So weit ist's gekommen zwischen uns beiden, daß ich diese letzte Anrede wage und lieber und naturgemäßer sie finde als die auf der ersten Seite. Ich stehe auf einmal da vor Ihnen, und alle Leute auf dem Markt vernehmen, was ich Ihnen zu sagen habe. Vor so viel Leuten ist man aber nicht aufrichtig, man ist da nur schicklich; folglich ist's wohl nicht schicklich, aufrichtig zu sein. Da man aber einem Prinzen gegenüber durchaus schicklich sein muß, Aufrichtigkeit aber Unschicklichkeit ist, so machen sich Euer Hoheit gefaßt, entweder was Unschickliches zu hören oder was Unaufrichtiges.
Wenn ich nun meine Zueignung so begönne:
Es ist das aufrichtigste Gefühl der Verehrung und Liebe, was mich bewogen hat, Euer Hoheit dies Buch zu widmen. So würden Sie denken: die Freifrau von Arnim redet dies um der Schicklichkeit willen, denn aus welchen Gründen könnte sie mich so stark verehren? – Daraus müßte ich auf die Bescheidenheit schließen und auf die Einfachheit Ihrer edlen Natur, die größere Forderungen an sich macht. Fahre ich nun fort und sage: In diesem Buch werden Euer Hoheit viel Analoges mit sich finden! so könnten die Schicklichkeitsmenschen behaupten, dies sei sehr unschicklich einem Prinzen zu sagen, er habe Ähnlichkeit mit einer Volksseele. Ich darf Ihnen daher gar nichts sagen, denn meine Aufrichtigkeit würde entweder von Ihrer Bescheidenheit verneint oder von dem Schicklichkeitsgefühl der Aristokraten mir verwiesen.
Dem Publikum, in welchem ich mich heimisch fühle, das mich angeregt durch seinen Beifall und durch sein Einverständnis mich inspiriert, zu dem kann ich doch wohl reden ohne Einwendung, da Aufrichtigkeit bei diesem auch Schicklichkeit ist. Nun also: ihr Leute auf dem Markt! – Ich hab dies frühlingsduftende Buch nur dem darbieten können, gegen den ich keinen Zweifel hege, der Feldblumenkranz könne ihm zu gering sein.
Ich sage euch aber, ihr Leute auf dem Markt, ihr, deren Gewissen Zeugnis gibt von jenen gefürsteten Fürsten, denen der Lorbeer und die Eiche und die Raute Ehrenkränze tragen, daß gleich in der Brust jener großen Männer auch ihm, der die Huldigung im Feldblumenkranz willkommen heißt, das vaterländisch Edle, der Eifer für Wahrheit, der Glaube an göttliche Dinge, die Würdigung der Volkseigentümlichkeit innewohnen, die sein eigenes Streben mit den Kräften des Gemeingeistes zu allen erhabnen Opfern zusammenschmelzen.
Bettine
Noch einmal leb wohl. Ich habe wie immer auf meinem Rückweg noch recht mit Liebe an Dich gedacht und bitte Dich innig, indem Du stets Dich selbst veredelst, diese Liebe zu veredlen und zu erhöhen, von der der größte Teil meines Glückes abhängt, ich habe jetzt außer Dir für keinen Menschen ein ganz lebendiges Interesse, das mir selbst Mut geben kann, mich in die Höhe zu arbeiten. Du gibst mir Kraft und Mut und Aussicht, wenn Du in allem Guten gedeihest, denn Du gedeihest meinem wärmeren Anteil an Dir. Suche Dich über das, was man Dir als Pflicht zumutet, zu erheben, mache, daß alles um Dich zufrieden ist. Was Du mehr in Dir fühlst als das gewöhnliche Bravsein, dafür hat die arme Welt ja doch keine Ordnung, das mußt Du still in Dir bilden und Gott selbst dafür Rechnung stehen und mit der ganzen Harmonie der Gefühle dafür dankbar sein. Es ist dem vorzüglichen Menschen gewiß sehr leicht, alle gewöhnlichen Forderungen zufriedenzustellen, bequeme Dich ein wenig nach der Alltäglichkeit, und sie wird mit ihren Klagen Dir nicht mehr zur Last fallen. Sei fleißig in der Musik und Zeichnung, es sind die unschuldigsten Organe der Güte und Schönheit. Sei Deinen Geschwistern duldsam und verschließe, was Du mir bist, still in Deinem Herzen, denn die meisten Menschen verstehen das nicht und ehren es daher nicht. Du kannst so nur Dir und auch mir großen Schmerz ersparen, weil es weh tut, wenn das Bessre in uns mißhandelt wird durch den Unverstand. Lebe wohl! Sei recht fleißig am Ofenschirm, damit er bald fertig wird, ich freue mich drauf, daß die Flamme durch sein Gewebe schimmert, und ich klimpere dann auf der Gitarre dazu Lieder und Melodien, die Dein sind.
Dein Clemens
Dein freundlich Abschiedsblättchen hat mir die Großmama nicht gegeben, ich hätte es vielleicht nie erhalten, wär ich nicht durch Zufall an den Ort gekommen, wo es lag und schon eröffnet war.
Sieh, ich hab Dich so lieb – Du bist so gut – ich möchte Dir alles sagen, um daß Du mir lehrtest, was mich gut und Dir lieb machen kann.
Der Anfang Deines Briefchens sagt mir zum letztenmal noch einmal Lebewohl! – Werde
ich Dich denn lange, lange nicht wiedersehen? und stehe weit zurück von allem, was
ich liebe? – Und andre gehen dazwischen hin und her, die gleichgültig sind für Dich
und mich! – Die Frankfurter Allee
Deine Bettine
Daß die Großmutter Dir den kleinen Brief nicht gab, ist mir sehr leid, es wäre schön von ihr gewesen, hätte sie Dich gebeten, daß Du ihr ihn lesen lassest, das hättest Du denn auch mit Freuden getan, übrigens verzeih es ihr in Deinem Herzen, denn sie hat es gewiß gut gemeint. Diesen Brief schicke ich Dir nun frei mit der Post, es tut mir zwar leid, daß ich Deinen lieben Namen muß so offen auf die Post geben, allein es ist besser als ein andrer Weg, er würde ein Winkelweg sein, da doch sich an Dir zu freuen und Dich zu hüten und verstehen zu lernen dem Bruder ganz naturgemäß ist! –
Schreibe mir auch nicht zu heftig, es ist nicht gut, wenn man sich dran gewöhnt, und
man tut's so leicht, weil es einem wohltut, aber ein solcher Brief ist zu sehr
Stimmung, und ein Wort gibt zu sehr das andre, da eigentlich die Seele allein jedes
Wort geben soll. Schreibe mir von Euern Scherzen und kindischen Einfällen und kleinen
Naseweisheiten. Liebe Deine Geschwister und besonders die um Dich sind, mach Dich
ihnen unentbehrlich, mache
Dein Clemens
Ob Du mir abgebrochene Gedanken schreiben kannst, wie wenn wir zusammen sprechen? – Liebes Kind, so gut ich von hier aus Dir nicht ins Wort fallen kann, noch ehe Du's gefunden hast, würde ich Dich wohl auch nicht so gut verstehen von so weit. Und dann ist's ja auch ein Kunstinteresse, sich voll und bündig ausdrücken zu lernen. Der Schreiber muß zugleich an sich selber schreiben, denn er selbst muß durch den Brief mit sich bekannt werden, Du sagtest mir ja, daß Dir die Welt so unendlich weit vorkomme und Du Dir selber wie verloren darin seist. Und dann sei Dir Dein Lebenskreis wieder so enge, daß Du nur ganz kleine Schritte vorwärts tun könnest. Dies alles kommt daher, daß Du mit Deinem inneren Menschen noch nicht bekannt bist, Du begreifst Dich noch nicht, aber in den Briefen schaust Du in den Spiegel Deiner Seele, darum tut die tiefste Wahrheit Dir selber gegenüber so not, um auf keinen Irrtum zu geraten über Dich selbst. Denn die edle Seele hat eine höchste Bestimmung! Dieser nachzukommen ist ihre ganze Aufgabe, die Welt ist so voller Ereignisse, ist ein Gewebe, in dem jedes Menschen harmonische Bildung ein notwendiger und haltbarer Faden sein muß. Nicht jeder Faden braucht als sichtbare Figur eingewebt zu sein, aber zur Tüchtigkeit und Festigkeit des Gespinstes trägt jeder bei, der die Wahrheit in sich begründet, ja es ist nicht anders möglich so, als daß er eine Hauptvermittelung aller wesentlichen Entwickelung werde. Doch was ich Dir hier sage, was Deinem Alter und Deinem Gedächtnis nicht angemessen ist, vergiß es wieder, Liebe, und lasse Dir ins Herz geschrieben sein, daß selbst Jugendspiele und Scherze – kurz alles, was Dir hier dem Gesagten gegenüber vielleicht unbedeutend erscheint, nie unbedeutend sein kann, solange es die in überquellender Lebenslust unverwirrten unverwickelten Gedanken hervorsprudeln.
Clemente! Zu Ostern willst Du kommen? Heute haben wir den 22. März! – Nein, es sind
beinah noch vier Wochen. Aber es wird dann schon sehr schön im Garten sein. Ich habe
unsre Rasenbank erhöht, das muß früh geschehen, das kurze Gras muß recht dicht
wachsen. Unsre Katze hat Junge, sie sind so allerliebst, Clemens, der Frühling ist
nicht mehr zu leugnen,
Ich soll von meinem Tagewerk Dir schreiben und was wir Geschwister zusammen treiben. Heut war ich den ganzen Tag im Garten, ich hab ja am Tag, wo Du fort bist, am Abend noch ein Beet umgegraben und hab Salat hineingesäet, er ist schon heraus, ich mußte eine Strohdecke drauflegen gegen unzeitigen Frost. Ich will mir doch nichts mehr von den Menschen weismachen lassen! Und statt am Abend mir Vorwürfe zu machen, daß ich alles besser wissen will, bin ich am frühsten Morgen schon auf, wo die ganze Welt noch schläft, und beobachte sie, erst kommen die Tauben, sie baden sich und trinken am Brunnen zwischen den Steinen das Wasser, ich hab sie gelockt auf der Haustreppe mit gestohlenem Futter! Morgenstund hat Gold im Mund, darum soll ich früh aufstehen, meinst Du. – Es war noch ganz nebelig und verschlafen, doch bald fiel das Gold der Morgenstunde schräg in die Straße, in den Hausgiebeln gingen die Fenster auf, da wohnen die jungen Mädchen, die wollen auch Morgenluft schlucken, ich ging um die Ecke am Kanal längs den Gärten, da sind so viel Veilchen, man steckt sie in den Busen, sie duften Dir ein Weilchen, es ist ihre Sprache. Als ich vom frühen Spaziergang heimging, sah ich den Bäckerjungen laufen, er schellte am Haus, wo die Emigranten wohnen, der Duc de Choiseul guckte aus dem Fenster und kaufte Milchbrot, ich wollte ihn nicht beschämen und kehrte wieder um; als ich zum zweitenmal zurückkam, trat die Milchfrau ans Fenster, die ihm die Milch abmaß. Da kamen noch viele Milchtöpfchen zu allen Fenstern heraus; einer, der sich von Spitzbuben umringt sieht, kann sich nicht ängstlicher durchschleichen als ich zwischen dem Milchhandel dieser vornehmen Emigranten, ehemals waren sie von einer großen Valetaille umringt, die sich wieder bedienen ließ von allerlei Gesindel, und nun sind sie eingerichtet in eigner Person wie kompendiöse englische Reisenecessaire, wo man alles beisammen hat, selbst das Überflüssige. Ist's möglich, daß man ein Heer von Müßiggängern beschäftige mit Angelegenheiten, die nur der Müßiggang notwendig macht? Sie malen, sie schleifen in Glas, sie sticken Blumen auf Bandschleifen, sie drechseln, sie überschwemmen das Land mit närrischen Künsten, und die Großmama wundert sich, daß unter allen keine Gelehrten sich finden.
Deine Bettine
Ich komme in ein paar Wochen wenigstens auf einige Tage nach Frankfurt, und Du bist
eigentlich die Ursache, freue Dich darauf und habe mir recht viel zu sagen. – Was Du
einmal in Offenbach schriebst, lese ich noch oft mit vielem Genuß, es ist mir wie ein
ewiger Brief von Dir. Ich bitte Dich, bring alle jene Gedanken, die Dir selbst
auffallen, zu Papier, es ist eine schöne Gewohnheit, und wenn man einstens in ganz
andern Verhältnissen
Dein Clemens
Clemens, Du hast mich mit Deinem Brief übereilt; ich wollte Dir ja noch mehr
schreiben, letzt am Donnerstag gab ich den Brief so schnell auf die Post, weil ich's
nicht erwarten kann, daß Du meinen Brief hast, er ist ja bloß eine Liebkosung meiner
Seele, von der Du willst, daß sie durch ihre harmonische Bildung in das Gewebe der
Weltereignisse sich mit als ein notwendiger Faden einwirke, und Du meinst, es ist zu
schwer für mich, das zu verstehen? – Lieber Clemens, dies alles spricht ja laut genug
und täglich und stündlich zu mir! – Aber! – Freilich, ein großes Aber fährt aus
blauer Luft ein Blitz auf mich ein! Und ich schäme mich, meine Gedanken vor Dir
auszusprechen. Wie soll ich denn anfangen? – Ja, ich müßte Dir von meiner Verwundrung
sprechen über alles, was ich sehe und höre in der Welt! Über die Lehren, die jene
Leute mir geben, die mich zu einem angenehmen und liebenswürdigen Mädchen erziehen
wollen. Das kommt mir aber gar nicht angenehm, sondern sehr horribel vor, was andre
Leute wohlerzogen oder gebildet nennen. Ach, und Du meinst, ich könnte diesen
Anstandsforderungen genug tun? – Ach, Clemens, weißt Du, daß mich dies alles ganz
dumm macht? – Ich verstehe entweder Deine Briefe nicht, oder alles, was Du willst,
läuft stracks dem zuwider, was jene heischen! – Und ist das nicht
Am 25. März. Jeden Nachmittag kommt der Herzog, der blinde Herzog von Aremberg, mit einem großen Pack Revolutionsblätter, Sieyès, Mercier, Pétion, noch andre, die mit großem Ernst am Weltgeschick weben. Das klingt ein in meine verneinende Seele gegen alles, was ich in der Welt gewahr werde, sie beweisen und heben den Schleier von aller Verkehrtheit. Abends, wenn alles fort ist, spricht die Großmama mit mir, Mirabeau sei ein Komet, der alles entzündet, was sich ihm nähert. Das Große in ihm verstehen lernen, adle die Seele, sie macht Auszüge aus seinen Briefen, sie gibt mir eine Nadel, damit soll ich ins Heft stechen, welchen Satz ich treffe, den soll ich als Gedenkspruch bewahren, sie hatte diese Sätze selbst alle gesammelt und war überzeugt, ich werde mit der Nadel nicht unrecht stechen, aber ich stach in: »Die Macht der Gewohnheit ist eine Kette, die selbst das größte Genie nur mit vieler Mühe bricht,« und die Großmama stutzt, ob ich den Satz nicht gar selbst erfunden hab. Nein, liebe Großmama, hier steht er, ich bin nicht Mirabeau, aber sein Geist ist mir ins Blut gegangen, er wird mich ewig mahnen, nicht von der Gewohnheit abzuhängen. Die liebe Großmama! Adieu, mein Clemens, und schreib, daß du kommst.
Deine Bettine
Ich kann für Deinen lieben Brief Dir nicht besser danken, als wenn ich Dir sage, daß
ich die Woche nach Ostern bei Dir in Offenbach bin, Du kannst
Es ist Nacht geworden während dem Schreiben, da ging ich noch weit ins Feld, da
liegen noch einzelne Schneedecken über der Saat, das Hessenland ist ein rauhes Land.
Bei Dir ist alles wohl schon viel frühlingsmäßiger,
Jetzt kommt der Frühling, da sitze ich abends oft am Fenster, ich wohne in einem
Garten, klimpere ein wenig auf der Gitarre und singe auch wohl das Lied vien qua
Bettina bella etc.; in den Garten kommen oft einige Kinder, mit denen ich spiele, die
zwar ein bißchen dumm sind, aber doch gesund und treu. – Ehe ich weggehe, werde ich
den Kindern ein Fest geben, auch eine Schwägerin von Rossi hat drei artige kleine
Mädchen, die gegen die schwarzen Rossibuben wie Engelchen gegen Teufelchen aussehen,
so schwarz sind diese kleinen Italiener, besonders ist das älteste Mädchen, etwas
jünger als Loulou, sehr sanft und hold; sie hat den seltsamen Namen Anonciata,
Verkündigung. Namen sind oft recht einladend, der Deinige zum Beispiel. Diese Kinder
nun, die in einem traurigen schmutzigen Hause wohnen und mit ebensolchen Menschen,
haben doch ein kleines Fleckchen rein und schön zu machen gewußt. In dem kleinen Hof
steht ein Baum, um den herum haben sie sich ein äußerst niedliches Gärtchen gebaut,
so groß wie ein großer Tisch, in diesem Garten nun stehen Butterblumen, Veilchen,
Buchs und dergleichen, gleich daneben haben sie sich Tisch und Bank errichtet und
sitzen beisammen, wenn die Sonne scheint, unter einer Art Laube, die sie durch in die
Mauer gesteckte Tannenzweige zusammengeflochten haben. Ich habe gestern lang mit
ihnen gesessen, ihnen erzählt und, während sie allerlei bunte Perlen und Schmelz in
Schnüre fädelten, womit sie ein kleines Handelspiel treiben, ihnen Klostereier
gemalt. – Das ist so mein Zeitvertreib, und sie wird mir jetzt lange, bis ich bei Dir
bin. Nimm dies als eine kleine Gegenerzählung für Deinen Bericht von dem Veilchen,
der ist aber schöner, und ich finde es auch ganz natürlich, daß Du gern mit dem
Veilchen das Kleid fertigsticken willst, aber ich meine doch, es wird besser sein,
wenn Du nicht am Morgen so früh Dich vom Haus entfernst. Hast Du nicht zufällig den
Herrn Hofmeister begegnet,
Dein Clemens
Weil ich die Ostern nicht komme, sondern erst acht Tage später, so erwarte ich noch einen Brief von Dir, Du wirst ja doch wohl die zwei Sonntage recht still zubringen. Die Leute werden alle spazieren gehen, und Du wirst aus dem Fenster sehen, und sie in ihrem Putz die Straße hinab, dem Tor hinaus wandern und dann auch wieder heimkommen sehen. Aber in der Zwischenzeit kannst Du schreiben bei Deinem Strauß, den Du doch gewiß im Glas stehen hast.
Wenn man aber auf den Barbara-Tag Reiser von den Obstbäumen abschneidet und die ins Wasser stellt, dann blühen sie im März, und das hab ich getan, und sie blühen auch alleweil. Apfelblüten sind zu schön! – Wär ich als Mädchen, was die Apfelblüte ist, ich wär doch wohl alles Liebe und herzlich Schöne. Was Du von mir denkst, dann könnt ich Dir verzeihen, was Du mir und Dir weismachen willst. Ja, es ist recht schön; denn ich hab das Plaisir davon, und Dir schadet's nichts. Aber sei nur nicht ängstlich, daß ich keine Apfelblüte bin, weiß und rot und goldner Same drin, sondern daß ich vielleicht gar so eine Nessel bin oder Distel oder Dorn, wie Du meinst, vor denen ich mich soll hüten.
Ich hab am Feiertag nicht können schreiben, die drei kleine Katzen auf dem Schoß so kommod ineinandergelegt, alle drei eingeschlafen unter der großmächtigen Pappel im Eckelchen auf der Bank. So viel Blüten tanzten herunter, so viel braune klebrigte Schalen platzten los von den Knospen, ich dachte, was knistert doch im Baum; und später, wie die Katzen so sanft schliefen, da hatte ich auch ein bißchen geschlafen. – Ach, Clemens wir wollen recht vertrauend einander schreiben, und nichts weismachen einan der! – Und wenn Du aber frägst, ob das Einbildung sei oder Eitelkeit mit dem Mirabeau, so kann das ja möglich sein und doch auch wahr, ich wehr mich dagegen nicht! Aber der Mirabeau! – Ich wollt, ich stünd vor ihm; weißt Du? – Denk ich an ihn, ich fühl mein Gesicht brennen. Liebster Clemens, mit aller Sehnsucht meiner Arme, meiner Augen, ja mit allem, was umfassend ist in mir, möcht ich seine Knie umschlingen! Des großen Helden, der auf seine Lippe nimmt das Geschick des Volkes und entzündet es, mit seines Mundes Hauch facht er es an.
Auf meiner Seele klarem Grund die Fischchen herumspielen sehen, das freut Dich? –
Nun, so guck! Wie sie da fahren wie der Blitz hin und her, sie prallen ans Ufer der
allbekannten todbringenden Langenweile, sie stoßen
Es ist nichts, du Welt, wonach ich die Hand strecke. Wär's etwas! – Auf dem Dach vom Taubenschlag die Sonne sinken sehen, das ist meines ganzen Lebens Aussicht. Sie geht dort unter so blutrot, und mein Blut – wallt mit im roten Meer der Sonne, und dort wird's röter, und mein Gesicht wird blässer. Ja, ich glaub, daß der Geist des Blutes mit fortgezogen wird, wenn dort die Sonne ihre letzten Strahlen hineintaucht. Denn denk ich feurig, daß mir's Herz klopft, dann werd ich blaß, lange war's nicht so schön hier in Offenbach als heute abend, und lange hat mich ein schöner Abend nicht so froh gemacht und so traurig zugleich. Es war da gar niemand, der auch nur den geringsten Anspruch hätte gemacht an meine Seligkeit. Ich wundre mich, daß andre nicht sind wie ich! Und Du? – Vielleicht in demselben Augenblick dachtest Du ganz was anders, das geht mir zu Herzen. Die Sonne sank eben in den Main. Ist es Dir nicht auch so, wenn die Sonne sich im Wasser spiegelt, man möchte sich gar zu gerne hineinstürzen und so in dem Glanz untergehen. Aber es wiegte sich noch eine schöne Harmonie von blasenden Instrumenten auf den Wellen; ein leichtes Schiffchen trug alle die Seligkeit auf seinem Verdeck, still bedachtsam zog's den Strom hinauf.
O, Clemens, was ist mir doch heute geschehen Sonderbares, da bringt die Großmama
heute einen alten Brief vor vom Lavater, der schon drei Jahre
Gestern hab ich bei Arenswald eine ganze Stunde Lektion gehabt über Elektrizität, mir flimmert's vor den Augen wie tausend elektrische Funken. Wenn Du ein Stück Papier verbrennst, dann laufen diese Funken alle durcheinander wie bei einer Revolution, als wenn sie allesamt die wichtigsten Geschäfte hätten, so geht's in meinem Kopf; wenn's nur nicht so traurig ausging, zuletzt bleibt einer nur übrig, oder zwei, das ist noch melancholischer – der läuft ganz allein durch die schwarzen verlaßnen Finsternissen; – flipps ist er weg! – Der andre dort, weg ist er. Gestern Abend hab ich immer wieder ein Papier angezündet, um diesen beiden Fünkchen auf ihrem Aschenweg nachzusehen. Die alte Cordel war auf ihrem ledernen Sessel eingeschlafen, sie mußte husten vom Qualm und erwachte mit sehr schlimmem Humor, sie sperrte Laden und Fenster auf, da schien der Mond herein, mir was ganz Neues, ich hatte nicht gedacht, daß der scheinen sollte; ich lief in den Garten, der Spitz, der ist mein Geisterbanner, oder vielmehr bewacht er meine Zusammenkünfte mit den Geistern; denn weil ich die Geister nicht fürchte, wenn er bei mir ist, so ruf ich mir sie herbei und rede mit ihnen, ich würde das allein nicht wagen ohne den Spitz.
Lieber Clemens, ich hab Dir alles geschrieben, ich weiß, Du würdest zanken, wenn Du schriebst – aber Du schreibst ja nicht, Du kommst ja selbst, da kannst Du nicht, mit meinem Mund geb ich Dir einen Kuß auf Deinen, in welcher Sprache kann ich gebieterischer ausrufen: »Halt's Maul, geliebter Bruder!« O, mein lieber Clemens, wie freu ich mich darauf. – Die Sonne scheint mir eben ins Bett und läßt mich nicht länger träumen von Dir. Ich kann mich mit dem Kritzlen nicht aufhalten, sieh, wie das schöne Wetter mich schnöde macht.
Lieber Clemens, die Sonne ist eben wieder weg, da wollt ich gern weiter schreiben. Aber adieu, Clemens, sie ist schon wieder da, es geht gleich in den Wald, da wollen wir frühstücken, ich will sehen, ob ich ein Veilchen für Dich finde, komm bald, daß es noch blüht, ich bewahr Dir's am Herzen, und wenn ich dann so redselig mit Dir bin, dann duftet Dir's aus meiner Brust.
Deine Bettine
Frankfurt
Sei nicht traurig, liebe Bettine, daß ich nicht mehr hinaus komme, es ist besser so,
mir selber tut's leid, und es ist wahrlich keine Trägheit von mir; denn laufe ich
doch gern viele Meilen um Deinetwegen, da mich nichts herzieht
Ich kann Dir nichts zurücklassen und Dir nichts mehr sagen, Du weißt, was schön und
gut ist, ich hab es oft in Dir gefunden, wolle es eifrig und mit Ernst; und wo Dich
die Menschen drücken, so hasse sie nicht, sehe sie an wie Pflanzen, die vielleicht
auch in einem Boden stehen, der ihnen nicht gerecht ist. Menschen, die sich selbst
nicht kennen und nicht wissen, wo hinaus sie sollen, sind wie Pflanzen, die nicht zum
Blühen kommen. Das Blühen des Menschen ist das innere Bewußtsein; dieses aber ist
zugleich auch der Begriff der ganzen Menschheit, wie sie in ihrer Irrungen
umherschwankt, wie sie in ihrer Blindheit und krüppelhaften Verbildung oft das Bessre
zurückweist oder zerstört, aber der bewußte Mensch, das heißt der Liebende, muß diese
Störungen umgehen können, er muß das Zurückweisen überwinden und muß grade diese
Menschen pflegen, denen so vieles mangelt, deren innerem, geistigem Lebenskeim so
unendlich vieles im Wege steht; er muß ihnen sein wie Dein Gärtner aus dem Boskett,
den Du so lieb hast, weil er ein so gesellschaftliches Leben führt mit den Blumen;
vom frühen Tag an ist er in fortwährendem Verkehr mit ihnen, und noch spät in die
Nacht hinein macht er sich mit ihnen zu schaffen und bringt sie alle zum Blühen, die
einen durch Kühle und Schatten, die andren durch Licht und Wärme. Immer geht er um
sie her und läßt sie doch in ihrer Freiheit gedeihen, sie empfinden keinen
Zuchtmeister in ihm, sie schmiegen sich willig am Stab, an dem er sie in die Höhe
richtet. Nun aber ist jenen Menschen, die uns oft mißverstanden haben und haben
geglaubt, sie müßten unsern Umgang stören, eine solche Pflege nie geworden, wie der
Gärtner Deinem Nelkenstock schenkt, der ihn begießt, wenn er Durst hat, und läßt ihn
von der heißen Sonne nicht versengen, nur am Abend darf sie mit ihm spielen. – Die
Tante weiß zum Beispiel von solcher Pflege nichts. Ihr hartes Schicksal bei einem
ganz verwilderten Mann hat ihr das Heimliche im Lebensumgang ganz versagt, sie ist
dadurch selbst weniger gefühlig geworden für das, was die Seele angeht, sie hat eine
lange Zeit in ihren Jugendjahren zwar sich müssen stählen gegen diesen Mann, der wie
ein grobes Ungeheuer vor der Pforte aller Lebensgenüsse lag, und hätte sie auch nur
Sei fleißig und mache, daß Dir das bürgerliche Mechanische im Leben nicht verächtlich wird, es ist die Quelle von viel Geistigem, und bestrebe Dich einer schönen Sparsamkeit. Du glaubst nicht, wie glücklich es Dich machen wird, wenn Du fortfährst, den Luxus und die augenblickliche Mode zu verachten, und bloße Reinlichkeit und das Gefällige Dich reizt, Du kannst mit allem, was Du ersparst, einstens vieles Schöne und Vortreffliche erschaffen. So sollte Dir auch die Zeit sein, – geteilt in unschuldigem Genuß und in ernstem seelenvollen Geschäft!
Um was ich Dich aber noch bitte, so sehr ich Dich liebe, lerne schweigen, für Dich selbst bestehen, und sei in der Würdigung eines jeden gerecht. Nur, was ewig gefallen oder mißfallen kann, dem ergib Dich, von dem wende Dich. Sei fleißig in Deinen Gedanken, daß heißt, sei lebendig im Geist, sehne Dich nach keiner andern Welt als nach jener andern, die in dieser schon lebt für den, der sie findet, und Du wirst sie finden, denn allen Wesen, die mit einem edlen Durst nach dem Ewigen um sich blicken, denen gestaltet sich das Unsichtbare; der Geist aller Dinge erblühet in schöner Form um sie, und das ist jene bessere Welt, nach der man sich sehnt, sie ist um uns. – Die Kunst und ihr stiller einziger Tempel: ein reines unschuldiges und stolzes Herz.
Ich schicke Dir hier Moritzens Götterlehre und wünsche, daß Du sie mit Ruhe, ohne
Mühe und mit Genuß durchlesest. Du mußt nicht drin herumhüpfen und ein Anekdotenbuch
draus machen; denn diese Götterlehre ist eine solche andre Welt, die sich das
gebildetste Volk, die Griechen, erschaffen hatten, und kann Dir selbst und Deinem
Geiste nur wohltätig werden, wenn sie in Dir, in ihrer großen edlen Folge gleichsam
während dem Lesen entsteht. Du sollst besonders suchen den Gesichtspunkt für die
mythologischen Dichtungen zu begreifen, das wird Dich aus Deinem Emigrantenverhängnis
hoffentlich ein bißchen ablösen. Ich will Dich in Deinen Begeisterungen ja nicht
tadeln für alles, was Dein Verstand zu fassen und in Dir selber zu verdauen versucht.
Weltgeschicke liegen jedem gleich nah und wirken in ihm, sowie er dadurch auch
berufen ist, in ihnen zu wirken. Also studiere in Gottesnamen mit der Großmama alle
fliegenden Blätter und Reden der Nationalversammlung durch, wähle Dir Deinen Helden
unter ihnen, bete zu ihm und für ihn und vergiß Deinen Clemens, er wird doch Dich
Schreibe mir öfter und schicke mir Deine Aufsätze dabei, auch die über die Revolution. Der letzte Sur la volonté de la France war schön, und ich finde mich hinein, weil er das Allgemeine in sich enthält. Lebe wohl, und nochmals herzlich bitte ich Deine besondre Aufmerksamkeit auf Schweigen – auf für Dich selbst bestehen und innere Kraft zu wenden und recht froh und gesund zu bleiben.
Dein Clemens
Clemente! Die Sonne hat Kräuter und Sträucher in sich verliebt gemacht, sie schwellen vor Verlangen und werden ehestens in Blüte ausbrechen, eine Knospe strebt der andern vor, doch sind sie nicht eifersüchtig, so viel ihrer sind. Clemens, wenn's die Blumen tun, so will ich auch meine Liebeserklärung machen, aber wem? – Ich lege sie in Dein Herz nieder, bewahre mir sie, und wenn Du einmal auf einen hohen Berg kommst, wo man eine weite Aussicht hat, geliebter Clemens, so kannst Du sie als Denkmal unsrer Eintracht stiften, aber eine weite Aussicht muß meine Liebe haben, dann übersehen wir beide alles zugleich und fühlen Übereinstimmung in allem, wenn wir auch in manchem verschieden denken, und Deine griechischen Götter und meine französischen Helden bilden eine Welt.
Du frägst mich so viel in Deinem Abschiedsschreiben, Du belehrst mich, Du zankst mich
verborgen unter heimlicher Decke, und noch so viel Fragen weckst Du mir im Gewissen;
– und voll ist die Brust von der Fülle, die Du mir all in Deinem Brief spendest, daß
ich auch wie die Rosenknospen angeschwellt bin und möchte aufbrechen dem Licht und
gar keine andre Rechenschaft mehr geben als den Duft, den gleich der Rose meine Seele
aushaucht, weil Du sie wie die Sonne wärmst und reizest. – Aber doch wend ich zur
einfachsten Frage mich, »was ich mit meinem Geld anfange«, und gebe Dir die dummste
Antwort, wo Du gleich meinen wirst, ich wär närrisch. Ich habe das Geld
verschatzgräbert! – Ja, Clemente, ich hab's in ein klein leinenes Beutelchen
gesteckt, worauf ich mit Goldfaden und roter Seide meinen Namen gestickt hab und noch
allerlei kabbalistische Zeichen; ich hab's zugesiegelt mit einem schwarzen Siegel,
einem grünen und einem roten, dann hab ich ein Loch gegraben zwischen den zwei
starken Wurzeln der Pappel an der Rosenwand, da hab ich's in einen ledernen Schuh
hineingeschoben
Wir gehen morgen auf die grüne Burg zu den Geschwistern, acht Tage bleiben wir dort,
die Götterlehre nehm ich mit und den Ring, wo soll ich ihn lassen, ich glaub, er ist
ein Talisman, ich hab schon allerlei Fragen und Befehle um Mitternacht an ihn ergehen
lassen, aber der Geist ist nicht erschienen,
Deine BettineGöttingen
Ich öffne wie eine Pflanze mein Herz und rolle alle Blätter auseinander, wenn Du herüberscheinst. Dein Brief ist mir von Marburg aus zuvorgeeilt und hat mich hier empfangen.
Ich will, daß Du so vernünftig werdest, daß alle Welt einst ihre Zuflucht zu Dir nehme und Dich hochstelle, und dann will ich Dir's wieder ablernen. Hast Du Lust, dumme Streiche zu machen, so warte, bis ich komme, und mache sie ganz heimlich mir alleine, ich kann mich an Deinem ganzen Leben ergötzen, lese brav, schreibe viel, alles, was Du empfindest, schreibe nieder, denn das Ausgesprochene ist lebendig wie meine Liebe zu Dir.
Weil Du nun einmal mein guter Engel bist, so mußt Du auch Dein Amt mit Treue verwalten, mein guter Engel muß immer heiter sein und meiner mit Hoffnung und Segen gedenken und auch mich strafen mit Worten und mich anmahnen in Deinen Briefen, daß ich mein Ziel nicht aus den Augen lasse, Du mußt mit Deiner Lebensfreude die meine anfachen, Du mußt meinem Enthusiasmus die Flügel lösen, mit Deinem Ernst, mit Deiner Güte und Wahrheit. Willst Du das? – Sei recht fleißig und fröhlich, und ehre und achte, was Du tust. – Den Herbst besuch ich Dich, am End werd ich Dich kaum noch kennen, so wirst Du gewachsen sein, an Geist und Leib; und fröhlich, und so schön wirst Du zeichnen. – Ach, Du weißt nicht, was Du mir bist? Was ich liebe, das bist Du, Du hast es also in Händen, kannst es mir hegen und pflegen. Wirst Du das? – O fasse ein recht lebendiges Interesse an allem und dringe tief ein in das, was Du lernst, nicht oberflächlich, lieb Kind, Du glaubst nicht, wie unendlich wohl es Dir tun wird, wenn Du in ein paar Jahren etwas besitzest, dem Du Dich ganz hingeben kannst, lasse Dir's daher recht angelegen sein, zeichne recht mutig, mach Dir nichts daraus, ein Bildchen fertig zu haben, sondern eine Gewalt zu haben im Geist, die Du mit Deinem Talent auszusprechen vermagst, wenn Du über das Gewöhnliche hinauskämst, ich würde glücklicher werden als Du, schicke mir Deine Melodie, schreibe mir und halte Wort und – fasle nicht mit Ring und Talisman und Mirabeau usw.
Dein Clemens
Clemente! Hättest Du das letzte nicht geschrieben, so hätte ich Dir das erste
nachgesehen, daß Du mich vernünftig machen willst für die Welt – und denn am Rand,
daß ich nicht faslen soll mit dem Mirabeau; in der Mitte
Die Linden blühen, Clemente, und der Abendwind schüttelt sich in ihren Zweigen. Wer bin ich, daß ihr mir all euren Duft zuweht, ihr Linden? Ach! sagen die Linden, Du gehst so einsam zwischen unsern Stämmen herum und umfaßt unsre Stämme als wenn wir Menschen wären, da sprechen wir Dich an mit unserm Duft.
Adieu, Clemens! Es ist schon spät! – Ich konnte noch sehen, wie ich Dir von den
Linden schrieb, sie haben mir ihren Atem zum Fenster hereingehaucht, ich mußte sie
wieder anduften mit meinen Gedanken, da kamen die Vögel zur Nachtherberg in ihr
Gezweig, und ich hätt auch da schlafen
Schreib nach Offenbach, übermorgen gehen wir drei Schwestern schon wieder zurück.
Da schick ich Dir das Blatt, worauf ich eben mit den Linden mich unterhalten hab.
Ich will in die Wolken schauen und in den Mond, von dem eben der Tag Abschied nimmt, und ich will solang hineinsehen, bis ich eine andre Welt entdecke, und wenn ich sie gefunden hab, dann soll keine Träne mehr neidisch mir den Glanz verdunklen, in dem meine Seele ihre Farben spiegelt! –
Und was flüsterst du, Linde, mir ins Ohr? – »Grün, grün ist die zarte Farbe der Seelenruh, grün im Abendschein ist die Wiege der Träume! Und jeder Halm wiegt einen Traum, und mein Geblätter raschelt im Netz der Träume, und es winkt dir!« –
Ach, schweig du, Linde, es ist Nachtzeit, die Sterne glitzern durch dein Laub und reden anderes; und das rieselt mir durchs Gebein! – Ahnung soll künftig meine Seherin sein, und wenn ich ihr die Töne meiner liebenden Trauer geliehen hab, um das Schwellen zu malen und das Sinken ihrer sehnenden Gewalt, so soll sie mich wieder trösten, die, ein ewiges Meer, alle Wehmutstränen in ihren Wogen fortwälzt, bis sie vom Trübsinn gereinigt aufsteigen als elektrisch Feuer aus ihrem Wellenschoß. –
»Ach du!« – flüstert die Linde – »sei nicht hoffärtig, das löst nicht den Zauber.«
Ich horche auf dich nicht, Linde, ich lausche den Sternen da oben! – ich hör Musik, sie schmelzen ihr Licht ins dunkle Nachtblau, ihre Strahlen klirren im Tanz aneinander.
»Was du nur willst mit deinen hochstrebenden Gefühlen«, sagt wieder die Linde; »sie langen ja nicht hinauf, komm unter meine Krone, sie schüttelt ihren Tau auf dich, damit fühl ich dich gesegnet.«
Ach nein, immer lauter und klarer klingen die Sterne, ich hör, wie sie freudig ihre harmonische Verwandtschaft in die freien Lüfte tönen.
»O wehre meinem Flüstern nicht,« sagt wieder die Linde und schmeichelt – und meint, »was ist denn Musik der Sterne dagegen? – Wolle mich denken, du schaffest meinen Geist durch dein Begreifen meiner Natur, daß der wieder sich um dich winde, wie jetzt der deinige sich um mich windet, er soll dich berühren und immer, bis deine Seele leicht und kühn sich aufschwingen lernt zu eigner Freude, in einem Zug lieblich sprechender Töne!«
Was sagst du, Linde? – Ist mein Begreifen deines Geistes spielende Seele? – Linde
sagt: »Meine Seele rieselt mit Schauern zu dir hinüber, weil du sie denken magst.
Denken beseelt, alle Wesen färben sich im Gedankenlicht. Was ist der Abendschein
deinen Gedanken, daß sie weit über Feld mit ihm fliegen, und weil du ihn fühlst. Und
wäre Denken nicht, so würde kein Wesen mehr beseelt sein, und die Schöpfung würde
stumm in sich versinken. Denken beseelt, und alles Wesen erklingt in eigner
spielender
Wir glauben uns selbst zu erkennen als lebend, und die geheime Freude des Werdens in uns ist doch, weil wir erklingen im Geist, der uns denkt!« –
Sag ich wieder: So denke mich, Linde, denn schöner möcht ich nicht im Gedanken reifen als in dem grünen Schimmer deiner Blätter, den der Abendschein küßt, und möcht nicht edler meinen Geist hinaufgetragen wissen als im Duft deiner Blüten.
Die Linde rauscht im Wind und schüttelt sich, es kitzelt sie, daß ich so artige Worte mit ihr geredet hab, es passiert ihr nicht alle Tag.
Deine Bettine
Am Rhein, Rüdesheim
Dein Gespräch mit der Linde und der herrliche Abendschein über dem Rhein und das
schöne Mädchen Walpurgis hier im Wirtshause, haben vor wenig Minuten rings um mein
Herz gebuhlt. Ich bin in das Mädchen verliebt wie ein guter Junge, und wenn sie das
Papier geschrieben hätte oder den Abendschein und die Linde verstände wie Du, so wäre
kein Treiben und kein Sehnen mehr auf Erden für mich. Aber so ist's nicht, ich werde
nicht von ihr verstanden, denn ich verstehe den Abendschein; und sie, die sich und
ihn nicht versteht, ist wunderschön, und der liebe Gott hat Schätze in ihre Augen
gelegt und einen Liebreiz in ihren Mund, daß man einen Tempel mit diesen Schätzen
könnte errichten und Gebet von diesen Lippen wie Honig von süßen Blumen sammeln
könnte, aber sie ist in einer sehr unschönen Umgebung von Eltern und Geschwistern,
und Gott segne Dich, daß Du so bist, wie Du bist. Es ist ein alt Sprichwort, wo
Schätze liegen, stellt der Regenbogen seinen Fuß auf, aber es ist böse, es ist ein
Aberglaube. Und wenn ich dies Mädchen ansehe, bin ich so abergläubisch; der alte
Bettler, der hier in der alten Ruine vom Schloß der Gisela Brömserin wohnt, das dicht
am Rhein steht, hat seinen Herd auf dem Altar der Kapelle und schläft in steinernen
Gewölben, durch die das Himmelsgewölk herabsieht, und seine Begeisterung, die er
trefflich auf seiner Pfeife auszudrücken versteht, wenn er viele Heller beisammen
hat, hallt zwischen den vielen Pfeilern durch recht lustig, ich gehe da abends in dem
lauen Wind auf und ab und höre, wie er aus einem raschen Walzer in den andern sich
hineinpfeift, und dabei schlägt er so munter den Takt, als ob er im Tanze mit einer
schönen Walpurgis sich drehe. Ich rede oft mit ihm, und er hat mir's gar nicht
geleugnet, daß er auch noch oft sich verliebt. Am End kam's heraus, daß wir
Nebenbuhler sind, und daß die Walpurgis der eigentliche Reiz seiner musikalischen
Belustigungen ist, denn sie hat nicht weit davon einen Weingarten, wo sie den Gästen
abends ihren Weinschoppen reicht, in Krügen mit Deckeln von blankem Zinn, und da tun
ihr die Gäste schön mit Reden
Alle Gäste waren still geworden; denn alle sind in das Mädchen verliebt; er genoß
noch einen Augenblick seinen Triumph, dann stand er auf und bot gute Nacht. Die
Walpurgis stand an der Gartenhecke und grüßte, indem wir vorübergingen; und das
ist's, was mir am meisten ins Herz schnitt. Ach, es ist wahrlich alleins, ob man
bettelt oder gut lebt, wem das Herz freundlich ist zu geben und seine Liebe
widerwillig zu empfangen, der allein ist reich. Wo ist Reichtum? – Auf Erden nicht!
Gold ist Sonnenschein, und Rubin ist Abendrot, aber Liebe ist alles. Aber die Erde
ist nicht alles, denn es ist wenig Liebe in ihr; sie ist in der Liebe! – Es tut mir
leid, daß Du das alles nicht auch sahst, Du würdest schöner davon sprechen, und schön
sprechen soll man, damit das Schöne immer lebendiger wird und mehr. Denn die Liebe
hat nimmer des Schönen genug. Savigny hat alles auch mit mir gesehen, ich dachte,
hier, wo seine Studiermaschine nicht fortwährend
Walpurgis hat einige Züge von Dir, und die ziehen mich vielleicht am meisten an, die übrigen, die Du nicht hast, hast Du in der Seele und sie im Gesicht. Ich denke immer an Deine Seele bei diesen Zügen und sage dem Mädchen schöne Sachen, wenn ich an Dich schreibe, und rede Dich an, wenn ich ihr Schönes vorsage.
Werde nicht bös, ich will ein bißchen hinuntergehen, vielleicht sehe ich sie, aber sie weicht mir aus, sie weiß nicht mit mir zu sprechen, so Du nicht.
Ach, weißt Du, was sie eben mir sagte, als ich fragte, warum sie den Bettelmann geküßt habe? – er gefalle ihr – und ob ich ihr denn gar nicht gefalle? – sie sagte nichts darauf. – Aber wenn sie mir auch einen Kuß gäbe, so würde ich auf alle andre eifersüchtig werden, und dann würde das ein groß Gezänk geben im Wirtshaus, und das wolle sie aber nicht haben. Mit wem sollte ich in Zank geraten, es ist ja niemand im Wirtshaus wie Savigny und ich, und der ist ja gar kein Kenner von deiner Schönheit; ich plaudre dir auf der Gitarre so schöne Abendlieder vor, ich erzähle dir so hübsche Geschichten, ich bin früher auf als du und guck dir zu, wenn du in den Hof herunterkommst, das rührt dich nicht? – Sie sagt selbst: Gar nicht! Du bist nicht so, mein einzig Kind, mein Schutzengel, was ich Dir zulieb tue, das tust Du gern und verdienst Dir einen Dank ab, wenn es auch noch so gering ist. Wenn ich nun auch herumschweife und mich in Liebeshändel einlasse, wenn ich's tue, so ist's doch immer, weil ich weiß, daß ich meine Heimat habe in Dir.
Ich hab dem Savigny gesagt, er soll ein bißchen hier dran schreiben, aber der arme Mensch ist froh, daß er lesen kann.
Es ist wieder Abend, er hüllt die Welt in wild zerstreute Farben, der Umriß meiner
Tage spricht mich dagegen so farbenlos an, wie wenn ein Geist mich anredete. Die
Natur kommt uns armen unnatürlichen Menschen so oft übernatürlich vor. Walpurgis hing
heut an meinem Arme, ihr Anblick, die ganze Reihe von Bergen umher, deren Häupter
unsre Nachbarn waren, erfüllte mich wie ein Traum. Die Täler waren versunken im
Nebel, und ein so lebhafter Spiegel aller Dinge in meiner Brust, für die ich keine
Stelle mehr sah, um sie mir zu bewahren. Alles dies, was ich Dir hier deutlich
Ach, es ist sehr traurig, wie ungeschickt einen das macht, was man im Leben die Konvenienz nennt, vielleicht hätte sie meine Empfindungen ganz auf die verkehrte Seite verstanden. Eine auswendig gelernte Mannigfaltigkeit und geschraubte Konsequenz, die, sobald wir in die Natur treten, zu höchst verderblicher Ungeschmeidigkeit und Einseitigkeit führen. Mit meiner Rückkehr zu mir selber versammelten sich nach und nach allerlei heterogene Empfindungen, und ich fand mich endlich in einer so wunderlichen Gemütslage, wie wenn ein Weltmann einen französischen Pas und einen munteren natürlichen Sprung in der Mitte vereinigen müßte.
Clemens
Liebster Clemens, ich hab was von meinen Klosterarbeiten hervorgesucht, ein
Sträußchen von Seide gewickelt, die alte Laienschwester Monika, wie die das
Sträußchen mir wickeln lehrte, kam es mir so allerliebst vor, und nun seh ich, daß es
doch nur ein allerliebstes Nichtschen ist, aber vielleicht macht's der Walpurgis
Spaß. Die Monika hatte einen Bierkrug auf ihrem Tisch stehen, von dem erzählte sie
mir damals, als wir die seidnen Blumen wickelten, der Geist ihres verstorbenen
Vetters sei gekommen
Das wär nun das Ende von dem Melodrama, das hab ich mir erdacht am Pfingsttag in der
Liebfraukirch, wo vom Heiligen Geist gepredigt wurde, wie es mich fürchterlich
langweilte, und ich konnte meine Füße nicht ruhig halten vor Ungeduld, ich mußte
immer einen über den andern stellen, und in Gedanken war ich am Rhein bei Dir und bei
dem Bettelmann, der gar nicht unfreundlich gegen mich war, denn wenn Du meinst, daß
ich manche Züge ähnlich mit der Walpurgis ihrem Gesicht habe, so fühl ich, daß ich
wieder sehr viel Ähnlichkeit hab mit ihrem Naturell, und ich glaube, der Bettelmann
hätte auch bei mir den Sieg davongetragen, wenn nicht! – Ja, wie soll ich Dir's
beschreiben? – nämlich, als ich eben von meiner Vision im Rheingau zurück in meiner
Kirchenbank ankam, da war der Kaplan noch immer dran, als Pfingsttaube aus seinem
Kröpfchen die Gemeine mit dem Heiligen Geist zu füttern. Der Bettelmann also hätte
auch bei mir den Sieg davongetragen, wenn meine Vision nicht plötzlich mir den lieben
Bruder Clemens daherzauberte, wie der plötzlich statt der Taube im feurigen Galopp
aus dem Schalloch herabgeflogen kam mitten in die Kirche! Der Prediger auf der Kanzel
erstarrt, die Gemeine in ihrem Gesang verstummt, der herrliche Clemens aber auf
seinem Pegasus karakoliert gleich einem englischen Reiter und macht wunderschöne
Künste auf seinem Wolkenstampfer; und auf dem Gewölk, was seinem herrlich melodischen
Ritt zum Tanzboden dient, schweben wunderschöne Rosenkränze von einer Wolkenstufe zur
andern und blühen und duften immer schöner, und die Menschen haben das Beten
vergessen, alle fangen sie die Rosen auf, und das war Dir ein Getümmel in der Kirche
und ein Jauchzen über die aufgefangnen Kränze! Ach, ich könnte Dir noch mehr
erzählen, wenn's nicht zu lang dauerte für ein Rosenfest, dessen höchster Reiz ist,
daß er bald
Das ist meine Pfingsttagsgeschichte in Frankfurt, ich bin jetzt wieder hier in Offenbach, wo ich tausend Federnelkchen aufgeplatzt fand, und der Abendwind jagt sich mit ihrem Duft.
Adieu, Clemens, die Federnelkchen werden auch bald alle geplatzt sein. Dann kommst Du zurück.
Bettine
Ich sollte schon bei Dir sein, liebe Bettine, ich hatte mir gelobt, daß ich nicht wolle nach den Pfingsttagen hier verweilen, und war auch schon in Mainz, und jetzt bin ich doch wieder auf dem alten Fleck, Savigny ist allein zurück, ich will ja nur noch ein Weilchen mich sammlen und so manches Lied, was ich der Gegend und der geschäftigen Natur in ihr abgelauscht habe, noch einmal durchgehen, damit es Dir rechte Freude machen soll.
Ja, liebe Bettine, da hast Du wieder einmal durch die Ferne herübergesehen recht
scharf, grad wie Du mir schreibst, so war mein zweiter Pfingstabend. – Sie war
fortgefahren, sehr schön geputzt, über Land mit der ganzen Familie, ich und der
Hausknecht waren allein zurückgeblieben; ich sagte dem Hausknecht, er solle nur auch
ein wenig zu seinen Bekannten gehen, wenn Gäste kommen, so wolle ich ihn rufen, so
war ich den ganzen Vormittag allein, so still wie es im Weingarten war, man konnte
hören das Gras wachsen. Da kam mancher Wagen vorbeigefahren mit lustigen Leuten, und
wenn ihr Räderlauf in der Ferne sich verlor, da fingen die Glocken aus den
Ortschaften rundum an zu läuten, so ist mir der Morgen vergangen von früh vier Uhr,
wo die Walpurgis abgefahren war, bis um elf Uhr, wo sie wieder heimkehrte. – Da kamen
so viel Gäste von Bingen herüber, und so viele schifften hinüber nach Bingen, daß der
Rhein ein groß Spektakelstück gab von Jauchzen und Musik auf den Schiffen, die sich
bombardierten mit Trompetenstößen und allerlei verschiedner Tanzmusik und Lieder, die
sich einer über den andern hinaus wollten vernehmen lassen, ich habe auch mit Link,
der von Frankfurt gekommen war, den Savigny bis Mainz begleitet. Link ist dort zu
einer Frau gegangen, von der er mir Wunderdinge erzählt, sie ist eine Französin aus
der Vendée, war in Jena bis jetzt, hat dort mit den größten Gelehrten eine Zeitlang
zugebracht,
Du schreibst mir in Deinem Brief, daß Du selbst eine gewisse Hinneigung zum Bettelmann empfindest. –
Mainz
Liebe Schwester, Du wirst mir's verzeihen, daß ich nicht Abschied von Dir nehme, aber
ich gebe Dir nicht etwas, ich bin Dir gegeben. Du weißt nicht, wie glücklich ich bin,
daß ich Dir dies durch die liebenswürdigste Frau sagen kann, die durch ihr Geschick
schon über den gewöhnlichen Kreis der Menschen hinausragt, noch mehr aber durch ihre
Selbständigkeit, durch den festen ernsten Willen, mit dem sie dies Geschick bekämpfte
und heldenmäßig ertrug, indem sie ruhig und allein zwischen den Schrecken der
Blutgerichte hindurchwandelte. Mit solchen Naturen sich berühren zu dürfen, ist eine
Auszeichnung für den, dessen Seele und Geist vielleicht darauf angewiesen ist, durch
solche Naturen sich selbst zu bilden und durch sie zum Erhabenen gelenkt zu werden.
Wie sehr ich für Dich immer Sorge trage, das Edle und Schöne, was ich auffinde, was
mir seine Macht fühlen lässet, mit Dir zu teilen, davon mag Dir hierin der Beweis
gegeben sein, daß ich ihr, die ein so großes Herz hat, die mit diesem Herzen
ausreichte, wo so viele verzagt sein würden, auch Dich und meine Liebe zu Dir
empfohlen habe. Ja, ich hab ihr alles mitgeteilt, daß ich nämlich die besten Kräfte
meines Lebens dran wen den möchte, um Dir eine würdige Zukunft zu bereiten. – Sie hat
mir in diesen Stunden, so einfach, als sei es nur ganz gewöhnlich, von sich erzählt.
Durch die Vendée ist sie oft auf wilden Pferden, die kaum den geübten Reiter trugen,
auf Kreuz- und Querwegen geritten, um mit den großen Helden dort sich zu treffen,
denen sie oft auf nächtlichen gefahrvollen Wegen voraneilte, manchen jener armen
Landleute (Chouans) hat sie gerettet mit Gefahr ihres Lebens, ihre ganze Familie aber
hat die Guillotine gefressen. Nur sie, geleitet durch ihren guten Stern, der ja auch
von ihrer Stirne glänzt, ist glücklich nach Deutschland gekommen. In Jena hat sie
eine geraume Zeit geweilt und war in einer wissenschaftlichen Verbindung mit meinem
Freund, dem großen Physiker Ritter, von dem Goethe sagt: »Wir alle sind nur Knappen
gegen ihn.« – Durch einen Brief von ihm hab ich sie hier in Mainz getroffen, wo ich
seit gestern bin und von hier nach Jena zurückgehe. Was kann ich Dir je sagen, was an
dieses Weib heranreicht, da ich nie einen bessern Gedanken hatte, als sie zu
begreifen. Du sollst sie lieben wie mich und mehr wie mich. Du sollst ihr vertrauen
und sie mit allen Deinen Armen umschlingen, mit Wurzeln und Gezweig, denn sie ist
Himmel und Erde, sie ist ein Weib, an dem die Vortrefflichkeit und Barbarei du jour
(das heißt, wie es heutzutage hergeht) gescheitert ist, sie allein kann Deine Ideen
über
Schreibe mir bei Friedrich Schlegel in Jena.
Dein Clemens
Madame de Gachet bringt Dir einen offnen Brief von mir, ich habe aber manches währenddem gedacht. – Herzlich offenbaren kannst Du Dich ihr, denn sie versteht Dich, und der gute Mensch hat keine Geheimnisse, auch sollst Du sie lieben wie den geistreichen Menschen, doch nur ihren Geist und Herz, die Narben aber, die ihr Erfahrung und Geschick geschlagen, das männliche Wilde ihres Seins und Verstandes sollst Du übersehen, überhaupt Dich ihr nicht hingeben; mein bleiben und Gott. – Unschuldig sein neben ihr, von ihr lernen ohne Absicht, denn die Absicht überhaupt ist's, die solche Narben zurückläßt. Ich traue Dir unendlich viel zu, wenn ich Dich denke mit ihr umgehend, ohne von ihr hingerissen zu werden; Dich immer selbst besitzend und doch ganz aufrichtig, denke immer an mich dabei, hüte Dich, wenn Du sie verehrst, daß nicht Dein eigener Genius den obersten Platz verliere.
Schreibe mir nach Jena bei Friedrich Schlegel, aber bald, in einigen Wochen bin ich in Marburg.
Und immer noch von dieser de Gachet, aber Gott weiß, es jagt mich wieder aus dem
Bette heraus, ich muß Dir noch einmal von ihr sprechen, denn es kann bei ihr viel zu
gewinnen und zu verlieren sein, und ich könnte keine Minute ruhen, wenn ich nicht
wüßte, daß Du sicher wärst. Ich weiß von dieser Frau nichts, als daß sie mit einem
der geistreichsten Menschen, einem Freunde von mir, genau verbunden ist, daß sie
jetzt die einzige Französin ist, die auf der Höhe der deutschen Wissenschaft steht,
das ist ungeheuer viel, aber um dies zu erringen, was hat sie vielleicht erfahren
Clemens
Geliebter Clemens! Was ist doch alles widerfahren in diesen wenigen Tagen, die Du der Bettine nennst! – Ein Südwind auf brennenden Sohlen, in einer Wirbelwolke von Staub, wehte mir ins Gesicht. Von einem Tag zum andern hat die Welt hier in Offenbach einen Purzelbaum geschlagen. Denn erstens las ich im grünen Zimmer auf der Fensterbank vor dem Herzog von Aremberg über die Volksmajestät ein französisches Aktenstück, worüber ich Unendliches hätte den Herzog zu fragen gehabt, der schlief aber, ich wollte nur allmählich aufhören zu lesen, damit er nicht wach werde, ich fing schon an ganz stille zu werden, ich hatte ausprobiert, daß er fest schlief. Siehe, da kam im Sturm dahergebraust ein Kabriolet wie ein abgeschoßner Pfeil vor die Haustür, herabspringt der Wagenlenker, ein jugendlich voller schöner Mannjüngling mit klirrenden Sporen, zwei Reiter, die ihn begleiten, treten mit ihm ein, ich war, ich weiß nicht wie, nicht warum, von Schrecken durchgriffen, daß ich vergaß zu reden, und besann mich nicht, die Großmama zu rufen, die im Garten war. Der Herzog fragte, wer da sei, ich deutete den Fremden an, er sei blind, und sagte: »C'est un jeune cavalier, Monseigneur, avec deux messieurs.« »Au contraire c'est une femme,« sagte der Jüngling und näherte sich. Der Herzog wußte gleich, wer sie war, denn er ergriff ihre Hand und äußerte ein sehr warmes Interesse. Ich lief in den Garten, die Großmama zu holen. Die sagte gleich von Madame de Gachet einer Prinzeß aus der Vendée, und bis wir ins Haus eintraten, schwindelte ihr der Kopf vor Begeistrung. Ich besann mich unterdessen und wollte gern unbefangner Zuschauer sein. Hinter der Tür vor der Großmama ihrem Schreibzimmer blieb ich stehen, wo ich einstens schon Herder, Boonstedten, Friderike Brunn, die Krüdner und andere närrische Erscheinungen berühmter Leute angestaunt hatte. Es war ein Verbeugen und Neigen der beiden Frauen und ein Beteuern, und ich hätte gern alles behalten, um Dir's zu erzählen, es war ein zu groß Geschwirr von lauten Stimmen; ich konnte nur den Herzog verstehen, der zu ihr sagte: »Vous êtes la plus respectable des ennemies de la France«, sie nannte die assemblée nationale, ›le dépôt de la confience de tout un peuple‹, und redete, als ob sie die Welt erneuere. »Le peuple n'est plus livré aux intrigues de cour ni aux incertitudes ministerielles«, und meinte, damit sei ihr ganzes tragisches Schicksal ausgewetzt, und dann sprachen sie über Krieg zu Wasser und zu Land, von Vaisseaux de guerre und Kavallerie und Infanterie, und sie redete davon, als wär sie bei allen Schlachten mitgewesen.
Liebster Clemens, wenn Du mir freundlich bist, dann bin ich, wo nicht ruhig, doch
zufrieden. Ruhig sein heißt bei mir die Händ in den Schoß legen und sich auf den
Kindchesbrei freuen, den wir heut abend essen. Ruhig sein kann ich nicht, ich freu
mich auf alles, was grade das Ruhigsein ausschließt, ich muß jauchzen vor Vergnügen
über ein unbestimmtes Etwas. Was mag
Clemens! Ich weiß, daß Du diese Wellen des Vertrauens gerne aufnimmst, und ich weiß, daß bei Dir gut weilen ist, drum wird der Lebensstrom auch nur ganz langsam fließen, solang er durch Deine Lebensgegenden zieht, aber über meine Neigungen kannst Du nicht disponieren. Weiß ich doch nicht, was mich Dich lieben heißt, ich gehe Dir nach, ohne zu wissen, warum, wenn's nicht der Lebensstrom wäre, der eigenmächtig durch Deine Fluren wallet und sich wohl befindet so, ja, es ist sein selbstherrschender Wille, der sich durch Deine Lebensgebiete drängt, ach und er strömt so voll, so selbstgefühlig in diesem reinen edlen Bett, über Perlen und Goldsand, und die Ufer so blütenreich gratulieren meinem stolzen Wogengang. – Heut bin ich närrisch, Clemente! – Der Frau Gachet kann ich auch nur im Vorüberströmen günstig sein, aber sie lieben wie Dich selber, liebes Flußbett, was fällt Dir ein. – Der Fluß strömt nur Dir freundlich und gutwillig, gegen andre ist er rebellisch und rauh, ich will wohl mit der Gachet umgehen und ein bißchen an ihr nagen mit meinen Wellen, aber mich ihr hingeben, von ihr mich leiten lassen, was fällt Dir ein? – Ich brause vor Zorn, daß einer etwas über mich vermögen soll, was nicht ich selber bin? – Nein, Clemens! Welches Menschenschicksal auch über mich komme, das ist mir so jetzt ganz nicht von Gewicht, aber mich durchreißen, Ich selber zu bleiben, das sei meines Lebens Gewinn, und sonst gar nichts will ich von allen irdischen Glücksgütern. Gute Nacht für heute.
Eben jetzt bekomme ich Deinen letzten Brief und bin froh, daß Du selbst bekennst, ein wenig übereilt geschrieben zu haben. – Sie hat gar nichts mit mir gesprochen und Deinen Brief mir sehr freundlich in die Hand gedrückt, sie sah mich oft ganz starr an, als wolle sie mir etwas sagen, Du kannst überzeugt sein, daß ich mich ihr nicht zu Füßen und auch nicht um den Hals werfen werde, ich werde alles, was ich von ihrem Geist begreife und erlerne, Deinem Urteil unterwerfen, mein Leben und mein Glaube und die Lust, zu bekennen, was ich will und suche, sind ja Dein, und was meine Sprache nicht auszudrücken vermag, Du mußt's finden in mir, die Dir nicht fremd ist. – Unter allen frohen Stunden bleibt die mir am lebendigsten, wo Du mich zur Lust am Leben angemahnt. Ich begreif doppelt rasch, ich weiß, wo mir's herkommt, daß ich in den nächsten Lebensmoment schaue als in einen reichen Schatz, der mir wie ein Demant entgegenblitzt und mich begierig macht auf ihn. Der ungehemmte Lebensatem, von dem das volle Herz getragen wird.
Vernähme der Mensch besser, was ihm die Sterne zuwinken, so würde er sich im Flug
entfalten, und könnt ich's besser sagen, so sähest Du deutlich und klar, der Sinn
kann sich nicht ändern, er dient Dir so willig, um treu
Adieu, lieber Clemens, Du bist mir den Abschiedskuß noch schuldig.
Deine Bettine
Wo bleibt denn nun jetzt die Walpurgis und die schönen Lieder der Liebe? – Nicht wahr, jetzt bist Du nicht mehr eifersüchtig auf den Bettelmann!
Ich danke von ganzer Seele für den beruhigenden Klang Deines Briefes, in dem sich Selbstgefühl und Liebe so schön durchdringen. Ich weiß nun mehr über die de Gachet, Du kannst mit ihr sein und kannst sie auch vermeiden, wenn sie Dir nicht zusagt, denn ein Herz, was so herrlich grünt und blüht wie Deines, bedarf keiner Seele als nur der Liebe; die hast Du von mir. Bleibe über alles Zufällige erhaben, folge Deinem inneren Ruf, er ist zu stark in Dir, wer wollte Dich ihm entziehen? – Es wäre Frevel, es zu wollen, da wir alle noch nicht da sind, wo wir mit uns selbst rechten können, ob wir irgend etwas wollen sollen oder nicht, so würde der rein als Natur hervortretende Instinkt ja nur in sich selbst erkranken, sollte er bezwungen werden durch Reflexion, und sein Genie, die Rettungskraft aus dem Irrtum heraus, wär ihm dadurch gebrochen.
Daß die Welt den großen Kreislauf macht durch Irrtum und leidenschaftliche Verkehrtheit, hat Dir selbst ja bei Deinem ersten Blick in die Welt eingeleuchtet, daß sie aber zu ihrer Ursprünglichkeit zurückkehren solle in vollem Bewußtsein und mit aller Gewalt, die dieses Bewußtsein gibt, das soll in jedem einzelnen wahr werden, oder er wär dieser Welt verloren. Und außer ihr sein wollen ist Vernichtung. Nein! Jede individuelle Kraft kann nur durch und in der Allgemeinheit Wurzel fassen, kann nur in ihr sich selbst verstehen lernen; und kann nur an ihr sich erproben. Drum ist die Geschichte der Dinge das wahre Element der Geister, und darum hat diese de Gachet eine elektrische Wirkung auf die Menschen, weil ihre Eigentümlichkeit sogleich an der Geschichte sich entzündet und drin aufleuchtet, ja wenn der Mensch erst da steht (das heißt oben ansteht), dann ist sein Leben ein fortwährendes Weltwirken. Alle kühnen Taten großer Menschen sind ein unwillkürliches, aber ganz naturgemäßes Mitwirken der Gesamtheit, oder der Geschichte der Dinge, deren Erzeugnis ja auch der Geist ist; und Mirabeau würde nicht so Schlag auf Schlag getan haben mit jedem Worte, wäre seine Eigentümlichkeit nicht fortwährend elektrisch eben von dieser Geschichte seiner Zeit entzündet worden. Man beurteilt zwar oft die Menschen nach einem sittlichen Wert oder Unwert, dieser ist aber im allgemeinen Weltgeschick nicht mehr zu rechnen.
Wenn ich von der gewohnten Weise, mich mit Dir zu verständigen, hier abgewichen bin, so ist's, weil ich die reine Menschlichkeit in Ritters Begriff in keine andre Sprache übertragen konnte. Ich möchte Dir alles zuwenden, was mich je gerührt und bewegt hat. Lerne, wenn Du auch nur dabei begreifst, wie man Dich nicht lehren sollte. Dein Bestreben sei, Dich so mit Deiner Vorzüglichkeit zu durchdringen, daß kein Mensch merke, wo Du es bist. Antworte mir und bleibe bei dem, was Deine Seele nähren kann. Ich werde Dir bald allerlei Bücher schicken. Vor allem bewaffne Dich gegen jeden Mißbrauch, den man von Deiner Zukunft machen könnte, gebe niemand auch nur das geringste davon in die Hände. Lasse nur Dir selber die Herrschaft in Deinem Gemüt, und lasse mich einen geringen Anteil dran haben, wir sind ja keine zwei! –
Adieu, Du edles geliebtes Kind.
Dein Clemens
Jetzt schreib ich gleich weiter von allem, was ich über Deine Warnungssorgen vergessen hatte. Diese Frau hat mich in einem fortwährenden Schauerriesel erhalten, und denke Dir, während ich in die Türe gelehnt sie ansah, verstummte sie oft mitten in ihrer Rede und sah sich nach mir um, keine Goldfrucht winkt lockender aus dem dunklen Grün als ihr lächelnder Blick nach mir, ich fühlte mich beschämt. Bei der Heimfahrt nahm der eine ihrer Begleiter den Platz im Whiski ein, sie schwang sich mit selbstgefälliger Anmut aufs Pferd, sie grüßte mich, als wolle sie mir sagen: schwing dich auch aufs Roß, aus allem heraus, was dich beengt, komm, vertrau mir, ich will dir die Hand reichen. – Und fort war sie; und ich lief in den Garten und stieg auf die Pappel, wo hätt ich hingesollt, so sehnsüchtig in die Weite? – Auf dem Gaul die Abendlüfte durchsausen im Galopp! – Und hätt ich das gekonnt, mein ganz Glück würd ich darin finden und muß Dir alles sagen, was ich hierbei denke.
Man muß doch wohl wissen, was das Gegenteil ist von aller Verkehrtheit, denn nur in
dieses hinüber kann man sich vor ihr flüchten, und doch wenn
Hier liegen wir im Staube vor dir, Gott Zebaoth.
So mußten wir im Kloster singen und nachdem ich's jedesmal mitgesungen hatte, besann ich mich eines Tags, was es denn wohl heißen möge, es schwante mir, als ob dem Gott der Menschheit ein Götze gegenüber stehe, der Zebaoth heiße, denn Gott und Mensch konnte ich nicht trennen und kann es noch nicht, und Staub lecken vor dem Zebaoth, das heißt mich eine innere Stimme bleiben lassen, wenn ich Frieden haben wolle mit dem rechten Gott, der in den mondverklärten Wolken abends sich ins Gespräch mit mir einließ über allerlei und mir recht gab, wo aberwitzige Menschen es besser wissen wollten. Und wie wunderliche Reden führte mit mir oft dies oder jenes auch in der Natur.
Was hab ich alles erfahren in jenen Kinderjahren; – Wurzeln und Kräuter, eine Blumendolde, aus der bei leisem Druck der Same aufsprang – die waren mir Unterpfand und Beteurung vom Gegenteil alles Aberglaubens, sie sagen mir immer dasselbe: Frei sein, und jeder Glaubensbefehl leugnet mir das, und endlich, da die Überschwemmung der ganzen Erdenkultur auf mich losgeschwemmt kommt, da strecke ich die Hand allem Unschuldigen entgegen, um es zu retten in meinen Busen. Und jeder Begriff des Großen, Kühnen, der Lüge zum Trotz Reinen, – das ist mir ein Lebendiges, das mich anwirbt mit schmeichelnder Verheißung. Und was war dagegen, was man mich lehrte? – Ach so unfaßlich, daß man eine Maschine sein mußte, um es nachzusprechen.
Du hast mir oft gesagt, ich solle meine Erinnerungen aufschreiben aus der
Klosterzeit, über die ich nun schon mehr als drei Jahre hinaus bin. Es ist alles noch
lebendig in mir, ich kann aber nicht die Blütenäste vom Baum abbrechen, der ich
selbst bin. Dies Klosterleben hat Knospen in mir angesetzt, Ahnungen, die zur
Wahrheit müssen reifen. Denn der Baum kann nicht selber sich berauben seiner Düfte,
die noch verschlossen sind. – Denn alles ist mir ja nicht ein Gegenstand, ich bin es
selber. Weil es aber heute in so nächtlicher Zeit ganz toll in mir hergeht, daß ich
nicht schlafen kann vor dem Gaul, der Schimmel, der mir im Kopf herumtrabt, – so
weckt er mir ja ganz leidige Erinnerungen, über die ich gleich damals als junges Kind
schon den Bann ausgesprochen habe. Ach ich bin doppelt froh des Lichtes, das ich in
Dir sehe, denn alles, was ich Dir schreibe und sage, kommt
Nun ist's Morgen, Clemente, aber welch ein Morgen? – Die Gachet hat sich ansagen lassen mit noch merkwürdigen Begleitern, ein Chemiker Buch, ein Gottesgelahrter Maijer, ein Pferdemaler Dalton. Dies Pferdegenie soll sehr interessant sein, der blinde Dux wird auch da sein. Ich freu mich schon auf alles, und mir klopft das Herz, aber ich werde mich doch auch selbst fühlen gegenüber der Frau, die ein Pferd regiert wie ein Mann! – Denn kann ich nicht vielleicht auch etwas regieren, was dem Gaul gleich ist, oder mehr noch? –
Eben ruft die Großmama, wir sollen ihr Blumen holen im Garten und die Urnen frisch mit Sträußen versehen. Ich werde alle Blumenbeete rasieren, ich muß fort.
Clemente, sie ist da gewesen, wie ist doch alles durcheinandergegangen. – Nach dem ganzen Abenteuer haben die Franzosen im Garten einen fürchterlichen Äpfelkrieg geführt, ich kann Dir's heute nicht mehr schreiben, ich muß erst noch eine Nacht drauf schlafen. Aber morgen kommt sie wieder, sie hat mir's im Vorübergehen ins Ohr geflüstert, sie ist des Teufels, aber ich bin auch des Teufels, ich will keine Freundschaft mit ihr, ich bin zu jung. Wär ich schon so, wie es in mir werden will, dann ritt ich stehend auf zwei Gäulen und spränge dazu durch den Reif. Mit Kunststreichen und Übermut wollt ich ihren kühnen Ritt ausparieren.
Lieber Clemens, heut am Montag erzähl ich fort vom Samstag und Sonntag, diesmal gingen hexenmäßige, die Großmama in höchster Spannung haltende Dinge vor, eine galvanische Batterie! – Der kleine rotwangige Apotheker Buch trug Blumenkörbe und Urnen hinaus auf den Hausflur.
Mit Salzwasser in einer großen erdnen Schüssel wurde ein groß Geplätscher gemacht,
runde Filzlappen und Taler und Kupferplatten aufeinander gelegt, viele Stimmen und
Hände gingen durcheinander bei dem Aufbau der Säule. Der Herzog im Hintergrund hielt
mich bei der Hand, ich mußte ihm erzählen, was vorgehe. Nachdem die Säule unter den
Händen der Gelehrten mehr wie einmal umgestürzt war, baute die Vendéerin sie selbst
auf, und sie blieb stehen; es wurden negative und positive Versuche gemacht, davon
kann ich nichts sagen, als daß es nicht ganz so ausfiel, wie man wollte. Die de
Gachet verlangte feingesponnene Glasfäden, die Frau Wrede uns gegenüber hat eine
Sultansfeder von gesponnen Glas, sie sagte mir, daß sie der Sultan dem Magnetiseur
geschenkt habe, der ihn auch zu seinen Versuchen braucht, ich klingelte an seiner
Haustür, wie ich den Schall der Glocke hörte, mußte ich mich fürchten, aber ich war
schon im
Die de Gachet war auch noch am Sonntag nachmittag hier, kein Mensch hatte sie
erwartet und ich auch nicht, obschon sie mir es zugeflüstert hatte, so war ich ein
Weilchen allein mit ihr. Wie ängstlich war mir das! – Ach Clemens, laß uns lieber
allein alles vertrauen, alles miteinander erleben und nicht mit andern. Dieser große
Planet, die Gachet, erschüttert mich zu sehr, wenn er mir so nah rückt. – Sie redete
von den Himmelskörpern,
Bettine
Es ist aus mit den Blumen, die letzten Asternsträuße waren die, womit wir in voriger Woche die Blumenurnen schmückten, und die wegen der Batterie vor die Tür gesetzt wurden. Gestern haben wir den letzten Herbst gemacht, nur noch die Winterbirnen hängen, von denen meint die Großmama, wir wollten sie hängen lassen, bis erst Reif kommt, der war heut nacht, und nun frag ich: »Wollen wir heut die Birnen abmachen, es war heut nacht Reif.« Großer Schrecken der Großmama, sie hatte so in den Tag hineingelebt und gemeint, es sei noch lang nicht Winter. Und wie sehen die Blumen aus? Wir müssen heute noch Kränze haben, es ist eine Hochzeit hier im Haus, um drei Uhr wird der Pfarrer hier sein und ein edles Paar zusammengeben.
Lieber Clemente, was doch alles hier im närrischen einsamen Haus passiert! Aber wir
drei Geschwister ahneten gleich die Geschichte, ich sprang mit Flügeln die Treppe
hinauf, wir kriegten uns alle drei um den Hals und tanzten eine Ronde, daß die Wände
zitterten. Auf einmal erscheint die Tante im Negligé, halb frisiert, was das für ein
unanständiger Spektakel sei? – Und was die Hofdame denken solle, die seit acht Tagen
im Saal unter uns wohnt, daß wir so ihr auf dem Kopf herumtanzen. Und der Tanzmeister
wartet schon eine Viertelstunde. Wir lernen nämlich schon seit vierzehn Tagen bei
einem französischen Ballettmeister einen figurierten Tanz, an dem sollen wir
fortexerzieren bis zum Neujahrstag, da sollen alle Nationen kommen, dem Fürst
Ysenburg gratulieren, die Franzosen haben dazu Madrigale gemacht avec la pointe
cachée, sagt Chateaubour, der Hauptdichter. Ich stelle eine Spanierin vor, blau und
silbern, und ebenso mein
Bettine
Deine Briefe erquicken meine Seele und nähren sie, der Winter ist hier so traurig,
und Savigny tief in den Studien, überwintert die Saat seiner großen Zukunft unter
einer Schneedecke von Verschlossenheit, die mich verzweiflen macht. Was ich mir auch
die liebende Mühe gebe ihm mitzuteilen, er ist stumm dazu, oft denk ich mit
Behutsamkeit etwas aus ihm herauszulocken, allein die Erfahrung ist nun in sich
vollendet, daß ich nie
Ich hab dem Buchhändler Guilhomman den Auftrag gegeben, Dir den Homer zu schicken. Hast Du ihn bekommen? Weiter sollst Du nächstens die Reise des jungen Anarchasis lesen und recht aufmerksam, das wird Dich unterrichten und ergötzen. Doch mußt Du Dir keinen Zwang bei solcher Lektüre antun, Du mußt sie würdigen, indem Du sie liebst. – Die ästhetischen Briefe von Schiller – hast Du sie gelesen? –, so bedaure ich Dich für die Pein; sie sind für eine kindliche Seele etwas hölzern. Hiervon schweige gegen die Großmutter, sie tut Wunder der Güte in ihrer Art – und Du sollst sie ehren. Schreibe, wenn es möglich ist, Deine Empfindungen während oder nach der Lektüre nieder und schicke mir so etwas, überhaupt sprich in Deinen Briefen oft mehr über den ganzen Kreis Deiner Empfindungen, wie sie nämlich in die Welt hinausstrahlen, als über ihre Konzentration.
Was Du tust, erhalte Deine Seele in reiner jugendlicher Liebe zum Großen und Schönen. Auch die Sinne wollen die Befriedigung in der Schönheit, sie suchen es in sich und in dem, was Einfluß auf sie übt. Du fühlst Dein Ohr beleidigt durch eine klanglose rauhe Stimme, die keinen Geist widerhallt, so Dein Auge lenkt ab von dem, was seinem Schönheitsreiz widerspricht. Oder es forscht nach der tieferen Schönheit des Geistesadels und der Güte, wenn es mit häßlichen Zügen sich bekannt macht. So ist das unschuldige Auge der strengste, aber auch der edelste Richter, ja der König unter den Sinnen, denn es begnadigt den, der unverschuldet gegen die Schönheit sündigt, es erhebt und rächt ihn an den stumpfen Sinnen, die das Tiefe nicht von der Oberfläche unterscheiden. Seelenreinheit im Verkehr mit andern, ohne Vorbedacht, ohne Berechnung, die allein ist der helle Kristall, durch den das Leben in seiner Ursprünglichkeit begriffen wird, und die aus sich selbst die ewigen Motive immer wieder erzeugt, welche eine verwirrte Welt umwälzen und ihre primitive Kraft ihr wieder verleihen. Verstehst Du mich? – Nur solchen Naturen schließen sich alle Lebenstiefen auf, nur sie werden gesund zwischen Lastern, ansteckenden Krankheiten der verwirrten Zeit hindurchgehen, nur sie werden Heilung ausströmen, nur sie werden taube Ohren hörend und blinde Augen sehend machen. Sei unbekümmert um die Zukunft, es gibt keine; wenn Du in jeder Minute rein und voll und ohne Langeweile lebst, so gibt es nur eine gegenwärtige Ewigkeit.
Das Mißverständnis der Welt ist der wahre Verleumder, sein Lügennetz verwickelt alle Hin- und Widerreden, alle sich aus gegenseitiger Opposition bildenden Meinungen, und wer sich oder seinen Grundsätzen unrecht getan fühlt, tut wieder dem unrecht, den er selbst durch Irritation so weit gebracht hat, daß ihm die Ahnung in der Seele gelöscht ist vom Großen und Schönen, und betäubt nicht mehr das Rechte erkennt. –
Aus Empörung gegen diese Mißverständnisse gegenseitiger Opposition ist die Revolution
entsprungen, und aus Eigensucht derer, die für die höchste Liberalität zu streiten
behaupten, wird sie mit ihren schrecklichen Nachwehen,
Verzeih mir, wenn ich Dinge Dir mitzuteilen versuche, die viel reiner in Deiner Seele wohnen, die ich eigentlich in Dir selber wahrnehme, um sie Dir auszusprechen. Die Hoffnung auf eine köstliche Ernte macht mich so ungeduldig, ich sehe alles hervorsprießen und zur Blüte sich drängen in Dir, und kann es kaum erwarten, daß es der Wahrheit und Schönheit zugunsten reife.
Noch einmal führ ich Dich auf Deine Studien zurück. Ach, wenn Du erst den Shakespeare englisch lesen kannst, das ist ein halbes Leben wert. Auch zeichne fort, recht fleißig und mit der Begierde, es zum Selbsterfinden zu bringen. – Die Zeit, die Du nicht arbeitest, liebe Bettine, mußt Du ja doch verlieren. Keine Minute lohnt Dir in Deiner Umgebung. Ja wohntest Du in der freien Natur und könntest in Feld und Tal und Wald und Berg herumlaufen, oder könntest Du mit Menschen sein wie mit Sternen, die ihren Einfluß auf große Charaktere ausübten und sie zu erhabnen Handlungen reizten. Aber leider haben die Sterne ihren Einfluß verloren, ich würde Dir dann nicht sagen: »Arbeite!« denn dann würde die Ursprünglichkeit aller höheren Anlagen in Dir wie das Wort im Geist Fleisch geworden sein. Aber so kann es nicht sein noch werden, weil der Genius nicht mehr als erste Kraft in uns wirkt und wir uns an die Spekulation verkaufen. Du mußt daher in Deinem Innern Dir einen Schatz sammeln, worin Du Deiner Welt reines Sonnengold einschmelzest, auf daß die lebendige Sonne in Dir selber aufgehe.
Ich wollte, mir wäre so in meiner Jugend geworden! – Doch keine Klagen! – Nein, so ist mir's nicht geworden! – Gott hat mich vieles nur im Bedürfnis kennen gelehrt, damit ich es von Dir fordern könne; und gern vertrauend, daß Du mir sicher folgst und unbefangen trauest, will ich Dir folgende Zeilen aus einem größeren Gedicht nicht vorenthalten, die ich in einer Stunde geschrieben habe, wo ich recht fest an Dich glaubte und das Leben um Deinetwillen liebte.
Ach, liebes Kind, wie einzig möcht ich Deine Begriffe und Ahnungen so stark machen, daß sie wirklich endlich zum Kern würden, zum reinen Gesetz, an dem alle Verkehrtheit zu scheitern komme. Ach lerne, arbeite, Dich zu bereichern, was es auch sei, nichts ist unbedeutend, alles nährt und weckt und erleuchtet. Aus allem kannst Du weben und flechten einen schattigen Hut, wo die Sonne im Zenit steht, eine Freiheitsmütze, die Deine höheren Anlagen schützt. Ach die Welt ist groß. Es gibt mildere Sonnenhimmel! – Spanien, wo die Orangen Dir in den Schoß rollen, ich muß Dich hinführen, wo die ganze Natur Dir bestätigt, was Du ahnest, was Du suchst und glaubst, drum lasse Deinen Geist kühn jede Stufe erklimmen, fürchte nicht, daß er ermüde, nein, er kann durch sich selbst nur erstarken, wer von den Banden der Sklaverei sich will befreien, der muß den Geist im Innern befreien. Verberge, was ich Dir hier sage. Es gibt Gedanken, die dem Gott im Menschen allein geweiht sind, und der Geist wird nicht Schöpfer werden, der nicht diese als Geheimnis bewahren kann. Der Geist ist Zauberer, dies ist die Schöpfung, die in sich selbst geheim und heilig ist, eine ewige Tiefe der Freude und des unergründlichen Glückes, fern und unantastbar für die lärmende vernichtende Oberfläche des Lebens.
Wieder ein Posttag und nichts von Dir! – Wie ist das? – Hindert man Dich? – Der Buchhändler schreibt mir, er habe Dir den Homer geschickt, hast Du ihn? – Schreibe und liebe Deinen
Clemens
Warum hast Du nicht von Deinen Kinderjahren die Erinnerungen aufgeschrieben? Du hattest mir's versprochen, Du hattest mir's gelobt. Werd ich nicht auf Dich zählen dürfen?
Clemens
Clemente, Du warst bei der de Gachet und nicht zu Hause im Stübchen, und jetzt klagst Du über Deine Einsamkeit, wo Du kaum den Fuß auf die Schwelle gesetzt hast. Und fragst ängstlich, warum ich nicht schreibe. Ei, weil Du nicht da warst. Weil bis zum 19. November keiner wußte, wo Du gewesen bist. Du schreibst mir endlich den schönen langen Brief, den ich nun schon acht Tage mit mir herumtrage, jetzt wirst Du denken, warum ich immer noch nicht antworte! was da dran schuld sein mag? – gar nichts ist schuld, als daß Dein Brief mich ganz betäubt hat, und ich hab ihn sehr vielmal gelesen und kann ihn nicht behalten, der Inhalt ist mir immer noch fremd. Ja, Du warst bei der de Gachet, dort hast Du an der galvanischen Batterie Dich elektrisch geladen, und nun fährst Du mit feurigen Zungen auf mich los. Soll ich denn wirklich schreiben heute? – Oder soll ich wieder den Posttag versäumen? Denk, es liegt meinem Geist, dem Du die Schöpfung einer neuen Welt zumutest, wie Blei in den Gliedern. Ich mocht lieber nicht schöpfen. Die ästhetischen Briefe von Schiller? – Freilich hab ich die nicht gelesen, denn ich kann nicht auf Komma und Punkt Achtung geben. Der Großmama hab ich wohl draus vorgelesen, aber in Gedanken war ich wo anders, aber wo, weiß ich nicht; aber von der Lektüre hab ich nicht profitiert, denn ich weiß nichts davon. Ist es Krankheit, daß ich so zerstreut bin? Es ist wohl Schwäche in dem geistreichen Kopf, lieber Clemens, dem Du so hohe Würden und Kräfte zuschreibst in Deinem Gedicht. Du schreibst aber von mir nicht, nein, gewiß nicht, ich bin kein solcher Einsamkeitskobold, kein solch Wolkengespenst, noch Schattenriß der Erhabenheiten.
Jetzt wirst Du böse, ich merk's. – Macht es Dich böse, Clemens, daß ich so Dir
antworte auf Deinen treusten ernstesten Willen für mich? Von Spanien! – Ach, erst hat
mir die de Gachet davon gesprochen, wie wir allein waren an jenem Sonntag, da hab ich
ihr recht glücklich widersprochen, worüber sie sehr erstaunt war; und hab gesagt, was
denken Sie, daß ich hier sollte den Garten verlassen, der mir so lieb ist, und mein
Bruder Franz,
Ach, was kann ich Großes tun? Auf die Pappel klettern beim Gewitter, daß es auf mich losdonnert und blitzt? – Oder im Winter auf den Schneeflächen mich tummeln; dem Treibeis nachhelfen im Main? –
Clemente, schreib mir solche Briefe nicht von unmöglichen Anlagen in meinem Geist.
Ich mein dann, ob ein Kobold Dich neckt, der Dir das alles weismacht. – O schreib
keine Gedichte, worin Du meinen Namen nennst, es ist, als ob Du in die einsame Wüste
hineinrufst, ich lausche selber, ob
Heut hab ich mir vorgenommen, meine Lebensgeschichte zu schreiben. Gleich hier auf dem Blatt will ich anfangen.
Es war einmal ein Kind, das hatte viele Geschwister. – Eine Lulu und eine Meline, die waren jünger, die andern waren alle viel älter. Das Kind hat alle Geschwister zusammengezählt, da waren's dreizehn, und der Peter vierzehn und die Therese und die Marie fünfzehn, sechzehn und dann noch mehr, die hat es aber nicht gekannt, denn sie waren schon tot; es waren gewiß zwanzig Geschwister, vielleicht waren es gar noch mehr. Der Bruder Peter ist gestorben, wie das Kind drei Jahr alt war, von dem weiß es aber noch sehr viel. Er hatte schwarze Augen, die ein blendend Feuer von sich strahlten, in die hat das Kind oft sich ganz verloren vor tiefem Hineinschauen.
Der Bruder Peter trug das Kind oft auf einen kleinen Turm auf dem Haus, da fütterte der Peter allerlei Gefieder, Tauben und eine Glucke mit jungen Hühnern, da saß das Kind mit ihm, da dichtete er ihm Märchen vor. Das waren Stunden, die glitzern wunderschön aus der frühsten Kindheit herüber. Was fing denn der Peter noch für närrische Dinge mit dem Kind an? – Er war mißwachsen und daher sehr klein, er nahm es am Weihnachtstag mit in die Kirche, das sollte keiner sehen, er nahm einen großen Bärenmuff und hielt ihn vor sich und das Kind, daß man nicht Kopf, nicht Hand sah, nur die vier Beine trappelten immer vorwärts, die Leute wunderten sich über das kuriose Rauchwerk, das allein über die Straße lief.
Einmal hatte der liebe Bruder heimlich im Garten etwas gebaut, dann führt er das Kind
hinein. Da ist ein kleiner Hügel aufgeworfen, da hebt er einen Stein auf, da springt
auf einmal ein Wasserstrahl empor, ein kleines Weilchen, dann hört's wieder auf. Das
hast du alles deinem Schwesterchen zu Gefallen getan, o Bruder Peter! Es liebte dich
aber auch sehr. Morgens, wenn es aufwachte, standest du vor seinem Bettchen, und es
lachte mit dir, noch ehe es die Augen öffnete. Es lernte an deiner Hand die Stiegen
erklettern, immer führte es sich an dir. – Da war's einmal schon spät, eben wollte
die Sonne untergehen, er stand an der Wendeltreppe mit dem Kind; die letzten
Sonnenstrahlen leuchteten ihm ins Gesicht, er ward so totenblaß,
Der Vater hatte das Kind sehr lieb, vielleicht lieber als die andern Geschwister, seinem Schmeicheln konnte er nicht widerstehen. Wollte die Mutter etwas vom Vater verlangen, da schickte sie das Kind, und es solle bitten, daß der Vater Ja sage, dann hat er nie es abgeschlagen. Nachmittags, wenn der Vater schlief, wo keiner Lärm wagte oder Störung zu machen, das Kind aber lief ins Zimmer, warf sich auf den schlummernden Vater und wälzte sich übermütig hin und her, wickelte sich zu ihm in den weiten Schlafrock und schlief ermüdet auf seiner Brust ein. Er lehnte es sanft beiseite und überließ ihm den Platz; er ward nicht müde der Geduld. Viel Lieblichkeiten erwies er ihm, beim Spazierenfahren ließ er halten auf der Blumenwiese, bis der Strauß groß genug war, das Kind wollte gern alle Blumen brechen, das nahm kein Ende, die Nacht brach ein, und den Strauß, viel zu groß für seine Händchen, bewahrte ihm der Vater.
Was ging denn noch Schönes vor und webte allerlei Lustiges ihm in den Lebensteppich. Das belebte Leben auf der Straße! Gegenüber im Haus die offne Halle, in der vom Mai bis in den Herbst die Nachbarn kampierten den ganzen Tag, da spielten die Kinder mit dem Mops, und der Papagei auf der Stange plauderte Spitzbub, das wollten wir gern den ganzen Tag hören. Wie glücklich war das Kind mit dem Schlüsselblumenstrauß, den die Milchfrau mitbrachte morgens früh. Ach das Land! – Die Wege hinaus ins Freie! – Die Kinder schiebelten sich lustig den Wall hinunter ins tiefe Gras. Und das Klapperfeld, wo das Gespenst rumorte im bösen Haus, und der Herr Bürgermeister hatte Wache hinpostiert, zehn Mann von innen, und von außen auch zehn an die Türe gelehnt, hat das Gespenst in der Nacht umgeworfen, in der Nacht mit dem Glockenschlag zwölf. Der Doktor Faust habe da gewohnt ganz im Verborgnen und sei erst jetzt gestorben, seitdem rumort es. Da erzählten sich die Leute abends spät noch Wunder vom Doktor Faust, wie er die Bäume konnte blühen machen mit ten im Winter und so schnell, daß man zusehen konnte, wie die Blüte herauskam. Das Kind schlief nicht, es erlauschte alles in seinem Bettchen und freute sich der Unmöglichkeiten.
Einmal starb eine vornehme fremde Frau, die in der Stadt krank gelegen hatte an
unheilbarem Übel. Sie hatte das Kind oft kommen lassen an ihr Bett und ihm viele
Spielsachen gegeben. Ein langgedehnter Grabgesang hallte durch die Straßen, schwarze
Männer trugen den Sarg. Da wird die vornehme Frau begraben, hieß es, und man erzählte
viel von ihrem
Ach, lieber Clemens, heute kann ich nicht mehr von der Kindheitsgeschichte schreiben. Und es ist ja auch gar nichts, was ich da aufgeschrieben hab, und doch bin ich erschüttert und muß um die Toten weinen. Mein Licht geht gleich aus, es ist so kalt im Zimmer, jetzt spür ich erst, daß ich mit bloßen Füßen die ganze Zeit am Schreibtisch sitze. Wenn ich wieder schreibe, will ich fortfahren vom Kloster zu erzählen, wo wir bald nach dem Tod der Mutter hingebracht wurden. Adieu Clemens, wenn wir nach Frankfurt kommen, geh ich gleich in die Karmeliterkirche und sehe, wie es da ist, ich hab Eltern und Geschwister so lange nicht besucht, wenn sie's fühlten, wenn sie sich wunderten, daß ihr Kind sie versäumt.
Deine Bettine
Ich habe Deinen Brief mit vieler Rührung gelesen, sei versichert, daß ich bald
umständlich schreibe, heute ist keine Zeit, ich füge Dir einen Brief bei, den ich von
Franz erhielt. Glaube, daß ich mich in gewisser Hinsicht unendlich über seine Treue
gefreut habe. Was er von Dir schreibt, ist ganz meine Meinung, nur daß alles, was wir
beide allein unter uns und voneinander wissen, dadurch so überwiegend bleibe, als es
wahr ist. Was Franz schreibt, ist so ehrlich gemeint und so wahr, als Du wohl weißt,
daß es sich von selbst versteht, den Brief erhältst Du als Beweis meines unbegrenzten
Zutrauens,
Was Franz von unbekannten Ländern schreibt, heißt nichts, als daß er selbst keine Lust zu reisen hat, fühlte er sich in Dich hinein, seine Güte und Liebe, die immer nur für andre sorgt, würde gewiß sich selber Aufopferungen zumuten, um Dich zu befriedigen, und fühl ich Dich recht heraus, so glühst Du eigentlich vor Sehnsucht, mit der de Gachet in das fremde Land zu ziehen, und das verdient dies göttliche Weib. – Ja, ich war bei ihr, wenig Tage war ich mit ihr zusammen bei meinem Freund Ritter, der doch gar zu gut ist, mir himmlische Briefe schreibt über Dich, die er liebt durch mich. Ich kann Dir nicht aussprechen, wie notwendig mir es ist, manchmal über Dich zu sprechen, ich tu es aber mit solchen Menschen nur, die viel größer sind und besser als ich. Und Ritter, der liebenswürdigste, der, wie Moses mit seinem Stab an den harten Fels der Wissenschaft schlägt, aus dem die reine kristallhelle Quelle der Weisheit hervorsprudelt, und wer es wagt, seinen Becher dran zu füllen, der wird von der Größe dieses unsterblichen Menschen durchdrungen. Mit Schlegel war ich auch, aber mit ihm hab ich nie von Dir gesprochen; er ist groß und sehr bedeutend in der Literatur, und Du mußt ihn auch einmal sehen, aber ihm kann man nicht sagen, was das Innere beschäftigt, mit ihm kann man nur Witz und Übermut treiben, und doch kommt man dabei meist zu kurz, weil er Scharfsinn der Kritik und Satire nie versteht, sobald es auf ihn geht. –
Ach, was brauchst Du zu lernen, wenn Du so lieb bist beim Nichtlernen. Mag es gehen, wie es will, das Bessre und Höhere wird doch Dich all durchströmen und wird sich läutern in Deinem unberührten Wahrheitssinn. So bin ich auch unendlich erquickt von der Beschreibung Deiner Kinderjahre, liebes Kind, wollt ich auch Dir beteuern, sie seien unendlich schön und der tiefste Dichtersinn blicke da heraus, Du würdest es nicht glauben. Du glaubst in solchen Dingen mir nie. Aber wenn Du nur Dir die einzige Frage tun wolltest, warum Du grade so schreibst und nicht mit andern Wendungen und Reflexionen; so wirst Du Dir anworten müssen, daß es so in Deiner Seele geschrieben steht, und weil Du dem nicht untreu sein magst, nicht ihm untreu sein kannst, so sprichst und denkst Du so, wie Du denkst. – Also leugnest Du schon nicht, daß Dein Denken und Sprechen der reinste Abdruck Deiner Seele ist, wenn aber ein Maler ein Bild machte, in dem er den reinsten Abdruck der Natur wiedergäbe, würde das nicht ein unvergleichliches Bild sein? – Eine Mutter verloren im Anschauen des Kindes und die von allem, was sonst noch um sie hervorgeht, nichts weiß, würde das nicht ein ewiges Bild sein? – Ein Mädchen wie Du so alt, in der Dämmerung sitzend unter einem Blütenbaum, und ein Knabe wie ich, so wie wir beide beieinander saßen am Weg, das grüne Feld hinter uns und der ferne Fluß und die Schafherde, die an uns vorüberzog, die eine Staubwolke machte, was die Abendröte ein wenig verdeckte, weißt Du's noch?
Dein Clemens
Lieber Clemens! Am Neujahrstag haben wir unser Ballett aufgeführt, es ist holter die
polter durcheinander gangen, es ist alles verkehrt gangen. Mein Neunzehner war ein
Ritter, dem nichts haften wollte, wir mußten mehrere Proben halten im Kostüme, bald
fiel ihm der Panzer, bald die Schienen ab; und endlich am Tag der Aufführung war eine
große Not, alles rennte durcheinander, einer rief nach Schminke, der andre nach
Strumpfbändern, der dritte hatte den Zwickelbart verloren, wir Mädchen zogen uns aus
dem Gedräng zurück auf die Tische und Kanapees – und da warteten wir ruhig, bis die
Flut sich gelegt hatte und die Ebbe eintrat, wo wir alle an Blumengirlanden geschnürt
von unserm Ballettmeister hinübergeleitet wurden, dem der Schweiß von der Stirne
rann, bis er uns in Ordnung hatte. Der Vorhang wurde hinweggezogen, und wir tanzten
vor alten Hofmasken und Perücken einen trefflichen mimischen Tanz, der allerlei
bedeuten sollte, es ging passabel, bis wo wir einen Ringeltanz um das Ysenburgische
Wappen tanzten, an das wir unsre Kränze aufhängen sollten; mein Neunzehner fiel und
riß mit seinem Kranz das Wappen herunter, das fiel auf ihn, und alle Kränze flogen im
Saal herum. Ich richtete geschwind das Wappen wieder auf, damit es nicht sollte für
ein bös Omen ausgelegt werden. Dann tanzten wir nach den Kränzen, als hätt es nur so
sein müssen, und teilten diese den Herrschaften aus; dies Impromptu ging besser als
das eingeübte. Die Damen traten vor den Spiegel und probierten sie auf, und mancher
stand der Kranz recht schön. – Unterdessen verwandelten wir uns in Bauern, das ging
auch sehr geschwind, wir Mädchen schürzten die Röcke hoch, zogen die Hemdärmel hervor
und einen Brustlatz vor, ebenso schnell hatten die Ritter sich verwandelt, die als
Bauern schon im Pappendeckelpanzer staken. Blumen, Bänder, Früchte, Obst in Körbchen
standen schon bereit. Eh man drei zählen konnte, waren wir in Ordnung aufmarschiert,
ein Erntezug, vorauf die
Gestern, lieber Clemens, hab ich bis hierher geschrieben, vielleicht langweilt
Dich's, es ist aber gleich aus, die bekränzten Herrschaften setzten sich zur Tafel,
sogar die alte Prinzeß Rothenburg hatte einen Kranz von Wacholder mit Perlen
durchflochten auf ihre altmodische Blondencoiffüre gesetzt, die dadurch sehr
verschönert ward. Tannen, Myrte, Orangen, Oleander und Lorbeer kränzten manchen alten
Kopf, dessen große Hakennase unter dem Kranzschatten sich sehr vorteilhaft ausnahm.
Die Musik dauerte während dem Essen fort, das Ballett aufführende Personal tanzte
dazu auf eigne Faust allerlei groteske Sprünge. Alle Augenblicke wurde Tusch
geblasen; wozu wir im Hintergrund das Vivat verstärkten. Um Mitternacht war
gegenseitiges Umarmen, dazu tanzten wir die Ronde, alle an einem blauseidenen
Liebster Clemens, noch Lebensgeschichte kann ich gar heut nicht mehr schreiben. Du
lobst mir alles, aber um so mehr drückt das mich nieder, diesem Lob zu entsprechen,
Du willst mir Lust machen, den gewöhnlichen Acker meines Lebens umzupflügen, jede
harte Scholle zu zereggen; nein Clemens, wenn Du die weißen Wände meines
Studierkabinetts, das heißt meines Kopfes ansähest und nichts drin fändest als
Spinnweb, wie wolltest Du Zins von dieser Armut fordern! – Ich kann doch nicht auf
jede Seite schreiben, daß die Leute mir ganz närrisch vorkommen, und sonst begegnet
mir nichts jeden Tag, und ist mir von Jugend auf nichts begegnet als der große
Gedanke wiederhallend von Stufe zu Stufe meines Ingeniums: Alles, was begonnen wird
in der Welt, sei närrisch. Dabei komme ich mir eben auch nicht anders vor, eben weil
kein Bestand in mir ist, weil ich von so manchem ein profundes Gefühl habe und
dennoch ein Spielball der Zerstreuung bin, die ganz gehaltlos ist, das fühl ich, das
quält mich, davon möcht ich gesunden und weiß nicht wie. Wenn Du aber nun wieder
kommst und sagst, es stecke alles in mir und ich könne Wunder verrichten, und ich
fühle mich aber behaftet mit allen Verrichtungsfehlern, und nur daß sie keinen
Schaden machen, weil nichts an mir verloren ist. Du wirst Dich kreuzigen! – Ich kann
aber nicht anders, als daß ich bekenne, worüber ich lange mit Zweiflen gerungen habe,
daß nämlich – alles nichts aus mir werden bloß Sünde Deiner närrischen Einbildung
ist, daß etwas Großes in mir stecke. – Eine Zeitlang hab ich Dir geglaubt, wenn Du
mir als manchmal mit so vieler Liebe davon sprachst, ich solle meine bessre Natur,
meine Vorzüge vor den Augen der Welt verbergen, ich war des besten Willens; aber, da
ich nun diese Vorzüge wirklich gut zu verpacken gedachte, siehe da fand ich gar
nicht, was ich allenfalls zu verschweigen oder zu verbergen habe. In Talenten komm
ich nicht vorwärts, ich kann unmöglich meine elenden Versuche in der Kunst
hochschätzen, eine Flora hab ich in Rötel gezeichnet, ich hab sie auch gleich darauf
in Papierstreifen zerschnitten, um
Wo aber die Sündenregister wie eine elende Hühnerleiter an die Himmelspforte
angelehnt sind, da mag ich keinen Versuch machen, mich zu bilden, mich zu bessern,
soll ich da von Stufe zu Stufe hüpfen wie ein Hühnchen, damit es auf die Stange zu
sitzen komme neben den Hahn? – Nein! Auf mein Seel in einem Flug. Über die
Sündenregister hinaus wie die Verheißungen der Himmlischen. Sind die Seligen selig
geworden, so lasse sie mit ihresgleichen, schmeichle nicht wie ein Schmarotzer um sie
herum, daß Du auch gern wöllest vom Himmelsbrot essen. Ich aber sag mir, kannst Du
nicht lernen entbehren? Grad das, wonach alle verlangen? – Kannst Du nicht lieber
wollen, daß die andern selig werden, die so sehnlich darum bitten und seufzen, da Du
doch gar nicht danach seufzen kannst? – Dies Seufzen, Flehen und Ringen nach
Seligwerden macht mich mitleidsvoll, hätt ich, was sie fordern, ich gäb's ohne
Bedingung! Aber wer kann's haben? – Wer kann den Anstrich des Himmels dem Unsinn
geben, in den hinein allen so sehr verlangt. – Wer kann das machen, daß Unsinn
immerdar ein Quell erneuerter Freuden sei? – Gott nicht, denn sonst würde er gewiß
nicht anstehen, den Seligkeitverlangenden die Himmelstore weit aufzusperren und wie
die alten Nönnchen in Fritzlar uns immer die himmlischen Freuden gleich einem
Tanzboden beschrieben, nur viel schöner als sie es beschreiben könnten, so würde er
die Musikanten drauf losschmettern lassen und erquickende Himmelsspeise in Fülle
lassen herabregnen. Ach, er könnte froh sein, wenn noch Menschen wären, die solchen
Genüssen möchten sich hingeben. – Eine unschuldvolle Energie der Unersättlichkeit,
ist die möglich? – Ich war immer schon satt von der Beschreibung des Himmels. Ein
unaufhörlich Preisen und Lobsingen – damit fing's an. Ich sang auch gern, aber nicht
Kirchenlieder; ich sang, um mein jubelnd Herz auszuströmen, das zum Tanz geneigt war,
von einem innern Lebenstakt frisch bewegt, meine Entschlüsse waren rasch und sind es
noch, daß heißt, ich entschließe mich. – Zu was? – Ei davon ist gar nicht die Rede!
Der Entschluß! Ein freudiges Durchrauschen aller Lebensadern! – Ein freies Auftreten
auf den gottgeschaffnen Boden der Erde, überallhin blitzen meine klugen Augen und
jagen die Nachtvögel
Ich fürchte mich vor Dir das auszusprechen, doch ist's die Mitte meines Denkens. Die unverständlichen Aufsätze von mir, die Du mit soviel Neugierde studiertest, sie sind Funken und glühende Asche von diesem Herd, dessen Flamme manchmal hell aufleuchtet; ein ewiges Menschwerden des Geistes durchbricht alles sinnliche Bedürfnis und wirft es nieder und steht aufrecht über ihm, und ja, das ist's, was ich Entschluß nenne, zu sein und zu werden, ob ich's verstehe oder nicht. Rechenschaft geben? – Warum? Die Geistesauferstehung selbst ist Rechenschaft allem Unsinn, der aber sie verwirft. Laß den Geist werden und seine großen Zauberkräfte werden über dieses Fordern nach Rechenschaft über Höllenbrodem und Fegefeuer sanft hinüberwallen, und Satzung und Glaubensartikel, sie reichen nicht an seine Region, und wenn sie auch noch so große Staubwolken aufregen unter den Menschen.
Ich wollte Dir ja vom Kloster schreiben, ich wollte Dich überraschen mit der Erzählung dieser einförmigen Tage, wo viel träumerische Knöspchen auf feinen Stielchen rankten! – Aber da lass' ich mich überraschen vom Schauder über das Gewöhnliche, was die ganze Welt zum Narrenhaus umwandelt. O, Ihr Bienen alle, die Ihr mich umsummt habt im Klostergarten. Ihr Nelken- und Lavendelbeete, die Ihr mich gedeckt habt mit Euern Düften.
Das heißt, das Unterhandlen mit dem Himmel bin ich ganz müde. Das heißt wieder: alles ist zwar in Richtigkeit und an der Tafel angekreidet. Ach käm nur einer und löschte mit dem Schwamm das ganze Fazit aus, dann wär noch Hoffnung, daß die Natur im Menschen wieder aufwachte.
Deine Schwester Bettine
Ich fühle mich in eine ganz wunderliche Lage hineingeschoben durch Deine
ausgreifenden und wieder tief im Lebensschacht herumwühlenden Mitteilungen. Oft ist
mir, als stehe ich auf einem vulkanischen Boden, wo die verwitterte Lava von der
schaffenden Natur üppig begrünt hervorbricht in Flammen und verzehrt es wieder. Und
hier und da liegen Brandstätten unter dem ewig blauen Himmel. Was nützt mein guter
Wille, meine Stimme, mein Wort. Wie könnte das diesen Boden erschüttern, in dem ein
innerliches Wirken verborgne Wege schleicht und dann jeder Gewalt unerreichbar
plötzlich das begonnene Gepflegte zerstörend aufflammt. – Weißt Du, was Du sprichst?
– Nein! Denn ich kann Dir den Mut nicht zutrauen, Dich Nationen und Jahrtausenden
gegenüberzustellen und denen Hohn zu sprechen. Das tust Du aber, blind wie Du bist,
springst Du über Abgründe, und immer glücklich fühlst Du den Boden unter Deinen
Füßen. Man sagt, der Blitz erschlage keinen Schlafenden, drum soll man während dem
Gewitter keinen Schlafenden stören. Ich frage mich, ob Du schläfst, ob Du träumst,
und dann mein ich, das Gewitter bist Du selber; es rollen Ideen donnernd in Deinem
Geist, die aneinander zerschmettern; und vor meinen Augen sinkt in die tiefste
Spalte, die plötzlich gähnt, was eben noch meine Hoffnung war, was ich mit demselben
süßen Willen hütete, wie Du Deine Blumen und Kräuter. Deine unverständlichen
Aufsätze, wie Du sagst, seien die glühende sinkende Asche und ausfahrenden Funken von
dem Herd, auf dem der erwachende Geist sich seiner Unverständlichkeit entbindet.
Einmal will ich mich vor Dir aussprechen darüber, sollte ich mich irren, so sage mir
es. Ich war bis jetzt noch immer so sehr der einzige Gesichtspunkt, nach dem Du mit
inniger Begierde hinsahst, in dem das meiste um Dich her nicht das war, was den Geist
auf eine würdige Art fesseln kann. Deine Aufsätze, teilweise auch Deine Briefe,
stellen daher oft mehr Selbstgespräche vor, oder eine Art Gebete, in denen der
Gedanke sich selbst lieben und würdigen lehrt und in einer sehnsuchtsvollen Andacht
verweilt. Diese Andacht ist von allen Gesichtspunkten heilig und unverletzlich, da
sie allein das Erwachen eines trefflichen Menschen verkündigen kann; sie liegt über
der
Ich wollte Dir noch mehr schreiben, aber eben er halte ich einen Brief von Leonhardi, er habe Dich zweimal gesehen, und wenn die Zeit schöner werde, wolle er öfter nach Offenbach kommen; ich finde das nicht weiter sehr wünschenswert, weil unbedeutende Menschen oft einen Einfluß haben, eben weil sie das Bedeutende aufheben, ich habe jedoch nichts weiter zu erinnern als dem Leonhardi doch nur höchstens scherzend zu begegnen, auf andern Wegen würdest Du ins Philistertum geraten, denn er ist ein hypochondrischer Mensch, der sich leicht einbilden kann, er sei dies oder jenes und müsse Dich wärmen oder schützen oder Dir Weltansichten eröffnen, ein solches Pfuscherwesen lasse Dir nicht in den Weg treten. Er hat Bücher und kann Dir die geben, die ich will. Sei stolz und lasse Deine Einsamkeit Dich nicht verführen, Deine Zeit an Menschen zu verlieren, von denen Du nichts gewinnst.
Dein Clemens
Du sollst einem meiner Freunde, der dich bittet, den ich und viele für den einfachsten, genialischsten Menschen seiner Zeit halten, ein kleines Geschenk machen, sticke, nähe irgend etwas; es ist Ritter, der Naturphilosoph, der Freund der Gachet, denke was Hübsches aus, sage niemand, für wen.
Du schreibst mir nicht, dies martervolle Schweigen ertrage ich nun sechs Wochen. Dein
letzter Brief erregte mir Zweifel, die mich ungeduldig auf den folgenden machten, ich
schrieb Dir in einer ganz entgegengesetzten Empfindung, wollte Dir sagen, daß die
Basis alles sittlichen Gefühls nicht Stimmung, sondern Wahrheit sei, daß die Wahrheit
wieder nur echte Religion
Ich habe Dir hier in der Berührung mit dem Freunde die Geschichte jeder Berührung mit
dem Lebendigen erzählt, deren Bedingung die Wahrheit ist, wenn sie nicht das
elendeste Verderben in uns hervorbringen soll, denn alle Trauer, alle Unzufriedenheit
ist eine Folge der Lüge; nicht grade der Lüge in uns, sondern der Lüge an sich. Eine
Ansicht, die wir von jeher, durch uns und andre, durch Unerfahrenheit, durch das, was
noch nicht ergründet ist, haben, ist Lüge an sich; – und fähig sein, heißt daher
nichts als Anlage zur Wahrheit haben; sich bilden, heißt diese Fähigkeit verstärken;
gebildet sein aber heißt, in uns die Möglichkeit zur Annahme aller Wahrheit
hervorgebracht zu haben. Dann tritt das Wissen ein oder die wirkliche Besitznehmung
von der Wahrheit; diese ist unendlich wie die Wahrheit. Es sind daher alle Menschen
fähig. – Viele bilden sich, wenige sind gebildet, und zählbar sind die, welche
wissen. Das eigentliche Verderben aber ist die Wiedervernichtung des Erbauten, des
Gewußten, dessen, was einmal in unserm Besitz ist, ist die Zerstörung unsrer
geistigen Gesundheit durch alle Art von Mißbrauch, und endlich die schändlichste
aller Arten der Schändung, die Lüge in uns, die wir um so leichter herrschen lassen,
als wir meistens in der Trägheit die Selbstbetrachtung verabsäumen und keinen Begriff
von der Wahrheit haben, in diesem Falle nun sind die meisten Menschen, auch viele,
die sich zu bilden scheinen, denen aber die Bildung nicht eine Verstärkung ihrer
Anlage zur Wahrheit, sondern ein Amüsement wird, ihre Unfähigkeit zur Wahrheit zu
entlangweilen, oder die Vorwürfe der Lüge in sich zu ersticken. Solche gebildete
Lügner sind die miserabelsten, denn ihre Lüge hat eine Art von Arm und Bein und
scheint lebendig, um sie noch dichter zu umschlingen, sie fürchten sich auch meistens
vor jedem Zuwachs ihrer Bildung wie vor einem neuen Schlangenkopf und wissen sie sehr
viel, so platzen sie vor Dünkel und Anerkanntheit, die letzte Gattung ist der Keim
aller Hoffart. – Wir können
Der Charakter kann allgemein merkwürdig sein, wenn man ihn als Kritiker betrachtet, dies ist die Betrachtung, deren jeder Charakter als Kunstwerk würdig ist; es sei nun, daß ich wirklich den Charakter einer gedichteten Person oder wirklich eines lebenden Menschen wie ein Produkt seines Lebens, als Kunstprodukt der dichtenden Natur anschaue. Sich zu dieser Ansicht erheben zu können, erfordert einen sehr hohen Standpunkt, denn man muß sich dann zur ganzen Poesie – Schöpfungskraft der Natur – wie der Kritiker zum Dichter verhalten; und hier wird mehr erfordert, als nach den geschriebenen Geetzen einer gewissen Kunstschule dem freien lebendigen Gedicht die Brust aufzuschneiden, um noch minutenlang zeigen zu können, wie ihm das Herz schlägt. –
Nun aber haben wir jetzt keine allgemeine Kunst und ist bloß eine Zeit des Krieges in der Bildung, drum gehn viele Künstler arm herum mit ihrem Reichtum, und mit Recht mögen jene keine Leute machen, die nur aus Bosheit, Unsitte und für kein Vaterland mitstreiten. Es ist eine wahre und sehr würdige Reflexion, daß die Welt keine moralische Anstalt ist, wo ein Geschöpf das andre aufmuntern soll, so daß gleichsam der Elefant dem Esel nichts als ein gut Beispiel sei, ein Elefant zu werden, und so fort; denn die Progression geht nicht auf Erden, im Leibe – sie geht im Geiste vor. Auch geht die Bildung nicht feldeinwärts oder der Quere, sie geht in die Höhe anbetend und in die Tiefe forschend. Jedes Geschöpf ist als Kompositum beschränkt und als vollkommen mehr oder weniger frei; in es selbst aber ist sein Geist gesetzt, der, insofern er nur empfindet, als er nur in sich selbst ist, sich selbst als den Mittelpunkt des Ganzen betrachtet. So ist der Dünkel jedes Standes zu entschuldigen; aber dem ganz freien, gebildeten Menschen ist die stille Betrachtung erlaubt, den bloß praktischen Menschen zu verachten; wenn er spricht: »Ich triumphiere« – denn triumphiert ein geboren Tauber, der geigen will, aus Mode, und die Geige in den Ofen steckt, mit den Worten: »Ist es nicht viel edler, Tabak zu spinnen und zu rappieren, da habe ich doch was für meine Nase, ich weiß nicht, was die Leute an dem Kolophonium riechen.«
Dein Clemens
Soeben schreibt mir die Toni, wie sie Dich besucht habe, sie habe Dich munter und fleißig beschäftigt gefunden, aber Du sehest übel aus; wie ist Dir, liebes Kind, hast Du Kummer, quält Dich etwas, Du weißt nicht, wie mir der Gedanke meine Ruhe nimmt, Du seist bang und ängstlich im Innern; ich bitte Dich um alle Liebe, um alles, alles, gieße mir Dein Herz aus.
Dein Clemens
Der verminderte Septakkord hat seinen Satz auf dem Leitton des Grundtons.
Kleine 3.
Falsche 5.
Verm. 7. Die erste Versetzung auf der Sekunde des Grundtons: Quintsextakkord,
Ich hätte dies sollen in mein Studienbuch schreiben, ich will Dir nur zeigen, daß ich studiere. Ich kann leichter eine Melodie erfinden als sie in ihre Ursprünglichkeit auflösen. Innerlich ist alles tiefer zu fassen in der Musik als sich ans Gesetz zu halten; dies Gesetz ist so eng, daß der musikalische Geist jeden Augenblick es überschwemmt.
Was mich selber bilden soll, das muß aus mir auch hervorgehen, drum möchte ich aller Teilnahme ausweichen und allein mit mir fertig werden. Es kommt mir wie Frevel vor, daß ich mich einer Leitung hingebe, die vielleicht das Ursprüngliche in mir verleitet. So war's mit der Gachet, und was Du über Freundschaft sagst in Deinem Brief, das macht mich flüchten vor ihr. Gäb es Höhlen und Verberge, in die man sich könnte zurückziehen vor gewissen Gefühlsanrechten, ich würde dahin flüchten. Ich schaudre vor solchen Allgewalten des Daseins, sie erregen die Eifersucht der Eigentümlichkeit; Freundschaft ist aber gewiß eine die höchsten Seelenkräfte verzehrende Schmarotzerpflanze. Ich soll doch mein eigen werden, dies ist doch der Wille meines Ichs, denn sonst wär ich umsonst; dies eine, was mich eigentümlich aus dem Gesamtsein heraus bildet, das ist der Adel des freien Willens in mir; anders kann ich's nicht ausdrücken. – Sich dem Begriff und Willen eines andern unterwerfen, der auch kein Selbstsein hat – denn sonst würde dieser Wille nicht die Geistesnatur des Freundes zu seinem Herd wählen, sondern in sich selber aufflammen, – das ist Verzichten auf diesen Adel des freien Willens. So steht das in mir fest, daß ich den nicht aufgebe. Die Freundschaft behauptet zwar, die edlere Natur im Freund hervorzurufen; wie aber kann dieser Adel des Willens sich bilden, wenn nicht in sich und durch sich selber? Raubt da die Freundschaft nicht die Kraft der höchsten Tätigkeit dem Freund, der dann nicht mehr den Willen in sich trägt des besonderen Seins? – Die Freundschaft hat ihn ausgelöscht. Held sein ist nicht befreundet sein, Selbstsein ist Held sein; das will ich sein. Wer selbst ist, der muß die Welt bewegen, das will ich. – Dies helle Selbstsein soll nicht verdunkelt werden durch den Schatten der Freundschaft; ich brauch das nicht, ich kann den Sonnenbrand vertragen, und Freundschaft ist Brudermord. –
Ich hab zu fechten mit meinen Gedanken, sie fahren gleich auf und wollen immer recht haben.
Am Generalbaß hab ich auch meinen Ärger. Ich möchte diese Gevatterschaft von Tonarten
in die Luft sprengen, die ihren Vorrang untereinander behaupten, und jeden, der den
Fluß der Harmonien beschifft, um den Zoll anhalten. Aber so wahr diese unumstößlichen
Ohrengesetze nur verschimmelte Vorurteile sind, die der Genius mit der Ferse von sich
stößt, so wahr werden diese Gefühlsanrechte, denen ich drohe, daß sie mir nicht auf
den Hals kommen sollen: als Freundschaft, Großmut, Milde, Mitleid (das ist das
allerekeligste), Gerechtigkeit, Nachsicht, Ehrgefühl und alle sittlichen und
Alle Tugend komme von Gott, steht im Katechismus. Schachert der Gott so mit dem Pfennig des Verdienstes? – Verdienst ist Schimäre, ist Lüge. Das fühlt der freie Geist, und bei ihm wird die reine Kraft nimmer zum Verdienst sich ausmünzen, die man abwägen könne; nein, sie ist das Selbstsein. Wer ist der verdienstlose freie Geist? – Der soll König sein! Von ihm fällt der Verdienst ab, er muß frei sein. Verdienst macht ihn unfrei, denn er muß sich ihm verpfänden. Dies ist aus meinem Tagebuch, worin ich meine Revolutionsgedanken aufschreibe: »Der ist nicht König, der aus Hilfsmitteln der Not das augenblickliche Mögliche benützt, um seine Verdienste daraus zu bilden. Nur der ist König, der ganz frei, ganz mächtig diesen Adel des Willens an seiner Zeit ausbildet. – Willkür kann nicht hervorgehen aus dem Adel des freien Willens, sie ist zusammengesetzt aus unfreier Bildung, die der Egoismus der Klugheit ausgedacht hat. – Und Freundschaft ist ein vorbereitender Egoismus jener Bildung, die den Platz des freien Willens sich angemaßt.« – Ich könnte Dir noch mehr aus diesem Buch absonderlicher und verwirrlicher Gedanken aufzeichnen, die wie mutwillige junge Herden untereinander sich stoßen, die aber ein gewaltiger Hebel sind dieser freien Natur in mir. Ich hab der Großmutter draus vorgelesen, und sie meint, ihr sei bange, ich könne vom Fels stürzen. »Auch im Geist kann man sich versteigen, mein Kind«, sagte sie und erzählte mir die Geschichte des Kaisers Max auf der Martinswand, sie sagte, die Engel sollen ihn da wieder heruntergetragen haben, aber nicht immer sind diese bereit, wenn man sich so mutwillig versteigt. – »Was brauch ich denn wieder herunter, liebe Großmama, wenn ich mich oben erhalten kann? – Könnte ich denn nicht auch ein Wolkenschwimmer werden?« – »Kind meiner Max«, sagte sie, »was hast du vor wunderliche Gedanken«. Auch darüber kann ich mich trösten, wenn meine Gedanken nicht mit der Klugheit der Menschen übereinstimmen; diese Klugheit verträgt sich nicht mit meiner hüpfenden und springenden Natur, die in allem sich selber verstehen will und wie ein Speer sich der Klugheit entgegenwirft. »Das weiß Gott«, sagte die Großmama. »Aber Kind, wie sieht es aus in dir?«
Wie es aussieht in mir, liebe Großmama? Nicht wie hier in Offenbach die Wiesen weit
hinaus sich ziehen und der Waldrand hinter dem beschifften Fluß bescheiden und
lieber, das rasche Bächlein mit seinen großen Eichen überwölbt, und die große
Bleiche, wo alles so früh schon tätig ist, und die engen Schleichwege zwischen
blühenden Hecken, die ums Dorf führen – und denn ganz in der Ferne die Gebirgslinie,
die an den Himmel ihre Weisheitsschrift ankreidet, an die der freie Wille ohne
Auslegung der Schriftgelehrten, ohne Glaubenszwang sich hingibt; dazu die blaue
Heerstraße der Wolkenzüge. Nein, dies Vaterlandsbild gleicht nicht meiner Seele, es
ist mir doch, ich komme anders woher! – Hoch und niedrig waldumwachsenes Felswerk, an
dem der Rasen schüchtern hinaufklettert, und
Dort wohnt der Knabe, von dem will ich erzählen, wie er in der Nacht sich eilig rüstet, soweit die Sterne leuchten, zu wandern, wo neue Berge heraufsteigen und Wälder, und Quellen eng zwischen Klippen herab in freie Länder wallen. Die Sonne steigt, er kommt herab zum Feigenbaum, im feuchten Sand zu ruhen, die Wolke kühl, vom Wind heraufgetragen, regnet auf ihn nieder, er schöpft den Trunk aus der Quelle, er ersteigt den Baum nach den Feigen, die sind noch herb, und er harrt unter dem belaubten Dach, daß die Sonne sie soll reifen.
Dies Lebensbild schrieb ich auf und sagte der Großmama, so sehe es aus in mir; die weite Welt wollte ich durchlaufen und bleib liegen unterm Feigenbaum und warte, daß die Feige mir in den Schoß falle, und vergesse aller Zukunftsgedanken. Der Großmama gefiel dies alles, sie sprach von poetischen Gesichten und Geistergegenden und die Seele könne oft in ganz andern Klimaten gedeihen als der Leib. – »Und,« sagte sie, »wenn man reiset, kommt man in Gegenden, in denen die Seele zu Haus ist, da kommt man mit ihr zusammen; und lernt erst ihre Persönlichkeit verstehen.«
Es ist wahr, Clemens, in mir ist ein Tummelplatz von Gesichten, alle Natur weit ausgebreitet, die überschwenglich blüht in vollen Pulsschlägen, und das Morgenrot scheint mir in die Seele und beleuchtet alles. Wenn ich die Augen zudrücke mit beiden Daumen und stütze den Kopf auf, recht fest, dann zieht diese große Naturwelt an mir vorüber, was mich ganz trunken macht. Der Himmel dreht sich langsam, mit Sternbildern bedeckt, die vorüberziehen; und Blumenbäume, die den Teppich der Luft mit Farbenstrahlen durchschießen. Gibt es wohl ein Land, wo dies alles wirklich ist? Und seh ich da hinüber in andre Weltgegenden? – Besinn Dich doch darauf. Ich kann Dir doch heut nicht mehr schreiben, ich bin zu schläfrig, die Großmama hat mir den ganzen Abend indische Pflanzen gezeigt; und Kolibris, so klein und fein; wie Schönheitspfeile gucken sie mit ihren spitzen Schnäbelchen aus den Blüten.
Deinem Freund Ritter hab ich eine Sammetmütze gemacht, wie ich selbst eine aus Übermut trage, aber ohne den Lorbeerkranz, den ich darum gewunden, den er aber immer aus Übermut tragen kann, weil dieser mir scheint der Flußgott zu sein, der die Urne seines Geistesstromes ergießt.
Deine Bettine
Ich habe Deinen lieben lieblichen Brief vor zwei Minuten erhalten; ich hab ihn noch nicht in mich selbst verwandelt, das Herz bebt noch. Ritter wird sich freuen, Ritter, dieser große Ritter, zu dem Goethe sagte: »Gegen ihn sind wir alle Knappen!« – Lieb Mädchen, er wird Dir danken, daß Du ihn nie wieder vergißt. In seinem letzten Brief schrieb er, er lasse schon ein weißseiden Felleisen machen, die Dankbriefe an Dich zu schicken. Leb wohl, Engel, bald bin ich bei Dir im Himmel.
Dein Clemens
Ich habe geglaubt, Du würdest kommen, so sind nun schon vierzehn Tage herum, wo ich
jeden Tag Dir entgegensehe und deswegen auch nicht schrieb, und noch wegen etwas
anderem. Weil ich manchmal zu sehr ergriffen bin, wenn ich an Dich denke, und
versäume oder vergesse vielmehr darüber, an Dich zu schreiben, was ich denke. Ich
will Dir nun erzählen, wie mir ist, und wie ich bin, damit Du keine Sorge um mich
haben sollst. Ein Tag wie der andere: frohsinnig, lustig, ja manchmal fast
ausgelassen, und dennoch find ich innerlich recht viel ernste Fragen. Die erste Frage
bist Du. Der Clemens, sagt mir eine innere Stimme, hat viele Fäden ins Weltgewebe
eingesponnen, alle sind sie Geist und Feingefühl, aus Schönheit und Güte hergeleitet,
und man kann die edle und erhabne Natur von ihm daran beweisen, aber doch führen sie
alle wieder zu Mißkenntnis und Undank und auch nicht dahin, wo der Clemens meint, und
dem er doch so viele Glückseligkeit der Gegenwart opfert. – Und dann denk ich gar, Du
wirst durch Aufopferung Dich wohl um allen Vorteil dessen bringen, was die Menschen
als Glück erringen möchten. Wie komme ich dazu? – Ach verzeih mir's, ich habe ein
Buch von Dir gelesen. – Bei der Großmama lag es – und ich hörte, daß sie darüber
sprach – sie wollte aber gar nicht, daß ich es wissen sollte, sie legte es auch
sorgfältig unter andre Bücher. Wie ich aber allein in ihrem Arbeitszimmer war, denn
ich schlafe da, damit eins von uns in der Nähe von der Großmama nachts ist. – Es ließ
mich nicht schlafen, ich dachte immer, es sei wohl besser, nicht nach dem Buch zu
suchen, aber ich hab's doch gelesen. Du hattest mir nie davon gesagt, und ist's denn
wahr, daß es von Dir ist? – und so vieles, was mich ganz verwirrt! – Große und
kleine, törichte und vernünftige Begebenheiten scheinen mir darin verflochten, und
dann scheint es mir so sonderbar geschwärmt, und Höhen und Tiefen, die meinem Geist
wie ein Rätsel daliegen. Marias Satire heißt dies Buch – ist das vielleicht, wie die
Schuld und die Unschuld eine verkehrte Rolle spielen in der Welt, oder ist es
scharfes und schonungsloses Beobachten und Behandeln der Verhältnisse und Menschen? –
Was frag ich doch, es geht mich ja gar nichts an, und wir zwei sind ja bis jetzt
immer in – der Liebe und dem Geist – sehr begreiflichen
Ich möchte Dir alles vertrauen, was mir im Herzen liegt, aber es liegt so viel drin,
was ich selbst nicht erkenne. Ich möchte beinah sagen, alle Tugend sei mir zuwider! –
Ja! – Ich glaube dies, daß der Mensch ganz das Echte sein soll und nicht das Unechte.
Tugend ist ja aber, was von dem Unechten sich gestaltet als eine Seeleneigenschaft,
die wir in ihrer Übung Tugend nennen. Wenn aber die Echtheit der große Ozean wär, der
zwar alle Strömungen in sich aufnimmt, nie aber überwallet, sondern alles umfasset? –
Können wir dann sagen, der Ozean ist tugendreich? – (flüssereich) oder nur: der Ozean
ist er selber! – Sein und Werden ist zweierlei, das sag ich mir auch, und Werden ist
für das wirkliche Leben Kraft fühlen und diese
O Sonne schein hernieder und helle mir den Sinn auf, und daß ich nicht schüchtern vor
dem Schatten fliehe, und daß die Zukunft nicht einst wie ein schwerer Hammerschlag
auf meine Vergangenheit falle und sie als nichtig zusammenschmettere! – Clemens, da
siehst Du, wie das in mir ist, was andre Menschen mit Gebet ersetzen, ich auch rufe
an ein himmlisches, aber kein mit Tugenden (die ich in mir nicht umfasse)
ausgeschmücktes Phantom! – Ich rufe an, alles was meine Tätigkeit reizt, ich sage
mir, du willst alles, was aus der Natur des Menschen entspringt, mutig ertragen, du
willst mit rechter Erkenntnis dich von der Erkünstlung und der Verstimmung des
menschlichen Geistes ablösen und diese überwinden. Und dann sag ich mir: Wer ist
Gott? – Gott ist die Zukunft! Wen diese nicht göttlich an sich reißt, daß er sich von
den Ketten befreie aller Vergangenheit und in der Zukunft ganz aufgehe, den führt's
nicht zu Gott. Ich weiß und fühle, daß ich recht habe! – Denn dies allein löst alle
Ungleichheiten des Glückes auf. Weltbegebenheiten, die gefährlich aussehen für die
Ruhe und die Gegenwart, die wallen da als reiner geistiger Strom zwischen politischen
Ufern, die von schwarzen stupiden Geistern bevölkert sind, dem Göttlichen zu; das
heißt: dem die Freiheit zeugenden Gott. Politik aber ist ein aus sehr beschränktem
Interesse hervorgehendes sehr stupides Handeln und
So träume ich, so denke ich, wenn ich manchmal in der Nacht aufwache und der Mond
scheint ins Zimmer, wenn das immerwährende Treiben in den Wolken die Frage an mein
Geheimnis richtet, was wird wohl aus meinem Leben werden? – Viel soll daraus werden,
geb ich den Wolken zur Antwort, aller Kampf und Widerwärtigkeit in der dunkeln Flut
der Seele rinnt in der Schöpfungskraft der Zukunft entgegen. Vieles übt das Mondlicht
in mir, wie ein dichterisches Genie sieht es und denkt für mich und übt Talente in
meiner Phantasie und erhebt mich so hoch über mein Sein, daß ich gleichsam das
Bewußtsein davon verliere und in dem Spiel mich selbst gar nicht mehr herausfinden
kann. Ach, welche schöne Träume, – ach, wenn ich denen nachkommen könnte! Aber wenn
der Mond untergegangen ist und der Schlaf hat mich überfallen, dann beim Erwachen ist
keine Spur mehr von diesem Zauber in meinem Geist. Die Veilchen, die kleine
Goldstickerin, von der ich Dir im vorigen Jahr schon manchmal sprach, die hat mir von
manchen jüdischen Religionsgebräuchen erzählt; wenn der Jude den Neumond erblickt,
dann sammlet er seinen Geist, als wolle er seiner Zauberkraft sich unterwerfen. – Und
der Jude klagt ihm und betet, daß ihn der Haß gegen die Feinde nicht verblende, und
daß die Verachtung dieser ihn nicht niederdrücke; und er stellt sich vor dem
Richterstuhl des Mondes, und auf seinen Heimwegen aus Fremde, da öffnet er sein
Gewand dem Neulicht, daß es seine Brust bescheine. Möchte es auch nichts als bloß
Gebrauch sein, so deutet es doch darauf, daß er will zu einer höheren Sphäre
emporgehoben sein durch den Neumond, er verlangt von der Gewalt der Natur, daß sie
ihn erhebe. Wie schön ist dies und wie viel wahrer, als wenn ich ein Register mache
meiner Sünden und mir diese schlimme Rechnung auszulöschen erbitte von Gott! –
Clemens, ich habe mir dies aus der jüdischen Religion angenommen, oder es ist
vielmehr in mich wie ein Blitz hereingefahren, daß ich zu dem Mond eine Ehrfurcht
hege und ein Vertrauen und ich könnte Dir noch viel mehr sagen, aber auch von den
Türken habe ich gelernt das Abwaschen; wenn ich abends meine Hände wasche, so dient
mir das statt Abendgebet; es macht mich unendlich heiter beim Schlafengehen; – als
liege ich in der Wiege einer schöneren Welt und als werde ich aus dieser Wiege
herausfliegen und – jetzt schweig ich, Clemente, denn Du sollst Dich nicht verwundern
über den Trieb solcher Eigenheiten, es ist ja auch nichts Tiefes, es ist nur ein
leises Berühren mit der Natur. Und was mögen wohl andere für Gesichte und innerliche
Seltsamkeiten haben! – Da fallt mir die de Gachet ein, sie war am Rhein, wo sie sich
ein kleines Gut gekauft hat, manchmal möchte ich bei ihr sein, und ich glaube auch
und fühle, daß sie vortrefflich ist wie Du und Deine Freunde, aber oft zweifle ich
noch an ihr, wenn ich höre, wie sie bei jeder Gelegenheit von dem spricht – was ihr
heilig sei, sagt sie; und ich hab darüber eine Unterhaltung mit ihr gehabt, sie wohnt
auf vierzehn Tage in Oberath, wo sie jetzt unwohl
Ich war gestern in Frankfurt, es war ein Herr Burckhard da, der uns viele schöne Bilder und Handzeichnungen zeigte, es waren meistens italienische Gegenden. Ich möchte nach Italien, ich möchte so gern reisen, die Sehnsucht ist gar zu groß; ich beschwichtige sie damit, daß ich mir einbilde, Dich bald zu sehen, diese Freude ist doch noch größer; ich will mittlerweile recht fleißig lernen. O Generalbaß! – Werden wir uns je einander bezwingen? – O Zeichenkunst, werde ich je weiter kommen? Die Toni bekümmert sich recht viel um mich. –
Ich habe mir ein kleines Kabinettchen eingerichtet, in dem ich studiere, links steht das Klavier, was die eine Wand des Kabinettchens ausmacht, rechts ist das Fenster, aus dem hör ich abends noch den Klavier-Hoffman gegenüber oft bis Mitternacht phantasieren und vor mir ist der Tisch und dazwischen noch ein kleiner Ausgang. Auf dem Tisch liegt Homer und viele andere Bücher, und denn mein Schreibkästchen mit allen Deinen lieben Briefen. Im Homer lese ich oft; könnte ich Dir nur darstellen, was ich da für Erfahrungen mache – welche Rückerinnerungen einer früheren Welt in mir aufgehen. Diese Götter kenne ich, mein Clemens, die auf goldnen Sandalen die Wolken beschreiten. Sie machen ungeheuere Schritte und gleiten weit dahin wie auf Schlittschuhen, ehe sie ein Bein vors andre setzen, und wenn sie sich wenden, so prallen die Wolken vor ihnen zurück und versenken sich zwischen Geklüft, und wenn sie denn vorübergeschossen sind in ihrer Ruhe wie der Blitz, dann bricht ihr Zorn in Gewittern los. – Sieh da im Fenster steht noch eine Hyazinthe, die ich selbst früh aufzog, sie neigt sich zu mir, als wollte sie sehen, was ich schreibe. Ich bin heute so vergnügt und freue mich so auf alles. Jetzt werde ich ein wenig in den Garten springen und einen Grasplatz in meinem Gärtchen zurechtmachen, wenn Du wieder kommst, daß wir uns zusammen daraufsetzen. Ich will ihn so groß machen, daß man sich recht bequem drauf legen kann und träumen.
Lieb mich. – Bettine
Hat mir denn der Ritter nicht danken lassen für meine Samtmütze? – Und hat er sich nicht über den antiken Lorbeerkranz gefreut? – Das hör ich so gern, wenn die Leute sich bedanken. –
Wunderschöne Musik ist das meinen Ohren.
Noch eine vergnügliche Stunde muß ich vor Abgang des Briefes Dir melden. Heute
morgen, als ich den Brief schon zugemacht hatte und wollte ihn eben dem Juden Hirsch
in seinen Schnappsack werfen, in der Meinung, er sei es, der an der Türe klingelt, so
war es der freundliche Pfarrer Sch ...z, der die Großmutter und auch mich besuchen
wollte, so sagte er mir wenigstens; ich hab's geglaubt, obschon es mir was Neues war,
daß mich jemand besuchen wollte, und nun noch dazu aus der Ferne will ein so
gelehrter Mann bis nach Offenbach gekommen sein, um mir weiszumachen, daß er
vorzüglich gekommen sei, mich zu sehen! So ein Pfarrer kann lügen! – Er hat mich
geküßt auf die linke Wange und hat mich versichert, es sei wahr. – Und Du habest ihm
schon lange meine Bekanntschaft machen lassen durch Deine Gespräche über mich! – Ich
wußte nicht, was ich dazu sagen sollte. – Clemente; der Pfarrer ist ein guter Kerl,
aber er ist, glaub ich gewiß, ein Aufschneider. – Er kann wohl nichts davor, er muß
ja Sonntags immer himmeln. – Und er hielt mir auch eine allerliebste Zauberrede, die
etwas Nachwehen von Kirchenduft hatte. Nein, Clemente, die Rede war wirklich schön; –
ach er war ja gar zu gut der Mann, wie kann ich doch dumm von ihm reden; er hat mich
später auch auf die rechte Wange geküßt und hat mir gesagt, wie schön und edel – ich
weiß es gar nicht mehr, was er gesagt hat, denn ich war zerstreut, denn ich mußte an
einen alten Töpfer denken, der gleicht ihm; von dem Töpfer will ich Dir was erzählen,
was sehr Hübsches, ich hab seine Bekanntschaft auf dem letzten Weihnachtsmarkt
gemacht, er hatte einen ganzen Korb voll Tiere gebacken und bunt glaciert, die bot er
zum Verkauf fürs Kindervolk, das seinen Korb umringte und mehr danach verlangte, als
nach allen andern Spielsachen. – Es war auch nicht von ohne. Zum Beispiel einen
Schlitten hat er gemacht,
Wer kann auf Deine Briefe antworten, mein Kind, da es so kalt ist hier und so einsam,
wenn Dein liebes Bild nicht neben mir stände und alle Deine Liebe ruhig empfing, ich
armer Bewußtloser, von mir selber und von Menschen Verlassner, wäre erschrocken über
die vielen Herrlichkeiten, die Du um mich hervorzauberst; eine Welt ist mit Deinen
Blättern eingedrungen, und doch, ich bin's nicht würdig, denn was kann ich Dir
wiedergeben? – Etwas hat mich geärgert, aber es tut nichts, auch habe ich mit dem Fuß
gestampft, das ist, weil Dich Sch...z geküßt hat, der ein guter, freundlicher Mann,
aber etwas sentimental und stark wie die Großmutter ist, leid das nicht wieder; – und
was mich angeht, macht er mir schreckliche Langeweile, er liebäugelt mit dem
Universum, das noch nie an ihn gedacht hat, und meint immer, es meine ihn, wenn es
ihn gar nicht meint. – So viel über diesen Freund, der über mich mit Dir spricht und
mit mir sehr gern über dich sprechen würde, daran zweifle ich keineswegs, allein da
hat er seine Mühe verloren, wenn er einen ganzen Milchkübel von Sentimenten aus mir
melken will – und bin ich nicht ungerecht, wenn ich des Teufels über ihn werde: da
ich doch grade so mit Savigny stehe, von dem ich wieder nichts
Ach, ich sehe immer nach Deinem Bilde hin und bin unendlich einsam, da hab ich gestern zwei Lieder geschrieben für Dich.
Mach doch eine Melodie darauf. Dein Clemens
Und nun schließe ich den Brief, als ob ich das geringste Dir geantwortet hätte auf alle Liebkosungen Deines Geistes, die in Deinem Brief in so schöner Konsequenz einander folgen. Deucht mir doch, als habe Gott Berg und Tale und alle Schönheiten der Natur in so lieblicher Verwirrung untereinandergeworfen, als Deine Weisheit ihr gleicht, und die Gachet hast Du so warm in Deine Begeistrung eingebettet, als sei sie Dein Gast, dem Du den Ehrenplatz einräumst.
Du machst mich dennoch reich, obschon Du mich auch marterst, denn ich verbringe viele Stunden einsamer Zeit mit Nachdenken über einzelnes. Deine letzte Erzählung vom Töpfer hat mich wieder auf alte Sprünge geführt, ob Dein Platz nicht auf eine Künstlerwerkstatt sich beschränken möge! – Und doch könnte mich Deine Zukunft anklagen, Dich beschränkt zu haben mit diesem Begriff. Das Wort ist das allumfassendste Element, das den reinsten Genuß gewährt, aber auch ist es das gewagteste, aber wer kühn ist, der muß ein Feld dazu haben; – Du bist zu allem zu lebendig, schreitest über alles hinaus; Lernjahre kann ich Dir gar nicht zudenken, reflektieren. – Ach Kind, es ist was Trauriges, lies dies Blatt, was ich hier beilege, und was ich an meinem mondhellen Schreibtisch schrieb, gestern, als ich Deinen Brief in der Dämmerung zum zweitenmal überlesen hatte und über Kunst und Deine Verwandschaft zu ihr viel gedacht hatte.
Sobald wir Geschichte der Kunst sagen wollen, setzen wir eine einzige Kunst voraus,
die aber nur Idee ist und als Kunst nie existiert hat, denn es liegt eine historische
Unmöglichkeit in der Totalbildung aller Menschen, und sobald diese eine Kunst soll
dagewesen sein, müßte diese Totalbildung dagewesen sein, und nach meiner Meinung ist
nur nach dem Ende der Welt eine solche einzige Kunst dagewesen. Es gibt keine einzige
Kunst, denn die Kunst kann nie gewußt werden, und nur die Künste waren da. – Diese
einzige Kunst kann nie gedacht werden, denn solange noch gedacht wird, ist die Kunst
noch nicht bewiesen einzig, da das Denken in der Kunst aufgehoben sein und als
Gedachtes erscheinen muß. Es gibt ein einziges Leben, denn alles Leben ist ein
Gelebtes, die Kunst aber ist ein ungelebtes Leben und ist daher im Leben unmöglich.
Das einzige Wissen ist das, dem eine einzige Kunst entgegengesetzt werden könnte; da
aber diese totale Kunst das ganze Wissen aufheben würde, indem diese sogenannte
einzige Kunst das ungewußte Wissen ist, so kann diese einzige Kunst nur im
allgemeinen Tode liegen oder im allgemeinen Nichtwissen, wir wissen von keinem Wissen
als durch unser Dasein, unser Dasein ist unsere Trennung
Freundschaft hat allein keine Gottheit, weil sie übersinnlich ist! –
Hier fielen mir die Augen zu; grade im Augenblick, als ich Deinem Genius widersprechen wollte, der in einem Deiner früheren Briefe Dir diktierte, Freundschaft sei Brudermord.
Ach, ich bin matt und müde und höchst traurig. – Der Geist Deines Briefes ist stark kompromittiert durch den meinen, daß er Dir nicht besser zu entgegnen weiß. Adieu, lieb mich und verzeih mir alle Schwächen, die ich heute so stark in mir fühle. Ich habe heute Morgen den Savigny persuadieren wollen, Dein Bild anzusehen und es schön zu finden, ich machte einen Versuch, ihn zum Sprechen zu bewegen, allein er sagt partout nichts. –
Der Savigny kann wohl ruhig Dir zusehen, wie Du schwärmst für ein Bildchen, das zwar
nur gemalt auf ein kleines Brettchen doch Deine Schwester Dir lieblicher ins
Gedächtnis ruft, als sie wirklich ist. – Der Savigny sieht still dem zu, wie Du und
andre ausgreifen nach Glück, und tausend Mißverständnissen dadurch begegnen; seine
Glückseligkeitslehre geht ungestört über dem Gewirr Eurer phantastischen Neigungen
weg, er sieht Eure Freuden und Leiden wie Tag und Nacht wechseln, denn wie könnte er
Anteil nehmen an dem neugefundnen Glück, daß Ihr jeden Augenblick aus dem großen
Ozean der Zufälligkeiten herausfischet und gleichgültig wieder in diesen Ozean
hineinfallen lasset, was Euch im ersten Augenblick geblendet hat. Ihm aber wächst im
heimlichen Grund eine Blume, die nicht verblüht, Du nennst sie seine Studiermaschine,
ich nenne sie seine Muse. Was er hört und sieht, das entgleitet seinen Sinnen wieder,
sobald es nicht Bezug auf sie hat. Und das ist natürlich, was Dir unnatürlich deucht.
Und wo er fühlt, mag er nur sich selber in diesem Wirken fühlen, seine Muse führt ihn
mit freundlichem Anstand die Berge hinan, die andre unersteiglich
Ich bin nicht neugierig, was innerhalb seiner Geistesburg vorgeht; so wenig als auf das, was innerhalb von Klostermauern vorgeht. Wer einmal weiß, alles geht innerhalb der vier Wände der Ordnung, wie kann der noch Kunde davon haben wollen und sich kränken, wenn keine erschallt.
Weißt Du, es ist heute der 7. Mai, geh in den Wald, lausch der Nachtigall, die drauf losschmettert, trotz dem »schweigenden Haine«, sie durchschallet das Revier allein, und allein hört sie begeistert sich zu. Schweigt, Ihr Nachbarn, denn sie antwortet eben ihr volles Leben dem Frühling, der hat sie darum gefragt. Mit Savigny und Dir ist solch Frag- und Anwortspiel nicht, wie der Frühling und die Nachtigall haben. – Was willst Du nun noch? – Du bist im Unrecht, und er ist im Recht in seiner Stummheit. – Du aber, Clemens, darfst nicht verstummen, Du lockst wie ein Vogelsteller die zärtlichen Waldsänger; o wer hat nicht Lust, ein Vögelchen in der Nähe zu sehen, zu haschen und zu liebkosen und dann wieder fliegen zu lassen. Du lockst mir sie herbei, die das Naturleben so glücklich, so ganz ergötzlich bevölkern. –
Die Briefe Deines Ritter! – Er singt ja zu mir! – Und Du hast mir's ganz verschwiegen? – Und jetzt bitte ich, schick ihm die beiliegenden Zeilen. –
Clemens! – Ich weiß, daß eine ganz eigne Polizei existiert, womit man die jungen Mädchen verfolgt. – Und das nennt man in der Ordnung. Und aber Ordnung umfaßt nicht das Außerordentliche, das sich reimt mit dem Göttlichen. Ordnung ist hölzern, sie kann sich nicht reimen! – Aber Göttlich und außerordentlich reimt sich. Die Purpurröten! Sie wogen, sie durchleuchten und färben reizend die strömenden Lüfte, lasse sie das freie Blaue in sich trinken! –
Clemente, ich muß Deiner lachen! – »Wie sie so sanft ruhn, alle die Seligen.« – Dies Lied fällt mir eben ein. – Ja, es ist in der Ordnung, daß sie ruhen, und es reimt sich nicht auf mich, die singt: Du, o Dionysos, umschlingst die Seele und trägst aus purpurtrunknen Gluten sie hinüber ins ewig frische Blau! – Das ist nicht in der Ordnung (denn wer Teufel versteht es), aber es ist doch unendlich schön und reimt sich mit meiner lebendigen Seele.
Mir sind Ritters Briefe ein Zauberspiegel seiner Geistesnatur! Nichts von Ordnung darin. Aber »jeden Nachklang fühlt mein Herz« reimt sich auf diese Außerordnung. Jeder Halm auf der Abendwiese wiegt sich in diesem Nachklang, und darauf reimt sich: »Es steht von goldnen Blumen die ganze Wiese so voll«, und es ist schön, wie sie aus seinen Briefen mir zunicken, und das ganze Seelengeheimnis ist nur ein ewig Blühen und Fruchtbringen der Natur, an dem der Vergleich des Herkömmlichen stumm vorübergeht; – es hat keinen Teil an ihm. – Im Geheimnis ist der Mensch frei, er hat keinen Richter, sein Gewissen hält Wache für ihn auf der höchsten Höhe. Und übersieht und erkennt und erreicht alles, was dem Gewissen der Vorurteilsmenschheit ein furchtbarer Kampf ist.
Wer Ewigkeit glaubt, hat die Unsterblichkeit. Wer dem Geheimnis nicht einverleibt
ist, hat keine Existenz. – Ich hab das antworten wollen auf Deine kunstvertiefte
Schauung; und ich hab sie gar nicht verstanden und wieder gelesen und noch nicht
verstanden. Und endlich hab ich aber gemerkt, daß ich mich immer zerstreuen ließ
durch einen schmalen Lichtstreif, der durch ein Astloch des zugemachten Ladens fiel,
quer über meinen Schreibtisch, in dem tanzte der Demantstaub des Lichtes, und ich sah
ihren Kontertänzen zu, anstatt nachzudenken über das, was ich nicht gleich verstand.
– Jetzt hab ich aber dem Astloch den Rücken gewendet. Und da hab ich mich besonnen,
so scharf ich vermochte. Da sagst Du: »Es gibt nur ein einziges Leben, denn das Leben
all ist ein gelebtes.« – Ja, Clemens! – Ein gelebtes, wo jeder Atemzug ewig drin
fortlebt. – »Die Kunst aber ist ein ungelebtes Leben und ist daher im Leben
unmöglich.« – Ach, darauf hab ich mich stark besonnen; und immer schwankt's. – – Und
jetzt weiß ich's! – Oder weiß ich's dennoch nicht? – Ein ungelebtes Leben! Mein Gott!
Meine Götter, zu denen der Geist alle Sinne alle Augenblicke die Tempelstufen
hinanträgt. – Wie die Lichtstäubchen dort den Sonnenstrahl hinantanzen, – in denen
aller Geist sich einwebt oder auflöst. Ist das die ungelebte Kunst, die nicht möglich
ist im Leben, – so lebt doch der Geist einzig in ihr und steigt bis zur obersten
Sprosse der Himmelsleiter mit starkem Willen; – mir ist bang, sie muß ihm nachgeben.
– Still! Hier verwirrt sich's! – »Das einzige Wissen ist das, dem eine einzige Kunst
entgegengesetzt werden könnte.« Ich schäm mich, eine Antwort
Bettine
Liebes Mädchen! Hier ohne Dich zu wohnen, wenn ich das aushalte, so darf ich mich
meiner Stärke rühmen. – Ach, wo ist's in der Welt wieder so schön als hier in diesem
Frühling hoch in den Lüften zu schweben, dem Himmel so nah, daß jedes der sechs
Fenster meiner Stube eine prächtige Landschaft unter Rahm und Glas bringt. Nur das
Große der Stadt berührt mich; die Türme sehen mir in die Fenster, und die Stadtuhren
sind meine Wanduhren, ich kann nichts tun als an Dich denken, Dein Bild hinhalten.
Der Frühling flieht von meilenweiten Bergen über die blühenden Felder und den sanften
Strom und die klingenden, singenden, schwingenden Wälder her zu mir; und bringt
Blumendüfte, Farben und Klänge mit, all herein zu den sechs Fenstern, und da halte
ich Dein Bild in die Mitte, daß es der Reichtum der Jugend umwalle. Ach, warum bist
Du nicht da? – Ich bin entsetzlich ungeduldig um Dich! – Überall entbehre ich Dich,
und selbst an Dich zu schreiben macht mir Schmerz, weil Du mir auch dazu fehlst! Ja,
zu den Gedanken an Dich, zu Dir selbst fehlst Du mir. Und wenn Du da wärst, so wärst
Du überall in der Herrlichkeit. – Und alles Sprechen ist nicht wert, ein Wort darüber
zu verlieren, so wie alles Schießen keinen Schuß Pulver wert ist. – Wenn ich Dir
sagen soll, wie es hier ist, wie es mir ist, wahrhaftig ganz anders als beim de
Gabrielli, der Sonn und Mond, Wald und Tal und Ferne und Sturm auf ölgetränktem
Papier uns so deutlich vormalte, und wir uns beide freuten so herzlich darüber. Nein,
es ist auf dem Papier nicht zu erschwingen, was ich brauchte, Dir zu sagen, was man
hier in einer Minute empfinden kann, ich müßte in einer Minute wahnsinnig und
gescheut, dichtend und liebend und spottend und lebend und sterbend sein, um Dir dies
Leben recht wieder zuzuströmen. Das Haus mitten in den Berg gebaut, aus allen
Stockwerken in den Garten, selbst aus dem Keller. Wenige Schritte oben das prächtige
Schloß und Eichen und alles. O ich möchte noch einmal närrisch werden, da ich's
einmal schon bin. Daneben steht am Garten ein hoher, alter Turm, da lassen wir nun
eine Treppe hinaufführen, ich bin schon mit einer Leiter hinaufgestiegen; oben wird
ein Zelt aufgeschlagen, und da hängt man wie ein Luftschiffer über Berg und Tal. –
Ach ich langweile mich tot, daß Du nicht da bist, Bettine, daß Du
Sieh aber nur, so sind die Menschen, so bin ich auch. Gestern und vorgestern hab ich
das Vorhergehende geschrieben, da war alles das noch neu und wünschenswert, ich
konnte noch nach Dir und nach der Natur begehren. Heute ist es schon ganz anders, ich
begehre nur nach Dir, es ist mir, als hätt ich Dich in ewiger Zeit nicht gesehen, und
ich empfinde recht deutlich, wie Erinnerung und Sehnsucht einander so ähnlich sind,
daß sie sich sogar ergänzen. Und was die Erinnerung nie gewußt hat, das kann die
Sehnsucht in Erfahrung bringen und es der Erinnerung überliefern. Daß ich Dich so
lebhaft vor mir sehe und in jeder Minute Deiner gedenke, ist doch nur eine Folge
davon, daß Dein Bild erst so kurze Zeit deutlich in mir aufgeregt ist durch Deinen
Brief, und hätte ich nun seit längerer Zeit nichts von Dir erfahren, so würde mein
Sehnen danach der Erinnerung die Rolle abnehmen. Die Nähe hinter und vor uns regt uns
gleich stark an. Was wir vergessen, töten wir, wessen wir gedenken, das beleben wir.
Was uns vergißt, das tötet uns. Jede Sehnsucht ist Begierde, zu bilden, zu gebären,
jede Erinnerung ist eine Wiedergeburt. Wahrhaftig, liebes Kind, ich liebe den
Frühling nur, weil ich mit innigerer Rührung Deiner drinnen gedenken mag, weil er das
einzige ist, das mir in Momenten Dich würdig ersetzen kann, und er versteht und
reflektiert mich doch noch nicht wie Du und kann mich nicht so belehren und
erquicken. Aus einer recht herzlichen offenherzigen Liebe kann doch nur allein in der
Welt etwas werden, und wenn der Menschen Geist sich nicht recht gewaltig durchdringt
und nicht recht muß, so bleibt es eine ewige Lumpenkrämerei und gibt immer
Plattheiten. So wie die Elemente sich durchdringen und die Welt bilden und der Geist
und die Welt sich durchdringen und den Menschen bilden und der Mensch diese Liebe mit
einem freien Blick ansieht, und indem er ihre Notwendigkeit und seine Freiheit in
dieser Notwendigkeit betrachtet, den Gott erkennt und anbetet – alles das ist nur
eine herzliche Liebe, wo diese Liebe nicht ist, da ist die Dummheit und all das Böse,
das uns empört. – Ich kann mich oft recht an dem Gedanken entzücken, daß mir in Dir
die Welt, die mir gegenübersteht, die Welt, die ich gern ansehen und lieben mag, ja
alles, was des Meinigen auf Erden werden sollte, zum Menschen erschaffen worden ist,
der mich wieder aufnimmt in seine Gedanken und sich an meinen Freuden ergötzt;
seitdem kommen alle freundlichen Ideen,
So gibt es denn nur ein Leben. Damit übrigens etwas lebe, muß es im Momente erscheinen und also von der Zeit gefesselt sein; insofern also unser eigentümlich Leben im Momente liegt, ist es in diesem von der Zeit gefesselt, und hinter jedem Momente liegt dessen Tod; der Tod also befestigt das Leben in der Zeit, die Zeit aber selbst ist ein Produkt von uns, denn wir können eine Ewigkeit denken, also liegt der Tod in der Ewigkeit, und Leben ist nichts als die Ewigkeit, die wir uns zueignen dadurch, daß wir uns ein Stückchen von ihr mit einem hinten vorgehaltnen Tod auffangen. – Doch ich kehr zu Dir zurück, liebes geliebtes Kind, ist doch diese Reflexion schon eine Sünde gegen Dich, ich habe in Dir meine Ewigkeit so schön gefangen, daß ich nicht länger grammatisieren darf; da das Leben der Sprache ein Gedicht mit mir lebt, das Du bist, Du Lied vom Weibe, von Liebe und von Gott. – Daß ich Dich so liebe, dafür danke Gott, wenn es Dich glücklich machen kann, ich danke ihm auch um Deiner Liebe willen. Es ist ein großes Erbarmen von ihm, daß er uns alles in einander gegeben hat, und wir dürfen nicht stolz darauf sein, denn es ist nur Gott, den man liebt, den Gott im Menschen, und je schärfer und tiefer wir blicken, je mehr erkennen wir ihn, und je ruhiger und einfacher wird die Liebe. – Etwas Rührendes liegt in unserer Liebe; wenn ich Dir ernst über lebendige Stellen meines Lebens spreche, die nun gestorben sind, und wenn ich Deiner gedenke! – Aller Lärm wird dann stumm, alle Menschen werden mir steinern neben Dir, und dies Stille erwacht in eine Musik, ich möchte sie eine innere Musik nennen, die sich selbst hört. Wenn ich aufrichtig sein soll, spreche ich mich gegen niemand gern aus als gegen Dich, denn Du verstehst mich und freust Dich meiner. Mit den andern Menschen verbindet mich nichts als ihre Seltenheit. – Gute Nacht bis morgen! –
Clemens
Sollte die Günderode Dir einen sehr wunderbaren Brief von mir zeigen, so verwundre Dich nicht, ich bin begierig, was sie darauf spricht.
Es geht schlecht mit meinem Witz, Dein Brief ist wie der Blitz in mich eingeschlagen,
und ich kann Dir Neues davon sagen, wie das einem tut! – Gar nicht – tut es einem.
Geist samt Eindruck verschwunden! Erst hab ich mich besonnen, ob ich nicht Dir diese
Lähmung verschweigen solle, daß ich nämlich mit Deinem Brief nichts anzufangen weiß
und lieber Dir etwas vorzaubere vom Frühling, der hier gar nicht schlecht ist. Gibt's
der Tage viele wie der gestrige Sonntag? – Himmelsbläue – unendliche! kräftige!
Dein Brief kam um zwei Uhr, ich wollt ihn studieren unter jenen duftenden Bäumen, ein narkotischer Balsam strömte aus seinen weisheitsvollen Blättern, der Sonnenschein ging, ich hatte den Brief nicht bedacht, aber beschlafen, aber doch blieb mein Begriff gelähmt. Der Mond kam, und der Tag war noch nicht vergangen, ich ging zum Gitter im Boskett, wo die Blumen alle stehen auf hohen Paradegestellen, man kann dran hinaufsteigen. Der Gärtner stand oben mit der Gießkanne, ich ward ganz durstig, wie sie so gierig das kühle Wasser schluckten, ich trank aus der Gießkanne. Der Gärtner wollt es nicht leiden, ich sollte warten, daß er ein Glas hole. Ich bin dem Gärtner gut, er ist mein bester Geselle. Alles, was er sagt, verbindet sich so nah mit der Gegenwart. Die Blumenglocken bewegten sich vom Abendwind, der zieht mit sanftem Brausen durch die erfrischten Sträucher und nimmt den Staub der Blumen mit sich fort; jeden Abend sieht der Gärtner diesem Spiel des Windes mit den Blumen zu. Grade in diesem Monat versäumt der Wind es keinen Abend, sagt der Gärtner.
Was ich gesehen hab noch? – Eine Biene, die sich ein Bad zurecht machte in dem Schüsselblatt von einer Geißblattblüte, sie patschte drin herum, tauchte den Kopf unter und wusch sich von allen Seiten mit ihrem Rüsselchen, grad wie eine Katze. – Nun denk ich, ob man eine Biene nicht könne zahm machen auch wie eine Katze. Daß sie hereingeflogen käm abends und schlief da auf einem Nelkenstock oder Wicken oder sonst einem Blumenstock, den die Bienen lieben. Der Gärtner meint, eine oder die andere, die einen aparten Sinn habe, könne das wohl – und sagte noch allerlei von den Bienen, was die Leute nicht glauben, weil es zu gescheut wär für so kleine Tiere, aber es sei dennoch wahr; ich glaub's, warum soll er es nicht besser wissen, da er diese mit so großer Liebe beobachtet, das heißt mit Geist. Die Leute sind wohl auch so dumm zu glauben, ein Gärtner habe keinen Geist; – aber, der hat Geist – und kann also mit Geist beobachten, das heißt mit Liebe. –
Ja, Clemens, ich hab gestern abend noch an Dich schreiben wollen, aber ich mußte
nachdenken über die Bienen. Ob sie wohl einen an der Stimme erkennen würden? – Die
Bienen haben ein fein Gehör, sie richten sich bei weiten Ausflügen nach dem
Abendgeläut, sie unterscheiden genau die Glocke ihres Dorfs, das hat der Gärtner in
seinem Dorf hundertmal beobachtet. Wir überlegten's noch mit dem Heimlichmachen der
Bienen; – einen Blumenstrauß im Mund, sich ins Gras legen und schlafend stellen.
Kommen die Bienen, so muß man sie nicht verjagen, sagt der Gärtner, wenn sie auch an
den Blumen vorbei aufs Gesicht fliegen, sie stechen nicht. – Wenn eine erst zahm ist,
dann kommen mehrere. – Das wär mir eine
Bis die Bienen wirklich kommen und mich umsummen, daß ich mein eigen Wort nicht hör, hat's Zeit, Deinen liebenden Brief zu besprechen. Schon in Deinem früheren Brief über Kunst steht – – ich fühl, daß solche tief durchdachte Gedanken, die Du an mich zwar richtest, doch vielmehr der Welt angehören, das erstemal wollte ich sie wie einen musikalischen Satz durch einen Gegensatz beantworten, wodurch erst seine Basis begründet wird, sagt der Musiker, und eine Symphonie aus sich hervorzubilden vermag. Aber, Clemens, ich fühlte mich so beklommen bei Deinem neuen Brief! – Er paßt nicht zu meiner feurigen Frühlingsstimmung. »Durch Feld und Wald zu schweifen, mein Liedchen wegzupfeifen!« – – – er paßt nicht zu meinem himmlischen leichtsinnigen Stubenkamerad, meinem Dämon, – nicht Damon – der mir's unter die Füße gibt, ich soll mich nicht auf Stelzen begeben. – Und »was kann ich, was kann ich dafür?« – Daß es mir gar um Freundschaft und Liebe nicht zu tun ist.
Gestern, Dienstag, waren wir im Forstwäldchen auf einem Ball, bei Moritz Bethmann. –
Der Brief kommt nicht weiter heute, es steht ein Blumenstrauß auf meinem Tisch von
lauter Vergißmeinnicht, wunderlich gebunden wie ein Kelchglas. In der Mitte auf dem
Grund des Kelches sind Moosrosen. Wie schön! – Ja, ihr Rosen seid schön, und euer
Gewand ist die Schönheit selbst, und euer Reiz umwallt gleich die Brust, an der ihr
vergeht! Und ihr seid so schnell fort, und doch hat man so zärtlich euch geliebt –
und doch seufzt man euch nicht nach! – Warum nicht? – Hat's Gott gewollt, daß man
euch liebe, wie der Clemens mir sagt: ich sei berufen mit ihm zusammen, daß wir
einander lieben, wenn das so wär, daß Gott wolle, wo er gar nicht zu wollen hat, ich
würde ihm widerspenstig sein und den grad nicht wollen lieben, den er dazu
geschaffen. – Denn das bändigt mich eben grade nicht, wenn er vielleicht sagte, wie
die Kindererzieher, wenn sie Äpfel austeilen, magst du den nicht, so kriegst du gar
keinen! – Fühl ich mich hingezogen zu manchem, so ist's nicht aus vorbedachtem
Gefühl, nicht weil ich glaub, Gott hab es so gewollt, – es würde mir allen
Farbenschmelz und Heiligenschein konsumieren, dies Soll oder Muß. Die Rosen – sie
glänzen im Abendschein, sie locken mich, sie zu umfassen, sie zu küssen. Ich bin ganz
bei ihnen, wenn wir abends im Mondenschein allein zusammen plaudern, und fühle mich
nicht allein mit den Blumen wie oft mit Menschen. Und wenn es Deine eignen Ideen
sind, Clemens, die Dich wieder lieben, wie Du mir schreibst, so sind die Blumen wohl
die Liebesgedanken der Natur, von denen sie auch wieder geliebt wird. Liebesgedanken
sind sie. – Die Rosenknospe ist's, sie wirft in ihrer Verschränktheit
Es war mir so wehmütig, gestern Abend mit mei nen Rosen allein, und bin ungern von ihnen geschieden, um schlafen zu gehen, und hab mich noch recht in ihr weiches junges Grün hineingeschmiegt zum Abschied! – Und hab so wunderliche Träume gehabt in der Nacht. – Sonnenstrahlen, die scharf und rein durch dichtes Gewölk auf mich trafen, und da war alles in üppiger Blüte um mich her und atmete kaum vor Schwüle, und ich stand da allein unter diesen Blüten allen, mit offner Lippe nach einem Tropfen Labung. – Ach, heißer Tag, du drückst die Blumen! – so dacht ich dort. Es tat mir so leid, daß ich nicht den Regen ihnen aus dem Gewölk niederschütteln konnte, und als ich aufwachte, war mir's noch schwermütig, und heute den ganzen Tag so fort. – Wenn nicht eins mir Freude gemacht hätte. – In der heißen Mittagsstunde kamen wirklich ein paar Bienen hereingeflogen, umsummten meine Rosen, meinen Maiblumenstrauß, meinen Basilikum, meine Ranunkel sind noch nicht offen, schmecken den Bienen auch nicht. Nelken sind auch noch nicht aufgeblüht, die sind aber wahre Lockspeise für sie, und die stehen doch schon alle da, daß sie von ihnen gesehen werden, was in der Zukunft auf sie wartet, sie werden wiederkommen und werden sich in meinem Wirtshaus betrinken, dazu mache ich ihnen Musik. Gleich als sie ankamen heut, so nahm ich die Gitarre und klirrte ihnen was drauf vor, sie summten, es war ein deliziöses Doppelkonzert und hat mir meine Munterkeit wiedergegeben, die mit einem Fuß schon ausgeglitten war und schier in den rauschenden Bach der Empfindsamkeit wäre gestürzt. – Adieu! – Ich und meine Bienen, was kann ich mehr verlangen.
Bettine
Da ich vermute, daß Dich ein kleiner Ärger weiter nicht ins Grab stürzen wird, so hab
ich einigen Lusten, mit Dir zu schmälen. Stelle Dir vor, einiges in Deinem Brief hat
mir einen unangenehmen Eindruck gemacht, zum Beispiel das mit dem Rosenstöckelchen.
Es kam mir immer vor, als sei es recht artig, eine gewisse Rührung bei unschuldigen
Dingen zu empfinden, ja zur Not könne man auch sagen, es war mir, als müsse ich es
umarmen, aber es wirklich zu umarmen und noch gar dabei in wehmütigste Gedanken zu
versinken, das geht etwas in die Wildnis und ist stark empfindsam, hält auch nicht
Stich, stelle Dir vor, an welchem knappen Fädenchen die Geschichte hängt; fällt sie,
so fällt sie mit der schönsten Empfindung ins Lächerliche, denn eine gelbe Rübe, eine
Kartoffel sind doch ebenso unschuldig als ein Rosenstrauch, und dennoch wäre Deine
ganze Umarmung verunglückt, wenn das Rosenstöckelchen sich in eine solche Rübe
verwandelt hätte. Auch hast Du bei näherer Beleuchtung wohl nur einen erd'nen Topf
umarmt. Wenn ich der Rosenstock gewesen wär, so hätt ich gesagt: »Oho, schönstes
Kind!« und dann hättest Du wahrscheinlich gelacht. Ich hoffe, Du gewöhnst Dir täglich
mehr solche Explosionen ab. Du weißt, wie oft ich Dir über ähnliche Anfälle gepredigt
habe. Auch das lange Herumtragen und Betrachten der Träume ist kindisch, und während
man auf eine Menge schöner Empfindungen, die man bei Gelegenheit solcher Träume hat,
bei hellem Tag auf eine geträumte Weise stolz wird, vergißt man eine Menge zu tun,
was wirklich, wahr und Pflicht ist. – Wieviel gescheuter wär's gewesen, wärst Du auf
dem Ball recht vergnügt gewesen und hättest mir das meiste, ja alles erzählt, das
hätte mir weit mehr, ja unendlich viel Spaß und Freude gemacht. – Sehr artig wär's,
wenn Du doch einmal Deine Träume gern näher überlegst, die Nacht drauf in einem neuen
Traum den vorigen zu bedenken, bei Tag aber recht lustig und vergnügt und fleißig zu
sein, denn sonst läufst Du Gefahr, einem gewissen Mann ähnlich zu werden, der sehr
bewandert in der Sternkunde war und alle Augenblicke in einen Graben fiel; ja endlich
elendiglich in einem Brunnen ersoffen ist, weil er immer gen Himmel guckte; Du läufst
Gefahr, daß die Leute sagen, sie ist sehr klug im Traum, aber nicht recht gescheut im
Wachen. Ich bitte Dich um des Kaisers seinen Bart willen, werde nicht empfindsam, und
lasse Dich nicht von dem Lied der Katzen sogar rühren, gehe spazieren, gebe Dich mit
der Toni, mit der Lotte ab und freue Dich ihrer vernünftigen Kälte. Ich bitte Dich um
alles in der Welt, werde nur keine Seraphine Hohenacker, die Geisterseherin! –
Wahrhaftig, dann mußt Du am End verzweiflen, denn ich werd alle Tag gescheuter und
unempfindsamer, es ist was Miserables um einen empfindsamen Menschen in der Welt; und
zwar gerade, weil die Welt nichts weniger als empfindsam ist und einem kein Baum aus
dem Wege geht oder beweint, wenn man sich ein Loch an ihm in den Kopf stößt. Wenn Du
überdem wüßtest, wie man durch Kränklichkeit zu all diesen zärtlichen Empfindungen
kommen kann, und daß die Besessenen und
Nichts vor ungut, Du weißt, daß ich Dich vernünftig liebe und es gut meine.
Es würde mich freuen, wenn Du etwas Geschichte läsest, und außerdem meistens Goethe, und immer Goethe, und vor allem den siebenten Band der neuen Schriften, seine Gedichte sind ein Antitodum der Empfindsamkeit. Aber als Geschichte rat ich Dir Müllers Schweizergeschichte, es ist etwas Himmlisches, ich glaube, Leonhardi hat sie. Es sind zwar einige dicke Bände, aber desto länger dauert die Freude, setze Dir täglich ein paar bestimmte Stunden, wo Du drinnen liesest. – Wenn Du Dich meines heftigen Unwillens erinnerst, den ich in Offenbach hatte, so oft ich alberne Bücher bei Dir fand, so wirst Du mir das Recht zugestehen, mich sehr zu beklagen, daß Du jetzt vermutlich alles lesen magst, was Dir vorkommt. Überhaupt ist es mir sehr verdrießlich, daß Du mir nichts von Deiner innern Bildung schreibst, mich nicht fragst, was Du lesen sollst und dergleichen. Was soll alles Phantasieren über dies und jenes, was nun einmal so ist, wie es ist. Besser wäre es, wenn Du Dein Vertrauen zu mir so benütztest, daß Du mir Einfluß in Deine Bildung gönntest. – Daß Du mich über alle Lektüre um Rat fragtest – und dergleichen. –
Um eins bitte ich Dich noch in Deinen Briefen, nämlich gebe mir immer Nachricht,
sobald irgend etwas Bedeutendes bei Euch vorfällt, von jeder Reise, sobald Du davon
erfährst. – Meine Briefe an Dich zeige niemand, mit solchen, die betrübt sind, wie
immer ohne Ursache, habe Mitleid mit ihnen, suche aber nicht etwa sie zu trösten,
indem Du, beim Lichte besehen,
Dein ehrlicher Bruder Clemens
Noch etwas! – Verphantasiere Dich nicht mit dem Gärtner! – Er ist ein guter vernünftiger Bursche an seinem Platz, nämlich unter Kraut und Rüben. Es ist sein romantisch Leben ganz gut mit den Blumen, das aber doch gewiß halb aus Deinem Magen kommt. – Aber einen tüchtigen Kohl muß er mir doch auch ziehen und muß seinen ordentlichen Respekt davor haben. –
Liebe Günderode! Denn, lieber Clemens, ich muß doch gewiß einen haben, bei dem ich
Dich verklage, Dir ins Gesicht kann ich's nicht alles sagen, was ich Schlimmes von
Dir weiß und aus Deinem Brief heraus sogleich entdeckt habe. Ach, ich möchte gar zu
gerne nicht pfiffig sein und lieber gar nichts merken, aber wenn ich's nun einmal
gemerkt hab, wie soll ich's machen, es übergehen würde doppelt listig sein. – Also
schreib ich's hier ans Günderödchen, da kannst Du gleich erfahren, wie zwei Mädchen
sich über einen listigen Jüngling lustig machen. Also denk nur, Günderödchen, der
Soweit meine Mitteilungen an die Günderode, lieber Clemens, über Deinen Brief; ich
hab ihr zwar nicht wörtlich so geschrieben; denn es braucht zwischen uns der Worte
nicht so umständlich, und dies mal war sie selbst hier, und wir gingen zusammen
spazieren im Boskett, und wir lachten am allervergnüglichsten über deine Besorgnis um
meine Melancholie, hinter der sich doch nur immer die Langeweile verbirgt, da ich die
aber gar nicht herberge, da ich wie ein kleiner Spritzteufel oder sogenannter
Laubfrosch (Rakete) feurig herumhüpfe, morgens aus dem Bett in den Garten barfuß;
denn ich hatte ja wahrhaftig gestern meine Studienbücher liegen lassen. – Dann wieder
hinauf, angezogen, dann zur Großmama frühstücken, dann Klavier exerzieren, Generalbaß
– Hoffmann kommt, entwickelt kabalistische Mysterien der Musik, die ungeheure Kabale
und Schikane ihrer Torsperre; der geniale Hoffmann, der Mann des Ruhmes und der
Begeistrung, hebt diese Gesetze mir zulieb auf, namentlich die der Metrik, die so
engherzig sind, daß jedem Volksredner in dieser engen Taille der Atem ausgeht. –
Jetzt macht mir's Freude zu komponieren. – Hymnen der Diane, Päane an Dionysos, von
Stolberg übersetzt. – Ja, das macht mir Freude, ich klettere als abends aufs Dach von
der Waschküche, dort erfind ich die wunderlichsten Wendungen. Der Himmel rötet sich
davon vor tiefem Mitgefühl, und die Sterne drängen sich herbei und lauschen, und
Hoffmann lauscht auch, er ist unser nächster Nachbar. Meine Stimme ist durchdringend,
wär mein Geist es auch! – Hoffmann kommt am Morgen in die Stunde, kann meine Melodie
halb auswendig, was ich mit Bleistift notiert habe, kann er meist besser als ich –
übers Metrum streiten wir zwar nicht; denn er will durchaus, es soll sein, wie ich's
ursprünglich singe, Takt und Auftakt kommen in Subordination und dürfen nicht ihre
herkömmliche Observanz mehr geltend machen, er sagt, wenn ich mich hineinstudiere, so
wird's der Musik eine neue Bahn brechen. Närrischer Kerl! Willst mir schmeicheln, mir
Mut machen zum Lernen; weiß ich doch, daß er's mir weismacht, so trägt's doch meine
Begeistrung unendlich hoch! Zu Unerhörtem, noch Ungehörtem. Hoffmann machte als ein
kraus Gesicht. – Aber denk doch – bald gewöhnte er sich – nein, er verliebte sich
hinein – und letzt, als er in einem Konzert phantasierte auf dem Klavier, hat er
alles ineinander geflochten; es war schön, ja so begeisternd schön, ich wußte nicht,
was ich hörte, ich konnte meinen Ohren nicht trauen! Es kam mir so deutlich vor, als
habe ich das gesungen. Als er am andern Tag in die Stunde kam und fragte, wie sein
Spiel mir gefallen habe, sagte ich ihm mein Entzücken, aber doch sei es mir so
bekannt vorgekommen, ich hätte beinah jede Wendung vorausgeahnt, so fremdartig sie
auch geklungen
Genug vom Generalbaß! Du siehst, lieber Clemens, daß er seinen Platz in meinen verschiednen Interessen behauptet. – In meinen Heften, die ich vor vierzehn Tagen, also zum 1. Mai geheftet habe, und die den ganzen Monat ausdauern sollten, hab ich schon jetzt kaum Platz, Randglossen zu machen, so hat's Ideen geregnet mit dem Mairegen. – Ich hatte nämlich aus Pedanterie mir meine Hefte numeriert und eingeteilt, auf jeden Tag so viel Seiten, heute in der Geschichte, morgen Musik, übermorgen Ph., ich sag's nicht was, aber Philosophie ist's nicht, die mich übel anriecht auf Hochdeutsch. – Aber es ist das schönste weisheitsvollste Wissen für mich, in dem ich unendliche Aufschlüsse finde von Sonne und Mond und allem, was war und noch sein wird, und hab ich wollen eine Einrichtung der Ordnung machen und einmal Pflichtgefühl spielen, und alles war in schönster Ordnung und Gelöbnisse, sie nicht zu überschreiten. Aber Mirabeau hat Recht behalten, mein Genie hat diese Ketten gesprengt wie ein Pulverturm, der in die Luft flog und alles untereinander warf, es ist kurios mit anzusehen. Aus den vier Heften ist keins zu unterscheiden, was es behandlen soll, schon auf der dritten, vierten Seite ist's wie unterirdisch Feuer, das sich aus dem Schoß des Wissenschaftlichen hervorwühlt und wie eine Lava alles verschüttet. Das Erdreich, über das solche Lava sich ergießt, soll am fruchtbarsten werden.
Ich hab schon sehr genug geschrieben! – Doch kann ich's nicht unterlassen, noch
alles, was den ganzen Tag mich wie ein Bratapfel auf dem häuslichen Herde dem Feuer
aussetzt und gar macht, hier zu notieren. – Auf die Darre bei der Großmama komme ich
auch jeden Tag ein paar Stunden, des Unendlichen unendlich viel, was da vorkömmt. –
Vorzüglich eine Reise zweier Erdwürmer ihr vorzulesen, welche die Erdschichten
untersuchen. Die Großmama schluckt Kohlen, Kalk, Kreide, Kies, Kranitlager
hintereinander (fünf K von ungefähr), ich bin immer froh, wenn die guten Herren ins
Wirtshaus einkehren, wenn sie die Schnapsflasche herausholen und die Wurst, wenn sie
die Nachtmütze überziehen und aufs Ohr sich legen, aber ich kann ja nicht mit
ausruhen, ich muß gleich weiter – das ist meine
Ich gebe Dir in wenig Worten eine recht erfreuliche Antwort auf Deinen lieben, tollen, wunderlichen Brief, der wie alle Deine Briefe nicht zu beantworten ist. Denke Dir – in vierzehn Tagen seh ich Dich wieder! – Den 1. Juni bin ich in Frankfurt, und den 1. Juni ist mein lieber Freund Achim von Arnim in Frankfurt! Ritters großer Nebenmann in der Physik. – Die eigentliche große Freude, die mich hinzieht, ist, daß Du meinen lieben göttlichen Arnim kennen lernen wirst und ein freundliches Bild mehr in Dein Leben tritt. Es wäre schön, wenn Du um die Zeit in Frankfurt sein könntest, wo nicht! – Wo nicht, so bringe ich ihn nach Offenbach! Gott gebe dann besser Wetter als nun, damit Dein Kabinett, der Garten brauchbar ist, uns drei miteinander zu erfreuen. Versteht sich, daß Du niemand vom Inhalt dieses Briefes erzählst.
Ich schreibe Dir hier einige Lieder der Minnesänger aus dem Altschwäbischen her, die ich, soviel es der Reim erlaubt, übersetzt habe. Es gibt wohl kein Gedicht mit soviel Klang als das erste, es ist vom Herrn Ulrich von Liechtenstein an seine Geliebte, und nun an Dich von mir, an die alles von mir ist.
Es hat mich einige Mühe gekostet, es Dir zu übersetzen, und ich habe es daher, doch fast zu seinem Gewinst, etwas verändern müssen.
Was Du noch über mein Buch sagst, ist ihm zu viel Ehre angetan, wenn ich Dir nichts davon gesagt habe, wenn ich Dir es nicht in Händen gab, so ist's, weil ich fühle, daß was Besseres in Dir ist, als alle meine Bücher und Gedanken Dir geben können. –
Den Brief, den Ritter mir über Dein Geschenk geschrieben, lege ich Dir hier bei, finde Du den Dank selbst heraus, aber bewahre ja mir den Brief mit den übrigen, die ich Dir letzt schickte; denn seine Handschrift ist mir heilig. Wenn Du doch auch ein Käppchen für den Arnim machen könntest, damit wir ihm gleich etwas schenken können, da er wohl schnell abreist, so wär das wohl hübsch. Du weißt nicht, wie ich mich freue, daß Du ihn und er Dich sehen soll, er ist gar zu lieb und lustig wie wenige Menschen auf Erden. Adieu, lieb Kind, schreib doch dem Savigny ein oder zwei Worte, wie Du sonst auch immer von Zeit zu Zeit ein Blättchen ihm oft schicktest. –
Briefe auf seiner Rheinreise mit Arnim, die sie zusammen machten, nachdem sie acht Tage in Frankfurt und Offenbach zugebracht hatten.
Der Frühling war so schön, der Rhein trug mich so gastfrei. Arnim hat mich so lieb. Da trat ich hierher in meine Jugend, die mich rings umfing. – Ach, und ich bin so unglücklich geworden, ich liebe so heftig, so heftig die Geliebte meines einzigen Freundes hier, Gott gebe mir Kraft, daß ich entsagen kann, das Mädchen ist Benediktchen K. – –, schreibe mir gleich, schreibe auch an sie ein paar Zeilen dazu, wenn sie Dich kennte, sie liebte mich vielleicht.
Koblenz!
Brentano
Bei Bürger Scheidel, Firmungstraße.
»Schreib mir gleich«, das kann geschehen, da bin ich mit der Feder in der Hand! –
»Schreibe auch an sie ein paar Zeilen dazu!« – Ei, Clemens, Du bist nicht recht
gescheit! – »Wenn sie Dich kennte, sie liebte mich vielleicht.« Gewiß nicht. Wenn sie
mich kennte, so würd ich ihr sagen, sei ganz ruhig, Benediktchen, der Clemens wird
allemal ein Narr, wenn er an den Rhein kommt, im vorigen Jahr war's so mit der
Walpurgis, da brausten Reime wie Schäume! – Clemens, versuch's doch, zu dichten, das
erleichtert vielleicht Dir die Brust. – Dort, wo Deiner Kindheit goldne Tage in
fröhlichem Spiel dahinflogen, auf nimmermehr wiederkehren, wo Du mit Nachbarskindern
im Sand spieltest, wo Benediktchen schon seinen blonden Lockenkopf an Deine Schulter
versteckte, wenn die Sonne zu heiß brannte, wo Du ihm das Stumpfnäschen putztest und
schon damals ihm drohtest, daß wenn es nicht Deine Braut sein wolle, so werdest Du
Dich erschießen. Gäb das nicht eine Idylle, einen zärtlichen Roman? Woher weiß ich
das alles? – Eben kam der Kanonikus Linz zur Großmama direkt von Koblenz, erzählt,
daß Du dort im Korbachischen Hause Schiffbruch gelitten, daß Dein Freund ein schöner
munterer, vollblühender preußischer Jüngling, weitergereist sei, wahrscheinlich um
Deiner Liebe keinen Eintrag zu tun, da er dem Benediktchen, das auch rote Wangen habe
und blond sei und voll wie eine Rose und ein Ringelhaar habe bis auf die Erde, diesem
habe Dein preußischer Freund besser gefallen; so sei er fort nach Düsseldorf, wo er
Dich erwarte, wenn Du würdest Deine Liebeskapriolen fertiggeschnitten haben (Ausdruck
des Kanonikus Linz, Du kannst's ihm nicht übelnehmen, er ist geistlicher Herr und muß
aus Solidität schon dergleichen Liebeshändel verachten). Clemente, Du bist närrisch!
– Ich kann es deutlich erkennen an der Nachschrift Deines Briefes: »Schreibe dem
Savigny alles, was ich Dir schrieb.« Was ist denn das alles, was ich schreiben soll?
– Ich habe das Blättchen auf die andere Seite gedreht, es befand sich ganz weiß, und
ich bin in höchster Unwissenheit! – Was soll ich dem Savigny schreiben? Daß Du
glücklich in Wochen gekommen bist mit einer neuen Liebschaft? – Am Rhein, wo's
allemal so geht? – Ja in Wochen! – Denn so lang wird's kaum dauern, denn Du wirst
Dich gewiß schon früher wieder herausmachen und wirst gelaufen kommen und Deinen
Kirchgang tun bei mir und von mir Dich aussegnen lassen wieder, denn das muß ich
allemal. Das erstemal Walpurgis, das zweitemal die Gachet, und nun Benediktchen,
hinter all dem steckt nun noch Mienchen, da steckt die Günderode, da steck ich auch,
dahinter steckt auch die Eitelkeit. – Die Braut Deines einzigen Freundes. Der Freund
ist vielleicht ein dicker, ungeschliffner, gar nicht reizender Bräutigam. Du siehst
im Spiegel ein edles Antlitz mit sanftem Reiz der Unterlippe, mit unendlich anmutig
witz'gem Feuer der Oberlippe widersprechen. Du siehst eine blendende Stirn, auf der
das Genie nicht zu verschleiern ist, und ein Paar schwarze Augen und einen ganzen
Kerl, der
Und noch eins hab ich mit der Günderode ausgemacht, Dich zu fragen – ob Du's noch so unpassend findest, daß der Gärtner an den Blumen hängt, seiner Passion, und nicht so am Kohl, seiner Pflicht.
Deine barbarische Schwester.
Lieber Clemens! Es wird mir bange, daß Du nicht schreibst, und eine Zeile kannst Du
schreiben! Bist Du wieder ruhig? Mein unartiger Brief wird doch kein Mißverständnis
zwischen uns gemacht haben. Ich hab Nachricht von der Gachet bekommen, sie ist auf
ihrem Gut in Laubenheim und freut sich über ihre gedeihenden Felder. Bei
untergehender Sonne geht sie ihrem Pflug entgehen und reitet dann auf dem Ackerpferd
nach Haus, ich hab sie recht lieb jetzt so mitten in ihrer Haus- und Feldwirtschaft,
sie hat so weit mehr Anzügliches für mich, als wenn sie geistreiche Sachen erzählt,
sie hat mich grüßen lassen, auch ließ sie sich erkundigen, ob ich
Wer diesen Brief von mir erhält, weiß ich nicht! Welchem von meinen Freunden schreibe ich, und wer ist mein Freund? Ich bin schon acht Tage in der französischen Republik, bin auch verliebt, habe Ruinen gesehen, Spitzbuben und Weiber, die bloß der Einfachheit der Forderungen an sie wegen immer die besten sein mögen, die wir haben, in der schlechtesten Welt, die wir haben. Wenn Du ein Mensch bist, der sich gerne mit der Idee abgibt, wie dies oder jenes besser sein könne, der sich in der Zeitlichkeit damit beschäftigt, die Stube zu möblieren, so wäre hier unendlicher Stoff für Deine Ideen, für Schlosser und Schreiner. Alles Gegenwärtige ist mir nur der Stiel, an dem ich Vorzeit und Zukunft anfasse. Die unendlich tiefen vollen und unsichtbaren Gefäße. Die meisten haben nur den Stiel in Händen und sind mit dem Stiel zufrieden, weil sie nicht wissen dürfen, was sie tun, um etwas zu tun. Wie mir's gegangen ist, willst Du wissen, mir ist's nie gegangen. Ich bin, drum liebe ich und lebe ohne Liebe und Leben; ich bin ein geborner Idealist. Ich bin ein Schüler der ewigen Erkenntnis! – Alles begreifen, ist mein Handeln! – Alles lieben, meine Sorgen. Und daß ich alles Deinem Herzen hinbiete, das zu reich an Gerechtigkeit und ewiger Milde ist, um zu besitzen, das ist mein kleiner Fluch, glücklich bin ich nicht, das ist Menschenwerk, unglücklich bin ich nicht, das ist auch Menschenwerk; ich bin alles, das ist Gotteswerk, und mag es niemand beweisen, das ist arme Bescheidenheit, die Kunst aber ist die Kanaille, die mich mit diesem sorgenvollen Ehrgeize behängt hat, und die Trägheit ist es, der ich es verdanke, daß ich so edel bin.
Arnim, Arnim, Dir ruf ich ewig nach, nur neben Dir mag ich leben und sterben, beides muß ich, seit ich Dich kenne, mag ich es auch. Du freue Dich meinen Teil, Du weine meinen Teil, ich gönne Dir beides und wäre zufrieden mit Dir, und so wenig als einer sich selber gewährt, der kein Verlangen nach mehr hat. Neben Dir ist mir's traurig ergangen, und doch konnt ich in Dich als in den Frühlingshimmel schauen! – Dich hab ich als einen solchen gefunden und mein selbst vergessen. So bist Du mir entgegengekommen und hast mich solchermaßen geliebt! – O Jugend, o Leben, o Liebe, o Tod, ob Webstuhl der Zeit! – O Teppich, o Gastmahl, o Rausch, o Kopfweh, o Nüchternheit der Gegenwart. O notwendige Ewigkeit der Gemeinheit und Ungemeinheit, o Allerheiligstes, o Allerunheiligstes.
Im Sandrat steht ein Kupfer, es stellt eine trinkende Psyche vor, auf der Stirn der Psyche fängt die einzige kreisende Linie an, die das ganze Bild herausbringt; an diesem Pünktchen sucht mich, wenn Ihr Euch nach mir sehnt, da sitze ich und hab ein Hütchen auf.
Du bist es, Du liebes Mädchen, die diesen Brief erhält. Du bist mein einziger Freund;
auch bin ich bald wieder bei Dir. Meine Liebe hier ist geendigt, nein, Dir geopfert,
hier hast Du noch ein Lied, schreib mir nicht hierher, ich bin früher wieder bei Dir.
Mein Herz sehnt sich wieder nach Deiner reinen, tiefen Seele, o Du Engel, Du bleibst
mir ewig. Hier hast Du ein Lied, das ich niederschrieb, als ich Benediktchen gesehen
hatte, ich hatte es eigentlich geschrieben, als ich an Dich dachte. Doch zuerst
einige Worte über einliegende Zeilen von Ritter, die er mir ohne eine Zeile an mich
so schickte. Ich weiß nicht, was er damit sagen will, finde sie auch sehr unver-
Clemens
Ich habe zu viel die ganze Zeit an Dich gedacht, und mein Gemüt saß zu gleicher Zeit zu sehr wie auf einer Schaukel, als daß ich Dir hätte schreiben können, auch hab ich täglich abreisen wollen, aber es hat sich mir Abenteuer an Abenteuer gereiht, und ich bin mit allerlei künstlichen Spinnweben umflochten worden, die ich im Anfang leicht hätte zerreißen können, aber ich sah mit künstlerischer Lust den Geweben zu und habe aus kindischer Tollkühnheit mir selbst Stricke daraus geflochten. Ich habe den Geliebten Benediktchens so liebgewonnen, daß ich den beiden Glücklichen emsig in ihrer Intrigue helfe. Beide haben sich wie Engel gegen mich betragen, Benediktchen ist eins der holdesten und genialsten Mädchen, die man wahrscheinlich nur einmal begegnet. Außerdem habe ich noch eine wunderliche Liebschaft, aus der ich gar nicht klug werde. Zwei Freundinnen hab ich auf einer einsamen Insel in einem engen Flußtal hier kennengelernt, der Vater des einen Mädchens hat auf der Insel einen Eisenhammer, das andre Mädchen ist von hier, eine Freundin Benediktchens, sie ging die Einsiedlerin besuchen, und ich begleitete sie. Hannchen heißt die Einsiedlerin und Gretchen die Freundin, sie ist klein, äußerst niedlich und fein, eines Seraphs Gestalt, aber einen ernsten Kopf mit schwarzen, tiefsinnigen Augen, an ihrem Gesichte ist nichts schöner als die ewig rege Freundlichkeit, die in einem beständigen wunderlichen Kampfe mit dem Tiefsinn von Stirn und Auge begriffen ist. Wenn man sie ansieht, ist es, wie wenn schnelle Wolkenschatten unter dem Sonnenschein her über die Felder fliehen. Sie ist streng und freundlich und gleich einem Granatbäumlein, das in unserm Klima keine Frucht trägt. Sie ist nicht glücklich, denn kaum mag man sie zu umarmen wünschen, so wünscht man auch, sie zur Freundin zu haben, weil sie zu bescheiden ist, ihr volles Herz in sehnsüchtigen Blicken zu verraten. Sie sieht einen nur mit vertraulichen Augen an, an denen die Begierde zu einem schwermütigen Ergötzen des Zweifels wird.
Dein fliegend Blatt ist mit dem Morgenwind nicht zum Fenster herein–, sondern
hinausgeflogen. Eben hatte ich meinen Sitz zum Schreiben zurechtgerückt, so macht der
Wind die Tür auf, packt mein Blatt und ab mit zum Fenster hinaus, dahin, von wannen
er gekommen war, was kein Mensch weiß, wo das ist, ich seh ihm nach und entdecke, daß
er mit dem Blatt in den Schornstein unseres Nachbars Johann Andree sich retiriert, er
konnte in den Suppennapf fallen und dem Herrn Andree aufgetischt werden; um dem
zuvorzukommen, sprang ich hinunter, fand das Blatt schon unterwegs nach dem Kanal, es
schwebte über dem Wasser, nur ein Wunder konnte es retten, das war eine graue Mütze,
die es auffing, die dem Arnim gehörte,
Die beiden Freundinnen sind ein Paar Nebenfacetten Deiner verklärten Einbildung, die hundertfältig facettiert ist, sie strahlt im eignen Glanz, was schön ist zu empfinden, zu genießen, und wer sich in Dir gespiegelt sieht, der muß Dich lieben, weil er eben nicht frei ist von Eigenliebe. Man kann vor anmutigster Schelmerei, die vom Witz zur Rührung sich durchneckt, aus der hinüberspringt zur Seiltanzkunst und da solche Sprünge macht, daß einem Hören und Sehen vergeht, gar nicht dazu kommen, daß man so weit sich mit Dir einließe, Dir ein Gnadengeschenk zu machen mit irgendeinem Pfand der Zärtlichkeit. Einen Kuß zum Beispiel, wie kann man ihn Dir geben, Du hattest Dir ihn schon genommen wie einen Apfel, den man gedankenlos vom Zaun bricht, Du spielst Ball mit zum Zeitvertreib, Du haschst ihn wieder, Du wendest und drehest Dich damit vor dem geblendeten Auge der Geküßten, die nicht begreifen kann, wie dies Pfand der Zärtlichkeit bestimmt war, solche Luftsätze zu machen. Die andern, die zusehen, lassen sich hinreißen von diesem Spiel, sie sind außer sich vor Vergnügen über den göttlichen Clemens, eh sie sich's versehen, hast Du einen neuen Apfel abgerissen von den Zweigen des Wohlwollens, der Hinneigung und Begeistrung, der alte Apfel rollt in die Ecke und beschämt die, der Du ihn durch Deine Neckerei geraubt hattest. – Clemente, sei nicht böse über diese Charakteristik, sie ist ja nur die spanische Wand Deiner andern »Torheiten«, sagte die Günderode. Tiefe Weisheit sagte ich, wahre, tiefe Liebe sagte ich, Heiligtum der reinsten, edelsten Freundschaft. Und der Clemens kann in seiner Treue nicht verglichen werden; er faßt die Seele, er legt sich warm wie ein brütender Vogel über sie und schützt sie und streitet für sie und harret geduldig über ihr mit großer Sorge und Vorsicht, aber dann kriecht öfter auch ein Gänschen aus dem Ei, aus dem er einen Schwan auszubrüten hoffte, und das ärgert ihn dann sehr.
Soweit ich und die Günderode über Dich; nur noch eins wollte ich behaupten, daß sie
nämlich gewiß auch einen Apfel misse an den herabsenkenden Zweigen ihrer adeligen
Seelengüte! – Clemens, wenn Du den geraubt hättest auch zum Spiel nur und hättest ihn
nicht bewahrt als ein Geschenk der Göttin Fortuna, so prophezei ich Dir Schlimmes. –
Du weißt, wer ein solches Pfand vernachlässigt, an das diese eigensinnige Göttin oft
das Heil ganzer Geschlechter knüpfte, der muß dann einen bösen Dornenpfad wandern,
von dessen stacheligen Zweigen er keine süßen Feigen sammeln kann. – Ich fragte die
Günderode über dies Pfand und ob sie glaube, daß es in Deiner Seele Gedächtnis gut
und edel verwahrt sei – sie ward ein bißchen nachsinnend darüber – dann lächelte sie
und zog mich auf ihren Schoß und küßte mich zärtlich! – Ich weiß, daß die Günderode
Dir gütig gesinnt ist, sie ist die beste und edelste von uns dreien. Aber
natürlich,
Der Arnim kam zu uns ins Stift und fragte, ob man bei dem herrlichen Abend nicht
wolle hinaus nach der grünen Burg, so wanderten wir bei Abendschein die stillen
Feldwege, ich lief immer voraus, wendete um und sah die beiden vom untergehenden Tag
mit einem Nimbus umfangen, schreiten, mehr schweben – optische Wirkung des Lichtes,
das seinen Sonnenharnisch abgelegt hatte! – Das Licht, wenn es nicht thront, ist
mild, einfach, bescheiden, kindlich und wohl gar wie ein Kind zum Spielen geneigt. –
So auch der Weltherrscher, im Sonnenfeuer seiner Macht durchglüht er alles mit
Geistesfeuer, ihm muß werden, was seines Willens ist; aber wenn er sich entkleidet
dieser Gewalt, ist er wie ein Kind! – Der Arnim sieht doch königlich aus! – die
Günderode auch; der Arnim ist nicht in der Welt zum zweitenmal, die Günderode auch
nicht. Die beiden gehen da nebeneinander an diesem schönen, heitern Abend! Aber dort
kommt ein Gewitter! Die Winde kehren vor uns den Weg, wir müssen eilen! Wir fangen an
zu traben, wir wollen eben in Galopp uns setzen, ergießt das schwarze Gewölk sich
über uns, unten blitzt es, die Donner schlagen ihre Wirbel. Wir erreichen einen
dichtlaubigen Kastanienbaum, die Regenflut läuft an seinen breiten hängenden Ästen
hinab, dicht am Stamm ist's trocken. Der Arnim breitet seinen grünen Mantel um uns,
die Günderode hat mit dem Kragen den Kopf geschützt, ich konnte es aber nicht drunter
aushalten, ich mußte sehen, was am Himmel passiert. Da zogen die Regenschichten
nacheinander vorüber, es war ein Gewühl. Ganz so stell ich mir das Wetter vor unter
der Erde, wenn da ein Postament von Wolken wär, auf dem sie thronte. – Kurz, es war
entweder das unterste Naturgestell, was mit dem Gewand ihrer Farben und
Schönheitsschmelz verdeckt ist, und sie hatte dies ein bißchen zu hoch geschürzt,
oder es war die Kehrseite der Kulissen, hinter die man wirft, was nicht soll an Tag
kommen. Aber Nacht und Dunkel kommt ja auch an den Tag; um so heller der leuchtet, um
so dunkler sie uns droht. – Ein Weilchen gefiel mir dies böse Abenteuer. Arnims
wunderschöne Jugendnähe elektrisierte mich, ich opponierte dem Gewitter mit allerlei
vom Zaun gebrochner Philosophie, die nicht Hand und Füße hatte und nasse Flügel, die
ließ sie hängen. – Wir gingen weiter, jetzt, wo der Wind die Wolken ins Gebet nahm,
rissen sie aus. Die Günderode wurde ins Bett gesteckt, wir sollten die Nacht
dableiben. Wer war froher wie ich. Eine schöne Sommernacht unter einem Dach mit dem
Arnim, mit Günderödchen durchplaudert, – doch haben wir uns gezankt. Wir stiegen die
Leiter der Begeistrung hinan in unserm Nachtgespräch, eins überhüpfte das andere,
oben zankten wir einander, daß wir nicht in ihn verliebt seien, dann zankten wir
einander, daß wir kein Vertrauen hätten, und wollten's nicht gestehen, daß wir ihn
doch liebten, dann
Der Arnim ist fort! – er hat den Handschuh zurückgelassen. Gestern nahm er Abschied,
und gestern leuchteten noch die Sterne uns beim Heimgehen, er suchte einen Stern aus,
den wir alle drei wollten sehen, wenn wir aus der Ferne aneinander dächten. Ach Gott,
ich hab den Stern vergessen, er hat's so deutlich expliziert, und nun kaum war er
fort, wußt ich's nicht mehr, ich fragte die Günderode, denn die ist sternkundig, aber
die neckt mich und nimmt dies als einen Beweis, daß ich gewiß in ihn verliebt sei! Es
ist aber doch nur, weil mir's so leid tut, daß er vielleicht treu und redlich
Lieber Clemens, gestern nahm Arnim Abschied, und gestern schrieb ich dies nieder, und heut bin ich wieder ruhig über die Sternengeschichte, denn mein Gewissen würde mich dann ewig geplagt haben, ob ich auch zu rechter Zeit nach dem Stern sehe. Ich würde am End jeden Tag eine ganze Stunde meinen Kopf haben in die Höhe halten müssen, es wär eine Pein gewesen, um gleich des Kuckucks zu werden. Ich wollt, Du wärst bei mir, ich hab Dich doch ganz allein lieb, und so lieb wie mich hast Du niemand anders. – Wenn Du auch noch so sehr meinst, Du müssest über Deine Liebschaften verzweifeln, weil immer keine Gegenliebe dabei herauskommt. Es ist einmal so, die Menschen machen sich nichts aus uns beiden, und wenn wir ihnen ebenso vorkommen, wie sie mir alle zusammen vorkommen, dann ist's ihnen nicht zu verdenken; denn so albern sind sie wohl, daß sie uns ebenso absurd finden, als wir gescheit sind, sie närrisch zu finden. Aber vom Arnim tut mir nichts leid, als daß ich so kalt Abschied von ihm genommen hab, ich fragte ihn lachend, ob es ihn dann gar nicht rühre, daß er nun weggehe, und es war mir doch gar nicht so ums Herz. Ich hätte viel lieber Abschied von ihm genommen wie von Dir, nicht wie von einem Fremden, der mich gar nichts angeht.
Jetzt freut mich's, daß ich so aufrichtig gegen Dich sein kann, und wenn Du an Arnim schreibst, so sage ihm, daß ich ihn noch recht liebhabe, aber nicht so deutlich sage es ihm wie hier in diesem Brief. Ich würde Dir eher geschrieben haben, aber ich bekam erst viel später Deinen Brief von Christian, der auf der grünen Burg den ganzen Tag im Gras liegt und Flöte bläst, und die Leute sagen, die ganze Gegend wär wie verzaubert von diesen Flöten-Variationen »Mich fliehen alle Freuden,« und wenn er aufhört zu blasen, so spitzen sie die Ohren, als ob sie was hörten, das ist die schweigende Stille, die sie hören, das ist ihnen ein so längst entwöhnter Ton, eben weil die Flöte weder bei Tag noch Nacht von seinen Lippen kommt.
Clemens, komm bald, komm ja recht bald, an Benediktchen einen Gruß, und sie soll Dich gehen lassen. – Komm, ich hab Dir viel zu sagen.
Bettine
Während ich Deinen Brief las, donnerte und blitzte es rings im Tale, nun ist es
ruhig, aber ich kann Dir nicht heute ruhig antworten, es ist keine Zeit, wahrlich,
Dein Brief selbst läßt mir keine Zeit, ich gehe jetzt in den Garten, da will ich an
Dich denken und Deinen Brief dem Sonnenschein, der durch die Gewitterwolken bricht,
vorlesen, der wird Dich in Offenbach freundlich dafür ansehen und Dir danken, daß Du
an ihn geschrieben hast. Drum, er konnte auch nicht umhin, er muß Dir gleich recht
warm glühende
Meine Gitarre wünsche ich mehr als je hierher, ich möchte sie mit nach Düsseldorf nehmen; wenn Du sie könntest lassen in eine Decke einpacken, wäre gut. Hast Du dem Ritter geschrieben? – Schreib ihm doch, er ist einer, der besser ist wie die Albernen, die uns für absurd halten, schreib ihm, lieb Kind! – wie Du ans Weltall schreiben würdest, wenn Du auf einem vertrauten Fuß mit ihm wärst. Denn er ist im Begriff, die Schöpfung auszusprechen. So wie der Urgeist sie im Moment der Erfindung aussprach, was ein und dasselbe ist dem Erfinden, so geht sie in geläuterten gehöheten, geistigen Begriffen durch ihn durch, als ob sie bloß geschaffen, um auch einem so erhabnen Streben des Geistes durch ihren Begriff zu lohnen. – Lies doch wieder in den guten Büchern, die Du hast, lieber Engel – und werde immer ruhiger und bemühe Dich, einzelne Dir merkwürdige Lebenspunkte aufzusetzen, und schenke mir dann und wann so was! – Dem Arnim will ich schreiben, daß Du ihn liebhast, er erwartet sich's aber auch nicht anders, denn er hat Dich gewiß ebenso lieb; – und vom Günderödchen war's ebenso recht, daß es ihm nicht den Vorzug gab. Denn es will gewiß gleich teilen zwischen mir und ihm, und wir vier gehören ja alle einander an.
Düsseldorf
Warum schreiben wir uns nicht? – Ich gehe in jeder Stunde mit Dir um, Dein Bild steht
immer hinter meinem Tintenfaß, und ich sehe Dich immer an. Wenn ich Dein Bild
aufgestellt habe, so bin ich honett, gut, einfach und stolz. – Ich gehe hier mit
vielen Leuten um, die schlechter sind als ich und
Hast Du was gedichtet, geschrieben, schicke mir es in meine Einsamkeit. – Wenn Du ein Kinderkleidchen für ein liebes rundes Mädchen von drei Jahren hättest, aber recht hübsch und bald, so würdest Du mir große Freude machen. Wo nur Arnim stecken mag, ich hörte seit meinem Brief nichts mehr von dem Jungen. Du bist wohl recht ruhig. – Ich bin es auch. Ich schicke Dir vielleicht bald mein Porträt. Schreibe mir einen langen historischen Brief. Deine Empfindung, meine Empfindung kennen wir ja! – –
Ich werde noch eine Weile hier bleiben, denn zu sehen, zu hören, ja mitzufühlen, wie alles Denken und Erdenken plötzlich fließend wird in musikalischen Gesetzen, die der Poesie den Kopf zurechtrücken, das macht mich ganz hingerissen. – Leb wohl! Schreib!
Clemens
Ich will gleich anfangen mit dem, was mich zuletzt frappiert in Deinem Brief! – Ich
hab Angst, die Musik wird schlecht zu Deiner Oper. – Warum? – Weil Du eine so enorme
Freude daran hast! – Ich kenne Dich ja! – Du läßt Dich gar zu leicht begeistern.
Einem Kapellmeister gegenüber, wenn er seine Musik vorträgt, ist nicht zu spaßen mit
fünf Sinnen, sie gehen in die Brüche! Er betrachtet Dich als einen guten Kerl, den er
mit Herablassung Straßen führt, welche Dir unbekannt sind, Du kannst da gar keine
Autorität haben, Du mußt Dich führen lassen! Die Effekte, die
Hoffmann hat hier ein Duett gemacht, wozu Du mir den Text schon früher gabst: »Hör, es klagt die Flöte wieder, und die kühlen Brunnen rauschen.« – Ja, wenn Dein Komponist so arbeitete wie er! – Dazu muß man aber, in eine Einsiedelei verborgen, Blumen und Gras umher, im Schlaf versunken, nach der Ferne lauschen, wo die rauschende Welt endlich auch betäubt ruht. – So ist aber der gute Hoffmann, sein kränklicher, gebrechlicher Körper sondert ihn ab von den Schwelgereien der Musiker, von ihren Weltverhältnissen und Liebeleien! – Durch den Hoffmann hab ich manches begreifen lernen. Erst war ich als immer verwundert, wie doch ein Mensch so ein traurig Los tragen müsse, der seinen Leib doch nicht verlassen könne, der ihm Schmerzen macht; jetzt weiß ich's aber anders. Der Geist überwindet alles. Und wenn der Geist kämpft, so muß er doch stark dadurch werden. Der Geist kann nicht Wunden erliegen. »Invulnerable«, sagt Mirabeau. Es kann nur vielleicht ihm versagt sein, sich geltend zu machen! – Aber vielleicht ist der Leib die verschlossne Werkstätte, in der der Geist zur höchsten Stufe der Bildung gelangt; und wenn er erst durchgeläutert und geglüht als vollendetes Kunstwerk seiner selbst, zugleich mit dem Lebenskeim zu einer höheren gewaltigeren Bildung versehen, neue Welten durchdringt – was ist's da, daß in dieser Welt die Krankheit wie ein böser Traum ihn anflog. – Guter Hoffmann! – Ich höre sein Klavier bei offnen Fenstern in die Mondnacht rauschen! Er denkt gewiß, ich lieg im Bett und hör ihm zu! –
Gute Nacht, morgen schreib ich weiter, weil Du einen so langen historischen Brief verlangst. –
Den wollt ich Dir wohl schreiben, den schönen langen historischen Brief, wenn nur was
vorgehen wollte! – Ich hab zwar gar keine Neigung, daß etwas vorgehen soll, aber doch
wie letzt in der Blaufärberei am Kanal Feuer ausbrach, machte mir das ein unendliches
Vergnügen; damit stimmte das Volk mit seinem Schauspielertalent überein. – Eine
Verzweiflungs-und Jammergeschreikomödie, gewürzt mit den ausgelassensten Scherzen;
das Ganze war unwiderstehlich, ich bedauerte, daß es nicht schicklich war
Die Linden wurden übrigens gerettet; denn die Juden ließen sich nicht zu nah kommen! – Die Hornisten, Hautboisten, Klarinettisten und Fagottisten schmetterten ihre Passagen dazwischen wie freie Göttersöhne in des Mondes blauem Licht, der über ihrer Wohnung thronte und nichts von seinem Glanz verlor durch die gegenüber aufqualmende Feuersäule, die sich oft vom Rauch nieder mußte drücken lassen! – Der Mond hat Charakter, die Gestirne haben Charakter, der Himmel, der sie trägt wie ein Baum die Äpfel, der ist der Charakterbaum. – Die Menschenseele ist ein kleiner fliegender Samenstaub, der einen guten Boden sucht, um auch Charakter zu werden. – Das Werden! – Das große Werden – ist und soll sein der einzige Genuß, sagt die Günderode, der wird aber nicht, der nicht göttlich wird, sagt die Günderode auch noch. – Für heut hab ich genug geschrieben; nun wünsch ich, daß morgen wieder was vorfallen möge, einzig, um meinen historischen Brief fortsetzen zu können. –
Heut ist aber doch nichts vorgefallen, so sehr ich auch getrieben habe und dem
Fenster hinausgeguckt, ob nichts kommen wollte. – Vom Feuer war viel die Rede, man
besuchte die Großmama, um ihr zu gratulieren, daß ihr der Schreck nichts geschadet
habe; sie wurde am End ärgerlich, wie einer
Nein, heute ist nichts weiter vorgefallen, was ich historisch nennen könnte, der Tag
ist total vorbei! – Und nichts, was nur den Hund hätte zum Bellen gebracht. – Nur
eine kleine elegische Szene. Die Großmama hat manchmal einen Verdruß an so einem
Federvieh, wenn es in ihre Hausordnung sich nicht fügt, so muß es geschlachtet
werden, diesmal traf das traurige Los der Hinrichtung ein impertinentes Huhn, was
immer mit großer Geschwindigkeit die Weizenkörner, welche sie für alle streut als
Dessert zum Haber, für sich allein erschnappte. Dies Huhn war von Meline in Affektion
genommen, gleich als es auskroch, heißt Männewei, von Mannweibchen, weil es lang
unentschieden blieb, ob das Tier ein Hahn oder Huhn sei, da es einen so roten,
stolzen, doppelten Kamm und einen schönen roten Bart hat, kurz, ich komme grade an
der Küche vorbei, wie die taube Agnes auf dem Schemel sitzt, das Huhn zwischen den
Knien, das Messer wetzt. – Ich springe hinzu, zieh den Schemel unter ihr weg, sie
fällt auf die Nase, das Huhn unter dem Messer weg flattert mit großem Geschrei durchs
Küchenfenster; es war die Zeit, wo die andern Hühner schon alle im Hühnerstall mit
ihrem Hahn der goldnen Ruhe genießen, kaum hörten sie aber das Notgeschrei der Henne,
als alle loslegten mit Gackern! Ich war voll Schreck über meine Kühnheit, die
Hinrichtung zu verhindern. Ich jagte das Huhn durch den Garten, ganz am End der
Pappelwand fing ich's erst ein, wo sollte ich mit hin, bracht' ich's zurück, so wurde
es dennoch abgetan, aber mir schauderte, eine Suppe von diesem Huhn zu essen. – Ich
marschierte zum Gärtner im Boskett. – Der nimmt es unter seine Obhut, bis bessere
Zeiten kommen. – Wie kann man auch Tiere, die täglich unter uns herumlaufen, uns
trauen, einem nicht aus dem Weg gehen, plötzlich,
Schon wieder ist der Abend angerückt, lieber Clemens! – Heute sind keine Ereignisse
vorgefallen, nur Nachrichten eingelaufen, die aber vielversprechend sind. – Savigny
ist auf dem Trages und erwartet uns zum Diner den Sonntag, wir werden also morgen in
die Stadt gehen, diese Nachricht brachte Doktor Ebel als Auftrag von Leonhardi, der
uns einen Platz in seinem Wagen anbot. – Ebel ist ein naturforschender Mistfinke,
aber die Großmama geht ganz darüber hinweg, daß er immer ein schmutziges Hemd an hat
und schwarze Nägel, und tat folgenden, merkwürdigen Ausspruch: »Mein Kind! – Die
Reinlichkeit ist zwar die edelste Tugend und ist verschwistert mit der sittlichen
Reinheit. Selbst ein lasterhafter Mensch erhebt sich aus seinem Sündenpfuhl, wenn er
sich wäscht und ein reines Hemd anlegt, die Würde des Menschen fühlt sich dadurch neu
belebt. – Aber – –«, sagte sie und hielt ein, denn der Mistfinke, der einen
Augenblick abwesend gewesen war, trat herein und brachte der Großmama allerlei Abfall
von der Natur, den sie sollte in ihr Naturalienkabinett aufnehmen. Unter andern ein
Stück Leinwand von Asbest, was unverbrennlich sei. – Moose, welche auf der höchsten
Spitze der Spitzberge wachsen – purpurrot! St. Pierre und Buffon wurde geholt, um
über Schnecken und Muschelsamen, wovon Ebel eine ganze Bonbontüte voll mitgebracht
hatte, zu befragen, sie blieben die Antwort schuldig! – Ebel erzählte also, daß
dieser, aus dem Grund des Schwarzen Meeres, ihm von einem Freund zur
Genug von der Empusa; als sie geflohen war, so wollte die Großmama das Wort für ihn nehmen und meinte, es sei doch gut von ihm, diese Freude ihr zu machen. Ich holte Licht und bat die Großmama so sehr, sie möge doch die Asbestleinwand ins Licht halten. Aber ach, sie brannte ab. – Adieu Leinwand! – Adieu, Ebel, Du bist kein charmanter Ebel mehr! –
Am Samstag sind wir um neun Uhr nach Frankfurt gefahren! Der erste, der am Kornfeld
von Sachsenhausen uns begegnet, war die Empusa; sie hatte sich nicht mehr am Abend in
die Stadt getraut, es war Meltau gefallen, und so blieb sie auf der Gerbermühle,
damit nicht auf ihm der Meltau sich hafte, der sehr oft die Auszehrung veranlasse.
Ich rief dem Kutscher halt, sprang aus dem Wagen, brach mehrere Ähren ab, nahm sie in
den Mund und ließ sie blühen; – dann persuadierte ich die Empusa, doch diese
Roggenblüte durch den Mund zu streifen und zu essen, als ein ganz sicheres Mittel
gegen die Auszehrung. Dies hab ich im Kloster gelernt. Empusa fraß die Roggenblüte,
fühlte sich nun, gesichert gegen den Meltau, ganz munter. – In unserm Haus war alles
voll Sonnenschein und erinnerte mich sehr an unsere Kindheit, wo wir uns als in die
Galerie versteckten, um dort das kleine Seeschiff zu betrachten und die unzähligen
kleinen Wachspüppchen von allen Ordensgeistlichen, vom Papst an bis zu den
Bettelmönchen und Nönnchen. – Die Galerie stand offen, ich verweilte dort bei manchem
aufgehobenen Kinderspiel aus unserer frühsten Zeit; auch fand ich dort in einem
Schrank den schönen Kastorhut der Mutter mit einem blitzenden Band von Stahl und
Goldperlen, auf den der Papa als die Johanniswürmchen setzte, wenn er mit uns am
Abend im hohen Sommer spazieren fuhr. – Der Kastorhut war mir gar zu lockend; ich
setzte ihn auf, er stand mir schön, ich glich der Mama; denn ihr Bild wurde mir
wieder ganz deutlich – und der Papa hatte mich auch lieb vor allen Kindern, ich glaub
wohl, daß ich ohne Sünde den Hut kann behalten. – Ich frage bei Dir an, ob's ein
Diebstahl ist, – unterdessen hab ich ihn zum Günderödchen gebracht, daß sie mir ihn
versteckt, bis Du mir schreibst, ob Du erlaubst, daß ich den
Gestern am Sonntag fuhren wir nach dem Trages; – schon um sieben Uhr waren die Wagen
vorgefahren, alles, was mitfuhr, hatte sich im Saal versammelt, alles war
eingestiegen, und als alles eingestiegen war, da war kein Platz mehr für mich! – Da
hieß es, der Leonhardi kommt gleich vorgefahren mit Fr. von Barkhausen, mit denen
fährt die Bettine. – Der Leonhardi kam erst gegen zehn Uhr! – Keine Frau von
Barkhausen mit; man war unsicher, ob ich allein mit ihm über Feld fahren könne,
unterdessen stieg ich ein und sagte: »Fahr zu Kutscher!« Und bald war ich mit meinem
Leonhardi in die sommerlichen Felder entflohen. – Jetzt laß Dir erzählen und glaub es
nicht, das kann mich nur überzeugen, daß es Dir zu toll vorkommt; er klappte einen
Tisch auf, darauf legte er einen Folianten, den er mitgenommen hatte, einen Krug
Geilsheimer Wasser, den er mit einer Schlinge ans Fenster befestigte, plazierte er
auch darauf – und nun legte er sich mit beiden Ellbogen auf seinen Tisch und fing an,
in der Chronik zu studieren und Exzerpte zu machen. – Nachdem ich eine Weile eine
große Warze und eine kleinere Warze auf seinem Backen betrachtet hatte, so fing ich
an zu pfeifen. – Das war ihm verdrießlich; er bat mich, stille zu sein; denn er habe
da was sehr Ernstes vor und sich es zum Gesetz gemacht, nie Zeit zu verlieren! – Ich
schwieg recht gern, aber ich sang in Gedanken und vergaß das Schweigen und sang
wieder laut. – Das störte ihn sehr; er machte mir Vorwürfe, daß ich keinen Augenblick
Ruhe haben könne! – Als wir an einer Schenke hielten, um die Pferde zu füttern,
setzte ich mich auf den Bock und ließ den Leonhardi mit seiner alten Chronik im
Wagen! – nur einmal ließ ich halten, weil eine wunderschöne Blume am Wege stand, die
wollt ich pflücken; da machte der Leonhardi einen fürchterlichen Lärm, ich hatte aber
meine Blume. O blühte sie doch ewig! – Es ist mir lieb, daß bis jetzt mir noch
niemand gesagt hat, wer sie ist, denn dann setzt man gewöhnlich auch hinzu, sie ist
ganz gewöhnlich und wächst da und da sehr häufig! – Nun laß Dir nur erzählen, wie
schrecklich bös ich den Leonhardi gemacht hab; ich wollte nämlich ein bißchen fahren,
und ich kann es auch recht gut. Da hat mir der Kutscher die Zügel gegeben; der
Leonhardi, der alle Augenblick aus seiner Chronik herausguckt, sieht das, ruft, ich
soll's sein lassen, die Pferde scheuen leicht. Der Kutscher sagt, ich könnte getrost
fahren; – ich schnalze mit der Zunge und werfe den Pferden die Zügel ein bißchen auf
den Hals, sie werden charmant mutig, und es geht noch einmal so rasch! – Der
Leonhardi kriegt Angst schrecklich, die Pferde seien ausgerissen, steckt eilig den
Kopf durchs offne Fenster, wirft
Es mußte gewischt und geduppt werden den ganzen Weg! – Aber jetzt kommt was sehr Lächerliches; er holte einen ganzen Pack alter Zeitungen aus der Tasche, ohne die er nie reist, sagte er, – und nun wurden die nassen Stellen bepflastert; das ging so fort, bis wir in den Wald kamen, wo der Weg zu schlecht ist, um zu lesen oder zu pflastern. – Wir kamen an, wie eben die Krebse auf den Tisch getragen wurden, – ungeheuer große Kerle aus dem Goldweiher. Der Leonhardi zankte noch nachträglich auf mich, daß ich allein am späten Kommen schuld sei – ich hätte alle Augenblick eine Blume abbrechen wollen, ich hätte das Geschirr an den Pferden in Unordnung gebracht, ich hätte die Pferde wildgemacht. – Es waren mehrere Hakennasen aus Savignys Familie da – es war ein ziemlich heißer Nachmittag, mit verbrannten Nasen kamen wir vom Hahnenkamm zurück; Savigny war über die Maßen freundlich und schloß alle Schleusen seines Paradieses auf und schien dennoch so einsam unter uns allen, als wären wir wie eine Horde Räuber bei ihm eingefallen. Die Zeit kam zum Aufbruch; auf der Heimfahrt war ich nicht in Leonhardis Kutschenverlies eingesperrt, er hatte dagegen appelliert. – Ich schlief im Wagen bis in Hanau, wo die Pferde futterten; da sahen wir Minchen, und da teilte ich ihr Deinen Brief mit, sie freut sich recht, die Heldin Deiner Oper zu sein. Dort kam der Georg gefahren und nahm mich in sein Gig, wo ich durch die kühle Nachtluft sehr erquickt ward. – Heute Nachmittag sind wir wieder in Offenbach angekommen; ich wollt, ich wär gar nicht fortgewesen, so müde bin ich von dieser Reise. – Ich endige meinen historischen Brief, weil es mir grade so ist, als werde nichts heut vorgehen, woraus ich geschichtlichen Honig saugen könnte. – Günderode, Minchen und Marianne grüßen. – Du kommst wohl diese Messe nicht nach Frankfurt? –
Bettine
Dein letzter Brief hat mich mehr als je ein vorhergehender erfreut, er ist recht
fröhlich, ohne alle Melancholie, und Du hast eine große Darstellungsgabe; immer mehr
werde ich überzeugt, daß Du eigentlich zum poetischen Auffassen aller Ereignisse,
auch der kleinsten, das größte Talent hast, und ich kann Dir nicht genug empfehlen,
daran festzuhalten. Alles, was Du mir erzählt hast, ist gut und lieb und wahr. – Wie
weh sollte es mir tun, wenn Du aus Deiner natürlichen Richtung herauskämest. – Wie
schön wird unsere Freundschaft werden, wenn nichts Unklares und Trübes mehr in ihr
herrscht und unsre Empfindungen sich klar und tief aussprechen, und wir uns recht
vernünftig aneinander freuen können. Daß Du ruhig und heiter bist und dahin strebst,
fühle ich mit Freuden, und daß ich auch dahin strebe, darfst Du mit Recht von mir
begehren. Du glaubst, ich werde
Sieh, das sind alles fromme Wünsche, und ich weiß kaum, ob die Momente, an die sie sich knüpfen, wirklich eintreten werden, und ob es möglich sein wird, je auf einem solchen Parterre des Witzes und des Extraordinären einen freundlich häuslichen Garten anzulegen, wo jeder gern sein möchte. Ich habe nie Gemüter angetroffen, die so warm lieben und zugleich sich schämen, diese Liebe zu äußern. So trifft der Spott immer die Innigkeit, und ist keiner da, der sie auslacht, so lacht sie sich selber aus. – Übrigens weiß ich bei allem dem nicht, ob man damit übereingekommen ist, Dich nach Frankfurt zu nehmen; mein Wunsch wäre es beinah, daß Du mehr in den gewöhnlichen Frankfurter Schlendrian kämst, damit Du das Auffallende in Deinem Betragen etwas unterdrücktest, denn durch dies Auffallende kannst Du leicht einstens noch viel Verdruß haben, nicht als wäre es deswegen schlecht an sich, nein, es ist nur hinderlich und steht oft und bei dem Weibe fast immer im Wege, Gutes zu wirken.
Die Sitte kann keinem Menschen erlassen werden; sie ist eine Art Allerweltsprache, ohne die man nie verstanden wird; doch soll der Mensch in sie ebensowenig von Jugend auf hineingeleimt werden, als er ganz unfähig für sie werden darf. Aber schön ist, wenn sie der Mensch mit freiem Willen ergreift, sie durch die schöne Eigentümlichkeit seines Daseins veredelt und so allen andern in dieser allgemeinen Sprache sich selbst liebenswürdig und verständlich macht. Jede gänzliche Verschließung des Menschen ist verderblich und hat etwas Fürchterliches und Unnatürliches, um so mehr, wenn sie nicht ganz freiwillig, sondern durch eine äußere schmerzliche Berührung mit der Welt hervorgebracht ist, die aus Unfähigkeit und Unbildung entstand; denn in dem Zusammenhang besteht die ganze Größe der Welt, und an ihr können wir uns allein stärken und bilden. Wer sich diesem Zusammenhang entzieht, muß ein großes reiches Leben zurückgelegt haben, das er nun ausbilden und verarbeiten will, oder er muß sich von seinen Wunden heilen wollen, so kann er zu entschuldigen sein, wenn er zurücktritt. Aber jener, der durch Ungewohnheit und Ungeschicklichkeit im Umgang mit Schmerz und Sehnsucht nach eben der Welt, der er sich nicht anpassen kann, sich zurückzieht und auf sich selbst reduziert, der verdient bei allen übrigen Verdiensten doch von dieser Seite für einen unvollkommnen ungeschickten Menschen gehalten zu werden und wird mit Recht ausgelacht, wenn er seiner Unbeholfenheit den Namen der Zurückgezogenheit oder der Betrachtung geben will. Solange, liebe Bettine, als die Einsamkeit Dir noch anklebt als Widerwillen gegen die Gesellschaft, mußt Du Dich nach den Menschen umsehen und alle Mittel anwenden, Dich von allen Menschen geliebt zu machen.
Das Leben des Weibes ist fester und unbeweglicher als das Leben des
Arnim hat mir neulich viel geschrieben, er ist bis Mailand herumgeirrt und hat viel gedichtet; sein ganzer erster Brief ist über Dich, doch ohne Verliebtheit, mit freundlicher Achtung und Annäherung erfüllt. Wenn ich nach Frankfurt komme, lese ich ihn Dir vor; er ist jetzt in Genf und grüßt Dich herzlich. – Sollte Dir übrigens der Vorschlag gemacht werden, nach Frankfurt zu kommen, so mache keine Einwendung, als höchstens, daß Du gern Dein eignes Kämmerlein haben möchtest; denn die vielen anderweitigen Berührungen, denen Du ausgesetzt bist, wenn Du die Wohnung teilst mit Gundel, die ganz andere Gewohnheiten und Verkehr hat, als ein so junges Mädchen wie Du sie haben kannst, würde auf Deine fernere Bildung sehr verderblich wirken. – Adieu, liebstes Schwesterchen, sei vergnügt und fleißig und fein.
Dein Clemens
Düsseldorf
Bettine, Du schreibst nicht! Das macht mich ängstlich um Dich. Du bist seit vierzehn
Tagen in Frankfurt; ich muß mir das von andern schreiben lassen, es ist zum
erstenmal, daß ein Brief so lang ohne Antwort blieb; ich hatte Dir geschrieben aus
ernsten Gründen und Dir ans Herz gelegt, was Dir so notwendig, mir so wichtig und
heilig ist. Was kann Dich abhalten, mir zu antworten? – Ich bin seit gestern hier aus
Jena, wo ich mit meinem Ritter war, der auch Dir so gut ist, dem Du nichts
geantwortet hast auf seine liebevollen Zeilen. Was ist das, daß Du verachtest, wenn
ein so großes Gemüt Dich freundlich begrüßt, daß Du diesen Gruß verschmähest!
Ich sitze hier schon eine halbe Stunde und besinne mich, – nicht was ich Dir
schreiben soll; denn ich hab genug zu sagen, aber wo ich anfangen soll! Das geschieht
mir nun schon so oft, als ich auf Beantwortung Deines letzten längeren Briefs denke.
– Und sonst war das nicht so! Nie hab ich mich bedacht, es floß mir aus der Feder! –
Deine Verweise kränkten mich nicht, wenn sie auch manchmal aus der Luft gegriffen
waren, – und jetzt weiche ich dem aus, Dir zu schreiben, alles dient mir zum Vorwand;
ich gehe zur Günderode ins Stift, ich bleibe länger bei ihr mit dem heimlichen
Willen, daß es zu spät sein möge, Dir heute zu schreiben, und so vergeht ein Tag nach
dem andern; an jedem wache ich auf mit dem Gefühl einer Tagespflicht, die ich gern
hinter mir haben wollte und zu untüchtig bin, sie zu leisten. Also, Du siehst wohl,
daß es nicht Leichtsinn war, hätte ich den nur dabei gehabt, so wär mein Brief schon
längst bei Dir angelangt. – Ich hab der Günderode davon gesagt und hab ihr (es mag
Dir vielleicht nicht recht sein) Deinen Brief ganz vorgelesen. – Sie sagte, der
Clemens spielt in einer fremden Tonart, in der Du nicht bewandert bist, in die Du
auch nie hineinkommen wirst, es ist daher nur zweierlei zu tun, entweder Du
antwortest ihm Punkt für Punkt, wie wenn Du vor Gericht ständest, wo man ja auch, aus
dem innern Lebenskreis herausgeworfen, wie ein Hund parieren muß. Oder Du
überspringst alles, was er rügt, was er frägt und empfiehlt; denn er wird doch wohl
nicht mehr von der Stimmung dieses Briefs durchdrungen sein. Ich fand auch diesen
letzten Rat vorzuziehen, allein, wo ich hier am Schreibtisch sitze mit mir allein
(denn Dein Brief hat mich isoliert, und ich weiß nichts in diesem Augenblick vom
Spielplatz geschwisterlicher Liebe), also mit mir allein hier, in den Spiegel sehend
über meinem Schreibplatz. – Da regt sich ein ungeheures Selbstgefühl! – Clemens! Ich
glaub wohl, es gibt Menschen, die sich lenken lassen von dem Geiste anderer, ich
auch, sobald dieser Geist in dem meinen widerhallt, sobald also er den meinen zur
Übereinstimmung weckt. – Diesmal tut er das nicht, ich könnte diesem Brief wie der
Inquisition gegenüberstehen, die nie den Sinn von einem freisinnigen Menschen
erfassen kann, als nur zu seinem Verderben! – Und – noch eine Frage: Soll ich Dich
beschämen durch meine Antwort? – Das wär schlimm; denn es be-
Nun lasse uns immer diese bittere Frucht anbeißen, denn ich seh, es geht doch nicht anders, und eher wird mir das Herz nicht leicht Dir gegenüber.
Also erst der Eingang Deines Briefes, der mir ein Streben nach Klarheit und Ruhe unterlegt! – Nein, Clemens, ich habe kein mir bewußtes Streben der Art, das muß von selbst aus dem Lebensquell hervorspringen. Eines Strebens bin ich mir bewußt, weil sich alle meine Kräfte darin bewegen. Das ist innere Unantastbarkeit. Du nennst das »die Kunst mit sich selbst genug zu haben« – mir ist das keine Kunst, warum? – Weil ich alles mein nenne, weil alles mein ist, was ich anrede, was mich erregt. – Sehnsucht hab ich nie gehabt, von Kindheit an nicht, ich könnte Dir aus dem Kloster darüber erzählen. Das Schöne hab ich liebgewonnen, ich nahm es an, wenn man mir es schenkte, um gleich es wieder zu verschenken. Nur in der Freiheit, in dem Fürsichbestehen gefällt mir das Leben; und ich werde nie etwas an mich reißen. Ich werde mich hinneigen, aber ich werde mich nicht gefangen geben.
Du denkst Dir also unsre Liebe zueinander als den »Überfluß und die Fülle des künftigen Lebens? Die uns zu der Genüge desselben noch obendrein gegeben ist.« – Du sprichst aus: »Gott werde mir hoffentlich zu einem lieben Manne und Dir zu einer lieben Frau helfen.« Das sind Deine Worte an mich! Und das ist die Tonart, in die ich durchaus nicht übersetzen kann. Und – ich kann mich dabei auch gar nicht aufhalten, die liebe Frau, der liebe Mann mögen sich zusammenfinden, wo es ihnen deucht, ich will sie nicht genieren! Mehr läßt sich von mir nicht herausbringen. – Jetzt gehst Du weiter in Deinen Vermahnungen, als ob die Philister Dich trunken gemacht hätten, und sprichst vom Verdruß und von Abstumpfung gegen die Berührung mit Menschen. Ach, das mag ich gar nicht noch einmal lesen, mir ist, als müsse ich mit einem Mückenplätscher diese närrische Mücken von Dir alle totschlagen. – Nun sagst Du, daß Dir, der mich doch so gut kenne, meine Erscheinung in einzelnen Minuten auch nicht gefalle.
Ach, wär es möglich, daß eine fremde Sprache eine andre fremde Sprache mit ihren
Klängen und Wortarten so ganz decke, daß einer einen Roman in der einen schrieb, der
andre in der Meinung, es sei die andre Sprache, in ihr diesen in der ersten
geschriebnen Roman läse? – Und kriegte da eine Geschichte heraus, von der keine Spur
je geahnt oder gemeint war. So ist's mit Dir, und ich muß Deine Hoffnungen alle
niederschmettern, daß ich mich bemühen würde, »allgemein liebenswürdig und geliebt zu
werden«. Du hast mich nicht in meiner Sprache gelesen; Du hast eine andre Natur
herausgekriegt, die Dir nur dann und wann nicht gefällt, meistens
Nun lasse uns noch durch den Morast der Trätscherei waten, da ich hochgeschürzt bin und daher nicht fürchte, mich zu beschmutzen. – Und doch kommt es mir sehr hart an, daß ich hier Halt machen muß. – Was Deine Briefe anbelangt, so liegen sie alle mit Nummern bezeichnet in einem kleinen Schränkchen, das ich zur Not bei einer Feuersbrunst oder Überschwemmung unter den Arm nehmen könnte und damit das Weite suchen; ich geh an diesen Behälter nie, nur wenn ich einen neuen Ankömmling hineinsperre wie im Kloster, heraus kommt mit meinem Wissen keiner! – Ja, ich selbst lese sie nicht leicht wieder, wie ich sonst wohl tat, denn eine zu große Masse von Gedanken durchströmt mich und führt mich wie ein gelichtetes Schiff auf die hohe See, die Heimat hab ich im Herzen, aber ich kehr zu ihr nicht zurück, ich lande unter fremden Himmelsstrichen. – So geht's mit Deinen Briefen, sie sind meine Heimat, in ihnen bin ich geboren, aber die Heimat hab ich verlassen. So wenig ich die Türe meiner Hütte öffnen kann hier im fernen Weltteil, so wenig öffne ich diese Briefe, die mir geliebt, aber fern liegen. – Versteh mich, das heißt, liebe mich darum!
Nun will ich Dir noch vom Veilchen erzählen, Du sagst von ihr, »sie mag ein gutes
Geschöpf sein, zu der ich hinabsteige mit meiner Vertraulichkeit!« – Wer bin ich
denn, daß ich mich herablasse, wenn ich mich zu einem guten Geschöpf vertraulich
wende? – Bin ich ein Engel? Nun, die fliegen ja den guten Menschen nach und bewachen
sie auf Schritt und Tritt, aber ich glaube nicht, daß ich ein Engel bin, ich glaub
vielmehr, daß ich zu ihr hinansteige, statt herab! – Sie ist diesen ganzen Sommer in
Wiesbaden mit ihrem Großvater, sie weiß, der alte Mann muß sterben mit seiner
Krankheit, er ist schon zwischen siebzig und achtzig Jahre, aber sie hat ihn
hingeführt, seine Enkel hat sie ausgetan bei befreundeten Juden für ein Kostgeld, so
hoch sie es zu erschwingen vermag. Die Hoffnung, daß die Bäder ihm nutzen, macht den
alten Mann geduldig in seinen Schmerzen; so denkt sie ihn leise den Lebenspfad
fortzugeleiten, so pflegt sie ihn! Er ist mein Großvater, sagt sie, mein Vater war
sein Liebling, er hat gar sehr viel an ihm getan! – Und so wischte sie sich den
Schlaf aus den Augen am Abend, denn sie war früh aufgestanden; – also, da las ich ihr
als vor aus den Büchern, die ich von Dir hatte, manches schöne Lied von Goethe hat
sie auswendig gelernt während dem Sticken, und ich fädelte ihr die Nadeln ein. Es
waren die liebsten Zeiten mir. Als sie wegging, hab ich ihr versprochen, nach den
Kindern zu sehen; und ich bin deswegen mit ihr im Briefwechsel, so lasse ich ihr
Stickmuster bei dem Goldarbeiter Fink machen, wenn sie neue Aufträge hat, – ich
schicke ihr die Seide und das Gold und geb ihr meine Ansicht, es ist mir immer das
größte Pläsier, wenn ein Auftrag bei ihr einläuft, wobei meine Erfindung von ihr in
Anspruch ge-
Mein Aufenthalt hier in Frankfurt dauert nun schon vierzehn Tage, morgens früh wecke ich den Franz und laufe mit ihm in die Gemüsgärten vor der Stadt. Das ist meine beste Zeit. Da ich mit der Gundel in einem Zimmer wohne, so ist das Eckelchen, worin ich mich bewege, sehr klein, dafür hab ich einen größeren Raum bei der Günderode im Stift, wo ich Landkarten male von Alt-Griechenland. – Doch dort kommt der alte Domherr von Hohenfeld hin und sieht auf mich herab und gibt mir Anweisung, das ist mir unangenehm. – Ich hab früher mit dem Sonnenschein gern verkehrt, jetzt ist mir lieber die Nacht, wo ich auf den langen dunklen Gängen spazieren gehe und erwarte, daß ein Geist kommt mit mir zu reden; mit dem Dominikus unterhalte ich mich über die Republik der Herbstspinnen auf der Altane. Wohin ich gehe, ist der wie von einem allgemeinen Landregen aufgeweichte Pfad der Langenweile, in dem man leicht mit dem Schuh stecken bleibt und nicht weiter kann! – Doch sollte ich mich nicht fassen können und meinen Geist auf die Weide treiben (Du nennst es Bildung meiner Seele, ist mir ganz unverständlich!), »ich soll mein auffallend Betragen unterdrücken«, weiß nicht, in was es besteht, – soll die »Sitte als eine Allerweltsprache aus freier Anmut führen lernen«, wo ist das Theater, wo man diese Rolle spielt? –
Du hast es also gewünscht, ich möchte Offenbach verlassen, um in einen höheren Kreis
und Verkehr mit der Welt zu treten. Lieber Clemente, in dem Offenbacher Kreis war die
Katz zu Haus, in diesem hier tanzen die Mäuse auf dem Tisch! – Die Katze konnte ich
verstehen und Lehre von ihr annehmen, obschon ich oft dabei gähnen mußte. Das letzte,
was ich ihr vorlas, sind die lettres de Madame de Sevigné, es hat ihr sehr leid
getan, daß sie meiner Seelenbildung nicht konnte diese letzte Hand anlegen. Hier
verstehe ich wohl, was sie meint. Diese an eine Tochter geschriebne Briefe sind ein
eleganter Tanz der Seele auf dem Tanzplatz der höheren Welt,
Adieu, Clemens. Ich werde auch unter den Mäusen keine Gelegenheit haben, mich geltend zu machen; es ist ein apart Geschlecht, ich gehöre nicht dazu.
Ich hab einen recht garstigen Singlehrer, einen alten Distelbart! Pfui! Wie mir der zuwider ist; wenn er fort ist, mach ich Fenster und Türen auf, damit die Atmosphäre seines Dagewesenseins nicht im Zimmer eingeklemmt bleibe. – Wenn Dir nächstens geschrieben wird, daß ich über Schmerzen auf der Brust klage, so bedaure mich nicht, ich muß lügen um des Distelbarts willen.
Adieu, ich gehe jetzt zur Günderode und lese ihr diesen Brief vor und konsultiere, ob ich diesen widerbellerischen Brief Dir schicken soll.
Clemens! – Die Günderode hat gesagt, der Brief wär sehr gut und ich soll ihn Dir schicken.
BettineDüsseldorf
Du wirst Arnims Brief für Dich und Gundel erhalten haben, heute erhielt ich Dein
liebes Schreiben und danke Dir herzlich. Ich hoffe von Dir einen Brief in Marburg zu
finden, wohin ich in wenig Tagen abreise, und begehre denn auch sehnlich nach einem
ordentlichen schriftlichen Verkehr mit Dir. Dein heutiger Brief hat mir einen ganz
eignen Eindruck gemacht. Ich weiß nicht, in wiefern sich Dein Gemüt verändert hat
durch Deinen Aufenthalt in Frankfurt, daß Du so ruhig in eine verneinende Position
Dein ganzes Wesen übertragen hast. Ich kann mich nicht ohne Deine Treue im Leben
denken, und so habe ich leicht Furcht, ich könne durch ein unwillkürliches Verletzen
Dich verscheuchen wie ein Reh, dem einer nachging, und es liebt doch mehr den Wald
als alle Liebe, die man ihm bietet. – Und was ist es denn, was ich in meinem letzten
Brief Dir aussprach? – Alles, was ich von Deiner Liebe erwarte; ich erwarte in ihr
die Liebe eines unverschrobenen, reinen, einfachen Gemütes. Wenn Du aller
Verschrobenheit entgegenarbeitest, ich glaube zum andern, was ich Bildung der Seele
nenne, brauchst Du keine Mühe. Um eines bitte ich Dich, lasse Dich nicht in die
Basereien und Flüstereien ein, die dort in der Luft wehen, die als ewig langweiliger
Schweif schiefer Liebeleien das Interesse für unmittelbaren Geist durchkreuzen!
Bleibe um Gotteswillen wie Du warst! Sei jedermann höflich, aber nie, nie mit einem
Menschen vertraulich, den Du nicht achtest. Ich weiß, wie leicht man durch das
langweilige unordentliche Leben in der Gesellschaft zu niedrigen Gattungen der
Unterhaltung seine Zuflucht nimmt, da nichts Großes, nichts Edles in ihr unsre
Fähigkeiten anregt, sondern Klatscherei, Kokettieren, dummes Witzeln und so weiter,
worüber der Mensch nach und nach schlecht wird. Und solltest Du mir's verdenken,
Deine Verhältnisse mit dem Stickermädchen berühr ich nicht ferner. – Es ist einmal traurig, daß oft das Einfachste, wenn es ungewöhnlich ist, eine Laufbahn der Gefahr wird, aber ich kenne auch Deinen Eigensinn oder Heroismus, – um Dich nicht zu beleidigen, – dem Trotz zu bieten, wenn Du etwas für Recht hältst, kenne ich.
Ich will Dir noch eine Ballade hierher schreiben, die ich gestern gemacht habe, nur um dem Arnim ein Gedicht schicken zu können, die Geschichte von Gottschalk Overstoulz und der Maus und Bischof Engelbrecht habe ich in der Kölnischen Chronik gelesen, es geschah im dreizehnten Jahrhundert, das andre ist hinzugedichtet, viel Gutes mag vielleicht nicht dran sein, aber es reimt sich doch, hat Anfang und Ende und gefällt Dir vielleicht.
Clemens
Marburg, am Mittwoch
Den Montag bin ich von Münster wieder zurückgekehrt. Savigny ist mir dort begegnet und war freundlich; daß ich keinen Brief von Dir hier gefunden habe, macht mich traurig oder läßt mich einsam in meiner Trauer. – Deinen Brief, worin die Reise auf den Trages beschrieben, hab ich ihn lesen lassen; er hat aber keine Silbe gesprochen und die Zeitung nachher gleich weitergelesen. Überhaupt spricht er nie von Dir und hört ungern von Dir reden. Das ist vielleicht in seiner Art und muß Dich nicht verdrießen, Du hast die richtigste Ansicht von ihm, und wenn Du nichts mehr von ihm begehrst, werde ich nichts mehr an ihm vermissen, der keinen Menschen vermißt.
Adieu, in höchstens vier Wochen bin ich bei Dir.
Clemens
Es ist wohl wahr, daß ich Dir lange nicht geschrieben habe; denn mein letzter Brief,
in dem ich wie ein ungebärdig Kind mich allem widerstemme, was Du mir vorhältst, der
gilt nichts. Aber diesmal, noch ehe ich Deinen langen Brief eröffnet hatte, nahm ich
mir vor, auf der Stelle zu antworten; so hielt ich denn an mich, ließ mir erst eine
Feder schneiden, mit der ich gleich
Ich habe zwar lange stillgeschwiegen gegen Dich, der Grund aber war kein andrer, als
weil die Antwort mir nicht gleich einfallen wollte; ich bin nicht geübt, mich
zusammenzunehmen und zu suchen in meinem Herzen nach Antworten. Auf Vorwürfe, die
Irrtum sind, auf Sorgen, die mich nicht grämen, auf Fragen, von denen ich nichts
weiß. Da denk ich und will noch einmal denken, weil ich ja suchen muß nach Antwort,
und weil es ja nicht ist wie in Offenbach, wo ein frischer Wind durch die Pappeln
rauschte, alle Blätter zum Flüstern und Plaudern brachte, auch meine Gedanken auf die
Flügel nahm und zu Dir hinflog! – Sieh, das ist schuld, daß ich weniger schrieb; der
Offenbacher Luftzug, ach, der erhielt mich so frisch! – Ach, die Straßen waren mein,
die so sauber morgens in der Frühsonne dalagen, und die roten dunkelroten
Granithäuser mit Spiegelfenstern und grünen Gittern. Ach, jetzt erst vermiss' ich
alles! Wenn die liebe Domstraße noch in gemächlichen Morgenträumen sich dehnte und
ich mit den reinlichen Täubchen allein drin auf und ab spazierte; sie waren mich so
gewohnt, sie flogen nicht auf, wenn ich kam! – Und dann waren noch mehr kleine
Hauptpläsiere und Schelmstreiche, die auf den ganzen Tag mich glücklich machten. Das
war zum Beispiel, wenn ich ging auf Raub nach Rötel für meine Zeichnungen. In dem
roten Granit, von dem dort die Häuser gebaut sind, steckt solcher Rötel von
verschiedenen Nüancen bis zum stärksten Scharlachrot! Den hab ich in der frühsten
Frühe, wo kein Mensch merkte, daß ich die Häuser demolierte, mir beim Herrn Nachbar
herausgebohrt und habe dann meiner Flora einen Kranz von Rosen aufgesetzt mit diesem
gestohlnen Gut! – Vier Knaben in Rotstift mit Perücken in schwarzer Kreide spielen
mit einem Bock in weißer venetianischer Kreide auf hellblauem Papier. – Die
Gassenbuben, denen ich sie manchmal aus dem Fenster heraushielt, freute es
unvergleichlich, und einer holte den andern herbei; manchmal waren ihrer fünf bis
sechs, die baten, ich soll ihnen den Bock zeigen, sie haben mich bewundert. – Hier
hat Fräulein Leonhardi einen Homer gezeichnet! – Er wird sehr geschätzt; ich werd's
nie dahinbringen, einen Kopf zu zeichnen, der so viel Lob verdient und so wenig Neid,
da er grade aussieht wie ein alter Schulmeister, der die Auszehrung hat und deswegen
sehr ärgerlich gestimmt ist. Die Gassenbuben würden vor ihm ausreißen, aber nicht ihn
bewundern wie meinen Bock! – Ach, die schmutzigen Straßen hier! Wenn in Offenbach ein
Platzregen kam, sahen da die Pflastersteine aus wie frisch gewaschne Gesichter, –
hier muß man ein paar Tage durch die Pfützen patschen! – Aber was schadet das, wenn
die Sonne, die dort sie schnell auftrocknete, nur hier Gelegenheit fänd,
Du merkst, Clemens, daß ich wieder mit allerlei der Beantwortung Deines Briefes ausweiche! – Mich hat zwar dies lange Stillschweigen nicht irre gemacht, ich glaub noch fest, daß ich Dir am nächsten bin. Dein Käfig voll Turteltauben, die Du am Rhein Dir eingefangen hast, die Dir im Kopf girren und gurren und (Bemerkung der Günderode) dazu noch andere herbeilockst. Deiner Bruderliebe zapfst Du ein Schöppchen Moral für mich ab. Ich lasse es stehen; denn ich kann keinen Appetit mir dazu anschaffen, aber ich nehme es für genossen an. – Und da muß ich Dir doch wohl beweisen, wie ich das Kleinod Deiner Liebe heilig halte über alle Moral hinaus.
Und sage Du nicht, aber Du vergißt mich gewiß einmal ganz! Dich vergesse ich nie, aber ich vergesse manches über Dich. – Deiner Sorgen, die mich ermüden würden, wollt ich nicht augenblicklich sie vergessen; Deiner Moral vergess' ich, die meiner Liebe Eintrag tun würde. –
Das alltägliche Leben ist hier sehr zudringlich, wo nicè bella nicè ingrata mich
verfolgt durch die ganze Wüste, in welchem die Gemeinde der Gesellschaft sich
versammelt; da war's in Offenbach doch anders, wo ich jeden Tag im Erbrausen der
Symphonien mich konnte verlieren. Die Abendstunden waren lieblich bei der Großmama,
wo wir über alten Büchern studierten,
Bettine
Ich habe einmal eine Geschichte gelesen von zwei Liebenden, die mutterselig allein in
einem Walde saßen, aus dem sie nicht mehr herauskonnten. Diese Leute wandten alle
Mittel auf, um der Langenweile zu entgehen, sie setzten sich einander gegenüber auf
Bäume und pfiffen und schimpften und machten sich Vorwürfe, hatten Ängste usw.;
sollten in unsern letzten Briefen sich nicht einige Ähnlichkeiten mit diesen
Verliebten finden lassen? – Ich zweifle kaum daran, und es hat also vermutlich nichts
auf sich. – Zu meiner letzten ängstlichen Ermahnung an Dich hat mir eine gewisse
Undeutlichkeit eines Briefes über Dich Anlaß gegeben, die aber nur eine
Undeutlichkeit ist. Laß Dir daher meine Besorgtheit als einen Beweis meiner Liebe und
nicht als einen Argwohn oder Beschuldigung gelten. Daß ich seit einer Zeit nicht mehr
im Ton früherer Tage schreibe, fühl ich selbst deutlich, aber ich bereue es nicht.
Alles Wesen hat auf Erden seinen Frühling, Sommer usw.; wir spielen ganz natürlich
mit den Kindern und werden ernster mit den Erwachsneren, denn wir fühlen, daß sie
selbst zu leben beginnen, und wir haben nun kein Recht mehr, sie zu zerstreuen. Wenn
einer ein Erzieher wäre, so tät er dies absichtlich, ist er ein bloßer Liebender, so
tut er es, ohne davon zu wissen, und so ist es bei mir der Fall; unser Verhältnis ist
nun ernster zueinander und weniger auf die bunte Phantasie gegründet, weil unser
Verhältnis zum Leben ernster ist. Man wird zur leicht verführt, die andern Menschen
zu vergessen, sobald man sich einem einzigen mit Bequemlichkeit ergeben kann, und man
nennt es nur zu leicht ein liebendes Gemüt haben, wenn man ein einseitiges Gemüt hat;
und wir sollen uns ja durchaus bilden und alle unsere Flächen der Seele mit der Welt
in unschuldige, wohltätige Berührung bringen. Je einzelner und ausgezeichneter aber
der einzelne Mensch ist, dem wir uns allein hingeben, je mehr beschränken wir uns, je
mehr bestehlen wir die andern Menschen um das Wohltätige, was unsere Liebe für sie
haben könnte, und wenn wir
Je begehrender, je wünschevoller aber unser Herz ist, je größere Pflicht liegt uns ob, uns zu bilden, je rührender uns die Liebe anderer zu empfinden und anzuschauen ist, je mehr müssen wir das in uns für sie ausbilden, was uns mit ihnen verbinden kann; denn der ist kein guter Mann, der gerne wohltut und nichts zu erwerben sucht. Wir beide lieben einander herzlich um unserer selbst willen, das hat die Natur durch die Ähnlichkeit unserer Gemüter so wohltätig in uns vorbereitet, – es bliebe also bloß uns noch übrig, uns einander zu lieben, um aller andern halben! – Das ist schwerer, denn hier setzen wir allgemein anzuerkennende Vortrefflichkeit in uns voraus; – laß uns bescheiden sein, und wir müssen eingestehen, daß wir sehr weit von der Vortrefflichkeit entfernt sind, und hier trennen sich unsere Wege, nicht unsere Herzen; denn wir müssen uns auf einige Zeit aus dem Gesichte verlieren, da Du ein Weib bist und ich ein Mann, und ein vortreffliches Weib etwas ganz anderes ist als ein braver Mann. –
Doch lasse das alles ungeschrieben sein, es gefällt mir nicht, glaube mir, Deinem Herzen und Deiner Liebe. Damit Du mein Vertrauen und meine Liebe erkennst, damit Du die Menschen begreifst, die um Dich sind, damit Du etwas freudig fühlst, was auch mich innig erfreut hat, so sende ich Dir einen Brief, der mir über Dich geschrieben ward, und der für Dich und mich den Beweis enthält, daß ein vortreffliches geistvolles Wesen den innigsten Anteil an uns nimmt, Dich und mich liebt, – so schicke ich Dir die beiden Briefe, wovon der erste meine Warnung an Dich veranlaßte. – Auf diesen ersten Brief antwortete ich und beschwerte mich über die Undeutlichkeit seines Inhalts in Hinsicht Deiner und erhielt hierauf die heutige schöne Antwort, die ganz Dein Herz und Geist einnehmen muß. Ich bitte Dich aber, davon, daß ich Dir die Briefe mitteile, Dir nichts merken zu lassen, da diese Leute Dir nicht vertrauen, wie ich es tue. – Nochmals bitte ich Dich herzlich, ja sogar ernstlich, um Vermeidung aller männlichen Gesellschaft, außer in Gegenwart von Franz und Toni. Auch bitte ich um Fleiß, lieb Kind; sei wahr und treu, ich liebe Dich unendlich.
Clemens
Beiliegenden Brief besorge an Minchen.
Ich finde den ersten der beiden Briefe nicht gleich; ich schicke also nur den zweiten, aber schweige und schicke ihn zurück.
Sehr viel Ärger wird Dir alles machen, was ich eben im Begriff bin, Dir zu schreiben. Ich spür schon, daß ich sehr alles das sein werde, was Du im ganzen ein ungezognes oder ungebärdiges Ding nennen kannst, wenn Du willst; – erstens, da der zweite mir gesendete Brief, den Du wunderschön edel nennst, nichts als Lüge über mich und von mir ist, so behalte nur Deinen ersten ganz und gar für Dich, – denn es ist mir gar nichts daran gelegen, dergleichen durchzustudieren! – Und ich wollte doch lieber etwas anderes tun, als dergleichen Geschwätz nur zu berücksichtigen an Deiner Stelle, ob dies oder jenes ist oder war. Ich sage Dir feierlichst, warte bis ich irgendeine Explosion gemacht habe; dann schreie: hätte ich mir das gedacht! – Obschon auch dies nach geschehener Tat nichts helfen kann! – Aber dann hat doch Dein Nachseufzer einen Grundton und kann daher schon eine Melodie aus sich entwickeln. – Du hast mich nach Frankfurt promoviert – jetzt, wo ich da bin, läufst Du wie eine Glucke am Ufer, wo das Entchen schwimmt, und glucksest Dich ganz müde vor Angst. Aber ich schwimme gar auf keinem gefährlichen Element, es ist lauter Einbildung von Dir!
Deine Illusionen hüpfen wie die Heuschrecken in Deinem Brief herum; ich weiß nicht, welche ich zuerst erwischen soll. – Die allerledernste Heuschrecke ist mir die, wo Du mich mit Gewalt willst auf den großen Unterschied hinweisen zwischen einem vortrefflichen Weib und einem braven Manne. Mögen sich diese zwei beiden zusammenfinden auf irgendeinem glücklichen Stern, nur das einzige bitte ich mir aus, daß Du es mir nicht zu wissen tust; und ein für allemal will ich von diesem Heiligtum gänzlich ausgeschlossen sein! – Und zweitens – Deine Warnung vor aller männlichen Gesellschaft! Die Günderode sagt zu mir, sie kenne keine männliche Gesellschaft, außer die meine. Ich, lieber Clemens, kenne auch keinen männlichen Umgang als den mit den Hopfenstecken, die mir die Milchfrau besorgt hat für den kommenden Frühling, sie sind die derbsten unter meinen Bekannten, auch gehe ich zwar mit ihnen um, aber nicht zart; ich schneidle dran zurecht kleine Rinnen, an denen die Bindfäden hin und her sich flechten. – Manchmal hab ich die ganze Stube voll Hobelspäne und Schwielen in der Hand. Die nicè ingrata, obschon sie Dein Universitätsfreund ist, und nachdem Du ihr den Doktorschmaus bezahlt hattest, mit Deinen besten Kleidern durchging, hat zwar einen Bart und möchte vielleicht auch für einen Mann gehalten sein; aber sie sieht in den Spiegel und singt nicè bella, und wer zweifelt, daß sie eine Nicè ist. Gerne fliehe ich sie, soweit der Schall ihrer Stimme trägt. Clemens, vor Ärger kann ich das Schöne in Deinen Briefen nicht würdigen, ich will im ursprünglichen Geist mit Dir eins sein, aber mich faßt eine Ungeduld, Deine Belehrungen zu überspringen; – es ist ein wahrer Schiffbruch mit der Moral, sie ist wie ein Uhrwerk, an dem die Kette gesprengt ist, sie rasselt sich aus, und auf einmal steht die Uhr still, und so tot sind mir diese Werke der Belehrung!
Adieu! – Noch einmal! Dein mitgeteilter Brief ist voll Unkraut der Lüge.
Bettine
St. Clair ist hier, – erste männliche Unterhaltung in der Ecke des Fensters, – ich könne eine Jeanne d'Arc sein, in mir läge Stoff zur Heldennatur, die Auriflamme zu ergreifen, für die Erhaltung der Freiheit und Menschheitsrechte. Diese Unterhaltung hat mir geschmeichelt, – ich liebe Kriegestaten! – Kühn! Entschieden! – Das sind Eigenschaften, die ich in meiner Seele ausbilden möchte, – aber der Sklavenmarkt der Gesellschaft ist dazu nicht. – Wohin fliehen! – Überall triffst Du auf einen Boden, der der Saat der Drachenzähne nicht günstig ist.
Meine liebe Schwester, Dein letzter Brief hat mir einen recht traurigen Tag gemacht,
weil ich so etwas nicht erwartete. Der Brief, den ich Dir anvertraute, ist einer der
liebevollsten Briefe, deren ich mich erfreute, Du erklärst ihn für eine offenbare
Lüge! Wer so lügen kann, liebe Bettine, der ist sehr geistvoll und sehr
liebenswürdig, ich hab diesen Brief nochmals gelesen und mich trotz Deiner
Beschuldigung wieder von ihm hingerissen gefühlt; – und wenn Du seinen Inhalt ebenso
verstehst, wenn ich ihn nicht unrecht erkläre, so sind unsre Meinungen verschieden.
Übrigens will ich Dir nicht Unrecht geben, da Du wissen mußt, was Du schreibst; nur
mußt Du mir erlauben, mich für Dein Recht hierin nicht zu interessieren. Ich sage nur
so viel noch von jenem Brief, was ihn mir durch und durch unschuldig macht: erstens
fängt er damit an sich selbst zu beschuldigen, dann erzählt er eine Abfahrt zum Ball,
die wohl nicht wahr sein muß, weil Du mir von ihr gar nichts geschrieben hast. Ein
Ball, wo Dich die Leute alle ansahen und Du allen auffällst, ist ja auch nichts
Merkwürdiges in Deinem Leben. – Sonst enthält er nichts als innige Rührung über Deine
Liebe zu Franz und zu den Kindern, ja er tadelt sogar Franzens Neckerei und erkennt,
wie Du Dich schön dabei beträgst. Was von Deinem Gemüt darin gesagt ist, das ist nach
meiner Kenntnis Deiner nicht nur wahr, sondern sogar geistvoll dargestellt.
Jetzt will ich aus dem Briefe das ausziehen, was allein gelogen sein kann, weil es allein Tatsache ist, weil der übrige Teil nur die Empfindung des Schreibers darstellt. – Erstens: Bettine war schön! Das ist nun freilich gelogen und muß Dich ärgern; sie sprach viel auch wohl in den Tag hinein! Das halte ich nicht ganz für gelogen, da ich es sehr oft bei ähnlichen Gelegenbeiten mit einer unangenehmen Empfindung an Dir bemerkt habe. Ich weiß, wie leicht Du in unendliche Lebhaftigkeit übergehst, und um so auffallender aus einer traurigen Stummheit hervor. – Das Unschuldige darin kenne ich auch, aber das kennen nicht alle Menschen, nicht dieser oder jener, der gegenwärtig ist, und dem Du dadurch frei oder töricht oder kokett vorkömmst. –
Ob und wann Ihr vor oder nach der Ankunft von Leuten retiriertet, ein Umstand, dem Du mit Unrecht einige Widerlegung widmest, ist ganz uninteressant. Genug, daß Ihr Euch zurückzieht, da Ihr wißt, daß Franz, dem wir nur seine Vortrefflichkeit danken können, Euch gern sieht, er, der mehr wert ist, als wir alle, hat die paar Freistunden nicht die Freude der Geselligkeit, er liebt uns so innig, und wir danken's ihm nicht. Ihr, die bei ihm wohnt, solltet ihm noch treuer anhängen, und er klagt so bescheiden über das, was er Dir befehlen könnte, daß Du nicht herunterzubringen bist. – Du mußt viel von Gundel zu lernen, mit ihr auszutauschen haben, da Du selbst die paar Minuten dem Franz nicht gönnen kannst. – Ich habe immer gefunden, daß mit mir zusammen Du nicht viel zu erzählen hattest, da wir keine große Abenteuer haben, warum mußt Du nun der Familie die Abendstunden rauben, um sie wieder da zu verbringen, wo man auch Dich nicht wünscht, und wo Du beschwerlich fällst, was Du aus dem folgenden Brief ersehen kannst, in dem dargelegt ist, daß Gundel ihren ganzen Tag opfert, Dich anzuregen, daß Du Deine Schuldigkeit tust (ich hoffte, Du würdest sie von selbst tun). Ich finde es daher sehr indiskret von Dir, ihr diese Stunden, in denen sie allein sein möchte, auch noch zu stehlen.
Wenn ich in Frankfurt bin, so lese ich oft abends vor; alle hören mir gern zu und
sind zufrieden mit diesen Stunden, warum kannst Du das nicht auch? – Ich verlange
nicht von Dir, daß Du dem einen in der Familie mehr anhängst, wie dem andern; man
soll keinem Menschen anhängen, insofern er Partei macht! In Deinem Wesen sollte sich
vielmehr jede zufällige Trennung vereinigen, jedes Mißverständnis lösen. Im
Wesentlichen hat nach meiner Ansicht einer so wenig mit Dir gemein als der andre; und
Du sollst Dir selbst vertrauen und dem, was Dein Herz am liebsten beschäftigt. –
Erinnere Dich, daß man Dir sagte, Du würdest Dich an mir betrogen finden, und daß man
Dir Dein Vertrauen zu mir vorwarf. – Du äußerst oft Ausdrücke von Charakterstärke;
diese sind zum wenigsten, wenn Du sie auch noch nicht erprobt hast, doch ein Beweis,
daß Du auf diese Eigenschaften den höchsten Wert legst; ich hoffe daher, daß Du
nichts zwischen
Wenn Du, wie ich hoffte, jene Erkenntnisse, die ich Dir immer gepriesen, wirklich liebtest, wenn Du Dich dem eigentlichen Wesen der Kunst und Poesie hingeben wolltest, so würdest Du Ruhe, Friede und Glück genießen, ohne Dich den andern zu entziehen; Du würdest als wahr empfinden, was ich Dich immer gelehrt habe, daß nur der Mensch kann geliebt werden, insofern er ein wahrer und reiner Spiegel des Ewigen und Göttlichen wird. – Und Du würdest selbst Deiner Liebe zu mir ihren Wert und ihr Gesetz geben können, insofern ich jener Voraussetzung entspreche. Ich habe Dir nie das Einzelne geraten. Ich habe Dir immer das Ganze zu zeichnen gesucht, wie ich es begriff; – um Deiner Persönlichkeit keine Gewalt anzutun. Ehre Deine Persönlichkeit und bilde sie zum Schönen für alle, dann wirst Du glücklich sein; werde nicht zur Törin, wie die andern, bilde Dir nichts ein! Arnim läßt Euch grüßen; er schriebt mir von Genua, Nizza und Paris. – Mein Lustspiel wird jetzt zugleich mit einem Buch von Arnim in Göttingen bei Diedrich gedruckt.
Schreibe Deinem Clemens
Grüße die Günderode, sage, daß ich schreiben würde, aber ihre Antworten sind nicht auffordernd, nicht erschließend, sondern vielmehr abschließend. Weiß Gott, warum wir alle aus dem Paradies des Vertrauens herausgeworfen sind, und keiner findet irgendeinen Schleichweg dahin zurück. –
Die Weck- und Schreckposaune! Ist aber nichtsdestoweniger das Kämpfende. Achtes Kapitel, sechster Vers: Jakob hatte lange mit dem ihm unbekannten Manne gerungen; alle seine Kräfte angewandt und noch nicht genug, ob ihn gleich das Gelenk seiner Hüfte verrenkt war; daher sagte jener: »Laß mich gehen, denn die Röte des Morgens bricht an.« Aber Jakob antwortete: »Ich lass' dich nicht; es sei denn, Du segnest mich.«
Er will den Segen, der den Segen in Armen hat! – Er hält den, der ihn und alles hält.
Dein Brief ist so voll sorgender Liebe zu mir und doch so ohne Zutrauen, daß ich
eigentlich nicht weiß, ob ich mich freuen soll oder nicht. Wie kannst Du glauben, daß
dch witzig und kokett werde, um Deine Liebe zu verspielen;
Erstens: Empfindung ist grade gelogen und Tatsache wahr.
Zweitens: Wer klagt, ist nicht unschuldig!
Drittens: Einen Ball, wo die Leute mich ansehen, wie die Kuh das neue Scheuertor, ist mir gar nicht wichtig, von ihm zu erzählen.
Viertens: Man kann mich loben, aber auch lügen.
Fünftens: Die unendliche Lebhaftigkeit, aus der ich oft plötzlich aus einer traurigen Stummheit übergehe, und die Dir oft unangenehm aufgefallen ist, hat sich auf jenem Ball nicht ergossen! –
Soll ich Dir sagen, wie es mir ergangen ist an jenem Abend? – Als wir eintraten in
den Saal, da stand ein ganzer Trupp langer, dünner, kurzer, dicker, breiter, alle
schwarzgekleideter Tanzherrn in der Mitte, die soviel Raum zum Tanz ließen zwischen
sich und den Wänden, an denen die jungen Mädchen zwischen Mamas aufgereiht waren wie
allerlei Marktfrüchte, worunter Schoten, Rüben und Zwiebeln nicht die wenigsten
waren, hier und da ein angenehmer Blumenkohl, nur selten ein Borsdorfer Apfel,
worunter ich zu zählen; jetzt holten die Herrn diese Rübchen, Zwiebelchen und
Schotenbukettchen zum Tanz. Alle hatten Uhrketten mit allerlei Berlocken, manche zwei
aus der Tasche hängen; diese Berlocken machten ein Glockenspiel wie eine Herde. Ich
saß da dicht am Musikantenbalkon und vertrieb mir die Zeit, mit beiden Händen meine
Ohren zuzuhalten, um nichts von der Musik zu hören; dabei sah ich mir die Menschen
an, die da herumhüpften, und hatte die Empfindung, als ob sie alle toll seien, und
endlich mußte ich lachen, ich ließ die Hände los, da brauste mir der Walzer seinen
vollen Strom ins Gehör! – Dann machte ich ein zweites Experiment; ich klappte die
Ohren auf und dann wieder zu, so kam ich stückweis zu einer ganz aparten Musik, die
ich mir aneinanderflickte, wie eine Harlekinjacke! – So vertrieb ich mir die Zeit.
Endlich kam Grunelius, der lange, und tanzte einen Walzer mit mir, ich aber nicht mit
ihm, denn er hielt mich schwebend, und ich kam nicht dazu, eine Fußspitze auf die
Erde zu setzen. Zu diesem Kunststück mit mir wie mit einer Porzellanurne
herumzutanzen, brauchte er alle Kneifgewalt seiner langen Finger, die er wie Krallen
in mich einschlug; denn wär ich heruntergefallen, so konnte ich den Hals brechen; da
hätte man ihm vielleicht Vorwürfe machen können. Wer war froher als ich, da ich
wieder an meinem Platz war; nun schob ich mich ganz unter den Balkon, hinter einen
Haufen Schals und Flöre; ich lehnte mich in ein Eckchen und hatte ein heimatliches
Gefühl, noch ein Weilchen konnte ich mit Mühe mich wach erhalten, aber wie es kam,
daß ich dem Drang zu schlafen nachgab, weiß ich nicht zu sagen, genug, der Kampf war
kurz, der Schlaf siegte, aber als edler Feind, denn nie hab ich süßer geschlafen, die
Musik war wie Goldfrüchte, die ein duftender Wind von den Zweigen löste da oben auf
Lieber Clemens, seit zwei Tagen liegt der angefangene Brief da, und ich mochte nicht
wieder drangehen aus Furcht vor dem Schwindel, lasse uns über die anderen Punkte
jenes Briefes schweigen, aus Furcht vor diesem Schwindel! – Ich weiß Dir ja auch was
Besseres zu sagen, jetzt kommt der Frühling bald; denn in Erwartung des März hab ich
keinen Respekt mehr vor dem Winter, und meine Sehnsucht, die grüne Saat bald
herauskommen zu sehen, stellt ihn mir auch näher, ach ja gewiß, der Frühling ist ein
Knabe aus weiter Ferne, in so reiner klarer Luft kommt er herangezogen, daß man ihn
schon von sehr weit her sehen kann. Heute habe ich einen Brief von Dir wieder
gelesen, den Du mir im letzten Frühling schriebst, er ist so schön; wenn ich die Zeit
mir ihm so entgegeneilend denke, wie die Felder und
Bettine
Eben ist mein Brief schon fort, und da kommt George mit einem nachträglichen Anliegen an Dich. Am 19. März ist dem Clausner sein Geburtstag; George will, daß wir ihm etwas vorzaubern, um sein langes Alleinsein ein bißchen mit vergnügten Augenblicken zu unterbrechen, er meint, Du würdest gewiß etwas Schönes erdenken, – wo wir alle mitwirken könnten. – Was könnten wir machen, Clemens, besinne Dich, in der Übereilung fällt mir gar nichts ein: vielleicht ein Schattenspiel in der Tür vom Saal angebracht, das gibt ein Familienpläsier, wenn wir am Abend alle beisammen sind und die Dekorationen malen und die Figuren dazu; und mach fort, schüttel's aus dem Ärmel!
Ich kann Dir nur ein paar Worte schreiben, da die Post spät ankam. Dein Brief hat mich recht gerührt, schreib mir doch ausführlicher und hüte Dich vor aller Überreizung. Du hättest eine Ohnmacht gehabt, schreibt mir die Toni, und an die Wand Dich gestoßen und ein tiefes Loch dicht unter dem Aug! –
Ich fühl es an meinem Aug, so sehr leid tut mir's! So sind wir denn wieder recht
einig; ach Gott, ich bin doch so ängstlich! – Sei doch nur recht vergnügt, so wirst
Du gewiß nicht mehr solche Anfälle haben! Ich habe Dich
Lebe wohl, lieber Engel.
Clemens
Ich erhalte Deinen kleinen Brief wieder zu spät, um viel zu schreiben, grad noch fünf Minuten. Kannst Du's mir genauer noch beschreiben, das Geburtsfest betreffend? Illumination? – Ölgetränkt? – Wohin? – Wie groß? So will ich Euch viele Ideen angeben, wenn Du mir umgehend bestimmter schreibst und Ihr noch nichts angefangen habt; – so kann ich Euch bis zum 19. noch ein kleines Lustspiel dichten für die Schattenpersonagen. Braucht Ihr etwa auch Verse? Schreibe bestimmt darüber.
Clemens
Euer Fest auf Claudinens Geburtstag liegt mir so am Herzen, daß ich wünschte, Ihr
möchtet etwas recht Schönes und Edles vorstellen, das Euch Ehre machte, Du weißt, wie
oft auch das Ölgetränkte, wenn es noch so gut angelegt war, verunglückt. – Ich habe
daher nachgedacht und etwas ziemlich Artiges erfunden, was sich auch gut ausführen
läßt und bis auf ein Härchen paßt. Das Ganze ist ein kleines Drama in einer Szene,
daß ich Euch schreiben will, und das Ihr, wenn Ihr mir augenblicklich schreibt, ob
Ihr meinem Vorschlag folgen wollt, schon den nächsten Mittwoch haben sollt. Ich will
es Euch hier näher beschreiben: Einige Mädchen haben eine Freundin, die sie sehr
lieben, und deren Geburtstag sie feiern wollen; sie wissen
Claudia war eine römische Vestalin; ihr Vater ein Feldherr. Nach einem Sieg wollte
er einen Triumphzug in Rom feiern, aber ein Tribun, der sein Feind war, verbot es
ihm; Claudius triumphierte dennoch. Der Tribun, erzürnt über seine Kühnheit, näherte
sich ihm von hinten und wollte ihn plötzlich vom Wagen reißen, Claudia bemerkte es
und vergißt aus Liebe zu ihrem Vater die Ruhe und Majestät ihres geheiligten Standes;
sie springt dem Tribun vor, wirft sich in des Vaters Wagen, umfaßt ihres Vaters Knie
und weist den Tribun zurück. Dieser muß nun von seinem Vorhaben abstehn, denn was
eine Vestalin berührt, ist heilig, und sie ist dem Tribun an Macht gleich. Ich habe
Euch die Szene mit der Feder skizziert hier beigelegt, wie sie am wenigsten Mühe zu
malen kostet. Man sieht von hinten in den Wagen, der Triumphierende merkt es noch
nicht, alles ist der Moment. Die Vestalin muß ganz verschleiert sein, in weiße
Gewänder gehüllt; auf dem Rande des Wagens steht eine Viktoria wie gewöhnlich bei dem
Triumph, in der Ferne werden Trophäen getragen; das Ganze ist in den kleinsten Raum
gedrängt. – Wie schön paßt das auf Clodine, ihre treue Liebe zu ihrem Vater, ihre
Zucht, ihr Name Claudia. Das wäre eine Szene. Eine andre aus dem Leben dieser
Vestalin ist folgende: Die Römer wollten das Bild der Göttin Zybele nach Rom auf
einem Schiffe über die Tiber fahren, aber das Schiff ging nicht von der Stelle; da
trat die Vestalin in einen Kahn, betete die Göttin an, band dann ihren Gürtel an das
Schiff der Göttin und zog das Schiff ohne Mühe herüber als einen Beweis ihrer Tugend.
Das wäre ein zweites transparentes Bild; dann könnt Ihr um sie herum tanzen und sie
küssen und drücken usw. Ihr müßt mir aber bestimmt die Arien schreiben und die Anzahl
der Mädchen, damit ich die Verse schreiben kann, Ihr müßt mir dazu die Worte der Arie
schreiben, und wie sie einfallen, damit
In diesem Augenblick erhalte ich den äußerst geistvollen Plan zu Eurem Schattenspiel; ich will alles so gut machen, als ich kann, aber ich erschrecke fast vor dem Plan, wenn ich nur Leichtigkeit genug besitze; das Ende sei mir überlassen, sagt Ihr. So haben wir denn wirklich wie Brüder in der Ferne gearbeitet. Der Clausner steigt mit Winkelmann ein und fährt zu Brentano. Nun fällt der Vorhang Eures Schattenspiels, und nun laßt meine Szene angehn, die geht gleichsam bei Brentano vor, und das Edle, Rührende in ihr hebt das Komische wieder auf, so daß das Fest ganz den Eindruck einer freudigen Anmut bekömmt. Euer Schattenspiel ist dann ein himmlisches Vorspiel; was ich entworfen, ist überhaupt äußerst leicht auszuführen, und wie glücklich wird Clodine durch die Berührung ihrer kindlichen Zärtlichkeit sein. – Schreibt mir doch gleich den Samstag, ob Euch mein angehängter Plan gefällt. In Tonis Stube unter der Treppe kann die Höhle der Zauberin sein, Ihr dürft nur um die Ecke herum eine spanische Wand stellen, so habt Ihr ein Theater, und in der Höhle ist ja noch dazu ein Eingang auf den Gang; schöner könnte es nicht sein. Das Schattenspiel macht Ihr an der Saaltür und seid in Tonis Stube. Während es hinweggenommen wird, kleiden sich die Schauspielerinnen an, die Gesellschaft tritt in Tonis Stube und ist nun gleichsam mit dem Postwagen in der Sandgasse angekommen, und da geht das weitere vor. Den Gesang, den Tanz könnt Ihr ja weglassen, wenn es Euch zu viel wird. Aber mein Bild der Vestalin, meine kleine Szene mit der Zauberin, sie freut mich gar sehr, und ich weiß, es wird sehr herrlich auf das Komische wirken. Schreibt gleich umgehend, was Ihr wollt, an dem Schattenspiel fange ich heute schon an. Die Idee mit dem Postwagen und Winkelmann ist göttlich. Danke der Toni herzlich.
Clemens
Du hast mir einen schönen Ofenschirm geschickt, er entzückt alle Leute, die ihn betrachten, und ist jetzt der größte Schatz meines Mobiliarvermögens, außer Deinem Porträt, wie Deine Liebe überhaupt mein größter Besitz ist.
Ich sende Euch hier das Schattenspiel, ich habe es in einem Tag geschrieben, das ist
alles, was ich zu seiner Entschuldigung sagen kann. Die kleinen Cochonerien, die es
enthält, habe ich genau nach dem übersendeten Plan
Clemens
Unser Teetisch hat sich in eine Pappfabrik verwandelt, George führt den englischen
Phaëton aus mit Jockey und Pferden. Franz macht die Dekorationen, ich wollte die
Schauspieler machen, es mißlang, ich wurde abgesetzt und darf nur immer noch das
zweite Bein machen, den zweiten Arm, und die Zimmer darf ich möblieren! – Auch soll
ich alle Nähnadeln einfädeln. Günderödchen kommt zuweilen, weil ich nicht so oft zu
ihr komme, und dann verschwinden wir ins kleine grüne Kabinettchen hinter der Treppe.
Den Christian hatten wir erwartet, daß er uns würde helfen, er kam gestern an zu
Pferde mit einem scharlachroten Mantelsack, einer Pelzmütze, einem Dompfaffen und
einem zahmen Marder, den er mir schenkte; dies Tierchen plagt mich sehr! Aber weil es
so sehr schön ist; es will auf meinem Schoß schlafen, und wenn ich's herunternehme,
dann knurrt es und fletscht mir die Zähne. Auch hat ihm der Christian tanzen gelehrt,
es quält mich, aber es ist mir doch eine Gesellschaft! – Die Proben vom Schattenspiel
werden gemacht; da ich keine Rolle dabei habe, so konnte ich gestern mit Marianne in
die Oper gehen! – Ich hab mich an Offenbach erinnert bei der Musik. Palmira! – Diese
Oper gibt mir die Empfindung, als läg ich auf duftendem Heu und schlief und hörte das
Ganze nur mit halbem Ohr. Heute Morgen war so schöner Reif, ich bin mit Marianne bis
auf die Gerbermühl gefahren, von dort ging ich zur Großmama! – Sie war recht erfreut;
ich hab mit ihr ausgemacht, daß ich zum Frühjahr bei ihr sein will und die ganze
Frühlingsarbeit im Garten machen, wie im vorigen Jahr noch! – Ach, das ist jetzt für
mich ein Erholungspläsier! Beim Gärtner war ich und hab nach meinen Bäumen gesehen,
alles sieht kernfrisch bei ihm aus und dem Frühling entgegenstrebend. – Er glaubte
nicht, sagt er, daß es diesen Frühling so schön sein werde wie im vorigen Jahr! – Die
Witterung lasse sich nicht so gut an; – ach Frankfurt, du liegst mir wie Blei auf dem
Herzen! In meinem Schreibschrank hab ich in Offenbach gewühlt und hab da den Anfang
von einer Beschreibung meines Klosterlebens herausgefunden und dann auch ein Märchen,
zu dumm – die Günderode hat's
Es ist hier im Haus kein einsam Winkelchen, wär die Günderode nicht, dann wüßt ich nicht, wo ich mich suchen sollte! – Der Toni ihr Kind hat die Rötlen gehabt, da hab ich als abends gesessen.
Heute Abend wird eine Hauptprobe des Zauberfestes vorgenommen. Ich mußte alle Rollen abschreiben, hin und wieder laufen, alles herbeiholen! Am Samstag werde ich Dir die Einrichtung und Verfassung des Ganzen berichten und den nächsten Dienstag, wie das Ganze abgelaufen ist. Lieber Clemens, wann wirst Du denn kommen? Schreib mir genau den Tag, rechne es aus, wenn es möglich sein kann, daß ich mich freue und jeden vorangegangenen Tag einen weniger zählen kann, bis plötzlich die Freude hereinbricht, daß Du da bist, und dann gibt es schöne Tage! Ich werde die ersten Frühlingsgänge mit Dir machen, wir werden mit dem Günderödchen manche Stunde verbringen; ach gestern war's schön bei ihr, da hatten wir ein klein Feuerchen in ihrem Ofen angemacht und ohne Licht waren wir da beisammen und sahen die Flammen spielen, die Günderode machte ein Märchen draus, sie legte alles aus, was die Flammen miteinander plauderten. –
Das schöne Wetter duftet schon, wenn man vor's Tor kommt, die Hecken können die Veilchen nicht mehr verbergen, sie hauchen einen an, ganz vergnügt, daß sie gebrochen werden! Die Luft, sie kommt geströmt aus wärmeren Landen, man möchte mit sich aufschwingen, wenn sie den süßen Atem der Pflanzen davonträgt. –
Bettine
Soeben hab ich Deinen Brief erhalten; es freut mich, daß meine schlechte Arbeit Euch genügte; die Kürze der Zeit usw. – Beiliegenden Brief gib am Morgen ihres Geburtstages der Claudine, er enthält ein Gedicht von mir, gedruckt für sie, Du sollst niemand im Hause davon sagen, ehe Du es ihr selbst gegeben hast; dann aber kannst Du ein Paket mit etlichen fünfzig bis sechszig Exemplaren dieses Gedichtes, welches ich heut mit dem Postwagen schickte, öffnen, dem George fünf Exemplare zum Verteilen geben, der Toni ebensoviel, ebensoviel der Großmutter schicken; der Gundel auch soviel, auch schicke jeder Günderode eins, die übrigen gibst Du der Clodine für ihre Freunde. Ich bitte Dich aber, das Paket vom Postwagen nicht eher zu öffnen, als die Clodine den inliegenden Brief erhielt, denn es ist unschicklich, daß Du es eher gelesen hättest, als sie, auch liegt in jenem Paket keine Zeile von mir an Dich, ermäßige daher Deine Neugierde und hebe es auf bis zur rechten Stunde, dann gehst Du auf Dein Zimmer und teilst die Exemplare ein und gibst jedem das seine. So geschwind habe ich noch nichts gedichtet.
Diesem Brief tue nicht so viel Ehre an als allen meinen vorhergehenden, denn ich
schreibe in einer wunderlichen Stimmung und scheine mir gar nicht vernünftig zu sein.
Seit einigen Tagen ist es so schönes Wetter hier wie im Sommer; ich sitze nicht mehr
meinem schwarzen Ofen gegenüber; alle Fenster meiner hellen Stube stehen auf; ich
habe keine Rast und keine Ruhe, ich gehe in dem Haus aus und ein, kleide mich alle
Augenblicke anders an und empfinde eine ganz wunderbare Angst, so als harre ich am
Fenster ein geliebtes, schönes Mädchen vorübergehen zu sehen; oder als müsse mich
jemand heimlich lieben, ich wüßte nicht wer, und wünschte dieser oder jener, kurz ich
kann Dir's nicht sagen, wie mir es ist, und ich muß mich recht zusammennehmen, nicht
weichherzig zu werden. Es ergreift mich alle Frühling so ein Hinausweh! – Heimweh
darf ich es nicht nennen, – und was mich dann betrübt, das ist, ich weiß, daß es mir
draußen auch nicht wohler wird. Wenn Du es nicht wärst, die mir das Leben zu erfreuen
suchte, so wüßte ich nicht, wie mich anstellen. Bin ich nicht recht undankbar gegen
Dich, Du opferst mir Dein ganzes Leben auf, und ich bringe den größten Teil des
Jahres fern von Dir zu; Du zählst die Minuten bis zu meiner Ankunft, und ich halte
mich noch ein paar Tage in Wetzlar auf. Aber schreiben mußt Du mir nach Wetzlar, bei
Herrn von Bostell werde ich wohnen, mit der nämlichen Post, mit der Du sonst hierher
schreibst. Dienstag abend mußt Du mir schreiben, damit ich gleich aufbreche und zu
Dir laufe. Den ersten und zweiten Tag wird es nun zwar sehr herrlich sein, wenn wir
zusammen sind, aber die ganze Woche, wie wird es dann sein? – Und den Monat? – Werden
wir uns nicht im Hause langweilen, während draußen im Wald jeder Sperling es besser
hat? – Wir wollen recht viel spazierengehen, und morgens früh, wenn noch alles
schläft, schon vor den Toren herumlaufen. Soeben erhalte ich Deinen Brief, der ebenso
abgeschmackt vom schönen Wetter spricht wie der meinige, ich hoffe doch, dieser soll
Dich mehr freuen, als mich der Deinige! Ich fand einen fremden Ton drin, oder
vielmehr ermüdet
Clemens
Von Minchen Günderode hast Du lange nicht geschrieben; wenn die Günderode Dein Märchen nicht gut findet, so ist's doch nicht gesagt, daß ich's nicht erst sehen will, ehe Du es ins Feuer wirfst, wie Du es schon mit manchem gemacht hast. Wenn sie aber sagt, daß Deine Klostergeschichte gut ist, so freue ich mich unendlich darauf, sie mit Dir zu lesen. Ist sie denn schon so weit, oder hast Du vielleicht noch Platz in dem Heft, das Du dazu wirst geheftet haben? Wie schön wär's, wenn Du mir alle Tage ein einziges Blatt wolltest davon vollschreiben, bis ich komme, noch acht Tage nach Empfang meines Briefes.
Claudinens Brief war mir die schönste Belohnung, und doch ist mir ein ganz gewöhnlicher von Dir immer viel lieber als ein solcher ungewöhnlicher. Daß Du mir heute nicht geschrieben, ist mir ordentlich ganz schmerzlich gewesen; Du hast mich verwöhnt mit Deinen Briefen. Ich werde nun nicht mehr lange ausbleiben; Bostell ist hier, mit dem werde ich einige Tage nach Wetzlar gehen, dann komme ich nach Frankfurt, aber eher mußt Du nicht aufhören, mir hierher zu schreiben, bis ich Dir sage, daß ich nach Wetzlar fort bin, bis zum Sonntag hab ich gewiß einen Brief noch von Dir. Ach, es ist mir eine so große Wohltat, wenn ich Dich zufrieden weiß, daß ich am Freitag mit Begierde dem Postwagen entgegeneilte, weil mir Christian geschrieben hatte, er werde kommen; ich hab zum wenigsten erfahren, daß Du heiter und vergnügt bist, auch hat er mir die Relation vom Fest gebracht. Robinson ist mit Christian gekommen; ein guter Kerl, eine Art von wunderlichem Leonhardi. – Ich kann heute Dir nicht mehr schreiben, es genüge Dir, daß ich seit Tagen mehr als je an Dich denke, und besonders seit ich von Arnim aus Bern einen schrecklich langen Brief erhielt, in dem er von Dir kein Wort spricht. Nein, das ist nicht wahr; er grüßt Dich herzlich und denkt oft an Dich. –
Wie steht's um Deine Klostergeschichte? – Schreib mir! Es ist keine rechte Ruh mehr hier im Hause: der Pfarrer Bang liegt oben und schnarcht, Christian bläst immer lamentable Flöte und Winkelmann exzerpiert die Lesebibliotheken. Nun kommt dieser Welthanswurst, der Robinson und will von mir profitieren, und nun bin ich schon ganz zusammengeworfelt und finde mich zwar zusammen, aber nicht aus mir heraus.
Clemens
Hier ein Brief von Md. Mereau, der an mich adressiert war; Du hast sie vielleicht jetzt schon gesehen und mit ihr gesprochen, sage mir, ob sie noch schön ist, oder vielmehr, ob Du sie noch lieb hast. Ich war auf der Gerbermühle und hab der Marianne von Deinem Lied erzählt, nun mußt Du ihr es auch schicken, sie ist sehr begierig darauf wie natürlich, ich soll Dich grüßen von ihr. Ich hab gefragt, warum sie so wenig mit uns war während Deinem Hiersein; ach, sie wußt es nicht warum! – Und ich weiß auch nicht, warum ich hiersitze und der Zukunft den Rücken drehe und in den Spiegel einer weit zurückgezogenen Zeit schaue und auf einen kleinen Fleck nur schaue. Das ist der Beginn unseres Briefwechsels! – Weil Du jetzt fort bist, so hab ich mich gar nicht mehr besinnen können, wie ich Dir sonst schrieb, der Mereaubrief will doch zu Dir, ich muß ihn schicken und schreiben! – Da suche ich nun in Deinen früheren Briefen, wie es sonst mit uns war, so ganz gedächtnislos bin ich und finde ein Lauffeuer verbundener Gefühle und Gedanken, ein Morgenrot, ein Morgenlicht, ein Aufblühen, ein Mittagsglühen, ein unermüdliches idealisches Tragen und Heben, ein Lehren in Liebe verwandelt und endlich eine schöne reine Lebenskühle! – Ich bin er mattet, sie tut mir wohl, diese Frische! – Meine Sinne wollen schlafen ein wenig, es war ein zu heißer Frühling. Knospe an Knospe blühen alle, – Du gehst voran; ungeduldig, da machst Du die Tür auf vom nächsten Revier, wo die Blüten freudig herumtanzen, und wie es da weitergeht mit Befruchten und Reifen, das ergreift Dich. Das Leben will keine Zeit verlieren! Ich aber bleib noch hier, das schmale grüne Fleckchen des Unvergeßlichen! – erster Geschwisterliebe, erster Erscheinung des Lebens, der ich mich verbunden habe; das braucht ja keiner Rosenglut, keiner glühenden Früchte, das Hoffnungsgrün ist so rein, so einladend immer, auch im Nebel lebendig durchschimmernd. – Das ist mein Plätzchen. –
Es ist jetzt sehr still bei mir, weil Du nun fort bist, ich werd mich aber bald
wieder dran gewöhnen. – Du wirst doch wohl nicht mit Deinem Freund Wrangel nach
Rußland gehen! – Ich rate herum! – Sonst hast Du mir alles gesagt, diesmal gingst Du
mit einem Geheimnis auf dem Herzen! – Ich seh Dich in Gedanken über's Meer forteilen;
das gebührt Dir ja auch. – Ich ging in andre Weltteile und machte da jede Hütte auf
an Deiner Stelle. – Wie ist das dumm, daß man wie ein eingesperrter Vogel von einem
Stängelchen zum andern hüpft, von Marburg nach Frankfurt, wieder nach Marburg, zur
Abwechslung nach Jena oder Weimar! – Für was lernt man Geographie und kann die Welt
auswendig auf den Tisch malen! – Und bleibt hinterm Tisch sitzen, kommt nie in sie
hinein. O, welche schwere Verdammnis, die angeschaffnen Flügel nicht bewegen zu
können; Häuser bauen sie, wo kein Gastfreund Platz drin hat! – O Sklavenzeit, in der
ich geboren bin! – Werden die Nachkommen nicht einst mitleidig mich belächlen, daß
ich mir's mußte gefallen lassen, wenn wir vielleicht als Geister einstens sklavische
Natur uns vorwerfen! – Wie! Ihr habt den Geist eingesperrt und
Gestern waren wir bei Bethmann zu einer Lektüre vom Hamlet, die Szene zwischen ihm und Ophelia unterbrach die Vorlesung, jeder hatte sie allein für sich gelesen, aber laut sie zu lesen, das wollte keiner. – »Ich will's vorlesen,« rief ich, und glaubte, nur die Schwierigkeit dieser Szene, Charakter und Doppelklang der Ironie wiederzugeben, verhindere das Weiterlesen. »Wie, Sie wollen's lesen?« schrien alle; ich war schon aus meiner Ecke hervor am Tisch und las mit lauter Stimme die ganze Szene trefflich, ja trefflich, denn die ganze Zeit hatte ich eine Umwälzung aller Sinnen erlitten, und nun kam die Rache, und die Lenznacht meiner Empfindungen stieg aus meiner Brust empor wie eine Feuersäule, und ich las fortstehend und freute mich am Widerhall meiner Stimme, und – siehe da, alle waren fort in die andren Zimmer, ich war allein gelassen worden. – Was sie dachten, weiß ich nicht. Auf mich hatte es eine glückliche Wirkung; zum erstenmal wieder eine Nacht wie die in Offenbach sonst waren, wo der Schlaf so leicht mich deckte, als sei es ein Erwachen in eine höhere Sphäre. – Es weissagt etwas in mir, daß eine Kraft in dieser Welt sei, die mit Leidenschaft mich liebt.
Bettine
Weimar bei Friedrich Meier
Ich ging so hastig von Frankfurt; mein eiliges Entlaufen, mein gehemmtes Gehen und
Wiederkehren, das mußte Dir, geliebtes Kind, wie das Tun eines Nachtwandlers
vorkommen, und so war's auch; ich war wie ein Schlafender, der sich gern seines
Traumes erledigte, wenn er nur könnte; nun hab ich bei diesem Abschied von Dir
gefühlt, daß ich träume, daß ich wohl erwachen werde, wenn ich im Traumwahn von
Deiner Seite weiche, daß ich dann in nichts Ersatz finden werde für die Heimat bei
Dir. – Aber der Traum gibt einem andre Hoffnungen, die allergrößten vom Erdenleben! –
Und führt einem durch die allerunbesonnensten feurigsten Lebensepochen; ist man
erwacht, so sitzt man tief in der leeren Erdenschererei, und alle prophetischen
Klänge der hohlen Baßgeige Erfahrung begrüßen einem mit dem fatalen: Hab ich dir's
nicht gesagt? Bis jetzt bin ich dahin noch nicht gekommen, meine Hoffnung im Steigen,
meine Erwartung vom Zusammenleben mit viel bedeutenden wunderlichen, liebenswürdigen
Menschen hier, aufs höchste gespannt! – Der Park steht in seinem edelsten Grün. Du
hast
Ich könnte so fortträumen, um Dir zu beweisen, daß ich träume! – Es ist ein wahrer Tauschimmer von Lebensblüten, und alle meine Empfindungen sind ein blumiges Spielgärtchen, in dem die erfrischte Welt in der Morgenröte liegt! – Und die Vergangenheit? –
Eben erhalte ich Briefe von Arnim mit seinen Reiseplänen schon unter Segel; er geht
übers Meer; unsre guten Wünsche, mögen sie ihm gute Engel der Begleitung sein; lese
selbst, die Briefe schicke hierher zurück. – Deine kleine Freundin Löwenstern wirst
Du nun bald wiedersehen, sie ist gestern abgereist, ich hab sie aus meinem Fenster
bei ihrer Freundin Fümelle einen zärtlichen mädchenhaften Abschied nehmen sehen; wenn
Du sie siehst, so empfiehl mich ihr als Deinen treuen Bruder, den ihre Freundschaft
zu ihrer Gespielin sehr gerührt hat; das Fräulein Fümelle wohnt mir gegenüber und
wird, wie ich höre, auch bald nach Offenbach gehen, ich sehe oft mit Vergnügen, wie
sie ihre kleine zierliche Figur von Fenster zu Fenster trägt und keine Ruhe in den
Füßchen hat, und wie ihr Herr Papa sein Barbierbecken am Fenster stehen hat, und wie
das Barbierbecken den Herrn Papa abwartet, bis er seinen Bart hineinschaben läßt von
dem kunstreichen Messer eines Weimarer Barbierheros! – Alles ist nämlich hier von
einer Muse des Übermutes genährt, keiner geht über die Straße ohne persönliches
Gefühl des Mitwirkens in die tolle Alltäglichkeit, selbst bis auf den Friseur, der
einer der wichtigsten Kavaliere ist. Das ganze Windmühlenwerk der Künste ist
fortwährend im Gang, die Hand des Tonkünstlers und der Fuß des Tänzers klappen
ineinander, die Kunstreihe körperlich geistiger Fertigkeiten wird durch einen Aufwand
geistiger Regierung aufs
Ich bleibe auf jeden Fall einige Zeit hier, wo Du mich gern wissen sollst, denn ich bin sehr gern und glücklich hier und streife meinen Mißmut ab wie eine alte Schlangenhaut. Das einzige ist, das Salbadern mit Herders Tod langweilt mich; aber auch hierüber ist ein Scherz nicht unwillkommen:
Diese empfindsame Gesellschaft hab ich, wie sie im Vers beschrieben ist, mit schwarzer Kohle an die weiße Gartenwand vor Goethes Garten, der in den Park führt, abgemalt; alles ist hingegangen, es zu betrachten. Der abgehende Herder und der weinende Wieland sind unwiderstehlich gelungen! –
Lebe wohl! Schreibe mir, schreibe doch der Mereau ein paar Worte und liebe sie, wie ich es um Dich verdiene, daß Du die liebst, die mich versteht. – Von allem diesen haben wir unter uns gesprochen, und Du wirst mit andern nicht davon reden.
Du kannst mir einen Gefallen tun, wenn Du mir sechs kleine Chemisettchen gestickt und mit Kragen von feiner Leinwand machen läßt; ich wünsche sie aber sehr bald, deswegen laß sie recht artig, aber nicht zeitspielig machen. Ich konnte diesen kleinen Toilettenbetrug sonst nicht leiden, aber ich will hier ein bißchen unter die Leute gehen und weiß ja noch nicht, ob sie verdienen, mich in meinem wahren Hemde zu sehen; die Dinger müssen nur ein Herzfleckchen und bißchen Hals sein. Herz und Hals wage ich nur in der Liebe.
Dein Clemens,
bei Friedrich Meier
Dein Brief hat einen Eindruck auf mich gemacht, wie ungefähr das Licht wirken muß auf
einen, der lange blind gewesen oder im Dunklen herumtappte. – Du gingst von hier und
warst so unzusammenhängend, daß selbst die Trennung von Dir übersprungen war; Du
liefst, Du liefst, hätte ich nicht dem Buben vor der Haustür mein Schnupftuch in die
Hand gedrückt und ihm gesagt, er solle Dir nachlaufen, denn Du habest es vergessen,
so wußte ich nicht, wie ich Dich im letzten Augenblick noch an mich erinnern sollte.
– Der Knabe kam zurück und sagte, Du habest es in den Busen gesteckt und aufgetragen,
mich tausendmal zu grüßen! – Tausendmal! – Einmal wär genug gewesen! – Wenn Du nur
vorher Dich besonnen hättest, daß Deine Schwester Dir gegenüberstand und wartete, daß
Du sie ans Herz drücken solltest. – Der Knabe sagte mir auch, der Postwagen war noch
nicht fertig angespannt, Du seiest voran dem Tor zugegangen! – Ach, Deine Ungeduld
Ein schwermütiger Jüngling, von Träumen aufgeregt, erwacht in der Nacht, die heiß und glühend die Welt umfängt wie gestern, wo es die ganze Nacht wetterleuchtete; er stürzt hinaus ins Freie mit seinen getreuen Hunden und kommt in einsame fürchterliche Gegenden, wo schreckliche Wasserfluten von den Felsen niederstürzen und die Bäume auf den Höhen über ihm zusammenkrachen, wo es feucht ist und giftige Kräuter am Gestein sich hinaufranken und betäubend duften. Hier hört er auf einmal ein helles fröhliches Lied singen, mit lustiger Stimme, er geht dem Tone nach und entdeckt einen mutwilligen Knaben, der über einem schrecklichen Abgrund sich schaukelt, über den brausenden Wassern, die in stürmender Eile dahinrollen. Er sieht's, erschrickt, wird tief bewegt von der Lebenskeckheit, viele Empfindungen machen sein Herz ganz wild und glühend, er glaubt das Kind zu kennen, er will es warnen, er will es retten, doch nein, es ist ihm noch fremd, nun entspringt heiße Liebe zu dem heiteren Wesen in Todesgefahr, die Hunde klettern ihm nach, wie er sich versteigt, dem Kinde nachzukommen, sie suchen ihm Bahn, doch mit Angst, und möchten ihn abmahnen, er gelangt endlich hinauf, jetzt ist die Frage, was er mit dem Kinde anfängt. –
Er stößt ihm einen Dolch in die Brust, ohne es zu wissen, sagt die Günderode. Ich bin aber nicht so grausam und will das nicht, ich sage nein, es begegnen ihm mit dem Knaben noch wunderbare Dinge, der sich ganz mit seinem Schicksal verknüpft, das führt ihn durch Glaub, Hoffnung und Lieb, und das Märchen endet auf eine eigne Art. – Wenn es so enden soll, sagt die Günderode wieder, dann ist der Clemens der Jüngling, seine neue Geliebte ist der Knabe und wir zwei sind die zwei getreuen Hunde, die zwar ihn warnen, aber nichts vermögen, hätt es aber nach meiner Art geendet, so warst Du, Bettine, der Knabe. –
Ja, wir beiden treuen Hunde von Dir, lieber Clemens, ahnen ein schwer Gewitter über Deinem Haupt. – Wir möchten Dich wieder nach Hause persuadieren und Dich beschwören, den Block zu fliehen, wenn Du auch ein Weilchen die Ketten mit Dir noch herumschleppen mußt. –
Ach Clemens, ich bin müde und bin wie krank, aber es wird schon besser werden, könnt
ich nur zur Großmama nach Offenbach; die Luft ist mir dort zugetan, sie brachte mir
immer gute Botschaft von Dir, besonders im Frühling, da war die Luft ganz würzig von
aller herzlichen Begeistrung der Bruderliebe. Die Günderode sagt auch zu mir, geh
nach Offenbach, aber nun hat mir gestern der Gärtner meinen Orangenbaum geschickt und
meinen Feigenbaum und den Granatbaum voll Knospen, wer wird sie pflegen, bis ich
wiederkomme? – Ich häng an diesen Bäumen, die nun schon zum
Wie tief fühle ich's, daß es so ist und sein muß! – Und ich getraue mir, in meinem Geiste diese Schöpfung fortzuführen in dem, was mir am nächsten liegt, was mich anspricht um Erlösung! – Es sind die Blumen, die wollen von mir begriffen sein, allerdings um ihrer selbst willen! – Sie sind verstanden in allen Winken, die sie uns geben, so sind sie in eine neue Sphäre geboren, und auch sie sind unsterblich durch den Begriff, der sie immer weiter erzeugt! – so ist's gewiß, daß sie eine Sprache führen, die ganz mit unsern Empfindungen verwandt ist, sie reden also mit uns! – Nun? – Haben wir denn keine Antwort? – Keine Mitteilung ihnen zu machen? – Ach nein! Eine Blume ist ja nur ein Fragzeichen der Natur; – die ganze Natur ist Sprache, die Blume ist ein Wort, ein Ausdruck, ein Seufzer ihrer vollen Brust! – Ja die Blume spricht auch für sich zu Dir, aber die ganze Natur bedarf ihrer, um sich selbst auszusprechen, und alles Sein ist ihre Sprache, so redet die Natur mit dem Geist! Und diese liebende Unterhaltung ist die Nahrung des Geistes, daraus schöpft er seine Unsterblichkeit, daß er sie begreifen lernt und durch den Begriff sie eben forterzeugt. Also ein Erzeugender kann nicht sterben, denn in ihm würde die Unsterblichkeit untergehen! –
O lache mich nicht aus mit meinen Reden, es ist nichts, es ist Kopfweh, unendliche Müdigkeit; schlafen verlangt's in mir! An die Mereau soll ich schreiben? – Was denn? – Ich kenne sie nicht, sage mir, was sie ist, so will ich einen Stein in den Brunnen werfen, ob sie versteht, was der ankündigt.
Am Morgen nach einer wohldurchschlafenen Nacht muß ich doch dem Brief von gestern noch einen menschlichen Schluß geben, Du könntest sonst glauben, ich habe mich verstiegen (übergeschnappt). Clemens, was hab ich Dir vorgeplaudert? – Ich will's nicht wieder lesen, sonst würde ich's vielleicht zerreißen, und einen zweiten schreiben kann ich nicht. Gestern war ein Kopfwehtag, heute bin ich wohl, aber matt und sehr aufgelegt zum Schlummer, und es ist mir doch so bequem, daß ich mir selber angehöre, und nichts will ich von allem behalten, was mir auf ewig sollte bleiben. Übertrage meine Liebe zu Dir auf die gute Sophie! Ich werde dann kommen und naschen wie ein Kätzchen von dem, was ehmals mein war! – Adieu doch! ich bin schon ganz froh, daß ich nichts mehr zu hüten habe mit sauerem Schweiß. Lieber ein Bettelmann sein als ein Hüter von etwas, was einem doch nicht gehört!
Bettine
Ich bin sehr betrübt, daß Du mir gar nicht schreibst, ich bin immer in Ängsten, Du
mögest krank oder unwillig auf mich sein, auch Sophie ist betrübt darüber, denn sie
liebt Dich gar sehr, ich habe mir alle Deine Briefe von Marburg schicken lassen und
sie ihr vorgelesen, Du glaubst nicht, Liebe, wie sie das rührt, und täglich, wenn ich
vertraulich mit ihr zusammensitze und uns recht wohl wird, spricht sie: »Ach, wenn
doch Bettine bei uns wäre!« Sie wird durch Deine Freundschaft recht glücklich werden,
bis jetzt hat sie auf Erden noch keine Seele gehabt, die sie so recht lieben konnte,
sie ist ihr ganzes Leben durch wohl grausamer getäuscht und mißhandelt worden als
irgendein anderes gütiges und schuldloses Wesen, und allen hat sie vergeben, alles
hat sie vergessen, ist nicht menschenfeindlich gesinnt, ist immer freundlich, mild
und unendlich anmutig, ich habe eine ruhige, herzliche Empfindung für sie, die ich
vorher nie gehabt, und auch sie liebt mich täglich mehr und inniger, und wir
vertrauen unserm Geschick, das uns voneinander gerissen, um uns einander besser
wieder zu geben. Liebe Bettine, ich habe Dich so unendlich lieb, so lieb, als ich
Dich je liebte, ich fühle immer mehr, daß Du mein Herz genährt und erhalten hast. Du
hast mich zu dem Menschen erzogen, den meine Geliebte achten und lieben muß, ohne
Dich wäre ich verzweifelt am Leben und an dem Heil. Ich wollte, Du könntest mich
verstehen, ich wollte, Du könntest recht deutlich fühlen, wie Dir nichts durch meine
Liebe zu Sophien entzogen wird, nein, ich fühle tief im Herzen, wie ich mich durch
sie in Deiner Liebe verherrlichen kann, ich werde, durch sie zur Ruhe gebracht, alle
die Kräfte meines Geistes und meines Herzens im Tüchtigen glücklicher entwickeln, ich
werde ohne Sehnsucht, ohne Begierde die Augen auf mein Tagewerk wenden können und es
zur Ehre meines Lebens vollenden, Du bleibst ewig meine Richterin, Du bleibst das Maß
meiner Empfindung und mein vertrauter Gott auf Erden. Wie Du liebst, Bettine, solcher
Liebe wird auf Erden nicht genug getan, und wen Du an Dein Herz schließest, der
betet, Deine Arme aber überreichen ihn, sie reichen in den Himmel und holen den Segen
herab für den Frommen, den Du liebst. – Liebes Kind, wir werden noch einstens sehr
glücklich sein auf Erden, denke Dir, wenn Du die Gattin eines einfachen
vortrefflichen Mannes wärst, der mich liebt, und ich und Sophie, wir alle viere leben
in inniger Verbindung und teilen alles und ehren uns gegenseitig und lernen uns
einander das Vortreffliche ab. Ich habe das feste Vorgefühl, daß es uns bald so
werden wird, und ich bete darum zum Himmel, Du kannst meinem Himmel nur recht
vertrauen, denn er liebt Dich, und gewährt er Dir meine Bitte nicht um meinetwillen,
so ist es doch um eines gewissen lieben Kindes willen, um die geliebteste Bettine.
Ich bin jetzt täglich bei dem vortrefflichen Bildhauer Tieck, der mich sehr lieb hat,
es ist etwas Entzückendes, ihn arbeiten zu sehen, wie er Götter und Menschen mit
einem kleinen hölzernen Spatel aus Ton herauszaubert. Ich wünschte Dich oft zu mir
her, daß Du das auch sehen könntest. Ich hoffe Dir bald
Dein Clemens, bei Doktor Fr. Mayer
Schon viele Tage war ich sehr betrübt, gar keinen Brief von Dir zu haben, ich war oft recht ängstlich, Du mögest mich nicht mehr recht lieben, und ich wäre doch so recht unglücklich ohne Dich. Heute wollte ich Dir nun mein Leid über Dich recht kläglich beschreiben, und da erhielt ich denn Deinen einzig lieben Brief, der mich wieder ein bißchen traurig macht, auf eine andere Weise. Daß Du Sophien nicht recht leiden magst oder vielmehr Dich gegen sie verschließt, betrübt mich, wie sehr! – Deine Liebe ihr übertragen? – o mein Kind, das ist auch wunderbar – wem auf Erden könnten wir unsre Liebe zueinander übertragen? – Ich schwöre Dir, liebe Bettine, ich würde nie ein Weib nehmen können, bei dem ich Dich entbehren könnte. Ich werde glücklich sein mit ihr, wenn Du mit glücklich sein willst; sie wird mit mir in meine Einsamkeit nach Marburg ziehen, – den Winter schon wird sie mein Weib sein, st – st – kein Wort davon geredet. – Wir wagen keine Freiheit, wir sind beide gut und vernünftig, unsre bürgerlichen Verhältnisse werden sich nicht verwickeln und uns strangulieren! – Wir sind vergnügt und leicht. Das ganze Blatt hat sich überhaupt gewendet, sie liebt mich jetzt leidenschaftlich, wie ich sie sonst liebte, und ich bin ruhig. Ich werde nicht an ihr handeln, wie sie einst an mir, sie würde sterben, – sie ist sehr gut und resigniert auf alles um meinetwillen. Doch lerne sie kennen, und dann liebe sie, dann hasse sie, Du wirst überhaupt entscheiden über uns. Schreibe mir noch immer hierher, aber um Gottes und des Himmels willen schreibe mehr das Unmittelbare, was mich und Sophie angeht; wenn Du es nicht tust, das kränkt mich unendlich. Nochmals aber bitte ich Dich, der Mereau selbst zu schreiben!
O Kind, Du willst mit Blumen und Kräutern Dich einlassen und glaubst schon sie zu
verstehen. Warum willst Du den Kreis des Vertrauens nicht auch ihr aufschließen? –
Sie auch wirst Du erlösen aus einem bezauberten Kreis der peinlichsten Gefühle! –
Mich liebt sie mehr wie ihr eigenes Leben, und Du, die ich so liebe, Du stehst starr
und stumm vor ihr, als gehöre sie nicht zu Deiner Welt. – Du stoßest sie aus? – Was
hat sie Dir getan? Schreib es ihr, sie wird sich dann verteidigen, denn sie liebt
Dich
Alle Abend sitze ich mit irgendeiner Gesellschaft bis spät in die Nacht und singe und spiele, daß mich alles lieb hat und hinterdrein doch wieder auf mich schimpft, das gehört sich aber so auf dem Weimarer Plundermarkt. Ich bleibe wohl noch ein paar Wochen hier, drum schreibe immer hierher; sehr erfreuen könntest Du mich, wenn Du mir, was Hoffmann komponierte, wenn auch bloß mit Klavierbegleitung, abschreiben ließest, aber bald, und mir es schicktest.
Vor einigen Tagen war ich in Lauchstädt, sechs Meilen von hier; ein Badeort, wo während der Kurzeit die hiesigen Schauspieler spielen, dort sah ich das neue Stücke von Goethe, die »Eugenie«, es wurde schlecht gegeben, aber es ist, nu, es ist halt von Goethe. – Als ich in die Promenade dort trat, wer kam mir zuerst unter die Augen? – Minna R–bach, das Mädchen von Altenburg, das ich einst liebte, Perigot, der Pariser (läßt Dich grüßen), führte sie. Perigot begrüßte mich, sie erblaßte; sie hat einen dummen reichen Mann geheiratet, sie ist sehr unglücklich. Bei Tisch saßen wir öfters nebeneinander, sie war sehr verlegen, ich redete kein Wort mit ihr; am Abend vor ihrer Abreise machte ich durch Perigot die Bekanntschaft ihres miserablen Mannes, den ich bat, mich seiner Frau zu präsentieren, er tat es; ich setzte mich neben sie und sagte ihr leise: »Nicht wahr, Minchen, ich hatte recht, es geht dir recht schlecht, wie ich dir gesagt habe.« – Da weinte sie beinah und mußte tanzen gehen; ich aber entfernte mich und setzte mich allein in die Allee, wo ich recht vergnügt an Dich gedachte, wie doch die andern Weiber alle nichts gegen Dich sind! – Du sollst bald eine große Freude haben; ein Geschenk erhältst Du in einigen Wochen von mir, so köstlich, so lieb, so hast Du in Deinem Leben nichts gehabt, ich möchte es gar zu gern sagen, was es ist, aber ich denke durch mein Stillschweigen Dir einige Briefe abzujagen. Übermorgen wird es angefangen, nun Du wirst ein freudig Wunder daran erleben, aber höre, sei mir auch gut und halte auch mehr auf Sophien. Lebe wohl, für Puppe, Chemisettchen und Rock danke ich.
Dein Clemens
Eins hab ich ganz vergessen Dir zu sagen, daß Marianne ihr Gedicht von mir empfangen
hat! Ich war so sehr betäubt, als ich Dir das letztemal schrieb, wie es immer geht,
wenn ein tiefer Traum durch nichts sich abwälzen läßt, wenn alles, was das äußere
Leben hinzubringt, von ihm ergriffen wird, um sich tiefer hineinzuträumen, wenn jedes
zufällige Ereignis
Weiter weiß ich Dir nichts zu sagen, als daß ich müde und schläfrig bin. Gestern waren wir auf der Gerbermühle, die Günderode mit mir, welch himmlischer Aufenthalt; warum kann man's versäumen, wenn man die Sonne so untergehen sah, daß man sich wieder auf dem Platz einfindet, um sie am Morgen wieder zu empfangen! – Adieu doch! –
Bettine
Du hast nun wohl meinen letzten Brief, der mit dem Deinigen sich gekreuzt hat, und ich hoffe, er hat Dir einen ruhigen, ja glücklichen Eindruck gemacht, damit die Verwirrungen der Sprachen wie in Babylon nicht den Fortbau unseres Glückes hindern.
Was hat Dein Brief mir und der armen Sophie für eine Angst gemacht, ich begreife Dich nicht! – Hab ich Dir nicht mehrmals gesagt, daß von Dir meine Zukunft abhänge, daß es Dein Wille ist, ja Deine Neigung, die mich bewegt zu allem, die mich lenkt! – Und ich sage Dir nun, daß ich Sophien nie heiraten werde, wenn Du sie nicht liebhaben kannst, das ist auch ihre feste Entschließung, und sie opfert mehr dabei auf als ich, denn sie liebt mich mehr als ich sie liebe, sie hat keine Bettine, ich habe eine, die ich ewig mehr lieben werde als alle Menschen! Es ist mir ewig leid, daß ich darüber an andre geschrieben habe. Man scheint alle Glocken bei einer Sache angezogen zu haben, die gar nicht der Mühe wert ist; was hat man Dir über uns gesagt? – Sag es aufrichtig. Dabei sitzt Du in Frankfurt zwischen trostlosen Wänden und weißt Dir keinen Rat! Hast Du denn gar kein Vertrauen mehr zu mir? – O liebes Herz, sei ruhig! Glaube an mich und verirre Dich nicht! Auch der Traum hat seine Ansprüche an die unverkümmerte Wahrheit; das zu schöne Leben ist ja Traum, und wenn Du erst mit uns beiden vereint bist, dann ist mein Leben zu schön, und dann träumen wir alle drei glücklich, und Du wirst's doch nicht scheuen, im Traum Deinen Bruder glücklich zu fühlen, glücklich zu machen! –
Jetzt erst merke ich, wie ich von den Leuten verschieden bin, denn meine Idee, mich
mit Sophie zu vereinigen, ist mir eine der einfachsten meines ganzen Lebens; ich kann
Dich versichern, zu Dir aus meiner Stube in die Deine zu gehen war mir immer
wichtiger und mit mehr Sorge verknüpft; Deine Angst aber ist nicht in der Ordnung. Du
solltest mich so lieben, daß alles, was ich mit Gleichmut und Ruhe tue, das heißt:
daß alles, was ich eigentlich tue, Dir gar keine Sorge machen könnte. Schau mir in
die Augen, mein Kind, mein treues, gutes Kind, und störe Dich nicht, was an meiner
Seite vor sich geht; es geht uns beide nichts an, wir müssen unser Sein, unser Denken
miteinander, nicht mit der Welt vermengen, sonst gibt es Schmerzen. So wie Du
allerlei Übles ahnest, so ahne ich Gutes, oder doch vielmehr ganz ordentliche ruhige
Begebenheiten und erschrecke nur darüber, wie Dich etwas so ganz Gewöhnliches in
Sorgen setzen kann! – Ich sage Dir daher nur noch einmal, Sophie wird nicht mein
Weib, wenn Du sie nicht lieben kannst, aber Du wirst sie lieben, das ist gar nicht
anders möglich, sie wird Deinetwegen expreß nach Trages kommen, sie hat eine Begierde
nach Dir wie noch nie nach einem Menschen. So oft ich ihr einen solchen Sorgenbrief
wie den letzten Deinigen bringe, wird sie immer sehr gerührt und betrübt, aber wenige
Minuten drauf wird sie wieder froh und viel mutiger als vorher, sie fühlt sich so
viel, viel besser als man von ihr
Mache mich nicht unglücklich, liebes Kind, sei nicht traurig um mich, ich schwöre Dir, so wahr als Gott und unsere Liebe lebt, es ist da nichts, was Dich mit Recht betrüben kann! Vertraue mir ganz, aber verstelle Dich nicht, als seist Du ruhig, wenn Du es nicht bist. Ach, aber welcher göttliche Beweis von Deiner großen Liebe zu mir wäre es, wenn Du mit aller Innigkeit so recht aus ganzer Seele mir vertrautest! Wenn Du wirklich ruhig würdest und zu Dir sprächst: der Clemens kann nichts tun, was mich betrübt, er wird mein Glück nur vermehren, nur befestigen können; in diesem Vertrauen will ich auf die Zukunft mich freuen. Liebes Kind, blicke um Dich auf die Herrlichkeit Gottes in der Natur und in der Kunst und in unserer Liebe, liebes Kind, lasse Dich keine Sorge einnehmen. Ein tüchtiger Mensch kann nicht unglücklich werden, ich fühle, ich kann es nicht, denn ich bemerke mich nicht mehr, so klein bin ich gegen Natur, Kunst und die Liebe, und so auch tue Du.
Es wäre sehr betrübt, wenn Dich dieser Brief gar nicht ein bißchen trösten sollte, er
geht mir so recht von Herzen! – Gunda schreibt mir aus Frankfurt, Du seist sehr krank
gewesen aus Liebe und Sorge zu mir, deswegen hättest Du mir nicht geschrieben, Du
seist so krank gewesen, daß die ganze Familie um Dich besorgt gewesen sei! Mein Kind,
ist das wahr? – Und Du hättest es mir verschwiegen? – Das kränkt mich, das ist gewiß
ein Schreckenberger von der Gundel! Liebes Kind, nehme Dich zusammen, sei lustig und
vergnügt, ich schwöre Dir, es ist auch nicht für zwei Pfennige Elend auf der Erde,
und ich hab gar nicht nötig, besorgter oder vergnügter als sonst zu sein; denn es
wird ewig beim Alten bleiben; die Natur strengt sich nicht an, natürlicher zu sein,
Gott hat bis dato noch keine Ursache gefunden, göttlicher zu werden, der Mensch ist
so menschlich als genug, und der Clemens ist und bleibt halt der Clemens, und wenn
ich sechstausend Weiber nehme, so werde ich immer nach wie vor der Clemens sein. Ich
würde auf die letzten Nachrichten von Euch gleich zu Dir gekommen sein, wenn mich
nicht folgendes abhielt: erstens kann Sophie nicht eher nach Trages reisen als in
ungefähr vierzehn Tagen, und ich kann sie doch nicht allein hinreisen lassen;
zweitens will ich meine Büste von Tieck für Dich modellieren lassen und der konnte
noch nicht anfangen, weil ein großer Bacchus, den er macht, umgefallen und zerbrochen
ist, so daß er ihn erst von neuem machen mußte. Diese Büste ist das überraschende
Geschenk, was ich Dir versprochen habe, es wird Dir große Freude machen; er gießt
einen nicht ab, wie
Savigny schrieb mir heut, er habe einen Brief von Arnim an mich, ich aber habe den Brief noch nicht, auf den ich unendlich ungeduldig bin; er hat ihn Christian gegeben, ihn mir zu schicken, und der ist ein kommst du heut nicht, so kommst du morgen! –
Eben erhalte ich zu meinem haarzubergerichtenden Erstaunen beiliegenden verwirrten Brief der Großmutter! Ich weiß nicht, was er bedeuten soll. Es muß ihr von hier aus, wo vom Schuster bis zum Herzog alles von mir und der Mereau spricht, manches Unwahre erzählt worden sein; – sie spricht mir auch von Dir! – O sei um Gotteswillen nicht betrübt über mich, wolltest Du denn, daß ich nie heiraten sollte? – Liebe Bettine, wenn Du es verlangst, so will ich das einzige Weib, was mich als Gattin glücklich machen kann, verlassen und will ein Einsiedler werden! Sei doch ruhig und setze mich nicht in Angst. Ich weiß mir nicht zu raten und zu helfen, wenn Dir es nicht wohl wird. –
Heut hab ich ein Liedchen an Arnim gemacht und eine schöne Melodie dazu, ich weiß noch nicht, wo er jetzt wohnt, drum schicke ich es Dir allein, da er noch wohl in Deinem Herzen wohnt. Mädchen! Wenn Du meine Freunde so lieben kannst, warum wehrst Du Dich so gegen meine Freundin? –
Wunderlich ist's, daß alle Leute, welche die Mereau kennen, sich ebenso wunderlich gegen unsere Verbindung wehren; wie Ihr auf sie zürnt, so zürnen sie auf mich. Ja, zieht und zerrt nur, wir lieben uns, und Ihr müßt Euch einst noch freuen daran!
Dies Liedchen ist das beste, was ich gemacht habe, mir ist es recht wie dem Jäger!
ClemensWeimar, 23. Juli 1803
Gestern abend war ich bei Sophien, sie war ungewöhnlich schwermütig, auch ich war nicht vergnügt, der Gedanke an Deine zärtliche Angst um mich versetzt uns beide oft in solche Trauer; wenn ich ihr dann erzähle, wie ich Dich über alles liebe, wie ich Dich so vortrefflich halte, so wächst ihre Sehnsucht nach Dir unendlich und mit dieser ihr Mut. In dieser Idee Deiner Liebe gewiß würdig zu sein, Dir nah zu sein, Deine geliebte Freundin zu werden, von Dir vieles zu erlangen, was sie bis jetzt umsonst auf Erden gesucht hat, ergriff sie eine innerliche himmlische Heiterkeit, sie ward ruhig, und ihr Anblick gab mir eine eigne Seligkeit. Heute morgen schickte sie mir beiliegenden Brief an Dich, den sie noch spät in der Nacht in jener hoffnungsvollen liebenden Begeisterung geschrieben hat; ich zweifle nicht, Du vortreffliches, geliebtes Herz, daß Du die Seele dieses Briefes ehren wirst, daß Du ihr aufrichtig, ohne Delikatesse, ohne alle Resignation antworten wirst; Wahrheit sage auch ihr, sage alles, was Du empfindest, sie kann alles ertragen um meinetwillen, und sei recht ruhig und zufrieden; wenn Du sie kennen wirst und sie keineswegs lieben kannst, so wird sie nie mein Weib. Ich muß noch an Savigny schreiben; drum lebe wohl; ich bitte Dich herzlich, schreibe mir öfter, aber ums Himmelswillen lauter Wahrheit! – mein, Dein, Sophiens Glück hängt davon ab. Heute hat Tieck meine Büste für Dich angefangen.
Clemens
Was uns nah ist, lieben wir innig im Leben, was uns näher ist, können wir nicht genug
lieben! Wer liebend auf seinem Weg weiter geht bis ans Ende, der hat die Wallfahrt
nach seiner Heimat recht als ein Kind mit aller Andacht vollendet und kommt auch als
Kind an das End seines Lebens! – Wie weise, wie ernst müssen diese Kinder nicht sein!
Wie groß, wie herrlich, und doch sieht ihnen ihre Größe niemand an. Sie treten
lächelnd in den Kreis, und wenn sie scheiden, treten sie lächelnd wieder ab, dies ist
Sonnenschein im Leben, Ihr aber seid gerührt über die lächelnde Einfalt und schauert
über das geheime Geistige darin; das sind kühle Wolken, erquickender Regenschauer im
Leben. – Der lächelnde Mund kömmt näher, er küßt Euch die Tränen von den Wangen, dies
ist Regen und Sonnenschein
Clemens, Dein Lied hat mich erfreut – es gibt eine Zeit im Jahr, wo die Bäume so festlich rauschen, geschmückt mit ihrem Laub, als ob sie den Bräutigam erwarten, und wenn wir wissen wollen, was denn die eigentliche Macht ihrer Schönheit ist, so ist's immer ihre eigne Gestalt! So ist's mit Deinem Lied, vielleicht auch mit Deinem Charakter, mit allem, was aus Dir hervorgehen wird noch! – Es ist, als ob es die Vorbereitung einer festlichen Zeit sei, und wenn wir uns näher ihm vertrauen, so ist es immer wieder es selbst! Du bist es selbst, das Glück, auf das Du Dich so festlich vorbereitest, das Glück, dem Du Dich anvertraust.
Soeben habe ich Sophiens Brief erhalten, er ist zu freundlich gegen mich. Wirklich,
ich verdiene es nicht. Sie sollte mich schelten, daß ich die ganze Zeit so mürrisch
gegen sie war, und nun unterwirft sie sich meinem Urteil!
Apropos von der Großmama, die schon mit Deinem Vorhaben uns benachrichtigte, noch ehe die Propheten und Vorläufer Deinen neuen Glauben verkündet hatten, die also aus dem Urborn geschöpft haben muß, nämlich aus Handbrieflein von Weimar. – Daß ich krank gewesen, ist auch wahr, ich habe Dir nichts davon gesagt, weil ich Dir erst schrieb, als ich schon wieder besser war und Dir keinen unnützen Schrecken einjagen wollte. Ich möchte Dir gern noch viel Liebes sagen und meiner Treue Dich versichern, sowie auch Sophie, aber wirklich, die Zeit will nicht warten. Adieu, ich umarme Euch tausendmal.
Bettine
Deinen unendlich liebevollen, seelenvollen Brief habe ich heute morgen im Bette
erhalten, er hat mich aufgeweckt, und ich habe ihn gebetet. Sei zufrieden, mein Kind,
es hat sich alles so gewendet, wie Du es wünschtest, Sophie wird mein Weib nicht,
aber meine liebe, sehr liebe Freundin. Sie selbst hat freiwillig nach reifer
Überlegung dieser Verbindung entsagt, aber sie kann nicht leben ohne mich, und sie
ist entschlossen, nach Marburg zu ziehen, um meine und Savignys Gesellschaft zu
genießen. Ich habe ihr heute morgen sogleich Deinen Brief geschickt, und die
beiliegenden Zeilen schickte sie mir mit zurück, Du glaubst nicht, wie sie Dich und
mich liebt, und wie wir auf Erden ihr Alles sein werden. Liebe kann ich nicht für sie
empfinden, aber ein Vertrauen, eine Neigung, die nahe an Liebe grenzt. – Der Dichter
Tieck war vor kurzem hier, er hat mich so lieb gewonnen, daß wir Tag und Nacht
beisammen waren, ach, er ist ein recht vortrefflicher Mann, er hat mir seinen
Dornenstock, den ihm Hardenberg (Novalis) geschnitten, geschenkt, und ich gab ihm
dafür die kleine Vorstecknadel von Dir, ich habe ihm viel von Dir erzählt, er liebt
Dich herzlich, und ich habe ihm versprochen, Dich um ein Kleidchen für sein
vierjähriges Kind zu bitten, der Gedanke machte ihm unsägliche Freude. Sein ganzes
Wesen hat eine große Gewalt über alle Menschen, wie auch Arnims Wesen eine solche
Macht übt. Die beiden lieben sich wechselseitig von Herzen. Du glaubst nicht, wie
mich die Liebe dieses Mannes gestärkt und aufrichtig
Clemens
Nur ein Wort, ich bin in Schlangenbad und habe soeben Deinen Brief bekommen, ich kann Dir nur erzählen, daß ich morgen ausführlich schreiben will, wenn der Genuß, auf die Höhen zu steigen und in die Ferne zu spähen, mich dazu kommen läßt.
Sophie ist wunderbar, daß sie mich so gern sehen will, ich weiß nicht, was ich von mir denken soll, daß ich bis jetzt noch gar nicht daran gedacht hab.
Bettine
Grüße sie von Herzen und sag ihr, ich hoffe mein Möglichstes von unserer Zusammenkunft, aber so bald wird's nicht sein können, da wir sechs Wochen hier bleiben!
Clemens Du bist artig, und Sophie ist fein, Ihr wollt Euren Brautkranz von mir
geflochten haben, darum ist es, daß Ihr ihn wieder aufbündelt und mir alle
aufgelösten Blumen in den Schoß schüttet! – Geschwind Wasser her, daß sie mir frisch
bleiben, und dort auf der Wiese breche ich noch viele dazu, und alle Ihr kleinen
Geschlechter, die Ihr die Augen noch nicht dem Licht öffnet, seid zum Reigen im
Hochzeitskranz gebeten. Ihr sollt an Euern feinen Stielen nicken auf der Braut ihrem
Köpfchen und Ja sagen, wenn allenfalls die Braut zagt, denn! – Es ist wahr – ich
würde ja auch gar sehr zagen – wenn ein wonneträumender Trunkener vor mir stände und
wollt mich fragen: Willst du mich glücklich machen? – Und: »Nein!« würde ich da sagen
viel eher, aber nicht: »Ja«, und der Pfarrer würde sich wundern; und weiter würd ich
sagen: »Seh, wie du fertig wirst, wenn du durchaus und mit Gewalt dein Glück dir
willst bequem einrichten, damit es sich bei dir niederlasse!« – Euch sag ich, meine
teuren Freunde, denn die seid Ihr mir jetzt, was ich nicht verdeutschen kann, was
aber tief in meiner Seele liegt. Grad vor meinem Fenster steht ein Rosenstrauch mit
unzähligen Rosenfamilien, heut morgen vom Tau ganz schwer lagerten
Ich war ja auf der Reise hierher sehr vergnügt! – Auf dem Bock saß ich, und die Neugierde, was es denn alles gäb in der Welt, ließ mich die ganze Nacht nicht schlafen! – Was hab ich gesehen? – Ganz stille Landstraßen mit Bäumen besetzt, die wie besessen an uns vorbeirennten! – Durch Dörfer. Die kleinen Häuser sind ja auch Knospen, sie umhüllen in seinen Windeln ein Geschlecht, es könnte edel blühen; aber ihm fehlt die Luft, die reine, balsamische des Geistes. Ach, wann wird der herabträufeln und von welchem Himmel? – Er ist höher als der Nachthimmel voll unzähliger Sterne, der über meinem Haupte schwankte! – Die Sterne strahlen gegen Morgen viel heller und freudiger, und doch sahen sie ihrem Untergang entgegen! Alles wird schöner, wenn es sich bald verändert; und wird das wohl im Tode auch so sein? Die Wolken erröteten endlich ganz freudig – und die Sterne? – Wo waren die geblieben? – Ist das Fexierspiel im Himmel ein schönes Spiel, ei dann nehm ich mir's heraus, und meint der liebe Himmel, er hat mich, eh er sich's versieht, bin ich ihm entwischt. – Und eine Philosophie schaffe ich mir gegen ihn an, die es ihm wett mache!
Ich bin krank gewesen bloß von der Gottphilosophie, die mir Günderödchen wollte
eintrichtern, das regte mir die Galle auf und machte mir so fürchterlich Schwindel,
dagegen ist nun nichts gut als ein Kräutchen am Weg gebrochen! – Oder am nächsten
Bach oder auf der Wiese, wo alle Tag die Herde weidet, pflück ich's nicht, so frißt's
der nächste Hammel ab! – Und damit dreh ich dem Gott den Rücken und fress' mein
Futterkraut, ich kann so nicht in die närrische Art mich finden vom Gastmahl im
Evangelium, wo der eine, der kein hochzeitlich Kleid an hatte, zur Tür
hinauspromoviert wurde! Und doch, weil einmal ein paar gute Schelmen etwas Besseres
zu tun hatten als bei Tische zu sitzen und zu schlemmen, wird der Herr des Gastmahls
aufsässig und ladet die Krüppel und Bettler ein, die kommen zu Scharen herangehinkt
und gehockt und getrampelt. Sie hatten die besten Seiten ihrer Lumpen nach außen
gehängt, der Herr des Gastmahls war damit zufrieden. Sie räuspern sich, sie husten,
sie nießen in die Suppe wie solcher Leute Brauch; der Herr des Gastmahls läßt es sich
gefallen! – Sie genießen sie, knöpfen sich den Bauch auf, sie schwemmen mit
köstlichen Weinen die Bissen hinab! – Der Herr hat seinen Wohlgefallen daran. Der
Weinstrom begräbt unter seiner Woge den gastlichen Anstand. Der Herr des Gastmahls
streicht sich den Bart und geht so ganz fidel mit diesen
In meinen Lernbüchern aus dem Kloster, wo wir alle Sonntag mußten eine Betrachtung über das Evangelium aufschreiben, was vorgelesen worden war, steht folgende Bemerkung: »Ich bin recht froh, daß die armen Schlucker sind bei dem Herrn zu Tisch gewesen, aber warum konnte er doch so böse sein gegen die, welche lieber ein anderes Geschäft taten, als bei ihm zu Gaste essen, vielleicht weil sie sahen, daß er den zur Tür hinauswarf, der ihm nicht gefiel, wollten sie nichts mehr mit ihm zu schaffen haben! Ich hätte mich auch gefürchtet, bei einem so strengen Gastgeber zu essen.« –
Unsre Reisenacht hat mich ganz glücklich gemacht, obschon sie die Gegend mit ihrem Mantel zudeckte. Außer ein paar Strohhütten, die vor Weinlaub nicht aus den Augen sehen konnten, war nichts am Wege, ein plaudernder Bach, dessen Mundart ich noch nicht verstehe, war unser Begleiter im engen Tal bis ins Schlangenbad hinein, von wo aus ich Dich grüße, in der Hoffnung auf vier bis sechs himmlische Wochen! – In denen die Muse des Vielschreibens mich umtanzt. – Du hattest mir Gedichte wollen abschreiben, Deine Liebesliedchen! – Schicke sie mir, damit ich sie entziffern kann.
Bettine
Du bist ein närrisches Mädchen, nun bist Du in Deinem letzten Brief wieder lustig, und wir waren grade sehr traurig wegen Dir. Sophie weint oft tagelang, sie glaubt, sie werde mich durch Dich verlieren. Nun waren wir schon entschlossen, in ein paar Tagen nach Trages zu reisen, damit Du sie dort sehen könnest, und nun gehst Du auf einmal ins Schlangenbad. Sophie ist sehr traurig darüber, sie weiß nun gar nicht, wie sie zu Dir gelangen soll, ich bitte Dich, schreibe bald, ob es vielleicht gar nicht möglich ist, dann gehe ich grade nach Marburg, doch ohne Sophie, die auch dahin zieht; wann, wissen wir noch nicht. Ich bitte Dich herzlich, werde nicht wieder ängstlich, beim Lichte besehen war die Langeweile in Frankfurt viel dran schuld. Arnim ist jetzt in England, wohin ich ihm nicht schreiben kann. Meine Büste erhältst Du in einigen Wochen; du wirst sie finden, wenn Du von Schlangenbad zurückkehrst, vielleicht besuche ich Dich dort von Marburg aus. Um alles in der Welt willen verliebe Dich in niemand, den ich nicht kenne. Die Männer sind außer mir, Arnim und Wrangel nichts wert und Savigny, der aber einen starken Naturfehler hat, daß er Dich nicht versteht, kann auch noch hinzugezählt werden, der ist aber mehr vortrefflich, als daß er mir's wert wäre, folgert sich daraus. Schreibe der lieben Sophie, antworte auf ihren lieben Brief! –
Dein Clemens. –
Dies letzte kleine Gedicht, liebe Bettine, entstand, weil unsre Sophie (denn so muß ich sie nennen, die auf Deine Gunst meines Glückes Los gesetzt hat) einen kleinen Schmetterling retten wollte, der, nachdem er seine Flügel am Licht verbrannt hatte, in ihrem Champagnerglas versank. – Ach Kind! Diese Gedichte sind wie die kleinen Johanniswürmchen, die leuchtend hin und wider fahren.
Nun sing ich Dir hier noch ein Liedchen, was aus den Saiten meiner Gitarre entschlüpfte, als ich gestern abend im Mondenschein mit Sophie am Fenster lag, nachdem ich Deinen lieben Brief ihr vorgelesen hatte und sie recht tief bewegt war von dem Glück, was Du ihr im Rosenbusch unter Deinem Fenster prophezeist. –
Clemens
Schmerzlich ist's mir immer, wenn Du Deiner Klostertage erwähnst und nie Dich bemühen magst, sie ein bißchen zu ordnen, da Du selbst noch Material dazu hast! – Wär's denn nicht höchst intressant, einen kleinen Katechismus Deiner religiösen Begriffe zu geben?
Endlich komme ich dazu, laut zu sagen, was ich heimlich oft dachte. Du siehst im Zauberspiegel die Bettine, wie sie sein könnte, aber nicht ist! –
Ich staune an, was Du von mir glaubst und erwartest, ich wundre mich und
Ich schwelge hier, es gefällt mir alles; am liebsten ist mir der Morgen, wo man nur
Bauern begegnet, und der Abend, wo die Lichter in den Hüttchen brennen, man sieht da
das ganze Familienleben hellerleuchtet. – Da geh ich oft abends spät noch mit dem
Vogt hinab den Talweg, und da durch ein kleines Fensterchen sehe ich die armen Leute
sitzen und emsig spinnen und wirken, so fern von allem Bedürfnis im Reichtum des
Fleißes, der Andacht und des Vertrauens! Eine so kleine Stube deucht mir so voll von
dem Gefühl ihres innern Wertes dieser Menschen, die ihr schwer errungenes Abendbrot
gerne teilen mit dem ärmeren Gast. – Wenn ich mir nun denke, daß Ihr beide ein
solches Haus bewohntet, und daß Euch da die Einsamkeit nicht drücken sollte, und Ihr
backtet da Euer Ambrosiabrot, um es andern mitzuteilen, so habe ich Euer Glück
begriffen und schreibe davon der Günderode. Die Günderode mit der sanften Würde ihres
dichterischen Standpunktes unter den Menschen schreibt wieder wie folgt: »Wer liebt
den Clemens nicht? So wie er einem entgegentritt; wer durchschaut alle Menschen, wer
geht so tief in dem Auffinden ihrer Innerlichkeit, und was könnte man ihm sagen, was
er nicht schärfer und wahrer aufgefaßt hätte? Alle Menschen berührt kaum sein Hauch,
und sie atmen, als wenn sie aufblühen wollten in edlere Begriffe und schönere
Handlungen.« – So schreibt die Günderode; das lautet ganz schön zum Ansatz eines
Posaunenstückes Deines Ruhmes, der aus dem Nebel der Zeit golden aufsteigen und einen
schönen Tag verbreiten werde. »Aber«, fährt die Günderode fort: »so scharf dieser
Clemens und so nahe er fremden Menschen in ihrem eignen Bewußtsein tritt, so sehr
heben ihn seine Launen aus dem Sattel über sich selbst, die ihm den Begriff seines
Amtsgeschäftes ganz verdüstern, und ich kann es gar nicht leiden, wenn er davon so
klein und unbürgerlich denkt. – Wie dieser Dekrete ausfertigt und jener auf den
Rednerstuhl tritt, so ist der Clemens dazu bestimmt durch sein Leben, das sich in die
Begeisterung des Witzes, der Philosophie, des Eifers und der Experimentenlust
verzweigt, die Menschen zu wecken und in der dunklen Kammer eine Kerze anzuzünden,
manches Neue alt und manches Alte neu zu
Liebster Clemente, ein wahrhafter Zug nur aus meiner Seele gebe Dir Licht über mein
Zurückhalten gegen Deine Verbindung mit Sophie! – Du schwebst also immer noch im
Irrtum, als könne es mich unglücklich machen? – Hab ich Dir das gesagt? – Nein! –
Meine Krankheit, ein Gallenfieber – hat wahrhaftig keine Beziehung zu Dir! – Die
Günderode hatte mich geplagt mit Philosophie; ich mußte ihr Schelling vorlesen, – das
hat mich krank gemacht. Ach, ich war so brennend verlangend nach frischer Luft, daß
die ganze Welt um mich vor Begierde zitterte wie die Gegenstände in der Nähe des
Feuers; so kam Bewußtlosigkeit, und als ich wieder zu mir kam, da war das erste, daß
sie ein Gelübde tat, mich nie wieder Philosophie studieren zu lassen, – ich hatte im
Fieber fortwährend davon phantasiert. Was willst Du nun? – Wär es Deine Verbindung
gewesen, die mir zwar auch Sorge machte, aber doch nicht so viel wie die verdammte
Philosophie, so würde ich von der phantasiert haben, das war aber gar nicht. – Und
sei jetzt ruhig über beides, denn keines kümmert mich mehr! – Und sag nicht, Du
willst um meinetwillen jetzt nicht heiraten und willst lieber mit Deiner Sophie
zusammen unglücklich sein! – Ich würde Dir gleich hierher schreiben: »Du sollst sie
heiraten!« wenn ich nicht fürchten müßte, Du glaubtest am Ende gar, Du habest sie nur
um meinetwillen geheiratet. Nein, so was muß man tun aus sich, für sich und wegen
sich, aber keinem andern zu Gefallen weder lassen noch tun. – Ich begreif kein
Philistergesetz, aber
Es ist heut so trüb, so trüb wie nirgend in der Welt, man möchte sich vor lauter Trübsinn verlieben. Die Nebel nehmen hier die seltsamsten Gestalten an, und der Regen fällt zuweilen auf kleine Stellen, nicht tropfenweis', sondern aus einem Guß herab. Diese Trübheit macht mir Deutlichkeit und Klarheit so lieb, so reizend sonst auch öfters Dunkelheit, Verworrenheit und Undeutlichkeit erscheinen mag; – drum hab ich's auch gewagt, durch meine Deutlichkeit diesmal die Verworrenheit in Dir aus dem Dunkel ins Klare zu bringen.
Ich küsse Dich, lieber Clemens, und drücke Dich an mein Herz; sei gut und gegen mich besonders und traue mir mehr wie Dir, das heißt in gewissen Dingen. – Du mußt wissen, daß ich schon eine Weile im Mondschein schreibe, weil mein Licht ausging. Der Mond schwimmt zwischen dem Gewölk, und die grauen Berge drüben sonnen sich in seinem Schein, ich wollte sagen: monden sich, und begleiten sich gegenseitig mit Schatten, und die kleinen Quellen ruschlen so leise wie Gespenster. –
Leonhardi ist hier, er stählt sich mit Stahlbädern! Was wird dann erst werden, wenn diese Kur gelingt! –
Bettine
Marburg
Ich bin seit wenigen Tagen wieder hier. Meinen Brief, in dem ich Dir sage, daß ich Sophien nicht heirate, hast Du wohl erhalten? Ich hoffe auf Antwort; – unterdessen muß ich Dich um alles in der Welt bitten, Dich nicht phantastischer Schwermut zu übergeben, der alles Schöne und Wahre endlich in uns erliegt. Ich habe Dich so oft gebeten, Du solltest Deine Empfindungen und Phantasien mehr von Dir trennen und sie allein für sich in irgendeiner Form niederschreiben, sie zur Poesie erheben, wie die Kirche von dem Dorf, der Wald vom Felde stets getrennt sein muß, wenn etwas gedeihen soll. Dann fordere ich weiter auch, nie wieder an meiner Liebe zu zweifeln, noch zu glauben, daß ich je ohne Deine Liebe leben möchte. – Wenn Du Dich nicht zu Sophien neigen kannst, so ist dies nur, weil Du sie ganz verkennst; es ist nicht jene Sophie mehr, die mich nicht verstand, es ist ein unschuldiges, liebes, treues, göttliches Weib.
Liebes Kind, sei glücklich! Es tut mir leid, daß Du mir nie schreibst, es freue Dich, meine Büste zu erhalten, in ungefähr drei Wochen wird sie Dir Tieck zusenden, es ist die beste Büste, die er gemacht, ein wahres Kunstwerk! – Sie ist Dir zulieb gearbeitet, halte sie lieb und schone sie! Ich werde wohl in einiger Zeit zu Dir kommen, wenn Du mir schreibst, wann Du wieder in Frankfurt sein willst.
Es kann sein, man will dadurch einer Geschichte der Kunst vorarbeiten, gleich einer
Weltgeschichte aus Armeebulletins, doch dergleichen soll mit vieler Teilnahme und
großem Nutzen gelesen werden. – Mir auch scheint es eine äußerst wichtige Sache ums
Theater zu sein, mit der man es über die Maßen gern recht ernsthaft meinen möchte.
Ich selbst gedenke meiner frommen Wünsche, die sich bei meinem schweren Leiden im
Parterre, wo ich doch wohl, seit der Vetter von Lissabon Hering in den Kaffee
getaucht, fünfundzwanzigmal gesessen haben mag, entwickelt haben, ich würde diese
Wünsche veröffentlichen, wenn nicht alles dieses wie Spreu in der Luft verflöge vor
Ludwig Tieck, der allein beauftragt ist, der Mimik ein Licht aufzustecken, da er das
größte mimische Talent ist, was jemals die Bühne nicht betreten. Dieser Dichter, der
als darstellender Künstler die Bühne zu einer Ehre gebracht haben würde, deren sich
wenige diesseit oder jenseit der Lampen träumen, ist kein Schauspieler geworden,
worüber Thalia und Melpomene mit inniger Beschämung trauern sollten, denn er hat den
innersten Beruf und ein Talent zur Bühne, wie es sich alle Jahrhunderte einmal
hinaufverirrt. – Seine einzelne Äußerungen müssen einen zum Nachdenken erwecken, sie
sind im Zusammenhang mit vielen trefflichen andern Kunst- und Lebensansichten und
haben mich so erhoben und begeistert zur Bühne, der ich gern darum mein Talent widmen
werde, wenn ich welches habe; – ich glaube aber auch, daß man so wenig in der Kunst
und der Geschichte als in der Natur plötzlich wirken könne. Der Bedingungen zu einer
Vollendetheit auf irgendeinem Punkte des Daseins sind unendliche; es kann wohl ein
Mensch vortrefflich sein, er kann gelungen sein, daß ihm aber alles gelinge,
besonders in einer Sache, die, wie die dramatische Kunst, nur mit allgemeiner
Weltkrankheit erkrankt und mit allgemeiner Weltgenesung genesen kann, wäre eine
beinah rasende Zumutung. Selbst einem
Als in der menschlichen Gesellschaft die Unschuld verloren ging, trat die Sitte als
Vermittlerin auf, als Zucht und Treue entwichen, ließen sie die Höflichkeit und
Savoir faire als Geschäftsträger zurück. Als die Würde sich von dem Verdienst
trennte, ließ es sich mit der Etikette ein, da die Völker nur große Haufen
eigennütziger Bürger wurden, entstanden die stehenden Heere, und die Ehe als
zwingendes Gesetz zeigt, daß die Liebe sich nicht immer sehr ehrbar betragen haben
mag! – Alle diese vermittelnden Selbstvertreter aber sind ehrwürdig, wenngleich nicht
unmittelbar göttlich und heilig, denn sie sind Fußstapfen, Träger, Telegraphen,
Hieroglyphen entflohener Götter von der Erde, und an sie knüpft sich die Hoffnung,
die Erweckung besserer Zukunft und alles Strebens. Sie stehen zwar stumm, starr und
tot wie Memnonssäulen in den Wüsten der Geschichte, aber jede Morgenröte legt ihren
Strahl erinnernd an ihre Stirne und läßt sie mahnend tönen. Für die Kunst aber ist
immer nach ihrem Untergang ein solcher wohltätiger, wenngleich armer, doch allein
würdiger Träger jene ihre ernste, strenge, rechte, oft pedantische Periode gewesen,
die wir Schule nennen. Wenn die freie genialische Produktion das sterbliche Kind der
Unsterblichkeit, seinen schönen blühenden Leib, dem Scheiterhaufen des ewigen
Geschickes hingegeben, dann sammeln fromme und gerechte Menschen das bloß Rechte,
Notwendige und Gesetzliche, ich möchte sagen Mathematische aus ihrem Andenken und
stellen uns das Gerippe des Untergegangenen in seiner gesetzlichen Schönheit vor
Augen, das, mit Verstand drapiert, oft lange noch herrlicher und bewundrungswürdiger,
ja würdiger ist, als wir es sind, die es nicht verstehen. Manche Völker haben nur der
Schule zu verdanken, daß sie noch eine Ahnung der Künste besitzen, und ich halte es
für eine Weisheit, Bescheidenheit und Mäßigung Goethes, auf seiner Stelle für das
Theater die Schule in Deutschland aufgestellt zu haben, die seinen Bemühungen
dauerndern Wert geben wird, als wenn er alle Genialität auf dieser Bühne zu einer
Zeit losgelassen hätte, wo nichts als eine Tierhetze daraus werden konnte. Es ist
nicht Not in der Kunst, das Vortreffliche anzuschaffen, es ist Not, das Schlechte,
Falsche, Verkehrte abzuschaffen, denn alles Vortreffliche erblühet aus dem Rechten
und Wahren.
Die große Trauer und Angst aber, die mich bisher immer im Parterre, besonders wenn die Helden und Biedermänner, die ersten Liebhaber männlichen und weiblichen Geschlechts in ihrem durch ganz Deutschland hergebrachten edelmütigen, ekelhaften, eitlen, heuchlerischen, mit Empfindung eingesalbten Ton die Tränen und Seufzer des unschuldigen Publikums erwürgen und erjammern, geht mehr aus einem allgemeinen Entsetzen über dies Geschick der Kunst als aus Unwille über die Schauspieler hervor, die sich unendlich quälen und allen möglichen Lohn und Dank verdienen; denn wie sollten sie es besser machen, als man es machen kann? Die Leute wollen es nicht besser und ein Schelm gibt mehr als er kann Sollten vielleicht nicht manche wirkliche Schelme sein? – Denn viele können gar nichts. –.
Dies Bruchstück aus meinem Glaubensbekenntnis über das Theater hab ich Dir hierhergeschrieben, um daß, wenn bei Euren Soirees dort im Schlangenbad vielleicht die Rede zwischen dem Herzog August und Dir auf mich oder Sophie kommt, Du ihm allenfalls das Nötige sagen kannst. Es ist mir wichtig, daß Männer wie dieser, der immer Sophiens warmer Freund war, doch zugleich auch gewahr werden, daß es keine engherzige Natur ist, keine Liebeständelei, die mich und Sophie zusammenführte, sondern mannigfache Übereinstimmungen und Ergänzungen der Gemüter, der Ansichten, der Begriffe und der Ausführungen unserer Lebenspläne. –
Lebe wohl, laß bald von Dir hören und behalte lieb Deinen
Clemens
Eben erhalte ich Deinen Brief mit den Mitteilungen der Günderode, schicke mir den ganzen Brief und sage ihr, daß ich ihr herzlich danke für alles, was sie über mich denkt und beschließt, und ihr werde ich antworten. –
Clemente, gestern erhielt ich Deinen Brief in Schlangenbad! Ich hätte sehr gern ihn dem Herzog von Gotha vorgelesen oder lesen lassen, allein er war schon am Morgen abgereist, es war schade, er hatte gern etwas mit mir zu verhandeln, da er so oft auf dem Spaziergang neben mir herlief, zog er seine Schreibtafel heraus, stellte sich vor mich, daß ich nicht weiter gehen solle, es war recht lächerlich. Von der Günderode erzählte ich ihm, von Deiner Sophie hat er mir viel erzählt, unendlich Schönes. Sie hat mir eingeleuchtet wie ein Stern, ich mußte darüber entzückt sein und verwundere mich, daß ich ihn begegnen mußte hier, der die Sophie so verehrt, mir eine ganze Brieftasche voll Gedichte an sie vorlas, alle Tage unendlich Vortreffliches mir erzählte. Dafür hab ich ihm auf meiner Gitarre mehrere Präludien zu seinen Liedern komponiert. Es war eine Not mit seinen französischen Gedichten, zu so was konnte ich keine musikalische Anwendung machen. Unter mir wohnt die Kurprinzessin von Hessen, der hab ich alle Nacht aus dem Fenster vorgespielt, das machte ihr viel Freude, sie hat mich in Affektion genommen und ist oft mit mir allein spazieren gegangen, ich sollte ihr erzählen, da war viel von Dir die Rede! Von wem soll ich sonst reden. Aber von meinem Aufenthalt bei der Großmama und von manchen ernsten Geschichten und Gesichten der französischen Revolution war die Rede; da wunderte sie sich, daß ich so ernste Dinge berühre schon in der Jugend.
Ich weiß, was Jugend ist: inniges unzerstreutes Empfinden des eignen Selbst. – Die
Einsamkeit aber ist eine Quelle, sich selbst zu trinken. Dieser Gedanke gefiel der
Kurprinzeß, ich mußte ihn ihr in ein Denkbüchlein schreiben; und ich setzte noch
hinzu: »Denken ist, die Wege Gottes beschreiten, – durch Denken gelangt man zu Gott!«
Und dies gefiel der Kurprinzeß so, daß sie mich dafür auf die Stirne küßte. – Sie
redet nun oft mit mir und nennt das seltsame Gedanken, was ich so herausplaudere ohne
viel Nachdenken; so hatte ich letzt gesagt, der Gedanke sei ein geflügelt Roß, und
wer es regieren könne, der schwinge sich mit ihm auf in die Unsterblichkeit. – Das
alles will sie behalten und aufschreiben; – immer möchte sie mehr aus mir
herauslocken, als ich grade sagen kann oder mag, denn zu geistiger Offenbarung gehört
der Wille, den Geist zu entfalten. – Der Geist ist zwar immer wandelnd, nämlich in
ihm selber wandelt sich alles, was er berührt, und davon wächst und blüht er und
reift zur Frucht selber. – Unser höchstes Wirken ist Denken, gibt es vielleicht
Geister, die noch ein höheres Wirken haben als Denken? Und was mag das sein? – Nein!
Denken ist das große Lebensmeer der Gottheit, aus dem entspringt alles Wirken! – So
sag ich, und die Kurprinzeß freut sich an diesen Reden und will wissen, wo ich das
alles her habe, ich sage, das sind Hobelspäne von Gesprächen mit der Günderode, und
daß ich mich da oft durch die Gedankenfülle durchdränge wie durch eine Volksmenge,
die mich umwimmelt, und daß ich den ersten besten beim Ohr kriege, und viele andre
witschen mir durch. – Da
Ich bin heute so munter, ich möchte noch mehr schwätzen! Meine Augen sehen im Dämmerlicht sehr hell, ich schreib gern bei Mondschein, da kann ich so vergnügt im Zimmer auf- und abgehen. Am Himmel tragen die Wolken ihre Begebenheiten mir vor, sie ballen sich zusammen und türmen sich und schreiten auseinander und steigen und kreuzen sich und lassen sich nieder, kurz es ist ein Staatsleben unter ihnen. – Am meisten seh ich die Revolutionsereignisse drin! Wollt ich prophetisch sein, ich würde mich an die Wolken halten! – Nicht, daß sie wirklich Geschicke ausmalen könnten. Aber der Geist kann sich selber ahnen, selber erkennen und sich selber hinüber erzeugen in das, was er sich vorstellen kann. Gewiß kommt einst eine Zeit der Erlösung, wo nicht mehr einer die Wahrheit prophetisch oder ahnungsweise vorträgt, sondern wo die ganze Welt zugleich weiß und empfindet, was ihr Lebensnahrung gibt, und wo sie drin wuchert, wie im üppigen Boden die Pflanzen und Früchte wuchern! – Gedeihen des Geistes ist eine über alle Vorsichtsmaßregeln und Begriffe und Bedeutungen hinausstrebende Kraft. – Alle Philosophie erstickt, umstrickt, und zwar mit groben Stricken, den ungebundenen Geist. Ach, ich hab da letzt noch mit Sinclair disputiert. – Ich kann aber nicht disputieren, ich muß mich nur totärgern, bis der Kerl fertig ist, wo ich gleich bei der ersten hölzernen Redensart als schon außer mir komme, ich kann auf nichts acht geben, sie sagen, ich wär eingebildet; die andern sind eingebildet mit ihrer Repulsion und Attraktion und Potenz und Notstall der Philosophie und Kunstreligion.
Es gibt Menschen, die sind wie die Raupen, sie zehren nur vom Pflanzenstoff des Geistes, wenn die sterben, so werden sie zu Schmetterlingen, die gaukeln in ihrer Seligkeit so über den Blumen. Das, womit sie ihren Geist nährten, gab ihnen keine andere Offenbarung der Seligkeit als nur diese! –
Was der Geist in sich entwickelt, das wird seine Offenbarung, sein höheres Leben! –
Der Maler hat ein ganz besonders Himmelreich (Verewigung), in das er sich durch seine
Kunst hinüberübt und lernt! – Aber! aber! – Die Maler malen ja alle daneben und nicht
das, was ihnen wieder Geist gibt. Der Künstler muß ja etwas hervorbringen, was ihn
wieder erzeugt, sonst ist's aus mit der Ewigkeit. Der Musiker komponiert ja falsch
und wenn er noch so sehr den Generalbaß reitet, grade deswegen; er spielt ja
Menschensatzung und nicht Überirdisches! – Der Sänger singt ja falsch, und wenn er
noch so rein trifft, er trifft ja die Seele, das Gefühl dessen nicht, der Geist hat
und auf höhere Berührung wartet. – Der nur erzeugt die wahre
Mit diesem letzten will ich in Deine Saiten eingreifen, von dem, was Du über Schauspielkunst sagst. – Mir hat der Mond diktiert.
Ich möchte der lieben Sophie auch noch was sagen, aber ich hänge vom Mond ab, daß er mir doch einen Augenblick dazu Licht gebe! – Eben kommt er! – Licht und Feuer in den zerstreuten Hütten funkelt durch das Grün der Bäume. – So weit ich seh, versinkt die Welt in Ruh!
Clemens, die Sterne funkeln zu Tausenden am Himmel, unter meinem Fenster steht meine alte Invalidenschildwache und paßt auf ein Ständchen meiner Gitarre, er ist gewohnt, mich abends noch singen zu hören, ich werd ihm ein alt Klosterlied an die Jungfrau Maria singen, denn es ist morgen Maria Himmelfahrt.
Deine Freundschaft mit Tieck entzückt mich, – oft, wenn ich in seinen Schriften las, hatte ich eine große Begierde, ihn kennen zu lernen. Ich werde ein Kleidchen machen für sein Töchterchen, so schön als möglich, das schenk dem Liebchen von mir. – Du kommst also, Clemente! Ich freue mich. – Wir sind jetzt ganz allein hier! – Wir machen Promenaden ins Wilde! – Die Toni hat aber als den Mut verloren, wenn wir den Weg verloren hatten! Ich dachte, es wäre recht närrisch, wenn wir uns nicht wieder in die Heimat fänden und gingen so fort und kämen in fremde Lande.
Bettine
In wenig Tagen gehn wir von hier ab. Ich weiß nicht, ob wir uns in Wiesbaden
aufhalten. Du mußt meinen letzten Brief nicht erhalten haben, weil ich nichts von Dir
weiß. So sehr ich mich freu, Dich wiederzusehen, tut's mir doch leid, die Gegend zu
verlassen; hier hab ich zum erstenmal die Natur beklettert, mitten in ihrem Schoß
konnte der Mutwille nicht Ruhe halten; wohin mein Auge blickte, dahin wollte ich, oft
meint ich mit Händen die Berge zu greifen, und wenn ich eine Strecke gelaufen war,
dann war's, als sei ich viel weiter entfernt vom Berg. Erreichen muß man nicht
wollen; goldne Wünsche, grünende Hoffnungen, wartet nicht, daß ich euch nachlaufe,
wenn ich auch euch nachseufze ein Weilchen! – Es ist vor ein paar Tagen ein Mann hier
durchgekommen mit einer Flugmaschine, er wollte sich damit sehen lassen, aber
Leonhardi, der noch zwei Stahlbäder zu nehmen hat, wovon er ganz stahlblau wird,
wollte durchaus nicht, daß der Mann fliegen sollte, der Mann wollte uns auf der
Terrasse ein Flugstückchen machen, für einen Taler wollt er's tun. Leonhardi sagte,
der Mensch fällt gewiß und bricht Hals und Bein, dann haben wir die Heilkosten, den
Doktor, den Apotheker,
Wir sind jetzt ganz allein hier, wir machen von morgens bis abends die herrlichsten
Spaziergänge, ich glaube, es wird traurig werden, wieder in mein finsteres Zimmer
eingesperrt zu sein. Aber es wird doch ein angenehmer
Grüße Sophie von mir, und wenn Du schon in Marburg bist, so schreib ihr, daß ich alle Tag an sie denke.
Bettine
Deinen letzten Brief von Schlangenbad, in dem Du Deine baldige Abreise angezeigt, nebst der Fluggeschichte erhielt ich eine Minute später, als mein Brief an Dich abgegangen war. Ich erwarte von diesem für Dich so gütig gewesenen Sommer nun auch gute Wirkung für Deine Gesundheit, Deinen Mut und Fleiß. Was mich betrifft, so bleibe ewig beruhigt und vertraue mir ganz, daß ich in unsern engen Bund nie ein Wesen aufnehmen werde, als nur, wenn es sehr vor trefflich ist. Ich liebe und ehre Sophien zu sehr, um mehr von ihr zu sprechen; wenn Du sie kennen wirst, liebe Bettine, so wirst Du für sie empfinden, was auch ich für sie fühle. Sie macht alles gesund und blühend, sie ist die ewige Jugend und immer ein Kind, sie ist wie ihr letzter Brief sagt, eine sehr arme Frau, aber ein unendlich reiches Kind. Wenn ich nach Frankfurt komme, will ich Dich über alles belehren und Deine Besorgnisse so aufklären, daß Du Dich über das Ganze so freuen sollst, wie ich es tue. Nur bitte ich Dich nochmals, in allen Dingen, die mich betreffen, keine Vertraute zu haben.
Mit Savigny stehe ich auf einem ganz ordentlichen Fuß, wir achten uns, ohne doch daß
unsere Herzen innige Mitteilungen hätten. Seine Verschlossenheit, sein Verkehr mit
Gunda und Winkelmann, ohne daß ich weiß, was sie miteinander wollen, und vor allem
sein Geständnis, »daß er mit Dir platterdings gar nicht existieren und keine
Berührung mit Dir erträglich sei.« Dieser deutliche Widerwille gegen das, was ich auf
Erden am meisten liebe, gegen Dich, dies alles hat mir mein Verhältnis mit ihm
bestimmt. Ich achte ihn aber mehr als irgendeinen Menschen in der Welt; daß er das
Talent nicht hat, vertraulich zu werden, lasse ich ihn weiter nicht entgelten.
Übrigens teile ich ihm nichts mehr mit, weil er stumm wie ein Ölgötze gegen mich ist,
und so wäre das gut. Manchmal muß ich tief in Gedanken über ihn sitzen, denn ich habe
manche kontroverse Erfahrungen an ihm gemacht, die ich zu reimen nicht imstande bin;
doch – alles ist gut und bedeutsam in der Welt, und wer weiß, wie sich dies noch
einmal zurechtrücken wird! Über was kann ich denn klagen, als daß ich ihn in dieser
Abgeschlossenheit nicht verstehe; das ist am End auch meine Schuld und nicht die
seine. Und mir selber kann ich dies auch nicht verdenken, da ich's bei allem guten
Willen noch nicht weiter gebracht habe, als mich zu verwundern und mir jede
Mißbilligung zu verbieten, bis ich eines Bessern belehrt werde, was ohne Zweifel
einst sein wird, da mir noch so viel zu
Eben erhalte ich Deinen früheren Brief aus Schlangenbad, der über Weimar gegangen
war. Ich bitte Dich herzlich, schreibe mir oft so, schreibe mir oft und viel, Deine
Gedanken ziehen so im Flug, als wären sie Vögel aus fremden, heißeren Ländern. – Wie
soll man ihrer habhaft werden, wenn nicht ein treuer Freund sie auffängt! Spreche mir
auch von Günderödchen, von Mariannen, die ich ewig lieben werde. – Und noch eins. –
Alles, was durch andre Leute von Sophie Dir gesagt wird, glaube nicht, denn Du weißt
ja, wie andre Leute von mir sprechen, wie auch die, welche für die besten, die
edelsten gelten, nur Böses von mir zu sagen wußten oder ahnten, und doch hast Du das
nie in mir gefunden! – Nicht wahr, liebstes Kind, das hast Du nie? – Das ist auch der
Segen, der auf Dir ruht, daß keine Ungerechtigkeit noch aus Deiner Seele geflossen
ist, daß keine Äußerlichkeit, kein Egoismus mit Deinem Gefühl wuchert oder prachert.
– Aus der Ambition entspringt manches Übel der Seele, und dies hat so böse Folgen
oft, daß ich manchmal meine, alle Lähmungen des Geistes entspringen vielmehr aus dem
Ehrgeiz, als daß dieser ihn fördert. – Großmut ist die Quelle alles Reichtums und
jeder, der sich abzuschließen wähnt, um sein inneres Eigentum für sich allein zu
bewahren und es wie einen künstlichen Springbrunnen in die Höhe zu treiben, der wird
auch einen solchen Springstrahl hervorbringen, lustig und ergötzlich anzuschauen, und
die Menschen werden sich wundern, und es wird die Rede sein von dem famosen
springenden Wasser im ganzen Land, wie von der Fontäne auf Wilhelmshöhe! –
Soeben kommt die Frankfurter Post. Ich habe keine Zeile von Dir und von niemand. Savigny erhält die Briefe bündelweise; meine Einsamkeit erhöht sich so immer mehr, ich bitte Dich herzlich, schreibe, ich bin traurig, wenn ich so meinen Herrn Baron seine Briefe verschlingen sehe, ohne mir etwas mitzuteilen, und ich habe gar nichts. Du hast ja auf der Welt nichts zu tun, schreibe mir doch oder ich glaube, daß Du mich nicht mehr liebst.
Clemens