von denjenigen nemlich — — — kurz, man versteht mich.
Wer es darf, hebe den ersten Stein gegen ihn auf! Ich meinestheils gedenke es nicht zu thun.
Ich traf ihn auf dem Dampfboot, mit dem ich auf einer Schweizerreise über den Zuger See fuhr.
In der bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, die sich auf dem Verdeck umtrieb, hätte ich ihn
schwerlich bemerkt, wenn nicht ein besonderer Umstand mein Auge auf ihn gelenkt hätte. Es
befand sich unter den Passagieren ein junger Mensch, jeder Zoll ein Geschäftsreisender in
Baumwolle, Cigarren oder Rothwein, der sich durch sein vorlautes und eitles Wesen lästig
machte. Er schien gekommen, um über Alles zu spotten, was er sah und genoß; bald gieng es über
den Mittagstisch her, von dem er kam, bald über die Einrichtung des Boots, bald über den
Schweizerdialekt, den er mit den halb gestoßenen, halb verschwommenen Lauten
Inzwischen gab sich der Ungezogene ganz dem Genusse seines unverdienten Triumphes hin, unter
gellendem Gelächter machte er sich in frechen Reden lustig über den unglücklichen Gegner. „Wo
mag er nun wohl stecken? Ob er nun wohl seine Rede als Monolog hält, schreibt und herausgibt?“
In diesem Tone ging es fort. Rasch hatte in mir über den augenblicklichen Lachreiz die
Theilnahme den Sieg gewonnen, die Geduld gieng mir aus und ich fuhr den Menschen an: „Herr! nun
ist es genug!“ Alsbald bekam ich Beistand von der Gesellschaft, ein Erster, Zweiter, Dritter
stimmte ein, und als das Subjekt widerbellte, erklärte man ihm, daß es länger nicht im
Der See funkelte im Feuer der Abendsonne, die Thürme der Stadt leuchteten in ihrem Golde, eine
Ich starrte den eifrig Vortragenden in großer Verblüffung an; ich mochte unbeschreiblich dumm
aussehen. Er ließ sich nicht stören, sondern fuhr sehr ernst fort: „Sie erkennen doch, daß im
klassischen, das heißt rein griechischen Styl Alles auf den Ausdruck des Satzes angelegt ist:
hier, auf diesem windigen Peribolos, hier in diesen zugigen Säulenhallen, hier in diesem
kühlen, lichtlosen oder (wenn der Tempel ein hypäthrischer ist) erst doppelt zugigen Heiligthum
wirst du, mußt du — wenigstens gewiß, wenn du ein Nordländer bist — dich verkälten! — Glauben
Sie mir, verehrter Herr, der Anblick solcher Räume in einem Gemälde kann allein schon
gefährlich werden. Als ich in Paris zum ersten Mal die Hochzeit zu Cana von Paolo Veronese sah,
als ich nur in Gedanken mit dieser glänzenden Gesellschaft
Er hatte schon bei den letzten Sätzen begonnen, langsamer, unterbrochener, zerstreuter zu reden, die Stimme sank, die Züge verfinsterten sich und es fiel mir seltsam auf, daß er stark einwärts schielend auf seine Nasenspitze hernieder sah. Bei den letztgenannten Worten hielt er plötzlich inne und sagte in gedehntem, tiefem, dumpfem, eigentlich tragischem Tone vor sich hin, als wisse er nicht mehr, daß er im Gespräch mit einem Andern begriffen sei: „Sie glänzt.“
Er lief plötzlich weg, ließ mich ohne alle Entschuldigung stehen und wandte sich dem fast
leeren Platz zweiter Klasse zu. Hier sah ich ihn heftig auf und ab gehen, dunkle Worte vor sich
hinmurmelnd, von denen ich, behutsam mich nähernd, doch einmal deutlich den Satz heraushörte:
„Den haben mir die Ungeheuer, die
Ich konnte keinen Versuch machen, mit dem Manne noch einmal anzuknüpfen; Alles sah darnach
aus, daß ich heftig abgewiesen würde. Was der gemischt katarrhalische Baustyl, was der reine
Segensstyl sei, das sollte mir im Schooß des ewigen Dunkels verborgen bleiben, wenn nicht ein
glücklicher Zufall mir noch zum Lichte verhalf. Ich stieg in Brunnen aus, um einen ruhigen
Abend in dem freundlichen Dorfe zuzubringen, das in die Verengung des Sees so reizend sich
einschmiegt, und entschloß mich nun gleichzeitig, den andern Tag bis Flüelen auf der neuen
Axenstraße zu gehen, nahm ein Zimmer im nächsten Wirthshaus und suchte schnell wieder das
Freie, um von der Landungsstätte den großen Blick aufwärts und abwärts über den See, über die
wilden und doch am Fuße so anmuthig bekränzten Ufer zu gewinnen. Auf der Bank vor dem Hause saß
mein Mann; ich hatte nicht bemerkt, daß er mit mir ausgestiegen war. Er schien alles Leid
vergessen zu haben, denn er spielte wie ein Kind mit zwei jungen Hunden, deren Hanswurstpossen
ihm sichtbar ein volles, ungetheiltes Vergnügen bereiteten. Ich blieb stehen und hatte meinen
Spaß an dem Anblick. „Sind Sie auch ein Hundsfreund?“ fragte er ganz heiter; ich bejahte es, er
ergieng sich in Bemerkungen über die Rasse der drolligen Gesellen,
Später, beim Abendessen, sah ich den seltsamen Kauz nicht; als ich aber nachher im
Vorbeigehen einen Blick in die allgemeine Wirthsstube warf, entdeckte ich ihn mitten unter
breitschulterigen Bürgersleuten, größ
Ich konnte lang nicht einschlafen, hörte meinen Wandnachbar in sein Zimmer treten, sich
auskleiden und zu Bett legen. Das Haus war so hörsam, daß selbst das Nagen einer Maus im
Nebenzimmer meinem Ohre nicht entgieng. Den unbekannten Bewohner desselben hielt ich für längst
eingeschlafen, als ich die Worte vernahm: „Ach, es fängt an.“ Es war die Stimme meines armen
Verkälteten. Was denn auch wirklich anfieng, war ein scharfes Husten und häufiges starkes
Räuspern und Spucken, das, von tiefen Seufzern unterbrochen, zu meiner eigenen Qual wohl eine
Stunde dauerte, dann aber einem fürchterlichen Schnarchen Platz machte, das im ganzen Register
einer Orgel sich hin und her bewegte, oft von stoßenden, plötzlich abschnappenden Tönen und
bangen Pausen unterbrochen, worin der musikalische Schläfer nach Athem zu ringen schien. Ich
hätte ernstlich für seine Lunge gefürchtet,
„Also Ihre Brille suchen Sie? Ist dieß Objekt es werth, in solche Wuth zu gerathen? Kennen Sie denn auch gar keine Geduld?“
Er wollte gegen mich auffahren, faßte sich aber auch dießmal wieder, sah mich an und sagte: „Schraubenschlüssel? Pfropfzieher?“
„Was soll das?“
„Nun, neulich träumte mir schrecklicherweise, ich habe eine Frau; ich lachte sie aus, daß sie
die Zeitung unaufgeschnitten lese und jahrelang eine Schublade dulde, die nicht geht. Hierauf
hielt sie mir eine Geduldpredigt und verlangte, ich solle zur Uebung dieser Tugend an meinem
Rock statt Knopflöcher und Knöpfe Schrauben und Schraubenmüder tragen, die sich ja ganz elegant
von blau angelaufenem Metall herstellen ließen, oder auch Pfröpfe, und ich könne jedesmal, wenn
ich den Rock öffnen wolle, jene mit einem Schraubenschlüssel, diese mit einem Pfropfzieher
aufmachen. — O was! ein Weib
„Was nützt aber die Wuth?“
„O, geistlos! Hat es Luther nichts genützt — falls von Nutzen die Rede sein soll —, wenn er den Teufel fortschalt? Wißt ihr denn nichts von Entlastung der armen Seele? Von der köstlichen Arznei, die im Fluchen liegt?“
Der böse Geist kam mit neuer Gewalt über ihn, er schoß wüthend im Zimmer hin und her und ergoß eine Flut von Schimpfwörtern auf die arme Brille. Ich suchte inzwischen am Boden herum; ich hob ein paar Hemden weg, die blank, aber zerzaust umherlagen, und mein Blick fiel auf ein Mausloch in einem Bretterspalt; ich glaubte darin etwas schimmern zu sehen, strengte meine Augen an, die sich einer guten Sehkraft erfreuen, und die Entdeckung war gemacht; ich nahm den schwergeärgerten Mann leicht am Arm und deutete schweigend auf die Stelle. Er stierte hin, erkannte die vermißten Gläser und begann: „Sehen Sie recht hin! Bemerken Sie den Hohn, die teuflische Schadenfreude in diesem rein dämonischen Glasblick? Heraus mit dem ertappten Ungeheuer!“
Es war nicht leicht, die Brille aus dem Loch zu ziehen, die Mühe stand wirklich in Mißverhältniß zum Werthe des Gegenstands, endlich war es gelungen, er hielt sie in die Höhe, ließ sie von da fallen, rief mit feierlicher Stimme: „Todesurtheil! Supplicium!“ hob den Fuß und zertrat sie mit dem Absatz, daß das Glas in kleinen Splittern und Staub umherflog.
„Ja, jetzt haben Sie aber ja keine Brille,“ sagte ich nach einer Pause des Staunens.
„Wird sich finden, diese Teufelsbestie wenigstens hat ihre Strafe für jahrelange
unbeschreibliche Bosheit. Kommen Sie, da, sehen Sie!“ Er zog seine Uhr
„Ernst, wollen Sie sagen?“
Er staunte mich an wie einen Menschen, der alle
„Ja, so, ja, also: der Haken schliech in einer Nacht über das Tischchen, worauf ich die Uhr achtsam gelegt, leise hinüber nach dem Bett, nestelte sich in eine Naht des Kissenüberzugs ein, das Kissen war mir überflüssig, ich hob es rasch und warf es an das Fußende des Bettes, die Uhr nun natürlich mit; in einem prächtigen Bogen schwang sie sich an die Wand und fiel mit zersplittertem Glase nieder. Es war genug. Ich zertrat sie feierlich wie diese Verbrecherin von Brille, der Kobold gab dabei einen Ton von sich, einen Pfiff wie eine verfolgte Maus, ich kann schwören, daß es ein Laut war, der nicht im Umfang der physikalischen Natur liegt. Nun, dann habe ich mir hier diese bescheidene Zeigerin der Zeit um niederträchtig geringes Geld gekauft; betrachten Sie die Gute: bemerken Sie den Ausdruck von Biederkeit in diesen schlichten Zügen; seit zwanzig Jahren dient sie mir — unberufen, unberufen! — treu und ehrlich, ja ich kann sagen, nicht Einen Verdruß hat sie mir bereitet. Die goldene Uhrenkette hat jetzt mein Bedienter, der Haken wurde zu schmachvollem Tod in der Kloake verdammt und ich trage meine redliche Zwiebel an dieser sanftgearteten seidenen Schnur; Johann, der muntre Seifensieder.“
A. E. war während dieser Darstellung, in deren
„Jetzt das Uebrige! Die übrige Geschichte dieser schwarzen Morgenstunde!
„Zuerst springen an drei Hemden die Knöpfchen ab, da ich sie anziehen will. Ja, ja, so ein
Hemdknopf! Ein Bär stellt sich ehrlich zum Kampf; ich weiß, was ich zu thun, wie ich meine
Waffe anzuwenden habe; einen hundertjährigen Eichbaum kann ich mit Kraft und Ausdauer umhauen;
aber der Knirps! Ich soll Kraft anwenden, denn die Bestie will absolut nicht durch's Knopfloch,
und ich soll sie zugleich ebenso sehr gar nicht anwenden, sondern ganz fein und leicht mit den
Fingerspitzen arbeiten, und indem ich mich placke, schinde, abrackere, foltere, tödte, das
Widersprechende zu leisten, — o lustig! springt die Schmachcanaille erst recht ab! Die Teufel
nehmen Besitz vom Weibe, uns dieß Scheusliche zu bereiten. Ich habe es von glaubwürdigen,
wahrheitliebenden und besonnenen Ehemännern: wegen der Hemdknöpfchen heirathet man und dann ist
es erst recht nichts damit. — Weiter! — Nur im Vorbeigehen will ich anführen, daß mich zuerst
beim Ankleiden ein höchst ränkesüchtiges Armloch gute fünf Minuten lang insultirt hat, — dabei
blieb ich aber noch ganz ruhig — denn ich kann mich beherrschen, mein Herr! Nun aber sehen Sie
diesen Schlüssel“ — er zog einen kleinen Schlüssel hervor,
„Ja, was weiß denn ich?“
„Stark eine halbe Stunde lang habe ich heute Morgen diesen Schlüssel gesucht, — es war zum Rasendwerden, da finde ich ihn endlich, sehen Sie, so!“ Er legte den Schlüssel auf das Tischchen am Bett, stellte den Leuchter darauf; der Schlüssel fand just, wie ausgemessen, Platz unter dem Leuchterfuß.
„Wer kann nun daran denken, wer auf die Vermuthung kommen, wer so übermenschliche Vorsicht üben, solche Tücke des Objekts zu vermeiden! Und dazu lebe ich! An solches hündische Suchen muß ich meine arme, kostbare Zeit verschwenden! Suchen, suchen, und wieder suchen! Man sollte nicht sagen: so und so lang hat A. oder B. gelebt, nein: gesucht! — Und ich bin sehr, sehr pünktlich, glauben Sie mir das!“ —
Ja wohl ist das Leben ein Suchen, sagte ich mit einem Seufzer, der scheinen konnte den Mühen
des Lebens zu gelten, während er in Wahrheit von der Langenweile ausgepreßt war, da die breite
Beschäftigung mit dem Bagatell mich denn doch zu ermüden begann. Daher denn auch die flache Bemer
Ich kam schlecht an. „So, mein Herr, symbolisch?“ sagte er. „Und das soll dann tiefer sein! Ah, Oh!“
„Nun, was denn?“
„Sehen Sie, mein Herr, suchen im bildlichen Sinn, darüber, daß das Leben so ein Suchen ist,
darüber klage ich nicht, darüber sollen Sie nicht seufzen. Das Moralische versteht sich immer
von selbst. Ein rechter Kerl sucht, strebt und beschwert sich nicht darüber, sondern ist
glücklich in diesem Unglück der aufsteigenden und nie anlangenden Linie des Lebens. Das ist
unser oberes Stockwerk. Aber die Zugabe, die Hundenoth gleichzeitig im untern Stockwerk des
Lebens, — davon ist die Rede. Da ist also zum Beispiel das Suchen, das so toll, so nervös, so
wahnsinnig macht. Man verfällt ja dabei immer in den Theismus. Der liebe Gott, der oben
herunterschaut, der die Haare auf unserem Haupte zählt, der mich nun stundenlang meine Brille
suchen sieht, — er sieht ja auch die Brille, weiß recht gut, wo sie liegt, — ist es zum
Ertragen, nun denken zu müssen, wie er lachen muß? — Allgütiges Wesen! Meinen Sie, ein solches
würde ferner den Katarrh zulassen? Leben — Suchen — Spucken! Da sagen die thörichten Menschen
von einem Ausgedienten, von einem Erlösten, von dem sie meinen, er gehe als Geist um, er
spucke! Dummes Zeug, aus
Hier gerieth mein Gottesleugner in ein Niesen und Husten so theilnahmwerther Art, daß ich
eine Bemerkung, die mir auf der Zunge lag: der Ka
A. E. war inzwischen daran, sich reisefertig zu machen, wurde über einem Hinderniß, das sich an der Rückseite seiner Beinkleider zu befinden schien, noch einmal sichtlich aufgeregt, trat plötzlich hart vor mich, machte straff wie ein Soldat Rechtsumkehrt und schrie sehr laut und schroff: „Hier!“
Ganz verdutzt, als ich nun so breit seinen Rücken vor mir hatte, dachte ich, ob denn dieß der Anfang des versprochenen Bildungsunterrichts sein solle; er ließ mir ziemlich Zeit zur Betrachtung, bis der Aufschluß kam: „Sehen Sie die Lappen am Hüftgurt? sind fünfmal, sage fünfmal beim Schneider gewesen vor der Abreise; zuerst zu lang oder zu weit, dann wieder zu kurz oder zu eng, dann Beides noch einmal so — nun? wie steht's mit der Theologie?“
Ich verstand jetzt, daß ich sehen sollte, wie die Lappen einander zu nah angenäht waren, die Gürtung also nicht genug angezogen werden konnte; er war zufrieden, als ich mein Verständniß kund gab, und nun schien der Sturm ausgetobt zu haben. Meine vorige Bemerkung fiel ihm jetzt wieder ein.
„Was haben Sie von recht Kranksein gesagt? Nun, das ist ja Geduld werth. Das Moralische versteht sich immer von selbst.“
Er hatte inzwischen seine Reisetasche gepackt, wobei er, wie ich bemerkte, sehr geschickt zu Werke gieng; es galt, viele Kleinigkeiten in kleinen Raum zusammenzufügen, und er brachte es ganz nett zu Stande; Ungeschicklichkeit, das sah ich, konnte nicht die Ursache des Kriegszustandes sein, in dem er mit dem Bagatell sich befand. Er sagte mir nun, er wolle seine Reise auf der Axenstraße am See zu Fuß fortsetzen. Leicht konnte er sich denken, daß ich wahrscheinlich ebendasselbe vorhabe; der Gedanke eines Zusammenwanderns lag, da wir denn doch schon Bekannte waren, nahe genug, aber es fiel ihm nicht ein, auch nur einen Wink zu geben, der entfernt einer Einladung gleichgesehen hätte. Ich dachte, er erwarte, daß ich mich ihm erst vorstelle, und begann: „Erlauben Sie, es ist doch wohl Zeit, daß ich mich Ihnen —“
Er unterbrach mich: „Bitte, danke, lieber nicht, — verzeihen Sie, es ist nicht Maske, nicht Geheimthuerei von mir, gewiß nicht, liebe aber, auf der Reise wenigstens, Alles klar, frei. Name und Stand macht Nebengedanken, führt auf Namen-Etymologie und dergleichen, wir sind eben Jeder ein Ich, eine Person oder, wie Fischart sagt, seelhaftes Lebwesen; wir befinden uns besser so.“
Ich war nun schon im Zuge, dem wunderlichen Kauz nichts übel zu nehmen, und da, wie ich gestehe, meine Neugierde nach Namen und Stand eben auch nicht groß ist, so ließ ich mir's unschwer gefallen, daß ich auch nicht erfahren sollte, wen ich eigentlich vor mir habe. Ich reichte auf der Schwelle die Hand zum Abschied und A. E. wollte sie eben nehmen, als ihm einfiel, daß er doch erst frühstücken sollte; dieses Werk wenigstens noch gemeinsam zu verrichten, dagegen schien er denn doch nichts zu haben und so stieg ich mit ihm in die „salle à manger“ hinab.
Beim Eintreten bemerkte ich, daß er einen ängstlich suchenden Blick nach den vier Ecken des
Saales, und zwar auf den Fußboden, warf; der Blick kehrte beruhigt zurück, als er in der
vierten ein kleines Geräthe bemerkte, das hustenden Menschen erwünscht sein mag; mit höchst
gemüthlichem Tone sagte er: „Der Saal ist doch ganz ordentlich möblirt,“ und von da schien eine
erträglich gute Laune bei ihm einzutreten. Das Frühstück stand nach Art der Schweizer-Gasthöfe
in diesen Frühstunden stets bereit und A. E. — nachdem er Honig und Butter heftig weggeschoben
hatte — griff rüstig zu, ich deßgleichen. Wir waren allein im Saale, doch bald trat ein dritter
Reisender ein. Es war ein Mann von gesetzten Jahren, er trug ein Staubhemd von ungebleichter
Leinwand mit einem kleinen, über die Schultern hängenden Kragen und
A. E., der inzwischen die Eßlust gestillt, schien zum Abmarsch keine besondere Eile zu haben,
steckte sich gemächlich eine Cigarre an und begann zu mir: „Sie geben also zu, daß die Physik
eigentlich Meta
Der Fremde hatte inzwischen einen länglichen Brodlaib höchst kunstgerecht, wie man es wohl im „Kurmärker und die Picarde“ vom preußischen Landwehrmann verrichten sieht, der Länge nach entzweigeschnitten und war eben beschäftigt, die Butter schön und glatt wie mit einem Modellirholz aufzustreichen; er hielt bei diesen Worten einen Augenblick inne, warf unter den buschigen Brauen einen sonderbaren Blick nach uns herüber und fuhr dann nachdenklich in seinem plastischen Geschäfte fort, indem er öfters mit einem Ausdruck von Staunen und Ironie den Kopf hin und her wiegte. Es kam mir der Gedanke, ob A. E. auf ihn berechne. Es schien entschieden nicht. Er hatte auf den Eintretenden nur einen raschen Blick geworfen, freilich einen scharf erfassenden, denn sein Auge pflegte zu blicken, als wäre eine fest greifende Hand darin, doch nicht ein Zeichen ließ vermuthen, daß er sich weiter um den Unbekannten kümmere.
„Animos,“ fuhr er fort, — „haben Sie denn auch nur schon beobachtet, wie das fallende
Papierblatt uns verhöhnt? Sind sie nicht wahrhaft graziös, die Spottbewegungen, womit es hin
und her flattert? Sagt nicht jeder Zug mit blasirt eleganter Frivolität: doch noch gewonnen!?
O, das Objekt lauert. Ich setze mich nach dem Frühstück frisch, wohlgemuth an die Arbeit, ahne
den Feind nicht. Ich tunke ein, zu schreiben, schreibe: ein Härchen in der Feder, damit beginnt
es. Der Teufel will nicht heraus, ich beflecke die Finger mit Tinte, ein Flecken kommt auf's
Papier, — dann muß ich ein Blatt suchen, dann ein Buch und so weiter, und so weiter, kurz, der
schöne Morgen ist hin. Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, so lang irgend ein Mensch um
den Weg ist, denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke. Man muß mit ihm umgehen wie der
Thierbändiger mit der Bestie, wenn er sich in ihren Käfig gewagt hat; er läßt keinen Blick von
ihrem Blick und die Bestie keinen von seinem; was man da von der moralischen Gewalt des
Menschenblickes vorbringt, ist nichts, ist Märchen; nein, der starre Blick sagt dem Vieh nur,
daß der Mensch wacht, auf seiner Hut ist, und Blick gegen Blick, gleich fix gespannt, lauert es
denn, ob er sich einen Augenblick vergesse. So lauert alles Objekt, Bleistift, Feder,
Tintenfaß, Papier, Cigarre, Glas, Lampe — Alles, Alles auf den Augenblick, wo man nicht Acht gibt.
Wir hörten in diesem Augenblick ein kleines Geräusch von der Seite des dritten Gastes her, sahen ihn hastig unter den Tisch fahren und mit einem Körper in der Hand wieder auftauchen, den er mit großem Schrecken und darauf folgender tiefer Wehmuth betrachtete. Es war sein zuerst mit Butter, dann mit Honig ebenso korrekt gestrichenes, als korrekt geschnittenes Brod, und dasselbe war — „natürlich“ würde A. E. sagen — auf die gestrichene Seite gefallen.
Ich unterdrückte nur nothdürftig einen mächtigen Lachreiz, denn es war doch auch gerade, als ob das „Ratsch“ und das Fallen des Brodes in einem geisterhaften Kausalitätsverhältniß gestanden wären. A. E. sah ganz ernst hinüber und nickte sanft mit dem Kopfe, ohne einen Zug des Spottes, ja eher mit einem Zug der Theilnahme, als wollte er sagen: das kennen wir armen Sterblichen. Der Fremde schoß jetzt nicht nur einen, sondern eine Batterie von Blicken, grimmigen, auf uns herüber und machte sich höchst verdrießlich an das Geschäft, dem unheilbaren Schnitten einen entsprechenden Nachfolger hervorzubringen.
A. E. fuhr ruhig fort: „Dann ist es überhaupt so eine Sache mit dem Ding da, den zwei Dingern, was Kant die reinen apriorischen Anschauungsformen nannte.“
„Raum und Zeit?“
„Eben. Was ist der Raum denn Anderes, als die unverschämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den Körper a hieherzusetzen (— er zeigte es an Tassen, Kannen, Körbchen, Flaschen, Gläsern, die etwas dicht auf dem Tische standen —), vorher b dort weg, um Platz für b zu bekommen, wieder c da hinweg stellen muß und so mit Grazie in infinitum —? Und die Zeit? Das ist dasjenige, was man dazu doch nicht hat. Denn Donnerwetter und alle tausend Teufel, leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu dem, was kaum Eines Griffs werth ist!“
Der Unbekannte bewegte jetzt stärker und ärgerlich lachend den Kopf hin und her und eine sichtbare Unruhe kam ihm in die Beine.
A. E. war nun gut im Zuge. „Ein andermal,“ fuhr er fort, „sind die Nickel unverschämt in
entgegengesetzter Richtung. Jetzt will zusammen, was nicht zusammengehört. Kennen Sie eine der
verfluchtesten Formen: das Mitgehen? Wenn so ein liebenswürdiges Blatt, das zum Aktenstoß Y
gehört, beim Ordnen, Aufbewahren zu unterst an Fascikel Z hinkriecht und mit hinein in das
Schubfach schlüpft und sich über Tag, Woche oder Jahr nicht finden, sich suchen läßt unter
Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahnsinn? Dagegen ist so was, wie das bekannte, ewige
Unterschlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des
Jetzt fuhr der Fremde auf mit dem Ruf: „Es wird zuviel!“ stieg mit straffen Schritten auf uns los, pflanzte sich vor A. E. auf und mit Zornblick rief er: „Mein Herr! Wissen Sie, ich bin Professor der Physik! Sie haben mir aber auch gleichsam mein Butterbrod hinuntergeworfen!“
A. E. verweilte auf dem Mann mit einem ganz gelassenen, ganz kontemplativen Blick und
schwieg. Was werden sollte, wer konnte es wissen? Plötzlich stieg ihm eine flammende Röthe in's
Gesicht, seine Augen funkelten, er fuhr auf und ich, da ich meinen Mann eben doch noch nicht so
ganz kannte, wurde schon für den Frieden besorgt, als er mit Sturmschritten, ja mit Sätzen wie
ein Panther quer über das Zimmer nach einer Ecke schoß, wo das oben zart erwähnte Geräthe
stand, und nun gieng ein Husten, Niesen mit untermischtem Schlucken, seltsamen, wilden
Gurgelund Schnapptönen, ein so schreckliches Glucksen, Kollern, Fauchen, Raspeln, Schnarren,
Stöhnen, schußartiges Bellen los, als hörte man die rasende Musik eines Chors von
Höllengeistern. Es dauerte ziemlich lange, bis diese furchtbare Naturerscheinung vorüber war,
dann richtete sich der leidende Mann matt in die Höhe, griff
Der Herr war im Schrecken zur Seite getaumelt, als A. E. so rapid in die Höhe fuhr: dann sah und hörte er mit starrem Staunen den Evolutionen des erschrecklichen Gewitters zu und schickte dem Abgehenden einen langen, verwirrten Blick nach. Endlich wandte er sich gegen mich, zwinkerte mich mit den Augen an und deutete mit dem Finger auf seine Stirn. Ich zuckte die Achseln. Er schien dieß für volle Bejahung zu nehmen, war nun wirklich beruhigt und schritt mit frischem Eifer an die Erneuerung seines Frühstückwerks.
Ich mochte dem Vorangegangenen nicht so schnelle folgen; es hätte scheinen können, als wolle ich mich aufdrängen. Ich war doch etwas ungehalten, daß er so rücksichtslos davongelaufen; indem ich mich besann, was ich beginnen solle, um meinen Abmarsch ein halbes Stündchen noch hinzuziehen, fiel mir ein: Halt, gefunden! Grobian, deine Strafe soll nicht ausbleiben, du sollst beschrieben werden! Ich gieng gleich an die Vorarbeit, machte mir eine Reihe von Notizen in mein Tagebuch und brach auf, als ich annehmen konnte, mein wunderlicher Held habe nun genügenden Vorsprung.
Ich schritt geruhig meines Wegs, beschaute mir
„In der Schweiz,“ sagte nun mein Begleiter, „empört mich der Anblick dieser Rohheit doppelt. Ich bin nicht zum ersten Mal in diesem glücklichen Land. Manches hat mich da gefreut, am meisten die Schonung des Thiers; Pferd und Rind wird menschlicher behandelt als irgendwo, und gerade da muß nun dieser Unfug der Hundefuhren herrschen, eine der allerschnödesten Formen der Barbarei. — Ach, Herr, ich komm' halt noch in's Zuchthaus, Sie werden's sehen, denn ich lang' eben doch noch einmal einen Thierschinder mit dem Stutzen vom Bock herunter — schießen kann ich.“ —
Ich gieng neben ihm fort; eine Einladung zum Anschluß glaubte ich nach dem Vorgefallenen und dieser einläßlichen Gesprächseröffnung nicht erst erwarten zu müssen. Wir zogen eine gute Weile schweigend weiter.
„Es ist heute sehr schön Wetter,“ fieng A. E. endlich an.
Ich mochte nichts einwenden, wiewohl das Wetter
„Warmkaltlaukühl. Ganz schwacher Nordwest mit oberem Föhn, beide noch nicht im Kampf. Heut' wird's noch halten; morgen steh' ich für nichts, ich denke, er wird herunterkommen.“
Ich kannte den Namen Föhn für Scirocco, wußte aber nichts von Ober und Unter, und ließ mir gern auseinandersetzen, daß die elektrisch warme, zu uns von Süden kommende Luft häufig in der höheren Schichte erkennbar herrscht, während in der unteren sogar Ost- und Nordwind gehen kann.
„Sie sind ja ordentlich. Draußen — und der Föhn ist ja doch überall, in Deutschland, in ganz Europa, wie hier — draußen glaubt mir's Niemand, so muß ich immer davon reden und gelte als Narr. Dem Spott nur etwas vorzukommen, habe ich selbst mir den Namen Föhn-Phänomenoman aufgetrieben. — Sind Sie auch so ein Freund vom anspruchlosen grauen Wetter?“
Ich konnte es glücklicherweise ziemlich bejahen. „Nicht wahr? Doch besser, als bei
Prachtwetter sitzen wie ein armer Teufel an reicher Wirthstafel, dem das Herz bebt, wenn er an
die Zeche denkt? Vollends, wenn es föhnhell ist! O, das ist ein bildschönes, wälsches Weib, die
Föhnklarheit, wenn sie da ist, ein Weib, das mit der rechten Hand schmeichelt und die
„Ach, lassen Sie ihnen die Täuschung,“ erwiderte ich, „sie bringt den guten Tröpfen doch ein paar vergnügte Stunden.“
„Ja, ja! das ist auch wahr! Machen wir's nur auch so, genießen wir dieß philosophische Wetter, obwohl wissend, daß morgen der dumme Lebtag in der Luft angehen wird, — haben Sie schon im Schopenhauer gelesen?“
Der Philosoph des Nihilismus und Pessimismus war damals noch sehr wenig bekannt. Ich wußte ungefähr von ihm, nichts aus ihm, hatte seine Werke nie zur Hand gehabt.
„Müssen doch hineinsehen und genau. — Geistreich, aber doch eigentlich nur geistreich. Eben
doch nichtig. Sonderbar: Freude, meint er, sei nur im Anschauen der Ideen, in der Kunst. Aber
er muß doch sein Buch selbst gemacht haben und das war Arbeit. Hat er denn da nicht spüren
müssen, daß auch Arbeit froh macht? Der alte Knabe Salomo war doch nicht dumm, der sagt: Nichts
besser, denn daß der Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit, denn das ist
Wir waren inzwischen an der Stelle angekommen, wo man zur Tellsplatte hinabsteigt, ich machte ihn aufmerksam und führte ihn die Stufen hinunter. Wir standen bei der Kapelle und sahen uns das Felsriff an.
„So? Ist das da das, wo der Schiller die dumme Komödie drüber geschrieben hat?“
„Aber, bitte, Sie haben doch vorgestern den frivolen Spötter im Omnibus —“
„Nun ja, natürlich! Der Wicht hatte ja den inneren Werth der Sage mitverhöhnt — das Moralische versteht sich doch immer von selbst, da soll mir Keiner den Schiller antasten, aber wenn man's als Geschichte vorstellt — als ob's geschehen wäre — geschehen könnte — und weiß es nun nicht zum wahrhaft, zum allein Tragischen zu wenden, weiß nicht, was die bösen Geister treiben, in Wirklichkeit hindern, was sie gegen das Kühne, Große und Gute vermögen und wie darauf, darauf allein die echte Tragödie zu bauen wäre, darauf, auf den Grund der Wahrheit!“
„Aber ich bitte, was wäre denn hier die Wahrheit?“
„Nun, das sollte doch klar sein! Was anders, als daß, wenn man mit der Sage annimmt, Wilhelm
Tell sei aus dem Schiff auf die Platte gesprungen, man nothwendig auch annehmen muß, daß er
ausrutschte und in's Wasser plumpte. Und nachher vollends mit einem Fußtritt das Schiff vom
Ufer zurück
„Ja, wie würden Sie denn nun aber die Tellsage behandeln, wenn Sie glauben, daß sie überhaupt behandelt werden könne?“
A. E. schien nur auf diese Einladung gewartet zu haben, es schien ihm sehr zu gefallen, daß
ich mich so läßlich und eingehend zu ihm verhielt. „Was vorgeht bis zur Einschiffung Tell's mit
Geßler und Gefolge,“ so begann er, „das mag im Wesentlichen stehen bleiben, wiewohl zum Styl,
zur ganzen Behandlung viel und Wesentliches zu bemerken wäre. Jener Realismus, welcher
überhaupt allein der echte Idealismus ist, müßte ja natürlich im Ganzen walten;
Ein ganz leichtes Zucken lief hier über seine Züge, so schwach und so blitzschnell, daß ich schlechtweg keine Zeit fand, einen deutlichen Schluß darauf zu gründen.
Er fuhr fort: „Nun aber macht die Exekution den armen Heros so wüthend, daß er mit der Kraft
der Verzweiflung sich losreißt und trotz dem Sturm in's Wasser springt. In höchster Spannung
erwartet der Zuschauer, ob es ihm gelingen wird, sich zu retten. Der Dichter darf es annehmen;
Tell kann gut schwimmen und eine flache Uferstelle erreichen. Darnach ist nun in der ersten
Szene des vierten Akts die Erzählung abzuändern, worin Tell dem Fischer seine Rettung
berichtet. Folgen die Auftritte wie bei Schiller, auch der Monolog in der hohlen Gasse und das
Weitere bis zu den Worten: ‚Ein neu Gesetz will ich dem Lande geben, ich will —‘; hier
unterbricht sich Geßler, aber nicht mit den Worten: ‚Gott sei mir gnädig,‘ denn ihn hat kein
Pfeil getroffen; vielmehr hört man nur eine Bogensehne schwirren, gleichzeitig ein ungemein
starkes Niesen in einem Busch und die Worte: ‚Verfluchter Zufall, List und Trug der Hölle!‘
Dieß kann nicht mißverstanden werden. Tell hat sich ja natürlich verkältet und verniest seinen
Schuß; Geßler ruft: ‚Das ist das Niesen Tell's, verfolget ihn.‘ Allein Tell hat noch Zeit, sich
aus dem Staube zu machen. Nun muß ich Ihnen eine Notiz mittheilen. Ich habe vor ein paar Jahren
in Wien auf dem Schild
„Und Geßler? Und die Schweiz?“
„Nun, Donnerwetter, die Schweizer in Masse schlagen das Luder todt, das ist doch gewiß besser als ein Mord, und ich finde es dumm genug, daß sich die guten Leute so um ihren Tell wehren, um den Einzigen, da sie Tausende von Tellen gehabt haben. Doch weiß ich nicht, ob ich das darstellen würde, das Moralische versteht sich immer von selbst.“
Ich war nur halb aufgelegt, über diesen erhabenen Entwurf zu lachen; es grub und bohrte doch
etwas in mir wie ein feiner Dorn, oder eigentlich stachen zwei Dorne in entgegengesetzter
Richtung. Es war dort bei der Stelle vom Chor und den nassen Gewändern und bei dem flüchtigen
Zucken um A. E.'s Mundwinkel doch etwas in mir vorgegangen, was zum Bewußtsein heraufdringen
wollte. Sollte das nicht
Ich bat ihn um Gottes willen, abzustehen, ich wolle ja gern Alles glauben, aber er
verzichtete nur, um
A. E. besah während dieser Worte nachläßig seine Cigarre, die dem Ende zuneigte; dieß reizte mich, noch hinzuzusetzen: „Uebrigens rauchen Sie auch zu viel! Lassen Sie das, und es wird mit den Katarrhen besser werden!“
Er hatte eben den Cigarrenstumpf aus der Meerschaumspitze geblasen, dieser blieb an dem anklebenden Ende des aufgerollten Deckblattes hängen; er ließ den Klunker hin und her baumeln und sah diesen Pendelschwingungen ein paar Sekunden zu, schickte dann einen geruhigen Blick auf mich herüber und sagte: „So? Tetem? Adjes!“
Er zog den Hut, eilte hinweg und überließ mich der vergeblichen Anstrengung, in dem freilich sehr schwachen Vorrath meiner Sprachkenntnisse eine Erklärung des nie gehörten Wortes zu suchen. Es schien mir orientalisch und ich mußte den Versuch aufgeben, da mein Wissen an dem Gebiete der Sprachen des Morgenlandes rein aufhört. Ein Spott mußte jedenfalls dahinter stecken. Dazu kam das „Adjes“. Ich verlangte nicht, daß er Adieu hätte sagen sollen, aber wenigstens: Adje; das s war grob. — Ich suchte mir den schroffen Abbruch aus dem Sinn zu schlagen, um mir die Reiselaune nicht zu verderben.
Flüelen war erreicht, A. E. aus meinen Augen verschwunden. Ich schlenderte erst an der
Schifflände, es unterhielt mich, dem Treiben des Wasserverkehrs zuzusehen. Ein abgehendes
Dampfboot nahm Reisende auf, die mit der Post über den Gotthard gekommen waren, darunter drei
Jesuiten, die, kaum eingestiegen, ihr Brevier hervorzogen und, auf dem Verdeck wandelnd, ihre
Gebete halblaut ablasen; die Ankunft eines großen Rachens, der eine als englisch oder
schottisch leicht erkennbare Familie an's Land setzte, zog mich ab und befreite mich von dem
widerlichen Anblick. Ein würdiger älterer Herr, eine anmuthvolle Frau, aus deren Schalten mit
zwei schönen Knaben zu entnehmen war, daß sie ihre Mutter sein mußte, während ihre ganze
Erscheinung zu jenen gehörte, die sich in
Ich weiß nicht, welche Rührung in diesem Momente über mich kam. Während der Anblick doch
eigentlich komisch war, fiel mir Alles ein, was mich an den Mann angezogen, ja, ich muß
gestehen, mir imponirt, mich sogar in ein gewisses Verhältniß nicht drückender
Unselbständigkeit zu ihm gesetzt hatte; seine Schwächen und Grillen flößten mir nicht mehr
Unwillen, sondern Theilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußtsein, was es doch eigentlich war,
das diesen Menschen so peinvoll empfindlich, so schaallos gegen die kleinen Uebel des Lebens
machte. Ja, ich war jetzt sogar geneigt, den Ausdruck: Vernunftwuth, den er einmal
Der Kellner im Gasthof zum „Wilhelm Tell“ sagte mir, wie ich eintrat, ich könne sogleich am
Mittagstisch Platz nehmen, das Essen habe begonnen, er werde mir nachserviren. Ich lege ab,
lasse meinen Anzug säubern, trete ein und mein erster Blick begegnet dem verlorenen
Reisegenossen. Er saß mitten unter der englischen Familie, dem Alten gegenüber, zu seiner
Rechten die junge Frau oder vielmehr sichtlich Wittwe, zu seiner Linken die Gouvernante. Die
Tafel war außerdem von Fremden so besetzt, daß für mich nur Ein
Jetzt wendete sich die aschblonde junge Frau zu ihm her, näherte ihm mit unaussprechlich sanfter Beugung — Johannes auf Leonardo's da Vinci Abendmahl fiel mir ein — ihr liebliches Haupt und begann zu flüstern. Ich konnte vernehmen, daß es nicht englisch und nicht italienisch war, was sie jetzt sprach; es mußte, wie ich aus einigen Lauten schloß, norwegischdänisch sein.
Der ernste alte Herr hatte inzwischen mit seinen Enkeln — denn das mußten die Knaben ja sein
— ein Gespräch über Wilhelm Tell begonnen. „Laßt sehen,“
„Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule —“
So weit kam er.
Die Geschichte ist eine strenge Wissenschaft. Sie kennt nur die Wahrheit. Die Schicklichkeit wird sie beobachten, so lang es thunlich, ohne ein wesentliches Stück der Wahrheit zu unterdrücken. Würde diese leiden, wenn sie jener sich fügte: sie wird, wenn auch mit Wehmuth, unerbittlich ihre Bahn verfolgen. Zarte Gemüther, denen diese Strenge unerträglich: sie sind frei, sie können die ernsten Blätter der Geschichte zuklappen, sie können weiter lesen — nach Belieben. Es hatte mir geschienen, A. E. sei des lästigen Uebels, das ihn auf der Reise befallen, ungewöhnlich schnell los geworden; doch das war Täuschung.
Ein Niesreiz just bei jenen Worten — schnelle Seitenwendung von der schönen Nachbarin ab — Taschentuch — vorsichtige Applikation — trotzdem — der Ueberraschte schien im Drang des Augenblicks versäumt zu haben, eine doppelte Ringmauer von Leinwandfalten um den kleinen Geyser der Nase zu bilden, — eine ganz dünne Fontäne steigt in zierlichem Bogen und fällt nieder in den soeben mit Kappernsauce frisch versehenen Teller der gestrengen Dame zur Linken. Diese zuckt zusammen und rückt mit dem Stuhl. Die Freundin zur Rechten bemerkt den Vorgang nicht, wohl aber der Alte, der ein Lächeln unterdrückt, und sehr wohl die zwei Knaben, die ein helles Lachen nicht unterdrücken, und nicht minder der Kellner, ein Subjekt mit einem jener Gesichter, die man als ohrfeigenwürdig bezeichnen möchte; er sprach einen abgeriebenen rheinischen Dialekt und war offenbar nur für die Sommersaison herbeschrieben, A. E. hatte ihm ab und zu einen Blick voll Widerwillen zugeworfen; dieser nahm grinsend den Teller schnell weg und schob einen neuen hin.
A. E. war verschwunden, als hätte ihn die Erde verschlungen. Beklommen suchte ich eine
Unterhaltung mit der schönen Frau einzuleiten, vermochte aber in meiner Beunruhigung nicht, sie
fortzuführen, und brach auf, ehe der Nachtisch kam. Ich erledigte meine Zeche und war unten im
Hausflur angekommen, als A. E.
Der Kellner war rücktaumelnd auf die Treppe hingestürzt, richtete sich auf, stand zuerst
sprachlos und brach dann in heftiges Schelten aus. Ich konnte mich nicht enthalten, dem
Menschen zu sagen, ihm geschehe recht; jetzt fährt er wild gegen mich auf, in verspäteter,
fehlgehender Rache hebt er die Faust und ich versetze ihm eine Ohrfeige. Es stand nun
bedenklich, denn am Thürpfosten lehnte der Hausknecht und der doppelt Geschlagene rief ihn zu
Hülfe; dieser jedoch
So war ich denn wieder allein. Wohl sagte mir nun mein Gefühl, daß hier im Grunde etwas
Trauriges vorgegangen sei; mußte an sich schon ein so peinlicher Zufall einen Mann, wie ich A.
E. kannte, höchst empfindlich treffen, so waren hier überdieß offenbar Beziehungen zerrissen,
deren Tiefe und Zartheit ich gar wohl ahnen konnte. Allein das Mitleid blieb ganz im
Hintergrund, ich verspürte zunächst keine Nachwirkung in mir, als eine unbezwingliche Lachlust,
mehr allerdings über die Prügelszene am Schluß, als über die Katastrophe bei Tisch. Ja es
wollte mir kaum gelingen, angesichts der Begegnenden auf der Straße die Erscheinung der
Menschenwürde nothdürftig aufrecht zu erhalten; einmal, als eben ein paar rothbackige
Bauernmädchen vorübergiengen, konnte ich mich so wenig beherrschen, lachte so laut auf, daß ich
die eine hinter mir sagen hörte: „Was hat auch der Herr, es ist ja noh niht Suserzit.“ Der
trotzige Ernst der furchtbaren Steinpyramiden, Stöcke, Kuppen, der schroffen Wände, die mir
näher und näher entgegenstarrten, als ich wieder in das Thal der Reuß eingetreten war, sie
vermochten nicht, mein muthwilliges
Ich wurde mir selbst zum Abscheu und fieng das Laufen an, um mir zu entspringen; was half es?
Nun schlug meine Umhängetasche mit rhythmischen Schlägen mir an die Hüfte: „Tetem! Tetem!“ Ich
rieß sie von der Schulter, es erschien mir als das einzig Rationelle, sie hoch in der Luft zu
schwingen und zur Strafe sammt ihrem Inhalt an einem Felsen abzuschlagen; der Inhalt fiel
heraus, und während ich
Ich stand früh auf und gieng rüstig meiner Straße. Mein A. E. schien dießmal wenigstens keine
WetterKassandra gewesen zu sein. Die Luft war hell; der Bristenstock stieg rein gezeichnet in
die Höhe und gönnte
Bei einer der Windungen des Weges bekam ich plötzlich einen Stoß, der mich fast zu Boden
geworfen hätte. Auf Geiersittigen war jetzt der Föhn über das Joch herabgeschossen und schrie
wüthend auf, da er sie an den stahlharten Felswänden zerstieß. Zwischen sein Aechzen, Pfeifen,
Kreischen, Heulen mischten die klagenden, grollenden Wasser ihr Weinen, ihr Schelten, ihren
Donner; es war, als sei die Hölle losgelassen. Die Sinne wurden betäubt, die Augen brannten in
ihren Höhlen, es war, als siedete es mir in den Ohren, als wäre mir höllischer Schwefelbrodem
durch alle
Ich suchte näher zu kommen, es gelang mir mit schwierigem Klettern so weit, daß ich einige
zusammenhängende Worte wenigstens in den Augenblicken vernahm, wo der Sturm, in seinem Anprall
an die Hindernisse der Felsschlucht wechselsweise nach allen Richtungen stoßend, von der
Stelle, wo A. E. stand, nach meiner Seite her blies. Ich suche diese Bruchstücke wiederzugeben.
Die Gedankenstriche, die ich da
Doch es ist Zeit, den rasenden Redner zu vernehmen, so weit das Brüllen des Sturmwinds, das Donnern der Wasser es uns vergönnt.
„Apollo — deine Kinder — Söhne des Lichts — warum nicht — leichten, rhythmischen Aetherschwingungen — — nicht sterben dürfen an deinen tödtlichen Göttergeschossen — oder warum nicht — Drachen Python — warum — mit Nadeln todtstechen — Ameisenhaufen — zu Tode kitzeln — Niesen — Husten — Schnäuzen — Qualle — Kaulquappe — widerliche Schnecke — — Und Gott sprach: es werde! und der Katarrh ward —“
Täuschte ich mich nicht, so konnte ich in diesem Moment von all' den umgebenden furchtbaren Geräuschen ein ungeheures Räuspern unterscheiden.
„Welt — eine Erkältung des Absoluten — in der Einsamkeit — spuckte aus und die Welt war — Die Welt vom Ewigen gehustet, geräuspert — Schandgallert — Brütnest der Plagteufel — Trichinen des Daseins —“
Jetzt ballte er wieder die Faust gegen einen der Felsriesen, die ihm gegenüberstanden.
„— — verhöhnst du mich? Urkerl — Schöpfungstagen — immer gleich — undurchbohrbar — Urlümmel — Schweig! — selbst ein alter Rotzler — Triefnase — — Mensch doch wenigstens Schnupftuch —“
Er gebrauchte es mächtig.
„Warum — warum, ewiger Gott, der du nicht bist — dieß tiefe, starke Bewußtsein der Zwecke —
Er that auf der Spanne Raums über dem Abgrund einen Schritt — eine kupferroth glühende Wolke
war über der Schlucht aufgezogen, auf deren Grunde sich dunkel die wilde Gestalt abhob, über
ihm flatterte, gegen die Sturmwirbel mit rudernden Schwingen anstrebend und zappelnd, ein Rabe
— tödtliche Angst um den Unglücklichen malte mir im Nu das Bild vor, wie er zerschellt in der
Tiefe liege, ein Schmaus den Vögeln des Himmels, ich mußte ihn retten, suchte weiter
aufzuklettern, gelangte mit äußerster Noth langsam um ein paar Schritte vorwärts, aber jetzt wackelte
Ich erwachte und fand mich in A. E.'s Armen liegend hart am steilen Ufer der tosenden Reuß,
nahe der Teufelsbrücke. Er goß mir mit der hohlen Hand eiskaltes Wasser über das Haupt. „Wie
steht's?“ Ich tastete an mir herum. „Suchen Sie sich zu bewegen!“ Ich konnte es, nur in der
rechten Hüfte und linken Schulter fühlte ich scharfe Schmerzen; er untersuchte und fand nur
starke Schürfungen. Inzwischen sah ich, daß ihm selbst aus einem großen Riß im Rockärmel das
Blut hervorschoß. Er zog den Rock aus, streifte den Hemdärmel auf und es zeigte sich eine lange
Wunde, von einem großen Dorn oder scharfen Felszacken gerissen. Er wusch sich den Arm mit der
niedertriefenden Gletschermilch einer Runse, an der wir uns befanden, und sagte: „Es ist nur
eine Fleischwunde, aber verbinden!“ Er stöberte in seinen Taschen und ich mußte in allem Elend
einen Augenblick lächeln, als neben zwei gebrauchten zwei ungegebrauchte feine
Leinwandnastücher zum Vorschein kamen. Ich half ihm den Verband anlegen und freute mich, des
Gebrauchs meiner Hände fähig zu sein. Bei dieser Arbeit bemerkte ich eine lange große Narbe,
welche, durchkreuzt von der frischen Wunde, schief über
Ich richtete mich langsam auf, that ein paar Schritte und fand, daß ich auch leidlich gehen
konnte. „Wir schleichen nach Göschenen hinunter,“ sagte er, „kommen Sie.“ — „Warum nicht lieber
vorwärts nach Andermatt?“ — „Nein, nein! dort sitzt es voll von Fremden; drunten ist's still!“
Mit unendlicher Mühe wurden die Hindernisse bis zur Teufelsbrücke überwunden; er schob, zog,
hielt mich, während ich weniger kletterte, als auf allen Vieren kroch. Endlich war die geebnete
Straße erreicht, er gab mir den gesunden Arm und mit langsamen Schritten begann die nun etwas
leichtere, doch immer noch schwierige Wanderung. „Aber wie ist's denn gegangen?“ fragte ich.
„Nun, ich hab' Sie auf einmal gesehen, wie Sie hiengen, dann vorwärts klettern wollten. Wie ich
herabgelangt bin, das weiß der Himmel, ich nicht mehr. — Sehen Sie dort!“ — Er zeigte nach der
Stelle. „Nicht ein Pfad, nur ein Ritzenzug im Fels, der mir für Gemsen zu ungangbar schien, —
es gelang mir, just noch im rechten Augenblick unter Sie zu kommen, — Sie schreien — gleiten
mir an die Schulter, ich packe Sie, — und nun, dann sind wir eben miteinander
heruntergerumpelt, wie's zugieng, weiß ich eben auch nicht
Wir schwiegen lang, dann fieng er, in den Anblick der stürzenden Wasser vertieft, an: „Wissen Sie, wo die Schönheit liegt in dem Vers: ‚Es stürzt der Fels und über ihn die Flut’? Gar nicht bloß im Klang der Vokale und Konsonanten und nicht bloß im Kraftstoß der einsylbigen Wörter; nein, hauptsächlich in der Cäsur, die mitten in das Wort ‚über‘ fällt. Wie die Woge da — sehen Sie hin — über den glatt gespülten Felsblock rinnt, so das Wort über den Vers-Einschnitt.
Eine solche lehrhafte Bemerkung in solcher Stunde wollte mir im ersten Augenblick
schulmeisterhaft erscheinen, aber schnell besann ich mich, daß ich darin vielmehr ein Zeugniß
sokratischer Geisteskraft zu achten hatte; ich fand die Reflexion fein und richtig und die
heilsame Kühle wissenschaftlichen Denkens drang mir beruhigend in die erschütterte Seele, ja
ich meinte zu fühlen, daß sie von innen auf die zerstoßene, brennende Haut herausdringe. Ich
wollte eben meine Zustimmung aussprechen, als uns ein italienisches Fuhrwerk begegnete, gezogen
von einem Maulthier, das ganz nach der wälschen Art aufgeschirrt war: rother Federbusch, roth
gesäumter Pelzbesatz an den Scheuledern,
Wir verfielen wieder in langes Schweigen, Jeder in sich vertieft und bei der Mühe unserer Bewegung doppelt wenig zum Sprechen aufgelegt. Die Straße war jetzt ganz menschenleer.
Indem wir so dahinschliechen, begegneten uns ein paar Kerle, verlumpte Gestalten, als
Landstreicher leicht zu erkennen, gaben sich ein Zeichen, als sie uns sahen, und bettelten uns
dann mit einem Tone an, der auch ohne die unheimliche Erläuterung durch die derben Stöcke, die
sie führten, nicht mißzuverstehen war. Plötzlich war A. E. ganz verändert; bolzgerad
aufgerichtet, nicht mehr ein Hölderlin, sondern ganz Bild des persongewordenen Befehls,
herrschte er die Strolche an, verhörte sie wie ihr gesetzlicher Richter nach Namen, Herkunft,
Stand, kanzelte sie dann als Lumpen ab und schloß mit der Drohung, sie arretieren zu lassen,
wenn sie ihm noch einmal unter Augen kämen. Sie standen überrascht und verschüchtert, doch
zaudernd. Jetzt kommandirte A. E. mit lautem und straffem Stoß der Stimme: „Links um! Vorwärts
marsch!“ Es fuhr ihnen wie ein Blitz in die Beine und sie gehorchten. Ich sah recht, was die
Persönlichkeit allein, auch ohne Machtmittel, durch das Gewicht des einfachen Im
Darauf ruhten wir kurze Zeit an einer Stelle aus, wo wir auf einen der reißendsten
Wasserstrudel hinabsahen. Wie wir uns schweigend das Schauspiel betrachteten, kam ein
Gegenstand hergeschwommen, in welchem wir, als er näher war, A. E.'s vom Sturm geraubten
breiten Hut erkannten, obwohl er sich allerdings in sehr erschüttertem Zustande befand. Die
arme Filzgestalt trieb dem quirlenden Kessel hart an einem der Abstürze zu und spielte hier
eine Weile im Kreise. „Was mag nun der Filz wohl denken, daß das für ein rasendes Zeug sei, was
ihn da umwirbelt?“ sagte ich. „Und was die wilde Reuß,“ setzte er hinzu, „daß das wohl für ein
Ding sei, das ihr da aufgepackt ist?“ — „Nun, was neulich der Mutz im Berner Bärengraben
dachte; als ein Hut hinunterfiel, hob er ihn auf, sah ihn lang an, drehte ihn zwischen den
Tatzen um, zerarbeitete ihn gründlich und fraß ihn dann auf — geben Sie Acht, sie wird's gleich
ebenso machen!“ — Im selben Moment war das Artefact vom Stromsturz ergriffen und verschwand.
„Doch den Jüngling sah Niemand wieder“ — oder auch: „Denn die Elemente hassen das Gebild der Menschen
Ich mochte ein paar Stündchen geschlafen haben, als ich, die Augen aufschlagend, meinen
Retter neben mir sitzen sah. Ich erkannte ihn nicht sogleich, denn er hatte eine Pelzkappe auf
dem Kopf. Er merkte es, zeigte sie mir her und erzählte, das Glück habe ihn an einen ländlichen
Kleiderkram geführt, wo er sie gefunden. Sie stand ihm wirklich ganz gut zu Gesichte. „Nun,“
fieng er dann an, „Sie sehen ja ganz frisch aus, jetzt aus der Wickel! und da ist der Herr
Obermedizinalrath von Göschenen.“ Ein echtes Charakterbild von ländlichem Chirurgen sah ich
jetzt erst drüben am Tisch stehen und Pflaster streichen. „Es wird dem Herrn gut thun, wie
Ihnen,“ sagte der ehrsame Künstler, legte mir zwei große Pflaster auf und half mich dann
„Appetit?“
„Ja wohl, ja freilich!“
„Schon besorgt, kommen Sie zu Tisch!“
Der Bader wurde, zufrieden mit seiner Belohnung, entlassen, wir Zwei traten in ein etwas
niedriges Zimmer, das aber mit seiner Täfelung und reinlichen Gardinen einen ganz heimelichen
Eindruck machte, der Wirth erschien und hinter ihm ein Mädchen mit der Suppenschüssel. Ich
bemerkte, daß A. E. sie in's Aug faßete. „Ein Töchterchen?“ fragte er den Wirth. „Eine Nichte,“
war die Antwort. „Ein hübsches Kind,“ sagte ich, als Beide hinaus waren. „Ich weiß nicht; halb
hübsch oder so oder — halt! so ist's: sie sieht aus, als hätte sie eine schöne Schwester.“ Ich
nahm mir keine Zeit
Es begann nach Stillung des ersten Bedürfnisses ein wachsend heiteres, belebtes Gespräch. Ich sah ihn zum ersten Mal eigentlich hell in seiner Stimmung. Seine Athmungsorgane erschienen mir unbelästigt, das starke Ereignis; hatte wohl eine gute Krisis mit sich geführt. Er fieng wie dort am Axen vom Wetter an: „Der Föhn legt sich, will sehen, wann der Regen kommt; ich glaube, viel wird's nicht sein, er wird wohl dießmal die Hauptmasse des Feuchten drüben überm Bodensee hinunterschütten. Können Sie denn den Wind ausstehen?“ Ich hütete mich wie billig, von der physikalischen Nothwendigkeit der Luftbewegung anzufangen, und A. E. fuhr auch fort, ohne Antwort abzuwarten: „Geduld bei allem andern übeln Wetter, aber der Wind ist spezifisch unverschämt, betäubt die feinsten Sinne, Auge und Ohr, macht durch den unnöthigen Lärm das Hirn trunken, wild, ist wie ein Kerl, der mich mit Ohrfeigenregen begleitet, mir auf Tritt und Schritt vorheult, der Teufel sei los, kurz, kann mich geradezu ganz wüthig machen.“
Dieß war die einzige Andeutung, das einzige, entfernte, sehr nur mittelbare Geständniß; der
Unvernunft der Szene, dir er am Fels aufgeführt. Der
Er hatte gestern den Föhn mit einem bösen schönen Weibe verglichen, jetzt führte ihn das Föhngespräch auf dieselbe, aber umgekehrte Vergleichung: „Dämonisch reizvolle Weiber sind doch wie der Föhn; sie machen warm, warm, aber schwül, nicht Sonnenwärme, — elektrisch, bang, — Schönheit des Tigers — geben die Seele nicht, haben keine — wurzelt nichts — Liebe und Katarrh wurzelt im Mann tiefer als im Weib, — aber, aber, mein Herr—“ Hier begannen seine Augen zu funkeln und er fuhr mit der Stimme heraus, als spräche er mit einem Feind — „es gibt Kuren — wenn erst ein rechter Katarrh dazu kommt — wild — scheuslich —“ Er brach ab, erbleichte, versank in ein Brüten und sprach mit plötzlich erweichtem Tone vor sich hin: „O keine Kuren — Heilung erst vom Himmel — vom Lichtgeist — dann ein gesunder Säbelhieb —“
Er faßte sich schnell, und als wäre ihm mit den letzten Worten das Stichwort von außen
gegeben, auf ein anderes Thema einzugehen, nahm er die deutsche Frage auf und trug durch einen
sichtbar künstlichen Akt der Seele seine Erregung auf diesen ganz anderen, sächlichen Inhalt
über: eine Gewaltsamkeit, die ihm
„Da sind Sie doch mehr als eine Wetter-Kassandra! Was für Folgen?“
„Sehen Sie, die Deutschen können das Glück und die Größe nicht recht vertragen. Ihre Art
Idealität ruht auf Sehnsucht. Wenn sie's einmal haben —
Ich erschrack, wollte es nicht glauben, und erschrack doch.
Und an dieser Stelle angelangt, erlaube mir der Leser eine kurze Unterbrechung. Seit es nach und nach kam, wie es nun gekommen, seit Unehrlichkeit, Betrug, Fälschung, Fäulniß so mancher Art tiefer und tiefer in das Blut unserer Nation sich einfrißt, muß ich täglich dieser Prophetenworte gedenken. Ja ich bekenne, vielleicht hätte ich trotz meinem Vorsatz es doch unterlassen, den unbequemen Sonderling zu schildern, wenn nicht diese Weissagung zu melden wäre, die so leidig eingetroffen ist.
A. E. legte mir, den er sehr nachdenklich sah, jetzt die Hand auf den Arm und sagte: „Nehmen wir's auch nicht zu schwer; eine anständige Minorität wird bleiben, eine Nation kann so was überdauern; es bedarf dann ein großes Unglück und das wird kommen in einem neuen Krieg, dann werden wir uns aufraffen müssen, die letzte Faser daran setzen und dann wird's wieder besser und recht werden.“
Ob auch dieß in Erfüllung gehen wird?
A. E. wurde, als dieser schwer lastende Ernst heraus war, wirklich munter, er gerieth,
redselig auf
Die Politik brachte ihn auf die Geschichtsschreibung und nun gieng's an, nun legte er wieder
mit seinen Marotten los. Er fordere Gründlichkeit und die Frucht werde sein: Billigkeit,
Gerechtigkeit, Mitgefühl, Toleranz, wahre Humanität. Der Geschichtsforscher müsse vor Allem
eine richtige metaphysische Vorbildung genießen, müsse sich gute Kenntnisse in der Urgeschichte
erwerben. Ich bekam bei dieser Gelegenheit etwas mehr vom philosophischen System oder vielmehr
eigentlich der Mythologie des sonderbaren Denkers zu hören, als ich bisher wußte. Die Natur sei
das Produkt eines Urwesens weiblichen Geschlechts. Dieses höchst geniale, reizvolle, höchst
gütige und zugleich höchst leichtsinnige und dämonische, höchst grausame Weib habe sich mit
Legionen böser Geister verbündet, die sich im Urschlamm erzeugten. Man solle zusehen, ob nicht
alles Thun und Hervorbringen der Natur weib-artig sei. So leicht, als die Weiber empfangen,
schaffe sie; so ohne alles Nachdenken, wie ein begabtes Weib geistvolle Gedanken und Plane
entwickle, quellen aus ihrer Hand die unendlichen Formen hervor; so geschmackvoll und eitel als
das Weib sich aufputze, schmücke sie ihre
„Von der Sie auch gelegt sind,“ fiel ich ein.
„Ja wohl, ja leider wohl,“ sagte er und fuhr ungestört fort: „So vergißt sie, daß sie einen
Frühling voll Blüthenherrlichkeit hat sprossen lassen, macht den ganzen Spaß mit einem
Nachtfrost hin, vertilgt ihre eigenen Produkte, läßt ihre geliebten Kinder verhungern,
verschmachten, verfrieren; sie flößt der Thiermutter die zärtlichste Liebe für ihre Jungen ein
und leitet den Bärenvater, den Kater an, sie zu fressen; sie gibt dem besten aller Thiere, dem
sehr philosophischen Thiere, wie Plato es nennt: dem Hunde die Hundswuth zur Mitgift und macht
ihn zum Scheuel und Greuel der Menschen, die er liebt und die ihn lieben; sie ist mißlaunisch,
widerwärtig just wie die Weiber und wirft neben ihre Künstlergebilde das Warzenschwein, die
Kröte, den Bandwurm, die Läuse, Flöhe,
„Zu was brauchen Sie aber noch die Geister?“
„Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur war etwas Ausnehmendes gelungen: sie hatte
endlich den Menschen gebildet. Mit Hülfe der Geister wurde er die grausamste aller Bestien,
denn ihm diente der Verstand zur Erfindung ausgesuchter Qualen für Thiere und seines Gleichen.
Allein es geschah ein Strich durch die Rechnung. Derselbe Mensch erfand, geführt von einer
zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem Lichtgeist, von dem wir ein andermal noch
sprechen, nach und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Geister nicht gefaßt waren: das
Recht, den Staat, die Wissenschaft, die begierdelose Liebe und die Künste. Das
„Aber Sie waren eigentlich an der Geschichte.“
„Ja so, ja! Billigkeit, Gerechtigkeit, Mitleid, Humanität — wenn sie gründlich geschrieben
würde. Wenn ein braver, wenn ein gescheuter, wenn ein großer Mann unsinnig, zweckwidrig,
unrecht handelt, schwächlich unterläßt, wenn ein Redner, wenn ein Denker sich in unbegreifliche
Widersprüche verwickelt: wissen wir denn, ob ihm nicht ein Knopf an den Hosen gerissen war? Wer
kann Vernunft bewahren in diesem Zustand? Ob ihm nicht der Katarrh ein teuflisches Haarseil
durch den Schlund zog, sein Ge
Ich erschrack, weil ich mir denken konnte, nun werde er erst recht in's Zeug gehen. Denn er
war immer aufgeräumter geworden, ließ sich nicht im geringsten verstimmen durch die schwierige
Aufgabe, die uns ein Theil des gediegenen Mittagessens stellte: alles
Er bewegte sich durch das Gebiet der verschiedenen Künste. Zunächst kam die Poesie daran und
zwar das Drama, die Tragödie. Schiller's Tell fiel ihm wieder ein und er sagte: „Wollen Sie
dagegen eine wahre Tragödie, das heißt eine solche, die den Konflikt der Konflikte, den des
Menschen mit den Geistern, behandelt? Eine Tragödie, die aus der Menschengeschichte den wahren
Inhalt destillirt hat? Eine Tragödie, aus der wir die echte Lehre vom Mitgefühl mit dem armen
Sterblichen entnehmen, die echte Humanität schöpfen sollen? Eine Tragödie, deren wahre
Bedeutung doch bis heute noch gröblich verkannt ist? Ich kenne, darf ich sagen, die ganze
Literatur über Shakespeare's Othello. Nirgends auch die blasse Spur von Ahnung der eigentlichen
Intention des tiefsinnigen Dichters, zu deren Verständniß er uns doch einen so deutlichen Wink
gegeben hat! Was sagt denn Othello im vierten Auftritt des dritten Akts zu Desdemona? ‚Ich
fühle Schmerz an meiner Stirne hier' und wie erläutert er dieß deutlicher im vierten? ‚Mich
plagt ein widerwärt'ger böser Schnupfen.‘ Beiher ist hier
Er stockte, besann und faßte sich und fuhr ganz nüchtern fort, es falle ihm übrigens nicht
ein, irgend Jemand zu vergöttern. Von den bekannten Flecken Shakespeare's — Absurditäten,
Rohheiten — wolle er jetzt nicht reden, sondern nur bemerken, daß es ihm widerfahren könne,
gerade in dem Punkte zu fehlen, worin doch seine wahre Größe bestehe. Er mache auf eine schwere
Unterlassung im König Lear auf
Bei den Griechen angekommen, verfiel er auf die Architektur. Das Räthsel des „reinen
Segensstyls“, von dem er auf dem Bierwaldstättersee gesprochen, sollte mir jetzt gelöst werden.
Allein meine Aufmerksamkeit war denn doch an der Linie der Ermüdung angekommen, um so mehr, da
ich mit Prämissen jetzt reichlich genug versehen war, um mir eigentlich selbst vorstellen zu
können, was folgen werde. Dazu kam aber noch ein besonderer Umstand, den ich angeben werde;
zuerst sei bloß flüchtig gesagt, daß ich nur obenhin einige Bemerkungen vernahm, wie in den
neuen Styl aus der klassischen Architektur ein System von kannelirten Pilastern für die
Dekoration der Schauseite, ebenso zu dem Kranzgesimse wesentlich die Hängeplatte mit den
kleinen Zäpfchen an den mutuli‚ genannt guttae oder Tropfen herüberzunehmen seien, am Sockel
dann eine Reihe schön und entgegenkommend ausgebreiteter Nastücher auszumeißeln wäre, und so
weiter und so weiter; kurz, alle Formen müssen aussprechen:
Wir waren beim Nachtisch angekommen und bei den aufgetragenen Früchten erinnerte sich A. E. des verkohlten Obstes, das er kürzlich unter den Funden aus der Pfahldorfzeit gesehen hatte, welche in besonders reicher Sammlung die Stadt Zürich bewahrt; wir sprachen vom Kulturzustande der Steinperiode, wie er sich aus den Resten ergibt, die man nicht lang vorher in überraschender Menge da und dort im Grunde des Bodensees und der Schweizerseen ausgegraben hatte, von den Fortschritten der Technik, die doch schon gemacht waren, als das Metall noch unbekannt war, von Ackerbau, Brod, Webekunst, Schnitz- und Töpferarbeit. Der Wirth hatte auf unser Gespräch gemerkt und sagte: „Ich hab' so etwas, ich bringe Ihnen zum Nachtisch ein extrafeines Messer.“ Wirklich erschien mit den Dessertbrocken ein derber Meißel aus Nephrit, sehr geschickt in einen Hirschhorngriff eingefügt, einer der werthvolleren Funde, da man begreiflicherweise Klinge und Griff selten mehr vereinigt findet; A. E., der auf das Thema mit lebhaftem Interesse eingegangen war, zeigte große Freude an dem Geräth und der Wirth ließ es sich abkaufen.
„Ich kann es gut für meine Novelle brauchen,“ sagte er, als der Verkäufer aus der Thüre war.
Er schien einen Moment in Verlegenheit, daß ihm das Wort entflogen, ergab sich aber schnell
in das
„Ja, sind Sie denn auch ein Dichter?“
„Nun, das will ich doch glauben! Wen anders werden denn die Geister so placken und schinden, als einen Dichter?“
Pause. Dann sagte er mit einem Ausdruck von großer Freundlichkeit, ja wahrer Herzlichkeit: „Sie sollen sie haben, bald vollends ist sie fertig, das Manuskript hab' ich im Koffer mit, der nach Airolo vorausgeschickt ist. Wenn die Arbeit vollendet ist, sollen Sie eine Abschrift bekommen aus Italien.“
Bei dem Anlaß fiel mir ein, daß ich selbst ein wenig in Poesie gepfuscht hatte. Ich erzählte
ihm von dem kartoffelnährenden Felsblock, zog mein Blatt heraus und schickte mich an, ihm meine
Verse vorzulesen, nicht ohne erst versichert zu haben, daß ich mich sehr bescheide, mich als
Kollege in Apollo aufspielen zu wollen. Er unterbrach mich bei den ersten Worten mit der Frage,
ob ich auch die Haufwerke angesehen habe. Ich erfuhr von ihm, daß man so die wild übereinander
gestürzten Felstrümmermassen nennt. „Wissen Sie auch,“ sagte er, „wie sie das Volk hier zu
Lande heißt?“ Ich verneinte. „Dolmen,“ sagte er, „das ist keltisch und bedeutet Opfertisch —
Sie wissen doch von den uralten, geheimnißvollen Steinmalen in der Bretagne, Skandinavien,
England —
Meine Leistung wollte mir doch wirklich im Vorlesen gar nicht so übel vorkommen und der wartende
Das Schlußwort seiner Rede packte mich so, daß ich, hätte ich überhaupt über seine Kritik empfindlich sein können, mich und mein Werk ganz vergaß.
Ich drückte ihm dankbar für sein Vertrauen und
„Bitte, bitte,“ sagte er, „lassen wir's lieber! Kommt es Ihnen denn nicht auch hübsch vor, einmal im Leben nur Mensch zu Mensch?“
Ich verstand und darf sagen: mir that wohl, was ich entnahm. Eine feurige Freundschaftserklärung hätte mir so viel, so Schönes nicht gesagt. Von einem Andern geübt, hätte die Abwehr und Versagung alles Wissens um Stand und Namen gesucht und eitel erscheinen können; hier wäre nur eine stumpfe Seele einer solchen Auffassung fähig gewesen.
„Aber wie bekommen?“
„Bitte um eine Chiffre und Wohnort.“ Ich schrieb und die Sache war abgemacht, worauf A. E.
noch so weit auf sein Opus eingieng, daß er sich sehr lebhaft der Originalität seiner Erfindung
annahm, ja dafür verwehrte, als hätte ich sie bezweifelt. Das Pfahldorf- und Steinzeitthema war
damals in Karikatur und Schrift schon zu mancherlei Scherzen verwendet worden. Mit einer
Leidenschaft, als handelte es sich um einen wichtigen Ehrenpunkt, rief mein Freund — so darf
ich ihn nun nennen, nachdem er mir Menschenwerth ohne Rücksicht auf Namen und
Der Nachtisch war inzwischen vorüber und der Wirth brachte Licht zum Cigarrenanzünden. Als A.
E. das Handleuchterchen gefaßt hatte, hielt er es mir hin mit den Worten: „Da, sehen Sie: ist
das nicht wieder, um sich auf's Tiefste zu empören!“ Er zeigte mir, daß dem Geräthe das flache
Blättchen am Griffe fehlte, worauf man den Daumen setzen muß, um es sicher zu halten; das
Metall hatte an dieser Stelle eine runde Biegung, die so wenig Halt bot, daß es in jedem Moment
vorn überzurutschen drohte. Wie ich ihn kannte, ließ ich mich durch das Maß seines Zorns über
diese Kleinigkeit nicht befremden; ja, es schien mir einen belehrenden Blick in das Innere
dieses Menschen zu öffnen. Wer über so etwas ergrimmen kann, in dem muß das Gefühl der
Zweckmäßigkeit von ungewöhnlicher Schärfe sein. — Uebrigens setzte er noch hinzu, ein solches
Produkt sei ein wahres Bild unserer deutschen Industrie, deren Haupt
Inzwischen war ihm über Eis und Winter das Ziel seiner Reise, Italien, wieder eingefallen. „Und nun will ich’s also eben wieder dort probiren,“ sagte er, „bei meinen lieben Zugteufeln! Denn Teufel sind sie im Zugmachen; Fenster und Thüren auf! anders thun sie's nicht! Und die verruchten steinernen Böden! Aber mein Doktor hat doch Recht: er bleibt dort zwar nicht aus, aber verläuft milder, unschädlicher. Und eben dann noch etwas!“
„Was denn?“
„Wissen Sie — es eckelt Einem eben oft am Menschen, zumeist in der nordischen Kulturwelt, die so Vieles so ängstlich verbirgt, — Accent durch Gegensatz: Sie wissen, Sie wissen! Dort aber: naturalia non sunt turpia. Also weniger Eckel.“
Er zog nun eine Landkarte hervor, um mir seinen Reiseplan darauf zu zeigen. Es war nicht Raum auf
Er klingelte. Der Wirth erschien. „Was kostet der ganze Service, Alles was hier im ganzen Zimmer umhersteht?“ Der Wirth fragte: „Wozu?“ und zeigte sich auf die ungenügende Antwort von A. E., er möchte ihn eben haben, wenig geneigt, seinen Schatz zu verkaufen. Doch, da er kaum anders denken konnte, als, der Gast sei auf diese Gegenstände um ihrer Schönheit willen erpicht, da ihm dieß schmeichelte und da er schließlich wohl kein Geldverächter war, so ließ er sich bestimmen und nannte eine Summe, die eben nicht bescheiden, doch auch nicht so hoch gegriffen war, als die kundigere Gewinnsucht eines Städters sie gespannt hätte. Sie wurde ihm rund in Gold ausbezahlt; er striech ein und fragte: „Soll ich auch die Verpackung übernehmen?“ A. E. sah ihn sonderbar an, wendete sich gegen mich und sprach feierlich, wie damals im Wirthshaus zu Brunnen: „Supplicium! Todesurtheil!“
Er gab mir den Krug in die Hand und sagte: „Ihnen die Ehre des Vortritts!“
Ich, wie ich nun leider geworden war, gehorchte mit Pflichtgefühl. Dem Fenster gegenüber
stand jenseits der Straße ein mächtiger Granitblock, einst — wer weiß vor wie viel
Jahrhunderten — herabgestürzt von einem der Felsungeheuer und nun als Damm
„Ob noch eine andere Bedeutung zu Grunde liege, darüber habe ich lange vergeblich geforscht, glaube aber jetzt auf der rechten Spur zu sein. Davon ein andermal.“
Nach diesem Vortrage befreite er den gehobenen Arm aus seinem Banne, holte noch einmal aus, die Karaffe flog den Weg ihrer Geschwister und zerplatschte am Granitblock.
Ich wollte nun in rhythmischer Abwechslung alsbald wieder folgen, als er, den Blick auf
unsern Zuschauerkreis geheftet, mir plötzlich in den Arm fiel und sagte: „Halten Sie inne, bis
ich wieder komme.“ Er eilte hinaus und hinab, ich sah ihn mitten durch den Haufen der
Dorfjungen dringen auf eine Frau zu, die hinter ihren Reihen stand, ein Kind auf dem Arme. Sie
war dürftig gekleidet, ihr und dem Kind sah der Hunger aus den Augen. A. E. hatte mit seiner
scharfen Sehkraft offenbar von oben bemerkt gehabt, daß sie dem tollen Schauspiel mit
vorwurfsvollen Blicken zusah; man konnte schließen, daß seine Anrede an das Weib etwas darauf
Bezügliches enthielt. Ihre Antwort ließ sich deutlich hören, da der ganze Haufen mäuschenstill
geworden war: „Ja, Herr, wie das Ge
A. E. eilte wieder herauf und sagte sehr munter: „Vereinbar! vereinbar! so, nun kann es wieder fortgehen!“ Ich holte wieder aus und zum großen Troste der Versammlung auf der Straße lief denn die Aktion weiter.
Hinter uns stand der Wirth und sah zu, starr, sprachlos, „zur Statue entgeistert“.
Unser Eifer nahm zu, als sich unsere Arbeit dem Ende nahte, die Bogen, in denen wir warfen,
wurden immer kühner, der Wurf immer sicherer; im Feuer dieses Thuns bemerkten wir nicht, daß
außer dem Mädchen, das mit dem Wirth uns bedient hatte, noch Jemand zu ihm getreten war; es war
mir nur vor, als hörte ich hinter mir ein helles Lachen und Klatschen, ich hatte keine Zeit,
darauf zu achten. Jetzt
Wie ich sie näher ansah, tauchte mir erst von ferne, dann deutlicher eine Erinnerung auf. Um diese schönen Augen spielte etwas Weiches, man konnte nicht sagen, in welchen Formen der Augenhöhle und ihrer Umgebung es lag, nicht wenig trugen die großen Lider und die langen Wimpern dazu bei; nach kurzem Suchen kam mein Gedächtniß bei der Dame an, die ich erst gestern in Bürglen gesehen hatte. Die Aehnlichkeit in diesem Zuge war so stark, daß man leicht das Unähnliche in Gedanken ausschied; man konnte sagen: es war diese Erscheinung aus Blond in Schwarz und Braun, aus dem fein Schlanken in's Vollere, aus dem zart Durchgebildeten in's kräftig Volksmäßige übersetzt.
A. E. stand erstaunt, in Schauen verloren. „Come vi chiamate?“ fragte er.
„Cornelia.“
„Siete da Perugia?“
„No, Signore.“
„Da Assisi?“
„No, Signore.“
„Da Arezzo?“
„No, Signore.“
„No, Signore. Io sono da Bellinzona.“
„Fa niente,“ rief er jetzt, schloß sie in die Arme und drückte der Ueberraschten, die kaum
sich sträubte, einen feurigen Kuß auf die Lippen. Der Wirth sah verwundert, halb ärgerlich,
halb lachend zu dieser Szene, ließ jedoch geschehen. Man konnte ihm auf dem Gesichte lesen, daß
in seinem Gemüthe zwei Mächte sich eine ordentliche Schlacht lieferten: das Gefühl der
Zweckwidrigkeit des erst Vorgefallenen, der Unmuth über so verkehrtes Handeln und über die
jetzige Dreistigkeit auf der einen und auf der andern Seite der Respekt vor Fremden, die sich
eine so großartige Verschwendung erlaubten, und die Lust am Spaße, den eine Szene, wie die
letzte, denn doch jedem Zuschauer bereiten mußte. A. E. wandte sich jetzt mit der Geberde eines
Mannes, dem etwas Vergessenes einfällt, plötzlich zu ihm, nahm ihn beiseite, fragte ihn leise
etwas, die Antwort des Wirths, der seine Stimme zum Flüstern nicht gebildet hatte, verrieth,
A. E. stand noch einige Augenblicke, die Hand des schönen Mädchens haltend, fragte, ob er
Grüße nach der Heimat bringen dürfe, sie wurden ihm gern aufgetragen, dann wandte er sich zu
mir und sagte: „So, jetzt lassen Sie uns scheiden und gehen; nach dem Vernunftakte, nach der
religiösen Opferhandlung, die wir vollzogen, könnte uns ein schöneres Punktum nicht mehr
werden.“ Er nahm seine Sachen um und an, gab dem Wirth und seinen Nichten noch herzlich die
Hand und gieng voran und ich folgsam ihm nach. Während er die Treppen hinabstieg, blieb ich
noch bei Cornelia, die mir vor die Thüre folgte, stehen und sah sie fragend an; sie verstand
meinen Blick, sie las schnell darin, daß er forschte, wie ihr der Herr gefalle, und sie sagte:
„È pazzo, ma pur simpatico. Pazzi siete tutti e due.“ Es drängte mich, sie dafür nun
meinerseits auch zu küssen, ich
Ich trat zu A. E. vor die Hausthüre. Der Föhn hatte sich gelegt, sein Glutsturm schien die Wassermassen, die er mit sich zu führen pflegt, hinter uns auf die Flächen Deutschlands gejagt zu haben; hier im Gebirg war nur ein leichter Regen gefallen und hatte die Luft mäßig gekühlt.
„Ich wollte eigentlich bis Andermatt,“ sagte ich, doch setzte ich alsbald hinzu: „Nein, es ist wahr, es ist besser, wir scheiden nun.“ — „Nicht wahr?“ sagte A. E. mit herzlichem Tone und grundfreundlichem Blick; — „das Weitere würde nur nachhinken und beisammen bleiben wir ja doch nicht; den Rest des Passes mit Teufelsbrücke können Sie ja morgen oder sonst einmal sehen. Die Novelle also kommt. Addio!“ Er schüttelte mir die Hand, schwenkte mit rascher Wendung und gieng dahin.
Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, auch nur ein Wort zu sagen, eine Bewegung zu machen,
wodurch ich dem Gefühl Ausdruck gab, das im Augenblick dieses Abschieds über mich kam, obwohl
es nach aller Wahrscheinlichkeit ein Abschied für immer war. Ich kannte ihn zu gut, um nicht zu
wissen, wie wenig
Im nächsten Moment fiel mir ein, daß ich nicht dazu gelangt war, nach dem Sinn des seltsamen Wortes zu fragen, das mich am vorigen Tage wie ein Geist verfolgt hatte. Schnell aber wurde ich mir bewußt, daß dieß darum unterblieben war, weil ich einen passenden Moment zu der Frage nicht fand, und weiter wurde mir klar, daß noch etwas Anderes zu Grunde lag; ich war eigentlich doch nicht dazu aufgelegt. Alsbald vergieng mir daher auch die augenblickliche Lust, zurückzulaufen und das Versäumte nachzuholen. Ich wäre vor A. E. schlecht bestanden, wenn ich, vollends nach dem Abschied, einen besondern Schritt gethan hätte, um zu erfahren, was ein Humorwort bedeute, das irgend einer geringfügigen Anekdote seinen Ursprung verdanken mochte. So resignirte ich denn darauf, jemals noch im Diesseits das Räthsel des Tetem gelöst zu sehen.
Ich war etwa zwanzig Schritte entfernt, als ich seine Stimme rufen hörte: „Sie!“
Ich kehrte mich um: A. E. war stillgestanden und rief mit einem Tone, woraus die helle
Frohheit klang, mir zu: „Und sie hat's erst nicht abgewischt!“ Dann wandte er sich und ich sah
ihn mit nervigen Schritten die Straße hinansteigen. Zugleich
Ich wanderte langsamen Schrittes bergab. Warum sollte ich nicht gestehen dürfen, daß mir das Auge feucht wurde, und warum nicht, daß ich zu fühlen meinte, dieser Tropfen gelte gar nicht allein dem Abschied, sondern wohl mehr noch gerade dem letzten, komischen Wort und dem, was es mir zu denken gab, zu denken nicht bloß über den einen Menschen, der dort über das wilde Gebirgsjoch in die Ferne zog.
Es war etwa zwei Monate später, als ein Packet an mich kam mit dem Poststempel Venedig. Ich öffnete sehr begierig und da hatte ich nun die Pfahldorfgeschichte — in sauberer Reinschrift, da und dort mit Korrekturen von anderer Hand, welche die des Verfassers sein mußte. Ein Zettel lag bei; ich werde nachbringen, was darauf geschrieben stand. Es ist ein gewisses Gefühl von Bedürfniß der Abwechslung, was mich bestimmt, meinem ferneren Berichte den Abdruck der Novelle vorangehen zu lassen; ich habe so lang selbst geredet, daß es Zeit ist, unsern Freund — ich hoffe, das sei er trotz alledem — ganz zu Worte kommen zu lassen.
Wir blicken durch eine kleine Fensteröffnung in eine Hütte, die uns gar dürftig erscheinen
müßte, wenn wir uns nicht Bau, Ausstattung, Schmuck unserer Räume aus dem Sinne schlagen
wollten. Die Wände bildet ein Flechtwerk, das mit Lehm bekleidet ist, daran läuft ein Bord, der
einen Hausrath von äußerster Einfachheit trägt, ein roher Tisch in einer Ecke, einige Stühle
von nicht feinerer Arbeit sind zu sehen und auf dem Estrich, der eben nicht aus Parkettafeln,
sondern aus einem Guß von Thon und Kohlenstaub über einer einfachen Lage von Planken besteht,
erhebt sich ein Herd, dessen Form auf so höchst ursprüngliche Zustände hinweist, wie Alles, was
wir erblicken. Und dieß Alles gehört keinem armen Manne; die Matte dort aus Binsengeflecht
scheidet das Ganze des Bodens in eine Schlaf- und eine Wohnstube, die freilich zugleich als
Küche dient, und das ist ein RaumLuxus, den nicht jede dieser Hütten aufweist. Der wohlhabende
Besitzer ist ein ehrsamer Pfahlbürger
Dazu hörte man die Welle unter dem hohlen Bau an den Pfählen plätschern und den Abendwind raschelnd durch den nahen Uferschilf wehen: eine Begleitung, die gar wohl zu dem geisterhaften Gesange stimmte.
Ein frischerer, hellerer Klang, von ferne her vernehmbar, unterbrach diese düstere Musik. Es
war ein Jodeln, ganz dasselbe Spiel wechselnder starker Fistel
Das Ju denke man sich mit jenem durchdringenden, gezogenen Jodelton gesungen, der fernhin
durch Berg und Thal ausklingt. Man sollte meinen, der entfernte Sänger werde ihn erwidern, aber
von dorther ließ sich kein Laut mehr vernehmen. Ueber die Züge der Alten gieng ein Schatten,
ihre finsteren Augen schickten einen stechenden Blick nach dem Mädchen,
„Hixi, Hixi“ rief jetzt das ältere Schwesterchen Sigunens, „komm' sing mit uns das Märchenlied von Coridwen einmal wieder!“ Der Knabe stimmte mit ein, die Alte — ihr Name nicht abgekürzt hieß Urhixidur — war inzwischen munterer geworden und stellte nur die Bedingung, daß die Kinder ordentlich einfallen; sie versprachen eifrig und so begann denn der Gesang, wobei der Leser zu merken hat, daß bei den fünf ersten Strophen je die zweite Zeile vom Knaben, die vierte vom Mädchen übernommen wird, das Uebrige aber mit näselndem und zugleich hohlem Tone die Alte vorträgt.
Von ihrer gelungenen Gesangleistung fast noch mehr, als von dem gern gehörten Märchen
beglückt, jubelten und klatschten die Kinder, während die Alte, ohne weiter auf sie zu achten,
mit verändertem, tiefem,
Ein Huhn flog herein und pickte die WaizenKörner auf, die bei der Mahlarbeit zu Boden gefallen waren. Dieß steigerte den Jubel der Kinder und eins um's andere riefen sie: „Schluck' das Körnchen, Henn, Henn, Henn! Coridwen, Coridwen!
Inzwischen ist an der Fensteröffnung ein unbemerkter Zuschauer erschienen, ein Bursch im
besten Jugendalter. Er betrachtet sich mit sichtbarem Wohlfallen die Gruppe und verweilt mit
innigen Blicken auf der mütterlichen Schwester der Kleinen. Nachdem er manche Minute so ohne
Regung gestanden, zieht er eine Binse hervor und kitzelt mit ihrem Ende Sigunen hinter dem
Ohre; sie springt auf, „wart' nur, wart' Alpin, ich brech' dir den Finger ab,“ ruft sie, faßt
seine Hand und drückt auf das Zeigfingergelenk, als wollte sie die Strafe vollziehen. Der
Bursche grillt
„Und hab' dir grad wollen eine Freud' machen, — so etwas für's Fest — aber ich weiß, es
g'freut dich erst nicht,“ sagt jetzt Alpin. Er handelt jedoch seinem eigenen Worte zuwider und
zieht unter seinem Schafpelz, dessen Wolle nach außen gekehrt ist, eine
Er erzählte nicht weiter, sondern rief heftig: „Wer das kann, der nimmt's auch noch mit manchem Jäger auf! Komm, Ryno, wir gehen! Gut' Nacht!“ Und er war hinweg, begleitet von seinem Thiere, das sich eben nicht gerne von der munteren Gesellschaft zu trennen schien.
Sigune saß nachdenklich, die Halsschnur in der Hand wiegend. Es war eben so eine Sache. Alpin
war ihr lieb, aber — Man wußte damals noch nichts von Ideal und Bauernmädchen pflegen heute
noch nichts davon zu wissen, sonst würden wir sagen: es schwebte ihr eben ein anderes Ideal
vor. Sie hatte dem guten Alpin noch nie bestimmten Anlaß zur Eifersucht gegeben, aber so viel
neckische Bosheit war allerdings in ihr, daß sie ihn oft genug in ihre Gedanken hineinsehen
ließ, und diese lauteten: schlank, behend, schwarzbraun, blitzende dunkle Augen, Kraushaar,
hübscher Schnurrbart, wo möglich an den Spitzen in die Höhe gestrichen, überhaupt keck, flott,
jägerartig. Alpin aber war stämmig, langsam, hatte Augen, die wir als hellblau schon kennen und
die gewöhnlich sanft und nachdenklich blickten, glattes Flachshaar und — was ihm besonders im
Wege stand und allerdings ihm selbst auch Kummer machte: der Schnurrbart wollte, obwohl es
längst, längst Zeit war, nicht recht kommen, sondern beharrte darauf, dem dünn bewachsenen
Kornfeld nach langer Trockenheit gleich zu sehen. Man hörte jetzt unten einen Kahn anfahren,
anlegen, der Vater kam zurück, brachte in einem Schaff seinen Fang, einen fetten Karpfen und
ein Prachtexemplar der Forelle-verwandten Asche nebst einigem Volke niedrigeren Schlags; Sigune
halte nicht Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen, Odgal mochte sich den Karpfen heut
Wir überlassen sie ihrer Arbeit und folgen dem aufgeregten Alpin durch ein paar Zwischengänge
des Pfahldorfs nach der Hütte seines Vaters. Es ist kein guter Abend heute für unsern jungen
Freund. Er findet den Vater öfters niesend und hustend, dazwischen fluchend über einem Steine
sitzen, der seiner bearbeitenden Hand sichtbare Schwierigkeit entgegensetzt. Es ist ein ovaler
Kiesel von der Größe einer starken (damaligen) Männerhand und der alte Ullin ist beschäftigt,
ihn der Länge nach zu durchsägen. Seine Säge besteht aus einem nur zwei Zoll langen Stück
Flins, das heißt Feuerstein, mit unregelmäßig gezahntem Rande. Der Kiesel soll zwei Aexte
geben, aber die Säge stößt auf eine Verhärtung und kann nicht vorwärts kommen. Schon zwei Tage
lang hat sich Ullin daran abgemüht; jetzt, eben wie der Sohn eintritt, hat er die Geduld
verloren, schleudert den Stein auf den Estrich und flucht unter einem neuen Nies- und
Hustenanfall: „Hol' euch der höllische Grippo, Stein, Säge und Nase!“ Dabei stößt er eine
Schale voll Meth um, die er sich eben frisch eingeschenkt hat. Mit dem süßen und eben nicht
schwachen Getränke hater sich unter der sauern Arbeit gestärkt und zugleich
Wir kehren zum einredenden Vater und ablehnenden Sohne zurück.
„Ach, laß, Vater! Wenn ich so bei meinen Thierlein sitze und denke so allerhand über ihre Art und Thun und kenne sie aus einander und wundere mich, wie sie doch verschieden sind, und wenn ich so weiter denke und kommt mir als großmächtig Geheimniß vor, wie Alles das so sein mag, auch Gras und Laub und die großen Berge und die Sterne, und wenn ich dann nicht weiter weiß und blase oder jodle oder blättle — —“
Der Vater unterbrach ihn: „Was nützt mich das Jodeln und Blätteln!“ Aber Alpin war stolz auf sein Jodeln und noch mehr auf sein Blätteln und dieß mit Grund: er entlockte dem Buchenblatt zwischen seinen Lippen Töne und Melodieen, wie sie jetzt ein Virtuos auf Klarinette oder Fagot bezaubernder nicht hervorbringen könnte. Und nun war das Gespräch natürlich schon im unebenen Geleise. „Und blättle,“ nahm Alpin in gereiztem Tone wieder auf, „und denke dagegen, ich sollte zu Zwanzigen klopfen und hämmern an dem, todten Gestein und mein eigen Wort nicht hören vor dem Lärm — und so immer das Gleiche den ganzen Tag — und dann der Herr oder die Herren — ich arbeite ja dann nicht für mich — was krieg' ich von denen?“
Geld gab es dazumal, in jenen Gegenden wenigstens, noch keins. Der Vater konnte nichts nennen, als die Tauschmittel: Geräthe, Kleider, Schmuck, Vieh, Felle, Wolle, Getreide.
„Und wer hilft mir, wenn ich zu wenig krieg', und mit dem, was ich krieg', was soll ich anfangen?“
Der Vater fand sich in einige Konfusion versetzt und antwortete nach einer Pause: „Wieder tauschen oder aufsparen und Land kaufen.“
„Wozu brauch' ich aber so viel Zeug? Und Land haben wir ja genug!“
Man war an einem Punkt angekommen, wo kein Theil weiter wußte. In beiden Köpfen bohrte etwas, wollte ein Gedanke zur Geburt drängen, der doch unmöglich geboren werden konnte. Zwei Pfahlbauerngehirne, Gehirne, wie sie organisirt sein konnten vor etwa sechs Jahrtausenden, an dem Punkte einer Vorstellungsreihe angekommen, der sie in logischer Linie hätte auf die Perspektive weisen müssen: die Arbeiterfrage! Geld! Geldspekulation, Geldhandel, Geld aus Geld! Banken! Gründungen! —
In der That machten Beide jetzt so unkluge Gesichter, daß ein moderner Zuschauer sich des
Lachens nicht hätte enthalten können. Der Vater nahm zur Beruhigung seiner so ungewohnt
arbeitenden Centralnervenstränge wieder einen langen Schluck Meth. Der Sohn, dem Schwindel zu
entgehen, den ihm das
„Und dann — mithelfen soll ich, daß das Zeug aufkommt? Und so fortwächst, daß am End’ kein Thal in diesen ganzen Landen vor dem Pick-, Klopf- und Hämmer- und Haspelwesen mehr sicher ist? Kein Bächlein lauter und lieblich mehr gehen kann, weil sie's verschmutzen mit Waschereien und — mit“ (man erkennt, daß er Mühlwerke und Fabriken mit Wassertrieb ahnt und nicht nennen kann, daher setzt er nur hinzu:) — „und daß am Ende der verstummen muß?“
Mit dem Wort wurde ihm ganz erbärmlich zu Muthe. Er war Meister auf dem langen Hirtenhorn so gut, wie im Jodeln und auf dem Buchenblatt. Er konnte blasen, daß es in die innerste Seele gieng. Ihm kam in diesem Augenblick das Heimweh, als ob er schon weit, weit weg in dem steinklappernden Hämmerwerk wäre. Sein See, seine Schafe, seine Rinder, voran die Pracht- und Staatskuh, die graue Lisel, die so sanft blinzte, wenn er sie hinter dem Ohr kratzte, seine Berge, die fernen silberblitzenden Gletscher — Alles kam ihm vor, als sehe er es bereits kaum noch nur ganz ferne — und ebenso ferne Sigunen. —
Auch seine gute Mutter Minona fiel ihm ein, die
All' diese Hoffnungen gründete sie auf Alpin's stille und sinnige Gemüthsart. Aber der sonst
so lenksame Sohn stemmte sich, wie schon erwähnt ist, dagegen nicht minder fest, als gegen die
Pläne des Vaters. Alpin hatte mehr als Einen Grund gegen
Davon konnte er nun dem Vater, wie er ihn kannte, kein Wörtchen sagen. Der Mann, der so weit hinaus wollte mit dem Sohn, was war von dem zu erwarten, wenn er ihm sein Herz eröffnete! Es mußte freilich um jene Zeit auch dem Vater schon zugetragen sein, was in der Gemeinde kein Geheimniß mehr war. Er hatte nicht darauf geachtet, weil er nicht hatte achten wollen; er hatte beschlossen, es für eine Jugendspielerei anzusehen und todtzuschweigen.
Und nun wollen wir zu dem Gespräche zurückkehren, das wir nur zu lang unterbrochen haben. Die
wehmüthigen Worte vom Kuhreigen hatten den Alten nicht im geringsten gerührt. Daß dem Sohne vor
Weh die Stimme brechen wollte, merkte er gar nicht. Er griff eben wieder nach seiner
Methschale, hielt sie betrachtend in der Hand und begann, seinem Sohne noch einen andern Plan
zu empfehlen: er solle sich dahin ausbilden, daß er seiner Zeit eine große Holzschnitzanstalt
errichten könne. Es ließe sich, meinte er, wohl die Quelle erkunden, woher die Schale einst
gekommen, ein ergiebiger Verkehr mit dem fernen Land einleiten, man könnte geschickte Hände
heranbilden, um Geräthe verschiedener Art mit so zierlichen Gliedern, wie sie den Rand dieses
Runds einfaßten, zu einträglichem Verkaufe zu schnitzen. Inzwischen kam dem gequälten Sohn die
liebe Natur selbst zu Hülfe. Der Alte hatte des wirksamen Getränkes nachgerade doch stark über
Durst geschluckt und es kam ein gewisser milder Nebel über ihn, der sich in der Erscheinung des
Lallens oder sogenannten Zungenschlags äußerte. Er wollte sagen, er vermuthe oder muthmaße, daß
sich mit Schnitzereien aus Buchsmaser etwas Tüchtiges anfangen, ein gutes Geschäft gründen
ließe. Die Aehnlichkeit der Sylben in: Muthmaßen, Vermuthen und Buchsmaser wurde ihm zur
Klippe, woran er scheiterte. Er produzirte Wortmischungen wie Verbuchsmaserung, Vermasmuth
Am Ende des Pfahldorfs standen drei große Ställe für die Heerden, die untergeordneten Hirten schliefen auf Heu- und Strohlagern bei dem Gethier, Alpin, der Oberhirt hatte seine besondere kleine Hütte daneben. Dorthin schliech er nun in seines Herzens Weh und streckte sich auf seine Felle nieder. Lange wollte sich der Schlaf nicht einstellen, als aber endlich die Natur ihr Recht in Anspruch nahm, ließ sie sich auch durch ein sonderbares Geräusch, das ringsherum anhub und immer stärker wuchs, nicht aus ihrer wohlthätigen Ordnung bringen, um so weniger, da dem Schläfer diese Erscheinung nichts Neues war.
Ehe wir den Ursprung derselben aufsuchen, müssen wir uns erst nach einer andern Stelle
umsehen. Wir lassen die Nacht bis zum Morgengrauen verstreichen, begeben uns an's Land und
sehen in der Dämmerung einen schlanken Burschen dem See zuschreiten. Eine Pelzmütze bedeckt
sein dunkles Lockenhaupt; sie ist mit einer Spielhahnfeder geschmückt, die aus einem Kreise von
Gemshaaren aufsteigt, und sie ist breit verbrämt mit einer Borte aus zusammengefügten rothen
Federn vom Kopfe des Steinhuhns. Er trägt einen Gürtel,
Das erwähnte Geräusch ist inzwischen zu gewaltiger Stärke angewachsen. Es erinnert bald an das gebellartige Schreien des Schuhus, bald glaubt man schmetternde Posaunentöne, bald das schrille Kreischen großer Sägen zu vernehmen — ein Durcheinander von Tönen, als brüllte ein Chor von unbekannten, geisterhaften Ungeheuern.
Der Bursche lächelt und streicht sich den Schnurrbart. Er kennt das. — Auch das wachsame Thier wird nicht stutzig, scheint längst Gewohntes zu vernehmen.
Nahe dem Ziele führt unsern Wanderer sein Weg an vier grauen, dunklen Steinmalen vorüber. Sie
scheinen gottesdienstliche Bedeutung zu haben. Eines derselben besteht in einer rohen,
mächtigen Granitplatte, die wagrecht auf vier ebenso rohen steinernen Stützen ruht. Es wird
wohl ein heiliger Tisch, ein Altar sein. Rechts davon, etwas rückwärts, befindet sich,
senkrecht als hochragender Steinpfeiler aufgestellt, ein zweiter Granitblock, unbehauen wie
jener; auf seinem Gipfel erscheint ein Gebilde des Meißels, so unbeholfen, als es herzustellen
ist, wo alle Geräthe selbst noch aus Stein bestehen und nur der härtere in weicherem arbeitet.
Es gleicht der Form, die wir auf Sigunens Arm eingeritzt gesehen haben: zwei aufgebogene Hörner
Arthur — so heißt der Wanderer — geht mit gleichgültigem Blicke vorüber. Er unterläßt es, die
Steinmale mit einem Zeichen der Ehrfurcht zu begrüßen; er beschreibt nicht, wie es der fromme
Brauch verlangt, mit drei Fingern einen Kreis, dann eine Schlangenlinie auf seiner breiten,
wohlgewölbten Brust. Nach den fernen Gebirgsstöcken, Gräten und Spitzen ist sein Auge gekehrt.
Der breite Glärnisch, der steile Reiseltstock, der stolze Tödi, die schimmernden Klariden
tauchen ihre Rücken, Jacken und Häupter in den ersten Strahl der Morgensonne; jene Firnfläche,
die jetzt Vreneli's Gärtli heißt und schon damals von alten Sagen umwoben sein mochte, leuchtet
in rein bläulichem Weiß herüber; weit sind Arthur's Augen ge
„Halt, wer da?“ schrie eine rauhe Stimme.
„Gut Freund!“
Der Wächter oben an der Pfahlbaubrücke hatte bei seinem Anruf den Eibenbogen von der Schulter genommen, einen Pfeil aufgesetzt und lag im Anschlag. Es war herkömmliche Form, so oft ein Bewaffneter sich der Brücke näherte, aber dießmal zielte er so scharf, daß es fast aussah, als könnte es Ernst werden, denn er hatte die ungewöhnlichen Waffen gesehen; das Erz schimmerte in der Morgensonne.
Man erkennt auch aus diesem Anruf und der Antwort einen bestehenden Brauch, der dem
Ankömmling geläufig sein muß. Er löste Schwert und Dolch von dem schimmernden hohen Hüftgurt,
von dem sie an zierlichen Ketten niederhiengen, und legte beide Waffen vor sich nieder. Der
Wächter ließ jetzt das bewegliche Stück der Brücke herab, nahm die Waffen auf und
„Herein.“ Der Druide saß eben, während im Hinterraum das Wasser zum Kaffee siedete, behaglich
in seinem pelzverbrämten Schlafrock, und hinter ihm stand seine alte Hauserin, beschäftigt, ihm
die Haare zu ordnen. Er pflegte den noch reichlichen Naturschmuck seines Hinterhauptes in
Anspruch zu nehmen, um die Kahlheit seines Vorderhauptes nach Möglichkeit anständig zu decken.
Die Alte wußte die herübergezogenen Stränge zierlich mit ausgesucht zartem, höchst geläutertem
Tannenharz festzukleben. Der Wächter meldete den Fremdling. Angus, so hieß der Druide, gebot, ihn
Er zog aus seinem Rucksack ein zierliches Messer
Der Druide hatte bei jenen Erläuterungen nachdenklich den Kopf hin und her gewiegt. Er zögerte ebenso nachdenklich, nach dem schimmernden Geschenke zu greifen. Ein Schatten glitt über sein dickes Gesicht, seine kleinen, tiefliegenden, sonst behaglich glitzernden Augen.
Inzwischen war hinten im Anbau das Frühstück fertig geworden. Wir haben es als Kaffee
bezeichnet und es war auch Kaffee, nur nicht aus der arabischen Bohne, sondern aus gerösteten
und gemahlenen Eicheln, ein recht gutes und gesundes Getränke, wie man weiß. Die Bereiterin
dieses Labsals ist dasselbe Wesen, das wir im Anfang spinnend und singend bei Sigunen und
soeben als Haarkünstlerin gefunden haben, es ist Urhixidur, die geschäftige Pflegerin,
Hausverwalterin des Druiden und von Geburt seine Base; sie hat sich bei Arthurs Eintritt
zurückgezogen, unter der Arbeit an der Matte gelauscht, hervorgeschielt und trägt jetzt auf
hölzernem Runde das duftende Getränk herein, mehr als dieß, ein Ganzes, von dem man sagen kann,
es wetteifre mit der Vollständigkeit eines englischen Frühstücks; denn nicht nur ein Topf
herrlichen Rahmes voll gesellt sich zum Kaffeegefäß, sondern nebst
„Der Fremdling besucht Odgal?“ fragt die Alte.
„Ja,“ antwortet der Druide.
„Kann Sigunen gefährlich werden.“
„Ah bah!“
Doch ließ es einen Stachel in ihm zurück; er hatte daran noch nicht gedacht. Er war ein entfernter Vetter von Ullin wie von Urhixidur, die also das lebendige verwandtschaftliche Band zwischen beiden Häusern vorstellte. Daß diese dem frommen Hirtenjüngling, wie sie Alpin nannte, wohl gewogen war und ihn bei Sigunen eifrig unterstützte, haben die Leser schon aus dem Anfang unserer Geschichte ersehen. So war ihm auch ihr Hausherr freundlich geneigt, nicht nur als Verwandter, sondern insbesondere als Freund des Hirtenstands, in welchem er einen Träger der guten, gläubigen, alten Sitte und Gesinnung sah. Sigunen's Muthwille machte ihm weniger Sorge als der Alten, er scherzte selber manchmal mit der munteren Maid und mochte dem braven Burschen wohl gönnen, daß es ihm mit ihr gut werde.
Alpin war inzwischen eine Strecke weit in tiefen Gedanken mit seiner Heerde hinausgezogen;
plötzlich hielt er, sagte dem Rinderbuben, er solle nur zufahren,
Was mußte er sehen! Arthur saß neben Sigunen, den Arm um ihren Nacken und sah mit glänzenden
Augen zu, wie sie einen blinkenden Gegenstand in der Hand wiegte. Es war eine Halsschnur, wie
er sie noch nie gesehen; ein zartes Geflechte von gewundenen Erzfäden wechselte mit Kugeln fein
gegliederter und verzierter Gestalt von demselben Metall und von Stelle zu Stelle mit
ebensolchen Formen aus durchsichtigem Bernstein. Entzückt betrachtete sie den wunderneuen
Schmuck und ließ seinen Glanz in der Morgensonne spielen. Und was dem Armen noch einen rechten
Stich in's Herz geben mußte: daneben auf dem Tisch lag unbeachtet das Werk seines Fleißes,
seines Schweißes, die Halskette aus Bergkrystall. Zugleich bemerkte er, daß der Geber des
Geschenks einen ähnlichen Schmuck selbst trug; zwar einfacher: ein Erzgeflechte ohne Zuthat,
doch vornehm und prächtig schimmernd auf der bräunlichen Haut des schlank geschwungenen Halses.
Es war allgemeine Sitte der Männer, einen Halsring zu tragen, aber um den Hals Alpin's zog sich
nur ein Reif aus geschlungenen gelben Wollfäden: ein Schmuck, der ihm jetzt gar trocken und
ärmlich vor
Alpin blieb unbemerkt; er wollte sich still zurückziehen, aber sein Ryno war ihm gefolgt, er
schnüffelte an der Thüre, ihn hörte und witterte Tyras, der ge
„Auf Wiedersehen!“ sagte Alpin, freilich in einem dumpfen Tone, der nichts Gutes versprach,
wandte sich und gieng hinweg. Er schritt der Brücke zu, erst jenseits derselben fiel ihm sein
Ryno wieder ein, er that einen schrillen Pfiff, nach kurzer Zeit erschien das treue Thier,
keuchend, pudelnaß, ganz erschöpft, wollte am wiedergefundenen Herrn hinaufspringen und mußte,
elend zugerichtet, am Nacken blutend, von dem Versuche abstehen. „Armes Thier!“ er sagte das
mit wenig fester Stimme und es war ihm, als käme ihm die Nässe aus dem zottigen Fell in die
Augen. Langsam zog er mit dem matten Begleiter hinaus seiner Heerde zu; als er sie erreicht
hatte, war sein Erstes, eine Kuh zu melken und die Wunde des Thieres mit warmer Milch zu
waschen, dann mit welkem Moos sein Fell zu trocknen; als dieß geschehen, legte er es wie ein
krankes Kind auf ein Rehfell und nun — dachte er an sich. An wen? An den armen, verlassenen,
verrathenen Alpin. Er schliech weg ins Dunkel eines Gehölzes, warf sich in's hohe Gras, wälzte
sich links und rechts, wie glühende Nadeln arbeitete es in ihm, ein Schweiß brach ihm aus, er
fuhr in Wuth empor, warf sich wieder zu Boden, betrachtete sich selbst, wie er so hingestreckt
lag, und zu neuer Qual tauchte jetzt plötzlich das Erinnern einer Wahrnehmung in
Der Hirtenbub weckte ihn, es mußte heute früher eingetrieben werden, denn Alpin durfte bei
der abendlichen Feier nicht fehlen. Der Hunger stellte sich ein, er machte sein einfaches
Hirtenmahl kurz ab und fuhr heim mit seiner Heerde, entschlossen, Arthur für's Erste zu
vermeiden, — und Sigunen? Er wollte sie nie wieder sehen, ja er dachte gar, dem Vater
nachzugeben, sei es, daß er Feuersteinschmied werde, sei es, daß er zu den Druiden oder Barden
nach Turik in die Lehre gehe; was dachte er Alles, und hinter dem Allem dachte wieder etwas
Anderes in ihm, eine dunkle Stimme, die er nicht recht verstand, nur daß ihm schien, sie sage,
aus all' den trotzigen Vorsätzen werde nichts werden. Er fand die Gemeinde in verworrener
Aufregung, das Dorf gliech einem Bienenschwarm; Alles lief durcheinander, der Plankenboden der
engen Gassen polterte von tausend Schritten derb auftretender Mannen. Kurz nach dem
unheimlichen Auftritt am frühen Morgen war die Neuigkeit von der wunderbaren Erfindung, deren
Erzeugnisse Arthur mitgebracht, wie ein Lauffeuer durch die Hütten gesprungen. Man kam, man
sah, man staunte an, man versuchte die Waffen an Fleisch und Holz, man war entzückt und man
schüttelte doch auch die Köpfe. Das Staunen nahm einen eigenthümlichen Charakter an, als Arthur
nun etwas vorzog, was er in Odgal's Hause noch nicht gezeigt hatte. Es war ein kleines
Stückchen Erz, flach, vier
Die ungewöhnliche Hitze dieses Sommers hatte einen Theil des Sees trocken gelegt. Ein
Pfahlbürger mit Namen Massikomur, der wie Andere öfters den Weg zu seinen Aeckern der Abkürzung
wegen über diesen Seegrund nahm, meinte einmal, als er in die
Es war eine willkommene Abspannung von den Anstrengungen des Staunens, des vergeblichen
Rathens, Sinnens, als man wieder zu Lagen gelangte, woraus Geläufiges, Wohlbekanntes an's
Tageslicht trat. Auf Getreidebau hatten schon die plumpen Kornquetscher gewiesen, und nun:
siehe da! ein Brodlaib, freilich nicht so gefällig rund, wie Sigune sie zu kneten wußte. Und
endlich: „Donnerwetter! komm' her, Gwalchmai!“ rief Massikomur seinem Nachbar zu, der soeben
auch den kürzeren Weg über den vertrockneten Seegrund zu seinem Acker gieng; „sieh' her!“
Gwalchmai eilt herbei
Griffith: „Aber die Barden kann unser Herr nicht leiden.“
Gwalchmai: „Ja freilich nicht, weil sie mehr
Griffith: „So verlangen wir's erst gerade recht. Wir wählen eine Deputation, die soll morgen gleich zu ihm: der Barde muß her!“
„Nehmt mich in die Deputation,“ ruft Karmor, „ich freue mich schon jetzt drauf, was der alte Hausdrach Urhixidur für Augen macht, wenn wir unsern Willen vortragen.“
„Ja, ja,“ lachte Gwalchmai, „die gelbe Bohnenstange möchte eben immer für eine Gwyllion gelten, und ihr Herr läßt es ihr so hingehen, läßt manchmal selbst so einen Wink fallen, als ob was dran wäre!“
Wir müssen hier einen Augenblick ungern die Redner unterbrechen. Der Leser wird nicht wissen, warum Gwalchmai nicht sagt, Urhixidur möchte für eine Druidin gelten, sondern für eine Gwyllion. Die Druiden leiteten sich, wie man aus unserer Geschichte des Weiteren ersehen wird, von Taliesin, als dem Gründer ihres Ordens, ab, den Druidinnen wollte man so hohe Abkunft, Erleuchtung von so hoher Lichtquelle nicht zugestehen und nicht absprechen; man gieng daher einen Mittelweg: sie sollten sich auf ihn zurückführen dürfen, aber auf ihn nur, als er noch Gwyon war, der eben aus dem Zaubertopf genippt hatte. So nannte man sie denn Gwyonkind, Gwyonchen, denn das bedeutet Gwyllion.
Wir kehren zu unserem Gespräch zurück.
„Als ob!“ versetzt Griffith.
„Ja, als ob,“ fährt Gwalchmai fort, „als ob wir nicht wüßten, daß sie im Examen durchgefallen ist!“
„Ja,“ erläutert jetzt Karmor, „und ich weiß, warum? Ich hab' mir's neulich in Turik sagen lassen: sie ist im Prophezeien schlecht bestanden, und da hat sie nun aber den alten Hafen und sagt, es sei der Weisheits- und Zauberhafen der Fee Coridwen, und sie habe ihn von ihr geerbt nebst dem Wirtel, denn sie sei ihre Ur-Ur-Ur-Urenkelin. Der Pfaff nickt dazu, als ob er's glaubte, sie hat ihn ganz in ihrer Gewalt, ja, ja, wir wollen Beide recht ärgern.“
Massikomur, bisher stummes Mitglied dieser Gesellschaft, nahm jetzt das Wort: „Müßt nicht so spotten, ihr Burger; wir müssen gesetzte Mannsleut sein; ihr könnt's im Großen doch nicht anders machen, als es ist, und im Kleinen werden die Druiden eben immer auch so ihre schwachen Seiten haben. Gegen diese mögt ihr euch, wenn's der Müh' werth ist, fest hinstellen, aber ohne Bosheit. Wählen wir also Boten, sie sollen ordentlich und ruhig vorbringen, was wir für eine vernünftige Forderung halten; es wird ja gehen.“
Auch Alpin fehlte nicht im Kreise, schon darum nicht, weil man in der Stube seines Vaters
tagte; die Fünde gaben auch ihm viel zu denken, die scharfen
„Ich meine,“ sagte er, „wir könnten bei der Gelegenheit auch einen Filea, natürlich auch
einen Meister, einen Pencerdd, bitten, daß er uns zum Fest ein recht schönes Lied dichte. Ich
kenne einen aus der edlen Sängerzunft der Barden, er heißt Guffrud Kullur, ist erfahren in
allen Weisen der Dichtkunst und Musik, er baut gar so schöne Lieder, die schönsten Reimgesetzel
und singt sie mit Cwlwm und Mwchwl, daß es eine Pracht ist!“ Seine Zuhörer wußten besser, als
unsere Leser, daß die zwei niedlichen Wörter musikalische Sätze und Weisen bedeuteten; Alpin
fuhr fort: „Die Mädel hier singen auch gar so ein schönes Lied von ihm; ihr müßt's schon gehört
haben.“ Es machte ihm kein Beschwer, zu wissen, daß die Zuhörer gleich auf Sigunen rathen
mußten, denn Keine sang so schön. Er war verschämt mit seiner Liebe und doch auch stolz darauf;
wir sind ja, wie sich der Leser erinnert, um einige Wochen zurückgegangen, es stand noch
harmloser zwischen den Beiden. Alpin hörte denn nicht ungern, daß Massikomur sagte: „Ja, Sigune
singt so etwas gar Schönes, hab's öfter gehört; ist das von dem
Die Männer faßten schnell die angemessene, ohrgerechte Melodie auf, sangen die letzten Verse kräftig mit, hielten bis zum letzten Vers die Schlußzeilen gedämpft, wie sich ziemte, ließen sie aber am Ende mit laut vorbrechendem Jubel erschallen, so daß die Tonwelle mächtig und prächtig über die Wasser des Sees hinaus in's Weite schwoll und im Wiederhall der nahen Berge verklang.
Massikomur, Ullin und Karmor wurden gewählt, zogen ihre besten Röcke an, verfügten sich zu dem Druiden und trugen ihm gesetzt und höflich ihr Sprüchlein vor.
Der Priester machte ein saures Gesicht, als er den Antrag vernommen. Wir wissen bereits, daß
er dem Winde, der von Turik wehte, nicht zu trauen gestimmt war, müssen uns aber die Sachen
jetzt etwas näher ansehen. Die Barden waren, wie der Leser sich erinnert, eigentlich eine Zunft
im Orden der Druiden. Man sollte meinen, diese hätten sich mit ihren Kollegen friedlich in die
Wissenschaften so getheilt, daß sie den
Nun war es aber eine schwierige Sache zunächst um die Theilung überhaupt in geistliche und
weltliche Wissenschaft. Die Druiden nämlich beschäftigten sich auch mit den weltlichen Zweigen
und behaupteten, sie seien deren so kundig wie die Barden; die Barden aber beschäftigten sich
auch mit dem Geistlichen, mit Fragen vom Ursprung und von der Regierung des Weltalls, und
behaupteten, das gehe sie so gut an wie die Druiden. Dieselben waren aber zudem in diesen und
jenen Dingen so rücksichtslose Forscher, daß den letzteren die Sache anfieng, nach allen Seiten
sehr bedenklich zu werden. Eben um jene Zeit hatte es ein großes Aergerniß gegeben. Es
verlautete, ein Barde habe auf dem Lehrstuhl Aeußerungen fallen lassen, welche sehr geeignet
seien, den Glauben an Selinur, ein anderer Aeußerungen, nicht minder geeignet, den Glauben an
Grippo zu erschüttern:
Daß dieser Stand der Dinge sich auch im Dorfe Robanus verspüren ließ, haben wir ja eben aus
den ziemlich unehrerbietigen Reden erkannt, deren Ergebniß die Deputation an den Druiden Angus
war, und es begreift sich nun nicht nur ganz, warum er den Boten ein saures Gesicht machte,
sondern zugleich auch, warum er nicht genug Sicherheit in sich fühlte, der unwillkommenen
Zumuthung zu widerstehen. Er besann sich kurz und sagte dann: „Nun ja, meinetwegen!“ Wir werden
sogleich noch einen bestimmteren, einzelnen Grund erfahren, der ihm die Einwilligung erschweren
mußte. Die Deputation zog ab, dieselben Männer bekamen den Auftrag, sich zur Einladung der
Barden nach Turik zu begeben, die berühmten Meister gaben
Wir haben zurückschreiten müssen, um das Kopfschütteln zu erklären, womit jene frommen Alten
dem Druiden diese Nachricht mittheilten; wir begeben uns wieder auf die Zeitstelle, von der aus
wir diesen kurzen Abstecher angetreten haben. Angus hat den Ankömmling aufgefordert, heute
Abend nicht beim Betuchungsfeste zu fehlen, womit die dreitägige Feier beginnt. In wenig
rosiger Stimmung finden wir ihn beschäftigt, mit Hülfe Urhixidur's seinen Ornat anzulegen. Er
hat ihr die verdrießliche Neuigkeit nicht vorenthalten. „Mich dauern nur die schönen Verse, die
jetzt in's Wasser fallen,“ sagt die Alte. Er hatte ihr noch etwas vertraut, früher, ehe von der
Berufung der Barden die Rede war. In der gehobenen Stimmung, womit er dem Fest entgegensah,
hatte sich eine lyrische Ader, die einst in den Tagen seiner Jugend öfters sich verspüren ließ,
merkwürdigerweise wieder geregt, Vers um Vers war ein prächtiger neuer Festhymnus aus seinem
Geist hervorgequollen, so oft einer fertig, hat er ihn der getreuen Schaffnerin vorgetragen und
sie hat jedesmal eine sehr günstige Kritik abgegeben; wie wohlwollend hat er ihr noch vor wenig
Tagen dafür die welke Wange getätschelt und gesagt: „Bist eben mein gutes altes Durli!“ Und nun war
Sein Anzug war vollendet und während Urhixidur im Nebenraum hinter der hängenden Matte ihr
Festkleid anlegte, gieng er mit großen Schritten auf und nieder. Es wollte ihm scheinen, der
Boden schwanke unter seinen Füßen. Freilich war derselbe immer etwas wacklig gewesen, aber
heute kam er ihm wackliger vor als sonst. Eines stand ihm als Ergebniß
Urhixidur war ebenfalls fertig, seine Begleitung stand draußen bereit und er schritt hervor,
nicht ohne beim Austritt feierlich zu husten. Alle Kinder der Gemeinde, die das vierzehnte
Lebensjahr erreicht hatten, standen, zu zwei und zwei geordnet, in ihren Festkleidern bereit;
über bunt gewürfelten Röcken trugen sie kurze weiße Mäntelchen um die Schultern. Zunächst ihnen
sehen wir die Personen aufgestellt, die von Amtswegen auf diesem Gang nicht fehlen dürfen; die
übrige Gemeinde befindet sich schon am Lande drüben auf dem heiligen Platz und harrt auf die
Ankunft der Festschaar. Der Zug setzt sich in Bewegung. Voran schreitet der Weibel, das ist der
Amtsdiener des Druiden, zugleich der Opferdiener. Er trägt senkrecht einen langen Stab von
Buchenholz, worauf fremdartige Zeichen eingeschnitten sind. Darauf folgen zwei Bittel, das
heißt Amtsdiener des Gemeinderaths, zugleich Polizeimänner. Einer derselben ist außerdem
Ehegoumer. Was ein Ehegoumer sei, weiß man in jenen Gegenden noch heutzutage sehr wohl, die
ehrwürdige Sitte, das ernste Gemeindeamt hat sich bis heute erhalten; es ist ein Mann, der ein
wachsames Auge auf sämmtliche Ehen der Gemeinde hat, nachspürt, wo Uneinigkeit in einem Hause
aufkommt, den schuldigen Theil erkundet, warnt, ermahnt, zurechtweist, und wenn er durchaus
Der Zug hat inzwischen die Brücke überschritten und ist am Festplatze angekommen. Wir haben
uns diese Stelle mit ihren geheimnißvollen Steinmalen schon betrachtet, als Arthur daran
vorüberschritt. Hinter ihr dehnt sich ein Eichenhain aus, vor ihr ein freier Platz. Die rohe
Steintafel, die auf ebenso rohen Stützen ruhte, haben wir als einen Altar angesehen und darin
nicht geirrt; sein Name ist Dolmen (Steintisch). Vor ihm pflanzt der Bittel, wie der Zug
angekommen, den Stab mit den eingeschnittenen Runen auf. Der Zug wendet sich inzwischen nach
rechts, bleibt vor dem Pfeiler mit dem Halbmondbilde stehen, der Priester verneigt sich tief
und beschreibt dieselbe Linie, die das Bild darstellt, mit dem Daumen auf seiner Brust, die
Kinder folgen seinem Beispiel. Der Zug geht weiter zum rückwärts stehenden massigen
Steinpfeiler. Ihn müssen wir jetzt näher in's Auge fassen als damals, wie wir mit Arthur
vorübergiengen: er steht schief, er neigt sich über, sein Fuß ruht in einem Felsblock, in
dessen Höhlung er wie in einen Sattel eingelassen ist. Der Zug steht wieder still, der Druide
winkt, alle männlichen Mitglieder, die drei Diener, die sechs Gemeindeältesten, die zwei
Was will, was soll dieses räthselhafteste unter den Malen, was bedeuten die heiligen Bräuche,
die wir vor und an ihm vollziehen sahen? Niemand weiß es, Niemand selbst unter eben dem
Geschlechte, bei dem wir uns hier befinden, es müßte denn eine dunkle Sage Grund haben, die in
unserer und rings in mancher Dorfgemeinde umgieng: es leben in den größeren Niederlassungen,
den Wasserstädten, wo sich die Druiden- und Bardenschulen befanden, im Schooße dieser Zünfte
noch Männer, welche uralte Erinnerungen und mit ihnen den Schlüssel des Geheimnisses bewahren.
Der Name dieser Pfeiler war Menhir und der besagt nichts als: Steinsetzung, Steinmal. Am Ufer
bei Turik standen deren zwölf, einen Kreis um
Der Zug verweilt jetzt vor dem Pfeiler mit der unförmlichen Molchgestalt; der Druide
betrachtet dieß Gebilde mit Schauder, macht mit beiden Händen eine Geberde, die ein Abweisen,
eine Scheue ausdrückt, beschreibt hierauf mit dem Daumen eine Schlangenlinie auf der Brust,
verbeugt sich dann tief und auch diese Bewegungen werden von sämmtlichen Theilnehmern des Zuges
nachgeahmt. Hierauf schwenkt derselbe linksum in der Richtung des Dolmen ab, auf ihn stellt
Urhixidur feierlich ihren großen Topf, sein Inhalt muß hochbedeutend sein, wenn er an diesem
Orte ruhen darf; ihr gegenüber setzt der Greis, der im Zuge neben ihr gieng, seinen Napf auf
das andere Ende des Steintischs, zieht das Holzhalfter aus dem Gürtel und nimmt daraus einige
dünne, kurze, spitze weiße Beinchen, die er pünktlich nebeneinander auflegt. Beide bleiben
neben dem Altare stehen, die Kinder stellen sich ihm gegenüber in einem Halbkreis auf und
inmitten des freien Raums ernst und feierlich der
Der Druide räuspert sich und hustet, gemessen, feierlich. Die Gemeinde folgt seinem Beispiel, ebenso die Kinder, mit Nachdruck die Knaben, schwächer und unzulänglicher die Mädchen. Der Druide intonirt einen Gesang, ein kurzes geistliches Lied, dessen Text wir nicht hersetzen, weil er in poetischer Kürze nur enthält, was wir jetzt aus Fragen und Antworten ausführlicher entnehmen werden.
Mit freundlich väterlichem Tone beginnt nun der Priester: „Ihr sollt heute zeigen, liebe Kinder, ob ihr im Glauben fest seid und wohl vorbereitet, aus dem Kindesalter überzutreten in das Alter des Jünglings und der Jungfrau, auf daß ihr nicht erlieget den Versuchungen der Jugend, den Gefahren der Welt, sondern wandelt als ehrsame Glieder dieser frommen Heidengemeinde, bis ihr einst das Irdische segnet und aufgenommen werdet in das Paradies, das da ist im lichten blauen Zelt über den Sternen.“
Es beginnen nun die Fragen, deren wichtigsten Theil wir mit den Antworten ihrer Reihe nach hersetzen.
1. Warum wohnen wir auf den Seen?
Weil es Selinur befohlen hat.
2. Woher weißt Du das?
Es stehet geschrieben.
3. Wo stehet es geschrieben?
Auf dem heiligen Buchstab.
Wobei das Kind zu dem oben erwähnten Stab aufschaut und hindeutet.
4. Hat Selinur uns geoffenbart, warum sie es befohlen hat?
Ja.
5. Hat sie es befohlen aus weltlichen Gründen?
So meinen die thörichten Weltmenschen.
6. Was meinen denn die thörichten Weltmenschen?
Sie meinen, wir wohnen auf den Seen, um Schutz zu haben vor wilden Thieren und vor Feinden.
7. Warum ist dieses thöricht?
Weil unsere Seen im Winter zufrieren, so daß uns böse Thiere und Menschen leicht erreichen könnten, wenn wir sie nicht anders abwehrten.
8. Was ist der wahre Grund, aus welchem Selinur es befohlen?
Zum Heil unseres Leibes und unserer Seele.
9. Wer ist denn Selinur?
Die große Mutter aller Dinge, die da wohnet im
10. Was that sie, als sie den Menschen gesponnen?
Sie blies ihm den lebendigen Odem durch die Nase.
11. Was that der Mensch hierauf?
Er nos.
Richtig, liebes Heidenkind, aber man sagt nicht: er nos, sondern: er nieste.
Der Knabe, ein allerliebster Lockenkopf, wurde feuerroth. Der Druide streichelte ihm freundlich die Wange. In diesem Augenblick mußte der Junge selbst niesen. Ein wohlwollendes Nicken und Lächeln gieng durch die Gemeinde. Der Druide fragt weiter, den nächsten Knaben.
12. Was bedeutete es aber, daß der Mensch niesen mußte?
Es bedeutete, daß er solle leben und sich bewegen und eine Seele haben und aber auch unterworfen sein dem schlimmen Reize, denselbigen aber ausstoßen und sich läutern, auf daß er werde rein, klar und gut.
13. Wer hat Solches bemerket und zum Uebel gewendet und will den Menschen damit verderben?
Der böse Grippo.
14. Wer ist Grippo?
Der Geist der Finsterniß, der große Molch, der da erzeuget ist im Urschlamm, der Drache aus dem Pfuhl, der furchtbare Entzünder.
Das Kind blickt mit Schauer nach der Molchgestalt auf dem hohen Blocke links vom Dolmen.
15. Sollen wir ein so finsteres Wesen hassen und verachten?
Scheuen sollen wir es und begütigen durch Opfer.
16. Was für Opfer?
Lämmer, Böcke, Stiere.
17. Sind nicht in schweren Fällen noch andere Opfer nöthig?
Ja.
18. Was für?
Menschenopfer.
19. Wozu sind Menschenopfer außerdem noch gut?
Wahrzusagen aus den Zuckungen des Sterbenden.
20. Aus welchem besonderen Grunde sollen wir Grippo scheuen und ihm opfern?
Weil der große Grippo auch ist der Gott des Kriegs und dem Volke, dem er gnädig, aus dem
Hirnreize des Pfnüssels entzündet die Aergawydd, das heißt die Schlachtwuth, den Feind aber
schläget mit
21. Was aber ist dieß für ein Uebel, sofern es nicht also dienet, sondern uns verderbet?
Es beginnet in der Nase und im Hals und will nicht heilen und gehet hinab in den Magen und in alle Gedärme und wird Stockschnupfen, bleibende Verschleimung, jahrelanger Husten, sei es einfacher oder Keuchhusten, Glutgift, das da dringet durch alle innere Haut und Fleisch, Blut, Mark und Knochen, und tödtet öfters schmachvoll den Menschen im Wust, der da gleichet dem Urschlamm, woraus Grippo erzeuget ist.
22. Welchen Schaden nimmt dadurch die Seele des Menschen?
Sie wird zuerst dumpf und stumpf, hierauf erzeuget sich, wenn die Augen brennen und die Ohren blauroth werden, Erbitterung, Zorn, Grimm, Wuth, steigen auf arge Gedanken, Haß, Bosheit, Mord, Raub und alle Laster, kurz die Sünde.
23. Können wir uns davor schirmen und retten durch uns selbst?
Ach, nein!
24. Warum nicht?
Weil vor dem Feuerqualm des Gottes sich nicht gehütet hat Urnar der erste Mensch und hat ver
25. Wer allein kann uns helfen?
Die große Göttin, welche liebet die Menschen, die Weltmutter Selinur.
26. Was hat die große Gottheit gethan zu unserem Heile?
Sie hat sich unser erbarmet und uns geoffenbaret, wir sollen wohnen auf den Seen, als da geschrieben stehet Buchstab Zeile 2.
27. Kann uns die große Mutter ganz bewahren vor dem Uebel?
Nein, es ist zu spät. Aber sie kann das Uebel selbst zum Guten wenden.
28. Sage mir dieses nun deutlicher.
Wir sollen wohnen auf den Seen, weil allda der feuchte Nebel über dem Wasser den Pfnüssel zu regelmäßigen Fristen hervorbringt und aber der Mondschein, der da ausgehet von der Göttin Selinur und im Nebel dämmert und wallet, ebendenselbigen Pfnüssel gesetzmäßig ausbrütet, auskocht, ausheilet.
29. Welches sind diese Fristen?
Vier im Jahre: Anfang März, Anfang Juni, Anfang September, Anfang Dezember.
30. In welchem Zeitpunkte befinden wir uns jetzo?
31. Was ist die Frucht solcher Auskochung und Ausschüttlung?
Leib und Seele wird geläutert und der Geist wird offen, Selinur zu erkennen, zu verehren und ihr zu dienen mit guten Werken und viel Gebet.
32. Wen würdiget Selinur besonders solcher ordentlicher Erkältung und folgender Läuterung?
Fromme Menschen.
33. Wodurch äußert sich der Beginn der jedesmaligen Läuterung?
Durch kräftiges, helles, gesundes und biederes Husten. Es läuft hier durch die versammelte Gemeinde eine geordnete Reihe solcher stoßenden Kehlvorgänge, wobei jene Männer, die wir schon unter dem Namen alte Huster aufgeführt haben, sich durch besonders feierliche Aktion auszeichnen.
34. Wer stehet der großen Göttin in diesem heilsamen Werke noch insbesondere bei?
Die heiligen Feen, ihre Dienerinnen, die schönen, die weißen.
35. Wo sind diese?
36. Hat der wilde Grippo auch Gehülfen?
Ja, die Korrig, das sind die bösen schwarzen Zwerge.
37. Wo wohnen solche?
In der Zugluft.
38. Welche Waffen führen sie?
Feine Binsen, Distelstacheln, Schneidgrasspitzen, Dorne, Brennnesseln, Büschel aus Raupenhaaren, Bärte der Gerstenähre, womit sie in der Nase kitzeln, im Schlunde kratzen und stechen und hinablangen tief in's Innere des Menschen, Fläschchen voll brennenden Giftes, das sie in die Blutadern spritzen, Bretter, die sie dem Menschen vor die Stirne nageln, daß er wird verstöret und seine Seele verfinstert und verblendet, daß sie nicht mehr kann unterscheiden recht und unrecht, gut und böse.
Der Druide hielt nun einige Minuten inne und man sah ihm an, daß es ein schwieriger Punkt sein müsse, zu dem er zaudere überzugehen; dann fragt er weiter:
39. Sind mehr als nur die zwei großen Götter?
Ja, es ist noch ein Gott.
40. Wie heißt er?
Der unbekannte Gott.
41. Was wissen wir von ihm?
Nichts.
42. Woher wissen wir, daß er ist?
Es steht auf dem heiligen Buchstab Zeile 7.
43. Wie sollen wir ihm dienen?
Wir sollen sagen am Schluß aller unserer Gebete: Sei auch du uns gnädig, unbekannter Gott! Nachdem dieß letztere Thema in solcher Kürze absolvirt war, wandte sich der Fragende, sichtbar erleichtert, zu einem andern, das ihm weniger peinlich zu sein schien.
44. Wie erlangen wir Gehör bei den Göttern?
Allein durch die Druiden, welche sind die Mittler zwischen der Gottheit und dem Menschen und welche zweierlei Gewalt haben: den Frommen die göttliche Gnade zu öffnen, den Gottlosen zu verschließen.
45. Wer hat den heiligen Orden der Druiden gestiftet?
Taliesin oder Strahlenstirn, der als Zwerg Gwyon genossen aus dem Wundertopfe der Fee Coridwen, von ihr verschluckt worden ist als Waizenkorn und aus ihr geboren als Grundbesitzer aller Gnadengaben des Geistes und solche verliehen hat dem heiligen Orden, den er gegründet.
Bei Erwähnung des Zwergs Gwyon zuckte etwas wie verhaltenes Lächeln in den Zügen des
antwortenden Kindes und die Gemeinde schien ähnlich gestimmt,
46. Was ist die größte Gottlosigkeit?
Zu leugnen, daß Selinur sei und ihre heiligen Feen, und zu leugnen, daß Grippo sei und seine schwarzen Zwerge, und nicht zu gehorchen dem Willen der Götter, der da spricht aus den Druiden.
47. So ein Mensch sich also verhärtet und verstocket, was soll ihm geschehen?
Die Antwort auf diese Frage war an ein Mädchen gekommen. Es fieng an:
Er soll werden gepfählet oder — Hier stockte es, zuckte zusammen und zitterte. Der Druide nahm es freundlich an der Hand und sagte: „Wart', liebes Kind, ich helfe dir, sprich nur zugleich mit mir.“ Gestützt und getragen von der Stimme des Priesters brachte nun das Kind mühsam die Worte hervor: oder gekreuzigt oder soll ihm mit Horndolch aufgeschlitzt werden die Brust oder der Bauch und wann der Druide hat geweissagt aus dem Zucken seiner Glieder oder Eingeweide, soll er verbrannt werden vor dem Bilde Grippo's.
48. Was wird aus ihm werden nach seinem Tode?
Er wird verdammt sein in Ewigkeit, sich zu wälzen im Pfuhle des Schlammes und der Flammen, darin
49. Was aber wird werden aus den Gläubigen und Frommen nach ihrem Tode?
Sie werden wohnen in Ewigkeit im blauen Gezelte Selinur's und tanzen und singen mit ihren Feen.
Es sei uns erlassen, den Fragen und Antworten weiter zu folgen; die fernere Reihe derselben
beschäftigt sich mit den Einzelheiten des Gottesdienstes, deren interessanterer Theil durch
unsere Erzählung dem Leser vor Augen geführt wird. Es waren siebenzig Kinder und ebensoviele
Fragen. Den Schluß machte ein Gebet, das der Druide vorsprach und die Kinder nachsprachen.
Hierauf tritt der Druide an den Dolmen und spricht: „Ihr sollt nun, geliebte Kinder, das
Zeichen empfangen, daß ihr jetzo gewürdigt seid, einzutreten in die Heilsordnung der großen
Mutter Selinur, reif und mündig, zu wandeln durch die Pforten, die sie gesetzet hat und die da
führen zur Läuterung des Leibes und der Seele.“ Die Kinder, ihm folgend, stellen sich am Dolmen
auf. Jetzt nimmt Urhixidur feierlich den Deckel von ihrem Topf und reicht dem Priester ein
viereckiges Stück feinen Linnens, blau mit weißen Tupfen; in der einen Ecke ist mit gelbem
Zwirn das Halbmondzeichen der Selinur eingestickt: eine mühsame
Jedes beschenkte Kind war, die vorige Ordnung einhaltend, auf seine alte Stelle zurückgetreten, der Halbkreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor und redete die Kinder an: „Und jetzo empfanget mit Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!“
Die Kinder wurden unruhig, mehreren sah man Spannung und Angst an, sie wurden dafür von den
andern geneckt, die Miene des gestrengen Priesters selbst zeigte eine gewisse Erheiterung, es
zuckte in seinen Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch die Schaar der Dirnen, zog
ein anwachsendes Kichern. Der erste Knabe schritt stolz entschlossen zum andern Ende des
Dolmen, wo der bärtige Alte stand, und bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits
eines seiner spitzen Beinstäbchen in den Napf getaucht, die Spitze erschien nun blau, er faßte
den Arm des
Arthur hatte dem zweiten Theile der Handlung keine Aufmerksamkeit zugewendet, dem ersten aber
von Anfang an mit gehaltenem Ernste, zugleich mit einem Ausdruck von Trauer zugesehen und bei
den Fragen und Antworten finster den Kopf geschüttelt. Wir haben längst gesagt, daß er das
Alles kennt; er kennt es und doch ist es ihm bei diesem Anblick wieder neu geworden und drückt
ihm sichtbar die Seele nieder. Zu spotten über Dinge, die Andern heilig scheinen, war nicht
seine Art. Einen gewissen Blick, den ihm der Druide zusandte an jenen Stellen der Fragen, wo
von schweren Fällen, verstockten Leugnern und Menschenopfer die Rede war, hatte er in seiner
Unbefangenheit gar nicht bemerkt. Nun aber kam ein Moment, wo er sich des Lächelns nicht ganz
erwehren konnte. Als die singenden Kinder gleichzeitig und anhaltend alle den Mund weit
öffneten, fiel ihm auf, daß er in lauter blauschwarze Höhlen sah. Es war die Heidelbeerenzeit,
die Kinder sämmtlich hatten sich's Vormittags im Walde schmecken lassen, und Nachmittags die
Eltern wohl daran gedacht, sie hübsch herauszuputzen, aber nicht daran, daß sich die Kleinen
den Mund ausspülen sollten. Das Kosmetische war eben in dieser Richtung sehr wenig ausgebildet.
Die Erscheinung fiel auch keinem Menschen außer Arthur auf: um so
Jetzt kam mit einem Trupp Kamerädinnen Sigune vorüber, ohne Alpin gewahr zu werden; sie
holten Arthur ein, Sigune nahm ihn an der Hand und
Ein Verwundeter war im Walde gefunden worden, ohnmächtig, man trug ihn herein; als er zu sich
kam und die Sprache wieder fand, berichtete er in abgerissenen Lauten, ein Wisent habe ihn beim
Holzschlagen überrascht, angegriffen, mit einem Stoß in die Seite niedergeworfen, und nur dem
Umstand, daß ein zweites Wild derselben furchtbaren Gattung herbeigekommen und alsbald ein
Kampf zwischen beiden Stieren sich entsponnen habe, verdanke er seine Rettung; er wäre sicher
in die Luft geschleudert und dann zerstampft worden; er sei dann fortgekrochen, so weit er
konnte, bis ihn das Bewußtsein verlassen habe. Er hatte eine breite Wunde unter der linken
Brust, das Blut floß noch immer. Man brachte ihn zum Druiden.
Alpin kam spät Abends nach Hause. Als er Ruhe suchen wollte — mit wenig Hoffnung, sie zu
finden —, hörte er in geringer Entfernung einen Einbaum lösen, stand auf, sah hinaus und
erkannte Arthur aufwärts rudernd im See. Jetzt hörte er auch eine
Nach je zwei Zeilen wurde kurz pausirt und Alpin glaubte zu sehen, daß die weibliche Gestalt
über einem undeutlichen Gegenstand, der ausgestreckt im Kahne lag, mit der Rechten, worin sie
etwas hielt, das sich im Helldunkel nicht erkennen ließ, seltsame Handbewegungen machte, senk-
und wagrechte und kreisförmige Linien in der Luft zog. Was es für ein Körper war, der sich im
Einbaum befand und dem diese Ge
Er mußte wissen, was er that, als er in so gehäuften Brennstoff die Brandfackel dieser
Angeberworte warf, es war ihm gar wohl bekannt, was die Base bei dem Druiden galt, und er war
nicht so blind, das verborgene sehr Gefährliche in diesem Manne nicht wenigstens dunkel zu
ahnen. Aber er kam sich ganz zufrieden mit sich vor, sein Gemüth schien ihm ruhig wie der See,
dessen Spiegel kein Lüftchen bewegte. Es war nur in dem Einbaum so eine sonderbare Unruhe, er
wollte in keine regelmäßige Gangart kommen, er schwankte, und das Vordertheil fuhr manchmal so
eigenthümlich wie ein Ausruf in die Höhe. Das Wasser gluxte am Holze wie sonst eben auch, aber
es klang heute so seltsam; einmal meinte der Ruderer gar flüstern zu hören: „Alpin, das war
nicht recht!“ Dann kamen dumpfe Töne, die murmelten etwas wie:
Er dachte: dummes Zeug! und legte sich schlafen; er sagte sich, er habe nun endlich doch einen ruhigen Schlaf verdient. Kaum lag er auf dem Ohre, so fiel ihm siedend heiß ein: jetzt pflegt Arthur den Verwundeten sicherlich mit Hülfe Sigunens. Er warf sich auf das andere Ohr, da fragte plötzlich etwas in ihm: Alpin, was hättest du thun sollen? Entweder glaubst du, die Hexe könne mit Zauberspruch und Mistel besser heilen, dann durftest du ihr den Verwundeten nicht abjagen lassen; oder Arthur mit den Mitteln, die er anwenden wird, dann mußtest du ihm beistehen. Ueber das Entweder-Oder in den beiden Vordersätzen hatte er nun freilich noch niemals nachgedacht und er konnte sich betrösten: wenn man zweifelt, wenn man nicht weiß, was thun von Zweien, so thut man am besten nichts. Dennoch wollte der Trost nicht vorhalten und — auf einmal sprang er auf, und — etwas hast du ja doch gethan: Pfui! Pfui! und noch einmal Pfui! Er rief es laut, so laut, daß der Rinderknecht im Nebenraum aus seinem tiefen Schlaf emporfuhr und rief: „was gibt's?“ Doch legte sich der wieder zurück und schlief alsbald weiter, auch Alpin streckte sich wieder hin, verhielt sich still und blieb so liegen auf seinem Bärenfell, das nur jetzt kein Fell mehr war, sondern ein Ameisenhaufen.
Mit dem ersten Morgendämmern gieng er aus dem Hause. „Auch so früh schon auf?“ grüßte er den Bittel, dem er begegnete. — „Das trifft sich gut, Alpin, ich soll dich zum Druiden bestellen.“ Er sagte das nicht im Befehlton, sondern freundlich und mit einem gewissen Zwinkern der Augen. — „Später, später, hab' augenblicks nicht Zeit, der Schafhirt hat ein paar hustenkranke Hämmel, muß nach dem Vieh sehen.“ Die Ausrede war nicht so grob, als sie es heutzutage wäre, doch immerhin auffällig und der Bittel blieb verdutzt stehen. Alpin begab sich in seinen Heerdestadel; es schien ihm, sein Vieh begrüße ihn nicht so herzlich wie sonst, und seine Lieblingskuh, die Lisi, bog gar den Kopf zur Seite, als er zu ihr trat; er gab ihr einen Faustschlag und rief: „Willst auch du mich verachten?“ Das Thier, so rohe Behandlung nicht gewohnt, sah ihn mit den großen Augen traurig vorwurfsvoll an, als fragte es: wohin ist's mit dir gekommen?
Er trat heraus, bleich, unschlüssig, gieng wieder hinein, streichelte die Kuh, dann fuhr er
schnell wieder aus der Thüre. Es muß etwas geschehen! es muß durchgebrochen werden! rief es in
ihm, dunkel, aber stark. Mit straffen Schritten gieng er nach Odgal's Haus; er wußte, daß
Sigune früh aufstand. Da sitzt sie auch, das Herdfeuer ist schon angezündet, aber sie macht
sich nichts dabei zu thun; sie hält ein Ding in der Hand, auf das ihre Augen mit großer Spannung
Wir müssen sie hier einen Augenblick unterbrechen, um dem Leser ein Wort vom Freihof zu sagen. Wir befinden uns natürlich in Zeiten allgemeiner Gastfreundschaft, aber auf Pfahldörfern ist eben kein Ueberfluß an Raum und wenige Familien sind in der Lage, zu beherbergen. Die wohlhabenderen Gemeinden besitzen daher ein Haus zur Aufnahme von Fremden, die eine andere Unterkunft nicht finden können oder nicht wünschen. An Ausstattung, Bedienung ist begreiflich nicht zu denken, einige Pelze zum Lager sind Alles, für das Uebrige muß ein Gastfreund sorgen. Hotel können wir das also nicht wohl nennen; damals sagte man Freihof. In diesen seinen Wohnraum hat Arthur den Unglücklichen gebracht, dem im eigenen Hause die richtige Pflege gefehlt hätte.
Also — „drüben im Freihof,“ sagt Sigune. „Wir haben,“ fährt sie fort, „den Wunden gepflegt,
Arthur und ich; solltest sehen, wie der verbinden kann, und ein Glück, er hat auf seiner Reise,
die ihm selbst Anfall und Wunden bringen konnte, gute, kühlende Salben mitgebracht, aus der
Pflanze Selago und Verbena,
Er stockte — wie hätte der Pfahlhirte für das, was ihm in dunkler Ahnung aufdämmerte, die
Begriffe finden können und die Worte für die Begriffe! Wir Jetzigen freilich könnten ihm gut
nachhelfen, wir, denen so leicht ersichtlich ist, daß mit der Erfindung und Vervollkommnung des
Spiegels eine gründliche Veränderung in das Seelenleben, in alle Zustände der Menschheit
getreten ist. Verschärfung des Selbstbewußtseins, aber auch eitle Selbstbespieglung und eitle
Bespieglung in Anderen: wie sollte der arme Alpin diese Bezeichnungen aufbringen und wie all'
das Unabsehliche ermessen, das sich aus einer solchen Wendung im Bewußtseinsstande des Menschen
ergeben, entwickeln mußte! Ihm wurde schwindlig vor dem Bilde der künftigen Jahrhunderte, das
ihm dunkel vorschwebte und das er nicht erfassen konnte. Er fand noch das Wort: schillern — ihm
scheine, da schillere Alles. Weiter reichte es nicht. Und nun bedenke man noch dazu, daß er
nicht in der Lage war, mit freiem Ge
Alpin war es so leicht und frei zu Muth, als wären ihm Centnergewichte von der Brust
gefallen. Er that einen Jauchzer, als er zu Hause seine Steinaxt genau untersuchte, ob der
Stiel auch fest genug sitze, und unter zwei Dolchen den stärkeren und schärferen wählte. Aber
ein leiser Seufzer folgte dem Jubelruf. Sigune! — doch das war nicht das Schwerste; Zorn, Grimm
war zwar verflogen und die Seele hatte zum Sorgen und Bangen um sie wohl wieder Raum, aber das
mußte jetzt zurückstehen, denn jetzt galt es nur Eines: Mann gegen Mann; sie ist Weib,
Schicksal ist Schicksal, sie soll's tragen, wie es fallen mag. Aber, aber! da hieng noch ein
böses Gewicht; wie es abschneiden? Da saß noch ein böser Flecken; was auf der weiten Welt thun,
ihn abzuwaschen? Er war ja zum Druiden gerufen, nicht eigentlich befohlen, er konnte
wegbleiben, aber das wäre feig, sagte er sich; heut' wollte er gut machen als gerader Mann, was
er gestern Nacht schlecht gemacht als krummer Angeber, aber der Vorsatz, der Entschluß zur
That, zum Zweikampf, genügte ja nicht und die gethane That doch auch nicht, der Flecken der
Verdächtigung stand für sich da, kohlrabenschwarz, er wollte für sich
Er gieng zum Druiden, ausgerüstet, wie er war, mit seinen Waffen. Vor der Thüre hörte er
drinnen einzelne Hustlaute von verschiedenen Stimmen. Er trat ein. Urhixidur war — gottlob!
rief es in ihm — nicht da, sie lag in der Hinterstube tief in einen Berg von Wolfsfellen
versteckt, da sie, für ihre eigene Person doch mehr auf natürliche Mittel als auf Magie
vertrauend, eine Schwitzkur auf das nächtliche kalte Bad für gut befunden hatte. Dagegen
standen zu den Seiten des Druiden fünf ältere Männer; sie gehörten zu dem Schlage der „alten
Huster“. Der Druide hatte ein Gesicht, so hart und gespannt, als wäre es gefroren, man sah auf
den ersten Blick: das war ein Verhörgesicht! Der Schluß: ein Zeugenverhör, und die Huster haben
schon deponirt, ergab sich von selbst. „Es liegen,“ begann Angus, „gegen den Fremdling Arthur
mehrere sehr beschwerende Inzichten vor als gegen einen Religionsspötter, gegen einen
Götterleugner; von dir, Alpin, ist mir zu Ohren gekommen, du müssest als Zeuge gegenwärtig
gewesen sein, als er das eine oder andere giftböse Hohnwort über unsern heiligen Glauben und
ehrwürdige gottes
„Hochwürdiger Vater!“ sagte Alpin, „erlaube mir, zu schweigen. Mich drückt mein Gewissen, denn ich habe aus Haß gesprochen, was ich zu Urhixidur über den Mann gesagt; ich hasse ihn aber nicht, weil ich nachgedacht hätte über die göttlichen Dinge und mir zutraute, das zu verstehen, und überzeugt wäre, daß er darin ein Frevler ist, sondern ich hasse ihn, weil ich ihn hasse, und nicht der Strafe Anderer will ich ihn übergeben, sondern ich selbst will ihn strafen, will es versuchen, ob mir Grippo, der Herr und Gott des Krieges, vergönnt, ihn zu bezwingen und zu vertilgen.“
„Warum hassest du ihn? Ich will es wissen!“
Alpin stockte. Doch da in einer Gemeinde, die so eng zusammenwohnt, eine Bewerbung um die
Liebe eines Mädchens, die so beharrlich war wie die seinige, ohnedieß kein Geheimniß geblieben
sein konnte, so ver
Die Sprache lieh ihm auch hier kein Wort, der Satz blieb unvollendet. Auch seine Zuhörer hätten ihn nicht zu ergänzen vermocht mit Worten; woher sollten er und sie Bezeichnungen schöpfen wie: Ueberbildung, von der Natur abweichende Kultur, Raffinirtheit, Frivolität und dergleichen? aber sehr leicht und gern ergänzten sie ihn mit erahnenden Vorstellungen, mit helldunklen Schlüssen, die, von der Prämisse: Erzwaffen ausgehend, durch eine Kette von unbestimmt vorschwebenden Mittelgliedern rasch bei der Folgerung: Gottlosigkeit anlangten. So war denn Alpin's Wort ganz Wasser auf ihre Mühle, ja mehr Wasser, als er eigentlich wollte, da gerade dieß ein Punkt war, den er seinerseits, obwohl gestern noch Angeber, lieber dahingestellt sein ließ; wir werden ihn in dieser letzteren Richtung noch näher kennen lernen.
„Was hast du eigentlich vor?“
„Zweikampf; der Fremdling ist einverstanden.“
Die umstehenden Zeugen riefen: „Es sei so! Verhindert es nicht, ehrwürdiger Vater! Es sei Gottesurtheil! Gottesurtheil auch über die Waffen: ob besser das gute Alte, Stein und Horn, oder der tückisch schimmernde neue Stoff!“
Angus wiegte bedenklich das Haupt hin und her; es mochten einige Zweifel sehr realen, physikalischen Inhalts durch dieses Haupt gehen. Er verschwieg sie und faßte die Frage von einer andern Seite: „Gottesurtheil,“ sprach er, „muß öffentlich und feierlich sein; Alpin muß anklagen vor der versammelten Gemeinde auf Götterleugnung, Kampfrichter müssen aufgestellt sein und ich muß vorsitzen.“
„Die Anklage erheb' ich nicht,“ fiel Alpin rasch ein.
Es war noch eine andere Schwierigkeit: Arthur hatte in der kurzen Zeit doch manche Gemüther gewonnen; daß es in der Gemeinde das gab, was wir eine Linke nennen, haben wir aus den Verhandlungen ersehen, aus denen die Berufung der Barden von Turik hervorgieng. Es war zu befürchten, daß die Einleitung eines Gottesurtheils auf so schwere Anklage großen Widerspruch fände. Derselbe Grund aber mußte dem Druiden starke Zweifel erwecken, ob er einen Prozeß mit der einfachen Folge der Verurtheilung Arthur's als Ketzers auch durchzuführen vermöge, ohne seine Autorität und Beliebtheit bei der Gemeinde zu untergraben.
„Kein Gesetz hindert,“ sagte jetzt Morbihan, einer der fünf Zeugen, „daß Zweikampf auch geheim stattfinden könne und doch sein Ausgang als Gottesurtheil gelte; unser altes Gesetz ist für den öffentlichen, keines besteht gegen den geheimen.“ Die Bemerkung wurde beifällig aufgenommen und unterstützt.
Nach einer Pause sagte, leicht zum Ja bekehrt, der Druide: „Es sei! Biete deine Waffen!“
Alpin hielt Axt und Dolch hin, ungern allerdings, denn, was er vorhatte, das meinte er doch eigentlich nicht in dem Sinn, in welchem seine Waffen nun eingesegnet werden sollten. Der Priester beschrieb das Schlangenzeichen Grippo's in die Luft und sprach halbsingend in hohldumpfem Beschwörerton:
„Und nun zeuch hin, mein Sohn, und schlag' und stoß' zu in Gottes Namen!“ schloß der Priester.
Alpin trat seinen Gang an. Er war schon einige Schritte entfernt, als ihm Angus nachrief, er
solle erst
„Er ertobte des Muotes,“ heißt es im Nibelungenliede, da Rüdiger von Bechlarn nach schwerem
innerem Kampfe und herzerschütternden Wechselreden das Schwert zückt, gegen seine Freunde, die
Nibelungen, zu streiten. Der letzte Auftritt hatte Alpin's Seele wieder beschwert; er war eben
doch unheimlich gewesen, und es wollte sich nun etwas in ihm regen, was wider den Kampf sprach,
aber er nahm sich straff zusammen, spannte seine ganze Seele auf den Gedanken der Entscheidung,
die nun einmal dieser Schwüle ein Ende machen müsse, der Kampfgeist fuhr in ihm auf, er
beschleunigte seine Schritte, und dieß um so mehr, da er befürchtete, er habe über die Zeit
gezögert und dieß könnte ihm falsch ausgelegt werden. Er war eingetreten in den dunklen
Fichtenwald; er hörte von fern ein Geräusch wie ein Prasseln, Wischen, Streifen, kurze Rufe
einer Menschenstimme dazwischen, der Wald gab diese Töne mit dem eigenthümlich verklingenden
Nachhall wieder, als riefe Baum dem Baum eine Kunde zu, die so fortlaufe bis in unbekannte Fernen.
Wir wenden uns in der Zeit um ein Weniges zurück. Arthur hatte sich beeilt, den verabredeten Kampfplatz zu erreichen. Er steht in Gedanken verloren, den Gegner erwartend; auch in ihm spricht etwas gegen den Kampf und gegen dieses Etwas wieder die Ehre und der Zorn. So in sich versunken hört er nicht, daß nahe im niedern Holze sich etwas erhebt und gegen ihn herbewegt, bis ein dumpfes Brüllen ihm die furchtbare Gefahr verräth. Es war der Wisent, der gestern den Bürger des Pfahldorfs verwundet hatte; Arthur trug — unvorsichtigerweise, denn er konnte vermuthen, daß das schreckliche Thier noch um den Weg sei — sein rothes Brusttuch offen.
Der wilde Stier, den unsere Ahnen Wisent nannten, dessen amerikanischer Vetter Bison dem
Leser wohl bekannt sein wird und der nur an Einem Ort in Europa durch Hut und Hegung sich noch
erhalten hat, im Walde von Bialowicza in Littauen: der Wisent ist zwar weit nicht so groß, wie
der längst ausgestorbene, damals schon äußerst seltene Stammvater unseres Rinds, der Ur, der
Auerochs, von dem er
Jetzt hört man ein Bellen, kurze, kläffende Laute, wie die Hunde sie hören lassen, wenn sie
einer Spur nachjagen. Schnell dringt es näher und mit einem Sprunge, heulend vor Freude, wirft
sich Tyras auf seinen Herrn und leckt ihm die Hände, die blutende Stirne. Kurz darnach rauscht
es wieder durch das Gehölz und aus den Büschen taucht Sigunens hohe Gestalt hervor, ihre Haare
fliegen, ihre Gewänder sausen noch von der Heftigkeit athemloser Bewegung, ihre schönen Arme
sind von scharfen Fichtenzweigen,
Er erwachte, das Antlitz an ihrem weißen, warmen Busen, von ihren braunen Locken überschattet, benetzt von ihren reichlichen Thränen.
„Bist du es?“ fragt er.
„Ich bin's,“ antwortet Sigune.
„Ja, hast du mich denn lieb?“
Jetzt verfiel sie in ein tiefes, lautes Schluchzen und als sie die Sprache wieder fand, da brach es hervor: „Vergieb! vergieb! gequält, gepeinigt, gefoltert hab' ich dich im wilden Muthwill, in der grundbösen Schelmenlaune — Liebe war's — Liebe gegen sich selbst verkehrt — dein will ich sein — mein sollst du sein — beisammen, beisammen, treu bis in den Tod!“
Und sie wußte noch nicht, daß er Arthur gerettet. Alpin wußte es auch nicht mehr, das
Geschehene war ihm rein entschwunden, er kannte nur die Gegenwart und preßte wie in seligem
Traume, auch er nun in einen Strom von Thränen ergossen, das schöne, reuige Weib an seine
Brust. Mit sanfter Hand schob Sigune jetzt sein Haupt beiseite, sie erröthete, sie besann sich
auf sich, verhüllte ihren keuschen Busen und schaute sich nach Arthur um. Ihn hatte nicht eine
schöne Menschenerscheinung, nur das treue Thier aus seiner
„Kannst du mir verzeihen?“ sagte Alpin.
„Du hast's ja,“ erwiderte Arthur, „mannhaft wieder gut gemacht, vor dem Druiden und dann im
Walde. Bist bös gewesen, ja wohl, aber ich kenne die Eifersucht; hab's auch einmal durchgemacht
und noch anders als du, hätte fast einen Mord auf meine Seele geladen.“ Ein Schatten lief über
seine Züge; er fuhr fort: „Ich hab' in heißer Zeit erster Jugend ein bildschön Mädchen geliebt
aus frommem Hause, meine Seele war wie ein Sturm, die Jungfrau schwur mir Lieb' und Treue und
am Tag darauf find' ich sie in den Armen eines jungen Druiden, der eben von der Schule kam und
jüngst geweiht war, ein hübsch, glatt Bürschchen mit gescheitelten Locken, fast einer Fee im
Mondschein gleich. Und wie ich den Scheinheiligen einsam finde am Ufer des Sees, pack' ich ihn
an der Brust und halt' ihm seine Sünde vor.
„Und a schwarzbrauner Jager mit'm Gamsbart auf'm Hut,“ sagte halbsingend Alpin und deutete auf den Schmuck an Arthur's Mütze.
„Gefällt mir schon recht,“ scherzte Sigune, „aber du steckst jetzt einen Büschel von Wisentbart auf die deine.“
„Komm', Base,“ sagte Arthur, „gieb mir die Hand!“ er ergriff dazu Alpin's Rechte, legte ihnen
die Hände zusammen und darüber seine eigene Rechte. Die Blicke des braven Paares weilten ruhig
und still ineinander, kein Wort und kein Kuß wurde gewechselt. „Ich kann's jetzt schon sagen.“
fuhr Arthur fort; „es hätte meinen Vater gefreut, wenn ich das Bäschen heim
Die Höhle war tief und weit und enthielt Nebenhöhlen in sich, die aussahen, als hätte
Menschenhand nachgeholfen, sie zu Wohnungsstätten herzustellen. Einzelne Thierknochen und
Scherben lagen umher; es gieng eine alte Sage, dort hätten einst Menschen ge
Arm um Hüfte, Arm um Schulter geschlungen, giengen Alpin und Sigune heimwärts durch den
Fichtenwald bis an die Lichtung des Eichenhains. Jetzt erfuhr Alpin, wie die Dinge gekommen.
Die Herausforderung war aus Blick und dunklem Wort leicht zu erschließen, Ort und Zeit blieben
ihr verborgen. Was litt sie nun! Wie zerwühlte die Reue, die Liebe, die Todesangst, die
Höllenqual des Schuldgefühls ihre Seele! Jetzt, jetzt fand sie Worte, und doch weit, weit nicht
genug Worte für die Ewigkeit dieser fürchterlichen Stunde. Sie rennt im Dorf um, sie fragt Alt
und Jung, ob Niemand Alpin und
Alpin, als er im Dorf ankam, wünschte sich Glück, daß aller Welt Aufmerksamkeit von den zwei
berühmten Fremden hingenommen war. Der Druide, in dessen Haus ein Festmahl für die Ankömmlinge
bereitet wurde, hatte keine Zeit, Alpin ausführlich zu verhören; es war also glücklicherweise
nicht nöthig, die bereit gehaltene Nothlüge lang anzuspinnen. Urhixidur, die natürlich schnell
erfragt hatte, was im Werke gewesen,
Wir werden morgen einem größeren Schmause zusehen, als dem, welcher heute die zwei Barden mit
den Gemeindeältesten im Hause des Druiden vereinigt, der es — mit wenig Lust — ehrenhalber hat
übernehmen müssen, sie zu bewirthen; wir wollen uns
Nachdem Stille geboten war, erfolgte nun durch Angus die feierliche Vorstellung der Barden
bei der Gemeinde und an den Seanacha Feridun Kallar die Einladung, seinen Vortrag zu beginnen.
Er schlug den Vortritt aus. „Nicht ich,“ sprach der freundliche Mann, „der Sänger sei gebeten,
voranzugehen! Es ist
Hier griff der Sänger gewaltig in die Saiten denen er bis dahin am Schlusse der Strophen nur leise, zitternde Akkorde entlockt hatte; eine stürmische Tonflut brauste durch die stille Nacht und durch die erschütterten Seelen der Zuhörer, die noch tiefer schwiegen, als der kaum bewegte Spiegel des Sees im Strahle des Mondes. Der Barde ließ die mächtigen Laute noch fortrollen, während er die nächste Zeile sang, dann gieng er wieder in die zart gegriffenen Töne über, denen er Pausen ließ, um noch hörbar unter dem gleich sanften Plätschern der Wellen im Röhricht und dem leisen Rauschen des nahen Haines zu verschweben und zu verhauchen:
Es folgte eine lange Pause allgemeiner Stille, nachdem die letzten Töne der Harfe fernhin verzittert waren. Dann begann ein Flüstern und man hörte aus demselben da und dort ein tief aus der Brust geholtes: „O!“, das nicht nach Schmerzlaut klang oder, wenn nach einem solchen, dann war es der Seufzer, der sich der Brust entringt, wenn sie in ihren Tiefen von Sehnsucht und Ahnung erregt ist. Dagegen auf einer Seite des Halbkreises begannen andere Töne hörbar zu werden, Laute von jener Gattung, die man ein Munkeln nennt. Diese Töne mehrten sich, wuchsen, man bemerkte dann eine Bewegung unter den Leuten, man sah, wie sie, auf den Druiden weisend, einander anstießen, hierauf sammelten sich Einige um ihn und das Ergebniß war, daß er die Rednerbühne bestieg.
Der Hymnus war eigentlich der Gemeinde zur Entscheidung darüber vorgelegt, ob er ihr gefalle
und sie ihn am Feste gern singen möge. Daß der Druide sie als ihr Sprecher vertrat, war nur
natürlich, dagegen immerhin etwas vom Zaun gebrochen, daß er nun die Stimmen der Bürger, die
ihn da umstanden,
„Hochgeachtete Gäste, insbesondere hochgeachteter Herr Bardensänger! Ich weiß, daß ich im
Sinne der ganzen Gemeinde spreche, wenn ich erkläre, daß sie in Eurem Festgedichte ein
Erzeugniß sowohl der religiösen Gefühlsbegeisterung, als auch der tiefen poetischen Stimmung
begrüßt, im Inhalt höchst bedeutend, in der Form fließend, korrekt, meisterhaft. Nur ganz
unmaßgeblich, weit entfernt von aller Absicht, diese Blüte der Dichterphantasie irgend
verkleinern zu wollen, möchte ich mir einige bescheidene kritische Bemerkungen erlauben. Dürfte
es nicht vielleicht denkbar sein, daß ein Festgesang als Hymnus mehr ausdrückliche
verherrlichende Anrede an die Gottheit, zugleich auch und eben im Zusammenhang damit mehr
eigentlichen religiösen Glaubensgehalt in sich schlöße? Nicht als Dichter darf ich mich für
befugt erachten, diese leisen Ausstellungen vorzubringen, ich rühme mich nicht, mit der Gabe
der Poesie gesegnet zu sein; jedennoch sind in diesen Tagen weihevoller vorfestlicher Stimmung
Augenblicke für mich gekommen, wo es mir war, als fühle ich ein Wehen von oben, vom Gestirn
Selinur, und wieder ein Wehen von den Wassern her, und vernehme eine Stimme, die
Barde Kullur sprang sogleich, als Angus herabgestiegen, auf die Bühne und betheuerte in ganz heiterem Tone, daß er gern bereit sei, ganz zurückzutreten, er sei durchdrungen von der Ueberzeugung, daß ein Druide besser wissen müsse, was in einem geistlichen Festliede zu sagen sei, als ein Laie, ein Barde; auch glaube er im Sinne der ganzen achtbaren Versammlung zu handeln, wenn er ihn ergebenst und dringlich bitte, das Erzeugniß seiner Inspiration nicht länger den gespannt Harrenden vorzuenthalten, sondern unverweilt vorzutragen.
Jetzt stieg wieder der Druide empor und versicherte, das lasse einestheils seine
Bescheidenheit nicht zu, daß er mit seinem schlichten Werke sich so unmittelbar neben den
berühmten Dichter dränge, und anderntheils bedürfe es zum Vortrag noch einiger
Niemand widersprach und so blieb denn dieser Genuß vorbehalten. Angus stellte jetzt den älteren der zwei Ehrengäste, Feridun Kallar, den Versammelten vor und bat ihn, die Kanzel zu besteigen.
Ernst und doch freundlich ließ der Mann, wie er nun oben stand, die Augen auf der harrenden
Gemeinde verweilen, ein mildes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, die hohe, von krausen
grauen Locken umgebene Stirne verkündigte einen Mann des Sinnens und Forschens, die etwas
gelbliche Gesichtsfarbe störte
Er begann: „Hochwürdiger Herr Druide! Hochachtbare Gemeindeältesten, achtbare und ehrsame
Mannen! Pfahlbürger! Pfahlkerle! Pfahlekarlier! (Bravo!) Ihr habt mir die Ehre erwiesen, mich
zu einem Vortrag über die merkwürdigen Fünde einzuladen, die euer Seegrund zu Tage gefördert
hat. Glücklicherweise bin ich nun in der Lage, euch melden zu können, daß an unserem See, nur
ein paar Stunden von Turik entfernt, gerade dieselbe Entdeckung gemacht worden ist; nämlich an
der Stelle, wo jetzt die ehrenwerthe Gemeinde Milun auf ihren Pfählen wohnt, legte die große
Dürre einen Theil des Grundes trocken, man sah uralte schwarze Stümpfe hervorragen, Kinder
fanden Scherben von Töpfen, brachten sie nach Hause, die Alten wurden aufmerksam auf die rohe
Form, die arme und ungeschickte Art der Verzierung — es waren, wie ihr es hier gefunden, bloße
Reihen von Eindrücken mit Fingernägeln während man jetzt doch einige feinere Linien, ein
Zickzackornament einritzt oder aufmalt —, ebenso auf den zerbrechlichen Thon, der nicht mit
feinem Staub aus hartem Gestein verdichtet war, wie man es jetzt thut: man grub weiter, fand in
Milun wie in Robanus Knochen von unbekannten ungeheuren
„Nun aber, hochwürdige, hochachtbare und achtbare Zuhörer, ist das eigentlich kein so gar
besonderer, sondern ein ganz einfacher Fall und hättet ihr keines auswärtigen Gelehrten
bedurft, ihn euch zu erklären, wenn sonst nichts dabei wäre. Ich kann euch weiter nichts Neues
sagen, als daß wir in Turik durch unsere vergleichenden Knochenmessungen herausgebracht haben,
die Hausthiere: Rind, Ziege, Schwein, Hund, müssen
„Nun aber hier kommt der Punkt. Die Sache ist eben nicht wichtig, aber das ist wichtig, was sie zu denken gibt, und hievon zu reden ist nun freilich der Mühe werth und will ich's versuchen, so gut ich kann.
„Auf der Höhe der Bildung, habe ich gesagt. Ja, wir glauben, darauf zu stehen, ihr glaubt's auch, nicht wahr? So recht auf der Spitze, dem Giebel, Gipfel, Wipfel der Bildung, und lächelt über die Geschlechter, deren arme Ueberbleibsel wir nun zu Gesicht bekommen haben?
„Seid versichert: genau dasselbe glaubten jene Geschlechter auch und sie standen auch auf dem Gipfel, denn die Höhe, worauf sie standen, war für sie Gipfel. (Stimmen: ‚Oho!')
„Ihr stutzt. Jetzt wartet, jetzt wollen wir einmal vorwärts schauen! Vor kurzer Zeit haben
wir unsere Webstühle ungleich kunstreicher als früher gebildet, wir weben die schönen
gemusterten Stoffe. Feiner schleifen wir den Flinsstein für unsere Aexte, Speer- und
Pfeilspitzen. Noch viel Wichtigeres hat sich ereignet. Wir haben durch Austausch und Verkehr
mit den Seen der Nachbarstämme vor Kurzem den neuen Stoff, das
„Man lacht; aber ich bitte: möchtet ihr nicht die Güte haben, darüber nachzudenken, welche
Umständlichkeiten euch dadurch erspart werden? Stier, Ochs, Kuh, Kalb dahertreiben, um so und
so viel Getraide, gegerbte Häute, Waffen dafür zu bekommen; geht's nicht kürzer und leichter
mit Stückchen Erz, deren Einer leicht ein paar Hundert im Rucksack trägt? (Stimmen: ‚Thür und
Thor für Betrug! Werden leicht nachmachen sein!‘) Ei, habt ihr nicht gesehen, daß man den
Stückchen sehr künstliche Stempel gibt, die nicht leicht Jemand nachmacht? Und noch dient zu
wissen: die fremden Männer haben geheimnißvoll herumgeflüstert, daß sie noch ganz andere
Wunderdinge bald bringen werden: Tauschstücke aus einem weiß und aus einem hochgelb glänzenden
Körper, der aus den Tiefen der Erde gegraben wird, aber so selten, daß ein Stückchen davon, in
Form gebracht, wirklich ganz wohl so viel Werth hat, als ein Hammel, eine Kuh, die man dagegen
Er winkte seinem Freunde Kullur und dieser ließ ihm einen bereit gehaltenen Korb reichen.
„Was meint ihr, daß das sei?“ rief er, indem er einen Gegenstand herauszog und emporhielt,
dessen Gestalt den Zuhörern ein reines Räthsel war. Er trat an die nächste Eiche, stemmte ein
Brettchen, das er aus dem Korbe nahm, gegen ihren Stamm, fieng an zu bohren, griff dann einen
Nagel und eisernen Hammer heraus, nagelte
Er stockte und seine Augen starrten aufgerissen, glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er schien sich durch einen Spaß aus der Wirrniß vorschwebender und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen. „Zeit,“ fuhr er fort, „Zeit — Zeit — o, das wird ein Geschlecht sein, da wird man meinen, noch Zeit herausbekommen zu müssen, wenn man von Robanus nach Turik fährt! — Ueberhaupt: Zeit! — Was ist Zeit? (Stimme: ‚Zeit ist eben Zeit!‘) — Nein! mir scheint: Zeit ist eigentlich — doch halt, daran kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch erst, versetzt euch in die unglaublich schnellen, handund gedankenschnellen Menschen, die es dann geben wird, an all' die kunstreichen Sachen, die sie hervorbringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie müssen wir denen vorkommen, wenn unsere Städte und Dörfer einmal drunten im Seeschlamm liegen und sie ausgraben, was von unsern Sachen noch erhalten sein wird, und sinnen und grübeln und ungefähr herausbringen, wie es bei uns ausgesehen haben mag?“
Er schwieg. Es wurde eine lange Stille. Die Zuhörer sahen etwas verblüfft vor sich nieder.
„Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu schämen! Die Leute, die uns
herausscharren: wir, unsere Geister werden sie nicht allzu gelb und grün beneiden! Ueberklug
werden sie sein, diese späten Enkel, hastig,
„Und jetzt laßt mich auf die Zeit zurückkommen und noch einmal fragen: was ist die Zeit? Die
Zeit geht weiter. Sie läuft immer, immer fort. Wir haben das Wort Zeit erfunden dafür, daß
Alles immer wechselt. Wenn Alles immer wechselt, ist sich im Wechseln Alles gleich. Ist also
eigentlich nur Eines, das immer wechselt. (Gähnen. Eine Stimme: ‚Er wird langweilig.‘ Eine
andere: ‚Sehr unverständlich.‘) Ja, ja! habt Recht! Es ist mir eigentlich ebenfalls langweilig.
(Er gähnt). Die Zeit ist eben langweilig. Darum sollte man in der Zeit aus der Zeit hinaus! Ich
will mich verbessern. Es findet da etwas Eigenes statt, was mir natürlich eben auch sehr
unverständlich ist. Denkt euch einen Zapfen, woran eine Schnur mit einem Steingewicht hängt.
Treibt die Schnur, daß sie auf und ab schwingt, endlich in ganzem Kreise. Denkt euch nun, sie
brauche nicht getrieben zu werden, sondern schwinge von selbst immer fort. Das ist die
„Was folgt? Nun, es ist ja schon gesagt! Die feinsten unter den Körnchen im Gestein des
kreisenden Felsblocks, im Gewichte, das am Zapfen schwebt, die zartesten Kügelchen in der
Blutwelle, die das Weltherz treibt, die vorzüglichsten unter den Lebwesen, sie, die eine Seele
haben und ihrer selbst inne werden, sollte denn nicht ihr Sinn dahin gehen, daß sie sich
versenken in das, was zeitlos ist und sich selbst gleich und
„Laßt mich auch ein Wörtlein vom Glück reden. Glück, denk' ich, ist nur, wenn man also feststeht und auf diese Weise hell und gescheut wird. Es ist ja nur aus Blindheit und Gleichgewichtsmangel und Lossprung vom Mittelpunkt, daß die Menschen Thoren werden und wilde Narren, und lügen, betrügen, stehlen, ehebrechen, rauben und morden, im Rausch, im Taumel leben, nach Glück haschen und das Elend erhaschen.
„Gute, brave Stein-, Bein-, Horn- und Holzgemüther! Wackere Seeseelen! Nehmt mir nicht übel, ihr solltet ein bischen weniger steinern, beinern, holzig und hornig sein! Der See macht noch nicht selig! Ihr solltet ein bischen mehr bohren, ich meine mit dem Bohrer, der da hoben ist. (Er deutete mit dem Bohrer, den er immer noch in der Hand hielt, nach der Stirn.) Ihr wollt zu wenig harte Brettchen bohren!
„Ich bitt' euch, wozu ist man denn eigentlich? Wozu braucht es denn eigentlich die Seinerei,
die Existirerei? Als, damit Wesen seien, welche das Wesen wissen? Das Wesen wissen heißt dann
auch das Rechte
„Und jetzt laßt mich ein Wörtlein sagen vom häßlichen Knirps Gwyon und von der Fee Coridwen.“
(Gelächter. Man hört Summen von mehreren Stimmen: — Gwyon, dieser kleine Tropf — dieses Zwergelein — Häsulein — Hündin schnell — im Nu ein Fisch — Otterthier — Finkenfalk — Waizenkorn — wird eine Henn', Coridwen, Coridwen —.)
„Weiß schon, daß ihr's gern singt, ihr Kindsköpfe! Ein Kindermärchen ist euch die heilige
Ueberlieferung geworden, was sie will, habt ihr rein vergessen und
„Wer ist denn der kleine Tropf, der häßliche Knirps Gwyon? Der Erdenmensch ist er. Was hat er
verschmeckt, als er aus dem Zaubertopf naschte? Den Geist, denn im Topf war ein Brei aus
Kräutern, die da geben das Schauen, das Durchschauen. Was ist das für eine Jagd und Hatz, die
dann angeht, da ihn Coridwen verfolgt im Hasen als Hündin, im Fisch als Otter, im Finken als
Falk, im Waizenkorn als Henne? Nun, was wird's besagen? Den Geist kriegt man nicht umsonst, der
läßt sich nicht nur so schlecken, da muß man gejagt, geängstet, gebeutelt, getrillt, geworfelt
werden, da muß man sich durch alle Formen durchwürgen, hat sich ja vor der ersten Geburt schon
durchwürgen müssen als Has, Fisch und Fink, da muß man die Todesangst der Kreatur nicht
viermal, nein viermillionenmal schmecken, da muß man endlich gar verschluckt werden und, wie
das Samenkorn abstirbt im Erdschoß, um Aehre zu werden, absterben dem ersten, frischen,
lustigen, bunten Leben, um aufzustehen als Taliesin, als Strahlenstirn, als Geistmensch und so
im Leben das zweite Leben zu leben. Wer wird denn die Fee Coridwen eigentlich
Er konnte nicht enden. Der Druide war schon an jener Stelle sehr unruhig geworden, wo der Roth
Er nahm sich zusammen, setzte sich in Rednerpositur und stellte das linke Bein vorwärts, daß
der Fuß in der Oeffnung hervorsah, die für Kullur's Harfe in der Brüstung gelassen war. Auf dem
Schuh war ein Druidenfuß so zierlich, als man es mit Fischgräte oder beinerner Nadel vermag,
aus den weißen Kielfasern von Gänseflugfedern eingestickt, eine Kunstleistung Urhixidur's. Die
Bauern sahen mit ehrfurchtvoller
Er hatte stärker und stärker auf das Gesimsbrett zu trommeln und zu schlegeln angefangen,
dann versucht, auf der Bühne sich heftig hin- und herzubewegen;
Die zwei Barden waren die Ersten, die herbeieilten, ihn aufzuheben, rasch drang ihnen die Gemeinde nach, schnell umdrängte den unglücklichen Redner ein dichter Knäuel von Menschen, die sichtbar nicht von Einem Gefühle getrieben waren, in dem Wirrwarr von Tönen konnte man Stimmen des Mitleids, frommes Seufzen, rauhes Murren und Fluchen und nur halb unterdrücktes Lachen wohl unterscheiden, die Aufregung wuchs und es sah ganz darnach aus, als müsse es hier zu einem wilden Handgemenge kommen; da erscholl plötzlich eine helle, starke Stimme von oben, von unbekannter Höhe herab:
„Hört, hört! Hört mich! Mich hört!“
Alles schaute empor. Auf dem Wagsteine steht eine dunkle Gestalt. Jetzt erscheint noch ein Wesen neben ihr, man hört das Bellen einer mächtigen Hundsstimme. ‚Schweig, Tyras!‘ ruft es jetzt wieder aus Menschenkehle, in diesem Augenblicke tritt der Mond aus den verfinsternden Wolken und man erkennt Arthur.
Wie er den Wagstein erklommen, wer konnte es wissen, denn noch kein Mensch hatte es versucht, der Stein war hochheilig, aber wäre er es auch nicht gewesen, der hängende, doch steile Felsblock hätte als unersteiglich erscheinen müssen. Wie dem Frevler die große, schwere Dogge folgen konnte, das ließ sich nur durch die bekannte Stemmkraft der Fußmuskeln, die im starken Ansprung diesem Hundeschlag sogar ein Klettern möglich macht, zur Noth erklären. Zerfurcht und bleich von der tiefen Erregung des Augenblicks und der letzten Erlebnisse erschienen Arthur's Züge noch bleicher im blassen Lichte des Mondes. Wie ein Geist stand er da oben, aber schön, hochgewachsen, schlank, mit großen, weit offenen, leuchtenden Augen. Schauer fesselte die Herzen, Niemand wagte den Mann anzutasten, dessen Fuß doch so empörend die geweihte Stelle entheiligte. Stumm blickte Alles nach ihm hinauf, tiefe Stille trat ein. Nun hebt er wieder an: „Zerreißt mich, zerhackt mich, siedet oder bratet mich lebendig, aber sprechen muß ich, hören müßt ihr mich, hören!“
Er stockte, er schien schwer den Anfang zu finden und fuhr dann fort, zuerst im verlegenen, schüchternen, naiven Tone eines Neulings im Ordnen der Gedanken und im öffentlich Reden, doch allmälig erwarmend, die Worte wie in einem Strom rollend, den Ton zum Donner anschwellend.
„Das kann schon sein, das ist schon möglich, daß die Sachen da herum um uns, Licht, Luft, Erde, Bäume, Thiere und Menschen ein Weib geschaffen hat. Es sieht schon darnach aus, denn da ist schön und häßlich, gut und grausam, sanft und wild, ordentlich und wieder so unordentlich durcheinander, wie in Weibes Leben und Weibes Seele, die launisch ist und sich nicht gleich bleiben kann. Aber nachher ist ein Manngott drüber gekommen und hat's zu ordnen angefangen. Nur etwas verspätet hat er sich, weil Männer langsamer sind, und so hat er nicht mehr ganz fertig werden, hat's nichts mehr ganz richten können. Ein Manngott, ein herrlicher, ein strahlender. Wo ist er? Hauset er in der Sonne, von deren Majestät euer blasser Mondsdienst nichts weiß, nichts wissen will? Mannheit und Macht ist er, er brauset im Sturm, er ist der große Athem der Welt, auf der Donnerwolke fährt er daher. Das ist der unbekannte Gott, den eure Priester nennen und von dem sie doch nichts hören wollen!“
Ein Gewitter zog inzwischen am nächtlichen Himmel auf, schwarze Wolkenberge thürmten sich im
Westen. Man hörte eben bei den letzten Worten das erste ferne Grollen des wirklichen Donners.
Die Männer erbleichten, der Redner erschien ihnen verschworen mit der geheimnißvollen
Naturmacht und die Scheue, die sich ihrer bemächtigte, schützte ihn vor den Leidenschaften,
„Aber nein, nein! Nicht dunkle, dumpfe Macht ist er, er ist hell, offen, ganz offen. Licht
ist er, er scheinet durch Alles und in Alles, da ist Alles durchsichtig. Er hat vielleicht auch
gar kein Haus, die Sonne ist nur sein Glanz- und Prachtbild. Er ist vielleicht, obwohl
Mannesart in all' seinem Thun, doch eigentlich auch kein Mann, denn er ist überall. Er ist
Einer und auch Keiner, er ist Einer und auch Drei. Drei Dinge ist er: das Sein, der Tod und der
Geist. Er zeuget Alles, wandelt Alles und steigt auf aus Allem. Darum ist er ein Feuergeist,
denn er brütet aus, verzehret und leuchtet. Die Menschen suchen seinen Namen und verwirren
sich. Es sind Männer an unsere Seen gekommen von drüben her, vom weiten Lande gegen Untergang
der Sonne, sie haben sich Gaels oder Gadhelen genannt, die haben berichtet vom Glauben ihres
Volkes, da werde als oberster aller Götter verehrt Esus, der Schauerliche, dessen Odem zu
vernehmen im stillen, geheimnißvollen Walde, der aber webe und wehe durch das ganze Weltall und
dessen heiliges Zeichen der Kreis sei, weil er aus sich lauft und in sich zurück und keinen
Anfang hat, noch Ende. Aber dieser Gott ist ein dunkler Gott und ein Abgrund. Und es sind
andere Männer gekommen noch weiter her von einem breiten Eiland im
Jetzt begann und wuchs ein Murren unter den Zuhörern, aber nur heftiger schalt er fort:
„Der milde Barde hat's euch sanft und leis gesagt, laut und scharf will ich es euch sagen! Da habt
„Es ist genug!“ rief jetzt der Druide, der von seinem Falle keinen Schaden genommen, vom
Schrecken sich schnell erholt und mit großer Spannung zugehört hatte; „es ist genug! Herab mit
dem Lästerer!“ Das Murren in der Gemeinde hatte sich etwas gelegt, als Arthur von der nicht zu
leugnenden Unregelmäßigkeit, von der ganz rhythmuslosen Häufigkeit des katarrhalischen Uebels
und von der Heimsuchung mit Frostbeulen sprach. Die Wahrheit seiner Worte war zu schlagend, als
daß sie nicht ein gewisses Insichgehen der Gemüther bewirkt hätte. Nun aber, da der Eiferer mit
seinen unzulänglichen Sprachmitteln Anstalt machte, die sittliche Welt in ihrer Strenge aus der
Vermengung mit dem physischen Uebel zu scheiden, als er zur unbequemen Zumuthung der
Selbsterkenntniß und inneren
„Bogen gerichtet, Pfeil auf, legt an!“ befahl der Priester. Im Nu lagen jetzt mit wenigen Ausnahmen die Männer der Gemeinde im Anschlag, alle nach dem verwegenen Jüngling zielend. Sein Hund verstand, brach in ein wüthendes Bellen aus, er mußte ihn am Halsband halten, gebot ihm Stille und schrie dann mit Donnerstimme:
„Halt, halt, halt sag' ich! noch Eines müßt ihr hören!“
Die Männer sahen fragend den Druiden an, der sich wie ein Kriegsbefehlshaber an ihre Front gestellt hatte. „Absetzen!“ kommandirte er. Es konnte nichts schaden, wenn der Verbrecher durch Weiterreden seine Schuld noch vergrößerte.
„Wißt ihr denn auch, was die drei Hauptstücke des wahren Frommseins sind? Die Gemeinde mehr
lieben als sich, die vielen Gemeinden mehr als die eigene, und alle Gemeinden des Volks, das
Eine Sprache spricht, so lieben, daß man Gut und Blut für sie
Die guten Leute hörten das Wort wirklich zum ersten Mal. Dem Druiden war es in seiner Studienzeit nicht unbekannt geblieben, aber er hatte sich wohl gehütet, solchen weltlichen Gegenstand jemals in seinem Glaubensunterricht und seiner Seelsorge vorzubringen. Die Männer stutzten und für Arthur war dadurch eine Pause zum Weiterreden gesichert.
„Nun, ich will's euch sagen. Die fremden Männer, die uns über's Gebirg her die neuen Waffen
und Geräthe gebracht, darunter ist mir der Ein' und Andere gut Freund geworden, weil ich gern
von ihnen hörte und lernte und auch von ihrer Sprache mir Einiges merkte, so daß ich über mehr
als nur den Kram mit ihnen verkehren konnte. Die haben mir vertraut, daß das Volk, von dem sie
kommen, ein gar mächtiges und reisiges Volk sei und ringsum weithin schon alle Völker bekriegt
und in seine Botmäßigkeit gebracht habe, und daß es, trunken von seinen Siegen, weiter und
weiter seine Hand strecken und nun gar über die Alpen herübergreifen und unser Land, das unsere
Väter uns vererbt, bekriegen und bewältigen wolle vom großen Gebirg hinwärts bis zum Podamursee
und weiter, viel
Das Gewitter hatte inzwischen den Himmel mit Nacht bedeckt, wilde Blitze zuckten aus den übersatten Wolken, mit greller Helle wechselte rabenschwarzes Dunkel; soeben erscholl aus unsichtbarem Munde die mächtige, klangvolle Bruststimme des jugendlichen Redners, jetzt fuhr wieder ein Blitz über ihn hin, wie er stolz und hoch sich streckend das gezückte Schwert in der Rechten emporhielt, und wunderbar glühte die schlanke, ragende, wachsende Gestalt aus dem Schooße der Finsterniß heraus, daß sie von innerem Feuer zu lodern schien.
Den Druiden erschütterte nicht dieß große, geisterhafte Bild, die Rede vom Vaterland war es,
die ihn mehr empörte, als alles Andere, so daß er jetzt beschloß, den Augenblick für gekommen
zu erklären. Mit durchdringender Stimme rief er: „Vaterland? Wißt ihr, wo es ist? Im
Himmelszelt bei Selinur und ihren Feen! Er leugnet das himmlische Vaterland wie die Götter! Die
himmlische Seligkeit dem Schützen, der ihn herunterschießt! Halt, nein, noch höhere Wonne im
Himmelssaal dem, der ihn lebendig fängt! Her
Wie aber sollte man den Uebelthäter lebendig fangen? Woher die Zeit nehmen, Aeste zu einer
Leiter zu fügen? denn am Wagstein hinaufzuturnen, getraute sich Niemand. Ein Theil der Schützen
beschloß so zu zielen, daß er nur verwundet herabfiele. Als der nächste der schnell sich
folgenden Blitze ihnen ihre lebendige Scheibe und dem Bedrohten seine Gegner wieder zeigte, sah
Arthur auf's Neue die ganze Männerschaar im Anschlag. Es war schon ein Bild, das Furcht
einflößen konnte. Gegen dreihundert große Bogen, die Sehnen gezogen bis zum Halse der Schützen,
die Pfeile aufgelegt: zwar nur rohe Feuersteinspitzen, aber Arthur wußte gar wohl, welche
Wunden sie reißen — diese Waffen haarscharf auf ihn, den Einen, gerichtet: gar Manchem wäre
wohl zu Muth geworden wie dem Verbrecher vor der Hinrichtung. „Das Schwert her!“ rief der
Druide, ihm nach die nächsten Schützen; der Ruf pflanzte sich wie ein Lauffeuer schnell durch
die Reihen fort; obwohl so überlegen und so aus der
„Fürchtet ihr mein Schwert, ihr Tröpfe? Ich fürchte keinen von euch, auch ohne Schwert! Ringt
mit mir! Hier bin ich!“ Mit diesem Rufe schleudert der Ueberkühne sein Schwert hinab und
springt in einem weiten Satz ihm nach mitten unter die Männer hinein, mit ihm sein starker
Hund, der wilde Tyras. Augenblicklich entsteht ein fürchterliches Raufen, Schreien, Fluchen,
dazwischen das Geknurr und Gebell des wüthend um sich beißenden Thiers, man schlägt, man zerrt,
man sticht mit Horndolchen zu, deren Stöße glücklicherweise fehlen oder am ehernen Gürtelschild
des schwer gefährdeten Jünglings abgleiten, mit überlegener Kraft hat er Mehrere zu Boden
geschleudert, aber lange kann der ungleiche Kampf nicht dauern; schon taumelt Arthur, da ist es
dem Druiden gelungen, durch den rasenden Knäuel sich durchzuarbeiten und seine Stimme hörbar zu
machen: „Die Hände, die Fäuste weg! Mir gehört er, mir, mich laßt sorgen! Die Bittel und
Wächter her!“ Es gelang ihm, den schon so gut als Verlorenen zu befreien, um ihn — aufzusparen.
„Fesselt ihn mit Stricken!“ Vergeblich sträubte sich der tollkühne Ringer noch mit seinen
letzten Kräften. „Fort in's Verließ!“ Er wurde abgeführt.
Das Schloß des Gefängnisses war ein schwerer Holzriegel, der durch einen kunstreichen Knoten aus dem stärksten Seile so befestigt wurde, daß er als unlösbar gelten konnte. Nur durch Hiebe eines scharfen Steinbeils hätte ein Unkundiger ihn entfernen können; dagegen war durch die Wächter gesorgt, denen die strengste Hut eingeschärft wurde. Die karge Kost wurde durch eine enge Dachöffnung hinabgelassen; der Bittel, der hiezu den Auftrag hatte, war auf strenge Wachsamkeit besonders beeidigt.
Wo aber war denn Alpin? Er hatte sich während Kallar's Rede, das eintretende Dunkel
benützend, hinweggeschlichen, hatte einen Korb voll Speise und Trank aufgenommen, den ihm
Sigune an einem verabredeten Platz im Haine bereit gestellt, und war der Höhle zugegangen, den
einsamen Freund besser zu laben, als ein Stück Brod, das er morgens beim Abschied ihm aus
seiner Tasche gereicht, und die Beeren des Waldes es vermochten. Als er nach ängstlichem Suchen
ihn nicht fand, befiel ihn zuerst die schreckliche Sorge, er möchte entdeckt, in den Wald
fortgeschleppt, ermordet sein, aber eine schlimme, dunkle und dennoch bestimmte Ahnung trieb
ihn zurück nach dem Festplatz; schon von Weitem hörte er Arthur's gewaltige Stimme von der Höhe
herschallen, stellte sich unbemerkt bei den
Das Gewitter hatte sich verzogen, die Menge vom Festplatze sich verlaufen, Alles war zur Ruhe
gegangen und der Mondschein lag still auf dem schimmernden See. In der kleinen Gemeinde — wie
viele und verschiedene heftige Bewegungen wühlten bei stiller Nacht in den Gemüthern der
Schlaflosen und der träumenden Schläfer! Arthur war übel gebettet in seinem „Ungemach“ (wie das
Nibelungenlied den Kerker
Der Morgen des feierlichen Tages brach an. Auf den Vormittag war der erste Theil des Festes,
das Pieisschießen, angesetzt. Alpin durfte um so weniger fehlen, da auf ihn als den großen
Jagdhelden des vorigen Tages Aller Augen warteten. Ihm zu Ehren, zum Ruhme der Gemeinde, die
einen solchen Jäger hervorgebracht, und zum Sporn für Alle, ihm nachzustreben, hatte der
kunstfertige Bürger Bappabuk dießmal eine Festscheibe von ungewöhnlicher Pracht hergestellt.
Auf eine große Fläche, die mühsam genug aus einigen rauh gehauenen Holztafeln gefügt war, hatte
er das Bild eines Wisent gemalt. Das Braun des Fells war freilich dunkler gerathen, als die
Naturwahrheit erlaubte; er hatte einfach ein Schwarz ver
Vom nahen Haine ließ während der Schießbe
Das Schießen wurde sonst mit einem starken Frühstück und Trunk beschlossen, wobei das Volk der Pfahlmänner mit schönen Trinksprüchen in gemüthlichem Selbstlob nicht Geringes zu leisten pflegte. Dießmal begnügte man sich mit einem kürzeren Frühtrunk, denn man wollte die Kraft der Kiefer und den Vorrath von Rednergeist auf den abendlichen Festschmaus sparen, der den Gästen zu Ehren noch viel großartiger als sonst ausfallen sollte. Man verfügte sich also, nachdem das große Trinkhorn einige Male gekreist hatte und den besten Schützen Hoch ausgebracht war, solid nach Hause und ließ sich zum Mittagimbiß gefallen, was die einzelne Küche vermochte. Was vereinigte Kräfte und ausgebildete Technik der Kochkunst zu leisten im Stande waren, das gedenken wir pflichtschuldig in's Licht zu setzen, wenn wir dieser bedeutenderen Entfaltung zusehen werden.
Die ersten Nachmittagsstunden brachten — nichts; sie blieben leer. Ein Theil der Mannen legte
sich auf's Ohr und schnarchte, ein Theil und besonders die ledigen Bursche liebten es, wie
heute noch unsere Bauern und das italienische Volk, am Sonntag Nachmittag einfach den Häusern
entlang sich aufzupflanzen, zu gaffen und gar nichts zu denken. Es war reiner
Wo mochte wohl der Druide stecken in dieser schwülen, stillen Zeit nach Tages Mitte? Er war
an einem Orte, wo er nach herkömmlich heiligem Brauch in der Stunde vor einer Opferhandlung zu
verweilen pflegte, an einer Stätte der Schauer, die kein Fuß eines Ungeweihten je betreten
durfte. In der Mitte des Eichen
„Hochwürdiger Herr,“ flüsterte eine rabenartige Stimme. Der Priester trat aus dem Schatten
näher an den Graben. „Bist du's, Hixi,“ sagte er, „du darfst herein, Niemand sieht es jetzt.“
Er schob das Brett herüber, das seinem priesterlichen Fuß als Brücke des Einfassungsgrabens
diente, und führte die Alte an der Hand in's Dickicht. Sie erschrack vor einem Baumgerippe, das
wirklich Grauen einflößen konnte; es war eine fast abgestorbene Eiche, deren Aeste so wild
verkrümmt waren, daß sie wie im Wahnsinn umherzugreifen schienen, und an deren Stamm ein paar
Risse und Astlöcher sich so zusammenfanden, daß man eine scheußliche Fratze zu sehen glaubte.
Die Rinde war unten am Stamm kohlschwarz. „Das ist der Grippo,“ sagte gemüthlich der Druide,
„das Schwarze kommt von altem Opferblut; ist lang nicht gegossen worden.“ Aber kaum beruhigt
fuhr Hixi auf's Neue zusammen: „Dort, dort — ein Geist!“ rief sie. „Und das ist Selinur,“
schmunzelte der Druide, „sieh' dir's an!“ Es war eine Birke, die sich als Gast zwischen den
Eichen befand und deren weiße Rinde ein schwacher Lichtstreifen traf, der sich durch das dichte
Laubdach hereinstahl. „Nun sieh' auch dorthin,“ fügte er hinzu,
Sie flüsterten noch Einiges, was der Leser aus den folgenden Ereignissen so klar erkennen wird, daß es für jetzt Geheimniß bleiben mag. Die Unterredung durfte nicht lange dauern, der Priester brachte die getröstete Alte zurück, bei der Fratzeneiche vorübergehend sagte sie: „Sollst bald wieder einmal begossen werden.“ Angus half ihr über den Graben zurück und sie schliech auf Umwegen bis zur Dorfbrücke.
Endlich kam der Spätnachmittag und der Abend, auf den alle Welt sich freute. Wir geben vorerst in Kürze das Programm der Herrlichkeiten, die in Aussicht standen.
Vom Aufzug am vorletzten Abend unterscheidet sich der heutige dadurch, daß an der Spitze die Musik geht. Sie ist ungewöhnlich stark vertreten, wir haben bereits gemeldet, daß zu den Künstlern vom Fach noch manche Kräfte beigezogen waren, welche das Spiel der Töne sonst nur zum Zeitvertreib übten und welche man in der Schnelligkeit noch etwas gründlicher durchzubilden gestrebt hatte.
Voraus schritten die größeren Blaswerkzeuge. Da marschirt selbstbewußt der schon berührte
Gaisbub, der Virtuos auf dem langen Hirtenhorn. Es war zwar nicht Sitte, der Ziegenheerde den
Kuhreigen vorzublasen, aber der Bursche hatte sich so begierig gezeigt, dieß Instrument zu
lernen, und in Alpin's Unterricht so viel Eifer und Begabung entwickelt, daß man gern
Es folgen drei Pfeifer, doch nicht mit gleichen Werkzeugen: der eine bläst die kurze Querpfeife, die man Schwegel nannte; der zweite das Instrument, das bei den Griechen Syrinx, bei den Pfahlbewohnern Bündelpfeife hieß: Rohrpfeifen, nach der Tonleiter zu einer Gruppe geordnet; der dritte weiß einem ungleich entwickelteren, doch immer noch ursprunghaft unschuldigen Instrument eine Welt von etwas näslichen, doch innig rührenden Tönen zu entlocken: es ist der Dudelsack.
Die nächste Reihe bilden drei Krottler. Krott (der) hieß das Streichinstrument jener Völker:
eine Geige mit drei bis vier Saiten. Kräftig führten die heiteren Künstler ihre derben
Fidelbögen auf und nieder und ließen dem gezogenen Anstrich scharf gerupfte Risse folgen, die
so recht mächtig an das Ohr der erbauten Hörer schlugen. Nicht daß diese biedere
So folgten denn zwei Reihen, also sechs Mann Blättler. Ihre Kunst war es, die in schönem
Bunde dem Starken und Strengen das Weiche und Milde paarte, denn wirklich, sie wußten dem
zwischen den Lippen erzitternden Buchenblatt Tonwellen abzugewinnen, denen der Nerv des Gehörs
in der zartesten Schwingung nachzittern mußte. Diese Töne gliechen dem Summen und Surren
schwärmender Bienen, aber wie arm ist diese zufriedene Musik der emsigen Thierchen gegen die
melodischen Wechsel des lachenden Scherzes und sanften langen Weinens, wozu der seelische
Menschenathem die grüne Pflanzenfaser bewegte! Alpin, den wir als Meister aller Blättler schon
gerühmt haben, konnte sich dießmal der Mitwirkung nicht entziehen, er mußte vielmehr die
führende Stimme übernehmen; es war ihm leid und lieb; wer gewußt hätte, was in ihm vorgieng,
hätte sich leicht erklärt, warum heute sein Blättchen so besonders ergreifend, so bange und
Etwas auffallend war es, daß man in der Anordnung des Zuges dieß Weiche und Milde so unmittelbar neben das Stärkste des Starken gestellt hatte, denn hinter den Blättlern kamen, mit ziemlich behindertem Schritte, die Trommler gestiegen, vielmehr zwei Trommler und ein Pauker. Die Eselshäute waren natürlich nicht über Messing, sondern über ein Rund gezogen, das von Schefflerhand aus reinlich weißen Dauben gebildet und mit rothgefärbten Reifen umspannt war. Die Pauke muß man sich nicht wie die doppelte Kesselpauke unserer Orchester, sondern wie den gewaltigen Bau vorstellen, der bei der türkischen Musik quer wie ein Faß auf dem Bauche geschleppt und auf der einen Seite mit einem großen Schlegel, auf der andern mit einem Wedel bearbeitet wird. Eine Schaar Dorfknaben, die sehr fröhlich die Musikbande begleiteten und sich ihrem Geschmacke gemäß namentlich zu den Trommlern hielten, drängte sich am dichtesten um den starken Mann, der mit derben Fäusten auf dieß Ungethüm einwirkte. Sie schliechen sich ihm nahe, es gelang etwan einem der Schelmen, mit seinem Stecken auf das Paukenfell zu schlagen, er bekam einen Klaps mit dem Wedel und das gab denn nicht wenig zu lachen.
Zuletzt kam, einzeln für sich schreitend, ein Mann,
Nicht wenig reizte es die Neugierde der Knaben, die den Zug umschwärmten, daß einige der
Musiker, namentlich die Bläser, stattliche, von unbekanntem Inhalt strotzende Taschen an der
Seite trugen. Diese
Den Musikern schlossen sich, zunächst unthätig, die Singknaben an und hinter diesen gieng in
dem Festanzuge und mit dem szepterähnlichen Stabe, den wir schon kennen, der Druide, sehr
feierlich wandelnd, mit scharfgeschlossenen Lippen wie ein Mann, der eines Vorsatzes voll ist.
Die sechs Gemeinderäthe fehlten auch heute nicht im Zuge, sie waren seine Assistenten und
Zeugen bei der Opferschau. Die Ehrenstelle nach dieser Reihe nahmen die zwei Gäste, die Barden,
ein; erst nach ihnen folgte dießmal der Weibel, der wieder dem Bittel und Ehegoumer vorangieng;
ihm war jetzt das Amt zugefallen, dem Sängerbarden die große Harfe nachzutragen. Und nun
erschien jenes Wesen, das schon im ersten Zuge nicht gefehlt hat: Urhixidur. Vor Jahr und Tag
schon hatte der Druide seiner werthen Hausmeisterin auch das Ehrenamt einer Opferthierführerin,
einer Opfernorne zuzulegen gewußt; nun war es verjährt und galt wie ein Brauch, der nicht
anders sein könnte. Sie führte mit der Rechten ein schneeweißes Lamm an einem Rosaband, mit der
Linken an schwarzer Leine ein schwarzes Böckchen. Beide Thiere waren mit einer Art von
Schabraken geschmückt in denselben Farben und mit einem Saume von gelben Thonperlen und Fransen
eingefaßt. Die Züge der
Der Zug langte am Opferplatz an; ein Flüstern des Staunens gieng durch die Reihen, je die
Vorderen, am Dolmen Angelangten deuteten, rückgewendet zu den Folgenden, auf einen Gegenstand
hin, der sich auf dem Steintisch befand. Es war Vielen aufgefallen, daß der heilige Metzger
heute nicht wie sonst den Kübel trug, der das Opferblut aufzunehmen bestimmt war. Nun sah man
auf dem Altar einen Topf stehen, zum Verwechseln ähnlich dem Coridwenhafen, dem Gegenstande
scheuer Ehrfurcht nicht eben für Alle, doch für die Meisten in der Gemeinde. Der Priester hat,
wie sich der Leser erinnert, die Zerstörung dieses geheimnißvollen Gefäßes „durch Frevlerhand“
öffentlich in der Versammlung beklagt. Unter den Vorbereitungen zum Festzuge hatten sich nun
verschiedene Stimmen vernehmen lassen, man werde ein Wunder vorfinden, wenn man am Steinmal
anlange. Sie giengen von einigen alten Männern aus, Mitgliedern des Gemeinderaths, und diese
beriefen sich wieder auf ein paar alte Weiber und Kinder. Eine weiße Gestalt, hieß es, sei wie
ein Nebelstreif aus dem heiligen Haine her zum Dolmen geschwebt und habe ein undeutliches Etwas
auf ihn
„Tanze und springe, du beglücktes Wesen!“ rief der Priester und das Mädchen umtanzte in rhythmischen Galoppsprüngen den Altar.
Er vollendete sein Gebet und jetzt führte Urhixidur das Lamm vor, es wurde am Altare
festgebunden und fiel unter dem sicheren Hiebe des Schlächters. Das abfließende Blut wurde in
dem Coridwentopf aufgefangen. Als das Thier ausgezuckt hatte, öffnete er mit dem Nephritmeißel
seinen Bauch, zog die Eingeweide heraus, der Druide prüfte sie mit strengem Einblick, nickte
dann mit froher Miene und besagte dadurch, daß das Opfer tadellos, glückverkündend und der
Göttin willkommen sei. „Nimm es gnädig hin,“ rief er, „dieß zarte, gesunde Lammesherz! In ihm
sind dir geweihet alle frommen Herzen dieser Gemeinde!“ Jetzt wurden die Eingeweide auf das
Holz gelegt, das auf der Dolmenplatte gehäuft war, und das Feuer angezündet. Als es prasselte,
hob der Schlächter den Topf auf und überreichte ihn feierlich dem Druiden. Langsam schritt
dieser mit seiner heiligen Last hinweg, dem Haine zu und verschwand in dessen Dunkel. Lautloses
Schweigen herrschte im Kreise. Alles Volk wußte, daß jetzt im Heiligsten des Waldes der Baum
der Selinur mit dem Opferblute begossen wurde. Nach kurzer Zeit kam der Priester zurück, das
Feuer brannte
Als der Gesang ausgeklungen, trat der Druide vor und begann: „Ich erlaube mir nun,
hochgeachtete Gäste und achtbare Gemeinde, euch den bescheidenen Versuch vorzuführen, dessen
ich vorgestern Erwähnung zu thun mir die Ehre gab. Der Urheber eines Werkes ist ein
parteiischer Zeuge für seinen Werth. Hört an, urtheilt, ich unterwerfe mich eurem Ausspruch!
Nur die kurze Bemerkung schicke ich der Produktion noch vorauf, daß mir wohlbewußt ist, wie
dieselbe vielleicht etwas länglich erscheinen dürfte. Dieß rührt daher, daß ich glaubte, ein
Ganzes zunächst aus zwei Gliedern bilden und bauen zu müssen: das erste mehr lehrhaft, um dem
Inhalt unseres heiligen Glaubens klaren, verständigen und verständlichen Ausdruck zu geben, das
zweite Glied aber echt lyrisch, um dann auch der Empfindung ihr volles Recht zu gönnen, denn
das Erste ist, daß die
Es erfolgte ein beifälliges Nicken, er hob die Hand
Die Gemeinde hatte sich doch nicht ganz nur lauschend verhalten; einige gesetzte ältere
Bürger und sogar einige alte Frauen hatten es sich nicht nehmen lassen, nachdem sie sich in die
alterthümliche Choralmelodie wieder eingehört, bei der zweiten Strophe einzufallen, die Weiber
nicht ohne den gewissen Näselton, der didaktischen Kirchenliedern im musikalischen Vortrag so
gut ansteht, auch nicht ohne die Wagniß, bei gewissen Uebergängen angenehme Koloraturen
anzubringen. Die übrige Gesellschaft aber verharrte allerdings in der Rolle des bloßen
Zuhörers, der gesetztere Theil mit Gebärden und Mienen, die eine große Genugthuung kund gaben,
ganz das Gefühl, wie wir es dem höchst einleuchtend Klaren gegenüber empfinden. Auf den
jüngeren Gesichtern dagegen erschien ein gewisser Ausdruck, den man in Süddeutschland mit dem
Worte zu bezeichnen pflegt: er hat den Glotzer. Dieser Ausdruck war so weit als möglich
entfernt von irgend einem Zeichen des Urtheils, wir würden sagen: unbeschreiblich dumm, wenn
wir geneigt wären, über gewisse Zustände, worin wir unfähig sind, zu irgend einem Gegenstand in
ein inneres Verhältniß zu treten, ein herbes Gericht zu halten. Der Druide hatte
Er wandte sich, gab wieder sein Zeichen. Ein Theil der Musiker war inzwischen beschäftigt gewesen, aus den mitgebrachten Säcken auf eine Schranne, die sie sich hatten hinstellen lassen, kleinere und größere Körper, Artefakte ganz unbekannter Art, sorgsam und geordnet hinzulegen. Wir geben zuerst den Text:
Die Musik begann je bei den zwei ersten Zeilen dieser drei Strophen mit einigen
stimmungsreichen melodischen Sätzen, wobei die Blättler ihr Bestes thaten und nur von den
Pfeifern unterstützt wurden. Das gewisse Helldunkle, Schwebende, Flüsternde, zart Geisterhafte
in diesen Stellen kam wirklich zu gefühlter musikalischer Geltung. Bei den folgenden Zeilen
aber sprang die Musik in ein Element über, welches die Welt bis dahin noch nicht gekannt hatte.
Statt sich im Melodischen gedankenlos zu wiegen, wurde sie ganz nur ausdrucksvoll. Nicht nur,
was jedes Wort, nein, was jede einzelne Sylbe, ja jeder Buchstab sagte, kam in Tönen,
Tonbewegungen, Klangfarben zu unnachahmlich charakteristischer Offenbarung. Zu diesem Zweck nun
bedurfte es auch neuer instrumentaler Mittel; in einer Reihe geheimgehaltener Berathungen mit
dem Druiden hatte der Gaisbub unter seiner Anleitung
Langes Stillschweigen, dann ein gezogenes, tiefgeholtes „Ah!“ und hierauf brach ein
Jubelsturm los ohnegleichen, — zwar nicht allseitig; einige Zuhörer verharrten in Schweigen,
andere brummten, etliche wenige grunzten, aber diese Verstockten wurden überflutet vom
Stimmengewoge der jauchzenden Menge. Man eilte auf den Schöpfer des Wunderwerks zu, man umarmte
ihn, man rief: „Ueberweltlich!“ Aber er erwehrte sich; als er zu Worte gekommen, sagte er
Er trat vor den Pfeiler mit dem Molchbild. Er schaute lang die rohe Steingestalt an mit bedenklich ernsten Blicken. Er sprach feierlich das Gebet an den Gott und rief dann Urhixidur zu: „Führe das Opfer vor!“ Sie stand bei dem Böcklein und schien es mitleidig anzusehen, denn es lag matt am Boden. Sie zog es in die Höhe, es stand schwank auf den Füßen, der heilige Metzger that wieder seine Pflicht, dann ward der Bauch des getödteten Thierchens aufgeschnitten, der Druide sah hinein und schüttelte bedeutungsvoll trüb den Kopf. „Der Magen entzündet! Milz und Leber geschwollen!“ sagte er in dumpfem Tone und erklärte: „Grippo verschmäht das Opfer, das Opferholz wird nicht angezündet! Der heilige Baum muß unbegossen bleiben!“
Eine bange Stille lag über allem Volk. „Seinen Hymnus aber wird er nicht verschmähen, tretet
abermals vor, ihr Sänger und Musiker!“ Sie folgten, sichtbar erschöpft, am meisten der Gaisbub.
Ehe sie begannen, sprach der Druide: „Ich ersuche die hochachtbare und achtbare Gesellschaft,
zu bemerken, daß ich für angemessen erachtet habe, bei diesem dritten Gliede meines
Dreigesangs, das ebensosehr auch als
Wir müssen hier jeden Versuch aufgeben, in Worten zum Ausdruck zu bringen, was bei dieser
dritten Leistung nun noch den Singstimmen zugemuthet war und welches schäumende Meer von
dumpfen, drohenden murrenden, aufzischenden, schrillen, zum Theil auch vermittelst grellen
Pfeifens durch die Finger hervorgebrachten, dann donnernden, brüllenden, wirbelnden,
Als die Zuhörer nach und nach zu sich kamen, war es, als ob man auf ein Schlachtfeld sähe.
Die Sänger und Musiker lagen halb ohnmächtig am Boden, der Rätscher wirbelte taumelnd im Kreis,
der Gaisbub wälzte sich, mit Todesschweiß bedeckt, in epileptischen Krämpfen, der Arme hatte
sich des Guten zu viel zugemuthet. In ähnlichem Zustand befanden sich die Hörer und noch mehr
die Hörerinnen. Nur ganz wenige unter den Männern waren ruhig geblieben und schienen einfach zu
denken, was denn eigentlich das nun sei, was sie gehört hatten. Weit die Mehrzahl war außer
sich. Von den Weibern lag ein Theil
Dieses große Wort brachte die Nerven zur Ruhe, indem es vor das innere Auge ein Zukunftsbild
hinstellte, an welchem die Geister still hinaufstaunten. Als sie, so beschwichtigt, nach
Möglichkeit zu sich gekommen waren, stieg in der Gemeinde die Erinnerung an das von Grippo
verschmähte Opfer und hiemit die Frage auf, was nun in dieser Rücksicht geschehen solle. Die
Frage wurde laut, durchlief die Reihen und gelangte durch einen Gemeindeältesten an den
Priester. Er schwieg mit geheimnißvollem Ausdruck im Blick und, als hätte er gar nicht gehört,
rief er dann in ganz gemüthlichem Tone: „Wir haben unsere Seelen zu tiefem, andachtsvollem
Ernste gesammelt, haben sie hoch, höchst, zum Höchsten empor angespannt, laßt sie uns nunmehr
abspannen! Laßt uns Kinder sein, uns
Gern begleitete ihn die Schaar in eine Lichtung des Haines, wo sie eine einfache Bühne aufgeschlagen fand. Die Einfassung war aus Laubwerk, einem Geflechte blattreicher Zweige, hergestellt. Ueber das wenig erhöhte Podion weg sah man in den natürlichen Wald, dessen Boden hier etwas aufstieg, so daß sich der künstliche der Bühne an ihn anlehnte und das Waldstück bequem für die Handlung verwendet werden konnte. Ein paar Felsblöcke zwischen den Bäumen konnten dabei so oder so ganz gut mitbenützt werden. Was von Musikanten sich wieder emporgerafft hatte, war vor der Bühne als Orchester aufgepflanzt. Es war gut, daß eine Trauerkunde, die langsam sich verbreitete, erst gegen Ende der Aufführung das Ohr der Künstler erreichte: der Gaisbub war gerettet, hatte aber einen Leibschaden genommen. — Ein Hornsignal gab das Zeichen zum Anfang. Ein Herold trat auf die Bühne, lebendiger Theaterzettel; er blies auf seiner Ledertrompete eine Fanfare und ließ sechs sonderbare Töne folgen, zwei spitze und einen starkdumpfen, dann wiederholte er solche in umgekehrter Ordnung: ein Vorbild dessen, was der folgende Titel mit Worten besagte; er setzte ab und rief: „Wir werden heute die Ehre haben, unseren hochachtbaren und biederen Gönnern vorzuführen das Tanzspiel:
erfunden und in Szene gesetzt
von
Hopp-Hoppodur.
Das Spiel begann. Ein mächtig großer Bär trat auf, in jeder Bewegung noch plumper, als Bären sonst sind. Er setzt sich auf einen Felsblock, streckt die Vorderfüße sehnsuchtsvoll in die Luft, drückt auf jede Weise das schmerzliche Gefühl des Alleinseins aus und ergießt sich in Thränen. In Ermanglung eines Sacktuchs wischt er sich die Augen und sofort auch die vom Weinen hörbar affizirte Nase mit den Tatzen, welche er hierauf an seinem Pelz abreibt. Heftiger wird das Weinen, es geht in Gebrüll über, heftiger werden die genannten Wischbewegungen. Plötzlich hält er inne, starrt in's Weite und verschwindet mit schwerfälligen Sprüngen von der Bühne.
Nach kurzer Zeit erscheint eine Bärin, ungewöhnlich glatt von Pelz, von rundlicher
Hüftbildung und weich von Bewegungen. Hinter ihr Petz. Sie setzt sich mit vornehmem Anstand
auf den Felsblock. Petz wartet vor ihr auf, ringt die Vorderfüße, fällt dabei ungeschickt um
und wälzt sich wild brummend am Boden, die Bärin lacht. — Es war wie im italie
Die Bärin drückt durch Gebärden aus, daß dieser Verehrer denn doch an sich eine brave,
künftiger Tröstung nicht unwerthe Natur, vielleicht ein nur noch ungeschliffener Edelstein
sein dürfte. Langsam, schüchtern, ganz niedergedrückt erscheint Petz wieder vor dem süßen
Bilde. Sie fordert ihn auf, zu tanzen. Er versucht ein Solo auf den Hinterbeinen. Fällt wieder
öfters und überkugelt sich mehrmals, läßt sich durch das Lachen der Dulcinea nicht verstimmen
und versucht eine neue Methode. Er fängt an, sich wie in einem Menuet einfach, aber in
durchaus reizender Weise nach der Angebeteten vorwärts und zurückzubewegen und bei jeder
Annäherung, aufgerichtet, eine zierliche Verbeugung zu machen. Wir müssen hier einschalten,
daß der darstellende Künstler diese Weise, den Hof zu machen, gründlich der Bärennatur
abgesehen hatte und mit vollendeter Virtuosität wiedergab. Petz war unermüdlich in diesen Pas,
wohl fünfzigmal bewegte er sich auf seinen rutschenden Sohlen hin und wieder. Endlich spiegelt
sich Erweichung in den Zügen des so schmelzend angeschmachteten Weibs. Aber jetzt ereignet
Lebhafter Beifall. Der erste Akt ist vorüber. Mit kühnem Geistesfluge nimmt der Tanzdichter
an, eine geraume Zeit, Monate, Jahre seien in der kaum viertelstündigen Pause verstrichen.
Hornstöße verkünden den Anfang des zweiten Aktes; ihnen folgt eine lustige Melodie von Pfeifen
und Blättlein, unter deren Klängen eine glückliche Bärenfamilie auf die Bühne tritt. Vier
muntere Kinder folgen dem zärtlichen Elternpaar. Der kleine Bruder und das Schwesterchen
Sigunens mit zwei Nachbarkindern stacken in den Pelzen. Wer je den Galopp von Bärenjungen
gesehen und bemerkt hat, wie drollig sie dabei mit dem rechten Hinterbein nachschieben, der
mußte staunen, mit welcher Meisterschaft die klugen Kinder das vorstellten; schon in ihrem
Der dritte Akt trat ein ohne eigentliche Pause, doch
„Wo steckt denn Alpin?“ fragte ein Bursche Sigunen, die theilnahmlos, gedankenvoll unter den Mädchen stand. „Weiß nicht,“ versetzte sie, „er wird beim Tischzurichten helfen.“ — „Nun, komm' her, so tanz' mit mir,“ sagte der Frager und bot ihr den Arm, bekam aber einen Korb und unter dem Vorwand, nach dem kleinen Schwesterchen sehen zu müssen, gieng sie nach Hause. Auch Gwennywar hatte lang nach dem Vermißten umgeschaut, jetzt aber vergaß das junge Quecksilber Alles im Arm ihres bewunderten Tänzers.
Die Greise, mit Ausnahme der erwähnten paar lustigen alten Knaben, auch die Mehrzahl der
Männer hatte sich nach dem Ende der Aufführung verlaufen, und diese Müßigen hatten zuerst
wieder Zeit, des Gefangenen zu gedenken, den man unter Schützenfest, Morgenimbiß und Tanzspiel
fast vergessen hatte. Der Druide, der sonst an Festen beim Schaustück auf seinem Ehrensitze so
behaglich lachend bis zum Schluß verweilte, wie wohl einst der hohe Priester des Dionysos auf
seiner Marmorbank im Theater zu Athen, er war dießmal bald nach Beginn verschwunden.
Heimgekehrte fanden sein Haus geschlossen. Es hieß, man habe die Gemeindeältesten hineingehen
sehen. Man munkelte
Inzwischen waren vereinigte Kräfte längst beschäftigt, den Festschmaus vorzubereiten. Tische
und Bänke waren im nahen Haine schon aufgeschlagen, Köche und Köchinnen an einer Reihe von
Feuern in voller Thätigkeit. Wir glauben uns verpflichtet, den Speiszettel zu geben; menu
dürfen wir ja nicht sagen, die Pfahlmänner hätten sich geschämt, das wälsche Wort zu
gebrauchen, wenn sie es gekannt hätten, sie verabscheuten alle unnöthige Entlehnung aus
fremden Sprachen. „Speiszettel“ ist natürlich auch nur poetische Licenz; das Kunstwerk der
Komposition dieses Schmauses stand klar entfaltet nur vor dem Geiste des Oberkochs Sidutop,
minder klar, in gewissem Helldunkel vor dem Innern seines Gefolges von Köchen und Köchinnen,
und das Publikum befand sich in blindem Autoritäts
Zuvor ist nur noch von der Beleuchtung zu melden. In dieser Festnacht sollte es nicht an den Pechfackeln genügen, die rings um die Tische, in hohe Pfähle eingelassen, ihr röthliches Licht verbreiteten; zwischen je zweien derselben loderte in irdenem Becken eine zartere Flamme von Kienholz und an den Stämmen der nächsten Eichen hiengen Kränze von Schüsselchen, worin ölgetränkte Döchte brannten. Knaben waren aufgestellt, sorgsam diese dreierlei Lichtquellen zu unterhalten, deren Harzgerüche sich angenehm mit dem Dufte mischten, der aus den Kochkesseln emporstieg. — Und nun mag denn die Beschreibung ihres reichen Inhalts folgen.
Ad I, 2. Daß die Menschen der Steinzeit große Liebhaber von Mark waren, geht aus der Menge gespaltener Knochen hervor, die man in ihren Niederlassungen findet. In der Kunst des Spaltens hatte zwar Jedermann Uebung, doch auch hier war bereits eine gewisse Theilung der Arbeit eingedrungen. So exakt, so glattweg verstand es nicht Jeder zu machen, wie der Techniker in diesem Fach, der Knochenschlitzer, der hinten in der Feldküche schon seit ein paar Stunden seine Virtuosität in diesem Zweige der feineren Arbeit entfaltete. Den Knochen senkrecht stellen, den Feuersteinmeißel haarscharf auf die Axe ansetzen, einen mathematisch geraden Schlag mit dem Holzhammer darauf führen: es gieng wie gehext; wer ihm zusah, konnte nur wünschen, es möchten verwickelte politische Fragen einen solchen Schlitzkünstler finden, wie es der wackere Meister Binuschnidur war.
Ad I, 2, e. Elch oder Ellen (nicht: „Elenn“, noch weniger „Elend“; Ellen hieß Kraft, also: das Kraftthier, der besonders starke Hirsch) war nicht selten, obwohl weit seltener, als der gewöhnliche Hirsch und das Reh, die auf unserer Liste fehlen, weil sie für ein Festessen zu gewöhnliche Speise waren. Das Thier ist von ochsenartig starkem Leibe, auch der Geschmack seines Fleisches schwebt in einer feinen Mitte zwischen ochsenhaft und hirschähnlich.
Ad I, 3. Die Beliebtheit des edlen Gerichts Kuttelfleck erkennt der geneigte Leser daraus,
daß es nicht nur hier,
Ad I, 4. Das Früchte-Einmachen verstand zwar auch die Hausfrau, aber auch in diesem Gebiete gab es schon Techniker, gab es Fachmänner. Wir werden den Künstler nennen, wenn unsere Erläuterungen erst bei seinem Meisterwerk angelangt sein werden. Nicht genannt ist die damals höchst beliebte Speise Haselnuß, denn sie trat nicht eingemacht auf, sondern wurde einfach im Naturzustand immer mit dem Brod aufgetragen und mit ihm gegessen, um ihm feineren Beischmack zu geben. — Eine Zeile ohne Eintheilungszeichen nennt als begleitendes Getränke des Voressens: Methbock. Es war sehr starker Doppelmeth, bestimmt, in zierlichen Holzkelchen zum Voressen nur genippt zu werden, um den Appetit zu schärfen; eine diätetische Bemessung, an die man sich doch nicht ängstlich zu halten pflegte.
Ad II, 1, d. e. Es mag Verwunderung erregen, daß außer Forellen und Aal keine Fische
auftreten. Die Erklärung ist einfach: die Pfahlbewohner aßen jahraus jahrein so viel Fische
jeder Sorte, daß sie bei Festmahlzeiten wenig Werth auf diese Speise legten. Nur die Forelle
und der Aal genossen ein Vorrecht, jene nicht bloß wegen der Feinheit ihres Geschmacks,
sondern wegen der großen Schwierigkeit, sie zu fangen. Dieses blitzschnelle und höchst
vorsichtige Floßenthier ließ sich ja durch die plumpe beinerne Angel nicht täuschen, in die
Reusen, so grob wie sie damals waren, äußerst selten verlocken, gleich selten mit der Hand
fangen, wenn sie schlum
Ad II, 2, A, b, δ. Boragen: Borago officinalis, mit bläulichen Blumen, haarigen Blättern, jetzt fast für Unkraut geltend, hat einen sehr angenehm häringähnlichen Geschmack. Durch ihren Genuß gaben sich die Pfahlmänner die Vorahnung der Gaumenfreude, die der ihnen noch unbekannte Meerfisch im eingepöckelten Zustande uns späteren Geschlechtern bereitet.
Ad II, 2, A, d, α. Es darf nicht unterdrückt werden, daß die Bohnen unentfasert auf den Tisch kamen. Die Schüsseln mit diesem Gerichte sahen daher aus wie eine borstige Perrücke. Pietät gegen die Altvordern hat diesen Brauch bis heute in der bürgerlichen Küche jener Gauen fromm erhalten.
Ad II, 2, A, d, β. Erbsen mit Landjägern: Die Erbsen, wie man sich denken kann, nicht zerrieben, große gelbe Gattung, hart wie Bleikugeln. Die Verdauung war eben eine vortreffliche. „Mit Landjägern.“ Der Verfasser bedarf Nachsicht. Diese Würste hießen damals wegen ihrer gediegenen Härte Lederwürste; er hat den modernen Namen vorgezogen, um dem Kenner das Objekt rascher zu vergegenwärtigen. Der Ursprung der letzteren Benennung ist von der Philologie noch nicht erforscht. Schreibt man den Landjägern etwa besonders gute Zähne zu? Oder vergleicht man die länglich hagere, flache Gestalt der Wurst mit der Dürrheit, welcher die Figur der Landjäger durch ihre Streifstrapazen wohl häufig verfällt?
Ad II, 2, A, d, γ. Rüben mit Schübling. Schübling heute noch in ganz Süddeutschland bekannte Wurst, nahe Verwandte der Knackwurst. Fischart beehrt sie mit Aufführung, wo er Gargantua's Speisekammer beschreibt.
Ad II, 2, A, d, δ. Daß das beliebte Sauerkraut schon jenen Zeiten bekannt war, ergibt sich keineswegs nur aus dem sicheren Schluß, den man aus der Gemüthlichkeit der Zustände ziehen darf, sondern auch aus verbürgter Ueberlieferung. „Blunse“: was wir jetzt Blutwurst nennen, war unbekannt; in die Blutwurst gehört außer Blut Gewürze mit Speckwürfeln; dieß wäre jenen körnigen Menschen zu künstlich erschienen, auch wenn sie Gewürze gekannt hätten. Die Blunse, ein Darmhautrund einfach mit Blut gefüllt, entsprach besser der Biederkeit ihres Wesens. Doch verschmähten sie nicht, durch Hinzunahme geräucherten Murmelthierfleischs der Zunge gleichzeitig einen schärferen Reiz zu bieten.
Ad II, 2, B, a, δ. Gesulzte Spansau: besonders beliebt, hatte einen gebratenen Apfel zierlich im Maul stecken.
Ad II, 2, B, b, α. Wir haben nur hier die Brühe erwähnt, weil sie bei dieser Speise extrafein war, und fügen bei dieser Gelegenheit eine sprachliche Bemerkung bei. Wir sagen jetzt Sauce, weil wir uns des guten Worts Brühe dadurch beraubt haben, daß wir es verächtlich von unsauberer Flüssigkeit gebrauchen. Diese Einschränkung hatten sich die Pfahlbewohner noch nicht beikommen lassen, daher sich auch nicht in die Lage gebracht, für ein ganz ausreichendes eigenes Wort ein Fremdwort zu entlehnen.
Ad II, 2, B, b, β. Hase, gespickt. Es war nur Einer. Lampe war damals außerordentlich
selten; er hatte zu viele Feinde, deren nicht die geringsten die Adler und Geier waren, die
auch als Räuber der kleinen Lämmer den Hirten nicht wenig zu schaffen machten. Das Exemplar,
in einer Schlinge
Ad II, 2, B, b, γ. Wir gestehen, daß der Wisentbraten, obwohl von einem Stier in den besten Jahren, ziemlich hart war, allein das andere Fleisch war nicht viel weicher. Die Pfahlbürger liebten das Weiche, Kätschige nicht, die prächtigen Zähne jener Geschlechter hatten Jahrhunderte hindurch den schädlichen Einflüssen der Seenebel bis dahin noch fest widerstanden und insofern war Arthur's Behauptung in seiner Rede ein Vorgriff. Zu ββ ist zu wissen, daß die Pfahlleute den Namen: Cotelette noch nicht kannten. Hat doch der Berichterstatter mitzutheilen, daß manches Jahrtausend später, nämlich in seiner Knabenzeit, noch kein Mensch Cotelette, alle Welt nur Ripplein sagte. Jenes waren nun freilich keine Ripplein, sondern Rippen. Sie waren mit Speckstückchen und Petersilie höchst appetitlich belegt, und wurden zuerst nur als Schaustücke, dann zerlegt zum praktischen Gebrauch ausgesetzt. Der Wisentschwanz (γγ) galt als großer Leckerbissen; auf ein genußreiches Benagen folgte ein genußreicheres Aussaugen. Das war denn natürlich nicht für Alle, sondern Vorrecht des Druiden; dieß Hauptstück wurde also ihm allein vorgesetzt und kunstgerecht machte er sich an die Arbeit.
Ad II, 2, B, c, δ. Armer Arthur! Niemand gedachte deiner bei den zwei Schnepfen! So sind
die Menschen! Während der Geber im Gefängniß schmachtet, wird unter Scherzen seine Gabe
herausgeknöchelt und mit Schmatzen von den Gewinnern verzehrt! Arthur hatte auch einige
Pfeilspitzen von Erz mitgebracht, in Robanus auf Schäfte gesetzt, war mit ein paar Burschen
auf den Schnepfenstrich gegangen und hatte den einen Vogel durch den Kopf, den andern unter
dem Flügel
Ad III, 2. „Schnitzli“ war ein Lieblingsgericht, wie schon früher angedeutet. Das Wort wurde in engerer und weiterer Bedeutung gebraucht, in jener bedeutete es Apfelschnitze, gedämpft mit Speckwürfelchen, und so ist der Ausdruck hier gemeint. Es darf nicht verschwiegen werden, daß die Schnitze nicht geschält waren. Auch diese Speise pflegen in Ehrfurcht vor alter Sitte heute noch die späten Enkel der Pfahlbürger als Nachtisch gern auf ihre Tafel zu setzen.
Ad III, 3, a. Riniturleckerli. Leckerli sind die heute noch wohlbekannten Leb- oder Honigkuchen. Sie wurden besonders schmackhaft in der Stadt Rinitur, dem jetzigen Basel, bereitet. Die Pfahlniederlassungen waren nicht so außer Verkehr, daß nicht wandernde Händler ein Produkt der Küche, worin eine Gemeinde die andere überflügelt hatte, weit ringsum verbreitet hätten. Bald aber wurde dieses Backwerk nachgeahmt und der Name bezeichnete nicht mehr die Herkunft, nur die Güte.
Ad III, 3, b. Hutzelbrod. Welcher Kenner der deutschen Literaturgeschichte weiß nicht, daß Schiller noch in späten Jahren dieß Gebäck aus gedörrten Birnen, Mehl, Cibeben, Mandeln von einer schwäbischen Köchin sich bereiten ließ, Gästen zu versuchen gab und verlangte, daß sie es loben? Man sieht nun aus unserem Berichte, daß es uralt ist und sich von jenen Gegenden über den Podamursee nach Schwaben verbreitet haben muß. Die Stelle der Mandeln vertraten damals Haselnüsse, die der Cibeben Brombeeren.
Ad III, 3, c. „Wähen“: uralter Name für Kuchen; Ableitung dunkel.
Ad III, 3, e, α. Der Leser hat wohl längst die Frage auf den Lippen, wo denn das Zahmgeflügel bleibe? Hier, bei diesem Gipfel der Küchenkunst, bei der Pastete, hat er die Antwort. Im Bauche dieses Prachtgebäudes befanden sich butterweich gebettet die Mäglein, Leberlein, Herzlein von Hühnern, Enten, Gänsen, nicht minder Flügel, Schlegel, Pfaffenschnitze, und zwar vereinigt mit „Milken“ (was wir jetzt Brieschen nennen, die drüsenartigen Knollen am Halse des Kalbs) und mit Mausschlegeln. Mausbraten wird jetzt infolge thörichten Vorurtheils vernachlässigt. Warum sollte eine Maus unappetitlicher sein als eine Ente, eine Sau? Mausfleisch, insbesondere Schlegelstück, verbindet in feiner Einheit Wildfleischgeschmack mit dem zarten Geschmacke des Nußkerns. Etwas salzig Prickelndes enthält dagegen der Eidechsenschwanz, man möchte sagen, er bewirke ein gewisses wuseliges Gefühl auf der Zunge. — Zu β: „Form“, nämlich zu der plastischen Gruppe, welche den Deckel des reichen und wohlgefälligen Ganzen bildete, haben wir nur die Eine Bemerkung, und auch diese nur für Kenner der Kunstgeschichte: Die Stylgebung des Künstlers stand auf einer Stufe ganz parallel mit dem Style der Metopen von Selinunt.
Der Name des Künstlers darf so wenig im Dunkel bleiben, als der des Kochs und des Knochenspalters. Er hieß Schababerle und nannte sich Hofzuckerbäcker. Es gab freilich in Robanus keinen Hof, aber der Mann schuf und bildete an festlichen Tagen für die Tafel des Druiden und dieser ließ es gerne zu, daß er sich darum den Titel beilegte. Es ist nachzubringen, daß auch Sidutop auf denselben Grund hin ähnlich verfuhr; er nannte sich Hofkoch oder Hochwürdlicher Koch; den Knochenspalter Binuschnidur nicht zu vergessen: er betitelte sich gern Hofknochspalter oder Seiner Hochwürden Leibschlitzer.
Zur bestimmten Zeit erschien pünktlich der Druide mit den Gemeindeältesten und den Singknaben. Er lud die Gemeinde feierlich ein, seinen Hymnus nun vollstimmig als Tischgebet zu singen, — nur das erste der drei Glieder, wobei der einfacheren Melodie wegen die Vorsänger genügten. Die Musiker waren schlechtweg zu sehr erschöpft, das zweite und dritte Glied vorzutragen, und ohne ihre Mitwirkung war es unmöglich, diese kunstreichen Gefüge mit ganzer Gemeinde zu singen. Alles Volk hatte sich die alte Weise schnell wieder im Gedächtniß aufgefrischt und mit wenig Anstoß wurde das ebenso verständige als fromme Festlied abgesungen. Gern setzte man sich jetzt und hob zum leckeren Mahle die Hände.
Wir überlassen nun die thatlustige Gesellschaft im Glanze dreifacher Beleuchtung dem Genusse
dieser Herrlichkeiten. Es ist lustig, im grünen Haine umstrahlt von feenhaftem Lichte zu
speisen, und unsere Pfahlmänner bedrängte es wenig, daß die drei langen Tafeln eigentlich
keine Tafeln, sondern aus quergelegten Prügeln nicht allzu eben hergestellte Flächen waren;
lagen doch Bastdecken darüber gebreitet, welche das so ziemlich ausgliechen und den Schüsseln
einige Standfestigkeit gönnten. Nur die Männer sehen wir vereinigt; das Frauenvolk mußte zu
Hause bleiben; ihnen wurden je nach einem Gang des Festschmauses die übrig gebliebenen Brocken
zugetragen, woraus sich
Bei den Männern draußen kam über der ernsteren sächlichen Thätigkeit nur langsam das Gespräch in Fluß; erst als man beim Mittelpunkte, ja eigentlich erst als man bei dessen zweitem Abschnitt, dem Bratenstadium, angekommen, wurde es warm und lebhaft, dann aber schnell anwachsend so mächtig laut wie die brüllende See; denn die Pfahlbewohner hatten gar kräftige Stimmen; man hätte sie Luftstimmen heißen können, weil sie in der That für geschlossene Räume nicht angethan waren; sprachen hier auch nur Zwei oder Drei, so hätte ein Menschenkind unserer Zeit mit seinem gezähmten Organ nicht mehr daneben aufkommen können und bei dem bloßen Anhören der tief geholten Rachentöne einen Hustenanfall erlitten. Die Getränke thaten das Ihrige, die Seelen und Kehlen zu befeuern, und da jegliches Ding, das sich ohne Einhalt steigert, einen Grad erreichen muß, wo es umspringt und überschlägt, so trat nun eine Erscheinung ein, die wir am passendsten schildern, wenn wir am Bilde von der bewegten See festhalten.
Wenn man dem Spiele der Meereswogen zuschaut,
So nun begann am einen Ende des mittleren der drei Tische, an welche die Gesellschaft
vertheilt war, das Gespräch der Männer, auf der Höhe seiner Kraft angekommen, sich in eine
Kraftäußerung anderer und zwar jener thätigen Art aufzulösen, welche wir durch das Wort
Keilerei zu bezeichnen pflegen; gleichzeitig nahm derselbe Umsprung seinen Ausgang am andern
Ende, beide Bewegungen wälzten sich fort nach der Mitte, wo der Druide saß und neben ihm die
zwei Barden die Ehrenplätze einnahmen, und rießen auch diese würdigen Personen in ihre Wirbel.
Die Ursache
Am andern Ende war der Ursprung desselben Aufruhrs nicht ebenso geistiger Art. Hier war
einem biedern Holzhauer ein Unschick begegnet. Wir müssen eine kulturhistorische Bemerkung
voranschicken. Das Fleisch wurde zerschnitten aufgesetzt. Es gab ja, wie wir längst wissen,
keine ordentlichen Messer und von fassenden Gabeln konnte ohnedieß nicht die Rede sein. Ein
Vorschneider nahm in der Küche die Zerlegung vor mit einer der äußerst seltenen Klingen, die
beim Zerschlagen des Feuersteins lang und scharf genug ausgefallen war, um dieß Geschäft damit
zu versehen; auch so bedurfte es noch besonderer
Leicht wird man jetzt den Zufall begreifen, der dem guten Holzhauer begegnete. Seine schwere Faust schlug etwas zu stark, stieß Meißel und Fleischklumpen über den Teller hinaus und die Brühe spritzte dem Nachbar Zimmermann in's Gesicht. Der fuhr auf und schrie: „Kaib!“.
Der reißend schnelle Hergang muß einen Augenblick mit einer erläuternden Bemerkung unterbrochen werden, die der Leser billig erwartet. Das Wort Kaib war Entstellung eines hohen Ehrennamens. Der oberste Druide hieß, wie man sich erinnert, CoibhiDruid, Druidenhaupt. Es kam auf, dieß Wort ironisch anzuwenden, so daß es das Gegentheil seines Sinns bezeichnete; um den Frevel zu mindern, sprach man es unrichtig aus, wie wir heute noch mit Wörtern heiligen Sinns verfahren, wenn wir sie zu Fluch oder Schimpf mißbrauchen. Man begreift, daß es in einer Zeit, wo dieser sein Ursprung noch bekannt war, für ein sehr starkes Scheltwort galt. Kein Wunder denn, daß dem bespritzten Zimmermann zu der Brühe alsbald noch eine Ohrfeige in's Gesicht flog. Des Zimmermanns nahm sich thatkräftig der Nachbar Fleischer an, des Holzschlägers der nicht so leibstarke, aber behende Schneider und das Weitere ergibt sich durch Vergleichung mit dem Hergang am andern Ende: die Handlung war im Gang und bewegte sich mächtig in der entgegengesetzten Richtung.
Wir können also sagen: die Wogenschäumung gieng von zwei Polen aus, dort einem idealen, hier
einem realen. Noch ehe aber diese zwei Sturzbewegungen die Mitte erreicht hatten, wurden sie
durch zuwachsende seitliche Strömungen noch wesentlich verstärkt. An dem einen der zwei
übrigen Tische saßen die ledigen Bursche. Sie waren bereits nicht besonders nüchtern zum
Schmause gekommen und hatten sich dennoch den Meth und Obstsuser tüchtig schmecken lassen. Die
Unterhaltung galt den Ereignissen des Schützenfestes, den besten Schüssen, den Gewinnen.
Manches Hoch wurde ausgebracht, man rühmte sich gegenseitig in blühenden Trinksprüchen; das
Andenken sagenhafter Schützen aus der Vorzeit wurde gefeiert, in deren Ruhm die späten Enkel
gerne sich sonnten. Aber man neckte sich auch mit verfehlten Schüssen und der Neid um
glückliche glostete als verborgenes Feuer in manchen Gemüthern. Dabei entzündete sich
anderweitiger Brennstoff: Eifersucht um Mädel, die unter der Decke glimmte und gelegentlich
zum Ausbruch kam. Einer der Bursche, Dubrach mit Namen, hatte gar ungern gesehen, wie der
Tanzdichter Hopp-Hoppodur die reizende Gwennywar zum Tanz aufzog, denn sie war seine Flamme.
Der heitere Künstler hatte sich als Junggeselle zu den Burschen gesetzt, obwohl er um etliche
Jahre über sie hinaus war. Dubrach fieng an, mit Scherznamen wie Tänzerling, Hüpfmeister,
Flederwisch herauszurücken, bei
Am dritten Tisch saßen Verheirathete, so viel ihrer am mittleren Tische nicht Platz hatten,
ältere, jüngere durcheinander. Hier hatten sich, kühn genug, einige Stimmen des Mitleids mit
Arthur vernehmen lassen; zuerst der verständige Massikomur, der Finder der uralten
Pfahlzeitreste im Seegrund, hatte es gewagt, den vermessenen Redner mit seiner Jugend zu
entschuldigen; er hatte in ein Wespennest gestochen, eine milde Rede hatte eine wilde, eine
wilde eine wildere gegeben und so stand auch hier Alles in Feuer und Flammen, als der Krieg am
mittleren Tisch ausbrach und schnell den zweiten in seinen Krater hineinrieß. Da war denn auch
für Gesetztere kein Widerstehen mehr und in wenigen Augenblicken die ganze Gesell
„Wessen Auge? Da gab es ja keinen Zuschauer!“ O ja, doch! — Wir haben noch keinen Augenblick
gefunden, des Näheren zu erzählen, wie die Wirbel der Doppelbewegung am mittleren Tische nun
dessen Mitte ergriffen, wo zwischen den zwei Barden der Druide saß. Der würdige Mann war nicht
so überzart, nicht gegenzuwirken, als er von links und rechts Püffe erhielt; in der That
erfreute sich jenes ganze Zeitalter noch eines hinreichend frischen Natursinnes, um es nicht
gar so fürchterlich zu finden, wenn ein Druide oder Barde einmal in die Wechselwirkungen einer
Prügelei hineingerissen wurde. Es konnte als Zufall gelten, daß der Barde Kullur einen seiner
ersten Hiebe zu fühlen bekam, dieser jedoch nahm es — aus Irrthum oder nicht, bleibe
dahingestellt — als Absicht, zog mit der gedrungenen Kraft seiner kurzen, stämmigen Glieder
den großen, etwas fetten und eben nicht abgehärteten Mann über die Bank herüber und
Jedes Drama hat sein Ansteigen, seine höchste Verwicklung, aber auch seinen Ablauf, seinen Schluß. Die Kämpfer sättigten sich, wurden müde, die Schläge fielen seltener, Ausruf und Schrei begann sich zu legen und endlich trat Meeresstille ein.
Koch, Knochenschlitzer, Vorschneider mit ihren Gehülfen traten jetzt aus der Schußweite der
Küche hervor; sie hatten ein solches Schauspiel nicht zum ersten Mal gesehen und beeilten sich
nun, die zerzauste Matte wieder zu ordnen, die zerbrochenen Schüsseln und
Vorerst sollte sich zeigen, daß dieß wenigstens beim Druiden der Fall war.
Körperlich war zwar auch ihm die Motion im Allgemeinen ganz gut bekommen. Wir wollen nur
verrathen, was wir bisher noch rücksichtsvoll verschwiegen haben: sein letzter war nicht so
musterhaft verlaufen, wie es für einen voranleuchtenden Druiden sich ziemte; er hatte ihm
einen rheumatisch krummen Hals zurückgelassen. Die Durcharbeitung, die gründliche Walkung
hatte ihn jetzt kurirt: sein Kopf stand wieder gerade auf seinem Rumpf. Aber sein Inneres war
nicht gerade, nicht still und weich geworden. Er hatte vor der motorischen Episode wenig
gesprochen, starr vor sich hin gesehen; jetzt, obwohl er die passive und aktive Theilnahme an
der Kraftäußerung der Gemeinde im Ganzen als eine wohlthuende nachfühlte, verhielt es sich
doch anders mit einem Bruchstück derselben: im allge
„Ihr habt es gehört. Die finstere Gottheit zürnt, verlangt ihr Recht, schwebt grollend um
den Kerker
Man schaute umher, Aller Augen suchten Alpin. Stimmen ließen sich hören: „Wo ist er?“ Die
ledigen Bursche riefen: „Er fehlt schon den ganzen Abend.“ — „Ja, seit dem Festschießen
schon.“ — „Halt, er wird ermordet sein!“ rief eine spitze Stimme aus der Männerschaar. Ein
Murren, ein Flüstern gieng durch die Versammelten, das sich zu tumultuarischer Unruhe
steigerte. Vergebens rief Odgal: „Mein Sohn ist gesund und wohl vom Schützenfest
zurückgekommen und hat zu Hause gegessen um Mittag; wer sollte ihn denn in der Zwischenzeit
ermordet haben, Arthur ist ja gefangen!“ — „Der Gauner kann verborgene Helfershelfer haben,“
schrie eine heisere alte Kehle. Kurzes allgemeines Stillschweigen, dann neues Flüstern,
dumpfer, dunkler, unheimlicher als das vorige; Wechselblicke des Verdachts, gehässige
Aufregung von Nachbar gegen Nachbar, anzügliche Reden unter einander, Alles zu einem Getöse
anschwellend, worin die Mahnungen einiger Nüchternen, namentlich der Barden, man solle doch
erst nach dem Vermißten suchen gehen, rein über
Es war der Druide, dem es gelang, mit gebieterischem Befehl sich eine Stille zu erzwingen.
„Vielleicht auch Mörder!“ rief er, „aber er ist gerichtet auch ohne das! Er hat in seiner
schamlos frechen Rede, den heiligen Wagstein schändend, indem er ihn zu seiner Kanzel machte,
unsere Obergöttin zwar gelten lassen, aber nur in bedenklichem, hinterhältischem Sinn. Den
furchtbaren Grippo hat er geleugnet. Die Lehre vom unbekannten Gott hat er wahnsinnig
ausgedeutet, sich vermessen, uns eine undenkbare neue Gottheit aufdrängen zu wollen. Und das
Abscheulichste: wißt ihr noch, was er gesprochen von drohendem Ueberfall fremden Volkes, das
unsere Hütten plündern, sengen, unsere Kinder niedermetzeln, unsere Weiber und Töchter
schänden, in Gefangenschaft führen werde? Da sprach
Einer der Alten in seiner Nähe erhob sich, ein hohläugiger Greis, groß und dürr, vom Alter
gekrümmt, mit langem, doch sparsamem weißem Barte, der in zwei Strängen vom spitzen Kinn
niederhieng; er trat an einen hohen Busch, über den eine Bastmatte gebreitet war, hob sie,
wollte hineingreifen, fuhr aber wie von Scheu überwältigt zurück, denn aus dem Busche erhob
sich eine Gestalt, ganz in Schwarz gekleidet, ein Weib mit gelbem Gesicht, mit starr, weit
aufgerissenen Augen, hoch in der Hand einen weißen Stab haltend. Geheimnißvolle Zeichen, eingeschnitten,
„Hier ist das Urtheil!“ rief der Druide, den Stab hoch emporstreckend. „Wer sind die Richter?“ riefen gleichzeitig die zwei Barden, „nur ein Beschluß der Volksgemeinde kann Todesurtheil fällen.“ — „Das ist nicht Gesetz, nur Brauch“, rief Angus. „Ererbt, verjährt, durch die Jahre geheiligter Brauch!“ entgegnete Kullur. Jetzt trat schnell Sigunens Vater, Odgal, vor und sprach: „Er war mein Gast, verklage ihn, wenn du willst, förmlich vor der Gemeinde, er soll nicht ungehört, nicht unvertheidigt gerichtet werden!“
„Das gemeinschaftliche Amt,“ erwidert der Druide, „ist befugter Vertreter der Gemeinde, ich
habe zu den zwei Aeltesten, die mir in Sachen des Gottesdienstes zur Seite stehen, vier
weitere beigezogen, die vom Volke gewählten, dem obersten Haupt und Richter, dem Druiden, an
die Hand gegebenen Berather und Verwalter der weltlichen Dinge — lies, Urhixidur! lies das
Urtheil, das nun dem Verbrecher soll verkündigt werden!“
„Im Namen des Coibhi-Druid und kraft der von Seiner Heiligkeit uns übertragenen Gewalt, zu herrschen und zu richten, und auf Grund genauer und gesetzlicher, unter Mitwirkung der für Berathung geistlicher und weltlicher Dinge uns beigegebenen Aeltesten unserer Gemeinde Robanus vorgenommener Untersuchung, auch in Uebereinstimmung mit dem Wahrspruch dieser unserer Beisitzer erkennen wir dich, Arthur von Nuburik, schuldig der Lästerung unserer heiligen Religion, der Leugnung der Götter und zugleich des Hochverraths, und sprechen das Urtheil, daß du alsbald nach Verkündigung aus dem Kerker an den heiligen Dolmen sollst geführet und zu Ehren der furchtbaren Gottheit Grippo und gemäß dem bejahenden Willen der Weltgöttin Selinur vermittelst Aufschlitzung der Brust und des Bauches vom Leben zum Tode gebracht werden, und es soll aus den Zuckungen deiner Eingeweide die Zukunft unserer Gemeinde Robanus geweissagt und es soll hierauf dein Leib, todt oder noch lebendig, zu Asche verbrennet werden.
„So beschlossen in der Gemeinde Robanus und gezeichnet mit Blut des Böckleins.
Gemeinderath:
Dyfuwal.
Morbihan.
Avagddu.
Gueyrydd.
Gwrtheyrn.
Galgak.“
Angus, Druide,
Pfarrer.
Die Vorleserin verstärkte jetzt ihre Stimme und gieng in einen andern Ton über, denn sie gelangte an die poetische Fassung des Urtheils, die nach damaliger Sitte und Gesetz der prosaischen folgen mußte. Die Anstrengung trieb ihre Stimme in die Höhe, laut und grell wie ein krächzender Nachtvogel kreischte sie in gesangartig gezogenen Tönen:
Diese drei Ausrufe, den hergebrachten Schluß eines Todesurtheils, stieß sie mit einem Laute aus, so wild grausig gellend, wie man sich den Schrei des blutigen Kindes im „Macbeth“ denken muß, das aus dem Hexenkessel steigt; es ruft dreimal seinen Namen so entsetzlich, daß er sagt: „Hätt' ich drei Ohren, hört' ich dich!“
Kaum war sie zu Ende, so rieß Angus, den Augenblick benützend, wo Schauer alle Zungen band,
eine Fackel vom nächsten Pfahl, schwang sie, rief: „Vorwärts!“ setzte sich in Bewegung, ihm
nach das geisterhafte Weib, in der einen Hand den Runenstab, in der andern die Fackel, die sie
vorhin ergriffen hatte und nun in Kreisen über dem Haupte drehte; an sie schlossen sich rasch
die Gemeindeältesten und hinter diesen drängte sich Alles, was streng und feindlich gegen
Neuerungen gesinnt war; dagegen die Barden, die Männer, die wir als eine Art von Linker schon
kennen, die Unentschiedenen, die sich gern einige Nüchternheit bewahrten: sie Alle bedurften
nur wenige Minuten, sich vom lähmenden Grausen zu erholen, dann stürzten sie sich nach,
abmahnend, klagend, heftig bemüht, die vorwärts Stürmenden aufzuhalten. Durcheinander
schreiend, ziehend und stoßend, zerrend und gezerrt, wälzte sich der wirre Menschenknäuel über
die Opferstätte hin, wo vor Grippo's Bild ein Scheiterhaufen aufgerichtet stand und röthlich
im Fackellicht aufglühte, wo auf dem Dolmen schon der Corid
Ein dumpfes, klatschendes Geräusch wird vernommen, es wiederholt sich schnell und öfters und
rasch vereinigen sich diese schlagartigen Laute zu einer dunkeln, verworrenen Masse von
Gehörseindrücken, die nur von zappelnden, heftigen Bewegungen im plätschernden, schäumenden,
spritzenden Elemente des Wassers herrühren können. Dazwischen erschallt mehrstimmiges Ge
Anderswo liegt in ihrem Kämmerchen eine Jungfrau mit geschlossenen Augen, mit dem innern Auge Alles sehend, was sich begibt, und Alles verstehend und von Lust und von Bangen zitternd zieht sie die Decke ihres Lagers über sich her und versteckt darin ihr schönes Lockenhaupt.
Nach und nach wird die Fläche des Sees wieder sichtbar und ruhig, Lärm und Menschengedräng zieht sich in's Dorf hinauf, hier beginnt ein Laufen, Poltern, Herbeischleppen wärmender Pelze, in den Küchen ein Wasser- und Methsieden, auch diese Unruhe legt sich allmälig und endlich ist es stille.
Ruhig scheint der Mond auf den befreiten glatten Wasserspiegel. Nichts ist mehr zu sehen von all' der Menge von Menschen und Dingen; nur eine Zipfelpelzmütze, der Hauptschmuck des Druiden, treibt einsam, träumerisch auf den Wellen dahin. —
Drei Jahre sind seit dem Ereigniß vorübergegangen. Am Ufer sitzt ein junger Mann, neben ihm
ein bildschönes Weib. Sie sehen einem Kinde zu, einem kräftigen Knaben, welcher im Grase mit
Blumen spielt
Die Beiden sitzen lange schweigend beisammen.
„Wo er wohl sein mag, was wohl aus ihm geworden ist?“ sagt endlich, in Gedanken verloren, Alpin.
„Ach,“ antwortet Sigune, „es ist besser, ich sage dir's, als daß du es durch Andere erfährst. Gestern kam mir ein Gerücht zu Ohren, Männer vom Podamur-See, die mit Waaren zu uns gekommen, haben es herübergebracht; sie sagen, ihnen selbst sei es auch durch waarentauschende Leute zugetragen und diesen ebenso aus weiterer Ferne. Es lautet traurig.“
„Sag' nur, ich ahn' es wohl.“
„Weit, weit weg in einem wilden Lande sei er, so heißt es, von grausamen Menschen erschlagen worden, weil er ihnen ihre Götter nehmen wollte. Ach, wenn's so ist, du hast ihn umsonst gerettet!“
Alpin ließ das Haupt sinken, zog dann sein Weib an seine Brust und unterdrückte ein Schluchzen. Dann hob er sich und sagte: „Doch nicht umsonst, lieb Herz! Was er ausgestreut, wird aufgehen. Ist ja bei uns auch aufgegangen; nicht zu viel, doch Manches. Der neue Druide haßt und verfolgt die Leute nicht, die nicht gerad' Alles so glauben.“
„Dem Alten hat doch noch etwas geschwant, als
„Mich Beide nicht.“
„Du bist im Herzen doch eigentlich auch für's Neue.“
„Weißt, ich kann freilich die Steckköpfe und Mucker nicht leiden. Was Arthur gemeint, hat
mir stückweis wollen einleuchten, ja sind mir auch schon fast ähnliche Gedanken gekommen, wenn
ich so auf meine Schippe gestützt in's Weite hinaus schaue oder wenn ich im Regen unterstehe
dort in der Höhle, wo Arthur sich verbarg. Da fällt mir immer ein, was er gesagt hat in der
Nacht, als ich ihn über den See setzte. ‚Warum bist du denn eigentlich aus deinem Versteck
heraus?’ frag' ich ihn. ‚Ich weiß selbst nicht recht,’ sagt er, ‚und doch, ich weiß. Als ich
in der hohen dunklen Höhle so dasaß, da kam es über mich; es wehte mich an; es rief etwas über
mir hoch herab vom grauen Felsgewölbe und doch in mir: drüben am Dolmen reden sie jetzt, rief
es, gehe hin, zeuge vom neuen Gott, den du nicht kennst und doch kennst, sprich, zeuge laut
vor allem Volk! Da ließ es mich nicht; ich brach aus’ Sieh',“ fuhr Alpin fort, „wenn ich nun
in der Höhle sitze, da muß ich dieser Worte gedenken, da meine
„Ja, drum hältst du's auch mit denen, die sich so stark gegen die Einführung des Erzes sperren“. Sigune lächelte zu diesen Worten; nachdem Alles gut geworden, hatte sie, schelmisch wie sie war, ihren Alpin öfters mit der bewußten Szene geneckt.
Alpin stand auf, hob das Kind auf seine Arme, beugte sich zu Sigunen nieder, hielt ihr das kleine Haupt nah unter die Augen und sagte: „Lieb Weib, ist das nicht ein schönerer Spiegel?“
Sigune bedeckte das Kind und dann den geliebten Mann mit Küssen.
Als sie wieder aufschauten, sahen sie im Hintergrund den Ehegoumer eilig über die Wiese laufen.
„Gelt du,“ sagte Sigune, „den brauchen wir nie und nimmer!“
Die Fundstücke, die man aus dem Robanus-Seegrund ausgegraben hat, gehören der Steinzeit an, doch befinden sich auffallenderweise zwei Ausnahmen darunter: ein Erzschwert, dessen Schärfe so gezahnt ist, daß es offenbar als Säge gedient haben muß, und ein großer eiserner Bohrer, beide stark vom Rost angefressen, doch mit Sicherheit noch bestimmbar. An einigen Dielen, die man an einer Stelle noch ziemlich erhalten beisammen fand, lassen sich Spuren von Bohrlöchern und von da auslaufend starke Eingriffe eines rauhdurchschneidenden Werkzeugs erkennen.