„Amerika! Welcher Name hat einen Inhalt gleich diesem Namen! Wer nicht Dinge der gedachten Welt nennt, kann in der wirklichen Welt nichts Höheres nennen. Das Individuum sagt: mein besseres Ich, der Erdglobus sagt: Amerika. Es ist der Schlußfall und die große Cadenz im Concerte der menschlichen Vollkommenheiten. Was unmöglich in Europa, ist möglich in Amerika; was unmöglich in Amerika, das erst ist unmöglich! Ich sehe hier die höchste gesunde Kraftentwicklung des volljährigen Menschenkörpers; — drüber hinaus liegt Convulsion und Delirium!“
„Amerika! heilige Erstarrung ergreift mich bei deinem Anblicke. Die Schauer der
Menschengröße wehen von deinen Ufern. Menschengröße, wer kennt dein Gefühl in
Europa? Karl der Große, Ludwig der Große, Friedrich der Große — das sind die
Menschengrößen der alten Welt. Was sonst noch groß ist neben ihnen, wird decorirt
oder hingerichtet! — O weiche zurück, Andenken Europa's, vor dem blühenden Bilde
dieser jungen Erde! Sei mir gegrüßt, Morgenstirn, Morgenantlitz, frische,
schwellende, aufstrahlende Schönheit! Ein jugendlicher Mensch ist die Freude des
älteren, aber eine jugendliche Welt, — ist es möglich, diesen Wonnebegriff in ein
sterbliches Herz aufzunehmen? Glückliches Land! mit allen Säften unsrer Geschichte
bist du genährt, aber wir sind die gröbsten, du das feinste Gefäß dieser Säfte.
Asien die Wurzel, Europa der Stamm, Amerika Laub- und Blüthenkrone — so gipfelt
sich das Wachsthum der Menschheit. Und die runzeligen Rinden Asiens und Europa's
durchkriecht das Insect, auf Amerika's
„Ein Mann von riesigem Leibe kam an ein Wasser, daran fand er ein Knäblein spielen. Das Knäblein sagte: Mann trag' mich über das Wasser, denn deine Schultern sind stark. Und der Mann hob das kleine, federleichte Körperchen auf, und trug es durchs Wasser. Aber im Tragen verwandelte sich das Kind in eine schwere, gewichtige Last. Wie geht das zu? wunderte sich der Mann, trag' ich doch ein schmales, schmächtiges Knäblein! Du irrst dich, antwortete dieses, Himmel und Erde trägst du auf deinen Schultern. — Darf ich dieser Legende nicht hier gedenken am Bord meines Auswandererschiffes? Der große Christoph sind wir, die alte Weltgeschichte; auf unsern Schultern stehst du, Amerika, das wir in kleinsten Anfängen über die atlantische Wassergränze trugen; aber wundergleich überflügelt uns dein Gewicht, und wahrlich! du bist der Heiland, der uns einst Alle erlösen wird! Glückzu, daß du nicht zu sterben brauchst für uns, daß du leben wirst, leben, und nichts als leben! Zurück ihr Tragiker, die ihr den Angstschweiß, die Thränen, das Blut von hingerichteten Weltideen in den goldnen Schalen eurer Verse sammelt; hier füllen sich nicht eure Schalen. Nach Asien geht, nach Europa! Dort spricht man den Besten und Tugendhaftesten die Todesstrafe zu; — hier werden sie zu Präsidenten erwählt!“ —
„Amerika ist ein Bau, bei welchem die menschliche Vernunft zum erstenmale das
Gesetz der Schwere fand. Die Staatsgebäude der alten Welt fingen mit der Kuppel
an. Der König und der Hohepriester wölbten vor Allem das unermeßliche Dach. Dann
kamen die Vasallen, die Ritter und Krieger und stellten ihre Säulen darunter.
Unter die Säulen setzte das Bürgerthum seine Sockel. Vom Sockel abwärts endete das
Gebäude. Die Sudras, die Pariahs, die Fellahs, die leibeigenen Bauern, — sie waren
ein verwahrloster Untergrund. Die Baukunst that nichts für ihren Bestand, sie
erlaubte blos ihr natürliches Dasein. Das Fundament war geduldet. Trug es den
schweren überladenen Bau, so that es das Glück; trug es ihn nicht, so sank er
langsam mit dem zerquetschten Volksleben in die Erde, wie
„So werd' ich bewohnen ein festes, wohlgezimmertes Haus, ein Haus gebaut auf die erste aller Wissenschaften, auf die Wissenschaft vom Volke. Marquis Posa sans phrase ist der Hausherr darin. Ich trete ein, und umarme staunend und schauernd den erschossenen Freund. Er lächelt. Verwundere dich nicht, Bruder, mich hier im Gedeihen zu finden. Du wußtest ja, ich bin unsterblich. Die Königswunde hier — traumhaft fährt er sich an die Stirne — siehe, sie ist glücklich vernarbt. Ach, es war ein beschränktes Jahrhundert! Lächeln wir, Freund, über seine Irrthümer. Damals versagte man der Humanität eine kleine Anstellung in Holland, heute schwingt sie ihr Scepter über einen Raum, den Flandern und Brabant hundertmal einnehmen könnten und mancher Acre erübrigte noch zu einem irrenärztlichen Latifundium für den Madrider Staatsrath. Nicht wahr, das Menschenthum schreitet doch vorwärts, und die Könige sind — das Menschenthum schreitet doch vorwärts, und die Könige sind — sonderbare Schwärmer! Hier zuckt man die Achseln über die Ausführbarkeit ihrer Träume und auf dem Capitol zu Washington findet man nichts praktisch, als unsre Ideale. — Sei mir willkommen, Freund, sei mir willkommen!“ —
Also wurde die Küste von Amerika begrüßt. Ein Mann von jugendlichem Alter steht auf dem Vordertheil seines Schiffes und schaut mit verschränkten Armen und begeistertem Blicke sein großes Gegenüber: die neue Welt. In seinem Hymnus steht seine Gestalt vor uns, kaum brauchten wir die leibliche zu betrachten. Aber auch diese drückt eine edle, schwungvolle Persönlichkeit aus. Auf seine Stirn haben die Götter das Siegel des Gedankens gedrückt, sein Mienenspiel ist eine Lyra, mit vollen, herztiefen Empfindungen besaitet. Sein Wuchs, mit Winkelmann zu reden, sein Stamm ist fein, wir möchten sagen artistisch gebaut. Ein künstlerischer Wurf geht auch durch seine Bekleidung. Sie hat nichts zu thun mit dem entsagenden Negligé des abstract Gebildeten. Sie verräth Formensinn. Sie stellt eine Persönlichkeit dar, welche über die Identität von Gestalt und Gehalt durch ein natürliches Gefühl, durch eine angeborene Poesie belehrt ist.
Der Segler passirt die Narrows, die Meerenge zwischen LongIsland und
Staten-Island. Links und rechts gezogene Hügel, Wald
Ein grauer Gewitterdunst umduftet den schwülen Sommerhimmel. Der Seespiegel
schattet ihn ab und gleicht einer dunklen, angehauchten Stahlplatte. Links auf
Neu-Jersey, rechts über Brooklyns Waldhöhen hängen zwei dünnwallende Sprühregen
herab. In der Mitte von beiden bricht im Hintergrunde die Sonne durch und spannt
ein paar breite großgefächerte Strahlen über Newyork. Die Stadt schwimmt in einem
milchweißen Fernenlicht, das mattgraue Wolkengehänge des Vordergrunds contrastirt
dazu mit einer schlagenden Wirkung. Wer Neapel in diesem Nimbus gesehen, dürfte
sich glücklich preisen. Ein solches Bild mit andern abzuwägen, kennzeichnet das
Gros der Menschenaugen. Sie sehen die Landschaft nur als wägbare Masse, der
beleuchtende Geist entgeht ihnen allzuoft. Unser Ankömmling enpfindet ihn voll.
Sein Auge ist wie von einem Zauber gefesselt vor dieser Lichtwirkung. Es ist ihm,
als sähe er in der neuen Welt ein neues, sich selbst übertreffendes Tageslicht.
Und das sinnliche Bild
Inzwischen treibt das Fahrzeug dem Lande immer näher. Die Scenen der Bai werden
reicher und bunter. Schiffe von allen Größen und Formen — im Ocean nur durch's
Fernrohr gesehen, durch's Sprachrohr angesprochen — bewundert man jetzt in der
Nähe; gleich Delphinenschaaren erfüllten sie zu Hunderten das majestätische
WasserBassin. Zwischen ihnen tummeln sich kleine verwegene Ruderboote und
verschwinden in jedem Augenblicke aus dem Gesichte, so oft eine frische Brise über
den Meeresspiegel haucht. Aber immer sind sie wieder oben, lustig, geschäftig,
rastlos wie die Bienen. Es ist auch ein Bienenvolk, das nach Honig ausschwärmt.
Die Repporters der Zeitungen sind's, welche meilenweit den einlaufenden Schiffen
entgegenkommen. Sie scheinen die Honneurs der neuen Welt zu machen, den Fremden
ihre Dienste anzubieten, verfolgen aber nur den Zweck, sich selbst allerlei
Seeberichte und Reisenotizen von ihnen einzusammeln. Weniger artig verhüllen ihre
Honiggier die Runners, die Clerks der Makler, der Agenten, der Gastwirthe. Zu
Ballen und Rießen bombardiren sie das Schiff mit ihren Annoncen, entern, erstürmen
es und möchten es in die Sclaverei ihrer Firma gerne mit den geringst-möglichen
Umständen schleppen. Bei dieser Gelegenheit geht mancher Wahn in die Brüche, daß
man sein Englisch in bester Aussprache einstudirt habe. Indeß verständigt man sich
doch zuletzt, läßt sich hier in ein Geschäft ein, belegt dort eine Nummer im
Gasthaus. Auch unserm Helden präsentirt ein geschäftssüchtiger Runner die Karte
seines Hotels. Aber er bringt seine eigene Adresse mit, und dieser Sorge enthoben,
wendet er sich von dem Beschwerlichen ab, denn das Einclariren des Schiffes
unterhält jetzt seine Aufmerksamkeit. Er vernimmt die letzten Commando's des
Lootsen, das letzte Segel sieht er von den Matrosen beilegen, das Schiff geht vor
seine HafenBarriere. Ein leiser Schauer durchrieselt ihn, indem die schwere
Ankerkette über die Winde rasselt. Ach, nur der Reiche reist, gleich dem Elfen
Puck „schweifend über Land und Meer” — aber wie Viele heftet diese Kette bleibend
an den Boden, für den sie vielleicht ihr Letztes eingesetzt! Da flattern sie hin
Alle mit der gleichen Hoffnung, Jeder mit seinem besonderen Schicksale! Ein Nest
voll halbbesiederter
Im Getümmel des Landens, des Ausschiffens, in einem Babel amerikanischer Namen und Adressen, die jetzt von allen Lippen durcheinander schwirren, verlieren wir den Freund, der zuerst unsre Aufmerksamkeit erregt, nicht aus dem Auge. Schlägt er doch auffallend genug seinen Weg ein! Während Alles um ihn her den Hotels und Agenturen zuströmt, lenkt dieser Ankömmling, nach einem minutenlangen Aufenthalte im Zollhause, seine Schritte auf die Battery, auf Newyorks Promenade.
Das weltberühmte Südende Newyorks, die Battery, war im Jahre 1832 noch nicht wie heute mit einem überhandnehmenden Anbau von Matrosenschenken und Auswandererherbergen behaftet. Die vornehmste Atmosphäre der Manhattanstadt wehte damals auf dieser reizenden Landspitze. Ihre Rasenteppiche, ihre Schattengänge von Linden und Pappeln athmeten den Geist einer erhabenen Idylle. Im Angesichte der unermeßlichen Bai, am Mündungspunkte des breiten Nord- und Oststromes, in einer Lage, die vielleicht mit dem „goldenen Horn“ um die Palme ringen kann, genoß sie der großartigsten Schau des Seeverkehrs und war doch nicht berührt von ihm. Er defilirte gleichsam in Parade an ihr vorbei, zum gemeinen Dienste schwenkte er rechts ab an den Kai des Ostflusses, damals seinem wichtigen Emporium. Auf der Battery schlürfte Newyork nur den Duft seiner Seemacht.
Diese Avenüe hat unsern Freund schon am Bord seines Schiffes bezaubert; hier
wandelt er jetzt im Grün und Laubschatten, — ein letztes intimes Stelldichein der
reinen Gemüthskräfte gegenüber den handelnden. An der Pforte einer Hemisphäre, am
Fußgestelle riesenhafter Wirklichkeiten will er noch einmal eine Stunde der Muße
feiern und seine ganze Innerlichkeit in ein großes Gegengewicht zusammenfassen,
als scheute er mit dem ahnungsreichen Helden der Tragödie, daß ihn der Zufall
Blind herrschend mit sich führe!
Wir belauschen seine Gedanken nicht mehr wie am Bord des Schiffes. Dort waren sie ein Aufblitz der Begeisterung, ein Hallelujah, hier sind sie eine stille Messe der Andacht. Er ist mehr bei sich selbst, als bei der Welt; von Zeit zu Zeit fließt ein leiser Schriftzug in sein Taschenbuch. Anfangs häufiger, bald aber sparsamer und mit manch ungeduldigem Correcturstrich. Das macht, die Battery ist nicht ganz so geräuschlos wie es zuerst schien. Die Stadt, die hinter diesem dünnen Vorhang von Bäumen liegt, kann ihre mächtige Nähe nicht leicht verschweigen. Schauerlich tönt's da herein. Die industriellen Donner, das friedliche Kriegsgetümmel, das Jagdgeheul der Nahrungssorgen, die ganze Symphonie eines Werktages, der für eine halbe Welt arbeitet, pflanzt sich mit dumpfem Schwalle über die Wipfel des Parks fort. Kein Künstler vermag das Ungesehene lebendiger zu veranschaulichen, als diese taube Masse unvermischbarer Geräusche das Freskogemälde einer großen Stadt zeichnet. Einer Stadt, die noch an sich selbst arbeitet, und schon ein weltgroßes Hinterland auszuarbeiten hat! Ein Kessel, der zugleich braut, da er noch unterm Hammer ist! Kein Wunder, wenn sich das Erdbeben dieses Bodens nicht unterbinden läßt mit der Schnur, die ein paar Alleen zieht! Die Battery ist das Erkerstübchen Newyorks. So weit sie sich ausladet in das schöne, blaue Meer — sie kann dem Hause doch nicht entfliehen, dem sie angehört. Und wie dieses Haus in allen Sparren und Balken dröhnt, so zittern auch die Fenster des Erkers, auf dem Brette wanken die Blumenstöcke, und dem Großvater an der Wand fährt's stoßweise durch die Glieder, daß er manchmal zu nicken scheint, wie der Gouverneur zu Pferde. Da ist das Töchterchen, das ihren Dichter lesen, der Sohn, der seinen Euklid studiren will, auch nicht so ganz geborgen im Erkerstübchen. Unser Spaziergänger empfindet's.
In dem Lärm, der seine Promenade umbrandet, hat er von Zeit zu Zeit eine
hellgellende Knabenstimme unterschieden, die mit dem robustesten Pathos eine Waare
von unwiderstehlicher Zugkraft auszu
Aber das Aergerniß wurde noch ärger. Der Junge schlug mit seinem schamlosen
Geschrei einen Baumgang ein, in welchem drei junge Damen von feinstem Aeußeren an
der Seite ihrer Begleiter promenirten. Dieser Umstand beengte indeß den
rücksichtslosen Kaufmann nicht im Geringsten. Vergebens erwartet unser Zuschauer,
daß er verstummen wird: mit nichten; er fährt auf's Zwangloseste fort, sein
Kaufgut auszurufen. Vergebens erwartet er selbst, daß die Herren der Damen
einschreiten werden: es unterbleibt; sie ehren die Freiheit des Handels und
Wandels. Entsetzlich! Nimmt man diesen Unfug hin, wie — irgend eine Scene des
Thierlebens auf der Straße? Geschieht
Das Alles war die Scene weniger Augenblicke. Der Fremde brach auf. War es Absicht,
daß er die Richtung der drei Damen einschlug, oder — doch, was kümmert es uns?
Fragt er sich doch im eigenen Selbstgespräch: was kümmert es dich! Der die
Urschatten der Hinterwälder sucht, sollte sich im Passiren einer Hafenstadt — ein
artiger, kleiner Charakter! Die ihre Tugend auf den Krahn hing — und die andere
mit dem Taschentuch-Feigenblatt — es war vielleicht weiblicher — im niederen
Style, ja! Sie handelte im großen. Ueberhaupt sie handelte. Doch, — was kümmert es
dich! In Ohio wird es eines deiner Gedichte. — Gedichte!
Damit läßt er, oder verliert er die Gesellschaft aus den Augen.
Auch die äußere Scene um ihn ist jetzt verwandelt. Nur wenige Schritte haben ihn
nach der Stadtseite der Battery geführt, und schon zeigt die Anlage ein wesentlich
städtisches Bild. Eine Reihe glänzender Cafés gruppirt sich hier unter den
Schattengängen des Parks, sie schließen sich zum voll gewundenen Kranze besonders
an der Fronte, wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt
zusammenmünden. Zwar umwittert ein Geist von Einsamkeit diese Pavillons, welche
nur Sommererfrischungen bieten, und nichts von jenen nahrhafteren Genüssen eines
amerikanischen Frühstücks, dessen Stunde eben regiert: deßungeachtet fehlt es den
Cafés nicht an Leben. So z. B. stimmt gleich im nächstgelegenen ein Orchester von
Schwarzen seine Instrumente, und veranlaßt unsern Gast ein Glas Eis zu nehmen, als
Folie seines ersten amerikanischen Kunstgenusses. Das Concert beginnt. Ein seltsam
zerhackter Rhythmus, dessen Tactart in einigem Dunkel schwebt, und überdies von
jedem der einzelnen Künstler ziemlich selbstständig gehandhabt wird! Aber wie wird
unserm Zuhörer, als die Melodie, ohne alle Vermittlung, plötzlich aus Dur in Moll
überspringt? Entsetzt fährt er auf, reißt dem Vorgeiger die Violine aus der Hand,
und spielt ihm die Figur correct vor. Alle Anwesenden staunen den Europäer an,
Niemand begreift die Einmischung eines Gentlemans in das „Handwerk“ der Schwarzen.
Diese selbst am Wenigsten. Zwar hören sie mit geschmeicheltem Lächeln dem Spiele
des Fremden zu, als aber die Reihe wieder an sie kommt, stellt sich an derselben
Stelle auch derselbe Barbarismus wieder ein. Ob man hier aller Orts die Ausübung
der Musik diesen Negern überlasse? fragt der bestürzte Kunstfreund den Aufwärter.
— In der Regel, mein Herr, war die Antwort, die Niggers haben mehr Talent dafür
als die weißen Natives. Einige Anwesende sahen den unaussprechlichen
Gesichtsausdruck des Fremden, und er glaubt zu hören, wie sie sich zuflüsterten:
Ein Deutscher! Darauf nimmt einer derselben laut das
Mit der Sehnsucht eines Bräutigams dachte er einen Augenblick lang — an seine Violine. Sie lagert jetzt im Zollhause mit seinem anderen Gepäcke; bis er sie in das bezogene Logis abholen läßt, widmet er ihr ein zärtliches Andenken. Ahnt er doch, welchen Werth sie ihm jetzt haben wird! —
Aber wenn nach Novalis Architektur starrgewordene Musik ist, so hat Newyork
mindestens seinen starren Beethoven im Broadway. Das sollte der Unvorbereitete
sofort empfinden lernen. Er stand ohne es selbst zu wissen am südlichen
Mündungspunkte dieser Riesenstraße — eine geringe Wendung, und Broadway lag vor
ihm aufgethan. Der Anblick erschüttert ihn. Den Zeus aller Straßen erblickt er!
Zwei Kriegsschiffe, dünkt ihm, könnten sich ausweichen darin; — das ist ihre
Breite! Zwei Kriegsschiffe, dünkt ihm, könnten an beiden Enden sich bombardiren,
und ihre Kugeln erreichten sich nicht; — das ist ihre Länge! Vergebens stemmt er
sich mit Trotz gegen diesen Eindruck des Ungeheuren. Wohl sieht er, wie die
Verhältnisse der Häuser — damals in Mehrzahl noch klein und unansehnlich — das
Verhältniß der Straße vergrößern. Wohl sieht er, wie die einförmige Geradlinigkeit
der Pappelallee, welche die ganze Flucht durchläuft, ein Hebel mehr ist zur
perspectivischen Täuschung. Aber wenn die erste der
Die Seele unsers Helden, jedes Große und Neue schnell in seiner höchsten Wesenheit
fassend, huldiget so dem ersten Anblicke des Broadway. Im nächsten Augenblicke
nimmt er es auf mit ihm. Er ist entschlossen, in diesen Strom unterzutauchen, und
stürzt sich muthig hinein. Und wahrlich, ein Strom ist die Pulsader Newyorks, ohne
alle Figur. Ein Mississippi zu Lande! In der Fahrstraße hat die gestaute Fluth der
Fuhrwerke kaum Zeit und Raum sich aus einander zu wirren und individuell
abzufließen. Welch ein Schwall von Wagen bedeckt hier in jedem Augenblicke jeden
Quadratzoll Landes! Die Karre des Shopkeepers zerrt ihre Ballen und Fässer, der
urmenschlichen Schleife verwandt, niedrig am Boden dahin — das kurzbeinige
Krokodill dieses Strombettes. Delphinenleicht und lustig tanzt die Karrosse des
Millionärs an ihr vorbei, hochgepolstert über Shopkeepers Niveau, das vielleicht
einst das ihrige war. Plump und brutal wälzt sich die fahrbare Völkerwanderung im
Omnibus, die riesige Wallfischmaschine, daher, und schurft, alle Fluth an die
Seiten drängend, ihre breitspurige Wogenbahn. Wer ist groß außer ihr? Der
Cirpencefahrer auf der Decke dieses Kastens blickt in die Karrosse nieder, wie von
der Belletage in's Kellergewölbe. Und doch ist über dem keckbemalten,
fahnenbewimmelten Omnibus noch ein höheres Wesen. Platz da! rette sich wer kann!
die Straße verdunkelt sich, — ein langer, keuchender Pferdetrain schleppt ihn
herauf, den Alles überragenden Transportwagen. Ein Haus transportirt er — ein
fertiges Backsteinhaus! Nur das Dach und der Schornstein fehlt, wenn sie nicht dem
Ungeheuer wie in einem Strickkörbchen, nachgeführt werden. — So die Straße. Gefähr
jeder Größe, Form und Bestimmung drängt sich so dicht hinter einander, daß das
Ganze wie ein einziger Leib, wie ein unsterblicher Heerwurm sich ausnimmt. Die
tägliche Bilanz dieser
Diese Gütermassen ab- und zuzuschleppen, zu vermehren, zu vermindern, zu mustern
und aufzukaufen, ist beständig ein tausendbeiniges Ungeheuer unterwegs, brüllend
nach dem Bedürfnisse, wählerisch im Genusse, gähnend vor Uebersättigung. Hier
stürzt sich der schwarze Taglöhner auf den faulenden Inhalt eines Fischbehälters,
dort gleitet die Auster im Dufte des Champagnerschaums über die feine Zunge der
Wallstreet-Männer. Hier kauft sich die Quaterone ein Paar baumwollene Strümpfe,
und macht den nächsten Thorweg zu ihrem Boudoir, worin sie scrupellos den Wechsel
des Neuen und Alten vornimmt, dort läßt sich die vornehme Dame im Putzwaarenlager
den Werth von Fürstenthümern vor die Füße rollen und kauft zuletzt nichts. — Unser
Wanderer kämpft ritterlich mit all diesen Elementen. Immer tiefer arbeitet er sich
den Strom hinab; aber ach! wo ist sein Ende? Wo nur ein Ruhepunkt? Mit jeder
Seitenstraße, die einmündet, schwillt noch die Fluth, denn Alles drängt dem
Broadway zu, wenig fließt ab von ihm. Der Schwimmer weiß zuletzt nicht mehr,
schwimmt er mit oder gegen den Schwall; wohin er sich wendet, jede Richtung ist
ihm eine widrige. Die Kunst des Flanirens ist eine Localkunst. Zu schauen und
nicht zu schauen, sich zu bewegen und stehen zu bleiben, hat eine andere Technik
auf den Boulevards, auf dem Long-Acre und auf dem Broadway. Der Eingeborene kennt
diese Kunst, unser Fremder wird fortgespült, wie ein äthiopisches Sandkorn in's
Nil-Delta. Es ist als hätte er die ganze Erde wider sich, Bewegliches und
Un
An einer Straßenecke, in welche der Wanderer endlich einbog, stand ein kleines, reingekleidetes Mädchen, weinend, ein Zettelchen in der Hand. Es hatte verschiedene Versuche gemacht, von den Passanten, wie es schien, eine Auskunft zu erhalten, und stets unglückliche. Alles rannte achtlos an dem kleinen Wesen vorbei und ließ es stehen. Endlich zupfte es auch diesen Ankömmling am Rockärmel, und blickte mit hellblauen Augen voll Wasser bittend zu ihm auf. Die Kleine mußte ihr Stimmchen wiederholt anstrengen, um sich in dem Straßenlärm hörbar zu machen. Sie bat um den Weg in irgend eine Street nach der Common-School irgend eines Mr. Mockingbird: zugleich wies sie ihren Zettel vor, worauf die Adresse stand. Der junge Mann wußte nun freilich nicht besser Bescheid, als das verirrte Kind selbst. Aber augenblicklich ergriff er den Gedanken, der sich hier darbot. Ist es möglich, rief er sich zu, mit so viel Detail des Markts sich zu balgen, und nicht an die Volksschule zu denken, an den einfachen geistigen Punkt, aus dem das Ganze begriffen wird? Common-School, das ist das Schlagwort! Das ist der Ort, wo der Fremde stets zuerst Landeskunde studiren soll! Komm, mein Kind! Er warf sich mit dem Mädchen rasch in den nächsten Omnibus, und war fast so glücklich wie dieses selbst über das gefundene Auskunftsmittel.
Die Fahrt begann mit einer unfreundlichen Scene. Einer der Mitfahrenden hatte
seine Beine lang vor sich ausgestreckt und eben an jene Stelle der Wagenlehne
gestemmt, welche das einsteigende Paar zu besetzen hatte. Er schien indeß nicht
geneigt, seine Bequemlichkeit aufzugeben, sondern räumte dem kleinen Mädchen,
seinem neuen vis-à-vis, nur so viel ein, daß er ihr Köpfchen zwischen seine
beiden
Nach dieser Episode verlief die weitere Fahrt ruhig, und dauerte, unter einem
steten Wechsel von aus- und einsteigenden Personen, verhältnißmäßig kurz. Der
Omnibus setzte unser Paar in einer Straße ab, von welcher nichts als der Name
vorhanden war, den mit großen Lettern ein prophetischer Pfahlanschlag nannte. Das
kleine Mädchen fand sich aber sofort orientirt, und lief glückstrahlend auf den
einzigen Anbau dieser Straßenzukunft zu. Es war ein backsteinener, länglich
viereckiger Kasten, ohne Maueranwurf, mit unglasirten Dachpfannen gedeckt. Ein
Mann von derbem Leib und starken Knochen, mit einem rothen, prallen Gesichte,
kurzgeschornem Haupthaar, in Jacke und Hemdärmeln, aber einen französischen Hut
auf dem Kopfe, empfing unsern Ankömmling mit der Frage: Wie viel Bushel? Der
Fremde wußte diese Anrede nicht zu deuten. Ich dachte, Sie machten eine Bestellung
in Zwiebeln, antwortete der Stämmige. Der Fremde wechselte zweifelnde Blicke
zwischen dem kleinen Mädchen und diesem Manne, und erklärte, daß er die
Volksschule des Mr. Mockingbird zu besuchen geglaubt. — In der sind Sie, sagte
dieser; — ich habe vor einigen Wochen in Thran fallirt, und verlor mein Vermögen.
Sofort eröffnete ich eine Schule und unterrichte die Kinder meiner Nachbarn in dem
was ich weiß und in dem was ich nicht weiß, wozu ich einen Hilfslehrer miethe. Da
mir diese Beschäftigung weder den ganzen Tag noch den ganzen Beutel ausfüllt, so
mache ich in den übrigen Stunden das fehlende Geld mit einem Zwiebelhandel. Damit
schritt er ohne weitere Umstände in das Innere des Hauses. Unser Held
Die Schulstube war ein geräumiges, luftiges Zimmer, dessen ganzer Schmuck in dem hellen Tageslichte bestand, das reichlich einfiel. Tische und Bänke waren nur aus dem Rohesten gehobelt, Lack oder Firniß nirgend verschwendet. Auf den Bänken saßen sechzig bis achtzig Knaben, der Mehrzahl nach in einem Alter von neun bis zwölf Jahren. Ihr Aeußeres war reinlich gehalten, ihre Bekleidung mehr grob und formlos, als defect, eigentliche Zerlumpungen nirgends. An einem der vorhandenen Tische arbeitete mit einer Linirmaschine ein junger Mann — Mr. Benthal, Hilfslehrer, sagte Mr. Mockingbird. Der Fremde nahm mit einer leichten Verbeugung den Namen entgegen und erwiderte ihn mit seinem eigenen, indem er sich als Doctor Moorfeld vorstellte. Das kleine Mädchen war gleich bei ihrem Eintritte auf den Hilfslehrer zugeeilt; sie brachte ihm, wie es schien, eine Nachricht. Dann hielt sie sich vertraulich an seine Seite, indeß er stillvertieft fortarbeitete.
Die Schulstube feierte eben, wenn nicht mit dem eleganten, doch mit dem hungerigen Newyork, ihre Mittagsstunde. Dr. Moorfeld, wie wir den Fremden jetzt nennen dürfen, fand die kleinen Republikaner über großen Vorräthen mitgebrachten Fleisches und Brodes thätig. Deßungeachtet sah er seinen Zweck nicht nur nicht verfehlt, sondern sogar noch besser erreicht. Mr. Mockingbird hielt nämlich eine Art Brachwirthschaft in dieser Pause, eine freie Conversation. Er ließ sich mit seinen Schülern in einen Dialog ein, aus welchem der Namensaufruf verbannt war: wer einen Gedanken hatte, konnte mit Auszeichnung antworten, wer nicht, ohne Beschämung schweigen; es war ein zwangloses Spiel der Individualitäten, mehr Clubb als Schule. Kurz, diese Zeit der Ernährung wurde, weil Amerika überhaupt keine Zeit verliert, zwar dem Schulzwecke gewonnen, aber ihrem eigenen nicht entzogen.
Mr. Mockingbird legte behaglich die Arme auf den Rücken und begann mit seinem kleinen Volke ein Wechselpiel von Fragen und Antworten, das eine lebendigere Ausführung etwa dieses Umrisses war:
Ich war wohl ein Thor, fing er an, indem er seine Stube aufund abschritt, und sich scheinbar dem Zufalle überließ, ich war wohl ein Thor, daß ich mein Haus im länglichen Viereck baute. So eben überlegt' ich mir's anders, indem ich auf der Schwelle stand. Wie, wenn ich's rund gebaut hätte? rund wie diesen Hut! Was meint ihr zu dem Einfall?
Die Kinder, zweifelhaft zwischen Ernst und Scherz, sahen theils sich, theils den Meister an. Sie schwiegen.
Jener fuhr fort: Wozu braucht man das Haus? — Ein Knabe antwortete: Zum Wohnen. — Recht; und wer wohnt in dem Hause? — Die Leute. — Gut, der Mensch wohnt in dem Hause. Der Mensch ... hm! der Mensch ist so klein und das Haus so groß! Braucht der Mensch alle Räume des Hauses auf einmal, oder kann er sich auch in einem einzelnen Raume desselben aufhalten? — Im Zimmer. — Richtig, einen einzelnen bewohnbaren Raum des Hauses nennt man ein Zimmer. Also der Mensch wohnt eigentlich im Zimmer, nicht wahr? — Ja. — Hört, ich überlege mir die Sache. Ehrlich zu reden, ich habe Lust, auch dem Zimmer noch was abzusparen. Wozu brauch' ich ein ganzes Zimmer, wenn ich z.B. schlafe; wie? — Das ist wahr, man hat kleine Schlafkämmerchen. — Ich rathe, mir wird sehr schwül d'rin im Sommer. Lieber möcht' ich unter dem freien Sternenhimmel schlafen. Das ginge doch wohl? — Wenn kein Wetter kommt, allerdings. — Seht ihr! das Schlafstübchen brauch' ich so nothwendig nicht. Aber was brauch' ich doch noch zum Schlafen? — Das Bett. — Da haben wir's, das Bett! Ich wohne also, so zu sagen, Nachts eigentlich im Bette? — Ja. — Ich bin ein närrischer Kauz! Zuvor wollt' ich mein Haus rund, anstatt im länglichen Viereck haben, aber ich lasse nicht ab. Ich möchte jetzt auch ein rundes Bett, ein kugelrundes Bett; was? Die ganze Schulstube lachte. Mr. Mockingbird fuhr fort:
Eure Heiterkeit ist euer Urtheil. Ihr gebt mir zu verstehen, ein rundes Bett wäre
blanker Unsinn. Ein rundes Bett taugte nicht für die menschliche Figur, das
länglich-viereckige Bett wäre gerade recht so. Meint ihr das? — Ja, ja! — Meinen
ist gut, aber beweisen ist besser. Wie könnt ihr mir's beweisen? Nun, Vance! he!
du kanzelst ja gerne; würdest du den Beweis wohl finden? Komm,
Der Lehrer nahm den Knaben aus der Bank und stellte ihn mit dem Rücken gegen die Wand. Dann fing er an, dicht an seinem Körper zwei senkrechte und quer über seinem Kopfe eine kürzere horizontale Linie zu ziehen. Hierauf ließ er ihn wieder abtreten, und wendete sich gegen die übrige Schule mit den Worten:
Was für eine Figur bilden diese drei Linien an der Wand? — Ein Viereck. Ein längliches Viereck! — Aha! der Mensch ist also, wenn man ihn nicht auf's genaueste abzeichnet, sondern nur grobhin, mit drei Strichen . . . was ist da der Mensch? — Ein längliches Viereck. — O, nun weiß ich Bescheid! Gesetzt, ich müßte unsern Freund Vance verpacken, wie eine Waare, welche Form müßte seine Kiste bekommen? — Es müßte ein längliches Viereck sein. — Richtig, dort steht ja das Maß an der Wand! Nun verpackt sich aber der Mensch wirklich, und zwar Nachts, wenn er schläft. Seine Kiste ist dann das Bett. Das Bett hat daher am passendsten . . . welche Form? — Die länglich-viereckige. — Und ist im Grunde das Zimmer nicht eine große Kiste, worin man Betten einpackt? Und das Haus eine große Kiste, worin man Zimmer einpackt? Seht, um wie viel klüger sind wir jetzt, als zuvor! Das Haus muß ein längliches Viereck sein, des Zimmers wegen, das Zimmer des Bettes wegen, und das Bett des Menschen wegen, weil dieser selbst, wie uns jene Figur an der Wand beweist, ein längliches Viereck ist.
Die Kinder zeigten sich sehr interessirt, namentlich fiel der Knabe Vance dem Meister fast ins Wort: Jetzt weiß ich auch, rief er, warum alle übrigen Möbel des Zimmers viereckig sind; die Tische, die Bänke, die Bilder, die Schränke, die Koffer —
Und selbst das noch, was man in Schrank und Koffer packt, die Bücher z. B.,
ergänzte der Meister. Ja, was soll ich sagen! werden in die Bücher nicht wieder
die Buchstaben verpackt? Hier hast du ein feines Stift, Vance. Zieh' um den
Buchstaben e dieselben Striche, die ich zuvor um dich gezogen . . . was für eine
Figur bilden diese Striche? — Ein längliches Viereck; Meister, Meister, mit dem n
geht's noch leichter! — Sehr wahr, das n ist ja auch der Musterbuchstabe. Nun
bitt' ich euch! Blickt einmal auf- und abwärts auf
Dieses Probestück machte augenscheinlich Eindruck auf seinen Zeugen. Im Verlaufe desselben hatte die Miene des fremden Doctors einen ungleich höheren Ausdruck angenommen, als womit er die Schwelle des schulmeisternden Zwiebelhändlers überschritten. Er bezeugte dem Mr. Mockingbird jetzt seine ganze Anerkennung.
Ja, es ist nicht deutsche Metaphysik, antwortete dieser trocken. Und zu seiner Schule gewendet, fuhr er sogleich wieder fort: Wer fertig ist mit dem Essen und gute Lust hat, der lese uns auch ein Kapitel. Dabei findet sich wohl Stoff zu weiterer Unterhaltung. Viele Schüler schlugen zugleich ihre Bücher auf. Der Meister mußte eine Wahl treffen und bezeichnete einen der erwachseneren Knaben, dem er zurief: Hoby, lies uns den Rath an „junge Gewerbsleute”. Der Aufgeforderte fing mit einer muntern, verständigen Stimme aus seinem Büchlein also zu lesen an:
„Bedenke, daß die Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht, oder auf seinem Zimmer faullenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen; er hat nebendem noch fünf Schilling ausgegeben, oder vielmehr weggeworfen.
„Bedenke, daß Credit Geld ist; läßt Jemand sein Geld, nachdem es zahlbar ist, bei mir stehen, so schenkt er mir die Interessen, oder so viel als ich während dieser Zeit damit anfangen kann. Dies beläuft sich auf eine beträchtliche Summe, wenn ein Mann guten und großen Credit hat und guten Gebrauch davon macht.
„Bedenke, daß Geld hinsichtlich seiner Fortpflanzung sehr fruchtbarer Natur ist.
Geld kann Geld erzeugen und die Sprößlinge können noch mehr erzeugen u. s. w. Fünf
Schillinge umgetrieben sind sechs, wieder umgetrieben sieben Schilling 3 Pence u.
s. w. bis hundert Pfd. Sterl. Je mehr davon vorhanden ist, desto mehr erzeugt das
Geld beim Umtreiben, so daß der Nutzen höher und höher steigt. Wer ein
Mutterschwein tödtet, vernichtet dessen ganze Nachkommenschaft bis ins
tausend
„Bedenke, daß ein guter Zahlmeister der Herr von Jedermanns Beutel ist. Wer pünktlich zahlt, kann zu jeder Zeit alles Geld entlehnen, was seine Freunde gerade nicht brauchen. Dies ist bisweilen von großem Nutzen. Neben Fleiß und Mäßigkeit trägt nichts so sehr dazu bei, einen jungen Mann in der Welt vorwärts zu bringen, als Pünktlichkeit und Gerechtigkeit in seinem Handel. Deßhalb behalte niemals erborgtes Geld eine Stunde länger als du versprachst, damit nicht der Aerger darüber deines Freundes Börse dir auf immer verschließe.
„Die unbedeutendsten Handlungen, die dem Credite Schaden bringen, müssen vermieden werden. Der Schlag deines Hammers, den dein Gläubiger um fünf Uhr Morgens, oder um neun Uhr Abends vernimmt, stellt ihn auf sechs Monate zufrieden; sieht er dich aber am Billardtisch oder hört er deine Stimme im Wirthshause, so läßt er dich am nächsten Morgen um die Zahlung mahnen, und fordert sein Geld, bevor du es zur Verfügung hast.
„Außerdem zeigt dies, daß du ein Gedächtniß für deine Schulden hast; es läßt dich als einen eben so sorgfältigen wie ehrlichen Mann erscheinen und das vermehrt deinen Credit.
„Hüte dich, daß du Alles was du besitzest für dein Eigenthum hältst und demgemäß lebst. In diese Täuschung gerathen viele Leute, die Credit haben. Um dies zu verhüten, halte eine genaue Rechnung über deine Ausgaben und dein Einkommen. Gibst du dir Mühe, namentlich erstere genau zu verrechnen, so hat das eine gute Wirkung; dann entdeckst du, wie wunderbar kleine Ausgaben zu großen Summen anschwellen und du wirst bemerken, was hätte gespart werden können und was in Zukunft gespart werden kann.
„Eine Ausgabe, auch wenn sie noch so klein sei, erlaube dir ohne Noth doch nicht
darum allein, weil sie klein ist. Bedenke folgendes: der Zinsfuß in unserm Lande
ist sechs Procent d. h. für sechs Pfund jährlich kannst du den Gebrauch von
hundert Pfund haben, vorausgesetzt, daß du ein Mann von bekannter Klugheit und
Ehrlichkeit bist. Wer täglich einen Groschen nutzlos ausgibt, gibt jährlich an
sechs Pfund nutzlos aus, welches der Preis für den Gebrauch von hundert Pfund
ist.
Der Mann nimmt das Leben ein wenig peinlich, bemerkte Dr. Moorfeld, den dieses Bruchstück amerikanischer Disciplin offenbar minder ansprach, als das erste.
Mein Herr, es ist Benjamin Franklin, der so schreibt, antwortete Mr. Mockingbird ohne alle Erörterung.
Der Doctor hatte indeß noch Genugthuung wegen des Ausfalls auf die deutsche Metaphysik zu nehmen, dessen eigentliche Zielscheibe er freilich nicht kannte. Er war daher nicht geneigt, dem Manne, der ihm das Gastrecht zuerst verletzt zu haben schien, die Parthie allzu aufopfernd zu überlassen. Und indem er nach Hut und Stock griff, verabschiedete er sich jetzt, zwar unter den Formen eines Gentlemans, in Bezug auf die Antwort des Mr. Mockingbird aber erwiderte er dieses: Ich bin Ihnen sehr verbunden, mein Herr, daß Sie mir den geschätzten Namen eines Benjamin Franklin nennen. Der Mann hat jedenfalls in der Wissenschaft noch mehr als in der Bank hinterlassen, und durch sein eigenes Leben ein höheres Ideal aufgestellt, als welches in jener Schrift dem menschlichen Trachten zugemuthet wird. Diese Ausmünzung der menschlichen Existenz in Schillinge und Pfunde gewinnt erst durch die Erfindung des Blitzableiters den Anspruch auf unsre Verzeihung. Ohne sie würden wir die Doctrine eines Mannes vor uns haben, der sich so weit vergessen hätte, unsre Bestimmung dahin zu definiren: Aus dem Rinde macht man Talg, aus dem Menschen Geld. Mag sein, daß ein unfertiges Volk eine Zeitlang auf diesen Standpunkt sich herabstellen muß, ein fertiges aber sagt: Geist macht man aus dem Menschen, nicht Geld!
Der Hilfslehrer des Mr. Mockingbird, der bisher ohne aufzublicken sich an seine
Linirmaschine gehalten, legte sein Handzeug jetzt hin,
Im Nachdenken über diese Scene bestieg Moorfeld eine Miethkalesche und fuhr jetzt der Adresse seines newyorker Absteigequartiers zu. Wer mochte der junge blonde Mann sein, der mit seinem germanischen Bart, seiner vollen Studentenlocke, seiner breiten Brust und trutzigen Stirn ihm so mädchenhaft-schüchtern nachgeschlichen und zugestammelt? Ein Eingewanderter natürlich. Einer jener deutschen Taglöhner der Weltgeschichte, welche auf der ganzen Erde überall am Kulturleben mitarbeiten, aber selten auf eigenen Namen und nie auf den ihrer Nation. Moorfeld nahm seinen Ausfall auf Mr. Mockingbird's Franklin längst wieder zurück; er hätte sich gerne Unrecht gegeben, daß er mit idealistischer Einseitigkeit gegen das erste Stück hiesigen Volkslebens so vorschnell abgesprochen: aber da stiehlt sich eine warme Hand in die seinige, ein kummervoller Märtyrerblick trifft ihn, und das Wort seiner Uebereilung bestätigt ihm, wie es scheint, die Erfahrung. Ein unwillkommenes Rechthaben! Moorfeld suchte sich mit Gewalt in den schönen Flug seiner Erstlingsstimmung wieder zurückzuwerfen. Er ergab sich mit allen Sinnen wieder dem Ungeheuer eines Straßenlebens, das das europäische übertraf, wie ein Redoutensaal einen Latrappistenkreuzgang. Er sah und hörte zu seiner Kalesche hinaus, er bemühte sich neugierig zu sein und zu erstaunen. Umsonst. Er bekam seine Stimmung nicht mehr in seine Willkür und durch all das fluthende Lärmen um ihn her verfolgte ihn der halberstickte Flüsterton: „Ich danke Ihnen für dieses deutsche Wort.“
Endlich ragte eine lange Reihe von Mastbäumen die Straße herauf, welche der
Kutscher eingeschlagen hatte; ein blauer Wasserstreif dunkelte
Vor einem dieser Häuser hielt der Kutscher. Moorfeld sprang aufgeweckt heraus,
ließ den Klopfer ertönen, und wartete. Ein Neger öffnete. Aber ehe Moorfeld ihm
seinen Namen nennen, oder seine Karte abgeben konnte, war der schwarze Hausgeist
schon wieder verschwunden, indem er ein solches Ceremoniell nicht zu erwarten
schien. „Help you selp“ lächelte Moorfeld, und sah sich im Hausflur, wo man ihn so
republikanisch-formlos allein stehen ließ, auf gut Glück um. Er fand rechts ein
Zimmer, dessen Thüre, wahrscheinlich der großen Hitze wegen, halb offen stand. Er
blickte vorsichtig hinein. Eine junge Dame von großer Schönheit saß darin und
studirte über Landkarten und Bücher eifrig hinter einem großen Comptoirtisch. Der
Fremdling glaubte sich hier an guter Adresse; er öffnete unter einem bescheidenen
Klopfen auch die übrige Hälfte der Thür und stellte sich der schönen Einsiedlerin
mit all jener Artigkeit vor, womit ein Mann von Erziehung die Tochter des Hauses
unter diesen Umständen anredet. Das Mädchen hörte ihn an, ohne eine Miene zu
verändern, ja fast ohne den Blick zu ihm aufzuschlagen, worüber der junge Mann,
der sich im Besitz eines gefallenden Aeußern wußte und vielleicht etwas verwöhnt
in diesem Punkte war, eine unwillkommene Regung empfand. Treten Sie gefälligst ins
Parlour gegenüber, antwortete die lakonische Venus mit einer leichten
Handbewegung; Moorfeld zog sich zurück, nicht ohne einen seiner bezwingendsten
Blicke in das schöne regungslose Antlitz des Mädchens zu werfen. Selbst das
offizielle Lächeln der Höflichkeit hätte
Er klopfte, ohne Antwort zu erhalten. Er besann sich nicht lange, sondern schloß vielmehr, daß es landesübliche Sitte sein müsse, geradezu zu gehen, ohne sich an irgend eine Form zu binden, da der Mangel derselben unmöglich die spezielle Ungastlichkeit dieses Hauses sein konnte. Er trat also ein. Das Gefühl unter dem ersten amerikanischen Dache zu stehen, brachte jetzt eine Pause in all seine übrigen Empfindungen. Er sah sich im Parlour um, erfüllt und ergriffen von dem Bewußtsein, daß das Zimmer der Abdruck des Menschen sei.
Die Möbelformen hatten nach unsern Begriffen keinen eigentlichen Styl, wohl aber
ließen seltsame Holzarten manch wunderliche Spielerei zu. So sah Moorfeld ein halb
Dutzend spindeldürre Stühle, welche mit so bizarrer Feinheit geschnitzt waren, daß
selbst die Königin Mab, wie es schien, darauf hätte durchbrechen müssen. Nur eine
ungewöhnliche Holzfaser konnte diese Bearbeitung erlauben, aber die sinnliche
Vorstellung des Sitzens war ganz bedachtlos dabei verletzt. Nach demselben
Mißverhältniß zwischen Schein und Zweck präsentirte sich der Sophaüberzug: er
brillirte in einem orange-prächtigen Farbenmuster, das das Auge lebhaft genug
traf, aber das Muster stellte nichts weniger als einen — Waldbrand vor. Moorfeld
mußte mehr als lächeln, daß der Zumuthung, sich auf Feuerflammen zu setzen, nicht
das Geringste ästhetische Bedenken entgegengestanden hatte. Auf dem Kaminsims
stand eine Stutzuhr mit grellen und glänzenden Farben lackirt, ein paar
Porcellanvasen links und rechts zeichneten sich gleichfalls durch überladene
Buntheit ungefähr im Geschmacke unserer Landleute aus. Im Trumeau erblickte
Moorfeld eine schlecht modellirte Statuette, welche einen Mann in knappen Stiefeln
und Hosen mit Zopf und Stock, dürftigen Beinen und einem Schlotterbauch
vorstellte. Die Unterschrift lehrte, daß es Washington sei. Moorfeld erschrack bei
dem Anblicke dieses Namens und seufzte achselzuckend: Das ist der Mann, der
sie
Während Moorfeld diese flüchtige und wie wir sehen nicht sehr lohnende Rundschau
gehalten hatte, öffnete sich die innere Thür des Parlours und Herr Staunton, der
Hausherr, trat ein. Eine lange schmächtige Figur mit enger Brust, nach vorn
abfallenden Schultern und dünnem Halse präsentirt ihren amerikanischen Typus. Der
längliche, nicht unedel geformte Kopf zeigt allen Zerfall des Herbstes, aber allen
Schein des Lenzes. Gefärbtes Haar, bepinselte Augenbraunen, eingesetzte Zähne, ein
leicht aufgetragenes Roth auf dem glattrasirten Gesichte schillert aus einer
gewissen Ferne mit einem gewissen Jugendglanze, natürlich zur mehreren Wehmuth des
genauen Betrachters. Die freie, weltmännische Haltung des Eintretenden, verbunden
mit einer Sorte geschäftsfreundlicher Heiterkeit ist gleichsam der moralische
Theil dieser Toilettenkunst. Ein Zug von merkantiler Selbstsucht wird
aus
Dieser Herr trat seinem Gast jetzt entgegen und begrüßte ihn mit einer
sorgfältigen Herzlichkeit. Er lud ihn ein, sich zu verbrennen, d. h. er bot ihm
das Sopha an, er selbst nahm seinen Platz auf einem von den Stühlen der Königin
Mab. Hiermit eröffnete er die Unterhaltung, indem er sich wegen seines schwarzen
Dieners Jack entschuldigte, den er schon vor zwei Stunden an den Landungsplatz
geschickt hätte, um ihn, den erwarteten Gast nämlich, abzuholen. Das Schiff, wisse
er, sei so pünktlich eingelaufen, als es signalisirt war, es könne nur die
Fahrlässigkeit des Dieners sein, der ihn verfehlt habe, er werde ihm die
Genugthuung geben, den Schuldigen zu bestrafen. Moorfeld verbat sich diese
Aufmerksamkeit, und da er nicht verkannte, daß das Gesagte auch eine Anspielung
auf sein eigenes Verspäten sein könne, so gestand er freimüthig, daß er aus dem
Hafengetümmel sich unverzüglich auf die Battery geflüchtet, und dann der Begierde
nachgegeben habe, eine Promenade durch die Stadt zu machen. Der Amerikaner hörte
dieser Erklärung salbungsvoll zu, er erhob sich mit einem eigenthümlichen Ausdruck
in's Große und Hohe und sagte mit einer gedehnten Feierlichkeit: Ich danke Ihnen
im Namen unserer unvergleichlichen Hauptstadt, daß Sie bewundern die Pracht und
Größe ihrer Anlage, die Thätigkeit ihrer Menschen, den Geist der Freiheit und der
Vernunft, der Ihnen entgegenkommt aus allen Bildern unsers öffentlichen Lebens.
Haben Sie in Europa sich an ähnlichen Schauspielen zu erfreuen? Moorfeld der
zunächst weder von Bewunderung, noch Freude, sondern nur von seiner Schaulust
gesprochen, nahm diese Rede ganz so auf, wie er durfte, und sagte gemessen: Europa
lebt viel von altem Gelde, Arbeit und Muße harmonirt dort wie Licht und Schatten
in einem fein durchdachten Bilde. Moorfeld erröthete, es fiel ihm auf, daß er in
zwei Stunden bereits zweimal seiner Begeisterung widersprochen und Europa gegen
Amerika bevorzugt. Herr Staunton
In diesem Augenblicke meldete der schwarze Jack, es sei servirt, worauf Herr
Staunton sich erhob und seinen Gast zum zweiten Frühstücke bat. Ein ersprießlicher
Wechsel von dem Thema der Kunst zu einem, das der Natur näher stand! — Die beiden
Herren verfügten sich in ein Zimmer des ersten Gestockes. Die Mitte desselben nahm
ein mäßiggroßer Eßtisch ein, beladen mit einer übermäßigen Fülle von Gerichten,
deren warm gekochte Piecen das Gemach trotz des geöffneten Fensters mit starken
Dünsten erfüllten. Diesem Tische präsidirte eine Dame, oder vielmehr die
Tagesnummer der NewyorkerTribüne, denn außer den beiden weiblichen Händen, welche
das riesige Zeitungsblatt vor sich hin hielten, war die Gestalt der Leserin
unsichtbar. Herr Staunton stellte die Frau und den neuen Genossen des Hauses
einander vor. Die Newyorker-Tribüne legte sich jetzt in die halbe Querfalte und
ließ den Kopf einer Matrone sehen, welchen drei ehrwürdige Momente auszeichneten:
die Spuren des Weisheitsalters, der Ausdruck religiöser Beflissenheit und eine
Brille. Doctor Moorfeld und Mrs. Staunton wechselten die üblichen Complimente,
wobei ersterer die Bemerkung machte, daß, wenn eine schöne Sprache durch das
weibliche Organ noch schöner klingt, eine mißtönige dagegen, wie das
Yankee-Englisch, eben so ihren entgegengesetzten Charakter durch den Frauenmund
fühlbarer ausdrückt. Nach dieser Ceremonie setzte man sich zu Tische. — Frau
Staunton fragte: wo bleibt Sarah? — Beste, das frag' ich dich, antwortete der
Gatte. Aber in demselben Augenblick trat der Gegenstand dieser Erkundigung ein; es
war eine lange schmächtige Dame von relativer Jugend und zweifelhafter Schönheit;
sie wurde dem Fremden als die Tochter des Hauses vorgestellt. Moorfeld erkannte
bei dieser Gelegenheit den Irrthum seiner vorigen Verwechselung und sparte die
Worte nicht, ihn eifrigst zu entschuldigen; als aber die Eltern nicht gleich
begriffen, wovon die Rede sei, flüchtete Sarah in die Arme ihrer Mutter und
verbarg sich an ihrem Busen, indem sie mit einem tiefen Gefühle von Kränkung
wehklagte: Ach Mama, das Kammermädchen ist zuvor an meiner Statt begrüßt worden!
Weder Herr noch Frau Staunton schienen dieses Geberden ihres
Moorfeld bezeugte sich den Leiden der Damen so theilnehmend, als es mit einem
leisen Zug von Ironie im Herzen möglich war, und machte namentlich auf den Umstand
aufmerksam, daß er die fragliche Frauensperson über Büchern und Landkarten
gefunden, d. h. in einer Beschäftigung, welche in Europa zweifellos die gebildete
Haustochter bezeichnet hätte. Ach, in Europa! fiel Herr Staunton mit unbedachter
Geringschätzung dazwischen; — im alten Land fühlt sich selbst der höchst Beamtete
als ein Diener, bei uns möchte der niedrigste Dienst gern für ein Amt gelten. Die
weiße Race dient überhaupt nicht hier. Darum ließ ich Ihnen ja auch durch unsern
Agenten den Rath geben, sich keinen Bedienten mitzunehmen, wie es Ihre Absicht
war. Er hätte Sie in den ersten Wochen verlassen. Unsre Hariet betreffend, so
bereitet sie sich auf ein Schulamt vor, von dem Umstand gewinnend, daß man neuerer
Zeit die Volksschulen gerne mit weiblichen Lehrkräften besetzt. Sie sahen sie in
einer dieser Selbstvorbereitungs-Stunden, deren sie sich täglich ein Paar
ausbedungen hat. Die Sache hat ihre Unbequemlichkeiten für die weibliche
Herrschaft, aber dem Mädchen kann ich ihr Streben nicht übel nehmen. Ist sie doch
eine freie Amerika
Der junge Fremde glaubte noch immer einen beleidigten Zug in Sarah's Mienen zu finden, und nahm sich die Mühe, denselben zu bannen. Er erwies dem Mädchen alle Aufmerksamkeit, sowohl die sie fordern konnte, als die ein junger geistreicher Mann freiwillig gegen ihr Geschlecht verschenkt. Er war aber nicht glücklich. Das Gefühl der Kränkung lag wie ein interessanter Thau auf dieser abgeblühten Blume und kein Sonnenpfeil Apollo's war im Stande ihn hinwegzuglühen. Er gerieth endlich auf den Gedanken, daß dieser Thau — gemalt sei und gab seine wohlmeinende Bemühungen auf, eh' er der Versuchung erlag, in eine feine Satyre umzuschlagen und der unbescheidenen Spröden für das fingirte Weh ein kleines ächtes Thränchen abzupeinigen.
Bis hieher hatte Moorfeld dem Tische noch keine Aufmerksamkeit geschenkt,
deßungeachtet wandte er sich jetzt an die Hausfrau und machte ihr ein Compliment
darüber. Als er sah, daß die Phrase eindrucklos abprallte, schrieb er es seiner
Aussprache zu und wiederholte eine der schönsten englischen Artigkeiten mit der
correctesten Deutlichkeit. Der Eindruck erfolgte nun zwar, er war aber womöglich
entgegengesetzt. Die geschmeichelte Hausfrau sah in diesem Augenblicke fast so
beleidigt aus, wie ihre Tochter Sarah: sie blickte kalt und stolz nieder, und warf
irgend ein Wort hin, das Moorfeld seinerseits nicht verstand. Herr Staunton legte
sich in's Mittel, indem er halb gegen seine Frau, halb gegen Moorfeld gewendet,
ersterer auseinandersetzte, der sehr verehrte Gast habe eine dankenswerthe Meinung
geäußert, welche blos in der Voraussetzung irrig sei, daß eine amerikanische Lady
sich in der Küche beschäftige. Unsere freie und aufgeklärte Nation, fuhr er fort,
findet einen ihrer schönsten Vorzüge vor den übrigen Völkern der Erde in dem
Bewußtsein, den Frauen eine Stellung eingeräumt zu haben, welche diesen zarten
Blumen der Menschheit allein als die natürliche und berechtigte zukommt. Kein
amerikanischer Bürger, der sich nicht auf der Höhe, sondern nur auf dem Niveau der
öffentlichen Meinung
Inzwischen hatte er angefangen mit mehr Bedacht sein erstes amerikanisches dejeuner zu würdigen. Als ein Fremder, der in dem Neuen zugleich das Charakteristische zu belauschen die Neigung hat, blieb die culinarische Physiognomie der neuen Welt nicht der letzte Gegenstand seines Interesses. Die Stimmung, womit der Gentleman seinen Beobachtungen auf diesem Gebiete nachgeht, hatte bisher etwas verschämt Humoristisches, an den Liberalismus der mittelalterlichen Hofnarren und Kirchenkomödien Erinnerndes; wenn die fortschreitende Naturwissenschaft das Geheimniß vom Stoffwechsel in den feinsten materialistischen Ausspitzungen ergriffen haben wird, so wird sich unser versteckter Ernst für diese Angelegenheit vielleicht offener an's Tageslicht wagen, ungefähr wie heute schon das Theekochen z. B. ein Obligat-Studium an den japanischen Universitäten ist.
Damals ragte aber die Küche noch wenig in die Chemie und durch diese in die Philosophie herein, unser Held wagte also erst, sich seiner Neugierde für Amerika's Tisch zu überlassen, als er die Tischgäste selbst, der Reihe nach ziemlich ungenießbar erprobt hatte.
Zuerst fiel ihm schon die amerikanische Sitte des Servirens auf. Die Tafeldeckung
war hier kein europäisches Hintereinander, sondern ein Nebeneinander. Sämmtliche
Gerichte standen gleichzeitig auf dem Tische. Erkannte der Fremde das Handelsvolk
darin, das die Zeit spart? Oder die gleichmachende Republik, die keine Rangordnung
duldet? In beiden Fällen hatte der Anblick eines solchen Eßtisches etwas
Fremdartiges, ja wahrhaft Ueberwältigendes, Brüskes. Die Phantasie sah all ihre
Perspectiven abgeschnitten, sie wurde genöthigt, das ganze Gebiet ihrer Genüsse
auf Einen Blick zu umfassen, statt daß die Gänge und Pausen einer europäischen
Tafel, wie die Kapitel eines Romans, wie die Aufzüge eines Drama's von Spannung zu
Spannung fortschreiten, und dem Gaste zwischen Hoffnung, Illusion, Ueberraschung,
ja selbst Furcht und Reue das interessante Spiel seiner menschlichen
Leidenschaften gestatten. Dagegen durfte der unparteiische Denker die praktische
Seite dieses Gebrauches auch nicht übersehen.
Moorfeld musterte nun die Gerichte selbst. Schinken, Fische, Geflügel, Wildpret, Coteletts, Bratwürste, Kartoffeln, Früchte, Eier, Kaffee, Wein, Brantwein, das Alles war der Apparat dieses sogenannten Frühstückes. Es war keine Auswahl der landesüblichen Küche, sondern vielmehr die Summe derselben. Alles war da. Der gebratene Speck des Hinterwäldlers dampfte neben dem feinen Puterhahn und die plebejische Brandyflasche rivalisirte keck mit dem Adelswappen: Jacquesson fils & Cie. Politisch beurtheilt sah Moorfeld das Bild einer unfertigen Gesellschaft darin, in welchem die ländlichen Ansiedlerelemente mit den höheren Chorden der Stadtsitte noch chaotisch durcheinander klangen. Von Allem kostend wanderte seine Zunge gleichsam mit den Rundköpfen Cromwell's aus, und saß bei Mock Turtle und Champagner im Concerte der modernsten Geldmächte. Leider war diese bunte Mannigfaltigkeit in eine traurige Einheit gebracht — es schmeckte Alles gleich schlecht.
Ohne nach den Paragraphen der höheren Gourmandise zu richten, fand unser Gast schon als bloßer Naturalist das Frühstück ungenießbar. Sämmtliche Gerichte waren entweder halb verbrannt oder halb roh. Es machte ihm den Eindruck, als seien sie gleichzeitig an's Feuer gestellt und nach eben der despotischen Minutenuhr ihrer Schule wieder entrissen worden, ohne jenes liebevolle Eingehen auf das zartere Spiel der Individualitäten, auf die hingebende Empfänglichkeit des Coteletts und auf den charakterfesten Widerstand des Rostbeafs. Wahrlich, es fehlte die Frauenhand in diesem fabriksmäßigen Geköche! Moorfeld zweifelte keinen Augenblick, daß nicht einmal die weibliche Dienerin, welche er ohnedies über Büchern gefunden, sondern der Hausneger selbst seine schwarze Hand in diesem traurigen Spiele gehabt. Rohe Negerrache! grollte er sich zu, nur daß die Weißen selbst nicht fein genug sind, sie zu empfinden.
In der That, von Feinheit war nicht die Rede hier. Die Art, wie die zarten Blumen
der Menschheit, die Damen nämlich, auf heißen Maisbrodschnitten gelbe Butter
zerließen und es aßen, die Art
Indem unser Held unter also erschwerenden Umständen seinen Appetit zu befriedigen suchte, angelte er, wie er meinte, nur nach den feinsten und am leichtesten zubereiteten Fleischspeisen. Bei diesen Versuchen kam er aber bald dahinter, daß Fleisch überhaupt nur ein relativer Begriff sei. Es fragt sich bei den verschiedenen Nationalitäten immer, was sie vom Thiere begehren und sich vorsetzen. Wenn nun der Engländer die blut- und muskelreichen Theile liebt, der Franzose die galatinartigen und nervenreichen, so warf sich der Amerikaner vor allem auf das Fett des Thieres. Fett war hier Fleisch. Es lag entweder offen zu Tage, oder das Fleisch selbst war durch ein eigenthümliches Raffinement der Mast mit dem Fettstoff so imprägnirt, daß stets dieselbe geschmackwidrige Identität zurückkehrte. Die ganze Tafel war gleichsam ein Tisch für den Lichtzieher. Diese Talgmasse schwamm freilich in einer Beize der schärfsten Gewürze; Moorfeld glaubte sogar deutlich zerstoßenen Höllenstein durchzuschmecken; aber schmeckte es darum besser, daß er sich die Würze mit Satyre würzte? Zwei Verneinungen geben wenigstens für den Geschmack keine Bejahung.
Die Champagnerflaschen blieben nach allen diesen Niederlagen sein letzter Trost.
Als aber Moorfeld sich das erste Glas davon ausbat — wie geschah ihm auch jetzt?
Hr. Staunton griff, als müßte es so sein, nach der Brantweinbouteille und goß ihm
Brandy unter den Champagner. Man verbessere ihn so, sagte er anstandslos. Er
selbst trank gleichfalls diese Mischung. Moorfeld sah die Geschichte mit dumpfem
Erstaunen an; — das ging ihm doch über den Begriff! Nicht daß er den Gipfel der
bisherigen Geschmackswidrigkeit sah, setzte ihn außer Fassung. Die Sache ergriff
ihn tiefer. Im Trinken liegt ja bei allen Völkern eine gewisse Symbolik, das
Trinken spielt im Christenthum selbst eine Rolle und für den Kelch wurden Kriege
geführt. Trinkt der Amerikaner seinen Champagner mit Brandy, wer garantirt hier
das Genie gegen die Prosa? fragte sich der Fremdling.
Indeß sich der Freund diesen dunklen Vorgefühlen noch überließ, trat ein Fremder in das Zimmer, glatt und glänzend wie Dollar, lackirt, rasirt, lächelnd und höflich, ein blank geöltes Rad aus der Maschinerie einer großen Handlungsfirma, ein Comptoir-Gentleman wie je einer aus brettsteifen Vatermördern guckte. Er beschrieb Rückgrats-Curven nach allen Seiten hin und wechselte dann einen Fragezeichenblick zwischen Staunton und Moorfeld, dessen Inhalt das Bedenken war, ob die Rücksichten der Höflichkeit oder der Vorsicht mit einer Geschäftssache herauszurücken erlaubten? — So eben wird der Schiffbruch der Temperance, Capitän Powell, von Sandy Hoock signalisirt, fing er an, ich fliege auf eine Minute von der Börse weg, und bitte bei Ihren eventuellen Reflectionen darauf um prompteste Ordre, Mr. Staunton. Diese Nachricht schien für Hrn. Staunton von großer Erheblichkeit. Er war sogleich ganzer Geschäftsmann. Mit einer eiligen Verbeugung gegen Moorfeld entschuldigte er die veränderte Richtung seiner Aufmerksamkeit und vertiefte sich dann in das Notizbuch des Jobbers, mit dem er anfing, Ziffern hin- und her zu kritzeln und überhaupt in Schriftzeichen, Pantomimen und eingestreuten, kurzen Geschäftsphrasen sich zu verständigen. So fähig indeß die Börsen-Hierarchie ist, in ihrer eigenthümlichen Kunstsprache vor dem Profanen offene Geheimnisse zu behandeln, so begriff Moorfeld doch den ungefähren Zusammenhang. Zufällig wußte er nämlich von den sogenannten Mock-Auctionen, die damals eben anfingen und später so berüchtigt geworden sind. Dieses Geschäft gründete sich darauf, daß die Unternehmer, durch Seewasser beschädigte und verdorbene Schiffsfrachten ankauften, der Waare einen künstlichen Schein gaben und sie mit großem Gewinn auctionsweise wieder losschlugen. Von einem solchen Geschäfte war hier die Rede. Herr Staunton gab seine Aufträge, der Jobber notirte und in fünf Minuten war der Schiffbruch auf Sandy Hoock verwerthet.
Als der Börsenmann fort war, fing Mrs. Staunton, indem sie sich mit der
Newyorker-Tribune Kühlung zufächelte, langsam und gedehnt an: Sage mir, Bester,
haben wir mit der Temperance nicht unsern Daniel zurückerwartet? Du hättest doch
um Gerettete oder
Bestürzt, verwirrt und mehr als gesättigt, sprang Moorfeld auf von seinem ersten amerikanischen Frühstück.
Der schwarze Jack führte ihn auf sein Zimmer. Es hatte eine weite Aussicht über
Fluß und Land, eine der Bedingungen, auf die er ja schon in Europa dieses
Privatlogis gemiethet. Aber indem er eintrat kam auf einmal ein plötzlicher
Schreck über ihn. Woher er kam, wissen wir nicht zu erklären, wenn sich der Leser
nicht eigener Augenblicke dieser Art erinnert. Es gibt solche Augenblicke. Die
Macht der Gewohnheit wird manchmal — auf einen Secundenblitz — aufgehoben. Ein
großes Glück, das wir gemacht, wenn wir schon lange von seinen Früchten zehren,
schreit oft den ersten Freudenschrei wieder auf in uns, ein Todtenfall, den wir
schon lange verschmerzt, überschauert uns oft mit den ersten Schrecken der
Neuigkeit, ein geliebtes Musikstück, das wir schon lange mit anhören, klingt uns
in einem auserwählten Augenblicke wieder das Entzücken des ersten Anhörens zurück.
Es wäre ganz vergeblich, den schrecklichen oder süßen Reiz solcher
Erstlingseindrücke uns willkürlich zu reproduciren, es ist eine unbegreifliche
Inspiration, die direct von den Göttern kommt, ein Erdbeben der Phantasie, ein
Durchstoßen der Alltagskruste und Auflodern der Originalität in uns. Ein solcher
Augenblick war's, der jetzt unsern Europäer überraschte. „Deine Fenster sehen auf
Amerika,“ der Gedanke packte ihn plötzlich, als hätte er ihn nie zuvor gedacht,
noch weniger ausgeführt. Ein Wunder schien ihm's, ein Feenwerk. Er hielt sich den
ganzen Tag über an sein Zimmer, gleichsam als wäre er nur hier geborgen und
draußen verloren. Der Neger wurde eifrigst auf's Zollhaus gesandt und fieberhaft
erwartete Moorfeld mit seinem Gepäcke den Anblick europäischer Gegenstände. Er lag
aber, ehe sie noch anlangten, zu Bette. Das genossene Frühstück hatte sich
in
Ein prangender Morgen glänzte über die Welt. Spät aufwachend, wunderte sich Moorfeld, daß der Lärm des Hafenlebens, das unmittelbar unter seinen Fenstern lag, nicht längst ihn erweckt. Er trat an's Fenster. Ja freilich! da lag Schiff an Schiff im Hudson — alle Flaggen aufgehißt, alle Räume grabähnlich stumm — eine ganze Flotte des fliegenden Holländers schien vor Anker. Es herrschte also heute jenes Gespenst, das man in den puritanisch quäckerischen Landen Sonntag nennt. Die Strömung des Flusses war die einzige Bewegung in diesem Bilde der unheimlichsten Ruhe. — Der Europäer sann darüber nach, was mit einem solchen Tage der heiligen Langeweile anzufangen sei. Sein Blick fiel auf seine Koffer, welche gestern unberührt stehen geblieben. Damit war für's Erste gesorgt. Er stand auf und fing an, sie auszupacken.
Das ist eine der sinnigsten Menschenarbeiten und jedenfalls das harmloseste Sonntagsvergnügen in allen fünf Zonen auf beiden Hemisphären. Die Bagatells, welche der kurzsichtige Sterbliche „leblose Dinge” nennt, sind keineswegs so leblos, als es scheint: Stoff, Form oder Farbe spricht auf irgend eine Weise zu irgend einem Sinne und ein Widerschein geschichtlicher Erinnerungen spielt um die geringste Einzelnheit. So gehen die Gegenstände mit einer sanften träumerischen Muße durch die Hand, ja, es bleibt überhaupt unentschieden, ob die Hand oder die Phantasie bei einer Arbeit dieser Art vorherrscht. Leuchtet dazu ein blauer geräuschloser Tag zu hellen Fenstern in die einsiedlerische Stube, so faßt sich das Ganze in eine gewisse Stimmung zusammen, welche scheinbar mit Taschenspiegeln und Rasirmessern nichts zu thun hat, aber nichts desto weniger da ist, und recht tief und lebendig da sein kann.
In dieser Stimmung hatte der Freund seine geliebte, wohlverpackte Violine vorgefunden und aus den ersten Probegriffen um die Reinheit des Tons wurde unvermerkt ein langgezogenes Spiel. An's Fenster gedrückt, das Auge über Fluß und Land und durch die tiefblaue Heiterkeit des Morgenhimmels schweifend, stand er da und brachte der neuen Welt das erste Liebesopfer einer klangreichen Seele. Die heimathlichen Weisen quollen in reicher Strömung aus dem schönen Instrumente, eine Phantasie, die sich an ihrer eigenen Fruchtbarkeit hinriß, reihte Blume an Blume, hing Kranz neben Kranz auf, und vor dem inneren Auge des Künstlers stand vielleicht ein Freundeskreis von fernen, lieben Menschen, werth, daß sie eine Seele in ihren guten Stunden mitgenießend vergegenwärtigte.
Als Moorfeld eine Zeitlang so vor sich hingespielt hatte, klopfte es. Herr Staunton trat ein und erkundigte sich, im hochgesteiften Vatermörder, den französischen Hut in der Hand, um das Befinden seines Gastes. Moorfeld dankte, und wies auf seine Violine, das Zeichen seiner aufgeweckten Kräfte. Ein vorzügliches Instrument, ein klangreiches, melodisches Instrument, rief Herr Staunton, geschehe mir anders als ich wünsche, wenn ich Ihr Spiel nicht mit dankbarer Freude belauscht habe. Ich muß die Wahrheit sagen, Herr Doctor, ein ganz köstliches Holz! Ach, das Vergnügen der Kunst wird mir zu selten zu Theil, als daß ich's nicht lebhaft zu schätzen wüßte. In der Woche besetzt das Geschäft und der Clubb die Tags- und Abendstunden, und am Sonntage kann man in sämmtlichen Staaten der Union keinen musikalischen Ton hören, wenn nicht glücklicherweise vielleicht von einem Fremden. Unser frommes Land hält Klang und Saitenspiel für eine Sünde am Tage des Herrn; aber ich denke wohl, meine Nachbarn sind bereits in den Kirchen, man wird uns kein Aergerniß nachsagen, Herr Doctor. Der junge Europäer legte rasch, als ob es entweiht wäre, sein Instrument hin; sein dunkles Auge schoß einen wilden Blick, voll von dem Genie des Zorns. Der Amerikaner nahm die Gelegenheit wahr, als er seine Mission erfüllt sah, mit Höflichkeits-Formalitäten wieder seinen Rückzug zu nehmen.
Moorfeld fuhr im Aufräumen seiner Koffer fort, aber wir können in dieser
ausdruckslosen Arbeit eine merkliche Veränderung des innern Ausdrucks wahrnehmen.
Das harmlose Adagio seines vorigen
Die beste Flucht vor dem Sonntag wäre natürlich direct in den Sonntag hinein gewesen. Schon als Sittenbeschauer der Menschen konnte der Fremde nichts anders, als heute die Kirchen besuchen. Wahrscheinlich hätte es Moorfeld auch gethan — ohne Herrn Staunton's Morgenbesuch. Dieser aber trieb ihn begreiflich — in die Opposition. Andächtig zu sein mit Andächtigen, welche „Aergerniß“ an einem Adagio nehmen — in Europa sieht es Jedermann ein, daß das einem Europäer nicht möglich war.
Dazu kam das Sonntagsgeläute. Wie wurde unserm Freund als er in Newyork läuten hörte, wie man in Europa zum Feuer „anschlägt“ ? Anfangs glaubte er wirklich die ganze Stadt brenne, als das eintönige Gehämmer von allen Kirchen zu arbeiten anfing. Mit empörter Seele rannte er in die Einsamkeit. Wir wüßten auch nichts, was von dem Menschen mehr hinwegscheucht, als solch ein äußerster Grad seiner Rhythmuslosigkeit. Höchstens noch ein Diner aus Fett und Pfeffer und Champagner mit Brandy. Wahrlich, unser Freund zieht eine starke Summe seit gestern. Ein Volk das nicht einmal die Instincte des Gaumens und der Andacht — also die Grundpfeiler der sinnlich-sittlichen Menschennatur — zu erfüllen weiß, das wandelt doch weit ab vom europäischen Wege. In diesem Augenblicke ging ihm einstweilen Moorfeld selbst aus dem Wege. Er wandelte auf der Battery wo eben Niemand wandelte. Das frische Meer, der blaue Himmel, der weite unendliche Horizont stammend und spiegelnd im Lichte der kräftigsten Sommersonne ließen ihn ein paar Stunden so hinträumen. Notizbuch und Stift in seiner Hand verrathen uns, daß wir ihn in Gesellschaft guter Geister wissen. Freilich sehen wir ihn eben so oft streichen als schreiben; es scheint ein kleiner Familienzwist in dieser Gesellschaft zu herrschen. Wenn es kein großer ist — bekümmern wir uns nicht darum.
Als Moorfeld zum Dejeuner in die gestrige Gruppe eintrat, fiel ihm „unser Daniel“ wieder mit neuer Schwere auf die Seele. Er beschloß sogleich die Conversation darauf hinzuleiten. Er glaubte mit einer Artigkeit beginnen zu müssen, und drückte dem Hause Staunton sein Bedauern aus, daß er heut morgen seine Sabbathruhe entweiht. Er hätte sein Violinspiel sogleich mit einem Spaziergang vertauscht, als er vernommen — aber die Damen Staunton sahen sich in diesem Augenblicke so bedenklich an, daß Moorfeld, ohne mehr zu sagen, vielmehr das schon Gesagte in eine erschrockene Erwägung zog.
Herr Staunton beschwichtigte die dreifache Verlegenheit und sagte mit einem liberalen Ausdruck: Die Vernünftigeren in Newyork werden nicht lange mehr einen Spaziergang für eine Profanation des Sonntags halten. Und macht es auch zur Zeit noch Niemand mit, namentlich während der Kirchenstunde nicht, so denkt man hier doch nachsichtiger darüber als z. B. in Boston. Ein Spaziergang, rath' ich, wird bald ein erlaubtes Sonntagsvergnügen in unsrer erleuchteten Weltstadt sein.
Ist's möglich?! rief Moorfeld auf dem Gange draußen, denn er hatte bei Herrn Staunton's Worten — was hilft es, die Wahrheit zu mildern — mit einem wahren Grimm seine Serviette niedergelegt. Unter dem Vorwande der gestrigen Indigestion war er aufgestanden.
Auf dem Corridor begegnete ihm Jack, der aufwartende Neger. Der Bursche lachte ihn
mit verzücktem Augenzwicken an, machte die Gebärde des Violinspielens, zuckte
tanzend mit den Fußspitzen und sagte kopfnickend: Sar, schön! schön! heut morgen;
Banjo in Ihrer Hand spricht gute Sprache, Sar! Mehr aus seinen Gebärden als aus
seinen Worten errieth Moorfeld die Meinung des Schwarzen. Er drückte ihm beide
Hände, indem er dem drolligen Gesichte gerührt, fast begeistert in's Auge sah.
Aber wir haben eine Sünde begangen, Jack, fügte er wehmüthig lächelnd hinzu, der
heilige Sonntag verbietet's. Ach, was macht man mit eurem Sonntag hier! — Man geht
zum Feuer, Sar, sagte der Neger, indem er den Ausruf für eine Frage nahm und als
solche gewissenhaft beantwortete. Zum Feuer, wiederholte Moorfeld verwundert, zu
welchem Feuer? — Ei, antwortete Jack, die jungen Herren von den Löschcompagnien
vertreiben sich den
Er fand am Kai schon die ersten Anfänge eines Zusammenlaufs. „Rooseveltstreet in der vierten Ward!“ riefen die Begegnenden einander zu. Auf Erkundigung hörte Moorfeld, daß der genannte Bezirk am Ostflusse liege, also gerade auf der entgegengesetzten Seite der Stadt. Vergebens sah er sich rings nach einem Omnibus um, kein Fuhrwerk war irgendwo zu sehen und zu hören. Er merkte, daß auch hier der Sonntag im Spiele sei, und daß ihm als Fremden nur übrig bleibe, auf gut Glück der Richtung derjenigen zu folgen, welche denselben Weg einzuschlagen schienen. Das that er.
Die Menge des Straßenpublikums mehrte sich mit jedem Schritt. Der hochgeputzte Neger in weißen Handschuhen und Manschetten, das zarte Phantasiestäbchen balancirend, an seinem Arme die schwarze Schöne, die im weißen Kleide mit Rosaschleifen ihren äthiopischen Teint vortheilhaft, wie sie meint, zu heben weiß, der kurze Dandy-Frack, die strahlende Uniform, die schwere Sammtrobe, der wallende Federhut — das Alles eilte auf einen Schauplatz voraussichtlicher Unreinlichkeit mit größtem Eifer. Dazu malte sich auf allen Mienen, selbst der elegantesten Herren und Damen, eine gewisse Freudigkeit, ja schon der Umstand, daß sie aus so weiter Ferne zu einem so alltäglichen Ereigniß zusammenströmten, war bedeutungsvoll. Kurz, Moorfeld konnte unverhohlen wahrnehmen, daß die Leute die Zwangsjacke ihrer Sonntagsfeier begierig lüfteten, daß ihnen der Brand ein wahres Volksfest sei, und daß Jack's Vermuthung ohne Zweifel ihre sittenkundige Giltigkeit habe.
Unter diesen Beobachtungen gelangte er an den Ort des Brandes. Aus der Tiefe der
Straße, in deren Mitte seine Schritte unter dem Gedränge der Menschen kurz und
kürzer wurden, flackerte eine lichterlohe Feuersäule von einem auffallend lauten
Geprassel und Geknatter begleitet; es war ein Haus von Fachwerk, ein sogenanntes
Framehaus, dessen Sparren und Balken die gefräßige Flamme zusammenknirschte. Die
Löschmannschaft in ihren rothen Jacken, weißen Hosen und lackirten Hüten, kecke
Gestalten, denen die Welt zu gehören schien, bot in ihrer Haltung einen
sonderbaren Anblick von Wildheit und Eleganz. Vor allem machte sich ein junger
reckenhafter Bursche bemerklich, der gleichsam der potenzirte Ausdruck seiner
ganzen Compagnie war, über die er auch thatsächlich das Commando führte. In ihm
schien der Muth Uebermuth, die Wildheit Frechheit, die Eleganz Prahlerei, aber
auch ein gewisser Grad von Männerschönheit war ihm nicht abzusprechen. Das ganze
Unternehmen beseelte er mit einer quecksilbernen Raschheit; den Einen riß er von
der Pumpe weg, den Andern verdrängte er vom Schlauch, den Dritten warf er von der
Leiter, sein Eifer war allgegenwärtig — aber wer das Gebahren des Tollen nicht
blos begaffte, sondern ihm auf seinen Grund schaute, der merkte bald, daß seine
Begeisterung entweder der Rumflasche entstammte, oder daß sie Koketterie vor dem
Pöbel war, oder daß er Händel in seiner eigenen Mannschaft suchte: am
wahrscheinlichsten Alles zugleich. Der Anblick dieses Feuerbändigers war ganz
danach angethan, als ob er sich das Feuer heimlich erschüfe, das er öffentlich
bekämpfte. Wie er mit dem Brande umsprang, so schien Alles an ihm zu sagen:
Mit Fahnen und Standarten und einem lauten Hurrah! als gält's einen Triumphzug, erschien eine neue Compagnie auf dem Schauplatz. Bei ihrem Anblick gerieth Howland in Wuth. Es schienen seine ärgsten Parteifeinde zu sein. Wie eine wilde Katze schwang er sich auf die Feuerleiter und schrie ihnen entgegen: Was sucht ihr da in der vierten Ward? Zündet euch selbst ein Feuer an, wenn ihr eure JungfernSpritze einweihen wollt! Fort, fort, mit euch! Zugleich ließ seine Compagnie einen Hagel von Schimpfreden über die Eindringlinge niederregnen; man entnahm aus ihrem Geschrei, daß sie die Spritze der Andern in einem siegreichen Gefecht vor Kurzem zertrümmert, und Jene mit Fahnen, Standarten und einer neuen Paradespritze ihnen zum Trotz heute angerückt kamen. Selbst die Achter schienen durch die Erscheinung einer fremden Compagnie in ihrer Ward beleidigt, und einen Augenblick lang geneigt, ihre Partei zu wechseln. Inzwischen waren sie, begünstigt durch die neue Diversion, Herren des Brunnens geworden, hatten ihre Spritze schnell gefüllt, und richteten ihren Schlauch erst auf den hochstehenden Howland, dann aber auch auf die Köpfe seiner neuen Feinde. Diese wiederholten dasselbe Manöver, indem sie Howland von der andern Seite bombardirten, und sowohl seine als die achte Compagnie mit einem langreichenden Wasserstrahle bedeckten. Howland, wüthend wie ein angeschossener Eber, zog seinen Revolver und knatterte blindlings nach links und rechts unter seine Feinde; augenblicklich protzten und platzten die Pistoletts von allen Seiten gegen einander, jede Compagnie stand gegen jede, die Kugeln flogen hin und wieder, die Wasserbogen brausten auf und ab, dazu regnete es von der Höhe herab Feuerbrände, da die Flamme, schon halb gelöscht, während dieses Handgemenges neu aufflackerte. Die Zuschauer stoben entsetzt auseinander, hier rief eine Frauenstimme: ich bin getroffen! dort: ich brenne; die Männer schrieen: Watch! Watch! aber Polizei ließ sich nirgends blicken. Zuletzt verließ auch Moorfeld die Brandstätte und hatte — eine amerikanische Sonntagsfeier gesehen.
Zu Hause beim Diner sagte Herr Staunton: Sie kommen vom Feuer? Nun, mein Herr, dann werden Sie bewundert haben eine der herrlichsten Institutionen unsers freien und aufgeklärten Volkes. Wo, zwischen beiden Polen, finden Sie eine Feuerwehr wie die amerikanische? Unsere Spritzen sind leicht und zweckmäßig gebaut, ihr Mechanismus ist der vollkommenste, der sich denken läßt, ihr Aeußeres ist elegant wie ein Uhrgehäuse. Unsere Löschmannschaft ist die Blüthe unserer Jugend, ein Elitencorps, dem keine Nation der Erde etwas Aehnliches entgegenstellen kann: auf meine Verantwortung, mein Herr, das ist ein Factum über allen Zweifel erhaben. Diese vortrefflichen Jünglinge betrachten die Feuerwehr, was sie auch ist, als eine Schule des männlichen Muthes, der bürgerlichen Aufopferung, als eine Ritter-Akademie, in welcher die edelste aller Kriegswissenschaften gelehrt wird: der Kampf gegen das Element. Nichts gleicht ihrer kühnen Geistesgegenwart, ihrer heroischen Entschlossenheit, ihrer großherzigen Verachtung der Gefahr, ihrer Hingebung für die öffentliche Sicherheit des Lebens und des Eigenthums. In Wahrheit, eine Musteranstalt unsere Löschcompagnieen! Wir zeigen mit Stolz auf sie und nächst dem Unabhängigkeitsfeste ist uns kein Tag des Jahres so lieb, als der 14. Juni, der Gründungstag unserer Feuerwehr in Newyork. An diesem glorreichen Tage halten sämmtliche Compagnien ihren Festaufzug durch die Stadt, Deputationen aus allen Gegenden der Union schließen sich ihnen an, Musikchöre treten vor, die Straßen sind mit Blumen bestreut, die Fenster mit Teppichen behangen, die Tücher der Damen wehen, Fahnen mit schmeichelhaften Devisen flattern; in dieser öffentlichen Huldigung einer freien Nation ernten die edlen Jünglinge den einzigen Lohn ihrer uneigennützigen Bürgertugend. Es ist ein Schauspiel, mein Herr, werth, daß man um seinetwillen allein den großen Ocean durchschifft, und selbst die nächsten Sterne, rath' ich, müßten ihre Zuschauer senden, denn die Welt hat nichts Schöneres mehr aufzuweisen, es thäte mir Leid wenn's nicht wahr wäre. Ich wünsche Ihnen Glück, daß Sie noch rechtzeitig zu diesem erhabenen Nationalfeste eingetroffen sind, wenigstens hörte ich alle Fremde ohne Ausnahme unsern 14. Juni als den schönsten Tag ihres Lebens preisen, und ich verkehre viel mit Fremden, das darf ich behaupten. Aber was sagen Sie zu der heutigen Probe, Herr Doctor? Sie waren erstaunt — wie?
Moorfeld erwiederte: ein ritterlicher Zug habe ihn vor Allem angesprochen. In Europa sei es gebräuchlich, nur über dem Grabe eines verdienten Kriegers Gewehrsalven zu geben, höchstens erweise noch der romantische Waidmann dem letzten Röcheln eines verendenden Edelwilds diese Ehre. In Amerika aber sei es ausnehmend zart und sinnig, daß man auch das überwältigte Element mit militärischer Courtoisie behandle, und über dem gelöschten Brande, wie über einem gefallenen Helden, die Gewehre abfeuere. Ja, der Eifer für diese rühmliche Sitte ginge so weit, daß die edle Jugend dieses Erlöschen oft nicht einmal abwarte, sondern mitten im robustesten Brande Feuer gebe, und zwar auf sich selbst und das Publikum. Dieser letztere Zug habe ihm wieder heroische Bilder vor den Geist gebracht, nämlich die Fechterspiele der Römer an vornehmen Scheiterhaufen, oder auch jenes aufopferungsvolle Schlachten getreuer Waffenträger am Grabe ihres Herrn, welches bei den meisten Kriegervölkern des Alterthums geherrscht habe. Nur schienen ihm die Revolvers über eine ganz geringe Distanz hinaus kein sicheres Feuergeschoß mehr, so daß er glaube, die morgigen Zeitungen werden blos von Verwundungen, nicht aber von einem eigentlichen Opfertod zu berichten haben. — Herr Staunton erblaßte, als er in dieser ganzen Lobrede von einer jener Rowdie-Schlachten hörte, welche auf dem öffentlichen Leben Amerika's mit so großer Schande lasten; Moorfeld fuhr aber in seiner ironischen Anerkennung fort: daß die Sonntagsruhe Amerika's durch diese Sonntagsthätigkeit erst ihr eigentliches Relief erhalte, habe er überhaupt mit aufrichtiger Genugthuung erfahren. Es stand von den ungeheuren Energien Amerika's zu erwarten, daß das zurückgepreßte Leben auf irgend eine Weise sich zu entfesseln wisse, und zwar um so gewaltsamer, je strenger es gefesselt sei — ganz nach den physischen Kraftverhältnissen von Druck und Gegendruck. Dieses sonntägliche Kampfspiel der NewyorkerFeuerwehr sei ihm daher ein schätzbarer Commentar gewesen zu dem Briefe Paulus an die Römer XIV. 5, da er schreibt: „Welcher auf die Tage hält, der thut es dem Herrn, und welcher nichts darauf hält, der thut es auch dem Herrn.“
Das ist von allen verdammten Deutschen der verdammteste! murmelte Herr Staunton zwischen seine eingesetzten Zähne, als sein Gast mit einem verbindlichen Gruße vom Tische aufgestanden. — —
Moorfeld aber saß in einer ernsthafteren Stimmung, als er eben gezeigt hatte, auf
seinem Zimmer. Er revidirte den Plan seines newyorker Aufenthaltes. Bekanntlich
bringt ein Reisender an den Ort seiner Bestimmung irgend eine fertige Disposition
mit, deren Stichhaltigkeit indeß bald von den wirklichen Verhältnissen in Frage
gestellt wird. Dies war jetzt Moorfeld's Fall. Er hatte geglaubt, vor seiner
Weiterreise nach dem Landesinneren in Newyork, der ersten amerikanischen
Großstadt, Station halten zu müssen. Das Verständniß der hinterländischen
Zustände, hatte er gemeint, könne er sich dadurch rascher und in größeren Zügen
aufschließen. Ebenso hatte er durch Agentur sich Quartier in einem Privathause
bestellt: das Culturbild eines Volkes, nahm er an, könne ein Beobachter nirgends
directer studiren, als an der Quelle aller Cultur, in der Familie. Diese
Voraussetzungen waren es, welche er nun noch einmal durchprüfte. Daß die Stadt
nothwendig die idealisirte Physiognomie des Landes darstelle, ist vielleicht,
überlegte er jetzt, blos europäisch gedacht; in Amerika möchte das Gegentheil
walten. Ein Agriculturland, wie es ist, liege sein höchster Charakterausdruck wohl
eben im Lande, und die Stadt sei nur eine Pantomime, ein Nebenumstand, eine Art
Pseudoplasma. In der That, schien es ihm jetzt deutlicher zu werden, was er schon
Angesichts der Feuerlösch-Emeute dunkel zu fühlen geglaubt. Er hatte sich der
Wildheit dieser Scene nicht rein zu erfreuen vermocht. Er hatte den gesunden,
naiven Kraftdrang eines Volkes, das sich so sprichwörtlich das jugendliche nennt,
in der Balgerei jener Bursche doch nicht recht durchempfunden. Er glaubte, jede
deutsche Bauernschlacht weise mehr robusten Vandalismus auf; in dieser Newyorker
Jugend läge vielmehr ein gewisses Etwas, das gerade das Gegentheil vermeinter
amerikanischer Ursprünglichkeit sei: nämlich eine reflectirte, theatralische
Frechheit, eine Emotion von matten und früh verbrauchten Kräften, die höchstens an
der Nachsicht der Polizei zu einem Strohfeuer aufprasselt, wie es den Europäer
vorübergehend blendet. Kurz die Ahnung beschlich ihn, ob eine amerikanische Stadt,
anstatt die potenzirten, nicht vielmehr die blasirten Elemente des Volkslebens zur
Erscheinung bringe, den oberflächlichen Schaum einer reinen und gesunden Gährung,
deren Proceß sich auf andern Schauplätzen vollziehe. Was zweitens das Culturbild
von Herrn Staunton's Familie betraf, so gab sich unser Freund Mühe,
Diese Betrachtungen waren es, welche Moorfeld, nicht so wohl machte, als vielmehr
nicht abhalten konnte von sich. Er streckte wahrlich die Hand nicht freiwillig
nach einer Erkenntnißfrucht von so herbem
Inzwischen lag der Sabbath auf der Stadt draußen, wie eine eiserne Maske. Moorfeld stand in seinem Fenster und betrachtete fast bewundernd das große, allgemeine Nichts. Es kam ihm wie eine Art Kunstwerk vor, dieses Schweigen hervorzubringen. Einem Organismus, wie Newyork, eine solche Generalpause aufzulegen, schien ihm der höchste mechanische Triumph. Vor seinem Fenster fluthete der Hudson, aber die Schiffe lagen darin, wie eine Heerde geschlachteter Lämmer. Am Himmel brannte die Sonne zwecklos, und sein weitgespanntes Blau zuckte und sprühte von Licht, aber nirgends die Staffage einer einzigen Rauchsäule! Er horchte weit und breit in die Welt hinaus — kein Wagen rollte, keine Menschenstimme scholl von der Straße. Er dachte an die Lärmscene des Brandes zurück — ein Jahrhundert schien ihm vergangen seitdem.
Er brannte sich seinen mächtigen Türkenkopf an und wanderte auf und ab in der
Stube. Die Scene fing an Eindruck auf ihn zu machen. Von Zeit zu Zeit blieb er
wieder am Fenster stehen, und starrte in die Langweile hinaus. Allmählig füllt
sich sein Auge mit Geistern, seine Mienen spannen sich und zeigen jenen Ausdruck,
welcher verräth, daß die inneren Gedankenkreise in Fluß gerathen. Ja, er hat
Funken gefangen von der Langweile. Die Langweile ist ihm zum Pathos geworden. Mit
jener feinen dichterischen Saugader, welche jeder Erscheinung ihren Geist
auszusaugen weiß, zieht er Leben aus der allgemeinen Leblosigkeit, Ideen aus dem
absoluten Stillstande.
Wir haben uns nicht enthalten, diese Verse mitzutheilen; sie schienen uns besser,
als wir's beschreiben möchten, die eigenthümliche Puritanerluft, in der sie
empfangen sind, zu versinnlichen. Mit schroffer, liebloser Kürze berührt das Lied
schwere Gedanken ohne sie auszu
Und so vollbrachte der Europäer seinen ersten amerikanischen Sonntag.
Wiederholen wir uns im Kurzen den gestrigen Gedankengang unsers Freundes, so kam er zu dem Ziele: Amerika ist im Urwald; die Großstädte der ganzen Erde sind einander familienähnlich. Und wie die brausende Riesenorgel Newyork heute von Neuem ihre WerktagsRegister wieder spielen läßt, so winkt ihm über all dem betäubenden Stadtgewühl jetzt das Friedensbild von Wald und Prairie. Wie eine selige Luftspiegelung schwebt ihm das Bild zu Häupten, rein und vernehmlich blickt's dem Erwachenden durch die Morgenfenster und läßt Tags über nicht ab, mit wonnevollem Geflüster sein Gemüth zu treiben und zu kräuseln. Das ist ja die Schönheit des genialen Menschen vor dem beschränkten und kleinlichen: wenn dieser den Erfahrungen gegenüber an Wärme verliert, so wirft sie jener auf neue und immer wieder auf neue Theile und unter der Schneelocke noch bricht ihm ein junges, glaubensfähiges Herz.
Moorfeld geht also heute lebendiger als je dem Gedanken seiner Ansiedlung nach. Ob wir ihn deßwegen sogleich in die Schatten der Urwälder verschwinden sehen — überlassen wir das dem ehrlichen Generallandamt. Wir werden sehen. Begleiten wir ihn auf den Weg dahin.
Das Generallandamt ist der Ort, wo Congreßland verkauft wird. Käufer und Rathgeber
der Käufer umschwärmen das Gebäude zu allen Stunden des Tages; nie wird sein
Inneres von Menschen leer,
Als Moorfeld in die Straße eintrat, erregte er die Aufmerksamkeit eines Herrn von feinem, fast vornehmen Aeußern, der ihn prüfend, aber nicht länger als anständig, betrachtete, dann vor ihm stehen blieb und ihn höflich anredete:
Mein Herr, Sie sind Ungar, wenn Sie meine Freiheit entschuldigen wollen?
Ihnen zu dienen, mein Herr, — von deutscher Familie in Ungarn gebürtig.
Die höfliche Haltung des Fremden erwärmte sich. Und kommen in der Absicht, sich anzukaufen? fuhr er fort — in diesem Falle erlauben Sie mir, daß ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin österreichischer Gesandtschaftsbeamter und speciell employirt, unsern Staatsangehörigen bei Landkäufen in jenem Hause meine Dienste anzubieten. Das Vorurtheil der meisten Auswanderer gegen alles was heimatliche Behörde heißt, ist leider ein solches, daß sich die Gesandtschaften fast aufdrängen, ja in ihrem Charakter verläugnen müssen, wenn sie die Ihrigen vor Schaden bewahren wollen. Doch Ihnen gegenüber ist dieses Vorurtheil natürlich als nicht vorhanden anzunehmen. Ihnen präsentire ich am besten gleich meine Legitimation. Hier ist sie. Ich stehe Ihnen bei Ihrem Kaufgeschäfte mit Rath und That zur Verfügung.
Dankbar anerkannt, mein Herr; ich glaube auf Ihre Güte verzichten zu dürfen.
Es ist auch nur eine Formel in diesem Falle. Der intelligente Immigrant bedarf dessen nicht, ich weiß. Erfüllte Amtspflicht, nichts weiter. Entschuldigen Sie mich. Ihr Diener, mein Herr.
Der Fremde wandte sich zum Gehen. In demselben Augenblicke aber hielt er inne, zog
seine elegante Brieftasche und überreichte Moorfelden seine Karte mit den Worten:
Wenn Sie nicht pressirt sind, mein Herr, so bitte ich mir vor Ihrer Abreise das
Vergnügen auf
Aus welcher Gespannschaft, wenn ich bitten darf, fragte Moorfeld, der sich erst jetzt den artigen Herrn aufmerksamer ansah.
Aus dem Zempliner Comitate, Ujhely ist meine Geburtsstadt, war die Antwort des Fremden. Und mit einem Seufzer, den er nur mühsam in die gemessenen Formen zurückpreßte, fuhr er fort: Ich wollte, ich wär' wieder dort! Ubi bene ibi patria — ganz recht — aber wo ist's denn bene, wo ist's denn optime, wenn nicht eben in unserm herrlichen magyár-örszag? Ach säß' ich noch als Conzipist bei der Palatinaltafel! Sie thaten Unrecht, bárátom — Pardon „mein Herr“ sagt man hier — Sie thaten Unrecht, mein Herr, aus einem Lande wie Ungarn auszuwandern. Was können Sie bessers dafür eintauschen? Darf ich fragen, wo Sie Ihre Niederlassung projectiren?
Ohio ist stark in Aufnahme, sagte Moorfeld.
Durch den neuen Ohio-Erie-Kanal, allerdings; aber, — fluchte der Gesandtschaftsbeamte mehr naturwüchsig als diplomatisch, — Gott verdamm' mich, wenn ein Mann von Bildung aushält in einem Lande, das just in Aufnahme ist. Ein solches Modeland ist wie eine Cloake, ein wahrer Abzugsgraben. Alles Gesindel strömt da zusammen die bornirtesten Race-Unterschiede haben ihr ekelhaftes Spiel, Parteisucht, Mord und Todschlag sind an der Tagesordnung. Nein, mein Herr, Sie sind ein viel zu feiner Culturmensch für solche Schlammwirbel. Sollt' ich Ihnen rathen — Sie sehen ich falle nicht aus meinem Amte, lächelte der Sprecher — so ging' ich diesem wilden Landspeculationsschwindel aus dem Wege, und suchte mir ein reservirteres Plätzchen.
Zum Beispiel? fragte Moorfeld.
Die beiden Männer waren inzwischen, da der Beamte mechanisch seine Schritte an
Moorfeld anschloß, die Straße hinabgekommen und in's Erdgeschoß des Landamtes
eingetreten. Sie standen in einer Halle, welche die Vorhalle zu den verschiedenen
Bureaus des Amtsgebäudes war, zugleich aber nach Art einer Börsenhalle den
Selbstzweck eines öffentlichen Besprechungsortes zu haben schien. Dazu war
Er selbst bedurfte aber großer Ueberwindung, diese Schwelle zu betreten, denn der erste Blick auf den Marmorboden glitt in eine so häßliche Spucknapfpfütze, daß sich seine ganze Natur schauernd am Eingange sträubte. Nur der Gewandtheit seines Führers gelang es, ihn geschickt durch die gangbarsten Stellen dieses Speichelmeers durchzubugsiren, während Moorfeld selbst keine andre Rettung erkannte, als seine Fußspitze überhaupt nicht mit dem Auge zu verfolgen. Sein weißes Steg-Beinkleid gab er übrigens auf.
Sehen Sie dieses Terrain hier; das ganze Gebiet des untern Missouri, sagte der
Fremde, indem er Moorfelden vor eine der vorhandenen Karten führte, das ist der
vorzüglichste Boden für unsre Nationalität. Wir Ungarn acclimatisiren uns schwer
an Land und Leute; auf diesen Prairien aber leben Sie wie auf unsern Pußten. Leute
siedeln noch wenig hier und das Land — wenn zwischen beiden Polen ein Erdwinkel
unserm schönen und fruchtbaren Ungarn gleicht, so ist es dieser. Die Ueppigkeit
des untern Missouri spottet allem Glauben. Ganze Wälder gibt's hier, die aus dem
Geschlinge eines einzigen Baumes bestehen; andern Orts fanden die Landvermesser
wieder auf einem einzigen Morgen vier Arten von Wallnußbäumen, drei Arten Eichen,
zwei Arten Ulmen, den virginischen Kirschbaum, den canadischen Judasbaum,
Pflaumenbäume, einen Maulbeerbaum, Eschen, Linden, Sassafrasbäume, Storaxstauden,
Papawbäume, den blumenreichen Cornelbaum, den Eisenholzbaum, den Häckberrybaum,
Platanen, Weinstöcke, Haselstauden, Brombeeren und Hollunder. Rechnen Sie
Während der Gesandtschaftsbeamte so sprach, fingen zwei Männer in einer benachbarten Gruppe lauter zu reden an, dem Scheine nach zwar unter sich, doch so, daß es Moorfeld deutlich vernehmen konnte. St. Louis hat eine hügelige Lage, sprach einer der Männer, und ist nur darum bewohnbar. Wer Ihnen aber St. Charles empfiehlt, den betrachten Sie als Ihren Mörder und Todschläger. Ich will verdammt sein, wenn das Land nicht unterm Wasserspiegel von Missouri und Missisippi liegt. Es ist ein Loch für Regenwürmer und Ratten, Es ist das Hauptquartier der Fieberpest. Pfui, pfui, fort mit St. Charles! Ich sehe den Schimmel an den Wänden, und das Wasser von der Decke tröpfeln, wenn ich St. Charles nennen höre. Die Blockhäuser vom dortigen Holze haben alle den Schwamm. Mich schüttelt das Fieber, meine Natur geräth in Transaction bei dem Gedanken St. Charles. Sprechen wir nicht mehr davon, mein Herr!
Wir Ungarn heißen Gascogner und Bramarbasse, sagte Moorfeld's Landsmann lächelnd, aber diese Yankee's wissen die Hyperbel noch ganz anders zu handhaben. Haben Sie den Burschen gehört? Der allmächtige Schuft hat wahrscheinlich eine Handvoll Klippen und Felsen in Agentur, und schwärzt seinem armen Opfer, das uns vielleicht belauscht hat, das köstlichste Bottomland unter der Sonne nun mit des Teufels Pinsel an. Etwas fieberig ist die Gegend, das leidet keinen Zweifel, aber was schadet das einem Ungar? Sind wir in Sumpf und Niederung nicht geboren? Ich spreche nämlich von der reinen Race, denn im Gebirge sitzen die Slowacken. Wo sind Sie zu Hause, bárátom?
Ich bin von Saros-Patak im Banate, sagte Moorfeld mit fester Verwegenheit.
Nun dann kommen Sie, rief der Gesandtschaftsbeamte entschieden. Das besiegt auch den zartesten Zweifel. Ein Mann, dessen Wiege von den Ueberschwemmungen der Donau, der Theiß und der Maros zugleich bespült war, der kann ohne Sumpfluft gar nicht gedeihen. Der findet zwischen Missouri und Missisippi nichts als Brüste voll Muttermilch. Kommen Sie.
Moorfeld blieb stehen und maß den Mann, dessen unerschütterliche Fassung ihm fast imponirt hätte, mit einer Art von Bewunderung. Als aber jener sich die freundschaftliche Freiheit nahm, seinen Arm zu ergreifen, trat er gemessen zurück und sagte kalt: Alles wohl erwogen, mein Herr, so kehre ich wieder heim nach Saros-Patak im Banat. Vielleicht hat sich Saros-Patak inzwischen fünfzig Meilen nach Norden hinauf locomovirt, und sich eine halbe Stunde vor Ujhely hingelegt, was, wie ich höre, Ihr Geburtsort ist. Dann sind wir ja doch wieder Nachbarn. Mit diesen Worten wandte er dem Betrüger den Rücken, welcher mit einem damned! zwischen den Zähnen sich aus dem Staube machte. Dem unkundigen Leser sei aber zu wissen, daß Saros-Patak nicht eben bloß einen Ortsnamen, der möglicherweise öfter vorkommen könnte, sondern zugleich die Lage des Ortes bezeichnet, so daß daher: Saros-Patak im Banate — ungefähr klang, wie: Naumburg an der Saale in Würtemberg. Der Schwindler, der so vieles bruchstückartig wußte und mit hoffnungskühner Frechheit darauf baute, wußte zufällig dieses nicht.
Kaum war derselbe hinweg, so wendete sich von jenen beiden Männern derjenige,
welcher über St. Charles abgesprochen hatte, zu Moorfeld, und sagte mit der freien
lächelnden Stirn eines Glückwünschenden: Da sind Sie einen der ärgsten Gauner los
geworden, der je einen Galgen zu zieren verdient hat, Sir. Der Westen hat eine
große Zukunft, Sir, wer möchte es läugnen und der Missisippi wird jetzt, was vor
fünfzig Jahren die Alleghanie's waren — die zweite Parallele der Civilisation
gegen die Barbarei. Aber Donnerwetter, Sir, wer dürfte einen Mann von Ihrer espèce
zu einem Schanzgräber machen? Das überläßt man den Backwoodmens, den Squatters.
Wohlfeiles Land — ja, ja, aber nicht wahr die Baugefangenen in Ihrem Europa, Sir,
die mit Hand- und Fußschellen arbeiten, bearbeiten auch wohlfeiles Land, verdammt
wohlfeiles Land,
Um Gotteswillen auf ein Wort, Mr. Jones, die Herren verzeihen, daß ich störe, aber so wahr ich lebe, nur eine Secunde, Mr. Jones, ich bitte tausendmal! —
Mit diesen Worten und höchst eilfertiger Gebärde wurde der OhioMäkler von
Moorfeld's Seite weggerissen. Wir dürfen dringend vermuthen, daß der Mann, der
dieses that, im Einverständniß mit einem andern Makler stand, denn augenblicklich
trat ein solches Individuum heran und bemächtigte sich Moorfeld's. Mein Herr,
sagte dieser Ankömmling mit einer verbindlichen Gentlemanmanier, ich war stets ein
Verehrer der europäischen Gelehrsamkeit. Die Art, wie Sie Sprachen, Geschichte,
Sitten- und Völkerkunde in Europa betreiben, läßt sicher nichts zu wünschen, desto
mehr aber zu beneiden übrig. Ich bin überzeugt, wie Sie auf diesem Marmorwürfel
hier stehen, haben Sie bereits aus Europa eine Kenntniß Amerika's mitgebracht, die
vielleicht manchem Senator im weißen Hause zu Washington fehlt. Ich möchte
schwören darauf, es ist so. Nur Eins setzt mich in Erstaunen. Ich mache nämlich in
dieser Halle die Bemerkung, daß alle Europäer, welche hier eintreten und
amerikanisches Land zu besitzen wünschen, von der seltsamen Idee ausgehen, als
müßten sie dieses Land kaufen. In der That, mein Herr, ein Wahn, der mich höchlich
überrascht. Wird Amerika's Demokratie noch so verkannt in Europa, daß man unsern
Boden nicht anders einnehmen zu dürfen glaubt, als indem man die Taschen
wucherischer und beutebegieriger Land-Jobber füllt? Denn ich bitte Sie, mein Herr,
was ist der Kaufschilling, den Sie für Ihr Grundstück zahlen, anders als ein
ungerechter, ja schimpflicher Leibzoll, der als Abgabe auf Ihren physischen und
intellectuellen Arbeitskräften ruht, womit Sie dem Lande doch nützen? Oder sagen
Sie selbst!
Im Augenblick bin ich zu Diensten, mein Herr, antwortete Moorfeld, ich wünsche nur ein paar Worte mit einem Freunde zu wechseln.
Schon lange hatte ihm nämlich über die Schultern seines Partners hinweg eine hagere, spindeldürre Jammerfigur Zeichen und Winke gegeben, welche immer dringender, immer mystischer und inhaltsschwangerer wurden, so daß er zuletzt einen Geist zu sehen glaubte, der ihn pantomimisch um Erlösung beschwor, und dem er mit dem Reiz des Komisch-Schauerlichen folgte.
Sie wünschen, mein Herr? redete Moorfeld den Klappermann an.
Die Pflicht der christlichen Bruderliebe wünsche ich an Ihnen zu erfüllen, näselte
der Dürre mit einer sentimentalen Quäckerstimme und preßte seine kalte Todtenhand
in Moorfeld's warme und volle, indem er zugleich sein mißfarbiges Mausaugenpaar,
schwül seufzend, gegen die Decke des Saales schlug. Herr, ich riskire mein Leben,
fuhr der Quäcker fort, und fing fast zu weinen an, jener Original-Gauner aus
Arkansas, der Wallfisch aller Diebe, wird mir meuchlerisch nachstellen, weil ich
ihm sein Opfer entreiße; aber ich kann nicht anders, ich kann nicht, Gott helfe
mir, ich stehe in seiner Hand. — Moorfeld machte eine etwas ungeduldige Gebärde
gegen den Betbruder, der aber hielt ihn fest in seiner Froschklaue und zog ihn an
das äußerste Ende des Saales, in eine heimliche Nische. Aengstlich um sich
blickend, als fühlte er die Dolche der Mörder schon zwischen den Rippen, fing er
hier zu flüstern an: Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie mir gefolgt sind. Es wird
Sie nicht reuen. Hier sind Sie im Hafen. Einen Schritt weiter mit jenem
Seelenverkäufer und Sie waren verloren. Landverschenker nennt sich die
Teufelsbrut, ich aber sage Ihnen, Seelenverkäufer sind's. Das sage ich und das
beweise ich. Ja, ich beweise es, mein Herr; hören Sie mich an, wie ich es beweise.
Man schenkt Ihnen Arkansas-Land. Gut. Man legt Ihnen Karten vor, schraffirt,
colorirt, Wald, Prairie, Bottomland, Straßen, Flüsse, große Städte — Alles ist
darauf gezeichnet, gemalt, daß das Herzchen im
Diese letzteren Worte fühlte Moorfeld schon längst in sich selbst Thatsache geworden, denn unüberwindlich war seine Lust, dem frommen uneigennützigen Warner eben so schlechte Absichten zu unterlegen, als den übrigen Herren Collegen desselben. Er hielt es in der That nicht aus, die Wendungen und Uebergänge abzuwarten, auf die ihm das Ganze angelegt schien, und so fragte er mit jener ungeduldigen Lust am Bösen geradezu: Ach, sehr ehrenwerther Herr, wenn Sie selbst Land zu verkaufen hätten! dann wäre meiner Verlegenheit auf einmal ein Ende!
Schneller als ein Blitz zog der lamentable Tugendmann seine Hand aus Moorfeld's
Hand, fuhr sich an die Augen, und trocknete ein paar abwesende Thränen. Ich muß
fort; leider, leider, ich muß fort; ich kehre wieder zurück nach Alt-England. Sie
sollen's hören, was mich von hinnen treibt. Die Teufel! o Gott, die Teufel! Aber
ich muß fort, das schönste Landgut in den Staaten muß ich aufgeben! Schwarze
Dammerde mit Lehmunterlage und kalkhaltig, Herr, kalkhaltig — das Christenthum
gebeut Fassung, ein Unglück — aber dieser Kalk, Herr, und diese Dammerde, und
diese Lehmunterlage — mir bricht das Herz! Wer mir noch vor einem halben Jahre
gesagt hätte, ich würde diese Juwele aller erschaffenen Erde zwei Dollar per Acre
verkaufen wollen, da mir Reverend Daniel Gaskin aus New-Jersey noch bei seiner
letzten Durchreise zwanzig aufzudringen versucht hat — ich bin Temperance-Man,
mein Herr, sonst würde ich Sie auf eine Flasche in Mr. Distel's bar bitten, die
teuflischen Intriguen anzuhören, die mich
Es muß wohl ein einziger Acre gewesen sein, denn seine ganze übrige Landstelle ist nichts als eine senkrechte Felsenwand, an die auch keine Raupe in die Höhe kriecht, viel weniger ein menschlicher Pflug.
Der Mann, der so sprach, schlenderte mit den Händen in der Hosentasche und einem frischfrohen Apfelgesichte um unser Paar herum, indem er zu mehrerer Herzensvergnügung den „Yankee doodle“ pfiff.
Der Quäcker zuckte zusammen wie eine elektrisirte Katze. Sein Haar sträubte sich, seine grauen Glasaugen sprühten Blitze, seine vorfallenden amerikanischen Schultern neigten sich noch tiefer, wie der Stier zum Stoß, seine Fäuste ballten sich, seine Adern schwollen, rothe Zornflecke loderten in seinem falben Gesichte auf — kurz das seufzende Lämmlein ward auf einmal zu einer Mördergestalt.
Das Alles kümmerte den Andern nicht im Geringsten. Vertraulich zog er eine seiner
Hände aus der Hosentasche und legte sie der gebäumten Katze auf den Rücken, indem
er zu flöten aufhörte und zu
Kurz, von aller Vergangenheit, sagte Moorfeld, nur nicht von der Zukunft. Denn leider, mein Herr, zeigt Ihr Boden irgend einen geheimen, angehenden Schaden, den ich zwar weder in Landschaftsbüchern, noch mit leiblichen Augen einsehe; aber deßungeachtet ist er da, und verdirbt Ihnen die Sicherheit Ihrer ferneren Rente. Wie kämen Sie sonst auf den Einfall mit der Felsenwand?
Ich rathe, Sie sind ein smart-man nach Onkel Sam's Herzen, lachte der Mäckler, good bye, mein Herr! Reiten Sie so gut wie Sie gesattelt haben, über mich sollen Sie nicht straucheln, es thäte mir leid für Sie. In Wahrheit, ein schmuckes Gut, das meinige, gehen Sie drin 'rum wie der Staubpinsel im Uhrwerk, Sie finden kein Stäubchen Mackel dran. Denn die canadische Distel hat sich vorderhand nur im Nachbarfeld eingeschlichen; der Würgengel alles Unkrauts wird bei mir erst im nächsten Jahr aus dem Saamen schießen. Aber dann Gnade Gott dem Käufer, denn verkauft wird das Grundstück doch, oder ich habe nicht mehr Verstand als ein Fingerhut. Das Grünhörnchen soll sich schon finden, der's kauft, es thäte mir leid, wenn ich bangte. Sie sind's nicht, mein Herr, und das ist gut für Sie; aber nicht Jeder sieht, der die Augen offen hat, und das ist gut für mich. Good bye!
Moorfeld hatte das Haus verlassen. Seine Intelligenz zerriß das Gewebe des niedern
Humbugs, der sich im Entree herum trieb; ie fühlte sich aber nicht intelligent
genug, den höheren Humbug zu pariren, der in den Amtszimmern selbst sein
Hauptquartier haben mochte. Denn daß die Staatsbeamten, die Verkäufer des
Congreßlandes von Unions wegen, theils auf eigene Rechnung, theils im Solde der
Actiencompagnien ihre officielle Stellung nicht minder zur
Landspeculation
Als er hierauf durch die sonnigen Straßen dem nächst-besten Café auf der
Battery-Promenade zuwandelte, geschah es unter Reflexionen, von denen wir nur den
geringsten Theil wiedergeben können. Er betrachtete das Verhältniß eines
Gebildeten in Europa zu Amerika und entdeckte mit Erstaunen, daß es zunächst gar
keines war. Die deutsche Literatur über Amerika war zu Anfang der dreißiger Jahre
weder an Umfang, noch an Gehalt in einem Zustande, der von der Wichtigkeit ihres
Gegenstandes ein Bewußtsein verrieth. Der Umfang blieb hinter der weitläufigen
Peripherie des Beobachtungsobjectes unendlich zurück, und die Beobachtung selbst
war schlecht. Sie trug den persönlichen Charakter der Stimmung, statt den
weltgeschichtlichen der Kritik. Bücher, von einem liebenswürdigen aber
unhistorischen Dilletantismus geschrieben, sprachen von Amerika so, wie man
ungefähr am winterlichen Kamin von Nizza, Meran und vom Comer-See spricht;
gleichsam als wäre das sociale Leiden Europa's mädchenhafte Schwindsuchts-Poesie.
So schrieben Racknitz und Scherpf über Texas, Bromme über Florida, Duden über
Missouri, Gerke über Illinois, Andre über Anderes. Noch mehr aber als durch die
belletristische Ornamentik litt die Wahrheit des Gegenstandes durch die
politische. Der Liberalismus der Restaurationsperiode fand in Wort und Schrift
über Amerika eines seiner wenigen erlaubten Ausdrucksmittel. Er benutzte es
eifrig. Er feierte die Sternbanner-Republik als die praktische Verwirklichung
seines geächteten Ideals. Aus dieser Tendenz ging zwar die Wahrheit auf, aber
nicht die volle Wahrheit. Er hätte es für politische Unklugheit, ja für Verrath
gehalten, die Flecken seiner Sonne zu gestehen. In
Ueber das Project seiner Ansiedlung beschloß er sodann auf dem Ländermarkt zu Newyork überhaupt gar nichts zu unternehmen. Zog er aus dem so eben Erlebten die Summe, so gab ihm sein eigenes Schlußvermögen zunächst folgende zwei Rathschläge an die Hand: Erstens, nur an Ort und Stelle zu kaufen; zweitens, um die Zeit der Ernte zu kaufen, da der Acker gewissermaßen für oder gegen sich selbst zeugt und der Ertrag des Jahres so allgemeines Landgespräch ist, daß der Fremde unmöglich mit einer übereinstimmenden Fiction umsponnen werden kann.
Wir wissen nicht, ob wir es an diesem Orte ausdrücklich entschuldigen müssen, daß ein Romanheld mit leidlichem Menschenverstand zu Werke geht. Wer nach dieser Probe die prosaische Perspective seines künftigen Verhaltens fürchtet, dem geben wir zu bedenken, daß der Verstand, selbst im besten Falle, höchstens die gesetzgebende Gewalt ist, Gemüth und Stimmung aber die ausführende. Wie groß unsre Fähigkeit, uns zu behaupten, sein mag, unsre Fähigkeit, zu Grunde zu gehen, ist immer noch größer.
Bis zum Anfange der Ernte in Ohio, dem Lande seines Ansiedlungsprojectes, hatte
Moorfeld noch einige Wochen zu versäumen. Er konnte inzwischen jene literarischen
Ergänzungsstudien machen, die er zuvor als nothwendig erkannt, und überhaupt den
gelehrten Theil seines Haushalts, den er in der Isolirung des Hinterwalds nicht
be
Denn noch sah er keine dringende Ursache vor sich, mit diesem Hause zu wechseln, zumal da er den Tag größtentheils auswärts zubrachte. Genußvoll war aber sein Aufenthalt darin nicht. Ja, wenn wir später eine Summe von Ursachen zu einer betrübnißvollen Wirkung anwachsen sehen, so dürfen wir die ersten Posten dieser Summe vielleicht schon dem Hause Staunton anrechnen, das mit seiner stillcorrosiven Langweile und Kaltherzigkeit ein energisch-empfindendes Gemüth gewiß gründlicher als es ihm selbst bewußt geworden ist, auf den folgenden Umschlag vorbereitet hat. Sein Verhältniß, oder vielmehr seine Verhältnißlosigkeit zu diesem Hause war aber folgendes:
Mr. Josua Staunton öffnete über Tisch — und sonst sah ihn Moorfeld nicht — kaum
auf eine andre Veranlassung den Mund, als um Amerika's Lob zu verkünden. Er war im
Ausdrucke seiner Nationaleitelkeit eben so kindisch-übertrieben, als in der
Nichtachtung fremder Nationalitäten naiv-unverschämt. Moorfeld ließ ihn das
Lächerliche dieser Schwäche, wie gleich zuerst so auch fortwährend, durch die
Figur der Ironie fühlen; er antwortete ironisch, wenn er überhaupt antwortete.
Manchmal that er's auch nicht. Denn was sollte er einem Mann erwiedern, der sich
mit vollen Backen rühmt: unser südlicher Himmel, unsre nordische Thätigkeit, Geist
und Natur im Verein erhalten uns vor allen Völkern der Erde bei ewiger Jugend; Sie
werden in Amerika keinen alten Mann sehen — wenn die Backen desselben Redners
geschminkt, seine Zähne falsch, seine Haare gefärbt und die Rundung seiner Glieder
Baumwolle ist? Eine solche Herausforderung anzunehmen, fand unser Freund nicht
einmal im Scherze gentil: mitleidiges Achselzucken blieb ihm allein übrig. Und
doch schien der Gentleman noch immer näher auf Staunton's, als auf Moorfeld's
blühender Seite zu stehen; denn jener hatte, wie er auch übertreiben mochte, ein
achtunggebietendes Vaterland zu seiner Folie, diesem fehlte es. Um so sittlicher
es aber ist, eine Nation als ein Ich zu vertreten, um so mehr lag Staunton's
Stellung innerhalb und Moorfeld's außerhalb
Nicht gastlicher als Herr Staunton verschönerte ihm die Hausfrau seinen
Aufenthalt. Mistreß Livia Staunton trug zur Belebung ihres Hauses das ausgesucht
Wenigste bei, was ein lebendiges Wesen zu leisten vermag. Moorfeld erblickte diese
Dame kaum anders, als im Schaukelstuhl mit der Newyorker-Tribüne vor sich, oder an
ihrem Bureau, die Bibeln, Kinderstrümpfe und Seelen irgend eines geistlichen
Hilfsvereins verbuchend. Mrs. Livia Staunton war nämlich — um sie im vollen Rund
vorzuführen — actives Mitglied folgender Vereine: zur Verbreitung der Bibeln, zur
Vertheilung geistlicher Flugschriften, zur Bekehrung, Civilisirung und Erziehung
der Wilden, zur Verheirathung der Prediger, zur Versorgung ihrer Witwen und
Waisen, zur Verkündigung, Ausbreitung, Reinigung und Bewahrung des Glaubens, für
den Kirchenbau, zur Dotirung der Gemeinden, zur Aufrechthaltung der Seminarien,
zum Katechisiren und Bekehren der Matrosen, Neger und Freudenmädchen, zur
Beobachtung des Sonntags, zur Verhinderung des Schmähens und Fluchens, zur
Errichtung von Sonntagsschulen, zur Verhütung der Trunkenheit des weiblichen
Geschlechtes. Diese Titulatur war auf der Thür ihres Drawing-rooms unter Glas- und
Goldrahmen für jeden, der die Geduld dazu hatte, zu lesen. Ein solches
Etablissement von christlicher Werkthätigkeit gab freilich zu thun. Ihre Erholung
davon suchte und fand aber die würdige Frau nicht in ihrer Häuslichkeit, sondern
außerhalb, wenn sie mit Miß Sarah Sonntags im Kirchenstuhle träumte und Sonnabends
auf den Shopping ging. Dies sind nämlich die zwei Marktgänge, auf welchen das
weibliche Herz in Amerika seinen Bedarf an Galanterie sich besorgt. Daß den
Newyorkerinnen der Kirchenstuhl das ist, was den Pariserinnen die Loge in der
großen Oper, ein Empfangsalon für den Anbeter, ein Rendezvous der weltlichsten
Eitelkeit, dies zu erfahren hatte Moor
Nicht mehr Weiblichkeit als in der Mutter, konnte Moorfeld in der Tochter entdecken. Miß Sarah Staunton begegnete dem Hausgenossen mit der pflichtschuldigen Würde einer amerikanischen Jungfrau. Freilich wissen wir nicht, ob sie diese Würde um ihrer selbst willen repräsentirte, oder des Eindrucks wegen, den sie damit hervorzubringen meinte. Vermuthlich das Letztere. Und wenn sie ihre hochgewachsene Figur, die wir artiger aber erlogener eine majestätische nennen sollten, in das stolzeste Aufrecht zu schwingen meinte, so zuckte oft plötzlich ein seltsamer Geist durch diesen künstlichen Strebepfeilerbau, der seine architektonischen Linien wunderlich verschob, ihre Haltung bekam etwas Einseitiges, Hinhorchendes, ihr trübblaues Auge fing zu lauern, zu lauschen und zu rechnen an, ihr ganzes Wesen hatte etwas zwecklos Geheimnißvolles; sie glich einem schlechten Räthsel, das theils zu dunkel, theils zu deutlich und in seiner schließlichen Auflösung nichtig ist. Moorfeld hatte es längst aufgelöst und war eben nicht der Mann, einem Mädchen die Tugend der Koketterie für ein Laster anzurechnen; als sie aber nach Tagen und Wochen einer anständigen Vertraulichkeit Moorfeld's mit erhobenem Finger die Erinnerung zudrohte: Sie wissen, ich habe Ihnen noch zu verzeihen, Mr. Muhrfield — da erschrak er doch über die Armuth ihrer Mittel. Wenn sie schon das traurigste Genre von Koketten sind, jene Unversöhnlichen, die sich stets zu versöhnen haben, so war Sarah's Thema für dieses Spiel bereits in der ersten Stunde ein so erfindungsloses, unglückliches, daß die Fortführung desselben gegen all ihre weiblichen Instincte zeugte. Was konnte Moorfeld anders, als dieser platten Talentlosigkeit den Rücken wenden?
Damit aber war das Haus Staunton für ihn zu Ende. Die Domestiken des Hauses schied nämlich in Amerika so gut, wie in Europa die sociale Sitte von ihm; ja sie dictirte hier gegen den weiblichen Theil eine Zurückhaltung und gegen den männlichen, der größtentheils der schwarzen Farbe angehörte, ein Racenvorurtheil, wie beides der freisinnigere Europäer nicht kennt. Und doch lehrte ihn der erste Blick, daß in diesem Hause, wie häufig, den Dienenden mehr menschlicher Fond innewohnen möge, als den Herrschenden.
Hariet, das Kammermädchen, oder die „Gehilfin” wie der Sprachgebrauch sich
ausdrückte, besaß schon den Vorzug einer großen weib
Seine Bedienung lag in Jack's des Negers Händen. Diese Person hätte ihm freilich
nichts mehr als eine Maschine sein dürfen, wenn er amerikanisch correct dachte.
Aber so dachte er nicht. Zwischen ihm und dem Wollkopf spann sich manch zarter
Faden. Erstens liebte Jack sein Violinspiel. Zweitens war Jack der Koch des
Hauses. Moorfeld, um nur physisch zu existiren, gab ihm für seine Person einen
kleinen Lehrcurs in der euro
Von solchen Betrachtungen zerstreuten ihn nur wenig die Sprünge eines Kaninchens,
das im Hause aus- und eintänzelte und sich den Genossen desselben gewissermaßen
anreihte. Dieses Kaninchen war ein Geistlicher, Reverend Joe Brown. Der Mann war
ein ziemlich verlebter Vierziger, trug auch die wirklich alternden Züge eines
solchen, aber man konnte nichts Leichters und Luftigers sehen, als wie er in
Garderobe,
Zuletzt bewohnte Herrn Staunton's Haus auch noch — ein Schatten. Dieser Schatten
war ein Mann, oder ein Greis, überhaupt ein lebendiges Etwas, von dem nichts
weiter zu sehen war, als daß es eben lebte. Der alte Mann saß mitten im Sommer in
einem dicken, kragenreichen Carbonari-Mantel, den er genau bis an die breite
Hutkrämpe heraufgezogen hatte, so daß es viel eher möglich war, mit dem Detail der
Mondfläche, als mit den Umrissen seiner Gesichtszüge bekannt zu sein. Moorfeld
hatte sein Dasein nicht anders entdeckt, als eines späten Abends am Hauptthore, da
sie beide sich aufschließen wollten. Der Alte bedankte sich im gebrochenen
Englisch ausnehmend fein und gewählt, als ihm Moorfeld den Vortritt ließ und
huschte dann durch das dunkle Vorhaus nach einer entlegenen Hintertreppe. Bei
einem zweiten Zusammentreffen redete ihn Moorfeld mit einer Anspielung auf sein
dichtes Mantelgeheimniß an: Nicht wahr, Sir, die Sommernächte sind kalt hier
Landes? — Anche gli giorni Auch die Tage! , seufzte der Schatten, in sein
Hinterhaus verschwindend. Moorfeld fragte Domestiken nie um häusliche Verhältnisse
aus, damals konnte er aber den Neger, der ihn morgens weckte, kaum erwarten, um
nach dem Alten zu fragen. Ein Ueberrest von einem italienischen Opernbankerott,
hatte Jack gleichgiltig geantwortet. Aber Moorfeld vergaß jenes Wort nicht mehr.
Es war ein so ächter Naturlaut! Und wenn er noch manchmal das
Für das unerquickliche Leben in Staunton's Haus bot zuletzt die Lage desselben
einigen Trost. Hatte doch Moorfeld schon in Europa dieser Bedingung wahrgenommen,
und hier mindestens war ihm alle Genugthuung geworden. Er erkannte es mit
dankbarem Genusse. Wir sehen ihn manches Stündchen in seinem Fenster verrauchen
oder vergeigen, das sonst vielleicht ein Spaziergang geworden wäre. Bei der
anwachsenden Hitze der zweiten Maihälfte und dem unauslöschlichen Staub der
Newyorker Straßen lachte ihm der trockene tiefglühende Himmel des vierzigsten
Breitegrades mit grenzenloser Bequemlichkeit in's Haus herein. Unter seinen
Fenstern blaute der Hudson, breit, wie der Hellespont. Am andern Ufer,
stromabwärts zur Linken, nagelten und hobelten Zimmerleute eine neue Stadt,
JerseyCity, in die äußerste Landspitze hinaus; stromaufwärts, zur Rechten, grünte
der schattige Baumgürtel von Hoboken herüber, der alte Holländer-Park, Newyorks
classische Promenade. Mit seinem Dollond in der Hand mischte sich Moorfeld oft
in's Menschengedränge der breiten Ulmenalleen, und las dem speculirenden Kaufmann,
dem leichtsinnigen Matrosen, dem verhimmelten Quäcker und dem adonisirten Dandy
die Prätensionen ihrer unsterblichen Seele von der Stirn. Ueber Jersey-City und
Hoboken hinaus, erhob sich der Horizont zu sanften Hügelschwellen, auf welchen die
Kaufleute Newyork's in weitverstreuten Landhäusern saßen und Sommerruhe hielten.
Auf diese Eliten-Colonie, auf dieses Blumen-Bouquet Fortuna's richtete Moorfeld
sein Fernrohr mit besonderm Wohlwollen. Das vis-à-vis so vieler Glücklichen
erquickte ihn. Er wurde aus der Ferne Familienfreund ihrer Aller, er war ihnen
dankbar dafür, wie rosenfarbig ihr Wohlstand einherging. Mochte er erworben sein,
wie er wollte; ein Comptoir ist noch einmal so tugendhaft, wenn es in der
Orangerie liegt; und wer fordert auch eine bessere Tugend vom Menschen, als daß er
lache? Lachend aber waren sie wirklich, jene Villen und Gärten, lachend in des
Wortes verwegenster Bedeutung; nur Eins mußte ihnen Moorfeld zu ihrer Ueppigkeit
wünschen — Geschmack. Hierin glichen sie vollständig Kindern, welche mit den
Süßigkeiten ihres Lebens sich Backen, Mund, Kinn und Näschen coloriren,
und
Aber wenn das Costüm eines Volkslebens mit unserm Schönheitsgefühl im Widerspruche
steht, so ist es immer die zarte Sache des Augenblicks wie es uns afficiren soll.
Eine scheinlose Veranlassung, ein unbedeutender Zufall und die Stimmung kann eben
so schnell aus dem Humor in Aergerniß, ja in wahre Verzweiflung umschlagen, der
ästhetische Sinn seine Verletzung anstatt komisch, tragisch auffassen. Zweifeln
wir nicht, daß mit solchen Veranlassungen unsers Landsmanns Weg wahrhaft besäet
war. Vergessen wir nicht, daß Moorfeld auf einen verdorbenen Magen gebeten wird,
wenn ihn sein Banquier zufällig zu Gaste bittet; vergessen wir nicht, daß fast in
jedem öffentlichen Locale, in das er eintritt, sein Auge sich krampfhaft an den
Plafond klammern muß, wenn ein unbewachter Blick auf den Boden, d. h. in den
Speichel von tausend Tabakkauern ihm nicht das Gekröse im Leibe umwenden soll;
vergessen wir nicht, daß es solch kleine, aber unerschöpflich durchvariirte
Täglichkeiten sind, aus welchen unser Wohl- oder Uebelbefinden gewebt wird: und
wir entschuldigen gewiß unsern Freund, daß er mitten im Anschauen einer
großartigen Volksthümlichkeit das Große nirgends recht zu Gesichte bekommt, weil
es unter tausend widerlichen Zügen von Volksrohheit begraben liegt, deren
Abstoßungskraft der Anziehungskraft fast überall das Gegengewicht hält. Kurz, wenn
gemeine Naturen mit ihrem Thun und edle mit ihrem Sein zahlen, so war es dem
Europäer, aus dessen
Wir würden diese Anführungen in's Unendliche vervielfältigen müssen, um deutlich
zu machen, wie der Gemüthszustand unsers Fremden während dieser Tage in ein
Stadium eintrat, das sich nur schwer definiren läßt. Es ist ein eigenthümlicher
Scheideprozeß, der alle vorhandenen Elemente des Charakters in Auflösung setzt,
und indem er die Formen der Neubildung zunächst noch gar nicht errathen läßt,
unerträglich genug als ein eigentlich Charakterloses bezeichnet werden muß. Und
gerade Männer, die in der Heimath Subjectivitäten und Physiognomien ersten Ranges
waren, sehen wir in der Fremde auf diese unbegreifliche Weise plötzlich weit unter
sich selbst zurückgehen, wie uns denn z. B. die Berliner Freunde und Reisegenossen
Rückert's, dieser markvollen Mannesgestalt, vor welcher die römischen
Kindermädchen mit dem Angstschrei: „Simone Mago!“ Der Zauberer Simon! die Flucht
ergriffen, zum drastischen Gegensatz jener Anecdote den lächerlichen, ja
eigentlich feigen Zug zum Besten geben, daß dieser arme Zauberer selbst durch ganz
Italien nirgend zu vermögen gewesen, im Freien Platz zu nehmen, weil er in einer
beständigen Scheue vor Giftschlangen einhergewandelt. Dieses Schrecken der Fremde,
dieses unbehagliche Bewußtsein einer tiefen Gegensätzlichkeit zwischen sich und
dem Neuen, welches mit dem Worte der Schlangenfurcht gewiß nur poetisch
indi
Oft weilt er einsiedlerisch zu Hause, oft stürzt er sich in's Straßenund Hafengewühl: dieses wie jenes ohne Befriedigung. Dabei verfolgt ihn stets die Vorstellung, als gebe es außer dem sichtbaren Volksleben noch ein zweites unsichtbares, das ihm wie hinter einem Vorhange verborgen sei und dessen Enthüllung beselige. Gewiß liegt's im Urwald dieses Geheimniß von Amerika's Glück und Schönheit — aber Newyork, ein Sammelplatz von dreimalhunderttausend Menschen, welche Cultur treiben, sollte nichts davon zu verrathen haben? Im richtigen Winkel gesehen blitzt Thau und Schnee in ein Meer von Demanten auf, außer diesem Winkel sehen wir graue und gefrorene Wassertropfen. Nur ein Ruck, eine Wendung und der Zauber wird rings um ihn auflodern. Dieser Gedanke ist's, der unsern Freund fortwährend neckt, nach jedem Versuche ermüdend, zu jedem Versuch anregend.
Er bereut jetzt, daß er die übliche Aussteuer eines Reisenden, Empfehlungsbriefe, in Europa verschmäht. Im stolzen Instinkt der Originalität hatte er sie verschmäht und in der allerdings richtigen Annahme, sie möchten in Newyork eben so nutzlos sein als z. B. in Paris unentbehrlich, denn gewisse Völker seien im Salon, andere aber auf der Straße zu suchen. Nur der Umstand, daß seine Ankunft ohnedies in die sogenannte todte Saison fiel, konnte über jenes Versäumniß ihn wieder beruhigen.
Was also von idealeren Formen des hiesigen Volkslebens im Innern der Häuser — und zwar seltener Häuser — glänzen mochte, blieb unserm Freunde zunächst aus dem Sinne gerückt. Um so weniger versäumte er den Besuch der öffentlichen Kunstanstalten. Zwar legt der Amerikamer selbst den geringeren Accent auf diese Seite seiner Nationalgröße, indem er, wenn nicht von mangelnder Kunstbegabung, doch von „Anfängen“ redet, oder auch den „Einfluß Europa's“ großmüthig anerkennt. Er täuscht den Europöer nicht, überrascht ihn aber doch zugleich mit Zügen von Originalität, welche er selbst nicht geahnt hat, und welche diesem den Beweis liefern, daß das Fremde nie ein Vorausgesehenes ist.
So besuchte Moorfeld ein Ding, das sich Newyorker Bilder-Galerie nannte. Er that
es mit aller Bescheidenheit seiner eigenen Meinung und der der Einheimischen dazu.
Der Galerie-Director z. B. war freisinnig genug, ihm geradezu zu sagen, er würde
von Kunstwerken ersten Ranges nur Copien hier finden. Die Originale der besten
Italiener, die Danaen, die Leden, die Ganymede u. s. w. müsse man ein- für
allemale den verdammten Königen Europa's überlassen, sie erhöhten mit den Werken
des Genies den Glanz ihrer Kronen, und veräußerten ein classisches Gemälde so
wenig als einen Theil ihrer Souverainetät. Nach diesem Fingerzeig erwartete also
Moorfeld Copien. Rühren sie von europäischen Künstlern her, so erwartet er gute
Copien, von amerikanischen, so macht er sich auf ein wenig Verzeichnung,
Steifheit, Mangel an Vortrag u. dgl. gefaßt. Jedenfalls glaubt er vorbereitet zu
sein. Aber wie geschieht ihm, als er nun vor Figuren geführt wird, welche der
Director, sein artiger Führer, ein Danae, eine Leda, einen Ganymed nennt, und von
welchen er nichts zu sehen bekommt, als Köpfe, Finger und Fußspitzen? Die
griechischen Schönheiten
Ein andermal besuchte Moorfeld das Theater. Eine Temperatur von zwanzig Grad Réaumur nach Sonnenuntergang hatte ihm bei einem Glas Eis, in einem Battery-Café, bisher jeden Gedanken an Newyork's dramatisches Kunstleben im Hintergrunde gehalten. Aber die Melpomene des Landes verstand es ihn aufzurütteln. Ein zufälliger Blick Moorfeld's an eine Straßenecke brachte ihm eines Tags folgenden Theaterzettel vor Augen:
„Heute zum ersten Male: Die Abenteuer des Kapitän Ebenezer Drivvle. — Eine Auswahl
der rührendsten und heitersten Begebenheiten aus dem Bilde eines schicksalsvollen
Menschenlebens. (Nach einer wahren Geschichte.) Personen: Kapitän Ebenezer Drivvle
— Mr. Blount. Ein Heldenspieler ersten Ranges; ein Kraftmensch wie Simson und
Goliath, mit Erlaubniß einer hochwürdigen Geistlichkeit. — Benjamin Ridge, sein
Midshippman — Mß. Dooly. Eine gefeierte Darstellerin jugendlicher Männerrollen.
Laune, Uebermuth, Witz, Schalkheit, eine verwegene Grazie, die mit den Grenzen des
Anstandes spielt, ohne sie zu überschreiten, das sind einige von den Gaben dieser
liebenswürdigen Künstlerin, auf welche wir alte lebensfrohe Herren, die sich gern
ihrer schönen Rosenzeit erinnern, aufmerksam machen. — Nathanael Sanders, erster
Steuermann — Mr. Fletcher, ein meisterhafter Trunkenbold, sowohl im
humoristischen, als im abschreckendscheußlichen Fache. — Jonathan Hodge,
Gouverneur von Neu-Schottland, aber doch ein Ehrenmann — Mr. Morses. Bekannter
Virtuos in Darstellung einfältiger Blaunasen, welche, richtig behandelt, ganz Güte
und Großmuth sind. — Black Hamk, ein Indianerhäuptling — Mr. Murphy. Wir machen
auf die eiserne Bruststimme dieses Heldenspielers aufmerksam. Könnte Armeen
commandiren, wenn er sie hätte. Sein Volk schmilzt aber unter den Kugeln der
Kentuckyer-Büchsen zuletzt bis auf zehn Mann zusammen. Ist interessant tätowirt. —
Andrew Jackson Dewis, ein Sclavenhändler — Mr. Blackely. Ein tiefer Kenner der
Nachtseiten des menschlichen Herzens, ein ausgezeichneter Bösewicht. Weiß
besonders gräßlich zu sterben. — Magnolia,
Als Moorfeld diesen Zettel las, mochte er sich wohl, wie jeder Gebildete gethan hätte, vorstellen, daß damit ein anderes, als das Publikum seiner Farbe in's Auge gefaßt sei. Das aber ist die feine Menschenkenntniß des Marktbudenstyls, daß er mit pfiffiger Barbarei scheinbar an die Aermsten im Geiste appelirt und damit weit sicherer in die höheren Kreise hinaufreicht, als er umgekehrt mit der Sprache der Cultur die niederen ergreifen würde. Moorfeld war sofort entschlossen, dieser Vorstellung beizuwohnen, wenn er auch nichts Anderes erwartete, als in ein Winkeltheater gefahren zu werden, welches Leute seines Gleichen höchstens aus Ironie besuchen. Er nannte also dem nächsten Stage-Kutscher das Burton-Theater und bestieg den den Wagen. Aber er hatte sich geirrt.
Das Fuhrwerk setzte ihn in der Chamber-Street hinterm „Park“, d. h. im Brennpunkte der Stadt ab, und das Theatergebäude blieb in Größe und Bauform hinter keinem der ersten Schauspielhäuser zurück.
Um so besser, dachte der Fremde. Er wird also nicht unter, sondern mindestens auf der Linie der Kunst, oder dessen, was hier dafür gilt, das Gebotene sich bewegen finden und nicht der Neugierde, sondern wie immer, des Studiums wegen da sein. Bei diesem Bewandtniß wollen wir uns entschließen, seinen Theaterbesuch zu theilen. Folgen wir unserm Freunde jetzt in das Innere des Hauses.
Hier strahlte ihm eine Pracht entgegen, welche zwar nicht die Eleganz selbst war, aber nach amerikanischem Geschmacke, soweit ihn Moorfeld bereits kannte, doch den Anspruch machte, die Eleganz zu repräsentiren. Ein Blick auf das Publikum dünkte ihm schon befremdender. Er begriff, daß es keine Beutelschneiderei gewesen, als ihm der Kassierer, da er ein Parterrebillet gefordert, einen Logensitz für standesgemäß insinuirt hatte. Das Parterre war ein ausschließlicher Tummelplatz der Lehrlinge, Straßenjungen und Zeitungsausträger, kurz eines halberwachsenen Publikums in Hemdärmeln und Schurzfell, seine Diele glich überdies einer nassen Malerpalette, voll vom aufgesetzten Braun des bekannten Kautabak-Extractes.
Moorfeld nahm seinen Logenplatz ein. Er kam neben einen Gentleman zu sitzen, der ihm einige Aufmerksamkeit abnöthigte. Eine prächtige Dogge dehnte und streckte sich nämlich zu den Füßen des Mannes, und krümmte sich, nachdem sie die bequemste Lage aufgefunden hatte, in die bekannte Hufeisenform zusammen, indem sie ihre zierlich gespitzte Schnauze gar anmuthig zwischen den schlanken Hinterbeinen anbrachte. Hoho! rief der Gentleman dem Hunde zu, Sie wollen einschlafen? dann streichelte er zärtlich, fast rücksichtsvoll den Rücken des Thieres und fuhr fort: Sehr vornehm, wenn man Kemble und Talma gesehen hat, aber wenig aufmerksam gegen unsre Gastfreunde. Nicht zu exclusiv’, mein Freund, hören Sie? Verwundert betrachtete Moorfeld den Mann. Ein nicht zu verkennender Typus von osteologischer Steifheit, bei vollkommen geübtem Ausdruck von Selbstgefühl, verrieth den Engländer und den Mann von Stande zugleich.
Sein Kopf war von einem merkwürdigen Bau, denn während die vorgetriebene Stirn
sich stark auswölbte und die Nase scharf, gleich einem Widerhaken, vorsprang,
traten Mund und Kinn so plötzlich zurück, daß die obere Gesichtshälfte über die
untere gleichsam hinauszufallen schien. Eben so lag sein großes rollendes Auge
beinahe gänzlich außer seiner Höhle. Man glaubte in dem ganzen Kopfe das Modell
eines Plastikers zu sehen, der in dem Streben, durch Ausbildung der Denkorgane;
Geistigkeit zu erreichen, bis zum Exceß weit gegangen und eine so monströse
Geistigkeit hervorgebracht, daß sie direct in ihr Gegentheil umzuschlagen schien.
Die Ansprache an den Hund bestätigte dieses physiognomische Urtheil wahrhaft
verhäng
Unter diesen Recognoscirungen des Europäers fing die Musik an. Das Orchester war
nicht schlecht, ein Blick darauf lehrte aber, daß es größtentheils aus deutschen
Physiognomien bestand. Nun flog der Vorhang in die Höhe. Scene: Neu-Schottland,
der Gouverneur und der Sclavenhändler. Der Gouverneur, oder wie die Yankee's ihre
englischen Nachbarn nennen, die Blaunase, setzte durch ihre Charaktermaske den
Kunststyl der amerikanischen Bühne sogleich außer Zweifel. Seine Glieder bewegten
sich wie die Hand- und Fußgelenke einer Puppe, die sich um hölzerne Kurbeln
drehen, sein großcarrirtes Beinkleid saß ihm zu knapp, sein schwalbenschwänziger
Frack schlotterte zu weit, dazu umgürtete ein Shawl, wie eine Fenstergardine so
groß, seinen Hals, obwohl die Handlung in einem Zimmer spielte. Kurz, die
Charaktermaske war außerordentlich faßlich. Der Dialog begann. Der Sclavenhändler
hatte die Aufgabe, diese Monstrosität von Steifheit geschmeidig zu machen. Er
trat, wie er merken ließ, unter fal
Das Stück spielte weiter. Nach dem Sclavenhändler trat Benjamin Ridge, der junge
Schiffscadett auf. Er erklärt sich sterbens verliebt in Miß Jane Norwood, und geht
mit dem Plane um, sie auf dem Schiffe seines Patrons, des Kapitän Drivvle, zu
entführen. Das ist aber das nämliche Schiff, dessen sich zur Ausführung seines
Raubes auch der Sclavenhändler bedienen will. Der Mann und der Jüngling errathen
sich gegenseitig in ihrem Vorhaben und sind entzückt, daß sie sich nolens volens
zu Helfershelfern haben werden, indem Jeder sich zutraut, den Andern zu überlisten
und zu prellen. Moorfeld wagte nach dieser Exposition die Durchführung einer
bestimmten Intrigue und eine gewisse komische Seele des Stücks zu er
Natürlich retten sich die Hauptpersonen. Kapitän Drivvle hat auf dem Lande durch
die öffentlichen Blätter erfahren, daß der Gouverneur von New-Schottland für die
Zurückbringung oder auch nur für eine Nachricht von seiner Nichte eine hohe Prämie
aussetzt. Augenblicklich macht er den kleinen Abstecher nach Halifax, — eine neue
Scene mit der Blaunase. Doch das ist nur ein Intermezzo. Die Hauptaction ruft nach
New-Orleans auf den Sclavenmarkt. Der abscheuliche Andrew Jackson Dewis hat seine
Beute glücklich an Ort gebracht und bezieht mit ihr die Verkaufshalle. Menschen
von allen Schattirungen erfüllen dieselbe. Und eben wird wieder ein starker
Negertrupp aus den Züchtereien der Carolinen angetrieben, sie singen ihr Heimatslied
Der Prügel- und Walkmühlen-Prozeß endet zwar mit dem Siege der Unschuld, aber der
Sieg ist kein vollständiger. Der Sclavenhändler ist vertrieben, aber er schnaubt
Rache. Jane Norwood ist gerettet, aber während der Kapitän sie ehrlich nach Hause
führen will, gedenkt sie sein Schiffscadett nun erst auf eigene Rechnung zu
entführen. So wechselt sinniger Weise mit der Prügel- eine neue IntriguenScene.
Der liebenswürdige Benjamin macht sich nicht das geringste Gewissen daraus, seinen
Herrn der Hafen-Polizei zu verrathen und ihn am Auslaufen nach Halifax zu
verhindern, was ihm auch vortrefflich gelingt, da ganz New-Orleans
sclavenhändlerisch gesinnt und auf den Kapitän erbittert ist. Dieser hat Noth,
sich mit Jane Norwood auf den Landweg durchzuschlagen. Das eben sucht der Cadett
zu erreichen, denn der Landweg verspricht ihm ungleich günstigere Chancen für
seine Jagd auf das Mädchen. Ja, so wenig scrupulös ist der holde Jüngling in
seinen Mitteln, daß er unterwegs nahe daran ist, sogar mit dem Sclavenhändler sich
wieder zu verbinden; denn, calculirt er, es wäre doch besser, daß sie in
New-Orleans verkauft würde, er könnte sie ihrer Herrschaft dann jedenfalls mit
besserer Muße entführen, als so. Moorfeld erwartete an dieser Stelle nichts
Anderes, als ein neues Eier- oder vielmehr Orangenschalen-Bombardement, aber er
verzichtete sogleich auf jedes Urtheil über die sittlichen Anschauungen des
Hauses, denn das Publikum applaudirt vielmehr und ruft theilnehmend: a smart
fellow! Also keine gêne einer moralischen Volksmeinung, nur die höhere Rücksicht
auf eine ergiebige Prügelernte schien den Dichter geleitet zu haben, daß er die
schmähliche Allianz nicht doch verwirklichte. Denn während Benjamin Ridge und der
Sclavenhändler, der inzwischen durch einen Bund mit den Indianern
Der Sturm bricht los. Kentuckyer, Indianer, Alabamer — die Parteien sind so
gestellt, daß Alle gegen Alle kämpfen. Denn nicht Kampf, sondern Chaos soll es
zugleich sein. Nicht Schläge müssen fallen, sondern sie müssen auch unversehens
fallen, Jeder muß doppelt angegriffen werden: wie er's erwartet und wie er's nicht
erwartet. Das gibt Ueberraschung und Schadenfreude, das belebt das allgemeine
Getümmel mit einer Menge interessanter Detailzüge. Oder was kann wonnevoller sein,
als zu sehen, wie der Schlagriemen gegen das Bowiemesser klatscht, während die
Flinte auf den Schlagriemen anlegt, und der Stahldegen rücklings die Flinte
anfällt? Solche Gruppen führen sich blitzgleich dem Zuschauer vor, lösen sich auf,
arrangiren sich wieder, Alles reißt sich im Wirbel einander fort, die ganze Masse
ist im glühenden Fluß, ein Feuer durchrast diese Action, das gegen deutsche
Theaterschlachten absticht, wie eine Brandrakete gegen ein fliegendes
Glühwürmchen. Das Gemälde fällt freilich aus dem Scheinbaren in die baarste
Wirklichkeit, aber wenn die dramatische Kunst hier aufhört, so wird wenigstens die
unglaubliche Gymnastik bewundert, womit sich der Menschenknäuel wirklichen
Tödtungen und Verwundungen entzieht, da er gleichwohl einen wirklichen Kampf
aufführt. Auch die exactesten Theaterproben, scheint's, können ein solches
Ensemble nicht herstellen, und wie enorm wären die
Der Engländer fuhr wie aus dem Traume empor und fragte den Frager naiv: Sind Sie dem Stücke gefolgt? Moorfeld erstaunte. War das aristokratische Gleichgiltigkeit, oder — die Zerstreutheit eines Irren? Betreten antwortete er: daß ihm der Verfolg eines Theaterstücks allerdings der Zweck des Theaterbesuches sei. Wahrscheinlich sind Sie selbst Dichter? gab der Engländer zurück. Wir wissen nicht, ob wir das Erstaunen Moorfeld's in diesem Augenblicke Bewunderung nennen dürfen, aber mit einem Ausdrucke, der sonst viel zusammengesetzter zu beschreiben wäre, antwortete er: Ich bin nicht dramatischer Dichter. — Also doch, erwiederte der Engländer ohne Umstände. Damit war der Dialog zu Ende. Der Engländer schien Moorfeld's erste Anrede vollständig vergessen zu haben. Aber vor dem Spektakel war inzwischen seine Dogge erwacht, sie sprang mit den Vorderfüßen gegen die Brüstung und fing unter dem Gelächter des Hauses laut nach der Bühne zu bellen an. Der Engländer brachte das Thier zur Ruhe — nicht wahr, das appellirt an die bestialische Natur? sagte er im Tone eines freundschaftlichen Vorwurfes. Moorfeld schüttelte den Kopf. Auf einmal wandte sich Jener wieder an ihn: — Von den Comparsen sprachen Sie? Es sind lauter Volontairs. Die Newyorker Rowdies wirken aus Liebhaberei mit, auch kommen Wunden und Tod wohl im Ernste dabei vor. Ich bin nicht mehr fremd genug hier und habe dergleichen selbst schon erlebt. — In der That, das war die einzig mögliche Erklärung einer solchen mise en scene. Mit einer ironischen Form dieser Anerkennung sagte Moorfeld, er hätte es allerdings denken sollen, daß nur die aufopferndste Theilnahme des Publikums solche Kunstblüthen zeitige. Der Engländer nickte lächelnd.
Staub, Pulverdampf, Geschrei und Getrampel hatte endlich ausgespielt; das
Schlachtfeld wurde leerer. Zurück blieb zuletzt nur der Sclavenhändler Andrew
Jackson Dewis. Er war in der „Affaire” tödtlich getroffen worden, und hatte jetzt
sein großes Spiel. Er hatte zu sterben. Sollte das ein Glanzpunkt in der
Kunstleistung des
Der Künstler führte nun folgende Scene auf. Mit der klaffenden Todeswunde in der
Brust, aus welcher er einen wirklichen Strom von rother Flüssigkeit hervorrinnen
ließ, dachte er vorerst an's Sterben noch nicht. In bestialischer Kampfeswuth rast
er wie unsinnig auf der Bühne umher, ganz Rache gegen seine Mörder, schwingt
seinen Schlagriemen, peitscht, geißelt, klatscht in die Luft, gegen die Coulissen,
an den Boden. Fürchterliche Gießbäche von Flüchen schallen aus seinem Munde und
bezeichnen eine noch kraftvolle Lunge, während das rinnende Blut überall seinen
Schritten nachtröpfelt. Aber indem seine Lebensgeister noch unbändig strotzen,
fängt sein Körper zu brechen an. Glied für Glied knickt ein, man sieht den Tod
durch seinen Körper laufen, wie über eine stufenreiche Treppe, die Ober- und
Unter-Gelenke der Arme, die Ober- und Unter-Gelenke der Beine, jeder einzelne
Wirbel des Rückgrates bricht zusammen und muß dazu dienen, die Fortschritte des
Todes zu veranschaulichen. Der Künstler weiß seine osteologischen Mittel mit einem
Reichthume zu entfalten, der ein nur allzu genaues Studium bestaunen läßt. Der
Zuschauer verwundert sich über die Gliederung seines eigenen Körpers. Diesen
zerhackten, zerknickten, zersprungenen Leib jagt der Sterbende nichts desto
weniger heulend und brüllend noch eine Zeit lang umher, und stößt, schleppt und
schleift ihn gewaltsam in wilden Tigersprüngen herum, während seine Bewegungen
immer eckiger und brüchiger, von Tempo zu Tempo immer zusammenhangloser werden. Er
spielt sein Leben ab, wie ein ohrzerreißendes Drehorgelstück, bei welchem Stift
für Stift, von der Walze bricht. Und doch scheint er bis hierher seinen Tod nicht
empfunden zu haben. Dieser Moment tritt jetzt ein. Mitten im wildesten Sprunge
packt er ihn. Der Donner der Lippe erstirbt, der gehobene Fuß gefriert, der
geschwungene Schlagriemen erstarrt in der Luft, so steht er da mit ausholendem
Körper, und kann nicht mehr weiter. Der Schlagriemen in der rechten Hand taumelt
schlaff am Stiele herab, und leise zittert seine Spitze. Die linke Hand läßt von
der Brustwunde los und fährt mit den blutigen Fingern über die Augen, gleichsam
den
Moorfeld fand sich in einer der unangenehmsten Empfindungen nach dieser Scene. Es war keine Geschmacks-Faser in seinem ganzen Leibe, die nicht unerhört beleidigt, zu Gelächter und Abscheu entschieden bereit war. Und doch mußte er sich gestehen, daß in dieser brutalen Farce ein falscher und mißbrauchter Funke von Genie ihm das reine Aergerniß daran verkümmerte, daß die Affenfratze gewisse Züge von der Menschheit entlehnt hatte, die man sich erst aus dem Sinn schlagen mußte, um die Affen-Identität nicht zu verkennen.
Inzwischen übertäubte der Lärm des Hauses jede stillere Reflexion in ihm.
Namentlich zog das Parterre seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Jungen klatschten,
als ob man sich neue Finger, wie neue Handschuhe anschaffen könnte, sie
strampelten gegen den Boden, daß das Fundament des Hauses zitterte. Hoby, der
Newsboy, warf endlich vor Begeisterung seiner nicht mächtig, ein Münzstück auf die
Bühne,
Ist's möglich! rief Moorfeld mit einer unwillkürlichen Bewunderung, dieser Roheste der Rohen wirft seine ganze Tagesrente hin, weil er die Bestie, der er sie opfert, für Kunst hält. Welche Höhe müßte bei so viel Empfänglichkeit die Kunst selbst hier erreichen, wenn sie den Gott statt des Thieres im Menschen entzündete!
Pardon, mein Herr! rief der Engländer bei diesem Ausbruch ohne eine Miene zu verziehen, es ist hier zunächst von einem Geldgeschäft die Rede. Der Bursche wirft keinen Cent auf die Bretter, den er nicht doppelt zurückerhält, weil er ihn einzig in der Absicht wirft, die Centstücke seiner dupirten Kameraden damit zu ködern. Er ist der agent provocateur seines Mr. Blackely, er wird von dem Mimen bezahlt, wie der maître de la claque in Paris. Nur die Form dieser Claque ist amerikanisch.
Moorfeld senkte sein Haupt. Können Sie mir sagen, mein Herr, ob Newyork etwa Liebhaberbühnen von Ruf besitzt? begann er nach einer Pause.
Mr. Bennet, mein schätzbarer Freund, unterhielt sonst ein vorzügliches Haustheater — antwortete der Engländer, und fügte mit Hast hinzu: Ich bitte mir das Vergnügen aus, Sie ihm vorzustellen, Sir. Er hält zwar in der saison morte auf New-Jersey Villeggiatur, aber wir wollen hinausfahren, Sir. Ich will Sie auf New-Jersey vorstellen, Sir; wahrhaftig ich will es, Sir, nennen Sie mir Tag und Stunde, ich bin ganz zu Ihren Diensten, Sir.
Moorfeld fand sich, um die Wahrheit zu sagen, mehr verlegen als dankbar für diese
Güte gestimmt. Konnte er annehmen? Die ungewöhnliche Zuvorkommenheit des Fremden —
zwar war sie nicht mehr,
Als Moorfeld unter den stillen Nachthimmel heraustrat, ward ihm eine freundliche Ueberraschung. Deutsche Handwerker zogen am Hause vorbei und sangen eines ihrer schönen Heimathslieder. Das Lied bewegte sich von den wohlklingenden Männerstimmen getragen in wenigen glücklich gruppirten Accorden, es stieg wie reine Goldstrahlen aus dem Herzen. Moorfeld stand und lauschte. Es war ihm wie die Berührung einer Freundeshand, nach dem Anfall eines Straßenräubers. Nie hatte ein Lied eine glücklichere Wirkung. Wie hob sich deutsches Maß von amerikanischer Graßheit hier so sonnenhell ab! Die Sänger woben ihrer Nation ein Ehrenkleid, von dem sie selbst nichts ahnten.
Moorfeld folgte ihnen durch mehrere Straßen. Es that zu wohl, von diesen
Klangwellen sich so fort spülen zu lassen. Und als erst
So wurde der Zuhörer unversehens in eine Region verlockt, welche nicht nur wenig befahren, sondern selbst wenig betreten schien. Mit jeder Wendung, mit jedem Schritte nahm der Charakter der Einsamkeit überhand. Newyork zersplitterte sich plötzlich wie ein aufgelöster Rosenkranz in alle Winde. Der Fremde stand so zu sagen im freien Felde. Zwar ließ sich die gradlinige Anlage der Straßen auch hier wie überall wahrnehmen, aber die lückenhafte Art, womit diese Linien angebaut waren, gab dem ganzen Bezirke etwas Chaotisches trotz dem mathematischen Grundrisse. Es war offenbar das jüngste Quartier von Newyork. Die Ansiedlungen bestanden großentheils aus Gärtnereien, wie sie an den Rändern der Städte zu lagern pflegen, bis sie von dem nachrückenden Culturleben weit und weiter hinaus gedrängt werden. Handel- und Gewerbsleben war hier noch wenig vorhanden, die Grundstimmung des Ganzen eine vorherrschend ländliche. In regellosen Entfernungen blinzelten Laternenpfähle, hie und da guckte ein talg-helles Fenster in die Dämmerung — zerstreute Lichtpunkte, welche den Wüsten-Charakter dieses Bezirkes noch sinnlicher ausdrücken halfen.
Der Chorgesang war inzwischen verstummt und die Sänger um eine Straßenecke
verschwunden. Moorfeld stand plötzlich allein auf diesem unbekannten Boden. Jetzt
erst wurde die Einsamkeit einsam um ihn. Er mußte sich wie ein Erwachender
besinnen, ob er wirklich noch in Newyork sei. Ein Glied dieser ewig schlaflosen
Stadt, das mit einbrechender Dämmerung schon Nachtruhe hielt, — es war so gar
nichts Amerikanisches in dieser Scene. Doch ja, der Charakter des Unheimlichen
fehlte ihr, die verdächtige Gauner- und HochstapplerLuft. Wenn in Europa's
entlegenen Stadttheilen die Aermsten wohnen, so wohnen hier, wußte er, höchstens
die Neuesten. Es wehte jener beklemmende Athem der Unsicherheit aus diesem
Nachtbilde nicht, in das er so unversehens als Staffage gestellt war. Er sah sich
daher getrost um einen Führer um, dem er es überlassen mochte, in Ermanglung einer
Fahrgelegenheit, ihn auf den rechten Weg zurück zu bringen. Zu diesem Ende that er
einige Schritte vorwärts gegen ein einzelnstehendes Haus mit einem Wirthsschilde,
welches die Deutschen
Er trat in den grünen Baum ein. Ja hier war Deutschland! Die Gesellschaft deutsche Physiognomien, die Schenkeinrichtung deutsch, die mäßig-große, längliche Gaststube von einer Durchzugswand in zwei gleiche Hälften getheilt, augenscheinlich um der deutschen Sonderungssucht das beliebte „Extrazimmer“ zu bieten. Und doch nahm das Publikum dieses Locales eben so augenscheinlich eine ziemlich gleiche Glücksstufe ein: gleicher, als Manchen vielleicht lieb sein mochte. Die Meisten der Anwesenden waren in diesem Augenblicke mit ihrem Abendbrode beschäftigt, welches sie auf deutsche Art einnahmen, d. h. nach der Karte und an gesonderten Tischen, anstatt daß die amerikanische Sitte selbst zum Frühstück und Thee Table d'hôte hält. Auch ihre Mienen waren mit ganzer Andacht und Bedächtigkeit bei dem Genusse; hier wurde nicht amerikanisch gejagt und geschluckt, jeder Bissen ging in's Bewußtsein über, man speiste im Geiste wie in der Form deutsch. Ja, manch ernste Stirn, manch sprechender Blick schien zu verrathen, wie viel dem Manne die Mahlzeit werth sei, die er vor sich hatte, wie viel seines eigenen Arbeiterwerthes er darangesetzt, sie zu erringen. — Der Ankömmling dachte vornehmer, als daß er mit einem Geldstück in der Hand sich zum Herrn über die Tafelmuße eines dieser Hungrigen aufgeworfen hätte. Mit jener Menschenachtung, die des Gebildeten echtestes Merkmal ist, sah er auf den anwesenden Nährstand, der hier den angenehmeren Theil seiner Standesehre erfüllte, und wollte ihm keinerlei Abbruch thun. Vielmehr nahm er selbst Platz in dem Gastzimmer, bestellte sich ein Souper gleich den Uebrigen und engagirte sich im Verlaufe desselben den benöthigten Wegweiser gelegentlich.
Da er sich der deutschen Sprache bediente, so konnte er mit Ver
Die Scene des grünen Baums, wie sie dem Ankömmling in Kurzem erkennbar wurde, war
folgende. Der Wirth hieß „der deutsche Kaiser“. Er trug eine körperliche Größe und
Masse zur Schau, wie man sie nur hinter dem Vorhang einer Jahrmarktsbude zu
erwarten gewohnt ist; frei und unbezahlt sie zu sehen, erhöhte den Effect seines
Anblicks. Sein breites schwäbisches Gesicht drückte übrigens jenes bescheidene
Geistesmaß aus, welches den Riesen seines Schlages in der Regel inne zu wohnen
pflegt, auch stand er bis zum Kindermärchen unter der Autorität eines klugen
stumpfnäsigen Töchterchens. Dieses Mißverhältniß zwischen scheinbarer und
wirklicher Machtfülle hatte offenbar jener heitere Kopf im Auge gehabt, der mit
einem besseren Instinct des Lächerlichen als des Tragischen das bankerotte
KaiserIdeal Deutschlands auf eine so bedeutungsvolle Persönlichkeit übertragen.
Die Gäste des grünen Baums waren deutsche Handwerker und kleine Geschäftsleute; —
ein Publikum von höchst gemischtem Schicksale, das aber bei Allen, wie es schien,
auf demselben Endpunkte angekommen war. Die Unterhaltung bewegte sich über das
Thema von schlechter oder fehlender Arbeit, von trüben Aussichten oder
unmittelbarer Noth. Chorführer von dieser traurigen Conversation waren ein Bäcker
mit Sachsen-Altenburg'scher Mundart, ein Schneider aus dem Würtemberg'schen, und
ein pfälzischer Schreiner; dazu gesellte sich zeitweilig ein Gärtner aus der
Frankfurter Gegend, welcher nach
In diesem Geiste redete der Pfälzer jetzt zu einem Ecktisch hinüber, der eben erst bedient wurde, und offenbar von jenen Chorsängern besetzt war, welche dem tragischen Kunstgenusse Moorfeld's ein so schönes Nachspiel geliefert. Der Pfälzer forderte einen jener Tischgenossen auf: Henning, was bringst du uns Gutes mit? Laß dich hören! Wir ziehen wieder Mäuler, wie gebrühte Katzen.
Der Angeredete antwortete: Iß Käse! Käs erfreut des Menschen Herz.
Wie auf ein Signal erhoben alle Tische ein Gelächter. Es war ersichtlich: der
Mensch, der das gesprochen, war die lustige Person dieses Kreises. Er gehörte zu
jener Sorte von Gesellschaftstalenten, welche, sie mögen thun oder lassen was sie
wollen, ein- für allemale den Credit der komischen Kraft für sich haben.
Gewöhnlich werden Spaßmacher dieses Genres schon durch ihre Persönlichkeit
unterstützt. Henning, der Schriftsetzer, war eine lange, hagre Figur, schlotternd
und scheinbar abgespannt bis zum Schatten eines Menschen. Was er sprach, trug er
mit äußerster Gleichgiltigkeit vor, und in einem so hohlen Basse, wie ihn etwa
Menschen annehmen, welche am NikolausAbend den Kindern Gespenster vormachen. Seit
seiner Geburt, wie er sagte „im letzten Stadium der Schwindsucht“ begriffen, hatte
er von dieser vielleicht wirklich jenes dumpfe Timbre seiner Stimme, so wie den
hohläugigen groß-starrenden Blick, mit dessen fürchterlichem Rollen er nicht die
geringste seiner komischen Wirkungen erzielte. Kurz, Herr Henning war einer jener
beliebten Gesellschafter, welche Alles um sich her lauschen sehen, so wie sie den
Mund öffnen, deren Anblick allein schon erheitert, deren Wort regelmäßig einen
Chorus dankbaren Gelächters nach sich zieht, ohne Unterschied, ob es mehr oder
weniger witzig gerathen ist, ja ob es nur immer verstanden wird,
Dem Schriftsetzer wurde sein Abendessen gebracht, Beafsteak mit Kartoffeln. Bedächtig wendete er das Beafsteak um und um und sah es mit einem langen, vorwurfsvollen Blicke an. Dann sagte er ruhig: das Beafsteak seh' ich wohl, aber das Fleisch nicht.
Gelächter.
Der Pfälzer rieb sich vergnügt die Hände. Er freute sich auf den Sprudel der Unterhaltung, die er herankommen sah, und die Sache in Schwung zu bringen, hetzte er an dem Wirthe: Haben Sie's gehört, Herr Häberle?
Der monströse Wirth spielte mit den Fingern in seinem Schwarzwälder Hosenträger und lächelte geduldig. Der Pfälzer wendete seine erwartungsvollen Blicke wieder auf den Schriftsetzer zurück. Dieser griff nunmehr zu Messer und Gabel und fing an seine Portion in Stücke zu schneiden. Dazu brummte er: Das ist ein Beafsteak wie ein Ohrläppchen so groß.
Gelächter.
Was sagen Sie, Herr Häberle? bohrte der pfälzische Schreiner.
Aber der ehrliche Schwabe schmunzelte nur, wie Einer der es gewohnt ist, Zielscheibe zu sein, und nie daran denkt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
Henning sagte: Laß ihn gehen, den grünen Baumwirth. Er ist ja noch ärger als unser Schiffsrheder. Da hatten wir doch täglich zwölf Loth Fleisch auf den Kopf, die Maus nicht mitgerechnet, die ich einst aus dem Suppenkessel schöpfte. Sie war ganz ausgewachsen.
Gelächter.
Aber des Wirthes Töchterlein nahm sich der väterlichen Ehre jetzt an und fragte spitz: Wissen Sie auch, Herr Henning, was die Lendenstücke heute kosteten?
Henning antwortete gelassen: Je theurer die Sachen sind, desto wohlfeiler muß sie der Wirth geben können. Das ist sein Profit.
Gelächter.
Dann fuhr er fort: Weil mein Magen eben falsche Toilette macht, geben Sie mir zu diesem Schönpflästerchen von einem Beafsteak auch ein Flacon Bier.
Gelächter.
Und mit gänzlicher Abspannung setzte er hinzu: Das heißt leben! Wollte Gott, ich wäre die Seeschlange, so würd' ich doch Einmal ausgestopft, nach meinem Tode wenigstens. Aber unser deutscher Kaiser, der Mehrer des Reichs, gibt mich auf, wie die Rheingränze. Zum Skelett bin ich ausgedorrt unter seiner Regierung. Die Würmer sterben am Hungertyphus, die sich einst an mich machen; Gott verdamm' mich! man wird mich in Schmalz backen müssen, wenn ich ordentlich aufgespeist werden soll.
Schallendes Gelächter.
Unter diesem Stoßseufzer verschlang der arme Phthisiker sein Beafsteak mit dem ganzen Heißhunger seiner Constitution. Dazu rollten seine Augen mit einem höchst grimmigen Ausdrucke, nur seine Zunge schwieg. Letzterer Umstand schien der Gesellschaft indeß gar nicht gemüthlich. Der pfälzische Schreiner suchte wieder Gelegenheit. Nach einer Pause fing er an:
Was seh' ich, Henning, du trägst ja noch einmal ein gewaschenes Hemd? Und deine christliche Mistreß Waschfrau, Mitglied von einem Schock Bibelgesellschaften, Conventikeln und Missionen, hat dir doch den Dienst gekündet. War's nicht so?
Der Schriftsetzer nickte.
Sie wollte dir, sagte sie, diesmal nicht aus dem Zimmer gehen, wenn nicht der letzte Cent bezahlt würde? Verstand ich dich recht so?
Der Schriftsetzer nickte.
Ei, das müssen wir hören! Wie lief die Geschichte ab? Wie kamst du zu dem Hemde? Wie kam Frau Appendage oder Affentisch um ihre Six-Pence? Wie ist dir's gelungen, den frommen Klauen des Waschbären zu entrinnen?
Der Schriftsetzer würgte so viel seines Mundvorraths hinunter, daß er zur Noth die Eßwerkzeuge als Sprachwerkzeuge frei bekam, und brummte im tiefsten Basse: Inspiration!
Der Schreiner machte eine aufmerksame aber fragende Miene. Der Schriftsetzer illustrirte sein Wort, indem er stumm mit der Gabel an die Stirne deutete, und dem Schreiner mit einem Blick voll weltbezwingender Genialität in's Gesicht starrte.
Der Bursche fühlte sich ordentlich imponirt und sagte mit
einigen
Warum man doch Mutterwitz sagt? fragte der deutsche Kaiser, dem dieser Gegenstand freilich sehr fraglich war.
Warum sagt man denn Blasewitz? antwortete Henning mit ruhiger Würde. Das Gelächter, das dieser Belehrung folgte, brachte indeß den Schreiner von seinem Thema nicht ab. Er fuhr fort, das Abenteuer des Schriftsetzers mit seiner Waschfrau zu urgiren. Dieser wischte sich endlich mit der Serviette den Mund, um welchen in der That ein goldnes Lächeln spielte. Dann fragte er gegen das Wirthstöchterchen hin: Haben Sie ein zartes Gehör, Fräulein Veronika?
Wägerli, es mag mir ein schön' Späßle sein! antwortete das Schwabenmädchen.
Practisch war's wenigstens, versetzte Henning. Und ohne auf die weibliche
Zuhörerin weiter zu achten, die ja keineswegs abgelehnt hatte, sprach er mit
seiner saloppen, phlegmatischen Manier: „Männerkeuschheit“ ist ein schönes Gedicht
von Gottfried August Bürger. Aber Gottfried August Bürger hat in Göttingen waschen
lassen, nicht in Amerika, wo das Dutzend Wäschstücke einen Dollar kostet, ohne
Ausnahme: sind's Taschentücher oder Bettücher. Sonst hätte der Herr Professor
wahrscheinlich meine Keuschheit besungen, statt seine Männerkeuschheit: es wäre
seinem Kennerauge nicht entgangen, um wie viel sie der Unsterblichkeit würdiger
ist. Ich prahle nicht; die Geschichte war nämlich so: Heut morgen stand mir die
Stunde bevor, wo mir die Frau Appendage ohne Geld nicht aus dem Zimmer gehen
wollte, wie mir angedroht war. Diesem Schicksale gegenüber erfand ich folgende
einfache Vorrichtung. Ich blieb liegen. Nicht daß ich etwa für krank gelten
wollte, pfui der Heuchelei! aber ich blieb eben liegen. Punktum. Ich heuchle
nicht, im Gegentheile; ich bin immer ein unverblümter Kerl gewesen, und an diesem
Morgen war ich's erst recht. Also blieb ich liegen. Das erfindungsreiche Haupt
tief in's Kissen gewühlt, die Decke sittiglich bis an das Kinn gezogen, erwartete
ich ruhig das Weib des Gewäsches. Es klopft. Herein! Nun müßt ihr wissen, eine
echte amerikanische Lady wäre gleich an der Thüre in Ohnmacht gefallen über den
An
Nach diesem Vortrage brach ein Sturm von Beifall und Heiterkeit los. Die ganze Gaststube erhob sich mit imposantem Tumulte. Alle Arme fuhren mit ihren Gläsern empor, Mann für Mann, Tisch für Tisch stieß an, und wie auf ein Zeichen erscholl's im Chorus: Unser Bruder Henning der soll leben! Dazwischen sprang der Pfälzer, kirschroth vor Begeisterung, in die Mitte und fing mit bombenähnlicher Betonung der ersten Note zu fingen an: Feierlich schalle der Jubelgesang! Auf einmal schrie eine Stimme: Einen Kranz! einen Kranz! eine Bürgerkrone für den Retter Kleindeutschlands! Der Vorschlag zündete augenblicklich; die Gesellschaft ruhte nicht bis des deutschen Kaisers Vronele einen Strohkranz aus der Küche geholt hatte. Der pfälzische Schreiner ergriff ihn, und um Fallstaff's Wort zu bethätigen: ich bin nicht nur selbst witzig, sondern auch Ursache, daß Andere Witz haben, — schickte er sich an, die Krönung des witzigen Schriftsetzers mit einer witzigen Ansprache vorzunehmen. Er sprang auf einen Stuhl, hielt pathetisch den Kranz über Henning's Haupt und sprach: Meine Herren! ich fühle die Ohnmacht in mir, eine Rede zu halten. Und da der Mensch die moralische Verpflichtung hat, jedes Talent, das ihm versagt ist, zu gebrauchen, so werden Sie mir Ihr gütiges Mißfallen nicht entziehen, wenn ich meinen Rednermangel hiermit glänzen lasse. — Aber schon stockte er. Der Kreis fing bereits an, ihn auszulachen, als er sich wieder sammelte und fortfuhr: Ruhig! Das war nur eine Kunstpause. Eine Kunstpause, die sich stets dann am Geeignetsten einstellt, wenn die Gedanken eine Naturpause machen. Zum Teufel auch mit allen Gedanken! Wozu braucht der Mensch Gedanken? In der That, wir brauchen nur Einen Gedanken hier! Diesen Einen Gedanken — wären wir darauf vorbereitet, wir ließen ihn ausgeschnitten in geöltem Papiertransparent über dem sinnreichen Haupte unsers Gefeierten leuchten. So leuchte er denn mit Flammenschrift in unsern Herzen und mit Flammenzunge sei er ausgesprochen der große, weltgeschichtliche Gedanke:
Gott verläßt keinen Deutschen!
Henning brummte unter seinem Strohkranze: Das sag ich auch! Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich noch gehängt werde. Und sogleich fiel der Chorus ein: Unser Bruder Henning der soll hängen! Aber ... Feierlich schalle der Jubelgesang! —
In diesem Augenblicke that sich die Thüre auf, und Alles begrüßte — den Rector magnificus. Der Eintretende mochte Scenen, wie sie die Gaststube mit ihrem strohgekrönten Mittelpunkte jetzt darstellte, schon gewohnt sein, denn ohne sich umzusehen, durchschritt er einfach grüßend die Stube und begab sich sogleich in's Extrazimmer. Alles drängte ihm nach mit dem Rufe: In die erste Kajüte! auf, in die erste Kajüte! Der deutsche Kaiser kam mit einer Flasche Bier gemächlich hintendrein. — Moorfeld besann sich auf die Gestalt des Rector magnificus. Sie schien ihm so bekannt, daß er über den Mangel seines Gedächtnisses fast erschrack, wenn nicht das fremdartige Bunterlei seines hiesigen Aufenthaltes die Verwirrung genügend erklärte. Als aber der Rector magnificus seine Stimme hören ließ, da löste sich ihm der Zweifel. Es war dieselbe Stimme, die ihm in Mr. Mockingbird's Schule zugeflüstert hatte: Ich danke Ihnen für dieses deutsche Wort. Es war der Hilfslehrer Benthal.
Für Moorfeld gewann die Scene jetzt ein neues Interesse. Es war offenbar: der Angekommene nahm seinen Platz nicht wie jeder andere Gast in dieser Gesellschaft ein. Seine Mission schien eine besondere hier. Und da das innere Zimmer von dem äußeren nur durch eine vorhanglose Glaswand getrennt war, so bedurfte Moorfeld nicht langen Abwartens, um in seinem bequem situirten Winkel, dicht an eben dieser Wand, Augen- und Ohrenzeuge dessen zu werden, was Benthal's Ankunft in diesen Räumen für Zwecke hatte. Wenigstens übersah er auf den ersten Blick, daß der heitere Geist, der sich so eben ausgelassen, eine schnelle Wendung zum Ernste nahm: es gab auf einmal gesetzte Mienen, bedächtige Aufmerksamkeit. Benthal nahm ein Tischchen ein, welches über das Niveau der übrigen Gasttische durch eine kleine Estrade erhöht schien, er zog ein Notizbuch aus seiner Tasche, blätterte darin und bereitete verschiedene Papiere, Schnitzel, Adreßkarten u. s. w. vor sich aus. Er begann:
Was mich wundert, das ist, daß unter uns Deutschen, wie einst unter den Juden,
nicht längst sich die Sage von einem Messias ge
Er sichtete seine Papiere zurecht und fuhr fort: Ich habe in Erfahrung gebracht, daß in den Kupferminen am obern See Bergleute gesucht werden. Eine Gesellschaft hier in Newyork schließt die Engagements ab und befördert gegen Vorauslage der Kosten an den Bestimmungsort. Anmeldungen Murray-Street No. 218. Ich dachte an Sie, Herr Merbach.
Der Aufgeforderte antwortete langsam und unschlüssig: Ja — aber — in Freiberg baut man auf Silber Herr Rector. Ich weiß nicht —
Kupfer oder Silber, in euern Neugroschen läuft's auf eins hinaus, warf der Schriftsetzer dazwischen.
Benthal erwiederte: Ich gebe Ihnen mein Wort, Herr Merbach, ein amerikanischer Kohlengräber aus Pennsylvanien baut in ein paar Wochen auf alles Mögliche. Er fragt nicht: bist du fähig? er greift zu und denkt: du wirst fähig. Aber freilich, wenn Sie diese Bescheidenheit in's Aufnahmsbureau mitbringen, so kostet sie Dollars. Man engagirt Sie nach der Höhe oder Niedrigkeit Ihres Selbstgefühls. Entdecken Sie dann an Ort und Stelle, daß Ihre deutsche Sinnigkeit viel gewandter sich in's Fremdartige findet, als Sie sich zugetraut, so steigern Sie zu spät. Im tiefsten Hinterland, abgeschnitten von aller Welt, ohne Reisegeld, sind Sie in den Händen des Geschäfts zu jedem Preis.
Der Sachse antwortete: Aufschneiden kann ich nicht, aber in meinem Fach soll mich Keiner klein bringen.
Benthal fuhr fort: Die Reise nach Albany kostet drei Dollars. Auf dem Eriekanal
etwa fünf bis sechs. Von Buffalo nach Chicago, tausend englische Meilen, zahlt man
nicht mehr als dreißig Dollars. Alles mit Verpflegung. Ich empfehle Ihnen, diese
Preise zu merken, sonst
Eine Stimme unterbrach diese Anweisung mit den Worten: Er mag thun was er will, betrogen wird er doch.
Benthal blickte auf und rief mit Verwunderung: Ei, Herr Sallmann, wie kommen denn
Sie wieder hieher? Es war der Bäcker aus Altenburg, einer der früheren
Gesprächsführer bei Moorfeld's Eintritt. Sallmann war eine stattliche
Persönlichkeit. Eine wahre Bürgermeisterfigur. Alles an ihm hatte bessere Tage
gesehen. Er schien ein Stück so recht aus der Mitte geschnitten eines deutschen
Gemeinwesens, einer ehrbaren Häuslichkeit. Die Trümmer des gebrochenen
Selbstgefühls waren kläglich anzusehen auf dieser vollen, fast herrischen Gestalt.
Er saß da, in düstrer, grimmiger Resignation, und mit einer Stimme voll Bitterkeit
antwortete er: Wie ich hieher komme? das will ich Ihnen sagen. Ich höre, Sie
kennen das liebe Amerika; wohlan, merken Sie sich auch dieses Stückchen dazu. Ich
hatte mein Metier, wie Sie wissen, mit einem kleinen Backofen in Miethe
angefangen, und da mir für's Erste die Kundschaft fehlte, so trug ich auf eigenem
Rücken mein Erzeugniß hausiren. Das war mir freilich nicht gesungen, als ich in
Altenburg eben so die Adresse für unsern braven Moosbach herumtrug, der jetzt im
Königstein fault. Aber in Gottes Namen! Keine Arbeit ist hier geschänd't und Frau
und Kind wollen nachkommen so eher so besser: da greift man aus. Ich hatte mich
also auf ein paar hundert Dollars gebracht, auf einmal ereignet sich's, daß ich
das Capital anlegen kann im großen Styl, wie ich mein Geschäft gewohnt bin. Mein
Nachbar will abreisen, und verkauft mir seine namhafte Kundschaft. Er läßt mit
drei oder vier Bread-Drivers austragen, indeß ich allein mein Transportgaul bin.
Wir waren des Handels bald eins. Als er das Geld hatte, machte er eine
Spazierfahrt auf drei Tage, kommt zurück, sagt, er habe sich anders besonnen, und
arbeite weitert in seiner Kundschaft. Mein Geld jedoch verweigert er mir mit
frecher Lache. Natürlich, werde ich klagbar. Aber wie im Schlaraffenland der
Dummste und Faulste König ist, so scheint das Recht hier eine Prämie des
lumpigsten Lumpen. Denn was sagt die
Diese Mittheilung des Mannes erregte unter den Uebrigen eine Art dumpfes Entsetzen, welches weit über den Antheil an dem Einzelnschicksal hinaus ging. Es war, als fühlte Jeder. seine persönliche Sicherheit bedroht auf einem Boden, wo solche Gefahren möglich wawen. Benthal ließ diese Regungen eines aufgeschreckten Instinctes sich aussprechen, eh' er selbst wieder das Wort nahm.
Ihr Unglück, Herr Sallmann, geht mir nah', sagte er, aber verzweifeln Sie darum am Lande der Freiheit nicht. Es ist die wahre und wirkliche Freiheit, glauben Sie, die sich im Buchstaben so leicht nicht einfangen läßt. Der Buchstabe muß auf's Bündigste und Bestimmteste gestellt sein, denn mit der Auslegung kommt schon die Willkür. So hat die Legislatur von Newyork kürzlich das NeunKegelspiel verboten. Gehen Sie aber auf den Broadway in GothicHall, zweiten Stock, so finden Sie dort nicht weniger als fünf Kegelbahnen neben einander. Wird ein verbotenes Spiel hier gespielt? Bei Leibe nicht; die Parthie hat blos einen Kegel mehr bekommen. Man spielt ein Zehn-Kegelspiel jetzt.
Das sei wie's sei, seufzte der Bäcker, und stützte seinen Kopf in beide Hände; ruinirt bin ich doch! Adieu Weib und Kind, schlagt euch den Vater aus dem Sinn!
Benthal biß die Lippen und sah mit dem Blicke des schmerzlichen Mitleids auf den
armen Verzagenden. Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann sagte er
entschlossen: Hören Sie mich an, Herr Sallmann, was mir da einfällt. Ein kurioses
Mittel, aber es ist amerikanisch. Wir lassen ihr Abenteuer als Pamphlet drucken
und machen den Kerl determinirt schlecht. Natürlich scherzhaft, witzig, mit der
besten Miene zum bösen Spiel. In das Pamphlet wickeln Sie Ihre Semmeln und Brote,
und verschenken sie Stück für Stück an die Kunden, die Sie gekauft haben. Geht
auch der letzte Dollar dabei drauf, — meinen Kopf zum Pfande! die Kunden treten zu
Ihnen
Der Schriftsetzer fügte hinzu: Und ich gehe beim Austragen neben Ihnen her und lache für einen halben Dollar per Tag. So haben Sie schon den ersten Lacher auf Ihrer Seite.
Damit war ein heiterer Ton angeschlagen, worauf Benthal seine Tagesordnung fortsetzte. Herr Carrey, Inhaber der großen Kupferfabrik, Chatham-Straße No. 9, hat sich gelegentlich der Präsidentenwahl mit einem Theil seiner Arbeiter entzweit, welche gegen ihn stimmten. Er entläßt sie und ersetzt sie durch neue. Ich notirte mir das für Sie, Herr Bertling.
Eine Stimme in thüringer Mundart antwortete: ne, ich hab's verred't. Die Kerls verdienen keinen Deutschen. Wenn mein Vorspann aus Deutschland eintrifft, eröffne ich mein eignes Geschäft.
Sie warten aber schon lange auf diesen Vorspann, bemerkte der Frankfurter Gärtner; und wer sich inzwischen ein Thalerchen verdiente, wie? 's wär' besser als in Finger geschnitten; nichts für ungut.
Ist's meine Schuld, fragte der Kupferschmied, daß es bei Ludlow in Brooklyn nur
drei Tage dauerte? Was ein gelernter Meister ist und soll sich unter das Volk
stellen — Menschen von neunerlei Handwerk, die alle Sättel reiten, kein Teufel
weiß, was für einen Professionisten man eigentlich vor sich hat bei so Yankee, ein
wahrer Rattenkönig von Handwerken, — probiren Sie das, meine Herren: lieber
Fuchsprellen, werden Sie sagen. Wie sie die Branntweinblasen hier machen, ist die
Construction so, daß man die einzelnen Theile nicht auseinanderlegen und reinigen
kann; nothwendig wird dabei das Product unreinen Geschmacks, und der Destilateur
hat noch eine zweite Arbeit mit'm Abziehen. An so einer Blase bekam ich mein
erstes Stück; da dacht' ich hollah! jetzt zeigst du den Meister, und schlage die
Sache vor nach deiner Art, nämlich mit den Schwarz'schen Apparaten. Was meinen Sie
daß ich Dank dafür hatte? Ausgegrunzt wurd' ich noch. Eingestanden, daß mein
Englisch nicht fix war und meine Zeichnung nicht eben correct; was schadet's? ein
Deutscher merkt doch auf und faßt, was man ihm beibringt. Aber diese
lang
Danken Sie Gott, rief Benthal, Sie haben sich ein Capital gerettet. Wie in aller Welt wandelt Sie die Großmuth an, Herr Bertling, daß Sie den Schwarz'schen Brennapparat so ohne Weiters zum Besten geben? Werden Sie nicht selbst Ihr Hauptgeschäft damit machen, wenn Ihr Vorspann, wie Sie sagen, anlangt? O Deutschland, wann wirst du aufhören, die Welt auszustatten, und anfangen, an dich selbst zu denken! Anstatt die eigenen Kunstgriffe für sich zu behalten und fremde dazu zu lernen, machen Sie's umgekehrt; den Schwarz'schen Apparat geben Sie hintan und tauschen nichts ein dafür von der hiesigen Technik. Herrn Ludlow auf Brooklyn kenne ich nicht, wie ich mir überhaupt in drei Tagen nichts Amerikanisches kennen zu lernen getraue, aber lassen Sie die Fabrik Carrey ja nicht ungesehen als Fachmann. Sehen Sie sich die großen Arbeiten für die südlichen Zuckersiedereien an, das kommt uns in Deutschland doch nicht vor. Was sag' ich? Betrachten Sie den nächst besten amerikanischen Nagel! Er hat an seinen vier Ecken feine scharfe Widerhacken, die ihn unausreißbar mit dem Holze verbinden, ist auch gegossen, nicht geschmiedet. Ich wollte, es läge auf allen deutschen Agenturen nur ein einziger solcher Nagel auf, daß wir bis in's Kleinste ein Bild davon bekämen, wie verschieden von uns hier fabricirt wird. Mancher deutsche Professionist wäre dann weniger rasch, auf seine Profession auszuwandern.
Der Rector magnificus hat Recht, sagt ein Berliner Maschinenbauer; ich kam herüber in der Meinung, wenigstens Werkführer oder Factor zu werden mit meinen Kenntnissen. Es ist mir auch nicht bange, daß ich's in einigen Jahren bin, für den Anfang aber muß ich froh sein, auf halben Sold einen halben Lehrling zu machen. Es sind ganz andere Constructionen hier. Es ist ein Unterschied, wie Feuersteinschloß und Percussionsschloß; jedes Stift wird hier anders
Und manches Metier kommt gar nicht an, setzte ein Hanauer Goldarbeiter hinzu. Ich fragte um Arbeit herum. — Sind Sie ein Uhrmacher? hieß es überall. Ich bitt' Einen: Goldarbeiter und Uhrmacher! Ob im Schmuckfache gar nicht gearbeitet wird? fragt' ich weiter. — Wenig, das kommt von Paris und London. Vergebens verdolmetsche ich den Leuten, daß wir Hanauer es nach Paris und London schicken, — wer glaubt es Einem? Und so arbeite ich jetzt auf Probe in einem Geschäft, — um's Wasser! rief der Hanauer mit Zorn und Mißmuth.
So verhält es sich, sagte Benthal, nur Eines verschweigen Sie, meine Herren. Eine rasche Kenntniß des Englischen, eine rasche Umwandlung in die Nationalformen des „sham“ würde Sie als Maschinenbauer wie als Schmuckarbeiter ganz anders accreditiren. Sie müßten kein deutsches Wort mehr hören. Indeß rechte ich freilich nicht mit Ihrem vaterländischen Gemüthe, wenn es sich auch „beim Wasser“ noch wohler befindet in — Kleindeutschland!
Der Sprecher hielt sich einen Augenblick lang über seinen Papieren auf, um diese Worte gehörig nachwirken zu lassen. Das betroffene Schweigen der beiden Vorredner bewies auch, daß er diesen Zweck, momentan mindestens, erreichte.
Hierauf fuhr er fort: Für Sie, Herr Poll, habe ich die Nachricht, daß in einer Apotheke auf dem Bowery eine Stelle offen ist. Sie trägt freilich nur fünf Dollar monatlich bei freiem Board; aber wie Ihnen die Verhältnisse bekannt sind —
Der Angeredete — ein munterer Lockenkopf in den letzten Faden eines studentischen Sammtrocks — rief mit erschrockener Stimme: Bei freiem Board? wie schade! Pardon, Herr Rector magnificus, aber auf eine Condition mit Beköstigung muß ich verzichten. Ich habe keinen Magen für dieses nasse glitschige Brod, für dieses ewige Schweinefleisch, für diese trocknen, ausgekochten Braten, für diese Talgund Thran-Meere von öligen Saucen, für diese schlechten Gemüse, für diese alten Hülsenfrüchte, für diese Fuder von Pfeffer, Salz und Gewürzen, die ein Aufputz sein sollen für Alles, aber blos Gaumen, Zunge und Zahnfleisch zerfressen, für dieses abscheuliche Tischgetränk von gewärmtem und gewässertem Brandy, für diese —
Es ist wahr, unterbrach ihn Benthal, man muß sich die hiesige
Der Lockige antwortete mit einer Art komischer Tragik: Gewisse Dinge liegen außer unsrer Selbstbestimmung, Herr Rector. Deutsch zu hungern, wird mir leichter, als amerikanisch zu essen. Auf Ehre!
Benthal zuckte die Achseln und sagte: Zufällig habe ich noch etwas an der Hand für Sie. Es kam mir ein Brief zu Gesichte, ein deutscher Arzt in einer Shaker-Gemeinde bei Pittsburg freut sich darin über den Aufschwung seiner Praxis, und da er bisher die Arzeneien größtentheils selbst bereitete, wie es bei Aerzten kleiner Landstädte hier Brauch ist, so würde er dieses Geschäft jetzt gerne einem Collaborator überlassen. Notabene, er wünschte ausdrücklich einen Deutschen dafür. Vielleicht führt er denn auch noch deutsche Küche. Genug, ich notirte mir's gleichfalls für Sie, Herr Poll.
Dankschuldigst anerkannt! erwiederte der Gelockte, aber mit einem langen Gesichte und bedächtigem Griff in seine Rocktasche, fragte er gedehnt: Bei Pittsburg, Herr Rector, sagten Sie so?
In der Gegend von Pittsburg, ja!
Der Apotheker hatte eine Druckschrift aus der zerrissenen Rocktasche zu Tage gewickelt und schlug jetzt mit der Hand, daß es klatschte, in das entfaltete Papier. Richtig! Pittsburg, im Mai, da steht es! oh ich Schlemihl! rief er bestürzt.
Alles blickte auf ihn und seine Papiere, umdrängte ihn und forschte.
Das ist ja im Narrenland! dieses Pittsburg, brach Poll mit erhobener Stimme los. Und die Gruppe voll gespannter, neugieriger Gesichter anredend, fuhr er fort: Stellen Sie sich vor, meine Herren, ich promenire heute am Nordfluß, weiß Gott woran ich dachte, da kommt ein Bengel mit einem Austräger-Portefeuille auf mich zu, und schenkt mir dieses Tractätlein. Man kennt die Waare, die sich Einem so auf den Straßen an den Hals wirft; indeß, ich denke: du übst dich im Englischen, und müßig wie ich bin, las ich den bedruckten Lumpen. Aber da hört doch Alles auf. Ich übersetze nicht so fließend, Sie bemühen sich wohl, Herr Rector!
Benthal empfing das Blatt, überflog die erste Seite und fragte gleichgiltig: Hm! der Verein will das neue Jerusalem aufbauen und beschreibt den Tempel wie eine Art Blockhaus. Was weiter?
Die zweite Seite, wenn ich bitten darf, wo er das Costüm der Gläubigen vorschreibt.
Benthal wendete um und las vom Blatte weg deutsch:
Das Kleid, welches vollkommen dem Innern des heiligen Menschen und seiner reinsten
Umgebung entspricht, soll beschaffen sein, wie folgt: die Hosen dürfen nicht zu
weit und nicht zu eng sein, — die Unterhosen verbinde man so mit den Hosen, daß
sie frei darin hängen und mit denselben angezogen werden. Jeder wählt sich die
Farbe seiner Kleidung nach der Art des Schmutzes seiner Arbeit; zu den Zeiten
aber, wo man keine schmutzende Beschäftigung hat, soll man tragen Hosen von
glänzendem Hellgelb, einen schneeweißen Rock und einen glänzend gelben oder
goldenen Gürtel. Ein goldener Hut, von glänzend hellgelber Farbe ist der beste. Er
soll da, wo er am Kopfe anliegt, kleine Luftlöcher haben, welche durch lose
Einfassung mit den edelsten Perlen und Steinen, so edel als man sie kaufen kann,
verdeckt werden sollen. Die weiblichen Personen, welche von Natur lange Haupthaare
tragen, sollen diese zu dem einzig richtigen Zwecke derselben, ihren Hals damit zu
erwärmen, benützen, und sie auf passende Weise gebunden, um den Hals herumwinden.
Die männlichen Personen, denen zur Beihilfe ihrer kürzeren Haupthaare auch Bärte
gegeben sind, sollen diese nicht hinwegrasiren, denn der Bart ist ein
Hauptbestandtheil des männlichen Körpers nach Gottes allmächtigem Willen, und
durch wiederholtes Abrasiren desselben verwachsen die Wurzeln dermaßen, daß sie
das Gesicht sehr verderben, und es kann auch das Abschneiden des Bartes nur von
sehr naturwidrigen Folgen sein. Die im Amte stehenden Lehrer und Aeltesten des
Volks sollen auf weißen Pferden reiten, denn die Pflichten ihres Amtes machen sie
zur unmittelbarsten Umsicht im hellen Geiste aller Erkenntnisse verbindlich ;
weßhalb sich dieses Amt hiebei auch durch die Helle äußern muß. Die Richter sollen
auf Pferden von lebhafter braunrother Farbe reiten; denn aus ihrem Amte soll der
Eifer einer feurigen Energie sprechen. Die Kassenverwalter sollen auf schwarzen
Pferden reiten, so wie die unmittelbarste Aeußerung ihres Amtes sich mit den
Bedürfnissen be
Hier legte Benthal die Flugschrift lächelnd aus der Hand, und das schallende Gelächter der ganzen Gaststube begleitete ihren Abgang. — Sie haben gut lachen, meine Herren, sagte Poll, selbst lachend, aber ich armer Schächer! Dort riskire ich den Magen und hier das Gehirn. Adieu, — „Pittsburg im Mai!“ Sie sehen, Herr Rector, ich muß leider noch einmal verzichten.
O schade! hieß es, ich möcht' ihn sehen im gelblakirten Hut —
Und im schneeweißen Rock —
Und wie er Kinder aus Staincher zieht, sagte der Frankfurter Gärtner.
Das Gelächter fing von Neuem an.
Machen wir all unsre Tollhäuser auf; rief der Bäcker aus Altenburg; wenn in Amerika die Narren frei herum laufen, warum sperrt man sie ein in Europa?
Meine Herren, sagte Benthal, es ist uns Deutschen mit Recht eine Erquickung, daß wir an solchen Zerrbildern unsre eigne Kultur fühlen lernen. Dieser plumpe Prophet hier will geistige Tendenzen verfolgen und verwickelt sich dabei in Unter- und Oberhosen! Das ist echt amerikanisch. Freilich ist er zugleich auch praktisch wie ein Amerikaner. Was z. B. das Hängen-lassen der Unter- in den Oberhosen betrifft, so steht wohl Niemand unter uns, der als Lehrling oder Geselle in ungeheizten Kammern schlief und dieses Dogma nicht am Abend befolgt hätte zur großen Förderniß seiner Morgentoilette. Hierin sind wir wohl naturwüchsige Gläubige des neuen Jerusalems. Auch die Wahl unsrer Farben zu Gunsten der schmutzenden Berufsarbeiten, wie er sagt, ist, wenn nicht appetitlich, doch nützlich erinnert. Dabei läßt sich zugleich einsehen, warum unsere Bösewichter von Präsidenten, unsre Kieselherzen von Financiers, kurz das ganze feine, also lasterhafte Europa mit Vorliebe Schwarz trägt. Es ist die officielle Farbe des neuen Jerusalems für sehr schmutzige Beschäftigungen.
Ein donnerndes Bravo der Auswanderer krönte diesen radicalen Scherz.
Benthal fuhr fort: Gemach, meine Herren! Fremde Narrheit belachen ist der Zucker des Lebens, heilsame Nutzanwendung davon das Salz. Was wollen Sie? dieser Prophet da, wie Sie sehen, hat ganz gute Verstandesmaximen; komisch wird er nur dadurch, daß er den Verstand in die falsche Beleuchtung der Religiösität stellt. Aber macht es der deutsche Rationalismus anders? Den gemeinen Verstand schiebt er an die Stelle der alten wunderthätigen Heiligthümer, und ist so naiv, die alte religiöse Begeisterung für denselben in Anspruch zu nehmen. Und nun das Bart-Dogma! Ist es nicht eine von den acht Seligkeiten des „Vater Jahn“ und haben wir — wenigstens bis zur Juli-Revolution, — „Vater Jahn“ nicht mit Andacht seine BorstenReligion predigen lassen? Ach, meine Herren, die Narrenleine ist gleich der Linie des Aequators, sie läuft um die ganze Erde herum. Daß also ein Gescheidter in Kleindeutschland verhungern soll, weil um Pittsburg herum Narren sitzen, das scheint mir eine Logik, die vielmehr eine Verwandtschaft als einen Gegensatz mit den Pittsburgern beurkunden dürfte.
Bei dieser Pointe hatte der Lockige seinerseits eine kleine, freundschaftliche Lache zu bestehen; aber die Zärtlichkeit für sein Gehirn war damit niedergeschlagen. Er zauderte nun nicht mehr, das Offert anzunehmen. Die Gesellschaft unterhielt sich noch eine Weile damit, ihn als Mitglied des neuen Jerusalems zu parodiren, während Benthal den ernsteren Wink anbrachte, seiner Landsleute zu gedenken, wenn er selbst reüissirte, — was die Spötter doch auch wieder gerne hörten.
Benthal fuhr hierauf in seinen Mittheilungen fort: Die hiesigen Verhältnisse des Tuchmachergewerks — ist Herr Sorau nicht hier? — leider! er versäumt nichts; seine Profession ist gleich Null hier: das gröbste Fabrikat ausgenommen, ist Alles Import.
Er glaubte sich auf die Teppichweberei einzuschießen, sagte der Bäcker Sallmann, den Abwesenden vertretend; wir hörten zu Hause, daß der Teppich hier allgemeine Mode sei, — bis in die Bauernhütte herab.
Benthal antwortete: Das hat seine Richtigkeit, wie wir sehen; nur webt sich der
Farmer von selbsterzeugter Wolle seine Hausteppiche selbst in den müßigen
Wintertagen. Was aber die feinere städtische Waare betrifft, so engagirt man an
den großen powerlooms oder Dampf
Was soll er machen? fragte Sallmann achselzuckend.
Cigarren, antwortete Benthal hingeworfen.
Damit sind wir abgefahren, rief augenblicklich eine gute Anzahl von Stimmen.
Ich will Ihnen auch erzählen wie es zuging, antwortete Benthal. Sie nahmen die nächstbeste Zeitung zur Hand, und suchten und fanden darin Annoncen, nach welchen, wie es hieß, „unter den solidesten Bedingungen“ Lehrlinge angenommen wurden. Ist es so?
Ja! ja!
Die Bedingungen waren: vier Wochen Lehrzeit und zehn bis sechzehn Dollar Lehrgeld bei eigener Beköstigung. Waren das Ihre Bedingungen?
Ja! ja!
Sie gingen auf dieselben ein. Nach der ersten Woche waren Sie fähig, die ordinärste Penny-Cigarre zu fertigen. Dabei blieb's aber auch die drei folgenden Wochen. Ihr sogenannter Meister verharrte bei der Penny-Sorte. Sie aber kannten als Neulinge weder den geringen Tabak, noch den geringen Preis, Sie kannten die schlechte Rentabilität dieser Sorte nicht, wußten also auch nicht, was das ganze Manövre mit Ihnen zu bedeuten hatte. Es bedeutete aber dieses: Ihr sogenannter Meister hatte auf drei Wochen einen Arbeiter, den er nicht bezahlte, von dem er umgekehrt bezahlt wurde. Als Sie dann selbständig zu arbeiten anfingen, merkten Sie erst, auf welch' geringer Stufe Ihrer Ausbildung Sie standen. Die Penny-Sorte hatte zwar Ihrem sogenannten Meister rentirt, der ja Lohn sparte und Lohn empfing; Sie dagegen verdienten nicht das Salz dabei. Für die feinere Arbeit, die besser bezahlt wird, hätten Sie einer neuen Lehrzeit bedurft. Dazu fehlte aber jetzt: Muth, Geduld, Geld! So gaben Sie das Cigarrenmachen auf. Ist es so?
Ja! ja! war die einstimmige Antwort der Obigen.
Benthal fuhr fort: Ich habe mich speciell über diese Verhältnisse belehren lassen,
weil ich annehmen muß, daß Viele von Ihnen davon
Benthal gab eine Anzahl von Zetteln hintan zur großen Befriedigung Vieler, welche mit Eifer darnach griffen. Nur hin und wieder sah man eine Hand unschlüssig zucken — unschlüssig zwischen dem Orange der Noth und einem sehr bemerkbaren bürgerlichen Meisterstolz, der noch schnell zu überrechnen schien, ob seine Kasse vorhalten würde, auch ohne dieses dargebotene Auskunftsmittel. Hin und wieder hörte man aber auch den halb unterdrückten Seufzer eines Armen, der traurig die vertheilten Adressen an sich vorübergehen ließ, weil seine Umstände bereits so schlimm waren, daß sie ihm einen Aufwand von zehn Dollar Lehrgeld nicht mehr erlaubten. Personen dieser beiden Farben waren es, welche den Rector jetzt mit Fragen anlagen, was ihm Entscheidendes über ihre betreffenden Berufszweige etwa bekannt geworden. Benthal beschied sie so gut er's vermochte, ermangelnden Falls machte er sich Noten und versprach möglichste Auskunft für das Nächstemal. Daneben gab es aber auch welche, die sich selbst weder in diese noch in jene der bezeichneten Schicksalskategorien zu rangiren wußten, und offenbar noch keinerlei Mittel zwischen sich und der neuen Welt gefunden hatten. So z. B. gestand der Schneider aus Würtemberg unverhohlen, daß er sich in totaler Confusion über sein Geschäft befinde. Agenten, Briefe von Auswanderern, kurz Alles hätte zu Hause übereingestimmt, nichts sei sicherer und lohnender hier als die Schneiderei. Nun laufe er aber schon wochenlang ohne einen Stich in Newyork herum. Auch Landsleute am Hafen hätten ihm jede Hoffnung —
Nichts von den Landsleuten am Hafen! fiel Benthal lebhaft dazwischen, die
Racekennen wir! Das sind aller Welt Landsleute.
Eine Stimme rief aus der Mitte der Uebrigen: Ist stets dankbar anerkannt worden, Herr Rector, und wir Alle wünschen, Sie machten uns endlich die Freude, und ließen sich eine regelmäßige Gratification für Ihre Bemühungen gefallen. Es wäre nicht mehr als in der Ordnung.
Benthal antwortete hurtig: Ich bitte das ruhen zu lassen, ich habe es eben so oft
gewünscht. Sie wissen, daß ich kein Verdienst daraus mache, im grünen Baum
einzukehren und mich mit Ihnen zu
Der Würtemberger antwortete: Ei, Herr Rector, ich frug schon herum bei Einigen, aber man schlug mir überall fixes Engagement vor, und da bat ich mir doch Bedenkzeit aus.
Benthal lächelte: Die Rackers! wie sie nur ein deutsches Gesicht sehen, versuchen
sie gleich die Prellerei. Fixes Engagement in einem Shouth-Shop! Ein theures
Linsengericht in einer hungrigen Stunde! Ueberhaupt, meine Herren, betrachten Sie
das so ziemlich als Regel: wer Ihnen gar zu prompt festen Contract anbietet, der
speculirt auf Ihre Landesunkenntniß, auf Ihre augenblickliche Noth, und will Sie
zum weißen Sclaven machen. Nein, Herr Eckerlein, nichts von
solchen
Mir scheint, ich bin in dem gleichen Falle mit Herrn Eckerlein, hörte man die schwere Stimme eines Westphalen, die zu der schwäbischen Mundart des Würtembergers so markig contrastirte, daß Alles fast erschrocken aufblickte.
Sie sind? fragte Benthal.
In Deutschland war ich Tapezierer, antwortete der Westphale, was ich hier bin weiß
Gott, ich nicht. Mein Bruder, der als Zimmermaler im bischöflichen Schlosse zu
Münster Brod hatte, wurde abgedankt, weil er sich die Protestantin nicht ausreden
ließ, da man ihm ein katholisch' Küchenmädchen zugedacht hatte. Indem er sich nun
wegen der Auswanderung erkundigte, hieß es einstimmig: für Zimmermaler wär's
nichts, man hätte nur Tapeten drüben. Hollah, dacht' ich, denn ich stand schon
zuvor sprungfertig, der Eimer, der nicht Wasser hält, mißt doch Hafer; das ist
eine Hacke auf deinen Stiel. Ich geh' also voraus auf meine Profession, da sie die
bessere ist, und sollte mich umthun, wie der zu Hause nachzubugsiren wäre: aber
was find' ich? wollte Gott, ich säh' selbst wieder die Lippe fließen, statt North-
und East-River! Die Tapezierer, oder wie man's hier heißt, die Paperhangers, haben
nur drei Monat' im Jahr: April, Mai, Juni; — das war just die Zeit meiner
Ueberfahrt. Ich mußte also frischweg neun Monate warten — Bagatell! in neun
Monaten wird sonst zwei aus eins; ich aber wurde Null. Daß dich der Schwed! dacht'
ich, sollte denn die Papierleimerei das ganze Geschäft hier sein? Matratzen haben
Sie doch! So frag' ich nach Polstererarbeit. Die macht der Möbelschreiner, hieß
es. Auch nicht übel! Ich geh' nun zum Möbelschreiner. Ob ich anstreichen und malen
könnte! Mich trifft der Donner! Anstreichen und malen! ich mal' euch was! Am Ende
fragt das Beest, ob der Tapezierer ein Glockengießer ist! Aber so geht's hier;
Herr Bertling hat Recht, wahre Rattenkönige von Handwerk findet man hier. Das eine
Fach ist oft auseinandergeschlagen, daß man die Scherben in
Geht mir's anders? hub ein Glaser an; aber Benthal unterbrach ihn: Mit Erlaubniß, Herr Thalhofer ist nicht zu Ende.
Der Westphale fuhr fort: Was meinen Sie nun, Herr Rector, soll ich meinen letzten Penny in die Cigarrenmacher-Schule tragen?
Ist es der letzte? fragte Benthal.
Der allerletzte; und wenn der deutsche Kaiser sein Pöstchen einforderte —
Das sind freilich keine Umstände für einen Lehrcursus, erwiederte Benthal; mit Schulden anzufangen ist überall verdrießlich, doppelt in Auswandererslage, wo vielmehr stets ein paar Dollar Reisegeld übrig sein sollten für den Fall eines Unterkommens im Innern. Ich will Ihnen dieses sagen: In Williamsburg weiß ich zwei deutsche Doctoren, welche Pappschachteln machen; ihr Absatz ist bereits so gut, daß auch ein Dritter Arbeit fände. Fahren Sie einmal hinüber.
Der Tapezierer sagte bedenklich: Aber, Herr Rector, werden sich die Doctoren einen simplen Handwerksmann auch gefallen lassen?
Benthal schrieb ihm die Adresse auf und hielt den Einwand kaum der Mühe werth, mit Gemurmel darauf zu antworten: Ich hoffe, die Herren haben begriffen, daß sie in Newyork sind, und nicht in Schilda; — worauf er sogleich fortfuhr: Was wollten Sie sagen, Herr Loßbert?
Der Glaser antwortete: Neues gar nichts, Herr Rector, gar nichts. Ich bin eben dran, wie wir Deutsche alle. Der Goldarbeiter soll Uhrmacher sein, der Tuchmacher Teppichdampfweber, der Tapezierer Möbelschreiner, der Möbelschreiner Anstreicher — nur was der Glaser hier sein soll, konnt' ich noch nicht loskriegen. Aber daß er nichts ist, so viel weiß ich bereits. Auch ich tappe im Finstern herum nach einem Zipfel meines Handwerks und kann ihn nirgends erwischen.
Suchen Sie ihn beim Bautischler, antwortete Benthal.
Aber wenn auch dem Bautischler Arbeit fehlt? fragte der phälzische Schreiner.
So hat sie der Zimmermann, war Benthal's Antwort.
Und wenn der Zimmermann feiert? erhob sich ein tiefbrauner Kopf mit dem länglich-scharfen Profil des Oberfranken.
Was! der Zimmermann feiert? rief Benthal; hier, wo jede Sommerstunde ein Haus ausbrütet, jeder Tag der Geburtstag einer Straße ist? Nicht möglich!
Dann lüg' ich, sagte der Franke kurz.
Benthal hielt einen Augenblick inne, hierauf erwiederte er: Sie mögen Recht haben. Newyork liegt an der Front von Amerika, es hat den stärksten Anprall der Einwanderung auszuhalten. Ich gebe die Localconcurrenz zu. Aber, ist Newyork die Union? Wo bleibt das weltgroße Hinterland? Gibt's nicht für tausende von Ackern Jahr aus Jahr ein Fenzen zu machen, ist Pennsylvanien nicht bedeckt mit Sägemühlen, die Alles beschäftigen, was seine Holzart führt?
Reisegeld! rief der Zimmermann, und das Wort traf in seiner baaren Bestimmtheit so schlagend die einfache Situation vieler Andern, daß man es augenblicklich nachhallen hörte: Reisegeld! ja, Reisegeld!
Reisegeld ist immer zu haben, antwortete Benthal; wer es so entschieden sucht, wie ich es hier äußern höre, der findet es am Hafenkrahn, bei den Eisenbahnen, beim Canalgraben, im Arsenal auf Brooklyn, mit der Handkarre, mit der Schaufel — wo und wie Sie wollen! Ich wüßte keine Sorte öffentlicher Arbeiten, welche nicht Taglöhner beschäftigte, so viel sich deren melden.
Das Wort Taglöhner machte einen aufregenden Eindruck auf die deutschen Handwerker. Einige fuhren wild durch einander, Andere scharrten mit den Füßen, Manche schrieen laut auf und schickten sich zum Weinen an bei der Nennung eines Wortes, das ohne alle Illusion eine desperate Lage bezeichnete. Ein Schmerzensausruf nach Deutschland erscholl, und Einer nahm dem Andern das Wort der Rückkehr vom Munde.
Benthal ließ all diese Aeußerungen eine Zeitlang ruhig gewähren, dann ergriff er
wieder das Wort und sagte, als ob es nichts Besonderes wäre: Was die Rückkehr nach
Deutschland betrifft, so habe ich eine Notiz darüber, welche von den
Schiffsrhedern, wie es scheint, in tiefstes Dunkel gehüllt wird, denn es wäre
sonst befremdend, daß sie nicht allgemeiner benutzt wird. Es besteht nämlich ein
Gesetz, welches jeden Schiffseigenthümer verpflichtet, den Auswanderer, der
binnen
Hier wurden die Worte des Sprechers unhörbar, denn die ganze Versammlung war wie elektrisirt bei dieser Mittheilung. Alles sprang von den Stühlen auf, als sollte es stehenden Fußes nach Deutschland zurückgehen. Der Zustand jedes Einzelnen schien mit Einemmale kopfüber gestürzt, jede Sachlage in ihr Gegentheil verwandelt, jeder gefaßte Entschluß unhaltbar, und nur der eine Gedanke lebensfähig: Rückkehr nach Deutschland. Wie ein ausfliegender Bienenschwarm entstand plötzlich eine äußerst lebhafte, ja tumultuarische Debatte in der Gaststube, und ihr Inhalt war — wenn in dem allgemeinen Durcheinander überhaupt sich ein Inhalt verfolgen ließ — daß Jeder dem Andern zu beweisen suchte, sein Erwerb sei unzulänglich, war es nie anders, und werde es nie anders sein; kurz, er sei im vollsten Rechte, jenes Gesetz zu seinen Gunsten in Anspruch zu nehmen. Dazwischen wurde mit glühenden Farben das Leben in Deutschland geschildert, es stellte sich sonnenklar heraus, daß man zu Hause das Beste verlassen und das Schlimmste dafür eingetauscht, man könne nicht schnell genug den Fehler gut machen; ja, die hitzigsten Köpfe ließen sogar den Vorwurf hören, daß Benthal diese Nachricht all' seinen übrigen nicht gleich vorausgeschickt, sie sei ja mehr werth, als das ganze Amerika.
Benthal versuchte ein paar Mal zu Worte zu kommen, aber vergebens: er wurde der Aufregung nicht mächtig. Mit schwülem Aufathmen griff er sich an die Stirne, that einen Zug aus seinem Glase, und sah über das ordnungslose Element dahin, mit einem Blicke, der halb dem verachtenden, halb dem erbarmenden Mitleid angehörte. Endlich gewann das Erbarmen die Oberhand, er sprang auf, und griff mit folgender Ansprache muthig an sein Steuer.
Meine Herren, rief er, da Sie sämmtlich nach Deutschland zurückkehren, so erlauben
Sie mir ein Wort des Abschiedes, denn wir sehen uns in diesem Falle wahrscheinlich
zum letzten Male heute. Nach diesen Worten wiederholte er einen Zug aus seinem
Glase, aber wenn je eine Kunstpause wirkte, so that es diese. Es wurde plötzlich
stille, man sah sich mit langen Gesichtern an, einige fingen zu lachen an. Diesen
Moment ergriff Benthal, er setzte sein Glas ab, und lächelte
Möchten Sie das Glück, wovon ich spreche, in Tagen und Stunden erreichen! wer
wünschte es aufrichtiger als ich? Aber wie schnell ist auch eine Handvoll Jahre
herum! Der Lehrling sieht sich als Geselle, der Soldat als ausgedient, der
Gefangene in der Freiheit — Jahre sind kurz, wenn das Ziel feststeht, das dahinter
liegt; ohne dieses wird auch ein Tag zur unerträglichen Last. Glauben Sie an Ihr
Glück und es wird sich erfüllen. Was macht den Yankee groß? Daß er keinen Moment
zu fixiren, sondern jeden zu überbieten strebt. Anders der Deutsche. Er liebt das
Beharren, Alles, auch das Schlechteste, wird ihm zum Ruhepunkte. Fragen Sie sich
selbst, wie Sie dahin kamen, dieses kleindeutsche Kartenhaus festzuhalten? Ihre
anfängliche Absicht war es nicht. Man wollte nur vorläufig beisammen bleiben bis
Jeder seinen Weg gefunden hätte, aber dieses „vorläufig“ wurde zur Gewohnheit. Man
fand zwar seinen Weg nicht, aber doch einen winzig schmalen Pfad, und der Deutsche
ist ja genügsam. Auf
Das geht uns an, murmelte der Schriftsetzer dem Frankfurter Gärtner zu.
Benthal faßte die Beiden in's Auge, schwieg einen Augenblick, dann sagte er: Ich nenne keinen Namen, aber ich verleugne auch nicht, wer sich selbst nennt. Allerdings, das geht Sie an, meine Herren. Herr Henning, metteur en page, absolvirter Gymnasiast, ein Mann, der nöthigen Falls irgend einen halblateinischen Humbuger von seinem Katheder jagen könnte, zieht den Ruhm der Bescheidenheit allen übrigen Erdengütern vor. Er findet sein Geschäft überfüllt am hiesigen Platze, feiert, und hat die Selbstverläugnung — Wassereimer zu schöpfen in dankbarer Erwiederung der Verdienste, welche Herr Birk die Großmuth hat, sich um Herrn Henning zu erwerben. Nun ist zwar Ziehbrunnenarbeit nicht die heilsamste Leibesübung für einen Menschen, welcher im letzten Stadium der Phthisis pulmonalis geboren zu sein den Anspruch macht, auch wird die Nützlichkeit dieser Beschäftigung nach einigen der heißesten Sommerwochen zu Ende gegangen sein: indeß bescheide ich mich gerne, vorwitziger zu sein als mir ziemt. Der Deutsche ist ja so unendlich reich an Hilfsmitteln — sicher ist das, was nach dem Ziehbrunnen kommt, noch immer origineller als meine dürftige Phantasie. Hat sich doch ein deutscher Offizier dem Glöckner an der Trinitatis-Kirche als Aushelfer für die Vergünstigung associrt, daß er die Sperlinge auf dem TrinitatisThurm schießen darf. Von diesen Sperlingen lebt er!
Der Schriftsetzer brummte: Was kann denn er dafür, daß auf dem Trinitatisthurm nicht Truthühner nisten!
Herr Birk selbst — fuhr Benthal fort — kam aus der Frankfurter Gemarkung, aus der
Hochschule des deutschen Gemüsebau's und wird mit Schrecken inne, daß die
Gemüseschüssel keine Rolle spielt zwischen den Fleischbergen der hiesigen Tafel.
Mit Noth findet Herr Birk noch ein Stückchen Sand, das ihm einer der wenigen und
schlechten
Meine Herren! wir alle hatten einen Hügel, von dem unsre Eltern, Geschwister und Freunde zum letzten Male ihre Taschentücher schwenkten; auch wir knüpften die unsrigen an die Wanderstöcke, das wehmuthsvolle Geflatter ging hin und her, wir glaubten nicht, daß es ein Ende nehmen könne. Als es aber doch zu Ende war, da rafften wir uns mannhaft empor und nun hieß es tapfer: Deutschland ade! Wir versprachen uns, als neue Menschen die neue Welt zu betreten. Wie, meine Herren, halten wir so Wort? Wehen die verweinten Taschentücher noch einmal? Wo bleibt der herzhafte Abschiedsruf: Deutschland ade? Ha, sind wir Auswanderer, die nicht ausgewandert sind? Das verhüte Gott, meine Herren, denn dann wären wir die unglücklichste Bastard-Gattung von allen Gattungen des Thierreichs.
Verstehen Sie mich recht, meine Herren. Sie haben keinen jener falschen Propheten
vor sich, welche den perfiden Gemeinplatz ausbreiten, der Deutsche müsse sich
möglichst schnell yankeesiren, um sein Glück zu machen. Nichts weniger. Ich
beschwöre Sie sogar: schärfen und schleifen Sie alle Spitzen Ihrer Nationalität
wie ein chirurgisches Besteck, und zerfleischen Sie Jeden damit, der Ihnen zu nahe
tritt. Ihren deutschen Tiefsinn stemmen Sie entgegen der routinirten Flachheit,
Ihr deutsches Gemüth der höflichen Herzenskälte, Ihre deutsche
Und nun, meine Herren, lassen Sie mich noch einmal Abschied nehmen. Nächste Woche
finde ich vielleicht Manchen von Ihnen nicht mehr hier, aber nicht weil er nach
Deutschland zurückkehrte, sondern weil er nach Taglohn aus ist — wenn ich mir's,
schmeicheln darf. Wer es immer sei, der sich zu diesem Anfang entschließen wird —
er sei beglückwünscht! Und wer es nicht thut, der störe mindestens den Andern
nicht. Der Amerikaner achtet jede Arbeit, denn keine ist ihm ein Dienst. Diener
und Dienstherr speisen an demselben Tische und jeder spuckt genau in dieselbe
Distanz vor sich aus — ein äußerer Gradmesser ihres inneren Selbstgefühls. Nur der
Deutsche ist's, der seinen Landsmann mißachtet, oder der sich selbst erniedrigt
und verknechtet fühlt, und kaum zum Tageslicht aufzublicken wagt, wenn ihn Jemand
mit der Schaufel in der Hand betritt, der ihn mit der Feder hinterm Ohr gekannt
hat. Fluch diesem Unsinn! Fluch dieser Handwerksehre, welche Menschenschande ist!
Ich speiste einst, meine Herren, bei einem Banquier in Deutschland. Es war mitten
im Januar und wir hatten frische Erdbeeren und Pfirsiche zum Dessert. Aber draußen
auf der Galerie weinte das kleine Töchterchen des Hauses, und fragte mich im
Vorbeigehen, ob ich ihr kein Brodrindchen zustecken könnte. Nach drei Tagen war
der Banquier todt und seine Leute begruben ihn schnell, damit die Giftflecke an
der Leiche nicht zum Vorschein kämen. Das war deutsche Handwerksehre! — Mein Mr.
Mockingbird
Kleindeutschland saß noch lange um seine Lichter herum, als Benthal mit einem raschen Verschwinden zur Thüre hinaus war. Vor der Thüre aber fühlte er eine Hand auf seiner Schulter und eine klangvolle Männerstimme sprach: Ich danke Ihnen für diese deutsche — That!
Benthal wendete sich dem Sprecher dieser Worte zu, und erkannte denselben schneller, als es zuvor umgekehrt der Fall gewesen. Freudig erstaunt lüftete er den Hut, womit er sich eben bedeckt hatte, und erwiederte Worte wie diese oder ähnliche: Herr Doctor, die Ehre Sie wieder zu sehen ist mir eine unschätzbare. Moorfeld antwortete lebhaft: Nicht so, mein Bester! Lassen wir diese Sprache, wenn's beliebt. Die Höflichkeit kommt mir vor wie die Mönchsschrift auf alten Pergamenten: sie erbaut, so lang nichts bessers da ist, aber man beseitigt sie, wenn ein guter Dichter unter ihr entdeckt wird. — Ich wette, Sie sind selbst Dichter, erwiederte Benthal auf dieses Bild. Moorfeld lächelte schalkhaft: Um Verzeihung! keine Wette ohne Gegenwette; aber eine solche wünschte ich nicht.
Die beiden jungen Männer nahmen sich unter den Arm. Benthal behielt seinen Hut in
der Hand, trocknete sich die Stirn und lüftete der geringen Nachtkühle ein paar
Knöpfchen. Moorfeld sagte: Klopstock
An das Vergänglichste! wiederholte Benthal; — freilich! aber wer weiß denn was vergänglich ist? Bis dieses Wissen kommt, handelt man im Glauben an dauernde Erfolge. Das kann unter Umständen sehr lange währen. Der Glaube ist dann das eigentlich Unsterbliche an der Sache.
Recht so! recht so! rief Moorfeld mit Wärme, der Glaube! der ist überhaupt Alles! Er ist die größte Heldenthat des Menschen. Ich werde nicht müde, das zu behaupten. Der Glaube ist der Vater der Menschheit; die Skepsis ist eine alte unfruchtbare Jungfer.
Benthal warf einen besorgten Blick auf seinen Begleiter. Moorfeld bemerkte es und fuhr lachend fort: Sein Sie ganz ruhig, Bester. Ich bin weder Jesuit, noch Kapuziner, noch Consistorialrath. Von jenem Glauben ist ja hier nicht die Rede. Oder vielmehr von ihm nicht allein. Glaube ist Selbstgefühl. Ich frage keinen Tischler, was er glaubt: er glaubt an seinen Hobel. Ach, Europa wimmelt von Tischlern, die nicht mehr an ihren Hobel glauben! Darum ergriff ich Ihre Hand, weil ich Sie so imposant glauben sah.
Benthal antwortete: Ach wohl! ich glaube wie jener Jude, der in Rom Christ wurde,
der schlechten Christen wegen. So glaube ich hier an unser Volksthum. Wenn ich dem
zerfahrenen Leben der Deutschen zusehe, und wie eifrig sie sich ihren eigenen
Untergang angelegen sein lassen, so möchte ich mir oft mit Glüheisen meine
deutsche Haut vom Leibe brennen. Es ist ein Schauspiel zum Rasendwerden. Wenn ich
aber erstaune, daß ihnen ihre Selbstzerstörung doch nicht gelingt, daß sie immer
wieder lebendig vom Boden aufstehen, auf dem sie todt hingesunken; wenn ich die
hiesigen Nativisten betrachte, wie sie im Besitze des mächtigsten Staatslebens der
Erde Bollwerk um Bollwerk aufthürmen gegen diese armen verlornen Söhne; wie sie in
ihrer Presse die raffinirtesten Gifte destilliren, um uns zum Teufel zu befördern;
wie sie mit offenen Judenverfolgungen in unsre Quartiere einfallen; wie
unsre
Moorfeld sagte: Und Ihre Ketzer, glaube ich, wären noch etwas straffälliger. Ich hörte hier von schändlichen Proben des Humbugs. Kaum glaubt' ich sie, wenn ich persönlich nicht auch schon Erfahrungen über diese Galeeren-Moral hätte.
Eigentlich betrügt der reine Amerikaner nicht um der Beute willen, antwortete
Benthal; kein Volk ist weniger habsüchtig und leichter geneigt, das erworbene
Privatvermögen zu wohlthätigen und nützlichen Zwecken der Oeffentlichkeit wieder
zurückzugeben. Seine Listen und Tücken sind's, die den Yankee nicht ruhen lassen,
auch wenn er wollte. Er kann nicht leben ohne das Gefühl der Ueberlegenheit über
Andere. Diesen Kitzel befriedigt er im Guten wie im Schlimmen. Seine Beute ist
nicht sowohl ein Raub, als vielmehr ein Preis; denn stillschweigend besteht im
ganzen Volke eine beständige Wette, wer es dem Andern an Kniffen zuvorthut. Tropf,
paß auf! ist die allgemeine Loosung. Sie betrügen nicht, sie gewinnen nur die
Preise ihrer ewigen Nationalwette. Sie sind mehr Schelme als Schufte. Freilich hat
auch der gemeine, echte Betrug um so leichteres Spiel unter diesem Schutze der
öffentlichen Meinung. Und wieder ist der böseste Betrug der Verzeihung gewiß, wenn
er gegen den Deutschen geübt wird. Den Deutschen herunterzubringen ist gleichsam
Nationalsache. Viel verzeihen sich die Amerikaner einander, was nirgend sonst
durchginge; aber — leider darf ich es sagen! Alles verzeihen sie sich dem
Deutschen gegenüber. Es ist ein Deutscher! hat ihnen ungefähr die Bedeutung, wie
den alten Spaniern: es ist ein Moriske! Hier fehlt jede Gränze. Vor Kurzem wurde
in Newyork ein deutscher Familienvater erschlagen. Ein Amerikaner that's, mit dem
der Deutsche Wortwechsel hatte; aber die brutalen Seevölker wechseln überhaupt
nicht Worte, wie der den
Entsetzlich! rief Moorfeld; Sie haben diese Geschichte im besten Henkerstyl erzählt: kurz und kalt, wie ein Fallbeil. Ich träume heute davon, vorausgesetzt, daß sie mich schlafen läßt. Und nach einer Pause fuhr er fort: Sagen Sie, zu welcher Schönheit blickt man hier auf, wenn die Erde ihre wüstesten Fratzengesichter schneidet?
O weh, rief Benthal, Schönheit und Amerika! Aber Sie antworten sich selbst. Blicken Sie immerhin auf, droben wohnt überall die Schönheit, drunten nie. Der Schwindelnde macht's ja nicht anders: aufwärts sieht er, nicht abwärts, um sich zu halten. Darum haben sie auch die Sterne zu ihrem Banner gemacht. Sie erriethen's instinktmäßig, ihre Erde hat weniger Schönheit, ihr Sternenhimmel wird dringender gesucht, als irgend sonst wo. Ja, fassen wir's fest in's Auge: nicht was dieses Volk ist, sondern was es bedeutet! Es bedeutet Höheres als Griechen und Römer, es bedeutet die Weltfreiheit! Von einem andern Sterne gesehen ist nicht Rom, nicht Athen der lichteste Punkt unsers Planeten — Washington ist's. Amerika's Schönheit ist Amerika's Idee!
Das sagt' ich mir auch als ich herfuhr, antwortete Moorfeld, aber ich komme hinter den Fehler meiner Definition. Die Schönheit ist nicht eine Idee, sie ist eine sinnliche Form. Die Idee wird nur vom abstracten Geiste erfaßt; das ist eine Mühe, kein Genuß. Wie existirt hier das Herz?
Das Herz existirt nicht in Amerika, war Benthal's Antwort.
Das ist ja nicht möglich! Wovon leben denn die Weiber?
Vom Putz und von der Bibel.
Leider, Sie scheinen Recht zu haben. Aber Sie — wovon leben Sie selbst.
Von meiner Pauline.
Gott segne sie! Es muß ein herrliches Mädchen sein, das Sie bei so viel Heldenkraft erhält. Ich bitte, erzählen Sie mir von ihr.
Es war einmal ein schönes Mädchen. Ich habe erzählt.
Klassischer Lacedemonier! Kleindeutschland hat Ihnen diesen Styl angewöhnt? Ein wahrer Pallisaden-Styl. Schroff, starr, Männer dahinter! Indeß der Frühling frägt nichts nach Pallisaden. Brauchen Sie zur Freundin einen Freund? Sie haben sich ihn heute erworben. Dann aber — Herz um Herz! Gilt's?
Benthal antwortete: Es hat gegolten, in jenem ersten Augenblicke schon, als Sie in Mr. Mockingbird's Schule eintraten. Ihre ganze Erscheinung war mir ein Freimaurerzeichen, das ich zu beantworten dürstete. Ich bin stolz darauf, daß Sie das, was ich in Kleindeutschland zu wirken versuche, für meine Antwort halten wollen. Aber von Paulinen wollten Sie hören. Sie ist, wie Sie leicht schließen werden, keine Amerikanerin, sie ist eine Deutsche. Auf dem Auswandererschiffe wurde ich bekannt mit ihr. Und da es mir schwer werden dürfte, von einer so verschlossenen, nur in Thaten sich äußernden Natur Ihnen ein Bild zu entwerfen, so will ich lieber das Geschichtchen dieser Bekanntschaft selbst erzählen.
Sie finden den dankbarsten Zuhörer, antwortete Moorfeld.
Benthal fuhr fort:
Meine Geschichte spielt auf dem Verdecke des Kauffahrers, der mich von Havre nach
Newyork bringt. Da zähle ich die Schritte auf und nieder, und sehe in das viele
Wasser hinaus. Möwen, Delphine, fliegende Fische und das übrige Etcätera der See
ist die einfache Ausstattung der Scene. Bei heiterem Wetter kriechen aus Cajüte
und Zwischendeck nach einander all die wohlbekannten Gesichter hervor, die man
täglich mit stiller Freundlichkeit, mit resignirter Geduld grüßt, indem sich Jeder
inwendig denkt: Ich wollte, ich sähe einmal was Anderes. Unter den Passagieren der
Cajüte wandelt dann mit ihrem stillen, sittigen Frauenschritt eine ältere Dame —
unendlich ruhig, un
Wie artistisch empfunden! rief Moorfeld mit der Freude des Kenners, sagen Sie noch, daß Ihnen ein Bild schwer wird, ohne geschichtlichen Grund! Ein rein dichterischer Zug, eine Nüance voll Plastik!
Ich bin kein Dichter, sagte Benthal mit einer gewissen Genauigkeit der Definition,
ich habe nicht die Imaginationskraft, zu schaffen, höchstens, das Geschaffene zu
empfinden. Aber Moorfeld's Sympathie war in ihrem Kern getroffen, Benthal selbst
hätte es nicht mehr ändern können. In Kleindeutschland hatte ihn Moorfeld achten
gelernt, wie ein Mann den Mann achtet, dieser Zug befriedigte das Besondere in
ihm, das Eigene. Er drückte unwillkürlich Benthal's Arm brüderlicher an sich;
dieser fuhr fort: Die Matrone verkürzte sich von Zeit zu Zeit die Langweile der
Seefahrt mit Lectüre. Eines Tags sah ich sie mit einem alten Zeitungsblatt in der
Hand an mir vorübergehen. Wie wurde mir, als ich nach dem Kopfe des Blattes
schielend, eine liberale pfälzer Zeitung erkannte, an welcher ich unter dem
bewegtesten Wechsel von Privat- und öffentlichen Geschicken ein Hauptmitarbeiter
gewesen! Mein Blick mochte lebhafter, als er sollte, meinen Rapport mit diesem
Stück Papier ausgedrückt haben, denn die Dame reichte mir es, zwar nicht als
Neuigkeit, wie sie sich entschuldigte, aber solch kräftiges Stammholz halte sich
lange, sagte sie, man schnitze sich jetzt erst mit gehöriger Andacht Reliquien
daraus. Sie fügte dann zum
Moorfeld ergriff die Hand des Erzählers, und drückte sie lebhaft: Ich danke Ihnen mit meinem ganzen Herzen für Ihr bereitwilliges Vertrauen! Noch liegt Kleindeutschland nicht weit hinter uns, aber um wie viel näher sind Sie mir wieder gerückt! Wird Einem doch erst recht wohl am Menschen, wenn man ihn lieben sieht!
Ich wenigstens, antwortete Benthal, erkenne meinen günstigsten Stern darin. Vielleicht säß’ ich selbst unter der verirrten Herde Kleindeutschlands, schleppte in einem empfindsamen Thränensack das Hambacher Andenken herum, und schliche als ein müssiger Schatten durch die Jahre der Kraft. Mein Glück hat mich bewahrt davor. Es zeigte mir schon im Ocean, wofür ich am Ufer ringen sollte. In jener Wüste von Ekel, Langweile, körperlichem und geistigem Siechthum, welche eine Unmasse von Auswanderer-Kräften schon vorweg aufzehrt, und welche man eine Zwischendecks-Seefahrt nennt, — in diesen mattesten Jammertagen eines menschlichen Erdenwallens legte es seine Lunte an mich, und entzündete meine brennendsten Energien. Ein Glück nenne ich das, denn es ist das Einzige, das den Namen Glück verdient. Nicht mit einem großen Lotterietreffer die menschlichen Kräfte zu pensioniren, sondern sie im rechten Augenblicke mit einem Ziele heißer Begehrung aufzuregen, das ist das Glück!
Moorfeld erwiederte: Im Namen der europäischen Poesie müßte ich eigentlich
Einsprache thun gegen diese Auffassung der Liebe. Sie
Ich nehme Ihren poetischen Protest doch nicht ungern zu Protocoll, antwortete Benthal. Ach, so wohlthuend ist die Erscheinung hier, die Sie lyrischer Luxusmensch nennen! Ueberhaupt macht der Europäer in Amerika den vornehmen Eindruck eines grand Seigneur. Da ist so viel Ueberfluß, so viel Unnöthiges, Unfruchtbares! Seine ganze moralische Landschaft ist wie eine Parkanlage; ein Sperling findet kein Kirschchen darin, aber ein Torquato Tasso die Stanzen des befreiten Jerusalems.
Bravo, rief Moorfeld, einen Lorbeerkranz für dieses Wort! Ich glaube, Sie werden vollständig die Aufgabe lösen, die Sie unsern Landslenten dort proclamirt haben: deutscher Geist, amerikanischer Arm!
Ich möchte es versuchen, sagte Benthal. Ja, lassen Sie mich's machen wie der Ruderer: — das Ufer, dem er zusteuert, hat er im Rücken, wovon er abstößt, im Angesicht. Lassen Sie mich in Amerika anlanden, das Auge geheftet auf Europa und seine besten Vertreter. Er drückte seinem Begleiter die Hand.
Was mich betrifft, antwortete Moorfeld, so bin ich fast in gleicher Lage, nur umgekehrt. Wir müssen nothwendig mit einander gehen.
Unsere neuen Freunde waren während dieses Gespräches wieder in der Nähe des
Theaters, von welchem Moorfeld ausgegangen, ange
Es ist die Wohnung der Frau von Milden, meiner Schwiegermutter in spe, die ich Ihnen hier mittheile. Ich pflege meine freien Stunden dort zuzubringen, und wenn Sie es nicht verschmähen, der Vierte in einem Bunde zu sein, der sich einander nicht kreuzigt und erdolcht, sondern blos eine Parthie Whist spielt, so ist Ihnen das Lorettohäuschen meiner Frauen, das ich sonst Niemanden öffnete, mit aller Bescheidenheit aufgethan. Gewissermaßen sind Sie ohnedies schon eingeführt dort, denn Ihr Besuch in Mr. Mockingbirds Schule war mir eine zu wohlthuende, für Amerika zu seltene Erscheinung, als daß ich ihn nicht auch unter meinen Frauen gefeiert hätte. Ja, und sind Sie nicht der Ritter unsrer kleinen Malvine geworden, der Sie so freundlich aus der Noth halfen, als sie auf einem Botengang zu mir sich verirrte, und von halb Newyork im Stich gelassen wurde? Unser Haus wird sich freuen, Ihnen zu danken, es war ein Ereigniß in der kleinen Idylle! Das Kind fand seinen Weg sonst spielend zu Mr. Mockingbird, er ist auch kurz genug; aber damals war das arme Schneckchen ein Opfer der Politik geworden; es lief einem Straßenaufzug der Clay-Partei und seinen Fahnen und Standarten nach, da trieb es im Umsehen mitten in Newyork, wie eine Bachforelle im Ocean. Die kleinste der Damen Milden ist nicht wenig liebenswürdig, wenn sie von Ihnen spricht — was sollen die großen dabei thun? Am Ende sind's doch die Kinder, welche den Ton angeben!
Ich liebe die Kinder, sagte Moorfeld; in der ganzen weiten Welt sind sie's allein,
zu denen ein uneigennütziges Verhältniß möglich ist. Die Natur unterwirft man der
Kunst, die Kunst eifersüchtelt mit der Natur — wir mögen uns stellen wie wir
wollen: unser Leben ist
Die jungen Männer hatten sich eben getrennt, als Benthal, eh' er die empfangene Karte einsteckte, beim Lampenschein einen Blick darauf warf. Er rief den Hinweggehenden sogleich zurück und stellte ihm die Karte mit den Worten zurück: Um Verzeihung; ich habe hier keinen Dr. Moorfeld, sondern einen Herrn von —
Moorfeld ergriff hastig das dargereichte Blättchen und erröthete. Eine Verwechslung mit irgend einer fremden Karte, sagte Benthal. — Sie irren, antwortete Moorfeld, oder scheinen zu irren. Es war mein eigener Name in Europa. Nach diesem Geständniß folgte eine Pause zwischen beiden Männern. Von Benthal's Bescheidenheit war nicht zu erwarten, daß er um Aufklärung bitten würde, obwohl ihn allerdings eine gewisse Empfindlichkeit anwandeln mochte — nicht über dieses Incognito, als vielmehr über die ungenirte Weise, womit es sich eingestand. — Moorfeld nahm endlich gegen Benthal das Wort: Sagen Sie, wie ward Ihnen zu Muthe, als Ihr Name zum erstenmale von amerikanischen Lippen ausgesprochen wurde? Vielleicht wie einem Badenden, dem seine Kleider gestohlen sind. Es war ein heilloses Gefühl, wie? In Europa unter bekannten Verhältnissen bezeichnete Ihr Name einen gewissen Werth, wie die Ziffer auf einem Münzstücke: hier waren Sie eine Ziffer ohne das Münzstück — Sie hätten eben so gut No. 20 heißen können. Ist es so?
Ich kann Sie vollkommen verstehen, antwortete Benthal. Die alte sociale und ideele Bedeutung hat man am andern Ufer abgelegt, und doch bringt man noch den Träger derselben, den Namen, herüber. Da ist's nun ganz eigen, den Namen zu hören und zu wissen, daß dabei nicht mehr gedacht wird, was sonst gedacht wurde.
Sehen Sie! So trag' ich denn lieber einen angenommenen Namen für Amerika. Man kann
ein- und denselben Namen nicht zugleich
Benthal antwortete: Sie sprechen von Cotta's Presse und ich muß mit Bedauern ahnen, daß Sie mir kein bleibender Freundesbesitz sind. Sie gehören also nicht, wie ich, mit Ihrer ganzen Zukunft dem Lande an? Sie treiben's mit dem Schweden nur zum Schein?
Ich treib' es mit dem Schweden nur zum Schein! wiederholte Moorfeld mit einer Nachbetonung, welche eine Einkehr in sein innerstes Selbstbewußtsein verrieth. Ein sonderbares Wort! Wie eigenthümlich schicksalsvoll klingt es mir! Sie stellen mich mit dem Gemordeten von Eger zusammen?
Benthal erschrack fast über den Eindruck, den er so zufällig auf Moorfeld gemacht hatte, und nahm wieder das Wort zu Ausbeugungen, aber dieser fiel ihm rasch in die Rede: Nein, nein, Sie haben nicht weniger als der Pappenheimer das Recht, Ihre Frage zu stellen, wie es Ihnen einfällt. Hingegen die Antwort darauf! Das ist's, was mich so wunderlich hier berührt. Die gleiche Polarität mit dem Manne, der zwischen Kürassieren und Sternen die ideale und reale Welt in sich verbinden will. Steh' ich nicht eben so zwischen Europa und Amerika? Ist mir's bestimmt, in Prag eine Königskrone, in Eger eine Todeswunde zu holen? Ja, ahn' ich denn nur, in welcher der beiden Welten mein Prag, mein Eger liegt? So habe ich in Ihrem Citat eine jener Stimmen gehört, welche scheinbar von menschlichen Sprachwerkzeugen kommen, aber es sind keine Menschenstimmen. Sie faßte mich tiefer.
In diesem Augenblicke kam auf dem Giebel von Astorhouse ein rother feuriger Rand
zum Vorschein, — es war der abnehmende Mond, der in dieser späten Nachtstunde
aufging. Benthal streckte die Hand aus und rief: Sehen Sie, da kommt unser
Landsmann! Der Mond ist ein geborener Deutscher. Dacht' ich's doch! wo zwei
Deutsche beisammen sind, kann er nicht ausbleiben. Ist das nicht ein Zeichen, daß
wir verweilen sollen? Der Park bekommt jetzt erst seine rechte Magie und das
marmorene Stadthaus dort mit seinen schlechten Verhältnissen die beabsichtigte
Noblesse. Der Marmor ist überhaupt nur ein Stein für die Mondbeleuchtung. Und die
Gedanken, die Sie da anregten — setzte er hinzu — die sind erst recht geschaffen
für's
Pfui! rief Moorfeld, man sollte die Geliebte selbst nicht im Scherze nachsetzen. Von ihr zu hören, machte uns beiden Freude; aber mein Verhältniß zu Europa und Amerika? Freilich ist's auch eine Dame, es ist eine Sphinx! Die sagt mir nicht, in welchen Längen ich segle — sie gibt mir selbst Fragen und Räthseln auf. Schlimm wenn ich sie nicht löse, und schlimm wenn ich sie löse — ein König Oedipus! Doch Sie haben Recht. Profitiren wir von dem späten Mondbesuch, es plaudert sich ganz hübsch zwischen Mond und fahrendem Poeten, es klingt so en famille! Gebt dem Dämmer was des Dämmers ist!
Die beiden Freunde faßten sich von Neuem unter dem Arm und gingen in den Lindenalleen des Parks auf und nieder. Moorfeld begann: Als ich vor einigen Jahren anfing, meinen Dichterberuf zu fühlen, überkam mich eine unermeßliche Unruhe. Ich sah um mich her und fand, daß unsre gesammte poetische Literatur das nicht ausdrückte, was sie ausdrücken wollte und sollte.
Benthal machte eine überraschte Gebärde.
Das fand ich, wiederholte Moorfeld. Ich fand mich in einen Hexensabbath geworfen,
in einen Maskenball, die ganze Poesie kam mir vor, wie eine verabredete
Vermummung, eine Verrätherei, eine Verschwörung, und auf mich war's gemünzt. Ich
fühlte einen starken und eigenen Inhalt in mir, und die Masken huschten in antiken
und romantischen Lügengewändern um mich her, und wie das munkelte, zischelte,
flüsterte, so ward mir nicht anders, als sie wollten mich verleiten, zu horchen,
damit ich meine eigene Stimme überhörte. Es war ein unnennbares Gefühl. Ich bin
verlegen, es Ihnen ganz deutlich zu machen. Denken Sie sich einen Musiker, der
mitten in einem rauschenden Concert einen eigenen Einfall bekommt. Von dem
Augenblicke an spielt ihm das Orchester in gräulichen Disharmonien. Mit größter
Anstrengung hält er den eigenen Gedanken fest, es gelingt nicht, die äußeren Sinne
überwältigen ihn, der Gedanke sinkt, er geht unter, schon vernimmt er ihn nicht
mehr, da ergreift ihn die
Es interessirt mich, sie zu hören, antwortete Benthal.
Ich meine es so, sagte Moorfeld: die ganze Literaturgeschichte zerfällt mir in
zwei Perioden; die eine zähle ich von Homer bis Racine, die zweite von Racine bis
in unbekannte Zeiten. Diese Perioden mögen Ihnen wunderlich dünken; in der ersten
stehen z. B. die großen Gegensätze von antik und romantisch, christlich und
heidnisch unberücksichtigt neben einander, — aber ich finde ein Merkmal der
Gleichartigkeit für sie: den Ausdruck des nationalen Inhalts. Homer singt seine
Griechen, Cervantes seine Spanier, Camoens seine Portugisen, Shakespear seine
Engländer, bis herauf zu Racine, welcher seine Franzosen singt. Das ist das
einheitliche Moment dieser Periode — die Poesie der Nationalität. Nach Racine
folgt eine andere Periode — die Poesie der Individualität. Recht schlagend für
diese Eintheilung mag ich zwei Engländer nennen — Shakespeare und Byron. Was wäre
Shakespeare außer England, was Byron in England geworden? Nichts. Jener hatte die
Nationalität, dieser die Individualität zu singen. Ihre Poesie ist in der Wurzel
verschiedener, als die von Virgil und Tasso. Sie repräsentiren die alte und neue
Zeit meines Begriffes. — In Deutschland, wie billig für deutsche Verhältnisse,
hatten wir keine große Nationalitäts-Poesie; desto ungestümer brach die
Individualitäts-Periode an: — das war die Sturm- und Drang-Periode. Man hat von
einem Abschluß dieser Periode durch Schiller und Goethe gesprochen. Aber Sie sehen
wohl, wie lächerlich das ist. Haben wir denn bis auf diese heutige Stunde schon
einen andern Inhalt gewonnen, als den der Sturm- und DrangPeriode — unser armes
drangvolles Ich? Oder ist dieses Ich so
Die Weimarer haben die Sturm- und Drang-Periode nicht abgeschlossen, sondern blos
unterbrochen und verwirrt. Als sie von Werther und Karl Moor abfielen, fielen sie
vom ganzen modernen Weltalter ab. Sie legten den Inhalt der Poesie aus der
Individualität wieder in die Nationalität zurück; allerdings griffen sie nach der
schönsten Nationalität — nach der griechischen. Aber es war immer eine
willkürliche Wahl und Andere konnten anders wählen. Das thaten denn auch die
Romantiker. Sie führten die Poesie in die indische, skandinavische, germanische,
romanische, überhaupt in sämmtliche Nationalitäten der Welt. Natürlich behauptet
das Herz sein Recht und selbst Münchhausen wird manchmal die Wahrheit sagen. So
verrieth sich im nationalen Costüm gelegentlich das individuelle Herz. Aber
sonderbar! bei solchen Gelegenheiten lachte man sich entweder selbst
oder
Ich floh. Sollte ich meinen Beruf erfüllen: eine moderne Individualität rein auszudrücken — so mußte ich das manierirte Deutschland fliehen, wie Byron das verrottete England. Warum ich eben nach Amerika floh, das allein bliebe mir zu erklären noch übrig.
Es ist hier von den ernstesten Interessen der Menschheit die Rede. Sie dulden
keine Frivolität, keine Uebereilung. Man erschießt sich nicht, weil es hübsch
knallt und ein wenig Lärm macht. Lotte kommt darum kein einzigmal weniger in die
Wochen, es macht keinen bleibenden Eindruck. Unsterblich wird man nicht damit.
Unsterblich ist nur das Leben, nicht der Tod. Das erkannten Schiller und Goethe,
als sie die Partei des Todes verließen, und sich für's Leben erklärten. Ihr ewiges
Verdienst bleibt es, daß sie mit Ernst und Würde nach dem suchten, was wir heute
Weltordnung nennen. Die Beschränktheit ihres Zeitalters bleibt es, daß sie die
Weltordnung nur im Reiche des Gedankens zu finden vermochten, daß sie auf eine
absolute Trennung von Kunst und Leben antrugen, und die Wirklichkeit preisgaben zu
Gunsten „des schönen Scheins“. Aber wenn wir ihren Fund nicht annehmen dürfen, so
müssen wir doch von ihnen lernen zu suchen. Diese Pflicht bleibt uns. Und wer
möchte verkennen, wie sie sehr uns heute erleichtert ist, wie das Gebiet unsers
Suchens heute ein weiteres ist? Wenn die Lenze, die Hölderlin's, die Stürmer und
Dränger alten Styls am Leben verzweifelten, so war es das Leben ihres Schilda's
mit der Thorsperre um acht, mit dem barschen Bürgermeister und dem
Hier ließ Moorfeld Benthal's Arm los, und verabschiedete sich rasch. Bitten Sie mir morgen Abend eine Tasse Thee bei Ihren Frauen aus, rief er im Weggehen zurück, seinen Besuch so nahe rückend gleichsam zur Entschuldigung für diese heftige Trennung. Gute Nacht, Freund; damit verschwand er in der Richtung gegen das Post-Office hinab. Benthal's Schritte hörte er aber nicht sich entfernen; der Freund muß noch lange gestanden und ihm nachgesehe haben.
Moorfeld's Lebensgeister vermochten keineswegs die Ruhe zu suchen, als er in
dieser späten Nachtstunde sein Zimmer erreicht hatte. Er lag noch lange im
Fenster. Auf New-Jersey drüben flimmerte eine Villa in Illumination; der Bewohner
mochte irgend ein Familienfest feiern. Wie ein Busch voll Johanniswürmchen sah das
Glück des reichen Mannes auf diese Entfernung aus. Rings herum lag große,
ernsthafte Nacht; die Baumanlage von Hoboken war eine majestätische Schattenmasse.
Der Hudson rauschte, in der Finsterniß doppelt breit, unter den Kielen der Schiffe
hin, welche mit einer melancholischen Wachtlaterne an Bord schlaftrunken in ihren
Piers vor Anker lagen. Man hörte in der Nachtstille das Plätschern der Wellen an
ihren Flanken. Zuweilen durchschnitt auch ein Kahn die dunkelpolirte Wasserfläche,
lautlos, mit umwundenen Rudern, sei's daß er das nachtschleichende Verbrechen trug
oder die nie ruhende Themis, dessen Verfolgerin. Unten im Süden, wo der Strom in
die Bai übergeht, stand
In diese Nachtscene träumte Moorfeld hinaus, aber sein Inneres war abgezogen von ihr. Die Bilder des heutigen Abends gingen an seiner Seele vorüber. Ein toller Menschenhaufe mit Ratten und Hunden durchwirkt steht als dramatische Kunstgenossenschaft vor ihm — wie verblaßt ist dieses übergrelle Bild schon! Der seltsame Engländer mit seiner Dogge, — Hoby, der Staßenjunge — ach, und mit diesem ein lichtes, lockendes Andenken — blast es hinweg wie ein Goldblättchen jenes Mädchenbild von der Battery! Kleindeutschland breitet sich aus in seiner Stimmung. Diese Urne voll Nieten rauscht verhängnißvoll an sein Ohr. Unheimlich und doch wohlthuend stellt sich dies Schicksalsgemälde vor ihn. Er sieht eine Reihe von Menschen, welche zu Grunde gehen ohne moralische Schuld, blos an der Unmöglichkeit der That. Er fühlt lebendiger als je, wie günstig das Loos des Sterblichen sei, dessen innerer und äußerer Census ihm erlaube, sich selbst zu vertreten, der in jedem Augenblicke an der Urne seines Schicksals das Votum einer ganzen und vollen Freiheit abgeben darf. Er freut sich des Gedankens an seine Ansiedlung; was Menschen so selten schätzen, schätzt er jetzt hoch, nämlich das Glück, daß überhaupt etwas möglich sei.
Und nun Benthal! Der junge Mann ist ein Stück deutsche Arbeitskraft, das nicht
unterzugehen verdient. Und doch — wer schützt ihn auf die Länge davor? Wenn
Moorfeld mit weniger Poesie und mehr Wirklichkeitssinn die sonderbare Stellung
dieses Propheten zu Kleindeutschland abwog, so mußte er sich fragen: was ist
wahrscheinlicher? daß der gesunde Eine die kränkliche Mehrheit bewältige, oder daß
die Schwachen nach und nach den Starken sich einverleiben werden? Schien es doch
jetzt schon, daß Benthal's Adhäsion an Kleindeutschland eigentlich auf einer
verhängnißvollen Verwandtschaft der Extreme beruhe! Es lag etwas Nervöses,
Ekstatisches in der Spannkraft dieses wackeren Ringers, das nicht blos aufgeregte
Manneskraft verrieth, sondern zugleich einen gewissen weiblichen Zug des
Charakters,
Wie, wenn Moorfeld diesem Retter auf dem Schauplatze seiner Thaten begegnet wäre, um ihn selbst wieder zu retten?
Es liegt etwas Herzerhebendes in dem Gedanken, auf eine Existenz außer uns bestimmend wirken zu können! Ja, der sogenannte egoistische Mensch datirt eigentlich erst von da an sein Glück, wo es ihm möglich wird, einem Mitgeschöpf die Richtung zum Glücke zu geben. In neuen Perspectiven erblickt Moorfeld jetzt seine Ansiedlung im Urwald. Welchen Sinn gewinnt ihm dieses Project! Sollte es nicht berufen sein, der Ausgangspunkt einer Existenz zu werden, die, einmal in ihrer Wurzel befestigt, gar nicht absehen ließ, in welchen Radien der Palmenfächer ihrer Triebkraft sich ausspannen wird? Können denn überhaupt die neuen Freunde sich je wieder trennen? Benthal, die positive, handelnde Natur mit ihrer tiefen Andacht für das Ideale, Moorfeld, der Idealist mit seinem tiefen Bedürfniß, sich realistisch zu erfüllen, — begegnen sich diese zwei Charaktere nicht gewissermaßen typisch, und ist nicht die ganze Menschheit hergestellt, wenn sich diese Individuen ergänzen? Welche Wirkungen lassen sich hoffen aus den Anfängen eines so naturgemäßen Bundes! Wahrlich, es wäre auf diesem Boden nicht das erste Mal, daß zwei junge strebende Männer Väter einer Stadt geworden sind. Moorfeld brauchte nicht einmal Dichter zu sein, um so weit zu phantasiren.
Romulus und Remus! — Unternehme es, wer sich stolz genug dazu fühlt, die Nachtgedanken unsers Freundes zu Ende zu denken! — Solche Momente sind selbst für die Poesie zu groß. Die Poesie ist die Kunst des „schönen Scheins“, hier ist von schöner Wirklichkeit die Rede. Die Poesie ist die Sprache des Wunsches, hier winkt Besitz. Wir können von dieser Stunde kein Gedicht unsers Freundes überliefern. Er dichtet nicht. Der Dichter besingt die Geliebte: am Brautabend verstummen die Hymnen.
Moorfeld fühlt sich am Vorabend eines Unternehmens, das kein
In diesem Augenblick erlosch die beleuchtete Villa auf NewJersey, welche bisher der Augenpunkt unsers nächtlichen Träumers gewesen.
Moorfeld stutzte.
Dann aber blickte er am Himmel aus — ob nicht das Licht des Morgenroths anbräche. — —
Am Tage fand ihn Jack — das Bett unberührt — im Fauteuil eingeschlafen.
Moorfeld behielt von der Trunkenheit seiner gestrigen Nacht-Phantasien am
ernüchternden Tageslichte noch so viel Bewußtsein, daß er sich heute mindestens
vornahm, den neuen Freund über sein Project auszuholen. Denn das sagte er sich
nach dem Ausglühen jenes dichterisch angeschürten Traumzustandes, daß es noch sehr
die Frage sei, ob Benthal seine Stellung in Newyork überhaupt so hoffnungsdürftig,
wie er selbst, betrachte, und die Stadt mit dem Urwald auch willig werde
vertauschen wollen. Enthielt sich Moorfeld aller Ueberredung und versprach er
gewissenhaft, wie es solche Fälle heischen, eher zu wenig als zu viel, so
erstaunte er jetzt, daß er dem werthen Genossen eigentlich nicht mehr zu bieten
hatte, als etwa einen freien Platz im Schiffe; Gunst oder Ungunst der Fahrt blieb
immer noch das Wagniß des Andern. Freilich hielt er sich vor, daß ein tüchtiger
Mann größere Unterstützungsmittel sich kaum bieten ließe, und daß das Selbstgefühl
des Thatkräftigen nicht mehr verlange, als der Grieche in seinem δος μοι ποῦ
στω,Gib mir, worauf ich fuße. oder Archimedes in jenem Punkt außer der
Erde,
Bei dieser Stimmung sah Moorfeld mit Ungeduld der Stunde seines gestern angekündigten Abendbesuches entgegen. Endlich brach sie an. Auf Flügeln eilte er fort. Doch, wir wollen ihm, wie er es im Geiste längst selbst that, in Person voraneilen und uns um einige Augenblicke den Vortritt vor ihm herausnehmen.
Im letzten Tagesdämmer finden wir uns in einer der einsamsten Straßen Newyorks —
und außer dem Broadway und Bowery können sie sehr einsam sein diese weiten Straßen
Newyork's — wir finden uns in einer der Nebenstraßen des Winkels von Bowery und
Grandstreet vor einem kleinen niedlichem Framehause von drei Fenstern Front. Es
ist hellgelb angestrichen, hat grasgrüne Jalousien und ein paar Acazienbäumchen
vor'm Eingang. Der gewöhnlich holländisch-amerikanische Aufputz. Wir treten durch
ein paar das Basement überbauende Stufen in's Parterre. Nach hiesiger Sitte würden
wir hier das Parlour finden. Aber in den Glücksverhältnissen der deutschen
Mietherin ist weder von Parlour noch von Drawing-room die Rede. Im Parterre wohnt
die Hauseigenthümerin selbst, die pensionirte Wittwe eines Seeoffiziers, der im
letzten englischen Kriege gefallen. Wir besteigen demnach das Gestock. Dieses ist
Frau v. Milden's Wohnung. Zwei kleine Zimmer und ein Cabinet bilden den
bescheidenen Haushalt, welchen Benthal sein „Lorettohäuschen“ nennt. Mit dem
Geisterrechte, einzutreten ohne anzuklopfen, und zu lauschen ohne erröthen zu
dürfen, stehen wir jetzt im ersten dieser Gemächer. Da es kein Bett enthält, würde
es der Pariser einen Salon nennen; bilden wir uns also ein, wir stehen im Salon
der Frau v. Milden. Es ist eine schweigsame Visite, die wir
Die Ruhe, in welcher wir diese Gestalt verharren sehen, ist es wahrscheinlich, welche auf die tiefe Stille im Zimmer zurückwirkt. Man wird ihn nicht stören wollen.
Draußen aber am abendlichen Himmel hallt ein Gewitter.
Benthal hat das halbe Fenster geöffnet (das amerikanische Fenster ist nur halb zu öffnen) und scheint in die Scenerie am Himmel vertieft. Pauline sucht ihn von Zeit zu Zeit mit einem Blicke jener zärtlichen Inspiration, worin sich nur die bräutliche Angehörigkeit zweier Personen aussprechen kann.
Der Donner hallt näher, Blitze begleiten ihn, und rasch, wie Amerika's Wetter sich entladen, rauscht ein Platzregen nach. Die Luft ist still, aber wie sie vom Wasserstrom jetzt durchschnitten wird, fangen die Fenstergardinen lebhaft zu wehen an.
Erkälten Sie sich nicht, Theodor, spricht Frau v. Milden bei diesem Ausbruch zu dem Träumer am Fenster hin. Es ist das erste Wort, welches ein langes Schweigen unterbricht.
Benthal schließt das Fenster, d. h. nach der hiesigen Construction, er schiebt es zu, den Frauen zugewendet aber antwortet er: Mama, wir hatten an der Rokolbank wohl andere Gelegenheit uns zu erkälten!
Seitdem ist mir's eben gründlich verleidet, was man romantisch „den Aufruhr der Elemente nennt“ spricht Frau v. Milden zurück.
Ich bewundere auch nicht den Aufruhr bei solchen Scenen, sondern die Ruhe,
antwortete Benthal. Ich halte mir vor, daß auch die höchsten Winde und Wolken, von
den fünfzehn Meilen unsrer Lufthöhe nur in den zwei untersten ihr Spiel treiben,
und daß das heftigste Meer
Wenn Frauenumgang bildend den Excentricitäten der Männer steuert, so war's einer jener leisen aber sichern Frauengriffe an's Steuer, als Frau v. Milden mit einer unschuldigen Stimme jetzt fragte: Wie meinen Sie, Theodor? Sie strafte das Verschobene, indem sie es nur zur Erklärung seiner selbst aufforderte.
Aber Pauline hob einen bittenden Blick zur Mutter auf und sagte: Laß, Mama, wie sollte die Welt nicht klein werden, wenn es das Leben ist!
Benthal wandte sich rasch um. Er sah das Mädchen verstimmt an. Pauline erschrack. In Benthal's Blick erst ward ihr's bewußt, daß sie die harmlose Berührung der Mutter mit einer viel empfindlicheren parirt — und doch hatte sie nichts gethan, als ihr tiefstes Verständniß für ein mitgefühltes Lebensweh ausgesprochen.
Frau v. Milden schien das Mißliche von Paulinens Wort zu empfinden und redete Benthal ablenkend an: Wollen wir die Geschichte von Pennsylvanien für heute in den Schrank schließen?
Demüthig sagte Pauline: Oder laß mich schreiben und dictire du. Du concipirst fließender, wenn der Kopf allein arbeitet.
Das läßt sich hören, antwortete Frau v. Milden. Unser Baron — auf einen Blick Benthal's verbesserte sie sich — unser Doctor Moorfeld, wollte ich sagen, kommt bei diesem Wetter ohnedies nicht mehr.
Mama! rief die kleine Malvine halb trotzend, halb bittend.
Du bildest dir doch nicht ein, wies die Mutter das Kind zurecht, daß man in solchen Wolkenbrüchen Visiten macht? Oder bist du so selbstsüchtig, dir zu wünschen, was andern Menschen Beschwerde macht?
Aber der Doctor kommt doch, antwortete das Mädchen vergnügt, ohne einen Zug von Eigensinn.
In diesem Augenblick geschah ein betäubender Donnerkrach, ein jacher Windstoß riß in das Zimmer herein, denn die Thüre war aufgethan und Moorfeld stand im Zimmer.
Die Wirkung dieses Zusammentreffens war so schlagend, und Malvine jubelte so trunken, daß Frau v. Milden nicht umhin konnte, den vorausgegangenen Augenblick von Prophetie zu erzählen.
Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es lebhaft.
Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit einer üblichen Neckerei rügen zu müssen. Sie sagte: Nun wirst du aber auch einen so schwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor.
Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline schon längst einen blonden Ungarbart bekommen, so groß!
Die Wirkung dieses naiven Kinderwortes und der vierfach variirte Ausdruck von der Verlegenheit der Erwachsenen wäre nicht wohl wiederzugeben, wenn nicht in demselben Augenblicke ein vernünftiger Donnerschlag der Familie die willkommene Veranlassung geboten hätte, zu erschrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei diesem Wetter.
Ich gehe oder fahre in solchem Wetter am liebsten aus, antwortete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine PlatzregenPromenade durch die eleganten Passagen einer Stadt. Wie wunderschön das herabklatscht in die lackirte und frisirte Puppenschachtel! Nennen Sie's nicht Schadenfreude. Es ist ein ästhetischer Eindruck. Es ist komisch und pathetisch zugleich. Ja, es ist der einzige Fall, wo vom Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt ist. Auch leide ich ja mit. Aber im Geiste bin ich dann gar nicht auf der Erde, sondern droben. Wie sympathisire ich mit dem grauen Ungeheuer in seiner Vogelperspective! Das kam über Land und Meer dahergerauscht, scheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Pelisse wird, die Ceder zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall — ein goldenes, zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glassturz zu stellen. Und nun die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß man doch, wer noch das große Wort im Hause führt, die Glacehandschuhmacher oder die Natur?
Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden.
Ja, das ist ein Anderes, rief Moorfeld, indem er sich augenblicklich in diese
Frage fand und ernsthaft ward; wenn Sie einen Seesturm erlebt haben, dann
verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoesie zu begeistern. Gott weiß es, woher die
Dichter ihre prächtigen Seestürme haben, wahrscheinlich aus sonnigen
Garten-Veranden, aus Cajüten
Auf dieses Signal setzte sich die Gesellschaft zu Tische. Moorfeld konnte bald sehen, daß seine lebhafte unmittelbare Natur gefiel. Die Unterhaltung nahm einen frischen Gang, Wirth und Gast fanden sich schnell und angenehm in einander.
Im Flusse des liebenswürdigsten Beisammenseins hatte natürlich Moorfeld's Frage an Benthal der günstigen Gelegenheit zu harren. Dieses diplomatische Apropos spannte ihn keineswegs unangenehm, nur war er nicht geduldig genug, es lange auszuhalten. Er suchte bald nach einem Anknüpfungspunkte. Beim Niedersetzen der kleinen Theegesellschaft war eine Mappe mit Manuscripten vom Tische entfernt worden. Moorfeld erinnerte sich an den Bäcker Sallmann aus Kleindeutschland, und bat sich dringend aus, das Pamphlet zu hören, welches Benthal demselben versprochen, wenn es dort vielleicht eben unterm Ambos liege. Aber die Mappe enthielt es nicht mehr. Benthal hatte es bereits geschrieben und in die Druckerei geschickt. Es beschäftige ihn ein anderer Aufsatz, erklärte er auf Moorfeld's Bewunderung dieser raschen Thätigkeit, und wie er diesen ebenfalls gerne schon druckreif sähe, so treibe eines das andere. Moorfeld erstreckte seine Bitte natürlich auch auf Mittheilung dieses zweiten Artikels. Benthal machte Einwände und ließ sich lebhafter nöthigen, bis er die Lectüre nach dem Thee zusagte.
Der Name Kleindeutschland, der jetzt genannt worden war, gab Moorfelden die Gelegenheit, die er suchte. Er bewegte sich ein paar Augenblicke um dieses Thema, und wie im Vorbeigehen bat er dann den Rector magnificus, ob er ihm ein paar tüchtige deutsche Arme verschaffen könne — einen Zimmermann und einige Ackerleute; er denke nämlich ernstlich daran, demnächst seine Ansiedlung in Ohio zu begründen. Bei dieser vorläufigen Ankündigung hielt er inne, und erwartete den nächsten Eindruck derselben.
Der Eindruck war ein bedeutender. Zwar erwiederte Benthal das Geschäftsmäßige von
Moorfeld's Frage mit der rücksichtsvollen
Frau v. Milden that — was in solchen Momenten das Tactvollste ist — sie sprach die Bewegung, die vorhanden war, freimüthig aus. Mit der richtigen Mischung von Gelassenheit und Antheil in ihrer Stimme sagte sie zu Moorfeld: Sie beabsichtigen eine Ansiedlung, Herr Doctor? Ich glaube es gern, daß es Herr Benthal überhört hat, er wird es ungerne gehört haben. Wenn man sich im menschlichen Umgang nur an eine Art Astronomie gewöhnen könnte! die Menschen wie Sterne zu nehmen; — sie kommen und gehen am Horizont und man hätte das freie Interesse der Wissenschaft an ihnen. Aber das Gemüth will alles gleich festhalten und in Eigenthum verwandeln: das ist freilich ungezogen. Ich fürchte, Herr Benthal wird Ihnen eine kleine Ungezogenheit dieser Art abzubitten haben.
Jetzt war Moorfeld's Augenblick da. Gnädige Frau, sagte er, seine Spannung unter
einem Scherz verbergend, daß wir Beide, Herr Benthal und ich, nur nicht jenen zwei
Bettlern gleichen, welche sich im Dunkeln wechselseitig um Almosen angesprochen
haben! Für Herrn Benthal setze ich hinzu: sans comparaison! für mich aber nicht.
Ich fühle mich nämlich gerade jetzt einen rechten und standesmäßigen Bettler, daß
ich nicht einen virginischen Grundbesitz kaufen kann, sondern höchstens ein paar
tausend Acres. In jenem Falle würde ich zu meinem Sterne sagen: wollen Sie mein
Intendant sein? in diesem darf ich höchstens sagen: wollen Sie mein Mit-Bauer
sein? und, hier liegt der Bettler. Deßungeachtet bin ich nicht blöde genug, es
nicht wirklich zu sagen, wenn ich erst hoffen darf, daß es mir verziehen wird.
Also: Herr Benthal, wollen Sie — was sein? was, weiß ich selbst
Diesmal blickten die Frauen nicht mehr auf, und selbst Benthal sagte mit niedergeschlagenem Auge: Es läßt Ihnen wohl, Herr Doctor, mit lachendem Munde Geschichte zu machen. Was Sie da sprechen, ist so wichtig, daß Prosaiker nicht ermangeln würden, es wirklich wichtig zu traktiren. Aber der höhere Mensch, welcher weiß, daß wir nur beginnen können, und daß unermeßliche Schicksale weiter führen was sich aller Voraussicht entzieht, der hat Recht, wenn er seine Saatkörner auswirft, wie Bonbons im römischen Carneval. Ihre Worte sind das Signal zu einer neuen Richtung meines Lebens. Sie sind ein Wendepunkt in einer oder mehreren Biographien. Daß die Wendung eine glückliche ist — wer möchte vor dem Gegenbild von Mr. Mockingbird's Volksschule daran zweifeln? Der Zweifel liegt hier anderswo. Ich sehe in Ihren Worten allerdings den Hut, den Sie mir hinhalten. Aber — soll ich was hineinwerfen, oder — soll ich was herausholen? Das ist die Frage hier. Es ist eine Ehren-Frage. Reizend verwirrt, nehmen sich solche Fragen denn doch auch prosaisch gelöst nicht schlecht aus.
Moorfeld verbiß sein Lächeln, er wußte wohl was er für einen Charakter vor sich
hatte, und war gefaßt darauf, daß ihm ein bischen Metaphern-Spiel nicht so leicht
durchgehen würde. Mit ganz verändertem Tone sagte er daher: Der Mann, der in
Hambach nicht gefragt hat, ob er in einem Kerker verfaulen wird, sollte in Ohio
nicht fragen, ob er emporblühen wird. Mißverstehen Sie mich nicht. Ich muthe Ihnen
nicht zu, die Ehre Ihres Unglücks an den nächstbesten hergelaufenen Freund zu
verkaufen. Was Sie der Nation geopfert haben, darf Ihnen nur die Nation vergüten,
und ich habe kein Mandat von Deutschland. Es ist nicht der Rede werth, was ich
Ihnen biete. Ein paar Kornähren zur Nahrung, ein paar Schafe zur Kleidung und
rings herum starre Wildniß, das ist kein Lebensglück. Halten Sie es dafür, so
setzt dieses Dafürhalten Ihr Verdienst, nicht das meinige. Sie denken dabei an
ihre große Productionskraft, welche die rohe
Moorfeld hatte sich in eine Ueberzeugung gesprochen, die ihn des Sieges gewiß
machte. Jetzt zog er sich wohlweislich auf sein Ziel, gleichsam wie auf eine
Rückzugslinie, zurück, und sagte mit jener Mäßigung, die der Abschluß einer Sache
ist: Ich gebe Ihnen gerne zu, daß Sie für den Augenblick noch kein klares Bild von
dem Verhältnisse haben. Ich verlange daher auch Ihr klares unumwundenes Wort
nicht. Es genügt mir schon, daß wir uns in der Vorfrage orientirt haben. Auch ist
meine Stimme nicht die einzige Potenz für Ihre Entschließung. Mit aller Ehrfurcht
erkenne ich höhere Potenzen. Der nächste Stand der Dinge bleibt daher, wie er ist.
Sie behalten Mr. Mockingbird's Schule; ich gehe meinem Projecte nach auf eigene
Hand und Gefahr. Ich reise nach Ohio. Ich sehe
Damit erledigte Moorfeld seinen Antrag für's Erste. Und wie nach solchem Thema nicht wohl ein leichterer Ton wieder anzuschlagen war, so erinnerte er sich jetzt rechtzeitig an Benthal's zuvor versprochenen Aufsatz. Er zweifelte nicht, daß derselbe jenes Element enthalten werde, dessen die Situation jetzt bedurfte: irgend ein gedankenreiches Etwas, fähig, die Stimmung, ohne ihr Zwang anzuthun, an ein neues Interesse zu fesseln. Er wiederholte daher seine Bitte. Aber Benthal war jetzt noch zurückhaltender, als er sich gleich zuerst gezeigt hatte. Man sah ihm eine große Verlegenheit an. Er suchte Ausflüchte, er behauptete, kein Augenblick ließe sich ungünstiger, als der gegenwärtige wählen, die Lectüre sei ganz und gar nicht an ihrem Platze jetzt. Auf Moorfeld's Befremden verrieth er endlich so viel: es sei in jenem Schriftchen von Amerika etwas heterodox gesprochen; eine günstigere Meinung müsse sich nothwendig davon verletzt fühlen; eine solche Dissonanz getraue er sich aber nicht zu verantworten, am wenigsten in gegenwärtigem Augenblicke.
Moorfeld hörte diese Erklärung überrascht, fast betreten an. Er antwortete: Ich würde mich sehr mangelhaft ausgedrückt haben, Herr Benthal, wenn ich eine Vorliebe, oder ein Vorurtheil für Amerika an den Tag gelegt hätte. Man hält es für ein Land der menschlichen Vollkommenheiten in Europa und darum macht' ich mich auf, es kennen zu lernen. Das ist Alles. Ich will es mir ansehen, wie ein Pferd das ich kaufe. Daß ich die Neigung hätte, absichtliche Täuschungen darüber festzuhalten, sollte ich, wie mir dünkt, mit keinem Worte verrathen haben. Es wäre auch entfernt nicht der Fall. Abgesehen, daß der Einzelne, bei der freundlichsten Absicht mich zu schonen, den Andrang einer allgemeinen Enttäuschung doch nicht abwehren könnte von mir. Was Sie eine günstige Meinung nennen, hatte ich über Amerika's Stadtleben eigentlich nie und meinen Glauben an die Urwalds-Poesie möchte ich eben auch nicht zu abstract cultiviren; ein wenig Bilderdienst wird ihn stets unterstützen müssen; warb ich doch so eben um einen lieben Heiligen für meine Waldkapelle! Nein, lesen Sie immer, ich bin wohl der Mann zu hören. Glauben Sie überhaupt nicht, daß die Poesie noch Täuschungen liebt. Die moderne Poesie ist skeptisch. Eine Negation ist uns lieber, als ein Wahn.
Eine Negation ist uns lieber als ein Wahn! wiederholte Benthal — ja, dann darf ich lesen, rief er bestimmt, fast freudig. Seine Haltung veränderte sich augenblicklich. Hatte sie so eben noch jene ergebene, rücksichtsvolle Schüchternheit, die Moorfeld bei Mr. Mockingbird an ihm gefunden, so zeigte sie jetzt den mannhaften Aufblitz, die entschiedene unerbittliche Sicherheit, in der ihn Kleindeutschland kannte. Der Mann, von äußeren Lebenslagen in den Schatten gestellt, ging immer im vollsten Lichte wo er auf dem Boden von Ueberzeugungen stand. Im Selbsterrungenen fühlte er sich.
Er holte seine Manuscripten-Mappe. Moorfeld rückte zurecht. Frau v. Milden nahm
wieder ihre Arbeit vor; die Mädchen räumten den Theetisch ab. Die Kleine machte
ihre Sache flink und zierlich. Sie bot in ihrer Thätigkeit ein Schauspiel voll
schicklicher Angewöhnungen; Alles war Applicatur an ihr. Dabei hatte sie nichts
von jenen Uebergeschäftigen, die wir die Koketten der Häuslichkeit nennen möchten.
Sie huschte hin und wider mit einer dezenten, fast dürften wir sagen, vornehmen
Geräuschlosigkeit. Moorfeld beobachtete sie innig
Benthal hatte inzwischen einige Octavblätter von feinem Postpapier aus seiner Mappe geholt und leitete jetzt seine Lectüre mit folgenden Worten ein: Eine der ersten Zeitungen Newyorks machte unlängst mit einem Leitartikel Aufsehen, welcher die politische und sociale Entwicklung Amerika's seit dem letzten Kriege behandelte. Der Haufe fand sich von seinem Sclaven, den er die freie Presse nennt, so maßlos darin geschmeichelt, daß der wirklich freie Mann unwillkürlich in Opposition dagegen gerieth. Ich will nun eben nicht sagen, daß dies mein Fall war, aber ich fühlte doch mein Recht die Sache auf meine Weise anzuschauen. Genug, die Gelegenheit war mir ein Antrieb, einiges von dem niederzuschreiben, was ich dem Lobredner mündlich entgegnet hätte; da ich aber gern Zwecke vor Augen habe, so schrieb ich gleich auf Postpapier, und werde nun den Artikel, der die hiesige Lynch-Censur doch nicht passiren würde, vielleicht an Cotta für die Augsburger Allgemeine schicken. Ich würde es als eine Art Sühne betrachten für unsre politisch-liberalen Schönfärbereien von weiland. Meine Hambacher Collegen werden freilich wieder einmal Verrath wittern, aber — amicus Platonis u. s. w.
Moorfeld nickte schweigend vor sich hin. Er saß still und in sich gekehrt. Benthal begann:
Zur Beurtheilung des Bestandes der nordamerikanischen Gesellschaft.
Als ich vom Havrer Landungsplatze meinen Gang durch Newyork antrat, war die erste Neuigkeit, die mich anzog, ein riesiges Plakat an der Ecke der Greenwich- und Liberty-Street. Ein Verein „the Workies“ genannt, lud zu einer Generalversammlung ein. Was sind das für Leute? fragte ich zwei Bürger, welche vorübergingen. Tollhäusler! sagte der Eine, ein Deutscher; Lichtzieher, die Präsidenten werden wollen, lächelte giftig der Andere, ein Amerikaner. Ich aber pflanzte mich auf und studirte nun selbst das jener Einladung beigefügte Programm der Workies.
Das Programm bestand aus Forderungen einer socialistischen Arbeiter-Organisation. Die Sprache war ohne Schwung und prophetische Salbung, ohne das Kostüm des europäischen Ikarismus, sie war klar und einfach wie eine Möglichkeit. Und doch war es nichts geringeres als eine jener Schuldforderungen der Besitzlosen an die Besitzenden, welche mit dem Bankerott beantwortet werden. Sie klang aber viel eher wie eine fürstliche Cabinetsordre, welche Degradation verhängt. Sie sprach wie ein trockener Machtgebrauch, wie eine simple Pflichtübung. Es wurde mir sehr leicht, mich zu belehren.
Was sind die Workies?
Die Workies sind eine Verbindung von Arbeitern. Sie sind nicht nur in Newyork, sondern in allen größeren Städten verbreitet. Sie verfügen über eine gut redigirte Presse und über Straßenecken so viel sie deren begehren. Kein Hausbesitzer wagt, ihre Plakate zu beleidigen.
Was fordern die Workies?
Die Workies fordern streng genommen nur Eins: Gleiche und allgemeine Erziehung. Es
ist falsch, sagen sie, wenn man behauptet, wir hätten keine privilegirte
Aristokratie im Lande. Wir haben vielmehr die gehässigste Sorte derselben, die
Aristokratie der Kenntnisse. Wir nennen sie die gehässigste, weil sie vor unsern
Augen täglich und stündlich wird und nicht im mildernden Dämmer der Geschichte
geworden ist. Jedes Kind, welches zur Schule geht, begründet sich eine Herrschaft
über dasjenige, welches zur Fabrik geht. Der Arbeiter ist von der Gelegenheit
höheren Unterrichts abgeschnitten, d. h. er ist von den höheren Staatsämtern
ausgeschlossen. Die Staatsämter werden in der That unter eine kleine Klasse der
Gesellschaft vertheilt; diejenigen dagegen, welche die Kraft des Landes ausmachen,
gelangen nie zur Aussicht, aus den Regierten unter die Regenten einzutreten. Das
ist eine Unvollkommenheit. Diese Unvollkommenheit muß abgestellt werden, erklären
die Workies, wenn die Freiheit eines Amerikaners mehr als ein eitler Schall sein
soll. Sie erklären feierlichst nicht eher ruhen zu wollen, als bis jeder Bürger in
der Union denselben Grad der Bildung erlange, wie sein Mitbürger. Eh' aber die
Workies von diesem Programm die obere Gränze erreichen, begnügen sie sich (und das
ist das Bedenkliche an der Sache) mit der untern Gränze. Bis sie in höhere
Bildungsregionen aufsteigen, ziehen sie die
Diese Logik haben denn auch die Reichen bewunderungswürdig schnell begriffen. Sie kommen den Workies durch ihren Cynismus entgegen. Zwar wählen sie Lichtzieher noch nicht in's Repräsentantenhaus, aber Repräsentanten haben sich doch schon beohrfeigt und angespieen wie Lichtzieher. Das ist immer auch anzuerkennen. Und als Präsident Jefferson am Abende seines Lebens gefragt wurde, welche Staatsbeamten ein erfahrener Politiker für die tauglichsten halten würde, antwortete er: solche, die sich nicht betrinken. So hört man auch in den alten Staaten bejahrte Notabilitäten darüber klagen, daß sie nur noch von den englischen Traditionen zehren und das Grab der Bildung sich täglich erweitere. Zur Colonialzeit hätten ärmere Bürger mehr Cultur besessen, als jetzt die reichsten. Der Fremde geht noch weiter. Nicht nur der Abgang der Bildung ist's, sondern geradezu die Verachtung derselben, ihre offene Prostituirung, die ihn hier so schneidend verletzt.
Moorfeld blickte auf.
Hat nun der Einwanderer — fuhr die Lectüre fort — zum ersten Gruß ein solches
Workies-Plakat gelesen, so ist das denkende Wesen in ihm aufgefordert und er
reflectirt den Zuständen des Landes weiter nach. Die Thatsache eines
amerikanischen Socialismus ist so zerstörend in das Gewebe seiner Rosenträume
gefahren, daß er jetzt erst mit wachen Augen um sich blickt. Und wie an dem
Sommerhimmel New-Orleans ein Gewitter von allen Seiten zugleich aufsteigt, so
schwärzt sich ihm jetzt der Horizont der Union an mehr als einer Stelle von
drohenden ZukunftsGesichten. Aber noch kann er die Workies selbst nicht
vergessen.
In gegenwärtigem Augenblicke sind die Vereinigten Staaten vor revolutionären
Erschütterungen vielleicht sicherer, als irgend ein Staat in der Welt. Sonderbarer
Weise schreibt der Amerikaner aber dieses Glück nicht dem Umstande zu, daß der
größte Theil der Nation vorläufig noch Eigenthum besitzt, sondern er hält es für
eine Wirkung seiner „unverbesserlichen Constitution“ und bedenkt nicht, daß diese
Constitution eben nur für eine agrarische Bevölkerung mit Eigenthum berechnet ist.
Was „unsre unverbesserliche Constitution“ — „das unüberwindliche Bollwerk unsrer
Freiheit“ — aber leisten soll, wenn der Hunger im Repräsentantenhause und der
Bankrott im Senate sitzen wird, das verlangte mich den Geistern der Zukunft
abzulauschen. Unter den Menschen habe ich mich vergebens umgethan, die
wunderwirkende Kraft der amerikanischen Constitution kennen zu lernen. Ich konnte
nur sehen, daß sie ein Ding sei, welches Allen wohlgefällt;
Diese letztere Behauptung könnte die kühnste, und in Bezug auf ein so großes
menschliches Ideal, wie Amerika's Freiheit, wahrhaft unsittlich scheinen. In der
That wäre sie zu unverantwortlich, als Raisonnement, man wird sie schon als
Thatsache gelten lassen müssen. Die Anfänge dieser Thatsache aber sind da. Denn
wenn wir die Ungleichartigkeit der amerikanischen Bestandtheile nicht nur im
allgemeinen betrachten, sondern, was für Republiken ein so zarter Punkt ist, sie
speciell als Ungleichartigkeit der Machtverhältnisse auf's Einzelne anwenden, so
finden wir die Thatsache, daß drei große westliche Staaten: Newyork, Pennsilvanien
und Virginien, in Besitz einer Macht sind, wodurch sie in Wahrheit an der Spitze
der SternbannerRepublik stehen, allen republikanischen Gleichheitstiteln ihrer
Geschwister zum Trotz. Diese Macht ist freilich kein constitutionelles Vorrecht,
aber sie ist das natürliche Vorrecht des Reichthums, der Intelligenz, der
politischen Erfahrung, kurz, materielle und moralische Macht. So sind jene Staaten
ein Triumvirat, das die Angelegenheiten der Republik nur mit einem höflicher
betonten: Roma locuta estRom hat gesprochen. entscheidet, sie sind ein politisches
Rund für sich, das nöthigen Falls nicht dem Uebrigen zu folgen braucht, wohl aber
folgt das Uebrige ihm. Was fehlt da noch zum Begriffe der Oberherrschaft oder des
Despotismus? Wie groß ist der Unterschied, ob der Despot ein Einzelner oder eine
Provinz sei, ob seine Autorität mit friedlicher Instinctmäßigkeit anerkannt, oder
unter härterer Nöthigung erduldet wird? Das Fehlende aber kann, und was höchst
wahrscheinlich ist, es wird im Laufe der Zeiten auch noch hinzutreten. Denn wenn
die sociale Revolution oder der politische Zerfall, wovon wir gesprochen, unter
einer Reihe von Bürgerkriegen nun vor sich gehen wird, so werden die Generäle
dieser
Hier legte Benthal sein Manuscript nieder und sagte: An diesem Punkte bin ich einstweilen zu Ende mit meiner Lectüre, wenngleich nicht mit dem Aufsatze selbst. Ich werde im Folgenden noch der Sclaven-Verhältnisse gedenken, die ich bei den Schlagwörtern CarolinaFieber und Nullification im Contexte noch zur Seite liegen ließ. Es gebührte diesem Thema eine eigene Ausführung. Es ist in doppelter Beziehung verhängnißvoll für den Bestand der Union, nämlich erstens als religiös-humanistische Frage, wobei der Norden die Bekämpfung des Südens als Gewissenssache führt; dann aber auch als nationalökonomische, wobei Sclaven- und Nicht-Sclavenstaaten dadurch feindlich zusammentreffen, daß jene für den Freihandel, diese aber für den Zolltarif interessirt sind. Ohne das Sallmann'sche Pamphlet hätte ich diese Schlußstelle wahrscheinlich heute noch ausgeführt; entschuldigen Sie nun, daß Sie ein Bruchstück gehört haben.
Bei Gott, ein Bruchstück! rief Moorfeld unter der Last des Gehörten — Alles geht ja hier in die Brüche!
Bei diesem Worte wendete sich Pauline an Benthal: Hast du nicht etwas zu streng geurtheilt? fragte sie bescheiden. Moorfeld fühlte die ganze Aufmerksamkeit dieser Frage für sich. Er vergalt der Fragenden mit einem dankbaren Blicke. Aber des Mädchens Auge war niedergeschlagen, sie konnte seinen Blick nicht gesehen haben. Deßungeachtet erröthete sie.
Benthal sagte zu Moorfeld: Nun, richten Sie den Richter! Wie passiren mir meine Negationen?
Aber Moorfeld fuhr in seiner Ergriffenheit fort: Und mich wollten Sie geschont haben! Herr, wie spannt sich Ihnen selbst noch eine Ader für das Land, über welches Sie so schreiben konnten?
Weil handeln immer mehr werth ist als schreiben, antwortete Benthal, und in diesem Lande darf ich handeln.
Dämon von einem Manne! Aber ich begreife Sie doch nicht. Wie sagten Sie gestern? „Amerika's Schönheit ist Amerika's Idee“ — „Washington bedeutet höheres als Rom und Athen, es ist das Capitol der Weltfreiheit.“ — Und das Alles durften Sie sagen mit diesem Manuscript im Pulte?
Wir bemerken wohl, antwortete Benthal, es ist hier nicht von der nächsten, sondern
von der fernen Zukunft Amerika's die Rede. Für unsre Zeiten bleibt die
Sternbanner-Republik das Kleinod der Welt. Amerika ist die Baumschule, in welcher
die Freiheitsbäume Europa's gezogen werden; Amerika ist die große Cisterne, welche
die Erde grün erhält in den Hundstagen des Absolutismus. Diesen Beruf habe ich im
Auge, wenn ich spreche wie gestern. Von Amerika's Gegen wart kann ich nicht groß
genug denken. Seh ich aber dunkler in Amerika's Zukunft, so benimmt mir das nicht
die Spannung meiner Adern, wie Sie sagen, denn in dieser Zukunft erblicke ich
wieder eine andere Größe — unsre, die deutsche Größe. Das nämlich ist meine
Ueberzeugung und mein Wissen, wie ich von den Fingern meiner Hand, wie ich von den
Haaren meines Hauptes weiß: dieses Amerika geht nicht zu Grunde bis Deutschland
seine Stuart-Periode durchgekämpft, bis es seine Revolutionen, hinter welchen
seine Einheit und Freiheit liegt, vollendet hat. Wie England ein Gefäß des
äußersten Elends war, als es die Besiegten und Geächteten seiner Bürgerkriege an
dieses Gestade warf, so kämpft Deutschland dieselbe Geschichts-Periode heute
durch, so werden deutsche Auswanderer jetzt Amerika erfüllen und sich über die
angelsächsischen herlagern als eine secundäre über die primäre Schichte. Unser
neunzehntes Jahrhundert ist das siebzehnte der Engländer. Deutschland zeugt von
heute an keine andere Generationen mehr, als Hambacher Jugend. Die erste,
vielleicht auch die zweite wird unterliegen, aber die dritte, längstens die vierte
wird uns jenen Zustand erkämpft haben, den in England das Haus Oranien bedeutete.
Und wahrlich, so lange kann ich warten. So lange soll deutsches Volksthum in dem
Leben, das ich
Und ich heiß' ein Dichter! rief Moorfeld, als Benthal's letztes Wort in diesem Ergusse verhallt war. Er trat an's Fenster und sah nach dem Himmel, der mit all seinen Sternen auf ihn zurückblickte. Das Gewitter war fort.
In der Stube aber umfing die Gesellschaft jene tiefere Einigkeit jetzt, welche mit
Wortumtausch nicht mehr gefördert werden kann. Moorfeld war voll von Benthal's
Charakterbild, das wie ein scharfer Abdruck in heißem Wachs von ihm empfangen
wurde, die Frauen konnten nie aufgehört haben, den neuen Urwalds-Gedanken, der ja
unmittelbar sie selbst anging, stillbildend weiter zu denken, Benthal
Bei dieser Stimmung trennte man sich für heute. Benthal ging nach Hause und Moorfeld begleitete ihn. Es gefiel unsrem Freunde, daß Benthal und Pauline beim Abschied sich küßten, und nicht prüde genug dachten, die bräutliche Gewohnheit jedes Tags vor dem fremden Besuch aufzugeben.
Die jungen Männer aber setzten sich nach ihrer Tasse Thee noch zu einer guten Flasche in Railroad-House. Wir bleiben nicht zweifelhaft über den Zweck dieser Einkehr, denn als sie an der Einmündung der Centre-Street in den Park sich verabschieden, hören wir die Worte hin und zurück: gute Nacht, Bruder!
In tiefen Gedanken wandelte Moorfeld Tags darauf durch die Wallstreet, als ein Tilbury vor ihm anhielt und ein Kopf, ganz Stirn und Nase, wie ein Luft-Meteor in seine Träume hereinfiel. Guten Tag, Herr Doctor, so eben fahre ich zu Mr. Bennet; darf ich Ihnen die Hälfte meines Wagens anbieten? ich werde das Vergnügen haben, Sie vorzustellen. — Es war Moorfeld's Logen-Nachbar von vorgestern, der seltsame Lord Ormond.
Moorfeld erinnerte sich kaum noch des Begegnisses; — Kleindeutschland, Benthal, der Urwalds-Traum, in's unmittelbarste Stadium der That tretend, das Alles erfüllte wie eine Welt für sich die achtundvierzig Stunden seit der Vorstellung des „Kapitän Ebenezer Drivvle“. Auch lehnte er dankend ab, er sei auf einem Geschäftsgang zu seinem Banquier begriffen.
Aber der Lord war nicht irre zu machen. Er sprang aus dem Wagen, den er selbst kutschirt hatte, warf die Zügel dem Bedienten zu und nahm Moorfeld unter den Arm, indem er ihm auseinander setzte, wie nothwendig er ihn heute vorstellen müsse.
Der Mann hat wirklich einen Sparren, dachte Moorfeld bei sich; wäre der Engländer nicht jüngeren Alters gewesen, so hätte er fast geglaubt, mit dem nämlichen Sonderlings-Exemplar zu thun zu haben, welches, nach Graf de la Garde's Memoiren, auf dem Wiener Congreß durch seine Sucht, vorzustellen und vorgestellt zu werden, eine Art Berühmtheit erlangte und dem Prinzen Ligny zu einem seiner unzähligen Bonmots Veranlassung wurde. Wenn sich Moorfeld ihm doch überließ, so geschah es nur, weil die Gelegenheit in der That keinen Aufschub gestattete. Der Engländer theilte nämlich mit, die Familie Bennet stünde auf dem Punkte nach Saratoga in die Bäder zu gehen, und eben heute sei letzter Empfang in der Stadt, nachdem im Landhause drüben auf New-Jersey die große Abschieds-Soiree vorgestern Statt gehabt. Das also war die beleuchtete Villa gewesen, welche ihm vorgestern in Stunden unaussprechlicher Phantasien vor Augen geruht! Zu jenem Wonnetraum seiner amerikanischen Zukunft hatte dem Dichter der Freund der Dichter wie zu einer Brautnacht die Fackel vorgetragen! Von dieser Assonanz des Zufalls fühlte sich Moorfeld seltsam angeklungen. Eine ganz neue Luftströmung ging durch sein Gemüth und änderte auf einmal das innere Wetter. In der That entschied ihn dieser Umstand. Er ergriff den dargebotenen Gedanken erst jetzt mit voller Lebendigkeit, wie einen freudigen, eignen Entschluß. Er zog dem Namen Bennet gleichsam mit klingendem Spiel entgegen. Er folgte dem Engländer.
Unterwegs ließ ihn aber ein Zufall bedenklicher Art seine rasche Fügsamkeit fast
wieder bereuen. Lord Ormond hatte seine Dogge bei sich, an die er schon im Theater
so verwunderliche Ansprachen gehalten. Auf dem Hannover-Square begab es sich nun,
daß das edle Thier Gesellschaft fand und nachdem es mit seinem intelligenten
Näschen eine sorgfältige Wappenprobe an dem neuen Standesgenossen gehalten, zu der
Ueberzeugung gelangte, daß es die Würde seines Stammbaumes bei diesem Rendezvous
nicht im Geringsten compromittire. Man sah also eine Verbindung eingehen, welche
den Freunden und Verwandten
Hier schwieg der Engländer. Moorfeld hatte diese ganze Demonstration mit jener
Bewunderung angehört, die ihr nicht wohl zu versagen war. Er sann im Stillen
darauf, wie er sich der Einführung durch einen Mann entziehen könne, der nach
dieser Probe offenbar die bête noire der Salons sein mußte. Aber schon hatte unser
Paar Whitehall-Street quer durchstrichen und das Schmuckkästchen Neuyorks, die
Battery, that ihre Pracht und Herrlichkeit auf. Die olympische Luft, die durch
diese Park-Anlagen, durch diese Palast-Enfiladen voll geschäftsloser Ruhe und
vornehmer Verschlossenheit wehte, goß alsbald ihren berauschenden Duft um die
dichterischen Sinne unsers Freundes. Hier ist Mr. Bennet, sagte der Lord auf ein
Haus deutend, das schönste des ganzen Quartiers, eine wahre Blume von
Bauschönheit. Moorfeld erschrack mächtig, wie kopfhängerisch-trüb er sonst hier
promenirt haben müßte, daß ihm diese Perle nicht längst in die Augen geleuchtet.
Eine Begierde, eine Art leidenschaftliche Genußsucht hier einzutreten, ergriff ihn
sogleich, die ihm über alles Andere hinweghalf. Er dachte von dem Engländer jetzt
mit einer gewissen Liberalität, seine vorigen
Ein Reflex der untergehenden Sonne warf ein charakteristisches Schlaglicht über
das Haus und die Ulmen-Parthie vor demselben und adelte den Anblick noch mehr.
Moorfeld pries die gute Stunde, da er gekommen; sein Gefühl für diesen Besuch
wurde immer voller, immer ahnungsreicher. So stieg er die geschliffenen
Granitstufen der Freitreppe hinan, der Lord zog die Klingel, ein Neger in weißen
Glacehandschuhen öffnete. Wie befindet sich der junge Herr? rief derselbe sogleich
die Dogge an, die ihm wedelnd entgegensprang. Er ist eurer Gesellschaft
überlassen, ich hoffe sie ist eine gute, sagte der Lord, worauf der Neger sich
ernsthaft verbeugte. Aber Moorfeld hatte keine Zeit mehr, diesen Eintritt sich zu
Herzen zu nehmen. Jetzt galt ihm's, von dem Hause, dessen Aeußeres Raphael war,
das Innere in sich aufzunehmen, das Bennet war. Er stand im Vestibül. Der Eindruck
war ein vollkommener. Marmorboden, Marmorwände, Marmortreppen mit vergoldetem
Bronce-Geländer u. s. w. verstand sich von selbst. Worauf es hier ankam war das
Wie? Moorfeld hatte manch reichornamentirtes Vorhaus gesehen, reicher als dieses.
Im Hause seines Banquiers hüteten zwei marmorene Sphinxen den Eingang; ohne Frage
ein prächtiges Ornament, aber die Sphinxen trugen blau und roth gemalte
Schabracken. Andere Vestibüls waren mit Gold- und Lackfarben im Arabesken-Styl
ausgemalt, aber leider hatte man auch die Pracht gemalter Fenstergläser über dem
Hausthore nicht missen wollen und Niemand fühlte, daß die einfallenden Buntlichter
mit den inwendigen Malereien einen optisch-gräßlichen Krieg
Der dienstthuende Neger meldete die Gäste und öffnete die Flügelthüren des Parlours. Mit höherem Herzschlage trat Moorfeld über diese Schwelle. Es war das erstemal in Newyork, daß ihm die menschliche Fähigkeit der Pietät wieder in Uebung gebracht wurde.
Das Gemach, in welchem er jetzt stand, war ein Füllhorn von Reichthum und Kunst. Der Fuß versank in den Blumen und Blättern eines kostbaren Brüsseler Teppichs. Das Auge taumelte an den Wänden von Goldrahmen zu Goldrahmen durch einen Himmel italienischer Schönheitswunder. In Ottomanen, Fauteuils, Bergéren und Tabourets strahlten die Meisterwerke französischer Ebenisten und Tapezierer umher, von der Decke hingen zwei schwere, goldene Kronleuchter. Ein prächtiger Goldspiegel über dem Kamin und auf dem Gesimse des letztern eine Copie der Dannecker'schen Ariadne in Alabaster schmückten den wirthlichen Mittelpunkt des Salons. Das Tageslicht fiel durch gelbseidene Gardinen ein, welche in reichen Falten, von lanzenförmigen Haltern getragen, an den Boden herabflossen. Vor den Fenstern blühte in einer Art Glashaus ein kleines Schiras von seltenen Pflanzen und Blumen, dazwischen hingen vergoldete Käfige mit Kanarienvögeln, ein noch seltenerer Luxus dieses Vogelsang-losen Landes. Im Wandpfeiler zwischen den zwei mittlern Fenstern stand die Statue einer Diana unter einem Laubwerk von Epheu. Die beiden obersten Erker des Gemaches nahmen zwei Scagliola-Tische ein, bedeckt mit Nippes und Büchern in Pracht-Einbänden. Der Farben-Grundton des ganzen Gemaches klang unter dem Reichthum dieser Ausstattung eben nicht übermächtig durch, die Tapeten schienen broncefarbige Seide mit Golddruck.
Dies war das rasche Totalbild des Saales, welchen Moorfeld im
Der Engländer präsentirte seinen Begleiter mit dem Air eines Habitue's: Doctor Muhrfield, ein literary gentleman aus Deutschland, Kunstkenner und —
Selbst Künstler, ergänzte Mr. Bennet in eben jenem Charakter von Bequemlichkeit. Ich setze das voraus, Mylord, bei meinen verehrten Gästen aus Deutschland. In Deutschland entspringt der Geschmack an den Künsten aus der angebornen Fähigkeit sie auszuüben. Ein wunderbares Land, dieses Deutschland. Ich war in Wien in ein College eingeführt — ein Estaminet das unsern irischen BrandyStuben nicht unähnlich sah — aber da hieß es: dieser Herr hat die Ahnfrau gedichtet und jener Gentleman die Todtenkränze und ein dritter den östreichischen Dialect auf den Parnaß erhoben und die Spitze von Allen war ein kleiner unansehnlicher — Shopkeeper hätte ich bald gesagt, aber man nannte ihn Beethoven! In Stuttgart zog ich mein Wagenfenster auf, als ich durch die Friedrichsstraße fuhr, aber im nämlichen Augenblick rief auch schon mein Begleiter: Sehen Sie da, so eben tritt Uhland aus jenem Hause. Mit dem ersten Luftzug hatten wir einen Dichter ersten Rangs geschnappt. In Weimar erwartet man nichts anders als eine Peerage von Genies; neben dem ehrwürdigen Goethe, den ich noch zu sehen das Glück hatte, verschwinden dort Namen, die bei uns nicht Planeten, sondern Sonnen eines eigenen Planeten-Systems wären. Fährt man von Weimar über Leipzig und Dresden nach Berlin — ein Gebiet beiläufig wie eine BaumwollenPlantage, oder das Jagdgebiet eines einzigen Indianers, — so lernt man auf dieser Spanne deutscher Erde mehr Verdienst für Kunst und Wissenschaft kennen, als in den fünf Zonen der übrigen Erde zusammen. In Berlin könnte man bequem ein Bataillon formiren aus Männern, welche Jeder den Marschallsstab eines klassischen Werkes in ihrer Patrontasche tragen. Ich sage klassisch, Mylord, und unterscheide ausdrücklich von modisch. Ich heiße Sie bestens willkommen, Herr Doctor!
Dieser Empfang war mehr, als Moorfeld erwartet hatte. Sein Auftreten im Hause
Bennet war ihm durch die Einführung des abenteuerlichen Engländers also nicht nur
nicht verdorben — wovon er freilich nicht schon im ersten Augenblicke Symptome
fürchten gedurft —
Mr. Bennet bat sich die Ehre aus, seinen neuen Gast der Hausfrau vorzustellen, was
dieser dankbar annahm. Die drei Herren verfügten sich in die Etage und
durchschritten eine Reihe von Zimmern, wobei sich der Wirth mit dem Gaste im
gelegentlichen Gespräche vor manchem Kunstgegenstand aufhielt, indeß der Lord mit
dem Gewohnheitsrechte des Hausfreundes seinen Weg in's Drawing-room allein
fortsetzte. Diesen Umstand benutzte Moorfeld, sich über sein Verhältniß oder
Nicht-Verhältniß zu dem bedenklichen Mann so weit zu erklären, als es die
Rücksicht gegen Bennet und die Rücksicht für sich selbst in die Möglichkeit legte.
Bennet seinerseits befand sich in dem nämlichen Falle, daher eine Verständigung
wie von selbst erfolgte. Ein Original! lächelte Mr. Bennet, ein Doppelsportman,
bei dem sich Mensch und
Moorfeld ahnte in letzterem Worte, was gleich im Entree dieses Hauses zum
lebhaftesten Gefühle kommt, und versagte seinem Wirthe die Anerkennung nicht, es
laut auszusprechen. Er bewunderte vor allem Bennet's Muth, seine Kunstpflege so
rein durchgeführt zu haben, daß er auch dem höchsten aber zartesten Stoff der
Kunst, den Darstellungen des Nackten, nicht aus dem Wege gegangen sei, ein Muth,
der den flüchtigsten Kenner der hiesigen Sitten noch mehr überraschte, als das
Vorhandensein dieser Kunstpflege selbst. Und ich bin ein Mann, der drei Töchter
hat! antwortete Bennet, gedenken wir dieses Umstands nicht zuletzt, mein Herr.
Jede Verdammungsthesis wider mich fand ihren Vorder-, Mittel- und Schlußsatz in
meinem eigenen Hause. Ja, mein Herr, General Jackson hat viel Muth bei New-Orleans
bewiesen, gegen die Bank noch mehr, aber gegen die Prüderie ich den meisten. Und
doch macht mich Niemand zum Präsidenten dafür, ich bin froh, daß ich das Leben
davontrage, das nackte Leben! scherzte der aufgeweckte Mann mit einem
wohlangebrachten Sinnspiele. Er fuhr sich mit einem echt französischen Wurf durch
den Busch seiner Stirnhaare, wobei der Solitär an seiner Hand, gleich einem Stern
aus Wolken blitzte, und sagte, wie im Andenken großer Erinnerungen: Zweimal
spielt' ich va banque mit meinem Leben, zweimal warf ich den Würfel eines kühnen
Entschlusses über meine bürgerliche Existenz. Das erstemal war's eine
Handelsunternehmung. Ich befrachtete mit einem kleinen oder auch großen Capital —
denn es war mein ganzes väterliches Erbe — ein Schiff nach der Habanna in Seide.
Ich war vierzehn Jahre, mein Steuermann siebenzehn. Wir hatten einen luckigen
Eindecker, der kaum noch See hielt, dazu Gegenwind aus Südwest, und um schneller
reich zu werden, sparte ich auch noch die Assecuranz. Kurz, ein completer
Knabenstreich. In Europa hätte man uns mit der Ruthe nach Hause gejagt, hier
standen die Leute am Ufer und wetteten um den Punkt, wo wir scheitern mußten. By
Jasus! am Cap Hatteras! schrie der Eine; Good damn! sie kommen nicht über
Shandy-Hoock, fluchte der Andre; 'pon honour! im Florida-Golfstrom gehen sie auf
den Grund, betheuerte der Dritte.
„We are in a free country!“ murmelte Moorfeld erschüttert.
Bennet, dem das Wort „frei“ an's Ohr klang, bezog es anders und jubelte auf: Es lebe die freie Presse! ja ja, mein Herr, das ist die Perle unsers aufgeklärten und glücklichen Landes. Die Knechtung der Presse ist ein vortreffliches Mittel der Freiheit; denn das Publikum bildet sich in diesem Falle sein eigenes Urtheil; aber die freie Presse ist ein köstliches Werkzeug der Tirannei, — der Mob vertraut ihr und betet ihr blind nach. Das Mittel mit dem Walzer schlug mir noch öfter an. Ich muß immer ein sardonisches Lächeln bekämpfen, wenn mich die Leute fragen, was meine Apollino, meine Ariadne und dgl. gekostet hat. Ich weiß wohl, wem ich diese göttlichen Nacktheiten am theuersten bezahlt habe. Es lebe die freie Presse!
Moorfeld zuckte zusammen. Er stierte mit einem todten Blicke vor sich hin. Was
haben Sie? fragte Bennet, Anlage zur Melancholie? Hang, die Sachen von ihrer
schwarzen Seite zu nehmen? Auf,
Wenn die Artigkeit des Herrn Bennet nicht ein angeborener, liebenswürdiger Hang zur Galanterie war, so konnte sie Moorfeld jetzt in einem neuen Lichte sehen. Es schien ihm nicht unmöglich, daß Herr Bennet seinen fremden Gästen darum so viel Aufmerksamkeit, ja, Devotion erzeige, um den Ruf seines Salons auch in Europa auszubreiten. Eine Rückwirkung davon auf sein eigenes Vaterland mochte dem amerikanischen Kunstmäcen, nach dem was Moorfeld gehört, in der That weder gleichgiltig noch selbst entbehrlich dünken. Und Moorfeld gestand sich, daß er auch — Tendenzverse dichten könne.
Er trat jetzt an der Seite seines Wirthes in das Drawing-room, dessen offenstehende Flügelthüren schon auf die Entfernung mehrerer Zimmer das Innere dieses Boudoirs in's Auge fallen ließen. Moorfeld glaubte in einen Blumenkelch zu blicken. Decke, Plafond, Wände Möbel, Teppiche, Tapeten — das ganze Gemach schmolz in ein einziges Laubwerk, in eine große Blätter-Arabeske zusammen. Nichts war Bedürfniß hier, Alles Ornament, Nichts Kante und Ecke, Alles Wellenlinie, Nichts Stein und Holz, Alles eine lockere Blüthenschneedecke, Auflösung in Faser, Falte, Flocke, Spitze, ein Sommernachtstraum aus Seide und Flor, eine Phantasie, ein Duft. Die Pracht hatte sich hier verflüchtigt, als scheute sie, durch irdische Schwere zur Last zu fallen, nirgend drückte die Erinnerung an Goldgehalt oder Karatgewicht, der Besucher konnte in Mitte eines unschätzbaren Werthes glauben, Alles sei mit größter Leichtigkeit da, quelle aus sich selbst wie eine Schaumperle auf. Die alabasterne Orchislampe an der Decke schien noch das einzige Stück von Masse hier; wie sie den schweren, goldenen Kronleuchtern im Parlour contrastirte, so ungefähr verglich sich dieser Empfangsalon der Hausfrau dem des Hausherrn. Wenn wir sagen, Moorfeld trat in dieses Gemach ein, wie Faust den Himmelsathem der weiblichen Temperatur im ärmlichen Bürgerstübchen trinkt, so sagen wir zu wenig. Anders und höher noch athmet dieser Geist doch, wenn im Boudoir der Millionären die Flammen unendlichen Reichthums aus allen Fugen schlagen und der Taubenflügel der weiblichen Bescheidenheit tuschend und dämpfend das Ganze zur Ruhe niederfächelt.
Die Bewohnerin dieses reizenden Aufenthaltes war eine kleine zarte Dame — eine Vignette von einem Frauenbild. Tiefe Blässe bedeckte ihr Antlitz, nicht jene Blässe der Amerikanerinnen, die einer immerwährenden Dispepsie entspringt, es war eine ächtere Aetherfarbe. Stille und Sinnigkeit lag um sie her, und der Ausdruck des allgemeinen Frauenloses, Geduld und Duldung. Wie sie im einfachen grauseidenen Kleide, die feine Hand im rosa Glacehandschuh, den zarten Fuß im gestickten Atlaspantoffel, den Nacken von einem schmalen Spitzenkragen umrändelt, ohne Gold und Juwelenschmuck da saß, und von dem weitgeschlungenen Schaukelstuhl fast nur den kleinsten Raum einnahm, so war es ein Anblick, als ob das weiche Glück zwar nicht wie eine Bürde auf ihr ruhte, aber wie jener Flaum, womit man das Leben eines Entschlafenen erprobt, und der sich nicht regt. Nicht bescheiden, — ergeben in ihren Stand schien dieses milde, ruhige Frauenbild.
Herr Bennet machte die Vorstellung Moorfeld's französisch; Mistreß Bennet antwortete in derselben Sprache und mit einem Accente, womit man nur die Muttersprache spricht. Moorfeld konnte sie ohne Frage für eine Pariserin nehmen. Es schien ihm diese Wahl nicht der unbedeutendste Charakterzug für Bennet's Geistesrichtung — ob er auch ahnen durfte: für das gedämpfte Lebensgefühl der verpflanzten Seine-Blume?
Mrs. Bennet sprach von den Schönheiten des Rheins und der deutschen Literatur. Moorfeld antwortete mit Paris und Frankreich. Seine Lobesäußerungen wurden mit Dank erwiedert, aber das Thema nicht fortgesetzt. Moorfeld ging auf Saratoga über. Mrs. Bennet sagte: sie hoffe viel für das Vergnügen ihrer Kinder von diesem Ausfluge. Die Formalität schlang dann noch einige andere Fragen und Antworten in ein loses Bouquet zusammen, das man sich gegenseitig überreichte, und als sich Moorfeld wieder erhob, erfüllte sich dieses Bild auch im eigentlichen Sinne; die Hausfrau reichte dem Gaste aus einer Blumenvase ein feines Sträußchen von Vanille-Blüthen. Es schien damit eine ständige Sitte beobachtet, denn selbst der Engländer, der Habitur des Hauses, hielt, wie Moorfeld sehen konnte, eine solche Gabe zwischen den Fingern.
Den sich Entfernenden schloß sich auch die Person des Letztgenannten jetzt wieder
an. Die drei Herren traten jetzt in eine andere
Moorfeld hatte während dieser Conversation — die Herren standen im äußersten Ende
eines Eckzimmers und blickten von einer Art Erkerbalkon auf die noch tageslichte
Straße hinab — seine Aufmerksamkeit zu theilen gehabt zwischen drolligem Hören und
drolligem Sehen. Sein Auge war auf der Straße. Ein wunderliches Schauspiel zog es
hinaus. Ein Rudel junger Schweine, wie Menschen gekleidet, schlumperte das
Trottoir herab, eine absurde Sammlung von Jünglingen, zu kenntlich für die
Maskerade, zu unkenntlich als Wirklichkeits-Wesen, Kerle, die eine Garderobe
trugen und eine Toilette gemacht hatten, welche phantastisch sein sollte, aber
nach einem Style es war, als ob sich die Göttin Phantasie an irgend einem
Mondkalbe versehen hätte, da sie die Stutzer-Witze dieser Erbärmlichen gebar. Der
Eine trug schlotternde Pumphosen mit schuhgroßen Quarré's, das Beinkleid des
andern war eng und knapp wie Tricots. Dem Einen hing die Weste über den Bauch
herab, dem andern endete sie auf der Herzgrube, dieser balancirte ein
Spazierstöckchen kurz und dünn wie eine Stricknadel, jener schleppte einen Prügel
wie eine Herkuleskeule. Die Cravatte des Dritten war ein Zwirnsfaden, die des
Vierten eine mäßige Gartenmauer. Der Fünfte hatte seinen Kopf durch einen
Pfannkuchen gesteckt, so flach war sein Hut, der Sechste trug eine Kopfbedeckung
von der halben Höhe seiner ganzen Person. Was sonst Rock oder Frack heißt, war am
Leibe dieser Dandy's ein Stück tollgewordenes Segeltuch, das den Fiebertraum
träumte, nach allen Winden zugleich zu hängen und die widersprechendsten Formen,
die es je angenommen, in einen einzigen Moment zu vereinigen. Dazu hatten die
Wichte einen Gang wie Känguruh's, ein Mittelding zwischen Rutschen und Stolpern,
indem sie entweder, weil sie es für Fashion hielten, oder aus wirklicher
Marklosigkeit, bei jedem Schritt in die Knie brachen und die
Moorfeld ließ sich diese Apologie gar wohl gefallen. Der geistreiche Mann hatte seinen Verdruß über jenes melée wie weggehaucht. Mr. Bennet befestigte sich immer mehr in der Meinung, die ihm Moorfeld entgegengebracht.
Inzwischen hatte sich die jeunesse dorée durch die Gesellschaftssäle — auch den letzten — verbreitet und betrug sich ziemlich säuberlich. Moorfeld entdeckte sogar, daß sie erröthen könne. Denn als Einer der Bengel ihn durch sein Kneif-Lorgnon etwas ungezogen anstarrte, steckte Moorfeld sein eignes Lorgnon vor und fixirte ihn eben so. Da erröthete der Junge, ließ sein Lorgnon fallen und ging. Moorfeld und Bennet lächelten sich zu.
Nach und nach fand sich zahlreichere Gesellschaft ein. Im Laufe einer Stunde war
schon so viel „Welt“ da, daß die Dandies on short allowance sich erträglich genug
darin verloren. Zwar blieb das Publikum noch immer gemischt, wie Moorfeld im
Kommen und Gehen dieser Menschen überhaupt einen erstaunlichen Grad von
republikanischer Sittenfreiheit wahrnahm; auch bedauerte Mr. Bennet wiederholt,
daß er Moorfelden nicht vorgestern auf New-Jersey bei
In der That erschienen bald darauf einige von den Häuptern, auf welchen ein dem Europäer mehr oder minder bekannter Name ruhte. Die erste dieser Gestalten war ein Mann von majestätischer Hoch-Statur, stark gewölbter Brust und noch ausgebildeterem AbdominalSystem, das plastisch-viereckige Haupt bis an den Scheitel kahl, im Nacken aber mit einer derben Fülle herabfallender Locken beschwert, was ein seltsamer Anblick war und einen Ausdruck von unzerbrechlicher Manneskraft gab. Das Erhabene war vorherrschend in diesem Bilde, wenngleich nicht alleinherrschend, denn seine Augen waren klein und die etwas hervortretende Unterlippe, so wie das weiche schwellende Kinn verriethen, daß der Mann den gutschmeckenden Dingen dieser Welt nicht allzu ungerecht begegnete. Es war Doctor Channing, der erste Prosaist Amerika's, nach der Stimme des Landes — Amerika's Cato! wie Mr. Bennet Moorfelden zuflüsterte, die öffentliche Vorstellung mit einer geheimen ergänzend.
Diesem Mann auf dem Fuße folgte sein directestes Gegenstück. Es war ein hageres, fast gebrechliches Männchen, dessen graue Augen schüchtern wie die eines Schulmädchens blickten, indeß sein kleines fleischloses Köpfchen auf die Seite neigte, als ob es ihm durch zu viel Lernen beschwert wäre. Er war nicht alt, sah aber aus als ob er nie eine Jugend gehabt hätte und die Knabenjahre wie ein nothwendiges Uebel so schnell als möglich passirt wäre. Mr. Bennet begrüßte ihn mit tiefer Hochachtung und stellte ihn als Doctor Griswold vor, Bibliothekar an der neu errichteten Universität in Newyork, der fleißigste Gelehrte des Landes, ein Mann, der eine ganze Akademie werth ist, setzte er Moorfelden in obiger Weise hinzu.
Auch der vormalige Präsident Monroe erschien. Eine schwache abgemagerte Gestalt,
gebeugt von Alter, oder alt-machenden Gemüthsstimmungen. Moorfeld sah in ein
mildes aber glanzloses Auge, auf eine breite und gut begrenzte aber platte Stirn,
es verdroß ihn überhaupt, daß der ganze Charakter-Ausdruck des Mannes, der den
edelsten
Noch stand Moorfeld über dieses Thema mit Mr. Bennet im Gespräche, als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen ausgehend, welche die Person des jetzt Eintretenden kannten, und um so spannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche sie nicht kannten. Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz und doch begleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohlwollens. Mr. Livingstone, Amerika's erster Jurist, sagte Herr Bennet. Verfasser des classischen Carolina-Strafcodex? fragte Moorfeld — von welchem ich Ihnen eine Geschichte erzählen will, eine Geschichte in zwei Worten, setzte Bennet hinzu. Das Manuscript dieses Codex ging Abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrunst seines Hauses in Flammen auf. Morgens um sieben Uhr saß Livingstone in einem andern Hause vor einem andern Buch Papier und begann es von Neuem. Das ist nicht von einem Gelehrten erzählt, sondern von einem Enthusiasten, werden Sie sagen. Ich widerspreche nicht. Livingstone ist Dichter in seinem Berufe!
Wirklich war Mr. Livingstone eine außerordentlich gewinnende Persönlichkeit. Seine Gesichtszüge konnten keineswegs fein heißen, aber eine Herzenswärme lag darin, die Alles, was selbst Herz und Menschlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittelgröße, seine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte sie, seine Sitte war Sittlichkeit.
Diese Personen wurden alsbald die Mittelpunkte von Gruppen, in welchen sich das
eigentliche Leben des Routs krystallisirte. Zwar
Vom andringenden Strome der Gäste war in den letzten Augenblicken der Hausherr Moorfeld's vorherrschendem Besitze entführt worden, und bis sie zu stillerem Begegniß sich wieder zusammenfanden, gefiel sich unser Freund, auf eigene Hand aus den Wellen der Gesellschaft zu schöpfen. Den bedeutendsten Personen auf's rücksichtsvollste vorgestellt, war ihm der Charakter des Fremden benommen; er hatte den Vortheil, in die einzelnen Gruppen einzutreten und sie zu verlassen nach freier Wahl und Bequemlichkeit. So konnte er wie in einem lebendigen Index die amerikanischen Zustände durchblättern: dort stand ein Kapitel Bankwesen, hier Schutzzoll und Freihandel, in diesem Trinkzimmer zechte die Sclavenfrage, in jenem die Indianer-Expropriation, in der Nische rechts zupfte die neue Universität an den Gardinenquasten im eifrigen Vortrag über die literarischen Landeszustände, in der Nische links kritisirte ein Börsensyndicus, d. h. ein Oberstlieutenant die Bankrote vom Jahre dreißig und stellte das Prognostikon der nächsten Calamität.
Das war nun ein Amerika, nicht aus papierenen Quarterly Reviews, noch aus dem
Tabakskoth öffentlicher Sittenroheit zu studiren, sondern im Goldrahmen eines
kunstsinnigen Salons, unter den Blumen des Landes. Diese Gedankenflora
durchschwärmend, mußte sich's zeigen, ob Moorfeld auf einem jener optischen Punkte
hier stand, wo
Die Rolle des unbetheiligten Beobachters blieb ihm aber nicht ganz so frei überlassen, als es in seinem Wunsche und in der Freiheit des Routs selbst gelegen hätte. Er war heute der einzige Fremde aus Europa, der in Mr. Bennet's Salon eingeführt war, es wurde ihm dadurch eine Aufmerksamkeit zu Theil, deren Vortheile er lieber entbehrt, hätte. Auch war diese Aufmerksamkeit selbst nicht ganz von der wohlthuenden Art; der Mangel an Frauen verursachte, daß sie nicht eigentlich als zarter Persönlichkeitssinn, sondern vielmehr als sachliches Interesse für Europa gegen ihn sich kund gab, wenigstens glaubte unser Freund, dem wir ein feines Gefühl für diese Unterscheidung wohl zutrauen dürfen, etwas Aehnliches durchzuempfinden. Wenn es bekannt ist, daß der Amerikaner keine Frage beantwortet, ohne eine Gegenfrage zu thun, so kam Moorfeld überhaupt zunächst weniger zum Empfangen als zum Geben; die Neugierde forderte ihren Tribut, obgleich in der geglättetsten Form. So fiel es ihm auch auf, daß die Männer, deren Namen und Bedeutung wir zuvor genannt, nicht ganz jene stillbewußte Zurückhaltung beobachteten, womit in Europa der Mann von Verdienst sich bekleidet; sie wußten im Gegentheil vortrefflich die Attitude zu finden, die sie ihren Mitbürgern im vollen Rund darstellte. Ebenso nahm sich Moorfeld vor, scharf darüber zu beobachten, ob die Artigkeit, die ihm mit einer wahren Farbenpracht von allen Seiten entgegen getragen wurde, wirklich vom ächtesten Stempel des Bonton's sei, oder eine gewisse tendenziöse Beflissenheit gegen den „literary gentleman“ durchblicken ließ, der ohne Zweifel über seine Reise ein Buch schreiben würde. Kurz, unser Freund, der es nachdrücklich betont hat, nicht auf „absichtliche Täuschungen” nach Amerika gegangen zu sein, verwahrte sich auf diesem Boden, der ein Boden des idealisirten „shams" sein konnte, außerordentlich sorgfältig dagegen rosiger zu sehen als er sollte. Dürfen wir fragen, ob es mit der geheimen Lust geschieht, schwarz zu sehen?
Zuerst finden wir unsern Gast in der Gesellschaft des Mr. Livingstone, des
Criminalgesetzgebers von Louisiana, dem Moorfeld für die Abschaffung der
Todesstrafe in diesem Staate seine ganze Pietät ausdrückt. Er spricht von den
Hoffnungen der europäischen Reformers über diesen Punkt, oder vielmehr von dem
Stand der Frage, da die „Hoffnung“ noch weit aus die Minorität der europäischen
Gewissen habe. Moorfeld findet es frappant, daß Livingstone die Todesstrafe eine —
Präventivjustiz nennt. Denn, da der Mord durch seine Verdoppelung nicht sittlicher
wird, sagt der Rechtsphilosoph, so könne von einer Sühne des verletzten
Sittengesetzes durch eine Hinrichtung nicht wohl die Rede sein. Man habe daher die
TalionsTheorie mehr und mehr aufgegeben, oder thue es noch täglich, dafür spreche
man desto überzeugter von einem Rechte der Nothwehr, welches durch die Todesstrafe
ausgeübt würde. Die Gesellschaft müsse sich schützen gegen den Feind der
Gesellschaft. Nun wird sich aber die Gesellschaft gegen das geschehene Verbrechen
kaum noch schützen können, sondern nur gegen das künftig zu wiederholende. Das
heißt also man spielt dem bösen Prinzip ein Prävenire durch Hinwegnehmung des
Lebens. Allerdings die sicherste Präventivhaft ist das Grab. Moorfeld sprach die
Vermuthung aus, ob Mr. Livingstone den ersten Keim seines großherzigen Systems,
nicht in dem Bestreben gefunden habe, zunächst das Leben der Sclaven ihren Herren
gegenüber zu sichern. Der herrliche Mann antwortete lächelnd: Verzeihung, mein
Herr, man tödtet ein nützliches Hausthier nicht leicht. Die Todesstrafe bestand
zwar in Louisiana wie sie in andern Sclavenstaaten noch jetzt besteht; aber die
Praxis bringt sie fast gar nicht zur Anwendung gegen den Sclaven. Das Tribunal
findet in den meisten Fällen eine ausbeugende Interpretation des tödtlichen
Paragraphen. Ein Virginier, in dessen unmittelbarer Nähe die Unterhaltung
gepflogen wurde, wendete sich gegen Moorfeld, und sagte mit würdevoller
Einfachheit: Ich darf mir vielleicht erlauben hinzuzusetzen, wie das Loos unserer
Sclaven überhaupt ein menschliches, und besserer Vorstellungen würdiges ist, als
unsre Gegner verbreiten zu können das traurige Glück haben. Es entgeht uns nämlich
an diesem Punkte nicht, daß die öffentliche Meinung Europa's über die Sclaverei
fast allein das Product des Nordens ist, der seit allen Zeiten durch
die
Der Virginer schüttelte leise das Haupt und antwortete mild lächelnd, als ob von
den angenehmsten Dingen der Welt die Rede wäre: Ich zweifle, mein Herr, daß Sie
Ihr Herz dem Zauber dieses illiberalen Prinzips verschließen würden. Sie würden
unsre Neger wohnen sehen in gesunden und freundlichen Hütten, gekleidet nach
Bedürfniß, genährt mit Freigebigkeit, wie ihre vollen und kräftigen Glieder
bewiesen. Sie würden sehen ein Volk von zufriedenen Familien, das sein Leben
zwischen zweckmäßiger Thätigkeit und freier Erholung so nützlich-angenehm
hinbringt, wie wir nur immer menschliche Zustände, wenn nicht im goldenen
Zeitalter, welches absoluter Müssiggang gewesen sein soll, doch im silbernen, will
ich sagen, uns dichterisch ausmalen mögen. Sie würden bei ihnen Arbeit mit Gesang,
Fleiß mit Muße, Anstrengung mit Genuß, die ernste Handlung ihres Lebens mit der
scherzhaften ihrer Volks-Comödien naturgemäß wechseln sehen. Sie würden überall
die wünschenswertheste Herrschaft der Vernunft erblicken. In der That, die
Vernunft des Negers ist sein Herr. Sie steht verkörpert außer ihm, und das ist das
Ganze des Unterschieds zwischen Freien und Sclaven. Wie der Dichter mit der
glücklichen Kunst des Contrastes das empfindende und das denkende Wesen in uns oft
in zwei getrennten Per
Quantum periculum immineret, si servi nostri numerare nos coepissent! Welche Gefahr drohte uns, wenn unsre Sclaven uns zu zählen anfingen! sagte Moorfeld mit tiefer, ernsthafter Betonung. Ob Seneka's Wort, fuhr er fort, nur vom römischen und nicht naturgemäß und nothwendig von jedem Sclavenstaate der Erde gilt, mögen die Götter in der praktischen Beantwortung eben so auf sich beruhen lassen, wie ich in der theoretischen. Ich gestehe gerne, daß ich über diesen Gegenstand — Kundigeren das Wort lasse.
Mr. Livingstone nahm den Wink auf und antwortete zwischen Moorfeld und dem
Virginier: Da die Virginier nach den Gesetzen der Vernunft und der Liebe ihre
Sclaven behandeln, so muß es ihnen außerordentlich unangenehm sein, überhaupt noch
Sclavenhalter zu heißen. Wäre es nicht besser, sie erklärten ihre Sclaverei
demnach für aufgehoben? Thatsächlich änderte ja dieser Großmuthsact nichts, denn
die Sclaven, die sich heute so glücklich fühlen, würden sich wohl hüten, das
bestehende Verhältniß zu lösen. Löseten sie's aber doch — nun, dann hätten sie
sich eben nicht glücklich gefühlt. Und das ist der einfache und immer
wiederkehrende Syllogismus, wenn vom Glücke der Sclaven die Rede ist. Laßt es auf
ihre Wahl ankommen! — In der That, Herr General, in diesen Tagen, da uns zu jeder
Stunde die Nachricht werden kann, das englische Parlament hat die
Emancipationsacte erlassen, fühlt die Union ein tödtliches Herzklopfen, und wir
sind aufgeregter als je, unser Herrenrecht über unsre Sclaven uns selbst und
Andern recht unzerstörbar einzureden. Als ob das Gift im Magen durch die
Einbildung, es sei Honig, auch nur eine Secunde lang in seinen tödtlichen
Wirkungen inne hielte! Von ganzem Herzen beglückwünsche ich Mortonhall, daß es
diesen Honigtraum zu träumen vermag; daß es ihn zu träumen verdient, bezeuge ich
dem edlen Besitzer desselben mit größtem Vergnügen. Aber der ganze übrige Süden
lebt in einem fürchterlichen Wachen! Aus allen Regionen zwischen dem Red-River und
Potomac werde ich stündlich mit Briefen überhäuft, in welchen die Sclavenbeglücker
mit jenem Angstschweiß
Die beängstigende Pause unterbrach der barocke Lord Ormond, der wie die lustige
Person nach der Tragödie sich jetzt zu unsrer Gruppe fand. Er mußte dem Gespräche
aus der Nähe gefolgt sein, denn er redete Mr. Livingstone an: Erlauben Sie, mein
Herr, daß ich auf meinem Standpunkte Ihrer Philosophie mich anschließe. Sie haben
die Bemerkung ausgesprochen, daß die amerikanischen Nigger um vieles höher
stünden, als ihre afrikanischen Stammgenossen. Diese Bemerkung ist so fruchtbar an
Folgerungen, daß sie noch weit über Ihr gegenwärtiges Ziel hinausführt. Sie haben
die Perfectibilität der Negerrace ausgesprochen; — bei dem Worte „Perfectibilität“
wußte Moorfeld sogleich, wohin der edle Lord ziele. Er sah sich nach einem
passenden Rückzuge um, der Engländer aber nahm ihn freundlich bei der Hand und
hielt ihn fest. Moorfeld seufzte. Der Engländer fuhr fort: — und doch ist diese
Perfectibilität seit dem Anbeginn der Schöpfung in Afrika latent geblieben. Wäre
sie in Amerika nicht zum Vorscheine gekommen, man hätte sie ganz und gar
geleugnet. Das ist wichtig. Denn nun werden wir mit Recht weiter gehen und fragen
dürfen: Hat sich der Bozal durch den Umgang mit einer gebildeten Race veredelt,
müßte sich eine Art von erschaffenen Wesen, die zunächst unter den Bozals stünden,
im Verkehre mit diesen nicht gleichfalls vermenschlichen? Ja, dürfen wir diese
Frage auf jeder nächst tieferen Stufe der beseelten Schöpfung nicht stets von
Neuem wiederholen? Gewiß dürfen wir das. Damit ist aber eine Continuität der
intellectuellen Welt gewonnen, welche die unlogischen Grenzen zwischen Mensch und
Thier aufhebt. Sie sprechen von der Emancipation der Neger, — ich spreche von der
Emancipation der Thiere selbst. Ich wünschte nichts so sehr — denn noch ist es
nicht allen Menschen verliehen, einen Syllogismus wie eine Thatsache auf sich
wirken zu lassen, — ich wünschte nichts so sehr, als daß es neueren
Entdeckungsreisenden gelingen möchte, den Gorilla-Affen wieder aufzufinden, dessen
Gattung der karthaginiensische See-Forscher Hanno gesehen hat und dessen
Menschenähnlichkeit in dem „Periplus“ so
Noch mehr.
Eine Bewegung im Saale erweckte Moorfeld's Aufmerksamkeit. Drei Damen hatten einen Gang durch die Gesellschaftszimmer gemacht — ihr Bild traf Moorfeld's Auge nur noch wie ein Streiflicht. Die mittlere der drei Frauen war Mrs. Bennet, die Hausfrau; aber Moorfeld verwunderte sich, daß auch eine der beiden andern, ein blonder Mädchenkopf, ihm nicht unbekannt schien. Wie ein Strahl blitzte es auf in ihm, wie aus einem Traume fuhr er empor, er riß sich von dem Engländer los, er staunte, er drängte der Erscheinung nach, welche mit den reizenden Bewegungen eines jugendlichen Körpers am Arme der älteren Dame und unter dem Andrang allseitiger Huldigungen sich durch die Wogen der Gesellschaft wand. Er kam zu spät. Der Engländer hatte im Eifer seiner Dissertation ihn wie mit Greifscheeren fest gehalten. Ja, zu seinem Verdrusse glaubte Moorfeld sogar zu bemerken, daß das Blondköpfchen die Zuhörergruppe des verrückten Lords mit einem fein-satyrischen Lächeln auf den Lippen vorübergewandelt.
Das Ganze war das Werk eines Augenblicks.
Diese Episode riß unsern Freund aus allem Zusammenhang mit dem Rout. Er stand eine
Weile lang in jener tiefsten Vereinsamung, welche mit Unrecht Geistesabwesenheit
heißt. Sein Geist war von der Außenwelt abwesend, wie es ein Taucher von der Erde
ist. Er versenkte sich in ein Element, worin keine Gesellschaft möglich ist. Die
Damen verschwanden mehr und mehr in die Tiefe der Säle hinab und
In diesem Zustande fand ihn Mr. Bennet. So in Gedanken, Sir? Nicht wahr, man kann recht sich selbst leben auf einem Rout? Aber was höre ich! General Morton aus Virginien sagt mir soeben, Sie beabsichtigten demnächst eine Ansiedlungsreise an den Ohio? Ist es an dem? Im Schreck darüber ließ ich den Bischof Paxton stehen, der mich just zum Vertrauten seiner Kirchenbedürfnisse gemacht hat, und dem ich doch artig sein muß, denn der Zelot hat Einfluß und ich erwarte jeden Augenblick eine Ladung Gipsabgüsse — nach dem Museo Borbonico!
Es war Moorfeld eigenthümlich zu Muthe, jetzt an sein UrwaldsProject erinnert zu werden. Er erschrack fast.
Bennet fuhr in seiner affablen Manier fort: Freilich gratulire ich uns anderseits wieder, daß Sie ein Bürger unsrer Staaten werden wollen. Und dürfte ich dreinreden, so würde ich erinnern, daß unser Hudson hier auch ein angenehmes Flüßchen ist. Seine Naturschönheiten —
Ich halte die Winter-Saison vielleicht in Newyork, antwortete Moorfeld. Das Wort war gesprochen, er wußte nicht wie. Doch fühlte er sein brennendes Erröthen darüber.
Tant mieux! tant mieux! jubelte Mr. Bennet. Moorfeld hörte ihn und mußte sich zusammen nehmen, ihn auch zu sehen. Sein Auge war wie gebannt. Und doch waren die Damen in der Reihe der Säle längst nicht mehr sichtbar, nur die Bewegung der Gesellschaft kräuselte noch, wie Furchen die der Schwan zieht, den Verschwundenen nach.
Ich bin gekommen, fuhr Bennet fort, Sie um Ihre Gesellschaft ins Theepavillon zu bitten. Wir wollen unsern Thee nehmen, wenn es Ihnen gefällig ist. Mr. Livingstone wird von unsrer Parthie sein und noch einige andre Gentlemens meiner engeren Bekanntschaft.
Sollte Moorfeld seine augenblickliche Stimmung opfern, so that er's noch am liebsten in Bennet's Gesellschaft. Er folgte.
Der Hausherr führte seinen Gast die Conversationssäle, Spielzimmer und Trinkstuben entlang an das äußerste Ende der Appartements. Dort lud sich ein niedlich verstecktes Plaudercabinet erkerartig auf eine Terrasse aus, welche mit einer Fülle tropischer Gewächse besetzt war. Das Cabinet bildete eine Art Glaspavillon, seine Form war die des Achteckes. Ein runder in diesem Augenblicke reich garnirter Theetisch nahm die Mitte des Gemaches ein; den übrigen Raum erfüllten breite Divans, niedrige Fauteuils, sogar einige Schaukelstühle, zum Beweis, daß das reizende Reduit, außer seiner Bestimmung als Estaminet, auch schöneren Besuches gewürdigt wurde. Die acht Ecken des Gemaches verzierten Blumen- und Fruchtkörbe aus japanischem Bambusrohr auf vergoldeten Postamenten. Das Licht fiel von oben durch eine Construction von Spiegelgläsern ein, welche aber ein Netz von Schlingpflanzen so anmuthig überkleidete, daß vom ganzen Apparat nichts zu sehen war, als seine Leistung selbst, eine milde dämmerige Mondeshelle. Die Gardinen der Fenster waren niedergelassen mit Ausnahme eines einzigen. Dieses zeigte im Vordergrunde eine charakteristische Laubmasse vom Battery-Park, darüber ein ritterliches Stück Mauerwerk vom Castel Garden, im Hintergrunde das Meer. Vor- und Mittelgrund lagen in tiefer Nacht, das Meer warf von seiner fernen Höhe das letzte purpurne Abendlicht herein. Der offene Fensterraum contrastirte zu den Gardinenfarben, die ihn rechts und links einrahmten, und zu der eigenthümlichen Beleuchtung des Cabinets so täuschend, daß der Eintretende im ersten Augenblicke keine natürliche Aussicht, sondern ein bezauberndes Landschaftsbild, durch irgend einen optischen Effect erzeugt, vor sich zu haben wähnte. Moorfeld schickte aus vollster Seele dem Meere seinen Gruß hinaus.
Den Eingang des Cabinets bildete nach gewöhnlichem Brauch englischer Trinkstuben
ein Vorhang. Dieser Vorhang war halb zurückgeschlagen, so daß ein Theil des hier
beschriebenen Inneren den Ankömmlingen schon aus einer gewissen Distanz bemerkbar
wurde. Moorfeld erkannte von den anwesenden Gästen Dr. Channing, Dr. Griswold und
Mr. Livingstone. Er erblickte aber noch drei oder vier andere Herren an der
Tafelrunde, welche ihm unbekannt waren. Herr Bennet erklärte sie ihm folgender
Weise: Rechts neben Dr. Channing sitzt Oberst Gault, Director der Militärakademie
in
In der That war es so. Die imposante Gestalt Dr. Channing's saß, wie ein
heraldisches Brustschild, hinter einem Eisaufsatz, welcher eine Fruchtpyramide
bildete, bestehend aus künstlich geformten Trauben, Granatäpfeln, Ananasorangen,
Citronen, Mandeln und ähnlichen Fruchtformen. Das Hauptstück dieser Pyramide war
eine Melone, gefüllt mit zusammengefrorenem Champagnerschaum. Indem Dr. Channing
die Rinde dieser Eismelone anschnitt, redete er unter einem Duftstrom der
köstlichsten Aromen ohne Barmherzigkeit auf die Herren Woods ein, welche mit
gesenkten Häuptern zuhörten und in der köstlichen Süße des Augenblicks den
Contrast des Herben geduldig mit
In Einer Hinsicht haben unsre Institutionen uns Alle getäuscht. Sie haben nicht jene Veredelung des Charakters bewirkt, welche die köstlichste und in Wahrheit die einzig wesentliche Segnung der Freiheit ist. Unsre Fortschritte des Gedeihens sind in der That ein Weltwunder geworden, aber dieses Gedeihen hat auch viel dazu beigetragen, dem veredelnden Einfluß freier Institutionen entgegenzuarbeiten. Besondere Umstände der Zeit und unsrer Lage haben einen Strom von Wohlstand über uns ausgeschüttet und die menschliche Natur ist nicht stark genug gewesen, dem Anfalle einer so schweren Versuchung zu widerstehen. Tugend ist theurer geworden als Freiheit. Die Regierung wird mehr als ein Mittel zur Bereicherung des Landes als zur Sicherung der Einzelnen betrachtet. Wir sind mit dem Gewinne als mit unserm höchsten Gute eine Ehe eingegangen und Niemanden darf es wundern, daß aus dieser Ehe die gemeinsten Leidenschaften entsprossen sind, welche alle bessern moralischen Stützen unsers Gemeinwesens entfestigen, während selbstische Berechnung, Neigung nach äußerm Schein, Verschwendung, unruhige, neidische und niedere Begierden, wilder Schwindelgeist und tolle Speculationswuth die Stelle dafür einnehmen. In Wahrheit, es geht ein Geist der Zügellosigkeit und der Verwilderung durch unser Land, der, wenn er nicht unterdrückt wird, der gegenwärtigen Gestaltung der bürgerlichen Gesellschaft die Auflösung droht. Selbst in den älteren Staaten der Puritaner nehmen Pöbelhaufen die Regierung in ihre Hand und eine verworfene Zeitung findet es leicht, die Menge zur Gewaltthätigkeit anzureizen. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß die überhand nehmenden Beispiele unsrer Volksjustiz, denen nicht das dunkelste Rechtsgefühl, sondern bloßer Hang zur Ausschweifung zu Grunde liegt, uns als ein Volk hinstellen, welches von den ersten Grundsätzen der Freiheit keinen Begriff hat.
Der weiche schwellende Mund, der diese Strafrede gehalten, erquickte sich hierauf
mit der besagten Eismelonenschnitte. Die Milizoffiziere dagegen erquickten sich
gar nicht. Es war ein eigenthümliches Schauspiel, unter welchen Gefühlen diese
glänzenden Herren in
Die Niederlage, sah man, war vollständig auf ihrer Seite.
Endlich erhob doch Mr. Wood, der Bergschotte, seinen Blick von dem silberplattirten Korkpfropfen, mit dem er bisher gedankenlos gespielt, und sagte kleinlaut:
Aber unsre Erziehung, Doctor! unsre Schulen!
Und sogleich stimmten Schwiegersohn und Schwager des Herrn Wood mit sichtlich erleichterten Herzen ein:
Ja, ja, unsre Schulen! das ist's. Welche Nation der Welt thut so viel für sie wie wir? Unsre Schulen mehren sich täglich, und mit ihnen wächst stündlich die Hoffnung —
Unsre Schulen mehren sich täglich, antwortete Doctor Channing gelassen, aber mehrt
sich der Geist, den unsre Schulen zu überliefern haben? Wie wird der junge
Amerikaner erzogen? fragen wir uns vor Allem das, meine Herren. Der Geist unsrer
Pädagogik ist nicht der, Menschen zu bilden, sondern Rechenmaschinen zu machen.
Der Amerikaner soll baldmöglichst ein Dollar erzeugendes Automat werden, das
allein ist's, wofür die Schule zu sorgen hat. Für sein warmes, aufquellendes
Menschenherz kümmert sich kein gemietheter Lehrer, der ja selbst nur Dollars
erzeugt aus dem menschlichen Rohstoff seines Schülers. Eine zartere Vorsorge
findet der Amerikaner eigentlich nur in seiner frühesten Kindheit; da aber
allerdings mehr als bei jedem andern Volke. Die Mühe und Sorgfalt, die auf die
Wartung und Ausschmückung unsrer Kinder verwendet wird, ist in der That groß
genug, den reichsten Mann arm zu machen, wenn ihm der Himmel der Nachkommen Viele
beschert. Die weichlichste Pflege entkräftet frühzeitig den Körper, die Fütterung
mit süßen und starkgewürzten Sachen verdirbt den natürlichen Geschmack, die
Stubenerziehung und Verhätschelung erstickt den derben Kern der Gesundheit.
Freilich sind unsre Kinder dafür wahre Modells von Engeln, und ich gebe gerne zu,
es sei kein holderer Anblick in der Welt als ein amerikanisches Baby. Trauriger
Ruhm, daß wir die schönsten Puppen erziehen, zu unschönen Menschen. Denn kaum
vermag nun das Kleine Händchen und Füßchen zu regen, so läßt man
Und so kommt er auch! randalirte Mr. Bennet, im scherzhaften Charakter eines Yankee-Boys, indem er mit seinem Gaste jetzt vortrat — hören Sie, Doctor, die Million ist sehr gut! Aus Geld wird Geist, kein armes Volk bringt's zur Cultur. Es lebe die Million!
Die Tischgesellschaft blickte auf. Jubelnd begrüßte man den Hausherrn. Jubelnd applaudirte man seinem Impromptü zu, alle Gläser erhoben sich, und im bacchanalischen Chor scholl es von Mund zu Mund: Es lebe die Million! Man sah es den vergnügten Gesichtern der armen Milizoffiziere an, wie unendlich froh sie über diese glückliche Ausbeugung waren.
Bennet und Moorfeld nahmen ihre Plätze ein. Moorfeld fand es nicht ohne Reiz, daß in einem amerikanischen Salon Reden gehalten werden konnten, wie er zuvor von Mr. Livingstone und jetzt aus Dr. Channing's Munde gehört. Diese Strafoden schienen ihm ein weit besseres Zeugniß für Amerika's Kraft und Gesundheit, als seines Herrn Staunton's Bausch- und Bogen-Patriotismus. Er sah in Bennet's Salon einen jener Centralpunkte, in welchem die wahrhaft vorwärts treibenden und idealisirenden Kräfte einer Nation pulsiren. Nicht plattes Selbstlob, sondern der aristokratische Ton der Absprechung, der Voltaireanismus, die Kritik, die Satyre — horazische wie juvenalische — verrichten dieses Amt. Man erweitert die Volkssitte, indem man sie negirt; der Spott ist productiv und der Tadel wird zum Verdienst in solchen Zirkeln, man beleidigt das Volksleben nicht, man nützt ihm. Man bricht das Herkommen, man macht Zukunft.
So war es der Yankee selbst, der sich zum lustigen Verbrauche dieses Kreises
hergeben mußte. Der Ton, den Dr. Channing angeschlagen, klang fort, nur seit dem
Eintritt Bennet's und Moorfeld's in minder tragischer Weise. Der heitere
Schaumwein von der Marne moussirte, die Temperatur der Anecdoten-Blüthe
entwickelte sich. Man
Von der naiven Roheit des amerikanischen Kunstgefühls erzählte Moorfeld, der diese Saite nicht stärker berühren mochte, als er sonst wohl gekonnt, jenen artigen Zug aus der ersten Stunde seines Landens, da er ein Kinder-Träubchen in die Mitte zweier spielender NegerOrchester sich stellen sah, weil sie „zwei Musik“ hören wollten.
Der gelehrte Doctor Griswold ließ den stets verehrten Ton seiner dünnen
Kinderstimme hören und sagte: Von diesem Thema können wir nicht sprechen, ohne des
unsterblichen Factums zu gedenken, daß eine ganze Nation ein Spottlied auf sich
selbst in Text und Musik verkennt und es zu ihrer National-Hymne macht. In einem
satyrischen Schlagworte, Parteinamen u. dgl. sich selbst zu ironisiren, ist
bekanntlich ein historischer Lieblingszug der Völker: aber Satyre und Ironie gar
nicht zu merken, das konnte nur unserm Bruder Jonathan passiren. Ich spreche von
dem Ursprunge des Yankee-Doodle. Sie wissen, meine Herren, wie lange uns dieser
Ursprung apokryphisch war, und heute noch weiß man im größeren Publikum nicht,
welcher der vielen Versionen darüber man die historische Aechtheit zusprechen
soll. Authentisch aber ist folgende Version: Im Anfange des Jahres
Unser Theezirkel erbaute sich, so harmlos, als sie erzählt war, an dieser
Entstehung von Amerika's National-Hymne. Nur die Milizoffiziere lächelten etwas
säuerlich dazu, eingedenk, daß sie den Vollgenuß ihrer strahlenden Uniformen
selbst nur unter den süßen Klängen des Yankee-Doodle feierten, wenn sie nämlich
zweimal des Jahres, am 14. Juni, dem Gründungstage der Newyorker Feuerwehr, und am
4. Juli, dem Unabhängigkeitsfeste der Union, in voller Parade ihre Aufzüge
hielten. Mr. Wood, der hochschottische Seifensieder, der nie ermangelte, den
Director der Kriegsschule zu West-Point Herr College zu tituliren, strengte darum
schleunigst seinen Witz an, das Thema des amerikanischen Kunstgefühls mit einem
dankbareren zu überbieten. Er erzählte Anecdoten aus dem Gebiete jener
NationalEigenschaft, die der Amerikaner „smart“ nennt und worin seine stärkste
Seite liegt. Von der Kunst, dem Gesetze eine wächserne Nase zu drehen, wollte er
selbst folgende zwei Beispiele erlebt haben. In Connecticut, wo am Sonntag das
Reisen verboten ist, fuhr ich mit einem Eingebornen am Sonntag spazieren. Mitten
auf der Landstraße wurde
Mr. Livingstone sagte: Was der Amerikaner mit dem Worte „smart“ bezeichnet,
scheint in unserer Luft selbst zu liegen, nicht bloß in unsrer Race; denn smart
kann der Nigger so gut sein, als der Weiße. Natürlich wird bei diesem mehr oder
minder die gentlemännische Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen,
und der Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten. Solch
ein burlesker smart-man war jener Neger Scipio, ein freier und stimmberechtigter
Bürger der Union, seines Berufes aber Dienstmann im Hause des berühmten Girard zu
Philadelphia. Das Geschichtchen, von dem ich spreche, trug sich bei Gelegenheit
der letzten Präsidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen
Financiers, zur schwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jackson. Girard's
Charakter ist bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord und mesquin wie ein
Holländer sein, und letzteres war er sicher, wenn ihm irgend etwas gegen seinen
eigensinnigen Gascogner-Kopf ging. Er schämte sich dann der kleinlichsten
Tracasserien nicht, sich an seinem Widersacher auszulassen. So ärgerte ihn die
politische Gegnerschaft seines Hausnegers. Er war fest entschlossen, den General
Jackson um die Stimme dieses Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage ersann er sich
alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger so zu beschäftigen, daß es ihm
unmöglich sein sollte, seinen Stimmzettel abzugeben. Scipio ließ sich Alles
gefallen. Zuletzt, als schon der Tag zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine
halbe Stunde offen stand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge
den schadhaften Schieferziegeln nachsehen. Scipio that auch das. Schon war der
intriguante Franzose seines Sieges gewiß. Solch blödes Nigger-Vieh ist doch für
Dollar-Klang ein willenloses Werkzeug, dachte der goldgewaltige Eigenthümer von
zwanzig Schiffen; — und das will Staatsbürger sein! Scipio revidirt indeß seine
Dachziegel. Auf
Unter solchen und ähnlichen Erzählungen waren die Zungen trocken geworden, und als
Mr. Bennet die Gläser von Neuem füllte, hatte Mr. Wood den Einfall, einen Toast
auf die bevorstehende Saratoga-Badereise auszubringen. Bei dieser Gelegenheit nahm
Dr. Channing wieder das Wort. Ein satyrisches Lächeln spielte um seine vollen,
üppigen Lippen, und wie in Mr. Livingstone's Anecdote zuvor Stephan Girard, der
großmüthigste Privatmann der Welt, ein Mann, der der Stadt Philadelphia sechszig
Millionen Dollars zum Geschenke gemacht, dem Witze und dem patriotischen Gewissen
eines armen Negers nachstehen
Mr. Bennet stimmte dem Spötter lachend bei. Sein Geschmack sei Saratoga nicht,
aber jeder rechtgläubige Yankee müsse Einmal in Saratoga, wie jeder Mahumedaner in
Mekka gewesen sein. Und in der That freuten sich seine drei Ladies auf das
Schneiderlein im See mindestens eben so sehr, als er, Doctor Channing, auf seine
Unverdaulichkeitszeitung. Man scherzte noch weiter über dieses Thema, bis Bennet
die Gläser von Neuem füllte, da er es dann nicht anders als passend fand, nach Mr.
Wood's Toast auf Saratoga, einen Toast auf das Ohio-Project seines verehrten
Gastes, Doctor Moorfeld, auszubringen. Die Amerikaner hörten von Moorfeld's
Vorhaben, wie dieser sogleich bemerken konnte, mit geschmeicheltem Selbstgefühle.
Ein Europäer, der weder aus Noth, noch aus Speculation, sondern — wie es hier
lauten mußte, was wir nur in stiller Mondnacht einem stillen Deutschen gegenüber
sinniger gehört haben, —aus Liebhaberei in den Schatten ihres Sternbanners sich
begab: eine solche Erscheinung war ihnen offenbar sehr wohlthuend. Es verbreitete
sich jene Temperatur behaglicher Eitelkeit im Kreise, ohne die der verfeinerte
Mensch nicht leben mag, und die ihn um so comfortabler im Inneren durchwärmt, je
mäßiger sie durch die vornehme Kühle des äußeren Anstandes ausstrahlt. Das süße
Schlürfen in Negationen ging in ein positiveres Nationalgefühl über; die
Heiterkeit des Tones blieb zwar, aber sie nüancirte aus dem Humoristischen ins
Pathetische. Man machte dem Gentleman-Urwäldler die Avance, seine Phantasie auf
den Schauplatz seines künftigen Wirkens zu führen. Man verlegte die Unterhaltung
in die Geschichte der ersten Ansiedlungen Amerika's. Das heroische Zeitalter des
Landes wurde der Stoff des Gespräches. Homerische Helden tauchten aus dem
Champagnerschaum empor und blutige Scalps und bluttriefende Tomahawks erfüllten
das elegante Theepavillon. Jene härtesten Männergestalten schritten im Geiste
vorüber, die im Kampfe mit dem schlachtgierigen Indianer, im Kampfe mit Panther
und Alligator, im Kampfe mit einer tausendjährigen Waldwurzelung den Boden für
eine Handvoll Mais eroberten, den das
Anders Moorfeld. Für ihn ging diese Wendung über die Freiheit der Conversation hinaus. Das Spiel der Rede rührte an den vollsten, brennendsten Ernst seines Lebens. Er saß da, wie ein Mensch, der sich persönlich getroffen fühlt. Eine flammende Röthe durchloderte sein Antlitz, es war ihm zu Muthe, als müßte er diesen Glaskäfig direct durchstoßen und auffliegen den Winken ewiger Geister nach. — Er fühlte sich tief und schmerzlich vereinsamt. Das Symposion des Theepavillons hatte sich selbst aufgehoben. Mit einem Ruck seines Fauteuils wendete er sich der Aussicht nach dem Meere zu. Aber der violettne Abendschimmer darauf war erloschen, das magische Bild von zuvor nicht mehr vorhanden. Kein äußeres Symbol kam der Sehnsucht seines Innern entgegen. Er stand auf und verließ unter irgend einem Vorwande das Pavillon. Er machte einen Gang durch die Gesellschaftssäle. Uebervollen Herzens warf er sich in die Einsamkeit des dichtesten Gewühles.
All seine Kräfte trieben im Sturme. Es war eine jener Lunten an ihn gelegt, welche
unmittelbar zum Handeln auffordern. Daniel
Wie ein Löwe der Wüste streifte er durch die prunkvollen Appartements — die Kronleuchter brannten ihm matt — die Luft war schwül und entnervend — seine innere Staffage brandete und blitzte. Die Poesie in ihm lechzte nach Thätigkeit. Glücklich pries er den südlichen Improvisator, der in jedem Momente aus der Menge heraustritt, Markt, Wiese, Meerstrand zu seinem nie versagenden Schauplatz hat und ein Volk um sich her, das die Begeisterung versteht, wo sie auftritt. Die Gesellschaft sollte das Pathos entweder nie zu erregen wissen, oder in ihren Formen phantasievoll genug sein, ihm Raum zu geben.
In diesem Augenblicke fesselte eine Gruppe seine Aufmerksamkeit, welche auch von der trunkensten Verinnerlichung nicht leicht übersehen worden wäre. Im Fond des nächsten Salons erblickte er die Schaar jener toll costümirten Stutzer wieder, der Dandies on short allowance, wie sie Bennet genannt hatte, denen er außer dem Momente ihrer Ankunft nicht weiter begegnet war. Sie standen auf einen Haufen gedrängt, wie Kaninchen, nach dem Volksglauben, um ein Licht sich versammeln, und das Licht war — ein blonder Mädchenscheitel — ein Antlitz —.
Moorfeld sah und sah wieder.
Da kam Lord Ormond ihm in den Weg. Er sah Moorfeld's beobachtende Stellung, und indem er der Richtung seiner Blicke folgte, redete er ihn an:
Gut, daß ich Sie finde, Sir. Ich werde Sie jener Dame dort vorstellen müssen. Ich
habe es leider veräsumt, als Mistreß Bennet mit Ihren Töchtern zuvor dem Rout die
Honneurs gemacht, d. h. nach hiesiger Sitte die Appartements einmal hin und
zurückpassirt. Aber wir behandelten eben, ich erinnere mich, das wichtige Thema
der Thieremancipation, ich hoffe darum auf Ihre Entschuldigung. Die beiden ältern
Schwestern haben sich inzwischen zurückgezogen, — ich werde mich bei denselben
verantworten. Erweisen Sie mir die Ehre, Sie der jüngsten Tochter des Hauses, Miß
Cöleste, jetzt zu
Die Cour des Winkels? fragte Moorfeld — was ist das? mir ist Name und Sache dieses Ausdrucks gänzlich fremd; ich muß um Erklärung bitten.
Ihnen zu dienen, Sir. Die Cour des Winkels ist eine amerikanische Form von Salongalanterie. Ein Kreis von Herren umringt eine Dame und sucht sie im Gespräche allmälig nach einer Ecke des Saales zu drängen. Natürlich wird das Gespräch angenehm, fesselnd, interessant sein müssen. Und zwar sowohl von Seite der Herren, als der Dame selbst. Ist die Dame unzufrieden, so wird sie mit einer leichten Wendung den Kreis durchbrechen; sind es die Herren, so wird sich ihr Ring allmälig auflösen. Gelingt die Cour des Winkels aber, d. h. wird die Dame der Ecke glücklich zugeführt, so heißt sie „die Dame des Winkels.“ Sie ist dann die Königin des Abends. Wir sehen, diese Art Huldigung spielt ein wenig auf der Grenzlinie der Equivoque. Der Grundgedanke ist frivol genug, die Ausführung aber ein Spielraum für Geist und Grazie. Man sollte die Erfindung für französisch halten, daß sie amerikanisch ist, leuchtet in der That nicht recht ein. Jene Dandies aber — Snobs sollte ich sagen — haben vollends keinen Begriff ihrer Aufgabe. Wie sie das arme Mädchen umdrängen! Sie ersticken sie fast in dieser Sommerschwüle. An ihrer Stelle hätte ich den Kreis längst durchbrochen. Aber sie weiß sich nicht zu helfen. Sie ist noch halb Kind. Hält auch nichts von der Perfectibilität der Thierseele. Aber kommen Sie, Sir!
Da blieb keine Wahl. Die Poesie des Augenblicks hatte jetzt ihre Muse. Dort stand sie verkörpert. Sie stand auf dem Scheidewege von Saratoga nach Ohio. Moorfeld erkannte die Göttin Gelegenheit und verzieh ihr die capriciöse Wahl ihres Sendlings. Er nahm den Arm des Engländers an.
Die Herren promenirten die beiden Säle hinab, im Vorbeigehen an der Gruppe winkte der Engländer mit dem vertraulichen Gruß des Hausfreundes dem jungen Mädchen zu und sagte mit einer Handbewegung gegen Moorfeld: Doctor Muhrfield, a literary gentleman aus Deutschland.
Die langen Hälse der Snobs drehten sich auf ihren Wirbeln herum, den Vorgestellten
neugierig musternd. Das satyrische Lächeln, das sie bei der Annäherung des Lords
gezeigt, verschwand sofort wieder beim Anblicke Moorfelds. Es machte dem Ausdruck
eines gewissen Verdrusses Platz, einem undefinirbaren Mienenspiel von Einfalt und
Naseweisheit, welches verrieth, daß sie zwar zu dumm waren, ein höheres Genie als
sich selbst zu erkennen und zu fürchten, aber doch auch zu feig, sich ganz
behaglich und sicher dabei zu fühlen. Jedenfalls wies sich dem Ankömmling eine
Gallerie von übelwollenden Gesichtern. Moorfeld ließ sich das nicht anfechten.
Sein Auge feierte den Anblick Cölestinens. Es war zum ersten Male, daß er ihr in
Front gegenüberstand. Damals hatte er sie aus einer gewissen Ferne und nur
flüchtig gesehen; auch trug sie an jenem Morgen ein Peignoir und eine Coiffüre von
kleinen Ringellöckchen; heute war sie à l'enfant frisirt, und das glatte Leibchen
ihrer eleganten Robe von indischem Musselin hob ihre feine Taille eben so edel
hervor, als jener Morgenüberwurf sie dem Blicke verhüllt hatte. Kurz, die äußere
Erscheinung bot zwei ganz verschiedene Bilder, und Moorfeld erschrack fast, wie
treu er das eine festgehalten. Auch die Gesichtszüge des Mädchens schienen nicht
geeignet, der Imagination sich scharf einzuprägen; da sie Blondine war, so fiel
der Begriff einer „markirten” oder „ausdrucksvollen” Schönheit von selbst weg.
Fänden wir es nicht tadelnswerth, das Lebendige durch seine eigene Nachahmung zu
definiren, so würden wir mit dem schlechten, aber viel gebrauchten Behelf, unser
Kunstmittel einer andern Kunst zu entlehnen, uns etwa so ausdrücken: nicht die
Zeichnung, sondern das Colorit war das Bezaubernde ihres Kopfes, sie war kein
Buonarotti, sondern ein Guido Reni. Die Rose der Gesundheit war zu dem zarten Rosa
der Mandelblüthe auf ihren Wangen verfeinert, der Strahl ihres Auges leuchtete
weich und mild wie Mondesstrahl und hatte etwas Ueberwachtes, einen Dämmer süßer
Müdigkeit, welchen die fatiguirteste Aristokratin dem kleinen verwöhnten
Bürgerkinde Newyorks beneidet hätte. Es schien ungefährlich, in dieses Auge zu
sehen. Es athmete einen Ausdruck von Ruhe, welche capuanisch sicher machte. Der
Beschauer vertiefte sich darin mit vollkommenster Freiheit; aus dem Arsenal der
Mädchenwaffen zuckte ihm keines der wohlbekannten
Das Mädchen erwiederte die Vorstellung Moorfeld's mit einer der üblichen Redensarten, woran sie die Frage reihte: Sie kommen aus dem alten Lande, Sir? Wie gefällt Ihnen Newyork? Die junge Amerikanerin that diese Frage — deutsch.
Moorfeld antwortete sogleich mit einer Anspielung auf diesen Umstand : die Stadt wendet viele Kunst daran, auf ihre Weise schön zu sein; aber es sind doch nur die schönen Schöpfungen der Natur, welche uns überall heimisch ansprechen.
Cöleste schlug das Auge nieder und gab sich Mühe, ein geschmeicheltes Lächeln zu verbergen. Auch unterdrückte sie den Eindruck dieser Antwort sogleich mit der neuen Frage: Kommen Sie unmittelbar aus Deutschland, Sir?
Die Snobs vermerkten mit großem Mißvergnügen die Absicht ihrer Huldin, den Ankömmling im Gespräche festzuhalten. Sie gaben diese Seelenregung durch ein unartiges Scharren mit den Füßen zu erkennen, indem sie demselben einen Platz in ihrer Mitte einräumten. Der Engländer hatte den Tact, sich zu entfernen.
Moorfeld aber war nicht gestimmt, conventionell zu antworten. Er benutzte das Terrain der Poesie, das ihm das Gegenüber dieses reizenden Mädchens bot, und ließ den dithyrambischen Flutungen seiner Begeisterung jetzt freien Lauf.
Ich komme zunächst von Cuba, Miß, antwortete er ohne Anstand.
Von Cuba? rief Cöleste mit einem Anflug von Schwärmerei — ah, wie herrlich! Da haben Sie die Perle der Welt gesehen!
Ich gehe seitdem wie mit einem Gefolge unsichtbarer Genien. Die Bilder, die
Schatten dieses Paradieses sind eine selige Begleitung auf jedem meiner Schritte.
Noch umwölben mich — doch ich bin egoistisch. Warum soll sich dieser Saal nicht in
einen Salon de verdure verwandeln, der die Königin der Antillen uns
vergegen
Moorfeld hatte im Flusse dieser Schilderung Cölesten ununterbrochen ins Auge gesehen und ein leiser, lächelnder Zug sagte das Uebrige. Das Mädchen errieth bald, daß Moorfeld aus diesem Auge heraus und nicht aus einer Reiseerinnerung dichtete, daß sie selbst das Motiv dieser Arabesken, daß sie selbst Cuba sei.
Gleichzeitig hatte Moorfeld einige jener bedeutungsvollen vorschreitenden Bewegungen versucht, aus welchen Cöleste erkannte, daß der Fremde mit der „Cour des Winkels“ bekannt sei. Sie gab unvermerkt diesen Bewegungen nach.
Das Alles war stummes Spiel. Das Mädchen erwiederte die Beschreibung von Cuba aber
auch mit einigen Dankesworten. Die Dandies on short allowance gebärdeten sich
dabei wie Vergiftete. Einer derselben (er mochte den Gedanken irgendwo gelesen
haben) antwortete ohne Weiteres: Pah, was mach' ich mir aus den Tropen!
Aber wenig große Männer gab's, die nach den Tropen sich nicht gesehnt hätten, antwortete Cöleste, das Mädchen, das der halb tolle Engländer für ein Halbkind ausgegeben.
Moorfeld machte die Geberde eines Suchenden und erwiederte augenblicklich: War mir's doch so eben, Sie hätten einen Juwel verloren, Miß.
Zur Antwort trat Cöleste zurück, gleichsam wie man einem Suchenden Platz macht, aber es war eine Bewegung gegen den Winkel!
Unser Freund gestand sich bald, daß diese „Cour des Winkels“ eine höchst liebenswürdige Nationalsitte sei und die Telegraphie des Unaussprechlichen im Schooße der Convenienz recht anmuthig und glücklich bereichere.
Cöleste indeß fuhr fort: Wenn ich rathen darf, Sir, so haben Sie gewiß auch den hohen Norden besucht? Bitte, erzählen Sie uns etwas Freundliches von dem Eismeer.
Etwas Freundliches von dem Eismeer! Moorfeld berichtigte sein Urtheil sofort dahin, daß die Dame des Winkels ihren Pfad doch auch ein wenig epineuse machen könne, vorausgesetzt, daß sie die Caprice geschickt zu handhaben wisse. Er blickte der kleinen Versucherin in's Auge, das so unschuldig sah, als ob es sich nicht fern seiner Schelmerei bewußt wäre. Aber auch er blieb sicher, die Phantasie war ihm bereit. Mit freudiger Rüstigkeit, wie ein Vogel die thaubenetzte Schwinge schüttelnd zur Sonne auffliegt, griff er in's Füllhorn der Inspiration. Er antwortete:
Sie haben richtig gerathen, theure Miß. Auch der eisstarrende Norden hat meine
Reiselust in seinen strengen Bann zu zaubern gewußt. Aber wahrlich, es erlebt sich
nichts Freundliches dort. Wo der Eskimo sich und seine Lampe aus ein- und
derselben widerlichen Thranquelle nährt; wo der überwinternde Europäer seine Hand
wie einen Handschuh verliert und vor Hunger seinen Handschuh verspeist wie eine
delicate Bärenklaue: dort ist die Erde nicht freundlich. Höchstens könnte ich das
Nordlicht beschreiben; aber seit Lord Byron sich ein Nordlicht in Versen nannte,
hat die fashionable Welt diese hehre
Cöleste ließ die langen seidenen Wimpern über ihr schönes Mondauge fallen. Moorfeld hielt inne, als ertrüge er den Verlust dieser dichterischen Quelle nicht, oder besänne sich, wie weit er überhaupt, ohne die Allegorie zu nahe zu legen, von seinem Zauberlichte sprechen dürfte.
Nach einer Pause fuhr er fort: Als wir ungefähr in die Mitte unsers Tunnels vorgedrungen waren, änderte sich auf einmal die Scene. Eine überirdische Helle verbreitete sich in der Grotte. Verwundert blickten wir auf, und siehe! die ganze Kuppel des Eisgewölbes entlang regnete es Sonnenstrahlen herein. An Einer Stelle schossen sie in dünnen Goldfäden, an einer andern in breiten Feuergarben nieder, hier fielen sie in stumpfen, dort in spitzen Winkeln, hier direct, dort gebrochen ein — wir ruderten unter einem Kreuzfeuer von prismatischen Raketen. Wo das Licht unmittelbar den Spiegel der Eiswände traf, loderten sie auf wie geschmolzenes Gold und Silber; Parthien, die in Schatten lagen, contrastirten mit einem tiefkräftigen Dunkelblau voll Ernst und Majestät dazwischen, und der Uebergang von der blendendsten Strahlung zum vollsten Schatten belebte den Bogengang mit einer Scenerie von Schein und Widerschein, von Licht- und Farbenspielen, die sich mit jedem Ruderschlag bilderreich auflöste und bilderreicher zusammensetzte. Wir trieben in einem unermeßlichen Kaleidoskop. Unsre Sinne umspannten die Pracht dieses Schauspieles nicht mehr. Der Sinnenmensch war todt, die Erde verschwand vor mir, ich war ein seliger Geist, die Pforten des Paradieses schienen mir aufgethan. Welch ein verklärender Wechsel! Die Eisgrotte, eben noch ein kühler, dämmeriger Knospenkelch, schlummerte traumblöden Zauberschlaf — ein Strahl von oben traf sie — und die Undine hatte ihre Seele empfangen!
Das Auge des Mädchens blitzte auf. Es begegneten sich sprechende Blicke. Eine Pause — Moorfeld fuhr fort:
Einige Secunden lang berauschte diese Scene uns völlig. Allmälig kehrte der Gebrauch der äußeren Sinne wieder zurück. Und jetzt geschah uns sonderbar. Wir bemerkten, daß das Meer um uns her in einen Wellenschlag gerieth. Auch die Wände des Eisberges schienen außer der Ortsveränderung unseres Bootes einer ihnen eigenthümlichen Bewegung zu folgen. Der Eisberg ruhte nicht, er schwamm. Gleichzeitig zeigte sich's, daß die Lichtzugänge ins Berginnere sich abwechselnd schlossen und öffneten und zwar in ziemlich rascher Folge des Einen wie des Andern. Bei dieser Beobachtung wurde uns überhaupt der Grund dieses Lichtzuflusses klar. Wir entdeckten, daß der Eisblock in seiner ganzen Breite von Einem Ende zum andern — zerborsten war! Dieser Riß war es, der zu Häupten uns den Himmel öffnete, indem er zu Füßen uns den Todesabgrund legte. Der schwimmende Eiscoloß konnte in jedem Augenblick in sich zusammenstürzen. Mit angehaltenem Athem flüsterte ich diese Entdeckung meinen beiden Gefährten zu. Sie nickten mir stumm zurück und die Blässe ihrer Mienen zeigte, daß sie unsern Zustand bereits kannten. Unsre Lage war fürchterlich. Wir sahen vor und hinter uns, überall schien der Ausweg eine gleich lange Bahn von Gefahr. Wir lauschten mit wirbelnden Sinnen, in welcher Richtung die Meeresströmung treibe; aber die Wellen taumelten unregelmäßig durcheinander. Endlich legten wir instinctmäßig die Ruder ein, Jeder von uns empfahl im Stillen seine Seele, und pfeilschnell schossen wir die Eiswände dahin. Glücklich gelangten wir unter den freien Himmel hinaus. Ein donnerndes Hurrah der Matrosen begrüßte ihn. Noch hatten wir unser Schiff nicht erreicht, da krachte die mürbe Eismasse zusammen, regte das Meer weit und breit auf und erfüllte es mit ihren Trümmern. Traurig sah ich sie treiben. Sie hatten mir einen Hochpunkt des Lebens geschenkt, und leicht vergaß ich, daß sie bald das Leben selbst dafür gefordert. Aber gibt sich die Schönheit überhaupt wohl für geringeren Preis? — Das, verehrteste Miß, ist es, was ich „Freundliches aus dem Eismeere berichten kann.“
Das junge Mädchen war mit regsamster Phantasie dieser Erzählung gefolgt. Sie hatte
zuletzt vergessen, daß sie Dichtung höre, sie hatte der „Cour des Winkels“
vergessen, und wie sie ihre Anerkennung innerhalb dieser Sitte ausdrücken könne.
Gefesselt stand sie
Sehr wahr, Sir, antwortete Moorfeld gemessen, aber leider sehe ich Viele zu Hause bleiben, welche namentlich in letzterer Beziehung das dringendste Motiv hätten, auf Reisen zu gehen.
Moorfeld begleitete diese Zurechtweisung mit einem entsprechenden Blicke. Sein Widersacher war eine echte Rowdy-Gestalt. Er handhabte eine Baguette, lang und dünn wie eine Macaroni, und fuchtelte höchst sittsam gegen sein grotesk chinirtes Beinkleid damit. Alle Fassung aber benahm es, zu sehen, daß der Mensch in zweierlei Schuhen ging: der eine lief in eine Spitze zu, der andere war breit abgehackt. Moorfeld erfuhr bei einer spätern Gelegenheit, daß es ihm eine starke Wette gegolten, in solchem Fußzeug Bennet's Salon zu besuchen. Uebrigens genoß er vor seinen Cammeraden die Auszeichzeichnung einer schönen und tüchtigen Männerfigur, die ihre Verballhornirung in forcirter Frechheit und Albernheit doppelt bedauern ließ.
Der Rowdy antwortete: Wir Amerikaner kommen weniger zum Reisen, als irgend ein Volk der Welt. Denn erstens haben wir zu viel zu thun, und zweitens reist sich's nur als Garcon leicht; der Amerikaner aber heirathet früh, und das ist jedenfalls das beste was er thun kann.
Allerdings, die Ehe bessert, sagte Moorfeld.
Was wollen Sie damit sagen, Sir? Bedarf unsre Jugend in Ihren Augen der Besserung?
Ich hoffe nicht, daß ihr die Fähigkeit dazu abgeht. Beruhigen Sie sich übrigens. Die Frage geht zur Hälfte auch die Frauen an. Und ich gestehe Ihnen gern, ich kenne Amerika's Frauen wenig.
Darf ich mir ein Urtheil erlauben, Sir, so sind Sie überhaupt ein Verächter des Geschlechts?
Ich bedauere, daß Sie einen so barbarischen Einfall ein Urtheil nennen. Woraus schöpfen Sie dieses sogenannte Urtheil?
Aus Ihren Reisen, Sir. Wo die Phantasie auf so großartige Bilderjagden auszieht, dort ist das Herz schwer zu fesseln. Sie haben zwischen Tropen und Pol viel Schönes gesehen, Sir, aber wir sind zu Hause geblieben, Sir, und sehen Sie, Sir, wir haben der Schönheit doch voller und unmittelbarer in's Auge geschaut.
Wir brauchen kaum zu bemerken, in welcher Haltung Cölesten gegenüber diese Worte gesprochen waren. Der Sprecher bemühte sich offenbar, sein Gespräch so beziehungsvoll als möglich zu wenden. Aber Moorfeld hatte kein Interesse ihn hier zu stören, sondern nur zu überbieten. Er antwortete:
Was Sie an Ihrem Platze Holdes und Vortreffliches bewundern, das gestehe ich Ihnen von ganzem Herzen zu, Sir. Ich sagte es ja: ich kenne Amerika's Frauen wenig. Und sehen Sie, Sir, daß ich selbst jetzt an diesem Platze stehe, das spricht nur für das Prinzip der Reisen: wie wäre ich sonst hergekommen? Weiber erfüllen freilich die ganze Welt; aber die ganze Welt will auch durchwandert sein, um das Weib zu finden, das Idealweib, die Blüthe und den Hochbegriff ihres Geschlechts.
Cöleste blickte fragend auf. Es war fast ein kindlicher Zug von dem Mädchen, daß sie naiv zweifelte, ob solch ein hohes Wort für sie gesprochen. Moorfeld's Auge aber mußte sie hinlänglich orientirt haben, denn sie schlug das ihre nieder und — gewährte als „Dame des Winkels“ Raum zwischen sich und Moorfeld, den dieser sogleich einnahm.
Der Rowdy warf sich in Fechterpositur.
Nun, bei Gott, rief er emphatisch, so möchte ich mein Vaterland nicht hintansetzen! Sie werfen auf die Frauen Ihres Vaterlandes ein Licht, Sir —
Erlauben Sie, Sir. Das Wort Vaterland hat einen vollgehaltigen Begriff in der
Politik. Der Amerikaner denkt sich ein lebens
Cöleste sah den Dandy mit jenem Auge an, welches sagt: was willst Du darauf antworten? Zugleich näherte sie sich wieder dem „Winkel“.
Der Nebenbuhler knirschte. Aber er schien entschlossen, die Parthie nicht aufzugeben. Das Idealweib! sagte er achselzuckend. Man muß das Weib auch mit seinen Schwächen lieben können.
Ich gebe Ihnen noch mehr zu, antwortete Moorfeld, nicht nur mit, sondern wegen seiner Schwächen! In den idealen Zügen der Weiblichkeit dürften die Schwächen wahrlich nicht fehlen. Nur müssen es auch wieder gewählte Schwächen sein.
Das ist unverständlich, sagte der Andere.
Verzeihung, Mr. Howland, das finde ich nicht, wendete Cöleste ein. — Bei dem Namen Howland erkannte Moorfeld auf einmal seinen Mann. Er sah jenen Rowdy-Elegant wieder, den er zuerst als Commandant eines Löschbataillons sein ritterliches aber kokettes Wesen treiben gesehen. Er verwunderte sich nicht wenig, daß man solchen Straßenhelden auf dem Parquet des Salons begegnen könne.
Howland antwortete kurz, fast rauh: Nun wohl, es ist nicht unverständlich. Sie haben Recht. Ich brauche auch nur jene Geschöpfe zu sehen, die wir hier deutsche oder vielmehr hessische Mädchen heißen, so verstehe ich sehr wohl, was Sie gewählte Schwächen nennen. Es ist eine Argumentation durch's Gegentheil.
Mich dünkt, um nicht pöbelhaft zu sprechen, spreche man überhaupt von dem Pöbel
keiner Nation, sagte Moorfeld nachdrücklich. Cöleste aber trat begütigend
dazwischen: In der That, meine Herren, wir können hier unmöglich eine Gelegenheit
zu Mißverständnissen haben. Der Ruf der deutschen Mädchen erfüllt ja die Welt. Ihr
weiblicher Charakter ist anerkannt der liebenswürdigste, ja er wird oft für den
mustergiltigen selbst gehalten. Haben wir nicht deutsch gelernt, um
jener
Der leichte Seufzer, womit das schöne Kind Newyork's dieses Wort begleitete, schien unserm Freunde nicht ohne einen Anflug graciöser Koketterie. Er hätte das weibliche Herz sehr mißverstanden, wenn er diese Anerkennung nicht mit einer leichten Schattirung von Medisance erwiedert hätte. Er antwortete:
Sie überzeugen mich auf's angenehmste, verehrte Miß, daß der Schönheitsadel aller
Nationen mit Leichtigkeit an seinen gemeinsamen Familienzügen sich erkennt. Sie
nennen glänzende Dichternamen als Träger des deutschen Frauenruhms und umgehen es
mit Zartsinn, daß nur die eigene Vortrefflichkeit das Verständniß des
Vortrefflichen vermittelt, und daß der goldenste Dichtermund ohne sympathetische
Herzen so stumm wäre, als spräche er in einem Luftballon jenseits der Grenze, wo
die Atmosphäre den Schall nicht mehr fortpflanzt. Aber ich muß mich vertheidigen.
Nicht aus Widerspruchslust, sondern nur, damit die Imputation, welche dieser
ehrenwerthe Gentleman aussprach, nicht mehr Wahrscheinlichkeit gewinne, als ihr
gebührt, erlaube ich mir doch zu bemerken, daß der deutsche Frauencharakter weit
entfernt ist, auf der Höhe jenes Abschlusses zu stehen, welcher den, der auch
anderer Länder Menschen kennen lernen will, als einen Verächter des
vaterländischen Ideals erscheinen ließe. Das poetische Deutschland ist nicht das
wirkliche. Die Dichter sagen die Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit. Der
schöne grüne Jungfraunkranz könnte immer noch schöner und grüner sein. Es liegt
viel Mehlthau darauf. Empfindung ist häufig Sentimentalität, d. h. Empfindung ohne
Gegenstand, oder ohne großen Gegenstand; vermeinte Sinnigkeit bedeutet oft die
Abwesenheit der Sinne, und jene kühle, nur deutschen Mädchen eigenthümliche
Schwermuth, welche aus dem dunklen Bewußtsein geistiger Kraftlosigkeit kommt;
durch den Blumenflor aller weiblichen Tugenden schleicht sich die Prüderie und
pinselt die schönsten Rosen mit Zinober an, gleichsam um mit Pferdekraft zu
erröthen. Es ist viel Schwäch
Cöleste trat, wie verwundert, einen Schritt zurück. Es war aber nur eine Bewegung gegen den Winkel. Moorfeld's Entgegnung war aufgenommen, wie er ahnte. Er fuhr fort:
Sie selbst nannten zuvor Clärchen, verehrteste Miß. Aber die Spuren der Philisterin entdecken wir auch in ihr. Wie sie ihren aufgeputzten Helden abtätschelt, seinen Sammt und seine Ordenskette anstaunt, das hat mir nie gefallen. Das ist philisterhaft. Das Mädchen, das ein Bube sein will, um ihrem Auserwählten die Fahne vorzutragen, mußte ihn überhaupt nicht als Ritter vom goldenen Vließ, sie mußte ihn im Reitercollet sehen wollen, das er in der Schlacht von Gravelingen trug. So gefällst du mir am besten! Aber solche Züge zeichnen den Charakter der deutschen Mädchen. Nur daß sie nicht die Brüsseler Bürger haranguiren und Gift nehmen, sondern zu Hause ihre vier Wände haranguiren und den Brakenburg nehmen.
Clärchens Entzücken über das goldene Vließ scheint mir so schlimm nicht, sagte Cöleste, indem sie mit einiger Verlegenheit die Augen niederschlug. Wir erinnern uns, daß sie selbst, nach den Worten ihres Vaters, in einem „Babel von Bagatell's“ lebte.
Schlimm! antwortete Moorfeld, was könnte das köstliche Mädchen schlimm kleiden? Ihre weibliche Größe macht vielmehr diesen Contrast des Minütiösen nothwendig. Schlimm wird das Kleinliche erst, wenn die Größe dazu fehlt, oder noch besser, wenn das Kleinliche selbst wieder zu einer Art Ungeheuerlichkeit ausartet. Schlimm war gewiß jene Herzogin von Buckingham. Der Herzog, ihr Gemahl, hatte in einem der Bürgerkriege Englands das politische Verbrechen begangen, sich besiegen zu lassen und wurde zum Tode verurtheilt. Er bestieg das Schaffot. Schon schwang der Nachrichter das Schwert über sein Haupt, da erscheint ein Bote von Mylady. Mylady läßt ihrem Manne sagen — es wäre doch schade, wenn seine diamantenen Hemdknöpfchen ein Erbe des Henkers würden; er möge nicht vergessen, sie im letzten Augenblicke abzulösen und umgehend zurückzuschicken.
Welch ein Rabencharakter! rief Cöleste.
Und doch war das gute Weib, fuhr Moorfeld fort, vielleicht kein Monstrum von Herzlosigkeit, sondern nur von Kleinlichkeit. Sie war gewohnt, ihre Sachen in Ordnung zu halten. Sie war ein Krüppel des Detailsinns. Sie war eine Philisterin.
Cöleste blickte nachdenklich, fast in sich gekehrt. Sie sah ihre Vorliebe für Bijouterientand offenbar in einem neuen Lichte; sie war in diesem Augenblicke zum erstenmale über die harmlose Mädchenliebhaberei zur Reflexion gebracht.
Mr. Howland, dem der häusliche Charakter des jungen Mädchens natürlich bekannter war, als unserm Fremden, der nur in flüchtiger Conversation davon gehört, wußte diesem Anflug von Bestürzung auch besser auf den Grund zu blicken, und glaubte davon gewinnen zu können. Jetzt, dachte er, sei der Augenblick gekommen, den lästigen Gast aus dem Felde zu schlagen. Er ergriff die Gelegenheit, sich um das beunruhigte Kind verdient zu machen und die Ausfälle auf den Nebenbuhler zu erneuern. Mit einer Siegesgewißheit, die bereits Schadenfreude selbst war, nahm er das Wort:
Ihr Urtheil drückt auf das zarte und leicht verletzliche Geschlecht mit einer Last, sagte er zu Moorfeld gewendet, die ich fast grausam nennen möchte. Sie verbinden, Sie ziehen Schlüsse, Sie combiniren Charakterzüge der unschuldigsten und gravirendsten Art mit einer so drakonischen Logik, daß Sie den Charakter des Weiblichen eigentlich aufheben zu wollen scheinen. Wenigstens sehe ich nicht, wie vor der Methode Ihres Urtheilens zwischen dem Liebenswürdigen und dem Abscheulichen noch eine Unterscheidung bestehen soll, wenn die leichteste Nüance eine Art Hängebrücke abgibt, auf welcher der kecke Fuß des Consequenz-Kundigen schwindelfrei hin und wieder hüpft. Was Sie Detailsinn oder Sinn des Kleinlichen nennen, wurde mir übrigens dankenswerth klar in Ihrer Ausführung; so klar, daß mir zu Muthe war, ich sähe diesen minütiösen Sinn gleichsam vor meinen Augen stehen. Und nicht nur jenem Geschlechte —
Mr. Howland dachte nicht anders, als er würde die Dame des Winkels mit diesem Plaidoyer der classischen Ecke anzunähern im Stande sein. Nur ein Schritt war noch zu thun. Aber Cöleste gewährte ihm diesen Schritt nicht. Sie stand vielmehr und erwartete mit unverhohlener Spannung Moorfeld's Antwort.
Moorfeld unterbrach seinen Gegner in dem Augenblicke, als jener eine directe Injurie ausgesprochen hatte und noch fortzuführen im Begriffe war. Er unterbrach ihn im Tone eines ruhigen, obgleich ernsten Verweises.
Halten Sie ein, mein Herr, sagte er. Wenn Sie für Frauen sprechen, so engagiren
Sie Ihr Gespräch so, daß Sie Frauen nicht erschrecken. Sie haben herausfordernd
gesprochen und wollte ich herausfordernd antworten, so würden wir eine Dame
verscheuchen, die wir zu fesseln wünschen. Also nichts mehr von diesem Genre, wenn
ich bitten darf. Und mehr gegen Cöleste gewendet, fuhr er fort: Es ist wahr, ich
schließe von kleinen Zügen oft auf den ganzen Charakter. Diese Mikrologie mag ihr
Grausames haben, wenn der Schluß ungünstig ausfällt. Ich gebe das zu. Ich sehe
aber nicht ein, warum ich den Baum nur am Stamm und nicht auch in seinen zartesten
Ausspitzungen erkennen sollte. Und ist es ein edler Baum, so erkenne ich seinen
Adel eben so leicht an. So hat es einst mein günstigstes Vorurtheil erregt — aber
ich will mir erlauben, den kleinen Zug zu
Moorfeld schwieg.
Cöleste stand da in tiefe Purpurglut getaucht. Sie stand da in einem Momente ihrer höchsten Mädchen-Schönheit. Freude, Scham, Stolz, der tiefste Kern ihres weiblichen Bewußtseins geschmeichelt, wie es die Galanterie der Alltäglichkeit auch bei geräuschvollerer Ostentation nimmermehr in ihren Mitteln hat — der ganze Nimbus ihres Geschlechtes umspielte das reizende Mädchen. Sie wagte nicht zu Moorfeld das Auge zu erheben. Er hatte sie erkannt — der Ton seiner Stimme, der ganze Accent seines Vortrages verrieth ihr's. Und wenn sie jetzt den letzten Schritt nach dem Winkel zurückthat, so geschah es kaum noch im conventionellen Sinne, — es war der natürliche Ausdruck des Augenblicks; sie bebte zurück wie eine Venus verschämt vor ihrer eigenen Schönheit flüchtet.
Die „Cour des Winkels” war jetzt zu Ende. Aber die Snobs waren wüthend. Mr.
Howland sann auf eine neue Tücke, seinem Nebenbuhler beizukommen. Und isolirt wie
er sich sah, fing er zu declamiren an:
Das Gedicht heißt „Des Schäfers Botschaft“ wandte er sich gegen Moorfeld, — wie gefällt es Ihnen, Herr Doctor?
Ich begreife zunächst nicht, wie es hieher gehört, antwortete Moorfeld, erzürnt über die forcirte Störung.
Mit Erlaubniß, Sir, ein gutes Gedicht gehört überall hin.
Ein gutes!
Wie, Sir, ist das Gedicht schlecht?
Ganz außerordentlich, Sir.
Hätte Moorfeld bei seiner eigenen inneren Fülle jetzt einen Blick haben können für den versteckten Geist dieses Augenblicks, so hätte es ihm auffallen müssen, daß sich eine eigenthümliche Verlegenheit in Cölestens Antlitz malte, während Mr. Howland mit einer faunischen Schadenfreude sich die Lippen biß.
Ihre Gründe, Sir! Ihre Gründe! rief der Snob mit einem ungewöhnlichen Eifer.
Gründe! sagte Moorfeld wegwerfend, mein Gott, ja! sie sind wohlfeiler als Brombeeren hier.
Nun, Sir?
Moorfeld antwortete mit einer Gelassenheit, die nur die Bändigung seiner inneren Aufregung war:
Betrachten wir, um einer amerikanischen Anschauungsweise entgegenzukommen, das
Gedicht zunächst nur unter der Kategorie der Zweckmäßigkeit. Das Gedicht ist eine
Adresse. Es adressirt sich an die Geliebte. Wie, denken Sie sich nun, erreicht
diese Adresse ihren Zweck? Der Kern des Gedichtes ist der Vergleich eines
weinenden Liebhabers mit einem weinenden Berg. Ein Liebhaber und ein Berg! Der
Dichter hat auch nicht den leisesten poetischen Instinct für die Nebenbegriffe
eines Bildes, sonst würde er sich nicht selbst zum Fallstaff machen. Er thut es
aber, und so ist der Zweck seiner Adresse verfehlt. Die Schäferin soll doch nicht
einen Fallstaff lieben? Dies der Nebenbegriff des Bildes; nun aber das Bild
selbst. Ist das Quellrieseln eines Berges ein zweckmäßiges Bild für das Weinen
eines Liebhabers? Warum soll der Berg weinen? „Weil noch sein Lenz nicht kommen
will“? Aber der Berg hat seit tausend und mehr Jahren die Erfahrung gemacht, daß
der Lenz regelmäßig kommt. Weinen denn wir, wenn einmal ein Frühling schlecht
geräth? Und der Berg hat ungleich
Howland hatte Mühe, den wilden Freudenglanz seines Auges zu verbergen. Cöleste sagte schüchtern, fast bittend: Es ist ja nur erotische Poesie!
Moorfeld glaubte, das Mädchen stehe für Howland ein, und wolle ihm mit weiblichem Tacte aus der Klemme helfen. Aber selbst wenn er dem Gegner diese Gunst hätte gönnen wollen — und es wäre in in diesem Augenblicke nicht gemeine Selbstverleugnung gewesen — er durfte die Interessen der Poesie nicht preisgeben. Er freute sich vielmehr, daß Cöleste selbst an dem Stoffe theilnahm; es gab ihm Gelegenheit, sich mit jener Wärme des Moments zu äußern, die er vor dem Andern nur mühsam zurückdrängte.
Voll Eifer antwortete er: Warum, theuerste Miß, soll erotische Poesie zur Trivialität verdammt sein? Doch nicht, weil sie den Frauen geweiht ist? Aber in der That, das ist die Ursache. Die erotischen Dichter begehen alle Einen Fehler. Sie glauben die Geliebte nicht genug feiern zu können und vergessen sich selbst. Sie raffiniren auf den forcirtesten Ausdruck der Liebe, der Zärtlichkeit, der Ergebenheit, sie leisten das Möglichste und Unmöglichste, um Herz zu zeigen, und thun nichts, um Charakter zu zeigen. Das ist das Grundübel. Sie opfern Alle das männliche Element dem weiblichen. So geschieht's, daß keine Kunstgattung mehr Witz aufbraucht, ihre Ausdrucksmittel stets zu erneuern und zu verstärken, und keine rettungsloser der einen und ewigen Ohnmacht verfehmt ist, als die erotische Poesie.
Eine paradoxe Forderung: den Frauen zu huldigen und sich selbst dabei zu bedenken, warf Howland ein.
Als ob den Frauen gedient wäre mit Männern ohne Selbstgefühl! antwortete Moorfeld.
Der erotische Dichter gewöhnlichen Schlags scheint es aber fast zu glauben. Er
plagt sich auf's Ausgesuchteste, die Leidenschaft zu malen, und vergißt darüber,
die Kraft anzu
Howland entgegnete aufreizend: Ich finde es seltsam, Sir, welche Mühe Sie aufwenden, ein gutes Gedicht, das Sie herabsetzen wollen, nach einem Ideale zu messen, das nie existirt hat und nie existiren wird. Beispiele, Sir, Beispiele!
Endlich haben Sie Recht, rief Moorfeld lebhaft. Beispiele! Dabei allein kann uns wohl werden! Ich diene mit größtem Vergnügen. Nur die Poesie selbst kann die Poesie erklären.
Howland sah mit finsterster Miene, wie wenig Verlegenheit er seinem Rivalen bereitet, vielmehr wie glücklich er ihn gemacht zu haben schien. Moorfeld war plötzlich verwandelt, aus Ton und Haltung verschwand alle Bitterkeit der Polemik, man sah, ein Geist der Freude und Befriedigung kehrte in ihm ein, der Wohllaut einer schönen, reingestimmten Empfindung zog durch seine Seele. Mit diesem Ausdruck sprach er folgende Strophen:
An dieser Stelle würde ein anderer Liebhaber vielleicht zu seufzen erst anfangen,
sagte Moorfeld; — der unsrige braucht es nicht. Die Empfindung an sich zu halten,
ist unter allen Umständen ausdrucksvoller, als sie auszudrücken. Hier der
Schauplatz der Weiblichkeit — das enge niedrige Hüttchen, — dort der Schauplatz
der Mannhaftigkeit, — die weite thätige Welt — und das Hüttchen
Hören Sie weiter, fuhr Moorfeld fort. Von dem Geiste der Poesie hingerissen, aufgeregt in seiner tiefsten Klangfähigkeit, war ihm Howland kaum noch etwas Anderes als ein blindes, ja günstiges Zufallsspiel, das ihm erlaubte, an erwünschtester Stelle das Hochgefühl dieser Stunde auszuströmen. Er recitirte folgendes Gedicht:
Hier ist der Liebe, sagte Moorfeld, nichts Geringeres als die ganze Menschheitsgeschichte entgegengesetzt. Familie — Stamm — Volk — Cosmopolitismus — vier Weltalter überwindet sie und setzt sich als ihr Letztes, wie sie ihr Erstes war. So verstärkt sich das Gefühl durch die Macht der Idee. Was hilft es, den Professor zum Schäfer zu verkleiden, und im Zeitalter der Reflexion das Haferrohr des Naturlauts zu blasen? Viel besser, man gesteht diese Reflexion tapfer ein, holt aber eben aus ihr die tiefere und tiefste Begründung des Naturlauts. Ist das geschehen, dann darf der Liebende wieder weinen wie das erste einfachste Menschenkind, und wahrlich, er weint dann erschütternder, als der Berg weint, „weil noch sein Lenz nicht kommen will.“ Thränen, die über Gedanken rieseln, das sind Thränen! die sind des Weibes werth!
Howland antwortete auf diese Demonstration mit einem gänzlichen Abspringen von derselben: Wahrhaftig, Sir, sagte er, ich finde es wenig paßlich, in Amerika ein amerikanisches Gedicht herabzuwürdigen!
Jetzt erkannte Moorfeld die deutliche Absicht dieses Menschen, einen Eclat
herbeizuführen. Hatte er so lange ihm Rede gestanden,
Aber Howland drang heftig in ihn: Was sagen Sie, Sir?
Mit dem Aufwande seiner letzten Geduld antwortete Moorfeld: Die amerikanische Lyrik theilt gegenwärtig das Schicksal aller Nachahmer; sie copirt die schlechten Seiten ihres europäischen Originals. Wir dürfen hoffen, dieses Stadium wird vorüber gehen.
Wie, Sir, also sind Sie ein- für allemal entschlossen, unsern Dichter en chien zu behandeln? Ich sage Ihnen aber, eine Lady hat diese Verse gemacht; werden Sie jetzt Ihr Urtheil mildern, Sir?
Moorfeld, dem der Ausdruck „Verse machen“ allein schon ein Gräuel war, antwortete kalt: Das ist für die Kritik ein Adiaphoron.
God damn, Sir! Miß Cöleste Bennet hat diese Verse gemacht; wie nun?
Der Dandy hatte seinen Zweck erreicht. Die Sitte ist nur für den Sittlichen und das Gesetz für den Gesetzlichen da. Wie ein Vandale eine kostbare Vase zerschlägt, so war der glänzende Augenblick jetzt in Trümmer geschlagen. Cöleste erlag unter einer Wucht von Scham, Zorn und Betrübniß; das Weinen trat ihr nahe. Howland, ihr Beleidiger, brüstete sich als ihr Ritter, Moorfeld, der ihr Blumen der zartesten Huldigung gereicht, wurde als ihr Beleidiger angegriffen, — alle Schönheitslinien liefen verwirrt durcheinander, die Rohheit war Meisterin der Situation.
Cöleste flüchtete aus dem Kreise. Howland nahm sich dabei heraus, sie an der Hand zu fassen, und seine Frechheit zu krönen, wandte er sich an Moorfeld mit den Worten:
Mein Herr, ich fordere im Namen dieser Dame Genugthuung von Ihnen.
Der Herr Doctor wird sie ihr geben, erscholl eine Stimme über Howland's Achsel.
Moorfeld wandte sich um und sah mit Verwunderung, daß sich der größte Theil der Gesellschaft als Zeuge dieser Scene eingefunden hatte. Der Saal war fast voll gedrängt von Menschen. Herr Bennet und der Kreis seines Theepavillons standen unter den Vordersten.
Herr Bennet trat zwischen Moorfeld und Howland vor. Der Herr Doctor, sagte er zu Howland, werden die Saison an dem Ohio zubringen, indeß ich selbst nach Saratoga gehe. Wir beide stehen auf dem Punkte der Abreise. Aber den Winter, wie ich höre, wird unser verehrter Gast Newyork zum Aufententhalte wählen, und dann — wandte er sich an Moorfeld — darf ich Sie vielleicht bitten, Sir, ohne dem Berufe Ihrer Privatmuße sonst nahe zu treten, die ästhetische Ausbildung meiner Tochter im Fache der schönen Redekünste vollenden zu helfen. Miß Cöleste, wie Sie hörten, versucht sich in der Poesie, und wie Sie gleichfalls hörten, sind diese Versuche noch derart, daß daran allerdings genug zu thun übrig bleibt. Das ist die Genugthuung, von welcher Mr. Howland sprach; lassen Sie mich meine Bitte mit seiner vereinigen, daß Sie diese Genugthuung zusagen wollen.
Wer zu beschreiben unternommen hat, sollte von dem Ausdrucke: eine Sache sei nicht
zu beschreiben, nur den sparsamsten Gebrauch machen; an diesem Orte aber müssen
wir bitten, den Ausdruck uns zu gestatten. Es ist schwer zu beschreiben, welche
Wendung diese Dazwischenkunft Bennet's der ganzen Situation wie auf einen
Zauberschlag mittheilte. Moorfeld sah sich plötzlich an einem seiner flüchtigsten
Worte gebunden, und unter anspruchlosem Namen von einem Verhältniß ergriffen, daß
er eher ein Orakel als eine Menschenstimme zu hören glaubte, — Cöleste war
überrascht, verwirrt, verlegen, bestürzt, erfreut, fliegende Farben wechselten
widerspruchsvoll auf ihrem Antlitze, und das leichtverletzliche Mädchenherz schien
vor Allem nur Eins zu empfinden: den Gewaltact des Zufalls, — der Rowdy Howland
stand da, blaß und zitternd vor Aufregung; Wuth, Scham, Neid, ein Heer von
giftigen Leidenschaften durchjagte seine ausdrucksvollen Züge, — Mr. Bennet
selbst, die verkörperte Salonsitte dieses Augenblicks, konnte ein leichtes Wanken
seiner Stimme nicht ganz verbergen, und der Sturm, den sein Zauberstab so
plötzlich erstickt, pulsirte unter ruhiger Oberfläche in seinem Innern. Und wie
die feineren Formen der Gesellschaft dem Ueberraschenden als solchem keinen
Ausdruck gestatten, so war es ein seltsamer, ja humoristischer Contrast, daß Jeder
der Betheiligten diese ungewöhnliche Bewegung in den Umgangsformeln des
alltäglichen Curses abfinden mußte. Moorfeld sprach von seiner „Bereitwilligkeit“,
Cöleste stotterte von ihrem
Man sei im Cirkel dieses Salons, sagte er, so sehr gewohnt, die Kunstübungen der Misses als bekannt vorauszusetzen, und namentlich „des Schäfers Botschaft“ als eine Celebrität unter den Freunden des Hauses zu betrachten, daß der ausnahmsweise Fall mit einem Fremden ihn zu einer Uebereilung verleitet. Dazu erklärte der Engländer, dessen abnormer Gesichtsvorsprung im Kreise dieser Gruppe jetzt auch bemerkt wurde, daß er das Versehen auf sich nähme, den neu eingeführten Gast über diese Punkte im Dunkel gelassen zu haben. Ein dringendes Motiv habe seine Aufmerksamkeit unterwegs auf das Thema der Thier-Perfectibilität gelenkt.
Das Alles mochte nun gelten, so viel es werth war. Genug, die Rohheit und die Narrheit hatten ihre Mission hier erfüllt. Ihrer bedurfte es, um den Abend zu enden, wie er endete.
Das sagte sich Moorfeld, indem der beleidigende Mißklang dieser Scene seine Seele verließ und ein Strom von goldenen Harmonien darüber herfloß.
Den weiteren Verlauf dieses Abends übergehen wir.
Es war schon tief in der Nacht, als Moorfeld unter den dunklen Bäumen der Battery das Haus hinter sich zurückließ, dem ein Raphael die Form gegeben. Er sollte jetzt Geist hineintragen. Er sollte dem Mädchen, das ihm ein Adelswappen ihres Geschlechtes war, lehrend und bildend zur Seite stehen, sollte in der schönsten Gruppe zu ihr stehen, die in der sinnlich-geistigen Welt denkbar ist, weil sie die reinste und fließendste Bewegung gestattet, Sinn und Geist in vollwirkendem Wechselverhältniß zu erfüllen.
Auf dem späten Nachhauseweg ging der abnehmende Mond über ihm auf. Romulus und Remus! hatte ihm Moorfeld vorgestern zugerufen — gewisse menschliche Verhältnisse haben für ewig ihre Symbole — Abälard und Heloise! rief er heute.
Wir begleiten unsern Helden jetzt auf seiner Reise nach Ohio. Er schied aus Newyork in einer Stimmung, die dem Bleiben eigentlich günstiger, als dem Reisen war. Unter andern Umständen hätte er sich wahrscheinlich dem Zuge nach Saratoga angeschlossen. Ueberhaupt konnte der Plan seines ganzen Aufenthaltes durch den Abend bei Bennet in eine neue Frage gestellt sein. So hatte Dr. Griswald — gleichsam in Concurrenz mit Bennet — später noch zu verstehen gegeben, es sei eigentlich wünschenswerth, daß an der Universität selbst die Lehrkanzel für Literatur und Aesthetik mit europäischer Kunstbildung besetzt werde, und es hätte unsern Freund nur ein Wort gekostet, die öffentliche Stellung, die ihm dieser Wink zudachte, anzunehmen. Sein Zweck, Amerika's Leben und Treiben kennen zu lernen, stand durch eine solche Betheiligung an der Menschenkultur mindestens eben so gut zu erreichen, als durch die an der Bodenkultur. Kurz, Moorfeld hätte an jenem Abend Stadt gegen Urwald, Newyork gegen Ohio in seiner Wahl vielleicht umgetauscht, wenn — die Freiheit dieser Wahl noch bei ihm gestanden hätte. Aber vierundzwanzig Stunden zuvor hatte er sich, wie wir wissen, zu Gunsten Benthal's gebunden. Und er bereute diesen Schritt nicht. War es ihm schon sorgenswerth erschienen, einen Charakter wie Benthal so bald als möglich auf ein Feld der That zu verpflanzen, so wurde er in dem Gedanken noch unendlich bestärkt, als er Benthal's Braut, Pauline, gesehen hatte. Dieses dunkle, sinnige Mädchenbild hatte er an jenem Abend mit einer seltsamen Regung sich gegenübergesehen. Er bangte für sie.
Sie erweckte ihm die Vorstellung, daß sie als Hausfrau in einer großen Stadt an dem verfehltesten und unglücklichsten Platz ihres Lebens stehe. Der ganze Himmel Newyorks, dachte er, müßte über ihrem Haupte voll Damocles-Schwertern hängen. Ahnungen treiben oft mehr, als Ueberzeugungen, und Moorfeld fühlte sich getrieben, das Loos Paulinens wie einer Schwester zu bedenken. Dies scheue, schüchterne Mädchenleben dem gefräßigen Egoismus der Welt zu entrücken, schwebte ihm bald als ein natürlicher Beruf seiner Ansiedlung vor. „Jungfräulicher Boden”, wie es der Sprachgebrauch nennt, war allein der Boden ihres Gedeihens. Ganz von selbst verband sich ihr Bild mit dem Bilde einer stilldämmerigen Urwaldsbucht. Schien sie doch gleichsam ein verkörperter Waldschatten! —
So reiste denn Moorfeld. Er sieht jetzt Amerika außer Newyork. Vom Hudson an dem Ohio zieht er eine neue Linie Landes- und Volksschau in das Buch, das ihm Newyork aufgethan. Aber es wird uns nicht überraschen, wenn Ton und Stimmung auch in dieser Reihe von Bildern wenig erfreulich sein sollte. Er tritt aus dem Hause Bennet's in der glücklichsten Herzenswärme, die den jungen, lebhaft fühlenden Mann ergreifen kann. Aber dieser Aufschwung kommt nicht seiner Reise zu Gute. Nach der Natur der menschlichen Seele dürfen wir vielmehr das Gegentheil annehmen. Der Kontrast ist groß; die Wirklichkeit, die vor dem Musen- und Grazien-Tempel auf der Battery lagert, wird dem Heraustretenden mit ihren schärfsten, nüchternsten Lichtern in's Auge fallen. Ihre Kälte wird kalt, ihre Häßlichkeit häßlich sein; er wird das Gemeine schneidender als je empfinden. Mit dieser Voraussicht wird es räthlich sein, Moorfeld's Reisetagebuch aufzuschlagen. Die rosigen Zukunftsträume, welche die Katastrophe von Bennet's Rout in seiner Seele entzündet, dürfen wir nicht darin suchen; — sie bilden die duftige Fernsicht seiner inneren Landschaft. Was wir im Vordergründe sehen, wird so schroff, hart, trocken gefärbt sein, wie es leibt und lebt, und wie ein leidenschaftlich bewegtes Gemüth, dessen Abstoßungskraft wahrhaftig nicht gebrochen ist, bald satyrisch, bald ironisch, bald tragisch, stets aber mit der ganzen Fülle des unmittelbaren Eindrucks es auffaßt.
Darum zogen wir's auch vor, unsern Helden seinen Reiseerlebnissen gegenüber sich
selbst vertreten zu lassen, indem wir sein Tagebuch
Mit Benthal aber reist er gleichsam wie mit einem gestigen Wandergesellen. Reist er doch fast nur für ihn, ein natürlicher Zug seines Gemüthes ist's, daß er mit ihm reist. Alles, was der Tag Neues, Charakteristisches, Eindrucksvolles bringt, erlebt er zugleich in der unsichtbaren Gesellschaft Benthal's, und indem er es aufschreibt, nimmt es von selbst die Adresse dieses Freundes an. Die äußere Briefform dabei ist Nebensache, Ort und Tag gleichgiltig, nur daß sich ein Wanderzug durch Pennsylvanien gleichsam unwillkürlich um die drei Hauptstädte Pennsylvaniens: Philadelphia, Harrisburg, Pittsburg gruppirt und entweder in oder dahin der äußerliche Anhaltspunkt des Datums wird. Diese Ortsangaben fehlen nicht. —
Das schien uns in Kürze die nothwendigste Verständigung, die wir den nachfolgenden Blättern vorauszuschicken hatten. Mögen wir uns gestimmt finden, ihnen mit Antheil und Aufmerksamkeit zu folgen.
Nach Philadelphia. — Die Locomotive braust durch New-Jersey. Das Land ist flach
und bietet dem Auge wenig Beschäftigung. So weit von den Alleghanen und so nahe am
Meere erwarte ich es nicht anders. Dagegen stiegen prächtige Wälder vorüber, die
mich auf so altem Culturboden überraschen. Der Urwald, scheints, liegt noch
überall näher, als man glaubt. Aber der Anblick der Bäume setzt mich in
Verwirrung. Ich kenne sie nicht. Die europäischen Bäume
Nach Philadelphia. — Ja, dieses Volk ist groß! Ein Freiheitsgeist, dessen
Bewußtsein keinen Augenblick unterdrückt werden kann, durchdringt es in allen
Klassen und Schichten; überall siehst du den Menschen als Mensch. Mein Mr.
Staunton hat ein wahres Wort durch seine falschen Zähne gesprochen, als er sagte:
„im alten Land fühlt sich selbst der höchste Beamtete als ein Diener; bei uns
möchte der niedrigste Dienst gern für ein Amt gelten.“ Auf halber Fahrt zwischen
Newyork und Philadelphia erschien ein Gentleman in unserm Wagen, der mit einer
Haltung, die einem Staatsrath Ehre gemacht hätte, diplomatisch kühl und höflich
von Passagier zu Passagier wandelte, Jedem irgend eine intime, gewichtige Depesche
zuflüsterte, worauf er mit einer graciösen Handbewegung in seine Busentasche
(Brusttasche klingt zu gemein) seinen lauschigen Fuß weiter setzte. Bald kam auch
die Reihe an mich. „Es wird Ihnen gefällig sein, mein Herr, die Fahrtaxe zu
entrichten.“ Und dabei stand der Mann vor mir —
Philadelphia. — Ich bin in der zweiten Hauptstadt Amerika's angekommen. Wie sie
mir gefällt? Lieber Bruder! Nimm einen Westenstoff, der bekanntlich ein
viereckiger Fleck ist, laß das Muster selbst wieder quadrillirt sein, und denke
Dir, Du siehst Philadelphia. Die ganze Stadt ist ein großes Quadrat, und wie sich
sämmtliche Straßen im rechten Winkel schneiden, so besteht sie aus lauter kleinen
Quadraten. Ich komme mir in Philadelphia vor wie das Thier „von einem bösen Geist
— nicht im Kreis, sondern im Viereck herum geführt.” Ich gehe stundenlang in der
Stadt herum und bemerke nicht, daß ich von der Stelle komme. Jede Straße
wiederholt die vorhergehende, jedes Quarré von Häusern ist wie ein Feld im
Schachbrett allen übrigen gleich. Berlin und Mannheim sind mit wahrhaft
orientalischer Phantasie gebaut gegen die stocksteife Einförmigkeit von
Philadelphia. Die Häuser, die Bäume, die Gesichter könnten aus einer
Schneidemaschine herausgefallen sein, so fabriksmäßig uniform ist Alles einander.
Ja, auch die Gesichter. Hinter jeder Fenstergardine steht genau die nämliche
dünnspitze Fuchsnase, blinzelt das nämliche mißfarbige Augenpaar, das mit einem
Blick in den Himmel und mit dem andern in die Dollarkiste schielt, und das von dem
blauen und gelben Reflex des Himmels und des Dollars einen verflucht grünlichen
Farbenton annimmt, den wir mit
Philadelphia. — Als ein gewissenhafter Reisender besucht' ich es auch, — das
State penetentiary, mein' ich, das hochberühmte Original des pennsylvanischen
Systems. Ja freilich ist's ein Wunder des menschlichen Scharfsinns. Ein
einziger
Mich auch. Ich bekam eine entsetzliche Anwandlung in diesem Augenblicke. Es ist ein gewöhnliches Phantasiespiel von mir, daß ich mir einen blonden, lächelnden Kindskopf in's zitternde Greisenalter übersetze; umgekehrt kann ich kein blutleeres Runzelgesicht ansehen, ohne mir sein vollwangiges Jugendbild herauszustudiren. In demselben Sinne tret' ich manchmal vor den Spiegel, um den Menschen darin zu erblicken, der ich selbst nach zwanzig oder dreißig Jahren sein werde. Ein solcher Phantasiespuk war's, der mir jetzt begegnete. Blitzschnell verwechselten sich die Personen und ich stand an seiner Stelle. Hu! fort von hier. Eine Schauderthräne trat mir in's Auge. Ich machte, daß ich aus dem Hause kam.
Nun sage mir! In Europa gibt's Censoren, welche die Gedanken morden, in Amerika Strafhäuser, welche den Menschen an seine Gedanken ausliefern. Was ist der größere Jammer? Ich glaube das Letztere. Streicht, Censoren! streicht! Phantasie ist ein Bruthaus des Wahnsinns! Verschlinge der Abgrund das pennsylvanische System!
Philadelphia. — Schinderhannes war sehr bornirt, sein Wesen am Rhein zu treiben.
Er hätte Director einer amerikanischen Bank sein müssen. Wir lesen die Zeitungen
über Amerika viel zu flüchtig in Europa. Sonst würden wir nicht von Vereinigten
Staaten, sondern einfach von Raubstaaten reden. Ich war gestern, um mir das
Zellengefängniß aus dem Sinne zu schlagen, noch in einer hiesigen
„Wistar-Parthie“. Mein Wirth, oder vielmehr mein „Freund“ hatte mich daselbst
eingeführt, wahrscheinlich zur Entschädigung, daß er mir die Baltimore-Ducks, eine
delicate Entengattung, um die Hälfte theurer als in Newyork an
In der That, einer der gläubigsten Papier-Priester meiner WistarParthie stand, als
die Discussion dieses Gegenstandes schon den Siedepunkt erreicht hatte, mit der
fanatischen Prophezeihung auf: Jackson würde am Galgen oder im Gefängnisse
sterben, die Bank der Vereinigten Staaten aber auferstehen und alle menschlichen
Institutionen der Welt überdauern. Ein Kerl, der sich Bischof nannte, weiß Gott
von was für einer Winkelkirche, bekämpfte heftig einen englischen Baronet, der die
Vortheile und Nachtheile des Papiergeldes mit Ruhe aus einander setzte, aber vom
elenden Widerspruch seines Gegners gereizt, zuletzt sich gleichfalls erhitzte und
auch die Vortheile mit dem schwär
Lassen Sie uns mit Metall wirthschaften und der Indianer skalpirt uns heute noch
am Delaware, statt daß er hinter'm Mississippi uns um Gnade bittet. Die
Banknotenpresse macht uns zum ersten Volk der Welt; die Bank stürzen heißt den
Staat stürzen. War das Privilegium unsrer Nationalbank nicht abgelaufen im Jahre
elf und haben ihre eifrigsten Gegner nach fünf Jahre nicht selbst auf ihre
Wiederherstellung gedrungen, weil uns der Krieg mit England inzwischen gelehrt
hatte, daß ohne Papier kein civilisirter Staat selbsterhaltungsfähig ist? Wie,
Sir? leugnen Sie das, Sir? Als Engländer gewiß, aber als Vernunftwesen nicht. Und
wenn der bornirteste Schuft unter der Sonne, General Jackson, gestern sein Veto
einlegte, — glauben Sie nicht, Sir, daß mein geehrter Vorredner recht hat: der
Kerl baumelt eher am Galgen, als daß morgen die Bank nicht von neuem erneuert
wird? Was sagen Sie, Sir? Eine triumphirende Beifallssalve belohnte den brüllenden
Logiker. Die Erinnerung an den letzten englischen Krieg, den die Union bekanntlich
siegreich geführt, schien eine zu glückliche und beißende Argumentation, als daß
der arme Baronet nicht überwältigt sein mußte. Aber das Gegentheil. Gerade diese
Anspielung pflanzte er selbst auf sein Bajonnet. Und wie dem Manne eine kräftige
Bruststimme zu Gebote stand, die durch ein Bataillon engbrüstiger und näselnder
Yankeestimmen schlug, so klang es wie eine Gerichtsposaune, als er anfing, seinen
Widerspruch aufzubauen. Ganz recht, meine Herren, rief er, daß Sie der letzte
englische Krieg den Vortheil, oder besser, das Bedürfniß des Papiergeldes fühlen
lehrte; auch wir haben den Napoleon mit Papiergeld besiegt. Der Krieg, der die
sittlichen Güter einer Nation vertheidigen soll, entzieht derselben in allen
Fällen ein mehr oder minder großes Quantum materieller Güter, Capitalien genannt,
und gibt sie der Zerstörung preis, um jene höheren Güter zu retten. Diese
Capitalien müssen auf dem Altar des Vaterlandes verbrannt werden, wie irgend ein
Brandopfer; es wird also Zündstoff nothwendig sein, sie in Brand zu setzen. Dieser
Zündstoff ist das Papier. Das Papier verwandelt die Nationalopfer von Capitalien
in Asche, freilich ohne daß die Opfernden selbst es wissen, oder geduldig wollen.
Genug, wenn bei der menschlichen Schwäche des Egoismus ein Opfer für's Ganze nicht
anders zu erhalten ist, als indem man es verhüllt, und mit einem momentanen,
erlogenen Werth
So oder mindestens ähnlich durfte ein Engländer in der Fremde reden. Was für eine herrliche Sache ist's um einen großen nationalen Rang! Wie blaß stand ich als Deutscher daneben!
Aber sein Raisonnement that mir in der Seele wohl. Ich weiß nun, was ich den Amerikanern zu antworten habe, wenn sie mir ihre Nationalgröße vorprahlen. Ich werde sagen: hätte Fallstaff seinen Sekt bezahlt, so wäre er nicht so dick geworden, und ein Fallstaff ist auch noch kein Riese! Der hiesige Materialismus braucht mir nun eben so wenig zu imponiren, als es der Idealismus gleich anfangs nicht that. So werde ich Schritt für Schritt freier.
Nach Harrisburg. — Pennsylvanien heißt „der Garten der Union.“ So viel ich sehen
kann, verdient es diesen Namen. Wohin man blickt, ist der Gesichtskreis voll von
Bildern des Wohlstandes und der Zufriedenheit. Farm an Farm reiht sich unabsehbar
über die hügelige Bodenfläche eines Landes, dem es nirgends an Wald, Wasser, Weide
und wie es scheint an Fruchtbarkeit gebricht. Jeder Farm liegt in der Mitte des
Seinen — für das Auge ein volles Rund. Das Haus umgibt der Blumen- und Obstgarten,
lange Feldbreiten von Mais und Waizen schließen sich an, grasreiche Wiesengründe
folgen, und das Ganze begrenzt gewöhnlich irgend ein Halbzirkel von Wald, dessen
Nähe der Farmer gerne sucht. Wie die Flüsse schweifen, die Thäler ziehen, sanfte
Abhänge, bewaldet oder bebaut, sich durch die Ebene mischen, zerstreute Bauernhöfe
nach Ost
Nach Harrisburg. — Im Postwagen ist der Mensch fast auf der ganzen Erde
unliebenswürdig, der reisende Yankee aber ist ein Ungeheuer. Ich erlebte heute
eine Probe davon, die auch einen Holländer toll gemacht hätte. Ich fuhr im
Stagewagen nach Reading, oder vielmehr in der Richtung dahin. Meine Reisegefährten
waren: erstens, ein Kaufmann aus Sunbury, zugleich Schuldistrictsvorsteher,
Milizlieutenant, Geschworner, Straßenbaucommissär, Bibelverbreiter,
Sträflingsbesserer und TemperanceAusschuß-Mitglied, Zweitens, ein Indian-Trader,
einer aus dem Orden jener speculativen Industrie-Ritter, welche zur Zeit, wenn die
expropriirten Indianerstämme ihre Renten für abgetretene Ländereien ausbezahlt
bekommen, mit nichtsnutzigem Hausirerkram, hölzernen Muskatnüssen, hörnernen
Feuersteinen, schlechtem Branntwein u. dgl. den fernen Westen bereisen und sich
das Blutgeld wieder heim holen. Drittens, die blasse, grämliche Frau eines
Philadelphier-Advokaten, welche viel über Unverdaulichkeit klagte und ein noch
blässeres Kind auf dem Schooße hielt, ein Würmlein — Gott verzeih's — wie eine
Made. Nun höre, wie mir's zwischen diesen drei Menschen erging. Der Indian-Trader
hatte mir gleich beim Einsteigen seinen dickbenagelten Stiefelabsatz in die
Herzgrube gedrückt und mir das Herz fast abgedrückt. Als er dann saß, legte er
seine zwei langen Beine wie Greifscheeren auseinander und zwar auf meine
Schultern. Dagegen durfte ich eigentlich nichts einwenden, denn das Recht der
Beinausstreckung gehört in jeder Lage des Körpers zu den wichtigsten Privilegien
des Yankee. Blos auf dem Wege des friedlichen Vertrages erschlich ich mir so viel,
daß er die Beine nach Art eines Viaducts über meinen Kopf spannte, und sich's
gefallen ließ, da ihnen die Unterlage meiner Schultern entzogen war, daß ich sie
mit meinem Taschentuche oben an die Wagendecke knüpfte. Der Kaufmann von Sunbury,
der uns so eifrig von seiner bürgerlichen Vielseitigkeit unterhielt, war im Laufe
dieser Anstrengung eingeschlafen, und erkor mich
Nach Harrisburg. — Auf der Eisenbahn geplündert, im Stagewagen zerquetscht und
bespieen, wollt' ich es mit dem Dampfschiff versuchen. Ich wanderte ein paar
Meilen zu Fuß dem Thale des Susquehanna zu und bestieg in Lancaster das Boot.
Schlechtere Reisegesellschaft hat wohl selten ein Wanderer gefunden, als ich,
Unglücklicher, bei dieser Fahrt. Es umgab mich ein Genre von Menschen, das gar
nicht zu charakterisiren ist, denn Alles fehlte ihnen, um Menschen zu sein, und
Alles besaßen sie, was zur Bestialität gehört. Ihre Moralität und ihre Sitten
waren gleich abscheulich. Eine kalte, dickhäutige Selbstsucht, eine Nichtachtung
jedes gesellschaftlichen Anstandes prägte sich so sehr in ihren Zügen, Worten und
Handlungen aus, daß ich unmöglich den Wunsch unterdrücken konnte, das Register
ihrer Untugenden möchte noch mit einer einzigen vermehrt sein, — mit der
Scheinheiligkeit. Diese konnte man ihnen aber nicht vorwerfen. Das Gespräch in der
Cajüte strotzte von den frevelhaftesten Gemeinheiten, die aber ohne alle Wärme des
Temperamentes, mit einer wahrhaft teufelsartigen Ruhe und Kaltblütigkeit sich
äußerten. Letzterer Umstand macht die hiesige
Harrisburg. — Wie neugeboren bin ich aus dem verruchten Schiff ans Land gestiegen. Der niedere Wasserstand hat die heillose Fahrt noch mehr verzögert. Aber das Flußbett war ihm eine große Verschönerung schuldig. Meilenweit war der Susquehannah übersäet von Felstrümmern voll wilden Formenspiels Bald ragten sie wie Ruinen römischer Triumphbogen aus dem Wasser, bald glaubte man Löwen, Sphinxe, Greife und sonst solch' heraldisches Wildpret zu schauen; kurz, die Phantasie war schöpferisch angeregt. Es ist gar herrlich, wenn so ein Felsenbett niederen Wasserstand hat. Da zeigt der Strom doch ein ander' Gesicht, als seine platte, geduldige Oberfläche, die nur Schiffsgüter expedirt. Man sieht ihm ins Herz, man sieht seine innere poetische Werkstätte und mit welcher Muskelkraft er feilt, sägt, hämmert und bohrt, um aus den Urwaldsblöcken seine Gedanken zu formen, — rohe, kyklopische Riesengedanken! Ueberhaupt hat die Gegend von Harrisburg einen heldenhaften Charakter. Das Thal des Susquehannah, auf der östlichen Flußseite besonders, zeigt schöne, markige Felsenpartien. Die knorrigen Steineichen darauf glaubt man ordentlich knattern zu hören, wie die Hitze ihr altes Holz sprengt. Hoch über ihnen schweift der Geier und kreischt seinen rauhen Gesang von Hunger und Liebe, daß Einem das Herz im Leibe lacht. Wer das Auge hätte, womit so ein Racker unter'm vierzigsten Breitengrad in die Mittagssonne schaut!
Harrisburg. — Es fängt an, mir ernstlich bange zu werden, welchen Weg die
Culturgeschichte Amerika's einschlagen wird. Von den Tausenden und Tausenden, die
jährlich als Neu-Siedler in ungebahnten Wildnissen sich niederlassen, erwartet
man, wie billig, nichts anders, als die erste roheste Arbeit. Pioniere der Cultur
heißen sie, die Cultur selbst soll ihnen erst nachrücken. Von dieser
nachzurückenden Cultur wird man aber wieder die großen See- und Handelsstädte
abziehen müssen, deren Leben Taumel ist — Taumel des Geschäfts und Taumel des
Genusses. Nun dächte man, läge die Cultur in der Mitte; sie läge in jenen
glücklich situirten Städten, die, gleich entfernt von der Roheit des
Hinterwäldlers und von der Verderbniß der Seehafen-Aristokratie, Besitzer eines
ruhig arbeitenden Kapitals sind,
Diese Mischung von Nationalitäten, eher zu einem Zerrbilde, als zu einem Ideale,
finde ich wie in einem Spiegel in dem Sprach
Monate nach der Hochzeit.
Well, liebe Härriett, willstu heut Abend auf den Ball gehen? Du weißt, wir sind höflich eingeladen worden. — Just wie du sagst, William, du weißt, ich wünsche nichts zu thun, als was dir Vergnügen macht. — Well, denn Harriett, suppos wir gehen, das ist, wenn du perfektly Willens bist; nau, sag' aber nicht ja, just weil ich so sage; denn Du weißt, wo du bist, da fühle ich vollkommen glücklich. — Ei, lieber William, ich weiß, daß du auf dem Ball Vergnügen haben würdest, und wo du vergnügt bist, da habe ich auch, of cours. Was für 'nen Dreß soll ich anthun, William? meinen weißen Gaun oder den groben mit pink Trimmings, oder den schwarzen Merino, oder den weißen Sätin? Du weißt besser, was mir gut steht. — Liebe Härriett, du bist schön in jedem Dreß. Nau, nimm heut Abend deine eigene Wahl. Ich denke aber, dein weißer Sätin Dreß steht dir ausnehmend schön. — Nun sieh, William, ich wußte, daß du just meine Gedanken haben würdest. O wie glücklich werden wir heut Abend sein!
Jahre nach der Hochzeit.
Härriett, reich mir 'mal die Zuckerbohl, du hast mir just einen Theelöffelvoll in
meinen Thee gethan. — Well, William Schnuck, du juhst wahrhaft Zucker genug in
deinen Thee, um ein Bärrel Essig süß zu machen. Hier Tschanni, witt du die Finger
aus der Schüssel thun? Susen, sei still! was die kleine Sau net kreischt;
wahrhaftig s'ist genug, um Eins närrisch zu machen. Witt du still sein! Da!
da!
Kannst du dir in dieser Sprache einen Dichter denken? Eine Nationalität aber, die keiner Dichter fähig ist, gleicht einem Baum, der keine Blüthen treibt. Sie ist abgestorben. Das ist der Fall mit dem Pennsylvania-Deutschthum.
Nimm mir diesen Brief nicht übel, lieber Bruder. Sein ganzer Inhalt zeugt gegen dein Ideal. Aber nicht wahr, wir sind nach Wahrheit ausgegangen?
Harrisburg. — Mein Pferd ist gekauft. Ich bin mit meinem Entschlusse vortrefflich
zufrieden. Das Reiten hat etwas Aufheiterndes, Idealisches, Dramatisches, — es ist
die schönste Scene zwischen Mensch und Natur. Mein Brauner ist ein leichter und
kräftiger Traber, echtes Racepferd, nur die Schule fehlt etwas; der
Nach Pittsburg. — Mein Weg geht jetzt durch die Region der Alleghanen. Leider
halten sie nicht, was sie bei Harrisburg zu versprechen schienen. Dort schlitzte
der Susquehannah das Gebirg bis auf sein innerstes Knochengerippe auf und zeigte
Fels und Gestein. Das seh ich nun schon lange nicht mehr. Fels und Gestein ist
überpolstert mit dem philiströsen Alluvialboden, — und diese Polster heißen die
Alleghanen. Nirgends hat sie der Vulcanismus kräftig gehoben und zerrissen, er
begnügte sich mit einer leichten Verbiegung und Verschiebung der neptunischen
Tafelschichten, und nichts kann eintöniger sein, als die parallele Regelmäßigkeit
dieser Gebirgszüge. Ihr Material ist ein Gemengsel von Trapp und Granit,
metamorphosirten Gneis- und Glimmerschiefer; der wilde Phantast Melaphyr oder
Augitporphyr, Trachit oder Dolomit spielt keine seiner hochromantischen Rollen
hier. „Ein unentwickeltes Bergsystem“ nennt die Wissenschaft solch mürbes
Pastetengebäcke, — genug, das Genre ist langweilig, es heiße wie es will. Die
Amerikaner sehen es freilich vom Nützlichkeitspunkte an und sind außerordentlich
zufrieden damit. Eine solche Bodenfiguration erleichtere den Verkehr, sei der
Canalisirung günstig, ja, sie rühmen sich, Wasserscheiden zu haben, über welche
bei Ueberschwemmungen ein Kahn schon natürlicherweise hinwegkomme! Gut für die
Deconomie des Volks, aber gewiß schlimm für die Entwicklung seiner höheren
Anlagen. In der That wird mir im Anblick dieser Alleghanen die prosaische
Sinnesrichtung Bruder Jonathans ein gutes Stück klarer. Genauer hingesehen, kommt
aber auch sein Materialismus zu kurz dabei. Denn seine Gebirge, indem sie nur Hoch
Plateau's sind, bieten dem Wind und Wetter viel breitere Flächen, ermangeln der
„geschützten Lagen“ und Höhen sind hier rauh, in welchen bei uns noch Rebe und
Kastanie blühte. Unermeßliche Strecken fallen so für den Anbau aus; bedenkt man
aber dazu, daß auch die fruchtbaren Flußthäler, als Bruthäuser des Fiebers, in
starken Abzug zu bringen, so wird Amerika überhaupt viel kleiner, als die
Götzen
Nach Pittsburg. — Auch die heutige Strecke war arm an Naturschönheiten. Manch
freundliche Ansicht — aber man wird das Freundliche doch endlich müde, wenn es
ewig das Nämliche bleibt. Es fehlt gar zu sehr an Abwechslung. Die amerikanische
Landschaft gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu sein wissen, als
Geschlecht. Da ist ein gewisses Inventar von natürlichen Mitteln; wirken sie —
gut; wenn nicht — nicht. Aber Holz und Wasser ist noch nicht Wald und Fluß.
Ueberall fehlt der Natur Sinn für schöne Gruppirung; sie weiß nicht zu
überraschen, nicht zu zürnen, nicht zu versöhnen; was Licht und Schatten, was die
Macht der Nüance sei — nichts weiß sie, nichts. Jener Ober-Chinese, der den
Ausdruck erfunden hat „Vorrathskammern der Natur”, verdient Entschuldigung; was
ich von dem Lande hier sehe, hätt' ich ihn selbst erfunden. So und so viel Centner
Braunkohle, Eisenstein, Gyps, Mergel, das ist hier die Natur. Ob diese
„Bodenschätze“ (auch ein verfluchtes Wort!) mit einer malerischen Oberfläche das
Auge erfreuen, dafür ist nirgends gesorgt. Auch von „Culturlandschaft“ ist
eigentlich nur unter deutschen Händen die Rede. Amerikanische Cultur entstellt das
Land eher, als daß sie es verschönert. Der Amerikaner ist nicht Bauer, nur
Freibeuter. Er setzt seinen Fuß auf die Erde, haut, sticht, sengt und brennt in
sie hinein, und verläßt sie dann wieder. Er hat kein Gemüthsverhältniß zum Boden,
auf dem er sitzt. Sein Haus liegt da
Nach Pittsburg. Müde und hungrig erreichte ich gestern Abend ein einzelnes Haus an
der Straße, ein sogenanntes Privat-Enterain ment, das sich aber doch mit seiner
Aufschrift auf einer Schindel, welche an einem Pfahl steckte, ein County-Hotel
nannte. Ich resignirte auf ein sumptuoses Souper in dieser Taverne und nahm mit
zufriedenem Herzen was da war — eine Tasse schlechten Thee zu ein paar Eiern und
gebratenen Speck. Indem ich an diese Tafelgenüsse aber Hand anlege, fährt ein
Gespenst aus einer dunkeln Stubenecke auf, ein alter gelber Knochen, ein Mensch
wie eine Leiche und donnert
Nach Pittsburg. — Gewitzigt von gestern Abend, dirigirte ich mich heute in ein Städtchen, dem ein frequenteres Hotel zuzutrauen war, als daß es die Andachtsübungen seiner Gäste überwachen sollte. In der That war es so frequent, daß ichs von oben bis unten besetzt fand, als ich ziemlich spät vortrabte und den schläfrigen Stewart herauspochte. Er schleppte mich ein halb Dutzend Etagen unters Dach hinauf und warf meinen Leichnam in eine enge niedere Bodenlucke wie in die Wolfsschlucht. Ich fiel fast um, als sich beim Eintreten ein Schwadem schwüler Stickluft mir auf die Lunge legte, auch glaubt' ich's rascheln zu hören. Deßungeachtet behauptete der Aufwärter, es sei der einzige freie Raum im Hause. Unter diesen Umständen hieß ich ihn das nöthigste Bettzeug mitnehmen, ich wolle mich lieber auf irgend einem Balkon oder Vorhaus, oder wie es sonst käme, einrichten. Indem wir darüber delibrirten, gingen wir im ersten Stock an einem allerliebsten niedlichen Zimmer vorüber, das offen stand und unbewohnt war. Hier ist's ja frei, bedeutete ich dem Hausknecht. Das ist das parlour of the Ladies, sagte er gleichgiltig und ging weiter. Ich starrte ihn an, wie gestern den Reverend. Wie? ein müder Reisender soll um Mitternacht auf ein Zimmer verzichten, weil am Tage darin die Weiber plaudern? Augenblicklich warf ich meine Betten hinein und hieß den Burschen mir zum Auskleiden leuchten.
Aber Sir, es ist das parlour of the Ladies! bleckte der Golem und hatte fast Lust mich am Arme fortzuziehen. Ich schleuderte ihn aber sehr unsanft auf den Gang hinaus — ich war wie ein angeschossener Eber. Gestern kein Nachtessen, heute kein Bett — der Teufel hole diese Volkssitten. Ich zog mir die Stiefeln aus. Der Oelgötze auf dem Gang glotzte mich an, wie Einen, der die Welt aus ihren Angeln hebt, und brummte: Was wird Mister und Mistreß dazu sagen; ich muß es melden. Meld' es dem Peter Bell! rief ich, aber wer mir heraufkommt und mir die Nachtruhe stört, dem jag' ich eine Kugel durch den Kopf. Damit wies ich ihm die Mündung meiner Pistolen, warf die Thür in's Schloß und war für diesmal zu Hause. Es ließ sich Niemand mehr blicken. Ich erleichtere mein Herz, indem ich noch diese Zeilen an dich schreibe und mir den hübschen Kanarienkäfig mit dem Behagen eines Eroberers durchmustere. Ginge die Reise nicht so langsam, ich müßte längst in Ohio sein. Aber die Tage sind heiß und ich mache Kreuz- und Querzüge in allen Richtungen von der Straße ab. Will mich indeß doch sputen, denn du siehst wohl, wie wenig behaglich ich reise. Im Urwald sind wir eine Welt für uns und wollen auf zwanzig Meilen ein Beispiel sein. Ja, allmählig geht der Umschlag in mir vor, ich halte nicht mehr zu diesem Lande, um Muster zu sehen, sondern um Muster zu geben. Diese Freien müssen durch uns Verknechtete ein wenig freier werden. Gute Nacht, Bruder.
Nach Pittsburg. — Lieber Bruder! Ich habe Dir heute eine schmutzige Novelle zu
erzählen, die ich zuletzt mit meinen Thränen wusch. Ja, es ist mir verhängt, ich
soll dieses Landes nicht froh werden. Ich spreche von meiner Nachtherberge. Wollte
mich heute einmal in ein Privathaus zu Gaste bitten, an einen traulichen deutschen
Familienherd. Denn ein deutscher Farm war's, der Abends vor mir lag, — man kennt
solche Hofstellen schon meilenweit. Der Garten, der sich sanft um einen
schwellenden Hügel wand, strotzte von köstlichem Edelobst — das zieht nur der
Deutsche. Feld und Hof umkränzten grüne lebendige Hecken und nicht jene
abscheulichen Fenzenzäune des amerikanischen Styls — es sind nur deutsche Zäune.
Und wie die
Letzteres äußerte ich denn auch, indem ich das Gespräch anknüpfte.
Der Sohn dieses Hauses?! rief er schnell und mit Abscheu, Gott bewahre mich davor!
Wie so? fragt' ich betreten, ist der Besitzer dieses Landgutes ein schlechter unmoralischer Mensch?
Nein, war die Antwort.
Dann ist sein ganzes Verbrechen wohl nur, daß er ein Deutscher ist? erwiderte ich nicht ohne Gereiztheit.
Ja, er ist ein Deutscher! bestätigte der Jüngling, aber mit einem unnachahmlichen Zug von Verachtung; auch gebrauchte er nicht das Wort German, sondern Dutchman.
Mir wallte das Blut, und nur ein Blick in sein schönes Auge begütigte mich wieder so weit, daß ich dem Verächter mit Mäßigung seine Gründe abfragen konnte.
Der Jüngling war mir willfährig, obwohl ich zu bemerken glaubte, daß es mit Widerwillen gegen das, was er zu sprechen hatte, geschah. Er zog die Zügel an, ließ sein Thier kurzen Schritt gehen und erzählte mir Folgendes:
In Philadelphia war einst eine Schiffsladung von deutschen Paupers gelandet, unter
andern eine Familie, die aus Mann, Frau, zwei Knaben und einem Mädchen bestand.
Sie wurden auf zeitweilige Dienstbarkeit versteigert, wie es zur Schadloshaltung
des Capitäns in
Als wir zu Hause ankamen, wies ihm mein Vater eine unsrer verlassenen Negerhütten
an, wie sie aus der Sclavenzeit Pennsylvaniens noch auf den Höfen standen, seitdem
aber unbewohnt und unbenutzt geblieben waren. In dieser verlassenen Hütte nun
deponirte Martin jenen schmutzigen Bündel, und bald diente dasselbe statt eines
Vorhängschlosses, denn Gestank und Ekel trieb auf zwanzig Schritte Distanz jeden
Menschen aus dem Umkreis; zum Hineintreten war außer Martin selbst Einer der
Unsrigen nie zu bewegen. Inzwischen vermehrte der Deutsche diesen Schatz noch
täglich mit allen Lumpen, die er habhaft werden konnte; zerfetzte Kleider,
abgelegte Hosen, vernutzte Strümpfe, das Alles sammelte er wie toll zusammen und
hinterlegte es in seiner Depositenbank. Sonst waren wir mit dem Manne ganz gut
zufrieden, er arbeitete fleißig und umsichtig, verstand die Landwirthschaft
vortrefflich und wo sie vom deutschen Style abwich, zeigte er sich ganz besonders
aufmerksam, die Ursache davon zu begreifen und zu lernen was zu lernen war. Dabei
erlaubten ihm seine Begriffe von häuslicher Oekonomie kein einziges Mal, sich vom
Hause zu entfernen, obwohl ihm mein Vater wiederholt die Freiheit einräumte, sein
Weib zu besuchen. Wozu die Schuhe zerreißen? war
So erzählte der Jüngling. Dichterisch wie seine schöne Persönlichkeit mich ansprach, wünschte ich nichts mehr, als ich hätte aus seinem Munde eine Dichtung vernommen! Aber leider! jedes Härchen ist deutsch an dem alten Martin; das Portrait ist vernichtend wahr. Und wenn ich nun künftig die schmucken Muster-Höfe der PennsylvaniaDeutschen vorüberreite, so werde ich den stinkenden Sack im Hintergrund riechen — und auch um diese Freude ist's gethan!
Der schöne Jüngling bot mir Herberge in seinem eigenen Hause — es war mir nicht möglich, Besiegter, in die Pforten des Siegers einzuziehen. Aber auch von Martin's Farm lenkt' ich mein Pferd weg. Ich führte es sachte ab in ein Gehölz, bettete mich diese Nacht in's Gras und weinte über die Nation, welcher Alles verliehen ist, nur Eines nicht: der alleinseligmachende Nationalstolz.
Später ging der Mond auf, es war das erstemal, daß er mich kalt ließ. Armer Proletarier, dacht' ich, was kann man Elenderes sein, als ein Trabant dieser Erde!
Nach Pittsburg. — Heute fiel mir das Herz wie nie. Ich sah den ersten
Hinterwalds-Anbau. Grausenhaft! Ich finde kein Wort, das Unversöhnliche eines
solchen Anblicks für das europäische Gefühl zu beschreiben. Ist's denn möglich?
Was man längst gelesen hat —
Nach Pittsburg. — Ich ritt unter der heißesten Mittagssonne über eine
menschenleere Prairie. Ich war dem Verschmachten nahe. Meiner Karte nach sollten
zwar einige menschliche Wohnsitze nicht fern sein — Connesville, oder Smithfield,
oder Union — aber möglich, daß sie auch nur auf der Karte existirten, möglich, daß
ich mich verirrt — kurz, ich ritt über eine unabsehbare Grasebene, und nichts war
da, gar nichts. Die Luft glühte wie in einem Hochofen. Kein Vogel, kein
Schmetterling, kein Thierlaut weit und breit; was nicht Salamander war, schien
todt zu sein. Nur Eidechsen schwänzelten zwischen den verbrannten Grasrespen hin
und wieder, die aus den geborstenen Erdritzen hervorkamen,
Das ist das Land, in welchem Niemand zu Grunde geht, wenn er arbeiten kann! Richtig, gewiß; denn von den zu Grundegegangenen braucht man blos zu sagen, sie konnten nicht arbeiten. Vom Fieber braucht man nichts zu sagen. O, Herr, schick' uns alle Jahre eine Pest, und nimm dafür eins unsrer Vorurtheile von uns. — Amerika ist ein Vorurtheil.
Pittsburg. — Endlich bin ich hier angekommen. Pittsburg ist mit Philadelphia und
Harrisburg die dritte Hauptstadt Pennsylvaniens. Sie gefällt mir so wenig wie die
beiden andern. Philadelphia, ein aalglattes Ouäckernest, Harrisburg, eine Motte
und Runzel aus dem vorigen Jahr hundert, Pittsburg brauch' ich nicht weiter
anzuschwärzen, es ist schon so schwarz genug. Pittsburg ist eigentlich keine
Stadt, sondern eine große bituminöse Steinkohle, welche Jahr aus, Jahr ein
entsetzlich dampft und stinkt, die Luft verpestet und die Geldbeutel füllt.
Letzteres entschädigt denn in bekannter Weise den Yankee für alles Andere. Die
große und volkreiche Stadt hat keine einzige Promenade, auf der man den Kohlenruß
ein wenig von sich schütteln könnte, was doch so sehr Bedürfniß ist. Diese
Gartenlosigkeit scheint überhaupt ein Grundzug amerikanischer Städte, selbst
Neuyork verdankt sein Hoboken den Holländern. Ich werde mich in diesem Rauch- und
Schmauchschlott auch nicht länger verweilen, als nöthig ist, um Verschiedenes ein-
und nachzukaufen, dann geht's an den Ufern des Ohio weiter. Der Ohio entsteht
hier; die Vereinigung des Alleghany und Monongahela bilden ihn. Der Alleghany ist
klar und hell, der Monongahela trüb und schlammig — nehm' ich den Ohio für ein
Bild meiner Ansiedlung, oder vielmehr des menschlichen Lebens überhaupt? Eine
Mischung des Heitern und Trüben, des Lichten und Dunklen, welches die ewigen
Gegensätze unsrer Schicksale sind? Wie Gott will! Ich entziehe mich dieser
Mischung nicht, liebe sie aber freilich am meisten in dem, was wir bei uns „einen
Melange“ nennen, da nämlich das lichte Element fette Sahne, das dunkle kräftiger
Mokka-Kaffee ist. Solche Schicksalstassen schlürfe ich gerne. Dazu eine brave
Pfeife echt Türkischen, einen guten Freund, dem man ein gutes Gedicht vorliest,
und muß es sein, irgend ein „süßes Schnäbelchen“ für die schwächste Seite des
mensch
Meine Sachen, die ich nach Pittsburg adressirt hatte, sind angekommen; ich packte vor allem meine Violine aus und spielte mir steirische Ländler vor. Gott weiß, es ist auch höchste Zeit, daß ich mir ein bischen Humor an's Bein zeche; so eben laufe ich diese Blätter durch, die von hier an Dich abgehen sollen, und erschrecke über das Grau in Grau. Wahrlich, es ist sehr praktisch von mir, einem Compagnon, den ich mir nachlocken will, eine solche Reisebeschreibung zu liefern! Wärest Du nicht der große, heroische Benthal, so würf' ich das ganze Geschreibsel in einen Kohlenschlott, wie sie mir zn Dutzenden in das Fenster hereinstarren. Aber ich sehe Dich schon, wie Du diese Blätter ruhig bei Seite legst: — nun gut; das ist Amerika, und das bin ich!
Recht auch; man muß diesem Lande Trotz bieten. Leider! ein Poet trotzt nicht, er
zertrümmert. In der That, es wird mir täglich und stündlich klarer: ohne Dich ist
meine Ansiedlung eine Unmöglichkeit. Ich spüre einen Vernichtungstrieb in mir, der
einem Colonisten schlecht zu Gesichte steht. Mein Gehirn ist wie ein Nest von
unausgebrüteten Blitzen; es kommt mir oft vor, als müßt' ich Unglück anrichten
oder unglücklich werden, wie's keine Zunge nennt. Wie ein Orpheus mit klingenden
Saiten die Hölle zu zähmen — dieses Schlags ist meine Poesie nicht. Die
Orpheus-Sage ist der Ausdruck der höchsten und mir wahrhaft unbegreiflichen Milde
des griechischen Geistes. Ich hätte das infernalische Gesindel zum Kampfe fordern
müssen; ich glaube überhaupt: Kampflust ist meine Sangeslust; ich bin ein
metrischer Husar. Das Pack, das Einem die Blume des Lebens gestohlen hat, das
höhere idealische Selbst, mit wohllautenden Accorden noch anzuleiern, das
erfordert eine große Stärke — in der Schwäche! Darum bist Du so ein Prachtmensch,
weil Dich Dein Herrgott aus einem Zeug geschnitten hat, das ich für den besten
menschlichen Stoff halte. Du wirst Dich mit den Höllenhunden nicht auf die Mensur
stellen, Du wirst ihnen aber auch kein Adagio in die haarigen Ohren träufeln: Du
hättest Deine Guridice überhaupt nicht mehr auf die Erde zurückgeführt. Nein, Du
hättest es unternommen, die Hölle
Ich kann Dir nicht sagen, mein lieber Rector magnificus, wie ich mich freue auf Deinen Amtsantritt im Urwald. Es muß eine Lust sein, einen Mann, wie Du, sich rühren zu sehen. Ich glaube, die Alten hatten Recht, wenn sie die Landschaft vernachlässigten über den kräftigen und anmuthigen Menschen darin. Und das thaten sie doch mit griechischen Landschaften, was thäten sie erst mit amerikanischen! Höchstens ließen sie den Menschen auch daraus weg. Mein Wirth hier hat ein Söhnchen von wunderlieblicher Knabenschönheit; ich lächelte ihn freundlich an, faßte ihn sanft unterm Kinn und streichelte ihm die reizenden Goldlöckchen aus der kostbaren Antinous-Stirn. Das achtjährige Bübchen schnitt aber ein beleidigtes Gesicht dazu, und sah mich so pedantisch-altklug an, daß ich's in seinem Innern deutlich sprechen hörte: Darüber sind wir hinaus, du deutscher Narr, du schmeicheltest mir weit besser, wenn du mir das erste Primchen Kautabak in den Mund schöb'st. Es ist gräßlich, ein Volk, von dem man nicht einmal die Kinder lieben kann! — Deß sattl' ich mein Gäulchen noch einmal so eifrig, und will nun in Ohio das Plätzchen aufstöbern, wo weder das Fieber, noch die Langweile grassirt, wo es einem so recht bergesfrisch und waldheimlich und wasserkühl zu Muthe wird, daß ich mit gutem Gewissen sagen darf: liebe Deutsche, kommt zu mir, deutsche Feen haben das für euch geschaffen! denn ich hoffe, die Feen sind auch ein wenig emigrirt wie die Menschen.
Hol's der Teufel! Indem ich schreibe, wälzt mir der nächste Schlott eine Rauchsäule durch's offene Fenster, daß Herculanum und Pompeji dran ersticken könnten. Und schließ' ich das Fenster, so erstick' ich wieder. Ich schließe demnach dieses Briefpaquet, es bleibt nichts anders übrig. Adieu! ich hoffe vom Ohio soll Alles besser klingen. La belle rivière nannten die Franzosen den Ohio, und die Franzosen wissen was schön ist. Aber warum behaupteten sie ihn nicht? Geht's uns mit allem Schönen so? Du hast Recht: der Mensch kann nur beginnen!
Daß unser Held vierundzwanzig Stunden nach diesem Briefe seinen Grundbesitz erworben haben würde, ahnte ihm in jenem Augenblicke nicht im mindesten noch. Der wichtigste Moment, der eigentliche Zielund Mittelpunkt seiner amerikanischen Reise überraschte ihn so — wie die flüchtigste Episode eines Wandertags, ja, fast wie ein Stein des Anstoßes am Wege. Wir könnten das Ereigniß wieder aus seinen Briefen erzählen, haben aber Grund es diesmal nicht zu thun. Denn da es unmittelbar ein Act der Großmuth war, und unser Freund edel genug dachte, dieses Umstands mit keiner Sylbe zu erwähnen, so würde der Briefton nicht nur zur Wiedergabe der eigentlichen Gemüthsfärbung nicht beitragen, sondern die geschichtliche Thatsache selbst wesentlich entformen.
Moorfeld ritt also von Pittsburg die schönen Ufer des Ohio hinab. Als er die
Gränze Pennsylvaniens bei Beaver erreichte, las er in einem Localblatte dieser
Stadt daß in einem benachbarten Orte, der aber schon dem Staate Ohio angehörte und
sich sehr großartig Neu-Lissabon nannte, eine Landauction oder sogenannter Sheriff
sale abgehalten würde. Um sich eine solche Scene „einstweilen“, wie er dachte, mit
anzusehen, wandte er nun in Beaver vom Flußthale des Ohio sein Pferd ab und begab
sich landeinwärts auf die Straße nach New-Lisbon. Bald verschwanden die Höhen des
Ohio mit ihren laubreichen Eichwaldungen hinter seinem Rücken und das Land fing
an, in niedrig gestreckten Hügelwellen sich abzuflachen. An die Stelle des
Eichwuchses traten Weiden, Pappeln und Cypressen, welche einen Sumpfboden
bewaldeten, der vielleicht fruchtbar, vielleicht auch ungesund war. Dazwischen
lagen wie Inseln und Halbinseln dürre Sandstriche, die ihre sterile Natur in
traurig-eintönigen Fichtenwaldungen ausdrückten. Die Gegend war einsam und nichts
verrieth die Nähe einer Stadt. Im halbgelichteten Walddunkel erblickte
Dies waren Moorfeld's Betrachtungen, als er den häßlichen Ort langsam durchritt.
Er gelangte auf einen freien Platz in der Mitte desselben und fand einiges Leben
hier. Eine hölzerne Bude, welche sich City-Hall nannte, aber vielmehr einem
Wagenschuppen glich, war von oben bis unten mit ellenlangen Placaten von
Buntpapier beklebt, während Fahnen und Standarten in allen Farben auf langen
Stangen in der Luft flatterten; er sah den Schauplatz der Landauction. Diesem
Hause gegenüber stand ein gothisches Unding, die Kathedrale von Neu-Lissabon. An
jedem andern Orte hätte das barbarische Machwerk die Sinne beleidigt, in der
Umgebung der elendesten und schmutzigsten Hütten aber machte es immer noch Staat.
Der Raum zwischen diesen beiden öffentlichen Gebäuden, welcher je nach Umständen
eine Pfütze oder eine Staubwüste war, in beiden Gestalten aber der Square von
Neu-Lissabon hieß, diente jetzt einer Menge von Zeltwagen, Marktbuden und
sonstiger fahrender Zigeunerhabe zum Standorte; es war das Feldlager von
Zuzüglern, welche die Landauction aus näherer oder fernerer Umgebung herbeigelockt
hatte. Ein speculirender Irländer hatte diese Gelegenheit benutzt, Geschäfte in
ein paar Fässern Fusel zu machen, welchen er von seinem Karren herab für mint
julep ausrief; ein fliegender Buchhändler neben ihm verkaufte den Himmel in
beliebiger Auswahl, nämlich Tractätlein aller möglichen Glaubensbekenntnisse. Das
gläubige und ungläubige Publikum tractirte sich aber mit mehr Vorliebe in einer
Trinkstube, auf welche Moorfeld erst aufmerksam wurde, als er sich überhaupt um
Publikum umsah und verhältnißmäßig wenig am Platze fand. Er entdeckte bei dieser
Gelegenheit noch ein drittes öffentliches Gebäude, nämlich ein Croceryshop mit
einem Wirthshaus verbunden und zwar dicht am gothischen Dome, dem es zur Seite
stand, wie ein Ministrant seinem Priester. Der Kramladen mochte einst besser in
die Augen gefallen sein, als nämlich die Farben der colorirten Lithographien an
seinem Schaufenster noch greller erglänzten. Moorfeld musterte diese Lithographien
und fand bunt nebeneinander den Alpenübergang Napoleon's, Mrs. Siddons als Lady
Macbeth, das Rennpferd Eclipse, einen Faustkampf zwischen John Bull und Bruder
Jonathan, die Rückkehr des Geliebten, Roth
Inzwischen ertönte ein greller Trompetentusch von einer Dachlucke des Schuppens,
d. h. vom Balkon der City-Hall. Das brachte einige Bewegung auf dem Marktplatz
hervor. Unter den Dächern der Zeltwagen streckten sich lange Amerikaner-Beine
hervor, die dort ihre Mittagsruhe gehalten hatten, aus der Trinkstube des
Croceryshops kamen die Gäste gruppenweise über den Square daher gestolpert, der
fliegende Buchhändler schloß seine Mappen und der Irländer trank seinen mint julep
selber. Alles drängte sich durch die unbehauenen Thürpfosten des Stadthauses.
Moorfeld folgte. Er stand in einem Stalle, den die Väter der Stadt vielleicht
ihren Sitzungssaal nannten, aber der Fußboden dieses Saales war die rauhe
unbedielte Erde, die Fensterlöcher hatten keine Fenster, was zwar einen
dankenswerthen Luftzug gegen die Hitze bewirkte, aber auch einer Unzahl von
lästigen Mücken die Passage frei gab, die Decke endlich war so niedrig, daß die
Beleuchtung, obschon sie ungetrübter als durch das reinste Krystallglas einfiel,
doch etwas Düsteres und Kellerartiges hatte. Das Ameublement bestand in einem
Tisch und einigen Stühlen für die Auctions
Er contrastirte eben so fremdartig als vortheilhaft zu den Physiognomien um ihn
her, denen die Wolfs- und Luchsnatur eines schlauen und raubgierigen Materialismus
grell aufgeprägt war. Er machte neben ihnen mehr den Eindruck eines ausgedienten
braven Soldaten, der den Pflug ergriffen, oder eines kleinen Landedelmanns, der
sein Feld bestellt, als eines Landproletariers, der es ist mit der ganzen
Verkommenheit seines sittlichen und geistigen Zustandes. — Sein momentaner Zustand
erweckte im steigenden Grade Sympathie. Er befand sich jenen Industrierittern
gegenüber offenbar in einer schwierigen, vielleicht selbst verzweifelten Lage.
Moorfeld vergaß alles Uebrige um sich, indem er den Fortgang dieser Scene
verfolgte. Sie hatte ihren Anfang genommen damit, daß einer der Industrieritter
gesprächweise zu dem Manne trat, und ihm, wie es schien, im Vorbeigehen ein Offert
machte, das er mit der Miene eines Gönners, sonst aber mit großer Gleichgiltigkeit
behandelte, gleichsam als wäre hier von einem Vortheile die Rede, den nur der
Andere allein genösse, während er selbst kein Interesse dabei habe. Der Deutsche
hatte ihn angehört, einige Gegenfragen gemacht und dann, wie von einer
Nothwendigkeit überzeugt, die sich nicht ändern läßt, seine Brieftasche gezogen,
aus der er langsam und bedächtig eine Banknote hervorholte, die der Andere leicht
und ungedankt in seine Westentasche schob. Hierauf trat ein zweiter der
Uhrketten-behängten Gentlemens zu dem Manne. Es wiederholte sich von ersterer
Seite mit geringen, von letzterer aber mit bedeutsameren Variationen dasselbe
Spiel. Es war dem Deutschen, wie man sehen konnte, eine sehr ernsthafte Sache,
auch von dieser Person in Anspruch genommen zu sein. Seine Miene verdunkelte sich,
seine Stirnfalten wurden tiefer, seine Augenbrauen zogen sich in die Höhe, einer
seiner Füße trat unwillkürlich zurück, die ganze Stellung drückte das Schrecken
aus, womit man sich gegen ein unvorhergesehenes Phänomen in Positur setzt und
einen Augenblick stutzt, ob man sich ihr unterwerfen muß, oder entziehen kann. Der
Deutsche machte eine Geberde, mit der er offenbar auf den Mann wies, welcher so
eben von ihm gegangen: der Industrieritter dagegen wendete kaum den Kopf, zuckte
die Achseln und sagte mit einer wegwerfenden Handbewegung: pah! Der Deutsche war
unentschlossen, rathlos. Er warf einen verstörten Blick auf seinen Gegner, maß ihn
von oben bis unten und
Jetzt trat durch einen untern Eingang des „Saales“ der Sheriff mit zwei Clerks
ein. Er stellte sich hinter seinen Tisch und gab mit einem Hammer das Zeichen des
Anfangs. Die anwesenden Waldfäuste erhoben sich vorwurfsvoll über sein langes
Ausbleiben. Der Scheriff bat die „Herren“ sehr artig um Verzeihung, worauf sich
das souveräne Volk zufrieden gab. In diesem Augenblicke näherte sich ein fünfter
Industrieritter dem Mann auf der Bank. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und
mußte ihn mit einem Worte aufgescheucht haben, das genau die Tendenz der vier
Andern ausdrückte, denn der Mann zuckte, wie von einem elektrischen Schlage
getroffen zusammen, und starrte den Fünften an, gleichsam als begriffe er nicht,
wie es möglich sei, daß sich nach all seinen Opfern die alte Zumuthung von Neuem
vor sein Auge hinpflanzen könne. Indem Moorfeld sein so erhobenes Gesicht
betrachtete, ergriffen ihn die rührenden Züge des inneren Menschen darin. Der Kopf
kam ihm schöner vor als zuvor, gleichsam als hätte der Schmerz inzwischen Zeit
gefunden, sich über sein ganzes Ich auszugießen und es zu einem reinen Modell des
Seelenleidens zu idealisiren. Desto abscheulicher stach die Physiognomie des
Fünften neben ihm ab. Der Mann war ungefähr ein naher Sechziger, sein Schädel eine
schwere und unförmliche Masse, seine Züge grob geschnitten, das Gesicht
aufgetrieben, wulstig, voll Warzen und beulenartiger Unebenheiten, welche durch
die Ideenverbindung mit Krankheitsursachen noch zurückstoßender wurden; er hatte
eine niedrige Stirn, eine platte Nase, einen dicken brutalen Mund und
hervorragende Backenknochen. Seine Augen waren klein, grau und von einem bösen
Blick; zottige Augenbrauen hingen darüber in finstern, schweren Büschen herab und
vollendeten den Ausdruck eines ungeselligen, harten, rachsüchtigen Charakters.
Dieser Wehrwolf stellte sich jetzt dem vielgebeugten Manne entgegen und
wiederholte, wie man sah, das Manöver der vier Vorhergegangenen. Der Deutsche
stand
Um Gotteswillen, was geht hier vor? rief Moorfeld, den Mann zurückhaltend.
Ein Schicksal! antwortete dieser tonlos.
Erklären Sie sich, mein Herr, ich bitte!
Es ist entschieden! Ich soll nicht leben. Auch der letzte Faden reißt. Lassen Sie mich.
Es gelang Moorfelden erst nach einigen Minuten, andere als solche und ähnliche Antworten zu erhalten, welche den Glauben an ein düstres Alles vereitelndes Fatum athmeten. Der Deutsche entzog sich mehr seiner Theilnahme, als er ihr entgegenkam; er schien eine jener wackern Naturen, welche ihre Kraft lange zusammen halten, aber gebrochen auch vollständig brechen. Diesen Verlust seiner männlichen Fassung fühlte er auch mit Scham; er strebte hinweg und nicht leicht war es, ihn fest zu halten. Selbst die deutsche Anrede, womit Moorfeld gleich vorweg ihn zu gewinnen gedacht, verfehlte jedes Zaubers auf ihn. Ich bin in allen Zungen betrogen worden, sagte der Unglückliche. Moorfeld schleppte ihn endlich mit Gewalt in eine einsame Ecke und forderte sein Vertrauen wie die Erfüllung einer Menschenpflicht.
Das Unglück muß sich erzählen, sagte der Andere, es ist wahr; jeder Weinende ist
dem Concertsaal ein Andante schuldig. Wohlan, mein Herr, ich war deutscher
Offizier, mein Name ist von Anhorst. Ich hatte ein Duell mit einem andern
Offizier, welcher die Ehre meiner Frau beleidigt hatte, weil sie ein armes, braves
Bürgermädchen war, indeß
Moorfeld gab sich die Miene, die Bitterkeit des Tiefverstimmten zu überhören und sagte mit Wärme: Allerdings, mein Herr, bitte ich darum, wenngleich nicht in diesem Augenblicke. Gegenwärtig würde ich Ihnen Dank wissen, wenn Sie mir blos die letzten Ihrer Worte zu erklären so freundlich wären. Das Land, worauf Sie gerechte Ansprüche haben und das Ihnen deßungeachtet so eben entgehen soll — wie verhält es sich damit?
Anhorst, wie wir den Deutschen jetzt nennen können, widerstand der fortgesetzten
Freundlichkeit Moorfeld's nicht länger; er fühlte seinen eigenen Culturmenschen
wieder erwacht in sich, und antwortete etwas geselliger: Sie wissen, mein Herr,
was ein Squatter oder Vorsiedler ist. Er ist ein Festungssträfling im Freien. Er
verrichtet die härtesten aller menschlichen Arbeiten, denn er geht allen übrigen
Arbeiten voraus. Mit Axt und Flinte wirft er sich in den Ocean der Urwälder und
Prairien und wo er die Spuren einer Büffelherde entdeckt, dort ist seine
Etappenstraße; der folgt er. Eine Waldeinöde links, eine Graseinöde rechts, und in
der Front vielleicht ein trüber Abfluß von einem morastigen See — das ist ihm
genug zur Heimath: den Winkel wählt er und fragt nichts darnach, ob er zur
nächst-größeren Stadt ungefähr so weit hat, wie von Basel nach Leipzig. Er zündet
das erste menschliche Licht an, wo sonst nur der Blitz in Bäume gezündet hat, er
haut sich ein paar Schock Eichen um, welche mit Friedrich von Hohenstaufen
zugleich flaumbärtige Kinder waren, er stellt sich seine rohe Blockhütte auf. Er
bricht den Wald und Prairieboden um, der mit zahllosen Wurzeln wie mit einem
Eisendraht durchflochten ist, er rodet rastlos das ewig nachwuchernde Unkraut aus,
er schützt sich endlich das halbwegs geklärte Feld gegen die wilden Thiere und
gegen
Nun aber die Menschen! Sehen Sie mein Herr — doch, Sie haben es, wie ich höre,
gesehen. Sie haben es genau verfolgt, wie diese Meute mir zusetzt. O es sind
Teufel! Es ist keine Menschlichkeit in ihnen. Herr, in Deinem Reich! es läßt sich
am Ende noch begreifen, wenn sie mich als Geschäftsmann betrogen, da ich im
gestickten Pantoffel auf Brüsseler Teppichen wandelte: — sie mochten denken:
Schelm, wer weiß, woher du es hast; wir nehmen's Einer vom Andern. Aber der arme
Settler, der mit schwielenvoller Faust das härteste Stück Brod, das von Menschen
gegessen wird, aus der Erde gräbt, der nichts hat als seinen Schweiß, der mit
Pflug und Karst Niemand übervortheilen kann, wohl aber die Grundlage aller übrigen
Geschäfte und Vortheile ist — doch ich will kurz sein. Ich habe gesagt, die
Versteigerung ist kaum mehr als eine Form, es findet sich nicht leicht ein
Steigerer ein. Wohl! Es finden sich aber schlechte nichtswürdige Menschen ein,
welche sich für Steigerer ausgeben, um dem armen Vorsiedler ein Stück Geld
abzupressen. Diese Leute haben oft keinen halben Adler in der Tasche,
dessenungeachtet treten sie dreist mit der Miene auf die Auction, als ob sie das
ausgebotene Land zu jedem, auch dem höchsten Preis kaufen würden. Es liegt für
ihre Geschäftsverbindungen wunderbar bequem, sie werden Kardirmaschinen,
Drehmaschinen, Marmormühlen, Lohmühlen, Kreissägen, und Gott weiß, welche
„Improviments“ darauf errichten, sie wissen ganz sicher, daß ein Kanaldurchstich,
oder eine Eisenbahnlinie durch dieses Grundstück
Daß man auf jeder Landauction, fuhr Anhorst fort, einem solchen hush-money-Reiter
begegnen werde, darauf kann man schon längst und regelmäßig gefaßt sein. Die
Entsittlichung der Bevölkerung schreitet noch mehr vor, als diese selbst. Auch ich
kam auf diese Lisboner Auction in keiner bessern Erwartung. Ja, ich glaubte gefaßt
zu sein. Leider! dem gegenüber, was mich erwartete, ging mir die Fassung aus in
Börse wie in Gemüth. Nicht ein, fünf hush-money-Wölfe nahmen mich diesmal in
Empfang. Das war mir überwältigend-neu! Ach, mein Herr! ich habe in den Städten
viel Unglück erlebt: die Bowery-Jungen zu Neuyork haben mich gewaltsam geplündert,
die Quäcker zu Philadelphia gaben in Geld- und Wechselsachen falsch Zeugniß wider
mich, und die ersten Häuser in Cincinnati bankrotirten mich nieder, während sie
selbst ihren pile dabei machten. In dieser Wildniß, mit dieser Kieselfaust,
glaubt' ich um den Preis Alles dessen, was das Leben schön macht, das Leben
behaupten zu können. Umsonst. Es geht noch einmal nicht. Viermal, wie Sie sahen,
zog ich meine Brieftasche und fütterte die Wölfe; was ein Mensch geben kann, der
entschlossen ist, lieber sämmtliches Ackergeräth aus Eisen zu verkaufen und mit
hölzernen Stangen und zehnfacher Anstrengung zu arbeiten, das gab ich diesen
Unbarmherzigen dahin, um mein letztes unwirthliches Waldasyl festzuhalten.
Umsonst. Viere konnt'
In diesem Augenblick unterbrach Moorfeld seinen Mann, und fragte mit jenem Tone, der einen fertigen Entschluß ausdrückt, welcher nur noch der letzten Feile bedarf: Sie scheinen sich übrigens, mein Freund, an der hiesigen Gegend ein traurig' Stück Erde zum Wohnplatz erwählt zu haben?
Die Gegend ist gut, antwortete Anhorst mit Unbefangenheit. Wenn Sie vom Ohio heraufgekommen sind, so werden Sie bemerkt haben, daß der Boden theils zu naß, theils zu trocken war; hier in Lisbon z. B. das erstere. Die Weide oder die Fichte stand da einseitig. Stutering's Waldland hingegen hat eine sehr reiche Mischung von Baumarten, was bekanntlich schon allein hinreicht, über den Werth eines Grundstücks jedes Laienauge zu orientiren. Wenn Lisbon sich ausdehnt, so wird es vor all seinen übrigen Radien der Richtung Stutering folgen müssen. Dort sind die Bodenbestandtheile —
Die Unterhaltung der beiden Männer ward an dieser Stelle unterbrochen. Der Sheriff
hatte die Auction über das besprochene Grundstück eröffnet, ein Act, auf welchen
unsre zwei Freunde nicht sonderlich geachtet, da Moorfeld inzwischen auf Anhorst's
Mittheilungen gehört, und dieser selbst, wie wir wissen, das ganze
Steigerungsgeschäft mehr wie eine Vorarbeit, als wie den Mittelpunkt der Handlung
betrachtete.
Er bietet wahrhaftig! stammelte dieser erblaßt und sah mit einem schreckenseisigen Blicke auf Moorfeld.
Tausend fünfhundert! rief eine zweite Stimme. Aber in seinem ganzen schicksalsreichen Leben hatte Anhorst wohl nie einen so plötzlichen Wechsel von Gemüthsbewegungen erfahren, denn diese zweite Stimme war Moorfeld's Stimme selbst. Ein wallendes Freudenroth überflog die harten, zerarbeiteten Züge des Deutschen und kaum glaubend an diese plötzliche Hilfe in der Noth, blickte er seinen Retter zwischen Furcht und Hoffnung an. Moorfeld nahm sich keine Zeit, den Zagenden seines ausdrücklichen Schutzes zu versichern, denn Funke auf Funke stob's jetzt zwischen ihm und Wogan; er konnte nur durch Thaten antworten. Tausend sechshundert, hatte Wogan geantwortet, siebenhundert gab Moorfeld zurück, achthundert Wogan, neunhundert Moorfeld, neunhundert fünfzig Wogan, zweitausend Moorfeld.
Der ganze Saal wendete sich jetzt nach den beiden Kämpfern, während einige der
erfahrensten Landhändler das Haus verließen, überzeugt, daß jedes weitere
Verweilen unnütz und die Auction „fest“ sei. Der Sheriff selbst streckte mit
einiger Verwunderung seinen langen Hals aus den Vatermördern und es geschah
offenbar zu seiner eigenen Ueberraschung, daß er John Stutering's Loos nunmehr zu
zweitausend Dollars zu auctioniren fortfahren konnte. Und schon sah man den Hammer
in seiner Hand erhoben und zum Niederschlagen bereit, als Wogan schnell noch ein
neues Hundert dazwischen rief. Moorfeld überbot mit zweihundert, Wogan steigerte
drei-, Moorfeld vier-, Wogan fünfhundert. Zweitausend fünfhundert! rief Wogan.
Jetzt hielt Moorfeld inne. Wogan stutzte. Unwillkürlich blickte er hin nach
Moorfeld, aber nicht triumphirend, erschrocken war der Blick. Ertappt! rief
Moorfeld seinen Schützling anstoßend, jetzt wollen wir ihn zappeln lassen. —
Zweitausendfünfhundert wiederholte mit heller Stimme der Sheriff. Moorfeld schwieg
noch einmal. Wogan blickte nicht mehr nach ihm, er mochte fühlen, das sein
voriger
In seinen Wünschen zeichnet der Mensch sich selbst. Wie kommt es, daß er die
Zeichnung so selten lobt, wenn sie äußerlich vor ihn hintritt — wenn der Wunsch
erreicht ist? Wie kommt es, daß ein erreichter Wunsch uns oft düsterer stimmt, als
ein versagter? Im versagten Wunsch haben die Götter Unrecht, im erreichten wir
selbst! Nur an Thatsachen lernt sich der Mensch kennen. Nur dem verkörperten
Wunsche gegenüber wird uns das Urtheil, das Gefühl möglich, ob dieser das Maß
unsers Innern wirklich enthielt, oder nicht. Und es ist der gemeinere Mensch, der
diese Frage sich bejaht. Die Besten und Tiefsten geben in ihren erreichten
Wünschen sich am härtesten Unrecht. Mit Schauder und Ekel wenden sie sich von
dem
Diesen Naturzug des menschlichen Herzens müssen wir uns gegenwärtig halten, wenn wir begreifen wollen, mit welchen Gefühlen Moorfeld Tags nach der Landauction in Anhorst's Blockhütte erwachte. Er hatte zum erstenmal auf dem Seinigen geruht, er stand zum erstenmale im Seinigen auf. Aber Alles in ihm widerrief diese Thatsache. Das Wort „Urwald“ tönte fremd und abschreckend im Herzen. Mit Anstrengung besann er sich jetzt auf den Ideengang, den die Entwicklung dieses Wunsches in Europa genommen und — er fand den Faden nicht mehr. Er fühlte sich tief unglücklich. Es war ihm, als sei er kein moralisches Wesen, sondern ein Mechanismus, dessen Bestandtheile eine fremde Hand auseinandergelegt, und er selbst könne sie nicht wieder zusammensetzen. Er wußte nicht, habe er in Europa geirrt, oder irre er heute. In seinem Gemüthe war plötzlich der Grundton verstummt, auf welchem sein Ich und der Urwald sonst im Accorde gestimmt. Er sah seinen Wunsch vor sich nicht wie einen vertrauten, langgenährten Umgang, sondern wie einen zweideutigen Gesellschafter, mit dem man im Taumel Brüderschaft gemacht, und der bei ernüchterten Sinnen in Verlegenheit setzt. Alles ist Mißton hier, den angeklungenen Ton fortzusetzen und auch von ihm abzuspringen. Nach beiden Seiten hin fehlt die Wahrheit, — und so findet sich unser Freund heute in einem Verhältnisse, das eigentlich eine Unmöglichkeit ist.
Als er in früher Morgenstunde vor die Hütte trat, fehlte wenig, daß er nach seinem
gesattelten Pferde gerufen. Er fühlte sich wie ein städtischer Spaziergänger, der
eine Nacht auf dem Lande zugebracht und im jungen Tagesstrahl fröhlich davon
fliegt. Warum er hier weilen sollte, war ihm unverständlich. Er hatte zum
erstenmale eine dumpfe Ahnung davon, was es heiße, den europäischen
Cultur
Moorfeld hatte wenig geschlafen und sein Auge war physisch wie moralisch überwacht, indem er die Scenerie seiner neuen Umgebung jetzt überblickte.
Anhorst's Blockhaus war ein sogenanntes Log shanty und bestand, wie alle Obdachungen dieses primitiven Schlags, aus einer einzigen Kammer. Sie war aus Baumstämmen aufgeführt, welche roh behauen übereinanderlagen, die Zwischenlucken mit Moos und Lehm verstopft oder mit dünnen Holzspänen ausgefugt. Eine der Seitenwände zeigte den Ausschnitt für den Kamin und diese war aus Backsteinen erbaut. In der Nähe des Kamins stand die Bettstelle; ein Tisch und eine Bank von barbarischer Arbeit vollendeten das Ameublement. An den Wänden hingen die Werkzeuge von einem Dutzend Handwerken herum, in denen der Hinterwäldler sämmtlich sein Schüler und Meister zugleich sein muß. Die Diele bestand aus geschlagenem Lehm, die Fenster waren zwei in die Längenseiten der Hütte geschnittene Löcher, statt des Glases mit Holzläden versehen. Die Hütte lehnte sich an den Wald, doch waren die Bäume auf einige Entfernung von ihr weggebrannt. Vor der Hütte lag das Feld. Es war ein wüster Fleck Erde, übersäet mit verkohlten Baumpflöcken, zwischen welchen ein paar spärliche Raufen Getreidegelb fast sich verloren. Das Ganze umgab jener häßliche Zickzackzaun — halb ironisch, wie es schien, denn erst er machte aufmerksam, daß hier überhaupt etwas einzuschließen.
Dieses traurige Gehöft lag in einem Meere von Einsamkeit. Kein Vogel pfiff, kein Hausthier brüllte, wieherte oder krähte in seiner Nähe — die Hausthiere staken im Walddickicht und gaben sich nicht zur ländlichen Staffage her. Es war ein trübseliges Stück Menschen-Existenz. Das Grab eines Unbegrabenen! sagte Moorfeld bei sich. Doch nahm er sich zusammen, um seine Wohlthat nicht selbst zu verkürzen, indem er seine Stimmung verrieth.
Bald erwachte auch Anhorst. Nach den wechselnden Aufregungen von gestern hatte ihn
der Schlaf wie mit eisernen Armen umklammert. Er stand jetzt rüstig da, aber das
Glück seiner neuen Schicksalswendung, ja nur die Frische eines gesunden
Morgengefühls be
Anhorst bemühte sich, seinem „Grundherren“ ein erträgliches Frühstück vorzusetzen und lobte den relativen Werth einiger Kaffeebohnen, über die er verfüge. Moorfeld überreichte ihm seinen ständigen Reisevorrath von Bouillon- und Chokolate-Tafeln. Bei diesem Anblick sah Moorfeld das erste Lächeln auf Anhorst's Miene. „Ach, mein Herr, was sind die Freuden des Einsamen!“ vernahm er's in seinem Innern. Er dachte an den Zellengefangenen in Philadelphia.
Die rauhe Blockhütte duftete bald von dem feinen Arom der Vanille. Moorfeld fing an, von Benthal zu sprechen. Der Dritte ist stets das beste Auskunftsmittel, wo Zwei so vollen oder fremden Herzens sind, daß ihr Gegenüber stockt. Ueberdies stand dieses Thema mit unter den nächsten, welche hier Boden hatten.
Anhorst schien mit Vergnügen von Moorfeld's Plänen zu hören, — mit mehr sogar, als womit dieser selbst in gegenwärtiger Gemüthsverfassung von ihnen sprach.
Er ergriff die Gelegenheit, auch seinerseits mit einem kleinen Projekte hervorzutreten. Durch Moorfeld's Güte, sagte er, habe er den Kaufschilling für sein Grundstück erspart und zur Disposition. Er wisse ihm eine vortheilhafte Beschäftigung. Der Einfall sei ihm schon gestern im Nachhausereiten aufgetaucht. An den oberen Seen ströme jetzt viel Volk zusammen. Ueber weite Distrikte ergieße sich ein Andrang von Colonisten, die Alles bedürften und Nichts hätten. Eine Zufuhr von Saatkorn und Lebensmitteln dahin müsse ungeheuer rentiren. Er hätte Lust, sein kleines Capital in solch einem Versuche arbeiten zu lassen. Er würde an der Erie hinabgehen, unterwegs von den kleineren Farmern, die frühzeitig einärnten, um rasch Geld zu machen, wohlfeiles Neukorn haben können, und damit einen Export nach dem Westen wahrscheinlich höchst lohnend unternehmen.
Moorfeld erstaunte über die Zähigkeit der menschlichen Natur. Sie wagen sich noch einmal auf die hohe See der Spekulation! rief er mit unverholener Bewunderung.
Mit nichten, antwortete Anhorst ruhig. Ich verkaufe gegen Käsch an den Abnehmer, nichts weiter. Ich lasse mich nicht auf Commissionsgeschäften ein, ich gebe nicht Credit.
Aber warum wollen Sie überhaupt wieder handeln? fragte Moorfeld noch immer verwundert.
Anhorst sah ihn groß an. Heißt es denn handeln, wenn man alljährlich einmal eine Ernte zu Markt führt? Und was ist meine Expedition an die Seen? Kommt es doch vor, daß Farmer dieser Gegend sich zur Erntezeit ein paar Hickory's schlagen, ein Boot zimmern, und mit der Frucht den Ohio und den Mississippi hinab nach Neuorleans fahren! Dort verkaufen sie Ladung und Schiff zugleich und machen dann tausend Meilen den Landweg zurück auf einem Klepper, den sie im Süden gekauft haben und hier ebenfalls wieder losschlagen. Das sind amerikanische Marktfahrten, Herr Doktor. Ja, der Bauernstand ist kein Ruhestand bei uns. Hier handelt Alles, was sein bischen Mark noch fühlt. Schlimm genug, wen das Fieber niederknebelt; wer sich aber rühren kann, dem ist die Straße sein Haus; sein Haus nur Absteigquartier.
Moorfeld schwieg. Schlagender konnte das Ungemüthliche des hiesigen Landlebens nicht mehr ausgedrückt werden.
Nach dem Frühstücke sattelte Anhorst sein und Moorfeld's Pferd indem er es nicht anders zu erwarten schien, als daß Moorfeld seinen Kauf jetzt besehen wolle. Moorfeld nahm die Parthie an und verbarg, so gut es ihm möglich war, mit wie wenig Interesse er's that.
Indeß hatte Anhorst doch wahr gesprochen, als er gestern die Gegend von Lisbon und
die hiesige außer Vergleich gesetzt. Wenn Moorfeld einen Molch- und Unkenpfuhl
erwartet hatte, so war wenigstens diese Erwartung übertroffen. Zwar als die
Reisigen ausritten, ging's nicht unmittelbar in den Waldesgrund, der vor ihnen
lag: ein böser Schwaden schlug aus seinen nächtlichen Schattentiefen, der Mensch
und Thier dämonisch anschauerte. Aber Moorfeld wußte, das sei eben der ungesunde
Athem Amerika's in den Früh- und Abendstunden, die denn auch kein Amerikaner „im
Freien“ zubringt, namentlich in der Nähe von Neuboden nicht. Die Reiter traten
ihre Urwaldparthie auf einem Umwege an und dieser war nicht ohne Reiz. Sie faßten
in einem großen Bogen den Wald von der Ostseite, wo die Sonne schon
Anhorst sagte bei diesem Anblicke, er sei schon oft im Begriffe gewesen, dieses Dickicht niederzubrennen, denn das Wasser habe hier einiges Gefäll, was es unterhalb nicht mehr habe, und hier seien die Punkte, wo sich „Improvements“ anbringen ließen. Moorfeld sagte nichts.
So ritten sie in den Urwald. Die Morgensonne stand hinter ihnen und warf ihre
langgestreckten Schatten auf die angeleuchteten Baumstämme voraus, indeß sie die
schweren Walddünste in gefiederten Nebeln vor sich her trieb, und den Wanderern
reine Luft machte. Der Gang durch ein Waldinneres war unserm Helden kein neuer
mehr, und hatte ihn nie europäisch-waldfroh angemuthet. Auch heute that er's
nicht. Die amerikanische Waldphysiognomie hatte für Moorfeld's Auge etwas Hohles,
Starres, Gitterhaftes, da fast überall das Unterholz fehlt, also neben dem
Gewordenen das Werdende. Dasselbe Bild wiederholte sich hier. Die ganze Vegetation
schien ihm fertig wie ein Drahtgeflecht, die Idee des freien Hineinrankens eisern
ausschließend. Dabei mangelte dem Walde aber doch auch der Ausdruck der ruhigen
Größe und Erhabenheit. Die Baumarten standen charakterlos in unendlicher Buntheit
durcheinander. Nicht nur die Zonen der Coniferen und Laubbäume vermischten
sich
Unserm Freunde schnürte aber inzwischen ein anderer Charakterzug des amerikanischen Waldes das Herz zusammen: die eigenthümliche Sang- und Duftlosigkeit. Kein Vogelton belebte das Holz, kein würziger Hauch durchathmete es. Er ritt wie durch ein Schaugericht.
Selbst von Wild fand Moorfeld nichts, als ein zahlreiches Volk grauer Eichhörnchen, das sich auf den luftigen Aesten der Wallnußbäume wiegte und in den dickschaligen Früchten derselben, die kaum der Reife entgegengingen, seine Nußknackerkünste hören ließ. Die Jagd auf dieses „fruchtbare Ungeziefer“, wie Anhorst sich ausdrückte, gehöre zu den ärgsten Tribulationen des Farmers, er müsse jedes Körnchen seines Feldes mit Pulverkorn gegen die Brut vertheidigen. Die vermeinte Jagdlust werde eine wahre Jagdqual im Urwalde. Moorfeld schwieg dazu.
Nach einem Ritt von einer kleinen englischen Meile, den das Paar zwar unbehindert,
doch im Schritt durch den freiwüchsigen Baumschlag zurückgelegt, veränderte sich
die Scene. Der Boden stieg aus dem Ebenen mit einem sanften Schwung empor und auch
Unterholz stellte sich ein. Zwischen den hohen Baumpfeilern drängte sich allerlei
Buschund Strauchwuchs in's Leben, üppige Schling-, Kletter- und Hänge
Nach einer zweiten englischen Meile erreichte man die Platte des Hügels zu dem der undulirende Boden bisher emporgeführt hatte. Moorfeld und Anhorst fanden sich kurz nach einander auf dem Plateau ein. Sie stiegen vom Pferde und rasteten aus.
Die Stelle war schön im Sinne der Wildniß. Einsam, öd, tiefstill, umgeben von der breiten Einförmigkeit des Waldes, welchen sie nirgend dominirte, vielmehr fiel er allseits über sie herein und deckte sie zu, wie ein Geheimniß.
Das Strauchwerk überwucherte die Höhe des Hügels noch so dicht wie den Abhang, doch standen die starken schweren Stammholzbäume hier etwas spärlicher. Dagegen lagen viele Stämme am Boden umgestürzt, verwitternd, zerbröckelnd und neue Schößlinge treibend, — Alles wüst durcheinander. Das Ganze schien die Stätte eines verjährten Windbruches.
Nach der Natur solcher Stätten, welche der Schauplatz einer zeugungsreichen Pflanzenverwitterung sind, war die Waldstelle wahrhaft erstickt von einem prachtvollen Blumenwuchs.
Moorfeld ließ sich auf einen Baumstamm nieder und betrachtete das Spiel eines
Kolibris, der wie berauscht diese Flora durchtaumelte und seine zierliche
Erscheinung als eine willkommene Episode der tiefen Einsamkeit spendete. Anhorst
aber musterte die Ahornbäume,
Moorfeld sah in das braune, zerfurchte Antlitz des deutschen Mannes und sah lange hinein. Wie lange sind Sie schon in Amerika? fragte er ihn.
Fünfzehn Jahre, antwortete Anhorst.
Fünfzehn Jahre! — das ist freilich eine lange Zeit! Er schüttelte die Magnolia mit dem Fuße, daß das Kolibri pfeilschnell davon flog.
Hierauf folgte eine Pause des Schweigens zwischen den Beiden. Zwei Männer, welche
der Zufall an Einem menschlichen Berührungspunkt zusammengeführt, dachten zum
erstenmal, wie man sah, darüber nach, ob sie deren mehrere haben könnten. Moorfeld
fühlte das Bedürfniß dessen, was man in der Sprache der Empfindsamen
Herzensergießung nennt. Wenn es für einen Menschen einnimmt, daß man ihm eine
Wohlthat erweist, so mußte Moorfeld diese Theilnahme für Anhorst haben. Ihm zu
Liebe hatte er ohne alle Wahl sich auf eine Scholle gekauft, die er mit
sorgfältigster Wahl kaufen wollte, und das Bruchtheil, das Anhorst davon inne
hatte,
Moorfeld zog den fremden Mann treuherzig an seine Seite und sagte: Und wie ging es Ihnen in diesen fünfzehn Jahren? Lassen Sie mich hören, wie das Menschenleben auf den Pfaden, auf welchen Sie es durchwandelten, ausgesehen hat.
In den Zügen des Deutschen malte sich's fast wie Schamgefühl bei dieser Aufforderung. Und wie das germanische Auge immer trotzig blickt, wenn das Gefühl an sich selbst erinnert wird und sich zugleich ehrt und verbirgt bei dieser Erinnerung, so sah das blaue Auge des abgehärteten Mannes jetzt mit einem gewissen Barbarismus drein, der im Aeußern Trotz schien, im Innern aber keusche Selbstbewahrung war.
Mit diesem Ausdruck antwortete Anhorst: Sie haben mir gestern Gutes gethan; ich könnte es heute kaum vermeiden, mich so zu schildern, als ob ich's recht sehr werth wäre. Das geht nicht. Aber mein Tagebuch steht Ihnen zu Diensten. Drinn stehen Gott und dieser Bursche hier etwas unparteiischer neben einander.
So eben hab' ich's gelesen, sagte Moorfeld, und drückte dem Manne die Hand. Seine Gefühlsanwandlung war vorüber. Er stand auf und ging weiter mit ihm. Zwischen den beiden Männern war von der Vergangenheit weder in Schrift noch in Wort je wieder die Rede.
Wir werden nicht erwartet haben, daß die Stimmung, in welcher Moorfeld den ersten
Blockhaus-Morgen erblickt, und die wir zu Anfang des Vorigen zu berichten hatten,
die bleibende seines neuen Lebens geworden. Wir haben sie gewiß nur als eine
Krisis erkannt, welche den Wechsel der Gewohnheiten mit Naturnotwendigkeit
begleitet. Diese Krisis ging um so rascher vorüber, je heftiger sie sich
eingestellt. Es ist am dritten Tage und wir finden Moorfeld's Gemüth wieder im
Gleichgewichte. Die Schauder der Fremde haben sich gemildert, die Liebe zum
Eigenthum ist erwacht. Moorfeld fing an, seinem Boden entgegen zu kommen. Lag er
auch nicht im schönen Ohio- oder Miami-Thale oder am waldreichen Gestade des
majestätischen Erie-Sees, so hätte eine reizvollere Außenseite leicht auch als ein
Werkzeug der Landspeculation dienen können, um mancherlei innere Schäden damit zu
vergolden, wogegen die umsichtigste Auswahl zuweilen nicht schützt. Moorfeld's
blinder Griff aber — Alles in Allem — war kein verfehlter. Erst indem er sein Land
mit eigenen Augen sah, indem er das Geschäft des Ankaufes ratificirte und die
betreffenden Documente eines näheren als flüchtigen Zuschauerblicks würdigte, ging
ihm der Begriff des Geschehenen in einem befriedigenden Bilde auf. John
Stutering's sogenanntes „Loos“ war ein Complex von zwei „Sectionen“ d. h. eine
Bodenfläche von tausend achthundert zwanzig Acres. Das ungefähr war eine der
größten Realitäten, welche zu dem gleichen Preise erreichbar. Dieser Boden
bestand, wenn nicht aus einer romantischen, doch nützlichen Mischung von Wald und
Prairie und war, wie Baum- und Graswuchs zeigte, im Ganzen betrachtet,
vortrefflich. So kam es, daß Kenner — unparteiische, oder vielmehr eifersüchtige —
den Erwerb des neuen Gentleman-Farmers leicht auf den doppelten und dreifachen
Werth schätzten, wozu besonders politische
Diese Raschheit des Herzens lieh dem Ankaufe Moorfeld's übrigens doch auch einigen Werth. Und konnten wir gleich nicht so prompt, als Moralisten vielleicht erwarteten, mit dem Geständniß herausrücken, daß „das Bewußtsein einer guten That“ ihn für sein Grundstück mit jener Selbstverliebtheit eingenommen, welche gewisse Menschen als „Lohn der Tugend“ in Cours bringen möchten: so fing dieses Bewußtsein doch an, freundlich nachzuwirken, nachdem die Abstoßungskraft des ersten Eindrucks der Natur ihren Tribut gezollt. Moorfeld hatte die Genugthuung, das, was noch Liebhaberei an seinem Unternehmen gewesen, die Auswahl der landschaftlichen Lage, einem reinen realen Bedürfniß geopfert zu haben. Damit war das letzte Moment des Gefühligen von seinem Unternehmen abgestreift, damit erst war es ganz That. Und da vor Geistern seines Rangs die That überhaupt gut ist, so fühlte er diese gute That jetzt, wenn nicht mit der Süßigkeit des Tugendphilisters, doch wie einen frischen stählernen Luftstrom, der all seine Nerven ausheiterte. Er war im Fahrwasser der Unternehmungslust.
Zwar die eigentlichen Geschäfte der Besitzergreifung, die Pläne und Arbeiten der Colonisation, konnten jetzt noch nicht beginnen; Anhorst machte seine Marktfahrt und Benthal war noch nicht da. Moorfeld fand sich vorläufig auf Ferien gesetzt. Aber als ein guter Wirth, der zum Ernste seines Haushalts entschlossen ist, wollte er diese Ferien nicht ungenützt verpassen. Was einem Manne, der zu existiren gedenkt, außer seinem eigenen Schwerpunkte das Wichtigste sein muß, das ist seine Umgebung. Moorfeld verlegte sich zum Erstlings-Anfang auf die Kenntniß seiner Nachbarschaft.
Der nächste Nachbar war ihm Anhorst selbst. Mit diesem Manne ging es ihm
sonderbar. Wir haben bei Gelegenheit der Landauction bemerkt, daß sein erster
Anblick ihm einen fast chevaleresken Eindruck gemacht. Moorfeld verwunderte sich,
daß dieser Eindruck nicht wieder kommen wollte. Er vergaß, daß das ausgefieberte
dollarhungrige Volk der Yankee-Bauern damals sein vortheilhafter und daß er selbst
jetzt sein verdunkelnder Contrast sei. Was von Anhorst auf der Oberfläche seines
Lebens zu erblicken, das war und blieb der Nützlichkeitsmensch. In den ersten
Tagen und Stunden zwar hatte Moorfeld alle Ursache, sich dazu Glück zu wünschen.
Anhorst assistirte ihm bei dem Abschlusse seines Kaufes und dem ganzen
Notariatsgeschäfte auf dem Landamte zu Lisbon, er ritt mit ihm auf die Hofstellen
der Nachbarn und machte ihn mit den Communalangelegenheiten des County bekannt, er
half ihm die vortheilhafteste Lage zum Neubau eines Farms wählen und stellte ihm
den ganzen Schatz seiner praktischen Erfahrungen zur Verfügung, worauf es in
Moorfeld's gänzlich neuer und fremdartiger Lage so wesentlich ankam. Er legte
selbst wieder Hand an Axt und Säge und hatte im Nu sein log shanty um eine Kammer
erweitert, da Moorfeld bis zur Anlegung einer größeren Hofstelle vorläufig bei
Anhorst wohnen blieb. Kurz, er sorgte für ihn, wie ein älterer Bruder für den
jüngern, ja, um ein weichlicheres Bild nicht zu scheuen, wie eine Mutter für ihr
Kind. Aber das Alles that er, nicht weil es freundlich, sondern weil es —
zweckmäßig war. Er that es, wie die Alpenrose blüht oder die Erdbeere reift, auch
an Orten, wo kein Mensch ihrer genießt. Moorfeld fühlte sich kaum Gegenstand
davon. Denn ein andermal konnte Moorfeld mit ihm einen Ritt machen, vertieft in
die warme begeisterte Ausführung irgend eines Lieblingsgedankens — ihn treulich
anzuhören wäre nur der allergewöhnlichste Gemüthsinstinct gewesen. Aber Anhorst
war im Stande, mitten in solchen Ergießungen den nächstbesten Begegnenden
anzureden: was das Bushel Weizen in Cleveland mache, und ob es wahr sei, daß Mr.
Youatt's Durham-Kuh zu Petersburg eben so gut milche, als Mr. Berry's Ayrshire-Kuh
zu Neu-Alexander. Daß man aus freundschaftlicher Aufmerksamkeit die ökonomische
auch einmal opfern könne, schien nicht in der Begriffssphäre dieses streng
geschulten Mannes zu liegen. Moorfeld achtete ihn deswegen nicht geringer. Er
fühlte,
Ueber seine Blockhütte hinaus wies die ökonomische Magnetnadel vor allem Andern nach Neu-Lisbon. Dort war der Pol für den Landverkehr seines „Townships“. Das sociale Terrain dieser Stadt nahm somit den nächsten Rang unter den Gegenständen seines Interesses in Anspruch.
Leider lag dieses Element in bodenlosester Trübheit. Die Zustände von Neu-Lisbon gehörten zu jenen sittlichen Erscheinungen, welche man nach Jahren nicht durchschauen lernt, aber auf den ersten Augenblick erräth. Zweideutig ist der rechte Ausdruck für das Costüm solcher Mysterien.
So liefen z. B. alle Fäden, denen Moorfeld nach einer greiflichen Autorität zu
Neu-Lisbon nachging, in dem Kramladen des dasigen Storekeepers, Mr. Clahane,
zusammen, und gruppirten sich um Fässer voll Schmierseife, Butter,
Schweineschmalz, Whisky, Syrup, Zucker, Kaffee, Mehl, um Haufen von Stiefeln und
Schuhen, Röcken und Beinkleidern, Mützen, Umschlagtüchern, Sätteln, Zäumen, Eisen-
und Blechwaaren, und — um eine schmutzig abgegriffene Brieftasche. Diese
Brieftasche war der eigentliche Dämon des Orts. Sie war der Sitz jener
geheimnißvollen Kraft, welche in Afrika Fetisch, in Amerika Humbug heißt. Was sie
enthielt wußte Niemand. Sie enthielt eine lebendige Spinne. Das Netz dieser Spinne
war nichts weniger als NeuLisbon selbst, die Grundfäden dieses Netzes waren
vielleicht angeknüpft in Neuyork, in Baltimore, in Philadelphia, — wer weiß es?
wer hat der Organisation der amerikanischen Landjobberei je auf den Grund
geblickt? Wer kann sagen, daß Mr. Clahane von der geheimen Polizei
der
Nächst diesem Würdigen war es ein Hochwürdiger und ein Ehrwürdiger, welche sich in
die Herrschaft Neu-Lisbons theilten. Die Bevölkerung von mehreren hundert Seelen
bestand nämlich aus zwei Confessionen: Katholiken und Methodisten. Der „Pater“ der
Ersten und der „Reverend“ der Zweiten trübten nun weiterhin die trüben
Verhältnisse dieser Stadtschaft. Die Herren bekämpften sich — wir würden sagen auf
Leben und Tod, wenn die Redensart nicht zu europäisch wäre. Aber der Amerikaner
bekämpft sich nur auf Leben allein. Die beiden Pfaffen gingen nicht auf ihre
gegenseitige Vernichtung, sondern Ueberbietung und Steigerung aus. So hatte der
katholische sein Gotteshaus erst kürzlich in einem Style aufgebaut, der es
zum
Daß Moorfeld nun zu diesen Ortsautoritäten kein Verhältniß haben könne, stand so ziemlich in der ersten Stunde fest. Die beiden Pfaffen verketzerten ihn gleichzeitig. Der Methodist haßte ihn als einen „Papisten“ und der Katholik verschrie ihn gar als „Atheisten“, weil Moorfeld als neu ankommender „Sohn der Kirche“ versäumt hatte, ihn zum Thee auf seinen Farm zu bitten, was des Paters erster Gedanke, aber Moorfeld's allerletzter war.
Auch von Mr. Clahane, sagte Anhorst, haben wir wenig Gutes zu erwarten. Meine
Marktfahrt an die Seen wird ihm als Con
Ueber Lisbon hinaus verengerte sich der sociale Horizont jener einsamen Gegend. Die übrigen Waldnachbarn Moorfeld's waren es nur sehr relativ, denn der nächste lag noch immer zehn Meilen fern. Wir werden nicht Ursache haben, Moorfeld's Runde durch dieselben auf jedem Schritte zu begleiten, da weder der rohe Styl dieser culturlosen Farmen, noch das stumpfe Menschenthum ihrer Inhaber ihm irgend ein nennenswerthes Interesse abnöthigt. Doch wollen wir einzelne seiner Besuche nicht mit Stillschweigen übergehen.
Gleich den ersten können wir mit seinen eigenen Worten nach einem Briefe an Benthal erzählen. Noch war unser neuer Ansiedler nicht dazu gekommen, die Geschichte seines Ankaufs, die Charakteristik von Neu-Lisbon, von Anhorst u. s. w. zu Papier zu bringen, als er sich eines Tages hinsetzte, und folgende Zeilen niederschrieb:
Eine kleine Liebschaft! daß mir aber Möwe ja nicht eifersüchtig wird! Anhorst war
nach Neu-Lisbon geritten in Besorgung einiger Allotria zu seiner Marktfahrt. Ich
saß in meinem Blockpalast allein, spielte Violine, concipirte in Gedanken ein paar
rückständige Briefe an Dich, welche dem gegenwärtigen vorzudatiren sind und,
will's Gott, nächstens auch dran sollen. Aber noch binden sich meine Lebensgeister
schwer an's Haus, ich warf Violine und Concepte bald hinter mich, und trabte auf
ein paar Meilen in's Freie hinaus. Ohne meinen Stallmeister sollt' ich's freilich
bleiben lassen, meine wilde Grafschaft zu inspiciren; das Ländchen hat so wenig
Weg und Steg als der blaue Himmel, oder das grüne Meer. Es ging mir auch darnach.
Denn kaum hatt' ich den Platanen und den Fichten, den Eichen, Gummi- und
Eisenholzbäumen ꝛc. ihren sechstägigen Herrn und Meister in verschiedenen Façaden
gezeigt, als ich mit meinem Cäsar vollkommen im Irren trieb. Es ging wie mit einem
Zauber zu, daß ich mich plötzlich in wildfremden Bezirken sah. Ich war einem Bache
gefolgt, welchen ich lange für meinen Bach hielt, denn es ist merkwürdig wie
gleich sich hier alle Naturansichten sind. Die stille Quellrinne führte mich aber
allmälig tiefer in das Geholz anstatt auf meine Boccage heraus; ich setzte ein
paarmal über, je nachdem mir dieser
Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Wesens und mein Auge
erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein Kind, welches Hühner aus dem
Walddickicht zu locken schien. Voll Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß
und Reiter nicht sobald gewahr wurde, als es emsig die Flucht ergriff. Mir aber
war der Fund zu kostbar. Und mußte ich mir meine Wegweiserin erst erjagen, so
bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich sprang vom
Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das rothe Röckchen mit
lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere waren glücklicher als erstere,
denn bald ergriff ich mein kleines scheues Waldfräulein in der Höhlung eines
kurzen und dicken Papawstammes, wohin sie zuletzt — für das Auge gar zierlich —
ihre Zuflucht genommen. Sie sah wirklich wie die Seele des Baumes aus, so zart und
geistig stand sie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie im Kirchenstyl gemalt.
Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund mit klugem Stutznäschen und braunen
Rehaugen — nein, ein ernsthaftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener,
nachdenklicher Nase, großem, wasserblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken
gelb wie der Mondschein und ein langes schweres Gehänge. Kurz, ein Charakterbild
echten germanischen Magdthums. Ich redete sie auch sofort
Das nun war meine Erlöserin aus den Wirren dieser Waldfahrt. Wir ließen die Eier
Eier sein und machten uns nach Annettens Heimwesen auf. Ich nahm die Kleine vor
mich auf's Pferd, und sie gab
Der Hufschlag lockte schon von Weitem die Eltern vor das Haus. Sie sahen verwundert ihr Kind zu Pferd ankommen, das zu Fuß ausgegangen war.
Ich gab kurz meine einfachen Erklärungen.
Ich kann nicht sagen, daß ich im ersten Augenblicke besonders gastlich angesehen war. Der Deutsche in Amerika hat immer etwas — Verschämtes oder Abstoßendes, wenn er auf seinem einsamen Hof überrascht wird. Und Westphälier sind schon von selbst nicht die infinuantesten Menschen.
Der Mann sah mich aus harten und scharfen Zügen, wie aus einer eisernen Maske an. Er war schlank und hoch gewachsen — eine lebendige Lanze. Seine Hakennase eine wahre heraldische Siegelprobe von Energie und Charakter, sein Blauauge treu, wie der sicherste Ankergrund. Die Mutter eine blasse, reine Frau, eine Erscheinung wie ein Stück Damast. Ganz wie ich sie gedacht. Sie war ohne Zweifel eine Honoratiorentochter ihrer einstigen Heimat. Der Vater Teutoburg, die Mutter Bielefeld, würde dieses westphälische Paar ein neumodischer Jung-Deutscher in seinem Ideen-Assonanzen-Etyl charakterisiren.
Die Frau wartete das Benehmen ihres Mannes ab und der Mann mein eigenes. Beide empfingen mich eigentlich gar nicht; es mußte sich aus mir selbst zeigen, „was für ein Vogel ich sei”.
Ich sprach natürlich von ihrem Kinde, der nächsten Veranlassung dieses Rendezvous, und erkundigte mich, wie es hier um die Schule stehe. Diese praktische Frage schien den Nagel auf den Kopf zu treffen. Ich konnte sogleich sehen, daß man damit zufrieden war. Vor Allem seufzte die Mutter lebhaft und antwortete: das sei allerdings traurig. Eine deutsche Schule bestände nicht in der Gegend und zu den Engelländern schicke man seine deutschen Kinder gar zu schwer, sie lernten nur ihre eigenen Eltern verunehren.
Ich erbot mich sofort zu Annettens Lehrer.
Die Frau sah ihren Mann an und der Mann hatte offenbar was gehört, „was sich hören ließ”. Ob ich gut lutherisch sei? war seine erste Antwort darauf.
Doctor Luther hat auch für mich gelebt, sagte ich, nicht ohne einige Verwirrung, und war froh, daß mir die Phrase so durchging. Es geschieht Einem doch ganz eigen, wenn man mit seiner weitschichtigen Aufklärung so knapp-positiven Gemüthern confrontirt ist! Verschiedene Stände sind verschiedene Jahrhunderte.
Wir verständigten uns. Ich habe nun eine Anstellung im Urwalde, — ich bin Erzieher. Wahrlich, das kleine Abenteuer freut mich mehr, als es scheinen mag. Ich bin, wie du weißt, Kinderfreund. Freilich hat mir eine geistreiche Frau einst gesagt: dann sind Sie Menschenfeind, und ich war wie vom Blitz gerührt, daß sie Recht hatte. Aber ist's meine Schuld? Ich läugne es nicht, die Kinder repräsentiren mir die Menschheit reiner als die Erwachsenen. Der muthige Knabe entartet zum servilen Unterthan, und wie selten findet das Mädchen zwischen Prüderie und Koketterie den Begriff der Weiblichkeit. Blüthen siod Bienenkost, ausgewachsene Frucht oft nicht Schweinekost. Die Nähe dieses Kindes soll mir wohl thun. Ich nehm's wie ein glückliches Unterpfand von dem Gott, der mich hierhergeführt.
Nächst dieser Bekanntschaft, die unsern Freund so sehr anmuthet, wollen wir von seinen übrigen Nachbar-Besuchen noch zwei erzählen, zwar nicht ihrer Anmuth wegen, sondern weil sie sonst nicht ohne einiges Interesse an ihm vorübergingen. Moorfeld machte sie beide Tags nach dem hier mitgetheilten Begegniß und diesmal in Anhorst's Begleitung.
Auf dem Wege sagte Anhorst: die Farm, die wir zunächst besuchen werden, gehört einem Amerikaner, Mister Thorne. Wir werden ihn selbst nicht zu Hause treffen — er ist seit einigen Wochen auf irgend ein Busineß abwesend. Indeß lohnt es sich doch den Gang dahin. Er hat einen Knecht, oder „hand” wie man hier sagt, der eigentlich ein Tischler und zwar ein vorzüglicher deutscher Arbeiter ist. Wenn Sie sich einzumöbliren gedenken, so können Sie mit dem Manne gleich Rücksprache darüber nehmen. Er ist auf sein Handwerk sehr zu empfehlen.
Dann sitzt er wohl auch nicht aus Geschmack am Landleben hier? sagte Moorfeld.
Gewiß nicht, antwortete Anhorst.
Können Sie mir seine Geschichte erzählen?
Geschichte eben nicht, aber eine Anekdote daraus, den Dirty job, der ihn zunächst hieher verschlug. Indeß, solche Sachen spielen ja täglich und stündlich.
Lassen Sie immer hören, forderte Moorfeld.
Und Anhorst erzählte, indem der Weg eine reizlose Gegend durchmaß:
Es war drüben in Pennsylvanien im Mercer County, Stadt Mercer. Dort hatte ein Mr.
Baine für einen Kaufmann, ich weiß nicht mehr welche Arbeit übernommen, einen
Neubau oder Anbau seines Ladens, gleichviel. Mr. Baine war aber mehrerseits
beschäftigt, und übertrug die Arbeit an Herrn Rapp, unsern deutschen Tischler. Man
machte einen Accord auf 38⅜ Dollar, mit der Bedingung, daß der Bau in einer
bestimmten Zeit, sachgerecht und zur gänzlichen Zufriedenheit des ursprünglichen
Contrahenten, des Kaufmanns, zu vollenden sei. Das geschah. Unser Tischler plagte
sich zwanzig Tage lang unter der heißesten Augustsonne, und stellte sein Werk her.
Als er zu Ende war, forderte er von Mr. Baine seine accordmäßigen 38⅜ Dollars. Mr.
Baine beanstandet die Bezahlung, da man ja erst das Urtheil des Kaufmanns, der
eben verreist sei, abzuwarten habe. Der Kaufmann kommt, und unser Rapp, der sein
Geld braucht, bittet jetzt diesen darum. Der Kaufmann natürlich wendet ihm einfach
den Rücken: er kenne ihn gar nicht, er habe nichts mit ihm zu thun. Der Tischler
geht wieder zu Mr. Baine. Dieser antwortet: er habe mit dem Kaufmann Rücksprache
genommen, und gehört, daß die Arbeit keineswegs probehaltig sei. Der Deutsche
merkt jetzt, worauf es abgesehen, und nachdem er erst noch zwischen dem Kaufmann
und Mr. Baine ein paar Wochen lang hin und wieder gelaufen, reicht er endlich
seine Rechnung klägerisch ein. Zu Ende October erhält er den Termin. Mr. Baine kam
mit seinem Advocaten, der Kaufmann mit einem Comitee von „sachverständigen und
unparteiischen“ Zimmerleuten. Der Deutsche kam allein. Er mochte bei so klarem
Rechte einen Advocaten für überflüssig halten, oder die Kosten schwer empfinden,
genug, er vertraute sich. Die Verhandlung beginnt. Der Advocat der Gegenpartei
liest den Contract zwischen Mr. Baine und Herrn Rapp vor, hierauf wird der
Kaufmann vereidigt und befragt, ob er mit dem Bau zufrie
Anhorst hatte inzwischen Moorfeld's Pferd in's Auge gefaßt, und machte jetzt einige Bemerkungen über die incorrecte Schule desselben. Freimüthig antwortete Moorfeld: Nicht doch, nicht doch! Wir müssen solche Geschichten künftig nur zu Fuß erzählen.
Schweigend erreichte das Paar die Farm. Man fand den Tischler Rapp beim Ausbessern des Fenzenzauns, den ein paar muthige Bullen über Nacht eingerissen. Schon aus der Ferne hatte man ihn die schweren Pflöcke einrammen gehört. Es war ein Mann von mittlerer Statur, die Haare schon hoch in dem Scheitel ausgefallen, der Körper ein wenig gebeugt, und wie es schien nicht mehr allzu kräftig. Sein Gesichtsausdruck war unbeholfene Arglosigkeit und ein tüchtiges, aber beschränktes Selbstvertrauen. Moorfeld fand ganz das Charakterbild aus jenem Processe in ihm.
Er fing ein Gespräch mit ihm an, das sich, wie es in deutscher Zunge geführt ward, zunächst auch auf deutsches Heimathsandenken bezog. Die Augen des Tischlers leuchteten wie trunken, und aus tiefster Seele brach er in den Ausruf aus: Ach, hätten wir in Deutschland Gewerbfreiheit, es wäre das erste Land in der Welt! Und die politische Freiheit Amerika's ist Euch gleichgiltig? sagte Moorfeld, — indeß mehr um die Begriffe des sogenannten gemeinen Mannes darüber kennen zu lernen, als in irgend einer directen Absicht.
Politische Freiheit, erwiederte der Tischler — wo ist sie denn? und blickte dabei
um sich, wie um ein verlorenes Taschenmesser, — ich seh nichts von. Ich war in
Pittsburg als sie im vorigen Jahr den Präsidenten wählten, — Prügeln sah ich wohl,
aber keine Freiheit. Da liefen sie die eine Straße herauf mit schwarzen Cocarden
und die andere Straße mit rothen, und wie sie an der City-Hall zusammen stießen,
ging der Tanz an. Es war ein Crawall — Riot heißen sie's — von einigen tausend
Personen, und da wählten sie den Präsidenten, daß man bis in die Nacht die
Pistolen hörte, und das Blut lief herum wie in einem Schlachthaus. Es sind gar
unbändige Menschen hier. Wo wir Deutsche einen Wortwechsel führen, da rennen sie
gleich mit Messern und Schießgewehr gegen einander los. Immer geschossen, immer
gestochen! Wie das unvernünftige Vieh! Es ist, als ob sie gar nichts im Schädel
hätten, alles in der Faust. Nein, Gott weiß, ich habe einen Ekel an den großen
Städten. Aber auf dem Lande sitzt die Freiheit eben auch nicht zu dick. Bäume
umhauen, Fenzen machen, Blockhäuser bauen, Wild schießen, Vieh hüthen, das ist die
erste Freiheit. Man sieht die Leute wie Sclaven sich rackern, wer nie in der Näh
war, hat keinen Begriff von. Dabei wohnen sie halbe Tagreisen auseinander, und
kommen sie zusammen, so versteht oft keiner den andern nicht, die ganze Gemeind'
ist neunerlei Volk. Das macht sich dann irgend ein verlaufener Yankee prächtig zu
Nutzen. Der thut in solch einer Wüstenei einen Storeladen auf, und damit ist er
König. Vom Kleinsten bis zum Größten, Alles, was der Mensch braucht, führt er in
seinem Kram. Wer nicht fünfzig Meilen weit in die Stadt fahren oder reiten will,
der findet jeden Brettnagel bei ihm, und jede Zwiebel nimmt er an Zahlungs Statt
an. Die ganze Gemeind' steht in Rechnung bei ihm, er spielt absolut den Meister.
Der hat dann die Stimmen von selbst. Ich möcht's Keinem rathen, und ihm die Wahl
verweigern. Diese Rackers sind meistens auch Postmeister, und so ein Kerl ist im
Stand und hält Einem die Briefe auf, wenn man ihn nicht auf den Stimmzettel
schreibt. Ja, ja, das thun sie. Sie sind wie Räuber, sie erlauben sich Alles.
Einem Amerikaner ist jedes Mittel recht. So bringen es die Leute von Amt zu Amt,
die Gegend wird volkreicher, es kommen oft die besten Köpfe heran, aber der
Ladenhalter hat für ewige Zeiten das Prä. Hat er vielleicht noch
einen
Moorfeld hörte diese Rede mit Staunen an. Sein Blick fiel zum zweitenmale, aber mit einem ganz andern Ausdruck auf den armen Tischler. Er erfuhr hier von Neuem, wie fähig der Deutsche sei, objective Verhältnisse groß und richtig zu beurtheilen, und wie wenig Mangel an Weltklugheit in seinen persönlichen Angelegenheiten einen Schluß auf sein übriges Denkvermögen zulasse. Eh er die Farm verließ bat er den Tischler, er möge es ihm wissen lassen, wenn der Eigenthümer des Farm ihm etwa einen längeren Dienstcontract anbieten wolle. Der Tischler sagte es unter frohen Ahnungen zu.
Nach diesem Besuche lenkte das Paar wieder dem Heimwege zu, — Moorfeld fragte im Vorbeigehen: Wer kommt morgen dran?
Wären wir gemeldet, antwortete Anhorst, so könnten wir noch heute hinüber reiten; von hier sind's nur fünf Meilen, und vom Hause weg fünfzehn. Aber, es wird Abend, wir kämen direct zum Thee, und sind nicht gemeldet.
Moorfeld blickte groß. Thee? gemeldet? Mich dünkt, wir sind im Hinterwalde.
Wir, aber Lady Brubaker nicht, oder vielmehr Lady Morgan, wie sie sich nach der hiesigen Gewohnheit, europäische Namengrößen zu adoptiren, nennt.
Diese Lady Morgan ist wohl eine betrübte Wittwe?
Doch nicht, Herr Doctor, sie ist die Frau eines deutschen Narren, Michael
Braubacher, der sich aber yankeesirt hat und nun Brubaker pronocirt wird. Ein
trauriges Hauswesen! und aufrichtig gesagt, ich selbst ließ' es links liegen; es
regt sich die Galle, nur dran zu denken! Der Mann hat bei einem Bankrott ihrer
Familie in Newyork sein Vermögen eingebüßt, die Humbuger von Schwäger und
Schwiegervater treiben sich nun in aller Welt herum, während er selbst noch
immer
Anhorst wunderte sich, daß während dieser Worte auf Moorfeld's Lippen ein — Lächeln entstanden. Es spielte freilich ein wenig in's Diabolische, aber er hatte sich auf ein zornvolles: Rechts um! gefaßt gemacht.
Moorfeld dagegen sagte: Reiten wir hin!
Anhorst blickte ihn fragend an, erwiederte aber nichts. Er fühlte, er kannte seinen Mann noch viel zu wenig, um sich über das, was Widerspruch schien, oder nicht, ein Urtheil zu erlauben. Hatte er doch das Seinige gethan! —
Die Wanderer trabten frisch zu und erreichten Braubacher's Farm noch im vollen Tageslichte. Es war ein kahles Gehöft, ganz im lieblosen Yankeestyl. Keine lebendige Feldhecke, kein Baum vor dem Hause, keine Blume am Fenster, nichts, was den schönen Natursinn eines Deutschen verrieth. Sie traten ein. Die Hütte war noch roh genug und durfte vielleicht nur darum nicht mehr Blockhaus heißen, well sie zwei Wohnräume enthielt. Und einer davon nannte sich auch richtig „Parlour”.
Die Ankömmlinge waren so glücklich, Mister und Mistreß zu Hause zu treffen. Nach den ersten Begrüßungsformeln führte Anhorst, auf einen Wink Moorfeld's, den Mister zu einer landwirthschaftlichen Umschau vor das Haus und Moorfeld blieb mit der Mistreß allein. Die Hinterwäldler-Hausfrau wiegte sich in ihrem Schaukelstuhl und — garnirte ein Bonnet.
Moorfeld lobte das Häubchen im elegantesten Englisch. Er zeichnete der Lady Morgan sogleich auf ein Pergamentblättchen seines Notizbuches das Muster eines Bonnets von Madame Dasse in Paris vor, welches kurz vor seiner Abreise nach Ohio den Ton der diesjährigen Saison angegeben. Der Stoff glatter Tüll, erklärte er seine Zeichnung, rechts eine Bausche mit einigen Rosen, links zwei Marabouts an die Wange herabfallend, hinten eine weiße Atlasschleife. Der Fond recht tief am Scheitel zu tragen, mit einer Neigung gegen die Stirn wäre es provinziell.
Die Lady Morgan maß ihren Gast mit erstaunten Blicken. Aber Moorfeld beherrschte
seine Miene vollkommen. Die Dame merkte nichts und war ehrlich genug zu seufzen,
das reizende Modenbild werde sich in dieser „verdammten Wildniß“ leider nicht wohl
präsentiren lassen. Moorfeld seufzte mit. Er heftete sein Auge mit einem
bedeutungsvollen Ausdruck auf die arme Leidende, und warf, gleichsam vom Mitgefühl
abgepreßt, das Wort hin: Es könnte in Kurzem sich Vieles ändern in dieser Wildniß.
Mrs. Brubacker blickte aufmerksam. Es ist wahr, es werden neuester Zeit starke
Landkäufe hier gemacht, sagte sie, zweifelhaft was sie eigentlich zu sagen habe.
Mein Ankauf ist nicht der Rede werth, antwortete Moorfeld, ohne Umstände das Wort
auf sich beziehend, und mit der vornehmsten Gleichgiltigkeit. Aber für eine Probe,
fuhr er fort, bedurfte es einstweilen nicht mehr. — Für eine Probe? Von welcher
Probe sprechen Sie, Sir? fragte Mrs. Brubacker, indem sie anfing ganz so gespannt
zu werden, wie Moorfeld beabsichtigte. Moorfeld schien zerstreut und tändelte mit
dem Bonnet. Wie hübsch sich das in einem elegant decorirten Salon, unter
strahlenden Girandolen und Candelabern, zur Tanzmusik eines guten deutschen
Orchesters ausnehmen wird! fantasirte er wie im Traume vor sich hin. Die
Farmersfrau machte ungeduldige Bewegungen. Ihr Geist ist bei deutschen Geigen und
Flöten, mein Herr! sagte sie empfindlich, aber doch nicht ohne ahnungsvolle
Aufregung. Ah, Madame, Sie sind nicht für den Urwald geboren! fuhr Moorfeld
plötzlich auf und sah seine Wirthin mit jener Dreistigkeit an, die den Cavalier
als Galan der Bürgersfrau auszuzeichnen pflegt. Die Newyorker Kaufmannstochter
hatte darüber auch, wenn nicht ein deutliches Gefühl, doch eine dunkle Ahnung und
versuchte eine Miene aus den
Was ich da von Flöten und Geigen fantasirte, rückte er vertraulich heraus, ist nicht ganz ohne. Wenn Sie mich nicht verrathen, Madame, so will ich Ihnen ein Geheimniß ausplaudern. Geheimniß eigentlich nicht. Es wird bald genug Stoff der Tagespresse sein. Aber eine Dame von so gutem Geschmack — das Getändel mit dem Bonnet dauerte fort — ist im Grunde näher dabei interessirt, als die dumme Publicistik, die nicht überall so ungalant sein soll, den Vortritt zu haben. Lady Morgan horchte hoch auf. Eine Gesellschaft deutscher Edelleute — lassen Sie mich das Wort nicht entgelten, Verehrteste, es klingt barbarisch, ohne Zweifel, aber wer das Unglück hat, mit dem Adel behaftet zu sein, leidet mindestens an einem unverschuldeten Unglücke; er verdient weniger den Abscheu als das Mitleid aufgeklärter Republikaner. Ich bin nicht republikanisch gesinnt, sagte Lady Morgan verlegen lächelnd. All men are equal, ist nicht all women. Frauen sind dem Principe der Gleichheit nicht hold. — Mon Dieu! rief Moorfeld, dann hört die schönere Hälfte der Union auf Republik zu sein; und Lady Morgan mußte sich's schon gefallen lassen, eine leichte Artigkeit in einer boshaften Wendung gegen ihr vergöttertes Vaterland hinzunehmen. Moorfeld fuhr fort: Eine Gesellschaft deutscher Edelleute, disgustirt von der Juli-Revolution, gerieth auf den Einfall, sich ein Reduit, eine Art Adelscolonie in Amerika zu gründen, wenn das erkrankte Jahrhundert einst die Hahnemannische Cur empfehlen sollte, einer deutschen Republik in eine amerikanische zu entfliehen. In der Wahl des Orts wollten wir die alten Bourgeoisstaaten des Ostens wie die langweiligen Wüsteneien des Westens gleichmäßig vermeiden und entschieden uns zunächst für Ohio. Doch, um die ganze Wahrheit zu sagen, gestehe ich allerdings, daß noch zwei Versuche in zwei andern Staaten gemacht sind. Mein Probekauf ist nur einer von dreien.
Wir Drei werden nun — das ist der Plan — als gewöhnliche Farmer wirthschaften, und
ohne alles Aufsehen unsere Lokalverhältnisse beobachten. Nach Jahresfrist schicken
wir dann unsere Berichte ein, und
Moorfeld weidete sich an dem Schuß, der der erschrockenen Lady fast persönlich durch den Leib zu gehen schien; dann fuhr er, sich leicht auf dem Stuhle wiegend, zu plaudern fort: In eben so großem Styl aber reizender für Frauenohren war jenes Impromptü, welchem ich selbst diesen Winter in Paris beiwohnte. Unter den Feinen der Feinste, unter den Brüsken der Brüskeste — der Graf ist wie sein Boden. Zu einem Maskenballe der Herzogin von — Livadien, lassen Sie mich sagen, denn die enthusiastische Philhellenin hieß in der That scherzweise so — hatte ein Kränzchen der fashionablesten Cavaliere gewettet, wer unter ihnen in der kostbarsten und originellsten Maske erscheinen würde. Der Reichsgraf setzte zum Besten Griechenlands Zwanzig Tausend Francs, daß er die Wette gewinnen wolle. Er erschien aber im Habit eines — Hausirers, trug das Tuch und die Wäsche eines servirenden Laden-Commis, dazu nur noch am grünen Bande seinen Tabulettkasten von Ebenholz vor sich an der Brust. Mit diesen Kasten promenirte er ausrufend durch die Appartements — Messieurs et Mesdames, achetez, achetez, s'il vous plait! Objets de toilette, objets de fantaisie, bijoux, parfums, avancez, Messieurs et Mesdames!
Lachend und glossirend drängten sich die reizenden Damen des Balls um die drollige
Charaktermaske, der Graf theilte nach links und rechts seine Quelquechoserien aus,
und die Waare fand um so schnelleren Abgang, als man sie ohne Zweifel für unächt
hielt. Aber, — welch ein angenehmes Staunen wogte, erst flüsternd, dann laut und
immer lauter, durch die Säle, als man die Entdeckung machte, daß der blitzende
Inhalt der vielerlei Schächtelchen und Kästchen, daß die Bonbonnièren mit
Türkissen oder Rubinen, die Ringe und Ohrringe, die damascirten Flacons mit ihren
Steinen, die reichbesetzten Damenuhren von Breguet, die Colliers von Bot, mit
großen Chrysoprasen geschmückt, die massiven antik gearbeiteten Armspangen, die
modernen Berliner Eisengürtel mit Sapphiren oder Amethysten à jour gefaßt, kurz,
daß
In diesem Augenblicke kam Mr. Braubacher mit Anhorst zurück, hinter ihnen zwei schmalleibige Knaben mit matten Augen und bleichen Gesichtern, verzärtelte Newyorker-Sprößlinge. Einer derselben pflanzte sich sogleich vor Moorfeld hin und rief: Ma, ist das auch ein Dutchman? Aber die Ma klapste mit eigener feiner Hand den Frager auf den Mund und zürnte sehr ernsthaft: Unartiger! Wie oft habe ich dir gesagt: German heißt ein Deutscher, nicht Dutchman! Dann wandte sie sich mit einem verzerrten Lächeln zu Moorfeld: Entschuldigung, Sir! deutsch — dutch — es liegt den Kindern so im Munde. — Hat nichts zu sagen, Madame; ich werde es an meiner Bemühung nicht fehlen lassen, den lieben Kleinen einen regelmäßigen deutschen Sprachunterricht zu verschaffen. — O, ich wäre unendlich dankbar, Sir, grinste Lady Morgan übersüß. Die Kinder aber staunten ihre Ma, Mister Brubaker seine Mistreß, Anhorst seinen Moorfeld an, und Moorfeld griff mit einer cavaliermäßigen tour de main nach seinem Hut, und empfahl sich nach allen Seiten im herzlichsten Einverständniß.
Unser Paar hatte den Farm lange hinter sich, als Anhorst endlich eine Art versteinertes Schweigen brach:
Darf ich mir erlauben, Sir, Ihrer — wickedness meine ganze Huldigung darzubringen?
Bitte! Ich habe der Gans bloß ein wenig Vogeldunst gestreut, antwortete Moorfeld. Er erzählte seinen Einfall. Sie hat nun ein Jahr lang Besserungsfrist, sagte er, und kommt der Reichsgraf nicht, so kommt vielleicht doch die Karbatsche. Ihren Mann will ich inzwischen auch noch ein wenig abrichten.
Anhorst bezeigte sich ungemein erfreut über das Gehörte. Vielleicht gefiel ihm Moorfeld's Puff darum so ungewöhnlich, weil er nicht bloß ein müssiges Spiel des Witzes, sondern eine praktische That mit einem bestimmten sittlichen Zwecke war. Unter diesem Gesichtspunkte begriff er das Geistreiche leicht und lebhaft.
Es war das Erstemal, auf dem abendlichen und theilweise nächtlichen Nachhauseritt, daß diese so ungleich gearteten Männer sich besser als je verstanden. Jeder schien bei sich selbst gegen den Andern zu widerrufen, daß er ausschließlich Prosaiker oder ausschließlich Schöngeist sei. Diese Meinung transpirirte mit einer warmen Ausstrahlung durch ihr Gespräch. Anhorst's und Moorfeld's Unterhaltung in dieser Stunde war von jener Art, welche dauernde Freundschaften zu begründen pflegt. So erreichten sie ihren einsamen Waldwinkel.
Aber jetzt war auch der Tag für Anhorst's Marktfahrt herangekommen. Allerorts
begannen die Ernten und wenn Anhorst die Chance nicht verlieren wollte, so hatte
er keinen Augenblick zu versäumen. Er brach auf. Ungern sah Moorfeld ihn scheiden.
Anhorst war offenbar, wenn auch langsam, geistig wieder aufgelebt, Moorfeld
dagegen meinte an praktischem Sinne ihm näher gerückt zu sein. Es schien ihm wie
eine Sünde gegen Natur und Kunst zugleich, den beginnenden Fluß der Melodie jetzt
mit einer Pause zu zerhacken. Es war unschön, es war widersinnig. Moorfeld hatte
fast das Gefühl, als müßte sich hier etwas strafen, als geschähe den Mächten des
Gemüthes Gewalt durch die Mächte der Materie. Aber freilich war dieses Gefühl
unaussprechlich. Wie sollte Moorfeld die ahnungsvolle Spürkraft des ästhetischen
Sentiments in einen so rechtwinkeligen, unvermischten Charakter wie Anhorst
hinübertragen? Er schämte sich, die alte Melodie zu variiren: Bleibe bei mir, Max!
und darauf lief seine Regung doch wohl allein hinaus. Es war fast rührend, wie
Anhorst am Vorabend seines Auszugs mit einem langen starken Mann vor
das
Moorfeld stand jetzt in seiner Waldhütte allein. Es fehlte wenig, daß die Schauer des ersten Momentes von Neuem über ihn herfielen. Die nächsten Tage und Stunden brachten ihm ganz das bodenlose Gefühl der Fremde wieder zurück. Wie flüchtiger Goldschaum ging von den Dingen seiner Umgebung der Hauch der Gewohnheit hinweg, woran er noch allzu zart gehaftet. Bestürzt wurde Moorfeld inne, daß er nicht mit Einem Ruck, wie er schon gewähnt, Herr seiner Situation geworden: — nein! sein Zustand war wie das Treiben in einer Meerenge, und Anprall und Widerprall extremer Stimmungen mußte noch lange hin und her zerren an ihm, bis ihm feste Richtung gewonnen war.
Wer freilich die äußere Lage Moorfeld's in diesen Tagen betrachtete, der hätte
leicht in einen Spiegel der seeligsten Idylle zu schauen geglaubt. Von dem
Theater-Apparat des sogenannten, angenehmen Lebens“ fehlt wenig oder nichts. Eine
elegante Doppelflinte, — ein stattliches Reitpferd, — ein Waldrevier hinter dem
Hause, in welchem unser Backwood-Baron nicht nur das Jagdrecht, sondern — nach der
pfiffigen Version eines modernen Junker-Anwalts — ganz eigentlich die Jagdpflicht
hatte, denn sein Wildstand war vor Allem reich an Eichhörnchen, welche, wie wir
gehört, eine Landplage des amerikanischen Farmers sind. An dieser Jagdpflicht
konnte unser Held in Amerika hier vollauf zum Ritter werden. Daneben konnte er mit
Cirkel und Winkelmaß in der Hand Baupläne entwerfen, Felder, Gärten, Häuser und
Dörfer abmessen, Straßen bahnen, Parks einhegen, kurz das Bewußtsein des
Grundbesitzes in tausend hübschen Faltenwürfen sich umlegen und zwischen Project
und Spiel angenehme Halbträume träumen. Dürstete er nach den Wonnen dichterischen
Schaffens — hing nicht das Abendlicht wie eine goldene Harfe dort
In der That, so war es geworden. Moorfeld saß in seinem Urwalde und sein liebstes Urwalds-Vergnügen war — sein Schreiben an Benthal! Es verging kein Tag, kaum eine Stunde, daß er nicht schrieb. Eine Unzahl von Blättern und Blättchen datirt aus dieser verhältnißmäßig so kurzen Spanne Zeit. Wir können sie unmöglich so wie sie liegen mittheilen: denn wer sollte sich nicht wiederholen, wer, der so gährend und gierig in sich hineinlebt, sollte ein Gedächtniß dafür haben können, was er geschrieben, wie er's geschrieben, wie oft dieselbe Welle an die nämliche Stelle zurückrollte? Und doch lebt Moorfeld nach außen hin ein so spurloses, stillstehendes Leben jetzt, daß wir, da es einen fortlaufenden Erzählungsfaden nicht zuläßt, gerne in jene Blätter zurück greifen werden, um Figur und Farbe dieser Tage uns bildlich zu machen. Freilich wird dazu nur die kleinste Auswahl genügen, wenige werden die Dienste aller thun, und indem wir die äußere und innere Landschaft unseres Einsiedlers nur an einzelnen Punkten beleuchten, wird Gemüth und Fantasie es nicht als Abbruch, sondern als sein Recht empfinden, die dazwischenliegenden Parthien selbstthätig zu beleben.
Vor Allem wollen wir Denen, welche im Handeln, nicht im Empfinden Heil sehen,
Bericht davon geben, daß Moorfeld nicht in „schöner Muße“ allein seinen Genuß
suchte. Der Rothschrei des
Beginnen wir in seinen Aufzeichnungen unsre Lese:
Es ist Hochsommer, das ganze Land liegt im Fieber. Ich reite weit und breit herum und bin, wie man sagt, nützlich. Aber ich habe keine Freude daran. Der Amerikaner versteht den europäischen „Rettungsengel“ nicht. Er honorirt ihn mit seinen Dollars, und wenn's der Engel ausschlägt, so hält er ihn für einen Simpel. Oder es kommen die giftigen Kannegießer und Medisance-Pächter, die auch bei der dünnsten Urwaldsbevölkerung in diesem Claquen- und Cliquenlande nicht fehlen, die stecken die Köpfe zusammen und munkeln: Was will der Kerl? gebt Acht, der will was. Er macht Partei für die Dütchmens, er ist ein Papist, er bringt die Cholera in's Land und ähnlichen Unsinn. Und dann — hab' ich am Ende doch die Arzneikunst verlassen, weil ich Poet bin und der Anblick der leidenden Materie den Geist zu Boden drückt, statt ihn zu erheben. Bin ich nach Amerika gegangen, um dunstige Bettdecken aufzuheben und belegte Zungen zu sehen, — dieselben Zungen, deren geübteste Muskelbewegung das „damn'd Dutchman“ ist? So komme ich oft Abends nach Hause — mit einem langen Schatten-Queue von Melancholie hinter mir her, ich könnte zehn Schlemihls damit versorgen und bin am Ende selbst einer.
Das ist deutlich. Aber vollends ins Zerrbild gezogen fand Moorfeld den Werth seines guten Willens, wenn er auf demselben Gebiete frivolstem und frevelhaftestem Unwerth begegnete und die Affenliebe amerikanischer National-Eitelkeit kein Hehl hatte, was für ein Prinzip sie hielt und begünstigte. Wir lesen:
Am Krankenbette Mr. Gull's, des County-Clerks zu New Lisbon traf ich heute mit
einem wandernden Arzte zusammen. Zur Zeit der Fieber sind nämlich die Schüler
Aeskulap's hier Landes stark unterwegs, indem sie in dünn bevölkerten Strichen von
Farm zu Farm, von Städt
Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie wir noch weiter aus einander kamen, und wie ich meine Pflicht, Diebstahl und Meuchelmord vom Hause des Mr. Gull abzuhalten, zu erfüllen bestrebt war. Es gelang mir nicht einmal. Frau, Töchter und ein Sohn ließen mich nicht undeutlich merken, zu welcher Partei sie standen, denn der Ruf des Doctors Meakhead sei ja ein weltbekannter, und man habe längst gewünscht, er möchte in hiesiger Gegend sich bleibend niederlassen, was, wenn auch vielleicht nicht so lucrativ für ihn, doch für die Wissenschaft desto wünschenswerther sei, denn bei einem stätigen home (eine der Misses erröthete), könnte er mit mehr Bequemlichkeit als jetzt „Lehrlinge“ annehmen und seine Kunst weiter verbreiten.
Also dieser Mensch wird noch „Lehrlinge“ annehmen! Nun, ich bin ja ruhig. Denn viele Dinge können Einen hier verwirren und in Widerspruch setzen; aber der blanke einfache Todtschlag ist bis zur Erquickung faßlich. Und siehe! jetzt weiß ich auch, warum die Einwanderung nach Amerika im Plane der Versehung liegen muß. Ohne sie würden die Amerikaner innerhalb einer Generation von ihren Aerzten ausgerottet sein. Du kannst mir diesen Satz keck nachschreiben, wenn Du wieder über Amerika schreibst. Sogar durchschossen, oder mit fetter Schrift. Ich verantworte ihn.
Wir finden es gewiß menschlich, wenn Moorfeld den Beigeschmack der Betise, der unter diesen Umständen seinen ärztlichen TugendUebungen beiwohnt, nicht beseligend genug findet, um ihn — quand même! zu suchen. Diese Art Thätigkeit war ihm verleidet. Er zieht sich wieder dumpf auf sich selbst zurück, oder widmet die besseren Kräfte seines Herzens fast ausschließlich auf seine „Flucht nach Aegypten“.
So nenne ich nämlich — schreibt er — die kleine westphälische Familie des Vaters
Ermar. In der That, Annette ist wie ein weibliches Jesus-Kindlein, ihre Eltern
entfernen sich nicht allzusehr von einem Joseph- und Maria-Modell und auf der
Flucht sind sie auch, denn es liegt ein so elegischer, heimatsloser Hauch über
diesem Hause — Du solltest diese Luft hier athmen! Man sieht den Deutschen
überhaupt nur in zwei Formen diesseits des Oceans: entweder Renegaten-Fratze,
hyper-yankeesirt, oder —
Der Mann hält an sich, stockt und trotzt. So viel ich errathe, hat er schwere
Verluste erlitten, ist viel betrogen worden; aber keinen Augenblick öffnet er den
Mund zu klagen darüber. Nicht den Yankee's schreibt er's zu, sich selbst. Er
fordert ohne Weiteres von sich, er hätte als Mann den „Bubenlisten“ gewachsen sein
sollen. Daß die Büberei ein großes ausgebildetes System, daß sie „Industrie“ ist,
darüber fehlt ihm jede Anschauung. Er sieht nur den einzelnen Clerk, den einzelnen
Mäkler. Mann gegen Mann, meint er, sei Alles gekommen. So liegt er offenbar noch
gegenwärtig in den Netzen der Blutsauger, ohne es zu wissen, ja, ohne es wissen zu
wollen. Sein Farm ist hundert Acres groß, die er scheinbar zu einem billigen Preis
überkommen. Aber nur zehn davon sind geklärtes Land, die übrigen neunzig
Waldboden. Denn das ist einer jener unzähligen Kunstgriffe der Land-Jobberei, eine
kleine Parcelle urbaren Bodens nie appart zu verkaufen, sondern stets mit einem
großen Zuschlag von Waldboden. Nach geklärten Parcellen aber geizt Jedermann, da
das Klären ein furchtbares, Gesundheit-erschütterndes und bei verfehltem Erfolg
oft die Existenz einer ganzen Familie gefährdendes Unternehmen ist. So hat nun
Ermar von seinen zehn urbaren Acres nicht nur seinen Lebensunterhalt zu ziehen,
sondern auch die Zinsen für die neunzig übrigen Acres aufzubringen, und der
übliche Zinsfuß ist hier 12 bis 20 Procent! Sein Kaufcontract aber lautet so,
daß
Ich strebe nämlich darnach, die Lage dieser Familie, laß mich den knuffigen
Ausdruck gebrauchen — zu entamerikanern. Zunächst handelt es sich darum, das
Grundstück frei zu zahlen, was
Dieser Zug nach der Heimat ist's, was mich auch an dem Kinde, an der kleinen
Annette, rührt. Natürlich, daß sie die Heimath nur unter dem Symbol des —
Spielzeugs in sich trägt. Ihr Spielzeug aber waren Blumen. Sie hatte „zu Hause“
ein paar Ellen Gartenland, das ihre „Grafschaft“ hieß, und das, so oft sie den
Eltern eine besondere Freude gemacht, um ein paar Spannen vergrößert wurde. Die
Grafschaft avancirte nach und nach zum Fürstenthum, Großfürstenthum, Herzog- und
Großherzogthum, und eben war es daran, Königreich zu werden, als „der Hof“
verkauft wurde und sie ans große Wasser reisten. In diesem schnell entwickelten
Staatsgebiete nun zog sie Blumen. Wenn sie darauf zu sprechen kommt, so glaubt man
einen Fürsten zu hören, der seine Souveränetät verloren. Ich finde sie auffallend
bewandert in dem Bereiche der Botanik, das sie dabei umspannte. Sie zeigt einen
fein unterscheidenden und individualisirenden Sinn für diese Seite des
Naturlebens, sie scheint ihre BlumenStöcke und -Büsche mit einer Aufmerksamkeit,
ich möchte sagen mit einer Geschwisterlichkeit gehegt zu haben, wie ich es einer
kleinen Annette auch tausendmal eher glaube, als einer heirathsfähigen
Sa
Das Kind geht vor mir herum, wie eine Monade von mir. Nicht Muskel, Nervengeist. Reines, passives Gefühl dessen, was bei uns als Bewußtsein, als Geist- und Leibeskraft seine Wellen schlägt. Welch ein Zauber, dieses bescheidene, unschuldige Leiden! Wir beflecken mit unserm Haß die Welt, die unsere Ideale befleckt. Dieses Kind — laß mich den neuen Ausdruck gebrauchen — haßt platonisch, wie man platonisch liebt, d. h. sie erwidert das Häßliche nicht, sie empfindet es bloß.
Ich nenne sie mein Schwesterchen, da ich sie nicht meine Monade oder Psyche nennen kann. Sie sollte mich Bruder nennen. Das ging dem westphälischen Hartkopf erst nicht ein, zuletzt erreichte ich doch, daß sie mich Herr Bruder nennen darf. Die Hauptsache ist, daß wir uns dutzen. Ich kann mich von der Vignette meines eignen Ich nicht „Sie“, oder gar „Herr Doctor“ anreden lassen.
Mein braver Anhorst! Was er mir diesen Knecht, den Schottländer Adin Ballan, mit
Sorgfalt ausgesucht hat! Und wie undankbar bin ich! Der Mann ist fleißig,
nüchtern, treu, wachsam, exemplarisch bis zur naturhistorischen Merkwürdigkeit.
Seine Tugenden gehen wie eine Uhr. Er hat keine Bedürfnisse, keine Wünsche, keine
Genüsse, — man kann ihn mit nichts glücklich machen. Ein Primchen Tabak, ein Quart
Cider und gerösteter Speck — für diesen Preis hält er die Erde aus. Das ist heute
wie morgen der Uhrschlüssel womit er aufgezogen wird. Nichts drüber. Nie! Meine
feinen Rumflaschen könnten eben so gut mit Sand gefüllt sein. Wie oft bot ich ihm
davon, in der Absicht ihm die Zunge zu lösen, denn er ist zu seinen übrigen
Tugend-Lastern so gesprächig wie ein Fischteich. Umsonst. Selbst in Gesellschaft
hält er nicht mit. Unlängst hatte ich den Tischler Rapp zu einer Powle Punsch
gebeten, und ihn ein paar wackre Bekannte mitnehmen lassen. Wir waren aufgeweckt,
wie das Salz der Erde; mein Ballan aber trank sein Quart Cider, und absolut nichts
weiter. Er ist nicht Temperance-Mann, er bildet sich keine Krankheit ein, die
Enthaltsamkeit ist eine Art Monomanie bei ihm. Er ist ein Mann in den mittleren
Jahren, hat einen Sohn in den Kohlengruben von Newcastle verloren und seine Frau
auf der Ueberfahrt. Unglück genug, um eine Anlage zur Melancholie auszubilden. Er
ist aber auch nicht melancholisch. Möglich, daß er es war und auch dieses Stadium
schon überwunden hat; wenigstens kannt' ich als Knabe einen Siebenbürger Sachsen,
der im Hause meiner Eltern öfter von seinen traurigen Lebensschicksalen erzählte,
und stets damit schloß, wie gefaßt er sei, und wie christlich er überwunden habe.
Ich erinnere mich deutlich, wie peinlich mir der Mann war. Daß man nach seinen
Schicksalen anstatt wahnsinnig oder todt zu sein, mit Leinwand handeln könne,
verwirrte und demüthigte mein eigenes Mensch-Bewußtsein. Bei meinem Schotten
speculirte ich Anfangs auf Ossian und alte Balladen — es war mein crassester
Fehlschuß, den ich gethan. Er sagte, in seiner Jugend habe er wohl zum Dudelsack
gesungen. Er sagt' es mit einem Ton, als ob ohne Jugend und Dudelsack so wenig
Schall im Menschen, wie in einem ausgeweideten Leib. Auch meine Geige macht ihm
keinen Eindruck. Es scheint, Musik sind ihm nur die schrillen, schnarrenden
Klangfarben — Klarinett, Dudelsack. Welch
Und wenn ich nun Nachts im Bette liege und aufwache und mich besinne, ich bin in
Amerika, dem Lande meiner langen, alten Sehnsucht, so komme ich mir vor — wie eine
ägyptische Mumie, die unter Mehmet Ali die Augen aufschlägt! Seit ich in den Hafen
von Newyork einlief, dünkt es mir Jahrtausende und doch — wenn ich einen tüchtigen
Brocken, einen guten Schluck Lebensgefühl haben will, kann ich nur daran
anknüpfen, und Alles dazwischen liegende ist so verdünnt! so unsättlich!
Wenigstens in der hohen Erregbarkeit einer schlaflosen Nacht. Ja, mitten in der
Finsterniß, wo ich nichts sehe, empfinde ich die Fremde noch weit empfindlicher,
als am hellen, bildervollen Tage. Die feineren Sinne kommen dann in's Spiel. Denn
das ist richtig, die Nacht hat ihren Geruch, ihre Acustik, wie der Tag; nur sind
die Sinne dafür schärfer, etwa wie die eines Blinden. Wach' ich in Europa aus dem
Schlafe auf: ein bellender Hund — ein Hahnschrei — ein Flämmchen im Nachbarhause,
— ein Posthorn auf der Landstraße — den classischen Nachtwächter nicht zu
vergessen, — das Alles hat seine eigene, dem Gemüth fest verwachsene Staffage. So
athmen, wie bekannt, auch die Pflanzen stärker des Nachts, und der eigenthümliche
Geruch eines ganzen Landes, ja Welttheils, kann nur in der Nacht vernommen werden.
Es geht ein schwärmerischer Zug durch die europäischen Nächte, eine zaubervolle,
geistige Hellseherei, — was sind sie denn sonst, die Elfen, als diese spielenden
körpergewichtslosen Regungen? Hier dehnt die Nacht nicht aus, sie drückt zusammen,
ist kalt — schrill — hart. In meinem Kamin bläst sich eine Kröte auf, in den
Wandspalten des Blockhauses klemmt sich eine Natter ein und pfeift in Todesangst,
— das sind die Nachttöne, die mich hier wecken. Ich stiere zur Fensterlucke
hinaus, ob die Sonne Homers schon komme oder die rosenfingerige Eos, und im
Finstern, statt kühlender, weich-wehender Lindenschatten, glotzen mich verkohlte
Baumstrünke an. Und nebenan schläft mir der Schottländer, und träumt von dem
erstickten Sohn im Kohlenschacht und von der ver
Jetzt, nach der Erntezeit, wird's geselliger. Für unsere Gegend ist ein camp-meeting angesagt, das allernächst seinen Anfang nehmen soll. Auch die „Frolic's“ mehren sich jetzt, d. h. Fröhlich- oder Lustbarkeiten, namentlich in den deutschen Bezirken. Zu einem solchen Frolic ritt ich vorgestern nach Pennsylvanien hinüber. Noch sind mir alle Glieder zerschlagen, — nicht nur des Leibes, der Seele noch mehr.
Der Schauplatz der ländlichen Orgie war mitten in einem der wildesten Waldstriche, denn Wald und Wildniß starrt noch überall, und selbst nach kürzestem Aufenthalt in Amerika kommt man bald dahinter, daß die sogenannten alten Culturstaaten noch immer Einöden sind, wogegen die rheinische Eifel, oder der ungarische Bakonyerwald an wahrer Uebervölkerung leiden. Erst hier im Hinterlande merkt man, was Newyork oder Boston für große Lügen sind, — ungefähr wie Petersburg und Odessa. Auch die Straßen, — man ist bei mir zu Hause an der untern Theiß eben nicht verwöhnt in diesem Artikel,— aber auf meinem ganzen Ritt fand ich keine einzige Wagenspur. Wenn das keinen Schluß auf Geistescultur zuläßt, so gibt's keine Logik.
Aber freilich, Geist zu sehen, war ich nicht ausgeritten. Und ich fand ihn auch
nicht. Gott ist mein Zeuge! Das Erntefest ging in einer Kneipe vor sich, zu der
ein Kramladen gehörte — Store mit Privat-Entertainment. Da mir unterwegs weit und
breit keine Bauernfuhr aufgestoßen, so schloß ich, daß der Spektakel schon
angefangen. Und so war es. Als ich mich dem Neste näherte, schlug mir von Musik
und Stimmen ein Lärm daraus entgegen, der nicht mehr abscheulicher sein konnte.
Die Leute hier haben eine Art zu jauchzen, so barbarisch, so fremdartig, daß ein
Europäer ganz außer Fassung geräth. Ich vermuthe, diese eigenthümlichen nicht zu
definirenden Schreie sind dem Kriegsgeheul der Indianer entlehnt. Wenigstens
findet man sie durch ganz Amerika; auch jene Schiffsgesellschaft, die mich auf dem
Susquehannah so unvergeßlich molestirte, stieß genau die nämlichen Mißtöne aus. Es
ist ein schrilles, blutrünstiges Gellen,
Die Waldherberge schwitzte aus allen Fugen vom Andrang eines verehrungswürdigen Publikums und weit und breit standen die Equipagen umher. Ich sah bunt durcheinander Wagen und Karren, mit Pferden, Ochsen und Kühen bespannt, dazwischen Fuhrwerke, von denen sich die Schulweisheit eines Offenburger Stellmachers nichts träumen läßt. Ueber allen Ausdruck wild war aber der Anblick der Menschen. Männer, Bursche, Knaben und Frauen wimmelten, kaum unterscheidbar, in Anzügen umher, von denen sich schwer eine Vorstellung machen läßt. Ihre Röcke und Hosen, ihre Mäntel und Jacken waren aus selbstgewebtem Tuche selbst zusammengeschneidert, mit Flicken und Flecken übersäet, von Farben oder Mustern, was sag' ich, oft von der Grundform des Kleides selbst keine Spur. Kappen aus selbstpräparirtem Pelze von wilden Katzen, selbstverfertigte Schuhe aus wilden Thierhäuten, hohe Wasserstiefeln, indianische Mocassins, phrygische Mützen und Carbonari-Mäntel der jüngsten Emigration, — das Alles mischte sich zu einem sinnverwirrenden Höllenbreughel untereinander. Die Gesichter blickten verwittert, verwildert, verthiert mitunter, und ließen mich häufig, unterstützt zumal durch die zigeunerhafte Unbestimmtheit der Kleidungsstücke, zwischen männlichen und weiblichen irren. Desto merkwürdiger scharf zeichneten sich die Nationalitäten. Der spintisirende Amerikaner, der pflegmatische Deutsche, der heißköpfige Irländer wurden auf den ersten Blick herausgefunden. Eben so bestimmt erkannte man die Neueingewanderten von den alten. Und da leugne noch Einer die transatlantische Entartung der Racen! Die geknechteten Europäer sahen wie geistige Menschen, die freien Amerikaner wie verdummte Heloten.
Ich betrat den Tanz-Salon. Es war ein langer, schmaler Kasten, rauh gediehlt,
vierwändig-kahl und durch nichts ausgezeichnet, als durch die Art, wie das
Orchester angebracht war. Das Orchester bestand aus zwei Künstlern, Onkel Tom und
Onkel Jim, d. h. Negern, welche hier überall die Rolle der Dorfmusikanten spielen.
Aus Raumersparniß nun hatte man dieses Götterpaar auf ihren Sesseln, wie in
Vogelbauern, oben an die Wand aufgehängt, indeß ihre verehrliche Beine über den
Köpfen der Tänzer baumelten. Bei diesem Anblick ergriff
Das Depot dieser Genüsse war der Storeladen, der unmittelbar mit dem Tanzlocal in Verbindung stand. Er hatte sich heute zu einer Art Büffet travestirt, ohne daß es indeß möglich gewesen wäre, die verschiedenen Talg- und Butterfässer, Tabakkisten, Wollballen, Kohlensäcke ꝛc. ꝛc. in eine rücksichtsvolle Entfernung zurückzudrängen. Sie wurden indeß sehr sinnig als Tische und Bänke benutzt, an welchen Alles schmausend und zechend „umhergegossen“ lag, was das Tanzvergnügen nicht theilte. Es waren ungemein plastische Gruppen. In der Menge fielen mir auch zwei „Gebildete“ in's Auge, und siehe da! eine derselben war eine mir bekannte Gestalt. Es war der junge Apotheker Poll aus Kleindeutschland. Er trug nicht mehr sein fadenscheiniges Sammtröckchen, klagte auch nicht mehr über die unverdauliche amerikanische Küche, und schien überhaupt seinen Geschmack mit den Reizen des Hinterwaldes in Einklang gesetzt zu haben. Der Andere war sein Prinzipal, Doctor Althof, an den Du ihn damals empfohlen. Diese zwei Stadtröcke unter den rauhen Waldjobben leuchteten mir wie freundliche Heimathssterne. Wie armselig belügt sich doch der Stubenpoet, der Waldbrünnlein und Köhlerhütte über die Cultur setzt! In diesem Storeladen hier schlug der Contrast ganz anders aus.
Denn als ich, da es inzwischen Abend geworden, mit dem Storekeeper über mein Nachtlager verhandelte, erklärte mir der Mensch, daß ein Bett für mich allein eine Forderung wäre, auf die er nicht wohl vorbereitet sei. Er könne mir ein Bett nur mit Gesellschaft „einiger Anderer“ zusichern, aber, sagte er naiv, „im Parterre rückten ja auch Fremde an einander, warum nicht im Bette?“ Gestehe doch der Stubenpoet, daß unter diesen Umständen die Aussicht auf zwei gekämmte Schlafkameraden mindestens kein verächtliches Culturgelüste war.
Uebrigens beschlossen wir drei die Nacht zu durchwachen; der Doctor war ohnedies als Reserve da und hatte seine Bandagen, Charpien und Vomitive nicht umsonst mitgebracht. Er erwartete die Nacht über Prügel und morgen Indigestionen.
Wir machten etwas vom Hause weg eine Promenade am Waldsaum hin, und tauschten aus,
was Europäer bei solchem Begebniß sich zu sagen haben. Ich erzählte mein Rencontre
mit dem Fieberdoctor nunquam opinavi und wiederholte meine Ansicht über den
Untergang der amerikanischen Nation durch ihre Aerzte — und Apotherker,
setzen
Unter solchen Gesprächen kehrten wir immer wieder zum bal champêtre zurück, der
sich jetzt, bei Fackelbeleuchtung, besonders effectvoll machte. Freund Poll genoß
sein junges Leben mit einer heißen, schwarzäugigen Irländerin, die dem hübschen
Burschen gewaltig zusetzte und wohl auch stärker armirte Festungen mit Erfolg
blockirt hätte. Aller Appetit verschwand aber, als ich das Mädchen wahre
Schiffsladungen von Brandy trinken sah, womit sie ihr Tänzer tractirte. Das
deutsche Settchen hatte dieselben Quantitäten doch nur in Obstmost vertilgt. So
lernte ich nachträglich erst noch ihre Modestie schätzen. Auch machte mich Doctor
Althof aufmerksam — ich htte ihm das Verschwinden ihrer nationalen Erinnerungen
geklagt — daß die Mädchen
Da die Nächte schon länger werden, so vertrieben wir uns die Zeit — Doctor Althof und ich — gelegentlich wieder mit Tanzen. Dabei passirte es einmal, daß ein junger, baumlanger Pennsylvania-Deutscher mit einem besonderen élan in die Höhe sprang, und auf Einen Ruck die zwei Neger sammt ihren Sesseln aus den Angeln hob. Der Arme stürzte mit blutendem Kopfe zu Boden, die zwei Neger über ihn her, die ganze Tanzkette, die sich im Schwung nicht mehr zu halten vermochte, über die Neger, und im Nu lagen wir Alle, wie die ehrsamen Lallenburger, aber nicht sehr ehrsam, in einem unentwirrbaren Knäuel durcheinander. Es wollte was sagen, bis Jeder und Jede aus dem verworrenen Inventar von Beinen das ihm zuständige Paar wieder herausgefunden; auch will ich gar nicht leugnen, das manche Täuschung nicht absichtlich festgehalten wurde. Der Tanzlust that dies kleine Intermezzo freilich wenig Eintrag. Nur meine Toilette kam übel dabei weg; namentlich hatte mir ein rüstiger Tabakkauer bei dieser Gelegenheit einen Cotillonorden an die Brust gespuckt, dessen Spuren weniger zu vertilgen waren, als die Blutflecken der Lady Macbeth. Mit dieser Decoration und einigen ähnlichen vermied ich denn für den Rest der Nacht die „Gesellschaft“. —
Am Morgen sah das Frolic nun traurig aus. Oder vielmehr abscheulich. Wie rings herum in allen Lagen und Zuständen des menschlichen Körpers „die Bestialität sich gar herrlich kund gab“, — laß mich davon schweigen. Wahrlich, verdorbene Magen bedurften keines weitern Vomitivs, als sich einander nur selbst anzusehen. So sattelte ich, um ein amerikanisches Sittenbildchen reicher, meinen Cäsar, ließ das besoffene und stinkende Arkadien hinter mir und trabte mit sehr gemischten Gefühlen wieder heimwärts.
Du kennst gewiß auch den Ruf der Kentuckyer, der Männer „vom blutigen Grunde“? Sie
sind als die par excellence berühmt, sie sind der physische Adel Nordamerika's.
Diese Nimrods-Ideale in ihrer Urpracht zu schauen, nahm ich mir lange schon einen
Ausflug
Noch ein Nachtrag von meinem Frolic. An der Grenze von Ohio und Pennsylvanien steht ein Posthaus, heißt Marlington und scheint eine Stadt werden zu wollen. Als ich im Vorbeireiten mein Pferd hier fütterte, kam eben die Post von Erie an. Sie gab in Marlington ein paar Zeitungen unter Kreuzband ab, darunter auch eine deutsche wie ich sehen konnte. Der Posthalter sonderte die deutsche von den übrigen aus und warf sie mit einem dam’nd dutch! in den Entenpfuhl vor seinem Hause. So expedirt man hier deutsche Blätter. —
Wir haben freilich gut sagen, das Volk fürchtet instinctiv die deutsche Geistesüberlegenheit, von der es schon jetzt in allen Zweigen seines Nationallebens zehrt, und sein Haß müsse uns eigentlich schmeicheln; aber Mensch ist Mensch, und es zückt Einem wie Dolchesgier in den Fingern, dieser Brut nach ihrem Rechte zu thun.
Heute Nacht weckte mich ein Flintenschuß und Angstgeheul und Todesgeschrei, wie von einer menschlichen Stimme. Ich stand mit Adin Ballan auf; wir zündeten Fackeln an, bewaffneten uns und ritten hinaus in die Waldnacht. Wir knallten unsere Doppelflinten ab und schrien dazu, um einem Hilfebedürftigen unsere Richtung, einem Mörder die Nähe von Rächern zu signalisiren. Schuß und Schrei von der andern Seite aber wiederholte sich nicht wieder, so daß wir ziemlich im Unklaren trieben, wohin wir uns in der unermeßlichen Waldweite zu wenden. Wir setzten unsre Streife noch lange fort und wiederholten unaufhörlich unsre Allarmzeichen, aber nichts regte sich mehr. Endlich kehrten wir wieder nach Hause zurück. Ich war begreiflich in großer Aufregung und schloß kein Auge mehr. Im Laufe des Tags erklärte sich das Nachtabenteuer. Von der benachbarten Virginiergrenze hatte sich ein entlaufener Sclave über den Ohio gerettet. Aber die Verfolger waren ihm dicht auf der Fährte und zwischen meinem und dem Lisboner Gebiet erreichte ihn die tödtliche Kugel. Farmer von Neu-Lisbon fanden die Leiche im Walde. Die Lisboner behandeln die Unthat wie etwas Alltägliches, von einer Fahndung auf den Mörder ist keine Rede. Jeder Sclavenbesitzer hat das Recht, entflohene Sclaven lebendig oder todt wieder einbringen zu lassen. Sie halten zu diesem Zwecke eigene Leute und — Hunde! We are in a free country!
Vielleicht genügt es uns an diesen Proben. Blatt für Blatt würden wir so durchblättern und auch nicht Ein lichter Moment, auch nicht Ein reiner, ungetrübter Strahl der Freude wäre die Ausbeute davon. Urwaldspoesie, Jugend- und Freiheitswelt, Menschheitsglück im Westen, Stern einer bessern Zukunft, immer unaufhaltsamer werden diese Worte zu — Wörtern, das große Diluvium der Enttäuschung ist nirgend mehr einzudämmen. Es wäre unter diesen Umständen eine ungerechte Parteilichkeit, von einer persönlichen Anlage zur tragischen Weltanschauung zu reden. Denn erstens ist diese Anlage das Erbtheil jedes tieferen Menschen, und dann — bliebe sie eben nur Anlage, wenn nicht die Außenwelt sie weckte und nährte.
Zwar der idealistische Glaube an Amerika hat in der Brust unsers Helden längst
ausgelebt. Wir erinnern uns, daß er schon auf seiner
Anhorst ist fort und Benthal noch nicht da. Ein schlimmer Umstand in einer Lage, die durch sich selbst so wenig Anziehungskraft übt! Daß aber diese beiden Geschenke des Zufalls unserm Helden so bald zur Nothwendigkeit geworden, kann nicht gegen die Kraft und Selbstständigkeit seines Charakters zeugen. Kein Mensch erträgt einen neuen Gedanken, geht einen neuen Weg ohne das Princip der Genossenschaft. Ohne Remus kein Romulus, ohne Cassius kein Brutus, selbst kein Columbus ohne die Pinzon's.
Was Anhorst's Rückkehr betraf, so entzog sie sich einer strikten
Wahrscheinlichkeitsrechnung; einem Briefe Benthal's dagegen rechnete Moorfeld
seine Ankunft schon nach Stunden und Minuten zu. Zwar währt sein Aufenthalt in
Ohio noch nicht so nennenswerth lange, keinesfalls so lange, als es unter so
vielen neuen Bildern und Eindrücken, welche überdies fast alle die Fähigkeit
haben, sich rasch wieder auszuleben, den Schein gewinnen mag. Wir zählen kaum die
achte Woche der Ansiedlung Moorfeld's, und ging seine erste Briefsendung an
Benthal von Pittsburg ein wenig früher ab, so datirt das Packet, welches erst
seine Adresse enthielt, auch etwas später. Bedenken wir dazu, daß wir von einer
Zeit sprechen, in welcher das Pennsylvanische Eisenbahnsystem zwar im Beginn, aber
noch nicht am Ziele, und namentlich die großartige Alleghanny-Portage-Eisenbahn
Hudson und Ohio noch nicht mit Dampfeskraft verband, so wird in den Tagen, welche
wir gegenwärtig darstellen, ein Brief von Benthal zwar ankommen können, aber eben
nur können. Moorfeld überstürzte auch seine Berechnung keineswegs. Aber genug, daß
eine Berechnung nie zur Beruhigung führt, vielmehr just an dem Punkte anfängt, wo
auch die Unruhe anfängt. Wie ein Mensch, der sich ein ausnahmsweise frühes
Erwachen vornimmt, seinen Schlaf nicht etwa um diese Morgenstunden kürzt, sondern
den ganzen Schlaf sich verdirbt, weil die Seele im Traume rechnet und überhaupt
nichts anders träumt als das Erwachen: so stört solch ein Rechnen den Genuß, die
Perspective, das
Es ist eine beängstigende Pause. Unser europäischer Freund, umgeben von seinen Fähigkeiten, Gemüthskräften, Strebnissen, Erwartungen und Entwürfen, macht uns in diesen Tagen den Eindruck einer vollen offenen Scene, welche ein plötzlicher Zwischenfall in Stockung versetzt. Mit reichem, breitem Wurf steht eine glänzende Gruppe mitten im gespanntesten Nerv der Handlung da, — eine Feder fehlt, sie stockt. Schnell versendete Boten sind nach prompter Ergänzung aus — wird sie gefunden? wird sie es nicht? Wird neues strömendes Leben durch diese gebundene Organe rollen? oder fällt schrill und rasch der Vorhang über ein Fragment? Bis es sich entscheidet, führt uns der Held der Scene einstweilen ein anderes Bild vor. Er schaukelt ein kleines blondes Mädchen und lauscht einer stammelnden Zunge auf Klagen um europäische Blumen!
Die „Flucht nach Aegypten“ wie wir wissen ist Moorfeld's einzige Erhohlung in
diesen Tagen. Eine gefährliche Erhohlung! Hier saugt er in milden, schmeichelnden
Zügen die Melancholie in sich, die ihn zu Hause vielleicht unerträglich, aber eben
darum zum Widerstand auffordernd, bestürmt. Flucht nach Aegypten! Mit welchem
Gefühle für das schmerzlichste Ungenügen einer menschlichen Lage hat Moorfeld nur
dieses Bild gewählt! Aber was bedürften wir den geheimen Zug
Aus dieser Ohnmacht blitzte dann plötzlich wieder das höchste Lebensgefühl auf. In
Momenten, wo Moorfeld Alles verloren zu haben schien, verlor er doch das Eine
nicht: die Erinnerung seiner selbst. Aber seine Täuschung war es dann, daß er
Erinnerung zugleich für Besitz hielt! Er verkannte die Natur solcher Rückschläge,
nahm als Begeisterung, was nur Stolz, als Fülle, was nur Glaube an Erfüllung. Mit
einer Gier, welche die Stelle des gesunden Enthusiasmus vertrat, griff er dann in
die Saiten und sang — wir kennen sein Thema. „In Ohio wird's eins deiner
Gedichte!“ hatte er sich schon im ersten Augenblicke gesagt; — hier lag ein
theurer tiefgehüteter
Moorfeld griff wiederholt diese Melodie, aber — sie versagte. Mit tödtlicher
Verwunderung erfüllte ihn dieser Wortbruch der Musen. Vertrauen und Mißtrauen
wechselten so in gleichmäßiger Selbsttäuschung. Wie ein plötzlicher Anflug ihm
ausdauernde Kraft, so schien die versagte Gabe des Augenblicks ihm bleibender,
unwiederbringlicher Verlust. Er glaubte an eine Abnahme seiner Geisteskräfte.
Seine Blätter überflossen von Klagen eines Unglücklichen. Die Termiten der
Selbstbeobachtung fielen ihn an, und jeder Zug wurde zum Zeugnisse seines
Verfalls. So finden wir die Klage verzeichnet, daß er jetzt einen
Nachmittagsschlummer halte, was er sonst nur Philistern überlassen, und was ein
verhaßtes Zeichen seiner ausgehenden Jugend. Daß er in Ohio um zehn Breitegrade
dem Aequator näher als in Deutschland schlief, für dieses Zeichen nahm er es
nicht. Auch die Beobachtung zufälliger Vergeßlichkeit schien ihm verhängnißvoll.
Gestern — schrieb er — commandirte ich meinen Schottländer nach Neu-Lisbon, das
Buch Postpapier zu holen, das ich nebst anderen Sachen in Mr. Clahane's Store
eingekauft, aber in der Zerstreuung wieder liegen gelassen. Der Knecht kam zurück,
das Papier hätte sich nicht gefunden, ich müsse es haben. Die Gauner haben es Euch
verleugnet, aber hättet Ihr doch um Gotteswillen ein neues Buch gekauft, ich will
so eben schreiben, und soll nun passen, bis Ihr noch einmal hin- und zurückreitet.
So fuhr ich auf. In demselben Augenblicke aber hielt ich inne, denn ich schrieb ja
wirklich an Dich. Und erst daran merkte ich, daß ich das vermißte Papier vor mir
unter der Feder hatte. So steht's mit mir. Das ist der Dämon der Einsamkeit.
Wahrlich, die Klöster haben nicht verdummt, sie müssen selbst dumm gewesen sein. —
Und ein anderes Mal lesen wir: Kennst Du die Tragödie von dem elektrischen Aal?
Man hat lange die Bemerkung gemacht, wenn der elektrische Aal von den Gewässern
Süd-Amerika's nach England verführt wird, so kam er entweder todt, oder todesmatt
an, kurz, starb ab unterwegs. Man forschte vielfach über diese Erscheinung nach,
zog Klima, Nahrung, Gewohnheiten des Thieres ꝛc. in Betracht und erkünstelte ihm
in all diesen Stücken auf's Genaueste seine Heimath. Umsonst; er starb ab. Endlich
entdeckte man's. Holz
So schwelgte Moorfeld in den Foltern seiner Phantasie, und erschöpfte den ganzen Reichthum eines geistig-Reichen, sich unglücklich zu machen. Aus der Fülle dieser imaginären Leiden, aus dem innersten Drang dichterischer Selbstanklage entströmten ihm in dieser Periode die Verse:
Ja, die Klage um die Poesie brachte ihm die Poesie selbst wieder zurück. Diese Strophen waren sein erstes Gedicht in Ohio. Freilich blieben sie Fragment. Das gehaltene Aneinanderreihen elegischer Gedanken und Empfindungen zweiter Ordnung scheint den heftigen Affekt des Dichters nicht befriedigt zu haben; ungeduldig springt er ab davon, um in dem strafferen Schlußgedanken Alles auf Einmal auszusprechen: sein Geist erkenne sich in dem Spiegel größerer Zeiten, das Alterthum hat die Fülle des Lebens erschöpft, der Epigonen ist das Nichts! Wir finden zu jenem Fragmente nur noch die Schlußstrophe:
In diesen Schmerzen der Acclimatisation wurde Moorfeld von einem Ereignisse überrascht, das den stilleren Zug seiner geistigen Gährungen grell unterbrach, und ihn schrecklich vorbereitet fand, das Unglück mit offenen Armen zu empfangen.
Die Geschichte, von der wir sprechen, findet sich in Briefform an Benthal gleich seinen übrigen Aufzeichnungen. Wir haben keine Ursache, für die Form dieser Erzählung eine andere zu wählen; mit traurigem Danke vielmehr nehmen wir das Bild hin, so wie es ist, wie es von dem schwerbetheiligten Herzen sich unmittelbar losgelöst, mit allen eigenen Zügen des Selbsterlebnisses. Keine Kunst der Darstellung soll dieses Blatt entweihen. —
Wir erinnern uns, daß die Methodistengemeinde zu Lisbon unter Vortritt ihres
Predigers einen Waldgottesdienst, ein sogenanntes camp
Unvorbereitet — nach der Ordnung jedes bekannten Naturgesetzes. Aber Moorfeld spricht von einer Vorahnung, die zu merkwürdig scheint, als daß wir den schmerzlichen Bericht jenes Ereignisses nicht mit ihr selbst schon beginnen sollten.
Moorfeld erzählt:
....Tags vor dem camp-meeting hatte ich eine meiner melancholischen Visionen. Es
war am hellen, heißen Mittage da sie mir widerfuhr. Ich war früh morgens
ausgeritten, den Tischler Rapp zu besuchen, der einen kleinen Fieberanfall
bekommen. Ich plauderte eine gute Weile mit ihm, denn sein Zustand schien
großentheils deprimirte Gemüthsstimmung und die ganze Indication — ein
theilnehmendes Herz. Die Sonne brannte schon ziemlich heiß, als ich ihn verließ.
Ich wollte hierauf zu Vater Ermar hinüberreiten, oder zum „Meier“ wie er nach
westphälischem Landesbrauch sich gerne noch nennt. Der Weg war mir nicht so
geläufig, als von meiner eigenen Farm aus, ich hatte mich daher bald verirrt. Die
berühmte Herbstpracht des amerikanischen Waldes beginnt schon und that das Ihrige,
mich kreuz und quer herumzunarren. Das Auge des Neulings schwelgt in einem
Farben-Kaleidoscop, wovon der Europäer schwer eine Vorstellung hat, — das Gemüth
freilich klingt wenig mit. Die stille geschlossene Ruhe eines deutschen
Herbstwaldes ist mir lieber. Es ist ein rastloses Effecthaschen in dieser Fülle
von unvermischbaren Tinten, — später scheint es sich zur erklärten Musterkarte
auswachsen zu wollen. Von dem grellen Gepränge sprang ich daher bald ab und
vertiefte mich über eine Strophe, die mir schon seit Tagen zu schaffen macht.
Inzwischen knusperten in den Wallnüssen Schaaren von Eichhörnchen rings um mich
her: da schoß ich bis zum letzten Pulverkorn darein. Endlich fing stomachus an
seine Spieluhr klingen zu lassen und auch Cäsar schaubte und schnobberte
wenigstens nach Wasser. Ich wäre herzlich froh gewesen
Krankenbesuch — Waldschattirung — Gedicht — Eichhörnchenjagd — Hunger — gefallenes Vieh — ich skizzire diese Scenerie, um darzuthun, wie sehr ich mit meinem Sinnenleben am Aeußerlichen betheiligt war, und nichts weniger als zur Schwärmerei aufgelegt. Zuletzt brachte mich das Geläute einer weidenden Heerde wieder auf die rechte Bahn. Sie weidete zwar nach Landesart frei im Walde, aber indem ich ihren Spuren folgte, erreichte ich den Rand desselben. Vor mir lag ein Ackerfeld, in der Ferne entdeckte ich eine Hofstelle, doch konnte ich nicht erkennen, welche? Ich setzte mich auf einen der niedergebrannten Baumstämme am Waldessaum und ruhte aus.
Die Sonne stand im Zenith; es war die Panstunde. Der Himmel glühte in einem
grau-rostigen Dunst. Die Luft vor mir zitterte wie über einem Kalkofen. Auf dem
Acker knisterte das Stroh, als würde es langsam geröstet. Der strohene Acker war
ein häßlicher Anblick. Indem man hier nur die Aehren absichelt, das Stroh aber
stehen läßt, so sieht sich das Besenfeld an, als hätten Buben die ganze Ernte
muthwillig geköpft und gemeuchelmordet. Später brennt man das Stroh nieder und die
Asche ist der einzige Dünger des Feldes.
In diesem Mittagsbrande dachte ich an die Miasmen, die er ausbrütet. Wie aus der
Vogelschau überblicke ich die amerikanische Erdfläche: aus allen Flußthälern, aus
allen Niederungen, Sümpfen und Neubrüchen ringt sich das Fieber los. Wer hat
diesem Präsidenten der Sommermonate seine Stimme gegeben? Arme, arme Freiheit der
freien Erde, er nimmt die Stimmen! Oh wie sie matt hinsinken mit ausseufzenden
Brusthöhlen; ihre Stimme ist auf ewig dahin! Wer zählt die Tausende? Ich treibe
die schöne Spiegelfläche des Ohio hinab — was wimmert aus den Blockhäusern des
Landes hunderte von Meilen entlang, wie aus einer langen Katakombe? „Matt, matt,
lieber Herr, o einen Trunk Wasser!“ Ich folge der langen Wellenbahn des Missouri
hinauf — was flüstert über die dürren Grasrespen der Prairien? „Die Ernte ist
eingethan, Herr, Väterchen auch!“ Ich taumle mit den Wirbeln des Mississippi der
Vergessenheit des ewigen Meeres zu, — auf welche Länder seh ich herab! Nennt man
sie Alabama, Arkansas, Louisiana, Florida, oder — Pèrelachaise? Ein Volk von
Aethiopiern seh ich geschäftig, die häufen moderne Pyramiden aus Reis, Zucker und
Baumwolle zusammen — aber wie geschieht mir? Sind das die langlebenden Aethiopier
des Herodot? Seht, wie sie Reihen auf Reihen sich am Boden gruppiren! Wenig Anmuth
ist in diesen ruhenden Gruppen. Jetzt kommt der Massa und berührt sie mit dem
Lebensstab seiner Peitsche, aber das Leben bleibt aus. Er macht kleine Striche
durch sein Namensverzeichniß und geht weiter. — Auf einmal flogen von sämmtlichen
Kirchen des Landes die Dächer ab und ich sah die schwarzen Pastoren auf ihren
Kanzeln. Sie dankten Gott für die gesegnete Ernte. Ein Schauer überlief mich. Denn
die schwarzen Pastoren waren Niemand anders als das verkleidete Fieber und das
Fieber dankte hohnlachend für seine Ernte. Gott mußte sich's gefallen lassen. —
Von den Fieber-Pastoren kam ich auf das morgige camp-meeting. Ich wußte jetzt ganz
bestimmt, daß die Methodisten pseudonyme Teufel seien. Was sie seit Wochen
rüsteten und schürten war ein Menschenopfer. Diese Sonnenglut und
In diesem Augenblicke rief die Glocke der Hofstelle das Vieh zur Maisfütterung. Ich wunderte mich, denn die Glocke war von MeiersFarm. An welcher Seite des Waldes war ich herausgekommen, daß mir die Farm hier so ganz eine unbekannte Ansicht bot? Aber froh dieser Entdeckung rannte ich sogleich dem Gehöfte zu. Die Familie setzte sich just zu Tische als ich eintrat. Annette hatte an einem Kleidungsstück für das camp-meeting genäht, und war über den Eifer der Arbeit ganz roth geworden. Ich nahm das liebliche Köpfchen zwischen meine Hände und sagte: Schwester, wenn du mich lieb hast, so bleibst du morgen zu Hause. Es kommt ein Gewitter und du wirst vom Blitz erschlagen. Das Kind sah mich verwundert an und der Meier murmelte mit dem bekannten Ausdruck seiner düstern Resignation: Wir haben nicht Geld genug für den Blitz. Der Blitz wird vom Geld angezogen, wie die ganze Welt.
Nach Tische regten sich alle Hände im Hause zur morgigen Waldfahrt. Ich suchte
meine Stimmung zu übermannen, indem ich nach Kräften mithalf. Annette war voll
Jubel. Sie freute sich auf die große Gesellschaft von Menschen, sie hoffte Mädchen
ihres Gleichen als Gespielinnen zu finden, sie wollte nach Blumensaamen umfragen
und handeln und tauschen, kurz ihr kleines Leben war im Nothglühen. Ich hörte zu
mit unbezwinglicher Wehmuth. Sie fragte zuletzt: Herr Bruder, bist du bös? Ich zog
sie an mich und sagte, indem ich mich ganz meiner Trauer überließ: Siehe,
Schwesterchen, ich bat dich, zu Hause zu bleiben, und du liegst mir mit der Reise
im Ohr. Du hast
Abends ritt ich nach Hause und schlief nach der Ermüdung des heißen Tages gut und
traumlos. Dies war der Vorabend des campmeeting. Tags darauf nahm mich beim
Erwachen das ganze trostlose Gefühl von gestern wieder in Besitz. Auch an meine
Vision glaubt' ich wieder, und so lebhaft, als stünde sie noch einmal vor mir. Daß
eine Stimmung, ohne äußere thatsächliche Ursachen, so mit uns nächtigen kann, war
mir sehr ernsthaft zu erfahren. Ich wurde nun erst über meine Trauer traurig,
griff aber zu meiner Violine und strich mir die lustigsten Sachen, die mir
einfielen. Dazu tanzte ich in der Stube herum. Kurz, ich machte Opposition.
Hierauf ging's aufs Pferd. Meinem Schottländer übergab ich die Aufsicht des Hauses
und ritt hinüber auf Meier's Farm, wo ich schon Alles zur Abreise bereit fand. Ein
großer Zeltwagen stand bespannt, mit Vorräthen und häuslichen Nothwendigkeiten
versorgt. Die kleine Familie war in ihrem Sonntagsstaat. Amerikanischer
Sonntagsstaat! Ihre guten westphälischen Stücke verbrauchten die Deutschen zu
Hause, um öffentlich der langweiligen Landestracht die Ehre zu geben. Um der
Frauen willen that mir diese Probe der deutschen Selbstständigkeit besonders leid.
Ihr halb-städtischer Kleiderschnitt drückte so gar nichts aus! Ein
Manschetten-Bauer ist ein übler Anblick, aber eine Manschetten-Bäuerin — doch
freilich, Bäuerinnen sind sie nicht, die Myladies der Hinter
Ich hatte also, diesem Fuhrwerk zur Seite reitend, die größte Aehnlichkeit mit Don
Quixotte, indem er eine seiner sonderbaren Herzoginnen begleitet. Dieses Bild war
mir willkommen und ich malte mir's weiter aus, um von der Heiterkeit desselben zu
profitiren. Mein Meier hatte unterdessen heiligere Gedanken. Während der Knecht
(ich sehe ab von dem hiesigen Euphemismus „hand“ —), während der Knecht
kutschirte, machte der Meier Miene, das Gesangbuch aufzuschlagen, und einen
biblischen Psalm anzustimmen. Ich gestehe, daß mich diese Aussicht wenig
erquickte. Glücklicherweise war Annette zu lebhaft. Sie war ganz Kind. Alles kam
ihr neu vor, ich mußte durchaus jedes Stämmchen und Zweiglein für ein Wunder
erklären. Wie gerne that ich's! Entrannen wir wenigstens dem Morgensegen, nach
welchem Vater Ermar lechzte, wie nach einem guten Schluck. Was für ein prächtiges
Morgenlied sein eigenes Kind war, fühlte er nicht. Leider dauerte mein Feld- und
Waldduett mit dem kleinen Mädchen nicht lange. Die Andacht ereilte uns doch. Ein
Wagen mit Männern, Frauen und Kindern kam in unsern Fahrweg eingelenkt und alle
überraschten aus vollen Kehlen ihren lieben Gott mit einem Frühgesang, wobei es
mir merkwürdig blieb, daß die Pferde nicht scheuchten davor. Zwischen eine
spielende Batterie und dieses Geheul gestellt, hätte ich jedenfalls bei den
Kartätschen Sicherheit gesucht. Wie wenig kann man sich doch das höchste Wesen
nach dem menschlichen Bilde vorstellen, wenn ein amerikanischer Chor im Himmel
angenehm klingt! Das ganze Volk hat keine einzige musikalische Note in seiner
Kehle. Daß sich diese Sangeslust nun unfehlbar unserm Wagen mittheilen würde, war
ein Gedanke, der mich sehr beunruhigte. Ich ließ dem Cäsar die Zügel und erwartete
mein Schicksal. Auf einmal galloppirte es seitwärts zum Walde heraus, ein Kerl kam
zum Vorschein mit aufgestreckten Hemdärmeln und einem kupfernen Kessel als
Sonnenschirm über'm Kopf, — nie saß was Tolleres zu Pferde, selbst den Barbier mit
Mambrin's Helm nicht ausgenommen. Der Bursche hatte kaum den singenden Wagen
wahrgenommen, als er den Vorsänger mit heller Stimme anrief: He Jones, sing' gegen
den Wind, daß Niemand merkt, wie viel Maisbranntwein heute schon den
Weg
Arme Annette! daß ich so ruhig all das Geschwätz niederzuschreiben vermag! Aber freilich — ich bin ruhig, sehr ruhig! Geßner schrieb so ruhig nicht seine schweizerischen, als ich diese — amerikanische Waldidylle!
Es war wirklich idyllisch. Wir fuhren in eine tiefe geräumige Wiesenbucht wie in
einen Hafen: der Wald umdämmte uns rings
Wir Neulinge sahen sonderbar drein. Da standen wir nun in der Mitte des fremden Volks — es mochten wohl einige Tausende da sein. Ich musterte mir die Versammlung, — auf den ersten Blick war's kein reiches Charakterbild. Was ich schon im Einzelnen bemerkt, fand ich hier ausgedehnter bestätigt: ein Amerikaner sieht dem andern ähnlich. Es ist ohne Uebertreibung wahr: Amerika, das größte Ackerbauland der Erde, hat keinen Bauernstand. Diese Gesichter sieht man auf unsern Börsen. Jedes drückt List und Sorge aus, ihre spitzen pfiffigen Nasen stecken gleich Widerhacken in der Zukunft — nirgend ein bäuerliches Sattsein in der Gegenwart oder Vergangenheit. Satt ist Amerika überhaupt nicht, trotz seiner größten Fleischconsumtion. Ich sah noch keine Corpulenz. Alles spindelt und schlottert, namentlich sind die Köpfe so dürr, wie es die edelste Race, mindestens bei den Pferden, bedeutet. Hier aber bedeutet es das Fieber.
Wir betrugen uns still und einsam in dem Menschenhaufen. Das camp-meeting, so manche Woche zuvor der Gegenstand unserer Unterhaltung, gab uns in dieser ersten Stunde nicht zu reden von sich. Indem wir mitten drinn standen, verloren wir keine Sylbe darüber. Annette machte große offene Augen zu Allem, aber der Blick drückte fast Schrecken aus. Sie sah überall umher und lief nirgend hinzu. Sie entfernte sich keinen Schritt von unserer Seite. Es kam mir nicht vor, als ob sie viel nach Gespielen und Blumensaamen Lust hätte.
Als die Sonne den höchsten Stand hatte, bestieg ein langer, schwarzer reverend die Predigerkanzel, sein Clerk neben ihm zog die Glocke. Alles strömte in die Wagenburg. Ein Mensch im geistlichen Rock trennte am Eingange die Geschlechter, insofern sie der Ordnung unkundig waren — Annette wurde fast gewaltsam in die weibliche Abtheilung gezogen. Als schiene ihr der Schutz einer schüchternen deutschen Frau nicht genügend in dieser Verbannung, blickte sie angstvoll nach uns hinüber und zeigte sich sehr aufgeregt. Mein dumpfes Ahnungsgefühl wurde bei diesem Anblicke um nichts deutlicher, aber um vieles schwerer und drückender. Ich sagte dem Meier (nur mit andern Worten) sein zartes Kind scheine mir nicht gemacht, diese Feierlichkeit Wochenlang auszuhalten. Er antwortete, man hätte ihm gesagt, später lasse die ganze Ceremonie nach und in den letzten Tagen sei es nur noch eine Geschäftsbörse der Landschaft.
Der Prediger auf der Tribüne verkündigte den Leuten, daß er bei Gelegenheit des
Mittags sie zum Tischgebet versammelt habe und mit dieser ersten Andacht erkläre
er denn das camp-meeting für eröffnet. Hierauf stimmte er ein Lied an, in das die
Gemeinde einfiel — was soll ich sagen? Wenn ich in diesem Lande der Graßheiten
noch erstaunen könnte, so wäre ich aus den Wolken gefallen. Die Methodisten sangen
ihren Bußgesang nach der Weise:
Die Andächtigen erhoben sich nach und nach aus der stillen Betrachtung und zerstreuten sich durchs Waldlager zu den Verrichtungen des Mittags. Frau Ermar sah ängstlich um sich; sie fühlte offenbar die gleiche Pflicht dieses Berufes, aber sie gönnte auch ihrer Schlummernden die Ruhe. Wir konnten bemerken, wie verlegen sie war, einen Entschluß zu fassen. Endlich weckte sie das Mädchen, aber der Augenblick war übel gewählt. Denn eben wandelte der lange schwarze reverend den Gang hinab. Indem Annette verwirrt und erschrocken aus dem Schlafe fuhr, erregte sie seine Aufmerksamkeit. Er blieb flüchtig vor ihr stehen und maß sie mit einem finstern Blicke. Mich überlief's. Das „böse Auge“ des Volksglaubens fiel mir ein. Wäre ich Mutter gewesen, ich hätte mein Kind bedeckt gegen diesen Blick. Ohne ein Wort zu sagen, wandelte er weiter, aber ich hatte das Gefühl, als wäre hier eine Einweihung vor sich gegangen.
Der Prediger — nicht der Lisboner, sondern ein auswärtiger Matador — war ein
widerlicher Mensch. Seine gemeinen Züge stempelte sinnliche Rohheit. Die breite
Anlage seiner untern Gesichtshälfte, die starke Muskulatur der Eßorgane gab ihm
sogar etwas thierisch Brutales. Sein ganzer Charakterausdruck wies keine Spur von
Geistlichkeit auf, selbst nicht von geistlichen Lastern. Ich kann nicht sagen, daß
ihn das geheimnißvolle Schrecken des Fanatismus umkleidete; die gänzliche
Abwesenheit jeder Gemüthskraft, selbst einer verirrten, war vielmehr das
Schreckliche seines Bildes. Sein leeres blaßgraues Auge sprach eigentlich gar
nichts aus; wie bitterböse er damit blickte, schien's die giftige Mißlaune eines
Geschäftsmannes, der sich nicht schnell genug reich melkt an seiner Geschäftskuh.
Das war
Wir gingen an unsere Feldmahlzeit. Ein eigenthümliches Mißbehagen drückte unsern kleinen Kreis. Den Waldraum durchwürzte das traulichste Parfüm unter der Sonne — Küchen- und Bratenduft: auch ein Ueberfluß von lebendigen Gliedern war da, der dran herumarbeitete. Aber das Alles wollte noch keine Versammlung werden. Jedem Einzelnen fehlte das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Man überblickte diesen Menschennumerus wie einen aufgelösten Rosenkranz, ja, wie einen bloßgelegten Kirchhof, dessen innern Bestand eine Ueberschwemmung aufdeckt. Das camp-meeting schien ein Haufe von Schnecken, die dicht zusammenrücken, aber sie erwärmen sich doch nicht. Das Ganze bleibt so kalt wie das Einzelne. Die Sonne zerfloß in Erbarmen und gab sich alle Mühe einer äußern Erwärmung. Umsonst. Wie mochte sie sich wundern! drüben in Neapel gelang ihrs so trefflich. Fünf Menschen machen den Lärm eines Volkes dort. Hier Tausende nicht. In welchen Verhältnissen leben Sonne und Erde auf ein und demselben Breitegrad? Ist sie dort die Geliebte und hier die Verschmähte, die um so kälter macht, je heißer sie wird? Unglückliche, wie tragisch bist du in deiner Unschuld! Du brennst herab, eine Tarantella zu zeitigen und zeitigst das Fieber. Da waren meine Verwesungsgedanken von gestern wieder! Wen soll man hier anklagen? die Sonne, die Erde, die Menschen? Ich hätte in die Schöpfung schreien mögen, wie König Lear: Mach mich nicht toll!! —
Viel Volks war in der stillen Betrachtung zurückgeblieben: entweder im ersten Drang seiner Andacht oder aus pfiffiger Concurrenz um den Frömmigkeitsruf. Das nöthigte auch die Andern, schleuniger nachzukommen, und ebenso trieb es den Prediger vorwärts. Kurz, ich erlebte die Raserei, daß statt eines gesunden Mittagsschläfchens das meeting in der ärgsten Hitze zusammenrannte und die Wagenburg füllte. Da gab denn der Clerk das Zeichen, der Prediger stieg auf die Kanzel und der Nachmittags-Gottesdienst fing schon am Mittage an.
Die Erbauung eröffnete wieder ein Gassenhauer-Psalm; ich kannte zwar diesmal die Weise nicht, aber denke Dir etwa: „O mein lieber Augustin“ oder dergleichen, es verschlägt nicht viel. Dem seelenvollen Liede folgte die Predigt. Also die erste Methodistenpredigt! „Rede, daß ich dich sehe!“ sagte Sokrates. Amerika's Idealismus hat sich auf die Religion zurückgezogen: hier sollt' ich ihn jetzt sehen. Er fing zu reden an.
Aber schon nach den ersten Perioden verging mir Hören und Sehen im barsten Sinne
des Worts. Wie soll ich Dir diese Predigt beschreiben? Nichts Amerikanisches ist
zu übertragen, Du weißt es. Annähernd ein Urbild ist in Heinrich IV. die Stelle,
wo Fallstraff eine Scene am Hof zwischen Vater und Sohn repräsentirt. Er spricht
im vermeintlichen Charakter eines Königs: „Es gibt ein Ding, Heinrich, wovon du
oftmals gehört hast, und das Vielen in unserm Lande unter dem Namen Pech bekannt
ist; dieses Pech, wie alte Schriftsteller versichern, pflegt zu besudeln. — So
idealisirt ein Falstaff den Satz: wer Pech anrührt, beschmutzt sich! So machte es
die Predigt. Und doch ist mit diesem Beispiel nur der geringste Theil des
Aergernisses angedeutet. Falstaff's Grundgedanke ist gemein; zu verderben war blos
die einfache Form daran. Hier aber war das Einfache zugleich das Erhabene; die
gänzliche Ohnmacht des Methodisten, aus seiner Gemeinheit sich zu erheben,
schändete Form und Inhalt zugleich. Der elendeste aller Gottesknechte ersetzte
diesen geistigen Abgang durch physische Mittel. Nichts konnte alberner sein als
die Art, wie er einzelne Grundsylben betonte und durch eine übermäßige Länge ihre
Feierlichkeit nach dem Klaftermaße dehnte. Ein halbhundert Pendelschläge z. B.
dauerte das Längenmaß der ersten Sylben in holy oder glory. Solche Götterworte
legte er förmlich unter Streckwalzen und quetschte sie zu Ewigkeitsdraht. Wenn er
auf den devil zu sprechen kam (und er sprach von nichts anderm) so versank die
Streckmaschine in einen Keller. Zu der Dehnung kam dann eine fürchterliche
Hohlheit und Tiefe des Tons — in der Wirklichkeit ist kein Gleichniß dafür. Man
muß es aus der Möglichkeit holen und sich vorstellen, eine ähnliche Klangfarbe
gäbe es vielleicht, wenn ein Bär in das Spundloch des Heidelberger Fasses brummte.
Aus diesem Bauchrednerbaße in die kreischendste Fistel umzuschlagen, war eins
seiner beliebtesten Kunstmittel. Man glaubte einen verzweifelnden Hahn zu
hören,
Das war der Hirt. Und diesem Hirten entsprach die Heerde. Die Heerde steht hier ganz ohne Allegorie da. Sie war es wirklich. Zwar in der ersten Viertelstunde hielt die mitgebrachte Menschenhaut noch ihre Näthe. Aber bald fing sie zu platzen an. Zuerst brachte die Bußpredigt eine sonderbare, gewitterähnliche Unruhe unter den Zuhörern hervor, ein Zappeln und Trippeln von einem Bein auf das andere, ein Stöhnen, Seufzen, Wimmern und Schluchzen, gemischt mit einem fast zornigen Murren, das einem Aufruhrgemurmel glich — Aufruhr gegen den Teufel. Diese Geräusche erhoben sich nach und nach zu der Höhe des Lärmes. Wie man in einem schwülen Raum die Kleidungsstücke ablegt, so begannen die Seelen, die ins Schweißtreiben geriethen, sich zu lüften. Man verzweifelte, man verfluchte sich, man schrie laut die Namen derjenigen Laster umher, von denen man sich am schwersten bedrückt fühlte, und forderte Andere auf, das Gleiche zu thun, man schrie dem Prediger Beifall zu, ließ sich die kräftigsten Stellen wiederholen, brüllte sie im Chor nach, — kurz, man betäubte sich gewaltsam. Einer Versammlung von Tausenden gelingt das wunderbar schnell. Im Nu waren die menschlichen Stimmen verschwunden und ein Heulen, Blöcken, Bellen, Grunzen, Miauen und Schnarren hub an, als ob eine Noahsarche im Schiffbruch begriffen wäre, und alle Thiergattungen der Erde um Hilfe schrien. Dazu strampften die Beine, die Arme fuhren in der Luft, die Hände schlugen um sich, man schüttelte die Leiber, stieß, rieb, trieb, zwickte und zwackte sich, um der Teufelsaustreibung so gewiß als möglich zu werden. In diesem Tumulte gingen endlich die Donner des Predigers unter. Nur in einzelnen langgehaltenen Pausen schlug noch sein hohler Weheruf durch, wie Glockensignale in einer feuerlärmenden Stadt. Zuletzt verhallte auch das — der Brand war fertig, das Schürreisen ruhte.
Ich stand da, von Scham übergossen. Die Unkeuschheit dieser Scene ließ mich
bereuen, ein Mensch zu sein. Darum also mähte der Würgengel der Civilisation die
eingebornen Naturvölker vor sich her,
Aber hier war kein Ort zu Betrachtungen.
Auf einmal schoß ein Schrei neben mir auf — ich prallte zurück wie vor einer Explosion. Jesus komm herab! Jesus komm herab! lärmte ein Knabe in meiner Nähe mit einer Lunge aus Granit. Und es genügte ihm nicht etwa der ein- und zweimalige Anruf, sondern er wiederholte diese Formel fort und fort, ungefährwie unsere Kinder ihr: Maikäfer flieg! oder: Schmetterling, buntes Ding! auf warmen Frühlingswiesen rufen. Erstaunt fragte ich meinen Nachbar, wie es komme, daß der Muthwillige diesen Unfug sich erlauben dürfe und kein Erwachsener ihm wehre. Der Angeredete maß mich mit einem großen Blicke, dann hub er an: Es scheint, Sie sind fremd, mein Herr. Dieser tugendhafte Knabe lag schon gestern im brünstigen Gebete und will es mit des Allbarmherzigen göttlicher Hilfe zu einer Wiederbelebung bringen. Gebe der Himmel seinen Segen dazu! Aber die Kräfte des Leibes müssen mit aller Thätigkeit mitwirken, wenn die gebundene Seele ihre Fessel sprengen soll. Brav arbeitet er, der Kleine! Sehen Sie, wie ihm die Halsadern schwellen! Wie das Gesicht ihm anläuft! Er wird den wunderwirkenden Blutdruck aufs Gehirn früher zu Stande bringen als wir träge Gewohnheitssünder. Er bringt es zu einem der glänzendsten reviews, geben Sie acht. Methodistenprediger will er werden, der Sohn der Gnade. Wir wünschen uns Glück dazu. Nie hatte ein Kind des neuen Landes bessere Gaben für diesen Beruf. Welch eine Lunge, mein Herr!
Während dieser Worte hatte ich den Knaben nachsinnend betrachtet. Es kam mir vor, als ob diese Lunge schon öfter geglänzt hätte. Wie war ich überrascht, ihn endlich zu erkennen — es war Hoby der Straßenjunge! — Es war derselbe Lump, der auf der Battery Schandschriften verkauft, der im tragischen Theater als Chef du succès spectakulirt hatte — zwei Begegnisse, von denen ich Dir erwähnt, wenn ich nicht irre. Und zum drittenmale fand ich jetzt diese amerikanische Jugendblüthe in den Wäldern Ohio's als Candidaten des geistlichen Lehramts!
Bei dieser Entdeckung ertrug ich die Scham meiner Anwesenheit nicht länger. Ich
drängte mich sachte nach dem Ausgange zurück, und
Aber nahe vor Gadshill begegnete mir Doctor Althof selbst, mit Poll dem Apotheker. Er ritt eben auch zum camp-meeting. Ich verwunderte mich, daß ihm seine Praxis erlaube, solchen Schauspielen nachzugehen. Er sah mich groß an. Gerade dort ist mein Posten jetzt, Herr College — war seine Antwort; — schöne Apoplexien, Convulsionen, Ohnmachten, Krämpfe, Neuralgien in allen Sorten und Mustern, capitale Paroxismen — was denken Sie denn von einem camp-meeting! Dabei wies er auf ein drittes Pferd, welches mit einer Feldapotheke bepackt, hinter den beiden Reitern hertrabte. Ich sah mir den Gaul mit einer Art von Respect an; dies also war die Person, die in diesem Conventikel das letzte Wort hatte!
Ich versagte mir nicht, meinen Gefühlen über die Scene, von der ich so eben kam, freien Lauf zu lassen.
Die Religion, sagte der Doctor, ist in Italien ein Ballet, in Spanien eine Verschwörung, in Deutschland eine philosophische Liebe, in Amerika ist sie eine Maschine von so und so viel Pferdekraft.
Ich verwundere mich überhaupt, war meine Antwort, daß die hiesige Menschheit nicht längst sich eine neue Religion gegeben. Das Christenthum ward der leidenden Welt verkündet, der Sehnsucht nach dem Jenseits; hier haben wir ein Reich der That, eine leidenschaftliche Befangenheit im Diesseits, eine absolute Unfähigkeit zur Vertiefung und Verinnerlichung. Lauter Gegensätze zum Christenthum. Amerika braucht eine eigene Religion.
Ich glaube, es bekommt sie auch noch, sagte Althof; das Volk arbeitet an allen
Punkten daran. Was bedeuten diese hunderte von
Der Apotheker lächelte schalkhaft. Ich sah ihn befremdet an, da hier zunächst kein
Anlaß zur Heiterkeit gegeben war; der Doctor bemerkte Beides und gab mir mit der
besten Miene folgende Erklärung: Herr Poll denkt an meine gewesene Braut, jetzige
Prophetin im Killanythal. Wohlan, wenn Sie geneigt sind, ein Pröbchen von
amerikanischer Religionsmache zu hören — die Geschichte ist diese: Ich hatte meine
Mina aus Deutschland mitgenommen, in der Absicht unsere Ehe zu vollziehen, sobald
mein Wirkungskreis ein gesicherter würde. In der Dauer dieser Wartezeit verschwand
mir auf einmal das Mädchen. Niemand wußte, wohin? Sie hatte mir zwar Zeilen
zurückgelassen von entweder freiwilliger oder unfreiwilliger Mystik des Styls;
genug, ich konnte Alles drinn lesen, ich las aber, da ich überhaupt kein
weibliches Motiv einer solchen Flucht kenne, gar nichts darin. Ich zählte das
Mädchen zu jenen Entarteten, die den ungeheuren Uebergang von der alten zur neuen
Welt moralisch nicht bestehen, und vergaß sie. Die Kleine hatte sich aber, in
aller Stille gereift an der hiesigen Humbugluft, folgendes Plänchen ausgedacht:
Sie lief nach Philadelphia und nahm Condition in einer Modewaarenhandlung. Da sie
in ihren neuen Verhältnissen nur deutsch sprach, so war die unterste Stelle, die
schlechteste Gage und eine demgemäße Behandlung ihr Loos. Dieses Loos schien ihr
sehr nahe zu gehen. Nach reicherer Sprachkenntniß sah man sie das heftigste
Verlangen tragen. Sie ließ sich berechnen, was englische und französische
Lectionen kosten möchten. Sie sparte mit peinlicher Entsagung, verzweifelte an der
Unzulänglichkeit ihrer Mittel, raffte sich wieder auf, erlahmte von Neuem, man sah
sie stundenlang ihr Unglück beweinen, sie rief die Kraft der Religion zu Hilfe,
warf sich in die Arme der Conventikeln und Missionen, ja ihre Lippen fingen oft
mitten im Verkaufsladen zu beten an. Da rauscht eines Tags ein glänzendes Bouquet
von Aristokraten des „alten Landes“ in ihren Bazar. Herren und Damen, Kinder und
Bediente bezaubern ihr Ohr mit der Musik der heiß ersehnten Sprachen. Die arme
deutsche Magd lauscht wie auf das Säuseln der Gottheit. Ihr Herz schwillt, sie
vergißt sich, statt zu serviren, fängt sie zu beten an. Die Directrice begegnet
ihr streng, sie bricht in einen Thränenstrom aus. Die Directrice
Ich antwortete: Wo die Menschheit in so verzerrten Zügen auftritt, wie hier, da
bleibt nichts anders übrig, als sie zu begreifen. Denn nur holde Räthsel läßt man
sich gefallen, ärgerliche muß man wenigstens auflösen, um sie erträglich zu
machen. Ich kann die Möglichkeit dieses plumpen Wunderglaubens einsehen. Das Volk
hat nun einmal keine Vergangenheit. Warum sollte es vergangene Wunder haben? Es
will gegenwärtige! Es ist zu praktisch, zu ungeduldig, um nicht selbst zu leisten,
was andere Menschen, was andere Zeiten auch geleistet haben. Seine einzige
Geistesnahrung, die Bibel, stellt ihm ein auserwähltes Volk mit seinen Propheten
auf. Man denke sich dabei die Gährung iu einer amerikanischen Brust! Bekanntlich
ist Bruder Jonathan sich selbst das auserwählteste aller Völker. Der liebe Gott
sollte mit Juden umgegangen sein und mit Amerikanern nicht
Ich möchte sagen, der Amerikaner verhält sich zur Bibel, wie Don Quixotte zu seinen Ritterbüchern — sans comparaison! — warf Poll jovialisch hin.
Sehr richtig! sagt' ich mit lebhafter Zustimmung. Don Quixotte fühlt sein eigenstes Wesen sich erklärt und enträthselt im Anschaun seiner romantischen Vorbilder. So sind auch dem Amerikaner die biblischen Wunder ganz aus der Seele gesprochen. Geht er doch allenthalben darauf aus, die Natur zu überwinden, und wo wäre sie gründlicher überwunden als im Wunder? Meine Herren, sehen wir genauer hin, es herrscht die natürlichste Wahlverwandtschaft zwischen den neuamerikanischen und altjüdischen Humbugern!
Sollte der künftige Islam dieses Welttheils nicht überhaupt Humbug heißen? fragte der Doctor.
Wenigstens, antwortete ich, ist dieser Ausdruck der erschöpfendste für den
amerikanischen Nationalgeist; und um den Nationalgeist handelt es sich ja in der
neuen Religion, von ihm sind wir ja ausgegangen. Das ist's, was die kleinen
Secten-Humbuger reuissiren läßt: daß sie diesen einen Nerv glücklich berühren. Es
frägt sich dabei gar nicht, wie überall, um die Authenticität ihrer Wunder; ihr
Wunder ist, die Eigenthümlichkeit des Volksgeistes zu errathen. Nicht die Wahrheit
ist glaubwürdig, sondern dasjenige Märchen, das den Märchengeschmack am besten
erräth. Tritt nun nach diesen kleinen Humbugern ein Groß-Humbuger auf, der nicht
einen, sondern alle Nerven zugleich berührt, die ganze Klaviatur der Volksgefühle
auf einmal spielt, so ist die neue Religion fertig, die Secten münden in sie wie
die Nebenflüsse in den Mississippi. Sie haben das Wort „Islam“, fuhr ich fort,
glücklich gebraucht. Der Islam ist eine Redaction der Bibel und des Evangeliums in
arabische Formen, gestützt auf die Ueberlieferungen des Volks und die
Persönlichkeit des Propheten. Das ungefähr ist's, worauf es hier ankommt. Bibel
und Evangelium werden auch dem amerikanischen Mahumed die Grundlage liefern:
wesentlich wird aber immer die Umdichtung in amerikanische Formen, die
Befriedigung des colossalen amerikanischen Nationalpathos dabei sein. Und in
diesem Sinne werden wir die hiesige Zukunftsreligion ohne alle
Bis dahin, sagte der Doctor, müssen wir freilich methodistische Tobsucht und puritanische Starrsucht für unser liebes altes Christenthum gelten lassen. Unser einer steht sich am besten dabei. Man wird ordentlich Doctor der Medicin und Theologie zugleich bei diesen christlichen Suchten.
So unterhielten wir uns, indem wir über dieses Stück amerikanische Erde ritten. Unsere Zungen lechzten, unsere Pferde suchten ohne alle Anleitung den kurzen Schatten am Wegsaum. Wir waren froh, das Waldlager zu erreichen. Das Geschrei: Jesus komm herab! ertönte noch immer. Fast zwei Stunden war ich abwesend gewesen.
Als wir unsere Pferde abgezäumt hatten und in die Wagenburg eintraten, fand ich
Vieles verändert. Die ganze Menschenwoge lag nicht mehr breit über den vorhandenen
Raum ausgegossen, sondern zugespitzt wie zur Springflut; Alles culminirte in einem
dichtgedrängten Kreis. Der Kreis war inwendig hohl; drinnen erscholl jetzt die
Stimme: Jesus komm herab! aber die umgebende Menge verhielt sich schweigend. Hoby,
der Straßenjunge, war zum Mittelpunkte der Andacht geworden. — Ich merke, er sitzt
auf dem „Angststuhl“ sagte Doctor Althof — bitte, Poll, reichen Sie mir das
Besteck, wenn ich etwa eine Ader schlagen müßte. Erschrocken machte ich Fragen,
aber Althof antwortete: Wir werden sehen, mein Herr. Er und der studen
Wir drängten uns aus der Pheripherie des Menschenknäuels muthig ins Centrum durch. Die Scene hier war folgende. Hoby saß in der That auf einem niedern Stuhl, nach der vorigen Aeußerung, dem Angststuhl. Der Prediger und sein Gehilfe standen ihm links und rechts zur Seite und hielten, oder vielmehr rüttelten und schüttelten ihn wie ein Sieb, um seine wunderthätigen Circulationen zu befördern. Er lag oder streckte sich in ihren Armen, und that, zwischen den Ausrufungen an Jesu, seine Wiederbelebungsbeichte. Ich habe gestohlen — Jesus komm herab! ich war unzüchtig — Jesus komm herab! — ich entweihte den Sabbath — Jesus komm herab! u. s. w. So oft er eine Sünde nannte, stieß er heftig mit dem Bein, gleichsam unter Fußtritten sie verabschiedend; bei der Formel: Jesus komm herab! fuhr er dagegen mit der Hand in die Luft, wie Macbeth der nach dem Dolche hascht. Diese Geberden lösten sich fast canonisch-regelmäßig einander ab: es sah aus wie Maschinenarbeit, wie Drahtpuppenbewegung. Ein ähnliches Manöver wiederholte er mit der Stimme. Das Bekenntniß einer Sünde stöhnte er dumpf und röchelnd wie ein Sterbender, den Refrain: Jesus komm herab! stieß er gellend heraus wie im aufschreienden Schmerzgefühl. Dabei athmete sein heiserer, offen stehender Schlund kurz und lechzend, seine Augen rollten wild, sein Gesicht war aufgedunsen, verdummt und verquollen, Schweiß und Schaum bedeckte es reichlich. Die Umstehenden blickten mit großer Andacht auf dieses Bild des Abscheu's.
Ich wendete geekelt das Auge davon. Wäre es möglich gewesen, das dichte Gedränge
von Menschen zu durchpirschen wie ein Walddickicht, so hätte ich sogleich die
Familie Ermar aufgesucht. Ich brannte vor Ungeduld mich zu überzeugen, daß ihre
deutsche Natur entweder selbst schon abgeschreckt sei, oder mindestens meine Sorge
für Annette gutheiße. Zufällig standen sie mir näher als ich ahnte. Indem ich den
Kreis überblickte, sah ich Vater, Mutter und Kind an einem mir entgegengesetzten
Punkte des Cirkels in den vordersten Reihen stehen. Annette hielt sich ihr
Taschentuch vor die Augen, weil ihr die Sonne grell in's Gesicht schien, oder um
sich vor dem barbarischen Schauspiele der Wiederbelebung zu schützen. Ich mochte
gerne das Letztere glauben. Die Mutter stand etwas zurück, ich sah nur ihre
vorgestreckten
Man sagte mir, ich habe wie eine Tigerkatze an der Kehle des Methodisten gehangen, und zwei Parteien haben mich wechselweise beschützt und geprügelt.
Ich kam wieder zur Besinnung; Annette nicht mehr. Der Schlag hat ihr Gehirn gelähmt; sie delirirt.
Man will das unglückliche Kind in das Irrenhaus zu Columbus bringen. Das Irrenhaus
zu Columbus hat eine Façade von Säulen und Pilastern, eine prächtige
Marmorbekleidung und ist, wie alle Narren- und Zuchthäuser dieses Landes, das
schönste Gebäude seiner Stadt. Wenn dich der Dircetor darin herumführt, so wird er
sein respectvollstes Nationalgesicht vorlegen, und in seinem langweiligen Englisch
feierlich peroriren: Dieses Haus ist errichtet worden und ausgestattet von den
Beiträgen großmüthiger Bürger des Staates Ohio zum Heile derjenigen unserer
leidenden Mitchristen, welchen der göttliche Rathschluß die Gesundheit des Geistes
entbehren läßt. Es enthält dreihundert Wohnungen, Betsäle, Lesesäle, Badesalons
und einen Garten von fünfzig Acre Landes. Es wird ärztlich geleitet von dem sehr
ehrenwerthen Herrn Doctor Jehadiah Bykbookbeaker, die Kosten seines jährlichen
Unterhalts betragen die Summe von hunderttausend Dollars. Die
Einrichtungen
Aber wie sie sich füllen, sagt er nicht.
Dieser Brief war der letzte, den Moorfeld aus Ohio an Benthal schrieb. Die
scheinbare Ruhe und Mäßigung, womit er die unglückliche Begebenheit erzählt, war
vielleicht schon in dem Augenblicke, da er's that, entweder nur die Ohnmacht des
Betäubten, oder das mühsamste Product der Reflexion, womit er — ein Mann vor einem
Mann — sich zusammennahm. Anders sah ihn seine nächste Umgebung. Der Ausbruch der
Wuth, von welchem er in knappester Gemessenheit Erwähnung macht, daß er ihn
unmittelbar gegen den Urheber des Unglücks gerichtet, fluthete ungezähmt auch über
die festeren Dämme der geselligen Ordnung und Verträglichkeit. Zunächst zerfiel er
mit Doctor Althof. Was er in seinem Briefe so ruhig ausspricht: „Man will das
unglückliche Kind in das Irrenhaus zu Columbus bringen“ bekämpfte er in der
Wirklichkeit mit dem heftigsten Widerspruch. Er wolle sie nun und nimmermehr
„unter den Fäusten der Yankees“ wissen, schwor er ununterbrochen, wie er überhaupt
alle Heilvorschläge des Doctors, welche die gewöhnliche Praxis in Lähmungsfällen
befolgt, leidenschaftlich verwarf. Er schalt den Doctor einen „crassen Somatiker“,
wollte das Kind mit Adagios auf der Violine heilen, wollte ihr frische Blumen aus
Deutschland kommen lassen und malte einen „Heilplan der Liebe“ aus, der vielleicht
eine schönere Eingebung der Poesie als der Wissenschaft war. Ganz außer sich
gerieth er aber, als Vater Ermar selbst, ohne von dem ärztlichen Streite einen
Begriff zu haben, nur dem natürlichen Instincte des Verstandes folgend, die Partei
des Besonnenen gegen den Excentrischen ergriff und seine Kranke
der
An sein Haus konnte er nicht denken. Die öde Waldhütte, des Schottländers dumpfe Gesellschaft waren doppelt unheimlich in diesen Augenblicken. Eben so war ihm die gesellige Nähe anderer Menschenwohnungen verleidet. Die Natur in ihrer wilden Schönheit und Unschuld, die unberührten Reize verschwiegener Einsamkeiten hatten vielleicht allein das Wort, — eines jener einfachen, ewigen Worte hier auszusprechen, an denen das Menschenherz zu allen Zeiten gesundet. Moorfeld folgte diesem Zuge.
Er dachte an die Schönheit der „Seen“. Erie — Huron — Michigan — Saginaw — Makinaw
— St. Clair — St. Marie — das waren die Namen, welche damals von den Thauperlen
sehnsüchtiger Einbildungskraft glänzten. Jene wunderbaren Binnenmeere, mit ihren
durchsichtigen, christallhellen Gewässern, mit ihren undurchforschten Labyrinthen
friedensseliger Eilande, mit ihrem dichtbelaubten Kranze länderbedeckender Wälder,
jene duftigen Grenzbezirke der Menschheit, an welchen der seltene Reisende damals
ankam, wie Alexander an den Thoren des Paradieses, — ihre Kunde erscholl in den
Regionen der Civilisation mit einem Zauberklange, den das Gemüth tief in sich
aufnahm, in die Wünsche und Träume der inneren Welt leise mitklingen ließ, den
frecheren Geräuschen der zudringlichen Gegenwart vielleicht unterordnete, aber
brach der rechte Augenblick an, dann stieg das trost
Wir vergessen nämlich nicht: Zwischen uns und unsrer Geschichte liegt eine Generation. Wenn die Phrase von dem „Belecken der Cultur“ schon in den meisten Fällen eine übereilte ist, da vor den ungeheuren Formen von Meer und Land die einzelne Umformungen durch Menschenarbeit in der Regel doch infusorischer erscheinen, als der SchöpfungsKönig sich schmeichelt, so lag vor dreiundzwanzig Jahren die Region der nordamerikanischen Süßwasserseen in der That noch in dem zauberischen Kindheitsdämmer einer halbmythischen Geographie. Zwar wehte die Rauchflagge des Steamers schon in jenen Urweltsregionen, aber diese fruchtbare Gattung von Seeungeheuern hatte ihr Geschlecht noch nicht zu der Ausbreitung von heute gebracht. Noch war die einsame Welle dieser Gewässer des indianischen Ruders gewohnter, als der wühlenden Dampfmaschine, noch stand der Eichwald in ungelichteten Reihen um die heimatliche Seebucht, der heute in allen Schiffsgestalten die Meere der Welt durchfurcht, noch hielt der Bär seinen ruhigen Winterschlaf in Höhlen, wo heute Bijouterieläden strahlen, und im gasflammenden Lesecabinet die Zeitungen von London und Paris aufliegen.
Dahin nun richtete Moorfeld nach der Verblutung des ersten, wildesten Schmerzes
seine stillen Wege. Im Augenblicke des Abschieds blieb ihm mit Doctor Althof noch
ein harter Kampf zu bestehen. Der vorsichtige Mann bestand darauf, Moorfeld
sollte, wie er sich schonend ausdrückte, einen — Diener mitnehmen. Der Arzt
errieth aber den Arzt und kalt-beleidigt gab Moorfeld die Antwort: Kann
unbegleitet zur Hölle gehn! Auch seinen Abschied von Annetten suchte Doctor Althof
um jeden Preis hintanzuhalten. Ein Schlaganfall hatte sich noch Tags zuvor
wiederholt und das Kind einen entsetzlichen Schritt weiter in seiner Krankheit
geführt. Die Gesichtszüge waren von der Lähmung bis zur Unkenntlichkeit entstellt,
die Zunge kaum noch eines thierähnlichen Stammeles fähig, die Irre des Geistes
vergröberter, finstrer. Es war ein peinlicher Augenblick, als Moorfeld den letzten
Kuß auf die „entgeisterte Stirne“ zu drücken begehrte. Der Doctor, der Vater, die
Mutter selbst stellten sich mit Bitten und Thränen davor. Je ge
Warum nannt' ich dich auch Schwester! Dann legte er seine Hand auf ihren Scheitel
und sprach: Sei gesegnet, mein Kind! Der Gott der Menschenopfer hat dein Schicksal
erlaubt. Das reine Weib und die Schuld dieser Welt haben eine alte, mystische
Gegenseitigkeit. Edle Jungfrauen seh ich den Ungeheuern des Alterthums opfern, und
noch dem Kreuze bringt die Jungfrau blutigen Tribut. Es mußte so sein! Diesem
Lande fängt sein zweites Zeitalter an. Als Leiber mit Leibern hier rangen, riß die
Rothhaut den Scalp vom Haupte des Weißen; heut rollen Geistersschlachten über
diesen Boden und die Wilden scalpiren Geister. Zu groß ist, was hier beginnt, es
muß barbarisch beginnen. Die Sieger von Teutoburg, die zweimal Rom überwunden,
sollen deutsches Geistesbanner auf Washington's Kapitol pflanzen. Die neue Welt
ist ihnen gegeben, wie die alte. Voran, deutsche Jungfrau, heilige, weihe! Du
leidest für dein Volk; du bist Deutschland! armes, frommes, mißhandeltes Kind. Mit
deinem Unglück ist dieser Boden deutsch geworden; — könnte der Geist denn siegen,
wenn er nicht zertreten wird? Wir haben, liebes Kind, eine große Schuld in dieses
Land eingeführt: wir sind unschuldig! Wir sind wahrhaftig unter den Lügnern, wir
sind aufopfernd unter den Selbstlingen, wir sind zart unter den Ungeschlachten,
wir sind keusch unter den Frechen, wir sind tiefsinnig unter den Stumpfen, wir
sind fromm unter Heuchlern, wir haben Herzen unter Ziffern, wir sind Menschen
unter Bestien! Ob wir siegen werden; — wer darf zweifeln, wenn Columbus nicht der
Vater der Atheisten sein soll? Aber bis dahin, werden sie uns erwürgen. Viel
schönes Leben wird untergehen. Sie haben scharfe Messer und volle Kanonen die
weißen Delawaren und Mohikaner. Sie haben uns das Zauberwort der Cultur
nachgestammelt, aber unrein, daß sie nicht gute, nur verderbte Geister citiren
können. Und sie kommen, sie
Die gewöhnliche Prophezeihung des Verstandesmenschen gegenüber dem
Gefühlsmenschen. Leider, er versteht das Fatum schlecht genug! Denn längst würde
ihn die Erfahrung gelehrt haben, daß eben er selbst es ist, der Verstandesmensch,
der regelrechte, geordnete Geist, der vollwangige, behagliche Lebekünstler, der
von jeher die raschesten Blitze des Verhängnisses angezogen hat. Auf lustiger
Hochzeitsreise, beim schmackhaften Lieblingsgericht, über wohlabgezählten Summen
und schön ausgerundeten Codicillen packt ihn die Raubtatze des Todes und brüllt
ihm in's Ohr: ein Ungeheures ist in der Welt, ein Racheschrei gegen alles Leben,
dein Dasein nur der secundenlange Fall eines Fallbeils! Menschen wie Moorfeld
dagegen sind vorher bestimmt nur in langen, langsamen Zügen den tragischen
Schicksalsbecher zu trinken. Von der Lebendigkeit ihres Gefühls, von der
Reizbarkeit ihrer Phantasie, von der Bahnlosigkeit ihres Geistes, von der raschen
Verbrauchskraft all ihrer menschlichen Mittel erwartet die Welt fortwährend irgend
ein directes, wundergleiches Verderben, das neu und plötzlich mit ihnen ende. Mit
nichten; sie wandeln sicher, wie Somnambüle, ihre gefährliche Bahn. Die Poesie des
Schicksals geht den Poeten aus dem Wege. Ja; die dämonische Nachtluft dieser Welt
dringt ihnen zu allen Poren an's Herz, ihr Horizont ist voll den Schattenbildern
der Furien, welche die Schaubühne der Erde umkreisen; sie wittern den Hauch des
Todes, dem alles Leben geweiht ist, mit einer verhängnißvollen Nervenschärfe: ihre
Poesie selbst ist nichts als das Schnauben, Sträuben, Bäumen und Fliehen des edlen
Roßes, des den sprungfertigen Tiger in seinem Bereiche spürt: aber wie lange
zaudert der Sprung! wie lange ist der Weg, den die Sensitiven der
Lebens
Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unsers Helden; seine Uhr hatte noch länger zu laufen. —
Moorfeld ritt bis zur Erschöpfung. Wohl nannte er das Reiten einst die schönste Ehe zwischen dem Menschen und der Naturkraft. Pferd und Reiter wirken auf einander sympathetisch zurück. Moorfeld's Raserei war mit Blitzesverständniß in das Thier gefahren, die Ohnmacht des Thieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmuth. Sein verstörtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt.
Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtentheils einen öden, unbestimmten
Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den Indianern waren zwischen dem Erie
und Ohio große Waldstrecken niedergebrannt worden, um den Eingebornen das
Jagdgebiet zu verderben. Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und
Fülle des alten, geschlossenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht so
erstickend heiß gebrannt, so konnte der Wanderer häufig glauben, durch die
Regionen des Buschholzes im hohen Norden zu reisen. Die verwüsteten Bodenblößen,
einer langen Austrocknung preisgegeben, singen nur langsam an, unter dem Schutz
des Nachwuchses Feuchtigkeit und Humus wieder zu sammeln. Oft lagen sie als nackte
Wüstenstriche da, nicht Wald, nicht Prairie, ja und nicht einmal Haide mit dem
ästhetischen Charakter der Haide-Tinten und Linien. Hin und wieder stand eine
flache, formlos begrenzte Sumpflache auf diesen Steppen, wahrscheinlich die
entartete Nachkommenschaft früherer Quellen und Bäche, welche des Waldschattens,
ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das ursprüngliche Rinnsal verloren. Jetzt
irrten sie heimatlos über die veränderte Erde, verschwanden auf sandigem Boden,
standen auf fettem und thonigem als Moräste. In diesen Einöden scheuchte
Moorfeld's Ritt nur selten ein wildes Truthuhn, oder ein verirrtes virginisches
Repphuhn auf; aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbsthimmel, oder
ein Aasgeier kreischte hoch über Schußweite. In Busch und Gestripp raschelte
zuweilen eine Ratte — Waidwild, überall seltener als man
Von Menschenwohnungen fand Moorfeld nur den spärlichen Anflug dessen, was sich heute — hall, oder — city in dieser Gegend nennt. Es waren rohe, eintönige Blockhütten von stets wiederholter Form, die so ermüdend durch jede Einzelnheit lief, daß sich Moorfeld mit grauester Ueberzeugtheit eines Glasers erinnerte, welcher ihm einst gerühmt, „jedes Fensterglas passe in jeden Fensterrahmen der Union“. Ein paarmal überraschten ihn auch Gruppen von eleganten Frameoder Bretterhäusern, welche mit hellgelbem Anstrich, rothen Dächern und grünen Jalousien keck an ein sumpfiges Fuhrwerkgeleise wie an die schönste Poststraße sich hinstellten, und irgend einen Balkon, Portikus, oder eine caktusgeschmückte Veranda mit der Koketterie eines nur zu naheliegenden Bildes ausluden. Das waren Häuser von Humbugern, welche als Lockvögel der Landspeculation vor den unerfahrenen Augen der Einwanderer „Farmerglück“ zu spielen hatten. Ihre „lovely spots“ standen entweder selbst zum Kaufe, oder das käufliche Land war so geschickt zwischen sie einparzellirt, daß der Käufer nicht umhin konnte, künstliche geschraubte Preise dafür zu zahlen. In einer dieser bemalten Ostereischalen hielt Moorfeld seine Mittagseinkehr. Der Wirth, der ihn für eine Beute halten mochte, belagerte ihn mit lauernden Gesprächen. Unwillig blickte ihm Moorfeld auf den Grund, und legte in raschen, kurzen Antworten seine Sacheinsichten zu Tag. Da sprang der Yankee ab, und gefiel sich hierauf den Frommen zu spielen. Er erkundigte sich eifrig nach dem camp-meeting. Moorfeld ließ sein Pferd abfüttern und ritt ungesättigt von dannen.
Er überließ sich planlos der Irre. Die besuchtere Straße nach Erie, der Stadt, hatte er absichtlich vermieden, sein Weg ging in die einsamsten Richtungen.
Erst als der Abend niedersank, am Horizont dichtere Waldmassen in finsterer
Geschlossenheit zusammenrückten und die Riesenschatten der Wheymuthtanne, wie
Landzungen der Nacht tief und das sonnige
Zum erstenmal seit er Amerika's Boden betreten, hatte Moorfeld den Anblick der rothen Race. Der Indianer gehörte offenbar der Civilisation an. Sein Wesen unterschied sich in nichts von dem arbeitgewohnten Proletarier. Spuren kriegerischer Wildheit leuchteten nicht daraus vor. Seine Züge waren die eines alternden, sorgenvollen Menschen, seine schwarzen Augen lagen hohl und wenn sie nicht eben mit „der Gedankens Blässe“ blickten, so war es doch ein — christlicher Leidensblick.
Moorfeld hielt sein Thier an, und fragte nach der Lage der nächsten Farm. Der Indianer maß ihn mit argwöhnischen Blicken, indem er für alle Fälle seine Axt an sich faßte. Moorfeld durchschaute die Lage des Mannes. Aus der kurzen Erfahrung seines Grundbesitzes wußte er, daß der Besitz ausgedehnter Waldstrecken von den Nichtbesitzenden kaum als ein Recht, ja fast wie eine Versündigung an dem Naturrechte betrachtet, und Jagd und Holzschlag auf sogenanntem fremden Boden dieser Anschauung gemäß überall ausgeübt wurde. Moorfeld war kein Gegner dieser Rechtsbegriffe. In Amerika, wo das Holz mehr Last als Revenüe ist, wo durch die Landspeculation aufgekaufte Waldmassen überall herrenlos liegen und sogar oft nicht anders als mit den Noten einer Schwindelbank bezahlt sind: kann der größere Waldfrevel leicht beim Monopol des Besitzers selbst zu sein scheinen. Deßungeachtet handhabten viele Besitzer den Schutz ihrer Wälder unerbittlich, mehr mit dem Instinkte der Grausamkeit als der Gerechtigkeit, und der Indianer fürchtete seinem ganzen Benehmen nach Verrath.
Moorfeld sah daher ein, daß er zuerst um das Vertrauen des rothen Mannes werben
müsse. Er bot dem Arbeitsmüden seine Feldflasche an, überzeugt, den kürzesten Weg
zu seinem Zweck damit einzuschlagen. Aber
So sprach der Indianer. Moorfeld aber fragte nicht mehr nach der nächsten Farm; er übernachtete in dem Reisigzelte des rothen Mannes.
Wie erwachte er morgens! Verdrossen, nicht leidenschaftlich schleppte er diesen Tag sich weiter. Sein Reisetrieb war gedämpft, der Schmelz jener duftigen Waldregionen dahin. Hätte er nicht Anhorst in Detroit zu finden, oder zu erwarten gehofft, so stand er ganz ziellos jetzt auf seinen wilden Irrwegen. Dieser Eine Zug bewegte ihn noch vorwärts.
Die Landschaft war heute angenehmer, die Luft dagegen gänzlich verstimmt.
Gegen Mittag verfinsterte sich der Horizont. Vom Norden brach ein heftiger Sturm ins Land, überflügelte den Himmel im Nu mit einer Beduinenarmee von kaltgrauen Haufwolken. Wildbrüllend wälzte der gigantische Schwarm sich übers Firmament und auf der Erde verrannte sich Schatten in Schatten. Die Temperatur sank empfindlich; schneller wechselt auf einer Schaubühne die Scene nicht, als an diesem Tage der Personenwechsel von Sommer und Herbst vorzugehen schien. Moorfeld suchte jetzt nothgedrungen den Schutz der Wälder, deren Einsamkeit und dunkleres Colorit er sonst nur gesucht. Sie standen streckenweise wieder so unwüchsig heute, daß unter ihren Gewölben, wie in Kasematten einer natürlichen Festung, dem stärksten Bombardement eines Wetters zu trotzen.
Ein solches erwartete Moorfeld. Aber der Ausbruch war kein Sommergewitter mit Blitz und Donner und dem raschen Abprasseln eines Stromregens. Moorfeld ritt manche Stunde zu, bis er erkannte, daß nicht die letzte Wuth des Sirius, sondern die erste der Aequinoktialstürme über ihn ausgebrochen. Der Regen begann zwar, aber in unruhigen, zerflatterten Zwischenpausen; das wüste Getriebe der Haufwolken ballte sich regellos in verschiedener Dichtigkeit, Temperatur und Lufthöhe, eine Wolke regnete in die andere, und die frostschauernden Windstoße rißen sie eben so oft auseinander, als sie im nächsten Nu, wie mit Keulen der Treibjagd, den nassen Pferch zusammenhetzten.
Die Nacht fiel an diesem Abend früher herein, als es Gesetz der Jahreszeit.
Moorfeld erkannte an der Harzluft und an den verworrenen Figuren der Bäume, daß es
ein Wald von Nadelholz war, in welchem sie mit plötzlich verzehrendem Dunkel ihn
überraschte. Er stieg vom Pferde, schlug Feuer, hieb sich einen Fichtenzweig ab,
und leuchtete seinen unergründlichen Wegen. Sein Thier war vor Angst und
Anstrengung gebadet in Schweiß, von seinen Weichen wirbelte Dampf auf. Moorfeld
führte es am Zaume neben sich her. Aber seltsamer Weise zeigte es einen begierigen
Trieb nach vorwärts, es warf den Kopf hoch an den Hals zurück, schnob mit weiten
Nüstern sehnsüchtig in die Luft und setzte sich wiederholt in einen Trab, dem
Moorfeld zu Fuße nicht folgen konnte. Er schloß, daß das Thier irgend eine
Wasserstelle wittere. So bestieg er es wieder und überließ es seinem Instinkte.
Das Pferd griff sogleich mit munterem Gewieher aus. Der Wald war so frei, wie
rasirt, von Unterholz; das Thier
Nach einem Ritt von ungefähr einer englischen Meile glaubte Moorfeld eine veränderte Luft zu athmen. Auf einmal sah er durch die Bäume des Waldes seinen Boden wanken und schwanken, ein flüssig gewordener Horizont rannte auf und ab vor seinen Augen, auf eine tief graue Ferne hinaus erblickte er nichts als einen Taumel zerbrochener Linien die in blitzschnellen Veränderungen über einander herstürzten und mit Wind und Wolken vermischt in rythmuslosen Zischlauten siedeten und surrten, daß Aug' und Ohr vor dem sinnlosen Wunder erstarrten. Moorfeld hielt die Fackel hoch, blickte, staunte, combinirte wie im Traume und erkannte endlich das Bild einer großen sturmbewegten Flut. Er stand am Eriesee.
Es war ein Bild wie zur Verzweiflung gemacht. Oben eine Decke grauer und formlos zerfließender, unten ein Chaos schwarzer und starrer Schatten, dort die Wolken- hier die Waldlandschaft einräthselnd; dazwischen eine wilde Jagd von Wellen und Wogen, in raumloser Finsterniß unendlich für die Sinne wie für die Ahnung, und drüber her ein reißender Sturm, der über den See mit einem hohen und zischenden, über den Wald mit einem tiefen und brüllenden Ton fuhr und so die ungefähre Grenze von Wasser und Erde aus dem grobsten Naturlaut heraus verkündete. Moorfeld stand und erlabte sich in einem langen bewundernden Blicke an dieser Unterwelts-Scene.
Er hörte sein Pferd unter sich in tiefen Zügen schlürfen, leuchtete hinab und sah eine Wasserlache, welche die Brandung des Sees landeinwärts ausgegossen. Es war gewiß, daß das Ufer in mehr oder minderer Tiefe rings her eine gefährliche, wenn nicht unmögliche Passage bot.
Moorfeld stieg zum zweiten Male vom Pferde und dachte an einen Rückzug in das Waldinnere. Es galt das Standquartier dieser Nacht auszuwählen.
Da geschah ihm, als trüg' ihm der Sturm Gesangstöne zu.
Moorfeld horchte hoch auf. Die Entdeckung war zu ansprechend, wenn sie sich bestätigen sollte. Eine neue Windeswelle leitete den Schall deutlicher. Es war ohne Zweifel, es sang Jemand in der Nähe.
Moorfeld ließ einen hellen Jagdruf erschallen, aber er hatte den Wind gegen sich. Er kehrte sein Auge mit Anstrengung in die Finsterniß, ob er nicht die Begleiterin menschlicher Cultur, eine Lichtflamme, entdecken könne, aber gleichfalls vergebens. Er mußte sich darauf beschränken, sein Pferd vorsichtig der Richtung der Töne entgegen zu führen, dem Zufall anheimgestellt, daß sie vielleicht wieder aufhörten und ihre Spur ihm entzogen.
Glücklicherweise geschah dieses nicht. Der Gesang erhob sich vielmehr immer vernehmlicher. Es war ein marschartiger Rythmus und eine leichte, leichtsinnige Baudeville-Melodie nach altem Zuschnitt. Moorfeld konnte sich bald darauf verlegen, die Textworte selbst herauszuhören. Buvons — buvons — klang es einige Male, — dann brüllte ein breiter Sturmdonner dazwischen, daß der Wald krachte, Cäsar's erhitzte Haut schaudernd zusammenfuhr und Moorfeld aus dem See heraus den spritzenden Gischt im Gesichte spürte. Das schien aber den nächtlichen Sänger wenig zu geniren. Denn bald darauf hatte sein fröhliches Herz mit le vin bon zu thun und der nächste Windstoß war noch galanter, er kam avec ma Lison.
Als Moorfeld erst die Sprache herausgehört, war es ihm um so leichter zu folgen. Ein gut gelaunter Franzose, wahrscheinlich ein „heureux Canadicn“ vom nördlichen Erieufer herübergekommen, trieb sich in der Nähe. Wahrlich, der Sänger konnte auch nur Franzose, oder Irländer sein. Ein Amerikaner hätte nicht gesungen. In dieser einsamen, melancholischen Lage vielleicht kaum ein Deutscher.
Moorfeld tappte sich am Leitseile dieser Vocal-Production Schritt für Schritt näher. Der syllabisch-recitirende Styl des französischen Gesanges ließ ihn bald jedes einzelne Wort vernehmen, wozu noch beitrug, daß die accentuirten Sylben durch ihren regelmäßigen Fall auf die guten Tacttheile ungemein markirt hervortraten, was auch dem Chanson, trotz seiner Schäferlichkeit, seinen gallischen, sturmschrittartigen Geist verlieh.
Der Sänger nahm zu einer neuen Strophe seinen Aufschwung.
Moorfeld fürchtete mit poetischer Kennerschaft, daß diese schönsten Momente auch
billig die letzten und das Lied damit an seiner Pointe angelangt sei. Er erhob
daher von Neuem seine Stimme, in der Voraussicht, den Leitton jetzt einzubüßen.
Aber sein kritischer Blick hatte ihn diesmal getäuscht. Der unverwüstliche
Chansonier fuhr fort:
In demselben Augenblicke verschränkte sich der Wald so dicht vor seinem Fuße, daß er sich genöthigt sah, auf einen ziemlichen Umweg auszubeugen. Bevor er es that, rief er zum Drittenmal die singende Stimme an, und Cäsar begleitete ihn mit einem kräftigen Gewieher.
Dieses Doppelsignal weckte den Sänger endlich aus seinen Träumen. Q’est-ce que cela? un chevalier avec son cheval? Soyez les bien–venus me bons camarades!
Je vous rendes bon grace, Monsieur! mais dites-moi s'il vous plait ...
Je comprend, je comprend! Je serais votre guide. Le passage est horrible. Restez,
s'il vous plait. Je serais directement à votre service. Tenez place, Monsieur.
C'est votre flambeau, qui me dirige.
Werden wir heute unseren armen Irrenden bei diesem Franzosen besser betten, als gestern bei dem Indianer?
Moorfeld hörte Baumäste knattern, Büsche rauschen, Fußschritte schreiten, springen, im Sumpfwasser quitschen und mit einem bon soir, Monsieur! traten die Umrisse eines Menschen aus der Waldfinsterniß.
Die Kienfackel beleuchtete den beiden Begegnenden ihr tête à tête.
Was für ein anderes Bild hatte sich Moorfeld von dem Schäfer der schönen Iris gemacht!
Es war ein Mann von mittlerem, ja späterem Lebensalter, seine Stirne gefurcht, wir möchten sagen gekerbt, sein Teint tief dunkelbraun, sei’s von der Sonne und Luft, oder von einem starken Zusatz indianischen Blutes, — kurz der ganze Kopf, hart und erzfarbig wie eine Büste aus Bronce. Sein Auge, klein und schwarz, blickte fast hohl und nichts weniger als sorglos; seine stark hervortretenden Backenknochen, gleichfalls der indianischen Abstammung verdächtig, verliehen ihm sogar etwas Abschreckendes; nur um Kinn und Mund spielte ein Abglanz des feinen, sinnlichen Frankreichs. Seine Tracht war äußerst roh und wild; er trug ein Hemd von Hirschleder, mit eben solchen Beinkleidern, beide Stücke durch lange Abnutzung fast unkenntlich, die Füße standen in indianischen Mocassins, um die Schultern hing ein gräulicher Mantel von Büffelhaut. Als er Moorfelden die Hand zum Gruß reichte, glaubte dieser, er habe ihm einen Kieselstein in die seinige gelegt.
Nun will ich Sie in mein Pavillon führen, sagte der Halbwilde, und Moorfeld empfand erst jetzt die ganze Heiterkeit des Contrastes der belle France mit dem sauvage de Canada.
Was der Franzose sein Pavillon nannte, war eine Erderhebung, die sich wie eine natürliche Terrasse in den See auslud, gekrönt mit einem Hain von prachtvollen Ulmen.
Die Stelle bildete eine kleine Landzunge, aber die Erosion des Sees hatte beide Seiten derselben in tiefen Einschnitten versumpft, den Sumpf jedoch mit einer trügerischen Vegetation von Erlen-, Weiden-, Berberizen- und Thuja-Gestripp so reichlich überwuchert, daß der Reisende, der etwa einen festen Weg durch diese Au-Striche suchte, unfehlbar darin zu Grunde ging. Der Franzose führte Roß und Reiter den einzig praktikablen Zugang, einen kiesigen Pfad, der sanft aufwärts führte und nach einer kurzen Strecke die Spitze der Landzunge erreichte. Diese Spitze war fast ein Vorgebirge.
Der Platz war ungemein wirthlich. Der Wald hatte hier, wo er unmittelbar in den See abstürzte, gleichsam seine trotzigste Kraft zusammengerafft und auf die Landzungenterrasse eine Fülle seines stolzesten Holzes geworfen. Man stand wie in einer Kammer. Der Franzose hatte den Ausdruck Pavillon kaum scherzweise gebraucht. Er führte seinen Gast, man konnte sagen, in ein geheiztes Cabinet; denn in einem Winkel von drei dicht neben einanderstehenden Ulmen sah Moorfeld ein Feuer lodern, welches eine behagliche Wärme verbreitete. Die Zwischenräume der drei Bäume waren mit Reisig vollgeschichtet, und auf diese Weise eine vollkommen windfeste Wand hergestellt. Auf der andern Seite des Feuers dagegen schloß ein um die Baumstämme gepflöcktes Segeltuch den Raum ein, indeß am Boden ein Teppich aus Büffelhaut ausgespannt lag, hinter welchem ein Erdaufwurf dem darauf Sitzenden sybaritisch zur Rücklehne diente. Das Dach bildeten die zusammengedrängten Ulmenkronen fest und dicht wie ein Gewölbe. In ihren obersten Spitzen hörte man den Sturm rauschen, im See drunten klatschten die brandenden Wellen, — in der Mitte von Beiden dieser Raum voll Sicherheit war wie ein Ding des Zaubers.
Für die Höhe der Civilisation hat der Rückblick auf ihre Anfänge unter allen Umständen etwas wohlthuend Ergreifendes. Dieser Sänger in diesem Foyer war ein Rendezvous, das unserm Repräsentanten der europäischen Cultur mächtig und freundlich in die Seele griff. Er fühlte es zum erstenmale seit seinem zweitägigen Ritt wie einen Moment des Friedens in sich.
In dieser Stimmung ließ sich Moorfeld an die gastliche Heerdstelle nieder. Monsieur, wir werden soupiren wilden Reis in Wasser gekocht, ein paar Wasserschnepfen und eine Ente. Brod wollen wir für schädlich erklären. Cider-Bordeaux von Charlotteville in Ober-Canada wird uns diese Kürbisbouteille liefern. Charlotteville ist meine Heimath, Monsieur. Dort drüben liegt es. Wagh! eine Location mitten unter Engländern, die Gott verdammen möge. Hätt' ich nicht ein paar gute Freunde in New-Orleans, die ich Winters über besuche pour avoir quelque conversation, ich möchte mehr Waschbär sein als Mensch. Wagh!
Der Canadier hing einen kleinen Kessel mit Reis über sein Feuer, steckte sein genanntes Geflügel an ein paar Bratspieße und reichte Moorfelden die Kürbisflasche.
Die ganze Scene war unserm Helden so neu, so sehr im Geiste dessen, was sich wohl sonst europäische Poesie unter dem „romantischen Westen“ denkt, daß Moorfeld aus seinem dumpfen, selbstertödtenden Brüten mehr und mehr zu erwachen anfing. Und konnte er gleich sein krampfhaft zusammengeschnürtes Herz nicht frei und fröhlich als Gastgeschenk bieten, so erinnerte er sich doch, daß zur Unterhaltung auffordern auch unterhalten heiße. Wie schwer aber hätte ihm diese Aufgabe werden sollen bei einem Manne, der von Canada nach New-Orleans reist pour avoir quelque conversation?
Er begann sich's an der Feuerstelle bequem zu machen. Bitte, stellt mich auch Frau und Kind vor! scherzte er dazu. Der Franzose aber schien dieses Compliment über seine glückliche Nachahmung von Häuslichkeit zu verkennen, denn er schlug ein Schnippchen und antwortete fast mürrisch: Wagh! Familienleben schönes Leben! Ich bin Amateur von dem Familienleben — anderer Leute! Ich liebe es außerordentlich. Aber zu Hause will ich frei sein. Wagh! Familie ist Silber, Freiheit ist Gold!
Und plaudernd fuhr er fort: Als ich vor mehreren Jahren für die Nordwest Biberjagd
trieb, da besaß ich zwei Weiber, wie es im Westen der Trapper Brauch. Ah,
Monsieur, Schöneres hat die Welt nicht gesehen! Die Eine, Juanita, hatte ich aus
einer Mission in Kalifornien entführt; aus ihren schwarzen Augen brannte es wie
der Blitz einer Doppelflinte, aber das dunkle spanische Feuerblut ihrer Wangen
verrieth, daß sie eben so berufen, Wunden zu heilen als zu
Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experimentirend wie weit der Leichtsinn oder das Selbstvertrauen dieser Natursöhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, sondern Bedürfniß ist?
Wagh! sagte der Canadier sich schüttelnd, haben Sie schon einen alten Franzosen gesehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt? qu'est ce que cela? Ein Franzose wird nicht alt!
Eine charakteristische Antwort! Ein Sittenforscher könnte sich wohl an ihr genügen lassen.
Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende Abendunterhaltung
gefunden. Der Canadier hatte an eine Zeit seines Lebens erinnert, wo er „Trapper“
gewesen. Moorfeld brauchte ihn nur zu Erzählungen aus dieser bewegten Sphäre zu
ermuntern, und er unterhielt seinen freundlichen Wirth ganz auf seine eigenen
Kosten, während er selbst die passive Rolle, die so sehr zu seinem Gemüthe
stimmte, ohne Zwang inne haben konnte. Der Canadier ließ sich nicht nöthigen. Im
dämmerungsvollen Schein seines Herdfeuers und bei einer ziemlich unverkürzten
Mitgift französischer Selbsteingenommenheit hatte er wenig Blick für den
Seelenzustand seines Gastes. Auch fragte er nicht: woher? und wohin? Eine
Reiseerscheinung wie Moorfeld bot einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So
überließ er sich ganz seinen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein
unerschöpflicher Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel stürmte, der See
zischte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Canadier sah fleißig zur
Küche, man speiste, trank dazu, und hatte abgespeist, und der Fluß seiner Rede
schwebte wie ein ewiges Element über all diesen endlichen Dingen. Leider können
wir uns nicht darauf einlassen, unsern Antheil an dieser Conversation zu fordern.
Welche Episode dürften wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und
welcher Raum dieser Blätter wäre geräumig genug, das Ganze zu geben?
Diesen Freiheitstrieb faßte Moorfeld auch als den eigentlichen Kern all jener überwuchernden Begebenheitspoesie. Psychologisch merkwürdiger als die ganze Romantik des Trapperlebens wurde ihm daher bald die Frage: wie ein Trapper aufhören könne ein Trapper zu sein? Seine äußere Aufmerksamkeit war lang schon gesättigt, vielleicht übersättigt, als er sich's nicht versagen mochte, noch diese Frage zu thun.
Es fehlte wenig, daß sie der Canadier fast übel nahm. Parbleu! antwortete er, ich
war kein vite-pocheMann, das mögen Sie glauben. Auch mein Kamerad stand seinen
Mann, der gute Au Reste, das hat er hundertmal bewiesen. Der arme Teufel kam
freilich mit einem verflucht gebrochenen Herzen, wie sie's nennen, in unsere
Gesellschaft; die Bourgeois in Cincinnati hatten ihn abscheulich ausgerieben und
Weib und Kind war ihm darüber untergegangen, — er hatte Unglück haufenweis!
Sein
Wir kaschten, von einer größern Schaar abgeschnitten, zu fünf Mann vor einem
Haufen Sioux-Indianer, welche in übermächtiger Anzahl uns auf den Fersen waren.
Wir entrannen glücklich und erreichten an einem stürmischen Abend in der Nähe des
Hochgebirgsthales, welches man den stillen Park nennt, eine wilde Schlucht. — Es
war das felsige Bett eines ausgetrockneten Bergstroms. Schroff und steil stiegen
die Uferwände von allen Seiten aus dem Creek auf, und gewährten selbst dem
flüchtigen Dickhorn, welches zuweilen hoch über uns in die gräuliche Steinspalte
niederlugte, kaum einen Platz zum Fußen. Dazu verrammelten Fichtenstämme, die der
Sturm oben abgerissen und in die Tiefe gestürzt, beständig den Weg, und
Felsblöcke, welche das Flußbett beinahe ausfüllten, hinderten noch mehr am
Vordringen. So krochen wir unter unsäglichen Beschwerden in das Berginnere und
Mann und Pferd war öfter als einmal in Gefahr unterzugehen. — Gegen Abend
gelangten wir endlich an einen Punkt, wo die Schlucht sich zu einer kleinen
abschüssigen Prairie von einigen hundert Schritten erweiterte, deren Zugang ein
Dickicht von Zwergfichten und Cedern wie ein Vorhang verbarg. Hier beschlossen wir
das Nachtlager aufzuschlagen. Nie waren Trapper vor Indianern besser gekascht: wir
hielten uns Alle überzeugt, kein menschlicher Fuß habe je vor uns diese Stelle
betreten, oder nur je zu betreten versucht. — Wie groß war daher unser Erstaunen,
als wir hinter dem Dickicht ein Pferd stehen sahen! Einsam und unbeweglich stand
es in der Mitte der Prairie — wie das Bruchstück einer Reiterstatue! Es war ein
alter ergrauter
Moorfeld sah wohl, daß dieser Geist voll Erinnerungen eine einfache Frage nicht anders als durch eine Reihe von Abentheuern zu beantworten im Stande war. Sein gespannter Geist und sein erschöpfter Körper lagen bereits in einem bedenklichen Conflict, den die ruhende Lage und die behagliche Feuerwärme mit jeder Minute mehr zu Gunsten des letztern entschied. Unumwunden: es fielen ihm die Augen zu. Indeß recitirte der Improvisator im schlimmsten Falle noch während Moorfeld schon schlief und er hatte dann doch die Genugthuung, daß sich sein Wirth gut unterhalte, wenn gleich die einzige Frage, die er selbst mit wirklichem Interesse gestellt, leer ausging. So streckte er sich auf sein Büffellager hin und überließ sich zwischen den Forderungen der Natur und der Kunst, ihn wach zu erhalten, ganz der Neutralität.
Au Reste und ich, erzählte also der Trapper, hatten uns vergebens bemüht, einen
Paß über das Gebirge auszukundschaften und in eine Region mit Wild und Weide zu
gelangen. Der Winter war ungewöhnlich früh und rauh angebrochen; Frost, Hunger und
Erschöpfung überraschten uns, eh' wirs dachten. Von unsern Pferden war eins
gefallen, das andere schlachteten wir selbst und verzehrten es: ein weiteres
Vordringen war damit aufgegeben. Ueberdies wurde Au Reste krank um diese Zeit,
eine Kugel hatte ihn kürzlich an der Ferse verwundet und war noch nicht
ausgezogen. Durch das Gehen und die übermäßige Kälte verschlimmerte sich die
Wunde, nahm ein häßliches Aussehen an, und machte ihn bald unfähig zu jeder
anhaltenden Bewegung. So sahen wir uns genöthigt, in die Tiefschlucht des Creeks
wieder zurückzukehren, auf die kleine versteckte Prairie, wo wir den alten Bill
Williams begraben. Hier mußten wir uns entschließen zu überwintern. Wir bauten uns
eine kleine Hütte, Au Reste wurde auf ein Lager von Fichtenzweigen gebettet, mein
Geschäft sollte es sein,
Nun sollen Sie hören, was dieses Herz wendete, fuhr der Canadier fort, und wir
dürfen vielleicht das Concept des wilden Erzählers anerkennen, der den begonnenen
Faden doch nicht verloren. Wir wollten den hierauf folgenden Sommer nach
Californien aufbrechen, um uns Pferde und Maulthiere aus der Mission San Fernando
zu holen, derselben, woher ich früher meine Gattin Juanita geholt. Wir hatten uns
einer größeren Trappergesellschaft angeschlossen und Alles ging
Mit Recht! rief Moorfeld aus, der schreckensstarr nur die einfachste Antwort für so viel Entsetzen hatte.
Es folgte eine längere Pause zwischen unsern Gastfreunden. Moorfeld's Lebensgeister waren gewaltsam wieder ermuntert. Vor Allem rege war sein Interesse für Au Reste. Der Mann, der sich bei lebendigem Leibe seinem Freunde zur Nahrung geboten, und doch vor der gleichen Nahrung mit unbefleckter Menschlichkeit zurückgeschreckt, — er war in einem Petrefact von Barbarei ein so unschätzbarer, tiefliegender Juwel des Menschengemüthes, daß ihn Moorfeld lebhafter ergriff, als die Schattengestalt einer flüchtigen Abendunterhaltung.
Und was ist aus Au Reste geworden? war daher seine erste Frage, als er von dem Eindruck des gehörten Gräuels sich erholt.
Ah, le pauvre diable! seufzte der Canadier, mehr für sich als zur Antwort.
Erreichte er noch die Bezirke der Civilisation? ging er zu Grunde? starb er? wie?
Monsieur, ce sont des choses bien — bien — ah, fort damit! Was wäre das Leben
ohne Wein und Gesang!
Wie, mein Herr, ehrt man so das Andenken der Braven? Was ist aus Au Reste geworden?
Mon Dieu — wenn es sein soll — Sie schlafen auf seinem Grabhügel.
Moorfeld sprang auf.
Auf seinem Grabhügel?
Ja, hier unten liegt er und kommt nicht wieder herauf. Freut es mich doch, daß ihn die Yankee's — Gott verdamme sie! — nicht eingescharrt haben. Sie haben ihm das Leben leid genug gemacht. Ruhe seiner Seele! Ich danke Gott, daß ich wenigstens berufen war, ihm den letzten Dienst zu erweisen.
Mann! Was ging hier vor? Auf welchem Boden steh' ich? Bei Gott, sprechen Sie!
Nun ja doch — ja! Ich will Ihre curiosité pour des evene mens funestes befriedigen. Aber behalten Sie Platz, Monsieur. Glauben Sie, man schläft auf einem Grabhügel wie in jedem andern Fauteuil. Wenn wir im Westen einen Trapper begruben, — und keine Woche verging ohne das —
Auf einem frischen Grabe! Sie litten Schiffbruch auf dem stürmischen See, und Er blieb das Opfer?
Pardon, der Sturm war sehr gut; — steifer Strich aus Nord, mein Canoe flog wie
eine Schwalbe! Ja freilich litt er Schiffbruch; aber nicht mit mir — ah, je
comprends; Sie denken wir fuhren ensemble von Canada herüber? Keineswegs, mein
Herr, zwei Trapper bleiben unter dem Bourgeois nie beisammen, die besten Freunde
nicht. Mon Dieu, was sind Trapper in den Städten? Wachsstumpen in des Küsters
Lade. Meidet Einer den Andern. Nein, ich wußte in Wahrheit nicht, was aus Au Reste
geworden. Wir hatten uns getrennt als gute Freunde und Brüder, aber wir hatten uns
getrennt. Erst heute, erst hier sah ich ihn nach fünf Jahren zum ersten- und
letztenmal wieder. Hier landete ich, dort zog ich mein Canoe in's Dickicht, wo ich
es, von New-Orleans retour, regelmäßig wieder zu finden pflege, und so war Alles
gut für diesmal, dacht' ich. Stehenden Fußes sollte es nun weiter gehen nach dem
Ohio. Ein paar hundert Schritte von hier kenn' ich eine der besten Waldpassagen,
dahinab marschirte ich längs dem Seeufer. Nun, was soll ich finden unter
Moorfeld sah das Gesicht einer Meduse.
Anhorst! schrie er außer sich.
C'est juste! Das war sein Name. Mon Dieu, un nome très difficile; die Yankees verhunzten ihn, Gott verdamme sie; und ich prononcirte Anorest — Orest und zuletzt Au Reste, denn wahrlich er war arrivé au reste, als er zu den Trappers kam. Aber kannten Sie ihn, Monsieur?
Eine finstere Herbstnacht bedeckt Himmel und Erde. Der Wind braust kalt und schneidend über Wald und Prairie. Nasse Wolken sprengen stoßweise Regenschauer nieder, — harte körnige Tropfen, die schon den Eisgedanken denken. Rasselnd fahren sie durch das Gelaub der Bäume und streifen Strich um Strich Hekatomben von Blättern ab. Die Erde schauert in's innerste Mark hinein. Es dröhnt ihr wie Trommelwirbel im Ohr, — das Martialgesetz des Winters hört sie verkünden. Horch, wie entsetzte Thierlaute durch die hohle Finsterniß dringen! Das Volk der Wildhöhlen kreischt angstzerrissen den Gott des irre gewordenen Lebens an. Eine Eule raschelt mit schwerem Flügel durch's Dickicht — ein scharfer Schrei — da sank noch ein Opfer der Local-Tyrannei, eh' der Winter sie Alle, Alle gebieterisch anherrscht: Schlafet und sterbet!
Hufetrab schallt durch die Nacht, erhitztes, abgehetztes Schnauben und Schnaufen,
— es ist ein Pferd mit seinem Reiter. Sie haben einen langen Gang gethan. Das
Pferd ist wund geritten, mit Schweiß und Schaum bedeckt, die Beine hoch hinauf von
Sand starrend, Schweif und Mähne von tausend Dornen zerrauft. Der
städtisch-elegante Reiter theilt das verwüstete Aussehen seines Thieres. Ein Wild
achtet seines Felles mehr, als hier ein Mensch einer menschlichen Bedeckung
geachtet. Der feine Anzug ist zerzaust, zerrissen, beschmutzt, jedes Stück in
Unordnung, von Wind und Regennässe, Waldesgedorn und nacktem Erdlager gestaltlos,
formlos. Das Antlitz des Reiters ist
Der Reiter ist Moorfeld.
Wir erzählen seine, seit dem Nachtlager am Eriesee durchlebten Stunden durch — Schweigen. Diese Orestie sei der Phantasie des Lesers überlassen! Genug, daß den Furien, die ihn jagten, kein Weg zu unwegsam, kein Dickicht zu dicht, kein Dorn zu dornig, keine Nacht zu nächtlich war, sie fegten dies Herz über den herzlosen Boden Amerika's wie ein dürres Baumblatt im Winde. Aber es war kein dürres Baumblatt, es lebte und blutete, und blutend schleifte es sich von dem methodistischen camp-meeting, von Gadshill, von Anhorst's Grabhügel jetzt seiner verlassenen Hütte zu.
Es war späte Nachtstunde, als Moorfeld sein ödes Heimwesen wieder erreichte.
Wie ein abgetakeltes Wrack trieb Roß und Reiter in den nachtbedeckten Hafen. Kein Salutirschuß der Freundschaft empfängt den Heimkehrenden freudig oder ehrenvoll; als schliche er sich in einen Piratenhafen, ist's traurig-stumm bei seiner Annäherung. Ach, er liegt ja im Grabe, der Mann, für den Moorfeld Dank und Freundschaft hier ausgesäet! Hinter jenen Blockwänden lungert theilnahmlos ein Miethling.
Aber das Blockhaus ist erleuchtet und zwar ungewöhnlich wie es scheint. Noch mehr, lärmende Zecherstimmen hallen daraus durch die Waldnacht.
Moorfeld staunt.
Seltsames Beispiel von Dienertreue! Der trübsinnige Schottländer kennt also doch die Freuden des Trinkgelages; nur — hinter dem Rücken des Herrn! Oder ist ihm ein Schwarm wilder, ungebetener Gäste in's Haus gefallen, ein Schlag von Backwood-Rowdies, die er anders nicht los wird? Das war Moorfeld's besserer Gedanke.
In diesem Augenblicke stürzte Cäsar über ein paar querliegende Baumstämme. Moorfeld fiel und sah im Finstern den Boden rings bedeckt von frisch geschlagenem Stammholz. Es war wie eine Art Barrikade.
Halloh! Ballan heraus! rief Moorfeld mit hellem Waldruf.
Niemand antwortete.
Hört, Ballan, hört! Heraus mit Licht!
Das Blockhaus rührte sich nicht.
Ungeduldig raffte sich Moorfeld, so gut es gehen wollte, auf und half auch seinem Pferde auf die Beine. Er führte es vorsichtig am Zaume nach sich gegen die Hütte, deren Thüre er mit Einem Fußtritte aufstieß.
Aber jetzt war auch Empfang da.
Ein Mann trat ihm unter der Thüre entgegen und leuchtete ihm mit einer Kienfackel in's Antlitz.
Moorfeld prallte zurück. Das war Adin Ballan der Schottländer nicht, dieses Gesicht war — Wogan!
Hollah, was soll's? Was wollt Ihr vor meinem Hause? polterte der barsche häßliche Mann.
Moorfeld blickte unwillkürlich um sich, ob er den Ort nicht verfehlt, aber kein Irrthum waltete. Welch neue Ungeheuerlichkeit das! Hölle! rief er, ist ein Toller hier eingebrochen; wo ist Ballan?
In allen Winden; was kümmert's mich! laßt mir mein Haus in Frieden!
Teufel! Herr, packt Euch in's Tollhaus; Pistolen spaßen nicht. Wo ist Ballan, mein Diener?
Wogan trat zurück und machte Miene die Thüre zuzuwerfen.
Moorfeld riß eine Pistole aus dem Gürtel und feuerte. Das Hausrecht gegen die kolossalste aller Frechheiten zu vertheidigen, hätten wir selbst, um ein Gleiches zu thun, vielleicht nicht erst des Zustandes bedurft, worin diese Frechheit ihn antraf.
James! Dick! Bill! Charles! Heda, schüttet Zündkraut auf! Knallt ihn nieder! Schmeißt ihn todt! Und im Nu stand der Eingang gedrängt von einem Halbdutzend wilder, betrunkener Galgengesichter.
Moorfeld zog eine zweite Pistole. Da geschah ein Schlag gegen seine Hand und die Waffe fiel zu Boden. Ein höllisches Gelächter umwieherte ihn, das Gesindel packte ihn von allen Seiten. Moorfeld riß ein Jagdmesser aus der Scheide und stürzte blind auf den Schwarm. Dieser stob augenblicks auseinander. Moorfeld fiel im Schwung seines Stoßes zu Boden und sein Messer rannte tief in die ungedielte Erde. Die Meute johlte unbändig über den gelungenen Raufer-Kunstgriff.
Na, Jungens, laßt's gut sein, fing jetzt eine Stimme mit irischem Accent zu lallen an. Verklagt den Burschen of trepass vi et armis und setzt ihn für diesmal an die Luft. Man ist doch Friedensrichter so zu sagen, und für Blutvergießen verantwortlich, so zu sagen. Ich rathe, Misters, es wär' ein verdammtes Accident, wenn ein Friedensrichter und ein Bündel Geschworne Selbsthilfe genommen. Wofür sind die Gesetze unsrer freien und aufgeklärten Verfassung da? Was will der Kerl eigentlich? Nachtlager? O pfui, Mister, wer wird mit Pistolen in der Hand Gastfreundschaft fordern? Aber die arme Maus steht nicht mehr fest in ihren Schuhen. Gebt ihm ein Glas steifen Grog, Jungens, Hitze muß Hitze vertreiben; ich rathe das wird ihm gut thun, wie der Nachtigall die Kreuzspinne.
Moorfeld packte den Mann, der so sprach, an, und rief: Ihr seid Friedensrichter? Nun denn im Namen Eures Amtes! Wißt Ihr auf welchem Boden Ihr steht? Wißt Ihr an welchem Verbrechen Ihr mitschuldig seid? Ich überblicke, was hier vorgegangen ist. Man hat meinen Diener verjagt und sich in den gewaltsamen Besitz meines Hauses gesetzt. Ihr seid von einem Räuber bewirthet und Mitschuldige Eures Räubers. Geht! Taumelt Euer frevelhaftes Gelage zu Ende und erwachet morgen unter dem Schwert des Gesetzes.
So sprechend schleuderte Moorfeld den Betrunkenen hin, warf sich auf's Pferd und sprengte davon. Wald und Finsterniß verschlang ihn. Das Ganze war die Scene eines Augenblicks. —
Wenn Menschen durch Untertauchen in's Wasser sich den Genuß eines schwungvollen
Glockengeläutes verschaffen, Andere durch starke Narkosen, oder durch künstliches
Erhängen, oder durch was immer für eine Hervorbringung von momentanem Blutdruck
auf's Gehirn sich eine plötzliche Traumwelt an die Stelle der realen Wirklichkeit
setzen, so müssen wir an die Abnormität solcher Augenblicke erinnern, wenn wir von
Moorfeld's Zustand jetzt sprechen sollen. Das Abenteuer dieser Minute war so
herausgerissen aus dem Zusammenhange Alles dessen, was ein Heimkehrender an seiner
Schwelle erwartet, es war so unerhört, ja so wahrhaft unmöglich, daß es fast
einzig nur im Charakter des Absurden auf Moorfeld wirkte. Moorfeld hatte die ganze
Zeit über an die Person Wogan's nicht wieder gedacht. Und dachte er ja an sie, so
versah er sich eines bösen, feindseligen Streiches zu
So war nach der Betäubung des ersten Augenblicks Moorfeld's Eindruck von diesem Erlebnisse eigentlich kein anderer, als der einer schlechtbefriedigten — Verwunderung. Noch nie war eine Beleidigung sinnloser angelegt, noch nie eine Genugthuung gewisser.
In dieser Zuversicht stand Moorfeld Tags darauf vor dem Cantonsrichter in New Lisbon, und forderte nach einem kurzen Referate der nächtlichen Begebenheit einen Constabler, der ihn in den Besitz seines Hauses zurück- und den unbefugten Eindringling in Haft daraus wegführte.
Kaum aber hatte Moorfeld sein Begehren vorgebracht, als Mr. Wogan selbst vor dem Richter erschien. Er behauptete eine große Kaltblütigkeit bei Moorfeld's Anblick.
Zu dem Friedensrichter gewendet sagte er, er komme, um das Ortsgericht zur
Uebernahme eines Depositums aufzufordern. Es stünden ihm die Fahrnisse im Wege,
welche der vorige „Inhaber“ von John Stuterings Loos in seinem log shanty
zurückgelassen. Seine Rechtstitel erstreckten sich nur auf das Immobiliar, die
bewegliche Habe anzutasten oder zu benutzen getraue er sich nicht zu verantworten.
Uebrigens belästige sie ihn nachgerade, da er endlich daran denke, sich mit einer
eigenen Einrichtung zu versehen, ja vielleicht breche er überhaupt die
vorgefundene Blockhütte ab und fange einen größeren Bau an; — kurz, er wolle
diesen Nachlaß auf eine legale Art los sein. Mit großem Gleichmuthe fügte er
hinzu, er sehe zwar in diesem Augenblicke die Person des Eigenthümers jener Möbel
selbst vor sich, er nehme aber Anstand, deren Uebernahme von ihm zu begehren, da
derselbe voraussichtlich und demnächst eine Haft werde anzutreten haben,
Moorfeld traute seinen Ohren nicht. Er glaubte in Wogan eine Art Automat zu hören, welches zwar eingerichtet ist, articulirte Laute hervorzubringen, aber auf's Gerathewohl, ohne Sinn und logische Ordnung. Und da der Mensch, selbst, wo ihm der Verstand gänzlich stille steht, seiner Natur nach doch noch Gedanken erzeugt, so war Moorfeld's einziger Gedanke: der Mann ist verrückt.
In diesem Sinne antwortete er auch. Er sagte, er ziehe seine Klage auf widerrechtliche Besitzergreifung mittels Einbruchs zwar nicht zurück, aber er suspendire sie so lange, bis die gerichtsärztliche Expertiſeüber die Imputationsfähigkeit des Angeklagten entschieden. Für jetzt wünsche er unter Gerichtsgeleit in seine Wohnung zurückzukehren, und sei es ja möglich, dem geisteskranken Uebelthäter hier einen lichten Gedankenmoment abzugewinnen, so möge er vor allem inquirirt werden, was aus Adin Ballan, dem Schottländer, geworden.
Ein Yankee macht nicht leicht ein verblüfftes Gesicht, es wäre denn in supernaturalistischen Dingen. Aber selbst dann affectirt er statt der verblüfften bloß eine verächtliche Miene.
Der Friedensrichter von New-Lisbon behauptete in dieser widerspruchsvollen Lage seine vollkommenste Fassung. Ja, so groß war diese Fassung, daß er während des Vortrages der beiden Parteien keinen Augenblick aufhörte, zu nieten und zu schweißen, denn wir dürfen nicht vergessen zu bemerken, daß Moorfeld den ehrenwerthen Mr. Cartwright bei der Ausbesserung eines Pittsburger Packwagens angetroffen, welcher einer durchreisenden Auswandererfamilie aus Pennsylvanien auf der schlechten Lisboner Straße in Brüche gegangen, und welchen der barmherzige Ortsrichter so eben zur Cur vorhatte, da dieser Würdige, seines Zeichens ein Schmid, aus überfließender Menschenund Dollarliebe mitunter auch gerne noch zu seinem vorigen Handwerk griff.
Der Richter antwortete daher unter Hammerschlägen und dem Zischen glühender Stifte
gegen Moorfeld gewendet: Stehe gleich zu Diensten, Mister. Erlauben Sie nur, daß
ich das Eisen schmiede, da es warm ist. Haben ja auch noch Zeit zu versäumen. Geht
so rasch nicht wie Sie denken, Mister. Vertreiben da einen Mann, der in
Bei dieser Frage hätte Moorfeld gerne den Richter selbst für verrückt erklärt. Seine Stellung gemahnte ihn nachgerade an die Situationen jener parodistischen Romane, in welchen der gesunde Menschenverstand die negative Rolle spielt, und irgend ein allegorischer Narrenspuck von Pflanzen, Thieren oder gefabelten Wesen den Unsinn als positive Weltordnung treibt. Er stand einen Augenblick und besann sich, ob er mit solchen Menschen sich weiter befassen wolle. Im Ernste gewiß nicht. Nur indem er der Vorstellung folgte, sie als „Clowns“ eines Schauspiels vor sich zu haben, nur indem er sich erinnerte, er sei nach Amerika gekommen, um zu experimentiren, zu erfahren, kennen zu lernen, entschloß er sich, den Gang dieser Scene einzuhalten, so lang bis sein Eckel größer als seine Wißbegier sein würde. Dieser Ideengang ging voraus, als er auf Mr. Cartwright's Frage: unter welchem Titel locomoviren Sie Mr. Wogan von seiner Feuerstelle? endlich antwortete.
Er antwortete einfach durch Vorweisung seines Kaufbriefes.
Der Richter warf einen flüchtigen Blick auf das Papier, indem er einen kleinen Blasbalg an sein Kohlenbecken setzte und sagte phlegmatisch: Hm, ein beschriebenes Blatt! Ich rathe, Mr. Wogan hat deren mehrere. Von was für einer Sorte, wenn ich bitten darf, ist diese Schrift?
Es ist ein Kaufbrief!
Ein Kaufbrief, hm! das ist so übel nicht. Und wenn dieser Kaufbrief mit dem Grundbuche stimmt, — allerdings; dann hätte eine Klage auf Restitution vielleicht Aussicht.
Wirklich? fragte Moorfeld mit einer ironischen Heiterkeit.
Noch einen Augenblick, Mister, bat der Friedensrichter, dem der Packwagen sehr am Herzen lag; — noch einen Augenblick, dann gehen wir hinüber auf die Cityhall und collationiren —
Daß ich nicht wüßte! unterbrach Moorfeld die Zumuthung, in Gesellschaft Wogan's und des Schmieds über die Straße zu gehen.
Der Schmied hörte diese Weigerung offenbar mit Vergnügen und hämmerte noch einmal
so eifrig auf seinen Wagen ein. Gut er mag
Moorfeld hörte diesen Befehl mit Erstaunen. Aber freilich erinnerte er sich zugleich, in einem Reisewerke über Amerika einst gelesen zu haben, daß dem Reisenden ein sehr achtungswerther Staatssecretär die auf Pergament geschriebene Stiftungsurkunde eines großen Unionstaates vorgezeigt habe, welche wie ein gewöhnlicher auf die Post gegebener Brief zusammengelegt, in den Falten abgeschabt und in den Ecken durchlöchert war. Auf die Bemerkung des Reisenden, daß man solche Documente in Europa in Folio zwischen Papp und andern Tafeln aufbewahre, habe der Staatssecretär dieses Verfahren zwar sehr schön gefunden, aber deßungeachtet seine Urkunde höchst kaltblütig wieder in die alten Falten eingebrochen. So schien es denn ein Seitenstück dieses Verfahrens, ein Grundbuch ohne Weiters aus der Registratur zu reißen und damit über jede beliebige Straße zu laufen.
Tom, ein schwarzer Hausdiener, war inzwischen fortgelaufen, der Richter fuhr fort, seine glänzenden Schmiedekünste an dem alten Packwagen zu erschöpfen.
Mr. Wogan hatte die Unverschämtheit, dem Richter Parteilichkeit vorzuwerfen, daß er bisher nur Moorfeld's Sache berücksichtigt, seine eigene Klage of trepass vi et armis aber durchaus ignorirt.
Eure Zeugen? fragte der Richter.
Mr. James Pettigraw, Advokat von New-Lisbon, Mr. Richard Luke, Farmer im County und Lieutenant bei der Landmiliz, Mr. William Clisby, ein Holzhändler aus Virginien, Mr. Charles Adoir, ein Pferdehändler vom Süden, Mr. Phelim O'Brien, Friedensrichter von Ravenna —
Was? der Phelim war auch dabei? fiel der Richter lebhaft dazwischen. Ei, Mr.
Wogan, dann seid ihr ja Alle, nehmt mir's nicht übel — voll gewesen. Ja, ja, ich
rathe, ihr seid tüchtig im Lee gelegen. Den Teufel auch, der Phelim! Wo mein
ehrenwerther College von Ravenna einfährt, dort schwimmt man im Grog bis an die
Ohren, — lehrt mich den Irländer kennen! Nein, Mr. Wogan, Betrunkene sind keine
Zeugen, das ist ein Factum. Vi et armis! ach geht mir doch! Wo seid Ihr denn
verletzt? Wo thut's Euch denn
Moorfeld sah mit Verwunderung, daß er am Ende noch die Freisinnigkeit dieses Justizbeamten anerkennen müsse. Freilich indem er seine Leute näher beobachtete — stieg ihm der Verdacht auf, es verdrieße den ehrlichen Mann eigentlich, daß er nicht selbst mit von dem besagten Gelage gewesen. Natürlich fand es Moorfeld unter seiner Würde, von solch einer Nachsicht zu profitiren und die That seines gerechten Zorns zu verschweigen. Aber Mr. Cartwright hämmerte wieder auf sein Wagenrad so vulkanisch los, daß die zwei zugestandenen Pistolenschüsse absichtlich wie es schien übertönt wurden. Mr. Wogan wendete kein Wort dagegen ein. Er stand da, seine wulstigen Lippen in die Zähne gekniffen, seine Schultern hoch an den häßlichen Schädel gezogen, und schien Kraft und Erwartung wie zu einem Hauptschlag zusammenzudrängen.
Dieser Augenblick kam jetzt. Man sah Mr. Gull, den County Clerk, über den „Square“ von New-Lisbon heranschreiten, Tom, der Neger, trug ihm das Grundbuch nach. Mr. Cartwright warf schnell noch einen prüfenden Blick auf den Pittsburger Patienten und schien von der Reconvalescenz desselben so weit überzeugt, daß er es wagen mochte, den Gegenstand seiner zärtlichen Sorge endlich zu verlassen. Er hatte nämlich den Tact, die drei Herren jetzt in seine Amtsstube zu bitten, da der bisherige Schauplatz unter freiem Himmel gewesen.
Man trat ein.
Mr. Gull, der County Clerk, war dieselbe Person, an dessen Krankenlager Moorfeld
das von ihm beschriebene Zusammentreffen mit dem reisenden „Doctor“ gehabt. Der
Mann begrüßte unsern Helden mit einer Artigkeit darüber, der es nicht an
Herzlichkeit fehlte. Er habe von seinem Bette aus die Controverse wohl begriffen,
sogar mit einer Klarheit und Leichtigkeit, die ihn selbst verwundere. Es sei ihm
eine ausgemachte Sache, daß der Doctor Mackhead ein Ignorant und Moorfeld sein
Meister. Ein Kind habe ja das beurtheilen können. Auch habe er sofort ein paar
Aderlässe genommen und er sei überzeugt, daß er dieser Kur allein sein Leben
verdanke. Wogan blies wie ein
Die Gegeneinanderstellung des Kaufbriefes und des Grundbuches war das Werk eines Augenblicks, der Befund vollkommen richtig.
Moorfeld hielt den Gegenstand hiermit für erledigt. Er forderte jetzt Rechenschaft wegen Adin Ballin.
Wogan ließ sich mit mürrischer Kürze und Gleichgiltigkeit zu der Aussage herbei: er habe dem Schottländer sein Recht auf John Stutering's Grundstück deutlich gemacht, so weit es dem Rechtsunkundigen begreiflich gewesen, habe ihn ferner auf die Mittel aufmerksam gemacht, mit welchen er dieses Recht gegen einen unbesonnenen Widerstand in Vollzug setzen könne, und ihn dadurch gütlich vermocht, den Platz zu räumen, indem er ihn zugleich zu einer andern Dienststelle nach Whelling empfohlen, wohin derselbe auch abgegangen.
Moorfeld wiederholte sofort mit nachdrücklicher Betonung: Sie haben ihn auf die Mittel aufmerksam gemacht, Ihr angebliches Recht gegen seinen Widerstand in Vollzug zu setzen; — d. h. Sie haben ihn unter Androhung von überlegener Gewalt von dem Posten seiner Pflicht vertrieben. Nehmen Sie das zu Protocoll, meine Herren. Die weitere Glaubwürdigkeit dieser Aussage wird eine sofort in Whelling anzustellende Requisition lehren. Moorfeld ließ die Schritte dazu unter seinen Augen verfügen.
Erst nachdem er diese Obliegenheit gegen seinen Diener erfüllt, verlangte er jetzt die Verantwortung über Wogan's Verbrechen des Einbruchs.
Wogan holte eine geräumige Brieftasche hervor, aus welcher er eine Unmasse von Schriftstücken, gleich dem Inhalt eines trojanischen Pferdes, ausschüttete. Er begleitete diese Entfaltung seiner Papierschätze mit folgender Erklärung:
Ich werde die Rechtmäßigkeit meiner Ansprüche an John Stutering's Loos aus einer
Reihe von Documenten beweisen, wovon jedes für sich und alle zusammen mich als
unzweifelhaften Eigenthümer des genannten Grundstückes legitimiren sollen. Mit
diesen Papieren in der Hand hätte ich jeden vorfindlichen Inhaber jener Realität
ohne Weiteres außer Besitz zu setzen die Befugniß gehabt; ich fand aber das Land
nicht besessen, es lag herrenlos da, ein Mensch nistete darin,
Moorfeld wendete sich an den Richter und sagte: Haben Sie die Güte, diesen Possenreißer an den Ernst einer gerichtlichen Verantwortung zu erinnern. Mich dünkt, ich höre einen Menschen, welcher jede Ehefrau im Lande, deren Gatte verreist, als Wittwe präsumirt und je nach Befund in Anspruch nimmt. Ich liebe den Scherz, aber ich wähle mir meine Gesellschaft dazu. Ich räume jenem Menschen das Recht nicht ein, mich zu unterhalten!
Die beiden Gerichtspersonen sahen sich auf eine Art an, welche verrieth, daß ihnen die sophistische Sprache Wogan's offenbar weniger neu war, als der hohe Ton des Europäers. Aber doch lag in Moorfeld's Haltung ein Etwas, dessen Macht nicht unempfunden auf sie wirkte. Mr. Gull sagte daher kurz zu Wogan hinüber: Erklären Sie Ihre Papiere.
Wogan begann:
Sie wissen, meine Herren, daß John Stutering auf die Aussagen zweier Hauptzeugen
hin, eines Mr. Samuel Flint, Farmer im BeaverCounty im Staate Pennsylvanien, und
eines Mr. Vane, Storekeeper in Cleveland am Eriesee für schuldig befunden und
verurtheilt wurde. Hier lege ich Papiere vor, welche das Zeugniß dieser Zeugen
gesetzlich aufheben. Mr. Samuel Flint hat seine Aussage unter dem göttlichen
Einflusse einer Wiederbelebung auf dem camp-meeting der Methodistengemeinde zu
New-Lisbon feierlich wiederrufen, worauf er eines seligen Todes verblichen. Sie
werden die Acte des Widerufes von drei Aeltesten, zwei circuit riders, und dem
ehrwürdigen Reverend Jeremias Windowshutter, Methodistenprediger dahier, unter
Observanz aller legalen Formen ausgefertigt finden. Hier ist sie. Was die Aussage
des zweiten Kapitalzeugen, Mr. James Vane, betrifft, so lege ich hier ein
Certificat seiner Ortsbehörden vor, aus welchen ersichtlich, daß besagter Mr.
James Vane als Sergeant bei der Landesmiliz in der Schlacht bei Bunkershill den
rechten Arm verloren. Mr. Vane hat also mit den Fingern der linken Hand
geschworen. Nun habe ich
Ich lege nunmehr eine Cessionsurkunde beziehungsweise einen Kaufbrief vor, womit ich erweise, daß John Stutering's Loos inzwischen auf mich übergegangen, und zwar unter allen gesetzlichen Formen und Observanzen.
Wenn die geringe Summe in Verwunderung setzen sollte, womit ich das
Eigenthumsrecht von John Stutering's Landloos erworben, so bin ich ferner zu
erklären bereit, daß dieses Eigenthumsrecht selbst ein zweifelhaftes, ein
anzufechtendes, ein ungewisses. John Stutering hat von den Erben eines Majors
Solon Robinson in Conekticut gekauft, welcher die Landstelle im Jahre 1784 durch
Ankauf von den Eingebornen an sich gebracht haben will. Es war aber damals schon
das Gesetz erlassen und in Giltigkeit getreten, daß zur Vermeidung aller
Grenzstreitigkeiten, welche den Bestand der jüngeren Colonien aufs äußerste zu
verwirren angefangen, künftig kein Privatmann durch Abtretung von den Indianern
Land erwerben könne. Der Major hat dieses Gesetz verletzt und scheint überdies zur
Zeit des westlichen Vorbehalts mit seinem ungesetzlichen Eigenthum furtim
durchgeschlichen zu sein, anstatt es dem öffentlichen Grundbesitze Conekticuts
anzuschließen, als dieser gegen eine Entschädigung von Einer Million
zweimalhunderttausend Dollars an die Föderalregierung abgetreten wurde, eine
Summe, aus welcher der Major gleichfalls seine Entschädigung zu fordern
ge
Nicht nöthig, Mister — unterbrach Moorfeld — ich zweifle nicht, daß halb Amerika
John Stutering's Loos besitzt', und daß Sie das Alles abgelöst. Aber ich bin nicht
gekommen, um mir eine Indigestion an Advocatenkünsten zu holen, deren Vorkost
nicht besonders gewählt und glücklich ist, wenn der Effect nicht in der Steigerung
der Gänge liegen soll. Genug, daß ich Ihre Absicht erkenne, mich durch ein
shingled over, wie sie's nennen, zu decontenanciren, und daß ich den geringsten
Begriff fassen darf von dem Publikum, in dessen Schule Ihre Erfindungsgabe im
Ganzen genommen so herzlich roh geblieben ist, — ich sag' es mit aller Anerkennung
Ihres sonstig guten
Das Letztere ohne Zweifel, antwortete Mr. Cartwright nach einer Pause, aber eine eigenmächtige Restitution, wie Sie von mir fordern, Sir — er vertauschte doch nachgerade das Mister mit Sir —, ich könnte nicht sagen, — ich weiß nicht, Sir — die Sache hat eben den Prozeßweg zu gehen.
Das versteht sich von selbst; nur daß ich nicht gesonnen bin, den Prozeß unter freiem Himmel abzuwarten.
Der Friedensrichter zuckte die Achseln.
Moorfeld warf einen erstaunten Blick auf Mr. Gull. Aber auch dieser Beamte sah ernster, als es Moorfeld begreifen konnte.
Sie nehmen die Sache in der That leichter — erlauben Sie die Bemerkung — als sie uns Andern erscheinen will.
Mein Herr! rief Moorfeld groß, soll ich denn zweifeln müssen, daß in diesem Lande die Anfänge und Ausgangspunkte aller menschlichen Gesittung fehlen? Hier mein Kaufbrief, dort Ihr Grundbuch — Sie erkennen mich als Eigenthümer und mein Eigenthum soll mir verschlossen bleiben?
Ach, mein Herr, ein Kaufbrief hat hier Landes weniger zu bedeuten, als irgendwo zwischen den Polen. Und Sie sehen wohl, was Mr. Wogan Ihnen an Rechtstiteln entgegensetzt. A dirty job! in Wahrheit; aber ist nur ein Zehntel davon „gesund“ — es thut mir wirklich leid, Sir! aber ich weiß nicht, was dann das Schicksal Ihres Eigenthums sein wird. Sie hätten wahrscheinlich auf eigenes Risiko gekauft.
Von einer Behörde?
Von einer Behörde, Sir. Was kümmern sich unsre Behörden um Rechtstiteln? Sie überliefern, wie sie überkommen. Bei uns gilt der Grundsatz: Caveat emtor! Käufer, nimm dich in Acht!
Moorfeld stand erstarrt. In Wogan's Zügen verkroch sich ein tückisches Hohnlachen. Nach einer Pause kurzer Ueberlegung sagte Moorfeld: Wohl! Das hat auf den Ausgang dieses Prozesses Bezug. Ich mag's erwarten. Und eine Stimme sagt mir, daß auch nicht das Zehntel von jenem dirty job gesund ist. Kaum werde ich einen Livingstone auffordern dürfen, die Truggewebe eines Wogan zu zerreißen. Aber —
Bei dem Namen: Livingstone blickte Wogan überrascht und erblaßte. Er murmelte etwas von einem „billigen Vergleiche“, zu dem er sich bereit finden lasse.
Aber — fuhr Moorfeld fort ohne ihn eines Blicks zu würdigen — unter allen Umständen kehrt meine Forderung zurück, mir mein Haus aufzuschließen. Wenn ich's erlebe, daß ein amerikanisches Gericht den Raub nachträglich heiligt, so soll mich das Urtheil einer Mehrheit von Flibustiern so gehorsam finden, wie jede Mehrheit. Das Gut sei sein. Jetzt, wo es noch nicht sein ist, ersuche ich Sie indeß, diese Scene zu enden. Handeln Sie Ihres Amts. Ich wünsche, unter der Autorität Ihres Gerichts nach Hause zu kehren.
Mr. Gull antwortete in einem sanften aber bestimmten Tone: In Wahrheit, Sir, auch das macht sich nicht, wie Sie denken. Ihr Gegner sitzt in dem Hause, Sie stehen außer dem Hause. Das ist der factische Thatbestand hier. Und bis zu einem Urtheilsspruch, der diesen Thatbestand ändert, dürfte kein Sheriff in Amerika die Verantwortung auf sich laden, ihn einseitig aufzuheben. Mr. Wogan präsentirt sich uns im Besitze, der Besitz aber ist prima facie ein Beweis des Rechts.
Moorfeld war sprachlos. Er hatte gehört, aber das Wort irrte unverstanden am äußeren Ohre umher: es vermischte sich nicht sinnvoll mit der Besinnung. Beamte dieser Republik, rief er aus, versteh' ich Sie recht? Ein Räuber bricht Nachts in mein Haus und Morgens stellt Ihr Amerika's Themis als Schutzwache an sein Haus?
Und die Beamten der Republik sahen ernst und bejahten.
Der Mensch ist noch ungeboren, den der Anblick des Gesetzes nicht überwältigte.
Dem Unnatürlichsten ist es natürlich, dem Ehrfurchtslosesten eine Majestät, und
selbst dem Gottesleugner ein Gott. — Betäubt verließ Moorfeld das Haus. Ueber all
seinen Seelenqualen
Dies war das Ende von Moorfeld's Aufenthalt in Ohio. Noch verweilte er, die Recherchen über Adin Ballin abzuwarten, der zwar in Whelling gefunden wurde, aber in dem elendesten Zustande. Für die arme Annette warf er eine Rente aus, um die Benutzung einer öffentlichen Heilanstalt für immer entbehrlich zu machen. Zuletzt erwirkte er gegen Wogan ein vorläufiges writ de ne exeas, wodurch er diese Beute seines gerechten Zornes — nach einem annäherungsweisen Begriffe — unter polizeiliche Aufsicht stellte und sich der Haftung für dessen Person versicherte. Dann eilte er nach Newyork, lechzend der mißhandelten Gerechtigkeit einen Ritter des Rechts aufzurufen.
Von der Landseite des Philadelphia-Bahnhofs bietet Newyork keine Avenüe wie von der Seeseite seines Hafens. Von Neu Lisbon zurück bot sie auch keine, wie von Europa heran! Im Aeußern und Innern verglich Moorfeld seine zweite Ankunft mit seiner ersten, und — der Vergleich war traurig genug.
Deßungeachtet konnte er sich eines gewissen Heimathsgefühls nicht erwehren, wenigstens im ersten Augenblicke nicht. Diese Straßen — diese Kirchenthürme, — dieses Menschengewühl — um wie viel näher stand es dem Europäer, als die blöde, glotzende Einsamkeit und Barbarei des Urwaldes! Schon das Wehen der Seeluft, die Nähe des Oceans, — wie lockend! wie beflügelnd! Ist das Meer nicht der Nachbar aller Menschen, die Pforte aller Länder? Diese Welle hat den Dom von Rouen zurückgespiegelt, dort liegen die Länder Homer's, Shakespear's, Petrarka's! Und ein Stück Leinwand trägt hinüber leichter als vogel-leicht, denn selbst die Möwe ruht aus auf ihr! Wahrlich, jede Seestadt ist die Heimath jedes Menschen!
Leise und angenehm spielen diese Empfindungen in Moorfeld's Seele: — sie sind ihr
ahnungsreicher Hintergrund, indeß die strengen Sorgen des Tages in den vordersten
Reihen einherdröhnen. Es war bei einbrechender Abenddämmerung, als er mit dem
PhiladelphiaBahnzug in Newyork ankam. Er stieg in dem nächsten Boardinghouse am
Bahnhofe ab, und eilte sogleich, Benthal zu sehen. Zwar erlaubte ihm die späte
Tageszeit nicht mehr, bei Frau v. Milden vorzusprechen,
Das Gasthaus zum grünen Baum stand jetzt in einer Straße, das vor drei Monaten fast noch auf freiem Felde gestanden. Im Innern aber war es so ziemlich beim Alten geblieben. Herr Häberle, „der deutsche Kaiser“, war noch immer ein rundes Bild von leiblichem Gedeihen bei geistigen Vacanzen; Vronele, sein flinkes Töchterlein, oder vielmehr seine Vormünderin, führte noch immer schnippisch und gutmüthig das Reichsregiment nach stabilen Satzungen und Maximen, die anwesenden Gäste waren noch immer deutsche Zungen und deutsche Gesichter, welche behaglich bei ihrem Schoppen saßen, nicht wie der hastige Yankee stehend an der Bar tranken, und so meinte Moorfeld die Person des Rector magnificus könne gar nicht fehlen, wie ihn um und um Alles so hübsch gewohnheitstreu anheimelte. Erblicken aber konnte er sie noch nicht.
Ueberhaupt bemerkte Moorfeld bei einiger Aufmerksamkeit doch mehr Veränderung in der Physiognomie der Trinkstube, als es auf den ersten Blick scheinen mochte. Das Local war besuchter, was er theils der späteren Jahreszeit, theils dem vermehrten Anbau zuschrieb. Das Publikum selbst war gemischter: die Gäste schienen nicht mehr ausschließlich der Einen Klasse von arbeitsuchenden Handwerkern anzugehören, noch verrieth ihr Beisammensein jenes familienhafte Gemeingefühl, jene Brüderlichkeit des Bedrängnisses, was dem Hause damals ein so eigenthümliches Gepräge verliehen. Moorfeld erblickte zufriedene Gesichter, welche offenbar mit ihrer Subsistenz im Reinen waren, dann wieder verdutzte, rekrutenhafte, welche vielleicht Auswanderern angehörten, die erst während seiner Abwesenheit angekommen. Daß er selbst von dem schwäbischen Wirth und seiner Tochter nicht wieder erkannt wurde, brauchen wir kaum hinzuzufügen.
Indem Moorfeld sich Letzteren näherte, um über die Person, die er suchte,
Nachfrage zu thun, hielt er plötzlich inne. Es schlug ihm
Herr Henning sprach lebhaft, mit Feuer. Auch sein Aeußeres umspielte ein gewisser Glanz, es lag wie ein erhöhter Moment, wie ein Goldstaub von „guten Tagen“ auf ihm. Er war sorgfältig rasirt, sein Stirnhaar genial in die Höhe geworfen, seine Backen von einer leichten Röthe angehaucht, und ein feiner, blüthenweißer Hemdkragen, der in Erinnerung seiner schweren Kämpfe mit der Waschfrau wie eine wahre Siegesflagge prangte, lag breit über einem, wie es schien, seidenen Halstuche. Er war in einer aufgeweckten angenehm-nervösen Stimmung, ganz herausgetreten aus dem pflegmatisch-schlotterigen Charakter früherer Tage. Bald hätte Moorfeld an eine wirkliche Glückswendung bei diesem Anblicke geglaubt, wenn nicht die jugendlich-strahlende, fast kokette Laune des Schriftsetzers im Grunde ebenso viel schalkhafte Selbstironie durchzog, als früher seine scheinbare Abspannung und Todesahnung der phthisis pulmonalis. Auch sprach er laut genug, daß Moorfeld durch die dünne Glaswand jedes seiner Worte vernehmen konnte, und diese ließen allerdings keinen Zweifel über seine Glücksumstände zu, denn eben sie waren das Thema seiner Unterhaltung.
Ich bin Vorstand eines Vereins zur Verbreitung guter und nützlicher Volksschriften
— rühmte Herr Henning von sich; — der Verein liegt freilich noch in der Wiege,
wenn sich anders behaupten läßt, daß ich, der lange Henning, ein Wiegenkind sei;
denn die Wahrheit zu gestehen: ich selbst bin das einzige Mitglied meines Vereins.
Das schadet aber nichts. Mein Verein wirkt nichts desto weniger segensreich, das
heißt segensreich für mich und das ist doch wohl die unerläßlichste Probe jedes
gemeinnützigen Unternehmens. Hört mich an. Seit wir uns das Letztemal nicht
gesehen, haben einige von meinen sieben magern Kühen ihr Embonpoint wesentlich
verbessert. Ich habe eine Fütterungsmethode erfunden, — doch nein! nicht ich; der
Zufall, der Vater aller merkwürdigen Entdeckungen, hat's gethan. Man muß sich auch
nicht mehr Vaterschaften, als nöthig, zuschreiben. Nachdem Frau Appendage
Natürlich ließ sich der Incasso eines so bedeutenden Cheque's wie meine
zweitausend Dollars keiner fremden Hand anvertrauen, und doch forderte Frau
Scheuderlein ihr Geld, just wie es Frau Appendage auch gethan — es war als ob sich
die zwei Weiber verabredet hätten. Mißmuthig über diese Entartung der deutschen
Race warf ich ihr ein Buch an den Kopf: sie sollte damit auf den Bowery gehen zu
Heiman Levi, der kaufe antiquarische Bücher. Ich gestehe gern: ich dachte nichts
bei diesem Puff, — nichts, als nur eben sie los zu werden. Aber nun lernt den Fond
des deutschen Charakters kennen. Nach einer Stunde kommt Frau Scheuderlein zurück:
sie hätte auf dem ganzen Bowery keinen Haiman Levi gefunden, sie hätte aber in das
Buch „a bisle ingeguckt“, und es wäre eine schöne Geschichte. Da hört ihr's! Ein
schlichtes Weib aus dem Volke, die verschämte, aber reinliche Armuth — Kennerin
der deutschen Literatur! empfängliches Gemüth für die ästhetischen Schönheiten
unserer Geistesblüthen! Ich wäre ein Barbar gewesen, hätte mich dieser Moment
nicht erleuchtet. Jetzt erkannt' ich meine Mission. Hier mußte was geschehen. So
viel gesunde und tüchtige Elemente unsres Volkslebens sollten nicht in
Zersplitterung und geistiger Nahrungslosigkeit untergehen. Ich gründete meinen
Verein zur Verbreitung guter und nützlicher Volksschriften. Ich besaß noch die
deutsche „Männerbibliothek“ mit Clauren's sämmtlichen Werken, Schlenkert's
historische Romane, zwölf Theile vom Pantheon, zwei
Unser Bruder Henning der soll leben! erscholl es im Chorus, — die Stimme des pfälzischen Schreiners gab den Grundton dazu an.
Merci! bedankte sich der Schriftsetzer mit geschmeichelter Eitelkeit und lächelte liebenswürdig nach allen Seiten. Aber, fuhr er fort, nun gebt mir auch zu leben! Ihr seid mir Kerls! Ihr hört von meiner Leihbibliothek und abonnirt nicht. Für euch besonders hätt' ich rare Sachen. Da sind z. B. Thümmel's Reisen in das mittägige Frankreich — die acht Bände liegen mir schwer am Herzen! Das ist Kaviar für's Volk. Der Plebs will nur spannende Handlung, Entführungen und Mordthaten, und der Thümmel ist ihnen viel zu geistreich. Das wäre ein Dessert für meine engeren Freunde. Ein Cent per Tag, ohne Einsatz, der Band mit Titelkupfer, — und welche Kupfer! Das Aushängeschild der holländischen Wirthin —
In diesem Augenblicke servirte Vronele einige Gläser Bier im Extrazimmer. Als sie
den Rücken wandte, sah ihr der Schriftsetzer kennerisch nach, und brummte mit
einem bedeutsam spannenden Kopfnicken: das wäre kein übles Aushängschild der
holländischen Wirthin!
Das war denn Kleindeutschland, wie es leibte und lebte! Die alte Noth — die alte Gemüthlichkeit — Moorfeld ließ sich an dieser Skizze genügen und verlor keine Zeit mit ihr. Ihm handelte es sich um das Haupt dieser Glieder. Mit klopfendem Herzen fragte er jetzt, ob Herr Benthal heute noch zu erwarten, eine bangere Eventualität in dieser Frage umgehend. Herr Häberle, der Wirth, ließ seine Finger in seinem breiten Schwarzwälder Hosenträger spielen und besann sich auf den Namen. Der Rector magnificus? antwortete er nach einer langen geistigen Operation; hierauf rief er sein Töchterchen herbei, damit sie ihn im Reden substituire. Bronele gab mit einem geläufigen Zünglein den Bescheid, der Rector magnificus sei schon lange nicht mehr dagewesen, die Abende wären überhaupt nicht regelmäßig gehalten worden, es hätte diesen Sommer gar zu arg das Fieber gewirthschaftet; ganze Häuser seien ausgestorben, ganze Bezirke abgesperrt gewesen, die „Hohen“ hätten zwar lange Placate anschlagen lassen, daß die Krankheit nicht ansteckend sei, aber die Leute hätten sie wieder herabgerissen und Alles sei auseinander gegangen, nirgends gab's Gesellschaft. In Fife Point, wo die „Jauner“ hausten, stürben noch jetzt Leute, und die Doctoren hätten gesagt, bis nicht der erste Frost käme, würde es wohl gehen, wie im Jahre neunzehn und einundzwanzig. Sie, Gott sei Dank, wären gesund geblieben und die Leute seien rechte Narren, die sich nicht zu essen und trinken getrauten und den grünen Baum leer stehen ließen. Dazu lächelte das frische Schwabenmädchen so naiv-kokett aus ihren schelmischen Rosengrübchen, daß sich die Thorheit, den grünen Baum zu meiden, wohl einsehen ließ. Herr Häberle aber stand hinter dem Zahltisch und hörte mit schmunzelnder Bewunderung dem Concept seines Töchterchens zu.
Diese Auskünfte klangen nichts weniger als beruhigend. Und weiter war nichts zu
erhalten. Denn der Rector magnificus, hieß es, lasse nicht viel von sich wissen;
wenn er komme, so sei er eben da, sein Logis hingegen sei ein Geheimniß, Niemand
könne ihn besuchen,
Indeß das Mädchen noch redete, that sich die Thüre auf, und Moorfeld, der sie fortwährend im Auge behalten, glaubte schon an der Art, wie sie in der Angel geschwungen wurde, etwas erwarten zu dürfen. Allerdings war's eine ungewöhnlichere Erscheinung, die da eintrat, aber Benthal war's nicht. Es waren drei bis vier junge Amerikaner von auffallendem Aeußern, Bursche jenes eleganteren Rowdyund Loafer-Schlags, wie sie Moorfeld als Dandies on short allow ance etwa auf Bennet's Rout gesehen. Die Schwengel traten mit einer unerträglichen Parodie des Anstandes in die überraschte Gaststube, warfen stolz und wichtig ihre Augen umher, und schritten, indem sie sich im Gehen gegen einander verweilten, im nachlässigsten Promenirschritt nach dem Schenktisch hinab. Der deutsche Kaiser erblaßte bei ihrem Anblicke und murmelte zitternd: Gott, da sind sie schon wieder! Die anwesenden Gäste wendeten sämmtlich ihre Köpfe nach ihnen.
Aus dem Cötus trat ein Sprecher vor, ein Mensch, der unmittelbar die Lust erregte, ihn zu ohrfeigen. Es war ein Bürschchen mit einem merkwürdig mädchenhaften Gesichte, wenn anders ein schmales, knöchernes Köpfchen, von zerbrechlicher, nicht zarter Form, und einem Ausdruck von Fadheit, der auf die Speicheldrüsen wirkte, mädchenhaft genannt werden dürfte. Er knickte auf ein paar Beinchen einher, die eher gemacht schienen, eine Strickmasche aufzufassen, als einen menschlichen Leib zu tragen; bei seinem Anblicke mußte sich Jedermann sagen, dieses Insect würde, allein, vor einem Hasen davonlaufen. Hier aber spreitzte er sich in dem feigen Bewußtsein einer Genossenschaft, welche ihrerseits wieder mit einem Ausdruck von Hochachtung auf ihn blickte, wie sie etwa einem Muttersöhnchen zu Theil wird, das im sechzehnten Jahr eine halbe Million durchgebracht, und vielleicht Mittel, wenn auch nicht Nerven genug hat, noch eine zweite durchzubringen.
Der deutsche Kaiser zupfte Moorfeld am Rockärmel und flüsterte flehentlich:
Bleiben Sie hier! bleiben Sie hier! Verwundert fragte Moorfeld: Haben Sie zu
fürchten von diesen Laffen? und ist doch die halbe Stube voll Leuten? — Ach Gott,
Sie tragen einen Schnurr
Moorfeld begriff von Alledem nichts. Mechanisch nahm er den Loafers gegenüber
Platz, welche fortfuhren ihn zu fixiren. Er saß auf Nadeln. Seine Gedanken waren
bei Benthal. Was er gehört oder nicht gehört, erfüllte ihn mit einem dumpfen,
unbestimmten Kummer. Die Brust war ihm zum Zerspringen voll von Unglücksgedanken.
Die Loafers zischelten indeß berathend hin und her, während sie mit ihren
Schnitzmessern eifrig die Stühle unter sich bearbeiteten. Einmal hörte sie
Moorfeld im schlechten Französisch sagen: Der Gaul sieht verflucht widermäulig,
und was die Hauptsache ist, so ein Kerl wird einer ganzen Schafheerde zum Anführer
— wobei sie verächtlich auf die friedsamen Deutschen um sich wiesen. Hierauf zog
Einer von ihnen seinen Revolver und fing bedeutsam damit zu spielen an, indem er
verstohlen aber scharf nach Moorfeld hinüberschielte. Moorfeld zog ein paar
Sackpistolen — schon längst seine ständigen Begleiter in Amerika — und begehrte
von des Wirthes Vronele ein ledernes Läppchen, um sie
Der deutsche Kaiser fühlte sich sehr glücklich über die abgewendete Gefahr. Er liebkoste Moorfeld's Pistolen fast wie lebendige Wesen. Bronele dagegen erzählte ihm: Diese „Herrenbuben“ seien nun schon zum drittenmal da, und es wäre schändlich! Das hätte sie in Deutschland wissen sollen! Vorige Woche wäre die Geschichte passirt, da ging ein Mädchen, dem man von eheher eine üble Aufführung nachredet, über den Bowery. Einer ihrer vorigen Bekannten begegnete ihr und wurde dreist. Das Mädchen aber war längst wieder auf guten Wegen, hatte ein ehrliches Verhältniß mit einem deutschen Maurer, der sie heirathen wollte, dann sollt's nach Cincinnati gehen, weit weg von Newyork, wo auch gute Arbeit auf die Maurerei ist. Das Mädchen erwehrte sich darum ihres Verfolgers, und da Alles nichts helfen wollte, flüchtete sie in einen deutschen Bierkeller auf den Bowery. Der Strolch verfolgte sie auch in den Keller, bekam Streit mit den Deutschen und erstach Einen. Das sei aber noch nicht Alles. Jetzt komm's erst. Die Amerikaner — man könnte sich's nicht einbilden! — schrien Zeter über den deutschen Wirth, weil er die Frechheit gehabt, den Mörder verhaften zu lassen! Und da wäre ein Gesindel beisammen, es nenne sich Feuerlöschcompagnie und der Mörder sei ihr sauberer Hauptmann. Diese Compagnie habe es durch spitzbübische Advocaten dahin gebracht, daß derselbige Hauptmann auf Caution wieder herauskommen könnte. Sie hätten Geld genug, die nichtsnutzigen Buben, aber zu Schimpf und Schand unsers Volks wollten sie die Caution von den deutschen Wirthen zusammenbringen. Die sollten Buße thun. Sie strichen jetzt durch ganz Newyork und legten jedem Wirth eine Steuer auf. Der Vater sollte zehn Dollars zahlen. Aber sie wolle Fußschläge haben, wenn er nur einen Cent gebe. Sie dulde den Unfug nicht. Sie gebe nichts.
Die anwesenden Gäste waren mehr oder weniger vertraut mit dieser Tagsbegebenheit
und tauschten ihrerseits aus, was sie von neueren Gerüchten und Stadtgesprächen
darüber wußten. Das Gastzimmer gerieth in eine lebhafte Unterhaltung. Moorfeld
verzichtete unter diesen
Erst zu Hause trat ihm der Fall von einer eigenthümlichen Seite wieder näher.
Indem er sich von einer vorgefundenen Nummer des „Sun“ einen Anzünder riß, um
möglicherweise in einer kräftigen Pfeife Unruhe und Ungeduld zu narkotisiren,
blieb sein Auge an einer jener Phrasen heften, welche oft unwillkürlich zum
Weiterlesen einladen. Er las. Der Artikel behandelte eben jenes Ereigniß. Er that
es zunächst in polemischer Form gegen den „Newyorker Herald“, denn auch dieses
„accident“ war in die Sphäre des politischen Parteitreibens gezogen, wie überhaupt
Alles in diesem Lande. Im weiteren Verlaufe dieses Artikels hieß es nun: Was man
bei dieser Gelegenheit über den Charakter des Mädchens und ihres deutschen
Bräutigams angemerkt hat, möchten wir nicht gern als das Urtheil der öffentlichen
Meinung hingestellt wissen. Der Ausdruck, „daß nur ein Deutscher gut genug sein
könne, die Abfälle amerikanischer Prostitution vom Boden aufzulesen“, hat uns
schmerzlich überrascht. Wenn wir unsern ehrenwerthen Collegen im jenseitigen Lager
nicht geradezu der absichtlichen Verleumdung zeihen wollen, so können wir ihn doch
von einer befremdlichen Unkenntniß in der Völker- und Sittenkunde nicht
freisprechen. Weiß der „Newyorker Herald“ nicht, daß die Deutschen über
Prostitution ein- für allemale anders denken, als wir, ja daß einige ihrer
verehrtesten Dichter sie kurzweg idealisirt haben? Wir gestehen gern, daß wir
diesen Nationalzug der Deutschen nicht begreifen, aber wir trauen uns nicht den
Erweis zu führen, daß die Deutschen deßwegen unsittlicher seien als wir. Zahlen
hindern uns daran. Wir haben Tabellen der deutschen und amerikanischen
Lasterstatistik vor uns, und — erkläre es wer will! — die deutschen Sitten sind
besser, als die deutschen Grundsätze. Lassen wir übrigens die Deutschen. Sprechen
wir von der traurigen Ursache dieses Scandals, von unserer unglücklichen
Mitbürgerin. Wahrlich es ist sehr gentlemanlike, eine Schande, die wir nicht
entschuldigen zu
Moorfeld hielt plötzlich inne. An dieser Stelle blitzte eine Ahnung in ihm auf. Er errinnerte sich an das Kammermädchen Betty bei weiland Staunton. Der Zug, welcher hier angegeben war: abgesonderter Tisch von der Herrnfamilie, wies zuerst mit Besonderheit auf sie. Augenblicks überlas er von Neuem, und nun fiel aus jeder Zeile Licht in sein Auge. Auch die Vorbereitungsstudien zu einer Schulstelle fanden sich besprochen. Moorfeld ließ das Blatt aus den Händen sinken und starrte. Welch eine Entdeckung! welch ein Sittenbild! welch ein Erstlingsgruß Newyork's an den Zurückkehrenden!
Er sank verworren in sich zusammen. Ein später, unruhiger Schlaf jagte ihn durch ein Chaos von Träumen. Benthal und das Fieber drangen aus allen Fugen dazwischen vor. Eine nebliche Morgensonne erhob sich über sein Lager und rief ihn in ein wüstes Tagesbewußtsein. Er warf den „Sun“ ins Kamin, machte verstört Toilette und stand — nachdem er noch einen Umweg über die Battery genommen, um seinen Namen in Bennet's Visitenbuch zu schreiben, — zur üblichen Besuchsstunde iu Frau v. Milden's Zimmer.
Nun, mein Kind, wie nimmst du dich? Kennst du den Herrn Baron — den Herrn Doctor, wollt' ich sagen, nicht mehr?
Die kleine Malwine drückte sich scheu in den Winkel von Wand und Sopha und schüttelte den Kopf.
Ist das nicht derselbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach Mr. Mockingbird's Schule zu fahren und welcher uns einst einen freundlichen Besuch zum Thee geschenkt?
Das Mädchen blickte aufmerksam auf.
Moorfeld faßte die Kleine unter's Kinn: wahrhaftig, meine Möwe hat mich vergessen?
Die „Möwe“ wirkte. Malwine machte schnell eine entgegenkommende Bewegung, rief aber unwillkürlich dazu: Ach, Sie sehen so blaß!
Wirst du? zürnte Frau v. Milden, indeß Moorfeld einen erschrockenen Blick nach dem Spiegel warf. Sie hat Recht, sagte er seufzend, damals kam ich auch von Europa und heute nur — von Ohio! —
Frau v. Milden aber lenkte ab, indem sie ihrem Gaste mit der Frage entgegenkam: Ich werde vermuthen dürfen, daß ich die Ehre Ihres Besuches Herrn Benthal verdanke? Ich bin bereit, Bestellungen an ihn nach Kräften zu besorgen.
Er lebt also?! rief, oder vielmehr jauchzte Moorfeld auf.
Die Hausfrau blickte verwundert: Ging zu irgend einer Zeit ein Gerücht seines Todes?
Moorfeld schüttet sein ganzes Herz über seinen gestrigen Besuch in Kleindeutschland aus.
Frau v. Milden sieht mit einem fast mütterlichen Blicke in das verstörte Antlitz des armen Leidenden. Sie „ist glücklich“, sagt sie, so „lebhaft empfundene Sorgen“ verscheuchen zu können.
Moorfeld athmet leichter. So müssen doch nicht alle Schreckensträume in Erfüllung gehen!
Indem sich aber sein Antlitz jetzt aufheitert, vermißt er den gleichgestimmten Ton bei Frau v. Milden. Er hat in seiner Freude ein scharfes Auge dafür, daß diese Freude nicht getheilt wird. Er glaubt zu fühlen, die Frau athmet nicht die reine Atmosphäre, die sie selbst über ihn verbreitet hat. Es fehlt etwas zwischen ihm und ihr, gleichsam ein Medium, eine Voraussetzung. Selbst ihre Züge, bedünkt es ihm bald, haben seit drei Monaten Vieles gelitten. Er wollte das Wort, das ihm Malwinens Kindes-Naivetät entgegengetragen, leicht wieder zurückgeben können. —
Die Hausfrau nimmt mit ihrem Gaste Platz. Sie richtet Fragen höflicher Theilnahme
über seinen Ohio-Ausflug an Moorfeld. Unser Freund antwortet in demselben Tone. Er
erzählt vor Allem die Geschichte seines ärgerlichen oder wunderlichen Prozesses
mit dem Räuber Wogan, indem er annimmt, daß er mit diesem Bericht eigentlich
vor
Aber es war gesprochen, es war gedacht. Die Förmlichkeit der conventionellen
Haltung war durchbrochen, Frau v. Milden verwandelte sich sichtlich. Sie zeigte
das leidende trostbedürftige Weib. Es ziemt uns Frauen nicht, sagte sie in einem
Tone wehmüthiger Weichheit, unsre Ausdrücke über Männer so entschieden zu wählen,
wie diese es selbst dürfen. Ich möchte Ihr Wort nicht wiederholen, Herr Doctor. Um
Ihrer selbst willen nicht. Sie waren sein Freund, ich weiß es. Sie haben gebaut
auf ihn, fest, unerschütterlich. Wie hielten wir deßwegen auf Sie! So müssen
Männer Freunde werden, sagten wir oft. Ein Blick, ein Griff — und es ist der
rechte! Denn im alltäglichen Umgang nehmen wir meist für Freundschaft was nur
Gewohnheit ist, und ein so und so oft wiederholtes Sehen der Außenseite gibt
gedankenlosen Credit fürs Innre. Sie wurden Freunde von innen heraus,
nicht
Moorfeld saß da, — der letzte Blutstropfen aus seinem Gesichte gewichen. Also doch! stammelte es dumpf in ihm.
Trag' dieses Buch zu Mistreß Norbert, hieß Frau v. Milden ihr Töchterchen, indem sie das Kind damit entfernte.
Malwine ging. Moorfeld sah ihr nach und als sie die Thüre geschlossen, sagte er zur Mutter gewendet: Geschlossener Hofraum! Die Execution kann beginnen. In Philadelphia richtet man so: ein tête à tête nur zwischen Henker und Delinquenten. Ich bitte, sprechen Sie, gnädige Frau.
Könnt' ich uns Beiden diese Stunde ersparen! seufzte die edle Frau, deren Züge der Schmerz eben so zu verschönen schien, als Moorfeld wild, ja, gräßlich blickte. Und gleichsam als klängen ihr Moorfeld's Worte jetzt erst ans Ohr, sagte sie sanft: Ich richte Niemanden. Auch ist er noch nicht gerichtet. Ach, ich erzähle ja nichts als ein paar veränderte Aeußerlichkeiten! Urtheilen Sie' selbst, ob sie ein Schicksal sind.
Moorfeld starrte vor sich hin.
Frau v. Milden begann: Es war am Tage Ihrer Abreise, Herr Doctor. Die letzten
Stunden, wenn ich nicht irre, brachten ein wiederholtes Hin- und Wiedergehen
zwischen Ihnen und Theodor, wie es solche Gelegenheiten pflegen. Einmal kam
Theodor zu spät. Herr Staunton, der zwischen Thür und Angel ihn empfing, kündigte
ihm an, Sie wären so eben abgereist. Das sind aber auch Entfernungen! rief Theodor
erhitzt und bestürzt, wie flog ich zurück von der Croton'schen Wasserleitung! Und
stehenden Fußes wandte er sich, um Sie noch einzuholen. Herr Staunton hielt ihn
auf: Wie, mein Herr, Sie haben unsern Croton-Aquadukt gesehen? Sie staunen, wie?
ein echt römisches Bauwerk, wie? — Verdammt römisch! rief Theodor unwillig über
die zudringliche Eitelkeit, — ich glaube in der That, die Amerikaner kennen so
wenig als die alten Römer das hydrostatische Gesetz,
Theodor folgte wie im Traume. Herr Staunton hieß ihn auf ein feuerflammendes
Kanapee niedersetzen, indeß er selbst mit großen Schritten das Zimmer durchmaß. Er
fing eine weitausholende pathetische Rede von der Größe und Herrlichkeit seines
Vaterlandes an. Er schien es darauf abzusehen, den jungen Mann zu betäuben, zu
berauschen. Er streckte sich zu einer Art höherem Wesen vor ihm aus. Er pries ihn
glücklich, daß die Erde Newyork's ihn trage. Der Winkel am Hudson und an der
Manhattanbai sei auf dem ganzen Globus der auserwählteste Sitz für Menschencultur.
Wer es hier zu nichts bringe, der lästere den sechsten Schöpfungstag, er steige
von der Höhe seiner Gattung herab zum Thiere und zur Pflanze. Fassen Sie diesen
gottbegnadeten Punkt unsers Planeten näher ins Auge! rief er mit ausgestreckten
Händen. Denken Sie sich z. B.: Afrika sei ein wohlbevölkertes, civilisirtes Land,
die Spanier seien ein thätiges, aufgeklärtes Volk, mit einem hohen Sinn für
Handelsverkehr, und nehmen Sie dann an, daß Gibraltar nicht nur der vorzüglichste,
bequemste und gesundeste Hafen der Welt, sondern auch durch seine Lage den Vorrang
im Handel von Europa zu behaupten berufen sei. Entfernen Sie alle bedeutenderen
Nebenbuhlerinnen, welche durch Zufall oder Betriebsamkeit in den übrigen Theilen
Europa's entstanden, kurz geben Sie Gibraltar unter den ersten Handelsstädten
unsrer Halbkugel die erste Stelle. Denken Sie sich hierauf das mittelländische
Meer mit seinen Fortsetzungen als einen bloßen Strom, der in unmittelbarer
Verbindung mit großen Seen steht, an deren Ufern Menschen von gleicher Erziehung,
glei
Ja! rief er aus, indem er vor einer Karte Amerika's stehen blieb, vor diesem Bilde muß jedes menschliche Knie sich beugen. Welch ein Anblick! Dieses Profil, diese Gliederung, dieser wunderbare Zusammenhang der fähigsten Organe — welch ein Göttergebilde! Das ist ein Leib, wie die Schöpfung des Prometheus! Aber nicht das Feuer fehlt ihm — beim Himmel, das haben wir selbst! — bloß der Ausarbeitung seines Geäders sind wir die letzte Hand schuldig. Dieser Hudson, dieser Mississippi, dieser Ohio und Missouri, diese Seen und dieser Golf — er beschrieb mit der Hand schwungvolle Linien — welcher Landkörper der Erde hat ähnliche Venen und Arterien aufzuweisen? Alles ist da, bloß in den Kapillargefäßen bleibt uns noch eine letzte Feile. Ein paar hundert Eisenbahnen und Kanäle sind wir diesem Lande schuldig!
Hierauf folgte eine weitere Liturgie über den großartigen Thätigkeitstrieb der
amerikanischen Nation, über die staunenswerthen Unternehmungen, die auf allen
Punkten des Landes, wie eben so viele Jupiters, gerüstete Minerven erzeugten, —
der Mann verwandelte ohne Weiters sein Amerika in einen Olymp von Göttern, indem
er dürftige Schulerinnerungen am rechten Orte mit Pomp paradiren ließ. Den Schluß
machte ein Engagement für eine der reichsten und mächtigsten Eisenbahncompagnien
Nordamerika's. Den gänzlichen Schluß bildete der kleine Nachsatz, Herr Benthal
könne gelegentlich der Tracirungen wohl auch in montanistischer, hydrographischer,
chemisch-agrarischer, überhaupt in nationalökonomischer Beziehung die Landschaften
ein wenig exploriren und nebenher seine Berichte und Zeichnungen darüber der
Compagnie einsenden. Auf letzteres Offert antwortete Theodor mit großer
Kaltblütigkeit: Also von einem Doppelgeschäfte ist hier die Rede! Unsre
Eisenbahncompagnie ist zugleich eine Gesellschaft für Landhandel. Eine glückliche
Combination, die einen ungeheuren Gewinn abwerfen muß! Indeß modificirt das unsre
Abrede ein wenig, Herr Staunton.
Das, fuhr Frau v. Milden fort, war der Inhalt eines Ergußes, womit Theodor sprudelnd und glühend am selben Abend uns überraschte. Er riß unsere Lebensgeister mit hin, wir vernahmen wiederholt das glückliche Ereigniß aus seinem Munde. Sie hören, ich behielt seine Worte, wie ich aus dem Mädchenpensionat noch manche Memorienaufgabe behalten. Wir waren begeistert mit ihm.
Frau v. Milden hielt inne. Sie kämpfte einen Augenblick mit dem Schmerze, den ihr die Natur dieser Mittheilungen aufzuregen schien, bis sie mit unbewegter Stimme fortzufahren vermochte:
Seit jenem Abend aber kam Alles anders. Theodor verwandelte sich rasch, im Fluge.
Die feste, männliche Bescheidenheit, womit er sonst unser Loos, wie eine Würde,
ertrug, machte einer wilden, hastigen Emotionssucht Platz. Er erlaubte sich,
unsern einfachen Thee mit allerlei Genüssen zu garniren, die höchstens ein Kind
naschen, eine angehende Hausfrau aber nicht wirthschaften lehrten. Daneben fing er
an, einzelne Abende ausfallen zu lassen, — seine neue Clubbverbindungen mit den
Männern des Commerce und der Industrie zögen ihn nach außen. Wir glaubten es
gerne. Erschien er dann, so trat er ein wie ein Gott, kramte glänzende Geschenke
aus, und wurde empfindlich, selbst verletzend, wenn sie ihm nur die Bewunderung
meiner Kleinen, von Paulinen aber ein tiefsinniges Kopfschütteln, von mir eine
mütterliche Ermahnung eintrugen. Allmählig fing er auch an, sein Aeußeres
umzuformen. Erst verschwand sein schöner, blonder Vollbart,
Uebrigens standen diese Freuden selbst noch hinter manchem Meilenstein. Wovon
Theodor depensirte, das scheint nur ein glänzendes, oder vielmehr lockendes
Handgeld gewesen zu sein. Der Abschluß des eigentlichen Engagements ließ auf sich
warten. Es ist das ein dunkler, labyrinthischer Handel, den eine Frau schwer
durchdringt, wohl auch nicht durchdringen will. Ich habe mich nie in die Karten
gemischt. Wenn es indeß erlaubt ist, aus Gerüchten, Winken, Andeutungen und
dergleichen Halbheiten ein Urtheil zu bilden, so dürfte auf Herrn Staunton's
Charakter und bürgerliche Stellung ein Schein von Zweideutigkeit fallen. Dieser
Herr, wie man sagen will, hat sich von verschiedenen Geschäften mit wiederholten
Bankrotten zurückgezogen, was freilich in Amerika anders, als bei uns beurtheilt
werden wag. Das hiesige Creditsystem, und der volksthümliche Geist des kühnen
Wagens mögen dafür Maßstäbe haben, welche nicht die unsrigen sind; ich will
darüber nicht absprechen. Auch will ich nicht entscheiden, ob er den Versuch, ein
fashionables Boardinghouse erst im Kleinen, dann im großartigeren Style zu halten,
direct zu dem Zwecke unternommen hat, um reichere Auswanderer, welche er in Europa
selbst schon anzuködern wußte, den Händen einer mystisch-organisirten
Landspeculation zu überantworten. Unzweifelhaft dürfte nur sein, daß er in seinem
Geschäfte mit Theodor wirklich oder auch wirklich nur als Makler einer großen
hinter ihm stehenden Actiengesellschaft handelte. Er scheint aber außer den
Zwecken dieser Gesellschaft noch gewisse ihm allein eigene verfolgt zu haben;
wenigstens leuchtete aus all seinen verworrenen Manövres der Eine Grundgedanke
durch: Theodor' in seiner Hand zu behalten. Er brachte den jungen Mann nie
unmittelbar in Verbindung mit den Leitern der Gesellschaft, er ließ sein
Engagement selbst eine Reihe von verschiedenen Chancen durchlaufen, heute streckte
ein unermeßliches Capital sichtlich und greiflich seine goldgefüllte Hand nach
Theodor aus und morgen war Alles wieder so schattenhaft, so entlegen, daß die
Hoffnung auf immer Abschied zu nehmen schien. Ich
In solch einem Augenblick fragte ihn Pauline einmal: ob er schon Briefe aus den
Urwäldern Ohio's habe? Ich verstand diese Frage wohl und auch Theodor hat die
Erinnerung an das stille Naturleben mitten aus seinen städtischen Geschäftsfoltern
heraus keineswegs mißverstanden. Deßungeachtet gab er ihr als Antwort zurück:
Frägst du des Urwalds, oder des Doctors wegen so? Sie hören es! Das geschah in
meiner Gegenwart. Pauline erblaßte, stand auf, ging in das Nebenzimmer und weinte
den ganzen Abend darin. Auch ich gerieth außer Fassung diesmal. Ich bin sonst
geneigt, manche Ungezogenheit, manche Laune dem Geschlechte nachzusehen, das, wenn
es nicht das starke, doch gewiß das freie ist: aber diese niedrige Bosheit empörte
mich. Ich ließ dem Menschen eine ernsthafte Rüge angedeihen. Es ist wahr, das
Mädchen ist eine etwas schwere Natur, sie artet viel ihrem Vater nach. Es mochte
nicht ganz gewählt sein, daß sie einem Manne, der mit vollen Segeln dem high life
zuzufliegen meint, zu verstehen gibt, sie sehe die rauhe Farmersaxt lieber in
seiner Faust. Es ist wahr, sie hat die ganze Wendung seines Geschicks mehr mit
einem stillen ahnungsvollen Grauen, als mit lachendem Mitgenuß angesehen. Aber
wenn sie keinen Begriff davon hat, daß das Weib, unbeschadet seiner tiefen und
wahren Empfindungen scheinen muß: so kannte Theodor längst ihr Naturell, und hat
sie, eben so wie sie ist, gewählt, geschätzt, vergöttert. Sie ist unverfälscht wie
die Elemente! war sein Lieblingsausdruck. Und er hatte Recht damit. Das Mädchen
ist eine strenge, geradlinige Weiblichkeit. Sie ist wie eine Fackel, sie flammt in
jeder Richtung
Das ist Benthal von heute, — schloß Frau v. Milden aufstehend. Als Moorfeld sprechen wollte, fiel ihm die sensible Frau rasch ins Wort: Ich bitte, sagen Sie mir nichts zum Troste. Ich danke vorweg für Ihre gute Meinung. Ich weiß, was ich zu denken habe. Ich weiß, daß Sie einen Versuch machen werden, das Schwungrad, das ihn ergriffen hat, aufzuhalten. Das werden Sie thun, aber versprechen können Sie nichts. Dann reichte sie Moorfeld die Hand zum Abschiede und sagte mit einer schmerzlichen Heiterkeit: Doch, bester Herr! Eins können Sie mir versprechen: Vor ihr wollen wir fest bleiben. Wenn Sie Pauline irgendwie sehen sollten, verrathen Sie nichts! Ich zeige dem Mädchen die heiterste Miene, und noch, denk' ich, ahnt sie die Möglichkeit ihres Unglücks nicht. Ach, sie hat keine Vorstellung von der schlechten Seite des menschlichen Herzens!
Auf dieses Versprechen reichte Moorfeld seine Hand. Sie zitterte heftig in Frau v. Milden's Hand. Nur mit einem stummen Blick vermochte er sein unaussprechliches Inneres auszudrücken.
Trunken von Schmerz wankte er zur Thüre hinaus.
Als er am Fuß der Treppe angelangt war, öffnete sich die Thüre des Basements, wo
die Eigenthümerin des Hauses wohnte. Pauline trat zu der Thüre heraus. Sie hatte
eine Arzneischale in der Hand. Als sie Moorfeld ansichtig wurde schrack sie heftig
zusammen. Der volle Gegensatz zwischen Einst und Jetzt überwältigte sie bei diesem
Anblicke. Sie sank mit einem gebrochenen Schmerzensruf an ihm nieder. Moorfeld
eilte schnell, sie zu stützen. Die Berührung eines fremden Arms schien allein
schon mächtig, das züchtige Mädchen aus ihrer Ohnmacht aufzurütteln. Sie entwand
sich den Armen Moorfeld's, stützte sich halblehnend gegen das Treppengeländer und
hauchte ihm die
Menschen! Menschen! rief Moorfeld mit einem zerrissenen Blick zum Himmel, weint, wenn ihr weinen müßt, mit einander, denn so eben sagte mir Frau v. Milden dasselbe!
Mit wilder Hast stürzte er zum Hause hinaus.
Es war keine Person, es war eine — Rede, die jetzt durch Newyorks Straßentumult fuhr, als sich Moorfeld in seinen Wagen geworfen. Unaufhaltsam strömten ihm die Gedanken zu, unter deren Wucht Benthal erliegen mußte. Sein Zorn loderte als dichterische Begeisterung auf, — und nie hatte Begeisterung mit solcher Fruchtbarkeit ihn überschüttet, wie in dieser Stunde. Alles gab sie ihm ein, was Herz und Gehirn fähig ist, er war Alles, was ein Mensch sein kann, — er war ganz sein Gegenstand. Wohin sein Auge fiel, jeder Anblick des Straßenlebens wurde von der Gährung seines Inneren aufgenommen und verbraucht. Dieser Abbruch eines alten Hauses, jener Aufbau eines neuen, dieses Schaufenster, jenes Aushängeschild, die Consulatsflagge, der Matrosenhut, das Negerantlitz, die schlagende Thurmuhr — kein Bild führten ihm seine Sinne zu, das nicht in ein poetisches Bild, in ein tiefsinniges Gleichniß sich verwandelte, — ganz Newyork gab sich der Moral zum Schmucke her.
So erreichte Moorfeld sein Boardinghouse. Er schickte zu Staunton und ließ anfragen, wenn und wo Benthal zu sprechen. Seinen Namen nannte er nicht, wie er seine Person nicht zeigte. Er wollte dem traurigsten Fall einer Verleugnung vorbeugen.
Es war die Börsenstunde, in welcher diese Anfrage geschah, und Hr. Staunton nicht
zu Hause. Im Laufe des Nachmittags sendete
Moorfeld brachte den Rest des Tages auf seinem Zimmer zu. Er ordnete seine Gedanken und gebot seinen Leidenschaften. Er stellte sich im Geiste erfindungsreicher, als im ersten Augenblick, die mancherlei Möglichkeiten und Gestalten vor, in welchen dieser Fall sich ihm zeigen könne, und bereitete sich auf all seine denkbaren Seiten vor. Er wunderte sich selbst, wie rasch er ihn als Thatsache ergreifen konnte. Denn mitten in seinem Gedankenstrom kamen dann wieder Momente, wo all sein Denken plötzlich still stand, wo die ganze schreckensstarre Neuheit in ihm aufschrie: Das war mit Benthal möglich?! —
Der Tag sank, die Straßenlichter brannten, der wälzende Lärm des Volksgewühls löste sich in seine einfacheren Elemente auf, die abund zu rollenden Fuhrwerke zum Philadelphia-Bahnhof verhallten mit ihrem letzten Getöse, als Moorfeld den Wagen holen ließ, der ihn seinem verhängnißvollen Ziele entgegenbringen sollte. Es war ein weiter Weg zurückzulegen. Moorfeld hatte seine Aufmerksamkeit nichts weniger, als auf die Außenwelt gerichtet; aber er fuhr nicht lange, so fiel ihm Manches auf, das in der Physiognomie eines städtischen Straßenlebens zu dieser Stunde eben nicht alltäglich ist. Er sah im dämmerungsvollen Laternenlicht Arbeiterzüge von ihrem Tagewerk heimkehrend, mit einer gewissen Hast und Unruhe durch die Straßen eilen, welche von der Kälte, die in den Bewegungen der Amerikaner sich sonst kund gibt, wunderlich abstach. Aus hohlem Straßendunkel hörte er hie und da einen jener gellenden Rufe anstimmen, welche nach seinem Dafürhalten dem indianischen Kriegsgeheul entlehnt: in gewissen Abständen gab es dann Antwort darauf, wie eine Signalkette. An einsamen Orten wimmelte es plötzlich von Menschen, welche nach allen Richtungen auseinanderströmten; anderswo lief Alles auf Einen Punkt zusammen, und schloß sich im Nu zu geheimnißvollen Kreisen und Gruppen.
Eine dieser Gruppen stand endlich an einer Seitenstraße, welche Moorfeld zu
schneiden hatte, so dicht, daß eine Stimme den Kutscher ohne Weiters anrief: Um in
die Centre-Street! Der Kutscher machte Vorstellungen, aber es war ein Schwarm von
Rowdie's, welcher diese
Kaum hatte Moorfeld das Gedränge der Rowdies durchbrochen und seinen Weg in die Tiefe der bezeichneten Straße eingeschlagen, als er einige Schritte vor sich einen Menschen in Ohnmacht sinken sah. Die Gestalt hatte sich erst gegen die Mauer eines Hauses gelehnt, und war dann längs derselben langsam zu Boden geglitten. Rasch eilte Moorfeld hinzu. Hat Ihnen das wilde Volk Gewaltthätigkeiten zugefügt? fragte er den Verunglückten, indem er ihn aufhob. Der Mann schüttelte, ohne aufzublicken, schwach und zitternd den Kopf vor sich hin. Aber in demselben Augenblicke glaubte Moorfeld die Gestalt zu erkennen. Schon der faltenreiche Mantel mit den vielen kurzen übereinanderliegenden Kragen gehörte in das Inventar seiner Erinnerungen. „Anche gli giorni!“ war das Schlagwort dieser Erinnerungen. Ohne sich zu besinnen, redete er den Alten an: Se non m'inganno, Signore, é la sua lingua materna, in cui la saluto? Der Fremde zuckte zusammen. Ah, non é Americano, Signore, seufzte er aufathmend, — per grazia di Dio, un bichiere di vino! Wenn ich nicht irre, mein Herr, so ist es Ihre Muttersprache, in welcher ich Sie begrüße? Ah, Sie sind kein Amerikaner, mein Herr, — um Gotteswillen, ein Glas Wein! Moorfeld erschrack. So war der alte Mann aus Hunger und Durst hier zusammen gebrochen? Seine Bitte ließ keinen Zweifel darüber.
Moorfeld warf seine Blicke schnell nach einem Gasthofe umher und entdeckte wenigstens, womit Newyork damals schon übersäet war, die illuminirte Aufschrift einer Kellerwirthschaft in der Nähe. Er führte oder trug den Verschmachtenden dahin.
Die Taverne fand sich unangenehmer Weise von einem stark abund zugehenden Publikum jener Rowdies besetzt, welche vorn an der Straßenecke ihr Standquartier aufgeschlagen. Moorfeld zeigte Gold und forderte ein ruhiges Zimmer mit der besten Flasche Wein. Man übergab ihm eine Stube des Hinterhauses, und brachte Wein, der mindestens seiner Etiquette nach, Ost-India-Madeira war.
Bei der Eile, die Moorfeld für die Bestimmung dieses Abends hatte, konnte er nicht daran denken, seinem unerwarteten Gaste die Pflicht der Gastfreundschaft zu erfüllen. Einzig die Pflicht als Arzt und Mensch gebot augenblickliche Erfüllung hier.
Moorfeld erlaubte sich die nöthigsten Fragen um das körperliche Befinden des Unglücklichen. Der Alte antwortete nicht. Er starrte still vor sich hin. Er drückte sich in die Ecke des Kanapee's und zog fest seinen Mantel an sich. Moorfeld, auf eine scharfe Beobachtung durch das Auge, wie so häufig in solchen Fällen, fast ausschließlich beschränkt, folgte der geringsten dieser Bewegungen mit Aufmerksamkeit. Die Züge des Greises zeigten den Ausdruck tiefer Erschöpfung und langwieriger Seelenleiden. Eigentliche Krankheitssymptome konnte Moorfeld nicht darin erforschen. Sein Kopf war von zarten und edlen Formen, das Auge glanzvoll, entschieden geistig. Die schön gebleichte Stirne strahlte vom blendendsten Weiß, der Mund, der übrigens auch nicht Einen Zahn nachwies, schien gegen die greisenhafte Erschlaffung der Muskel, welche die Mundwinkel abwärts zieht, ziemlich standhaft geblieben. Man sah die lange Uebung des wohlredenden Italieners, den Abglanz witziger Scherze und feiner Tafelgenüsse darauf. Wenigstens glaubte Moorfeld, indem die physiognomischen Transponirkünste seiner Phantasie zu spielen anfingen, aus dieser Greisenmaske die Jugend eines eleganten Lebemannes zu dechiffriren, und wir dürfen es sehr dahingestellt lassen, ob sein studienhafter Blick mehr mit poetischem oder pathologischem Tiefsinn in die Züge des alten Mannes hineinträumte.
Moorfeld schenkte zwei Gläser voll. Der Alte wickelte eine seiner Hände aus dem
Mantel, und streckte sie zitternd nach dem Weine aus. Moorfeld gab sich die Miene,
ihm das Glas in die Hand zu drücken, wobei er die Gelegenheit benützte, seinen
Puls zu fühlen. Er war herabgestimmt, aber gleichmäßig. Beruhigter stieß Moorfeld
an mit dem Alten. Dieser aber führte das Glas nicht zum Munde. Er hielt
Moorfeld hatte den Toast belauscht. Er erstaunte. Ha, mein Herr, Ihre Erinnerungen knüpfen sich an Wien! rief er aufwallend von Heimathsgefühl. Er streckte dem Greise beide Arme entgegen. Es waren die zehn schönsten Jahre meines Lebens! antwortete dieser traumversunken. — O wie bedauere ich die Schicksale, die dieses Glück Ihnen geraubt. Sie müssen trauriger Art gewesen sein! — Zwei Todesfälle waren es, Signor. Den 20. Februar 1790 starb Kaiser Joseph, der wärmste Freund und Beschützer der Künste, und den 5. December 1791 Amade Mozart, der Kaiser seiner Kunst selbt. Was sollte da ich noch in Wien! — Moorfeld sah den Alten groß an. Wer ist es, der mit mir spricht? rief er in höchster Spannung. — Wenig, antwortete der Greis, und kauerte sich tiefer in seinen Mantel zusammen, — ich heiße da Ponte.
Da Ponte! rief Moorfeld außer sich: Casti’s und Metastasio’s Rival, verschmachtend
am Strande der Manhattan! Er stand vor dem alten Manne wie vor der Reliquie eines
Heiligen. Unaussprechlich war seine Bewegung. Der Gedanke, mit seinem Blick auf
einem Haupte zu ruhen, das in Mozart's brüderlichem Schoß gelegen, ergriff ihn
betäubend. Staunen und Ehrfurcht hielt ihn wie mit Bezauberung vor dem Bilde des
alten Mannes gefesselt. Er bedurfte einiger Minuten um sich zu fassen. Dann trat
er vor den Greis und sprach mit einer fast ritterlichen Courtoisie: Herr Abbé, ich
bitte Sie, den Tribut meiner begeistertsten Hochachtung anzunehmen. So weit die
Erde Cultur hat, ist jeder einzelne Mensch Ihnen Dank schuldig. Wie tief mich das
Unglück erschüttert, das dieser unwirthliche Boden Ihnen zu bereiten scheint, so
muß ich den Zufall segnen, der es meine Hand sein ließ, welche in
So sprach Moorfeld hingerissen von seiner dichterischen Begeisterung. Der alte
Mann, auf dessen gebleichtem Scheitel der Name Da Ponte ruhte, horchte aus der
Ausdrucksweise eines vorgeschrittenen Ideenlebens nur so viel heraus, daß das
erste Don Juan-Finale gelobt wurde. Er schien zufrieden mit dieser Anerkennung und
bestätigte sie mit folgenden Worten: Ja wohl will ein Finale gearbeitet sein! Sie
sagen es recht, Signor! Ein Finale ist eine Art Komödie, oder ein kleines Drama in
sich selbst; es muß mit der übrigen Oper eng verbunden sein, und doch erfordert es
einen neuen Eingang und ein neues Interesse. Im Finale muß das Talent des
Kapellmeisters, die Kunst und Kraft der Sänger hauptsächlich hervortreten, es muß
als Glanzpunkt der Oper den größten
Diese Sprache eines altmodischen Jahrhunderts stach nicht ohne Reiz für Moorfeld von seiner eigenen ab. Der Grundton der schlichten Wirklichkeit, der aus ihr klang, ermangelte nicht, seine Begeisterung selbst zu ergreifen, die er dem ehrwürdigen Haupte des Dichters jetzt in der vertraulicheren Färbung einer jugendlichen Zärtlichkeit für das Alter entgegenbrachte.
Und nun, sprechen Sie, Herr Abbé, fragte er, wie war es möglich, daß ich das Schicksal in so schwerer Schuld gegen Sie finden konnte? Sprechen Sie, wie hat dieses unselige Land an Ihnen gefrevelt?
Da Ponte schüttelte nach einer Pause das Haupt. Er zog einen seiner obersten Mantelkrägen über Kopf und Stirne und machte sich eine Art Lichtschirm daraus, gleichsam als störte der ihn bedeckende Lampenschimmer seine Gedankenbildung, wie er den Nerv seines Auges belästigen mochte. Aus diesem Dunkel heraus sprach er:
Warum ich in einem Lande nicht gedieh, das für die Kunst so viele Mittel und wohl
auch guten Willen hat, — ich wüßte äußere Widerwärtigkeiten vielleicht kaum zu
nennen, Signor. Aber einen Zug will ich Ihnen erzählen, von welchem Sie selbst
sagen sollen, ob ich ex ungue leonem daran erkennen und für immer zurückschrecken
durfte.
Und freilich, in jedem andern Beruf mußten Sie unglücklich sein! sagte Moorfeld mit dem überzeugtesten Blick auf den fein organisirten Italiener.
Ich wurde Kaufmann, antwortete da Ponte. Die Musen drehten Pfefferdüten und maßen
Schnittwaaren ab. Ich kann nicht sagen, daß sie es ungeschickt thaten. Ich
prosperirte im Kleinen, und versuchte mich bald in größeren Unternehmungen. Auch
da ging Alles herrlich und im schönsten Flor, so lang ich — Credit gab. Dann aber
stürmten Banquerotte auf mich ein — ah, lassen Sie mich schweigen, Signor.
Amerikanische Banquerotte sind ein eigenes Genre. Ich werde meine Memorabilien
schreiben. Genug, ich kam an den Bettelstab und meine Debitoren bauten sich
Häuser. Von Einem derselben, Herrn Staunton, erreicht' ich's mit Mühe, daß er mich
von der Straße unter sein Dach aufnahm, und die Sache müßte eigentlich umgekehrt
stehen. Ich habe eine liquide Forderung von fünftausend Dollars an ihn. Freilich
nicht an ihn, sondern an eine seiner gewesenen Firmen, und kein Kaufmann und kein
Advocat der Welt weiß geschickter seine Firma von seiner Person zu trennen, als
ein Amerikaner. Ja, ja, mein Herr,
Moorfeld hatte inzwischen ein Souper bestellt, aber Da Ponte dankte lebhaft für seine Aufmerksamkeit. Er pflege Abends nichts zu genießen. Nur ein Glas Wein sei ihm zuvor Bedürfniß gewesen eine Ohnmacht, ein plötzlicher Schwindel habe ihn angewandelt; „denn ach, mein Herr, es ist eine harte Arbeit, im zweiundsiebenzigsten Jahre auf Gönnerschaften auszugehen!“ Alles, was er annehmen wollte, war ein Wagen.
So führte der Dichter Moorfeld den Dichter der alten kaiserlichen Wiener Oper jetzt in sein dürftiges Asyl zurück. Er behielt sich vor, den unglücklichen Greis demnächst wieder zu sehen: heute überließ er ihn seiner Ruhe und sich selbst — seinen Reflexionen. —
Wo waren sie jetzt, die schönen Reden, die glänzenden Gedanken, die fruchtbaren, hinreißenden, überzeugenden Ideen, die Moorfeld zum Entsatze Benthal's tagsüber in so kampffertige Schlachtordnung aufgestellt? Und doch sollte, mußte dieser Gang noch geschehen, — stumm, mit zurückgepreßten Thränen, zitterten zwei edle Frauen jeder Secunde seines Erfolges entgegen! Mühsam sammelte Moorfeld seine Lebensgeister — ach, da lag Alles auseinander, wüst, zerstückt, sinnlos! Der freie Zug, der zuckende Nerv, die unwiderstehliche Strömung — kalt, lahm, todt war das Alles jetzt! Aber er mußte!
So fuhr er nach dem Clubbhause zurück.
Die lange Fensterreihe des Hauses flammte lichterloh in die Nacht hinaus. Jüngling im Feuerofen, werd' ich dich retten können? seufzte Moorfeld schwer beladenen Herzens, indem er die Treppen hinanstieg.
Ein Stewart führte ihn durch eine glitzernde, etwas grell ausgeschmückte Zeile von
Sälen. Im Anblicke der Gesellschaft, die Moorfeld durchschritt, jener
glattrasirten, gantirten und toupirten Häringsund Thran-Dynasten, die als
flüsternde, vornehm-kühle Gentlemens mit einer Bildung, die vom heutigen Dollar
datirt, der morgen wieder verbanquerottirt sein kann, ihre in Eis gestellten,
gespenstisch-jugendlichen Gestalten oder vielmehr Etiquetten gegenseitig sich hier
präsentirten: im Anblick dieser bleizuckernen Welt des Egoismus fühlte Moorfeld
seine ganze Streitlust wieder erwacht. So trat er vor einen
Das war nun einer jener häufigen Fälle! So glaubt ein Mensch wohlgerüstet ins
Gespräch mit einem anderen zu gehen, hat Alles vorausgenommen, was vorauszunehmen
war, und im Momente betritt ihn dann doch das Neue, Unvorgesehene, und mit
Ueberraschung entdeckt er das Allernatürlichste: daß ein Einziges sich nie
wahrhaft als ein Zweites zu setzen vermag. Vor diesem Benthal erröthete Moorfeld
bei sich, wie rasch ihn die Verwandtschaft zwischen Dichter und Frauen in die
nervöse Furcht des Lorettohäuschens mit hingerissen.
Tief befriedigt kehrte er nach Hause.
Des andern Tages war unser junger Europäer sicher der unruhigste Gast, der in seinem Boardinghouse an der Tafel des zweiten Frühstücks oder sogenannten „Lunch“ saß. Nach Aufhebung des Lunch schlug die legitime Stunde der Morgenvisiten. Der Wagen nach Frau v. Milden's Wohnung war schon früher bestellt. Hundertmal zog Moorfeld die Uhr, mit ungeduldigen Blicken sah er dem Messer des schwarzen Vorschneiders zu, der dir verschiedenen Rumsteaks, Coteletts u. s. w. in all jene unzähligen Atome zerfällte, in welchen sie den Gästen dargereicht wurden. Da öffnete sich die Thüre und ein Mensch, dessen Aeußeres, wie gewöhnlich durch nichts seine Function bezeichnete, überreichte den Damen des Hauses, einem jungfräulichen Schwesterpaar von mystischen Jahren, welches der Tafel präsidirte, eine Karte. An einer hämischen Bemerkung, welche die herbstlichen Fräuleins sich zuflüsterten, bemerkte Moorfeld, daß es eine Verlobungskarte war. Hat die auch noch einen Mann bekommen! klang der christliche Spott der welken Lippen, indeß die dürren Finger mit äußerster Geringschätzung die Karte von sich schnellten. Das Blatt flog Moorfeld fast in den Teller. Unwillkürlich fiel ihm die Schrift ins Auge. Er las:
Mr. Theodor Benthal Engineer and Surveyor with Mss. Sarah Staunton.
Moorfeld flog auf sein Zimmer, lud seine Pistolen, warf sich in einen Wagen und eilte nach Staunton's Haus. Er hatte bei diesem Ereigniß vor Allem den Mißbrauch seiner Person zu rächen, welcher Benthal einen Auftrag an die Damen Milden gegeben, in dem Augenblicke, da seine Verlobungskarten mit Miß Sarah gedruckt waren. Aber er fand Staunton's Haus verschlossen, die Jalousien niedergelassen und nur Jack, der Neger, war da, welcher zu verkünden hatte, daß seine Herrschaft heute Morgen eine Reise angetreten. Er zog von dem alt-anhänglichen Diener noch weitere Erkundigungen ein und gelangte zu der Ueberzeugung, daß er sein Opfer aufgeben müsse. Es war die öffentliche Meinung der Stadt selbst, welche dem Hause Staunton, wegen des Ereignisses mit seinem Kammermädchen, diesen zeitweiligen Rückzug auferlegte. Aber geschickt hatte das Haus seine Ehrfurcht vor den Dehors mit dem Rückzuge des Schwiegersohnes combinirt, der bei seinem raschen, praktischen Auffassungstalente, seit gestern Abend wohl wußte, was ihm bevorstand. Dies war die Einsicht der Sachlage, welche Moorfeld in wenigen Augenblicken davontrug.
Er kehrte nach Hause zurück. Er fing an, einen Brief an Frau v. Milden
aufzusetzen. Aber bald fühlte er, daß seine Hand keiner geraden Linie fähig war.
Noch minder waren es seine Gedanken. Er warf sich hin und ließ sich zermalmen. Ein
dumpfes Feuer breitete sich aus in ihm, in welchem Alles still und gestaltlos
zusammenbrannte. Er wunderte sich, daß der Philadelphia-Bahnhof stand, daß Wagen
rasselten, daß Glocken im Hause schallten, daß er auf den Treppen den Yankee
Doodle pfeifen und mit der Baguette an Pantalons schlagen hörte. Die Welt kam ihm
wie ein Bilderbogen vor; er hatte das Gefühl, als sei Alles um ihn her nur gemalt.
Bei dieser fürchterlichen Zerstörtheit im Innern marterte ihn die
äußere
In diesem Zustande traf ihn der Aufwärter, der ihm ein Billet abzugeben hatte. Es war eine Einladung vom Hause Bennet zum Thee.
Mit den gemischtesten Gefühlen empfing Moorfeld dieses Blatt. Sein erster Schritt war vor den Spiegel. Leider! er sah Alles darin, was seit dem camp-meeting in Ohio bis zu dieser Stunde auf ihn eingestürmt. Und hätte er selbst sich darüber täuschen mögen: noch scholl ihm das unverfälschte Kindeswort Malvinens im Ohre: Ach, Sie sehen so blaß! Dieses Wort für einen Gang zu Bennet galt ihm, was alten Staaten ihre politischen Orakel.
Was war zu thun? Sich zu entschuldigen und das Haus seiner Sehnsucht so lange zu meiden, bis die Zeit über ihre eigenen Verwüstungen ihr Grün und ihre Rosen wieder geschlungen? Aber Das, was „die Zeit“ heißt, diese jugendliche Huldgöttin alles Lebens, diese herrliche Kraft des Vergebens und Vergessens, — stand sie nicht mit den vollsten Fruchtkörben ihres Labsals an Bennet's schönem Hausaltare selbst? Stand sie außer ihm, in trüber, selbstquälerischer Muße, im verzehrenden Hinbrüten, im bodenlosen Betrachten und Durchdenken Dessen, was ohne Boden ist, weil der Gute und Gebildete Roheit und Egoismus im letzten Augenblicke so wenig begreift, wie im ersten? Moorfeld wog seinen Entschluß hin und her. Er trat wiederholt vor den Spiegel. Also, ein Kranker, sollte er dieses Heiligthum betreten, ein Bedürftiger, Elender, statt ein Mittheilender, Reicher? In einer Entstellung, die jedes Kind verscheucht, sollte er sich zeigen, wo Alles in ihm brannte, seine beste, glänzendste Gestalt dem Auge zu bieten?
Aber indem Moorfeld noch zu schwanken schien, durchdrang Licht und Wärme schon alle Räume seiner Phantasie. Die Scenerie des Abends fing unwiderstehlich in ihm zu leben an. Es wogte von Flammen, Bildern, Gestalten, Glanz, Fülle und Wohllaut um ihn her, Sinne und Seele waren nicht mehr sein, er dachte nichts Anderes mehr, als was in Verbindung mit jenem idealischen Schauplatze stand. Noch hatte er keinen Entschluß gefaßt, aber die Stimmung selbst war sein Entschluß.
In dieser Stimmung entraffte er sich der dumpfen Leidensöde seines Zimmers und suchte die „frische Luft“. Die Luft war mehr als frisch, sie war rauh. Seit jenem zweiten Tagesritt an den Eriesee lag der Sommer, wie von einer scharfen Klinge geköpft, als plötzliche Winterleiche da. Unser Europäer hatte zu erfahren, daß Amerika den Uebergang der Jahreszeiten gleich mancher anderen Schönheit entbehre.
Er warf sich in ein Segelboot und fuhr scharf dem schneidenden Nordwind entgegen. Ja, die frostige Klarheit des Hudson erregte ihm die schauerliche Begierde zu baden. Er fuhr den letzten NewyorkerBauten aus den Augen und that es. Nach einem zweistündigen Ausflug ließ er das Boot wieder wenden, das mit dem Winde stromabwärts in einer Viertelstunde zurückflog. Den Rest des Tages brachte er unter den Händen des Friseurs, am Toilettentisch, vor dem Kleiderschrank zu. Er wollte mindestens vorbereitet sein, wenn bis zum Abend sein Entschluß reif wäre, ihn auch ausführen zu können. Wußte er nicht, daß all diese Vorbereitungen selbst nichts waren, als die Frucht der entschiedensten Reife? Und so stand sein träger Stundenzeiger kaum auf sieben Uhr, als er mit Muth, Lust, Jugend, Stolz und Vertrauen sich in den Wagen warf, — mit dem Stolze, daß der geistig überlegene Mensch sich selbst Ersatz sei für einen ungünstigen Moment seiner Aeußerlichkeit, mit dem Vertrauen, ja mit der Zuversicht, daß er endlich, endlich hier einen Gang mache, der ihm die erste und letzte Genugthuung in Amerika biete.
Waren das Schneeflocken, die ein barbarischer Nordost gegen sein Wagenfenster peitschte? waren es Feuersignale, die von dem Thurm der City-Hall tönten und die Stadt zu schauerlichem Tumulte aufregten? Liefen die Menschen zu dem Brande, fegte sie der rasselnde Hagelsturm so herbst-wild durch die Straßen? Der Kutscher hieb auf die Pferde ein, der Wagen jagte wie auf einer verzweifelten Flucht, — Moorfeld sah und hörte nur mit vorübereilenden Sinnen: es war ein unheimliches Stück Straßenleben, dem er auf dieser Fahrt zur Staffage diente.
Endlich hielt der Wagen unter den sturmzerzausten Pappeln und Platanen des Parks auf der Battery.
Die hellbeleuchtete Reihe von Bennet's Fenstern warf irrende Lichter auf die
Bäume, welche mit ihren triefenden Wipfeln unruhig
Hastig sprang er aus dem Wagen, gegen alles Weh seiner Erinnerungen in dieses Haus, wie in einen delphischen Hain, zu flüchten.
Er fand an der Auffahrt noch mehrere Equipagen vor und trat mit mehreren Gästen zugleich jetzt durch die weitgeöffnete Vorhalle. Zwei Neger in Livree standen rechts und links am Eingange, welche sich die Namen der Ankommenden ausbaten, um sie mit einer, nicht stets correcten Aussprache ins Parlour vorauszurufen.
Als Moorfeld seinen Namen nannte, öffneten ihm die Neger nicht das Parlour, sondern einer derselben bat ihn im Namen der Mistreß Bennet, ihm ins Drawing-Room zu folgen.
Moorfeld überließ sich ihm.
Er dachte unterwegs über die Ausbildung bes republikanischen Geistes in Amerika nach. Der neue Gebrauch der Livree in der Newyorker haute Finance schmiegte sich jedenfalls als eine pikante Illustration um die Devise: all men are equal; ja, und hatte er nicht an einer der Equipagen, die vor dem Hause hielten, im Halbdunkel des Lampenscheines deutlich ein Wappen erblickt?
Indeß führte ihn der Neger durch jene Reihe von Apartements, welche die, Kunstsammlungen des Hauses enthielten, der den Gesellschaftssälen entgegenliegenden Seite zu nach dem Empfangzimmer der Hausfrau.
Moorfeld trat in das Gemach, welches eine Milchlampe unter blaßrothem Lichtschirm mild erleuchtete. Mistreß Bennet verweilte ganz allein in demselben. Sie erhob sich bei Moorfeld's Anmeldung aus einem Schaukelstuhl und trat ihm mit einer Blume in der Hand nicht ohne Bewegung, wie es schien, entgegen.
Ich habe Sie bemüht, Herr Doctor, sagte sie, indem sie ihm die Blume überreichte,
um sie mit einer Veränderung in unserem Familienleben au fait zu setzen, von
welcher es Mr. Bennet lieb sein wird, wenn er sie, im vis-á-vis mit Ihnen, schon
als eine Voraussetzung behandeln kann. Sie hatten die Aufopferung, in einem etwas
— charakteristischen Augenblicke den Dehors unserer Parthien einen großen Dienst
zu leisten, indem Sie mit dem Versprechen, die ästhetischen Studien meiner
jüngsten Tochter zu leiten, einem peinlichen Eclat die
Moorfeld unterdrückte einen lauten Aufschrei.
Aber auch Mrs. Bennet schien ihrer Mittheilung nicht froh geworden zu sein. Mit einem leichten „darf ich bitten“ machte sie Miene, den Arm ihres Gastes zu nehmen, mehr gepreßt von diesem Gegenstande weg-, als beeilt, in die Gesellschaft hin zu kommen.
Moorfeld stand reglos. Er war keiner Besinnung fähig. Er bedurfte einer furchtbaren Kraftanstrengung bis er die Unmöglichkeit, überhaupt zu sprechen, besiegt hatte. Nach einer Pause antwortete er: Madame, erlauben Sie mir, zu bleiben. Ihr Haus ist heute, wie ich ahnen muß, nicht in den großen Gesellschaftssälen, es ist hier in diesem stillen Raume. Und für mich, der ich ein Fremder bin, wird es bald weder dort noch hier mehr sein. Was ich gehört habe, gilt in der Regel für ein frohes Ereigniß; wie ich's gehört habe, scheint es eine Ausnahme von der Regel. Dieser Zweifel martert mich. Ich nehme den innigsten Antheil an Ihrem Hause. O, geben Sie mir die Genugthuung, Madame, ehe wir uns in jene Säle verlieren, wo Glück und Unglück die gleichen Züge tragen, geben Sie mir die Genugthuung, daß Sie mir ein glückliches — ein Ereigniß, das Sie glücklich macht, mitgetheilt haben!
Verzeihung, mein Herr, ich kann unmöglich geben, was ich selbst entbehre.
Jetzt ergriff Moorfeld den zarten Arm der Dame, aber er führte Sie an ihren Schaukelstuhl zurück. Sie haben mir viel zu sagen, Madame, stammelte er; Sie sollen es sagen! Ein Menschenherz für ein Mutterherz!
Diese Art poetischer Dictatur mußte etwas haben, das gefiel; auch war Mistreß
Bennet Pariserin genug, den Umgangsformen eine gemüthvollere Freiheit zu
bewilligen, als es eine Amerikanerin gethan
Ich bin schwach genug, Ihre Theilnahme anzunehmen, sagte die edle Frau mit einem Ausdruck des müdesten Schmerzes. Aber nicht wahr, die Unglücklichen dürfen mit einander zwangloser umgehen! Und ach, wir sind unglücklich, mein Herr, wir sind es, wie wenige Familien dieser Stadt! Es wird mir von Jahr zu Jahr schwerer, den Trost des Mitleids zu entbehren, den theilnehmende Freunde uns entgegenbringen. Mr. Bennet mag mir's verzeihen! Wir lassen uns ja willig zertreten, wird es uns doch erlaubt sein, uns zu krümmen!
Moorfeld war wie vom Blitze gerührt. Mr. Bennet — ? das Wort erstarb ihm auf den Lippen.
Ja, Mr. Bennet! Mr. Bennet! wiederholte die Hausfrau mit Affect. Es wird dem Mann, dessen glorreicher Ehrgeiz es ist, zu den Medicäern seiner Nation zu zählen, es wird ihm in Ihrer Meinung nicht schaden, wenn Sie ihn in seinem Hause, der Schattenseite so vieler ausgezeichneter Männer, kennen lernen. Ich kann nicht anders! Es ist mir Trost, es ist mir Lebensbedürfniß, den Schmerzenslaut meiner Schmerzen hören zu lassen. Ich reiße in diesem Augenblick mit Verzweiflung mein Kind von meinem Herzen, und muß mir Glück wünschen lassen zu meiner Verzweiflung! Ha, ich sollte nicht Ein, nicht Ein Herz den Vertrauten meiner Muttergefühle nennen dürfen? O, mein Herr, der Himmel hat Sie mir in dieser Stunde geschenkt! Helfen Sie mir weinen um das liebenswürdige Kind! Sechszehn unerfahrene, unschuldige Jahre und — un mariage de déspération! Die Unglückliche! Das Genie des geistreichsten Vaters treibt sie in die Arme eines — imbecille! Muß ich meine Cöleste opfern für den Beweis, wie alle Gegensätze sich ihren eigenen Fluch erzeugen? Leider, ich muß es!
Ich werde Ihnen nichts Neues zu sagen haben, fuhr Mistreß Bennet ruhiger fort. Sie
kennen den Enthusiasmus meines Mannes für die schönen Künste. Er möchte seinem
Vaterlande ein Augustus, ein Perikles werden. Ich glaube es aufrichtig, daß er es
könnte. Ja, ich glaube an ihn. Hätte er die Kräfte einer Nation zur Verfügung, er
arbeitete mit dem Werkzeug, das er bedarf. Er wäre glücklich und der Kunstadel der
ganzen Erde mit ihm. Leider sind
Moorfeld stöhnte unter Bergeslasten.
Ja, die Künste haben keine Freistätte hier, eine Werkstätte sollen sie haben. Ein Bennet will erschaffen, was er genießt. Und so war es meinen Kindern schon in der Wiege dictirt: Du malest, du dichtest, du modelirst, du musicirst! Die Natur hatte nur das Recht, die Steuern zu bewilligen, die ihr Bennet auferlegte, sie durfte Ja sagen, aber nicht Nein.
Und wahrlich, sie sagte nicht nein! Die Kinder dieses Vaters hatten wirkliche,
angeborene Talente. Aber gibt es Mittel, das Talent sich selbst verhaßt zu machen,
so gebrauchte sie Bennet. Die Art, wie er die Talente weckte, — was sag' ich,
„wecken“? So weckt nicht das Morgenlied der Lerche, spielende Batterien wecken so.
Er donnerte die armen Kleinen schon aus ihrem zartesten Kindheitsschlafe empor.
Auf zur Arbeit! war das erste Wort seiner Vaterlippe. Daß sie in drei Sprachen
zugleich erzogen werden, rechne ich noch für nichts, die Natur leistet wirklich
Außerordentliches hierin. Daß sie den Freuden ihrer Spiele, den geringsten
Erhohlungen und Genüssen ihres Alters entsagen mußten, daß ihre Kinderstube ein
Gedränge von Lehrern und Büchern erfüllte, zwischen welchem das flüchtigste
Lächeln einer Mußestunde erdrückt wurde, daß ihnen die frische Luft, die Nahrung,
die Ruhe des nächtlichen Lagers entzogen wurde, „weil die Götter den Sterblichen
nur Alles für Arbeit verkaufen“, — das ist schon etwas, mein Herr! cela commence à
compter! Aber was soll ich sagen, was soll ich als Frau sagen, wenn diese
dämonische Begeisterung selbst das Opfer der Schicklichkeit, des Anstandes, des
weiblichen Schamgefühls nicht für zu groß hält, um es ohne Weiteres zu fordern?
Jenny, meine älteste, modellirt. Die Diana im Trumeau unsers Parlours ist von ihr.
Aber nicht Dilletantin soll sie bleiben, sie soll wetteifern mit Künstlern,
welchen das Studium der Antike, welchen der Anblick der unmittelbaren Natur zu
Gebote steht. Und wir leben in PuritanerStaaten, mein Herr! O, lassen Sie mich
schweigen! Von welchen Stürmen, von welchem Thränenmeere rede ich da! Papa, sie
werden mit
Ja, das ist ein griechischer Gott in einen Yankee gefahren! rief Mrs. Bennet mit Bitterkeit und Bewunderung zugleich. Jede Ader voll Poesie — aber diese Gewaltthätigkeit gegen das Leben, diese Nichtachtung der Natur, dieser grausame, unerbittliche Vertilgungstrieb gegen Alles was frei wachsen, was sein eigener Zweck auf seiner eigenen Bodenspanne sein will, — das ist Culturtrieb in amerikanischem Styl! Absolute Unfähigkeit zu schonen und zu lieben — neunziggradiger Egoismus! Und doch — dieses Ich, welch ein schönes, herrliches ist es! Er macht unglücklich, nur weil er die Welt für unglücklich hält, die nicht seines Sinnes ist. Auch war ich weit entfernt, und war er lange, mich selbst und meine Kinder für berechtigt zu halten neben ihm. Es ist was Ueberzeugendes, Hinreißendes in seinem Temperamente, etwas Fascinirendes, das in That und Willen den Widerstand irre macht. Man fühlt sich beschämt von solcher Größe, man glaubt immer von Neuem, daß sie möglich ist. Erst als ich die bleichen Wangen, die erloschenen Augen, die schleichenden Pulse, die kränkelnde Zartheit und Durchsichtigkeit von den jugendlichen Gestalten meiner armen Kleinen mit keinem Vorwand hinwegleugnen, mit keiner Geduld zu Ende warten konnte, fing ich an, die Erstlingseinwürfe meiner Mutterangst zu stammeln. Ah, Bennet belehrte mich eines Besseren! „Das ist die Flamme des Genies, welche die Materie aufzehrt; man muß ihr Luft schaffen!“ und nun kamen Bücher zu den Büchern, und Lehrer zu den Lehrern, und Aufgaben zu den Arbeiten, und Luft wurde geschafft, daß uns der Athem stockte!
Das ist unser Familienleben, mein Herr. In Unterwerfung zu Grunde zu gehen, oder uns zu retten — durch Rebellion, diese traurige Wahl bleibt uns allein. Die Kinder nähern sich dem Einen oder dem Andern, je nach der Verschiedenheit ihrer Inclinationen. Mein Sohn Edgar empörte sich zuerst. Als ein Knabe von eilf Jahren lief er in die Kriegsschule nach West-Point, und keine Macht der Welt wäre im Stande gewesen ihn zurückzuführen. Dort studirt er nun, — mein mütterliches Auge entbehrt seinen Anblick. Erst seit Kurzem sehen wir uns öfter; lange hießen meine Besuche Conspiration!
Der Meißel, der ihm bestimmt war, ging auf Jenny, meine zweite Tochter über. Die duldet, so weit sich dulden läßt. Charakterfester wieder ist mein viertes Kind, Cöleste. Ihre Specialität ist die Poesie. Die Entscheidung dafür dadirt von einem Zufalle. Wir erwarteten den Papa von seiner zweiten europäischen Reise zurück, es war im Jahre zweiundzwanzig. Cölestine stand im siebenten Jahre. Ma, sagte sie, ich will den Pa mit einem Gedichte empfangen. In der That schrieb das Kind in diesem Alter ein paar französische Strophen, an denen ich wenig oder nichts zu corrigiren fand. Bennet aber kam direct von Genua, von der poetischen Hofhaltung Lord Byron's. In welchem Zustand seiner Imagination, mögen Sie selbst denken. So trat ihm nun ein kleines, stammelndes Kind an der Schwelle seines Hauses entgegen, mit einem Orangeblüthenzweig in der Hand, mit dem Wohllaut selbstgedichteter Verse auf den Lippen — verhängnißvoller Eindruck! Wer dieses Kind nicht für den ersten Genius seiner Zeit hielt, der verlor seinen Anspruch auf Bildung. Bennet war außer sich. Auf, auf, Bücher! Lehrer! Studirlampen! welche Vaterpflichten sind hier zu erfüllen! Schlaf, Spiel, Erholung, — gemeine Einreden! Der versteht den Genius schlecht, der nicht weiß, daß er an sich selbst sich erholt. Es gibt nur Eine Erholung von der Arbeit, — die Arbeit!
Nun ist aber Cöleste eigen geartet. Die ganze Wucht der väterlichen
Erziehungstyrannei drückte auf sie überwiegend, und doch war sie es zugleich, die
am wenigsten klagte. Sie hatte Ehrgeiz. Was immer ihr auferlegt wurde, sie
verrichtete es nicht nur, sie that noch drüber. Sie rivalisirte gleichsam mit
ihrem Vater. Die Thränen traten mir oft ins Auge, das Mädchen zu sehen. Statt mit
dem Roth der Gesundheit, mit der seinen geistigen Glut des Wetteifers auf den
Wangen saß sie da, überbot ihre Aufgabe, überbot sich selbst und brannte vor
Begierde, zu überraschen. Nicht der Vater, der Gentleman nur allein, hätte seinen
Degen senken müssen vor der Galanterie seines Kindes. Leider! Bennet war nicht zu
überraschen. Seine Ansprüche wuchsen mit der Befriedigung, und das arme Kind
erarbeitete sich nur Mißhandlungen. Da wandte sich ihr Herz. Mit dem Stolze des
beleidigten Adels trat sie in sich zurück. Ihre Stimmung wurde eine gereizte,
feindselige. Sie ließ alle Forderungen über sich ergehen und schärfte sich trotzig
die Lippen dazu. Sie machte nicht den Eindruck einer leidenden Na
In dieser Verfassung waren die Gemüther, als der Tag von Saratoga anbrach. Ich hoffte von der veränderten Hausordnung, von dem heiteren Naturgenuß, von dem ganzen Schwung dieser Ferien einen heilsamen, mildernden Einfluß. Das Gegentheil kam. Wir waren direct in die Löwenhöhle getreten. Die Saison von Saratoga war eine der glänzendsten: man sah, daß die Pairskammer Karls X. und die Fürsten der polnischen Nation Nomaden geworden. Bennet begrüßte von seinen drei europäischen Reisen her viele alte Bekanntschaften und machte noch mehr neue. Die Albumsblätter wanderten im lebhaftesten Austausch hin und wieder. Kein Tag verging, daß nicht mehrere Unsterblichkeiten zu stiften waren. Denn so faßte es Bennet auf. Welch eine Gelegenheit! Europas Pforten waren dem Dichterruhm seiner Tochter geöffnet. Die haute volée aller Länder gab sich zur Colportage ihrer Verse her. Wen diese Gelegenheit nicht begeisterte, das war ein Cretin, kein Mensch! Bennet's Forderungen kannten keine Grenzen mehr! Er hatte alles Bewußtsein verloren, was menschlich zu leisten. Sechsmal zerriß er Cölesten ein Albumsblatt für einen griechischen Palikarenhäuptling. Welche bassesse in Form und Gedanken! Das muß anders tönen, meine Gute! Dieses Volk ist an die Solitaire eines Byron gewöhnt, und Apoll selbst nennt es seinen Landsmann. Er vergaß sich so weit, daß er sie einsperrte und ihr die Nahrung entzog, bis sie so klassisch geworden, wie es ihm vorschwebte. „Singvögel und Jagdhunde muß man kurz halten!“ Sie sehen, es eilte zum Ende.
Und just an diesem Tage kam der Pudel Omar mit seinem Verehrer, Lord Ormond, an.
Der edle Herr war inzwischen zwar nicht wirklich Lord geworden, aber er hatte
einen Seitenverwandten aus der Gentry beerbt und konnte wieder standesgemäß in
England auftreten. Er verabschiedete sich von uns. Bei dieser Gelegenheit
beobachtete er es als eine Form der Höflichkeit, meiner Tochter die Hand zu
bieten. Racheglühend, ich muß das Wort betonen, mein Herr, racheglühend nahm
Cöleste an. Augenblicklich setzte sie sich hin und schrieb — an Mr. Bennet ihre
Verlobungskarte! Es ist dieser Gebrauch kein selteneer
In diesem Augenblicke fiel ein Schuß auf der Straße.
Werther! rief Moorfeld emporfahrend.
Es ist seit gestern und heute ein wenig unruhig in der Stadt, ein Riot scheint im Anzuge, sagte Mrs. Bennet mit tiefer Gleichgiltigkeit.
Moorfeld kam zu sich. Glücklicherweise — wußte er — klingt Werther zumeist Worther im Englischen; das gräßliche Streiflicht über sein Inneres konnte unzündend abgeblitzt sein.
Er kehrte an seinen Platz zurück.
Die gebeugte Frau war mit ihrer Mittheilung zu Ende. Mühsam nahm Moorfeld das Wort: Ich muß mich mäßigen, Madame, mein Mitgefühl Ihnen auszusprechen. Sie haben mir gezeigt, was an dem Fluche unserer Poesie der Antheil der Frauen ist; könnte es Ihnen zum Troste gereichen, so würde ich Sie auffordern zu einem Rückschluß auf uns selbst. Sie würden Schuld und Strafe, dünkt mir, in einer schauerlichen Harmonie finden. Doch nichts davon! Tragen Sie den Widerschein eines Unglücks als ein ganzes und volles Unglück, ich will nichts verkürzen daran. Nur noch meinen Dank für Ihre Schonung. Daß ich in diese Verhältnisse als ein verkörperter Nero über Ihre Schwelle trat, daß die Aussicht auf einen Wintercursus mit dem Kritiker von „Schäfer's Botschaft“ das Maß füllen mußte schon vor Saratoga — Sie haben es mir, verehrteste Frau —
Verzeihung, Herr Doctor, unterbrach Mistreß Bennet. Ihr Auge ruhte mit jener Anerkennung auf Moorfeld's Gestalt, wie nur die Französin, im Besitze souveräner und berechtigter Geschmacksherrschaft, blicken darf. Allerdings konnte Ihre Erscheinung nicht ungezählt bleiben in unserm Hause. Aber gefürchtet wurde sie nicht. Das Gegentheil ist wahr. Cöleste, die sich zuweilen in Paradoxien gefällt, sagte gradezu: Ich vertraue diesem Europäer, er wird Poet genug sein, gegen die Poesie mich zu schützen.
Moorfeld schrack zusammen. Er überblickte den ganzen Werth dieses Mädchens. Wo hatte sie den höchsten Begriff der Poesie gefunden: Eigenthümlichkeiten zu verehren, nicht umzubilden, wenn nicht in ihrer eigenen herrlichen Seele?
Und doch!
Und doch, fuhr Mrs. Bennet fort, für uns gibt es keine Hoffnung! Auf meinen Mann ist nicht anders zu wirken, als mit ihm. Keine Opposition ist einflußloser als gegen Mr. Bennet. Wir werden einen Freund gewinnen, sagten Doctor Channing und Doctor Griswold, das heißt: wir werden einen Mann mehr haben auf unserm Rückzuge. Leider ist es so. Wir haben unsern Freunden nur eine verlorne Sache zu bieten. Neue Opfer den alten hinzuzufügen, wäre nach unsern Erfahrungen grausam gewesen. Wir können uns nicht helfen, — mindestens nicht anders, ach! als es Cöleste gethan.
Während Mrs. Bennet noch sprach, öffnete sich leise die Thür des Drawingrooms. Cöleste selbst war es. Als sie Besuch sah, trat sie sogleich wieder zurück, aber schon hatte ihr halb sichtbares Bild zwischen Thür und Angel Moorfeld's Auge gestreift. Moorfeld sprang auf und ging dem Mädchen entgegen. Er nahm sie bei der Hand mit den Worten: Wir sprachen von Ihnen, theuerste Miß; schenken Sie uns einen Augenblick Ihre Nähe. Ich habe Ihnen meinen Glückwunsch zu Füßen zu legen. Sie werden, wie ich höre, in die große Welt eintreten. Auf diesem Wege werden Sie einen großen Schatz finden, — das Bewußtsein, was für ein unermeßlicher Besitz es ist, sich selbst zu haben! Sie werden inne werden, daß die Welt, in welcher Jeder sein eigener Mittelpunkt zu sein glaubt, nichts so naturgemäß sucht, als sich um den Hof einer edlen und schönen Selbstständigkeit zu gruppiren. Dieses Glück zu finden, erwartet Sie unter allen Umständen und dazu bringe ich Ihnen meine aufrichtigsten Wünsche.
Ein tiefes, kraftgebändigtes Beben klang durch Moorfeld's Stimme, als er diese Worte sprach. Cöleste selbst vermochte nicht anders zu antworten, als mit stummer Gebärde.
Indem sie jetzt tiefer ins Licht vortrat, rief Mrs. Bennet bei ihrem Anblick: Aber
welche Toilette, mein Kind? Das junge Mädchen trug ein schwarzes Atlaskleid mit
einem Schmucke von Coque-Perlen. Es contrastirte mit einer magischen Wirkung zu
der stillen, marmornen
Cöleste hatte inzwischen die Fassung errungen, Moorfeld anzureden. Sie sprach ohne aufzublicken: Meine Mutter wird Ihnen gesagt haben, Herr Doctor, wir sehr es mich gefreut hätte, diesen Winter einen Theil meines Bildungsweges mit Ihnen zurückzulegen. Meine — plötzliche Reise nach Europa bringt mich um diesen Gewinn. Darf ich Sie jetzt bitten, mir ein Zeichen mitzugeben, das ich als Denkmal — selbst einer vereitelten Hoffnung noch werth halten werde? Darf ich mir erlauben, Herr Doctor, Ihnen mein Gedenkbuch vorzulegen?
Indem Moorfeld den Klang dieser Stimme wieder hörte, schauerte sein ganzes Inneres zusammen. Mit Mühe stotterte er eine übliche Formel der Bejahung. Cöleste holte das Buch. Moorfeld rückte an den Tisch und versuchte zu schreiben. Aber seine Hand zitterte heftig. Er setzte wiederholt an, — es gelang nicht.
Ich bitte, mit dem Blatte nach Zeit und Muße zu verfügen — sagte Cöleste — wir reisen wahrscheinlich erst in vierzehn Tagen.
Verzeihung, Miß, ich schon morgen, war Moorfeld's Antwort.
Cöleste blickte erschrocken-fragend auf.
Moorfeld war nicht im Stande, ihren Blick zu ertragen. Er stand auf und machte
einige Schritte durchs Zimmer. Der Moment wäre nicht zu bewältigen gewesen — da
fiel Moorfeld's Blick auf eine Violine im untersten Fach des Glasschrankes. Es
mochte jene monumentale Violine sein, welche Mr. Bennet zum Andenken an den ersten
amerikanischen Walzer aufbewahrte. Wie der Blitz auf seinen Ableiter, so stürzte
Moorfeld auf das Instrument. Er that ein paar Probegriffe, dann fing er zu
phantasiren an. Die Geige hatte einen weiten großartigen Ton; der Spieler empfand
sogleich ihren ganzen Geist. Er begann einen breiten heroischen Satz, schwebend,
wie ausgebreitete Adlerflügel, hoch in der Höhe. Er zog Töne von hinreißender
Beredsamkeit, es war Schmerz darin, aber der Schmerz eines Demosthenes um die
schönste Weltrepublik. Nicht lange declamirte er so. Dieser erste, volle Trunk der
musikalischen Seele gethan, schöpfte sie gieriger, wilder. Bald hackten sich
kurze, scharfschnäbliche Triolen in die breite Prometheus-Brust des Eingangssatzes
ein, und die ehr
Nein, so dürfen Sie nicht von uns! rief Cöleste aufspringend, außer sich. Sie hielt Moorfeld zurück. Der weibliche Genius des Beruhigens flehte um einen Sonnenblick in seinem Auge. Dringend faßte sie Moorfeld's Arm — so dürfen Sie nicht von uns! das darf Ihr letztes Wort nicht sein!
Es ist's nicht! antwortete Moorfeld, — ich werde den Frauenherzen noch manches Souvenir schreiben! Verfolgen Sie den Dichternamen Nicolaus —
Seine Stimme brach, — ein Blick, — ein Händedruck — er stürmte hinweg.
So erwachte Moorfeld zu seinem letzten Morgen in Amerika. Tags nach diesem Abend fuhr er mit der ersten Geschäftsstunde an den Hafen, entschlossen, jede Gelegenheit nach jeden europäischen Seeplatz anzunehmen, einzig bedingend, daß die Anker noch heute gelichtet wurden. Er fand ein Dampfboot, dessen Abfahrt auf zehn Uhr festgesetzt war. Natürlich waren die Plätze besetzt, aber ein junger französischer Arzt, der in Amerika eine Studienreise gemacht, hatte die Artigkeit, ihm seinen ersten Cajütenplatz zu verkaufen. Das Dampfboot hieß — Riego.
Die Stadt Newyork feierte der Einschiffung Moorfeld's ein wildes Abschiedsfest.
Wie die Fugen der Alltagsordnung schon seit zwei Tagen oder vielmehr Abenden in
ein verdächtiges Schwanken und Krachen gerathen, haben wir mitten aus dem
erschütterungsvollen Eigenleben Moorfeld's heraus im Fluge bemerkt. Aber bei
seinem heutigen Erwachen fand er die Pulvermine in voller Explosion. Schon auf der
Fahrt nach dem Hafen zeigte die Stadt ein entsetzliches Antlitz. Arbeiter, welche
in ihre Fabriken zogen, standen überall in bestürzten Gruppen umher, Kaufläden
blieben verschlossen, und stierten, wie von einem bösen Traum befangen, mit den
Vorhängschlössern der Nacht in den hellen Tag hinein, die belebtesten Passagen
waren unverhältnißmäßig öde, oder was sich von Menschen und Wagen bewegte, schien
wieder in rückgängiger Bewegung vom Tagesgeschäft begriffen — Alles trug die Miene
der Angst und Verwirrung. Moorfeld, in seinem gräßlichen Seelenkrampf keines
äußeren Eindruckes fähig, fuhr durch diese Scene ohne sie zu bemerken, bemerkte
sie, ohne zu fühlen und zu denken. Erst am Hafen drang sich das öffentliche
Zittern unwillkürlich seinem Interesse aus. Ueberall begegnete er bangen
Gesichtern. Ueberall wurde er befragt, was er von den Ereignissen der Nacht wisse,
überall liefen Men
Als Moorfeld vom Hafenplatze wieder zurückfuhr, sollte es sein letztes Geschäft sein, sich den Prozeß um sein Landloos vom Halse zu schaffen. Er lenkte nach dem Hotel seiner Gesandtschaft, um unter den erforderlichen Rechtsformen seine Vollmachten auszustellen und dann den widerlichen Handel auf ewig zu ignoriren. Ein blutiges Abenteuer begegnete ihm auf diesem Wege. Ein Mensch stürzte dem Broadway herab, gehetzt er von einMeute Rowdies, welche Revolvers nach ihm abfeuerten, abgefeuerte Revolvers nach ihm warfen und ihm mit dem Geschrei: Schlagt ihn todt, schlagt ihn todt! ein deutscher Mordbrenner! wie eine Bande entfesselter Höllengeister zusetzten. Moorfeld schrie seinem Kutscher augenblicklich die Weisung zu, zwischen Verfolger und Verfolgten quer in den Weg zu fahren, aber der Zuruf war offenbar eine Interjection der Verzweiflung, und hätte sie direct der Vernichtung ausgesetzt. Auch beugte der Kutscher gerade entgegengesetzt aus, und im Nu war die wilde Jagd aus den Augen. Schauerlich tönte es aus der Ferne zurück: Schlagt ihn todt! ein deutscher Mordbrenner!
Eine entsetzliche Ahnung stieg in Moorfeld auf. Er dachte an die Scene, der er vor zwei Tagen in Kleindeutschland beigewohnt. Es blieb kein Zweifel übrig; hier war ein Riot gegen die Deutschen ausgebrochen.
Ohne Besinnen befahl er dem Kutscher, in das nördliche Stadtquartier zu fahren. Der Kutscher weigerte sich. Nach langem Wortwechsel entschloß sich Moorfeld, auszusteigen und die unermeßliche Strecke zu Fuß auf sich zu nehmen, dem Zufall überlassend, ob ihm unterwegs ein willigerer Kutscher aufstoßen würde.
Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm wiederholt Menschen entgegen kamen, welche mit hastigen Schritten und erschrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir, die Stadt ist heute in schlimmen Händen! Und je weiter er vordrang, desto sprechender bestätigte Alles diese Warnung. Er fand hier einen Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarmtrommel, dort Blutspuren auf seinem Wege.
So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauspiel! Das Stadthaus, der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Majestät, der Herzmuskel, von welchem Gesetzes-Kraft und Ansehen, wie das Blut, bis in die fernsten Aeste des öffentlichen Gemeinwesens ausströmen sollte: das Stadthaus fand er wie einen hilflosen Hirsch, an dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Bissen hängt. Tausende von Rowdies belagerten das Haus. Sie stacken theils in den eleganten Uniformen der Löschcompagnien, theils waren sie anständig, ja fein in Civil gekleidet — ein fürchterliches Gesindel, das mit seinem Wohlstande nicht den brutalen Thiertrieb, sondern die raffinirte, teuflische Bosheit verräth. All diese Banden waren mehr oder minder betrunken, zerfetzt, besudelt, der Part selbst von den vielen Feuerspritzen in einen Sumpf verwandelt, in welchem sich die Herren des Platzes mit johlender Wollust wälzten. Geschrei, Flüche und Pistolengeknall erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutschen! die deutschen Mordbrenner heraus! welches mit einer so kanibalischen Mordgier gebrüllt wurde, als sollte der Marmor des Stadthauses, wie Jerichos Mauern, davor in Trümmern springen.
An dieser Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel seines Vordringens erreicht.
Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße gesperrt. Die Fortsetzung
des Broadways, die Centre-Street, die Chatam-Street, keine Ausmündung war
zugänglich. Tief in all diese Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies,
trieben sich Gestalten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt,
pol
Moorfeld mußte seine Versuche, an jenen Schauplatz des Unglücks durchzudringen, der Reihe nach aufgeben. Bei dieser verhängnißvollen Unmöglichkeit blieb ihm nichts übrig, als der schwache Trost, daß die Insassen des grünen Baums vielleicht eben im Stadthause selbst ein momentanes Asyl gefunden. Das Geschrei nach dem Blute der Deutschen, das wolfsgierig zu allen Fenstern hineinheulte, schien diese Vermuthung zu erlauben. Freilich blieb es dann zweifelhaft, wie lange dieser Schutz ausreichen und ob die anarchischen Rotten nicht zum Sturm selbst vorschreiten würden. Wie frech ihre Dictatur das obrigkeitliche Ansehen mit Füßen trat, davon sah Moorfeld mit eigenen Augen eine Probe. Als das Mordgeschrei nach den Deutschen den wildesten Grad erreicht hatte, trat der Mayor von Newyork mit einigen Aldermens auf den Balkon. Meine Herren, haranguirte er die Aufrührer, wir sind soeben mit dem Verhöre der geflüchteten Deutschen beschäftigt, und machen Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Ungeduld um prompte Justiz nur geeignet ist, das Werk der Justiz aufzuhalten. Ich versichere Sie übrigens als Gentleman, daß eine exacte Gerechtigkeit gehandhabt werden soll. Sie mögen sich, meine Herren, über diesen Punkt vollkommen beruhigen. Bis dahin empfehle ich die Stadt Ihrem Schutz und hoffe zu der Loyalität freier und aufgeklärter Bürger, daß Sie einer so billigen und gesetzlichen Aufforderung Folge leisten werden. — Moorfeld traute seinen Ohren nicht, als er in diesen Worten Newyork in die Discretion von Meuterern stellen hörte. Wo bleibt die Polizei, die Stadtmiliz? fragte er staunend einen wohlgekleideten Bürger neben sich. Ich rathe, Mister, wir thun wohl, das Wort Polizei und Stadtmiliz heute nicht auszusprechen, antwortete dieser erschrocken und rückte von Moorfeld's Seite. Die Rowdies aber waren von der Anrede des Mayors noch so wenig befriedigt, daß sie mit einer Feuerspritze vorfuhren und unter betäubendem Gebrüll einen Wasserstrahl auf das Haupt der Stadtobrigkeit schleuderten.
Moorfeld kehrte wieder um. Unvermögend, dem Brennpunkte dieser Frevel einen Zugang
abzugewinnen, noch mehr, irgend eine nützliche That zu thun, mußte er sich darauf
beschränken, in Europa aus
Moorfeld fand alle Räume des Hauses von flüchtigen Deutschen besetzt. Es war der
bunteste Wirrwar, der sich denken ließ. Männer, Frauen, Kinder, Herrschaften und
Domestiken, alle Stufen der bürgerlichen Rang- und Glücksscala, alle Anzüge der
Nacht und des Tags, Kostbares und Gemeines, im Moment der Flucht sinnlos
übereinander geworfen, was Jeder an seinem eigenen Leibe retten zu können glaubte,
trieb sich im schauerlichen Costümball durch das angsterfüllte Gebäude. Dazwischen
lag ein Jahrmarktskram von geretteten Fahrnissen auf jedem Schritt und Tritt im
Wege; man sah Betten, Töpfe, Waschkörbe, Stutzuhren, Porzellangeschirr, Bücher,
Schüreisen, allerlei Handwerkszeug, Nützliches und Entbehrliches, Werthvolles und
Lächerliches ohne Wahl zusammengeschleppt. In diesem Wirrniß war das Geschrei der
Kinder zu hören, die ihre tägliche Hausordnung vermißten, der Mütter, welche die
Bedürfnisse ihrer Kinder unter Jammer und Zeter zu improvisiren suchten, die
Fluch- und Zornausbrüche der Männer, welche, scheinbar oder wirklich, sich nach
wehrhafter Verfassung sehnten, wohl auch ein- oder das andere Waffenstück mit sich
führten, da dann dem
In diesem Bienenschwarm begegnete Moorfeld denn auch dem Wirthe von Kleindeutschland mit Vronele, seiner Tochter. Der deutsche Kaiser war kaum mehr zu erkennen. Todtenblässe bedeckte sein vollwangiges Antlitz, er zitterte am ganzen Leibe wie Espenlaub. Sein erstes Wort, als er Moorfeld erblickte, war, daß er mit überstürzter Zunge die Frage stammelte: Kommt Polizei? kommt Polizei? Moorfeld antwortete: We are in a free country!
Vronele hielt sich wackerer. Sie war vor Vielen um sich her allein einer
vernünftigen und unerschrockenen Rede Meisterin. Die Herrenbuben haben uns
ausgebrannt und sagen öffentlich, wir selbst hätten's gethan, das ist Evangelium
und Epistel an dieser Sache, sagte sie. Da sie uns nicht versimpeln und klein
kriegen konnten, — Sie sahen's ja selbst Herr Doctor — so kamen sie uns so. Sie
legten das Feuer bei uns und bei einigen Nachbarn, dann waren sie aber — hurrah!
von allen Seiten mit ihren Spritzen da, wie das wilde Heer. Wups hatten sie einen
deutschen Maurer beim Flügel und schrien drauf los: Den hätten sie beim
Brandstiften ertappt. In einer Minute baumelte der arme Mensch an der Dachrinne.
Das war aber meertief erlogen und hat freilich Schein und Art vor den Leuten — die
Maurer wollten Arbeit haben, sagen sie, und wollten sich auch rächen für den
erstochenen, Maurer vom Bowery. Es ist schon recht! Beim Verhör wird Alles
herauskommen. Es gibt noch Leute, Gott sei Dank! die auch zu reden wissen von
dieser Nacht. Die Spitzbuben genirten sich so wenig, daß sie mit hellflammigen
Bränden herumliefen; hier löschten sie, dort zündeten sie und schrien immer
dazwischen: Tod den deutschen Mordbrennern! die Schinderhunde! und glaubten uns
Alle auszutilgen, daß kein Einziger übrig bleiben wird, der eine Zung' rühren
kann! Da müßt' Newyork nicht gebaut sein, daß neun Katzen keine Maus fangen! Jetzt
haben sie vielleicht zugestopft und gnade Gott, wer seine Beine nicht bei Zeiten
über die Achsel nahm! Jetzt ist die richtige Mördergrub' los da droben. Aber es
muß einen zahlenden Tag geben! Wär' ich nur ein Mann! Ich wüßt' mir was Besseres,
als da vorn im Gesindezimmer zu stehen, Gewehr im Arm, wie auf einem Nürnberger
Bilderbogen! Aber unser ganzes Haus
So fand Moorfeld die Residenz seines Gesandten. Daß er seine Angelegenheit im Flug, oder vielmehr gar nicht austrug, brauchen wir bei dieser fürchterlichen Gestalt der Umstände kaum zu erwähnen. Ein ziemlich jugendlicher Secretär empfing ihn, mit welchem sich Moorfeld nicht einmal zuerst über seine Sache, sondern über das öffentliche Unglück des Tages unterhielt. Die jungen Männer blickten sich bald in ihre Parteiverwandtschaft, und ohne Umstände berichtete der Secretär die Abwesenheit seines Chefs mit folgenden Worten: Se. Excellenz sind auf dem Stadthause. Wir protestiren, wir machen verantwortlich und thun, was wir vermögen, das heißt, Nichts. Wer sollte auch im Stande sein, ohne Kriegsflotte einem Seevolk zu imponiren?! — Seinen Proceß führte Moorfeld später von Europa aus durch den Hof- und Gerichtsadvocaten B * *, den ihm der Secretär der Newyorker Legation mit tiefer Hochachtung empfahl. Dieser ausgezeichnete Jurist führte ihn zu einem Ende, welches der Ungunst der Umstände die möglichst günstige Seite abgewann. —
An da Ponte dachte Moorfeld zu spät. Vor den unaufhörlichen Schlägen der letzten Stunden war das Schattenbild dieses Unglücklichen in seiner zernichteten Seele zurückgetreten. Indem wir diesen Bericht schreiben, wird dem Andenken Metastasio's in Wien ein Denkmal gesetzt. Der Dichter des Don Juan starb in Newyork in einem Hospitale. —
Wir begleiten nun unsern Helden auf seinem letzten Gange in Amerika. Er eilt von dem Gesandtschaftshotel in der Whitehallstreet nach der Statestreet, schneidet die Nordseite der Battery und lenkt nach einer kurzen Strecke in der Washingtonstreet der Weststreet zu, dem Landungsplatz der Bremer-, Hamburger- und Havrer-Schiffe. Als er über die Battery ging, bot ihm ein grausiger Anblick den letzten Abschiedsgruß. Schon aus der Ferne sah er an einem Baume des Parks die langgestreckte Gestalt eines Menschen hängen. Er vermuthete, jener Unglückliche sei's, den er zuvor über den Broadway herab verfolgen gesehen. Als er näher kam, erkannte er in der Leiche eine Gestalt aus Kleindeutschland. Es war der Schriftsetzer Henning. —
Im Geleite aller Furien erreichte Moorfeld den Landungsplatz. Endlich schaukelt
ihn die Jolle, die ihn an Bord des Riego bringt. Endlich besteigt er die Bretter,
die in einem andern Sinne die Welt bedeuten, denn sie führen gleich dem Ideale
erlösend von Zone zu Zone, und nur durch die Schifffahrt lernt die Menschheit ihr
eigenes Ich kennen. Die öffentliche Unordnung hatte die Einschiffung vieler
Passagiere verspätet und auch Moorfeld ließ noch vom Schiffe aus sein Reisegut
abholen. Alle übrigen Vorgänge waren für ihn die Phantasmagorie eines Traumes. Er
hörte die Passagiere in den mannigfachsten Sprachen, Ansichten und Parteinahmen
die Schandthat dieses Tages besprechen, er hörte das Prasseln des Stadttumults aus
der Ferne, und unterschied namentlich einen Augenblick, in welchem ein starkes,
heftiges Gewehrfeuer lauter als je aufloderte, was ohne Zweifel die Ankunft der
Philadelphia-Schützen bedeutete: er sah und hörte und — sehnte sich nach der Alles
verschlingenden Betäubung der Seekrankheit. Nach einer dumpfdurchharrten Stunde
fing die Maschine zu arbeiten an, das Boot setzte sich in Bewegung — hinaus
ging's. Mit jeder Achsenumdrehung des Rades verlor die Stadtansicht Newyorks an
Bestimmtheit der Umrisse. Die Luft war grau und nebelschwer und