr gespannt. Nachdem er das Gepäcke abgelegt und einen gehörigen Hausrock angetan hatte, kam er in dem Augenblicke wieder herunter, ein Papier in der Hand tragend, auf dem ein weitläufiges auf Felsen herumgruppiertes Mauerwerk mit Bleistift sauber skizziert war.
»Das ist doch ein höchst merkwürdiges Gebäude,« sagte er, »ich bin vollständige vier
Stunden selbst mit Anlegung meiner Steigeisen rings um dasselbe herumgeklettert,
»Ei so«, sagte der Wirt, und sah die andern zwei pfiffig an.
»Was denn, ei so? die Sache ist haarscharf, wie ich sage, und ich begreife nicht, was da ein solches ›ei so‹ sagen will.«
»Ich meine nur,« antwortete der Wirt, »daß das jeder Mensch in der Fichtau weiß, und daß es wunderbar ist, daß Ihr allein es nicht wisset.«
»Ich sehe nicht ein, woher ich es wissen sollte; ich sage Euch ja, ich habe heute das Schloß gerade erst so frisch gefunden, als hätte ich vor dritthalbhundert Jahren Amerika entdeckt. In Eurem Lande unterstützt man Forschungen so wenig, daß sie den schönsten Marmor unbeachtet liegen lassen, oder höchstens Schweintröge daraus machen. Ihr selbst habt Eure Mistjauche hinten mit Stücken des feinsten Kornes eingedämmt.«
»Hab ich das? ei, ei, Oheim, wenn Ihr weiter forschen werdet, so werdet Ihr auch Türstöcke und Wasserkufen davon finden, und wenn Ihr dort überhaupt forschen dürftet, so fändet Ihr in Annens Schlafkammer die feinsten Fenstersimse davon gemeißelt, und einen Waschtisch und Weihbrunnenkessel und ich weiß nicht, was noch, und in der Pernitz liegen noch unzählige Stocke und Blöcke, auf die niemand achtet als die Forellen, die darunter aus- und einschlüpfen.«
»Hab alles außer dem Waschtisch und Weihbrunnenkessel schon gesehen und beobachtet«, entgegnete der Wanderer; »aber da habt ihr wohl Türpfosten, das ist gut; allein eines Eurer Herdecken ist auch von rotem Marmor, während das andere von Ziegeln ist; – aber das ist Nebensache. – Ihr sagt da von Forellen – haben wir morgen einige? Ihr habt sie uns auf Sonntag versprochen.«
»Eine Million ist unten im Fischtroge, – eine Million.«
»Sollst haben, schwarzer Ohm,« sagte der Wirt, »sende nur herüber – also der Stadtschreiber kommt, und also auch die schneeweiße Thrine mit – schau, schau, –«
Und mit diesen Worten wiegte er den Kopf hin und her, gleichsam als dächte er nach, und sein unmäßig großer, graugetigerter Hund saß mit dem Rücken gegen die untergehende Sonne, daß seine Rückenhaare wie feurige Spieße glänzten, und schaute seinem Herrn altklug ins Gesicht. Aber auch der junge Wandersmann stand noch immer trotzig mit seiner Schloßzeichnung da, und schaute ihm auch ins Gesicht und sagte: »Das mit den Forellen ist nun gut, Vater Erasmus, – den Stadtschreiber und die schneeweiße Thrine werden wir morgen begrüßen. Ich will selber einen schönen Rock antun und mit in die Kirche hinausfahren; aber nun gebt mir auch ein klein Gehör. – Der Abend ist so schön als einer. Wir haben uns alle bei Tage geplagt; morgen ist Sonntag, und da dürfen wir heute schon noch ein wenig in der Dämmerung plaudern. Lasset mir den Wein auf den Gassentisch stellen, ich setze mich zu Boten-Simon auf die Bank, und wenn er Euch alle Getreidepreise von draußen gesagt und die Pferde- und Wein- und Kriminal-und Unglücksgeschichten erzählt hat: dann schaut aber auch auf mein Papier her, und sagt, was es mit diesem Schlosse ist, das da so, ohne daß jemand etwas davon weiß, mitten in der Fichtau steht, mit Abenteuerlichkeit geziert, und so gut als in gar keinem Stile gebaut ist.«
»Das ist recht schön, Oheim, daß die Thrine herauskommt,« sagte der Wirt, »aber wenn
sie nur nicht wieder eine Fracht Bücher bringt und bei Annen abladet – und da müssen
wir ja doch noch vor Sonnenaufgang sehen, daß wir einige Salblinge fangen und
nachmittags ein
»Wer ist denn dieser Ruprecht, und wie macht man es denn, daß er einen hineinläßt?«
»Das wäre sehr leicht,« antwortete Vater Erasmus, »wenn nur selber einmal herauskäme.«
»War gleichwohl gestern in Priglitz«, sagte der Schmied »und redete mit meinem Schwiegersohne, dem Stadtschreiber; ich stand selber dabei, als ihm der sagte, daß noch immer niemand aufgetrieben sei.«
»Ich habe ihn auch gesehen,« redete jetzt der Boten-Simon darein, »es ist wirklich so, und ein erstaunlicher all ist es, daß ein so herrisches, verbreitetes Geschlecht ganz und gar ausgestorben sein soll – keine Maus hat sich gemeldet. Das Schloß, lieber junger Herr, das Euch so anliegt, daß Ihr es gar auf Papier abgerissen habt, das Schloß ist jetzt zu haben, und Einkünfte genug dazu; es kommt nur darauf an, daß Ihr von einer recht närrischen Familie abstammet.«
»Ich gehöre selber unter den Rothenstein,« sagte der Wirt, »und das ganze rechte Pernitzer Viertel samt Zehent und Gebühren, dann das linke Viertel bis in die Hatzleser Gräben, und ich glaube auch noch die Waldhäuser bis zum Ottostift hinauf, und bis an den Asang.«
»Der Asang gehört auch noch dazu«, sagte der Schmied; »der ist nur seit dem alten Julian an die Priglitzer verpfändet; mir hat es mein Schwiegersohn, der Stadtschreiber, erzählt.«
»Das ist nicht wahr«, rief der Boten-Simon; »ich bin
»Das ist,« entgegnete der Schmied, »weil der alte Julian älter ist als ihr alle, dein Scheck dazu gerechnet, und weil ihr eher an Priglitz verpfändet waret, als ihr geboren wurdet. Mein Schwiegersohn, der Stadtschreiber, hat mir einmal die Urkunde auf dem Stadthause gezeigt, und gestern hat er gesagt, daß jetzt alles kaiserlich wird, und dann wird der Pfandschilling hindangezahlt und der Asang wieder an das alte Eisen angeschweißt. Der Julian war sonst ein entsetzlicher Herr; er hat seinen leibeigenen Bruder erschlagen.«
»Nicht erschlagen,« sagte der Wirt, »sondern nur um das, Erbe der Mutter hat er ihn
gebracht, weil er nie genug hatte, obwohl ihm auch der Rothenstein zugefallen war. In
unsrem eigenen Hause war es, wo sie die Zusammenkunft hatten – mein Großvater war
damals noch ein Bube, und er hat es uns wohl hundertmal erzählt – es war das letzte
Mal, daß sich die Brüder gesehen hatten. Sie hießen Julius und Julianus. Julianus war
der ältere, und da ihr Vater starb, war Julius in weiten Ländern, und kam auch gar
nicht auf den Rothenstein, sondern auf unsrer Gasse sahen sie sich zum ersten Male
seit Jahren wieder, und da hatten sie sich zum Willkomm umarmt, daß die Schwerter an
ihnen rasselten, und dann sind sie in die grüne Oberstube hinaufgegangen, und die
Pferde blieben auf der Gasse stehen. Die Kinder, nämlich mein Großvater und seine
Schwester, dann auch ihre Mutter saßen beängstigt herunten in der Schenkstube, weil
ihnen gleich nichts Gutes ahnte. Anfangs hörten sie nichts über sich als den ruhigen
Schritt der beiden Männer, wie sie oben taktgemäß auf und nieder gingen; dann war es
stille, als ständen sie und als ob einer spräche. – Mein Urgroßvater, der damalige
Schenke, kam kreideweiß zu
»Weil ihn doch der Julianus irgendwo erschlagen hat«, versetzte der Schmied.
»Dann müßte er ihn tiefer begraben haben, als Regen und Tau dringen können,«
versetzte der Wirt, »daß ihn nicht die Pernitz oder unsere Bergwässer zu Tage
gewaschen
»Mein Schwiegersohn, der Stadtschreiber,« sagte der Schmied, »meint selber – seit der letzte Abkömmling des Julian tot ist, und nun bereits das Schloß mit Lieg- und Fahrnissen in die Jahre lang allwärts ausgeschrieben ist, sei es seltsam, daß sich keine Klaue und kein Hufnagel gefunden, der Anspruch machen könne – also ist der Julius damals erschlagen worden.«
»Das ist nur so, Kinder,« sagte der Boten-Simon, indem er die Pfeife ausklopfte, und wieder anstopfte, und alles umständlich tat, und seine Rede beim Wiederanzünden durch kräftiges ›Paff, Paff‹ häufig unterbrach – »das ist nur so: im Lande draußen erzählte mir vor langen Jahren ein Krämer, daß der Julius in Kriegsdienste des französischen Königs gegangen sei – aber da widerredete es ein alter Stelzfuß und sagte: der Julius habe nicht gar so weit von der Fichtau gelebt, eine Bauerndirne geheiratet, und seine Tochter wieder an einen niedrigen Mann gegeben, und so sei nach und nach das Geschlecht im Volke verronnen, wie es ja auch einst daraus entstanden war.«
»So mag es sein,« sagte der Wirt, »oder es mag auch anders sein, aber daß er ihn erschlagen, glaube ich nicht; so schlecht waren sie nicht, sondern bloß alle närrisch.«
Der Wandersmann hatte bisher mit steigendem Interesse zugehört; nun stellte er seinen Krug zurück und sagte: »Ja, wie weiß man denn, daß sie närrisch waren?«
»Nun Gott sei Dank,« antwortete der Wirt, »närrisch genug, junger Oheim, habt Ihr
denn das nicht schon an dem Schlosse erkennen mögen, da es weder Tor noch Eingang hat
und in keinem Stile gebaut ist, wie Ihr selber sagt. Oder ist es etwa vernünftig, wie
der letzte Zweig aus dem Stamme des Julian tat, oder wie sein Vater, der vorletzte,
tat? Mit unsrem letzten Herrn
»Das Schloß hat er angezündet?«
»Ja, er selber hatte es an einem Pfingstsonntage angezündet, und wehrte allen denjenigen, die da zu löschen kamen, weil er sagte, daß hundert Zentner Pulver in den Gewölben seien und losgehen würden, aber es ging nichts los, und das Gebäude brannte friedlich und fast lieblich nieder. Er hatte die vielen Jahre vorher ganz ruhig und ordentlich darinnen gewirtschaftet, nur daß über dem Tore die Aufschrift stand: ›Hier wird keinem Bettler etwas gegeben‹.«
»Ist denn nicht die Herrschaft ein Fideikommiß? wie durfte er denn das Schloß zerstören?«
»Freilich ist sie eines, aber da hat er innerhalb der Schloßfriedigung abseits den
andern Gebäuden einen seltsamen Tempel aufgeführt, mit vielen Säulen, wie man sie oft
als Lusthaus in hochherrschaftlichen Gärten sieht, und in diesem Tempel hat er
gewohnt, wie man sagt, in ungewöhnlicher Pracht und Üppigkeit, mit seiner Frau, einer
wunderschönen Zigeunerin, die er einmal brachte und dieses Bauwerk hat er dann
angezündet. Es war freilich sein Eigentum, aber man erzählt, er habe für diese
»Und Grafen waren die Besitzer des Rothensteines?« fragte der Wandersmann.
»Grafen Scharnast seit dem Hussitenkriege, früher waren sie bloß Barone und Ritter; aber es war ein reiches Geschlecht, und wäre es noch, wenn der Julian nicht so viel verschleudert hätte.«
»Da muß ich gleich einen Brief in dieser Geschichte schreiben,« sagte der Wandersmann, »und Ihr müßt ihn heute noch durch einen eigenen Boten nach Priglitz hinausschicken.«
Alle, selbst der Boten-Simon, der neben ihm auf der Bank saß, schauten bei diesen Worten dem Wanderer ins Gesicht und hoben an zu lachen – der Wirt aber sagte: »Wenn Ihr das Schloß und die Grafen beschreiben wollt, so ist es freilich mehr der Mühe wert, als wenn Ihr unsre Feldsteine und die Pernitz oder gar das Heu beschreibt, wie bisher; aber da kann Euch nur der uralte Ruprecht die beste Auskunft geben – – –.«
»Nichts leichter als das«, sagte der Wirt; »es ist heute Samstag, und da müssen abends die Holzknechte aus den Bergen kommen; ich erwarte sie jeden Augenblick, und um Geld und gute Worte geht wohl einer hinaus.«
»Das ist wahr« entgegnete der Wanderer, »ich habe im Drange der heutigen Dinge auf die Holzknechte gar nicht gedacht; es geht ja ohnedies mancher des Weges, nicht wahr? oder nicht weit daneben?«
»Allerdings, allerdings«, sagte der Wirt schmunzelnd, und gleichsam, als könne er den aufkeimenden Gedanken nicht unterdrücken, hob er nach einer Weile lauernd an: »Wenn Ihr also die Burg nicht beschreiben wollt, so meint Ihr etwa gar...?«
»Ich meine gar?....«
»Ein Nachkomme des Julius zu sein«, endete der Wirt den Satz, und sah sehr verschmitzt aus.
Ohne aber eine Miene zu verziehen, versetzte sein Gegenmann: »Das könnte weit eher der Fall sein, Vater Erasmus.«
Der Wirt, an die ungeheuersten Aussprüche seines Mietmannes gewöhnt, war gleichwohl durch die trockene Art ein wenig beirrt; allein um sich im Wortkampfe nicht übertreffen zu lassen, nahm er sich gleich die noch größere Freiheit und sagte: »Wenn das ist, dann ist es freilich nicht mehr wahr, was ich mir eben dachte.«
»Nun und was dachtet Ihr Euch denn eben?«
»Ich dachte mir, wenn der Julius eine Bauerndirne geheiratet hat, so könnte uns, weil die Art gewechselt wurde, wie man es mit dem Samenkorn der Felder tut, daß es wieder frisch anschlägt – es könnte uns so, was man sagt... ein gesetzterer Herr kommen.«
Aber wie früher, ohne sich im geringsten aus der Fassung
Er hatte noch das Wort im Munde, als eben zwei jener malerischen Gestalten, wie wir sie so gerne als Staffage auf Gebirgslandschaften sehen, um die Ecke bogen, und fröhlich ihre Siebensachen, als da sind: Äxte, Sägen, Alpenstöcke, Steigeisen, Kochgeschirre usw. auf die Gasse oder auf die lange Bank niederwarfen, und sich anschickten, ebenfalls Platz zu neh men. Die abendliche Szene auf der Gasse vor der grünen Fichtau begann sich nun zu ändern und jener Lebhaftigkeit zuzuschreiten, die unser Wanderer an jedem Samstage zu erleben gewohnt war, und die er so liebte. Er achtete des Wirtes nicht mehr weiter, sondern saß bereits bei den zwei Knechten und war schon im lebhaften Gespräche mit ihnen begriffen. Sie hatten den grünen Hut mit Federn und Gemsbart abgelegt, den grauen Gebirgsrock zurückgeschlagen, und zwei verbrannte, lustige Gesichter sahen mit dem gesundesten Durste dem Wirte entgegen, der ihnen eben zwei Gläser voll jenes unerbittlichen Gebirgsweines brachte, den nur ihre harte Arbeit bezwinglich, ja sogar zum erquickenden Labsale macht.
»Laßt Klöße durch Eure Weiber richten,« rief einer, »aber viele; denn der Melchior
und die andern kommen nach – und fett genug laßt sie machen, daß sie Euren Wein
bändigen. – Auch die aus den Laubgräben kommen, und aus der Grahnswiese; ich sah sie
droben den Hochkegel niedersteigen, als wir gegen die Pernitz herausgingen, und hörte
ihr Jauchzen. – Dem Gregor ist ein
»Drum kommt er wieder so langsam hervor«, sagte der Wirt; »ich höre das Herdeläuten schon eine halbe Stunde.«
»Das wirft nur die Kaiserwand und der Grahns so herüber; er ist noch weit hinten. Wir gingen im Fichtauergraben bei ihm vorbei, wie eben die Böcke das Gerölle niederstiegen und die Rinderglocken noch weit oben längs dem Gesteine läuteten«
Wieder kam eine Gruppe, während er noch redete, jodelnd und singend die Straße an der Pernitz heraus, und sammelte sich an dem Gassentische der grünen Fichtau, um einen Labetrunk zu tun und fröhlichen Wochenschluß zu feiern, da ihnen der Holzmeister Geld gegeben und sie sechs Tage lang nur grüne Bäume und graue oder rote Steine gesehen hatten.
»Gott zum Gruß! – Gott zum Dank!« scholl es hin und wider.
»Habt viel Arbeit getan: die Kaiserwiese liegt wie überschwemmt von Scheitern.«
»Geht an, geht an, über die Hochkogelwand warfen wir noch einige Klafter mehr herunter.«
»Schöne Tage! Wir waren auf dem Grat des Kogels, ich habe seit fünfzehn Jahren nicht so weit gesehen; die Ebene lag wie ein Bild da, und in der Stadt hätte ich fast die Fenster zählen können; Euren Rauch sahen wir aus den Laubgräben steigen.«
»Ja wir waren in den Laubgräben, und sind es nun schon sechs Wochen. Der alte tote
Prokopus geht auch wieder um; ich weiß es gewiß; er hat in der Nacht musiziert, ich
hörte es selber, und auch heute nachmittags hörte ich es; denn da so um vier Uhr
herum ein schwacher Wind aufstand und durch die Föhren ging, da trug er deutlich
»Hab auch schon davon reden gehört, aber glaub es nicht.«
»Der Wein ist wie Enzian«, rief wieder einer.
»Trink ihn nur, Gevatter Melchior,« sagte der Wirt, »du trinkst Gesundheit hinein, wie Stahl und Eisen.«
So scherzten und lachten sie. Mehrere neue waren gekommen, darunter auch zwei Gebirgsjäger. Ihre Sachen lagen herum und füllten die Gasse: ganze Haufen und Bündel von Steigeisen, eine Garbe Alpenstöcke, lodene Überröcke, Gebirgshüte, eiserne Kochschüssel und anderes, und wieder anderes – Krüge und Gläser mußten herbei; die Klöße kamen und wurden verzehrt, und da abgeräumt war, erschienen zwei Zithern auf dem Tische, die zusammen spielten, und die braunen Gesellen mit dem Blicke des Gebirges saßen herum und taten sich gütlich – und erzählten von ihren Fahrten und Tageserlebnissen. Und ein prachtvoll herrlicher Abend war mittlerweile über das Gebirge gekommen. Die Sonne war über die Waldwand hinunter und warf kühle Schatten auf die Pernitz; im Rücken der Häuser glühten die Felsen, und wie flüssiges Gold schwamm die Luft über all den grünen Waldhäuptern weg. Alles schien sich zur Wochenruhe und zur Feier des Sonntags zu rüsten.
Die Jäger waren aus dem Gebirge gekommen, die Bergarbeiter waren auf dem Heimwege,
und mancher sprach in der grünen Fichtau ein wenig vor. – Weiber und Mägde und
Töchter wuschen am Bache Fenster, Schemel und jede Gattung hölzerner Geschirre; – das
Rauschen der Sägemühle hatte aufgehört, und die Herde, deren Geläute man schon lange
einzeln oder harmonisch aus dem Gebirge herab gehört hatte, war nun endlich auch
angekommen; – aus dem Seitentale ging sie manierlich hervor, eine Sammlung der
unterschiedlichsten Haustiere, fast das gesamte Eigentum der Fichtau. Vorerst
»Vertrinkt den Ärger, Gregor,« sagte der Wirt, »heute kostet Euer Wein nichts, und das Lamm kaufe ich Euch morgen um gutes Geld ab.«
»Es ist nicht wegen dem,« antwortete Gregor, »aber es war ein gar so schönes, munteres Tier.« Und er setzte sich doch nieder und führte das Glas Wein langsam zum Munde. Und immer feierlicher floß die Abenddämmerung um die dunklen Häupter der Gebirge, immer abendlicher rauschten die Wasser der Pernitz, und immer reizender klangen die Zithern.
Der Wanderer saß mitten unter diesen Gebirgssöhnen.
»Ja freilich, ich fahre sogar mit dem einen Eurer Füchse, um die Thrine abzuholen, falls Ihr nichts dagegen habt.« »Gar nichts, und somit schlaft wohl.«
»Gute Nacht.«
Und nach einer halben Stunde war es finster und still im ganzen Hause der grünen Fichtau, als wär es im Tode begraben. Gleichwohl entfaltete sich noch ein anderes Bild in dieser Nacht, das wir beschreiben müssen.
Die Stunden der ersten süßen Nachtruhe begannen zu fließen. – Die Nacht rückte immer weiter auf ihrem Wege gen Westen, und ward immer stiller; nur daß die Wässer, wo sie hinter die Felsen rannen, unaufhörlich plätscherten und rieselten – aber ihr eintönig Geräusche war zuletzt auch wie eine andere Stille, und so war jene Einfachheit und Pracht der Nacht gekommen, die unsrem Gemüte so feierlich und ruhend ist.
Der Mond stand senkrecht über der Häusergruppe und legte einen fahlgrauen Schimmer
über die Bretterdächer und blitzende Demanten auf den Staubbach. – In dem Garten
stand jedes Gräschen und jedes Laubblatt stille und hielt eine Lichtperle, als
horchten sie dem in der Nacht weithin vernehmlichen Rauschen der Pernitz: da ging den
Gartenweg entlang eine weiße Mädchengestalt, und hinter ihr der riesig große
Wirtshund, ruhig und fromm, wie ein Lamm, und an beiden floß das volle, stille, klare
Mondlicht nieder. Das Mädchen schien unschlüssig und zaghaft; sie ging zusehends
langsamer, je weiter sie kam, und einmal blieb sie gar stehen und legte die weiche
Hand auf das struppige Genick ihres Begleiters, als horche sie oder zage – – dicht
neben ihr in
»Anna!« flüsterte eine gedrückte Stimme.
»Um Gottes willen, ich bin ein schlechtes, unfolgsames Kind!«
»Nein, du bist das süßeste, geliebteste Wesen auf der ganzen weiten Erde Gottes – Anna! fürchte dich nicht vor mir.«
»Ich fürchte mich auch nicht vor Euch. Das weiß ich ja, daß Ihr gut seid, aber schon, daß ich gekommen bin, ist schlecht, und macht mich fürchten.«
»Es ist nicht schlecht, weil es so selig ist, es ist nur anders gut, als dein Vater und deine Mutter meinen.«
»Gut ist es wohl nicht, allein ich kam, weil Ihr so sehr darum batet, und weil Ihr so seid, daß Ihr jemanden brauchet, der Euch gut ist.«
»Und also darum bist du mir gut? – – bist du, Anna?«
»Ich bin es freilich, obwohl es mir zu Zeiten recht Angst macht, daß es so heimlich ist- – und sagt nur, warum muß ich denn jetzt in später Nacht bei Euch in dem Garten sein?«
»Frage nicht, Anna; siehe, daß du frägst, könnte mich fast schon kränken. Ich habe dir sehr Wichtiges zu sagen; aber ich bin aufrichtig, und bekenne es – nicht was ich sagen werde, scheint mir die Seligkeit, sondern eben daß du da bist; – es ist so lieb, daß ich dich bei der Hand fasse und fühle, wie du sie mir nicht gerne lässest, und sie mir doch gerne lassest, daß ich dein Kleid streife, daß du neben mir niedersitzest – – siehe, schon daß ich deinen Atem empfinde, dünkt mir lieblich – ist es dir denn nicht auch so? – – ist es nicht so?«
Sie antwortete nicht, aber die Hand, die er ergriffen hatte, ließ sie ihm; zu dem
Sitze ließ sie sich niederziehen
Er zog sie gegen den Sitz nieder, und sie folgte widerstrebend, weil fast kein Raum
war; denn Anna hatte ihn einst so klein machen lassen, da sie noch nicht wußte, wie
selig es zu zweien ist. Jetzt aber wußte sie es, und bebend, mehr schwankend als
sitzend, stützte sie sich auf das zu kleine Bänkchen – auch der Mann war beklommen;
denn in beiden wallte und zitterte das Gefühl, wodurch der Schöpfer seine Menschheit
hält – das seltsam unergründliche Gefühl, im Anfange so zaghaft, daß es sich in jede
Falte der Seele verkriechen will, und dann so riesenhaft, daß es Vater und Mutter und
alles besiegt und verläßt um dem Gatten anzuhangen – es ist ein Gefühl, das Gott nur
an dem Menschen, an seinem vernünftigen Freunde, so schön gemacht hat, weil er seiner
zermalmenden Urgewalt ein zartes Gegengewicht angehängt ein zartes, aber
unzerreißbares – die Scham. Darum, was das Tier erst recht tierisch macht, das hebt
den Menschen zum Engel des Himmels und der Sitte, und die rechten Liebenden sind
heilig im menschenvollen Saale, und in der Laube, wo bloß die Nachtluft um sie
zittert ja gerade da sind sie es noch mehr, und bei ihnen fällt kein Blättchen zu
frühe oder unreif aus der großen Glücksblume, die der Schöpfer ihnen zugemessen
hatte; es fällt nicht, eben weil es nicht fallen kann. Und so saßen die zwei, und
hatten noch nicht die Macht gewonnen, die Rede zu beginnen. Er sann auf einen Anfang,
und konnte ihn nicht finden; sie fühlte es ihm an, und dennoch konnte auch sie das
Wort nicht vorbringen, das ihm das seine erleichtert hätte. Ihr dritter
Gesellschafter blickte zu ihnen auf, als begriffe er alles, und es war fast
lächerlich, wie er, obwohl er beide liebte, doch auf beide
Anna in der Güte ihres Herzens sah freundlich auf ihn nieder, ja sie legte ihre Hand auf seine Stirne, weil er sie dauerte, daß sie ihm nun – ja nicht nur ihm, sondern auch dem Vater und der Mutter fast alle Liebe entzog und einem fremden Manne zuwende.
Dieser fremde Mann aber sagte mit gedämpfter Stimme: »Damit du weißt, Anna, warum ich dir das Briefchen zustellte und dich gar so dringend bat, heute in die Laube zu kommen, so wisse, es hat sich etwas sehr Wichtiges zugetragen, was auf mein und auf dein Schicksal großen Einfluß haben kann; aber vorher muß ich etwas anderes wissen, und ich frage sich darum, ob es denn wirklich, ob es denn möglich ist, daß du mich so sehr lieben kannst, wie ich dich? – – Du schweigst? – Anna, so sage doch –« »Wäre ich denn sonst gekommen?«
»Du liebe Blüte – wie bin ich in der Welt schon so viele Tage unnütz herumgegangen, und da kam ich in dieses Tal, um Steine und Pflanzen zu suchen, und fand dich, die liebliche, die seltene Blume der Erde.«
»Redet nicht so,« antwortete Anna, »denn es ist nicht so jetzt sagt Euch bloß Eure Empfindung dieses vor, aber in der Tat ist es doch anders. Draußen in den Städten werden viele herrliche Jungfrauen sein, gegen die ich nur arm bin, wie ein Grashalm, den Ihr in unserm Tale pflücket, um Euch etwa einige Stunden daran zu erfreuen, wie an den andern, die Ihr sammelt.«
»Du ahnest nicht,« entgegnete er eifrig – »du Alpenblume, – o wenn du nur wüßtest,
wie hoch du über ihnen stehst, – aber wenn du es wüßtest, so ständest du ja schon
nicht mehr so hoch – – aber lasse dieses, – nur das eine wisse: daß ich dich mehr
liebe als alles in dieser Welt, und daß ich dich in alle Ewigkeit lieben werde; –
doch das alles ist natürlich und kein Wunder. Du wirst es selbst
»Wie ich Euch gut wurde? – – –«
»Höre, Anna, nenne mich auch du.«
»Nein, laßt mir das, ich kann nicht du sagen, es ist mir, als schicke es sich nicht; und ich könnte dann nicht so frei und freundlich reden.«
»Nun so rede frei und freundlich.«
»Wie ich Euch gut wurde? – seht! ich weiß nicht, wie es kam; als ich es merkte, war es eben da. Ich will Euch etwas von meiner Kindheit erzählen, vielleicht, daß Ihr es dann herausfindet. Mein Vater sagte immer, ich sei ein sehr schönes Kind gewesen, und da ich sein einziges bin, so tat er mir immer viel Liebes und Gutes, und ich und Schmieds Katharina bekamen schönere Kleider als die Nachbarskinder und die der ganzen Fichtau; deshalb wurden sie uns gram, und wir mußten immer allein gehen, und dies taten wir auch gerne, und da saßen wir oben auf der grünen Haide jenseits des Baches, über den der Vater den gedeckten Steg bauen ließ, daß wir nicht hineinfielen – da saßen wir und machten Grübchen in die Erde, oder pflückten Gras und Blumen, redeten mit den Käfern oder horchten den Erzählungen der alten Plumi....«
»Wer ist die Plumi?«
»Ei, Appolonia, die alte schwäbische Amme Thrinens, die sie bekommen hat, weil ihre
Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist, und die nach ihrer Heirat mit in die Stadt
gezogen ist. Sie erzählte uns von Goldfischchen, die gefangen war, und Prinz
Heuschreck, der klein und grasgrün war, und sieben Jahre durch fremde Länder hüpfen
mußte, bis er beide erlöste, wo er dann ein schöner Prinz
»Wie es kam, daß du mir so gut geworden bist.«
»Ach, die arme Thrine mußte den Stadtschreiber heiraten – sie tat es wohl gerne, und ging gerne mit, und die Plumi auch; aber ich war dann so arm, daß ich es Euch gar nicht beschreiben kann – – – und da kamet Ihr und habt mich mit so guten Augen angeschaut, und mit so schönen, und seid dann wieder so traurig geworden, daß es ordentlich ein Schmerz und eine Seligkeit war – – höret, wenn Ihr falsch sein könntet, das wäre nun recht abscheulich....«
»Nein, Anna, du unschuldsvoller Engel, sei mir gut, so lange mir dieses Leben währt; ich kann mir kein größeres Glück und keine größere Freude denken und wünschen als dich. Du bist viel besser als ich – und wenn du mein Weib bist, und wenn wir immer und immer beisammen sein werden, dann will ich ihnen in der Stadt zeigen – – nein, wir gehen gar nicht in eine Stadt, – unter Blumen und Bäumen will ich dich hüten, daß du bleibst, wie du bist, du holde, liebe Dichtung....«
»Laßt diese Dinge, und hört nur« – fiel sie ihm in die Rede. »Es war fast närrisch,
wie sehr ich Euch gut ward die Hühner, und die Blumen, und die Tauben halfen doch
alles nichts, ich konnte die Thrine nicht vergessen, und sie kam kaum jeden Sonntag
heraus. – Der Vater ließ mich fast nichts arbeiten, und ich tat auch nichts im Hause
als unnützes Zeug, höchstens die Küchlein füttern,
»Wohl, Anna, wohl.«
»Seht, ich hab es gleich gedacht, daß Ihr das getan habt – – wie Ihr so die allerlei Steine in unser Haus truget und mit ihnen lateinisch redetet, und wie Ihr die Blumen, wie Augen so schön, in die großen Bücher legen konntet und sie oft recht lange ansahet, so dachte ich: sie können ihn doch nicht wieder lieben, weil sie trotz ihrer Schönheit nur unvernünftige Dinge sind – und wer weiß, wie weit seine Mutter entfernt ist – und Ihr sahet aus, als müßtet Ihr gar so unendlich gut sein, noch besser als Thrine selber – und wenn sie Euch schalten, daß Ihr so unnütze Dinge treibt, so dachte ich: ich weiß es schon, weshalb er dieses tut; denn die Leute hier, wisset Ihr, kennen die Blumen und Steine nicht – und wenn mein Vater auf die Bücher Thrinens schmälte und sagte, es sei lauter Narrheit in ihnen, und wenn ich es auch schon selber zu glauben anhob, so war mir doch dazumal – – aber das ist zu lächerlich. – –«
»Nun, Anna, nun?«
»Es war mir öfters, als seid Ihr in einem solchen Buche gestanden und daraus in unsern Garten getreten – und wenn Ihr hinten saßet und das Antlitz so wie nachdenkend in Eure beiden Hände drücktet, so dachte ich, dies sei meinetwegen.«
»Es war auch deinetwegen – es war auch deinetwegen.«
»Seht Ihr? – und darum wars auch so da ich mir dachte, ich will ihm recht gut werden,
war ich es schon, mehr war ich es, als es nur ein Mensch aussprechen kann, und
»Und wenn es nun nicht gewesen wäre?«
»Es mußte ja, weil sonst alles ein Unding gewesen wäre, las nicht sein kann – ich weiß nicht, warum der Bach in die Pernitz fließen muß, aber ich weiß, das er es muß.«
»O, du ahnungsreiches Herz! er muß es, und er ist selig, daß er es muß. Das Ziel und Ende seiner Wanderung findet er dort – was weiter sein wird, ist ungewiß; nur ins ist sicher, das Beisammensein, und dieses eine ist alles, ob nun gezählte Jahre fließen, oder die ungezählte Ewigkeit, ob die Körper sich berühren, ob nicht, es bleibt so – – Die Leute nennens sonst auch Treue – – Aber siehe, der häßliche Fliederschatten deckt dir deine Stirne, und das süße Auge – neige das Haupt – so – noch ein wenig, mehr gegen mich – so –. Ich möchte den Mond dort an jenes blaue Fleckchen fest bannen, daß er immer herschiene und immer deine reine Stirne und das rührend schöne Auge beleuchtete – –.«
Und er nahm ihre Hand, drückte sie gegen sein pochendes Herz, gegen seine Lippen, gegen seine Augen – ihren Mund zu küssen, wagte er nicht. – Ihr Auge aber voll scheuer, unbewußter, heißer Zärtlichkeit blickte auf ihn, und sie sagte mit vor Rührung zitternder Stimme: »Da ich Euch nun so schnell und so sehr liebgewonnen und es Euch gesagt habe, da ich gar in der Nacht herausgekommen bin, weil Ihr so sehr batet, so dürft Ihr nun nicht falsch sein, Ihr dürft es durchaus nicht.«
»Gegen die Natur, geliebtes Herz, kann man nicht falsch sein, man ist es nur gegen
Wiederfalsches – man verläßt nur den, der uns verließ, noch ehe er uns fand, weil er
in uns nur seine Freude suchte. Du liebst, wie die Sonne scheint; du siehst mich an,
wie sich das grenzenlose Himmelblau der Luft ergießt; du kommst, wie der Bach zum
Aber sie sagte nichts, nicht eine Silbe; das naturrohe Herz, das nie gelernt hatte, mit seinen Gefühlen zu spielen und sie zu lenken, war bereits von ihrer Allmacht iiberwältigt, und sie konnte nichts tun, als das unsäglich gute Antlitz gegen ihn emporheben und den Mund empfangen, der sich gegen ihren drückte – und so süß war dieser Kuß daß sie mit der einen Hand den sich ungestüm empordrängenden Hund wegstemmte, während sie hinübergebeugt emporgehobenen Hauptes die Seligkeit von den Lippen des teuren Mannes saugte. Er hielt sie mit beiden Armen fest umschlungen und fühlte ihren Busen an seinem klopfenden Herzen wallen.
»Heinrich,« flüsterte sie, »ich möchte dich doch du nennen.«
»So nenne, mein Herz, nenne.«
»Und eine Bitte habe ich – –.«
»So rede.«
»Die Bitte, daß du nie, nie mehr auf dieser Erde ein anderes Mädchen so liebst, wie mich – – und daß ich- –..«
»Was, Engel, daß du....?«
»Nicht wahr, Heinrich, du nimmst kein anderes Weib, ich müßte mich dann recht schämen.«
»Und ich, bei dem lebendigen Gotte, mich noch mehr. Anna, höre mich: jetzt lieben wir
uns bloß, das ist leicht und süß, aber es muß mehr werden. Ich werde dich von hier
fortführen; du mußt meine Gattin werden, ich dein Gatte – das ist schwer, aber
unendlich süßer: immer an
»Ja, sagt einmal, kann es denn anders sein?«
»Freilich, wo es recht ist, kann es ja nicht anders sein; das andere ist eben keine Ehe.«
»Und wohin werdet Ihr mich denn führen? – – aber ach Gott? wie wird es denn sein können? Der Vater wird in Ewigkeit nicht einwilligen und die Mutter auch nicht. – Ihr seid so gut, ganz lieb und gut – aber Ihr tut ja nicht wie alle andern Männer, die ein Weib nehmen. Sie haben Haus und Hof, oder sind wie Thrinens Stadtschreiber; aber Ihr geht in den Bergen herum, schlagt Steine herab, bringt Blumen ins Haus. – – –«
»Siehe, das ist so: wie du in deinen Büchern liesest, so bin ich bestimmt, im Buche Gottes zu lesen, und die Steine und die Blumen und die Lüfte und die Sterne sind seine Buchstaben – wenn du einmal mein Weib bist, wirst du es begreifen, und ich werde es dich lehren.«
»O, ich begreif es schon, und begriff es immer; das muß wunderbar sein!«
»O, du unbewußtes Juwel! freilich ist es wunderbar!! unausstaunlich wunderbar!! O,
ich werde dir noch vieles, vieles davon erzählen, wann wir erst unveränderlich
beisammen sind – da wirst du staunen über die Pracht und Schönheit der Dinge, die da
auf der ganzen Erde sind. Jetzt aber, Anna, werde ich dir etwas anderes sagen, merke
auf und behalte es in deinem klugen Haupte. Es ist das, weshalb ich dich in den
Garten bat, und was deinen
»Nein, sagt es lieber nicht, ich verriete es vielleicht doch, und ich glaube ja ohnedies an Euch – und sagt es nur einst dem Vater, daß es gewiß wird, daß ich Euer Weib werde – es ist ohnedies schon hart genug, daß ich es verschweigen muß, daß ich Euch so gut bin. – – Denkt nur, neulich hab ich es sogar dem Philax ins Ohr gesagt: ich lieb ihn von Herzen, von Herzen, von Herzen – – aber der Thrine darf ich es doch morgen sagen?«
»Wann du mich liebst....«
»Nein, ich sage ihr auch nichts. – – Wenn Ihr nur nicht zu lange ausbleibt, werd ich es schon überdauern.«
Und wie sie so saßen und schwiegen, und wie um sie auch die ganze glänzende Nacht schwieg – und Minute nach Minute verging, ohne daß das Herz es wußte: da krähte hell und klar der Hahn, die Trompete des Morgens, der Herold, der da sagt, daß Mitternacht vorüber und ein neuer Tag anbricht. – – Anna sprang auf: »Um Gottes willen, seht, der Mond steht so tief, daß er in den Laubeneingang scheint, und die Luft wird heller – ich muß zurück ins Haus – haltet mich nicht auf – und lebt recht wohl.«
Er stand auch auf: »Nur noch eine Minute, Anna, noch eine Sekunde – nur diesen Kuß – – so – – aber du sagst ja schon wieder: Ihr.«
»Nun, du – so lebe wohl, lieber, teurer Mann, und komme doch recht bald und sage das Wort zum Vater.«
»Und die Tage, die ich bleibe – kommst du noch einmal zur Laube, Anna?«
»Nein, Heinrich, es ist nicht recht; ich will Euch unter Tags in dieser Zeit recht freundlich anblicken, wenn auch der Vater scheel sieht, aber kommen kann ich nicht mehr, es ist doch nicht recht. – – Sagt nur bald das Wort, dann bin ich ja immer bei Euch, Tag und Nacht.«
Noch einmal, auf die Spitzen ihrer Zehen gestellt, empfing sie seinen Kuß.
»Lebe wohl,« sagte er, »du innig süßes Herz – gute Nacht.«
Er war allein.
Frischer, gleichsam dem Morgen zu, rauschten die Wasser der Pernitz, und die Blätter der Zweige begannen sich in einem kurzen Nachmitternachtlüftchen zu rühren. Der Wanderer ging aber tiefer in den Garten zurück, schwang sich über die Einfriedigung und schritt über den mondhellen Wiesenhügel dem Walde zu, als sei es ihm nicht möglich, in diesem Augenblicke seine Schlafstelle zu suchen. Die glänzende Nachtstille blieb von nun an ungestört, und nichts rührte sich, als unten die emsig rieselnden Wasser, und oben die Spitzen der flimmernden Sterne.
Es war ein Klingeln und Läuten und ein freudiges Brüllen und Meckern durcheinander,
als am andern Tage die Morgensonne aufging, die Bergtäler rauchten und die Herde
wieder zu den Triften hinanstieg. Aber der Hirt Gregor ging nicht mit, sondern er
stand in steifem Sonntagsputze auf der Gasse und sonnte sich; nur der graue Hund in
seinem ewigen Werktagswamse und der Hirtensohn auch in dem seinigen begleiteten die
Herde – der eine freudig sein Halsband schüttelnd, der andere rüstig den Bündel
Steigeisen und das Griesbeil schulternd, die einzigen zwei Wesen, welche heute
arbeiten mußten; denn alles andere ging der Feier und Ruhe nach. Auch der alte
Boten-Simon stand schon mit einem glänzenden Gesichte, von dem er den zollangen
Wochenbart geschoren, und mit noch glänzenderer Jacke auf der Gasse da, und schaute
herum, recht behaglich die Wonne des einzigen Ruhetages der Woche fühlend, an dem er
sonst nirgends
Oben im Stockwerke der grünen Fichtau öffnete sich ein Fenster, und das Antlitz des Wanderers blickte heraus, die Haare von der freundlichen Stirne zurückstreifend und die Augen nach Himmel und Wetter richtend. Beides ward genügend befunden, und er wollte eben wieder zurücktreten, als auch Vater Erasmus aus dem Hause schritt, zunächst an seinem Leibe schon die schimmernde Sonntagswäsche und die Sonntagskleider tragend, darüber aber noch die Werktagsjacke geworfen, und die Alltagskappe auf.
»Guten Morgen, Simon,« rief er, »guten Morgen! Ein schöner Tag das – das sind Tage zur Flachsblüte.«
»Blüht bereits, wie ein blaues Meer, im Asang draußen«, sagte Simon.
»Ich habe ihm den handigen Fuchs in die Gabel zu spannen befohlen«, redete hierauf der Wirt durch die Türe des Gassengärtchens hinein; »denn er ist gelassener als der andere – aber ich sage dir, Anna, daß du dich nicht etwa verleiten lässest, wenn er dich einladet, mit ihm zu fahren; der Fabelhans würfe dich samt sich in einen Graben. Fahre mit mir, wer weiß, wie bald ohnehin einer kommt, der dich auf immer und ewig davonführt.«
Anna, die im Gärtchen Rosen und anderes zum Sonntagsputze schnitt, wurde in diesem
Augenblicke unter
Sie war in ihrem Morgenkleide wieder gar so schön. Wenn sie auch öffentlich immer im Landesschnitte ging, so trug sie doch zu Hause Kleider nach eigener phantastischer Erfindung, und Vater Erasmus, einst ein Kenner weiblicher Schönheit, und nicht der letzte, der sie an seiner Tochter anerkannte, wurde nun vollends schalkhaft, indem er sagte: »Nun – nun, du Narre, er wird nicht ausbleiben, aber wenn er kommt – ein ganz auserlesener Bräutigam muß es sein, sonst lasse ich dich nicht von hinnen – ein ganz ungeheurer Prinz von einem Bräutigame muß es sein.«
»Wenn ich aber nicht gerne, nicht recht gerne fortgehe,« erwiderte sie treuherzig, – »nicht wahr, Vater, so soll mich keiner aus der schönen Fichtau fortbringen?«
Und wie sie hiebei so die bewußtlos schönen Augen gegen den Vater richtete, so rieselte es ihm, der ohnedies närrisch über sie war, wie von lächerlichem Stolze und von lächerlicher Freude durch die Glieder, und er platzte los: »Das soll er auch nicht – ja ich sage dir, wenn du nicht ein Glück machst, daß du ordentlich darnach zitterst, so darfst du nicht aus dem Hause – ein Glück mußt du machen, daß die ganze Fichtau die Hände zusammenschlägt.«
Über Annas Angesicht floß bei diesen Worten ein Purpur, so tief und schön, wie der der Rosen in ihrer Hand; zwei reine zentnerschwere Augenlider lagen tief herab gesenkt, und sie ging augenblicklich in den Garten zurück. Dort trat sie vor einen Fliederstrauch, schnitt aber nichts ab, sondern stand davor, und blickte ihn bloß an oben im Gemache stand einer, und drückte sich die Hand an seine Stirne – – nur die zwei arglosen alten Männer standen auf der Gasse, und plauderten fort.
»Nun es ist nicht so arg gemeint,« fiel ihm der Fichtauer Wirt in die Rede, »wenn es nur ein tüchtiger Mann ist, in so Haselant wie der Stadtschreiber, mit dem der Schmied prahlt, sondern ein franker Biedermann, der seine Geschäfte rasch weg tut, schön und jung und freundlich ist und die Anna ein wenig hätschelt, weil sie's gewohnt ist. Ein paar Pfennige muß er haben, und dann legt sie das Ihrige dazu; denn mein einziges Kind geht nicht leer aus der grünen Fichtau – und verdient sie es denn nichts? sagt, Simon, ist sie nicht ein Ding, daß es ordentlich eine Schande ist, daß ich ihr Vater bin? – Nur meinen Kopf hat sie nicht; sie geht zu viel auf Faselei und Zeugs – das hat sie von der Mutter.«
»Ja, ja,« sagte Simon, »sie ist absonderlich geworden; ich duze sie schon seit einem Jahre nicht mehr, aber ich glaube immer, Ihr habt sie vermessen über ihren Stand erzogen.«
»Das soll sie auch,« erwiderte der Wirt, »sie soll über ihren Stand, darum tat sie noch keinen Schritt in die Schenkstube, und darf in der Wirtschaft nichts anrühren – und damit ists gut. Ich muß jetzt zu dem Wagen schauen. Lebt wohl.«
»Der ist nunmehro auch ein Narr«, sagte der Boten-Simon, indem er dem Abtretenden nachsah, und seine Pfeife fortrauchte.
Es hatten sich mittlerweile mehrere jener Gebirgswagen auf der Gasse der grünen Fichtau eingefunden, in denen die wohlhabendere Klasse an Sonn- und Feiertagen zur Kirche zu fahren pflegt. Auch von Fußgängern hatte sich einiges hinzugesellt.
So war es auch heute. Sowohl auf der Gasse als auch in der Stube waren Gespräche, und Boten-Simon war bald von mehreren Gruppen umstanden, wo er bald mit diesem, bald mit jenem ein weniges redete.
Das Zimmer des Naturforschers im oberen Stockwerke erglänzte indes freundlich von den Strahlen des Morgens, und sein Schimmer fiel auf die allerlei Stufen und Steine, die umherlagen und traurig funkelten, oder auf Kräuterleichen, deren dürre und spröde Gerippe die wohltuende Helle und Wärme nicht mehr empfanden, die durch die Fenster herein wallte, und die ihnen einst auf ihren freien Bergen so herrlich war; der Mann aber ging zwischen diesen Sachen auf und nieder, und sann nach.
Da war er vor wenig Wochen in ein schönes Tal voll grüner Pflanzen und freundlichen Gesteins gekommen auch ein schmuckes Mädchen hatte er gefunden – – und wie war denn nun alles? Die Tage waren so linde, so schmeichlerisch und so unschuldig über seinem Haupte weggegangen. Keiner brachte etwas Neues, in keinem ist etwas geworden – sie heischte nicht, sie forderte nicht, sie hoffte nicht – – und wenn er sie nun so stille, so sinnend, so brütend stehen sah: da war in ihm ein solches Übermaß von Neigung und Erbarmen, daß er sich nicht zu helfen wußte. Er hätte sich alle Adern öffnen lassen, wenn es nur ihr, nur ihr Linderung und Glück zu bringen vermocht hätte. Er wäre gerne an das Fenster getreten, um hinabzusehen, aber er getraute sich nicht; denn er fürchtete sich, daß sie noch immer am Flieder stehen und sinnen möchte.
So dachte er oben; unten aber rief die Stimme des wieder auf die Gasse gekommenen Vaters: »Ei, da hast du ja einen gewaltigen Pack von Blumen und Kraut aus dem Garten geplündert, und trägst dich damit, wie unser Pflanzenmann, wenn er das Gras von unsern Bergen schleppt.«
Der Wanderer trat ans Fenster.
»Es ist nur, Vater,« sagte Anna, »weil ich Thrinen einen recht vollen Strauß mit in die Stadt bringen will, weil sie in dem großen, widerwärtigen steinernen Hause keine Blumen haben. Und wie man sie in einen Strauß ordnet, daß es schön sei, habe ich von unserm Gaste gelernt, der mehr von Blumen versteht, als wir alle zusammen im ganzen Fichtauer Tale. Es ist auch ein wunderbares Leben in ihnen, hat er gesagt, und ich glaube es – und gewiß haben sie noch recht liebe, kleine Seelen dazu. Er weiß schon, warum er sich so mit ihnen abgibt.«
»Ja, ja, ja, ja, Leben und Seelen und Katzen,« erwiderte der Wirt, »sieh nur zu, daß du einmal mit deinem Kirchenanzuge fertig wirst; pünktlich nach einer halben Stunde wird abgefahren.«
Anna ging ins Haus, und nur dem feinen Ohre Heinrichs war ihr leichter Tritt auf der Treppe vernehmlich, wie sie die Blumen auf ihr Zimmer trug.
Nach einer halben Stunde waren wirklich, wie vorausgesagt, die schlanken glänzenden
Füchse des Fichtauer Wirtes jeder an seinen Wagen gespannt, aber auch die Weiber,
Die Mutter, eine sehr schöne Frau mittlerer Jahre, mit Gesichtszügen, deren Ausdruck weit über ihrem Stande zu sein schien, war in dem gewöhnlichen Sonntagsanzuge der wohlhabenden Gebirgsbewohner, obwohl alles an ihr von besserem Stoffe und feinerem Schnitte war; denn Erasmus liebte es, die Früchte seiner guten Wirtschaft an den Seinigen zu zeigen. Anna war gekleidet wie die Mädchen des Tales, aber wie man sie so über die Gasse sittsam dem Wagen zuschreiten sah, so hätte man geschworen, sie sei aus einem ganz anderen Lande, und trage einen Anzug, den sie sich erfunden, weil sie in demselben am schönsten sei. Ohnedies sind die Fichtauer Trachten die malerischsten im ganzen Gebirge. Da sie an Heinrich vorüberkam, überzog ein feines tiefes Rot ihre Wangen, und ihres Versprechens eingedenk richtete sie ihre schönen Augen voll treuherziger Liebe auf ihn, so daß jeder, nur ihr Vater nicht, hatte erkennen müssen, was hier walte, wenn sie überhaupt Augen dafür gehabt hätten.
Der Naturforscher nötigte aus Gutherzigkeit den Boten-Simon
Als man den langen, schmalen, romantischen Gebirgsweg neben der Pernitz zurückgelegt hatte und eben um den letzten Hügelkamm der Fichtau herumbog, wo dem Reisenden plötzlich ein breites Tal und der schlanke spitze Turm von Priglitz entgegensteigt, fahr ein rascher Wagen an sie heran, in welchem der Stadtschreiber mit seiner jungen Gattin saß, um die Kirchfahrer zu bewillkommen.
»Sei gegrüßt, Heinrich,« hatte er gesagt, »du teuerster aller Vagabunden, sei gegrüßt!«
»Gott grüße dich, Robert,« antwortete der andere, »das ist ein köstliches Tal, diese Fichtau!«
»Habe ich es dir nicht gesagt,« entgegnete Robert, »habe ich es dir nicht gesagt, als du immer nicht kommen wolltest?«
Sie hatten sich aus den Wagen hinüber die Hände gereicht. Indessen war aber Thrine
von ihrem Sitze hinabgesprungen und Anna auch von dem ihrigen, und sie herzten sich
auf offener Straße, als wollten sie sich tot drücken. Thrine war in der Tat eine
›schneeweiße‹ Thrine; denn ihr Kleid trug ganz und gar untadelig diese Farbe, und das
Frauenhäubchen um das junge schöne Angesicht war dem schneeigsten glänzendsten
Mittagswölkchen des
»Gott zum Gruße, Herr Schwiegervater«, hatte Robert dem Schmiede zugerufen; »nach dem Gottesdienste fahren wir alle zusammen in die lustige Fichtau.«
»Schön Dank, Herr Sohn, schön Dank«, entgegnete der Schmied, und indessen hatte sich wieder alles zur Weiterfahrt eingerichtet. Anna saß wieder bei Vater und Mutter, Thrine bei dem Gatten, und Heinrich fuhr bereits mit Boten-Simon so rasch den talführenden Weg gegen Priglitz ab, daß dessen Hutfedern flatterten und der Gemsbart sauste.
Man kam vor Roberts Hause an, wo immer die Wagen des Schmiedes und Wirtes warten mußten; man ordnete sich die Kleider, wechselte einige Worte und ging dann in die Kirche.
Nach dem Gottesdienste war, wie gewöhnlich, bei Robert ein Glas Wein. Thrine und Anna
liefen durch alle Zimmer und verweilten hauptsächlich in der hintern Stube bei
Thrinens kleinem Kinde. »Wie es gar so lieb und schön und unvernünftig ist«, sagte
Anna, indem sie die kleinen unbewußten Züge des Kindes streichelte. Der Schmied saß
indessen vorne in der Prunkstube im Ehrenstuhle, Annas Mutter bekam süßes Gebäcke,
Erasmus machte beim Priglitzer Wirte droben ein Geschäft ab, und die Freunde Heinrich
und Robert beredeten sich angelegentlich
Wir aber müssen hier von derselben scheiden, so gerne unsre Feder noch bei dem klaren, freien, heiteren Fichtauer Leben verweilen möchte. Allein der Zweck der vorliegenden Blätter führt uns aus dieser harmlosen Gegenwart, die wir mit Vorliebe beschrieben haben, einer dunklen schwermütigen Vergangenheit entgegen, die uns hie und da von einer zerrissenen Sage oder einem stummen Mauerstücke erzählet wird, denen wir es wieder nur eben so dunkel und mangelhaft nacherzählen können. Zu Ende versprechen wir wieder in die Gegenwart einzulenken, und so ein dämmerndes, düsteres Bild in einen heitern freundlichen Rahmen gestellt zur Ansicht zu bringen.
Heinrich hatte nämlich von Robert das Versprechen erhalten, daß er sich bemühen wolle, ihm den Eintritt in den verfallenden Rothenstein zu verschaffen, und daß er ihm den Erfolg seiner Bemühungen in einem Briefe mitteilen werde, der zugleich Ort und Zeit der Zusammenkunft feststelle.
Ehe wir sie nun auf den alten Berg und in das alte Schloß geleiten, ist es uns noch
vergönnt, den letzten Rückblick in das Fichtauer Tal zu tun, und zu sagen, daß die
Forellen des Vater Erasmus ganz vortrefflich waren, daß Thrine, Anna, Robert und der
Wanderer beim Schmiede im Garten speisten, daß nach Tisch ein ergötzliches
Scheibenschießen war, daß sich manche heitere und lustige Gäste in der grünen Fichtau
vorfanden, daß Anna im Laufe des Abends einmal der schneeweißen Thrine ohne allen
Grund um den Hals fiel, und endlich, daß die Stadtleute erst nach Hause fuhren, da
schon alle Sterne am Himmel standen. Gleich darauf, da schon auch alle Lichter
Dem bewegten Sonntage folgte die arbeitsvolle Schleppe der Woche: Simon und der Schecke fuhren landaus, landein, die Sägemühle kreischte, die Schmiede tosete; Erasmus handierte und wirtschaftete, Anna ging hier und dort, oder stand und dichtete. Freilich hielt sie treu ihr Wort in Hinsicht des freundlichen Anschauens, aber auch in Hinsicht der Weigerung, je wieder mit Heinrich allein beisammen zu sein. Er sah sie nur von ferne, er sah sie gehen und kommen, oder ihr liebes Kleid sanft schimmern zwischen den Büschen des Gartens.
So verging die Zeit. Der Flachs blühte im Asang draußen immer blauer und blauer, die Tage wurden einer schöner als der andere, und so kam endlich auch wieder der Samstag, und mit ihm der Schecke, und Simon, und auch der Brief von Robert. Nachdem ihn der Wanderer gelesen, zahlte er an Vater Erasmus die Wochenrechnung, sagte, daß er heute nicht die Knechte aus den Gebirgen, die Jäger und andere Samstagsgäste der grünen Fichtau abwarten könne, sondern daß er noch heute nach Priglitz gehen und bei Robert übernachten wolle – etwa nach ein paar Tagen komme er wieder zurück; seine Sachen sollen indes auf seinem Zimmer verschlossen bleiben.
Und somit war dies unser letzter Blick in die Fichtau. Heinrich ging erst spät abends
fort, und wie er der Steinwand entlang ging und um sie herumbog, so versank hinter
ihm und auch hinter uns die ganze liebe grüne Fichtau mit allen ihren bereits
angezündeten Lichtern, mit ihren fröhlichen Samstagsgästen und dem abendlichen
Klingen
Des andern Tags war wieder ein Sonntag, der nächste seit jenem, wo wir die Gesellschaft auf ihrer Kirchenfahrt begleitet hatten; aber heute finden wir die zwei Freunde, Robert und Heinrich, allein, wie sie, ehe noch die Strahlen des ganz heitern Tages heiß zu werden begannen, den verhängnisvollen Berg zu dem Schlosse Rothenstein hinanstiegen. Den ebenen Weg hatten sie mit einem Wagen zurückgelegt. Am Fuße des Berges nahm sie eine Allee uralter, dichtbehaarter Fichten auf und leitete sie empor. Die laue Vormittagsluft seufzte schwermütig in den Zweigen, und je höher sie kamen, wurde es immer einsamer, und das sonntägliche Schweigen der Fluren wurde immer noch tiefer und noch schweigender. Endlich gelangten sie zu einer grauen, von dichten Fichtenzweigen gestreichelten, eisenglatten Mauer von ungewöhnlicher Höhe. Dem Fahrwege der Allee gegenüber stand der weiße Fleck des zugemauerten Tores, und darüber starrten mißstimmige Trümmer eines Wappens.
Robert duckte sich unter das zwischen den Fichtenstämmen wuchernde Haselgesträuch, ging etwas neben der Mauer fort, und dann drückte er gegen einen hervorstehenden eisernen Knopf, worauf im Innern eine grelle Glockenstimme antwortete. Allein nachdem die unaufhörlich wackelnden Töne des Metalles geendet hatten, war es wieder stille wie zuvor, nur daß sich in der beginnenden Tageswärme ein vielstimmiges Grillenzirpen auf dem Berge erhob.
Vergeblich rief Robert: »He, holla! ich bin es, der Syndikus, den du einzulassen
versprochen.« Es erfolgte keine Antwort. Nur sah Heinrich, da er zufällig
emporblickte, am Mauerrande ein Haupt: Gesicht und Haare so grau,
»Sei gegrüßt, Ruprecht,« sagte Robert, »zeig uns den grünen Saal, und alles andere auch, wenn es dir genehm ist.«
Ohne alle Antwort wich der Mann zurück. Sie traten ein, und in demselben Augenblicke ging ein fürchterlicher, ein zärtlich gewaltiger Ton über ihren Häuptern durch die Luft.
»Es ist nur die Geige des Prokopus,« sagte der alte Mann, »schreitet herein, Erlaucht, in die Stadt des alten Geschlechtes.«
Bei diesen Worten verbeugte er sich gegen Stellen, wo niemand stand –; und dann richtete er den Mechanismus der Mauer. Es hob wie eine ablaufende Turmuhr zu schnarren an, schwenkte herum und schloß sich, so daß der Ort kaum zu erkennen war, durch den sie hereingekommen.
Die Freunde standen aber nun innerhalb der Mauer nicht etwa auf einem Schloßplatze
oder dergleichen, sondern wieder im Freien, und vor ihnen stieg der Berg sachte
weiter hinan, nur war seiner Senkung ein breites, weites, rätselhaftes Vieleck
abgewonnen, auf dem sie sich eben befanden; es war mit Quadersteinen gepflastert,
aber aus den Fugen trieb üppiges Gras hervor, und die heiße Sommersonne
Weiter hinter dieser Gruppe stand ein Obelisk, jedoch seine Spitze lag ihm zu Füßen.
»Der Graf Johannes ist schon vor dreihundert oder vierhundert Jahren gestorben«, sagte Ruprecht.
Seitwärts diesem Platze sahen die Freunde ein kleines Häuschen stehen, wahrscheinlich die Wohnung des Pförtners; von dem eigentlichen Schlosse aber war nichts zu erblicken als graues Dachwerk, über das Grün des Berges hineinschauend und von kreisenden Mauerschwalben umflogen. Sie stiegen sofort den verwahrlosten, ausgewaschenen Weg hinan. Hie und da war auf der Abdachung des Berges ein Geschlecht zerstreuten Mauerwerkes und grünen Wuchergebüsches, worunter ganze Wuchten des verwilderten Weinstockes, der seiner Zucht entronnen, sich längs des Bodens hinwarf und sein junges, frühlingsgrünes Blatt gegen das uralte Rot der Marmorblöcke legte, die hie und da hervorstanden. Mancher kreischende Vogel schwang sich aus dieser grünen Wirrnis empor, wie die Freunde weiter schritten, und verschwand im lächelnden Blau des Himmels.
Auf dem ganzen Wege erblickten sie kein einziges menschliches Wesen. Die Seite des
Berges, auf der sie stiegen, schien ein verkommender Park zu sein. Es hüpften Hasen
empor und flohen seitwärts, alle Arten von Schmetterlingen und Insekten flogen und
summten, und eine Lindengruppe, an der die Freunde vorüberkamen, hing voll
»Wir haben alle Dinge bewacht,« sagte der alte Mann, »und der Hund ist mir sehr beigestanden, weil sie ihn fürchten weit und breit. Im Sixtusbaue, wo die Nonnenzellen sind, fließt alles von Honig; denn ich nahm ihnen nie einen, und der Wein muß in seiner eigenen Haut liegen. Ich habe dem Gerichte, da es alles anschauen wollte, den Weg nicht gezeigt, der von der Nonnenklausur hinabführt, darum wissen sie von dem Weine nichts. Gehet aber in den grünen Saal, Erlaucht, da werdet Ihr sehen, wie gut der Mann konterfeit hat.«
Heinrich sah verwundert auf Robert, dieser aber sagte: »Du hast wieder einen deiner bösesten Tage, altes Rüstzeug.« Dabei heftete er die Augen auf den Mann.
Dieser aber schwieg augenblicklich, sah den Syndikus betroffen an, und durch die versteinerten Züge ging ein feines Erröten, wie wenn er sich schämte. Fortan schwieg er.
Man hatte endlich die Kante des Berges erreicht, und Heinrich sah nun, wie erst
eigentlich gegen die andere Seite hinab in einem sanftgeschwungenen Tale die Sammlung
der Bauwerke lag. Es war alles viel großartiger, weiter und auch verworrener, als er
gedacht hatte. Ein ganzes Geschlecht mußte durch Jahrhunderte hindurch auf diesem
Berge gehauset, gegraben und gebaut haben. Abgesonderte Bauwerke, gleichsam selber
wieder Schlösser, standen auf verschiedenen Punkten, niedere Mauern liefen hin und
her, Brüstungen bauschten sich, die Anmut griechischer Säulen blickte sanft herüber,
ein spitzer Turm zeigte von einem roten Felsgiebel empor, eine Ruine stand in einem
Eichenwalde, und weit draußen auf einer Landzunge, deren Ränder steil abfielen,
schimmerte
Da standen sie nun, und Robert suchte zu erklären, was er erklären konnte; denn auch er war mit dem Schlosse und mit Ruprecht nur äußerst oberflächlich bekannt, in wiefern es nämlich seit dem Tode des letzten Besitzers seine amtlichen Verhältnisse mit sich gebracht hatten.
Der griechische Bau war der des Grafen Jodok, dessen der Vater Erasmus erwähnt hatte.
Er sah aus dem Schoße dichten Gebüsches herüber: ein edles Geschlecht weißer,
schlanker Säulen. – Und um sie herum war es so grün, als zöge sich ein jonischer
Garten sanft von ihnen gegen die andern barbarischen Werke hinan. Weit davon weg
stand der Turm des Prokopus, ein seltsamer Gegensatz zu dem vorigen; denn wie ein
verdichteter, zusammengebundener Blitz sprang er zackig und gotisch von seinem Felsen
empor; der Felsen selbst ragte aus einem Fichtenwalde, der, durch den Borkenkäfer
abgestorben, wie ein weißes Gegitter da stand. Hinten auf einer breiten glatten Wiese
lag der sogenannte Sixtusbau: breit, bleifarben, massiv, ohne die geringste
Verzierung, mit noch vollständig erhaltenem grünem Kupferdache. Die Fenster, ohne
Simse und flach, standen so glatt in der Quadermauer wie Glimmertafeln, die im
Granite kleben. Die neuesten Gebäude auf der auslaufenden Bergzunge waren die Wohnung
Graf Christophs, des letzten Besitzers, gewesen. Lange Terrassen und Gartenbauten
trennten sie von den oben genannten, und ein Gartenhaus,
»Das ist ja ganz herrlich und närrisch,« rief Heinrich, »wer hätte gedacht, daß eine solche Menge von Gebäuden auf diesem Berge Platz haben sollte, und daß noch die schönste Landschaftsdichtung zwischen ihnen und um sie liege. Mir ist es, wie in einem uralten Märchen, alles so wunderlich, als läge die Fichtau gar nicht unten, in der ich doch gestern noch war. Komm, laß uns auf die äußerste Spitze dieser Zunge vorgehen, dort muß die schönste Umsicht sein, und ehe wir in all das Mauerwerk kriechen, wollen wir hinuntersehen auf das Land, ob es denn auch wirklich noch ist wie gestern.«
Und sie gingen vorwärts auf der Zunge, deren Spitze zugleich der höchste Punkt des Berges war. Hier stürzt die Wand schwindelsteil ab, und man sieht über die Ringmauer wohl hundert Klafter senkrecht nieder. Auch auf dieser äußersten Spitze war ein Bauwerk, aber nur ein länglich rundes Dach von Säulen getragen, zwischen welche man im Winter Glasfenster schieben kann. Im Innern sind an den Säulen herumlaufende Sitze, von dem roten Landesmarmor gehauen.
Wohl war das Land noch wie gestern: grün und weich und ruhig lag die ganze Fichtau in
der Sommervormittagsluft unten, ein sanftes Hinausschwellen von Hügeln und Bergen,
bis wo der blaue Hauch der Ferne weht, und mitten drinnen der glänzende Faden der
Pernitz – alles bekannt und vertraut, eine holde Gegenwart, herumliegend
Die Männer sprachen nur wenige Worte, indem sie ihr Vergnügen ausdrückten und sich die verschiedenen Berggestalten zeigten und erklärten, während der Alte noch immer stumm und unbeweglich hinter ihnen stand – nur die auf dieser Höhe ziehende Mittagsluft regte die dünne, graue Locke seiner Schläfe; denn er hatte sein Barett, von beiden unbemerkt, noch immer in den Händen.
Sie hätten wohl zu andern Zeiten länger das heitere Bild zu ihren Füßen betrachtet,
aber heute zog sie ihre nächste Umgebung unmittelbar an. Heinrich schlug vor, gleich
die neuen Gebäude aufschließen zu lassen, da sie einmal in der Nähe seien, aber
Robert zeigte ihm, daß dies unmöglich sei; denn Graf Christoph hatte, da er in den
afrikanischen Krieg geritten, vorher alle Tore versiegelt, mit dem Befehle, daß vor
seiner Zurückkunft nichts berührt werden dürfe, im Falle seines Todes aber der neue
Besitzer erst am Tage seines Antrittes die Gebäude öffnen möge. Da hingen nun hinter
allen den großen Spiegelfenstern des Hauses ruhig und schwer die grünseidnen Vorhänge
nieder und regten keine Falte hinter dem glatten, glänzenden Glase. An Türen und
Toren waren die Siegel, ebenfalls grün, sehr groß und mit dem Scharnastschen Wappen
versehen. Von dem Dache hatte der Wind den einen und andern Ziegel heraus genommen,
worauf bald mehrere oder wenigere Nachbarn folgten, so daß an manchen Stellen die
nackten Sparren und Latten ungastlich und lächerlich in die Luft hinausstarrten.
»Und wie lange ist dein letzter Herr schon weg?« fragte Robert.
»Nach der großen Krankheit – – –« begann langsam, schüchtern und mißtrauisch der alte Mann, indem er sich näherte – – aber Robert unterbrach ihn und sagte: »So setze doch dein Barett auf.«
»Ja, die Sonne ist heiß,« erwiderte Ruprecht, »sie ist heiß, ich habe es vergessen – und eine Pelzhaube ist gegen sie so gut, wie gegen den Winter.«
Und wirklich sahen die Freunde, daß sein Barett, das er bisher immer in den Händen gehalten hatte, trotz des heißen Sommertages eine Pelzhaube war.
»Nun wie lange«, sagte Robert wieder, »ist dies Haus da herrenlos?«
»Nach der großen Krankheit,« fuhr der Greis fort, »die draußen im Lande war – – nein,
es war ja vor der Krankheit, und Narcissa starb an ihr, weil sie sich so kränkte;
aber eigentlich hieß sie gar nicht Narcissa, sondern Tiburtia, aber weil sie so hoch
gewachsen war, weil sie so zart und schön war, und weil sie den Kopf stets ein klein
wenig gesenkt trug, so hat er sie immer Narcissa genannt – – Der Herr vergebe ihm, er
war sehr stürmischen Gemütes, aber er war auch wieder so fromm wie ein Kind; denn ich
selber habe ihn einmal weinen gesehen, daß man meinte, das Herz werde ihm aus dem
Leibe springen – und dann ließ er die grünen Vorhänge nieder, siegelte alle Tore zu
und ritt davon; denn seht, er war auch trotzig, wie Graf Julius, der ebenfalls
fortging und nicht wieder gekommen ist. Er hatte die Tage vorher das
Er hatte diese Rede größtenteils an Heinrich gerichtet, Dieser hörte ihm schweigend und mit Schonung zu. Man war indessen durch den Eichenhag bis nahe an die Ruinen des Grafen Julian gekommen, und wie man auf den glänzenden Rasenplatz hinausgetreten war, auf dem die Trümmer liegen, so sprang der große Hund Ruprechts plötzlich gegen den Anger vor, und wedelte und scharrte, und bellte gegen die Luft empor – Ruprecht aber schrie: »Daß du stürzest, Pia, fürchterliches Kind, Pia! Pia! – – siehe, mein Herz, komme eilig herunter – ich habe dir ja gesagt, du sollest bei den Ringelblumen sitzen bleiben und sollest zählen, wie oft die Schwalbe zugeflogen kommt – –.«
Und ein feines klingendes Silberstimmchen ertönte in der Luft: »Sie flog fünfmal und
zwanzigmal, und immer und von den Ringelblumen ist die erste gelb, und die
Die Freunde blickten empor, und auf dem höchsten der vielen Balkone des zerfallenden Schlosses, auf einem Balkone, der so in der Luft draußen hing, als klebe er nur an einem einzigen Steine, war ein Kind – ja sogar nicht einmal auf dem Balkone, sondern auf dem Steingeländer desselben war es, halb sitzend, halb reitend, es schien ein Mädchen; denn eine Fülle der schönsten gelben Ringellocken wallte um den Nacken und das glühende Gesichtchen, sie mochte zehn bis elf Jahre alt sein, oder auch noch jünger – am äußersten Geländer saß sie und jauchzte, und so wie ihr Ruprecht zugerufen hatte, und wie ihr eignes Stimmchen erklungen, wurde sie noch fröhlicher, daß er sie gesehen; sie stand auf, und schwebte nun stehend auf dem unsichtbar schmalen Stege des Geländers, und ging vorwärts und ging rückwärts, und neigte sich und beugte sich über, daß den Männern unten ein Schwindel und Grauen ankam, und daß ihnen die Augen vergingen.
Und sie rief dem Hunde zu: »Hüon, Hüon: komm herauf.« Und da dieser sich wälzte und plump in die Luft sprang und ungeschickte Freudentöne gab, so wußte sie sich vor Lachen nicht zu helfen.
»Ich werde mir die Haare ausraufen, wenn mir einmal der Hund ihre zerschmetterten Glieder nach Hause schleppen wird; denn er hat sie lieb, und sie folgt ihm auch am meisten.« Diese Worte hatte der Greis heimlich zu sich gesagt, aber die zwei Männer hatten sie gehört.
Indes warf oben das Kind die Arme empor und rief: »Ich sehe hierhin und dorthin, ich sehe alle Mauern, alle Bäume und die ganze Welt.«
Es schien, als hänge ihr lichtes Kleid wie eine weiße Sommerwolke im Himmelsblau
draußen – die Männer standen regungslos, um sie nicht zu erschrecken und zu
»Wir werden jenes Loch zumauern, Erlaucht,« sagte Ruprecht flüsternd, indem er hinzeigte und in seinen Gesichtsfalten Zorn und Todesblässe schlotterten, »im Parthenon liegen noch Ziegel, sie werden ohnedies nicht gebraucht.«
Dann fuhr er fort, als hätte er seine Begleiter vergessen: »Die Raben des Grahns werden kommen, über meine Hütte fliegen und mir Botschaft bringen, wenn sie schon tagelang nicht nach Hause gekommen ist – weil sie auf einem roten Steine liegt; die gierige Kohlmeise wird ihre Äuglein ausgehackt haben – oder die Wasser der Pernitz werden um ihre zarten Glieder waschen, und die Fische werden heimlich herumschießen, wie stumme Pfeile, hastig zupfen und sich um das Stückchen balgen, das einer erwischte – – ich werde indes suchen, und suchen, immer, immer – – und werde dann zum fürchterlichen Himmel heulen, daß die Sterne daran zittern; denn sie ist das Allerschönste auf der Erde, das Schönste zwischen Sonnen und Sternen, wie Narcissa war.«
Und er drehte große Schlüssel in dem knarrenden Schlosse – aber es war lächerlich, zu schließen, wo nichts zu verschließen war; denn alle Mauern klafften, eine breite, sanfte Treppe führte zu Schutt, durch die Fenster wehte die Luft, kein Getäfel und Holz war mehr zu schauen, der Marmor der Gänge und Säle war erblindet, steinerne Stiegen hingen in der Luft, Mörtel rollte und rieselte allseits, ein buntes Lichterspiel flimmerte, und hellgrüne Pflanzen taumelten, wo ein Lüftchen zog oder ein Strahl hinküßte. Über eine jener hängenden, schief gesunknen Stiegen mußte das Mädchen zu dem hohen Balkone gelangt sein.
Nachdem sie über Kalkhügel und Steinhaufen gegangen, durch Breschen und Türlöcher gekrochen, ohne das mindeste Merkwürdige getroffen zu haben, verlangten sie hinaus, und der Greis führte sie durch ein anderes Tor, das er ebenfalls sorgsam hinter sich verschloß, in den Garten des Hauses. Es war ein langes Viereck, zu dessen beiden Seiten Mauerwerk lief, nicht hoch über dem Boden zwei lichte, freundliche Säulengänge führend. Von hinten war das Viereck durch einen mächtig großen Marmorfels geschlossen.
Wenn ein Wald oder Garten auch eine Ruine sein könnte, so wäre es dieser gewesen.
Eingesunkne Gartenbeete, blecherne Blumentäfelchen mitten im Grase, eine fröhliche
Wildnis von Unkraut, ein verdorrter Obstbaum, ein anderer ein bloßer Pflock mit zwei
grünen Wasserschößlingen, ein dritter mit herrlicher Frucht, eine zwecklose späte
Gabe – die Pfirsichzweige an der Wand, einst die Liebe und der Stolz des Herrn,
hingen seitwärts, unangebunden, unfruchtbar, wie schlechte Weidenruten eine Ulme war
emporgeschossen und streckte ihre Zweige
Mitten hindurch aber ging ein breiter, schöner Weg, als wäre täglich jemand darauf gewandelt, oder als wäre er gestern erst gemacht worden. Heinrich hatte auch bemerkt, daß in der Ruine von dem einen Tore bis zum andern über die Schutthügel ordentlich ein getretener Weg laufe. Sie gingen den Garten entlang. Wie sie immer näher kamen, so stieg ihnen der rote Fels stets größer entgegen, und Heinrich bemerkte endlich, daß in denselben eine hohe Pforte gehauen war, mit einem eisernen Tore verschlossen, daran eiserne Schlösser hingen, mit dem gräflichen und den Gerichtssiegeln versiegelt. Es war dieser Felsen der sogenannte rote Stein, in dem die Lebenserzählungen aufbewahrt waren, und dessen Bedeutung Heinrich von Robert aus den Gerichtspapieren erfahren hatte.
Seitwärts dem roten Steine war der Kirchhof des Schlosses. Ein anderes Tor, nicht massiv, nicht versiegelt, sondern ein hohes, breites Eisengitter, führte hinein. Es war auch ein Garten, aber statt der Blümlein war nur ein dunkler hingehender Rasen, statt des Obeliskes ein weißes Kruzifix in Mitte von vier Linden, und statt des Gartenhauses eine Kapelle, von den Eichen überschattet, die draußen in dem Walde des Julian standen.
»Die Bücher, so in dem Gewölbe dieses roten Steines sind,« sagte Ruprecht, »reden nur zu den Leuten, die aus dem Blute unsrer Grafen stammen, und jeder Tropfen ist aufgeschrieben, der seit siebenhundert Jahren aus einem ihrer Herzen rann, und keiner darf die Schrift lesen, der nicht ein Kind desselben Geschlechtes ist. Ihr seht, daß die Tore des Steines versiegelt sind, Ihr könnt nicht hinein, aber zu dem andern habe ich die Schlüssel.«
Und er schloß das Gitter auf und führte sie durch eine
»Sie ist stille und gut,« sagte Ruprecht, nachdem er die Kirchtüre gesperrt und den
Schlüssel wieder zu den andern genestelt hatte, »sie saß die ganze Zeit, als Ihr in
dem Gewölbe unten waret, hier auf dem weißen Steine und atmete ihr Laufen aus, und
von dem Händchen quoll in Blutstropfen, weil Ihr sie an den alten Mauern so
erschreckt habt, und sie fragte, wer Ihr seid, und warum ich Euch denn nicht
erschlüge, wie den Wolf, der auch im Winter in die Fichtenallee gekommen ist und mit
Hüon spielen wollte. – – Sie wußte nicht, auf welchem traurigen Steine sie saß und
die Worte von den Menschen und Wölfen redete. – – Sehet, dieses Ding da sollte, als
er ihren Tod erfuhr, nach dem Vorbilde gemeißelt werden, worunter Chelion liegt; aber
als Ihr das große Pergament brachtet, Herr Syndikus, und von seinem Begräbnisse
erzähltet, da raffte der Werkmeister den Hammer und Meißel zusammen und ging fort,
daß nun der eichene
»Lasse uns um Gottes willen das andere schnell abtun, mir wird es unheimlich in der Gegenwart dieses alten Mannes«, flüsterte Heinrich seinem Begleiter zu.
»Lasse ihn nur,« versetzte dieser, »er ist ja übrigens ganz harmlos.«
»Ich werde Euch nun zum glatten Hause führen«, sagte Ruprecht, »und die Klausur der Frau Hermenegild aufschließen; aber es sind jetzt die Bienen drin – sie tun nichts und sind nicht wild; denn ich habe ihnen nie Honig genommen, sie tragen viel aus den Linden der Gräber herüber, und der ist süß und duftig – – ich werde Euch auch den Wein zeigen – folgt mir nur«
Und er führte sie durch den Eichenwald dem sogenannten Sixtusbaue entgegen. Sie betraten ihn von der Hinterseite, und fanden wirklich hier den seltsamsten Haushalt: es lief ein langer, schmaler Glasgang mit erblindeten regenbogigen Scheiben längs des Gebäudes, und aus einigen zerbrochenen Scheiben desselben wogte es von Bienen aus und ein, und so viel man durch das trübe Glas erkennen machte, war der Gang, insbesondere die Nischen, abenteuerlich mit riesenhaften Waben bebaut, und die allergrößte Tätigkeit herrschte fort, daß es einem ordentlich im Kopfe wirrte und schwirrte, je länger man dem Treiben dieses Knäuels von Republiken zusah, an einem zu solchem Haushalte so unpassenden und ungewöhnlichen Orte.
»Die Nonnen hatten sonst den Gang zum Lustwandeln gehabt« sagte Ruprecht, »aber das
ist nun nicht mehr
Und bei diesen Worten hatte er ein Tor am Ende des Glasganges geöffnet, und führte sie nun durch Zellen und Gemächer, durch Refektorium und Sprechsaal – und sie sahen all das dumpfe, bestaubte Geräte, die schwarzen Bilder, die blinden Fenster und die zerfetzten Tapeten der Nonnen.
Gegen Ende dieser Dinge, wo wieder die andern Gemächer des Hauses beginnen, war
einiges in Schutt, und allerlei Gänge öffneten ihre Höhlen. Hier sagte Ruprecht
heimlich zu Heinrich, er sollte mit ihm gehen; denn er müsse ihm allein etwas zeigen.
Heinrich zauderte anfangs ein wenig, aber durch Robert ermutigt folgte er dem Alten.
Dieser gab in Miene und Bewegung alle Zeichen der höchsten Freude zu erkennen, führte
ihn Trepp auf, Trepp ab, sperrte Türen auf und zu, machte endlich
Heinrich konnte seine äußerste Erschütterung nicht bergen, und der Gedanke, der in seinem tiefsten Innern saß, die fast unglaubliche Ahnung, die ihn hieher geführt, die Ahnung, die er nicht einmal seinem Freunde zu offenbaren gewagt, schien sich hier an dem Wahnwitze eines alten Mannes zu verkörpern und zu offenbaren.
›Wenns ist‹, dachte er, ›wenns ist- –!‹
Er zitterte fast, nur um ein Haar breit in der verdunkelten Seele des andern weiter
zu forschen, um sie nicht noch tiefer zu zerrütten. Die Verrückung jener Gesetze, auf
deren Dasein im Haupte jedes andern man mit Zuversicht baut, als des einzigen, was er
untrüglich mit uns gemein hat, trägt etwas so Grauenhaftes an sich, daß man sich
nicht getraut, das fremdartige Uhrwerk zu berühren,
»Wird aber nicht Pia Schaden nehmen, wenn wir so lange weg bleiben«, sagte Heinrich versuchsweise.
»Wer!?« entgegnete der Alte mit allen Zeichen des höchsten Erstaunens, indem er
seinem jungen Begleiter mit der Laterne ins Gesicht leuchtete. Sein Geist hatte in
Jahren geschwebt, wo Pia nicht war, und der Geier, der an seinem Gehirne fraß, das
Mißtrauen an sich selbst, stand auf und schlug ihm die düstern Flügel um das Haupt.
Er ging hastig und verstummt den Gang zurück, löschte das Licht aus, verbarg mit
größtem Scharfsinne die Laterne, führte Heinrich in tiefster Dunkelheit wieder Trepp
auf, Trepp ab, Gang aus, Gang ein, und sie standen endlich plötzlich bei Robert, der
an einem Fenster ihrer geharrt hatte. Ruprecht war jetzt wieder ohne ein einziges
Wort. Er schritt über einen Vorsaal, schloß
Mit den schwermütigen Gefühlen menschlicher Nichtigkeit und Vergänglichkeit wandelten die Freunde durch diese Stätten versunkenen Glückes und Elendes, und Heinrichs Herz war tief und ahnungsvoll erregt. Er mußte sich einige Male die Hand über seine Augen legen, um sich zu sagen, wo er sei, und um dem andern sein Inneres zu verbergen.
So hatten sie mehrere Zimmerreihen durchwandelt, einst zu dem verschiedensten
Gebrauche bestimmt, von der Öde des Prunksaales an bis zur Heimlichkeit des einstigen
Schlafgemaches. Der Alte war ohne viele Teilnahme hinter ihnen gewandelt, aber da die
Zimmer zu Ende waren und sie wieder in einen Vorsaal gelangten, bog er plötzlich um
eine Ecke, riß mit sichtlicher Hast und Freude zwei riesengroße Flügel auf – und ein
zauberischer Anblick schlug den Freunden entgegen: es war der grüne Saal; mit dem
feinsten, dunkelsten Serpentine waren die Wände bekleidet, riesengroße Fenster, von
unten gegen oben zum Teile mit grauer Seide gedeckt, rissen sich gegen den glänzenden
Himmel auf, und ihr Glas war glatt und spiegelhaft, als hätte man es in diesem
Augenblicke gesetzt – der Grund aber war, weil es der Alte immer putzte. – – Und in
der Lichtflut dieser Fenster stand, in die dunkle Ebene des Serpentins gerahmt, eine
ganze Reihe der herrlichsten Bilder: es waren sämtliche
Robert, der auch den Saal noch nicht gesehen hatte, war eben so bezaubert wie Heinrich; – Ruprecht im Übermaße der Befriedigung und des Stolzes stand da und drückte sein Gefühl dadurch aus, daß er abenteuerlich und ungeschickt mit seinen Fingern in dem großen Bunde Schlüsseln, den er trug, suchte und arbeitete und nestelte. Er hatte sein Barett abgenommen, als wäre er in der Kirche.
Nachdem der erste Eindruck dieser Einfachheit und Größe [denn selbst die Bilder waren
weitaus über Lebensgröße] in etwas vorüber war, ging man zur Betrachtung der
Einzelheiten über. Da hing gleich zu Anfang der alte Hans, ein frommer Herr und
Ritter, daneben sein Eheweib Adelgund, ein echt deutsches Gesicht, wie sie uns so
gerne aus den Bildern Albrecht Dürers ansehen.
Von den Frauen war keine einzige unschön, manche voll herrlicher Anmut, und einige
Jungfrauen blendend und untadelig. – Von den Männern war keiner unbedeutend, viele
schön, einige voll Schwärmerei oder Gewalt des Geistes; alle mit einem sonderbaren
Zuge von Überschwenglichkeit, wie mit einem Familienzeichen behaftet; – da war
Johannes, der Erbauer der Sphinxe und des
Robert stand neben dem Freunde – und ahnte nicht, was in demselben vorgehen mochte.
Auch der Greis Ruprecht
Indessen blickte dasselbe Schwärmerauge des Prokopus aus dem Bilde, dieselben guten, sanften Blicke der Jungfrauen und dieselben ungleichen Mienen der feindlichen Brüder.
Man ging endlich weiter.
Julianus war der letzte im Harnisch gewesen, aber auch dieser, ein leichtes, vergoldetes Ding, war mehr Spielzeug als Waffe. Nach ihm begannen die kleinen Degen und die Bordenkleider und Reifröcke, und – merkwürdig – war es nun Zufall oder war es Zeichen jener Zeit, die, sittenloser als eine, auch ihren fahlen Fittig. Über diesen entlegenen Berg geschattet hatte – die bisherige Reihe bedeutungsvoller Köpfe brach hier ab, und es folgten einige von vollendeter Nichtigkeit, ein Gebäude von Borden und Locken und Angesichter voll Zeremonie und Leerheit. Erst gegen das Ende, bevor der ganze Bilderreigen Überhaupt abbrach, gleichsam wie der letzte Glanzblitz einer erlöschenden Flamme, saß noch eine Gruppe, welche Auge und Ahnungsvermögen jedes Beschauers an sich riß; für unsere Freunde aber durch die aberwitzige Vermittelung des alten Mannes wahrhaft erschütternd wurde.
Die Zeit der Borden und Zöpfe nämlich hörte plötzlich bei einem Manne auf, der in ganz fremder Kleidung da saß, die gar keinem Jahrhunderte der Geschichte angehörte; einer Gattung weitfaltigen, rabenschwarzen Mantels mit roter Seide ausgeschlagen. Ein Kopf voll Schönheit und Bedeutung sah ernst und doch sanft schwärmend daraus nieder: ›Jodokus‹ stand unter dem Bilde. Die Männer sahen ihn neugierig an, den Menschen, von dem so abersinnige Gerüchte umgingen, und der doch so ruhig und gelassen-tatfähig aus dem Bilde sah, wie man es etwa von einem Epaminondas erwartet haben würde.
Die Freunde blickten auf, und wirklich bemerkten sie, was sie im Augenblicke vorher nicht beachtet hatten, daß das Gemälde neben Jodokus mit blauer Seide verhängt war.
»Nun, es ist dringender Grund,« sagte Robert lächelnd, »enthülle das Ding.«
Aber der Alte achtete nicht auf die Rede dieses, sondern mit einem düstern, verzagten Seitenblicke Heinrich streifend, sagte er: »Ja, ja, es ist dringender Grund – ein dringenderer kann gar nicht sein; aber ich warne Euch Ihr werdet Euch entsetzen.«
Einen Augenblick zauderte er noch, dann aber tat er einen kurzen Zug an einer seidnen Schnur, der Vorhang rollte sich von selber empor, klappte in eine Feder, blieb stehen – und der alte Mann trat weit in den Saal zurück, als wäre er von tiefster Erschütterung ergriffen – aber, was sie sahen, war nicht zum Entsetzen, es war eher lieblich und schön: eine kleine weibliche Figur war auf dem Bilde gemalt, wie ein Kind in sanfter Trauer, und doch wie ein vermähltes glühendes Weib. Über dem schwarzen Seidenkleide hielt sie ein lichtes Antlitz, so seltsam und schön, wie eine Blume über dunklen Blättern. Die kleine, weiße Hand lag auf Marmor und spiegelte sich drinnen. Die Augen sahen fremd und erschreckt. Zu ihren Füßen, als friere er, schmiegte sich ein Goldfasan.
Unten im Serpentine stand: ›Chelion‹.
Die zwei Männer hatten lange und mit größtem Wohlgefallen den Schmelz dieses Bildes
betrachtet, aber wie sie sich endlich zum Gehen wegwandten, sahen sie zu
Die zwei Männer schauderte es ins tiefste Mark der Seele, und Heinrich trat einige
Schritte weg, aber der
Unwillkürlich sahen die Freunde auf das Nebenbild der Chelion, und wirklich stand ein junger Mann dar auf, ihr vollendetes Abbild – wie sie so seltsam und schön, aber mit trüben, schwermutsvollen Blicken. Dieser war also der letzte Besitzer des Berges gewesen.
Zu einer andern Zeit und in anderer Lage würden sie lange vor diesen merkwürdigen
Bildern und Naturspielen gestanden sein, aber in diesem Augenblicke war es ihnen
nicht möglich; denn der alte Mann neben ihnen war von einer so furchtbaren Erregung
gefaßt, daß er bei seinen letzten Worten in ein krampfhaftes Weinen ausbrach, die
Hände vor das Gesicht schlug und die überreichlichen Tropfen zwischen den dürren,
faltigen Fingern hervorquellen ließ, so daß sein ganzer Riesenbau vor Schmerz
zitterte, wie der See schwankt, wenn ein ferner Sturm tobt. Das Herz der Freunde tat
einen Blick
Die Freunde wandten sich nun zum Fortgehen. Ohnehin war ihnen die Luft dieses Saales drückend geworden. Sie wollten unbeachtet an Ruprecht vorübergehen, überzeugt, daß er ihnen, sich sänftigend, stille folgen würde. Aber wie er ihre Absicht erriet, ließ er plötzlich die Hände von seinem Gesichte fallen, und statt der vorigen Erregung sahen sie nun das äußerste Erstaunen darinnen, so, daß ihm sogar vor Schreck die Tränen stocken geblieben und wie gefrorne Tropfen in dem weißen Reife seines Bartes standen: »Aber wie seid Ihr denn?« rief er mit heftiger Stimme, »wozu habe ich Euch denn hergeführt? wozu seid Ihr denn zurückgekehrt? Ich habe den ganzen Tag die Geduld mit Euch gehabt, ich habe ja die höchste Geduld gehabt, als Ihr immer und immer die andern Dinge des Berges anschautet und nicht ginget, wohin ich Euch führen wollte, ich habe die Geduld gehabt, um Euch endlich auch zu zeigen, was ich getan habe – warum wollt Ihr denn nun fortgehen?!«
»Sehet,« rief der Greis besänftigter, »alle sind sie da, alle, die je lebten und atmeten auf dem roten Steine – sie sind versammelt in dem grünen Saale; nur einer war verworfen, – ich habe ihn immer sehr geliebt, und dachte, es soll nicht so sein – seht nun: ich war es, der es machte, daß Ihr schon im Saale standet, als er noch lebte, aber er wußte es nicht, er ging hinüber, und wußte es nicht. – – Wartet nur, ich will zuerst den blauen Vorhang herablassen, weil er nicht offen stehen bleiben darf«
Diese letzten Worte hatte er beschwichtigend und vertraulich gesagt, und dann lief er gegen Chelions Bild:
»Hüll dich ein,« sagte er murmelnd, »du schöne Sünde, hüll dich ein, du Apfel des Paradieses« – – und er zog wieder an der Schnur, und freiwillig, wie hinauf, rollte sich nun der Vorhang herunter, Stück um Stück den Schimmer des Bildes deckend, bis nichts mehr sichtbar war als die unschuldige Seide, straff gespannt und matt erglänzend. Dann zu heller, unheimlicher Freude über gehend, sprang der Greis zu der leeren Nische neben Christoph, drückte gegen eine Feder, und zum Erstaunen der Männer sprang der Serpentin los – und in das Krachen mischte sich das triumphierende Kichern und Lachen des Greises. Sie sahen nun, daß der Stein bloß auf eine Kupfertafel gemalt war, daß sich diese völlig umlege und noch ein Bild entblöße, das sie vorher ge deckt hatte. Es war ein Männerbild, und im Serpentine unten stand: ›Sixtus II‹
Allein das Bild war das Heinrichs Zug für Zug, nur in fremden Kleidern.
Der Alte rieb frohlockend und herausfordernd die Hände, als wollte er sagen: ›Nun?! nun?!‹
Robert war zum äußersten betroffen. Er hatte bisher die
»Ich habe Euch bloß«, begann er, »nach dem kleinen, runden Bilde machen lassen, das im Deckel Eures feinen Reisekästchens war – wißt Ihr? – ich habe es nach jener Nacht herausgestohlen und aufbewahret. Ein alter, alter Mann hat Euch konterfeit, Ihr müsset ihn erst belohnen; denn er hat Euch sehr geliebt. Des ganzen lieben Tages Länge saß er oben im Julianusschlosse, über die sinkende Stiege hinauf, wo ich ihn versteckt hielt, und wohin ich ihm Essen und Trinken brachte. Dort malte er, und viele Tage und Wochen vergingen, ehe Ihr so herrlich wurdet, wie Ihr jetzt seid. Der arme Mann! weil er so alt war, mußte ich ihn immer beinahe die Treppe hinauftragen, daß sie unter uns knitterte und einzustürzen drohte. ›Gott lohne es Euch, Ruprecht‹, hatte er gesagt, ›Gott lohne es Euch, wenn Ihr alt werdet.‹ Er hat noch keinen Heller für das Bild, Ihr müßt ihm einen Lohn geben; denn sein Alter ist darbend und verachtet.«
»Ach, der ist wohl schon jenseits aller Heller und Millionen«, sagte Heinrich trübsinnig.
»Lasse ihn in seiner Ahnung,« sagte Robert, »es dürfte eher sein Gehirn zersprengen, ehe wir ihm begreiflich machen, daß du nicht Sixtus seiest.«
»Bin ich auch nicht Sixtus,« antwortete Heinrich, »so bin ich doch einer von diesen da – – ich bitte dich, frage jetzt nicht, mir ist alles sonnenklar, nur zittert jeder Nerv in mir. Ich werde dir alles – alles enthüllen, frage nur jetzt nicht.«
Und in der ungeheuren Aufregung, in der er war, ging er gegen Ruprecht, und als glaube er es selber, sagte er zu ihm: »Sei gepriesen, alter Mann, für das, was du getan hast – ich danke dir dafür, ich danke dir, und ich werde redlich sorgen für alle deine künftigen Tage.«
Dem Greise war in seiner Schwäche ein kindisches Weinen über diesen Dank angekommen,
aber es äußerte sich nur darin, daß ein Zucken und allerlei Bewegungen und Regungen
emsig durch die Falten des verfallenen Angesichtes liefen. Er beugte sich mehrmal,
und beugte sich
»So, jetzt ist alles geschehen und gesehen«, sagte er und trat zurück. Wirklich waren nun alle folgenden Nischen in langer Reihe leer, und die Freunde wanderten noch den Rest entlang, dem Tore zu, das sie in die andern Gemächer des Baues führte.
Daß sie dem, was nun folgte, wenig Aufmerksamkeit schenkten, begreift sich. Sie
gingen noch durch mehrere Abteilungen des Sixtusbaues. An den grünen Saal stieß ein
roter, gefüllt mit den tausenderlei Arbeiten der Frauen des Rothensteines, namentlich
mit einer Unzahl Spielereien der Nonnen. Sonst möchte es nicht ohne Annehmlichkeit
sein, diese Zeugen einer vergangenen Abgeschiedenheit zu betrachten, wie sie für den
einen ein Glück, für den andern eine Trauer war, – aber die zwei Männer eilten
vorüber, um nur so schnell als möglich Raum und Luft zu gewinnen und ihre Herzen
gegenseitig ausschütten zu können. Nur ein Gemach, als sie all die Räume und Zimmer
durchwandelt hatten, nahm noch ihre Aufmerksamkeit in Anspruch – es war das letzte,
nahe an dem großen Tore gegen die Vorderseite des Baues gelegen, aus dem sie nun
hinaustreten sollten. Das Gemach
»Geht vorüber, geht nur eilends vorüber,« sagte angstvoll dringend der Greis, »ich
bitt Euch inständig, geht vorüber – es ist nur mein armes Kind – was soll ich denn
hier stehen bleiben? – ich habe ja ohnedies schon um sie geweint. – – Sie sollte in
den grünen Saal kommen, aber er wurde in dem Lande der Heiden erschlagen – der
Und hastig hatte er bei diesen Worten das Tor der ganzen Breite nach aufgerissen. Feines, liebes Grün sah einladend herein. Er zeigte hinaus; er war sichtlich erleichtert, als die Freunde das Gemach verlassen hatten. Dann mit Kraft und Schnelle jagte er die Flügel zu, drehte dreimal den Schlüssel im großen Schlosse um und schlug noch mit der Faust auf das eiserne Tor, recht freudig, daß es einmal zu sei. – Aber auch die Männer waren erleichtert, als der düstre, schwarze Bau gleichsam hinter ihrem Rücken zurückwich, und die helle, grüne Landschaft glänzend in der Nachmittagssonne vor ihnen lag und sich die Flut des lieben, vertrauten Sonnenlichtes wieder um sie ergoß. Es war ein reicher Garten, durch den sie gingen, voll der sanftesten Sträuche und Bäume nebst Resten verkommener ausländischer Gewächse.
Sie weilten auch hier nicht lange – und es war auch nichts zu sehen als die leere, hohle Hülse einstiger Wohnlichkeit, in der nun die Trauer brütete. – Sie gingen hinter dem Gebäude durch einen weitläufigen Obstgarten nach und nach um die Bergkuppe herum und stiegen dann durch den erstorbenen Fichtenhain zu dem Turme des Sterndeuters Prokopus hinan. Der Turm selber war leer, nur daß noch Trümmer von astronomischen Geräten, Mappen und Büchern herumlagen.
Aber an der Außenseite desselben war gegen Süden eine riesenhafte Äolsharfe gespannt. Ihre Saiten gingen von dem gepflasterten Steinboden, der rings um den Turm lief, bis auf die Spitze desselben empor, und sie wogten leise, tief und zart im Hauche der leichten Luft, als die Freunde eben davor standen, gleichsam als rede sie jetzt freundlich zu ihnen, während sie öfter unter Tags einen lauten, langen Ruf über die Berge getan.
Mit dem Turme des Prokopus war die andere Seite des Schloßberges gewonnen, und sie
begannen nun den Rückweg. Der alte Pfad, der von dem Turme abwärts lief, wand sich
wieder sachte um die Wölbung des Berges dem Tore zu, durch das sie hereingekommen
waren, weil es das einzige in der ganzen Ringmauer war. Ehe sie zu dem Platze der
Sphinxe und des Obeliskus gelangten, trafen sie auf die Wohnung des Kastellans – es
war ein
Ruprecht war auf dem Wege von dem Berge herab wie ein Lamm hinter den Männern gegangen. Jetzt, wie sie ein wenig anhielten, um die Gruppe im Garten zu betrachten, und er an ihnen vorbeikam, sahen sie, daß seine blaßblauen Augen ganz leer standen, daß er auf die Seinen keinen Blick tat und geradeswegs gegen die Ringmauer zuschritt. Dort angekommen, öffnete er die Pforte und wies die Männer unter denselben Verbeugungen hinaus, wie er sie hereingewiesen hatte. Sie traten durch das schmale Drehtor und hörten hinter sich die Vorrichtung knarren und den Schlüssel rasseln. Nach einigen Schritten, die sie gebeugt durch das verwachsene Haselgebüsche getan hatten, standen sie wieder in der Fichtenallee vor dem weißen Mauerflecke, wie sie vor einigen Stunden gestanden waren, ehe man sie hineingelassen hatte.
Die Nachmittagsluft seufzte wieder eintönig in den langen, haarigen Zweigen, wie es die am Vormittage getan, und die Stille und die Harzdüfte sanken wieder von den Wipfeln. Das Rätsel des Berges, das Heinrich gesucht, lag nun hinter ihm, und die graue, hohe, stumme Mauer stand wieder davor.
Da sie nun allein waren, und da sie die unbetretene, unbefahrne Straße der düstern Allee abwärts zu schreiten begannen, sagte Robert zu Heinrich: »Nun aber um Gottes willen erkläre, was soll alles das bedeuten?«
»Ich will es dir sagen,« antwortete Heinrich, »aber zuvor erkläre du mir, wie es denn
kam, daß du nie von diesem
»Deine Frage ist noch wunderlicher als die Sache selbst«, erwiderte Robert. »Wie konnte mir beikommen, eben weil du schon viele Wochen in der Fichtau warest, daß du von einem Dinge nichts wissest, das doch in aller Leute Munde war? und wie sollte ich freiwillig wieder von etwas beginnen, von dem man eben erst aufgehört hatte zu reden?«
»Nun, so hat mich denn ein Wunder in dieser Angelegenheit geführt,« sagte Heinrich,
»sonst wäre sie gerade für den verloren gewesen, den sie doch am meisten anging, der
mitten im Gespräche darüber saß und nicht einen Laut davon vernommen hat! – Höre mich
an. Du weißt, wie ich dir sagte, daß ich wunderbare Ruinen gefunden, und daß ich den
närrischen Fichtauer Wirt darüber zu Rede gestellt; – du weißt, daß du mir dann
selber das sonderbare Testament dieser Scharnasts auseinandergesetzt hast; aber das
weißt du nicht, daß ein furchtbarer Blitz auf mich von heiterem Himmel gefallen war
daß ein solcher Scharnast mein Ahnherr gewesen – und daß ich es doch keinem Menschen
dieser Erde zu entdecken wagte, weil es dennoch unwahr sein konnte – ach, es schwebte
mir ja kaum wie ein dunstiger, duftiger Nebelstreifen vor, der dahin sein konnte, ehe
man ihn erfaßt. – Ich schrieb desselben Abends, als ich mit dem Wirte und deinem
Schwiegervater gesprochen hatte, noch an meine Mutter, und befragte sie, wie unser
Ahn geheißen, und welche seine Verhältnisse gewesen – und ich schickte den Brief noch
in der Nacht nach Priglitz auf die Post. Darum, Freund, war es auch nicht Neugierde
allein, was mich auf diesen Berg trieb, sondern ein Instinkt, der auf seinen
Gegenstand weist, wenn er ihn
Robert schüttelte bei diesen letzten Worten seines Freundes fast traurig den Kopf und
sagte: »Das ist ja eine erstaunliche, überaus merkwürdige Geschichte, die du da so
erzählst, als wäre sie vollkommen einleuchtend – ich erstaune fast vor den Folgen –
ich weiß es noch gar nicht, wie sehr ich mich darüber freuen werde – aber vorerst bin
ich noch beinahe betrübt darüber; denn siehe, Heinrich, deine Erinnerungen zählen vor
Gericht nicht, der Name ist dir dunkel, die Erkennung des Kastellans folgte bloß aus
deiner Ähnlichkeit mit jenem Bilde, die selber zufällig ist – ich sehe einer endlosen
Sache entgegen. Wird man nicht sagen, du selber habest das Bild malen und dort
verstecken lassen, da die Ähnlichkeit zu lächerlich ist? oder was beweist sie am
Ende? Sage, hast du außer den Dingen, die du mir erzähltest, weiter nichts,
»Ich weiß in der Tat sonst nichts,« entgegnete Heinrich, »als daß jener alte Mann Julius Graf Scharnast geheißen, das heißt ich meine, daß er so geheißen, aber ich habe meiner Mutter geschrieben, ob er so geheißen, und ob nicht Schriften von ihm übrig wären. Ich bin nur darum nicht gleich selbst nach Hause gereiset, damit ich noch eher dieses Schloß besuchen und dann mit dir reden könnte, daß du mir als Rechtserfahrner einen Rat gebest. Sobald die Antwort der Mutter da ist, werde ich sie dir mitteilen und dich fragen, was ferner zu tun ist.«
»Es ist gut so,« antwortete Robert, »sage nur keinem Menschen etwas von der Sache, damit nicht entgegengearbeitet werde. Wenn die Lage so ist, wie sie scheint, dann müssen bestimmt und gewiß Dokumente von jenem Julius Scharnast irgendwo liegen; die Kunst ist dann nur, sie klug zu finden und klug zu heben, ehe sich eine Hand darein mischt. Sie müssen vorhanden sein, wenn er nicht ganz und gar leichtsinnig und sorglos um seine Nachkommenschaft gewesen ist. Wenn der Brief deiner Mutter Winke gibt, so will ich selber mit dir reisen und jeden kleinsten Faden selber lenken und leiten, damit du nicht zu Schaden und Irrtum kommst.«
»Ich danke dir,« sagte Heinrich, »ich wußte, daß du gut und hülfreich bist, darum habe ich mich dir allein anvertraut.«
»Gut und hülfreich?« erwiderte Robert; »die Sache ist ja so ungeheuer und merkwürdig, daß ich ein wahrer Tiger sein müßte, wenn ich dir nicht mit Händen und Füßen beispränge – und ich begreife nicht, wie du so ruhig davon reden kannst, wie etwa von einem Pachtvertrag, oder einem Pferdekaufe.«
»Siehe, das ist so: ich trage die Sache schon acht Tage
»Ich wollte nur, sie wäre dem Lehenhofe auch einleuchtend«, sagte Robert, und dann fuhr er so wie aufzählend fort: »Es muß ein Taufschein da sein, ein Trauschein, etwa ein Testament jenes Greises, Korrespondenzen, ein Offizierspatent oder so etwas, – wenn Ihr nur die Dinge nicht zerrissen habt. – – Es dürften, ja es müssen sogar im Gewölbe des roten Steines Schriften sein, die über jenen Julius Auskunft geben – – dann der Vertrag über den Waldkauf und Häuserbau deines Greises – der muß in einem Archive sein. Euer Tal ist ja landesherrlich, nicht wahr?«
»Ich bitte dich, schone mich jetzt mit diesen Dingen«, sagte Heinrich; »denn ich weiß sie nicht; aber wenn wir reisen, werde ich dich überall hinführen, wo du hin verlangst, und dir Auskunft verschaffen, worüber du nur willst.«
»Nun ich hoffe und wünsche und will alles Beste für dich«, antwortete Robert; »aber ich habe eine wahre Angst , eine peinigende Angst habe ich, wie wir das Ding durchsetzen werden.«
»Ich wieder gar keine«, sagte Heinrich; »entweder rollt alles schön und klar wie Perlen heraus, oder ich bin ganz und gar keiner von jenen. – Nur leid täte mirs dann, sehr leid um das schöne Schloß, daß ich nicht auf seinem Berge arbeiten und schaffen dürfte, und daß ich es nicht mit all seinen Schätzen und Mälern von dem Heimfalle an Verderbnis und Unheimlichkeit retten könnte.«
»Freilich wäre es auch mir sehr angenehm«, erwiderte Robert; »es wäre eine wahre
Freude für mich, es wäre die größte meines ganzen Lebens, Thrine und mein Kind
ausgenommen, wenn ich dich hier oben wüßte als Herrn und Besitzer, ein klares und
freundliches Leben führend über den Trümmern dieser verworrenen, vielleicht
sündhaften
»Erwähne das nicht,« sagte Heinrich errötend, »erwähne das jetzt nicht.«
»Nun, nun, du brauchst dich nicht zu schämen«, entgegnete Robert; »sie ist schon recht, sie ist herrlich und mehr wert als alle Fürstinnen und Grazien der Welt.«
»Freilich ist sie mehr wert, freilich«, – sagte Heinrich.
»Nun so handle rasch zu,« erwiderte Robert, »und lasse alles andre gehen, wie es gehen mag.«
Unter diesen und ähnlichen Gesprächen waren die Freunde endlich vollends den Berg
hinabgelangt, und sahen unten im dichten Gebüsche das Häuschen des Grafen Jodok
stehen, und das steinerne Bänkchen davor, auf dem er in den letzten Tagen seines
Lebens gesessen war. Dann gingen sie durch heitere Obstbaumgruppen dem Dorfe zu, wo
sie ein Mahl bestellt hatten, und wo ihr Wagen wartete. Es ist begreiflich, daß sie
während des Essens und noch nachher über die Dinge redeten, die sie gesehen, und über
die Zukunft, wie sie einzurichten ist. Als es schon gegen die Kühle des Abends ging,
saßen sie ein und fuhren den Rückweg gegen Priglitz zu. Öfter, wenn es die Berge
zuließen, sahen sie noch auf die alte Burg zurück, und ganz spät, als schon längst
die Sonne untergegangen und sie eben um einen Winkel in das Haupttal der Pernitz
einbogen, rissen noch einmal die grünen Hügel auseinander und ließen den verlassenen
Zauberberg durchblicken, wie er fahl, gleich einem Luftbilde, in der Dämmerung
draußen hing – sie dachten sich noch einmal die Bewohner auf ihm, den blöden Greis,
das Kind, das alte Mütterchen und den Hund; sie dachten sich die ragenden Bauwerke
desselben, und die Reihe der starren
Der Wagen war an der Steinwand des Julius verschwunden; auch vernahm man sein fernes Rollen nicht mehr. Der Knecht der grünen Fichtau, der das leise Pochen gehört und auf Befragen die Stimme Heinrichs erkannt hatte, hatte ihn eingelassen, – und so war wieder alles, was der heutige Tag gesehen, die lustigen Sonntagsgäste der grünen Fichtau, der närrische Erasmus, die zwei Wanderer, die Bewohner jenes Berges, und das in seiner Liebe befangene Herz, in denselben weiten, lichtdämmernden, schlummerbringenden Mantel der Nacht gehüllt und seinen Träumen überliefert.
Wir aber lassen sie schlummern und träumen, und schwingen uns indessen in die
glänzende Luft hinauf, um aus
Als nun dieser Morgen angebrochen war, finden wir Heinrich in seinem Zimmer bereits aufgestanden und angezogen. – Er beschäftigte sich, indessen draußen die feurigen Goldströme um alle Hütten spielten, damit, daß er Pflanzen und Mineralien in flache Kisten packte, und wie eine fertig war, den Deckel anschraubte und ihn mit einer Aufschrift versah. So tat er fast den ganzen Tag. Und wie oft er indessen an das Fenster gegangen, ja selbst den Garten durchstreift hatte, so hatte er doch Anna nicht zu sehen bekommen; es war fast, als wiche ihm das Mädchen aus. Nur gegen Abend, als man ihn über den Steg und dann die Grahnswiese emporgehen sah, lauschte ihr Angesicht zwischen den weißen Vorhängen ihres Fensters heraus und sah ihm nach, so lange er zu erblicken war. In der Dämmerung kam er wieder zurück, und der große Wirtshund ging mit ihm, weil er ihn oben am Hage gefunden hatte und ihm überhaupt sehr zugetan war. Die Tiere kennen gute Menschen und gesellen sich zu denen, die ihnen wohlwollen.
So verging auch der andere Tag und der nächste wieder. Mittwochs aber, da er eben über seine Gassenstiege herabgegangen war, um später sein Mittagsmahl zu nehmen, lief Anna hochrot aus dem Gassengärtchen herbei und sagte zu ihm: »Seit Morgen liegt schon ein Brief an Euch in des Vaters Stabe; Thrinens Syndikus hat ihn mit einem eigenen Boten gesendet.«
Heinrich entfärbte sich bei dieser Nachricht, und beide, ohne sonst ein einzig Wort zu sagen, gingen wieder auseinander.
Der Brief aber war von Heinrichs Mutter. Zitternd entfaltete er ihn und las, wie
folgt: ›Lieber Sohn! Du schreibst ohnedem so selten, und dann wieder so kurz, daß wir
nicht wissen, wie es Dir geht, oder was Dir fehlt,
Heinrich legte den Brief wieder zusammen, und war er bei dessen Entfaltung blaß
gewesen, so wurde er nun nach dessen Lesung flammend rot. Es wären fast Tränen der
Rührung über die guten, einfältigen Worte der Mutter hervorgebrochen – aber er hatte
jetzt nicht Zeit, sondern mit äußerster Hast lief er wieder in seine Stube, packte
noch in Eile alles zusammen, was herum lag, und versah es mit Aufschriften, daß es
der Boten-Simon am künftigen Montage mit sich fortnehme; den Koffer mit
»Es ist im Grunde doch ein recht kerngutherziger Mensch«, sagte Vater Erasmus, und alle drei aßen sie fast traurig an ihrem Mittagsmahle weiter.
Am andern Tage kam durch einen Holzknecht die Nachricht von Priglitz, daß Heinrich und Robert abgereiset wären, man weiß nicht wohin. Die Sache bestätigte sich auch, indem noch desselben Tages Thrine samt ihrem Kinde zu ihrem Vater, dem Schmiede, in die Fichtau auf Besuch kam und über eine Woche blieb. Auch sie wußte nichts über das Ziel der Reise. Endlich fuhr sie wieder nach Hause.
Ein Tag um den andern verging, ohne daß die Männer zurückkehrten, eine Woche nach der andern verging. Als aber endlich Robert allein zurückkam, so kam mit ihm zugleich eine Nachricht mit, die wie ein Lauffeuer von Land zu Land lief, von einem Berge der Fichtau zum andern, und die in Annas verborgenem Herzen einen ganzen Sturm von Freude und einen fürchterlichen Schreck emporjagte.
Während nicht nur in der Fichtau, sondern im ganzen Lande noch ein außerordentliches
Geschrei über das Wunder war, so sich begeben; während Arbeitsleute aller Art auf dem
Rothensteine beschäftigt waren, so daß es schien, als rühre sich nun der ganze Berg,
der früher so vereinsamt gewesen; während das vermauerte Tor nun wieder gastlich
seine Wölbung offen hielt und auf einem Gerüste Steinmetzen oder Steinhauer an seiner
Verzierung arbeiteten; während kein Weg auf dem Berge war, auf dem nicht ein Karren
quiekte, kein Busch, hinter dem es sich nicht rührte, kein Dach, auf dem es nicht
ging, kein Zimmer, in dem es nicht scheuerte – – während dieses alles geschah, ging
Heinrich langsam bei dem großen verfallenen Tore des Julianschlosses hinein, in das
einzige Bauwerk, in welchem keine Hand sich regte; er ging den betretenen Pfad über
den Schutthügel; er ging bei der ent gegengesetzten Öffnung wieder hinaus,
durchwandelte den verfallenen Garten auch auf dem wohlbetretenen Pfade, und hielt vor
dem hohen roten Felsen stille, zu dem die Pfade führten. Hier zog er einen Schlüssel
aus seinem Busen hervor, – denn die Siegel waren schon alle nicht mehr da – drehte
ihn dreimal in dem Schlosse und öffnete sanft die hohen, glatten, eisernen Torflügel.
Da sah ein weiter, matt dämmernder Gang heraus; weit ge schweifte, flache,
halbkreisartige Stufen von blutigrotem Marmor wiesen zu einem zweiten Eisentore von
wunder schöner Arbeit, die zwei Schlüsselmündungen mit gediegenem Golde umlegt. Er
trat ein. Hinter sich schloß er die äußern Tore und schritt über das Lichtgezitter,
das eine Spiegelvorrichtung von oben herab auf den Estrich des Ganges warf und ihn
schwach beleuchtete. Nachdem er die Stufen emporgegangen war, nahm er die zwei
kleinen stählernen Schlüssel aus einem Samtfache, das er mit
»Und darum kann ich euch keinen Dank haben, Ubaldus und Johannes, und Prokopus und
Julianus – und wie ihr heißet; denn der Dämon der Taten steht jederzeit in einer
neuen Gestalt vor uns, und wir erkennen ihn nicht, daß er einer sei, der auch schon
euch erschienen war – und eure Schriften sind mir unnütz. Jedes Leben ist ein neues,
Was ich hier schreibe, bin nicht ich – mich kann ich nicht schreiben, sondern nur,
was es durch mich tat. Ich habe die Erde und die Sterne verlangt, die Liebe aller
Menschen, auch der vergangenen und der künftigen, die Liebe Gottes und aller Engel –
ich war der Schlußstein des millionenjährig bisher Geschehenen und der Mittelpunkt
des All, wie es auch du einst sein wirst; – – aber da rollt alles fort – wohin? das
wissen wir nicht. – Millionenmal Millionen haben mitgearbeitet, daß es rolle, aber
sie wurden weggelöscht und ausgetilgt, und neue Millionen werden mitarbeiten, und
ausgelöscht werden. Es muß auch so sein: was Bilder, was Denkmale, was Geschichte,
was Kleid und Wohnung des Geschiedenen – wenn das Ich dahin ist, das süße, schöne
Wunder, das nicht wieder kommt! Helft das Gräschen tilgen, das sein Fuß betrat, die
Sandspur verwehen, auf der er ging, und die Schwelle umwandeln, auf der er saß, daß
die Welt wieder jungfräulich sei, und nicht getrabt von dem nachziehenden Afterleben
eines Gestorbenen. Sein Herz konntet ihr nicht retten, und was er übrig gelassen,
wird durch die Gleichgültigkeit der Kommenden geschändet. Gebt es lieber dem reinen,
dem goldnen, verzehrenden Feuer, daß nichts bleibe, als die blaue Luft, die er
geatmet, die wir atmen, die Billionen vor uns geatmet, und die noch so unverwundet
und glänzend über dir steht, als wäre sie eben gemacht und du tätest den ersten,
frischen, erquickenden Zug daraus. Wenn du seinen Schein vernichtet, dann schlage die
Hände vor die Augen, weine bitterlich um hn, soviel du willst- aber dann springe auf,
und
Wundere dich nicht über diesen meinen Schmerz, da doch alles, was ich in den vielen Blättern oben geschrieben habe, so heiter und so freundlich war, wundere dich nicht; denn ich gehe dem Engel meiner schwersten Tat entgegen, und aus den Pergamenten des roten Felsensaales kam dieser Engel zu mir. Dort liegen die Schläfer, von ihrem Ahnherrn verurteilt, daß sie nicht sterben können; eine schauderhaft durcheinanderredende Gesellschaft liegt dort, vor jedem Ankömmling müssen sie ihre Taten wieder neu tun, sie seien groß oder klein; – diese Taten, genug, sie waren ihr Leben und verzehrten dieses Leben. Wenn es dein Gewissen zuläßt, später Enkel, so verbrenne die Rollen und sprenge den Saal in die Luft. Ich täte es selber, aber mir schaudert vor meinem Eide. Kannst es aber auch du nicht tun, so vergiß doch augenblicklich das Gelesene, daß sich die Gespenster all ihres Tuns nicht in dein Leben mischen und es trüben, sondern daß du es lieber rein und anfangsfähig aus der Hand deines Schöpfers trinkest.
Ich fahre fort.
Als ich aus Frankreich zurückkehrte, und das Bild des treuen Alfred doch schon zu erblassen begann – als ich fast alle Welt durchreiste – als ich jeden Brief der Marquise unerbrochen zurücksandte, bis keiner mehr kam da fiel es mir ein – – – lese nun das Folgende, weil du es zu lesen geschworen, so wie ich es schrieb, weil ich es zu schreiben geschworen –; aber wenn du das Eisentor des Gewölbes zuschlägst, so lasse alles hinter dir zurück und streue die Erinnerung in die Winde, damit du keinen Hauch davon, kein trübes Atom zu den Deinen nach Hause trägst, zu deinen armen Kindern, zu deinem schönen, unschuldigen Weibe.
In den Pergamentrollen hatte ich gelernt, wie alles nichtig und eitel sei, worauf Menschen ihr Glück setzen; denn es war Torheit, was alle meine Vorfahren taten. Ich wollte Neues tun. Den Kriegsruhm hatte ich schon genossen, dies ekle, blutige Getränke; die Kunst hatte ich gefragt, aber sie sagt nichts, wenn das Herz nichts sagt; die Wissenschaften waren Rechenpfennige, und die Liebe Sinnlichkeit, und die Freundschaft Eigennutz. – – Da fiel mir ein, wie ich oben sagte, ich wolle nach dem Himalaja gehen. Ich wollte die riesenhaften und unschuldigen Pflanzen Gottes sehen, und eher noch wollte ich das große, einfache Meer versuchen.
Ich kam nach dem Himalaja. Dort lernte ich die Hindusprache, dort sah ich das Bramanenleben, ein anderes als unseres, das heißt anders töricht – und dort ging auch die Paria zwischen Riesenpalmen nach dem Flusse, um Wasser für den Vater zu schöpfen. Sie hat, seit sie lebte, sonst nichts getan, als daß sie durch die Palmen ging, um Wasser zu holen und für den Vater Datteln zu lesen und Kräuter zu pflücken.
›Rühre mich nicht an und rede nicht mit mir‹, hatte sie zu dem fremden Manne gesagt, ›daß du nicht unrein werdest‹, – und dann stellte sie den Wasserkrug auf ihre Schulter neben den glänzenden, unsäglich reinen Nacken, und ging zwischen den schlanken Stämmen davon.
Und so ging sie Tage und Monden – kein Mensch war
›Du mußt dich nun waschen‹, sagte sie, ›daß du wieder rein seiest.‹
›Ich werde mich nicht waschen‹, sagte ich; ›ich will ein Paria sein wie du. Ich werde zu dir kommen, ich werde dir Früchte und Speise bringen, und du reichest mir den Krug mit Wasser.‹
Und ich kam auch, und kam wieder und oft. Ich redete mit ihr, ich erzählte ihr von unserm Brama, wie er sanft und gut sei gegen die Kinder seines Volkes, und wie er nicht den Tod des Weibes begehre, wenn der Mann starb, sondern daß sie lebe und sich des Lichtes wieder freue.
›Wenn sie aber freiwillig geht, so nimmt er sie doch mit Wohlgefallen auf?‹ fragte sie und heftete die Augen der Gazelle auf mich.
›Er nimmt sie auf‹, sagte ich, ›weil sie es gut gemeint hat; aber er bedauert sie, daß sie sich ihr schönes Erdenleben geraubt hat, und nicht lieber gewartet, bis der Tod selber komme und sie zu ihrem Manne führe, der auch schon ihrer harrte.‹
›Siehst du, wie du selber sagst, daß er schon harrte‹, antwortete sie rasch. ›Du bist also im Irrtume, und man muß ja zu ihm kommen.‹
›Wenn du wieder in dein Land gehst‹, setzte sie langsamer hinzu, ›in deine Heimat, die etwa gar jenseits dieser hohen, weißen Berge ist, so werde ich traurig sein und auch meinen, daß ich dir folgen solle.‹
›Und willst du mein Weib werden?‹ setzte ich plötzlich hinzu.
Als sie nach den Gesetzen unsres Landes mein Weib geworden war, führte ich sie auf
meinen Berg. Ich hatte schon vor meiner Abreise ein Gebäude nach griechischer Art
angefangen, und dieses stand nun, als wir ankamen, bereits fertig da. Ich taufte es
›Parthenon‹ und richtete es zu unserer Wohnung ein. Es war sehr schön, und sein
Inneres mußte von jeder Pracht und Herrlichkeit strotzen, damit ich ihr ihr Vaterland
vergessen machen könne. Auch einen Garten legte ich rund herum an, und hundert Hände
mußten täglich arbeiten, daß er bald fertig würde. Ich zog schwarze Mauern und
Terrassen, um die Sonnenhitze zu sammeln; ich warf Wälle auf, um den Winden zu
wehren; ich baute ganze Gassen von gläsernen Häusern, um darin Pflanzen zu hegen,
dann ließ ich kommen, was ihr teuer und vertraut war: die schönsten Blumen
So lebte sie nun fort. Sie aß kein Fleisch; an mir duldete sie bloß, daß ich es tue und mich mit dem Blute der armen Tiere beflecke. Aber höher hätte sie mich gewiß geachtet, wenn ich es ebenfalls vermocht hätte, nur ihre Pflanzengerichte, ihre Früchte und ihr Obst zu genießen. Oft in jenen Tagen, die in den ersten Jahren so gleichförmig dahin flossen – oft, wenn ihr Mund an meinem hing, wenn ihre weichen, kleinen Arme mich umschlangen, und wenn ich in ihr großes, fremdes Auge blickte und darinnen ein langsam Schmachten sah – sie wußte selbst nicht, an welcher tiefen, schweren Krankheit sie leide oft sagte mir eine Stimme ganz deutlich in das Ohr: ›Gehe wieder mit ihr nach Indien, sie stirbt vor Heimweh‹; – aber mein hartes Herz war in seinem Europa befangen, und ahnete nicht, daß es anders sein sollte, daß ich, der Stärkere, hätte opfern sollen und können, was sie, die Schwächere, wirklich opferte, aber nicht konnte. Ich hörte die Stimme nicht, bis es zu spät war, und eine Tat geschah, die alles, alles endete. – – Siehst du, damals rollte auch der Wagen des Geschickes, nur daß er über zarte Glieder ging und sie zerquetschte.
Ich hatte einen Bruder, Sixtus mit Namen – einen schöneren Jüngling kann man sich
kaum denken – und dabei war er gut und herrlich, und ich liebte ihn wie ein Teil
meines eigenen Herzens. Dieser Bruder kam von seinen weiten Reisen zurück und wollte
einige Monate bei uns wohnen. Das sah ich gleich, daß er vor der Schönheit meines
Weibes erschrak und zurückfuhr, und daß in sein armes Herz das Fieber der
Leidenschaft gleichsam wie geflogen kam; aber ich kannte ihn als gut und mißtraute
Noch war nichts geschehen.
Er schwärmte wild in den Bergen herum, oder saß halbe Nächte an der Äolsharfe des Prokopus. Seine Abreise näherte sich immer mehr. Ich aber war gedrückt, wie ein Tropenwald, auf dem schon die Wucht unsichtbarer Gewittermaterie liegt, wenn die Regenzeit kommen soll und die Sonne doch noch in dem heitern, aber dicken Blau des Himmels steht.
So war es, als ich einmal in der Nacht von einer Reise zurück, die ich in einem
Streite wegen schnöden Mammons tun mußte, gegen den Rothenstein angeritten kam. Es
war eine heiße Julinacht; um den ganzen Berg hing ein düsteres, elektrisches
Geheimnis, und seine Zinnen trennten sich an manchen Stellen gar nicht von den
schwarzen Wolken. Die weißen tröstlichen Säulen des Parthenon konnte ich gar nicht
sehen, aber um den dunklen Hügelkamm, der sie mir deckte, ging zuweilen ein sanftes,
blauliches Leuchten der Gewitter. Mir war, wenn ich nur einmal dort wäre, dann wäre
alles gut, – aber je mehr ich ritt, desto mehr war es, als würde der ganze Berg von
den Wolken eingetrunken, und ich konnte ihn nicht erreichen, ach ich konnte ihn nicht
erreichen! Auch mein
Nicht Eifersucht war es, die mich trieb – nein, nicht Eifersucht – – aber es war mir immer, Chelion würde in dieser Nacht ermordet, wenn ich nicht zeitig genug käme.
Endlich, da wieder ein stummer Blitz durch den Himmel zog, stand ganz deutlich der Prokopusturm darinnen, und mein Weg führte mich auch schon bergan. Die Fichtenallee nahm mich auf, und stand regungslos, wie eine schwarze Doppelmauer. Ruprecht, der junge Sohn meines unlängst verstorbenen Kastellans, öffnete das Tor der Ringmauer, ohne daß ich ein Zeichen zu geben brauchte; es war, als hätte er schon meiner geharrt.
›Nichts Neues?‹ fragte ich ihn.
›Nichts‹, sagte er.
Ich ritt den weiteren Berg hinan. Kein einziger Gegenstand desselben rührte sich, als
wäre alles in Finsternis eingemauert. Hinter den Trümmern des Julianhauses waren die
Stallungen; ich warf meinem Knechte die Zügel des Rappens zu, empfahl ihm das treue
Tier und ging durch die Eichen gegen das Parthenon, aber da ich an dem Flügel des
alten Sixtusbaues vorbeikam, in dem mein Bruder wohnte, und da ich Licht sah, ging
ich hinein, um ihn zu grüßen. Das Tor des Gebäudes stand offen, die Tür zu seinen
Gemächern war nicht gesperrt, sein Diener schlief auf einem Stuhle im Vorsaale, aber
Sixtus war nicht zu Hause. Ich ging wieder weiter – durch die schönen Gesträuche
Chelions ging ich. – – An den weißen, langen Säulen meines Hauses leckten die immer
häufiger
Ich ergriff das Gespenst bei dem Arme, um zu sehen, ob es Leben habe. ›Es ist nicht
wahr, Satan,‹ schrie ich und schleuderte das unselige Geschöpf mit meiner Hand
rücklings in das Gesträuch, daß sie kreischte; ich aber ging durch das bloß
eingeklinkte Tor hinein und schloß es hinter mir ab. Das Tor aber sollte nach meinem
Befehle jedesmal bei Einbruch der Nacht geschlossen sein – heute war es offen
gestanden. Sachte, daß kein Fußtritt schalle, ging ich durch den Gang längs der
Gemächer meiner Diener zu dem zweiten Tore des Gebäudes, um mich zu versichern, ob es
gesperrt sei, – es war zu. Ich zog den innen steckenden Schlüssel ab und ging dann
eben so leise auf mein Zimmer. Dort stand ich mitten auf der Diele des Bodens – und
stand eine Weile. Dann tat ich leere Gänge im Zimmer und unnütze Dinge. – – Es lebte
ein alter, weiser Mann, bei dem ich einmal gelernt hatte, als ich noch mein Heil im
Wissen suchte; er war in der Scheidekunst weiter als alle seine Genossen. – Möge nie
wieder erfunden werden, was er erfand und geheim hielt: ein klares, schönes, helles
Wasser ist es. Er erhielt es aus dem Blute der Tiere – aber nur ein Zehnteil eines
Tropfens
Um den innerlichen Frost zu vertreiben, ging ich einige Male in der Stube auf und ab.
Dann trat ich zu der stummen, mit Tuch überzogenen Tür meiner Seitenwand, öffnete sie und ging in den Gang, der zu Chelions Zimmern führte. Aus dem letzten Gemache, worin sie schlief, floß mir ein sanftes Lampenlicht entgegen – alle Türen standen offen, und durch die hohen Glaswände, die den Gang von dem indischen Garten trennten, schimmerten zeitweise die lautlosen Blitze des Himmels.
Schläft sie?
Ich ging weiter – durch alle Zimmer ging ich, bis in das letzte. Ich trat näher – ein
schwaches Rauschen schreckte mich – es war aber nur einer ihrer Goldfasane, der sich
entweder bei ihr verspätet hatte und entschlummerte, oder der bei der ein wenig
offenen Gartentüre hereingekommen war. – Warum blieb sie offen? warum gerade heute? –
Fast ein Mitleid wollte mich beschleichen: Also so unerfahren seid ihr beide im
Verbrechen, daß euch nicht beikam, selbst die geringste Spur desselben zu vertilgen?!
Der Fasan scheute mich und schlüpfte sachte bei der Spalte hinaus, – – Und da er fort
war, wünschte ich ihn wieder zurück, das schöne, heimliche, goldglänzende
›Chelion‹, sagte ich sanft.
Der Ton ist dem Herzen näher als das Bild – sie fahr empor: ›Jodok, bist dus?‹
›Ich bins, Chelion‹, sagte ich; sie aber wandte sich ab und vergrub ihr Haupt in die Kissen.
›Mein Weib, mein Kind‹, sagte ich noch einmal sanft; sie aber kehrte sich gegen mich, sah mich verzagt an und sagte: ›Jodok, du willst mich töten.‹
›Ich dich töten, Chelion?‹ ›Ja, du bist so furchtbar.‹ ›Nein, nein, ich will nicht furchtbar sein‹, rief ich – ›siehe, sage mir nur du, Chelion, daß du unschuldig bist – ich will dir glauben und wieder glücklich sein; denn du hast ja nie gelogen, – – du schweigst? – – Chelion, so sag es doch.‹
›Nein, Jodok, ich bin nicht unschuldig,‹ sagte sie furchtsam; ›wie du es meinst, bin ich nicht unschuldig – – aber ich liebe doch nur dich, nur dich allein – – – ach, ihr Götter in den Wolken meines Landes, ich liebe ja nur ihn allein!‹
Und sie brach in ein Schluchzen aus, als wollte sie ihre ganze Seele herausweinen.
Dann aber, als sich dieses milderte, sagte sie: ›Siehe, er ist spät abends herein
gekommen, ich weiß nicht wie – er war nie hier, aber ich hielt es nicht für Sünde,
und da sagte er, er wolle Abschied nehmen, er werde mich nun nie mehr sehen, und dich
auch nicht mehr – und er liebe uns beide doch so unaussprechlich – – und sein
Angesicht war so unglücklich, daß es mich im Herzen dauerte und ich ihn recht heiß
liebte; denn er ist ja dein armer, vertriebener Bruder. Ich streichelte ihm die
Locken aus der Stirne – er weinte wie ein Kind, wollte aufstehen – denn er war bisher
auf dem Teppiche gekniet – er wollte gehen – – er weinte nicht mehr, aber seine
Lippen zitterten noch vor Schmerz – er kam mir vor Augen, als wäre er noch ein Knabe,
der keine Mutter habe – ich hielt noch einmal meine Hand auf seine Locken, wie er
sich gegen mich neigte und seinen Mund reichte, küßte ich ihn – er hielt meine Hand
und wir küßten uns wieder. – – Ach, Jodok, dann küßte ich ihn – nicht mehr wie deinen
Bruder – es wehte so
Da fiel mir ein, es ist ja süßer, seliger Tod, und ein furchtbarer Schauer lief durch meine Nerven, aber ich sagte gebrochenen Herzens zu ihr: ›Chelion, stehe auf und folge mir nur hinweg aus diesem schwülen Zimmer – ich tue dir kein Leid.‹
›Nein, du mußt mir eins tun‹, antwortete sie, ›ich werde nicht aus diesem Bette gehen, sondern auf den weißen Kissen liegen bleiben, bis das rote Blut darüber wegfließt und sie purpurrot färbt; dann werden sie rot sein, und ich weiß – aber ich werde dann ruhig sein, nicht gequält, nicht fehlend, sondern ich werde sein wie einer der weißen, marmornen Engel in deiner Kirche.‹
Dabei suchte ihr Auge furchtsam im Zimmer, wie nach einem Schwerte; das Fläschchen, das ich auf den Tisch gestellt, beachtete sie nicht.
›Nicht wahr, Jodok‹, fuhr sie fort, ›du lässest mich noch ein wenig diese Luft atmen – das Atmen ist so gut; mir deucht es ängstlich, nicht mehr zu atmen.‹
›Atme, atme‹, rief ich, ›atme bis an das Ende aller Tage.‹
Und in Hast griff ich das Fläschchen von dem Tische und eilte zur Tür hinaus in die
Glashäuser ihres indischen Gartens. Sie waren größtenteils offen, und eine
Ich lief nun wieder hinab, ging in ihr Zimmer, trat zu dem Bette – sie lag noch immer
darinnen und richtete die trockenen, brennenden Augen harrend gegen mich ich aber
nahm sie in die Arme, küßte sie auf den heißen Mund und sagte: ›Schlafe nun ruhig und
schlafe süß; ich krümme dir kein Haar; ich werde dich auch lieben
Sie hatte dies alles geduldet, aber nicht erwidert. Ich mochte sie nicht weiter quälen, sondern ging zum Zimmer hinaus, und hörte noch, wie mir ein leises, auflösendes Schluchzen nachfloß.
Des andern Tages kam ein kühler, heiterer Morgen. Ich erfuhr, daß Graf Sixtus in der Nacht abgereiset war. – Ruprecht, sein junger Freund, sein Jagd- und Abenteuergenosse, hatte ihn befördert; ich wußte es wohl, denn sie hatten sich immer sehr geliebt – aber ich sagte nichts, obleich mich Ruprecht mit der Angst des bösen Gewissens anblickte – mir war es wohl, daß er fort war, mir war es sehr wohl, daß er geflohen.
Als ich zu Chelion kam, kauerte sie eben auf dem Boden und drückte eine Taube an ihr Herz. Ich tat mir noch einmal den Schwur, ihr die Qual dieser Nacht durch lebenslange Liebe vergessen zu machen, wenn ja das Schrecknis auszutilgen ist aus dem weißen, unbeschmutzten Blatte ihres Herzens. –
Aber es war nicht mehr auszutilgen.
Sie hatte mich einmal mit dem Mörderauge an dem Bette stehen gesehen, und dies war nicht mehr aus ihrer Seele zu nehmen. Einst war ich ihr die sichtbare Gottheit auf Erden gewesen, nun zitterte sie vor mir. – Wie kann es auch anders sein? Wer einmal den Arm erhob zum Totschlage eines seiner Mitgeschöpfe, wenn er ihn auch wieder zurückzog, dem kann man nicht mehr trauen; er steht jenseits des Gesetzes, dem wir Unverletzlichkeit zutrauen, und er kann das frevle Spiel jeden Augenblick wiederholen.
Ich habe jahrelang das Übermenschliche versucht, daß alles wieder sei wie früher,
allein es war vergebens: das
Ich wurde vor Schmerz wahnsinnig, wie sie als kalte Leiche lag, und wie sie begraben
war. Ich wußte nicht, sollte ich Bertha morden, die Beschützerin, oder Ruprecht,
ihren Mann, oder soll ich Sixtus suchen und ihm Faser für Faser aus dem Leibe reißen
– – aber ich tat endlich alles nicht, weil ich die Macht gewann, nicht den Frevel
durch einen neuen sühnen zu wollen. Er, da er ihren Tod vernommen, hatte sich mit
einer Kugel das Gehirn zerschmettert – in das Haus der andern kam Wut und Unfriede;
Ruprecht warf seinem Weibe den Tod des Sixtus vor; sie war düster gegen ihren Mann,
und starb auch bald an innerem Siechtum. Ich aber schloß das Parthenon mit Schlössern
zu, bis auf ein Gemach, in dem ich wohnte – die Diener dankte ich ab – die Pflanzen
ließ ich verkommen – die Tiere nährte ich, bis sie eines nach dem andern starben, und
dann begrub ich sie jedes einzeln. – Was von Chelion übrig war, jedes Stückchen
Kleid, ihr Spielzeug, den Fußboden und den Teppich, auf dem sie wandelte, das
Tischchen, an dem sie saß, das Bett, in welchem sie in jener Nacht gelegen – – alles
hütete ich, daß es blieb, wie es an dem Tage ihres Todes
Bei diesen Worten brach das Manuskript ab, und keine
Ach – und so muß ja jede dieser Rollen enden, die in den eisernen Kästen noch liegen mögen. Wenn der Mann dachte: morgen oder übermorgen schreibe ich wieder, -so war er morgen oder übermorgen krank, und die andern Tage darauf tot!
Heinrich stand auf und wischte sich mit der Hand über Stirne. Eine Schrift hatte er nun gelesen. Er sah deutlich nun auch schon das Kreuz von fremder Hand auf seinem letzten Blatte stehen und dabei: ›gestorben nach dem Worte....‹ – welches Wort mag es wohl sein? etwa Gattin? oder ein anderes, oder eins im Wörterbuche, auf das man jetzt gar nicht denkt?! Er legte das Pergamentheft wieder in seinen Kasten und schloß ihn zu. Dann ließ er alle Fensterlehnen niederfallen, daß wieder nichts als das geheimnisvolle Spiegellicht auf dem Estrich wankte, – dann ging er ins Freie, beide Tore hinter sich auf die Art und Weise schließend, wie es vorgeschrieben ist.
›Das ist keine gute Einrichtung unserer Vorfahren‹, dachte er, als er den von so
vielen Lesern und Schreibern betretenen Pfad durch den alten Garten zurückging und im
Schutte die Fußstapfen drückte, die so viele vor ihm drückt. Er konnte dem Rate des
Jodok nicht folgen und das Gelesene in die Winde streuen, sondern mit beschwertem
Herzen überall die Gestalt des Jodokus sehend, er vor kurzem hier gewandelt, dachte
er: ›Wie viele Gestalten mögen sich noch hinzugesellen, bis der Garten voll
Gespenster ist? – Und wenn alle ähnlich diesem Jodok sind, wie wenig verdient ihr
Haus den Namen, den ihm die Leute draußen geben – ihre Narrheit ist ihr Unglück, und
ihr Herz. – – Wie fürchte ich schon die
Unter diesen und ähnlichen Gedanken gelangte er durch den dunklen Eichenhag gegen die
freieren Teile des Berges, und hier war alles heiterer. Der verständige Baumeister
trat ihm mit einer Zeichnung entgegen und bemerkte, welche Veränderungen er für gut
hielte, nachdem er die Plätze noch einmal untersucht und vermessen habe. Die
Werkleute blieben ehrbar stehen und lüfteten die Mützen, als die Männer vorbeikamen.
Die Grundfesten der alten Glashäuser des Jodokus waren bei Wegräumungen wieder
entdeckt worden, und man hatte darauf weiter gebaut. Da sie zur Besichtigung an den
Platz gelangten, standen schon die luftigen Gerüste da, nur das Glas mangelte und der
Maueranwurf. Oben blickte der grüne Fichtenwipfel und die lustigen Bänder. Nicht weit
davon, im Parthenon, gingen die Schubkarren, um den Schutt und die Ziegel
wegzuführen, und die gereinigten Säulen blickten wieder weiß und ruhig gegen die
grüne Wiege ihres Tales. Im Christophhause hing der Schieferdecker auf dem Dache und
pfiff ein Liedlein, indes er Lücke nach Lücke verstopfte und verstrich. Die Leitern
an der Vordermauer ließ man eben niedersinken, da die Mauer bereits nachgebessert und
herausgeputzt war. Die Fenster standen nun spiegelnd daran; alle grünen
Seidenvorhänge waren aufgezogen, und wo die Flügel offen standen, wehte die
Sommerluft freundlich und allgegenwärtig aus und ein. Der Werkmeister des Innern kam,
als Heinrich und der Baumeister eintraten, ihnen aus dem hintersten Zimmer entgegen
und zeigte, was er in der letzten Zeit gefördert. In manchen Zimmern wurde noch
Indessen wurde auch in einem andern, viel kleineren Hause unten an der Pernitz gearbeitet, daß ganze Schneeberge von Linnen da lagen und sich überall Kleider und Stoffe bauschten – das andere, der Schmuck, der da glänzen und funkeln sollte, lag schon als Kränzlein von leuchtenden Steinen oben in einem reinen, dämmernden Stübchen, dessen Fenster marmorrote Simse hatten und von schneeweißen Vorhängen verhüllt waren.
Im Lande aber draußen dauerte noch das Geschrei fort über Heinrich und sein Glück.
Man neidete es ihm, und gönnte es ihm. Man sagte, er eile jetzt und könne keine Zeit
abwarten, sondern überwühle bereits den ganzen Berg, um seine Macht nur recht zu
genießen. Man wählte ihm Heiraten aus den Familien des Landes, zankte darüber und
stellte Vermutungen an, welche ihn nehmen, und welche ihn ausschlagen würde. Ja es
wurde sogar gemunkelt, er werde, ganz nach Art seiner Väter, niemand
Aber die Zeit ging fort und fort und klärte nichts auf. Heinrich, gerade der Meinung entgegen, die man von ihm hatte, war schamhaft in allem seinem Tun, und übereilte nichts, bis es war, wie er es wollte, und wie es seinem Herzen wohl tat – dann aber kam auch der Augenblick, der es allen offen darlegen sollte, wie es sei. In der Kirche zu Priglitz war es Sonntags verkündet worden, nach der Art, wie es alle Pfarrkinder halten, Hohe und Geringe: »Der ehr- und tugendsame Junggeselle: Heinrich, unser erlauchter Herr und Graf zu Rothenstein, und die ehr- und tugendsame Jungfrau Anna, eheleibliche Tochter Erasmus' und Margarethas, Besitzerin der Wirtschaft Nr. 21, zur grünen Fichtau....« Erasmus hatte an allen Gliedern gezittert und im Angesichte geglänzt, – und draußen vor der Kirche prahlte er unverhohlen von seinem Kinde und dessen Glücke, als sich die Männer um ihn scharten und ihn mit Fragen bestürmten. Er erlebte die Freude, die er einst im Übermute vorausgesagt, daß die ganze Fichtau die Hände zusammenschlug über dieses Ereignis. Er allein von den Seinen war in die Kirche hinausgefahren, um es recht in seine Ohren hinein zu genießen, wenn es gelesen würde. Den Boten-Simon, der mit verwirrten Sinnen da stand, lud er zu sich auf den Wagen und sagte beim Einsteigen: »Gelt? Gelt?«
»Aber wir müssen es in Demut aufnehmen, Vater Erasmus, und ohne Hoffart genießen!« sagte der andere.
»Ich nehme es ja in Demut auf«, entgegnete Erasmus, »aber daß ich voll Freude bin, ist ja meine väterliche Schuldigkeit, damit es Gott nicht verdrießt, der es so gemacht hat.«
Von dem Tage der Verkündigung an bis zu dem der Hochzeit war ein groß Gerede, wie sie
sich nun überheben werde, wie sie hochmütig fahren, und wie sie übermütig
hineinzusteigen.
»Das ist eine demütige Braut«, sagte ein Weib aus dem Volke.
»Das ist die schönste, demütigste Braut, die ich je gesehen«, sagte eine andere.
Und aus dem Flüstern und aus dem Gemurmel der Zuschauer gingen die deutlichsten
Zeichen des Beifalles hervor. Anna wurde dadurch nur noch verwirrter, wie er sie
einhob und sie sich zurechtsetzte. Er stieg nun auch in denselben Wagen, in dem
bereits eine schöne alte Frau saß, die niemand kannte. Es war Heinrichs Mutter. Dann
besetzten sich auch die andern Wagen mit Erasmus, dem Schmiede, mehreren Fichtauern
und Fremden. Annas
Endlich fahr die ganze Wagenreihe gegen Priglitz ab, wobei sich viele mit ihren Gebirgswägelchen anschlossen. Erst, da alle der Steinwand des Julius entlang flogen, löste sich die Volks- und Gebirgslust, die vorher gefesselt war, los, und manche Rufe und das klingendste Jauchzen des Gebirges flogen ihnen nach – es flog doppelt freudig, weil einer ihrer Herren eine aus ihrer Mitte gewählet. Auch aus mancher Waldhöhe längs dem Wege krachte ein Böller empor, der aus einem Holzstocke gebohrt war, oder es löste sich das Scheibengewehr oder die Jagdbüchse manches lustigen Fichtauers.
Auch Anna schien von Ehrfurcht überkommen zu sein; denn dieselben Augen, die ihn sonst, wie er noch mit Pflanzen und Steinen nach Hause gekommen, so freundlich angeblickt hatten, schlugen sich auch während des Fahrens nicht ein einziges Mal zu ihm auf – sondern sie weinten nun fast unablässig fort.
Er redete ihr nicht zu, sondern er dachte an Chelion, wie sie kaum so rein, so schön, so schuldlos gewesen sei als wie die an seiner Seite, und er bezähmte sein Herz, daß es nur nicht breche vor Freude und vor Glück.
Als die Trauung vorüber war und die Wagen wieder zurückkehrten, zeigte sich ein Bild,
das fast rührend erschien. Auf der Gasse der grünen Fichtau, wo hundert Wagen Platz
gehabt hätten, standen nun hundert Tische. Der neue Graf hatte keine große Familie
und keine hohen Verbindungen. Seine Gäste waren daher alle Fichtauer. Sie waren seine
Untertanen, also seine Verwandten. Dieselben Holzschläger, mit denen er sich sonst an
Samstags Abenden unterredet hatte, dieselben Jäger, die gerne eingesprochen, und alle
andern saßen herum und tranken heute den besten Wein aus Erasmus' Keller und den noch
bessern aus den Fässern des uralten Ruprecht. Daneben
Heinrich redete mit so vielen, als er nur konnte; er ließ sich von den Holzknechten
noch einmal von ihren Arbeiten und Abenteuern erzählen. Er hörte den kühnen Fahrten
der Jäger zu und fragte manchen Bauer um die Lage seines Gutes, dessen
Bewirtschaftung und Erträgnis. Und ehe noch von den Bergen das kleinste Stückchen
Schatten auf die Gesellschaft hereinfiel, hatte er schon alle Gemüter gewonnen, und
jeder, etwa die ganz Rohen und Mißgünstigen
Ein Abend, wie wir ihn am Eingange dieser Geschichte erzählt haben, kam auch heute prachtvoll und herrlich: die Sonne war über die Waldwand hinunter und warf kühle Schatten auf die Pernitz – im Rücken der Häuser glühten die Felsen, und wie flüssiges Gold schwamm die Luft über all den grünen Waldhäuptern weg.
Und immer feierlicher floß die Abenddämmerung, immer abendlicher rauschten die Wasser der Pernitz, und immer reizender klangen die Zithern.
Nur daß heute auch noch die Bursche mit den kühnen Gebirgsaugen die sanftblickenden, aber gleichwohl feueraugigen Mädchen an manchen Stellen zu den Zithern im Tanze herumdrehten, und daß der Mond schon viel länger als damals auf die Häuser hereinschien, ehe es auf der Gasse der grünen Fichtau verstummte.
Da aber endlich fast gegen Morgen die letzte Gruppe Abschied genommen hatte, und es stille war, folgte keine Szene im Garten, wie damals, sondern Heinrich schlief schon lange auf seiner einstigen Stube neben Robert, seinem Gaste, und Anna war mit Thrinen in ihrem einstigen Stübchen; aber sie schliefen nicht, sondern sie konnten sich nicht sättigen von Plaudern und Erzählen.
Des andern Tages, da das Scheibenschießen begann, führte Heinrich sein junges Weib in
Begleitung der vornehmsten Gäste mit Prunk auf seinen Berg, und geleitete sie dort in
die für sie eingerichteten fürstlichen Gemächer des Christophhauses, so wie Jodok
einst die unschuldige Chelion in das Parthenon geführt hat. Erasmus war stolz darauf,
daß desselben Tages noch vor Anbruch des Morgens fünf beladene Wagen mit Annas Gütern
und betrunkenen Fuhrleuten auf den Rothenstein vorausgefahren waren. Er konnte sagen,
daß sein Kind die reichste Braut der Fichtau sei; denn selbst der Hasenmüller im
Wir enthalten uns, die Empfangsfeierlichkeiten auf dem Rothensteine zu beschreiben, sondern beschließen unsere Erzählung mit diesem heitern Ausgange der trüben Geschichten des Rothensteins, und wünschen dem Paare, daß es so glücklich fortlebe, wie ihre Ehe glücklich begonnen.
Ein Anfang dazu ist schon gemacht; denn die einigen Jahre, die seit dem, was wir eben
erzählten, bis auf heute verflossen, sind ganz glücklich gewesen. Eine Reihe
Glashäuser mit den Pflanzen aller Länder steht neben dem Parthenon, dann sind Säle
mit den Herden ausgestopfter Tiere, und dann die mit allen Erzen und Steinen der
Welt. Diese Leidenschaft ihres Herrn, meinen die Fichtauer, sei doch auch eine
Narrheit, wie sie alle seine Ahnen hatten, aber daß er sonst auch rastlos schaffe und
wirke, geben sie zu. In der hohen Frau, die mit zwei blühenden Knaben wandelt, würde
niemand mehr die einstige Anna aus der grünen Fichtau erkennen; denn sie wird in
Heinrichs Schule fast ein halbes Wunderwerk aber ein anderes vollendetes Wunder steht
neben ihr, ein Mädchen, namenlos schön wie ein Engel, und rein und sanft blickend wie
ein Engel; es ist Pia, die Tochter Narcissas und des unglücklichen Grafen Christophs,
der eher gestorben, ehe er seine Sünde gut machen konnte. Heinrich hatte sie an
Kindes Statt angenommen, nachdem er sie und den alten Ruprecht, die sich bei seiner
Ankunft in dem Kastellanhäuschen verkrochen hatten, an sich gelockt und an sein Wesen
und Tun gewöhnt hatte. Durch ein seltsames Naturspiel ist sie ihrer Großmutter
Chelion ähnlich geworden, und zugleich ihrem Großvater Jodok, so daß man sie den
Bildern nach für ein Kind dieser beiden halten mußte; aber sie ist minder dunkel als
Chelion, und noch um vieles schöner als das Bild derselben,
Der alte Ruprecht lebt noch. Er sitzt ewig hinten an der Sandlehne in der Sonne, dreht lächelnd seinen Stab in den Fingern und erzählt Geschichten, die niemand versteht; er erzählt sie auch niemanden, und meint, er sei noch immer Kastellan, obgleich schon ein anderer ein neues Häuschen neben dem Tore der Ringmauer hat.
Viel Besuch kommt auf den Berg, und viele Augen fallen schon auf Pia; aber sie scheut noch jeden Mann so, wie sie einst die zwei Freunde scheute, als sie dieselben zum ersten Male in den Juliantrümmern gesehen, wo sie auf dem Geländer des Balkons geritten war. Der häufigste und liebste Besuch aber ist der von Robert und Thrine. Heinrichs Mutter und Schwester leben auf dem Schlosse.
Draußen in der Fichtau ist es, wie es immer gewesen, und wie es noch Hunderte von Jahren sein wird.
Während der Schmied sagt: ›Mein Schwiegersohn, der Herr Stadtschreiber‹, sagt Erasmus nie anders als: ›Mein Herr Schwiegersohn, unser gnädigster Herr Graf.‹
Boten-Simon und der Schecke fahren Land aus, Land ein, und beide gewannen bei den letzten Ereignissen, da der Asang sogleich bei der Übernahme eingelöset und Simons Grundzins alldort erniedrigt worden ist.
Und so, du glückliches Paar, lebe wohl! Gott der Herr segne dich und führe noch unzählige glückliche Tage über deinen Berg und die Herzen der Deinen empor.
Wenn von den andern Schriften des roten Felsensaales von Julian, Christoph, Prokop etwas bekannt wird, so wird es dereinst vorgelegt werden.