Indem ich diese Blätter dem Publikum übergebe, erlaube ich mir die Bitte, sie nicht für eine auf wirkliche Ereignisse basirte Erzählung anzusehen. Stadt, Straße, Umgebung und das nicht mehr vorhandene Haus, in welchem ich selbst meine frühste Kindheit verlebte, Sitten und Ansichten, die man damals in vielen Thüringischen Familien wiederfand, sind dem Erlebten entlehnt; ich wählte diesen Hintergrund, um meinen Schilderungen eine größere Wahrheit zu sichern; aber leider habe ich weder eine Familie von Waldau noch einen Bürgermeister Müller mit den Seinen in dieser Umgebung gefunden. Nur Sophie und Duguet sind, wie ich gern eingestehe, naturgetreue Portraits, auf denen ich sorglich geweilt, die ich zu meiner eigenen Freude in dankbarer Erinnerung ausgeführt; mögen sie im Bilde dieselbe wohlwollende Beurtheilung finden, die diesen trefflichen Menschen im Leben Keiner versagte, der sie kannte.
Wo aber ein blos zufälliges Zusammentreffen Aehnlichkeiten durch die sich
vervielfältigenden Wiederholungen gleicher Zustände hervorruft, möge man mich
nicht zur Portraitmalerin stempeln, ich verwahre mich dagegen: denn ich fühle, daß
ich auch nicht
Das Allgemeine gewährt so vielfachen, so reichen Stoff, daß mir das Umbilden zur Einzelnheit zu angenehm und zu leicht scheint, um es gern mit einer Copie täglicher Begegnungen zu vertauschen.
Noch blieben Thor und Thüren fest verrammelt, alle Fenster und Läden geschlossen;
An einem Erkerfenster der Windischen Gasse standen, furchtsam einander umfassend,
zwei
Aber eben jetzt war drüben das Thor gefallen und aus dem Innern des nachbarlichen Hauses erklang lautes Wehegeschrei. Mit einem Satz war die kleine Anna vom Stuhl am Fenster hinab und auf dem Boden, und ehe noch die Amme Leontinen, die ihr zunächst gestanden, aus den Armen zur Erde entlassen konnte, war jene ihrem Blick und Ruf entschwunden.
Die Amme scheute vor Allem lauten Verdruß; sie wandte sich sogleich zu den andern Kleinen, die ruhig in ihren Bettchen neben einander lagen und schlafen sollten, weil es Nachmittagszeit war – zu Mittag war freilich noch gar nicht gegessen worden.
Der Vater Anna's und der beiden Zwillingsschwesterchen
St. Luce hatte gehört, ein Zufall ließ ihn gerade in der Nähe sein; allein nun hinderte auch ihn die abgesperrte Thür, und er begann auf seiner Seite eben so laut zu rufen: Madame, Madame! öffnen Sie doch! Geschwind!
Jetzt brachte die vom Lärm geschreckte und aus der Küche hergeeilte Mutter den
Schlüssel. St. Luce trat ein; aber eh' noch ein Wort unter ihnen gewechselt werden
konnte, hatte Anna
Fluchend zerstreute sich das Gesindel; St. Luce ging wieder in des Bürgermeisters Haus zurück, verrammelte mit Hülfe der Mutter und der Amme die Außenthüre und es ward Alles auf ein Weilchen still.
Endlich ertönten drei leise Schläge an einem unteren Fensterladen und eine
wohlbekannte Stimme forderte Einlaß. Es war der Vater,
Der erschöpfte Mann setzte sich, noch innerlich bebend von all der Angst und der Sorge, in eine Ecke des Wohnzimmers; ihm war zu Muthe, als habe er in seinem eigenen Hause und Besitz kein Recht mehr. Die Mutter führte schüchtern den unwillkommenen Gast in die Putzstube, sah aber noch im Schließen der Thüre, wie der Ermüdete sich auf das gute, nur selten benutzte Sopha warf, und kehrte niedergeschlagen zu ihrem Gatten zurück. Und wir haben nichts für ihn zu essen im Hause, nicht einmal Brot! seufzte sie.
Diable! sagte Monsieur August, der Bediente des Regimentsarztes, ein baumlanger
Grenadier. Er hatte die Klage errathen und
Frühstücken um ein Uhr Nachmittags? schluchzte die Amme, die das eine französische Wort unterschied.
Gib, was du hast, daß nur Friede bleibt, sagte der geängstete Hausherr. Gib doch nur um Gottes willen! Du hast ja die eine Wurst und backe etwa einen Eierkuchen, nur mache mir den Major nicht verdrießlich! Er ist unsere Sauvegarde und schützt uns vor der Plünderung!
Die Mutter eilte fort. Und wir hatten seit gestern früh nur Kartoffeln, sprach Anna, da kann er auch wol zufrieden sein.
Unterdessen hatte der Major den Grenadier gerufen und fluchend den Befehl, ein Frühstück zu schaffen, wiederholt.
Die Bürgermeisterin nahm nun die sechsjährige kleine Leontine, die ruhig mit ihrer
Puppe spielte, auf den Arm. Willst du wol
Sie trug das Kind zum Major; das Dienstmädchen folgte mit Eiern, Wurst und einer sauern Gurke, dem Lieblingsessen der Thüringer. Laut lachend blickte der Major auf die Gruppe. Was will uns denn die Närrin? rief er aus.
Die Mutter brachte zitternd ihre Worte auf Deutsch an, der kleine Dolmetscher auf ihrem Arme wiederholte sie in reinem Französisch.
Schwere Bomben! sagte der Major, noch immer lachend, du fingerlanger Schatz sprichst Französisch?
Weil ma bonne eine Französin ist, erwiderte eifrig das Kind, und ich rathe dir sehr, dich nicht über dein Frühstück zu beklagen, sonst bekommst du Schelte!
Alle Wetter! Und wo ist denn diese saubre Bonne?
Und die Mama?
Drüben im Hinterhause, wo wir wohnen.
Und nun sehe mir einer den Dummkopf von Bürgermeister, der uns hier einquartiert!
Die Magd und die Hausfrau hatten indessen das spärliche Mahl auf den Tisch gestellt, Anna trat mit den Kartoffeln hinzu. Ich spreche auch Französisch, sagte sie, aber nur ein bischen. Der Offizier sah auf. Ich bitte sehr um Verzeihung! fuhr Anna mit unbeschreiblicher Anmuth fort, indem sie die Kartoffeln vor ihn hinstellte und mit der andern Hand eine kleine einladende Bewegung machte.
Kreuz Donnerwetter! August! sieh mir einmal nach, was all dies Geträtsch eigentlich soll?
Und August machte Kehrt, ward aber von Niemand zurechtgewiesen und brachte also
nach zwei Minuten einen zitternden Beutlergesellen, der im Waschhause, hinter den
Waschgefäßen
Ist das deine Mama? lachte der Major Leontine an.
Aber das war zu viel für Anna's Herz. Sag ihm doch, Leontine, bat sie, daß deine Mama eine fremde Dame ist, und daß ihr im Hinterhause nach der Esplanade zu wohnt, und sag ihm, daß dies nur eure Marie ist, und daß meine Mutter dich geholt hat, weil du Französisch sprichst.
Leontine that ihr Bestes. Ah! Deine Mutter ist eine vornehme Dame! und der da? fuhr der Major fort, indem er auf den Beutler zeigte.
Ei, das ist ja unser Liebhaber! erwiderte Leontine ganz ernsthaft.
Nun aber war es um des Herrn wie um des Dieners Fassung geschehen. Beide brachen
in ein homerisch-unauslöschliches Gelächter aus.
Unterdessen hatte der Major gegessen und eine mitgebrachte Flasche Wein geleert; der gute Humor prädominirte. Rasch sprang er auf, nahm Leontine auf den Arm, gab dem Beutlergesellen einen Tritt in den Rücken und trieb ihn vor sich her zur Thür hinaus.
Komm, mein Liebchen, wir wollen deine Mutter besuchen!
In tödtlicher Angst folgte die Hausfrau mit Annen an der Hand. Auch die Annemarie wollte ihren Schatz nicht aus den Augen verlieren.
Man hatte, wie schon erwähnt, der Ordnung halber den Gang gesperrt, der oben die beiden Wohnungen verband; ungern wollte die Bürgermeisterin ihn anzeigen, dennoch konnte sie dem Fremden das Kind um so weniger allein überlassen, als es ihr anvertraut war. Mit bittenden sanften Vorstellungen suchte sie den Offizier, der sie nicht im mindesten beachtete, von seinem Vorhaben abzubringen; umsonst, und so gelangte die ganze Karavane auf die Hausflur, die zwar in Verbindung mit dem Gange stand, aber auch eine Treppe hatte, die, abgesondert von demselben, in den Hof führte.
Hier wohnt Wilhelm, sagte im Vorüberkommen Leontine. Sogleich machte der Major Anstalt, in die verschlossene Stube zu dringen. Der Liebhaber warf sich in Todesangst dem Helden zu Füßen und flehte um Schonung.
Monsieur August hatte dem Flehenden längst einen großen Stubenschlüssel aus der Tasche gezogen, mit dem er ganz gelassen das Zimmer öffnete. Außer dem Bett und Handwerkszeuge des armen Burschen, war nichts in der Kammer zu sehen, und nun wurde der in seinen Erwartungen getäuschte Major alles Ernstes böse, weil er sich genarrt glaubte; daß der arme Beutler sein Bischen Geld unter den Wurzeln eines abgeblühten Nelkenstockes verborgen, der im Winkel stand, fiel ihm eben so wenig ein wie Allen, die vor ihm da gewesen.
Unter vielen, von allen Seiten unverstandenen Reden rückte indessen der kleine
Haufe, der jetzt muthig voraneilenden Leontine nach, durch Hof und Schuppen, eine
andere Treppe hinan, und plötzlich standen Alle in dem von Frau von Waldau
bewohnten Hinterhause, in
Oho! sagte Madame Sophie, da bekomme ich ja viele Zuschauer beim Gläserspülen.
Ist das deine Mutter? fragte der Major.
Das ist ma bonne Sophie! jubelte Leontine ihr in die Arme laufend.
Mein Herr, Madame nimmt jetzt keinen Besuch an, sagte ganz trocken Madame Sophie.
Das wollen wir einmal sehen! donnerte der Major.
Sophie erschrak doch ein wenig; sie versicherte, sie wolle nachfragen, ob Madame zu sprechen sei – da öffnete sich eine gegenüberstehende Thüre.
Frau von Waldau! rief die Bürgermeisterin. Ach, es ist nicht meine Schuld, gnädige Frau!
Frau von Waldau trat den Eindringenden
Die Scene auf dem Verbindungsgange, die Gewalt, mit welcher er sein Erscheinen
hier erzwungen, Alles wurde durch das besonnene Betragen jener Beiden so gänzlich
ausgelöscht, daß der Major selbst kaum sich dessen zu erinnern vermochte. Frau von
Waldau versicherte sehr höflich, er sei ihr willkommen; und da in der
Der Major stotterte einige unbehülfliche Phrasen und begann Leontinens Liebenswürdigkeit zu preisen, was ihn glücklich in Zug und zu Erwähnung des Liebhabers brachte, der eigentlich sein Kommen veranlaßt haben sollte.
Die gnädige Frau lächelte, erklärte in zwei Worten, wie die Liebschaft des
geängsteten Beutlergesellen zu einer ihrer Mägde diesem den Spitznamen verschafft
habe; und ehe noch der
Und nun, lieber Major, bitte ich Sie, der Baronin, die unter den ganz besondern Schutz des Prinzen Murat gestellt ist, im Nothfall jeden Beistand angedeihen zu lassen, wenn ich selbst meinem Regiment folgen muß, sagte St. Luce, sich anmuthig verbeugend; es scheint daß diese Dame in großem Ansehen steht!
Daß er selbst mit unsäglicher Mühe und Aufopferung Frau von Waldau den erwähnten Schutz und eine Sauvegarde verschafft, davon sagte er kein Wort.
Der Major biß sich in die Lippen und murmelte blos: Ich werde dir's gedenken, mein Bester!
Die nächsten Tage führten eine Art Stille herbei, die, wie ein trübes Wasser, ihre
Tücke barg. Die Plünderer schienen zur Disciplin
Leontine war nicht wieder zu Bürgermeister Müllers hinübergekommen. Frau von
Waldau ängsteten die rüden Späße und Liebkosungen des Majors, und Madame Sophie,
die sich selbst mit vollem Recht Servante-maitresse im Hause titulirte, hatte
schon gestern ihre Meinung gesagt,
Anna war den ganzen Tag betrübt gewesen, am Morgen war St. Luce auf seinem schönen Schimmel fortgeritten mit seinem Regiment. Nun fiel ihr mit einem Male ein, daß er ein Franzose sei und also nach ihres Vaters Ausspruch zu den bösen Leuten gehöre, die das ganze Land unglücklich machten. Es war ihr unbegreiflich, daß er, so gut und schön, irgend Jemand unglücklich machen sollte; und sie wäre gern zu Waldaus hinübergegangen, um Leontinen zu fragen, die Mutter hatte ihr aber die Kleinen zu hüten gegeben, weil die Amme Kinderzeug wusch. Der Vater war wieder auf dem Einquartierungsbureau. Anna erzählte den Geschwistern, als sie nebenan den Major sehr lustig lachen und singen hörte. Leise schlich sie hinzu – die Thür war blos angelehnt – noch leiser schob die kleine Hand sie zurück.
Die Mutter kam und blieb versteinert an der Schwelle stehen. Der Major ließ sich nichts anfechten. Das wird meiner kleinen Freundin Spaß machen! sagte er; und die Herrlichkeiten verschwanden in seinen Mantelsack.
Die arme Bürgermeisterin nahm ihr schluchzendes Kind in die Arme und beschwichtigte es mit Küssen; sie konnte nicht reden – kaum ein Seufzer entglitt den zitternden Lippen; es war ihr zu Muth, als sei sie nirgend mehr sicher in der Welt. Anna aber riß sich los: Böser Major, rief sie französisch aus, das gehört meiner Mutter! und streckte die Hand nach den verlornen Schätzen aus.
Ah, kleiner Naseweis! Was geht's dich an? schrie ihr der Major entgegen. Dich soll
ja – –
Nun, nun, mein Herzchen, stille! ich gebe dir etwas anderes. Da! sagte er, indem er sie niedersetzte und von einer Schnur, die er um den Hals trug, eine goldne Berlocke löste, die er ihr gab. Bah! nimm sie nur! Sie ist mit vollem Rechte mein! Der sie getragen, liegt auf dem Felde der Ehren! Nimm, nimm! und zur Mutter gewendet, fuhr er plötzlich ganz leise fort: Ah! nix sag, Madame! Monsieur le Major bös! bös! dazu machte er eine erklärende sprudelnd heftige Bewegung und war fort, ehe noch die Räthin vom Schreck sich erholte.
Mutter und Kind weinten. Anna hielt die Berlocke an's Licht. Mutter, Mutter! ob er
die auch andern Leuten genommen hat? und die Kleine wollte hinaus, sie ihm
wiederzugeben,
Als am Abend der Vater heim kam und die Mutter ihm den Unfall klagte, war auch der Major über alle Berge.
Anna hatte die Berlocke behalten; es war ein zierliches Posthörnchen von Gold, eine der damaligen Modespielereien, die man häufig an der Uhr trug; sie hatte fest beschlossen, sie Monsieur August zurückzugeben, wenn er wiederkäme, und sie deshalb an einem Bändchen um den Hals gehängt. Das Kind konnte sich gar nicht denken, daß man auf immer fortgehen, immer fortbleiben könne; sie hatte nie an Reisen oder Abschied gedacht.
Aber wo ist denn dein Vater? fragte Anna.
Der sitzt noch im Dachstübchen, er kommt nicht und Mama hat mir streng verboten, von ihm zu reden.
Und Duguet?
O, Duguet soll sich gar nicht sehen lassen, versicherte die Kleine. Sophie hat gesagt, die Franzosen würden ihr ihn gleich wegnehmen, wenn sie ihn fänden, weil er auch ein Franzose sei.
Kurios, sagte Anna, daran habe ich noch nie gedacht!
Lieber Waldau, ich bin's, sagte flüsternd eine weiche Stimme und ein leiser Finger klopfte an die Thür des Dachstübchens.
Wie lange, liebes Kind, willst du mich eigentlich hier gefangen halten? sagte Waldau, der Eintretenden herzlich die Hand bietend. Mich dünken die Gefahren dort unten für dich weit größer, als die mich bedrohenden.
Nicht im mindesten, erwiderte sie lachend, es sei denn, daß du für mein Herz fürchtest; denn allerdings muß ich, inmitten all der Angst und Unruhe, die liebenswürdige Wirthin machen und alle Abend fünf bis sechs Offiziere bei mir sehen, die mir unsre Einquartierung zuschleppt, und sehr schöne Leute obendrein!
Und bist du etwa nicht krank, Waldau?
O ja, an meinen sechsundsechzig Jahren und den tausend Erfahrungen, die sie mir aufgewälzt! – Aber hast du denn nun ordentlich warm zu Mittag gegessen, Kind?
Und ein wenig närrisch bist du auch, lieber Freund, fuhr sie, die Frage überhörend, fort. Deine Koblenzer Thorheit, die jugendliche Excentricität, die dich antrieb, dich als Beschützer der Emigranten auszusprechen, hat wie die meisten Kinderkrankheiten späte und böse Folgen hinterlassen.
Josephine! ich war damals ein Mann!
Wenn die gute alte Wallstädt, die ich, als einzige Dame meines Bereichs, nicht missen kann, mich nur nicht den ganzen Tag von dem unterhalten möchte, was die Soldaten bei ihr geplündert haben! – Die Langeweile ist auch keine kleine Qual, sagte, ablenkend, Josephine.
Ist ihr denn so viel weggekommen? fragte Waldau.
Keine Stecknadel! In unserm Hause ist gar nicht geplündert worden, und nur
theilweise drüben bei Bürgermeisters, wo unter andern der saubre Major, den mir
St. Luce noch zu guterletzt präsentirte, eine Kommode ausgeräumt hat. Glaube mir,
Sophiens Kochen und Backen während der Schlacht, die Vorräthe, die wir aufgekauft
hatten, und der überraschende Empfang, der den Plünderern ward, haben
Aber du? du hattest bis gestern nur Kartoffeln?
Bewahre, lieber Freund, ich hatte auch eine Tafel Chokolade zum Nachtisch. –
Und heute? – fuhr er fort, in zärtlicher Bewunderung ihres heitern Muthes ihre Hände an sein Herz drückend – und heute?
Nun, heute mußt du Sophien fragen; du weißt, daß ich mich nicht um die Details der Wirthschaft bekümmern darf!
Ich habe aber gestern von Duguet gehört, daß sogar für unsre Herzogin –
Uebertreibung! Die Menge, denen die edle Frau den Schutz ihrer fürstlichen Nähe
gewährte, hatte vielleicht die Vorräthe aufgezehrt;
Josephine! den ganzen Keller?
Oui, mon ami! Bis auf ein Fäßchen Malvasier und weißen Burgunder, den Sophie irgendwo, in ihrer Tasche glaube ich, versteckt hat.
Fünf hundert Flaschen!
Haben uns gerettet, Waldau! Das sind Nebendinge. Als ich dich glücklich überredet hatte, in dies Dachstübchen zu ziehen, da war alles gut! Nur einen Augenblick, als die Kanonenkugeln wie Scheeren die Bäume unter unsern Fenstern beschnitten und die Zweige gegen die Scheiben anschlugen, war mir bange!
So würde ich auf andre Weise gelitten haben! Lieber Freund, wer darf in unsrer Zeit auf ruhige Tage hoffen? Daß du durch frühere Begünstigung der Emigrationen, durch deine Freundschaft mit Turgot und Chateaubriand die Augen auf dich gezogen, ist halb vergessen; das Schlimmste, glaube mir, sind deine Artikel im Tartarus. Indessen geht Mancher, dem das Herz ängstlich schlug, jetzt sorgenlos umher und spielt den Vermittler zwischen den Feinden und den der Sprache nicht mächtigen Stadtbehörden. Warum sollten wir mehr zu fürchten haben als sie?
Weil ich nicht so handeln werde.
Thut nichts, dafür hast du eine gar gescheite Frau! Habe nur noch ein klein wenig Geduld, ich habe dir bei allen Bekannten ein wunderschönes Podagra angelogen!
Halten mich für eine reiche Witwe. Sophie benimmt sich vortrefflich, sie ist abwechselnd die Hausfrau, wenn Gemeine kommen und Duguet gerufen wird, oder meine Gesellschafterin, meine Haushälterin, ich glaube sogar meine Duegna. Sie singt mit ihren Landsleuten Nationallieder in lüttich'schem Dialekt, die Gott verstehen mag.
Es klopfte wieder leise und Madame Sophie erschien mit der Hälfte eines gekochten Huhns, hinter ihr die beiden Kinder.
Eh! Sophie, wo hast du das her? riefen wie aus einem Munde beide Gatten.
Dame! erwiderte Sophie, mit großer Gewandtheit den Tisch mit Silber deckend, man ist nicht umsonst eine Lütticherin. Man hat seinen Landsmann.
Siehst du! sagte lachend Frau von Waldau, so macht sie es den ganzen Tag. Die gute Seele ist eine wahre Perle in dieser Zeit.
Die Kinder unterbrechen das Gespräch. Mitten in Kriegesnoth und allgemeiner Sorge breiteten Bildung und Anmuth eine Art Friedensasyl um die Leidenden. Aber auch das angenehme angewöhnte Gefühl der Wohlhabenheit hatte Theil an der Gestalt des Augenblicks.
Daheim traf die von Waldaus rückkehrende Anna die Mutter oft in Thränen. Seit dem Eindringen der feindlichen Truppen wollte das Wirthschaftgeld nirgend mehr zureichen. Manches war, in den ersten Tagen der Drangsale vernachlässigt, weggekommen, durch die Plünderer fortgeschleppt; nun zeigten sich von allen Seiten Bedürfnisse, es mußte Vieles neu angeschafft werden; alle Ausgaben hatten sich vergrößert und das Einkommen sich nirgend gemehrt.
Aber es hatte nicht den Anschein, als ob Anna das Talent des Reichseins oder
Reichbleibens vom Himmel erhalten; kaum bekam sie irgend ein Stück Kuchen, ein
Spielzeug, was es auch sein mochte, so trug sie es hinüber zu Leontinen. Nie fiel
ihr ein, daß sie irgend etwas besitzen könne, das nicht eigentlich
Man sagt den glücklichen Stunden nach, daß sie Flügel haben; mir scheinen die
unglücklichen in noch rascherem Flug zu entschwinden, nur ist eben ihr
Vorüberziehen ein unmerklicheres, es gleicht dem lautlosen Schweben des
Nachtvogels oder der Fledermaus, deren Bewegung man nicht hört. Jahre des Elends,
die im Entstehen unerträglich schienen, liegen plötzlich in langer Reihe hinter
uns. – Hast du das wirklich ertragen? fragt rückschauend das vor der eignen
Leidensfähigkeit zusammenschreckende Herz – all das Entsetzliche erduldet – all
die Schmach überdauert? Und vor Allem fragt so der Deutsche, der vor und nach dem
Handeln so viel, ach, oft so nutzlos spricht!
Nach und nach hatte man die Offiziere mit der Anwesenheit eines kranken Gemahls
der Frau vom Hause bekannt werden lassen; als endlich Waldau unter sie trat, waren
sie längst an ihn gewöhnt, hatten von ihren Vorgängern ihn erwähnen hören; Niemand
spürte bei seinem Erscheinen seiner Vergangenheit nach, der Feuerbrände des
Tartarus ward in jener kaleidoskopartig die Gegenwart stets umgestaltenden
Und wer hätte denn auch in diesem schweigsamen, fast theilnahmlosen Mann den kaum vor wenig Jahren erst einer glänzenden Laufbahn entrückten Staatsmann und Politiker zu erkennen vermocht?
Waldau zeigte sich mit einem Male gänzlich umgewandelt: denn er war zurückgetreten
in lautlose Stille und ließ das unselige Geschick seines Vaterlandes an sich
vorüberziehen, wie einen verheerenden Lavastrom, ohne irgend ein äußeres Zeichen
des Schmerzes. Er hatte
Josephine hatte ihren Gatten sehr lieb; sie hatte den viel älteren Mann aus
Enthusiasmus
Umsonst umgibt uns der weite Wesenkreis der auf unsere Geistesfragen ringsum antwortenden Natur mit analogen äußern, die inneren Erscheinungen unsers Lebens rückspiegelnden Erfahrungen; wir beachten sie nicht. Die Lösung so mancher quälenden Verworrenheit liegt in Riesenhieroglyphenschrift um uns her gebreitet; aber wir wenden unser Auge ab.
Der Cappflanze geben wir mit stets erneuter Fürsorge die ihr zusagende Erde; wir
stellen sogar die Gewächse zu einander, deren Odem eine verwandte Atmosphäre um
sie her bildet, ängstlich entfernen wir die fremdartigen, denen vielleicht gerade
diese Ausströmung gefährlich werden könnte – nur den Menschen, die edelste Blüte
der Schöpfung, stoßen wir kalt in eine ihn erdrückende, seinen besten
Eigenschaften fremde Umgebung! Wir knicken die zarten Keime
Zum Glück gibt es Frauen, die allenthalben instinctmäßig das Amt der Pflegerinnen übernehmen. Wie man zuweilen Kinder eine Blume an die Lippen drücken und gleich darauf ein runzliches, altes Muhmengesicht mit gleicher Inbrunst herzen sieht, als leuchte dem frischen jungen Blick das Göttliche durch jede Hülle zu; eben so unbewußt verleihen jene edeln weiblichen Naturen der schwankenden Ranke den Stab, dem wankenden Schritt den Arm, dem zagenden wie dem erstarrenden Herzen die Umgebung, deren es zum Genesen bedarf!
Und eine solche geborene Soeur grise alles Lebens war Josephine.
Waldau hätte ohne sie das Dasein nicht zu ertragen vermocht. Sie wußte ihn von
einem
Was damals Weimar an ungewöhnlich begabten Männern und anmuthigen Frauen in sich schloß, das verstand Josephine um sich und Waldau herzuziehen, das Störende suchte sie mehr und mehr zu entfernen, und ihr Haus ward bald mitten im Drang der drückenden Zeitumstände zum Sammelplatz aller wissenschaftlich Gebildeten und Künstler.
Fast möchte es unserer objectiven Zeit unmöglich scheinen, die jenen gewaltsamen
Kriegsmomenten vorangegangnen stillen Jahre sich zu vergegenwärtigen. Fabelhaft
klingt es, wenn die ergrauten Denker und Gelehrten jener Tage uns von der
Abgeschlossenheit ihres damaligen geistigen Schaffens erzählen, unglaublich die
Und doch war dem so, und doch wurde eben durch diese Begrenzung so Vollständiges geleistet und sogar die Schöpfung einer Volksbildung durch eine bloße Theaterbühne möglich.
Von dieser jetzt untergegangenen Subjectivität, die so ganz verschieden von der
unsern, nur in ihrer eignen Thätigkeit sich spiegelte, gab es in Josephinens
Umgebung gar manche Beispiele. Was kümmerte diese die Politik! Freudig kehrten
alle die von Außen ungern gestörten Naturen in das durch sie ihnen gebotene
Lebenselement zurück. Ihre geselligen Kreise wurden bald land-, ja weltberühmt; im
Grunde dachte sie nur daran, ihren Gatten zu erheitern, unbewußt aber fühlte sie
selbst sich hingerissen,
Auch Anna war jetzt viel bei Waldaus. Die kleine Leontine hatte eine Menge Lehrer, es fehlte ihr aber noch an Stätigkeit. Anna's Eltern schickten diese in eine öffentliche Mädchenschule, in der sie nichts lernen konnte, weil nichts in derselben gründlich gelehrt ward. Die Eltern kümmerte das wenig, schrieb doch die Mutter selbst nicht orthographisch. Auch waren die Brüder, die früher bei einem Verwandten, einem Landpfarrer, in Pension gewesen, nun heimgekehrt. Der Bürgermeister fand, daß deren Erziehung ihm täglich mehr kostete, und wandte um so weniger an Anna's Unterricht.
Die Buben aber waren wild und ungezogen; war der Vater im Rath, konnte die Mutter
nicht mit ihnen fertig werden; und die
All diesen Uebelständen gründlich abzuhelfen, nahm endlich der Bürgermeister einen Gymnasiasten in's Haus, der den Knaben das nöthige Latein einbläuen sollte. Anna, meinte er, könne beim Repetiren der Weltgeschichte und Geographie gegenwärtig sein und die Krümchen der brüderlichen Gelehrsamkeit auflesen.
Es versteht sich, daß der achtzehnjährige Primaner die Buben ebenso wenig in Ordnung zu halten im Stande war als die Bürgermeisterin; höchstens vergaß er bei ihnen sein eignes Latein.
Der armen Anna ging es durch Mark und Bein, wenn Herr Schmied in seiner
Verzweiflung die Jungen beim Papa verklagte und dieser sie mit väterlicher Hand
fürchterlich durchprügelte; noch mehr widerte es sie an, wenn
Aber wenn es nun nach langer Woche endlich Sonntag war und die Magd die Stube mit feinem Sand bestreut hatte, wenn die mit rothem Kattun bezogenen eichenen Meubles im Sonnenschein glänzten, Mutter und Kinder geputzt zur Kirche gingen, o dann war Anna weit lieber zu Hause, denn drüben merkte man ja den Sonntag gar nicht!
Sie freute sich an Allem, am Sonntagsbraten, am Tröpfchen Wein, das die
Geschwister bekamen, an den frisch gefüllten Blumenvasen und vor Allem an der
Mutter; denn
Und das Alles war so feierlich und schlug wie eine Wünschelruthe aus Anna's poetischer Seele tausend Quellen des Glücks hervor!
Wer in jenen Tagen Thüringen und Weimar gekannt hat, muß sich erinnern, daß die jetzt so oft an einzeln uns erhaltenen Beispielen bewunderte Einfachheit der häuslichen Einrichtungen damals ganz allgemein war und der Luxus unser Ländchen weit später berührt hat. Dennoch waren die Stände durch Umgang und äußere Lebensbedingungen geschieden, das Waldau'sche Haus hielt die Mitte zwischen Hof-, Bürger- und Künstlerwelt.
Waldaus waren Fremde; sie hatten großstädtische
Josephine hatte eine Ahnung von Anna's Charakter; allein die tausend Nadelstiche des so früh gestörten Lebens konnte sie nicht gewahren, weil sie deren Häuslichkeit nicht kannte.
Wenn die Bürgermeisterin ohne Vorwissen ihres Mannes Kartoffeln oder Aepfel aus
dem Garten verkaufte und sich von deren Erlös ein Tuch, eine Haube anschaffte,
ahnete Niemand, daß Anna der Vergleich der Art und Weise, wie Waldau und seine
Gattin lebten, so schmerzlich ins Herz schnitt, und doch, wenn ein ander Mal das
Kind von seinem Bettchen aus die Mutter in tiefer Nacht, bei einem einzigen Licht,
an der Christbescheerung für die Kleinen heimlich arbeiten sah, wenn es die
tausend
Drüben zerfiel indessen das äußere Leben auch in zwei Hälften. Madame Sophie hatte
eine eigenthümliche Atmosphäre, die eben so sehr von der ihrer Herrschaft, als von
dem thüringisch-bürgerlichen Leben abwich. Man spricht so viel über das Festhalten
der Engländer
Madame Sophie wurde noch mit altväterischer Galanterie von ihrem Manne behandelt, der trotz seiner zahlreichen Infidélités sie entschieden als Hauptperson anerkannte und von seinen Landsleuten sich le mari de la femme de regret nennen ließ; liebte ihn doch diese Frau aus Herzensgrunde und verdeckte unermüdlich alle seine Schwächen!
In der höhern Gesellschaft war der Muth, mit welchem sie ihre Herrschaft vor der Plünderung bewahrt, zu allgemein bekannt, als daß man sie einer gewöhnlichen Dienerin hätte gleichstellen mögen.
Die Kinder waren viel um sie und hörten solchen Gesprächen gern zu, noch lieber
aber ließen sie von ma bonne's eigener Vergangenheit sich erzählen. War die
Gesellschaft oben beisammen und Duguet beschäftigt, nahm Sophie die beiden kleinen
Mädchen auf den Schoos und erzählte ihnen: von Ludwig des
Dann sprach sie weiter von den Clubs, den Jakobinern und der Zeit der Terreur, deren Greueln sie mit der gräflichen Familie entflohen; sie beschrieb den Kleinen den Stromübergang der Verbündeten über den Rhein bei Mühlheim und die herzzerreißende Trennung des Grafen von seiner Gemahlin, die erst nach Jahren erfuhr, daß auch ihn bald nachher das Beil der Guillotine getroffen. Dazwischen aber webte ihr heiteres Naturell humoristische Skizzen des Emigrantenlebens; Grafen und Marquis traten als Schneider und Schuster auf, um wiederum an Galatagen, bei ihren Zusammenkünften, mit den alten Abzeichen ihres Ranges zu glänzen.
Die bunte Mischung all dieser Bilder führte
Nun malte Sophie die sich steigernde Noth aus; die Scenen wechselten immer geschwinder; schon hatte die Gräfin alles verkauft, was sie von Werth gerettet; ma bonne ward Wäscherin und ernährte sie und ihre beiden Kinder.
Anna ward sehr ernsthaft, sah sie freundlich an und fiel ihr endlich schweigend um den Hals.
Aber das Elend wuchs. Sophiens Erwerb reichte nur spärlich, Duguet war seinem
Herrn gefolgt, mit ihm verkleidet über die französische Grenze zurückgegangen. Nun
ward es Winter. Mit fürchterlicher Gewalt schwemmte der Eisgang seine
Krystallblöcke daher, als Sophie zum zweiten Male mit ihrer Gebieterin Mühlheim
berührte. In wilder Eile setzten eben Truppen über den theilweise freiwerdenden
Strom. Das Gedränge war unbeschreiblich beängstigend;
Wenn Sophie bis dahin erzählt hatte, brach sie in unaufhaltsames Weinen aus und schickte die kleinen Mädchen zu Bette.
Längst hatten die Tage der Unterdrückung zu Jahren sich gereiht, Napoleon hatte den Kaiser Alexander zu sich nach Erfurt berufen und der spanische Feldzug bereitete sich daselbst vor.
Josephine saß allein in ihrem Zimmer. Waldau war seit einigen Wochen leidender und
schwächer geworden. Beklommen sah sie dem Feind aller zehrenden Uebel, dem Herbst,
in's bunte Blumenauge – ach! mit den Blättern und Früchten fallen die Menschen der
Erde zu
Josephine hielt eine Menge uneröffneter Briefe in der Hand. Sie erwartete weder Gutes noch Böses aus der Ferne, die nächste Nähe war's, die so beengend auf ihr lastete. Es ist etwas Entsetzliches um das unaufhörliche gespenstische Auftauchen der Angst um ein geliebtes Leben, wie man auch den Gedanken an das uns Drohende zu bannen suche: immer umschleichen uns die Schatten der Sorge mit ihren heimlichen Dolchen und überfallen uns in heitrer Gegenwart, wie Diener eines Vehmgerichts, mit plötzlichem Entsetzen.
Endlich fiel Frau von Waldau's trüber Blick auf die Briefe. Eine französische Handschrift? Aus Erfurt? Rasch erbrach sie das Siegel und las:
Wenn das Bild eines jungen Mannes, dem während der Tage der Schlacht bei Jena das Glück Ihrer Bekanntschaft ward, noch nicht ganz Ihrer Erinnerung entschwunden ist, so wird die milde Güte, die noch einem Sterne gleich in der seinen steht, diesem Schreiben gern Verzeihung gewähren. Denn wie ein Posaunenstoß des jüngsten Gerichts rufen meine Worte einen Todten aus dem Grabe und geleiten hoffentlich einen glücklichen Sohn in die Arme seiner gewiß noch glücklichern Mutter. Ohne Zweifel haben Sie, hochverehrte Frau, schon errathen, daß ich meine Erzengelschaft dem Zufall danke, den so lange beweinten Sohn Ihrer Madame Sophie gefunden zu haben, die, wie ich von meinen beneideten Kameraden erfahren, Ihr Hauswesen noch wie ehemals besorgt.
Der Kaiser hat mich in diesen zwei heißen Kriegsjahren zum Rang eines Obersten
erhoben,
Eben hier glaube ich in einem jungen Soldaten, der an den Folgen in Portugal
empfangener Wunden krankt und von Lazareth zu Lazareth geschleppt wird, den in
Mühlheim ausgesetzten Sohn der wackern Frau Duguet erkannt zu haben. Die Klagen
des kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings, der seiner Existenz fluchte, weil
er, der weder Vater noch Mutter gekannt und Niemanden angehöre als nur seinem
Kaiser, den Feldzug nicht mitmachen solle, zogen mich an; der Zorn, den er den
ärztlichen Rathschlägen entgegensetzte, rührte mich tief; ich gewann mir sein
Zutrauen. Jetzt, nachdem ich alle Details seiner Lebensgeschichte gehört, das
Stück Taschentuch mit dem Zeichen Marc Duguet und die treubewahrte Hälfte des
Fünfsous-Stücks gesehen, das er, wie seine Mutter, am Hals trägt, scheint mir
unzweifelhaft,
Mit ausgezeichneter Achtung
und Verehrung
Ihr tief ergebener
St. Luce.
Sophie! rief aufspringend Frau von Waldau, großer Gott! ich habe die Briefe seit drei vollen Stunden! Sie können jeden Augenblick hier sein! Sophie, so komm doch!
Madame! erwiderte die Gerufene, den mit einem Foulard umwundenen hübschen Kopf zur
Sophie! Monsieur de St. Luce ist Oberst geworden und wird vielleicht schon in einer Stunde hier sein!
Ach, Madame! welches Glück! der gute junge Mann! Aber da muß ich mich beeilen, Madame werden ihn zu Tische bitten, vielleicht logiren wollen. Pardon, Madame! charmanter junger Mann, und Oberst! Ja, ja, das sieht dem kleinen Korporal ähnlich, der kennt seine Leute! Wundert mich nicht, daß sie einen Gott aus ihm machen. Duguet, Duguet! rief sie im Gehen zur andern Thür hinaus; Du hilf mir – Monsieur de St. Luce ist Oberst geworden!
Die Freude kann sie tödten, sagte Josephine leise vor sich hin; der Schlag kann
sie rühren, sie ist so heftig! Aber, Sophie, fuhr sie fort, sie beim Arm
ergreifend, um sie zu halten; es
Sophie wandte den Kopf, kein Zug des sonst so regen Gesichts bewegte sich, mit starrem Auge blickte sie die Sprechende wie bewußtlos an, sie hatte, das sah man, keinen klaren Gedanken, all ihre Fähigkeiten hatte das eine Wort erschüttert.
Bald aber überflog ein leises Zittern die ganze Gestalt, die Brust hob sich langsam und schwer, ohne einen Laut ausströmen zu lassen, die bleichen Lippen bebten convulsivisch; endlich hauchte sie fragend: Madame?
Ja! erwiderte Josephine, indem sie nun auch den andern Arm ergriff, um die Schwankende wie zufällig zu stützen, er hat hingeschrieben, um Nachrichten einzuziehen.
Wenn er es nur ist, sagte Frau von Waldau, um den Eindruck zu schwächen.
Es wäre möglich, schrie Sophie mit plötzlich freiwerdendem Jubel auf – möglich! mein Sohn! mein Sohn könnte leben, – ich wäre nicht seine Mörderin! O, setzte sie wieder ermattet hinzu, ihre Arme sanken und große Thränen perlten über ihr wieder erwärmtes Gesicht, ich könnte mir verzeihen, und Gott auch! Sie legte die Hände auf ihr Herz und wurde still.
Aber der junge Mensch soll verwundet sein, meint St. Luce.
Verwundet? Wollen sie sagen, todt? – Duguet, Duguet! rief sie, mit einem Mal wieder auf ihren Mann sich besinnend.
Waldau öffnete eben die Thüre, hinter ihm trat Duguet ein. Josephine hielt ihrem
Gemahl den Brief entgegen; sie wußte, daß er
Bis zu diesem Augenblicke hatte der wüthende hoffnungslose Schmerz zu harpyenartig an ihr Herz sich angekrallt, sie hatte nie begreifen können, daß sie auch an Duguet ein großes Unrecht gethan, indem sie ihn und sein Kind verlassen.
Ja, sagte Josephine zu Waldau, Schiller hat recht: ein glücklicher Mensch ist ein Heiliger!
Unterdessen hatte Waldau gelesen. Der junge Mann scheint mir sehr flüchtig, sagte er halblaut; ich fürchte, Josephine, du hast dich übereilt. Es ist so vieles unklar in dem Briefe.
Duguet hatte seine Frau aufgehoben und auf einen der Thüre nahen Stuhl
niedergesetzt. Nun überschüttete er sie mit tausend Fragen,
Sophie schluchzte nur: Mein Sohn, mein Sohn! und war durchaus keines andern Gedankens fähig.
Es war ein Glück, daß in eben diesem Augenblick St. Luce's Wagen vorfuhr. Die menschliche Natur erträgt solche Spannung nicht lange. Mit Blitzeseile war der kranke Waldau, hinter den mit einander beschäftigten Gatten weg, an der Hausthüre, vor welcher eine Extrapost hielt.
Oberst St. Luce hatte einen schönen schwarzäugigen, todtblassen Soldaten neben
sich, die Bedienten halfen denselben herausheben und führten ihn langsam ins Haus.
Der junge
St. Luce begrüßte die nun auch herbeigeeilte Josephine und sagte, indem er ihre Hand an seine Lippen zog: Ich habe gewollt, daß Sie selbst es ihm aussprechen, denn das Glück wird am besten durch einen Schutzengel den Menschen verkündigt.
Aber die Wunden werden am besten durch eine Soeur grise behandelt! lächelte sie ihm freundlich zu.
Beides, weil Sie beides sind, gnädige Frau.
Waldau hatte den Arm des jungen Kranken ergriffen. Fühlen Sie sich stark genug, eine heftige Erschütterung zu ertragen? fragte er sehr sanft.
Der Soldat sah ihn verwundert an. Ist der Kaiser hier? fragte er in zitternd jubelnder Hast.
Eben so schön, nein, noch viel schöner ist die Freude, die Sie erwartet, sagte Josephine. Haben Sie niemals etwas Anderes sich gewünscht?
Sie müssen weit zurückschauen, in ihre früheste Vergangenheit, setzte Waldau hinzu.
Gott! meine Mutter! rief außer sich der Kranke. O, Madame, Madame, Sie sind zu jung, um es selbst zu sein; aber, um Gottes willen, wenn Sie etwas von ihr wissen, o geschwind! geschwind! lassen Sie mich bei ihr sterben, da ich nicht bei ihr leben durfte!
Er schwankte. Waldau hielt ihn mit Mühe. Bitte, bitte, fuhr er fort, vor Josephine wie zum Gebet die Hände faltend.
Ei, junger Freund, drohte freundlich St. Luce, haben Sie denn nur dem Feinde gegenüber Courage? Haben Sie doch jetzt den Muth, für Ihre Mutter zu leben!
Aber des Sohnes Herz war nun mit Gewalt
Und die Mutter hörte und erkannte beim ersten Laut die Stimme ihres Kindes. Mein Sohn, mein Sohn! klang es von drinnen, und im Augenblick lag sie an seiner Brust. Sie fragte nichts, untersuchte nichts, der Ton hatte wie ein Zauber gewirkt und sie herbeigezogen. Bewußtlos war sie ihm gefolgt, die Erschlaffung war verschwunden; sie hatte mit einem Male Kraft, Riesenkraft; aber ach, wie sie das Haupt hob, um nun auch die geliebten Züge zu sehen, fühlte sie die leblose Schwere des seinen auf ihrer Schulter. Der junge Krieger war ohnmächtig geworden.
Die Umstehenden versuchten, ihn aufrecht zu erhalten, das Zimmer war noch nicht
erreicht, kein Stuhl auf dem Hausflur; sie vermochten
Immer lag er ihr noch nicht sanft, nicht bequem genug; bald küßte sie seine Haare, bald seine Hände oder flüsterte ihm in's Ohr, und hauchte ihn an, als wolle sie ihr Leben ausströmen in seine Brust, es ihm zu geben. – Duguet war ihr gefolgt, allmälig schien auch er zu begreifen; er sprang auf Waldau zu und stand zitternd mit gerungenen Händen vor ihm. Die Stimme versagte ihm. Ist es wahr? war alles, was er hervorbringen konnte.
Duguet nickte seinem alten Herrn das gewohnte Verstehen zu und kniete erst leise
neben dem Ohnmächtigen. Nur die gewaltig pulsirende Ader auf seiner Stirn und die
kurzen fast röchelnden Athemzüge zeugten von der Kraft, die er anwandte, sich zu
beherrschen; als er aber nun das Gesicht seines Sohnes so ganz in der Nähe sah, so
daß ihn sogar dessen Haare berührten, da riß ihn der innere Jubel doch
unaufhaltsam fort, dicke Thränen rollten über das braune Gesicht, der feste Mann
bebte an allen Gliedern und sah den Wiedergefundenen mit unbeschreiblicher
Zärtlichkeit an. Armes Kind, armes Kind! flüsterte er, dann wandte er sich zu
seiner Frau: Aber, Sophie! – sie sah auf und wäre ihm gern um den Hals
gefallen,
Aber, Sophie! sagte er endlich, er liegt hier schlecht! Komm, komm! Und wie eine Feder nahm er den schweren Körper des Soldaten auf, den Alle nur mühsam gehalten, und trug ihn unten in die Hinterstube hinein, die er und Sophie bewohnten, dort legte er ihn still auf das Bett.
Waldau, Josephine und St. Luce blieben an der Schwelle des Zimmers stehen; es wagte keiner, sie zu überschreiten; sie hörten eine Weile schweigend von außen zu.
Sophie hatte ihren Sohn in's Leben zurückgerufen; jetzt saß er aufrecht im Bette,
zwischen den Eltern. Und nun ging es an ein so seliges Fragen und Erzählen und an
das Erkennen des Vaters, den zu sehen ihn ja die Ohnmacht gehindert. Der junge
Soldat hatte die Hälfte seines Fünfsous-Stück an die seiner
Wie die arme Frau den Jüngling mit den Blicken verschlang, und wie Duguet, stolz auf seinen Sohn, höher zu werden und zu wachsen schien! Jetzt sprachen alle Drei zugleich. Sophie erzählte von jener entsetzlichen Nacht, wie sie ihr armes, kleines Kind auf die Schwelle eines reinlich und wohlhäbig aussehenden Hauses niedergelegt und, unter einen Schuppen gekauert, lange abgewartet, daß man es abhole; wie endlich ein Mann aus der Thüre gekommen und es gefunden, wie sie bei dem Anblick einen Moment kraftlos zusammengesunken sei, dann aber habe laufen müssen weit, weit weg, um es nur dem Manne nicht aus den Armen zu reißen!
Gleich darauf war sie unter einen Trupp betrunkener Soldaten gerathen, die sie
festgehalten und gezwungen, die Carmagnole mit
Arme Mutter! armes Weib! sagten Duguet und der junge Soldat, wie aus einem Munde.
Marc Duguet – er hieß so nach dem Vater, Sophie hatte, da sie nicht schreiben konnte, ein abgerissenes Stück Wäsche mit dem Namen dem Kinde auf die Brust gelegt und es mit Stecknadeln an die wenigen Hüllen befestigt, in denen sie es eingewickelt; wie hätte sie im Drang des Augenblicks Kinderzeug sich verschaffen können – Marc Duguet war vom Leben herumgeworfen worden und in all dessen Wendungen ein Findelkind geblieben. Er erzählte den Seinen, da schlichen die Horchenden still davon, in Frau von Waldau's Zimmer zurück.
In diesem Augenblick faßte eine kleine Hand
St. Luce blieb noch bis zum nächsten Tage. Anna war jetzt zehn Jahr alt und
fesselte seine Aufmerksamkeit mehr und mehr. Er begleitete sie zu den Eltern
hinüber, und obschon Sprache und Nationalität ihm ein eigentliches Verstehen ihrer
häuslichen Lage unmöglich machten, hatte er doch bald genug gesehen, um das
Mädchen Josephinen auf's Dringendste zu empfehlen. Während seiner Anwesenheit wich
sie kaum von seiner Seite und erzählte ihm alle ihre kleinen Leiden und Freuden;
sie zeigte ihm auch das
Nach der Abreise des jungen Obersten, der dem noch kranken Marc einen Urlaub bis zu seiner Genesung ausgewirkt hatte, nahm Josephine sich Anna's ernstlicher an; St. Luce's Besuch ward zum Capitelstrich ihres Lebens, das von jenem Augenblicke an eine edlere Gestalt gewann.
Der junge Marc blieb vorläufig im Hause und erhielt ein eignes Wohnstübchen,
brachte jedoch den größten Theil des Tages in dem seiner Eltern zu. Die Kinder
nahm Josephine in ein an das ihre stoßendes Zimmer, wo sie ihre Stunden erhielten,
nur die Abende durften sie noch theilweise bei ma bonne bleiben. Durch diese
Einrichtung sah Anna die ausgezeichneten Männer, die mit Waldaus verkehrten;
Der Winter verging. Waldau fühlte sich kräftiger, Josephine athmete sorgenfreier auf. Da trat eines Morgens Madame Sophie, in Thränen fast aufgelöst, in ihr Zimmer. Ah, Madame! er will fort!
Allerdings wollte Marc fort. Der Kaiser hatte Madrid erobert, seinen Bruder Joseph von Neuem auf Spaniens Thron gesetzt und die Engländer geschlagen.
Zu Astorga, wohin er am ersten Januar gezogen, traf ihn die Nachricht der ernstlichen Kriegesrüstungen Oestreichs. Am dreiundzwanzigsten war er bereits selbst in Paris, um dem kaum erst noch vierhundert Stunden von ihm entfernten Feindesdrohen sogleich zum vierten Mal die Stirn zu bieten.
Sophie hätte ihn gern dem Soldatenstande ganz entzogen; im Herzen noch Royalistin,
konnte sie nicht umhin, den petit Caporal mitunter noch für eine Art
Landesverräther anzusehen, obschon sie mit großer Theilnahme den Erzählungen ihres
Sohnes zuhörte; er kam ihr höchstens wie ein Kaiser der Armee vor; wenn nur von
dieser die Rede war, konnte sie mit den Andern an Enthusiasmus wetteifern; doch
auf den Thron Frankreichs, auf welchem sie
Wie aber den kaum wiedergefundenen tausend Gefahren entrissenen Sohn vor den von Neuem drohenden Uebeln bewahren! Zu fest hing er seiner glänzenden Laufbahn an; ihn dem Auge seiner Vorgesetzten zu bergen, schien allzu schwer. Am Ende blieb der Armen nur die Qual, ihn fern von sich, dem möglichen Elende preisgegeben zu wissen. Konnte er nicht von Neuem erkranken, verwundet, verkrüppelt, wieder von Lazareth zu Lazareth geschleppt werden?
Lange kämpfte das arme Weib – die Mutter siegte. Sie beschloß, ihm zu folgen, sein
unsicheres Loos wenigstens so lange zu theilen, als sie ihn nicht für ganz genesen
hielt. Daß Duguet seinen sterbenden Herrn verlassen könne, kam weder ihm noch ihr
in den Sinn. Die Gatten mußten sich trennen! Das blieb unausweichlich,
Nachdem Sophie ihrer Gebieterin ihr ganzes Herz eröffnet, bat sie um ihre einstweilige Entlassung: ob schon es wahrscheinlich mein Tod sein wird, unsere Leontine zu entbehren, schloß sie; aber ich bin ja nur drei Monate meines armen Kindes Mutter gewesen, und Marc ist achtzehn Jahr alt.
Josephine fühlte, daß an keine Aenderung des so gewaltsam gefaßten Entschlusses zu
denken; sie versuchte nur, dem Plan eine praktischere Gestalt und die Möglichkeit
des Gelingens zu geben, indem sie St. Luce schriftlich um seine Vermittelung bat.
Der Kaiser gestattete nur Marketenderinnen den Regimentstrains sich anzuschließen;
es blieb der einzige Ausweg,
Gottlob! nun ist's überwunden, sie schläft! sagte Madame Sophie, indem sie leise Leontinens Kammerthüre an sich zog, schon im Reisekleid, sich zu Duguet an den Tisch setzte und mit dem Rücken der Hand ein Paarmal über die Augen fuhr! Wie groß sie sein wird, wenn ich sie wiedersehe!
Hol's der Teufel! ich glaube, armes Weib, daß du eine ungeheure Thorheit begehst,
brummte
Sophie hatte nicht recht hingehört, ihre Gedanken waren schon unterwegs. Sie zog eine große silberne Taschenuhr aus dem Kleide hervor und sagte: jetzt wird er wol schon in Buttstädt sein – morgen früh vier Uhr, meinte er, würde das Bataillon von dort abmarschiren – er hätte doch lieber schon gestern gehen sollen, der arme Junge! so könnte er nun ein Paar Stunden schlafen.
Duguet ging im Zimmer auf und nieder und stäubte, mit einer Damastserviette um sich schlagend, die reinen Meubles ab.
Du hast nichts als ihn im Kopf! murmelte er halb ärgerlich.
Wenn's Glück gut ist, glaubst du wol gar, mir wäre das Herz nicht schwer?
erwiderte sie, euch Alle zu verlassen, dich und Madame und
Nun, nun, so war's nicht gemeint! begütigte sie Duguet; iß doch einen Bissen! Er versuchte ihr vorzulegen. Die Nacht ist grimmig kalt; in einer Stunde wird der Postwagen da sein. Ja, ja, mein armer Herr, fuhr er fort, die gekreuzten Hände sanken ihm auf's Knie, wird es nicht lange mehr machen. Ich hielte es nicht aus, ihn jetzt zu verlassen. Seitdem die Bäume treiben, ist er so mager, und Nachts hustet er; es möchte Einem das Herz spalten.
Gott gebe ihm nur noch ein Jahr, seufzte Sophie, daß ich ihn wiederfinde. Er und Anna machen mir am meisten Sorge.
Anna! wie so?
Der Vater ist ein schlimmer Mann, da haben sie ihm in den Kopf gesetzt, das Kind
würde hier im Hause zu einer vornehmen Dame
Anna hatte die Küchenmagd beredet, die beide Wohnungen verbindende Gangthüre offen zu lassen; bei Bürgermeisters lag Alles um zehn Uhr in den Federn, jetzt war es über Mitternacht. Die Kleine schlief mit den Geschwistern allein in der Kammer, sie konnte leise aufstehen, um sich zu Madame Sophie zu schleichen, deren Reiseplan sie längst entdeckt, und stürzte jetzt unerwartet in deren Arme.
Wo kommst du her, liebe Anna? woher weißt du –
Ach, ma bonne, erst hat es mir das Herz gesagt! Dann fuhren mich die Brüder auf der kleinen Schleife spazieren, du weißt wohl, auf der Leontine nicht fahren darf. Sie hatten versprochen, mich kein einzigmal in den Schnee zu werfen, so nahm ich ihren Vorschlag an. Als wir um die Ecke bogen, kam der Postwärter und hatte deinen Koffer auf dem Karren – ach, sei nicht bös! – Da frag4e ich ihn. – Aber wo ist denn Leontine?
Madame Sophie verschluckte ein Paar Thränen und sagte ganz leise und wehmüthig:
Leontine muß schlafen! Du weißt wohl, daß sie sonst krank wird. Anna nickte. Und,
fuhr jene fort, das Kind zwischen ihre Knie nehmend, wenn sie morgen aufwacht und
ich fort bin, so sei du da und tröste sie und sage ihr: ich käme gewiß wieder. Der
Kaiser
Warum nicht gar! fuhr Duguet dazwischen.
Nein, nein, sagte ma bonne, du darfst nicht dienen! Sieh doch, Duguet, steht sie nicht da wie eine kleine Gräfin?
Und wozu wäre denn die ganze Revolution
Die Uhr schlug! Noch eine Viertelstunde! Sophie athmete schwer, machte sich allerlei zu thun, öffnete und schloß wol zehnmal ihren Reisesack, setzte die warme Mütze auf, sah wieder nach ihrer Uhr; endlich eilte sie festen Tritts hinaus, die Treppe hinan, – sie nahm von ihrer Gebieterin Abschied.
Wenige Minuten später hatte sie schon an Duguet's Seite die Hausschwelle
überschritten. Anna hatte ihren Arm ergriffen und umklammerte ihn mit beiden
Händen. Stumm wanderten sie durch die frühlingsklare Nacht dahin – einzelne
Sperlinge schreckten auf, als sie
Duguet sah sie an und schüttelte den Kopf. Armes Kind! sagte er, damit wird man
nicht glücklich. Dann nahm er die Kleine in die Arme und lief eilends mit ihr nach
Hause, als
Der Eindruck, den Sophiens Abschied dem zarten Kindesgemüth hinterlassen, war ein
dauernder. Anna hielt Wort: mit immer tiefer wurzelnder Liebe blieb sie Leontinens
Gefährtin, ertrug nun ihretwillen die Scheltworte des Vaters und erschmeichelte
sich täglich von Neuem die Erlaubniß, hinüberzugehen. Anna's Vater war kein
gemeiner oder harter Charakter, es lag eine tüchtige, nur unentwickelte
Eigenthümlichkeit in dieser Natur, die alle Kräfte, deren sie sich bewußt war, der
strengen Realität des Lebens zuwandte. Aber in den Winkeln seiner Seele blieb den
noch manches unverstandene Edle unausgebildet liegen – so war ihm Freundschaft
durchaus weder fremd, noch unbegreiflich; er hatte sogar selbst einen reichen
In dieser Zeit war er von mehren Seiten sehr hart gebeugt worden. Beide blühende
Zwillingsschwestern Anna's, sanken, von einem nervösen Fieber ergriffen, zugleich
in's Grab, und an den Söhnen erlebte er wenig Freude. Vielleicht hätten
bedeutendere Geldmittel, und durch diese eine planmäßigere Erziehung, den
Jedes an sich noch so unbedeutende Ereigniß erhöhte die Sorglichkeit, mit welcher
er den eigentlichen Betrag seines Vermögens selbst seinen Kindern zu verhehlen
suchte, und die Sparsamkeit, mit der er sie und seine Frau täglich peinigte. Unter
zahllosen kleinlichen Rücksichten und Einschränkungen wuchsen die Buben auf; ohne
eigentliche Wahl eines einstigen Fachs wurden sie blindlings ihrer Bahn
zugestoßen; von nichts sagenden Umständen gedrängt, ergriffen sie bald diese, bald
jene Bestimmung, verlernten das kaum Erlernte wieder in der
Die Weigerung des Vaters, den Söhnen die ihnen zu Begründung einer Carriere nöthigen Mittel reichlich zu geben, erbitterte die Buben und machte sie abwechselnd stöckisch und leichtsinnig. Der Eine lief aus Ueberdruß unter die Soldaten, der Andere spielte dem Alten zum Trotz, als Commis bei einem Krämer, im nahen Auslande den vornehmen Herrn en miniature und machte Schulden.
Anna litt sehr, die Thränen und die Sanftmuth der Mutter thaten ihr so weh.
Einzelne heftige Auftritte mit den Verwandten ihrer Eltern,
Daß sie in so untergeordneter Stellung auch nicht einen Augenblick an die einstige Benutzung der ihr dort gebotenen Vortheile dachte, daß sie im Gegentheil unaufhörlich bemüht war, Sophien Wort zu halten, nur darauf sann, für Leontine etwas zu thun, zeugt von der Unbefangenheit ihres Charakters.
Madame Sophie hatte nicht so streng Wort gehalten als der Kaiser; er war längst
mit den
So kam der Frühling des Jahres 1812 herbei, ohne die Gatten vereinigt zu haben.
In Deutschland erhob sich damals ein innerer Frühling: die von Osten nach Norden gehenden unaufhörlichen Bestrebungen deutsch gesinnter Männer brachen der Freiheit unseres Vaterlandes langsam und besonnen Bahn.
Oft zeigten sich Boten dieser wachsenden Hoffnungen im Waldauschen Hause,
ungehemmt und vom Feinde nicht bemerkt, flog die Kunde besserer Tage seinem
sinkenden Leben vorüber.
Eines Abends saß er in seinem Lehnstuhl, von wenigen nahen Bekannten und Gleichgesinnten umgeben, und unterhielt sich lange mit ihnen von einem in der guten Sache sehr thätigen Freunde, dem ehemaligen preußischen Obersten von Geiersperg.
Liebes Kind, sagte er plötzlich, zu Josephinen gewendet, ich kenne keinen zuverlässigeren Menschen auf Erden.
Als die Andern Abschied genommen, erneuerte sich das Gespräch zwischen ihm und seiner Gattin. Ich habe Geiersperg nie gesehen, sagte sie, und du kennst ihn so lange Jahre.
Waldau lächelte seltsam. Du wirst ihn bald kennen lernen, fuhr er fort, und wenn
er kommt, so bitte ich dich, ihm unbedingt zu vertrauen. Unbedingt, liebe
Josephine. Er küßte sie auf
Wenige Wochen später ließ sich ein Jäger bei der noch immer tief betrübten Witwe melden; er habe eine Botschaft an den verstorbenen Herrn gehabt, hieß es, die er der gnädigen Frau selbst zu überbringen wünsche.
Das ist Geiersperg! blitzte es in ihr auf – und er war es. Auf einer geheimen Sendung des Bundes begriffen, dem er angehörte, überraschten ihn in Helgoland des sterbenden Freundes letzter Gruß und dessen Bitte, seine Witwe noch vor Ausbruch des russischen Kriegs in die Nähe ihrer Verwandten nach Breslau zu geleiten. Und Geiersperg kam.
Es war ein stattlich schöner Fünfziger, voller Feuer und Enthusiasmus für die
Sache
Der Oberst blieb acht Tage. Anna sah ihn wenig, auch Frau von Waldau kam während der Zeit nicht viel zum Vorschein; sie war beschäftigt. Leontine erzählte von vielen Veränderungen im Hause; plötzlich kündete Frau von Waldau ihre morgende Abreise an. Sie versprach wiederzukommen und behielt einen Theil ihres Quartiers. Geiersperg hatte die ganze Zeit hindurch für einen Förster ihres Schwagers gegolten und begleitete sie als solcher nach Breslau. Duguet blieb zurück. Nach einigen Wochen verschwand auch er; man sagte, er sei nach Dresden gegangen, wohin Napoleon eben die deutschen Fürsten berufen hatte. Vielleicht hoffte er von dort aus Gelegenheit zu finden, sich dem Obersten zu nähern, bei dessen Geliebter Sophie in Diensten stand, und diese zurückzubringen.
Wie fast alle im Bergbau Erwachsenden, war der Jüngling lustig, phantastisch und
fromm. Die Einfachheit seines Wesens gewann ihm bald die Herzen der ganzen
Familie, sogar
Die Neigung zur Analyse alles Sichtbaren schien Otto angeboren. Der Alte, ein
Bergmann mit Leib und Seele, hätte ihn lieber auch zum praktischen Bergbau
ausgebildet; und wirklich hatte der Knabe die ersten mühseligen Jahre der Lehrzeit
bestanden und in den Gruben von unten auf gedient. Aber es trieb ihn gewaltsam
weiter, der Bahn seiner Wissenschaft zu, und der Vater konnte es nicht über's Herz
bringen, den Willen des sonst so nachgiebigen Kindes zu brechen. Um in Freiberg
aufgenommen zu werden, wo es damals etwas aristokratisch zuging, waren des Alten
Verhältnisse
Der fröhliche Ohm fiel in der Neujahrsnacht dem ängstlichen Schwager wie eine Bombe in's Haus: beide alte Herren contrastirten wunderlich, aber sie vertrugen sich und Otto's Gegenwart brachte Leben in den kleinen Familienkreis.
Anna athmete auf in seiner Nähe; er rief den Frohsinn wieder wach, den der Familie Waldau Verlust in Schlummer versenkt hatte. Die beiden schönen jungen Leute entwickelten sich im Umgange mit einander; und als im Verlauf der nächsten Monate der allgemeine Enthusiasmus auch sie erfaßte, entfaltete der volle kräftige Sonnenstrahl jener Tage ihre Kindheit mit zauberischer Schnelle zur Jugendblüthe.
Es ist viel über jene Zeit geschrieben worden;
Der Herbst des nämlichen Jahres, der zum Frühling der Völkerfreiheit ward, reifte das nun funfzehnjährige Mädchen zur Jungfrau und den um ein Jahr älteren Knaben verhältnißmäßig noch rascher zum Jüngling.
Die ausgezeichneten Männer und Frauen, denen Anna im Waldau'schen Hause begegnet
war, hatten auch nach Josephinens Abreise das wunderbare Kind nie ganz aus den
Augen verloren. Trotz aller häuslichen Hemmungen ward Annen manche schöne
Gelegenheit geboten, ihre
Otto'n war es nicht so gut geworden, das Geistig-Schöne schlummerte noch in ihm; er kannte nur die Poesie seines errathenden Gefühls, und hatte sich dagegen eine Menge praktischer und empirischer Kenntnisse erworben, denen jetzt der schnelle Zeitenwechsel störend entgegentrat. Um so entschiedener drängte sich das volle wogende Freiheitsgefühl als poetisches Streben plötzlich in seine Existenz.
Rings im ganzen Lande stand Deutschlands Jugend auf, rüstete sich und bildete
Freicorps.
Wie viele heiße Thränen weinte der Bayard in der Knospe um seinen unerreichten Ruhm! wie bebte Anna vor Zorn und Schmerz, als sein Vater endlich mit einem Machtwort all diesen heroischen Plänen ein Ende machte und den Ritter ohne Furcht und Tadel mit der Aussicht, zu Ostern immatriculirt zu werden, nach Jena in Pension that! Aber freilich begann für die beiden jungen Leute eine Serie ganz neuer Leiden und Freuden durch diese Trennung.
Das Jenaische Studentenleben hatte durch die Nähe Weimars für dort Einheimische
einen sonderbar eigenthümlichen – fast könnte man
Und dann die Komödienabende, an denen er mit den Gefährten hinüberwanderte und
Anna von weitem im Parterre sitzen sah, ihr wol gar beim Nachhausegehen begegnete!
Schon wenn er durch das Kegelthor singend mit seiner Landsmannschaft einzog, war
es möglich, sie am Fenster einer Freundin zu gewahren. Zum Onkel durfte er nicht
so oft, der schalt über die Verschwendung der acht Groschen, die der Eintritt in's
Theater kostete. Vor allem aber gab es eine Aussicht auf ein noch nie genossenes
Arme Kinder! es sollte ihnen nicht so gut werden.
Längst schon zog die Bürgermeisterin Sonntags keine rosa beschleiften Negligées mehr an; sie war blaß geworden und mager, und dann stiller und immer stiller. Seit dem Tode der zwei kleinen Mädchen war sie nie wieder zu voller Kraft gelangt; sie athmete schwer, und wenn sie mit dem Nähzeug Annen gegenübersaß, sank ihr die Arbeit in den Schoos, und sie konnte die Tochter so halbe Stunden lang wehmüthig ansehen, ohne mit ihr zu sprechen.
Wenn die Buben einmal schrieben, oder zufällig einer ihrer Streiche dem Vater zu
Ohren
Der Bürgermeister hatte seine Amtsgeschäfte im Kopf, er sah nicht, wie bleich sie war; früh morgens ging er auf das Rathhaus, das Mittagsmahl ward eilig eingenommen, zu Nacht aß er nach thüringischer kleinbürgerlicher Sitte allein warm, die Andern nahmen mit einem Butterbrot fürlieb. Der Bürgermeister hatte gar keine Zeit, den Zustand seiner Frau zu bemerken.
Als nun einmal an einem wunderschönen Frühlingstage Otto als Fuchs, den Rock am
Stock, über der Schulter tragend, fröhlichen Sinnes mit andern Studenten zur
Aufführung der Räuber herüberkam, gewahrte er das Mädchen nirgends. Es trieb ihn
zu ihr hin, im Zwischenact eilte er in des Oheims Haus, öffnete schnell die
Zimmerthür – er wollte sie überraschen – da lag die Tante schon auf der
Wie er am Begräbnißtage vom Kirchhof heimkehrte, stand Anna am Fenster, sie hatte das kleine, von ihr und der Verstorbenen bewohnte Gemach aufgeräumt, wie zu der Mutter Zeiten, und blickte starr und besinnungslos die Gasse entlang, ohne zu sehen; sie war nun fertig, mit Allem fertig; sie konnte sich durchaus keinen Begriff der kommenden Tage, ja nicht einmal der nächsten Stunde machen.
Sie bemerkte den eintretenden Otto gar nicht; als er sie leise umfaßte und an
seine Brust zog, wehrte sie ihm nicht, hörte nicht die tausend Schmeichelnamen,
mit denen der arme Junge sie zu trösten versuchte. Ihr Schweigen riß ihn weiter
fort, ihre Nähe, die eine unbekannte Seligkeit durch alle Pulse seines Lebens
jagte,
Lange hielten sich die Mädchen eng umschlungen. Anna konnte es nicht begreifen, keinen klaren Gedanken fassen, sie sah nur mit Entzücken ihrer Freundin in das strahlende Gesicht.
Aber hattest du mich denn nicht gehört, nicht meine Stimme erkannt? fragte wieder und wieder Leontine; ich hatte ja geklopft, ich wollte ja zu dir, dich überraschen.
Plötzlich fiel Annen der Mutter Tod ein; sie brach in lautes Weinen aus und die Thränen des herben Wehs und der kindlichsten Freude mischten sich auf der jungen Mädchen Wangen. Allmälig wurde Anna ruhiger; sie konnte sprechen. Hand in Hand gingen Beide endlich hinüber zur Generalin Geiersperg: Josephine hatte dem Wunsch ihres verstorbenen Gemahls zufolge dem edeln Freunde ihre Hand gereicht.
Sieh', Anna, sagte Josephine, das ist mein Bruder, von dem ich dir so oft erzählt, den ich bei meiner Heirath mit Waldau als kleinen Knaben verließ; es ist, glaub' ich, eigentlich mein Sohn, fuhr sie lächelnd fort, indem sie mit den Fingern über seine schönen braunen Locken hinstrich; er könnte es wenigstens den Jahren nach wol sein.
Anna machte einen halbverlegenen Knicks und schlug die Augen nieder – dann eilte
sie mit Leontinen fort. Das ist ein wunderbar
Leontine war dreizehn Jahre alt und noch ganz und gar ein Kind. Sie hatte alle ihre Puppen und all ihr Spielzeug mitgebracht, das sie nun vor Annen ausbreitete. Anna sah wie ihr Schutzengel aus, als sie so ernst und freundlich neben der am Boden Knienden stand, die immer neue Herrlichkeiten aus einem Köfferchen hervorzog. Sie dachte unwillkürlich an Madame Sophie. Und weißt du denn nicht, wo jetzt Duguet ist? fragte sie Leontinen.
Ach, sagte diese, seit vielen Monaten haben wir nichts mehr von ihm gehört. Er hatte in Dresden Sophien nicht gefunden, und der gute Mann ist nun bei unsern Feinden, bei den Franzosen, – wer weiß, ob er nicht mit gegen uns fechten muß.
Anna sah mit einem Male so mitleidig und traurig aus, daß der junge Offizier, der
eben
Die Kinder hörten es nicht, sie waren zu sehr miteinander beschäftigt.
Josephine blieb nur wenige Tage, sie ordnete ihre Geschäfte und den Verkauf des größeren Theils ihrer Mobilien, packte ihre Kunstschätze und bereitete sich vor, nach Berlin zu gehen, wo sie Geiersperg erwarten sollte. An dem glücklichen Ausgange des Kriegs zweifelte damals schon Niemand, man zitterte nur der Opfer wegen, die er vom Einzelnen fordern mußte.
Roderich, der Generalin Bruder, hatte schon am folgenden Tage Weimar verlassen, er war zu seinem Regiment zurückgeeilt.
Auch Otto hatte nach Jena zurückgemußt, und zwar ohne Annen wiedergesehen zu
haben, die Josephine den ganzen Tag bei sich behalten hatte. Aber er gönnte der
Geliebten den ihr
Josephine ging am nächsten Morgen zum Bürgermeister, was noch nie geschehen war,
und blieb zwei volle Stunden bei ihm. Als sie aus seinem Zimmer trat, sprang ihr
Anna entgegen, sie drückte das schöne Kind freundlich an's Herz und sagte weich
und innig: Liebe Anna, du gehst mit uns nach Berlin;
Anna zitterte und weinte vor Schmerz und Glück, sie umarmte bald Josephinen, bald ihren Vater, Leontine jauchzte und tanzte im ganzen Hause umher, sie war außer sich vor Freude.
Gerade acht Tage nach dem Begräbniß der Bürgermeisterin reisten sie ab; Anna schrieb einen herzlichen, ja fast zärtlichen Abschiedsbrief an Otto; des letzten Gesprächs erwähnte sie mit keinem Wort.
Als er das Blatt gelesen, packte Otto sein Ränzel und verließ Jena. Der alte greise Vater erfuhr es erst hinterdrein und mußte das einmal Geschehene ertragen, wenn er es auch nicht gutzuheißen vermochte.
Die Alpengipfel begannen aufzuleuchten, im Thal war die Sonne bereits
verschwunden; das lichte Grün der vorliegenden Unterberge ward noch einen
Augenblick von ihrem schwachen Widerschein erhellt, im Hintergrunde der Landschaft
aber, da wo sich die Hügelkette weitete und hob, färbten sich die mattern
Abendtinten zu tieferem Purpur, violett und blau;
Die beiden Eiger, die Breiten- und Blümelisalp, eine nach der anderen erglühte; nur das finstre Aarhorn streckte über seine Schneescheitel noch zwei schwarze Felsspitzen in den heitern Abendhimmel, deren gerad' ansteigende Flächen keine Schneedecke dulden.
Alle diese Herrlichkeit überflog das ernste Auge der schönen Frau, dann schaute es
so fest in sie hinein, als ob es noch darüber hin in's Weite sähe. Sie hatte den
einen Arm auf die eiserne Balustrade gestützt; der liebliche Kopf ruhte in der
schmalen, von blonden Locken überflossenen Hand. Dieses Anlehnen hatte etwas
Mattes, Müdes, das Auge aber, das so durchdringend die Ferne suchte, war dunkel
und
Zu ihren Füßen, dicht vor ihr, lagen auf einem Teppiche zwei kleine fünf- bis sechsjährige Knaben, die sich zankten und den Beschwichtigungen einer englischen Kinderfrau Trotz boten. Die blonde Frau hörte nicht darauf.
Jetzt trat ein stattlicher schöner Mann von einigen dreißig Jahren in's Zimmer und zu ihr; eine Secunde lang hob sie die Augen, senkte sie aber sogleich wieder auf die Gegend hin.
Als sich jedoch der junge Mann in ihrer Nähe auf ein Sopha setzte, schien sie sich zu besinnen, wandte sich rasch zu ihm und begann ein heiteres Gespräch.
Nun ja, erwiderte er, mir ist es am Ende auch recht. Ich kann es hier so gut
abwarten, wohin sie mich versetzen, als in B., nur sehe ich nicht ein, warum das
nicht eben so leicht nach Rom, Florenz oder Neapel sein könnte,
Ich glaube nicht daran, sagte Anna, ich fürchte, wir müssen uns an den Gedanken eines nördlichen Aufenthalts gewöhnen. Wär'st du, lieber Roderich, nur erst völlig hergestellt.
Thorheit! versicherte ihr Gemahl, meine Brust ist wieder kräftig; ja, ich denke, sobald ich nur diese mich beengenden Berge und ihre verdammten weichlichen Molken hinter mir habe, werde ich reiten können wie sonst.
Laß dir noch die wenigen Wochen Ruhe, bat sie, sind wir doch jetzt aus dem
eigentlichen Hochgebirg heraus und hier in der Stadt, wo du mehr Zerstreuung hast,
der Umgang mit den Professoren und sonstigen Honoratioren ist ja so übel nicht,
und dann – sie zog
In diesem Augenblick übertönte das Geschrei der beiden Kinder das Gespräch bis zu gänzlicher Unterbrechung. Der Wärterin Beruhigungsmittel reichten nicht mehr aus. Die Mutter eilte, den Jüngsten in die Arme zu nehmen und dadurch dem Streite ein Ende zu machen.
Die Buben werden unerträglich ungezogen, schalt Graf Kronfeld – so hieß der junge Mann – ich werde diese Interimszeit benutzen, ihnen einen tüchtigen Hofmeister zu suchen.
Den sechsjährigen Kindern! lachte Anna.
Egon ist im siebenten.
Seit gestern, und die heutige Unart stammt, glaube ich, noch direct vom Geburtstagskuchen her.
Anna seufzte. Nach einer Weile ward sie heiterer und als sich die Wärterin mit den Kleinen entfernt hatte, fuhr sie fast neckend fort, während sie die Blumen ordnete, die Kronfeld im Eifer seines Vergleichs auf den Tisch geworfen:
Du scheinst einen ganz außerordentlichen Werth auf eine möglichst frühe und möglichst vielseitige Entwickelung zu legen. Müssen denn nun unsere Söhne durchaus in der Diplomatie Pferde zureiten und im Küraß ministerielle Noten dechiffriren?
Warum nicht? wenn sie es gescheiter machen als ihr Papa, nicht vom Gaule fallen,
wenn er durchgeht, und sich nicht gerade in dem Augenblicke
Sie standen, zwei vollkommen edle, wahrhaft schöne Gestalten, neben einander, der Graf war lichtbraun, groß, von aristokratischem, doch kräftigem Gliederbau; man sah ihm weder den frühen Lebensgenuß, noch die frühe Geistesarbeit an.
Warum, fragte er weiter, sollten sie nicht eben so lebhaft an ihrem Vaterlande
hangen wie ich? Warum sollen die Jungen zu ihrer Zeit nicht auch für die Freiheit
schwärmen und sie jubelnd begrüßen, ohne daß sie deshalb gerade Wartburgenser zu
werden brauchen, oder gar ihr Ehrenwort brechen, wie leider, leider so Mancher
unserer jetzigen Jugend? Ist es mir selbst doch schwer genug geworden, den
Weil sie keinen Freiheitskrieg wirklich mit zu durchfechten haben werden, weil, eh' sie erwachsen, ganz andere Interessen die Welt bewegen müssen, und endlich, weil es eben dem Herrn Papa recht sehr schwer geworden, den kurzen Kriegestraum zu vergessen, die Uniform wieder an den Nagel zu hängen und in die alte abgemessene Laufbahn zurückzukehren.
Kronfeld seufzte. Sehr wahr, indessen habe ich mich doch darein gefunden.
O ja, bis auf das Zureiten wilder Pferde, was, soviel ich weiß, nicht zum Chargé d'affaires gehört.
Immer kommst du darauf zurück.
Weil es uns zurückbringt in's Vaterland,
Wollen sehen, brummte Kronfeld. Ich bin aber genesen, und es kann auch anders kommen, und wäre überhaupt gar nicht dahin gekommen, wenn die italienischen Aerzte besser wären, und wenn die dumme alte Wunde nicht gerade dem Armbruch so nah' – ich hätte bleiben können, sollen.
Roderich! Du hast Mutter und Schwester am Brustleiden verloren.
Aber Josephine? ist sie nicht gesund und kräftig? bin ich's nicht auch? Haben mich die vielen Reisen angegriffen? Hast du mich vor dem unglücklichen Sturze klagen hören?
Anna wollte etwas erwidern, als sie durch den Eintritt einer alternden, trotz den
ergrauenden Haaren noch immer hübschen Frau unterbrochen ward, deren äußere
Erscheinung zwischen der einer Dienerin und einer bürgerlichen
Kann weder der Jäger, noch der Bediente sie bringen, Sophie? fragte der Graf, etwas gereizt. Sie wissen, ich liebe dergleichen Unordnungen im Dienst nicht.
Verzeihung, Herr Graf! aber –«
Mein Gott! rief Anna, welche die Karte angesehen, mein Vetter Otto!
Was? der kleine Bergstudent, der deinetwegen in die weite Welt lief?
Das ist ja kaum möglich, sagte Anna, die Karte wieder und wieder überlesend, der ganze Mensch ist ja doch erst fünfundzwanzig Jahre alt.
Wird auch nicht so arg sein, meinte Kronfeld. Ma bonne ist immer freigebig gegen ihre Lieblinge gewesen und hat auch mich vom Secondlieutenant zum Hauptmann avanciren lassen.
Aber der Herr Graf sind es ja doch auch nachher geworden, sagte seufzend Sophie, eine weit zurückliegende Erinnerung umflorte ihr Auge.
Leider ja, durch das Abschiedspatent. Ach,
Die Kinder waren längst wieder hereingeschlichen, sie hingen an Sophie wie Kletten.
Jungens, wollt ihr einen Hofmeister haben?
Von Pfefferkuchen, Papa? fragte der kleinste.
Nein, nein! schrie der älteste, ich mag keinen Hofmeister.
Anna stand immer noch da, wie eine Träumende; es war dunkel geworden, die Bedienten hatten den Thee servirt und Licht gebracht. Sie schaute gedankenvoll in die kleinen Flammen derselben, wie früher in die leuchtenden Alpen hinein; endlich sagte sie gepreßt: Ich wollte, ich hätte ihn wiedergesehen.
Fürchtest du die Erinnerung? fragte Kronfeld.
Ich bitte dich, liebe Anna! sprach Kronfeld, plötzlich wie durch Zauber ein Andrer geworden, indem er so edel und ruhig vor sie hintrat, daß sie unwillkürlich zusammenschrak, als habe sie etwas Ungerechtes gedacht, ich bitte dich, bedenke, wie sehr dieser junge Mann dich geliebt hat und was er gelitten haben mag; sei besonnen! Ich will noch einen Augenblick zu Lady Frederic hinübergehen, fuhr er französisch, mit einer leichten Wendung zu Sophien fort, bringen Sie die Knaben zu Bette oder übergeben Sie sie der Betty; ich kehre bald zurück. Wenn der Herr Professor Schulze kommt, wird Madame wol die Güte haben, ihn anzunehmen und zu unterhalten, bis ich wieder hier bin.
Anna blieb allein. Sie hatte längst ihre heitere Fassung wieder errungen, als nach
etwa
Lieber, lieber Otto! rief Anna, ihm die Hand reichend, wie freue ich mich, daß du da bist.
Wirklich, Anna! wirklich? es freut dich? Er zog ihre Hand einen Augenblick an sein Herz, ließ sie aber sogleich wieder los. Nun, so freut es mich auch.
Ohne ihre Aufforderung abzuwarten, setzte er sich, gepreßt nach Athem ringend, auf
einen
Und du bist schon Professor, Otto? nahm endlich Anna das Wort, und wo?
Vorläufig nur in Basel. Ich bin nach der Schweiz gekommen, um einige Localbeobachtungen zu machen. Eine Entdeckung, die mir in die Hand gefallen, hat mir hier überall die Leute gewonnen. Sie haben mir die in Basel erledigte Professur angeboten, die manche Vorzüge hat; meine Zeugnisse waren gut. Ich habe die Stelle angenommen. Ein paar Jahre werde ich bleiben. Ich studire Schwedisch, ich will später zu Berzelius, er ist der Einzige, der mich anzieht. Davy ist noch in Italien.
Du bist gerade so geworden, wie ich mir
Ja, siehst du, erwiderte Otto und wurde feuerroth, ich sagte dir's im Voraus. Du aber bist sehr vornehm geworden, eine Gräfin, eine große Dame, du hast Lakaien und Jäger, Kammerdiener und Zofen, und du hast auch noch deine prächtige alte Madame Sophie, von der du mir so oft erzähltest; ich habe sie den Augenblick nach deinen Worten wieder erkannt.
Ach, die Arme, fuhr Anna fort, froh, das gefahrlose Thema erfassen zu können, sie hat vor einigen Jahren ihren durch so viele Gefahren hindurch geretteten Sohn nun doch verloren. Der arme junge Mann ist an den Folgen einer Wunde gestorben, die er an den Ufern der Beresina erhalten hatte.
Wir waren nach Italien gegangen; Kronfeld konnte nach mehrjährigem Kriegsleben
sich nicht sogleich an die diplomatische Laufbahn gewöhnen,
O! sagte Otto, das ist natürlich, du bist unglaublich schön geworden; aber ich – hätte unter Tausenden dennoch dich erkannt.
Als ich den Klang der lieben, wohlbekannten Stimme hörte, rief ich laut ihren
Namen; sie fiel ohnmächtig auf das Steinpflaster, noch ehe ich sie in meinen Armen
aufzuhalten vermochte. Wir ließen sie sogleich nach unserer Wohnung bringen, von
da an hat sie bei uns
Kinder! Du hast Kinder? Eine nicht zu bewältigende Rührung überhauchte die aufblitzende Empörung in Otto's Zügen. Er schwieg. Auch Anna fand kein Wort; es war gut, daß eben jetzt Kronfeld eintrat. Nach einer Stunde schon standen Anna und Otto einander ohne Verlegenheit gegenüber. Beim Abendessen hatten die Männer bereits eine Menge gemeinschaftlicher Gesprächs-Interessen und jede Spur von Verlegenheit war verschwunden.
Anna ging früh auf ihr Zimmer. Sie fühlte sich todtmüde. Denken mochte sie nicht.
Kronfeld fand sie schlafend, als er durch ihre Stube
Am nächsten Morgen war Anna ihrer vollen Kraft sich wieder bewußt. Nein, sagte sie, ich wäre doch nicht glücklicher mit ihm. Was er forderte, hatte ich damals nicht, hätte es wol auch jetzt nicht für ihn. Er wird mich vergessen; er hat es wol schon tausend Mal gethan in dieser langen Zeit. Aber ihr Herz strafte sie Lügen.
Otto hatte sie nicht vergessen; er hatte nur nicht Zeit gehabt, den Schmerz zu
hegen, der ihn so gewaltig ergriffen, denn er hatte zuerst sich in den Krieg
gestürzt, und als dieser endete, tief in seinen Studien sich vergraben. Die
Nachricht von Anna's Heirath hatte ihn, da sie gleich nach Beendung des ersten
Feldzugs vollzogen worden, schon in Paris erreicht.
Die ersten Tage vermied er sie, dann führte ein Zufall ihn ihr wieder zu. Sie hatte sich auf eine so verwandtschaftlich sichere Weise zu ihm gestellt, daß ihm sehr bald bei ihr am ruhigsten zu Muthe ward.
Männer wie Otto, die ihre Kindheit und Jugend in den Mittelständen verlebt haben,
sind dem Einfluß des aristokratischen Benehmens vornehmer Frauen in hohem Grade
ausgesetzt. Ohne eben verlegen zu sein, fühlen sie dennoch in höheren
Gesellschaftskreisen sich etwas unsicher; um Alles in der Welt möchten sie keinen
Verstoß begehen, besonders plagt sie eine
Und nun Anna, Anna, die mit dem sichersten Weltanstande das einfache, wohlwollende
Gefühl eines Kindes vereinte, Anna, die nichts für sich suchte, keine Art
heimlichen Strebens hinter angenommenen Formen barg, in der Alles
Und doch war Otto keiner von den Männern, die sich die Vergangenheit absprechen,
sie
Anna dagegen berührte das Verlassen ihres väterlichen Hauses ungern. Es war der Wendepunkt ihres Daseins gewesen, es hatte ihrer Existenz eine andere fremdartige Färbung gegeben, die sie nicht mit Bewußtsein sich gewählt, die nicht ihr ganzes Wesen durchdrungen; in einzelnen Stunden war sie sich dessen bewußt.
Wenn sie von ihrer Mutter sprach, war es
Anna ehrte die christlichen Dogmen aus innigster Ueberzeugung, nur, äußerte sie oft, hat Christus selbst zu wenig über den Tod gesagt, denn die Auferstehung erklärt den Tod nicht; sie springt über das Grab hin aus in einen neuen Zustand mitten hinein.
Auch die Fabel der Alten, das schöne Bild geistiger Verklärung, der
Psyche-Schmetterling, genügte ihr nicht. Die Raupe ist geflügelt worden, hat ihre
Farben gesteigert, ihre Formen entwickelt und hinterläßt die Larve, wie eine Blume
ihre Knospenkapsel, aber des Menschen Leib verwelkt und bricht endlich ganz und
gar
Als du ein Kind warst, erwiderte Otto lächelnd, hast du mich oft mit dergleichen
Fragen und Aeußerungen geplagt, die ich, der Sprache nie sonderlich mächtig, dir
nicht zu beantworten vermochte. Weißt du noch, wie ich mir damals half? Ich zeigte
dir auf einem der Blätter im großen Bilderbuche der Natur die Antwort. Ich will's
heute wieder so machen und aus unscheinbaren Substanzen, aus Gas und formenlosen
Stoffen eine Gestalt dir erwecken, die wir zu den Urformen der unorganischen Natur
zählen. Er ließ nach bekannten chemischen Proceduren einige Stoffe sich
krystallisiren und fragte ganz trocken: Auf die Größe kommt es dir doch nicht an?
Nun, könnte denn die flüchtige Substanz der Seele im Uebergange
Du bist, sagte Anna, trotz all deiner Gelehrsamkeit immer noch der alte philosophirende Phantast, und glaube mir, ich bin immer noch das gläubige, aus allen Kräften der Seele aufhorchende Kind.
Ja, ja, sagte Kronberg ein wenig schläfrig, Sie beide harmoniren als unbewußte Poeten im Märchenfache, das merke ich; gedenken Sie aber einmal der Realität eines unpoetischen, ungelehrten, krüppelhaften –
Und krystallisiren Sie ihn in seine Urform als Whistspieler, setzte Anna scherzend hinzu.
Allerdings spielte ich gern, wenn wir einen vierten Mann hätten.
Und alle Drei setzten sich lachend an den Spieltisch und Kronberg fand seine Frau allerliebst.
Kronberg war ein wirklich gebildeter, unterrichteter Weltmann; die Naturwissenschaften aber waren damals keineswegs ein Gemeingut der Gesellschaft. Nur wenn durch seine Anwesenheit ein hochberühmter Reisender sie zum belehrenden Gesprächsstoff umschuf, erweckten sie ein durchgehendes Interesse, das demnach in den meisten Fällen entschieden der Persönlichkeit des Erzählers viel zu danken hatte.
Es war daher Kronberg durchaus nicht zu verargen, daß ihn Otto's Gespräche
mitunter langweilten und er sich ärgerte, daß, wie er oft Annen versicherte, ein
so grundgescheiter Mensch nicht im Stande sei, eine ordentliche Conversation
Eigentlich hatte Otto überhaupt noch nie ordentlich mit einer Dame gesprochen; die jungen Mädchen, mit denen er auf selten besuchten Bällen verkehrt hatte, verstanden es eben so wenig als er, ein fortgesetztes Gespräch zu führen. In so jungen Jahren ist es meistens der Liebe allein vorbehalten, die Brücke des Verstehens zwischen den Geschlechtern zu schlagen.
In Bern erst war er einem Mädchen begegnet, mit der zu reden ihm gelungen war, er
wußte kaum selbst, wie es zugegangen. Es war die Tochter eines armen
Schreiblehrers. Der Vater, gelähmt und altersschwach, wünschte sie in einem
Institute, in welchem er selbst bisher den Dienst versehen, an seiner Statt als
Lehrerin unterzubringen. Die dem Plane sich entgegenstellenden Schwierigkeiten
hatten Otto in dem Hause, in welchem er bei einem älteren
Trotz ihrer niederen gesellschaftlichen Stellung war das Vrenely ungemein beliebt in Bern. Der Vater mochte auch wol bessere Tage gekannt haben, wenigstens hatte er seinem Töchterchen eine sorgfältige Erziehung gegeben. In einigen höheren Kreisen freundlich aufgenommen, hatte das schöne junge Mädchen durch die Lieblichkeit seiner äußeren Erscheinung, durch die Anspruchlosigkeit seines ganzen Wesens die regste Theilnahme sich erworben.
Vrenely war durchaus von Anna verschieden; sie hatte wenig Muth, aber viel
Pflichtgefühl, das den Mangel an jenem übertrug, und so unternahm sie in fast
gleicher Lage mit der, aus welcher Anna zu ihrer jetzigen Stellung
Vrenely war, wie sonst wol eigentlich echte Katholiken zu sein pflegen, fromm und
still die lange Arbeitswoche, ja den ganzen Sonntagsmorgen hindurch, dann aber
nach vollendetem Geschäft fröhlich und guter Dinge, als breite das Leben einen
Reichthum von Festtagen um sie her. Sie hatte den vollen kräftigen Wunsch, das
Dasein zu genießen, aber auch den Genuß
Da sah Otto unvermuthet Annen wieder. Es war vorbei, er dachte nicht mehr an das
Vrenely; er kam gar nicht mehr herunter zur
Anna war wirklich unbefangen geworden; sie hatte die kurze Störung einer ihr unsäglich lieben Vergangenheit vergessen wollen, um den Jugendfreund sich zu bewahren, und es war ihr gelungen. In solchen Fällen ist das Gemüth der Frauen beweglicher, ja wechselnder, als das der Männer.
Mit jedem Tage fühlte sich Kronberg mehr und mehr gesunden; er betrachtete sich
als völlig hergestellt und stand in eifriger Correspondenz mit dem Fürsten H., dem
allgewaltigen Minister, der ihm gewogen war und durch dessen Gunst er eine
wirkliche Gesandtenstelle in Rom, Florenz oder Neapel zu erlangen hoffte. Die
nächsten Wochen, oder wenigstens die nächsten
Die Verhältnisse in Deutschland waren ihm unangenehm, sie drückten ihn. Mit einer
rein legitimen, fast ritterlich poetischen Anhänglichkeit an König und Vaterland,
die ihm sein kurzer Kriegerstand zurückgelassen, verband er den schon damals
erwachenden, in unsern Tagen so allgemein und allgewaltig heranwachsenden Drang
nach persönlicher Freiheit; die amtlichen Verhältnisse, wie günstig sie sich ihm
auch gestalten mochten, ekelten ihn an; die für ihn zu hoffende Carrière, welche
ihn unter unmittelbare Leitung des Ministeriums stellen mußte, genügte ihm
durchaus nicht; nur ein Gesandtenposten, wo möglich der eines Ministerresidenten,
gewährte, selbst wo er ihm die größten Rücksichten aufzubürden schien, seiner
Ansicht nach, die Garantie einer persönlichen Unabhängigkeit,
Aber, sagte ihm Otto in einer langen Unterredung über diesen Gegenstand, fühlen Sie denn nicht, Herr Graf, daß im Verhehlen einer Gesinnung, in Darstellung irgend einer Thatsache, deren Färbung ein bestimmter Zweck bedingt, auch ein Zwang liegt? Und sollte dieser nicht größer sein als der eines Amtes, das seine feststehenden Formen und seinen festsitzenden Schlendrian mit sich führt?
Lieber Freund! erwiderte Kronfeld, man wird identisch mit seinem Staate und
verhehlt, beschönigt, verschweigt gerade so, wie etwa der Einzelne in der guten
Gesellschaft sich gern von der besten Seite zeigt. Glauben Sie mir, der Triumph
eines feinen Diplomaten ist der süßeste auf Erden, – ausgenommen der einer schönen
Frau, schloß er lachend, zu seiner Gemahlin
Otto fühlte sich unangenehm berührt, ja wunderlich geärgert und verletzt. Diese Galanterie, mochte sie noch so zart und ritterlich sein, verwundete ihn jedesmal, wenn Anna der Gegenstand derselben war. Sie war ihm so heilig und er noch ein recht gläubig Liebender. Er ließ das Gespräch fallen.
Kronfeld glaubte, er habe ihn nicht verstanden. Diese Gelehrten, sagte er verdrießlich zu sich selbst, vermögen mit ihrer mathematischen Weisheit die Sonnenstäubchen zu berechnen, aber im gemeinen Leben können sie nicht drei zählen. Wenn's Glück gut ist, meint der, ich wolle den p.....schen Staat auf meine Schultern nehmen und durchs Weltmeer tragen, wie St. Christophorus den Herrn!
Anna sah Beide an und lächelte, sie verstand Beide, nur hielt sie Otto's Liebe für
Otto fing indessen doch allmälig an, sehr zu leiden; er sah täglich mehr ein, daß
Anna
Auch Vrenely ward des eigenen Herzens sich mehr und mehr bewußt; es war so finster
in ihrer Seele geworden. Der frohe Muth, mit dem sie sonst allmorgendlich
erwachte, war plötzlich wie versunken in ihrer Brust. Wie ward ihr Alles so bitter
schwer. Sie hatte nun die lange gewünschte Stelle erhalten; sie konnte ihren alten
Vater ernähren und pflegen – aber,
Sie besann sich jetzt auf jedes Wort, das er früher mit ihr gewechselt, – das
hatte sie sonst auch wol Nachts oder in einzelnen freien Stunden, und, ach! wie
gern gethan, aber damals war es ihr immer vorgekommen, als enthalte die ganze Welt
nichts Schönes oder Edles, das sie nicht mit ihm besprochen – nun sie es sich so
recht innig-grausam überlegte, hatte er ja nur ganz oberflächlich von dem
Nächstliegenden zu ihr geredet. Er hatte ihr Vieles erzählt, aber vielleicht hatte
er damals schon bei dem Allen gar nicht an sie gedacht, sondern immer
Otto ahnte von dem Allen nichts. Gibt es etwas Traurigeres, als dieses Nebeneinanderleben und Leiden, wo keiner auf den Andern sieht, ja nicht einmal die Qual eines nahen und liebenden Herzens beachtet? Und jeder meint dennoch, eine Unermeßlichkeit der Empfindung in sich zu tragen, und sie reicht nicht einmal für den dicht neben ihm Stehenden, neben ihm Weinenden aus!
Das Ende der Herbstferien nahte, mit Entsetzen dachte Otto des Augenblicks, der
ihn von Annen trennen mußte. War er schon nicht glücklich in ihrer Nähe, empfand
er dennoch einen Todesschauer bei dem Gedanken, die Abende, die er jetzt
großentheils bei Kronfelds zubrachte, künftig ohne sie in Basel durchleben zu
müssen. Unwillkürlich ging er jeden Tag etwas
Eines Abends, als er dem Hause zueilte, gewahrte er den Reisewagen des Grafen, der eben, schwer bepackt, aus dem Hofthor und die Straße entlang rollte; Duguet, mürrisch, in seinen dicken Pelz gehüllt, saß auf dem Bock – das mußte nach Norden, die Nacht hindurch, weit, weit gehen, großer Gott! war sie ihm denn schon wieder verloren?
Das nämliche Gefühl, mit dem er einst den Brief aus der Hand legte, der ihm Anna's
Reise nach Berlin verkündigt hatte, überfiel ihn jetzt mit plötzlicher Gewalt und
wälzte sich erstickend auf sein Herz; ihm vergingen die Sinne. Ohne zu bedenken,
daß er auf offener Straße sei, lief er dem Wagen eine weite Strecke nach; als die
Unmöglichkeit, ihn zu erreichen, endlich seine Schritte hemmte, stürzte er eben so
mechanisch in wilder Hast zurück und dem Hause zu, das
Der starke Mann zitterte wie ein Kind und hatte lange nicht den Muth, die sechs
Schritte zu thun. Endlich öffnete er die Thür des Salons; am Tische saß das
Vrenely zwischen den
Zum ersten Mal durchzuckte ihn eine Erinnerung an sein früheres Benehmen gegen das Mädchen, welches schon wieder zwischen den Kindern saß. Seit den acht Tagen, da die Stunden begonnen, hatte sie ja Zeit gehabt, auf diesen innerlich schon hundertmal durchlebten Augenblick sich vorzubereiten, sie beugte sich unter dessen Gewalt, wie eine Lilie unter dem aufstürmenden Nachthauch, aber sie blieb gefaßt. Anna war ruhig, wie immer; sie blickte sinnend bald Otto, bald das Vrenely an. Ob er sie liebt? fragte sie sich leise und eine helle Röthe überflog ihre Wangen; sie wußte ja, er liebe sie selbst.
Du! er nennt sie Du! widerklang es in Vrenely's Herzen.
Fort, ohne dir Lebewohl gesagt zu haben? wie wäre das möglich, Otto!
Hast du es nicht bereits einmal gethan? fragte Otto sehr bitter. Zum ersten Mal war er empört über Anna's Unbefangenheit.
Die Röthe auf ihren Wangen wich, sie ward blaß, sehr blaß. Du solltest jetzt und
überhaupt niemals mich daran erinnert haben, Otto! es wäre großmüthiger gewesen,
edler. Du hast Kronfeld's Reisewagen gesehen, er ist nach Karlsruhe. Der Minister
H. kommt auf der Rückreise dort durch. Roderich will ihn sprechen. Es hat sich
schnell, in wenig Stunden gemacht.
Vrenely saß mit dem Rücken gegen die Sprechenden gewandt, aber sie hörte das
halblaut geführte Gespräch. Sie hatte ihre Stärke überschätzt, das empfand sie
jetzt erst. Hatte sie doch das ganze Anerbieten, den Kindern Stunde zu geben, nur
angenommen, weil sie Ihn sehen wollte. Ihn neben ihr! Es war ihr gewesen, als
müsse sie dann mit einem Male genesen von all der Qual, oder daran sterben,
Anna und Otto standen in einer Fensterbrüstung vor einander und sahen sich wehmüthig an, das Vrenely hatten jetzt Beide vergessen.
Anna, flüsterte er endlich, die dargebotene Hand leidenschaftlich an sich ziehend, ich habe es lange schweigend ertragen. Warum hattest du mir das gethan! War ich dir denn damals gar nichts? Ist dir denn in diesen vielen Jahren nie eingefallen, was du in mir zerstört, was ich um dich gelitten.
Otto, ich war ein Kind, funfzehn Jahre. Kannte ich denn das Leben, wußte ich, was ich that? Jetzt weiß ich es, ich hätte anders handeln sollen und müssen. Ach! glaube mir, es hat mir oft unsäglich leid gethan.
Wo wäre die Liebe, die bei solchen, wenn
Anna erschrak, sie wußte nicht, was zu thun; sie empfand ihre eigne
Unvorsichtigkeit, ihrer
Mußt du die Wege noch weiter von einander leiten, Otto? fragte sie mit einem
unaussprechlich trüben ernsten Ausdruck. Aber der Schmerz hatte ihn überwältigt;
er zitterte heftig und griff in der Aufregung nach einem in der Nähe stehenden
Tischchen, um sich zu stützen; die auf demselben befindlichen Gläser klirrten
gegeneinander und Vrenely wandte unwillkürlich den Kopf. Er weinte; nun wußte sie
ja Alles! und so ganz war sie vergessen, daß er in einem solchen Augenblicke nicht
einmal ihre Anwesenheit gewahrte. Auch das Mädchen weinte heiß und still, aber die
arbeitgewohnte Hand führte dennoch die kleine Hand des Knaben,
In Anna's Seele regte sich jetzt zum ersten Mal eine Ahnung der tiefen
Leidenschaft, die Otto seit Jahren für sie empfunden und treu bewahrt hatte, und
vor ihr richtete, einem Gorgonenhaupte gleich, die Verantwortlichkeit sich auf;
der leiseste Hoffnungsschimmer mußte ihn verwirren, die entschiedene Zurückweisung
konnte seine Thatkraft hemmen im Augenblicke ihrer Entwicklung. Ach, und die Seele
hat auch ein Janushaupt mit doppeltem Antlitz! Mitten in diese wahrhaft edle
Empfindung mischte sich der egoistische Schmerz: Beide nicht glücklich, beide
liebelos den langen leeren Weg des Lebens! Noch nie hatte Anna so klar sich's
einzugestehen gewagt, daß sie ihren Gemahl eigentlich nie geliebt; vor der
ungeheuern Wahrheit in Otto's Gefühl brach plötzlich diese
Gerade dies Schweigen vernichtete den letzten Rest der Kraft in Vrenely's Brust;
sie hielt diese plötzliche Stille für den lautlosen Ausdruck des Glücks, weil sie
selbst wortlos so unsäglich glücklich gewesen; ihr war, als stürbe sie in diesem
Augenblick, ihr Köpfchen sank auf die Lehne des Stuhls, auf welchem ihr kleiner
Zögling saß, und unaufhaltsam flossen ihre Thränen. Da trat Sophie zu ihr, die vor
wenig Secunden durch die Alkoventhür hereingekommen war; die Stunde hatte
geschlagen, ma bonne wollte die Knaben abholen. Der kleinste saß in seinem hohen
Stühlchen fest eingeschlafen, Vrenely hatte es nicht bemerkt; der ältere schrieb
noch, aber in immer krauseren
Sie sind unwohl, liebe Mamsell, sagte sie leise, indem sie hinter des Mädchens Stuhl trat, um die Weinende mit ihrer Gestalt den im Fenster Stehenden zu verdecken. Fürchten Sie nichts, es hat's niemand gesehen. Kommen Sie, wir wollen auf mein Zimmer oder in den kleinen Hausgarten gehen; es ist beklommen hier, frische Luft wird Ihnen wohlthun.
Vrenely richtete das freundliche Auge dankend zu ihr auf, an den langen schwarzen Wimpern hingen die hellen Thränen, wie Thau an einer dunkeln Blume; sie war keines erwidernden Lautes mächtig.
Die Kinder – der Kleine war erwacht – sprangen fröhlich auf die Mutter zu, Anna beugte sich liebkosend zu ihnen nieder; ihr Herz ward stiller.
In Otto regte sich plötzlich bei diesem Anblicke
Vrenely war aufgestanden und schwankte eben an Sophiens Arme der Thüre zu; der leise Aufschrei traf ihr Ohr. Unfähiger noch, seinen als den eigenen Schmerz zu ertragen, erlag das arme Kind so vielen zugleich es bestürmenden heftigen Gefühlen, es fiel ohnmächtig in ma bonne's Arme und mußte hinausgetragen werden in deren Stube.
In tiefster Seele erschüttert, blieben Otto und Anna zurück, des Mädchens Schmerz
hatte zu unwiderlegbar laut gesprochen, er bedurfte wenigstens vor diesen Beiden
keiner Erklärung. Lange fanden weder sie noch er ein Wort, Otto stand mit
untergeschlagenen Armen, als trotze er der neuen Qual, die ihren Schatten über
seine Tage legte; die Gräfin saß wie am ersten Abende im Fauteuil am Fenster, aber
sie blickte
Was wirst du thun? fragte sie endlich.
Ich weiß es nicht, antwortete er wild, und es kümmert mich nicht; ich bin an dem allen nicht Schuld. Leide ich denn etwa nicht?
Otto, sagte sie sehr sanft, ich glaube, du mußt uns so bald wie möglich verlassen.
Du willst mir die einzige kurze Freude meines geknickten Jugendlebens misgönnen? Bleibt mir denn etwa außer diesen paar Augenblicken mit dir noch so gar viel, daß ich sie wegwerfen könnte, wie welke Blüten, oder sind sie dir eine Last? Hat dich meine Leidenschaft etwa überlaufen wie ein zudringlicher Gläubiger? Habe ich irgend etwas verlangt? dir eine Untreue, eine Erwiderung aufgebürdet? Ich will ja nichts von dir, als deine Gegenwart, die jeder Bettler hier mit mir theilt.
Ich weiß es nicht; aber sie hat sich geliebt geglaubt. Ein Recht dazu konntest du auch ohne Worte ihr geben – – und mußt es irgendwie gethan haben; das Kind ist so bescheiden. O, glaube mir, es ist gut, ja nöthig, daß du gehst. Werde ich dich denn nicht vermissen? Ach, ich hatte mich ja so unbeschreiblich auf Basel und unser Wiedersehen dort gefreut!
Nun, Anna! nun?
Ich irre vielleicht, wir Frauen verstehen ein
Du? rief er, auf sie losstürzend, als wolle er ihr zu Füßen sinken, du schuldig, und durch mich? Engel! und worin? Er preßte ihre zitternden Hände gegen seine glühende Stirn, dann eilte er fort.
Mehre Tage traf er sie nie allein. Er hatte anfangs wegbleiben wollen, doch es
nicht vermocht. Jetzt fand er sie beständig von Sophien und ihren Kindern umgeben,
sogar Frauen aus Bern als Besuchende bei ihr. Nie war ihm Anna reizender
erschienen, als in diesem milden, besonnenen Versagen, in dieser Scheu vor allem
Unrecht; aber ihre Absicht erreichte sie nicht, denn sie entflammte ihn nur zu
immer heftigerer Leidenschaft. Sie bedachte nicht, daß sein ernster, einfacher
Sinn sie ohnehin jetzt
Vrenely war krank geworden. Anna besuchte sie täglich; sie erzählte ihr, wie zufällig, von ihren Kinderjahren und der schönen mit ihrem Vetter verlebten Jugendzeit. So schien äußerlich alles beschwichtigt und in das alte Geleise zurückgekehrt; die Stunden mit den Kindern sollten nächstens wieder beginnen. Otto hätte wahnsinnig werden mögen, jede Regung seines Wesens fühlte er gezügelt und tief im Innern den gigantisch tobenden, blind wüthenden Schmerz.
Mit bewundernder Schwärmerei schloß sich das arme Mädchen der schönen gütigen Frau
an, die ihr so viel Wohlwollen erzeigte; sie glaubte Sophien, die ihre Ohnmacht
dem plötzlichen Eintritt der Krankheit zuzuschreiben schien,
Dennoch müßte dieser künstliche Bau eines erträglichen Zusammenlebens zu einem sehr zweifelhaften Glück für alle geworden sein, hätte nicht ein ganz unerwarteter Brief Leontinens dem Augenblick plötzlich eine neue Färbung und neue Interessen aufgedrungen. Sie schrieb:
»Thue mir den Gefallen, herzliebe Anna, gleich bei Empfang dieser Zeilen so recht
gründlich auf mich zu schelten; sage: ich sei von einem Leichtsinn, den man bei
meinen einundzwanzig Jahren nicht zu entschuldigen vermöge. Meine Unüberlegtheit
und Koketterie müßten und würden mich gewiß noch in unabsehbare Abgründe stürzen;
auf diese Weise müsse ich geistig und körperlich zu Grunde gehen. Letzteres,
Wenn du nun im Zuge bist, kannst du gleich sagen, daß ich bei einem Haar zwei
höchst achtbare, treffliche Kavaliere durch meine entsetzliche Frivolität auf
zeitlebens elend gemacht haben würde, wenn sich diese lieben Kreaturen Gottes
nicht glücklicherweise gleich mit einem zweiten Meisterstück der Schöpfung
getröstet hätten. Wirf mir nun auch noch vor, daß ich bei der letzten an mich
ergangenen, jedenfalls unverdienten Bewerbung, weil sie etwas sehr lange dauerte,
am Ende nicht mehr recht Acht gab, aufsprang und beinahe – aber nur beinahe – in
der Zerstreuung davongegangen wäre und den Freier stehen gelassen hätte, ohne
alles abzuwarten, was er vorzutragen für nöthig fand. Ach, liebe traute Anna!
zeichne mich schwarz, so recht kohl-pech-raben-sünden-schwarz, dann
Nun bin ich aber in Solothurn, zwei, drei Meilen von euch, und meine Babet sitzt neben mir, betrachtet verzweifelnd meine zerknitterte Haube und meinen entfärbten Kapot, und versichert: daß sie nicht weiß, wie das alles enden soll! – Nun gerade so weit bin ich auch.
Im Grunde war die Geschichte ganz einfach Als die Saison in Baden beendigt,
wollten wir, wie du weißt, nach Straßburg, wo Geierspergs Nichte heirathen und wir
– das heißt ich – dazu tanzen sollten. So weit war alles gut; nun aber denke dir
meinen Todesschreck, macht uns am zweiten Tage unseres Aufenthaltes dort mein
frühester, ehemaligster
Und nun geht das Anhalten noch einmal los, und ich bin in dem letzten halben Jahre um ein ganzes älter geworden, denn Geiersperg erklärt mir peremptorisch, ich sei mündig und ganz mein eigner Herr, vermuthlich aber nicht meine eigne Frau, da ich, wie Babet sagt, absolument seinen Vetter Albert nehmen soll.
Ich höre das alles an, sage nicht ja, nicht nein. Nun wird der General zornig und
fragt: Misfällt dir sein Aeußeres? – Gar nicht, Papa. – Ist er nicht gebildet,
wohlhabend, Graf? Was kann in seinen Verhältnissen dich abschrecken? – Rien au
monde, papa. – Hast du irgend eine andere Neigung? – Für den Augenblick, nein,
Papa. Nun ging ein entsetzliches
Da habe ich vermuthlich ›ja‹ gesagt; denn gleich darauf ging's an ein Herzen, Küssen, Danken, Gratuliren daß es eine Lust war.
Nach der Hochzeit der Cousine machten wir alle eine kleine Reise nach Trier,
Albert immer mit; wir sahen schöne Alterthümer und unverfängliche Leute; es ging
prächtig. Gerade unter der Porta nigra überkömmt mich der alte Ennui. Ich fange an
zu experimentiren, gerade wie in der Pension. Bald servire ich ihm heiß, bald
kalt, bald glüht er, daß er fast besinnungslos zu meinen Füßen liegt, bald schilt
er mich, wird bitter, heftig, scharf, schroff. Das war doch nun wirklich endlich
eine Abwechselung,
Babet hat den Stein der Weisen gefunden, denke ich, und kurz, wie wir eben von St.
Bern-Kastell aus das himmlische Moselthal entlang schauen, sage ich: Albert, wir
wollen es doch lieber gut sein lassen, wir passen doch nicht für einander! Und wie
nun so recht das Lamento und die ganze betrübte Geschichte im Gange sind, fängt
mir der Mensch an zu weinen.
Und da fiel mir wie ein Lichtstrahl meine Anna ein, mit ihrer festen, treuen,
starken Seele, und mein verehrter schöner Onkel, dem ich nicht die Hand, aber die
Stirn küsse – halt! denke ich, nach Bern fährt gewiß ein Eilwagen, oder du nimmst
einen Char à banc, die Babet packt so etwas nothwendigstes Zeug zusammen, und du
flüchtest zur Tante Anna. Gesagt, gethan; wir erreichen Abends Kehl, Straßburg
gegen über, wo wir übernachten sollen, wir trennen uns ziemlich spät ganz doloros
Die Solothurnerinnen tragen häßliche Mützen. Hier im Hause ist eine Dirne aus
Schwyz, diese
Deiner thörichten Leontine.«
Duguet ist mit dem Grafen fort, und sie will allein in der Nacht fahren? schoß es ihm durch die Gedanken. Er eilte ihr nach; sie stand im Vorzimmer, von ihren Leuten umringt, denen sie ihre Befehle gab.
Anna! sagte Otto sehr sanft und ernst, es wird spät werden, laß deinen Jugendfreund dich begleiten.
Sie sah ihm fest in die Augen; eben in diesen immer ganz einfachen Worten lag
Otto's Gewalt, tausend Eide hätten sie nicht sicherer gestellt. Sie fühlte das,
und das Bewußtsein der edeln Zuverlässigkeit dieses Charakters leuchtete einen
Moment auf in ihr, fast wie ein Glück. Schweigend bot sie ihm die Hand.
In diesem Augenblicke übertönte das lustigste Charivari von Posthornklängen, Jauchzen und Schreien, Jubeln und Lachen ihre Worte; unwillkürlich eilten beide an's Fenster, unten hielt Kronberg's Wagen. Er selbst stieg eben heraus, ein junger Mann stand bereits am Schlag, den Rücken dem Fenster zugekehrt. Ehe noch Otto's fragender Blick dem ihren zu begegnen vermochte, legten sich zwei warme weiche Händchen auf Anna's Augen; sie wandte sich rasch, es war Leontine, Leontine in all ihrer Frische, in all ihrer glänzenden Heiterkeit.
Bist du mir bös? fragte unter tausend Liebkosungen der süßeste Schmeichellaut einer weiblichen Stimme. Bist du mir wirklich ganz bös? Aber es war schwer, ihr zu zürnen, wenn man sie ansah.
Leontine war blond, aber von jenem durchleuchtenden
Aber wie kamst du zum Onkel? fragte Anna nach den ersten Ausbrüchen der Freude; wie du, Kronberg, zu Leontinen?
Par compagnie, wie der Staar von Segringen ins Netz kam, würde Freund Hebel sagen, antwortete lachend Leontine.
Als meine schönen Augen; nicht wahr, Onkel?
Er küßte ihr die Hand. Die meinen riß ich allerdings ein wenig groß auf. Das Uebrige könnt ihr euch ja leicht denken.
Nicht ganz, erwiderte Anna, denn noch immer begreife ich nicht, wie du so schnell wieder hier sein konntest.
Davon nachher, sagte Kronberg freundlich.
Otto war es, als führe ihm ein Messer in die Brust. Sie werden reisen, dachte er dumpf; dazwischen gaukelte Leontinens Bild vor seinen Sinnen.
Sophie war hereingeschlichen; sie vermochte es nicht, Leontinens Nähe zu
entbehren. Leontine herzte und küßte sie und schmeichelte ihr
Auch Duguet hatte unaufhörlich im Zimmer zu thun, servirte zum ersten Mal in seinem Leben schlecht, präsentirte Pfeffer zum Thee und lachte endlich sogar mit über seine eigenen dummen Streiche, was bei seiner Dienstgewöhnung ganz unerhört war.
Erst jetzt fiel Annens Blick auf den Fremden. Es war ein junger Mann von vier bis
fünfundzwanzig Jahren, nicht groß, nicht klein, kaum ausgezeichnet in der äußeren
Erscheinung und dennoch blieb der erste Blick auf ihm haften; es war durchaus kein
schönes, nur ein sehr edles Gesicht, nichts auffallend darin als die
Vergeben Sie, lieber Herr Gotthard, sagte der Graf, die Damen tragen die Schuld;
wie Sie sehen, machen sie mich so verwirrt, daß ich vergessen habe, Sie meiner
Gemahlin vorzustellen.
Der ein Hofmeister? dachte Anna, das ist ja unmöglich. Sie verneigte sich verbindlich und sprach einige höfliche Worte; zum ersten Mal in ihrem Leben war sie verlegen, es überkam sie das Gefühl einer Mystification. Leontine hatte indessen mit angeborner Koketterie Otto in ein langes Gespräch gezogen, dessen Wogenspiel ihm über dem Kopfe zusammenschlug; ihm war es, als spräche er mit einer Fee oder Sylphide, so flatterten Wort und Gedanken hin und her. Als aber die Knaben kamen, die sie noch nicht gesehen, vergaß sie ihn mit einem Mal und ward mit diesen zum Kinde. Otto sah ihr verwundert nach.
Der junge Fremde schien überrascht, seine Zöglinge so klein zu finden, beugte sich
aber
Anna! fragte jetzt Otto leise, was soll der junge Mann?
Gott weiß es, erwiderte sie, ich kann kaum umhin, die ganze Sache für einen Scherz zu halten.
Nicht im mindesten, versicherte Leontine, der Onkel hat ihn von Karlsruhe mitgebracht, um eure Kinder zu erziehen und mir ihn gleich in dieser Eigenschaft vorgestellt.
Ich habe den Minister gesprochen, sagte
Otto geht ja zurück nach Basel, dachte Anna. Gut, sagte sie ruhig.
Ich meine, fuhr der Graf etwas verlegen fort, die Einrichtung für so kurze Zeit in
Berlin mit den Kindern, dem indispensabeln Bediententroß,
Ich bleibe gern, sagte Anna. Aber was soll der junge Mann hier –
Sonst, fuhr Kronberg fort, müßtest du in Berlin verweilen, bis ich von Petersburg zurückkehrte, und unserem Range nach ein brillanteres Haus machen als etwa Geierspergs. Freilich kann es einige Monate dauern und du bliebest allein dort.
Kronberg, sagte Anna fest, dann kann ich nicht hier bleiben. Frage mich nicht weitläufig, ich will hingehen, wohin du willst, aber nicht etwa Jahre lang ohne dich hier sein, glaube mir! – Indessen sage mir, was soll der junge Mann hier?
Die Kinder erziehen, liebe Anna! Es ist ein seltsames Ding mit diesem jungen
Menschen, er ist mir sehr dringend vom Minister empfohlen; Näheres weiß ich selbst
nicht. Indessen
Gefallen, Roderich! Ich habe zehn Worte mit ihm gesprochen. Zum Glücke sind die Kinder zu jung, er kann ihnen nicht schaden. Mir sieht er zu vornehm aus, er macht einen ungewöhnlichen Eindruck; das meint auch Leontine.
Bah! die findet Alles ungewöhnlich, weil sie es selbst ist. Ihre kleine Escapade macht mir aber Kopfbrechen. Mein Schwager hat Unrecht; schon als Albert das erste Mal um sie anhielt, mochte sie ihn nicht. Schade, es wäre eine brillante Partie, der kleine Trotzkopf aber –
Eh bien, ma chère! sie ist bedeutend genug, ihm nachzuhelfen. Das geben die besten Ehen. Aber du willst also nicht hier bleiben?
Einige Monate, ja – länger, nein!
Liebes Kind, du weißt, daß ich nicht eifersüchtig bin. Du hast wahrlich Verehrer genug gehabt, um diese Eigenschaft in mir zu wecken – und zu unterdrücken, schloß er fast galant. Aber die kleine Vrenely –
Anna erröthete; sie vermochte es nicht, Otto's Gefühl preiszugeben. Ich werde bleiben, sagte sie, bis Leontine mit ihrer Mutter ausgesöhnt ist, dann mußt du das Weitere bestimmen.
Ich danke dir und traue dir vollkommen, erwiderte er mit einem Anflug des edeln Ernstes, der ihn in einzelnen Momenten so liebenswerth erscheinen ließ; aber ich bin achtundvierzig Stunden gefahren und falle um vor Ermüdung. Er küßte sie auf die Stirn und ging.
Lange saß Anna so vor den tief heruntergebrannten Kerzen. Also nun wieder
hingehalten mit leerem Versprechen! Wieder nach Petersburg und einem Phantom des
Glanzes nachjagen, ohne Zweck und Ziel! Wieder ein momentanes Wirken nach außen
hin, das der nächste Windstoß des Geschickes spurlos verweht! – Armer Kronberg! –
– Und dann zu guterletzt die wiedergewonnene Last einer Geselligkeit, die sogar
mich schon ermüdet! Mein
Und dagegen Otto mit dieser stillen Unergründlichkeit seiner tiefen Seele! – Nein, ich liebe ihn nicht. Kronberg hat recht, so ruhig zu sein; aber ich will für ihn sorgen wie eine Schwester. O, wie bliebe ich so gern hier, diesen weißen Alpenhäuptern gegenüber, einsam und still wie sie! – –
Es war weit über Mitternacht, sie trat an's Fenster, die Alpen hatten ausgeglüht.
Der Herbst hatte sein Schweigen über die Landschaft gebreitet, auf dem dunkeln
Grunde der ungestörten Nachtstille leuchteten die Bilder ihrer Vergangenheit auf.
Kronberg stand wieder vor ihrem inneren Auge, wie er sich nach dem ersten Feldzuge
um sie beworben. Wie fern schien
Gedachte sie dann ferner all der Versuche seiner Verwandten, diesen grillenhaften
Eigensinn zu brechen, wie sie es nannten, wie that ihr das Herz so unsäglich wehe
um ihn! – Dann kam die Reise nach Italien. Ach, daß gerade diese, die ihn so
vielen störenden Einwirkungen entziehen sollte, daß gerade diese Reise, die
anfangs einer genialen Flucht glich, ihn nach und nach allen seinen früheren
Zwecken
Eben diese immer wechselnden Scenen, besonders der in Nichts zerflatternde
Freiheitstraum der Neapolitaner, waren es, die Kronberg's Ansichten und Vorsätze
nach und nach umgeschmolzen und so gänzlich umgewandelt hatten. An die Stelle
eines nationalen Ganzen war ihm die Kleinheit des eigenen Ichs getreten und ein
gelungenes Miteingreifen in den momentanen Gang der Ereignisse hatte eine maßlose
Eitelkeit in ihm erweckt, die wie ein feines Gift allmälig alle Lebensfasern
seines intellectuellen Seins durchdrang. Seitdem war er ein Spielball in der Hand
der Mächtigen
Wenige Tage später reiste Kronberg wirklich nach Berlin. Ueber ihren Winteraufenthalt wollte er von dort aus ihr schreiben, wenn das Geschäft, das ihn nach Petersburg berief, erst deutlicher in seinen Verzweigungen ausgesprochen. Anna ließ ihn gewähren, sie war ja entschlossen. – Otto schwieg, er hatte noch acht glückliche Tage vor sich.
Die Abende hatten sich belebt; einzelne Kunstfreunde, junge Maler, die schon früher erwähnte alte irländische Dame, Lady Frederic und vor Allen Leontine hatten einen poetisch regen Geist in der kleinen Gesellschaft geweckt. Sogar das Vrenely fand den Muth, zu kommen, wenn gleich nicht immer den, zu reden. Leontine nannte sie ihr Veilchen, sich selbst deren Schmetterling.
Charmant, sagte Leontine; aber, bester Professor, es ist doch viel
Verwandtschaftliches in den Bildern, so etwas à la cousin germain Aehnliches. Die
Herren ***** und ihre Schüler haben es der Mama Natur treulichst abgelauscht, wie
sie es hier mit Himmel und Erde hält; sie gewährt liebenswürdige Charakterbilder,
diese Schweiz, mit ihren frischen, grellen Tinten, aber mir träumt von größeren,
edler gehaltenen
Die Hintergründe, gnädiges Fräulein, entbehren der großartigen verschwimmenden Linien der Ferne in dem Theil der Schweiz, den Sie kennen, sagte mit einem Male Herr Gotthard. Die nächstliegenden Berge werden von höheren Gebirgsketten oder gar von den Alphörnern in ihren Thalweitungen unterbrochen, die sich nur schluchtenartig öffnen, um neue Höhenreihen zu zeigen. Das Berner Oberland ist ja durch und durch Gebirg. Sie müßten es von höheren und ferneren Standpunkten übersehen. Schaffhausen, wo die Künstler leben, die Sie nannten, liegt in diesem Sinne etwas günstiger; doch wird auch dort die Gegend Ihren Kunstanforderungen nicht genügen.
Kennen Sie die so genau? fragte das Fräulein.
Kann es denn etwas Höheres in der Landschaft geben, als das treue Spiegelbild der Natur zu sein? fragte Otto.
O ja, wie es etwas Edleres gibt, als die individuelle Aehnlichkeit der Menschen:
die vergeistigte Natur in ihrer möglichsten Vollendung – das Ideal. Nur sind die
einzelnen Züge des unorganischen Lebens weit schwieriger aufzufassen
Alle lachten; der Professor aber fragte: Sind Sie denn ein Maler?
Nein, sagte Herr Gotthard, es ist mir schwer geworden, der Kunst ganz zu entsagen, aber ihre Ausübung würde mich auf meinem Lebenswege hemmen. Anna sah auf. Er stand so ruhig da, als habe er das Allergewöhnlichste gesagt.
Die Andern hatten von Singen gehört und fingen an, Leontinen zu bestürmen. Lady Frederic quälte sie um ein irländisches Lied.
Bewahre! sagte Leontine, ich thue niemals, was man von mir will; ich mag heute nicht singen und werde Ihnen lieber eine Geschichte erzählen. Beiher können die gelehrten Herren dann von mir selbst erfahren, was ich eigentlich von der dargestellten Landschaft verlange; denn wenn ich sie reich und großartig will, bis über das Maß des Alltäglichen hinaus, so will ich sie doch auch wechselnd und treu, wie der Laddy und das irische Mädchen.
Alle rückten eifrig zusammen, Leontine setzte
Leontine sprach ihre Ballade, nur den Mittelsatz derselben sang sie, ohne alle Begleitung, in wiegend einförmiger Melodie, deren Weise, zwischen Intonation und Recitativ gehalten, einen wunderlichen, geisterhaften Eindruck hinterließ.
Sie schwieg. Otto starrte sie tief erschüttert an. Liebende finden überall etwas ihrer Empfindung Analoges.
Vrenely war im Zuhören der Sprechenden immer näher gerückt; sie horchte noch immer auf wie ein Kind, nachdem jene geendet. Endlich strich sie mit der kleinen schön geformten Hand die dunkeln Haare aus der Stirn und flüsterte für sich hin: Was für ein Glück das sein muß!
Leontine lachte. Das hab ich schön gemacht! sagte sie; ich dachte eine rechte Qual und Angst, sonst habe ich wahrhaftig schlecht geschildert.
O dear no! seufzte die Lady, das liebe Herz! Ich habe die Sage schon gehört, da ich noch in my green years und in green Erin war. Bei uns sind die Elfen den Familien durch zahllose Bande verknüpft und die Geschichten wachsen mit uns auf. Sie war ganz aufgeregt von ihren Erinnerungen. Aber, schloß sie, Kind! die Anwendung ist weder nationell, noch katholisch.
Gotthard hatte bisher stumm dagesessen, nach einer Weile wandte er sich zu Anna. Es wäre ein Unermeßliches, ein solches Erkennen durch alle Lebensverwandlungen der Zeit hindurch, wenn es gegenseitig wäre und zwei kräftige Naturen vereinte.
Und glauben Sie wirklich, ein Mann wäre
Er sah sie durchdringend an. Ja, sagte er endlich, ich glaube es. Beide schwiegen.
Aber, meine Herrschaften, wo ist denn die Landschaft geblieben? rief Leontine, der
das Recensiren langweilig war. Sie hatte das Loben in ihrer Familie stets wie eine
Art Landplage, Pestilenz oder Heuschreckenschwarm betrachtet und ertragen. Das ist
das eine Auge, meinte sie, was zu haben schrecklich, und gar zu verlieren noch
schrecklicher wäre. Ach! seufzte sie höchst drollig, in der Mark sitzt mir ein
ganzes Nest Waldaus, die zwitschern alle die nämliche Weise; drucken lassen sie
mich nicht, ich könnte ja in Recensentenhände fallen! Sie geben mir aber mein
Theil Bewunderung rein umsonst. Du bist nicht mit gemeint, Anna! schloß sie, ihr
liebes Gesichtchen an deren Schulter legend und sie so von unten auf ansehend.
Wildes, irisches Mädchen! sagte die Lady.
Aber die Landschaft, die Landschaft! fuhr Leontine fort. Sehen Sie, bester
Professor, ich gestatte es recht gern, daß man durch Licht, Schatten und allerlei
Zufälligkeiten der Landschaft einen sogenannten Charakter aufbürde, man kann sie
meinetwegen düster, schaurig oder so lieblich verlockend machen wie den Kuß einer
Geliebten; man mag dabei, wie die Indier lehren, alle fünf Liebespfeile der fünf
Sinne losschnellen, aber sie muß am Ende doch immer wieder in den Grundzügen ihrer
Eigenthümlichkeiten erkennbar bleiben, die Steine müssen nicht wie Wollenballen,
Gletscher nicht wie gefrorne
O Jerum! Jerum! sagte der Professor, so wie der grimme Leu ein fleischfressend Thier ist, also sollen auch wir in einem gottesfürchtigen und christlichen Wandel leben? Sind mir das Kunsturtheile!
Es war mit der Aufmerksamkeit vorüber, Alle lachten und der Abend schloß auf heitre Weise mit Musik und allerlei Scherzen. Von Poesie und Kunst war nicht weiter die Rede.
Das Scheiden und der Tod kommen gleich unvermeidlich, darum sucht man so gern den
Gedanken an beide zu bannen. Die Ferien gingen zu Ende; Otto mußte nach Basel,
seine Vorlesungen zu eröffnen. Die letzten Tage waren
Er brachte eine große Menge getrockneter Alpenpflanzen, die er auf den Gletscherrändern und den höchsten Gebirgen für sie gesammelt, und erklärte ihr wol eine Stunde lang deren eigenthümliche Beschaffenheit. Endlich kam der gefürchtete Augenblick. Er reichte ihr die Hand. Ich danke dir, Anna, für die unsäglich schönen Stunden, die du mir gegeben, sagte er mild; du hast mir das Leben wieder lieb gemacht, gleichviel um welchen Preis. Eh' sie ihm zu antworten vermochte, war er ihr entschwunden.
Seit den letzten Wochen war eine große Veränderung mit Vrenely vorgegangen, sie
hatte sich plötzlich in sich selbst kräftig entwickelt, ihre Gedanken waren scharf
geordnet, ihr Urtheil war klar geworden; sie las und lernte in jeder freien
Stunde, und gab ihren Unterricht gut und besonnen. Auch jetzt trat sie zwar
mit
Er ist abgereist! sagte sie fast tonlos. Schon? erwiderte Anna. Armes Herz! sie reichte Vrenely die Hand.
O, er wird wiederkommen! versicherte die Kleine; es ist nicht anders möglich. Bei den Worten flossen ihr die Thränen aus den Augen.
Leontine sah sie traurig an. Ach, Vrenely! Sie sind viel, viel zu gut. Wenn wir die Männer lieb haben, mishandeln sie uns. Kommen Sie, Kind, wir wollen Musik machen; lernen Sie von mir eine leichtfertige Seele sein, ich tauge gar zu nichts Anderem, als euch arme, weiche Gemüther zu rächen. Wir wollen die neuen Walzer einüben.
Liebes Fräulein, meine Augen sind trübe,
An Ihn? fragte unbesonnen Leontine.
Vrenely erglühte wie eine Rose. An wen? hauchte sie bebend hervor. An wen könnte ich wol zu schreiben haben! Ich habe aus dem Englischen übersetzt; der Professor lernt es auch eben, und da hatte ich Lust bekommen und fing es vor Kurzem an.
Aus welchen Fäden die Liebe ihr Glück spinnt! flüsterte Leontine Annen zu. Aber ihre Lockungen zogen das Mädchen am Ende doch hinüber in den Saal, und ihre Gutmüthigkeit gaukelte ihr so lange vor, bis sie heiterer gestimmt schien.
Gotthard brachte einige von Annen gewünschte Bücher und Noten; er sah sehr ernst,
fast trübe aus und erwähnte ebenfalls Otto's Abreise. Wir werden ihn alle
vermissen, erwiderte Anna. Gotthard antwortete nicht sogleich.
Es regte sich ein Gefühl des Unmuths und der Unzufriedenheit mit Otto in ihrer
Brust, als habe er ab sichtlich sie getäuscht; sie arbeitete emsig an ihrer
Tapisserie, ohne ein anderes Gespräch zu beginnen. Als folge Gotthards Blick
wortlos dem Zuge ihrer Gedanken, fuhr er nach einer Pause fort: Und Sie, gnädige
Gräfin, Sie
Ich habe geglaubt, der Weg sei weiter, sagte Anna etwas verlegen.
Gotthard hatte bis dahin mit gesenkten Augen gesprochen, jetzt schlug er sie auf;
sie fühlte sich mit diesem einen Blick bis in ihr tiefstes
Nach wenigen Secunden empfahl sich Gotthard, um nach den Knaben zu sehen.
Anna blieb nachdenkend auf ihrem Stuhl sitzen. Worüber sann sie denn so seltsam ernst und tief? Sie fühlte sich gereizt, und doch war ihr, als müsse sie Gotthard eine Art Aufklärung schuldig sein.
Ihm? dem Hofmeister meiner Kinder? fragte sie sich mit plötzlich erwachendem Stolz. Wie kann dieser Mensch es wagen, mich zu beurtheilen, mich zu richten? Warum argwohnt er zwischen mir und Otto eine Leidenschaft – ein Verhältniß? – Aber thut er es denn wirklich?
Weißt du, sagte jetzt Leontine, die unterdessen zurückgekommen, daß die Kleine trotz ihrem Liebesunglück glücklicher ist, als wir beide?
Wie so? fragte Anna zerstreut.
Du, mein Herz! fuhr Leontine fort, indem sie sich in eine Sophaecke warf, bist an
einen vortrefflichen Mann verheirathet, dem du die unendliche Ehre erzeigst, seine
Gemahlin zu sein. O still! still! Du wirst mir doch nicht von dem Glück sagen, daß
wir dich in die reichsgräfliche Krone unsers Hauses gefaßt, als deren besten
Edelstein? Halte mich doch um Gottes willen nicht für miserabel, Anna! Dein Glück
kenne ich innen und außen, wie meine alten Handschuhe. Mein Oheim ist wirklich ein
guter Mensch und ein echter Cavalier, er hat sogar eine Menge vorzüglicher
Eigenschaften;
Leontine, du quälst mich!
Und ich möchte dich doch nur veranlassen, deine Stellung genauer zu überblicken, um sie etwas leichter zu nehmen.
Laß mich den einmal scharf bestimmten Weg so fortgehen, bat Anna.
Wahrhaftig, du hättest irgend einen meiner Cousins in Pommern, oder, wenn man dort
nicht katholisch wäre, nach Westphalen hin heirathen sollen, so einen der vielen
blonden Johannes, Karls und Egons von Kronberg. Du wärst ihm eine züchtige,
demüthige Hausfrau geblieben – wie ich deren dort eine Menge kenne und liebe –
hättest ihm aus langer Weile eine Reihe blühender Kinder geschenkt; kurz, es wäre
bei deinem Charakter immer alles gegangen, nur hättest du nicht vorher dem Zweige
der phantastisch kühnen Waldaus aufgepfropft
Du aber, armes Kind! in unserm Hause, mitten unter allem erwachsen, was Deutschland an Geist, Anmuth, Verstand und Witz zusammenbringen konnte, du sollst nun unsern guten, prächtigen Roderich beständig leiten und schieben, und zwar so fein, daß er's selber nicht merkt! Du sollst dem in seiner Art ehrenwerthen, sehr aristokratischen Edelmanne eine elegante, ebenso aristokratische Gefährtin sein, pas plus! denn das Uebrige ist vom Uebel – du mit deinem Kothurnen-Charakter, du, die für ein geliebtes Herz zu sterben vermöchte!
Wahrhaftig ja, das kannst du! Du bist eine gute Frau, eine vortreffliche Mutter, du bist ein Stern der Gesellschaft, der oft ihre Existenz bedingt und beherrscht. Anna, weißt du, wenn du im weißen Atlaskleide durch unsre Hofsäle rauschest, so kann ich, weiß Gott! nie recht begreifen, daß man nicht »Ihre Majestät« zu dir sagt, und vergesse immer wieder, daß mein guter, dummer Onkel Gesandter geworden ist, um dich an den Hof zu bringen.
Ja, sagte Anna lachend, warum hat er auch eine Roturière geheirathet!
Siehst du, rief aufjauchzend Leontine, so himmlisch gut und gescheit hätte mir
unter tausend Bürgerlichen nicht eine geantwortet! Das ist's ja eben, mein
Kronjuwel, daß du ein geborner Prinz Regent, innerlich deiner eignen höchsten
Vornehmheit dir bewußt bist. Darum
Von dir? Bist du ein Falschmünzer geworden und hast uns betrogen?
A-peu-près! gelogen habe ich wirklich, 'pon honnour! sagt Lady Frederic, und das Schlimmste, schloß sie, aus ihrer Sophaecke aufspringend und in einem höchst aufgeregten Zustande zu Annen hinlaufend, das ganz Erschreckliche ist: ich lüge noch!
Was wird da herauskommen, dachte Anna, die irgend eine Narrensposse erwartete. Aber Leontine warf ihr beide Arme um den Hals, küßte sie wiederholt und heftig, und zwei helle Thränen fielen auf Anna's Wange, die sie nicht selbst geweint. Thränen? Leontine, du? Mein Gott, was ist denn geschehen?
Aber der nächste Tag brachte nicht die gewünschte Erklärung; es kam nicht dazu. War es Absicht, war es Zufall? Anna konnte sich keine Rechenschaft darüber geben. Leontine schien heiterer als je, phantasirte den ganzen Tag von Bergfahrten, vom Gletschermeer, vom Grindelwald, und wollte, trotz dem Spätherbst, noch überall hin, besonders lag ihr ein Ausflug nach Luzern zum Markt in Gedanken; sie hatte den Kopf voller Aeußerlichkeiten und Muthwillen.
Annen war dieser plötzliche Wechsel der Stimmung ihrer Freundin nicht fremd; sie
kannte an dem wunderlichen Mädchen einen sie seltsam und stoßweise überfallenden
Hang zu philosophischem Grübeln, der zuweilen in fast skeptischen Unglauben
ausartete. Leontine verdankte diese Richtung dem frühen, bei wiederholtem
In Berlin gewährte Geierspergs Bibliothek, die sie heimlich durchstöberte, dem
noch an der Grenze der Kindheit stehenden Mädchen Gelegenheit zu einer Art
Controverse mit ihrer jungen Freundin, die auf Annen einen vorübergehenden, auf
Leontinen einen dauernden Eindruck
Bei späterem Wiedersehen begann Anna durch den momentanen Unfrieden, in den sie
die geliebte Zweiflerin verfallen sah, insgeheim zu leiden; ein längeres
Beisammenleben hatte jedoch diesen ersten Eindruck längst gemildert. Wie oft hatte
sie Leontinen tiefsinnig spottende, an Voltaire's Geist erinnernde Bemerkungen
aussprechen gehört, wie oft aber auch in weicheren Augenblicken die heißen
Reuethränen gesehen, die das liebenswürdige Wesen über die Unmöglichkeit vergoß,
sich einen überzeugenden Glauben an die tröstlichen Verheißungen unserer Kirche
anzueignen. Stunden lang konnte sie die Möglichkeit einer individuellen Fortdauer
bestreiten und andere Male am Krankenlager
Gotthard beschäftigte sich mit immer regerem Eifer mit den beiden Knaben. Ihre
Entwicklung grenzte ans Staunenswerthe, doch quälte er sie wenig oder gar nicht
mit Lectionen, er entfaltete die reichen Anlagen der Kinder, wie ein geschickter
Gärtner eine frische Pflanze zur gesunden Blüte bringt. Halbe Tage streifte er mit
ihnen umher über die minder hohen Berge, durch Thäler und Schluchten hin, er gab
ihnen Unterricht in den einzelnen Zweigen der Naturkunde, er führte sie in Städte
und Dörfer zu Handwerkern und Bauern, bildete ihr Auge und zeigte ihnen alles, was
er sie lehrte; sie mußten es mit Händen greifen, dann begriffen
Sie machen meine Kinder zu Amerikanern, sagte lachend Anna, wenn die Knaben ein unbegreiflich klares Auffassen äußerer Eindrücke zeigten. Geht das so fort, so werden die Buben mit funfzehn Jahren heirathen wollen und ich mit dreißig eine alte Frau sein müssen.
Er blickte ihr mit einem fast jubelnden Ausdruck in das reizende Gesicht. Im Gegentheil, gnädige Gräfin, ich sichere Ihnen eine nie unterbrochene Jugend und immer frische Sinne zu.
Sie sah ihn dankbar an. Sie fühlte zwar dunkel, daß er die Kinder um ihretwegen liebe, aber sie gestand es sich nicht.
Von Otto war nicht wieder unter ihnen die Rede gewesen; Anna dachte nicht mehr
ihrer Pläne, Gotthard sich fern zu halten. Es ist etwas Furchtbares um die Gewalt
des sich alltäglich
Kronberg war immer noch in Berlin. Sie schrieb ihm lange Berichte über der Knaben Fortschritte, die er in wenigen Zeilen mit der Versicherung erwiderte: es freue ihn, durch die Erfahrung ihr beweisen zu können, daß er sich in Herrn Gotthard nicht geirrt. Uebrigens ließ er sich in keine Details ein; der Aufenthalt in den ehemals heimischen Kreisen, der rasche Diplomatenwechsel, der zu Verona eröffnete Congreß, an welchem der Minister so bedeutenden Antheil nahm, hatten seine ganze Seele mit so mannigfaltigen Eindrücken überfüllt, daß er Gott dankte, alle Familiensorgen seiner Gemahlin überlassen zu können.
So freundlich Kronbergs Schreiben war, lag dennoch unendlich viel Schmerzliches
für sie in dem Briefe; das leise Gefühl, dem Gemahl lästig zu werden, überschlich
sie mehr und mehr
Otto war noch nicht von Basel herübergekommen. Gotthard lebte nur den Kindern und seinen Studien. Seit ein paar Tagen hatte er sich fast ganz zurückgezogen; wenn die Kleinen ihn nicht beschäftigten, kam er gar nicht aus seinem Zimmer. Seine Lampe brannte immer noch, wenn Anna, an großstädtische Stunden gewöhnt, lange nach Mitternacht von Leontinen sich trennte; der bleiche Strahl erhellte die Hautelissetapete ihres Schlafzimmers, auf der die Schlacht bei Sempach dargestellt war; erwachte sie gegen Morgen, so lag der matte Schein immer noch auf irgend einem Theile des graulichen Bildes. Der junge Mann arbeitet sich todt! sagte sie leise zu sich selbst. Am Morgen erzählte sie es Leontinen.
Welch ein entsetzlicher Ernst in dieses Menschen
Minister? fragte Anna.
Ja, erwiderte Leontine, er will eine unerhörte Carrière machen, und wenn er sein Ziel erreicht hat, irgend etwas Großes, Ungewöhnliches durchsetzen. Vielleicht ist er verliebt und hofft auf diese Art die Hand seiner höher gestellten Geliebten zu erhalten.
Was für romantisch-thörichte Ideen du von allen Leuten dir machst! sagte Anna etwas gereizt. Nun soll der junge Mann verliebt sein, weil er des Nachts schreibt!
Ja so, meinte lachend die Gescholtene, ich vergaß, in unsern raisonnirenden und
revolutionairen Zeiten muß man ein Weib oder ein sechszehnjähriger Jüngling sein,
um zu lieben! O dolce amore, ragion cui non s'intende, e se ragion intende subito
amore non è! Mit fünfundzwanzig
Sollte Gotthard lieben? Aber wen? Lange sann Anna schweigend nach, nicht die leiseste Aeußerung hatte jemals Leontinens Vermuthung bestätigt. Aber warum arbeitete er denn so rastlos? Ihr fielen die Volksbewegungen der letzten Jahre in Spanien, Portugal und Brasilien ein; was konnte er mit ihnen allen zu schaffen haben? In Deutschland war ja alles ruhig. Und dennoch, sollte er irgend einer geheimen politischen Verbindung angehören – unmöglich, das glich ihm nicht. Zum ersten Male dachte sie daran, daß sie ihn nie nach seinem Vaterlande gefragt. Ein Deutscher war er, obschon er mehre Sprachen mit gleicher Fertigkeit sprach, das schien ihr gewiß. Kann man zugleich so ganz einfach und dennoch so räthselhaft sein? dachte sie. Sie sprach ihre Gedanken nicht wieder gegen Leontine aus.
Mais – c'est malhonnête ce que tu fais là! sagte mit einem Male Madame Sophie.
Als er seine Frau gewahrte, steckte Duguet das Blättchen ein – es war ein
versiegelter Brief – und begann ganz tapfer Marlborough s'en va-t-en guerre zu
singen, was bei ihm das entschiedene Zeichen eines großen inneren Triumphs war.
Zugleich rückte er Tische und Stühle zurecht und stäubte sie auf schon erwähnte
Weise mit dem Tuch, den Takt schlagend, ab. Sophien
Mais je dis que c'est malhonnête ce que tu fais là!
Hein? fragte er.
Was hattest du denn für ein Papier? fuhr sie fort.
Hein? qu'est-ce? fragte er, immer heftiger um sich schlagend. Aha, si! eine Rechnung vom Herrn.
Die man nur auf der Rückseite lesen kann, wenn man sie in die Sonne hält?
Er schwieg und ordnete mit wachsender Hast die Sessel.
Es ist eine Indiscretion! Gib mir das Papier! bat sie dringend.
Diable! sagte er, comme tu y vas! was geht dich's an!
Gib mir das Blatt, Duguet! ich weiß, was es ist.
Duguet, willst du mir das Papier geben?
Nein!
Ich bitte dich um Gottes willen, Duguet, gib mir das Papier! Du weißt nicht, was du thust.
Sophie zitterte an allen Gliedern.
Weil ich – ich kann, ich darf es dir nicht sagen; aber bei allem, was dir heilig ist, beschwöre ich dich, schweige und gib es mir!
Schweigen? Ich? Schweigen, wenn es die Ehre, den Namen, das Blut meines Herrn gilt? Was geht mich der Narr an, der jetzt – Weib, mach mich nicht rasend! Ich darf gar nicht daran denken, es reißt mir das Herz aus dem Leibe. – Da, da ist dein verfluchtes Papier; ich will es nicht lesen, aber nicht du, nicht sie, Niemand soll's lesen. Und du sollst sehen, schloß er immer drohender und wilder, daß ich alles vereiteln werde. O, mein Herr! mein armer Herr! Mit Händen und Zähnen riß er das Papier in tausend kleine Stückchen und warf es in die Kohlen des Kamins.
Es war ein schöner, aber kalter Herbstabend; die Gesellschaft hatte sich entfernt,
es war Niemand mehr im Saal, als die Hausgenossen und der alte kunstliebende
Professor; das nämliche
Aber warum, Herr Gotthard, wollten Sie nicht mit mir tanzen? fragte Leontine.
Ich habe es nie gelernt, Gnädigste, und fürchtete, sie mit einem schlechten Tänzer in Verlegenheit zu setzen.
Gott Lob und Dank! Die Achillesferse! rief, laut auflachend, das Fräulein. Anna, Anna! Herrn Gotthards verwundbarer Fleck! Wahrhaftig, lieber Herr Gotthard, Sie konnten mir gar keine größere Gefälligkeit erzeigen als durch diese kleine menschliche Unvollkommenheit; aber nun müssen Sie sich auch mir zur Liebe blamiren und auf der Stelle mit mir tanzen! Der Professor und Anna stimmten scherzend bei.
Wenn Sie mich unterrichten wollen, gnädiges Fräulein, werde ich wenigstens nie
mehr
Sie war aufgesprungen und hatte bereits ihre Hand auf seinen Arm gelegt. Einen Walzer, lieber goldner Professor! Erst aber langsam, wenn ich bitten darf.
Sie schwebte mit Gotthard dahin; er tanzte, wie die meisten Deutschen, seinen Nationaltanz gut, sogar schön. Schneller, immer schneller! rief Leontine. Der alte Professor trommelte immer heftiger auf dem Klaviere herum, mit und neben dem Takt; Gotthard folgte mit größter Gewandheit und sicherem Taktgefühl jedem Wechsel des Rhythmus.
Herr Gotthard, sagte, plötzlich stillstehend, Leontine, das ist abscheulich! Sie tanzen vortrefflich! Ich bitte dich, Anna, walze nur ein einziges Mal um den Saal – Gotthard stand bereits schüchtern, aber doch bittend vor ihr.
Aber, Anna! rief Leontine, die sich im Sopha recht bequem zurechtgesetzt hatte, um mit kritischem Blicke zuzusehen; aber, Anna! es ist ja wundervoll, wie ihr Beide zusammen tanzt!
Der Professor wollte es geschwind auch sehen, vergaß zu spielen und drehte sich um. Der improvisirte Ball hatte ein Ende.
Weil ich nur walzen kann. Einen Tanzlehrer mir zu halten, war meinen Eltern zu kostspielig. Von den ausländischen Tänzen, die ich heute hier sah, kann ich keinen.
Schade, daß ich's nicht gesehen habe, sagte der Professor.
Nun wollte Leontine durchaus dem Professor zu Ehren an dessen Stelle spielen, und Gotthard und Anna sollten und mußten ihm noch einmal vorländlern; sie hatten jedoch kaum die Hälfte des Zimmers erreicht, als die Saalthüre aufflog und Otto durch dieselbe eintrat.
Er blieb an der Schwelle stehen und schreckte sichtlich zusammen; überhaupt schien
er von der ganzen Scene, obschon sie ihm augenblicklich laut lachend erklärt ward,
so unangenehm berührt, daß weder Leontinens einschmeichelndes Entgegenkommen, noch
Annens herzliche Freundlichkeit
Alles dies erzählte er mit so seltsam kalter Miene, daß Leontine aufmerksam wurde
und ihn mit dem durchtriebensten Uebermuthe zu necken begann. Sie behauptete, er
wolle sich selbst als Gletscher ausmessen lassen, anstatt, wie er vorgebe, das
Vorrücken des Eismeeres zu beobachten, was auch in der That viel unbequemer sei.
Anna blieb in ihrer Einfachheit ganz arglos, sie suchte Leontinens heftige
Ausfälle gegen Otto zu mildern und ihr Wohlwollen
Gotthard hatte sich an das Klavier gesetzt und phantasirte ungemein schön. Nur der alte Professor achtete darauf und nickte still entzückt gegen den Takt.
Otto fragte nach allem, nach den Kindern, nach Briefen und Nachrichten, nach
Sophien; seine warme bürgerlich-häusliche Theilnahme legte sich balsamisch weich
auf Anna's verwundetes Herz. Sie mied jedoch alle nähere Erörterung über ihres
Gemahls Schreiben. Nach ihrem Winteraufenthalt zu fragen, fehlte Otto der Muth; so
kam weder ihr Reisen noch Bleiben zur Sprache, und leise und allmälig entfaltete
sich ihm die Wunderblüte des Glücks, die immer die Nähe eines geliebten
Gegenstandes, selbst unter den traurigsten Beziehungen mit sich bringt. Saß er
doch neben ihr! Die Zimmer, die sie bewohnte, all die kleinen Thee-
Du irrst, erwiderte Anna, wir haben keine neue Bekanntschaft gemacht.
Doch kam er aus euerm Hause, sogar aus eurer Etage, die Treppe herunter. Vielleicht ein Bekannter von Herrn Gotthard?
Dieser verneinte stumm.
Nun, wenn es sich nicht so verhält, wie das gnädige Fräulein zu meinen belieben, sagte endlich, immer noch lachend, der alte Professor, so muß er eine Traumgestalt des Herrn Gotthard sein, der seit einer halben Stunde dasitzt, als brüte er, wie Doctor Faust's Famulus über einen Homunculus.
Gotthard hatte keinen Theil an dem Gange des Gesprächs genommen, auch jetzt war er
zerstreut und hatte nicht recht hingehört. Ach! sagte er ernst und weich, welcher
Mensch ist
Otto maß ihn von Kopf zu Füßen, ein furchtbarer Zorn loderte auf in seinen Augen. Ihm war Gotthards Zerstreuung sehr erklärlich; dieser bemerkte es nicht und blieb still in seinem Winkel sitzen.
Leontine war aufgestanden und hatte trotz der Novemberkälte ein Fenster geöffnet; sie sah eine Weile hinaus. Als sie auf Anna's wiederholtes Bitten zur Gesellschaft zurückkehrte, erschien sie den Andern bleich und angegriffen; sie zitterte sogar. Sie schob es auf die Nachtluft.
Der Professor, den die plötzliche, ihm ganz unerklärliche Verstimmung drückte,
hatte sich wieder zu Gotthard an das Klavier gesetzt und bat ihn, eine seiner
Lieblingscompositionen zu singen. Gotthard fragte die Gräfin, ob sie
Mit jedem Vers war Gotthards Stimme voller und tönender, sein Ausdruck mächtiger geworden. Als er an die Worte kam: Ruhig, Klang und Welle! leuchtete eine fast blendende Kraft und Sicherheit aus seinen ganz vergeistigten Zügen, so daß Alle in dem kleinen Kreise davon ergriffen, ihn starr und bewegungslos anschauten, etwa wie einen plötzlich unter ihnen erstandenen Propheten oder einen von höherer Kraft Begeisterten. Leontine stand einen Moment, das schöne Köpfchen zu einer fast demüthigen Stellung herabgebeugt, neben ihm am Klavier. Ja, sagte sie leise, Sie werden ein glücklicher Schiffer sein, denn Sie vermögen die inneren, wie die äußeren Gewalten zu bändigen, Sie haben die Kraft dazu.
Er war aufgestanden und mit an den kleinen runden Tisch getreten, um den die Andern saßen. Wunderbar, der untergeordnete, der besoldete Hofmeister der Kinder stand unter ihnen wie ein Fürst. Sogar Sophie staunte ihn mit einer Art dumpfen Respect an, mit dem sie nicht leicht bei der Hand war. Gotthard bat, sich beurlauben zu dürfen, verbeugte sich tief vor Annen, leicht vor den Uebrigen und verließ den Saal.
Das ist doch ein sehr ungewöhnlicher Mensch! sagte Otto düster. Anna schwieg. Ach! erwiderte Leontine, wie in Traumeswogen versunken, halb flüsternd vor sich hin redend, wenn sich diese Ueberlegenheit an die Spitze eines bedeutenden Unternehmens stellte, wenn in Oberitalien –
Sophie warf den Nähkorb des Fräuleins
Als Anna in ihr Schlafzimmer trat, leuchtete die stille Arbeitslampe wie gewöhnlich herüber. Er schreibt noch! Sie trat ans Fenster und legte die heiße Stirn gegen die kühlenden Glasscheiben. Zum ersten Mal hatte Gotthard vergessen, seine Vorhänge zu schließen. Sie sah hinüber, sah ihn ein Paquet Schriften packen, siegeln und adressiren. Lange stand er dann, es betrachtend, am Schreibtische; er sah sehr ernst, fast trübe aus. Plötzlich wandte er sich und trat mit einer unerwartet raschen Bewegung ihr gegenüber an sein Fenster.
Das alterthümliche Haus, das die Familie bewohnte, umschloß, mit seinem Nebenbau
und Seitenflügeln im Viereck, nach hinten zu einen
Als er am nächsten Morgen nach dem Frühstück, seine Zöglinge abzuholen, bei Annen erschien, sah er unbefangen und heiter aus wie immer.
Muß dem armen Kinde, dem Vrenely, gerade
Ich habe gar nicht gewußt, daß sie hier aus der Umgegend ist, antwortete Anna.
O, wie ist das möglich? fragte Leontine, indem sie ihren alten Lieblingsplatz,
eine Art niedrigen Kinderstühlchens, zu der Freundin Füßen einnahm und ihren
zierlichen Arm auf deren Knie legte. Hat sie dir nie vom Haslithal erzählt? Wenn
dich die alten erfahrungsgrauen Granitgeister durch die Felsenpforte in das
liebliche kleine Eden einlassen, so kannst du dort gewahren, woher ich all meine
Elfen- und Nixenbekanntschaften habe. Das frische grüne Thal ist ihr Tanzboden und
Sammelplatz; plätschernd, flüsternd und wiegend steigt es von allen Seiten zu ihm
hinab; da wehen Wasserfälle
Gotthard hatte ihr mit steigendem Interesse zugehört. Welch ein Schatz innerer Poesie! sagte er leise. Leontine drehte languissant ihr Köpfchen ihm zu und erwiderte halb schläfrig: Ach, bester Herr Gotthard! ein einziger Regentag macht ihn zu Schanden.
Ich stehe recht ärgerlich arm zwischen Ihnen
Wie können Sie, gnädigste Gräfin! mein Streben beurtheilen – ich meine eigentlich, wie es bemerkt haben? Kaum waren die unglücklichen Worte über Gotthard's Lippen, so fiel ihm die Nachtscene ein und er verstummte, in sichtlicher Verwirrung.
Wo es das Herz zu bergen gilt, sind Frauen muthiger als Männer. Sie erzählte ganz
unbefangen, wie sie von ihrem Zimmer aus sein Licht herüberschimmern sähe und oft
gesorgt, er werde zu sehr auf seine Jugendkräfte bauen und sich überarbeiten. – Da
lag die arme kleine Blüte eines geheimnißreichen Glückes vor ihm
Nach einem Augenblicke erwiderte er: Ich habe eine alte gichtbrüchige Frau gekannt, die fast den ganzen Tag zu Bette lag, aber dennoch täglich um fünf Uhr in die Frühmesse ging und während derselben auf den kalten feuchten Steinen kniete; sie behauptete, es schade ihr nicht, während sie sonst sehr besorgt um sich war, und wirklich wurde sie nicht kränker dadurch und die Aerzte ließen sie gewähren. – Lassen Sie mir meine Kirche, Gräfin, und – ihren etwas strengen Dienst.
Und wie heißt diese Kirche? fragte Anna.
Der Staat, gnädige Frau – und allgemeines Wohl.
Ich fühle die Wesenheit, wenn ich auch nicht die Form des Gehalts erkenne, die Sie
Ihrem Leben geben. Jedenfalls werden beide edel sein. – Sonderbar, fuhr sie nach
einer
Ich bin ein Rheinpreuße, mein Vater war ein Schlesier. Die Liebe zu meiner Mutter
hatte ihn bewogen, sein Vaterland zu verlassen und in das ihre zu ziehen. Wir
lebten in Mehlem, einem der kleinen weißen Rheinufer-Städtchen, die Sie kennen.
Ich machte meine Studien zu Bonn, Berlin und Breslau; in den Ferien besuchte ich
Frankreich, Belgien, Oberitalien. Ich bin sogar einmal auf kurze Zeit in England
gewesen. Der bekannte und geehrte Präsident Hellemon, meines Vaters Freund und
mein Pathe, leitete meine ersten Schritte in das öffentliche Leben. Ich verdanke
ihm viel, doch wollte er mir eine meinem Wesen fremdartige Richtung geben. Meine
Eltern hatte ich verloren, ich konnte mich nicht entschließen, in seiner Hand das
Instrument seiner
Aber wie konnten Sie, wenn Ihrer Familie Mittel beschränkt waren, so bedeutende Reisen machen?
Klima, Boden und Jugendkraft begünstigten mich, ich arbeitete mich durch, ich gab
sogar an kleinen Orten ein paar Mal Concerte, wo ich länger blieb, Musikstunden,
ich schrieb ab, ich behalf mich. Kurz, ich habe die erwähnten Länder in
interessanten und bedeutenden Momenten gesehen und wollte, da meine Studien
vollendet, eben nach Spanien, als der
Auf dem Rückwege traf ich den Fürsten in Karlsruhe, er concentrirte für den Augenblick meine Kraft, er gab mir Beschäftigung – und öffnete mir Ihr Haus.
Ein jubelndes frisches Kindergelächter unterbrach, von der Treppe herauf schallend, das ernste Gespräch. Leontine, die wie halb schlummernd in ihre eigenen Gedanken und Träume versunken still gesessen, fuhr auf und lief den Kleinen entgegen, die mit großem Eifer ihr Zuspätkommen entschuldigten, ma bonne habe sie weit, weit auf die Bastei spazieren geführt, um die Alpen zu sehen.
Und, fuhr der Aeltere fort, mit den tiefblauen Augen seiner Mutter an Gotthard
hinauf sehend, wenn du nur mit oben gewesen wärest, die Leute sagen, daß Lawinen
gefallen sind – eine ganze Menge. Denke nur, du
Mein Gott! rief Leontine, plötzlich aufgeschreckt, und unsre Gletscher-Reisenden? – Reicht das Wetter wol so weit?
Das wäre entsetzlich!
Gotthard gestand, ihm fehle genaue Kenntniß der Wetterscheiden und der ganzen Wettergestaltung im Hochgebirg. Gleich nach der Stunde, die ohnehin heute im bloßen Erklären einiger naturgeschichtlichen Gegenstände bestehe, wolle er selbst zum Sennen gehen und ihn befragen. Die Kinder zogen ihn fort.
Gegen Mittag, noch ehe Gotthard wiederkehrte, kam Besuch aus der Stadt und
sogleich war von Lawinen die Rede, die hier nahe
Es sei gar toll, meinten einige Herren, in solchem Wetter Excursionen in's Gebirg zu wagen, es heiße, Gott versuchen. Und wiederum ward die ganze Gletschermessung als unnütz, als thörichte Spielerei gescholten, denn die Unwissenheit reibt sich ja so gern an ihr unverständlichem wissenschaftlichen Streben.
Auf den Seen brause der Föhn, hieß es weiter, und die Luft hange weit und breit voll Schnee; so wie es windstill werde, würde sich's in Massen niedersenken.
Gnad' ihnen Gott und behüte sie! sagte eine junge freundliche Frau. So ein Herr
aus der Fremde denkt sich einen sächsischen oder bairischen Winter zu finden; bei
uns aber beginnt er zeitig, und ist gar hart und scharf. Und wir haben den zweiten
November, es wäre kein
Annen starrte das Herz in der Brust. Leontine fertigte leise Duguet ab, und dann noch einen zweiten Diener, sie sollten sich beide erkundigen, ob man von irgend einem Unfall oder Unwetter im Oberlande gehört. Es war nichts zu erfahren.
Der Tag verging, der Abend kam. Sie begannen zu warten, zu horchen auf jeden Laut, auf den Schritt in der Gasse, auf das Oeffnen der Hausthür; es kam Niemand. Die Kleinen hatten etwas von der Unruhe gemerkt, sie fragten alle Augenblicke, ob denn Onkel Otto nicht komme, den sie noch gar nicht gesehen und der ihnen immer etwas mitbrächte und sie auf seinem Fuße tanzen oder fliegen ließ.
Die Nacht brach ein. Die alte Thurmuhr schlug Stunde um Stunde so bleischwer
langsam, es kam Niemand. Die unter den Häusern
Vergebens suchte sie das Thörichte, Kindische ihrer Angst sich einzureden; es überwältigte sie wieder und wieder.
Gegen Morgen hörte sie ein Pferd aus dem Stalle ziehen. Sie flog an's Fenster; es
war Duguet, er hatte sich vom Nachbar einen Char-a-banc geliehen, dem er jetzt
heimlich ein Pferd einspannte. Er vermochte es nicht, die Angst seiner jungen
Gebieterin so unthätig zu ertragen. Sophie stand mit einer Laterne im Hof und
leuchtete ihm; dann packte sie ein und steckte eine Menge kleiner Paquete, auch
eine
Beim Frühstück fand Anna Leontinen fast
Und nun begann von Neuem und in immer sich steigerndem Grade die Seelenmarter des
Wartens. Diese Qual der Frauen – Männer kennen sie nicht, sie werden zornig, sie
laufen fort, sie handeln, sie zertrümmern sogar – Frauen müssen warten! Ach,
wüßten Männer, was es ist, für so ein armes gequältes Frauenherz,
Gegen Abend zog der Lärm vieler Schritte auf dem Steinpflaster und das dumpfe Gemurmel leiser Menschenstimmen von der Gasse herauf – sie kommen! Langsam, Schritt vor Schritt, nahte der Char-a-banc, Gotthard ritt daneben, mit angestrengter Kraft hielt die eine Hand sein Pferd zurück, die andere wehte grüßend mit dem Tuch; augenscheinlich traute er sich des Geräusches wegen nicht, Trab zu reiten.
Im Wagen lag Otto, ob todt, ob verwundet,
Gott sei Dank, er lebt! rief Leontine, ich sehe es Herrn Gotthard an.
Anna war bereits unten am Thore, Gotthard stand vor ihr. Ja, er lebt! aber er ist verwundet, doch hoffe ich, nicht gefährlich.
Ohne weitere Worte schlossen sich beide dem nach der Treppe hingewandten Zuge an. Vrenely hatte fortwährend des betäubten, wie es schien, bewußtlosen, Otto Haupt auf ihrer Schulter und trug mit, muthig und fest wie ein Mann. Das Tuch, das sie im Wagen über den Kopf genommen gehabt, war zurückgesunken, in reicher Fülle fielen ihre dunkeln Locken und Flechten über Hals und Achsel und umschleierten ihr und Otto's bleiches Gesicht; sie sah aus wie eine Mater dolorosa.
Otto ward auf ein Ruhebett in einem an den Salon stoßenden Zimmer gelegt; Anna
hatte
So erwachte, nach einem leichten Aderlaß, der so lange Jahre Vereinsamte, rings von liebenden, sorgenden Blicken umgeben, fast wie zu einem schmerzlichen Glück; keiner hatte ihn aus den Augen verlieren wollen. Anna! war sein erster Laut; als er sie neben sich sah, reichte er ihr die Hand und sank lächelnd, aber erschöpft zurück in die stützenden Kissen.
Allmälig langten nun auch die übrigen Naturforscher an, mit denen er die
verunglückte Expedition unternommen. Alle waren ihm besorgt und voll warmer
Theilnahme gefolgt, und einstimmig nannten alle das Vrenely seine Retterin.
Lauterbrunn, Grindelwald und das Haslithal liegen nahe bei einander, nur die große und kleine Scheideck trennen sie. Am Tage, ehe die Gletscheruntersuchung vorgenommen werden sollte, hatte das Vrenely ihren Herrn Ohm, den gewesenen Landammann, nach Lauterbrunn begleiten müssen, wohin ihn ein Geschäft berief.
Im Gasthof hörten sie noch Abends vom Unternehmen einiger fremden Herren, die am nächsten Morgen gar die Gletscher auszumessen gedächten. Auch dort ward das Wagstück vielfach getadelt; ein alter Hirt zeigte sich besonders bedenklich, er war den Weg über die Wenger Alp und Scheideck herabgekommen, und sagte, Wind und Wetter seien drüben gar wüst; auch erzählte er eine Menge schauerlicher Unglücksfälle, die bei derlei tollen Wagstücken sich ereignet.
Das Mädchen überkam eine dunkle, namenlose Angst. Ob er dabei sei, wußte sie nicht, nicht einmal, daß er Tags vorher nach Bern gekommen.
Jetzt trat ein Fuhrmann aus Wengern mit an den Schenktisch; sie kannte den Seppi. Es führt ein gefahrloser Weg von einem Thal ins andere, der Gebirgspfad ist der bereits erwähnte über die große Scheideck hin.
Der Fuhrmann war im Begriff, mit seinen Karren abzufahren. Vrenely schmeichelte
dem Ohm die Erlaubniß ab, die Gelegenheit benutzen zu dürfen, um eine Bekannte in
Grindelwald zu überraschen, sie wolle zeitig wieder zu Lauterbrunn eintreffen,
versprach sie. Der alte Mann hatte noch gar nicht einmal Zeit gehabt, sich auf das
Ja oder Nein zu besinnen,
Als sie in die Weitung desselben kamen, begegneten ihnen Bauern und Hirten, die auch von den Fremden erzählten, die wirklich schon seit mehren Stunden aufgebrochen und dem Eismeer zugewandert wären.
Unter einem Vorwande stieg das Mädchen am ersten Hause des Grindelwalds ab, in
ihrer Seele hatte plötzlich die Sorge eine feste Gestalt bekommen, sie war Ahnung,
ja fast Gewißheit eines drohenden Unglücks geworden. Es war grimmig kalt, obschon
die Luft jetzt heiterer war, sie wickelte sich fest in ihr Mäntelchen und eilte
querfeldein einem Sennbuben zu, der jetzt im Thal auf der Herbstweide das Vieh
hüten half. Der Knabe war halb blödsinnig; sie hatte ihn oft beschenkt, und er war
ihr mit großer Neigung zugethan. Diesen holte
Lange sahen sie nichts von den Fremden, endlich bei einer Wegkrümmung gewahrten sie hoch über sich am Schneegebirg schwarze, sich fortbewegende Punkte; sie schienen nach dem oberen Gletscher sich hinzuziehen. Aber der Wind hatte sich heftig erhoben hier in der Höhe und wehte ihr den Schnee, der noch ganz weich und flockig in den Aarfen und Fichten hing, wie einen Schleier in's Gesicht; noch immer vermochte sie nichts zu unterscheiden. Sie eilten weiter. Wo der obere Weg an die Gebirgsschlucht führt, sah sie von Neuem die dunkeln Gestalten.
Herr, mein Gott! fuhr das Vrenely fort, dort oben lag schon allenthalben fußhoher
fester Schnee, und seitwärts an der Alp rollten donnernd Lawinen hinab in den Bach
und in die Enge; bald sah ich die Wanderer, bald sah ich
Das Herz stand mir still vor Scham, was sollte ich nun sagen, wenn sie das
Unternehmen
Schrillend scharf pfiff der Wind, grell wie ein Nachtvogelschrei. Der Schnee
wirbelte immer dichter um mich her, ich mußte gar die Augen schließen, und dennoch
litt mich's nicht, umzukehren. Als ich wieder aufblinzle, steht er ganz allein am
Bergrand, und ich sehe keinen der Andern mehr um ihn, und wie ich beklommen scharf
und schärfer hinüberschaue, kommt es weiß und schwer die Alpe heruntergerollt,
zwei, drei kleine Lawinen zugleich stürzen tobend neben ihm und uns in die
Thalschluchten. Die Gletscher konnte keine derselben treffen, ich fühlte es an der
Windspur, und doch sträubte mir die Angst das Haar. Plötzlich fragt' ich mich
selbst: Wo ist er hin? Ich sehe ihn nicht mehr. Da riß es mich vorwärts mit
unwiderstehlicher Gewalt; ich sprang, ich lief, das Friedli
Ich hab' ein scharfes Aug', wie ein Falkenblick hielt es die Spitze fest, auf der
ich ihn zuletzt gesehen. Immer ängstlicher rannten die Führer auf der Höhe an mir
vorüber, indem sie rückwärts schrien, es könne ihn keine Lawine erreicht haben,
und endlos seinen Namen wiederholten; aber all ihr Umherlugen war umsonst, er
blieb verschwunden. Ich, ich weiß, wo er ist! kreische ich auf, mit einer Gewalt,
daß mir fast das Herz in der Brust zerspringt, ich habe ihn gesehen! und springe
auf den Gletscher und packe den Führer am Arm und reiße ihn fort mit mir – es war
der Jacquelin, ich kannt' ihn wohl. Er ist in einen Eisspalt gefallen; und der mir
nach und alle Andern
In den Spalten lag viel lockerer Schnee, er mußte kürzlich erst als Ball
herabgekollert und durch die Schwere seiner eigenen Wucht geplatzt sein. Lange
konnten wir nichts entdecken; ein Riß sah aus wie der andere. Ich kroch auf Händen
und Füßen bis an die äußersten Ränder. Nein, Gottes Barmherzigkeit wird es nicht
zugeben, daß mein Gedächtniß fehle! Es
Das Andre weiß ich, du herzig Mädchen! rief Leontine, indem sie dem Vrenely mit
thränenüberströmtem Gesicht in die Arme fiel. Ich weiß, wie du, als er
heraufgezogen ward, immer noch besonnen jede Handreichung thatest; ich weiß, wie
du voranliefst mit größter Gefahr und den alten Mann holtest, der ihn verband
Jetzt? O nein! sagte kopfschüttelnd das Mädchen, das Vrenely hat ja nun ein Glück
für's ganze Leben! O Fräulein, Fräulein! fühlen Sie es denn nicht? Ich, ich habe
ihn gerettet! Wenn er nun fort durch die Welt zieht, setzte sie träumerisch und
tiefernst hinzu, in weit, weit entlegene fremde Länder und alle die großen Studien
und Entdeckungen macht, von denen er manchmal so schön sprach, und wenn er immer
berühmter wird und allen Menschen ein Gottessegen – das Vrenely hat ihm ja das
Leben erhalten, mit dem er das alles thut! – Und – sie erröthete tief und
schlug
Mit immer gleich heiterer Kraft stand das Mädchen Annen bei, als Otto nun schwer
erkrankte. Mit unerschütterlicher Ausdauer pflegten ihn die Frauen, dazwischen
mußte Vrenely noch für den alten Vater sorgen und im Institut ihre Stunden geben.
Otto's Zustand blieb mehre Tage bedenklich, er hatte eine starke Contusion am
Hinterkopf und man fürchtete
Vrenely saß still neben ihm, ihre Hand reichte ihm den kühlenden Trank und ihr liebes Gesicht behielt den freundlichen gütigen Ausdruck; keine Thräne trat in ihr Auge, das, nur jedes seiner kleinen Bedürfnisse zu entdecken bemüht, für nichts Anderes einen Blick hatte.
Allmälig legte sich der nervöse Zustand, er kam zur Besinnung, zur Erinnerung
dessen, was geschehen. Als er kräftiger ward und die Frauen ihn mitunter ein paar
Stunden lang sich oder Sophiens geübter Pflege überließen, saß Gotthard viel bei
ihm. Die beiden jungen Männer kamen einander näher und ein Bandtiefer
gegenseitiger Achtung schlang sich um beider
Als Otto wieder auf zu sein vermochte, ließ er sich von Duguet zu Annen geleiten. Mit welcher Freude flog sie ihm entgegen! wie sorgsam rückte sie dem Freunde den Sessel in den jetzt selten gewordenen Sonnenstrahl! Wie suchte sie, gleich einer liebenden Schwester, ihm alles recht bequem zu machen! Sie war überglücklich, daß er lebe und genese. Otto sah sie mit unaussprechlich inniger Wehmuth an, dann reichte er ihr die Hand: Ach! sagte er, du meinst es gut, unendlich gut, und doch, Anna, wie weh' – er vollendete nicht.
Wunderlich verschieden schien Otto's Leiden auf die drei Freundinnen gewirkt zu
haben, was sich am deutlichsten in der Art ihrer Krankenwartung aussprach.
Leontine war an fast
Anna war sich immer gleich, weich und ernst, errieth sie immer seine Seele. Sie schrieb für ihn nach Basel und an seinen noch in Freiberg lebenden Vater. Sie that eigentlich weniger, als die Andern, beschwichtigte aber mehr und regte ihn weniger durch äußere Dinge auf, nur daß eben sie die Welt ihm sonnenhell und dennoch so finster machte!
Mit unbeschreiblicher Zartheit trat das Vrenely zurück, sowie seine Genesung
vorwärtsschritt,
Anna! sagte eines Morgens Otto, dieser Zustand muß enden. Ich kann meine Vorlesungen wieder beginnen, den linken Arm brauche ich nicht dazu, ich muß zurück nach Basel. Aber ich habe vorher noch vieles mit dir zu besprechen, eh' wir scheiden.
Wird es dich nicht angreifen, lieber Freund?
Er verneinte schweigend. Dann fuhr er
Soll ich dir entgegenkommen, Otto? Soll ich dir sagen –
Ich habe Kraft, liebe Anna! Du weißt, genauer vielleicht, als ich selbst, was geschehen, was Vrenely für mich gethan. Ich kann kaum weniger thun, als ihr das Leben geben, das sie mir erhalten. Ich bin entschlossen – ihr meine Hand zu bieten.
Anna sah ihn freudig an. Ich wußte es, Otto, und glaube mir, du wirst glücklich werden!
Glücklich! Anna! sagte er sehr trübe, du solltest jetzt nicht mehr so reden! Sie erbleichte. Ruhig, Kind! ich rufe keine Dämonen aus ihrem Dunkel an's Licht. – Ich will lieber unglücklich sein, als unglücklich machen; siehst du, das ist Alles. Es kostet mich einen hohen Preis: die volle Freiheit meiner Wissenschaft.
Laß das! unterbrach er sie streng. Ein Mann, Anna, liebt einmal, einmal, nicht
öfterer. Unsre Sinne und unsre Eitelkeit, unser Egoismus und eure Schwäche mögen
uns in tausend Verhältnisse hineinziehen, vielleicht ist keiner sicher, in keinem
Alter, in keiner Stellung, vielleicht bin ich es noch am ehesten durch meine
Wissenschaft, sie hat mein Leben bisher mir erhalten, trotz seiner Gluten. Gluten,
von denen deine Engelsseele keine Ahnung hat. Still! still! ich bin kein Teufel,
aber ich bin nur ein Mensch, Anna, ein Mann! Keiner von deinen
Papiermaché-Weltfratzen. – Nun denn, versteh' mich recht, hätte ich die
Möglichkeit deiner Liebe noch vor mir, die Möglichkeit, sage ich – denn, fuhr er
immer wilder fort, dein Mann ist sterblich und das Leben ist lang – nie würde ich
einer Andern
Er neigte seinen Kopf auf ihre Schulter und schwieg.
Lange saßen sie beide so stumm neben einander.
Weißt du, fuhr sie nach einer Weile gepreßt fort – es war, als klammere sich ihre Seele gewaltsam an einen andern Gedanken, wie man im Wellenstrudel ein schwimmendes Bret ergreift – weißt du, daß Leontine dich liebt?
Anna erwiderte nichts, sie hatte seine Hand gefaßt und lange in der ihren
gehalten. Plötzlich
Anna! Um Gottes willen, Anna! schrie Otto. Er sprang auf, riß sich los, stand einen Moment wie besinnungslos schwankend, dann stürzte er vor ihr auf die Knie nieder und barg sein Gesicht in ihren Schoos. Endlich hob er die Augen wieder, umschloß sie, immer noch kniend, mit dem gesunden Arm, und sah sie so nahe, lange und innig an.
Anna meinte zu vergehen; sie hatte keinen Muth, keine Kraft mehr gegen dies
Uebermaß der Qual, aber kein Hauch der Scheu vor der Gewalt seiner Leidenschaft
befleckte auch nur eine Secunde ihre Gedanken. Da bog sich Otto noch näher zu ihr
hinüber, küßte leise erst ihre Augen, dann ihren Mund – und ließ los. – Schon an
der Thüre wandte er sich und sah sie noch einmal mit dem Ausdruck des
Am nächsten Morgen aber ging er zum Vrenely und bat sie um ihre Hand. Er sagte ihr, daß sie ihm das theuerste Mädchen auf Erden sei, daß er die Hoffnung habe, sie glücklich zu machen; sie möge ihm nun das Dasein wieder lieb werden lassen, das er ja nur ihr verdanke.
Das gute Kind war tief bewegt, sie wehrte es nicht, daß Otto sie an seine Brust
zog, und legte sanft ihr Köpfchen an sein Herz. Dann aber hob sie das
Rosengesichtchen zu ihm auf und sagte, es sei nun allzuspät ihm zu bergen, wie
sehr sie ihn liebe; als er aber sie noch näher zu sich hinziehen wollte, wand sie
sich still aus seiner Umarmung und sprach ohne Schüchternheit mit der zartesten
Hingebung und doch ganz fest es aus, daß sie ihn genug liebe, um nicht sein
schönes, der Wissenschaft geweihtes Leben verderben zu wollen. Wenn er sie
heirathe,
Nein! sagte Otto ernst und bestimmt, indem er ihre Hand inniger drückte, dein
schönes Herz irrt. Der Mensch hat nur den Augenblick, nur dessen ist er gewiß. Er
ist der feste Strand, auf dem er sicher fußt, die Zukunft ist ein wild bewegtes
Meer, man muß nicht unnütz sich ihm vertrauen. Und die Trennung, ach, armes Kind!
du kennst sie nicht, das ist die Brandung, an der das Schiff zerschellt.
Und, setzte er immer freundlicher hinzu, denn ihr Glück leuchtendes Gesicht erhellte auch sein Inneres, bist du erst eines Naturforschers Frau, ei nun, so mußt du eben mit forschen lernen. Warum kannst du denn nicht mit nach Schweden? Wer weiß, ich könnte wieder in ein Schneeloch fallen –
Vrenely hätte nicht so ganz Wahrheit und Natur sein müssen, um es zu vermögen, dem
Drängen des so heiß Geliebten, der ja längst ihr ganzes Wesen beherrschte, zu
widerstehen. Beide gingen zum alten Vater hinüber, dessen rührende Freude Otto'n
an den seinen erinnerte
Er war aber den Einwohnern desselben nicht bestimmt, auf dem jeden von ihnen anders, aber doch so gewaltig ergreifenden Eindruck dieser Stunde zu weilen, noch war das Vorgefallene, obschon Allen bewußt, nicht zur Sprache unter ihnen gekommen, als sich die Thür öffnete und Herr Gotthard todtenbleich und mit zerstörten Zügen ins Zimmer trat. Er hatte soeben die Nachricht vom Verscheiden des Ministers H**** erhalten, der unerwartet auf dem Rückwege von Verona gestorben war. Der Brief, den seine zitternden Finger krampfhaft umschlossen, war im Augenblicke abgesandt, in welchem ein Courier die Trauerpost nach Berlin gebracht.
Großer Gott! schrie Anna, aufspringend und mit gerungenen Händen vor Gotthard
hintretend,
Für den Augenblick vernichtet, gnädige Gräfin! erwiderte er dumpf; aber –
Der Fürst ist todt? riefen Leontine und Otto zugleich. Aber Kronbergs Gesandtenstelle, seine Reise nach Petersburg?
Das bricht ja alle seine Pläne, sagte Otto – und ward plötzlich noch bleicher, als vorhin Gotthard.
Anna kam zur Besinnung, der kalte Schweiß trat ihr auf die Stirn. Sie hatte weder an Petersburg, noch an den Gesandtenposten gedacht.
Es ist nicht zu redressiren, sagte Leontine vor sich hin; sie hat ihn total vergessen.
Otto war aufgestanden, die Stirnadern drohten ihm zu springen; er trat ans Fenster, den innern wilden Aufruhr seines Wesens zu verbergen.
Ein Brief vom Herrn Grafen, flüsterte
Er enthielt die nämliche Nachricht.
Gotthard hatte sich gefaßt; er berichtete noch einige mit dem Todesfall in Verbindung stehende Nebenumstände und verließ dann den Salon. – Otto war wie vernichtet.
Und Vrenely? ach, die saß daheim überselig an ihrem Nähtischchen und nähte dem Verlobten, dem Geliebten ein längst heimlich gesticktes Halstuch fertig. Vor ihr saßen der alte Vater und die fast eben so alte Professorin, bei welcher sie ihren, ja, ihren Otto kennen gelernt, und alle drei erzählten einander zum hundertsten Mal jeden kleinen Umstand der glücklich-unglücklichen Zeit dieser Bekanntschaft und malten sich die Zukunft mit den glänzendsten Farben der Hoffnung und Erinnerung aus.
Mit drückender Schwere schlich den Andern der Tag hin. Die plötzliche Wendung in
Aller Geschick war, obschon jedem Einzelnen bewußt, dennoch keinem in ihrem ganzen
Umfange deutlich. Vrenely sogar fühlte mitten im Glück den heimlich ritzenden Dorn
der Rose. Sie hätte Otto um keinen Preis aufgeben und dennoch
Otto sprach sich über seine Verlobung ernst
Der gute Professor, der sehr willkommen Abends sich einfand, vermochte es indessen
auch nicht, den Stunden eine heitere Färbung zu geben. Otto war mit Vrenely
übereingekommen, ihre Verlobung bis zu seiner baldigen Rückkehr zu verschweigen,
weil er am nächsten Morgen in aller Frühe abzureisen gedachte. Der Professor, der
sich halb und halb im Vertrauen fühlte, war schalkhaft und leicht wie ein
bleierner Vogel. Sophie und Duguet wurden den ganzen Abend mit Reiseanstalten und
wiederholten Befehlen gequält. Sophie sah abwechselnd Annen und Leontinen an und
schüttelte betrübt
Plötzlich entstand ein Tumult auf der Straße, der Lärm schien aus einem am Ende derselben gelegenen Kaffeehause heraufzudringen; es war ein mistönendes, wüstes Geschrei, man unterschied französische und italienische Flüche, deutsches Schelten und Drohen. Ein dichter Menschenknäuel schien sich in einer Ecke der Gasse um etwas herum zu winden und zu drängen. Anna klingelte heftig. Duguet war in Otto's Angelegenheiten ausgeschickt, der Kutscher trat ein. Die Gräfin befahl, sogleich die Ursache des Auflaufs zu erfragen.
Nach wenigen Minuten kehrte er zurück und brachte die Antwort: die gnädige
Herrschaft möchte unbesorgt sein, es wären nur eben ein paar italienische
Spitzbuben und Maleficanten
Die traurigen Maßregeln, zu welchen im Jahre zweiundzwanzig die Verfälschung einer
ministeriellen Note Veranlassung gab, sind allgemein bekannt. Einem Lauffeuer
gleich durchflogen beängstigende Gerüchte einer drohenden Umwälzung des bis dahin
friedlich erhaltenen Zustandes die ganze Schweiz; in krassester Entstellung
verbreiteten sich die seltsamsten Gerüchte durch die höheren und niederen
Volksclassen. Unzählige, meist harmlose Fremde, denen die Cantone Genf, Waadt und
Wallis bisher ein sicheres Asyl geboten, mußten plötzlich, des Carbonarismus
verdächtig, dasselbe verlassen; sie wurden polizeilich aufgehoben, gewaltsam
entfernt, sogar gefänglich eingezogen. Der panische Schreck hatte jetzt auch in
Bern der Gemüther sich bemächtigt und wirkte um so gewaltsamer,
Annens freiheitschlagendes Herz hatte schon Wochen lang mit den Unglücklichen
gelitten, die, schuldig oder nicht, ein so unerwartet hartes Verhängniß in fremdem
Lande traf. Sie ließ sich eben noch einmal die näheren Umstände des traurigen
Vorfalls berichten, als Leontine und Otto zugleich eintraten, die in ihren
gegenüberliegenden Zimmern von dem ganzen Lärm nichts gehört hatten. Der Kutscher
wiederholte sogleich seine Erzählung. Kaum aber hatte Leontine die ersten Worte
derselben vernommen, als sie todtenbleich und bebend, wie von einem heftigen
Schwindel befallen, mit sehenden Augen blind, tappend den ersten Stuhl zu
erreichen suchte, und unfähig, sich auf den Füßen zu erhalten, wie bewußtlos
darauf niedersank. Anna, Sophie und Otto sprangen zu, sie zu halten; es dauerte
mehre Minuten, ehe sie den
Leontine hatte sich wirklich erholt; mit großer Anmuth entschuldigte sie den ihr selbst unbegreiflichen Zufall.
O dear, o dear! schrie im Eintreten Lady
Ich bitte Sie, Gotthard! sagte Anna, was ist's eigentlich?
Landammann Wateville hat leider eine zweite und diesmal wirklich authentische Note
österreichischer Seits erhalten, die allerdings auch die hier sich aufhaltenden
Fremden bedroht. Man
In dichtem Kreise umschlossen alle Anwesenden den Erzähler. Lady Frederic begann zu fragen. Leontine nahm jetzt lebhaft Theil am Gespräch, ihr Unwohlsein schien vergessen. Otto, Gotthard und der Professor arbeiteten das vorgeschlagene Thema nach allen Seiten durch.
Draußen war es still geworden bis auf den Sturm, der an die Fenster schlug und den ein lustig gepfiffenes italienisches Volksliedchen durchtönte.
Ah! sagte Anna, nenna sta grazia toja! und Venedig tauchte vor ihr auf. Gott sei Dank! den haben sie nicht!
Leontine war jetzt brillanten Humors und zankte sich auf's Possirlichste mit dem alten Professor.
Bitte, bitte! erwiderte sie lachend, nur für mein Herz bitte ich um das Conservativ- oder, wie es jetzt heißt, Reactionssystem.
Man reizt die Jugend zum bestimmtesten Widerspruch durch diese scharfen Maßregeln, perorirte Lady Frederic. Es hat einen eigenen zauberhaften Reiz, den Märtyrer einer Idee zu spielen.
Hier ist von einer im Allgemeinen untergegangenen, im Einzelnen leider nur allzu wunder-lebendig erhaltenen Ueberzeugung die Rede, sagte Gotthard.
In diesem Augenblicke variirte unten der Pfeifende und ging in wunderlich-kecken Modulationen in das Thema des bekannten Polenliedes: »Noch ist Polen nicht verloren!« über.
Da haben wir's, schmunzelte der Professor,
Leontine lachte laut; sie und Lady Frederic liefen an's Fenster, es war aber Niemand zu sehen.
Aber, mein gnädiges Fräulein, sagte der Professor, wenn Sie mit dem Lichte in der Hand an's Fenster treten, zeigen Sie sich, anstatt den Gegenstand auf der Straße zu beleuchten.
Oh! Oh, yes, of course! meinte Lady Frederic.
Otto hatte sich still in eine Ecke gesetzt; zuweilen sah er aus derselben Annen wehmüthig lächelnd an, als wollte er sagen: Das nanntest du Liebe?
Gotthard sprach schön und ernst über politische und Staatsangelegenheiten mit dem
Professor und suchte die gescheiten, aber etwas schonungslosen Fragen der Lady,
die sie wie Raketen in die Unterhaltung warf, abzupariren.
Als am nächsten Morgen Anna mit ihrem bedrückten Herzen wieder allein war, überlas
sie nochmals Kronbergs Brief. Der größte Theil desselben war vor Empfang der
Todesnachricht geschrieben. Wie bei seiner Abreise, schien er einen verlängerten
Aufenthalt seiner Familie in Bern zu wünschen; wie sollte sie ihm sagen, daß
dieser ihrer Empfindung nach unmöglich geworden? Von der Liebe eines Andern mit
einem Mann, der uns liebt, zu sprechen, ist schwer; aber einem Gemahl, der uns
nicht mehr liebt und doch als sein Eigenthum mit eifersüchtigem Blicke bewacht,
das Gefühl dieses Andern als Hebel unserer Handlungen zu bezeichnen, scheint fast
unmöglich. Sie fürchtete im besten Falle Spott, gleichgültiges
Es wird ihm sehr unbequem sein! wiederholte sich Anna und sann und sann, einen
Dann tauchte wieder Gotthard's Bild zwischen den Zeilen auf. Wie unwichtig erschien die eigene Sorge, dieser gehemmten gestörten Wirksamkeit gegenüber. Könnten wir nur etwas für ihn thun! dachte sie weiter. Sie kam an einen gestern schon besorgten Auftrag, eine Summe Geldes einzucassiren. Die Rollen lagen vor ihr auf dem Tische.
»Da ich, schrieb Kronberg weiter, über das Salaire des Herrn Gotthard nichts
Bestimmtes
Mechanisch war Anna aufgestanden und hatte blindlings eine der Geldrollen
ergriffen. Plötzlich durchzuckte sie der Gedanke, daß es Gotthard, Gotthard sei,
dem sie dieselbe geben, den sie damit bezahlen solle. Eiseskälte durchrieselte
ihre Glieder; sie ließ das Geld fallen – es rollte auf dem Boden umher. Mit
starrem Blick folgte sie dessen Bewegung; sie zitterte mit jeder Secunde heftiger.
Jetzt bohrte der entsetzliche Gedankenstrahl wie ein glühendes Eisen sich immer
tiefer ihr ins
Wie zerbrochen knickte die hohe Gestalt zusammen. Und also ist es wahr, und also liebe ich ihn? wirbelte in rastloser Hast das fragende Empfinden durch jede Fiber, durch jeden Pulsschlag ihres Wesens hin. Unwiderruflich elend – antwortete sie sich selbst.
Lange vermochte sie durchaus nichts weiter zu fassen, noch dachte sie nicht entfernt an ein Unrecht gegen ihren Gemahl, sie fühlte nur den Moment und seine Pein, und daß ihr Geschick entschieden sei; sie gehörte zu den Unglückseligen, die nicht weinen im Schmerz – die trocknen Thränen brannten ihr in den Augenhöhlen. Nach vielen Stunden fand sie Sophie in einer Ecke ihres Kanapees, wie von plötzlicher Krankheit ergriffen, stille liegen; sie hatte heftiges Fieber und war, von der endlosen Gedankenjagd tödtlich erschöpft, in dumpfe Betäubung gesunken.
Ihre Knaben kamen, ihr guten Morgen zu sagen. Als sie die Kinder sah, überflutete ein nie gekanntes Weh ihr Herz. Anna war fast immer gesund, und den Kleinen war es so ungewohnt, die Mutter leidend zu sehen; sie brachten ihr schönstes Spielzeug, Früchte und Blumen mit, alles, was sie nur besaßen, und wollten, damit die Mama pflegen, wie sie es ihnen bei kleinen Uebeln gethan.
Lange hielt Anna Beide fest in ihre Arme geschlossen und sah die lieben Züge wieder und wieder mit stillem Ernste an. Es war ihr sonnenhell in der Seele, daß, was auch geschehe, in welchen Abgrund von Qual oder Schuld dies gewaltige Gefühl sie stürze, nichts jemals von ihren Kindern sie trennen könne und dürfe.
Ach! auch in Annen lag der Drang nach Glück, der, mächtiger noch als der Instinct,
den Lebensmüden im Schiffbruch zwingt, an den schwimmenden Mast des zertrümmerten
Schiffes sich zu klammern und mit den Meereswogen ihn ums verhaßte Dasein kämpfen
heißt. Dieser heiße quälende Durst nach Glück, den fast immer die Liebe in jeder
Menschenbrust zuerst
Nicht umsonst erfanden die Alten das schöne Wunderbild vom Pelikan, der die eigene Brust aufreißt und mit dem Herzblut seine Jungen nährt; nicht umsonst eint der Indier die zerstörende und erhaltende Kraft zu einer und derselben Gottesgestalt. Tiefer noch als die leidenschaftlichste Glut greift das Gefühl der Mutterliebe in alle Urbedingungen unseres Lebens ein und ruft schaffend und vernichtend zahllose unverstandene, unerklärbare Erscheinungen des Lebens hervor.
Anna dachte von dem Allen nichts, sie
Sie sah ihn wieder. Alle Drei lebten das tägliche Leben so neben einander hin wie immer. Leontinen wurde das Reden am leichtesten; sie barg ihren Kummer um Otto nicht, sie klagte sogar auf's Anmuthigste um ihn und verklärte diese zarte Klage mit jedem Reiz ihrer so reichbegabten Natur. Es lag eine so elegischliebliche Wehmuth in Allem, was sie that; kein Geständniß der Liebe, nur ein Jammer um weit entrücktes und verlorenes Schöne.
Vrenely saß viel bei ihr. Leontine ging sogar zuweilen mit in die Kirche, wenn das
Mädchen für Otto beten wollte, sie hatte allmälig eine Art poetischer Frömmigkeit
von jener
Man hat zuweilen im Traum das Gefühl des Fliegens, des Hinschwebens über schöne
Gegenden und geliebte Menschen; das Erwachen ist fast immer mit dem Schreck eines
tiefen Sturzes verbunden. Ich glaube, das gab uns
Aber sie war trotz dem Allen glücklich und insgeheim sich dessen bewußt. Wenn Gotthard sprach, empfand sie es als ein Glück, und wenn er schwieg und sie seine edeln Züge ansah, war's nur ein anderes; in seinem Gehen, Kommen, Bleiben, vor Allem aber, wenn er seine ernsten Lieder sang, die sein Wesen, wie seine Verhältnisse rückspiegelten, durchwogte sie ein Gefühl der Seligkeit, das sie nicht einmal mit dem Gedanken zu berühren wagte, um nicht aus dem Himmel zu fallen. Thöricht, thöricht, daß man sagt: Unschuld und Jugend – die Frühlinge der Menschenbrust – kehren nie wieder! Anna war eine Frau von vierundzwanzig Jahren, und die Liebe machte sie zum vierzehnjährigen Mädchen.
Mit Briefen Kronbergs war auch ein Schreiben des Ministeriums an Gotthard
eingelaufen. Nicht nur fanden seine Arbeiten die vollste Anerkennung, es ward ihm
zugleich die Aussicht zu einer umfassenderen Thätigkeit eröffnet. Wie es schien,
hatte der Fürst selbst noch vor seiner Abreise die eingesandten Berichte dem
Cabinet, für welches Gotthard arbeitete, vorgelegt und die Klarheit der
Darstellung, die ernste Genauigkeit derselben, die Genialität der Combinationen
bei größter Tüchtigkeit der Auffassung hatten die Blicke des Ministeriums auf
deren Verfasser gezogen. Ueberrascht, ihn nicht schon
Gotthard theilte der Gräfin die günstige Wendung seines Geschickes mit und bat, ihm zu vergeben, wenn er sich öfters dem unverdienten Vorzug – das Wort Glück wagte er nicht – in ihrem engeren Familienkreise zu weilen, entziehe. Es war ihm ein tiefer furchtbarer Ernst um die Bekämpfung der ihn schwächenden Leidenschaft, darum mied er sie oft; ein Vergessen, ach, nur ein Verschmerzen seiner Liebe fiel ihm längst nicht mehr ein.
Unerwartet kündete jetzt Kronberg seiner Gemahlin seine Rückkehr an; er befahl,
ein paar Gastzimmer in Stand zu setzen, und bat Annen, seine Abreise nach Bern
Allen, selbst Leontinen, zu verschweigen. Es schien leicht zu errathen, daß
Josephine ihn begleiten und ihre
Sie wird mir Leontinen entführen, seufzte Anna, den gelesenen Brief faltend, und wir gehen dann wol Alle nach dem Ort, den Kronberg als Aufenthalt bestimmt. Eben wollte sie in den Saal zurück, als Gotthard aus der Thür ihres Zimmers ihr begegnete und ernst und dringend sie um ein Gespräch weniger Minuten bat. Mit ehrerbietigen Ausdrücken entschuldigte er sein Einmischen in eine Angelegenheit ihres Hauses und schien dann verlegen, den Zweck desselben näher zu berühren.
Kronbergs Befehl nach, hatte ihm Anna das unglückselige Geld zwar zustellen
lassen, die Summe aber vergrößert und die Bitte ausgesprochen, die Auslagen für
die Knaben davon zu bestreiten und später mit ihrem Gemahl das alles zu berechnen.
Auf diese Weise war das Geld ein bloßer Vorschuß für die Kinder.
Gotthard faßte sich endlich gewaltsam und bat sie, die nächste Vergangenheit ihrem
Gedächtniß zurückrufen zu dürfen. Er erinnerte sie an Otto's unerwartete Rückkehr
und an den Fremden, dem jener auf der Treppe begegnet, dann an den letzten Abend,
an den Volksauflauf, an Leontinens Ohnmacht und an das vor dem Hause gepfiffene
Lied; er bekannte ihr, die dem Fräulein zugeflüsterten Worte Sophiens: »ce n'est
pas lui« gehört zu haben; er erinnerte endlich an Leontinens Beleuchten ihrer
eigenen Gestalt, als sie mit Lady Frederic an das Fenster getreten. Sprachlos
starrte ihn Anna mit immer wachsender Angst an; sie dachte, er werde ihr etwas
über sich selbst entdecken, er aber schloß mit wiedererrungener
Anna blieb einige Secunden sprachlos. Nein! rief sie aus, wie könnte Sophie – –
Das ist mir selbst ein Räthsel; indessen wurden doch gerade ihre Worte der Leitfaden in meiner Hand. Ich vermuthe, daß im dritten Stockwerke eine über meinem Zimmer gelegene Bodenkammer dem Unglückseligen zum Versteck dient. Unter einem Vorwande habe ich von des Nachbars Hause herüberzusehen versucht, die kleinen Fenster sind verhangen, die Kammer gilt für eine Garderobe Sophiens.
Weiß Duguet? unterbrach ihn Anna.
Gotthard ergriff die bebende Hand und hielt sie einige Secunden in der seinen, mit abgewandtem Blick sagte er leise: fühlen Sie denn nicht, daß ich – gerade ich Ihn (er nannte Kronberg nicht) um keinen Preis einer solchen Entdeckung aussetzen darf? In meinen heutigen Briefen ist von seiner Rückkehr die Rede, er ist Gesandter in Wien geworden – und ich – bin ihm als Regierungscommissarius für alles Juristische beigegeben –«
Anna schlug die Augen mit einem unaussprechlichen Ausdruck auf, sie faltete die Hände bittend wie ein Kind: Ist's unvermeidlich?
Auch nicht Duguet's Hülfe?
Nein, im Hause könnte er mir nützlich sein, die Flucht wird er vielleicht sogar gefährden.
Und Leontine?
Nein, o nein! – Was auch geschehen mag, welchen Preis es auch koste, es muß unter uns bleiben! Er hatte im Auf- und Niedergehen sich ihr zugewandt, seine Züge hatten das seltsame, ihm eigenthümlich Durchleuchtende bekommen.
Was kann im schlimmsten Fall dem Grafen drohen? fragte Anna etwas gefaßter.
Eine entehrende Anklage der Duplicität.
Und Ihnen, Gotthard?
Der Verdacht der Theilnahme an der Freimaurerloge, am Carbonarismus – –
Großer Gott! also Festung, auf lange vielleicht, im Augenblicke, da Sie dem
Höhepunkt
Gotthard stand wieder still vor ihr, das Leuchten seiner Züge war jetzt wie eine strahlende Verklärung über sein ganzes Wesen ausgegossen – ein bebendes Gefühl unsäglichen Glücks flutete in jeder Ader, jeder Fiber; er sprach kein Wort, er sah sie kaum eine Secunde lang an, er berührte nicht einmal ihre Hand. Aber plötzlich floß der Glutstrom des Glückes auch durch ihr Herz und auch ihrer Seele wuchsen Riesenflügel: Beide wußten in diesem Augenblicke, daß sie grenzenlos geliebt wurden, grenzenlos liebten.
Als sie wieder aufsah, war er fort.
Indem öffneten die Knaben an Betzys Hand die Thür, sie waren schon in ihren weißen
Nachtkleidchen und kamen, der Mutter gute
Anna legte die Hände unbewußt auf's Herz, als habe sie Gott für eine große Gnade zu danken: ein schwerer Lebensaugenblick war schuldrein wie mit Engelsfittigen über sie hinweggeschwebt. – –
Mutter! sagte Egon, indem er rasch die Lehne ihres Fauteuils erkletterte und darauf rücklings seinen gewöhnlichen Platz einnahm, Betzy ist garstig, sie will nicht, daß ich das schöne Gebet spreche, das Vrenely die Tante Leontine gelehrt –
Ich sage das vom kleinen, kleinen Englein, flüsterte schon halb im Schlaf sein Bruder Joseph, der seinen Kopf auf Annens Schoos gelegt hatte, das ist viel hübscher.
Betzy wollte den Fall erörtern, Anna winkte ihr, zu schweigen. Alle Gebete, mein
Egon,
Aber nicht so schön! meinte kopfschüttelnd Egon. Ich kann es recht gut verstehen und Tante hat es mir auch erklärt. Höre nur! Er faltete, oben auf seiner Lehne sitzend, die Hände und betete mit tiefer Inbrunst:
Anna war tief ergriffen. Es gibt Lagen im Leben, in denen man an keinen Zufall glaubt. Sie schloß den Knaben inniger an's Herz und schlichtete den kleinen Streit mit bebenden Lippen. Als aber die Kinder fort waren, fiel die gedankenschwere Last des Augenblicks mit verdoppelter Gewalt auf ihre Seele zurück; sie fühlte nicht den Muth, irgend etwas gegen Gotthards Willen zu thun, und eben so wenig die Kraft, unthätig ihn einer so drohenden Gefahr entgegentreten zu sehen. Endlich fiel ihr ein, Otto zu benachrichtigen, ihm einen Expressen zu senden. Im Begriff, einige Zeilen aufzusetzen, um ihn nach Bern zu berufen, überfiel sie ein neues Schwanken. Würde er zeitig genug kommen?
Sie stand noch unschlüssig am Schreibtische,
Wer ist noch drüben? fragte sie mechanisch.
Die beiden jungen Damen und Herr Gotthard.
Gottlob! Heute gedenkt er also nichts in der unseligen Sache zu unternehmen! sagte sie zu sich selbst.
Drüben war Alles heiter. Der alte Professor erzählte und neckte die Mädchen;
Gotthard war gesprächig, aufmerksam und freundlich; die vorhergegangene Stunde
trat weit zurück und barg sich hinter ihre Schwestern; in der Gegenwart schien
Alles behaglich. Im Kamin knisterte die auflodernde Holzflamme, auf dem Tische
standen schon Frühlingsblüten. Der Professor machte Vrenely eine emphatische
Beschreibung Basels; Paris und London fielen ganz daneben weg. Gotthard war zum
ersten Male gesellig-liebenswürdig, er entfaltete ein hinreißend komisches Talent,
sowol im Vortrag
Erst auf ihrem einsamen Stübchen fiel Annen die Möglichkeit bei, daß Gotthard sie
absichtlich sorglos gemacht habe, daß seine Neigung ihr ein Opfer gebracht. Sie
flog an's Fenster; drüben brannte, wie allabendlich, seine stille Studirlampe.
Aber die sorgende Liebe hat Argusaugen! Anna kannte gewisse Bewegungen am
Schatten, wenn Gotthard ein Buch vom Schreibtischregal herunterlangte, oder einen
beschriebenen Bogen weglegte; sie wußte genau die Zeit, wo der Docht trüber zu
brennen begann und er Oel zugießen mußte. Sie
Leise öffnete sie ihre Thüre, dichte Finsterniß umhüllte das ganze Haus, sie schlich hinaus über den Flur; sie war sich selbst nicht bewußt, was sie eigentlich wollte. Vor Allem horchen, ob der Fremde fort sei, ob Gotthard bei ihm in der Bodenkammer, wo er versteckt sein sollte.
Die Thüre, welche die von ihr bewohnte Etage von den Uebrigen trennte, war abgeschlossen; ohne Sophien zu klingeln, konnte sie nicht hinaus.
Er stand mit dem Lichte in der Hand am Fenster, winkte grüßend, trat einen Schritt zurück, deutete mit der Hand rückwärts, als ob jener fort sei; er sah erhitzt, aber kräftig und glücklich aus. Nur wenige Secunden dauerte das alles, dann sank der Vorhang abermals und tiefes Dunkel verschlang das ganze Bild.
Es war spät am Morgen, als Sophie die Rouleaux aufzog. Anna hatte sich erst niedergelegt, als der Tag sie, immer noch auf ihrem Fauteuil sitzend, überraschte; sie war wie nach einem langen Schlafe frisch und klar. Mon Dieu, qu'elle est belle! dachte still Sophie, indem sie ihr beim Anziehen behilflich war; eine laute Bemerkung wagte sie nicht.
Nun war sie fertig. Annens Schritt hatte die Elasticität der frühesten Jugend wieder, Augen und Wangen glänzten wie nie zuvor; es sprach sich ein Gefühl einer so ganz überwältigenden Freude in jeder Bewegung aus, daß man sie fast fragen mußte, was ihr denn Glückliches begegnet? Madame müssen etwas recht Schönes geträumt haben, sagte endlich lächelnd die alte Sophie.
Nach beendigter Morgentoilette begann sie nachzusinnen, wie sie die Details der Flucht des Fremden erhalten könne. Sie hatte eine ernste Scheu vor Gotthard, die aus der tiefen Achtung entsprang, die sie für ihn hegte. Er wird nicht kommen, sagte sie zu sich, denn nöthig ist es nicht. Da lag das Paquet mit seinen Schriften noch auf ihrem Schreibtische; sie verschloß es sorgsam, um – nur etwas zu thun. Leontine kam immer noch nicht; ihr mußte doch anzumerken sein, welcher Stein vom Herzen ihr die Flucht des Fremden sei. Fast eine Stunde über die gewöhnliche Zeit war vergangen und noch immer war sie nicht da.
Jetzt hörte Anna einen leisen Schritt auf dem Corridor, unwillkürlich lief sie
Leontinen
Liebe Anna! es sind hier im Hause entsetzliche Dinge geschehen; Leontine hat in
ihrem
Leontine? Eine Liaison? Unmöglich!
Doch, doch! erwiderte er, und zwar mit einem Abenteurer, der ihr hieher gefolgt ist, ja sogar gewagt hat, ihr zu schreiben und bis zu ihr in unser Haus zu dringen.
Roderich! laß mich –
Ich fürchte, das wilde Mädchen macht irgend eine irreparable Sottise. Ich habe noch nicht einmal ergründen können, ob der junge Herr von Stande ist. Jedenfalls kann ich die Last nicht übernehmen, sie zu hüten, und habe die Mutter überredet, mich nach Bern zu begleiten, um sie wieder mitzunehmen. Ohnedies werden wir jetzt die Schweiz verlassen, j'accepte vos félicitations, Madame! wir sind Gesandter in Wien geworden!
Bis jetzt hatte Anna ihre Fassung behalten, sie war durch jedes Wort, das die
Möglichkeit
Noch mehr, fuhr Kronberg fort, während ihn die wirklich in dieser Aufregung strahlende Schönheit seiner Frau immer wärmer für sie stimmte, du wirst dich darum kränken! Er zog sie näher zu sich und küßte sie im Weitersprechen. Du bist so arglos, – deine närrische alte Madame Sophie hat auch mit debauchirt und will sich ihren Pelz verdienen.
Großer Gott! das trifft wieder zu, dachte Anna, eine sich steigernde Angst begann in ihren Zügen sich zu malen.
Ich glaube, sprach Kronberg weiter, ohne es zu beachten, es war auf eine Entführung abgesehen.
Aber um's Himmels willen, Kronberg! wie kommst du dazu, alle diese Details zu
Duguet hat mir geschrieben.
Und seine eigne Frau angeklagt?
Anna, sagte Kronberg stolz, er hat die Ehre der Tochter seines verstorbenen Herrn gerettet. Willst du das gütigst nicht so ganz aus den Augen verlieren! Die Welt lebt nicht von Romantik! Doch, nun muß ich Leontinen sprechen; am sichersten gleich hier, ehe ihre Mutter ankommt. Bleibe ruhig, auch wenn ich etwas ernst mit ihr rede!
Er ging an die Thüre, schob den Riegel zurück und war im Begriff, zu klingeln, als Leontine und hinter ihr Sophie eintraten.
Leontine sah sehr übel aus, sie schien geweint zu haben und vermochte ihrer Ueberraschung, Kronberg zu sehen, keinen warmen Anstrich der Freude zu geben.
Leontine! sprach Kronberg streng, du hast
Onkel! – erwiderte sie, wo möglich noch stolzer als er, indem sie sich hoch aufrichtete und eine kalt gemessene Haltung annahm, die, eben so fern von Trotz als Demuth, nur die anerzogene Sicherheit ihres Standes verrieth – da Sie sich unaufgefordert in ein Geheimniß gedrängt haben, das Sie nicht betrifft, ist es nicht meine Schuld, wenn Sie durch diesen Schritt sich compromittiren. Meine Handlungsweise war keineswegs durch meinen Leichtsinn bedingt, wie Sie zu sagen belieben, sondern durch eine alles Andere überwiegende Pflicht. Ueberdem konnte ich nicht ahnen, daß Sie so schnell zurückkehren würden, und da ich außer Sophien keinen andern Vertrauten hatte, blieben Sie, auch im schlimmsten Falle, außer Verdacht.
Verdacht? fuhr Kronberg, an allen Gliedern
Desto besser, wenn mich die Sorge um Sie übertreiben macht; so ist aber diese Scene um so überflüssiger. Auf welche Weise Sie zum Mitwisser dieser traurigen Angelegenheit geworden –
Verdacht! wiederholte, noch innerlich das Wort anstarrend, der Graf. Leontine, du
wirst die Güte haben, mir den Namen des Elenden zu nennen, der, wie ich zu ahnen
beginne, deine Unerfahrenheit auf eine furchtbare Weise misbraucht hat. Wer ist's?
Er war ganz nahe an sie herangetreten und hatte ihren Arm fest, aber nicht heftig
ergriffen, indem er sie mit durchbohrenden Blicken maß. Wer kann durch einen
Schimmer von Verdacht meine Ehre beflecken? Sprich! – Oder ziehst du vor, daß ich
Sophien, deine einzige Vertraute, um die wir vielleicht nicht ganz verdient, wie
Sophie stand leichenblaß im Fenster; große dicke Thränen rollten über ihr Gesicht; sie ließ den Angriff schweigend über sich ergehen. Nur nach Annen wandte sich zuweilen ihr bittender, trauriger Blick.
Onkel! rief Leontine, zornig erglühend, höchstens hat meine Mutter ein Recht zu dieser Frage, Sie haben es nicht! Er hat – durch welche großmüthige Hülfe, ist mir selbst noch ein Räthsel – in der vorigen Nacht Ihr Haus und die Stadt verlassen.
In der Nacht? Mein Haus? Großer Gott! so weit hast du dich vergessen! Nein, nein! das ist nicht möglich! Die Tochter einer Kronberg kann ja nicht handeln wie eine Dirne! Den Namen, Unglückselige! den Namen! –
Und wenn Sie ihn wissen werden, Oheim! sagte sie, indem sie fest und äußerlich
ruhig
Also doch! ächzte Anna, die bisher vergebens versucht hatte, den Grafen durch leise Worte und bittende Geberden in etwas zu beschwichtigen.
Der Name! wiederholte Kronberg, zitternd vor Wuth und in convulsivischer Bewegung kaum noch des Tons seiner Stimme mächtig, und hingen Leben und Ehre daran –
Jean Carlo di Viatti, sagte sie ernst, fast leise.
Großer Gott! schrie Kronberg auf, der berüchtigte Carbonari, den die Cabinete verfolgen lassen, den Adjutanten des Marchese Viatti? Der Graf sank auf einen Stuhl, seine Kraft war gebrochen.
O, mein Freund, fasse dich! Theurer Roderich! sagte Anna, ihn liebevoll
umschlingend,
Wie, Anna? Anna, du wußtest es? Also ist's Gotthard, der ihn gerettet! rief Leontine.
Gotthard? wiederholte der Graf, in höchster Entrüstung von seinem Sessel aufspringend. Gotthard? Er stieß Annen wüthend von sich. Weiber! Weiber! – Mein Gott, mein Kopf! Ihr macht mich verrückt! – Was ist denn das wieder? Ist es denn möglich? denkbar? – Anna, du, du wußtest darum, und gabst mich und meine Ehre in die Hände eines Hofmeisters – eines Dieners unseres Hauses?
Nein, nein – Onkel! schrie Leontine, mit ungeheurer Gewalt alle ihre Kräfte
zusammenraffend – bei Allem, was mir heilig ist, schwöre ich Ihnen, sie wußte es
nicht! – Die Hauptsache weiß sie noch nicht – – und auch Ihre Diplomatenehre ist
unbefleckt. Daß ich aber
Eben fuhr Josephinens Wagen in den Hof; Niemand achtete auf das laute Blasen des Postillons; Niemand gedachte ihrer Ankunft. Kronberg war wie vernichtet. Aber, wiederholte er in trostloser Niedergeschlagenheit, ist es denn denkbar? Was ist dir denn der Unglückliche, daß du ihm – ihm uns Alle opferst? – daß du deine und meiner Familie Ehre vergißt, um eines Abenteurers willen, dem du am Ende von acht Tagen vielleicht um einen neuen Liebhaber vergessen haben wirst! Um eines Geächteten willen, der keines besseren Geschicks werth, eine niedrige Intrigue ausgesponnen, um – –
Um Gottes willen! was denn, liebe, liebe Leontine! fragte Anna, unter tausend Thränen.
Mein Mann! sagte tonlos Leontine und fiel halb ohnmächtig ihr in die Arme.
Eben trat Josephine, von Duguet geleitet, in's Zimmer.
Wer kennt nicht, wenigstens dem Ruf und Namen nach, das freundliche vom Schwarzwald umfriedete Thal mit seinem stillen Reiz, seiner milden Luft und seinen in weiter Ferne verblauenden Vogesen! Schon hier zu athmen, ist der kranken Brust eine Wohlthat.
Die jungen, in der Einsiedelei versammelten Plauderinnen aber waren alle gesund;
sie schalten
Und allerdings hat in Baden-Baden die Natur eine so verlockend-süße Sirenenstimme, daß es schwer fällt, ihr zu widerstehen, und sie das eigentliche Salontreiben Tages hindurch fast unmöglich macht, es hat sich in das Dunkel der hier schon früh und schnell einbrechenden Nacht geflüchtet, in welcher aber leider der grüne Tisch nicht nur die grüne Aue, sondern sogar die blumen- oder schmetterlingsartigen Tänzerinnen verdrängt und das Spiel nicht selten allen Zauber der Jugend und Schönheit überbietet.
Du hast gar nicht zu klagen, Leontine, sagte eine kleine niedliche Majorsfrau, du hast den interessantesten Brunnengast der ganzen Saison auf deinem Hausflur.
Ist denn die schöne, schwermüthige Dame, mit welcher er immer geht, seine Gemahlin?
Meint ihr den Polen mit dem unaussprechlichen Namen? fragte eine Dritte.
Leontine, so rede doch! Du mußt doch etwas von deinen mysteriösen Nachbarn wissen! riefen die Andern.
Ich weiß gar nichts. Alle Morgen begegne ich Beiden auf dem Wege zur Promenade, wo es eben bei besagter ehrerbietiger und meinerseits höflicher Verbeugung bleibt.
C'est tout? fragte die hübsche Fürstin L....
C'est tout! erwiderte gravitätisch betheuernd Leontine. Mais non, pardon! die junge schwarze Dame ist nicht seine Frau, sondern seine Schwester.
Mein Onkel, fuhr die Fürstin fort, behauptet,
O! sagte Gräfin Hohenheim, er hat doch so ganz den polnischen Gesichtsschnitt, und dann den wehmüthig-stolzen Ausdruck um den Mund –
Haben Sie ihn einmal polnisch reden hören, Comtesse? fragte die Zweiflerin.
Nein; er spricht immer französisch mit den Damen, die er am Brunnen kennt, auch mit seiner Schwester.
Nun sehen Sie! Am Ende hat mein Onkel doch recht?
Aber er hat ja einen ganz polnischen Namen –
Die kleine Prinzessin sah ungemein welterfahren aus und versicherte: Man kann sich aber auch einen falschen Namen geben!
O ja, wenn man ein Barbiergeselle ist; aber ein Mann von Stande!
Ich habe ihn einmal gesprochen, meinte Fräulein von Herchentheim; er machte mir
und
Das mußte er jedenfalls aus Artigkeit Ihretwegen, liebes Fräulein! sagte die Prinzessin etwas ungeduldig. Ihr Urtheil ist nicht contemporain Ihres Gefallens.
Eben schritt der junge Mann, wie gewöhnlich, ernst und schwermüthig vor sich
hinstarrend, quer über den lichtensteiner Weg; die junge Dame an seinem Arme war
heute noch bleicher als sonst, sie schien sehr leidend. Er stützte sie auf's
Sorgsamste und als sich in der Allee ein leichter Abendwind erhob, suchte er erst
die Schwester noch dichter in ihren Mantel zu hüllen, und bewog sie dann endlich,
und
Leontine aber beschloß, noch diesen Abend das Räthsel gelöst zu sehen.
Der Zufall verwirklichte den Scherz, doch auf trübere Art, als sie es erwarten konnte.
Sie mochte, ihrer Reisegefährtin harrend, die noch auf der Promenade war, ein
Stündchen auf ihrem Zimmer zugebracht haben, als sie plötzlich die Klingel ihres
Nachbarn drei-, viermal heftig anziehen hörte; fast in demselben Augenblicke ward
drüben eine Stubenthür aufgerissen und sie erkannte seine Stimme, die laut und
dringend nach dem Hausmädchen rief. Es lag etwas so Beängstigendes, Heftiges in
diesem Ton, daß Leontine, von der ihr eigenen
Ein Bild fast wahnsinniger Verzweiflung stand der junge Pole vor ihr; kaum aber gewahrte er sie, so stürzte er auf sie zu und beschwor sie im reinsten Italienisch, mit den rührendsten Worten; um Beistand für seine unglückliche Schwester, die nach einem ganz unerwarteten Blutsturz ohnmächtig geworden, und, von dem heftigen Anfall erschöpft, noch bewußtlos, starr, o Gott! vielleicht sterbend, daliege. Er wolle zum Arzt laufen, die Leidende aber nicht allein zurücklassen. Auf sein Rufen und Klingeln sei Niemand gekommen.
Ohne einen Augenblick sich zu besinnen, antwortete ihm Leontine, ebenfalls
italienisch, in wenigen tröstenden Worten und eilte zu der Kranken in das offen
stehende Zimmer. Eben
Nach einigen angewandten Hausmitteln erholte sie sich in Leontinens Armen. Der herbeigerufene Arzt fand den Zustand durchaus nicht augenblicklich gefährlich, schien jedoch im Ganzen die Gesundheit der Fremden für sehr schwächlich zu halten. Er verschrieb Arzneien, versprach nach ein paar Stunden wiederzukommen, und empfahl die größte Ruhe, vorzüglich aber jede Gemüthserregung zu meiden.
Traurig schüttelte Trzebinski das schöne Haupt. Mit dem Arzt hatte er, wie mit dem
Kellner wieder französisch gesprochen; die Kranke
Leontine war durch Zufall diesmal nicht mit ihren Eltern in Baden, sie erwartete
die Generalin erst in drei Wochen, welche diese mit Geiersperg in Karlsruhe
zubrachte. Josephine hatte gewünscht, die geliebte Tochter nach einem fröhlich
durchtanzten, sehr ermüdenden Carneval einen etwas längeren Aufenthalt in der
stärkenden Luft des schönen Thals genießen zu lassen. So ward es möglich, daß
Leontine, die mit der hingebendsten Liebe ihrer
Am nächsten Morgen benutzte sie die erste Gelegenheit des Alleinseins, um ihre
Nachbarin zu besuchen, Stanislaus saß an deren Lager. Leontine hatte nicht
vergessen, daß Herr von Trzebinski, wie der junge Pole sich nannte, im
überraschten Schmerz sie italienisch angeredet und schon im ersten Augenblick
dieser unbewußten Annäherung dessen trauriges Geheimniß errathen. Das Entbehren
aller sie begleitenden Dienerschaft war für Polen von Stande ohnedies so
auffallend, daß es ihre Vermuthung zur Gewißheit erhob. Das Willenlose jenes
momentanen Vertrauens störte sie nicht, hatte ja doch in jener beängstigenden Qual
das tiefste Gefühl seines Herzens sich ihr ausgesprochen! Gerade in dieser
absichtslosen Hingebung lag
Sie fand Rosalien zwar nicht besser, aber bei vollkommener Besinnung, voller Dankbarkeit und rührender, stiller Resignation. Gern weilte sie ein paar Stunden an deren Lager; und da das mit Gästen überfüllte Haus die Dienste einer überall in Anspruch genommenen Hausmagd als ganz unzulänglich erscheinen ließen, sandte sie ihr die sehr zuverlässige Babet.
Trzebinski sah zu Leontinen auf wie zu einem Schutzengel und kleidete seinen glühenden Dank in alle Farben einer durchaus südlichen Nationalität.
Gräfin Werden, in deren Gesellschaft Leontine
Zum Glück war Gräfin Werden eines jener bevorzugten Wesen, die nur ihren Tag los sein müssen, gleichviel um welchen Preis und in welcher Gesellschaft. Sie ließ Leontinen gewähren. Sie fand in jedem nicht den Curpflichten geweihten Augenblick irgend eine Bekanntschaft zu machen, eine Handarbeit zu besehen, entdeckte einen noch nicht gekannten Laden, einen neuen Spazierweg, eine vorzügliche Kuchensorte, – faute de mieux, sogar eine verarmte Familie, deren Umstände sie sorgfältig erforschen mußte, und alle diese vielen Gründe machten ihr das Zuhausebleiben unmöglich. Enfin je ne suis pas sa gouvernante! sagte sie, wenn Leontine ablehnte, sie zu begleiten.
Auf diese Weise machte es sich ganz von selbst, daß Leontine einen Theil des Tages
Stanislaus von Trzebinski – so stand sein Name in der Brunnenliste – hatte sich längst auf seine frühere Unvorsichtigkeit besonnen; er errieth aber auch Leontinens zartes Bewahren seines traurigen Geheimnisses und wußte es ihr doppelt Dank, da ihm, allgemeine Aeußerungen und Klagen über den gedrückten Zustand seines Vaterlandes abgerechnet, sehr schwer wurde, über Polen zu reden – das er nicht kannte!
Rosalie war ein schwärmerisch-weiches, kaum noch durch die lockersten Bande der
Erde angehörendes Wesen. Im Kloster aufgewachsen, kannte sie die Außenwelt gar
nicht, aber Religion und Vaterlandsliebe waren in ihrer jungen Seele zu einem
Brennpunkt vereint, von dem alle Radien ihres Lebens ausgingen, dem
Der Norden, so erschien ihr Baden, die kalte Fremde erweckten eine, sie täglich
mehr und mehr aufreibende Sehnsucht in ihrer leidenden Brust; das Gefühl einer
unvermeidlichen, vielleicht lebenslänglichen Verbannung von Italien senkte sich,
ein langsamer Tod, wie mit schweren dunkeln Flügeln auf ihre Sinne, auf ihr in
Heimatsbangen vergehendes junges Herz. Mit jedem Tage nahmen ihre wenigen Kräfte
ab. Der Arzt sah sich genöthigt, ihren Zustand als höchst bedenklich zu erklären,
und bald reichte weder Leontinens, noch Babet's Pflege mehr aus. Zum Glück hatte
Badens Heilquell eine der in Köln lebenden barmherzigen Schwestern hergezogen;
Leontine suchte sie auf und die lange Gewöhnung mitleidiger Selbstverleugnung ließ
die gute alte Renate ihrer eigenen kaum vollendeten Genesung vergessen,
Als Leontine die Schwester Renata zu Rosalien führte, ergriff Stanislaus ihre Hand, ihr Gewand, und drückte sie an seine Lippen; er war im Begriff, ihr zu Füßen zu sinken. Alles, alles, jeden Trost meiner verödeten, zerrissenen Existenz danke ich Ihnen! hauchte er bebend.
Leontine war, tief erschüttert, zum ersten Male keines erwidernden Lautes fähig; es gab kein Wort für diese so ganz ungewöhnliche Lage.
Gräfin Werden sprach den ganzen Tag von der bedauernswerthen Krankheit der jungen
polnischen Dame; für ihr Leben gern wäre sie
Doch keine noch so sorgsame Pflege vermochte es, der armen Rosalie Blütenleben zu
fristen. An ihrem Sterbelager, an der stillen ganz prunklosen und doch so selig
vertrauenden Frömmigkeit des jungen schönen Mädchens und der hingewelkten alten
Nonne, die, unermüdlich in Nachtwachen und Dienstleistungen, der eigenen
geringeren Leiden gern vergaß; an dem innern Verstehen dieser Beiden durch Alter,
Bildung und Vaterland so ganz verschiedenen Naturen lernte Leontine den Werth
eines begrenzenden Glaubens, die Gefahr ihrer eigenen Ansichten erkennen. O, wie
beneidete sie selbst
Nachdem König Ferdinand des Vierten Reise nach Laibach der Neapel kaum gewährten
Constitution den frühen Todesstoß gegeben, nachdem die lange Jahre hindurch
heimlich vorbereiteten Pläne des Carbonarismus eigentlich bereits vernichtet
waren, hatte dennoch ein Sproß des Freiheitsbaumes sich grünend zu erhalten
vermocht. Boralli's Schilderung der Lage des Königs in Laibach erweckte eine
durchgehende
Jean Carlo hatte sich im Gebirg, wo er die Truppen organisiren half, den festesten
Glauben an die Thatkraft seines Volkes bewahrt. Ueber jeden Zweifel hin weg trugen
ihn die Flügel seiner jungen Phantasie und der feurigsten Verehrung für Guglielmo
Pepe, seines Oheims langjährigen Freund und Waffengenossen. Als aber kurz nach dem
so glänzenden Beginnen des Kampfes diese Flügel, gewaltsam geknickt, zur nutzlos
mit Bürgerblut befleckten Erde niedersanken, als die regellose, wilde
neapolitanische Armee, ohne Disciplin, ohne Kriegsübung, ja sogar ohne
hinreichende Waffen, der Uebermacht des sieggewohnten österreichischen Heeres fast
ohne Widerstand erlag, als mehr noch als alles dies der durch lange Knechtschaft
entartete Charakter der niedern Volksclassen dem Gelingen allzukühner, zu rascher
Entwürfe einen
Jean Carlo's Oheim, der ihn an Vaters Statt erzogen, dessen Adjutant er in dem kurzen Feldzuge gewesen, an dessen Seite er den goldnen Freiheitstraum geträumt, ward vermißt; ob er gefallen, ob geflüchtet, war nicht zu ergründen.
Zerbrochen an Leib und Seele, hatte Jean Carlo neben ihm gefochten, bis er selbst bewußtlos niedersank. Ihn weckte die Nachricht der neuen Schmach, die Carascosa's Heeresabtheilung getroffen.
Monato, Hiacinth de Passe fielen, unzählige Bekannte, Freunde und Verwandte des unglückseligen Jünglings büßten Leben oder Freiheit ein, ihn selbst retteten günstige Zufälligkeiten und die Zuneigung eines mit seinem Hause befreundeten Fürsten, Medici, der sein Pathe war. Ihm ward die Flucht erleichtert.
Längst ruhten seine Eltern im Grabe, ihm blieb eine einzige Schwester, die in einem unfern Neapel gelegenen Kloster in Pension war.
Als er in der Nacht, verkleidet, sich hinüberschlich, um Rosalien ein vielleicht
letztes Lebewohl zu sagen, fand er die Aebtissin desselben, eine Base seiner
Mutter, von all den
Sie wählte das letzte. In fast wahnsinniger Verzweiflung umklammerte sie den
einzigen Beschützer, der ihr geblieben, und beschwor ihn
Die dringende Eile der Stunden und die Thränen des armen Kindes siegten. Vereint flohen die Geschwister.
Eine Weile lebten sie unbemerkt in Frankreich und gingen dann nach der Schweiz.
Von dort aus ward Jean Carlo nach Baden geschickt, weil seine schlecht geheilte
Wunde aufgebrochen. Ach, eine unendlich tiefere öffnete sich ihm dort, als die
Hoffnung schwand, Rosaliens Gesundheit herzustellen, deren Schwäche der junge Mann
früher bei seinen sie immer
Die Aerzte schrieben ihr Uebel einer Erkältung beim Uebergang der Alpen zu – der Tod will ja eine Ursache haben.
Leontine, Schwester Renate und Jean Carlo saßen in stummem Schmerz am Bett der plötzlich, nach einem neuen heftigen Blutauswurf sanft wie ein Kind Entschlafenen; die Nonne betete still für die durch den unerwarteten Tod ohne die Gnadenmittel der Kirche Hinübergegangene; Leontinens Hand ruhte zum ersten Mal lange in der ihres armen Freundes; Keines versuchte ein lautes Wort.
Im Hause ahnete noch Niemand die Gegenwart des Todes. Renate hatte selbst die
geweihten Kerzen zu Haupt und Füßen des Sterbelagers angezündet, den Priester
hatte
Die Badegäste und Wirthsleute schliefen, auf den Straßen hatte sich ringsum Ruhe verbreitet, nur ein überwachter Orgelmann drehte auch schon halb schlafend unter einem fernen Fenster sein letztes Ständchen ab, es war ein veraltetes Volks- und Liebeslied; unwillkürlich mußte Leontine darauf hören. »Keine Nessel, kein Feuer kann brennen so heiß als heimliche Liebe, die Niemand nicht weiß.«
Lange saßen sie so schweigend; endlich begann Carlo zu reden. Er blickte nach dem
noch nicht ergrauenden Tage; sein unruhiges Blut trug die Unthätigkeit des
Schmerzes nicht, und es lastete der Gedanke auf ihm, die geliebte Leiche hier im
fremden Lande zurückzulassen. Sollte Rosalie als Polin mit einer Lüge in's dunkle
Grab gelegt werden? Welche Hoffnung
In diesem Augenblicke hatte die fromme Schwester, die in stillen Fürbitten am
Fußende des Lagers kniete und in tiefster Sammlung das Gespräch nicht beachtete,
ihre Gebete beendet. Sie schritt der Thüre zu und, schon an der Schwelle, sagte
sie leise: Ich gehe zum
Wie ein Lichtstrahl durchzuckten die einfachen Worte Jean Carlo's verdüstertes Gemüth. Ja! rief er aufspringend, im Schoos der Kirche, in der Hingebung an ihre beseligenden Wahrheiten finde ich die Gewährung einer Versicherung, die nichts Irdisches mir zu geben vermag. Die gefalteten Hände fest auf die Brust gedrückt, blickte er aufwärts und ein Ausdruck der schwärmerischsten, inbrünstigsten Frömmigkeit überflog den Schmerz seiner Züge.
Ja, fuhr er fort, von dir, mein reiner Engel! kam mir der Gedanke. Die Beichte sichert mein Geheimniß und bürgt mir für die Erfüllung deines letzten Erdenwunsches!
Er hob den Schleier, der das Antlitz der Gestorbenen deckte; sie war
unaussprechlich schön. Leise küßte er ihre weiße Stirn, dann fuhr er, zu Leontinen
gewendet, fort: Ach, Signora!
Könnte ich mit ihm glauben! wiederholte sich leise Leontine. Kann ich's denn nicht? Sie legte den Kopf zurück in die Lehne des Sessels und einzelne große Thränen rollten über ihre hochrothen Wangen.
Da öffnete sich leise die Thür, lautlosen Schrittes trat der Dechant ein, hinter
ihm ein Chorknabe, der am Eingange stehen blieb. Er kannte die Geschwister wohl,
obschon nur unter polnischem Namen; es that ihm weh, daß sein
Der Dechant war noch ein junger Mann mit fast durchsichtig bleichem Gesicht; auch ihm schien die Verheißung eines frühzeitigen Todes auf die gedankenklare Stirn gedrückt. Eine große Milde und Sanftmuth sprach sich in seinem ganzen Wesen aus; so war auch sein Ruf von makelloser Reinheit.
Leontine hatte nie einen andern katholischen Geistlichen gekannt, oder auch nur
außer der Kirche gesehen, als den alten Domine, dem sie so übel mitzuspielen
pflegte. Sie kannte die sanfte Suade, die Gewalt der Einwirkung katholischer
Formen, dieses weiche Herrschen, dieses feste Ergreifen und Tragen der Seele
nicht,
War der Dechant mit den Verhältnissen der polnischen Familie unbekannt, die er vor sich zu sehen wähnte, hatte der Anblick der jugendlichen Leiche ihn dieselben vergessen machen? Genug, er hielt Leontine vielleicht der heißen Thränen wegen, die während seiner Worte ihr Gesicht überströmten, für Trzebinski's Gemahlin und sprach in diesem Sinne auch zu ihr, ermahnte sie, dem schwer Geprüften nun auch die Verlorene zu ersetzen, sich wo möglich noch enger ihm anzuschließen, und wie aus der Tiefe der Verwesung die Kraft eines erhöhten Lebens der leiblichen und geistigen Natur sich entringe, so auch diesem so früh geöffneten Grabe ein Gott geheiligtes Leben der Liebe entsprießen zu lassen.
Es war Mittag und die Trauerkunde hatte sich bereits durch das ganze Baden
verbreitet, als die todtmatte Leontine die Augen aufschlug; die gewandte Babet
hatte der Gräfin eine unruhige,
Aber mit dieser Nacht hatte ja nun auch das Zusammenleben mit dem neugewonnenen
Freunde aufgehört! Der lange Tag verging, ohne daß Leontine mehr von dem hörte,
was sich drüben begab, als was auch die andern Hausgenossen erfuhren. Sie sandte,
wie die meisten Bewohnerinnen des Hotels, einen Blumenkranz, der schönen jungen
Todten auf den Sarg zu legen. Daß er aus Orangenblüten und Granaten bestand, ließ
man für einen Zufall gelten; die Thränen, die als Thau ihn benetzten, bemerkte
Niemand. Kaum war die Begräbnißstunde bestimmt, so vereinten sich die Gräfin und
ihre Freundinnen, um der Ceremonie zuzusehen. Es war ein Drängen und Treiben um
die offene Grabhöhle, als hätten Alle das schöne Mädchen gekannt, oder als gälte
Noch am nämlichen Abend überbrachte man ihr einige Zeilen von Jean Carlo's Hand. Sie hielt das Blatt noch in der ihren, als draußen Babets aufjubelnde Stimme die Ankunft Geierspergs und Josephinens verkündete; kaum blieb Leontinen Zeit, das Papier zu verbergen, so lag sie schon in ihrer Mutter Armen.
Von nun an begann ein ganz neuer Lebensabschnitt. Geiersperg liebte joviale Geselligkeit, war gern in Baden und fand eine Menge alter Bekannte, Kriegsgefährten und Jugendgenossen daselbst. Auch Josephine ward von einem kleinen Kreise freudig begrüßt, eine Landpartie, eine Ausfahrt jagte die andere.
Die Generalin ging freundlich auf jeden Vorschlag der Art ein, ihre Lebensstellung
war in der zweiten Ehe eine ganz andere geworden, als sie in der ersten, im
Jugendrausch der Begeisterung
Waldau war ein Idealist, im Alltäglichen ganz unerfahren; man mußte unaufhörlich
für
Leontinens Erziehung war ihr nicht ganz
Aber Geiersperg nahm ihren Kopf zwischen seine beiden großen Hände und küßte sie
herzlich. Von dir, liebes Kind, kann ja hier gar nicht die Rede sein, du bist mein
lieber, närrischer excentrischer Engel! Aber im Häuslichen bemerke ich, Gott sei
Dank! nur, wie du mir alles leicht und lieb machst. Wenn die Leontine
Geierspergs schönste Jahre waren die gefahrreichen des Kriegs und seiner geheimen
Vorbereitungen gewesen; auch nachdem er den Dienst verlassen, blieb er innerlich
Soldat. Alles, was auf das Militär sich bezog, interessirte ihn lebhaft; in seinem
Hause herrschte die strengste Disciplin, in seinem Herzen blieb er der alte
loyale, seinem Könige unbedingt ergebene Kriegskamerad. Selbst wo sein klarer
Verstand tadelte, ließ sein Gefühl dem Tadel selten Raum zum Wort, und Leontine
hatte ganz recht, ihn einen Ritter aus dem Mittelalter zu nennen. Hätte der König
seiner innersten, heiligsten Ueberzeugung zuwider gehandelt, hätte er ihn oder die
Seinen durch irgend eine Ungerechtigkeit noch so unheilbar schwer verletzt,
Geiersperg war der Mann dazu, in solchem Falle sich lieber eine Kugel vor den
Sehr natürlich hatten ihn die politischen Ereignisse des Jahres Zwanzig in Neapel
oft und ernstlich beschäftigt; so lange die Volkssache nicht von der des Königs
getrennt war, hatte er wahrhaften Antheil an ihr genommen. Seine langjährige
Freundschaft für einige der Hauptagenten des bewaffneten Interventionssystems
hatte ihn nicht gehindert, sich an dem begeisterten Aufflammen der italienischen
Jugend von Grund aus zu erfreuen, es weckte in ihm ja tausend und aber tausend
Erinnerungen! Später tadelte er das seiner Meinung nach in unklugem Eifer zu weit
gehende Parlament und fühlte sich in seinen Ansichten etwas gestört; dennoch
machte es ihm sichtlich Vergnügen, wenn Leontine ihm triumphirend die Zeitungen
vorlas,
Als sich aber der Aufstand immer bestimmter gestaltete und er das ganze Unternehmen an der Muth-und Kraftlosigkeit des eigentlilichen Volkskernes scheitern sah, ergriff ihn eine echt soldatische Ungeduld, er warf die Zeitungen in einen Winkel und ging eine ganze Weile, von unreifem Zeuge, Kinderstreichen und dummen Jungen murmelnd, im Hause umher. In Baden hatte die ganze Geschichte vergleichsweise längst einen komischen Anstrich für ihn bekommen, den er mit seinen alten Waffenfreunden im besten Humor ausbeutete, und deren derbe und körnige Späße der armen Leontine in's Herz schnitten. Es war rein unmöglich, in dieser Stimmung über Jean Carlo's Lage mit ihm zu reden.
Vielleicht war es diese im Kreise ihrer Lieben zum ersten Mal empfundene
Entfremdung
Jean Carlo begnügte sich eine Weile mit Schreiben; aber sein junges Leben war so plötzlich leer geworden, jedes Interesse darin schien erloschen, Vaterland und Schwester waren ihm entrissen. In Baden von jeder Verbindung mit den ihm nach und nach in Frankreich und der Schweiz bekannt gewordenen italienischen Flüchtlingen abgeschnitten, verstand er nicht einmal die Sprache, die er um sich reden hörte; war es ein Wunder, wenn in dieser gänzlichen Abgeschiedenheit, im kochenden Blut des Jünglings die Leidenschaft für Leontinen eine Höhe erreichte, die ihn jeder Rücksicht nicht nur vergessen ließ, nein, die sie ihm geradezu unmöglich machte?
Sein Zimmer war dem der so Heißgeliebten
Jean Carlo ließ nicht ab, bis sie an seinem
O, welche Glutwogen der Poesie, des Fanatismus und der sie vergötternden Sinnlichkeit schlugen über des armen Kindes so leicht erregbarem Herzen zusammen!
Wie schal und abgeschmackt erschienen ihr jetzt die früheren Bewerbungen der Männer, die ihr bis dahin von ehrerbietiger Ergebenheit vorgeschwatzt und darin wahrscheinlich nur der Mode oder ihren brillanten Vermögensumständen gehuldigt hatten.
Wenn Jean Carlo spät Abends leise in ihr Stübchen hinüberschlich, Stundenlang vor
ihr kniete, ihre kleinen Füße küßte, ihren heißen Athem trank – dann wieder, in
plötzlich erwachendem Zorn gegen sich selbst, fast verzweifelnd
Auf den Spaziergängen traf Leontine zuweilen mit dem Dechanten zusammen. Immer
machte sein Anblick wieder denselben tiefen, ihr unerklärlichen Eindruck einer
höheren Gewalt auf sie. War sie allein, so redete er sie an, und auch er nannte
sie Jean Carlo's Stütze, seinen einzigen Trost. Den erhabeneren, an welchen er
selbst sein vielleicht einst eben so schmerzlich-bewegtes Herz gewiesen, nannte er
ihr nicht; aber dennoch lag in jedem seiner Worte die Glorie der Kirche, welcher
er angehörte; immer hob sich aus ihnen, wie in weiter Ferne, eine Friedenshalle
empor, die auf goldenen, eine Welt tragenden Säulen ruhte und den Zagenden ein
sicherndes Asyl bot. Ach!
Josephine ahnte von dem Allen nichts; sie lachte über Geierspergs Späße, mit denen er gegen die Neapolitaner zu Felde zog, sie freute sich über Leontinens blühende Wangen und lobte sie, daß sie nicht tanzte. Daß diese einen Ausbruch von Jean Carlo's wüthender Eifersucht scheute, konnte die Arme nicht ahnen.
Der Sommer ging zu Ende, mit ihm gar mancher bunte Liebestraum. Plötzlich ward der Tag der Heimreise bestimmt. Jean Carlo's Abschied war herzzerreißend. Er kehrte nach Genf zurück, wo er den Winter zugebracht; nach Berlin traute er sich nicht, er fürchtete erkannt und überliefert zu werden.
In des Dechanten Gegenwart, der einen Augenblick aus Jean Carlo's Zimmer zu ihr
hinüberkam, ihr Lebewohl zu sagen, zwang er
Aber was konnten Briefe einer glühenden Seele, wie die Jean Carlo's war, gewähren? Trotz aller damit verbundenen Gefahr sah er Leontinen mehre Male in Berlin; und als sie im nächsten Frühjahr zu ihren Verwandten nach Schlesien ging, folgte er ihr auch dorthin.
Seine Verhältnisse hatten in diesem Jahre eine Art günstiger Gestalt gewonnen.
Obschon sein Name noch immer mit dem seines Oheims zusammen auf der Liste der zum
Tode Verurtheilten stand, öffnete sich ihm dennoch durch des Fürsten Medici
Vermittlung die Aussicht auf einen künftigen ungeschmälerten Genuß seiner
Und doch waren es gerade diese Hoffnungen, die während eines Sommeraufenthalts Leontinens auf den Gütern ihrer Vettern in Schlesien einen Bruch herbeiführten, dessen Folgen für Beide unberechenbar blieben.
Die Familie des Baron Lersheim, bei welcher Leontine sich aufhielt, sah oft und gern Fremde in ihrem Hause. Jean Carlo ließ sich ganz unvermuthet als einen schweizer Gelehrten, einen Genfer, dort einführen, was er um so eher konnte, da er der Sprache unbedingt mächtig war.
Schön, gewandt, mit dem kräftig pulsirenden Leben in jedem Zuge des Geistes wie
der Gestalt, mußte der junge, wirklich liebenswürdige
Anfangs genoß das schöne Paar der ganz unerwarteten Blütenzeit ihrer Liebe, im Schutz dieser unschuldigen Mystification, ohne Vornoch Rückblick, in der anmuthigen Frische eines jungen Gefühls und jungen Glücks. Ach, nur zu schnell trat die vernichtende Schwüle der Leidenschaft in ihr siegend-verheerendes Recht! Bald ekelte Beide das Spiel mit der so ernsten Empfindung ihrer Lage an. Jean Carlo gestand dem Baron, wer er sei, und stellte ihm frei, das ihn gefährdende Geheimniß auch den Seinen mitzutheilen.
Lersheim dankte ihm gerührt für das ihn ehrende Zutrauen, zog aber vor, bei der
noch immer über des jungen Mannes Haupt schwebenden Gefahr, die es schützende
Hülle nicht zu heben. Den jungen Fräulein lag die Politik
Jean Carlo hätte indessen kein Mann und kein verliebter Italiener sein müssen,
wenn ihn dies tägliche, öffentliche und doch so geheimnißreiche Zusammensein mit
der von Bewerbern umringten Geliebten nicht gesteigert und zu immer heftigeren
Wünschen entflammt hätte. Fräulein von Waldau war nicht nur eine sehr glänzende
Partie mit einem ganz unabhängigen Vermögen, sie gehörte auch zu jenen fast
dämonisch die Phantasie entzündenden Gestalten, deren
Jean Carlo's heftiges Gemüth, die ihn beherrschende Glut seines Gefühls machten ihm seine Lage bald unerträglich. Er konnte es nicht aushalten, sie andern Männern gegenüber zu sehen, ohne sein Anrecht auf ihr Herz geltend zu machen, er vermochte es nicht, die ihr angeborene Koketterie zu ertragen und machte ihr oft ungerechte Vorwürfe, ja heftige Scenen um unbedeutender Kleinigkeiten willen.
Vergebens bezeigte ihm Leontine die innigste Neigung; vergebens machte sie ihn auf
die
Alle solche Erklärungen unter den Liebenden führten nur zu erneuten Klagen und der
Versicherung: daß er ruhig sein und ihr ganz gewiß unbedingt folgen würde, wenn er
wisse, daß keine Ueberredung noch Gewalt sie ihm zu
Leontine trieb ihn seinem eigenen Interesse nach zu dieser Reise; ihn selbst hatte der Wahnwitz der Eifersucht zu tief erfaßt; er vermochte weder den Gedanken los zu werden, daß einem Glücklichern gelingen könne, in seiner Abwesenheit die Braut zu bewegen, das ihm gegebene Wort zu brechen, noch sich zu der Trennung zu entschließen, von welcher eine spätere Verbindung mit ihr abhing.
Tage um Tage, Wochen um Wochen vergingen in dieser sich immer neu gestaltenden
Selbstqual. Am Ende führte eine unbedeutende Auszeichnung, die Leontine einem
Andern zu Theil werden ließ, einen förmlichen Bruch
Im raschesten Uebergange der Klage über sie zur Selbstanklage, wiederholte er ihr
nun, daß er unter all diesen Bedingungen und Einschränkungen nicht mehr zu leben
vermöge, daß er auf ewig von ihr scheide, daß er den Wink des Himmels, sie
freizulassen, sie nicht auch noch dem Fluch seines Schicksals preiszugeben, nicht
mehr widerstehe. Noch einmal zog er sie an seine Brust, noch einmal bedeckten
seine glühenden Küsse ihre Augen, ihren Mund, ihre glänzende Stirn, dann riß er
sich gewaltsam los und stürmte fort. Vergebens suchte sie ihn zu halten, vergebens
schrieb sie ihm, beschwor
Eine unnennbare Angst erfaßte nun ihr Herz. Seit Jahr und Tag hatte sie ihn, trotz
aller Koketterie, als ihren Verlobten, fast als ihren Gatten betrachtet. In
Thränen zerfließend, malte sie sich ihr eignes Unrecht aus, ihren Leichtsinn, ihre
Gefallsucht, die Geiersperg so unzählige Male ihr vorgeworfen – ihr dämonisches
Anlocken und Aufregen der Männer, die ihr den Hof machten, bis sie die Gequälten,
Gereizten zu irgend einer allzuheftigen Aeußerung ihrer Leidenschaft veranlaßt und
sie ihr nun plötzlich ganz grenzenlos misfielen, oder ihr gar lächerlich wurden –
sie klagte sich auf's Unbarmherzigste an, auch gegen Jean Carlo nicht geduldiger
gewesen zu sein, um seine Eifersucht zu schonen. Mit jeder fliehenden Minute
steigerte sich ihre Sorge, unwiederbringlich ihn erzürnt, ihn auf immer verloren
zu
Es ließ ihr keine Ruhe, unter einem Vorwande fuhr sie hinüber. Sie kannte die Hausleute, bei welchen er wohnte, es waren Handwerker; sie bestellte etwas und fragte nach ihm. Noch war er da – morgen wollte er reisen – da lag sein Paß – großer Gott, nach Neapel! Sie verstand ihn gleich: ohne sie mochte er nicht leben! Noch einmal wollte er unter erborgtem Namen sein Vaterland aufsuchen, dessen sonnengoldene Schönheit begrüßen, dann sein Haupt den Rächern ausliefern; das Dasein war ihm plötzlich zu schwer, um es noch weiter zu schleppen.
Anstatt zur Hausthür hinauszugehen, versteckte sie sich; in einem Augenblicke, da
alles still war, schlich sie wieder die Treppen hinauf – sie wußte die Nummer
seines Zimmers. Athemlos langte sie oben an; der Finger versagte
Jean Carlo empfand den für ein Mädchen, wie Leontine, ungeheuern Entschluß, zu ihm
auf seine Stube zu kommen, mit so beseligender, alle Einwendungen seines früheren
Gefühls niederschlagenden Gewalt, daß er, wie berauscht von diesem Glück, zu ihren
Füßen sank und, fester als je ihr verbunden, lange nur in wortlosem Entzücken ihr
zu danken im Stande war. Aber allmälig kehrte den Glücklichen die Besinnung
zurück. Vor allen Dingen mußte die Geliebte das Haus verlassen, aber vorher sollte
er ihr versprechen, blos bis zur italienischen Grenze zu reisen, dort seinen Oheim
aufzusuchen und alle Schritte zur Erreichung der Milderung des gesprochenen
Urtheils zu thun. Und abermals fiel die entsetzliche Last auf seine Seele; zum
Leontine erschrak; aber sei es, daß der schon allzu ungewöhnliche, bei einer Dame ihres Standes unerhörte Schritt, dem Geliebten in die Stadt, in seine Stube gefolgt zu sein, sie verwirrte; sei es Abspannung nach der ungeheuern Angst, die sie während der letzten vierundzwanzig Stunden erduldet – sie widerstrebte nicht so bestimmt, als Jean Carlo gefürchtet.
Sein Muth wuchs durch diese unverhofft mildere Stimmung; in immer bewegteren,
immer eindringlicheren Worten schilderte er ihr von Neuem seine Sorge, sie durch
Zwang oder Ueberredung während seiner Abwesenheit zu verlieren; er beschrieb ihr
den unendlichen Trost des Gefühls, mit ihr unauflöslich fest verbunden zu sein und
die Gewißheit mitzunehmen,
Nun aber ging zu ihrer Verwunderung alles in fliegender Schnelle. Kaum hatte der
Geliebte ihr Ja, kaum hatte er sie wohlbehalten und unbemerkt den Ihren wieder
zugeführt, so war auch der alte Domine gewonnen, die Trauung zu vollziehen, durch
welche er die Seele seiner »lieben Frölen« dem einzig beseligenden Glauben zu
sichern wähnte. Die zu dem italienischen Geschäft bereits früher ihm verschafften
Papiere, welche Jean Carlo's Geburt, Rang, Vermögen und Identität bewiesen, waren
Derselbe Freund, der Viatti im Hause eingeführt, ein geachteter Mailänder, der seit Jahren schon in Deutschland lebte und mit der Familie des Baron Lersheim verkehrte, ward unvermuthet, nebst noch einem unter dem Domine stehenden Geistlichen, zum Zeugen der Trauung gemacht; auch Babet wohnte ihr bei, sie war leicht zu bereden, denn Leontine war, wie wir wissen, einundzwanzig Jahre alt, folglich mündig.
Wenige Tage nach der Vermählung reiste Jean Carlo wirklich seinem gegebenen Worte gemäß ab; er schied zwar mit blutendem, aber auch mit hoffnungsreichem Herzen.
Leider aber scheiterten alle die ihn so beglückenden Hoffnungen beim Wiedersehen
seines Oheims an beider Männer leidenschaftlich ihren
Ein ganzes Jahr verging Leontinen in namenloser Angst, sie sah ihn nicht wieder! –
Ab und zu schrieb er ihr unter Babets Adresse, aber, ach! die nöthige Vorsicht
machte seine Briefe unklar. Monate lang entbehrte sie jeder Nachricht, oft wußte
sie sogar nicht, wo er war. Leontine litt; sie hätte weit mehr gelitten, hätte ihr
leichter Sinn sie nicht über manchen Abgrund schauderhafter Möglichkeit
hinweggetragen. Der Schritt war einmal geschehen,
Wenn sie dann und wann über jene Zeit nachdachte, mischte sich ein höchst peinlicher Vorwurf für ihren Gemahl in dies Nachdenken; er hatte sie einer unabsehbaren Reihe von Schmerzen preisgegeben, wenn ihre Eltern die unglückliche Uebereilung entdeckten; er hatte ihre Ehre sogar gefährdet, und leise, leise flüsterte sie sich's zu: er hatte leichtsinnig gehandelt, sie preisgegeben – aus nicht ganz edeln Gründen.
Leontinens liebenswürdige aber vielgestaltig bewegte Natur konnte vom Augenblick zu leidenschaftlichen Ergüssen sich hinreißen lassen, die eigentliche Macht einer Geist, Sinn und Willen überwältigenden Leidenschaft begriff Leontine nicht.
Die Herbstreise des Jahres zweiundzwanzig brachte sie wieder nach Baden, und die
ferneren bereits mitgetheilten Ereignisse nach Bern, wo
Während also alle nur einigermaßen in ihr betheiligten Fremden Bern zu verlassen eilten, langte Jean Carlo daselbst an. Das Uebrige ist unsern Lesern bekannt.
Josephinens plötzlicher Eintritt, der die so gewaltsam überraschenden
Mittheilungen Leontinens unterbrach, brachte den Grafen Roderich augenblicklich
zur Besinnung; die gewohnte Gastfreundschaft, die anerzogene Höflichkeit, die im
Duell vor dem tödtenden Stoß den Kämpfenden
Auch Anna wandte sich rasch der verehrten Frau zu und legte Leontinen aus ihren
Armen an das Herz der Mutter, die, völlig arglos, dem ungeheuern Schlage, der sie
treffen sollte, die heitere Stirne bot. Die Freude, ihre beiden Kinder
wiederzusehen, wie sie die beiden jungen Frauen gern nannte, verblendete sie, der
ganze peinliche Zustand ward nicht sogleich von ihr bemerkt, ja sogar dessen
unwillkürliche Andeutung in ihres Bruders Worten vermochte nicht, sie aus dem
Taumel von Glück aufzuschrecken, der sie beim Anblick der so lang entbehrten
Theuern überwältigte. Sie hatte ja
Die Gewalt des Augenblicks beherrschte Aller Zungen; Niemand hatte den Muth, den schneidenden Schmerz sogleich in die freudeschlagende Brust Josephinens zu senken, deren Hände die nun auch hinzugetretene Sophie mit Thränen und Küssen bedeckte, deren Hals die herbeigestürmten Knaben jauchzend umklammerten und dann von ihr weg und dem eben erblickten Vater zuflogen, den sie bereits unten im Wagen vergeblich gesucht.
Victor Hugo hat so schön gesagt: das Kind sei der Engel im Hause. Die Freude der
Kleinen legte ihren reinen Himmel auf die Gewitterschwüle dieser Stunde; ihr Jubel
war so hinreißend, ihr Fragen nach allen mitgebrachten Schätzen, all ihr
überwältigendes Schwatzen,
Erst als Josephine längst am Frühstücktische saß und plötzlich ganz unbefangen zu Annen sagte: Ich habe dir noch nicht gratulirt, zu Roderichs Avancement! Wenn ihr nach Wien kommt, wirst du Gelegen heit haben, deinem Hange zur Musik recht gründlich nachzugeben – da fiel das Unvermeidliche einer Erklärung wie ein Meteorstein aus klarer Luft Allen auf's Herz.
Niemand antwortete. Roderichs Züge umwölkten sich, krampfhaft verzogen sich seine
Lippen zum Ausdruck eines fast hassenden Zorns – er gedachte Gotthards. Anna
erbleichte. Die Zwischenzeit hatte indessen für jeden Einzelnen das Gute gehabt,
daß Alle gleich deutlich empfanden: die Entdeckung des unseligen Geheimnisses
müsse von Leontinen selbst ausgehen. Sie hatte die sie überkommene Schwäche
bereits niedergekämpft; nur den Schmerz, den
Keine von Beiden hat je über diese entsetzliche Stunde gesprochen; weder Leontine,
noch die Generalin haben je die Art und Weise der Enthüllungen berührt, die das
schöne klare Leben der Letzteren mit einem nie wieder weichenden Schatten der
Sorge überdeckten. Umsonst versuchte es Leontine jetzt und später, die Aussicht
auf eine wahrscheinliche und baldige Lossprechung Jean Carlo's als tröstendes
Licht in das plötzliche Dunkel fallen zu lassen, das sie selbst in der Mutter
Seele geworfen, umsonst nannte sie ihr den Rang, erwähnte sie die bedeutenden
Vermögensumstände ihres Gemahls. So viel Mühe sich die arme Mutter gab, der
Tochter Loos nicht durch unnütze Vorwürfe noch trüber zu machen, so wenig
vermochte sie, die gewohnte Fassung zu erringen – ihr Muth
Als Leontine geendet und sie nicht mehr im Zimmer sprechen hörte, schlich Anna herein und mischte ihre Thränen mit denen, die langsam und schwer den starren Augen ihrer mütterlichen Freundin entrollten. Aber auch ihre zärtlichsten Worte vermochten es nicht, die Eisrinde zu schmelzen, die sich ertödtend über deren Züge und Herz gezogen. – Lange saßen alle Drei stumm und sinnend neben einander; ach, es ist etwas Furchtbares um dies endlose Herumwälzen eines räthselhaften Gedankens, dem Gott keine Lösung verliehen!
Vergebung, Herr Graf! rief dieser, rasch aufspringend und Kronberg ehrerbietig entgegentretend, es wäre meine Schuldigkeit gewesen, Ihnen aufzuwarten; ich glaubte Sie aber noch bei den Damen.
Ein Wink des Grafen entfernte die Kinder. Sie wußten im Voraus um meine Ankunft? fragte er streng und kalt.
Ja, aber ich vermuthete sie minder bald.
Und konnten dennoch sie nicht erwarten, ohne vorher auf eine Art und Weise in die inneren Angelegenheiten meiner Familie, oder meines Hauses, einzugreifen, die, gestehe ich's Ihnen, so ungewöhnlich ist, daß man sie unbesonnen nennen muß.
Der Graf hatte sich in einen Lehnsessel geworfen, Gotthard stand ruhig vor ihm.
Ich bitte, fahren Sie fort, sagte Kronberg sehr vornehm.
Ich hatte am Morgen die Nachricht bekommen, daß ich die Ehre haben würde, der
Gesandtschaft nach Wien vom Ministerium als Commissarius beigegeben zu werden, und
daß Sie, Herr Graf, Ihr Diplom bereits erhalten; ich hatte bis dahin nur unter der
Hand diese Nachricht und noch keine übernommene Verpflichtung; Sie, Herr Graf,
waren schon Gesandter. – Mich dünkt, setzte er mit einer leichten Verbeugung
hinzu, daß Sie selbst fühlen
Erstaunt blickte der Graf den Hofmeister an. Woher kommt dem Menschen diese
Sicherheit, dieser diplomatische Aplomb? Er biß sich in die Lippen, er war
offenbar zu weit gegangen und Gotthard im Vortheil. Im Gefühl dieses von ihm
verfehlten Schrittes ward er ärgerlich – im Aerger unbedacht, denn er setzte
hinzu: Wenn, wie Sie sagen, das Interesse des Staates, dem wir nun beide angehören
– er legte einen verbindlichen Ton auf die
Sie hat ihm alles gestanden! sagte sich Gotthard, aber er blieb unerschütterlich, obschon das Herz ihm in den Halsadern schlug und ein heftiger innerer Zorn sein sonst so blasses Gesicht röthete.
Sophie, die Kammerfrau Ihrer Frau Gemahlin, wußte um das Geheimniß, erwiderte er kalt, so schien mir es der Anstand zu erfordern.
Weiß er, wen er uns gerettet oder nicht? fragte sich der Graf. Hat Jean Carlo geschwiegen? –
Uebrigens, fuhr Gotthard fort, konnte die ganze Sache mislingen und ich selbst
gefänglich
Diesen Umstand hat sie mir verschwiegen! dachte Roderich. Und bei meiner Frau, bei einer Dame, glaubten Sie dieselben gesichert?
Sie waren nicht der Art, der Frau Gräfin irgend einen Nachtheil bringen zu können –
Aber, unterbrach ihn der Graf, mit immer steigendem Aerger, ich werde dennoch nie begreifen, wie Sie hierin irgend ein Verhältniß zu meiner Nichte ahnen konnten?
Ahnungen begreift man wol überhaupt nicht, erwiderte Gotthard fast lächelnd, aber in durchaus höflichem Tone.
Der Graf stand auf, ging erst eine Weile im Zimmer auf und ab und stellte sich
dann an's Fenster. Er bemerkte drüben seine Frau,
In Ihr Dasein? rief Gotthard erbleichend. Mein Gott, da liegt vielleicht ein
zweites Geheimniß vor, dessen Fäden ich unbewußt erfaßt! – Ich halte den jungen
Mann für geborgen. Durch besondern Zufall hatte ich den Paß eines verstorbenen
Landsmannes, eines Architekten, der am Tage vor seiner Abreise von hier plötzlich
erkrankte und verschied, er war mit mir vom Rhein hergezogen. Das Signalement
paßte ungefähr, es mußte auch dem Glücke etwas zu thun übrig bleiben. Geld hatte
der Graf. Ich war über des Nachbars Dach zu ihm geklettert, weil er auf mein
wiederholtes
Den Teufelskerl amusirt die Gefahr! dachte Kronberg und seine Jugend flog ihm wie eine Lichtwolke vorüber.
Gotthard erzählte fort: Allmälig überzeugte ich ihn; wir verständigten uns, ich stieg durch's Fenster zu ihm ein; er gab meinen Gründen nach. Einen Hausschlüssel hatte ich, und wir verließen vor Tagesanbruch zusammen das Haus und er – die Stadt.
Und, fragte Roderich, und – er sagte Ihnen, wer er sei?
Gotthard zögerte einen Augenblick, dann
Und wie erfuhr meine Nichte –?
Er schrieb ihr; ich machte die Aufschrift und legte das Blatt in die Stadtpost.
Und Sie wußten, daß ein Preis auf seinem und seines Oheims Kopf steht?
Wenn ich das nicht gewußt, was hätte mich dann vermögen sollen, meine eigne Existenz zu gefährden?
Herr Gotthard, sagte der Graf kurz, das Alles hätten Sie für mich als Gesandten gethan?
Gotthard ward todtenblaß, die directe Frage überwand ihn, er war nicht darauf gefaßt.
Kronberg maß ihn von Kopf zu Fuß; in den Triumph des mühsam errungenen Sieges
mischte sich das Gefühl einer undeutlichen Qual und eines sich steigernden stolzen
Widerwillens, er sprach nun sehr besonnen: Und wenn die
Jetzt verstand Gotthard wirklich nicht. Langsam wiederholte er: Bemerkt? vorgezogen? – Hatte denn der Graf eine Ahnung, einen Verdacht? Ihn überschlich eine schneidende Eiseskälte, die sein Blut erstarren machte. Er schwieg.
Und doch, erwiderte der junge Mann, muß ich nun um eine Erklärung Sie ersuchen.
Vor etwa vier Wochen begegnete Professor Schulz zuerst auf der Treppe Ihrer Etage
dem Grafen; dasselbe geschah mir wenige Tage darauf bei einem Auflauf in der
Gasse, den die Arrestation einiger Carbonaris veranlaßte; es ward mir nun die
Gewißheit, daß mehre Mitglieder Ihres Hauses um seinen Aufenthalt in Bern wußten
und vielleicht auf unvorsichtige Art denselben zu verbergen suchten. Eine Woche
später, im Augenblicke der wiederholten Bekanntmachung einer sehr geschärften
Fremdenordnung, die ihm die Flucht abschnitt, entdeckte ich sein Versteck. Gestern
erfuhr ich Ihre Rückkehr und Ernennung zum Gesandten in Wien; es war leicht, die
Unannehmlichkeiten zu
Also wußten Sie es doch?
Ich erwähnte ja wol schon, daß ich Sophiens Worte: ce n'est pas lui! zufällig gehört. Mir schien die einzige Lösung aus einem Gespräch mit ihm erwachsen zu können; ich bat ihn um Offenheit und gestand ihm, daß ich selbst –
Wie? Sie wagten? – Doch freilich, Sie wollten ihn retten! Aber um welchen Preis? (Also weiß er's nicht! setzte er innerlich hinzu.)
Um welchen Preis, Herr Graf? Jetzt verstehe ich in der That gar nicht – was wollen Sie sagen? Darf ich bitten –
Mein Gott, Sie sagen ja selbst, daß Sie ihm Ihre unsinnige Schwäche bekannt, und
ich sehe, daß er diesen Wahnsinn benutzt hat. Es
In diesem Augenblick verwirrten sich Gotthards Ideen wie vorhin die des Grafen, er hielt den Uebergang für eine Falle; daß Kronberg während des ganzen Gesprächs vorausgesetzt, Gotthard habe eine Neigung zu Leontinen gefaßt und deshalb ihn mit allem Stolze seines Ranges und seiner bisherigen Stellung behandelt, fiel ihm nicht entfernt ein. Er wurde verlegen und fand nicht sogleich eine Antwort.
Da es jetzt auf die Möglichkeit unseres Beisammenseins ankommt, da ich nur höchst ungern die Carrière eines talentvollen jungen Mannes störend unterbrechen möchte, so erlauben Sie mir schließlich noch eine Frage. Haben Sie je gewagt, sich auszusprechen? – irgend Jemanden eine Thorheit einzugestehen – die – weiß Leontine?
Nun, jedermann weiß doch, ob er sein Gefühl verräth. Haben Sie irgend Gründe zu glauben, daß das Fräulein Ihre Leidenschaft errathen hat?
Ich? eine Leidenschaft für das Fräulein? – Gotthards Augen wurden starr, er sah blaue und rothe Funken und keinen äußeren Gegenstand mehr.
Und für wen denn sonst? fragte der Graf.
Beide Männer schwiegen; sie standen plötzlich als Todfeinde einander gegenüber. Hier konnte kein Wort mehr ausgesprochen werden.
Wie bei vielen Männern, deren Eitelkeit an die Stelle einer Herzensforderung
tritt, war in Kronbergs Seele ein wunder Fleck: das instinctmäßig errathende
Gefühl, von seiner Frau nicht eigentlich geliebt zu sein. Der Quell dieser
schmerzenden Empfindung war zugleich der
Nach diesen Andeutungen wird man begreifen, wie er nach kaum minutenlangem
Schweigen, ohne weiteren Uebergang, sogleich mit Gotthard von den Kindern zu reden
begann, deren so höchst vortheilhafte Entwicklung er dankbar pries und zugleich
sein höchstes Bedauern darüber aussprach, daß die neue Lebenswendung Gotthard
natürlich nicht mehr erlauben werde, sich ferner mit der Erziehung derselben zu
befassen, da ernstere und höhere Pflichten es ihm von jetzt an unmöglich machen
müßten. Glauben Sie mir, schloß er im wohlwollendsten Tone, daß ich die Größe
dieses Verlustes für meine Knaben schmerzlichst zu schätzen
Gotthard stiegen die Thränen in die Augen. Er fühlte sich mit einem Male aus jedem Zusammenhange mit der Geliebten losgerissen, er empfand den trennenden Schnitt, der die Bande des heiligsten Vertrauens zwischen ihnen löste, er sah sich auf eine ganz einfach herbeigeführte Weise gewaltsam aus dem Hause in's Weite hinausgestoßen, verbannt; und doch geschah das Alles so natürlich; die Kinder, die seinem Herzen so nahe standen, mit deren Interesse jede Faser ihres Lebens ihm verwachsen schien, sah er durch ein einziges Wort sich geraubt – er vermochte keine Erwiderung zu finden.
Möchten Sie, junger Freund! fuhr Kronberg mit fast väterlicher Güte fort, seine
schöne Gestalt hoch aufrichtend, indem er jetzt mit jeder Sylbe eine größere
Herrschaft über sich errang, möchten Sie jede neue Lebensstellung so
Gotthard eilte ihm nach und versuchte dem fast an der Schwelle Stehenden
auseinanderzusetzen, daß er wenigstens die Oberaufsicht über der Kinder Unterricht
und den ferneren Gang ihrer Bildung für's Erste sich zu erhalten wünsche, und daß
eine Stellung, wei
O, bester Herr Gotthard, sagte lachend Kronberg, Sie kennen Wien nicht und möchten sich einen Atlas von Unbequemlichkeiten und Unthunlichkeiten aufbürden. Nein, nein; seien Sie überzeugt, daß ich und die Gräfin, die natürlich ganz einverstanden mit mir ist – Gotthard wurde wieder todtenbleich, der Graf sah es, aber kein Zug des triumphirenden Gesichts verrieth ihn – Niemanden lieber die Leitung der Erziehung unserer Kinder überlassen möchten; aber Sie werden bald sehen, daß es unmöglich ist.
Apropos, fuhr er fort, indem er die Hand auf den Drücker legte, Sie werden wohl
thun, nach Berlin zu eilen, um sich den Herren dort zu präsentiren. Eigentlich
wollte ich Ihnen das gleich sagen und vergaß es; ich wünschte aber,
Als sich die Thüre hinter ihm schloß, stürzte Gotthard mit einem lauten Schmerzensschrei auf das Sopha und barg sein Gesicht tief in die Kissen – ihm war wie nach einer furchtbaren Operation, oder als sei ihm das Herz aus dem Leibe gerissen, als dehne sich das lange leere Leben unabsehbar weit aus vor ihm zu einer Ewigkeit der Pein und des Hasses. In diesem Augenblick hätte er kalten Blutes den Grafen zu ermorden vermocht.
Sie sehen! sie sehen, noch einmal sie sprechen! Keine Erdengewalt, kein Gottesfluch, kein Himmel und keine Hölle hätten ihn in dem Vorsatze wanken gemacht.
Er ging entschlossen und fast ruhig hinüber, denn wenn Leidenschaft und ein
unerschütterliches Wollen zusammenstoßen, entsteht eine wunderbare,
Und er sah sie. Welche höhere Natur hätte nicht im Leben eine solche Gipfelstunde höchster Qual und höchster Seligkeit gehabt, die ihr den Maßstab zu leihen vermöchte für die Minuten dieses wieder einander Gegenüberstehens.
Anna hatte fürchterlich mit sich gerungen, um sich den Vorsatz abzuzwingen, ihm
Leontinens Vermählung zu verschweigen. Als sie ihn sah, drang ein solcher Strom
der klarsten Lebenswahrheit in ihr Herz, daß sie nicht entfernt daran dachte, ihm
irgend etwas zu verbergen. Als er von ihr ging, hatte er ihr ausgesprochen, daß er
sein Leben ihrer würdig machen werde. Was Beide einander eigentlich gesagt, wußte
keines von ihnen, es tönte kein einzelnes Wort ihnen nach von dieser Unterredung;
was sie von einander wußten, war wie
Als Gotthard aufstand, um zu gehen, fiel ein unermeßlicher Schreck, wie eine
erdrückende Gewalt auf Annens Geist; sie starrte ihn sprachlos an und streckte
unbewußt die Hand aus, als wolle sie ihn halten. Er faßte diese weiche Hand und
küßte sie sanft. Gräfin, sagte er, die Augen fest in ihr Herz schlagend, als
sollten sie auf ewig darin wurzeln, Sie haben einmal gefragt, ob ich ein
lebenslanges Verstehen und Festhalten des Herzens zu begreifen, zu glauben
vermöchte? Was der Mensch in das erwidernde Wort zu legen vermag, ist wenig – er
ist ein Bettler, wenn er spricht, ein Bettler, der sich mit geborgten Lumpen
kleidet, die seiner Seele nicht passen – dennoch habe ich geantwortet, weil Sie
fragten. In dieser Stunde, die mich von Ihnen bannt, und doch zum ersten Mal, das
fühle ich jetzt mit
Was wollte denn Herr Gotthard? fragte eintretend der Graf.
Kronberg bemerkte das convulsivische Zittern ihrer Stimme sehr genau. Er schwieg, setzte sich aber zu ihr auf's Sopha und blieb den ganzen Abend bei ihr. Sie sprachen von gleichgültigen Dingen; selbst Leontinens schwer bedrohtes Geschick wagte keines zu berühren. Josephine und ihre Tochter schrieben an Geiersperg.
Kronberg war entsetzlich aufgeregt, er litt tausendfache Qualen; mit angespannter
Kraft beherrschte er jeden Blick, jedes Wort. Seine frühere Liebe für Anna war
momentan erwacht in all ihrer Stärke; das Recht auf ihren Besitz, die
Willenlosigkeit, mit welcher sie jeden Ausdruck desselben ertrug, und der ihm ganz
fremde Anblick der Leidenschaft in diesen Augen, die für ihn stets nur Wohlwollen,
Güte, einen freundlichen Blick gehabt, in jahrelangem Beisammensein, in
jahrelanger Hingebung, drangen
Es wird vorübergehen! sagte sich seine Eitelkeit. Aber was ist's? Sein Aeußeres? –
er hatte das Gefühl, schöner zu sein, als Gotthard – also seine Jugend! – In
dieses Analysiren ihres Gefühls mischten sich ihm die heterogensten Empfindungen
des Stolzes, einer
Gegen Abend stürzte Egon, in Thränen gebadet, in's Zimmer und an Anna's Brust. Mutter! Mutter! laß mich mit Herrn Gotthard gehen, bei ihm bleiben!
Herr Gotthard kommt wieder, sagte Anna weich.
Ja, aber er wird in einem andern Hause wohnen, fuhr der Knabe fort, und uns keine Stunden mehr geben. Ich mag keinen andern Lehrer, wir wollen Beide mit zu Herrn Gotthard gehen.
Und Vater und Mutter verlassen? fragte Kronberg streng, indem er den Arm des Knaben ziemlich hart ergriff.
Du thust mir weh, Papa! schluchzte das Kind, ich will dich und Mama alle Tage
besuchen;
Kronberg schleuderte zornig den weinenden Knaben von sich, der wieder hinüberlief.
Herr Gotthard scheint eine Art Hexenmeister, sagte er scharf und kalt; ich hasse dergleichen Uebertreibungen. Hast du dich denn gar nicht um die Kinder bekümmert, daß diese Albernheit so tiefe Wurzeln schlagen konnte?
Herr Gotthard ist dieser Liebe völlig werth, erwiderte Anna stolz; er hat unsäglich viel für die Kinder gethan.
Roderich lächelte verächtlich. Diese Magnetiseurs-Eindrücke sind de mauvais goût. Ich bin ganz froh, den Menschen los zu sein, obwol er ein vortrefflicher Arbeiter scheint und mir in Wien von bedeutendem Nutzen sein wird.
Mit großer Anstrengung hatte er dem Anfang
»Ich vermag es kaum mehr, an die Wirklichkeit meines Glückes zu glauben, lieber
Otto!« schrieb Vrenely. »Seit Anna und Leontine und Alle fort sind, ist mir, als
habe mir nur wunderschön von dir geträumt, wie in den ersten Wochen unserer
Bekanntschaft, wo ich kein Auge schloß, ohne dein liebes Gesicht sogleich vor mir
zu sehen. Es kam Alles so entsetzlich schnell. Die Generalin und meine Leontine
schien ein mir unverständlicher, tiefer Gram zu beugen; auch Anna hat grausam
gelitten. Ich ahne wol einen Theil, doch nicht den ganzen Umfang ihrer Schmerzen;
aber wenn ich die edle Frau und ihre Verhältnisse betrachte, muß ich die Augen
niederschlagen, sie steht so einsam mitten unter den Ihren; – wie ist mir
Du könntest Annen noch in einem der Nachtquartiere sehen, da sie der Pferde wegen so gar kurze Tagereisen machen; jedoch das Alles schreibt sie dir selbst – ich möchte dich nur leise bitten, dir die Freude nicht zu versagen, meint' ich nicht, dein liebes Herz sei der beste Berather. Ach, mein Otto! ich möchte um die Welt nicht, daß du Annen jemals vergäßest, kann ich gleich nicht recht ausdrücken, warum.
Laß uns vereint unsre Kraft anwenden, ihr den dornenreichen Weg zu erleichtern –
diese Wege über die sogenannten Höhen des Lebens sind so öde, so traurig! Man
verarmt im Steigen und verliert alle Kleinode und Blütenschätze, die man in den
stillen Thälern errungen; sie haben den Glanz und das Eis unserer Alpenpfade, aber
sie scheinen mir gefährlicher
Es war ein trüber, kalter Samstagsmorgen, als Otto dies und Annens Abschiedszeilen erhielt. Er hätte hin gekonnt; er ließ sich ein Pferd satteln und ritt es auf halb ungebahnten Wegen todtmüde, übernachtete in einer Dorfschenke im Gebirg und kehrte erst am Sonntag, Abends, spät nach Basel zurück, als ihn die Montags-Collegien zwangen, jeden Gedanken an ein nochmaliges Wiedersehen – wieder Scheiden Anna's aufzugeben.
Nach vierundzwanzig Stunden lag er an einem nervös-rheumatischen Fieber darnieder; doch seine kräftige Natur überwand es bald. Er stand auf, ermannte sich gewaltsam, las seine Collegien, arbeitete im Laboratorium und lebte so von einem zum andern Tage.
Vrenely hatte entsetzlich gelitten durch sein Schweigen, aber nicht zum zweiten
Male geschrieben.
»Ich danke dir«, schloß sein Brief, »damit begann mein Verhältniß zu dir, damit laß mich fortfahren bis zum Ende. Ich danke dir, daß du bist, wie du bist, daß du mich kennst und mich verstehst. Vertraue mir ferner und laß mich gewähren, reden, schweigen, wie es das Herz in mir verlangt; auch ohne Laut, Theuerste, wird es dem deinen immer antworten.«
Balsamisch weich legte sich das Frühjahr auf die ermüdete, aus manchen Wunden noch
blutende Erdenwelt; im größeren Theile Europa's war eine momentane politische Ruhe
eingetreten; in Wien bereitete sich König Johanns Uebergabe des brasilianischen
Throns unter den
Anna's Herz war nicht heiterer geworden; gleichgültigen Auges sah sie auf die
belebten Straßen und glänzenden Equipagen, auf das anmuthig-laute wohlhäbige
wiener Volksleben nieder, das durch dieselben hinwogte und an
Jetzt fuhr eine glänzende Stadtequipage heran. Anna schreckte zusammen und entfärbte sich, ihr Blick ruhte eine Secunde lang fast ängstlich auf den spiegelhellen Scheiben des Wagenfensters, es ward rasch niedergelassen. Kronberg grüßte sie freundlich – verbindlich, fast wie ein Fremder – und sie flogen einander vorüber.
Als sie in ihr Cabinet trat, um vor der Soirée noch ein Stündchen zu ruhen, saß ihr alter invalider Freund St. Luce bereits in demselben. Sie schon hier, lieber General? Das ist freundlich von Ihnen, daß Sie mich erwarteten, sagte sie leichthin.
Sie wissen, verehrte Freundin, daß ich mich gar nicht gern so rottenweise mit dem
ganzen
Nur eine fertige Coiffure drücke ich mir auf den Kopf; ich bin sogleich wieder bei Ihnen. Sie verschwand durch eine Seitenthür und kehrte nach wenigen Minuten im schwarzen eleganten Gesellschaftskleide und dem zierlichen, ebenfalls schwarzen, Aufsatz zurück. Nun, General! was haben Sie mir Neues mitgebracht?
Une pensée, erwiderte lachend der Gefragte, und zwar in Stiefeln und Sporn. (Das Gespräch wurde französisch geführt.) Ich sagte besser noch auf deutsch: »ein Vergißmeinnicht!« ich habe den ehemaligen Besitzer Ihres Posthörnchens, Ihren Monsieur August, aufgefunden.
Dies Mal nicht ganz. Rathen Sie einmal, wer es ist?
Wie kann ich, lieber General!
Mein alter Bediente und ehemaliger Reitknecht August, der mich seit zwölf Jahren nicht verlassen hat, und dem unzählige Mal die Gnade geworden, Ihnen in oder aus dem Wagen zu helfen!
Ist's möglich? das freut mich ungemein. Aber daß mir das nie geahnt!
Zwölf Jahre ist der alte Kerl in meinem Dienst, ihm fehlt glücklicherweise nur der
Gebrauch des linken Armes; aber das Ding bammelt ihm noch zur Seite, er hat nicht,
wie ich, blos einen armen Stummel aufzuweisen – kurz, wir helfen einander eben
aus; das Schicksal hat uns ja Beide auf einem Felde in einer Stunde getroffen.
Zwölf Jahre schweigt
Das ist eine Artigkeit für Sie, General! weil Sie mir die Cour machen!
Es war eine bis heute, wo er mir sein älteres Recht, Sie zu verehren, bewiesen.
O, schicken Sie mir ihn, lieber Freund! sagte Anna innig und weich, ich bin ihm noch ein Gegengeschenk schuldig. Sie zeigte auf eine kleine Uhr über ihrem Schreibtische, an welcher die ihr von August geschenkte Berlocke hing. Leider ist Monsieur August ein Prophet gewesen, und das Posthorn bläst die obligate Begleitung zu allen Hauptmelodien meines Lebens.
Wissen Sie auch warum?
Vermuthlich, weil ich nicht mehr gern reise und allzugern gereist habe. Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle.
Sie müssen nun nicht mehr so bestimmt von mei nem Alter sprechen, General! nicht eher, als bis mein ältester Sohn erwachsen ist, dann bin ich nach Ihren französischen Grundsätzen der Galanterie stets ein Jahr älter als er, also positiv jünger, als jetzt. Aber was meinen Sie wegen der Prophezeiung?
Daß Sie uns schwankenden, unsicheren Naturen das Bild der Stabilität in der ewig wechselnden Umgebung zu geben bestimmt sind – Sie bleiben überall Sie selbst. Er sah sie mit tiefem Wohlwollen an, es überflorte eine Art Wehmuth seine heitere, mit Narben verzierte Stirn.
Sophie brachte auf einem silbernen Präsentirteller ein Paar weiße Handschuhe, ein
Batisttaschentuch und Trauer-Armbänder von Lava. Anna reichte ihr den wunderschön
geformten
Kronberg fürchtet die Todten nicht, erwiderte Anna schwermüthig, nur die Lebenden sind ihm – unbequem.
Ist Ihr Bruder noch in Wien?
Leider!
Kann ich etwas für Sie thun?
Sie schüttelte traurig das Haupt. Morgen, lieber Freund! jetzt muß ich mir die Augen hell erhalten. Sophie hat das Zeichen zum Aufbruch gegeben. Ihren Arm, General!
Sie traten in den Gesellschaftssaal und fanden dort bereits einige Herren
versammelt, die der Gräfin Ankunft erwarteten. Bald vergrößerte sich der Kreis;
Duguet machte den Maître d'hôtel und führte die Aufsicht über eine glänzende
zahlreiche Dienerschaft. Es war
St. Luce schien in ihre Nähe gebannt, er hing an ihrem Auge, am flüchtigsten
Ausdruck ihrer Züge; er bewachte sie wie ein geliebtes Kind und suchte den
kleinsten ihrer Wünsche zu errathen. Es hatte etwas seltsam Rührendes dies stille
um sie Hergehen ohne allen Anspruch. Er stand noch im kräftigen Mannesalter, aber
die schweren, schlecht geheilten Wunden, der bei
Seit vielen Monaten schon stand Anna wirklich allein in der Gesellschaft, wie im
Leben. Ohne das Gefühl einer ihn peinlich nagenden Eifersucht verloren zu haben,
hatte Roderich damit begonnen, ihr eine volle, ja vielleicht übertriebene äußere
Freiheit aller Handlungen
Daran thut er indessen nicht besonders Unrecht, sagte Baron Luthbert; man kann doch wahrhaftig nicht Zeitlebens in seine eigene Frau verliebt bleiben! Und übrigens ist ihr alter Verehrer St. Luce auch nur – eine Uebergangsperiode.
Die kleine Capacelli ist allerliebst! Man sagt, Kronberg wird sie gar nicht wieder auftreten lassen.
Ganz gut, erwiderte Herr von Feldenau, aber man muß die Dehors beobachten! Daß
Sie meinen, weil sie keine Frau von Stande ist?
Ja, schauen's, mein bester Baron, Verhältnisse der Art wird es geben, so lange die Welt steht. Aber jede Dame aus unserem Kreise kann uns die Gnade erzeigen, unserer Equipage sich zu bedienen, das fällt nicht auf, da ist nichts dagegen zu sagen; aber so ein hübsches Weibchen sie ist, die Capacelli – Das Gespräch ging in leises Flüstern über. Ach, was, sagte endlich Luthbert, wir haben es Alle nicht besser gemacht!
Es schlug zehn Uhr; Kronberg trat eben mit einigen Herren vom Diplomatencorps in den Saal. Die Theater waren zu Ende, die Gesellschaft vergrößerte sich und wurde lebendig. Es ward Musik gemacht und in einem Nebensaal tanzten die jungen Leute.
Mein Gott! erwiderte ihre Nachbarin, sieht denn Niemand, daß diese arme Frau nur kalt scheint, weil sie an innerer Glut zusammenbricht?
Die Meisten sehen es wirklich nicht; ich möchte aber das Zauberwort kennen, das ihr inneres Leben löst, ich lese es auf keiner dieser Stirnen.
Geben Sie Acht, da ist er! bemerkte hinter ihnen eine Stimme.
Aus der Thüre des Nebensaals trat Gotthard! sein fragender Blick suchte Annen.
Ein interessanter Kopf! sagte die blasse Frau. Wer mag das sein?
Gotthard war eine halbe Stunde früher von Berlin zurückgekommen, wo er mehre
Monate
Gotthard sah es im Spiegel; aber er hatte sie drei volle Monate nicht gesehen, seine Züge drückten das Aufjubeln seines Herzens aus. Anna's Gesicht überflog ein brennendes Roth. Beide grüßten sich zugleich und begannen schon nach den ersten Bewillkommnungsformeln ein langes Gespräch, in dem sie eigentlich nichts sagten und dennoch Jedes von ihnen unendlich viel zu verstehen meinte.
Den liebt sie? fragte die blasse Frau. Aber wer ist es? wiederholte sie.
Ein junger Envoyé des preußischen Hofs, nicht eigentlich der Gesandtschaft
attachirt, aber doch mit ihr in Beziehung; er soll bereits im
Jetzt sieht er sie – jetzt redet er sie an! Die blasse Frau seufzte und versank in wahrscheinlich düstere Träume und Erinnerungen, denn sie wurde noch starrer und bleicher, und sagte kein Wort mehr.
Da ist der junge Gotthard wieder, bemerkte ein ungarischer Offizier seinem Nachbar. Sehen Sie doch, welche plötzliche Veränderung in der Kronberg! Ein solcher Blick und ich würfe ihm mein Leben nach, wie eine ausgepreßte Orange.
Bah! bah! Seien Sie nicht so excentrisch, mein guter Fritz! Befehlen Sie Ananas-Eis? Die Frau ist bildschön! Nach ihm wird sie accessible werden; warten wir's ab!
Der Offizier maß ihn von Kopf zu Fuß und drehte ihm, wie zufällig, den Rücken, um dem Tanz im Nebenzimmer zuzusehen. Der alte Narr ist auch in sie verliebt, murmelte er vor sich hin.
Was thut denn hier ein französischer Ehrenlegionist? fragte ein Anderer.
Er sitzt als Niobe neben dem Herzog von Reichstadt. Früher war er eine Creatur Napoleons, aber eine der unschädlichen; als man den Herzog von Reichstadt herbrachte –
Das arme Kind! Ihm sieht der Tod aus den Augen! Schon jetzt fühlt er das Entsetzliche seines Geschicks!
Ich bitt' Ihnen, er ist ganz vergnügt! sagte ein dicker, behaglicher Major.
St. Luce ist dem französischen Kaiser sehr
Unterdessen standen Anna und Gotthard noch mitten im Saale; sie hatten die Außenwelt vergessen.
Wie anders hatten die anderthalb Jahre Gotthard zur Welt und zu Annen gestellt!
Sein ungewöhnliches Talent hatte ihn dem Ministerium nach so kurzer Zeit schon
unentbehrlich erscheinen lassen. Noch hatte freilich seine Lage durch die
Vielseitigkeit seiner Arbeiten, welche wiederholte Reisen zwischen Wien, Berlin
und den älteren Provinzen veranlaßten, keine äußerlich bestimmte Form erhalten
können. Er hatte
In der ersten Zeit ihres wiener Aufenthalts hatte Anna Gotthard öfters im Hause
gesehen; er hatte es versucht, wenigstens durch Gespräche mit ihr der geliebten
Kinder Unterricht noch eine Weile fortzuleiten, aber mit der ihm eigenen gewandten
Hartnäckigkeit war es Kronberg dennoch gelungen, ohne irgend ein Dehors zu
verletzen, ihn nach und nach immer ferner zu stellen. Anna hatte die nicht zu
bergende Abneigung
In dem Kreise eleganter, aber ihr nicht gefährlicher junger Männer, mit denen Kronberg seine Gemahlin umgab und aus welchem er Gotthard möglichst auszuschließen suchte, begann deren Schönheit ein immer größeres Aufsehen zu erregen. Unter den eigentlichen Diplomaten hatten Gotthards meisterhaft in die seinen eingreifenden Arbeiten dem Grafen längst den Ruf eines ausgezeichneten Staatsmannes erworben, die ausgesuchte, elegante Bewirthung seiner zahlreichen Gäste hatte ihm den Namen eines Millionärs verschafft, und seiner stets unruhigen Eitelkeit war demnach für den Augenblick eine äußerst seltene, volle Befriedigung geboten.
Nur im tiefsten Innern seines Herzens nagte unausgesetzt der Wurm der sich stets
erneuenden
In diese Periode fiel des Generals Bekanntschaft. St. Luce gehörte zu den alten Anhängern Napoleons, die ohne Eingriffe in den von ihnen als unvermeidlich erkannten Gang der Ereignisse, in stiller Trauer überall am Grabe ihres Kaisers zu stehen scheinen: ein wandelndes Mausoleum seiner einstigen Größe, das noch lange ihn überdauern wird.
St. Luce war ein Arm abgenommen, ein Fuß gelähmt; an unbefugte Einmischung in die
durch Bonaparte's Tod ihm gleichgültig gewordene Politik des Tages war nicht zu
denken. So ließ man ihn, da er ohnehin mehren
Anfangs hoffte er viel für dessen Zukunft; Blüte um Blüte streiften die Jahre diesen geheimen Hoffnungen ab! St. Luce mußte den Keim des Todes langsam das junge Leben überwachsen sehen, doch hoffte er immer, selbst noch früher als der geliebte Knabe zu sterben, und konnte sich nicht entschließen, die Stätte des sich langsam öffnenden Grabes vor dem gefürchteten Augenblick zu verlassen. Da kamen Kronbergs nach Wien. Die Episode in Frau von Waldau's Hause, die dem jungen Manne eine so freundliche Erinnerung hinterlassen, tauchte mit erneuter Lebendigkeit vor seinem halb erstarrten müden Geiste auf – er sah Annen wieder und das ganze Herz ward ihm wach.
Als Gotthard sich mit der feinsten Berechnung aus dem Hause, ja so viel wie
möglich sogar aus dem Gesellschaftskreise verwiesen fühlte, der Annen umgab,
erwachte ein furchtbarer Zorn in seiner Seele. Anfangs kochte und tobte nur der
wilde Wunsch nach Rache in ihm; er war entschlossen, den ihm an Talent weit
untergeordneten Kronberg sinken zu lassen, ihn zu Grunde zu richten, ihn fühlen zu
machen, welche Gewalt er über Anna's Herz habe,
Kronberg hatte sich, durch die immerwährende Anstrengung, seine Eifersucht zu
verbergen und sich anders zu geben, als er in diesem Augenblicke wirklich war, in
eine so grimmig Alles negirende Stimmung versetzt, daß ihm jedes längere
Zusammensein mit Annen unerträglich ward. Sah sie ernst oder traurig aus, so
schien sie ihm in Liebesgram sich zu verzehren; war sie heiter, so glaubte er sich
betrogen und
Unglücklicherweise reizten ihn gerade in diesem Augenblicke einige Neckereien
seiner Bekannten; Baron Ruthberg klagte ihn der Eifersucht an, die ihn zu Hause
festhalte. Kronberg begann, Annen zu vernachlässigen, sie seltener zu
Er spielte, obgleich nur in guter Gesellschaft, hatte abwechselnd Glück und Unglück und schadete sich nicht bedeutend; er unternahm eine Art Touristenronde durch alle Theater und Volksgesellschaften, blieb aber insgeheim gelangweilt. Endlich machte er bei Ruthbergs Geliebter die Bekanntschaft einer spanischen Sängerin, die ihn anzog und amusirte. Dies Verhältniß, dessen lockere Fäden der innere Ueberdruß geknüpft, ward bald ein ihn fesselndes, was trotz momentanem Selbstvergessen bisher seit seiner Heirath nie der Fall gewesen. Und dennoch blieb er – eifersüchtig.
Anfangs erfuhr Anna nichts von dem Allen; erst als sie Kronberg im Theater einer
Dame in eine grillirte Loge folgen sah, als sie derselben Dame in seinem mit dem
Wappen
Aus diesem Hinzuziehen des Freundes entwickelte sich die Nothwendigkeit, ihrem Gemahl zu verbergen, daß jener ihr noch in Rath und That beistehe, und somit hatte Kronberg abermals selbst den ersten ihm verheimlichten Schritt des erneueten Einverständnisses herbeigeführt.
Gotthards Klugheit verstand ihn zu decken. Kronberg ahnte nicht, wer ihm das Erziehungshaus empfohlen, in dem er seinen Knaben untergebracht. Gotthard aber sah nun das Kind täglich. Josephs Nähe glaubte Anna sich noch eine Weile gönnen zu dürfen, der Kleine war jünger und schwächer als Egon.
St. Luce hatte den jungen Geheimrath kaum zwei-oder dreimal in Kronbergs Hause
getroffen, so war er im Geheimniß, obschon keines von ihnen eine Sylbe ihm
anvertraute. Er sah sehr bald ein, daß Anna zum ersten Male liebe,
St. Luce war von guten bürgerlichen Eltern in der Normandie geboren. Die blutigere Revolutionsepoche fiel noch in seine Kindheit, sie hatte ihn nicht verhärtet; ihm war etwas von dem geblieben, was die Franzosen in der Provinz enfant de famille nennen, das ihn, trotz manchem leichtsinnigen Streich seiner eigenen früheren Jahre, an ein einfaches rechtliches Gefühl, auch in Männern Frauen gegenüber glauben ließ.
Es ist traurig, daß in einer Menge an Erfahrung reichen Männern der höheren Stände
ein Unglaube entsteht, der sie ihr eigenes Geschlecht in Bezug auf das unsere fast
unbedingt des Egoismus und der Unwahrheit anklagen macht, noch trauriger aber, daß
unzählige Beispiele
St. Luce traute also Gotthard zu, daß ihn keine unlautere Absicht zu Annen zog, aber ihr Ruf, ihr Glück, ja selbst ihre Frauenehre schienen ihm deshalb nicht um ein Haar breit weniger gefährdet.
Kronbergs Verhältniß zur hübschen Spanierin war eben bekannt geworden, es war dem
alten Freund höchst widerwärtig. In einem andern Augenblicke würde er es leichter
genommen haben, jetzt aber erklärte er es für eine franche bêtise, welche Annen
einem Abgrund zustoße. Und dann il n'y avait pas regardé de près! denn die
Spanierin war dem Grafen untreu, das schien nun St. Luce nicht des Spektakels
werth, den die alberne Geschichte machte,
Kronberg fühlte sein Unrecht auch, aber um so mehr trieb ihn die innere dämonische Gewalt, darin zu beharren. Was hätte er dagegen nicht um eine einzige Thräne Annens gegeben, wie theuer wäre ihm der Ausdruck der erwachenden Eifersucht, des Schmerzes in ihren Zügen gewesen! Ihre sanfte, würdige Haltung empörte ihn – gerade weil er sie billigen mußte. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als während Gotthards Abwesenheit ein unangenehmer Vorfall ihn Annen gegenüber in Vortheil setzte und ihm eine ganz neue, mit jenen Empfindungen durchaus nicht in Verbindung stehende Ursache zur Misbilligung und Unzufriedenheit mit ihr gab.
Anna trug die Trauer um ihren Vater, der sanft und ohne alle Leiden seiner Frau in's Grab gefolgt war.
Ihre beiden Brüder, von denen der eine
In einer kleinen schlesischen Grenzstadt vergingen ihm nun mehrere Jahre, ohne irgend eine Spur in Herz oder Gemüth zu hinterlassen
In dieser peinlichen Verlegenheit – denn er hatte das Mädchen wirklich lieb –
wandte sich Louis an seine Schwester. Als auch ihre Fürbitten beim Vater nichts
fruchteten und Brief auf Brief ihr die traurige Lage des Mädchens schilderten, bei
deren Eltern der junge Mann bereits angehalten, versprach sie ihm ohne Kronbergs
Vorwissen bis zum Tode des Vaters
So weit war Alles gut. Die jungen Leute heiratheten und der Vater gab, obschon widerstrebend, seine Einwilligung, weil kein gerichtsgültiger Grund vorlag, sie zu versagen; auch würde die ihm eigene Art Aengstlichkeit den öffentlichen Widerspruch immer gemieden haben.
Einige Jahre gingen ungetrübt, ohne besondere Ereignisse den Eheleuten vorüber; Annen führten sie nach Wien. – Louis' Erstgeborenem hatte sich ein Schwesterchen zugesellt; er lebte zufrieden mit seiner jungen Frau, ihre Verhältnisse blieben kleinbürgerlich, was bei seiner Stellung und der Unbedeutendheit des Städtchens nichts auf sich hatte.
Da ward plötzlich das Regiment nach Glatz verlegt und nun reichte das Einkommen
nicht mehr. Die Schwiegereltern thaten das Möglichste,
Da starb der Bürgermeister. Louis erhielt Urlaub, seine Angelegenheiten zu ordnen,
und eilte nach Thüringen, die ihm zugefallene Erbschaft in Empfang zu nehmen.
Aber, ach! des Alten kleines Vermögen, in drei Theile getheilt, zeigte sich an Ort
und Stelle weit geringer,
Louis beschloß, seinen noch nicht abgelaufenen Urlaub zu einer Reise nach Wien anzuwenden, um Annen nicht nur zur Fortdauer seiner Pension und zur Entsagung ihres Antheils von der Erbschaft zu seinen Gunsten zu vermögen, sondern auch, um, wie er sich ausdrückte, seinen vornehmen Schwager zur Anleihe einer namhaften Summe »breitzuschlagen«. Er hielt sich zu all diesen Anforderungen vollkommen berechtigt: je enger die Gemüther, je größer die Ansprüche, das fehlt nie!
Anna saß nach einem ganz kleinen Diner
Ach! nach wenigen Minuten schon ward diese reine Freude der Schwester getrübt!
Louis war zu sehr mit dem Drange seiner eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um
andern Gedanken Raum geben zu können. Die durchaus eigennützige Absicht seines
Besuchs trat sogleich in das grellste Licht. Des Vaters Tod schien
Anna fühlte sich wie betäubt von dem Allen, sie war durchaus noch zu keiner klaren
Auffassung der Umstände gekommen, als unglücklicherweise Kronberg, dessen
unsinniger Argwohn
Es folgte eine für Anna sehr schwere halbe Stunde. Der junge Unteroffizier, seit Jahren an ganz untergeordnete Kreise gewöhnt, verletzte mit jedem Worte des Grafen Eitelkeit.
Abwechselnd verlegen durch die vornehme Haltung und sichtliche Ueberlegenheit desselben, und familiär mit dem Manne seiner Schwester, trug er seine Geschichte augenblicklich, ohne weitere Einleitung, auch ihm vor.
Kronberg wandte sich, ihn unterbrechend, zu Annen, die ihm leid that, und bat sie an seiner Statt auf ein Paar Minuten zu den Herren hinüberzugehen, um ihre längere Abwesenheit zu entschuldigen, zugleich aber Erfrischungen für ihren Bruder zu senden, der gewiß nach der Reise derselben bedürfe. Er winkte ihr freundlich mit den Augen und versprach, daß er sie gleich wieder ablösen werde.
Anna hätte natürlich lieber gesehen, daß Kronberg drüben den Wirth gemacht hätte;
es lag aber nach langer Zeit wieder einmal die edle, milde Güte in seinen Zügen,
die ihn immer ihr gegenüber den Sieg davontragen ließ; und da dem vollströmenden
Redefluß des jungen Kriegers ohnehin kein Einhalt zu thun möglich schien, ergab
sie sich in das Unvermeidliche und ging. Sehr anmuthig sagte sie den noch um den
Kaffeetisch versammelten Freunden, daß ein lieber unerwarteter Besuch aus der
Heimat sie heute um die Freude ihrer Gesellschaft bringe und sie Kronberg allein
das Vergnügen, sie zu unterhalten, überlassen müsse. Sie hatte kaum den
Glückwünschen und Bedauern ihrer Gäste Genüge gethan, indem sie auf einen der
nächsten Tage sie wieder einlud, um sich zu entschädigen, als Kronberg wirklich
schon kam, um sie zu befreien. Aber, ach! der schöne Strahl des Wohlwollens in
seinen Zügen war
Drüben fand sie ihren Bruder in der Aufregung des heftigsten Verdrusses. Er war im
Sprechen mit Roderich immer vertraulicher geworden, hatte nicht nur die von Annen
ihm zugestandene Summe jährlicher Rente erwähnt, sondern auch geäußert, er habe
ihr das eigentlich viel zu hoch angeschlagen; wenn er gewußt hätte, wie reich sie
sei, wie kostbar sie wohne und wie alles um sie her von Gold strotze, so würde ihm
doch sehr schwer geworden sein, sich nicht mit größeren Ansprüchen an seine
Schwester zu wenden. Es sei freilich einmal die schlimme Einrichtung in dieser
Welt, daß der Eine in Sammt und Seide einhergehe, während der Andere barfuß laufe;
aber Geschwister sollten doch immer an einander halten, und was ihn beträfe, er
sei nur ein armer Schlucker,
Statt Salz und Brod verzehrte er im Eifer eine kalte Rebhühnerpastete und trank starken Ungarwein und Burgunder durcheinander, die ihm Duguet zur Auswahl hingesetzt. Der ungewohnte Wein stieg ihm zu Kopfe und raubte ihm die Besinnung.
So, fuhr er fort zu peroriren, sollte Anna auch denken, und wenn sie ein
rechtschaffenes Herz im Leibe habe, könne sie ihre Geschwister nicht in Schulden
und Mangel versinken lassen; und dasselbe Vertrauen habe er auch zu seinem Herrn
Schwager, darum rede er so offen, frischweg von der Leber. Er und seine Frau wären
freilich nur arme, geringe Leute und ihre Freundschaft keine gräfliche, sie gehöre
aber zu einem ehrsamen, achtbaren Handwerk, das seinen
Kronberg lächelte; in seinem ganzen Leben hatte er noch nicht mit Annen von der Wirthschaft gesprochen.
Louis trank ein Glas nach dem andern, wurde immer verworrener und steigerte sich
in's Absurde. Allmälig siegte, trotz der feinen und gewandten Weise, auch in
Kronberg die rohere Natur, er ward ärgerlich; ihn verdroß Annens Heimlichkeit, ihn
verdrossen die auf nichts basirten Ansprüche des Schwagers, der nichts gelernt
Der eine Gedanke war in Kronberg zur fixen Idee geworden, vielleicht gerade, weil er ihn nicht eingestand.
Sehr gemessen und ernst erklärte er Louis, daß er von dem ihm von Annen gewährten
Zuschuß nichts gewußt, daß Niemand seinen Geldbeutel zu taxiren habe und er auf
keinen Fall zugeben werde, daß Anna zu seinen Gunsten ihres Erbrechts sich begebe,
weil es gegen sie selbst, dann aber auch gegen ihren jüngeren Bruder Franz unrecht
sein würde. Ob er ihr
Nun brach der Ingrimm des vom ungewohnten Wein Erhitzten mit doppelter Gewalt los;
er sprach von einem goldenen Bauer, in den freilich nicht immer Glück zu finden
sei, äußerte, daß, wenn seine Schwester, die recht wohl wisse, welchem ihrer
Brüder ihre Hülfe nöthig, nicht einmal den freien Gebrauch ihres Reichthums haben
sollte, dann freilich sei die reiche vornehme Dame nicht besser daran, als seine
eigne Frau; sie wären Beide arm, das sei wahr, er aber lege das Geld in eine
Schieblade, über welche sie und er gingen. Er sähe freilich nun wol ein, bei den
Adeligen sei Alles das anders; er habe oft seinen seligen Vater
Das traf einen wunden Fleck in Kronbergs Brust. Der ganz absichtslose Ausdruck –
denn Louis hatte ja keine Ahnung vom Dasein der Capacelli – fachte eine furchtbare
Flamme des Zorns in ihm an. Nach wenigen schonungslosen, durch Eiseskälte und
Schärfe des Tons gleich vernichtenden Worten verließ der Graf
Dies Alles erfuhr oder vielmehr errieth Anna aus den rhapsodischen Ausbrüchen der Empörung, in welcher sie ihren Bruder fand. Ohne auf ihre Bitten oder mildernden Erörterungen zu hören, ergriff Louis seinen Tschako und rannte hinaus, sie hatte eben noch Besinnung, Duguet ihm nachzuschicken. Duguet, der immer wortlos die Stimmung und den Zustand seiner Gebieterin zu errathen verstand, folgte dem jungen Manne, führte ihn höflich in ein anständiges Gasthaus, besorgte sein Ränzel hin, bediente ihn und stand am frühesten Morgen mit einem Magazinschneider vor ihm, der einen äußerst anständigen Civilanzug ihm präsentirte.
Wer irgend Wien kennt, muß begreifen, daß Anna ihrem Gatten die möglichste
Rücksicht auf Louis, des Unteroffiziers, äußere Erscheinung
Man gibt der menschlichen Charakterbildung allgemein klimatische und nationale
Färbung zu; Niemand wundert sich, einen Italiener heftig, einen Spanier
rachsüchtig, einen Holländer ruhig oder gar phlegmatisch zu finden, das alles ist
als traditionell längst in die allgemeine Volksansicht übergegangen; aber an den
nicht kleineren
Im Grunde hatten Beide, der Graf und der Unteroffizier, jeder von seinem Standpunkte aus, Recht, Beide mischten nur ihrer Selbstbeurtheilung einen Theil Selbsttäuschung zu. Der Cavalier hätte nicht vermocht, einem so hoch über ihm stehenden Verwandten mit solchen Anforderungen sich an den Hals zu werfen, aber Unterstützung, Avancement, Avantagen hätte er ohne Scheu von ihm erwartet und angenommen; seine edlere Natur würde vielleicht dabei mehr gelitten haben, aber die Noth hätte ihn wie jenen gezwungen.
Der kleine Bürger dagegen ging directer zu
Und auch im zarteren Charakter Anna's hafteten die ersten Erfahrungen des noch
kaum in die Außenwelt blickenden Kinderauges. Sie fühlte sich in ihren
Erinnerungen verletzt, zerspalten
Sonderbar, daß ihr nicht einen Augenblick beifiel, daß auch Gotthard ein
Bürgerlicher sei! Es ist aber unleugbar, daß in unseren Tagen dem wirklich
eminenten Talent überall Bahn bereitet ist und die Aristokratie des Geistes jede
andere weit überflügelt, bei Männern und Frauen. Daß bei den letztern an den
Fühlfäden des Gemüths, wie an den Wurzeln einer schönen Blume, der Heimatsboden
fester haftet beim Verpflanzen, liegt an der innern Poesie,
Vermöchten wir daher nur in dem jetzigen Ringen befugter und unbefugter Weltverbesserungen, Jeder in sich selbst die große Revolution zu bewerkstelligen, die das individuelle Urtheil von den Banden aller Gewöhnung und des eigenen Standpunktes erlöste, dann wäre wirklich dem intellectuellen Sein ein schöner Tag erschienen, es feierte dann seine goldne Zeit!
Aber als Louis nun nach vollendeter Umwandlung zu Annen sollte, erklärte er ihr
schriftlich, sie müsse irgendwo mit ihm zusammenkommen, zu seinem vornehmen
impertinenten Schwager setze er keinen Fuß mehr. Anna traf ihn auf der Promenade,
fuhr mit ihm um ganz Wien herum, stieg am Glacis aus und ging mit ihm spazieren.
Die gestrige Scene erneute sich. Anna versprach, die Pension ferner zu
Mochte ihn ihre abschlägige Antwort verdrossen oder er vergessen haben, daß er
selbst am Morgen sich geweigert, Kronbergs Wohnung zu betreten, er ward abermals
heftig und meinte, vermuthlich dürfe sie ihn nicht in's Haus bringen, ihr Mann
wolle den geringen Soldaten gar nicht einmal sehen, er werde ihn wol durch seine
Lakaien zur Thür hinauswerfen lassen? Anna litt unsäglich. Im nämlichen
Augenblicke rollte Kronbergs Equipage heran. Die Spanierin kannte Annen, sah sie
mit einem stattlichen, sogar schönen jungen Manne gehen und lorgnettirte das Paar
aufmerksam und dreist. Auch Kronberg sah schärfer
Wer war das? Wer ist die? fragte Louis?
Ich weiß nicht, stotterte Anna verlegen und wurde abwechselnd bleich und roth.
Aber ich weiß es! Kreuz, Bomben und Granaten! Armes, armes Weib! – Er drohte ihnen mit der Faust nach. Ohne ein Wort weiter zu reden, führte er Annen an ihren Wagen, hob sie hinein, warf den Schlag zu und war verschwunden. Anna zitterte heftig, sie konnte kein Auge aufschlagen.
Wild wogte das Blut in Louis' kochender Brust, er glaubte, den Wagen einholen zu
können, um zu erfahren, wohin der Graf mit seiner Geliebten fahre, aber die Pferde
entschwanden ihm nach wenig Secunden. Betäubt, nach Entschluß ringend, trat er in
ein Weinhaus. Er trank hastig, er wußte nicht wie viel, noch was. Am Morgen hatte
er in
Unterdessen war Anna im Nachhausefahren St. Luce begegnet, den sie sogleich in
ihren Wagen zu steigen und mit ihr nach Hause zu fahren bat. Der alte Freund
erschrak, als er ihre heftige Erregung gewahrte. Halb verwirrt vor Angst, erzählte
sie ihm den gestrigen Vorfall und daß Louis mit Kronberg hart an einander
Das eine Wort war dem gewandten Franzosen genug, er wußte sogleich mit wem, und errieth das Uebrige. Nach wenigen Minuten verließ er seine schöne Freundin, um Louis zu besuchen, ging aber statt dessen zu Kronberg, drückte dem Bedienten, der ihn melden wollte, einen Gulden in die Hand und trat in dem Augenblicke in's Zimmer, als Kronberg eben seinen Schwager bei der Schulter ergriff und heftig auf ihn eindringend, wiederholend ausrief: Wer ist der Elende? Wer hat es gesagt?
Pardon, cher Comte! sagte der alte General und ließ im Eintreten seinen Stock
fallen, den er, mit dem Rücken jenen zugewendet, äußerst mühsam aufhob. Auf diese
Art gehindert,
Kronberg hatte im Augenblick seines Eintritts die Hand von Louis' Schulter zurückgezogen, ihm standen die Schweißtropfen glühender Beschämung auf der Stirn, er hatte ja seinen Schwager beinahe wie einen Bedienten behandelt!
Louis faßte sich schneller, weil das Erkennen des Generals seine Aufmerksamkeit
gewaltsamer in Anspruch nahm. St. Luce ließ sich innerlich von Beiden zu allen
tausend Teufeln wünschen, hielt aber Stich und ruhte nicht eher, bis er Louis'
Stimmung beschwichtigt hatte. Die außerordentliche Freundlichkeit des alten
Mannes, der ihn wie einen Sohn an's Herz drückte, überwältigte ihn. Mit Bitten
bestürmt,
Auf Kronberg, der augenblicklich des schlauen Invaliden Spiel durchschaute, machte
die Sache einen allmälig fast komischen Eindruck. Der alte Fuchs, dachte er
innerlich, er hat ganz Recht! Mit einem Unteroffizier kann ich mich doch nicht
schlagen! Und wegen der Capacelli! ich! Er reichte, plötzlich ent schlossen,
seinem Schwager die Hand. Vergeben Sie mir, ich bin zu rasch gewesen! sagte er mit
anmuthiger Höflichkeit; Sie sind im Recht! Ist's aber irgend möglich, so nennen
Sie mir nun endlich den Namen des Verleumders, ich bitte Sie dringend darum! Der
Graf sah vollkommen beruhigt aus, und doch wogte das Blut noch in ihm, als wolle
es seine Adern sprengen.
Louis schwieg immer noch. Er schämte sich, die Namen des Wirthes und einiger untergeordneten Personen zu nennen, ein inneres Zartgefühl hielt ihn zurück; er wußte, der reiche Graf würde solche Stimmen nicht gelten lassen. Morgen! wiederholte er entschlossen.
Nach secundenlangem Nachsinnen ließ ihn Roderich ruhig mit St. Luce sich entfernen.
Ein ungeheurer Schmerz hatte ihn ergriffen, es war ihm klar, Anna, Anna hatte über
ihn geklagt! Anna hatte Geheimnisse vor ihm. Ein fressendes Mistrauen drängte sich
in seine Seele und zwischen ihn und sie. Er ward rauh, unfreundlich, höhnisch
gegen seine Frau, die diese neue Wendung seiner Laune nicht begriff und in der die
Sehnsucht nach Gotthard mit jedem Tage fürchterlicher arbeitete und bohrte,
wie
Louis aber war wenige Stunden, nachdem er den Grafen verlassen, plötzlich heftig
erkrankt; der klimatische Wechsel oder die ungeheure innere Aufregung, die das
Gespräch mit demselben erzeugen mußte und die der nur an körperliche Strapazen
Gewöhnte nicht in sich zu verarbeiten vermochte, zogen ihm ein Wechselfieber zu.
Anna und St. Luce besuchten ihn täglich; Letzterem gelang es, ihm allmälig etwas
ruhigere Ansichten einzuflößen und sein Betragen gegen den Grafen zu regeln.
Kronberg ließ sich alle Morgen nach ihm erkundigen, ging aber nicht hin.
Schweigend verdoppelte er Annens Nadelgeld. Sie muß doch anständig erscheinen
können, sagte er bitter; aber sein Benehmen blieb folternd ungleich, hart und
voller Mistrauen. Jedes Gefühl seines eigenen
So standen die Dinge, als unerwartet, wie ein Trost des Himmels, Gotthard von Berlin zurückkehrte.
Am nächsten Morgen erwachte sie mit dem Gefühl: Er ist da, du wirst ihn sehen! Und in den Vormittagsstunden kam er. Sie durchsprachen in hieroglyphenartigen Worten Alles, was während jener tödtenden Trennungszeit an Beiden vorübergezogen; sie berührten es kaum und nur andeutend, denn bei solchem Ineinanderwachsen der Seelen bedarf es keiner langen Rede; jeder Blick, jeder Hauch, jedes Schweigen wird verstanden. Das eben ist ja das eigentliche Glück der höheren Liebe, daß sie zwei Menschen frei macht von all den kleinen Qualen und Fesseln des Nichtverstehens und der Seeleneinsamkeit.
Sie erzählte ihm auch von Louis, von seinem
Sonderbar, sagte dieser, ich bringe den jungen Müller durchaus nicht fort. Der Arzt findet ihn genesen; sein auf unser Schreiben verlängerter Urlaub ist fast abgelaufen; seine Rechnungen sind in unsern Händen, der Wirth, der Arzt, der Schneider – –
Und alles das muß die Gräfin zahlen? fragte Gotthard.
Leider! Sie besucht ihn alle Vormittage, er nimmt jedesmal halb und halb von ihr
Abschied, versichert, ein förmliches Lebewohl sei ihm unerträglich, und am
nächsten Morgen findet sie ihn wieder. Was kann das sein, er kann uns doch nicht
immer so in Wien auf
Er hat gespielt, erwiderte Gotthard, wie durch plötzliche Eingebung. Ich will sogleich zu ihm.
Gotthard hatte die Fessel richtig erkannt, welche den Unglücklichen von seinem Krankenlager nicht sich lösen ließ. Louis war einem Stube an Stube mit ihm wohnenden Glücksjäger in die Hände gefallen und alles Geld, das er von Anna erhalten, jenem bereits zur Beute geworden.
Die Art und Weise, durch welche es Gotthard gelang, den Unbesonnenen zum
Geständniß zu bringen, kann für uns kein sonderliches Interesse haben. Als die
Summen berechnet waren, reichte Alles, was Louis an baarem Gelde besaß, nicht hin,
die Hälfte der Schuld zu decken. Des ganz Unbemittelten Aufenthalt in einem Hotel,
seine Krankheit, seine verschiedenen
In den letzten Momenten seines Aufenthalts, während Gotthard zu seinem Nachbar hinüberging, nahm Louis in einigen Zeilen Abschied von seiner Schwester und übergab den Brief dem Lohnbedienten des Hotels.
Nachdem auf diese Weise alles geordnet und Louis abgereist war, glaubte Gotthard
Annen beruhigen zu müssen, ohne ihr jedoch von der sich auf einige und fünfhundert
Gulden belaufenden Summe etwas zu sagen, die zu zahlen er übernommen, und von
welcher er hoffte, sie solle ganz unerwähnt bleiben, um der theuern
Als er Annens Zimmer betrat, fand er sie in Thränen, sie hatte ihn angenommen, weil sie sich's nicht zu versagen vermochte. Es war die erste Unbesonnenheit ihrer Liebe, der erste Fehltritt. Louis hatte ihr alles geschrieben.
Zu redlich, einen ihm ganz Fremden um eine ihm bedeutend erscheinende Summe zu bringen, zu leichtsinnig, um die möglichen Folgen der Uebertragung seiner Anleihe zu bedenken, schien ihm der natürlichste Ausweg der, seine Schwester zu Gotthard's Schuldnerin zu machen. Kahl und nackt, ohne alle Selbstentschuldigung, hatte er ihr die Sache hingestellt, wie sie eben war; ja, er hatte sogar den aufgeregten fieberhaften Zustand, während welchem er dem Hazardspieler in die Hände gefallen, dem unverantwortlichen Betragen Kronbergs gegen sich und Annen zugeschrieben.
Anna weinte bittere Thränen, Louis' Egoismus schnitt ihr in's Herz, sie fühlte sich zwischen Gatten und Bruder so fürchterlich allein, so fremd, wie in einer endlosen Wüste. Louis' Anklage ihres Mannes war schonungslos scharf, das Aussprechen seiner Treulosigkeit gegen sie that ihr aus ihres Bruders Munde weher, als in all den Bemerkungen der frivolen Gesellschaft, welche am Ende nur lachte, spöttelte und – vergaß.
Auch Gotthard, dem ganz unbegüterten Freunde, eine neue Last aufgebürdet zu sehen,
Gotthard setzte sich diesmal neben sie, statt wie sonst ihr gegenüber. Ihm war so unsäglich wohl und leicht; war doch nun diese Sorge der theuern Frau entnommen.
Er sprach sogleich von Louis, ging freimüthig in dessen Lage und Ansicht ein, erst ihn beklagend, dann heiter ihn vertheidigend. Er schilderte ihr Schlesien, Glatz, das er kannte, das gemüthliche, etwas beschränkte Bürgerleben des Städtchens; sprach über manche kleine Vortheile und Annehmlichkeiten, die ein längerer Aufenthalt Louis und den Seinen dort gewähren müsse. Mit jedem neuen Abschnitt lichtete er die Farbe seiner Darstellung.
Anna war, als habe sie noch nie Jemanden zugehört, oder als tauche ihre Kindheit
wieder
Die kleine irländische Ballade, welche Leontine am ersten Abende des Zusammenseins
mit ihm gesungen, war Beiden eine Art inneren Palladiums geworden. An jenem Abend
hatte Gotthard zuerst sich ihr ausgesprochen. Seitdem hatte er die Verse in Musik
gesetzt und oft gesungen. Wenn Kronberg Annen ganz unverständlich wurde, spielte
sie die Melodie; seltsam genug liegt diese Art Doppelempfindung
Anna saß in der Nähe des Fortepiano, auf demselben lag die Ballade aufgeschlagen; unwillkürlich fiel ihr Blick darauf, er umflorte sich, sie ward sehr düster.
Gotthard war ihr im Sprechen näher gerückt, sein Stuhl berührte die Sophaecke, in
welcher sie ruhte. Sein Auge folgte dem ihren, aber er verstand den Zug ihrer
Gedanken nicht sogleich; es trat eine jener gefährlichen Gesprächspausen ein, in
denen die Gewalt des sich insgeheim entwickelnden Gefühls verrätherisch der
Erwiderung im Augenaufschlag des Geliebten begegnet – Beide errötheten. Gotthard
Zum ersten Mal versagten sich ihnen Wort und Gedanken, die innere Flut der Empfindung und einer plötzlich sie überkommenden namenlosen schmerzlichen Ahnung überwältigte Beide. So saßen sie schweigend neben einander, dicht zu einander gebeugt, lautlos das Glück der Geliebten Nähe fühlend, scheu vor jeder noch näheren Berührung zurückbebend.
Da sprang die kleine Tapetenthüre auf, die aus dem Cabinet zu einer obern Zimmerreihe führte, Kronberg trat in dieselbe, er schleuderte den kleinen Joseph vor sich her, den er an der Hand herabgeführt.
Kannst du mir erklären, Anna! – begann er und blieb verstummend, staunend an der
Schwelle stehen – er gewahrte Gotthard, der aufgesprungen war, der Knabe aber
stürzte in des geliebten Freundes Arme, der ihn zärtlich
Gotthard fühlte lebhaft, es gälte, die Geliebte vor einer neuen Form der Eifersucht zu schirmen, die Kronberg verzehrte. Beide Männer verstanden vollkommen einer den andern: Anna's Name durfte nie unter ihnen genannt werden. Sie saß beklommen, schwer athmend, still in ihrer Sophaecke.
Gotthard erwiderte stolz aber besonnen, daß der Director des Instituts sein
Jugendfreund sei, den er allerdings während seines kurzen
Herr Gotthard, unterbrach ihn der Graf, als die Kinder noch das Glück hatten, Ihrer Obhut anvertraut zu sein, habe ich, der Vater, mir nie die kleinste Einmischung in Ihre Ansicht und Erziehungsart erlaubt. Sie würden mich verbinden, obgleich ich Ihre Theilnahme dankbar anerkenne, dasselbe jetzt für mich zu thun. Doch habe ich ohnehin mit Beiden andere Pläne und kam, sie mit der Gräfin zu besprechen. Vergeben Sie, daß ich Ihre Gegenwart in meinem Eifer nicht augenblicklich bemerkte; die Sache hat Zeit.
Mit gewohnter Leichtigkeit begann er ein Gespräch über ein von Gotthard verfaßtes
Memoire, blieb eine halbe Stunde und verließ dann das Zimmer mit der Bitte an
Gotthard,
Anna, sagte endlich Gotthard, indem er den Knaben, der in seinen Armen eingeschlafen war – es war Abend geworden – auf's Sopha legte, Anna! wir müssen scheiden. Auf welche Weise ist mir selbst noch nicht deutlich, aber es gilt, Ihnen die Knaben zu erhalten, deren Verlust Sie zerstören würde. Gott weiß, ob ich Sie je wieder allein spreche, darum heute eine Bitte, für welche ich Ihre Verzeihung innigst erflehe.
Er blickte auf Joseph, das Kind schlief fest und sanft. Anna war in einer
furchtbaren Stimmung, Gotthards volle bewegte Stimme
Der Graf wird meine Einmischung in seine Verhältnisse unter keiner Form jemals vergeben, Sie würden immer dafür büßen. Sie wissen, Anna, daß mein Leben hier, wie in der Ferne Ihnen angehört. Ich werde Wien gleich nach der geschlossenen Uebereinkunft mit Metternich verlassen, mich ganz den Geschäften in den älteren Provinzen widmen. Der volle, tragende Strom der Zeit – Anna, er wird auch uns wieder zusammenführen und – es übermannte ihn, er schwieg einige Secunden – durch alle Verwandlungen der Tage hindurch werden wir einander erkennen. Nicht wahr, immer, überall?
Ich hoffe es, sagte sie, zusammenbrechend.
Nein, o nein, Anna! Sie müssen es wissen, unumstößlich gewiß, wie Sie wissen, was
Ihnen das Höchste ist, wie Sie von Gott wissen, von der Fortdauer, tief aus dem
Innern
Ich weiß es! sagte sie fest. Er ließ sie los und ging nach seiner alten Art einige Male hin und wieder, um sich zu sammeln.
Es bleibt keine Zeit mehr, Wort und Ausdruck zu messen, wir haben kaum noch nach Minuten zu zählen; also meine Bitte.
Anna weinte, Gotthard trocknete leise ihre Thränen; aber er berührte ihre Augen
nur mit dem Tuche. Hören Sie mich, fuhr er immer trauriger fort, jede kleinliche
Rücksicht einer engherzigen Delicatesse muß in diesem Augenblicke schwinden! Ihr
Gemahl darf nie, unter keiner Bedingung, auf keine Weise erfahren, was zwischen
mir und Louis vorgefallen; die Verpflichtungen, die er und ich als Männer
gegeneinander übernommen, müssen unberührt zwischen ihm und mir allein bleiben –
das,
Louis hat mir alles geschrieben –
Unmöglich!
Ich weiß, welche Summe Sie für ihn übernommen. Er hat mir das Geld zu zahlen –
O Anna! rief Gotthard, schmerzlich ergriffen, indem er ihre Hände einen Augenblick an seine Brust zog, mußten Sie es aussprechen? Mußten Sie das elendeste Wort in dieser Stunde sich eindrängen lassen, die wahrscheinlich für uns keine Schwestern auf Erden hat? – Doch wie Sie wollen! Gleichviel; meine Bitte bleibt fest: kein Vorwurf, keine Scene, kein Misverstehen darf Ihnen das Geheimniß entlocken; Kronberg darf nie erfahren, was zwischen mir und Louis abgehandelt! O Freundin! versprechen Sie mir, was Sie nicht begreifen, ich bitte, ich beschwöre Sie darum!
Ich verspreche es! sagte Anna; und glauben
Mutter! Gotthard! schrie das Kind im Schlaf. Beide eilten zu ihm. Gotthard küßte seine blonden Locken, die über die Sophalehne herabhingen – er sah traurig aus, wie van Eyks richtende Engel. Gott erhalte Ihnen den Knaben! rief er gepreßt, dann wandte er sich, um zu scheiden. In Beiden wogte der Kampf einer mit jedem Moment sich steigernden verzweifelnden Leidenschaft und seine schmerzliche Gewalt riß Herz an Herz. Gotthard drückte die zitternden Hände auf seine Augen. Nein! nein! rief er mit wachsender Heftigkeit, auch nicht den Schatten eines Fleckens auf diese Stunde! Er bog sich leicht zu Annen nieder und küßte ihr Gewand. Bleibe meine Heilige! flüsterte er und stürmte fort.
Anna sank weinend neben ihrem schlafenden Knaben in die Knie und betrachtete ihn
lange;
Nach fünf Minuten hörte sie Kronbergs Schritt im Vorzimmer. Er sah erhitzt und unglücklich gestimmt aus; er kam von der Capacelli, die ihm irgend eine Scene gemacht haben mochte. Dem Aerger über sie gesellte sich die Entrüstung über Gotthards unverschämte Eingriffe in alle Rechte, die ihm die Natur und die bürgerliche Gesellschaft verliehen.
Anna, sagte er, ich hatte gehofft, die unglückselige Geheimnißkrämerei, die so
traurige und ernste Folgen in Bezug auf Leontinen gehabt, würde in unserer Familie
wenigstens nicht
Mich dünkt, sagte Anna, wir verdanken ihm die Freiheit unseres Schwagers. Hast du vergessen, daß am Tage nach dessen gelungener Flucht Haussuchung die ganze Straße entlang gehalten wurde? Sie trat zu ihm und legte sanft die Hand auf seinen Arm. Beflecke dich nicht durch Undankbarkeit, Roderich!
Eben so, fuhr Kronberg fort, ohne auf sie zu hören, möchte er nur ohne Recht und Befugniß die Leitung des ganzen Bildungsganges unserer Söhne sich erhalten! Ich glaube nicht an Infallibilität, nicht einmal an die des heiligen Vaters.
Was soll das Alles? fragte Anna.
Du hast mir schmerzlich-klare Gründe gegeben,
Anna schwieg; wie eine Königin stand sie ruhig und ernst vor ihm. Ich verstehe dich nicht, sagte sie endlich.
Leider sind mir seine Beweggründe keine Räthsel mehr! Aber bedenke, fuhr er, immer
heftiger aufbrausend, fort, bedenke genau, was du thust! Ein unedles Erspähen
meiner Tritte und Schritte ertrage ich nicht! – Ich habe dir volle, unbegrenzte
Freiheit in allen Handlungen gelassen – laß sie nicht in Beherrschung der meinen
ausarten! Armes Kind! was hoffst du zu erreichen? setzte er, immer mehr sich
steigernd, höhnisch hinzu. Meinst du, der Satan lasse mit sich handeln und sich
einen Rest des einmal von
Er warf sich auf das Sopha und blieb schweigend, als erwarte er ihre Antwort, mit verhülltem Gesicht vor ihr sitzen. Seine Brust arbeitete fürchterlich, er schien fassungslos. Hand und Schnupftuch verbargen ihr seine Züge.
Ich verstehe dich durchaus nicht, Roderich! wiederholte sie mit trauriger, aber fester Stimme. Meinst du jedoch eine Einmischung des Geheimraths, so ist deine Besorgniß grundlos, denn er steht auf dem Punkte, Wien auf lange zu verlassen.
Das ist nicht wahr! fuhr Kronberg auf, das wäre in seiner Lage Wahnsinn, Raserei! – Was will er damit? Hält er mich – er zitterte vor Wuth, seine Zähne schlugen aneinander – hält er mich etwa gar für eifersüchtig?
In diesem Augenblicke brachte der Jäger
Nach wenigen Secunden kam er zurück und nahm seinen Platz wieder ein. In dumpfes Sinnen verloren, saßen die Gatten einander lange gegenüber. Endlich sprach Kronberg weiter: Unser Egon ist der ausgezeichnetste Knabe, den ich je gesehen –
Dank sei Gotthard, der seine Anlagen erweckte! dachte Anna.
Ich hoffe, er wird einst unter den Bedeutendsten seines Vaterlands zählen, darum will ich ihm keine berechnenden Erziehungsfesseln angelegt wissen, wie sie mich während meiner Jugend gedrückt –
Anna seufzte und schwieg.
Herr Gotthard und Consorten vermögen kaum, den Standpunkt zu erfassen, von welchem
aus der junge Aar seinen Flug beginnen soll.
Um Gottes willen, Roderich! fuhr Anna bebend auf, was hast du über die Kinder beschlossen?
Die Knaben kommen sogleich nach Berlin unter Geierspergs Aufsicht, der sie in ein bedeutendes adeliges Institut thun mag.
Anna starrte unbeweglich vor sich hin, der Gedanke an diese Trennung lähmte ihre Sinne.
Kronberg sah nach der Uhr, dann sprach er fort: Geiersperg hat mit
bewundernswerther Consequenz Viatti's Sache geführt; zweimal ist er in Mailand und
Neapel gewesen. Graf
Und die Unglückselige, von tausend räthselhaften Empfindungen und Sorgen
Beängstigte mußte in die Oper und das Ballet sehen, von
St. Luce wußte um Louis' Abreise, er flüsterte es ihr zu und sah bewegt aus dabei.
Woher konnte er es schon wissen? In Anna's Seele flackerten die Gedanken, wie
Irrlichter auftauchend und schwindend, sie vermochte keinen einzigen festzuhalten.
Gotthard war nicht auf seinem Platze ihr gegenüber. Erst in der vorletzten Scene
gewahrte sie ihn, sie sah, daß er nur kam, um zu erfahren, ob sie im
Kronberg ließ am folgenden Morgen Annen wissen, er komme nicht zu Mittag nach Haus. Den ganzen Tag über hieß es: er sei aus. Der heutige Abend war einer ihrer Empfangsabende, es kamen eine Menge Leute; aber weder Gotthard noch Kronberg erschienen. Anna war in tödtlicher Verlegenheit, sie ersann eine Entschuldigung um die andere. St. Luce, der ihre Angst sah, verließ die Gesellschaft, wie er sagte, um Gotthard zu sprechen. Einen Moment athmete sie leichter auf, als sie seinen Wagen aus dem Thor rollen hörte; vergebens, er kehrte zurück, Gotthard war nicht zu Hause.
Gegen halb elf Uhr kam endlich Kronberg; er entschuldigte sich leichthin mit der Abreise des hessischen Gesandten, den er in seinem Hotel habe aufsuchen müssen; er schien aufgeregt, mit Annen sprach er kein Wort.
Ruthberg gesellte sich ihnen zu; sie begrüßten ihn immer noch lachend als Mephisto und fragten, ob er seinen Mantel zur Luftreise bereit halte? Ruthberg lachte auch; er schien den Scherz zu verstehen.
Ob die eigentliche Herzenskönigin ein Gretchen oder eine Helene sei, fragte man weiter. Ob der tugendhafte Bruder sich zufrieden gegeben habe?
Gar nicht! fuhr eine Stimme aus der entferntesten Ecke dazwischen, der eine Bruder hat den andern Bruder auf Ruthbergs Anstiften rein ausgeplündert!
Auf mein Anstiften? fragte Ruthberg halb erzürnt, halb belustigt.
Nun, das heißt auf des Mephisto Anstiften.
Hat denn Gretel-Helene zwei Brüder?
Der Name wird hier nicht genannt, meine Herren! rief ein blonder Offizier.
Nicht einmal gedacht, bei solch einer Gelegenheit! setzte ein zweiter hinzu.
Zum Teufel, so erzählt mir's doch auch!
Nun also, Helene hat aus früheren Zeiten einen – Bruder.
Ah so!
Der Bruder ist natürlich ein Heide und seine Schutzgöttin die Fortuna. Da aber in der Mythologie immer eine gewisse Identitäts-Confusion vorherrscht, so hatte Venus früher als Fortuna –
Anastasius! wenn du uns die Sache ohne Mythologie vortragen möchtest?
Meinetwegen! Wir haben gestern, wie wir hier sitzen, zusammen im goldenen Löwen
dinirt, den Nachmittag wollten wir ganz unter uns
Ohne Mythologie! schrie Ruthberg.
Nun, der Graf that erst etwas scheu und sah uns blos zu. Ruthberg pointirte. Die Bank verlor; als sie zahlte, legte sie markirte englische Banknoten auf, die der Graf erkannte.
Wie denn das?
Er hatte sie markirt aus England empfangen und die Nummern notirt, wie das oft geschieht, und gerade diese nämlichen Banknoten am selben Morgen dem weisen Solon ausgezahlt.
Der bittere Kelch dieser Erkenntniß verjüngte den Faust, den du Pylades nennst, er wurde zornig, als wäre er zwanzig Jahre alt.
Eben darin lag die Affaire! Dem Solon hatte er sie gezahlt, wie kamen sie denn nach Verlauf so weniger Stunden alle in die Hände des – Bruders?
Das sieht einer abgekarteten Zufälligkeit so ähnlich, wie ein Ei dem andern, sagte der Blondin. Glaubte er denn an den Bruder?
Den Zusammenhang habe ich nicht weg, versicherte ein Anderer.
Die Frage war: ob der Bruder von seiner Schwester die beiden Noten, die sich auf etwa vierhundert Florins beliefen, erhalten habe, und für was man sie ihr gegeben.
Alle lachten. Ruthberg, nun erzähle uns die Geschichte weiter! Du gingst ja, nachdem Ihr verloren, mit ihm und Gondi fort.
Was ist da viel zu erzählen! Es fand sich eben, daß noch eine Sorte Bruder im
Spiele
Und nun breitete sogleich Mephisto seinen Mantel aus und ihr flogt nach? –
Bah! rief Ruthberg, wir haben Wien nicht einen Augenblick verlassen!
Darüber schweigt die Geschichte; die Capacelli aber war unschuldig diesmal, nicht wahr?
Eben traten mehre Herren und Damen in das Cabinet, die Offiziere standen höflich von ihren Sitzen auf, das Gespräch hatte ein Ende.
Begreifst du, sagte der blonde Offizier im Hinausgehen zu seinem Freunde, was dieser Satan von Ruthberg mit Kronberg vorhat? Die ganze Ueberraschung scheint verabredet, weshalb hätte sonst Gondi in englischen Papieren gezahlt, die konnte er ja in fünf Minuten umsetzen? Es steckt irgend eine Teufelei dahinter.
Es ist ein großer Irrthum, zu glauben, daß nur in kleinen Städten geklatscht wird;
beinahe
Paola Capacelli war in einem Punkte nicht um ein Haar anders, als die meisten ihrer Kunstgenossinnen; sie nahm die Auszeichnung, die ihr in vollem Maße ward, dankbar hin, sie freute sich der berauschenden Huldigungen, die ihr das Publicum zu Theil werden ließ, aber sie würde sie dennoch gern mit den minder geräuschvollen vertauscht haben, welche die Gesellschaft der schönen Frau aus höheren Ständen beut.
Kronbergs Betragen gegen sie, obschon er die reizende Spanierin nicht liebte,
hatte durch die entsetzliche Qual, die ihm seine in einer Andern so tief gekränkte
Eitelkeit verursachte, fast immer etwas Leidenschaftliches; sein Mistrauen, die
täglichen Ungleichheiten seines ganzen Wesens, seine Heftigkeit, seine Unruh
Die unselige Spazierfahrt, auf welcher sie Louis neben Annen gesehen, erweckte zuerst in Paola's Brust den Gedanken, daß auch die Gräfin einen Liebhaber begünstige, daß Kronberg um seiner Ehre willen eifersüchtig sei und die Trennung einer Ketzerehe nicht zu den Unmöglichkeiten gehöre.
Die schöne Paola war nicht immer in einer so glänzenden Lebenssphäre gewesen, als
die, zu welcher jetzt ihr Talent sie erhoben. Sie hatte traurige Tage der Armuth
und Verlassenheit durchlebt. Das natürliche Kind des elenden Wirthes einer Posada
im Gebirge, ward sie dem armen Flecken, in welchem sie geboren, schon als Kind von
einem durchreisenden Italiener entführt, dem ihre schöne Stimme aufgefallen.
Capacelli war sein Name; er hatte sie unterrichtet, erzogen, benutzt, verführt –
Sehr natürlich war der alternde Maestro di Capella nicht der Einzige geblieben, den ihr Gesang und ihre Schönheit anlockten; noch ehe sie die Bühne betreten, hatte sich ein bisher durch ihr ganzes Lebensgewebe fortlaufendes Verhältniß zu einem bildschönen italienischen Vagabonden geschürzt, der in allen Hauptstädten Europas, in denen sie verweilte, bald als vornehmer Reisender, bald als Glücksritter und Spieler auftrat und wie ihr Planet, obschon minder oft sichtbar, um seine schöne Sonne sich drehte.
Seit einem Jahre hatte der Tod die Fessel ihres Ehestandes gelöst und die Zeit die
der Liebe gelockert. Paola und ihr Geliebter waren darüber einig geworden, daß an
eine engere, dauernde Verbindung unter ihnen Beiden zu
Gleich nach ihrer Heimkehr hatte ihm Paola das Begegnen der Gräfin Kronberg mitgetheilt und ihm befohlen, Nachricht über den Namen und Stand des jungen Mannes einzuziehen, den sie bei ihr gesehen, was, da Louis und Gondi dasselbe Hotel bewohnten, keine Schwierigkeiten fand.
Mehre Tage vergingen indessen doch, ehe er erfuhr, daß Louis Annens Bruder sei.
Paola benutzte während derselben blindlings ihre Macht, Kronbergs Eifersucht auf
die Gräfin zu steigern; das Misverstehen lag nur darin,
In der heftigen Scene zwischen Kronberg und Louis, welche den Ausbruch seiner Krankheit veranlaßte, war Gondi ein unbewußter Hauptagent gewesen; seine sanguinischen Hoffnungen, eine Scheidung des Grafen von dessen Gemahlin herbeizuführen und Paola einst deren Stelle einnehmen zu sehen, hatten ihn zu sehr gewagten Uebertreibungen verleitet. Er hatte des Grafen Leidenschaft zur Capacelli mit glühenden Farben geschildert und Louis dadurch noch mehr erzürnt und verwirrt. Gotthards Dazwischenkunft löste endlich alle die Misverständnisse, indem sie zugleich Louis' augenblickliches Verlassen Wiens erzwang.
Seit dem letzten Ereignisse waren erst wenige Stunden vergangen, als Gotthard
Annen von
Sehr natürlich nahm Kronbergs Gefühl sogleich eine andere Richtung; abermals trat ihm ja des Verhaßten Einfluß in Bezug auf Anna entgegen! Er eilte mit seinem Freunde in das Hotel, von da zur Post; Louis war wirklich abgereist. Fast wäre er auf den Gedanken gekommen, mit Courierpferden der Post nachzujagen. Ruthberg begleitete ihn überall hin, war aber hinterdrein indiscret und erzählte die Geschichte einigen guten Freunden, die sie weiter beförderten – und commentirten.
Indessen führte er selbst die Klätschereien herbei, denen wir im Salon vierundzwanzig Stunden später zugehört; aber alle Anwesenden, die sie belustigten, bezogen Kronbergs unruhigen Zorn auf die Capacelli, Annens gedachte Niemand dabei; und geschah es ja, war es nur, um die schöne, liebe Frau zu beklagen.
Nachdem ihm am Abend alle Versuche mislungen, seinen Schwager zu erreichen und ihn
noch um eine Erklärung zu bitten, hatte Kronberg, wie wir wissen, zu Hause in dem
Anliegen seines Knaben einen neuen Grund der Erbitterung
Gotthards so entschiedenes Verfahren gegen den ihm als Abenteurer bekannten Spieler und Louis' fast gewaltsam erscheinende Entfernung hatte Paola und ihrem Freunde Gondi viel zu denken gegeben. Der weibliche Instinct ließ sie vollkommen richtig rathen und sogleich wandten sich ihre Machinationen gegen Gotthard. Die Art und Weise, in welcher sie Kronberg die Sache vorstellte, die höchst gewandten Fragen, welche sie einer Wiederholung der Erzählung ihres Bruders verwebte, reiften in ihm einen Entschluß, dessen ganze Thorheit er fühlte, ohne die Kraft zu haben, ihn in sich zu ersticken.
Gotthard saß, von einer Menge Acten und anderen Schriften umgeben, in seinem
Arbeitscabinet. Ein tiefer Ernst umwölkte seine hohe Stirn; er sah den. Lenz
nicht, der aus dem Gärtchen mit Rosenaugen in seine stille Zelle schaute, er hörte
die Mahnung all der kleinen zwitschernden Vögel nicht, die' so dringend bittend
den Frühlingston der Menschenbrust, das leise sehnende Flehen um Liebe in seinem
Herzen wach zu rufen schienen; er sah das Schattenspiel der Blütenranken nicht,
das auf seinen Papieren phantastisch auf und niedergaukelte – jeder Sinn war der
Außenwelt verschlossen und nur im tiefsten Innern wuchs ein einziger schmerzlicher
entsetzlicher Gedanke riesenhaft, wie eine unermeßliche Nacht, und überdeckte
wachsend
Es ist grauenhaft, wenn die höchsten Steigerungen des Gefühls und des sichtenden
Gedankens mit einem Male in einer unausweichbaren Ueberzeugung zusammenfallen, die
wie durch einen Brennspiegel mit den Strahlen des Erhabenen, Ewigen über uns das
kleine Hoffnungsleben des armen Menschenherzens verzehrt! Wenn seine ganze reiche
Vergangenheit, all die bunten Elemente des Glücks seiner Zukunft, plötzlich wie
ausgebrannt, schwarz verkohlt vor ihm da liegen, wenn in Minutenenge lange Jahre
einer ganz leer gewordenen und doch noch zu durchlebenden Zeit drohend aneinander
sich drängen! – solche innere Erlebnisse, solche Vernichtung des Erdenmaßes, mit
dem wir sonst unsere Tage messen, hat manch braunes Haar in unbegreiflicher
Geschwindigkeit gebleicht, manch
Gotthard hatte die ganze Nacht hindurch über seine Stellung zu Kronberg nachgesonnen; es war ihm klar geworden, daß diesem sein sich stets wiederholendes Entgegentreten in allen engeren Lebensbeziehungen unleidlich qualvoll sein müsse, daß eine fast übermenschliche Kraft dazu gehöre, es zu dulden, nachdem Roderich seine und Anna's Neigung zu einander erkannt – und konnte Gotthard zweifeln, daß dem so sei?
Unbarmherzig riß er den Schleier selbst mitleidiger Täuschung entzwei; er war entschlossen, seiner Carrière eine andere, neue Richtung zu geben, von Annen sich zu trennen.
Seit gestern schauderte ihm vor der Tiefe seiner eigenen Leidenschaft; er hatte
die Unmöglichkeit
Und plötzlich, wie eine Verkörperung des eigenen Innern stand Kronberg selbst vor ihm, ruhig, edel in Anstand und Ausdruck.
Gotthard war einen Augenblick zu Muthe, als komme jener, ihn zu fordern auf Leben
und Tod. Der Graf hatte sich gefaßt; er fragte ihn ganz einfach nach dem ihm
vielleicht bekannten Zusammenhang der Zahlung einer
Ich zweifle, daß sie um die Sache weiß, erwiderte Gotthard. Er erzählte eben so einfach, wie St. Luce erwähnt, daß Louis, obschon genesen, von Tag zu Tag seine Abreise verschoben hätte, wie er selbst darauf ihn besucht, des jungen Mannes Vertrauen gewonnen und mit ihm zu Abtragung der Schuld eine Uebereinkunft getroffen.
Ich brauche Ihnen, Herr Graf, setzte er verbindlich hinzu, nicht erst zu sagen, daß eine solche von Männern gegeneinander übernommene Verpflichtung kein Gegenstand des Gesprächs mit einem Dritten sein darf.
Kronberg schwieg; an der Marmorglätte dieses reinen festen Willens brach abermals seine Kraft.
Kronberg stutzte. Gotthard sah völlig gleichgültig aus. Hier war nur eine Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Gotthard war mit seiner Gemahlin im tiefsten, innigsten Einverständnisse, oder Louis hatte in rasendem Stolz sein Erbtheil verpfändet; es konnten aber Monate, Jahre vergehen, ehe das aufzuklären war. Sie haben Sicherheit? fragte er kurz.
Vollkommne, erwiderte Gotthard. Aber nun, Herr Graf, gestatten Sie mir die Gunst
Ihres frühen Besuchs zu benutzen. Mich hat ein Vorschlag, eine Bitte nach Wien
zurückgeführt, deren Erfüllung ich Ihnen sehr ernstlich danken würde. Seine
Unterlippe bebte convulsivisch, seine Stirn blieb klar. Die Hauptfragen
Mit unnachahmlicher Klarheit und unsäglich wehmüthiger Ruhe legte nun Gotthard dem
Grafen seine zum Beschluß gereiften Geschäftspläne für sich und seinen
Stellvertreter vor. Es lag ein fast heiliger Ernst in seinen Worten
Noch schwieg er, da öffnete sich die Thür, St. Luce trat aus einem Nebenzimmer herein. Ohne aufzusehen, reichte ihm Gotthard die Hand. General, sagte er, ich habe bereits dem Grafen meine Wünsche eröffnet. Eine ungeheure Erschöpfung breitete ihr fahles Grau über seine Züge, es war eine Leichenfarbe, als habe der Tod ihn berührt.
Als endlich Roderich ihn verließ, stürzte er an des alten Freundes Brust; die
innere Erschütterung hatte ihn jedes Ausdrucks seines
Wahrlich, Eins des Andern werth! seufzte St. Luce.
In Kronberg stürmten indessen Schmerz und Gedanken nicht minder heftig; es war ihm unmöglich, jetzt seine Frau zu sehen. Tappend, unsicher, wie geblendet, durchirrte er die Straßen, sah die Menschen nicht, die ihm begegneten, vernahm nicht, was sie zu ihm sagten, es war, als habe ein unruhiger Wahnwitz ihn ergriffen. Nach stundenlangem Umhertreiben in Wiens Straßen ging er zur Capacelli, dort hatte man ihn bereits gesucht. Geschäftliche und gesellige Anforderungen bemächtigten sich seiner, umdrängten ihn, rissen ihn mit Gewalt in das Gewirr platter Alltäglichkeit.
Sie saß zu Roderichs Füßen, küßte seine Hände, umwickelte ihn mit ihrer Zärtlichkeit, wie mit einem Zauberschleier, all seine Gedanken umrankte, umwob sie; mit all seinen Sinnen im Bunde, stritt ihre Leidenschaft gegen seinen Schmerz; abwechselnd launisch, weich, gewaltsam, ließ sie nicht ab von ihm, bis ihr endlich gelungen, ihn mit in den wirbelnden Strudel ihrer eigenen Empfindungen zu ziehen, und er ermattet, wehrlos an ihrem Busen lag.
Dann ward sie amusant, tändelnd, fast drollig, was ihrer hohen Gestalt, ihren
markirten Zügen durch den Gegensatz einen Reiz wunderlichster Art verlieh; leise,
leise weckte sie das
Gotthard hatte sich daheim still in sich beruhigt, der Abend war herangekommen, er rang mit dem Entschluß, zu Kronbergs Soirée zu gehen – sie zu sehen.
Gebe Gott, sagte er ernst, daß der Graf nicht allzulange zögert; die Hauptschritte zu meiner Versetzung müssen wir Beide zugleich thun. Ohne Bewilligung des Cabinets kann ich nicht abreisen, diese nicht er halten, ohne seine officiell ausgesprochene Zustimmung.
Wenn er ihr wenigstens die Knaben ließe, murmelte der alte St. Luce trübsinnig vor sich hin; er will sie nach Berlin schicken.
St. Luce verließ ihn, um nach Annen zu sehen. Gotthard hatte versprochen, ihm zu folgen; aber als er gehen wollte, vermochte er es nicht, es war ihm mit einem Male unmöglich geworden, gerade heute, unter so vielen fremden Gesichtern sie zu sehen; als St. Luce zurückkehrte, um ihn zu holen, fand er ihn nicht mehr zu Hause.
Anna verging der Abend in tödtlich beklemmender Sorge. Als die letzten Anwesenden sich entfernten, war Kronberg schon wieder verschwunden, ohne auch nur ein Wort an sie gerichtet zu haben.
Ihm war zu Muthe, als habe er eine Art Hinterlist gegen sie gebraucht, er schämte
sich, ohne deutlich zu wissen, weshalb. Das ritterlich Loyale seines Wesens
empörte sich gegen
Am nächsten Morgen lag Anna an einem nervös-hitzigen Fieber gefährlich krank darnieder. In ihren Phantasien rief sie stundenlang Gotthards Namen, dann wieder die ihrer Knaben; waren diese bei ihr, so ward sie stiller, ließ aber keinen derselben los, wenn ihn ihre Hand erfaßte. Eine unsägliche Angst schien sie zu verzehren.
Jetzt war Kronberg wahrhaft beklagenswerth. Sophie wandte die höchste Sorgfalt an, das Verletzende zu bergen, ihn während der wilden Ausbrüche ihres Deliriums von Annens Lager entfernt zu halten, vergebens! In wüthend wahnsinnigem Schmerz klagte er nicht sie, sondern sich selber an, als suche er mit übertreibender Heftigkeit an der eigenen Qual sich zu weiden, und verließ kaum ihr Zimmer. Zur Capacelli ging er gar nicht in diesen Tagen.
Duguet saß Tag und Nacht im Vorzimmer, dicht an der Thür des Cabinets seiner Gebieterin und harrte irgend eines Befehls; waren sie nicht bei ihr, hielt er die beiden Knaben auf dem Schoose, die mit ihm weinten.
Als aber nach zehn, zwölf Tagen die Lebensgefahr vorüber war, reichte Gotthard sein Gesuch um vorläufige Entlassung an das Ministerium beim Grafen ein und forderte ihn auf, demselben seine schriftliche Zustimmung beizulegen.
Während man einer Antwort von Berlin aus harrte, übernahm St. Luce, welchem man
den Zutritt nicht länger zu weigern vermochte, die Kranke, die nun außer Bett in
ihrer Chaise longue lag, auf Gotthards mögliche Entfernung vorzubereiten.
Wehmüthig reichte sie dem alten
Kronbergs Stimmung hielt nicht Stich, sie verwandelte sich, wie Annens Genesung vorschritt, mit jedem Tage mehr und mehr. Der Bruch mit der Capacelli war zu grell zur Dauer, er sah sie wieder und versöhnte sich mit ihr. Schon jetzt nahm er Gotthards Entfernung von Wien als etwas hin, das sich gebühre, daß seiner und Anna's Ehre wegen unvermeidlich, folglich kein Opfer sei; er war wieder der vornehme, vom Glück verwöhnte Aristokrat, der des Untergeordneten Dasein kaltblütig verbraucht.
Noch einmal sah Gotthard sie wieder, aber nicht allein; St. Luce begleitete ihn
hin. Anna saß zwischen ihren Kindern; sie und Gotthard waren Beide überzeugt, daß
vor der Hand von keiner Trennung der Knaben von ihr die Rede sei. Sie kannten
Kronbergs Charakter und
Gotthard schrieb Annen einige Abschiedszeilen; es waren wenige Worte, aber wie mit seinem Herzblut geschrieben. Sie weinte so heimlich, daß nicht einmal St. Luce ihre Thränen gewahrte. Ueberhaupt war Anna seit der Krankheit sehr verändert, die Trennung zerdrückte ihre noch nicht wieder erstarkte Körperkraft.
In der Gesellschaft sagte man: das Nervenfieber habe sie sehr stark angegriffen, und der diesjährige Sommer sei zu heiß.
Aber der Sommer und sein Siroccohauch verflogen – ihr Zustand war der nämliche geblieben: da brachte der October mit seinen bunten Blumen, die alle »Rosens spielten« und den Frühling nachäfften, die eine wahrste duftigste Frühlingsblüte, Leontinen.
Leontinens Lebenssonne stand im Zenith. Jean Carlo war begnadigt, das heißt, er war verbannt – verbannt auf zwanzig lange Lebensjahre, mit dem Vollgenuß seiner Einkünfte.
Das junge Paar miethete sich ein schönes Hotel, sah viele Leute bei sich; und da eine so nahe Verwandtschaft jede Rivalität aufhob, erhöhte sein brillanter Haushalt den Nimbus, der Kronbergs Gastlichkeit umgab. Die beiden Familien erhielten ein ungeheures Uebergewicht in der höhern Gesellschaft.
Sophie war fast immer auf dem Wege zwischen beiden Häusern. Bei Annen hielten sie
die Kinder, und dann bedurfte ja die Kleine, wie sie insgeheim immer noch die
Marchesin
Duguet also war sehr unzufrieden mit diesem Schritt. A quoi bon ces bêtises? sagte er in seiner Revolutionsweisheit; er war nicht mit dem neuentstandenen Kaiserthum Bonaparte's zur alten Religionsform zurückgekehrt, die Déesse de la raison, die zu seiner Zeit ein sehr schönes Mädchen und später ein altes garstiges Aepfelweib in Bonn war, steckte ihm noch im Kopfe.
Selbst Annen gelang es nicht, ihn milder zu stimmen.
Wenn sie nur Jean Carlo genug liebt, um nie zu bereuen, sagte sie ihm, so ist's ja
gut! Gott ist zu groß, um in der Wandlung der bloßen Form eine Sünde zu sehen;
seit Ewigkeiten schaut er dem Wechsel alles Menschenwesens
Aber der Alte küßte sie und erwiderte: Wenn ich Gott meinem Herrn zwanzig Jahre als Cuirassier gedient, warum soll ich denn im einundzwanzigsten mein Regiment verlassen, die Uniform changiren, um ihm als Infanterist das Gewehr zu präsentiren? Du meinst es gut, Kindchen, aber du glaubst selbst nicht daran.
In einzelnen Minuten flog eine Wolke durch Leontinens reines Blau der Gegenwart;
der
Daheim in Berlin saß Josephine in stillem, sorgendem Kummer versenkt, täglich Briefe aus Wien erharrend oder schreibend. Ihre alte, schöne Heiterkeit, ihr Vertrauen auf das Glück ihrer Leontine kehrten nicht wieder. Der Glanz, der ihre Kinder in der Kaiserstadt umgab, freute sie wenig, sie war noch aus der Zeit, wo Comfort, Häuslichkeit und eine gemüthliche Gastfreundschaft höher galten, als eigentlicher Luxus; war nur immer Alles um sie so elegant, sauber und genügend für die sie Umgebenden, so vermißte Josephine nichts.
Leontinens Uebertritt hatte sie tief verletzt, auch sie vermochte nicht an die
Dauer einer so im Fluge gewonnenen Ueberzeugung zu glauben, eben so wenig traute
sie Jean Carlo's Trennung
Fiel ihr Blick in die Zukunft, so bangte ihr noch mehr; sie fürchtete, Leontinen
könne viel Trauriges bevorstehen; woran sollte ihr Gemahl in Preußen seine
Interessen knüpfen? Deutschland war ihm fremd, keine Art fester Beschäftigung
verband ihn mit demselben. Niemand nahm an seinem Streben Antheil, sogar die
Gegenstände seiner Bewunderung in Kunst und Wissenschaft hatten eine der deutschen
Ansicht fremdartige Färbung. Die neuere, meist didaktische italienische Poesie
kann bei uns kein Element der allgemeinen Bildung werden; der Ausdruck seiner
Vaterlandsliebe konnte leicht eben so wenig Anklang finden, denn seine
excentrisch-grandiosen, auf Traditionen versunkener Größen erbaueten
Lebensanforderungen mußten diesen durch lange herbe Erfahrungen gereiften
Und nun sollte und wollte der Verbannte künftig in Berlin leben und Ruhe halten
und
Josephine seufzte recht schwer; fast scheute sie diesmal Geierspergs Rückkehr, der gewissermaßen durch seines Schützlings Aufenthalt in Wien die früher für diesen gethanen Schritte rechtfertigen mußte, und plötzlich durch den erst hier ihm bekannt gewordenen Religionswechsel Leontinens beleidigt und schmerzlich erregt, Wien selbst verließ, weil er durchaus mit seiner Frau fort und auf seine Güter ziehen wollte, um den Scandal nicht mehr zu sehen, daß ein Freifräulein des alten protestantischen Geschlechts der Waldau katholisch geworden!
Am Lager einer schönen blühend jungen Frau stand reisefertig ein kräftiger, auch
noch junger Mann und suchte sie sehr sanft durch einen
Im Zimmer sah es ungemein friedlich und wohnlich aus; von Luxus war nicht viel zu
bemerken, die Möbel waren derb und doch zugleich geschmackvoll, von Eichen- und
Nußbaumholz;
Endlich schlug die junge Frau ein Paar wunderschöne, dunkle Augen auf und ein
lichtes Freudenroth röthete ihre Wangen; sie begrüßte mit dem frohen Blick
zugleich den Tag, ihr Kind und ihren Mann, pfeilschnell von dem einen zum andern
fliegend, so daß sie nicht einmal sogleich seine Reisetracht gewahrte. Vrenely,
Noch einen Augenblick stand er an der Wiege, wie innerlich Abschied nehmend von dem süßen Kinde, und sah, still gerührt, dessen rosiges Gesichtchen sich an; zu küssen wagte er es nicht, aus Sorge, es zu wecken.
Vrenely nickte ihm ihre Beistimmung zu, sie sprach fast weniger noch als sonst,
aber nach zehn Minuten schon saß sie neben Gotthard auf der Rasenbank und las,
über seine Schulter
»Lieber Herr! schrieb Duguet, ich muß Ihre Hoffnungen leider alle auf einmal zerstören. Es ist gar nichts besser geworden, seit uns die Familie des Grafen Viatti verlassen. Schlimm, ganz schlimm ist es geworden. Schon im vorigen Jahre, nachdem dieselbe im Februar nach Berlin gereist war, lebte unsre Frau Gräfin sehr still; sie blieb des Tages über fast immer allein, ging selten in Gesellschaft, sah deren aber zu Haus an den vier Empfangsabenden, weil es der Herr so wollte. Monsieur de St. Luce kam alle Tage zu ihr – ach! was hat er oft im Stillen gelitten um sie! – aber sie klagte nie; man sah ihr nur den heimlichen Kummer an.
Im vorigen Herbst hatte der Herr Graf der Mad. Capacelli ein schönes Landhaus
gekauft und es sehr kostbar einrichten lassen, da
Von da an ging es immer schlimmer; so lange aber der kleine Joseph im Hause blieb, sorgte sie für das Kind, das leider sehr kränklich ist, das zog sie von sich ab. Als jedoch Joseph in Pension zu seinem Bruder kam, lebte sie eigentlich nur an Sonn- und Festtagen, wo sie die beiden Knaben sah.
Unser Egon ist so wunderbar entwickelt,
Unglücklicherweise soll jedoch unser Egon schon so viel gelernt haben und ein so
großes Genie sein, daß er über ganz Brandenburg und die Ritterschule weg ist; ich
glaube auch selbst, daß er mit zwanzig Jahren Minister werden könnte. Es sei
rathsam, ihn in Berlin zu lassen, meinte die Familie. Das gab viel Streit, es
wurden sehr viele Briefe geschrieben
Stellen Sie sich vor, bester Herr Professor! daß nun plötzlich unser Egon
erklärte, er wolle lieber zu Fuß nach Berlin gehen, als mit Mad. Capacelli fahren,
unter dem Schutze einer fremden Comödiantin reise ein Graf Kronberg nicht! Unser
Herr schäumte vor Wuth – die Capacelli mußte es wol verlangt haben, um ihr Ansehen
an den Tag zu legen! – nun sollte die Gräfin Schuld sein an des Knaben
Diesen Abend ward Niemand vorgelassen, nicht einmal Herr von St. Luce. Gegen Mitternacht rief die Gräfin meine Frau und befahl, Alles zu einer Reise Nöthige für sich und Graf Egon zu packen; sie wolle nach ihres Gemahls Wunsch und Befehl ihren Sohn selbst nach Berlin und Brandenburg geleiten; Niemand anders solle ihn hinbringen.
Wir fuhren in unsern Reisevorbereitungen fort. Graf Egon war immer noch am Bett
seiner Mutter. Als sie unsere Antwort vernahm,
Als wir aber nach einer Weile den Grafen Egon wieder im Zimmer seiner Mutter
hörten, liefen Sophie und ich an die Thüre desselben. Ach Gott! in meiner Angst
beging ich etwas – qui est indigne! – ich sah durch's Schlüsselloch – da lag die
Gräfin mit gefalteten Händen und strahlendem Gesicht, es leuchtete wie das einer
Heiligen; mit gebogenen Knien lag sie vor dem zürnenden Kinde, das, wie wir gar
wohl aus seinen Worten vernommen hatten, den Vater anklagte, daß er die Mutter zu
Tode kränke. Alle ihre Vorstellungen hatten ja nichts gefruchtet. Egon fing die
angebetete Mutter in seinen Armen auf, drückte sie mit tausend Liebkosungen an's
Herz und schwur ihr, fromm und sanft wie ein Lamm den Vater anzuhören und ihm zu
gehorchen. Wie
Noch einmal kam der Herr Graf zu seiner Gemahlin, was aber unter ihnen verhandelt
worden, erfuhren wir nicht. Nach dieser Unterredung beschied sie Sophien und mich
zu sich und befahl mir – nein, der Engel bat mich sogar – beim Grafen zu bleiben,
damit der Herr einen treuen Diener um sich habe, die Reise sei ja von nicht langer
Dauer; da wußte ich aus ihrer Verlegenheit, woran ich war. II faut respecter
toujours les dehors! Ich blieb. Monsieur de St. Luce gab ihr seinen alten Diener
August mit, der gewiß meine Stelle ganz ausfüllen wird. Der General ist auch ein
Stück mitgereist; läge der Herzog von Reichstadt nicht darnieder, hätte er sie bis
hin begleitet. Ganz spät Abends sind sie Alle
In meinem Herzen aber ist eine unsägliche Angst; in Berlin wird sie nicht bleiben. Herr Gotthard ist in Paris, ich wage nicht, ihm zu schreiben. – Was General Geiersperg zu der Geschichte sagen wird!
An Sie, mein Herr Professor, glaubte ich, schreiben zu müssen; vielleicht gibt Ihnen das Herz etwas ein, das traurige Geschick unserer lieben Gräfin zu erleichtern.« etc. –
Ja wohl, lieber Otto, mußt du hin! sagte Vrenely. Wie ich gesehen, läßt du das
Lisely auch schon einpacken; ich will ihm helfen. Und – fuhr sie, auf halbem Wege
umkehrend, fort, indem sie dicht an ihn trat und ihre kleinen Hände auf seine
hochschlagende Brust legte, so lege du ihr unser Glück an's Herz, wie ich mich
Otto zog sie schweigend in seine Arme. Aber er war schon halb auf der Reise. Hältst du, fuhr er mit einem Male auf, die Trennung für eine dauernde?
Ja, Otto, erwiderte sie fest. Anna thut nichts halb. Nun laß mich einpacken gehen.
Und abermals blieb sie stehen. Otto, du wirst reiche Stunden haben, schöne und
schwere. Versprich mir – sie stockte. – Was, mein Engel? – Sie von Grund aus rein
zu genießen, wie Gott sie gibt, ohne Vor- und Rückblick, ohne gemachte
Gewissenssorge, die
Otto erröthete. Du aber, sprach sie freundlich weiter, pflege die Blume; weißt du gleich nicht, wem Gott sie schenken wird, dem Tode – dem Leben – dem Glück? – Alles gleichviel! Pflege die Blume, wie die Parsen, von denen du mir erzählst, die Quellen in Kanäle fassen zu seiner Ehre.
Als sie fort war, fuhr Otto ein paar Mal
Nachmittags kamen die Nachbarinnen, sie hatten ihn fahren gesehen. Was ich froh bin, sagte Vrenely, ich hab' den Otto zu seinen Verwandten persuadirt, ich wollte seine Stube während den Ferien malen lassen. Bei so was taugt der Mann nicht im Haus; kehrt er zurück, ist Alles schmuck und sauber.
Die Thränen, die Vrenely die halbe Nacht hindurch vergoß, sahen weder Otto, noch die Nachbarinnen.
Leontinens Wagen hielt in Brandenburg vor dem bescheidenen Hause, das Anna
bewohnte. Sie sprang aus demselben und eilte hinauf. Ich konnte es nicht mehr
aushalten, ohne dich! rief sie der Freundin entgegen. Es ist seelentödtend, Papa
und Mama Domino
Vergebens versuchte Anna ein Paar tröstende, mildernde Worte; Leontine schüttelte
wehmüthig das Haupt und fuhr fort: das ist es eben, er verschweigt mir, wie den
Andern, aus Schonung seinen Gram, aber ich sehe ihn – und doch, Anna, langweilt er
mich auf's Entsetzlichste. Ich möchte ihn lieber Gift und Dolch handhaben sehen,
als dieses Nichtsthun und sich so durch die Tage Hinschleppen an ihm erleben!
Dieses Verdämmern der tiefsten Seelenkräfte in dumpfem Hinbrüten, und dann das
Spielen mit Kleinigkeiten, großer Gott!
Und glaubst du denn, fragte Anna, daß ihn die so gesunkene Carbonaria noch interessirt, daß er sein Wort gebrochen und neue Verbindungen mit ihr angeknüpft hat?
Ja und nein! Er ist nicht aus einem Guß; das ist ja eben das Elend! Da er heilig gelobt hat, sich nicht mehr in diesen Wust schwächlicher Freiheitsversuche hineinziehen zu lassen, wird er Wort halten, das heißt, auf seine Art: er wird zu jenen Zwecken nur sein Vermögen den Einzelnen zuwenden, Geld auf Geld verschleudern, aber keine Details anhören. Drängen sie jedoch jemals gewaltsam an sein Ohr, so ist wol kein Zweifel, daß er mich verlassen würde im ersten als wichtig sich ankündenden Moment, um vielleicht nutzlos sein Haupt dem Beile preiszugeben. Die ganze Sache ist allmälig fixe Idee in ihm geworden.
Mag sein. Aber lebe nur erst den ganzen langen Tag mit einer personificirten Idee,
die nirgends ihren Anknüpfungspunkt in der Wirklichkeit findet; sieh diese
tausendfach zerstückelten Fäden in der klaren Luft der Alltäglichkeit zerflattern
wie den alten Weibersommer, der uns auch den schönen Frühling niemals
wiederbringt, Anna! – Um einer begeisterten Ansicht Alles zu opfern und um sie,
allen Umgebungen und Gegenwirkungen zum Trotz, zum Wirklichwerden zu zwingen, zum
fruchttragenden Baum sie zu machen, um, mit einem Wort, die Basis einer
Volksfreiheit aus seiner Persönlichkeit herauszubilden, gehört ein eiserner Wille
Anna schwieg verlegen. Leontine bemerkte es nicht und fuhr fort: Gut, daß ich Muth
habe! Gib Acht, Jean Carlo endet auf dem Schaffot, ohne irgend etwas geleistet zu
haben. Erschrick doch nicht so! Das habe ich bedacht, ehe ich meine Hand ihm gab.
Ja, ihm fehlt Charakter, wiederholte sie flüsternd halblaut vor sich hin, und doch
will er ihn einer Nation
Einem Manne, wie Otto zum Beispiel, traust du also eine solche Gewalt nicht zu?
Nein, o nein! rief fast heftig Leontine; er
Noch immer in Paris. In den paar Jahren unserer Trennung hat er seine Bahn zu einer Höhe gehoben –
Kind, ich sagte dir ja immer, daß er Minister werden würde!
Das sagt Duguet auch von mir, liebe Tante! rief lustig auflachend Egon, der aus dem Nebenzimmer eingetreten war, aber ich fürchte, du hast es sicherer getroffen. Herzlich willkommen! Er umarmte und küßte sie. Aber, sprach er fort, indem er sich nach allen Seiten umsah, wo ist denn Otto?
Leontine wurde blaß – leichenblaß.
Unaussprechlich tröstlich war Annen die plötzliche Erscheinung ihres
Jugendfreundes gewesen; ihre Lage in Brandenburg war nicht angenehm. Die bei der
Geburt von hoher Hand einem der Knaben verliehene Präbende konnte, wie sich bei
Regulirung des Eintritts in die Militärschule fand, nicht angenommen werden, sie
war gegen die Statuten, Anna's Bürgerlichkeit machte sie unmöglich. Egon, in dem
sich bereits die Stimmung unserer jetzigen Jugend im Keime zu zeigen begann, war
höchst aufgebracht, daß man nicht seiner Mutter wegen eine Ausnahme machte; er war
vorläufig noch ein legitimer
In Berlin war Anna nur einen Tag geblieben; sie suchte Kronbergs Wünschen hinsichtlich der Kinder möglichst nachzukommen. Dem jüngern, trotz seiner Schwächlichkeit, zum Offizier bestimmten Joseph war diese Militärschule nothwendig, für Egon paßte sie nicht. Sie hatte an Kronberg geschrieben und harrte seiner Entscheidung, als unerwartet Otto, wie der Strahl eines milden schönen Sterns, die Nacht des Zweifels und Trübsinns in ihr brach und zertheilte. Er stand plötzlich im Zimmer und fragte mit den sanftesten Tönen seiner tiefen Stimme: Komme ich dir recht, liebe Anna? Du bedarfst vielleicht nicht den Arm, aber das Herz – vielleicht sogar den Kopf deines Jugendfreundes.
Mit unsäglicher Liebe hatte er sie seit mehren Tagen gepflegt, getröstet,
zerstreut; frisch
Leontinen traf sein Anblick wie ein Blitzstrahl.
Und ich bin katholisch geworden! dachte sie, was wird er dazu sagen? An ihrem namenlosen Schreck bei dieser Frage fühlte sie, wie sehr sie noch ihn liebe. Auch sie war vorsichtiger, sie schlug das Auge erst auf, als sie es ruhiger werden fühlte.
Immer noch war ihm Anna die seine Seele weckende, erwärmende Sonne, prächtig
entfaltete sein Geist die Flügel ihr gegenüber, alle seine Ideen wuchsen und
erweiterten sich. Nachts,
Aber keinen Augenblick vergaß er seiner Vrenely daheim. Täglich schrieb er ihr, und sein liebevoller, herziger Brief enthielt kein lügenhaftes Wort. Er freute sich mit tiefer, dankbarer Rührung seiner Häuslichkeit, ihrer und des Kindes; Stunden lang sprach er von ihrer Anmuth, Wahrheit und Güte. Daß sie und Anna zu der nämlichen Gattung Wesen gehörten, fiel ihm kaum ein; Meilen weit lagen diese Gefühle auseinander.
Eine Frau wird diese Doppelempfindung nie verstehen.
Bei Anna's Trennung von Kronberg war der Name der Capacelli nicht über ihre Lippen
gekommen, nur von den Knaben war die Rede
St. Luce schrieb oft. Er war Kronbergs Freund geblieben und bis zu Otto's Ankunft,
die Annen abermals zum Schreiben veranlaßte,
Als Franzose hatte St. Luce den Vorfall mit der Capacelli leichter genommen, als Geierspergs und die Andern. Er warf Kronberg immer noch die Dummheit eines unnützen éclat vor. Allerdings war er jetzt auf einen momentanen gänzlichen Sieg der Spanierin gerüstet; auch er hielt die Trennung Anna's von Roderich für eine vielleicht dauernde, an gerichtliche Scheidung zu denken, fiel ihm nicht ein.
Wie es nur dahin gekommen? übersann er auf einem langen, einsamen Spaziergange;
war doch eigentlich seit Anna's Krankheit nichts Bedeutendes geschehen! Kronberg
war ja so reich, es konnte Annen wahrhaftig einerlei sein, mit welcher hübschen
Frau er einen Theil seines vielen Geldes durchbrachte; eifersüchtig war
Es war Duguet, der, in einer Art Gefühlsstrangulation heftig gesticulirend, auf
ihn zustürzte,
Endlich brachte er die Worte heraus: Der Herr Graf haben mit Madame Capacelli gebrochen, jeder Verbindung mit ihr entsagt, ihr das Haus geschenkt, brieflich von ihr Abschied genommen; vier Billets, die sie ihm geschrieben, unerbrochen zurückgeschickt; abgeschlagen, sie wiederzusehen. Baron Ruthberg ist gekommen, er hat ihn sehr freundlich empfangen, die Herrn sind in der besten Laune auseinandergegangen.
Bist du betrunken oder im Traume, mon cher? rief St. Luce, ergriff Duguet beim
Kragen
Das hölzerne Bein trug den General nicht mehr, er wankte. Zum Glück stand eine Bank in der Nähe. Duguet ließ sich respectuell schelten, schütteln, fragen, hatte jedoch für das Alles nur die eine Antwort: Mais c'est vrai, ma foi, c'est bien vrai!
Wie ein paar Inspirirte gingen der alte Herr und der alte Diener nach Hause. Die ganze Welt schien ihnen anders geworden. Nun muß sie ja wiederkommen!
Am nächsten Tage beklagte die ganze Crème der guten Gesellschaft in Wien diesen armen, guten, kleinen Narren! die Capacelli, die wegen eines Theatercontracts so halbtodt, elend und krank nach Berlin gemußt.
Paola war wirklich krank, sie liebte Roderich, weil er es ihr so entsetzlich
schwer gemacht, ihre Zwecke bei ihm zu erreichen; sie war ihm
Sie sann sich das Haupt müde, den Grund seines veränderten Benehmens aufzufinden; ihre Phantasie arbeitete sie in einen Fieberzustand hinein, in welchem sie wirklich endlich Wien verließ.
Mag sein, daß Roderich ihrer überdrüßig geworden, mag sein, daß sie die Saiten bei
dem nicht mehr jugendlich fühlenden Manne zu
Seine Freigebigkeit gegen Paola kannte keine Grenzen; er schickte noch eine Menge Geschenke in ihr Haus, die er ihr früher versprochen, es waren wirkliche Kostbarkeiten darunter.
Ruthberg und der ganze kleine Männerkreis, der ihn umgab, war theils in starre
Bewunderung dieser Großmuth versunken, theils wüthend. Wer kann mit einer solchen
Verschwendung Schritt halten? fragte Einer den Andern. Die Damen, deren Gunst
diese jungen Herren sich rühmten machten ihre Bemerkungen ebenfalls; Jedes sah die
Sache mit andern Augen an, sie erregte ein für Kronberg günstiges Aufsehen. Einige
fromme Seelen freuten sich seiner Rückkehr zum Rechten; im diplomatischen Kreise
sprach man diesen Abend bald da,
Duguet suchte den ganzen Tag hindurch in jedem kleinen Dienst eine an Anbetung grenzende Dankbarkeit, eine Art stummer Verehrung an den Tag zu legen; nie war er respectvoller gegen seinen Herrn gewesen. Der Kerl bedient mich, als ob ich der Kaiser wäre! sagte, immer noch lachend, Kronberg vor sich hin; aber es that ihm doch wohl.
Einmal fand ihn Duguet dem Bilde seines Sohnes gegenüber, er glaubte, die Worte zu vernehmen: Toller Bube! er hatte Unrecht in der Manier, in der Sache wahrhaftig nicht so ganz!
Es wäre Kronberg selbst sehr schwer geworden, sich von dieser plötzlichen
Umwandlung seines Innern, vielleicht auch blos seiner Handlungsweise Rechenschaft
zu geben. Der Hauptgrund
Anstatt Annens Briefe zu beantworten, beschloß er, selbst mit Courierpferden nach
Brandenburg zu reisen und sie abzuholen. Daß sie irgend sich weigern könne, ihm zu
folgen, fiel ihm nicht ein; die Sache war ja nun abgethan! Die Kinder konnten am
Ende doch unmöglich bei ihr bleiben. Besser war es allerdings, Egon in Berlin zu
lassen, und eben dort konnte Anna
Kronfeld hatte ein fast weibliches Talent, sich im Geist die Umstände so zurecht zu legen, wie sie seiner Neigung nach am günstigsten ihm erschienen.
Während er zu einer kurzen Abwesenheit in seinem Cabinet die gehörigen Verfügungen traf, ließ sich durch einen der Laquaien ein junger Mann melden, der um die Gnade bat, ihm aufzuwarten. Der Graf, in seine Arbeiten vertieft, erwartete einen neuen Secretär; ohne aufzusehen, nickte er gewährend. Gondi trat ein.
Mit einem Schwall bombastischer Worte und aller Uebertreibung seiner Jugend und
seines Metiers gestand er dem Grafen, daß er nicht wirklich Paola's Bruder sei,
schwur ihm jedoch, dem Gefühl und Verhältniß nach seit Ewigkeiten nicht anders zu
ihr gestanden zu haben,
Zu seiner Verwunderung hörte ihn der Graf schweigend, ohne sonderliche Zeichen des Erstaunens, ruhig an. Gondi sprach sich nun gegen Paola's Charakter aus, klagte sie der größten Unzuverlässigkeit und Unwahrheit an und erbot sich, dem Grafen alle Beweise seiner Aussagen in die Hände zu geben.
Und was soll ich damit? fragte Roderich.
Von dieser mit tausend Ringeln Seele, Geist und Körper umwindenden Schlange sich lösen, sagte trotzig der Italiener, dem Zorn und Eifersucht das Gefühl erduldeter Mishandlung vergegenwärtigten bis zur Qual. Er ballte die Hände und biß vor Wuth in die eigenen Finger, dazwischen fuhr er mit seinen Ausrufungen und Schmähungen fort, bis ein fast convulsivisches Schluchzen ihn hemmte.
Immer trotziger und heftiger sprach Gondi sich aus; er war gekommen, weil er es ihr versprochen, freilich in ganz anderer Absicht; aber das Gefühl, daß sie in der inneren Empörung über Kronbergs Härte nun in Berlin ohne ihn neue Verhältnisse schließen werde, hatte momentan die alte Leidenschaft in ihm erweckt, und anstatt dem Grafen in der übernommenen Rolle Gutes von ihr zu sagen und durch ihren Jammer auf dessen Herz zu wirken, riß ihn das innere Empfinden ihrer Nichtswürdigkeit und seiner trostlosen Schwäche in ganz entgegengesetzter Richtung fort. Und dennoch, klagte er, bin ich selbst an sie gefesselt, dennoch würde mich mein Weg mit ihr zusammenführen, ginge auch der eine nach Süden, der andere nach Norden. Das ist's ja, daß man ihre fluchwürdige Sirocconähe nicht los wird!
Mit großer Güte erkundigte er sich nach Gondi's persönlicher Lage, stellte ihm die
Gefahr des Hazardspiels in Oesterreich vor, und bot ihm an, ihm beizustehen, wenn
er eine andere
Seit langer Zeit athmete Roderich fröhlich auf, ein heiteres Gefühl der Selbstzufriedenheit floß durch seine Lebenspulse und drang ihm tief an's Herz. Und nun zu Annen! sagte er lächelnd.
Er hatte St. Luce vorgeschlagen, ihn zu begleiten; der junge Herzog von Reichstadt hatte sich wieder erholt, mit Freuden nahm der General das Anerbieten an. Duguet sang triumphirend seinen Marlborough und ließ unter seiner Aufsicht den Wagen packen.
So standen also die Dinge in Wien; unglücklicherweise hatte in Brandenburg, Berlin und Paris Niemand von dieser günstigen Umgestaltung der Verhältnisse die leiseste Ahnung.
Gotthard zählte noch nicht Dreißig; in diesen Jahren rollt das Blut noch rasch und
glühend, einem Lavastrom gleich, in den Adern. Die Möglichkeit einer nicht
entfernt durch ihn veranlaßten Scheidung ihrer Ehe, das Bewußtsein, Annen ein in
jedem Bezug passendes Loos bereiten zu können, die Aussicht, ihr seine Hand zu
bieten, mit der einzigen Frau, die er je geliebt, die er nie eine Stunde aufgehört
zu lieben, vereint leben zu können, überwältigte ihn. Mit unwiderstehlicher Gewalt
von der Macht des Augenblickes ergriffen, zauderte er keine Stunde, er flog nach
Berlin. Sie war nicht mehr da; auch Leontine abwesend, bei ihr. Er erfuhr dies
zufällig und konnte sich nun nicht entschließen, Geierspergs aufzusuchen, er
Die kleine Stadt gewährte ihm nähere Details. Im Gasthof, wo er Erkundigungen einzog, erfuhr er, wo sie wohne; auch Otto's Anwesenheit ward ihm mitgetheilt. Er freute sich derselben, dann aber beneidete er ihn unbeschreiblich, daß er ihm zuvorgekommen und die ersten traurigen Tage mit Annen durchlebt hatte.
Mit einem Male hatte den sonst gefaßten, besonnenen Mann der Wirbel grenzenlos
leidenschaftlicher Gefühle und Hoffnungen erfaßt, jede Secunde steigerte ihn; als
habe ihn die Wünschelruthe einer zauberischen Gewalt berührt und tausend Quellen
seines Herzens wach geschlagen, strömte die Fluth unsäglichen, fast tödtenden
Auch Anna war seit einer halben Stunde überaus glücklich. Sie hielt einen Brief
ihres Bruders aus Schlesien in der Hand, den sie wiederholt durchlas. Louis war
nicht mehr beim Militär, eine ihm unerklärliche, ganz unbekannte Fürsprache hatte
ihm die Stelle eines Postmeisters mit einem kleinen Gehalt verschafft. Nachdem ihm
durch seinen Hauptmann unter den Fuß gegeben worden, um seinen Abschied zu bitten,
welchen er, da er die gehörige Anzahl Jahre gedient, »seiner geschwächten
Gesundheit wegen« mit allen Ehren und Anerkennung guter praktischer Kenntnisse
erhielt, hatte ihn der Antrag wie ein ihm vom Himmel zugefallenes Geschenk
überrascht. Nun konnte er froh und ruhig mit seiner Familie leben, seine Kinder
erziehen. Dem kleinen Amt war er völlig gewachsen. Er hatte ein Häuschen als
Wohnung
Anna war glücklicher, als Beide. Konnte sie wol einen Augenblick daran zweifeln, daß es Gotthard sei, der dies Alles möglich gemacht, der es für sie gethan zu ihrem Trost?
Wer zählte je in einer solchen Lage die Minuten? Wie lange das Gefühl der
namenlosen Wonne, dieses Anschauens des Geliebten, ohne Vor- noch Rückblick auf
Vergangenheit oder Zukunft, gedauert, wußte Anna nicht. Jetzt saß er neben ihr auf
dem Sopha; wie von
Mit Löwenmuth fiel die arme Frau über, das hoffnungschlagende Herz des Geliebten her und entblätterte alle seine Blüthen. –
Vergebens wiederholte er ihr, daß die Trennung von ihrem Gemahl bereits hinter ihr liege, daß es Raserei sei, einem bloßen Begriff ein ganzes Leben zu opfern.
Sie schüttelte stumm und traurig den Kopf,
Anna! rief Gotthard endlich verzweifelnd, seit sechs Jahren habe ich eine
freudenlose Existenz von Tag zu Tage hingeschleppt; im Edelsten, Erfolgreichsten,
das ich zu leisten versuchte, klang immer die Todtenstimme meines Herzens
vernichtend durch; ich fühle, daß mir der Boden unter den Füßen fehlt. Anna,
lassen Sie mich meine Aufgabe vollenden! Gewähren Sie mir Frieden! Enden Sie diese
rastlose Pein, dieses stachelnde Glückverlangen, dieses verzehrende über einer
Unmöglichkeit Sinnen und Brüten, an welche zu glauben, der männlichen Natur eine
schlimmere Vernichtung ist, als Krankheit oder Tod. Der Zwiespalt zerfrißt mit
seinem Rost mein Herz, meine Sinne. Was zu thun Menschen möglich war, ist von
beiden Seiten geschehen, und jetzt, da eine unbegreifliche Barmherzigkeit des
Zufalls die Möglichkeit
Bis in's Tiefste erschüttert, hörte sie ihn an, dann begann sie zu erzählen. Je länger sie sprach, desto trüber wurde Gotthard. Sie sprach über Egon, über dessen richtenden Blick, der schon jetzt mit schneidender Schärfe den Vater getroffen, über die beiden Briefe, die sie selbst von Brandenburg aus an Kronberg geschrieben. Im Reden ward sie muthiger. O, mein Freund! sagte sie fest, wir können uns einander opfern, denn wir sind eins; aber kann ich den Knaben beider Eltern berauben? Hat meine Liebe zu Ihnen, Gotthard, des Vaters Herz ihm entfremdet, darf ich die Mutter auch von ihm trennen? Verlangen Sie nicht, was wir Beide nicht ertrügen.
Er zog sie einen Augenblick an seine Brust, ihr war, als breche ihr Leben. O Gotthard! hauchte sie leise, sein Sie nicht allzu hart gegen uns Beide! Können wir denn wissen, was Gott über uns verhängt? Lassen Sie uns treu sein und still halten!
Es lag eine so tiefe, demüthige Gottergebenheit in Anna's Worten, wie in ihrem
ganzen Wesen, daß plötzlich Gotthards milde Natur, wie wach gerufen, aus dem
Dunkel des eigenen Innern sich erhob. Still hielt er sie in seinen Armen, sah sie
weich und innig
Nun denn, mein Engel, lebe wohl! Lebe tausendmal wohl! Nicht auf immer. Aber weine nicht, o weine nicht, Anna! Leise bog er sich nieder – Beide saßen noch auf dem Sopha – seine Lippen berührten kaum, sie streiften nur ihren goldnen Scheitel.
Monsieur de St. Luce, Madame! rief Auguste's Stimme. Die Thüre ward aufgerissen, Leontine, Viatti, Otto, St. Luce und – Kronberg standen vor den Unglückseligen.
Ein dumpfer ächzender Laut, kein Schrei, kein Seufzer – ein schneidendes Wimmern
durchdrang das Zimmer. Kronberg lehnte sich wie bewußtlos an die Thür, Viatti
unterstützte ihn. Leontine war auf Anna zugesprungen, die in todtenähnlicher
Ohnmacht am Boden lag;
Wortlos, zitternd vor Grimm und wahnsinniger Verzweiflung starrten beide Männer einander an. Kronberg faßte sich zuerst, an Viatti's Arm verließ er das Zimmer.
Leontine trat entschlossen auf St. Luce zu. Sind Sie Auguste's gewiß? fragte sie, convulsivisch zitternd.
Wie meines Lebens, Frau Marquise!
So ist nichts verloren, denn unschuldig ist sie, so wahr Gott lebt! Aber jetzt schaffen Sie mir Sophie, lieber General, dann verlassen Sie uns. Bereden Sie mit Otto, was gethan werden muß.
Vor Allem, sagte der graue Invalide, ist die äußere Ehre, der Ruf der Unglückseligen vor einem unauslöschlichen Flecken zu wahren.
Still legte er sie mit Leontinens Hülfe auf's Sopha. Otto stand wie versteinert;
etwas Furchtbares
Kronberg war mit Viatti sogleich in den noch unten haltenden Wagen eingestiegen und fortgefahren; Niemand wußte wohin.
Gotthard stand im Vorhause und starrte mit gekreuzten Armen düster vor sich hin, als suche sein Geist die Möglichkeit einer Ausgleichung des Geschehenen, an die er selbst nicht glaubte. So fand ihn Otto. In zwei Worten hatten sich Beide verständigt, St. Luce's Brief hatte ja ihn hergelockt, wie Duguets Schreiben früher Otto.
Er wird mich fordern! sagte kalt und ingrimmig Gotthard.
Er wird mich hören! erwiderte Otto.
Unterdessen war St. Luce die Treppe herabgekommen; als Offizier sah auch er einen
Alle Drei gingen in den Gasthof, den Gotthard und Otto bewohnten. Sie erwarteten dort Nachricht von Kronberg. Gotthard war trübe, aber gelassen. Keiner von ihnen sah Anna wieder. Otto ließ Auguste rufen, um ihn zu befragen. Sie hatte sich erholt; in Leontinens sorgender Obhut wußten die Freunde die theure Frau geborgen. Persönlich ihr zu nahen, vermieden sie ohne alle Erklärung, um keinen Schein des Einverständnisses ihr aufzubürden.
Mehre Stunden vergingen in dieser Spannung. Gotthard benutzte sie, um auf den Fall eines Duells im Voraus alles Nöthige zu ordnen; er schrieb fortwährend, doch wie es beiden Freunden vorkam, nur in Staats- und geschäftlichen Angelegenheiten. Annen schrieb er nicht.
Ich wünsche, sagte dieser, daß es uns gelingen möchte, dem unvermeidlichen Duell eine scheinbare, dem wahren Anlaß fremde, Ursache zu geben, auf keinen Fall können wir auf eine gänzliche Verheimlichung desselben rechnen. Im Uebrigen stehe ich dem Herrn Grafen ganz unbedingt zu Befehl.
Er antwortete in wenigen Zeilen.
St. Luce und Gotthard beabsichtigten, in einer Stunde zu fahren; Otto war im
Augenblicke,
Er ließ sich bei Kronberg melden und ward sogleich angenommen. Zu seinem Erstaunen fand er Roderich in einer ganz unerklärlichen, selbst durch das Vorgefallene in dieser Weise nicht zu motivirenden Stimmung; seine Aufregung, die krampfhafte, fast fieberartige Rastlosigkeit, die ihm nicht einen Augenblick auf einer Stelle zu bleiben gestattete, das mit gänzlicher Erschöpfung wechselnde, hörbar heftige Schlagen seines Herzens, die fliegende Röthe seines Gesichts waren nicht natürlich; er kam Otto krank vor, was er aber, zornig auffahrend, leugnete.
Nach Otto's Ueberzeugung konnte der Graf in seinem Innern Anna's äußere sinnliche
Treue unmöglich bezweifeln, über ihre Neigung zu Gotthard aber mußte er seit
Jahren im Klaren
Sehr anders erschien der Fall den Hauptinteressenten. Kronberg war fest entschlossen, Gotthard zum Krüppel zu schießen, oder ihm seine Kugel durch's Herz zu jagen. Gotthard hatte mit sich selbst abgeschlossen und war fertig mit Allem; er hatte eben so fest sich vorgenommen, unter keiner Bedingung auf den Grafen zu feuern. Beiden war auf diese Weise, wie bisher, noch ferner fortzuleben, unmöglich geworden.
Otto bat Kronberg, noch einmal ohne Zeugen ihn sprechen zu dürfen, ehe Gotthards
Antwort durch den rückreitenden Diener anlange, die ohnehin durch seine
Anwesenheit als gegeben zu betrachten sei. Kronberg versprach, ihn
Sie wissen, sagte er weich, daß Anna meine Schwester ist, nur glichen wir von
jeher den Dioskuren, sie gehört den himmlischen an, ich der Mutter Erde. Und
weiter malte er mit naturtreuen Farben ihr stilles Leben in Brandenburg aus, der
Marquise Ankunft, Egons und Josephs Liebe zu Beiden und die sich an der
freundlichen Gegenwart mildernde Stimmung Aller. Annens Unkenntniß jeder späteren
Wendung in Gotthards Geschick trat in all' diesen Einzelnheiten deutlich hervor;
in Otto's ganz einfacher Rede lag eine durchgreifend
Können Sie, schloß dieser fest und scharf, auf den Fall eines unglücklichen Ausganges dieses Zweikampfs eine mögliche Form des Lebens der beklagenswerthen Gräfin sich denken? Welche Stellung bleibt der mit einem Mal durch diese Oeffentlichkeit Preisgegebenen vor der Welt? – Uns Protestanten beut kein Kloster eine schirmende Zuflucht; die harte, schwere, ihre Kräfte weit überwiegende Last wird erbarmungslos auf die zarten Schultern geladen und sie muß sie vor Aller Augen mit sich bis zum Grabe tragen. Und was gewinnen Sie selbst?
Wild auflachend, unterbrach ihn Roderich. Junger Freund, haben Sie nie Ihr Herz an
einen Irrthum gehängt? Was ich gewinne?
Erstarrt blickte ihn Otto an. Entsetzlich! rief er aus. Ein kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, auf jeden Fall war Anna's Ruhe verloren – und auf immer! Wen auch der Schuß des Gegners treffe, jedenfalls traf er ihre ganze Erdenzukunft.
Eben hielt der Wagen, die beiden Herren langten an. Gotthard sah ruhig aus. Er näherte sich höflich dem Grafen und bat ihn um eine Gunst.
Kronberg verbeugte sich.
In gewählten, sehr sorgfältig überlegten Worten erklärte Gotthard: er sei
überzeugt,
Der Graf nahm das Anerbieten an, behielt sich jedoch das Recht vor, die Gattung der Waffen und die Einrichtung des Zweikampfes zu bestimmen, und wählte Pistolen.
Gotthard überließ ihm diese und jede andere nähere Bestimmung.
Es ward Wein gebracht, Essen, ein Spieltisch und Karten; dem Kellner deutete man an, daß man seiner vorläufig nicht bedürfe.
Ungefähr eine Stunde lang blieben die vier Herren beisammen; es herrschte eine
eisige Höflichkeit.
Sehr geschickt verbreiteten sie das flüchtige Gerücht eines Streites beim Ecarté. Jede Maßregel ward so getroffen, daß im Augenblick die Sache als ganz folgelos erschien, während ihr Ausgang zu einem bestimmten Schluß führen mußte.
Als sie zurückkehrten, stand Kronberg auf und trat Gotthard entgegen. Herr
Geheimrath! sagte er, was auch morgen das Schicksal über uns entscheide, die
Zartheit und Entschlossenheit, mit welcher Sie von der äußern Ehre der Mutter
meiner Kinder eine Schmach, von dem Leben der Knaben einen tiefen Schmerz
abwenden, verdient meinen achtungsvollen Dank. Obgleich es ein sehr schmerzendes
Gefühl ist, das mir denselben auferlegt, gebieten mir Pflicht
Die beiden Freunde wollten einen nochmaligen Versuch der Versöhnung wagen, Kronberg wies sie stolz zurück, ergriff Viatti's Arm und verließ den Saal.
Es war ausgemacht worden, sich am nächsten Morgen um sechs Uhr am dazu bestimmten Orte zu treffen; die beiden Duellanten sollten von einer gegebenen Entfernung aus auf einander zu gehen und Jeder schießen, wann er wollte.
Als Kronberg und der Marchese sich wandten, das Zimmer zu verlassen, stürzte St. Luce auf Gotthard zu und drückte ihn an seine Brust wie einen Sohn, dann folgte auch er den Andern; als Secundant Kronbergs glaubte er nicht allein bei jenem verweilen zu dürfen.
Und nun eine Bitte, sagte Gotthard zu
Ehe noch Otto ihm etwas zu erwidern vermochte, hatte er sein Schlafzimmer betreten und hinter sich abgeschlossen.
Anna's fieberheiße Hand ruhte noch zwischen den beiden Leontinens, ihr feuchter,
glühender Blick hing noch an den bereits geschlossenen Lippen der Erzählerin.
Leontine hatte ihr Alles mitgetheilt, was sie durch Duguet über Kronbergs Bruch
mit der Capacelli und dessen rasche Abreise erfahren. – Anna war tief erschüttert.
Roderichs Rückkehr zu der eignen ursprünglich edeln Natur seines Wesens glich
Auch Leontinens Elasticität schien gebrochen. Sie kniete am Bette der Freundin,
die sie fortwährend mit angststierem Auge bewachte. Sie wußte selbst nicht, was
sie so Entsetzliches fürchtete. Zwischen den Fingern knitterte sie ein kleines
Zettelchen von Viatti's Hand, das
O hätte Leontine aus dieser engen Schlucht der Pein nur einen einzigen Moment in Viatti's Herz schauen können! Sie fürchtete mit verwirrender Sorge die Feuerbrände des Mistrauens, der wüthenden Eifersucht seiner ewig in sich arbeitenden und stets von außen unbeschäftigten Natur, deren Einfluß in diesem Augenblick Kronbergs Seele allein beherrschte! Doch wo ihn auffinden? – Das ganz Hülflose der Lage beider Frauen war schaudererregend.
Leontinens Haupt sank auf Annens Decke, sie weinte laut.
Anna richtete sich fast geisterhaft auf. Du zweifelst, um wessen Tod wir zu klagen
haben? rief sie mit einer grauenerregenden Mischung von Qual und innig
zärtlichklagender Lust. O, irre dich nicht! Gotthard ist vor Allem Mensch. Für
Kronberg bete, daß ihm Gott vergebe, gegen seine innere Ueberzeugung zu handeln,
weil es ihm die Scheinehre gebeut; bete für ihn, so lange du lebst, ich fürchte,
ich vermag es nicht. – Großer Gott, ist es denn
Sie sank zurück in ihre Kissen und eine tiefe Erschöpfung hielt sie lange von jeder Aeußerung zurück, bis sie wieder irgend ein Gedankenbild, ein Glockenschlag aufschreckte.
Sophie schlich still hinaus zu August und Duguet, die im Vorgemach trostlos bekümmert und gebeugt nebeneinander am Kamin saßen.
Und das sehen! sagte Duguet. Das Haus, das uns genährt, dem wir gedient
dreiundzwanzig Jahre hindurch – das Haus zusammenbrechen sehen über der lieben
Kinder Haupt, die in ihrer Sicherheit und Unschuld nichts ahnen!
Wenn ich nur wüßte, wohin sie gefahren! seufzte August. Sophie trat zwischen die Beiden. Meine armen Freunde, sagte sie, mir ist nicht gut, ich bin von all dem Elend übersättigt, das ich auf der Welt gesehen; das Warten auf neues Unglück halte ich nicht mehr aus.
Mein Gott! fuhr sie fort und sank wie zerbrochen auf einen Stuhl, mit auf den Knien gefalteten Händen, ich habe zu viel davon mit durchlebt, erst die Revolution und die Marquise d'Alvigni, und die jungen Grafen, die ersten Kinder, die ich auferzogen – und deren Vater, dessen Kopf unter der Guillotine fiel. Dann meinen armen Marc, die lange bange Sorge um meine kleine Leontine. Nun das Herz meiner liebsten Herrschaft, meines Herzblatts! Siehst du, Duguet, es ist zuviel für so ein Paar alte Schultern.
Auch August drang auf sie ein.
Nenni, nenni! sagte sie mit ihrem Lütticher, scharfen Dialekt, es hat nichts auf sich. Ein armer treuer Hund stirbt auch zu seines Herrn Füßen. Mais, j'en ai assez! Ich kann nur Euch Beiden gute Nacht sagen. Sie reichte jedem eine Hand.
Und mit plötzlich concentrirter Sorge überflog ihr Auge nochmals das Zimmer, ob auch nichts Nöthiges zu thun; da erreichte Leontinens Ruf ihr Ohr. J'y vais, j'y vais, Madame! sagte sie, indem sie von der Thür aus noch einmal, zum letzten Mal, auf ihre beiden Freunde zurückschaute.
Ich weiß, meiner Treu, nicht, wie mir ist, murmelte August, es ist mir so
bitterwunderlich um's Herz. Zum Teufel! ich habe doch so
Duguet weinte still vor sich hin.
Allons, allons, vous pleurez? rief der alte Soldat. Mais fi donc! qu'est ce bête de pleurer pour ça!
Ihm selbst liefen zwei helle Thränen die Backen herunter.
Morgens um fünf Uhr trat Gotthard, völlig angekleidet, in Otto's Zimmer, den er auch fertig fand. Die gewöhnlichen Vorkehrungen wurden getroffen, auf den Fall der Flucht, der schweren Verwundung u.s.f.
Gotthard blieb ruhig am Tisch sitzen und ließ den Freund gewähren. Seit ihrer
frühesten Studentenzeit hatten Beide, mit gar andern Interessen und Arbeiten
überhäuft, sich
Halb sechs erinnerte er Otto, es sei Zeit. Sie gingen gelassen, wie zu einem ernsten Geschäft. Man hatte Kronbergs Pistolen mit Doppelläufen gewählt. Für den Nothfall steckte Otto ein zweites Paar ein. Den Arzt und Wagen sollten sie wie zufällig am Thore treffen.
Nach wenigen Minuten erschienen auch Kronberg, Viatti und St. Luce; die beiden Letzten ruhig, wie eines solchen Auftritts lange gewohnt; Kronberg, aufgeregter, als zu vermuthen bei so einem trefflichen Schützen und so gewandten Mann. Er sah glühend roth aus und in einer Weise bewegt, die weder zu seiner Ritterlichkeit, noch zu seiner Selbstbeherrschung paßten. Es flog Otto durch den Kopf, er sei doch krank.
Gotthard wurde bleich. Beide Herren grüßten einander; das Feld ward gemessen.
Die Secundanten gaben das Zeichen, die Herren traten an ihre Plätze.
Otto wandte, wie er's versprochen, kein Auge von Gotthard; der junge Arzt sah zum Rechten.
Beide spannten den Hahn ihrer Pistolen und schritten langsam aufeinander zu. Gotthard hob den Arm, hielt sein Pistol gespannt, völlig ruhig; keine Muskel des Arms, kein Zug des Gesichts zuckte.
Jetzt pfiff Kronbergs Kugel, sie streifte Gotthards linke Schulter, dieser hielt
ruhig sein Pistol in unveränderter Lage und schritt weiter. Kronberg schrie auf
und sank zusammen. Halt!
Er ist todt! rief der Arzt.
St. Luce und Viatti suchten ihn vom Boden aufzuheben.
Unmöglich, unmöglich, meine Herren! rief mit Donnerstimme Otto; Geheimerath Gotthard hat nicht geschossen! Die Kugeln sind beide in den Läufen! Mit voller Besonnenheit riß er ihm das Pistol aus der Hand und setzte den Hahn in Ruhe.
Endlich begriff Gotthard, der den Tod von Kronbergs zweitem Schuß erwartete, was geschehen; auch er stürzte auf Kronberg los. Sie rissen seinen Rock, seine Weste auf, der Arzt holte seine Instrumente. Entsetzlich! schrie Gotthard und fiel mit gerungenen Händen auf den Leichnam nieder. Dem Grafen war eine Ader am Herzen zersprungen; er war todt.
Aber auch Kronberg ward tief und aufrichtig beweint. Das seltsame Geschick, das
ihn betroffen, hatte die allgemeine Aufmerksamkeit auf den fremden Grafen gezogen,
der eigens von Wien gekommen schien, um in Brandenburg zu sterben. Das Geheimniß
des Zweikampfs war im ersten Schrecken vergessen, die Sache selbst verstellt,
umgewandelt, widerrufen worden. Manche erzählten, der Graf sei auf
Otto und Viatti hatten Annen die Trauerpost überbracht. In einem ernsten Gespräch
unterwegs war es dem Ersten gelungen, Viatti die unselige Verflechtung der
Umstände mitzutheilen und sein Urtheil über Annen zu berichtigen; doch blieb ein
seltsamer Stachel in des jungen Mannes Brust. Es war Gotthard, der ihn gerettet in
Bern, Gotthard, der, schuldig oder nicht, seines Oheims Tod herbeigegeführt,
Gotthard, dessen frühere Dazwischenkunft seine Vereinigung mit seiner Gemahlin und
durch dieselbe sein Lossagen von jeder Theilnahme der nie ganz endenden
Freiheitsversuche Neapels veranlaßt hatte. Gotthard
Die Freunde geleiteten Annen und ihre Söhne der Leiche ihres Gatten und Vaters zu, die St. Luce mit unerschütterlicher Treue bewachte, und die Kinder wußten nur, daß er in einem Streite sich erhitzt, dann in der Morgenkühle vom Schlag getroffen sei; sie begegneten dem Trauerwagen und schlossen sich ihm an. Anna hatte den Muth, die Leiche gleich zu sehen.
Es war ein furchtbarer Augenblick! zu dunkel in seinen geistigen Tiefen, zu unergründlich an wechselnder Pein, zu niederschmetternd im Gefühl der Ohnmacht menschlicher Natur, als daß man ihn beschreiben könnte. Gotthard floh nicht, aber er zeigte sich nicht; ernst und trübe blieb er in dem kleinen Orte zurück, um abzuwarten, ob eine Klage gegen ihn sich erhöbe. Der junge Arzt nahm ihn in seine Wohnung auf.
Als die letzten Töne des Trauermarsches verklungen und all dieser entsetzliche Schmuck des Todes verschwunden war, mit welchem wir zuletzt die Kleinheit und Erbärmlichkeit alles äußern Erlebens so schroff und grell durch den Gegensatz des der Leiche Bleibenden bezeichnen, wollten Geierspergs Annen nach Berlin mitnehmen.
Sie schlug es ab, übergab ihnen aber, nach des Vaters Willen, Egon, der seine Vorstudien in Berlin beginnen sollte. Sie selbst blieb mit Joseph, der in der Ritterakademie aufgenommen war, zurück. Nach Wien zog sie nichts. St. Luce versprach noch, einige Monate bei ihr zu verweilen. Otto gedachte heim.
Lieber Otto! erwiderte Anna, ich danke dir viel, am meisten aber, daß dein mit meiner ganzen Kinderzeit so eng und fest verwachsenes Bild in so ganz klaren lichten Zügen mir bleibt – zu meinem Trost! – Kehre denn zu Vrenely zurück, sie wird sich um dich bangen.
Ja, das wird sie, sagte er, trübe vor sich hinblickend; denn ich habe ihr seit dem Unglück nicht wieder geschrieben, ich vergaß sie, mich, Alles, um dich! und um ihn, setzte er hinzu, den du liebst.
Den ich liebe! – Anna erröthete heiß, dann kehrte sie den Kopf mit einer edeln, fast königlich stolzen Wendung ihm zu. Ja, Otto! ich liebe ihn! Ich werde ihn lieben, so lange ich lebe, aber –
Sei recht glücklich, Anna! sagte er gepreßt. Er wandte sich, um zu gehen.
Als unser Herz, Anna! als unser fröhlich schlagendes Herz! –
Weißt du noch, fuhr sie fort, wie wir oft Sonntag Nachmittags Stunden lang hinübersahen in des so nahen Nachbars blindgebrannte Fensterscheiben, ganz überzeugt, es müsse irgend etwas da geschehen, und du erzähltest mir lauter Märchenanfänge –
Otto hatte sich zurückgelehnt in die Ecke, er hielt ihre Hand noch, aber sein Auge
sah nur das damalige Kind, nicht sie. Drüben, sagte er langsam, wohnte der Mann,
der die
Maus, sagte Anna und lachte. Ein gar närrischer Name für einen Hund. Der Vater hatte ihn lieb, es war ein alter steifer Spitz.
Ich seh' ihn noch! Und wie die Mutter böse wurde, wenn ich ihn Sonntags herausließ –
Ja, er lief mit bis zur Kirche. Ach, Otto! es ist, glaube ich, in der Welt nirgend mehr solch ein Sonntag!
Und Beide entwarfen sich das Bild eines Sonntags der kleinen Stadt, wie ihn nur
die Jugend kennt, mit all seiner Poesie und all seinen Einschränkungen, seinen
Freuden und seinem
Siehst du, Otto! fuhr sie fort, wäre ich in der engen, grauen Straße geblieben, vielleicht wäre ich glücklich und frei, aber so! –
Freilich, nun bist du eine Gräfin. Aber was schadet das?
Ich bin eine arme, in einen andern Boden versetzte Pflanze, sagte sie
träumerisch-wach, die im Heimatsgrunde nicht zur Blüte kam. Ich habe nicht fest
anwurzeln können in der fremden Erde, so kunstvoll sie des Gärtners Hand um mich
her gelockert und gehäuft. Ich habe mich immer gefürchtet vor meinen eigenen
Verhältnissen, ich habe mich fremd gewußt, nicht gefühlt unter allen diesen
Fürsten und Grafen, deren Wesen mir nie imponirte, deren Interessen mir oft eben
so flach und erbärmlich vorkamen, wie die meiner ersten Umgebung. In meinem
Vaterhause hatte mich die oft rohe
Otto drückte die liebe Hand, die er noch in
Das waren meine Träume, Otto! fuhr sie fort, das war meine Vergangenheit. Nun hat
mich das Leben plötzlich von beiden abgeschnitten und mich in eine grelle, helle
Gegenwart geschleudert; Kronberg ist todt, die Gräfin Kronberg steht nun an seiner
Stelle. Sie ist ihren beiden Söhnen einen makellosen Ruf und die Möglichkeit, sie
unbegrenzt zu lieben, schuldig. Der Vater schläft den langen Todesschlaf, die
Mutter muß für ihre Kinder wachen. – O, glaube mir, Otto! sie sollen sich
menschlichschön und frei entwickeln, jeden Vorzug ihres Geschicks und jede Gunst
des Zufalls genießen, aber keine einzige der meistens diese Gunst, diese Vorzüge
begleitenden, oft sie bedingenden Fesseln soll mir die frischen, schönen
Knabenseelen drücken oder beengen. Sie sollen keine Schwächlinge, keine Charakter-
oder Geisteskrüppel
Anna! schrie Otto auf, ist das dein Ernst, wagst du schon jetzt dich zu entscheiden?
Und warum nicht jetzt? Heute, morgen, über's Jahr, ist das ein Anderes? Er wird auch jetzt mich verstehen. Otto, wer im Augenblicke des Zweikampfs den Muth hatte, mit dem Mörder des Geliebten fortleben zu wollen, um der Kinder willen, hat auch den, eine Trennung zu tragen, die nur eine äußere ist, nie eine innere werden kann!
Otto seufzte schwer. Du bist so jung und das Leben ist so entsetzlich lang!
Sie aber schüttelte den schönen Kopf und legte die Hand auf ihr bang schlagendes Herz. Und doch, traue mir!
Hatte sie den lauten Tag zur Ruhe gebracht, so kam die Nacht mit ihren noch lautern Träumen, das Elend schrie sie gewaltsam wach – und dann war er nicht da. Sie lief an's Fenster, riß es auf, gewiß, er mußte unten sein, sie hatte wol im Schlaf das Rollen des Wagens überhört, aber – da war nichts als Dunkel, und Herbstwinde sausten über die Baumwipfel und krachten, und schüttelten an Thür und Laden. Die Nacht schaute mit tausend schwarzen Augen durch die geöffneten Fenster in das schwach erhellte Zimmer, in dem sie schlafend und wachend immerfort wartete auf ihn.
Nicht einmal beten konnte sie mehr, die Angst verwirrte sie und zerstreute sie; sie faltete dem kleinen Mädchen die noch willen- und bewußtlos herumgreifenden Händchen und blickte gen Himmel. Es war eben so gut wie ein Gebet.
Erst als er lange geruht, gegessen, getrunken hatte, legte sie ihr Köpfchen auf seine Schulter, sah ihn mit den glänzenden schwarzen Augen innig zärtlich an und sagte: Du hast wol viel gelitten? Ueber sich sagte sie gar nichts.
Otto spielte mit ihren langen Flechten und erzählte. Sie schreckte zurück auf dem
Schemel, faltete entsetzt die Hände; so halb zurückgelehnt, starrte sie ihn an und
lauschte ihm jedes Wort
Als er geendet, weinte sie noch laut. Und ich, ich, die dich anklagte, deines Schweigens wegen, o vergib mir! vergib mir! Zärtlich küßte sie seine Hand, er aber zog sie an's Herz.
Diese Anna ist ein großartiges Weib, sagte Vrenely, ihre Augen trocknend; viel besser, als ich. Wie sehr begreife ich, daß du sie so liebst! Gott weiß, ich habe mein Kind lieb da in seiner Wiege; aber dir um des Kindes willen entsagen, das könnte ich nicht. Leontine hat sie oft dem Pelikan verglichen, der mit dem Herzblut seine Jungen letzt; nun gibt sie den Söhnen unendlich mehr, als so ein bischen Blut, denn das arme Herz schlägt fort in ihrer Brust ohne alles Glück. Und Er! o es ist ungeheuer!
Sie versank in ernstes Sinnen. Aber sage mir, fragte sie wieder, ist's
unvermeidlich?
Unter diesen Umständen, in dieser Stellung, mit diesen von allen Seiten drohenden Anklagen –
Ach! sagte Vrenely, es mag sein, daß sie muß; aber all diese hellen, klaren Lebenshöhen sind doch entsetzlich!
Nicht für Anna, liebe Vrenely! Sie barg ihr Haupt an seine Brust.
Der glühende Zauber dieser Stunde, die der Mitternacht gleich die Gespenster aus ihren Gräbern löst und sie über die schweraufathmende Erde hin wandeln läßt, mochte auch die Frauenzimmer erfaßt haben, denn auch sie riefen die Geister ihrer Vergangenheit wach und ließen sie dem zu Boden gesenkten Blicke vorüberziehen.
Einen Moment lang zwang die drückende Schwüle die Jüngere, den Hut abzunehmen; sie
zeigte ein wunderliebliches Gesicht im frischesten,
Ich bin davon wie von meinem eigenen Dasein überzeugt, sagte sie.
Und du hast nie wieder von ihm gehört, und nie auch in Italien und Sicilien eine Spur von ihm gefunden!
Nein, weder da, noch in Malta, noch in Griechenland, wo ich nicht minder sorgsam
ihn gesucht. Und doch bin ich überzeugt, daß er lebt! Er wollte verschwunden sein
und blieb es. Glaube mir, er hat das bessere Theil erwählt. Seine ewig nach
Freiheit und Bewegung, ja nach Kampf dürstende Seele konnte den faden
Zuckerwasserzustand unserer Alltäglichkeit nicht ertragen. Die Plänkeleien unserer
Ehestandstruppen waren glücklicherweise noch bloße Vorpostengefechte geblieben,
als die
Du bist bitter, Leontine!
Ach! wir haben entsetzlich gelitten, ehe es so weit kam, ehe wir uns gestanden,
daß die Trennung unvermeidlich und unser Leben ein lang ausgesponnenes Elend sei.
Und doch habe ich ihn unsäglich vermißt, denn wer kann das Ungewöhnliche, das
Erregende entbehren, wenn er es erst gekannt! – O, glaube mir, das Menschenherz
hat etwas Tigerartiges in seiner
Anna seufzte. Auch ihr waren die Tage entblättert, sie standen kahl und frostig vor ihr und der Lebenssturm hatte oft mit ihren Erinnerungen gespielt und sie beängstigend umhergejagt, wie der Herbstwind die abgefallenen Blätter.
Leontine schwieg und sah lange vor sich nieder; als sie die Augen aufschlug, blitzten zwei glühende Thränen darin auf.
Und jetzt? sagte endlich Anna.
Jetzt? – jetzt laß mich dann an das falsche Todeszeugniß glauben, weil er es will. – Als ich noch für ein Mädchen galt unter euch, war ich längst eine Frau; jetzt laß sie eine Witwe mich nennen und mich wie damals heimlich ihm vermählt bleiben. – Ach, das ist das Wenigste, was ich thun kann!
Ein ganzes Jahr habe ich ihn auf meiner Villa erwartet, immer sein harrend, in
Rom, Florenz und Wien gelebt, ja, Anna, gelebt! mit vollem Bewußtsein des Lebens,
das ich immer umsonst bei euch gesucht und entbehrt, mich freudig eingetaucht in
den Ocean des Schönen, wie sich die Sonne golden in die goldne Tiber taucht! – Ein
Jahr hindurch habe ich wie ein Kind geschwelgt im Genuß, laut gelacht, wenn ich
froh war, geweint und geschrien, wenn mir wehe geschah. All das künstliche Eis der
Sitten, Etiquette und Gewöhnung
Nach einer langen Pause fuhr sie fort: Wer nur innerlich noch recht viel erwarten könnte!
Sie lehnte den Kopf zurück und summte mit halber Stimme ein venetianisches
Gondelierlied vor sich hin. Allmälig gerieth sie in das so oft von Jean Carlo
gesungene Nenna sta grazia a toja. Sieh, sagte sie lächelnd,
Anna faßte ihre beiden Hände und drückte sie an ihre Brust. Leontine, verliere dich nicht! sagte sie weich; deine eigene bewegte Brust läßt dich das ohnehin stets Wandelnde, Wechselnde bodenlos glauben – das Leben hat auch bleibende Tiefen, die den ewigen Himmel zurückstrahlen.
Laß das, erwiderte Leontine, ich klage ja nicht! Daß mir gerade nur das Flüchtige schön erschien, daß ich von ihm eine ewige neue Rückkehr hoffte und deshalb die Fesseln, mit denen ihr Alle es verletzt und verkrüppelt euch bewahrt, nicht ertragen konnte, liegt in meiner Natur. Ich habe ihn – Jean Carlo meine ich – nicht geliebt in euerm Sinne; aber daß ich ihn wie die Anderen verlor, ist grauenhaft, entsetzlich!
Und doch, erwiderte Leontine, als habe sie ihr den Gedanken von der Stirn gelesen, und doch habe ich Otto nie vergessen!
Da sind sie! rief eine kräftige jugendliche Stimme. Es glänzte etwas wie eine Uniform im Gebüsch, und zwei sehr schöne junge Männer flogen auf die Frauen zu. Wie haben wir euch gesucht!
Egon! Joseph! rief die glückliche Mutter, mit innerem, stolzem Jubel die Beiden betrachtend. Siehst du, Leontine, sind das noch Knaben?
Egon küßte der Tante die Hände und sah sie mit so durchdringendem, glühendem Blick
an, daß sie lachend den ihren niederschlug. Aber Anna hatte Recht, Egon war
beinahe ein Mann zu nennen, obschon er noch an der Grenze seiner achtzehn Jahre
stand. Das kastanienbraune
Joseph war Cadet; er hatte alle Schalkheit, allen Muthwillen seiner Tante Leontine geerbt, er sah aus wie der Page im Figaro, nachdem er eben Offizier geworden, und suchte, wie dieser, dem ganzen weiblichen Geschlechte, seine Mutter und Tante mit einbegriffen, den Hof zu machen.
In der einen Stunde seiner Anwesenheit in Weimar hatte er nicht nur alle Stellen
aufgefunden, an denen Anna's Erinnerungen hafteten, er hatte bereits auch alle
Staats-, Gesellschafts- und insbesondere alle Militärinteressen erkundet und mit
in die seinen aufgenommen.
Während Anna Egon über die ihr fast schmerzlichen kleinen Veränderungen befragte, flüsterte Joseph der schönen Tante eine Menge Geheimnisse zu. Leontine war ganz heiter geworden und sah nun zehn Jahre jünger aus, als vorhin.
Und seid ihr allein gekommen? fragte sie endlich.
Bewahre! Wir haben deinen Lord Frederic, den du eine Lady nennst, höchst
eigenhändig aus dem Wagen gehoben, nachdem wir sie und ihren Neger von Dresden her
escortirt. Ihre Lordschaft haben aber drei Nachtfahrten gemacht
Und du kannst mich hinführen, sagte Leontine.
Stolz bot ihr der Cadet den Arm und grüßte mit der Linken im Abgehen die Zurückbleibenden.
Das Paar sah allerliebst aus; obschon sie dem Alter nach seine Mutter sein konnte, erschien Leontine neben ihm wie eine ältere Schwester.
Egon sah ihr mit leuchtenden Blicken nach. Ist sie nicht immer noch wunderbar
schön? fragte er. Er seufzte leise; Anna aber lächelte freundlich. Man nennt in
Frankreich das erste graue Haar einer jungen Frau le cheveu historique; obgleich
fast unhörbar leise, schien der Mutter dieser erste Seufzer des Sohnes eine ganze
idyllische Geschichte voll lauter Frühlingsempfindungen
Wie weh den Frauen selbst das Leben gethan haben mag, wenn sie für ihre Kinder hoffen, liegt immer etwas Primitives in ihrem Gefühl; die Narben der Erfahrung sind plötzlich alle in ihnen ausgelöscht und sie glauben der Zukunft unbedingt, als wären auch sie – sechszehn Jahr.
Mutter, sagte Egon, indem er neben ihr sich auf die Bank setzte, ich möchte mit dir reden; aber nicht wie ein Knabe, nicht wie ein Jüngling, wie ein werdender Mann zu einer Frau, die schon Alles geworden, nur das Eine nicht, was sie vor Allem hätte werden sollen – glücklich!
Seit vier Jahren, fuhr er fort, hast du, theure Mutter, nur für uns, ausschließend für Joseph und mich, gelebt, Alles danken wir dir!
Du vergißt Geiersperg, sagte Anna weich.
O nein! der Onkel hat gethan, was er vermochte, um uns die Leitung des Vaters zu ersetzen; aber glaubst du wol, sie würde ihm bei ein paar Trotzköpfen, wie die unsern, gelungen sein, wenn er die Zügel nicht gar oft in deine liebe Hand gegeben hätte?
Wo willst du eigentlich hinaus? fragte Anna heiter; immer noch erwartete sie irgend ein Bekenntniß.
Ich wollte dir sagen, liebe Mama, daß wir flügge gewordene, aus dem Nest gefallene
Vögel sind, die nächstens ihren Flug in's Weite versuchen werden. Ich bin achtzehn
Jahr und Student, Joseph in seinem bunten Rocke siebzehn
Ach, sagte Anna, war es das? O Kinder! ich weiß es längst, daß ich euch nun dem Leben, der Welt und ihrem Wirbel überlassen muß, und werde es. Ihr werdet nicht einmal die bangen Schläge meines Herzens hören. Nein, nein, mein Egon! nie soll die Mutterliebe euch eine Fessel werden!
Er küßte ihr die Hand. Es entstand eine kleine Pause. Anna war in's Sinnen gerathen und in stilles Hinbrüten versunken.
Am meisten nach dir danken wir dem Präsidenten Gotthard, fuhr Egon fort. Hast du lange nichts von ihm gehört?
Seit fast zwei Jahren nicht, antwortete sie
Freilich, erwiderte Egon fast obenhin. Er sah den Geisterzug nicht, den er in der Mutter nachzitternder Seele erweckt. Aber möchtest du ihn nicht einmal wiedersehen?
Plötzlich überflutete eine himmlische Jugend die schöne Frau. Trotz ihrer vierundreißig Jahre ward sie schöner, als je; es lag eine so edle Verklärung der Seele in ihrer ganzen Erscheinung. Ich würde mich unendlich freuen, ihn zu sehen, sagte sie; aber schwerlich werden uns die auseinanderliegenden Wege sobald zusammenführen.
Und wenn er nun einmal ganz unerwartet käme, Mutter?
Anna vermochte nicht zu antworten.
Mußt du uns doch nun unsern eigenen Zug nehmen lassen, du Arme! Kannst uns nicht
Aha! sagte der rückkehrende Joseph, hast du Cato den Text gelesen, Mutter? Will er wieder einmal die Welt verbessern und allweise sein, trotz unserm Herrgott? Tröste dich, liebste Mama! hast du doch noch mich hoffnungsvolles Schlingelpflänzchen, um dich und ihn vor seiner Moral zu retten und vor seinem vielen besten Rath! Ich habe nur den einen, und er ist zu gleicher Zeit mein höchster Wunsch: sei recht glücklich, Mutter! so glücklich, als noch gar kein Mensch auf Erden geworden; denn auf Ehre! sagen wir Offiziere: noch Niemand hat es mehr verdient!
Im Gehen hatte Egon ihren Arm in den seinen gelegt; die jungen Leute führten sie
unmerklich aus dem Park über den daran stoßenden
Ist dein Herr zu Hause? fragte Anna den letztern.
Seit dem Tode des Herzogs von Reichstadt hatte sich St. Luce wieder eingefunden. Er war entschlossen, sie nie wieder zu verlassen, immer in ihrer Nähe seinen Wohnsitz aufzuschlagen.
Es fiel Annen auf, daß der alte Diener nicht sogleich antwortete; als sie ihn und Duguet genauer ansah, bemerkte sie in beider Zügen den Ausdruck einer tiefen, gewaltsam zurückgehaltenen Rührung. Arme Freunde! sagte sie, ach! ihr seid nicht die Einzigen, die hier Sophiens schmerzlich gedacht! – Sie reichte ihnen die Hand, die jene ehrfurchtsvoll an ihre Lippen drückten. Keiner erwiderte ein Wort.
Am Fenster, den Rücken ihr zugewandt, gewahrte sie einen stattlichen Fremden. Bei dem Geräusch ihres Eintritts kehrte er sich um; es war – Gotthard.
Tief bewegt ihr die Hand entgegenhaltend, schritt er auf sie zu. Verzeihung,
theuerste Anna! rief er mit dem vollen Klange, den nur die Freude dieser weichen,
sonoren Stimme, die sonst gedämpft ertönte, zu verleihen pflegte. Ach! mit dem
ersten Laut rief er das ganze vergangene Leben ihr wach, es umgab sie wie eine
überreiche Gegenwart. Anna! wir Alle
Trunken von Glück, keines Ausdrucks mächtig, ließ sie sich von ihm zum Sopha geleiten. Erst jetzt sah sie ihn wirklich, bis dahin hatte eine Art Nebel auf ihrem Auge, ein Schwindel von Seligkeit sie verhindert, ihn deutlich zu sehen. Aber als er nun fortsprach, gewann sie Zeit und blickte auf. Gotthard war in den vier, fünf Jahren bedeutend gealtert, die ungeheure Geistesarbeit, die rastlose Thätigkeit seines Berufs hatten Spuren hinterlassen, aber sie hatten sein Aeußeres gereift, ohne es irgend zu schwächen; er war noch immer schön.
Es lag ein solcher Ausdruck von Güte in seinen harmonischen Zügen, eine solche
Zusicherung
Demonstrationen des Gefühls, fortgesetzter Briefwechsel, ja sogar jeder regelmäßige gesellschaftliche Verkehr waren dem mit den bedeutendsten Arbeiten Ueberhäuften, auf eine der höchsten Stellen des Staates Berufenen längst unmöglich geworden; dennoch war Annens Bild nie aus seiner Seele, nie aus seiner Sehnsucht gewichen.
Nach dem unseligen Duell hatte er, während Anna in Brandenburg blieb, eine Zeit
lang in Berlin gelebt, um die Fäden einer neuen, immer ausgedehnteren Thätigkeit
anzuknüpfen. Während dieser Vorbereitung seiner
Das schwere Opfer ward gebracht; schweigend, wie fast immer die schweren Opfer. Gotthard suchte beim Ministerium um einen Zweig der Verwaltung in Schlesien nach; sein Wunsch ward ihm gewährt.
Sonderbar genug, aber ein Beweis, daß ein wahrhaft eminenter Kopf in unsern Tagen
die äußeren Verhältnisse beherrscht, hatte der wiederholte Umschwung, den
Gotthards Liebe seiner amtlichen Thätigkeit gab, weder hemmend, noch störend auf
seine Laufbahn eingewirkt, unaufhaltsam hob sie sich; sein Weg
Die Verschmelzung großer That- und Geisteskraft ist selten, und dennoch bedarf unsere industrielle Zeit derselben so sehr. Gotthards Uneigennützigkeit, sein bürgerlicher Fleiß und seine aristokratische Nichtachtung des Einzelnen, wo es die Masse galt, gaben ihm einen immer ausgedehnteren Wirkungskreis, ja eine in manchem Bezug fast herrschende Gewalt über seine Mitbürger und Untergebenen.
Als ihn der Zufall wieder einmal mit Geiersperg zusammenführte, fragte er so
angelegentlich nach Annen, daß der alte unermüdliche Handlanger der
Zeitereignisse, Geiersperg, mit einem Male innerlich beschloß, nun seine Neffen
erwachsen und die Gerüchte über des Vaters Stellung zu Gotthard denselben zur
Prüfung vorgelegt werden konnten, die jungen Leute selbst auf den Gedanken an eine
zweite
Seine Absicht ward vollkommen erreicht. Die Zusammenkunft Leontinens mit Annen und der Lady Frederic, die erstere nach Konstantinopel zu begleiten beabsichtigte, ward zum Moment des Wiedersehens erwählt. Geiersperg war überselig, ein kunstvolles Manoeuvre ausgeführt, durch die Gründe seiner Beredtsamkeit alte Vorurtheile besiegt zu haben, wie Leontine lachend ihm vorwarf.
Alle trafen ungefähr zur nämlichen Zeit in Weimar zusammen.
So ward es möglich, Annen ein Wiedersehen zu bereiten, das die vom Glück so lange
Entwöhnte vielleicht in banger Scheu von sich gewiesen haben würde, hätte sie es
vorausgeahnt, das aber nun in seiner überraschenden Erscheinung einem elektrischen
Funken gleich in ihre müde Seele traf und plötzlich alle schlummernden
In jedem Worte feierte ein zerdrücktes, verborgenes Gefühl oder eine lange
verschwiegen und heimlich getheilte Ansicht eine Auferstehung. Beider überreiche
Natur strahlte so edle Gaben der innern Schönheit aus, daß sie in gegenseitiger
Freude, Eines an dem Anderen durch die Gegenwart erfüllt und befriedigt, weder die
Schatten der abgeblühten Vergangenheit hervorriefen, noch an der verschleierten
Gestalt der Zukunft rührten. Diese aus tiefen vollen Quellen zusammenfließenden
Seelen brachten ja unwillkürlich in jedem Worte, in jedem Blicke
Lady Frederic hatte sich vorgenommen, nach dem Orient zu reisen, Griechenland und Konstantinopel zu sehen. Die Russen hatten Frieden geschlossen mit der Pforte; Griechenland erwartete von der hand der verbündeten Mächte seinen König. Die alte Freiheitsfreundin sehnte sich nach all den geheiligten Stätten, denen neue bessere Zeiten entblühen sollten; aber auch den Herd der Knechtschaft, wie sie die Türkei nannte, wollte sie in Augenschein nehmen; nur so, demonstrirte sie, sei es möglich, sich ein deutliches Bild der Gegenwart zu verschaffen.
Eigentlich war es der lebhaften Frau zu
Leontinens Rückkehr nach Italien kam ihr höchst erwünscht. Sie ruhte nicht eher, als bis ihr gelungen, die gewohnheit- und alltäglichkeitscheue Freundin zu überreden, sie nach dem Orient zu begleiten. Leontine wollte einen Harem und eine Moschee sehen und willigte also trotz Geierspergs unabweislichen Gründen ein.
Seit Italien schien eine innere Unruhe, ein Gedränge vielfach verschlungener und
dort empfangener Eindrücke ihre Launen noch wechselnder, ihre Gefühle noch
unruhiger zu machen. Nur ein einziger Goldfaden zog sich durch das seltsame bunte
Gewebe ihrer Gedanken, Phantasien und Empfindungen hin: der Wunsch,
Jean Carlo in Griechenland zu finden, schien Leontinen nicht unwahrscheinlich; dort konnte es ihr gelingen, noch einmal seinem so vielfach geknickten Leben erneute Hoffnungen und Thätigkeit zu geben, indem sie die ihm geraubten Hülfsmittel zurückbrachte, die er für seine Landsleute bedurfte und deren Entbehren großentheils das Geschick der Griechen entschieden hatte.
O dear, o dear! unser lieber Herr Gotthard!
Leontine war der geistigen Kreuz- und Quersprünge ihrer alten Freundin zu sehr gewohnt, um auch nur einen Augenblick sich verletzt zu fühlen; sie war sogar gefällig genug, nicht zu hören, was jene zu flüstern wähnte.
St Luce war am übelsten daran, er vermochte sich nicht eher vor ihrem gutgemeinten aber übel angebrachten Eindringen in seine Gefühle und Ansichten zu retten, als bis Anna sie auf die frisch blutende Wunde aufmerksam machte, die dem Freunde der Verlust des angebeteten Kaiserkindes geschlagen.
Als aber am folgenden Tage die gute alte Lady eine ganze Weile dem Zusammensein
der Freunde und der Waldau'schen Familie zugesehen, ward sie sehr nachdenkend. In
einem unbemerkt
Trotz seines Kummers gerieth der Invalide in ein so jugendlich herzliches Lachen,
daß selbst seine große Höflichkeit es nicht zurückzuhalten vermochte und mehre
Mitglieder des kleinen Kreises, dadurch herbeigezogen, mit Bitten und Fragen auf
die Lady eindrangen, die in der felsenfesten Ueberzeugung, St. Luce von seinem
Vorurtheil so am besten zurückzubringen, eine lange Rede hielt, in welcher sie
ihre Wünsche
Sie hatte das Eis gebrochen. Obschon Alle lachten, war ihr abermals Jeder dankbar, denn die Angelegenheit kam nun zur Sprache. Gotthard warb um der Geliebten Hand.
Egon beschwor die theure Mutter, ihr schönes einfaches Leben nicht durch eine Uebertreibung zu verderben. Ein unnützes Opfer ist eine Sünde! sagte er ernst.
Anna war unaussprechlich bewegt. Schon daß gerade der Sohn ihres Herzens fast den
Wer diese Menschen so zusammen sah in ihrer heiteren Liebe, wem Annens strahlendes Gesicht, Gotthards so geistig-schönes Dankgefühl, der Kinder und Freunde Jubel damals die Empfindung des dankbaren Glaubens an mögliches Menschenglück in die Brust gesenkt, wie ein schützendes Amulet gegen das Mistrauen des Ueberdrusses, der wird ein solches Begegnen nicht vergessen haben. Möge sein Erinnern desselben das Samenkorn eines inneren heiligenden Segens für den werden, der am Leben verzweifelt.
Auch jetzt in unsern Tagen noch möchte ich dem schauensmüden blasirten Reisenden,
der so viel Städte, Bücher, Bilder, Kunstwerke aller Art mit mattem Blick besieht,
den eine innere
Wenn der Präsident nach langen beschwerlichen Berufsgeschäften, die auch ihn oft zu weiten Reisen veranlassen, heimkehrt zu seinem stillen, friedlichen Asyl, umfängt ihn eine selbst erbaute Welt des Schönen. Was Wissenschaft, Kunst und Reichthum dem Dasein als Schmuck gewähren, liegt dort in reichen Garben aufgehäuft. Anna hat einen Zauberkreis der Häuslichkeit darum hergezogen. Noch immer stehen sie und Gotthard, unverändert im Innern, von der Zeit unendlich mild behandelt, schön und edel, in vollster Kraft, nebeneinander, noch immer ist ihre Neigung dieselbe, noch immer eint sie das seltenste, innigste Verstehen.
Egon zählt bereits unter unsern bedeutendsten Staatsmännern. Da Gotthard keine
Kinder
Die Zeiten haben sich verändert; ihren Anforderungen zu genügen, ist alljährig schwerer geworden. Gotthard sieht seinen Nachfolger in Egon, dessen die seine einst überragende Wirksamkeit er sorglich und besonnen dem Lieblinge vorbereitet.
Joseph ist der schönste und beliebteste Offizier seiner Garnison und ist dabei der unempfänglichste für Frauenliebe. Obschon er jeder Dame den Hof macht, erzählt er ihr zugleich, daß nur die ganz besondere glückliche Mischung von Fehlern und Vorzügen seiner Tante Leontine ihn dauernd zu fesseln vermöchte, und daß er trostlos ist, hier bei den nordischen Barbaren weilen zu müssen, während die Unbarmherzige unter griechischer Sonne altert, ohne auf ihn zu warten.
Und Leontine? Sie ist immer noch ein anmuthiges,
Gar andere, tiefernste Briefe, meist in Bücherform und gedruckt, sendet uns Otto.
Ihn umgibt ein Kreis geliebter Kinder und treuer Freunde. Die unendliche
Thätigkeit seiner Seele erhält ihn frisch; die seit den letzten Jahren mit