Dresden, den 26. April 1846.
Ida Hahn-Hahn.
Diese Blätter sind Ueberbleibsel eines Daseins welches vor der Zeit Schiffbruch litt;
– vor der Zeit, was die Jahre betrift, die uns ja bis »siebzig oder achtzig«
zugemessen – für die also Zustände denkbar sind, welche ihnen Genüsse und
Befriedigung verschaffen. Allein viel zu spät für die schauerliche Erschöpfung in der
diese Frau ihre Tage hinschleppte. Nichts auf der Welt machte ihr Freude, nichts
entlockte ihr ein Lächeln oder eine Thräne, nichts erwärmte ihr Herz oder beflügelte
ihren Geist, nichts ruhte sie aus, nichts regte sie an. Sie stand neben ihrem
unterminirten und ausgeödeten Leben wie der Genius des Todes jezt neben ihrem Grabe
stehen mag: unüberwindlich gleichgültig. Gleichgültig – das war sie! aber nicht blos
für Andere, sondern mehr noch für sich selbst. Es ist ja Alles gleich vorüber! –
sprach sie mit ihrer tonlosen Stimme und ihrem Marmorantlitz, und Körperleiden die
Andere wahnwitzig machen würden, erpreßten ihr keine Klage. Als sie im Sarge lag fiel
mir dieser gleichgültige Ausdruck
Als ich die Blätter las in welche sie ihr Leben verzeichnet hat und welche ich auf
ihren Wunsch nach ihrem Tode empfing, war es mir als sähe ich einen einsamen Vogel
auf einer kahlen Felsenklippe im Meer sitzen, der eine melancholische monotone Weise
singt, die er der Brandung rings umher abgelauscht und der Unermeßlichkeit die ihn
umgiebt angepaßt hat. Die Eindrücke ihrer ersten Jugend, die träumerischen,
sehnsuchtsvollen, unbestimmten, großartigen Bilder, welche am Meeresufer, in Buchen-
und Eichenwäldern, in Herbstnebeln an ihr vorüber gezogen sind, haben ihrer Seele die
entsprechende Färbung aufgedrückt, und ihre Phantasie über alles Maß hinaus
entwickelt. Sie hatte sich so gewöhnt in ihren Träumen zu leben, daß die Wirklichkeit
ihr überall nüchtern und blaß erschien;
Nun liegt sie still und kühl gebettet in ihrer Heimat auf einem Hügel dessen runde Kuppe einen Busch von Eichen trägt. Unausgesetzt tönt das Brausen der See herüber, eben so monoton in ihrer Bewegung wie die stille grüne Landschaft rings umher monoton in ihrer Ruhe sich ausbreitet. Inmitten der Eichengruppe deckt ein Würfel von Granit ihr Grab, und auf demselben stehen die drei Worte:
»Sibylla wach auf!«
Im grünen Holstein am Strande der Ostsee bin
»Aber Du mußt mich mitnehmen, Heinrich!« rief ich wehmüthig wenn er so recht im Zuge war mir Gott weiß welche Herrlichkeiten auszumalen.
»Das versteht sich, Sibylle! entgegnete er zuversichtlich; wenn Du fünfzehn Jahr alt bist ziehen wir in die weite Welt.«
Und in meinem Sinn schnürte ich schon mein Bündelchen und sah mich um nach einem Wanderstab.
Der Winter war unsre seligste Freudenzeit! dann froren die Canäle zu, welche in allen
Richtungen den weitläuftigen Park durchschnitten, und wir liefen darauf Schlittschuh
– eine Uebung die mein Bruder mir gleichfalls beigebracht hatte. Abends, wenn die
weiße Erde, der blaue Himmel, die bereiften Bäume und das spiegelblanke Eis vom Mond
und vom Frost wie versilbert flimmerten – dann hinaus! Heinrich rechts ich links auf
den Canälen, ein Punkt bestimmt wo wir zusammentreffen wollten und dann fort wie der
Vogel, wie der Wind! Ach, das war ein Jubel! Oder wir verfolgten, jagten und haschten
uns, und fuhren dann Hand in Hand weiter, oder Arabesken und unsre Namenszüge in
Die Eltern, ein alter Hofmeister, ein junger Musiklehrer, eine Engländerin halb
Gouvernante halb Gesellschafterin, und wir drei Kinder, endlich eine Menge von
Dienstboten wie man sie auf dem Lande in reichen Häusern oft recht überflüßig zu
halten pflegt – das war unsre Hausgenossenschaft. Besuch kam selten, und noch
seltener wurde eine Gesellschaft zum Mittagsessen gebeten. Beides war ein Ereigniß in
unserm stillen Leben, aber für mich ein höchst widerwärtiges. Bei den Diners wurde
ich von der Tafel ausgeschlossen und einsam in die Kinderstube verbannt; und den
fremden Besuchen gegenüber verging ich fast vor Angst und Schüchternheit. Hätte ein
Tancred oder ein Hector, eine Fee oder eine Prinzessin mich angeredet, so würde ich
schon geantwortet haben, allein mit diesen Menschen, die mir Alle so bekannt aussahen
und so fremd waren, fühlte ich mich grenzenlos verlegen. Zeit und Verhältnisse waren
auch nicht von der Art um eine fröhliche Geselligkeit zu begünstigen: die
Franzosenherrschaft lastete auf Deutschland wie
Plötzlich wurde aber Alles anders! es hieß nun gebe es Krieg gegen die Franzosen. Ein
Neffe meiner Mutter, ein Hannoveraner, der grade bei uns zum Besuch war, verlobte
sich im Gefühl künftiger Siege mit meiner Schwester, und eilte die Rosen der Liebe
mit dem Lorbeer des Helden zu durchflechten. Alles war in Begeisterung, Alles
jauchzte der Befreiung entgegen, Alles war bereit Blut und Leben dran zu setzen. Wir
feierten die gewonnenen Schlachten, bewunderten die verbündeten Monarchen, priesen
Landwehr, freiwillige Jäger, hanseatische Legion, Kosaken; vergingen in Angst und
Mitleid bei der Belagerung Hamburgs, und jauchzten bei dem Einzug in Paris. Es war
solcher Schwung und solche Bewegung in das wirkliche Leben gekommen, daß mein Bruder
und ich unser Phantasieleben darüber vergaßen, und unsre Helden des Alterthums und
der Romantik in
Paul, der Verlobte meiner Schwester schrieb aus Paris wie aus einem Wunderlande,
einer Feenwelt. Im Lauf des Sommers kam er zurück und brachte mir Bonbons mit von so
unbegreiflicher Schönheit, daß ich sie wie Kunstwerke anstaunte ohne den Muth zu
haben auch nur einen einzigen zu verzehren. Ebenso reizend waren die Geschenke,
welche er meiner Schwester machte, und seine Erzählungen übertrafen nun gar Alles was
ich je von Herrlichkeiten geträumt hatte. Nur das Wort zu hören »Palais royal« machte
mir einen ganz zauberischen Eindruck. Die Verlobten sprachen von einer Hochzeitreise
nach Paris; zum ersten Mal in meinem Leben beneidete ich meine Schwester! – An ihren
Bräutigam schloß ich mich mit einer Art von Leidenschaft, weil er durch seine
Erzählungen meiner Phantasie Nahrung bot. Ich hielt mich zu ihm so viel ich konnte,
und er war immer sehr freundlich gegen mich – was der armen Amalie nicht sehr zu
gefallen schien, denn sie schickte mich zuweilen mißmuthig fort. Auch Heinrich war
nicht so gut gelaunt wie sonst. Der Knabe wuchs in den Jüngling hinein, alle
Uebergangsepochen müssen sich durch Stürme ringen. Aber das wußte ich
Ich brach in ein Jammergeschrei aus. Ich sei nicht verliebt! ich würde mich nie verlieben und nie heirathen! – Mein Bruder beschwichtigte mich, aber zum ersten Mal hatte er mich tief verletzt.
Der Wiener Congreß und die Vorbereitungen zu Amaliens Hochzeit wurden auf gleiche
Weise unterbrochen – nämlich durch Napoleons Rückkehr nach Frankreich. Wieder brach
der Krieg aus; wieder trat der Verlobte in die Reihen, und diesmal erklärte Heinrich
er wolle und müsse auch gegen die Franzosen kämpfen; er sei im siebzehnten Jahr, groß
und stark, Jüngere als er hätten den vorjährigen Feldzug mitgemacht. Es sei eine
Schmach in solchem Augenblick bequem und sicher im Vaterhaus
Gott, welche Sehnsuchtsqual erduldete ich bis sie nun endlich da waren! und als sie
kamen verfiel ich in einen solchen Taumel von Jubel und Entzücken, daß ich wie
besinnungslos in Heinrichs Armen hing. Er war noch größer geworden, aber so dünn und
schmal aufgeschossen, so ganz ohne Haltung und Kraft, daß seine Gestalt einen
beklemmenden
Da klagte Heinrich eines Morgens über Kopfschmerzen, über Schwere und Schwäche in
allen Gliedern; – er bekam das Nervenfieber, und am einundzwanzigsten Tage war er
todt. Mein Vater und Amalie erkrankten Beide an seinem Sterbetag und die gräßliche
Krankheit riß sie binnen wenig Wochen ins Grab. Am Tag Aller Seelen wurden sie
bestattet, und ich wurde zehn Jahr alt! Meine arme Mutter, im seelischen und
physischen Lebensorganismus an der Wurzel erschüttert, verfiel in den
allerkläglichsten Zustand. Die Nachtwachen, die Todesangst um das Geliebteste während
sieben langer Wochen, die herzzernagende Sorge, der herzzerspaltende Schmerz am Sarge
des Gatten in voller Kraft – und der Kinder in voller Blüte des Lebens; die
Verzweiflung des Verlobten und meine wilde unsinnige Traurigkeit: das Alles
überwältigte sie. Eine gänzliche Lähmung der Nerven, die zu Zeiten mit den heftigsten
Nervenkrämpfen abwechselte, machte ihre fernere Existenz zu einer langen, trostlosen
Qual. Sie lag auf dem Sopha oder im Bett, mußte gehoben, getragen, angekleidet
Bei zehn Jahren war ich also, was den Schmerz betrift, fast durch alle Stadien des
Gefühls gegangen: der Vater und die Geschwister todt, die Mutter abgestorben, und ehe
ich den Bruder und in ihm den Gegenstand einer tiefen innigen und ausschließlichen
Liebe verlor, hatte ich die fürchterliche Trennung
Also bei zehn Jahren glaubte ich an mich und richtete danach mein Leben ein. Engelau
umfing und beschloß für mich die Welt; ich wollte Alles lernen und wissen, was sich
auf Gegenstände und Menschen bezog die mich umgaben. Ich war von einer fürchterlichen
Wißbegier um auf den Grund der Dinge zu kommen. Durch praktische Anschauung und wo
möglich durch hülfreiche Thätigkeit machte ich mich mit allen Vorkommenheiten des
Landlebens vertraut. Ich verfolgte das Weizenkorn
»Sie haben Champagner im Kopf, kleine Sibylle, sagte er mir einmal, Sie müssen nur Schwarzbrot dazu essen damit Sie im Gleichgewicht und bei Gesundheit bleiben.«
Und dann ging er mit mir durch die Felder und in den Wald und ans Meer, und erzählte
mir die Naturgeschichte nicht aus todten Büchern sondern aus frischer freier
Anschauung, so daß sich jede Erklärung mit einem Bilde verbunden in mein Gedächtniß
prägte. Das nannte er »Schwarzbrot«,
Alljährlich besuchte uns mein Onkel, und blieb sechs bis acht Wochen in Engelau. Er
plauderte und scherzte mit mir, neckte mich nach der Gewohnheit alter Herren kleinen
Mädchen gegenüber, lobte mich über alle Gebühr um meiner armen Mutter und der guten
Miß Johnson Freude zu machen, und war mir ziemlich gleichgültig. Er wäre es wol ganz
gewesen – aber er war Pauls Vater und interessirte mich als solcher. Denn Paul
gehörte im Grunde mit zu der Gemeinschaft meiner Abgeschiedenen. Er war noch drei
Monat nach Amaliens Tod bei uns geblieben, hatte meine Mutter im Beginn ihrer
traurigen Krankheit mit wahrer Sohnesliebe gepflegt, hatte mit mir tausend Thränen an
unsern theuern Gräbern geweint, und war endlich auf den Wunsch seines Vaters in die
diplomatische
Nach drittehalb Jahren kam er zum ersten Mal nach Deutschland und besuchte uns mit
seinem Vater in Engelau. Ich wußte nichts von seiner Ankunft. Ich stand in der
Hausthür um den Onkel zu empfangen, als ich das Posthorn hörte das alljährlich einmal
und nur für ihn im Schloßhof von Engelau ertönte. Ich hatte mich nach besten Kräften
geschmückt, hatte mir einen prächtigen Rosenkranz gewunden und einen rosenfarbenen
Gürtel über mein weißes Kleidchen gebunden. Mein kleiner zahmer Kanarienvogel saß mir
auf der Schulter halb versteckt von meinen dicken Locken an denen er zuweilen
ungeduldig pickte. Als ich in der ofnen Kalesche Paul neben seinem Vater erkannte,
stieß ich ein helles Freudejauchzen aus und ich erinnere mich daß ich heimlich
dachte: Wenn der Postillon doch so vorführe daß Paul zuerst ausstiege! – – – Richtig!
so fuhr der Postillon vor – – und in Thränen gebadet warf ich mich in seine Arme, und
konnte mich nicht fassen vor Wehmuth und Freude. Der Onkel hatte mich nie so gesehen,
er wollte mich beruhigen, beschwichtigen; aber ich
»Sehr schmeichelhaft für Dich, Paul!« sagte der Onkel neckend und streichelte mir die Wangen, indem er hinzufügte: »Wenn man von den glücklichsten Tagen seines Lebens spricht, Schätzchen, so muß man hübsch in die Höhe wachsen damit man die Kinderschuhe ausziehen kann; – denn das paßt nicht zusammen.«
Er hatte wol Recht! aber ich fand es höchst grausam keine glückselige Tage haben zu
sollen, weil ich klein sei. Ich sah Paul mit thränenschweren Blicken an, und seine
herzliche Freundlichkeit tröstete mich. Er ging mit mir um wie mit einem Kinde,
rücksichtslos vertraulich; aber daß er mich auf der einen Seite wie Seinesgleichen
behandelte, mit mir ausritt, spazieren ging, plauderte, erzählte; und auf der andern
mir die kleinen Schmeichelworte und Liebkosungen sagte mit denen man gegen Kinder so
unbedachtsam freigebig ist und die man gegen ein junges Mädchen nicht mehr zu äußern
wagt: – dies warf den zündenden Funken in meine bis dahin schlummernde Eitelkeit. Ich
war im dreizehnten Jahr und er achtundzwanzig; das war ein großer Unterschied,
dennoch stand er
Es war Ende März, ein bitterkalter aber windstiller Abend, wie wir ihn selten in
unserm Norden und noch seltner in jener Jahrszeit haben. In kupferfarbenen fast
versteinerten Wolken – so hart sahen sie aus! – war die Sonne untergegangen. Die
Krähen flogen mit schwerem Flügelschlag rauh
Da hörte ich das Rollen eines Wagens im Schloßhof,
»Was giebts, Herr Sedlaczech? was soll ich?« rief ich athemlos als ich ihn, dessen kräftige Stimme den Wächterruf auszustoßen pflegte, vor der Thür zu erkennen glaubte. Statt mir zu antworten kam er mir zu meinem höchsten Erstaunen schnell entgegen, und als eine andere liebere Stimme rief: »Guten Abend Sibylle!« – da erkannte ich meinen Irrthum – denn es war Paul. Mir stockte der Athem vor Freude, Ueberraschung und vom schnellen Lauf. Sprachlos umarmte ich ihn, aber ganz flüchtig, denn ich zitterte vom Scheitel bis zur Sohle und wollte es mir nicht merken lassen. Als meine Lippen scheinbar gleichgültig seine Wange streiften und ich mit keiner Sylbe ihn begrüßte, fragte er verwundert:
»Meine kleine Sibylle, freust Du Dich denn
»O ja ja!« stammelte ich.
»Nun so gieb mir doch einen Kuß wie sonst« sagte er herzlich.
»Ja ja! wiederholte ich, komm' nur herein – es ist so dunkel daß ich Dich nicht erkennen kann.«
War es ein Instinkt von Koketterie, der mich wünschen ließ Paul möge sehen wer ihm einen Kuß gab und daß es nicht mehr die »kleine« Sibylle sei – ich weiß es nicht! ich zog ihn geschwind herein ins hellerleuchtete Theezimmer. Aber als wir eingetreten waren schwieg er vor Ueberraschung, und ich vor Verlegenheit über sein Verstummen, und es trat ein peinlicher Moment ein, bis Paul meine Hand nahm und leise sagte:
»Ich sehe schon – Du bist ein großes wunderschönes Mädchen geworden, Du machst Dir nichts mehr aus mir und wirst mir auch wol keinen Kuß geben wollen.«
Ich sah ihn an – Gott weiß wie, und ich entsinne mich auch nicht mehr wie es hernach
Alles kam und wie ich mich in seinen Armen fand. Nur daß er ganz anders wie sonst vor
mir stand, daß sein Blick, seine Stimme, sein Ausdruck, sein Kuß nicht mehr die
früheren waren, daß er gleichsam
Als Miß Johnson nach einer Viertelstunde eintrat und Paul zu meiner Mutter beschied, waren wir schon ganz einig, gingen Hand in Hand zu ihr und baten um ihren Segen. Sie sprach sehr bewegt:
»Ists möglich, Paul! dies Kind willst Du heirathen?«
»Dies Kind ist ein holdes Mädchen, liebe Tante« – entgegnete Paul schmeichelnd.
»Aber sieh sie genau an, Paul! sieht denn so ein junges Mädchen aus?«
Wie gesagt ich hing mit quälender Anhänglichkeit an Paul. Ich ging wohin er ging, ich
stand
»O stören Sie sie nicht! mit solchen unschuldigen Augen ist man nie indiscret.«
Und er fuhr fort mir Alles mitzutheilen was mein flammendes Interesse für ihn begehrte.
Dennoch war ich nicht glücklich, denn mich quälte ein Gedanke – nämlich der, daß er
Amalie vergessen hatte. Darüber nachsinnend blickte ich ihn eines Tages so lange an
bis mir die Thränen in die Augen traten. Er las die Zeitung. Als er meine Thränen
bemerkte warf er das Blatt fort, nahm mich in seine Arme und fragte zärtlich was mir
geschehen sei. Ich sagte ihm den Grund meiner
»Wir haben Amalie und Heinrich nicht vergessen, entgegnete er sanft. Wir gedenken ihrer mit wehmüthiger Liebe. Aber Empfindungen an die keine Pflichten sich knüpfen genügen unsrer Thatkraft und unserm Liebesbedürfniß nicht. Erinnerungen nehmen einen Platz in unserm Leben ein ohne es ganz auszufüllen, und in edler Weise es auszufüllen suchen ist keine Untreue, meine Sibylle, sondern eine ernste und würdige Aufgabe.«
Diese ruhigen klaren Worte beschwichtigten mich und berührten mich zugleich wie mit kältendem Hauch. Mein Unverstand sträubte sich gegen jene Anschauung welche das Leben zu einer ernsten Aufgabe macht. Ich wollte einen ununterbrochenen Seligkeitsrausch daraus machen.
Der meine ging zu Ende als Paul uns nach drei Wochen verlassen und zurück nach
England mußte. So weit fort, und übers Meer, und bis Ende Oktobers – ich meinte es
nicht überleben zu können, und ich empfand eine Art von Verachtung gegen mich selbst,
daß ich es dennoch überlebte. Er versprach mir fleißig zu schreiben – und er hielt
Wort! damals aber flogen noch keine Dampfschiffe zwischen England und dem Continent
hin
War es die Gemüthsbewegung welche meine Mutter in dieser Zeit gehabt oder überhaupt
eine Krisis in ihrem Leidenszustand – genug, es regte sich wieder einige
Lebensthätigkeit in ihrem Nervensystem und unser Hausarzt erklärte daß eine Reise
nach Gastein nothwendig zu unternehmen sei. Der Bruder meines Vaters, der Bischof von
Würzburg war, hatte schon längst in seinen Briefen meiner Mutter diese Heilquelle
empfohlen und sie eingeladen sich auf der Hin- und Rückreise bei ihm in Würzburg
auszuruhen. Bis dahin hatte ihr Zustand es unmöglich gemacht; jezt erklärte sie
selbst es für möglich eine so weite Reise zu unternehmen.
Zu Ende des Frühlings fand meine Confirmation statt. Meine glühende Seele erfüllt von
Liebe zu Paul, von Hofnung für meine Mutter, von Erinnerung an meine Todten, von
Ahnung eines liebedurchglühten Daseins – so unschuldig daß Liebe und Veredlung, Glück
und Tugend ihr synonym klangen und ihr als das hohe Ziel erschienen, zu dem jeder
Mensch unablässig mit festem Gang und klarem Willen vorschreite – meine Seele
bedurfte
Einige Tage später reisten wir ab in zwei große Wagen vertheilt: meine Mutter, Miß
Johnson, Sedlaczech, ich, zwei Kammerjungfern, und zwei Diener. Die Kranke machte
diesen Schwarm der Bedienung nothwendig, und er veranlaßte wiederum Sedlaczechs
Begleitung, welcher als Reisemarschall fungiren sollte. Für mich, die ich nie größere
Städte als Eutin und Kiel, nie eine andere Landschaft als die holsteinische gesehen,
war diese Reise eine Wonne – nämlich die Vorstellung: jezt wirst du die weite Welt,
Ströme, Gebirge, Städte und Länder schauen, wirst erfahren was es Alles unter der
Sonne giebt! Anfangs entsprach das aber gar nicht meinen Erwartungen! in Hamburg, in
Braunschweig gab es kein Palais royal, der Thüringerwald schrumpfte neben dem
gigantischen Maßstab meiner Phantasie zu einem Maulwurfshügel ein, die Ufer des Mains
waren niedrig, der Fluß selbst schmal und gelb, die Rebgelände monoton, heiß
Aber Würzburg gefiel mir ungemein – die alte Stadt, die zahlreichen Kirchen, der bischöfliche Hof, mein Onkel der Bischof, der uns mit großer Herzlichkeit und süddeutscher Ungezwungenheit wie liebe Familienglieder und alte Bekannte empfing, obgleich er uns nie gesehen – Alles machte mir einen poetischen warmen Eindruck.
»Das rührt vom katholischen und vom süddeutschen Wesen her,« sagte Sedlaczech, dem ich diesen Eindruck mittheilte und dem ich mich auf der Reise sehr angeschlossen hatte.
Am Tage nach unsrer Ankunft fand ein großes Kirchenfest Mariä Heimsuchung statt, und
mein Onkel celebrirte das Hochamt im Dom. Ich wünschte demselben beiwohnen zu dürfen.
Miß Johnson erklärte es mit puritanischer Trockenheit
In dem Tagebuch welches ich damals für Paul schrieb und welches jezt vor mir aufgeschlagen liegt, lese ich an jenem 2. Julius:
»Paul! Paul! zum ersten Mal in meinem Leben
Das Hochamt im Würzburger Dom war der Glanzpunkt meiner Reise. Zwar besuchte ich noch
häufig die Messe mit Sedlaczech, aber immer aufpassend ob er wieder so andächtig
beten würde, zerstreuten mich diese Gedanken. Ich kam nicht recht zu innerer
Sammlung, und die seine schien mir auch nicht mehr so extatisch wie das erste Mal,
eben weil ich ihn mit gespannter Erwartung beobachtete. Es kamen auch neue Eindrücke!
die Welt
»Was wollen die Leute mit ihrer Bewunderung des Hochgebirges – ich versteh' es nicht! mich machen diese starren gigantischen Massen frieren, denn sie leben ja nicht. Das Meer lob' ich mir, nicht wahr, Paul? was da für Leben drin ist! das athmet wie ein Mensch; das lächelt, trauert, klagt, wüthet, grollt, scherzt wie ein Mensch. Ich meine immer dem Meer mögte ich mich ans Herz werfen – da würde mir wol sein. Aber den Felsen gegenüber fällt mir das nicht ein! sie locken mich nicht, sie wälzen sich mir drückend entgegen; ich mögte mich gegen sie vertheidigen und fühle da so recht meine Unmacht .... schwaches Erdenwürmchen das ich bin. Neben Dir, Paul, würde ich auch den Felsen gegenüber ein Gefühl von Sicherheit haben, das mir jezt fehlt und das mich zittern macht.« – – – –
Meiner armen Mutter that der Gebrauch von Gastein nicht gut. Nach sechswöchentlichem
Aufenthalt
»Bis jezt habe ich die Welt und die Genüsse einer Reise ganz unter meiner Erwartung gefunden. Ueberrascht hat mich nichts als das Hochamt in Würzburg und daß Sedlaczech betete; alles Andre hatte ich mir schöner vorgestellt.« – – – –
Bald darauf kam Paul mit seinem Vater und der Allerseelentag beschloß mein fünfzehntes Jahr und mein allzukurzes Mädchenleben: es war ebenso unvollkommen und überreizt wie meine Kindheit gewesen.
Nun war ich Frau! – Warme schlichte Pflege des Gefühls und ein bestimmter
Wirkungskreis in häuslichen Pflichten und in einer geregelten Thätigkeit, ist die
naturgemäße, folglich die gesundeste Atmosphäre für die Entwickelung des Weibes. –
Statt mich in sein Haus zu führen, setzte Paul mich in seinen Reisewagen! – Er war
vier und ein halbes Jahr mit geringen Unterbrechungen in London gewesen, und so
ermüdet und abgespannt durch die kolossalen Proportionen und die Riesenbewegungen im
englischen Leben, denen das deutsche Spießbürgerthum nun einmal nicht gewachsen ist,
daß er sich nach der Zwanglosigkeit des Reiselebens
Wie einst Don Quixote auf Abenteuer aus der Epoche der Paladine – so zog ich in die
Welt um großen Menschen zu begegnen, und um im Leben der Völker, in den Leistungen
der Individuen, in den Bildern der Natur die absolute Vollkommenheit und Schönheit zu
finden, deren Ideal ich in meinem Kopf herumtrug. Ich suchte Charactere, Zustände,
Kunstschöpfungen, Seelen, die zugleich vollkommen abgerundet wie Perlen und brillant
facettirt wie Diamanten wären. Ich suchte Stoff zu ununterbrochener Bewunderung – und
fand ihn nur ausnahmsweise; Genüsse die permanente Befriedigung bieten mögten – und
fand sie nur in einzelnen Momenten. Pausen der Leerheit, der Dürre, der Kälte traten
bei mir ein, und zwar
Unsern Aufenthalt in Paris endete nach sechs Wochen die längst befürchtete Nachricht
vom Tode meiner Mutter. Berauscht aber nicht befriedigt zog ich mich aus dem Tumult
zurück, dem die Trauer ein Ende machte, und wir reisten nach Florenz
Paul hatte wol zuweilen kleine Einwendungen
»Laß uns auf der Stelle zurückreisen und die andern sechs Monat meines Urlaubs in Engelau zubringen, damit ich an Ort und Stelle eine Uebersicht Deiner Güter und Einkünfte gewinnen kann – und ich stehe dafür, daß Alles wieder ins rechte Gleis kommt« – erwiderte er.
»Zurück? .... ohne Neapel, Sorrent und Sicilien gesehen zu haben? unmöglich, Paul!«
»Sehr möglich, liebe Sibylle, für ein Paar vernünftige Menschen, die vermeiden wollen sich von Hause aus zu ruiniren.«
»Guter Gott! rief ich mit kindischen Thränen, wie traurig ist es daß nichts auf der Welt zu den Bedürfnissen des Menschen ausreicht! nicht einmal das Geld!«
»Verschwendung ist kein Bedürfniß, Sibylle – nur eine üble Gewohnheit, die, wie fast alle Gewohnheiten, für uns selbst und für Andere mit der Zeit höchst lästig wird – abgesehen davon daß es unsinnig ist mehr Geld auszugeben als man einnimmt.«
Nach langer Berathung machten wir gegenseitig Concessionen. Paul bestand nicht auf
die Heimkehr, ich gab die Reise durch Sicilien auf. Wir verkauften die sieben Pferde,
welche wir bei unsrer Ankunft in Florenz gekauft, entließen die überflüssigen Dienst
boten; ich nahm Bestellungen von ich weiß nicht welchen Kunstgegenständen zurück, und
in den ersten Tagen des Mais verließen wir Rom und gingen, Neapel nur flüchtig
berührend, nach Sorrent. Uebersättigt vom Gesellschaftstaumel verließ ich Paris – vom
Kunsttaumel Rom. In Sorrent warf ich mich in den Liebesrausch. Währte er nicht länger
als die beiden anderen, so war er wenigstens süßer. Wir mietheten für den ganzen
Sommer ein kleines schlichtes Haus, das von einem Orangengarten umgeben und von der
Stadt abgesondert war. Die Terrasse vor demselben breitete sich auf einem Felsen aus,
der unmittelbar und schroff ins Meer hinabfiel. Der zauberische Golf von Neapel, die
reizenden Küsten des Landes, die wilden Formen der Insel Capri, die
phantastischen
O ihr Tage von Sorrent! ihr wart die süßesten meines Lebens. Ja ja, ihr müßt es
gewesen sein, denn in der Erinnerung und mit der unerbittlichen Kritik der
Gleichgültigkeit vermag ich nichts aufzufinden was euch entzaubern könnte. Als ihr
mich umfingt suchte ich nicht das unbekannte Gut, das mich zu rastloser, wilder,
thörichter Pilgerschaft zu irgend einem geträumten Heiligenbilde trieb. Bei euch
hatte ich die Oasis gefunden, in der sich die lechzende Seele auf Blumen bettete.
Ueber euch wehten erquickende Lüfte, euch umrieselten frische Bäche, um euch gingen
lichtere Gestirne auf. Ich vergaß zu fragen ob es Schöneres und Höheres gebe; ich
genoß unbefangen das Dasein: darum war ich glücklich. Es war ein Sinnenglück – ja!
eine Schwelgerei in den materiellen und doch ätherischen Essenzen, welche die Seele
umfließen und tragen – ja! ein Genuß der Schönheit, die durch alle Poren wie ein
magnetisches Fluidum drang und das Wesen in tiefere mystische Verbindung mit
So lebten wir: mit der sinkenden Sonne begann unser Tag. Die Terrasse war durch
Segeltuch in ein geräumiges Zelt – und dies Zelt durch bequeme Sessel und Ottomanen,
durch große Tische mit Büchern und Portefeuilles, durch eine Harfe und viele
Blumentöpfe in einen sehr bequemen Salon verwandelt. Da frühstückten wir um sechs Uhr
Abends, und machten einen Spaziergang nach irgend einem Lieblingsplatz um den
Sonnenuntergang zu sehen und die Abenddämmerung zu genießen.
Dies dauerte so lange wir es ertragen konnten! es ist aber sehr gewiß daß man in
dieser wechsellos glühenden Atmosphäre des feinsten Sinnengenusses die Energie
verliert, welche des Genusses fähig macht. Ich ertappte mich zuweilen auf dem
heimlichen Wunsch: Könnte ich doch urplötzlich in Kamtschatka sein und nichts um mich
herum sehen
»Laß uns nicht die Paar süßen friedlichen Tage durch Unruh des Ehrgeizes verkümmern;« – so schien mir wiederum seine geistige Spannkraft erschlafft, und ich fand darin einen bittern Vorwurf der Unvollkommenheit unsrer Liebe. Einmal hub ich an:
»Paul, sage mir: liebe ich Dich?«
»Ich hoffe es!« entgegnete er lächelnd.
»Und liebst Du mich, Paul?«
»Gewiß, Sibylle!«
»Woran erkennst Du daß Du mich liebst?«
»Daran, daß Du mein dominirender Gedanke bist, Sibylle – daß mein inneres Leben in Deinem Besitz zu einem Abschluß mit sich selbst gekommen ist und eine Regel gefunden hat: Dein Glück.«
Ich schwieg und starrte vernichtet in die See hinaus, denn ich vernahm eine in mir
flüsternde Stimme: Aber du Paul bist nicht mein dominirender Gedanke – aber mein
inneres Leben hat in deinem Besitz keinen Abschluß mit sich selbst gefunden! .... Wie
ein entstellendes Echo hallten diese Worte in mir wieder. Mir war als sei ein
Schleier von einem Abgrund in mir selbst weggezogen, und betäubt starrte ich in ihn
hinein. Ach, es war ganz richtig! Paul hing mit seinem Herzen an mir – darum
beherrschte ich ihn; und ich hing an der Idee der Liebe – nicht an Paul. Ich wollte
durch die Liebe die ganze sinnliche und übersinnliche Welt ergründen, erkennen und
umfassen; sie sollte mich wie Dante in mystisch erhabene Geheimnisse weihen, mich
Ariosts zauberische Verführungen, Tassos romantischen Schwung, Boccaccios lockende
Ueppigkeit lehren und sie genießen lassen; sie sollte mir Lorbeer- und Stralenkrone,
unter welchen sich Dornen verbergen, ums Haupt flechten, wie dem Petrarca. Das
erwartete ich von der Liebe; sie
»Hast Du Dich besonnen daß Du mich liebst, mein Engel?« fragte Paul nach einer Weile.
Ich konnte nicht antworten, ich war gelähmt, erstickt durch das plötzlich erwachte Bewußtsein eines großen innern Elends. Ich hatte meinen Kopf an die Harfe gelehnt auf der ich gespielt, und an die ich mich jezt mit beiden Armen klammerte, weil mir war als thue sich der Felsen unter mir auf. Paul sprang auf, lehnte die Harfe zurück, richtete mich in seinen Armen empor und führte mich zur Balustrade der Terrasse damit ich freiere Luft schöpfen möge.
»Kind! Kind! sprach er zärtlich, Du ängstigst mich! es gehen Dir Stürme von Leidenschaft durch die Seele, die Dich zerbrechen müssen.«
»Das ist wahr! entgegnete ich beklommen, aber laß sie nur austoben! jeder Mensch muß durch die Gewitterjahrszeit seines Lebens hindurch. In mir ist unmäßig viel Unklarheit – das erzeugt eben die Gewitter. Aber glaube nur Paul, daß Eines mir klar ist: Dein Glück soll auch die Regel meines Lebens sein.«
Und gleich jedem unsrer Gespräche ging auch dieses am Kuß unter. – – – Aber mich
überfiel
Wir kamen nach Engelau. Ach, wie war es dort so einsam und traurig. Eltern und
Geschwister todt, die Freunde und Pfleger meiner Jugend fort, Miß Johnson in England,
Sedlaczech auf Reisen! wie viel Gräber unter – und leere Plätze auf der Erde! Nur
unser alter Hofmeister empfing uns, aber sehr niedergeschlagen, denn er fühlte sich
verwaist an dem Ort der ihm zwanzig Jahre lang lieb wie eine Heimat gewesen war. Der
Tod meiner Mutter berührte mich hier viel tiefer, als in dem Augenblick wo ich die
Nachricht empfing. Damals machte er mir nur den Eindruck eines schmerzlichen, jedoch
unvermeidlichen und längst vorhergesehenen Ereignisses; hier, an diesem Ort wo sie
stets gelebt und den sie so heiß geliebt hatte
Wolbehalten langten wir in London an. Ich hatte die besten Vorsätze gefaßt mich von
jedem Luxus fern zu halten und mich in der Einrichtung meines Hauses und meiner
Toilette auf die schlichten Ansprüche des Anstandes zu beschränken. Den Luxus der
Pracht glaubte ich vermeiden zu können und mied ihn auch; aber ach! der Luxus des
Comfort war viel verführerischer und auch viel unwiderstehlicher, weil er wie eine
Nothwendigkeit aussah. Unser Haus war weder groß noch prächtig; allein ich mögte es
in seiner koketten Elegance mit dem Anzug einer schönen Frau vergleichen bei welchem
von der Haarnadel an bis zum Schuh herab die feinste und ausgesuchteste Wahl
geherrscht hat. Ebenso ging es mit meiner Toilette. Ich wollte
Ich war schön, elegant, fand mich mit großer Leichtigkeit in den englischen Manieren
zurecht, sprach geläufig englisch; meine große Jugend interessirte einige ältere
Frauen der ersten Gesellschaft für mich, welche mich protegirten und hoben bis ich
auf eigenen Füßen stehen konnte, was – Dank jenen Eigenschaften! – sehr bald geschah.
Als diese gleichsam materiellen Erfodernisse nach allen Seiten hin überwunden waren –
sah ich mich um: Was nun? – – Ich hatte gar keinen genügenden Wirkungskreis; meine
selbstgewählten Beschäftigungen waren keinesweges aus innerer Nothwendigkeit
hervorgegangen; Lectüre und Harfenspiel füllen müssige Stunden, aber kein leeres
Leben, Besuche, Spazierritte, Soireen sind mehr Zeiteintheilungen als Ausfüllung der
Zeit. Ich wünschte glühend für Paul etwas thun, ihm nützlich sein zu können. Ich war
ihm behülflich die Zeitungen zu lesen und aus diesen englischen, französischen,
Dieser schiefen Position wegen fühlte sich Paul höchst unbehaglich in Deutschland.
Seine Gesinnung
Nachdem im ersten Jahr unsers Londoner Aufenthaltes das Parlament geschlossen und die
Season vorüber war, schlug er mir vor auf drei Monate nach Engelau zu gehen; aber ich
bat um eine Reise durch Schottland – und wir machten sie. Im zweiten Jahr wünschte er
dringend die Reise nach Holstein, aber ich noch viel dringender den Besitz einer
kleinen Privat-Yacht. Sie wurde gekauft, bemannt, eingerichtet, und wir machten mit
ihr eine Reise längs der französischen Küste von Boulogne bis Brest, und die Fahrt
rund um Irland herum. In den Hafenstädten verließen wir die Yacht und machten
Streifzüge ins Land hinein.
In vier Jahren hatte ich es dahin gebracht! bei neunzehn Jahren hatte ich es möglich gemacht mein Vermögen, das Vermögen einer alten wolbegüterten Familie zu compromittiren, und vielleicht – Pauls Zukunft zu zerstören!
Paul machte mir keine Vorwürfe und berührte mit keinem Wort weder diese Möglichkeit
noch die
»Aber Paul, was können wir denn thun?«
»Wir müssen nach Deutschland und in Engelau leben – – sagte er sanft und fügte beruhigend hinzu als mir die Thränen aus den Augen stürzten: Nur vor der Hand .... wie ich glaube, meine Sibylle.«
»O Paul! rief ich, warum hast Du Deine bessere Einsicht nie mir gegenüber geltend gemacht?«
Er sah mich traurig an und erwiderte:
»Weil ich schwach gegen Dich bin.«
»Leider!« flüsterte ich vor mich hin.
»Du machst mir diesen, Vorwurf!« rief er schwankend zwischen Zorn und Schmerz.
»Ja Paul, sagte ich und küßte seine Hand, das ist immer so: wer Unrecht hat mögte die Schuld von sich ab und auf einen Andern wälzen.«
»Wer könnte Dir zürnen, Engel? entgegnete Paul. Wenn es ein Fehler ist zu liebenswürdig zu sein, so hast Du ihn! Du siehst, auch ich will meine Schuld von mir ab und auf Dich wälzen.«
Paul nahm Urlaub auf ein Jahr. Wir gaben unser Haus auf, verkauften unsre ganze
Einrichtung, die wir vor drei Jahren mit solcher Sorgfalt gemacht hatten, entließen
unsre englischen Dienstboten,
Diese drei Jahr in London waren mir schwer gewesen! – Wie einst in Sorrent daß ich Paul nicht liebe: so hatte ich jezt erkannt, daß ich ihn dominire ohne ihn doch eigentlich zu beglücken. Ich hatte ihn mit ich weiß nicht welchem Zauber umsponnen, der ihm zugleich süß und doch schwer war, der ihn eigentlich mehr magnetisirte als befriedigte. Ich hatte seinen Lebensplan durchkreuzt – ich veranlaßte ihn in großer Einschränkung und mit widerwärtigen Geschäften wenigstens ein ganzes Jahr und vielleicht noch länger auf dem Lande zu leben – ich erfüllte nicht seinen heißesten Wunsch, denn ich war nicht Mutter; – und dennoch liebte er mich! Es giebt fatalistische Leidenschaften! sie bemächtigen sich eines Menschen, und Alles was sie sonst tödtet, dient nur dazu sie in ihm zu entzünden. Paul hofte Kinder zu haben, hofte die Vermögensverwickelungen zu entwirren, hofte seine Laufbahn seinen Wünschen gemäß fortzusetzen, und wenn ich ihn fragte:
»Wie kannst Du immer so muthig sein?« so erwiderte er:
»Weil ich Dich liebe.«
Gott, wie mich das rührte! – Unser Herzensverhältniß
Wer sich mir mit unverholener Huldigung genähert hatte war Graf Otbert von Astrau.
Diesen Namen nennen heißt einen berühmten Mann bezeichnen, dem die Mitwelt und
vielleicht die Nachwelt einen ehrenvollen Platz aufbewahrt. Ein Dichter betrachtet
das Leben mit anderem Auge als wir übrigen Menschenkinder. Jezt habe ich das erkannt.
Darum kann ich auch unparteiisch von Otbert sprechen. Er kam nach London. Seine
Ankunft war uns lange vorher verkündet; seine Gedichte waren auch in England bekannt
und geliebt. Man war gespannt auf seine Erscheinung, ich, die Deutsche, natürlich
noch mehr als die
Ich stand in stummer Bewunderung ganz fern und demüthig, und staunte das Meteor an,
das über meinen Lebenshimmel dahinzog. Natürlich hatte ich mir unter einem Dichter
ein begeistertes prophetisches Wesen mit Sehergaben, mit der Intuition der Seelen und
der Zukunft vorgestellt. Meine Bewunderung ging in Verwunderung über, als ich einen
brillanten, eiteln und koketten Mann fand, der im Salon glänzen und die Frauen
erobern wollte. Beides gelang ihm, und die Siegesgewohnheit machte ihn zum Fat. Seine
Schaustellung erkünstelter Gefühle, das halbe Dutzend von Passionen, welche er im
Lauf einer Season erregte, bald theilte, bald nicht theilen konnte – machte
»Wie schade daß ich Astraus persönliche Bekanntschaft gemacht habe! mir ist der glühende Frühling seiner Poesie wie in Schneeflocken untergegangen.«
»Was ist Dir nicht schon untergegangen, arme kleine Sibylle!« entgegnete Paul einmal mit gutmüthigem Spott.
Ihm gefiel Astrau außerordentlich. Dieser hatte Männern gegenüber nicht die geringste Eitelkeit, weder Ansprüche noch Launen; er sparte sich das Alles für den Verkehr mit Frauen auf. Er ritt, er schoß, er jagte, er schwamm, er spielte, er plauderte, er erzählte – genau wie alle Uebrigen, nur mit einem so unmerklichen Anflug von Superiorität, daß Keiner sich verletzt dadurch fühlen konnte und daß Jeder seine Freude an dem geschickten Gegner oder Gefährten haben und doch dabei denken durfte: er werde dennoch einmal zu übertreffen sein.
Ich war so still und schweigsam im Umgang mit Astrau – Anfangs aus Andacht später aus
Gleichgültigkeit – daß ich ihm ziemlich unbedeutend erscheinen mogte; er beschäftigte
sich gar nicht mit mir. Wir verließen London früher als er um unsre erste Reise in
meiner geliebten Yacht zu machen
Aber eine Frau hatte ihn nicht vergessen, und das war meine Freundin Arabella –gh.
Ich nenne sie Freundin, weil es die Frau ist, die mich am Meisten angezogen hat von
allen Frauen die ich je gekannt – nicht durch Sympathie, sondern durch den
schneidenden Gegensatz unsrer Charactere. Der Grund der Dinge und das Wesen der
Erscheinung war ihr gleichgültig; nur die Oberfläche lockte und reizte sie, und mit
besinnungsloser Genußsucht, die sich zu schwärmerischer Leidenschaftlichkeit steigern
konnte, gab sie sich derselben hin. Sie hatte weder Tiefe, noch Ernst, noch Treue,
folglich keine Würde im Character; aber die unglaubliche Wärme mit der sie sich den
Eindrücken hingab und sie aufnahm, lieh ihr eine bezaubernde Innigkeit. Sie hatte die
Flatterhaftigkeit und die Anmuth eines Schmetterlings. Man konnte ihr nicht zürnen
und am wenigsten wenn sie es am meisten verdiente – nämlich wenn sie sich selbst
anklagte. Die Selbstanklage sobald sie sich einem Andern gegenüber wiederholt und
häuft, verhält sich zur wirklichen Reue, wie sich ein aus Schwäche thränendes Auge
zur wirklichen Thräne verhält.
Astrau war der erste Mann, der ihr nicht Zeit gelassen hatte ihn zu verlassen; er war ihr zuvorgekommen. Diese Ueberraschung berührte sie in so neuer Weise, daß sie ihr Herz tödtlich verwundet glaubte. Ich fand sie tief niedergeschlagen, blaß, abgehärmt; sie sprach davon die nächste Season auf dem Lande zuzubringen, London und die Welt zu fliehen. Otbert und immer Otbert war ihr drittes Wort; sie nahm keine Huldigung an, sie zeichnete keinen Mann aus. Ich wünschte ihr Glück daß ihr inneres Leben eine ernstere Richtung genommen. Indessen kam die Season heran und siehe da! ein Brief Astraus an Paul verkündete seine nahe Ankunft. Ich theilte Arabellen ganz besorgt diese Nachricht mit, und rieth ihr jezt aufs Land zu gehen um jede Begegnung zu vermeiden.
»Was fällt Dir ein! rief sie lebhaft. Ich sollte gehen wenn er kommt? sollte die Gelegenheit meiden ihn zu sehen? O nein, jezt bleibe ich gewiß.«
»Ach, Du hast nicht geliebt .... nicht ihn geliebt, Sibylle! sonst würdest Du begreifen, daß ich gern bereit bin mit unsäglichen Qualen das Glück ihn zu sehen zu erkaufen!« rief Arabella, und Flammen und Thränen funkelten zugleich in ihrem großen, sammetschwarzen Auge, und die schwarzen Locken rieselten so weich auf die zarten Schultern herab, daß ich hingerissen von ihrer Schönheit und Grazie unwillkürlich ausrief:
»Warum hat Dich Astrau aber verlassen?«
»In der Liebe giebt es keine Antwort auf ein solches Warum,« sprach sie resignirt.
Astrau kam und war unverändert der Alte. Bei seiner ersten Begegnung mit Arabellen, welche sie bei mir zu veranstalten gewußt, benahm er sich vortreflich – ich mußte es gestehen – ruhig, ernst, ohne erzwungene Freundlichkeit, ohne übertriebene Kälte, während sie eine stumme Scene machte, weinte, in mein Cabinet ging, wiederkam – was mich in Verlegenheit gebracht haben würde, da ich mit ihnen Beiden allein war, wenn Astraus Haltung nicht unbewegt geblieben wäre.
»Welch ein unpassendes Benehmen!«
»Schweig! rief sie heftig, was weißt Du von Liebe? ... liebe ihn, und dann urtheile über mich.«
»Gott behüte mich!« rief ich und kehrte in den Salon zurück ganz erleichtert durch Arabellas Entfernung. Mein Gesicht mußte diese Empfindung verrathen, denn Astrau sah mich an und sagte:
»Ists nicht Jammerschade daß eine so liebliche Frau wie Lady Arabella es dahin bringt?«
»Wohin? .... ich habe nichts gesagt!« stammelte ich verwirrt.
»Ich habe mir nur erlaubt Ihrem Ausdruck Worte zu leihen.«
»Auf eine Conversation durch Mienen und Blicke kann ich mich nicht einlassen, Graf Astrau.«
»Fürchten Sie die Wahrheit so sehr? fragte er mit einem unglaublich feinen Ausdruck. Wesen wie Sie sollten sie nicht fürchten.«
Mir mißfiel dies Compliment und ich sprach kühl:
»Ich fürchte weder die Wahrheit noch sonst irgend etwas auf der Welt.«
»Ah bah! das ist eine kleine Prahlerei! Sie werden doch das Gewitter fürchten ...
oder den
»Nichts von dem Allen, Graf! ... aber doch etwas Andres – die Langeweile! die hatte ich vergessen« .... – –
»Bis ich Sie daran erinnerte! rief Astrau. Aber glauben Sie denn daß ich mich nicht vor der Wahrheit fürchte?«
»Ah bah! das ist eine kleine Prahlerei! parodirte ich ihn. Wahrheit ist Sonnenlicht, und das bedarf der Dichter in seiner Seele .... und zu einer Glorie! – nicht wahr?«
»Schwärmerin! sprach er sanft. Wie denken Sie sich denn eigentlich den Dichter?«
»Genau so wie Sie nicht sind,« erwiderte ich schnell.
»Wollen Sie mir absichtlich weh thun, gnädigste Frau?« fragte er mit Kälte.
»Wie käme ich dazu? sprach ich noch kälter. Aeußerlich warm, schlicht und wahr, innerlich durchflutet vom Strom großer Gedanken und vom Sturm hoher Leidenschaften – daher unfähig kleinlicher Gedanken und dürftiger Gefühle: so denke ich mir den Dichter und so sind Sie nicht.«
»Sagen Sie lieber: so ist er nicht.«
Astrau sah mich starr an: »Und dies Alles .... weil ich Lady Arabella nicht liebe?«
»O Gott! rief ich lachend, wir verstehen uns ja gar nicht, guter Graf! ich spreche von meinem Dichterideal, und Sie halten mich für einen Advokaten!«
»Lassen Sie mir die Hofnung daß wir uns verständigen werden,« sprach Astrau und
Besuche störten dies Gespräch, das erste welches mir eine Erinnerung zurückließ.
Seitdem unterhielten wir uns viel. Ich kann nicht sagen daß Astrau sich
ausschließlich mit mir beschäftigt hätte, allein er war für keine andre Frau
aufmerksamer. In dieser Season spielten die Passionen der Damen für ihn keine so
große Rolle als in der vorigen; das stand ihm besser. Uebertriebene Huldigungen geben
dem Gegenstand derselben immer etwas Lächerliches – denn wahre Liebe, wahre
Bewunderung, wahre Ehrfurcht werden nie in kindisch albernen Fetischdienst ausarten.
Ihrer Natur nach sind sie wie alle Innerlichkeit schweigsam, ernst und gehalten, und
nur in gewichtigen Momenten geben sie ihre Macht und Tiefe kund. Es ist ein großes
Unglück wenn talent- und genievolle Menschen wie Astrau,
Weshalb Graf Astrau anfing sich mit mir zu beschäftigen weiß ich nicht; glaube aber
deshalb: weil ich so ungewöhnlich gleichgültig für ihn und überhaupt für Alles war.
Das Leben trug nicht die Glorie von Glanz, Glut, Majestät und Wonne, nicht den
Purpurmantel, nicht die Rosenkrone, nicht den Sternenschleier womit ich dessen
heilige Gestalt in meinen Kinderträumen auf den grünen Hügeln von Engelau
ausgeschmückt hatte. Es kam mir Alles so mittelmäßig vor! ich kannte manche gute
Menschen – doch sie hatten große Fehler! manche kluge – doch sie hatten große
Schwächen! Ich sah wol daß recht viel und mitunter auch recht Tüchtiges gethan wurde;
aber es wurde nichts Großes geleistet wie ich mir das Große dachte: im gottbegnadeten
Individuum als eine neue Sonne aufgehend zu der die Menschheit betet. Ich sah mir die
Liebe an zwischen den Menschen: hatte sie Schwung, so brauchte sie ihre Flügel um
bald zu entfliehen; – hatte sie keinen, so blieb sie wie sie war, matt und lahm; –
für junge Herzen war sie ein Rausch, für alte ein Irrthum, eine Krankheit, ein Traum
– zuweilen, aber ganz ausnahmsweise!
Da weder die That, noch die Liebe, noch das Genie sich zu jener ätherreinen Höhe aufschwang, die so hoch ist, daß es unter ihr weder Aufgang noch Niedergang giebt, weil sie Ruhe in der Einheit des ganzen Wesens gewährt: so mußte ich darauf gefaßt sein in den untergeordneten Richtungen und Sphären des Seins noch größeres Stückwerk, noch mehr Zersplitterung und Mangel an Zusammenhang zu finden; – und ich fand sie! Es befremdete mich nicht. Wer Paläste zusammenstürzen sieht erstaunt nicht wenn Hütten einfallen.
Die Aufgabe meines Lebens wäre also gewesen: mich in der Mittelmäßigkeit zurecht zu
finden, und sie in mir und in meinem Kreise bis zu dem ihr gegönnten Grad von
Vervollkommnung auszubilden. Dies ist überhaupt die ganz allgemeine Aufgabe jedes
Menschen, und wer schlecht und recht, warm
»Armer Graf! sagte ich einmal zu Otbert, der mit trivialen Lobeserhebungen überschüttet worden war; – wie bewundere ich Sie daß Sie nicht gähnen.«
»Gähnen wenn man mir angenehme Sachen mit
»Das muß Ihr Genius Ihnen sagen.«
»Gnädigste Frau, mein Genius thut genug für mich indem er mir meine Poesien zuflüstert. Sie hinterdrein auch noch zu loben ist nicht mehr sein Fach; – das überläßt er Anderen und ich habe dies Lob von Anderen nöthig – nicht um zu dichten, aber um mich dieser Gabe mit Freude hinzugeben. Empfindungen zu wecken, Gedanken anzuregen ist mein Streben: Lob und Dank sind mir Bürgschaft des Gelingens.«
»Ja, wenn ein würdiger Areopag sie Ihnen darbrächte! aber diese Leute – was wissen die von Poesie!«
»Und was wissen Sie mehr von ihr?« fragte Astrau höchst ungeduldig.
»Ich weiß daß Poesie ein Dreiklang ist, dessen Töne Liebe, Sehnsucht und Gebet heißen.«
»Sie wissen himmlische Geheimnisse, nahm Astrau nach einer langen Pause das Wort, aber von Liebe – wissen Sie nichts.«
»Das ist eine Phrase welche die Frau oft hört.«
»Und dennoch oft! .... und zwar immer wenn ein Mann ihr seine Liebe eingestehen oder die ihre begehren mögte.«
»Das glauben Sie von mir?« rief Otbert starr vor Erstaunen sich in dieser keimenden Richtung schon errathen zu sehen.
Aber ich hatte nur instinctmäßig gesprochen. Ich entgegnete:
»Von Ihnen glaube ich nichts, denn ich glaube überhaupt nicht an Sie. Was ich sagte war nur eine allgemeine Bemerkung, die sich auf Erfahrung stützt.«
»Sehen Sie mich einmal an!« rief Astrau, setzte sich plötzlich zu mir auf die Causeuse, nahm meine Hand und fixirte mich scharf. Ich ertrug das höchst gelassen und nach einer Weile sprach er: »Wie kann man so unglaublich schön und zugleich so unglaublich nichtssagend aussehen!«
»Wenn ich nichts zu sagen habe muß ich wol nichtssagend aussehen.«
»Aber was sind Sie denn für ein merkwürdiges seltsames Geschöpf, daß man Sie gar
nicht necken, verwirren und ärgern kann! Sie sehen aus wie ein engelhaftes Kind und
sprechen wie eine fünfzigjährige
»Richtig! unterbrach ich ihn, dieser eine Punkt ist ja eben das unbekannte Gut.«
»Suchten Sie es schon? und wo suchten Sie es?«
»In einer Höhe und in einer Tiefe die mir Beide unzugänglich zu sein scheinen.«
»Suchen Sie es doch vor sich!«
Ich blickte starr gradeaus und sagte: »Da ist es nicht! da gewahre ich immer das Ende, entweder im Leben oder im Tode.«
Astrau schüttelte ein wenig meinen Arm.
»Sibylle wach auf! sprach er; so werde ich ein Gedicht für Sie machen.«
»Das thun Sie, lieber Graf!«
»O, Sie sind ein verschrobenes Geschöpf, das mir fast Grauen einflößt, sagte er
unmuthig. Sein Sie doch jung, fröhlich, genußbegierig, glücksdurstig. Sie verlieren
ja Ihr Leben und das ist Schade für Sie und für Andere. Nach dreißig
»Leben? das heißt das unbekannte Gut finden, den Punkt in welchem sich das Wesen für die Ewigkeit sammelt und ruht; – denn Leben heißt doch ein ewiges Sein – nicht wahr?«
»Wir wollen uns mit dem Leben beschäftigen welches der Endlichkeit angehört, sagte Otbert und als Paul eintrat rief er ihm zu indem er auf mich deutete:
»Diese Richtung ist doch allzu transcendental.«
Paul und ich wir lächelten Beide; aber von dem Augenblick an beschloß Otbert mich zu
gewinnen. Nicht daß ihm eine gemeine Verführung in den Sinn gekommen wäre! solch
leichtes Glück lockte ihn nicht; aber ich sollte ihn lieben. Die Liebe zu ihm sollte
die Morgensonne sein die mich aus dem Schlaf meines Herzens weckte; – aus ihrer
unentwickelten Existenz wollte er meine Seele erlösen und die grüne Knospe an das
Licht bringen damit sie sich in holden Farben entfalte. Wie jene durch Liebe beseelte
Statue an ihrem Bildner hing, so sollte ich an ihm hängen und durch diese Liebe mich
selbst und das Leben und das Glück verstehen lernen. Er dichtete sich ein Poëm
zurecht und beschloß dasselbe zuerst zu leben und später etwa als Stoff
Dieser Punkt war derjenige auf welchem wir
In Thränen aufgelöst kam eines Tages Arabella zu mir, überhäufte mich mit Vorwürfen und nannte mich eine falsche Freundin, die ihr Otberts Herz entwende.
»Erstens ists fraglich ob Astrau ein Herz hat, entgegnete ich gleichmüthig; doch habe er es und es sei Dir gegönnt! – Du weißt, Arabella, ich liebe nicht die Sorte von Liebe die in der Gesellschaft Mode ist.«
»Aber er liebt Dich – kannst Du's leugnen?«
»Nennst Du Liebe daß er fünf Mal in der Woche bei mir speist?«
»Er kommt am Morgen, er kommt am Abend, Ihr seid den halben Tag beisammen und häufig allein .... und Du solltest ihm gleichgültig sein?«
»Gleichgültig bin ich ihm nicht! ich bin für ihn ein Buch mit sieben Siegeln das er enträthseln mögte.«
»Um diese Mystik schwebt immer Liebe – entweder Liebesahnung oder Liebesbedürfniß
.... und
»In ewige?« fragte ich zweifelnd.
»Ja ja! in ewige! wiederholte sie eifrig. Grade dadurch daß Du so verhängniß- und verheißungsvoll aussiehst und Dich nicht zur Gewährung herablassen kannst.«
Sie sprach noch lange .... ich hörte nichts mehr. Das Wort »ewige Fesseln,« hatte Wurzel in mir gefaßt. Es warf einen Zauber über die Zukunft. Wie ein Glanzmeer breitete sie sich vor mir aus und ich starrte geblendet in sie hinein. Als ich Otbert wiedersah kam er mir verändert vor. Nicht er war es, sondern ich. Mein Auge war bestochen durch die Vorstellung dieser rastlosen umherschweifenden Seele ewige Fesseln anlegen zu können. Er bemerkte natürlich meine Veränderung auf der Stelle. Es war auf einem großen Rout. Die Menschenmasse stand wie eine Mauer. Ich lehnte am Kamin um wenigstens den Rücken frei zu haben; Paul sprach angelegentlich mit der östreichischen Botschafterin die ihn sehr auszeichnete. Otbert fand Mittel vom andern Ende des Saales zu mir zu dringen.
»Kein Mirakel .... schwarze Kunst hat mir geholfen,« sagte er mit leichter Handbewegung gegen mich.
Ich trug ein Kleid von schwarzen Spitzen über rosenfarbenem Tafft und einen Kranz von schwarzen Sammetrosen mit Laubwerk von rosenfarbenem Atlas um die Stirn geschlungen. Das Haar fiel in schweren Locken zu beiden Seiten lang herab. Lawrence malte mich in diesem etwas phantastischen Anzug, der ebensoviel Furore machte als das Gemälde selbst.
»Die Wunder des lieben Gottes heißen Mirakel und die der Menschen schwarze Kunst. Ihn betet man dafür an und unsereins wagt den Scheiterhaufen. Ist das gerecht?«
»Indessen ist doch zu bemerken, erwiderte Astrau trocken, daß diese Scheiterhaufen nicht für den errichtet werden der schwarze Kunst treibt, sondern von ihm.«
»Nun dann gerathen Beide in die Flammen und haben ihren Lohn dahin: der
Schwarzkünstler für seine Vermessenheit und der Wundersüchtige für seine Neugier,«
antwortete ich munter und in heiterm Ton scherzten wir fort. Da streifte Arabella
»Wie Sie ungleicher Laune sind! rief Otbert unmuthig; ein Nichts stimmt Sie um! mitten im Scherz verfallen Sie in Grübeleien, und plötzlich fahren Sie aus denselben mit einem Scherz empor. Es ist gar nicht mit Ihnen zu leben, und doch hat man unwiderstehliche Lust dazu. Ihr Gemal muß übermenschliche Geduld besitzen.«
»Das ist wahr!« bekräftigte ich aus voller Seele.
»Ich habe gar keine mit Weiberlaunen.«
»Ihre dereinstige Frau wird sie Ihnen schon beibringen!« sagte ich zuversichtlich.
»Ihre Naivetät versöhnt mich immer wieder mit Ihnen, erwiderte Otbert lachend. Halten Sie es denn für möglich, daß der Dichter auch Gatte und Familienvater sein könne?«
»Aufrichtig gestanden – nein! – Aber Sie sind kein Dichter – Sie dichten nur.«
»Ich bin nun einmal an die bittersten Wahrheiten aus Ihrem holden Munde gewöhnt, sprach Otbert gutmüthig; aber sagen Sie mir doch weshalb behandeln Sie mich härter als alle unsre deutschen Recensenten thun?«
»Car tel est notre plaisir, lieber Graf,« entgegnete ich und besah meinen Fächer.
»Beruhigt Sie dieser Glaube?«
»Ich bedarf keiner Beruhigung, denn Ihre im steten Halbschlaf gesprochenen Worte können mich nicht erzürnen.«
Er war aber doch erzürnt, denn er fand mich nicht so einfältig wie er vorgab, und es reizte ihn heftig daß ich ihm weder Bewunderung noch Theilnahme aussprechen wollte.
»Und weshalb, fuhr er fast heftig fort, haben Sie mich vorhin ganz freundlich angesehen, wenn Sie doch nur in Ihrer kleinen falschen Seele darauf sinnen mich zu kränken?«
Ich brach in helles Gelächter aus.
»Nun muß ich mir auch noch gefallen lassen von einem Kinde ausgelacht zu werden!« sagte Otbert selbst lachend und mit einer Harmlosigkeit die ihm sehr gut stand.
Es war etwas das uns zu einanderzog, und sich in Scherz und Neckerei als in das unverfänglichste Gewand kleidete. Gegen das Ende der Season fragte er mich:
»Würden Sie es ungern sehen, wenn ich Ihr Reisegefährte bis Barcelona würde? Ihr
Gemal und ich haben heute beim Spazierritt diesen Plan
»Daß es ein hübscher Plan ist! nun werden wir uns genau kennen lernen.«
»Immer wissen, immer auf den Grund gehen – wie unnütz das ist! ich freue mich auf die schöne Meerfahrt, und die angenehme Gesellschaft – Sie hoffen durch irgend ein Guckfensterchen irgend einen Abgrund in meiner Seele zu erspähen. Kann Ihnen das wirklich Freude machen?«
»Die allergrößte! rief ich. Wissen wie es in den Menschenseelen – besonders in den reichbegabten – hergeht, welche Keime Blüten treiben, welche Gebilde Form finden, wie die Intelligenz arbeitet, wie Leidenschaft und Wille ihre Kämpfe haben, wie heimliche Vulkane und Erdbeben sich austoben, was sie zerstören, befruchten, erzeugen – o Gott ja! das in Bildern vorüberziehen zu sehen ist mir eine Wonne.«
»Gnädige Frau, diese zersetzende Beobachtung macht nicht glücklich. Lassen Sie doch Ihrer Jugend das Vorrecht derselben: heitern Genuß der Erscheinung wie sie sich darbietet – ohne Kritik.«
»Ich habe nun einmal nicht die Gabe der Besinnungslosigkeit!« unterbrach ich ihn.
»Leider! fuhr er fort; contemplativ und reflectirend
»Mit allen meinen Gefühlen habe ich Schiffbruch gelitten! rief ich bitter, wie sollte ich nicht an Ihnen zweifeln!«
»Die Macht des Gefühls haben Sie bis jezt noch nicht gekannt, gnädige Frau; vielleicht nur dessen Ueberfülle, wilde Ranken, doppelte Blüten; – das Alles muß geknickt werden damit jene Platz finde.«
Diese Worte ermuthigten mich unsäglich. Ich wurde heitrer als ich je gewesen. Paul fragte mich seinerseits ob Otberts Begleitung mir nicht lästig sein würde. Ich versicherte das Gegentheil und fügte hinzu:
»Es ist mir sehr lieb daß ich auf unsrer Yacht gastfreundliche Rücksichten zu nehmen habe, denn wenn wir Beide allein sind, Paul, so sind doch alle Rücksichten für mich.«
»Nun, Astrau wird sie nicht mißbrauchen, entgegnete Paul, es ist so leicht und bequem mit ihm zu leben wie mit wenigen Männern, und es freut mich recht daß Du Dein Vorurtheil gegen ihn hast fahren lassen.«
»Ich habe nie ein Vorurtheil gegen ihn gehabt!
»Ich glaube überhaupt nicht, liebe Sibylle, daß der Zauber des Genius sich auf die persönliche Erscheinung eines Künstlers und Dichters erstreckt: aus seinen Schöpfungen spricht er uns an. Große Künstler sind oft einsylbige, unbeholfene, in sich versunkene, schweigsame, langweilige Leute – was geht uns das an? wir haben nur mit ihren Kunstschöpfungen zu thun. Ich finde es eine übertriebene Anfoderung daß sie noch ganz besonders liebenswürdig sich geberden sollen! Die Liebenswürdigkeit erheischt wiederum ihr eigenes und ganz specielles Genie. Indessen mag es Ausnahmen geben.«
»Aber weshalb stellt man den Menschen in die Glorie welche dem Künstler gebührt?«
»Weil man unersättlich ist und dadurch das klare Urtheil verliert. Einer meiner
Freunde verlor augenblicklich seine Passion für eine wunderschöne Figurantin der
großen Oper, als er das arme Ding einmal mit schwarzwollnen Strümpfen und
Ich mußte das eingestehen. – Wir traten sehr munter unsre Reise an. Jeder von uns
hatte seine kleine Cabine, die ihm zum Schlaf- und Toilettenzimmer diente. Im
Eßzimmer waren Waffen an den Wänden aufgehängt; im Salon befand sich eine kleine
Bibliothek und ein Pianino. Keiner von uns litt durch die Seekrankheit, Keiner
fürchtete sich vor Stürmen, Keiner langweilte sich. Wir machten Musik, sangen, lasen,
Otbert schrieb viel; zuweilen mußte der Schiffskapitän sich zu den beiden Herren
gesellen um eine Whistpartie zu machen. Ich lag meistens bei gutem Wetter in meiner
Hängematte auf dem Verdeck. In träumerischer Seligkeit lag ich da .... und
phantasirte wenn das schlanke Schiff mit ausgespannten Segeln pfeilgeschwind über die
blauen Wellen flog. An die geflügelten Chimären die ich auf pompejanischen
Wandgemälden
Otbert betrachtete mich kopfschüttelnd. Das Gegentheil hatte er gehoft, gewünscht und
geglaubt. Er behauptete ich besitze die Gaben, welche zur höchsten Vervollkommnung
befähigten, allein sie wären so
»Sie werden erst dann zur Besinnung und durch sie zur Energie kommen, sagte er einst, wenn Ihnen das Herz brechen wird.«
»So möge es geschehen!« entgegnete ich.
»Frevle nicht, Sibylle! rief Paul und sprach zu Astrau. Mißgönne ihr doch nicht ihre zarte Unerfahrenheit! es ist so selten und so schön wenn das Weib sie hat.«
»Ja wol! dann müssen aber auch die Gedanken unerfahren sein – und hier haben sie schon Kämpfe, Zweifel und Enttäuschungen durchgemacht.«
Dies war so richtig daß mir Thränen aus den Augen stürzten. Paul beachtete es nicht.
»Wer im Strudel der Welt den Kopf oben behalten will muß manche Illusionen aufgeben, entgegnete er, und man wird sich deshalb nicht tiefunglücklich fühlen. Aber die herzbrechenden Geschicke sollte man nicht herausfodern und nicht wünschen! bilden sie den Menschen, so zerstören sie ihn auch eben so oft und eben so leicht.«
Ich umarmte Paul und sagte: »Ich danke Dir für Deine grenzenlose Nachsicht.«
Astrau sagte: »Und ich tadle Dich deshalb! Ja
Mir schien als habe Astrau Recht. Mir war zu Sinn als müsse ich mich in seine Arme werfen und ihn fragen: »Kannst Du mich wecken?«
Unsre Reise ging glücklich von Statten. In den Hafenstädten machten wir nach Gutdünken längeren Aufenthalt, und zuweilen Excursionen tiefer ins Land hinein. Bordeaux war unsre erste Station; dann Lissabon. Andalusien fesselte uns mehr als alles Uebrige. Land, Volk, Leben, Kunst – trugen damals noch ein Gepräge von Originalität, welches bereits im übrigen Europa verwischt war, und es gegenwärtig auch dort sein mag. Astrau war ganz hingerissen.
»Andalusien ist ein Land für den Dichter! rief er oftmals; da ist Leidenschaft – folglich Wahrheit und Natur, und das sind die Urelemente der Schöpfung, denen er sich nähern soll.«
Er und Paul lernten in der größten Geschwindigkeit genug spanisch um den Frauen sagen
zu können – was sie gern hören, und zum ersten Mal in meinem Leben fand ich mich –
vernachlässigt! so weit es mit allem Anstand und aller Rücksicht möglich war –
vernachlässigt! Das kränkte mich über alle
Mich ergriff zuweilen eine ganz kindische Ungeduld. Unbeschäftigt wie ich war, arbeitete ich mich innerlich desto mehr ab; ich wollte durchaus etwas ersinnen um mein Leben voll, glänzend und reich zu machen! aber das hat noch Niemand ersonnen, denn nur Genie und Schicksal geben Fülle und Glanz. Ich blieb in meiner Oede – und darüber ergriff mich zuweilen ungeduldiger Schmerz.
So lag ich eines Abends in meiner Hängematte auf dem Verdeck. Es war kaum neun Uhr;
daher sah ich mit Erstaunen daß ein Boot die Richtung vom Lande nach der Yacht nahm,
denn Paul kam nie vor Mitternacht. Das Meer phosphorescirte prächtig! bei jedem
Ruderschlag flogen Myriaden von leuchtenden Funken um das Boot. Es giebt nichts
Schöneres als diesen mystischen Glanz
»Ich habe Sie in drei Tagen nicht gesehen, sagte er. Paul versichert Sie wären lieber an Bord als in der Stadt; aber ich glaube das nicht! er versteht nur nicht Sie aus Ihrer Hängematte herauszulocken. Stehen Sie auf, kommen Sie! es ist wunderschön auf dem Platz S. Antonio. Es taugt nichts daß Sie sich gar keine Bewegung machen.«
»Sie sind recht gut .... aber ich mag nicht.«
»Sie müssen ja umkommen vor Langerweile.«
»Ich bin kein Mann – also muß ich schon auf eine gute Dosis Langerweile gefaßt sein.«
»Thörichtes Kind! rief er und hob mich mit einer raschen Bewegung aus der Hängematte. Und nun kommen Sie mit mir.«
Aber ich machte mich los, setzte mich auf den breiten Divan der auf dem Verdeck stand und wollte nicht fort.
»So bleibe auch ich!« rief Astrau und setzte sich zu mir.
»O das ist mir sehr lieb!« sagte ich froh.
»Großer Gott, Sibylle! wenn Sie mich freundlich und freudig ansehen, so überrieselt
mich ein
»Ah bah! erzählen Sie mir etwas Andres! was haben Sie den ganzen Tag gemacht?«
»Wir haben einen wunderschönen Fächer für Sie gekauft.«
»Und um den auszuwählen haben Sie den ganzen Tag gebraucht?«
»Ich nicht .... aber Paul! ein Fächer war immer schöner als der andere, und am allerschönsten – – war die Verkäuferin.«
»Sehen Sie wol, sagte ich gelassen, so unterhält man sich vortreflich.«
»Ungeheuer! herz- und seelenloses Ungeheuer, brach Otbert aus. Ich weiß nichts von Fächern und von Paul! aber ich weiß daß Sie nicht einmal der Eifersucht fähig sind.«
»Und welchen Schluß ziehen Sie daraus?«
»Daß Sie keiner Liebe fähig, folglich gar kein Weib, sondern die Incarnation irgend
eines Elementargeistes, einer Nixe oder einer Elfe sind! – – Können Sie denn wirklich
nicht lieben? – ist in der kindischen Unwissenheit mit der Sie Ihrem Gemal die Hand
reichten wirklich die Liebeskraft erstorben, welche so himmlische Blüten treibt? –
hat die fremde Hand vor der Zeit die arme grüne
Er sprach so weich, und seine großen dunkeln Augen glänzten so ungewöhnlich sanft,
und seine Worte klangen wie ein Bannspruch der das Leid verscheucht! Mir war als löse
sich eine Eisrinde von meinem Busen. Ich weiß nicht was für ein frisches Leben sich
plötzlich wie Springfluten in mir regte. Ich hätte jauchzen können über das
entschwindende Weh und die geahnte Lust. Otbert umschlang mich leise. Ich saß
regungslos da, umsponnen vom Zaubernetz, das sich fest und fester um mich webte.
Otberts heiße Lippen berührten meine fiebernd heiße Wange wie ein sengender Funke,
der aber keine Flammen, sondern Licht entzündete. Pauls Gestalt und Arabellas Wort
von der ewigen Fessel blitzten mir durch die Seele. Ich sprang auf, streifte Otberts
Arm herab, und floh scheu und hastig wie eine Schwalbe über das Verdeck, die Treppe
hinab in den Salon; – und um mir jede Möglichkeit der Rückkehr abzuschneiden, rief
ich meine Kammerfrau, klagte über plötzliches krampfhaftes Uebelbefinden, ging in
meine Cabine und ließ mich entkleiden. Im Bette liegend
Endlich schlief ich erschöpft auf dem Divan ein, und so schwer, daß ich erst erwachte als Paul heimkehrend vor mir stand. Es war tiefe Nacht. Bewildert und schauernd fuhr ich zusammen als er meine eiskalte Hand nahm.
»Schlafe nicht im Freien, es ist schädlich, sagte er. Dein Haar, Dein Pelz sind ganz feucht.«
»Es war so beklommen in meiner Cabine, stammelte ich und setzte hinzu um jeder Erörterung vorzubeugen: Und .... ich wartete.«
Das war meine erste Lüge. – –
Am andern Morgen gab mir Paul wirklich einen ganz wunderschönen Fächer. Also doch!
dachte ich. – Ich fuhr mit Paul zur Stadt. Wir sahen
Wir machten die Reise zu Pferde und sehr angenehm. Auch unser Aufenthalt in Sevilla und später in Granada war es bis zur Bezauberung. Paul hatte ein wenig den Kopf und die Haltung verloren. Die frische Grazie, die aufrichtige Koketterie, die feurige Schönheit der spanischen Weiber war ihm so neu, fremd und überwältigend, daß ihm der Strudel über das Herz fortging. Er überließ mich mir selbst und Otbert. Dieser nahm sich wol in Acht mich wieder in meine angstvolle Scheu zurückzujagen. Mit tiefem Vertrauen sollte ich mich an seine Seele schmiegen und ein Herz zu ihm fassen. Er sprach das unbefangen aus.
»Es giebt Frauen, die den Mann hassen, welcher
»Ach! entgegnete ich, den Stolz begreife ich nicht in der Liebe. Doch Zuversicht und Glück gehen für mich stets Hand in Hand! ich ahne ihre Möglichkeit .... aber nicht für mich.«
»Wer sie ahnt – ahnt sie auch für sich, denn Ahnungen beziehen sich auf geheimnißvolle Möglichkeiten im innersten Wesen, welche eine second sight nebelhaft andeutet. Aber Sie wollen immer eine gleichsam verbriefte Gewißheit. Nicht im Sturm – sondern langsam nur sind Sie zu gewinnen, Sibylle. Aber ich werde Sie gewinnen, Ihr tiefstes heiligstes Vertrauen rechtfertigen; und wenn Sie glücklich sind .... werde ich selig sein.«
Er beherrschte sich in der That auf eine so außerordentliche Weise, daß ich begann
von einer platonischen Liebe zu träumen und mit sehr ruhigem Gewissen tausend
Untreuen des Herzens und der Gedanken beging. Ich ließ Paul seine Freiheit ungestört
genießen; er benutzte sie auf seine Weise; weshalb sollte ich es nicht in der meinen
thun? Es war plötzlich ein Reiz, eine Lockung in
Ich gab mich der Gegenwart hin, und die war so poetisch, feenhaft, anmuthig-schwelgerisch und seelenberauschend, daß ich nicht hätte das feinorganisirte, reichbegabte Geschöpf sein müssen das ich war, um unter ihrem Einfluß kalt zu bleiben. Ich hatte da mals in Sorrent mit Paul ebenso phantastische Tage verbracht; aber das flammende sprudelnde Sinnenleben der eben entfalteten Jugend hatte den ersten Platz in ihnen behauptet, und ihnen trotz aller Phantasterei einen Stempel von Wahrheit aufgedrückt. Jezt – trat es zurück, oder es trat wenigstens nicht ehrlich hervor. Es war nicht die schlichte heiße Sonnenglut die dem Sommer angehört; sondern ein fremdartiges Feuer halb ätherisch halb vulkanisch, das unwiderstehlich schlummernde Kräfte weckte und trieb.
Otbert war unaussprechlich liebenswürdig. Die seltsame Mischung seines Characters,
welche vielleicht zu seiner Dichterorganisation nothwendig war, verschmolz in ihm
eiskalte und haarscharfe Beobachtung mit flammender Feinheit und fliegender Glut der
Empfindung; zugleich Zersetzung und Wahrnehmung des Gefühls. Daher erschien er
»Es sind die St. Elmsfeuer, sagte er, welche beim Gewitter auf den Spitzen der Mastbäume schweben. Nach dem Sturm tritt das gemeine Tageslicht wieder an die Stelle dieser elektrischen Flammen. Ich weihe sie der Macht die sie hervorgerufen hat.«
Dann setzte er sich zu meinen Füßen nieder und las sie mir vor, oder sprach sie mit Begleitung der Guitarre, was ihre leidenschaftliche Wirkung ungemein erhöhte.
»Werde ich aber nie den Sängerdank bekommen? rief er einmal und warf unmuthig die Guitarre fort. Die alten Troubadours, Sibylle, lebten und starben für einen Kuß den die Geliebte ihnen freiwillig gab.«
»Da hatten die Troubadours sehr Unrecht, erwiderte ich scherzend, denn so einen freiwilligen Kuß giebt nur der Dank .... nicht die Liebe.«
»Und was giebt die Liebe?«
»Das Herz!«
»Falsch! – Sie giebt immer das was grade
Er sprang auf und verließ mich dann immer plötzlich, so daß ich meinem träumerischen
Nachsinnen überlassen zurückblieb. Das war in Granada. Ich hatte durchaus in der
Alhambra wohnen wollen. Es wurde bewerkstelligt, aber nur für mich, meine Kammerfrau
und einen Diener. In der Wohnung des Pförtners wurden einige unbenutzte Zimmer für
mich nothdürftig eingerichtet. Die Fenster gingen in den Patio de los arraynes, und
ich genoß die Wonne zu jeder Stunde des Tages und der Nacht in den Sälen, Hallen und
Gärten der maurischen Könige ungestörten Zutritt zu haben. Mein Diener besorgte meine
höchst einfache Küche; ich aß Reis und trank Chocolade. Paul und Otbert wohnten unten
in der Stadt. Ich lebte wie es mir eben einfiel! ich ließ mir Tänzerinnen kommen und
lernte geschickt ihre üppigen, graziösen Tänze. Ich ließ Zigeuner holen, die mir
wahrsagen und wilde Lieder singen mußten. Einmal gab ich für Paul und Otbert ein Fest
in der Sala de los Embajadores, ganz voll Tänze, Gesänge, bunter Lampen und Blumen.
Sie mußten Beide in der Majo-Tracht kommen. Otbert trug sie charmant! Man muß ein
bischen Schauspieler und ein bischen Fanfaron sein
»Wäre ich eine Königin, so dürfte kein Mann anders als in Majo-Tracht an meinem Hof erscheinen.«
»Da Ihr Hof unfehlbar nur ein Sänger- und Liebeshof sein würde, so wäre die neue Hoftracht an ihrem Platz. Aber stellen Sie sich einmal unsre Minister, Generäle, Diplomaten und Kammerherrn als Majos vor! das wäre ja ein ewiges Pasquil auf alle Grazie.«
In Sevilla hatte sich mein kleines Talent für Aquarel-Zeichnungen sehr angeregt
gefühlt und ich hatte Skizzen der Gebäude und der Gemälde von Murillo gemacht, die
jezt vor mir liegen und die mir trotz ihrer Unvollkommenheit verrathen, daß ich mit
Fleiß, Ausdauer und Stetigkeit einen gewissen Grad der Vollkommenheit hätte erringen
können; – die Ausführung ist überall höchst mangelhaft, aber in Auffassung und Wurf
des Gegenstandes ist etwas Geniales. In Granada arbeitete ich mit Eifer; Zigeuner und
Tänzerinnen mußten mir sitzen. Paul in seiner Majo-Tracht gelang mir außerordentlich.
Ich hob sein naturtreues Bild in den Geist hinein – wie die Kunst das immer soll
–
»Was ist denn das? rief er unmuthig; ein halbes Dutzend der gleichgültigsten Leute malen Sie sprechend ähnlich ... und nicht mich! – weshalb nicht mich, ich bitte!«
»Ich kann Sie nicht erfassen, entgegnete ich traurig; kann Ihr Bild nicht genug in meinem Innern concentriren um es aus mir selbst wieder heraus zu erschaffen.«
»Das ist ja eben kränkend für mich.«
»Nein nein, Astrau, kränkend nicht ..... denn so ist es: treten Andre vor den Spiegel meines Auges und meiner Seele, so fängt er gelassen ihr Bild auf und gelassen zeichnet die Hand es ab. Doch Sie .... Astrau! Sie werfen mir einen Regenbogen, einen Sonnenhimmel, ein tausendfarbiges Prisma über den Spiegel .... ich bin geblendet! – Kann ich dafür?«
»Ihr Auge spinnt eine Welt aus Ihrem eigenen innerlichsten Selbst heraus – und in
dieser Welt
»Wenn nicht Sie – wer denn, Otbert?«
»O! rief er heftig, Du liebst mich nicht .... aber wirst Du mich denn niemals lieben? Gieb mir Hofnung, Sibylle! sprich Ja!«
Er umschlang mich stürmisch mit dem rechten Arm, hob mit der linken Hand mein Gesicht zu sich empor und sah mich so dringend, forschend, glühend an, daß ich mich magnetisirt fühlte und ganz träumerisch sagte:
»Ja Otbert .... das weiß ich nicht.«
Ein Blitz des Zornes glitt über seine Züge, er schleuderte mich aus seinem Arm und eilte fort. Dies geschah in dem sogenannten Gärtchen der Lindaraja. Ich war entsetzt, Herz und Nerven thaten mir weh. Immer wenn ich traurig war zog es mich zur Erde herab, wenn froh – in die Lüfte empor. Ich setzte mich auf die Erde und weinte bitterlich. Otbert hatte ein Paar Gänge durch den Löwenhof gemacht und kam beruhigt wieder. Er hob mich liebreich auf und sagte in dem scherzhaft hofmeisternden Ton den er oft gebrauchte um mir Wahrheiten zu sagen:
»Excentrisches Kind das Sie sind, Sie müssen mich nicht so fürchterlich quälen wenn
Sie mich
Mit diesen Worten führte er mich nach meiner Wohnung zurück und ich war unfähig ihm etwas zu erwidern – dermaßen hatte er durch seine richtige Erkenntniß meines Innern Alles in mir aufgewühlt. Arabellas »ewige Fessel« war für mich das bethörende Wort gewesen unter dessen Einfluß ich mich bewegte.
Als wir bald darauf nach Malaga zurück gingen wo unsre Yacht im Hafen lag, fand
Astrau Briefe vor, die ihn in möglichster Eil zu seiner Mutter beschieden. Er hatte
mit ihr in Nizza zusammentreffen und den Winter verleben wollen; nun aber hielt ihre
schlechte Gesundheit sie in Genf fest. Sie hatte den Muth verloren über die Alpen zu
gehen, während die Aerzte nur in dieser Reise ihre Rettung sahen; Otbert sollte
diesen Zwiespalt vermitteln.
»Sibylle, wachst Du? ... Astrau will Dir Lebewol sagen – darf er?« – fragte Paul gegen Morgen und öfnete die Thür meiner Cabine nachdem er mich durch leises Anklopfen geweckt hatte.
Otbert trat hastig ein, nahm meine Hände, preßte sie an seinen Mund, legte die Rechte auf meine Stirn und sprach bewegt:
»Leben Sie recht wol .... und auf Wiedersehen, denn wir sehen uns wieder! – Vergebung, daß ich Sie im Schlaf gestört! ... schlafen Sie fort und träumen Sie süß.«
Fort war er! – Eine stille Betäubung legte sich über meine Seele, und verließ mich
auf der ganzen Reise nicht mehr. Mir war als sei ein Vorhang zwischen mir und der
Außenwelt herabgelassen. Mechanisch sah ich Valencia und Barcelona; mechanisch
zeichnete ich hier einen Baum, da ein Gebäude,
Die Holsteinschen Angelegenheiten wirkten bei unsrer Heimkehr wie ein Sturzbad auf
mich: ich kam zur Besinnung und Paul trat wieder in den Vorgrund meines Lebens, ohne
daß ich jedoch in mir Otbert überwunden hätte. Ich verschleierte ihn gleichsam nur.
Paul zeigte sich bei diesem Ereigniß, welches zerstörend in seinen ganzen Lebensplan
eingriff, so nachsichtig und großmüthig – er wußte mir das drückende Bewußtsein daß
mein Leichtsinn es herbeigeführt so zu erleichtern – er fand sich so muthig und
gefaßt in Engelau und in den gebotenen Verhältnissen zurecht – er ordnete die
Verwirrungen so umsichtig in allen Richtungen, daß ich begann eine wahre Achtung vor
ihm zu haben. Die leichte Kälte welche sich in der letzten Zeit zwischen uns gelegt,
schmolz wie ein Nachtreif vor der natürlichen Innigkeit, die
Eine lange Hofnung sollte uns endlich erfüllt und ich – Mutter werden. Bei dieser Aussicht regte sich in mir ein wunderliches Gemisch von jauchzender Seligkeit und von Gewissensbeängstigung. Ich warf mir die Schatten der Gedanken vor, die zwischen mir und Paul gewesen waren, und ich verhehlte mir nicht daß diese Hofnung mir vor einem Jahr wenn keine größere doch eine frischere Freude gemacht haben würde. Es rächt sich jede Unlauterkeit die man an seiner Seele begeht. Rohe Naturen bemerken das nur wenn sie eine äußere Wirkung zur Folge hat; feine nehmen es an der leichtesten Nüance von Frische und Zartheit wahr um welche ihr Empfindungsvermögen ärmer geworden ist.
Paul war rührend in seiner Freude. Jedes persönliche Interesse trat für ihn in den
Hintergrund.
»Denn, sagte er lächelnd, hier fehlen uns die Verlockungen zur Verschwendung, denen wir nun einmal in London nicht widerstehen können, und die nicht unser Vermögen sondern das unsers Kindes zerrütten würden.«
Es war sehr großmüthig daß er »wir« sagte! – – Sein Vater sah ihn ungern seine
Carriere verlassen, und meinte da ich unverständig genug sei um mich nicht mit meinem
so reichlichen Einkommen in London einrichten zu können, so müsse Paul etwa sechs
Monate des Jahres als Junggesell allein dort leben und ich mit dem Kinde in Engelau;
die andern sechs Monate dürfe er dann bei mir zubringen. Er unterstützte diesen
Vorschlag mit verschiedenen theils scherzhaften theils cynischen Gründen, welche
beweisen sollten daß eine solche Trennung für das gute Vernehmen in der Ehe höchst
vortheilhaft – und für die Vergrößerung der Familie äußerst zweckmäßig sei – so daß
zu gleicher Zeit die Ansprüche der Liebe und die Interessen
»Ich glaube Du bist noch verliebt, entgegnete mein Schwiegervater etwas geringschätzig; das finde ich stark, Paul, und ich kann es nur mit Deiner ersten Vaterfreude entschuldigen.«
Paul nahm scherzend den Vorwurf hin ohne sich in seinem Entschluß irre machen zu lassen. Er richtete seine ganze Zukunft für Engelau ein. Ich sah freudezitternd der nächsten entgegen. – – –
Und wieder am Tage Aller Seelen gab es ein Geburtsfest. Ohne vorhergehende Furcht, ohne lange Qual gebar ich eine Tochter. Wir hatten aber Beide, und ich besonders, auf einen Sohn gerechnet. Hundertmal hatte ich gesagt zu Pauls höchstem Ergötzen:
»Nur kein Mädchen! kein Mädchen! zwölf Knaben sind nicht so schwer durch die Welt zu bringen als ein einziges Mädchen!«
Der Name, die kleinen Anzüge, die Pathen –
Ich lebte mit einem tiefen eisernen Ernst. Alle Geschäfte die Paul geführt, übernahm
ich; was er begonnen hatte wollte ich zu Ende bringen: die Ordnung meines Vermögens
herstellen um es meiner Tochter zu überliefern wie ich es von meiner Mutter
empfangen. Ich lebte mit der äußersten Einschränkung, versagte mir sogar Bücher und
manche Gegenstände des Comforts, brauchte nur meine schlichten Trauergewänder. Paul
hatte den größten Theil unsrer Einkünfte dazu bestimmt unsre Schulden abzutragen, mit
dem vierten Theil hatte er leben wollen. Ich setzte es durch mit dem achten zu leben
um desto früher dieser Last entledigt zu sein. Ich verkaufte äußerst vortheilhaft ein
kleines Gut, das ein Hamburger Banquier zu besitzen wünschte, weil es gar freundlich
am Plöner-See
Mir that mein strenges Leben wol. Ich hatte ein Ziel dem jeder Gedanke und jede
Handlung sich unterordnete und das ich durchaus erreichen wollte: vollenden was Paul
begonnen. Ich erreichte es wirklich. – Aber was nun weiter? –
Ich komme um! rief ich ganz laut eines Abends als das Gefühl unbestimmter
erwartungsvoller Sehnsucht übermächtig in mir rege geworden war. Ich traf meine
Anstalten; ich wollte reisen, wollte mich zerstreuen von dem einsamen Einerlei;
wollte
Acht Tage später reiste ich ab. Ich besuchte meinen Schwiegervater der mich ziemlich
trocken empfing und meine Reise noch trockener mißbilligte. Ich könne ja im Sommer in
ein Bad gehen, den Winter in Hannover, Frühling und Herbst in Engelau zubringen: das
sei eine vernünftige und passende Lebensweise, wie sie sich für eine Frau in meinen
Verhältnissen schicke. Er mogte nicht Unrecht haben, aber ich sträubte mich heftigst
gegen diese Tretmühle des Hergebrachten, und erklärte in einer so kleinen Stadt wie
Hannover nicht leben zu können. Das nahm er grenzenlos übel, nannte mich »mauvaise
tête«, und mit großer Kälte trennten wir uns. Um desto wärmer und freundlicher
empfing mich der Bischof von Würzburg. Sobald diese geistlichen Herrn das Bewußtsein
ihres Berufs und ihrer Stellung haben, schöpfen sie aus demselben so viel Würde und
die Umgebung erhöht diese so sehr, daß ihrer
Ich fühlte zuweilen ein Verlangen in Würzburg bei meinem Onkel zu bleiben, zu seiner Kirche überzutreten, Benvenuta in derselben zu erziehen, und wenn sie erzogen und verheirathet sei in einem ernsten edlen Kloster den Schleier zu nehmen. Ich sprach sogar mit meinem Onkel über diese Möglichkeit. Er entgegnete sanft:
»Liebe Tochter, Deine unruhige Seele wirft sich an Alles was sie noch nicht kennt,
und wendet sich
»Theurer Onkel! rief ich heftig bewegt, das erste und das letzte Schmachten jeder Seele, so groß oder klein, so weise oder thöricht sie sei – strebt nach Frieden, und ich allein sollte dies Bestreben nicht haben?«
»Du strebst nicht nach Frieden, erwiderte er mit unerschütterlicher Sanftmuth – sondern nach Befriedigung.«
So war's. Er las in meinem Herzen. Er fuhr fort:
»Wer den Frieden sucht, weiß was er sucht, nämlich das Eine: sich hingeben der Hand
Gottes und ihrer Führung, ohne Angst, ohne Hast, mit unerschütterlich demüthiger
Seele. Wer Befriedigung sucht, sucht etwas Unbestimmtes, Namenloses
Mir war als würde mein Herz aus der Brust geschält und durchsichtig vor meine Augen gehalten. Ich sagte:
»Ganz Recht! aber nur der, welcher bei sich selbst und in sich zu Hause ist, vermag sein Ziel und den Weg zu demselben ins Auge zu fassen, weil er einen festen Standpunkt hat. Befriedigung muß der Erdboden sein auf dem die Palme des Friedens gedeiht. Befriedigung sammelt uns in uns selbst und schmilzt unsre sich verflüchtigenden Kräfte zum Goldkorn der Einheit zusammen. Glauben Sie nicht daß eine höhere Hand das Gepräge göttlichen Friedens auf ein solches Goldkörnchen drücken könne?«
»Liebes Kind, entgegnete liebreich mein Onkel, das heißt fragen ob ich an die
Barmherzigkeit Gottes glaube! – Ich sagte Dir nur .... und Deine Worte bestätigen es
.... daß Du nicht genug innere Sammlung besitzest um vor der Hand den Uebertritt zu
unsrer Kirche machen zu können.
Er drückte mir väterlich die Hand und ich küßte die seine mit zärtlicher Ehrfurcht. Dies war nicht das einzige Mal daß wir über diesen Gegenstand sprachen; aber stets äußerte sich mein Onkel in gleicher Weise, und ich kam endlich nicht mehr darauf zurück. Allein es war mir dabei zu Sinn, als sehe ich einen Nachen sich entfernen, den ich herbei gewinkt um mich vom sandigen öden Strande an ein jenseitiges blumen- und schattenreiches Gestade zu tragen.
Bald wurden meine Gedanken auf einem andern Gebiet beschäftigt. Ich empfing folgenden Brief:
»Sibylle! ich habe Ihren Willen geehrt – dann Ihr Glück – dann Ihre Trauer; vergessen
habe ich Sie nie ..... nie Ihr verheißungsvolles, verschleiertes, ich weiß nicht ob
über menschliches, doch gewiß nicht menschliches Auge, in dem sich Ihre ganze Seele
spiegelt! Ist diese Seele zum Bewußtsein gekommen durch Zeit, Leid und Erfahrungen,
welche alle Menschen reifen und entwickeln? Darf ich Sie demnach um Antwort auf eine
einzige Frage bitten? Glauben Sie mich lieben zu können? – Diese Frage würde
vermessen sein, wenn Sie nicht die heimliche Ueberzeugung
Ja, außerordentlich beschäftigten mich diese wenigen Zeilen. In Jahren hatte Astrau mich nicht gesehen und nichts von mir gehört als was zwei gedruckte Schreiben ihm sagten; und dennoch dachte er an mich, wußte er von meinem Aufenthalt, hatte er sein Gefühl für mich bewahrt, hofte er auf Erwiderung. Das ergriff mich mächtig. Aber konnte man das Liebe nennen? Ich besann mich acht volle Tage; endlich schrieb ich:
»Sie sagten mir einst ich wisse nichts von der Liebe. Da ich in dieser Beziehung
keine Erfahrungen gemacht habe, und noch auf demselben Punkt stehe wie damals, so muß
ich Ihnen mit voller Wahrheit auf Ihre Frage antworten: Wie soll ich wissen ob ich
Sie werde lieben können. Sie haben einst meine Phantasie beschäftigt und meine
Gedanken angeregt, vielleicht meiner Eitelkeit wolgethan – Sie sehen ich bin wahr! –;
Ich war, obgleich ich es mir nicht eingestehen wollte, doch heimlich gespannt auf den
Erfolg dieses Briefes. Ich verschob meine Abreise von Würzburg von einem Tage zum
andern, obzwar ich mir selbst sagte, daß Astrau mich ebensogut in Italien als in
Deutschland auffinden könne, wenn ihm etwas daran gelegen sei. Ich dachte sogar es
würde nicht viel mehr als Höflichkeit sein, wenn er von München – wohin er mir seine
Adresse
»Meister Fidelis!« rief ich jauchzend und flog ihm entgegen.
»Grüß Gott! grüß Gott, Sibylle!« sagte er, faßte meine beiden Hände und sah mir mit rührender Innigkeit in die Augen, während sich ein feuchter Glanz über die seinen legte. Sie wurden mir zum Spiegel meiner Vergangenheit: meine ganze untergegangene Jugend mit dem Kreise ihrer Freunde und Freuden tauchte daraus empor. Ich hatte ihn nicht gesehen seit jenem Augenblick wo ich mit Paul vom Traualtar zum Reisewagen ging. Erschüttert durch diese Erinnerungen stürzten mir heiße Thränen aus den Augen und ich rief:
»O Meister! welch ein Leben dessen Epochen durch nichts zu bezeichnen sind – als durch Leichensteine!«
»Sie ist eine Blume zwischen den Gräbern!« erwiderte ich auf diese Pantomime.
»Es giebt auch Gräber ohne Blumen,« sprach er, fuhr mit seiner langen, feinen, magern Hand über die Stirn und warf den Kopf zurück, als wolle er ihn von etwas Drückendem befreien.
Ich folgte seinen Bewegungen mit jener Aufmerksamkeit, die wir so gern lieben Erinnerungen zuwenden, und rief nur:
»O Gott! grade so pflegten Sie die Ungeduld abzuschütteln, welche Sie bisweilen während des Unterrichts zu übermannen drohte, wenn ich allzu unaufmerksam war.«
»Und das wissen Sie noch Alles? fragte er innig. Sogar meinen Namen wissen Sie noch?«
»Franziscus Fidelis Sedlaczech! rief ich; während der Lection: Herr Sedlaczech, weil das der Schülerin imposanter vorkommen mußte; außer derselben: Meister Fidelis; – – wie Paul zuerst Sie nannte als er Sie einmal die Orgel spielen hörte in Engelau – Psalme des Marcellus, sie klingen noch in mir!« –
»Meister bin ich freilich noch immer nicht, entgegnete er gerührt; aber Fidelis – bin ich wol.«
»Eine solche wie ich sie wünsche und wie ich glaube sie ausfüllen zu können, findet sich nicht leicht, weil sie immer von Tüchtigen gesucht, und vermuthlich durch den Tüchtigsten besetzt wird. Meister bei einer Kirchenkapelle, wie Mozart bei St. Stephan zu Wien – das mögt' ich werden! allein ich bin noch Schüler und kein Meister, und muß noch arbeiten und studiren um so weit zu kommen. Andre Anstellungen, als Kammermusikus etwa, reizen mich nicht. Man liebt heutzutag so wenig die Kammermusik und so sehr die Oper mit ihrer stupiden Augenlust, daß ich gewärtig sein müßte mein Leben in Rossinis und Aubers Opern zu verklimpern. Da bleibe ich lieber unabhängig, verdiene mein Brod durch Unterricht geben, und widme mich der Composition.«
»Durch Unterricht geben?« fragte ich höchst erstaunt, weil ich glaubte ihn durch sein Jahrgeld von dieser Pein befreit zu haben.
»Ihre Güte kommt mir dennoch zu gut,« antwortete er mehr auf meine Gedanken als auf meine Worte.
»Und gewiß auf eine weit edlere Weise! rief ich. O das bezweifle ich nicht! Da ich
jedoch aus
»Nein, nein! unterbrach er mich; das schien Ihnen nur so, weil sie Ihnen ein Greuel waren! Ich lebe wie ich nun einmal lebe, aus freier Wahl und aus Liebe: denn ich erwerbe mir selbständig mein Brot und gönne meinem Herzen die süßeste Befriedigung die es genießen kann.«
»Sind Sie verheirathet?« fragte ich hastig. Mir schien daß man nur einem Weibe, einem Kinde solche Opfer bringen könne.
»Nicht doch! entgegnete er gelassen; ich habe ewige Messen gestiftet für eine geliebte Seele.«
Das war mir unverständlich; und da man leicht geneigt ist zu seiner eigenen Beruhigung das Unverständliche kurzweg unverständig zu nennen: so verfehlte auch ich nicht dies Verfahren höchst unsinnig zu finden.
»Welch eine seltsame Art von Befriedigung! rief ich geringschätzig. Und wie ist denn der Genuß den Ihr Herz dabei empfindet?«
Er besann sich eine Weile und sagte dann unbefangen:
»Ich denke es ist der jener Magdalene, welche die Füße des geliebten Heilandes mit köstlichen Narden salbte.«
»Ich verstehe Sie nicht!« sprach er aufrichtig.
»Desto besser! rief ich; – doch nun sagen Sie mir wohin Sie Ihren Wanderstab setzen wollen?«
»Nach Italien. Ich kam von Wien hieher nur um den ehrwürdigen Bischof einmal wieder zu sehen, und diese Pietät ist mir gelohnt, da ich Sie gefunden habe. Heut Abend geht die Post nach München, da will ich fort.«
»O ich bitte Sie, nicht so sehr flüchtig! bleiben Sie ein Paar Tage hier! wir haben so viel zu plaudern .... von Engelau .... von der Vergangenheit .... und – ich will auch nach Italien; da reisen Sie mit mir.«
»Ja, das thue ich gern, rief er lebhaft; mir ist wol bei Ihnen! zu Ihren eleganten Gesellschaften und zu Ihren Kunstgenüssen werden Sie mich wol aus Barmherzigkeit nicht verdammen – und sonst werden wir uns recht gut mit einander vertragen.«
»Zuweilen werden Sie mich aus Barmherzigkeit gute Musik hören lassen?« fragt' ich lächelnd.
»Was nennen Sie gute Musik?«
»Sind Sie so ernst?« sagte er zweifelnd.
»Ich bin eine Tochter des Nordens und Sie fragen ob ich ernst sei! mein Gott, das ist ja die Mitgift welche uns in die Wiege gelegt wurde. Ich gehe nach Süden um etwas heiterer zu werden und um das Kind in eine fröhlichere Atmosphäre zu bringen.«
»Ist die Seele ernst, so wird sie durch die fröhliche Umgebung nicht fröhlich. Höchstens zerstreut sie sich, und das thut ihr nicht immer wol. Der ernste Mensch sollte darauf bedacht sein sich zu sammeln um sich dann resigniren zu können.«
»Resigniren? aber wozu?«
»O zu Allem! zu seinem Glück wie zu seinem Leid.«
»Sie lieben Paradoxen!«
»Ich mögte wol wissen ob Sie sich zu einem Glück resigniren könnten? sprach er
gedankenvoll und fixirte mich mit seinen seltsamen Augen. Denn das Glück, sehen Sie,
ist immer irgend eine Gestalt die am Saume unsers Horizontes schwebt, und eine
aurorenhafte Glorie trägt, welche halb
»Und was thun Sie, Fidelis?«
»O ich! – ich suche weder die Rose noch den Freudenbecher.«
»Stoiker!« rief ich, schwankend zwischen Unglauben und Vorwurf.
Er lächelte und fragte dann: »Und Sie?«
»Nun .... wenn ich sie nicht suche, so rührte das wol nur daher, daß ich .... sie
erwarte, und immer und ewig erwarte, und gar nicht begreife wie das Leben vergehen
könnte ohne sie. – Aber wie sind Sie zu Ihrer melancholischen Ansicht über das Glück
gekommen?« setzte ich nachdenklich hinzu,
»Wie alle Menschen: durch Erfahrung! jedoch nicht wie alle durch eigene, sondern durch fremde Erfahrung.«
»Eine solche pflegt sehr unvollkommen zu sein.
»Meistentheils, ja!« sprach er abbrechend und fragte ob ich schon etwas über meine Abreise festgesetzt hätte. Unwillkürlich erröthete ich, weil mich in der That nichts daran gehindert hatte als meine kindische Erwartung eines Briefes von Astrau.
»Ich dachte übermorgen,« sagte ich plötzlich entschlossen – und dabei blieb es.
Mit Rührung und Liebe verließ ich meinen guten Onkel und bat ihn um Erlaubniß ihn einmal wieder besuchen zu dürfen.
»Du wirst mir immer willkommen sein, entgegnete er mit seinem sanften Lächeln; da Du aber nur dann eine Zuflucht bei mir suchen wirst, wenn Dein Herz schwer ist und wenn es Dir übel in der Welt gehen wird: so kann ich nicht sagen daß ich wünsche Dich bald wieder zu sehen. Mein Segen begleitet Dich wohin es sei.«
In München blieb ich nur einen Tag; ich hatte nicht Lust Astrau dort zu begegnen, und
dennoch sollte das sein! Ich fuhr am Nachmittag mit Benvenuta
Ich hatte diese Wunderstadt auf meiner italienischen Reise mit Paul nicht kennen gelernt. Sie überraschte mich mehr als irgend etwas, das ich vorher oder nachher gesehen hätte. Einzelne Vorzüge, einzelne Schönheiten mag es in höherem Grade auf anderen Stätten geben; aber eine solche Harmonie, eine solche in sich abgeschlossene Einheit und Vollendung – fand ich nie und nirgend sonst.
»Hier muß man sich ewig wol fühlen! sagte ich zu Sedlaczech, als wir an einem
herrlichen Maiabend gegen Sonnenuntergang in die vom Abendroth verklärte Marmorstadt
hinein schwammen. Für diesen Göttersitz haben wir kein Ideal in uns. Der gewohnte
Maßstab entfällt unserer Hand – die gewohnten Ansprüche verstummen: das wäre der
»Aber weshalb denn ein neues? fragte er sehr erstaunt. Es ist ja bisher ein sehr gutes gewesen – leben Sie das doch fort.«
Es klang mir hart was er sagte. Sehr gut? war ich denn je vierundzwanzig Stunden ungestört zufrieden mit mir selbst und mit meinem Leben gewesen? Gewiß nicht! und er nannte es »sehr gut!« – Diese Mißempfindung fiel störend wie ein falscher Ton in den Freudenchor hinein, welcher durch meine Seele brauste. Das wird Tausenden tausend Mal geschehen; doch nur Einer von ihnen Allen wird die unselige Fähigkeit haben die momentane Verstimmung in der Erinnerung aufzuspeichern, während sie bei den Meisten, den gut und glücklich Organisirten, aus dem Gedächtniß schwindet, und ihnen die Erinnerung ungetrübt und glanzvoll läßt.
Venedig gefiel mir unsäglich, sprach mich in der Tiefe meines träumerischen
Imaginationslebens an. Ich beschloß mich recht einzuspinnen in diese Wunderwelt,
ruhig den großartigen Eindruck auf mich wirken zu lassen, fleißig die Geschichte zu
studiren, und überhaupt nach innerer Sammlung zu streben. Sei die nur erst erlangt,
so würde ich schon auffinden
Ich miethete auf ein Jahr einen verödeten Palast Gradenigo am Canal grande, eines dieser unvergleichlich zierlichen und edlen Gebäude, die außerhalb Venedigs ihres Gleichen nicht haben; und die nicht sowol durch Größe und Ausdehnung – wie etwa die römischen – sondern durch einen eigenthümlichen Adel ihrer Proportionen, den Namen Paläste verdienen. Ein Gebäude ihrer Größe in Norddeutschland, aus Backstein, mit spitzem Ziegeldach, von hundert schmalen Fenstern durchbrochen, im Innern mit hölzernen Treppen versehen – wäre ein gewöhnliches Haus; aber: – Marmormauern, Marmorwände, Marmortreppen, Marmorfußboden – Marmorarbeit wie Schnitzwerk an Balcons, Fensterbogen und Fensterrosacen – Incrustationen von Verde und Rosso antico von Außen – Gemälde von Titian und Tintoretto im Innern – eine majestätische Festhalle von kleinen behaglichen Gemächern umgeben – eine Grotte zur Station für die Gondel: das ist ein venetianischer Palast.
Ich miethete den meinen für geringes Geld. Es war damals noch nicht so viel wie jezt
für den Flor Venedigs geschehen. Es war noch kein Freihafen,
Mit Sedlaczech lebte ich gut und angenehm, aber nicht eigentlich intim. Er war mir zu
sehr überlegen, als daß ich das unwillkürliche innerste Zutrauen, ich mögte sagen
diese Seelenströmung zwischen Gleich und Gleich, für ihn empfunden hätte. Nicht als
ob mich meine Inferiorität gedrückt – nicht als ob ich nicht gewußt hätte, daß es
größern Genuß gewährt sich zu Menschen hinaufals herabzustimmen! Nur fühlte ich
instinctmäßig daß wir nicht auf einer Stufe der Entwickelung standen und daß die
seine weit höher als die meine sei. Wird eine solche Kluft nicht durch die Liebe
ausgefüllt, die Höhen und Thale gleich macht – so kann man wol zu einem
gemeinschaftlichen Leben, doch nicht zu einer befriedigenden inneren Gemeinschaft des
Lebens gelangen. Uebrigens war es keinesweges sein Talent, das mir imponirte – so
groß es war! so hoch ichs schätzte! – nein, es war seiné Seele; eine Seele von deren
Thaten und deren Wegen ich nichts wußte, denn er sprach nie über seine Schicksale.
Als er vor Jahren von dem Banquier meines Vaters in Lübeck, als Musiklehrer empfohlen
nach Engelau kam, sagte er: er sei ein Böhme, Waisenkind, Katholik, und zwischen
achtzehn
Den größten Theil der Nächte verbrachte ich in meiner Gondel. Bald fuhr ich nur in
den Canälen und erfreute mich an dem feenhaften Anblick Venedigs im Mondlicht, dessen
mysteriöser Glanz die passendste Beleuchtung dieser mysteriösen Existenz ist. Bald
fuhr ich weiter in die Lagune hinaus, nach verschiedenen Inseln, die ich besonders
gern hatte – vorzugsweise nach Torcello und zum Lido. Torcello war der Anfangspunkt
der großen Stadt, des großen Staats Venedig. Das was in jener Zeit der menschlichen
Vergesellschaftung Kern und Einheit gab: die Religion, in einem Monument, in einer
Kirche ausgeprägt, fehlt der kleinen verwilderten und vereinsamten Insel nicht. Der
alte kleine tausendjährige Dom hat Venedigs Höhe und Fall überdauert. In dörflicher
Verwahrlosung steht er auf einem grünen Wiesenplatz, und vielleicht zwei Dutzend
Häuschen von Gärtner- und Fischerleuten liegen ebenfalls dörflich zerstreut zwischen
Hecken, Gemüsegärten, Gebüschen und Rasenflecken. Diese Vegetation so wenig gepflegt
sie sein mogte, gedieh dennoch vortreflich auf dem üppigen Schlammboden,
Kehrt' ich dann heim, seelenmüde und seelenwund – sah ich den ruhigen Lampenschein in
Sedlaczechs Zimmer – hört ich ihn mit gleichmäßigem Schritt in der lautlosen
nächtlichen Stille über mir auf und nieder gehen – klangen gar seine musikalischen
Phantasien oder Eingebungen zu mir herab:
Eines Tags kam mein Capo de' gondolieri – wie er sich nannte als er in meinen Dienst
trat um meine Gondeln und die beiden andern Gondoliere zu beaufsichtigen – und trug
mir die Bitte vor einen vierten Mann anzunehmen. Ich fahre, die Kleine fahre,
Sedlaczech fahre – Tag und Nacht sei irgend ein Mitglied meines hohen Hauses auf der
Lagune zu finden; das sei freilich eine große Ehre für die arme, schlechte Lagune,
aber nichts desto weniger ein schwerer Dienst, besonders in dieser höllenheißen
Sommerzeit. In diesem halb pomphaften, halb spöttischen Styl, mit einem Lächeln das
auf der Grenze zwischen Harmlosigkeit und Unverschämtheit schwebte, mit
unverwüstlicher guter Laune – diesem Erbtheil des venetianischen Volkes – im kleinen
blitzenden Auge, ließ sich Gino äußerst wortreich über die Nothwendigkeit eines
vierten Mannes aus. Ich sah das ein, nur drang
»O, rief Gino, der ist treu – treu wie die Madonna mir ist! – Er zog bei diesen Worten ein zinnernes Medaillon der Madonna das er um den Hals trug hervor, und küßte es mit Andacht. – 'Lustrissima können fahren wohin Sie wollen, thun und sagen was Sie wollen .... der schwazt nicht.«
»Ich hoffe auch Du nicht, Gino.«
»Kein Fisch in der Lagune ist stummer als ich .... was meine Herrschaft betrift, 'Lustrissima! entgegnete er mit tiefer Verbeugung. Schweigen ist die Pflicht des Gondoliers, folglich schweige ich und wenn's mir noch so schwer wird, aus Tugend. Nino schweigt aus Nothwendigkeit .... und die Nothwendigkeit ist denn doch ein noch festeres Ding als die Tugend – wenn 'Lustrissima gestatten meine Ansicht von der Sache auszusprechen. Genug, Nino ist stumm.«
Ich fühlte mich durch sein Unglück für ihn gewonnen, und fragte nur noch ob Gino ihn gut kenne.
»Wie sollt' ich nicht, 'Lustrissima! er ist ja mein Sohn .... nämlich der Sohn meiner
Frau, die
Nino trat in meinen Dienst und wurde mir vorgestellt. Er machte mir einen unangenehmen Eindruck. Hartes rothes Haar hing ihm dick und verwirrt bis auf die Augenbrauen herab und schloß sich an einen buschigen Backenbart. Er hatte nicht den lebhaften Blick, das heftige Mienenspiel und die raschén Geberden der Taubstummen; er schien mehr das Stumpfsinnige, Plumpe, Schwerfällige des Idioten zu haben. Er stand mit niedergeschlagenen Augen vor mir während ich mit Gino über ihn sprach, und verrieth auf keine Weise eine Theilnahme, die doch sehr natürlich gewesen wäre. Sein Anblick war nicht vertrauenerweckend; drum gab ich an Gino den strengen Befehl, daß die beiden andern Gondoliere immer und ohne Ausnahme Benvenutas Gondel – er und Nino die meine fahren sollten. Und so geschah es.
Abends nach Sonnenuntergang pflegte ich täglich mit Sedlaczech eine Fahrt zu machen
und dann in einem der Cafés auf dem Markusplatz Gefrornes zu nehmen. Von dort ging er
gewöhnlich gegen Mitternacht zu Hause, während ich meine nächtlichen Excursionen
begann. Gegen Morgen, bald früher, bald später, kehrt' ich heim und ging zuweilen
Als ich eines Morgens, d.h. um ein Uhr Mittags, aus meinem Schlafzimmer in mein
Cabinet
»Die eigentliche Blume von Venedig ist aber doch die mystische auf dem Wasser schwimmende Lotosblume, dies Symbol der Vereinigung der Tiefe und des Lichts zur Liebe, d.h. zum Leben.«
Am andern Morgen stand auf der Brüstung meines Balkons eine ganze Reihe der schönsten aller Wasserblumen: der Calla aethiopica. Die großen weißen mandelduftenden Kelche neigten sich alle wie zum Gruß von dem schlanken Stengel in die geöfnete Thür meines Cabinets hinein. Diesmal wird Fidelis doch nicht seine Hand verleugnen können! rief ich entzückt. Aber er leugnete ganz bestimmt.
»Es käme mir auch gar nicht zu, Ihnen Blumen zu schenken, sagte er endlich. Ein unbekannter Verehrer wird diese Boten gewählt haben um Ihnen seine stumme verschwiegene Huldigung darzubringen.«
»Bestia ch' io sono .... no, 'Lustrissima!« rief er, sich scherzhaft verwünschend nicht meine Sprache zu verstehen.
Ich befahl ihm und den übrigen Dienstboten eine abermalige Blumensendung sofort
abzuweisen, und war grenzenlos erstaunt als dennoch am andern Morgen drei riesenhafte
Sträuße von purpurfarbenen Nelken auf meinem Schreibtisch lagen. Ich ließ meine Leute
zusammen rufen, und erklärte ihnen, ich würde sie alle entlassen so wie Einer von
ihnen – ich frage nicht welcher! – gegen meinen ausdrücklichen Befehl handle. Mein
Kammerdiener und meine Kammerfrau waren Deutsche; Benvenuta's Wärterin war eine
Engländerin; alle drei lange und treu befunden in meinem Dienst. Aber ich hatte außer
Gino und den drei Gondolieren noch einen französischen Koch bei meiner Einrichtung in
Venedig genommen, und einen jungen
Es schien als habe auch der Unbekannte ihn verstanden, denn die Blumensendungen
unterblieben – bis nach acht Tagen Gino mir erzählte, es habe sich abermals die
Gärtnerbarke mit einer Blumenfracht gemeldet, sei jedoch von ihm zu allen tausend
Teufeln geschickt worden. Seitdem kam das nicht mehr vor. Mich frappirte weit mehr
eine gewisse Gondel, die seit einiger Zeit allnächtlich, wenn ich von meinen
Wasserwanderungen heimkehrte, an der Einfahrt meines Hauses lag. Hier
»Was machst Du hier? Weg da! fuhr Gino ihn das erste Mal an. Hier ist kein Traghetto! Pack Dich fort zu Deiner Madonna.«
Statt in dem nämlichen rauhen und zänkischen Ton zu antworten, wie das die Weise der Gondoliere ist, die sich in fünf Secunden zum wüthendsten Wortstreit, der aber nie in Thätlichkeiten ausartet, steigert – entgegnete der fremde Gondolier gelassen:
»Ich bin hier schon im Schutz meiner Madonna.«
»Das mag eine rare Hündin sein .... Deine Madonna!« kreischte Gino, der in Schimpfreden dieser Art all' seine Genossen übertraf.
Eine solche Herausfoderung zu Zank und Schmähung wird immer angenommen, und mit dem
sanften lispelnden Dialect Venedigs der so klingt als
»Schweig, Gino! hier hat Niemand zu befehlen als ich! Hält jene Barke sich ruhig, so darf sie bleiben.«
»Sia benedetta, Madonna!« rief der fremde Gondolier mit Ton und Geberden, die es ungewiß ließen ob mir oder der heiligen Jungfrau der Segenswunsch gelte.
Aber nicht Einmal, sondern hinfort allnächtlich bei meiner Heimkehr lag dieselbe
verschlossene Gondel mit demselben vermummten Gondolier auf demselben Platz! Und
sobald ich die Treppe erstiegen hatte, die aus der Einfahrt ins Innere des Hauses
führte, hörte ich den leisen Ruderschlag womit sie sich fortbewegte. Trat ich in
meinem Cabinet auf den Balkon um ihr nachzusehen, so bemerkte ich
»Da 'Lustrissima ihr die Station vor Ihrem Palast verstattet haben, so werden Sie das wol besser wissen als ich,« entgegnete Gino mit so tiefer Demuth in Ton und Haltung, daß es unmöglich war ihm die Impertinenz der Worte vorzuwerfen.
»Nein, Gino, ich weiß es nicht! entgegnete ich; und ich würde mich auch nicht weiter darum bekümmern, wär' mir nicht eingefallen daß der vermummte braune Mann ein Spitzbube sein könnte.«
Gino brach sehr unehrfurchtsvoll in ein schallendes Gelächter aus.
»Sangue di Cristo! rief er, ein Barcarole soll ein Spitzbube sein. Man sieht wol daß 'Lustrissima keine Tochter Venedigs ist, sonst würde sie wissen, daß der Barcarole neben tausend unleugbaren Fehlern auch eine eben so unleugbare Tugend hat: die Ehrlichkeit. Nein! was den Punkt betrift, dafür steh' ich ein.«
»Und nur der ist wichtig, Gino! übrigens geht mich jene Barke nichts an.«
»Ganz wie 'Lustrissima befehlen!« sagte er wieder mit der tiefsten Unterwürfigkeit.
Venedig war von jeher die Stadt der Geheimnisse, sprach ich zu mir selbst, das liegt in ihrer Atmosphäre. Aber unwillkürlich beschäftigte sich meine Phantasie mit jenem geheimnißvollen Unbekannten, den ich bald zu einem verbannten Anhänger der giovine Italia, bald – und noch lieber – zum dürftigen Nachkommen eines glänzenden Geschlechts machte. Daß Einer oder der Andre sich trotz seiner tragischen Geschicke dennoch in mich verliebt haben könne, erschien mir nicht unnatürlich; erstens: weil dergleichen einer Frau niemals unnatürlich, sondern ziemlich in der Ordnung erscheint; zweitens: weil ich wol wußte wie schön ich war. Die Blumensendungen brachte ich auch mit jenem Unbekannten in Verbindung; – doch blieb mir das Alles bis jezt nur eine Spielerei für meine unbeschäftigte, ewig rege Phantasie, und wochenlang ging das so fort.
Einst kam ich zu Hause gegen drei Uhr Morgens, wo Todtenstille und Einsamkeit auf den
Canälen herrscht. Es war eine tief dunkle Nacht, so dunkel, daß ich kaum die
mysteriöse Barke hatte gewahr werden können. So wie ich mein Cabinet betrat stieg dem
Balkon grade gegenüber aus der Mitte des Canal grande eine Rakete wie ein Signal
empor, und ungefähr zwei Minuten später
»Nun was sagen Sie zu der Ueberraschung der letzten Nacht?« fragte ich ihn am nächsten Morgen.
»Ich sage, sprach er lächelnd, daß Jemand in Venedig lebt, welcher Sibylla zur Königin seines Herzens erkoren – wie uns die Flammenschrift gesagt hat.«
»Nicht doch! Regina ist ja mein zweiter Name.«
»Ich habe hier keinen andern, als Sie.«
»Nun? Sie trauen mir doch wol nicht solchen allerliebsten Unsinn zu? fragte er gutmüthig. Erstens hab ich kein Geld; zweitens aber – und hätte ich Goldminen! – würde ich einen geliebten und verehrten Namen still in mein Herz schließen, statt ihn als Leuchtkugeln verflattern zu lassen.«
Ich hatte es im Grunde auch nicht geglaubt. Nach einigen Nächten, die ich absichtlich
bis zur Morgendämmerung auf Torcello zugebracht, kehrte ich eines drohenden Gewitters
wegen früher zurück; und siehe! die Rakete gab das Signal und das frühere Schauspiel
wiederholte sich. Ich bin von einem Dämon umgeben, sprach ich zu mir selbst, der
meine Worte hört und meine Schritte sieht. Halb war dieser Gedanke mir unheimlich,
halb lieblich! So gab es doch Jemand der sich für mich interessirte – wenngleich in
etwas befremdlicher Weise. Ich überlegte ob ich meine Leute fortschicken und Andre
nehmen sollte Wer bürgte mir jedoch dafür, daß die neuen einer möglichen Bestechung
weniger zugänglich sein würden, als die alten? und waren diese es überhaupt? – Lieber
keine Nachforschungen anstellen, als sie anstellen
»Aber was soll eigentlich dies Alles vorstellen? fragte ich einmal ganz ungeduldig Sedlaczech. Dieser liebenswürdige unsichtbare Sylf beginnt mich zu langweilen.«
»Soll das heißen, daß er sichtbar werden möge? entgegnete Sedlaczech. Nehmen Sie sich in Acht! er erfüllt pünktlich Ihre Wünsche .... und wer weiß in welcher abschreckenden menschlichen Gestalt er sich Ihnen nächstens präsentiren wird.«
»Das wäre unangenehm!« rief ich unbefangen.
»Also interessiren Sie sich genug für ihn um ihn in Ihrer Vorstellung liebenswürdig zu finden?«
»Aufrichtig gesagt – ja! Es ist unmöglich der Gegenstand einer so aufmerksamen und
ausdauernden
»Wär' er es nicht, so würde er vielleicht längst zu Ihren Füßen liegen.«
»Wie sollt' er das anfangen? ich kenne ihn ja nicht.«
»Sie kennen ihn nicht, d.h. er ist Ihnen nicht in aller Form mit Namen, Rang und Würden feierlich vorgestellt worden! .... Ist denn diese ceremoniöse Etikette sogar Ihnen gegenüber, wenn eine Seele in Flammen lodert, nothwendig? sagen denn auch Sie: Ich bitte um Namen, Stand und Herkunft, mein Herr, bevor ich mich entschließe ob ich mich soll von Ihnen lieben lassen oder nicht.«
»So ist die Welt! entgegnete ich halb lachend und halb mißachtend; – und ich gehöre ihr an.«
»O Sibylle! rief er, das sollten Sie nicht so kalt eingestehen. Wer der Welt Aug' in
Auge gesehen und sich als ihr Kind erkannt hat, dem müßte es gehen wie dem
Basilisken: ihm graut vor seinem eigenen Bilde, er stirbt an seinem eigenen Blick. O
Sibylle! diese hohlen Existenzen, die nach Regeln der Convenienz leben, statt nach
Idealen – schmähen die ewige Wahrheit und die heilige
Mit grenzenlosem Staunen hörte ich ihm zu, wenn unsre Gespräche eine solche Wendung nahmen. Ich konnte seine Ansicht nicht in Einklang bringen mit seinem Leben, konnte nicht begreifen wie er zu derselben gekommen sein mogte. Er lebte fleißig und zurückgezogen wie ein Künstler der alten Tage, mäßig wie ein Brahman, keusch wie ein Anachoret, er hatte seinen eigenen Aeußerungen zufolge nie anders gelebt – woher denn dieser feindliche Contrast mit der Welt? – –
»Sie tragen die Farben Ihres Gemäldes zu grell und hart auf, entgegnete ich, und das
rührt daher, weil Sie der Welt wirklich nicht Aug' in Auge – sondern sie durch irgend
einen entstellenden
»O ich glaube daran! rief er lebhaft. Liebe und Wahrheit sind die Gottesidee in uns, und diese bildet den Keim und Kern des Ideals zu dem wir streben, dem wir nachleben, wozu wir uns möglichst entwickeln sollen. Daran zweifle ich nicht, daß dies Aetherflämmchen die irdische Form beseelt – nur daran, daß es in der Welt zu einem reinen Feuer aufflamme. Es wird erstickt im Wust und im Staube des fremden Unwerths und der eigenen Schwäche – die auch unwerth macht und unwerth ist.«
»Die auch unwerth ist!« wiederholte ich wie ein bewußtloses Echo – dermaßen trafen mich solche Worte im Mittelpunkt meines Wesens. Ich war mir so recht dieser Schwäche bewußt, die nicht im Stande ist das heilige Feuer zu pflegen, weil es dabei Vigilien und lange kalte Nächte giebt.
Sedlaczech machte mich durch dergleichen Gespräche ohne es zu beabsichtigen namenlos
traurig indem er mich zugleich exaltirte. Ich wünschte mich zu opfern, mich
beherrschen zu lassen, gar Ketten
Der Winter war gekommen und hatte kältere Nächte und zuweilen Stürme gebracht. Ich wagte mich nicht mehr so viel in die Lagune hinein; dadurch fiel ein großer Theil meiner Unterhaltung fort; ich sah der langen Weile entgegen und um einen Versuch zu machen ihr zu entgehen beschloß ich etwas in die Gesellschaft einzutreten und den Brief abzugeben, den mir mein Onkel an den Gouverneur von Venedig, seinen langjährigen Freund, fast aufgezwungen hatte – weil ich damals durchaus nichts von Bekanntschaften wissen wollte. Jezt schienen sie mir doch nothwendig zu sein, und heimlich hofte ich dem Sylfen zu begegnen und ihn zu erkennen.
Also ich machte und empfing Besuche, ich hatte Soireen, ich nahm eine Loge in der
Fenice, ich ließ mich bei Hof vorstellen, als der Erzherzog Vicekönig auf einige Zeit
nach Venedig kam –
Am andern Morgen fand ich auf meinem Frühstückstisch ein Billet, das ich in der
Erwartung
»Sie zürnen mir, denn ich erscheine Ihnen trotz aller Zurückhaltung dennoch zudringlich. Darum wird ferner kein Zeichen meiner Huldigung Sie belästigen. Aber gönnen Sie mir – ich sage nicht: einen Blick; sondern nur: Ihren Anblick allabendlich in der Oper, und verkürzen Sie nicht grausam die wenigen Stunden in denen ich selig – weil in Ihrer Nähe bin.«
Eine anonyme Liebeserklärung oder eine Mystification, und Eines ist so unbehaglich als das Andre sprach ich halblaut zu mir selbst; das muß ein Ende nehmen! – Und ich ging in drei Tagen nicht in die Oper. Am Morgen des vierten ein abermaliges Billet.
»Ich habe Sie verstanden: Sie wollen mir mein demüthiges Glück nicht gönnen. Gut! ich störe Sie ferner nicht. Gehen Sie in die Oper .... ich werde nicht mehr dort sein, mein Wort darauf. Ich beschwöre Sie fürchten Sie keine Zudringlichkeit! – aber sehen .... muß ich Sie und werd' ich Sie.«
Er wird mich sehen, aber ich! .... werde denn ich ihn nie sehen? sprach ich
gedankenvoll und beklommen zu mir selbst; und die unbestimmte traumhafte
Ich ging Abends in die Fenice. Die Nachbarloge war leer, weitgeöfnet der Vorhang. Wo
konnte er nun sein? mein Blick schweifte gedankenlos über die Menge dahin; was war
sie mir? was war ich ihr? ein buntgefärbtes Nebelbild ohne Wesen, ohne Wahrheit; eine
vergängliche Erscheinung, die heute gefällt und morgen vergessen ist. Dein Leben oder
Tod .... Dein Glück oder Leid wiegt keines Sandkorns Gewicht in dem Dasein dieser
Menge – sprach ich zu mir. Ist denn solche schauerliche Vereinzelung – Leben zu
nennen? Leben ist Reflex des eignen Seins im andern, Gegenseitigkeit, Wechselwirkung,
Entwickelung. Wo das fehlt – existirt man in einer Schattenwelt, und ihr ist der Tod
vorzuziehen, der wenigstens ungestörte Ruhe bringt. Aber mein Wesen im fremden Herzen
gefaßt und getragen – das lebt,
Am nächsten Tage ging ich in die Marcuskirche, nicht zur Messe, nur zum Gebet.
Bisweilen wurde mir unaussprechlich wol in diesen ernsten, heiligen Räumen, die sich
seit langen Jahrhunderten feierlich über die geheimsten und tiefsten Gedanken
zahlloser Geschlechter und Generationen schweigend gewölbt hatten. Wie beseelt von
Allem was sie gehört und gesehen, kamen mir die majestätischen Gestalten der
zahllosen Mosaikbilder vor. Es that mir wol mit so viel Tausenden vor mir und nach
mir gemeinschaftlich in ihren Schooß mich zu betten, und sie in das geheime Elend
meines Lebens schauen zu lassen, welches selten, selten! ein Mensch vor dem Andern
enthüllt. Denn vor unsers Gleichen schämen wir uns unsrer Sünden, unsrer Thorheit,
unsers Elends mehr, als vor höheren Naturen. Unsers Gleichen kennen wir als schwach,
und ach! die Schwäche im Bewußtsein ihrer Unmacht wappnet sich mit Strenge und Härte
gegen Andre. Die höhere starke Natur, welche die Schwäche nur kennt, aber nicht
theilt, ist barmherzig. Hierin liegt die tröstende Macht der katholischen Beichte auf
das Gemüth. Aber giebt es denn Menschen, die so stark und so gut sind,
Tief in diese Gedanken versunken hatte mich ein Kapuziner nicht gestört, der ganz in meiner Nähe sein Gebet verrichtete. Endlich erhob er sich, trat zu mir heran und bat um Almosen für die Armen seines Klosters. Ungeschickter Weise trug ich nie Geld bei mir, und Gino, der bei meinen Excursionen mein Schatzmeister war, lag mit der Gondel an der Piazzetta. Ich zog eine goldne Nadel mit einem Knopf von Perlen und Türkisen aus dem Haar und gab sie ihm indem ich sagte:
»Verkaufen Sie dies, mein Vater, geben Sie den Ertrag den Armen .... und beten Sie für mich.«
Er stand gebückt vor mir, beugte sich noch tiefer und fragte:
»Sie sind jung, gesund und reich, Signora ... um was soll ich beten?«
»Um Ruhe, mein Vater, und um Kraft.«
»Dies ist das Allerwelts-Leid, Signora.«
»Ja, mein Vater, aber es drückt den Einzelnen darum nicht minder schwer! Es ist vielgestaltig und nimmt jede Form an .... daher sieht es für Jeden anders aus, so wie auch Jedem die Versuchung in andrer Form naht.«
Es machte mich lächeln, daß ihn eine ganz oberflächliche Bemerkung frappirt habe und ich fragte:
»Glauben Sie denn daß man nur im Kloster und bei fünfzig Jahren die Kunst des Nachdenkens üben könne?«
»Ich glaubte nur daß man in der Welt andre Dinge zu thun habe, Signora, als sich mit den Händen im Schooß hinzusetzen und den Gedanken im Kopf nachzuhängen.«
»Für die Männer ist das richtig, mein Vater; die verbrauchen ihr Leben! wir .... müssen es verträumen oder vertändeln – und da ich für das Letztere nicht die Gaben habe, so begnüge ich mich mit dem Ersteren.«
»Aber unwillig?«
»Nicht unwillig, mein Vater, nur traurig, sehr traurig wie Derjenige es sein mag, der sich verschmachten fühlt vor Hunger weil er nichts zu essen bekommt als Orangen – während er sich nach einem derben Stück Brot sehnt. Er ist nun aber einmal auf Orangen angewiesen und muß mit ihnen leben und sterben, und noch gar hören, daß Andre ihn sehr beneiden um die herrliche Kost.«
»O Signora, das ist ein eingebildetes Leid!
»Das ist so recht gesprochen wie Jemand dem ein wenig Reichthum, Jugend und Unabhängigkeit über Alles geht .... weil er sie nicht besitzt!« rief ich mit einiger Bitterkeit.
»Ich weiß zu schätzen was ich besitze und was ich nicht besitze, Signora! entgegnete er sehr gelassen. Unabhängigkeit, Jugend und Reichthum besitze ich nicht; allein ich betrachte sie als vortrefliche Mittel zu schönen Zielen, wenn sie mit Einsicht und Vernunft gepaart sind .... welche letztere Ihnen zu fehlen scheinen; – denn sonst würden Sie wol auch das besitzen um was ich in Ihrem Namen beten soll: Kraft! – Sie ist nichts als Ausübung unsrer Selbsterkenntniß.«
Er verbeugte sich und entfernte sich rasch durch das Mittelschiff, während ich ihm
bestürzt nachblickte und plötzlich ganz laut rief: Ah! das war er! – denn sein Gang
und die Haltung seiner Arme verriethen deutlich, daß er kein Klosterbruder sei. Ich
ärgerte mich, daß ich mich in solchem unvortheilhaften Licht ihm gezeigt, und freute
mich doch vollkommen unbefangen und aufrichtig gewesen zu sein. Hatte ihm das
mißfallen, so – würde
In großer Unruh verbrachte ich die nächsten vier und zwanzig Stunden; dann ging ich wieder in die Marcuskirche. Ich bildete mir ein, wenn er der Kapuziner sei, würde ich ihn dort finden. Und siehe, er war da! Er grüßte mich demüthig. Die Kapuze war tief über sein Obergesicht herabgezogen, und das Untergesicht in einem grauen langen Bart begraben; dazu die tiefe Dämmerung die stets in dieser Kirche herrscht; es war unmöglich auch nur einen Zug seines Antlitzes zu erkennen. Ich grüßte ihn wieder und sagte:
»Ich muß Sie um Verzeihung bitten, daß ich einen Maskenscherz für Ernst genommen habe. In meinem Lande kennt man das nicht, und diese Unkenntniß mag mich entschuldigen. Ich erlaube mir nur eine Frage, mein Herr: haben Sie die Nadel zum Besten der Armen verkauft?«
Ich sprach ernst und ruhig und in demselben Ton antwortete jezt der Kapuziner:
»Nein Signora! ich habe das Doppelte ihres
»Sie legen dadurch ein seltsames Interesse für mich an den Tag, mein Herr, welches nicht von der Art ist um das meine zu wecken.«
»Das habe ich auch nie gehoft, Signora.«
»Durch diese Aeußerung sprechen Sie wenigstens aus, daß Sie es wenn nicht gehoft .... doch versucht haben.«
»Und wenn ich das eingestanden?«
»So würde ich fragen: weshalb diese Blumen, diese Musik, diese Unsichtbarkeit in der Loge, diese Billets, diese gegenwärtige Verkleidung – da es doch unendlich viel einfacher gewesen wäre und unsre Bekanntschaft mehr gefördert hätte, wenn Sie den Zutritt in meinem Hause gesucht hätten, den ich keinem wolerzogenen Mann verweigere.«
»Einfacher, d.h. hergebrachter wär' es gewesen, Signora; doch ich zweifle daß es unsre Bekanntschaft gefördert hätte. Denn das ist nicht Jemand kennen: seinen Namen wissen und von tausend Gleichgültigkeiten mit ihm sprechen; sondern das ist es: den Grundzug seines Herzens kennen – und Sie kennen den meinigen.«
»Nun gut, mein Herr! ich kenne ihn also! – was weiter?« fragte ich kalt.
»Ja, mein Herr, das Menschenherz ist so wunderlich beschaffen, daß es sich vom Geheimniß gelockt fühlt.«
»Also Sie denken an mich, Signora, Sie beschäftigen sich mit mir, Sie interessiren sich für mich – folglich nehme ich einen Platz in Ihrem Leben ein! – Ich sagte Ihnen vorhin, daß ich soviel nie gehoft hätte.«
»Mein Herr! nahm ich entschlossen das Wort, dies Alles hat seine amüsante, seine rührende, seine ridiküle und seine unschickliche Seite. Ich wünsche dringend daß diese mysteriöse Huldigung aufhören möge, und ich wünsche Denjenigen von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, der sie mir seit dreiviertel Jahren mit so seltsamer Ausdauer darbringt. Nennen Sie das Interesse oder gewöhnliche Weiberneugier; ich muß es mir gefallen lassen! aber ich sage Ihnen die Wahrheit. Haben Sie einen Grund meine Bekanntschaft zu meiden, so kommen Sie nicht; allein hören Sie auf mir Ihre Theilnahme so seltsam und unbegreiflich wie bisher an den Tag zu legen.«
»Kann ich die Ehre haben Sie morgen früh um zwölf Uhr allein zu finden, Signora? und
wird
»Ja mein Herr!« sagte ich, grüßte ihn und verließ die Kirche in der größten Spannung.
So sollte ich ihn denn sehen, den Sylf, den Verbannten, den Unsichtbaren, den Flüchtling, der meine Phantasie so lebhaft beschäftigt und mir mehr Theilnahme für ihn, den ich nicht sah, als für Alles was ich sah eingeflößt hatte. Ich schlief in der nächsten Nacht nicht fünf Minuten, ich stand drei Stunden früher als gewöhnlich auf; ich befahl Denjenigen, der eine goldne Nadel mit blauen Steinen vorzeigen würde ohne Umstände zu mir zu führen; – und verbrachte darauf in zitternder Erwartung die Stunden.
Mit dem Glockenschlag zwölf gingen rasche Schritte durch den Saal – die Thür meines Cabinets flog auf – und Astrau trat ein.
»Ah, Otbert! wie kommen denn Sie hieher?« rief ich ganz freudig und ahnungslos.
»Kraft dieses Talismans!« entgegnete er und zeigte mir die Nadel, die er wie eine Blume zwischen den Fingern hielt.
»Sie .... Otbert! Sie?« stammelte ich in der höchsten Ueberraschung und lehnte mich zitternd an einen Stuhl.
»Ja, nur Otbert .... sonst Niemand,« sagte er.
Spannung, Erwartung, Träume, Phantasien, Ueberraschung, Gewißheit, Freude – alle diese chaotischen Empfindungen, die mir Herz und Nerven vibriren machten – brachen sich urplötzlich in einen Strom von Thränen.
»So betrübt sind Sie, daß nur ich es bin, Sibylle?« fragte Astrau sanft und traurig.
»Nein nein! rief ich hastig; Sie wissen ja daß ich viel träume! Vielleicht bin ich jezt erwacht und danke Ihnen mit meinen Thränen.«
»Dürfte ich das hoffen, Sibylle!«
»Warum denn nicht? ich hoffe es ja.«
»Gewiß? fragte Astrau mit stralenden Augen. O Sibylle .... dann wird auch der Glaube nicht fern und die Liebe nah sein .... dann werden Sie mir verzeihen, daß ich trotz Ihres kühlen abwehrenden Briefes aus Würzburg nicht zurücktrat, sondern Ihnen hieher folgte.«
»Aber warum beachteten Sie mich nicht in München?«
»Um nicht zudringlich zu erscheinen! – nur mit meinen Gedanken, nicht mit meiner
Person wollte ich einen Platz erringen in Ihrem Leben. Sie sollten gewahr werden, daß
unablässig die Richtung meiner Seele zu Ihnen gehe, und daß die
»Könnte ich das Alles glauben, Otbert, sagte ich zaghaft; ach, ich mögte es so gern
glauben! Aber sehen Sie, ich kann und kann mir nicht vorstellen, daß die Seele
unveränderlich von einem Gedanken bestimmt, von einem Bilde beherrscht werde. Sie
folgt den äußern Eindrücken und Bedürfnissen, den innern Neigungen, je nachdem
Umstände und Verhältnisse Eines oder das Andre begünstigen oder nicht. Sie fühlt
dumpf daß es ihre Seligkeit sein würde in einen Hafen des Lebens-Oceans einlaufen und
dort den Anker der Zuversicht: hier ist dein Platz! fallen lassen zu dürfen; aber sie
bleibt schwankend auf hohem Meer, denn kein Sturm treibt sie gebieterisch in irgend
einen Hafen, und sie selbst fühlt sich zu keiner Wahl veranlaßt. Jede wird ihr Gutes
und ihr Schlechtes haben – jede wird von Hause aus den Stempel auf der Stirn tragen,
den Alles trägt, was dem Menschen zu seinem Genuß, seiner Entwickelung, seiner
Freude, seinem Streben und Gelingen und Erreichen gegeben ist – das eine
fürchterliche Wort: Unvollkommenheit. Diese schließt sowol die
Astrau sah mich traurig an während ich sprach, und traurig antwortete er:
»Entzaubert zu werden nachdem man zuvor verzaubert gewesen ist – mag bitter sein!
doch tausendmal bittrer ist es mit diesem eiskalten nüchternen Blick Bestimmung und
Schicksal zu betrachten, und das Glück fallen zu lassen wie eine Südfrucht, die
verschmäht wird, weil sie unter unserm gemäßigten, nicht unter ihrem eigenen
tropischen Himmel reifte. Diese Nichtachtung der irdischen Zustände, Sibylle, mag die
Wonne der Heiligen sein – aber sie ist die Qual des Menschen! und wenn Sie denn doch
so sehr heilig sind, so sein Sie es wenigstens mit ganzem Herzen; so leben Sie ein
von der Welt abgeschlossenes Leben voll Meditation, Andacht und Barmherzigkeit; so
widmen Sie sich ganz der Betrachtung und Uebung göttlicher Dinge, da Ihnen
menschliche zu gering sind; so wenden Sie sich überhaupt ganz und aufrichtig dem
Schöpfer zu, und lassen Sie das Geschöpf nicht in dem Wahn, als wären Sie zugänglich
seiner Empfindungsweise
»Aber Astrau! wer sagt Ihnen daß ich Gott liebe? entgegnete ich mit traurigem
Erstaunen. Ich sage Ihnen: ich liebe ihn nicht! Wer nicht der Liebe für das Geschöpf
fähig ist – das Meinesgleichen in Gefühl, Gedanke und Richtung ist – das mich
anspricht mit meinen Worten und Blicken, mit meinem Verlangen und meiner
Bedürftigkeit – das wechselsweise Mitglied, Theilnahme, Wolwollen, Anregung in mir
weckt – und dennoch trotz all dieser Anklänge und Harmonien nicht den Ton trift auf
den meine Seele gestimmt ist und der, Einmal berührt, nicht wieder verhallt, sondern
innerlich fortvibrirt wenn er auch nach Außen nicht
»Vielleicht lieben Sie Ihr Kind mehr als alles Andre?« fragte Astrau mit tiefster Theilnahme in Blick und Ton.
»Ich liebe das Kind mit meinem Thun, entgegnete ich nach kurzem Nachdenken. Hieße es:
stirb für das Kind! oder: geh betteln für das Kind! so thät' ichs ohne Besinnen ....
aber ich mögte sagen: aus Instinct meines Herzbluts, nicht aus Liebe.
»Aber Sibylle! rief Otbert beinah fassungslos vor innerer Bewegung – was um Gotteswillen, was regt sich denn eigentlich in Ihrer Seele?«
»Die intensivste Sehnsucht nach einem unbekannten Glück, Otbert, die so drängend, so heiß, so wild, so unbezähmbar ist, daß ich Meere durchschiffen und Welttheile durchpilgern mögte um es zu suchen.«
»O suchen Sie es nicht! geben Sie es .... und es ist da!« rief Otbert, sank zu meinen Füßen nieder und ergriff meine beiden Hände wie um mich fest zu halten.
»Warum zittere ich bei dem Gedanken, Otbert, jezt mit Entschiedenheit zu sagen: ich suche nicht mehr, denn ich habe gefunden!«
»Weil Sie ihr Wesen mit unfruchtbaren Grübeleien dermaßen unterminiren, Sibylle, daß Sie in krankhafte Unentschiedenheit und Verzagtheit verfallen sind, welche sich als geistiges Siechthum immer mehr in Sie einnisten und gleichsam Ihre Seele nervenschwach machen werden.«
Mit dröhnender Wahrheit schlugen seine Worte an mein Ohr. Ich riß meine Hände aus den seinen, faltete sie angstvoll und rief in Thränen:
»Ich kann nur den retten, der mir vertraut,« sprach er ernst.
Ueberwältigt, erschöpft, hofnungsdurstig, sehnend, zagend .... reichte ich ihm die Hand und ließ es geschehen daß er mich jubelvoll, selig in seine Arme schloß. Doch in seinen Freudenrausch vermogte ich nicht einzugehen und beklommen bat ich ihn mir zu erzählen wie er diese Jahre verlebt habe. Er that es.
»Damals in Malaga verließ ich Sie sehr muthlos, sagte er, denn es gab Momente in
denen Sie mir falsch, kokett und heuchlerisch – andre, in denen Sie mir tief
unglücklich erschienen. Drum freute ich mich fast Ihrer Nähe entrückt zu werden, die
für mich so viel hatte, was ich bald Bethörung, bald Beseligung nennen mußte. Solche
gemischte Freude thut immer mehr weh als wol. Indessen .... ich mußte zu meiner
kranken Mutter nach Genf, ich begleitete sie nach Nizza, ich ließ mich dort auf zwei
Jahr mit ihr nieder, und machte, während sie sich häuslich einwohnte und leiblich
genas, Excursionen nach Corsica und Sardinien, in die Pyrenäen, und wohin Lust und
Drang mich führten. In diese Zeit fiel die Nachricht von der Geburt Ihrer Tochter.
Paul machte mir diese Mittheilung
»Unmöglich!« unterbrach ich ihn.
»Fragen Sie Gino, entgegnete er. Und weshalb denn unmöglich? ich wollte in Ihrer Nähe
sein, mich in die wundersame Atmosphäre Ihres Wesens tauchen, die mich mit
fabelhaftem Glück berauscht. Und ich hab' es im vollsten und reinsten Maß genossen!
Da saßen Sie in der Gondel neben Sedlaczech, mit ihm redend, ihn anschauend, auf ihn
Ich fühlte mich in seltsamer Weise ergriffen, mehr überwunden als überzeugt, mehr gefangen als gerührt. Und doch war ich auch gerührt, aber mehr auf der Oberfläche als in der Tiefe meines Wesens. Ich mögte sagen daß der Kopf mehr als das Herz gefesselt war. Das Alles hatte Otbert für mich gethan, so lange ohne Hofnung an mir gehalten, o! dann muß er mich lieben! so räsonnirte ich .... allein ich fühlte es nicht ohne diese Beweise. Er drang nicht in mich mit Liebeswünschen und Liebesfoderungen; er schien nichts zu begehren als seine Empfindung an den Tag zu legen. Diese Zuversicht war vielleicht das was ihn für mich unwiderstehlich machte. Ich willigte in unsre Verbindung.
Denk' ich jezt an ihn zurück, so muß ich sagen: er war ein merkwürdiger Mensch! Er
hatte in seiner Empfindungsweise die feine Glut, die bewegliche Reizbarkeit und den
gewissen Eigensinn – was Alles man sonst den Weibern beizumessen pflegt, was aber
vielleicht ebenso sehr mit einer
In jener Zeit benahm er sich gegen mich in der anmuthig koketten Weise, welche man ebenfalls als Erbtheil der Frauen betrachtet. Wie er ging, wie er stand, wie er sprach, wie er sich kleidete, wie er sich bewegte – Alles war, ich will nicht sagen berechnet, jedoch bewußt. Es stand ihm so gut, und er vergaß nie was ihm gut stand! Zuweilen warf ich ihm seine spielerische Eitelkeit vor.
»Gefalle ich Ihnen oder nicht?« fragte er.
Dann mußte ich freilich eingestehen, daß er mir ganz außerordentlich und mehr als je irgend ein Mann gefalle.
»Nun, dann lassen Sie mich doch gewähren! entgegnete er. Ich gehöre nun einmal nicht
zu jenen täppischen Gesellen, welche sich die Liebe der schönsten Frau der Welt plump
gefallen lassen, und durch ihre Derbheit eine häßliche Folie zu der Anmuth des Weibes
bilden. Ich kann mir den Adonis nicht als einen schönen aber brutalen Jäger – nicht
den Endymion als einen schwerfälligen Schäfer vorstellen nachdem sich die Göttinnen
zu ihnen geneigt hatten. Vorher – ja! nachher – nein! Zu mir hat sich die Göttin
geneigt, Sibylle, und
Das war ebenso unbegreiflich als wahr; und die Summe von dem Allen war endlich – daß
ich mich heftig in Otbert verliebte. Er beschäftigte so sehr meine Phantasie, er
schmolz in ihre Silberwogen die Bilder seines Wesens so anmuthig ein, er funkelte und
gaukelte in so poetischem Licht um Sinne und Seele – daß ich langsam und leise von
unbestimmten Mächten fortgezogen wie in ein Glutmeer von aufgelöstem Purpur, Gold und
Rosen hinein schwamm. Ich vergaß meine gewohnten Zweifel, Fragen und Grübeleien. Sie
sanken gleichsam in ein verborgenes Fach, in einen tiefen Abgrund meiner Seele
hinein, während ich wähnte, daß sie sich in Nichts aufgelöst hätten. Ich vergaß den
dunkeln Strom, der sein Bett an das Ufer meiner Existenz drängte und es zu
untergraben suchte; ich saß an dessen Abhang unter Blumen,
Dieser Mann, so flatterhaft, wankelmüthig und unstät in seinen Neigungen, hatte sich
seit Jahren mit dem Herzen an mich gefesselt gefühlt, und keine Trennung, keine
Hofnungslosigkeit, keine Entmuthigung, keine Lockung zu andrem Glück, hatte ihn von
mir abgelöst: das war Treue! – und aus dieser Treue hatte er zugleich süße
Befriedigung und heimlich erkräftigende Zuversicht geschöpft: das war Liebe. Wie
Jemand der sich körperlich überarbeitet hat und dem ein Wolthäter die Werkzeuge aus
der müden Hand nimmt – oder wie Jemand der sich bei der Lösung eines Problems bis zum
Schwindel angestrengt hat und endlich durch Intuition das Wort findet – so war mir zu
Muth, so ruhte ich in süßer, auflösender Befriedigung, die als Reaction der
unfruchtbaren und heftigen Anspannung über mich kam. – Nie hat mir ein Mensch besser
gefallen als Otbert! ging er durchs Zimmer, so sah es gut aus; sagte er Ja oder Nein,
so klang es gut. Mit seiner Meinung oder seiner Richtung war ich keinesweges immer
einverstanden; aber ich betrachtete es als einen Beweis, daß zwei Menschen in einer
höheren Sphäre als in der des Verstandes sich harmonisch zusammenfinden konnten.
Einst kam etwas zur Sprache was ich nie geahnt.
»Ich bin nicht reich, Sibylle,« sagte Otbert, bei ich weiß nicht welcher Veranlassung.
»Nicht reich?« wiederholte ich sehr erstaunt.
»Warum erschreckt Sie das?«
»Es erschreckt mich gar nicht .... es überrascht mich nur! denn wenn Sie es nicht sind, wie kommen Sie alsdann zu Ihren Nabobs-Allüren?«
»Theils durch Gewohnheit keinen Werth auf Reichthum zu legen – was zur Folge hat daß die Leute mich für einen Millionär halten und mir Geld geben so viel ich verlange; theils spiele ich zuweilen sehr glücklich.«
»Ich habe oft gehört daß das Spiel die Menschen arm – nie daß es sie reich gemacht habe .... außer – Spieler von Profession.«
»Ich verachte ein wenig jede Sorte von Profession, weil sie den Menschen kriechend
vor seinen Kunden macht. Aber zuweilen, Sibylle, bin ich
»Und wenn Sie in low spirit sind – wie dann?«
»Dann suche ich überhaupt gar nicht zu spielen – wie ich im Allgemeinen zu nichts Gutem fähig bin, wenn ich mich matt und grundlos herabgestimmt fühle.«
»Stellen Sie Glück haben und zum Guten aufgelegt sein in eine Linie?« fragte ich lächelnd.
»Zuweilen .... warum nicht? Jedem Augenblick gewachsen und für ihn tüchtig sein ist – gut sein. Spiele ich, so will ich Glück haben, setze ich meinen Willen durch, so bin ich tüchtig« .... –
»Ja, sobald Ihre eigne Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer Ihren Willen unterstützt und geregelt haben!« unterbrach ich ihn.
»O! rief er, Sie können gar nicht wissen ob nicht der bloße Wille des Menschen ohne alle jene Stützen und Regeln von einem weit beherrschenderen Einfluß auf unsre Geschicke ist.«
»Leider ist es im Allgemeinen so; denn der Mensch ist zugleich roh und beschränkt. Wenn er seinen Willen von seiner individuellen Bedürftigkeit abklärte und ihn über den Horizont seiner Persönlichkeit hinaus erweiterte – wenn er sich zugleich feiner und freier aus der Brutalität und aus der Sclaverei seines Ichs herausschälte – so würde wollen und das Gute wollen immer zusammenfallen.«
Das Gespräch spann sich leicht und angenehm mit Otbert fort, und ich vergaß gänzlich
daß er mir zwei Dinge gesagt, die mich im Grunde höchst unangenehm berührt hatten:
daß er enorm spiele und keine Vermögen habe. Ich, meiner Natur nach, legte kein
Gewicht auf Reichthum, weil ich aus Erfahrung wußte wie leicht ich ihn entbehren
könne; denn ich hatte über zwei Jahr mit der größten Einschränkung in Engelau gelebt
und mich nicht unglücklicher gefühlt als in Rom, Paris und London wo ich mit der
unsinnigsten Verschwendung lebte. Allein grade jene zwei Jahr in Engelau hatten die
Ansicht in mir gereift, daß ich das Vermögen meiner Vorfahren auch auf meine
Nachkommen übertragen – daß es durch meine Hand
Unbehaglicher noch als diese Entdeckung war mir die Eifersucht, die Astrau gegen Sedlaczech an den Tag legte, weil es mir unmöglich schien, daß er sie wirklich empfinden könne. Er hatte mich ja monatelang als Nino in der größten Zwanglosigkeit meines Lebens beobachtet – hatte wahrnehmen müssen, daß eine ernste, fast mögt' ich sagen schüchterne Freundschaft zwischen mir und Sedlaczech walte, daß ich ihn nicht einmal in der vertraulichen Weise eines langjährigen Lehrers und Hausfreundes behandle, daß mehr Zurückhaltung als Hingebung, mehr Schweigen als Reden zwischen uns herrsche; – woher denn der lächerliche Verdacht? Das sagte ich ihm einmal – zwanzig Mal. Umsonst. Er blieb bei seiner Behauptung: Sedlaczech sei ein höchst gefährlicher Mensch, der mich liebe, und der eher sterben als mir seine Liebe gestehen werde, und ob ich glaube daß es ihm gleichgültig sein könne mich neben einem solchen unterirdischen Vulkan zu wissen.
»Sehen Sie wie sich Ihre geheime Ueberzeugung in dieser Aeußerung verräth!« brach er aus.
Ich besaß die Eigenschaft aller stolzen Seelen: dem Vorwurf und besonders dem ungerechten Vorwurf gegenüber, schwieg ich kalt. Meine Gedanken dabei waren: Hab' ich den Vorwurf verdient, so darf ich nichts sagen; hab' ich ihn nicht verdient, so weiß ich nichts zu sagen. Und hier allerdings wußte ich gar nichts Beruhigendes anzuführen als mein Leben – und das sollte nicht gelten!
Auf seinen Knien bat Otbert mich endlich Sedlaczech zur Abreise zu veranlassen.
»Wie eine finstre Wolke steht er in unserm Frühlingshimmel! rief er; lassen Sie ihn
doch gehen! Ich fühle mich so bedrückt durch ihn wie ehedem Venedig durch die
Staatsinquisition! Er ist mir nun einmal antipathisch und macht mein ganzes
Nervensystem auf die peinlichste Weise vibriren. Verstehen Sie das nicht? giebt es
nicht auch für Sie Individuen bei denen es Ihnen unbegreiflich wol oder weh wird ohne
daß Sie sich über das Warum Rechenschaft ablegen könnten? Nun sehen
»Ein edler Sinn, ein hohes Herz, ein reicher Geist müßte sich durch das Gleichartige nicht abgestoßen sondern angezogen fühlen, Otbert, und sich hüten flüchtige Launen als unüberwindliche in der Essenz des ganzen Organismus wurzelnde Antipathie zu betrachten.«
»Sibylle, glauben Sie nicht daß um jedes Geschaffne, heiße es Gestirn oder Grashalm,
Mücke oder Mensch, eine ihm und nur ihm angehörende Atmosphäre schwebt, welche sich
aus seiner Gesamt-Eigenthümlichkeit entwickelt? Bei jeder Pflanze, jedem Baum ist sie
wahrzunehmen: die Einen üben gedeihlichen Einfluß auf einander, die Andern
schädlichen, gar vernichtenden. Die feine und reiche Organisation des Menschen ist
dieser Eigenthümlichkeit aller Naturwesen nicht enthoben. Im Gegentheil! die Uressenz
seiner Individualität macht sich um so stärker geltend je mehr diese ausgeprägt, je
origineller sie geblieben ist – und der Duft, der Aether, das Unfaßbare und
Unnennbare welches sich aus ihrer ganzen leiblichen und geistigen Beschaffenheit
entwickelt, übt auf andre Organismen eine ebenso entschiedene Anziehungs- und
Abstoßungskraft, wie der Magnet nur das Eisen, wie die
»Das sind Phänomene über welche die Natur einen Zauberschleier wirft, den die plumpe sinnliche Hand nicht heben kann, unterbrach ich ihn; allein der Mensch kann mit dem Licht des Bewußtseins diesen dunkeln Gewalten Widerstand leisten.«
»Er kann es wenigstens versuchen, und er soll es – entgegnete Astrau. Aber bei diesen
Versuchen ereignen sich Phänomene andrer Art. Hier sehen Sie ein Paar Eheleute, dort
Mutter und Tochter, da zwei Brüder sich abarbeiten in dem Bestreben zu einem
zufriedenstellenden erträglichen Verhältniß zu gelangen. Wäre ein Theil lasterhaft
und der andre tugendhaft – der eine ein Spitzbube, der Andere ein Ehrenmann: so
erklärte sich die Unvereinbarkeit der Naturen. Aber nein! es sind Beides brave
Menschen, Beide geben sich redlich Mühe – doch umsonst! sie reiben sich auf in
unfruchtbaren Bestrebungen, fühlen sich gedrückt, gehemmt, elend, oft ohne die Ursach
zu wissen oder
»Otbert! Otbert! es ist unleugbar viel Wahrheit in dem was Sie sagen und Jeder von
uns hat gewiß dergleichen Erfahrungen gemacht. Aber man muß behutsam zu Werk gehen,
wenn man diese Richtschnur brauchen will; man muß sich möglichst partei- und
leidenschaftlos, möglichst menschenfreundlich und unselbstsüchtig erhalten; – man muß
eine Seele von der sensitivsten Zartheit haben: sonst wird man in die schneidendsten
Ungerechtigkeiten und in die wunderlichsten und traurigsten Irrthümer verfallen. Der
Mensch – durch Cultur der Sphäre seiner primitiven Begabung entrückt – durch
Civilisation zu einer künstlichen ausgearbeitet – durch Erziehung noch ganz speciel
soll ich sagen gebildet
»Meine arme Sibylle, entgegnete Otbert mitleidig, Beobachtung und Prüfung führen uns meistentheils so verkehrt und in die Irre, daß der Instinct wenig zu thun braucht um es besser zu machen! – Ich für meine Person halte es, wenn es auf ein Urtheil ankommt, in den meisten Fällen mit dem Ergebniß der unwillkürlichen, unräsonirten Regung; denn unser mehr oder weniger sophistisches Räsonnement, durch das zweifelnde Dämmerlicht unsers Verstandes mehr beleuchtet als erleuchtet, ist ganz dazu geeignet um uns an der Wahrheit selbst irre zu machen.«
»Das ist richtig! entgegnete ich traurig. Ach, wie er es auch beginne, dem Menschen
vom Mittelschlag ist Irrthum und Täuschung gewiß! Unsre unvollkommnen Fähigkeiten
werfen ihren tiefen Schatten
»O mein Engel! nichts von diesem Rückfall ins Schattenreich! rief Otbert, kniete vor mir nieder und umspann mich mit dem eindringlichen warmen Blick seiner glänzenden schwarzen länglichgeschnittenen Augen. – Sieh, ich bin wie Orpheus! ich habe die geliebte Eurydice in jenem Reich gesucht, gefunden, be freit – ich trage sie in meinen Armen zum goldnen Tageslicht, zum süßen Liebesleben empor – ich bin freudezitternd über meinen Sieg und meine Seligkeit; – o jezt keinen Rückblick mehr, keine Gemeinschaft mit den Schatten der Vergangenheit. Sieh! Sedlaczech gehört ihr an; er ruft jene empor, unabsichtlich, nur durch sein Dasein. Laß ihn gehen, Sibylle! o ich mögte Dich von der ganzen Welt isoliren, alle früheren Eindrücke aus Dir verwischen, damit Du mit mir und durch mich das Leben kennen lerntest.«
Mit welchen Gründen sollte ich diese Bitten und Wünsche abweisen? Ich hatte keine.
Wir waren im Mai; im hohen Sommer wollten wir nach der Schweiz gehen und uns dort
verheirathen. Wollte Otbert in seiner jungen Häuslichkeit keinen Dritten haben – ich
begriff das! allein jezt einen Mann
»Gott segne Sie in all Ihrem Thun.«
Seitdem hielt er sich noch ferner als sonst von mir und war auch noch schweigsamer
und zurückhaltender in meiner Gesellschaft. Zuweilen in Otberts Gegenwart, angeregt
durch dessen Gespräche, wurde er lebhaft und mittheilend, und dann gab es keinen
größeren Contrast als diese beiden Männer sowol in der äußeren Erscheinung als in dem
Ausdruck ihrer inneren Richtung. Astrau – ein Sohn der Sonne, glänzend, prächtig,
herrschend, siegesgewohnt und bewußt, ein heitres süßes Spiel aus dem Leben und
dessen ernstesten Gaben machend, die Schatten fliehend, also auch Wehmuth, Kampf und
Schmerz fast ängstlich vermeidend – ein verzogenes Kind des Schicksals und der
Menschen, dem Alles geglückt war was er sich je in den Kopf gesetzt, und daher von
einem Selbstvertrauen ohne Gleichen, das ihn zu seinem eignen Gott erhob. Sedlaczech
– eine Mondscheingestalt, die von
»Wer die Gegenwart beherrscht indem er ihrer Gesinnung den entsprechenden Ausdruck leiht, und die in ihr gährenden Elemente in eine klare feste Form gießt, welche sich jedem Auge als das tausendmal geträumte Bild befreundet entgegenstellt: der ist der König seiner Zeit, und es ist gleichviel ob eine spätere ihn dafür anerkennt .... da ohnehin die frühere es nicht kann. Für eine Epoche ist der Mensch geboren, drum soll er sie füllen wenn er es vermag. Das ist sein ächter lebendiger Ruhm. Der todte Nachruhm ferner Jahrhunderte beweist sehr häufig daß der Berühmte seine Zeit und seine Mission nicht verstanden hat.«
Sedlaczech sagte gelassen als ob es sich um die einfachste Sache der Welt handle: »Ich bin nur durstig nach Unsterblichkeit und nach dem Bewußtsein daß ich gestrebt habe als ob ich sie verdiente.«
»O! rief ich dazwischen, wie seid Ihr glücklich, Ihr Beide, daß Ihr eine Idee habt,
welche Euch
»Und Sie wähnen zu lieben, Sibylle! rief Otbert heftig bewegt. Ein Weib das liebt hat nie gefragt was Gott sonst noch mit ihm wolle.«
»Auch ich werd' es lernen ohne zu fragen, Otbert! sagte ich herzlich und gab ihm die Hand. Es ist nur so schwer sich von alten Gewohnheiten loszumachen.«
Als Otbert mir aber in Folge dieses Gesprächs vorwarf ich hätte mehr Theilnahme für
Sedlaczechs Lebensanschauung als für die seine an den Tag gelegt, so beschloß ich
diesen Quälereien ein Ende
»Lieber Meister! sagte ich, ich weiß nicht ob Sie wissen daß die Männer wunderliche Grillen haben und daß vor allen Anderen die Liebenden sich darin hervorthun.«
»Inwiefern könnten Graf Astraus Grillen mich betreffen?« fragte Sedlaczech trocken.
»Grade Sie! entgegnete ich tödtlich verlegen und daher mit erzwungener Munterkeit. Er findet Sie zu liebenswürdig um neben Ihnen seiner eignen Liebenswürdigkeit gewiß zu sein und das beklemmt ihn.«
Sedlaczech legte seine seltsamen Augen mit einem langen Blick auf mich, sagte dann ruhig:
»So leben Sie denn recht, recht wol und in eine glückliche Zukunft hinein!« – schüttelte mir die Hand und wollte gehen.
»Aber wohin werden Sie denn gehen? rief ich beängstigt. Und soll ich nichts von Ihnen hören und Sie nicht wiedersehen? Ach Gott! Sie sind mir wie ein Vermächtniß meiner lieben Todten .... ich hätte so gern mit Ihnen fortgelebt wie bisher.«
»Ich auch! sagte er traurig, setzte dann aber gleich freundlich hinzu: Einem großen
Glück müssen kleine Opfer gebracht werden, theure Sibylle: halten Sie das recht fest
jezt, da Sie in neue Verhältnisse
»Also glauben Sie doch wirklich an ein großes Glück für mich! rief ich hofnungsfreudig. Ich gestehe Ihnen mir schien zuweilen als ob Sie daran zweifelten.«
»Kein Mensch begreift ein fremdes Glück! das Paradies des Einen würde des Andern Hölle sein. Daß ich Ihr Glück inbrünstiger wünsche als irgend Jemand – das weiß ich .... sonst nichts! – Ich denke nach Rom zu gehen, setzte er abbrechend hinzu, um die neue römische Kirchenmusik kennen zu lernen, da man die alte vielleicht nirgends seltner hört als dort – in der Charwoche ausgenommen. Ich habe viel zu arbeiten, zu studiren, zu vollenden, und ich denke es wird mir wol gehen in der Heimat Palestrinas.«
»Aber wie .... womit .... werden Sie leben?« fragte ich schüchtern.
»Wie sonst! ich habe ja meine alten Hülfsmittel und überdas wenig Bedürfnisse. Ich habe mein Leben nicht darauf eingerichtet stets in einem Palast Gradenigo zu wohnen – fügte er lächelnd hinzu – und in einer einsamen Hütte braucht man nicht viel.«
Ich weiß nicht warum, allein mir wurden die Augen feucht.
»Grämt Sie das, Sie Verwöhnte! daß der Mensch wenig bedarf?« fragte er liebreich.
»Daß Sie gehen grämt mich! rief ich mit heißen Thränen, und daß Sie in die einsame Ferne, wo Niemand Ihrer harrt, ziehen – grämt mich noch mehr. Wüßt' ich Sie glücklich, sei's in Rom, sei's am Nord-oder Südpol – ich würde nichts sagen, aber jezt .... muß ich weinen.«
»Leben Sie wol, Sibylle!« sagte er mit bebender Stimme, mit schimmerndem Blick, und reichte mir abermals die Hand.
Ich umklammerte diese Hand mit der Linken, ich legte die Rechte auf seine Schulter, und sagte:
»Vor Jahren – ich selbst weiß nicht mehr vor wie langen Jahren .... hab' ich Sie einmal beten sehen; das was ich beten nenne: nicht bitten um irdische Güter oder himmlische Gaben, sondern die Seele aufschwingen zur Ruhe in Gott. Seitdem, Fidelis, hab' ich viel gesehen und viel vergessen, aber .... wie Sie beteten hab' ich nie und nimmer vergessen. Nun sagen Sie mir: können Sie noch jezt so beten?«
»Jezt erst recht!« sprach er fest.
Ich trat zurück, faltete meine Hände vor der Brust und rief: »Nun so gehen Sie denn,
Sie gesegneter und verehrter Mensch! und wenn ich
Eine Welt von extatischen Empfindungen trat während ich sprach in Sedlaczechs Antlitz. Als ich schwieg legte er wie aus einem Traum erwachend die Hand über die Augen, neigte sich stumm und tief vor mir und verließ langsam mein Cabinet.
Otbert schloß mich freudig in seine Arme als ich ihm Sedlaczechs bevorstehende Abreise mittheilte und sagte:
»Sie sind so bewegt durch den Abschied, Sibylle, daß ich mich derselben doppelt freuen muß.«
»Durch den Abschied bin ich es allerdings, entgegnete ich, denn die Entfernung einer treuen Seele thut immer weh; – durch unser Zusammensein bin ich es jedoch nie gewesen.«
Otbert war unendlich dankbar, höchst liebenswürdig und angeregt, und oft gedachte ich
Arabellas und begriff daß sie, grade sie, seinem Zauber nicht habe widerstehen
können. Obgleich mein Bewußtsein mir sagte, daß ich auf keine Weise störend zwischen
sie und Otbert getreten sei, so war mir doch immer zu Sinn als müsse ich sie heimlich
meines Glückes wegen um Verzeihung bitten. Einmal gerieth ich auf den Einfall ihr zu
So war ich denn Otberts Frau! – bis dahin hatte mich eine unüberwindliche
Schüchternheit zurückgehalten mit ihm über seine pecuniären Verhältnisse gründlich zu
sprechen. Jezt that ich es; denn aus den Zeiten meiner Ehe mit Paul wußte ich
»Geliebter Engel, entgegnete Otbert sehr gelassen, ich habe unzählige Schulden.«
»Ich wünschte doch sehr daß Du sie zählen mögtest .... weiter nichts, Otbert!«
»Ja sieh, das werden die Leute, welche mir geborgt haben, wol genauer können als ich. Mit dem unseligen Gelde war ich immer übel dran. Wir haben uns nie mit einander vertragen können, drum nahm es immer mit der größten Eile bei mir Reißaus.«
»Erlaubst Du mir künftig Dein Schatzmeister zu sein?«
»O! rief Otbert entzückt, dann wird mir das Leben noch einmal so freudig vergehen als
sonst. Die Qual nie Geld zu haben und immer Geld zu brauchen, ist mit keiner andern
zu vergleichen! Zuweilen fühlte ich mich durch sie gelähmt an allen Sinnen und
Kräften .... wahrhaft elend. Ich verstehe diese Geschäfte nicht, habe sie nie
gelernt, erwuchs als der Sohn eines reichen Mannes, der aber noch zwei Söhne außer
mir hatte. Nach seinem Tode wurde das Vermögen zwischen uns und der Mutter vertheilt.
Meine Brüder haben
Nie hab' ich einen Menschen gesehen, der das Geld weniger beachtet und mehr
verbraucht hätte! er war nichts weniger als habsüchtig; er verschenkte und
verschwendete eignes wie fremdes Gut mit derselben Fahrlässigkeit; er war im höchsten
Grade freigebig und großmüthig; das gefiel mir sehr! allein ebensosehr mißfiel mir
diese bodenlose Unordnung. Es kam ihm nicht in den Sinn irgend Jemand übervortheilen
zu wollen. So wie seine Gelder einliefen, berief er seine Gläubiger und zahlte ihre
Foderungen; blieben jene aber aus oder reichten sie für seinen Verbrauch nicht hin,
so beunruhigte ihn das nicht im Mindesten; er borgte aufs Neue und verzehrte in
dieser Weise seine Habe. Als mein Haus das seine ward und er mir die unbeschränkte
Leitung desselben übertrug, ordnete ich seine ganzen pecuniären Verhältnisse
»Lieber Engel! ganz unabhängig ist auf unsrer Sclavenwelt Niemand. Lebt man wie ich, so ist man, wie Du ganz richtig bemerkst, etwas abhängig von Juden, Wucherern und dergleichen Gesindel; – lebt man wie Du, so ist man abhängig von seinem Budget. Der Eine fühlt sich frei durch die Ordnung in seinen Rechnungsbüchern; den Andern bedrückt der Gedanke sie in Ordnung halten zu sollen. Wenn ich gestern zehntausend Thaler ausgegeben habe, so weiß ich heute kaum – und morgen gewiß nicht mehr die Zahl. Wozu auch? Den Genuß den sie mir verschaft hat habe ich erstrebt und erlangt: und das ist der Zweck des Geldes.«
Ich sah ein daß es ganz umsonst sein würde über diesen Punkt mit ihm zu streiten. Aus
Neigung und Bequemlichkeit hatte er sich ein System über diesen Zweck des Geldes
gemacht, wohinter er sich mit der höchsten Gelassenheit verschanzte. Ganz wahr ging
er nicht dabei zu Werk – wie
»Eine Schönheit wie Du muß nichts als die köstlichsten Stoffe tragen, sagte er, und von den köstlichsten Stoffen umgeben sein. Deine kleinen weißen Linonkleider sind mir ganz unangenehm. Warum kleidest Du Dich nicht in ostindischen Musselin?«
Ich sagte ihm ostindischer Musselin sei eine Tradition
»Siehst Du, ich hab' ihn gefunden, den zarten wasserdünnen Stoff! ich foderte das leichteste und kostbarste der Art .... da bekam ich ihn gleich.«
Ich öfnete das Päckchen welches er mir gab – es war wunderschöner Batist die Elle zu drei Dukaten. Er war so froh über seinen vermeintlichen Fund daß ich ihn nicht enttäuschen mogte. Ich versprach mir daraus ein Kleid machen zu lassen »ganz überrieselt von Brüsseler Kanten.« Das Kleid wurde gemacht, aber von dem feinsten weichsten Musselin den ich finden konnte; und als ich darin vor ihm erschien, schmückte er mich mit meinen Perlen, hing mir einen Spitzenschleier über das Haar und den neuen blaßgrünen Shawl um die Schultern.
»Nun siehst Du aus wie Adriatica des Dogen Braut! rief er entzückt. Komm! laß uns fahren!«
Bei der Gondel neue Ueberraschung! Am Tage fuhr ich immer in einer bedeckten; Abends
ließ ich den Kasten abnehmen. Jezt schwebte ein Baldachin von weißem Tafft mit
Silberfranzen, an allen vier Ecken mit großen Blumensträußen geschmückt, über
»Jezt ist sie Deiner würdig.«
Gino meinte ihm sei zu Muth als fahre er die Göttin Venus selbst, und so ging es den Canal grande hinauf und herab, von einer Barke mit Musik begleitet. Dann zur Piazzetta. Ich hatte nicht große Lust in meinem etwas fabelhaften Anzug die Gondel zu verlassen und auf den Markusplatz zu gehen; doch Otbert sagte:
»In Paris oder London, vollends in unsern deutschen Krähwinkeln, würde es unpassend sein weil Du auffallen würdest; hier ist man vernünftig und ungenirt! hier bemerkt man eine Frau um ihrer Schönheit – nicht um ihres Anzugs willen. Komm nur getrost.«
Die Wahrheit ist – daß er Recht hatte! Es war Musik und großes Gedränge auf dem Markusplatz: allein ich wurde dennoch bemerkt.
»Oh! che maraviglia!« riefen Einige.
Das machte Otbert mehr Vergnügen als mir! er sah ganz freudig dazu aus, und ich ganz ernst, so ernst daß eine Frau rief:
»Sie ist wol schön, aber sie hat ein böses Auge.«
»Wie kann man traurig sein wenn man einen so schönen und zärtlichen Gemal hat!« sprach Jene.
Es giebt nichts Treffenderes und Unbefangeneres als die Auffassungs- und
Ausdrucksweise des Venetianers! – Ein Menschenknäuel folgte uns später zu unsrer
Gondel und unsre Musiker empfingen uns, weiß der Himmel warum! mit einem God save the
king. Die feierliche Musik ergriff die beweglichen Gemüther: man rief Evviva's und
Segensworte uns zu. Otbert warf eine Hand voll Geld worunter sich einige Goldstücke
befanden, unter die Menge, wodurch sich das Entzücken noch steigerte. Ich war froh
als unsre Gondel von der Piazzetta abstieß! – Aber solch ein Abend war ganz nach
Otberts phantastischem Geschmack. In dem Punkt harmonirten wir mit einander – nur mit
dem Unterschied, daß ich immer von innerlichen, er von äußerlichen Entzückungen
träumte; daß meine Phantasie mir unerhörtes, unsägliches, aber ganz stummes Glück –
die seine ihm Jubelruf, Freudejauchzen und selige Huldigung einer Welt vormalte; daß
ich gleichsam in einen Feenpalast unter die Meereswellen zu versinken – er auf einen
weithin leuchtenden Königsthron erhoben zu werden wünschte. Ein andrer Zug den wir
mit einander gemein hatten
War ich nun glücklich als Otberts Frau? ich wollte es sein, ich nannte mich so, ich
prägte mir ein, daß es jezt keine andre Möglichkeit von Glück für mich gäbe und daß
ich mein Herz diesem Bewußtsein weit, weit aufthun müsse. Ich bemühte mich immer
tiefer in Otberts Wesenheit einzudringen, sie mit der meinen zu verschmelzen. Ich
studirte förmlich seine Meinungen und Ansichten um auf dieselben einzugehen – seine
Wünsche um sie zu erfüllen. Ich ließ keine meiner alten Grübeleien in mir aufsteigen:
ob dies Gefühl nun das ächte, das wahre, das unvergängliche sei; ich nahm es dafür
an. Das machte mich sehr ruhig – so ruhig daß ich in der Erinnerung darüber staune;
denn es vergingen nicht sechs Wochen unsrer jungen Ehe und Otbert bekümmerte sich gar
nicht mehr um mich. Ich hatte aber ein solches Zutrauen zu ihm, daß ich mit
wunderbarer Gelassenheit zu mir selbst sagte: Dies ist der Moment der Reaction,
welche auf jede übermäßige Anspannung des Gefühls folgt, um dasselbe nach einiger
Zeit ins Gleichgewicht zurückzustellen. Er hat ein Jahr in so übertriebener,
Meine Betrachtung war ganz richtig und fast auf jedes Verhältniß das neu gegründet
wird anwendbar, möge es Liebe, Freundschaft, Ehe, sogar untergeordnete Zustände
betreffen. Im Allgemeinen ist der Moment einer Verbindung, welcher Art sie sei!
zufriedenstellend; in der Folge entwickeln sich deren Schattenseiten: das pflegt man
Enttäuschung zu nennen, es ist aber nur die sehr natürliche Reaction, die auf alle
Uebertreibungen in der Empfindungs- oder Handlungsweise folgt. Haben sich die
gährenden Elemente abgeklärt und gesetzt, so tritt bei gut- und glücklichgearteten
Menschen die dritte Epoche dauerhafter Befriedigung ein – oder entschiedene Trennung,
wenn nicht des Lebens, doch der Gemüther, falls ein Irrthum sie
Es war übel für mich, daß ich nicht im Stande war Otberts Talent so über Alles zu bewundern wie sein Beifallsdurst es erheischte. Er warf mir häufig vor, daß alle Welt ihm höhere Anerkennung schenke als ich. Ich entgegnete einmal:
»Ich liebe Dich selbst so sehr, daß ich Dein Talent mit in den Kauf nehme, ohne es besonders in Anschlag zu bringen.«
»Kühl wie Cordelia!« rief er spöttisch.
»Und wahr wie sie!« entgegnete ich sanft.
Ich fand seine Gedichte lieblich, harmonisch und doch auch tief und kräftig; aber
Otbert erschien
»Du mußt auf andern Wegen gehen als er – setzte ich hinzu, Du hast nicht seine wilde, schroffe, melancholische Seele .... wie könntest Du seinen Genius haben.«
»Also Du meinst ich hätte eine zahme, schlaffe, lustige Seele, entgegnete Otbert tiefgekränkt. Mit einer solchen kann man freilich nur ein jämmerlicher Dichter sein.«
Meine aufrichtigen Versicherungen, daß es mir nicht eingefallen sei ihn zu Gunsten Byrons herabsetzen zu wollen, versöhnten ihn ganz und gar nicht.
»Du deprimirst mich wenn Du mich so sehr gering achtest – entgegnete er. Das ist für
mich wie Regen auf den Flügeln des Vogels: er kann
»Wenn ich nicht fürchtete aufs Neue etwas Ungeschicktes zu sagen, entgegnete ich verschüchtert, so würde ich meinen, daß Du nicht auf jedes Urtheil als auf einen maßgebenden Richterspruch hören solltest. Du magst sie anhören als ebenso viel Beweise verschiedenartiger Ansichten .... allein Dich danach richten – niemals.«
»Du hast eine schroffe wilde Seele! Dir würde in der Vereinzelung nicht weh sein! Aber ich kann ohne Theilnahme und Wolwollen nicht leben, nicht athmen, nicht denken, nicht dichten – nichts! ich werde dann eine todte Sache und höre auf Mensch, geschweige Dichter zu sein.«
»Der innigste Zusammenhang mit dem All, das Verständniß der Menschenseele in ihren
verschleierten Tiefen, auf ihren ätherischen Höhen – die Ahnung ihrer Qualen und
Wonnen – die Erkenntniß der Natur, nicht nach den Regeln der Wissenschaft, sondern
nach geheimnißvollen Anschauungen – und
Wenn ich in dieser lebhaften Weise sprach, gefiel ich ihm außerordentlich.
»Meine Muse! rief er, Königin meiner Seele! führe mich zu irgend einem Stern empor,
wo ich an Deiner Seite das Reich des Genius gründen könnte. Die Aera Deiner Ideen ist
nicht unser Jahrhundert! Was Du begehrst vom Menschen, vom Dichter – hat Keiner
geleistet und wird kein Sohn des Staubes je leisten. Er ist nicht so unantastbar und
unwandelbar wie Du ihn träumst,
»Ich stelle mir zuweilen vor, entgegnete ich, das Wesen sehr begabter Individualitäten sei irgend einer elementarischen Essenz, irgend einem Naturwesen entlehnt und mit menschlichem Geist und Körper verwebt. Deren Sympathien und Neigungen verriethen alsdann stets die ursprüngliche Verwandtschaft. In Dich ist gewiß ein Sonnenstral hineingesponnen, Otbert, so glänzend, funkelnd, helle und licht bist Du.«
»Das klingt lieblich, Schmeichlerin! – aber nun in Byron?« – –
»Und in Göthe?«
»Ein Regenbogen.«
»Und in Beethoven?«
»Ah in den .... die ganze Welt!«
»Und in Dich selbst?«
»Nichts! .... oder Staub, was dasselbe ist.«
»Das ist falsch! Meereswellen sind in Dir .... und weißt Du wol daß sich aus Deinem Einfall ein wunderniedliches Gedicht machen ließe? und schenkst Du mir wol Deinen Einfall?«
»Gewiß, lieber Otbert! bei mir liegt er roh und grau wie ein Kiesel da. Du schleifst ihn ab und erst dann wird etwas draus! – Aber warum arbeitest Du nicht an der Sirene?«
»Sie schläft, Sibylle, und ich mögte sie mit meinen Liedern wecken.«
Allein er verfiel auf tausend andre Dinge, die ihn von der Arbeit abhielten, auf das Studium von ich weiß nicht welcher orientalischen Sprache im armenischen Kloster von San Lazaro – auf eine Regatta, die er für die Gondoliere veranstalten und an der er Theil nehmen wollte. Er übte sich stundenlang in der Lagune zu rudern und vor der Hand mit Gino Wettkämpfe anzustellen, bei denen er immer sagte:
Dadurch war er sicher daß Gino aus Gier nach dem Gelde die Höflichkeit des Dieners gegen den Herrn aus den Augen setzen werde. Später, nachdem er sich genug geübt hatte, fand die Regatta wirklich statt und Otbert empfand bei ihrer Veranstaltung das größte Vergnügen. Er hatte sich eine leichte zierliche Barke und einen Gondolieranzug von Tafft machen lassen, der ihm ungemein gut stand; er hatte ferner drei Preise für die Sieger, und für jeden Theilnehmer ein kleines Geldgeschenk bestimmt. Trotz des Wetteifers den er zwischen ihnen entzündete und wodurch er sie zur Entfaltung ihrer Kraft und Geschicklichkeit anfeuerte, ward ihm dennoch die Freude zu Theil der Dritte am Ziel zu sein, und sich dadurch und durch seine Freigebigkeit, die Liebe und Verehrung der Gondoliere in einem solchen Grad zu erwerben, daß sie ihn fortan ihren König nannten.
Dies beschäftigte ihn in unglaublicher Weise, und als ich ihm einmal meine Verwunderung über das lebhafte Interesse aussprach, das er im Stande sei an solchen Beschäftigungen zu nehmen, entgegnete er noch verwunderter:
»Begreifst Du nicht welch ein unaussprechlicher
Das begriff ich außerordentlich gut! was ich nicht begriff und was ich unmöglich an
Otbert sagen konnte, war die Frage: warum er mich wol eigentlich geheirathet haben
könne? Es gab eine Antwort auf dieselbe, allein mir grauete sie mir zu geben! sie
hieß: Um eine reiche Frau zu haben! – Denn von einem intimen traulichen Leben schwand
jede Spur immer mehr und mehr. Er mußte sich beständig neue Interessen schaffen, und
um so heftiger sein Wunsch und sein Bestreben mich zu gewinnen gewesen war, um so
größer war
Dennoch nahm ich im Grunde nur Theil an diesen Vergnügungen um mich nicht meinen
Gedanken hinzugeben. Ich floh sie instinctmäßig; mir war als müßten sie mich in ihrem
Strudel verschlingen. Ich wollte mich betäuben gegen meine eigene heimlich anpochende
Angst – mich klammern an mein Glück und meine Liebe – nicht weichen von dem Boden des
Bewußtseins einen Platz gefunden zu haben auf dem ich eine ernste dauernde
Befriedigung gewähren und empfangen könne. Ich lebte auch sehr gut mit Otbert,
freundlich, theilnehmend, allein lauter und immer lauter wollte in mir eine Stimme
sprechen: »Aber dies Alles soll doch wol nicht Glück und nicht Liebe sein? es wird
nur so genannt! und wie heißt es denn in Wahrheit? sollte es wol .... Komödie heißen,
welche die Menschen mit einander spielen um die Hohlheit des Lebens mit einigen
bunten Fetzen aufzuputzen?« – Es war eine fürchterliche Zeit! ich ging wie ein
Seiltänzer der Thurmspitze zu, die ich mein Ziel, mein Glück nannte; und fühlte dabei
wie der Schwindel in mir aufstieg, mich umspann,
»Im nächsten Sommer, lieber Engel!« sagte er abwehrend.
Nicht um ihm zu widersprechen, sondern wirklich weil ich es für zweckmäßig hielt, bat ich ihn mir Urlaub zu geben: ich müsse einen Blick auf die Geschäfte und in die Zustände meiner Heimat werfen. Er entgegnete freundlich:
»Drei Monat gebe ich Dir! Das ist grade genug um halb erstarrt aus Norddeutschland hieher zurückzukehren und um noch wieder aufthauen zu können.«
Die unbefangene Freundlichkeit mit welcher Astrau in unsre ziemlich lange Trennung
willigte, sprach deutlich seine sanftgleichgültige Gesinnung aus. Mir schien als ob
ich fortan gar nicht mehr in seinem Leben zählen würde, und dennoch tröstete mich
zuweilen
Als es in meinem Hause bekannt ward daß ich meine Abreise vorbereite, bat Gino mich dringend in Venedig zu bleiben. Ich entgegnete: da ich im Herbst wiederzukommen hofte, so würde ich ihn in meinem Dienst behalten, und überdas bleibe ja auch der Graf hier. – Er spreche nicht seinet- sondern meinetwegen jenen Wunsch aus, meinte Gino.
»Mir kann weder auf der Reise noch in meiner Heimat etwas Uebles geschehen, Gino!« erwiderte ich gerührt durch seine Theilnahme.
»Weder auf der Reise noch in der Heimat – das weiß ich,« entgegnete er mit einem seltsamen bedeutungsvollen Ton, der mir unwillkürlich den fast angstvollen Ausruf entlockte:
»Aber hier?«
Obwol ich allein mit ihm in der Gondel war machte er eine schweigengebietende Pantomime, und nickte dann bejahend aber fast unmerklich nur mit den Augenwimpern.
»Was kann mir hier widerfahren? sprich Gino! sagte ich ernst; – halbe Warnung ist
Verrath nach zwei Seiten hin! Ich habe Dir verziehen daß Du Dich vom Grafen zu der
Nino-Maskerade erkaufen ließest .... weil es eben der Graf
»Ich kann sagen und schwören, 'Lustrissima: so wahr ich der Fürbitte meines Schutzpatrons zur Erlösung aus dem Purgatorium vertraue – so wahr bin ich von Niemand erkauft! allein sprechen, 'Lustrissima .... sprechen kann ich nicht.«
»Kannst Du denn schreiben, Gino?« fragte ich wieder ganz unwillkürlich, denn mir war als legte er mir durch seine sonderbare Betonung gewisse Worte auf die Lippen.
»Die gelehrte Wissenschaft hab' ich nie gelernt.«
»Was kannst Du denn, Gino?« fragte ich seltsam gespannt.
Er schwieg, sah mich an wie um meine Aufmerksamkeit zu fesseln, und that dann einige Ruderschläge mit der theatralischen Bewegung eines Menschen, der sich sehen lassen mögte mit seiner Geschicklichkeit.
»Du kannst rudern, Gino?« fragte ich immer gespannter.
Er nickte mit freudiger Hast.
»Nun ja! das weiß ich längst! rief ich erwartungsvoll. Aber was weiter?«
Er zuckte stumm die Achseln.
»Gino, da Du so gut rudern kannst, so wär' es mir lieb wenn Du mir noch heute Deine Geschicklichkeit zeigtest.«
»'Lustrissima befehlen um zwei Uhr Nachts und mit mir allein?«
»Um zwei Uhr Nachts und mit Dir allein.«
Den späten Abend verbrachten wir wie gewöhnlich mit einigen Bekannten. In der Regel
versammelten sie sich bei mir; wir musicirten, wir plauderten; zuweilen gingen wir
auf den Markusplatz, oder machten eine Gondelfahrt, oder betrachteten im Mondschein
irgend eines der herrlichen Gebäude von Venedig. Am heutigen Abend verscheuchte uns
ein heftiges Gewitter gegen Mitternacht vom Markusplatz und Jeder kehrte nach
Irgend eine vorherrschende Ahnung hatte ich gar nicht. Zuweilen dachte ich an Sedlaczech im Elend, krank, sterbend – zuweilen an Astrau am Spieltisch, bei einem verliebten Abenteuer, bei irgend einer peinlichen Begegnung; allein das rollte Alles wirr wie im Kaleidoscop durch einander.
Wir fuhren nach Torcello; aus langer Gewohnheit erkannte ich die Richtung trotz der
Dunkelheit. Nun wirbelte sich auch noch Benvenutas Bild in meine Phantasmagorien
hinein. Wir stiegen nicht beim gewöhnlichen Landungsplatz aus, sondern an einer
Stelle welche gar nicht dazu bestimmt war, denn Gino trug mich aus der Gondel
ungefähr zwanzig Schritt durch Morast bis er auf trocknen Boden und wie es schien in
einen kleinen Gemüsegarten
Wie in einen Zauberspiegel starrte ich in dies Fenster hinein. Ich war nichts als Auge. Mein Herz faßte, mein Verstand begriff dies nicht: sie waren wie todt in mir! nur mein Auge lebte, wachte, sah! .... und sah ein reizendes Bild, würdig durch Titians und Giorgiones Pinsel unsterblich gemacht zu werden: die Transfiguration der Ueppigkeit.
Sie sprachen ganz laut und unbefangen wie man eben spricht wenn man sich in seinen vier Wänden sicher weiß. Einmal lachte Arabella. Das Alles rauschte wie ein Waldbach an meinem Ohr vorüber. Plötzlich hörte ich; denn Arabella fragte:
»Wann reist Sibylle ab?«
»Und reist sie gern?«
»Das ist schwer zu sagen! Du kennst ja ihren Mangel an Animo. Ihre Gedanken nehmen sie zu sehr in Anspruch um ihre Gefühle aufkommen zu lassen.«
»Indessen hast Du denn doch ihre Gefühle geweckt.«
»Sage lieber, daß ich ihrer Phantasie einen bestimmten Gegenstand dargeboten habe,
Arabella, auf dem sie sich niederließ wie ein umhergescheuchter Vogel auf einem
grünen Zweig. Die Wahl ihres Herzens wäre nie auf mich gefallen. Ich glaubte es einst
und gab mir darum unsägliche Mühe. Allein .... ich glaub' es nicht mehr. Sie ist
partiel ein sehr vollkommnes Geschöpf, aber sie verbraucht sich selbst in
unfruchtbarer Weise durch Phantasie und Reflexion, von denen jene ihr heute eine
Seligkeit vormalt, welche morgen von dieser vernichtet wird. Im Ganzen ist sie
merkwürdig unvollkommen, denn ihr fehlt dasjenige was den Menschen zu Schwung erst
und dann zur Ausdauer befähigt: die treibende Kraft der Leidenschaft! jenes innere
Naphthafeuer welches die Elemente des ganzen Wesens zu jenem Punkt zusammenschmilzt,
den man beim schmelzenden Metall
»Beklag ihn nicht! rief Arabella. Hätte sie jene erwärmende Seelenglut, so würdest Du
bei ihr und nicht bei mir Dein Glück gefunden haben, und ich, Otbert, bin nun einmal
so beschaffen, daß ich will Du sollst das Glück bei mir finden .... bei keiner
Andern! – Ich liebe Dich zu sehr, Otbert, um großmüthig sprechen zu können: Sei
»Ja, das könnte Sibylle! aus Ueberlegung ist sie zu jedem Opfer fähig .... nicht aus Liebesdrang wie Du. Spräche ich zu ihr: stirb für mich! – so würde sie der Nichtigkeit des menschlichen Daseins gedenken und gelassen sterben. Spräche ich so zu Dir, so würdest Du Dich freudejauchzend in den Tod stürzen, und wenn Dir das Leben auch noch so lieb wäre, ohne Reflexion, aus Liebe für mich.«
»Das ist gewiß!« entgegnete Arabella. Sie sprach ganz wie sonst mit ihrer tiefen gedämpften Stimme, die etwas Rührendes hatte und die mir immer so sehr gefiel. Ihre wunderschönen schwarzen Augen ruhten mit solcher Macht und Innigkeit auf Otbert, daß mir war als müsse ihr Blick ihn wie laue Luftwellen umfließen und von der Erde heben. Schöner, verführerischer, feenhafter als ich sie je gesehen, ganz wie eine Houri des muhamedanischen Paradieses erschien sie mir. Otbert mogte dasselbe finden. Er stand rasch auf.
»Du mußt schlafen, Arabella, und Dich ausruhen, sagte er. Auf morgen, Süße!«
Aber er ging nicht; er kniete vor dem Bett nieder, sie umschlang seinen Nacken, sie
sprachen ganz leise
»Nun zum letzten Mal – gute Nacht, Arabella, und gieb mir einen Kuß für Astralis mit.«
»Astralis schläft, Otbert, wecke sie nicht und behalte meinen Kuß!« sagte Arabella mit holdseligem Liebreiz einen Kuß auf seine Lippen drückend.
Dann sprang Otbert auf und verschwand hinter dem Thürvorhang zu meiner Rechten. Ich
hörte unverständliche Stimmen im Nebenzimmer; dann öfnete sich die Hausthür und durch
die lautlose Nacht hörte ich Otberts Schritt, der dem Landungsplatz zuging. Arabella
aber hatte inzwischen schon geschellt, ihre mir wolbekannte irische Kammerfrau war
eingetreten und beide sprachen irisch zusammen, was ich nicht verstand. Aber das
Folgende verstand ich nur zu gut! Die Kammerfrau ging ins Nebenzimmer und kam nach
einigen Augenblicken mit einer Wärterin zurück, die ein ganz kleines Kind trug und es
in Arabellas Arme legte. Sie empfing es zärtlich, küßte seine Händchen, sah es an und
wieder an, plauderte abwechselnd mit ihm und den beiden Frauenzimmern italienisch und
irisch, und gab es erst zurück als es anfing zu weinen. Da trug die Wärterin es fort,
und Arabella bereitete sich zur Ruhe. Die Kammerfrau schloß
Daß es Tag wurde brachte mich zu mir selbst. Ich fühlte nichts als daß eine Art von Erstarrung sich mei ner bemächtigt hatte, welche mir die Empfindung gab, als ob statt des Herzens mir ein Marmorblock im Busen liege eiskalt und schwer. Ich riß eine Convolvel-Ranke vom Fenster ab um ein sichtbares Zeichen zu haben, daß meine Vision kein Traum gewesen sei, und kehrte zur Gondel zurück in die mich Gino hineintrug. Zu meiner eigenen Ueberraschung sagte ich sehr gelassen und mit fester Stimme:
»Gino, wie hast Du dies Geheimniß erfahren?«
Er wollte Ausflüchte machen; aber ich sagte:
»Bevor ich es wußte mußtest Du schweigen, das versteht sich, Gino! allein jezt weiß ich es bereits – also rede .... und die Wahrheit.«
Da erzählte er mir, er habe längst bemerkt daß Astrau zu seinen nächtlichen Fahrten
nicht unsre eigenen Gondoliere gebraucht habe, sondern zu einem traghetto gegangen
sei, und dieser Mangel an Vertrauen habe ihn tief gekränkt, da er sich doch als ein
Muster von Verschwiegenheit und Treue bewährt.
Ich bewunderte im Stillen Ginos Takt, der ihn die hohe Wichtigkeit des Moments
errathen ließ, denn allerdings! jezt konnte bei Astrau eine gewisse Gleichgültigkeit
gegen – oder eine verstärkte Hinneigung zu Arabella eintreten; aber was ging das mich
an? ich hatte nur mit dem einen, dem niederschmetternden Gedanken zu thun: Nichts
dauert! die Gefühle des Menschen sind Seifenblasen, bunt, leer, nichtig – abhängig
von den Wellen des Blutes und den Nervenfasern, welche heute angeregt und morgen
abgespannt sind und ihn in diese oder jene Emotion versetzen. – – Ich saß nicht mehr
auf der grünen blumigen Wiese auf der es mir vor einem Jahr so wol gefallen hatte,
daß ich meinte ich wolle nie meinen Platz verlassen. Ich war aufgestanden .... war
wieder an den Rand des Abgrunds getreten .... sah tief unten den schwarzen Strom
fließen der Endlichkeit heißt, und der stückweise und gliederweise alle Bestandtheile
des menschlichen Daseins verschlingt und fortwirbelt .... und sah starren Blicks ein
Stück meines eigenen Lebens darin untergehen. Ich war nicht entsetzt, nicht
verzweiflungsvoll – nur unerhört traurig. Ich hatte keine bittre, zürnende Empfindung
gegen
Als ich zu Hause angelangt mich zu Bett legte, meinte ich unter einem Felsen begraben zu werden. Aber ich schlief als sei mir nichts geschehen einen traum- und leidlosen, von den Qualen der Seele unbelästigten Schlaf. Wird dereinst der Tod also sein? Ich schlief als ginge mich Glück und Unglück, Freude und Schmerz nichts an; und ebenso erwachte ich. Eine Stunde darauf trat Otbert, ausnahmsweise, zum Frühstück bei mir ein.
»Du kehrtest recht spät oder eigentlich recht früh von einer einsamen Spazierfahrt heim?« sagte er.
»Ungefähr eine halbe Stunde nach Dir, entgegnete ich ruhig; – denn nachdem Du Arabella verlassen hattest, sah ich noch Astralis, die zu ihrer Mutter gebracht wurde. Ich war auf Torcello vor dem Häuschen um dessen Fenster diese Convolveln sich schlingen« – setzte ich hinzu auf die Ranke deutend, die eine Wasserschaale umgab.
»Du hast Dich einst mit dem Orpheus verglichen, fuhr ich fort, der Vergleich wird immer treffender! Eurydice hat sich umgeschaut nach der Schattenwelt, der sie nun einmal schon verfallen war; jezt ist sie es mehr denn je und unwiederbringlich gehört sie dem Orkus an.«
Bleich und stumm war Astrau vor mir auf die Knie gesunken. Er sagte leise:
»Hasse mich nicht, Sibylle!«
»Wie käme ich zum Haß, Otbert? Wer nicht liebt kann auch nicht hassen. Liebe und Haß entspringen aus einer Wurzel: Kraft des Gefühls. Der Liebende braucht nicht zu hassen, allein die Fähigkeit es zu können wird in ihm sein. In mir ist sie nicht! nicht einmal Zorn fühle ich gegen Dich und Arabella, nicht Eifersucht, nicht Empörung .... gar nichts Uebelwollendes. Aber nicht aus Großmuth, Otbert, sondern weil sich eine gewisse Mißachtung des Menschen in mir regt, der so viel von seiner Göttlichkeit träumt und fabelt, und so sehr ungöttlich ist, willenlos und wankelmüthig wie die Wolken am Himmel, wie die Nebel auf dem Meer.«
»Siehst Du, Sibylle! rief Astrau und sprang
»Sprich nur, Otbert! sprich! es wird mir wol thun Alles zu wissen!«
»Aber mir fröstelte bei Dir. Immer ging ein Suchen durch Deine Seele und durch Dein
Auge! immer schweiften Deine Wünsche in einem Raum ohne Horizont umher! immer stand
ich neben Dir
Ich mußte traurig lächeln, denn dies war nicht unrichtig. Ich fragte:
»Aber warum heirathetest Du mich, Otbert?«
»Ich will Dir beweisen welch unerhörtes Vertrauen ich zu Dir habe und Dir die ganze Wahrheit sagen, Sibylle! – sprach Otbert entschlossen. – Ich dachte wol daran Dich zu bitten mir mein Wort zurück zu geben und mir meine Freiheit zu lassen. Zwei Beweggründe hielten mich ab. Erstens: nach Allem was ich gethan hatte um Dich zu gewinnen mußte ich Dir wie ein Narr erscheinen, wenn ich in der vorletzten Scene des Dramas sagte: Verzeihung! ich habe mich getäuscht!« – –
»Also Eitelkeit! Otbert!«
»Nenne es wie Du willst! solche Gründe sind mannigfach gemischt. – Zweitens war es
meine Mutter! seit Jahren sann sie auf eine möglichst glänzende Heirath für mich. Ich
war mehr dagegen als dafür. In Nizza lockte mich einen Augenblick die Aussicht auf
ein großes Vermögen, welches sie mit Recht als eine unerläßliche Bedingung
»Welche freiwillige Selbstverblendung, Otbert! .... – Doch erzähle weiter! erzähle Dein Zusammentreffen mit Arabella.«
»Was soll ich Dir darüber sagen! – Ich begegnete ihr eines Tages in der großen Halle
im Hotel Danieli: sie war eben angelangt. Du kennst sie – Du kennst mich – laß mich
schweigen. Ihre wilde primitive, besinnungslose Natur that mir wol; der Kern ihres
Wesens gab deren Pulsschlag an. Mogte es kein gediegener, kein reiner, kein hoher
Kern sein: so war er dafür wenigstens ganz, und voll Spontaneität. Darin liegt ein
unaussprechlicher
»Also liebst Du sie wirklich über alle Maßen, und hast sie doch früher verlassen können!«
»Sibylle! es giebt interessante Frauen und verführerische Frauen, und Du und sie – Ihr seid der Typus derselben. Weil dieser bis zum äußersten Grade gesteigert ist, nimmt jeder Etwas von der Färbung seines Gegensatzes an: das Interessante wird verführerisch, und so umgekehrt. Als ich Arabella vor einigen Jahren .... verließ, wie Du es nennst – war es die unerhörte Ueberraschung Deiner Erscheinung, die ich mit nichts zu vergleichen wüßte, was ich vorher oder nachher gesehen; und ich folgte der anziehenden Macht« .... – –
»Die Blume blüht auch nicht ewig; aber sie hat doch geblüht und aus ihren zerstäubenden Atomen entwickeln oder ernähren sich andre Organisationen. Ausbildung, Umbildung, ist Leben. Eine absolute Dauer haben dessen Formen nicht. Ueber ihnen, nicht in ihnen webt und wohnt das Göttliche.«
»Ein trauriger Glaube, Otbert, mit Tand und Spielwerk gleichsam abgefertigt zu werden, und wie aus Neckerei nur das Rauschen der Flügel eines uns umschwebenden gewaltigen Geistes zu hören ohne jemals seiner Offenbarung gewürdigt zu werden! – So erscheint er wenigstens mir, da ich ihn nicht theile. Ich mögte die Form ehren als eine Schaale deren Inhalt etwas Göttliches ist; kann ich das nicht: so werde ich sie bald bei Seite schieben oder fallen lassen .... wie Du es machst. Es liegt eine gewisse materialistische Weisheit in Deiner Auffassung, die nicht für Jedermann ist.«
»Ich habe weder Vorwürfe noch Klagen, fuhr ich fort; mehr noch: ich will annehmen,
daß Du auf Deinem Standpunkt nicht Unrecht habest. Dir ist das Leben nun einmal ein
Spaziergang zwischen Wolkenbildern, welche eine verhüllte Sonne so und so färbt, und
welche Dir gefallen je nachdem die Netzhaut Deines Auges wolthätig von ihnen berührt
wird. Durch das Auge streifen sie denn auch zuweilen bald an Dein Herz, bald an
Deinen Verstand; und was sie am Meisten in Bewegung setzen .... ist Deine
Imagination. Vielleicht geht es mir eben so! wir sind nie so klar über uns selbst als
über Andere. Der Unterschied zwischen uns wird nur der sein: daß Du zerstreuende
Tröstungen für Deine Täuschungen suchst und findest, und daß mich die Zerstreuungen
doppelt traurig und die Tröstungen vollkommen elend machen. Lebe Du in deiner Weise
fort wie ich in der meinen!
Ueberwältigt von Traurigkeit ließ ich den Kopf in die Hand sinken und verhüllte meine Augen. Otbert kniete abermals vor mir nieder.
»Sibylle, sprach er sanft, Du bist so bewegt und erschüttert als ob Du mich liebtest« .... –
»Nein! unterbrach ich ihn, wir wollen uns nicht geflissentlich täuschen. Ich habe meine Sehnsucht nach Liebe für Liebe gehalten, und Du hast Dein psychologisches Interesse für mich so genannt; von dem pecuniären will ich schweigen, weil ich die Ueberzeugung habe: den ersten Platz nimmt es nicht bei Dir ein. Aber so steht es mit uns .... und weshalb es leugnen! die Wahrheit ist besser als alles Andre. Ich gräme mich nur weil die Wahrheit eine so fürchterlich traurige Sache ist.«
»Ich wollte daß Du mir Vorwürfe machtest, Sibylle.«
»Worüber denn, Otbert? ich habe mehr Schuld als Du. Ich verschmähte es meinem
Instinct zu folgen der mich, so lange ich unbefangen war, fern von Dir hielt. Das
weißt Du! Du wirst auch noch wissen, daß ich dessen Stimme nicht wollte
Er wollte reden; aber ich bat ihn mich zu verlassen:
»Wenn das entscheidende Wort gesagt ist, so ist jedes andre unnütz, Otbert.« Er ging endlich. Ich wollte überlegen; – aber was gab es denn zu überlegen? ich war elend; ist man dahin gekommen, so braucht man keine Ueberlegung mehr. Sie taugt nur um uns dagegen zu schützen. Nein! ich mußte andre dinge vornehmen als stumpfsinnig über Trümmern brüten.
Ich griff nach den Papieren welche auf meinem Schreibtisch lagen. Es waren Rechnungen
die ich wegen meiner bevorstehenden Abreise hatte einfodern lassen. Ich sah sie
mechanisch durch ohne ihren Inhalt genau zu beachten. Doch frappirte mich die
ungeheure Summe der einen so, daß ich zum Bewußtsein kam. Statt jeder Specificirung
enthielt
Astrau überraschte mich sehr als er mich in Arabellas Namen dringend bat, sie vor meiner Abreise zu sehen. Ich hatte gar keine Lust und sagte es unverholen; aber er ließ nicht nach! er solle mich durchaus dazu bewegen; sie wünsche es glühend. Ich begriff das nicht! .... vielleicht gab ich deshalb nach.
Ich fuhr eines Morgens nach Torcello und ward in ihr Cabinet geführt, das eben so
anmuthig als ihr Schlafzimmer eingerichtet war. Der Vergleich mit meinem ernsten
stolzen Palast Gradenigo lag
»Sibylle! sage mir daß Du mir mein Unrecht gegen Dich verzeihst.«
»Wer geliebt wird hat immer Recht und nur der Ungeliebte hat Unrecht. Ich hab' es
gewiß, wenn auch nicht gegen Dich, meine arme Arabella; so doch gegen mich selbst. Du
sagtest mir einst ich könne Otbert in ewige Fesseln schlagen. Dies Wort hat mich
tiefer ergriffen, als ein Wort von fremden Lippen uns ergreifen soll, und hat mich
folglich irre geführt. Wir thun zu unsern Irrthümern stets Dasjenige hinzu was unsrer
Neigung, Ansicht, Leidenschaft schmeichelt, und Niemand hintergeht uns so sehr als
wir es selbst thun! denn sobald uns nichts daran liegt hintergangen zu werden, sobald
wir nicht die Augen darüber schließen und die Hand dazu bieten: so hintergeht uns
Niemand. Das sehe ich jezt sehr deutlich, und ich wünschte nur, daß
»Aus mir werden?« fragte sie verwundert.
Ich wußte nicht ob ich diese Zuversicht unter diesen Umständen und zu diesem Mann stupid oder sublim finden sollte. Sie, mit einer sündhaften Liebe im Herzen, die Pflichten gegen sich selbst und Andre verletzend, herausgetreten aus den Schranken der Sitte, Mutter eines Kindes ohne Namen: sie war sicher wie für die Ewigkeit; – und mein Leben ohne Schuld, ohne Vorwurf, ohne Tadel war von einem immerwährenden Erdbeben dermaßen durchzittert, daß ich zu Nichts und zu Niemand Zuversicht hatte. Das ist die Macht der Liebe! .... Sei die Liebe verirrt im Gang und Gegenstand, begehe sie Mißgriffe, Thorheiten und Fehltritte, werde sie verhöhnt oder verdammt, schleppe ihr ein Bußgewand oder ein Trauermantel nach: dennoch, dennoch, und dennoch! ist sie ein Segen für Denjenigen der sie empfindet.
»Ach Sibylle! aus mir wird nichts Anderes als was ich nun einmal bin! fuhr sie nach
einer Pause fort. Mir scheint als sei mein Leben bevor ich Otbert kannte, ein langes
angstvolles thörichtes
Arabella war vor mir niedergesunken, aber nicht wie eine reuige Sünderin, sondern wie ein Kind das sich voll Vertrauen und der Verzeihung gewiß an das Herz der Mutter schmiegt. Sie stüzte ihre Elbogen auf meine Knie und ihr Kinn auf ihre gefalteten Hände: so blickte sie zu mir empor mit ihren großen nachtschwarzen Augen, deren Blick lind und liebkosend wie Sammet mich berührte. Hatte sie mir weh gethan, so vergaß ich es bei ihrem Anblick gänzlich; jezt that sie mir nur wol. Ich umarmte sie zärtlich und rief:
»O Arabella! warum hat Otbert nicht Dich geheirathet! ich wäre dann Eure Freundin und uns Allen wäre manche Qual erspart. Jezt, Arabella, zittere ich doch vor Deiner Zukunft bei Otberts Wankelmuth und Flattersinn.«
»Du vergißt die Vergangenheit!« rief ich schmerzlich.
»Nicht doch! entgegnete sie gelassen; damals war Alles anders, denn Otbert kannte mich nicht so wie jezt.«
Es schwebte mir die Bemerkung auf den Lippen:
»Er kannte Dich nicht, aber er war immer derselbe.« Allein ich unterdrückte sie weil sie unnütz war, und sagte lieber nach einer Pause:
»Versprich mir Arabella, Dein Vertrauen auch gegen mich zu bewahren, und an mich zu denken als an eine Freundin auf welche Du rechnen darfst – wenn Dich einmal, was Gott verhüte! traurige Schicksale heimsuchen sollten.«
Ein Thräne trat wie ein silberner Stern in Arabellas Augen und machte sie doppelt schön.
»Das kannst Du Dir doch wol vorstellen!« rief sie.
»Nein!« sagte sie lebhaft.
Fragend und befremdet sah ich sie an.
»Nein! wiederholte sie mit Bestimmtheit – das kann ich nicht, das würde Dir allzu weh thun .... denn das ist unnatürlich.«
»Ja, meine arme Arabella, ich bin doch so weit in der Unnatur gekommen, daß ich nicht genau weiß was mir wol und was mir weh thut. Also erfülle meinen Wunsch: ich bitte Dich.«
Sie sah mich beängstigt an, ergriff dann stumm meinen Arm und führte mich in das Zimmer der Kleinen die friedlich schlummerte.
»Ein träumendes Wesen mehr auf dieser Welt!« sprach ich in ihren Anblick versenkt, nahm einen raschen warmen Abschied von Arabella und verließ Torcello.
»Du bist großmüthig, Sibylle!« sagte Otbert der mich bei meiner Heimkehr empfing.
»Ich bin nur kalt!« entgegnete ich; und das war ganz richtig. Mein Benehmen mogte
einen Anstrich von Großmuth haben, wie das oft geschieht für oberflächliche
Beobachter; aber sie war nicht im Herzen: ich that was ich that aus Gleichgültigkeit,
nicht aus Liebe, drum wurde mir nicht
Bevor ich abreiste mußte ich noch einmal mit Otbert über unser künftiges Verhältniß sprechen.
»Es ist an Dir es zu bestimmen« sagte er.
»Dann bleiben wir getrennt, Otbert.«
»Aber Freunde, Sibylle?«
»Freunde .... insofern unsre heterogene Natur das gestattet. Wir sind es aber eigentlich nie gewesen – bedenke das. Die Freundschaft will auch eine Basis haben auf der sie sich feststellen könne und ich – habe weder Vertrauen zu Dir noch Verehrung für Dich – woher soll da Freundschaft kommen?«
»Du bist streng geworden, Sibylle.«
»In meiner unbefangenen Zeit – Du wirst es wissen! – war ich immer so gegen Dich
gesinnt. Die der Selbsttäuschung ist dahin und ich nehme
Während ich sprach war Astrau im Zimmer auf und nieder gegangen. Nun blieb er vor mir stehen, schlug die Hände zusammen und rief in einem Ausbruch der qualvollsten Ungeduld:
»Sibylle! Deine Räsonnements sind fürchterlich! .... sind gradezu tödtend! Sie sind
nicht falsch, nicht ungerecht – aber daß Du sie machen kannst in einem Augenblick wo
Dir das Herz zittern und Deine Seele wund und Dein Geist gedrückt sein müßte – daß Du
mit Analyse zu Werke gehst statt mit Empfindung, und gelassene Betrachtungen
anstellst statt eine heimliche Thräne zu trocknen – sieh, das ist mir fürchterlich!
Ich erstarre neben Dir, Sibylle! und glaube mir, kein Mensch kann neben Dir glücklich
sein. Paul, der Dich so liebte
»Und welche Verheißung wird denn überhaupt je zur Erfüllung? unterbrach ich ihn
trübe. Keine, Otbert, keine. Meine Erscheinung ist der Ausdruck des Zwiespalts, der
ewig zwischen sehnen und erreichen obwaltet, und der meine Seele in unfruchtbaren
Exaltationen und ebenso unfruchtbaren Desolationen aufzehrt. Ich kann mich nicht
umbilden .... allein ich kann mich fern von den Menschen halten, denen ich allerdings
mehr weh als wol thun mag. Ich habe nicht die liebliche Gabe der demüthigen Seelen:
mich an dem Kleinen zu freuen das aus dem Untergang des Großen übrig bleibt. Und ich
habe auch nicht jenen mächtigen Schwung der starken Seelen, durch den sie zu einem
Höhepunkt getragen und auf ihm gehalten werden, wo sie den Ariadnesfaden der durch
das Leben läuft stets übersehen
»Und denken zu müssen daß ich Dein Retter hätte sein können!« rief Astrau heftig bewegt.
»Dazu hättest Du eben eine andre Seele haben müssen, Otbert! eine Seele wie ich sie träume voll ganz göttlicher Unwandelbarkeit. Und hättest selbst Du sie, so ist es immer noch die Frage, ob ich sie würde ertragen haben. Beklage das nicht .... und laß uns scheiden.«
»Aber nicht auf immer, Sibylle!«
»Und Arabella?« fragte ich streng.
»O! rief Astrau, ich bin unselig.«
»Ja, das bist Du! entgegnete ich; aber nicht durch mich .... nicht durch Arabella
.... durch Niemand als durch Dich, denn die Poesie welche Du im Leben finden mögtest
ist nicht der besinnungslose egoistische Rausch, in den Du Dich aus Eitelkeit
»Mein Gott! mein Gott! rief Astrau in gewaltiger Aufregung, was für ein Leben führen wir denn eigentlich Alle! In Träumereien, höherer oder niederer Art, wird es verschwendet – feineren oder gröberen Genuß begehrt man bis zum Wahnsinn – die Folgen erduldet man – bei alten Klagen oder neuen Wünschen lernt man vergessen – und gethan und gehandelt wird nicht. O Sibylle! gieb mir etwas zu thun! laß mich Dich nach Engelau begleiten .... laß mich dort Dein Verwalter, Dein Geschäftsführer sein .... laß uns als Freunde leben« .... –
»Unsinn das Alles! unterbrach ich ihn. Du bist dem Eindruck des Augenblicks unterworfen wie ein schwaches Weib. Drei Wochen in Engelau .... und Du entfliehst! Uebrigens wiederhole ich Dir: denke an Arabella.«
»Aber Du begehrst doch wol nicht, daß ich meine Existenz für Arabella opfern soll?« rief Astrau sehr ungeduldig.
»Und warum nicht .... da sie Dir die ihre opfert!«
»Ah bah! .... Das wird Arabella nie verlangen.«
Ich sah ihn an mit tiefer Empörung und sagte:
»Und dennoch bleibt sie bei mir!« rief er trotzig; denn es war ihm unangenehm daß ich mich mehr für Arabella als für ihn interessirte.
»Genug! sagte ich abbrechend. Die Ehe ist eine heilige Sache, Otbert! wer nicht sein Glück in ihr findet dem ist durch sie sein Elend gewiß. Ich bleibe dem Namen nach Deine Frau. Solltest Du aber je Deine Freiheit wünschen .... so bin ich auch dazu bereit.«
Ich gab ihm meine Hand; er küßte sie kalt und ersuchte mich alle Dienstboten zu verabschieden und den Palast Gradenigo aufzugeben. Das geschah. Heulend stürzte Gino zu mir. Ob dies der Lohn für seine Treue sei? dem Grafen habe er einen so großen, hochwichtigen Dienst geleistet, mir desgleichen, – und nun würde er von uns Beiden fortgeschickt.
»Niemand kann zweien Herren dienen, Gino,« entgegnete ich und beschwichtigte seinen Jammer durch ein Geldgeschenk.
Nach einem ernsten kurzen Abschied von Otbert reiste ich grade am zweiten Jahrestag
meiner Ankunft in Venedig wieder ab. Es war ein wunderschöner
Aber ich war nicht ruhig – nur stumpf. Ich mied Würzburg und eilte nach Engelau
ohne irgendwo auf der ganzen Reise zu verweilen. Ich wollte es nie wieder
verlassen und ward durch den herzlichen Empfang meiner Untergebenen in diesem
Vorhaben bestärkt. Was hatte ich in diesen zwei Jahren der Abwesenheit gewonnen?
Schmerz und bittre Erfahrung; weiter nichts! Nur Benvenutas Gesundheit hatte sich
sehr gebessert; sie war blühend und kräftig und gewährte mir die Beruhigung, daß
die Reise für sie nicht umsonst gewesen sei. Tödtliche Pein mit einiger
Verlegenheit gemischt verursachte es mir, daß ich als Gräfin Astrau aber – ohne
Gemal heimkehrte. Meinem Arzt, meinem ehemaligen Vormund und allen Personen,
welche direct oder indirect nach ihm fragten, sagte ich: er könne unser Klima
nicht gut ertragen und sei außerdem mit Arbeiten beschäftigt, welche ihn an
Italien fesselten. Man begriff das einigermaßen, man beklagte es für mich .... und
Wie nun das Leben hinbringen? Der Sommer verging ganz gut. Der ländliche
Aufenthalt war mir neu. Die grünen Wiesen, die schönen Bäume, die üppigen
Kornfelder, die Viehheerden, die demüthige und doch nicht armselige dörfliche
Umgebung contrastirte so auffallend mit Venedigs Wasser- und Marmorwelt, mit
seiner zerfallenden Herrlichkeit und seiner grandiosen Armuth, daß der Genuß des
Contrastes mir interessant war. Ueberdas gab es eine Menge Geschäfte, die ich
einmal wieder in der Nähe übersehen oder von deren gutem Fortgang ich mich
überzeugen mußte. Es gab zu loben und zu tadeln, zu berichtigen und anzufeuern, zu
helfen und zu rathen. Es war eine Wiederholung der Heimkehr aus England – nur
Als der Herbst mit seinen Tagen voll Regen und Sturm und mit seinen langen Abenden
kam, sah ich indessen ein, daß ich nothwendig andere Beschäftigungen brauche; und
um meine Gedanken an eine bestimmte Disciplin zu gewöhnen, beschloß ich förmlich
ernsthaften Unterricht zu nehmen. Ein Cursus etwa der Chemie, Physik oder
Astronomie schien mir aber gar nicht ernsthaft genug, sondern wie die Männer
gebildet werden, mit alten Sprachen und mit Mathematik: so wollte auch ich es
anfangen. Ohnehin hatte ich in meiner ersten Jugend
Also: die Trümmer meines Innern wollte ich aufräumen mit Mathematik und alten
Sprachen. Zu meinem Geburtstag machte ich mir selbst das Festgeschenk zweier
Lehrer, welche sich entschlossen sich auf drei Jahr in Engelau zu vergraben. Herr
Becker hatte so eben seine philologischen Studien vollendet und da sich ihm nicht
gleich die gewünschte Stelle an der Universität zu Kiel darbot, so nahm er die in
meinem Hause an, die ihm wenigstens Muße zu eigenen Studien ließ. Er war sehr
jung, sehr lebhaft, ein glühender Bewunderer des Alterthums, das er in Leben und
Kunst, Institutionen
Herr Müller, der Mathematiker, war ein ältlicher Mann, welcher fünfunddreißig Jahr
sich abgequält hatte der Schuljugend eines Gymnasiums seine Wissenschaft insoweit
beizubringen, als dieselbe ein Ingrediens der nothwendigen Examina ausmachte,
welche man zu bestehen hatte. Die unendliche Gleichgültigkeit mit der Herr Müller
seinen Unterricht an unendlich gleichgültige Schüler ertheilte, hatte ihn nach und
nach dermaßen zerstreut gemacht, daß er sich nicht mehr bei ihnen in den
nothwendigen Respect zu setzen vermogte. Mit einem winzigen Jahrgeld wurde er
entlassen, und da ich ihm die Zusage machte es nach drei Jahren zu verdoppeln, so
sah er sich veranlaßt
Ich hatte also zwei Lehrer wie man sie sich nicht besser wünschen kann, und
überdas den festen Willen möglichst viel von ihnen zu lernen. Im schneidendsten
Contrast zu meinem vagabondirenden Leben in Venedig, wurde das gegenwärtige mit
einer zuchthausmäßigen Pünktlichkeit Stunde für Stunde eingetheilt, und von sieben
Uhr früh, wo ich aufstand – bis zwölf Uhr Abends, wo ich schlafen ging – gab es
keine Minute, welcher nicht ein Geschäft zugetheilt gewesen wäre: denn auch die
Erholungen bekamen ihrer Regelmäßigkeit wegen einen Geschäftsanstrich. Mein Haus
kam mir wirklich vor wie eine Strafanstalt, während es für Herr Becker und Herr
Müller, und für eine junge musikalische Gesellschafterin ein ganz angenehmer
Aufenthalt war: dermaßen kommt Alles auf die Deutung an, welche wir den Zuständen
geben und
Ich studirte mit großem Eifer, aber ohne eigentliche Vocation! Ich lag heimlich
bei mir selbst auf der Lauer ob nun nicht bald ein genußvoller Zustand eintreten
werde. Dadurch wurde natürlich die unbefangene Hingebung getrübt, und die
übertriebene Erwartung die ich mein Lebenlang von jedem Ereigniß gehabt hatte,
verließ mich auch hier nicht. Immer war mir zu Muth als stände ich an jenem
Brunnen in welchem nach einer Fabel die Wahrheit sitzen soll, und als schöpfte ich
mit
Während dieses unfruchtbaren Bemühens dachte ich doch zuweilen an Otbert und
Arabella – mit Neid. Mogten sie in einem Wahn befangen sein, so war derjenige der
Liebe doch der süßeste von allen. Bald nach dem Ausbruch der Julirevolution war
Otbert nach Paris gegangen. Die fiebernde Aufregung der Gemüther und die tobende
Gährung aller Zustände waren ihm eine zauberische Lockung. Wie ein geübter
Schwimmer, der seiner Kräfte sicher ist, ließ er sich bald von dieser, bald von
jener Welle heben, schaukeln, fortziehen, und fand ein eigenthümliches Behagen an
ihrem Gebraus und Gewirbel. Die religiösen und socialen Fragen mit deren Lösung
diejenigen sich beschäftigten, welche auf dieser Basis eine neue Ordnung der
Gesellschaft aufführen wollten, interessirten ihn aufs Höchste. Mit einer Wärme
gab er sich dem St. Simonismus hin, als sei er bereit ein Apostel, ein Märtyrer
der neuen Lehre zu werden; und mit einer Leichtigkeit wandte er sich ab sobald der
Reiz des Neuen erschöpft war, als habe es sich nicht um Ueberzeugung sondern um
Persiflage der Sache gehandelt. Er selbst hätte nicht genau bestimmen können ob er
Kaum zwei Jahr nach unsrer Trennung erhielt ich aber von Arabella selbst einen Brief – und zwar aus Hamburg. Sie bat mich in wenig Worten, jedoch dringend, zu ihr zu kommen; sie sei auf dem Weg nach der Heimat. Dieser Weg schien mir ein seltsamer Umweg. Ich riß mich von meinen Studien los und fuhr nach Hamburg. Gott! wie fand ich sie! Zwischen Melancholie und Schwindsucht schwankte ihr armes Leben an einem seidnen Faden hin und her. Ich war fassungslos bei ihrem Jammeranblick. Sie sagte:
»Du findest mich auf dem Heimweg .... zum Grabe, Sibylle. In meiner Familie
sterben wir
»Ich nehme Astralis, aber ich nehme auch Dich mit mir, Arabella! rief ich mit einem namenlosen Wehgefühl. Glaubst Du denn daß ich Dich Deinem einsamen Leid überlassen könnte?«
»Ich glaube es nicht: ich will es! sprach sie bestimmt und kalt. Glaubst denn Du daß Deine Nähe mir lieb ist? Ich sage Dir mir ist nichts lieb als der Tod, und Du bist es weniger noch als tausend Andre, denn mit Dir .... zog mein Glück aus Venedig fort.«
»Und der ist nah, ich fühl' es! sagte sie. Drum wollte ich zuvor Astralis in Sicherheit bringen.«
»Willst Du Dich aber wirklich schon jezt von dem Kinde trennen?« fragte ich.
»Ja! denn wenn ich es vor Augen habe, so wird mir das Leben nicht leichter und nur
der Tod
Ich war Arabellen behülflich in einer Vorstadt Hamburgs eine kleine Gartenwohnung zu finden, die sie mit ihren treuen irischen Dienstboten bezog. Ich begleitete sie dahin. Als sie in ihr Zimmer trat, das zu ebner Erde lag und die Aussicht auf ein schlichtes Gärtchen bot, ergriff sie eine nagende Erinnerung.
»Auf Torcello war es anders! rief sie. O Sibylle! hättest Du denn nicht in Venedig bleiben können?«
So unbeschreiblich war ihr Einfluß auf mich, daß ich mir selbst egoistisch und grausam erschien; und er rührte nur daher, weil sie ganz und rücksichtslos in einem einzigen Gefühl lebte. Mogte sie Anderen tadelnswerth erscheinen – mogten Moral und Sitte ihr Benehmen verwerfen – mogte ich selbst sie in dieser Beziehung nicht rechtfertigen: mir kam diese Einheit des Wesens, welche von einer und derselben Idee lebt und stirbt, doch so majestätisch und wunderbar vor, daß ich mehr Achtung vor ihr als vor mir empfand. Denn sie hatte eine Kraft die mir gänzlich fehlte: sie hielt fest was sie einmal hielt.
Selten habe ich eine so melancholische Scene erlebt, als die unsers Abschieds. Arabella hatte meine Heimreise auf den vierten Tag festgesetzt und mich gebeten Astralis bei ihr abzuholen, damit die Kleine durch die Fahrt von dem dumpfen Gefühl der Trennung zerstreut würde. So geschah es. Als ich bei Arabella eintrat führte sie mir Astralis reizend geschmückt entgegen und sagte gelassen:
»Dieser Engel soll bei Gott und bei Dir für mich um Verzeihung beten.«
»Sprich nicht so .... aus Barmherzigkeit!« rief ich gequält mit erstickter Stimme.
»Gut, gut! sagte sie immer ganz gefaßt. Ich schenke Dir Astralis. Sie hat nichts als die Existenz, keine Eltern, kein Vermögen! ich kann ihr nichts hinterlassen als ein Paar Diamanten, denn nach meinem Tode fällt meine Rente an Lord – gh zurück. Verlasse sie also nicht und sorge dafür, daß sie in meiner Religion erzogen werde. Versprich mir das, Sibylle, und dann .... laß uns scheiden.«
»O Du bist gut! rief sie; – aber geh! geh! ich kann Deinen Anblick doch schwer ertragen.«
Ich wandte mich rasch der Thür zu. Da rief sie – – oder nein! ein herzzerreißender Schrei rang sich aus ihrer Brust:
»Astralis!«
Ich flog zu ihr: »O komm' mit mir, Arabella.«
»Nein nein! geh! unterbrach sie mich wieder gefaßt. Mir war nur eben als berühre mich der Tod eiskalt. Geht! geht!«
Sie küßte noch einmal mich und das Kind, sank dann matt auf einen Stuhl, sah durch das Fenster zum Himmel auf und sang den Anfang eines Liedes das sie sehr liebte: »'T is the last rose of the summer.« O wol war es die letzte Rose ihres Lebens, die ich jezt mit mir forttrug! – –
Am Abend desselben Tages war ich wieder in Engelau. Während der Fahrt hatte ich
nur einen Gedanken! Zwei Menschen kannte ich – unter so vielen nur zwei! – welche,
seitdem sie über sich selbst zum Bewußtsein gekommen, nie um eines Strohhalms
Breite von dem Gegenstand abgewichen
Ein Brief von Astrau erwartete mich in Engelau – ein ganz widerwärtiger Brief, in
welchem er Arabellas plötzliche Abreise von Paris eine ihrer
»Ich bin so ganz der Ansicht, daß einem Mann Größeres zu erfüllen obliegt, als zu
den Füßen des Weibes die Rolle eines romantischen Liebhabers
Umgehend antwortete mir Astrau:
»Die Welt kehrt sich um! Emancipationsideen dringen sogar bis zu Deiner ultima
Thule und Du bist ganz dazu geschaffen deren Priesterin in Beziehung auf das Weib
zu sein. Welch einen Fluch hat denn aber Gott auf uns gelegt, daß das Geschlecht
welches die Freude und Wonne des unsern sein sollte, sich allmälig zu einer
Caricatur zu verbilden droht, von der wir uns mit Schreck und Widerwillen abwenden
müssen! Wir müssen auswandern und Euch die Herrschaft Europas überlassen – dann
wird beiden Theilen geholfen sein. Auf der einen Seite überfällt uns eine Arabella
und will im Liebesrausch uns ersticken; von der andern tritt eine Sibylle uns
entgegen und theorisirt, philosophirt, dogmatisirt und systematisirt, daß uns der
kalte Schweiß auf der Stirn perlt über diese Scene aus der »verkehrten Welt«.
Vertiefe Dich nicht in diese Farce, die Du für ein Drama hältst, meine arme
Sibylle! Du hast große Neigung und Talent dazu une froide raisonneuse zu sein. Auf
deutsch läßt sich das gar nicht ausdrücken; uns fehlte bisher die Sache, also auch
die Bezeichnung; aber Du
Ich war fest entschlossen ihm unter keiner Bedingung Astralis anzuvertrauen und
hatte außerdem die Ueberzeugung daß er sie nie ernsthaft begehren würde. Daher
schickte ich ihm eine ziemlich bedeutende Summe und schrieb ihm dazu: er möge sie
zu der Einrichtung verwenden, die er zu machen habe wenn Astralis zu ihm käme. Ich
wußte sehr gut daß er sie für ganz andre Zwecke verwenden würde, aber ich suchte
fast vor mir selbst Vorwände um sein Verfahren zu bemänteln. Indessen brauchte ich
doch die Vorsicht Arabella zu bestimmen, daß sie mir in einem rechtsgültigen
Testament die Erziehung, Bildung und Versorgung ihrer Tochter anvertraute. Auf den
ersten Theil
»Du nennst mich froide raisonneuse. Dieser Vorwurf hat mich getroffen. Ich glaube
selbst daß keine Harmonie zwischen meinem Kopf und meinem Herzen ist. Ich habe
mich von der Wiege an mit Träumereien und Phantastereien abgemattet, gegen welche
jede Wirklichkeit armselig war – und dann habe ich diese Wirklichkeit mit dem
Verstande durchforscht und das Sinnenleben wie das Gefühlsleben unvollkommen und
daher unbefriedigend gefunden. Dies gebe ich zu. Aber was beweist es? – weiter
nichts als daß ich unvollkommen bin. Die arme Arabella blindlings versunken in das
Gefühls- und Sinnenleben ist in andrer Art ebenfalls unvollkommen; und Du fühlst
Dich so verletzt und beklemmt durch die weibliche Unvollkommenheit, deren
thörichte und übertriebene Richtungen wir versinnlichen, daß Du vor derselben in
eine neue Welt entfliehen mögtest. Ich habe hierauf nur mit einer einzigen Frage
zu antworten: bist Du vollkommen? – – Genug der dürftigen Persönlichkeiten! ich
rede jezt nicht von Dir und mir, sondern von Mann und Weib. Du hältst dieses für
ein inferiöres, jenen für ein superiöres Wesen. Warum? – Weil
Diesen Brief beantwortete Astrau nicht. Bis er bei ihm anlangte mogte er Arabella, welche die eigentliche Veranlassung unsrer Correspondenz gewesen war, bereits ganz vergessen haben. Sie starb im Spätherbst desselben Jahres. Das Leben hatte ihre Kräfte zu sehr aufgeregt um sie nicht zu verzehren, als sie keinen Gegenstand fanden an dem sie sich üben konnten. Sie starb an Erschöpfung in ihrem achtundzwanzigsten Jahr. Zu der Zeit wußte Astralis schon nicht mehr, daß sie eine andre Mutter gehabt als mich. Sie wuchs zwischen uns auf als mein italienisches Pflegekind – wie meine Hausgenossen sie nannten.
Ereignisse gab es in jener Zeit gar nicht, also
Mein Verkehr war lebhafter mit den Personen
Was ging mir ab um mich in diesen friedlichen Verhältnissen glücklich zu fühlen: freiwillige Beschränkung – denn ich war nicht vernünftig! Resignation – denn ich war nicht fromm! Ich sprach zu mir selbst: Du erfüllst Deine Pflicht, Du thust das Gute, Du suchst es in Andern zu wecken und zu fördern – warum giebt Dir das denn nicht Befriedigung? Wo das Leben ein klarer stiller reiner Bach ist, sollte da der Durst nicht aus dessen Wassern gelöscht werden können? – – O mit welcher heimlichen trostlosen Verzweiflung that ich mir nicht tausendmal diese und ähnliche Fragen. Ich vergaß nur daß ich meine Befriedigung nicht da suchte wo ich sie hätte finden können, weil ich fortwährend von einem idealen Glück träumte – und meinen Durst mit einem Nectartrank stillen wollte, der freilich aus meinem Bach nicht zu schöpfen war.
Inzwischen lernte ich fleißig und gern – wenigstens in den beiden ersten Jahren.
Da waren mir die Sachen noch fremd genug um mich durch den Reiz des Unbekannten zu
locken. Geheimnißvolles
Bei der Mathematik war mir nun vollends zu Muth wie dem Fisch auf dem Trocknen!
Ich, die immer auf den Grund der Dinge losging, die sich nicht abfertigen ließ mit
der äußern Erscheinung sondern den Lebenspunkt in ihr suchte – ich hatte mir von
der Mathematik ich weiß nicht welche Grunderkenntniß alles Daseins versprochen –
ich weiß nicht welche Wissenschaft, die mir das Räthsel der Natur, den
Zusammenhang zwischen dem Endlichen und Unendlichen, offenbaren würde; – und statt
dessen fand ich eine Methode, welche die Auffindung
Die Tage vergingen; mit ihnen die Zeit sehr schnell, zu schnell. Ich habe nie
begreifen können warum die Menschen so oft freudig sagen: Schon wieder sechs Monat
vorüber! man merkt gar nicht wo die Zeit bleibt! – – Ist denn das ein Vorzug daß
sechs Monat wie sechs Stunden vergangen sind? Im Gegentheil! ein Mangel ists, eine
Leere! – Nichts hat Epoche gemacht, nichts ist geleistet, nichts erstrebt worden;
keine ernste Mühe, kein hoher Genuß bezeichnet die Tage. Ein Winter ist
durchgemacht, etwa wie die Pflanzen im Gewächshause, in gemüthlicher
Ungestörtheit. Ist es das was den Menschen erfreuen soll? – Wol giebt es Perioden,
die einen merkwürdigen Anstrich von Monotonie haben; aber unter ihrer stillen
Hülle ist die Menschenseele in großer, rastloser Thätigkeit,
Und während dies Alles in mir tobte, wühlte, grollte, arbeitete – nahm ich
Lectionen der Mathematik und andrer vortreflicher Dinge, die mir ein Greuel waren!
und gab meiner armen Benvenuta
Letzteres war aber mit nichten der Fall. Herr Becker und meine Gesellschafterin
Fräulein Mathilde hatten sich durch Philologie und Musik die Seele nicht
absorbiren lassen, sondern sich mit einander verlobt – was mir, obgleich Beide
blutarm waren, unendlich vernünftig und erfreulich vorkam. Ich fragte ihn
lächelnd, ob er nicht fürchte daß sein Apostelamt der Gräcisirung in den Schatten
treten würde neben den Pflichten des Hausvaters. Er entgegnete ebenfalls lächelnd:
ihn wolle jezt bedünken als sei die Familie eine eben so trefliche Schranke gegen
Barbarei als das Griechenthum, und er wolle es lieber auf beide Weisen
versuchen
Sogar Herr Müller hatte bei mir einen Fortschritt wenn nicht in der Wissenschaft
doch so zu sagen im Menschenthum gemacht, indem er sich ganz unsäglich für die
polnische Revolution, ihre Anhänger, ihre Auswanderer, interessirte. Der Grund war
nämlich – Copernicus! Er fand es nicht zu viel wenn ganz Europa diesen Mann in
seinem Volk geehrt hätte, und aufgestanden wäre zu dessen Wiederherstellung. Mit
dem unsterblichen und unvergleichlichen Verdienst dieses Mannes könne Keiner in
die Schranken treten, denn er habe durch sein System, worin die Erde sich um die
Sonne drehe, doch zuerst Ordnung in die Welt gebracht und diese gleichsam erst auf
die Füße gestellt. Er seines Theils könne nicht begreifen, daß die Menschen bei
einem so grundfalschen Princip wie die Bewegung der Sonne um die Erde, nicht
ihrerseits in die größten Verkehrtheiten verfallen, und etwa auf allen Vieren
umhergewandelt oder auf den Köpfen umhergehüpft seien. Freilich wisse man auch
nicht was in den germanischen, hercynischen und sonstigen Wäldern passirt sei! und
daher sei es ein Greuel des Undanks nicht vor einem Volk auf den Knien zu liegen,
das einen Copernicus
Der Gedanke daß meine drei Studienjahre zu Ende gingen mit dem nächsten November,
bereitete mir einerseits ein unsägliches Wolbehagen; – wie erlöst kam ich mir vor!
Jedoch auf der andern überschlich mich ebenso namenlose Angst womit dann – ich
sagte nicht die Zeit, denn die blieb leer! aber die Stunden, aber die Tage,
auszufüllen sein mögten. Nur nicht mehr lernen und lesen! – war ein Hauptwunsch;
nur nicht mich langweilen! war ein zweiter. Wol fielen mir Reisen ein; doch wohin?
mit unbesieglicher Bestimmtheit lockte mich kein Ort und keine Stätte in der
weiten Welt. Sollte
»Meister Fidelis, wo sind Sie in der Welt? Wie oft seit Jahren thue ich Ihnen in
Gedanken diese Frage, und wie traurig war mir's oft, daß Sie mir nie darauf
geantwortet haben. Vielleicht haben Sie's gethan in derselben Weise wie ich Sie
fragte; aber die Geister, durch die Körper von einander abgesperrt, können sich
nicht verständlich machen und in trauriger Einsamkeit schleicht Jeder dahin und
wähnt sich vergessen. Sie haben es schlecht auf dieser Welt, die Geister! wie
Sennen auf Bergeshöhen kommen sie mir vor; durch Klüfte und Abgründe sind sie
unüberwindlich von einander getrennt, und von ihrem Dasein zeugt nichts als der
schallende Laut den sie zuweilen ausstoßen wenn ihnen die Seele übervoll ist. Ob
übervoll von Lust oder Leid, von
Nach Rom schickte ich diesen Brief an die Adresse unter welcher ich Sedlaczech
seine Pension seit unsrer Trennung in Venedig beständig zahlen ließ. Ich wartete
lange auf die Antwort. Endlich kam sie – und zwar aus Hamburg. Er selbst brachte
einen jungen Italiener und fragte an, ob er ihn nach Engelau begleiten dürfe.
Meine Erinnerungen waren so stumpf und grau, daß ich mich kaum mehr seiner
Verbannung durch Otbert entsann. Ich lud ihn ein so schnell wie möglich zu kommen,
und er kam an dem für mich so ereignißreichen Tage Aller Seelen. Er wurde sehr
gefeiert; er war so wichtig für Engelau, denn er war mein und meiner Tochter
Geburtstag. Sie wurde acht Jahr alt, ein schönes Kind mit den guten Augen und dem
»Da sind Sie! sprach ich bewegt. O Fidelis! Gott segne Ihren Eintritt in dies Haus, das Haus meiner Väter und meiner Kindheit!«
»Er segne diesen Tag!« entgegnete er und drückte meine Hand innig zwischen den seinen.
Ich kehrte in den Salon zurück um den Italiener Herrn Mezzoni zu begrüßen. Philologie und Mathematik sollten morgen auswandern, und statt ihrer zog die himmlische Kunst unter mein Dach; das stimmte mich sehr heiter, ja sogar fröhlich. Doch diese seltene Stimmung entschwand als Sedlaczech fragte:
»Graf Astrau ist doch nicht krank?«
»Er ist wol – so viel ich weiß! entgegnete ich .... und weshalb sollte er denn krank sein?«
»Weil er am heutigen Tage unsichtbar ist.«
»Er lebt schon seit Jahren in Paris« – erwiderte ich ruhig, aber ich fühlte daß ich erbleichte.
Verlegen darüber etwas Unpassendes gesagt zu
»Heute vor dreizehn Jahren war Ihr Vermälungstag« – brachte er fast stotternd hervor.
Wol hatte ich daran gedacht, und meine ganze Kindheit und Jugend, und mein ganzes Schicksal voll seltsamer Einsamkeit waren auf diesem Gedanken an mir vorüber gerauscht und hatten mich während des Tages trübe gestimmt. Jezt vergaß ich es einen Augenblick in der Freude Sedlaczech wiederzusehen und er, er selbst mußte mich daran erinnern.
»Schon dreizehn Jahr den bewußten Traum des Lebens zu träumen .... ist fast zu viel, erwiderte ich kalt. Ueberdies ist dreizehn eine schlimme Zahl. Mir graut vor diesem Jahr.«
Man beruhigte mich damit daß das vierzehnte beginne und die böse Dreizehn
überwunden sei; und bald darauf trennten wir uns. Du bist ein Novemberkind, vergiß
das nicht! – sprach ich zu mir selbst, als ich mein Cabinet wieder betrat, das ich
vor einer Stunde so fröhlich verlassen hatte. Der Monat ist ein Symbol Deines
Lebens: die Sonne sendet wol zuweilen einen Stral herab, allein er geht unter in
Wolken und Nebeln und sie selbst steigt nicht hoch genug um das wüste
Am andern Morgen reiste Herr Becker ab, nach Paris. Ich fühlte mich verpflichtet
ihm nach der tödtlichen Langenweile der drei Engelauer Jahre die Erholung dieser
Reise zu verschaffen. Er wollte freilich von der Langenweile nichts wissen, und es
ist auch ganz richtig: wenn man sich verliebt langweilt man sich nicht. Um desto
größer war aber seine Freude, und sie contrastirte lebhaft mit den Thränen welche
Fräulein Mathilde wegen der Trennung vergoß. Indessen auch diese versiegten. Sie
war ein gutes Geschöpf; doch glaube ich daß sie binnen Jahresfrist im Stande
gewesen wäre Mezzoni ebenso gern zu heirathen als Becker. Aber Mezzoni
verabscheute sie, eben um diese ihre negative Natur, die ihn auch über ihr
Clavierspiel zu der Bemerkung veranlaßte: Ihm sei dabei zu Muth wie zwischen den
Perlfabriken seiner Heimat – (er war ein Venetianer) – so glatt, kalt und sauber
gehe da Alles von statten. Zwei Jahr später bewerkstelligte sich endlich
Mathildens Verheirathung und Beckers Anstellung, und ich denke sie leben in
friedlicher Ehe. – Der alte Müller ließ sich in Eutin nieder und widmete sich mit
erneutem
Als ich mit Sedlaczech allein war, erzählte ich ihm ausführlich und aufrichtig wie
ich mit Otbert gelebt, und warum wir uns getrennt. Er kam mir noch immer – und in
Engelau mehr denn je! – als eine Autorität vor und es gewährte mir Erquickung mich
an eine solche zu wenden, da grade sie mir seit meinem zehnten Jahr gefehlt hatte.
Die kränkliche Mutter, der zärtliche Paul, der gleichgültige Otbert, ließen mich
gewähren – aus sehr verschiedenen Gründen, welche aber für mich die nämliche
Wirkung hatten. Mein Schwiegervater würde vielleicht versucht haben mich zu
dominiren, wenn wir mehr zusammen gelebt hätten;
»Wie glauben Sie denn daß Ihre Zukunft sich gestalten werde?« fragte Sedlaczech.
»Da giebt es zwei Wege, entgegnete ich. Entweder ich verfalle in die schaale
Routine des Lebens, welche die Eigenschaft besitzt die Leute – wie man es nennt zu
conserviren; nämlich so wie Leichen sich in manchen Gewölben mit dem Anschein von
Leben erhalten; und dann kann ich es zu grauen Jahren bringen .... vor denen der
Himmel Alle behüten möge die er liebt! Oder solche Existenz ohne Reiz, ohne Nerv,
ohne erhebende Gedanken, ohne beseelende Idee, ohne Leidenschaft – führt eine
Atonie sämtlicher Kräfte herbei .... welche bald gänzliche Auflösung zur
»Wer kann sagen: ich begreife das Leben! erwiderte Sedlaczech. Niemand! Das ist eben die Sache Gottes. Wir aber, die wir es nicht können, sollten die Hände davor falten, weil es eine Hieroglyphe ist, die ein göttliches Geheimniß verbirgt.« –
»Immer die Fabel von der verschleierten Isis!«
»Ja! aber auch immer im Fabelkleide die urewige Wahrheit.«
»O Meister! rief ich, wie sind Sie nur zu Ihren unumstößlichen Ueberzeugungen gelangt.«
»Nimmermehr!« rief ich.
»Doch! unterbrach er mich sanft. Als die Engel in Menschengestalt zu jenen Zeiten von denen nur Legenden uns erzählen, auf der Erde umher wandelten, hatten sie ein geheimnißvolles Wort, kraft dessen sie augenblicklich zu ihren Gestirnen und ihren Himmeln emporsteigen konnten. Die Menschenseele weiß auch von einer solchen Bannformel mit der sie sich über den Staub hinaufschwingen kann, und die ist ihr eben eingeboren, ohne Unterschied der intellectuellen Gaben – Allen! sie heißt: Glaube und Liebe! – der Glaube einer ewigen Einheit anzugehören, die ihrer Essenz nach nichts Andres als eine Vollkommenheit sein kann: das ist der Schöpfer! .... die Liebe, welche uns die Vielheit, das Geschöpf, als unsers Gleichen, als Gefäß seines unerforschten Willens, als Symbol seiner Idee zeigt.«
»Das ist genug für erhabene Menschen, entgegnete ich traurig; – nicht für mich.
Diese gleichsam unpersönliche Gemeinschaft mögte ich die der Heiligen nennen ....
und die Heiligen, Fidelis, über welche Dornen und Kohlen sind sie gewandelt ehe
sie dahin gelangten. Lesen Sie doch
»War Christus nicht von seinem Herzblut überrieselt auf dem Weg zu Golgatha? – Sie fürchten das Leid zu sehr, Sibylle!«
»Ich fürchte es nicht! ich weiß nur aus unseliger Erfahrung, daß es uns nicht fördert und nicht hilft – und darum meid' ich es« .... – –
»Das heißt Sie lassen es fallen anstatt es reifen zu lassen.«
»Das Leid pflegen .... ist Mißverstand.«
»Es reifen lassen .... grenzt an Weisheit! sprach er lächelnd. Es lebt sich dann
durch alle Phasen durch und aus; es gestaltet sich zuweilen zu einer köstlichen
Essenz – wie starker Wein, das Leben kräftigend, wie Rosenöl, es mit Balsamduft
durchhauchend. Zuweilen wird es freilich auch zu einer sehr, sehr bittern Frucht,
durch die man nichts gewinnt
»O Meister! rief ich bewegt und mit feuchten Augen, wie thun Sie mir wol! bleiben
Sie nur immer bei mir! bei Ihnen fühl' ich mich zu Hause und bei meines Gleichen;
denn Sie denken, empfinden und sprechen wie ein Mensch – während ich so lange! so
lange! nur sprechen höre vom Standpunkt aus, den Beruf oder Gelehrsamkeit oder
Verhältnisse zur Pflicht und zur Gewohnheit machen. Das ist natürlich .... ach, es
mag sogar respectabel sein! aber .... ich kann's nicht aushalten – ich kann es
nicht! All dies kluge Wissen, all dies brave Thun kommt mir vor wie der Teich
Bethesda, dessen Gewässer stagniren und
»Und wenn Graf Astrau kommt?« .... – –
»Er wird nicht kommen! Käme er aber, so würde er ein Gast unter meinem Dach sein gleich Ihnen – und das Gastrecht meines Hauses genießen wie ein Fremder – und nicht wie Sie, mein Freund.«
»Ich werde bleiben so lange ich kann! entgegnete Sedlaczech nach einigem Schweigen und mit gepreßter Stimme. Kann ich nicht mehr so« .... –
»So sind Sie frei – das versteht sich! unterbrach ich ihn. Aber jezt .... bleiben Sie bei mir. Und glauben Sie mir: es ist Ihre Pflicht! wo der Mensch die heilsamste Wirsamkeit übt – ist sein Platz. Es ist nicht Jedem gegeben wolthätige Lebensluft um sich zu verbreiten. Trockne, dürre, harte Seelen hauchen Stickstoff aus, worin das Leben erlischt, das in ihre Atmosphäre geräth. Aber Sie entzünden das bereits halb erstorbene« .... –
»Wozu dies Alles! unterbrach er mich unruhig. Ich kenne ja Ihre Art: heute
fanatisiren Sie sich für einen Menschen der Ihnen ein Prophet zu sein
»Mit Otbert war es allerdings so,« antwortete ich beschämt.
»Und nicht mit ihm allein, sondern mit Allen und Allem was Sie je ergriffen haben.«
»Wolan es ist so! rief ich entschlossen, denn meine Seele will Ruhe finden in dem
was sie liebt, und findet statt dessen Unruh, Angst, Verzweiflung – weil die
Gegenstände ihrer Liebe wesenlos an ihr vorüber und in das Nichts hinein schweben
dem sie angehören. Ich kann das nicht ändern, weder meine Sehn sucht noch meinen
Schmerz kämpfen. Beide sind gleich groß, gleich gewaltig. Wie jene Halb-Verdammten
des Dante befinde ich mich in einem beständigen Wirbelwind. Das Unbekannte lockt
mich mit den süßesten Verheißungen, die in dem Bekannten ebenso sicher untergehen,
wie eine gewisse flammende Morgenröthe einen Tag voll Regen bringt. Zwischen jenen
Chimären und dieser Nichtigkeit stehe ich auf einem so ungewissen Punkt wie der
Krater eines Vulkanes ist! ich habe ihn nicht gewählt, nicht gesucht! ich bin
durch
»Ja, ich mache Ihnen Vorwürfe, Sibylle! Wer klar genug über sich selbst ist um die Richtung zu erkennen in welche seine Natur ihn drängt – wer dieselbe unablässig verfolgt: dem ziemt keine Klage wenn deren letzte Consequenzen ihm begegnen – denn er sollte auch über sie allmälig klar werden und sie als Bedingungen der Existenz annehmen. Ein Ringen aus der Unvollkommenheit zur Vollkommenheit – das ist das Leben; das ist das Ziel des Menschen; dahin muß er streben durch Licht und Schatten, in Sieg und Niederlage, durch handeln und denken, mit Kreuz und Schwert; darin muß er seine Seligkeit suchen – denn seine Bestimmung ist Seligkeit. Nur muß zuvor mancher herbe Kelch geleert werden, der auf ewig geheiligt ist weil ihn der Allerheiligste nicht verschmäht hat. Aber Sie .... lassen ihn fallen! Aber Sie .... mögten in der Vollkommenheit geboren sein und bequem die Seligkeit als Hausmannskost genießen in Ihrer olympischen Trägheit!«
»Ja! denn ich bin mir bewußt sie nimmermehr verdienen zu können!«
»Verdienen? Wer spricht von verdienen .... ich
»Und wohin – wohin soll ich ringen?« rief ich.
»Zu Gott!« sagte er sanft.
Hatte ich eine Vision gehabt? – hatte unter Orgelton und Glockenklang eine Stimme zu mir geredet? – Ich war doch jeden Sonntag in der Kirche gewesen und hatte ein Paar hundert Predigten gehört und hatte außerdem manches ernste gute Wort über religiöse Dinge mit meinen Pfarrern – und nicht blos mit ihnen! – geredet, und nie war mir so zu Muth gewesen. Nie bebte meine Seele vor ihrem Wort und dennoch ihrem Wort entgegen! Nie stand ihnen der Mosisstab zu Gebot, der aus dem Felsen Wasser schlug! – Und jezt kommt ein Mensch, sagt das Allereinfachste, das Allernatürlichste, was ich, was Jeder ebensogut oder besser hätte sagen können – schöpft es aus dem warmen tiefen Quell seines Herzens – und bewegt mich so .... aber so, daß ich zu mir selbst sprach:
Das Leben bekam jezt eine andre Färbung, als ob ein wärmerer, farbenreicherer
Himmel einen kühlen und eintönigen verdrängt habe. Freilich war nicht mehr jeder
Stunde ihre unveränderliche Bestimmung wie von einem Fatum zugewiesen. Freilich
waren meine Beschäftigungen willkürlicher und unregelmäßiger. Ich trieb nicht mehr
die Eintheilung der Zeit bis zu pedantischer Genauigkeit. Eben daher ward mein
Leben mannigfaltiger weil Stimmung und Neigung des Augenblicks befragt wurden,
weil der Tag nicht wie die Musik einer Spieluhr mechanisch abgearbeitet wurde. Was
war das nur für ein unsinniger Einfall sich dermaßen in ein Extrem zu sperren?
fragte ich mich selbst ganz verwundert – und bedachte nicht, daß ich mir diese
Frage wol schon zwanzig Mal vorgelegt hatte und immer aus einem Extrem in das
andre geschwankt sei. Jezt wollte ich auf der schönen klaren Mitte bleiben. Ein
stiller Geist kam über mich. Mir
»Bin ich wirklich so sehr alt und ehrwürdig?« fragte er lächelnd.
Ich mußte ihn auf diese Frage einmal gründlich betrachten. Nach einer Pause sagte ich:
»Das Genie hat kein Alter, und Sie haben ein merkwürdiges Antlitz, Meister Fidelis – als hätte die Natur bei dessen Bildung mächtig tiefsinnige Gedanken gehabt, und als hätten Sie diese Gedanken alle errathen, alle ausgeführt.«
Dies war ganz richtig! die Züge waren fest geschnitten und fester noch
ausgebildet. Flammenfinger schienen magische Zeichen auf seine Stirn geschrieben –
Elfenfinger deren strenge Furchen geglättet, und den Abglanz ihres eigenen
Schimmers über sie gebreitet zu haben. Die graden
»Sind Sie eine Jüngerin Lavaters? fragte er scherzend; und glauben Sie an dessen Physiognomik?«
»Ich glaube an die Urmacht der Natur. Ist der Mensch nicht der Aus- und Abdruck
der in ihm wohnenden, ihm uranfänglich eingehauchten Idee: so ist er ein
Larvenbild, und dieses ist von einer wahrhaften Gestalt zu unterscheiden. Ich
glaube daß Genius und Größe nicht wie Zieraffen aussehen und sich geberden; und
glaube daß im Zieraffen ebensowenig Größe und Genius stecken. Ich glaube daß ein
Engel nicht aussieht wie ein Teufel – daß ein Teufel die Maske eines Engels
vornehmen und Diejenigen täuschen kann die gedankenlos mit ihm umgehen und sich
täuschen lassen wollen – und daß der unbefangen beobachtende Blick sie
unterscheidet. Und ich glaube endlich daß unser in dieser Beziehung ursprünglich
scharfer Blick
»Wäre es nicht ein unerhörtes Unternehmen, entgegnete Sedlaczech, aus einem modernen Schuh auf das schöne Gebilde eines menschlichen Fußes mit seiner feinen und festen elastischen Gliederung schließen zu wollen? Und wie der Schuster mit unserm Fuß, so verfährt der Mensch mit dem Menschenantlitz.«
»Aber dem unbezwinglichen Herzens- Geistes- und Leidenschaftsleben bleiben dennoch immer Canäle geöfnet in denen es sich ausströmt und ausstralt. Und ich meine auch nur daß der Grundzug einer Natur, die Hauptrichtung eines Characters erkennbar sind – etwa so wie Beethovens Antlitz die sturmbewegten und durchfurchten Züge eines Titanen an Macht und Tiefsinn nicht verleugnen kann – und Rafael nicht die liebende Anmuth seiner Seele.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung! sagte Sedlaczech, und da ich finde daß die
Hauptrichtung eines Menschen die einzige ist, welche bei seiner Beurtheilung
»Wenn Sie mich nicht kennten, Fidelis, sprach ich gedankenvoll, was würden Sie über meine äußere Erscheinung sagen?«
»Das ist schwer .... fast unmöglich! .... Vielleicht würde ich sagen: eine schöne schicksalträumende Walkyre! – Vielleicht .... eine Somnambule, so ahnungsvoll, aber befangen und gebunden; eine immense Seele – aber leer.«
Fräulein Mathilde hatte dem Gespräch zugehört in ihrer Weise, d.h. jedes meiner Worte als einen Orakelspruch bewundernd. Als ich jezt ernst und sinnend schwieg, nahm sie gekränkt das Wort und rief lebhaft:
»Herr Sedlaczech! besinnen Sie sich! wie können Sie die Gräfin eine leere Seele nennen! sie ist ja so voll Güte und Wolwollen! Ich hätte gemeint daß Sie auf Ihren Reisen mehr Menschenkenntniß erworben haben müßten.«
»So wird man verkannt – und gar von seinen Freunden!« rief ich scherzhaft und abbrechend. Aber zu Sedlaczech sagte ich später:
»Sie hatten ganz Recht, Fidelis! statt zu leben
Er schwieg. Ueberhaupt schwieg er viel, und ich hätte doch gewünscht er möge viel sprechen. Ich fragte ihn auch einmal weshalb er so wortkarg sei? er habe doch Gedanken vollauf.
»Worte sind nicht die eigentliche Sprache meiner Gedanken; antwortete er. Ich bin so daran gewöhnt die besten und tiefsten in Musik auszusprechen, daß ich, wenn ich reden soll immer jene Unbeholfenheit fühle mit der wir uns in einer fremden Sprache ausdrücken. Ueberdas habe ich nicht jene Gabe der Unterhaltung, die man nur im Verkehr mit der großen Welt entwickeln kann.«
»Ganz Recht, Fidelis: mit der großen Welt, in der alle Menschenbildungen ihren
Platz einnehmen, sich durch einander drängen und bewegen, und jede auf ihre Art
die Sprache verstehen und handhaben. Da muß der Gedanke schnell und beweglich, der
Ausdruck fein, schmiegsam und doch präcis sein, und immer wechseln je nach dem
Verständniß Desjenigen mit dem man eben redet. Dazu gehört ein erstaunlicher
Scharfblick und eben so erstaunliches Wolwollen. Die große Welt bietet zu diesen
Uebungen einen vortreflichen Tummelplatz.
»Was hilft das einem schüchternen Menschen? ich bin schüchtern – meine Seele
ist's! Das mag mit meinem Schicksal, mit meinen Fähigkeiten zusammenhängen. Meine
Gedanken und Empfindungen kommen mir so beschränkt, alltäglich und armselig vor
wie Nachtviolen, die unschönen grauen Blumen, die nur dann zu duften wagen, wenn
die Nacht mit ihren ewigen Gestirnen heraufzieht;
»Ihr inneres Leben mögt' ich kennen, Meister, sagte ich gedankenvoll. Es muß gleich dem Karfunkel sein: mystisch und licht.«
»Ist nicht jedes innere Leben so?«
»O nein! so ist es! statt der Mystik – Verwirrung, und statt des Lichtes – farblose Wässrigkeit!« rief ich.
»Sie sind sehr hart, Gräfin Sibylle!« sprach er.
»Nur gegen mich, Fidelis! meine Bemerkung galt hauptsächlich mir! .... aber freilich nebenbei manchen Anderen. Denken Sie doch nur: der bewußte Geist, der die Persönlichkeit genau bestimmt und ausprägt – der macht licht. Und die Inspiration, die Begeisterung, die Gefühlsströmungen von Andacht und Liebe, welche jene Persönlichkeit durch- und umfließen und sie im unbewußten Zusammenhang mit dem Ganzen, mit dem All zeigen – die sind mystisch. Glauben Sie wirklich daß dieser hochheilige Tag und diese tiefheilige Nacht eine alltägliche Erscheinung in unsern verschrumpften, verfinsterten, engen, matten Seelen sei?«
»Ich glaub' es nicht, erwiderte er sanft, und
Wenn Sedlaczech durch den Gegenstand hingerissen sprach – wenn er gleichsam das
Wehr öfnete und die Flut der Empfindung nicht länger hemmte – wie veränderte sich
dann sein Gesicht, sein Ausdruck, seine Stimme! Die Stirn wurde so transparent,
daß man meinte hinter ihr die Gedanken weben und walten zu sehen; – das hagre
bleiche Antlitz war erfüllt und erwärmt von der Ueberfülle der Seele; – die kalte
monotone Stimme klang und vibrirte wie ein tonreiches Instrument das erst jezt
seinen Meister gefunden. Ebenso war es auch wenn er spielte. Ich würde geglaubt
haben, daß jene Veränderung nur für mein Auge
»Welch ein herrlicher Schauspieler hätte er werden müssen, setzte sie hinzu, da er im Stande ist seine Mienen und Bewegungen so in Uebereinstimmung mit seinen Worten zu bringen.«
Sie war mir immer ziemlich einfältig vorgekommen, die gute Mathilde! jezt fand ich sie gradezu dumm: sie konnte wähnen daß er absichtlich diesen und jenen studirten Ausdruck annahm! – Und wenn ich es recht bedachte machte sie keine Ausnahme von der Regel; denn in der Regel betrachtet die Gewöhnlichkeit die Zeichen und Gepräge des Außergewöhnlichen wie Jonglerie, Kömödie und Maskenspiel, wel che aufgeführt werden um Staunen und Aufmerksamkeit zu fesseln. Das kann sie nun einmal durchaus nicht begreifen – abgesehen von allem Uebrigen was sie ebenfalls nicht begreift! – daß der Außergewöhnliche sich gehen läßt in der Sorglosigkeit seiner Natur, statt zu schwimmen in ihren bodenlosen Ansprüchen von Bemerkt- und Begafftwerden.
Zwischen Sedlaczech und Mezzoni entwickelte sich Mathildens bis dahin etwas
seelenloses Talent.
Wieder vergingen die Tage ungezählt und unbemerkt; Winter und Sommer; und wieder
ein Winter und noch ein Sommer. Ich war wol nicht glücklich, aber ich vergaß daß
ich es nicht war – und damit war viel gewonnen nämlich etwas Beruhigung! denn das
suchen, sehnen und jagen nach Glück ließ nach, und daher war mir das Leben nicht
länger ein heißer Kampf oder eine lähmende Last. Ich forschte nicht, ich fragte
nicht. Ich glaube zum ersten Mal seit ich geboren, gewährte mir die Gegenwart wie
sie eben war stillen
Ich hatte der Kirche von Engelau eine neue Orgel geschenkt, so groß und schön wie
die Räumlichkeit es nur immer gestattete. Der Organist verstand durchaus nicht sie
geltend zu machen; – Sedlaczech erbot sich sie einmal zu spielen damit ich ihre
eigentliche Kraft und Fülle hören könne. Wir gingen eines Nachmittags sämtlich in
die Kirche. Es war ein warmer milder Septembertag, ein letzter Gruß des
scheidenden Sommers. Die uralten Ulmen, welche mit einem tiefen Schattenkreis den
Gottesacker, die Heimat der Schatten, umgaben – zeigten schon manch welkes
Blatt
Hundertmal schon glaubte ich bemerkt zu haben,
»Salva me, fons pietatis!« klang es von der Orgel herab; und darin ließ Sedlaczech wie in ewiger Wonne die Töne verhallen. Wir verließen Alle tief er griffen die Kirche. Keiner sprach ein Wort. Der Mond ging langsam auf. Ich nahm Sedlaczechs Arm und schlug mit ihm den längern Rückweg durch den Garten ein; die Uebrigen gingen gradesweges nach Hause. Ich theilte ihm den gewaltigen Eindruck des Requiems auf mich mit:
»Wie ein Donnerruf des Gewissens klang es.«
»Ich denke nicht daß das Ihre mit so fürchterlicher Stimme zu Ihnen spricht,« sagte er mit seinem gewissen kalten Ton, der mir häufig das Wort auf den Lippen tödtete, weil er mehr zum Schweigen als zum Reden auffoderte.
Allein es war Sturm in mir gewesen; da gingen die Wellen noch hoch! ich fragte kurz:
»Wie kommt es, Meister, daß Sie, ein so innerlicher
»Das dächte ich nicht! ich spreche darüber wenn ich grade in der Stimmung bin; aber ich habe sie freilich nicht immer und ich setze sie noch seltner bei Andern voraus. Was in uns vorgeht hat doch eigentlich nur für uns selbst Wichtigkeit, sobald es sich nicht durch das Organ der Kunst oder der menschenfreundlichen und gemeinnützigen That an den Tag legen läßt. Ich meide gern das Unnütze, am Meisten das unnütze Wort.«
»Wer sagt Ihnen daß jedes gesprochene Wort ein unnützes sei? es kann nicht Jeder große Thaten thun, nicht Jeder Kunstwerke schaffen, der doch ein hohes Streben und einen Schatz von Poesie in seiner Seele trägt: mir ist es ebenso wichtig wenn das im Wort zum Vorschein kommt als durch Handlungen.«
»Sie setzen innere Herrlichkeiten voraus – Perlen und Korallen unter den Wellen
des Busens; ich leugne sie nicht! nur sind sie umschlungen von wüsten wirren
Thier- und Pflanzengebilden, und abschreckende Ungeheuer verdecken sie oft
gänzlich. Wenn der Mensch genau wüßte, wie es in der Seele seines Geliebtesten
aussieht – so würde er sich von unüberwindlichem Schauer ergriffen fühlen.
»Und doch glauben wir daß Gott die dunkeln Abgründe unsers Wesens kenne ohne sich von uns abzuwenden.«
»Gott ist barmherzig und gnädig: das ist die Essenz seiner Liebe. Bei dem Menschen aber geht in Gnade und Barmherzigkeit häufig die Liebe unter – die Liebe welche ihn beseligt hat.«
»Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Ich habe diesen Ausdruck der bilderreichen Sprache des Orients nie anders verstehen können, als daß ein Hauch seines Wesens auch uns beseele – auch uns befähigen solle den Reflex der göttlichen Liebe warm und licht in uns zu bewahren; folglich kann unsre Liebe in der Barmherzigkeit nicht untergehen, Meister Fidelis.«
»Gott ist barmherzig, der Mensch nur mitleidig,
»Ohne Ende! ja Fidelis, das ist das Wort des Geheimnisses unsrer Qual.«
»Es könnte auch das Wort: ohne Anfang! sein.«
Ich sah ihn befremdet an. Er hatte mit einem seltsamen Ausdruck gesprochen, wie bebend von zurückgehaltenem Schmerz.
»Ohne Anfang .... wie das Keimen und Aufblühen unsrer Gedanken, wie die Manifestation unsers Willens, wie die Entwickelung unsrer Neigungen – was Alles schon im Wiegenkinde zum Vorschein kommt! – fuhr er fort. Und so finden wir auch in uns Richtungen, Bestimmungen, Schicksale, die fertig und mächtig in uns aufstehen, und die – wenn wir zitternd fragen: Woher kommst du? – gelassen entgegnen: wir waren immer bei dir! –
»Glückseliger! rief ich; o dreimal Glückseliger, der ewig im Tempelhain seiner
Gottheiten geblieben ist. Die Unseligen sind nur die, Fidelis, welche
Ich ließ seinen Arm los, umschlang mit beiden Armen einen Baum und rief:
»Sehen Sie! der Baum erquickt mich! er hat keine Seele – drum weicht und wankt er
nicht. Was Seele hat .... wankt! Irrthum, Täuschung, Wankelmuth, Verlust, Tod –
umspinnt uns von Außen und Innen – die ganze Masse dieses Gewebes heißt Leben, und
mit demselben sollen wir
Ich preßte meine Stirn an die Rinde des Baumes, als wolle ich mich durch äußern Schmerz gegen die Gedanken betäuben. Sedlaczech sprach langsamer:
»Eine immense Seele .... aber leer!«
»Das haben Sie schon einmal von mir gesagt! rief ich. Ich bin's ja nicht allein
die so beschaffen ist wie ich es beklage! alle Anderen sind ja ebenso .... nur daß
sie sich die Schmach zur Ehre rechnen, und die traurige Naturnothwendigkeit
Product
»Sibylle!« rief Sedlaczech wie um mich zur Besinnung zu bringen; – »Sibylle!«
»O ich bin sehr besonnen! unterbrach ich ihn; – aber ich will reden! ich will
einmal sagen wie mir zu Sinn ist, und diese Last meiner Gedanken in eine fremde
Brust wälzen! Wir haben ja keine Priester zu denen wir beichten können. Unsre
Geistlichen sprechen: das sei sündiger Mißbrauch. Ich weiß es nicht! aber das weiß
ich: ich bin in Euren Kirchen in solchen Stimmungen gewesen, daß wenn ich einen
Priester im Beichtstuhl sah, ich mich hätte vor ihm niederstürzen und
Ich hatte mit fieberhafter Glut und Hast geredet. Meine verschlossene Natur, durch die erschütternde Musik aufgewühlt, zugleich für und wider die Gewohnheit des Schweigens ringend, hatte diesen Ausbruch nicht unterdrücken können. Es mag ergreifend sein Zeuge einer solchen Haltungslosigkeit zu werden, wo man sonst immer gefaßte Sammlung gesehen. Sedlaczech wenigstens stand mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdruck von Desolation vor mir; und als ich sein früheres Wort nachsprach:
»Dies sind die stillen Unsinnigkeiten einer edeln Seele vor denen Sie so große Furcht haben!« – –
Da sank er wie zerbrochen auf seine Knie und flüsterte leise:
»Aber sehen Sie denn nicht daß Sie mich vernichten?«
»Können Sie noch beten, Fidelis? so wie damals – Sie wissen was ich meine.«
»Noch kann ich es!« sprach er ganz, ganz leise und erhob sich langsam.
Ich nahm wieder seinen Arm, und wir gingen schweigend dem Hause zu. Als wir uns
näherten ging auf der Terrasse eine Männergestalt auf und nieder, die mich
frappirte, weil das vor den Fenstern meiner Zimmer nie zu geschehen pflegte; und
als wir ganz nah waren ging sie in den erleuchteten Salon wie um uns dort zu
empfangen. Ich ging hastig die Stufen zur Terrasse hinauf, trat ein – und stand
vor Otbert. Diese unangenehmste aller Ueberraschungen, so plötzlich folgend auf
die heftigsten Emotionen, traf mich wie ein eiskalter Luftzug an einem glühend
heißen Sommertage. Jener Schlag auf das Herz, den ich vor Arabellas Fenster
empfunden, berührte mich abermals aufs Heftigste und ich sank leblos in
Sedlaczechs Arme. Alles gerieth in Aufruhr: – aber es währte nicht fünf Minuten,
so hatte ich meine Besinnung und folglich auch meine Kräfte wieder, und ich grüßte
Gleich nach dem Thee verschwand Einer nach dem Andern. Da wandte ich mich freundlich aber eisig an Otbert und fragte ihn welcher Umstand ihn nach Engelau führe. Er sprang auf, ergriff meine Hand und rief lebhaft:
»Die Sehnsucht Dich zu sehen, Sibylle!«
Ich ließ ihm meine Hand mit tödtender Gleichgültigkeit und erwiderte:
»Lieber Otbert, Eines merke Dir: Komödie wird
»Traust Du Dir wirklich so wenig Attractionskraft zu, Sibylle?«
»Du selbst hast mich gelehrt wie wenig Veranlassung ich habe mir die geringste zuzutrauen.«
»Erinnere mich nicht an meine Thorheiten, theure Sibylle! ein Weib mit allen Tugenden und Grazien so reich geschmückt wie Du, bleibt auf die Dauer der einzige Magnet für einen Mann. Nimm mich auf! rief er mit einem Gemisch von Zärtlichkeit und Unterwürfigkeit; – nimm mich wenn auch nicht gleich zu Gnaden auf! laß mich ein Noviziat bestehen .... aber hier, bei Dir!«
Ich betrachtete ihn mit seltsamen Empfindungen. Er war immer derselbe schöne eitle Otbert, er wollte immer gefallen und – merkwürdiger Weise! er gefiel mir auch noch immer, jedoch so wie etwa ein Kunstwerk zweiter Ordnung, das in unsrer Seele Raum läßt für die Kritik, uns gefallen mag. Von warmen vibrirenden Lebensfibern so wie einst, regte sich nicht eine einzige für ihn.
»Otbert! sagte ich sehr gelassen, ich nehm' es Dir nicht übel, daß Du in Deine
Schauspielerkünste verfällst! sie sind Dir genugsam zur zweiten
»Ich habe sie Dir gesagt: ich will Dich sehen und bei Dir leben.«
»Bei mir und nicht mit mir ist peinlich.«
»Es lebt ja Deine ganze Hausgesellschaft nichts weniger als peinlich, sondern sehr ungenirt bei Dir, mit Dir – .... ich weiß nicht was Du da für spitzfindige Unterschiede machst!«
»Ich kann sie Dir erklären: meine Hausgenossen leben unbefangen und zufrieden bei und mit mir innerhalb der Verhältnisse in denen wir zu einander stehen sollen. Du und ich hingegen – wir leben innerhalb eines schiefen, zerrissenen Verhältnisses. In der Ehe bedeutet mit einander – die Intimität der Liebe – also Glück; bei einander – Schein, Lüge, Rücksichten, Zwecke .... was weiß ich! also – ein äußerliches, unbefriedigendes und deshalb auf die Dauer peinliches Thun und Treiben. Spare es Dir und mir.«
»Wenn Du das fühlst – weshalb bist Du gekommen?«
Fast mit Haß im Blick entgegnete er ruhig:
»Um meine Tochter zu holen.«
»Deine Tochter? und bei mir?« fragte ich gedehnt.
»Nun ja, Astralis! wen sonst?«
»Astralis ist Arabellas Tochter und ich habe der heimgegangenen Mutter den Eid abgelegt Mutterstelle bei ihr zu vertreten, bei dem verwaisten Kinde, welches sie mir in ihrem Testament zu Erziehung und Versorgung anvertraut hat.«
»Das Alles ist ganz gut .... allein der Vater hat nähere Rechte – und ich nehme sie in Anspruch.«
»Astralis Flowrence lautet der Taufschein meiner Pflegetochter. Arabella hat sie mir als ihr verwaistes Kind übergeben. Ob Du der Vater bist, ob ein Andrer es ist, kümmert mich nicht.«
»Ah jezt spielst Du Komödie! rief Otbert; Du weißt sehr gut daß ich und kein Andrer Astralis Vater bin.«
»Ich habe gesagt: es kümmert mich nicht; und das ist mein voller Ernst.«
»Ja es ist entsetzlich welch Unrecht Du zu erleiden hast!« sagte ich mit kaltem Spott, stand auf, schellte, und zu dem eintretenden Kammerdiener:
»Der Herr Graf befiehlt sein Zimmer, das grüne.«
Astrau verbeugte sich kalt und förmlich und folgte dem Diener; ich ging todtmüde in mein Cabinet. Am andern Morgen ließ er mich um ein Gespräch bitten. Heute hatte er die Taktik verändert. Nicht schauspielerisch sondern cynisch griff er mich an.
»Ich habe Dir einen Vorschlag zu machen, begann er. Ueberlaß mir meine Tochter und ich lasse Dir den Herrn Sedlaczech.«
Ich hatte mir vorgenommen von eiserner und eisiger Unbeweglichkeit zu sein und es wurde mir auch gar nicht schwer es durchzuführen. Ich erwiderte:
»Glaubst Du Rechte an Astralis beweisen zu können, so wende Dich an die Gerichte, welche ich alsdann zur Anerkennung der meinen auffodern werde. Was Herrn Sedlaczech betrift, so bedienst Du Dich eines unstatthaften Ausdrucks. Er ist hier nach seinem Belieben.«
»Das bezweifle ich nicht; – auch nicht, daß
»Ich darf sagen, daß dies auch keinesweges mein Wunsch ist.«
»Du trotzest mir?«
»Wer in seinem Recht zu sein glaubt, spricht sich dem gemäß aus, ohne dem andern Theil trotzen oder ihn beleidigen zu wollen. Beides sind Waffen des uneingestandenen Unrechts.«
»Wir kommen von unserm Thema ab. Du benimmst Dich hier wie eine Königin .... Deiner Scholle, was beiläufig gesagt einen Anstrich von landjunkerlicher Krähwinkelei hat, die mich sehr belustigt. Du hast Dir einen vollständigen Hofstaat organisirt; ich lasse das gelten – nur nicht den böhmischen Trabanten.«
»Werde ich allendlich den Zweck Deines Kommens erfahren?« fragte ich unmäßig gelangweilt.
»Eine wunderliche Frage in dem Munde einer Gattin! freundlich und liebevoll, mit
den theilnehmendsten Gesinnungen komme ich, und werde wie ein Fremder aufgenommen.
Man empfängt mich nicht, man spaziert zwei Stunden im Mondschein mit dem
Günstling, man läßt mich bei dem Hofstaat und der Langenweile, man kehrt endlich
heim und begrüßt mich mit Verstörung und Ohnmacht
»Ich konnte Dich nicht empfangen weil ich Deine Ankunft nicht wußte, und ich ging mit Sedlaczech – was sehr oft geschieht – weil ich mich ungestört mit ihm unterhalten wollte« .... – –
»Und worüber, ich bitte!«
»Ueber Dinge welche ich mit Dir nicht besprechen kann.«
Astrau wurde leichenblaß; ich weiß nicht ob er in diesem Augenblick Zorn und Eifersucht nur heuchelte oder wirklich empfand. Wahrscheinlich wußte er selbst es nicht! aber ich glaube daß er aus beleidigter Eitelkeit in der That gereizt wurde. Ingrimmig stieß er die Worte aus:
»Das ist allzu frech!«
»Wer mich geflissentlich beleidigt hört auf mein Gast zu sein!« sagte ich aufstehend.
»O ich begehre auch nicht Dein Gast zu sein – ich bin Dein Gemal.«
»Du bist mein Gemal .... allerdings! was weiter?«
»Was weiter? ich will wachen daß meine Rechte nicht gekränkt werden.«
»Die Rechte auf meine Person hast Du durch
»Dermaßen versteinert bist Du also in der Sünde, daß nichts Deine eiserne Stirn erröthen macht!.... Oder begreifst Du wirklich nicht meinen Verdacht? Schon vor Jahren habe ich Dir gesagt daß dieser verhaßte Sedlaczech Dich liebe und ich habe auf seine Entfernung gedrungen. Ich komme wieder – und finde ihn tiefer in Deiner Gunst als je. Und das soll ich ruhig ertragen?«
»Du wirst es müssen.«
»Er soll fort .... auf der Stelle!« rief Otbert wild.
»Er bleibt .... oder ich gehe und mein ganzes Haus geht mit mir« .... – –
»Ihm nach? und in die weite Welt zum allgemeinen Scandal – nicht wahr?«
»Du läßt mich nicht ausreden! oder ich gehe mit meinem ganzen Hause, wozu auch Sedlaczech gehört, zu meinem Schwiegervater nach Hannover, unter dessen Aegide ich den äußern Schirm gegen Deine Brutalität finden werde, vor welcher die innere Schutzwehr meines Selbstgefühls mich nicht behütet.«
Dieser Entschluß kam ihm unerwartet. Er wußte
»Also die Emancipirte ist inconsequent genug, hinter einem siebzigjährigen Greise sich verschanzen zu wollen!« sagte er höhnisch um mich in ein neues Gebiet zu locken.
»Bleiben wir bei der Sache! entgegnete ich streng. Du hast die Wahl: entweder Du bleibst hier unter den Bedingungen die man an einen Gast machen kann – oder übermorgen um diese Zeit steht dies Haus leer und ich bin auf dem Wege nach Hannover. Du weißt, Otbert, ich thue was ich sage.«
»Ah Du bist ein königliches Weib! rief Astrau abermals eine andre Maske ergreifend. Du bist zum herrschen geboren. Befiehl! befiehl auch mir, Sibylle! was willst Du?«
»Bleiben!« sprach ich kurz.
»So bleib' auch ich .... im grünen Zimmer!« sagte er mit einem kleinen Seufzer,
den ich nicht
Ich ließ sie rufen. Er überschüttete sie mit Liebkosungen, namentlich Benvenuta. Das mißfiel mir. Sollte diese Verleugnung seines väterlichen Gefühls eine Schmeichelei für mich sein, so war sie schlecht gewählt, denn das göttlich schöne Kind Astralis lag mir ebenso am Herzen wie Benvenuta Genau so wie in der ersten Zeit unsrer Bekanntschaft fand ich jezt Otbert: – verschroben von Eitelkeit. Und dieser Mann hat dich fangen können indem er deiner eigenen Eitelkeit schmeichelte! sprach ich zu mir selbst; welch eine unerhörte, erbärmliche Schwäche.
Otbert blieb; allein er trug nichts zur Annehmlichkeit unsers Lebens bei. Er war
einen andern Schauplatz und andere Anregungen gewohnt als er in Engelau finden
konnte; er verlangte sie von uns, wir konnten sie ihm nicht geben: das versetzte
uns sämtlich in Unbehagen; Jeder von uns empfand einen Mangel. Unsre Lectüren
geriethen in Stocken, denn er wollte vorlesen und fand keine Bücher nach seinem
Geschmack. Unsre Musik verstummte, denn er erklärte er sei zu sehr Laie um an
diesem überernsten Styl Vergnügen zu finden. Mezzonis Barcarolen ließ er gelten –
aber nicht
Astrau war aber nicht immer und nie lange in muntrer Laune: das Damen-Auditorium war ihm nicht glänzend genug. Der armen Mathilde gab er zuweilen beißende Antworten.
»Da haben Sie gleich Ihre Speisekammer im Sinn in die Sie täglich gehen und sich regelmäßig ein Stück Brot, ein Stück Fleisch und ein Stück Kuchen holen würden; und an Sonn- und Festtagen gäb' es ein Glas Wein dazu: nicht wahr, Fräulein Mathilde?« fragte Astrau spöttisch.
Sie erröthete und wurde verlegen; vergaß es aber bald wieder in ihrer
Harmlosigkeit. Benvenutas Gouvernante ging es übler! sie war eine vortrefliche
Person – jedoch sehr häßlich und sehr vielwissend – Beides ein Greuel für Astrau;
umsomehr da sie von ihrer Häßlichkeit keine Ahnung hatte und auf das Wissen einen
großen Werth legte, wie alle Menschen bei denen es größer ist als der Verstand.
Bei Otbert war es grade umgekehrt, und daher der Disputationen kein Ende zwischen
ihnen, obgleich sie ihm gegenüber beständig im Nachtheil und er schonungslos war.
Mit wahrer Todesverachtung kämpfte sie für Geist und Gaben, Herrlichkeit und
Würde, Befähigung und Berechtigung ihres Geschlechts, welches Astrau angriff weil
er sie nicht leiden konnte und mir dabei einige Nadelstiche zu versetzen hofte.
Gott weiß wie er erfahren hatte daß Madame Schütz – (so
»Und Deine Kritik, lieber Otbert, hat gar nur einen einzigen kleinen Fehler; nämlich den, daß ein Dichter sie macht.«
»Dieser Rivalität glaube ich ohne Unbescheidenheit überlegen zu sein!« rief er spöttisch.
»Die wahre Ueberlegenheit ist nachsichtig, lieber Otbert, und reicht die Hand um weiter zu helfen. Die unächte – sucht in den Staub zu drücken.«
»Das ist excellent! sagte er lachend. Glaubst Du wirklich daß diese Gedichte den meinen gefährlich werden könnten?«
»Ich sprach nicht von Deinen Gedichten, nur von Deiner Gesinnung.«
»Darauf entgegne ich wie jener Gelehrte, den Johannes Falk fragte ob er dichte? – Nein! so gemein hab' ich mich Gottlob nie gemacht.«
»Vor Dir muß man die Waffen strecken! sagte Otbert verbindlich. Du bist wie gepanzert.«
»Man muß es sein wenn man mit Euch in die Schranken tritt.«
»Dann muß man aber auch noch mit Göttern und Dämonen in Verbindung sein, die einen solchen Panzer schmieden.«
»Ganz und gar nicht! man braucht nur seine Eitelkeit abzulegen. Da uns das eher möglich ist als Euch: so sind wir dann im Vortheil.«
»Mit Dir ist auf keine Weise zu streiten! die Verblendung für Dein eignes
Geschlecht – hinter der sich natürlich die über Dich selbst verbirgt – ist allzu
kolossal! der Mann soll eitler sein als das Weib! .... unerhörte Behauptung, da
Ihr nur lebt, webt, athmet und denkt in Bezug auf Eure Eitelkeit oder in deren
Genuß – da Ihr von der Schleife an, die Ihr an Euren Busen steckt, bis
»Ganz richtig! dies behaupten, mein lieber Otbert, heißt aber nicht das Gegentheil für den Mann beweisen. Nachdem ich also den Vorwurf dieser großen Sünde für mein Geschlecht angenommen, nehme ich auch eine Tugend für dasselbe in Anspruch, die es sich, an lange Unterwerfung, ja Unterdrückung gewöhnt, angeeignet hat – Selbstverleugnung: die Fähigkeit hinter das Geliebte zurückzutreten. Dies Geliebte, Otbert, braucht nicht immer ein Mann, nicht immer ein Kind zu sein. Es kann auch eine Ueberzeugung, ein Glaube, eine Liebe, eine Idee sein. Wo die herrscht – ist die Eitelkeit todt.«
»Ob sie nicht Ideen hatten, und für diese sterben wollten? – spricht Platens Mopsus neben seinen zwölf todten Kindern. Du willst daß das Weib für Ideen lebe! Er vervollkommnet Deine Weltanschauung, theure Sibylle.«
»Er persiflirt sie .... und das unterhält mich sehr. Es wäre gar langweilig wenn man ernste Dinge immer mit feierlichem Ernst, und nicht zuweilen mit jenem Humor betrachten wollte, den ihre Uebertreibung oder ihre Kehrseite in jedem aufrichtigen Gemüth hervorlockt.«
»Otbert! eine Welt die Ihr, Ihr Männer! durch Eure Civilisation so verschroben, so
materialistisch gemacht habt, daß Weiber wähnen können durch dichten und durch
rauchen einige Stufen ihrer Entwickelung zu erklimmen – kommt mir lächerlich vor,
und so öde, so hohl, daß sie nicht dauern kann. Und wenn die Weiber Rauchclubs
stifteten, es würde ihnen zu ihrer Emancipation ebensowenig, als Euch Eure
Jagd-Spiel- Jockey- Rauch- Schach- und sonstige Clubs zum Fortschritt helfen.
Lange Meditationen, tiefe innere Sammlung, ruhige fragende vergleichende Einkehr
in sich selbst, müssen
»So tritt eine Regeneration ein, nach der auch alle socialen und religiösen Emancipationen streben und drängen! Nun sprichst Du ächt sibyllinisch, theure Sibylle! d.h. Du sprichst aus was Jeder ohnehin sagt, ohne es zu verstehen. Bei der Möglichkeit der Weltumgestaltung muß auch der ewiglebendige Weltgeist, der alle Regenerationen hervorruft: die Vernunft, in Anschlag gebracht werden.«
»Hat Christus mit der Vernunft die alte Welt aus ihren Angeln gehoben?« sagte zu
meinem Erstaunen Sedlaczech, der sich fast immer fern von unserm Kreise und
Gespräch Abends im Musikzimmer aufhielt. »Die großen Regenerationen die über das
Menschen geschlecht vom Anbeginn gekommen,
»Jezt werde ich versuchen meine Niederlage zu bemänteln indem ich mich von dem Felde der Discussion in die Freistatt der Kunst flüchte und Herrn Mezzoni bitte um seine liebliche Composition von: Ah senza amare;« – sagte Astrau.
Er wollte immer nur necken und ärgern. Wir waren keine Gegner bei denen er es der Mühe werth hielt sich in voller Ueberlegenheit zu zeigen: diesen Eindruck beabsichtigte er zu machen.
Aber das war Alles nichts weniger als angenehm, und die Aussicht er könne den
Winter in Engelau zubringen, im höchsten Grade störend. Ich ließ eines Morgens
seinen Kammerdiener, seinen Geschäftsführer und Vertrauten zu mir bescheiden, und
da erfuhr ich denn nach unendlichen Umschweifen und verwickelten Redensarten, daß
der Herr Graf
Als ich ihn eines Tages in dieser Absicht zu mir bitten ließ, bekam ich eine
Staffette aus Hannover, die mich an das Sterbebett meines Schwiegervaters rief.
Auf der Stelle war ich entschlossen dem Ruf zu folgen und befahl den Dienern die
nothwendigen Vorkehrungen zu treffen. Zu Astrau sagte ich: ich setzte voraus daß
er mich nach Hannover begleiten würde. Er willigte sehr verbindlich ein. Alphonse
hatte ihm bereits unser Gespräch mitgetheilt. In dem Augenblick wo mir eine große
Erbschaft bevorstand hätte ich ihn mit mir nach Sibirien nehmen dürfen – dermaßen
abhängig war er vom Gelde, er! dem die geringste sittliche Fessel unerträglich
war. Binnen zwei Stunden waren die Anordnungen gemacht, und ich nahm von den
Kindern und Hausgenossen Abschied. Sedlaczech
»Erkranken Sie nur nicht in meiner Abwesenheit, Meister!« sprach ich beklommen.
»Wann kehren Sie zurück?« fragte er hastig.
»Das kann ich nicht bestimmen.«
»Können Sie bestimmen, daß Sie überhaupt zurückkehren werden?«
»Ja! wenn ich nicht sterbe.«
»Halten Sie es nicht für besser sich mit Graf Astrau zu versöhnen?« sagte er noch hastiger, noch murmelnder, wie Jemand der sich mit Ueberwindung eines Auftrags entledigt.
»Hat Graf Astrau Sie um seine Fürsprache ersucht?« fragte ich und ein unbeschreibliches Gemisch von Zorn und Trauer quoll in meiner Brust auf.
»Nein,« sagte er verlegen.
»Nun, lieber Meister, dann haben Sie eine Gehirnentzündung! lassen Sie mich bei meiner Heimkehr Sie genesen finden,« sprach ich und gab ihm meine Hand, die er nach seiner Weise drückte und gefaßt sagte:
»Jezt hoff' ich es.«
»Leugnest Du noch immer daß Herr Sedlaczech Dich anbetet?«
»Ich habe das nie geleugnet!« sagte ich gefaßt; denn als ich diese Frage stellen hörte war es mir unmöglich eine andre Antwort zu geben.
»Und das rührt Dich nicht?« fragte er, immer in einem halbspöttelnden Ton, der mich verletzte.
»Lassen wir die Geheimnisse meines Herzens so unberührt als die des Deinen, entgegnete ich eiskalt, umsomehr da sie für Dich nur Nebensache sein können! die Hauptsache ist für Dich .... mein Vermögen.«
»Ich finde Dich sehr undankbar, daß Du meine Entsagung nicht anerkennst.«
Es wurde mir schwer nicht zu lächeln als ich sprach:
»Ich will glauben daß Du großmüthig sein kannst! – Uebrigens bin ich nur gerecht
gegen Dich und mich wenn ich behaupte daß Du es in diesem Fall nicht bist. Ich bin
Dir gänzlich gleichgültig! um mich zu gewinnen hattest Du Dich in eine künstliche
Wärme hinein gearbeitet, die genau in dem Augenblick verdampft war, als Du Dein
Ziel erreichtest. Meine Eitelkeit könnte sich dadurch
»Meerweib! Amphibie! froide raisonneuse! rief Otbert mit künstlichem Zorn, Du machst einem Mann das Blut in den Adern gefrieren! mir graut vor Dir!«
»Da Du mir das Alles schon Einmal oder ein Paarmal gesagt hast, so begreif' ich nicht warum Du nach Engelau gekommen bist.«
»Weil ich hofte Dich verändert zu finden.«
In diesem Kreislauf bewegte er sich. Die Reise ging rasch durch Tag und Nacht vorwärts. Ich fand meinen Schwiegervater noch am Leben; ein Fieber zehrte ihn auf, aber er war bei voller Besinnung, und sagte mir den Inhalt seines Testamentes, das ganz zu Benvenutas Gunsten war und ihr für dies enorme Vermögen Vormünder bestimmte.
Astrau zu sehen, was dieser sehr wünschte – Gott weiß warum! – kostete ihn Ueberwindung.
»Ein schlechter Nachfolger unsers guten Paul! sagte er später. Laß Dich scheiden, arme Sibylle.«
Dieser Rath war fast sein letztes Wort. Er entschlief vor Erschöpfung. – – –
Astrau war ebenso unzufrieden mit dem Testament als ich zufrieden. Bei den
Geschäftserörterungen die jezt mehrfach zur Sprache kamen, drang ich denn auch auf
die seinigen, und fand die Angaben des Kammerdieners bestätigt. Ich erklärte ihm
ich sei bereit diesmal seine Schulden zu bezahlen, aber auch entschlossen mich für
die Zukunft gegen eine ähnliche Zumuthung zu verwahren. Was kümmerte ihn die
Zukunft! war er doch für die Gegenwart wieder frei. – Natürlich nahm er die Sache
auf als geschähe mir der größte Gefallen durch seine Abreise nach Paris, die er
ersehnte; und als lasse er mir Astralis aus besonderen Rücksichten für Arabella,
die mich zu ewiger Dankbarkeit im Namen meiner Freundin verpflichteten. Mit der
größten Kälte trennten wir uns. Ich fühlte mich grenzenlos gedemüthigt an
einen
Nun ja, ich wußte es! Otbert hatte es ausgesprochen und seitdem sprach auch ich es
aus! aber ich hatte es schon länger gewußt, ohne bestimmen zu können wann, wie,
wodurch. Meine Mathematik ließ mich hier im Stich, und ohne ihre Hülfe wußte ich
daß Sedlaczech mich anbete – lange, o schon sehr lange! vielleicht – immer! Welch
eine Labung lag in dem Gedanken – immer! gleich war es mir als baue sich am
heißen, leeren, bestaubten Lebenswege ein Kapellchen auf und ein mächtiger Baum
breite seine grünen kühlen Aeste schattig darüber aus. Auf diesem Plätzchen voll
himmlischer Andacht und voll irdischem Wolbehagen war es zugleich selig und süß zu
ruhen, und wie das Loretto-Häuschen von Engeln getragen schwebte es mir vor und
winkte mir als holdselige Freistatt in die ich von der öden langweiligen
In dieser Stimmung kehrte ich nach Engelau zurück! Freudig wäre ich wol stets empfangen worden; jezt wurd' ich es doppelt da ich allein kam. Obzwar Keiner mir diesen Grund sagen konnte, fühlte ich ihn dennoch bei Allen im Hinterhalt. Sedlaczech sah verklärt aus vor innerem Jubel.
»Ich habe nicht geahnt daß Sie sich so freuen könnten, lieber Meister!« sagte ich.
»Ach, ich bitte um Verzeihung!« entgegnete er und in seinem Blick, seiner Stimme, seiner Bewegung erlosch urplötzlich das Freudenlicht. Er war wieder der stille verschlossene kühle Mensch als den er sich gewöhnlich zeigte.
Das Leben ging alsbald wieder fort im gewohnten Gleis der kleinen Pflichten und
der friedlichen Beschäftigungen. Der Todesfall meines Schwiegervaters und Astraus
Erscheinung hatten keinen umgestaltenden Nachhall. Die Musik trat wieder
»Wo ist Ihnen diese Vision aufgegangen, Fidelis?« fragte ich ihn eines Morgens als wir allein im Musikzimmer waren.
»In Venedig,« sagte er.
»In Venedig? als wir zusammen dort waren?«
»Ja! aber erst in Rom wurde sie mir klar genug um sich in Tönen fassen zu lassen. Bis dahin .... umrauschte mich ein melodischer Strom, dem keine Einzelheiten abzugewinnen waren.«
»Es müßte von hohem Interesse sein zu erfahren wo und wie die Ideenkeime großer Kunstwerke oder großer Thaten sich einer Seele bemeistert haben. Es müßte uns wichtige psychologische Aufschlüsse geben.«
»Und würde uns zu tausend Trugschlüssen veranlassen! rief er lebhaft. Der Geist Gottes, der alles gute, edle und schöne Thun hervorruft, weht wo er will und meistens ohne irdische Spuren. Wir können ihn nicht locken, nicht bannen; nur ihm folgen! aber am wenigsten ihn zersetzen.«
»O Fidelis! rief ich mit einem jener Ausbrüche von Schmerz die mich zuweilen
überwältigten – wenn ich Sie sehe und höre – fest, klar, eins
»So wenden Sie sich mit Hingebung, aber nicht mit Fragen denselben zu.«
»Der Rath ist gut – nur kann ich ihn nicht befolgen! meine Seele ist auf die Frage gestellt.«
»Geh unter, weil du nicht schwimmen kannst! – o wie oft hab' ich so zu mir gesprochen!« – sagte ich und bittere Thränen traten mir in die Augen.
»Ich sage nicht: Geh unter! ich sage: Kämpfe!«
»Aber wofür denn? aber weshalb denn? rief ich in Verzweiflung. O Fidelis! Sie haben so recht die starre Kälte der Glücklichen! ein frommer Mensch sind Sie und ein großer Künstler .... doch kein Freund, denn Sie geben mich gleichgültig auf.«
Ich verstummte weil er plötzlich vom Flügel aufsprang und in heftigster Bewegung etwas entgegnen wollte. Aber mit ungeheurer Selbstüberwindung faßte er sich, schwieg, setzte sich wieder und spielte den Trauermarsch aus Händels »Samson,« der für den todten Helden erklingt. Als er ihn durchgespielt sagte er:
»Sie wissen wol daß ich Ihr Freund bin.«
Ich kann's nicht beschreiben, nicht einmal andeuten welch einen erschütternden
Eindruck er auf mich machte! Er fürchtet in mir eine Dalila; – dieser Gedanke
erfüllte plötzlich meine ganze Seele; – und er will sich gegen sie waffnen und
wird gewaffnet bleiben. Ich hätte diesen Willen ehren sollen. Ich weiß auch daß
alle Frauen Zeter!
Seiner einfachen ernsten Antwort entgegnete ich an jenem Morgen nichts; aber er
kam mir vor stärker als Simson, den er wie seinen Schutzpatron anrief, und es
regte sich in mir etwas von jener diabolischen Neugier der Eva, welche um jeden
Preis Dasjenige wissen will, was eine höhere Macht vor ihr verbirgt. Indessen
imponirte er mir viel zu sehr und es widerstrebte auch meiner
Am nächsten Morgen ließ ich Sedlaczech zu mir bitten, wenn's ihm möglich sei. Er kam; aber er sah geisterhaft aus. Entschlossen fragte ich sogleich das was ich ahnte:
»Ist's wahr, daß Sie nach Italien wollen?«
»Ich denke das wird am Besten für mich sein« – entgegnete er nach einer Pause in der er sich zu dieser Antwort Kraft gesammelt hatte.
»Warten Sie bis zum Frühling, Fidelis, dann wollen wir Alle fort – nach der Schweiz, nach Italien .... wohin Sie wünschen, bat ich mit Thränen.
»Mein Wunsch kann keine Richtschnur für Sie abgeben, theure Gräfin!« sprach er sanft.
»O doch! doch! lassen Sie mir die seltne Freude, daß ich Ihren Wunsch erfüllen
darf! ich habe
»Mein Wunsch ist .... jezt und allein zu gehen!« entgegnete er noch sanfter.
»Und fühlen Sie nicht daß ich fürchterlich allein sein werde, wenn Sie gehen?«
»Nicht so wie ich.«
»Daß mir ein belebendes und beseelendes Princip fehlen wird, welches die Nähe eines treuen und verständnißvollen Freundes, der Ihr Herz und Ihren Charakter hat, in mein hinfälliges Wesen bringt?«
»Nicht so wie mir.«
Mir war als bräche er mit entschloßner Hand mein Herz entzwei. Ich wurde kalt und starr, mein Blut wie Eis, und so sagte ich:
»Wolan, Meister, gehen Sie und .... beten Sie.«
»Wenn ich kann,« sprach er tonlos.
»O Sie können! – beten können Sie .... aber nicht lieben, Fidelis!«
Er wich einige Schritte zurück, sah mich fest an und fragte mit einem furchtbaren Ernst:
»Sie wissen also wirklich nicht daß ich Sie liebe?«
»Heiliger Gott! was nun?« sagte er und preßte die gerungenen Hände gegen seine Stirn.
»Nun bleiben Sie hier, Fidelis! nun bleiben Sie bei mir, immer – o immer! immer!« sagte ich, stand auf, und ergriff sanft seine Hände, die ich auseinander löste indem ich hinzu setzte: »Nicht mehr in Qual dürfen sie gerungen sein, nur gefaltet in liebender An dacht, wie sich das für Sie geziemt.«
»Und Sie verzeihen mir? fragte er ganz, ganz leise. Sie kennen meine Gefühle und nennen sie nicht Thorheit .... nicht Vermessenheit .... nicht Wahnsinn? – wie ich selbst so viel tausendmal sie genannt! – Sie verbannen mich nicht von Ihrem Angesicht .... darf ich es glauben?«
»Warum wollten Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben zweifeln?« sagte ich.
»Weil dies eine Gewißheit sein würde, welche mich weit .... weit über alle Grenzen
und Schranken des Daseins hinweg in die Seligkeit heben
»Bleiben Sie immer bei mir, Fidelis! entgegnete ich mit unbeschreiblicher Rührung. Ich kann's Ihnen nicht sagen wie glücklich Sie mich machen!«
Er sank vor mir nieder mit der nämlichen extatischen Geberde mit der ich einst im Dom zu Würzburg ihn auf den Knien gesehen, und dieselbe Ueberfülle der Empfindung stralte von seinem Antlitz aus. Und wie damals meine kindische Seele – so ward jezt die bewußte Seele gleichsam angedonnert von der Ueberlegenheit, welche die seine über sie hatte, blos darum .... weil er liebte. Klein und unwürdig erschien ich mir selbst, und mit unsäglicher Trauer sprach ich:
»Fidelis! ich bin Ihrer nicht werth.«
Er hörte nicht auf mich; er blieb in seiner Stellung, nahm meine Hände und sagte:
»Ja, ich liebe Sie mit einer Liebe von der ich nicht weiß ob sie mir den Himmel ob
die Hölle bringt .... aber ich liebe Sie! – nicht jezt nicht früher, nicht seit
dieser oder jener Zeit .... nein, immer! eingeschreint in meiner Seele, wortlos,
maßlos, grenzenlos, wie Sie es nie verstehen
Er sprach beinah flüsternd, wie man eben ein Geständniß macht, und doch mit einem solchen vibrirenden Nachdruck, daß mein Herz erbebte, und von diesem Beben aus ein leises Zittern durch meinen ganzen Körper rieselte. Wenn Geister unsichtbar an uns vorüberschweben, mag ein solcher Schauer die Folge ihrer unirdischen Nähe sein. Ich sagte:
»Stehen Sie auf, Fidelis! Sie sind außer sich .... und sprechen Sie nicht so heftig – ich bin nicht daran gewöhnt.«
Er stand auf, sank in einen Lehnstuhl und entgegnete fast mitleidig:
»Das glaube ich gern! Arme Sibylle, so wenig sind Sie an die Sprache tiefer, das
Leben durchglühender Empfindung gewöhnt, daß Sie vor deren Ausdruck erschrecken
.... während mir kein andrer zu Gebot steht. Und so werden wir ewig wie auf zwei
Planeten fern von einander bleiben, weil uns die unausfüllbare Kluft trennt,
welche lieben von nicht lieben scheidet. Ich liebe Sie, ohne jene Zwischenspiele
der Sinne, der Gedanken, der
Er hielt immer meine Hand; ich kann nicht sagen daß er sie drückte, nein! er hatte sie nur in der seinen begraben. Seine mächtige, ausgearbeitete, wunderschöne Hand, die ganz Nerv war, hielt mich wie an einem ehernen Anker. Er kam mir als der Herr meiner Seele vor. Wie der Magnet beim Nordlicht zittern soll, so zitterte ich .... denn zum ersten Mal in meinem Leben stand ich einer Leidenschaft gegenüber – der Leidenschaft eines Mannes, welcher unangetastet durch die Welt, die Jugend und den Frühling seines Lebens gewandelt war, und jezt, in dessen Sommer, mit all' ihren Gewittern und Gluten, mit ihren langen Sonnentagen und ihren tropischen Sternennächten, mit ihrer unendlichen Fülle und unermeßlichen Sehnsucht mir entgegen trat. Gott weiß welche Himmel sich mir öfneten! Gott weiß welch ein Paradies sich vor mir erschloß! Ich werde ihn lieben! blitzte es wie mit Stralen und Flammen auf mich herab.
Mit einer elektrischen Vehemenz umschlang mich Fidelis; aber im nämlichen Augenblick ließ er den Arm wie gelähmt sinken und sagte, mir tief ins Auge sehend:
»Das ist nicht wahr, Sibylle! .... Eine immense Seele .... aber leer!«
»Sie wollen mich lieben! rief ich, und zweifeln daß jener Strom der Empfindung, der Sie so reich macht, in meine Brust hinüber wallen könne? – daß jene Gluten die in Ihnen flammen in mir ein homogenes Element finden können? – Aber, Fidelis, wogt die Liebe denn so ins Blaue ohne Ziel hinein? erfaßt und umschlingt sie nicht ihren Gegenstand mit dem tiefen unabweislichen Bewußtsein ihres Rechts und ihrer Macht, welches in jedem unräsonnirten primitiven Gefühl liegt? – Ist meine Seele leer, so lieben Sie mich nicht .... sonst müßten Sie darin den Reflex einer Sonne finden.« – –
Er sank zu meinen Füßen hin und fand keine Worte mehr. – – – Er blieb. – Das Leben
bekam eine wunderbare Färbung. Ich stelle mir vor daß es den Opiumessern so
erscheinen mag ....
»Wie sind Sie so ganz anders als die Uebrigen!« sagte ich zuweilen mit ungeheucheltem Erstaunen.
»Ja, ich bin's! sagte er einmal; denn es leben sich Alle in Bruchstücken ihres Daseins zu Tode, von frühster Jugend an. Das that ich nicht. Von diesen Tropfen am Nectarbecher des Lebens fühlte ich mich nie angelockt.«
»Erzählen Sie mir den Gang Ihrer innern Entwickelung, Fidelis! ich kenne Sie so lange, aber immer verschlossen schweigend.«
»Schweigend? hab' ich nicht mein Herz in Ihre Hände gelegt? spricht meine Seele
nicht zu Ihnen in Rhapsodien der Liebeslust und Klage? gießt sie nicht ihre
tiefsten, traurigsten, süßesten Mysterien in Gedanken und Tönen, in Wort und
Musik, wenn auch nur dithyrambisch vor Ihnen aus? – Was soll ich in der
Vergangenheit wühlen? und
»Und keine Erinnerung aus der Kindheit senkte ihren balsamischen Thau in dieses flammende, dürstende Herz, mein armer Fidelis?«
»O, rief er mit wildem Schmerz, wozu dies Zerwühlen der Vergangenheit, Sibylle!«
»Ich bin eifersüchtig, Fidelis.«
»Kein andres Weib und keine andre Liebe?«
Das Feuer in seinen Augen, die Farbe auf seinen Wangen, die Bewegung in seinen Zügen verschwand. Er legte die Arme auf die Lehne des Sophas und den Kopf auf die Arme indem er langsam die Worte der Apokalypse sprach:
»Ich habe wider dich daß du verlässest deine erste Liebe.«
Bei dieser Bewegung schob sein Aermel sich zurück und ich sah daß er einen Goldreif über dem linken Handgelenk trug.
»Was für ein Amulet tragen Sie da?« fragte ich und berührte mit dem Finger den Reif.
Statt zu antworten reichte er mir die linke Hand; ich betrachtete den Reif. Zwei Steine bildeten sein Schloß: ein Rubin, warm und glühend wie ein Tropfen Bluts, und ein wunderschöner Saphir, der wie ein Stern oder wie ein Auge beruhigend daneben lag. Ich weiß nicht was für eine melancholische Symbolik aus diesen schönen Steinen mich ansprach! ich fragte traurig:
»Also doch ein Abfall, Fidelis?«
Immer noch schweigend richtete er sich auf, zog
»Ah Fidelis! es ist also doch ein Weib in Ihrer Vergangenheit!« rief ich mit Schmerz.
»Eine Mutter ist kein Weib,« entgegnete er und legte die Hand beruhigend auf mein Haupt.
Ich drückte sie dafür an meine Lippen und sagte:
»Ich weiß es ja längst daß Du anders bist als wir übrigen Menschen, und dennoch erfüllt es mich immer wieder mit Andacht und Rührung! – Aber erzähle mir von Deiner Mutter.«
Fidelis verwahrte wieder das Bild im Busen, knöpfte sorgsam den Hemdärmel über dem Goldreif zu, damit kein profanes Auge seine Reliquien entweihe, und sagte:
»Bemerktet Ihr den fanatischen Ausdruck des Knaben? ist es nicht unerhört daß solcher heidnische Götzendienst in unsrer aufgeklärten Zeit und in unsrer Nähe noch existirt!«
»Es ist sündhaft Kinder für die Heiligenverehrung dermaßen zu fanatisiren,« bemerkte ein fetter Herr mit großer Salbung.
Obwol ich nur die Worte, nicht den Sinn verstand, machten sie mir einen starken Eindruck. Später sind sie mir oft eingefallen. Götzendienst ist: wenn die Form statt der Idee angebetet wird, wenn die Formel mehr gilt als der Inhalt, wenn die verknöcherte Gestalt ohne Geist jene Huldigungen empfängt, welche ihm gebühren. Demnach trieb ich damals keinen Götzendienst.
Zu Letzterem war ich fest entschlossen. Musik! Musik! ich begriff nichts Anderes,
und begriff auch sie wiederum in meiner Weise. Die Seele welche ich der Natur und
dem Weltall lieh, sprach zu mir in Musik. Ich hörte Musik auf den Wellen der Elbe,
im Rauschen der Bäume, im Summen der Insecten – Musik am hohen heißen Sommermittag
wenn tiefe Stille und Schwüle über der Natur brütete – Musik an Winterabenden wenn
der Sturm pfeifend und sausend wie ein ungestümer
Da trat eine vollständige Revolution ein. Mein Pflegevater und mein Beichtvater,
Pater Melchior, verkündeten mir: ich sei für den geistlichen Stand bestimmt. Dabei
kam es für mich zum ersten Mal klar und deutlich zur Sprache, daß meine geliebten
und geehrten Pflegeltern eigentlich gar nicht mit mir verwandt waren. Ich weiß
nicht welche von diesen bei den Nachrichten mich tiefer erschütterte. Nur das weiß
ich, daß ich auf der Stelle in mir selbst sprach: Beides gilt mir nichts! ich
werde
»Nun so rette mich, Mutter, rette mich von dem geistlichen Stande!« flehte ich.
»Deine Mutter hat es so bestimmt, Fidelis!« entgegnete sie sanft und traurig.
Ich war wie wahnsinnig. »Was ist das für eine Mutter die mich erst ins Leben gestoßen hat und mich nun in den Tod .... in mehr als den Tod! stoßen will. Ich weiß von keiner Mutter!« schrie ich.
Mein Pflegevater sprach mir mit Ernst zu;
»Ich will ja nichts Böses und nichts Verbotenes in der Welt thun! – aber ich will und muß in die Welt, sagte ich so recht in kindischer Weise; – und wenn mir das nicht erlaubt wird, so laufe ich heimlich fort.«
Mein Entschluß schien so fest, daß man mir Ruhe gönnte. Allein nach kurzer Zeit
kündigte Pater Melchior mir an ich solle ihn nach Prag begleiten, wo man mich zu
sehen und zu sprechen wünsche. Abermaliger, heftiger Widerstand, der doch zulezt
überwunden ward! während dieses Kampfes bildete sich mein Entschluß fest aus die
Flucht zu ergreifen, wenn mir keine andre Rettung übrig bliebe. Das machte mich
ruhig, und
Dort geleitete er mich in ein ernstes stilles alterthümliches Gebäude, dessen Pforte sich uns geheimnißvoll öfnete; dann über einen einsamen Hof, durch lange hallende öde Gänge, in ein düstres, unschönes Gemach: ich stand im Sprachzimmer eines Klosters. Ich fühlte mich einer Ohnmacht nah: die Luft war so beklommen .... die Wände so dunkel .... und das Gitter, das fürchterliche Gitter und der braune Vorhang hinter demselben erfüllten mich mit Vorstellungen von Kerker und Grab.
»Wenn ich hier eingesperrt werden soll, so renne ich mit dem Kopf gegen die Mauer!« sagte ich fassungslos zum frommen Pater Melchior, der sanft entgegnete:
»Was fällt Dir ein, Fidelis! Hier lebt Deine Mutter und sie wünscht Dich zu sehen.«
Indem rauschten schleppende Gewänder jenseits des Gitters, der Vorhang wurde zurückgezogen, und eine Klosterfrau in der Ordenstracht der Karmeliterinnen stand mir gegenüber.
»Hier ist Fidelis,« sagte der Pater.
Sie neigte ihr Haupt zum Gruß, zum Dank, und er verließ das Sprachzimmer. So wie
ich
»O meine Mutter .... Du meine wahre, meine wirkliche Mutter – wie lieb' ich Dich!«
Welch ein Antlitz schaute auf mich herab! Sibylle, dies holde kleine Gemälde entzückt Sie und spricht Sie an wie ein verkörperter Sonnenstral. Nun stellen Sie sich vor daß dies himmlische Wesen durch ein Läuterungsfeuer nach dem andern hindurch gewandelt, nicht verzehrt sondern verklärt davon geworden ist, und endlich wie von einem andern Gestirn, und aus einem andern Licht auf uns herabschaut: so war sie.
»Fidelis!« sagte sie und immer wieder und wieder: »Fidelis!« – und mit ihrem zarten Finger durch das Gitter schlüpfend berührte sie segnend meine Stirn, und zärtlich meine Wange, mein Haar; und dann faltete sie ihre Hände, die aus den dunkelbraunen weiten Aermeln ihres Ordenskleides weiß heilig und rein wie Taubenflügel hervor leuchteten und sagte: »In Deine Hände, o Herr! befehl' ich ihn.«
O Sibylle! ganz unirdisch sah sie dazu aus!
»O Mutter wer bist Du? wo kommst Du her? bist Du eine Heilige oder eine Königin?« – –
»Ich bin eine große Sünderin, sagte sie mit gelassener heiliger Demuth; allein ich vertraue Dem, der in die Welt gekommen ist um die Sünder zu erretten und nicht die Gerechten – zu Dem ich flehe Tag und Nacht in heißen Gebeten, daß er eine Leuchte sei auf Deinem Pfade, Dich zu sich ziehe in Israels ewige Hütten, und die Versuchung und den Fall von Dir abwende .... in die ich gestürzt bin. Ich lebe für dies Gebet und für dessen Erfüllung.«
Ich verstand sie nicht recht; allein ich hörte nichts als Musik, und mein Herz pochte vor Freuden daß sie für mich bete.
»O meine Mutter! sagte ich, Dein Gebet ist
»Thörichtes Kind! erwiderte sie, Du weißt nicht, was Du sprichst! Du hast noch keine Vorstellung von den Gefahren, welche Dir drohen, grade Dir, mit Deiner .... ach, mit meiner Seele! – und vor denen es keine Rettung giebt als Flucht – Flucht zu den Altären des Heils. Wende Dich zu ihnen, Fidelis, und ab von der Welt! tritt in den Dienst der heiligen Kirche, weihe Dich den göttlichen Dingen und bringe Deine Seele dar im ununterbrochenen Opfer.«
»Ich will auch meine Seele im Opfer darbringen, rief ich, sie soll nicht verloren gehen! glaube mir, meine Mutter! aber ich muß frei bleiben! ich kann nicht studiren, kann nicht lernen und nicht lehren – ich mögte lieber sterben, als Priester werden.«
»Thörichtes Kind!« wiederholte sie kopfschüttelnd.
»Ja! rief ich in einem Paroxismus von Todesangst; ich werde sterben wenn man mich
gegen meinen Willen zum Priesterstande zwingt. Ich will in die Welt .... in die
schöne freie weite herrliche Gotteswelt! ich will mir mein Brot verdienen! ich
will so brav, so rechtschaffen, so fromm werden, daß Dein Herz, meine Mutter,
keine
»Niemand zwingt Dich zu Deinem Heil, Fidelis! entgegnete sie resignirt und melancholisch. Du bist noch nicht reif zur Erkenntniß dessen was dem Menschen Noth thut: da wünschte ich daß Gott durch meine schwache Stimme Dich derselben entgegen führte. Aber Du willst sie nicht hören .... vielleicht kannst Du sie nicht hören .... Du bist noch so sehr jung! – – Wir wollen warten, Fidelis! die Gnade kommt zuweilen in einer Nacht, und ich bete daß Du derselben mögest würdig befunden werden. Der Herr sei mit Dir!« fügte sie mit unaussprechlicher Zärtlichkeit in Blick und Ton hinzu, berührte wieder meine Stirn und verschwand hinter dem zusammenrauschenden Vorhang.
Ich blieb noch eine Zeitlang allein in einem Mittelzustand von Betäubung und
Berauschung; dann erschien Pater Melchior, dem ich den Schluß meines Gesprächs
mittheilte, welchen er seinerseits bestätigte; – und noch am Abend desselben Tages
saßen wir wieder auf dem Postwagen von Aussig. Ich – selig! denn ich hatte meine
Mutter gefunden und meine Unabhängigkeit gerettet. Schöner denn je kam mir die
Erde vor, namenlos herrlich Prag, das mir aus lauter Kirchen und Palästen
Mit rührender Liebe empfingen mich meine Pflegeltern, hörten meine Erzählung und den Ausspruch Pater Melchiors:
»Wir warten auf die Vocation.«
»Da wird gewartet bis in die Ewigkeit!« flüsterte ich ins Ohr der Pflegemutter und zog sie hinaus um sie mit Fragen über meine Mutter zu bestürmen – zwischen denen mir denn auch einfiel, daß ich gleichfalls einen Vater haben müsse, und wer und was und wo der sei? Auf die ersten Fragen entgegnete meine Pflegemutter nur Liebes, Gutes, Schönes – aber stets ganz unbestimmt; auf die letzten sehr bestimmt, fast hart, wie ich sie nie gehört:
Einen furchtbaren Eindruck machten mir diese Worte und dieser Ton auf den Lippen meiner guten zärtlichen Pflegemutter.
»O! rief ich, was hab' ich für ein verfluchtes Dasein! der Vater sündhaft und unbekannt, die Mutter im Kloster büßend! könnt' ich doch lieber sterben als solchen Gram und solche Schmach mit mir herumtragen!« .... – –
»Sprich nicht so, Fidelis! unterbrach sie mich liebevoll. Wie Du geboren bist – dafür hast Du nicht Rechenschaft abzulegen. Wie Du lebst – dafür, mein Kind! Sind Andre schwach gewesen, so nimm es Dir zur Warnung und sei um desto stärker; sind sie gefallen, so hüte Dich zu straucheln; haben sie gesündigt, so bleibe Du gottgefällig und gottgetreu.«
Wie Morgenthau nach einer versengenden schwülen Sommernacht fielen diese guten klaren Worte in mein Herz und beschwichtigten die Extasen welche dasselbe neben meiner Mutter und bei dem Gedanken an sie durchzitterten. Ich legte meine beiden Hände auf ihre Schultern, sah dankbar in ihre unaussprechlich guten Augen und sagte:
»Liebe sie, Fidelis, ich gönne es ihr und Dir!« sagte meine Pflegemutter.
Mit grenzenlosem Eifer gab ich mich fortan dem Studium und der praktischen Uebung
der Musik hin. Sie war meine Vocation und in jeder Weise wollt' ich mich für sie
ausbilden. Da ich mir durch sie nicht blos den zukünftigen Ruhm – sondern für
näherliegende Zeiten auch Unterhalt und Fortkommen verschaffen mußte, so versuchte
ich Unterricht zu geben – und auch das gelang. Mein Pflegevater war karg mit Lob;
aber er mußte mich loben. Mein Talent begann sich zu emancipiren, selbständig zu
werden. So jung ich war hatte ich doch schon einen unwandelbaren Entschluß gefaßt
und eine bestimmte Richtung ergriffen: das ist die Basis aller Selbständigkeit.
Mein rastloser Fleiß und meine geliebten Arbeiten brachten mich über die
unruhvolle Epoche des Eintritts in die Jünglingsjahre hinweg. All die drängenden
gährenden Kräfte brauchte ich als Sporn für meinen Eifer,
Mit Pater Melchior hatte ich häufige, lange Gespräche an denen ich aufrichtige Freude hatte, sobald sie sich nicht meinem in Frage stehenden geistlichen Beruf zuwendeten, was immer seltner geschah. Ich war nicht blos religiös, sondern durch und durch gläubig. Mit inbrünstiger Andacht hing ich an den Lehren der Kirche, und sie selbst, diese heilige Kirche war für mich den Einsamen, den Ausgestoßenen, so recht die heimatliche Freistätte auf Erden in deren Schooß ich die Gemeinschaft mit allem Geliebten fand. Mein Herz faßte all ihre süßen und tiefsinnigen Mysterien, ihre Wunder, ihre Opfer, ihre Gnadenmittel mit Liebe auf, und weil ich mich in Liebe ihnen hingab, so erquickten sie mich unsäglich und bildeten mir eine Himmelsleiter auf der ich schüchtern und selig heilige Boten wandeln sah, die mein armes dürftiges strebendes Wesen mit dem Allerreinsten und Allerhöchsten in eine ebenso geheimnißvolle als gewisse Verbindung brachten.
Aber Priester wollte ich nicht werden. Ich fühlte mich dazu nicht stark, nicht
selbstlos genug. Er – unter dessen Gebeten das Sacrament des Altars sich
vollzieht; er – in dessen Ohr Tausende von
Das Alles erklärte ich dem Pater Melchior öfters mit dem Ton warmer Ueberzeugung und Wahrhaftigkeit, und ich durchdrang ihn dermaßen mit meiner Unerschütterlichkeit, daß er mir unaufgefodert die Zusage gab: er selbst wolle meine Mutter zu bewegen suchen ihren frommen Wünschen für mich eine andre Richtung zu geben.
So wurde ich siebzehn Jahr alt, als ich wieder mit Pater Melchior nach Prag
berufen wurde. Mit gefaßter ernster Sammlung ging ich diesem Wiedersehen entgegen.
Zu jedem Opfer der Liebe war ich entschlossen – nur nicht zu dem Einen. So stand
ich vor ihr. Wieder erfüllte mich ihre Erscheinung mit wunderbarem Entzücken. Ich
meinte sie schwebe auf Wolken; ich meinte in einer Glorie von Engeln ruhe ihr
Haupt; – so ätherisch sah sie aus! – Es zog mich zu ihren
»Das waren zwei schwere Jahre! sprach sie endlich mit bebender Stimme. Fidelis, hast Du denn nie mein Angstgebet gehört?«
»Ja, meine Mutter, und es hat mich stark gemacht! Du willst mein Heil .... laß es mich finden auf meinem Wege.«
In diesem Sinn hatten wir ein langes Gespräch, das uns Beide heftig erschütterte
ohne den einen Theil zur Ueberzeugung des Andern hinüber zu ziehen. Ihre
schwärmerische Seele war eine Opferflamme: und um so heißer wallte sie empor, als
sie Buße dafür that, daß der Altar ihres Herzens nicht immer dem Höchsten geweiht
gewesen war. Die klösterliche Abgeschiedenheit, ihre Einsamkeit mit traurigen
Erinnerungen voll Reue und Leid, das ewig wache Liebesbedürfniß einer zärtlichen
Seele, das heiße Verlangen zur innersten Versöhnung mit Gott und ihrem Gewissen zu
gelangen, das eben so heiße ihr Kind gerettet zu sehen vor den, wie es ihr schien,
unwiderstehlichen Verlockungen – dies Alles ungestört durch lange Jahre mit
Thränen, Gebeten, Buß- und Andachtsübungen genährt, hatte meine Mutter in jene
tiefe religiöse Schwärmerei versetzt, in welcher
Langsam glitt sie hinter dem Gitter auf ihre Knie und hob die Hände gefaltet zu mir empor.
»Meine Mutter! entgegnete ich feierlich, steh' auf. Ich will Dir die Gelübde thun in denen Du eine Rüstung meiner Seele zu ihrem ewigen Heil erblickst. Ich gelobe Gehorsam gegen göttliche Gebote; Armuth .... und wenn ich von den Schätzen der Könige umgeben wäre; und Keuschheit. Ich gelobe es Dir feierlich vor dem Angesicht Gottes! .... aber Priester werd' ich nicht! ich muß frei sein.
Mit einem Lächeln voll seliger Beruhigung entgegnete sie: »Wen der Herr so weit
geführt hat, den führt er auch noch einen Schritt weiter in das Tabernakel hinein!
– Sei gesegnet, Fidelis!
Den Goldreif hieß sie mich an- und nie ablegen.
»Der Karfunkel ist Dein Herz und der Saphir ist mein Auge; es wacht darüber! sprach sie. Und dies Bildchen zeigt mich Dir wie ich war vor achtzehn Jahren, ehe ich verlassen hatte meine erste Liebe. O Fidelis! verlasse Du die Deine nicht.«
Und abermals rauschte der Vorhang zusammen, und abermals kehrt' ich aufgewühlt in
den Grundtiefen meiner Seele zu meinen Pflegeltern zurück. Aber nun war es aus und
vorbei. Nun hatte ich Alles gethan was ich für die Wünsche meiner Mutter thun
konnte; ferneren Bitten und Eindringen, deren Andeutung in manchem ihrer Worte
lag, fühlte ich mich nicht gewachsen. Ich wollte fort – und ich ging fort! ich
floh, heimlich, ohne Abschied! ich konnte nicht diese Herzzerreißungen des
Abschieds ertragen. Ich fühlte unbestimmt das Bedürfniß mich zu sammeln und nicht
zu zerfließen. Daß ich mir würde mein Brot verdienen können, davon war ich so fest
überzeugt wie von meinem Leben. Nach England wollte ich über Hamburg. Dies Alles
schrieb ich in einem zärtlichen dankbaren Brief an die Pflegeltern, versprach
ihnen Nachricht
Da gab es Krieg und Krieg, Beängstigungen und Hofnungen. Ich nahm Theil daran, aber nur oberflächlich. Andre Gedanken bewegten sich zu mächtig in mir. Man widerrieth mir nach Hamburg zu gehen: da wären die Franzosen, aber keine Schiffe für England. Ich ging nach Lübeck in der Hofnung eine Ueberfahrt nach Kopenhagen zu finden, und mir dort weiter zu helfen. In Lübeck las ich am Tage meiner Ankunft in den Zeitungsanzeigen, in Holstein auf dem Lande werde ein Musiklehrer gesucht; wer dazu Neigung habe solle sich melden bei dem Cantor der Marienkirche. Das kam mir vor wie eine Weisung ruhigere Zeiten abzuwarten. Ich meldete mich – – und so kam ich hieher.«
Mit fieberhafter Bewegung, bald abgebrochen, bald bei einzelnen Momenten
verweilend, hatte Fidelis gesprochen; Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn und
seine Lippen zitterten; der Doppelausdruck seines Gesichts, die geistige Kraft und
die Macht der Leidenschaft, war noch nie so lebendig mir entgegen getreten. Hinter
seiner äußern Ruhe und schüchternen Zurückgezogenheit mogte es,
Er schwieg und ich schwieg auch. Ich dachte an meine Verblendung neben ihm in
Venedig ein Bild meiner Phantasie, einen Otbert zu lieben! – ich dachte daran wie
mein Herz seitdem so morsch, so hohl in diesen Enttäuschungen geworden sei, daß es
wol noch sich nach Liebe sehnen, aber nicht
»Nun weiter, Fidelis!« sprach ich sanft und nahm seine Hand.
»Es giebt nichts weiter, entgegnete er. Jezt wäre nur noch von den Resultaten
meiner jugendlichen Entschlüsse und Bestrebungen zu reden, und die sind dürftig
genug. Ich bin allerdings ein ziemlich tüchtiger Musiker, aber sehr fern von der
früher geträumten Größe. Und was die Freiheit betrift von der ich mein höchstes
Heil erwartete: so habe ich erkannt, daß ich derselben nicht fähig war. Eine Liebe
– die unsinnigste und zugleich die göttlichste, hat mich unfrei gemacht! Sie war
verboten .... aber zugleich durch eine solche Kluft von Unmöglichkeiten von mir
getrennt, daß diese mich sicher machten. Wie auf den schwindelnden Brückenstegen
des Hochgebirges fühlte ich mich: Hält dich der wankende Steg über dem Abgrund –
wolan! so zeugt das von Muth, Macht und
Immer wenn Fidelis schwieg erschrack ich. Jezt wird er hoffen daß ich ihm etwas
Aehnliches sage – dachte ich mit Herzpochen – ach, Du Unselige, weshalb hast du
ihm ein Geständniß abgelockt? Veranlaßt eine Frau einen Mann zu solchem Vertrauen,
so ist es ein Beweis daß sie bereits durch ihn gerührt ist. Erheuchelt sie die
Rührung, so ist sie eine erbärmliche Kokette! Aber ich hatte sie nicht erheuchelt,
nur ersehnt. Was ich eigentlich
»Sie verleumden sich indem Sie sich schwach nennen, Fidelis! Ihr ganzes Leben ist ja eine Kette aus Ringen von Erz.«
»Ein Gelübde kann man immer erfüllen – Gott allein weiß wie! – Aber die Kette
selbst doch zuweilen als eine Kette zu fühlen: das eben beweist daß man schwach
ist! Schwäche ist Knechtschaft .... und ich! ich! der nicht äußerlich gebunden
sein wollte, bin innerlich Knecht – ich! der äußere Sclaverei mehr als den Tod
fürchtete, bin nicht im Stande zu sagen: ich bin frei! Obgleich mir die weite Welt
offen steht, obgleich ich vor Niemand außer vor meinem Gewissen Rechenschaft
meines Thuns abzulegen brauche, obgleich meine Bedürfnisse noch geringer sind als
meine Gewohnheiten, und Entbehrung mich nicht drückt – trotz all dieser
Bedingungen der Freiheit bin ich nicht frei! – Sclav des Goldes, der Eitelkeit,
der Sinnlichkeit,
»O Fidelis! wenn Sie mich so erkennen, wie können Sie mich denn lieben?« fragt' ich schmerzlich.
»Ich weiß es nicht! sagte er niedergeschlagen. Es ist etwas Gewaltiges in Ihnen.
Dies rastlose Suchen, das durch kein Glück und keinen Genuß der Welt befriedigt –
durch keine Polster des Glanzes, des Reichthums und des Behagens ausgeruht – durch
kein Lernen, Wissen und Thun beschwichtigt – durch kein Schellengeklingel der
Eitelkeit und Thorheit betäubt wird: das gehört keiner gemeinen Natur an. Sie
haben eine ganz abgründliche Seele, so abgründlich daß Niemand deren Tiefe
ermessen hat, denn kein Senkblei reicht so weit hinab. Was ist denn da unten,
Sibylle? soll es ein ewiges Geheimniß bleiben? lagert sich diese Wolkenschicht
über einem Sonnenhimmel oder, über der Leere? Sie sind klug, gut, tugendhaft,
»Ja ja ja! rief ich in einem Paroxysmus von Schmerz: so bin ich! das kann ich!
Aber ich kann Eines nicht .... ich kann nicht lieben! – ich handle nie aus vollem
Drang und Trieb des innersten Lebens. Meine Phantasie malt mir das Gute und Schöne
mit den bezauberndsten Farben vor; dann betrachte ich diese Gebilde mit der
Reflexion, die Farben schwinden, aber die Ueberlegung sagt mir, auch die Pflanze
ohne Blüte verdiene Pflege. Dem gemäß handle ich klug, gut wenn Sie wollen; aber
.... ich behandle das wie ein Rechenexempel, welches ein richtiges Facit ergeben
muß. Schwung der Seele macht allein glücklich. Er führt jene Stürme herbei welche
diese verhüllenden Wolkenschichten, wie Sie sie nennen, zerstreuen. Mögen dabei
Fehltritte und Schwachheiten vorkommen – sie werden schon ihren Rächer finden – es
kommen auch wunderschöne, schmetterlingsartige Entwickelungen zum Vorschein und
hauptsächlich: man fühlt sich unter Einfluß und Lenkung einer höheren Gewalt als
unsre Klügelei ist! – Es ist vernichtend für einen ganzen Lebensweg
»Wer geliebt wird ist nie ganz von Gott vergessen,« sagte er und kniete vor mir nieder.
»Das mag sein! – aber ich verstehe Ihre Liebe nicht;« entgegnete ich, wieder aus diesem fragenden Forschungstrieb, der mich wünschen ließ ein Herz wie ein anatomisches Präparat vor mir zu haben.
»Ich glaub' es!« entgegnete er entmuthigt.
– – – – –
So war denn nun ein fürchterlich qualvolles Verhältniß zwischen ihm und mir. Seine
Erzählung hatte es in uns Beiden so recht zum Bewußtsein gebracht, daß ich ihn
nicht liebe. Hätte ich sonst nicht überwunden von dieser unbegreiflichen Liebe in
seine Arme oder zu seinen Füßen hinsinken müssen? hätte ich nicht den Lohn für die
Treue und die anbetende Huldigung eines halben Lebens in die Extase einer Minute
zusammendrängen können? hätte ich nicht diesem Herzen, das ich mit meiner ewigen
Wissensqual durchgraben und aufgewühlt hatte, ein beseligendes Ausruhen an dem
meinen gönnen sollen? – – Aber nichts von dem
Fidelis verfiel in eine unsägliche Schwermuth. Tagelang kam er gar nicht zum Vorschein, oder wenn – so doch nur in den Stunden wo die ganze Hausgesellschaft um mich versammelt war. In der ersten Zeit nachdem ich ihm sein Geständniß entlockt und ihm dadurch Hofnung gegeben hatte, war es ihm Bedürfniß und Labsal gewesen den Goldstrom der Empfindung schrankenlos an mir vorüberfluten zu lassen; nun wurde er wieder sorgsam eingedämmt. Allein das kostet eine ganz andre Mühe als wenn der Damm nie weggerissen worden ist. Ich zitterte vor ihm; ich war unsinnig genug zu fürchten er könne mir in einem Ausbruch von Verzweiflung Vorwürfe machen daß ich ihn nicht damals abreisen ließ. Ich hätte mein Leben drum gegeben, wenn ich das Verhältniß wieder auf den Standpunkt hätte führen können wo es bei meiner Rückkehr von Hannover war, als ich mich unbestimmt hofnungsfreudig neben ihm fühlte. Ich fragte ihn einmal ob er jezt viel arbeite.
»Sehr viel,« entgegnete er. Doch ich hörte an
Indessen nach und nach schien er doch wieder zu einiger Sammlung zu kommen, und der geliebten Musik mit Andacht sich zu widmen. Sie war ja seine erste Liebe! – Es währte nicht lange so brachte er uns einige Gesänge aus dem Salomonischen Hohen Liede. Als ich sie hörte rief ich:
»Fidelis! ich sehe den Karfunkel und den Saphir auf Ihrem Goldreif!«
»Nicht wahr?« fragte er und sah mich an.
»Aber sie sind auch noch mit Perlen überrieselt,« setzte ich hinzu.
»O, sagte er mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdruck, Sie sind klug, Sibylle, so klug daß Sie das Gefühl nachfühlen ohne es wirklich zu fühlen. Das klingt etwas mystisch, nicht wahr? Ich bitte, halten Sie es der Nachwirkung des mystischen Salomonischen Liedes zu gut.«
Er selbst hatte wie immer den biblischen Text zusammen gestellt, aber nicht lateinisch – sondern zum ersten Mal deutsch. Mir traten die Thränen in die Augen über diese deutschen Worte. Sein Herz spricht darin – sagte ich zu mir selbst – zum ersten Mal hat es der Liebe Worte gegeben und das konnte nur in der Muttersprache sein.
»Ich schlafe, aber mein Herz wacht« – sagte ich: »Bei mir ist's grade umgekehrt: ich wache, und mein Herz schläft.«
Der Frühling war gekommen in seiner ewigjungen Lieblichkeit, mit seiner ewigneuen Erlösungskraft. Die winterliche Befangenheit schien sich zu lösen und vor den weichen Lüften zu schmelzen. Fidelis sah aus als habe er eine Auferstehung gehalten; ich faßte wieder etwas Muth zum Leben; da kam er eines Morgens zu mir mit der Erklärung: er müsse nun fort.
»Fort? jezt fort? aber weshalb denn jezt?« stammelte ich starr vor Erstaunen.
»Gerade jezt! entgegnete er mit einer himmlischen Liebe im Blick. Jezt ist es wieder uns Beiden möglich ohne Verzweiflung an einander zu denken – folglich ist die Trennung auszuhalten; meinerseits sag' ich nicht .... zu ertragen.«
»Meinerseits .... nicht auszuhalten! rief ich bewildert. Fidelis, ich komme um wenn Sie mich verlassen.«
»Nicht doch! nicht doch! Sie ertragen Schmerz,
»Ja, Fidelis, ja, ich werd' es ertragen! rief ich außer mir; aber wie Niobe, indem
ich versteinere. O bleiben Sie bei mir! es ist in Ihnen ein Gemisch von Wärme und
Kraft, von Energie und von Innigkeit, von Schwung und von Klarheit – welches um
Sie eine eigenthümliche Atmosphäre voll Glanz und Frische verbreitet in der mir
wol ist. Im tiefeinsamen Wald, im Hochgebirg, auf dem Ocean – da weht auch so ein
wunderbar erfrischender Lebenshauch, so ein Aether der in unsrer engen schwülen
kleinlichen Alltagswelt nicht wehen kann, und der sich daher in die Seelen der
Auserwählten flüchtete, welche die großartigen Anlagen der Natur wie durch Mirakel
auch großartig entwickelt und deren Tiefe, Höhe und Weite mit einer göttlichen
Essenz von Liebe gefüllt und durchdrungen haben. Alle Menschen kommen mir vor wie
Schatten .... aber Sie haben ein Sein. Sie können was Sie wollen – nicht heut und
nicht morgen, sondern immer! Sie halten fest, Sie vergessen
»Aber siehst Du denn nicht, Du unseliges Weib, daß Du zehren willst vom Mark meines Lebens?« fragte er mit einem Ton der mich durchschauerte.
»Ja, ich seh' es,« sagte ich vernichtet.
»Nun dann werden Sie auch sehen, daß ich nicht bleiben kann, nahm er nach einer
Pause das Wort. Ich liebe Sie – ich mögte aus Liebe den Athem meiner Seele und das
Blut meines Herzens Ihnen geben – und Sie .... Sie mögten wie ein himmlischer
Vampyr dies Herzblut saugen, diesen Seelenhauch trinken um .... ja warum? – um zu
erproben ob ich Stich halte Ihren abstracten Vorstellungen von Unwandelbarkeit.
Das ist Unsinn, Sibylle! Unsinn es zu begehren, Unsinn darauf einzugehen. Ich
würde ewig in die Versuchung geführt werden den Blick Ihres schönen Auges, das
Lächeln Ihres holden Mundes, jeden Händedruck, jedes Wort, jede Frage, jedes
Zeichen von Theilnahme mit und nach mienem
»O bleib .... aus Erbarmen!« rief ich und fiel halb besinnungslos auf meine Knie und hob flehend die Arme zu ihm empor.
»Welch eine Folter! sagte er dumpf. Sibylle, wenn ich bleibe, so bleib' ich aus unheilvoller Schwäche der Liebe .... nicht aus Erbarmen.«
»Er bleibt! o Gott, er bleibt!« rief ich jubelvoll.
Er riß mich auf vom Boden und in seine Arme.
»Willst Du denn durchaus daß ich zu Deinen Füßen sterben soll?« fragte er mit erstickter Stimme.
»Nein nein! o nein!« jauchzte ich, bog seinen Kopf zu mir herab und küßte seine Stirn.
– – O ich unseliges Weib! armer Fidelis! – – – – – – –
»Lebewol!« sagte ich mit vernichtender Kälte.
»Sibylle!« schrie er mit einem Ton als würde ihm ein Dolch in die Brust gestoßen. Er lag zu meinen Füßen; er wollte meine Hand nehmen; ich zog sie zurück. Die Vergötterung, die Andacht waren dahin! geliebt hatte ich ihn nicht; – er war mir nichts mehr als ein ganz gewöhnlicher Mann. Auch an ihn glaubte ich nicht mehr! – »Erbarmen! nur jezt kein Lebewol! nur nicht in diesem Augenblick!« flehte er.
Er stand langsam auf. Er trat von mir zurück mit einem unbeschreiblichen Ausdruck in welchem Zorn und Schmerz, Entsetzen und Liebe kämpften, und über welchen eine namenlose Wehmuth wie ein schwerer Trauerflor gebreitet war. So sagte er:
»Ob ich beten kann fragst Du? ich weiß es nicht, Sibylle! .... aber das weiß ich: Du – wirst es nie und nimmer können! – Lebwol.«
Langsam ging er der Thür zu. Auch ich war aufgestanden, hatte meine Arme um eine Säule geschlungen die einen Candelaber trug, und lehnte meine Stirn an den Marmor. Ich sah nicht mich um, nicht ihn an! ich sah nichts .... als jenen schwarzen Abgrund vor mir, in mir, in welchem Alles! Alles! untergewirbelt wird. Aber er blieb stehen. Er konnte nicht in Groll und Zorn von mir scheiden. Er wollte nicht daß ich den Dolch in seiner Brust sehen sollte. Er kehrte zurück, legte die Hand auf mein Haupt und sagte mit seiner tiefen von Empfindung vibrirenden Stimme:
»Sibylle! nicht für mich, aber für Dich, Du
Er drückte meine Hand an seine Stirn und Lippen, und ich fühlte an dem eisernen und doch bebenden Griff der seinen in welcher Bewegung er war. Aber kein Wort, kein Blick, keine Regung verrieth ihm Theilnahme oder Trost. Da sagte er abermals mit jenem unsäglich schmerzhaften Ausdruck:
»Oh! Sibylle!« und verließ mein Zimmer. Er ging. Durch mein Cabinet, durch das Musikzimmer, durch den Salon hört' ich seinen raschen Schritt hallen – und verhallen. Dann hört' ich nichts mehr. Ich horchte .... horchte .... umsonst! .... nichts mehr! – Da machte es sich um mich herum wie eine ungeheure Leere zurecht. Ich glitt an der Säule nieder und ächzte:
Er kann beten, denn Er liebt! – aber ich nicht! Und der wilde Schmerz am Herzen, der mich bei großen Emotionen mit der Gewalt eines Starrkrampfs packte, bemeisterte sich auch jezt meiner.
Ich habe Fidelis nicht wieder gesehen.
– – – –
Jezt folgen zwei Jahr von denen ich eigentlich gar keine andre Erinnerung habe,
als daß ich körperlich litt! Bei der geringsten Anstrengung einen
War es eine Wiederkehr physischer, oder ein Zusammenraffen geistiger Kraft –
genug, plötzlich überfiel mich die Angst ich könne in den nervosen Marasmus meiner
armen Mutter versinken und mein Kind derselben innern Entwickelung oder
Verwahrlosung – wie soll ich sie nennen! – Preis geben, die ich bei mir selbst für
so schädlich erkannt hatte. Die Aerzte riethen mir überdas Veränderung der Luft
und Umgebung, und ich fühlte mich durch diese acht Jahr eines ununterbrochenen
Aufenthaltes in Engelau so ausgesogen, so zusammengeschrumpft, daß mir wie einem
Kranken im abgesperrten Zimmer die Lebensluft ausging. Gespenster, Gespenster
wohin ich blickte! Gespenster meiner Menschen, meiner Hofnungen, meiner Thaten,
meiner Gefühle! Gespenster von Epochen, Tagen, Stunden, an diese Räume, an diese
Localitäten gebannt, äußerlich mich umzingelnd, die innere Oede nicht füllend. Ich
wollte fort um etwas Andres zu sehen als diese Gespenster und um den Kindern etwas
Andres zu zeigen als die melancholische kränkliche Mutter. Ich wollte fort um
meine Geschäfte welche sich in diesen zwei
Mir war in Würzburg als wehe ein linder Thauwind über die Eisgefilde meiner Seele.
Zum ersten Mal seit meiner Trennung von Fidelis trat mir sein Bild ohne herbe
Bitterkeit nur mit unsäglicher Wehmuth entgegen. Ich ging in den Dom zu jenem
Platz am Pfeiler wo ich einst ihn beten sah. Ich fand ihn gleich. Er kam mir
geweiht, geschmückt, erleuchtet vor, als sei ein Engel über ihn fortgeschritten.
Ich bin's nicht werth ihn zu betreten, sprach ich zu mir selbst. Aber daneben sank
ich zu Boden. Ich kann nicht sagen, daß ich kniete, daß ich betete; nein! ich lag
nur da und ächzte stummen Jammer aus. Hier ahnte ihn zum ersten Mal das kindische
Mädchenherz; aber unbewußt ging es an ihm vorüber und zu einem andern Mann. Hier
fand das Weib ihn nach Jahren wieder, befähigt ihn zu erkennen und zu würdigen;
aber es war verblendet, erkannte und würdigte ihn nicht, und ging abermals an ihm
vorüber und zu einem andern Mann. Jezt war ich zum dritten Mal auf dieser Stätte,
doch ohne ihn. Auch er, sogar er! war dem Fluch des Daseins
An die Kirche zu der er gehörte, welche die Ihren liebt und nicht belehrt – wie Fidelis sagte – dachte ich viel. Eine geistige Gemeinschaft mit ihm, vermittelt durch Gebet, geheiligt durch Andacht, wäre mir süß gewesen. Ohnehin hatte ich Veranlassung mich mit ihr zu beschäftigen, denn ich vergaß nicht Arabellas letzten Wunsch Astralis in der Katholischen Religion zu erziehen; ich wollte sie in eine gute Erziehungsanstalt geben. Die der Damen vom Sacré Coeur zu Freiburg in der Schweiz wurde mir sehr gerühmt; das paßte zu meinem Vorhaben mich auf einige Jahre in der Schweiz niederzulassen, und Benvenuta in Genf oder Lausanne zu erziehen. Einstweilen aber bekamen Beide in Würzburg passenden Unterricht, denn ich konnte mich nicht entschließen meinen guten Onkel jezt zu verlassen, da die Aerzte mir sagten: das friedliche Erlöschen seiner Lebenskraft stehe täglich in Aussicht.
Nicht nur Sommer und Herbst, auch den ganzen Winter blieb ich bei ihm, und nicht
blos aus Anhänglichkeit, sondern auch aus Interesse andrer Art: ich dachte an
meinen Uebertritt zur Katholischen
Gott, wie disputirte ich zuweilen mit meinem guten Onkel über die Mysterien und Wunder der Kirche. O wie oft sagte er gelassen:
»Kind! Du weißt nicht woher der Wind weht – nicht wie die Sterne der Milchstraße
gehen – nicht woher der dürre Zweig die Rose treibt – nicht was das Leben ist –
nicht wohin der Tod Dich bringt. Wenn Du das Alles wirst ergründet haben, dann
sage: es giebt keine Mysterien! dann will auch ich zweifeln! bis dahin glaub' ich
an sie. Was bedeutet denn das: Mysterien und Wunder verneinen? sehr wenig, mein
liebes Kind! nur etwa dies: den Sternenhimmel leugnen, weil man die Nächte
hindurch schläft; oder die Sonne leugnen, weil man in einer Nebelatmosphäre lebt.
Die Verneinung, Kind, hat es immer nur mit Schatten, nicht mit den Wesen zu thun.
In der Bejahung liegt ein Sein, eine Essenz, ein Leben; sie verfährt schöpferisch,
wie die Wahrheit, wie die
»Welch eine Ungerechtigkeit des gerechten Gottes, rief ich heftig, mit dieser Intuition nur einige Auserwählte begnadet zu haben.«
»Meinst Du? sagte er mild. Nun, laß Dir doch einmal von dem geschwätzigen Alten
eine Parabel erzählen. Ein Gärtner sprach zu seinem ältesten Sohn: In diesen
Blumentopf habe ich den Kern einer köstlichen Frucht niedergelegt. Laß ihn keimen,
treiben, wachsen im Stillen und in der dunkeln Erde; gieb ihm Wasser, gieb ihm
auch Sonne und Schatten je nachdem er es bedarf; laß Dir Zeit, und es wird daraus
der schönste Baum der Welt werden Der Sohn that nach des Vaters Gebot, ließ sich
keine Mühe,
»Ah! schrie ich, mein Vater, das ist allzu gräßlich, denn es ist ganz wahr: in der guten Erde meiner Natur gedeihen Würmer! der Kern, aus dem der schönste Baum der Welt hervorgehen sollte, ist verschrumpft. Kann er nie mehr grünen?«
Ich warf mich vor ihm nieder und legte den
»Hofnung läßt nicht zu Schanden werden! Bete, meine Tochter! Es ist viel Gutes in Dir; ein großer Durst nach Wahrheit und ein mächtiges Ringen; nur ist es zu himmelstürmerisch, zu sehr äußere Mittel verwendend. Denk' an den Kern des Orangenbaums, gönne ihm Stille, Schatten und Sammlung. Durch sie mußt Du den Mangel einer innerlich religiösen Erziehung zu ersetzen suchen; sie hat Deiner Kindheit und Jugend gefehlt. Die Lücke die dadurch in der Seele entsteht, kann in spätern Jahren nur durch gewaltige und meistens zerreißende Umwälzungen gefüllt werden.«
Ich sah das ein; aber auch, daß diese Einsicht mich um nichts förderte. Ich sollte beten, ich sollte in frommer Stille harren; – – ja, hätte ich das gekonnt, so wäre mir freilich geholfen gewesen. Ich sagte meinem Onkel was ich früher zu Fidelis gesagt hatte:
»Meine Seele ist auf die Frage gestellt. Der fragende Ton ist der unsrer Zeit. Es
wird Alles zur Frage gemacht: Gott in seinem Himmel, die Macht auf ihren Thronen,
die menschlichen Zustände in ihren Höhen und Tiefen – Glaube, Geschichte und
Tradition. Aber so verwegen man
»Wenn Du jezt dies Vertrauen zu unsrer heiligen Kirche hast, warum trittst Du nicht in ihre Gemeinschaft? – Welche Befriedigung kannst Du in der Deinen finden?«
»O nicht die geringste, mein Vater! der Protestantismus ist in meinen Augen keine
Kirche, sondern das reflectirende, opponirende, kritisirende Element, welches
scharfe Wache neben der Katholischen Kirche hält. Deren immanente religiöse
Lebenskraft fehlt ihm gänzlich. Er lebt von der ewig regen und thätigen
Verstandesrichtung im Menschen, und wird in dieser immer fortbestehen. Eine Kirche
auf ein unantastbares durch fast zwei Jahrtausende unbewegtes Dogma gegründet,
bildet er nicht! höchstens Kapellen stiften seine zahllosen Secten! die Einheit
fehlt ihm, dies Symbol der Göttlichkeit! das Gehirn des Menschen ist seine Basis;
die der Katholischen Kirche ist das Herz. Aber ich,
Damit war Alles gesagt und mein Uebertritt unmöglich. Das sah mein Onkel auch klar ein. Er beklagte mich aufrichtig, doch ohne die geringste Beimischung von Verachtung oder Selbstüberhebung. Er hielt sich mir gegenüber als Katholik keinesweges für besser; nur für glücklicher. Und so betrachtete ich ihn auch, aber so veredelt durch inneres Glück, als ich verfinstert war durch innere Desolationen und Zwiespältigkeiten. Meine theologischen Studien setzte ich fort so lange ich in Würzburg war. Es fehlte nicht viel so hätte ich mich auf die orientalischen Sprachen geworfen, auf hebräisch namentlich um das Alte Testament in seiner wahren Sprache zu lesen, denn ich kannte genug fremde Sprachen und ihre Uebersetzungen um zu wissen, daß diese sich zu jener verhalten, wie eine Lithographie zu einem Oelgemälde.
Aber der Tod meines theuern Onkels gab meinem äußern Leben eine andre Richtung. In
den ersten schönen Frühlingstagen entschlummerte er am geöfneten Fenster sitzend,
durch welches Maiengrün,
»Er ist bei Gott! – Auf Eure Knie, Kinder!« sagte ich, kniete mit ihnen nieder, und ein Strom von schwarzer Traurigkeit, nicht um den Tod, sondern um das Leben, wälzte sich schwer durch meine Seele. – – –
Am Vorabend meiner Abreise nach der Schweiz ging ich in den Dom zu der bewußten
Stelle, und auf ihr vergaß ich für ein Paar Augenblicke die schauerliche
Vereinsamung meines Daseins. Mich überfiel eine Sehnsucht ohne Gleichen nach
Fidelis – nicht ihn zu sehen, ach! nur von ihm zu wissen. In solchen Momenten war
mir zu Sinn als entdecke ich in mir ein ungeahntes Gestirn, in welchem ich die
Bedeutung fand: Du hast Fidelis nicht geliebt, aber Du hättest ihn lieben können
unter einem schöneren Schicksalshimmel! – Und
Bei meiner Heimkehr lag ein Brief von seiner wolbekannten Hand auf meinem Tisch, der nach Engelau adressirt und von dort hieher geschickt war. Nach drei vollen Jahren das erste Lebenszeichen von ihm! – also lebte er doch wenigstens noch! Die erste Empfindung war freudig; die nächste – namenlose Angst. Was konnte, was würde er mir sagen. Es zog sich eine furchtbare Schwüle um mich zusammen; ich ahnte einen niederschmetternden Wetterstral. War's Furcht, war's Demuth? genug, mein Instinct warf mich zu Boden und auf meinen Knien erbrach ich den verhängnißvollen Brief.
»Sibylle! Alles leiden, aber frei sein – war der Traum und der Wunsch meiner
Jugend. Ich litt und war nicht frei. Die eine, die fürchterliche, die verzehrende
Leidenschaft meines Lebens machte all meine Freiheit zunicht, und hat weder meinem
Genius, noch meinem Herzen, noch meinem Character ihre volle Entwickelung gegönnt,
wenn sie ihnen auch zuweilen Flügel gegeben hat. Es ist umsonst die Vergangenheit
zu durchwühlen und zu sagen: Dies hättest du als Jüngling – jenes als Mann thun
oder nicht thun sollen. Es ist gethan. Erkenntniß reift durch die That als
Ich stand auf nachdem ich diesen Brief gelesen und sagte gelassen und ganz laut:
Ja ja! der Mensch wird fertig mit seinen Qualen und seinen Wonnen! und was nach
dem Zersetzungsproceß seines Wesens durch die Leidenschaft noch übrig bleibt, das
wird in Sicherheit gebracht – bald bei der Gottseligkeit, bald bei der praktischen
Thätigkeit;
Es schien mir eine Art von Unrecht gegen mich, daß Fidelis kampfesmüde gegen die Sehnsuchtsqual, sich hinter jene Mauern zurückzog, die ihn in stillem Bann hielten. Mit ächtprotestantischem Hochmuth sah ich eine Feigheit darin sich zu einer äußerlichen Scheidewand zu flüchten. Konnt' er sich nicht verlassen auf Gott und auf die eigne Kraft? Haha! auf die eigene Kraft! rief ich mit bitterm Lachen nach einer Pause. Armer Fidelis! vielleicht hat er sich aus Demuth und Weisheit in sein Ordenskleid gehüllt! – –
Unter den zahlreichen schlaflosen Nächten meines Lebens war dies eine der
finstersten. Am andern Morgen fuhr ich mit den Kindern den Main entlang nach
Frankfurt und dann weiter über Basel und Bern nach Freiburg, wohin ich für die
Superiorin der Damen vom Sacré Coeur Empfehlungsbriefe hatte. Astralis war jezt
grade neun Jahr alt. Es wurde mir sehr schwer mich von dem lieblichen Kinde zu
trennen, aber Arabellas Wunsch bestimmte mich: sie sollte in ihrer Kirche erzogen
werden, d.h. sie sollte sich nicht dermaleinst in der Welt zur Katholischen Kirche
halten und
Das war aber unsäglich schwer wegen der verschiedenen Rücksichten welche zu
beobachten waren. Pestalozzis großer Name hat der Schweiz eine pädagogische
Berühmtheit verliehen, und bedeutende Institute zu Genf, Lausanne und Yverdun
rechtfertigen sie. Ich wünschte mich in einer kleinen Villa bei Genf oder Lausanne
niederzulassen und rechnete darauf alle Lehrer zu finden, welche Benvenuta nöthig
hatte. Ich hatte mich in Bern, im Oberland und in den Ur-Kantons sechs Wochen –
dann wieder in Freiburg aufgehalten; so kamen wir Anfang August aus der schönen
frischen Berg- und Wiesenluft in die erstickende Hitze von Genf. Kein Landhaus,
nicht einmal das einfachste Gartenhaus war für uns zu finden – Alles von
Einheimischen und Fremden überfüllt. Wir wohnten im Hôtel des Bergues das eine
wunderschöne
Hätte Benvenuta die geringste Vorliebe für die katholische Kirche an den Tag
gelegt: so würde
Es kostete mich einen harten Kampf diesen Entschluß festzuhalten. Mir graute vor der grenzenlosen Einsamkeit die mich nach Benvenutas Abreise umgeben würde. Ich sagte mir, ich könne ja in der Villa paisible so gut wie in Engelau Gouvernante, Hofmeister, Lehrer für sie halten – diese Lieferanten des Bildungsproviants. Aber die Gespielen, die jugendlichen Gefährten bei Unterricht und Erholung konnte ich ihr nicht schaffen, und das bestimmte mich vorzugsweise. Zum neuen Jahr brachte ich sie nach Ouchy, und hatte die Freude, daß sie sich leicht in ihren fremden Umgebungen zurechtfand. Die Villa paisible war für das junge Wesen zu abgeschieden gewesen! Ich aber kehrte beruhigt dahin zurück und sah mich mit einem halb beklemmenden und halb wolthuenden Gefühl in gänzlicher Einsamkeit. – – – – – –
Ich hatte wieder einen Gegenstand gefunden, von dem ich Beschäftigung und Nahrung
für meinen ewigarbeitenden Geist hofte. Im Canton Waadt herrscht die Calvinische
Kirche, die sich an manchen Orten zu äußerst streng religiösen Secten, deren
Anhänger dort Methodisten und Momiers genannt
»Was hält denn Eure Dogmen aufrecht, was giebt ihnen Basis und Krone, da Euch die Autorität der Kirche und die Gemeinschaft des Glaubens fehlt?« fragte ich zuweilen; und erhielt immer die Antwort:
»Das Wort Gottes, die heilige Schrift, ist unsre Autorität. Was sie sagt und gebietet, nehmen wir an, was sie nicht sagt – verwerfen wir.«
»Aber kein Mensch wird geboren mit der Kenntniß der heiligen Schrift; sie muß ihm gedeutet und erklärt werden. Wer erklärt sie Euch?«
»Die lautre Milch des Wortes gewährt auch dem unmündigsten Geist eine leicht verdauliche Nahrung. Wir haben die Verheißung des Herrn: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter Euch.« Wir getrösten uns derselben und wissen, daß beschirmt vom heiligen Geist die Wahrheit wächst und gedeiht.«
»Eure eigene Autorität ist also Eure letzte Instanz?«
»Unsre Lehre ist es in Uebereinstimmung mit der
»Also haben Eure Lehrer doch für Euch die Autorität der Unfehlbarkeit! aber letztere ist gegen das Princip der Reformation, welche die Unfehlbarkeit antastete und verwarf.«
»Und eben deshalb besitzt ein Jeglicher in der heiligen Schrift die Leuchte, welche seinen Fuß auf den Weg des Friedens führt.«
»Also dennoch wie ich sagte in letzter Instanz Eure eigene Autorität, wie sie sich aus den Bedürfnissen und der Auffassung des Individuums herausbildet! rief ich. Mein Gott! ist die ein Anker für die unruhige schwankende Menschenseele?«
»Wir sind fest im Glauben und ruhen in Gott.«
»Wol Euch! sagte ich; es ist eine glückliche Gabe sich über alle Widersprüche hinweg in den Schooß des Glaubens flüchten zu dürfen.«
»Sie wird auf dem Weg des Kreuzes gefunden – in der Schule des Leidens, nennt es die Welt! Drum segnen wir die Trübsale und damit sie jeden Stachel für uns verlieren, gedenken wir des herben Leidens und Sterbens des Heilands unaufhörlich. Durch den Gedanken daß er sie mit uns getheilt hat, wandelt sie sich in Wonne. Halleluja! meine Seele lobe den Herrn!«
»Ihn drückten die Sünden und Uebertretungen seiner Jugend, denn ihm fehlte der Glaube an die Versöhnung und Genugthuung durch das theure Blut des Heilands. Wer schwach im Glauben ist welkt dahin wie eine Blume des Feldes.«
Diese gelassene Ergebung bei einem solchen Donnerschlag des Schicksals, der
zugleich den äußern
Wie oft, wenn ich meinem verstorbenen Onkel zuhörte, hatte ich mit heißer Sehnsucht gesagt: O welche Erquickung mit diesem liebenden Schwung glauben zu können. – Aber den zuversichtlichen Glauben meiner neuen Freunde zu theilen hatte ich nie! nie gewünscht! Ich fühlte mein Herz würde durch ihn noch mehr brach gelegt werden, als es in meinem gegen wärtigen Zustand der Fall war. Unsre Freundschaft war auch nicht von Dauer; sie warfen mir philosophische und freigeisterische Ansichten vor, wogegen ich mich nicht vertheidigen konnte; – und ich ihnen Intoleranz und Inconsequenz, bei denen sie im Recht zu sein behaupteten. Ich sagte ihnen:
»Im Katholicismus setzt die Kirche – die gemeinsame Einheit im Glauben – eine
unantastbare Schranke, vor welcher der Menschengeist sich beugen, oder sich daran
brechen, oder sie überfliegen und dann von der Gemeinschaft abfallen muß. Im
Protestantismus haben Individuen Schranken gesetzt nachdem sie selbst deren
niedergerissen hatten. Ich sage nicht daß der geistige Horizont nicht beträchtlich
dadurch erweitert sei; ich sage nur daß die Protestanten sich nicht wundern
dürfen, wenn
»Wol uns wenn unsre Seelen in ihren demüthigen schlichten Betstübchen die Ruhe und Zuversicht im Herrn finden, welche Denen stets fehlen werden die in prachtvollen Domen papistischen Greuel treiben, und Jenen die in der Welt dem rationalistischen Baal huldigen.«
»Ja! wol Euch wenn Ihr neben der Ruhe im Herrn auch Demuth für Eure Seelen fändet! aber Ihr seid von geistlicher Hoffahrt besessen, die bei dem separatistischen Wesen fast unvermeidlich ist, denn die Abtrennung von der Gemeinsamkeit ruft stets ein Sichbesserdünken hervor. Ihr nennt das begnadigt sein, auserwählt sein; aber das ist doch weiter nichts als eine Art von Selbst-Heiligsprechung.«
Man wollte mir das Gegentheil beweisen; vielleicht bewies man es mir auch – ich
hab' es vergessen! Dies Alles war nicht das was ich brauchte. Das unbekannte Gut,
welches ich in jeder dem
»Ihnen ist bei uns nicht zu helfen! sprach meine Freundin. Ihre Phantasie wird durch den Katholischen Pomp gefangen, und Ihr Verstand huldigt dem Rationalismus. Diese zwei Elemente ersticken den wahren Glauben.«
Es halfen keine Discussionen mehr! ich konnte ihr nicht anschaulich machen, daß nicht der Katholische Pomp sondern die Katholische Einheit mich anzog; nicht, daß ich den Rationalismus als ein Attribut steriler, dürftiger Naturen betrachtete, welche sich im Uebersinnlichen dermaßen unheimisch fühlen, daß sie es sinnlich sich erklären müssen; und endlich nicht, daß es mir unmöglich sei mich einer religiösen Gemeinschaft hinzugeben, so lange ich entweder äußerlich mit ihrer Form – oder innerlich mit ihrem Princip und mit meiner Anschauungsweise in Conflict gerathen könne.
So war mir der einsame Winter in der Villa paisible vergangen; fast täglich ging
ich nach Montreux, und jeden Sonntag fuhr ich zu Benvenuta
Ich ging nach dem Berner Oberland um mir dort ein stilles Plätzchen zu suchen. Das
ist schwer genug. Allüberall wimmelt es von Reisenden. Grindelwald schien mir am
meisten von dieser Stille zu bieten. Der weite Kessel am Fuß des Wetterhorns von
dem die Lavinen donnernd herabstürzen – die grünen Matten der Abhänge auf denen
zahlreiche Heerden weiden – der nackte Fels der höheren Bergwände und der ewige
Schnee ihrer Häupter – unten die blumigen duftenden Wiesen mit einzelnen
Bauerhäusern, Sennhütten und Gehöften, mit Gärten und Obstbäumen übersäet – machen
Am unteren Gletscher, der über dem Quell der Lütschine einen saphirfarbenen
Betthimmel von Eis wölbt, lag ein Bauerhaus zwischen einem Nußbaum und einer
Linde. Wer kennt sie nicht diese malerischen Hütten des Berner Oberlandes, ganz
von Holz, mit flachem, breitem, weitschirmendem Dach, mit zierlich geschnitztem
Altan rund ums obere Geschoß laufend, mit frommen Sprüchen am Gesims des unteren;
ein Brunnen daneben und zwei Schuppen: der größere für die Kuh und die Ziegen, für
die Bienen der kleinere. Aus schönen Bildern oder aus der schöneren Wirklichkeit
kennt Jeder sie und jenes Haus glich ihnen vollkommen. Nur war es ganz frisch und
neu, und nie bewohnt gewesen; denn eine Engländerin hatte es bauen und einrichten
lassen zu ihrer Villeggiatura;
Wie immer ging es mir Anfangs wol, denn ich genoß mit vollen Zügen den Zauber der
Hochgebirgsnatur – aber nicht wie auf der Reise, sondern in einer selbstgewählten
Heimat. Das war
Ich fiel sehr bald in derselben der schwärzesten Melancholie anheim. Dies
ungestörte Leben in der Natur, ohne ein beseelendes Gefühl, ohne eine
beherrschende Idee, ohne jene glückliche physische Organisation die von ihren
Elementen mit Wonne zehrt – überwältigte mich mit namenloser Traurigkeit; denn ich
fühlte mich außer Zusammenhang mit ihr: sie brauchte mich nicht – wie konnte ich
mich an sie schmiegen? Kein einziges der Bande womit sie den Menschen umschlingt
und ihn heimisch und nützlich macht auf der Erde und ihm in diesem Bewußtsein
süßen Genuß gewährt – kein einziges hielt mir Farbe! Nicht von den Todten zu
reden, deren Erinnerung mir längst wie Schatten in der grauen Dämmerung entschwebt
war; – nur von den Lebenden: von dem Gatten, von der Tochter, von dem Freund – was
war ich ihnen und was waren sie mir? Mit keinem Einzigen von ihnen hatte ich
verstanden mich in
Und das Ende von dem Allen – war der Tod! und er konnte kommen heut, morgen – und
ich mußte fort, und hatte nicht gelebt! fort mit meiner
O wie beneidete ich Diejenigen, welche den Tod lieben als ihren Erlöser und Befreier von dem Folterbette des Daseins! .... und wie viel mehr jene Anderen, jene Begnadeten, welche das Leben lieben, weil sie sich ihm trotz verzehrender Wonnen und Schmerzen gewachsen fühlen! Ich konnte keins von Beiden! – – – – – – –
Gott, welche Nächte durchwachte ich in dem Thal von Grindelwald! Das waren nicht
die üppigen von Sorrent, nicht die phantastischen von Venedig, die meiner Jugend
angehörten und durch deren Hofnungen, Träume und Erwartungen gelichtet waren. O
nein! ich war nicht mehr jung, ich hatte zu früh, zu viel, zu verzehrend, zu
gewaltsam gelebt, um nicht vor der Zeit alt zu sein! Jezt war eine Nacht wirklich
für mich Nacht, dunkel, kalt und kerkerhaft. Nicht ihre süßen Geheimnisse
erzählten mir die Sterne, sondern meine eigenen
Im Herbst besuchte mich Benvenuta, und vierzehn Tage lang unterhielt sie sich
vortreflich bei mir. Sie hatte mir so viel zu erzählen, daß sie meistentheils die
Kosten der Unterhaltung trug. Ueberdas gefiel ihr das ganz ländliche Leben das sie
an ihr geliebtes Engelau erinnerte. Ich machte große Spaziergänge mit ihr,
besuchte mit ihr die Hütten der Landleute, meiner Nachbarn, mit denen ich auf
einem viel freundlicheren Fuß lebte als mit den Nachbarn von Engelau – nicht
nur
»Und wirst Du Dich nicht zu sehr langweilen, so ganz .... ganz allein? meine arme liebe Mama!« fragte Benvenuta, mich zärtlich umschlingend und mit den guten Augen ihres Vaters mich ansehend.
»Nein geliebtes Kind! entgegnete ich wehmüthig und durch die Wehmuth die Vorsicht vergessend: – wenn ich ganz allein bin langweile ich mich noch am wenigsten.«
»Du bist mein Kind: das zählt nicht als Gesellschaft!« erwiderte ich lachend.
Aber solche kleine bedenkliche Aeußerungen fielen auf beiden Seiten doch bisweilen, und darum war es gut wenn wir nicht lange beisammen blieben.
Im October fiel schon Schnee und ich machte mich zu meinem Winterschlaf zurecht. – Die große Schaar der Reisenden hatte sich längst im Oberland verlaufen; nur einige Nachzügler kamen noch zuweilen nach Grindelwald, wenn ein schöner Tag und ein tiefblauer Himmel das Gebirg und die Gletscher in ihrer Pracht zeigten.
Es war um die Mitte eines solchen Tages. Ich war lange umhergestreift und hatte hier und da nach mei ner Gewohnheit in einigen Hütten eingesprochen um zu sehen ob und wie sich das arme Volk zum Winter einrichten könne, wo so mancher Verdienst und Vortheil wegfällt, den der Sommer mit sich bringt. Ich kehrte heim. In einiger Entfernung hinter mir gingen zwei Männer, ein Reisender und sein Führer. Durch die klare stille Luft drangen ihre Worte zu mir als der erste fragte:
»Wer ist die Dame die vor uns geht?«
»'s ischt die guti Fru vom Grindelwald,« entgegnete
Da ich nicht zweifelte daß nun der gute Aloys eine lange mich betreffende lobende Geschichte erzählen würde – und da ich es nie habe ertragen können mein Lob zu hören: so blieb ich am Wege stehen und sagte:
»Grüß Gott, Aloys! Ihr habt einen stärkern Schritt als ich: da geht nur erst vorüber ehe Ihr weiter von mir sprecht.«
Aloys zog seine Kappe und entgegnete unverzagt:
»Nichts für ungut, Fru! der Herrgott thut's auch hören wenn man ihn lobpreist.«
»Wohin geht's, Aloys?« fragte ich abbrechend.
»Ins Gasthaus zuerst, denn wir kommen von Meyringen, und dann zu den Gletschern! morgen früh nach Lautérbrunn über die Wengernalp, und Abends nach Interlachen; – von da gen Bern.«
»Glückliche Reise!« sprach ich und winkte dem Reisenden an mir vorüber und weiter zu gehen, was er mit einem etwas verwunderten Gruß auch that. Aloys folgte ihm.
Einige Stunden später machte sich ein großer Auflauf beim unteren Gletscher und es
verbreitete sich die Nachricht ein Paar Engländer wären in
Wie er hieß, wer und woher er war – davon hatte Niemand die leiseste Ahnung. Von Luzern war er mit Aloys über den Brünig ins Berner Oberland gekommen und seinen Koffer hatte er von dort nach Genf geschickt. In seinem kleinen Mantelsack befanden sich so wenig Sachen und Geld als man zu einer Fußreise braucht – übrigens weder Briefe, noch Paß, noch legitimirende Papiere. Aloys meinte er habe ein kleines Portefeuille in der Brusttasche seiner Blouse getragen und dasselbe vermuthlich bei seinem Sturz verloren. Mich beunruhigte dies nur in dem traurigen Fall seines Todes. Blieb er am Leben, so würde er sich mit der Zeit schon legitimiren.
Er blieb am Leben; aber es war qualvoll, der Leib gemartert, der Kopf fast immer
besinnungslos; und traten lichte Augenblicke ein, so waren sie von so unerhörter
Schwäche begleitet, daß Gedanken und Gedächtniß sich nicht sammeln konnten. Außer
meiner Mutter hatte ich nie einen Menschen so heftig, so lange, so in jedem Nerv
vom
So vergingen Wochen und Monate. Um Weihnachten trat endlich wahrhafte Besserung ein; die Lethargie wich, die Besinnung kehrte zurück, Fieber und Phantasieen hörten auf. In den qualvollen Schienen eingezwängt konnte er nur seinen linken Arm brauchen und bedurfte daher einer Menge kleiner Dienstleistungen. Sein erstes Wort an mich das er mit Bewußtsein und mit dem Ton innigster Dankbarkeit aussprach, war:
»O! die gute Frau vom Grindelwald!«
Der fieberhafte Schleier war also endlich von seinen Blicken genommen. Jenes Wort des Aloys war nicht das letzte welches er gehört – aber das letzte welches Eindruck auf ihn gemacht hatte; seine Erinnerung war bei demselben stehen geblieben und kam mit ihm zur Besinnung.
»Gott sei Dank! Sie erkennen mich!« sagte ich froh. – Mit erleichtertem Herzen konnte ich nun daran denken zum Neujahrsfest, das in der Schweiz den Platz unsers Weihnachtsfestes einnimmt, die Kinder zu besuchen. Am Tage vor meiner Abreise kündigte ich dieselbe meinem Kranken an, und fragte ihn ob in Genf oder Bern keine Briefe ihn erwarteten, die ich ihm mitbringen oder zusenden könne. Auf dem Postamt in Genf müßten deren wol einige sein – meinte er.
»Dann muß ich um Ihren Namen bitten, sagte ich lächelnd, damit ich die richtigen fodern kann.«
»Nicht einmal meinen Namen wissen Sie! .... und wo ist denn mein Paß geblieben?«
»Da ich kein Thorwächter bin der nach Paß und Namen zu fragen hat, so habe ich mich bisher um Beides nicht gekümmert. Was ersteren betrift, so glaubt der Aloys Ihr kleines Portefeuille sei bei Ihrem Sturz verloren gegangen.«
»Trösten Sie sich! entgegnete ich lächelnd. Ein Paß ist Ihnen vor der Hand ganz überflüssig da Sie Grindelwald nicht verlassen können; – und ich gebe Ihnen mehr Credit als Ihr Banquier in Genf! – Aber den Namen muß ich wegen der Briefe wissen.«
»Ich heiße Graf Wilderich Wildeshausen, sagte er, und auf einem Schloß dieses Namens in Ostfriesland lebt meine Mutter, der ich gern Nachricht von meinem Unfall zukommen ließe.«
»Ich will ihr schreiben und ihr die Wahrheit nicht verhehlen, aber auch die Gewißheit Ihrer Genesung ihr geben!« unterbrach ich ihn lebhaft.
Er nahm meine Hand, küßte sie und fragte:
»Sie verlassen mich nicht? Sie kommen wieder?«
»Gewiß, in vierzehn Tagen komme ich wieder, und Sie werden während meiner Abwesenheit keine Pflege entbehren.«
»Aber Ihre Gegenwart!«
»Allerdings! denn eine Doppelgängerin bin ich nicht.«
Er lächelte. Es war mir eine stille Freude ein Lächeln auf diesem Antlitz zu
sehen, das so lange von Schmerz und Krankheit zerstört war; mit dem
Tags darauf reiste ich ab, über Bern und Freiburg nach Ouchy. Ich hatte schon viel von meinem unbekannten Kranken an Benvenuta geschrieben, die sich wie alle junge Mädchen außerordentlich für das Geheimnißvolle interessirte. Jezt mußte ich ihr noch viel mehr von ihm erzählen; aber als sie erfuhr daß er ein ganz gewöhnliches Menschenkind – kein entthronter Fürst, kein Flüchtling, kein Verbannter, kein großer Künstler, Maler oder Dichter sei: nahm diese Theilnahme wenigstens um die Hälfte ab, denn es blieb nur noch die für sein Unglück, und die für seine Persönlichkeit fiel weg.
Ich schickte meinen Diener nach Genf, der sich Wilderichs Briefe und Effecten
einhändigen ließ; und ich selbst schrieb an die Gräfin von Wildeshausen. Ich bekam
jeden dritten Tag ein Bülletin seines Befindens von meiner Kammerfrau, die seit
zwanzig Jahren in meinem Dienst und eine so zuverlässige Person war, wie man es
unter diesen Umständen nur wünschen konnte; deshalb hatte ich sie zurückgelassen.
Die Nachrichten lauteten befriedigend, und als ich wieder nach Grindelwald kam
Ein Schreiben seiner Mutter an mich, das bald darauf anlangte, sprach mir den Dank eines sorgengedrückten, tiefbekümmerten Herzens aus. Wie sie wünsche anstatt dieses Briefes selbst zu kommen! wie ihre zahlreiche Familie und ihre Verhältnisse es unmöglich machten! Ich gab den Brief an Wilderich; er las ihn mit Thränen.
»Immer muß ich ihr Sorgen machen!« – sprach er bewegt.
»Das ist das allgemeine Schicksal der Eltern ihren Kindern gegenüber; entgegnete
ich tröstend. Aber wie man um einen Sohn Sorgen haben könne – die abgerechnet, daß
er sich Arme und Beine bricht – begreif' ich nicht. Unsre Welt ist für die Männer
eingerichtet, nämlich so daß man durch ringen, stoßen, drängen, ja einiges boxen
vorwärts kommt – und das verstehen die Männer, das können sie aushalten, das
bekommt ihnen sehr gut. Eine Frau kann daran zu Grunde gehen und wird immer
fürchterlich leiden. Darauf muß eine Mutter für ihre Tochter vorbereitet sein!
»Sie haben kein Herz für die Söhne weil Sie nur eine Tochter haben, gnädige Gräfin, sagte Wilderich. Ich denke mir daß das Kind der Mutter Sorge macht, und ein Sohn ist auch ein Kind.«
»So wird's wol am richtigsten sein, mein armer Wilderich! und eben deshalb sagte ich, Sie sollten sich nicht zu sehr um die Sorgen Ihrer Mutter quälen; denn die sind nun einmal dem mütterlichen Herzen eingeboren.«
»Mein Vater ist seit zehn Jahren todt, ich bin der Aelteste von acht Kindern, und meine Mutter muß uns mit einem sehr geringen Vermögen erziehen: das ist eine unsäglich sorgenschwere Aufgabe.«
»Ach! rief ich, ohne die Verwöhnungen des Reichthums erzogen zu sein ist ein
außerordentlicher Vortheil! darin liegt der Sporn zur Entwickelung des
Mittelstandes. Wenn unsre Zeit höhere Interessen als die des Materialismus, des
Genusses in höchster Potenz, hätte: so könnte dieser Sporn der Unverwöhntheit zu
etwas Tüchtigem und Großen treiben. Aber die Idee, welche der Mittelstand von den
Bedürfnissen des Jahrhunderts, der Zeit und der Völker hat, ist folgende: Jezt
sollen
»Sie sprechen wie eine reiche Frau, die Sie auch sind, gnädige Gräfin« .... – – –
»Lebe ich wie eine reiche Frau? unterbrach ich ihn. Wo sind Pferde und Wagen, Livreebediente, Sofas von Sammt, Vorhänge von Seide, goldene Spiegel? .... was Alles die erste beste Doctorsfrau in unsrer Heimat hat.«
»Sie leben dennoch wie eine reiche Frau: nämlich – unabhängig! und das ist der größte Vorzug des Reichthums.«
»Lieber Wilderich! der Reichthum knechtet die Seele und macht sie in zehntausend Fällen höchstens Einmal unabhängig.«
»Ach, gnädige Gräfin, Sie würden anders
Wilderich schwieg ganz erschöpft und ich ganz erstaunt. Dies war unser erstes längeres Gespräch und ohne meine Absicht hatte es eine Wendung genommen die ihn so schmerzlich ergriff. Dies war eine neue Phase des Leides welches durch unsre Welt geht! Nach einer Pause rief Wilderich:
»O wie tausendmal hab' ich gewünscht lieber ein Taglöhner zu Wildeshausen zu sein, der unter körperlichen Anstrengungen sein Schwarzbrot gewinnt, als der Graf von Wildeshausen, dem es obliegt als Herr, als Haupt einer Familie für seine Untergebenen und seine Verwandten zu sorgen und dem dazu die Mittel fehlen!«
»Mein armer Wilderich, was sind das für unzeitgemäße Gedanken: für etwas Anderes sorgen zu wollen als für sich selbst!« entgegnete ich, die traurige Wahrheit hinter einem scherzhaften Ton verbergend um ihn von seiner Verstimmung abzulenken. Aber heftig und traurig fuhr er fort:
»Die Isolirung durch den Egoismus .... diese anti-aristokratische Richtung unsrer
Zeit, welche das Individuum ohne positive Religion, ohne Liebe zur Heimat, ohne
Anhänglichkeit an die Familie, ohne Respect vor Tradition, ohne Gefühl
»Die Krankheit hat Sie ermattet, sagte ich. In Ihrem Alter muß man Zuversicht
haben, Wilderich, denn ein halbes Jahrhundert der Wirksamkeit liegt vor Ihnen und
wie wollen Sie derselben gewachsen sein, wenn Sie nicht daran gehen mit Zuversicht
auf regenerirende Elemente! Die rückkehrende Gesundheit wird Ihnen das schöne
Vorrecht der Jugend: die ewige Hofnung – wiederbringen. Ich begehre nicht daß Sie
eine herrschende Mode mitmachen, und unsre Weltzustände rosenroth gefärbt
betrachten sollen! aber Sie sollen nur nicht schwarz sehen wo höchstens ein
sanftes
»Glauben Sie das wirklich?«
»Die Geschichte lehrt es.«
»Eine Lehre welche unser Herz oder unsre Erfahrung nicht bestätigen – ist für uns todt. Deshalb frage ich ob Sie aus Ihrer Seele oder nur nach Büchern sprechen.«
»Und wenn ich sagte: nicht aus meiner Seele!«
»So würden Ihre Worte eben nur todte Worte sein – wie fast alle sind die heutzutag gelehrt werden.«
»Da mögen Sie Recht haben! sagte ich immer mehr und mehr erstaunt. Aber was sind Sie für ein trauriger ernsthafter Mensch!«
»Ich bin's! denn in mir ist ein Chaos und ich weiß nicht ob der Geist Gottes darüber schwebt.«
»Kind! Kind! rief ich, Sie thun mir weh!«
»Sie sehen wol, gnädige Gräfin, daß man auch um einen Sohn Sorgen haben könne,« sagte er.
Auf dies erste Gespräch folgten viele derselben Art. Er hatte eine von inneren
Kämpfen ganz zerarbeitete Seele. Ich kam zu der Ueberzeugung daß seine Krankheit
eine große Wolthat für ihn gewesen sei indem sie den Geist in Schlaf gelullt.
Er bekam einmal die Verlobungsanzeige seines Vetters mit einer Banquierstochter, und gerieth darüber in solche Trostlosigkeit, namentlich über ihren großen Reichthum, daß ich ganz ernsthaft ihn fragte ob er den Verstand verloren habe um über ein so alltägliches Ereigniß zu jammern.
»Wenn sie arm wäre könnt' ich's verzeihen, entgegnete er, aber reich – sehen Sie, das finde ich nichtswürdig.«
»Sie sind unsinnig, Wilderich! Aehnliches geschieht täglich in England, denn da
ist die Aristokratie nicht blos stolz und würdig, sondern auch klug und praktisch,
und versteht es frisches Blut und frisches Geld sich zu assimiliren. Dadurch ist
»Da sei Gott vor! rief Wilderich. Dann ginge ja die Ehre verloren! – Was fragt der Büreaukrat, der Industrielle, der Speculant, der Gelehrte – nach der Ehre! Nach ihrer persönlichen Ehre, oder daß ihnen die gebührenden Ehren widerfahren – o ja! danach fragen sie sehr! Aber die Ehre des Standes, der Genossenschaft kümmert sie nicht, denn sie haben keine Genossen, sie sind nicht von einer gemeinsamen Idee beseelt, von der Idee: die Besten sein zu müssen weil sie die Ersten sind. Sie sind nur durch ihr Interesse zusammengehalten, sei es für ihre Carriere oder ihren Geldbeutel, und ein solches Interesse ist nur äußerlicher Art. Jeder vertritt seine Person, seine Meinung, seine Stellung, und was ihn zuweilen zur Gemeinsamkeit schaart ist – Opposition gegen uns! das ist jedoch kein Lebensprincip. Wir aber vertreten die Idee der Ehre, und Individuen gehen unter, allein Principe leben ewig! drum kann der Adel nicht absterben, denn die alte Tradition kann nicht untergehen.«
»Warum bemühen Sie sich so sehr mich herab zu stimmen? fragte Wilderich. Gönnen Sie mir doch wenigstens meine Idee und die Begeisterung für dieselbe! in der Wirklichkeit ist wenig genug wofür ich mich enthusiasmiren könnte.«
»Ich mögte nicht daß Sie Ihre Begeisterung so zu sagen schlecht unterbrächten.
Ihre Gesinnung: »weil wir die Ersten sind müssen wir die Tüchtigsten sein,« ist
durchaus aristokratisch, ist das Band zu der edelsten Gemeinschaft die nur
zwischen den Menschen statt finden kann; aber verabsäumt nicht die Mittel, die im
Stande sind Eure Gesinnung durch äußere Macht zu unterstützen.
»Reiche Frauen sind mir überhaupt unerträglich! sagte er. Ich meines Theils werde nie ein andres Mädchen heirathen als aus einem guten alten Hause und ohne Vermögen« .... – –
»Wie das gewöhnlich bei uns Hand in Hand geht!« setzte ich lachend hinzu.
Was ich ihm dringend rieth – waren Reisen in fremden Ländern, zu fremden Völkern, um das deutsche Spießbürgerthum abzuschleifen, dieses kleben und klauben an Formen, deren Inhalt ausgestorben ist, diese Devotion vor dem Fremdländischen, diese Ueberschätzung der Magistergelahrtheit, diesen matten Dünkel auf Geist und Bildung.
»Das muß man gestehen, Sie sind nicht blind eingenommen für Deutschland! rief
Wilderich. Haben
»Ja, eine sehr stolze!«
»Nun bei welcher Veranlassung?«
»Wenn ich eine Symphonie von Beethoven aufführen hörte .... dann war ich stolz, denn so aufgefaßt und so ausgedrückt ist nie der Geist des deutschen Volks als von ihm! Er hat ihn wiedergegeben den Tiefsinn in der Verklärung. Sonst aber erinnere ich mich keiner Veranlassung.«
»Und das sagen Sie so gelassen! ich würde darüber verzweifeln.«
»O all diese schlaffen Verzweiflungen muß man sich abgewöhnen! Man muß die Welt nehmen wie sie ist; und warum soll man nicht eben so stolz sein auf einen Genius der Symphonien componirt als der über Staatsökonomie schreibt?«
»Wenn man sich in der Welt wie sie ist zurechtfinden muß, warum denn, gnädige Gräfin, sind Sie in diese Einsamkeit geflüchtet, wo Sie durch nichts an dieselbe erinnert werden?«
»Weil ich mein Leben bereits verbraucht habe und zu nichts Tüchtigem mehr brauchbar bin – – als höchstens .... um die gute Frau von Grindelwald zu sein.«
»O ja! man kanns auf dem rechten Fleck, zu rechter Zeit und Stunde, am rechten Ort sein. Die gute Herrin von Engelau, die gute Gattin, die gute Mutter zu sein: das wär' ein Lob. Jenes ist keins. Ich bin gut – was man hier gut nennt, nämlich wolthätig – weil ich es angenehmer für mich als das Gegentheil finde.«
»Ich verstehe Sie zuweilen gar nicht! entgegnete Wilderich. In Ihren Handlungen sind Sie ein hohes und edles Herz, in Ihren Worten – welche man schwer von Ihrer Gesinnung trennen kann, da Sie nicht lügen – haben Sie gar kein Herz.«
»Daraus sehen Sie daß ich die Kraft zum thun .... nicht die zum sein habe. Ich habe vielleicht weniger Unrecht gethan als Tausende meines Gleichen und dennoch weniger Befriedigung als eben sie.«
»Das ist unnatürlich!« rief er.
»Davon bin ich vollkommen überzeugt! entgegnete ich gelassen. Mein Dasein ist wie eine Tropfsteinhöhle: darin stehen allerlei schöne Sachen, Altäre, Kapellen, Heiligenbilder .... aber versteinert und in Finsterniß; und das sollte nicht sein.«
»Und warum ist es so?«
»Das ist ja aber eine fürchterliche Gleichgültigkeit!« sagte er fast mit Entsetzen. Und wie kann man sie mit Ihrer Barmherzigkeit, mit Ihrem Mitleid in Einklang bringen?«
»Barmherzigkeit auf und über der Welt – von Ewigkeit zu Ewigkeit gehend – ist das Eine woran ich glaube.«
»Weil Sie sie üben!«
»Nein! .... weil ich ihrer bedarf.«
Ich sprach zwar immer wenn unsre Unterhaltung eine Wendung auf mich nahm in einem möglichst kalten Ton von mir selbst, aber er machte dennoch auf Wilderich Eindruck.
»Giebt es viel Frauen wie Sie?« fragte er einst.
»Ganz wie ich – vielleicht Keine! mir ähnlich – Unzählige! – Natürlich werden sie
das aber nicht eingestehen. Verstand und Phantasie werden übermäßig entwickelt,
und das Herz vertrocknet. Solch Mißverhältniß macht elend. Da soll nun die Oede
durch Emotionen ausgefüllt werden: die Einen werfen sich in die Andacht, die
Andern in die Studien und schönen Künste, noch Andre ins Weltleben mit seinen
blasirenden Genüssen. Es muß immer etwas gethan werden! Natürlich läuft zwischen
all dem unsinnigen und abgeschmackten
»Gott! rief Wilderich, und an dies Geschlecht sind wir mit unsrer Liebe gewiesen!«
»Nun! entgegnete ich lachend, Eure Liebe wird es wol noch erwidern können! Und dann giebt es ja immer Ausnahmen, und die Geliebte, mein Wilderich, ist ein für alle Mal eine Ausnahme.«
That ich ihm wol oder weh? ich vermuthe das Letztere. Nichts – und auch ich nicht – war so wie er es geträumt, wie es seinen Idealen entsprach.
»Was soll ich glauben, lieben, hoffen, wollen – da neben dem Allen der Zweifel
steht! rief er einmal in schmerzlicher Aufregung. War die Welt gut wie sie bisher
gegangen ist – warum legt sie sich denn auf die andre Seite? War sie schlecht –
wie hat sie so lange bestehen können? – O wie beneide ich die, welche an einen
unbedingten Fortschritt glauben und daher im Stande sind aufrichtig mit der
Vergangenheit zu brechen. Ich kann es nicht! ich finde nicht mehr Lebensweisheit,
mehr Tugend, mehr Glück, mehr Freude in den Lehren welche unsre Tage beherrschen
und unsrer Zeit als Richtschnur dienen und als Ziel vorleuchten
»O Kind! rief ich gerührt, was kümmern Sie sich um den Unglauben der Welt, wenn in Ihrer Seele die ewige Ampel des Glaubens brennt? – Was wollen Sie mehr?«
»Ich will die Gewißheit nicht in Traum oder Irrthum dahin zu taumeln! Und der Zweifel der mich umringt macht mich irre an mir selbst.«
»Der Zweifel ist so alt als der Glaube! Petrus glaubte und Thomas zweifelte, und dennoch hat neben diesem Zweifler der Glaube des Petrus eine Kirche gestiftet von der geschrieben steht »daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden.««
»Nur ein Zweifler zwischen zwölf Aposteln! In unsrer Zeit ist's anders! da wohnen Schwankung, Unsicherheit und Zweifel wenigstens in eilf Köpfen unter zwölf.«
»Das beweist weiter nichts als daß jene Eilf eben nicht zu Aposteln bestimmt sind,
obzwar sie sich wol dazu berufen finden mögen und sich ja auch Apostel der
Wahrheit, der Freiheit, des
»Was haben Sie gegen den Schneider, da Hans Sachs und Jacob Böhme Schuster waren?«
»O gar nichts! ich meine nur – da alle hundert Jahr einmal das Mirakel eines Lichtes aus der Werkstatt hervorgegangen ist: so könnte ja auch wol einmal ein Irrlicht draus hervor gehen. Uebrigens hab' ich nichts weder gegen Reformen noch gegen Schneider. Im Gegentheil! da Staat, Kirche und Gesellschaft mir wenigstens in Deutschland vorkommen wie Adam nach dem Sündenfall, der seine Blöße kennt, sich schämt oder fürchtet, und nach einem Feigenblatt greift; so wäre wol sehr ein Mann zu ersehnen, der ein großartiges Gewand, einen neuen Purpur und Königsmantel ihnen umhinge.«
»Das ist es ja ebenfalls was mich so sehr irre macht! ich habe Augenblicke in
denen ich mir selbst mit Aufrichtigkeit gestehen muß, daß viel abgenutzter und
verbrauchter Plunder sich bei uns in
Er konnte sich stundenlang in diese Gespräche vertiefen, bei denen es jedoch unmöglich war zu einem Abschluß zu kommen. Die Jugend braucht ihn nicht! im Gegentheil würde er ihr schädlich sein weil sie Gefahr liefe pedantisch und systematisch zu werden. Sie lebt sich zum Abschluß heran. Ob je ein Mensch die ganz klare und richtige Summe seines Strebens in sein Rechnungsbuch, und nicht zuweilen halb unbewußt ein X. für ein U. schreibt – ist die Frage. Indem wir leben wachsen wir in unser neues Wollen und Denken dermaßen hinein, daß wir uns nicht mehr genau besinnen wie es ehedem damit beschaffen gewesen ist. Zwanzig Mal denken wir: jezt sind wir zum Abschluß gekommen, jezt wissen wir was wir zu erwarten, zu geben, zu thun, zu meinen haben – und über's Jahr, oder über drei Jahr, oder doch ganz gewiß über zehn Jahr ist Alles anders. Und dann spricht man von Treue als von einer Tugend! Treue ist Gewohnheit mit Nothwendigkeit und Bequemlichkeit .... vielleicht sogar mit ein klein wenig Heuchelei vermischt.
»Für Sie und Ihresgleichen mag es anders sein. Ihr Herz mag einen so starken und gleichmäßigen Schlag haben, daß seine Ermattungen und seine Fieber nur die Oberfläche bewegen ohne es im tiefsten Grunde zu erschüttern. Oder auch liegt es an einer großen Idee, deren Realisirung das Leben füllt, vor Anker und ist mit ihr still, fest und treu. Aber Treue gegen den Menschen – dazu gehört eben außer Ihnen noch ein Gegenstand, und wer bürgt Ihnen für den?«
»Mein Vertrauen.«
»Und wenn das nicht auf den Rechten gesetzt ward?«
»O! rief Wilderich, haben Sie denn nie einen Menschen geliebt?«
»In dieser Frage hat Ihr Instinct Ihnen die richtige Antwort eingegeben.«
»Und warum .... mein Gott, warum denn nicht?«
Ich zuckte die Achseln. »Auf manches Warum giebt es gar keine – oder die trostlose Antwort: Weil man es nicht verstanden oder nicht verdient hat.«
Wilderich nahm meine Hand, drückte sie lebhaft an seine Lippen und rief:
»Auf die fürchterliche Frau? .... wie Sie eben mich nannten! Sie verfallen in Widerspruch,« sagte ich spöttisch und zog meine Hand kühl zurück.
Er erröthete flüchtig und sah traurig zu Boden. – – – – So verging die Zeit. Wilderich hatte allmälig wieder den Gebrauch seiner Glieder erlangt; aber sein Gang sowol als seine Armbewegungen waren steif und schwer. Der Arzt rieth ihm nach Baden zu gehen. Er hatte gar keine Lust dazu. Er behauptete die Bergluft des Oberlandes sei viel heilsamer, viel gesünder, und die Bemerkung daß sie steife Glieder nicht geschmeidig mache, ließ er fallen. Er wollte eben nicht fort. Das fing an mich zu beängstigen. Wilderich war ein Mensch der sich aus Dankbarkeit für eine Frau fanatisiren konnte.
Benvenuta sollte mich in den Frühlingsferien besuchen. Ich benutzte das um ihm eines Tages zu sagen:
»Es ist zwar sehr unfreundlich einem Gast und einem Kranken die Thür zu weisen,
aber es hilft nichts, lieber Wilderich, Sie müssen meiner Tochter
»Sie haben mich so lange geduldet aus übergroßer Güte; nichts als Beschwerden und Last habe ich Ihnen gemacht und doch mißbrauche ich Ihre Güte genug um nicht von selbst Ihr Haus zu verlassen! das wäre eine grenzenlose Unbescheidenheit – wenn« .... – – –
»Es ist keine! unterbrach ich ihn schnell. Sie fühlen sich noch nicht vollkommen hergestellt, und fühlen ebenfalls – was Sie auch von Beschwerden u.s.w. sagen – daß Sie mir nicht lästig sind: drum wollten Sie die trüben Winter-Erinnerungen und den Rest von Schwäche an demselben Orte in der schönen Frühlingsluft abbaden; das ist ganz natürlich.«
»Ich werde mich also im Gasthaus niederlassen; denn Ihre Tochter, gnädige Gräfin, muß ich durchaus kennen lernen! sie ist wol so ziemlich das einzige Geschöpf auf der weiten Welt für das Sie sich interessiren.«
»Von Ihnen, Wilderich, hab' ich diesen Vorwurf doch kaum verdient.«
»Es ist kein Vorwurf .... wenigstens keiner für Sie, sondern für Andere. Aber Ihre Tochter muß ich kennen lernen!«
Er blieb also in Grindelwald nahm ein Zimmer im Gasthof und verbrachte übrigens seine Tage bei und mit mir.
Bald darauf kam Benvenuta. Sie war jezt in ihrem sechszehnten Jahr, und lieblich .... ach lieblich, wie man eben nur in dem Alter ist, frisch, blühend, rosig und doch so zart wie eine Purpurwolke am Morgenhimmel. Ihre frühere Kränklichkeit hatte sie wie es schien gänzlich überwunden. Ein lebhafter Wechsel der Farbe bei jeder Gemüthsbewegung – in welcher sie überdas immer schwieg – deutete auf eine feine reizbare Organisation und auf ein stilles tiefes Gefühl. Von der fliegenden Heftigkeit meiner jugendlichen Empfindungsweise war Gottlob! keine Spur in ihr. Ich glaube nicht ein holdseligeres Mädchen je gesehen zu haben. Sie war so recht ein junges Mädchen – unbefangen und doch schüchtern, schelmisch und doch blöde. Was weiter in ihr war – wer konnte es wissen? – –
Wilderich empfing Benvenuta mit stralender Freude. Ich verstand das gar nicht. War
es
»In dem Fall würde Ihre Mutter doch sehr froh sein Sie nach all diesen überwundenen Gefahren wiederzusehen;« sagte ich.
»Allerdings! .... und ich auch die gute Mutter! entgegnete Wilderich. Allein ich bin überzeugt sie gönnt mir von Herzen daß ich jezt ein wenig die Schweiz genieße – und umsomehr da ich meine Zeit nicht verliere, sondern bei Ihnen perfect englisch gelernt habe! denn Zeitverlust ist nun einmal den Müttern ein Greuel.«
»Sie genießen aber gar nicht die Schweiz, lieber Wilderich, wenn Sie immer hier bleiben.«
»Kann man sie schöner genießen als hier? liegt mir nicht grade hier ihr
characteristischer Zauber vor Augen: feierliche Majestät und idyllische
Anmuth?
»Ich kann mir nicht helfen, Wilderich, ich bin eine ächte Mama: mir thut Ihre Zeitverschwendung leid!«
»Ach! die sogenannt verschwendete Zeit ist fast immer eine glückliche von der uns später für Nachwirkung und Erinnerung kein schöner Augenblick, kein seliger Athemzug verloren geht, von der ein erquickender Duft und ein melodischer Nachhall in der Seele bleibt.«
»Kind! was wissen Sie mit Ihren zweiundzwanzig Jahren von Erinnerungen?«
»Wie das jugendlich gesprochen ist! Von den Erinnerungen erwartet die Jugend allgewaltige Magie; aber auch von der Zukunft! .... und auch von der Gegenwart, nicht wahr? Ihre ungeübte und ungeprüfte Kraft erscheint ihr so maßlos und unerschöpflich, daß sie von keiner andern Empfindung als von unendlichen – sogar in der Erinnerung noch unsterblich! – wissen will. Aber! aber! die Kraft ist nicht übermäßig, mein armer Wilderich! sie hält nicht so fest wie der Magnet das Eisen; sie umschließt nicht so fest wie die Muschel ihre Perle! – Meistens ist sie ein Sieb; zuweilen eine Schaale von Porcellan oder Krystall, der nichts fehlt als daß sie einen kleinen feinen Riß hat, durch den ganz langsam, ganz unmerklich der Inhalt entströmt oder verfliegt. Nein nein, rechnen Sie nicht auf die Wonne der Erinnerung.«
»Und was hätte ich denn am Schluß meines Lebens um mein müdes Haupt darauf zu betten wenn nicht den Blumenpfühl der Erinnerung?«
»Und wer sagt Ihnen denn daß Sie am Schluß Ihres Lebens Ihr müdes Haupt auf einem
Blumenpfühl betten müssen? – Es kann ja auch sein
Benvenuta nahm meine Hand, legte sie auf ihre Augen und sagte bittend:
»Mama, ich kann's nicht aushalten vor Traurigkeit wenn Du so sprichst.«
Zu gleicher Zeit sagte Wilderich mit Zuversicht:
»Nein, so elend ist und macht das Leben nicht! Sei es drum daß die Blumen fehlen, daß die Dornen ihren Platz einnehmen! .... aber Asche – nein! so lange mein Herz schlägt, und es kann ja nur mit meinem letzten Athemzug still stehen, lebt ein Funke in ihm, der es vor dem Zusammensinken in Asche bewahrt! sei es ein Glaube, eine Hofnung, eine Liebe – sei es noch Anderes was ich nicht kenne oder nicht zu nennen weiß! Der Mensch soll Leid und Schmerz haben damit er sich bei ihrer Bekämpfung stähle; aber umkommen .... so in der Asche von ich weiß nicht was für namenlosen Dingen – das soll er nicht, das ist nicht seine Bestimmung; und geschieht es dennoch, so geschiehts durch seine eigene Schuld.«
Benvenuta hatte ihren Kopf von meiner Hand allmälig gehoben, und sah mit einem
Ausdruck von rührender klarer Zuversicht auf Wilderich. Ihre Gesinnung entsprach
der seinen. Ein Blick auf
»Um wieder auf unser eigentliches Gespräch zurück zu kommen, Wilderich: wann gehen Sie nach Baden?«
»Wenn Fräulein Benvenuta abgereist sein wird;« entgegnete er, nicht eben in froher Laune.
Benvenuta rief aber ganz vergnügt und freudig erröthend: »Mit der Einrichtung bin ich sehr zufrieden!«
Am andern Tage ritten wir zum Rosenlaui-Gletscher, den Benvenuta noch nicht
kannte, und der unstreitig zu den allerschönsten Punkten gehört, welche die
Schweiz aufweisen kann, denn er ist phantastisch – und das ist ihre Natur nur
ausnahmsweise. Diese saphirfarbenen Eisblöcke, Eisgrotten, Eispfeiler, liegen da
wie Trümmer einer wundersamen fremden Welt an deren Erstarrung man nicht glauben
kann weil sie so schön ist. Man meint sie müsse sich wieder zu Tempeln und Hallen
Benvenuta war ganz bezaubert und ich ganz erstaunt daß sie es war. Ich hatte sonst
nie bemerkt daß dergleichen Bilder einen solchen Eindruck auf sie machten. Und
doch konnte es nicht anders sein! in dem Kinde schläft die Seele, giebt sich nur
in einzelnen aufblitzenden Regungen kund, die aber noch weiter nichts als Träume
sind. Beobachtung und Wißbegier sind vorherrschend im Kinde: es will die Welt der
großen Leute verstehen. Ist es später in die Jugend hinein getreten – aus der
Vorhalle des Lebens auf dessen Tempelschwelle – dann wird es gedrängt das
Räthselwort seiner eigenen innerlichen Welt zu suchen; dann braucht es seine
Seele, dann schüttelt diese ihren Schlummer ab, erwacht – und mit diesem Erwachen
geht
»Ich muß heut' einen Feiertag haben, liebe Mama! es ist hier so sehr feierlich.«
»Wir setzten uns Beide auf das frische Moos und lehnten uns an den rauhen Stamm einer ungeheuern Tanne, deren mächtige Zweige ganz still über uns hingen wie zerrissene Trauerflöre durch welche der tiefblaue Himmel und der goldne Sonnenstral freudeverheißend schimmerten. Vor uns lag die Wunderpracht des Gletschers. Ringsum war Alles still, nur die Bäche brausten. Die ganze Natur hielt Mittagsruhe. Seitwärts von uns saß Wilderich mehr zu uns als zu dem Gletscher gewendet. Sein tiefes ernstes Auge schlug zuweilen glanzvolle Blicke zum Himmel auf und sank dann wieder nach Innen blickend unter die Wimpern zurück. Einmal sagte er:
»Als ich ein kleiner Knabe war erzählte mir meine Mutter: allüberall sei der
unsichtbare große gute Gott. Wenn ich nun in der tiefen Stille der Mittags- oder
Abendstunden, wo kein Lüftchen sich
»Und thut er sie?« fragte ich.
»Darauf ist schwer zu antworten.«
»Doch nur in dem Fall daß er sie nicht thut.«
»Wie unerbittlich hart sind Sie!« rief Wilderich.
»Er soll eine aufrichtige Antwort geben! sagte ich. Ob das nun ein Selbstlob sein würde .... bleibe dahingestellt.«
»Sie haben eine bessere Meinung von mir als Ihre Frau Mutter, sagte Wilderich freundlich zu Benvenuta. Dafür muß ich Ihnen recht dankbar sein.«
»Mama scherzt nur, entgegnete sie erröthend. Wenn sie keine gute Meinung von Ihnen hätte würde ich ja auch keine haben.«
Sie sprang auf und pflückte schöne Genzianen, die wie dunkelblaue Sterne den Boden
an manchen Stellen bedeckten. Wilderich half ihr; dann kam sie zurück und wand
einen Kranz immer fröhlich mit ihm plaudernd. Ich saß unbeweglich auf meinem alten
Platz. Es kam eine große Stille über meine Seele. Das Rauschen des Baches, der
Duft des Tannenharzes, der Kräuter und des Mooses, der Sonnenstral der mich in
sein Licht und seine Wärme hüllte – webten einen Schleier um mich, hinter welchem
ich wie aus weiter Ferne Benvenutas und Wilderichs junge frische Stimmen zu mir
klingen hörte; – aber aus der Ferne der
Ich schlug langsam meine Augen auf und begegnete Wilderichs, die mit melancholischer Glut auf mich gerichtet waren während er mit Benvenuta plauderte und ihr die Genzianen zum Kranz reichte. Sie hatte ihren Hut abgenommen.
»Du bist eitel für mich, Mama, und nicht für Dich, entgegnete sie lächelnd und gehorchend. Du sitzest hier seit zwei Stunden ohne Hut. Jezt da ich meinen Kranz vollendet habe kann ich ihn nicht tragen. Da muß ich ihn verschenken.«
Und mit rascher graziöser Bewegung setzte sie den Kranz auf Wilderichs glänzend braune Locken. Aber er nahm ihn ab und sagte:
»Verzeihung! wir Männer sehen mit Kränzen eigenthümlich ungeschickt aus, so etwas wie Ungeheuer. Finden Sie nicht, Fräulein Benvenuta? – Was Ihre schönen Hände geflochten haben muß zu Ehren kommen.«
Mit diesen Worten erhob er sich und setzte mir den Kranz auf
»Da Ihr Beide ihn verschmäht, so muß ich ihn freilich behalten .... und überdas erfrischt er mir angenehm die Stirn,« sagte ich.
»Mama! rief Benvenuta lebhaft, erlaubst Du mir den Versuch Dich so zu zeichnen? Du
glaubst nicht wie Du schön aussiehst mit diesem dunkelblauen Kranz – ganz wie ein
Bild der Melancholie, das ich einmal in einem englischen Album
»Gut! – ich gebe Dir eine Viertelstunde. Erlaubniß.«
Benvenuta schrie das sei unmöglich. Wilderich sagte:
»Fangen Sie nur geschwind an! ich werde nach meiner Uhr sehen und Ihnen sagen wenn die Frist abgelaufen ist. – Jezt ist es halb drei.«
Benvenuta machte sich emsig an ihre Arbeit. Mehrmals sah sie fragend zu Wilderich hinüber, der die Uhr in der Hand hielt und immer den Kopf verneinend schüttelte. Ich ließ ihr den Spaß, ich weiß nicht wie lange. Endlich sprang ich auf und sagte:
»Die Viertelstunden scheinen unter diesem Baum verzaubert zu sein.
»Ja, sagte Benvenuta lieblich, das hat ein guter Geist mir zu Gefallen gethan, denn die Zeichnung ist weit genug vorgeschritten um sie zu Hause vollenden zu können.«
»Warlich, ein guter Geist! rief Wilderich. Meine Uhr steht noch immer auf halb drei – ist also vermuthlich abgelaufen.«
»Die meine ist vier! sagte ich. Jezt zu Pferde.«
Während des ganzen Heimrittes bat Wilderich
»Bedenken Sie doch welch eine dreifach liebe Erinnerung sich für mich daran knüpft, bat er: an Ihre Mutter, an diesen Tag .... und an Sie.«
»Genau so geht es mir auch!« entgegnete sie.
»Aber Sie haben dabei eine Erinnerung weniger.«
»Nicht doch! Sie waren der gute Geist der die Zeit still stehen hieß damit ich überhaupt das Bild vollenden könnte.«
Endlich vereinigten sich Beide darüber, daß Benvenuta das Original behalten und
für Wilderich eine Copie machen solle. Zufriedengestellt langten wir in
Grindelwald an. Da erwartete mich ein Brief aus Ouchy mit der Nachricht, daß die
Vorsteherin des Instituts plötzlich an einer Brustentzündung gestorben sei. Ihre
Tochter schrieb tief traurig an Benvenuta, welche mich sogleich mit heißen Thränen
bat zu ihrer betrübten Freundin zurückkehren zu dürfen. Ich sagte ihr ich würde am
nächsten Tage mit ihr abreisen und Wilderich, welcher Zeuge dieser Scene gewesen
war erklärte: dann würde er nach Baden gehen. Sein Entschluß war mir sehr lieb!
hatten er und Benvenuta Neigung zu einander, so mußte sich diese in der Ferne
entwickeln und bestärken. Geschah das nicht,
Wilderich fragte mich nach meinen Plänen. Ich hatte keine vor der Hand. Er sah ganz verstört aus und bat mich um Erlaubniß mir aus Baden schreiben zu dürfen, was ich gern bewilligte. Ich zählte fast mit Gewißheit auf seine Werbung um Benvenuta. Die große Jugend und Unerfahrenheit Beider abgerechnet war es mir ein lieber Gedanke. Ich hatte Wilderich sehr lieb. Vielleicht sind uns immer die Menschen lieb denen wir wolgethan, so wie wir selten die leiden können gegen die wir ein Unrecht begangen haben. So paradox das klingen möge hängt es dennoch eng mit unserm Bedürfniß zusammen uns selbst achten zu können.
Wirklich fuhr ich am andern Morgen mit Benvenuta fort, und Wilderich begleitete
uns bis Bern, wo sich unsre Wege trennten. Es war keine heitre Fahrt! Benvenuta
schwamm in Thränen. Wilderich im Wagen ihr gegenüber sitzend, starrte sie stumm
und beinah finster an. Ich, nur dann gesprächig wenn ich eine innere Auffoderung
dazu empfand, war von Natur, durch Gewohnheit, Richtung und Schicksal schweigsam,
konnte tagelang
»Jedoch ein trauriges Leben.«
»Der Wechsel ruht aus und erfrischt – heißt es.«
»Auch Sie?«
»Nein, mich nicht! im Gegentheil! mich zehrt er auf, mich verbraucht er stückweise
– denn ich will immer etwas das ohne Ende sei! es brauchte nicht grade Glück ....
es dürfte auch Schmerz sein .... und ohne Ende! Daß Alles ein Ende hat, das frohe
Gestern, das trübe Heute, so Alles! Alles! .... das konnte ich eben nicht
ertragen, und deshalb
»Das Leben ehren mit seinem schaalen Wechsel, seiner dumpfen Verwirrung, seiner schreienden Ungerechtigkeit, seiner gekrönten Erbärmlichkeit – mit seinen Qualen der Leidenschaft und des Zweifels, der Sorge und der Schwäche – ist das möglich?«
»Das Leben ehren, Wilderich! denn so lange Ihre Augen offen stehen, Ihr Herz klopft, Ihre Hand sich regt – können Sie das Gute thun und das Schöne lieben! und dies nenne ich das Leben ehren wie Gott es uns gegeben hat.«
»Das Schöne lieben und das Gute thun,« wieder holte Wilderich ernst und sank in sein Schweigen zurück.
In Bern ging Benvenuta sogleich schlafen, und ich mit Wilderich auf die
wunderschöne Promenade vor der Kathedrale, genannt die Plateforme, wo
»Gnädige Gräfin .... morgen sehe ich Sie nicht mehr, und meine Seele hat sich an Sie gewöhnt.«
Während er sprach sah er aber nicht mich, sondern die Berge an. Ich fühlte nun wol daß »sie« nicht die Berge waren; aber voll meiner Voraussetzung, daß zwischen ihm und Benvenuta eine Liebe keime, glaubte ich ihr gelte dies »sie«. Und als er nach einer Pause noch leiser und beklommner sagte:
»Werde ich Sie nie wiedersehen dürfen?« – – entgegnete ich liebevoll:
»Warum denn nicht, Wilderich! Aber versuchen wir eine Trennung von einigen Wochen;
sammeln und besinnen Sie sich, überlegen Sie die Zukunft was Sie zu thun und zu
bieten haben; – und wenn Sie nach vollendeter Badecur mich in Grindelwald
Ein ganz extatischer Freudenschimmer blitzte in seinem Auge auf und zu mir herüber, als er rief:
»Also wiedersehen! .... o gelobt sei Gott!«
Damit war unser Gespräch zu Ende, und Jeder von uns hing wieder seinen Träumereien nach – lange! lange! Ich hatte nun einmal die Gewohnheit mich nicht um die Zeit zu kümmern. Der starke Schlag der Uhr, die an der Kathedrale zehn schlug, machte mich auffahren. Es war ganz finster geworden.
»Warum erinnern Sie mich nicht an die Heimkehr, Wilderich!« rief ich schnell aufstehend und seinen Arm nehmend.
»Ich fühlte mich daheim in meiner Seligkeit,« sagte er.
»Hoffen Sie nicht zu viel, Wilderich! .... ich weiß ja nicht einmal ob Sie überhaupt hoffen dürfen.«
»O still! still! Sie sagten selbst: jezt nicht! – Einige Wochen voll himmlischer Hofnung liegen vor mir und dann – .... dann wird mir zu Sinn sein als würde ich von Rosenwolken zum goldnen Gipfel der Jungfrau emporgetragen.«
»O lachen Sie nicht! bat er sanft; ich bin ja glücklich.«
»Ist Ihre Liebe wirklich so tief?« fragt' ich gerührt.
Er antwortete nicht, aber er nahm meine Hand die auf seinem Arm lag und drückte sie mit tiefer Bewegung an seine Lippen und an sein Herz.
In unserm Gasthof angelangt setzte ich mich an den Theetisch; Wilderich ging auf und ab im Salon mit einer Hast die beunruhigend war. Ich bat ihn sich zu mir zu setzen: er wollte nicht. Ich fragte dies und das: er antwortete zerstreut. Endlich sagt' ich:
»Sie sind ungeselliger Laune; also gute Nacht, mein Wilderich! gehen Sie schlafen!«
»Und morgen früh um fünf Uhr muß ich mit dem Zürcher Eilwagen fort ohne Ihnen zuvor Lebewol sagen zu können!« rief er.
»Desto besser! Abschied nehmen ist so traurig.«
Er kniete plötzlich vor mir nieder. Ich sagte kurz:
»Auf, Wilderich! diesen Ausdruck der Andacht nicht zum Spaß mißbraucht!«
»Zum Spaß? .... mißbraucht? – o meine Gräfin! selten mag wol ein Mensch mit so
tiefem heiligen Dankgefühl niedergekniet sein – Dank für
Dieser junge warme Ausbruch des Gefühls that mir unsäglich wol. Ich sagte:
»O Wilderich! es ist doch wunderschön wenn das Herz den Regenbogen der Empfindung – und sei es nur auf Secunden! – über unser graues Lebensgewölk wirft.«
Er hatte sein Gesicht in meine Hände und auf meine Knie gelegt. Ich hob seinen Kopf empor; an seinen Wimpern hingen Thränen. Sanft legte ich meine Hand über seine Augen und sprach:
»Ich bin wie die Männer! ich kann in lieben Augen keine Thränen sehen.«
»Und nun genug, lieber Wilderich! dieser Augen blick ist mir süß und freudig gewesen wie eine Frühlingsblume die man im Spätherbst unter welken Blättern findet. Ich wünschte sie nie zu vergessen. Leben Sie wol – bis zum frohen Wiedersehen!«
Ich gab ihm die Hand, und verließ den Salon. – Wie oft habe ich es später beklagt
ihm jenen Kuß nicht gegeben zu haben! er hätte vielleicht Wilderichs Lippen gelöst
und den wahren Zustand seiner Seele zur Sprache gebracht. Er kann Wunder thun –
ein Kuß! kann die Herzen entsiegeln oder besiegeln die in Beklommenheit und
Schwankung zitterten. Aber ich in der Verkehrtheit meines Herzens verstand nie!
nie! das Rechte zu treffen. Am Abend des andern Tages war ich mit Benvenuta in
Ouchy. Sie war unterwegs noch viel betrübter. Sie sprach gar nicht von Wilderich
was mir unnatürlich vorkam, da sie ihm nicht Lebewol gesagt hatte; aber ich ließ
sie gewähren, denn ich hatte Scheu etwas anzurühren oder aufzustören,
Die ganze Erziehungsanstalt war durch den Tod der Vorsteherin in Auflösung. Deren Tochter Gabriele ein durch Geist und Bildung ausgezeichnetes Mädchen, war bei einundzwanzig Jahren noch nicht erfahren genug um den Platz der Mutter auszufüllen, und die Oberlehrerin genoß nicht eines so unbedingten Vertrauens. Ich war schnell entschlossen und bot Gabrielen an als Benvenutas Gesellschafterin zu mir zu kommen. Das erfüllte beide Mädchen mit Freude und Dank. Binnen acht Tagen waren die alten Verbindungen gelöst, die neuen geknüpft, und Benvenuta bat mit freudig überwallendem Herzen:
»Nicht wahr Mama, nun gehen wir geschwind nach Grindelwald zurück?«
»Es wird sehr eng für uns drei in der Cottage sein!« entgegnete ich um zu erfahren welche Sehnsucht sie dahin treibe.
»O, Gabriele und ich – wir werden uns schon
»Auch nicht in Deinem geliebten Engelau?«
»Nein! – nirgends!«
»Im vorigen Herbst gefiel sie Dir doch gar nicht besonders.«
Benvenuta wurde purpurroth und erwiderte verlegen und schüchtern:
»Jezt aber sehr! .... ich meine .... im Frühling sehr.«
»Es wird aber jezt nicht so munter dort sein, weil Wilderich fehlt;« sagte ich unbefangen, zum ersten Mal seit seiner Abreise seinen Namen aussprechend.
Sie erbleichte und schloß momentan die Augen, als habe sie eine heftige und schmerzliche Erschütterung empfunden. Ich sah daß sie unfähig war mir eine Antwort zu geben die arme Kleine! darum fuhr ich gelassen fort:
»Indessen wird er ja auch bald wieder kommen.«
»Ist es möglich!« rief Benvenuta durch namenlose Freude über ihre Schüchternheit emporgehoben.
»Wenn Du es wünschest – ist es gewiß! Wilderich kommt wohin es sei, sobald ich ihm
nicht
»Wenn er kommt, Mama, so ist es mir ganz einerlei ob wir hier bleiben, oder nach Grindelwald oder sonst irgend wohin gehen! sagte Benvenuta wieder ganz blöde und erröthend. Aber glaubst Du wirklich daß mein Wunsch ihn wiederzusehen Einfluß auf sein Kommen oder Nichtkommen haben könnte?«
»Ich glaube es nicht – sondern ich weiß es! am Abend in Bern hat er es mir gesagt. Er wünscht innig Dich wiederzusehen um Deine Neigung gewinnen und Dein Herz fesseln zu können. Und dazu hab' ich ihm Hofnung gemacht.«
»O Mama! wie himmlisch gut bist Du!« rief Benvenuta und warf sich entzückt in meine Arme.
Gleich nach diesem Gespräch schrieb ich an Wilderich:
»Es ist so eben bestimmt worden, lieber Wilderich, daß wir für den ganzen Sommer
nach Grindelwald gehen. Sie wissen also wo Sie uns finden und daß Sie uns
willkommen sein werden, in dem Fall daß Sie Ihren Entschluß nicht
In Grindelwald erhielt ich seine Antwort. Sie war kurz wie mein Brief, ein unterdrücktes Freudejauchzen, ein Herzpochen der Seligkeit. Ich gab das Blatt an Benvenuta. Sie las es, küßte es mit feierlicher Rührung, faltete die Hände darüber und sagte indem sie ihre schönen unschuldigen Augen thränenvoll zum Himmel aufschlug:
»Gott, wie danke ich Dir daß es wirklich wahr ist.«
Uebrigens sprach sie nach ihrer Art fast gar nicht von Wilderich weder mit mir
noch mit Gabrielen; allein ich sah an ihren Beschäftigungen, daß er der
Mittelpunkt ihrer Gedanken war. Mein Bild unter der Tanne am Rosenlaui-Gletscher
machte sie im Original und in der Copie fertig, und alle Spaziergänge die
Wilderich mit uns gemacht, suchte sie als die schönsten und liebsten auf.
»Ich glaube ich freue mich zu sehr ihn wiederzusehen! sagte sie am Morgen des Tages dessen Abend ihn bringen sollte. Wenn nur dem Dampfboot auf dem Thuner See kein Unglück geschieht.«
»Und wenn eins geschähe?« fragte ich.
»Dann wär' es aus und vorbei,« sagte sie so merkwürdig gefaßt, daß ich staunend fragte:
»Was wäre aus und vorbei, seltsames Kind?«
»O, ich weiß nicht was! .... ich denke nur .... Alles.«
»Beruhige Dich, Benvenuta! das Dampfboot wird friedlich seinen Weg machen und um acht Uhr Abends, wie er es geschrieben hat, wird Wilderich hier sein; sonst gewiß morgen früh.«
Um acht Uhr Abends war Wilderich nicht da; nicht um neun und auch nicht um zehn. Benvenuta war fast bewußtlos vor nervoser Unruh.
»Er hat in Interlachen weder Wagen noch Pferde bekommen können – wie das in dieser
Jahreszeit bei großem Fremdenzudrang ziemlich häufig geschieht – morgen zum
Frühstück ist er hier,« wiederholte ich wol funfzig Mal; aber ich selbst gerieth
in fiebernde Aufregung und bat Gabriele Benvenuta zum Schlafengehen zu bewegen.
Das geschah. Ich
Rasche Schritte draußen auf dem festen Wege weckten mich aus meiner Lethargie. Ich sprang auf, bog mich über den Altan und fragte halblaut:
»Sind Sie es, Wilderich?«
»Freilich bin ich es,« rief er und sprang in großen Sätzen die Freitreppe zum Altan hinauf.
»Aber warum so entsetzlich spät?« fragte ich ganz matt und gab ihm die Hand.
»Der Maschine des Dampfboots geschah ich weiß nicht was für ein Unfall, der uns über zwei Stunden aufhielt. Dann fand ich kein Pferd in Interlachen. Um die Nacht dort zu bleiben fehlte mir die Ruhe; ich nahm einen Burschen der meinen Mantelsack trug, und wanderte zu Fuß von dannen. Eine unbestimmte Hofnung flüsterte mir zu, daß Ihre Gewohnheit tief in die Nacht hinein zu wachen Sie gewiß auf dem Altan festhalten würde. Da konnte ich Sie sehen, oder Ihr Kleid, oder das Licht in Ihrem Zimmer .... oder doch wenigstens die liebe Cottage! – – und so bin ich hier .... selig wie nie ein Mensch gewesen ist.«
Als Wilderich schwieg nahm er mir plötzlich den Nelkenstrauß aus der Hand und bedeckte ihn mit Küssen. Ein namenloses Entsetzen kroch bei dieser leidenschaftlichen Bewegung wie eine Schlange an mich heran. Wir saßen auf dem Altan, der durch die Lampe im Salon und durch den überwölkten Sternenhimmel nur matt erleuchtet war, so daß ich Wilderichs Gesicht nicht deutlich sehen konnte; allein es giebt Momente wo man den Ausdruck eines Gesichtes fühlt ohne ihn zu sehen, und dies Gefühl war nicht beruhigend. Indessen gab ich seinem letzten Ausruf mit Fassung zur Antwort:
Ich stand auf; aber er blieb sitzen, umschlang mich heftig und rief mit gepreßter Stimme halblaut:
»Nein nein nein! ich mag nicht sprechen.«
Ich wich zurück, ging in den Salon, trat an ein Fenster und sagte:
»Wenn Sie zu müde oder zu aufgeregt sind um noch heute ein ernstes Gespräch führen zu können, so wollen wir es auf morgen verschieben. Gute Nacht, lieber Wilderich.« Ich schloß das Fenster.
Er kam schnell herein. »Verzeihung, meine Gräfin! sagte er wieder mit seinem alten lieben innigtreuen Ausdruck. Draußen ist Gewitterluft; in mir ist ein wenig Fieber; ich bin die vergangene Nacht und den heutigen Tag durchfahren, zuletzt tüchtig marschirt, dann die Ungeduld, endlich die Freude! .... – – Hier sind auch die Nelken welche Sie draußen vergessen haben.«
Er gab mir den Strauß zurück, schenkte aus einer Caraffe voll Limonade, die immer auf einer Console stand, ein Glas ein, leerte es und sagte indem er sich zu mir setzte:
»Worüber befehlen Sie mit mir zu sprechen?«
»Nun, über das was Sie am meisten interessirt: über Ihr Glück.«
»Vielleicht schwer mit mir; mit Benvenuta wird es Ihnen leichter werden.«
»Was könnte ich mit Ihrer Tochter über mein Glück zu sprechen haben? Sie wissen ja daß es einzig in Ihrer Hand liegt.«
»Ja .... als Mutter,« sagte ich bebend.
»Wie das – ich verstehe Sie nicht,« erwiderte er unsicher und fuhr mit der Hand über die Stirn.
»Sie werden mich sogleich verstehen wenn ich Ihnen sage, daß Benvenuta um Ihre Liebe weiß und sie erwidert,« entgegnete ich mit einer Entschlossenheit die aus einer innern Folterung entsprang.
Ein dumpfer Schrei rang sich aus Wilderichs Brust und bewußtlos sank er im Lehnstuhl zurück. Mir war zu Sinn als müsse der Himmel auf uns herabstürzen und uns alle drei begraben. Durch starke Essenzen weckte ich ihn aus seiner Ohnmacht.
»Ich will nicht leben wenn Sie mich nicht lieben!« rief er mit einem Ausdruck von unerhörter leidenschaftlicher Verzweiflung, und begrub sein eiskaltes Gesicht in meinen Händen.
»Wilderich! rief ich, dies Alles ist ein Traum, ein Alp, ein Unsinn! nicht wahr, lieber Wilderich, Sie lieben meine Tochter?«
»Meine Gräfin, sagte er traurig, wie käme ich dazu Ihre Tochter das liebe Kind
.... aber doch ein Kind nur! – zu lieben. Ich bin ihr gut wie einer kleinen
Schwester; ich beschäftigte mich mit ihr und interessirte mich für sie auf das
Lebhafteste – weil sie Ihre Tochter ist, weil es Ihnen angenehm war uns in gutem
Vernehmen zu wissen, weil es eine Verbindung zwischen Ihrem Herzen und mir war,
weil ich ein Mittel darin sah Ihnen immer näher zu kommen – – o, Sie sehen wol aus
diesen tausend »weil«, daß nicht ein Funke tieferer Empfindung sich in mir fand!
Mein Herz ist kalt für Ihre Tochter; meine Seele weiß nichts von ihr! und wie
könnte das auch anders sein .... neben Ihnen! Wer von uns bemerkt ein
»Aber dies Kind ist ein junges Mädchen, unterbrach ich ihn, das in der zarten Einfalt seines Herzens Ihre Freundlichkeit anders – und weit natürlicher gedeutet, und sich dieser Deutung mit tiefer warmer Innigkeit hingegeben hat.«
»Davor hätten Sie Ihre Tochter warnen sollen, gnädige Gräfin!« sprach Wilderich eiskalt.
»Aber, Unseliger! rief ich händeringend, ich deutete Ihr Wesen in dem Sinn meiner Tochter! Ich müßte rasend gewesen sein um Ihren Wunsch bei uns zu bleiben, mit uns zu leben, uns wiederzusehen – auf mich zu beziehen! Die Jugend paßt zur Jugend! Es ist unnatürlich in Ihrem Alter von einem sechszehnjährigen blühenden Mädchen sich wegzuwenden und zu deren Mutter hin, die zwanzig Jahr älter ist.«
»Ich habe nie nach Ihrem Taufschein gefragt, gnädige Gräfin!« sprach Wilderich immer eiskalt.
»Es ist unnatürlich, fuhr ich fort, gleich beim Eintritt ins Leben die Blüte und
Kraft der Empfindung in einer Richtung zu verschwenden, die mit dessen
eigentlicher und ernster Bestimmung nichts gemein hat. Die Liebe soll uns tüchtig
»Der Meinung bin ich auch, gnädige Gräfin!«
»Nun Wilderich, wenn Sie dieser Meinung sind, wie können Sie dann Ihre Liebe an eine Frau verschwenden, die durch Alter, Erfahrung, Verhältnisse und Richtung gänzlich derjenigen Sphäre entrückt ist, welche Ihrer in der Gegenwart und für die Zukunft harrt! Ich bin ermattet vom Leben – und Sie sind erwartungsvoll und dürstend nach seinen Gaben. Ich zweifle an dem menschlichen Glück – und Sie sehen es an diese Zweiflerin geknüpft. Ich glaube nicht an die Dauer der Liebe – und Sie lieben als müsse sie in Ewigkeit fortbestehen. Ich spreche nur von inneren Verschiedenheiten. Der äußeren mag ich nicht erwähnen. Sie würden erschrecken wenn ich sie Ihnen grell vor die Augen hielte.«
Ich hätte lange fortreden können; aber ich schwieg, denn Wilderich starrte mich wie geistesabwesend an. Er hielt seinen Kopf in beiden Händen, und zuweilen überlief ein Zittern seinen ganzen Körper. Als ich schreckenvoll verstummte sprach er matt und tonlos:
»O Kind! Kind! rief ich mit herber Trostlosigkeit, was hilft der Tiefblick der
Erfahrung und der Erkenntniß, wenn er unser Herz nicht zu Rath zieht! das eigene
Herz lehrt uns das fremde verstehen, und ich – Sie wissen es ja! – lebe in meinen
Gedanken und Träumen, jedoch nicht mit meinem Herzen. Drum war ich nicht glücklich
an der Seite des besten und zärtlichsten Mannes; – drum täuschte ich mich über
Otbert in einem solchen Grade, daß ich an seine Liebe für mich glauben konnte; –
drum erkannte ich nicht die mächtige flammende Liebe, die Fidelis für mich
empfand; – drum wähnte ich daß Sie mit Dankbarkeit an mir und mit einer
erwachenden Neigung an meiner Tochter hingen. O sehen Sie diese schauderhafte
grenzenlose Verwirrung meines Daseins,
»Ich hatte mir ein Leben geträumt, sagte Wilderich mit heißer Wehmuth, edel reich und gut, wie Sie mir den Impuls dazu gegeben hatten. Es ist etwas Großes in Ihnen, das meine Seele weit macht; und da Sie dafür keinen festen Anknüpfungspunkt gefunden: so war ich stolz genug zu wähnen, daß Sie ihn in mir finden sollten und festhalten müßten. Ich wollte meinen Weg gehen, meine Laufbahn machen, meine Wirksamkeit auf mich nehmen mit jenem Bewußtsein der inneren Berufung, welche uns über all dessen Sorgen und Aengste erhebt. Ich wollte Sie stolz machen – ja ja, meine Gräfin, stolz darauf daß Sie dies stille Feuer einer unüberwindlichen Beharrlichkeit im Guten entzündet hätten. Ich wollte unausgesetzt mit Ihnen leben – nicht bei Ihnen – in der schönsten Gemeinschaft die zwischen Menschen denkbar ist: in einem Geist, mit einer Gesinnung, zu einem Ziel; stets eingedenk daß das Leben göttlich sein kann, wenn wir das Gute thun und das Schöne lieben.«
»O! rief ich tief bewegt, das kann ja Alles so werden – nur ein wenig anders!« .... – –
»Nicht so und nicht anders! unterbrach er mich
»O Wilderich! rief ich – ich will Sie lieben wie die zärtlichste Mutter den edelsten Sohn liebt, wenn Sie nur zur Besinnung über Ihre eigene Empfindung kommen könnten!«
»Ich bin über sie zur vollständigsten Besinnung gekommen .... und grade jezt, meine Gräfin! – Da muß ich Ihnen denn der Wahrheit gemäß und auf meine Ehre bekennen, daß ich Sie nicht liebe wie ein Sohn seine Mutter.«
»Ueber's Jahr wird es anders sein, Wilderich, oder doch in fünf oder zehn Jahren!«
»Ich weiß wol daß dies Ihre Ansicht ist.«
»Und Sie vertrauen ihr?«
»Ich kann es nicht mehr da Sie mich so fürchterlich mißverstanden haben! folglich muß Etwas in mir sein, das Ihr Auge nicht ergründet – und dies Unergründliche ist vielleicht meine Liebe für Sie.«
»Mein Gott! ächzte ich, welch ein Unstern waltet über meinem Leben, daß Alles mir
zum Fluch wird, was einem Andern Heil und Segen bringt! – Aber was liegt an mir? –
gar nichts! –
»Ich fühle daß wir jezt nicht mehr wie sonst zusammen leben können, sagte Wilderich. Es soll auch sogleich anders werden!«
Er stand auf und ging einmal durch den Salon als wolle er jeden Gegenstand der ihn füllte in seine Seele prägen. Das Bild vom Rosenlaui, Original und Copie, zierlich in purpurfarbenen Sammt eingerahmt, stand auf der Staffelei. Er nahm eins derselben, betrachtete es und sagte:
»Es ist gut! .... ich nehme es mit mir!« – kehrte dann zu mir zurück, kniete vor mir nieder und sprach in einem Ton der durch seine Ruhe mein Herz beben machte:
»So leben Sie denn wol, meine Gräfin! ich bitte Sie nicht um Verzeihung für meine Liebe; das wäre eine Schmach für mein Herz; – aber dafür daß ich Ihren Wunsch hinsichtlich Ihrer Tochter nicht erfüllen kann. Zum Beweis Ihrer Vergebung geben Sie mir einen Kuß – und dann leben Sie wol! ich sehe Sie nie wieder! ich verdamme mich selbst zur ewigen Trennung.«
»Sie dürfen nicht fort, Wilderich! sagte ich ganz außer mir und umklammerte seine
Hände. Benvenuta liebt Sie. Ich selbst habe die Hofnung
Er war aufgestanden und sagte nun langsam und beklommen:
»Wie ist es denn aber möglich mich nicht zu verstehen, wenn ich doch sage und wieder sage: ich liebe Sie!«
»Ich verstehe nichts, nichts, gar nichts .... als daß ich meine Tochter vielleicht fürs Leben elend gemacht habe – wenn Sie nicht Erbarmen haben.«
»Meine Gräfin, wie kann ich das?« fragte er sanft.
In einem Paroxismus von Schmerz sank ich vor ihm nieder und flehte mit gerungenen Händen:
»Wilderich .... Sie müssen meine Tochter lieben!«
Angstvoll hob er mich auf und rief:
»Sie scherzen und mir zerspringt der Kopf oder das Herz, Wilderich! .... was soll ich denn morgen meiner Tochter sagen? wie soll ich ihr gegenüber treten? wie ihre Fragen, ihre Unruh, vielleicht ihre Klagen oder Vorwürfe aushalten? ich muß umkommen in dieser Qual.«
»Sagen Sie ihr, meine Gräfin, ich sei todt.«
»Wieder eine Lüge! .... und sie wird es nicht glauben.«
»Oder sagen Sie ihr ich hätte mich als unwürdig erwiesen! ich sei ihrer nicht werth – leichtsinnig, Spieler, unbeständig – was Sie wollen.«
»Ich soll Sie verleumden, Wilderich?«
»O, rief er lebhaft, es ist mir ganz gleichgültig was Benvenuta von mir denkt! ich sinne nur auf Erleichterung für Sie.«
»Wollen wir einmal ruhig überlegen! sagte ich
»Möglich, meine Gräfin! möglich!« sagte er mit einer himmlischen Sanftmuth, denn ich sah an seinen entstellten Zügen und seiner leichenhaften Blässe wie sehr er litt und welche ungeheure Gewalt er sich anthat um nicht in Ausbrüche von Schmerz und Leidenschaft zu verfallen. Aber ich hatte kein Mitleid mit ihm; ich dachte nur an Benvenuta, nur an ein Mittel den Schlag zu lindern, der ihr bevorstand. Ich bat ihn einen Brief zu schreiben des obigen Inhalts. Er entgegnete:
»Mir ist als käm' ich von der Folterbank, der Kopf wüst und schwindelnd, die Hände lahm« ... –
»Desto besser, d.h. unruhiger und schmerzvoller, also passender für unsern Zweck,
wird er sein;« –
»Also in dieser Weise soll ich die letzte Stunde unsers Zusammenseins verbringen?« rief er.
Ich sah ihn nur bittend an. Er setzte sich und schrieb was ich ihm angedeutet hatte. Während er schrieb ging ich auf und nieder und überdachte Alles was ich an Benvenuta sagen wollte. Im September sollte eine Reise nach Italien und ein längerer Aufenthalt daselbst ihren Gedanken eine ganz andre Richtung geben; und wie eine noch spätere Zeit sich gestalten würde, mußte ich äußern Fügungen und inneren Umgestaltungen überlassen. Nachdem ich mich einigermaßen über Benvenuta beruhigt hatte, kehrte sich doch endlich meine Theilnahme auf Wilderich. Er hatte den Brief vollendet, überschrieben und gesiegelt, und saß unbeweglich am Schreibtisch die Arme fest über der Brust verschlungen. Ich legte die Hand auf seine Schulter:
»Dies ist Ihr erster Schritt ins wirkliche Leben, Wilderich, sagte ich; das erste
Glied der langen Kette genannt Enttäuschung aus der wir uns heraus oder hinein –
ich weiß nicht recht! – wickeln müssen. Das darf Sie nicht zu Boden werfen, nicht
einmal momentan. Ich weiß auch daß Sie
»Wenn ich Ihrem Rath folgte, entgegnete er mit großem Ernst, so würde ich mich nur
als leichtsinnig nicht als tapfer zeigen, meine Gräfin. Vielleicht giebt es
Naturen von so merkwürdiger Spontaneität oder von so eiserner Willenskraft daß sie
auf der Stelle Herr ihrer selbst werden können. Ich kann es nicht. Ich brauche
Zeit um mich zu sammeln, zu fassen und zu trösten. Die Gaben sind verschieden! Sie
überwinden vielleicht in einer Minute wozu ich ein Jahr brauche. Und dann sind mir
auch die Ereignisse meines Lebens wichtig – mögen sie Anderen noch so dürftig
erscheinen! Ich will sie nicht gleichgültig bei Seite schieben oder fallen lassen
und zu etwas Anderem übergehen; sondern vielmehr bis in den Kern hinein ihre
Bitterkeit oder ihre Süße kosten und mein Wesen mit ihnen nähren, damit sie in
dessen Nerv, Blut und Kraft übergehen. Gefühle, Begegnisse, Empfindungen die so zu
sagen aus meinem Herzblut geboren sind, kann ich nicht willkürlich von mir
abschütteln wie eine Last die etwa meinen
Ich faltete meine Hände über seinem Haupt und sagte mit maßloser Traurigkeit: »O des Jammers daß Sie nicht mein Sohn sein wollen! O des Glückes mein Kind an Ihr Herz zu legen!«
Da sprang er hastig auf und sagte zum ersten Mal mit einer wilden Heftigkeit:
»Dies will ich nicht hören! es ist Lästerung meines Gefühls für Sie. In einer
hohen Empfindung mißverstanden zu werden vom Pöbel – ist natürlich; von
Gleichgültigen – ist erklärlich; aber von einem edlen und
»Ich kann Ihnen mit denselben Fragen antworten, unterbrach ich ihn kühl. Wie
kommen Sie dazu bei Ihrem ersten Schritt aus der Schule sich für eine Frau zu
fanatisiren, die Ihnen während vieler Monate keine andre Berechtigung gegeben hat
als die: eine mütterliche oder schwesterliche Freundin in ihr zu sehen?« – – – Ich
hob ihn auf und fuhr sanft fort: »Nein, Wilderich! Schuld ist nicht bei Ihnen,
nicht bei meiner Tochter; – nur bei mir! Weil ich ohne Herz bin – drum verstand
ich Eure Herzen nicht und tappte so hin in der Dämmerung meiner uralten Träume.
Vergeben
»Weil ich sie nicht erfüllen kann! warf er ein. Auf diesen Brief, meine Gräfin, werden Sie schon eine Fabel zu bauen wissen, welche Ihre Tochter auf dasjenige vorbereitet was unvermeidlich ist. Unsre Trennung ist es auch – drum sei der Abschied kurz! ich fühle daß ich matt werde.«
Ein krampfhaftes Zittern flog um seine Lippen, und seine Augenlider sanken müde und krank über die trüben Augen herab. Ich dachte mit Entsetzen an die Möglichkeit daß er vor Erschöpfung vielleicht nicht mehr mein Zimmer verlassen oder auf dem Wege zum Gasthof ohnmächtig werden könne.
»Kommen Sie, mein armes liebes krankes Kind, sagte ich und nahm seinen Arm; ich bringe Sie zur Ruhe.«
Mit unnachahmlicher Innigkeit des Ausdrucks und der Bewegung warf er einen langen Blick durch das ganze Zimmer, grüßte es mit der Hand und sagte:
Dann ergriff er das Bild und ließ sich von mir über den Altan, die Freitreppe hinab und auf den Weg zum Gasthof führen.
»Schlafen Sie ein Paar Stunden, bat ich ihn unterweges. Sie sind noch angegriffen von Ihrer Badecur und die Nerven furchtbar erschüttert. Nicht blos den Festen des Lebens – wie ich Ihnen nach Baden schrieb – auch dessen Kämpfen und Schlachten muß man mit dem Panzer einer stählernen Gesundheit entgegen gehen. Wenn Sie mich wirklich lieben, so machen Sie mir Ehre und sein Sie stark.«
»Ich werde es sein! entgegnete er. Ich werde schlafen und morgen über den Rosenlaui-Gletscher nach Meyringen gehen. Das war der Weg der mich vor dreiviertel Jahr in dies geliebte Thal zur »guten Frau von Grindelwald« brachte, und beim Rosenlaui hatte ich meinen letzten seligen Tag. Mit diesen Bildern und Erinnerungen kehr' ich heim nach Wildeshausen. Dann weiter in's Leben .... wie Gott will!«
Ueberwältigt von heimlich nagendem Gram sagte ich:
»Es wird ein mühseliges Leben sein, mein Wilderich. Solche diamantene Herzen wie
das Ihre
Meine Seele zitterte in der Erinnerung an Fidelis. – –
So kamen wir zur Thür des Gasthofs. Wilderich pochte und bis Jemand von Innen öfnete, sagt' ich:
»Lebwol! lebwol!« – küßte flüchtig seine Lippen und lief rasch von dannen.
Es dämmerte schon; der Morgenwind löste die nächtlichen Gewitterwolken in einen starken Regen auf, der mich durchnäßte und erquickte. Ich trug ein weißes Musselinkleid, keinen Hut, keinen Shawl; mein Haar hing aufgelöst über meine Schultern herab. So kehrte ich heim, stieg die Freitreppe hinan, ging langsam über den Altan in den Salon und sank unter einer plötzlichen Erstarrung meines Herzens bewußtlos zu Boden, als Benvenuta mir freudig mit der Frage entgegen trat:
»Nicht wahr, er ist gekommen?« – – –
Mein altes Herzübel, das sich in dem verhältnißmäßig
»Sein Inhalt ist so wichtig daß er ihn selbst bringen – und für ihn so peinlich daß er denselben nicht mündlich mittheilen wollte. Wider Erwarten traf er mich .... und sagte mir Alles! – aber ich behielt dennoch den Brief – Deinetwegen!«
»Meinetwegen?« stammelte sie erblassend, erbrach und las ihn aufmerksam, faltete ihn dann zusammen und sagte leise: »Er liebt mich nicht!«
Ich hatte nicht den Muth sie des Gegentheils zu versichern. Ich schwieg und
zitterte wie eine Verbrecherin welche Entdeckung fürchtet. Es war mir lieb, daß
jede Gemüthsbewegung mich paralysirte; so litt ich weniger; d.h. mehr physisch.
Benvenuta schwieg auch. Sie sprach nicht mehr von Wilderich, sie fragte nie nach
ihm. Es war als sei er gar niemals da gewesen! Und nicht blos
»Es kommt mir vor als fände ich in ihr nicht sowol eine Wunde, als ein Grab.«
»Und über dem Grabe wachsen Blumen,« sagte ich mit Zuversicht zu meinen Erfahrungen.
Das war ein trauriger Sommer! Ich, fast immer leidend; Gabriele in Trauer um ihre
Mutter; Benvenuta still und ernst, vor der Zeit eingeweiht in das große Geheimniß
des Schmerzes. Nichts interessirte sie; sie sprach keinen Wunsch und keine Hofnung
aus. Es war ihr gleichgültig ob wir zum Winter nach Italien oder nach Engelau
gingen oder in der Cottage blieben. Sie las und zeichnete, sie ging und ritt
spazieren, sie besorgte kleine häusliche Verrichtungen mit großer Pünktlichkeit
und großer Sanftmuth, aber ohne Theilnahme und Freude. Ihre liebliche Heiterkeit
war ganz von ihr gewichen, und ihr liebes Gesicht auf dem der wundervolle Schmelz
der ersten Jugendblüte lag, ward blaß und welk. Unerhörte Angst um sie, und ein
unerhörter Gram über Wilderichs Verblendung,
Im September entschloß ich mich zur Reise nach Italien. Beim Abschied von Grindelwald schien Benvenutas Herz brechen zu wollen. Dies waren nicht Thränen wie die Jugend sie weint: ein Frühregen auf welchen der schönste Tag folgt; es waren Blutstropfen aus einer tödtlich verwundeten Seele. In Genf erkrankte sie bedenklich. Der Arzt erklärte ihre Nerven müßten einen gewaltsamen Stoß erlitten haben, und müßten durch wolthätige Einflüsse von Luft, Klima, Zerstreuung und Freude gehoben und ermuntert werden. Blieben sie in dem gegenwärtigen Zustand, so sei Melancholie oder Abzehrung zu fürchten. Ich dachte an meine arme Mutter, bei der auch Seelenleiden die traurige Krankheit herbeigeführt hatten – und erbebte. Nicht mehr über mir sondern über der reinen Stirn meines Kindes sah ich den Unglücksstern schweben, der mein Dasein beherrschte.
Wir gingen nach Neapel. Dort und in Sorrent verlebten wir ein Jahr – o Gott, welch
ein Jahr!
»Grüße Wilderich .... wenn Du ihn wiedersiehst.«
»Ich werde ihn nicht wiedersehen,« sagte ich – um irgend etwas zu sagen.
»O doch! jezt grade wirst Du es können!« erwiderte sie mit Ueberzeugung.
Ich schüttelte schweigend und verneinend den Kopf. Später begann sie:
»Ich hätte eine Bitte, liebe Mama! – Versprich mir Wilderich wiederzusehen.«
»Ich kann Dir das nicht versprechen, Kind! Es hängt nicht von mir allein ab, und Wilderich hat gar kein Interesse, glaube mir, mich wiederzusehen.«
»In Allem was Du von Wilderich sagst – verzeihe mir! – kann ich Dir nicht glauben, denn ich weiß es besser! Er wird glücklich sein wenn er wieder nach der lieben Cottage von Grindelwald kommen darf.«
»Benvenuta, Du weißt nicht wie weh Du mir thust.«
»Ich weiß es wol – und darum hab' ich nie
Ich winkte ihr zu schweigen; ich fühlte mich hinsterben wie unter dem Richtbeil. Sie wußte also daß ihre Mutter ihre Nebenbuhlerin war! – Mir vergingen die Sinne, Gedanken, Worte. Was sollte ich ihr erklären? wie mich rechtfertigen? ich kam mir schuldbeladen vor, als habe ich eine Todsünde begangen. Als Rächer für die lange Verkehrtheit meines Lebens stand diese Minute wider mich auf, diese gräßliche, wo der Gipfel aller Verkehrtheit in dem Wort erreicht ward, welches die Tochter zur Mutter über den Geliebten sprach: Er liebt dich! – – –
Dies war Benvenutas letzte selbstbewußte Lebensäußerung. In Phantasien mit Lethargie abwechselnd, verbrachte sie noch dreimal vierundzwanzig Stunden, und träumte sich hinein in den Tod oder in das ewige Leben. – – – – –
Das ewige Leben! – Ja, sie hat es, denn es war ein Kern in ihr aus welchem sich in einer neuen Phase des Daseins eine neue Blüte entwickeln kann. – – – – –
Als ich mich im Frühling ein wenig erholt hatte reiste ich nach Freiburg um Astralis zu sehen. Schön und lebenstralend fand ich sie, aber ich fühlte mich durchaus unfähig das vierzehnjährige Mädchen zu mir zu nehmen und die Vollendung ihrer Erziehung und ihren Eintritt ins Leben zu überwachen. Ich schrieb seit Jahren einmal wieder an Otbert, der immer in Paris im Strudel des großen und ereignißvollen allgemeinen Lebens die Emotionen ersetzte, welche seiner Persönlichkeit nach und nach entschwanden. Ich sagte ihm daß ich den größten Theil meines disponiblen Vermögens, das sich durch Benvenutas Tod mehr als verdoppelt habe, auf Astralis vererben wolle, sobald ich mich überzeugt halten dürfe, daß er ihr wahrhaft ein Vater sein und nicht nach meinem Tode über ihr Vermögen mit seinen verschwenderischen Händen herfallen wolle.
Er antwortete mir tief erschüttert: er werde jede Bestimmung heilig halten, die
ich anzuordnen für gut fände. Er bat auch mich besuchen zu dürfen; aber dankbar
für seine Theilnahme und freundlich
Die Cottage von Grindelwald sah ich auch nicht wieder. Ich schenkte sie an Gabriele, die mir in meiner Jammerzeit eine treue Freundin und feste Stütze gewesen war. Sie blieb in ihrer Heimat, und ich ging nach Engelau, das ich schon nicht mehr als mein Eigenthum betrachtete, denn nach meinem Tode fiel es meinem Mann zu. Ich ordnete auf's Pünktlichste meine Geschäfte, machte für Astralis das bewußte Vermächtniß, und ein kleineres für jene beiden Brüder Wilderichs deren Zukunft ihm Sorge machte; Legate für alle meine Diener. Damit waren die irdischen Angelegenheiten abgethan, und da der Aufenthalt in Engelau auf mir lastete wie der Deckel eines Sarges, so ging ich unter dem Vorwand berühmte Aerzte zu consultiren nach einem mir gänzlich fremden Ort – nach Dresden. – – – – – –
Zwischen Dresden und Aussig hab' ich mich fast zwei Jahr umher geschleppt. Auf den
grünen nußbaumbeschatteten Abhängen um Schreckenstein war mir am wolsten auf der
Welt; – so, als habe Fidelis mir diese Stätte bereitet. Er hat Frieden, möge er
leben, möge er todt sein. Er hat die Seele die ihn befähigt zum ewigen Leben. Mit
Nicht gelebt hab' ich durch mein Herz; es rächt sich, und ich sterbe am Herzen – – – –