In der Pfahldorfgeschichte hat der geneigte Leser das Manuskript kennen gelernt, das mir aus
Venedig zukam. Der zwei Bedingungen, an welche die Vollmacht zum Abdruck geknüpft war, erinnert
er sich aus unserem Gespräch in Göschenen. Er wird also aus der Thatsache, daß der Abdruck
vorliegt, bezüglich der einen Bedingung von selbst den Schluß ziehen, daß ich in der
Pfahldorfgeschichte noch etwas Anderes fand, als nur einen anachronistisch satirischen Scherz.
Was dieß Andere sei, hat A. E. dazumal so bescheiden angedeutet, als man es irgend von einem
Menschen erwarten darf, der Selbstgefühl, der Charakter hat; ich würde näher darauf eintreten,
wenn ich nicht allen Schein der Parteilichkeit für meinen Mann vermeiden möchte; eher ist es von
Interesse für mich, auf die Mängel hinzudeuten, wozu Gelegenheit sich ergeben wird. Bevor ich
erzähle, wie die andere Bedingung eintraf, will ich noch melden, was auf dem beigelegten
Mit Seufzen packte ich das Manuskript zusammen, als ich es gelesen, und barg es bei den
Papieren, die ich am sorglichsten verwahre. Je mehr es mich rührte, daß der Mann, mit dem ich
menschlich einst in so eigenthümliche Berührung gekommen, mich nun so vertraut auch in die Gänge
seines Talents blicken ließ, desto stärker wollte sich der Unmuth in mir melden, daß er mit
seiner Person solch' grillenhaft heimliches Wesen trieb. Von Zeit zu Zeit überfiel mich auch
einfach die Neugierde, ein paarmal schoß der Gedanke in mir auf, ich wolle schnell nach Italien
aufbrechen, seine Spuren aufsuchen, seinen Namen und Stand erkunden. Doch ebenso schnell faßte
ich mich nach solchen Momenten und sagte mir, daß das kindisch wäre. Und gerade diese Selbstrüge
führte auch wieder zu gerechterer Auffassung jener Grille. Mußte ich mir gestehen, daß ein
solcher Spürungsgang ein kleinliches Thun wäre, so war damit auch anerkannt, daß es gar so
unnatürlich eben nicht war, wenn der Sonderling die Anhängsel seiner Persönlichkeit, Namen,
Heimat, Stand verbarg und nur Mensch zu Mensch sich stellen wollte. Freilich konnte auch diese
Erwägung nicht immer vorhalten; denn jene Anhängsel sind ja das Mittel, wodurch Menschen, die
sich kennen gelernt, sich menschlich nahe getreten, einander wieder auffinden können. Warum
sollte ich ihn, warum wollte er mich nicht wiedersehen? Dieß war
So schwankte mir Denken und Gefühl hin und her, bis endlich die allgewaltige Macht der Zeit,
die politischen Ereignisse, die Häufung täglicher Arbeit das Bild des Mannes und seines Werks
mir in den Hinter
Am Morgen darauf hatte ich eine kleine Reise anzutreten in der Richtung gegen Süden. Ich stand
auf dem Perron eines Bahnhofs und sah die Leute in einen Zug einsteigen, der, von oben kommend,
einen kurzen Halt gemacht hatte. Das Zeichen zur Weiterfahrt war schon gegeben, als ich einen
Mann, der sich etwas verspätet hatte, dem Wagen zueilen sah. Er erreichte ihn noch, blieb aber
mit der Brusttasche seines nur umgeworfnen Ueberrocks im Griff der Wagenthüre hängen; ich hörte
einen heftigen Fluch und sah zugleich, wie der Fremde einen zornigen, so gewaltsamen Ruck mit
seinem Kleide that, daß die Tasche rieß: man hörte trotz dem Prusten des Dampfrohrs die Nähte
krachen und der Inhalt rollte über den Wagentritt auf die Schienen und über sie hinweg bis an
die Grenze des Perrons. Inzwischen war der Mann im Wagen verschwunden und der Zug fortgesaust.
Ich war seiner nur von hinten ansichtig geworden, aber Gestalt und Bewegung waren mir bekannt
vorgekommen, die Stimme, der Fluch und das ungeduldige Reißen kamen mir noch bekannter vor;
jetzt beeilte ich mich, die Sachen aufzunehmen; es war eine Brieftasche und eine Cigarrenspitze;
mit dem ersten Blick erkannte ich diese Dinge
Auf der Station, wo der erzählte Vorfall spielte, setzte ich einen Zug aus und fragte an, ob
die Sachen abgegangen und Nachricht von ihrer Ankunft eingetroffen sei. Der Beamte zeigte mir
den Empfangschein und ich erkannte mit dem ersten Blick die Handschrift. Man kann sich denken,
daß ich mich doch nicht wenig gespannt fühlte, als der Zug am folgenden
Ich sah an der Nummernzahl, daß ich der Wohnung nahe sein müsse, als mir hart an der Nase ein
Trinkglas vorüberflog und auf dem Pflaster klirrend zerschellte. Mir war, als streifte mich der
Geist des Verstorbenen. — Das Haus war gefunden und wurde auf mein Läuten geöffnet; im Flur
stürzten zwei Hunde die Treppe herab auf mich zu, laut bellend, doch nicht in feindlichem Tone,
es war der halbwimmernde Ruf, welchen dieß Hausthier in der Aufregung der Freude hören läßt.
Plötzlich blieben sie vor mir
„Und das Unglück? Wie ist es geschehen?“
Wir hatten uns gesetzt.
Sie fieng an: „Mein Vetter war seit der Nachricht von der Schlacht bei Gravelotte —“
Sie wurde durch ein Klopfen unterbrochen. Ein Polizeidiener trat ein, blieb an der Thüre stehen und sagte, den Kopf schief haltend und schmunzelnd: „Frau Hedwig, 's Gewöhnliche!“
Die Frau wurde hochroth bis unter die Stirnhaare, gieng zu einem Schranke, holte Münze heraus und gab sie dem Polizeimann, der immer noch halblächelnd mit Verbeugung abgieng.
Ich hatte verstanden — das Glas! Also auch sie — auch diese sichtbar so gehaltene, verständige Frau! —
Sie machte sich beiseite zu schaffen, suchte ihr Gesicht zu verbergen, besann sich aber, trat
vor mich, sah mich fest an und sagte: „Göschenen — ich weiß.“ Mir kam mitten im Weh das Lachen,
ihr auch und
Der Ernst stellte sich schnell genug wieder ein und sie erzählte:
„Herr Einhart kam im Frühjahr 1866 von seiner zweiten Reise nach Italien zurück. Die erste hat
er im Jahre 1860 gemacht. Er hatte Italien früher sehen wollen; ein Jahr Urlaub von 1847 auf
1848 war, das weiß ich, zuerst für Norwegen, dann für Italien bestimmt. Damals muß ihn nicht nur
ein Nervenfieber aufgehalten haben, das ihn dort heimsuchte, dort spielt ein Geheimniß, und
statt über die Alpen gieng er in den Kampf für Schleswig-Holstein. Genug, es gelang ihm zwölf
Jahre später, das ersehnte Land endlich zu sehen. Er kam sehr erfrischt und erheitert zurück,
mit ganz besonderer Empfindung sprach er von den umbrischen Bergstädten, hielt aber ein paarmal
auffallend schnell inne, als ihn die Schilderung der Madonnen der alten sienesischen Meister auf
den dortigen Frauentypus zu sprechen brachte. Das neue größere Amt, das er um dieselbe Zeit
angetreten, nahm nun seine ganze, stets willige Arbeitskraft in Anspruch. Lassen Sie mich für
jetzt schweigen von den Dingen, die nachher kamen, von seinem Sturz, von der Stimmung, in
welcher er die zweite Reise nach Italien unternahm, auf welcher er im Hin
„Hat er Ihnen auch erzählt,“ fragte ich, „was jenem Auftritte vorangieng?“
„Nichts,“ war die Antwort. Sie fuhr fort: „Nun blieben auch neue Verkältungen nicht aus und warfen sich ihm wie immer auf die Schleimhäute und da war er dann, wie Sie sich denken können, — schrecklich —“
Ich unterbrach sie mit der Frage, ob sie ihn auch schwer krank gesehen und wie er dann sich gehalten habe.
„O, wie ein Lamm,“ war die Antwort; „kein Wort der Klage. Zweimal hab' ich's erlebt: einmal Gesichtsschmerz, glücklicherweise vorübergehend; man hörte kaum ein unterdrücktes Stöhnen; einmal eine Luftröhrentzündung; dieses Mal sprach man ihm von möglichem Tode und er nahm es ganz unbewegt auf. Nur zu beklagen war's, daß er fast alle Pflege abwies. Ein Kranker sei ein Lump, stieß er aus, der müsse bescheiden sein und sich hübsch verbergen. Uebrigens sagte er auch gern, wenn man seine Geduld rühmte: ‚Das Moralische versteht sich immer von selbst. 'Um jene Zeit nahmen auch seine sehr guten Augen etwas ab, er wurde fernsichtig, mußte zum Lesen eine Brille, zu augenblicklicher Aushülfe eine Lorgnette tragen. Nun kam das häufige Suchen, das ewige Putzen, wobei er jedesmal über die Heimtücke der Stangen wetterte, daß sie hindernd über die Gläser hereinfielen, und, was noch schlimmer war: die Schnur, woran er das Gläschen trug, that ihm gar so viel Schabernack, fieng sich an einem Westenknopf, schob sich in die Brusttasche mit ein, wenn er sein Notizbuch hineinstecken wollte, so daß es sich staute, und das immer am liebsten, wenn die Sache Eile hatte. Herr meines Lebens, ist er da wild geworden!“
„Kenne, kenne, weiß,“ sagte ich etwas ungeduldig.
„Inzwischen war es in der Welt draußen ja zum Kriege zwischen Preußen und Oesterreich gekommen. Sie können sich denken, wie es einem alten Kämpfer für Schleswig-Holstein zu Muthe war, als die Sache diesen Gang nahm, als nun die Preußen in Böhmen einrückten, als Schlag auf Schlag ihre blutigen Siege folgten. Man sah dem Mann einen schweren inneren Kampf an, er sprach wenig, ich hörte ihn droben häufig mit starken Schritten auf und ab gehen. Einmal sagte er: ,’s ist unrecht, aber es wäre schwerlich anders gegangen;‘ das andere Mal: ‚es wäre schwerlich anders gegangen, aber es ist unrecht, es wird nachhaltig der öffentlichen Moral schaden.‘ Aus seiner Abendgesellschaft im Stern kam er meist aufgeregt, oft verstimmt nach Hause. Wenn ich ihn zu beruhigen suchte und zur Langmuth ermahnte, konnte er sagen: ‚Es sind eben Parteisimpel, alle bis auf Einen.‘ Er meinte einen jungen Mann, den Assessor. Schließlich schöpfte er doch immer wieder Hoffnung. Man konnte merken, daß ein Umschlag alter Ansichten in ihm vor sich gieng. Einmal fuhr er bei Tische plötzlich auf, trat an's Fenster, als sähe er nach dem Wetter und sagte dann mit einem Tone wie ein Schlafredner: ‚Da ist Hoffnung, ja, ja, — der Spieler in Frankreich — der hilft uns noch — ein guter Krieg korrigirt den schlimmen und die Mainlinie.‘
„Die Jahre,“ fuhr sie fort, „zogen sich so hin,
Frau Hedwig nahm mit Grund an, ich wisse hiezu das Hauptwort zu ergänzen. —
„Ich rieth ihm, den Winter in Rom oder lieber in Palermo zuzubringen und vorher oder nachher
Neapel zu besuchen, das er noch nie gesehen hatte. Schon öfters, ja schon in den vorderen
Mannesjahren, war man für seine Brust besorgt gewesen; er muß doch eine sehr starke Natur gehabt
haben, daß die Lunge den Folgen so vieler Verkältungen so lange zu widerstehen vermochte. Er
ließ sich meinen Vorschlag gefallen, ja mehr als dieß, mir schien aus einzelnen abgebrochenen
Winken dießmal wie früher, nur noch merklicher, hervorzugehen, es treibe ihn neben dem
besonderen Reiz, den das klassische Land auf eine so nordische Natur üben mußte, noch etwas
Einzelnes, Geheimes. Freche Raubanfälle waren damals in Sicilien vorgekommen, das machte ihm
keine Sorge, doch nahm er die Reise
Wie sehr es mich drängte, über diesen schweren Schlag, den sie mir schon angedeutet hatte, Näheres zu erfahren, wollte ich doch mit Fragen jetzt nicht in die Erzählung eingreifen; ich sah der Frau an, daß sie sich dem Schlusse näherte, ihr Athem wurde kürzer —
„Um die Zeit mußte wieder ein Katarrh kommen, und als er sich erträglich abwickelte, stellten sich bereits Anzeichen eines neuen ein. In diesem Zustand geht er eines Tags aus — zum letzten Mal: man brachte ihn mir ohnmächtig mit einer tiefen Wunde in der Hüfte.“
Sie verfiel in Schluchzen und sammelte sich mühsam, den Bericht zu vollenden. „Er begegnete auf der Landstraße einem Fuhrmann, der mit grausamen Hieben ein überladenes Pferd mishandelte. Es war ein Mensch, den er einst als Vogt wegen derselben Rohheit scharf bestraft hatte. Zuerst ermahnt er ihn ruhig, bekommt darauf eine rohe Antwort und der Barbar haut nur noch wilder auf das Thier los. Einhart entreißt ihm die Geißel, sie raufen, der Fuhrmann vermag ihn nicht zu bewältigen, zieht sein Messer und versetzt dem Pferd mehrere Stiche; jetzt haut A. E. mit der entrissenen Peitsche auf den Wütherich ein, dieser springt wie ein Tiger gegen ihn und das Messer fährt ihm in die Hüfte.
„Leute, die des Weges kamen, fanden den Fuhrmann zu Boden gerissen und hier festgebannt vom
drohenden Rachen des Hatzrüden, daneben den Verwundeten; ein Wagen wurde rasch herbeigeschafft,
die Kunde verbreitete sich pfeilschnell, als man ihn durch die Straßen führte; ein Freund, der
Assessor, kam herbeigeeilt und brachte unsern Arzt schon mit, den er unterwegs aufgeboten hatte.
Wir trugen den Ohnmächtigen auf's Bett, ich und der Assessor, nachdem mit seiner Hülfe ein
Verband angelegt war, verließen das Zimmer, um durch keinen Laut den Schlummer zu stören, in
welchen nach schmerzhaftem Zucken die Ohnmacht übergegangen war. Der Arzt hat mir
„Wir waren indessen schweigend, in tödtlicher Spannung im Nebenzimmer gestanden, traten jetzt
leise hinein, A. E. sah uns der Reihe nach freundlich an und sagte dann mit schwacher Stimme,
aber in ganz warmhellem Tone: ‚Freut euch mit mir, ich kriege keinen mehr, ich weiß es vom
Doktor da! Ich darf anständig sterben. Es ist doch so auf eine Art, wie wenn ich im Kriege
gefallen wäre.‘ Der Arzt widersprach nicht. Der Kranke fiel wieder in Schlummer. ‚Warum sollte
ich es ihm verschweigen?‘ flüsterte nun jener uns zu, ‚er ist ein Mann; wir müssen uns gefaßt
halten, er ist unrettbar, jede weitere Behandlung seiner Wunde würde nur die Qual vermehren; er
wird den Tag nicht überleben.‘ Wieder erwacht, gab A. E. ein Zeichen, daß er ein Wort mit mir
„Die Männer traten wieder ein. Er wurde schwächer und schwächer, die Zwischenräume tiefen,
matten Schlummers länger. Gegen Abend aber richtete er sich mit unerwarteter Kraft im Bett auf
und sprach mit fester Stimme: ‚Ich hab's erleben dürfen, daß meine Nation
Wir schwiegen lang. Ich drängte alle weiteren Fragen über Persönlichkeit und Leben des
Verstorbenen zurück; es war mir nicht darnach zu Muthe, jetzt weiter zu reden; ich brach auf.
Eine Einladung zu Tische lehnte ich dankbar ab, bat dagegen am Abend eintreten zu dürfen, begab
mich in meinen Gasthof und gieng nach Fassung ringend in meinem Zimmer auf und nieder. Peinlich
genug war es mir, in dieser Stimmung an die Wirthstafel sitzen zu sollen, dennoch mochte ich
nicht allein auf meinem Zimmer essen, es schien mir noch unheimlicher. Einige Stammgäste und
wenige Fremde saßen am Tische. Unter jenen war ein junger Mann, dessen Gesicht mir wohlgefiel,
ich meinte, einen Ausdruck von Vernünftigkeit in seinen Zügen zu sehen; er trug eine Brille, die
ihm doch keinerlei Anschein von Wohlweisheit gab, und fixierte mich ein paarmal flüchtig, ohne
den geringsten Anflug lästiger Neugierde. Ich brach vor Beendigung der Tafel auf, er folgte mir
und sagte: „Entschuldigen Sie, daß ich als Unbekannter mich Ihnen selbst vorstelle, Assessor N. Ich
„Ich war Referendär unter ihm,“ begann er, „als er noch wohlbestellter Vogt war — — Sie
wissen, der alte Titel für unsere Oberamtleute oder Bezirkspolizeidirektoren? — Er war rasch in
das hiesige Amt, einen bedeutenden Wirkungskreis vorgerückt; man hatte ihm verdenken wollen, daß
er auf einer Urlaubreise im Jahr
„Ja, ziemlich,“ sagte ich kleinlaut.
„Sie galten gewöhnlich nur leblosen Gegenständen. Einmal aber hatte ihn ein Hund durch
wiederholten Ungehorsam erzürnt. Er war sonst nur zu gut gegen Thiere, aber wo es Disziplin
galt, verstand er auch da keinen Spaß und konnte sehr hart sein. In seinem Grimm packt er den
Hund und schleudert ihn aus dem Fenster. Der Unstern will es, daß das Thier einem Menschen an
den Kopf fliegt und ihn zu Boden wirft. Der Mensch war zufällig ein Ministerialrath und
Abtheilungschef im Ministerium des Innern. Mit großer Mühe wurde der schlimme Fall ausgeglichen;
der Herr hatte eigentlich auf Realinjurie klagen wollen ‚wegen Werfung eines Hunds an den Kopf‘.
Man sah durch die Finger, weil der Thäter im Uebrigen ein so verdienter Beamter war. Auch bei
einigen starken Verstößen in Kanzleirechnungen kam er mit leichter Rüge
„Das kenne ich von unserer Reise her, kann mir's sehr gut vorstellen. Und?“
„Die Folgen des unglücklichen Vorgangs ließen nicht lang auf sich warten. Sein Minister berief ihn, ließ ihn heftig an, worauf A. E. sagte: „Excellenz leiden wohl an Katarrh? Kondoliere.‘ Abends am selben Tage kam ihm ein schriftlicher Verweis zu, so gesalzen, daß er umgehend sein Entlassungsgesuch eingab. Daheim wollte das Volk sein Haus stürmen, man warf die Fenster ein, und der Frau Hedwig, die krank zu Bette lag, flog ein schwerer Stein hart am Kopfe vorbei. Schnell benachrichtigt, eilte er von der Residenz nach Hause, am folgenden Abend erneuerte sich der Sturm, seine Mannschaft war zu schwach, ihn zurückzuschlagen, und als wieder Steine in die Fenster flogen, feuerte er sein Gewehr in den Haufen ab und tödtete einen der Schreier. Es war ein Glück, daß gleichzeitig die Entlassung da war, da sie auf diese Handlung unerbeten hätte folgen müssen. Er kam vor's Schwurgericht, es sprach ihn frei, die Nothwehr konnte nachgewiesen werden und der Getödtete war ein Elender aus der Hefe des Volkes.“
„Wie trug er sein Schicksal?“
„Still und fest, doch hat er's nie ganz verwunden.“
„Ich begreife doch immer noch nicht, kann mir eine Persönlichkeit, die doch so vorwiegend Innenleben war, als Polizeimann nicht denken. Wie reime ich den verbohrten Phantasiekampf gegen den kleinen Zufall mit dem Willensstrom einer thätigen Natur?“
„Je nun, in wie Manchem stecken zwei Naturen! Uebrigens ist doch ein Zusammenhang. Er war eine befehlende Kraft und eine dichterisch denkende; den befehlenden Mann empörte der Widerstand der unbotmäßigen todten Dinge, denen der dichterisch vorstellende einen Willen lieh, und den harmoniesuchenden Denker das Chaos der Durchkreuzungen. Wissen Sie, was eines seiner ersten Worte war, als er amtlos in der Welt stand? ‚Auch gut,‘ sagte er zu Frau Hedwig, ‚jetzt les' ich in meinen Büchern, schreibe Etliches nieder, prügle ab und zu einen argen Thierquäler und exekutionire einiges allzu rebellische Objekt.'“ —
Wir waren an den Kirchhof gekommen und giengen an der Werkstätte eines Grabmalkünstlers vorbei. „Gerade recht,“ sagte der Assessor, „treten wir einen Augenblick ein.“ Er zeigte mir in der Ecke des Hofes eine Marmorplatte: „Da, sehen Sie die Inschrift an!“
Sie lautete:
Ich ahnte dunkel, was die Lücke bedeuten mochte, aber wie hätte ich die Lösung wirklich finden können? Der Assessor kam zu Hülfe. „Diesen Grabstein,“ sagte er, „hat sich A. E. schon bald nach seiner Entlassung bestellt, damit er einst sein Grab schmücke. Es sollte heißen: ‚Hier ruht nach (so und so viel) -jährigem redlichem Kampfe gegen das verfluchte Objekt u. s. w.' Aber der Tetem erfuhr es und erklärte, dieser Stein dürfe nie gesetzt werden; o, es gab schreckliche Händel!“
In mir tauchte es auf wie ein alter Traum. Die Axenstraße, dann der Gotthardpaß standen vor mir, ich sah die Felsengesichter wieder, hörte sie höhnen: „Tetem,“ ich sah mich mit meiner Reisetasche wieder laufen, hörte sie mit dem absurden Laute: „Tetem, Tetem“ an meine Hüfte schlagen —
„Wie? Was? Tetem? Was ist das? Wer ist das?“
„Verzeihen Sie, mein Herr, Sie sprechen die zwei E unrichtig aus; es heißt —“
„Aber so sagen Sie mir doch —“
„Die E sind eigentlich so zu sprechen wie in Flexionssylben, mit dem Nebenlaut eines dumpfen, halb nasalen A.“
„Nun ja, meinetwegen, also?“
„Der Tetem ist unser zweiter Stadtgeistlicher, ein hochbeliebter Kanzelredner. Er heißt
eigentlich Zunger. Er ist freisinniger Theolog. A. E. kannte ihn gut, er unterhielt sich gern
mit ihm, denn er ist ein humanistisch wohlgebildeter Mann. Allein das Verhältniß wechselte
zwischen Anziehung und Abstoßung. A. E. hatte dieser Schattirung im geistlichen Stande gegenüber
statt Eines Standpunkts zwei, die sich schwer vereinigen ließen und, wie es in solchen Fällen
geht, wechselsweise die Oberhand bekamen. Mit seiner schwertscharfen Logik erkannte er leicht
die Inkonsequenz, bis zu gewissen Grenzmarken der modernen Wissenschaft ihr Recht einzuräumen,
an diesen Stellen aber ihr Halt zu gebieten oder mit schönen Redensarten sich und Anderen
Einklang zwischen ihr und dem Dogma vorzutäuschen; „überdieß,“ so pflegte er zu sagen, „sind sie
eben doch Heuchler auf alle Fälle, denn auch die Glaubensstücke, die sie offen für unhaltbar
erklären, müssen sie in Gottesdienst und Seelsorge trotzdem jederzeit im Munde führen; was hilft
da die Hinterthüre des symbolischen Sinnes? Unwahr ist und bleibt unwahr.“ Dazu kam, daß Zunger
immerhin auch ein Geschmäckchen von Wohlweisheit hat. Er ermahnt gern, gibt gern
„Ja wohl, ich auch.“
„Nun,“ fuhr er fort, „so vertrug man sich denn zwar nicht ohne Ebbe und Flut, doch ganz
leidlich. Ebbe pflegte namentlich einzutreten, wenn ein gewisser süßer Zug in dem würdigen Manne
hervortrat. Zunger ist musikalisch und singt gern Choräle zur Hausorgel. Er gibt ab und zu
Gesellschaften und schenkt es den Gästen nicht, beim Thee ein Zwischenspiel musikalischer
Erbauung sich gefallen zu lassen. A. E. war einmal eingeladen und hatte dieß mitzugenießen.
Zunger liebt ganz besonders das Lied: ‚Wie groß ist des Allmächt'gen
Wir waren auf den Kirchhof eingetreten. Wie ernst-andächtig hatte ich mir diesen Moment
vorausgedacht! Wie anders sollte es kommen! Ich mußte mir immer den frommen Sänger mit seiner
gefühlvollen Partizip-Deklinationsendung und dahinter den lachkrämpfigen A. E. vorstellen, mit
aller innern Anstrengung konnte ich das alberne Bild nicht los werden, vergeblich sagte ich mir,
wie schmachvoll es wäre, wenn ich lachend an den Todtenhügel träte; das wäre ja, so ermahnte ich
mich, nicht ein entlastendes, rührungsvolles Lachen wie jenes, das mich am Vormittag mit der
guten Frau Hedwig in Einer Stimmung vereinigte, sondern häßlich, mit bösem Gewissen behaftet,
armensündermäßig, wüst, schnöd, ja bübisch; gerade die grausame Anspannung des Willens gegen
eine solche erniedrigende Naturgewalt wirkte mit dem Reize
Als wir hinweggiengen, lockte ich den Hunden und sie folgten mir. „Sie sind der Erste, dem das gelingt,“ sagte mein Begleiter; „die Thiere schliechen dem Leichenzuge nach, sie ließen sich nicht abtreiben, seither machen sie von Zeit zu Zeit den Gang und gehorchen keinem Befehl, die Stelle zu verlassen, bis sie Nacht und Hunger nach Hause treiben.“
Der Assessor lud mich beim Abschied ein, mich am Abend des folgenden Tags im Herrenstübchen
des Gasthofs „zum Stern“ einzufinden, wo ich eine Gesellschaft treffen werde, in welcher A. E.
jede Woche
Ich traf die trauernde Frau im Helldunkel der Dämmerung ohne Licht. Wie manche Abendstunden
mochte sie so zugebracht haben, still in Gedanken an den Todten! Sie ermunterte sich bei meinem
Eintritt, ließ die Lampe anzünden und begann Thee zu bereiten. „Er mochte ihn nicht,“ sagte sie
dazwischen; ich gestand, daß ich es darin mit ihm halte, sie schien das erwartet zu haben und
stellte mir ein schweres geschliffenes Glas hin mit den Worten: „Sie sollen seinen Wein aus
seinem Tischglas trinken.“ Als ich durch die erhellte dunkelrothe Flut auf den Grund des Gefäßes
sah, fiel mir Justinus Kerner's schönes Gedicht auf das Trinkglas eines Freundes ein, ich
gedachte dieser liebenswürdigen Dichternatur, und erfuhr von Frau Hedwig, daß A. E. in seiner
Abendgesellschaft ein paarmal sich für ihn verstritten habe. „Die Menschen,“ sagte er einmal
beim Frühstück nach einem solchen Zanke, „wissen doch auch von nichts als von Alternativen!
Entweder, oder, so steht's in ihren Zwischenwandköpfen! Entweder Betrüger oder Narr! Keiner
wollte begreifen, daß der Mann mit einem Fuß im Geisterwesen stand, mit dem andern heraus war.
Logische Konsequenz fordern von einem Poeten, dessen bestes Talent ein ungemein herrlicher,
grundnaiver und doch freier Phantasiesinn für's Verrückte
Wir saßen eine Weile nun schweigend beisammen, an der Wand pickte eine Schwarzwälderuhr, am Boden lagen die Hunde, Tyras zuckte und bellte dumpf im Schlaf — ob er wohl im Traum wieder für seinen Herrn kämpfte? — Frau Hedwig, wohl fühlend, wie manche Fragen ich am Vormittag werde zurückgehalten haben, begann nun unaufgefordert von sich und von A. E. zu erzählen. Ich gebe nur in Kürze wieder, was sie selbst betrifft, da uns hier ein anderes Schicksal beschäftigt. Sie war Drittenkind mit ihm und verlor frühe einen geliebten Gatten. Dieser Tod brachte ihr zugleich den Wermuthbecher der Armuth. A.E. war ihr Retter, er bat sie, sein Haus zu führen, — „und wie schön ist es, dankbar sein zu dürfen, wenn man zugleich weiß, daß man nützlich sein kann! Wie sah es da im Haushalt aus, als ich die Leitung in die Hand nahm, wie war der Mann vernachlässigt und betrogen worden! Ach, er konnte ja gar nicht rechnen! Nur das Addiren gieng noch so halbwegs!“
„Eine schlimme Sache bei einem Beamten,“ meinte ich, „auch wenn er kein Finanzbeamter ist!“
„Freilich, freilich! es hat doch auch ein wenig zu seinem Sturze mitbeigetragen, es fanden
sich Verstöße schwerer Art in seinen Amtsrechnungen, und nur halb sah man ein, daß man es hier
mit einem
Ich erfuhr weiter, daß A. E. nicht reich, doch vermöglich war. „Er brauchte blutwenig für sich, viel für die Armen und“ — setzte sie noch einmal erröthend hinzu — „Einiges für Exekutionen an aufrührerischen Objekten, die er seine weisesten, sittlichsten, wahrhaft gemeinnützigen Handlungen nannte.“
„Weiß, weiß, kenne das,“ fiel ich ein. — „Wir verstehen uns mit ihm,“ sagte sie lächelnd.
„Und nun kommen Sie, lassen Sie uns in sein Studierzimmer gehen!“
Wir stiegen über eine Treppe und betraten einen prunklosen Raum mit Schreibtisch, Bücherschränken, wenigen Möbeln für die Bequemlichkeit und einigen Gemälden und Kupferstichen an den Wänden. Sie öffnete ein verschlossenes Fach am Schreibtisch, zog ein Blatt heraus und reichte mir es hin. „Das Original,“ sagte sie, „liegt auf dem Rathhaus; es ist amtliche Abschrift.“ Ich las:
„Ich setze Frau L. Hedwig als Erbin meines Hauses und Vermögens ein. Ich füge eine Liste der
Armen bei, die sie ferner zu unterstützen hat. Sämmtliche Papiere, die zu meinen Studien ge
Albert Einhart, Vogt a. D.“
„Und also auch das Haus gehört mir,“ sagte sie, indem sie das Blatt aus meiner Hand zurücknahm und Thränen ihr in's Auge traten, „das Haus, das er gekauft und sich zurechtgebaut hat, als er verabschiedet war; ich bin reicher geworden, als ich bedarf, und kann dafür mehr an den Armen thun, als mir wörtlich aufgegeben ist.“ — Das Vermächtniß, das unvermuthet mir geworden, war mir im ersten Augenblick befremdend, ich konnte die Ueberlassung nicht mit dem Wesen eines Mannes reimen, dem es eben nicht gleich sah, sich vor irgend Jemand nackt zu zeigen, und Enthüllungen waren von diesen Blättern doch zu erwarten. Da fiel mir Hamlet ein, wie er sterbend den Horazio bittet, dem versammelten Volke kund zu geben, wie Alles gekommen sei, um seinen schwer verletzten Namen zu retten. Jetzt erfaßte ich, daß dieser seltsam verhüllte, dem tragischen Helden nicht eben unverwandte Mann doch ein Bedürfniß in sich getragen habe, nach seinem Tode in richtigem Lichte gesehen zu werden, und herzlich fühlte ich mich nun geehrt, daß er mich als seinen Horazio auserlesen.
Während Frau Hedwig die Fächer öffnete, worin
„Da,“ sagte Frau Hedwig, indem sie nun eine eingerahmte, auf dem Schreibtisch stehende
Photographie mir hinhielt, „das ist ein Bild, das er immer vor Augen hatte.“ Es war das Porträt
eines Mannes in den besten Jahren, und je mehr ich es betrachtete, um so tiefer fühlte ich mich
angezogen. Selten habe ich so viel Festigkeit mit so viel Güte in Einem Ausdruck verbunden
gesehen. — „Diesem Mann ist zu trauen!“ sagte ich. — „Ja,“ erwiderte Frau Hedwig, „und dem muß
der Verstorbene viel verdankt haben, mehr
Sie nahm ihr Geschäft an den Schubfächern wieder auf und als sie eine Blätterschichte aus
einer der Laden heben wollte, stieß ihre Hand in der hintersten Ecke an etwas Hartes, sie zog
einen schwarzen Gegenstand heraus und rief bei seinem Anblick: „Ah, dort stack's? find' ich's
wieder?“ Sie reichte mir ein Etuis hin, aus dem mir, als ich es öffnete, eine Photographie
entgegensah, ein weibliches Brustbild von großer, aber unheimlicher Schönheit. Ein ganzer Wald
von glänzenden Locken umgab wie eine Löwenmähne das wohlgebildete Haupt; ich konnte es nicht
bloß auf die Lichtwirkung schieben, daß mir dieses Haar wie metallisch erschien. Warum wollte
mir, wenn mein Auge von der Betrachtung des Gesichts zu dieser reichen Umkränzung zurückkehrte,
mehr und mehr scheinen, als bewegten sich diese Ringel, als zischelten Schlangen aus ihren
Eigentlich muß ich gestehen, daß seit Jahren und jetzt in diesen Tagen stärker denn doch etwas wie Neugierde im Innern mir umschliech, ob denn dieser seltsame Mann auch Beziehungen zum Weib — oder vielmehr, da sich dieß von selbst bejahte — was für er wohl gehabt habe. Geborener und geschworener Weiberfeind konnte er nicht sein, die letzten Momente in Göschenen sprachen zu hell dagegen; aber gewordener? hartgesottener Junggeselle? Und warum? Wie mochte das mit den zwei Bildern zusammenhängen?
„Wissen?“ sagte Frau Hedwig, „eigentlich nichts, nur rathen. Rathen aus Andeutungen, die ihm
in bewegten Momenten entschlüpften. Einmal, ja, in der Zeit vor seiner Entlassung, als ihm eine
hiesige Frau durchaus kuppeln wollte — die Frau des Herrn Tetem, — gewiß auf wohlgemeintes,
besserungseifriges Zureden ihres Mannes, — da wurde er sehr wild, sprang dann auf sein
Studierzimmer, polterte wieder herab und hielt mir das eine Bild unter die Augen, das da (sie
zeigte auf die Dämonische), und stieß hervor: ‚Die Valandinne hat mir's vertrieben!' Das Wort
hab' ich dann in seinem altdeutschen Lexikon aufgeschlagen, Teufelin heißt's. Weiter kein Wort!
„Die Kupfermühle bei Krusau,“ sagte ich, „ich wollte damals, als Sie mir das Aehnliche von
seinen Traumreden kurz vor dem letzten Augenblick erzählten, nicht mit einer Notiz unterbrechen;
ich erinnere mich noch der Berichte von dem Kampfe bei Bau, A. E.
„Nach geraumer Zwischenzeit meinte ich ein leises Weinen zu vernehmen und wieder das Wort: ‚Gerettet!’ Dann den Seufzer: ‚Spät! — Cordelia, o Cordelia — warum —' Bei diesen Lauten voll Innigkeit überfiel mich eine Scham, daß ich horchte, und ich schliech hinweg. — Es muß in Norwegen etwas vorgegangen sein, ehe er von dort nach Schleswig-Holstein gieng und verwundet wurde. hat immer so sichtbar abgelenkt, wenn ich auf das Land zu sprechen kam oder wenn man ihn gar in Gesellschaft mit Fragen bedrängte.“
Dunkle Schlüsse aus diesen kargen Spuren ziehend verweilte ich in der Betrachtung der beiden Bilder. Es war, als ränne ein milder Geist des Friedens aus den sanften Zügen des zweiten Bildes und legte sich beruhigend über die wirren Wogen widersprechender, beängstigender Vorstellungen, die aus dem andern wie aus einem Hexenkessel brodelnd hervorquollen. Es war ganz der Ausdruck der Lauterkeit, Güte und Vernunftruhe, der mich vor Jahren an diesem Weibe so herzlich gerührt hatte, jetzt nur doppelt wirksam im schlagenden Gegensatze zur wilden Schönheit des Nebenbildes.
„Nun aber,“ fieng Frau Hedwig nach einer Weile wieder an, „muß da später noch etwas gekommen
„Eben auf der Reise ist solch ein Unstern vorgekommen,“ fügte ich ein. Sie fragte gespannt und ich erzählte jetzt den Auftritt in Bürglen und was dann in der Gotthardschlucht Unheimliches, Erschütterndes dem närrischen Schlußakte in Göschenen vorangegangen. Es wäre kindisch gewesen, ihr das Unschickliche, was dort geschah und den plötzlichen Aufbruch veranlaßte, zu verschweigen oder mit einem erfundenen Surrogate zu vertuschen; die Frau hatte ja Salz.
Sie wurde sehr aufmerksam, lachte über das Komische jenes ersten Vorgangs nicht, schwieg
nachdenklich und fragte dann, ob ich keine weitere Spur von der reisenden Familie entdeckt habe.
Ich verneinte. „Er wird gemeint haben, sie meiden zu müssen,“ sagte sie, „ich muß da noch etwas
anführen: daß er nach seiner Rückkehr damals bald wieder in Mißlaune und Trübsinn verfiel, dazu
muß diese Folge des Vorfalls mitgewirkt haben. Im Anfang eines neuen heftigen Katarrhs hörte
einmal der Bediente, der neben seinem Studierzimmer zu thun hatte, wie er nach wiederholtem
starkem Niesen tief aufathmend schrie: ‚Ach, gottlob, gottlob! Hier verjagt mich's doch von
Himmelsboten, der vielleicht — Gelt, gutes, dummes Vieh (— das konnte nur seinem Kater gelten,
den er gern bei sich
Wir wetteiferten in Vermuthungen und Verknüpfungen, mußten aber, da uns aller bestimmtere Anhalt fehlte, unsere Versuche aufgeben. Es war auch offenbar nicht Ort und Stunde, zu grübeln; das Gefühl sträubte sich dagegen, an der Schnur der Reflexion fortzuspinnen, und strebte zurück zur Vertiefung in reine Trauer um den theuren Todten. Aber eine Beimischung des Geheimnißvollen erhielt nun dieß einfache Gefühl des innigen Leides. In diesem Leben mußte ein Sturm gewüthet haben, dessen Gewalt wir wohl kaum ahnten; rettendes, himmlisches Licht mußte dann erschienen, aber irgend ein Schmerz nachgeblieben sein, der einen Wolkenschleier von Wehmuth um die Lichterscheinung legte.
Wir saßen noch ein Stündchen in der Nacht beisammen und sprachen von dem Todten. Die gute, klare Frau erzählte mir noch Manches aus seinem Leben, seinen Verhältnissen zu manchen Menschen aus allerlei Ständen. Das Bild der Persönlichkeit wurde mir runder, voller, ohne mir planer zu werden. Der andere Tag, der letzte des kurzen Aufenthalts, den mir meine Zeit erlaubte, war bestimmt, eine erste Einsicht von den Papieren zu nehmen, die mein Eigenthum geworden waren.
So betrat ich denn des andern Morgens zu früher
„Armer Werther Griechenlands! Dein Lieben war ja wohl hoffnungslos, denn einem Albert, der seine Braut strenge verschließt, dem unerbittlichen Chronos war deine Lotte verlobt. — Du führtest zu wenig Eisen, du Guter, du Schöner, du mein edlerer Bruder mit dem Heiligenschein des ganzen Wahnsinns um's Haupt!“
Ich wurde begierig, zu wissen, ob er nicht auch in J. Paul's Werke etwas eingeschrieben habe, die daneben standen. Und richtig fand ich auf dem weißen Blatt vor dem Titel des ersten Bandes folgende Verse, die ich mir sogleich abschrieb:
Der Leser soll sich nicht weiter bemühen, die Büchersammlung mit mir zu durchmustern; erwähnt
sei nur noch, daß mehrere englische, französische, deutsche Werke nebst Julius Cäsar's Schrift
de bello gallico (— ein Zeichen stack noch im Abschnitt von den Druiden —) auf eingängliche
keltische Studien zu schließen gaben, die der Verstorbene für seine Pfahldorfgeschichte gemacht
haben mußte. Ob ganz zum Nutzen derselben? schien mir nicht eben ausgemacht. Manchmal wollte mir
dünken, es sei ihm nicht recht gelungen, die seltsame Religion, welche er für seine
Pfahlbewohner erfunden hatte, mit den mythischen Vorstellungen, die er seinen historischen
Quellen entnommen, genügend ineinander zu verarbeiten, verschiedene Zeiten seien zu grell
gemischt und es blicke da und dort ein Zug antiquarischer Belehrung hervor, der einer
dichterischen Komposition so übel ansteht. Doch schwankte ich wieder; gegen den letzteren
Vorwurf ließ sich sagen, daß die gelehrten
Ich füge noch hinzu, daß in einem der geschlossenen Fächer des Schreibtischs auch das Konzept der Pfahldorfgeschichte sich vorfand, ein Manuskript, von Durchstrichen, Korrekturen, Einschiebungen über und über durchschnitten und übersät. Da ich schon öfters Gelegenheit gehabt hatte, mit Hülfe solcher Blätter in die geheime Werkstätte eines Dichters zu sehen, so konnte mich dieser Zustand nicht zu der Vorstellung verleiten, die Arbeit sei wie ein mühsames Mosaik entstanden. Frei poetische Initiative und häufiges Umändern und Nachbessern schienen mir einander nicht auszuschließen. Dem Dichter schwebt ein Bild vor wie ein Traumbild, hell in allen wesentlichen Zügen und doch noch schwebend, unbestimmt in Umrissen. Zudem ist die Sprache ein sprödes Material, das nicht leichten Kaufes sich hergibt, sein dem Prosabedarf dienendes Gefüge zur durchsichtigen Form für freie Anschauung umwandeln zu lassen. Er sucht und sucht, ringt und ringt, er reibt, wie man reibt, um einen verdunkelnden Firnis zu entfernen, der über einem Gemälde liegt, endlich gelingt es der sauern Mühe, herauszuarbeiten, was ganz frisch, ganz leicht, ganz Ein Guß und Fluß aus eigener Tiefe von Anfang an vor der Seele stand.
Nun ein Wort von den zu freier Verfügung mir
Zunächst fielen mir zwischen den Blättern gewöhnlichen Formats zwei zusammengelegte Bogen auf, dickes
System des harmonischen Weltalls.
Mir wurde ganz schwindlig, als ich angefangen, mich in den Inhalt hineinzulesen, und mit Hülfe
des wenigen Kommentars auf den Beilagen zu einer ungefähren Vorstellung von der Absicht des
Unternehmens gelangte. Ich rannte wie betrunken mit den zwei Riesentabellen zu Frau Hedwig
hinab, hielt sie
Ich gehe nun mit Seufzen an die Aufgabe, dem geneigten Leser ein, nach Möglichkeit
abgekürztes, Bild von dem Bilde des harmonischen Weltalls vorzuführen. Was gegeben werden
sollte, war eine klar geordnete Uebersicht der Durchkreuzungen, denen das Leben und Thun des
armen Sterblichen durch die Tücke jenes Etwas unterliegt, das wir in Kürze den kleinen Zufall
Kaum ist die Vorbemerkung nöthig, der Leser möge sich erinnern, wie A. E. gewohnt war, vermöge
einer poetischen Verwechslung von Objekt und Subjekt die Stellen und Gegenstände, worin nach
seiner Mythologie die bösen Geister sich einzunisten lieben, so zu tituliren, als wären sie
selbst die bösen Geister oder verwandelten sich in solche. Fangen wir nun an, die Oberund
Untereintheilungen des Materials, mit welchem unser Philosoph schaltet, aufmarschieren zu
lassen, so wird der Leser sogleich in eine Art von logischer Beunruhigung sich gestürzt fühlen.
„Hauptarten der Teufel“ ist die erste Obereintheilung und diese zerfällt in: innere und äußere
Teufel. Unter „innere Teufel“ versteht er die Stellen und Angriffspunkte, die der Mensch durch
seinen Körper (natürlich ebensosehr als geistig höchst leidensfähiges Wesen) dem störenden
Zufall darbietet; unter „äußere Teufel“ die Leiden verursachenden Gegenstände in unserer
Umgebung. Schon dieß ist verwirrend. Die Eintheilung scheint nur Störungen im Auge zu haben, die
von außen
Als Motto steht ein ziemlich ruchloser Vers:
Hierauf folgt die Eintheilung und lautet also:
A. Innere Teufel.
Schleimhäute. Zunge. Kehle. Lunge. Zwerchfell. Magen. Gedärme. Blase. Gelenke. Sehnen. Nerven. Gehirn. Augen. Nase. Ohren. Haut. Hals. Rücken. Arme. Finger. Kreuz. Beine. Zehen. Nägel.
Es fällt sehr auf, wie wenig dieß ist. A. E. hätte ja eigentlich alle empfindungsfähigen
Stellen unseres Körpers, selbst die mikroskopisch kleinste, aufführen müssen. Er wollte sich
auf die vorzüglich gefährdeten beschränken und diese nur in Bausch und Bogen angeben, wurde an
diesem Verfahren irre, fieng an, mehr in's Einzelne zu gehen, führte unter Anderem die
einzelnen Theile des Auges auf, z. B. Lid und Wimper (offenbar, um nachher das peinliche
Einstrupfen von Wimperhaaren anzubringen), er sah im Fortgang ein, daß er in's Unendliche
geriethe, striech wieder aus, schrieb doch wieder, striech wieder aus und so fort. — Merkwürdig
verloren steht zwischen dem Uebrigen das Gehirn, doch begreift man die Verlegenheit des
Anordners; denn von der einen Seite wird freilich jeder Eindruck im Gehirn erst empfunden, und
darnach müßte eine klare Eintheilung zeigen, daß hier Alles im Mittelpunkte sich sammelt; von
der andern Seite gibt es aber doch auch lokale Leidenszustände des Gehirns und insofern war
dieß Centralorgan unter andere einzureihen. Er
B . Aeußere Teufel.
a. Unorganisches und abgestorbene organische Stoffe.
Luft. Wind. Licht. Finsterniß. Nebel. Wasser. Regen. Schnee. Eis. Erde. Morast. Pfützen. Staub. Sand. Steine. Gruben. Holzpflöcke. Strohhalme. Dorne. Härchen. Schreibfedern. Sägmehl. Eisenfeilspähne.
b. Artefakte.
Brillen. Haken. Nägel. Uhren. Zündhölzchen. Kerzen. Lampen. Münzen. Stiefelknechte. Schnüre.
Bändel. Beinkleider. Hosenträger. Knöpfe. Knopflöcher. Rockhängeschleife. Hut. Armlöcher.
Schuhe. Stiefel. Galoschen. Messer. Gabel. Löffel. Teller. Schüsseln mit Suppe und Anderem.
Papier. Tinte. Böden, besonders Parketböden. Treppen. Thüren.
c. Pflanzen.
Blatt. Stengel. Zweig. Ast. Stamm. Wurzeln. Kirsch- und Trauben- und andere Kerne. Erbsen. Bohnenfasern. Spitzgras. Brennnesseln.
d. Thiere.
Insekten. Vögel. Mäuse. Rind. Pferd. Hunde. Katzen. Hasen. Rehe. Hirsche. Roß. Elephant. Würmer. Fische. Gräten.
e. Menschen.
Kinder. Frauen. Männer. Greise. Stände: besonders vornehme.
An dieser Stelle wimmelte es von Korrekturen und Durchstrichen. Man sah in eine wahre logische Verzweiflung hinein. Der Verfasser fieng an, aufzuzählen, nämlich die Organe, vermittelst welcher uns von außen durch Menschen verdrießliche Störungen bereitet werden, sichtbar aber erkannte er, daß er dadurch in Wiederholungen gerieth, theils mit I. A., theils mit der folgenden Rubrik: Aktionen.
Immerhin war denn nun eine — freilich sehr mangelhafte — Uebersicht der Leidensquellen und Leidensstellen gegeben. Nun mußten die Leiden selbst aufgezählt werden, die im Zusammenstoß aller dieser Dinge den leidensfähigen Theil mehr oder minder empfindlich treffen. Dieß bringt die nächste Haupteintheilung:
II. Aktionen.
A. Der inneren Teufel.
Kratzen. Kitzeln. Niesen. Husten. Schleimen überhaupt. Tröpfchen an der Nase. Rasseln. Orgeln. Pfeifen. Raspeln. Schnarchen. Sich verschlucken. Lachkrampf. Kolik. Rheumatismen. Hexenschuß. Dumpfheit. Schlafdruck. Schwindel. Stechen. Glühen. Brennen. Toben. Brausen. Jücken. Beißen. Bohren. Rutschen. Stolpern. Fallen. Anstoßen. Danebengehen. Sich verwickeln. Fehlgreifen. Fehlschlagen. Fehltreten. Hühneraugenstich. Ueberschlagen (der Stimme). Fehlsprechen. Sich vernennen. Bock schießen. Vergessen. Mit sich reden. Im Schlaf sprechen. Verwechseln.
B. Der äußeren Teufel.
Hier hat es denn, wie wir vorbereitend schon bei I. bemerkt haben, dem Verfasser große
Schwierigkeiten gemacht, daß er Vieles, was der Rubrik I. B. a. (unorganische und abgestorbene
organische Stoffe) entspricht, bereits unter II. A. gebracht hat, als z. B. Rutschen, Stolpern,
Fallen: Ereignisse, die allerdings öfters ohne erkennbares Einwirken eines äußern Teufels
vorkommen, am öftesten aber doch durch solche herbeigeführt werden, die sich in Schnee, Eis,
Steine, Holzpflöcke, Strohhalme verstecken. Auch was die weiteren
Nun fügte er zu den Aktionen A. der inneren, B. der äußeren Teufel noch eine Rubrik und zwar:
C. Kombinirte Aktionen oder Häufungen.
Man versteht, daß hier das Zusammentreffen von zwei oder mehreren Unfällen an die Reihe kommt. Hier war denn aufzuführen z. B. Husten und Hexenschuß vereinigt (Beisatz: „so daß bei jedem Hustenstoß ein Schmerz durch's Kreuz geht, als führe ein glühendes Bajonet hinein.“ (Der Verfasser hatte hier im Zorn einen Fluch beigesetzt, doch sich fassend ihn wieder gestrichen.) Hier ferner: Katarrh und Kolik (Beisatz: für letztere rother Wein verordnet, für ersteren verboten); Kolik auf der Eisenbahn. Hut vom Wind fortgerollt, gleichzeitig eine Galosche vom Fuß verloren, auch summirt mit Umstrupfen des Schirms, etwa überdieß mit Hinunterfallen der Brille. Merkwürdigerweise steht unter Anderem ahnungsvoll, als hätte er vorausgesehen, was ihm auf der Fahrt nach Luzern widerfuhr: Stimme überschlagen, Hängenbleiben, Fallen vereinigt. Welche Schwierigkeiten sich hier einer den andern Theilen parallel entsprechenden Anordnung entgegenstemmten, werden wir sehen; erst müssen wir alles Material beisammen haben.
Der Verfasser begnügte sich nicht mit den bisher aufgereihten Rubriken. Als Mann von Geist
mußte er diese nackte Aufzählung von Mißgeschicken, die großentheils nur sinnlicher Art sind,
doch ungesalzen finden.
Dieß also das Ganze des Materials, das zusammenzustellen war. Wie es nun tabellarisch ordnen?
Für I. A. B. wurden zuerst senkrechte Felder durch Linien abgetheilt und das Einzelne in
Kolonnenform hineingeschrieben. Es machte sich sehr ungleich: für die inneren Teufel (A.) hatte
der Schöpfer dieses Systems, wie der Leser mit uns schon begriffen hat, keine nähere
Eintheilung finden können. Er hatte es versucht, z. B. indem er setzte: a) Bedeckung, b)
Eingeweide, c) Schleimhäute, d) Sinne, e) Glieder, f) Muskel, g) Nerven, Gehirn u. s. w.;
allein er gab es wieder auf, da er sah, daß sich hier so nicht trennen lasse, indem doch, um
nur Ein Beispiel anzuführen, die Nase hauptsächlich um Schleimhaut
Ich warf den schnöden Papierhaufen zu Boden, eine gründliche Empörung kam über mich. Ich
wußte doch genug von diesem Menschen, um ihm ein höchst empfindliches Gefühl des Werthes seiner
Zeit zuzutrauen. Man durfte ihn nur eine Stunde kennen, um überzeugt zu sein, daß sein Geist
immer in Arbeit war. Sein Grimm über die kleinen Zufälle war ja in seiner besseren Quelle
nichts Anderes, als Grimm über Zeitraub, der auf einer Vergleichung des Werths
Und nun — was konnte ich machen? — nun dauerte er mich wieder.
Gesondert vom Uebrigen theile ich ferner die unvollendete Skizze eines Singspiels mit, die mir beim Blättern in die Hände fiel. Die Ueberschrift bezeichnet dieß Produkt als Singtragödie.
Szene 1. Schreibzimmer.
Das Härchen, mikroskopisch klein, in einem Tintenfaß befindlich, trägt im dünnsten Sopran
eine Arie vor, Text gerichtet an die daneben liegende Schreib
Demnächst Rezitativ, Baßstimme, ausgehend von einem Buch auf dem Bücherbrett über dem Schreibtisch. Kichernde Antwort von Geistern in der Tinte. Duett von Tinte und Buch vereinigt sich mit Härchen und Feder zu einem gefühlten Quartett.
Man hört Schritte, genannte Geister verstummen. Hilario tritt ein. Monolog. Hilario liebt auf's Aeußerste eine Jungfrau Adelaide. Ist schüchterner Komplexion, hat noch kein Wort gewagt, beschließt zu schreiben. Tunkt ein.
Härchen und Feder vereinigen sich innig, Hilario wird nach mehreren Versuchen, mit dem verfluchten Pinsel zu schreiben, sehr wild, schreibt Grobheiten statt Zärtlichkeiten.
Neue Feder. Fängt von vorn an. Es geht fließend vorwärts. Beschließt Citat aus Petrarka.
Will den Band herabnehmen, er fällt auf's Tintenfaß, das ganze Schreiben wird schwarz
übergossen. Hilario beschließt in Verzweiflung, es doch mit dem lebendigen Worte zu ver
Arie mit einem gewissen klebrigen Etwas in der Tonfärbung vorgetragen von der Pfütze, entsprechend von Instrumenten begleitet.
Ein weißlicher Punkt schwebt herbei; derselbe erweist sich, näher sichtbar, als Hühnerauge (äußerst giftiger Blick und Gesammtausdruck). Arie: hornig harter, friktiv brennender Ton. Text offenbart teuflische Absichten.
Verschwörungsduett zwischen Beiden.
Hilario tritt auf, heiter gespannt, das Hühnerauge schwebt, einen feurigen Faden durch die
Luft ziehend, nach ihm hin, verschwindet in seinem Lackstiefel. Er winselt,
Dieß wird genügen, ein Bild von A. E.'s Komposition zu geben; ich darf die Geduld des Lesers nicht durch weiteren Auszug ermüden. Es genügt, noch zu erwähnen, daß die Skizze andeutet, Hilario wisse, durch einen Kampf mit einer Reihe ähnlicher Hindernisse vordringend, endlich doch Adelaidens Liebe zu erringen, eineselige Stunde werde ihm in Aussicht gestellt; dann folgt noch eine um Weniges ausgeführtere Szene:
Arie obgedachten Kolbens: weichlich zäher, doch zugleich tückischer Ton, entsprechender
Text. Junge Katze erscheint; kindlich heiterer Gesang. Duett. Sehr eilig eintretend Hilario.
Aus dem Nebenzimmer kommt der Apotheker. Hilario bittet sehr dringend um einige Tropfen
Laudanum, der Apotheker verlangt ärztlichen Vorweis, und allzu gewissenhaft (— noch junger
Gehülfe —), da Hilario solchen nicht besitzt, verweigert er die Bitte.
Hier brach das Fragment mit einem wilden Fahrstriche der Feder ab, die dann wie toll in kratzigen, borstigen Linien auf dem Papier umhergewüthet haben, hierauf etliche Male senkrecht aufgestaucht worden sein mußte; dieß bewiesen starke, von Spritzaureolen umgebene Tintenkleckse.
Das pathologisch geschnellte Abbrechen war mir nicht gerade komisch, es gab an Anderes, wenn auch noch so Verschiedenes, zu denken.
Bei weiterem Durchstöbern stieß ich auf eine Schichte gedruckter Blätter, auf deren Rand ich Anmerkungen mit rother Tinte bemerkte. Das Gedruckte konnte nicht von A. E. verfaßt sein, es war der Anfang eines Romans, dessen Styl und Inhalt weiblichen Ursprung erkennen ließ, das Titelblatt fehlte. Auf einem Beiblatt stand von seiner Hand geschrieben: „Das ist keine Kunst, ideal thun, wenn man Alles ungenau nimmt. Wart', Blaustrumpf, wart', Gans, ich will dir's einmal zeigen! Meinst du, die Dinge der Welt laufen nur so glattweg in geölter Kurbel?“
Ich stelle einige Sätze heraus mit den Anmerkungen, um einen Begriff von diesen Korrekturen zu geben:
„Es war ein lachender Morgen Ende Augusts. Wir standen reisefertig. Der gute, liebe Onkel! Es war ihm schwer geworden in seinen Jahren, aber er hatte sich entschlossen; mein Sehnen sollte erfüllt werden; er führte mich nach Paris. Die Koffer waren gepackt —
Anmerkung: bis auf einen, den Hauptkoffer, wozu der Schlüssel verlegt war —
Die Droschke war bestellt —
Anm.: und kam nicht. Endlich steigen wir in den Wagen —
Anm.: wobei der Onkel fehltrat und umfiel — Wir sitzen, das Dampfroß schnaubt, die Räder beginnen zu rollen —
Anm.: das Handgepäck fällt aus dem Netzfach und treibt dem Onkel den Hut an.
Noch ein Gruß an die liebe Schwester Ida, ein Schwenken meines Tuchs —
Anm.: wobei das Fenster fällt und mir die Hand einklemmt. Der Kondukteur coupirt, o, er erschien mir wie ein Götterbote, der meine Seele nach Elysium einlade —
Anm.: doch der Onkel fand unsere Billette nicht. Mir gegenüber — o schöner Anfang! ein junger Mann — in Civil — hat aber etwas edel Kriegerisches, selbstbewußte Haltung, Blick lebhaft, dabei etwas männlich Herrschendes und doch zugleich so Feines — wohl Gardeoffizier?
Anm.: worauf besagter Herr den einen und dann den andern Fuß neben den Onkel auf's Polster hinüberlegt und der Onkel sich sanft beschwert und eine sackgrobe Antwort bekommt.
Mit ritterlich gefälligem Tone fragt mich der junge Mann, ob ich erlaube, daß er das Fenster öffne —
Anm.: welches geschieht und worauf dem Onkel eine Kohlenfaser in's Auge fährt.
Balsamische Morgenluft weht herein, Städte und Dörfer im Sonnenglanze fliegen vorüber, die Schwalben schwirren, die Natur taucht, badet, schwimmt beseligt in sich selbst. Ja, die Natur hat Seele, sie ist doch immer seelisch besagend. Die Natur ist Geistflüsterung, der Mensch Geistsprechung, sie ist Geistduftung, der Mensch Geistblitzung. — Dieß ist ein Gedanke! Ich zeichne mir ihn in mein Poesiealbum. — Und nun, du Natur der Natur, goldiger Süden, dufte mir labend entgegen!
Anm.: Sie sucht die mitgenommenen Orangen, der liebe Onkel hat sie versessen.
Wehe! kann wolkenlos kein Himmel bleiben? Das lachende Antlitz der Natur trübt sich, ein Strichregen beginnt zu fallen, sie sinkt sich selbst als weinendes Kind in die Arme. Aber warum so heftig, deine Thränen netzen mich zu stark! ‚Ja, bitte, edler junger Mann, schließen Sie das Fenster —‘
Anm.: welches eingequollen ist, weßwegen der Onkel mithilft. Beide drücken und da es rasch nachgibt, stoßen sie die Scheibe hinaus.“
Genug und wohl schon allzuviel, der Spaß wäre geradezu langweilig zu nennen, wenn er nicht auf eine Steigerung losarbeitete; ich darf nicht verschweigen, daß diese etwas stark ist, indem die Scherben der Scheibe auf die Sitze fallen, und da ich eine Pflicht fühle, die vielleicht zarten Nerven des Lesers zu schonen, so breche ich ab, wiewohl es an einigen Witzkörnern im Folgenden nicht fehlt. Uebrigens waren es nur wenige Blätter; die Nörgelei muß dem Krittler selbst denn doch entleidet sein oder er muß gefühlt haben, daß ja jede seiner Anmerkungen die folgende und so den ganzen Roman aufhob.
Haben diese grillenhaften Phantasieen, wie sie bis in die Schnurre, die Kinderei
ausschweifen, den hartgeprüften Leser verdrossen, geärgert, fast um die Geduld gebracht, so
söhnt er sich doch vielleicht mit dem schiefgewickelten Manne wieder aus, wenn er nun im
Tagebuche die Goldfäden findet, die sich durch das bunte Garn dieser Wicklung reich und stark
hindurchziehen. Das Feinste dieses Goldes ist Denken, philosophisches Denken, „des Menschen
allerhöchste Kraft“. Ob man darum den Mann einen Philosophen nennen darf, das freilich ist eine
Frage: ich enthalte mich, das Wort darüber zu nehmen, das Tagebuch mag selbst antworten.
Vielleicht ist ein Theil des innern Unglücks in diesem Leben auf dieser Stelle zu suchen; der
Leser wird Andeutungen finden, die dahin zeigen; vielleicht
Noch finden sich andere Fäden, die der wilden Farbenmischung einen sehr ernsten Untergrund
geben, schwarz wie die Nacht, wohl auch blutroth. Ich fand zwischen den Blättern ein schwarz
eingesiegeltes Paket. Ich scheute mich, es in jenen Tagen zu öffnen, die ich in der Heimat des
Verstorbenen zubrachte. Ich ahnte Erschütterndes und wollte es für jetzt ruhen lassen mit dem
Todten, der es überwunden hatte; ich wollte dem Ganzen eines abgeschlossenen Lebens in still
wehmüthiger Betrachtung nachschauen, kein Theil dieses Ganzen sollte mir in dieser Stimmung
reinen Schmerzes zur erschreckenden Gegenwart werden. Wie sehr fühlte ich, daß ich Recht
gethan, als ich nachher zu Hause die Siegel öffnete! Das Räthsel, das jene zwei Frauenbilder
uns vorgelegt, es löste sich, wiewohl nicht zu völliger Helle. Ein zuckendes Schlaglicht fiel
auf ein schweres, ja furchtbares und nach Ueberwindung des
Bedauerlich ist, daß man nichts von der Jugendgeschichte des Verfassers erfährt; das Tagebuch
beginnt nicht früher, als mit dem Antritt seines ersten Amtes. Man möchte so gern Aufschluß dar
Sehr Vieles habe ich gestrichen, die Blätter könnten mit weit mehr Recht ein Tagebuch genannt
werden, wenn ich allen Stoff aufgenommen hätte, was doch gewiß nicht zweckmäßig gewesen wäre.
Ein Theil desselben besteht aus einer Masse ganz trockener Notizen. Es sind in den Abschnitten,
welche der Zeit der Amtsthätigkeit angehören, meist Vormerkungen für die Tagesaufgaben, man
sieht in ein sehr pünktliches, gewissenhaftes Arbeiten hinein. Außerdem findet sich überall
eine Menge äußerst kleinlichen Zeuges; A. E. zeichnet sich auf, wo man dieß und jenes Bagatell
am besten kauft, z. B. Hemdknöpfe von richtigem Profil; für die Reisen besonders ist in dieser
Richtung umständlich vorgesorgt; sehr wichtig wird überall die Frage nach guten Gasthöfen
behandelt, und es läßt sich erkennen, daß A. E. ein bitterer Feind der Häuser war, die auf
vornehmen, modernen Fuß eingerichtet sind, eifrig meidet er, was hôtel heißt, und weilt dagegen
gern, wo es noch in gutem patriarchalisch-gemüthlichem Style zugeht. Geräth er in ein Gasthaus
der ersteren Klasse, so kann man die Zwischenbemerkung finden: „Einen nase
Ehe ich an die Veröffentlichung gieng, habe ich mich nach ... begeben und das Ganze des Tagebuchs Frau Hedwig vorgelegt. Man kann sich denken, wie die Mittheilung der besonders inhaltschweren Abschnitte sie bewegte. Einverstanden war sie mit mir, daß ich mich nicht scheuen dürfe, auch diese Theile der Oeffentlichkeit zu übergeben. Sie sind zum Verständniß des Ganzen der Persönlichkeit nicht zu entbehren, und übrigens hat ja der Tod „eine reinigende Kraft“. Auch das Wildeste, ja das Grasse erscheint abgekühlt, erscheint wie unter einem dämpfenden Flor, wenn das Leben abgeschlossen, wenn es ein Vergangenes geworden ist.
Nur Weniges bleibt mir noch zu erzählen, ehe ich das Wort an die sprechenden Blätter abtrete.
Mein ganzer zweiter Tag jenes ersten Besuches in . . . war einer vorläufigen Durchsicht des offenen Theiles derselben gewidmet; Abends holte mich der Assessor ab, um mich unserer Verabredung gemäß in die Gasthofgesellschaft zu bringen, in welcher der Verstorbene ein paarmal jede Woche seine Abenderholung zu suchen pflegte.
„Spielen Sie Billard?“ fragte mich ganz außer Zusammenhang mein Begleiter, als wir uns mit einiger Schwierigkeit auf der stark belebten Hauptstraße vorwärts bewegten.
„Warum? Wird denn heut Abend dort — ?“
„Nein, nein, nur um zu wissen, ob Sie das Spiel kennen.“
„Wohl, ich habe früher nicht ungern gespielt.“
„Nun, dann wissen Sie, was man Dessin nennt, mit oder ohne Dessin spielen, — verzeihen Sie mein rasches Fragen, — ich wollte eigentlich vom Seligen reden —“
„Sollte der ein leidenschaftlicher Billardspieler — ?“
„Nichts weniger, konnte es wenigstens in Konversationszimmern nicht ausstehen — ‚verklappert uns das Wort im Munde — macht den besten Gedanken in's Eckloch' konnte er sagen; — ich bedurfte nur das Wort Dessin.“
„Wir können es mit Vordenken übersetzen.“
„Recht, also Vordenken. Sehen Sie, gieng man mit dem Seligen durch diese Straße, da hatte man seine liebe Noth. Er war so furchtbar heftig gegen unbequemes Indenweglaufen, er gieng auch sehr schnell —“
„Jawohl, und straff geradlinig, immer die kürzeste Linie beschreibend, es schien mir, er könne gar nicht schlendern, ich bemerkte, daß er, wo irgend möglich, bei Biegungen des Weges die Sehne des Bogens gieng —“
„Freilich! freilich! Und im Menschengedränge, da war es ja nicht möglich, so direkt und rasch
nach dem Ziel zu eilen. — Nun brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen, daß er das sehr wohl
begriff, so unvernünftig, so sinnlos ungeduldig war er ja nicht. Er nahm das Gedränge ganz in
Rechnung, faßte mit seinen scharfen Sinnen das Raumbild mit den darin sich bewegenden Menschen
blitzschnell auf und zog sich im Geist augenblicklich eine Linie, auf welcher er durch die
gegebenen Lücken wie ein Pfeil hindurchschießen wolle. Bei dieser Linearberechnung vergaß er
nur, daß der Zufall noch schneller ist, als unsere Strategie, und in solche Engpässe im Nu neue
Wanderer hineinzuschieben pflegt. Wenn nun das geschah, so wurde er — nicht sogleich, aber bei
lästiger Wiederholung — geradezu wüthend; er erklärte die Eindringlinge für
„Hübsch, daß Sie mir das erzählen,“ sagte ich, „ein Bild des Lebens —“
„Nicht wahr? Dieß Durchkreuztwerden im Gehen,
Und sein straffes Zielen im Gang ein rechtes Bild von jenen Menschen, die von einem besonders feinen und scharfen Gefühl des Zweckmäßigen heimgesucht sind —“
„Ja, zu vordenkende Naturen, die stets übler durchkommen als die glücklich Blinden, welche einfach zutappen, — Naturen, denen das Leben so schwer wird, weil ihr Gefühl des Zweckwidrigen ebenso zugeschärft sein muß wie ihr Gefühl des Zweckmäßigen —“
„Prometheus im Kleinen, nicht vom Geier, sondern von Spatzen zerhackt —“
Wir waren im Abendzirkel angekommen. Außer ein paar Herren, deren Namen und Stand ich vergessen, fand ich den Diakonus Zunger (Tetem), den Oberförster, zwei Aerzte, einen pensionirten Kameralverwalter. Ich wurde natürlich als ein Freund des Verstorbenen vorgestellt. „Eben recht,“ sagte der Oberförster, „wir sind gerade einmal wieder am Thema.“
Der eine der Aeskulape, — mit Namen Schraz — der Assessor sagte mir nachher, A. E. habe ihn früher zum Arzte gehabt, dann „wegen sehr dummer Art von Verständigkeit“ aufgegeben — dieser Doktor Schraz hatte behauptet, das verstorbene Mitglied sei ein Gesprächtyrann gewesen, habe nur sich wollen reden hören. Der Oberförster hatte ihm halb und halb beigestimmt.
„Das erlaube ich mir zu bekämpfen,“ sagte Zunger, „und es ist — verzeihen Sie, meine Herren,
— ungerecht von Ihnen, so zu urtheilen. Der Herr Vogt wurde mindestens ebenso ärgerlich, wenn
man Andere, als wenn man ihn unterbrach. Erinnern Sie, Herr
„Ja, ja, damals,“ sagte der andere Arzt, „wie Sie die Geschichte von Ihrer isabellfarbigen Diana erzählten mit der Wurst und —“
„Und wahr ist's erst noch,“ rief jetzt der Nimrod, der plötzlich das eigentliche Thema vergaß; er ließ sich gern anreizen, noch einmal zu erzählen, und nach einer begeisterten Charakterschilderung seiner Hündin, die ‚mindestens so gescheut sei wie ein Mensch‘, erfuhren wir denn, daß der Jägersmann dieses edle Thier einmal ertappte, wie es so ganz unter seine Würde herabsank, daß es in der Küche eine Bratwurst stahl. „Und dann?“ riefen die Zuhörer. „Und wahr ist's und bleibt wahr,“ betheuerte er, seinen langen, blonden Schnurrbart streichend, „ich nehme Gift darauf, die Diana, wie sie mich sieht, läßt die Wurst fallen und wird feuerroth im ganzen Gesicht —“
Ich lachte herzlich mit dem Chore, ein erröthendes Thier war auch mir neu, weit neuer, als die Behauptung dieses Münchhausen, seine Diana könne veritabel lachen.
Man kam auf A. E. zurück, seine Thierliebe, man erfreute sich der Eigenschaft, nur Doktor
Schraz fand sie „etwas kindlich“. Dann brachte ihn die Hundsgeschichte auf das Anekdotenwesen
und dieß gab dem wenig Wohlwollenden Anlaß, den Todten zu beschuldigen,
Jetzt fiel lebhaft der Assessor ein: „Haben Sie nie bemerkt, meine Herren, daß er in dieser Richtung immer nur dann loslegte, wenn sich Sondergespräche am Tisch aufthaten? wenn dann auch das zu laute Sprechen anfieng? Die Leute zu Einem Gespräch zusammenbringen mit jedem Mittel, — helfe, was helfen mag! — war das keine gesellige Tugend? Ist unsere Unterhaltung nicht harmonischer geflossen, so lang er uns so zusammenhielt?“
„Doch jedenfalls über die Maßen nervös hat er's getrieben,“ meinte der Oberförster; „das führt denn doch weit, wenn man gar keine Theilgespräche an einem Tisch dulden will, es hat doch so Mancher mit Dem und Jenem etwas Besonderes zu reden.“
„Nervös,“ sagte der andere Arzt (er hieß Volkart); „nun, wenn man will. Oft nennt man normale Nerven kranke, denn die der Mehrheit sind stumpf und so erscheint ihr das Richtige als pathologische Ausnahme. Bemerken Sie, wenn Abends in einer Familie die Lampe aufgestellt wird: die Kinder halten sich die Augen zu, die Flamme blendet sie. Das ist aber gesunder Sehnerv und abgestumpft ist der von uns Alten, der keine Blendung empfindet. Grellem Lichte kommt aber doch gewiß ein Gewirre von Gesprächen gleich.“
„Es war eben doch überhaupt eine besondere Art von Gehirn,“ bemerkte jetzt der Geistliche; „wir dürfen fast sagen: eine Annäherung an Wahnsinn —“
„Nun, nun,“ versetzte Doktor Volkart; „ja und nein, nein und ja, jedenfalls nimmermehr bis zu der Linie, wo es Gegenstand für Psychiatrie wird, — wer ergründet Gehirnleben!“
Jetzt fuhr Doktor Schraz auf: „Ich wiederhole, was ich oft gesagt: kein Narr war er, sondern — erlauben Sie mir das Wort männlich zu bilden: ein Kokett, denn Coquard sagt nicht ganz dasselbe. Gespiegelt hat er sich in seiner Seltsamkeit und gespielt mit uns und Allen.“
Das Wort entzündete Aufruhr, es entstand ein Durcheinander von lebhaften Reden und heftigen Gegenreden; der Widerspruch war fast allgemein, ich bemerkte, wie der Assessor lächelnd dem Tumulte zusah, und meinte auf seinem Gesichte zu lesen, was ich ungefähr auch dachte: daß nämlich der Doktor ein mikroskopisch kleines Körnchen Wahrheit, das dem Inkulpaten nicht im mindesten zur Unehre gereichte, zum groben Klumpen aufgeschwellt hatte. —
Dem Geistlichen gelang es, den wirren Streit zu beschwichtigen. Mit gehaltener Würde sprach er, nachdem die Ruhe hergestellt war: „Einen Vorwurf freilich können wir dem guten Manne nicht ersparen: all' diese Ungeduld beruhte schließlich doch einfach auf Unglauben an die Vorsehung, an einen persönlichen Gott.“
„Im Krieg schießt man mit Fleiß auf die Leute,“ sagte jetzt ruhig der Assessor.
„Wie? Was? Wie?“
„Ich meine es nur formal logisch,“ versetzte mild der junge Mann. „Wenn Jemand aus allerlei Gründen, zum Beispiel wegen der großen und allgemeinen Grausamkeit in der Natur, namentlich aber aus sehr scharfer Erkenntniß der unendlichen Durchkreuzungen in der Welt dahin gelangt, daß er dem Einen, das Allem zu Grunde liegt, die Persönlichkeit absprechen zu müssen glaubt, so kann man doch nicht sagen, das komme eben daher, daß er sie ihm abspreche.“
„Und an eine sittliche Weltordnung hat er doch geglaubt,“ fiel Doktor Volkart so rasch ein, als befürchtete er von den sprechbereiten Lippen des Kanzelredners einen längeren Vortrag.
„Ohne Gründer und Hüter!“ rief der eifrig Mann.
„Ohne Einen, aber mit vielen, sehr vielen!“ erwiderte für den Arzt der Assessor.
„Ja, das ist auch wahr, beim Moralischen war er streng fest, sagte ja auch so oft: das Moralische versteht sich immer von selbst,“ so unterstützte nun der ehrsame Oberförster.
Das Gespräch verstrickte sich wieder zu einem Wirrwarr, worin es stets auf's Neue sich um den
Punkt der einen Frage drehte, ob die Grillen des Verewigten nicht viel
Die Herren wurden nachdenklich und still. Mir schien das Citat nicht übel, nur zu wenig. Ich gestehe, daß es mich anwandelte, die Gesellschaft mit der Paradoxie zu erschrecken, der Selige habe mit seinen angeblichen Grillen überhaupt Recht gehabt. Ich that es nicht, ich dachte: für den Hausbrauch ist das Wort des behäbigen Herrn gerade ausreichend, und was den Gescheuteren, den Assessor, betrifft, der wird sein Theil schon von selbst hinzudenken. Das Gespräch verlief und warf sich dann auf andere Gegenstände.
Das sind die Brocken aus jener Abendunterhaltung, die ich mir vor Bettgehen aufzeichnete und die ich dem Leser nicht vorenthalten zu dürfen glaubte. Ich nahm des andern Tages mit dem Vorsatz, von Zeit zu Zeit wiederzukommen, gerührten Abschied von Frau Hedwig und vom Assessor und reiste mit meinem Papierpack nach Hause.
Es ist noch zu erzählen, daß ich vor ein paar Jahren im Herbst die Gotthardstraße und den
Schauplatz unserer Großthat wieder besucht habe. Den
Ich nahm herzlichen Abschied von den guten Leuten und machte mich auf den Weg, um in Wasen zu
übernachten. Unweit des Dorfes fuhr ein Wagen an mir vorüber, in welchem ich den würdigen alten
Herrn und die zwei Knaben zu erkennen glaubte, die ich einst in Bürglen an der Tafel getroffen
hatte. Es war an einer Steigung, der Wagen fuhr langsam. Ich bemerkte, wie die Knaben, nachdem
sie aufmerksam nach mir hergesehen, dem Alten etwas zuflüsterten. Er ließ halten und fragte
mich höflich, ob er nicht im Spätsommer 1865 das Vergnügen gehabt, mich in Bürglen an der Tafel
zu treffen; er sagte, er erinnere sich zwar nicht, daß ich damals an der Unterhaltung
theilgenommen hätte, wohl aber, daß ich Herrn Einhart halb fremd, halb wie ein Bekannter
gegrüßt. Er bot mir an, einzusteigen, ich schlug höflich ab; er mochte mir aber anmerken, daß
ich zwischen Unlust, zu fahren, und Drang, ihn zu sprechen, im Kampfe stand, und fuhr fort:
„Wir füttern in Wasen die Pferde, werden eine starke Stunde verweilen; könnten wir uns dort
sprechen?“ Ich bejahte gern. Wasen war bald erreicht. Herr Mac-Carmon, so hatte er sich mir
vorgestellt, kam mir entgegen; schnell war unser Gespräch im Fluß, und schmerzvoll theilte er
mir mit, er sei auf dem Rückwege nach Schottland von Italien; er habe sich schwer vom Grabe
seiner Tochter getrennt, der ihr Mann, ein schwedischer Arzt, sieben Jahre im Tode vorangegangen
Ich drückte ihm schmerzergriffen, schweigend die Hand. „Sprechen wir von Einhart,“ fuhr er
nach einer Pause fort; „Sie kannten ihn doch wohl näher?“ Ich erwähnte zuerst flüchtig, daß ich
nach rascher gegenseitiger Annäherung damals, in Bürglen, durch augenblickliche Verstimmung mit
ihm gespannt gewesen, erzählte in kurzen Zügen, daß unser Verkehr durch nachfolgendes neues
Zusammentreffen rasch wieder in Fluß gekommen sei, faßte alles Weitere im Abriß zusammen und
berichtete vom blutigen Ende, das der Unglückliche gefunden. Mac-Carmon sah tief erschüttert
eine Weile vor sich nieder und sagte dann: „Das also war die Ahnung Cordeliens? — Sie hat ihn
Ich nahm die nöthigste Erfrischung und trat dann einen Gang in die nächsten Feldwege mit ihm an, der uns nahe an der tosenden Reuß hinführte; ihr dumpfes Donnern in tiefgefressener Felsschlucht war die rechte Begleitung zu dem, was der Mann mir zu sagen hatte.
In einer Bewegung, die der Leser im Verfolg begreifen wird, nahm ich Abschied von Vater und
Enkeln, die in der Nacht noch Flüelen erreichen wollten. Die Knaben waren schlank
emporgewachsen, seit ich sie
Mit fliegendem Stifte und, ich gestehe es, mit zitternder Hand zeichnete ich mir in der Herberge auf, was ich vernommen, und beschloß, nicht, wie ich gewollt, in Wasen zu übernachten. Ich hätte nicht schlafen können, ich zog einen nächtlichen Marsch bis Amsteg vor, um durch Ermüdung Ruhe zu finden. Es war ein dunkler Gang, dunkel von innen wie von außen.
Freier und heller wurde es in mir, als am andern Vormittag der Vierwaldstättersee im Gürtel seiner stolzen Ufer groß, weit, den blauen Himmel spiegelnd vor meinen Augen sich aufthat. Das sonnige Bild schien mir zu sagen, daß im unendlichen All doch jeder Mislaut sich lösen muß, und ich durfte es mir bestätigen, indem ich bedachte, daß auch der umgetriebene Sohn der Erde, mit dem ich einst dort drüben auf der Axenstraße gewandelt, doch freien Geistes über den Rissen und Klüften in seiner Seele schwebte und daß ihm gegönnt war, mit einer letzten reinen Rührung im Gemüthe sein Einzelleben dem Weltall zurückzugeben.
Ich hatte zu Schiffe bis Luzern fahren wollen, zog aber, da ich das Dampfboot voll von Touristenvolk sah, die Stille und Einsamkeit eines Marsches auf der Axenstraße bis Brunnen vor und wanderte so meines Weges, in Erinnerung versunken. Ein Bote begegnete mir, ein Esel zog seinen kleinen Wagen. Ich erkannte den Mann jener Szene wieder, die vor Jahren hier vorgefallen; er war etwas gealtert, sah aber ganz behäbig aus. Ich sprach ihn an, wurde von ihm ebenfalls erkannt und nun erzählte er, der sonderbare und doch gute Herr sei im Frühling 1866 erschienen, um nachzusehen, ob er Wort gehalten; er habe ihm seinen Esel gezeigt, dann seien sie zusammen nach der Ortschaft N. gegangen, einen „Kollegen“ zu besuchen, der von ihm bewogen worden, ebenfalls seinen Zughund mit dem leistungsfähigen grauen Hufthier zu vertauschen, dann habe der Herr sie beide in's Gasthaus mitgenommen, bewirthet und ihn reicher beschenkt, als er versprochen hatte.
Also ein Amt! Kann wirken! Recht! Frisch dran! Viel zu ordnen! Will drein fahren! Sollen mich spüren!
Wie will ich fertig werden? Kann doch meine Bücher nicht ganz liegen lassen. Die Zeit zum
Lesen muß her und müßte ich sie an den Haaren herbeireißen. Vier ganze Wochen nicht dazu
gelangt, etwas zu lesen. Da entdeck' ich den Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung.
Schon zweite Auflage. Die Welt so schlecht als möglich, Produkt des ganz dummen Urwillens, das
Wesen der Dinge Nichts. Höchstes Ziel Nirwana. Voll von Widersprüchen, bestechend gut
geschrieben, geistreich. Hat doch Tiefe. Verwandt. Wie hab' ich als Student über dem Nichts
gebrütet! Oft Pistole schon geladen. Klage einmal dem ordentlichen Kerl, dem Theologen aus
Stolpe, ich zweifle eigentlich, ob Etwas sei. Der räth mir,
Wenn aber Nichts ist, ist doch Schlechtes so wenig, als Gutes.
Der Unsinn mit dem Nichts kommt nur daher, daß man zuerst verlangt, die Einheit aller Dinge
solle neben den Dingen auch Etwas sein, und dann sich darüber erzürnt, daß sie Nichts ist, wenn
man die Dinge, deren Einheit sie ist, von ihr wegdenkt. Es ist latenter Theismus. Davon kommt
Alles her. Man sieht große Uebel in der Welt, negirt einen persönlichen Gott, meint aber doch
Jemand verantwortlich machen zu müssen, und stürzt in die Narrheit, ihn heimlich zu glauben,
aber für einen schlechten Kerl zu halten. Fällt mir der Krämer in Brackniz ein, Dilettant im
Atheismus. Hatte ein Lädchen zu ebener Erde, zwei Stufen unter der Richthöhe der Straße. Wenn
der Bach anschwoll, lief ihm das Wasser herein, er mußte dann mit dem ganzen Kram in den ersten
Stock ziehen. Pflegte, wenn's lang regnete und das Uebel drohte, zum Himmel hinaufzusehen und
boshaft zu sagen: „nun ja, ich kann dir ja den Gefallen thun, wenn es durchaus sein soll!“
Einmal, als er hinauf
Um Gottes willen, mein kleiner Finger jückt, linkes Auge glüht, Nasenzipfel brennt — es kommt ein neuer!
Zum Trost einen Hund gekauft, junger zottiger Dachs; seltener Schlag. Heißt Igelmeyer. Neulich sagt des Oberrichters Sohn: „Gelt, Vater, ohne Hund wär's doch nix auf der Welt.“ Gut! Wahr!
Dieser Nihilismus und Pessimismus ist eigentlich Spätprodukt der Romantik, Erscheinung ihres
Zersetzungsprozesses, Schopenhauer ist Heine in der Philosophie. Mit Abzug natürlich; der
Philosoph ernster, trauriger. Herkunft der Romantik vom Idealismus. Der verlangte von der Welt
mehr, als sie sein kann, forderte überspannt. Nun Weltschmerz, Zerrissenheit. Dann Blasirtheit.
Diese nimmt jetzt philosophische Form an: es ist Alles nichts. Doch Vieles wahr, viel Recht
gegen erbauliche Illusionen. Hauptfehler: Sie erkennen ganz, wie schlecht es neben so viel
Die Natur hat sich schwer und wild abgemüht, bis sie die jetzigen Typen (Gattungen und Arten)
festgestellt hat, an ihrer Spitze den Menschen. Vielleicht kommt noch Einer auf den Gedanken,
wahrscheinlich zu machen, daß sie nicht nur formell aussehen, als wäre eine Form aus der andern
entwickelt (wie die vergleichende Anatomie bei der Thierwelt zeigt), sondern daß es wirklich
real so zugegangen, also auch der Mensch vorher Thier gewesen ist. Nun hat dann der Mensch
wieder von vorn angefangen, er ist zuerst jedenfalls nicht viel besser gewesen als ein Thier.
Wüthend, viehisch muß Mensch mit Mensch gerauft haben um Wohnsitz, Speise, Weib, Macht. Ein
Kampf, dem analog, durch den einst die Typen, die genera und species geworden sein müssen.
Durch eine Reihe furchtbarer Erfahrungen, in unermeßlicher Zeitdauer muß dieser Kampf dahin
geführt haben, daß allmälig rechtliche, sittliche, politische Ordnungen sich herausarbeiteten
und gründeten, z. B. bis man einsah, daß
Noch so jung, ein Eichbaum in Kraft, und diese Schmarotzerpflanze an ihn angesogen, die ihn umschlingt, umgarnt und schmachvoll, langsam tödten wird!
Igelmeyer schon sehr anhänglich. Begrüßt mich sehr, wenn ich vom Amt komme, geräth dann öfters in einen bacchischen Wahnsinn vor Freude, umkreist mich in rasendem Laufe, springt auf Tische, Schränke in tollen Sätzen. In einer italienischen Reisebeschreibung habe ich auch so etwas Dionysisches gelesen. Der Verfasser reist mit einem deutschen Grafen, einem bildschönen jungen Manne, kommt nach Ischia, eine Alte sieht den Jüngling, geräth in Rausch des Entzückens, holt ihr Tamburin und umtanzt ihn trommelnd und singend: quanto è bello! quanto è bello! Er war ihr ein Gott. — So der wieder erscheinende Herr dem Hund. Ja, Thiere und Völker, die noch halbe Heiden sind, die wissen's anders, als wir vernunftlederne Aufklärungschriften.
Komisch sind gar nicht bloß die starken Irrungen der Thiere, wie gestern, da man den
Igelmeyer in der Küche allein fand, vor dem Speiseschrank aufwartend. Ein Thier ist überhaupt
den ganzen Tag
Die Thiere sind ungeheuer neugierig wie leere Menschen. Lieber Gott, was sollen sie auch thun, womit ihren Tag ausfüllen! — Für die Menschen gilt: je weniger Wißbegierde, desto mehr Neugierde.
Heute etwas freier. Frühstück geschmeckt. Fällt mir da am Tisch der Pessimismus und
Nihilismus wieder ein. Habe da einen runden Tisch, trägt mir loyal meine Kanne, Tasse, Krug,
Zeitungen, Schüsseln, Teller. Denke manchmal, er könnte auch viereckig sein, aber er ist eben
rund und mir doch so gerade recht, bin zufrieden. Kommt da ein Kerl her und sagt: „Du bist ein
elender Optimist, du sollst den ganzen Tag daran denken, daß der Tisch nicht zugleich viereckig
ist, daß er da aufhört, wo er aufhört, sollst in das Nichtsein des Vierecks in seinem Rund dich
vertiefen, verbohren, verbeißen, sollst ferner täglich und
Es ist derselbe Prometheus, der den Menschen das Feuer, die Technik, das Selbstbewußtsein, das Denken, die Vernunft, und der ihnen die Illusion gebracht hat: er gab ihnen die Freude am Augenblick und das Glück der blinden Hoffnung — derselbe. So nimmt es wenigstens Aeschylos. Also Prometheus, der Vordenkende! Er, der uns das Vordenken gebracht, er hat es auch durch die Phantasie begrenzt, begrenzt aus Vordenken darüber, was sonst folgen würde. Die Illusion ist also ein philosophisches Gut.
Man wird sehen, es taucht gewiß noch Einer auf, der aus Schopenhauer's blindem Urwillen und
der Vorstellung, indem er sie kopulirt, vollends eine ganze niedliche Mythologie herausspinnt!
Und ich
Gestern den rückfälligen störrischen Lumpen Peter krumm geschlossen, er verdiente Feßlung, doch nicht so hart. Bin ungerecht gewesen, hab's in der Katarrhwuth gethan. Da sieht man, wohin es Einen bringt. Dennoch werde ich kein Pessimist. Oberer Stock bleibt.
Welche rasselose Weiber sind doch hier! Schlechter Hals und Nacken, Schultern und Brustkorb abgenagte Gansgerippe u. s. f. Was geht's mich an! Das Weib ist nicht für mich, bin schon mit Fräulein Schnuppe verlobt.
Höchstens ein Frauenbild im großen Styl könnte mich aus dem Gleichgewicht bringen —
wahrscheinlich zu meinem Unglück. Ich habe auf der Insel Föhr friesische Landmädchen gesehen,
groß, aufrecht, in Bewegung und Benehmen vom Naturadel alter Völker. Die altdeutschen Weiber
müssen noch stolze Erscheinungen gewesen sein! Fern in Skandinavien muß es noch mehr
dergleichen geben. Auf einigen griechischen Inseln soll noch altgriechischer Schlag sein, gewiß
auch alt
Dort, auf jenen Inseln der Nordsee, hat sich die schöne Rasse erhalten trotz der Durchsäuerung, welche die menschliche Natur durch die finstern Zeiten des Protestantismus erfahren hat; merkwürdig, denn sonst ist die Scheidung so scharf, daß man nur durch einen Fluß getrennt verkümmertes Menschenbild in traurigem Schwarz auf dem protestantischen, stylvolle Weiber in erhaltener schöner alter, farbiger Tracht auf dem katholischen Ufer sehen kann. Mehr Heidenthum in der katholischen Welt, also auch noch mehr Natur, — auch Augen mit Naturglanz, frische Waldkirschen. Doch dafür auch leidenschaftlicher, leicht wild in Liebe und Zorn; schon die Griechen klagen über die verrückte Leidenschaftlichkeit ihrer Weiber. — Edler Schlag und protestantisch tiefe Bildung vereinigt: das wäre schön. — Auf alle Fälle thut Vorsicht gut.
Man muß eben immer und überall dafür sorgen, daß man sich selbst behält. „Sich selbst haben ist der größte Reichthum“, altes Wort von Christoph Lehmann, † 1630. (Florilegium poeticum.)
Lessing's „Nathan“, Goethe's „Iphigenie“ und Schiller's „Don Carlos“ sind die drei priesterlichen, hochreligiösen Dichtungen des Aufklärungszeitalters in der reinsten, geläutertsten Form seiner Ideen. Dramen der Humanität, der Menschenliebe.
Alle drei symbolische Gedankenprodukte, das Geschichtliche nur Maske: Orient im Mittelalter, vorgeschichtliches Griechenland, Spanien zur Reformationszeit; überall die Handlung unwahrscheinlich. In allen drei der Gedanke zur tiefen Gefühlsmacht geworden, daher trotz der Symbolik alle drei poetisch, tiefwirkend, am stärksten das dritte, weil das Gefühl Feuer, Leidenschaft. Zweien davon fehlt, echt deutsch, das dramatische Leben, am meisten der „Iphigenie“, die darin sehr schwach ist; das dritte voll Spannung und Handlung, dagegen in der Komposition gequält, auch zu rednerisch.
Die Menschenliebe ist im „Nathan“ religiöse Toleranz zwischen Nationen, Religionen, in „Iphigenie“ sittigende, sühnende, fluchlösende Kraft, ausgehend von der Familienliebe (Schwesterliebe), im „Don Carlos“ politisch, völkerbefreiend, Staat auf Menschenwürde gründend, mächtig in's Allgemeine wirkend.
Träger: im „Nathan“ ein Greis, im „Don Carlos“ ein jugendlicher Mann, in der „Iphigenie“, echt Goethisch, ein Weib, reine Jungfrau.
In allen dreien ruht das Werk der Liebe auf Resignation, Frucht schweren innern Kampfes.
In den zwei ersten ist es still wie in einer Kirche (aber ohne Pfarrer), im „Don Carlos“ laut, doch die Luft im Mittelpunkt religiös gestimmt auch hier. (W. Tell reifes Kunstwerk, doch nicht so tief.)
Welches Menschenvolk, das, diese Vernunftwerke an der Spitze seiner Dichtung und Bildung, heute noch nicht weiß, was Religion ist! Sie noch in den Glaubenssätzen sucht! Oder mit ihnen wegwirft!
Goethe hatte zum Drama zu wenig Galle. Schiller hatte mehr von diesem Desiderat. Shakespeare das rechte Quantum, und doch gerade bei ihm bleibt die Galle nirgends als bloßer Stoff liegen (außer im Timon von Athen). — Ungeläuterter Stoff findet sich bei ihm auf anderen Punkten.
Goethe hat in die Schlechtigkeit der Menschen schon in früher Jugend zum Erschrecken hell
hindurchgesehen. Er sagt irgendwo, es sei ein Wunder, daß ihm das Leben nicht langweilig werde,
da ihm die Erfahrung hierin gar nichts Neues bringe. Seine hohe Natur hat ihm darüber
emporgeholfen, er hat sich an die Guten gehalten und von da aus — von der „engen Himmelszelle“
— die Welt angeschaut. Wobei ihm sein leichtes Frankenblut viel geholfen hat. Nun hat
Goethe war in diesem Sinn zu früh objektiv. Der Dichter soll freilich auch das Schlechte, Dumpfe, Böse ganz objektiv geben, dennoch soll man ihm anspüren, daß er es haßt, daß ein Grimm dagegen in ihm kocht.
Gestern ein Gespräch mit einem Dichter von großem Talent. Der glaubt an Fernsehen,
Fernwirken, Geister. Erzählt mir als ganz beglaubigt eine Geschichte von einem adeligen Schloß,
wo irgend eine Ahnfrau, deren Bild im Saale hängt, alle Abend zum Essen erscheint und hinsitzt.
„Das ist ein langweiliger und impertinenter Geist,“ sage ich; „der Geist Banquo's, der weiß,
warum er kommt; ein Geist darf erscheinen, wenn ihn ein Dichter brauchen kann; Punktum.“ — Es
that mir besonders leid, weil es ein Poet ist. Die Poesie läßt nicht nur in Erfindung von
Handlungen, Begebenheiten, sondern in jedem gefühlten und stimmungsvollen Einzelbilde die
Kräfte der Seele und der
Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorlesung über die Beweise vom Dasein Gottes halte, und sagt
zu Eckermann, „dergleichen sei nicht mehr an der Zeit.“ Das
Allerdings mit Unterschied. Die Welt ist das Dasein Gottes nicht in ruhiger Weise, sondern so, daß Gott sein Dasein darin stets verbessert, stets auf’s Neue eine geringere Form desselben durch eine bessere beschämt. Gott ist eigentlich eben diese wunderbare und heilige Unruhe.
Gott ist das Beste in Allem.
Seit ich nichts mehr glaube, bin ich erst religiös geworden.
Neulich sagt Einer, das sei doch abscheulich, daß Gott den Juden geboten habe, ganze Städte
zu ver
Eine der liebenswürdigsten Etappen auf Gottes Weltgang vom Guten zum Bessern ist die Schöpfung des Hundes.
O weh, jetzt hab' ich mich selbst strafen müssen, weil der Igelmeyer polizeiwidrig gehandelt hat! Wagen angebellt, Pferde scheu gemacht. Hab' ihn fortgeben müssen, den guten; froh, daß gut untergebracht. Sie haben erst so sehr Recht, die Köter, aber man darf es ja nicht sagen! Alles schnelle Fahren in Städten ist eigentlich Unfug, Unverschämtheit gegen die Fußgänger, Beschämung, Beleidigung. Wäre ich mächtiger Tyrann, in meiner Stadt dürfte nicht im Trab gefahren und geritten werden. Der Hund ist Polizeimann, höchst polizeilich gesinnt, er erkennt einfach richtig den Unfug, nur natürlich das zu begreifen, daß man ihn nicht verbieten kann, ist ihm zu verwickelt. Er handelt in der tiefsten Ueberzeugung, recht zu thun, der öffentlichen Ordnung zu dienen. Er schläft nach solcher That den Schlummer des Gerechten. O, wie rührend ist so ein gutes, ehrliches Hundsgesicht im Schlaf!
Das Bellen kann sehr störend sein, wohl! aber viel öfter muß es erfreuen. Es ist so etwas Resolutes darin. Ein Schuß. Wie oft, wenn ich in Zweifeln hieng und zappelte, in Brüten klebte, hat es mir wohlgethan, mich erfrischt, gelabt, wenn ich den entschlossenen, unzögernden, frischweg vorbrechenden Laut vernahm! Es ist auch der Stolz des Hundes. Ich bin überzeugt, eine Hundsmutter, wenn sie ihren Sohn zum ersten Mal bellen hört, fühlt dasselbe, was eine menschliche Mutter, wenn sie ihrem Sohn, welcher Theologie studirt und welcher die erste Predigt thut, mit Mann, Vetter und Base hineingeht.
Da erfahre ich, daß Einer, sonst ein ordentlicher Herr, mir einen Polizeidiener besticht, und
zwar erst noch ganz unnöthig, da der Mann doch ganz diensteifrig ist und von selbst bereit war,
auf begründete Klage über störenden Lärm gegen den Nachbar einzuschreiten. Ich habe die
zulässig schärfste Strafe gegen Bestechungsversuch in Anwendung gebracht. — So sind die
Menschen! Der A besticht, der B noch flotter, der C überbietet Beide, die Menschen in Dienst
und Amt werden verderbt und thun endlich ihre Pflicht nicht mehr, wenn ein Armer, der nicht
bestechen kann, oder ein Redlicher, der es nicht will, ihrer Dienste bedarf.
Ach Gott, wenn ich doch meinen Katarrh hinausbellen könnte! Doch wieder den ganzen Tag gearbeitet. Mit welchem Hinderniß, weiß Niemand. Das Hirn verwüstet, blöd, ein Halbsimpel, möchte nur schlafen, und muß mich stellen, als wachte ich. Und ein Wetter! Ja, Deutschland! Ist — das Land, wo man neun Monate Katarrh und drei ein Tröpfchen an der Nase hat. — Bruststechen. Doktor fängt an, mich bedenklich anzusehen. Spricht von Urlaub. Was? In meinen Jahren, mit meiner Kraft? — Bringe doch etwas vorwärts. Schon Manches aufgeräumt im Bezirk. Unordnung im Abnehmen. Straßen reinlicher. Spitalverhältnisse geordnet. Gefängnißbau. Strammes Landjägerkorps. — Einfluß auf die Wahlen, den die Regierung mir zumuthete, abgelehnt.
Wenn ich im Amt etwas zu Stande gebracht habe, vergrabe ich mich doppelt gern in meine Bücher. Der gelungene Kampf führt mich hoch in den reinen Aether. Da ist mir dann Spinoza so friedenbringend! Calmo di mare!
Ich philosophire gern, bin aber kein Philosoph. Meine Gedanken gehen zu schnell.
Einen Schandschuft von Weinfälscher erwischt. Seinen ganzen Keller voll herausgerissen, in die Gosse auslaufen lassen! Hätten wir ein strengeres Strafgesetz! Einst stand auf gesundheitsschädliche Fälschung Todesstrafe! O, wie Aepfel im Herbst sollten mir die Schurkenköpfe fallen!
Habe dem Halunken gesagt, er habe keine Religion, und er hat mich angegrinst und erwidert, er habe mich noch in keiner Kirche gesehen. „Man fälscht die Religion, wie Sie den Wein“, habe ich gesagt.
Gott ist die Religion.
Die reine Religion begründet reine Ethik, nicht von außen befohlen.
Also ist Gott das Gute.
Wo das Menschliche waltet gegen das Rohe, Wilde, Böse, besonders gegen das Grausame, gegen das Schlechte, da ist Gott.
Insbesondere aber auch, wo geforscht wird.
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ man kann hinzufügen: „und klar im Geist, ein Denker
und ein Künstler!“ Damit dieß sein könne, muß es eine Welt geben, dem zu lieb ist sie da. Aber
warum gar so viel des Uebrigen? Es ist nicht anders: Gott hat einen Untergrund. Jakob Böhme,
Schelling, Schopenhauer haben soweit Recht (dunkler Grund, purer Wille und wie sie es nennen).
Er mußte sich — muß sich — einen undurchsichtigen Unterbau schaffen, um als Geist aus ihm
aufzusteigen, und geräth darüber so in's Zeug, daß er oft ganz vergißt, es handle sich erst um
einen Unterbau; daher zum Beispiel alle wild teuflische Grausamkeit in der Natur und im
Menschengeschlecht, so weit es bloß Natur. Wo in aller Welt mag währenddessen das wahre Wesen
Gottes stecken? Das Grundthätige im Universum weiß zum Beispiel um die Zeit, wo es dem
Gattungstrieb seine furchtbare Stärke gibt, nichts davon, daß die Menschen ein Reich der Sitte
gründen müssen, wozu unter Anderem
Dieß ist die blinde Wildheit in der Natur, sie ist der schwerste Stein im Wege des Forschens
nach dem Geheimniß der Gottheit. Man ziehe nicht das eigentlich Böse, die Empörungen des
Willens gegen die sittliche Welt herbei! Da liegt die Sache ungleich klarer. Es wäre kein
Gutes, wenn kein Böses wäre. Aus dieser Nothwendigkeit des Bösen als Reiz, Ferment und als
Objekt des Guten folgt nicht im mindesten, daß der Adler den Hasen, die Katze die Maus
stundenlang teuflisch quälen muß, statt die Beute kurzweg zu treffen. Es ist etwas Dämonisches
in der Natur — es ist nicht anders, das eben ist „der dunkle Grund“, das traurige Geheimniß im
Unterbau. Wem dieß Wort sonderbar vorkommt, der möge nur bedenken, wie räthselhaft das ist: aus
dem Schooß der Natur kommt ein Wesen, das die Natur (nicht ganz, aber doch in Vielem)
überwindet. Da nun die Welt keine eigene Substanz neben und außer Gott haben kann, so folgt: es
ist eine Selbstsetzung und eine Negation und Verbesserung dieser Setzung im absoluten Wesen.
Der Mythus von der Auferstehung Christi, wenn er einen
In diesem Dunkel gibt es keine Beruhigung, als diese: wo Liebe ist, wo Mitleid ist, dann, wo Klarheit ist, da jedenfalls ist Gott. Da ist denn auch allein wirkliche Lust, und weil alles Gute erarbeitet sein will, also wahre Lust nur in der Arbeit.
Es ist einer der Grundfehler des Pessimismus, daß er eudämonistisch von der unmittelbaren
Lust ausgeht, von da aus operirt. Sagt man zum Beispiel: Niemand arbeitet, wenn er nicht muß,
so gilt dieß richtig vom Menschen, so lang er noch im Untergrund, im untern Stockwerk steckt.
Die zweite Ord
Wenn die Menschen nur nicht immer auseinandersägen, nur nicht in ihrem Denken immer Alles
trennen würden, was zusammengehört! So meinen sie, sie hätten die Schlechtigkeit der Welt
bewiesen, wenn sie aufgezeigt haben, daß Illusion Illusion ist! Daß es ein Wesen gibt, Mensch
genannt, dessen Phantasieblick die Natur beseelt, Alles in schönere Farbe, reineres Licht
taucht, in der guten Stunde über das Elend der Welt hinwegsieht, das gehört ja auch zur
Einrichtung der Welt, ohne diese edlen Täuschungen ist ja die Stimmung nicht denkbar, aus der
auch das Gute fließt. Im Guten wird freilich ein Theil der Täuschung abgeworfen, da muß dem
Elend der Welt hell in's Gesicht gesehen werden, bleiben aber muß die Hoffnung, die zwar mehr
vortäuscht, als erreicht wird, aber darum nicht ganz Täuschung ist, sondern zur größeren Hälfte
Wort hält, indem sie selbst Ursache
Das Bäschen auf einen Ball begleiten müssen. Schrecklich! — Und tanzen thun sie, als sähe man Hühner im Dünger scharren. — Seit ich dazumal in Amtspflegers Töchterlein verliebt war, mit ihr Nachts nach den Sternen sah und darauf ein Gedicht machte, — ich erinnere mich gut: in horazischem Odenmaß, und der Schluß hieß:
Und ich schwankte sehr, ob es nicht besser wäre, zu setzen:
Ich muß recht Philosophie treiben, das wappnet am besten gegen dieß und das, gegen mich, gegen
Auf dem Ball dann weg aus dem Saal in die Wirthsräume. Im Nebenzimmer die Gespräche gehört, die an den Tischen in der Volksstube los waren. Zwischen den Bürgern unzufriedene Arbeiter, unter den Bürgern selbst unruhige Köpfe. Die politische Luft wird schwül. Es flirrt elektrisch. In Frankreich wackelt Luis Philipp's großer Regenschirm, bekommt Risse. Wäre gut genug für die Franzosen, aber zu unritterlich und doch auch gemein, krämerhaft.
Es wird eine große Freiheitsbewegung kommen. Geschrei nach Republik. Eigentlich wäre auch mein Geschmack Republik, aber eine recht strenge, und die gibt's nicht mehr. Sie werden nach Republik brüllen und Gesetzlosigkeit darunter verstehen. Alles begreiflich, weil Gesetz und Ordnung jetzt fast überall in unreinen Händen ist.
O Elend! Es ist freilich wahr: „Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein.“ Unrecht, ungerechter
Wer das Geheimniß finden könnte, die Strenge, die Zucht, die der Mensch bedarf, nur in reine Hände zu legen!
Arme, rathlose Menschheit!
Man wird es sehen, wenn's losgeht, wenn dann gegen wildes Unmaß die Gewalt wieder an's Brett
kommt, dann wird sie mit der Spreu das Korn ausfegen. Eine anständige Minderheit in der
Bewegung, die da bevorsteht, wird gegen die schlechteste aller Republiken, die Fürstenrepublik:
deutscher Bund, diesen polnischen Reichstag Deutschlands, kämpfen. Die siegreiche Gewalt wird
sie noch rachsüchtiger verfolgen, als die Schreier nach falscher Volksfreiheit. Die Verfolgung
der Einheitsbestrebungen ist der schnödeste, schmutzigste Schmachfleck in der Geschichte
unserer Nation. Wer nicht wollte, daß der Deutsche im Ausland wie ein Hund verachtet sei, dem
war Kerker, dem war Vertrauern der besten Jugend in feuchtem Mauerloch gewiß. Der
übelriechendste Proletarier, der nach zuchtloser Freiheit schreit, ist so gemein nicht, als
jene Ge
Ach, vielleicht seh' ich zu schwarz! Geb's der Himmel! Lasse mich, du besserer Stern meines Lebens, mitstreiten, wenn es losgeht, mitstreiten für das Goldkorn im wilden Schutte, den die Bewegung aufwirbeln wird!
Und doch, wie nobel ist selbst die verrückteste politische Leidenschaft gegen die Gelbsucht der Geldsucht! Gestern ein paar solche Gesichter in der Gesellschaft. Zum Erbrechen. Ein grausig Mördergesicht ist flott dagegen. — Und um was drehen sich die Unterhaltungen dieses Geschlechts! Nicht daß sie vom Kleinen reden, ist das Niedrige, sondern daß sie vom Kleinen nicht zum Bedeutenden aufsteigen, vielmehr umgekehrt jedes Bedeutende in's Kleine zerren. Spricht man etwas, das Inhalt hat, so übersetzen sie es gütig nachhelfend erst in's Platte, dann verstehen sie es. — Ihr liebstes Element aber ist der Klatsch.
Es hilft nichts, mit aller Mühe kann ich das Gemeine nicht begreifen. Ich bin doch gar kein
Idealist, glaube mir auch das Zeugniß geben zu dürfen, daß ich läßlich bin, eingänglich, ein
herzlicher Feind der
Die besseren Menschen sind Gebirgsleute, sie kommen vom Gebirge her, sind gesunde Gebirgsbauern, das Thal mit seiner dumpfen Luft drückt auf ihre Lunge.
Das Gemeine ist künstlich, weil der Mensch als solcher von Adel ist.
Die Menschheit hat sich um dieß Bewußtsein gebracht, indem sie den Adel als besondern Stand geschaffen hat. Diesem hat sie aufgetragen, für sie edel zu sein, zu vikariren. Eine der schädlichsten, menschheitentwürdigendsten Mythenbildungen, die es gibt, und doch so begreiflich wie jeder andere Mythus, und ebenso unvertilgbar.
Große Freiheitsbewegungen der Völker haben einen ganz andern Charakter, als Einheitsbewegungen. Jene beginnen mit einer seligen Trunkenheit, diese sind, sollen sie irgend etwas taugen, auf die prosaische Frage der zweckmäßigsten Form der Einheit gerichtet. Freiheit ist heilig, Einheit ist nothwendig. Wer die erste Begeisterung der ersten französischen Revolution erlebt hat, ist zu beneiden. Aber die Freiheitsbewegung macht trunken, der Rausch wird in den Mehrheiten ein wüster und die Schönheit der Bewegung verläuft in Schmutz, Schlamm, Blut. Die wahre Freiheit ist die Ordnung. Fällt Freiheits- und Einheitsbewegung in Eine Zeit, so reißt leicht die erste die zweite mit sich in den Untergang.
Gelingt es unserer Nation noch, die Einheit zu erringen, so ist sehr zu wünschen, daß bei der Verfassung, die dann zu berathen ist, die Stimmung, die jetzt anwächst, so wenig als möglich nachwirke. Die Folge wäre namentlich eine zu milde Strafgesetzgebung. Milde gegen das Verbrechen und besonders Milde in der Subsumtion verschiedener Schlechtigkeiten (wie Fälschung, Beschwindlung und dergleichen) unter den Begriff des Verbrechens würde dahin führen, daß die deutsche Nation verlumpt.
Rekrutirungsgeschäfte. Tabellenarbeit sehr langweilig. Bei der Musterung und Messung anwesend. Mich doch erfrischt; der Schlag geht an; Rasse noch ziemlich. Einige stattliche Bursche, groß und breit. Wenn ich das erleben dürfte, daß die Lümmel auf den Reichsfeind, auf die Franzosen klopfen dürften! Und mit ganz Deutschland! — Armer Traum! Gegenwärtig große Verhandlung im Bundestag um gleiches Kaliber für die Muskete. Unser Zwergstaat gibt nicht nach; ist ja Selbstherr, natürlich! Und Kopfbedeckung! Jeder will einen anderen Kübel. Könnt' ich ihnen drauf hauen, daß die Reife und Dauben flögen!
Wenn nur meine Gesundheit hält! Ich bin doch eigentlich nicht „veiclich getân“, wie Hagen von Chriemhildens Knaben Ortlieb sagt. Was will der Doktor immer? Ich laß mir nicht Angst machen. Spricht wieder und dringender von einem Urlaub! Soll ich jetzt, jetzt schon von der Arbeit weg?
Halt! ich folg' ihm. Ein Stück helleres Leben im Weiten, Freien, Großen kann gut thun. Kann mich konserviren, erfrischen für die Zeit, die da kommt.
Norwegen. Christiania. Schlimmes kann doch auch Gutes tragen, zum Beispiel Sorge vor Emphysem ein freies Jahr. Möchte schon lang Italien sehen, aber auch Norwegen. Gut, gut, Herr Doktor, Sie wollen mich nach Italien, aber da ist Juli und August zu heiß, dagegen in Norwegen die Zeit der hellen Nächte, also zuerst Norden, dann Süden! Durchgesetzt und — einmal ein Glück — ein Stellvertreter geschickt zur Hand, Urlaub herausgeschlagen, fort, fort!
Wie freier schon die Brust, seit ich das Meer wieder gesehen! Eigentlich zum ersten Mal; denn damals auf Sylt und Föhr habe ich es noch nicht so recht verstanden, brachte noch nicht Ernst genug. Zuerst groß, unendlich in Stille. Dann mäßig bewegt, also Alles sehen dürfen: die Großheit der Horizontale, Helldunkel, Farbe, Durchsichtigkeit, Spiel der Reflexe und der herrlichen, schwanenhalsigen Bogenlinien! Die Seele jauchzte mir. O, da gibt es viel Gott!
Jetzt bald in die Berge! Hinein zu den Asen, den alten Göttern! Brause mir entgegen, Odin,
Lebensathem! Zerschmettre, Thor, mit dem Donnerhammer meine bösen Geister! Baldur, du Guter, du
Schöner, laß meine Seele nicht zu stolz und wild werden, wenn sie unter den alten Riesen wandelt,
Was erlebt!
Von Christiania nach Kongsberg, dann westlich hinein, die Bekanntschaft der Schneegebirge
machen, Melfjeld, Liefjeld, Bleefjeld, Riesenhaupt Gousta; den Tindsee, dann den Rjukanfoß
sehen! — Pferd genommen vom Hofe Vig, guter Rappe; trägt mich lustig an's Ziel. Ein Kahn mit
drei Personen am Ufer des Tindsees, im Begriff abzustoßen; man bemerkt, daß ich mich nach
Fahrgelegenheit umsehe, und läd't mich ein. Ich lehne nicht ab. Führer nimmt das Pferd zurück.
Ein älterer Herr, ein junger Mann, eine Dame. Stelle mich vor, wer ich sei, der Herr sich und
die Andern. Gebe kaum Achtung, höre nur, daß der Aeltere Dyring heißt und daß sie in Bergen zu
Hause sind. Denn welch' ein Weib! Haare, wie ich sie nie gesehen. Nein metallischer, hochgelber
Goldglanz, sonderbar, herrlich und unheimlich. Fallen geringelt an der Stirn, den Schläfen
herab, darüber rothes Tuch um den Kopf; hat auf dem Bergausflug dieß Stück Volkstracht
angelegt; Kopftuch sonst blau, würde ihr besser stehen;
Vorderer Arm des Sees in furchtbarer Felsschlucht; die Gipfel scheinen sich oben
zusammenzuneigen. Dunkel, unterweltlich, dann eine so schmale Spalte, daß eben nur Raum für die
Ruder bleibt, dann in's Offene, Breite, rechts leuchten die fernen Schneekuppen des Bleefjelds
herein, links stürzt der Gigantenleib des Gousta herab. Alles Ufer steile, nackte Felswand.
„Rudre du, Goldrun,“ sagt Herr Dyring, „zeig' jetzt, was du kannst.“ Sie legt den Ueberwurf ab,
einer der Schiffer gibt ihr sein Ruder. Welche Gestalt entwickelt sich, welche Kraft und
Gewandtheit in der Bewegung und wie mächtig schön treten diese großen Formen, tritt diese
energische Schwellung der Hüfte heraus, wenn sie, das eine Bein kräftig vorgesetzt, das Ruder
zuckt, eintaucht und drehend nachdrückt! — Wolken, Wind. Schaumbüsche fahren auf an den
unnahbaren, unerbittlichen Schroffen der Ufer. „Und nicht wahr, jetzt singen Sie uns etwas?“
sagt Arnhelm, der junge Mann. Sie schaut zurück, sieht mit leuchtendem Blick bejahend den
Jüngling an, ein zweiter
Sie ruhte einen Augenblick. Die letzten Töne hallten lang nach an den Felswänden. Weithin
hörte man das Rauschen der schäumenden Brandungen. Mitten aus ihnen schien mir jetzt die
verhallende Menschenstimme entgegenzukommen, ein Geisterlaut. Mir schwindelte in tiefster
Seele. Sie schaute zurück und ihr
In diesem Augenblick fuhr ein Fisch von seltener Größe, wohl acht Schuh lang, aus dem Wasser hervor, glotzte sie einen Moment lang an und tauchte wieder unter, sie schlug ihm mit dem Ruder nach und rief: „Das ist ein Wels! Hat dich die Gewitterschwüle heraufgelockt, alter Seeräuber?“
„Auch ein Verehrer,“ sagte Dyring.
Die paar Wörtchen wollten mir unheimlich vorkommen. Ich hatte keine Zeit, zu grübeln.
Sie sang zu Ende:
Wer könnte die Töne dieses Gesangs beschreiben! Schweres Dunkel, sich verdichtend,
anschwellend, war ihre Grundstimmung. Bei den Lockworten der Nixe giengen sie in eine
schmelzende Süßigkeit über, wurden heißer und heißer, man meinte den wollüstigen Jubel zu
hören, der nach den gezogenen Klagelauten aus den Wirbeln der Nachtigallstimme auflodert. Sie
sanken in ein tiefes Weh gegen das Ende, aber wirklich am Ende, beim letzten Verse stieg wie
ein Geist aus den gesungenen Thränen des Mitleids ein Etwas hervor und mischte sich unsagbar
mit ihnen, — ein
„Jetzt aber rasch an's Land!“ rief Dyring, „es wird bedenklich; und sitze jetzt zu uns!“ Sie gab das Ruder ab, die zwei Bootsmänner strebten mit Macht vorwärts, hinaus aus dem Felsengefängniß, Sanden zu. Goldrun setzt sich aber nicht, sie schaukelt den ohnedieß taumelnden Kahn, trunken von Lust schnalzt sie mit den Fingern, als schlüge sie Castagnetten, und jauchzt in den brausenden Wind hinaus: Evoë! Evoë! Ἰάϰχε, Ἰάϰχε! Wie blitzen ihre großen Augen! Noch muthwilliger als vorhin, halbwild trifft mich ihr Strahl! — Angst wegen des Sturms kann sie mir nicht ansehen. Darum kann sie mich nicht auslachen.
Ein entzückend Weib.
Aber warum fuhr mitten im Entzücken ein paar
Westfjorddalen. Herrliches grünes Thal, Kornfelder, sammetne Matten, Saft und Pracht der
Bäume, ein Tempe, von Bergen umschlossen, und majestätisch im Silberglanz ragend die Pyramide
des Gousta, sechstausend Fuß hoch. Wir wandeln durch's Grüne, an Hütten, Höfen vorüber. Still,
ganz still. Nur der dumpfe Donner des Hongafosses von dort herüber. Goldrun ist wie umgewendet.
Sanft. Vater und Mutter früh verloren. Nachdenklich. Dann wieder heiter. Scherz; versteht
selbst meine Lust am schlechten Witz. Thut mit. Dann wieder ernste Gedanken über Mensch, Leben,
Religion. Sie ist doch gut. Nun an einem klaren Bach hin, Erlen. „Der Ilissus mit seinen
Platanen ist's nicht, doch anmuthig Denken schwebt auch hier“, sagt sie. Diese drei Menschen
leben in Plato's Ideenwelt. Dyring ihr Lehrer, Freund des früh der Mutter nachgestorbenen
Vaters. Er hat sie in die Griechen eingeführt und jetzt athmen sie in der Bergluft des
attischen Philosophen. Arnhelm, Schriftsteller, Dichter, nimmt eifrig Theil an den Lehrund
Gesprächstunden. — Phädrus. Seele am überhimmlischen Ort die Urbilder schauend, das Gute,
Diese Liebe, die erziehende, die seelenbildende, ist entsinnlichend, zähmt das dunkle Roß Begierde. Goldrun sagt es ohne Schüchternheit, philosophisch objektiv. Wir giengen um eine Biegung des Wegs, die Zwei auf Augenblicke zurücklassend. Dieser Gesundheit des Geistes kann ich nicht widerstehen, fasse ihre Hand. Ein warmer, langer Druck der ihrigen sagt mir, wie sie mein Verständniß versteht. „Phile Phaidre,“ sagt sie lächelnd dazu. „Diotima!“ rufe ich.
Rjukan-Foß, wilde Herrlichkeit des Rauch-Falls. — Sie hat's gewagt, mit mir den schwindelnden
Fußsteg Maristien hinauf über die fürchterlichen Felswände. Die Anderen nicht, sind unten
geblieben. Sie ist von echtem altem Gothenblut! Ja, so müssen die altdeutschen Heldenweiber
gewesen sein. — Hoch oben. Der ganze Fluß Maanelv wüthet neben uns herab, tief
Drunten über dem rauchenden Schlund ein dreifacher Regenbogen, glühend, wie ich das Schauspiel nie gesehen. Verkündigst du Frieden? Du brennst auf Dampfsäulen aus Schauertiefen, zitterst an schwarzen Felswänden, schillerst über Todesgrauen — — strahle, Traumbild, streue Schimmerfarben, male Seligkeit über den Abgrund!
Schieße noch höher empor, Gousta, und schau' her unter dem Schneehelm auf mein Glück!
Hinab mit ihr in den Abgrund! — es schoß mir mitten in der Wonne wie ein Blitz, wie ein langer, dünner Dolch durch die Seele.
Im Herabklettern gleite ich aus. Sie hält mich. Nur ein Haar fehlte, und ich zerstäubte, war
dahin, lag als Schutt, als Nichts im finsteren Schachte. Aber
Den Kuß und dann die Kralle, So sind sie alle.
Pfui!
Fort? — Sie ist wieder gut, strahlt wieder.
Kann die Thiere nicht leiden, mag die Hunde nicht. Auch kein guter Zug.
Doch wer widersteht! Es geht nach Hardanger. Und soll ich die Gelegenheit nicht benützen? Welt der Prachtwasserfälle, Welt der Gletscher und Gletscherketten soll ich sehen, Hardanger-Jökul, Treßfonn, Folgefonn, weiße Riesenhäupter, ragend, schauend über die Buchten, die grünen Thäler.
Im Gebirge redet leis, flüsternd und laut im Donnerton die Natur mit sich selbst. Alles spricht. Selbst innen in den Felsen tönt es von geheimen Stimmen der eingeschlossen fallenden, steigenden Wasser. Wie löst sich aber die Zunge im Wasserfall! Vöringsfoß, mächtig. Hochher über alle Berge ragen von Norden die blauweißen Eismassen des Hardanger-Jökul. Wir stehen, schauen, hören. „Das sind Jötunstimmen,“ sagt sie, „Stimmen der alten Riesen, die noch erzählen vom Kampfe mit Thor.“ Sie kennt den alten Götterglauben, die Heldensagen. Ich habe ihr auch vom keltischen Glauben erzählt und gesagt, er weise doch eigentlich auf mehr Geist; eine Sage, wie die von Gwyon-Taliesin, habe die germanische Religion nicht, man erfahre kaum von Gründung der Civilisation, der Humanität. „Ja,“ sagt sie, „und doch nein. Keine alte Religion hat eine Götterdämmerung. Verglühen alles Endlichen, selbst dessen, was ewig schien, ist doch weit, weit mehr als Taliesin; wissen Sie aus der Edda vom Wettgespräch zwischen Odin und dem weisheitsberühmten Riesen Vasthrudnir?“
„Nein.“
„Der weiß auf alle Fragen Odin's Bescheid, auf eine nicht; Odin fragt ihn: ‚weißt du, was ich
meinem Sohne Baldur in's Ohr gesagt habe, ehe er auf den Scheiterhaufen gelegt wurde?‘ Das weiß
der Riese nicht — Wird ein Wort gewesen sein vom neuen
Ich schwieg und dachte: wie konnte ich sie verkennen! Dann sagte ich: „Ja, da liegt Tiefe; im Uebrigen ist Alles wilder, mannhafter, bergiger als im Keltischen; Streitbarkeit ist Grundzug, Heldenkampf, es ist eine Reckenreligion. Doch ist auch ein Geistgott da, ein Apollo: Bragi, der Skaldengott. Und ein Zug von weicher, holder Güte, so recht ein grundguter Zug: Baldur, den alle Götter lieben, durch ihn ist dem Frühling inniges Gemüth geliehen.“
Sie wandte sich heiter zu mir und sagte: „Liebreiz ist ja doch auch, — Freyja, Freyja, die Freundin der Liebenden, die gern ein schönes Liebeslied anhört.“
Ich sagte: „Ein Lied versuch' ich wohl auch noch um einen recht guten Kuß.“ Schimmernd erglänzte die Reihe feiner Goldketten an ihrem Hals, wie sie sich umwandte. Freyja's goldenes Halsband fiel mir ein. Sie biegt sich zu mir her, das hohe, stolzfreie Weib, leuchtend, athmend, ich strecke die Arme aus. Da zuckt mir etwas durch die Seele, was mich bannt, ich weiß nicht, welches innere Stocken. Es muß ausgesehen haben wie Schüchternheit, Blödheit. Ich überwinde es, will in ihre Arme stürzen, strauchle über eine Wurzel und taumle wie ein Tölpel. Sie lacht laut auf, gellend, und geht vorwärts.
„Und Katzen ziehen Freyja's Wagen,“ rufe ich erzürnt ihr nach. Sie schaut nicht um, man sieht ihrem Schritt, dem Schwenken der Hüfte an, daß mein Wort ihr einen Stich gegeben. — Aber wie herrlich schreitet das Weib! Die kann gehen, was ja doch Tausende nicht können. Ihr Gang ist hoher Wohllaut. Verloren schau' ich ihr nach.
Natürlich kein Zweifel, daß unser Planet einmal in Stücke fährt und in die Sonne fliegt oder
so etwas. Und unser Sonnensystem geht eben auch einmal in Trümmer. Dem Weltall sehr
gleichgültig, denn es entstehen immer neue. Götterdämmerung ist immer. Der Geist steht aus der
Verglühung des Zeitlichen nie auf oder immer. Es gibt jetzt Wesen, die es erringen, jetzt über
der Zeit zu leben, oder es gibt keine. Gibt es jetzt solche, jetzt ist immer, es werden immer
solche Jetzt sein, wo zeitliche, empfindende, denkende Wesen sich erheben in das, was nie und
immer, nirgends und überall ist. Ist es so, so ist es um keinen Untergang schade. Fragt man:
was wird aus dem ganzen Schatze von Erfahrung, Wissen, Bildung, den das Geschlecht auf unserem
Planeten mit unnennbaren Mühen, in furchtbaren, ungezählte Jahrtausende langen Kämpfen
gesammelt hat? Geht er mit dem Planeten verloren oder ist ein Weg denkbar,
So ist es ja auch mit der Frage nach der Unsterblichkeit des Einzelnen. Du möchtest der Zeit
nach ewig leben, mein lieber Piepmeyer? Aber wenn du
Wir sind nur Bilder; wirklich, buchstäblich nur Bilder. Wir werden ja in jedem Moment erst gewoben, gemalt und auch wieder aufgetrennt, ausgewischt. Was jeden Augenblick erst wird, ist doch kein wahrhaft Seiendes. Wir stehen ja nicht fest, wir schweben ja nur wie ein Traumbild. Wir scheinen so solid wie Bein und Eisen, und sind doch so porös, nur wandelnde Auflösung und Wiederknüpfung.
Das braucht aber Niemand bange zu machen. Sorge du nur dafür, daß du Bild wirst in einem
zweiten und besseren Sinn. Laß dich nicht bloß von der Natur hingepinselt, hingestickt sein!
Sorge dafür, daß du Bild wirst, aufbewahrt im Geiste der Menschen. Sein ist Schein. Das wahre
Sein verdient man sich durch nicht mehr Sein, — wer nemlich gut vorge
Goldrun, du bist eben auch nur ein Bild und darum noch lange kein zweites, kein wahres. Du scheinst es in Manchem, jetzt in mir, doch das ist nur Schimmer. Du schwebst nur. Dein Gerippe wird einst im Grab faulen, wie jedes andere auch, und in wem lebst du dann noch?
Ach, was hilft mir alle Philosophie gegen das Traumbild! Mir schwindelt, wenn ich es schweben sehe, mein Gehirn wirbelt.
Weiter, weiter! Berg und Thal, Fjord herüber und hinüber, Buchten, Ströme, Fels, Gebirge, Wasserstürze; gestern unausstehlich launisch, heute wieder sprühend von Lust, Witz, Reiz. Taghelle Nächte, Mitternachtsonne, Geisterglut, banges, fremdes Entzücken.
Gestern! O! —Gelandet in Vikör, Noreimssund. Bauernhochzeit auf Sandven. Tanz. Goldrun verschwindet und erscheint wieder in der Festtracht der Braut, rother Rock, schwarzes Mieder, reiche Ketten um Hals und Brust, „Lilienhaube“: Goldkrone voll schwanker Spitzen, spielender Flitter. Tanzt mit dem Bräutigam, mit zwei andern hübschen Burschen, mit Arnhelm, dann allein. Wer kann da vernünftig bleiben! So hat Herodias des Täufers Kopf weggetanzt. Gehaltene Grazie, dann rascher und rascher, heißer und heißer, endlich Bacchantin, heilige Wuth im stolzen Leib, ihre Locken sausen um's hochgetragene Haupt; so mögen sie in Rom, in Neapel die Tarantella rasen. — Will mich aufziehen, ich danke, will mich nicht lächerlich machen, will schauen.
Sie endet. Ich trete Kühlung suchend unter die Thüre. Die Welt brennt im Nachtsonnenlicht, in Hochglut feurigen Goldes. Ein heißer, rascher Athem an meinem Ohr und die Flüsterworte: Ovsthusfoß — in einer Stunde.
Wir hatten am Nachmittage den Wasserfall gesehen. Der Fluß springt im Bogen vom Felskamm, man steht unter dem Fall unbenetzt, sieht durch seinen breiten Silberschleier die Welt. Jetzt, in dieser Stunde, Alles in mystischem Goldglanz, Wasser und Welt! O, hier! In solcher Grotte! Geborgen! „Die Welt wird nie das Glück erlauben, als Beute wird es nur gehascht; entwenden mußt du's oder rauben, eh' dich die Mißgunst überrascht. — Leis auf den Zehen kommt's geschlichen — die Stille liebt es und die Nacht — O, wölbe dich in breitem Bogen, verschwiegner Strom, um uns herum und drohend mit empörten Wogen vertheidige dieß Heiligthum!“ —
Unerträglich! — Verhext —
Fort, verbirg dich, vergehe! verwehe!
Ein Teufel! ein Teufel! Nur ein Teufel kann mir das — böse Geister sind — müssen sein —
Und der Hohn seither!
Doch wieder nachgelaufen — Tropf, der ich bin! Jetzt muß ich laufen wie ein Geist, wie eine arme Seel, die keine Ruh' hat im Grab und verdammt ist, umzugehen und zu suchen vergrabenen Schatz, verscherztes Gut. — Natur sperrt sich gegen so viel gleichzeitigen Vorgang im Gehirn — Denken und geheimes Hassen —, und aber wiederum doch —
Bergen. Alter Königssitz; jetzt still trotz Handelsverkehr. Eingemiethet in einer „Stube“ der alten Hansekaufleute. Getäfelt, behaglich. Deutsche Erinnerungen. Tüchtige alte Stadt; bürgerlich, angenehm philisteriös; Almendingsplätze, zum Theil anziehend langweilig mit Gras bewachsen. Festung darüber, hoch auf den mastenreichen Hafen herabschauend. Will arbeiten, einmal wieder etwas lesen, nur selten hingehen. Es regnet viel, mir jetzt recht. Goldrun auf der Herreise lang still, dann voll Spott, höhnte auf Registraturen, Amtsstuben, Sitzen, Verdorren. — Jetzt still und zahm.
Man hat die griechischen Studien wieder aufgenommen; Phädon, dann soll es an den Oedipus König. Ich muß doch theilnehmen; man lädt mich sehr ein.
Stille Tage. Gesammelte Abende. Dieser Dyring ist doch dem wilden Wesen ein Halt. Wie sanft ist sie, wenn sie an seinen Blicken hängt, auf seine Worte lauscht! Seine hohe Stirn, sein tiefes Auge breitet Meeresstille aus. Arnhelm in einer wahren Andacht, oft wie verzückt. Das Griechische fließt wie Honig des Hymettus von ihren Lippen; wie ertönt da das klangvolle oϛ der Endungen!
Merkwürdig, wie der Tod Leben entzünden kann! Ueber dem Phädon, dem sterbenden Sokrates
gibt's viel zu denken an ihn. Der Tod ist pures Nichts, sage ich, der Tod ist, wobei man
überhaupt nichts denken kann. Entweder ich lebe, dann bin ich nicht todt, oder ich bin todt und
dann lebt Keiner, der es bedauerte, daß er todt ist. Man hat Angst davor, sich einmal todt
vorzufinden, aber der Todte sucht und sieht sich ja nicht. Daher ist es purer Unsinn, an den
Tod zu denken. Wenn nur die Phantasie nicht wäre, die uns zwingen will, uns vorzustellen als im
Tode lebend und uns todt wissend! Eine Wittwe hat mir erzählt, sie habe den plötzlichen Tod des
Vaters dem kleinen Töchterchen einen Tag lang verheimlicht, dann aber das nicht länger gekonnt.
Das Kind schweigt eine Weile und sagt dann: aber da wird der Vater traurig sein, daß er todt
ist! — Genau wie die alten
Das hat nun Goldrun begriffen und mir die Hand gedrückt und mich hat es hoch gefreut, daß sie es begriff. Denn Jugend will ja sonst nichts vom Tode wissen. Vom Alter ja auch nichts. Ich erinnre mich, wie wir als junge Kerle von ungefähr fünfundzwanzig Jahren einen Kameraden auslachten, der dreißig geworden. Dummheit, denkt man, so etwas passirt mir nicht! Man will natürlich fortleben, aber daß man dabei älter wird, das schiebt man einfach aus dem Kopfe weg. Und sterben? Seien wir nur redlich gegen uns: wir sind in Wahrheit Aristokraten des Lebens und sehen spöttisch mitleidig auf den, dem das Sterben passirt, eben doch herab wie auf eine Art von Lump.
Nun hat mich also der Handdruck gar sehr gefreut und ich habe wieder gedrückt und wir haben uns geküßt und nun ist's wieder im Zug.
Dieser Arnhelm — jetzt gibt er wieder ein Bändchen lyrische heraus. Wird es ihr widmen. Nun ja, wenn nur ich's nicht lesen muß; — schrecklich! Was will sie mit dem Süßling? In seinen Blicken nach Goldrun liegt doch ein Etwas — feucht sentimentaler Art — so etwas Ansaugendes — hübscher Stutzer, was man schön nennt, Modejournal-Monatrettiggesicht mit aufgedrehtem Bärtchen — Wie, eifersüchtig auf den Wonneflöter? Schäm' dich, Herz!
Wieder verschnupft. Sie meint mich wie armes Würmlein behandeln zu können. „Ei mit Kandiszucker? — Holderthee? Naß Tuch und wollene Binde um den Hals?“ Als ob ich ein Mutterkindel wäre! Spottet auch auf deutsche Verweichlichung, deutsches Wesen, Volk, doch da bin ich gestern sehr grob geworden. Sonst — es soll Humor sein und man will doch Spaß verstehen. Muß ich die verfluchten Hemdkrägen haben und kann nirgends rechte finden. Die haben ganz den Teufel im Leib, halten nicht hinten, rutschen über die Kravate heraus, sitzen auf der bloßen Haut; muß zupfen den ganzen Tag. Sie sieht Alles mit Sperberblick. Schrecklicher Realismus des Weibs, Falkenauge der Mädel für Komisches, für Ungeschicktes im Aeußern.
Das thät' wenig, aber dann wieder bös launisch,
Größere gewählte Gesellschaft in ihren Zimmern. Verehrer, einige Damen. Ihr Wesen vornehm,
taktvoll unbefangen, das ganze Benehmen jene gesellige Kunst, die Natur ist. — Singt alte
Balladen, auch die Olafballade wieder. Dabei Blick nach mir her, wie damals, Blitz im Auge.
Dann Vorlesung aus Antigone. Dann Odyssee: Gesang von der Nausikaa. Sie hat nach deutschen
Uebersetzungen mit Dyring's Hülfe gut in's Schwedische übersetzt. Liest abwechselnd mit ihm
vor. Er singend, langweilig, sie mit ganzem Kothurngefühl, und wie mächtig das
Leidenschaftliche in der Tragödie, wie rein und gehalten das Gefühlte im Epos! — Dann Tanz. Der
Arnhelm nimmt sie doch sehr eng um den Leib. Sie tanzt auf Verlangen Solo. Pompejanische
Tänzerin, — man meint, wie damals in Hardanger, sie werde jetzt aufschweben. Ich muß mich
abwenden, mir wird unheimlich. Jetzt heißer und heißer, wieder die sausenden Tarantellakreise.
Klatschen, Beifallstumult — inzwischen — sollte ich mich getäuscht haben? — wie sie athmend
stillsteht, — ein Blick zu Dyring hinüber, der am Klavier sitzt — von ihm herüber — über
Heut' bringt der Arnhelm das Bändchen lyrische. Bekommt einen Kuß. Kuß doch zu lang für bloß ornamentalen Kuß! Sie merkt mir etwas an, da geht der Spott wieder los.
Die Nagelschmiedin.
Will mir mit Arbeit helfen. Einmal doch wieder Schelling's Abhandlung über die Freiheit
vornehmen und gründlich lesen, vielleicht, wenn ich Gedanken darüber zusammenbringe, einen
Aufsatz schreiben. Richtig bei einem Antiquar gefunden, da liegt's vor mir: „Philosophische
Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden
Gegenstände“. Landshut 1809. Lang her. Noch un
Will nichts werden mit dem Denken und Schreiben. Wollte schreiben, ehe ich recht gedacht, das
mechanische Thun der Hand dabei sollte mich an der Stange halten, daß die Gedanken nicht
abschweifen. Aber auch dabei stellen mir die Teufel nach. Alles wie verhext. Will ich eifrig
fortlesen, so wollen zwei Blätter nicht auseinander. Beim Schreiben ist die Nässe der Tinte,
und daß man nicht schon etwas Anderes hat erfinden können, ein heilloser Umstand. Tags
hundertmal ein Fließblatt einlegen! Darüber vergißt man die besten Gedanken. Und Sand? Dieß
Grüseliche nicht zum Ertragen. Feder will sich nicht schneiden lassen, und mit Metall kann ich
nicht schreiben. Alles Papier zu glatt; macht mich nervös, wenn die Feder so rutscht; Spannen
in der Herzgrube. Ich liege in einem Ameisenhaufen. Tinte auch klebrig. Und verschüttet, zwei
wichtige Seiten im Buch zum Teufel! Drei Blätter zernagt mir des Hausbesitzers junger Hund,
sonst liebenswürdig. Alles fällt. Tisch wackelt. Schreibunterlage will sich nicht flach legen.
Es ist nicht anders, es muß Teufel geben. Ganze Nester wie Raupennester. Stammen
Ja, ja, ich muß eine Mythologie daraus entwickeln, und dazu eine überzeugende, ja den eigenen Urheber überzeugende. Doch nicht wie die neuen Pessimisten, die verlangen, man solle ernst bleiben. Cum grano. Es soll erlaubt sein, zu lachen, obwohl —
Mythologie? Werde mir bald selbst zum Mythus! Mich mit dem jungen Schöngeist um das unheimliche Weib als Trabantenpaar herumbewegen! — Der Fant ist auch Romantiker. Spricht da neulich mit Phrasenduft von den Uebertritten der Friedr. Schlegel, Zach. Werner! — Schönfärber. Widerlich! — Dabei ein gewisses Schillern, ein feuchter Glasglanz im Auge und das gescheitelte Haar!
Und sie? Und sie? Ein Mensch oder ein Geist? Solches Metallhaar hat ja doch kein richtiger
Mensch. Ist Schmetterlingsflügelstaub oder Vogelfedernschmelz, Fischschuppenglanz. Ihre Augen:
blau, grau oder grün? Kann es nicht herausbringen. Es muß eben doch eine Nixe sein. Aber diese
Augen antik, das Weiß
Truggespenster um mich! — Treibt sich da seit Wochen eine Figur um mit glattem Elfenbeingesicht und so einem Strich, einem Pli über die Augen herunter, als hätte der Mensch als Magnetiseur sein eigen Gesicht mit der Hand gebügelt; man hält das Ding für einen Jesuiten. Find' ich in der Dämmerung den Arnhelm in vertieftem Gespräch mit dem Gespenst, dort in der Nygaardsallee. Höre im Vorbeigehen die Worte: „Heilige Symbolik — Mariendienst —“ Sollte das Bürschchen gar ein Krypto — nun, es wird eben ästhetische Leckerei sein!
Stachelschweinrauschen! — Sie wird mir immer unheimlicher. Gehe wieder hin, erzähle ihr die
Beobachtung, rede vom Proselytenthum jener widerlichen Seelen, die sich vom Schimmer des
Katholizismus fangen ließen, Schönheit und Wahrheit verwechselten, predige ihr vom Ernste
protestantischer Bildung, zu dem sie gehöre und einfach halten solle — ach, wie man ja immer
der Thor ist, bessern zu wollen, wenn man unwürdig liebt! Sie spricht von Pedanterie — eine
prédilection artistique sei noch nicht blutiger
Tagelang wieder gemieden. Gestern Nacht am Haus hin und her gestreift. Sie sang. Das Olaf's
Dyring krank. Sie viel mit Arnhelm allein. Eigentlich nicht hingewollt. Aber es zog mich eben doch. War mir schwül zu Muthe. Doch eben Sehnsucht! Sehnsucht — Und — gefunden in Arnhelm's Arm — des Knaben — heiß! heiß! — O, jetzt fort, fort, hinweg aus der Hölle!
Geschlagen habe ich sie! Aber — o Schmach! dann — Wie ich sie so gefunden, stürze ich zuerst
schweigend fort, kehre nach kurzem Gang wieder um, treffe sie jetzt allein, trete vor sie, sag'
ihr die Wahrheit; Metze hab' ich sie genannt. Wie ein schöner gefleckter Panther springt sie
gegen mich auf, stößt etwas heraus vom Rechte des freien Weibs — ich packe sie an den Schultern
— sie thut einen schüttelnden Ruck mit solcher Brunhildenkraft, daß ich zur Seite schwankend
den Kopf an einen Schrank schlage („daz ihm sin Houbet lute an eime Schamel erklank“), jetzt
muß ich
Drontheim. Da wär' ich! Frei! Weit weg! Wie am Ende der Welt! — Wild auf wilden Wegen weiter, immer weiter. — Frei? Wenn nur die Träume nicht wären — auch in's Wachen herein! Diese beständige Bangigkeit, dieß Weh in der Herzgrube! Ich fürchte keinen Menschen und bin doch so athemlos zusammengeschnürt — Träume voll Todesangst — ich bin vergeistert, wohne im Reich der Dämonen.
Hätte mich das Ungethüm zerrissen bei Jostedalsbrä, mir wäre wohl besser. Die Bärenjagd
mitmachen, — ich
Geheilt weiter gewandert. Ueber wüste Hochebenen, todeseinsam. Oft hungernd fortgeschleppt, bis ein ärmlicher Säter mich aufnahm. Ein Schneehuhn flattert auf, ein Fuchs schleicht, keine Menschenseele. An Bergseen schwerträumend. Hinab? Unter? Nein, weiter! Ich sehe Gestalten im Geist über diese Wüsten schreiten, kriegerische, abgemagert, zerlumpt, ungebeugt, ein jugendlich Haupt ihr Führer. König Sverrir, der du mit deinen kühnen Banden einst hier ringend mit Kälte, Schnee, Hunger umhergeirrt, Kriegern in Birkenrinde gekleidet, oft der Verzweiflung nahe, sich fragend, ob sie sich nicht lieber hoch von den Klippen stürzen oder gegenseitig tödten sollten, — hast ausgehalten mit deiner Schaar, ein halb Jahrhundert gekämpft gegen Priesterherrschaft, drunten im Sognefjord in blutiger Seeschlacht gesiegt, — o, so etwas! wer mir das brächte! — Aber will aushalten! Will mich nicht schämen vor euch Heldengeistern. Bin Mann.
Hinüber in's Jötunfjeld, von den alten Riesen gethürmt gegen die Asen, Gipfel an Gipfel, Zacken an Zacken, ewiges Eis, wüthende Wasserstürze, Hochthal dazwischen schauerlich schön —, geisterhafte Seen —, ich schaue empor an den unerbittlichen Krystallen — fällt mir ein aus der Edda, wie es von Brynhild heißt:
Die Wilde in Bergen könnt' ich mir auch so denken. Muß ich sie überall finden?
Was soll ich aber hier in dem Drontheim da wieder unter den Menschen? — Einst, welchen Zauber hätte für meine Phantasie gehabt so uralt, fremd, fern hochnordische Krönungsstadt! — Jetzt, was geht's mich an, was es hier gegeben hat seit Olaf Trygvessön? Die Domkirche studiren, ihre alten Königsgräber? Norwegischgothische Zickzackornamente nachzeichnen? Zickzack genug in mir selbst. — Auf dem Fjord im Sturm gefahren, hat wohlgethan; doch, wo Wasser, fällt mir der Tindsee wieder ein, immer, immer —
Ja, wenn's noch Vikinger gäbe! Hinaus auf dem Wellenroß in Sturm, in blutigen Krieg! Das wäre für mich!
Warum nicht hinweg? Jetzt auf, fort, hin nach Italien? Es hält mich mit Geisterknoten; es bannt
Daß aber doch auch das Denken nichts, gar nichts helfen will! Besinne mich auf alle
Weisheitssprüche — was ich nur aufgraben kann, aus dem gefrornen Gedächtniß heraushauen —
Sprüche Salomonis, Weisheit der Bramanen, Sakja-Muni’s herrliche Arzneien gegen die
Leidenschaft, Kongfutse’s Weisheit, Sieben Weise Griechenlands, Plato — ach, über dem fällt mir
der sanfte Gang in Westfjorddalen wieder ein, unsere Plato-Abende in Bergen, jede Stunde, wo
sie gut war und vernünftig fort, weiter: die Stoiker, Markus Aurelius, der reine Kühlbrunnen
seines εἰς ἑαυτὸν —, Goldworte des Neuen Testaments —: da thaute aus Knabenzeit wieder in mir
auf: „Denen, die den Herrn lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen,“ — die Augen wurden mir
feucht —; mein Spinoza — Kant — der fiel mir nach langer Zeit wieder ein, sein ehrliches
Schriftchen: „Von der Macht
Und diese Einsicht in den Sophismus der Leidenschaft nützt mir auch nichts, rein nichts, hilft mir nicht, meine Seele wieder holen, die mir abhanden gekommen, die nicht mehr mir gehört. Mein Centrum ist außer mir, heißt Goldrun, wandelt, wo es mag, mißhandelt mich, entehrt mich. Ich bin nicht mehr Ich.
Dämonisch ist das Weib, dessen Reiz noch fortwirkt, während man sie schon verachtet. — Eine Definition unter anderen, es gibt noch mehrere.
Oft war sie zwischen Herrschsucht, Siegeshohn ganz unterthänig, mehr als recht.
Den ersten habe ich zu wenig bekämpft, den zweiten nie benützen mögen. Ach, in der Liebe, meint man ja, gelte nur Ein Gesetz: unendlich gut sein!
Vertrakte Zufälle führen mich ganz gegen meinen Sinn und Geschmack an eine Table d'hôte. Rede nach Gewohnheit, weil ich in der Jugend für meine Zuthulichkeit gar so schwer Lehrgeld gegeben, am Wirthstisch überhaupt nichts, außer wenn Nachbarn mit mir anfangen. Alles schweigt, nur da und dort kurze gedämpfte Gespräche. Dauert zwei Stunden, hab's Eine ausgehalten, weil erst nach einer Stunde das Stückchen Braten kam, das gesunde Nahrung. Dann fort. — Unendlich rohe und gemeine Sitte, zwei Stunden lang stumm fressen, den Magen vollstopfen. Kuh an der Raufe frißt gebildeter.
Wieder hinaus in die Berge. Etwas erfrischt. Rothmützige, dunkelbraune, schmalaugige Lappen gesehen, Rennthiere weidend. Die haben's gut, still bei den stillen Thieren mit den sanften Augen. Fressen auch beide an keiner Table d'hôte.
Es ist gar trocken heiß, wir sind stark im August. Alles seufzt nach Regen. Alle Abend Wolken, lang Wetterleuchten und reicht doch nicht, kann doch nichts werden. So ist's in mir. Es muß noch einen Durchbruch nehmen. —
Endlich! Ein Prachtgewitter. Wie hat mir's wohlgethan! So mächtig durchschlagen! — Da hat sich mir unvermuthet die Muse einmal wieder eingestellt.
Mir auch, mir auch so — Schlag, Sturz, Kühlung !
Gehe spazieren. Fjord prachtvoll. Luft mild. Selbst Nußbäume. Fluren saftig. Kröne mich mit Stille, salbe mein heißes Haupt mit Oel des Friedens, alte Krönungsstadt Nidaros!
Will keine Gesellschaft. Am wenigsten die Engländer da, die ich zum dritten Mal in der Speisewirthschaft finde. Verwünschte Sprache. Ein Gott hat sie im Lachkrampf erfunden und gesagt: eine Sprache soll sein, die sei zweckmäßig kurz und doch reich, dadurch fast zur Weltsprache geeignet, aber im Klang so, als brächte man zum Spaß unanständige Töne hervor. — Uebrigens kann man die Sprachen auch so eintheilen: das Englische reine Auster, schleimig mit Seegeruch. Das Italienische Rothwein mit Orangen. Das Französische Liqueur und Biscuit. Das Deutsche gutes Roggenbrod mit Rettich und Bier. Das Holländische ganz Häring.
Doch alles dieß ist auch wieder gleichgültig, denn jede Sprache hat außerdem noch Nektar im Keller. Da sind die Dichter die Schenken, ideale Kellner. In der lächerlichsten aller Kultursprachen hat Shakespeare geschrieben.
Mich einmal wieder über die Menschen empört. Einige Herren, dabei Vater mit Sohn, am selben
Tisch drüben im Kaffeehaus. Die Unterhaltung geht in Zoten über, eckelhaft. Man sollte gar
nicht mehr unter die Menschen gehen. — Gewiß enthält das Geschlechtsleben des Menschen reichen
Stoff des Komischen. Es wäre abgeschmackt, diese Quelle für Lachen
Ihr Götter, was fange ich an zu fühlen! Himmelsthau: lange Weile! O gegrüßt, das ist Zeichen der Genesung!
Draußen am Lerfoß gewesen, eine Gesellschaft getroffen aus Christiania, wobei ein Prachtweib, groß, durchaus stylvoll gebaut. Weg, will nichts davon! Will kein Rasseweib mehr sehen! Es ist ein Elend, daß unser Einem kein Weibesgebild gefallen kann, wo der Teig sitzen geblieben; bei den Rasseweibern ist er gut gegangen, aber der Teufel hat den Herd geheizt.
Sammlung wächst, wenn ich nicht ganz irre. Glaube mich auch gewappnet gegen die heißen und plastischen Weiber in Italien. Muß nun doch bald hin, dort Heilung vollenden. Noch eine, zwei Wochen vorher lateinische Klassiker lesen, wird gut thun. Objektive Sprache; wird kühlen. Dann auf und hin zum Süden!
Die Träume sind mir doch noch gefährlich. Diese Nacht vor Einschlafen surrt mir der letzte
Vers des Gewittergedichts im Ohr. Träumt mir, das getränkte Erdreich öffne sich und ihm
entsteige ein nacktes Prachtgebilde. „Dieß ist nicht das Meer,“ sage ich, „du bist nicht
Anadyomene.“ Sie nickt, ich meine das schöne Weib zu erkennen, das ich draußen am Lerfoß
gesehen. „Laß mich!“ rufe ich. „Komm',“ flüstert sie,
Hier findet sich ein Blatt von fremder, weiblicher Hand, ein Brief in griechischer Sprache. Es geht zur Hälfte ein Riß hindurch; der Empfänger, scheint es, wollte ihn zerstören und ließ wieder ab. Ich gebe den Inhalt in deutscher Uebersetzung.
Der Herausgeber.
Hinweggegangen bist du und hergeschritten ist mit ehernem Fuß der langhinstreckende Tod, im
Hades wandelt der Freund, der Enkel der Hellenen, der Weise, der Deuter des göttlichen Platon;
sterbend hat er dich genannt und gestammelt: er nun dein Schutz und
Also spricht Psappha, die Lesbierinn, also spreche ich, also sprich auch du, o Freund!
Einsam bin ich, o Guter, wandle seufzend wie Schatten am Acheron.
Vielfach sind die Bewegungen des Eros, sanft die einen, gewaltig die anderen, um dich aber, o Freund —:
Ich habe zu seiner göttlichen Mutter gefleht:
Und gekommen ist sie, Sperlinge, zierlich flinke, die eilenden Flügel schwingend, trugen den goldenen Wagen
Und Lächeln im unsterblichen Antlitz fragte die ewig Heitere:
Wisse, o Freund, am Sjöstrand dort, am Ufer des Sognefjords war Baldur's Hag, und Frithiof, der junge Held, fürchtete nicht des Gottes Zorn und der gute schöne Gott duldete es, daß er in seinem Haine Götterstunden lebte mit der süßen Pflegschwester Ingeborg, König Beli's Kind.
Komm', du Guter, Theurer, komm', Phaon, in die Arme deiner
Psappha Chrysostoma.
Aus ist's, ich kann nicht widerstehen. Es ist eben doch ein gutes Weib. Kurze Verirrung des Gefühls — warum soll man sie schließlich nicht verzeihen? Wird mit Arnhelm doch nicht zu weit gegangen sein, und übrigens muß man sie eben überhaupt als Griechin auffassen. Und ihr Spott war und ist eben Humor. Solch' ein Weib findest du ja doch nicht wieder! Auf! Heute noch vorerst Eisenbahn bis Stören, dann weiter zu Schiff, zu Fuß, zu Pferd, Skyds-Fuhr im rumpelnden Stolkjären, in schaukelnder Carriole, fort, fort durch Dick und Dünn, fort zu Baldur's Hag! Nach Haus, ja nach Haus, zu Haus bin ich doch nur, wo sie ist!
Lekanger am Sogne-Fjord. Getroffen. — Sjöstrand eine Lustaue, als wäre man in Italien. Fruchtgarten an Fruchtgarten. Vögel girren und schlagen, Eichen und Eschen flüstern, Bäche rieseln, groß brandet die Woge. Aber welche Berge, welche Schneehäupter ragen herüber wie Ewigkeit in den Moment der Wonne! Ja hier, hier! Gönne mir mein Glück in deinem heiligen Hage, deiner alten Friedens- und Opferstätte, du Jugendgott mit den blühenden Wangen, gönne mir's, Baldur! Hast's auch Frithiof nicht mißgönnt, als er herübersteuerte von Framnäs, des Vaters Haus, auf seinem Schiff Ellidi, und sie besuchte, die Gespielin seiner Kindheit, die holde Ingeborg, ihm verweigert von den stolzen Brüdern Helgi und Halfdan und verwahrt in deinem Heiligthum!
Selige Tage, nur Tage, denn noch scheint die Mitternachtssonne unsern Entzückungen.
Wir rudern her und hin am Fjord, hinüber nach Balholmen an König Beli's Grabhügel, hinüber nach Vangsnäs, dem alten Framnäs, wo er seine Kindertage lebte, der starke, der liebende, der treue Held.
Welche Großheit wieder, wenn sie das Ruder schwingt, wenn sie vorgestreckt den starken Druck übt, dann die Schaufel dreht, das Ruder zurückzieht und aufrecht wieder in ihrer Gliederpracht steht, herumschaut und geröthet vom tüchtigen Werk mich mit den großen Augen anlächelt! So war sie ja auf dem Tind-See, da hat sie mir's angethan, nur hat sie mich so sonnig aufgeblüht noch nicht angeschaut!
Gestern Sturm. Wir hatten schwer zu kämpfen. Wie trotzig stand sie wieder, wie herrlich wühlte wieder der Wind in ihren Goldlocken! Frithiof fiel uns ein, wie er auf König Helgi's Gebot fort muß, weg vom heißen Glück, und Jarl Angantyr zwingen, daß er Schatzung zahle, und wie draußen in offener See der tobende Schneesturm auf sein Schiff Ellidi gestürzt kommt. Sie sang aus dem alten Liede:
Ich nahm die Strophe auf:
Der Sturm warf Regen und Hagel, die Kälte schüttelte uns. Da lachte sie und sagte: „Auch die Götter froren; als Frithiof zurückkam, fand er Helgi's Frau, wie sie Baldur am Feuer wärmte.“ — Wie verheißend zuckt es dabei über ihre Züge, welcher süße Frevel spielt auf ihren Lippen!
O ihr Asen hoch im Himmel! O Bragi, o Baldur! Nicht zu Ran, nicht zur dunkeln Hel im Abgrund, nein, als ehrlichen Kämpfer mit den Einherien zu Walhalla laßt mich einst fahren! — Es wird unheimlich um mich! —
Meine Eisenbahnverse haben wenig Glück bei ihr gemacht. Sie mag den gerührten Ton nicht.
Diese Nacht, wie ich so die Schlummernde, Hingegossene beschaute, warum kam denn plötzlich ein Grauen über mich? Ich bin doch so sehr im Vollglück. Und warum beim Anblick von Dyring's Bild, das sie auf Medaillon am Busen trägt? Er war doch so eine platonische Natur, so ernst, so edel!
Warum wächst denn dieß Grauen und muß mir einfallen, wie Faust in der Helena, die ihm der Teufel zuführt, ein Gerippe umarmt?
Habe den griechischen Einladungsbrief wieder gelesen. Wo war meine Nase? Zur Lust locken hart am Grabesrande des väterlichen Freundes? — Und sollte er, er sterbend sie an mich —, ist's glaublich, wenn ich mich gewisser Blicke — doch nein, diese Mißgeburt stoße aus, mein krankes Hirn! — Aber der Brief! Ein Geflicke aus Lappen der Sapphobruchstücke! —
Mit ihrem Griechisch ist es auch so weit nicht her, als ich meinte. Dyring und Arnhelm haben ihr immer geschickt nachgeholfen.
Diese anhaltende alte Angst kommt wieder, diese Zusammenschnürung der Herzgrube.
Ich meine immer, ich müsse ihr recht fürchterliche Predigten halten und dafür solle sie mich recht küssen. Vereinigter, gleichzeitiger Kußregen und Ohrfeigenregen — so steht's hier um's Wetter, dieß wäre meine Losung.
Könnte jetzt mit andern Versen aufwarten.
Soll ich's ihr zum Lesen geben?
Ensetzlich! Unmöglich! Und doch! — „So war ich mit ihm.“
Mit dem Platolehrer! — Sind mit dem Knaben Arnhelm zwei gleichzeitig, drei so gut als gleichzeitig!
Wirklich, er hat's angenommen. Er muß arg hungrig gewesen sein, der Köter. Mir ist zu Muth, als nähme kein Hund mehr ein Stückchen Brod von mir an. Der wenigstens verachtet mich doch nicht. Bäume, Berge, Schornsteine grinsen auf mich her, Wasser blinzeln nach mir her und sagen: uns eckelt an dir!
Sie niederstoßen? — Ein Weib? — Daß ich ihn erreichen könnte — das Messer bis an's Heft in die Brust und zwölfmal darin umdrehen! — Einen Dolch muß ich mir doch anschaffen — einen schönen, spitzen, langen, recht blank — nur öfters ansehen und denken —
Lachst du, Heuchlerfratze? Verkreuchst dich in deinen Fuchsbau drunten und kicherst herauf?
Wart, wart, Larve, man kann auch einen Todten — — Mein Gehirn siedet, — es rieselt mir so oben
herüber —
Hier ist es, wo die Blätter des Tagebuchs auf eine lange Lücke schließen lassen. In diese Lücke tritt, was ich von Mac-Carmon in Wasen vernommen habe. Ich lasse ihn sprechen.
„Mein Schwiegersohn Erik lernte A. E. kennen auf einer Bärenjagd in den Jostedalsgebirgen und behandelte ihn als Arzt, da er verwundet wurde. Er schien auch in der Seele wund, — sie kamen sich im Austausch ziemlich nahe, doch nur aus hingeworfenen einzelnen Worten konnte Erik auf eine Verstörung schließen, deren bestimmtere Ursache ihm undeutlich blieb; einige abgebrochene Reden, die er in der Phantasie des Wundfiebers hervorstieß, legten aber den Schluß auf eine schwere Erfahrung mit einem Weib nahe.
„Erik kehrte nach Bergen zurück, wo er sich niedergelassen. Von A. E. wußte er nur, daß er
sich Drontheim zugewendet. Ein paar Monate waren vergangen, da glaubt er Nachts beim Schein
einer Laterne A. E. zu erkennen, der in wildem Laufe
„Am frühen Morgen ließ Erik den Kranken wohlverwahrt in dessen eigene Wohnung schaffen,
kehrte das Nöthige zu seiner Pflege vor und eilte dann zuerst auf den Kirchhof. Hier fand er
den Todtengräber in starrem Staunen vor einem aufgewühlten Grab stehen, darin einen offenen,
sichtbar zerschlagenen Sarg und im Sarg eine Leiche mit zerrissener, breitklaffender Brust. Er
vermochte den Mann zu über
„Erik fand ihn, als er nach wenigen Stunden ihn besuchte, ruhiger, meist schlummernd, doch
stark fiebernd,
Mac-Carmon wußte mir von A. E. des Weiteren nichts zu erzählen, was nicht auch aus dem folgenden Inhalt des Tagebuchs zu entnehmen ist, der den Leser in die Lage setzt, vom Innern aus zu sehen, was sich ferner begeben hat, die Dinge in der Beleuchtung zu erblicken, die von der Seele des Erlebenden ausgeht.
Es bleibt mir als Zwischenredner nur noch übrig, zu sagen, daß indessen der Winter weit vorgerückt, der Februar des Jahres 1848 über die Hälfte verflossen war, und daß ich von Mac-Carmon zum Schluß auch über das Ende der Urheberin so großer Leiden noch Kunde erhielt. Bei einer Begegnung mit dem Arzte in Bergen, der sie behandelte, erfuhr Erik, daß sie kurz nach jener Nacht an Blutvergiftung gestorben, daß es gelungen war, die wirkliche Natur ihrer Krankheit und ihrer Ursache, sowie den ganzen Hergang geheim zu halten, und daß sie neben dem Manne begraben lag, dem die Raserei einer empörten Seele die Grabesruhe gestört hatte. Und nun mag denn das Tagebuch wieder sprechen.
Hat sich der Himmel über mir geöffnet? Ist aus goldenen Höhen ein Engel niedergeschwebt in's Thal
Ich nickte wieder ein — seliger Traum — Traum wie Raphael's, als er seine Sixtina träumte — Augen weich beflort, — in beschatteter Höhle aufdämmernd, — so menschlich gut und so fremd himmlisch — sagen — was sagen sie? Das faßt kein sterblich Wort, das nennt keine Zunge, wie es dort ist in jenen Gefilden — selig — Gefilde der Güte, des Friedens — so sagen diese Augen. Was stammle ich? Wer bin ich?
Es ist ein Wesen von Fleisch und Blut. Erik's junges Weib, und heißt Cordelia. Er hat sie an
der Hand mir an mein Qualenlager geführt. Da ist mir wieder Alles eingefallen — „Ja, ja! —
berührt mich nicht,“ rief ich, — „mir keine Hand — in die Hölle
Und ihre Stimme „sanft, mild und leis, ein köstlich Ding an Frauen“.
Gestern kommt sie mit einem Zeitungsblatt; „Erik schickt's Ihnen,“ sagt sie. — Was? Die Welt in Flammen? Sturmbrausen von Frankreich herüber? Deutschland aus dem Schlaf geweht — SchleswigHolstein will frei werden, deutsch —
„Einhart,“ sagt sie, „Sie sollen leben, es gibt zu thun!“
Ich Elender, ich hatte nur an mich gedacht — mein Vaterland vergessen! Hab' Alles verdient —
Ich erstarke, ich darf bald fort!
Hamburg. Schwerer Abschied! — Von Cordelien noch ein reiner Kuß. Meine Lippen sind entsündigt! — Nicht Schmerz brüten! Morgen hinüber!
Krusau bei Bau. Dank den ewigen Mächten im Himmel droben! Es geht los! Wir sind noch schwach, können die Preußen nicht abwarten — sei's drum, der Himmel wird weiter helfen!
Kleines Gefecht bei Hökkerup, der Feind aus Rinkenys vertrieben. Zwar kein Gewinn, der kleine
Sieg kein guter Anfang, der Feind im Vortheil frischer Rachwuth. Großer Fehler, den selbst ein
Laie in der Kriegskunst leicht erkennt, Freiwillige, Ungeübte hier als Vorhut auf so wichtigem
Posten auszusetzen: Studenten, Turner, ungenügend bewaffnet, dabei nur eine Handvoll Linie. Der
Feind zur starken Uebermacht ein Regiment Reiter und die Kanonen der Kriegsschiffe dort im
Hafen, — werden hübsch drein fegen. Sei's auch darum! — Ich darf mich nicht anlügen, daß mir
das Herz nicht klopfe, aber was ist
Kiel. Unsichere Züge, sichtbar mit der Linken geschrieben. Anm. d. Herausg. Wieder einmal ein Koboldstreich der Dämonen. Ich hatte den Kerl so richtig auf's Korn genommen, muß mir der gute Stutzen versagen! — Kann eben noch den Säbel ziehen und pariren, doch der Pallasch ist stärker und nun mit dem zerhauenen Arm unbrauchbar! — Doch was will mein kleines Leiden sagen — da lagen sie, die Blüte des Landes — hingemäht! Ich hatte Freunde gewonnen in den wenigen Wochen. Dieser Karl, ein Jüngling wie ein Siegfried, da sank er neben mir, reicht mir noch seine Büchse, da er den Dragoner auf mich herjagen sieht; sein letzter Blick, im Tode brechend, ich werd' ihn nie vergessen.
Trost, die Preußen sind da, Wrangel dringt vor. Mein Urlaub zu Ende, jetzt beruhigt heim! Mit dem Blut in Bau ist mir aller alte Wahnsinn ausgeflossen. Das Hirn ist kühl geworden. Aber die versagende Büchse! Gibt zu denken — Zufallsteufel.
Wieder im Amt. Stete Arbeit. Wohlthat! Wenn ich nur nicht zusehen müßte, wie die Narrenapostel den Pöbel berauschen und wie sie die schöne Saat eines neuen Staatslebens verwüsten!
Waffenstillstand von Malmö. O Pfuhl der Schmach! — Darüber Barrikaden in Frankfurt — schnöde Mordthaten des Gesindels — niedergeschlagen — und das ist der Todestag der großen Bewegung. — Wär's der Sinn, der über den Unsinn gesiegt!
Hier unter den Leuten, man kann kein Gespräch mehr führen. Die Menschen wissen nur von
Partei, und keine versteht die andere. Ich fasse mich am eigenen Nasenzipfel. Neulich hörte ich
Einen husten, und zwar auf sonderbare Art. Ich ärgerte mich. Er darf husten, aber er soll
husten, wie ich huste. So ist es auch mit Speisen. Da ißt Einer ein Gericht, das ich nicht
Die hab' ich doch gekriegt! Spitzbubenrotte mit kommunistischen Führern. Von Katzenmusiken nach und nach zu Diebstählen, Einbrüchen. — Dem rothen Peter die Pistole aus der Hand — geht mir an der Nase los. Gut gelungen, Alle eingethan. Zu meiner Erbauung im Heinrich VI. den Aufruhr von Hans Cade wieder gelesen. Wie wahr!
Die Zeit wird stiller. Kann wieder mehr lesen. Muß auch, denn in der Welt steht's so, daß ich
gar nicht hinsehen mag. Kehre zurück in dich! Ich hoffe, wieder ganz zu mir zu kommen. Nur von
Zeit zu
Hund eingethan; Pudel. Lustig und doch sehr rationell. Gutes Vieh. Rührend. Wie viel wedelt doch so ein Hund den Tag über! Wenn man bedenkt, daß jedes Wedeln eine heitere oder wohlwollende Empfindung ausdrückt, wenn man dann beobachtet, wie oft ein Hund wedelt: wie viel Herzensfreude, wie viel Menschenliebe, Güte zieht also den lieben, langen Tag durch so eine Hundeseele! Auch wie viel Humor, denn das Wedeln ist ja auch Surrogat für Lachen. Unendlich merkwürdiges Supplement für Mienenspiel, psychographischer Schwanz.
Merkwürdig, doch ganz konstant stehender Zug: wenn ein Hund in große Freudenbewegung geräth, wenn er z. B. im höchsten Entzücken auf den ersehnten wiedergefundenen Herrn losstürzt, muß er mitten im Sprung einhalten und sich kratzen. Dieß kann erklärt werden
Welche Erklärung ist die tiefere, a) oder b)?
Verhalten des Hunds, wenn ihm ein Fremder lockt. Da sieht man die Charaktere. Der eine folgt und schmeichelt: Kalfakter — schlecht. Der andre fletscht die Zähne, brummt, beißt sogar: Charakter, aber unschön harter Charakter. Ein dritter, und das ist der gute Hund, bleibt sitzen, wedelt ganz schwach und flüchtig und blinzt den Fremden an mit einem Blick, der höchst verständlich sagt: bedaure — könnte vielleicht ein ganz angenehmes Verhältniß werden — habe aber schon einen Herrn — bedaure wirklich. Dieß ist der schöne Charakter, Würde mit Anmuth; so ist mein Pudel.
Goethe's Hermann und Dorothea wäre ein Dichtwerk, dem man das Prädikat der Vollkommenheit
zuerkennen müßte, wenn nicht Eines darin fehlte: ein Hund. Gehört doch gewiß in ein Idyll.
Goethe konnte aber bekanntlich die Hunde nicht leiden. Hätte
Wenn ein Hund seinem Herrn oder einem Freunde seines Herrn sich bemerklich machen, seine Anwesenheit ihm anzeigen möchte, kann aber nicht beikommen, weil der ihm den Rücken bietet, so stupst er ihn ein Weniges mit der Nase an die Wade. — Mit seinem feinsten Organ. Wie zart!
Wieder viel geärgert. Das Objekt stellt mir doch wieder sehr nach. Ein Aktenstück hat sich
ruchlos verkrochen, — verzweiflungsvoll gesucht — umsonst. Katarrh mit drei Tagen ordentlichem,
dann sechs Wochen latentem, von keinem Arzt zugegebenem Fieber. Sonntags auf's Land. Mich doch
sehr aufgeheitert über einem Bock. Etliche Buben fahren auf einem Reiberschlitten den Hügel am
Pfarrhaus hinunter, mit großem Hallo, pfeilschnell, sitzen unten ab, ziehen den Schlitten
wieder hinauf, dann wird wieder hinabgerutscht und so fort. Ein großer, schöner Bock dabei, der
sich ganz zur Gesellschaft zählt; wenn's allemal wieder losgeht und die Buben jauchzen, springt
er hoch, steigt und schlägt zugleich aus wie
Und kaum wieder da, Montag, so fängt der schnöde Schabernak wieder an. Amts- und Studirzimmer, Alles happert, zwickt, klemmt, klebt den ganzen Tag und Abend. Ein Glas, ein Plättchen, worauf meine Tasse, dann meine Lampe, begehen hinter einander dasselbe Bubenstück, sich nicht schieben zu lassen; pappen fest, es braucht stärkeren Druck, darauf lauert das Teufelspack, fällt um und schüttet seinen Inhalt auf meine Papiere. — Sind mit der niedrigen, giftigen Reaktion in der Welt draußen auch die Privatteufel wieder ganz los? — — Alles, Alles rings um mich wie die versagende Waffe im Gefechte bei Bau und — o Symbolik! — stille!
Das darf ich doch auch sagen: wer nicht intensiv arbeitet, hat gut predigen über Geduld mit
den kleinen Hindernissen. Wer nur mit halbem Willen an die Arbeit geht, nicht ganz dabei ist,
den macht das Härchen in der Feder, der Tintenfleck, das Verkriechen nöthiger Blätter, das
Uebereinanderrutschen aller Papiere nicht wüthend, er verliert darüber keinen Gedanken
Abends in der Dämmerung, da kommt's über mich. Die Nerven werden ruhig. Oft fühl' ich's wie ein zartes, lindes Wehen. Frieden. Sie erscheint mir, beugt ihr Haupt über mich, blickt so himmlisch gut, kühlt mir die heiße Stirne. Erinnerung! — Aber ich darf nicht, darf ja nicht oft, nicht zu innig mich hineingeben, — ach, es könnte Sehnsucht werden und darf ja nicht! — Trauerst du mit mir, Himmelsbild, daß es so gekommen im Vaterland, daß ich dafür, dafür mein Blut vergossen?
Schwarz zu sehen, dazu hätte ich ja wohl Grund genug. Das erleben! Und ich meine nicht das
Aergste, Sturz in den Abgrund, in's Dämonenreich. Da war ich schuldvoll, — obwohl doch auch ein
wenig, wenig entschuldbar: warum? mag's mir selber nicht nennen. Und mein ganzes Leben der
ewige Schund, Marterkampf mit den teuflischen Zwerggeistern des kleinen und doch so furchtbar
großen Uebels ist doch auch ein Abbüßen. Es muß ja ein Nest irgendwo geben, wo
Hab' auch oft über das Nichts geträumt, aber es ist nichts mit dem Nichts. Es kann nicht
Nichts sein, das Nichts kann nicht sein. Zu: Nichts kann man nicht setzen das Verbum: sein,
außer wo man von einem bestimmten Einzelnen, das war oder zu sein scheint, auszusagen hat, es
sei Nichts mehr oder Nichts. Weil nicht Nichts sein, weil das Nichts nicht sein kann, darum,
einfach darum ist die Welt. Zu dem Begriffe des Nichts gelangt man anders nicht als an der
Springstange des Seins. Irriger Weise auch an der Stufenleiter des Seins, absteigend nämlich.
Man geht
Gleich kindisch ist es, dem Universum das Prädikat schlecht beilegen. Was absolut, was
nothwendig ist, steht unendlich über Gut oder Schlecht. Das Universum ist, weil es ist, und ist
so wie es ist, weil es so ist. Das Prädikat gut oder schlecht ertheilen wir, indem wir unsern
Standpunkt über und außer dem Gegenstand nehmen und ihn mit andern Gegenständen vergleichen.
Wir können aber aus dem Universum ja nicht hinaus, es gibt kein Universum neben oder über
demselben, auf das wir uns stellen und das Universum abschätzen könnten. — Ich kann mein
Vaterland verlassen und die Welt sehen, ich kann sie auch durch Bücher kennen lernen und ich
gewinne so einen Standpunkt über meinem Land und seinen Leuten, zu denen ich selbst gehöre und
mit denen ich vorher unkritisch und selbstzufrieden in der Masse dahinschwamm, so daß ich sie
nun einer Schätzung, einem Urtheil unterwerfen kann. Aber aus dem Universum kann ich nicht
fortreisen, kann nicht andere Universa durch Bücher kennen lernen, kann es aus keiner
Vogelperspektive sehen. Davon gar nicht zu reden, wie winzig der Theil des Einen und einzigen
Alls ist, den ich übersehe. Gibt es nun da neben dem, was wir gut nennen, Vieles, was wir übel
nennen, was kann ein vernünftiger Mensch Anderes dazu sagen, als: ich übersehe zu wenig, um die
Summe zu ziehen, und da das Universum nothwendig ist, so wie es ist, so wird
Ich hab', glaub’ ich, schon einmal in diese Blätter geschrieben, dem Pessimismus gehe ein verborgener Rest von Theismus nach. Sie wollen sich’s nicht gestehen, daß sie den Kinderbegriff von einem Gott nicht los werden, der zwischen verschiedenen möglichen Welten wählte. Das beweist eben ihr Schlechtfinden „dieser“ Welt. Gut oder schlecht kann im Grunde nur sein, was Jemand gemacht hat. Die Welt kann nicht gemacht sein, weil die Kategorie Kausalität nur innerhalb des Ganzen, nicht für das Ganze gelten kann. Was von selbst ist, ist weder gut noch schlecht, sondern nothwendig. Es kann Einzelnes im Naturreiche für mich gut oder schlecht sein, aber nicht vom Naturreiche bloß (gegenüber dem moralischen Reiche) spricht man, wenn vom Universum die Rede ist und man es nothwendig nennt, sondern vom Ganzen. Wer dieß Ganze tadelt, der meint, es sei ein Machwerk. — Eine gute Arznei gegen die Uebel darin oder eigentlich gegen die Klage darüber ist und bleibt Beyle’s Satz: ce qui excuse Dieu, c'est, qu'il n'existe pas. Uebrigens war der Taugenichts Beyle ein Narr, der trotz diesem guten, echt religiösen Wort einen persönlichen Gott glaubte und haßte wie der Krämer von Brackniz.
Nun aber ist die Aufgabe, in dem, was ist, zu unterscheiden, was sich als wesenhaft bewährt und was zwar nothwendig, aber nicht wesenhaft, sondern nur Moment ist, damit Wesenhaftes sein könne. Das vermögen wir. Wesenhaft ist nicht die Materie, das meint ja auch Schopenhauer nicht. Wesenhaft sind die Gattungsformen. Wesenhaft ist die Wissenschaft. Wesenhaft ist die Kunst. Wesenhaft aber auch alle redliche Arbeit. Denn sie ist Arbeit an der sittlichen Weltordnung.
Ob es aber eine solche gibt? Nein, was man so sagt: „es gibt“, das nicht. Das „es gibt“ ist überhaupt, angewandt auf das wahre Sein, das nichts Einzelnes ist, ein Unsinn. „Gäbe“ es einen Gott, so wäre er ein Einzelner, also nicht das Absolute. — Die sittliche Weltordnung ist nicht außer dir. Sie ist nur durch dich. Glaube sie und du hilfst sie — mit allen Guten — machen. Da ist der Glaube die Ursache dessen, woran er glaubt. So ist es mit allem ethischen Glauben: was er glaubt, macht er. Vom Glauben im Sinne der positiven Religion ist hier nicht die Rede, das gehört in ein anderes Kapitel.
So ist es auch mit der Lust. Unser Glaube an Lust macht Lust. Wie kann man also meinen, man
Wie wir Studenten waren, giengen wir einmal draußen vor der Stadt an einer Sumpflache vorüber, worin ein Schöpfkübel mit langer Stange lag. Will sich ein knotiger Bursch den Spaß machen, einem Kameraden rücklings den Kübel über den Kopf auszugießen. Schöpft, hebt hoch und der Inhalt fällt ihm selbst auf den Kopf. So macht's nach den Pessimisten der Weltgeist.
Eier von Lustspielen oder Possen. Ein Onkel will seinen Neffen, lustigen Studenten, der öfters zu viel trinkt, einmal abfassen. Begibt sich in das Wirthslokal, wo die Studenten sitzen, in ein Nebenzimmer, um von da im rechten Moment hervorzubrechen und den Jüngling im Blütezustand seiner Sünde zu ertappen. Trifft Gesellschaft, trinkt, trinkt fort, und endlich findet der Neffe, der in's Nebenzimmer tritt, den Onkel vollständig reif, vom Neffen nach Hause geführt zu werden.
In einer Vorstadt von . . . . . traf ich noch einen alten Briefträger, der halb blind und
halb taub war.
Junger Mann tritt auf in einem Gasthof. Ist in die Kreisstadt gereist, um seine Scheidung zu betreiben. Sieht am Fenster gegenüber eine reizende Erscheinung. Es beginnt ein Roman auf Distanz während der langen Weile des Prozesses. Zeichen, Briefchen u. s. w. Muß gesteigert, gespannt, auch gelegentlich exponirt werden, daß er kurzsichtig ist. Endlich Zusammenkunft. Die Unbekannte ist seine Frau. Versöhnung.
Ließe sich nicht die Agnes Bernauer noch einmal behandeln? Folgendes gäbe eine hochtragische Szene: Prinz Albrecht ist von Straubing, wo er Agnes im Schloß geborgen glaubt, Ingolstadt zugeritten, mit lustiger Begleitung. Macht Halt bei einem Dorf. Ahnt nichts vom Vorgehen des Herzogs gegen Agnes, vom Hexenprozeß. Selig in seinem Glück, übermüthig. Man zecht im Freien, in der Nähe eines Bauernhofs. An dessen Wand liest Albrecht den Spruch:
„Wisch' ab!“ ruft Albrecht einem der Begleiter zu. Dieser sträubt sich — warnt — tiefe Scheue. Der Prinz will ihn zwingen, vergeblich; „verlangt's nicht, Herr! Mir hält ein Geist die Hand.“ Albrecht ergreift eine Hellebarde und schürft den Spruch aus. Im selben Augenblick kommt ein Bote und berichtet, wie Agnes vertränkt worden ist, mit allen grassen Einzelheiten des Hergangs. — Albrecht fällt in Ohnmacht.
Schon gut, aber was helfen mir die ungebrüteten Eier! Ich bringe nichts fertig. Bin ich ein tragischer Mensch? Nein, ich bin ein richtiger Polizeimann. Aber es füllt mich nicht aus. Poesie, Philosophie: bringe nichts fertig. Ich bin ein rüstig marschirender Stelzfußmann.
Ich glaube, mit der bildenden Kunst befasse ich mich noch zu wenig. Meine paar Bilder,
Kupferstiche, Galeriegänge auf Reisen in Deutschland genügen eben nicht. Die bildende Kunst ist
mir doch so wohlthätig,
Es ist hohe Zeit, hereinzuholen, Italien zu sehen. Wenn ich hin könnte! Rom — da sollte Manches in mir sich setzen. Umbrien, Heimath ihrer Mutter, sehen — meiden? Könnten zufällig da sein — oder doch hin?
Ich habe Stiche gesehen nach Pietro Perugino und wenige Bilder von ihm in deutschen
Galerieen. Von Raphael's Jugendwerken die Madonna del Granduca,
Die Alten haben vom Ich, von dem Gespenste des Ich eigentlich noch nichts gewußt. Die
Italiener werden auch nicht darüber grübeln. Man wird das also los werden dort? Doch ja nicht
so ganz! In dieser Krankheit ist auch Wahrheit! — Fast allgemein unverstanden ist doch J.
Paul's Schoppe geblieben, wie ihn das Brüten über das Ich wahnsinnig macht! Es ist eines der
tiefsten poetischen Motive dieses Dichters. Nur fehlt in diesem Brüten eine Unterscheidung.
Wenn ich so Nachts im Bett vor dem Einschlafen über das Ich nachdenke, fühle ich immer gar gut,
wie man darüber wahnsinnig werden kann. Doch nicht eigentlich, daß Ich ist, ist so seltsam, daß
es verrückt machen könnte, darüber nachzudenken. Die Natur mußte auf der Spitze ihrer Bildungen
den Sprung über sich hinaus machen, daß sie Wesen schuf, in denen sie sich selbst erfaßt, in
denen also der Zirkel besteht, daß Erfassender und Erfaßter Eines ist. Aber dieser Ich! Daß es
da Einen gibt, der A. E. heißt, der infolge Geburt von diesen Eltern, infolge Vererbung aus
unendlicher Ahnenreihe, auf Grund unzählbarer Um
Ich wäre gewiß gesetzter, wenn es nur nicht so langweilig wäre. — Sitze ich bei Holzköpfen, so reizt mich ihre Fadheit, Langweiligkeit, wichtige Wohlweisheit und leerer Ernst, zu salzen, zu versalzen, zu übertreiben, meine Rede auf alle Art in's Leidenschaftliche zu steigern, um die Klötze zu erschrecken, aufzuregen, aufzuwecken. Natürlich verstehen sie es nicht, meinen, es sei mir Alles ernst, belehren mich, spotten, werden unangenehm.
Cum grano! Cum grano! Cum grano salis! Wie Blutwenige verstehen's! Man kann nichts sprechen,
wo sie nicht gleich meinen, es sei Alles buchstäblicher, dicker, blutiger Ernst. Hören die
Obertöne nicht; bei einem lebendigen Menschen schwirren ja neben dem
Fordert es aber Zweck und ernster Augenblick und exakte Bestimmung, so wird kein rechter Kerl die Kraft der Einseitigkeit scheuen.
Noch etwas bereitet mir viel Noth. Wenn ich mich für einen Satz, irgend eine Vorstellung
erwärme im Gespräch, so schwebt mir oft ein imaginativer Gegner vor, gegen den ich hitzig
werde, mich heftig ereifere, während der wirkliche Mensch, mit dem ich rede, ganz mit mir
einverstanden ist, oder, wenn nicht oder nicht ganz, mich dach mit keinem Worte gereizt hat.
Das pflegt nun der nicht zu verstehen, bezieht es auf sich, und so — wie oft bin ich
mißverstanden worden, wie oft
Wenn ich mich unter dem Lärm vieler umgebender Gespräche mit Jemand unterhalten soll, wenn ich daher schreien muß, um verstanden zu werden, so erzeugt sich mir sehr oft aus meinem Schreien die Vorstellung, ich habe Streit, und ich muß mich dann sehr zusammennehmen, nicht heftig, nicht beleidigend zu werden gegen ganz harmlose Mitsammenredner.
Uebrigens habe ich kaum je erlebt, daß mein Nachbar in einem von Gesprächen durchschwirrten Lokale mir den Gefallen gethan hätte, die Stimme so weit zu erheben, daß ich ihn verstehen konnte. Mich lassen sie geruhig die Lunge anstrengen und den ganzen Abend fragen: „Was?“ — „He?“ — „Wie?“ — O Sinnenrohheit! Sinnenstumpfheit — !
Nestelt sich da gestern einmal wieder in Gesellschaft Einer an mich an und legt sich mir mit
einem Seitengespräch in's Ohr, ja einem subtilen über feine Fragen, die in Stille bedacht sein
wollen; vergeblich bedeute ich
Einmal wieder bei einem Leichenbegängniß gewesen, im Zuge gegangen; sehr verdienstvoller Mann begraben. Es war wieder, als zöge man mit einer wandelnden Kaffeevisite; man schwatzt, gestikulirt, lacht, man mäßigt nicht einmal die Stimme. Und es sind lauter Männer aus den gebildeten Ständen! Also nicht einmal so lang, nicht einmal, wo es doch gilt, den Ernst des Todes, die Religion des pietätsvollen Andenkens auch nur wenigstens der Form nach darzustellen — auch das nicht! Könnt ihr denn auch absolut nur Ordnung halten, wenn ihr den Stock seht? Ein Beamter gieng neben mir, redete mich immer an und begriff nicht, warum ich ihm keine Antwort gab. Der wird mich nun auch für ein Ungeheuer halten, für einen Schweigtyrannen, während man mich da, wo Sprechen vergönnt ist, für einen Gesprächtyrannen hält.
Auch die besten Todten haben eine Unart, sie ziehen beim Begräbniß gern die Freunde zu sich hin
Ich werde doch oft Menschenfeind, was doch gar nicht in meiner Art ist. Das Misanthropenwesen ist im Grund eine affektirte Geschichte aus dem Zeitalter der Sentimentalität. Es müßte sehr langweilig sein, die Maske festhalten. Einfach unlogisch; ich bin ein Individuum der Gattung, ein so kleiner Bruchtheil, daß ich allein mir doch nicht die Gattung sein kann. Nun trifft man freilich nur allzu Viele, die bloß nominell der Gattung, eigentlich dem Thierreich angehören, aber man soll bedenken, daß man Eins in's Andere rechnen muß, läßlich sein, zuwarten, bis man auf einen Zähler trifft. Es kann nicht lauter Brocken, es muß auch Brühe geben. Schiller's „Menschenfeind“ ist eine gesuchte Macherei. In Shakespeare's „Timon von Athen“ ist's anders, der flieht die Menschen, aber er braucht sie doch immer, um sie anzuwettern und anzufluchen. Dieß ist energische Art.
Uebrigens hat man, wenn man es zeitenweis bei den Menschen nicht mehr aushält, die Thiere. Aus meiner Kinderzeit freut mich nichts so sehr, als wie ich eine „Arche Noä“ zum Christtag bekam.
Der Hund — abgesehen vom Amtshund — ist wesentlich und vor Allem Gassenjodel, eben ganz wie ein Bub. Dabei furchtbarer Renommist. Sein Fest ist, hinauslaufen mit dem Herrn, namentlich mit Pferd und Wagen. Er stürzt, wenn's fortgeht, hinaus mit wüthendem Lärm, er thut, als wollte er die Welt zerfleischen, ja, das Kantische Ding an sich zerschlitzen. Hallo! Wir sind da! Hellauf!
Wenn ich mit Caro an einer Wiese vorbeigehe, so springt er hinein, hält, sieht mich an, und jeder Zug, Blick, jede Bewegung sagt: Wohlan denn! Eh bene! Eh bien! — Ich soll mit ihm Fangens spielen.
Höchst komisch ist das Scharren des Hundes, wenn er Wasser gelassen hat. Er vergißt
vollständig, warum er es thut, fällt ihm nicht ein, dem Zweck des Zudeckens gemäß zu verfahren;
hält sich für ein Pferd, das
Die Thiere sind auch sehr eitel. Zeigen, was sie können: fliegen, springen, apportiren, klettern u. s. w. Die Katze folgt dem Herrn, der Frau in den Garten, klettert auf die Bäume und sieht oben herunter: da guck her! mach's nach, wenn du kannst! Kommt ein Besuch, so hüpft sie auf den Sopha zu ihm, schmiegt sich ihm an und sagt mit jedem Zuge: siehst du, das ist nun unsere Stube! und ich gehöre auch dazu. — Pferd, Kuh sogar, wissen sehr wohl, wenn sie aufgeschmückt, bekränzt sind.
Ein ganzes Hauswesen wäre schon recht, aber — aber — wer das erfahren hat! — Und, wenn je ein gut Weib, ob sie meinen Kampf mit dem Objekt verstünde? Und wenn das nicht, wenn wohlweis, welches Elend!
Frauen sind die Schützerinnen der Unlogik. Ohne sie würden die Männer pedantisch. Tausend und
tausend Fälle gibt es immer, wo es nicht die Logik,
Anders, wo es auf Logik ankommt, da können sie abscheulich werden.
Bist du irgend ein Mensch, der gern nachdenkt, und willst heirathen, so nimm ja kein Weib, außer ein philosophisches. Unter philosophisch verstehe ich hier eigentlich das Gegentheil von philosophisch und doch auch wieder nicht das Gegentheil. Das Weib soll nur so viel des Ahnenden in sich haben, daß sie fühlt: mit Gemeinplätzen ist es nicht gethan. Erwischest du ein Weib — es mag in weltlichen Dingen noch so gescheut sein — in göttlichen Dingen platt rationalistisch (von dumm pietistischen nicht zu reden), so gibt es im besten Fall eine lahme Ehe, wahrscheinlich eine unglückselige. Das Weib wird dir zuerst langweilig, dann nach und nach verhaßt werden. Nun ist aber die Mehrzahl der Weiber natürlich höchst zufrieden mit der geläufigen Lösung des Welträthsels: der liebe Gott hat die Dinge eben so gemacht, Punktum. Und da das Weib äußerst zur Wohlweisheit neigt, ist es auch fähig, einen Mann, der weiter denkt, lächerlich zu finden, sogar ihm noch zu predigen. Ergo: du thust unter Anderem auch darum gut, nicht zu heirathen.
Man darf nur auf der Straße Kinderspielen zusehen und die kleinen Fratzen beobachten, so wird man den Satz nicht bestreiten, daß Wohlweisheit ein Hauptlaster des Weibs ist. Ach, weil „Weibersinn spannenlang ist“, darum ist ihnen Alles so schrecklich klar! Vielleicht weil Sokrates gestand, daß ihm nichts klar sei, wurde Xantippe zu einer Pantoffelmeisterin und zu einem Drachen.
Aber: incidit in Scyllam — noch viel schlimmer das Weib, das die Seichtigkeit der Gemeinplätze erkennt, aber nun den Weg der Unweiblichkeit einschlägt, das eigentliche Philosophiren anfängt und Blaustrumpf wird. Nein! nein! still ahnend und bescheiden, im stillen Ahnen begreifend, daß ein denkender Mann mit Grund, wenn auch ohne ganzen Erfolg, sich forschend abmüht: so ist das rechte Weib. Das Weib ist in seinem helldunklen Wesen eine geheimnißvolle Einheit der Weltpole Natur und Geist. Will es zugespitzt aus dieser Einheit heraustreten, so wird es actu weniger, als es im Wesen ist, theilt sich, verliert sich, wird unangenehm, widerwärtig. Es gibt eine Dummlichkeit, die unendlicher Anmuth voll ist. Eine Desdemona, eine Ophelia webt mitten in dem Traum, worin der Weltgeist dichtet.
Es gibt auch eine mittlere Gattung: ahnende Weiber mit einzelnen scharfen Gedankenblitzen — die geistreichen. Es kann scheinen, dieß wäre ja das Rechte. Aber da sie es zum Ordnen der Gedanken doch nicht bringen und da sie übrigens sehr gesalzen sind, so sind sie beunruhigend und öfter bös, als gut. — Man kommt immer auf's Einfachste zurück: wünsche dir ein Weib, gut, wiewohl nicht dumm, verständig für die Welt, ahnungsstill in tieferen Dingen und dann etwa den Tagmenschen dummlich erscheinend, — thut nichts —. Es wird auch solche geben, aber sie zu finden müßte man mehr Glück haben, als unsereiner, und übrigens ohnedieß — o stille, an solche Sachen sollte ich gar nicht denken!
Im Elend dieser Zeiten, in dieser Aera der Konkordate, der Staaten, die ihre ganze Aufgabe
darein setzen, „Feuerlöschanstalten“ zu sein, des verrathenen Schleswig-Holsteins, des
entehrten Preußens, des knabenhaften Gedankens, dafür in Neuenburg Lorbeeren zu holen, nun
dieser Dinge in Italien, da Deutschland, Europa den Spieler in Frankreich groß und größer
werden, sich ganz über den Kopf wachsen läßt, — ich kann es einem Philistersmann nicht
verdenken, wenn er auf's Heirathen verfällt, um sich in seine vier Wände warm einzuspinnen, und
zu dem Zweck nun
Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das versäumte Italien! In die Kunst, in's Große der Kunst — hier mich einspinnen, hier mich mit ganzer Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben Alles, Alles so styllos liegt, nichts Durchschlagendes, nichts, was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein Hinderniß für mich, daß es jetzt in politischen Geburtswehen liegt. Eben, weil mich das so zwiespältig bewegt. Bin kein ästhetischer Ruhkopf, gönne der Nation, daß sie wird. Aber gerade weil mich das beschäftigt, ich aber dabei nichts zu thun habe und weil ich als Deutscher den Würfler hasse, dem sie's verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Betrachtung leben will, so weiß ich doch kaum, ob ich jetzt hinreisen sollte, wenn ich könnte.
Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder im Aeschylos gelesen. Agamemnon. Wie Klytämnestra
Möchtest du es zum großen Styl bringen in der Kunst, in der Dichtung? Ich weiß dir ein Rezept dazu: habe eine große Seele. Wenn man's nur in der Apotheke bestellen könnte!
Es kommt Alles darauf an, ob Einer ein Kerl ist, das heißt, ob er Kaliber hat. Wie viele hübsche Sachen bringt Tieck! Er hat Geist, Witz, viel bildliche Erfindung, Anmuth, schwebendes Spiel, aber er hat kein Kaliber und so ist er doch eigentlich nicht unsterblich geworden. Die Zeit ist eben eine starke Worfelschaufel.
Uebrigens führt das zu schweren Fragen. Die Formalisten werden sagen: gut, so kommt bei den
Künstlern, Dichtern, die Größe haben, zum ästhetischen Werth ein zweiter, ein ethischer, hinzu.
Aber ich bitte! Die innere Wucht in der Seele der großen Künstler hat ja doch eben die Formen
selbst gestreckt! Das Große ist doch nicht neben den Formen! Also handelt es sich doch um eine
völlige Einheit zweier Dinge: „der Gehalt in deinem Busen und die Form in deinem Geist.“ Oder
vielmehr dieses Wort Goethe's ist selbst
Soll auf einige Wochen nach Schwaben reisen, städtische Anstalten einsehen, Gefängnißwesen und Anderes. Auch gut, verluste mich nebenher, möchte auch bei der Gelegenheit die alte süddeutsche Malerschule besser kennen lernen; Zeitblom muß etwas von Styl haben und Farbe dem Giovanni Bellini verwandt.
Einen heiligen Sebastian von ihm aufgetrieben um viel Geld, das Geld fast so gern ausgegeben wie für großen Opferakt an rebellischem endlichem Objekt. Wahr, wahr, auch da ist Styl: Feier, Gesammeltsein tief in sich vor Gott. Farbe warm verarbeitet, leuchtend. Aber etwas Geschmackloses, etwas Vertraktes muß hinein, anders thun sie's nicht, unsere alten deutschen Meister. Bei Zeitblom außer der eckigen Dürre überall die dumme, bornirte Schwellung über der Nasenwurzel, die Nase selbst immer roth angeflogen. Will er, muß er damit die gewisse Verknopfung im schwäbischen Wesen ausdrücken?
Meine, sie nun zu kennen, diese Schwaben. Schwerblütig, unvermögend, sich aus sich herauszuleben. Wie leichtlebig dagegen selbst unsere mitteldeutschen Stämme! — Und dabei merkwürdig starkes Stammesgefühl. Meinen, ihre Eigenheiten seien bessere, eignere Eigenheiten, als die Eigenheiten anderer Stämme. Meinen, sie haben die Gemüthlichkeit gepachtet.
Gemüthlichkeit? Es ist jeder Dialekt gemüthlich und behüte uns der Himmel vor Dialektlosigkeit! Sie mögen Recht haben, daß sie durch alle Stände daran halten. Aber es ist auch Gefahr in diesem Hegen, es bildet sich ein behagliches einander Mögen und Gernhaben im engen Kreise, ein Element, aus welchem schwer zum resoluten Aussprechen der Wahrheit aufgetaucht wird, wenn sie unangenehm ist. Die Vettermichelsgemüthlichkeit liegt so nahe an der unwahren Höflichkeit, als der weltglatte Bildungsschliff, mag sie auch am unrechten Orte manchmal grob sein. Man sollte Jedem, der unfrei im Dialekt hängt, auf zwei Jahre den Gebrauch desselben bei Strafe verbieten und nachher wieder erlauben.
Nachdenkliches Wesen, viel Talent, aber stellt das T und L um, bleibt latent. Sind so
gescheut wie nur irgend Jemand, haben aber wie die Schildbürger
Auch Gutes in dieser Verstocktheit? Hassen windiger Volubilität? Flunkerhaften Leichtredens?
Gewiß, und darin viel Recht. Begründeter, gerechter Widerwille gegen das Umsichwerfen mit
vergriffener Sprachmünze bei so manchen Norddeutschen, gegen die Schwatzvirtuosität und
Wohlweisheit des Berliners. — Auch eine gewisse edle Scham, das Innere nur so geschwind
herauszugeben? Selbstgefühl, das sich gegen Modelebtag sperrt? Ja, auch davon ein Korn, im Uebrigen
Die Schwaben sind zornig. Muß namentlich vom Neckarwein kommen, der bös macht; hab’s in jenen Wochen an mir erfahren. Schiller veredelte diesen Zorn zum Zorn gegen das Gemeine. Das Volk sehr roh, so viel ich an Sonn- und Feiertagen auf der Eisenbahn bemerken konnte. Besonders wüstes Fluchen. Auch wilde Thiermißhandlung. Beamter in Stuttgart, klarer Mann, fähig, aus Vogelperspektive zu sehen, sagte: was ein rechter Schwab ist, wird nie ganz zahm. — Sehr häufig die „oculi truces“ des Tacitus.
Formlosigkeit prinzipiell gemacht: sie gilt für wahre Natur; Form gilt für affektirt, vor Allem: höher belebte Form, doch auch einfach richtige Form, zum Beispiel reines Deutsch. Wissen aber doch in Kunst und Wissenschaft sehr wohl, was große Form ist.
Vieles offenbar auch Folge der langen Abgeschlossenheit vom großen Verkehr. Weltlosigkeit,
Versessenheit, Stagnation. Hauptstadt in einem Kessel, können nicht oben hinausgucken. Entsteht
ein deutsches Reich,
Halten sich in ihrer Selbstliebe für besonders ehrlich, solid, reell — während es mit der Gewissenhaftigkeit in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar besser steht als irgendwo in unserer Zeit. Herrschend selbst in Städten, lang sogar in der Hauptstadt, lumpiger, fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von diesen gefälschten Mauern muß ein Geist der Unsolidität in alle Geschäfte ausströmen. — Hören gern: „biedre Schwaben“. Der wahre Biedermann wird aber die Biederkeit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.
Das viele Talent sichtbar in viel Humor. Aber dieser Humor öfters in's Kleine, eng Lokale
verkräuselt. Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt sich leicht gegen wahres wie gegen
falsches Pathos. Spottlust dadurch etwas entschuldigt, daß man sie selbst viel verspottet und
doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt verspottet man oft ungerecht; unter all' seiner
Unschönheit ist doch ein feiner Sprachsinn verborgen, ein Ohr, ein Nerv von viel Schärfe für
Sprachfehler moderner
Beamtenstand habe ich in Mehrheit sehr gewissenhaft gefunden. — Auch die Sitte im Ganzen und Großen noch etwas intakter, als anderswo. Verkehrsanstalten exakter Dienst. — Viel Tüchtigkeit. — Schulwesen höchst solid.
Summa: Völklein schwer zu begreifen; Gutes und Schlimmes verknäuelt wie kaum irgendwo. Ueberrascht aus seiner engen Existenz die Welt auf einmal mit einem Schiller, Schelling, Hegel. Vielleicht kann man sagen: unter dem dichten, knorpligen Schildkrötenschild ein stets gesparter, obwohl auch viel zu sehr gesparter Schatz von Talent und Kraft. Dieß die mildeste Ansicht und billigste Entschuldigung. — Nur der Lebtag von der Gemüthlichkeit sehr verdammenswerth, erregt Ueberdruß.
Das ist übrigens auch wahr: keinen einzigen blasirten Menschen habe ich gefunden, und bin doch mit Vielen umgegangen. Dieß besagt nicht wenig.
Gemüth ist warmes, inniges Eingehen in Zustände, Thiere, Menschen, Scharfer Gegensatz gegen
die Sinnesart, die mit Begriffen oder Zwecken sich nur von außen über die Dinge herspannt,
daher humorlos ist und zum Beispiel nicht begreifen kann, warum ich auf der Straße stehen
bleibe, dem Spiel junger Hunde zuzusehen. Ist sehr arm an Sinn für's Naive, versteht vom
Komischen fast nur das Ironische. Hierin nun sind die Schwaben sehr gut organisirt, auch die
Bajuwaren; die Franken, zu denen ich mich rechne, obwohl nahe der alten Sachsengrenze, bin ich
noch so eitel zu nennen. Das Niederdeutsche ist laugiger, neigt mehr zum schelmischen Aufziehen
(Reineke Vos). — Zum Finden oder Erzeugen des Komischen gehören zwei Dinge: jenes Eingehen,
Mitsein, sich Mitfühlen im Andern, also selbst noch naiv sein; gleichzeitig aber darüber
schweben mit Blick der Geistesschärfe. Wem das Erste fehlt, der mag lieber gar keinen Versuch
machen, echt Komisches zu genießen, mag sich mit der sauern Dünnkost des Spottes begnügen. —
Gut, also Gemüth. Etwas Anderes ist Gemüthlichkeit, sie ist verbreiteter Gemüthston, ist
Gemüthston als Lokal- oder Provinzialkostüm, namentlich im Dialekt (zum Beispiel starker
Gebrauch von Diminutiven). Nun aber, wenn dieß Ton, Kostüm geworden, so spricht und thut auch
der Spitzbube, der Betrüger, ja der Mörder gemüthlich. Damit verliert es allen
Noch Abstecher in die Schweiz. Tüchtige Männer kennen gelernt, brave, gastfreundliche Häuser.
— Schon auf der Eisenbahn aufgefallen: man sieht mehr ganze Köpfe als anderswo. Ganz: worüber
die zermürbende Egge der Kultur mit ihren theils nützlichen, theils charakterebrechenden feinen
giftigen Spitzen nicht gegangen ist. Man hört auch gottlob nicht so viel von Gemüthlichkeit.
Was ich von jungen Leuten aus der Sphäre wissenschaftlicher Bildung kennen gelernt, frisch,
frei von Ironie. — Schulen blühen, Dörfern ein schönes Schulhaus Ehrensache. Reinlichkeit
höchst wohlthuend. — Habe bemerkt, daß die Wahrheit mehr in's Gesicht gesagt wird, als in
unserer verschlissenen Welt, obwohl oft stroblig rauh; doch wie viel besser dieß, als nach dem
Maul schwätzen! Aber ernste Männer klagen über den reißenden Fortschritt des Geldgeistes.
Monarchieen, sagt ein Schweizer selbst, ein guter Republikaner, zu mir, öffnen den menschlichen
Leidenschaften mehr Abzugskanäle, zum Beispiel Titel, Adels
Wieder zu Haus. kleine Reise will in der Nachkur nicht vorhalten. Wenn ich mich vom Amt
verschnaufe und meinen Zeitblom ansehe, seinen Ansatz zur Streckung der Formen und daneben doch
das Verwachsene, Unfreie, Verknorrte, so kommt mich's nun erst recht an: ich sollte eben doch
hin, muß hin, muß den freien, großen Styl in der Kunst endlich einmal anders schauen, als nur
in Gypsabgüssen und Stichen. Ein
Und ihrer Mutter Heimat sehen, das wird ja erlaubt sein und nicht zu stark an der Seele zucken, so daß sie aus der Ruhe der Betrachtung gerissen würde.
Bravo! Noch einmal Bravo! Zwei Dinge auf einmal: Neues Amt, größere Kreisstadt und vorher
Urlaub! Doktor wieder brav; schreibt mir Zeugniß: „Abgearbeitet — akute und chronische
Affektion der Schleimhäute — gestörte Verdauung — mildere Luft — Bewegung — mildes Klima —“
Wollte eigentlich Kairo, doch läßt mit sich auf Italien herunterhandeln. Regierung willfährig,
insbesondere weil ich dazumal mit dem kommunistischen Gesindel fertig ge
Sammlungen von Pfahlbewohnerresten — Bodensee — Schweizerseen — Steinzeit, Bronzezeit. Man wird ganz zu Hause, haben es auf ihre Weise ganz bequem gehabt, glaubten sich gewiß auf Bildungshöhe. — Gedanke einer Pfahldorfgeschichte. Mondsymbole — halt, daraus kann eine Religion für die Pfahlmenschen herausgesponnen werden!
Desenzano. Muße zum Schreiben, Strafe für meine Dummheit und vielleicht doch gut, daß ich
mich etwas sammle von der Hast. — Durch die Schweiz gehetzt, will jetzt nichts von Gebirgsland,
vollends wenn vollgestopft mit Reisegeziefer. Abgeleckte Idylle. Wenn einlassen, dann brauchte
es mehr Zeit, erst im Volk, fernab von den Gasthöfen, zuzusehen, wie viel noch alter Kern da
ist. Hat mich nur der Splügen gefreut und wie flott der Postknecht die Zickzackwendungen
hinabfuhr nach Chiavenna; das Resolute thut wohl, die hohen Berge sind auch resolut, aber mir
für jetzt zu hart, zu formlos.
Vom Bahnhof aus die Spia d'Italia gesehen, steht bei Solferino auf der Höhe, wo der blutige Kampf war. Nicht hinüber! Das nicht sehen! Die Faust ballt sich mir gegen den glücklichen Croupier, während doch Oesterreich auch recht geschah für seine Lumperei. Aber der Croupier wird's auch noch büßen, das weiß ich. Doch Vorsatz halten! Keine Politik!
Verona. Arme Maulthiere und Esel! Seufzende Kreatur! — Ihr stammt von dem Gesindel, ihr Thierschinder, das einst dort in der Arena die scheuslichen Kämpfe ansah. — Für was lauft ihr in die Kirchen?
Das katholische System ist Reklame, Revalenta arabica, Königstrank, Mailänder Haarbalsam. Kommt zu mir, ich habe eine Apotheke, euch selig zu machen ohne eigene Mühe! Was ihr am meisten fürchtet: das Gewissen und den Tod: ich zieh' euch den Zahn schmerzlos aus!
Doch nett in San Zeno. Ich trete in der Abenddämmerung ein. Dort in einer Kapelle ein
gewöhnliches Kerzenlicht. Ich gehe hin: eine alte Nähterin näht an einem Röckchen für's
Christkind auf morgen
Und nun heut Abend! In der Kapelle der ganze neue Kindszeug ausgestellt: Häubchen, Kittelchen für's Christkind. Gedräng dahin von Mädchen, Frauen. „Ma, quanto grazioso! che carino!“ — Man muß immer wieder lachen. Die Menschen bleiben Kinder.
Bologna. Akademie. Wie wird mir nun meine Vorstellung von diesem Pietro Perugino zur Wahrheit! Zu den Menschen da unten, die in unsagbarer Sehnsucht hinaufweinen, wie, mit welchem Blick der Unendlichkeit neigt aus geöffnetem Himmel die Jungfrau sich herab! Dabei Alles noch grundnaiv, auch die mandorla, die Mandelform der Oeffnung des Himmels. Und doch Farbe schon tief warm, leuchtend von Seele.
Florenz. Hier Nachts im Mondschein! Da wandle mit Andacht! Wo wären wir ohne diesen
Quellpunkt aller neueren Bildung? Barbaren, nichts weiter. Dort im Garten lehrten die Griechen.
Dann all' die Dichter und Künstler! Die Geisterluft, die von
Es ist wahr, die Renaissance war nur die eine Hälfte der Wiedergeburt, die andere die Reformation. Diese die ethische, und wie nothwendig! Eine Halbheit zwar, auch mit ihrem eigenen Maßstab, dem der Religion, gemessen. Aber durch Halbheiten geht die Geschichte; die Menschheit erträgt nichts Ganzes. Und wohl der Halbheit, die ein gut Stück vom Centrum, vom Kern des Ganzen hat! Luther hat viel Unnöthiges stehen lassen, aber in ihm brannte Centralfeuer, heiliger Grimm aus heiliger Liebe sprühend. — Deßwegen gehören auch nicht je wieder zwei Völker so zusammen, wie Deutsche und Italiener. Die zwei Hälften der Menschennatur suchen sich. Die Italiener erkennen es jetzt noch wenig, hassen uns historisch-politisch, aber es wird schon kommen.
Wie sich's gestreckt hat, weiß ich jetzt, hab's mit Augen verfolgen können. Kapelle Brancacci
in S. Maria del Carmine: Masaccio, der hat den größten Ruck gethan im Strecken. Aber wenn mir
ist, als geriethe ich bei diesem Anblick selbst in's Wachsen und freie Auswickeln, wie eigen
rührt mich doch gleichzeitig
Und dann, ich kann sagen, wahrhaft gute Stunden genieße ich in S. Maria Novella. Welch ein edel freier, heiterer Mensch ist dieser Domenico Ghirlandajo! Da geht's hinaus in die schöne, sonnige Welt. Und hinein in das Wärmeliche der Zustände menschlichen Behagens. Wie köstlich diese Kindsstuben, das Pflegen der Neugebornen, die Nachfragen der besuchenden schönen Frauen und Mädchen, die wohnlichen Räume! Und wieder, welche Würde der Gestaltung schon, welche ernste Ruhe und adelige Bewegtheit!
Pitti. Madonna del Granduca. Nicht ganz, ihr Gesicht um einen Hauch schmäler, aber doch sie! O ja, sie, das ist sie! — Solches Oval, solches Blicken, Neigen, Beugen — nur Raphael, nur er, und er, als hätte er sie gesehen!
Der große Grabmalkünstler von San Lorenzo will mich nicht recht annehmen, stehe dort bald hingerissen, hoch getragen, bald geärgert. Zu dieser genialen Geistertiefe der übertriebne Wurf und so viel widerwärtige Gedunsenheit. — Rom abwarten. Dort laß dich auch von der Antike erst ganz erfüllen, o Seele! Und von Raphael's ganzer Herrlichkeit!
Oft, wenn ich oben stehe bei dem Kleinod altfrommer Baukunst, bei San Mignato, und
herunterschaue auf Thal und Berge und Fluß und Stadt, und dann auch jenes Wunderbaren gedenke,
dessen Schatten hier umschwebt, des Hölle, Himmel und Welt umfassenden Dante, des Geistes, der
einer weitgespannten, hochgewölbten Kuppel gleicht, und wenn ich dann denke, wie viel Wildes
und Furchtbares doch auch an den Flächen dieser Kuppel wie mit Glut und Blut gemalt ist, dann
entsinne ich mich auch, wie viel doch gewüthet und gemordet worden ist in dieser sanften,
Da beginnt es, in Siena, da sieht man die traumhaft verschleierten, mandelförmigen Augen. Wie stimmen sie mit der Madonnenanmuth der keusch hageren alten Bilder! Ist es etrurisch, umbrisch? Wer waren diese alten Umbrier? Doch gewiß nicht Kelten, nicht Gallier; — Iberer? Dunkles, vorgeschichtliches Volk der Eusken? — Und ihre, ihre Sprache! Lingua Toscana in bocca Romana; nur in ihrem Mund feiner, ganz leiser, entfernt nicht unschöner Anklang des Englischen, — Stimme einer milden Fee, wenn sie lispelt. —
Gute stimmungsvolle Stadt, nicht nur so reich an Bildern, selbst Bild an Bild! Die gothischen
Paläste, burgartig, die Zinnenthürme, sie gemahnen den Deutschen deutsch; plaudernd mit deinen
freundlichen, feinen Bewohnern lebt man sich zurück in die alten Zeiten, ich wandle mit dem
guten Simone Memmi, dem ehrlichen Ambrogio Lorenzetti über den schönen,
Tiefer hinein in die alte etrurische Welt. Unheimliche Fahrt allein mit spitzbübischem Vetturino. Regen, Einkehr in Casciano: sitze fieberkrank auf dem Herd am Kohlenfeuer. Vetturin flüstert mit den Wirthsleuten, ich merke, das; er mich hier über Nacht festhalten, so den ganzen Kontrakt zu seinem Vortheil verwirren, vielleicht morgen mich Banditen in die Hände liefern will: weigert sich, einzuspannen. Ich springe wie ein Panther vom Herd und herrsche ihn an, daß er schnurstracks gehorcht. Kann doch noch befehlen. Und, Kerl, du ahnst nicht, wohin, wohin mein Sinn steht!
Mondnacht. Dort im Bergegürtel, hoch überragt von geisterhaften Gipfeln, blitzt silbergrau zwischen schwarzen Eichen der Trasimenersee auf. Im Röhricht flüstert's von Hannibal und Flaminius. Geisterheer von Reitern jagt die gedrängten Römer hinein in die Wasser, ich meine das Röcheln der Untersinkenden zu hören zwischen dem Schlachtgeschrei, karthagische, römische, gallische Rufe wild durcheinander.
Chiusi. Alter Herrschersitz des Porsenna. Heut Alles grau, schwerer Himmel, wandle durch Hügelland, Eichengründe nach alten Gräbern. Da — reichbemalte Grabkammer, kleiner Aschensarkophag mit stämmiger Figur des Todten. Stilles, stilles Todtenhaus; Geisterstube, ganz wohnlich, ausgestattet mit Allem, was dem Lebenden einst lieb war; sieht sich an der Wand im Bilde jagen, ausfahren mit zierlichen, schlanken Rossen. Todt sein ist doch auch gemüthlich. — Was schwebt im Halbdunkel? Welche liebe Geistgestalt? Warum so bleich, da sie ferne noch athmend im frischen Leben wandelt?
Chieserella bei Citta della Pieve. Jetzt kenne ich ihn noch besser, den guten Meister
Raphael's. Die Anbetung der Könige. Madonna schaut über das Kind
Und nun zur Abwechslung Salvator Rosa in natura: Einkehr in ländlicher Osteria, Wirthschaft in der Küche, Spieß dreht auf dem Herd; ein Jäger in hohen Campagnagamaschen mit Hund sitzt beim Wein. Alle Wände geschwärzt und darüber der rothe Feuerschein der Herdflamme. Hexenhafte Wirthin, höchst malerischer Schmutz ringsum. — Dann hinaus, weiter, von Ochsen hinaufgezogen nach Perugia.
Perugia. Da bin ich. Durfte es ja wagen, sie ist ja nicht da! — Ahnungsvolle alte Stadt,
über Bergrücken kletterndes, durch Schluchten geschlungenes Labyrinth altergefurchter Häuser,
Kirchen, Paläste, Klöster. Lucumonensitz im grauen Alterthum. Dann Römerpomp, Thor des
Augustus, Porta Marzia. Germanenzeit
Deutschen Kunstkenner getroffen: nennt Perugino süß sentimental. Man darf ihn nicht an die strengen, kräftig herben florentinischen Realisten halten, sage ich, man muß ihn für sich nehmen, sonst thut man ihm unrecht; seine weiche Welt ist seine Welt.
Das Elternhaus ihrer Mutter erfragt, auch erfahren, daß noch eine Muhme lebt, in Assisi
verheirathet. Hinüber! Dort winkt sie schon von Weitem her über die hohen Mauerbögen, die
Franziskuskirche. Stigmatisirt, heiliger alter Bruder? Gut. Ich auch.
Die Tante gefunden, gesprochen. Frau Cornelia Ruggieri. Entfernte Aehnlichkeit, mehr
latinisch. Gute Frau, echt katholisch, doch ohne Gift. Man sei sich etwas fremd geworden, seit
ihre Schwester nach Schott
Wirst du früh hingehen, hinwegschweben in goldgesäumte Wolken, aus denen du mir kamst? Und ich — dir nachsehen, wie die Apostel auf dem alten Bilde dort im Kloster, gebräunt von Erdensonne, verlassen, arm, hülflos emporschaun, da die Erde nun öde, leer, grau, verwaist?
Werde ich Nazarener? Man spürt hier recht, wie diese alten Bilder es unsern Overbeck, Veit, Steinle
Rom. Es ist wahr, es ist richtig. In Rom erfährt ein nordischer Mensch, daß sich etwas in ihm setzt. Wenn ich sehr übel aufgelegt, Blut im Kopf, Hirn gereizt, Augen trüb, brennend, Ohren roth und blau flammend, dann hat mir öfters ein gutes, gut gegebenes Theaterstück geholfen: Kopf wurde kühl, Augen klar, Alles, was nicht oben im Kopf sein soll, niedergeschlagen. Aristoteles hat seine ϰαϑαρσις halb physiologisch gemeint und muß genau an diesen Zustand gedacht haben. Nun, und so wirkt Rom auf die Grundstimmung. Das Alles ist zu groß, als daß deine Grillen, deine Ich-Aushegungen, Ich-Brütungen, Hirnschnaken dagegen bestehen könnten! Sie werden zu Boden gelegt. Höhere Art von Brausepulver. — Nun auch namentlich die Campagna. Diese plastische Erdhorizontale, dahinter doch reingezeichnete Berge, rechts fern das Meer: da wird der innere Mensch wie mit einem Modellirholz ausgestrichen, Knöpfe, Warzen, Buckeln, Raupen in der Seele planirt.
In unserem Klima, seiner Kälte, seinen Scheermesserwinden, strupft, so schneidig angeweht, der ganze Mensch nach innen um und zieht sich krampfhaft auf einen Punkt zusammen: das ärgerliche Ich. Da soll man nicht subjektiv werden! Der Südländer lebt mit seiner gesund transpirirenden Haut von innen nach außen, wir von außen nach innen. Doch mit dieser unserer Krankheit hängt untrennbar auch unser innerer Reichthum zusammen.
Also noch einmal: doch germanisch bleiben, nur lernen, nicht nachahmen, sonst flach, abgeflacht, leer wellenlinig wie die italienisirten, akademisirten Niederländer, denen Rubens und noch viel gröber Rembrandt die Faust entgegenballte.
Nimm dem Albrecht Dürer seine Ecken, Knorren, wurmgeringelten Faltennester: gut, versuch's
und sieh' zu, wo du durchschneiden kannst, ohne seine Eigenart gestrengen Charakters, sein
Gefühl des warm Beschränkten und traulich oder herb Geschlossenen, seine treulich
zusammengehaltene Empfindung mitwegzumähen. Hätte er den freien Fluß der Linie gehabt, den
Löwen des heiligen Antonius schlank, rund, plastisch zu zeichnen, hätte er dann das Ganze
gezeichnet wie es ist? So gutes, warmes Stübchen, Sonnenbild der runden
Aber jetzt fort mit Vergleichungen, Unterscheidungen! Sei ganz hier! Wandle unter Göttern im Vatikan! Wesen aus Einem Stück. Haben keinen Pfahl im Fleisch.
Der Künstler will uns sagen und sagt es ganz und rund: hier siehst du Wesen, die auf den Höhen des Olymp und Parnaß wohnen, wo allerdings (den Aufschmückungen der Dichter zum Trotz) bis in Sommers Mitte Schnee liegt, die aber dennoch nie einen Katarrh haben. Die innere unbewölkte Einheit dieser Wesen mit sich fühlt man nun erst im Marmor ganz, dessen körnige Textur, auf der Oberfläche durchscheinend, uns sagt, daß solches System ungestörter seelischer Prozesse spezifisch von ungestörtem Hautleben ausgieng. — O Stubenexistenz unserer traurigen Menschheit!
Man hat aber immer seine Lieblinge. Trauer ist ja dennoch in all' diesen seligen Gestalten. Besagt
Heute wieder Sixtina. Gewaltensturm im jüngsten Gericht, urgebirgs-, urweltkräftig. Wohl!
Aber M. Angelo ist eben nicht mein Mann. Verstehe zwar seinen hohen Zorn, das Herum- und
Auffahren seiner Geistmenschen gegen die Welt, das Wetternde, Schmetternde. Dabei aber nun
diese geschwollene Ueberstärke und die Begierde, die Zeichnungskunst zu zeigen, und zwischen
dem schön Großen das Geschmacklose, das ist und bleibt widerwärtig. Shakespeare — dem so
verwandt — ist in seinen Absurditäten unschuldiger. Auch in den
Nein! besser nicht! — Hinauf nach Pietro in Montorio! Dort noch einmal die Abendbeleuchtung!
— Zuerst Purpurglut, wie flammt sie über Kapitol, Forum, Palatinus, Kolosseum! Breite ihn,
breite ihn, scheidende Sonne, den Kaisermantel über die ewige Stadt, steiget auf im Feuermeer,
ihr Riesengeister, die ihr um diese Trümmer schwebt! — Vergiß nicht, Seele, Rom war die
Geschichte, Rom war die Welt. Hörst du den wunderbaren Klang in den Lüften? Stimmen der alten
Tage, Klagelaut versunkener Götter.
Werde Heimweh haben wie Alle. Noch ein Trunk aus Fontana Trevi. Hast mir oft Kühle in's verglühende Herz gerauscht. Rausche mir so kühlend in mein künftig Leben. — Seele hat sich hier doch angesogen, eingenistet. So tragisch groß und doch auch so gut heimatlich! Das bewohnte Rom, das sich zwischen die erhabenen Trümmer, Paläste, Kirchen gelegt, hat ganz gewöhnliches, ordinäres Aussehen, in Wohnungen findet man gemüthliches Philisterium, gute Mütterchen, die dem Gast ein brodo lungo bereiten. So werden die Straßen, die Häuser bald alte Bekannte. Diese Mischung des Wunderbaren und des vertraut Gewöhnlichen, dieß erst gibt Rom seinen Stempel und macht, daß man so anwächst. Und dazu so viel Stille und die vielen rauschenden Brunnen. — Mag es Italien gönnen, wenn du Residenzstadt wirst, aber ich gehe dann nicht mehr hin. Rom ohne Stille? Nein.
Genua. Der hat schön gewohnt, der alte Doria. Altersasyl am Golf, von der Stadt gebaut, „ut maximo labore jam fessus honesta vita requiesceret“. Edle Renaissance, heitere Fresken von Raphael's Schüler, Perin del Vaga. Blick über den Garten mit dem Prachtspringbrunnen nach dem Hafen. Drinnen altes Bild, sehr verwaschen, doch erkennbar: der alte Andrea und ein großer prächtiger Kater. Dieser sitzt auf dem Tisch, der Alte davor, Beide sehen einander an.
Mailand. Bernardino Luini: auch die Holdseligkeit der früheren Meister. Das unsagbar sanfte, liebende Neigen des Hauptes haben sie hier von Lionardo da Vinci. Der Johannes dort auf dem herrlichen Abendmahlbilde, wie der sich zu Christus herbeugt! O, ich kenne dieß Herneigen. Aber der junge Raphael! Sposalizio: ja diese keusche, kinderreine Grazie, — dieß noch sehen ist mir wir noch einmal nach Perugia gehen und ihrer gedenken.
... Da wären wir wieder! Addio, Italia! Alles nur grau hier, was uns blau vorkommt; Grün
frischer, das ist wahr. Aber jetzt Schlackerwetter, Entlaubung. Gesichter — doch aber auch fast
keins, das nicht ver
Nimm dich zusammen! Frisch an's Werk! Großes Amt, gibt viel aufzuräumen. — Wenn ich nur gegen das Gesindel, das anständig aussieht und der Polizei nicht verfällt, mehr ausrichten könnte! Welche Charakterwelt! Fuchsschwänzer, Speichellecker und Flegel gegen den, der nicht wieder leckt, Tuckmäuser mit Biedermannston, gemüthliche Seelen mit Taschen voll Steinen, auf die Wenigen zu schleudern, die Charakter haben. Alles soll durch Gunst gehen, Jeder tätschelt den Andern um Gegendienst — Halunkenpack!
Gottlob, tüchtiger Referendär und gute Subalterne. — Hab's gleich bemerkt bei einer Einladung. Bedarfst du gute Arbeitskräfte für irgend ein geduldforderndes Geschäft, so suche die in Frage Kommenden beim Geflügelessen zu beobachten. Wer gern (und säuberlich) nagt, den wähle, wer sich mühelos die Pfaffenschnitten gönnt, mit dem wird nicht viel zu machen sein.
Gesuche um Theaterkonzessionen. Die Sache mit den städtischen Kollegien erörtert. Abgeschlagen. Weiß, was die Schufte wollen: etwas wie die jetzigen wiener Vorstadttheater, Variétés- und Café chantant-Schandbühnen in Paris. Wollen die Jugend vergiften. Das könnten wir in unserer Zeit noch brauchen, daß das Lebensalter, dem es noth thut, die Seele mit dem Hohen und Reinen und mit giftfreiem Humor zu nähren, sich gewöhnt, schamlose Weiber anzusehen und anzuhören, und zwar mit Vielen zugleich, wobei Jeder den Nachbar im Zustand der Begierde, in der Hundsbrunst weiß. Für die Deutschen gehört: sera juvenum Venus. Dem Deutschen soll das Weib bis in reife Jahre Mysterium bleiben, sonst verkommt sein Seelenleben, verlottert, fault im Kern, wird gemein.
Im Oeffentlichen noch der alte Stand: Pfaffen überall Oberwasser, Konkordate mehren sich; der
Staat, der im Gefühl seiner Sünden die Kirche zu seinem Stab macht, wie wird er's büßen müssen!
Einzig rechte, freilich leider nur ideale Formel lautet: der Staat muß die Kirche zerstören, um
die Religion zu retten. Es können nicht zwei Arme in Einem Aermel stecken, aller modus vivendi
ist nur palliativ, es gibt kein gesundes Verhältniß zwischen Staat und Kirche, denn nie wird
sie auf Macht verzichten, und Macht
Im bessern Staat wäre der Geistliche einfach Staatsdiener als Volkspädagog und Kultusverwalter. Jeder magische Nimbus fiele weg; der Nimbus enthält immer den Zauberbegriff in sich, und davon geht alle Unmöglichkeit des Friedens zwischen Staat und Kirche aus.
Die Romanen befreien sich kritisch von der Kirche, aber sie haben keine sittliche Empörung gegen ihre Lügen, Verderbniß, Blutsinn, Frechheit. Das hatte Luther, das ist deutsch. Daher bleibt ihnen die Kirche eine Schachfigur, mit der sie rechnen. Und so werden sie den Giftkörper, den Kanker nicht los. „Il papato è un cancro, che bisogna lusingare,“ sagte neulich ein Minister. Da hat man's.
Weiß der Himmel, daß es der Zeit an Religion fehlt! Aber was ist Religion? Wie tausendmal ist's gesagt, und immer vergeblich, daß an diese und diese übernatürliche Person, behauptete Wunderthatsachen und dergleichen glauben nicht Religion ist. Ja, wenn man unter Glauben verstände Glauben an eine sittliche Weltordnung, die wir nicht streng beweisen können! Aber das meint man ja eben nicht bei dem Wort, sondern Glauben an genannte Stücke, das heißt an sinnlich Einzelnes, das übersinnlich sein soll. Ein Kind könnte doch einsehen, daß man das Alles glauben und doch gemein, niedrig egoistisch, seelenroh, undankbar, lieblos sein, überhaupt so leben kann, als müßte das Weltall diesem Ich dienen. Frage dich täglich: bin ich denn das Weltall? So kannst du dich zur Religion anleiten. Religion ist Opfer der Selbstsucht, Religion ist: Durchschüttert-, Durchweicht-, Durchmürbtsein vom Grundgefühl: ich bin ein Nichts im Ganzen, wenn ich ihm nicht diene! Religion ist daher tragische Freude, zu dienen. Was die Moral fordert, dazu gibt Religion die Lust und Kraft, und was ich fehle, nicht leisten kann: da tröstet mich die Religion durch Gefühl und Ahnen der unendlichen Wechselergänzung im Ganzen.
Je mehr getreuer Knecht, um so mehr bist du frei und Herr.
Alle positive Religion unterscheidet sich dadurch von der reinen, daß sie sinnliche Formen in's Uebersinnliche, Begriffe, die nur dem Endlichen gelten, in's Unendliche überträgt. Der Fluch der Pfaffen auf uns heißt, richtig übersetzt: seid verdammt, weil ihr vom Uebersinnlichen nicht sinnlich denkt wie wir!
Geistlichkeit und Geistigkeit sind jedenfalls keine Synonyma. — Es ist nur das kleine l, was den großen Strich dazwischen macht. Das l ist hier eine Schlinge, mittelst welcher in das rein Geistige (sittliche Volkserziehung) ein Zauberbegriff hereingezogen wird. Könnten wir den Begriff aufheben, daß die Verwalter des Kultus und höheren Volkspädagogen Magier seien (in den sogenannten Sakramenten), so wäre ihnen und uns geholfen. Ihnen, denn wie viele brave Männer in diesem Stande werden durch den Machtwahn, zaubern zu können, verführt und verkrümmt!
Religion zu haben, nicht die wahre, sondern was dafür gehalten wird, gilt jetzt für vornehm.
Mit schöngebundenem Gesang- oder Gebetbuch in Predigt oder Messe! Wenn sie's wüßten, wie falsch
sie Recht haben! Ja wohl, ja wohl, Niemand hat Bildung anzusprechen, der nicht Religion hat!
Das wahrhaft Bildende ist
Merkwürdig, welche große Rolle in der sogenannten Religion die Neugierde spielt! Einem gastirenden Prediger nachlaufen: wer kann dem widerstehen! War neulich ein Jesuit bei uns von großem Ruf als Redner, Meister in Effekten, Mischung von tragediante und comediante. Eine Masse von Leuten lief ihm hinein, die nach dem Stand ihres Urtheils einen solchen Hanswurst gar wohl durchschauen. Wenn doch die Menschen begriffen, daß man solcher Neugierde nicht folgen darf, ohne Schuld auf sich zu laden! Denn daß ihr mit freiem Urtheil kommt, das sieht euch Niemand an, ihr zählt eben in der Menge mit, und helft also mit, das Ansehen, die Macht des Wahnes, den Glanzerfolg und Ruhm der Charlatanerie zu vermehren. — Neuerdings findet ein Pasquillroman ungeheuern Abgang. Unter den Käufern kenne ich manche, die ihn verachten, aber der Neugierde nicht widerstehen können, ihn zu lesen, sie vermehren also den Succeß des Schlechten. „Einer, das macht ja nichts“, aber so denken Tausende.
Der Hund hat etwas der Religion Analoges in sich, indem er getreuer Knecht ist. — Um dieses Besten
Wie oft in Gesellschaft, die sich für so recht gebildet und interessant hält, bei all' dem Gerede und Feinthun seufze ich innerlich: wenn doch nur ein Hund da wäre!
Alle und jede, die in dieser arsenikalischen Zeit noch nicht so stark an Blutvergiftung leiden, daß sie nicht durch strenge Diät noch rettbar wären, sollte man einsperren und zwingen, den Homer zu lesen mit guter Anleitung, und zwar so oft, so lang, bis sie ihn auswendig wissen. Dann könnte man sie frei lassen. Verdorbene, ironisch Durchsäuerte, Blasirte, die nur Verpfeffertes, Muffiges lesen können, sollte man auf Zeitlebens einsetzen mit keiner andern Lektüre als Homer: gute Höllenstrafe.
Ich muß mir mit Anstrengung immer wieder sagen: vergiß nicht, das Gemeine und Schlechte
spielt breit auf der Oberfläche, ist haußen auf dem offenen Markte, still in ihren vier Wänden
sitzen noch gewissenhafte Beamte, Gelehrte, Künstler, in ihren Werkstätten Hand
Aber was jene Hetzjäger um Geld und Genuß eigentlich meinen, dazu reicht mein Kopf nicht, das zu verstehen. Wer nur begriffe, was sie wollen? Muß man sich denn so schrecklich Mühe geben, um sich ein schlechtes Gewissen zu erschinden? Da wäre ein ordentlicher Straßenraub, Mord, Einbruch doch kürzer, rascher, unterhaltender. Meine Kerle hinter Schloß und Riegel sind mir oft ganz achtbar, wenn ich an das für honett geltende Hetzjagdpack denke.
Neulich bringt ein Scheusal im Wahne, die Seinigen vor Verarmung retten zu müssen, Frau und vier Kinder um. Nun schaudert Alles. Es ist grauenhaft, aber viel grauenhafter ist mir das Gift, das jetzt wie ein Geist umgeht und immer tiefer und weiter in die Massen dringt; davor schauern die Leute nicht, weil sie Geister nicht sehen können.
Uebrigens hätte ich den Bluthund fixweg zum Tod verurtheilt. Zurechnungsfähig oder nicht? Als
er den
Ueber Todesstrafe wie oft meine Ansicht gewechselt für und gegen, gegen und für, bis ich
mir's ganz gemein einfach so formulirt habe —: An der Gewalt der Abschreckung ist nicht zu
zweifeln. Das weiß ich von mir selbst. Es schlummert in Jedem ein möglicher Mörder. Wenn ab und
zu der Satangedanke in mir aufschoß, einen rechten Hauptschurken abzumucksen, hab' ich mich
alsbald darüber ertappt, daß im selben Moment ein Besinnen eintrat: wie es verbergen, um dem
Schaffot zu entgehen? Natürlich nicht immer vermag es die Abschreckung gegen die Stärke der
Leidenschaft, aber doch in manchen Fällen, nehmen wir immerhin die wenigeren an. Gut, und nun
sage ich so: wenn ich sechs Mörder dem Schwert überliefert habe und es dadurch erreiche, daß in
einem siebenten Falle die Angst vor der Todesstrafe einen
Anderes genügt nicht, die Todesstrafe zu rechtfertigen. Sie ist rein juridisch nicht haltbar.
Strafe ist doch Zufügung eines Uebels; das ist nicht die ganze Definition, aber doch ein
wesentlicher Theil derselben. Um ein Uebel zuzufügen, brauche ich ein Subjekt, dem ich es
zufüge, das es empfindet. Ein Subjekt aufheben heißt aber nicht, einem Subjekt ein Uebel
zufügen. Der Tod ist kein Uebel, das ein Subjekt empfindet, denn wenn der Tod da ist, ist das
Subjekt nicht mehr da. Etwas Anderes ist die Todesangst. Sie ist das entsetzlichste aller
Uebel. Einem Menschen den Tod auf eine bestimmte Stunde, Minute als unentrinnbar ansagen, das
stürzt seine Phantasie in eine Hölle von Qualen, die kein Name nennt. Diese Qualenhölle will
aber als solche das Recht nicht: es verhängt den Tod, nicht die Todesangst. Also was das Recht
will, ist kein Uebel, und was es nicht will, das größte, äußerste von allen. Dem ist aber nicht
abzuhelfen, denn sucht man auch auf einen Augen
Erholt und erquickt nach so viel Grassem, da mich die bildschönen Nachbarkinder besuchten. —
Man ist froh, wenn man wieder in ein gutes Kindergesicht sieht. — Am Kindergesicht finde ich
dieß das Rührende, daß es so lieblich arm bittend zu sagen scheint: ich kann ja gewiß nichts
dafür, daß ich gemacht bin. — Eigentlich von Rechtswegen sollte man Jeden vorher fragen, ob er
existiren wolle. Dabei müßte man sein Lebensschicksal wissen, ihm voraussagen, und so dann
fragen: willst du unter diesen Bedingungen zur Existenz gelangen? Müßte man nun dem Gefragten
ein ganz unglückliches Leben in Aussicht stellen, würde der wohl Ja sagen? — Hier hebt sich die
ganze, höchst belehrende Vorstellung von selbst auf. Ja,
Wen der Gedanke unglücklich macht, nach dem Tode nicht fortzuleben, der müßte eigentlich an die logische Konsequenz erinnert werden. Es ist doch Niemand unglücklich darüber, daß er einmal erst angefangen hat, zu leben, daß er vor seiner Geburt nicht lebte; ebensowenig sollte er darüber unglücklich sein, daß er einmal aufhören wird, zu leben. Freilich, da ist ein großer Unterschied: in der Zwischenzeit hat er sich das Leben angewöhnt und das schmeckt eben ungeheuer nach mehr, mehr! Wohl, aber dennoch steht jene Logik fest, unwiderlegbar, mathematisch exakt.
„Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins!“ So über die Straße gehen; da kommt ein alter Kamerad gestiegen. „Ei, grüß' dich Gott! Was machst auch? Wie geht's? Komm' da herein, wir trinken ein Gläschen!“ — Ja, daß das einmal aufhören muß, lernt sich nicht leicht.
Aber es ist nicht anders: wenn wir unsterblich wären, würden wir nicht sterben.
Jeder Mensch ist ein Schwab. Und da ist das Sprüchwort nicht richtig; es ist nichts mit dem Gescheutwerden im vierzigsten Jahr. Was ein rechter Mensch ist, wird nie gescheut. Ein dummer Mensch wird bald gescheut, ein gescheuter bleibt dumm bis an sein seliges Ende. Das Unglück, ganz gescheut zu werden, erlebt aber der Mensch erst, wenn er stirbt. Das einzige absolut richtige Urtheil, das Jeder, auch der Allerdummste fällt, ist der Tod, denn er ist das Urtheil, daß der Einzelne nicht die Gattung ist.
Das Alles sind aber nichts als arme Zeitgeschichten. In jedem Zeitmoment, wo er wahrhaft lebt, lebt jeder Mensch ewig. Der Dummste kann sich wenigstens freuen, — ich meine wahre Freude. Da vergißt er die Zeit und da ist er gescheut.
Wie hoch steht ein spielendes Thier über einer Geldseele, hoch im Idealreich des Zwecklosen! — Jetzt hab’ ich’s, ein Hund muß wieder her, das fehlt mir.
Und die Moden! Auf jedem Schritt über die Straßen werde ich beleidigt. Karikaturen auf Weg und Steg. „Jeder nach seinem Geschmack!“ Gut! Nur zu! Nur zu! Man sieht, was dabei herauskommt! — Ich finde, daß ein Mensch, der sich ganz geschmacklos kleidet, ja in seinem Anzug eine förmliche Rebellion gegen den Geschmack aufthut, eigentlich etwas Aggressives für jeden Begegnenden in seiner Erscheinung hat, etwas Kränkendes, Injuriöses. Ich meine nicht alte Herren, die hinter der Mode bleiben, nicht gutartige Narren, die irgend ein Formen- oder Farbenkobold reitet, sondern Stutzer und Stutzerinnen, die eine rohe Unform der Mode flugs mitmachen und noch übertreiben. Sie haben einen Ausdruck im Gesicht, in allen Bewegungen, der stillschweigend dem Mitmenschen zuruft: „Es soll dir doch gefallen! Siehst du, so mußt du mich nun sehen, magst wollen oder nicht! Ich schlage dir mit dieser meiner Verzerrung des richtigen Menschenbilds in's Gesicht und du darfst nicht mucksen!“
Was folgt? Das folgt, daß es auch in diesem Gebiet heißt: der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein! Er gebraucht seine Freiheit, die freilich doch nur die Freiheit des Sklaven, nur Modeknechtschaft ist, zu nichts, als zur Mißhandlung seiner Mitmenschen!
Ach! nun aber auch in diesem Stück: woher den Gerichtshof nehmen, woraus ihn bilden, dem man die
Sonntagsgetriebe. Da fahren sie; gefahren muß sein. Nach den Pferden, ob sie es leisten können, fällt Keinem ein zu sehen, auch keinem Weib. Ich müßt' mich schon vor so einem armen, lahmen, müden Thiere schämen, breit einzusitzen und seine letzte Kraft zu mißbrauchen.
Unglückliche Hundsgeschichte. Dumm genug, einen Bologneser aus vornehmem Haus zu übernehmen. Hieß Ida. Demoralisirte Bestie, gehorcht nicht. Gerichtsakt vollzogen. Wieder teuflischer Rank des Zufalls! — Doch zugleich Lenkung höheren Fingers: muß gerade der Tuckmäuser es sein — heiter, hübsch, wie das Ministerialräthchen in den Koth purzelt, da ihm das pelzige Wurfgeschoß an den Kopf fliegt.
Dießmal noch verpflastert. Das Männlein wollte auf Realinjurie klagen. Steht wieder ab. Sie brauchen mich, weiß. — Bin aber nicht zu Allem brauchbar. Mir ist doch immer vor, es gehe noch einmal zu bösen Häusern.
Ich tauge eben nicht in Familiengesellschaften. Kann ja jetzt auch besser Abends zu Haus bleiben, seit Frau Hedwig Haus hält, und etwas plaudern. War das eine verfluchte Geschichte bei dem Stadtpfarrer Zunger, wo ich sonst nicht ungern, weil bürgerliche Bildung. Wieder Choralgespiel. Lachkrampf über dem „verhärteten“. Gerade recht, daß ich durchbrennen mußte, so konnte die treffliche Frau Stadtpfarrerin doch ihr unerträgliches Thema nicht fortsetzen. Will mir kuppeln. „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei“ und dergleichen. Hat mich schon einmal ganz wild gemacht. Frau Hedwig versteht's besser, begreift, daß man mich damit in Ruhe lassen soll, daß ich einsamer, freier Mensch sein muß, gesellig nur, wenn ich mag und bedarf. Liebt die Thiere; hat mir den jungen Kater eingethan, wahrscheinlich echt ägyptischer Abkunft, blaßgelb, geströmt. Hilft mir, nachdem es nichts war mit der Ida, bessern Hund suchen.
Vortreffliche, vernünftige Art, diese hülfreiche Base. Nüchtern, nie aufgeregt. Kann sogar
rechnen. Wenn es nur nicht vier Spezies gäbe, das ist zu viel; ich bringe es über Addiren nicht
mehr hinaus. — Und hat doch auch Phantasietalent. Lernt; versteht die Tücke des Objekts und wie
gerecht dagegen die Justiz
Gleich zwei neue aufgegabelt, Hatzrüd und Rattenfänger, beide noch jung. Vom ersten Tag an schon gute Kameraden. Gute moralische Anlagen.
Höhere Thiere, gebildete Hausthiere können doch recht affektirt sein; versteht sich: naiv affektirt zu ihrem Zweck. Der Kleine geht nicht gern in's Wasser. Ich hetz' ihn scharf. Jetzt stellt er sich, als versteh' er mich falsch und fährt wie wüthend auf einen unschuldigen Wanderer auf der Landstraße los.
Spielen ganz reizend mit dem Kater. Hund ganz Pierro, Katze ganz Arlecchino.
Außer dem Hunde wohl nur der Elephant lernt das Deuten verstehen, nie eine Katze, auch kein Affe. Es ist kein Kleines, von der Spitze des Fingers eine geistige Linie nach dem Punkte ziehen, wohin er deutet. Es hat mich einmal ein altes Weib bedient, das es nicht verstand.
Das Heulen des Hunds bei Musik ist ein ganz anderes, als wenn er aus gewöhnlichem Schmerz heult. Ich habe einen Hund beim Anblick eines seltenen großen ungarischen Bocks ebenso heulen hören. Es ist Unglück, nicht Klassifiziren zu können.
Die Katze hat neben dem vielen sich Putzen auch dieß mit dem Weib gemein, daß sie gern zu Haus bleibt. Aber noch etwas, was mich oft wirklich erschreckt: die starken Backenknochen; man sehe nach: fast jeder weibliche Kopf hat darin etwas katzenartiges. Nicht alle, gottlob! Kenne Ausnahmen.
Der gebildete Hund leidet auch an wahrhaft menschlichen Krankheiten. Die meisten Hunde in besseren Häusern sind Hämorrhoidarien. Die Katze dagegen hat Schwierigkeiten im Schlingen, engen Schlund. Interessanter Polarismus!
Die Menschen fallen mir sehr ein, wenn ich zu meiner Erheiterung Morgens früh aus dem Fenster
die Nachbarhunde beobachte. Einer wie der andere, auch die wohlgenährten Lieblinge seiner
Familien machen sich an die Kehrichtfässer und wühlen; dabei haben sie
Wie viel geben die Schreckmittel der Thiere zu denken! Neulich erschrack ich, als ich einen
Siphon zu stark drückte und das Wasser zischend, speiend herausfuhr. Fiel mir ein, daß gerade
so die Katze thut. Wer hat nun die Katze gelehrt: du mußt, um dich zu wehren, thun, daß der
Feind meint, es werde ihm Wasser in's Gesicht gespieen!? Der Siphon war doch lange noch nicht
erfunden, als die Katze wurde. Wer die Gans: du mußt dich in eine zischende, züngelnde Schlange
oder Drachen verwandeln!? Wer den Hund: du mußt durch einen Schuß erschrecken!? da doch das
Schießpulver noch lange nicht erfunden war! Dann im Guten, im Frieden. Als noch gesponnen
wurde, wie behaglich hörte sich der Ton des Spinnrads namentlich an Winterabenden an, wenn die
Familie gemüthlich beisammensaß! Das weiß die Katze, darum
Nil admirari? Nein, nein: omnia admirari!
Symbolik der Thiersprache. Immer zu wenig beobachtet. Weit mehr Menschenähnlichkeit, als man
glaubt. Viel gelernt aus dem trefflichen Buche von Piderit: Wissenschaftliches System der Mimik
und Physiognomik. In aller natürlichen Mimik werden physisch motivirte Bewegungen unwillkürlich
verwendet, um nach Analogie seelische Zustände auszudrücken. Um zum Beispiel widerlichen
Geschmack zu vermindern, entfernt der Mensch den Unterkiefer vom Oberkiefer, denn das Schmecken
ist schwächer, wenn die Zunge sich nicht an die Gaumenwölbung legt. Und dasselbe thut man, wenn
man moralischen Eckel ausdrücken will. An solchen Uebertragungen fehlt es auch im Thierleben
nicht. Der Hund leckt sich das Maul aus, wenn er was Gutes gefressen hat, er thut es auch, wenn
er einen guten Bissen vor sich sieht oder ihm nur die hoffende Vorstellung davon aufsteigt; er
gibt sich Vorschmack. Diese Gebärde trägt er aber nun über auf Verhältnisse, die für ihn das
sind, was für uns
Wenn die Katze von einer ganz angenehmen Vorstellung erfüllt ist, stellt sie den Schwanz kerzengerad aufwärts. Wenn sie angreift, trägt sie ihn von der Wurzel aus in einem Bogen, von da an einfach niederhängend; ebenso wenn sie Ansatz zum Scheinkampf, zum Spiele nimmt. Soll aber das Spiel recht ausnehmend lustig werden, ist sie ganz hanswurstisch gestimmt, dann thut sie von der Seite gesehen dasselbe, jedoch so, daß von hinten gesehen der Schwanz zugleich schief steht. Das heißt doch ganz klar: jetzt soll es einmal ganz schief hergehen!
Es wäre noch viel von dem Ringeln des Schwanzes zu sagen. Es drückt immer prickelnde Gedanken aus,
Ich sah auf einer Dachrinne ein Schwälbchen sitzen, das flügge war, aber noch nicht jagen
konnte. Es wurde von den Alten geäzt, die mit Tausenden in der Luft herumschwirrten. Das Junge
sah immer wartend in die Höhe und schüttelte mit der bekannten Bittgeberde die Flügel, wenn
eines der Alten herbeigeflogen kam. Es erkannte aber dieselben auf weite Ferne, wenn sie sich
noch mitten in der schwärmenden Schwalbenmenge befanden, und dieß Erkennen ließ sich mit
Sicherheit beobachten, denn niemals schüttelte es die Flügel, ohne daß bald nachher eines der
Alten mit Futter eingetroffen wäre. An was nun aber? Unmöglich an etwas Anderem, als an
individuellen Eigenheiten in der Flugbewegung, die kein Menschenauge je entdecken könnte.
Unbegreiflich! Da fiel mir aber ein, daß wir unsersgleichen an Eigenheiten der Handschrift
erkennen, die um nichts bestimmbarer sind, als jene im Flug eines Vogels. Es gibt kein Maß für
die Unterschiede der Führung der Feder bei Schreibung eines Buchstabs, sie sind nicht minder
fein, als der Bogen oder Haken, wie diese und keine andere Schwalbe ihn beschreibt, oder die
Art der Tragung oder der besondere Umriß ihres Flügels, und doch, wenn uns
Zu den stärksten Beweisen gegen den Materialismus gehört die Schamröthe und das Genie. Wenn
sich der Mensch schämt, wünscht er, nicht gesehen zu werden, möchte sein Gesicht verhüllen; so
ist sein Gefühl, nicht daß er es irgend in Worten dächte. Was thut die Natur? Sie pumpt das
Blut in die kleinen Gefäße des Angesichts, um rasch einen rothen Schleier darüber zu ziehen.
Das ist freilich kein eigentliches Verhüllen, sie kann es eben nicht besser, sie macht's, so
gut sie kann, symbolisch. Wenn nun die Natur so etwas vermag, wenn in dem, was wir Materie
nennen, so etwas vorgeht, so muß doch die Materie etwas Anderes sein, als die Materialisten
meinen. Sagte ein Gegner, da handle es sich ja nicht von getrennter Materie, sondern von
solcher, die in den Zusammenhang aufgenommen sei, welchen wir seelisch nennen: gut; wie könnte
aber Stoff, als purer Stoff angesehen, je in solchen Zusammenhang treten? — Das Genie wird
geboren. Wird es geboren, so folgt haarscharf, daß die Natur selbst ein Genie ist. Wendet
Materialisten und Spiritualisten: sollte man die Einen nehmen und die Andern damit herumschlagen. Die Materie ist und ist nicht; sie wird stets auf's Neue gesetzt, um in immer neuen Formen in Leben, Empfindung, Geist aufgehoben zu werden. Es gibt Materie und es gibt keine. Sie ist das μὴ ὂν. Die Materie ist nur insofern, als —
Ein Dichter ist immer gescheuter, als er selbst; freilich auch dummer, als er selbst.
Wir stecken bis über die Ohren im Universum. Wir haben bei der Weltwerdung mitgethan, oder,
da sie ja ewig ist, vielmehr: wir thun mit. Es sind nur
Die Natur ist Phantasie und zwar geregelte. Unsere menschliche Phantasie ist vorerst
ungeregelt. Wenn sie sich bildet, bringt sie es dahin, der geregelten Phantasie, nemlich also
der Natur, obwohl ihr absolut verpflichtet, in freiem Scheinbild nachzuhelfen. Denn die
geregelte Phantasie bei aller übrigen Sicherheit leidet doch an sehr großen Lücken, lapsus, setzt
Da die δóξα unvernünftig und allgemein ist, so muß, wer besser sieht, nothwendig immer paradox erscheinen. Alle Wahrheit ist paradox. — Man sollte eigentlich Unterricht darin nehmen, in Gemeinplätzen zu reden; hätte man es gut gelernt, so wäre man in Gesellschaft besser gelitten. Es kann den Menschen nicht angenehm sein, wenn man ihnen zumuthet, auf dem Kopfe zu gehen.
Auch im Sehen des sogenannten Kleinen hält man die helleren Menschen für halb verrückt. Im
Ganzen sind die Leute doch eben durch ihre Blindheit glücklich. Niemand will an einem Föhntag
glauben, daß er die Zeche schon am Abend, in der Nacht, jedenfalls den andern Tag mit Unwetter
zahlen muß. Die Menschen haben in Mehrheit auch äußerst grobe Sinne, stumpfe Nerven. Sie geben
auch nicht Acht. Sie wollen durchaus im Zerstreuten, im Dusel leben. Wer gefälschte Getränke
genießt, dem schwebt wohl dunkel vor, es schmecke etwas Fremdes auf der Zunge,
Und im Gespräch sind sie auch merkwürdig, selbst abgesehen vom Durcheinanderschreien. Herr N.
N. hört
Muß jetzt auch mehr in vornehme Gesellschaft — — Was ich doch mit der Form auf gespanntem
Fuße stehe! Ich respektire sie eigentlich, ja freue mich an ihr, weiß jedenfalls ganz gut, wie
nothwendig sie ist. Dazwischen aber habe ich Stunden, wo ich einem ungeheuren Reiz nicht
widerstehen kann, sie vor den Kopf zu stoßen, ihr auf's Muthwilligste zu zeigen, daß ich sie
als geistlos verachte, weil sie doch gar so viel Irrationelles enthält und so äußerst zahm ist.
Auch Stunden, wo ich zwar ganz zahm, aber durchaus besinnungslos bin in Beziehung auf sie und
Dummheiten, Vergessenheiten begehe, die unglaublich sind. Etwas von einer solchen Natur ist in
Goethe's „Tasso“ idealisirt. Der Dichter selbst, in der Lage wie sein Tasso, hat sich durch die
Angewöhnung einer
Es gibt zweierlei Takt: formellen und Herzenstakt. Jener vermeidet das Unschickliche, dieser
das Unzarte. Es ist schwer, den ersten sich zu erwerben, er lernt sich nur durch lange
gesellige Uebung. Es ist ungefähr wie vier- oder sechsspännig fahren lernen. Der Taktlose gibt
nur auf die zwei ersten Pferde Acht, und sieht nicht, ob die vordersten irgendwo anrennen; wer
Takt hat, sieht immer auf alle vier oder sechs. Der Herzens- oder Seelentakt aber läßt sich
nicht erlernen, man hat ihn oder nicht. Man kann ihn haben und den formellen nicht, man kann
diesen haben, ja sehr haben und keine Spur vom Herzenstakt. Gar Manche fahren ganz sicher und
geschickt, rennen nie an einen Eckstein, aber es gibt unsichtbare Ecksteine, das sind die
zartesten Empfindungen der Menschen, die wir schonen sollen, wir müssen
Beide Taktarten vereinigen sich aber äußerst schwer und selten.
Die formelle lernen besonders die Gelehrten schwer. Sie spannen sich zum Beispiel im Gespräch mit naivem Eifer direkt auf den Gegenstand, und bedenken nicht, wer die Zuhörer sind. Sie können nur zwei-, fast nur einspännig fahren; es geht immer ungeschickt ehrlich geradeaus auf Beweis, auf Erklärung los. Aehnliches passirt aber auch Phantasiemenschen wie unsereinem; im raschen Bilderzug vergessen sie, wer herumsitzt.
Man meint immer, Einmal dürfe man sich doch gehen lassen. Falsch! Man darf es nie. Es ist kein Moment, wo man nicht gegen innern oder äußern Feind auf der Wacht stehen muß. Die Menschen um uns, selbst die besten, sie schenken uns keine Blöße. Selbst in der Liebe darfst du nie dich gehen lassen. Das liebreichste Weib möchte dich beherrschen. Nie ist Waffenstillstand. Das Leben ist schwer! Wehe dem, der nicht in jedem Augenblick geladen, Zündhütchen auf, Finger am Drücker hat!
Das darf ich diesem Herrn von Y. nicht vergessen, daß ich neulich, als er mitten im
friedlichen Gespräch
Hat mir Jemand Unrecht gethan, so passirt mir oft und leicht die Verwechslung, daß ich mich
vor ihm
Briefe ohne besondern Inhalt lasse ich nun Frau Hedwig ganz selber komponiren und unterzeiche
nur. Aber solche, die ich selbst abfassen muß, da ist eben die alte Noth. O, wie schwer ist ein
Brief! Gerade auch an Freunde! — Man meint: da darfst du dich ja gehen lassen, es ist ja doch
fast wie gesprochen, ist ja kein Aufsatz, kein Amtsschreiben. Aber was Schwarz auf Weiß
dasteht, ist eben ein ander Ding als das Gesprochene: hier ist der Ton der Stimme, Blick,
Mienenspiel dabei und bringt zu einem scharfen Wort, einem stark gesalzenen Spaß die
erklärende, versöhnende Begleitung, während die schwarzen Haken auf dem Papier abstrakt
dastehen und am Leser herumkratzen. Das mag der Teufel lernen, sich gehen lassen und zugleich
nicht gehen lassen, einen Besuch machen in Hemdärmeln und doch im wohlgebürsteten und
geknöpften Rock! — Zehnmal lieber ein neues Polizeigesetz verfassen oder hundert Paragraphen
eines philosophischen Lehrbuchs in Lapidarstyl! Ich schreibe auch
Verwünschte Kanzleirechnung! — Wieder dreimal verrechnet, da ich sie nicht zu Frau Hedwig
hinübernehmen konnte, mir helfen zu lassen. Menschen, die das arithmetische Organ haben, können
sich in solche, denen es fehlt, gar nicht genügend versetzen. Es ist nicht bloß, daß man
nothdürftig nur noch addiren kann; nein, man hat sich so oft verrechnet, daß man dem ganz
Gewissen, dem Ausgemachten nicht traut. Wenn ich irgend eine Amtsrechnung prüfen soll: ich weiß
wohl, daß zweimal zwei vier ist; aber könnte es denn nicht ausnahmsweise einmal, zum Beispiel heute
Frau Hedwig, mein guter Privatsekretär, meint, die Briefe, die ich selbst abfassen muß, könne ich ihr ja diktiren. Kann ihr aber nicht diktiren, fällt mir nichts ein, wenn Jemand mit angesetzter Feder wartet. Neulich soll meinem Pferde zur Ader gelassen werden, der Bediente bestellt einen festen, auch darin erfahrenen Hufschmied. Ich sehe zu. Der nörgelt an dem Thier herum, will den Schnepper hier, dort anlegen, kommt nicht zum Schluß, nimmt den Johann in eine Ecke, flüstert mit ihm, und dieser tritt zu mir her und richtet mir aus: ich möge doch verzeihen, der Hufschmied könne es nicht verrichten, wenn ich zusehe. Und es ist ein starker, breiter, nichts weniger als nervöser Mann! So das geschieht am grünen Holze — — —.
Ich suche und ich fliehe die Menschen, bin gesprächig, und kann mich so schrecklich erzürnen
über ein dummes Gespräch. Jedes Gespräch, das nicht durch Austausch nach Erkenntniß strebt, ist
dumm. Halt! Da muß aber: Erkenntniß in fast unerlaubt weitem Sinn verstanden werden. Ich bin
ein nur zu großer Freund von rein närrischen Gesprächen. Sie sind höchst er
Gesellschaft beim Staatsrath X. Zwei Töchter, eine sehr schön und hat den Gebrauch der
Schönheit nicht
Man sollte schlechterdings Niemand heirathen lassen, der nicht ein Examen über Erziehung bestanden hat. Das Wissen allein macht nicht Alles, aber etwas, ja viel. Es ist Niemand berechtigt, Kinder zu erzeugen, der nichts von Erziehung weiß.
Die meisten Menschen werden in den ersten Lebensjahren, ja schon in den Windeln verzogen;
später, wenn sie die ersten Kleider bekommen, am schlimmsten
Wie mich Alles, Alles dorthin, dorthin führt, ich mag es zu unterdrücken suchen, wie ich
will! Denn ich weiß ein Weib — eine Oase im Sandmeer. — Jetzt lange her, daß ich ohne Nachricht
bin, seit
Todt! Erit todt! Erik todt! — Als wäre der Welt ihr Krondiamant ausgebrochen! — Und sie? —
Wie selten wir uns geschrieben, ich wußte ihn doch! In dieser Welt der Falschheit, des Eigennutzes, der Kriecherei, der Ränke — ich wußte, wußte, sagte mir's tagtäglich: es gibt noch Redlichkeit, Geradheit, Treue, Opfer, Mannheit: Erik lebt! — An ihm ein Halt, auf ihn ein Verlaß, eine Ruhe für mein aufgeregt heftig Wesen — Mein Freund, mein guter Kern, mein Fels, meine Tugend — unsichtbar nahe — o, Erik todt! — Verwaist — rings kein Freund mehr! — Und — Soteira? —
Auf! Auf! Lebe noch! Es gibt noch zu thun! „Herz, mein Herz, halt aus, schon Schnöderes hast du erduldet.“
Abgeordneter? Gar noch? Ich? Doch es sei — Ruf des Schicksals — mich aufraffen — aufraffen zu mehr als Amt — auch aus dem Schlag! — Auf! — Hab' auch viel auf dem Herzen, es soll einmal heraus an den Tag, einmal in's Große, Oeffentliche!
Wahlkämpfe. Wahlreden. Zungenfechterei, Komödie. Doch gute Sprechübung. Das Reden geht ja
besser, als ich mir zugetraut hatte, wenn nur genug Distanz ist. Sobald mir die Leute zu nahe
sind, weiß ich nichts oder bleibe stecken. Sie drücken auf mich, sind statt bloße Bilder
empirische Existenzen, die mich lästig fragen: Nun, was hast du zu sagen? Wird's bald? Nun, was
weiter? — Das wirft mich aus dem Denken an die Sache heraus. In jedem Redner laufen zwei
Vorstellungsreihen nebeneinander; die eine beschäftigt sich mit dem Thema, die andere mit den
sinnlichen Wahrnehmungen während des Redens. Dieß geht so lang, bis auf die zweite zu viel
Accent fällt, dann wirft er um. Zu viel Accent: Ursache entweder eine Beobachtung, z. B. dort
wird geflüstert, gelacht
Oft meine ich doch, ich vermög' es nicht länger. Der Schmerz um Erik will im Sturm hervorbrechen mitten in dem Gewühl; aber dann packe ich ihn und werf' ihn gewaltsam hinüber zu dem Zorn auf so viel Schlechtes in unseren Zuständen, zwinge ihn, sich als Zorn auf das Unrecht solchen Todes mit diesem zu addiren. Es muß doch gehen. Wenn ich nur nicht zu heftig werde! Muth! Sei Mann, es gibt zu thun, sei brav wie Erik!
Alte Devise: Adler, über Wolken der Sonne zufliegend mit Schrift: nunc pluat! — sei mir Vorbild!
Zerfetzt! Am Boden! Was jetzt, wie weiter?
Erst nicht verzagen! Arbeiten! Gutes thun, wirken ohne Amt, Vereine für Wohlthätigkeit, — Erziehung Verwahrloster. — Für mich meine Bücher, hab' nun Zeit. Schreiben — halt! an die Pfahldorfgeschichte! — gleich aufnehmen! Fortreisen, noch einige Sammlungen sehen von Ausgegrabnem aus der Pfahlzeit — Studien machen. — Man nimmt an, es seien Kelten —
Das Ueberschnappen der Stimme, das war das Aergste, das scheusliche Auslachen. Alles Andere ertrüg' ich eher. Teufel!
Es muß ertragen sein. Dabei noch ein Trost. Jetzt muß ich die Thüre von meinem Amtszimmer in die Kanzleistube doch nicht mehr knarren hören. Einölen schwierig und half so gut wie nichts. Der pfeifende Knarrton that immer ganz deutlich wie „eo ipso!“ O, ja freilich, will's ja glauben, es versteht sich von selbst, daß du knarrst! auch, daß ich gehen muß! — Noch als ich das letzte Mal dort war, auf immer Abschied vom Amte zu nehmen, knarrt das Luder: eo ipso! — Dich, unverschämter Regenpfeifer, dich bin ich doch nun los — Eo ipso!
Es geht ja vorwärts. Fort, ihr Dämonen, sollt mich nicht abbringen! — Ich weiß jetzt, ich mach's wie Luther, der dem Teufel das Tintenfaß an den Kopf warf! Will noch anders reagiren, als mit Exekutionen — literarisch — will euch brandmarken — ein ganzes System gegen euch, euch an den Kopf! Etwa: „System des harmonischen Weltalls“ oder —
Ich bin zu ehrgeizig, um ehrgeizig zu sein. Ich habe ein heimliches, sehr verfängliches
Verhältniß, eine unglückliche Liebe zu einer sehr spröden Schönen: der Nachwelt. Daher geize
ich so wenig um die Ehre bei
Wie ich das wieder lese — unselige Vergleichung! — Vier Worte, Laute hab' ich ihr geschrieben: „O Gott! o Gott!“ — Mehr nicht? Muß sie nicht einen inhaltvollen Brief erwarten? Wohl zehnmal versucht, verbrannt! Und es wäre doch so natürlich, wäre Pflicht. Ja, aber daß in jeden Brief etwas hinein will, — was doch nicht darf, nicht soll — davon darf kein Hauch — Sie wird wohl errathen, aber — o Knäuel von Verflechtung!
Arbeit will nicht gehen. Fehlt mir doch gar sehr Dienst, Pflichtzwang der Stunde. Daher auch die Teufel wieder in Legionen. Merken wohl meine Absicht, wollen mich vorher aufreiben. Zwei Tage ein entzündetes Auge. Fliegt mir just eine Mücke in's rechte, worein mir kurz vorher ein Funke Brennstoff von einem Zündhölzchen gefahren.
Das Leben ist eine Fußreise mit einem Dorn oder Nagel im Stiefel. Felsen, Berge, Schluchten, Flüsse, Löcher, Sonnenglut, Frost, Unwetter, Räuber, Feinde, Wunden, damit müssen wir kämpfen, das will bestanden sein, dazu haben wir die Willenskraft. Aber der Nagel im Stiefel: das ist die Zugabe, kommt außerdem und überdieß dazu, und für den Nagel bleibt dem Manne, der mit den großen Uebeln redlich ringt, keine Geduld übrig. Haben denn die Menschen Zinkblech statt Haut an den Fußsohlen, daß mich darin Niemand verstehen will? — Oder auch: das Leben ist eine Schublade, die nicht geht, stockt, staut, spannt —
In meiner Arbeit mag ich oft einen Haufen Papier, wo ich nothwendig etwas herauszunehmen hätte, stundenlang nicht anrühren, weil ich weiß, beim ersten Griff fährt der helle Teufel hinein, Alles schlüpft, klebt oder entwischt, — was nicht mit soll, geht mit, was mit soll, geht vom Andern nicht los, die Feder fliegt zu Boden und spießt sich in's Holz, daß ich eine halbe Stunde brauche, eine neue zu schneiden, — der vollendete Pöbelaufruhr. —
Lang, lang nicht unter die Leute gegangen — was soll mir — ? Frau Hedwig treibt — hat wohl
Das war ein Tag! Wetter: oberer Föhn bei unterem unverschämtem, injuriösem, rechtsverletzendem Nordwestwind, der mir meinen Hut nimmt, den ich doch um mein Geld erstanden habe und daher als rechtmäßiger Eigenthümer besitze. Nerven und Gehirn elektrisch durchzuckt, Blut kochend, Haut stechend. Dennoch und auch unterschiedlichen Teufeln zum Trotz den ganzen Tag scharf gearbeitet. Abends sehr Erholung, Ausspannung bedurft. In Gesellschaft. Und hier? fängt erst die rechte Folter an. Zu acht an einem Tisch, eine Zahl, durchaus nicht zu groß, um recht gut noch eine gemeinschaftliche Unterhaltung zu erlauben. Beginnt folgendes liebliche Spiel:
A eröffnet mit C ein Sondergespräch, dann E mit G, dann H mit F, und D foltert mich B, ich soll mit ihm eines führen. Da jedes dieser vier Sondergespräche das andere übertrommelt, so fangen Alle das Schreien an und nun hört man das eigene Wort nicht mehr. Ich suche auszuwickeln, suche laut ein Gespräch für Alle auf's Tapet zu bringen, — vergeblich, Niemand begreift mich.
Nicht genug, weiter! Sie fangen über's Kreuz an: A mit D, C kräht nach mir (B) herüber, E mit H, G mit F. Nun ist zum Beispiel in einer der lieblichen Gruppen von Preußen und Bayern die Rede, in der Diagonale schlagen den zwei Politikern die Namen Dante und Petrarka, von anderer Seite Cervelatwurst und Gansleberwurst, in der dritten Kreuzung scheuslicherweise auch noch die Begriffe Aktien und Prioritäten, in der vierten die Streitfrage über Sängerin Blözke und Grilli auf's Trommelfell.
Noch nicht genug. Eine kurze Pause tritt ein. D fragt A, welcher Altdeutsch versteht, nach einem verwickelten Punkte, nämlich: wann das E geschlossen, wann offen zu sprechen sei. Man sieht, es ist ihm wirklich darum, belehrt zu werden, den Anderen ist es auch von Interesse, mir nicht weniger, und Alle horchen. Während nun der A eben recht im Zug ist, den Punkt auseinander zu setzen, bricht ihm der D, der ihn ja eben selbst gefragt hat, in die Rede mit der Frage, ob er gestern im Konzert gewesen sei, gleich darauf fängt der C mit mir vom Theater an und so läuft es fort: Jeder hat vergessen, daß er soeben sich für einen Zusammenhang interessirte.
Ich schoß auf und fort, zermartert, zerschunden, zerfetzt, zersägt, zerrieben, zerdroschen,
zerwirbelt, zerraspelt in allen Nerven kam ich nach Hause. Das war meine Abenderholung: nach
schwerer Tagesarbeit
Die Mehrheit der Menschen besteht nicht gerade ganz aus Betrügern, Räubern, Dieben, Mördern, aber aus sozialen Ungeheuern, und zwar durch alle Stände und beide Geschlechter, die Weiber treiben's ärger, aber die Männer kaum um ein Haar besser. Was habt ihr dumpfe Geschöpfe nur für eine Vorrichtung in den Hörwerkzeugen, daß ihr das eine Gespräch gegen die andringende Lautmasse der fremden Gespräche in eurer Auffassung zu isoliren vermögt? Einen eisernen Rollladen? Einen Ofenschirm von Sturz? Ei was! nichts habt ihr, grobe, stumpfe, abnorme Sinne habt ihr und konfus im Kopf wollt ihr sein und bleiben, Alles schlechterdings nur halb denken, und mich, der ich normale Sinne habe und klar sein will, mich haltet ihr für ein Monstrum! Ihr wollt sprechen und gehört sein, ihr wollt hören, und im Augenblick vergeßt ihr es wieder, weil euch noch viel lieber als Sprechen und Hören das Wirrsal, weil der Durmel euer Element ist.
Für richtige Sinne und für wirkliche Bildung gibt es an einem Tisch, wo nicht so Viele
sitzen, daß ein gemeinsames Gespräch unmöglich wird, durchaus keinen Einzelnen. Neben einem
plätschernden Brunnenrohr kann man sich unterhalten, denn es spricht keine Worte, welche die
Gesprächsworte durch
Da nun die Menschen auch hierin wirr, wild, willkürlich und disziplinlos sind, was folgt? Das folgt, daß sie nicht einmal der Gesprächfreiheit im Privatleben werth sind. Das folgt, daß man sie auch hier in das Joch der parlamentarischen Ordnung einspannen müßte. Das folgt, daß eine Gesprächpolizei organisirt werden müßte. Macht mich zum Vorstand und ich verspreche euch, ein Tyrann erster Klasse, ein Nero, Caligula, Attila, Dschengis-Chan, Tamerlan der Gesprächszucht zu werden! Aber Strafgewalt müßt ihr mir geben! Mit Geißeln und Skorpionen will ich sie züchtigen, die Gespräch-Buschklepper, GesprächStrauchdiebe, Gesprächs-Räuber, Gesprächs-Mörder, Gesprächs-Meuterer, in die Wasser der Urflut will ich sie zurückstoßen, diese Gesprächs-Ichthyosauren! Und nie werde ich meine Vollmacht mißbrauchen, nie mir zum Vortheil anwenden, nein, Anderen soll sie zugute kommen auf meine Kosten! Ein Leben, das der Gerechtigkeit gewidmet war, sei Zeuge für meine Betheurung!
Ach Gott, es ist ja auch dieß nur ein schöner Traum! Ich weiß ja: ein Unsinn! Da aber der Zustand, wie er besteht, auch ein Unsinn ist, so bleibt's eben dabei: gerade so unfähig, wie einen vernünftigen Staat zu bauen, ist die Menschheit auch, eine Gesellschaft zu bauen, oder umgekehrt, wie man will!
O Einsamkeit, wie gut bist du!
Dabei bin ich erst gar kein Pedant. Ausnahmsweise muß man auch in die Rede fallen dürfen, namentlich wenn sonst der Augenblick für einen guten Witz verloren gienge. Aber bei dem Trätschvolk ist die Ausnahme Regel und der konfuse Lärm Lebenselement.
Wieder lang einsam, hat gut gethan und auch nicht. Wäre mein guter Rappe nicht — ihm verdanke ich, daß ich nicht einhuzle, einschrumpfe. Besuch manchmal vom Referendär, jetzt Assessor; der nicht unerquicklich. Gescheut. Wenn nur nicht auch da die Teufel wären — bleibt aus, wenn ich ihn so recht herwünsche, kommt dann im ungeschickten Moment —
Rezept: — Wenn du einen Besuch erwartest und er kommt lange nicht, so nimm kalt Wasser in den
Ich mag es anfangen wie ich will, es vergeht keine Woche, ohne daß ich einen oder mehrere
Fehler mache. Und das beim redlichsten Bemühen, es recht zu machen. Ganz blind. Hintennach,
meistens erst spät, gehen mir dann die Augen auf und senkt sich mir die Einsicht mit solcher
Centnerlast auf die Seele, daß ich, allein in meinem Zimmer, ja auch mitten auf der Straße,
laut hinausschreien muß, nur irgend einen Laut bellen, nur um mich etwas zu entlasten. Da
meinen dann die Leute, ich sei verrückt, und muß ich mich vor meinem Bedienten schämen, wenn er
im anstoßenden Raum ist, oder froh sein, wenn gerade
Wißt es, ihr Köpfe, mit meinen Fehlern und mit meinem Wahnsinn hab' ich so gut ein Recht, zu existiren, wie ihr mit euern Fehlern und mit eurem Kahlsinn!
Fremdlinge auf Erden lachen gern. Das kommt von ihrem scharfen Auge und von der Höhe ihres Sehpunkts. Aber es ist ein anderes Lachen, als das Lachen gemeiner Seelen. — Auch lachen sie gern über sich selbst.
Du hast lange Weile? Mußt nach Unterhaltung jagen? — Hast du denn an dir gar keine
Gesellschaft? Kannst du dich gar nicht in Zwei spalten und hat,
Um mich zu bessern, habe ich schon das Mittel versucht, eine Korrespondenz mit mir selbst zu eröffnen. Ich schrieb mir sehr weise ermahnende Briefe. Nun wurde aber der Ich b über die Altklugheit des Ich a verdrießlich, fieng an, unwirsch zu antworten, wurde grob und gröber, der Ich a blieb ihm die Antwort nicht schuldig, das Ding machte mir Spaß und endlich gab es eine vollkommene Zank- und Scheltkomödie. — Larifari! —
Man soll den Idealismusnarren nicht trauen! Sie sind immer auch böse Narren. Sie werden giftig. Da sie an alle Welt die Forderung der Vollkommenheit stellen, nur nicht an sich selbst, so ist ihnen nichts und Niemand recht, sie verdammen, höhnen, hassen, halten inwendig den ganzen Tag grimmige Monologen, ballen die Faust offen und im Sack, üben Ränke und Tücke. Dahin kommt es mit edlen Menschen, denen die Läßlichkeit fehlt.
Auch den Hamlet macht sein Idealismus bös, grausam gegen die arme Ophelia. Ein Weib schlecht,
so werden es alle sein. — Ein Engländer hat einen
Was ich immer auf's Neue bewundern muß, ist das höchst Stimmungsvolle in allen Theilen dieses Dramas, das doch von Gedankentiefe und scharfer Bewußtheit strotzt. Das Grundgefühl ist Schwüle; dieß ist längst erkannt und oft gesagt, aber es ist nicht bloß Schwüle in dieser bestimmten Situation. Hamlet geht um wie ein Mensch, der zu enge Schuhe anhat und sie nicht ablegen kann, dem daher alles Blut nach Herz und Gehirn schießt und der es daher in seiner Haut fast nicht aushält, und der richtige Zuschauer fühlt nicht nur, wie schwer seine Lage, sondern wie furchtbar schwer das Leben überhaupt ist. Nur der paradiesisch naive, der beschränkte und der gewissenlose Mensch lebt leicht, dem tiefer Gehenden hämmern die Pulse, wenn er bedenkt, welch' ein fürchterliches Schraubenwerk das Leben ist, das uns zwischen Fragen einpreßt bis zum Ersticken. Der Monolog „Sein oder Nichtsein“ ist nach seinem Gedankengehalt sehr überschätzt worden, sein Werth liegt in der Stimmungstiefe: unerreichbar der Ausdruck des Brütens, das nicht weiß, wohinaus, des athemlosen Eingeengt-, Eingeschnürtseins.
Ich bin so schrecklich bedenklich, so sehr Buridan's Esel, daß mich der Zweifel’, in welchem Laden ich einen Kamm oder Bürste kaufen, mit welchem neuen Buchbinder ich es versuchen soll, wochenlang umtreiben, in ein wahres Elend von Einklemmung zwischen Für und Wider versetzen kann. Und doch bin ich auch wieder ganz unbedenklich, gehe frischweg darauf los, fürchte nichts und Niemand, und weiß ganz gewiß, daß ich, wäre ich ein Obergeneral und stünde im Felde, den richtigen Moment für eine Schlacht mit zweifelloser Entschlossenheit ergriffe und drauf schlüge. Auch das würde mich nicht irren, daß gezweifelt werden könnte, ob nicht der folgende Tag einen noch günstigeren Moment brächte. Ich würde mir sagen: nach menschlicher Erkenntniß ist der Moment jetzt günstig, ob morgen ein noch günstigerer kommt, kann man nicht wissen, handle ich also jetzt, so habe ich richtig gehandelt, auch wenn's nicht gut ausläuft und wenn sich herausstellt, daß es besser gewesen wäre, zu warten. Daher wäre ich auch ganz fest gegen Reue. — Liest das einmal Jemand, er mag's für Prahlerei halten, aber ich weiß, was ich weiß.
Sonst im bürgerlichen Leben und in allen Lagen, wo es nicht drängt, wo Aufschub nicht Gefahr
und Schaden bringt, zapple ich, wenn Wahl ist, endlos
Und auch diese Selbsterkenntnis; hilft mir nichts, rein nichts. Daß man nicht aus seiner Haut fahren kann!
In welche führe ich? Ja, da fängt's erst recht an mit: wer die Wahl hat, hat die Qual!
Nun! in gar keine!
Es wird schlimmer. Nichts um mich und an mir, was nicht riebe, klebte, zwickte. Es sind keine Ameisen
Ich werde lebendig macerirt, zerstochen, zerkitzelt, zernagt, zerkritzelt, zerbröselt, zerstäubt. Seele, wohin? Wohin? O, eine Leidenschaft! — Die Eine, die arme, die unterirdische, gute, stille und tiefe, — darfst sie dir nicht gestehen! — In den Krieg? O, da lebt man! — „und setzet ihr nicht das Leben ein —“. Aber in diesen? in den, der sich in Deutschland bald entspinnen muß? O! —
Frau Hedwig schickt mich nach Italien. Hat am Ende Recht. Noch Vieles dort noch nicht gesehen. — Pfahldorfgeschichte mitnehmen, etwa im stillen Venedig vollenden, war ja einst auch ein Pfahldorf.
Airolo. Ausathmen, ausathmen! O scheuslich, o Streich in der untersten Hölle ausgeheckt! — Meine Sehnen müssen ja doch von Eisen sein! — Das absolut Lächerliche tödtlich tragisch, das Tragische zum Todtlachen! — O, wer aus dem Bewußtsein heraus könnte! — Hinab in die Strudel! Schnell! — Ja, wenn nicht da unten — mit den grünen Nixenaugen, sie — sie — Bist du da?
Gerettet? Heißt man das retten? Oder doch verborgenes Weltgesetz? Daß der gute Mensch sein Leben wagt und daß der zum Retter wird, der gerettet werden soll und — wird? Ist jener zu Diensten aufgehoben für das Leben, zu erklecklichem Wirken? Steht der Zufall in tiefem, nicht zu übersehendem Zusammenhang? Ich, auch ich zu Zwecken gerettet? Ich? o, das ist vorbei!
Ist meine Natur unverwüstlich? Stößt das Verzweiflungsfieber im Exekutionsverfahren aus, daß der Höllenstoff in Scherben dort liegt am Granitblock in Göschenen! Krise? Aber wozu? Sei's wie es will, was ist, ist, muß sein.
Immerhin ordentlicher Mensch das, hat's recht vernünftig mitgemacht. Nur komisch, daß er wissen und seinerseits angeben zu wollen schien. — als ob nicht: „Namen sind uns Dunst“. — Cornelia — Augen — seltsam — nicht weiter denken! Fort — dem Lago maggiore zu! Tüchtig marschiren! —
Bellinzona. — Dort bei Osogna! Der Reisewagen — mich verborgen — Sie sind es gewesen, deutlich erkannt — und ich? — Hätte ich nicht doch gedurft? Thor, Thor, warum nicht hervortreten? — Nein, nein, es war besser so!
Aber wohin jetzt, wohin? Sie ist dort. Es zieht mich schwindelnd hin. Und darf doch nicht. Kann nicht, dürfte nicht, auch wenn ich dürfte.
Assisi. — Und doch hieher — im Fluge. — Dort bei den hohen, schlanken Säulen des
Minerventempels hab' ich sie gehen sehen, schweben — Nacheilen? Halt, nein! Hinab, fort in's
Thal, — sie darf mich nicht entdecken. Muß ihr's ersparen. Nicht anders möglich: das Grausen
von damals hieng doch wenigstens mit Furchtbarem zusammen, aber jetzt — Ja,
Habe das Dienstmädchen der Muhme umlaufen sehen, schien eilig zu suchen, mich zu erkennen, verdoppelt ihre Schritte — sie soll mich nicht finden!
Verborgen im Gedräng der Anbeter in der Kuppelkirche. — Dumpfe, stumpfe Wahnsinnige, Zerrbilder der Menschheit, die ihr da das Bethäuschen des heiligen Franziskus anplärrt, das Rosenwunder anglotzt! — Und doch Wahnsinn — Wahnsinn des Sehnens auch in mir — Madonna degli angioli!
Hier ist es am besten, in diesem ganz einsamen Hochthal oben hinter dem Kastell. Dieß Thal
und ich, wir verstehen uns und es verräth mich nicht. Es ist, als ob diese fast baumlosen
Senkungen die wehmüthigen Gedanken schon manches stillen Menschen eingesogen hätten, dessen
Seele wohl still war, weil sie auch zu laut war, wie die meinige. Ihr habt wohl auch schon
leises Schluchzen gehört, verschwiegene Gelände. — Hier bleibe ich bis zur Nacht, dann die
Hin, wo großes Leben den Todesschlaf schläft — nach Venedig!
Hab' ja auch kein Handwerk mehr. „Der Mensch muß ein Handwerk haben.“ — Wohl sagt Nathan: „Man muß nicht müssen,“ das gilt ganz, wo es sich um That handelt. Anders ist es mit der Thätigkeit, da heißt es: der Mensch muß müssen. Unglücklich, wen kein Dienst an die Zeit bindet, gerade seine Freiheit drückt ihn in's Sklavenjoch der Zeit.
Eingefahren um Mitternacht in die Lagunenstadt. Ganz still, Alles todtenstill. Gerade recht
für mich. Ihr erzählt viel, alte Mauern, in aller Stille viel.
Der Sarg auf der Gondel nach S. Christoforo schwimmend — wie still, lautlos — dort unter Cypressen — am Meere — wie gut — dort ruht auch Leopold Robert — unsere Schatten würden sich leis als Verwandte grüßen —
Die Nacht nicht geschlafen, worauf ich mich nach dem langen Gang nach fundamenta nuove doch gefreut. Zanzare, Moskitos um die Jahreszeit noch! — Verteufelte Symbole meiner Quälgeister! — Auf Lido, sagen sie, sei mehr Ruhe vor ihnen. Also dorthin, in's Einsame, an den frischen Hauch und Wogenschlag!
Lido. So mit mir allein, doch besserer Zustand, ein Freund, das Meer. Gänge am Strand. Täglich
Die Pfahldorfgeschichte hervorgezogen. Das Wässerige um mich, Ufergeruch, Schilf, Röhricht, Seegras, Binsen am Strand bringt Stimmung zum Seebild.
Kann jetzt wieder unter Menschen. Herüber! — Schöne Wohnung gefunden an der Riva dei
Schiavoni. Auch hier Seeluft, frei, frisch, weit. Kann auch wieder lachen. Menschen, selbst die
schlimmen, doch alle etwas antik Naives. Puppenspiele drunten, ich stehe gern mitten unter den
Kindern, alten und jungen, schaue und lache. Der Hanswurst schrauft seinem Widersacher die
lange Nase aus dem Gesicht und haut ihn damit: gut, tief, sehr gut, mir lieber als feine
Komödie. Dalmatiner, Montenegriner, Griechen vor den Kaffeehäusern, Feß, Pelzjacken, braune Raub
Alles groß, geschichtlich stylvoll und doch auch häuslich, heimelig wie bei uns alte Reichsstadt. Die engen Gäßchen hab' ich besonders gern; Gemüth spinnt sich ein, wird zu Hause. Freunde gefunden, brave, heitere Kameraden. Gondolier plaudert mir vor von Kind und Kegel, auch von seiner Großmutter, liebenswürdig. Und dann wieder die hohen Bilder der alten Macht und Größe, die lebensvollen, blutwarmen und doch so adeligen Maler, — die Kirchen, die Paläste; die Farben, die Reflexe im Wasser. Nun ja, man kann doch leben. Hinein in die Kirchen vorerst nicht, brauche Tageslicht, im Helldunkel drohen Gespenster. Die byzantinischen Starraugen an den Wänden in der Markuskirche predigen todten Tod im Leben, widerwärtige Mumien.
Gehe vom Arsenal zurück an der kleinen Kirche St. Martino vorüber, da ist noch einer der
Fratzenköpfe mit offenem Rachen für Denunziationen. Hier gegen Ketzer; Inschrift: Denoncie
secrete contro Bestemmiatori et Irreverenti alle chiese. Ein Grusel stieg mir auf und nachher
mußte ich lachen,
Halt, ein Gedanke! Ueber dem: Qui si denunzia!
Den Kirchenlauf nun doch angetreten. Wo freischöne Bilder, ertrage ich auch den Weihrauchgeruch. Wenn doch einmal Heidenthum, sei es da, wo es seinen Göttern Herz und Schönheit verlieh. Dabei immer die Anfänge oder ersten großen Schritte, das Flügelregen bei noch nicht völliger Flügge so reizend. Dieser Giovanni Bellini, diese Maria mit den musizirenden Engelknaben am Throne, dort in der Sakristei von ai Frari, ist ganz zum innig reinen Verlieben. — Dann reife Schönheit. Heilige Barbara in S. Maria Formosa — jeden Tag dahin. Schreckte mich zuerst, weil die junonische Gestalt mich — ich stürzte hinaus. Doch wieder gewagt — und nun das Etwas um die weichbeschatteten Augen — ganz von ihr — wunderbar. Und diese Weichheit durchrinnt als Welle doch auch die stolze Gestalt — Siegerin über alles Wilde — Und Palmzweig! Ich habe dein Fächeln gespürt! — Gehe nun täglich dahin.
Sonst mag ich die Venetianer doch mehr als Männermaler, trotz Tizian's, Paolo Veronese's,
Palma Vecchio's, Pordenone's, Bordone's Weibern. Suche
Stehe oft und gern Nachts auf einer der kleinen Brücken, sehe hinab auf den dunkeln Kanal, da und dort von Lichtschein überblitzt. Wenn dann eine Gondel durchfährt, so ganz still, nur selten der Ruf: Sta li! sonderbar, dann ist mir oft, als liege ich, der da oben zusieht, zugleich todt in der Gondel, und der Todte freue sich zugleich der stillen Nachtfahrt.
Hübsch — neulich auf der Fahrt nach Treviso; ein paar gebildete Venetianer im Wagen; auch ein
Abbate, vernünftiger, klarer Mensch, interessante Ausnahme. Wagenfenster offen, auf dem Bocke
sitzt ein
Einer der Italiener hat etwas höchst Treffendes gesagt. Ich lobte die Reformation, ich sagte, sie sei die unentbehrliche sittliche Ergänzung zur Renaissance; die Italiener sollten sie irgendwie nachholen, sich beeilen, aus ihrer Kirche hinauszukommen. „Va bene,“ sagt der Herr, „ma poi anderemo più lontano che voi Tedeschi, che vi siete fermati nella prima osteria.“ Wie wahr! Wie hat es die Reformation verderbt, daß sie sich gleich wieder in eine Kirche einschloß mit Dogmengezänk, wie ein Fußreisender, der im ersten Wirthshaus hängen bleibt.
Am Rialto, auf dem alten Börsenplatz jenseits der Brücke, meine ich leibhaft den Shylok zu sehen, wie sie ihm auf den Bart spucken, wie er hinwegschleicht, den brennenden Haß gegen die Christen in der Seele. Ja, Shakespeare! — Wenn er Venedig hätte sehen können, wie es jetzt ist! Das Traumgewordne! O, er hätte es ganz verstanden! Wie ist er traumwebend! Und zugleich heller, wacher Tag. Oft ist's, als siedete sein Gehirn vor Phantasiren und doch ist er ganz bei sich, durchdenkt, ordnet, befiehlt. — Auf der Brücke, in der Dämmerung zurückgehend, glaubte ich ihm selbst zu begegnen. Konnte seine Züge nicht sehen, nur seine hohe Stirn. Kein Mensch auf Erden unter allen, die gewesen, den ich so drangvoll verlange von den Todten erwecken zu können, um ihn zu sehen, an seinen Lippen, seinen Augen zu hängen. Und wie würde ich ihn mit Fragen bestürmen! — Aber es ist gut, daß er uns nicht mehr erscheinen kann, er würde zu todt gefragt — mit vielen nöthigen und mit noch weit mehr dummen Fragen.
Pfahldorfgeschichte fertig. Besorge Abschrift für den Reisekameraden; soll bald abgehen. Etwas doch zu Stande gebracht! Wie es auch sei, es kann doch — im Kleinen — ein Ganzes heißen.
Goethe hat gesagt, der Humor sei zwar ein Element des Genies, aber sobald er vorwalte, begleite er die abnehmende Kunst, zerstöre und vernichte sie zuletzt. Dieß ist doch nur dann wahr, wenn man unter „vorwalten“ außer dem Ueberhandnehmen besonders versteht eine Einmischung in das Dichtwerk auf Kosten der Objektivität. Belehrend ist hierin J. Paul; das humoristische Ich des Dichters drängt sich zersprengend in das Bild, das er geben soll. Er verwechselt Dichter und Gedicht. Er will Narren oder seltsame Begebenheiten vorführen und statt dessen führt er seltsam und närrisch vor. So wird der reiche, herrliche Geist ungenießbar und Niemand liest ihn mehr, — leider! Sollte es aber nicht eine schöne Aufgabe sein, zu zeigen, daß es auch einen Humor gibt, der dieser Versuchung widersteht und ein Bild des Närrischen mit der Objektivität des Künstlers entwirft und durchführt? Zweite verbesserte Auflage J. Paul's, der mit Unrecht zu den Todten geworfen ist? Auferstandener, genießbar gewordener J. Paul?
Sei's, wie es kann, geh' hin, mein Kind! Und ich kann auch gehen. Abschied wie von einer
lieben Heimat. Noch einmal den Colleoni gesehen, ehern, dunkel ragend im Mondschein. Bleibe
mir, Bild, erinnere mich Zeitlebens an den Schlachttag!
Nun wieder zu Haus. Im Winter muß man zu Hause sein. Ofen. Ohne Ofen doch kein Gefühl des
wahrhaft Heimischen. Völker, wo bloß Kamin herrscht, haben doch immer irgend einen unheimlichen
Zug. — Des Reisens vorerst wieder genug. Reisen ist Schund. Reisen heißt, sich über grobe und
spitzbübische Menschen ärgern, von Leuten bedient werden, die zu wenig Zeit für mich haben,
weil sie zu Viele bedienen müssen, die fortschnurren, wenn ich etwas frage, etwas bestelle.
Reisen heißt in Zimmern wohnen, wo der Stiefelknecht fehlt oder zu weit, wo der Schrank nicht
schließbar ist, weil der Reisende in Twist oder auch die Gräfin X gestern aus Versehen den
Schlüssel mitgenommen hat, oder der Schlüssel zwar steckt, aber nicht geht. Reisen heißt in
dummen Betten schlafen (Italien ausgenommen),
Eine Art zu reisen, ja, die ist Genuß an sich, wohl der reinste Lebensgenuß, vorausgesetzt
gut Wetter, gute, wohlausgetretene Schuhe und kein Hühnerauge; eine Fußreise ohne Begleiter
außer einem Hund. Nur ja
Warum fährt es manchmal wie ein Blitz in mir auf: gleich wieder fort und hin!? Hast Wahnsinn
Was aber nun thun? Nachdem die Pfahldorfgeschichte fertig ist? Die Reiseerinnerungen niederschreiben? Gar drucken lassen? Pah! Diese Flut vermehren, unter die Schmierer gehen, die nichts leben können, ohne es zu schreiben? Wieder etwas komponiren? einen Roman, Drama? Pah! als ob dazu dein Talent reichte! Und überdieß — aufwühlen? aufwühlen? — Könnte es ohne das abgehen? — Wie dann noch den Stoff beherrschen?
Philosophie? Etwas zu bauen suchen? Reicht nicht. Ueberdieß das Unglück: die Diskreditirung der Philosophie durch die Systeme. System ist immer Ausbau eines Gedankens, der als Gedanke Eines Kopfs, wenn auch auf und über vielen Schultern und Köpfen, doch immer nur dieses Einen Menschen Gedanke ist. Und trotzdem das Erhabenste, was ein Mensch leisten kann: Versuch, das Weltall im Begriff nachzubauen. — Amphibolische Sache.
Er kommt, der Bürgerkrieg. Dialektik darin, die mich rasend machen könnte. Großdeutsch gewesen lang. Immer mit Eifer behauptet: ein Theil kann und darf nicht das Ganze werden, werden wollen. Wird nichts sein, falsche Anwendung der Logik auf das Reale, das aus zu vielen Fäden besteht, um direkt logisch vermessen zu werden. Auch das preußische Wesen nicht leiden können, Essigsäure, Wohlweisheit, Herr Doktor Gscheutle. Zuneigung zu Oesterreich, wußte nicht, wie liederlich. Antipathie, Sympathie — keine Politik. Nun Preußen sehr gute Nase: wittert, daß die deutsche Kaiserkrone im Dünensand Schleswig-Holsteins verborgen liegt, dort auszugraben ist. Oesterreich niedlich dran gekriegt, hineingelockt, um graben zu helfen, — dann aus der Hand schlagen! — Begreife, es will aus Unrecht ein neues Recht aufstehen. Wohl, aber die Menschheit würde charakterlos, schlecht, wenn in solchem Fall Niemand für das alte Recht kämpfte, ob auch hoffnungslos. Und dann — Politik und Privatmoral freilich zweierlei; aber Sieg neuer politischer Form, auf Gewalt gebaut, die durch Listgewebe eingeleitet ist, doch immer auch von entsittlichender Nachwirkung — Moral der Nation trägt eine Schlappe davon. Man wird’s sehen, wenn die neue Form wird — Dennoch —
Die Politik ist doch ein merkwürdiges Gebiet, Theater, worin wie ein Narr sitzt, wer nicht hinter
Es fängt an, spielt sich in unsere Nähe — glaube, Hannover wird eingesackt werden — dieß wäre jedenfalls hochkomische Episode — würdig, einen Aristophanes zu finden. — „Bis an's Ende der Tage!“
Kann in diesem Netz messerspitziger Fragen zappelnd nichts arbeiten. Aus Verzweiflung dummerweise
Dießmal war's ernst. Schnupfen nicht genug, Zahnweh, acht Tage Gesichtsschmerz. Zwar darin doch Fortschritt: doch der Mühe werth. — Und hat mir über's Aergste draußen in der Welt hinübergeholfen. Blutbad von Sadowa. Entschieden! — Was jetzt kommt? eine gute Weile schließ' ich die Augen.
Nach innen fühle ich ein Etwas befördert, beschleunigt, das freilich auch von selbst die
Jahre mit
Dennoch soll man sich nicht verbittern lassen. Wenn man nicht zählt, sondern wägt, so wiegt
ja doch die anständige Minderheit die schlechte Mehrheit auf; wohl selbst jetzt noch. Ferner:
du darfst kein Menschenverächter werden, weil du nie wissen kannst, wer aus der schlechten
Mehrheit fähig, empfänglich ist, in die Minderheit heraufgehoben zu werden. Die Grenze zwischen
Beiden ist flüssig. Man kann also heiter bleiben trotz der Weltlumperei, und man braucht diese
Stimmung, eben um jene Grenze flüssig zu erhalten. Umgekehrt
Wer die Gemeinheit der Welt, den maschinenhaft rohen Druck der Verhältnisse in diesem
stoßenden Gedräng, wo Alles vom Interesse geschoben wird und dazwischen die eiserne Schraube
der Nothwendigkeit läuft, wer dieß mit grausam täuschungslosem Auge gesehen hat wie kein
Anderer, das ist Shakespeare. Die Gröblichkeit der Welt nennt er's einmal, Buckingham sagt's in
Richard III.: grossness of this age; this age ist aber jedes age. Alle tragische Literatur aller
Und dieser Unerreichbare ist mit den argen, argen Flecken behaftet: Aberwitz und eckelhafte
Zoten! Der letztere wird von den Anbetern nicht geleugnet, der erstere etwa einmal so
zugegeben, wie man mit bedientenhafter Art von Respekt ein Mängelchen an Erdengöttern zugibt.
Was ich doch aber auch nicht ausstehen kann, ist die Pietätsmichelei. An großen Männern werden
zu Götzendienern Alle und Jede, die keine Spur verwandten Geistes in sich fühlen. So entsteht
der Nimbus. Die Menschen müssen Götter haben. Es ist wohl wahr, daß die Sprache arm ist, eine
Bewunderung auszudrücken, wie wir sie für so große Genien fühlen, sie kann fast nicht umhin, zu
vergöttlichenden Namen zu greifen. Aber wer ihres Geists auch nur ein Tröpfchen in sich spürt,
wird darüber nie und nimmer unkritisch werden, ja er wird gegen wirklich entstellende Flecken
noch schärfer losgehen, als bei gewöhnlichen Sterblichen, denn der Bewunderte hat schwerere
Verantwortung, als andere Menschenkinder. Gegen Mittelgut, wofern es bescheiden
Genommen vom Hexen- und Ketzerprozeß: Wasser- und Feuerprobe. — Das sagt nun Romeo zwar im
euphuistischen Modeton, man kann sich aber darauf verlassen, daß Shakespeare damit etwas
Extrafeines in allem Ernst zu bieten meinte und daß die Gesellschaft seiner Zeit es höchlich
bewunderte. Und in keinem deutschen Kommentar auch nur ein Wort gegen den vertrakten,
hirnverbrannten Schwulst! — Shakespeare ist mit Einem Bein später aus diesem Geschling heraus,
mit dem
Habe nebenher leider meinen besondern Spaß am Absurden. Eigenthümlicher Schauer über den Buckel herunter, kitzliches Weh- und Wohlthun, Gänsehautreiz. Was nicht Gänsehaut macht, ist noch nicht recht absurd. Möchte eine Abhandlung darüber schreiben, habe aber den Grundbegriff noch nicht finden können; „Maßverletzung, Grenz- oder Taktverletzung“ ganz oberflächlich. — Auf die Definition müßte eine Eintheilung folgen. Shakespeare's Absurditäten sind falsche, querköpfige Bilder, krumme Ideenassociationen überreicher Phantasie. Eine andere Gattung wäre die wohlweise, die bei ihm nicht vorkommt. Derart habe ich mir Einiges ausgeheckt, um für ferneres Nachdenken über das Wesen der Absurdität gute Beispiele bereit zu haben:
Geistreiche Gedanken eines Schulpedanten.
Idee 1. Er hat sich die Lehre gemerkt, daß ein Dichter Alles individualisiren muß. Schlägt daher
Die ältesten Uhren waren Sand- oder Sonnenuhren. Es gab übrigens auch Wasseruhren. Häufig
wird Severus Boëtius im Jahre 510 als Erfinder der Uhren betrachtet, aber er verfertigte nur
eine künstliche Wasseruhr. Auch die Uhr, welche der Khalif Harun al Raschid Karl dem Großen
schenkte, war wohl eine Wasseruhr, mit welcher jedoch Räderwerk in Verbindung stand, denn sie
hatte ein Stundenglas, welches sich alle zwölf Stunden umdrehte. Dem Mönch Gerbert (später
Papst Sylvester II., st. 1003) wird häufig die Erfindung der Schlaguhren zugeschrieben; er
wurde deßhalb als Zauberer verschrieen; nach Mancher Meinung war jedoch auch dieses Werk nur
eine künst
Idee 3. Aufgabe zu lateinischem Aufsatz:
Spiritum illum, qui dicitur Flibbertigibbetius, in tragoediam nominatam rex Lea
Idee 4. Ibideculus, das heißt: der ebendaselbst befindliche kleine Mann oder sonstige Gegenstand gen. masc. Wie viele geistvoll zweckmäßige Kürzungen dieser Art ließen sich noch in die Sprachen einführen!
Idee 5. Die Hand ist Prototyp für alle Werkzeuge, die der Mensch erfunden hat. So enthält sie im Nagel auch das Falzbein. Dieß dürfen wir als Zeichen, Fingerzeig ansehen, daß der Mensch zum Schreiben, zur Gelehrsamkeit bestimmt ist, und so gewinnen wir ein neues, höchst bedeutsames Argument für die teleologische Weltbetrachtung, für die Theodicee.
Idee 6. Von einem übermüthigen Offizier beleidigt, dichtet derselbe Schulmann zu seiner innern Satisfaktion den Vers: „Wie der Soldat, so hat auch der Civil
Denken, Begehren und dann das Gefühl.“
Niemand aber, selbst dieser Schulmeister nicht, thut's in der Abgeschmacktheit dem Traume
gleich. Der leistet hierin das Ideale. So träumt mir gestern,
Eines haben die Pessimisten auch ausgelassen: das Lachen. Sie sind ganz humorlos. Eine Welt, wo so viel gelacht wird, kann so schlecht nicht sein.
Gelacht wird über das Verkehrte, auch das Ruchlose, selbst über die größten Uebel, wenn sie nur irgendwie unter den Gesichtspunkt der Zweckwidrigkeit gerückt werden können. Vorausgesetzt ist das humoristische Lachen freier, reiner und universal blickender Gemüther. Sie lachen im Bewußtsein, daß schließlich das Verkehrteste der sittlichen Weltordnung nichts anhaben kann, denn eben die so Lachenden sind ihre Schützer, ihre Retter.
Wir sind von Räthseln umgeben. In dieser Lage ist es das einzig Vernünftige, als wahr
anzunehmen, was
Was ich mir immer und immer wieder vom Werthe der Arbeit vorsage, darin bin ich aber gar kein
Philister. Gestern Abend kam ein Kauz in die Restauration,
Ich weiß ein armes Weib von fünfundachtzig Jahren. Sie hat ihr Leben lang das Geschäft des Gassenkehrens getrieben, und zwar mit Eifer, mit Seele. Sie thut über Pflicht; sieht sie auch außer der Arbeitstunde thierische Abfälle liegen, so springt sie nach dem Besen. Das Weib ist heiter, gesund in ihrem Alter, ganz Eins mit sich, ganz zufrieden, klassisch gediegen. Ihr wird kein Monument errichtet werden, sie weiß sich aber als nützliches Glied in der unendlichen Kette wesentlicher menschlicher Thätigkeiten und ist darin unsterblich.
Von der Dichtkunst erwartet die Mehrheit der Menschen, sie solle ihnen ihre gewöhnlichen
Vorstellungen, nur mit Flittern von Silber- und Goldpapier aufgeputzt, angenehm
entgegenbringen. Da sie in Wahrheit das gemeine Weltbild vielmehr auf den Kopf stellt, so wäre
kein großer Dichter je berühmt geworden, wenn nicht die Wenigen, welche wissen,
Diesem ebenso anmaßenden wie platten Philistervolk liebt nun die Poesie, die Kunst von Zeit
zu Zeit recht grundsatzmäßig das Phantastische an den Kopf zu schleudern, damit es merke: die
poetische Welt ist nicht die gemeine. Dieß ist begreiflich, doch soll der Künstler und Dichter
es nicht zum Prinzip erheben wie unsere Romantiker thaten. Das Ideale stellt die gemeine
Ansicht von Welt und Leben auch dann auf den Kopf, wenn es die Dinge ganz naturgemäß geschehen
läßt. Echtes Kunstwerk hat mitten im Klaren doch immer Traum-Charakter, ist von „Geisterhauch
umwittert“. Göthe's Gedichte hören sich wie ein leises Schlafreden, nur um ein Weniges, ganz
Weniges deutlicher. Man kann ihren Inhalt nicht greifen, nicht an den Fingern abzählen. Der
Charakter im Dichterbild wurzelt, so bestimmt er sich ausladet, in geheimnißvollen Naturtiefen
und das Schicksal, die Nemesis, schreitet auch nicht fadengerade, sondern strickt aus gar
vielen Maschen unrechenbar das Geisternetz, worin es die vermeintlich frei wandelnden Menschen
einfängt. Auch die Zeit ist vor dem Dichter bloßer Schein. Gloster's Schicksal steckt ahnbar
schon im ersten kurzen Auftritt des ersten Akts des Königs Lear. Goneril blüht, strotzt in
ihrer Bosheit und Frechheit. „Gut, gut, — der Ausgang,“ sagt Albanien, da sie sich ihrer klugen
Berechnung der Zukunft rühmt. In den vier Wörtchen liegt die ganze Lehre vom bloßen Scheine
Lust fühlen heißt die Zeit nicht fühlen. Darnach jagt nun alle Welt. Aber die Lust ist eine große Kokette; wer sie sucht, den täuscht sie, wer nicht nach ihr fragt, dem hängt sie an und wird am End' eine ordentliche Frau. — Das gibt zu denken über Eudämonismus.
Die meisten Menschen wissen sich nicht zu behandeln, daher stehen sie mit sich selbst auf so schlechtem Fuße.
Vorsehung. Man sollte eigentlich sagen: Nachsehung. Es handelt sich doch vom Zufall. Der
Zufall ist eine im Moment ihres Auftretens von keiner Intelligenz überwachte, rein irrationale, gesetzlose
Ueber Freiheit und Nothwendigkeit, nachdem ich mir an der Frage fast das Hirn lahm
gearbeitet, bin ich endlich bei einem ordinären Behelf angekommen, der mir doch seine Dienste
thut. Es sei so, daß es Wahlfreiheit des Willens nicht gibt. Also schwindet die Zurechnung; es
gibt nicht Schuld, nicht Verdienst, der Verbrecher muß. Allein, da doch Alles noth
Nur gegen Den soll man nachsichtig sein, der Schnuppen oder gar Grippe hat, das ist etwas Anderes, da hört die Freiheit in jedem Sinn auf.
Nennt mich neulich ein junger Fant liebenswürdig. Dieser, Männern gegenüber von Männern gebraucht, unverschämte Ausdruck kommt immer mehr auf. Ich habe dem naseweißen Geck gesagt: Danke, bin nicht liebenswürdig, bin zufrieden, wenn man Respekt vor mir hat.
In was Alles ich mich nicht gefügt, weiß man und rechnet mir dick auf. In was Alles ich mich aber still gefügt, weiß oder bedenkt man nicht.
Ihr verlacht, verachtet mich wegen meines Grimms über die Kreuzung durch das Kleine. Ihr würdet mich verstehen, wenn Größe in euch wäre. Ich will gar nicht stolz reden; — ich meine darum nicht, ich sei Alexander der Große, Karl, Friedrich der Große, oder Plato, Aristoteles, Spinoza, Kant, oder ihr sollt es sein. Aber etwas von Größe, ein Ansatz dazu ist doch in jedem rechten Kerl. Großen Uebeln begegnet das Große in ihm groß, der Schund mit dem Kleinen, dem Winzigen muß ihn empören.
Ich lasse meinen meisten Zorn an Schubladen, Töpfen, Hemdknöpfen und dergleichen aus. Das kommt den Menschen zugute, daß so viel Wuth nach der Seite abläuft. Doch nie den schlechten.
Wer das Leben nach seinem Idealwerthe schätzt, ich frage, ob der nicht wüthend werden muß,
wenn er auch nur ungefähr überschlägt, wie viel Kraft und Zeit uns das Bagatell raubt, ich
meine das recht
Was ich nicht aushalten kann, das ist ein Mensch ohne Leidenschaft, und ein Mensch, der gemeine Leidenschaften hat.
Nur keine Geschichten, nur keine Szenen! So denken die Meisten und so zum unendlichen Schaden der Welt namentlich Staatsmänner. Es soll nichts aufgerührt werden, es soll Alles beim Alten bleiben, und wenn ein Kind einzusehen vermag: es kann nicht beim Alten bleiben, es muß ja doch brechen. Aber: après nous le deluge!
Das Weib ist schamhafter als der Mann, weil es weniger unschuldig ist. Das Mädchen weiß das Geschlechtliche weit früher als der Knabe, lernt früh, wenn auch noch unbetheiligt, das ganze Listgetriebe des Männerfangspiels kennen, das Weib ist sich des Geschlechts weit bewußter als der Mann, und hat dieß Wissen zu verbergen, daher muß es mehr Scham haben. Dieß ist im geringsten keine Schande für das Weib. Es erhebt sie. Sie ist mehr Naturwesen als der Mann, und wird sittliches Wesen, indem sie es verhüllt, mit Bildungsleben zudeckt.
Bedarf übrigens der Mann weniger Schamhaftigkeit, so ist das lange kein Freibrief für
Schamlosigkeit. Ein Mann, der keine Scham bewahrt, ist fertig, ist hin, er mag dieß und das
noch treiben, ja leisten, aber er ist eben gemein, und gemein ist gemein. Den Mann, der darin
richtig bestellt ist, wird man besonders
Darin liegt eine große Schwäche des Weibs, daß es im Gespräch so gern Nebenbeziehungen findet, Anspielungen, Stiche, Ausfälle, wo davon keine Spur ist. Der Mann redet gewöhnlich einfach und ehrlich auf die Sache los und denkt nicht daran, was man dabei sonst und nebenher noch denken könnte.
Die Frage nach dem Werthe des Weibs ist eine der zweiseitigsten, die es gibt. Der Mann ist
weit commensurabler. Mit diesem Wort ist sogleich der Grund der beunruhigenden Schwierigkeit in
der Frage ausgedrückt. Incommensurabler ist das Weib im Guten; Großthaten des weiblichen
Enthusiasmus leuchten in Menge wie Sterne am Nachthimmel der Geschichte, incommensurabler auch
im Bösen: „o, undistinguish'd space of woman's will!“ (König Lear IV, 6.) Wie sieht es mit der
Geduld aus? Das Weib ist sowohl viel geduldiger, als auch viel ungeduldiger, als der Mann.
Jenes z. B. im Katarrh mit Zubehör und bei Krankenpflege, dieses bei Meinungs- und Willens
Gestern an unserem Tisch im Gasthoflokal mischt sich ein Herr in's Gespräch über das Weib und läßt sich sehr gemein aus, erlaubt sich auch Zoten. Sonst formell ganz anständiger Mensch, doch etwas anrüchig wegen Benehmens in Ehrenfragen. Wir schweigen ihn an, und fühlbar, da er fortmacht, keimt und wächst im Kreis eine Neigung, ihm die Thüre zu weisen. Plötzlich bricht er auf und geht von selbst. Staunen. Sagt X: „Mir scheint, der Mensch hat einen inneren Hausknecht — einen Rest von Scham —, der hat ihn hinausgeworfen.“ Gut.
Nun muß sich aber hintennach in dem Menschen doch die Vorstellung ausgebildet haben, er sei von uns hinausgeworfen worden; er münzt es auf mich und verdächtigt mich politisch in einer Zeitung. „Schmutz riecht sich selber nur,“ habe ich erwidert.
Menschen, die einander ohne thatsächlich klaren Grund nicht trauen, trauen sich selber nicht.
Diese Art Menschen kann man auch mit ziemlicher Sicherheit daran erkennen, daß sie nicht gern allein sind, obwohl man natürlich den Schluß nicht umdrehen darf, denn die Mehrheit ist nur aus Leerheit nicht gern allein. Auch spazieren können sie nicht recht gehen, denn eine gemeine Seele ist keiner Contemplation fähig.
Man muß arbeiten können, man muß aber auch müßig gehen können, nur betrachten. In diesen Momenten muß man sich verhalten können, wie bloße Natur oder eigentlich sich selbst betrachtende Natur. In glücklichem Wechsel mit Arbeit sind sie so gut, so werthvoll wie Arbeit.
Vater und Sohn, an einem See vorbeigehend.
Knabe. Papa, heut Nacht ist der See, glaub' ich, doch ein bischen unartig gegen mich gewesen.
Vater. Was hat er dir denn gethan?
Knabe. In der Schul hat gestern der Schulmeister gesagt, was ein ordentlicher Mensch sei, müsse auch eine ordentliche Beschäftigung haben; darnach müsse man bei Jedem fragen. Jetzt hat mir's heut Nacht geträumt, ich komm' an den See und frag' ihn: „Herr See, mit was beschäftigen Sie sich?“ Jetzt hat der See gesagt: „Ich beschäftige mich damit, naß zu sein.“ Ist das nicht ein wenig grob?
Vater. Je nun!
Wenn ich Poetisches gelesen habe, zum Beispiel Jamben, und komme nachher an Prosaisches, so
meine ich einige Minuten lang, es auch als Jamben lesen zu müssen. So gieng es mir einmal mit
einem Regierungsschreiben. Zufällig liefen die ersten Zeilen ganz ordentlich. Ich las:
Nachts hatte ich dann einen recht kindischen Traum. Ich kam in ein besseres, beglücktes Land,
Wohnsitz hochgestimmter Menschen. Hier wurden alle amtlichen Schreiben, Regierungs- und
Behördenerlasse, Reskripte, Ausschreiben, Gesetzurkunden, Protokolle, all' Dieses und
Aehnliches in Versen abgefaßt und zwar stets in einem zum Inhalt passenden Metrum. Einen
Staatsanwalt hörte ich im Geschwornengericht die Anklage gegen einen Mörder in centnerschweren
kurzen Stabreimen vortragen. Das Protokoll über den Thatbestand erklang fürchterlich im Versmaß
des Eumenidenchors des Aeschylos. Der Vertheidiger suchte in weichen sapphoartigen Strophen zu
rühren. Das Strafgesetz bestand in lastenden Trochäen. Das Dienstreglement für meine
Polizeimannschaft bewegte sich in gemessenen Dantesken Terzinen. Ein Gesuch um Freinacht bei
Anlaß einer Hochzeit gewährte ich in hüpfenden Anapästen und Daktylen und gieng gegen den
Schluß in Zeilen über, die in freiem Spiele zwischen gebundener und ungebundener Form
dithyrambisch schwebten. Dafür aber bekam ich einen Verweis von der Kreisregierung
Das habe ich doch meist bewährt gefunden, daß man den Menschen im Schlaf ihren Charakter ansieht. Seit es Eisenbahnen gibt, hat man mehr Gelegenheit. Da habe ich nun auch eine Gattung Menschen entdeckt, die ein Gesicht machen, als kostete ihnen das Schlafen Mühe. Es sind meist hart arbeitende Leute, denen der Ausdruck vom Wachen her auf den Zügen stehen bleibt. Doch nicht bloß, man kann es auch bei gebildeten und sicherlich nicht schwer beschäftigten Menschen beobachten. Das sind nun offenbar Naturen, denen alle Geistesfreiheit abgeht, denen im Wachen Alles, selbst die Freude, Geschäft ist, die niemals zu schweben verstehen, daher entbindet auch der Schlaf ihre Züge nicht. Ich nenne den Ausdruck ungernig, sie sehen aus, als schliefen sie ungern.
Es ist auch deßwegen in Ordnung, daß der Mensch endlich stirbt, er soll sich schon deßwegen gern darein fügen, weil sich mit der Zeit gar zu viel Sach um ihn ansammelt. Man erfährt das so recht bei einem Umzug. Nicht nur Bücher, — Briefe, Blätter, Blättchen, Zeitungsnummern, Büchsen, Schachteln, Salben, Pulver, tausend Geräthe. Wie oft, alter Narr, willst du die alte Papiertute hinten in der Schubladenecke noch einmal hervorziehen, öffnen, finden, daß ein Rest Holder- oder Wollblumenthee darin steckt, dich besinnen, ob du ihn wegwerfen willst, ihn noch einmal behalten? — Mach', geh' fort, nimm Abschied auf einmal von all' dem Quark!
Ballast! Ein- für allemal zu viel Ballast! — So stark bin ich nicht, daß mir nicht manchmal eine Sehnsucht aufstiege: nur ein Jährchen lang nach dem Tode noch auf einem Planeten, wo man keinen Schneider, Schuster, Schreiner braucht und wo es überhaupt gar kein Wetter, also auch keinen Katarrh gibt! Nicht unsterblich, o nein, nur dieß Jährchen! — Aber das sind schwache Stunden.
Vitam, non mortem recogita! Altes Motto.
Aber man muß den Tod recogitare, um ihn nicht zu fürchten. Nun ist das nicht die Art der Menschen. Daß sie in Masse überhaupt auf kein Uebel gefaßt sind, hat seinen guten Grund. Sie wären, — so muß der erste Satz von mehreren Sätzen lauten —, sie wären ja Narren, sich das künftig mögliche Uebel vorzustellen, sie würden sich nur die Gegenwart verbittern. Lebe voll und ganz in der Gegenwart!: das ist ja richtig. Wer würde zum Beispiel die Geliebte an den Altar führen, wenn er sich recht darein vertiefte, daß Eines von Beiden vor dem Andern sterben muß! — Allein der zweite Satz lautet: Stelle dir das Uebel dennoch vor, sonst trifft es dich ungefaßt und vor Allem das scheinbar schrecklichste, der Tod. Also Widerspruch zwei gleich wahrer Sätze. Folgt, daß es eines dritten Satzes bedarf. Stelle es dir nicht nur vor, sondern durcharbeite, durchbohre, durchsetze, durchäze es ganz mit klaren Gedanken, bis du damit fertig bist, dann schwindet das Drohende des Schattens und du kannst frei die Gegenwart genießen, bist auf unendlich höherer Stufe, was das Thier auf seiner ist: sorglos blind für die Zukunft. „Gefaßt sein ist Alles.“
Schiller hat gesagt, der Tod könne kein Uebel sein, weil er allgemein sei. Man denke sich
einmal, ein
Träger, schwerfällig trauriger Nachmittag. Unten im Hofe wird Holz gemacht. Ich muß immer dem Sägen zuhören. Zuerst ein scharfkratziger Ton, dann tiefer, breiter, dann kommen hohe Klagetöne des Scheits, als riefe es: jetzt kann ich nicht mehr lang widerstehen! es folgen noch einige kurze, gerupfte, schnell in der Skala sinkende, mürbe Laute und man hört die Klötze fallen. — So sind mir die Freuden des Lebens durchgesägt worden, eine um die andere, ich höre jetzt noch die Stümpfe zu Boden rumpeln.
Aber mit dem Holz hab' ich mir doch einen Ofen geheizt, den ich mir selbst gebaut habe.
Ofen freilich wie er eben sein kann in Anbetracht der Umstände. Hat einen Riß, raucht. Doch etwas besser, als keiner.
Eine große Gunst ist mir doch widerfahren: ich bin im Krieg gewesen, habe ein Treffen mitgemacht. Habe erfahren, wie es dem Mann in der höchsten Anspannung aller seiner Kräfte zu Muth ist.
Beklagen, daß ich damals nicht gefallen bin, wäre gemacht sentimental. Wenn ich aber nur wüßte, ob mir nicht das noch begegnet, daß ich lächerlich sterben muß! Es sähe mir ganz gleich. Oder gar ein Krüppel werden auf solchem Weg? Noch hübscher! Einem Soldaten wird ein Auge ausgeschossen; es geschieht auf dem Felde der Ehre. Ich wette, ich werde noch ein Auge durch ein Knallbonbon verlieren.
K. v. Suckow „Aus meinem Soldatenleben“ erzählt von einem Hauptmann, der sich mit ihm aus
Rußland fortschleppte, mit ihm hungerte, und unter diesen Leiden nicht aufhörte zu rühmen, was
für trefflichen Zwiebelkuchen seine Frau machen könne; es sei sein Leibessen, und wenn er nach
Hause komme, müsse
Auch ist das ganze Leben ein russischer Feldzug. Allgemeiner wilder Stoß und Schub im Menschengetümmel ist die Beresinabrücke. Kanonenschläge dazwischen: das Unglück rechter Art, das drastische Uebel; dieß Glück wäre mir nicht widerfahren. Für mich Lanzen der Kosakenschwärme, die Wespenstiche des kleinen Uebels. Das Aergste soll aber doch gewesen sein ein beständiger, fein messerscharf schneidender Wind, und — wer nicht fiel, nicht verhungerte, nicht am Typhus starb — hinsiechend in beständigem Katarrhfieber.
Hab' auch wieder einen, werde mir bald die Füße zum Mund heraushusten.
Frau Hedwig und der Doktor schicken mich noch einmal über die Alpen. Will gehorchen; muß Neapel,
Ich muß, ehe es fortgeht, mein Jugendthal noch einmal sehen. Wird zum letzten Mal sein. Träumt mir neuerdings mehr als sonst davon.
Geschrieben in der Felshöhle am Klosterberg in St....l.
München. Zuerst einmal hier verweilen, Kunst ansehen. Pinakothek. O Gott, o Himmel, wie
trifft mich's! Da liegt sie unter königlichem rothem Baldachin, konnte die Kerze nicht mehr
fassen, die ihr der weinende Johannes reicht; Alles rings getreulich nach den Formen der Zeit;
Wohnraum, Geräthe, Kultushandlung beim Tod einer hohen Person, Weihwasser, Weihrauch,
Gebetformeln aus dem Buch, die Apostel hartgemeißelte Köpfe, unfeine Gestalten aus der
gröblichen Wirklichkeit, überall voller Schein des Lebens bis hinaus auf
Pisa. Habe widerstanden, bin nicht östlich hinüber von Pistoja; morgen nach Livorno, zur See hinunter. — Wie schön hier Alles beisammen: Dom, Baptisterium, Campo santo, und wie gut ruhig, friedlich ringsum! — Komme mir vor wie der schiefe Thurm dort, der hält, obwohl geknickt. Im Campo santo — hätte den ganzen Tag da bleiben mögen, ja möchte hier wohnen, mich an den rührenden Bildern freuen wie ein Kind und ganz stille sein.
Pompeji. Die Gypsformen der Todten — genau in dem Moment, wie sie vor fast zweitausend
Jahren im Todeskampf zuckten. Sonderbar — das thut sonst der Bildhauer aus Kunstzweck: er
fesselt einen Zeitmoment im Raume. Hier hat die Natur dasselbe
Ich möchte gerade nicht in einer solchen Todeszuckung nach Jahrtausenden als Gypsfigur wieder aufstehen, übrigens rasch und gewaltsam sterben ist doch auch so übel nicht.
Gegenwärtige Vergangenheit, vergangene Gegenwart, — aufgehobene Zeit — Traum, wunderbar.
Komme mir selbst vor, als sei ich schon lange gestorben und sehe dort aus einem Denkmal der
Gräberstraße mir zu, wie ich nun umgehe, schaue, staune. Oder als sei ich gerade vor einer
Stunde gestorben und der Tod habe mir noch auf einen Tag Ferien gegeben, da spazieren zu gehen,
als alter Pompejaner zu schlendern. Wir haben auch in Wahrheit Alle in allen entschwundenen
Menschengeschlechtern schon gelebt und werden leben mit den künftigen. Doch möchte ich
herausbringen können, wie mir zu Muthe gewesen, als ich noch ein antiker Mensch war, Mensch aus
Einem Guß, ohne Riß mittendurch, ohne mehr Augen, als nöthig. Aber wenn vielleicht doch auch
jene Ein
Droben qualmt der Vesuv. Bin doch hinauf zum Krater. Empedokles hat sich in den Aetna gestürzt, das Naturgeheimniß zu ergründen. Könnte man Element werden und zugleich wissen, was Element ist!
Zuerst Corricolo, dann ausgestiegen. Golf. Wie die Menschen, solche Linien, solche Kurven, solche Farben, solches Rauschen des ewigen Meeres vor Auge und Ohr, ihr Nachbar-Naturwesen, das Thier, so teuflisch mißhandeln mögen — o, fehlte mir nicht die Macht!
Sorrent. Alles kocht im Segen, man meint, man spüre die Frucht des Oelbaums, die Beeren der
Traube sich mit Säften füllen. — Tasso's Wohnung — wir kennen uns. — An die Marine. In einer
Fischerhütte bildschönen Knaben mitgenommen. Sieht dem putto gleich rechts unten auf Raphael's
Sixtina, der den Kopf auf die Aermchen legt und so küssenswerth
Abends im Albergo geplaudert mit den schönen Wirthstöchtern und ein paar frischen Burschen aus
Von Castellamar über den Monte S. Angelo nach Amalfi. Räuber? Warnt mich nicht! Thun mir nichts. Beglückender Marsch, gerollten Mantel über der Schulter. Oben oft wie deutsch, Dörfer zerstreut, Holzhäuser mit steilem Giebel, Meisen schlagen, Buchfinken schmettern ihr Reitersignal, aber dann weit, weit der Blick hinaus auf diesen, dann auf jenen Golf. So gelöst, so entlassen! Himmelsluft!
Ravello. Das ist nun aber doch auch ganz wie ein Traum! Hoch, hoch über dem Golf von Salerno
alte, einst reiche, mächtige Stadt, ursprünglich maurisch.
Eigentlich gefällt es mir so ganz doch immer nur da, wo es traumhaft aussieht. Freilich doch auch im Deutlichen, Klaren. Aber Beides kann sich ja gut vereinigen.
Jetzt durch's Mühlthal herab nach dem Golf. Meer schäumt auf an Felsen und alten
Sarazenenthürmen, Gang zwischen Oliven, Johannisbrodbäumen,
Amalfi. Was ist aus dir geworden, stolze, reiche, weitherrschende Republik! Dein alter Andreas dort in seiner Kathedrale, dem verbleichten Reste deiner Pracht, er hat dich nicht geschützt vor Pisa's, Genua's Schwert und dem Rachen einstürzender Meerflut. — Da oben aber im einstigen Kapuzinerkloster, wie wohnt es sich so einzig still, so frei gehoben! Als Einsiedler da herabschauen? Nein, nicht Ritter Toggenburg! — Weiter, Salerno zu, immer am Ufer hin, rechts das mächtige Rauschen, den ernst stahlgrauen Spiegelglanz des göttlichen Elements, links ein Paradies zwischen Fels, strengem Gebirgszug und all' dem herrlichen Grün mit der klassischen Zeichnung und ernsten, gesättigten Farbe. — Mittags im Nest Minari nach Kaffeehaus gefragt; weist man mich da zu der Alten. Enger Raum, Küche und Stübchen zugleich; das Weib am großen Spinnrad. Ganz gemüthlich geplaudert und Kaffee gut. Was gibt es behagliches Schwatzen in Italien mit alten Frauen! Gründliche Kinderunwissenheit. Lebt so da eingesponnen im Engen, um sich dieß Elysium. Gehört auch in ein altes Märchen.
Salerno. Lang dem Meer zugehört im Bett. Tempo: stilleres, feierliches Rauschen, dann anschwellen zu Donnerton. Erzählte viel von Völkern, Griechen, Römern, Karthagern, Longobarden, Normannen, Sarazenen; sah die Roßschweife wallen, hörte ihr Allah il Allah! — Aber was raunst du mir, was rufst du mir? Darf ich bald hin in's ewig Große?
Oder kommt mir noch ein Großes hier auf diesem geballten Weltstoff? Darf ich's noch erleben
und dann zerschäumen wie die Woge? — Darf ich, — wag' ich's, zu hoffen? — mein Vaterland noch
groß sehen? — Wohin mich die Wanderschritte tragen, von Deutschland ist wie von einem Nichts
die Rede. Jetzt zwar Respekt vor Preußen. Gestern Abend wieder im Gasthof: Signore è Prussiano?
Hab' der Wahrheit die Ehre gegeben: „nein“, und dann, als ich mein Ländchen nannte, giengen den
Herren alle Begriffe aus. — Nach Pestum. Schwere, dunkelgraue Wolkenwand, darunter der Himmel
offen, feuchtfett, giftig schwefelgelb glühend. Dunkel auf diesen Hintergrund gesetzt die
alterbraunen Tempel, voran die stämmigen Säulen des Neptuntempels mit den breit ausgeladenen
Wülsten. Da malt sie der Himmel hin, die Elegie des Völkerschicksals. — Bin doch plötzlich
wieder aufgebrochen, es gieng zu tief jetzt, jetzt, da ich horche, wann die
Palermo. Fahrt hieher von Neapel in reinem Aether, alle Götter günstig, Phöbus strahlend, Poseidon lachend, Delfine umher spielend, in Bogenschüssen sich elastisch aus den Wogen schnellend, in unmalbarem Blau schwimmen die seligen Inseln und Vorgebirge. Es war ein Schweben, keine Erdenschwere mehr.
Das Schönste des Schönen der Monte Pelegrino. Unter allen Berglinien der Welt eine edler und in allem Adel leichter gezeichnete kann es nicht geben. Wie klar und ruhig legt oben die Fläche sich über, wie anmuthig biegt sich das Profil ein, ehe es hinabrinnt, sich in die Horizontale von Land und Meer aufzulösen! O, wären die Linien meines Lebens so wie diese, o, senkte es sich so schön herab, in so reiner Kurve, wie dieser Berg sich herniedersenkt zum Meere! Und wäre die Farbe meines Lebens so rein blau wie das Meer, das ihn wiederspiegelt!
Die Hohenstaufengräber in der Kathedrale kann ich nicht zum zweiten Mal sehen. Hic situs est magni nominis Imperator et rex Siciliae Fredericus II. — — Kann nicht zur reinen Anschauung, nicht zur ungetheilten Stimmung gelangen vor dem Porphyrsarg. Der Hohenstaufen schiebt sich mir in die Bildkammer der Phantasie herein, wie ich ihn einst gesehen, in Formen so schön, als stände er nicht neben deutscher Alb, — kahl, matt röthlich beleuchtet von der Abendsonne. Verliere mich in die Frage, ob es geschichtliche Nothwendigkeit gewesen, daß diese großen Kaiser Stiefväter ihrem Heimatland waren. Erwäge das vielbesprochene Für und Wider. Es gräbt, bohrt, sticht in mir, daß unsere Geschichte Gipfel hat, die keine Gipfel für unsere Nation sind. Alte Pein, einem belächelten Volk anzugehören, wacht auf. Werde mir nun selber bös, daß ich angesichts des großen Gegenstandes Auge und Gefühl nicht rein gegenständlich stimmen, meinen Vorsatz, die Politik zu lassen, nicht halten kann. Also eben fort, hinaus wieder an den Hafen, meinem Liebling, meinem Herzblatt gegenüber, dem Monte Pelegrino!
Die reinen Heiden sind sie doch! Man muß zürnen und lachen, lachen und zürnen. Führen da ihre
Heilige als Puppe auf Prachtwagen herum wie
Immer mit einer wahren logischen Beunruhigung lese ich die Urtheile der Römer und Griechen über das Christenthum in seinen Anfängen. Es hat der Welt eine neue Seele eingesetzt. Es ist Religion der Herzlichkeit. Der Stifter war ein Mensch freien, wohlwollenden, lichthellen Gemüths, will uns sanft, liebevoll, verzeihend, gut. Das hatte keine der Naturreligionen, es war ganz neu; was Plato, was Stoiker, was jüdische Sekten lehrten, ist in Manchem verwandt, hat vorbereitet, aber dieser Einheitspunkt, dieß vertiefte Herz war das grundeigene Geheimniß des Mannes Jesus, von dem wir so wenig Geschichtliches wissen; Bergpredigt — himmlischen Geistes voll. Dazu ist gekommen oder daraus hat sich entwickelt die richtende Einkehr des Menschen in sich selbst, wie keine frühere Religion sie hatte, Geist der sittlichen Selbstkritik, begreiflicherweise zuerst zu negativ, finster dualistische Verwerfung der Sinnlichkeit, doch auch so Grundlage für eine neue Ethik.
Nun war dieser Kern im Ursprung schon getrübt, mit Mythologie umhängt. Der Stifter selbst schon glaubt Engel und Teufel, glaubt wiederzukommen als Königmessias und das himmlische Reich auf Erden zu gründen. Kaum todt, so vermehrt sich die Mhthenglorie: Wunder, Auferstehung, Christus wird Gottessohn, sein Tod Opfertod nach alter, blutiger, ja grasser Opferidee, bald dann Maria Göttin. Müßte auch wunderbar zugegangen sein, wenn zu den jüdischen Wahnvorstellungen nicht die bekehrten Heiden zeitig die ihrigen zugebracht hätten: Göttersöhne, Frühlingsgötter, Osiris, Adonis, Mithras, Herkules, dann Urgöttinnen, Isis, Here, Venus, Astarte, Mylitta, Rhea, Kybele und wie sie heißen, — nachdem im Teufel schon der Ahriman eingewandert. Dort in Pompeji die aufgehängten Votivbilder im Tempel der Venus, kranke Arme, Beine, Hände, Nasen von Zinn, Silber, Thon, die sie heilen sollte, — sie ersetzen eine ganze religionsgeschichtliche Abhandlung über christliches Heidenthum.
Nun, wenn ich lese, wie die Römer und andere Polytheisten über das Christenthum urtheilten,
so peinigt mich ein eigenes Gefühl: ich muß mich vor ihnen schämen für jene frühen Christen,
wie ich mich heute noch schämen muß, wenn Missionäre den Heiden unsere
Dazu noch etwas gar Fatales. Die neue Liebeswelt, die neue Religion, aufgegangen in einem
unterjochten Volk, wußte und wollte nichts von Staat, von öffentlichem Leben — heute noch ein-
für allemal ein ungeheurer Mangel des Christenthums. Wollen wir Bürgerpflichten daraus
ableiten: es muß auf mühsamem Umweg künstlicher Argumentationen geschehen. Man denke zum
Beispiel: zur Vorschule des Mannes für sein politisches Pflichtleben gehört Gymnastik. Dem
Griechen sagte das auch ohne Wort der Gott am Eingang der Palästra. Wie höchst verzwungen aber
sind Versuche, vom Christenthum aus so etwas als Pflicht
Wie ist es nun mit der mythologischen Trübung? — Ich nenne sie, diese Bilderwelt der Religion, kurzweg Pigment. — Dieß führt auf eine Betrachtung, die bei der reinen, verzweifelten Rathlosigkeit anlangt. Die Sache liegt schlechthin amphibolisch, antinomisch.
Für —: Ohne Pigment keine Religion — denn Religion muß ja doch eine Gefühlsgemeinschaft sehr
Vieler und ein Kultus sein. Es kann keine farblose Volksreligion geben. Die Andacht muß etwas
zum Anreden haben, also vorgestellte übersinnliche Person, Personen und, zum Anschauen,
Ansingen, auch That
Gegen —: Diese Stützen sind ebenso sehr Spieße in's Mark der Religion. Der tiefstliegende
Schaden ist: sie dienen als Surrogate für's Wesen; die Menschen, wie sie einmal in Mehrheit
sind, meinen, sie dürfen sich dafür, daß sie an das Pigment glauben, die Religion ersparen. Da
haben wir nun den „Glauben“, der = Religion gilt. Millionen Seelen, die nie von einer Ahnung
des Unendlichen, nie von einem Gefühl der erhebenden Tragödie des Lebens durchhaucht worden
sind, gelten nun sich und der Welt als religiös, weil sie glauben. Diese schnöde Verwechslung
hat sich als allgemeines Vorurtheil fixirt, mit Macht bekleidet, gefoltert, verbrannt,
gekreuzigt, gepfählt, lebendig geschunden, Gedärme aus dem Leib gehaspelt, geblendet,
verstümmelt, lebendig begraben, erdolcht, gespießt, vergiftet, — es gibt keine so wildviehische
und keine so teuflisch durchdachte Grausamkeit, die nicht die gläubige Verfolgungswuth mit
technischer Vollendung ausgeübt hätte. Bekreuzt euch nicht davor, stillgläubige Seelen! Das
folgt haarscharf aus der Verwechslung des Pigments mit dem Wesen! Bekreuzt euch nicht,
gebildete Konsistorien! Ihr verbrennt,
Ihr lobt euern Schiller, ihr kennt sein Distichon:
„Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst. Und warum keine? Aus Religion.“
Aber ihr lest es im gewohnten Dusel und seid zu denkfaul, zu begreifen, was es besagt, was daraus folgt.
Also der helle Widerspruch von Für und Gegen. Und also, wer weiß nun Rath? — Es scheint da
eine Auskunft. Die wohlbekannte: symbolisch nehmen! Man muß wirklich sagen: es ist dieß die Auskunft
Die Sprache selbst könnte ohne den religiösen Glaubensapparat des Christenthums rein nicht mehr auskommen. Könnte die Liebe und könnten die Dichter die Engel entbehren? Und wo bliebe Goethe's Faust ohne den Teufel und seine Gesellen? Und wo meine treffliche Mythologie?
Aber das hilft eben auch nichts, damit ist natürlich auch nicht auszukommen. Es handelt sich
ja um
Ein Satz: Die Masse braucht in alle Ewigkeit ein geglaubtes Bilderbuch. Wie viel immer das Pigment schaden mag, es ist doch auch Stütze. — Religion fort: auch Moral fort. Gefärbte Religion doch besser als keine.
Anderer Satz: Ein sehr großer Theil des Volks ist allerdings aus der Bilderwelt
herausgewachsen, das nimmt nun aber zu in geflügelter Progression; noch ist es nicht die
Mehrheit, aber bald wird sie in die Strömung gezogen sein. Wer nur irgend sich etwas umsieht,
Handwerker, Arbeiter, Kaufmann, wer immer von Physik und Geschichte auch nur einigen
Lichtstrahl empfängt, ist rein fertig mit Allem, was übersinnliche Figur, was Regierung des
Universums von außen, was Wunder heißt, kurz mit dem ganzen Pigment. Nun sind aber alle diese
hülflos in's Leere geworfen. Die gefärbte Religion sind sie los, zur reinen reicht es bei ihnen
nicht, und wenn es reichte, wer reicht sie ihnen? Niemand. Unsere Priester bieten nimmermehr
Religion ohne Pigment, und man muß auf Grund des ersten Satzes zugeben: es wäre nicht möglich.
Eigentlich ist die reine Religion allerdings nicht farblos. Zur Farbe hat sie nichts Geringeres
als die Weltgeschichte, die mythenlos wahre. Das aber ist
Weiß der Himmel, wie sehr ich selbst mich oft sehne, mir von einem guten Redner die ermattende Seele aufrichten zu lassen, aber da schenkt uns ja keiner den Farbenzusatz, von dem wir nichts mehr wollen, der unserem erhellten Auge widersteht.
Wenn die allgemeine Zuchtlosigkeit zunimmt, wenn sie zu Verbrechen auf Verbrechen führt, wird der Staat meinen, die bestehende Religion mit Zwangsmitteln aufrechtzuhalten, wiederherstellen zu müssen. Vergeblich! Eine in der Auflösung begriffene Religionsform läßt sich nicht halten; man pflanzt nur Heuchelei. Drakonische Strenge wird gut thun, aber eine Reaktion in dieser Richtung würde den Staat nicht stützen, nur noch mehr untergraben; er würde sich nur die Ruthe der Pfaffengewalt noch lästiger auf den Rücken binden, und wollte er nachher wieder einlenken, lockern, so würde ein Ravaillac nicht ausbleiben.
Oft in dieser Noth meines Herzens um die hülflose Menschheit denke ich: ehe Luther kam, ahnte
auch kein Mensch, daß ein solcher Reformator erscheinen werde. Niemand von Allen, die in das
Elend ein Einsehen hatten, wußte Rath. In solcher Stunde ist es doch schon mehr als Einmal
geschehen, daß der rettende Genius geboren wurde. Das ist nun freilich pure Hoffnung, ganz
blind, ohne jeden Begriff; denn alle Begriffe führen ja eben in's Rathlose. Luther ließ einen
guten Theil des Pigments stehen, das bedurfte ja die Mehrheit, und wenn jetzt die Mehrheit dem
entwächst, so ist sie doch nicht die Allheit, ein Rest Bedürftiger bleibt in alle Zeit. Wie
sollte nun
Allerdings ist es eben auch so eine Sache mit den Lokalen für den Kultus. Gebildete Persönlichkeiten pflegen sich da zu verkälten. In bitterem Ernste: kommt uns je ein Retter aus obiger Noth, so denke ich mir gern, er werde zuerst als Erfinder auftreten, der eine urwohlthätige Grundlage für die Stimmung herstellt: Luft in geschlossenem Raum und doch kein Zug! Wer diese Aufgabe löst, wird einer der größten Wohlthäter der Menschheit sein. Ist dieß erst entdeckt, so werden die Menschen milder, launenloser, klarer, gemüthsfreier, sie werden besser, sie werden edler werden. Ja, damit wird der erhoffte Reformator beginnen, auf diesem Grunde wird er aufbauen!
Bin wahrlich kein Freund vom Allegorisiren, aber wem soll's nicht einfallen: ja, Schwüle oder
Zugluft oder Beides beisammen: so lebt die Menschheit. Wär' ich ein Egoist, mir könnt's ja Eins
sein. Warum
Was? Was war das? Welcher Abgrund sendet mir das? — Bist du da — dieß Bild? — Engel und Boten
des Himmels, steht mir bei! — Unter den Lustwandelnden auf Corso Garibaldi. — Nur etwas
Der Traum dieser Nacht sei aufgezeichnet, schnell, bevor er sich verwischen kann! So gut ich's vermag nach so viel Grausen, Beben und Entzücken.
Ich wandle wieder auf dem Corso. Der Himmel wie neulich in Pestum. Die schwere Wolkenwand
sinkt herab und schließt den Spalt, durch den man dort die Abendsonne im trüben Sciroccogelb
leuchten sah. Nacht. Die Begegnenden sehen sich nicht mehr. Schwül und schwüler, endlich fast
zum Ersticken. So muß es in
Ich erwachte, fuhr auf, eiskalt rann es mir durch die Glieder, aber schnell wiech die
tödtliche Kälte einer brennenden Fieberglut. Mir war, ich fühle mein Gehirn in seiner Höhle
kochen. Mein linker Arm war noch ausgestreckt, als hielte er den Lauf des Geschoßes, mein
rechter gekrümmt und der Zeigefinger gebogen, als läge er noch am Drücker. Ein Krampf spannte
mir alle Muskel auf die Folter. Als ich klarer zu mir kam, war mein ganzes Wesen nur Ein
Sehnen, nur Ein Seufzer nach Ruhe, Stille, Kühlung. In diesem Gefühle schlief ich wieder ein.
Der Traum nahm sein Spiel wieder auf und knüpfte seinen Faden an den ersten Gang, lose, wie er
zu thun pflegt. Ich fand mich unterwegs aus der Stadt. Ich will
In dem Augenblick fühlte ich mich von Wasser umgeben und sinken. Ich sank tiefer und tiefer,
nicht mit Bangen, sondern voll labenden Gefühles der Kühlung. Delfine huschten vorbei und sahen
mich mit klugen Augen an, als wollten sie sagen: nicht wahr, hier ist es gut, hier sind keine
feuerspeienden Drachen? Endlich fühlte ich Grund und der Zwerg stand wieder neben mir. „Hier,“
sprach er, „hier ist die Grotte.“ — „Das ist ja keine Grotte,“ sagte ich, denn ich stand vor
einem Hochaltar mit vergoldetem reichem Schnitzwerk, das über den geschlossenen Flügeln des
Diptychon aufstieg. „Thut nichts,“ flüsterte der Zwerg,
Hat sich der Himmel aufgethan? Vor mir wölbte sich die blaue Grotte von Capri, nicht Bild,
nicht Gemälde, sondern Wirklichkeit. Und doch auch wieder nicht. Denn wohl raunt das Volk von
gewissen Felshöhlen an jener Inselküste, es seien Spiriti darin, aber was leuchtet hier, welch'
Unbekanntes, Neues, welchen Wunderkern umschließen diese blau erglänzenden Wölbungen? Eine
Erhöhung des Felses ragt aus dem Wasser, wie zur natürlichen Ruhestätte gebildet, auf weißer
Decke, die darüber sich breitet und faltenreich niederfällt, in weißem Gewande, das Haupt auf
weißem Schlummerkissen ruht ein Weib, mir entgegengekehrt, das Angesicht mir gegenüber,
halbgeschlossen sind die von langen Wimpern überschleierten Augen. Friede wohnt auf ihrer
Stirne, ein seliges Lächeln umspielt ihre Lippen, Verklärung ist dieß Antlitz. Das magische
Licht, das auf Correggio's berühmter „Nacht“ vom Christuskind ausgeht, auf den Gesichtern
Ich glaubte sie noch zu halten, als ich erwachte. Dieß Erwachen! Hinweggespült aus meiner hämmernden Brust ist der Krampf und Brand des Lebens, sanft geht mein Puls. Ich bin frei.
Aber da bin ich noch und was nun thun? Der aufzuckende Gedanke, ich müsse nun auf und fort, hinwärts, dorthin — nein! Mein Traum und die Fragen, die Zwecke der Wirklichkeit: zwischen ihnen ist kein Verhältniß, keine Gleichung. Auch den Gedanken, mein Gesicht könne eine Ahnung gewesen sein, halte ich nieder. Ich mag mich mit keinerlei Fragen einlassen. Mir ist Alles vollendet. Ich bin. Ich habe das Gefühl, zu sein. Mit ihr, in ihr. Tief in der blau schimmernden Grotte. — Die Dinge am Tageslicht sind mir nun pure Gegenstände, nichts mehr mit mir verwachsen.
Wenn man nicht weiß, was nun thun, so thut man vorerst nichts, das heißt, man treibt, was der Tag bringt. Ich bin einmal in Palermo, will mich erst noch weiter umsehen. Ich will doch die Einladung des fremden Herrn annehmen, den ich beim Frühstück getroffen, mit ihm zwei Bilder von Crescenzio zu sehen, einem merkwürdigen Maler des Quatrocento, eines im Hofe des Hospitals, das andere eine Stunde von der Stadt im Kloster S. Maria di Gesu.
Freske im Kreuzgang des Hospitals: eine Art von Todtentanz — trionfo della morte. Sieht sich fast deutsch an, blonde Köpfe, herb individuelle Formen; Sage von einem flandrischen Meister, doch möglich von Crescenzio unter frühem nordischem Einfluß. Der Tod rennt als Gerippe auf magerem Klepper durch die Luft, Pfeile vom Bogen schießend, Arme und Krüppel, die ihn um Erlösung flehen, übergehend, Hohe und Ueppige ereilend. Links eine heitere Gesellschaft: festlich gekleidete Mädchen zum Tanz antretend nach dem Klang einer Zither, aber schon von Todesblässe überzogen, dabei ein Paar, das verlobt wird. Ihr verlobt euch gültig, der Tod wird kopuliren. —
Die Fresken im Kloster draußen großentheils verdorben; monochrom. Erhalten eigentlich nur
eines der Seitenbilder: der Leichnam des heiligen Franziskus,
Jetzt weiß ich, wohin! — Der Fremde im Rückweg lange schweigsam. Ich auch. „Die Bilder,“
beginnt er endlich, „haben mich seltsam ergriffen, — auch darum, weil die Szene, die wir
zuletzt gesehen, in Assisi vorzustellen ist. Ich habe eine traurige Nachricht: der Tod zielt
jetzt eben in meine Verwandtschaft.“ — Er nennt mir seinen Namen, sein Vaterland Schweden,
seinen Heimatsort Gothenburg und seinen Stiefbruder — Erik. Dessen Wittwe, ein Juwel aller
Neapel. So weit wär' ich. Der Seesturm überstanden, ich wußte gut, daß er mir nichts anhaben
könne. Das Dampfschiff gilt für altersschwach, es müsse noch dienen, so lang es halte; der
Kapitän stand immer an der Maschine, sah hinab, horchte, ob sie noch gehe. Bald Alles seekrank
außer mir und der Bedienung des Fahrzeugs. Halte mich am Mast und schaue und höre. Ton durchaus
wie von Millionen Trommlern, die mit anwachsender Schlaggewalt zum Sturme wirbeln, immer wieder
von vorn beginnend. Wo möglich furchtbarer das dünne, schneidend scharfe Pfeifen des Winds in
den Tauen, wie wenn Einer auf der scheermesserschmalen Kante von Papier pfeift, — dieß in's
Unendliche gesteigert. Wogen — eine Welt; nicht jede gelingt, die gelungenen herrlich in der
Linie ihrer Hohlkehlen und Roßhalsrücken, drüber die Schaummähnen, die der Sturm flockig
hinausbläst. Wälzt sich eine heran, man meint jedesmal, sie müsse das Schiff umstoßen oder
überflutend begraben, doch sie nimmt es auf ihre Schultern, dann schießt es in's nächste
Wogenthal hinab. Welches Brausen und Donnern! Kann sonst den Wind nicht ausstehen; so gefällt
er mir, wie neulich in Sorrent auf der
Rom. Nur eine Wanderung hier über das Kapitel hinaus. Morgen vorerst Perugia. — Dum
Capitolium scandet cum tacita virgine pontifex. Horaz hatte
Wohl seh' ich auch im Geist, wie blondlockige Gothenschaaren dort auf den Palatinus hinauf und in's Kolosseum dringen und die Mauern brechen. Alte Geschichten. Mein Deutschland schläft wieder, nachdem eine Halbheit auf zweifelhaften Wegen zu Stand gekommen. Man muß auch das lernen: hingehen, ohne ein Vaterland erlebt zu haben. Gefaßt, ganz gefaßt. Und so wird's wieder ruhig in mir, sanft. Ich sauge eure Größe ein in süßem Diebstahl, ihr Trümmer, athme Heldenluft in großer Stille.
Was haben die deutschen Künstler da drin im Café Greco? Haschen heftig nach den Zeitungen. Wird auch der Mühe werth sein! — Mich kümmern keine Neuigkeiten mehr.
Perugia. Es ist so, sie liegt drüben in Assisi; man hat sie in die freiere Bergluft gebracht zur Muhme Cornelia. Ihr Vater, ihre Söhne bei ihr. Habe an ihn geschrieben, ob ich erscheinen darf. Mir war nur still und feierlich zu Muthe; jetzt bin ich nicht mehr so ruhig. Mutharm, schwer, bang, daß mir fast Arm und Fuß den Dienst versagt, bis Antwort da ist. — Stehe wieder vor dem Geburtshaus ihrer Mutter, verwechsle sie immer und wenn ich da nach der Loggia hinaufsehe, sehe ich statt ihrer Cordelia als Kind dort zwischen den Oleandern herabschauen.
Man erwartet mich, soll kommen, schnell. Mir wird schon leichter. Ich darf.
Es ist gewesen. Es ist. Ja, wie dort auf dem Bilde des Kölner Meisters die heilige Jungfrau,
so umgeben von Weinenden, Vater, Kindern, so lag sie.
Knieend an ihrem Bett — sie weint — weint sie auch um mich? — Es gibt Krieg, sagt sie. — Ich wußte nichts von der Welt draußen. — Der Vater bestätigt: Krieg Deutschlands mit Frankreich. — Ist die Stunde wieder da, wo in Christiania — ihr Aufruf — ? Sie mahnt nicht, dießmal nicht. — In mir Entschluß, augenblicklich. Nun weiß ich meinen Weg, sage ich, — sie schweigt, sie weint, reicht mir die Hand, die weiße, bleiche, — hebt sie, nachdem ich sie lang gehalten, und legt sie auf mein Haupt, segnend, Worte flüsternd, unhörbar, meine Thränen strömen, — sie bedarf Ruhe — Leb' wohl! leb' wohl! — Ein sanftes „wohl“ kann ich noch vernehmen — ein Blick ruht auf mir — ich werd' ihn ewig sehen. Und du, Erik! — dein Geist über uns — ich sah ihn freundlich nicken. — Ja, ja, nun weiß ich meinen Weg. —
Hier endigt das Tagebuch. Weitere Aufzeichnungen haben sich nicht gefunden; nur die Tage der Schlachten jenes Sommers sind noch eingetragen, zuletzt der Entscheidungstag von Sedan.