Zu zweien Malen bin ich geboren, und beide Male hieß meine Heimat eine Burg: Magdeburg die eine, Abendburg die andere. Ward ich zu Magdeburg geboren für das Zeitliche, so geschah auf der Abendburg meine Wiedergeburt für das Ewige.
In der Stadt am Elbstrom, am Tage der sommerlichen Sonnenwende des sechzehnhundert und sechsten Jahres drang ich aus dunklem Schoße zum Licht, ein Sprößling des Fleisches mit Odem und Geschrei. Johannes Martinus Tilesius, vulgo Tielsch, ward ich in der Taufe benamset, weil ich ja am Johannistage geboren, und weil überdies mein Vater zu Sankt Johannis Kirche ein Prädikante war. Sein ehelich Weib, meine gute Mutter, hieß Barbara Tilesia, und war eine geborene Angern.
Wie mir von den Eltern oft erzählet worden, habe ich die ersten Monde meines
irdischen Aufenthalts schier Tag und Nacht geweinet, also daß meine Mutter nicht
schlafen gekonnt und zu manchen Malen vor übergroßer Müdigkeit über dem Tischgebete
eingenickt ist. Es spricht aber ein alter Kirchenlehrer: So ein neugeboren Kindlein
anhaltend weinet, ist es ein Prophet trübseliger Lebensjahre. Das ist gewißlich bei
mir eingetroffen. Zähle ich nämlich all die Ängste und Plagen, durch die ich in
Junggesellen- und Mannesjahren Spießruten gelaufen bin, all die Tränen, darinnen ich
als in einem Flusse geschwommen, Tränen über Waffen- und Hungersnot, Tränen über
verloren Gut, entschwundene Lieb und Treue, Tränen ohnmächtigen Zornes und
enttäuschter Hoffnung, auch Tränen der Reue über begangene Missetat, Tränen endlich
des heißen Verlangens, aus diesem finstern Tale mich zu erretten zum heiligen Lichte
droben ... dies alles bedenkend, muß ich schon glauben, daß mein kindisch Heulen eine
Ahnung des Zukünftigen gewesen und ein dunkel Begehren, unsere bange Welt recht
In meiner irdischen Vaterstadt lebte ich eilf Jahre. Alsodann verzogen meine Eltern nach Hirschberg im Schlesierlande, dieweil den Vater Sehnsucht zum Schlesischen Gebirge trieb, das seine angestammete Heimat ist. Also gelangte ich in die Gegend der Abendburg.
Magdeburg und Abendburg – beide Namen haben guten Klang. Magdeburg bedeutet die Burg einer Magd, so mit ihrer Unschuld den Angreifer zurücke schlägt. Und da ich als Kind die ersten Male von der Abendburg reden hörte, dachte ich an gülden Abendgewölk, anzuschauen als eine Burg; auch an eine Veste dachte ich, trutzig in den Abendhimmel gerecket, gewappnet wider den Feind, der im Finstern schleicht. Und es war eine Stimme in dem Namen wie Herbstwind, abendlich am Gitterfenster säuselnd, oder wie der verlassenen Jünger fromme Bitte: »Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget.«
Magdeburg stehet in meiner Erinnerung als eine Hauptstadt, gelegen in der Ebene am
Elbstrome, hat einen Dom und andere stattliche Kirchen, große schmucke Häuser,
bewohnet von viel tausend Menschen, so mit Lärmen durch die Gassen strömen. In den
Werkstätten pochen und basteln die Handwerker, in den Kaufläden und Schreibstuben
wird gekramt, gebucht, bankerottiert und Geld in die Truhen gescharrt. Schiffer
verladen Ballen und Kisten in ihre Kähne, die das gelbe Wasser umspület. Soldaten
bauen auf den Schanzen, Bauern treiben Vieh und fahren über die lange Brücke, und die
Windmühlen auf den Feldern schwenken ihre
Es hat aber eine schaurige Bewandtnis mit diesem Schutzgeiste, wenn anders ein scheu Geflüster der Leute Wahrheit vermeldet. Mit der Magd soll nicht, wie man in katholischer Zeit fürgab, die Jungfrau Maria gemeinet sein, auch nicht Frau Venussin aus der Heidenzeit, sondern ein unerwachsen Mägdlein, so lebendig in die Burg ward eingemauert, dieweil man gläubete, die konservierte Unschuld habe Macht, den Angreifer zurückezuwerfen. Als den Platz, allwo vor Alters des Mägdleins Burg gestanden, bezeichnet die Sage das jetzige Krökentor. Sooft im Laufe der Zeiten der dicke Turm am Tor morsch geworden und von neuem auferbauet werden gemußt, versäumete man niemalen, die Kraft des Schutzgeistes zu erneuern, nämlich ein frisch Mägdlein einzumauern.
Die steinalte Olsche des Bäckermeisters Kahle hat uns Kindern diese Mär anvertrauet. Gern saß sie an milden Abenden in unserm Kreise auf der steinernen Freitreppe des Nachbarhauses und erzählete von Zauberei und Räuberei, Spuk und Gespenstern. Wollte auch wissen, daß der runde Turm am Krökentor erst zu ihres Großvaters Zeiten erbauet worden und auch damals nach altem Brauche sein eingemauert Mägdlein erhalten habe. Des näheren beschrieb sie den Hergang also:
Wiederholt habe ich die kleinen Zehen betrachtet, wenn ich durch das Krökentor ging. Als ich einmal mit meinem Vater vorbeikam, meinte ich: »Das Mägdlein hätte lieber den Apfel nicht sollen nehmen. Ob es ihn wohl noch gegessen hat in seinem Mauerloche?«
»O mein Kind,« antwortete mein Vater erschrocken, »glaub doch nicht, was die Leute schwatzen! Diese Füßlein sind nur zum Gedächtnis der alten Mär abgebildet; es brauchet deswegen kein Mägdlein dahinter zu stecken. Zauberische Menschenopfer hat man wohl in heidnischen Zeiten dargebracht. Jetzt aber sind die Magdeburger Christenmenschen und kennen die Gebote: Du sollst nicht töten und sollst nicht zaubern.«
»Die Gebote kennen sie wohl,« – schwatzete ich – »deswegen aber zaubern und töten sie doch. Hat man nicht vorige Woche einen Schiffer auf dem Marktplatz an den Galgen gehenket? Und unser Küster erzählt, als Junge habe er eine Hexe brennen sehen, die auf einem Besenstiel zum Blocksberg gefahren sei. Eine Nachbarin, die sie mitnehmen gewollt, habe alles vor Gericht ausgesagt.«
Da seufzete mein Vater: »Ja, es ist eine arge Welt! Aber laß uns lieber nicht daran
gedenken. Sollte es aber wirklich wahr sein, daß ein Mägdlein eingemauert ward, so
ist das schlimm für die Magdeburger. Hätten lieber nach eigener
»Nicht doch, Vater!« sprach ich. »Warum gläubest du also?«
»Es gehet der Krug zu Wasser, bis er bricht, und einer jeglichen Burg auf Erden ward vom Himmel beschieden, früher oder später zu fallen, wie ein Kriegesmann zu fallen pflegt. Der Himmel meinet es gut mit solchem Verhängnis. Blühet doch alles Lux herfür aus Crux, alles Licht aus Kreuz und Leide. Die Menschen zu erleuchten, muß ihr irdisch Vaterland zerstöret werden, daß kein Stein auf dem andern bleibet. Also werden sie vermahnet, die bessere Heimat aufzusuchen – eine Burg der wahren Unschuld – eine Burg aus eitel Licht ...«
Hierauf so schwiegen wir lange. Ich aber dachte der Rede nach. Und wie wir am Abend an einem Kornfelde lagerten bei dem Lusthaine, den die Magdeburger Vogelsang nennen, kam ich noch einmal auf das eingemauerte Mägdlein zu sprechen. Über dem Kornfelde schwebte eine Wolke, anzuschauen wie ein gülden Gebirg, und ich sprach: »Siehe, Vater, da ist eine Burg aus eitel Licht – eine wunderschöne Abendburg!«
Mit großen Augen sahe mich der Vater an: »Ei, Johannes, was weißest du von der Abendburg?«
»Ich weiß nichts davon, aber du hast wohl einmal von der Abendburg geredet, und nun dünket mich, das da sei solch eine Abendburg.«
Schmunzelnd nickte der Vater: »Wie rotgülden Wolkengebirg mag die Abendburg allerdings ausschauen, id est in der Johannisnacht, wenn sie von ihrer Verwünschung erlöset wird. Aber für gewöhnlich ist sie nur ein wüst Felsengestein.«
»Mitnichten eine Burg, sondern gänzlich wild Gestein, an die zwo Stunden entfernt von meinem heimatlichen Dorfe Schreiberhau. Raget jäh aus den Wettertannen jenes langerstreckten Gebirges, allwo der Queißfluß und der Kleine Zacken ihren Ursprung nehmen. Von der Abendburg schaust du gen Mittag über dunkle Wipfel nach den Riesenbergen. Die wogen dunkelblau, und in ihren Abgründen schimmert Schnee.«
»Wahr, Vater, da kann man im Sommer Schneebälle machen?«
»Freilich! In den hochgelegenen Felsenspalten gen Mitternacht ist es also kalt, daß der Schnee bis Ende Juli dauert.«
»Wie hoch sind wohl die Riesenberge, Vater? Etwa so hoch wie unser Dom?«
»Weit höher, Johannes! Oft ragen sie über die Wolken hinaus.«
»Ei wie denn, Vater? Wenn sie bis über die Wolken ragen, so kann man von dorten wohl ins Himmelreich schauen, allwo die schönen Engel auf Wolken wandeln? Ach, ich möchte über die hohen Berge gen Himmel klettern.«
»Ei ja doch!« lachte der Vater. »Wie auf einer Leiter, nicht wahr? Nein, Johannes, das Himmelreich ist nicht an einem entlegenen Orte und kommet nicht mit äußeren Gebärden; inwendig im Herzen tut es sich auf.«
Ich war enttäuschet. »So können uns die schönen hohen Berge nicht zum Himmelreiche helfen? Warum verlangest du alsdann immer nach deinen lieben Bergen?«
Der Vater lächelte für sich und nickte: »Ob sie zum Himmelreiche helfen? Das können
sie allerdings! So du nämlich Liebe für sie hegest, tun sie dir das Herze auf, und
also wird dein innerlich Himmelreich offenbar. Solches ist mir geschehen auf der
Abendburg. Und glaube mir, so du dorten hoch vom Steine in die blauen Weiten
schauest, und dein Ohr dabei keinen Menschenlaut vernimmt, sondern nur den
»Erzähle, Vater!«
»Die Abendburg, so sagen die Leute von Schreiberhau, ist einmal eines Königs Schloß gewesen. Ward aber verwunschen und in wüst Gestein verwandelt. Zuweilen nur, je nach langem Raume, in Sankt Johannis heiliger Nacht, erscheinet es wieder in alter Pracht. Aufgetan ist dann ein Tor, und wer eintritt, findet wohl Mulden voll Gold und bunten Edelsteinen. Aber man muß des Sonntags geboren und anoch unschuldig sein, sonsten kann man den Schatz nicht heben, kriegt auch die entzauberte Abendburg nimmer zu schauen ...«
»Aber du, Vater, hast sie zu schauen gekriegt.«
»Ach nein, ich bin kein Sonntagskind.«
»Aber sagtest du nicht, dir sei das Mirakel wider fahren?«
»Ein ander Mirakel meine ich und auch eine andere Abendburg. Doch solches zu verstehen, bist du noch zu jung, lieber Johannes.«
»Ach, Vater, so erkläre es mir – vielleichte, daß auch mir solch Mirakel widerfahren mag.«
»Nun wohl, mein Kind,« sagte der Vater, und seine Augen waren leuchtend aufgetan.
»Die Abendburg, die ich jetzo meine, ist das Menschenherz. Verwunschen ist es von
einem bösen Geiste – demselbigen, so die schwarzen Männer angestiftet, das Mägdlein
einzumauern. Dieser Geist kann die ewige Seele also verstören, daß sie einer Wüstenei
gleichet, dem düstern Felsen der Abendburg. Doch einen Johannistag gibt es, der den
Zauber lösen kann. Das ist die Sonnenwende des Menschenherzens, da es spüret, wie nun
die Tage kürzer werden, und wie alles Leben vergehen muß gleich Heu. Nun seufzet es:
Ach komm doch endlich, du mein ewig Heil, denn ich bin müde, leibeigen zu dienen
dieser unwerten Welt!
Ich hatte aufmerksam gelauschet, zwar nicht verstanden, was ich jetzo weiß, doch eine Ahnung verspüret von dem Heiligtum tief im Menschen. Und wie mein staunend Auge auf dem Vater ruhte, hatte ich gedacht: Also muß ein Prophete aussehen!
Nach einer Weile fragte ich: »Aber wie ist es denn mit der richtigen Abendburg, so bei Schreiberhau gelegen? Hat die jemals einer zu schauen gekriegt?«
»Die Mär vermeldet, in einer Johannisnacht sei eine arme Frau mit ihrem Kindlein zur
Abendburg gekommen. Da hat sich der Fels verwandelt, und die Mutter, ihr Kindlein an
der Hand, ist eingegangen in das strahlende Schloß und hat in den Gängen Gold
gefunden, das von der Decke herabhing wie Tannenzapfen von den Nadelzweigen. Wie sie
nun genung abgebrochen und zusammengerafft, ist sie enteilet und hat in der Hast
ihres Kindleins vergessen. Draußen erst hat sie mit Schrecken sich umgewandt, es zu
holen. Da ist ihr vor der Nase die Türe zugeschlagen, und auf einmal die Abendburg
wieder wüster Fels gewesen, und drinnen war das Kindlein. Geweinet und sich das Haar
geraufet hat die Mutter, auch vor Verzweiflung das Gold weggeworfen, weil das sie
nicht glückselig machen konnte, nun ihr Kindlein verloren. Aber wie sie nach
Jahresfrist zur Abendburg kommen ist, sich auszuweinen, hat sich der Felsen abermals
zum Schlosse verwandelt, und siehe, drinnen an einem steinernen Tische sitzet das
Kindlein frisch und gesund, einen Apfel in der Hand, und winket lächelnd der Mutter,
hereinzukommen.
»Ei, Vater,« sagte ich verwundert, »wie gleichet doch das Kindlein im Abendburgfelsen dem Mägdlein im Krökentor. Beide sind in Stein eingeschlossen, und beide haben auch einen Apfel in der Hand.«
»O schweig, mein Kind, laß ruhen den alten Frevel!«
»Aber kann nicht auch das Krökentor entzaubert werden wie die Abendburg und das Kindlein herauslassen?«
Sinnend nickte der Vater: »Wenn einst die Gräber sich auftun, wird auch das Mägdlein erlöset, aus dem kalten düstern Gemäuer kommt es lachend heraus, und siehe, ein Mutterherz ist ihm beschert. Unschuld ist ewig bei der Liebe.«
Nach solchem Trostworte erleichterte ein Seufzer meine beklommene Brust. Ich bedachte, es werde vielleicht, wie dem Krökentore, also gemeiniglich für alles Unheimliche, so mich ängstete, ein Stündlein der Erlösung und Verklärung schlagen. Es gab des Unheimlichen nicht wenig in meiner Vaterstadt, und das Mägdelein im Krökentor mag als ein zusammenfassend Symbolum gelten für die Finsternisse meiner Kindheit.
Von einer Scheu vor der Gegenwart und einer Sehnsucht in die Ferne war meines Vaters
Seele ständig bewegt. Dem verlieh er gern einen stummen Ausdruck durch kleine
Gemälde, wie er denn den Tuschpinsel schier als ein Künstler zu führen wußte. So
hatte er einen Felsblock gemalt, aus dem ein Quell schäumend schoß. Darunter stund
geschrieben: »Ich steh am Quell und dürste.« Als ich ihn um die Bedeutung der
Inschrift befragte, gab er zur Antwort: »Ach wie oft stehet ein Mensch am Quell und
muß doch dürsten, dieweilen er nicht trinken darf, nicht trinken kann, nicht trinken
mag.« Zu einem andern Gemälde, das einen grauen Wolkenhimmel
Des Magdeburgischen Amtes waltete er ohne frischen heitern Sinn. Hatte es ja nicht aus Herzensdrange übernommen, sondern mehr um meine Mutter ehelichen zu können. Das mochte nun seine Kirchengemeinde spüren; drum war sie kühl gegen ihn gesonnen. Redete ihm nach, er predige nicht für das Volk, sondern für sich selber und für Schwarmgeister seinesgleichen. Wie der Rat von Magdeburg einmal uneins mit dem Administrator des Erzstiftes gewesen, und schier alle Prediger auf der Kanzel die Bürgerpartei verfochten, mein Vater aber gänzlich von solchen Welthändeln schwieg, ward ein Gespött über ihn im Ratskeller laut. Davon ist er völlig verschüchtert worden; fühlte sich halt nicht zum Eifern geschaffen, wie er denn von je mehr den Studiis gewogen war als dem Predigen, und insonderheit den milden Gelahrten Melanchthon liebte, dem streitbaren Luthero indessen nur Ehrfurcht entgegenbrachte. Was meines Vaters Kleinmut auf die Mutter übertrug, war die Schmalheit seiner Besoldung, so noch aus der alten katholischen Zeit stammte und wohl für einen ledigen Mann zulangte, nicht jedoch für einen Familienvater. Solche Unzufriedenheit ließ den Vater nach einem andern Amte umschauen, und weil er bereits früher im Schuldienste sich herfürgetan, auch eine angesehene Grammaticam herausgegeben hatte, so ward er von seinen Hirschbergischen Landsleuten zum Konrektor ihres Gymnasii erkoren.
Da nun beschlossen war, daß wir gen Schlesien ziehen sollten, kam eine freudige
Aufregung über meinen Vater und auch über mich. Nur die Mutter seufzete, und ihre
Augen
Ging auf den Marktplatz, wo ich gern Ball oder Kreisel gespielt, und über den Breiten Weg, so die Stadt vom Krökentor bis zum Sudenburger Tor durchquert. Prächtig sind allda die Bürgerhäuser, haben breite Freitreppen, künstlich geschmiedete Gitter und am Dache speiende Ungetüme. Über den eisenbeschlagenen Pforten pranget mancherlei Zierat, als da sind Pferdeköpfe, wilde Männer, fromme Sprüche oder Sinnbilder, etwan ein steinern Rad, ein Pflug, eine fette Henne, ein gülden Hufeisen. Wenn ich einem stadtbekannten und kuriösen Menschen begegnete, dem dicken Hökerweibe, Appelolsche benamset, oder dem wilden Peter, dessen Haare und Nägel seit Jahren unverschnitten geblieben, so dachte ich in meinem Sinn: du ahnest nicht, daß ich dich jetzo zum letzten Male anschaue und die weite Reise ins Schlesingerland fürhabe!
Bei solchem Umherwandeln merkte ich, daß mein Abschied nicht bloß der Vaterstadt
galt, sondern auch bereits meinem Kindesalter. Zu manchen Malen ward mir klar, wie
ich bisher als rechter Einfaltspinsel in die Welt gegafft und mich mit allerhand
dummen Einbildungen getragen. Das Haus am Knochenhauer Ufer, drin meiner Mutter Vater
wohnte, trug auf dem Dach ein Türmlein, von wo mein Blick oft über das Gewimmel der
Dächer ins Weite geschweift war, auch über die Elbe hinweg bis zur grünen
Zollschanze, wo der Himmel sich emporzuwölben begunnte. »Dahier muß die Stelle sein,
wo die Welt mit Brettern zugenagelt ist,« hatte ich stets bei diesem Anblicke gedacht
– als ob hinter den
Eine andere kindische Einfalt hatte mir eingebildet, der Kaiser Otto, vor dem Rathause hoch zu Rosse abgebildet, sei derselbige, von dem die Bürgersleute sprachen: »Unser Kaiser«, und die um den Kaiser Otto stehenden steinernen Weibsbilder seien die Frau Kaiserin nebst ihren Mägden. Nunmehr zur Nachdenklichkeit gestimmt, befragte ich meinen Vater nach dem Kaiser Otto und erfuhr zu meiner Verwundernis, der habe schon vor vielen hundert Jahren gelebt, und was ich für Mägde angesehen, seien Symbola, Fürtrefflichkeiten seiner glorreichen Regierung, zum Exempel seine Justitia oder Gerechtigkeit, seine Frömmigkeit und Tapferkeit; jetzo aber werde die Krone des Römischen Reiches Teutscher Nation vom Kaiser Matthiae getragen, der wohne im Österreiche, in der Stadt Wien, zwiefach so entfernt wie Hirschberg.
Das Besteigen unseres Dachtürmleins erinnerte mich daran, daß ich ja noch nicht auf
dem Magdeburger Dome gewesen sei, von wo man, wie die Leute rühmten, viele Meilen
weit in die Runde sehen und bei klarer Luft sogar den Harz erkennen kann. Bat
derohalben meinen Vater, mich auf den hohen Turm zu geleiten, und erhielt die Zusage.
Sollte jedoch nicht zum Ziel gelangen. Denn wie wir eines Spätnachmittages beim
Küster des Domes vorsprachen, damit er uns den Turm auftue, war weder der Küster noch
sein Weib daheim, und also blieb uns der Turmschlüssel verwehret. Wir begnügten uns
damit, von unten zu betrachten, was des Anschauens würdig. Da staunte ich über die
mächtigen Türme mit ihrem aus Stein gemeißelten Zierate. Der Sonnenuntergang
entzündete in den Scheiben der hohen Fenster Purpurflammen,
Alsdann gingen wir zum Kreuzgang. In seine Wände sind Steinplatten eingelassen, auf denen geistliche Herren aus alter Zeit, mit Kutten angetan, abgebildet sind; und ich war bisher, weiß nicht aus was Ursach, der erschrecklichen Meinung gewesen, hier habe man Mönche zur Strafe für Ungehorsam lebendig eingemauert, also daß ihre Gestalt unter dem angeworfenen Kalke noch erkennbar. Von diesem Aberglauben heilte mich mein Vater: »Solch Einmauern,« sagte er, »ist in den papistischen Klöstern zwar vorgekommen, aber doch nicht also oft, auch nicht in dieser Weise zur Schau gestellet.«
Ich fragte nun, ob es wahr sei, was ein Klosterschüler mir anvertrauete, daß nämlich ein heimlicher Gang unter der Erde den Dom mit unserer Johanniskirche und sogar mit dem Kloster Berge verbinde.
Hierauf antwortete mein Vater: »Also reden die Leute; wollen auch wissen, daß Kurfürst Moritz, wie er Magdeburg belagerte, durch den unterirdischen Gang in des Dompredigers Wohnung gedrungen sei, um daselbst mit dem Stadtrate ohne Wissen der Bürgerschaft zu akkordieren. Das soll vor mehr denn sechzig Jahren geschehen sein. Den früheren Domprediger habe ich gefragt, was Wahrheit daran sei, und die Auskunft erhalten, in den Kirchenschriften werde nichts dergleichen vermeldet. Was aber die Johanniskirche anlangt, so weiß ich allerdings von einem unterirdischen Gang; er führet aus dem Keller unseres Predigerhauses in ein Gewölbe unterhalb der Kirche, weiter jedoch nicht. Wenigstens hat unser Küster keine Fortsetzung des Ganges gefunden.«
»Wie denn? Aus dem Keller unseres Predigerhauses?« fragte ich. »Wir wohnen ja im Predigerhause.«
»Aus unserm Keller,« bestätigte der Vater. »Hinter Gerümpel befindet sich da eine
kleine Tür, unser Küster hat den
Daß diese Worte mir später einmal zum Schicksal werden sollten, ahnte ich damals nicht, prägte sie aber meinem Gedächtnisse ein, weil sie meine Phantasie aufregten.
Im weiteren Gespräche fragte ich, was für Bewandtnis es mit jener Belagerung durch den Kurfürsten Moritz habe. Es fiel mir bei, daß Tages zuvor der Prediger von Sankt Kathrinen zu meinem Vater die Äußerung getan: »Ein neuer Kurfürst Moritz tut dem Reiche not.« – »Wie denn?« fragte ich jetzo verwundert. »Kurfürst Moritz war doch unser Feind. Hat er nicht Magdeburg belagert?«
»Ja, weil es der Kaiser also gewollt hat, und weil Moritz damals kaiserlicher Feldherr gewesen. Doch unser Feind war Moritz nicht. Denn nur ein Gaukelspiel ist seine Belagerung gewesen. Mit dem Scheine des Gehorsams hat er den Kaiser sicher gemacht, um dann auf einmal gegen ihn die Waffen zu kehren.«
»Ei, so ist Kurfürst Moritz ja falsch und treulos gewesen.«
»Das freilich,« versetzte mein Vater, »aber dem evangelischen Glauben hat er durch solch Vorgehen großen Nutzen gebracht, und denen Politicis kommt es mehr auf den Nutzen an, als auf die Treue.«
Also hat schon das Herannahen meines Abschiedes von der Vaterstadt mich aus der Enge kindischer Meinung zu einem weiteren Gesichtskreis geführt. Wie erstaunte ich aber erst, als wir die Reise angetreten, und jeder Tag meiner Neugier frische Weide sattsam bescherte!
Wir fuhren große Landstraßen dahin, zumeist auf Leiterwagen, die bei schlechtem
Wetter mit Leinewand bedeckt wurden. Rechts und links zogen Bäume vorbei, Wiesen und
Stoppelfelder, Flüsse und Sümpfe, Gutshöfe und Windmühlen; und wenn die eine
Kirchturmspitze hinter einer Erdwelle versank, war schon die neue vorn aufgetaucht.
Bald holperten unsere Räder über das Pflaster einer Stadt, bald
Wir begegneten Leuten mancher Art: Handwerksburschen und Bettlern, Bauern und Viehhirten, reisenden Kaufleuten und Soldaten, auch Bärenführern und Komödianten. Sahen bei Lohburg eines Seiltänzers Künste, manchmal einen Galgen mit Gehenketen dran, zu Wittenberg ein Blutgerüst und im Wendischen Lande eine schreckliche Balgerei bezechter Burschen.
Täglich an die zehn Stunden ging die Reise. Dann waren wir so derbe durchgerüttelt, daß uns alle Glieder wehtaten. Als wir in die Lausitz kamen, fühlte sich meine Mutter elend. Und zu Wittichau mußten wir ihrethalben zween Tage im Gasthause verweilen, da sie aus kaltem Regenwetter ein Fieber davongetragen.
Bei der Stadt Görlitz schimmerte durch herbstlichen Dunst ein spitzer Berg, die Landeskrone geheißen, und fröhlich sagte mein Vater: »Jetzo fanget das Gebirge an, und so Gott uns behütet, sind wir übermorgen abend am Ziele.« Ich spähete eifrig nach den Bergen aus, da es aber andauernd nebelig war, sah ich nur die nächsten Hügel. Merkte aber an Felsen und schäumenden Bächen, daß wir im Gebirge waren.
Am Morgen ging es durch hohen Fichtenwald, ich nickte in Schlaf, fuhr aber bei einem Ausruf meines Vaters empor. Der Nebel war gewichen, und die Frühsonne strahlte von links; zur Rechten hub sich eine blaue Wolkenwand, nach der meine Eltern heitern Antlitzes hinschauten. »Da haben wir das Isergebirge, Johannes, und heute abend sind wir in Hirschberg.« Nun erst erkannte ich, daß die blaue Wand wellenförmig gegliedert war und aus Bergen bestund, die höher und höher ragten, immer hellblauer gefärbt, je ferner sie waren.
Zu Greifenberg angelangt, freuten wir uns der großen prächtigen Burg, die über dem Städtlein am Berge liegt als ein gewaffneter Schirmherr. Heißet der Greifenstein und ist Residenz des Freiherrn von Schaffgotsch.
Als unser Wagen in der Laubaner Gasse Halt machte, kam aus dem Wirtshause, von den Schlesingern Kretscham geheißen, ein Mann, dem Aussehen nach ein Viehhändler, und fragte den Vater in seiner Mundart, die ich schwer verstund, ob er der neue Konrektor von Hirschberg sei. Drauf berichtete der Mann, daß meines Vaters Bruder, Tobias Tilesius, uns bis Hirschberg entgegengereiset sei und da bereits zween Tage im Schwarzen Rössel unserer Ankunft harre, in Sorgen, es möchte uns unterwegs ein Mißgeschick widerfahren sein.
Mein Vater traktierte den Viehhändler mit einem guten Botentrunk und forschte ihn nach seinem Bruder aus. Den nennete der Viehhändler immer nur den Kräutertobias, dieweilen mein Oheim die wertvollen Gebirgskräuter sammelte und zu Markte brachte. Früher ein kunstfertiger Glasmacher und Schleifer, hatte mein Oheim sich in diesem Handwerk, das die Brust angreift und mit Glasstaube anfüllt, einen schweren Odem zugezogen und sich nun dem Laborantenwesen zugewandt. Wohnte hoch im Gebirge zu Schreiberhau.
Es dämmerte bereits, als wir an einem zweiten Schlosse des Herrn Schaffgotsch, auf
einem Berge über dem Städtlein Kemnitz gelegen, vorbeifuhren. Noch ein paar Stunden,
und aus der Dunkelheit schimmerten die Lichter von Hirschberg. Unter einer Brücke
schoß rauschend Wasser dahin, und
Aus dem Gasthause trat ein hochgewachsener, doch im Rücken gebeugter Mann, spähete nach dem Wagen und kam hastig herbei. »Tobias!« rief mein Vater froh, sprang vom Wagen und umarmte seinen Bruder. Hierauf begrüßte der Oheim meine Mutter und küßte mich auf die Wange. Wie mein Vater war er lang und hager von Gestalt, auch melancholischen Antlitzes. Während aber mein Vater versonnen und sehnsüchtig aussah, beseelte den Oheim eine wilde Unrast. Grau und verwittert seine Haut, wie Fichtenrinde, struppig der große Bart, keuchend sein Odem. Die Augen lagen in tiefen Höhlen unter buschigen Brauen und glommen düster.
Wie wir so auf der Gasse stunden, nur trübe von der Wagenlaterne beleuchtet, stumm und bewegten Herzens, da ja diese Stadt unser neues Vaterland sein sollte, war mir seltsam zumute. Hörete die Mutter heimlich weinen, den Vater aber mit gefalteten Händen die Worte sprechen:
»Arm zages Pilgramherze,
Irrst lange schon im Dunkeln.
Da siehst du eine Kerze
Durch Nacht und Nebel funkeln.
Gewiß, wer die entzündet
Dem Irrenden zur Hut,
Hat also ihm verkündet:
Komm her, ich bin dir gut;
In meiner treuen Klause
Sei endlich nun zu Hause.«
Du lieber Boberfluß, dein Murmeln tönet hold durch mein Gedenken, so ich des Nachts
im Kämmerlein die zurückgelegte Lebensreise betrachte. Dann seh ich frischgemut wie
in den Knabentagen deine Wellen an der Sonne blinken und über moosige Felsen hüpfen,
vorbei an Stauden und Gebüsch, an Häusern und Gartenmauern. Aus einem finstern Walde
bei Schatzlar kommst du her, wo vorzeiten
Als ich mit meinen Eltern nach Hirschberg gezogen kam, war die Stadt noch schön gebaut und volkreich, hatte gedoppelte Mauern, Brustwehre, Schanzen und Gräben, drei starke runde Tortürme und andere Fortifikationen. War bewohnt von Ackerbürgern, Kaufleuten, Handwerkern, insonderheit Webern. Die lebten ein lustig Leben, liebten wackern Schmaus und Trunk, Gesang und Tanz. Zogen Feiertags vor die Tore zum dörfischen Kretscham, hatten viel Freude am Armbrustschießen und küreten jährlich einen Schützenkönig, so am besten den Vogel auf der Stange getroffen. Waren dabei gar betriebsam und kunstfertig. Das Weibesvolk wirkte Borten und Schleier, die weithin nach Polonien und Böheim, sogar nach Reußenland zu den Moskowitern verführet wurden. Vor der Stadtmauer auf den Uferwiesen des Zacken und Bober lagen die schlohweißen Gewebe hingebreitet, ähnlich Schneeresten im Märzen. Schwatzende Mägde schritten barfüßig über den Rasen, aus gesiebten Kannen Wasser auf die Bleiche zu gießen.
Das Hirschbergische Leben behagte uns allen weidlich. Gern war der Vater im neuen Amte, die Mutter erfreute sich eines reicheren Haushaltes, und ich empfing mit aufgeschlossenen Sinnen all das Neue und Wunderschöne der Gebirgslandschaft. Vernachlässigte dabei die Studia mit nichten. Nachdem ich allbereits zu Magdeburg »amo, amas, amat« gelernt hatte, drang ich jetzo unter Vaters Leitung in der Grammaticae tiefere Gründe ein und galt als ein tüchtiger Scholar.
Die Stunden meiner Muße verbrachte ich gern einsam vor den Stadttoren. Ging abends
etwa auf den Hausberg, wo vorzeiten ein fest Gehäus gestanden, vom Herzog Boleslao
erbaut, von den Hussiten aber in Asche gelegt, daß
Wie einmal mein Vater mit mir auf den Hausberg gegangen ist, habe ich den Blick auf die blaue Schneekoppe geheftet und nach einer Weile gesprochen: »Sage mir, lieber Vater, was vermeinest du über den Rübenzagel? Mag wohl etliche Wahrheit in diesem Glauben an den Geist der Berge sein?«
Zur Antwort gab mein Vater: »Was gemeiniglich in Spinnstuben und Schenken vom Rübenzagel laut wird, sind Fabulae. Gleichwohl gibt es einen Geist der Berge. Denn versenkest du dein Schauen in die Art unseres Gebirges, so spürest du darin eine eigne Lebendigkeit. Sie ist ein Teil des göttlichen Odems, der die ganze Welt durchflutet, und ohne dessen Spiritum kein Erdending bestehen mag – das Wasser nicht ohne Undinen, der Fels nicht ohne Kobolde, und kein Elementum ohne seine Elementargeister. Drum gebe ich Unrecht gleichermaßen denen, so den Rübenzagel für eitel Aberglauben halten, als auch jenen anderen, so ihn für eine teuflische Riesengestalt ausgeben. Es lebt der Herr der Berge und ist ein Geist, aber nur im Gemüt spürest du ihn. Er ist groß und gütig, freilich auch rauh und wetterwendisch, wie halt unseres Gebirges Art.«
Mich freute solcher Bescheid. »So ist also der Rübenzagel kein Teufel, und wir brauchen uns nicht vor ihm zu fürchten?«
»Nein, Johannes, das brauchen wir mitnichten. Der Teufel, den wir Menschen zu fürchten haben, hauset nicht in Wäldern und Gebirgen, sondern in uns selber, im menschlichen Herzen.«
Derweilen uns das Gespräch in solch Meditieren einspann, regten sich raunend die
Gebüsche im Winde, und es erlosch mählich das Abendrot ob den Tannenwipfeln. Auf dem
Heimwege
Im zweiten Frühjahre unseres Hirschberger Aufenthaltes hat sich ein Omen begeben. Durch die Luft kamen grausam viel Heuschrecken geschwirrt, aus dem südlichen Reußenlande. Haben im Fluge die Sonne verdunkelt, und wo sie niederfielen, ward der Boden ein viertel Ellen hoch bedeckt, also daß man in dem grünen Gewimmel waten gemußt bis an die Knöchel. In ihrer Freßsucht haben sie Gras, Laub und Getreide abgebissen bis auf das letzte Hälmlein und Stümpflein, und ist davon ein Geräusch gewesen, als ob eines Pappelhaines Blätter zittern. Mit Dreschflegeln haben die entsetzten Landleute dreingeschlagen, auch in Karren das Ungeziefer geschaufelt und verbrannt. Haben die Säue und Schafe auf diese seltsamliche Weide getrieben und so die grünen Leiber zerstampfen lassen. Aber die Säue haben so massenhaft vom Geziefer gefressen, daß viele hernach einer Seuche erlegen sind, und der rote Jörge, unser Schinder, genung tote Säue mit seinem blinden Gaule hat hinausführen und beim Gerichte verscharren müssen.
Kaum waren die Heuschrecken so ziemlich fort, da ist eine neue Plage und Beunruhigung
losgegangen. Zigeuner, wohl an die hundert Häupter, sind gekommen, auch zwanzig
Zeltwagen mit kleinen zottigen Pferden. Haben vor dem Schildauertore ein Lager
gemacht. Um dieses Volkes wundersame Art und Sitte zu betrachten, ist die
Bürgerschaft in Menge hinausgezogen, nicht ohne Waffen. Auch mein Vater ist
hingegangen und hat mich mit sich genommen. Da sah ich denn viel braune Gesichter mit
blitzenden Augen und Rabenhaar. Kauderwelsch haben sie geschwatzt, auch mit
Unter solchem Gespräche waren wir an Zigeunerlagers Ende gekommen. Am Feuer saß hier ein altes Weib und kochte Gerste mit gebackenen Pflaumen. Auch war sie damit beschäftigt, die stachlichten Körper etlicher Igel mit Lehm zu umhüllen und solchergestalt in der Glut zu rösten. Derweilen ich ihrem Treiben verwundert zuschaute, sagte mein Vater: »Ei, da ist ja der Tobias!«
Allerdings war mein Oheim in der Nähe; eifrig redend stund er bei einem Zigeunermanne, dessen gepichter Schnauzbart schwarz und stechend wie sein Auge. Der Vater schien ebenso befremdet, seinen Bruder im Gespräch mit einem Zieh-Gauner anzutreffen, als dieser verlegen war, solchen Umganges überführt worden zu sein. Indessen mein Vater und sein Bruder einander durch Zuwinken grüßten, lief ich erfreut zum Oheim und gab ihm die Hand.
»Schucker tschawo, scheen Bub mit Weißhand!« sprach auf einmal eine helle Stimme, und neben mir stund eine Zigeunerjungfer. Aus dem zartbraunen, von schwarzen Locken umloderten Angesichte blitzten die großen dunkeln Augen in mein Herz hinein, und ihrer geschmeidigen Glieder Form, kaum verhüllt durch ein zerrissen Hemde und ein kurz Röcklein, stiftete in mir eine seltsame Verwirrung an.
»Schucker tschawo, mit Güldenhaar – wird sich rot wie Blut – ah bravo!« lachte die
Jungfer, wobei ihre Zähne wie Perlen blitzten. »Gib Hand, Bub! Turkewawa, wahrsagen
Der Zudringlichen ließ ich willig meine Hand, die sie lächelnd streichelte und betrachtete. Aufmerkend war der Oheim herbeigetreten, und die Wahrsagerin sprach: »Oh, oh, schucker tschawo werden wie Keenig Salomo – finden Stein der Weisen – heben Schatz – oh, oh, große Schatz!« Und die Zigeunerjungfer ließ meine Hand und blickte mich an, als ob sie über mein Glück staune. Der Oheim schien erregt, da er oft hustete und unter den düstern Brauen die Augen rollte. Seine Hand reichte er hin und sagte: »Prophezeie sie auch mir!« Spöttisch blinzelte ihn die braune Jungfer an: »Will er auch Stein der Weisen?« Und die Hand betrachtend, schüttelte sie verächtlich den Kopf: »Eh, narbulo! ist sich nix von Weisheit, nix Salomo! Ist sich narbulo – hier Linie von narbulo! Ist sich narrisch – narbulo und wie ewige Jüd – ha, ha, ewige Jüd!«
Höhnisch auflachend sprang die Jungfer fort wie eine wilde Katze. Doch bevor sie hinter den Zelten verschwand, drehte sie sich noch einmal um, tat beide Hände küssend an ihren Mund und streckte sie nach mir aus: »Schucker tschawo – Bub mit güldene Haar – oh, oh, Keenig Salomo!«
»Nun aber komm, Johannes!« rief mein Vater und fügte für den Oheim hinzu: »Ade, Tobias! laß dich hernach bei uns sehen.«
Wie bestürzt und verwirrt blieb der Oheim stehen, seine Augen suchten bald die entwichene Wahrsagerin, bald die von ihr gedeutete Linie seiner Hand. Da ich ihm Lebewohl sagte, blickte er mich stumm an.
Auf dem Heimwege berichtete ich dem Vater, was mir widerfahren. Er aber meinte: »Ei ja doch! Sei kein Narr! Willst du etwan betrogen sein, wie das dumme Volk, das blind vor Aberglauben? Einer zusammengeklaubten Schelmenrotte darf man nicht trauen. Noch ist die Welt nicht witzig – sei du es wenigstens!«
Solche Sorge ward genähret durch die seltsamliche Gestalt der Heuschrecken, von denen etliche geblieben waren. »Sehet doch« – sprach man – »wie gewappnete Krieger ist dies Geziefer, mit festen Sturmhauben bedeckt und mit Fühlhörnern als Spießen bewehret. Ihr Schwirren und Zirpen hört sich an, als wetze man Schwerter und rassele mit Rüstungen. Fürwahr auf Schlimmeres denn auf Zigeuner deuten die Heuschrecken. Ein grausam Kriegesheer wird von Osten einbrechen, räuberische Heiden, alles Land kahl und wüste zu machen.«
Der Aberglaube fand an den Heuschrecken fürchterliche Hieroglyphen. Meines Vaters Collega, der Linguiste Hinschius, wollte auf den Flügeln Schriftzeichen aus dem arabischen Alkoran erkennen; andere Zeichen glichen wiederum hebräischen Buchstaben, und ein Scholar las auf einer Heuschrecke das lateinische Wort: cave! – zu Teutsch: hüte dich!
So ward der Leute Sinn gemeiniglich voll Sorgen auf die Zukunft gelenkt. Insonderheit
erwartete man für den evangelischen Glauben ein groß Unheil. Munkelte, der Erzherzog
Ferdinandus habe den Jesuitern angelobet, das ganze Reich von der lutherischen Pest –
dies Wort soll er gebraucht haben – mit dem Schwerte zu kurieren. Bei den in
Österreich und Böheim entbrannten Streitigkeiten der Konfessionen war manchem
nachdenklichen Menschen zumute wie Pilato, da er die Frage tat: »Was ist Wahrheit?«
Und wie der Parteien Hader im ganzen Reiche enden werde, konnte
»Sechszehnhundert zehn und acht,
Wenn ich dies Jahr recht betracht,
Geht darin die Welt nicht unter,
So geschehn doch schlimme Wunder.«
Zu Hirschberg lag ich mit Eifer den Studiis ob, ward dabei mitnichten ein
Stubenhocker. Zum langen starken Burschen emporgeschossen, trieb ich mich mit andern
Scholaren umher und machte gern ihren Rädelsführer. Zur Erinnerung an die
Hussitenzeit spielten wir Krieg auf dem Hausberge. Die kämpfenden Parteien aber
hießen wir Union und Liga. Führer der Liga war ein katholischer Junker namens
Zetteritz, während ich die Union befehligte. Den Anlaß dazu gab ein Mann kindischen
Gemüts. Ehedem Kapuzinermönch, war er durch die Ausbreitung des evangelischen
Glaubens seines Klosters verlustig gegangen und fristete als Dachdecker sein Leben.
In diesem Handwerk war er einmal vom Dache gefallen, aber so seltsam, daß er auf
beide Füße zu stehen gekommen, als sei er gesprungen. Mit Gelächter ist er in den
»Schöpsen« zu einem Kruge Bier gegangen und bald auf sein Dach zurückgekehrt. Doch es
sollte wohl sein, daß er zu Schaden käme, denn kaum hatte er die Arbeit begonnen, so
stürzte er abermals, und diesmal so schlimm, daß er unbewußt liegenblieb und eine
Verkürzung des Verstandes davontrug. Blieb indessen wohlgemut und nicht übel gelitten
bei alt und jung. Saßen die Bürger beim Trunke, so trat er pfiffig herbei, griff
ungeladen nach einem Kruge und sprach, erst nachdem er ihn geleeret: »Mit Verlaub,
Herr Bruder!« – »Hol dich der Kuckuck, Kapuzinerwenzel!« ward ihm entgegnet. Aber die
Herumsitzenden lachten und lobten den Kerl. Dieser Kapuzinerwenzel
Der Vorfall legte den Grund zu einer Feindschaft, die späterhin entsetzliches Unglück
angestiftet hat. War auch ein Fürzeichen der grimmen Kämpfe, so demnächst zwischen
den Konfessionibus entbrennen sollten. Zu Hirschberg und in der Umgegend waren meist
nur solche Leute katholisch,
Von Böllern begrüßt, kam Hans Ulrich die Straße von Kemnitz dahergesprengt, nebst
einem Gefolge von Reitern. Feuer in den blauen Augen, antwortete er auf unsern Jubel
mit dem Schwenken seines Federhutes. Er war ein schöner, langer, blondlockiger Mann.
Der Prediger von Giersdorf wollte seine Rede anheben; da ward auf einmal zwischen den
Scheunen eine Prozession sichtbar, Gepränge, Fahnen, brennende Kerzen. Papisten waren
es, gesonnen, um des Grundherrn Gunst zu buhlen, der Meinung, auf seiner Reise durch
Welschland und Hispanien habe er sich dem Papismo zugeneiget. Auch der Zetteritz war
bei der Prozession. Angetan mit weißem Chorgewande, schwang er sein Weihrauchfässel
und plärrete: »Sanctus spiritus«, riß den Hals immer weiter auf: »Adveni–i–sti,
desiderabilis.« Bei Herrn Schaffgotsch angelanget, neigeten sich die Papisten
devotest, und ihr Führer kam dem Giersdorfer Prädikanten zuvor, indem er einen
salbungsvollen Glückwunsch sprach und dabei eine Schrift überreichte. Hans Ulrich las
den Titul »Die wahre Religion der Schlesier« und gab die kühle Antwort: »Wir danken
euch, sind aber nicht hergekommen, über Religion zu disputieren.« Und mit der Zunge
seinem Rosse schnalzend, galoppierte er zum nahen Teiche. Unsere Schar stund
verblüffet, alsdann erhub sich ein Gemurmel, und die beiden Religionsparteien sahen
Der nahm am Abend dafür Rache. Herr Schaffgotsch hatte Ritter, Prädikanten und etliche angesehene Bürger, auch meinen Vater, zum Festin geladen, auf daß männiglich mit ihm fröhlich sei und Gott für alles Gute danke. Bei der abendlichen Gasterei sollten etliche Scholaren eine artige Comödiam aufführen, angezettelt von Herrn Schönborn, dem ehemaligen Lehrer des Freiherrn. Ich hatte dabei kein geringer Amt, als Gott, den Vater, darzustellen, wie er vom Himmel herniederschwebet, den verlorenen Sohn aus Höllenflammen zu erlösen. Die Rolle des obersten Teufels aber war dem Zetteritz übertragen.
Wie nun an mich die Reihe kam, war mein Antlitz rot bemalt, weiß umrahmt von Locken und Bart und gekrönt mit güldenem Heiligenschein; es umwallete mich ein blauer Mantel mit Silbersternen. Auf einer Leiter stund ich, und unter meinen Armen hindurch ging ein Strick, daran ich schweben sollte. In der Tiefe lohete das Fegefeuer, und der Zetteritz als Satan befahl seinen Teufelsknechten, die Zangen glühend zu machen, um den verlorenen Sohn weidlich zu peinigen. Da sprang ich von der Leiter, schwebte in der Luft und hub mit Donnerstimme an:
»Halt an, du Höllenfürst! Entfleuch, du Satansbrut!
Ich lösche diesen Brand mit meines Sohnes Blut.
Nicht alle Sünder sind zur Höllenpein erkoren,
Und kein verlorner Sohn soll ewig sein verloren.
Komm, arme Seele, komm ....!«
Auf einmal ward mein Strick losgelassen, und ich stürzte zu den Teufeln. Zetteritz starrete mich an, dann fiel er als ein Besessener über mich her, der ich auf dem Boden kauerte wie ein Vierfüßler. Das Sternengewand zog er mir prall und gerbte mein Fell. Dröhnend Gelächter erhub sich. Ich aber raffte mich auf und vergalt meinem Widersacher, bis man herbeigesprungen kam und uns mit Mühe trennte, worüber der Vorhang fiel.
Herr Schönborn, Autor und Rektor der Comödia, war indigniert, aber Hans Ulrich tröstete ihn durch Lobsprüche, und der Hofnarr, Michel Puchhammer, so unter der Schellenkappe Witz und Weisheit trug, klopfte dem Poeten beifällig auf die Schulter, vermeinend: »Der letzte Effektus war das wahre Kleinod Seiner Comödia. Hand aufs Herze, ihr Herren, wäre es nicht fast klüglich und vergnüglich, wenn alle Händel dieser Welt in Summa könnten ausgefochten werden einzig durch unsere höchsten Potentaten, den lieben Gott und den leidigen Satan? Machet nicht lange Gesichter, ihr Herren! Glaubet mir, das wäre die erbaulichste Comödia, so wir dürften dem Duelle zuschauen, wie Israeliten und Philister zuschauten, als ihre Sache durch David und Goliath ausgefochten ward. Wir hätten alsdann nicht nötig, unsere Schwerter widereinander zu wetzen und zu disputieren, wie die wahre Religion beschaffen sei, wer die ledigen Klostergütel bekommen, und wer König in Böheim werden solle. Ei ja, vermieden wäre aller Bruderzwist von Kain und Abel bis zu Liga und Union. Wir wüßten, daß wir nichts mit menschlicher Macht ausrichten und daß wir uns ergeben müssen in das Verhängnus von oben – wie solches ja auch die Kunst der Künste gebeut, die himmlische Astrologia.«
Der Narr Michel galt für einen kundigen Astrologen, so die Zukunft des Menschen aus dem Stand der Sterne berechnen könne. Wie er nun von der »Kunst der Künste« räsonierete, fuhr Hans Ulrich auf einmal mürrisch dazwischen: »Schweig, Unglücksrab!« Da die Beisitzenden befremdet stutzten, erklärte sich Hans Ulrich folgendermaßen: »Dieser Narre, der mit seinem Sterngucken prahlet, hat auch mir das Horoskop gestellet; und wisset Ihr, was er geweissaget hat? Ich werde sterben einen gewaltsamen Tod, und zwar am kalten Eisen. Merket wohl, nicht am heißen Eisen der Feldschlacht, von dem ich gern fallen will als ehrlicher Soldat; nein, am kalten Eisen, wie es der Scharfrichter schwinget. Pfui, du grober Michel, deine himmlische Astrologia ist eher ein lausige Zigeunerin.«
Michel zuckte die Achseln: »Kunst der Menschen kann irren, und ich wäre frohen Mutes, so ich Ihro Gnaden Nativität als ein Irrender hätte gestellet. Aber bei Ihro Gnaden Geburt sind Saturnus und Mars ins vierte Haus der Sonnen eingefahren, und was das nach den Regulis meiner Kunst andeutet, habe ich aufrichtigen Sinnes bekennet. Doch wir wollen den Himmel fußfällig bitten, daß er alles zum Besten unseres wertesten Herrn wenden möge.«
Herr Schaffgotsch blickte unruhig in die Runde, schüttelte das Haupt und sagte nach
etlichem Besinnen: »Ich hätte nimmermehr gedacht, daß unter Deiner Kappe, so doch
viel Witz heget, dergleichen närrische und fanatische Dinge stecken sollten. Gläubet
Er etwan, ein Fernglas zu haben, so ins Kabinett der göttlichen Geheimnisse
eindringet? Wie will
»Ja, Euer Gnaden – vor fünf Tagen hat ein Mutterschaf ein Lamm geworfen, gerade wie man zur Vesper läutete.«
Da sprach Hans Ulrich lauernden Blickes zu Michel: »Wohlan, so erkunde aus den Gestirnen, welchen Lebensgang das Lamm haben wird.«
Der Sterndeuter trachtete mit einer Schelmerei von der Aufgabe loszukommen und meinte: »Ei ja, stellen wir dem Vieh das Horoskop! Warum soll es nicht gelingen? Wenn der Herrgott jedes Haar auf unserm Haupte gezählet hat, so wird er seine Sterne gewißlich angewiesen haben, nicht bloß der hochmütigen Menschlein Schicksal zu regieren, sondern auch jedem Schäflein, Grashupferlein oder Flöhlein fürzuschreiben, wie es zu hupfen, zu grasen und zu sterben habe. Ist denn überhaupt ein Unterscheid zwischen Mensch und Vieh? Nun ja, im Saufen ist wohl einer. Säuft doch das liebe Vieh nur, bis es seinen Durst gestillet hat. Der Mensch aber, Herrgotts Ebenbild ...«
Herr Schaffgotsch schnitt die weitere Rede ab: »Schon gut! Diesmal gilt es keine Possen. Tu, was ich dich geheißen! Geh alsogleich und erprobe deine Kunst!«
Unter spöttischem Gelächter der Tafelgäste ging der Sterngucker. Nach einer Stunde kehrte er mit dem Bescheide zurück, in den Sternen stehe geschrieben, der Wolf werde das Lamm fressen.
Da lächelte Hans Ulrich triumphierend und rief: »He, Jochen, sage dem Koch, er soll sogleich das Lamm metzgen und heute abend gebraten auftischen.« Nun erscholl lauter Jubel, in den auch Michel einstimmte, indem er rief: »Bravissimo! Ja, man muß dem Schicksal zu Leibe gehen und die Fortune korrigieren.«
»Mit Verlaub,« sagten die Tafelträger verlegen – »es brä – brät anoch.«
»Ei, ei,« scherzte der astrologische Narr – »so hat es wohl doch der Wolf gefressen?«
Hans Ulrich ward verwirret und errötete. »Possen!« rief er. »Wo bleibet der Kuchelmeister? Holet ihn sogleich!«
Bleichen Antlitzes trat Jochen ein und stammelte offenbare Ausflüchte. Wie aber Hans Ulrich mit rauher Stimme rief: »Leuge Er nicht, sondern gestehe, was ist geschehen?« Da fiel der Kuchelmeister auf seine Knie und berichtete unter Zittern: »Ach Gnaden, ein Mirakel! Wohl ist mit dem Lamm nach Ihro Gnaden Geheiß verfahren worden. Gemetzget haben wir's, abgehäutet und auf den Bratspieß gestecket. Zum Drehen des Spießes aber haben wir eine Maschine, das ist ein Käfig, so vom hineingesperrten Hunde gedrehet wird. Früher war's ein Hund. Seit wir aber im Schlosse den Sultan haben, wie wir den zahmen Wolf heißen, ist es unsere Lust, von ihm den Bratspieß drehen zu lassen. Wie nun das Lamm gebraten auf der Schüssel liegt, ist der Bratenmeister mit seinem Kucheldiener auf ein Weilchen zu andern Verrichtungen aus der Küche gegangen. Da hat sich der Sultan aus seinem Käfig gemacht und hat das Lamm gefressen.«
Erbleichend sprang der Freiherr auf und ließ sein Tafelmesser fallen. Voller Grauen starreten ihn die Gäste an.
»Michel,« sprach Hans Ulrich sanft zum Hofnarren – »mit dem Lamm hat deine Kunst
recht gehabt. Wie es aber mit mir kommen wird, stehet in Gottes Hand. Eins jedoch
weiß ich: So ich dereinst durch kaltes Eisen gerichtet werde, ich sterbe unschuldig.«
Niedergeschlagenen Auges wie ein Betender, fügte er leise hinzu: »Dulce decus, pro
patria mori – süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland sein Leben zu lassen. Dein
Wille, o Herr, geschehe – denn dein ist
Erschüttert, zum Teil weinend, falteten die Tafelgäste die Hände zum stillen Gebete. Den Herrn Schaffgotsch aber kam trotz seiner Gelassenheit eine Alteration mit Fieberschauern an, also daß er sich zu Bette legen mußte, worauf die Gäste nach Hause kehreten, mit traurigem Bedenken, wie es wohl am Ende kommen werde.
Den Kräutertobias zu besuchen, hatte sich mein Vater mit mir im Frühjahr nach geschehener Übersiedelung aufgemacht. Fuhren auf einem Bauernwagen dem Zackenfluß entgegen, jedoch nur bis Petersdorf, wo wir abstiegen, um zu Fuß das steile Waldgebirge zu erklimmen. Zur Linken in der Felsenschlucht brausete der Zacken. Rechts ging es einen schroffen Hang empor zu einem ragenden Stein.
Von hier erscholl eines Mannes Zuruf. Der Oheim war es, so droben auf uns geharret hatte und nun gelaufen kam. Nachdem er mit Freuden seinen Willkommen geboten, berichtete er, wie ihm schon von weitem unser Wagen sichtbar gewesen. Mein Vater antwortete: »Allerdings gewähret dieser Stein, Wachstein geheißen, eine weite Aussicht über das Zackental, wie man ihn schon in der Hussitenzeit als Warte verwendet hat, den Paß nach Schreiberhau zu überwachen.«
Der Weg, den wir nun gingen, stieg fast steil durch einen Bachgrund. Anfangs von schroffen Felsen und Fichten begleitet, führte er zu einer Aue, wo Bauden um ein Kirchlein lagen, und Kühe nebst weißen Gänsen weideten. »Hie beginnet Schreiberhau,« sagte mein Vater; »es erstreckt sich eine gute Stunde in die Länge, und wir haben bis zu Oheims Häusel noch ein Stück Weges.«
Nach fürderem Ansteigen ward der Weg eben, wir hatten seine höchste Erhebung erreicht
und schauten in ein sanft abfallend Tal, breit und lieblich. Hinter vorderen
Waldhöhen stieg jene Gebirgswand himmelan, die ich von fern oft betrachtet hatte.
Jetzo, da sie in der Nähe ragete, ward mein Gemüt bewegt wie von tiefem Orgeldröhnen.
Ein weithin ausgereckter Riesenrumpf, mit Tannen gleichwie mit bläulicher Wolle
bewachsen. Wo der Wald zu Ende, schimmerten Matten, dann kam kahler Fels, mit
dunkelgrünem Moose bedeckt. Droben in den Abgründen lag noch Schnee,
Derweilen mein Vater in den Anblick seiner lieben Berge versunken war, wies der Oheim die einzelnen Gipfel: den Reifträger, die Sturmhaube, das Hohe Rad, den Mittagstein, die Schneekoppe. Erklärte mir auch, das graudüstere Gewächs zwischen den Felsen droben sei kein Moos, sondern Knieholz, ein struppicht Nadelgebüsch, so nicht in die Höhe wachse, sondern über das Geröll hinkrieche, die knorrigen Ruten wie zum Verhau verschränkt.
Bald langten wir bei Oheims Häusel an. Es lag in der grünen Aue, wo Murmelbächlein rannen. Neben der Wiese gab es Saatfelder, Gärtlein und etliche Bauden. Gleichwie ein freundlich Auge lugte ein Mühlteich aus des Tales Mitte. Unweit waren dunkle Felsen und lichte Birken mit zarten Frühlingsblättlein. Einen freundlichen Anblick gewährte Oheims Häusel. Baute sich aus rohen Steinen auf, doch war die große Stube aus Balken gezimmert, wobei Moos und Lehm die Fugen verkitteten. Über das bemooste Schindeldach wölbeten zwo alte Linden ihre Kronen. Am Hause war auch ein Viehstall, und ein paar Kühe nebst Ziegen weideten auf der Wiese.
Als wir durch das Blumengärtel gingen, wo gelbe Märzenbecher blüheten, während die Kirschbäume gleich Silberwölklein prangten, sprang ein Hund aus dem Hause auf uns zu und hüpfte mit jauchzendem Gebell am Oheim empor. War mein zukünftiger Freund, der gelbe Schäferspitz Wächter. Vor der Türe des Häusels stund ein weißhaarig Weibel und grüßte freundlich. Beate war es, des Oheims Base, die ihm Haus hielt.
Da wir nun erquickt waren, sagte mein Vater: »Lieber Bruder Tobias! Schreiberhau und das elterliche Häusel zu schauen, hat mich in der Fremde oft inniglich verlanget. Nun wird meine Sehnsucht durch Gottes Güte gestillet. Die Berge, Bäume und Bäche, alle lieben Orte und Dinge habe ich wiedergefunden. Nur weniges dünket mich verändert. Neu ist jedoch die große Backstube bei den Felsen mit dem tüchtigen Schornstein ...«
»Keine Backstube ist das,« antwortete der Oheim belustigt; »das ist ja mein Laboratorium.«
»Laboratorium? Ei wie denn? Bist etwan ein Chymiste worden?« meinte der Vater befremdet.
Und bedächtig versetzte der Oheim: »Hum! Du weißt ja ... hum! Glas kann ich nicht mehr machen. Vom Blasen und staubigen Schleifen ist mir der Odem benommen. Und wann die Berge verschneiet liegen, mag ich nicht immer bloß Pillulen drehen. Habe mich also der chymischen Kunst ergeben und mir ein Laboratorium angelegt.«
»Und bist wohl gar dem Goldmachen auf der Spur?«
Es war dem Oheim ganz ernst, als er erwiderte: »Aus menschlichem Vermögen kann ich sagen: ich hoffe. Wirst nun freilich denken: da haben wir abermalen einen neuen Grillenfänger, rußigen Kohlenbläser und gefährlichen Schwarzkünstler. So lauten ja wohl die Ehrentituli, mit denen die stolze Disputiergelahrtheit gemeiniglich den Jünger einer Kunst beleget, die in der ganzen untermondlichen Atmosphäre zwar die unsicherste, aber auch die allerkostbarste ist.«
»Nun, nun,« – begütigte mein Vater – »will dich nicht
»Amen, Amen,« unterbrach ihn der Oheim freundlich und rüttelte des Vaters Schulter: »Bruder Martin, hüpfen tut mein Herze, bisweilen du nicht bist wie jene törichten Prädikanten, so behaupten, daß allen Goldmachern und Schatzgräbern der Teufel im Nacken sitze. Solche Pfaffen mögen im Catechismo Lutheri beschlagen sein – von Magia verstehen sie so viel wie die Kuh vom Kanzelreden.«
»Nun ja doch, Tobias, wohl, wohl! Indessen du hast mich unterbrochen. Von Gott ist alle Kunst, wofern man sie rechten Sinnes übet. Sonsten aber schwarze Kunst und verwerflich.«
Der Oheim winkte mit der Hand ab und kämpfte einen Hustenanfall nieder: »Schwarz? Ah, nur die falsche Kunst ist schwarz, die Gaukelei der Afterchymisten! Was der Mensch aus seines Geistes hohen Kräften suchet und vermag, ist weiß wie himmlisch Licht. Könnte es etwan wider Gottes Willen sein, so einer die Natur zu urkunden und zu meistern trachtet? Soll ich mein Pfund vergraben und faul liegen lassen? Wie spricht denn der Heiland? Werdet vollkommen, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.«
»Die wahre Vollkommenheit« – gab mein Vater zurück – »bestehet im reinen Herzen. Diene der Magiae reinen Herzens, nicht, wie die Schatzgräber, aus Goldgier.«
Der Oheim stutzte: »Als ob nicht auch ein Schatzgräber reinen Herzens sein könnte!«
»Schon gut,« sagte mein Vater; »wenn er mit dem Golde nicht seinen Lüsten dienen will, sondern dem Reiche Gottes.«
»Selbiges will ich« – versetzte der Oheim fest. »Meine Lüste? Die sind abgestorben! Nur die Lust an der magischen Kunst ist übriggeblieben; und so der Himmel sie segnet, will ich gern nach seinem Willen das Gold verwenden.«
»Zum Exempel, wofür?«
Seit dieser Zeit hörte ich in mir eine Stimme mahnen: »Halte zum Oheim, er soll dich leiten!« Je öfter ich nun nach Schreiberhau kam, desto besser behagte es mir daselbst. Die Wiesen mit ihrem Vieh, das Gärtlein und Roggenfeld, die großen Steine, das Laboratorium und der Stall, die Balkenstube, das Häusel mit allen Winkeln, auch die benachbarten Bauden, die Glashütte mit ihrer Schleifmühle, rings die Höhen mit Tannen und Rauschebächen – das alles ward mir bald so traut und lieb, daß es mich in jeder Schulvakanz zum Oheim, zur alten Beate und zu meinem Freunde Wächter zog. Selbst in den Tagen meines Hirschberger Aufenthaltes ist manch heimlich Stündlein gekommen, wo meine Gedanken gen Schreiberhau geflogen sind. Wenn ich zum Exempel vor dem Schlafengehen mit den Eltern das Abendlied sang:
»Ich danke dir von Herzen,
Daß du an diesem Tag ...«
»Noch meinem Vieh was schade,
Es sei klein oder groß«,
so dachte ich an des Oheims Kühe und Ziegen, die ich mit Wächter, eine Peitsche in der Hand, gern auf der Wiese hütete. Schloß sie voll einfältiger Liebe in mein Gebet mit ein, auch Gänse, Hühner und Karnikulein, auf daß nicht etwa Fuchs und Marder sie würge.
Während der langen Ferien begunnte des Oheims Laborantenwesen und chymistisch Treiben meinen Sinn magnetisch zu fesseln. Von Wächter begleitet und auf dem Rücken die Hucke, tat ich manche Suche nach Kräutern. Lernte Pestwurz, Eisenhut, Aronstab, Johanniskraut, Stolzen Heinrich, Taubenkropf, Goldraute und Alraunknoblauch nebst ihren heilenden oder magischen Kräften kennen. Dabei ward mir auch das Gebirge immer bekannter.
Auch nahm der Oheim Gelegenheit, meine ziemliche Kenntnis des Lateinischen zu nutzen, indem er mir ein Buch ins Teutsche zu übertragen gab »De secretis operibus artis et naturae« – will heißen: von den geheimen Werken der Kunst und der Natur.
Da ich nun die Arbeit vollendet hatte, legte der Oheim freundlich die Hand auf meine Schulter und sprach feierlich: »Lieber Johannes! Aus dem übertragenen Buche wirst du vollends ersehen haben, wie falsch es ist, Schlimmes in den geheimen Künsten zu sehen. Über die ganze Erde hat Gott den Menschen gesetzet, also auch über ihre geheimen Schätze. Wie die Abendburg ist die Erde – heget Gold und Edelgestein, dem gemeinen Volke verschlossen, und nur dem Adepten zugänglich. Werde drum ein Adepte, Johannes. Hebe den Schatz, so nach himmlischer Bestimmung für dich bereit lieget. Willst du das, Johannes? Nun wohl, so werde ich Mittel und Wege dazu ausfindig machen. Bist du aber auch bewandert in der Kunst des Schweigens? Gänzlich unerläßlich ist sie dem Jünger geheimer Wissenschaft. Zu schweigen gilt es gegen jedermann – merke, auch gegen deine Eltern. Bist groß genung, jetzt ohne der Mutter Schürzenbändel deinen Weg zu gehen.«
Da ich nun beteuerte, ich habe zum Schweigen jeglichen guten Willen und auch bereits
etliche Kraft, loderten des Oheims Augen, und er sprach priesterlich: »Wohlan, so
nehme ich dich zu meinem trauten Gesellen und Famulo an und verheiße, dich
einzuweihen in alle Fertigkeiten, so ich errungen habe oder noch erringen werde.
Künftigen Sonntag soll die Lehre anheben.« Dann wandte er das Angesicht
Als wir am Sonntag aus der Kirche heimgekehrt waren und zu Mittag gegessen hatten, richtete ich meine Augen ernst und fragend auf den Oheim. Er nickte mir zu, erschloß den Riegel der bunten Truhe und langte geheftete Skripturen heraus. Im Triumphe hielt er sie hoch: »Siehe hier den Mittler, so dich zum Goldschatz geleiten wird. Komm her und lies!«
Voll Ehrfurcht empfing ich die Skripturen, setzte mich an den Tisch und wollte still für mich lesen. Doch der Oheim nahm bei mir Platz und sprach: »Lies nur laut! Nicht oft genung kann ich diese Wissenschaft vernehmen. Auch ist nötig, daß wir Rates darob pflegen.«
So erhub ich denn die Stimme und las die verblichene Schrift, zu manchen Malen stockend und vor Beklommenheit seufzend.
Der verschnörkelte Titul aber lautete: »Nachrichten von den Walen – wer sie gewesen, wo sie Golderz aufgesuchet und gefunden, wie solches geschmelzet und zu gut gemacht – auch wie sie aus Erzen und Kräutern Gold gebracht – nach alten Schriften denen Liebhabern des Bergwerkes und der chymischen Kunst eröffnet.«
»Walen« – so sagte die Schrift – »heißet ein fremdländisch Volk.« Von diesen Leuten sind viele seit alter Zeit im Bergwerke wohl erfahren und haben ihre Kenntnis der Erze oftmals in teutschen Landen probieret. Sind als Landfahrer und Scholaren ins Erzgebirge und Schneegebirge gezogen, daselbst verborgene Edelmetalle auszuspüren. Nachdem sie erkundschaftet, wo die besten Goldkörner oder Edelgesteine liegen, haben sie an Felsen und Bäumen Erkennungszeichen angebracht, auch in Bücher geschrieben, wie man zu den Orten gelanget.
Wie kostbar aber der Walen Wissenschaft, geht aus folgender wohlverbürgten Nachricht
herfür. Vor mehr als einem
Hier stutzete ich und riß die Augen auf. Der Oheim nickte mir zu: »Ja, ja – unser Reifträger, auf der böheimischen Seite Korkonosch geheißen. Doch nun schlage einmal das Kapitul auf, so mit einem Buchzeichen angezeiget ist.« Und ich las weiter:
Ich hielt inne und sahe den Oheim fragend an. Dabei stellte sich meinem innern Auge die Abendburg dar, wie sie mein Vater geschildert. Den düstern Felsen sah ich durch Zauber zum Schlosse werden, gleißend vom roten Golde wie Abendgewölk. Und ich seufzete: »Ach Oheim Tobias! Warum hast du mich noch niemals zur Abendburg geführet?«
»Ich führe dich hin, Johannes, und zwar ohne Verzug. Wohlan, mache dich fertig!«
Froh und kühn schlug mir das Herze, stracks rüsteten wir zum Aufbruche. Das kostbare Walenbüchel tat der Oheim in einen Ranzen. »Das nehmen wir mit,« sprach er und hing mir den Ranzen um. Drauf gab er noch ein Stück Brot in den Ranzen, bewehrte seine Rechte mit der alten Partisane, die er auf seinen Gängen ebenso als Stütze wie als Waffe zu verwenden pflegte, und rief die alte Beate herein.
»Gehab dich wohl, Beate! Vier gute Stunden bleiben wir aus.«
»Mit Gott, ihr beede! Und seid mir au für Dunkelheet wieder derheeme,« antwortete Beate und reichte uns die Hand.
Mit freudigem Kläffen kam Wächter gesprungen, da er uns zum Aufbruche gerüstet sah, und sein wedelnder Schweif fragte, ob wir ihn mitnehmen möchten. Da des Oheims Antlitz gnädig war, fuhr Wächter als übermütiger Störer in unsern Hühnerschwarm und hüpfte nach dieser Heldentat bellend über die Wiese.
Und wir stiegen den nächsten Pfad hinan, so durch Gebüsch und Wiesen, vorbei an Bauden und Steinrücken über den Hüttberg führt, allwo sich der Blick ins Weißbachtal eröffnet. Zur Linken blieb die neue Glashütte von Preisler liegen, wir stiegen über ein Flüßlein, der Rote Floß geheißen, und bogen rechts ab, es aufwärts zu verfolgen. Murmelnd und schäumend kam das Wasser über die moosigen Blöcke gehüpft, als ein Geheimnis, geheget von den Fichten, so mit grauen Bartzotten behangen wie alte Riesen aussahen. An einer Stelle war ein feuchtquappig Waldmoos, davon wir naß Schuhwerk bekamen.
»Hier hab ich oft nach Golde gesucht,« sagte der Oheim; »auch etlichen Goldseifen ausgewaschen; doch lohnet sich nicht die Mühe.«
Bald nach dieser Stelle tat sich der Wald voneinander, und auf sonniger Wiese reckte ein dicker Buchenbaum den mächtigen Wipfel. In den Stamm waren Buchstaben, Kreuzlein, Herzen und andere Zeichen gegraben. Einen schier verwachsenen Riß wies mir der Oheim in der Rinde: »Siehe hier ein köstlich Symbolum von einem Walen eingeschnitten, das ist ein Bischofsstab, wiewohl kaum mehr zu erkennen. An dieser Stätte laß uns niedersitzen, und du sollst fürder aus dem Walenbüchel vorlesen.«
Ich kauerte mich zwischen ein paar glatte Felsen, indessen der Oheim aus dem Ranzen das Manuscriptum holte. Von süßem Bangen war mein Herz erfüllt, wie ich so den heiligen Baum mit den Rätselzeichen anstaunte und auf sein Wipfelsäuseln lauschte. Aus Waldestiefe lockte die gurrende Taube, und wie ein fern Glöcklein klang des Kuckucks Ruf.
Da reichte mir der Oheim das aufgeschlagene Walenbüchel, und ich fuhr fort, zu lesen:
»Ich, der Jacobus Puschmüller, ein Kaufmann zu Regenspurg, war durch des Allmächtigen
Verhängnus also verarmet,
In Schlesien ist die Stadt Hirschperg, an zween Flüssen gelegen. Gehe von dorten fünf Stunden weit ins Gebirg. Kommest in ein Dorf, geheißen des Schreibers Hau. Gehe auf den Schwarzen Berg und immer gen Abend durch Gehölz, auf eines Pfades Spur, so durch hohe Beerenstauden führet. Kommest zu großen Steinen, sind aber noch nicht die rechten. Gehe vorbei, immer den Pfad entlang, bis haushohe Felsen ragen, anzuschauen als eine Purg. Schwarz ist das Gestein, hat aber eine weiße Stelle, gleichwie eine Pforte aus Marmel. Davor gen Mittag dreizehn Ellen weit findest du zwischen Felsen ein Loch. Stoße einen starken Knittel hinein, wuchte und wiege, bis du den übergelegten Stein aufwiegest. Nun lege ihm was unter und nimm die Kostbarkeit, so dir Gott bescheret, Goldkörner arabischer Art, gleich Haselnüssen; lassen sich plätzen. Tu aber den Stein wieder an seine Stelle, sonsten möchte ein Gespenst dich erschrecken; denn dorten ist es ungeheuer.
So du aber keine Furcht kennest, begib dich zum weißen Stein der Abendpurg zu
Walpurgis oder Johannis oder auch am ersten Advent eine Stunde vor Mitternacht. Einen
Zauberkreis mache, nach den Regulis Magiae, zünde darinnen ein Feuer an und koche in
einem neuen Kessel eine Zaubersuppen. Wie die zu bereiten, weiß ich nicht genau zu
sagen. Es gehöret dazu eines Maulwurfes Pfote, und unter strengem Stillschweigen muß
gekocht werden. Ist der Nacht Mitte da, so spritze etliches aus dem Kessel an die
weiße Marmelpforte, rufend: Woide, Woide, Woide! Da wird der Felsen sich auftun mit
Getos, und du darfst eingehen.
Sei auch dessen wohlbedacht, daß beim Kochen der Zaubersuppen kein einzig Wörtlein werde geredet. Sonsten ist sie unmächtig, und der Herr der Berge möchte ergrimmen. Einem Tölpel ist er bei der Abendpurg erschienen als langbärtiger Riese, so auf einer Harfen gespielet hat, daß die Erde bebete, hat alsdann die Harfe wie einen Donnerkeil nach dem Tölpel geworfen. Der ist umgesunken und wäre nicht wieder erwacht, hätte ihn nicht seine Sippe heim geholet, wobei ein grausamer Hagelsturm tobete. Dies habe ich obgemeldeter Handelsmann von Regenspurg von dem Italiener vernommen, habe auch das Mülderlein gefunden, so der Pilgramstab aufweiset, und daselbst Goldkörner die schwere Menge. Doch in die Abendpurg einzudringen, habe ich nicht das Herz gehabt. Zu Schreibers Hau aber wohnet ein Mann, mit Namen Krebs, seines Zeichens ein Laborant, dem ist manch Geheimnis bewußt. Da frage nach, so der Alte oder sein Sohn Christoph noch am Leben.«
»Genung!« unterbrach mich der Oheim; »laß uns nun zur Abendburg gehen.« Nahm aus
meiner Hand das Walenbüchel und verwahrte es im Ranzen, worauf wir aufbrachen und
quer durch den Wald immer bergan stiegen, um dann gen Mitternacht abzubiegen und den
Kamm des Berges zu
Oft mußten wir von Felsblock zu Felsblock hüpfen und Obacht geben, daß nicht der Fuß in einen Spalt gleite. Die Tannen griffen mit ihren unteren Ästen, kahl und hart wie Gerippe, zu mehreren Malen nach unserm Gewande, es zerfetzend. Unheimlich pfiff der Wind durch die Wipfel, und lauschend glaubte ich eines Waldgeistes Geheul zu vernehmen.
Vor uns erhuben sich schroffe Felsen, und der Oheim sprach: »Siehe, das ist die Abendburg!« Ich war etwas enttäuscht, da meine Phantasei mir die Abendburg gewaltiger und mehr einer Burg ähnlich ausgemalt hatte, und nun eine Steinmasse da lag, nicht größer, denn eine Scheuer. Wie ich aber das Düstere, Wüste, Einsame des Ortes empfand und dem wogenden Raunen des Windes lauschte, wandelte mich ein Staunen und Schaudern an. Ich spürete nun wohl, daß hier die Stätte von Abenteuern und Wundern sein könne. Wir kletterten um den Felsen herum und dann auf seinen Scheitel.
So schaurig es unten bei der Abendburg war, hier oben lachte die Welt im Sonnenlichte. Trunken schweifte mein Aug über die Täler von Schreiberhau hinüber zum Breiten Berge und weiter links zum Kynast. Am Fuße dieses festen Bergschlosses dehnten sich lichtgrüne Felder, freundliche Haine, friedliche Dörfer. Aus dem Dufte der Ferne grüßten die Kirchtürme meiner guten Stadt Hirschberg. Ganz hinten waren ein paar blaue Maulwurfshügel; so sahen die Falkenberge aus. Nach rechts mich wendend, sah ich das Reifträgergebirge und die ganze Kette der Riesenberge bis zur Schneekoppe und dem Landeshuter Kamme. Auch gen Sonnenuntergang schauten wir, und dort öffnete sich das waldige Tal des Queißflusses mit den Flinsberger Bauden.
»Aber Oheim«, sagte ich, »ist dir denn auch bekannt, woraus man die Zaubersuppe bereitet?«
Unsicher schaute mich der Oheim an und hüstelte dumpf. Dann loderte sein Aug, als er entgegnete: »O, das werde ich schon herausbringen! Ohne Sorge Johannes! Ich weiß einen Mann hochgelahrt in geheimen Wissenschaften. Ist ein echter Italiener, Herr Doktor Giacomini mit Namen. Wohnet seit Wochen hier zu Schreiberhau in Preislers Glashütte. Hat den Vorwand, er wolle die Kunst der Glasmacherei studieren. Was er aber will, weiß ich besser. Nach Golde schnüffelt er im Gebirg umher. Hat beim roten Flosse etliche Körnlein Markasit ausgewaschen.«
»Und du meinest, der Italiener verstehe sich auf die Zaubersuppe? Wird er denn sein Geheimnis nicht für sich behalten wollen?«
»Närrchen!« sagte der Oheim. »Ich werde ihm halt proponieren, er solle mir sein Geheimnis enthüllen und dafür das meinige nehmen. Gemeinsam mit ihm werden wir dann den Schatz heben und teilen.«
Das schlimme Jahr sechzehnhundert achtzehn ging zu Ende, und es war im Novembermond, als ich abermals nach Schreiberhau zum Oheim gereiset war. Bei dem milden Wetter saß ich auf einem Kirschenbaum zwischen kahlen Zweigen, dran rostrot noch etliche Blättlein hingen, und pflückte mir verschrumpfete Kirschen.
Da kam auf Oheims Haus zugeschritten ein kleiner, hagerer Mann in schwarzem Mantel, tief in das gelbe verkniffene Gesicht einen breiten Filz gestülpet, unter dem die schwarzen Äuglein wie aus einem Hinterhalte herfürstachen. Unter meinem Baume blieb er stehen und blinzelte nach mir, die Oberlippe mit den dünnen schwarzen Härlein schief in die Höhe gezogen.
»Eh! Der Famulusse?« – sprach er hastig mit harter Stimme »Ist Er nit Famulusse von Signore Kräutertobiasse?«
Ich verstund die Frage nicht, sprang vom Baume und sagte: »Kommet nur ins Stübel, ich rufe den Oheim.« Führte also den Herrn in die Balkenstube und holte den Oheim aus dem Laboratorio.
»Das ist der Giacomini,« raunte der Oheim erwartungsvoll; »komm mit herein, Johannes!« Ich ging also mit in die Balkenstube.
Mit einer grinsenden Freundlichkeit grüßte Giacomini den
»Ihr meinet wohl den Flins?« gab der Oheim zur Antwort. »Etliche Blöcke davon liegen am Böheimischen Furt.«
Der Italiener nahm aus seines Rockes Tasche ein Stück Flins und fragte: »Diese Stein? Ah bene! Aber diese Stein soll sein auf Gebirge eingefuget in swarze Granite als eine Porta von Marmo. Wo iste die Orte? Sag Er mir, caro mio!«
»Dergleichen Orte hat es viele im Gebirg«, antwortete der Oheim ausweichend.
»Viele Orte?« sagte Giacomini lauernd; »no no, Signore, ik will nit viele Orte, will diese eine Orte – gelegen auf Bergesrucken, wie swarze Burge mit weiße Porta.«
Da nickte der Oheim mit spöttischem Lächeln und blickte scharf den Italiener an: »Freilich kenne ich diesen Ort – weise ihn aber Euch mitnichten – denn allda ist verborgen ein Schatz – ja ein Schatz!«
Wie vor einer Natter prallte der Italiener zurück und starrte den Oheim an. Dann verzog er sein Gesicht zu einem Grinsen und suchte zu beschwichtigen: »Eine Schatze? Ah Possen! Keine Rede von Schatze! Possen! Weiße Stein iste gut für Glasse. Sage mir, Signore, wo iste weiße Stein? Sage mir Orte, ik bitte.«
»Der Herr Doktor täuschet mich nicht. So Er den weißen Stein nur zur Glasbereitung
brauchet, ei warum lässet Er sich alsdann nicht genügen an den Flinsblöcken, so in
Menge bei Schreiberhau liegen? Aber der Herr hat selber bekennet, daß Er nur nach der
einen Stelle trachtet, wo der weiße Stein gleichwie eine Pforte eingefüget ist in
schwarzen Granitfelsen. Die Stelle ist mir wohlbekannt, und dorten lieget ein Schatz
– ja ein Schatz! Den soll aber nicht der
Zornig funkelten des Italieners Augen, dann griff er mit zitternder Hand in seine Tasche und warf einen Beutel mit klirrender Münze auf den Tisch: »Prenda denaro! Hier nimm Gelde! Weiset mir die Orte!«
»Ich brauche Euer Geld nicht!« entgegnete der Oheim kalt, »dieweil ich den Goldschatz selber heben werde.«
»Ihr? Ihr?« kreischte der Italiener und focht mit den Händen vor Oheims Angesichte. »Schatze hebene? Nix hebene!«
»Mein Famulus hier wird ihn heben,« antwortete der Oheim; »diesem Knaben ist von einer Prophetin geweissaget, daß er solle einen großen Schatz heben und wie König Salomo werden. Zudem ist er ein Johanniskind.«
Mich funkelte nun Giacomini mit seinen schwarzen Augen an und meinte verächtlich: »Ah bah! Wie soll dumme Ragazzo bringen Schatze in seine Hand? Was weiß er von Magia? Eine Propheta weissagete? Soll er werdene Salomo? Ah bah, Possen, nix! Nimm Gelde unde weise den Orte! prenda denaro, prenda, caro mio!« Und er suchte dem Oheim seinen Geldbeutel in die Hand zu drücken.
Da aber der Oheim im Verschmähen standhaft blieb, lief der Italiener wie ein gefangener Fuchs in der Stube umher, irren Auges und keuchenden Odems. Manchmal blieb er stehen, die Hände ringend, und über sein Angesicht ging ein Zucken. Endlich sank er wie gebrochen in den Lehnstuhl, stöhnete und sprach mit matter Stimme: »So swöre Er, swöre auf sein Evangelio, daß Er wolle weisen mir den Orte, wo Schatze liegen und helfene mir mit Famulusse. Avanti! Bilden wir eine Societa, zu hebene Schatze, unde ik gebene Euch Beutel mit Golde.«
»Einen Beutel mit Golde? Nein! Halbpart will ich!« sagte der Oheim fest.
Hierauf ließ er sich Papier, Feder und Tinte reichen und schrieb den Contractum auf. Alle drei unterzeichneten wir und beschwuren ihn über der aufgeschlagenen Bibel.
Den Abend wollte der Oheim mit Giacomini allein sein, und da sagte die alte Beate munter zu mir: »Kumm ock; wir wollen zu Maiwalds spilla gihn.« Maiwalds wohnten im Nachbarhause, hatten drei mannbare Töchter und sammelten gern Gäste zum Spinnabend. Als wir in die Balkenstube traten, wo der qualmende Kienspan leuchtete, entschuldigte uns Beate mit dem Scherzworte: »Wir mechten amol sahn, ob's Weibsvulk keene Schürzaschüttler brauchet.« »Ju, ju!« rief der Chorus der Jungfern und Burschen fröhlich. »Kumm har, Beate, kumm ock, Johannes!«
Nun setzeten wir uns auf eine Bank, und ich bekam ein Messer, Kienspäne zu schnitzeln. Munter schnurrten die Spulen, und noch eifriger gingen die Mäuler. Männiglich plauderte oder sang, kauete Schnitzäpfel und getrocknete Rüben, sprach auch dem Bierkruge zu. Die Junggesellen trieben mit den Madeln allerlei Kurzweil. Maiwalds Kathrine ward verurteilt, das Kreuz anzubeten. Dies Kreuz aber war Hollmanns Gottlieb, so kerzengrad inmitten der Stube stund, die Arme ausgebreitet. Vor ihm kniete Kathrine nieder und sprach:
»Heilig Kreuz, ich bet dich an,
Du brauchest eine Frau, ich einen Mann.
Bist du gesonnen als wie ich,
So kumm herab und küsse mich.«
Nun umfing der Gesell kosend das Madel, und die Leute lachten dazu.
Plötzlich ward die Stubentür aufgerissen und ein Topf hereingeschleudert, der zerschellend allerlei eingefüllt Gerümpel über den Boden verstreute. Dazu rief eine Madelstimme:
»Do breng ich euch an Aschentopp,
Seid gebeta, on wascht mern Kopp.«
Das gab ein Lärmen, und hurtig sprangen die jungen Gesellen auf, das flüchtende Madel mit Wasser zu begießen. Wie nach solcher Kurzweil die Räder wieder schnurreten, erzählte Maiwalds Pauline von einem seltsamen Knaben; der sei vorzeiten in die Schreiberhauer Spinnstube gekommen, schön von Angesicht, aber mit richtigen Pferdehufen statt der Füße. »Ju ju,« hieß es; »der stammet aus dem Breiten Berge, dorten hauset das Volk der Pferdehufer. Es hat aber auch ein seltsam Weibesvulk, das watschelt auf Gansfüßen ...« »Hu!« schrie ein Weibsbild auf, weil draußen vor dem Fenster ein Totenkopf mit glühenden Augenhöhlen erschien. Bald erkannte man aber, daß es nur ein hohler Kürbis, von einem innern Lichtlein erhellet. Nun kam das Gespräch auf den Berggeist. Ein Bursche berichtete, wie er sich am Hohen Rad als ein Laborant gezeigt habe und plötzlich als ein Truthahn hinweggeflogen sei. Die alte Beate, aus einer Baude beim Mittagstein gebürtig, wollte den Rübenzagel am Großen Teiche gesehen haben. Ein Mönch habe auf einem Felsen gekauert und sich alsdann aufgelöset in quirlenden Nebel. Ja, droben hausete der Herr des Gebirges! Hatte ja auch vorzeiten die drei hausgroßen Steine, neben den Teichen gelegen, hineinwerfen wollen, mit dem überlaufenden Wasser die Welt zu ersäufen. Während also gefabelt ward, erhub sich draußen ein Brausen und Heulen, und man murmelte: »Der Nachtjäger kummet! Ju ju, er jagt die Moosweibel, und die Bäume läuten aus!«
Ganz angefüllt mit wunderbaren Mären machte ich mich zu später Stunde mit der alten
Beate auf den Heimweg. »Bleibet noch dahie!« hatten Maiwalds gesagt. »Gleich ist
Mitternacht, wir schmelzen Blei.« Doch Beate hatte nicht gemocht. Mit flackernder
Laterne suchten wir unsern Pfad, gegen den Wind ankämpfend. In Oheims Laboratorio war
Am Morgen tat der Oheim mit dem Italiener einen Gang auf das Gebirge. Heimgekehrt rief er mich in die Balkenstube und sprach in freudiger Erregung: »Jetzo haben wir das Mittel, den Schatz zu heben. Giacomini weiß, wie die Zaubersuppe bereitet wird. Pferdeblut muß man mit alraunischem Lauche kochen. Wo der wächst, ist mir wohlbekannt – auf der Iserwiese. In den Kessel gehören alsdann eines Maulwurfes Pfoten. Endlich muß ein unschuldig Mägdelein oder ein reiner Junggesell etliche Tropfen seines Blutes aus freien Stücken hineintun. Der Junggesell bist du, Johannes – nicht wahr, du gibst ein wenig Blut her? Ist ja nur eine Hautschramme vonnöten. Johannes, mein Johannes! Wie erhoben und riesenstark ist mein Herz! Möchte schier glauben, so müsse unserm Herrgott zu Mute gewesen sein, da er beschlossen hatte, die Welt zu erschaffen..« Und der Oheim reckte die Arme und lief umher.
Andern Tages begab er sich hinunter ins Hirschberger Tal, das für den Zauber benötigte Pferdeblut zu holen. Da der Abend dunkelte, und die alte Beate in der Balkenstube den Kienspan angezündet hatte, war der Oheim noch immer nicht da – was den Doktor Giacomini, der bei mir saß, unruhig machte, also daß er auf einmal emporsprang und ratlos die Hände erhub: »Wo bleibet Kräuter-Tobiasse? Weg iste swarze – scheinet nit Luna, nit Stella.«
Ich stutzte und entgegnete nach etlichem Zaudern: »Alsdann werden meine Eltern nicht mehr arm sein. Und der Oheim sagt, alsdann solle ich Studente werden in Prag und ein gelahrter Mann und ...« »Unde – unde – pah! Possen!« spottete der Giacomini. »Was brauchen Er Golde für Studente werdene!«
Ich entgegnete: »Aber es ist doch besser, wenn ich kein armer Studente bin ...«
»Ah – si si! Studente à la mode! studieret nix, stolzieret in Sammete und Seidene, hat Losament in Palazzo, unde bei Pokulieren Moneta rollen wie Wasserfall, addio! No no, Famulusse! Er tun nit klug mit Golde, Er werden keine Salomo – denn wie spricht Salomo? Vanitas vanitatum vanitas! Eine Schatz darf nit sein, was fortlaufet – eine Schatz soll bleibene getreu bei Salomo – eine Schatz soll nit werdene geringer! War ein Haufen unde wird eine Berg – ah!«
Scheu starrete ich den Italiener an, der lodernden Auges mit Händen, die vor Gier bebeten, seinen Goldberg zu betasten schien. Wenn doch nur endlich der Oheim käme! Es war bereits Nacht, und ein Sturm hatte sich erhoben, der am Dach rüttelte.
Da ging die Haustür, ich vernahm des Oheims schleppenden Schritt, und nun trat er
ein. Nach Odem ringend, bot er guten Abend, stellete den mitgebrachten Krug in die
Ecke und warf sich ächzend in den Lehnstuhl: »Ah! In Petersdorf bekam ich das
Pferdeblut nicht – bis Warmbrunn hab ich müssen laufen, ah! –«
Das am Himmel jagende Gewölk bildete zuweilen eine Lücke, und dann flog die Mondsichel hindurch, in gewissem Abstande verfolgt von einem Funkelstern; es sah aus, als eile durch Waldesgebüsch ein Jäger nebst seinem Hündlein. Wie rauher Jagdruf und Hundegebell klang es im Sturme, und die Fichten wankten wie läutende Glocken. Stumm schritten wir fürbaß, hätten einander auch schwerlich verstehen können in dem Gebrause.
Als wir bei einer Felsengruppe des Schwarzen Berges aus dem Walde traten, fiel uns der heulende Sturm mit so hartem Stoße an, daß ich mit meiner Hucke ins Beerengestäude taumelte, wobei mir die Laterne erlosch. Giacomini rief den Oheim, der half mir auf und zündete aufs neue meine Laterne an.
Es ging nun wiederum durch Wald. Höchst mühselig gestaltete sich der Weg in der Nähe der Abendburg. Tastend klommen wir über moosige Blöcke, zuweilen glitt der Fuß in eine Felsenspalte. Die Fichtenäste, hart wie Knochen, faßten unsere Kleider. Oft hörten wir Bäume im Sturme brechen, und ein starker Ast schlug neben uns wuchtig zu Boden. Doch freier von Wolken ward der Himmel und verbreitete mit Mondsichel und Gestirnen einen dämmerhaften Schimmer.
Nun sahen wir dicht vor uns düster die Abendburg ragen. Der Oheim zündete sogleich
den hergerichteten Holzstoß an, und die prasselnde Flamme belichtete rot die
Felsenwand, während des Oheims Schatten wie ein schwarzer Riese verzerrete
Inzwischen zogen Giacomini und der Oheim um uns her den Zauberkreis, wobei sie einen Stab mit übergestreiftem Siegelringe anwendeten.
Nachdem dies Werk vollführet war, setzten wir uns ums Feuer. Der Oheim holte Brot aus der Tasche und gab uns zu essen, wir tranken auch etliche Schlucke Wein aus einer Flasche.
»Merke, Johannes,« – sprach der Oheim – »wenn wir die Zaubersuppe zu kochen beginnen, darf fürder kein Wörtlein gesprochen werden, und du mußt schweigend deine Blutstropfen hergeben. Wenn alsdann die Abendburg sich auftut, dringen alsobald wir beide hinein, der Doktor will draußenbleiben.«
»Muß Zaubersuppene rührene, sonstene gehet Porta zu,« entschuldigte sich der Italiener.
»Sind wir in der Abendburg,« – fuhr der Oheim fort – »so füllen wir geschwind unsere Hucken mit Gold und Edelgestein, eilen dann ohne Säumen hinaus.«
Unter solchen Verabredungen verrann die Zeit, der Doktor verkündete, es sei die eilfte Stunde und an der Zeit, die Zaubersuppe zu kochen. Wir winkten einander zu und legten den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß jetzo beginnen solle das strenge Schweigen.
Nun ward das Pferdeblut im Kessel auf das Feuer gesetzet, und der Oheim tat
Alraunknoblauch nebst den Pfoten eines Maulwurfes hinein. Der Italiener gab den
Liquor einer Phiole hinzu, dessen Bereitung sein Geheimnis war. Ich entblößete meinen
Arm, nahm das Messer, so mir vom Oheim schweigend dargereichet ward, und tat die
Spitze an meine Haut. Einen Augenblick zauderte ich mit Bangen. Dann zuckte
Entschlossenheit in mir, und ich drückte die Messerspitze tiefer in den Arm, als
vonnöten. Das herfürquellende
Allgemach begunnte nun die Suppe zu kochen, und mit einem Holzlöffel rührte der Oheim, während Giacomini manchmal scheu ringsum spähete und sich duckte, sobald die Fichten wanketen und knacketen. Das Feuer glühte, daß mir Angesicht und Hände heiß wurden, der Oheim rührete und rührete, eine Sturmwoge nach der andern wandelte heulend über die Wipfel hin, und ich starrete auf die weiße Pforte der Abendburg, die nun bald aufgehen sollte.
Ein schaurig süß Gefühl wandelte mich an, ein heimlich Hoffen und Bangen, ähnlich wie vor einer Weihnachtsbescherung. Heut war ja der erste Advent, und von Haus zu Haus ging das Christkindel. Aus dem Sausen der Wipfel klang mir das fromme Lied, so jetzo drunten in den Hütten erscholl:
»Vom Himmel hoch da komm ich her,
Ich bring euch gute neue Mär,
Der guten Mär bring ich so viel,
Davon ich singen und sagen will.«
Und zur Tür herein trat das Christkindel, licht und holdselig wie ein Engel, mit einem Tüchel voller Gaben, und sagte seinen Spruch:
»Ein schön guten Abend geb euch Gott!
Ich komm herein ohn allen Spott,
Befrag die kleinen Kindelein,
Ob sie auch fromm gewesen sein.
Und wenn sie fromm gewesen sein,
Hat's draußen einen Wagen stahn,
Der ist geschmückt mit schönen Gaben
Für Mädelein und junge Knaben.
Ei Ruprecht, komm herein!«
Da gab es ein Gepolter, und herein tappete Knecht Ruprecht, angetan mit Pelz, rauher Mütze und Fausthandschuhen. Sein Huckepack rasselte, und in der Rechten schwenkte er einen Besen. Er kicherte und gröhlte:
»Plietsch plaatsch Fladerwisch!
Draußa is mers gor zu frisch.
War mich ei die Stube packa,
War a Kindern vertreiba's Lacha.
Bin vom Himmel gefolla,
Hab mir an Huckepack zerknolla.
Ich wünsch euch a langes Leba,
Hundertfufzig Ella lang,
Hicher als die Wulka schweba,
Länger wie a Glockastrang.
Ich wünsch euch a Sack vull Dukota
Und a tichtiga Schweinebrota.
Un wenn noch was zu trinka wär,
Su wär schon alles nach Begehr.
Draußa is mers gor zu frisch ...
Plietsch plaatsch Fladerwisch ...«
Hier reckte Knecht Ruprecht auf einmal seine Gestalt, daß sie wie ein schwarzer Riese in den Nachthimmel ragete. Ich sahe, wie er zum Hiebe mit der mächtigen Rute ausholte, und ein Krachen und Prasseln geschah, als ob ein Donnerwetter einschlüge, davon die ganze Welt zusammenstürzte.
Ich wähnte zuerst, die Abendburg tue sich auf, und vor meinem Auge gleißete bereits der lichte Eingang. Dann aber kam mir der Gedanke, dies Prasseln komme von stürzenden Bäumen. Gleichzeitig sausete ein Fichtenwipfel auf uns hernieder, in das aufstiebende Feuer und in die Zaubersuppe hinein. Eine Funkengarbe sprühete, es zischte und qualmete.
Krachend fuhr ein Feuerstrahl aus Giacominis Pistol. Donnernd rollete der Widerhall drüben den Kamm entlang, und an diesem starken und langen Dröhnen war zu erkennen, wie gewaltig der Baumsturz gewesen.
Der Oheim griff nach mir und betastete meinen Kopf, den ich wimmernd in Händen hielt,
weil ihn der Baumwipfel gestreifet hatte. Nun schaute ich mich um und sahe, wie eine
Fichte, vom Sturme mitsamt der Wurzel ausgerissen, über uns hergestürzt war, und wie
eine Menge Bäume in gleicher Weise vom Sturme gefället waren, also daß die Stelle der
»Es ist aus!« sagte der Oheim; »die Zaubersuppe ist verschüttet, und wir haben das Schweigen gebrochen. Fort! Hier ist es ungeheuer. Auf, Herr Doktor Giacomini!«
Der kauerte hinter dem Oheim und klapperte mit den Zähnen.
Wir raffeten uns auf, ließen die Werkzeuge liegen, mit Ausnahme der Waffen und der Laterne, und krochen mit vieler Mühe zwischen den Zweigen der quergelegenen Fichten hindurch, bis wir endlich freien Pfad hatten. Ich fühlete, wie mir Hände und Knie zitterten. Mir war, als lache heiser der Riese hinter uns her.
Giacomini hielt sich dicht zum Oheim und schwieg. Als wir aber den gefährlichen Wald hinter uns hatten und auf gutem Wege waren, platzte der Italiener los: »Diavolo! Ihr habete Schulde! Eure Famulusse tauget nix zu Magia! Wird keine Salomo!«
»Schweiget!« herrschte ihn der Oheim an. »Eure Zaubersuppe hat nichts getauget! Lasset den Knaben aus dem Spiel!«
»Doch! Eure Famulusse tauget nix – ist keine Junggeselle – keine Johanniskind.«
»Halt er das Maul!« brüllte der Oheim.
Auch mich packte Entrüstung über den Italiener. »Ihr leuget,« – rief ich – »ich habe keine Schuld – bin anoch ein Junggesell – ja, das bin ich!« Dann kamen mir die Tränen. Bestürzt überlegte ich, ob ich vielleicht doch eine Schuld habe. Bedachte, wie mich des Schreiners Magd einmal küssen gewollt. Ich aber stieß sie von mir, mochte die Weibsbilder nicht ... Ja, ich war anoch ein Junggesell, und geboren am Johannistag!
Während des Zwistes stund auf einmal Giacomini still und starrte ins Weite. Seinem
Blicke folgend, sahe ich ein furchtbar Phänomenon. Am wolkenlosen Himmel schwebete
»Ecco Cometa!« staunete Giacomini.
Mit Grauen starreten wir schweigend nach dem unheimlichen Gast des himmlischen Gezeltes.
Dann meinte der Oheim: »Oh, nun verstehe ich, warum der Zauber mißlang. Unter solchem Schweifsterne ist kein Glück, er ist ein schrecklich Omen. Siehet aus wie eine Geißel, mit der unser Herrgott die sündige Welt will züchtigen. Barmherziger Heiland, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! Lassen wir das Zanken, Herr Doktor Giacomini! Buße tun ist nötiger. Denn nunmehro soll anheben ein grausam Schlachten und Sengen, Hungersnot und Pestilenz. Und wer weiß, ob nicht gar der Spruch vom Jahre zehn und acht sich erfüllet und die ganze Welt untergehet .... Barmherziger Heiland!«
Wenige Tage nach diesem Abenteuer trieb mich und den Oheim die Neugier, bei Tage zur Abendburg zu gehen, um nachzuschauen, was denn eigentlich sich begeben habe. Wir machten uns bei klarem Wetter des Morgens auf und gingen auf dem nächsten Wege über den Hohen Stein zur Abendburg. Hu, welch grausig Bild! An der Nordseite des Bergkammes war die ganze Waldwand vom Sturme niedergeworfen. Hunderte von Fichten mit der Wurzel ausgerissen und quer über den Preißelbeerweg geworfen. Ein paar mächtige Bäume lehnten sich an den Abendburgfelsen, und einer davon hatte mit seinen Zweigen in unser Zaubertreiben hineingehauen.
Schweigend schüttelte der Oheim den Kopf. Dann meinte er: »Ist das nun ein Naturereignis, oder ist es eine Strafe dafür, daß wir unter dem Unglückssterne gezaubert und dazu dem magischen Gebot zuwider unser Schweigen gebrochen haben?«
»Aber Oheim,« entgegnete ich, »niemand hat das Schweigen gebrochen – nicht eher, als
bis die Fichte auf uns
In diesem Moment machte der Oheim ein erstaunt Gesicht und deutete auf eine Höhlung im Abendburgfelsen: »Das war doch früher nicht?«
Eine Tanne, so ihre Wurzeln hier in Felsenritzen eingelassen hatte, war vom Windstoß ebenfalls umgeworfen, hatte aber dabei mit den Wurzeln einen Stein ausgehoben, unter dem nun die Öffnung klaffte. Als wir hineinspähten, merkten wir, daß sich eine Höhlung erschlossen hatte.
Prüfend sahe mich der Oheim an: »Hast du Mut, hineinzuklettern?«
Ich bezwang meine Furcht und nickte, worauf ich, die Füße voran, in den Spalt rutschte. Gelangte in eine Felsengrotte, fand aber beim Umhertappen, daß sie nicht größer als eine Stube. Kroch nun wieder ins Freie und berichtete dem Oheim.
Der nickte gedankenvoll und meinte: »Dabei ist dennoch Zauber im Spiel. Du siehest ja, Johannes, die Abendburg hatte schon begonnen, sich aufzutun und wäre sicherlich gänzlich offen worden, wenn der vermaledeite Italiener nicht das Schweigen gebrochen hätte. Das Umwerfen der Bäume war halt eine Versuchung, wie sie mancher Zauberer zu bestehen hat. Ich werde doch selber in die Höhlung gehen und forschen, ob sie vielleicht zu den Schätzen leitet.«
Darauf bearbeitete der Oheim mit seiner Axt die erdigen Stellen des Felsenspaltes, so daß man bequemer hineinschlüpfen konnte und kroch in die Grotte, worauf ich folgte. Doch die Prüfung des Innern führte zu keinem günstigen Ergebnis. Die Höhlenwände waren von Granit und öffneten sich an keiner Stelle zu einem weiteren Gange. So mußten wir denn, nicht ohne Enttäuschung, den Heimweg antreten.
Als ich mich bereit machte, wieder zu meinen Eltern nach Hirschberg heimzukehren,
sprach der Oheim gebieterisch: »Du weißest, daß du, mein Famulus, zum Schweigen
verpflichtet
Warum sollte es nicht eine geheime Kunst geben, vermöge deren man in der Knospe schon die Frucht, im Ei den werdenden Vogel erkennt? Daß aber unscheinbaren Dingen etwas von der Knospe und vom Ei eigen sein kann, wird an meiner Jugendgeschichte offenbar, wie denn aus den Mären vom eingemauerten Mägdlein und vom Schatz der Abendburg, aus meines Vaters Bericht über den unterirdischen Gang, aus der zigeunerischen Weissagung und aus den knabenhaften Streitigkeiten mit Zetteritz die wichtigsten Ereignisse und Wendungen meines Lebens herfürgewachsen sind.
Auch mein Comödiaspielen im Schlosse Kynast war gleichsam eines Vogels Ei, weil es
dazu führte, daß mir Hans Ulrich seine Gunst zuwandte. Wie ich ihm einmal in der
Rosenau begegnet bin, hat er mich ins Auge gefaßt, sein Pferd angehalten und lustig
gesagt: »Ei das ist ja der liebe Gott, der sich mit dem Teufel gebalgt hat.« Und oft
hat mich seitdem Hans Ulrich, wenn unsere Wege sich trafen, mit dem spaßigen
Spitznamen angeredet. Hat den »lieben Gott« sogar in seinen Dienst genommen und als
ein Schreiberlein seines Dominiums zu Warmbrunn installieret. Die kriegerischen
Zeiten haben das so gefügt. Da ich nämlich das Gymnasium absolviert hatte, meine
Eltern aber wegen des böheimischen Aufruhrs und der allgemeinen Unruhen nicht wagten,
mich zur Universität nach Breslau oder Prag ziehen zu lassen, und da sie nicht
wußten, was mit dem
Außerdem ist der Aufenthalt zu Warmbrunn meinem Herzen zugute gekommen, insofern es sich der ersten keuschen Minne zugeneigt und erschlossen hat, ähnlich wie einer Blütenknospe an der Frühlingssonne geschieht. Die Gelegenheit dazu hat jener heilkräftige warme Brunnen gegeben, von dem Warmbrunn, ein wohlgebaueter Ort, zwo Stunden von Hirschberg am Gebirge gelegen, seinen Namen hat. Die heiße Quelle ist gut für Gliederweh und gilt als ein rechtes Kleinod schlesischer Lande. Ward aufgefunden vom Herzog Boleslao Crispo, als dieser auf der Jagd einen Hirschen verfolgte, der seine Wunde im heilkräftigen Wasser baden gewollt. Über der Quelle, so fünf Ellen in der Tiefe aus dem Felsen sprudelt, ist ein steinern Haus errichtet. Den heiligen Wassertäufer Johannem hat man dafür als Patronum erkiesen und über der Pforte abkonterfeit. Das Volk aber ist des Glaubens, am Sankt Johannis Abende, wie auch am nächsten Morgen, habe das Wasser seine beste Heilkraft. Daher strömet zum Sonnwendtage eine bunte Menge aus der Umgegend nach Warmbrunn, sich in das Badebecken zu tauchen. Gichtbrüchige und Lahme hoffen, ihre Krankheit solle sich wenden. Gesunde aber möchten ihren gesunden Leib bewahren; oder, wofern sie das Bad verschmähen, nehmen sie an der lustigen Feier teil, so bei hereinbrechender Dunkelheit auf Wiesen und Hügeln begangen wird, unter Schwenken brennender Besen und Springen durch flammende Scheiterhaufen.
Die Preislerin, gütigen Herzens und von einer heitern Beweglichkeit, grüßte mich vom Oheim und berichtete, er komme in jüngster Zeit häufig zur Glashütte, da er einer neuen Bereitung von Rubinglas auf der Spur sei. Jungfer Elfriede, ein Jahr älter als ich, war von einer zarten, engelhaften Bildung des Hauptes und der Glieder. Ihr bleich Angesicht, von braunem Haar umkränzet, glich einer sanften Blume, und die dunkeln Rehaugen stauneten wehmütig in die Welt. Seit ein paar Jahren fiel ihr das Gehen schwer, und schon redete sie davon, zum Tanzen nie wieder fähig zu sein. Aus dem Erbarmen, das ich für die sieche Schönheit empfand, ward eine schwärmerische Zärtlichkeit. Es erglomm in mir ein Verlangen, ihr Gutes und Liebes anzutun, und bald schien es mir, ihr Blick ruhe mit einer frohen Bewunderung auf meinem Antlitz.
Da die Dämmerung hereinbrach, hätte Elfriede gern die Johannisfeuer betrachtet und
fragte die Mutter, ob sie an ihrem Arm auf die Wiese gehen dürfe. Erst besorgete Frau
Preislerin, es möchte die Abendkühle der Patientin Schaden tun. Weil sich aber die
Jungfer mit Tüchern wohl verwahrte, durfte sie an der Mutter Arm hinaus. Nachdem ich
eine Weile mit meiner Schüchternheit gekämpft, brachte ich stammelnd für, vielleicht
könne die Jungfer auch mich zur Stütze annehmen. Sie dankte und hing sich sogleich an
mich, wobei sie meinen Arm, wie es mir schien, vertraulich drückte.
Frau Preislerin aber scherzete: »Geh mir mit dem dummen Gemahre von den Sonntagskindern! Wenn jedem Sonntagskinde beschieden wäre, Wunder zu erleben, fürwahr so wären die Wunder in unsrer Zeit so häufig wie die Spatzen.«
Verwundert meinte Elfriede: »Aber nein, Sonntagskinder sind ganz rare Vögel!«
Da lachte die Mutter: »Jeder siebente Mensch ist ja ein Sonntagskind! Oder gläubest du einfältig Madel, am siebenten Tage halte der Storch Sabbatruhe?«
Ich und Elfriede waren überrascht und mußten mitlachen; doch es kam auch mir von Herzen, als die Jungfer schmollend zur Antwort gab: »Warum soll uns immer die Klugheit aus den Träumen und Mären wecken?«
»Ach mein liebes Kind,« – seufzete die Mutter – »wer vom klugen Tage nichts wissen mag, wird oft bitter genarret und enttäuscht.« Zu mir gewendet, fuhr sie fort: »Denk Er nur, wie meine Elfriede erst vor einer Stunde, kurz bevor Er gekommen ist, bis zu Tränen enttäuschet worden.«
»Aus was Ursach?«
»Sie hatte eine wundervolle Erwartung vom Johannisbade, das sie dem Teiche Bethesda
verglich. Wie den Teich Bethesda ein Engel vom Himmel besuchte und mit Heilkraft
erfüllte, die versammelten Kranken gesund zu machen,
Dunkel war's indessen worden, schwarz lag das Gebirge. Funken taumelten durch Laub und Halme – schwärmende Leuchtkäferlein.
»Schau, Mutter!« rief Elfriede in froher Aufregung, blieb stehen, indem sie meinen Arm losließ, und deutete nach dem Kynast; »das erste Johannisfeuer!« In der Tat leuchtete es auf dem Turme der Veste. »Zur Linken noch eins!« fügte Elfriede hinzu; »am Seidorfer Brünnel muß das sein; und dorten, ganz oben, wohl bei einer Baude!«
»Ich sehe eins über Petersdorf,« sagte ich; »das ist bei den Wachsteinen; desgleichen
oben am Schwarzen Berge fackeln sie; das sind Schreiberhauer.« Und nun erglommen
immer häufiger, immer lichter die Johannisfeuer in den düsteren
Es war mir leid, zu hören, daß Preislers bereits am nächsten Morgen nach Schreiberhau heimkehren wollten. Da ich zu dieser Zeit von meinem Amte in Anspruch genommen war, sagten wir einander gleich auf der Stelle Valet. Ich drückte der Jungfer Hand: »Auf gute Genesung – und Wiederschaun!« – Sie lächelte traurig: »Weiß Gott!« – Ich versuchte zu scherzen: »Auf Wiederschaun beim Tanze!« Sinnend nickte sie und tat einen Seufzer: »Auf Krücken vielleicht.«
Seit dieser Zeit ist mir ein süß Weh gleich dem duftigen Hauch einer wunderbaren Blume gekommen, sooft ich in stiller Stunde Elfriedens gedachte. Manch Gespräch voller Andeutungen unserer Herzensverfassung hat sich zwischen uns in meinen Träumereien begeben, und als höchstes Glück deuchte es mich, im Mondenschein der Juninacht Elfrieden an meiner Seite zu haben, ihr Köpfchen an meine Schulter gelehnt.
Mit Sorge und Gram aber hat es mich erfüllt, da ich aus einem Briefe meines Oheims
vernommen, mit Preislers Elfriede sei es schlechter worden, sintemalen sie gar nicht
mehr gehen könne. Hierauf hab ich in der Bücherei des Herrn Schaffgotsch Schriften
nachgeschlagen, so von Körpergebresten und ihrer Heilung handeln. Da ist mir eine
Historia von der Kraft des Antimonii begegnet. »Ich bekam«, so erzählt ein Medikus,
»überaus großen Schmerz in meinem linken Arm, daß ich den lieben Gott wohl tausendmal
gebeten, er möge mich doch endlich empfinden lassen, wie einem Menschen zumute, so
ein einzig Viertelstündlein schmerzlos wäre. Rat hab ich bei Gelehrten und
Ungelehrten gesucht; hat alles nichts helfen wollen. Recht henkermäßig ward ich
gemartert mit Fontanellen auf beiden Armen und Quacksalbereien, bis endlich ein
Offizier anriet, ich solle täglich
Mich brachte dieser Bericht in Aufregung und Ungeduld. Hätte am liebsten sogleich aus der Hirschberger Apotheke Antimon geholt und mich nach Schreiberhau begeben, meine Elfriede zu heilen. Doch war mir bekannt, daß Antimonium ein Gift, und so besorgte ich, die Patientin könne Schaden nehmen.
Nachdem ich etliche Wochen in Schwanken zugebracht, traf es sich, daß ich auf einem Botengange zu Herischdorf in eines Schreiners Stube ein artig Mägdlein fand, so nicht von ihrem Stuhle aufstehen konnte und Krücken neben sich hatte. Als ich mich nach der Patientin erkundigte, hub der Schreiner an zu seufzen, das Kind sei seit dem fünften Jahre lahm, und es werde auch noch mit ihren Händen schlimm. Traurig lächelnd sagte der Vater zum Mägdlein, es solle mir doch weisen, was es in der Hand halte, und da sahe ich, wie es vergebens sich mühte, die Hand aufzutun, deren Finger zusammengekrümmt übereinander lagen.
Ich dachte an mein Antimonium und fragte den Schreiner, ob er es mit einem Mittel versuchen wolle, von dem ein berühmter Medikus großen Erfolg verspreche. Er brauche dann nur aus der Apotheke pulvrisiertes Antimonium zu holen, so viel wie eine Nuß; ich werde mit aller Sorgfalt die Kur leiten und keinen andern Lohn erwarten als die Freude, einem armen Menschenkinde geholfen zu haben.
Der Mann betrachtete mich von oben bis unten und schüttelte den Kopf, ließ sich aber
den Namen des Medikamenti auf einen Zettel schreiben und war am nächsten Sonntag bei
mir mit dem Pulver, das er richtig in der Apotheke erhalten hatte. Das erste, was ich
tat, war, das Pulver in
Wie groß war meine Freude, als sich von Woche zu Woche des Mägdleins Befinden besserte. Nach zween Monden stund es vor der Haustüre und, mein ansichtig, ließ es seine Krücken fallen und hinkete freudestrahlend auf mich los, um meine Hand zu küssen. Mir gingen darob die Augen über, besonders auch, weil ich nun ein Mittel zu haben glaubte, meine liebe Elfriede gesund zu machen.
Selbigen Tages noch schrieb ich an die Preislerin, teilte ihr die ganze Geschichte mit und erbot mich, ihre Tochter zu behandeln. Es kam jedoch anders als ich erhofft.
Denn wie ich den Sonntag darauf meine Eltern in Hirschberg besuchte und bei dieser Gelegenheit aus der Apotheke Antimoniumpulver gekauft hatte, fand ich auf dem Marktplatze einen Auflauf. Um einen Reiter drängte sich die Menge, seinem Bericht zu lauschen, und da ich fragte, was es gäbe, antwortete mir ein Bürger: »Von Liegnitz her ziehet feindlich Volk gen Hirschberg, grausame Kosaken, Gnade uns Gott!«
Wie ich nach Hause kam, stunden vor der Türe meine Eltern und redeten mit Nachbarn in
ängstlicher, aufgeregter Weise. Bald eilten Bürger mit Büchsen und Säbeln gewaffnet
Die Umgegend von Hirschberg allerdings litt von den Kosaken. Manche Baude ward niedergebrannt, Korn und Heu aus den Scheuern geraubt und viele Familien durch Grausamkeit in Jammer versetzt. Die Bewohner der Dörfer, nahe an den Waldbergen gelegen, hatten sich in die Wildnis zurückgezogen, wurden aber eine Zeitlang von den Kosaken verfolgt, so ihre zottigen Hunde auf die Spur der Flüchtlinge hetzten. Immerhin kam die Gegend noch ziemlich heil davon.
Indessen hat dies Ereignis meinen Besuch in Schreiberhau für eine Woche verhindert,
und hieraus ergaben sich traurige Folgen. Zunächst, wie ich nach Warmbrunn
zurückkehrte, eröffnete mir der Verwalter, ich habe andern Tages mit ihm eine Reise
nach Greifenberg anzutreten, wo Fohlen aus dem dortigen Gestüt des Herrn Schaffgotsch
zu übernehmen seien. Wie wir nun nach Greifenberg gekommen waren, hieß es, neues
Feindesvolk sei im Anzuge, und deswegen ward dem Verwalter geboten, bis auf weiteres
mit mir in Greifenberg zu verweilen. So ging abermals Zeit dahin, ohne daß ich mich
der ersehnten Kur in Schreiberhau widmen konnte. Da schließlich die Gegend vor
Feinden sicher
Wie ich nämlich endlich wieder nach Warmbrunn kam, fand ich einen Brief meines Oheims mit der Nachricht: »Betrübe Dich nicht zu sehr, mein lieber Johannes! Deines guten Herzens Fürhaben, Preislers Elfriede gesund zu machen, ist durch Gottes Ratschluß vereitelt worden. Die Jungfer haben wir am gestrigen Tage auf den Friedhof getragen. Ein Fieber ist zu ihrem Leiden hinzugetreten, und ihr Leben wie ein Flämmchen ohne Öl erloschen.« Kaum hatte ich diese Worte gelesen, so war mir, als stocke mein Herz, und als tue sich zu meinen Füßen das Grab auf, mir die Ruhe zu geben, so ich nach Elfriedens Tode nimmer über der Erde glaubte finden zu können. Schluchzend lag ich am Boden, und es dauerte Monde, bis ich mich von meiner Schwermut halbwegs befreit hatte. Hinterher fand ich, daß mein Gram der Abendburg vergleichbar, insofern jedwedes Herzeleid ein heimlich Gold enthält. Meine Neigung für Elfrieden hatte eine Sehnsucht in mir erweckt, zu lieben und zu heilen. Und also war mein besser Selbst gewachsen.
Mein schlimmer Dämon aber war die Prophezeiung der Zigeunerin, des Oheims
Goldmachertreiben und die magische Beschwörung des Felsens. Vom Stein der Weisen
träumte ich, und auf den Schatz blieb all mein Trachten gerichtet – wiewohl er mir
unter wechselnden Gestalten, je nach den unterschiedlichen Stufen meines Lebens
erschienen ist, ähnlich dem Gotte Proteus, so in tausend Verwandlungen den
forschenden Blicken der Sterblichen entschlüpfet, indem er Feuer und Wasser, Tier und
Pflanze wird, und allein dem Starken, der ihn in allen Verwandlungen festzuhalten
weiß, sein wahres Wesen offenbart. Hatte ich zuerst von unterirdischen Kostbarkeiten
geträumt, so lenkte sich bald mein Begehren auf die alchymistische Goldmacherei.
Nachdem
Anno 1625 war die grausame Pest in Hirschberg eingekehrt. Als ich davon vernommen, trachtete ich besorgt zu meinen Eltern; doch ein Brief des Vaters befahl mir, in Warmbrunn zu bleiben, und wenige Tage darauf kam folgende Post: »Wie gern, lieber Sohn, würde ich Dich herbeirufen, daß wir mitsammen diese Heimsuchung beweinen. Doch in Warmbrunn mußt du bleiben, da unser Haus von der Seuche infiziert ist. Willst Du Deine Mutter wiederfinden, so halte Dich zu unserm treuen Gotte, bei dem sie nun weilet ganz und gar. Unvermutet schnell hat er sie abberufen. Da sie nämlich eine enge Gasse passieren gemußt, ist hinter ihr ein Wagen mit Pestleichen gekommen, dem sie nicht ausweichen gekonnt, also daß das Rad sie am Gewande gestreift. Vermeinend, sich auf diese Weise die Giftmaterie zugezogen zu haben, hat sie sich gleich mutlos zu Bette begeben und des andern Tages bereits diese Welt verlassen. Ohne die Gute müssen wir nun unsere Lebensreise fortsetzen, uns tröstend mit dem ewigen Friedensheim, allwo wir zu allerletzt beisammen sind. Amen, mein geliebter Johannes!«
Wie es tut, eine mutterlose Waise zu sein, hab ich bezeugt mit herben Zähren. Sie
sind aber die Vorboten gewesen einer fürdern Bitternis, da denn selten ein Unglück
allein kommt. Schon im nächsten Jahre nämlich hab ich auch den Vater verloren, und
das hat sich also zugetragen: Nach Erstickung der böheimischen Empörung ist in
Schlesien die katholische Partei zur Übermacht gelangt und emsig darauf ausgegangen,
die Evangelischen dem Papismo zurückzugewinnen. Dominikaner hielten in Hirschberg
geistliche Disputationes und Bußpredigten. Als weltlicher Beistand aber war den
eifernden Apostolibus eine halbe Kompagnie kaiserischer Dragoner zur Seite. Diese
Seligmacher, wie man sie bitter hieß, haben sich zu den Stützen des evangelischen
Da ich der sofortigen Verhaftung gewärtig sein und also ohnehin darauf verzichten mußte, dem Begräbnis meines Vaters beizuwohnen, so flüchtete ich durch einen Garten über die Stadtmauer und begab mich, unter Vermeidung von Warmbrunn, wo ich nicht sicher war, nach Schreiberhau, während der Oheim die Reise zum Begräbnis seines Bruders tat. Es war nun mein Schicksal insofern entschieden, als ich weder nach Hirschberg, noch auch nach Warmbrunn zurückdurfte und einstweilen beim Oheim bleiben mußte. Recht trüb ist mir die Zeit hingegangen, meine Toten hab ich beweint, und nur das Studium laborantischer und alchymistischer Schriften, sowie die Arbeit mit dem Oheim ist mir eine Beruhigung gewesen.
Der Oheim begleitete mich übers Isergebirge, wo noch viel Schnee lag, bis ins Tal des
Iserflusses, der geschwollen durch sein Felsenbett brausete. In der Schenke des
nächsten Dorfes nahmen wir Abschied von einander. Um seine Traurigkeit zu vertreiben,
ließ der Oheim einen warmen Würzewein bereiten. Beim Trinken äußerte er nicht üble
Lust, mit mir in die weite Welt zu ziehen, doch wegen unverrichteter alchymistischer
Arbeit, auch wegen des Häusels und der alten Beate wollte er lieber einstweilen in
Schreiberhau bleiben. Vom Weine gesprächig, erzählte er mir aus seiner Jugendzeit und
gab allerlei Ratschläge. Zuletzt kam er hoffnungsvoll auf die Prophezeiung der
Zigeunerin,
Verlassenheit empfand ich, da ich im Waldtal neben dem brausenden Flusse keine andere Gesellschaft hatte, als meine betrübten Gedanken. Doch wie nach etlichen Stunden das Tal sanfter und grüner ward, lachte im zwanzigjährigen Geblüt der leichte Sinn. Was vor mir lag, deuchten mich lauter gute Dinge, frohe Überraschungen und Erfüllungen, dabei half es nichts, daß eine Stimme im Innern mich warnte, nur ja nicht übermütig und unvorsichtig in die Welt zu tappen.
Bei Espenbüschen, die ihre Blütenkätzchen sonnten, hielt ich Rast und schaute zurück auf die entfernten schneebedeckten Berge. Indem machte sich ein flatternd Waldvöglein bemerkbar, so allerlei Gerüstwerk zu seinem Neste zusammentrug. Es setzte sich niemalen auf einen Zweig und hub kein Hälmlein auf, ohne zuvor durch Umherspähen versichert zu sein, daß ihm kein Feind oder Garn drohe. Und bevor es seine Fittiche reckte, der Luft sich anzuvertrauen, drehete es noch das Köpfchen prüfend, ob auch kein Raubvogel laure. »Leichtfertiger Tölpel« – sprach ich zu mir – »Waldvögelein mag dich beschämen, weil du in der argen Welt nicht so viel Fürsicht anwendest, wie diese geringe Kreatur.« Kaum aber hatte ich mir selber diese Predigt gehalten, so spitzte ich schon das Ohr, weil zween Wandrer gegangen kamen, deren einer mit schöner tiefer Stimme ein verführerisch Liedel sang:
»Ein Hexlein aus der Hölle Brut,
Ein schmuckes, blond wie Flammenglut,
Ein Hexlein weiß ich, schlangenglatt,
Das Myriaden Buhlen hat.
Es zu umarmen, dürsten
So Bettler und so Fürsten,
Soldaten, Juden, Christen,
Schatzgräber, Alchymisten.«
Sie flehen süß und lispeln hold:
»Sei mein, o mein, Herzliebchen Gold!«
Das Hexlein lacht: »Wen ich begnad',
Ist vieler Leute Potentat.
Ich hex' ihm her, was auf der Erd
Ergötzlichkeit sein Herz begehrt –
Lustgärten und Paläste,
Musik und noble Gäste;
Was willst du? Pokulieren?
Ein Bräutlein karessieren?
Befiehl! Ich klimpre klinglingling,
Und husch, da ist das liebe Ding.«
Der Sänger war ein großer dicker Mann, den breiten Hut mit wogender Feder schief auf dem dunkeln Lockenhaupte, und den Mantel in ähnlicher Weise umgeschlagen, wie es an heroischen Standbildern zu sehen. Auf dem Rücken das Ränzel, in der Hand den Knotenstock, glich er gleichwohl mitnichten einem wandernden Handwerksgesellen. Rollend blitzten große schwarze Augen mit dunkelgemalten Rändern, das Antlitz war blaß und rasiert, die vorgeschobene Unterlippe schien zu verkündigen: »Respekt, ihr Leute!« Mir ganz nahe gekommen, musterte mich der Sänger und blieb mit hochfahrender Miene stehen.
»Ei, guten Tag!« sagte sein Begleiter. Ein Buckeliger war's, hatte listige Augen mit geröteten Lidern, ein fahl und schlaff Gesicht. Etliche blonde Härlein ob dem Munde waren zu einer Art Schnurrbart zusammengedreht. Das geschorene Haupt mit dem spitzen Hut suchte er aus dem Engpaß der Schultern herauszurecken, und das blaue spanische Mäntelein sollte herabwallend den Rückenschaden bemänteln.
»Wo hinaus des Weges?« fragte der Lange, Dicke. Ich begegnete dem hochfahrenden
Blicke keck und bedachte mich ein Weilchen, ob ich überhaupt Antwort geben solle.
Sprach aber dann, den Hut lüftend: »Guten Tag, Ihr Herren! Da
»Ein Hexlein weiß ich, schlangenglatt,
Das Myriaden Buhlen hat ...«
»Weißt du« – nahm der Bucklige das Wort – »an wen mich dein Hexlein erinnert? An
Jungfer Susannen! Du kennest doch das Wirtshaus in Prag, zur Äpfelkammer geheißen?«
»Ei, diese Schönheit ist mir nicht bewußt,« sagte Pomponius; »indessen ich doch
sonsten im dortigen Weibsvolk Bescheid weiß. Susanne? Erzähl Er des weiteren von
dieser Tempeljungfer Bacchi et Veneris!« – Der Bucklige machte verliebte Augen:
»Denket euch des Rehes Wuchs, im Angesicht Lilien mit Rosen vermenget, Augen wie
Vergißmeinnicht, korallenrote Lippen und langes goldfarbenes Haar, so habet Ihr die
schöne Susanne, wie sie leibt und lebt. Was aber Gemüt und Sinn betrifft, so weiß sie
bald die hochgeborene Dame zu spielen, bald wieder durch Schöntun und Schelmerei dem
Gast den Kopf zu verdrehen und das Herz zu rauben.« – »Solch eine Rosenknospe hat es
leicht, die Leute zu betören,« schmunzelte Pomponius; »muß aber auch List dabei sein.
Wetter! wenn ich solch ein glatt Weibsbild wäre, haha, ich getraute mir einen
Reichtum zusammenzuraffen, daß ich gleich der ägyptischen Rhodope eine Pyramide
aufbauen, oder wie die Phryne die Stadt Theben mit Mauern umgeben könnte. Denn ich
wüßte manchen seidenen Schnauzhahnen dermaßen zu lausen, daß ich der schönen Lamiä
nichts nachgäbe, die dem verliebten Demetrio all sein Gold abgenommen. Oh, wie
manchem Hengst tät ich das Seil über den Kopf werfen, daß er fein artig in meinem
Dienst spazieren müßte.« – Der Bucklige nickte: »An List fehlet es der schönen
Susanne mitnichten, und nur in einem Punkte soll ihr Verstand der
Der Abend war hereingebrochen, als wir ins Städtlein Turnau gelangten und im Wirtshaus »Zur Krone« einkehrten. Da wir übernachten wollten, wies uns der Wirt die Gemächer; in dem größeren waren zwei Betten. Wiewohl es mir passend schien, daß die beiden befreundeten Wanderer das Zimmer mit den zwei Betten nähmen, erklärte der Bucklige: »Mit dir, Pomponi, schlaf ich nicht. Deine Komödiantenkehle verstehet sich nicht bloß aufs Singen und Saufen, sondern auch aufs Schnarchen. Erlaube dahero mein junger Kamerad, daß ich lieber mit Ihm das Zimmer teile.« Mir war dies Ansuchen nicht sonderlich genehm; da aber der Wirt kein drittes Gemach hatte, so blieb mir nichts übrig, als ja zu sagen. Nachdem wir Ranzen, Mantel und Hut in den Kammern abgelegt, gingen wir hinunter in die Gaststube und ließen Wein, Brot und Fleisch auftragen. Bald ward ich inne, daß meine Begleiter im Zechen viel leisten konnten. Wiewohl mich nun die innere Stimme vor dem Weine warnte, tat ich doch des Guten zuviel. Denn ich hatte mir einen tüchtigen Durst an den Leib gelaufen und meiner Begleiter Zureden wie Beispiel überwand stets von neuem meine Bedenken. Als wir in später Stunde zu Bett gingen, mußten mir meine Reisegefährten unter die Arme greifen. Ich hatte noch soviel Besinnung, daß ich mein Wams, drein die Goldstücke eingenäht waren, zusammengerollt unter mein Kopfkissen tat. Kaum hatte ich mich hingestreckt, so schwankte das ganze Haus mit mir, und ich sank in Schlaf.
»Sakrament! Meine Hose!« Von diesem Geschrei erwacht, richtete ich mich verstört im Bette auf. Mein Kopf tat weh. Im Hemd lief der Bucklige umher, als ob er die Kammer durchsuche: »Wo ist meine Hose? Ha, Spitzbuben!«
Besorgt griff ich unters Kopfkissen, mein Wams war verschwunden,
Nebst Schrepfeisen begab ich mich wieder in unsere Kammer und setzte mich ratlos auf
mein Bett, während jener behaglich nochmals in die Federn kroch. Seinen Verlust hatte
er bereits verschmerzt; denn er hub ein meckernd Lachen an: »Hehe, Lehrgeld war das!
Hehe, nicht mehr gegreint! Heute verloren, morgen gewonnen! Wahrlich, Johannes, ich
verspreche Ihm einen halben Dukaten Tageslohn, so Er als Apotheker mir und dem
Pomponio Dienste leistet. Morgen beginnet der Markt in Jung-Bunzlau. Da werden wir
als ruhmreiche Heilkünstler auftreten und aus Rindsschmer Gold machen. Ist Er dabei?
Nicht? Na, was will Er denn sonsten beginnen? Ist ja kahl wie ein abgehäuteter Esel,
hat nicht mal Lumpen, seine Blöße zu decken, und seine Zeche muß der Pomponius
zahlen. Nun freilich, das tut der Pomponius aus Kameradschaft. Er aber, Johannes,
sollte doch darauf sinnen, wie Er's dem guten Pomponio vergelte. Den Teufel auch,
umsonst ist der Tod. Gläubet Er etwan, daß ihm die Kleider gehören, so ihm der
Pomponius durch den Wirt besorgen läßt? Nur geliehen sind sie, und so Er sie nicht
wieder hergeben will, bleibt Ihm schon nichts übrig, als mit uns zu halten. Siehet Er
das ein, hehe?« – Ich schwieg eine Weile, und fragte kläglich: »Und ich soll an jedem
Markttag einen halben Dukaten haben?« – »Freie Herberg und Zeche dazu!« versicherte
Schrepfeisen. – »Nun, wohlan! So will ich Euer Gehilfe sein.« – »Brav!« erwiderte
Schrepfeisen; »was Er zu tun hat, will ich Ihm gleich sagen. Wir haben Salben zum
Verkauf nötig, Mixturen, Latwerge, Pflaster, Pillulen. Alles muß Er täglich bereiten.
Die Leute reißen sich darum, wie Enten um ausgeschütteten Unflat.« – »Doch wie soll
ich als Anfänger in der Apothekerei die Medikamente zustande bringen?« – Der Bucklige
lachte: »Rindstalg mit Wachs und etwas Würze, Brotküglein mit Zimmet, Bier
Obwohl mir auch nach dieser Beschönigung die Sache nicht richtig vorkam, ward ich
doch den Quacksalbern gefügig. Allzusehr schon hatte ich mich mit ihnen eingelassen
und durch den abends genossenen Wein mein Gewissen wie meinen Verstand benebelt. Wie
ich nun, gleichermaßen auch der Bucklige, Gewand erhalten und mich bekleidet hatte,
gingen wir zur Wirtsstube hinab, wo drei Teller mit Morgensuppe dampften. Pomponius
bezahlte den Wirt, und wir setzten unsere Wanderung fort. Noch vor Abend waren wir in
Jung-Bunzlau, wo auf dem Ringe Buden gezimmert wurden. Meine Begleiter ratschlagten,
welcher Stand für unsern Warentisch am besten geeignet sei, und der listige
Schrepfeisen tat den Vorschlag, mit dem Lammwirt ein Abkommen zu treffen, daß wir
neben seiner Tür unsere Waren auftischen durften. Da Pomponius reiche Zeche machte,
war ihm der Wirt gefällig, und nun gingen wir an unsere Geschäfte. Einen Teil seines
Kellers gab der Wirt zum Laboratorio her. Von Steinen ward innen eine Feuerstätte
errichtet, und meine Kumpane kauften Töpfe, Tiegel, gegerbte
Nun hub ein Schmelzen und Sieden, Mörseln, Schmieren und Pillendrehen an, und bald stank das Laboratorium nach verbranntem Fett. Schrepfeisen mahnte zur Eile und gab auf meine Frage, wie dies oder jenes zu bereiten, halben Bescheid unter meckerndem Lachen. Als ich das Laboratorium verlassen durfte, war ich mißmutig, Schrepfeisen aber rieb sich die Hände; denn viele Tiegel, Phiolen und Latwerge waren zum Verkauf fertig, auch für das Auge einladend, die Gefäße mit buntem Papier beklebt, die Pillulen versilbert und in Schächtelchen verpackt. An diesem Abend hielten wir uns vom Trinken zurück, um andern Tages frische Kraft zu haben.
Schon in der Frühe ward ich wach vom Lärmen, so auf dem Marktplatz erscholl, wo man
die letzten Hammerschläge tat, mit Handwagen Waren herbeischleppte und die ersten
Käufer durch schreiendes Ausbieten herbeilockte. Wir hatten aus Brettern eine
Erhöhung gezimmert und darauf einen langen Tisch gestellt, wo unsere Medikamenta
prangten. An der Mauer des Gasthauses war ein Thron für den Doctorem Schrepfeisen.
Beim Trödler hatten meine Kumpane sich auffällig ausstaffieret, auch eine
Kriegstrommel und eine Laute erworben. Wie nun der ganze Kram in Ordnung war, begab
sich jeder auf seinen Posten, ich also hinunter in mein Laboratorium, wo das
Schmelzen und Stänkern von neuem losging. Von oben aber scholl des Pomponii
Marktschreierei. Da ich mittags die Lücken der Warenauslage ergänzen mußte, fand ich
Gelegenheit, meine Verbündeten bei ihrem Gefecht zu beobachten. Kopf an
»Die Weibgen mit den Flöhen
Hant ewiglichen Krieg.
Wie hetzen sie und spähen,
Daß man die Flöh' erschlüg'!
Und hätt ich allweil baren
Ein Gulden in der Hand,
So oft die Weibgen fahren
Noch Flöhen unters G'wand,
Zwölf Kisten tät ich nageln,
Zu bergen meinen Zoll,
Die sollten täglich hageln
Von Gulden krachend voll.«
Weil des Gelächters ein reicher Tribut kam, warf sich Pomponius auf den Hauptteil
seiner Rolle. Wie eine Posaune dröhnte sein Ausrufen: »Jawohl, jawohl, jawohl! Flöhe,
Läuse, Wanzen – die nennt ein jeder sein – sie zwicken uns den Ranzen – wie heiße
Höllenpein. Doch da kommt der famose, gloriose, hochberühmte Medikus, Herr Doktor
Schrepfeisen, nach Jung-Bunzlau und vertreibt alles Geziefer mit dieser Mixtur, aus
Würzlein und Kräutlein des Landes Arabia kunstreich bereitet. Etliche Tropfen ins
Gewand gesprengt, ins Hemd oder Bett, betäuben und vergiften das ganze Floh- und
Wanzengeschmeiß. Aber wir haben hier noch andere Raritäten: Pillulen wider harten
Leib, Pflaster für Gliederweh und Husten, wie wir denn
So ging es Tag für Tag; am vierten aber war ich von
Ich atmete erleichtert, als ich nach Schluß des Marktes im Kämmerlein meine
erschöpften Glieder zur Nachtruhe hingestreckt hatte. Und wie ein Vogel aus dem Käfig
schlüpfte ich in der Morgenfrühe zum Stadttore hinaus. Bei der ersten Rast im Walde
wollte ich meine Goldstücke ins Wams einnähen und holte sie herfür. Sie ersetzten die
in Turnau mir entwendeten Dukaten, sahen auch nicht minder blank aus. Indessen schien
ein ekler Geruch daran zu haften, und sie weckten peinliche Erinnerung. Hingegen
gemahnten jene anderen Dukaten, die mir Beate ins Wams eingenäht hatte, an meine
guten Eltern und den Oheim, an ehrliche Arbeit, Sparsamkeit und treue Fürsorge ...
Doch was war das? Wie ich meine Dukaten so betrachte, sind es genau dieselben, die
mir Beate mit Kreuzen bezeichnet hatte. Ei du tückischer Schrepfeisen, du also hast
mir das Geld gestohlen und hast die Leiter ans Fenster gesetzt, um auf falsche Fährte
zu leiten, und Pomponius war dein Spießgesell. Nachdem ihr mich bestohlen, habet ihr
mich obendrein zu eurem Sklaven gemacht, zum Werkzeug eurer Betrügerei. Und schämtet
euch nicht, mich mit denselben Goldstücken zu besolden, die ihr mir abgenommen. Pfui!
Ich war versucht, das Geld von mir zu werfen; doch weil es ja auch ein Andenken an
meine Lieben war, so nähte ich
Nachmittags trat ich aus dem Walde, und da lag im Sonnenschein unter mir, an die weinbepflanzten Hänge geschmiegt, von starken Mauern umgeben, die Residenz von Böheim. Das Gewimmel der Bürgerhäuser nebst Kirchen und Palästen stieg am jenseitigen Berg hinan, den eine ausgedehnte Burg krönte. Rechts tat sich das Moldautal mit dem blinkenden Strome auf. Der Lärm von Handwerkern und Hähnekrähen scholl aus dem Tale herauf, indessen ich mit Wohlgefallen diese bildschöne Stadt betrachtete. Nachdem ich gerastet und mir den Staub abgeklopft hatte, begab ich mich hinunter, Prag zu beschauen und eine Herberge zu suchen.
In einer engen Gasse sah ich über einer Hauspforte drei güldene Äpfel benebst der Inschrift: »Gasthaus zur Äpfelkammer«. Sogleich kam mir in den Sinn, was ich von Schrepfeisen über die schöne Wirtstochter vernommen. Daß ich meiner Neugier nachgab und hier einkehrte, war das natürliche Emporsprießen jenes Samens, den schlechter Umgang in mein Herz gestreut hatte. Die Gaststube war dunkel und verräuchert und erweiterte sich hinter dem großen Ofen zu einem stattlichen Gewölbe. Ich war der einzige Gast. Als ich Ranzen, Hut und Mantel abgelegt und an einem runden Tische Platz genommen hatte, erschien eine zierliche Jungfer. »Ein Quart?« fragte sie etwas von oben herab. Als ich bejaht hatte, brachte sie mir den Wein und machte Miene, wieder zu gehen. Bei der Tür aber kehrte sie um und ging, ein Liedel trällernd, an mir vorbei zum hintern Gewölbe. Blieb dorten gar nicht lange, kehrte zurück, setzte sich an einen Nebentisch, tat einen Blick durchs Fenster und seufzete, als habe sie Langeweile.
Durstig hatte ich mein Quart ausgetrunken, und sogleich
Als sie das gewünschte vor mich hingestellt hatte, blieb sie an meinen Tisch gelehnt stehen und betrachtete mich freundlich. »Ist der Herr etwan ein Studiosus?« – »Noch nicht, Jungfer, doch möcht ich ein Medikus werden. Einstweilen will ich mich zu einem tüchtigen Heilkundigen und Apotheker in die Lehre tun.«
»Und weiß Er schon einen solchen Lehrmeister?« fragte sie. – »Habe da ein Empfehlungsbriefel an Herrn Doktorem Waldhäuserum«. – »So, so, an den Waldhäuser?« meinte sie geringschätzig. Und ich: »Kennt Sie den Waldhäuser?« – »Freilich, freilich, wie soll ich den Lumpenkurierer nicht kennen? Pöh, den!« –»Lumpenkurierer? Warum heißet Sie ihn also?« Kühl antwortete die Jungfer: »Das ist so ein Volkstitul. Der Lumpenkurierer ist halt ein Medikus für arme Leut, so kein Geld haben, einen angesehenen Arzt zu zahlen.« – »Also ist Herr Waldhäuserus kein angesehener Arzt?« – »Ah bah,« entgegnete die Jungfer; »der Waldhäuser ist, seit ich gedenken kann, ein Lapp und kommt nimmer auf den grünen Zweig. Warum will Er sich auch ausgesucht zum Waldhäuser tun? Sollte meinen, es gäbe für Ihn doch angesehenere Lehrmeister. Zum Exempel den Medikus und Apotheker Schmirsel, so hier gleich um die Ecke auf dem Ring wohnt. An dem stattlichen Haus kann Er gleich sehen, wie einträglich dieses Gelahrten Kunst. Der Schmirsel ist oft bei uns zu Gaste, und so der Herr bis zum Abend ausharret, kann Er die Bekanntschaft des Herrn Schmirsel machen.«
Ich schwieg und ließ mir diese Auskunft durch den Kopf gehen. Dann meinte ich: »Bis
zum Abend sind noch etliche Stunden, und ich kann doch nicht die ganze Zeit hier
sitzen bleiben.« – »Ei warum denn nicht?« antwortete die Jungfer und sah mich durch
halbgeschlossene Augenlider schalkhaft an.
Ich schlug die Augen nieder, als ich zur Antwort gab: »Die Worte heißen: ein wohlgestaltet, sehr sauber Mägdelein.« Hell wie Silberglocken lachte die Jungfer und deutete mit dem Finger auf sich, indem sie strahlenden Auges fragte: »Und das soll ich sein?« – »Wer denn sonsten?« – »Ei, könnt ich doch den Herren Studiosis in ihrem Latein die rechte Antwort geben! Will mich der Herr eine solche Antwort lehren? Ich bitte! Wie spricht denn der Lateiner, wenn er sagen will: So ziemlich?« – »So ziemlich ist auf Lateinisch sic satis geheißen.« Da wiederholte die Jungfer mehrere Male »sic satis« sprang vergnügt auf und tänzelte in der Stube umher: »Sic satis, sic satis! Nun wartet, ihr grünen Lateiner! Die Mäuler sollt ihr aufsperren, und der Herr mag des Zeuge sein. Obacht! gleich werden Studiosen kommen.«
Und zur Tür herein traten zween junge Burschen, bestellten Wein und beäugelten die
Jungfer. Dabei raunte der eine dem andern zu: »Estne pulcherrima puella?« Mit
boshaftem Triumphieren neigte sich Susanne und sagte dem lateinischen Lobredner ins
Gesicht: »Sic satis!« Die beiden Studenten schauten einander mit einfältigem Staunen
an, und einer sagte: »Blitz und Kartaunen! Sie verstehet Latein!« Da Susanne kichernd
wegging und sich nicht weiter sehen ließ, die Studenten folglich ihre Niederlage
empfanden, legten sie die Zeche auf den Tisch und schoben ab. Gleich darauf kehrte
Susanne zurück und lachte aus vollem Halse: »Denen hab ich's gegeben! Die werden nun
»Ach Jungfer Susanne,« entgegnete ich, »Sie weiß zu überreden, und wiewohl noch nicht
entschlossen, zum Schmirsel zu gehen, schwanke ich wie jener berühmte Esel zwischen
zwei gleich großen Heubündeln.« – »Sie sind nicht gleich groß«, eiferte Susanne: »Der
Schmirsel ist ein ganz großes, Herr Waldhäuser nur eine Handvoll. So Er aber aus
Seinem Zaudern nicht herauskommt, will ich Ihm ein Mittel an die Hand geben, das zur
Entscheidung führt und auch unterhaltsam ist. Losen wollen wir, ob Er zum Schmirsel
oder zum Waldhäuser geht.« Kleinlaut erwiderte ich: »Um den Zufall entscheiden zu
lassen, ist mir die Sache doch zu ernst.« – »Zufall?« rief Susanne. »Hätte nicht
gedacht, daß Er solch ein schlechter Christ! Wenn ohne Gottes Willen kein Härlein von
unserem Haupte fällt, so werden auch Würfel und Los von seiner Hand gelenkt. Drum hat
manch großer Mann das Los als ein Gottesurtel betrachtet. Erst dieser Tage hab ich
die Geschichte eines berühmten Feldherrn von Venetia vernommen, Franziskus Sforza
geheißen. War eines Winzers Sohn, gewohnt, mit dem Karst zu hacken. Wie er einmal in
großer Sommerhitze mit seinem Karst mürrisch im Weinberg arbeitet, und etliche
neugeworbene Soldaten singend ihres Weges ziehen, bekommt er Lust zum Krieg, ist
jedoch im Zweifel, ob er beim Karst bleiben oder den Degen wählen solle. Wohlan,
spricht er unter einem Nußbaume; ich will eine Probe nehmen und meinen Karst in
diesen Wipfel werfen. Bleibt er droben, so ziehe ich in den Krieg, fällt er wieder
herunter, so soll mir's ein Zeichen sein, daß ich elendiger Tropf noch länger hacken
soll. Hiermit wirft er den Karst in den Wipfel, und als derselbige droben bleibt,
lässet er ihn hängen und ziehet der Soldateska nach. Anfänglich ein Gemeiner, ward er
bald Rottmeister, Feldweibel und
»Wohlan,« entgegnete ich, »aber ich weiß noch nicht, auf welche Weise die letzte Münze bestimmen soll, zu wem ich gehe.« – »Ganz recht«, erwiderte die Jungfer und legte das Münzenhäuflein auf den Tisch. »Zunächst hat Er zu bestimmen, ob der Schmirsel Hund oder Has sein soll.« – »Hund soll er sein,« erwiderte ich, neugierig, wo, hinaus das wolle. »Gut!« sagte Susanne, »der Schmirsel ist Hund; dann ist der Waldhäuser Has, und nun zählen wir die Münzen auf. Dabei sage ich jedesmal: Hund gewinnt, oder: Has verliert; die letzte Münze entscheidet.« Sodann zählte die Jungfer die Münzen langsam auf, indem sie fortgesetzt sagte: »Hund gewinnt, Has verliert, Hund gewinnt, Has verliert.« Wie nur noch drei Münzen übrig waren, starrte ich in Spannung auf diese Hantierung, so mein Gottesurtel sein sollte, und Susanne sprach: »Hund gewinnt, Has verliert, Hund gewinnt! Und dabei bleibt's! Also hat Schmirsel gewonnen.«
Ich mag ein sorgenvoll Gesicht geschnitten haben, denn die Jungfer meinte: »Das
mundet Ihm wohl nicht? Oder gläubet Er etwan, ich habe falsch abgezählt? Wohlan, wir
können ja noch einmal losen. Mag Er selber das neue Häuflein bestimmen und nochmals
frei wählen, ob Schmirsel Hund oder Has sein soll.« Erleichterten Herzens griff ich
etliche Münzen, es waren sieben, reichte sie der Jungfer und sagte: »Diesmal soll
Schmirsel der Hase sein.« Die Jungfer kicherte und zählte die Münzen auf: »Has
gewinnt, Hund verliert, Has gewinnt, Hund verliert, Has gewinnt, Hund verliert,
Da es Abend worden, traten neue Gäste in die Stube. Susanne bekam zu tun, und es tat
mir leid, daß sie gleichgültig an mir vorüberging, als sei die frühere
Vertraulichkeit weggeblasen. Da trat ein hagerer Herr ein, steifen Schrittes,
hochnasig und gespreizt, stutzerhaft gekleidet und
Wie Susanne Wein gebracht hatte, setzte sie sich zu Schmirsel, und die beiden pflagen des Gespräches mit gedämpfter Stimme, ohne daß ich mehr als einzelne Worte erhaschte. Jetzo kam mir die Jungfer für wie ein schnurrend Schmeichelkätzchen, das sich den Pelz streicheln lässet und zuweilen schalkhaft die Krallen unter den Sammetpfötchen reckt. Auf einmal hielt Schmirsel das Brillenglas vor seine Augen und forschte zu mir herüber. Dann kam Susanne herbei und lud mich zu Schmirsel. Sie nannte ihm meinen Namen, indessen ich mich neigte.
Ich war unschlüssig, was zu antworten, da ich an Susannens Rat dachte, mein Mittel ja nicht preiszugeben. Zum Überflusse trat mir die Jungfer auf den Fuß, und nun sprach ich: »Geehrter Herr Medikus! So glücklich ich mich preisen würde, falls mich der berühmte Herr in die Lehre nähme, muß ich doch das Geheimnis meiner Medicamenta hüten. Sie sind ja mein einziger Schatz, aus dem ich mein Leben fristen und erquicken möchte. Wofern aber der Herr sich damit begnügt, daß ich Ihm das Mittel wider lahme Glieder bereite und zum Verkauf an seine Patienten anheimstelle, und wofern der Herr Medikus mich rechtens dafür besoldet, will ich lieber bei Ihm eintreten als beim Herrn Waldhäuser, an den ich einen Empfehlungsbrief habe.«
Schmirsel warf mir einen harten Blick zu und erwiderte kühl: »So so, zum Waldhäuser
will Er? Mag Er sehen, ob ihm der Lumpenkurierer seinen Schatz geheimer Medikamente
bezahlt.« Ich schwieg, und auch Schmirsel wollte erst nicht mehr die Lippen
voneinander bringen, warf aber schließlich mit scheinbarer Gleichgültigkeit hin:
»Welchen Preis will Er denn für sein Mittel haben? Vorausgesetzt, daß es wirklich
hilft und etwas Neues ist!« Listig gab ich zur Antwort: »Erst muß ich wissen, ob der
Patient mehr oder minder wohlhabend ist, alsdann werde ich mein Medikament jedesmal
zu einem angemessenen Preise verkaufen.« Überrascht sah mir Schmirsel ins Auge,
lachte dann säuerlich und reichte mir die Hand. »Ich will's mit Ihm versuchen!
Abgemacht! Geh Er nun sogleich in mein Haus, um die Ecke
So brachte mich verliebte Torheit auf jene Bahn, wo Susanne und Schmirsel, Rausch und Habgier herrschten. Was ich bei meinem Lehrmeister trieb, gewährte keinen anderen Lohn als Geld und Geld. Schmirsel, der mit meinem geheimen Mittel einen hohen Herrn kuriert hatte, verlangte immer häufiger danach, und immer kunstvoller machte ich aus Antimonium mein Medikament zurecht, vermengte es mit wohlriechenden Kräutern, fürgebend, diese Kräuter seien das Heilkräftige, damit nämlich Schmirsel nicht hinter das Geheimnis komme. Auch mengte ich das Antimon mit eingemachten Zitronen, Zimt und Rosenzucker zusammen. Solche Apothekerwaren wurden von Schmirsel nicht bloß für seine eignen Patienten verwendet, sondern sogar in den Handel gebracht, wo sie unter dem Namen »Schmirsels Morsellen« und »Gicht–Pillulen« berühmt wurden. Für mich wie für ihn fiel genung Geldes ab. Doch weil ich mich von Susannens eitlem Herzen leiten ließ, verwandte ich meine Einnahme auf Tand, kaufte Kleider à la mode, rauchte Tobak aus einer holländischen Pfeife und war jeden Abend in der Äpfelkammer zu finden, wo ich trinkend, auch spielend mein Geld vertat und einen Umgang hatte, den ich besser gemieden hätte. Um Susannen zu gefallen, stund ich vor dem Spiegel, kämmte mein langes Flachshaar und drehte das sprossende Bärtlein. Mit den stutzerhaften Kleidern und neuen Gewohnheiten hatte ich einen andern Menschen angezogen. Vergessen und verschollen lag das Tüchtige hinter mir, so mir in früheren Jahren, fürnehmlich durch meines Vaters Wort und Beispiel, zugekommen war.
Meine Verliebtheit ließ nicht locker und ward ein rechter
Der berüchtigte Chymikus Sebaldus Schwertzer war verstorben, und wie nun seine Hauseinrichtung zu Geld gemacht werden sollte, bestätigte sich das Verslein:
»Goldmacher lassen ihren Erben
Zerbrochne Gläser nur und Scherben.«
Aus dem Plunder des Nachlasses gelangten alchymistische Scharteken für geringe
Zahlung an mich. In einer las ich das Rezept einer Tinktur, die geringes Metall zu
Golde wandle. An den Rand freilich hatte der Verstorbene eigenhändig geschrieben:
»Werde nicht gierig; denn obwohl mir die Goldbereitung gelungen, hat sie Unheil über
Unheil gebracht.« Ich ließ mich nicht warnen und suchte den beschriebenen Prozeß
zustande zu bringen. Etliche Kräutlein, die das Rezept angibt, verschaffte ich mir,
verbrannte sie und tat die Asche mit Essig und Eisenfeilspänen zusammen in ein Glas,
das wohl versehentlich nicht ausgespült war. Es begab sich aber gleich hinterher, daß
ich auf Geheiß meines Herrn Schmirsel eine Reise tat, die mich einen Monat fernhielt.
Wie ich nun in meine Stube zurückkehre, kommt mir ein köstlicher Geruch entgegen, als
seien Ambra und Moschus in jenem Glase, und an der Oberfläche der Mischung schwimmt
ein rosenfarben Öl gleich der beschriebenen Tinktur. Ich experimentiere damit, wie es
die Anweisung vorschreibt. Tue ein halb Lot Silberkalk in einen Tiegel, tunke
Baumwolle
Den Narrheiten, die ich beging, fügte ich eine besonders unheilvolle hinzu, indem ich
Susannen von meinem Erfolge berichtete und das Quäntlein Gold, eingeschlossen in ein
silbern Herzlein, ihr zum Angebinde gab. Dabei hatte ich nicht mit der weibischen
Geschwätzigkeit und Prahlsucht gerechnet. Wider mein Geheiß sprach Susanne etlichen
bevorzugten Gästen davon, mir sei die Goldbereitung gelungen, wobei der sichtbare
Beweis herumgereicht ward. Von Schmirsel zur Rede gestellt, gab ich ausweichenden
Bescheid, jedoch so, daß ich den Glauben an meine Kunst nur verstärkte. Wochenlang
plagte mich Schmirsel mit Fragen, auch mit Spionieren auf meinem Zimmer, wo ich meine
heimlichen Experimente machte. Bei Tag und selbst bei Nacht war mir die Ruhe
verleidet, und sooft ich die Äpfelkammer besuchte, fühlte ich mich von Susannen zu
neuer Goldmacherei angestachelt. Zum Überfluß erschien unter den Gästen des
Wirtshauses ein Mensch, so peinliche Erinnerungen, auch düstere Ahnungen künftigen
Unheils wachrief; nämlich der Doktor Giacomini. Greise zwar an Haar und Bart, war er
derselbe geblieben an Habgier und Tücke. Versteckt suchte er mich nach meiner
Goldmacherei auszuforschen, trug freilich
Unerwartet, wie ich in die Äpfelkammer gelangt war, kam ich auch wieder heraus, so daß ich mit Staunen jene labyrinthischen Verschlingungen und launischen Abweichungen betrachte auf denen das Schicksal den Menschen führt. Der letzte Abend, den ich im gewohnten Wirtshause verlebte, war von verdrossenen Grübeleien erfüllt. An einem Ecktische saß ich zu später Stunde einsam, die Wange auf die Hand gestützt, und starrte auf das Spiel der Schatten, die ein Schwarm lebhafter Gäste im Scheine der Tischlaterne an meine Wand warf. Zuweilen unterschied ich im Schattengewirr eine Hand, ein verzerrt Haupt und erhobene Becher, derweilen Geschwätz und Lachen, Johlen, Gläserklirren und Würfelklappern sich vermischten. Die Luft war schwer und schwül, erfüllt vom Rauche jenes Tobakkrautes, das Mode zu werden begann und aus niederländischen Tonpfeifen qualmte. Trübsinn drückte mich nieder, heimliche Reue nagte am Herzen. Auf einmal war es mir, als täte mich mein Vater vorwurfsvoll anschauen, traurig sprechend: »Junge, Junge, du hier?« – Verstört richtete ich mich auf und sah umher. Da war das Gesicht verschwunden, und zu mir trat ein Studiosus, so in der Äpfelkammer verkehrte und mit mir Brüderschaft getrunken hatte, wir hießen ihn mit seinem Spitznamen das Roß. »Warum so einsam, Johannes?« lallte er. »Willst du nicht an unserm Tische mit uns knöcheln? Magst nicht? Nun, so laß uns beide mitsammen um die Zeche spielen. Soll ich für dich zahlen, oder willst du für mich zahlen, he? Das laß uns jetzo durch Hund und Hase entscheiden.« In die Tasche griff das Roß und klimperte mit einer Handvoll Münzen, legte sie auf den Tisch und setzte sich neben mich. Ich stutzte, denn »Hund und Hase« war ja jene Art zu losen, durch die Susanne entschieden hatte, ob ich zum Schmirsel oder zum Waldhäuser gehen solle.
Ein Weilchen ohne Neigung, des Rosses Vorschlag anzunehmen,
Andern Tages wollte ich Susannen zur Rede stellen, wie sie es habe übers Herz bringen können, ein Spiel mit meinem Leben zu treiben, ohne wenigstens hinterher einzugestehen, daß sie sich vom Mutwillen habe fortreißen lassen. Um unter vier Augen mit ihr zu reden, ging ich bereits am Nachmittag in die Äpfelkammer. Ohne besondere Absicht nahm ich diesmal in dem hinten gelegenen Gewölbe Platz.
Gleich darauf hörte ich jemand in die Gaststube eintreten, es war Schmirsel, der
seinen gewohnten Platz einnahm. Hinter ihm kam die Jungfer, setzte sich zu ihm und
begann zu reden, ohne zu wissen, daß ich zuhöre. »Ei, welch ein schön
Balsambüchslein!« Hierauf er: »Es ist nicht schön, als bis die Jungfer es in Ihren
schönen Händen hält. Sie behalte es, und mein Herze dazu.« – »Ich werde Ihn nicht in
solchen Schaden bringen.« – »Schaden? Mitnichten! Ich bin Ihr
Als ein reuiger Sünder lief ich schnurstraks zum Herrn Waldhäusero, den ich auch zu Hause traf. Der weißbärtige Mann ließ seine großen schwarzen Augen so durchdringend auf mir ruhen, daß ich den Blick zu Boden senkte. Demütig übergab ich meinen Empfehlungsbrief vom Oheim. Als ihn Waldhäuser gelesen, bot er mir freundlich die Hand und lud mich zum Sitzen ein. »Willkommen, Johannes! Ei, was macht denn der gute Tobias?« Nachdem ich Rede gestanden, fuhr Waldhäuser fort: »Und nun erzähle Er mir von Seinem Vater, meinem lieben Freunde Martino Tilesio. Das ist ein selten gotterfüllet Herze, und der Sohn ist glücklich zu preisen, so von diesem edlen Stamme Herkunft, Beispiel und Lehre empfangen.« Bei so liebreicher Anerkennung meines Vaters brach ich in Tränen aus, zumal das Gewissen mir vorhielt, wie wenig ich zu Prag meines Vaters Lehre und Beispiel beherziget hatte. »Was weinet Er, Johannes?« sprach Waldhäuser väterlich. – »Ach Herr, ich bin nicht wert eines solchen Vaters Sohn zu heißen. Seit der Zeit, da ich allein in der Welt stehe, hab ich meinem Vater Unehre gemacht. Ach, daß er anoch lebte, mich von schlimmen Wegen abzubringen .....« – »Wie denn?« unterbrach mich Waldhäuser, »lebt er denn nicht mehr?« Unter anhaltenden Tränen tat ich Bericht. Wie mich dann Waldhäuser über mein Treiben zur Rede stellte, beichtete ich alles haarklein. »Und nun, Johannes,« sprach er, »was willst du beginnen? Möchtest bei mir bleiben? Nun wohl, bist willkommen, und ich will dir ein andrer Vater sein. Versprich mir aber, nie wieder zur Äpfelkammer zurückzukehren und alle Brücken, so dich dem törichten Leben wieder überliefern könnten, hinter dir abzubrechen.«
In aufrichtiger Reue und Dankbarkeit gab ich meine ganze Seele Herrn Waldhäuser hin,
worauf er: »Es wohnen in dir
Lange war's her, seit einer so treuherzig und weise zu
»Du hast mir erzählt, Johannes«, fuhr Waldhäuser nach einer Pause fort, »es sei dir
beim Schmirsel geglückt, Gold zu bereiten, und ich möchte dir meine Ansicht darlegen.
Ich glaube nicht, daß menschlicher Kunst die Goldmacherei gelingt, ebensowenig, wie
es unser Witz fertig bringt, eine Kornähre nachzumachen. Kornähren erhalten wir erst
dadurch, daß wir sie von der Natur aus ihrem Samen herauswickeln lassen. Dieselbe
Meisterin, so die Ähren herauswickelt, gehört auch zur Umwandlung der Stoffe in Gold.
Menschliche Wissenschaft kann vielleicht gewisse Reguln solcher Transmutatio
herausfinden, schwerlich aber derart anwenden, daß unter unsern Fingern Gold
entsteht. Was aber ruhmredige Goldmacher von ihren gelungenen Experimenten schwätzen,
dünket mich Fabel. In deinem Falle, Johannes, hast du dich selber getäuscht, da deine
Beobachtung der Umstände ungenau war. Das herfürgekommene Gold war in den verwendeten
Stoffen zuvor enthalten. Um sicher zu gehen, hättest du erst den Silberkalk daraufhin
prüfen sollen, ob er keine Spur von Gold enthält, hättest dich auch hüten müssen, ein
unrein Gefäß zu benutzen. Wer weiß, ob im Gefäße nicht der leicht übersehbare Rest
einer wasserklaren Goldlösung gewesen ist?« – Betreten schwieg ich, Waldhäuser sah
mir ins Auge und nickte. Dann stund er auf: »Wohlan! Das Nächste kommt zuerst: begib
dich nunmehr auf deine Kammer, wasche dich, tu auch von deinem Herzen das Unreine ab.
Bis zum Nachtmahl magst du einsam bleiben, auf deinem Kämmerlein oder auch im Garten.
Gott befohlen, mein Kind!« Und Waldhäuser rief nach seiner Haushälterin, einer
freundlichen Witfrau, die mich auf meine Kammer führte. Hier säuberte ich mich und
sann der Rede Waldhäusers nach. Auch in den Garten ging ich, der hinter dem Hause
lag, von den Nachbargärten durch hohes, mit Eppich übersponnenes Gemäuer getrennt.
Demütigen Schweigens nahm ich neben Waldhäuser und seiner Haushälterin das Nachtmahl
ein, indessen mein neuer Lehrmeister weitere gute Rede tat. »Hast du dir auch klar
gemacht, Johannes, zu welchem Zwecke du ein Heilkundiger werden möchtest? Gelüstet es
dich, Geheimnisse der Natur zu ergründen? Nun gut; aber sage mir, ob du vom Schmirsel
irgendein ander Geheimnis gelernt hast als Finten, deinem Nächsten das Geld aus der
Tasche zu locken? Jedenfalls bist du zwei Jahre nur darauf ausgewesen, Geld zu
gewinnen. Gesetzt nun den Fall, du hättest einen Haufen Goldes, was würdest du damit
beginnen? Ich weiß wohl, daß sich allerlei kaufen lässet, danach einen eiteln Sinn
gelüstet, als Haus, Prunkgewand, Pferde, Wagen und Diener, kostbar Tafelzeug,
Pasteten und Gebratenes, duftige Weine und Konfekt. Suchest du alle solche Dinge,
Johannes? und willst du ihretwegen heilkundig werden? Dann laß dir sagen: bist kaum
etwas Besseres, denn ein gemeiner Beutemacher« Darin bestehet kein großer
Unterschied, daß der Beutemacher seinem Opfer die Degenspitze auf die Brust setzet
und ruft: Geld her oder stirb! Während du an Stelle des Degens den grimmen
Knochenmann anwendest, so daß der Kranke denkt: Vor dem Sterben kann mich nur dieser
Medikus erretten; ich will ihm Geld geben, sonsten holt mich der Tod. Solch ein
Beutemacher, so den Spießgesellen Tod zum Ausbeuteln voranschickt, ist der Schmirsel,
und auch du, Johannes, wolltest einer werden. Ei schäme dich, mein Kind, und suche
bessere Würde. Höre, was mir gestern fürgekommen, und was eigentlich, wiewohl in
wechselnder Form jeden Tag meinem Berufe begegnet. Zu einem Manne werd ich geholt,
und meine Untersuchung findet heraus, daß er tödlich
»Guter Meister«, sagte ich, »gestattet, daß ich noch bei Euch bleibe, solange Ihr wachet, um vielleicht die Wohltat Eurer Lehre zu genießen. So Ihr aber noch mit der Leiche zu tun habet, will ich stille zuschauen oder Euer Famulus sein.« »Ich plaudere gern noch ein Stündlein mit dir«, antwortete Waldhäuser. »Laß uns auf den Altan treten, der Sommernacht zu genießen.«
So gingen wir zur Altantür hinaus, und der duftige Odem des Gartens umhauchte uns.
Gesträuche blühten, Nachtigallen wetteiferten mit süßem Schlagen. Da in den
Nachbarhäusern alle Lichter erloschen, so kam das Leuchten der Sterne zu voller
Pracht. Schweigsam empfanden wir den holden Zauber dieser Nacht. Dann meinte
Waldhäuser sinnend: »Wie sicher und ruhevoll wandeln droben die Sterne! Hingegen wie
unbeständig ist des Menschen Los! Kein Tag wird ihm vergönnet, ohne daß sich ein
Zweifel begeben kann, so ihn aus seinem Gleise herauswirft, keine Stunde, kein
Augenblick ist in unserer Macht; es kann ein Wechsel mitten im traulichen
Nachdem wiederum Schweigen eingetreten war, wagte ich die leise Frage: »Wo mag nur
das Himmelreich sein, das den abgestürzten Waisenknaben aufgenommen hat? Ist es
droben bei den Sternen?« – Und Waldhäuser: »Das Himmelreich wird offenbar an den
Sternen, doch betrachte es nicht als einen entlegenen Ort. Gib acht, mein Kind, daß
du zunächst begreifest, was ein Symbolum oder Bildnis. Das Auge schaut etwan eine
brennende Kerze, und die Seele denkt dabei an der Wahrheit Leuchten. Gleichermaßen
bedeutet Sonnenwärme die Liebe, Kälte hingegen Gleichgültigkeit und Haß, Finsternis,
Wahn und Lüge. Bedenken wir nun, daß durch den Himmel die Sonne ihre Bahn zieht, die
uns des Tages Licht beschert und unser Auge die Form
Wie bei einem Wundertraume staunend fragte ich: »Den Stein der Weisen? Wie soll ich
hoffen, den zu erlangen?« – Und die Antwort lautete: »Darfst nicht denken, es sei ein
Stein gemeint, aus irdischen Stoffen bereitet. Man sagt freilich, der Stein der
Weisen habe sich am Ringe Salomonis befunden. Inmaßen aber dieser König ein Buch von
der Weisheit verfaßt hat, so bedeutet Salomonis Ring sein Verlöbnis mit der
himmlischen Sophia oder Weisheit, der Stein am Ringe die Kraft, das göttliche Licht
zu spiegeln und auszustrahlen. So ist der Stein der Weisen nichts anderes denn die
heilige Weisheit im Menschen. Wahrlich, ich sage dir, nur wer den Stein der Weisen
hat, ist echten Goldes Bereiter. Du machest große Augen, Johannes, möchtest wohl
wissen, was für ein Gold ich das echte heiße. Wohlan, darunter versteht der
alchymistische Adept kein irdisch Metall, sondern etwas Geistliches, wie überhaupt
sämtliche Metalle, ihre Mischungen und Umwandlungen, Gleichnisse für Qualitäten und
Vorgänge der Seele sind. Sobald du dein Auge für
Nachdem ich diesen Worten staunend nachgesonnen, entgegnete ich: »Eure Lehre, weiser Meister, hat mir mit nichten Enttäuschung beigebracht, wenigstens fühlt sich zu dieser Stunde mein Herz so wunderbarlich frei und reich, daß ihm kein Zweifel an der von Euch gespendeten Wahrheit kommt. Drum, edler Meister, treuen Dank!«
Waldhäuser reichte mir freudig die Hand. »Wohlan, mein Kind, halte den Segen der
Stunde fest, und damit du ihn tiefer in dich aufnehmest, laß uns noch ein Weilchen im
Freien unter Sternen weilen, indessen ich, gleich den Nachtigallen drunten, im
Flötenton meine Andacht in die Nacht ströme.« Und er holte seine Flöte, auf der er
kunstvoll zu spielen wußte. Sanft und rein, klagend und doch voll Seligkeit schwollen
die Töne und bebeten in die Weite, zur Wunderwelt der Lichtsymbola. Wie aber die
rührende Weise verklungen, nahm mich der Meister sacht am Arm, trat mit mir ins
Museum, wo noch immer die Lampe leuchtete, und an der Bahre das Totengerippe Wacht
hielt. Von der Leiche tat er das schwarze Tuch hinweg; das entseelte Knäblein lag wie
ein schlafender Engel. Unter Zähren lächelnd betrachtete ich die schöne Bildung des
erblichenen Antlitzes, den sanften Mund, die zugeschlossenen Augen, die güldenen
Locken. Auch Waldhäuser war in den Anblick versunken. »Dank!« flüsterte er nickend;
»Dank für Unterweisung und Demonstratio!« Dann tat er einen sehnsüchtigen Aufblick,
als öffne sich die
»Fahre wohl, verklärte Seele!
Bis uns lacht ein Wiedersehn,
Wann auch ich aus Staubes Höhle
Darf zu Funkelsternen gehn.
Liebreich winkt ein Hirt: Willkommen
Auf besonnter Blumenweid!
Lämmlein, bist mir angenommen
In der Unschuld weißem Kleid.
Gnade Gott, wir könnten alle
Gleich so erdenledig sein,
Daß wir zum Schalmeienschalle
Hüpften in den Himmel ein.
Träumen laßt mich, Funkelsterne!
Hebt mich über Gräber weit!
Ach, ich traue dir so gerne,
Heimweh nach der Ewigkeit.«
Mit diesem Erlebnis schloß mein Aufenthalt bei Waldhäuser. Nie sah ich ihn wieder, – so daß sein Fahrwohl ungeahnt auch mir galt, – mit der Einschränkung, daß ich nicht wie der tote Knabe mit Unschuld bekleidet war. Immerhin hatte ich Sehnsucht nach dem himmlischen Kleide und war dessen sicher, daß es sich weben lasse aus Waldhäusers Weisheit.
Zu den kostbaren Lehren, die ich von Waldhäuser vernommen, gehört auch eine, für die mein ganzer Lebensgang Zeugnis ablegt, und die gleich am Tage, so auf die nächtliche Meditation folgte, eine traurige Bestätigung fand. Im Anschluß an des Evangelisten Predigt »Im Anfang war das Wort« hatte Waldhäuser gesprochen: »Vergiß niemals, mein Kind, daß durch alles Erschaffene hindurch eine Folgerichtigkeit waltet, vor der es kein Entrinnen gibt. Stellest du ein Ding an die Sonne, so wirft es Schatten, und wenn es regnet, wird's naß. Toren wähnen, ihnen werde Fortuna gestatten, den Folgen auszuweichen. Es muß halt jeder auf sich nehmen, was er angerichtet hat. Wie die Saat, so die Ernte, und wer Wind säet, erntet Sturm.« In Waldhäusers Friedensreiche hatte ich schier vergessen, wie närrisch ich es getrieben, und mich in den Wahn gelullt, die Folgen seien vermeidbar.
Wie ich andern Tages das Haus verließ, um einen Gang für Waldhäuser zu tun, der in aller Frühe seine Patienten aufgesucht hatte, trat ein Soldat zu mir und sprach, ich solle allsogleich zum Herrn Grafen Slawata kommen, der eine wichtige Sache mit mir zu besprechen habe. Da ich vermeinte, der Graf sei ein Patient, so meine Pillen und Morsellen begehre, folgte ich dem Soldaten in des Grafen Palast.
In einem Gemache, das wie eine Kanzlei aussah, saß ein fürnehm gekleideter Herr
ergrauten Bartes, und bei ihm war ein Dominikanermönch. Der Herr winkte mir und
suchte seinem frostigen Gesicht einen freundlichen Ausdruck zu geben. »Ist Er
Johannes Tilesius, der Gold machen kann?« – Nicht ohne Bestürzung versetzte ich:
»Mein Name lautet also. Was aber die Goldmacherei betrifft, so geht es mir wie andern
Alchymisten: es kommt ein Stündlein, da gläubet man, mächtig wie der Herrgott zu
sein, und gleich hernach
Nun richtete sich der Mönch herrisch auf, zog die Brauen zusammen und heftete auf mich jenen Blick, mit dem die Viper ihr Opfer lähmet. Zischend sprach er: »Was in Güte nicht geht, das muß Strenge ausrichten. So gebe ich Ihm denn zu bedenken, daß Er nicht bloß ein Ketzer ist, sondern sogar ein Zauberer. Keine Widerrede! Wir haben Zeugen. Denk Er an den Doktor Giacomini!«
Wie vom Donner gerührt, trat ich einen Schritt zurück: »Der Giacomini will gegen mich
zeugen? Und hat doch selber die Zaubersuppe bereitet!« Abwehrend unterbrach mich der
Mönch: »Was der Giacomini getan, kommet nicht
Krampfhaft zuckte mein Herz, da ich vernahm, daß Susanne mich verraten hatte, und ich gab alle Renitenz auf. Triumphierend betrachtete mich der Pfaff und verzog das Gesicht zu einer tückischen Freundlichkeit. »Nun Er weiß, was Ihm widerfahren kann, wird Er kirre sein und des Herrn Grafen Antrag annehmen. Tut Er das, so soll Ihm christliche Milde werden, und im Dienst der Kirche mag Er seinen Frevel sühnen. In diesen Zeitläuften, wo die Höllenschlange sich gegen den göttlichen Menschensohn aufbäumet, muß die heilige Kirche streitbar sein und bedarf dazu der mächtigsten Waffe dieser Welt, des Goldes. Drum frisch ans Werk, Herr Goldmacher, verstanden?« Da ich wie vernichtet in Schweigen verharrte, lächelte er spöttisch und scherzte mit sich selber: »Ei ja, warum soll man Zauberer nicht in den Dienst der Kirche nehmen? Hat nicht der Heilige Wolfgang den Teufel gezwungen, ihm die Steine herbeizukarren, draus eine Kapelle werden sollte?«
Wieder im herrischen Ton wandte sich der Dominikaner zu mir: »Sofort hat Er sein Amt anzutreten. Man wird Ihn ins Laboratorium bringen. Was Er an Stoffen und Werkzeugen benötigt, mag Er bei mir bestellen, falls Er es nicht vorfindet. Eine Bibliothek stehet Ihm zur Verfügung. An gutem Essen und Trinken soll es nicht fehlen. Aber das sage ich Ihm: wenn heuer das Laub von den Bäumen fällt, muß Ihm die Transmutatio Metallorum gelungen sein. Zum Abschied noch den Rat, sich diesem Soldaten nicht zu widersetzen, der Ihn ins Laboratorium bringen wird. Laß Er sich jetzo die Hände fesseln.«
Entsetzt blickte ich nach dem Soldaten, der einen Strick in der Hand hielt und Miene
machte, ihn anzuwenden. Ich stürzte zum Fenster und schrie aus voller Kehle: »Hilfe!
Außerstande, mir zu helfen, ergab ich mich in mein Schicksal. Daß wir die Moldaubrücke passierten, verriet das Rauschen des Flusses, dann ging es bergan. Als kein Laut von Menschen mehr, nur Wipfelsäuseln zu vernehmen, tat der Soldat das Tuch von meinen Augen und erlöste mich vom qualvollen Knebel, wofür ich ihm meinen Dank sagte. Nachdem wir eine Stunde durch Wald gefahren waren, wurden mir die Augen aufs neue verbunden, ich vernahm nahes Hundegebell und Hähnekrähen, und merkte, daß wir durch ein Dorf kamen. Wieder im Walde, ward ich von der Binde frei, und der Soldat gab mir aus mitgenommenem Vorrate zu essen und zu trinken, genoß auch selber davon. Als die Sonne hinter die Tannenwipfel sank, wurden noch einmal meine Augen verhüllt, und ich merkte bald darauf am dumpfen Widerhall und Klappern der Hufschläge, daß wir durch ein Tor in einen gepflasterten Hof fuhren. Dann hielt der Wagen, mir wurden die Augen frei gemacht und die Fesseln abgenommen.
Aus dem Wagen gestiegen, sahe ich mich um und war im Hofe einer Burg, deren Tor
hinter uns zugetan und von Soldaten bewacht war. Mein Begleiter übergab mich einem
Manne, der in der Rechten einen entblößten Degen, in der Linken einen Bund Schlüssel
hatte und mit einem scharfen Blicke mir gebot, fürder seinen Weisungen zu folgen.
Während der Soldat zurückblieb, führte mich mein Vogt ein
Mein Gemach war geräumig und von wohnlicher Einrichtung. Hatte ein stattlich Himmelbett, einen runden Tisch von Eichenholz, geschnitzte Stühle und einen Polstersessel. Tröstlich ward mein Herz berührt, als ich an der Wand ein Gestell voller Bücher bemerkte. Das Fenster führte in den Burghof und war stark vergittert. »Sogleich wird der Herr sein Nachtmahl erhalten, mag Er inzwischen das Laboratorium betrachten, es liegt hier nebenan.« Hierauf verließ der Vogt mein Gemach, nicht ohne es zu verschließen.
Ich begab mich in das Laboratorium und nahm in der Abenddämmerung seine Hauptteile wahr. Ein Kreuzgewölbe mit zwo steinernen Säulen. Die vergitterten Fenster führten zum Burghof. Am einen war ein großer Tisch mit Retorten, Tiegeln, Phiolen. Längs der Wände gingen Gestelle, und in Büchsen, Kästen, gläsernen Gefäßen waren Minerale und Lösungen. In der Ecke hatte es Mörser verschiedener Größe.
Staunend trat ich an den seltsamen Schmelzofen. Aus gebranntem Ton war er geformt, in Gestalt des biblischen Behemot oder Nilpferdes. Die Feuerung ward eingeführt durch des Ungeheuers Maul. Auf dem Rücken war eine Stätte für den großen Kessel. Um sie zu erreichen, mußte man mehrere Stufen empor zu einer gemauerten Erhöhung steigen. Des Tieres Hinterteil ging ins Gemäuer zum Schornstein. Auffallend war noch, daß zwischen den Nüstern des Behemot der Buchstabe A, auf der Hüfte aber ein Z stund.
Wieder in meinem Gemache, erhielt ich Speise und Wein. Dann eröffnete mir der Burgvogt, er werde mir in all meinen Wünschen gefällig sein, so zur Beförderung der chymistischen Arbeiten dienen! Meine Wohnung dürfe ich einstweilen nicht verlassen, später aber zum Lustwandeln den Burghof verwenden, falls es der Pater Aloisius gestatte.
Einförmig gingen mir die Tage hin. Ich wußte zunächst
Daß in schlaflosen Nächten Gram mich heimsuchte, ist aus der Natur eines Menschen verständlich, der erst dreiundzwanzig Sommer zählte und die Beraubung der Freiheit zum allerersten Male empfand. Manchmal hatte ich solch Mitleid mit mir selbst, daß ich in Tränen ausbrach und, die Hände zusammengekrampft, gen Himmel flehte, er möge mich doch durch ein Wunder erretten, möge mir einen Ausweg ins Freie weisen. Allmählich sammelte ich meine inneren Kräfte, daß mir der Kummer weniger anhaben konnte. Zur Erbauung gereichte mir das Andenken an Waldhäuser. In tiefer Meditation prüfte ich seine Worte über die geistige Bedeutung der Alchymie und setzete mir ernstlich für, im Laboratorio meiner Seele meine Triebe und Leidenschaften zu läutern und zu edlerem Metalle umzuwandeln.
Was mir dabei zustatten kam und innigen Trost spendete, waren dichterische Versuche.
In früheren Jahren hatte ich zwar hin und wieder ein Poem verfaßt, aber nur nach
Schulfuchsen-Weise. Erst in jener feierlichen Nacht, da Waldhäuser auf seinem Altan
die Flöte gespielt und an der Bahre des Knäbleins ein Gedicht gesprochen, war mir die
Ahnung aufgegangen, es könne des Poeten Kunst weit mehr sein, denn Spiel und Schmuck
für müßige Stunden. Des Liedes Muse hatte mich damals an eine Pforte gehoben, durch
die ich den Himmel offen sahe; nun ward ich inne, daß ich zu selbiger Pforte einen
eigenen Schlüssel in
Wehmütig süß war es mir, an die Tage zurückzudenken, die ich in Schlesien und dann zu Prag verlebt. Als eine sanfte Blume schwebte vor mir Elfriedens blasses Gesicht, und meine Liebe zu ihr ward um so zarter und geistiger, je mehr ich in Sicsatis das Hexlein Schlangenglatt erkannte, das die Sinne bezaubert, Eitelkeit und Untreue im Busen. Für Elfrieden errichtete ich in meinem Herzen einen Altar und schmückete ihn mit den Blüten meiner Phantasei. Den ganz flüchtigen Verkehr mit der Patientin in Warmbrunn spann ich träumend zu einem bunten Gewebe von Minneabenteuern aus, von Zusammenkünften und Gesprächen, die sich gar nicht begeben hatten. War das nun Alchymie nach Waldhäusers Lehre?
Monde waren vergangen, und ein gelbes Blatt, vom Wind in den Burghof verweht, kündete
den eingetretenen Herbst. Da rasselte der Schlüssel meines Gemaches, zu einer Stunde,
wo ich sonst keinen Besuch des Vogtes empfing. Schrecken durchfuhr mich, als der
Dominikaner eintrat, während der Vogt an der Tür Posto faßte, den blanken Degen in
der Faust, wie bei meiner Ankunft. Finster sprach der Pfaff: »Wie ich vernehme, macht
Er einen schlechten Gebrauch von seiner Muße und mißachtet der Befehle, so ich Ihm zu
Prag eingeschärft habe. Warum unterzieht Er sich nicht seinen alchymistischen
Aufgaben? Warum hat Er kein einzig Mal den Schmelzofen heizen lassen? Bilde Er sich
nicht ein, mit mir sein Spiel treiben zu dürfen. Daß Er es weiß: wir haben Mittel,
Ihn zu kirren; denn wie es mir freistehet, Ihm den Aufenthalt in dieser Burg angenehm
zu machen, so kann ich auch Weisung geben, daß Ihm die gute Kost und die Bibliothek,
der Er allzuviel Eifer widmet, entzogen wird. Ja, mehr noch: zeigt Er sich andauernd
renitent, so mag Er im
Meine Angst, bei dieser Rede immer mehr gesteigert, ging auf einmal in rasende Empörung über, und mit krallenden Händen wollte ich den Feind erwürgen. Doch den Degen gezückt, sprang der Vogt zwischen uns und stieß mir die Faust ins Gesicht, daß ich taumelte. Dabei kam mir die Besonnenheit wieder, ich beruhigte die keuchende Brust.
Mit verächtlicher Kälte sprach der Pfaffe weiter: »Nun Antwort! Warum hat Er das Laboratorium vernachlässigt?« Ratlos rang ich nach Worten, bis mir eine List beifiel. Zuckte also die Achseln und sprach wegwerfend: »Was soll mir das Laboratorium, da ich doch keinen Gebrauch davon machen kann!«
Der Mönch horchte auf: »Warum denn nicht? Hundert Alchymisten würden Ihn um dies Laboratorium beneiden. Was fehlet daran?« – »Was daran fehlet? Ein Gefängnis ist es; nur in Freiheit kann der Alchymist etwas ausrichten.«
»Keine Flausen!« lautete die Antwort. Ich aber fuhr fort, mich zu verstellen:
»Foltert mich! Doch wenn ich auch in Stücke gerissen werde, bleibe ich dabei: Wohl
habe ich beim Schmirsel jenes Stücklein Gold hergestellt, so in Eure Hände gelangt
ist. Es mag auch sein, daß mir die Goldbereitung das eine Mal wirklich gelungen ist,
obschon Herr Waldhäuser meint, das gewonnene Gold sei schon zuvor in den vermischten
Stoffen gewesen, ich habe es nur nicht gewußt. Angenommen, ich habe in Wahrheit Gold
bereitet, so bin ich damals durch einen Zufall begünstigt worden. Den aber hat die
launische Fortuna nie wiederkehren lassen, wiewohl ich mich abgemüht, die gleichen
Stoffe und Verhältnisse von neuem zustande zu bringen. Ich könnte Euch ja nun
freilich mit leeren Hoffnungen eine Weile am Narrenseil herumführen ...« – »Wehe
ihm!« dräuete der Pfaff. – »Eben darum!« fuhr ich fort: »ich will Euch nicht
hinhalten, sondern
Da ich nun schweigend den Pfaffen ansahe, zuckte er hochmütig mit dem Kopfe: »Was soll mir das Zitat? Ähnliche Stellen, so auf Geschwätz und Aberglauben zurückgehen, sind häufig in Goldmacherschriften.«
Ich nahm mich zusammen, daß ich im Tone der Überzeugung erwiderte: »Mit dieser Stelle hat es eine eigene Bewandtnis. Bedenket, daß ich kurz vor meiner Prager Goldbereitung aus einem Gemisch von Kräutern, die mir meistens unbekannt, einen Absud gekocht habe, und daß hiervon ein Rest in jenem Glase verblieben ist, das nach Aufnahme der Massae das rosenfarbene Wunderöl herfürbrachte. Wahrscheinlich ist die Mondblume unter den Kräutern gewesen.« – »Nun, so schaffe er die Mondblume herbei!« sagte der Mönch. Ich aber erwiderte: »Leicht gesagt. Wenn mir nur bewußt wäre, welch Kraut mit dem Namen Mondblume bezeichnet wird. Jedenfalls werden die Kräuter, besonders seltene, in den unterschiedlichen Gegenden nicht immer gleicherweise benamset. Es gilt, herauszubringen, wie die Mondblume aussiehet. Erst dann bin ich in der Lage, sie zu beschaffen. Diesen Zweck nun verfolget mein theoretisch Studium. Drum wollet mir nicht dazwischen fahren. Dem Mitgliede eines hochgelahrten Ordens ist doch bewußt, daß alle Kunstfertigkeit nur aus der Wissenschaft quillet. Sendet mir Bücher, in denen sich Angaben über die Mondblume vermuten lassen. Ohne sie gleiche ich mit allem Experimentieren nur einem Narren, so um Mitternacht im Wald umhertappet, einen Sonnenstrahl aufzufinden, den er zwölf Stunden zuvor deutlich gesehen.«
Forschend ruhte des Mönches Auge auf mir, nach etlicher
Wie die Tür verschlossen war, sank ich zitternd in den Sessel. Hatte zwar für den Augenblick die Attacke abgeschlagen, wußte aber, der mächtige Feind würde unerbittlich zurückkehren.
Wie seltsam verstehet doch das Schicksal seine Mittel zu wählen! Meine alchymistischen Versuche waren nicht umsonst. Sie führten zwar nicht zur Transmutatio, doch zu einer Erfindung, und diese half mir zur Freiheit.
Ich hatte einen Absud von Kräutern mit Alaun und Spirito vini vermenget und versehentlich die Massa über ein aufgeschlagen Buch fließen lassen. Die wasserklare Flüssigkeit machte zuerst keine Flecken. Wie erstaunte ich aber, als ich einen Monat später das Buch zur Hand nahm und die begossenen Stellen nunmehr braun fand. Ich zog hieraus den Schluß, die ausgegossene Flüssigkeit sei so beschaffen, daß ihre Flecken auf dem Papier, anfangs unsichtbar, erst nach geraumer Zeit dunkel werden. Versuche ergaben, daß nach drei Wochen das benetzte Papier sich dunkel zu färben begunnte. Wie diese Tinte zu meiner Befreiung angewandt ward, soll der nächste Verlauf meiner Chronica melden.
Nach dieser Entdeckung begab ich mich gleich zurück ins Laboratorium. Hätte es bedauert, wenn mein Wärter mich innerhalb des Ofens gefunden und also diesen Ausweg aus dem Gefängnis bemerkt hätte. Mein erster Gedanke war, einen Strick zu beschaffen. Von den Ton- und Glasgefäßen, so mit Pergament verschlossen waren, tat ich die Fäden hinweg und knüpfte diese aneinander. Indem ich den so gewonnenen Faden achtfach zusammendrehte, erhielt ich einen Strick von doppelter Mannslänge. Ich verlängerte ihn noch dadurch, daß ich ans eine Ende meinen Leibgurt, ans andere ein zusammengerollt Linnentuch band.
Pochenden Herzens harrete ich der Nacht, den entdeckten Ausweg näher zu untersuchen. Wie sonst um die neunte Stunde löschte ich mein Licht, damit die Wache vom Hofe her nicht zu ungewöhnlicher Zeit Helligkeit bei mir bemerke. Um zehn Uhr jedoch zündete ich die Laterne an, schob sie in den Schmelzofen und kroch hinterdrein. Den Strick um den Leib, kletterte ich im Schornstein aufwärts, indessen mir die unten verbliebene Laterne leuchtete.
An der Mündung des Schornsteins reckte ich mich ins Freie. Der Mond netzte silbern
das Dach und beleuchtete waldige Hügel. Im Nachthauche säuselten die Tannenwipfel,
eine Eule schrie. Den Riemen um den Schornstein geschlungen, rutschte ich an den Rand
des äußeren Burgdaches und lugte hinab. Wie schwer, auf diesem Wege zu entrinnen!
Wofern ich selbst einen genügend langen Strick hätte, würde ich in
Auf einmal klang ein melodisch Summen, das ich früher schon bemerkt, jedoch für Einbildung gehalten. Vom nächsten Schornstein kam es her. Ich rutschte rittlings die Dachfirste entlang, und in den Schornstein hineinhorchend, vernahm ich Harfenschall und den Sang einer weiblichen Stimme.
Nach längerem Lauschen beschloß ich, mich ein Stück in den Schornstein hinunterzulassen, um zu erkunden, wer die Sängerin sei, und ob ihr Gemach meine Flucht begünstigen könne. Den Strick befestigte ich oben am Schornstein, ließ das andere Ende in die Höhlung und glitt behutsam hinab. In die Schlinge des unteren Endes steckte ich den Arm und schwebte nun im Schornstein nahe der Mündung eines Kamins, durch den die Musik empordrang. Deutlich vernahm ich den Harfenschall und die Worte, von sanfter Mädchenstimme gesungen:
Es kämmte die Gräfin ihr flutend Haar,
Zur Minne täte sie taugen.
Da wallte vorbei der junge Scholar
Und hub die schmachtenden Augen.
»Scholar, so halt deine Augen in Hut,
Daß sie zu hoch nicht fliegen!
Wer nicht geboren aus Adelsblut,
Darf keine Gräfin kriegen.« –
»Und ist mein Schatz auch hoch und fern,
Mein Minnen soll daran hangen,
Wie ich liebe des Himmels hehrsten Stern.
Wer mag ihn zur Erde langen?« –
»Scholar, von der Erde gehörst du fort,
Hast schon des Himmels Weihen,
Bist gar so rein wie die Engel dort,
Die lieben, ohne zu freien.
Du Keuscher bist höher geboren denn ich,
Dein Adel reicht über die Fürsten.
Du hebst mich hinan, ich fühle mich
Nach himmlischer Minne verdürsten.«
Das war kein Lied, wie es eine Tochter des Vogtes oder ein dienend Weib hätte singen können, im Ausdruck lag etwas Adeliges und Trauriges. Ich wußte nicht, was tun, ob ich mich wieder entfernen oder noch länger lauschen solle. Auf einmal riß das Linnentuch, mit dem ich meinen Strick verlängert hatte, und ich stürzte, wobei sich mein Kopf derart an einem vorspringenden Stein stieß, daß mir die Sinne schwanden.
In mein Gesicht gespritztes Wasser brachte mich wieder zu mir. Ich lag auf der Diele
eines fremden Gemaches, ängstlich starrten mich zwei von Kerzenschein beleuchtete
weibliche Gesichter an. Das eine gehörte einer etwa zwanzigjährigen schönen Jungfer.
Die groß aufgetanen Augen hatten braune Sterne, bleich wie Marmor die feine Haut, die
Wangen rosa. Um die Schläfen wallten dunkle Locken. Die zarte Hand hatte soeben meine
Stirn mit Wasser benetzt, ich fühlte noch die wohltuende Berührung. Der Jungfer
Kleidung war schlicht, doch voller Anmut. Die andere Frau, schon ältlich, hatte eine
trauervolle Güte im runden Gesicht; sie war wohl eine Dienerin. »Er kommt zu sich,
»Gott sei gelobt!« entgegnete die Jungfer mit beklommener Stimme. Mich freundlich anblickend fuhr sie fort: »Unbesorgt, junger Gesell! Wir sind Ihm nicht feind. Können uns denken, Er ist der gefangene Goldmacher und hat versucht, übers Dach zu entkommen. Was mich betrifft, so bin ich des Grafen Schlick jüngste Tochter, mit Namen Thekla, und dies ist meine treue Kammerfrau Marianka. Wir beide sind auch nichts anderes denn Gefangene. Diese Burg Wasenstein, die mein Vater seinen Kindern vermacht hat, ward unser Gefängnis. Und dieselben Peiniger halten uns fest, so auch Ihn, junger Gesell, hier eingesperrt haben. Vielleicht lässet sich zwischen uns gemeinsame Sache machen, so daß einer dem andern zur Freiheit hilft. Aber nun sag Er, wie Er sich befindet, und ob seine Kopfwunde sehr schmerzet.«
Solche Worte waren mir noch holdere Musik, als das Lied zur Harfe. Ich richtete mich auf und lächelte: »Dank für des Fräuleins Gnade und ebenfalls Euch, gute Kammerfrau, Dank für den Beistand. Dem Himmel Dank, daß ich euch gefunden habe!«
Meinen Kopf betastend, erklärte ich die Verletzung für unbedeutend und erhub mich vom Boden. Auch die Frauen stunden auf, und nachdem sie ein nasses Tuch zu meiner Kühlung gereicht hatten, war unsere erste Überlegung, wie wir uns vor Überraschung sichern könnten. Die Kammerfrau gab den Rat, ihre Herrin solle mit Harfen fortfahren. Das sei der Wärterin, deren Schlafgemach hinter der einen Wand gelegen, und auch der Burgwache im Hofe unverdächtig. Zur Musik möge ich meine Geschichte erzählen.
Gesagt, getan. Und nun lauschten voll inniger Teilnahme die beiden Frauen meinem
Berichte. Als ich auf den Dominikaner und den Prager Herrn zu sprechen kam, in dessen
Schloß ich verhaftet worden, sagte das Fräulein bitter: »Mein sauberer Oheim, der
Graf Slawata! Und sein tückischer Helfershelfer
Ich starrte die Jungfer an: »Unter Henkers Schwerte ist Euer Vater verblutet?« – Nach einem tiefen Seufzer kam die Antwort: »Mein Vater gehörte zu jenen böheimischen Empörern, so für die Glaubensfreiheit kämpften, jedoch am Weißen Berge geschlagen und zum Teil dem Scharfrichter überliefert wurden.«
Ergriffen neigte ich mich und hauchte einen Kuß auf der Jungfer Hand. »Spielet weiter auf der Harfe!« mahnte Marianka. Doch die Gräfin versetzte trüb: »Ich kann es nicht mehr, nachdem die schreckliche Erinnerung an meines Vaters Tod heraufbeschworen ist. So wird es denn am besten sein, wir löschen das Licht und fahren mit leiser Stimme in unserm Gespräche fort. Stelle dem Jüngling Wein hin. Er mag neben meinem Bette im Sessel Platz nehmen, derweilen ich mich hinstrecke.«
Nun lauschte ich im Dunkeln dem Raunen der holden Jungfer. Es war eine Nacht voll wundersamer Gefühle. Zu unserer Furcht vor Entdeckung gesellete sich das Gaukelspiel der Hoffnung, zu den Seufzern, die unsere traurigen Berichte erpreßten, das heimliche Glück einer schnell geknüpften Freundschaft.
»Mein teurer Vater« – sagte die Gräfin. »Ich sehe ihn noch, wie sein gebräunt Antlitz
strahlete und keck sein Auge blitzete zur Zeit, da uns das Glück noch lächelte. Was
dann der Gram aus ihm machte, mag ein Bildnis zeigen, das der Verurteilte mir
überbringen ließ. Gleichwohl war sein letzter Gang aufrecht, daß er der Sieger
schien, während seine Gegner scheu zur Seite blickten. Ich war damals noch ein Kind;
aber deutlich steht in meiner Erinnerung das grausige Schauspiel, das
Beim Kerzenschein nahm ich die dargereichte Kapsel und betrachtete das Bildnis. Graf
Schlick hatte ein bärtig Antlitz,
Die Jungfer erläuterte das Zeichen folgendermaßen: »Mein Vater, dem es während seiner Gefangenschaft bis zum letzten Stündlein verwehrt blieb, seinen Kindern von Angesicht zu Angesicht oder auch nur brieflich zu begegnen, hat uns eine Mahnung geben wollen, die er nur bildlich auszudrücken vermochte. Seinen Maler, der zu ihm ins Gefängnis gekommen war, wies er an, diese symbolische Geberde zu malen, vermutlich weil das Z als letzter Buchstabe ans Ende des Lebens und an die letzten Dinge erinnert.«
Ich stutzte, bedenkend, daß ja auch am Schmelzofen ein Z angebracht war, und zwar am hintern Teil des Behemot, während auf dem Maule ein A stund. Als ich der Jungfer davon Mitteilung machte, wechselte sie mit ihrer Kammerfrau einen Blick der Überraschung: »Das ist allerdings seltsam und bringt auf die Vermutung, daß der Buchstabe Z doch eine andere Bedeutung haben kann, als ich bisher annahm.«
Als nach diesem Gespräch das Licht wieder ausgelöscht worden, grübelten wir alle drei
eine Weile über das Rätsel. Dann meinte ich: »Die gnädige Jungfer hat etwas gesagt,
was mir noch unverständlich: daß nämlich das Z auf dem Schmelzofen von ihrem Vater
herrühre. Wie denn? Hat er sich einmal hier aufgehalten?« – »Gewiß doch!« entgegnete
das Fräulein. »Habe ich das noch nicht erwähnt? Die Burg,
Nach all den kummervollen Gesprächen schlug unsere Stimmung in jugendlichen Übermut um. Jungfer Thekla erhub sich vom Lager, nahm die Harfe und sang dazu ein Lied von der Prinzessin zu Nirgendheim, die eine Krone aus Mondschein trage und in ihrem Wiegenbettlein gleichwie in einer Karosse durch ihre bunten Lande schaukle. Der Rundreim hieß:
»Hasche dein Glück, wann es kommt geschaukelt,
Weil es sonsten vorübergaukelt.«
Diese holdselige Gräfin war mir die Prinzessin von Nirgendheim und war wohl auch mein Glück. Der Mond schien durchs vergitterte Fenster und versilberte der Jungfer Hände, die hurtig und zart über klingende Saiten glitten. Wie gern hätte ich sie erhascht und an mein Herz gedrückt, das sich stürmisch nach Zärtlichkeit sehnte und zum Zerspringen klopfte. Doch eine Hoheit war dem Fräulein eigen, die mich in Schüchternheit hielt. Um so reiner aber war mein Glück, um so zauberhafter mein Träumen. Zu sanftem Schall, zu Mondenschein und Schattenspiel, zu süßbangem Zittern, Schaukeln und Schweben ward alles, was mich umgab. Ich gedachte der letzten Nacht, die ich bei Waldhäuser verbracht, und wie an des Knäbleins Leiche mir das Geheimnis aufging: »Der wahre Alchymist sucht Herzensqualitäten zu adligen und in des Herzens Gold zu transmutieren.« Und in mir jubelte es: »Bist auf einmal ein echter Goldmacher worden, Johannes!«
Doch vorüber ging das selige Stündchen; ich mußte in mein Gefängnis zurück, und wir sorgten uns, weil der Strick im Schornstein sich nicht mehr erreichen ließ. Schließlich gelang es mir, den Feuerhaken in des Strickes Knotung zu bohren, und nun konnte ich mich emporziehen.
Auf dem Dache angelangt, raunte ich durch den Schlot ein Valet und rutschte auf dem
Firste zum Schornstein meines
Andern Tages untersuchte ich die Buchstaben auf dem Schmelzofen. Das A auf der Schnauze war mit schwarzer Farbe hingemalt. Ich kratzte daran, fand aber nichts Sonderbares. Wie ich dann den Buchstaben Z beklopfte, klang die Stelle hohl. Ich lockerte die Kacheln, bis eine herausging, und siehe, da war eine Höhlung. Einen Lederbeutel zog ich herfür, der war mit Goldstücken, über dreihundert an Zahl, angefüllt.
Wie ein Blitz kam mir nun die Einsicht, Graf Schlick habe durch seine Gebärde andeuten wollen, daß überall, wo sich auf seiner Burg das Z befinde, eine Barschaft verborgen sei. Dem Scharfsinn seiner Kinder mußte er es anheimgeben, die Deutung herauszufinden, da ihm ja verwehrt war, in anderer Weise als mit stummer Geberde zu seinen Erben zu sprechen.
Kaum konnte ich die Nacht erwarten, die mich wieder zur Jungfer Gräfin bringen sollte. Nachdem es mir gelungen war, meinen Strick zu verbessern, zog ich meinen rußigen Kittel über und verrichtete unschwer die Reise durch die Schornsteine zu den Gefährtinnen, die mich froh empfingen und Leckereien von ihrer Mahlzeit für mich aufbewahrt hatten.
Gleich nach dem Willkomm brachte ich fliegenden Odems meine Entdeckung vor und
überreichte dem Fräulein den Beutel mit Golde. Marianka meinte jubelnd: »Dieser
Schatz kann uns befreien!« Die Jungfer freilich bezweifelte, daß es gelingen werde,
unsere Hüter zu bestechen. Nach etlichem Sinnen warf ich hin: »Vielleicht ist
außerhalb der Burg jemand, der uns den Käfig auftut.« Marianka meinte: »Ja,
»Ich wüßte nur einen,« sprach die Jungfer; »das wäre Herzog Wallenstein, der mächtigste Herr in Böheim. Aber mit unsern dreihundert Goldstücken können wir diesen Fürsten nicht anlocken.« Da ward der guten Marianka eine Erleuchtung: »Man könnte den Anschein erwecken, als wäre allhie ein viel größerer Schatz zu ergattern. Herr Johannes könnte ja so tun, als sei er wirklich ein Goldmacher. Würde er von den vorhandenen Münzen etliche einschmelzen und für selbstbereitetes Gold ausgeben, so ließe sich dem Wallenstein vielleicht der Mund wässrig machen, daß er Hunger bekäme nach den Reichtümern, die solch ein Goldmacher herfürzaubern kann.« Wir stutzten. Jungfer Thekla wandte ein: »Der Wallenstein hält nichts von Goldmacherei; wie ich von meinem Vater vernommen, hat er die Alchymisten für betrogene Betrüger erklärt. Sein Steckenpferd ist die Sterndeuterei. Doch ich habe vor drei Jahren von der alten Gräfin Wresowitz gehört, Wallensteins Faktotum, ein italienischer Sterndeuter, Seno mit Namen, halte zu den Alchymisten und sei goldgierig. Vielleicht könnten wir diesen Seno durch Vorspiegelungen wild machen und darauf bringen, daß er dem Grafen Slawata den Goldmacher entwendet und hiezu die Macht seines Herrn Wallenstein in Anspruch nimmt.«
Marianka griff sich an den Kopf: »Aber wie ließe sich ein Brief an Seno aus der Burg hinausbringen? Der einzige, der etwas nach außen senden darf, ist Herr Johannes, und an den Pater Aloisius geht jedes seiner Schreiben.«
Jungfer Thekla erhub sich hastig: »Mein Vater hat versucht, sich auf andere Weise mitzuteilen als durch die Schrift. Durch ein Symbolum wollte er zu seinen Kindern reden. Vielleicht können wir ihn nachahmen und ein Schreiben herausbringen, das dem Auge des Pfaffen unverfänglich erscheint, während Seno den geheimen Sinn herausfindet.«
Ich sprang auf und ging im Gemache umher: »Ich hab's,
Mariankas Angesicht war sorgenvoll, und sie meinte zögernd: »Gesetzt aber, es käme so weit, daß Seno den Herrn Johannes von hier wegnimmt, was haben wir davon? Und was hat Herr Johannes davon? Wird nicht Seno den kostbaren Goldmacher aufs neue hinter Schloß und Riegel bringen?« Dieser Einwand war nun zwar berechtigt. Doch hofften wir, der Zufall, der ja in allen Geschicken eine Rolle spielt, werde uns irgendwie begünstigen. Schließlich überwand unser leichter Jugendsinn die Bedenken, so daß wir uns allbereits in Freiheit sahen und ausmalten, in welcher Weise unser Leben fürder verlaufen solle.
Thekla sprach davon, ihre Schwester aufzusuchen, die an einen hessischen Edelmann in schwedischen Diensten verheiratet sei. »Unser Johannes mag mich dann begleiten und desgleichen bei Schwedens Krone Dienste nehmen, da ich ihn außerhalb dieser Mauern ebensowenig entbehren möchte, wie jetzo.« Das war nun ein Trost zum Abschied, und in mein Gefängnis zurückgekehrt, zehrte ich von der empfangenen Süßigkeit.
Die Jungfer Gräfin hatte derart mein Herz eingenommen, daß ich ohne sie mich
verzehrte in seufzender Ungeduld. In meinem Gefängnis kam mir dann die Frage, ob
nicht eine Seele durch Sammlung und Aufmerken in solche Verbindung mit der geliebten
Seele treten könne, daß des einen Gedanken auf den andern übergingen. Einmal als
Marianka leicht erkrankt im Nebenzimmer lag und
Da ward mir die Wonne noch einmal, und zwar nach Herzenslust, den Zauber ihres Auges zu trinken. Und dieser Blick, eine stumme Verlobung zweier Seelen, ist mir also lebendig im Gedächtnis geblieben, daß es mir seitdem oft gelang, die süßen Vergißmeinnichtblüten wie körperlich vor mir zu haben. Vorausfühlend, welchen Schatz mir dieser Augenblick bescherte, neigte ich mich zu der edeln Jungfer Hand und küßte mit heißer Dankbarkeit die seinen Finger. Sie aber drückte die Finger an meine Lippen und raunete kaum vernehmlich: »Wag's, Knab!« Nun war ich versucht, die Arme um sie zu schlingen, doch Ehrfurcht hielt mich zurück, ich atmete tief. »Was soll ich wagen?« fragte ich schüchtern. Sie lächelte: »Ich sag's Ihm später einmal.« Und zu Marianka ging sie.
Der Winter nahte, und wenn ich übers Dach kletterte, war es mit Reise bedeckt. Als
ich der Jungfer davon Mitteilung machte, geriet sie in Sorge und bat mich, beim
Klettern übers Dach alle Fürsicht anzuwenden, daß ich ja nicht ausgleite.
Gleich andern Tages tobte ein Schneesturm, der alles mit dichten Flocken überschüttete. Eingedenk des Versprechens, das mir die Jungfer Gräfin abgenommen hatte, unterließ ich die Wanderung übers Dach. Zu meinem Bedauern hielt das Flockenwetter an. Hochverschneit lag das Dach, und wenn einmal ein Tag ohne Gestöber anbrach, brachte der Abend gleich wieder Schnee. Wochenlang mußte ich darauf verzichten, Thekla zu besuchen, und kämpfte mehr als einmal mit der Versuchung, ihr Gebot zu übertreten.
Während dieser einsamen Zeit hatte ich sämtliche Teile des Fluchtplans ausgearbeitet.
Neu war dabei folgendes Rezept, Seno zu gewinnen. Ich wollte ihn einladen, sich mit
eigenen Augen davon zu überzeugen, daß ich gemeines Metall transmutieren könne;
wollte dabei eine Gaukelei anwenden. Zween Schmelztiegel von ganz gleichem Aussehen
hatte ich nötig. Den Boden des einen wollte ich mit Golde begießen, jedoch so, daß es
versteckt war durch eine dünne Eisenschicht. Der andere Tiegel sollte ohne Gold
bleiben, und ihn sollte Seno vor begonnener Schmelzung besichtigen. Hinterher aber
wollte ich ihn mit dem andern heimlich vertauschen. So gedachte ich, den Anschein zu
erwecken, es habe sich ein Teil des Bleies zu Golde umgewandelt. Weil nun aber zu
besorgen war, daß ich, von Seno weggeführt, gleichsam vom Regen in die Traufe kommen,
nämlich bloß den Tyrannen wechseln werde, so galt es auch, dem neuen Gefängnis zu
entrinnen. Zu diesem Zwecke wollte ich erklären, der Vorrat meiner Tinktur sei
erschöpft, und um ihn zu erneuern, bedürfe ich der Mondblume, so im Schlesischen
Gebirg in der Schneegrube wachse. Vielleicht, daß ich beim Kräutersuchen meinen
Aufpassern entwischen
Da ich zu meinen Arbeiten im Laboratorio vom Burgvogte alle Gerätschaften und Stoffe erhielt, die ich verlangte, so brachte ich es bald fertig, die beiden gleich aussehenden Schmelztiegel zu beschaffen und herzurichten. Zur Verbesserung meines Plans erfand ich ein Mittel, um Senos Aufmerksamkeit abzulenken, derweilen die beiden Tiegel zu vertauschen waren. Ich wollte im entscheidenden Augenblicke das glühende Schüreisen vor Senos Füße fallen lassen. Proben, die ich mit den Geräten und allen nötigen Hantierungen vornahm, gelangen aufs beste, und es galt nur noch, den Wortlaut der Briefe festzustellen. Ich machte mehrere Entwürfe und beschloß, gemeinsam mit den Frauen die Entscheidung zu treffen.
Endlich war das Dach schneefrei genung, eine Wanderung zu gestatten. Wie innig ich mit Thekla verbunden war, verriet mein Herz durch seinen Jubel. Marianka verhehlte nicht, wie sehnlich die Jungfer Gräfin nach mir verlangt habe, wie schon manche Nacht das Feuer im Kamin ausgegossen, und wie gehorcht worden sei, ob ich nicht endlich komme.
Groß war die Freude, als ich meinen Plan in allen seinen Teilen darlegte. Nach sorgfältiger Beratung gaben wir den Briefen folgenden Wortlaut:
»Der hochwürdige Pater wolle mir eine Bitte erfüllen. Ich habe endlich
herausgebracht, wie die Mondblume aussiehet, deren ich zur Goldtinktur bedarf. Mein
Oheim, Tobias Tilesius, im Isergebirge zu Schreiberhau unweit der Stadt Hirschberg
wohnhaft, ist seines Zeichens ein Laborant. Wenn irgend einer die Mondblume
beschaffen kann, so ist er es, zumal diese in den Klüften des höchsten Schneegebirges
vorkommet. Wenn nun Hochwürden beiliegendes Briefel recht schnell an meinen Oheim
befördern und ihm Belohnung in Aussicht stellen möchten, so würde Tobias Tilesius
durch Euren Boten das mir erwünschte Kraut senden. Sollte
Der beizulegende Brief, soweit er mit schwarzer Tinte zu schreiben war, erhielt den Wortlaut: »Lieber Oheim, in Prag ergehet es mir immer noch gut, und ich bin mit großem Eifer der chymistischen Kunst beflissen. Darfst erwarten, daß mir auch fürder die Goldbereitung gelinge, nachdem ich endlich herausbekommen, welch Kraut zur Tinktur nötig; man heißet es die Mondblume, und so Du sie mir beschaffest, werde ich so viel Gold machen, als das Quantum meiner Tinktur gestattet. Die Mondblume, so benamset, weil ihre Blättlein rund wie Vollmond, wächset bei Schreiberhau in der Großen Schneegrube, wo sich eine Basalt-Ader durch den Granit ziehet. Kreucht unter Knieholz am Boden dahin, vergleichbar dem Bärlapp und trägt im Sommer rosenfarbene Glöcklein, würzig duftende. Lieber Oheim! Sollte die beschriebene Blume sich unter Deinen getrockneten Kräutern befinden, so sende mir den ganzen Vorrat. Der Überbringer dieses Briefes, ein Diener des Herrn Grafen Slawata, wird Dir guten Preis dafür zahlen. Falls Du aber die Mondblume noch nicht hast, so siehe zu, daß Du sie findest, sobald der Sommer auf die Berge steigt. Derohalben sollst Du diese Beschreibung der Mondblume aufbewahren und wiederholt lesen. Nun Gott befohlen, guter Oheim, und grüße die alte Beate. Dein Johannes.«
Der nächste Teil des Schreibens, so mit meiner erfundenen Tinte geschrieben werden
sollte, erhielt diese Fassung: »Ach Oheim! Diese Nachschrift ist mit einer Tinte
geschrieben, so in den ersten beiden Wochen blaß wie Wasser,
Diese Briefe wurden von mir geschrieben und in einer Hülle durch einen Courier dem
Pater Aloisio übersandt. Kaum war der Courier fort, so zeigte mir Fortuna, wie wenig
ihrem Lächeln zu trauen, und wie ihre Gunst an einem Spinnenfaden hängt, leicht
zerreißbar. Es begab
Das war nun für mich ein harter Schlag, denn es schien mir kaum möglich, die Eisenstäbe zu beseitigen. Dabei mußte ich noch froh sein, daß ich alles Wichtige mit dem Fräulein verabredet hatte. Von Tag zu Tag wuchs meine Beklommenheit und Ungeduld.
So waren bereits die Frühlingsstürme verrauscht und milde Tage gekommen. Nach meiner Berechnung hätte Seno schon vor sechs Wochen eintreffen können. Pater Aloisius schwieg, und ich wußte nicht ein mal, ob mein Schreiben in seine Hand gelangt sei. Seit die ersten Stare im Burghofe gezwitschert hatten, war nun schon zweimal Vollmond gewesen, aber kein Zeichen der Außenwelt versprach mir Hilfe. Die Hoffnung auf Seno hatte ich bereits aufgegeben, und in tiefer Betrübnis grüßte ich den Tag, an welchem meine Gefangenschaft sich jährte. Um die Mittagszeit erscholl auf dem Hofe ein Lärmen und Hundekläffen, als ob eine Jagdgesellschaft einziehe. In der Tat sah ich durchs Fenster Grünröcke, über der Schulter das Waldhorn, eine Koppel Hunde und Reiter mit Feuerrohren. Froher Schrecken fuhr mir durch die Glieder, als Schritte sich meinem Gemache näherten und ein fremder Herr eintrat, gefolgt vom Vogte und von Soldaten.
Der Herr, von kleiner Gestalt, hatte ein fahles, durchfurchtes
Hierauf wandte sich der Herr zum Vogte: »Ich will mit diesem Goldmacher allein sein.« Der Vogt stutzte und tat den Einwand: »Wolle der gnädige Herr verzeihen. Habe von meinem Herrn, dem Grafen Slawata, strengsten Befehl, diesen alchymistischen Zauberer mit niemand verkehren zu lassen, und wenn ich ...« Mit gerunzelter Stirne schnitt Seno ihm die Rede ab: »Ich weiß wohl, daß der Graf Slawata Oberstkanzler von Böheim ist; aber einstweilen hat er auf Wasenstein noch nicht zu gebieten, während ich hier stehe im Namen seiner Altezza, des Herzogs zu Friedland. Wolle er das beachten, Vogt, widrigenfalls ich ihm durch meine Leute demonstrieren lasse, wer allhie gebeut.«
Der Vogt rollte die Augen und tat gar einen Griff nach seinem Degen, doch die zupackenden Soldaten machten ihn rasch gefügig. Und Seno befahl: »Haltet den Vogt in eurer Mitte und harret draußen vor der Tür. Ich habe mit dem Goldmacher ein Stündlein zu reden.«
Nach einem Blick ins offene Laboratorium meinte Seno: »Ist das Eure Werkstatt? Treten wir ein!« Wie ein Kundiger betrachtete er den Schmelzofen, trat zu den Gestellen, auf denen die Gefäße mit allerlei Stoffen geordnet stunden, und las etliche Aufschriften. Das Antlitz zu mir wendend, sprach er mit einem forschenden Blick: »Will Er sich nun wirklich unterstehen, vor meinen Augen Gold zu machen, dessen Er sich ja vermessen hat? Sein Oheim, der Kräutermann, ist mit dem Briefe zu mir gekommen. Ich bin der Doktor Seno, ein Berater seiner Altezza, des Herzogs zu Friedland. Will sehen, ob Er in seinem Briefe Possen getrieben hat, oder ob Er wirklich tingieren kann.«
Mein Herz pochte, ich atmete tief. Eine Verneigung tat
»Will Ihm doch lieber auf die Finger sehen«, erwiderte Seno spöttisch und blieb an meiner Seite, während ich mit der Schaufel die Feuerstätte säuberte, das Brennholz kunstgerecht schichtete, in Brand setzte und mit dem Blasebalg die Glut anfachte. Hierauf nahm ich den Feuerhaken, schürte und ließ ihn in der Glut stecken, während der hölzerne Griff aus dem Ofen ragte. Je näher der Augenblick kam, der über mein Schicksal entscheiden sollte, desto ungestümer jagte mir das Blut durch die Adern, aber auch desto gewaltiger nahm ich mich zusammen, um nichts zu verfehlen. Hiebei kam mir zustatten, daß die benötigten Geräte und Stoffe längst in Bereitschaft, und sämtliche Hantierungen mehrfach durchgeprobt waren.
Ich ergriff zunächst den Schmelztiegel, in dem nichts war, und machte Miene, ihn auf die Glut zu setzen. Mißtrauisch verfolgte Seno alle meine Bewegungen. Und was ich im Stillen erhofft, trat ein: »Halt,« sprach er, »erst laß Er mich den Schmelztiegel besichtigen!«
Ruhig reichte ich ihm den Tiegel, worauf er aus Fenster trat und das Gerät durch genaues Beäugeln, auch durch Beklopfen und Bekratzen untersuchte. Da nichts verdächtig war, kam er wieder zum Ofen und gab den Tiegel zurück: »Gut, fahr Er fort!«
Ich stellte den Tiegel auf die Anrichte neben der Ofentür, wo ich unter einem Tuche den andern, mit Gold ausgegossenen Schmelztiegel bereit hielt. Holte vom Gestell ein Fläschlein, das meine Wundertinktur fürstellte, und reichte es Seno: »Wolle der Herr mir ein wenig beistehen und eigenhändig die Tingierung ausführen.«
Seno hielt das Fläschlein aus Licht, zog den Pfropfen heraus und roch an der
Flüssigkeit, die nichts war als ein wertloser Absud. Am Ofen vorbeischreitend, stieß
ich mit dem Knie derart an den Feuerhaken, daß er heraussprang und
Wohl hatte ich diesen Augenblick genutzt und rasch den in meiner Hand befindlichen Tiegel mit jenem andern vertauscht, den das Tuch verborgen hatte. Aber das Zerbrechen der Flasche brachte mich für eine Weile außer Fassung.
Mir ins Gesicht spähend, gläubete Seno, mein Schreck rühre davon her, daß die kostbare Tinktur vergeudet sei, und sprach achselzuckend: »Da werden wir wohl auf die Probe verzichten müssen; der Rest seiner Tinktur ist ja nun verschüttet.«
Diese Wendung der Dinge durfte ich keineswegs zulassen. Allerlei Gedanken wirbelten durch meinen Sinn, bis mir auf einmal eine Ausrede beifiel. Nahm mich zusammen und sprach: »Ei nicht doch, gnädiger Herr! In dem Fläschlein war ja nicht die Tinktur, sondern ein Kräuterabsud, der zwar gleichfalls zur Goldbereitung dienet, von dem ich aber noch einen Vorrat habe. Bloß deshalb fuhr ich zusammen, weil der glühende Haken den Herrn hätte verletzen können. Verzeihe der Herr meine Ungeschicklichkeit.«
Nach dieser Ausrede trat ich ruhig zum Gestell, nahm eine große Phiole mit
Kräuterabsud und kehrte zu Seno zurück. Gab ihm hierauf jenen Schmelztiegel zu
halten, der in versteckter Weise das Gold enthielt, legte Blei in diesen Tiegel und
goß etliches aus der Phiole hinzu. Ein rascher Blick in Senos Antlitz überzeugte mich
davon, daß ihm die Verwechslung der Tiegel entgangen war. Ich triumphierte heimlich,
holte nun ein ander Fläschlein und hielt es entstöpselt vor Senos Nase: »Der Herr
wird vermeinen, Baldrian zu riechen. Ist auch wirklich Baldrian darin. Indessen hab
ich Absud der Mondblume beigemengt. Pater Aloysius hätte mein Laboratorium
durchforschen können, und mir mußte daran gelegen sein, die Mondblumentinktur nicht
in seine Hände geraten zu lassen. Da hab ich sie kurzer Hand zum Baldrian getan, der
die Wirkung der Mondblume nicht stört. Gebe nun mein Herr Obacht, hier gieß ich meine
Nachdem ich den Inhalt des Fläschleins hineingetan, nahm ich den Tiegel aus Senos Hand und setzte ihn auf die Glut, die ich mit dem Blasebalg anfachte.
Seno starrte in den Ofen und beobachtete, wie die Flüssigkeit verdampfte, und wie das im Tiegel befindliche Blei zu schmelzen begunnte. Sobald ich die Gewißheit hatte, auch das Gold sei geschmolzen, sagte ich feierlich: »Die Tingierung ist gelungen, und neben dem Blei, das übrig blieb, weil ich zu wenig Tinktur anwandte, haben wir ein klein Quantum Gold gewonnen. Beliebe der Herr, das flüssige Metall in diesen Eimer zu gießen.«
Seno ergriff den Schmelztiegel beim hölzernen Stiele, während ich den Eimer hinhielt, und zischend floß die glühende Massa ins Wasser. Eigenhändig fischte Seno das erstarrte Metall heraus und betrachtete es. Staunend sprach er: »Wahrhaftig, Gold ist dabei, das Experimentum ist gelungen. Werde derohalben seine Bitte erfüllen und Ihn mit mir nehmen. Und zwar soll Er gleich ins Schneegebirge gebracht werden, einen guten Vorrat von der Mondblume zu sammeln. Seine Altezza der Herzog zu Friedland will morgen auf der Höhe des Korkonosch einen Bären hetzen, und bei dieser Gelegenheit mag die Mondblume gesucht werden. Wir reiten noch heute abend gen Rochlitz.«
Außer mir vor Freude, fiel ich auf meine Knie und küßte Senos Hand, indem ich ihn meinen Befreier nannte. »Vollende nun der Herr sein gütig Werk und erlöse auch die junge Gräfin Schlick aus dieser Burg.« Kalt jedoch gab Seno zur Antwort: »Nichts davon! Sei Er zufrieden, daß Er selber hinausgelangt. Wegen der Tochter eines gerichteten Rebellen mag ich nicht Händel mit dem Grafen Slawata beginnen.« Wie flehentlich ich bat, Seno verharrete bei seiner Entscheidung und ließ mich barsch an. Es blieb mir nur der Trost: kommt Zeit, kommt Rat!
Während ich den Auftrag ausführte, rief Seno seine Leute herbei und sprach zum Vogt, den sie umgaben: »Diesen Chymisten nehm ich mit mir. Ihn hier festzuhalten, hat niemand ein Recht. So ihn aber Euer Herr zurückfordert, mag er sich an Seine Altezza wenden.« Der Vogt versuchte Widerrede: »Der Gefangene ist ein Zauberer und soll vor Gericht.« Kopfschüttelnd winkte Seno ab: »Macht nichts. Herr Graf Slawata weiß ja nun, wo das Gericht den Zauberer finden kann.« Zu mir gewendet, fügte er spöttisch hinzu: »Das Vöglein kommet halt aus Herrn Slawatas Käfig in den meinen.« Seno ging hinaus, und inmitten der Soldaten verließ ich mein Gefängnis. Wiewohl Senos Worte eine trübe Aussicht eröffneten, ließen sie die Vorwürfe verstummen, die ich mir selber heimlich machte, weil ich ja einen Betrug an Seno verübt. Jetzo durfte ich mir sagen: mit Feinden hast du zu tun, und im Kriege ist Täuschung erlaubt, zumal wenn sie einem Schuldlosen zur Freiheit verhilft. Da Seno den Befehl zum Abmarsch gab, bestieg alles die Rosse, auch mir war eins gesattelt. Aufatmend ritt ich inmitten der Soldaten durch das Burgtor über die Grabenbrücke, hinunter ins Waldtal.
Einen letzten Blick warf ich zurück. Da lag nun auf dem Berge die Veste, wo ich länger denn ein Jahr ein Gefangener gewesen. Stolz und wehrhaft ragete sie mit ihren Türmen, Mauern und Zinnen. Ich fand die Stelle, wo ich übers Dach geklettert war, und die beiden Schornsteine. Der heißgeliebten Gräfin galt mein Herzenspochen. O daß ich sie jetzo grüßen könnte mit der heimlichen Seelenmagie! Thekla! Frei bin ich – und alles will ich dransetzen, auch dich zu befreien – meine Braut!
Im warmen Sonnenschein, den ich als Gefangener entbehrt hatte, begrüßt von den
rauschenden Tannen und Bergwässern, von Buchfink und Kuckuck, ritt ich mit stillem
Jubel dahin, versucht, meinem Roß in die Flanken zu treten und dahinzufliegen wie ein
Falk. Ich wollte ein Gespräch mit den Soldaten anknüpfen, ward aber abgewiesen. Wir
kamen an einen schäumenden Fluß und verfolgten ihn aufwärts. Auf einer Bergmatte
lagen Bauden, und ich vernahm wieder das traute Brüllen der Kühe. Dann ging es durch
Wildnis, bis wir um Sonnenuntergang in ein Dorf kamen. Hinter den Hütten erhub sich
das Gebirge, und der Wald vermochte die höchsten Gipfel nicht zu erreichen. Wir kamen
wieder an den rauschenden Fluß, und nachdem wir eine Stunde seinem Lauf
entgegengeritten waren, schoß von rechts ein Bach daher, den sie Mummel nannten.
Zwischen Scheuern und Bauden stund allda ein herrschaftlich Haus, wir machten Halt
und stiegen ab. Seno begab sich hinein, willkommen geheißen von einem Herrn. Während
die Rosse durch Knechte in den Stall geführt wurden, ging auch ich mit den andern in
das Haus, wo in einer großen Stube ein Tisch mit Speise und Trank bereitet war. Nach
der Mahlzeit gingen zween Soldaten mit mir in ein Gemach, wo eine Streu war. Die Tür
schloß der eine Soldat hinter sich ab, das Fenster war vergittert. Die Soldaten
wiesen mir meine Lagerstatt an und plauderten mitsammen über die befürstehende Jagd.
Ich vernahm, daß andern Morgens der Herzog von Friedland aus den Sieben Gründen zum
Hohen Rad hinanreiten werde, wo eines Bären Spur gefunden sei, und daß Herr Seno mit
uns auf dem Wege durchs Mummeltal zur Jagdgesellschaft stoßen wolle. Ein Soldat
meinte mit mürrischem Blicke auf mich: »Es wäre fürwahr unterhaltsamer, der Bärenhatz
beizuwohnen, als diesen Goldmacher bei seinem
Bei Morgengrauen ertönte das Jagdhorn und Rossegewieher, und sogleich waren wir auf den Beinen. Nach einem hastigen Imbiß ging's an dem rauschenden Mummelbach durch wilden Tann höher und höher. Wo das Wasser einen donnernden Absturz tut, hielten wir an und stiegen von den Rossen; sie sollten hier bleiben, da der fürdere Weg zu steil. Lange Wanderstäbe wurden Herrn Seno und den anderen hohen Herren gereicht, und nun stiegen wir den Felsenpfad hinan. Seno wandte sich zu mir: »Droben auf der Elbwiese werd ich mich zu Seiner Altezza begeben. Derweilen mag Er seiner Mondblume nachgehen, aber Soldaten werden Ihn überall hin begleiten, wo Er die Blume sucht. So Er sich unterstehet, wegzulaufen, wird Er niedergeknallt.«
Ein paar Stunden waren wir gestiegen, als die Tannen kurz und knorrig wurden. Dann kam eine blumige Matte und ganz oben eine weite sumpfige Ebene. Da gab es rostrotes Wasser und Binsen und verstreute Blöcke mit Moos bedeckt. Diese Moorwiese bildet den Quellengrund der Elbe. Zur rechten wie ein Höcker der kahle Korkonosch. Geradeaus ein steiler Absturz. Drunten die Sieben Gründe, hinein springt die rauschende Elbe. Dahinter wieder hohes Gebirge, gekrönt von der Schneekoppe. Links kahle, felsige Gipfel, der Reifträger, die Veilchensteine, das Hohe Rad.
Auf einmal schollen aus der Ferne Fanfaren, und Seno ließ einen Hornisten antworten. Vom Elbfall kam ein Trupp mit kläffenden Hunden dahergezogen. Unter den grünen Jagdgewändern leuchtete ein Scharlachmantel, und Seno sagte: »Seine Altezza!« Dann wandte er sich zu mir: »Er mag jetzo gehen, wie Er will.«
Ich und zween der Soldaten blieben zurück, während Seno mit den andern unter
Horngetön seinem Herzog entgegenzog. Nachdem ich eine Weile gerastet und mich
besonnen
Gleich darauf stund ich auf dem hohen Felsen, der gen Morgen ins Schlesierland ausblickt. Mit wehmütigem Glücke sahe ich drunten die Hütten von Schreiberhau, Auen und Waldberge, weiter die Veste Kynast und Herrmannsdorf, auch etliche Dächer von Warmbrunn und ganz hinten Hirschberg mit seinen Türmen. Hold lächelte die Heimat, und mein Blick taumelte über das Waldgewoge, verwirrt vom Sonnengold und blauen Dufte der Ferne. Und es hüpfte mein Herz. Bevor diese Sonne sinket, bin ich frei, und schlafen tu ich in Oheims Häusel. Frei – oder tot! Ich hatte mir ausgedacht, die Soldaten in die Schneegrube zu führen, wo steile Wände, Schneefelder, unwegsame Blöcke und Knieholzgestrüpp das Gehen schwer machen, wofern der Wanderer nicht mit solchem Gelände vertraut ist. Hier wollt ich einen günstigen Augenblick nutzen und entspringen.
Unter meiner Führung begaben wir uns auf jenen schroffen Felsen, der ähnlich einer
Burg zwischen der Kleinen und der Großen Schneegrube emporragt, und sahen in die
Große Schneegrube zur Rechten, einen Felsenkessel, groß genung, ein ganzes Dorf zu
fassen. War aber nur Wildnis innen. Der Rand des Kessels ging an manchen Stellen
senkrecht, an andern war ein Abrutsch von Geröll. In Felsenspalten und an schattigen
Hängen lag Schnee, draus rannen Wasseradern in den Grund. Im Kessel waren abgerissene
Felsenblöcke
Hatten wir bisher in der Schneegrube nur Windes Sausen, der Wässerlein Rinnen und das Zwitschern der Berglerche vernommen, so horchten wir jetzo auf das Jagdgetöse, das verworren und schwach von den Rändern des Kessels herniederscholl. Hörner bliesen, Hunde bellten, Treiber knallten mit Peitschen und jauchzten. Da sprach ein Soldat: »Es scheint, sie hetzen den Bären schon.« Zufrieden, abseits von den Jägern zu sein und so leichter entspringen zu können, erhub ich mich: »Ich muß nun den Hang hinan, mein Kraut zu suchen.« Am Ranfte eines Bächleins klomm ich zur Höhe, die immer schroffer ward. »Halt!« rief ein Soldat, »wir sind keine Ziegenböcke.« Finster gab ich zur Antwort: »Ich soll ein Kraut suchen, so nur droben gedeihet. Hindert ihr mich, so werde ich es Herrn Seno melden.« Da die Soldaten schwiegen, setzte ich mein Aufwärtsklimmen fort. Überschritt ein steil Schneegefild, das dem Fuße kaum Halt gab. Ein Soldat wäre abgerutscht, wenn er sich nicht an einem Zacken festgehalten hätte. Des Kletterns überdrüssig, fluchte er und setzte sich auf einen Felsen, der aus dem Schneefeld ragte. Das Gewehr über seinen Schoß gelegt, rief er dem Kameraden zu: »Mag der vermaledeite Goldmacher seinen Hals brechen! Er klettere, wie ihm beliebt. Nach oben kann er ja doch nicht entrinnen, weil die Felsenwände zu steil. Hier unten aber bewachen wir den Paß.« Das war dem andern Soldaten recht, und er postierte sich einen Steinwurf seitwärts zwischen Knieholz. Ich tat, als ob ich Kräuter suche.
In diesem Augenblicke erschallt über mir ein gellend Posaunen, und wie ich emporblicke, kommt ein schwarzbrauner Bär auf dem Hinterteil über das steile Schneefeld herabgerutscht, gerade auf den einen Soldaten los. Dieser will hastig ausweichen, strauchelt und stürzt mit dem Kopfe voran den Hang hinab. Der andere Soldat legt sein Gewehr auf den Bären an und feuert. Unverwundet gleitet Petz weiter, springt mit gewandten Sätzen über die Knieholzbüsche und ist nur noch wenige Schritte vom Herzog entfernt. Indessen lässet der Page die Hunde frei, und mit wütendem Geheul packen sie an. Zugleich stürmet der Jäger mit dem Spieß auf den Bären los, der sich auf die Hinterfüße setzt und mit den Tatzen um sich haut. Vom Spieße gestochen, brüllt er und streckt mit einer Ohrfeige den Jäger nieder.
Da beut sich mir nun die beste Gelegenheit zur Flucht:
Dem Krachen folgt ein dumpfes Stöhnen, das Untier stürzt vornüber, wälzt sich mir zu Füßen, mit den Tatzen um sich schlagend, und verröchelt, indes ihm Blut aus dem Maule schießt, und die Hunde, heulend vor Wut, sich in sein Fell verbeißen. Noch einmal bin ich in Versuchung, mich zur Flucht zu wenden. Aber der Herzog Wallenstein ruft mir zu: »Braver Schütze! Her zu mir! Helf Er mir!« Da trete ich zu ihm. Nun kommt auch der Page gelaufen, und wir wälzen den Stein weg, der des Herzogs Bein festgeklemmt hat. Wallenstein erhebt sich und streckt das Bein, um es gelenkig zu machen; dann schaut er nach dem andern Jäger, den des Bären Tatze traf, und spricht zum Pagen: »Flugs dem Grafen Max beigestanden!« Indem ist der Verwundete schon selber zu sich gekommen, richtet sich auf, wischt sich das Blut von der Wange und nimmt seinen Filzhut ab, der glücklich den Tatzenhieb gedämpft hat.
Es war das einzige Mal, daß ich diesem Helden der Geschichte von Angesicht zu Angesicht genüber gestanden bin. Der Mordstahl hat ihn hinweggerafft, doch lebendig herrscht er noch in meinem Herzen. Majestätisch seine hagere Gestalt. Wie einen König kleidete ihn der scharlachene Mantel, so über das silbern betreßte Jagdhabit niederwallte. Das Angesicht schmal, die Stirne hoch, das Haupthaar schwarz und straff, der Knebelbart ergraut. Die gelbliche Haut verriet mürrischen Sinn, das feine Geäst der Runzeln ein rastlos Grübeln, allezeit wache Gedanken. Unter buschigen Brauen sprang die Nase wie ein Adlerschnabel herfür, jedoch nicht spitz, sondern abgestumpft. Die Augen hatten schwarze Sterne, und der bannende Blick verkündete den unbeugsamen Herrscher. Es wandelte mich jedoch keine Furcht an, da ich auch seine gedankenvolle Ruhe und adlige Großmut spürte.
Fand dahero meinen Freimut, zog den Hut, neigte mich und begegnete aufrecht dem
Blicke des Herzogs. »Altezza fragen, warum ich nicht durch die Lappen gegangen bin?
Mit Bestimmtheit erwiderte ich: »Auch für mich war es besser, denn durch Euer Altezza Gnade werde ich eher frei als durch Ausreißen.« Der Herzog zog die Augenbrauen hoch: »Er tut ja, als hab Er meine Gnade allbereits im Sack!«
Schon wollte ich niederknien und meine Bitte aussprechen, als sich der Herzog umwandte. Es kamen mehrere Jagdherren hinter dem Felsenhübel herfür. Auch Seno war dabei. Lebhaft trat er auf seinen Herzog zu und neigte sich: »Heil dem Schützen!« Kalt erwiderte der Herzog, auf mich weisend: »Der da ist der Schütz!« Seno stutzte: »Das ist ja der Goldmacher –?«
Wallensteins Auge blickte träumerisch: »Es ist derselbe Mann, dessen Nativität ergeben hat, er werde dem künftigen König von Böheim einen Dienst leisten.« Zu mir gewandt, fuhr er fort: »Er ist doch jener Magdeburger, anno 1606 geboren am Tage Sankt Johannis?« – »So ist es, Altezza.«
»Und ein Pfaff wird aus Ihm werden,« fuhr der Herzog mit Bestimmtheit fort, »in den Sternen stehet geschrieben, daß Er's zum Hohenpriester bringet. Er sollte machen, daß Er in ein Kloster kommt. Bedenk ich freilich, welch einen Schuß Er getan, so mein ich, auch zum Kriegsmann hab Er das Zeug. Werd Er beides: ein Kriegsmann und ein Pfaff – nach der Mode des französischen Kardinals, haha!«
Seno hub die Hand: »Verzeihen Altezza, nach meiner Berechnung kommt es mit diesem Menschen anders. Nicht Hohepriesterschaft liegt ihm bei, sondern ein Goldschatz. Daß ihn die Sterne dazu berufen, dem künftigen Böhmerkönige einen Dienst zu leisten, ist allerdings wahr.«
Graf Max, der sich vom Hieb des Bären erholt hatte, war herangetreten, ein Tuch an seine Wunde haltend. »Ich zahle« – sprach er kleinlaut – »hundert Taler für seinen Schuß.«
Spöttisch meinte Wallenstein: »Wer Gold machen kann, braucht deine hundert Taler nicht. Hab ich nicht recht, Seno? Du willst ja dabei gewesen sein, wie er mit Erfolg tingieret hat – he?« – Ernsthaft nahm Seno aus seinem Gewande ein Papier und wickelte das Gold heraus, das wir im Laboratorio gegossen hatten. »Dies Gold hat er vor meinen Augen tingieret.«
Wallenstein betrachtete nur flüchtig das Metall und gab verächtlich zur Antwort: »Gaukelei! Alle Goldmacher sind Gaukler, und du, mein Seno, bist geprellt, so du dich von diesem Menschen zum besten haben lässest. Sollst mir endlich glauben, Seno: weise zwar bist du als Sterndeuter, doch deine Alchymie ist närrischer Wahn. Ich wette, dieser Mensch nasführet dich, und daß ich ihn frei lasse, ist das Beste für dich wie für uns alle.« – Warnend erhub Seno die Hand: »Will Euer Altezza die Henne fliegen lassen, so jeden Tag ein gülden Ei legen kann?«
Da warf mir Wallenstein einen gebieterischen Blick zu: »Gesteh Er, daß Seine Goldmacherei eitel Blendwerk. Die Wahrheit will ich hören, und damit Er nicht aus Angst zur Lüge greift, hat Er mein Wort, daß ich Ihn zur Stunde freilasse, Ihn auch behüten will, wofern mein Seno sich rächen möchte für seine Nasführung.«
Aufatmend spähte ich dem Herzog ins Auge, ob seiner
Ungeduldig unterbrach mich Wallenstein: »Will Er Bedingungen stellen? Hab ich Ihm nicht befohlen, unverzüglich die Wahrheit zu gestehen? So Er zu bitten hat, mag's hinterher geschehn. Zuvörderst kommt mein Wille!«
»Zu Befehl, Altezza, und wollet verzeihen!« entgegnete ich, noch immer auf den Knien, »es ist, wie Ihr sagtet. Kein Goldmacher bin ich, sondern nur ein Gaukler. Doch bei Gott, nicht einer von jenen, so schnöden Gewinst suchen. Nach dem edlen Gut der Freiheit tracht ich, ein schuldlos Gefangener; und ferner noch einen zweiten Menschen, einen gänzlich unschuldigen, möcht ich befreien.«
Der Herzog unterbrach mich: »Einen zweiten Menschen? Und wer ist das?« – »Das ist die Tochter des Grafen Andreas Schlick, den man zu Prag enthauptet hat; die junge Gräfin Thekla ist es, eingekerkert in derselben Burg, die auch mein Gefängnis war. Manch nächtliche Stunde hab ich gemeinsam mit dem Fräulein durchgrübelt, uns beide frei zu machen, und rund herausgesagt: die Gabe, so ich von Euer Altezza erbitten möchte, ist der Jungfer Gräfin Befreiung.«
Belustigt blickte Wallenstein auf Seno, wandte sich dann wieder zu mir und meinte: »Ei warum flog Er ins Freie, wenn sein Gefängnis ein so weich Vogelnestlein? Als Goldmacher mit einer holden Gräfin hausen, ist doch kein übel Los. Mich wundert nur, daß der Slawata die beiden Vögelein zusammensperrte. Oder wie seid ihr beide zusammenkommen? Das alles soll Er jetzo beichten, dieweilen wir auf diesem Blütenteppich rasten wollen.«
Und der Herzog schritt nach dem Rasenplatze inmitten der
Auf Wallensteins Wink trat ich vor und berichtete nun alles so ziemlich der Wahrheit
getreu. Wie ich aufs Dach gekrochen und durch den Schornstein der Jungfer Gräfin vor
die Füße gefallen sei, als sie gerade zur Harfe sang. Der Herzog nebst seiner
Begleitung brach in Gelächter aus. Ich erzählte ferner von meiner erfundenen Tinte
und dem geheimen Brief an den Oheim. Glaubte aber verschweigen zu sollen, daß ich
einen Schatz des Grafen Schlick gefunden, und daß der Buchstabe Z ihn angedeutet
habe. Sagte bloß, Jungfer Thekla habe mir Dukaten gegeben aus dem Erbe ihres Vaters,
und ich habe dies Gold angewandt, um Seno vorzugaukeln, daß ich ein Adepte sei.«
Wütend blitzte mich Seno an. Wallenstein aber lachte und ermunterte mich, frei zu
reden. So schilderte ich denn, wie ich an Stelle des unverfänglichen Tiegels den
andern mit dem verborgenen Golde gebracht hatte. Abermals erhub sich Gelächter. Seno
machte ein mürrisch Gesicht. An seinem Verdruß weidete sich der Herzog und sprach
übermütig: »Goldmachen ist gewiß eine wackere Kunst, doch mir ist nur ein einzig
Rezept dafür bekannt, auf das man sich verlassen kann. Nimm Salpeter, Schwefel, Kohle
und mache Schießpulver. Das kann zu Golde werden, so du es recht verwendest. Gelb
Metall ist genung von unserm Herrgott geschaffen worden, wir Menschen brauchen dem
Schöpfer nicht ins Handwerk zu pfuschen. Es stehet uns auch übel an, Kohlen zu blasen
und im stinkigen Laboratorio unter Hüsteln und Spintisieren die Lebenszeit zu
vertrödeln, genasführet von abergläubischen Idolen und wurmstichigen Scharteken. Ist
es denn nicht würdiger, der Drommete und Trommel folgend, das Gold aufzuraffen, wie
es Gott geschaffen hat? Zusammenzuscharren, wo er es über die Lande hin verstreute?«
Noch einmal richtete Wallenstein
Außer mir vor Freude stürzte ich vor dem Herzog nieder und wollte seine Hand küssen, die er mir jedoch entzog.
Seno machte ein Bedenken geltend: »Das wird Slawata Euer Altezza verübeln.« Grimmen Hohnes gab Wallenstein zurück: »Um so besser! Diesen Oberstkanzler ärgere ich gern. Die böhmischen Rebellen taten nicht klug, daß sie ihn aus dem Fenster stürzten – hätten lieber capite rapite machen und ihn zu Stücken hauen sollen. Die Canaglia ist schuld, daß wir morgen nach Bayern aufbrechen, wo die Kurhüte sich zusammenrotten, mir das Generalat abzunehmen. Wohlan denn, wofern's die Sterne wollen! Mag der Kaiser probieren, ohne mich auszukommen. Mir ist es unerträglich, von jemand zu dependieren. Doch Ferdinandus dependiere von mir! Bald soll er mich von neuem rufen. Es wehet allbereits ein rauher Wind aus Mitternacht. Den nordischen Leuen hör ich brüllen. Cave leonem, Ferdinande!« Bei diesen Worten war Wallenstein heftig und schiefrig worden, indessen seine Begleiter in Spannung lauschten.
Mir gab das dankbare Herz eine treffliche Losung ein. Ich schwenkete meinen Hut und rief: »Vivat Altezza!« Da sprangen die Herren vom Rasen und umjubelten unter Hüteschwenken den Herzog: »Vivat Altezza! Evviva!« Auch in böheimischer Sprache erschollen Zurufe.
Stolz blickte Wallenstein in die Runde. Dann verabschiedete er mich mit einem Wink
und sprach zu einem Offizier, der mit Seno in Wasenstein gewesen: »Unverzüglich soll
Er nach Wasenstein zurück, die junge Gräfin Schlick zu befreien. Nehm Er aber mehr
Leute mit und schau Er, daß Er mit
Noch einmal beugte ich das Knie vor dem Herzog, neigte mich vor dem Grafen Max und den andern Herren und trat zum Offizier, der allsogleich den anwesenden Soldaten den Befehl zum Abrücken gab. Ich schloß mich an, und nun ging es den Weg zurück, den wir gekommen waren.
Im Dorfe drunten, am Mummelbach, wo die Pferde harreten, nahmen wir rasch ein Mittagsmahl und, nachdem der Offizier Verstärkung seiner Mannschaft requiriert hatte, schwangen wir uns in den Sattel und trabten gen Wasenstein. Die Sonne sank glutig hinter die Wälder, als wir vor dem Burgtor anlangten. Die Zugbrücke war hochgezogen, aus den Schießscharten lugten Musketen, und des Vogtes Stimme rief barsch: »Was ist euer Begehr?« – »Obacht!« gebot der Offizier; »laß Er augenblicklich die Musketen einziehen und die Zugbrücke fallen. Befehl des Herzogs von Friedland! Wer nicht gehorcht, soll büßen. Morgen reiset Seine Altezza unter starker Bedeckung nach Bayern und kommt hier nahe vorbei. Drum verständig, Herr Burgvogt! Öffne Er das Tor. Hier bringen wir auch den Goldmacher.« – Nach etlichem Schweigen kam des Vogtes Antwort: »So Ihr den Goldmacher wiederbringet, sollet Ihr willkommen sein.« Und nieder ging die Zugbrücke, das Tor ward aufgetan, wir ritten hinein.
Ich tat einen Jauchzer hinan zum Fenster der Jungfer Thekla. Ohne Verzug ordnete der Offizier ihre Freilassung an. Dem Vogte half kein Protestieren. Als aus ihres Gefängnisses Türe die Geliebte mir entgegen trat, frohes Hoffen im Auge, da stürzte ich wortlos zu ihren Füßen und konnte nichts tun, als ihre Hand immer nur küssen und glückselig aufschauen.
Wir zögerten nicht, uns in die Freiheit zu begeben, und nur geringe Habe ließ die
Jungfer durch Marianka zu einem Bündel schnüren. Verstohlen tat sie Goldstücke in
meine
Ohne Säumen verfolgten wir unser Ziel, und in leiser Zwiesprach überlegte ich mit Jungfer Thekla, wie zu reisen für uns das Ratsamste. Tat den Vorschlag, in Tannwald die Soldaten zu beurlauben und uns daselbst drei Pferde zu beschaffen. Da nämlich zu erwarten, daß der Vogt uns nachsetzen werde, so galt es, unsere weitere Spur zu verbergen. Es durfte niemand erfahren, wohin von Tannwald unsere Reise ging. Die Jungfer Gräfin stimmte meinem Plane bei, änderte ihn jedoch in einem Punkte ab: »Marianka muß in Tannwald bleiben. Sie kann das Reiten nicht vertragen und ist bereits jetzt dem Hinfallen nahe. Ǖbrigens hat sie einen Bruder in Schwarzbrunn wohnen und wird froh sein, so wir ihr keine weitere Reise zumuten. Später einmal, wann ich eine ruhige Stätte gefunden, mag sie zu mir kommen.«
Nach dieser Verabredung taten wir. In Tannwald belohnten wir den Offizier und die
Soldaten und ließen sie heim reiten, während wir von einem Gastwirte für gutes Geld
zwei Pferde kauften, mit der Angabe, wir wollten über Gablonz nach Kursachsen reisen.
Selbiges sagten wir auch Marianka und rieten ihr, im Gasthause zu übernachten, andern
Tages aber ihren Bruder aufzusuchen. Da ihr die Jungfer Gräfin reichlich Geld gab, so
war die gute Dienerin
Nach einem kurzen Ritte in der Richtung von Gablonz bogen wir rechts in den Wald und fanden im Mondschein einen Pfad, der gen Weisbach führte, lenkten indessen gleich darauf wiederum ab, und zwar gen Morgen. Zween Bäche überschritten wir und kamen an den Kleinen Iser. Hier hatte mich vor drei Jahren das Waldvöglein gewarnet. Zur Linken lag der Wälsche Kamm. Wald dunkelte auf beiden Seiten. Wir waren zum Hinstürzen müde und schwiegen. Einmal hielt ich mein Pferd und des Fräuleins Pferd an; Hufschläge glaubte ich hinter uns gehört zu haben, es war aber nur der Widerhall unseres Trabes. Der Nachthauch raunete durch die Tannen, fernes Gewässer rauschte, manchmal schrie eine Eule, auch Wölfe hörten mir bellen.
Als der Tag graute, waren wir unweit der Abendburg, trabten ins Weißbachtal und
langten beim Lodern der Morgenröte vor Preißlers Glashütte an. Unterwegs hatten wir
verabredet, Frau Preislerin zu bitten, die Jungfer bei sich aufzunehmen. In Oheims
Haus konnte sie nicht gut wohnen, weil er kein eigen Gemach für sie besaß, auch aus
dem Grunde, weil jegliches Aufsehen in der Nachbarschaft vermieden werden mußte. Es
traf sich gut, daß bei unserer Ankunft die Preislerin gerade allein vor ihrem
Wohnhause war, das Gärtel begießend. Trotz des Bartes, der mir gewachsen war,
erkannte sie mich wieder, wobei sie einer traurigen Rührung unterlag, im Angedenken
an ihre selige Elfriede. Als ich mein Anliegen vorgetragen und für die Jungfer um
Schutz gebeten hatte, war die gute Frau gern bereit und traf sofort Anstalten, ihren
Gast zu beherbergen. Es sei ihr eine Herzensfreude, sagte sie, einer Landsmännin
beizustehen, die gleich ihr des evangelischen Glaubens halber aus Böheim habe
flüchten müssen, und sie
Ohne daß mich bisher, außer der Preislerin und ihrem Sohne, jemand gesehen hatte, ging ich zu Fuß über den Hüttberg ins Tal des Böhmischen Furt und begrüßte mit stillem Jubel des Oheims Häusel. Der alten Beate, so ebenfalls die Blumen begoß, jauchzete ich unter Schwenken des Hutes zu. Sie hub die Hände hoch und eilte ins Laboratorium, aus dem sie gleich darauf nebst dem Oheim kam. Er eilte mir entgegen und drückte mich schluchzend an seine Brust. In der Balkenstube gab ich kurzen Bericht von meinem Schicksal und bat, den Nachbarn nichts davon zu sagen. Zum Umfallen matt, legte ich mich schlafen und erwachte erst bei sinkender Sonne. Als ich genauer die Begebenheiten erzählt hatte, war es mir lieb, zu vernehmen, daß meine Ankunft von den Nachbarn nicht bemerkt war, und daß keine Rede über den Gast bei Preislers ging. Absichtlich unterließ ich in den nächsten Tagen einen Besuch bei Preislers.
Wie ich schließlich hinging, wäre ich beinahe dem Unheil in die Fänge gelaufen.
Bewaffnete Reiter kamen mir entgegen, und ich wußte sofort, es seien meine Verfolger,
da ich unter ihnen den Vogt erkannte. Sprang also vom Wege ins Gebüsch und barg mich
hinter Felsenblöcken. Ich war nicht bemerkt worden und hörte die Rosse vorüber
trappen. Hierauf schlich ich auf versteckten Pfaden zur Glashütte. Beim Wohnhause
traf ich die Preislerin, die ein erschreckt Gesicht machte und mich in die Stube zog.
Drinnen war Thekla mit dem Schnüren eines Bündels beschäftigt. »Ihr beide müsset auf
Während wir nun bergan stiegen, sagte ich der Jungfer, was Sehnsucht ich in diesen Tagen nach ihr empfunden habe, und daß ich sie schützen wolle bis zu meinem letzten Blutstropfen. Thekla blieb stehen, drückte innig meine Hand und schaute mir ins Auge mit einem dankbaren Blicke, der wie süßer Feuerwein durch meine Adern rann.
Ich wählte den Weg über den Weißen Flins, um nach einer Wasserlache zu sehen, die
früher dort gewesen, und deren wir zum Trinken bedürfen konnten. Auf den
Flinsblöcken, so
Wir gingen nun auf schmalem Bergesrücken über wirre Blöcke durch Tannendickicht zur
Abendburg, die wir bei Sonnenuntergang erreichten. Ich fand den Ort so, wie er in
meiner Erinnerung stund – nur daß zu meiner Knabenzeit der Felsen größer erschienen
war. Ich wies der Jungfer Gräfin das Flinsgestein im schwarzen Granit, das Giacomini
eine weiße Pforte genannt hatte, und sprach: »Hier ist die Stätte, wo ich vor zwölf
Jahren jenen Schatz heben wollte, so mir zigeunerische Weissagung verheißen. Ein
Schatz von Golde ist mir nicht worden – so mag es ein Schatz der Herzenskammer sein,
und den kann mir keine andere Magie verschaffen, als des hochgeborenen Fräuleins
Gnade.« – Thekla schüttelte freundlich das Haupt und erwiderte leuchtenden Auges:
»Der Zauberspruch, diesen Schatz zu heben, lautet: Wag's Knab, wag's!« Da war es
nicht mehr die Abendburg, was düster und hart vor mir ragte, sondern mein
Ich kletterte nun zur Grotte hinan und kroch in die Öffnung, die einem Menschen das Durchschlüpfen verstattete. Kaum war Thekla ebenfalls eingedrungen, so kam aus einem Felsenwinkel ein Knurren wie von einem Hunde. Den Spieß gezückt, starrte ich hin. Wie mein Auge der Dunkelheit gewöhnt war, sah ich funkelnde Augen und dunkle Körper. »Junge Wölfe sind es!« rief ich und wollte eben zustoßen. Aber Thekla hielt mir den Arm: »Wenn es bloß junge sind, so mögen sie am Leben bleiben.« – »Es sind Raubtiere.« – »Aber sie haben eine Mutter.« – »Die wird gleich kommen,« gab ich zu bedenken. – »Gerade deshalb,« erwiderte Thekla; »wenn sie ihre Kinder nicht findet, wird sie die Grotte grimm umlauern. Wir wollen lieber die Wölflein hinaussetzen.« Dieser Rat leuchtete mir ein, behutsam näherte ich mich dem Wolfsnest, packte eins der Tiere am Genick und setzete es zur Öffnung der Grotte hinaus. So verfuhr ich auch mit den übrigen. Schließlich kroch ich ebenfalls hinaus und trug die jungen Wölfe weiter weg.
Dürre Äste brach ich hierauf von den Tannen und schleppte etliche Arme voll in die
Grotte, damit wir Feuer machen konnten. Nachdem ich die Öffnung durch eingezwängte
Steine verschlossen und das Holz entzündet hatte, setzeten wir uns ums Feuer und
öffneten das Bündel, uns durch Speise und Wein zu erquicken. Auf ihren Wunsch
berichtete ich der Jungfer alles, was ich von der Abendburg wußte. Sowohl die Mären,
die unter den Gebirglern umgingen, als auch die Schatzbeschwörung, der ich als Knabe
beigewohnt hatte. »Ich will Ihm seine Erzählung durch eine andere vergelten,« sprach
die Jungfer, »will berichten, was für Bewandtnis es mit dem von mir gedeuteten Ruf
des Raben hat. Nach ihm benennet sich das ritterliche Geschlecht der Wachsknapp,
dessen Begründer ein Freund meines Oheims gewesen.
Auf hartem Lager suchten wir den Schlaf, nachdem ich für Theklas Haupt eine Art Pfühl
zurecht gemacht. Mich wollte keine Ruh begnaden, da ich fortwährend den düstern
Felsen meines künftigen Geschickes ungeduldig beschwur. Nach
Seltsam war die Nacht, die wir verbrachten. Bald wechselten wir Worte miteinander, bald sank das Fräulein in Schlaf, bald nickte auch mein Haupt auf die Brust. Doch fuhr ich empor, weil die Tiere kläfften und winselten, griff nach des Fräuleins Hand und drückte sie zärtlich. Nun gaukelte die Phantasei das Schloß der Abendburg vor meine Sinne, die Fenster sah ich gleißen und drang durch die weiße Pforte ins Gewölbe, wo Gold wie Tannenzapfen hing. Dann war ich auf der Burg Wasenstein und hörte das wundersame Harfen. Immer von neuem aber fuhr ich empor, wann das Geheul wieder losging.
Doch der Morgen verscheuchte die Bestien, und als ich die Steine von der Öffnung tat, lachte im Sonnenscheine der Bergwald. Kaum hatten wir die Höhle verlassen, so scholl fern ein Ruf. Anfangs beunruhigt, vernahm ich, daß es der Oheim war, der meinen Namen rief. Ich antwortete, und der Oheim brachte den Bericht, die Luft sei rein, da unsere Verfolger sich hätten nach Hirschberg locken lassen.
Wiewohl die geliebte Jungfer Thekla zugesagt hatte, mich bei sich zu behalten, kam es nun doch zu einer zeitweiligen Trennung. Barbara Agnes, des Herrn Schaffgotsch Gemahlin, an die sich Thekla brieflich um Beistand gewandt, schrieb, sie möge zu ihr auf das Kemnitzer Schloß kommen, obzwar daselbst nicht für die Dauer ein Asylum zu erwarten sei. Dorthin wandte sich nun Thekla, von bewaffneten Dienern der Schaffgotschin geleitet. Es war Thekla insonderheit darum zu tun, ihre Schwester Elisabeth ausfindig zu machen. Ich blieb beim Oheim – unter stetem Sehnen nach der geliebten Jungfer.
»Wiewohl noch weiter in die Ferne verzogen, hoffe ich doch, in wenigen Wochen meinen
treuen Johannem wiederzusehen, wofern er nämlich noch gesonnen, mir zur Schwester
Elisabeth zu folgen. Diese Zeilen schreibe ich aus Dresden, wo ich im Hause einer
böhmischen Emigrantin Zuflucht gefunden habe. Bei der Schaffgottschin mochte ich
nicht länger bleiben, da ihr Mann Gefahr lief, dem Grafen Dohna und anderen Herren,
die ihn feindselig umlauern, Anlaß zur Beschwerde bei Hofe zu geben, indem er der
Tochter des Rebellen Schlick Unterschlupf verstatte. Übrigens ist die Schaffgotschin
krank und wird wohl sterben. In Mannskleidern bin ich mit dem Kemnitzer
Schloßhauptmann nach Dresden gereist, wo ich unter dem Namen Junker Jaroslaus bei der
Wittfraue des edeln Herrn Selnicki lebe und für ihres Bruders Sohn gelte. Gestern nun
ist Nachricht von meiner Schwester aus den Niederlanden eingetroffen. Ihr Mann,
Dietrich Falkenberg, des Schwedenkönigs Gustavi Hofmarschall, gehet auf Befehl seines
Herrn nach Magdeburg, und Elisabeth will ihn begleiten. Das Erzstift Magdeburg, mit
dem Kaiser völlig zerfallen, hat ein Schutz- und Trutzbündnis mit König Gustavo
geschlossen. Er kommet den Evangelischen in Teutschland zu Hülfe und soll ein
schlagfertig Volk zusammenhaben. Unsere gute Sache wird siegen. Zwar tritt der
ligistische Tilly den Schweden und Magdeburgern entgegen. Die kaiserische Armada aber
muß zerfallen, da ihre Seele, Wallenstein, ausgetrieben ist. Diesen bisherigen
Generalissimum hat der katholische Fürstentag zu Regensburg dem Kaiser verleidet. Auf
daß nun der Kaiser nicht in neue Angst gerate und etwa gar am Wallenstein festhalte,
hat man ihm die Schwedengefahr als eine Winzigkeit hingestellt. Wie die Botschaft
anlangte, Gustavus werde einfallen, war die jagdlustige Majestät im Begriff, wieder
einmal Dianen zu huldigen, und ließ sich nicht davon
Mit Jubel erfüllte mich dies Schreiben, und ich eröffnete dem Oheim, daß ich unverzüglich nach Dresden und dann nach Magdeburg reisen wolle, meine Vaterstadt gen die Papisten zu verteidigen. Des Oheims trübselige Einrede und Beatens Zähren änderten nichts an meinem Entschlusse. Nachdem ich von Preislers Abschied genommen, holte ich aus ihrem Stalle das in Böhmen gekaufte Pferd. Vom Gelde, das mir die Jungfer Gräfin eingehändigt, ließ ich einen Teil beim Oheim, auch die drei gekreuzten Dukaten, so ich als Andenken an meine seligen Eltern bisher im Wamse getragen. Nebst meinem Tiere reisefertig, auch mit Waffen und Zehrung versehen, gab ich in der Morgenfrühe meinen Lieben Umarmung und Valet und ritt übers Isergebirge. Andern Tages gings durch die Lausitz, und schon am dritten Abende langete ich zu Dresden an, stellte mein Pferde in einem Gasthause ein und suchte klopfenden Herzens die Wohnung der Frau von Selnicki. In seltsamer Verwirrung begrüßte ich die Jungfer Gräfin, die in männlichem Gewande, mit kurzgeschnittenen Locken einem schönen Knaben ähnlich war. Da ich zärtlich ihre Hand küßte, lächelte sie: »Ich bin jetzo der Junker Jaroslaus.«
Unverzüglich wollten wir nach Magdeburg reisen, weil es
Zu Wittenberg fanden wir einen schwedischen Feldwaibel mit dem Anwerben von Söldnern für Magdeburg beschäftigt. Obwohl der Kurfürst Fremden keine Musterung in seinem Lande verstattete, konnten die schwedischen Werber ihres Amtes walten, weil Bürger und Bauern die Magdeburgische Sache begünstigten. »Vom Kaiser und der Liga« – so sagten sie – »ist nur Schlimmes zu gewärtigen. König Gustavus hingegen rettet vielleicht den evangelischen Glauben und unsern Kurfürsten dazu, zumal er ihm verschwähert ist.«
Nachdem wir unsere Pferde in einer Herberge untergebracht hatten, begab ich mich zum Werber, der unter Trommelwirbel und Pfeifenklang den herbeigeströmten Gesellen das Laufgeld bot. Die bereits Angeworbenen hatten Tannenzweige auf die Hüte gesteckt und sprachen unter Johlen dem gespendeten Biere zu. Ich eröffnete dem Feldwaibel, auch ich wolle gern zur schwedischen Fahne, jedoch erst in Magdeburg, wohin ich meinen Herrn, einen böhmischen Junker, zu begleiten habe. »So kommet auf meinen Kahn,« sagte der Feldwaibel, »morgen früh fährt er abwärts mit meinen Rekruten. Nur auf der Wasserstraße gelanget man nach Magdeburg, ohne Gefahr zu laufen, von streifenden Parteien gefangen zu werden.«
Diese Mitteilung brachte mich in Verlegenheit. Ich mochte die Jungfer Gräfin nicht
unter trunkene Soldaten bringen, aber auch nicht der Feindesgefahr aussetzen.
Schließlich machte ich mit dem Werber aus, daß ich mit meinem Junker möglichst weit
zu Pferde reisen und erst zu Beginn des Magdeburgischen Gebietes den Kahn besteigen
werde. Zum Treffpunkt bestimmten wir das Städtchen Aken, wo der
Andern Tages ritt ich mit Thekla nach Aken, und nachdem wir daselbst übernachtet hatten, langte der Kahn mit den Soldaten an. Ich stellte dem schwedischen Feldwaibel meinen Junker Jaroslaus vor, und wir begaben uns nebst den neuen Rekruten auf den geräumigen Kahn. Da der Wind in die Segel griff und starke Strömung war, so hatten die Ruderer leichte Arbeit, hurtig flogen die Weidengebüsche, Wälder, Auen und Dörflein vorüber. Sonsten war unsere Reise nicht anmutig, dieweilen die Soldateska unaufhörlich Bier trank und johlte. Wiederholt mußte ich Kerle zurückdrängen, wenn sie meinem Junker zu nahe kamen oder Kameradschaft mit ihm trinken wollten. Hätte mich nicht der Feldwaibel in Schutz genommen, ich wäre in Streit mit den Söldnern geraten. Denk ich an diese Reise zurück, so klinget mir ein Lied vor den Ohren, das man auf dem Kahne wieder und wieder sang:
»Ein Schifflein sah ich fahren,
Kapitän und Leutenant.
Darinnen waren verladen
Zwei Fähnlein brave Soldaten.
Kapitän, Leutenant,
Fähnderich, Sergeant,
Nimm das Mädel, nimm das Mädel,
Nimm das Mädel bei der Hand –
Soldaten, Kameraden!«
Über dem linken Ufer sank rot die Sonne nieder, als in der Ferne der Dom von
Magdeburg auftauchte, und dann kamen wir an Buckau und Sudenburg vorbei. Eine Zähre
im Auge, begrüßte ich die vaterländischen Gefilde und nennete meinem lieben Junker
die Dörfer und die Insel Rotehagen. Böllerschüsse donnerten uns zum Gruße vom
südlichen Rondell entgegen, und nun lag die Stadt in ihrer Breite vor uns mit Wällen,
Mauern und Verteidigungstürmen, mit wimmelnden Bürgerhäusern und ihren zwanzig
Kirchen, die düster in den gelben Abendhimmel ragten.
»O Magdeburg, halt feste,
Du wohlgebauet Haus!«
Da mit dem Schwedenkönig ausgemacht war, die Soldaten hätten außerhalb der Stadtmauer zu quartieren, so mußten wir an der Altstadt vorbei und legten erst in der Neustadt an.
Die Sehnsucht nach ihrer Schwester trieb Thekla, sich unverzüglich in die Altstadt zu begeben. Ich geleitete sie bis zur Hohen Pforte, wo ich nebst ihrem Ade einen innigen Dank empfing und dann zurückkehren mußte, dieweilen ich ja als schwedischer Rekrut keinen Einlaß erhielt.
In einem Bretterhause mit dem angeworbenen Volk kampierend, fand ich wenig Schlaf, da mich der Kameraden Lallen und Schnarchen störte, und ich mit Betrübnis von neuem inne ward, wie doch das Fräulein Gräfin gar so weit von mir getrennet war.
Allsogleich des andern Tages sind wir geworbenen Söldner im Angesicht der Neustädtischen Kirche versammelt worden und haben gemeiniglich zu ihrer schwedischen Majestät Fahne geschworen. Da hat uns der Oberste Falkenberg, ein fester teutscher Mann, vermahnt, hinfort wie zusammengeschmiedet Eisen stark und treu beieinander zu stahn und die evangelische Freiheit, insonderheit itzo die Magdeburgische Festung, unserm Schirm anvertrauet, allezeit aufrecht und mannlich zu verteidigen, wie es ehrliebenden Kriegsleuten gebühre. So es aber nicht anders sein könne, sei es preiswert, als redliche Mannschaft im Felde zu sterben für Gottes Ehre und unserer Nachfahren Libertät.
Wie unser Exercitium losgegangen, hat der Oberste Falkenberg vor meiner Kompagnie ausgerufen: »Rekrut Tielsch!« Ich antwortete laut und rannte hin. Wie ich salutierend vor dem Herrn stund, blickte sein blaues Auge durchdringend, aber freundlich: »Ich danke Ihm, Tielsch, daß Er kühn und klug meine Schwäherin aus ihrer Gefangenschaft befreit und wohlbehalten hergebracht hat. Jungfer Thekla ist Ihm eine Fürsprecherin; so Er nur zur Hälfte ihrer Lobsprüche würdig ist, wird aus Ihm ein tüchtiger Soldat und – wofern der Herrgott unser Leben erhält, ein Offizier.« – Solche Rede freute mich unbändig. Auf des Obersten Wink trat ich wieder in Reih und Glied. Hei, wie voller Valeur hab ich nun in meiner Kompagnie auf der Neustädtischen Schafweide Stechen, Hauen und Parieren, auch allerlei Finten geübt, ferner das feste Stillestehen, hurtige Laufen und Formieren nach den unterschiedlichen Befehlen und Hornsignalen. Schon die Woche darauf sind uns Musketen und Hakenbüchsen ausgehändigt worden, und nun hat das Zielen, Laden und Scheibenschießen angehoben. Nicht der kalte Wind Decembris, nicht herabgießender Regen und Schneegestöber hat uns verdrossen. Und so wir abends im Barackenquartier unser Kommisbrot mit Speck verzehreten, wohl gar einen Trunk Zerbster Bieres dazu, ließ unser Mut sich fröhlich im Gesange aus:
»Frisch auf ins weite Feld!
Zu Wasser und zu Lande
Bin ich Soldat ums Geld.
Weil alle Leute schlafen,
Soldaten müssen wachen,
Dazu sein sie bestellt!«
»Zu Magdeburg, der werten,
Tummeln sich Völker viel,
Zu Fuß und auch zu Pferden
Treiben sie Waffenspiel.
Im Schilde überm Tore
Da steht ein Mägdelein,
Sein Händlein hat erkoren
Ein Rautenkränzelein.
Das Mägdlein spricht: Hie schauet
Die Burg der freien Magd!
Der Unschuld anvertrauet,
Vor Feinden unverzagt.
So einer auf der Freiten
Mein Kränzelein begehrt,
Der muß zuvörderst streiten
Gen manches Helden Schwert.
Mich halten wohlbeschirmet
Geschütz und Mauerstein.
Komm nur herangestürmet,
Du freches Freierlein!«
Hinter mir scholl es dumpf von den Türmen. Ich kannte sie alle von meiner Kindheit
her, die erzenen Munde von Sankt Johannis, Sankt Katharinen, Sankt Jakobi, Sankt
Ulrich, Sankt Sebastian, vom Liebfrauenkloster und endlich die
Wie ich des andern Tages den Schlaf, so auf der Wacht versäumet war, etlichermaßen nachholete, ward ich aufgewecket von meinem Korporal, dieweil ein Bote für mich gekommen. Es war ein Page des Obersten Falkenberg. Er führete mich beiseite und tat in meine Hand ein Päcklein, auf dessen Siegel das gräflich Schlicksche Wappen gedrücket war, mir wohlbekannt von Theklas Ringe. Ich gab dem Pagen einen Botenlohn und hieß ihn beim Marketender harren, ob etwan eilige Antwort auf diese Post vonnöten.
Klopfenden Herzens öffnete ich das Päcklein. Es enthielt einen Beutel mit Dukaten nebst einem Briefel, also lautend:
»Mein getreuer Johannes wolle doch nit denken, daß ich sein vergessen, seit wir
einander aus den Augen gekommen. Nehme Er meines Herzens Gruß und meines Dankes ein
Zeichen. Soldaten bedürfen Geldes, sintemalen Kommisbrot trucken schmecket, und
bekanntermaßen die Herren Offiziere nicht gern einen armen Schlucker avancieren
lassen. Ei ja, die Welt fordert zu einem guten Gemälde auch einen güldenen Rahmen.
Präsentier Er sich also den Herren Fürgesetzten, wie sie es gerne haben, mit etlichem
Edelmetalle, auf daß Er, wie zum Exempel der heldenhafte Oberste Aldringen,
Dies Schreiben erregte mir viel Freude, aber auch einen Beigeschmack von Verdruß und Trutz. Schrieb ohne Verzug die Antwort, tat sie nebst den Dukaten zusammen und händigte das Packet versiegelt dem Pagen für die Jungfer Gräfin ein. Es lautete aber mein Briefel:
»In gebührender Reverenz hab ich empfangen, was mein hochgeehrt Fräulein mir geschrieben. Hab's für eine Gnade gehalten, daß Sie bemühet gewesen, mich mit einem Gruße und Beistande zu würdigen. Von Herzen danke ich Ihr die gute Affektion, so Sie gen mich heget, und bitte den Himmel, daß er Sie zu dem Schlusse führe, den mein adlig Fräulein in Aussicht stellet. Indessen verzeihe Sie ihrem Knechte, daß er die beigelegte Gabe, so ehrenvoll sie ist, wieder in Ihre Hand zurückgibt. Meine Dienste für das holdselige Fräulein haben mir einen Lohn eingebracht, vor dem alles Gold nur eitel Armutei bedeutet. Was aber mein Avancement anlangt, so möcht ich vor den Augen meiner Herrin einzig durch eigen Verdienst und Kraft zu Rang und Ehren kommen. Avancement durch Fräuleins Gunst gibt es für mich nur im Reiche des Herzens. Also ist einer gesonnen, so nimmer die Losung vergisset: Wag's Knab.« –
Um sich der Stadt besser zu versichern und sein Kriegsvolk allmählig daselbst einzunisten, setzete Falkenberg durch, daß etliche hundert Soldaten aus den Vorstädten nach Magdeburg hinein quartieren durften. Auch meine Kompagnie erhielt Befehl, sich marschfertig zu machen. Jedoch mußten wir, bevor die Hohe Pforte uns geöffnet ward, dem Burgemeister, Herrn Kühlwein, geloben, zu der Stadt Versicherung in aller Treue das Bündnis zu wahren und gute Disziplin zu halten.
Hierauf so zog ich ins alte gute Vaterland, das ich kindlichen Alters verlassen, aufs
neue ein, diesmal ein mannhafter
Ich erhielt Befehl, mich nebst meinem Korporal zum Kaufherrn Schmidt zu begeben, der ein gut steinernes Haus neben der Ringapotheke besaß. Als wir zur Stelle kamen, stund vor der Apotheke eine gedoppelte Schildwache, woran zu erkennen, daß allhie der Oberste Falkenberg sein Losament habe. Wie eine Lerche jubelte mein Herz, als in einem oberen Fenster Jungfer Thekla sichtbar ward, und unsere Blicke einander trafen, wobei eine holde Glut ihr Antlitz übergoß. Da wußte ich, daß nicht der Zufall mich an diesen Ort geführet. Stumm, doch inniglich dankete ich dem Fräulein, die linke Hand auf mein Herze gedrückt.
Daß der Oberste Falkenberg mir wohlgesinnet, bewies er gleich in den ersten Tagen meines neuen Quartiers. Es war kurz vor Weihnachten, und der Abend dämmerte. Ich wollte eines dienstfreien Stündleins genießen und wandelte über den beschneiten Ring durch die Reihen der Buden, in denen allerlei Kram feil geboten ward. Die aus Fichtenreisern geflochtenen, bunt gezierten Weihnachtspyramiden betrachtete ich stillfrohen Sinnes, als wäre ich noch ein Knabe, und als gäbe es keine Waffen, keine Feinde.
Da vernahm ich hinter mir Sporenklirren, und als ich mich umwandte, stund da der Oberste Falkenberg. Allsogleich grüßete ich ihn soldatisch und harrte des Befehls. Er sahe mir scharf ins Auge und sprach: »Ist es wahr, daß Er ein flotter Reiter?«
Ich entgegnete: »Vor Jahren hab ich manch Roß des Herrn Schaffgotsch probieret. Seines Gestütes Verwalter war mir gewogen und sah es gern, wenn ich beim Zureiten half.«
»Ja, Herr Oberster!«
»So bring Er diese Post eilends dem Kapitän Rote zu Langenweddingen und kehre sofort mit der Antwort heim. Doch seh Er sich für; die Pappenheimer streifen bereits bis Buckau. Wird Er von den Unsrigen angerufen, so nenne Er die Losung: Vivat Gustavus und füge hinzu: Courier vom Obersten. Wohlan, melde Er sich sofort der Hauptwache, wo man ihm ein Pferd geben wird, und Gott befohlen.« Falkenberg reichte mir den Brief, den ich in meinem Koller barg, worauf ich frohen Mutes den Herrn grüßte und zur Hauptwache eilte. Der wachthabende Offizier wies mir ein tüchtig Pferd an, auch Säbel und Pistol. Ich lud die Waffe, tat dem Pferde Zaum, Gurt und Sattel an, schwang mich hinauf und trabte los.
Als ich Sudenburg passiert hatte, ging's im Galopp voran. Die Nacht war eingebrochen; der von Sternen angeflimmerte Schnee verbreitete ein Dämmerlicht, darin die kahlen Hecken und Bäume zu beiden Seiten der Landstraße dunkle Wegweiser bildeten. Die Gegend war völlig einsam, nur hin und wieder verriet Hundegebell ein Gehöft in der Nähe.
Dicht vor Langenweddingen kam ein Reiter mir entgegengetrabt, den ich für einen Posten des Kapitäns Rote hielt. Zur Sicherheit aber spannte ich den Hahn meines Pistols, hielt mein Pferd an und zielte auf den Reiter. »Wer da? Losung!« rief er, und ich erwiderte: »Vivat Gustavus! Courier vom Obersten!«
Da schoß mir krachend ein Feuerstrahl entgegen, und mein Pferd brach unter mir
zusammen. Ich kam jedoch auf die Beine zu stehen und brannte auf den Reiter ab, da er
allbereits zum Hiebe ausholte. Er stürzte und lag am Boden.
Aus Langenweddingen kam mir ein Trupp Reiter entgegen, und ihr Führer war Kapitän Rote. Ich folgte ihm in das Wirtshaus, wo er quartierte, übergab ihm die Post von Falkenberg und berichtete, was vorgefallen. Er ließ sich die Brieftasche zeigen und fand darin ein chiffriertes Schreiben. »Versäum Er nicht, gleich nach der Heimkehr dem Herrn Obersten dies Papier zu übergeben,« schärfte er mir ein. Dann schrieb er seine Antwort an Falkenberg, während ich mich an Warmbier labete.
Als ich gleich darauf wieder im Sattel saß, spürte ich, welch edeln Renner ich erbeutet. Fortuna war mir hold, so daß ich in kürzester Frist wieder nach Magdeburg gelangte. Fand den Obersten auf der Hauptwache, allwo er mit etlichen Hauptleuten Rates pflag. Als ich Meldung getan und die Papiere übergeben hatte, maß mich Herr Falkenberg heiter vom Haupt bis zu den Füßen und sprach: »Dieweilen Er seine Sache also gut ausgerichtet, mag Er bleiben, wozu Er unterwegs avanciert ist. Ein Dragoner soll er sein und gleich morgen in der Schwadron des Rittmeisters Pfeifer exerzieren.«
So war ich ein Reitersmann worden und auf der Staffel des Emporkommens eine Stufe höher gerücket. Denn ein Reitersmann übertraf nicht bloß an Solde den Fußknecht, sondern auch an Ansehen und hatte mehr Aussicht, Offizier zu werden. Als ich mich zu meinem Quartier begab, sahe ich ein Fenster der Falkenbergschen Wohnung erleuchtet, und mir kam der Gedanke, dort möchte vielleicht Thekla wachen. Dann wieder gestund ich mir, es werde wohl des Obersten Kammerdiener sein, so seines Herrn harre.
»Dank Euch, Witwe Schmidtin! Aber woher wußtet Ihr denn von meinem Ritte?«
Flüsternd gab die Alte zur Antwort: »Ei, von der Jungfer Gräfin! Am späten Abend ist sie zu mir herübergehuscht und hat mir vertrauet, wie Ihn der Oberste zu gefährlichem Werke ausgesandt habe. Gebanget hat sich das Fräulein – hat gesagt, sie könne nicht schlafen und wolle über der Bibel wachen. Habe ihr versprechen gemußt, gleich nach seiner Heimkehr durch Händeklatschen anzuzeigen, daß alles gut gegangen.« Und sie ging hinaus und klatschte in die Hände. Gleich darauf klirrete oben das Fenster. Ich drückte der guten Alten die Hand und begab mich zur Ruhe.
Nach kurzem Schlafe ward ich von meinem Korporal geweckt und aufgefordert, seine Waffen zu putzen. Als ich dies Werk verrichtet und auch meine Kleidung gesäubert hatte, wobei ich dem Korporal mein nächtlich Abenteuer erzählete, wollte ich mich zum Exerzierplatze begeben.
Vor die Haustür tretend, gewahrte ich einen Trupp Kurrendejungen, der vor des Obersten Quartier Aufstellung nahm. Der Sitte gemäß sang die Kurrende zur Adventszeit vor den Häusern fromme Lieder und heischete Gaben. Um die Laterne des Kantors geschart, intoniereten die Knaben: »Allein Gott in der Höh sei Ehr!« Andächtiglich schaute ich gen Himmel, und die Sterne sprachen mit ihrem friedlichen Schimmer: »Wir waren dabei, haben geleuchtet, als seine Gnade dich beschirmte diese Nacht. Und Dank für seine Gnade!«
Da tat sich die Haustür des Falkenbergschen Quartiers auf, und zwo Mägde brachten
eine dampfende Schüssel nebst Tassen und anderen Trinkgefäßen auf die Straße.
Das Reiterwesen fiel mir gar nicht schwer. Im Sattel saß ich wie ein altgedienter Reiter. Brauchte nur noch Säbelschlagen und Schwadron-Exercitium zu üben. Alles ging mir so gut vonstatten, daß ich nach sechs Wochen ein Gefreiter war und allbereits Korporaldienste tun durfte. Gern verwendete mich der Oberste als Courier und Ordinanz.
Im Februario des Jahres 1631 bekam die Stadt, von den Pappenheimern inzwischen immer schärfer blockiert, auf einmal Luft. General Tilly war auf die Nachricht vom übeln Zustande seiner Kriegsvölker an der Warthe und Oder mit drei Regimentern dorthin geeilt und alsdann ins Mechelnburgische gezogen, wo er den klüglich ausweichenden Schwedenkönig endlich zu fassen gedachte. Um aber zur Entscheidungsschlacht möglichst gerüstet zu sein, hatte Tilly von den Magdeburgischen Belagerungstruppen weggezogen, was irgend abkömmlich erschien. Also ward die Stadt derart von Feinden entblößet, daß es aussah, als solle das Donnerwetter ziemlich unschädlich vorüberziehen.
Südlich war der Feind bis Barby zurückgewichen. Seine Stellung zu erkunden, ritten wir am rechten Elbufer stromauf bis zu einer bewaldeten Insel, die Kreuzhorst geheißen, wo sich Pappenheimer eingenistet hatten. Indessen die Vorbereitungen zum Überfall des Feindes getroffen wurden, zog ich nebst vier anderen Dragonern auf Kundschaft über die Stadt Barby hinaus, in der Richtung auf Calbe.
Die Feuerrohre schußfertig, scharf die vereinzelten Ufergebüsche durchspähend,
trabten wir längs des Saaleflusses. Unter milden Sonnenstrahlen war das Eis
geschmolzen, die letzten Schollen trieben den gelben Fluß hinab; schon zierten
Ich wie ein Wolf über ihn her und packe seine Gurgel, während er mich bange anglotzt und mit gequetschter Stimme um Pardon bittet. Ich frage, ob er fortan der Stadt Magdeburg diene wolle, worauf er ja sagt. Hierauf binde ich seine Hände mit Weidenruten auf den Rücken und zücke den Säbel: »Nun sag Er die Wahrheit: kommen noch mehr Pappenheimer, und was haben sie vor? Gib genaue Auskunft, und wehe dir, so du leugest!«
»Ja doch, Herr Schweb,« antwortete der Gefangene – »alles will ich gestehen. Vorreiter bin ich für einen Kahn mit Proviant, so bald die Saale herabgeschwommen kommet.«
»Wie stark ist seine Mannschaft?«
»Ein Korporal und fünf Musketiere.«
»Und wohin soll der Kahn gebracht werden?«
»Gen Barby, allwo der Ratskeller zum Proviantspeicher dient.«
Inzwischen war von meinen Gefährten einer herbeigaloppiert, und ich rief ihm zu:
»Schnell die drei besten Schützen her! Zu Fuße! Der vierte bleibt mit den Pferden im
Versteck.« Derweilen mein
Vor Bestürzung bleich, versetzte der Gefangene: »Das wolle der Herr mir erlassen. Würde Er selber etwan fertig bringen, seine Kameraden in die Falle zu locken?«
Diese Frage machte mich verwirrt; da ich aber an mein Avancement dachte, und wie ich als Offizier auf Theklas Hand hoffen durfe, tat ich hochmütig und sprach: »Du Hund, wir sind im Kriege, da gilt des Stärkeren Gebot. Auch darfst du nicht vergessen, daß du jetzo schwedisch worden. Nun rede, wirst du das tun, was ich gebiete? Sonsten wahrlich soll der Wind unter deinen Füßen zusammenschlagen. Du mußt – mußt!«
Da sagte der Mann, er wolle es tun, und ich hieß ihn, allsogleich sich niederlegen. Währenddem waren meine Leute herbeigekommen, und wir verkrochen uns. Es währte nicht lange, so erscholl Ruderschlag, und der Kahn kam gefahren.
»Her zu mir!« rief nun der Gefangene. »Bin der Wenzel, mein Klepper ist gestürzet. O weh, o weh!« In ungeheuchelte Tränen brach er aus, und ich besorgte, er möchte alles verderben.
Doch im Kahne gebot eine Stimme: »Aus Land! Musketen hier lassen!« Richtig kam der
Kahn, drei waffenlose Soldaten stiegen aus und wateten aus Ufer. Da krachte mein
Schuß, und der Befehlshaber des Kahnes stürzte. Gleich darauf feuerte ein zweiter von
denen, so mit mir im Uferrohre lauerten, und auch der Steuermann war getroffen. Nun
sprangen wir auf und riefen den Soldaten, die hastig zum Kahne zurückstrebten, zu:
»Ergebet euch! Wer ausreißt, wird niedergeknallt.« Da baten zwei um Pardon. Der
dritte jedoch stürzte mit gezogenem Messer auf den Wenzel
Und des Sterbenden Auge rollete vorwurfsvoll zu mir herüber. Da zuckte mein Herz, als ob ein Geier es in den Fängen hielte. Ratlos griff ich mir ans Haupt wie einer, der sich nicht zu verantworten weiß, und eine Stimme gleich der meines seligen Vaters sprach dumpf in mir: »Was hast du getan, Johannes? Gläubest du, also ins Paradeis einzugehen?« Vor Scham sank mir das Kinn auf die Brust, ich wandte mich zum Wenzel und wollte um Vergebung bitten.
Aber da schwatzete allsogleich der böse Geist in mir dazwischen: »Sei kein Narre – bist halt ein Krieger. Erobere die Braut! Heilig magst du später werden! Wag's Knab!«
Immerhin drängte es mich, am Wenzel etwas gut zu machen; schnitt also die Weidenruten durch, so seine Hände gefesselt hielten, und sprach: »Was krächzest du, ruppige Krähe? Mich willst du verklagen? Sei froh, daß du diesen Dienst leisten gedurft. Er hat dir zum Leben die Freiheit gerettet. Ich lasse dich frei; geh, wohin du magst.«
»Was tust du?« sprach ein Kamerad zu mir. »Nehmen wir ihn doch lieber mit! Er mag rudern helfen.« Da seufzete der Wenzel und zuckte die Achseln: »Meine Freiheit – die ist hin. Mir bleibet keine Wahl. Wie könnte ich jetzo zu den Meinen heimkehren? Muß schon bei euch bleiben.«
Inzwischen hatten meine anderen Kameraden sich des Kahnes bemächtigt und erhuben ein
Jubelgeschrei, sintemalen unter dem Segeltuche Korn und geräuchert Fleisch die
schwere Menge. Nun hatte ich meine Fassung wiedergewonnen, spürte sogar ein
Frohlocken in der Brust. Meine Sorge
Und zum Lohn für meine Folgsamkeit gab mir die Kriegsfuria eine neue List ein. Durch Befragen erfuhr ich vom Wenzel, die Besatzung von Barby sei fünfzig Reiter stark, auf die drei Mauertore verteilet, den Befehl habe ein Kornet, und die heutige Losung laute » Maximilian«. Ich gebot nun meinen Kameraden, nebst dem Wenzel und den anderen Gefangenen, den Kahn gen Barby zu rudern, das inzwischen von den Unsern erobert sein werde.
Begab mich hierauf zu dem Posten bei den Pferden und befahl ihm, sie außer dem meinigen in einen bezeichneten Busch zwischen Schönebeck und Barby zu führen. Dann bekam mein Renner die Sporen, und ich jagte zu meiner Schwadron zurück. Kaum hatte ich dem Rittmeister den Vorfall berichtet, so ging er auch schon auf meinen Plan ein und ließ aufsitzen.
Zunächst umritten wir Barby, da wir für ein Pappenheimsches Detachement gelten wollten und also von Süden her kommen mußten. Die Dämmerung war allbereits hereingebrochen, als wir vor Barbys südlichem Tore anlangten.
Ich und der Rittmeister trabten der Schwadron voran. Wir hatten grüne Feldbinden umgetan, wie sie die Pappenheimer trugen. Als wir eines Flüßleins Brücke passieren wollten, wurden wir von einem Posten angerufen: »Gebt Losung!«
»Maximilian!« entgegnete der Rittmeister.
»Passieret«, sagte der Posten.
Da brachte der Rittmeister sein Pferd an ihn heran und fragte: »He, Kamerad! Habet Ihr zu Barby auch einen guten Trunk?« Gleich darauf sank der Posten lautlos vom Pferde, da ein hurtiger Hieb des Rittmeisters seinen Kopf getroffen hatte.
Ich erhielt nun den Befehl, am Mauertor Einlaß zu begehren. Ritt also hin und sagte
dem Trupp Soldaten, die dort Wache hielten und ihre Karbiner auf mich anlegten, die
Losung »Marximilian.« Man beleuchtete mich mit einer
»Daß Ihr das Tor auftuet für ein Detachement vom Regiment Kufstein.«
Da der Wachthabende zögerte, fuhr ich fort: »So gebet mir einen Mann zum Herrn Kornet mit, der Euch befehligt.«
Hierauf schwand das Mißtrauen der Pappenheimer, und sie taten das Tor auf. Zugleich trabten die Meinen heran und hieben auf die verdutzte Torwache ein, die sich dann ergab.
Nun jagten wir durch Barbys Gassen und bemächtigten uns der übrigen Tore. Unser Verlust war gering; die Feinde gaben sich gefangen, sofern sie nicht niedergemacht waren. Im Ratskeller fanden wir mindestens dreißig Mispel Korn, Speck, Brot und Bier, ferner fünf Zentner Pulver, wonach wir sehr Verlangen trugen. Da auch eine Herde Rinder im Städtlein war, und meine Kameraden mit dem Kahne anlangten, so hatte dieser Handstreich uns reiche Beute eingebracht.
Mein Rittmeister beorderte mich, die angenehme Meldung Herrn Falkenberg zu überbringen. Ich brach sogleich auf und traf am späten Abend den Obersten zu Schönebeck. Genau mußte ich alle Einzelheiten berichten; hierauf sandte Falkenberg Verstärkung nach Barby und traf Anstalten, den erbeuteten Proviant nach Magdeburg einzuheimsen. Zu mir aber sprach er: »Tielsch, Er ist Korporal!«
Bevor ich diese Nacht einschlief, flogen meine Gedanken zu Thekla, und ich sahe mich
allbereits als Offizier vor ihr stehen, während sie liebevollen Auges ihre Hand in
die meine legte. Doch in mein Triumphieren mengete sich eine Beklommenheit. Des
Märleins von der Abendburg gedachte ich, und Worte meines Vaters kamen mir in den
Sinn, die er in meiner Kindheit gesprochen: »Das Menschenherz ist die wahre
Abendburg; verwunschen ist es von einem bösen Geiste, in seinen tiefen Kammern aber
ruhet ein Reichtum, den nimmer Motten noch Rost fressen. Den sollst du heben, mein
Morgens, als mein Roß mich im Galoppe wiegte, schalt ich mich einen Grillenfänger, jubelnd: »Vivat Soldateska!«
Wie ohnmächtig der Feind sich fühlte, ward in einer Sitzung der Magdeburger Ratmannen von Herrn Falkenberg dargetan. Der Oberste wies einen Brief, darin ihm Pappenheim viermal hunderttausend Taler und ein Landgut anbot, sofern er die Stadt preisgeben wolle. »Da sehet ihr – sprach Falkenberg – wie der Feind seiner Tapferkeit also wenig zutraut, daß er zum schleichenden Verrate seine Zuflucht nimmt. Was bleibet ihm auch anders übrig? Lebensmittel haben wir genung, um die Blockade noch etliche Monde auszuhalten. Inzwischen wird die schwedische Majestät ihr königlich Wort einlösen und uns entsetzen. Schon jetzo spüren wir, wie König Gustavus uns Luft macht, indem er viel Feindesvolk von der Stadt ablockt und im Lande umherschleppt. So harret aus, Glaubensbrüder, und lachet, weil der alte Ligistenkorporal an euern Mauern sich die morschen Zähne ausbeißet.« Und es sangen die Bürger:
»Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort
Und steur' des Papst und Türken Mord!«
Wie aber auf den Tag die Nacht folget, also brach nach dieser schönen Abendröte unseres Waffenglückes bange Finsternis herein. Es erschien nämlich wider Erwarten Tilly mit seiner Hauptmacht. Dieweilen er den ausweichenden Schwedenkönig nicht zu fassen gekriegt, war er nun resolvieret, mit unserer Stadt aufzuräumen, um nicht länger vor den Blicken ganz Europiens am Narrenseile herumgeführet zu werden.
Wenige Tage vor Tillys Anrücken erhub sich ein Sturmwind, wie seit Menschengedenken nicht erhöret worden. Riß von den Dächern Ziegel, daß mehrere Leute erschlagen wurden, und auf den Straßen Haufen von Schutt lagen. Fünf Windmühlen und drei Schiffmühlen sind zerbrochen. Vier Kirchentürme haben ihre Spitzen verloren. Die empörte Windsbraut stürzte heulend in die Vorhalle des Domes, allwo Ereignisse des Alten und Neuen Testamentes abgebildet sind, riß den Klugen Jungfrauen die Lampen aus der Hand und zerschmetterte sie. Das sahen die Leute nicht mit Unrecht als eine Warnung drohenden Unglückes an.
Auch andere schlimme Fürzeichen sind geschehen. Ende März haben die Bauern des Dorfes Krakau, so Magdeburg genüber an der Elbe gelegen, etwas Seltsames beobachtet. Auf dem Kirchendache befand sich von altersher ein Storchennest, drin stund mit fröhlichem Klappern der heimische Storch nebst seiner Störchin. Auf einmal schoß ein fremder Storch heran, den Schnabel als einen Spieß gerecket. Da gab es ein grimmig Scharmützel zwischen dem heimischen und dem fremden Storche. Die Störchin aber sahe untätig zu, schwenkete nur etlichemal die Fittige und klapperte mit dem Schnabel. Schließlich fiel der heimische Storch blutend vom Dach zur Erde nieder. Obwohl nun der fremde das Feld behalten, flog er doch hin weg, begleitet von der Störchin. Hinfüro haben sich keine Störche blicken lassen, und öde ist das Nest geblieben – woraus manche Leute den Schluß zogen, daß es selbigen Ortes bald schlimm hergehen werde.
Es war Tillys Plan, unsere Außenwerke jenseits der Elbe einzunehmen, um das dorten
erwartete Entsatzheer des Schwedenkönigs von der Elbbrücke abzuschneiden. So ist
Anfang Aprilis kaiserisch Volk von Pechau herangezogen und
Zugleich mit diesem andern Leonidas langte in Magdeburg noch ein zweiter Truppenrest an. Ein Kahn trieb die Elbe herunter, ohne Ruder, er enthielt viele Tote, Verwundete und nur drei Heile. Das war alles, was aus einem unserer Hauptwerke, der Kreuzhorstschanze mit dem übermütigen Namen »Trutz-Tilly«, zurücke kehrte. Während die übrige Besatzung sich dem Angreifer auf Gnade oder Ungnade ergeben hatte, waren diese Flüchtlinge in den Kahn gesprungen und durch Abstoßen mit den Musketen in die Strömung gelangt, dabei aber von vielen Schüssen übel zugerichtet worden.
Gleich nach der Einnahme von »Trutz-Tilly« durch Tilly machte sich Pappenheim an die
bei Prester gelegene Schanze »Trutz-Pappenheim«, warf eine Batterie auf und ließ
schwer Geschütz sattsam spielen. Hierauf ist er mit stürmender Hand vorgegangen, hat
aber wegen vieler Pfähle mit Dornen, so wir ringsum eingeschlagen hatten, wieder
weichen müssen. Da die Unseren vermerketen, daß man sie von der Stadt abschneiden
wolle, so haben sie sich Hals über Kopf aus dem Staube gemacht. Leider sind auf
dieser Flucht viele von den Verfolgern niedergemacht und in die Elbe geworfen worden,
damit sie als Leichen gen Magdeburg schwimmen sollten, den Bürgern ein bitter
höhnischer Gruß vom Feinde. Auch den befestigten Kirchturm des Dorfes Krakau –
denselbigen, wo die ominöse Storchenbegebenheit sich zugetragen –
Unser Herr Falkenberg hat jetzo seine ganze Außenmacht auf das Zollwerk, den Brückenkopf jenseits der Elbe, beschränkt und es mit gedoppeltem Wall und Graben umzogen. Dieweil nun Tilly diese Beste mit Sturm nicht anfallen gemocht, so hat er sich zur Geduld bequemt und von Krakau her Trancheen gezogen, willens, der Zollbesatzung den Rückzug über die Elbbrücke zu verlegen.
Da bis zum 19. Aprilis die Nebenwerke der Zollveste und sogar die Schanzen zum Roten Hagen gefallen waren, so ließ Tilly an diesem Tage einen Angriff unternehmen. Ein garstig Wetter jedoch hinderte ihn. Es wehete heftig, kalt strömte der Regen, die Laufgräben fülleten sich mit Wasser, das Pulver ward naß, die Soldateska mochte nicht ausdauern. So verschob Tilly den Sturm auf die Frühe des andern Tages. Doch wie im Morgengrauen seine Truppen sich zum heißen Strauße anschickten, gewahrten sie mit Verwundernis, daß in der Schanze alles stille. Kein Schuß ward getan, kein Kommando laut, keine Waffe blitzte. Die Unserigen hatten nämlich über Nacht die Zollschanze geräumt.
Schweren Herzens hatte sich Falkenberg dazu bequemt. Des Nachts, da ich ihm eine
Meldung überbrachte, saß er in der Faussebraye mit dampfenden Kleidern am Feuer,
düstern Gesichts. »Korporal Tielsch,« – sprach er dumpf – »ist Er nicht auch ein
Stück Chymiste? Verstehet Er sich auf die Bereitung von Pulver? Arg gebricht es uns
daran. Mit der Schanze Trutz-Kaiser habe ich zehn Tonnen Pulver verloren, und das
gänzlich umsonst. Habe damit den Eroberer in die Luft sprengen wollen; doch ist die
angelegte Miene nicht losgegangen; die Zündfäden sind in dem Sauwetter feucht worden.
Das allerschlimmste aber ist, daß die Magdeburger sich und mich getäuscht haben über
den Umfang ihrer Munition. Wie ich um Weihnachten die Magazine inspiziert habe, sind
da Pulvertonnen genung gelegen. Jetzo
Bestürzt trat ich zurück. »Preisgeben? Die Zollschanze? Ohne Schwertstreich?«
»Bleibet uns etwas anderes übrig?« erwiderte Falkenberg. »Sollen wir etwan unser letztes Pulver morgen hier verschießen? Die Geschütze der Stadtwälle müßten dann schweigen, wofern Tilly übermorgen die Sturmleitern anlegte.«
»Wie könnte er das wagen?« warf ich ein.
Falkenberg zuckte die Achseln. »Er braucht von den Verrätern, so er in Magdeburg stecken hat, nur zu erfahren, daß es uns an Pulver gebricht.«
Mir war, als ob ich einen Schlag aufs Herz erhielte, und ich stammelte: »Verräter?«
»Freilich Verräter! Täglich erfährt der Feind, was bei uns vorgeht. Drum darf ich auf dem Rathause nicht einmal merken lassen, aus was Ursach ich die Zollschanze quittiere. Und hör Er wohl: niemand darf erfahren, was ich Ihm inbetreff des Pulvers anvertraut habe. Ihm sag ich's nur, auf daß Er als Chymiste mir soll raten.«
»Ich kann dem Herrn nur raten, daß sofort aller Schwefel in der Stadt zusammengescharrt werde, und daß die Wassermühlen Tag und Nacht Salpeter mahlen. Wolle der Herr mich dem Pulvermeister beigeben!«
»Gut,« – sagte der Oberste – »Er hat freie Hand. Beginn Er sofort mit der
Pulverbereitung. Drei Tage mindestens gedenke
Ich erstarrte. »Niederbrennen?«
»Freilich!« entgegnete der Oberste mit kalter Ruhe. »Übermorgen geht zunächst die Sudenburg in Flammen auf, dann die Neustadt. Sonst installieret sich dorten der Feind und findet Deckung vor unseren Kugeln. Ja, Tielsch, heiß wird's. Geh Er nun stracks zum Pulvermeister und zeig Er, was ein Chymiste kann. Den Stein der Weisen verlang ich nicht von Ihm – nur Pulver und aber Pulver – das ist jetzo unser Stein der Weisen.«
Wiewohl ich vor Müdigkeit hätte hinsinken mögen, verlieh meines Amtes Bedeutung mir frische Kraft. Ließ die Müllerinnung und sämtliche Apotheker aus den Federn holen. Um die hastige Pulverbereitung zu rechtfertigen, schützte ich vor, Herr Falkenberg gedenke den Feind durch Minengänge zu bekämpfen und benötige einen Überfluß von Pulver. Allsogleich wurden die auf der Elbe schwimmenden Wassermühlen zum Mahlen des Salpeters hergerichtet. Auch mit Handmühlen und Mörsern, aus Apotheken und Bürgerhäusern herbeigeschafft, endlich mit Mahlsteinen, von kreisenden Pferden bewegt, ließ ich die Pulverisierung betreiben. Es gelang uns, hundertundsiebzehn Tonnen Pulver zu bereiten. Dann aber mußte die Arbeit eingestellt werden, dieweil es an Schwefel fehlte, und ich vergebens mit den Apothekern beriet, wie Sulphur sich formieren lasse.
Am Nachmittag des 21. Aprilis hatte ich mich in mein Quartier begeben und etliche
Stunden festge schlafen. Von Wehegeschrei und Getümmel, so durch die Straßen scholl,
ward ich aufgescheucht. Es war dunkel, Feuerschein aber strahlte zur Dachluke herein.
Hastig begab ich mich hinunter
Andern Tages ward auch die nördliche Vorstadt, die Neustadt, den Flammen preisgegeben. Nun hatte man in Magdeburg Hunderte von hungrigen Mäulern mehr zu füllen und sahe das nackte Elend der Flüchtlinge.
Als Flammen und Rauch entschwunden waren, erblickten wir von unseren Stadtmauern und Kirchtürmen nur noch schwarze Ruinen, dahinter aber die eherne Kette der teuflischen Belagerer, und die Luft erzitterte vom Brüllen ihrer Geschütze. Kein Wunder, daß die Bürgerschaft erstarrte, als habe man sie vor den Kopf geschlagen. Auf diesen Eindruck bauend, sandte Tilly seinen Trompeter in die Stadt. Noch sei die Gnadentüre offen, so schrieb er. Um sie nicht gänzlich zu verschließen, solle man sich beizeiten unterwerfen, sintemalen die Stadt unmöglich zu halten. Ein Teil der Bürgerschaft neigte zum Akkorde. Falkenberg aber eiferte wider die Akkordbrüder, und die Prädikanten sprangen ihm bei, indem sie von den Kanzeln herab predigten, wer zu Akkord rate, habe kein Gottvertrauen und wolle das Vaterland dem abgöttischen Papismo in den Rachen werfen. Ein ruinierter Brauer, Hans Herkel, der das Amt eines Rottmeisters bekleidete und großen Einfluß beim gemeinen Manne besaß, sorgte dafür, daß die Wortführer der Kapitulation niedergeschrien wurden. Hiezu halfen etliche Gerüchte und Zeitungen. Der ersehnte Messias Gustavus Adolfus sei im Anmarsche, stehe allbereits in der Mark und bitte bei seiner Seelen Seligkeit die Stadt, doch getrost auszuharren, da er sie präzise auf Tag und Stunde entsetzen werde. Vom Dome spähete bei Nacht eine mehrköpfige Wache gen Morgen, ob etwan des Entsatzheeres verabredet Signalfeuer aufleuchte.
Mit Zagen freilich sahe man, wie die 5000 Wehrhaften, die man zusammengebracht, über die weitläufige Fortifikation verteilt, nur eine dünne Verteidigungskette bildeten, indessen draußen die sechs- bis siebenfache Armada wohlgerüstet und emsig arbeitete. Leider stellete sich heraus, daß manche Teile des Walles und Grabens nicht in gutem Stande; und etliche Bürger murreten wider den Kommandanten, der, ein kecker Kibitz, ins Feld geflogen sei, anstatt zuvörderst das Nest zu verwahren. Schlimm auch, daß die Bürgerschaft uneins war. Der Arme mißgönnete dem Reichen seine Wohlfahrt und mochte nicht dulden, daß jener länger zu Hause bleiben oder sein Gesinde an seiner Statt zu Walle schicken durfte. Die Reichen aber wollten ihre Licenz mißbrauchen, und haben etliche, insonderheit die heimlich Kaiserischen, sich nicht ein einzigmal auf dem Walle sehen lassen. Ging man zu Walle, so geschah es weniger, um dem Feinde Abbruch zu tun, als vielmehr umherzulungern und Neues zu hören. Ein großer Teil wußte sein Bier und die dargereichten Würste besser anzuwenden als die Muskete.
Gleichwohl haben die Unseren in einem Ausfalle dem überraschten Pappenheim
Schanzkörbe und Schippen weggenommen, auch 18 Leute erschlagen. Einen größeren Sieg
gewann der Oberstleutnant Trost auf der Elbinsel, genannt der Stadtmarsch. Dorten
hatte er die Ligisten also weit zurückgetrieben, daß er die Rote-Hagen-Schanze hätte
zurückerobern
Nach einem dritten Ausfalle, so dem Feind 40 Mann gekostet, hat Tilly sich abermals aufs Paktieren gelegt und Briefe durch seinen Trompeter geschickt. Ist aber nichts aus den Traktaten worden.
Des Feindes Arbeit ist inzwischen besser vorwärts gegangen. An manchen Orten ist er mit seinen Trancheen bis an die Kante des Grabens gelangt, hat auch Brandkugeln und Granaten, etliche einen Zentner schwer, in die Stadt geworfen. Nur weil wenig Heu und Stroh bei uns vorhanden, dazu gute Aufsicht gewesen, so ist kein anderer Schaden angerichtet, als daß eine Kuh zerschmettert worden und an etlichen Stellen Feuer aufgegangen, das jedoch mit nassen Häuten und Wasserkübeln allsogleich gelöscht worden.
Es war für uns schädlich, daß bei der Zerstörung der Neustadt nicht Zeit übrig, alle Mauern und Keller zu ebenen. Diese Deckungen wurden nun von Pappenheim genutzt. Von der Elbe bis zum Krökentor wühlete er Laufgräben durch die Neustadt und machte Approchen bis an unsere Fausse-braye, ließ hier die Pallisaden ausheben und mehrere hundert Leitern zum Sturme ansetzen. Die Pappenheimschen Laufgräben waren so dicht mit Musketen besetzt, daß, sobald von den Unseren einer hinter der Brustwehr herfürlugte, augenblicklich sechs bis acht Schüsse auf ihn fielen.
Am 7. Mai fing der Feind an, aus seinen vollendeten Batterien auf das heftigste zu
schießen, und seine Truppen waren in Bewegung, daß wir gläubten, gleich werde der
Sturm losgehen. Es gab ein Hin- und Wiederschießen, daß der Erdboden erzitterte und
wie Hagel die Kugeln prasselten. Gleichermaßen ging es auch den folgenden Tag. Ein
Turm
Immer düsterer dräueten die Wolken. Eine dumpfe Feierlichkeit lag auf der Stadt, gemahnend, wie nunmehro das schwanke Zünglein unserer Schicksalswage sich neigen solle zum Leben oder zum Tode. Am Abgrund der Ewigkeit stund die Bürgerschaft, starrte schaudernd hinab und besann sich in banger Selbstprüfung auf die letzten Dinge. Aus war es auf einmal mit hoffärtigen Gebärden, mit bunten Röcken, stolzen Hutfedern und güldenen Zieraten. In Trauerkleidung oder gar verwahrlost als Büßer strömten Frauen und Jungfern, Greise und Kinder, sowie die wenigen Männer, so gerade vom Kriegsdienste abkömmlich, in die Kirchen zum Tisch des Herrn, das Abendmahl zu nehmen – vielleicht ihr letztes.
Und seltsam, in diesen schwierigen Tagen fanden überaus viele Trauungen statt. Manch armes Menschenherze wollte die anoch vergönnte, vielleicht ganz kurze Lebensfrist nützen, einen inniglichen Wunsch zu erfüllen. Bei solchen Trauungen nun kam die Sitte auf, daß vor dem Altare rings um das Hochzeitspaar Junggesellen und Jungfern, so heimliche Liebe zueinander im Herzen trugen, Hand in Hand niederknieten, um für den Fall des Todes als Verlobte für das Jenseits zu gelten.
Am Morgen des 8. Mai, da ich von der Nachtwache heimkehrte und bei Sankt Johannis
Kirche vorüberkam, ward ich im Kirchgängerzuge Theklas ansichtig und folgte ihr
allsogleich in die Kirche. Unter der Wölbung, im Anblicke des Gekreuzigten und der
frommen Gemälde, erschüttert von der Orgel, oft die Augen auf Theklas holdes Haupt
gerichtet, fühlte ich Flammen der Andacht und der zärtlichen Liebe in meinem Herzen
zusammenschlagen. Der Prädikant sprach über die Schriftworte »Sei getreu bis in den
Tod, so will
»Nehmen sie uns den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib,
Laß fahren dahin,
Sie haben's kein Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben.«
Nach dem Segen wollten die aufgebotenen Paare – neun an der Zahl – summarisch durch das Sakrament der Ehe kopulieret werden. Wie sie niederknieten, gab es schier ein Getümmel von solchen Junggesellen und Jungfern, so bei diesem Anlaß sich still einander verloben wollten.
Thekla warf einen traurigen Blick hinter sich, ward mein ansichtig und erschrak. Ich machte mich neben sie, und nun richtete sie ihre Augen tränenvoll, doch zärtlich auf mich. Wie von Magie angezogen, reichten wir einander die Hand und knieten zu den andern nieder.
Taumeligen Fluges schwebte meine Seele im Himmel. Ich vernahm die Worte: »Was Gott zusammenfüget, soll der Mensch nicht scheiden.« Tillys Geschütze brülleten ein höhnisch Amen. Alsdann nahmen sowohl die verlobten wie die verehelichten Paare das Abendmahl.
Kaum war die heilige Handlung vorüber, so gingen Thekla und ich – wie es die Sitte gebot – in Züchten voneinander, obwohl unsere schmachtenden Herzen uns unlöslich verbunden deuchten. Eine Weihe trug ich im Busen, die mein Quartier mit seligen Phantasien erfüllte, bis mich endlich der Schlaf unter sein Zepter nahm.
Um Mittage kam der Page von nebenan und holte mich zum Obersten. Ich fand daselbst etliche Offiziere und ein Häuflein Bürger, zumeist Schiffer und Handwerker.
»Nun denn,« fuhr Falkenberg fort, »wie ihr wisset, soll heute Tillys Trompeter, der Überbringer des Ultimatums, von der Stadt mit ihrem Bescheide zurückgeschickt werden. Sintemalen nun der Rat all seine Courage eingebüßet, so will er hinter die Menge retirieren. Hat aus diesem Grunde die ganze stimmfähige Bürgerschaft für heute Nachmittag in die Häuser ihrer Viertelsherren berufen, auf daß jedes Stadtviertel für sich ein Votum abgebe. Bitt euch, ihr Bürger, wollet doch mit aller Macht die geplanten Verhandlungen hintertreiben! Der Akkord wäre unser Untergang. So wir aber dem Feinde durch kecke Ablehnung alle Hoffnung nehmen, verbleibet ihm nur der Ausweg, entweder die Belagerung aufzuheben, maßen die schwedische Majestät mit dem Entsatzheere allbereits bei Burg sein muß, oder aber an unserer Beste sich den Kopf einzurennen. Gläubet mir, nicht der Belagerer draußen ist jetzo unser schlimmster Feind, vielmehr in unsern Mauern der schwache Mut und schleichende Verrat.«
»Schelme sind die Akkordbrüder!« rief es aus der Versammlung.
»So vereitelt denn auf jede Weise den Akkord! Streuet aus, was ich jetzo euch sage. Diese Nacht zwischen eilf und zwölf werden bei Biederitz drei Feuer aufgehen. Lasset die Zweifler auf die Domtürme steigen, und dann saget ihnen: Das ist König Gustavi Signal, anzeigen soll es, daß die schwedischen Vorposten schon da sind, und daß Magdeburg nicht in letzter Stunde alles verderben soll.«
Ein paar der Versammelten nickten schlau, andere blickten bedenklich.
»Feste wie up en Swur,« platzte ein Schiffer heraus – – »wat mien Fritze öwernehmen duht, is als fix und fardig.«
Da nun etliche Gesichter säuerlich wurden, dieweil zutage getreten, daß die Signalfeuer nur Vorspiegelung seien, entschuldigte sich Falkenberg: »Ja, es ist weit gekommen, daß wir müssen zum Truge greisen, die Bürgerschaft vor Desperation zu bewahren. Doch lasset gut sein! Hinterher wird man unsere gewagten Mittel segnen. Im übrigen kann ja der König wirklich nicht mehr ferne sein. Daß aber die Feuer brennen werden, ist so gut wie sicher. Dieses Mannes Sohn, der Fritze, will mit zween anderen heute abend die Elbe hinunterschwimmen, beim Biederitzer Busche an Land gehen und die Feuer anbrennen. Sorget nun. Freunde, daß recht viele Leute bei Nacht die Türme besteigen. Und ferner könnet ihr sagen: Tilly will die Stadt, auch wenn sie sich ergibt, drei Tage plündern lassen – hat seinen Kroaten vorgeredet, hier sei der Reichtum dreier Königreiche.« Scheu blickten die Bürger und grollten.
»Höret weiter«, sprach Falkenberg, indem er ein Schriftstück aus seinem Koller zog.
»Hier halte ich einen Brief von der schwedischen Majestät; vernehmet, was darinnen
geschrieben stehet.« Hierauf tat der Oberste den Hut von seinem Haupte und las:
»Meinem getreuen Falkenberg zu wissen, was Zeitung mir worden. Herzog Wallenstein,
vordem Kaiserlicher Feldherr, ist auf seinen Nachfolger Tilly neidisch und ist
ränkevoll beflissen, diesen Ligisten in die Schwerenot zu bringen, auf daß hernach
der Kaiser keinen andern Rat wisse, als den altbewährten Generalissimum zum Retter
des Reiches zu berufen. Vor den Augen der Welt ist der Wallenstein ein Freund Tillys,
heimlich aber sucht er seine Lage zu verschlimmern. So hat er seinen
mechelnburgischen Statthalter angewiesen, dem Tilly nur ja keinen Proviant zu
verschaffen. Ferner möchte der Wallenstein dem Tilly, falls
Wie diese heillosen Worte ausgesprochen waren, erhub sich unter den Versammelten ein Gemurmel des Entsetzens und der gärenden Wut. Doch Falkenberg las weiter: »Die Vertilgung Magdeburgs soll der lutherischen Rebellion eine klaffende Wunde reißen. So heuchelt der Friedländische Ränkeschmied, bauend auf des Pappenheimers papistischen Sinn. In Wahrheit freilich will er seinen Rivalen Tilly ruinieren; nicht zugute soll ihm Magdeburgs Einnahme kommen, auf daß ja nicht die Hauptstadt der Elbe ein Stützpunkt der ligistischen Operationen werde.«
Grimm lächelten und nickten die Zuhörer. »So hat nun Pappenheim heimlich angeordnet, es solle die Stadt gleich nach geschehener Plünderung an allen Ecken und Enden angezündet werden. Die evangelische Bürgerschaft soll gänzlich verschwinden und an ihre Stelle eine neue aus papistischen Landen treten; auch soll Magdeburg seinen ehrlichen Namen verlieren und hinfüro Marienburg heißen.«
Bleichen Angesichts antworteten die Bürger mit Stöhnen und Knurren. Falkenberg warf das Schreiben auf den Tisch, schlug mit der Faust darauf und ließ seine Augen flammend im Kreise herumgehen. »Und nun ihr? Was wollet ihr tun? Werdet ihr den Akkord zulassen?«
»Nimmermehr!« Und Fäuste erhuben sich. »Nieder mit den Akkordbrüdern!«
Falkenberg ließ sie eine Weile toben, dann gebot er mit ausgebreiteten Armen Ruhe und sprach dumpf: »Was aber soll geschehen, so unsere Stadt gleichwohl in Feindes Hände gerät?«
Ohne Laut, ohne Regung starrte ein jeder vor sich hin. Es war eine Schwüle, wie vor
dem Losbrechen des Gewitters.
Da wir verwundert den Mann anstarreten, winkte ein Schiffer raunend: »Der Geist kommet über ihn.«
»Simson, Simson!« – fuhr Hans Herkel fort – »in die Hand der Philister warst du gegeben, die hatten dir die Augen ausgestochen. Was hast du da getan? Hast im Philisterhause mit der Rechten die Mittelsäule ertastet und hast dich geneiget kräftiglich: Meine Seele sterbe mit den Philistern! Und hei, da stürzete das Haus auf die Fürsten und das versammelte Volk, und waren der Erschlagenen mehr, die an Simsons Tode starben, denn die er bei Lebzeiten gefället hatte. Simson, Simson, dein Geist komme über Magdeburg!« Nach diesen Worten blickte Hans Herkel als ein Erwachender im Kreise ringsum. »Das war Gottes Ratschlag!« sprach jemand; »dieser Prophete gibt uns ein Zeichen. Wohlan! Wenn wir schon müssen untergehen, so sollen wir wenigstens Rache nehmen.«
»Rache, Rache!« rief Falkenberg. »Ha, ihr Männer, jetzo kommet euch die Erleuchtung. Ja, tuet wie Simson! Oder wie die Bürger von Saguntum, so ihre Stadt nebst allen Schätzen verbrannten, um dem Eroberer Hannibal den Siegespreis zu ruinieren.«
»Zünden wir die Stadt an!« kreischte Herkel. Stutzig lauschte die Versammlung, dann kam es über sie wie grimme Freude: »Recht so! Wir zünden an! Noch bevor der Feind die Stadt geplündert hat, muß sie allbereits in Flammen stehen!«
Triumph blitzete aus Falkenbergs Augen, und er rief: »Patrioten! Helden seid ihr! Ja,
unsere Stadt sei wie die
Ein hohl Gelächter erhub sich: »Haha, Pappenheim, du Erzschelm! Siehe, nun hast du deine Meister gefunden. Vermeinest, erst wird geplündert, dann gesenget. Wir aber sagen: Erst wird gesenget – dann magst du wühlen in rauchenden Trümmern nach den Schätzen der drei Königreiche ... haha! Einen Aschenhaufen vermachen wir den papistischen Mausköpfen.« – »Wer tut mit?« rief Herkel. »Gehen wir allsogleich in die Johanniskirche und schwören am Altare, daß wir es tun wollen.«
»Wir tun mit!« rief männiglich und ging eifernd hinaus. Schweren Herzens folgte ich bis zur Kirche, weiter nicht.
Andern Tages, durch etlichen Schlaf gestärket, vernahm ich, daß man auf dem Rathause noch immer verhandle, was denn eigentlich geschehen solle, und daß derweilen Tillys Trompeter von kriechenden Liebedienern mit Braten und Wein regalieret werde. Um zu beschließen, welche Antwort er seinem General heimbringen solle, sei die Bürgerschaft zu den Häusern ihrer Viertelsherren berufen worden; da tobe nun das heiße Ringen der Parteien, und es habe den Anschein, als solle den Akkordbrüdern die Oberhand werden.
Ekel hatte mein Sinn für die Krämerseelen, und ich brannte vor Begier, endlich die Entscheidung herbeizuführen, Mann an Mann. Wir schüttelten die Fäuste, knirschten mit den Zähnen, bissen uns die Lippen blutig in ohnmächtiger Wut, da wir über die Mauer lugend, gewahr wurden, wie der Feind unsere Pfähle am Neustädtischen Bollwerk in aller Ruhe ausgrub, ohne daß wir schießen durften; wegen unseres Pulvermangels war ja befohlen worden, wir sollten Kraut und Lot sparen. Der Feind aber überschüttete uns fortwährend mit Geschossen, also daß Wall und Zingel unter den schweren Kugeln erbebeten.
Meine Stirnwunde hatte wenig zu bedeuten. Immerhin ward ich auf Anordnung des Feldschers hinter die Zwingmauer geschickt, allwo die Wunde gewaschen und verbunden ward. Nach einem erquickenden Trunke verfiel ich auf dem Strohlager in tiefen Schlaf.
Unter süßem Vogelzwitschern erwachte ich. In den grauen Morgen, wo ein rosenrot Wölklein schwebete, erhub sich jubilierend eine Lerche. Und die Geschütze schwiegen. Friede! Friede! O bliebe doch immer solch liebliche Ruhe! Ein Bangen kam geschlichen, es möchte die Stille auf einmal unterbrochen werden. Ich atmete nur verstohlen. Dann drehte ich das Angesicht seitwärts. Da lagen die Verwundeten, und ein Bürger kniete, die Hände gefaltet.
Ein Jubelgedanke zuckte mir durch durch den Sinn. Sollte König Gustav nahe, und Tilly im Abzug begriffen sein? »Warum schießet man nicht? Ist etwan der Schwedenkönig gekommen?« fragte ich den Bürger.
»Ja, er stehet bei Biederitz! Von dorten hat er Feuerzeichen gegeben.«
Ein Stich ging mir durchs Herze – so war der Lügenhaber aufgegangen und narrete mich mit leeren Hülsen. »Und Tilly?« fragte ich weiter, indem ich mich aufrichtete – »warum schweigen seine Geschütze?«
Und er reichte mir die Flasche dar, aus der ich einen guten Schluck nahm. Auch er trank und redete listig blinzelnd weiter: »So oder so, – heut hab' ich mein Feuerrohr zum letztenmal auf den Wall getragen. Jetzt geh' ich heim und schlafe mich endlich mal tüchtig aus.«
»Wie? Hat Falkenberg das erlaubt?«
»Ei gewiß, hat er denn nicht selber den Wall verlassen? Aufs Rathaus ist er gegangen, allwo jetzunder der letzte Kampf tobt – Gott sei Dank ein Wortgefecht. Mögen sie streiten! So oder so – wir kriegen Ruhe. Ach Gott ja, der süße Schlaf!«
Er gähnte und dehnte sich, raunte dann geheimnisvoll: »Gott hat mir offenbaret, daß ich von heut ab Ruhe finden soll vor dem grausigen Waffenhandwerk. Das ist gewißlich wahr!« Und mir zunickend ging der Bürger. Vom Wall herüber scholl feierlich der Kriegsgenossen Sang:
»Verzage nicht, du Häuflein klein!«
Den Kopf auf mein Strohbündel zurückgelegt, träumte ich gen Himmel, allwo noch immer die Lerche trillerte, derweilen der Friede so erquickend war.
Da auf einmal spürete ich ein Zwängen an meinem Herzen; ein störender Mißklang, eines Weibes Wehklage, war an mein Ohr gedrungen. Ich versuchte, nicht hinzuhören; aber deutlich vernahm ich die angstvolle Weiberstimme: »Ach Gott, ach Gott! Das ist ein Fürzeichen – das bedeutet ein Unglück.«
Verstört erhub ich mich – meine Stirnwunde schmerzete. Ich schnallte meinen Säbel um, nahm mein Feuerrohr und trat zu der Gruppe von Leuten, wo solche Rede ging. Eine Alte rang ihre knochigen Hände. »Das war der Gespensterwagen – der hat allemal was zu bedeuten.«
»Ach, Herr Soldate! Ein Spuk hat sich gezeiget. Meine Base liegt totkrank von dem Anblick. Am Fischerufer wohnt sie, und heute nacht, da's eben zwölf geschlagen, geht auf der Straße ein dumpf Getrappel los. Wie sie ans Fenster tritt, siehet sie einen Trupp geharnischter Männer mit Fackeln. Die geleiten einen rasselnden Wagen. Ein ungefüger eiserner Kasten war's, von starken Rappen gezogen – die Häuser haben vor ihm gebebet.«
Ich lachte verächtlich: »Und das war der Gespensterwagen? Gans, die Sie ist!«
»Ach, hör Er nur weiter, Herr Soldate – jetzo kommt ja eben das Gräßliche. Dicht an die Elbe ist der Wagen gefahren, und da haben die Geharnischten die Fackeln auf einen Haufen zusammengeworfen, und lauter blutige Leichen haben sie aus dem großen Eisenkasten geholt und alsodann ins Wasser geworfen. Und hat die Elbe mit den schwimmenden blutigen Leichen vom Feuer beleuchtet wie ein Schlachtfeld ausgesehen. Schlag eins ist der Spuk verschwunden, wie weggeblasen; doch ist dabei ein schauxig Wimmern durch die Lüfte gegangen. Und so wahr ich allhie stehe, eine Menge Fischersleute haben das alles gesehen und haben die Leichen ins Wasser plumpsen hören.«
»Schwätzerin, Närrin! Maul gehalten!« Und ich ging zum Walle – wollte das Geträtsch mir aus dem Sinne schlagen. Und doch hatte sich Unheimliches bei mir eingenistet, Grauen empfand ich und wußte nicht wovor.
Begab mich zur Torwache, allwo die Leute auf ihrem Strohlager schnarcheten. Aus dem Wasserkruge tat ich einen Trunk, kühlete meinen brennenden Hautriß und verzehrete ein Stück Brot.
Hierauf stieg ich durch den runden Turm zum Wall hinan. Auch hier fand ich die
Kameraden dem Schlaf ergeben – regungslos lagen sie in der strahlenden Frühsonne, die
Posten
Bei diesen Worten klang in der Ferne ein langgezogener dumpfer Ton, ähnlich dem Brüllen eines Bullen. Es war das Horn des Türmers auf Sankt Katharinen. Sollte eine Feuersbrunst ausgebrochen sein? Der Prädikant sprach unbekümmert weiter, wiewohl etliche Zuhörer zum Turm emporblickten, von wo noch immer das Horn erscholl.
Auf einmal rief jemand dicht bei mir: »Waffen! Waffen!« Nach der Brustwehr zugewandt, sah ich, wie zween feindliche Soldaten von außen herübergestiegen kamen, dann ein dritter, ein vierter. »Feindioh!« riefen die Unseren. »Waffen!« Meinen Karbiner hatte ich, doch – Teufel – keine Munition.
Schon knatterten Schüsse, und ein Gebrüll von Geschützen erhub sich. Einer unserer Posten stürzte, seine Muskete fiel vor meine Füße. Ich erhub sie wie einen Dreschflegel und ging auf einen Feind los. Der legte sein Pistol auf mich an und schoß. Ich schlug ihn mit dem Kolben nieder, stund aber allbereits vor einem neuen Gegner, der mit dem Schwerte nach mir stach. Ich parierte mit meiner Muskete und stieß sie ihm ins Gesicht, daß er hintaumelte.
Inzwischen hatten sich etliche der Unseren den Pappenheimer Eindringlingen entgegengeworfen, sie niedergemacht und die Brustwehr gewonnen. Ratlos aber lief ein Teil unserer Wallmannschaft durcheinander und schrie: »Waffen! Waffen!« Manche hatten keinerlei Waffen, nicht einmal eine Partisane oder einen Morgenstern.
Ich eilte zur Brustwehr und sahe nun, wie schlimm es mit uns stund. Es wimmelte von
stürmenden Pappenheimern. Wie Meereswellen zum Strande rollen, kam Reihe auf Reihe
Wie Katzen sprangen die Pappenheimer heran und renneten die Sturmleitern herauf, trugen auch immer neue Leitern herbei und lehnten sie an die Wallmauer, wiewohl die Unsrigen jetzo schossen und in rasender Wut Mauerbrocken auf die Emporklimmenden warfen.
Nur schwach freilich konnten wir uns wehren, da wir auf Deckung bedacht sein mußten. Hageldicht schwirrten die Kugeln aus den feindlichen Laufgräben, und schon mancher Kamerad lag entseelt oder stöhnend vor unsern Füßen.
Ich hatte die Lunte meiner Muskete entzündet und auch schon einen Pappenheimer von der Leiter geschossen. Da rief mich Kapitän Schulz an: »Korporal Tielsch, im Stall bei der Wachtstube steht mein Pferd, – reit Er, so schnell Er kann, zum Kommandanten Falkenberg – er ist auf dem Rathaus – Sukkurs soll er schicken – Sukkurs so viel als möglich – sonst halten wir den Wall nicht.«
Ich sogleich fort, den Auftrag auszuführen.
Im Turme, der des Walles Eingang war, hasteten mir die Unsrigen entgegen, so zum Kampfe eilten; – mühsam brach ich mir durch ihr Gedränge Bahn, gelangte zum Stalle der Wachtstube, fand das Pferd, schwang mich in den Sattel und galoppierte durch die Gassen.
Aus den Haustüren stürzten die Bewohner herfür, Weiber und Kinder rangen heulend die Hände, vom Katharinenturm brüllte der Alarm, und immer wilder knatterte das Gewehrfeuer.
»Zur Hohenpforte!« rief ich den Bürgern zu, die mit Waffen gelaufen kamen; aus ihren
Augen sprühete ein Grimm, der, angesammelt in der langen Zeit qualvollen Ringens,
jetzo sich entlud, angezündet von dem Gedanken, daß Leib
Vor dem Rathause stund bei einer Gruppe von Bürgersleuten der Page des Obersten Falkenberg und hielt das Roß seines Herrn am Zügel. Ich hin zu ihm, schwang mich aus dem Sattel, gab ihm auch noch mein Pferd zu halten und stürmte die Treppe hinan zum Sitzungssaal. In der Tür blieb ich eine knappe Weile atemlos stehen.
Falkenberg redete zur Ratsversammlung. Wiewohl auf seinem Angesichte Schweiß und Erschöpfung lag, hielt er doch seine kalte, eiserne Trutzigkeit aufrecht. Ich aber trauete meinen Ohren nicht. Was diese Männer beschäftigte, war ja noch immer die Frage, ob mit Tilly zu ackordieren sei. Wußte man denn allhie noch nicht, wie die Dinge stunden?
»Nichts von Traktaten!« rief Falkenberg; »jede Stunde, die ihr heute länger ausharret, ist mit keiner Tonne Goldes zu bezahlen. Zum Abzuge ist Tilly entschlossen, und die Schüsse, so jetzunder gen unsere Mauern donnern, sind der Abschiedssalut ...«
»Mit Verlaub, Herr Oberst,« rief ich und drängte mich durch die Versammlung.
In diesem Augenblicke begann der Türmer der nahen Johanniskirche zu tuten. Die Augen aufgerissen horchte die Versammlung, und Falkenberg stutzte. Gleich darauf aber sprach er mit fester Stimme weiter: »Sollte der Feind aber wirklich wagen, unsere Mauern noch in letzter Stunde zu berennen, so mag er mit blutigem Kopfe heimziehen. O, daß er sich unterstünde! Er wird sich den Kopf zerschellen!«
Indem ward hinter mir die Tür aufgerissen, und der Burgemeister Otto von Gericke kam hereingestürmt: »Der Feind ist allbereits in der Stadt – am Fischerufer plündern die Kroaten!« Mit Rufen des Entsetzens sprang alles von den Stühlen und drängte zum Ausgang.
Ich trat vor Falkenberg und meldete: »Die Pappenheimer stürmen bei der Hohenpforte,
Kapitän Schulz läßt um
Bleich und finster starrete mich der Oberst an. Dann verzerrte er das Angesicht zu einem höhnischen Grimme, und aus der breiten Heldenbrust preßte sich ein seltsamlicher Laut, zugleich ein Stöhnen und ein Triumphieren.
»Auf!« rief er in plötzlicher Entschlossenheit und stürmte mit Sporengeklirr zum Saal hinaus, die Treppe hinab. Ich hinter ihm drein. Bei seinem Pferde angelangt, das der Page – wie auch das meine – am Zügel hielt, wandte sich der Oberst zu mir: »Reit Er zur Marschschanze, Oberstleutnant Trost soll mit seinen Reitern der Hohenpforte Sukkurs bringen – schnell, fort!« Und schon saßen wir beide im Sattel, gaben den Pferden einen Sporenhieb und galoppierten nach verschiedenen Richtungen.
Ich den Johannisberg hinunter, über die Strombrücke auf die Insel, so man den Stadtmarsch heißet. Da kam mir der Oberistleutnant Trost mit seinen Reitern entgegen. Ich tat ihm Meldung und trabte gemeinsam mit dem Geschwader zum Orte des Kampfes, von wo das Schießen wie ein unaufhörlich Geknatter erscholl. Munition hatte ich nun.
Als wir in die Große Lakenmacherstraße kamen, sahen wir das Mannsgetümmel mit Pulverdampf und blitzenden Waffen. Hinten aus den Häusern am Tore flogen Steine, Hausgeräte und Balken auf Feindes Haupt hernieder. Ein hölzern Haus stund in Flammen, in der sonnigen Maienfrühe seltsamlich anzuschauen, gleich einer Kerze, so milden Lichtes bei Tage brennt.
»Platz gemacht, Platz!« rief der Oberistleutnant Trost, da wir den kämpfenden Unseren
im Rücken waren. Als diese nun zur Seite auswichen und eine Gasse eröffneten,
rasselten wir wie ein Donnerwetter hindurch und pralleten wider den Feind, der dicht
zusammengedrängt die Picken vorstreckte, während seine Musketiere wider uns eine
Salve abgaben. Rings um mich brachen Rosse zusammen und Reiter stürzten,
Gleich darauf ward aus einem Fenster von nackten Weiberarmen ein Kessel geschwungen, und unter höhnischem Gekreische siedend Öl auf Feindeshaupt gegossen. Hinterher hagelte es Steine, Hausgeräte, brennende Fackeln und wuchtige Balken.
Da gerieten die Pappenheimischen Picken in Unordnung. Den Moment nutzend und angetrieben von der Löwenstimme Falkenbergs, der auf einmal unsere Führung hatte, gab alles, was von den Unseren heil geblieben, darunter ich, dem Rosse die Sporen und brach hauend oder mit Pistol und Karbiner schießend in die feindliche Menschenmauer ein.
Vor mir, neben mir hieben, stachen die Picken, Arme wurden geschwungen, Säbel sauseten, Helme prasselten, man schrie und heulete. Ich hieb wie rasend auf den Feind. Und abermals sahe ich Blutquellen herfürbrechen und manchen Getroffenen stürzen.
Diesmal gewannen wir die Oberhand. Des Feindes Ordnung löste sich, und was nicht liegen blieb, retirierte zur Hohenpforte. »Gewonnen! Gewonnen!« Mit diesem Rufe spornten wir die Rosse zur Verfolgung, unsere Fußtruppen, so inzwischen ihre Musketen geladen hatten, kamen hinterdrein gerannt, wir Reiter machten ihnen eine Gasse, und sie brannten dem flüchtigen Feinde ihre Kugeln auf den Pelz, daß die Lappen flogen.
Schon waren die Pappenheimischen Eindringlinge über den Oberwall zurück in die Faussebraye geworfen, und wir vermeinten, nun werde uns der völlige Sieg gelingen, als auf einmal eine furchtbare Salve groben Geschützes aus der Richtung des Krökentors in unsern Haufen schmetterte. Ich hörte, wie die Unseren auf dem Walle schrien und wimmerten, und dann rief eine Stimme: »Mit unserer eigenen Batterie erschießen uns die Hunde! Auf! Schmeißet sie hinunter!«
Nun wendeten wir die Pferde und folgten dem Offizier. An der Ecke, wo eine Gasse zum Fischerufer hinunterführet, wimmelte es von Menschen. Bürger wollten hastig Ketten über die Gasse spannen. Doch der Oberste Falkenberg schrie: »Noch nicht! Lasset unsere Reiter durch!«
Hierauf so schwenketen wir in die Gasse ein und sahen uns einem kroatischen Reitergeschwader gegenüber. Mit Karbinern schoß es nach den Fenstern, aus denen Steine und Balken geflogen kamen. »Auf und drein!« rief Herr Falkenberg mit geschwungenem Schwerte, wir rasselten an den Feind und warfen ihn, daß er ausriß. Wir folgten ihm zum Fischerufer. Hier kamen Kroaten aus den Häusern, wo sie geplündert hatten. Wir hieben sie nieder.
Doch da sahen wir, wie vom Rondel an der Elbe neue Kroaten geritten kamen; der Wasserstand war also niedrig, daß die Pferde bei der Mauer waten konnten. Es half uns wenig, daß wir auf den Feind schoßen. Immer neue Schwadronen rückten heran, und weil alle ihre Feuerrohre geladen waren, verloren wir viel Leute und mußten weichen.
Der nachrückende Feind kam in der engen Gasse nicht weit. Denn gleich hinter uns hatten die Bürger Ketten gespannt und ihre Häuser zu Festungen umgewandelt. Aber nun flammte eine neue Feuersbrunst auf. Der Feind warf Pechkränze in die Häuser, um durch Brand die Verteidiger auszutreiben.
Wir hielten an der Ecke der Lakenmacherstraße, als auf einmal von der Hohenpforte her eine wilde Flucht der Unseren kam. Gleich hinterher wurden feindliche Harnischreiter sichtbar, und Rufe des Entsetzens gingen durch unsere Reihen: »Jesus! Sie haben die Hohepforte! Nun kommt die ganze Armada!«
Als ich wieder zu mir kam und mich verwundert aufrichtete, war die Straße ringsum besäet mit Toten und stöhnenden, zuckenden Verwundeten. Ich betastete meinen Kopf, er schmerzte und blutete, doch fand ich keinen Bruch am Schädel.
Nun riß mich die Kriegsfuria aufs neue in den Kampf. Ich sprang auf und lud meinen Karbiner. Da flüchteten etliche unserer Reiterei an mir vorüber, und siehe, einer war der Herr Administrator des Erzstiftes Magdeburg. Doch gleich hinter ihm drein sprengten fünf feindliche Panzerreiter, von denen einer kostbare Federn auf dem Helme trug. Dieser Ritter verlegte dem Administrator den Weg und rief gebieterisch: »Ergebet Euch! Ihr sollet Quartier haben!« Da hielt der Administrator sein Pferd an, steckte sein Schwert in die Scheide und gab sich gefangen.
Ich legte auf den Ritter an und wollte eben losbrennen, als plötzlich eine weibliche Stimme »Johannes« schrie. Es war die Jungfer Gräfin, meine Thekla, als ein Mann gekleidet, mit Blute bespritzt, ein Schwert in der Rechten, ein Pistol in der Linken. »Zu Hilfe, Johannes!« rief sie und lief zu einer kämpfenden Gruppe.
Ich folgte und sahe den Obersten Falkenberg, der vor sich auf dem Rosse einen
ohnmächtigen Verwundeten hielt und an drei Harnischreiter, so ihn umzingelten,
Schwerthiebe austeilte. Den wildesten Gegner des Obersten traf mein Karbinerschuß.
Des andern Roß brach unter dem Schwertstich der Jungfer Thekla zusammen. Da brannte
der dritte sein Feuerrohr auf den Obersten ab, stürzte aber gleich darauf, getroffen
von einem Beilhiebe des Rottmeisters Hans
Der Oberste Falkenberg ließ sein Schwert fallen, griff sich nach der Brust und sank nach vorne über den Menschenkörper, der noch immer vor ihm lag. Ich nahm des Obersten Linke, während Hans Herkel auf der andern Seite des Rosses die Rechte ergriff, Thekla hielt des Rosses Zügel – und so führten wir den verwundeten Obersten aus dem Kampfgetümmel.
Unweit war der Jakobikirchhof. Dorthinein zu den grünen Grabhügeln ging unser Zug. Bei der Wohnung des Totengräbers war ein Brunnen und eine Bütte mit Wasser. Ein unmündig Mägdlein, des Totengräbers Kind, stund dabei und staunete uns an.
Hier machten wir Halt, ich und Hans Herkel ließen den Obersten vom Roß in unsere Arme gleiten und legten ihn an einen grünen Grabhügel, das Haupt zwischen Stiefmütterchen und Narzissen gebettet. Jungfer Thekla hielt indessen den andern Körper, den das Roß getragen und der noch immer querüber lag, bei den Schultern und schaute schluchzend in das bleiche Angesicht. Und siehe, dies Angesicht gehörte der Frau Falkenbergin. Gleich Thekla hatte sich die edle Frau in Mannesgewand getan und als ein Krieger in den Kampf gestürzt, an ihres Gatten Seite zu fallen. Als wir sie neben den Obersten betteten, spürten wir, daß sie tot war.
Falkenberg drehte seinen Kopf zur Gattin, und ihre Hand legte ich in die seine. Er dankte mir mit einem Blicke und schaute mit wehmütiger Liebe nach seiner entseelten Frau.
Hans Herkel und ich stunden schweigsam dabei. Das Knattern und Donnern der Schlacht scholl herüber. Auf einmal aber ertönte aus dem nahen Blütenbusche das Flöten einer Nachtigall, so süß, als sei in Todes Arm die holdeste Hochzeit. Zugleich hörte ich des Totengräbers Kindlein jauchzen. Mit seinen Händlein plätscherte es in der Wasserbütte und freute sich der glänzenden Wellen und sprühenden Tropfen.
Stöhnend richtete sich der Oberste auf. Da fielen Ascheflocken aus der Luft bei uns nieder, und gen Himmel richtete der Sterbende sein Auge groß und gierig. Droben flogen Rauchwolken und Funken.
»Herkel!« – stieß er mühsam herfür – »es ist Zeit – ans Werk! Er hat das Zeughaus übernommen.«
Ein heiser Schluchzen brach aus Hans Herkels Brust; dann rief er wild: »Ich tu's!« und rannte spornstreichs fort.
Mit einem Lächeln des Triumphes sank der Oberste zurück in die Blumen. Dann sah er milden Auges abwechselnd mich und Thekla an. »Tielsch,« – hauchte er – »rette Er die Jungfer – in die Kirche – schnell fort!« Keuchend rang des Helden Brust, ein Blutstrom brach aus seinem Munde, er röchelte – und verschied.
Thekla schrie auf, warf sich zu den Toten auf den Boden und umschlang ihre Schwester schluchzend. Dann küßte sie des Obersten Hand.
»Mein gnädig Fräulein«, mahnte ich. Da sie aber nicht hörte und von neuem aufschrie, so ergriff ich ihre Hand, hub die Jungfer empor und sprach: »Bitt Euch, gnädig Fräulein! Wollet doch den letzten Willen des Toten erfüllen und eilends mit mir gehen. Oder möchtet Ihr in Feindes Hand fallen?«
Sie starrte mich tränenvollen Auges an, besann sich und sprach: »Ja doch, Johannes! Ich komme allbereits.«
Nun eilten wir über die Gräber zur Pforte der Jakobikirche. Ich pochte heftig und rief: »Machet doch auf! Wir sind Magdeburger!« Doch verschlossen blieb die Pforte.
Hierauf verließen wir eilends den Kirchhof und liefen die Blaue Beilstraße entlang, die von Menschen ganz leer war, da sich alles in die Häuser verkrochen hatte.
»Zur Johanniskirche!« rief ich, hoffend, dorten vielleicht Einlaß zu finden. Und wir rannten durch die Gassen.
An der Ecke der Marktstraße aber hatte Thekla derart den Odem verloren, daß sie nicht weiter konnte und stehen blieb. Es war gerade bei einer Gruppe jammernder Menschen. Es stund allda ein Prädikant, angetan mit seines Amtes Tracht, die Heilige Schrift mit der Linken an seine Brust gedrückt. Um ihn herum zitterten etliche bange Herzen von Jungfrauen und älteren Weibsbildern. Das war ein Weinen und Händeringen: »Was sollen wir denn tun? Was tun?« Der bleiche Prädikant aber erhub nur immer die Rechte und sprach: »Gott allein weiß das! Gott allein!«
Da packte mich die Jungfer Gräfin am Arm und schrie, die Augen wild aufgerissen: »Bring Er mich um, Johannes! Tu Er mir die einzige Liebe! Die Kroaten kriegen mich sonst! Schieß Er mich tot! auf der Stelle!« Und sie reichte mir ihr Pistol.
Ich riß es aus ihrer Hand, steckte es in meinen Koller und sprach: »Ja doch, mein gnädig Fräulein! Lebendig soll Euch der Feind nicht kriegen – das gelobe ich! Aber noch ist es nicht Zeit zum verzweifeln. Erst such ich, Euch zu retten! So gebeut unseres teuren Obersten letzter Wille. Wollet ihn, mein Fräulein, doch respektieren!«
»Nun gut!« entgegnete sie. »Johannes! Geb Er mir das Pistol zurück. Ich folge Ihm!
Doch unser Plan ist schlecht. Bedenk Er nur: So es uns wirklich sollte gelingen, in
die
Daß dieser Einwand richtig sei, leuchtete mir ein. Ich sah im Geiste das Innere der Johanniskirche, sah die hineingeflüchtete Menschenmenge, wie sie teils betete, teils zwischen den Säulen herumirrte und nach einem Verstecke suchte. Versteck! Ja, wenn ich einen Versteck fände! Einen unterirdischen!
»Gott sei gedankt!« rief ich. »Ich weiß Rat! Aus dem Keller des Predigerhauses führet ein unterirdischer Gang in die Johanniskirche und von dorten nach Kloster Berge. In den wollen wir eindringen!« Und wieder ergriff ich des Fräuleins Hand und riß sie mit mir.
Da wir zur Johanniskirche kamen, hörten wir, wie die Pforte von innen vernagelt und verrammelt ward. Wir liefen um die Sakristei herum, und da stund nun das traute Haus, allwo ich als Knabe mit den Eltern gewohnet. Doch die Haustür war verschlossen, und die Eisengitter vor den Fenstern hinderten das Hineinsteigen.
Ich pochte heftig und rief: »Machet doch auf! Wir gehören ja zu euch! Sind evangelisch! Ich bin allhie geboren – bin des ehemaligen Prädikanten Tielsch sein Sohn – jetzo schwedischer Korporal! Machet auf! Wir wollen euch ja helfen! Wir wissen Rettung. Ei, so machet doch endlich auf!«
Vergebens! Indessen blickte aus einem Fenster des Nachbarhauses ein Weibsbild und sagte: »Ach, ihr Soldaten! Seid ihr wirklich Freunde?«
»Ja doch!« entgegnete ich. »Und damit Sie erkennet, daß ich die Wahrheit rede, so sag ich: Mein Quartier ist auf dem Ringe beim Kaufmann Schmidt; Sie kennt wohl seine Mutter, die alte Schmidtin. Und nebenan logieret – ach Gott, nein – hat logieret der Herr Oberste Falkenberg – Gott mache den Helden selig! Und ich – bin ein Magdeburger Kind, vor 27 Jahren hier nebenan im Predigerhause geboren.«
»Höret mich an!« sagte ich. »Ich weiß einen Rat! Wir wollen dies Haus also zurichten, als ob die kroatischen Mausköpfe schon hieselbst gewesen wären. Vielleicht daß die Plünderer alsodann vorübergehen, weil sie denken: da ist nichts mehr zu holen. Trude, bringe Sie mir eine Axt.«
Zur Jungfer Gräfin aber sprach ich: »Mein lieber Jaroslaus – so muß ich Euch nun wieder heißen – nimm den Säbel und schlitze die Betten auf – Stroh und Federn sollen verstreut werden.«
Da Trude die Axt gebracht, gab ich ihr fürder auf, in den Hausflur einen Tisch zu setzen und Speisen und Bier aufzutragen. Während sie es tat, zerschlug ich mit der Axt Ofen, Truhen und Schränke, Türen und Fenster. Dann tat ich die Haustüre sperrangelweit auf. Jungfer Thekla schleppte indessen zerschlagene Töpfe, Stroh und Bettfedern bis vorn in den Hausflur und auf die Straße. Wir aßen und tranken etliches von den Speisen und dem Bier. Und nun sahe das Haus also wüste aus, als sei hier für Plünderer rein gar nichts mehr zu holen.
Es war die höchste Zeit, denn schon hörten wir Schüsse bei der Johanniskirche. Von der Magd geführt, gingen wir die Treppe hinauf unters Dach in eine Bodenkammer. Ich und Jungfer Thekla prüften unsere Waffen, ob sie auch in Ordnung. Die Magd aber hielt das Beil gefaßt und zitterte vor Begier, den eindringenden Feind anzufallen.
»Trude,« sprach ich – »ist es möglich, daß wir nebenan ins Predigerhaus gelangen?
Dorten ist im Keller sichere Zuflucht, nämlich ein heimlicher Gang, so unterirdisch
zur
Sofort tat ich die Dachluke auf und spähete hinaus. Dicke Rauchwolken, vermischt mit Funken, flogen über die Dächer. Ein feuerschnaubender Drache wälzte sich auf die Stadt. Drüben in der Johanniskirche hub ein Choral zur Orgel an. Von der Straße her scholl ein roh Gebrüll und Jauchzen: »All gewonnen! All gewonnen!«
Ich prüfte, ob der Weg übers Dach möglich. Es war nach unten steil, hatte jedoch oberhalb der Luke eine platte Stelle, über die man wohl sichern Fußes zu einer ähnlichen Stelle der Predigerhauses gelangen konnte.
»Fort von hier!« sagte ich. »In wenigen Stunden steht das ganze Viertel in Flammen. Wollen wir nicht verbrennen oder dem Feind in die Arme laufen, so müssen wir den unterirdischen Gang im Predigerhause aufsuchen. Vorwärts, klettern wir übers Dach!« Die Magd rang die Hände. Jungfer Thekla nahm entschlossen einen Strick, so durch die Bodenkammer gespannt war, und knüpfte das eine Ende um ihren Leib.
Ich kletterte nun zur Lucke hinaus und ließ mir des Strickes anderes Ende reichen, kroch zur platten Stelle des Daches empor und schlang den Strick um den Schornstein. Hierauf kehrte ich zur Luke zurück und half der Jungfer Thekla auf das Dach und hinan zur platten Stelle steigen. Ebenfalls mit Hilfe des Strickes, den Thekla nun frei gab, holte ich die Magd herauf, versäumte auch nicht, unsere Waffen mitzunehmen. Dann kroch ich hinüber zum Predigerhause, wo ich eine Dachluke offen fand, und befestigte daselbst den Strick, der nun gespannt als ein Geländer vom Schornstein zur begehrten Stelle hinleitete. Uns gelang der schwindelige Stieg übers Dach, und durch die Luke kamen wir in eine Bodenkammer, wie sie vom Gesinde bewohnt wird.
Und nun polterte ein schwerer Schritt die Treppe zu uns herauf. »Nicht schießen,« raunte ich, ergriff den Strick und lauerte hinter der Tür. Thekla trat neben mich mit gezücktem Degen, während die Magd auf der anderen Seite das Beil erhub. »Lebendig müssen wir ihn haben! Er soll uns die Losung sagen!« flüsterte ich.
Gleich darauf trat ein Soldat mit vorgestrecktem Degen ein. Im Nu hatte ich den Strick um seinen Hals geworfen und würgte ihn, daß er vor Schwäche zusammenbrach. Thekla schloß die Tür der Bodenkammer, und während die Magd dräuend das Beil über dem Kopfe des Gefangenen hielt, herrschte ich ihn an: »Schweig! So du schreiest, bringen wir dich um!« Hierauf ließ ich den Strick etwas lockerer, daß der Gefangene wieder Odem bekam und sagte: »Wie lautet eure Losung? Antwort, oder du bist des Todes!«
»Jesus Maria!« krächzete der Soldat.
»Heißet die Losung Jesus Maria?«
»Ja.«
Nun zog ich den Strick wieder fester und sprach zu Thekla: »Was machen wir mit ihm?«
»Totschlagen«, knirschte die Magd.
»Knebeln wir ihn!« meinte Thekla, trennte mit dem Degen ein Stück vom Bettlaken und rollte es zum Knebel zusammen.
Der Gefangene setzte sich zur Wehr. Wie ich aber meines Schwertes Schneide an seinen Hals hielt, ward er kirre und ließ sich den Knebel ins Maul stecken. Hierauf banden wir ihm Füße und Hände hinterrücks zusammen und fesselten ihn an einen Dachbalken.
»Trude!« sprach ich zur Magd, »so jetzo andere Beutemacher heraufkommen, verbleibt uns nur ein Rettungsmittel:
Nun redete auch die Jungfer Gräfin der Magd zu: »Tu, was der Korporal gebeut. Es ist eine Kriegslist. Der heimliche Weg kann uns retten.«
Auf einmal erhellte sich das Antlitz der Magd und sie sprach: »Ja, nun verstehe ich. Ja, ich will es tun. Aber mir ist bange. Herr Jesus, wenn die Sache schief geht! ...«
Indem vernahmen wir Tritte auf der Treppe. Da galt es, nicht länger zu zaudern, sondern dem Feinde entgegenzugehen.
»Noch eins,« sagte ich – »wir gehören dem Grafen Mansfeld und sind von der Sudenburg her in die Stadt gedrungen. Nun denn in Gottes Namen los!«
Packte also die Magd bei der Gurgel und rief: »Wo ist der Geldschatz? Im Keller? Führe uns hin, Bestie!« Dann tat ich die Tür auf, wiederholte recht grimmig diese Worte und zerrte die Magd die Treppe hinab, während mein Junker Jaroslaus folgte.
Unten auf dem Flur stund ein Soldat, die Beine gespreizt und die Muskete mit brennender Lunte auf uns angeschlagen. »Losung!« brüllte er.
Gleichmütig entgegnete ich: »Jesus Maria!« und schleppte die Magd vollends hinunter.
Da der Kroat noch immer stutzig
Da blitzte freudige Gier aus seinen Augen, er setzte die Muskete ab und schloß sich uns an, indessen wir die Magd auch die nächste Treppe hinunterschleppten.
Unten drangen auf einmal drei Beutemacher auf uns ein und riefen, mit ihren Waffen dräuend: »Losung!« »Jesus Maria!« antwortete ich, während der Kroat in fremder Sprache auf seine Kameraden einredete, worauf sie sich zufrieden gaben. Nur einer – ein junger Offizier – hielt seinen Degen gezückt und sprach: »Wos seids denn Ös? Doch nit Pappenheimer!« »Mansfelder!« entgegnete Thekla. Ich aber fügte hinzu: »Ja, wir Mansfelder waren allbereits früher da, als ihr. Was gaffet ihr, Kameraden? Kommet lieber mit in den Keller – dorten liegt Gold – ja Gold – ein großer Schatz – diese Magd wird ihn uns weisen.«
Die Soldaten redeten eifrig durcheinander. Der Offizier aber fragte verdutzt: »Sakrament noch emol! Sein die Monsfelder ollbereits in der Stodt? Verflucht! Aber gut, Gold nehmen wir! Gehen wir in Keller!«
Nun ließ ich die Magd los, hielt ihr die Faust unter die Nase und herrschte sie an: »Wehe dir, Bestie, so du läugest! Führe uns sogleich in den Keller und weise den unterirdischen Gang!«
»Mit Verlaub, ihr Herren!« antwortete die Magd weinerlich. »Lasset mich nur erst die Laterne anzünden. Unten ist es stichdunkel.« Hiermit ging sie in die Küche, und ich folgte ihr. Mit dem Feuerzeuge machte sie Licht und tat es in die Laterne, worauf ich das Feuerzeug in meiner Tasche barg.
Nun drangen wir alle in den Keller, und ich leuchtete mit der Laterne umher. Vom
geheimen Gange nichts zu sehen; wohl aber lag in einer Ecke Gerümpel aufgeschichtet,
alte Tonnen und Kisten. »Gesteh, daß der Schatz dahinter liegt!« fuhr ich die Magd
an. »Ja doch, ihr Herren,« entgegnete sie
»Mein lieber Jaroslaus!« sprach ich laut zu Thekla. »Nimm die Laterne und suche den Schatz! Findest du, was wir begehren – du verstehst mich, Jaroslaus – so rufe, daß ich nachkommen soll.«
Sogleich ergriff Thekla die Laterne und kroch in den Gang.
Da rief der Offizier etliche Worte in kroatischer Sprache und sagte dann zur Magd: »Geh mit Milivoi in Kuchel – holen mehr Licht – andere Laterne, auch Fackel – ganz gleich – ist zu dunkel – fort Milivoi!« Und es ergriff einer der Soldaten die Magd am Arm und ging mit ihr hinauf.
Ich war allein mit dem Offizier und dem andern Soldaten. Da konnte ich einen Angriff wagen, zumal es so weit dunkel war, daß nur aus dem Gange ein Schimmer herfürdrang. Gebückt stund der Offizier am Eingange und schaute hinein.
»Hast du etwas gefunden, Jaroslaus?« rief ich.
Da antwortete Thekla in böhmischer Sprache: »Ja, Johannes; der Gang biegt links ab, wird ganz geräumig und geht weiter – ich glaube, er kann uns retten – komm geschwind nach und laß uns kämpfen.«
»Wos sogt er?« fragte der Offizier mißtrauisch. – »Er hat den Schatz!« antwortete ich und griff nach meiner Muskete. »Hot er?« sprach der Offizier und kroch in den Gang.
In diesem Augenblick erhub sich oben im Hause ein Poltern und Geschrei; die Magd Trude eilte zum Keller herein und rief: »Ach Gott, ach Gott – aus der Bodenkammer kommt der Soldat – andere haben ihn frei gemacht.«
Da holte ich mit meiner Muskete zum Schlagen aus und traf den Soldaten, so bei mir stund, daß er lautlos zusammenbrach. Nun kam der Offizier wieder aus dem Gange heraus, ich aber schlug ihn nieder, bevor er sich aufgerichtet hatte. Und sofort flüchtete ich in den Gang.
»Johannes!« rief Thekla ängstlich.
»Ich komme,« antwortete ich.
»Schnell, schnell!« rief sie – »daß du hierher um die Ecke biegst – da trifft dich keine Kugel.«
Und es bog sich der Gang wie ein Knie, nach oben geräumig, so daß man sich aufrichten konnte. Hier stund Thekla hinter der Laterne, den Degen gezückt, ein Pistol in der Linken. »Verteidigen wir diese Stelle!« sagte sie.
Ich aber bedachte, ob man den engen Teil des Ganges nicht mit Steinen verrammeln könne. An der Decke fand ich das Gemäuer rissig und morsch, beschloß daher, es mit Pulver zu sprengen.
Riß aus meiner Feldbinde einen Fetzen, schüttete reichlich Pulver darauf, legte ein Stück Lunte hinzu und wickelte alles dermaßen zusammen, daß es ein Päcklein bildete. Das zwängte ich tief in eine Mauerritze und stopfte Steine hinterdrein, jedoch so, daß die Lunte herausragte. »Fort!« sprach ich zu Thekla und zündete das Ende der Lunte an. Wir liefen den Gang entlang.
Auf einmal erscholl hinter uns ein furchtbar Krachen, und der Lufstoß hätte mich beinahe zu Boden geworfen. Die Laterne war erloschen. Rauch und Staub benahm mir den Odem. »Thekla,« stöhnte ich. Sie antwortete erst nach einer Pause: »Hier bin ich.«
Nun holte ich das Feuerzeug aus meiner Tasche und zündete die Laterne wieder an. Wir gingen rückwärts und sahen, daß die Sprengung den Zugang mit Mauerstücken versperrt hatte. Lauschend vernahmen wir des Feindes Stimmen nur als ein verworren Gemurmel.
Stumm blickten wir einander ins Angesicht. Thekla seufzete, und als ich ihre Hand ergriff, verspürete ich, wie sie zitterte. »Mein gnädig Fräulein!« stammelte ich.
»Ein Zurück gibt es nicht mehr,« antwortete ich – »und ob das Vorwärts zur Rettung führt, steht bei demselben Gotte, der uns zu dieser Stunde so wunderbarlich geleitet.«
Aufschluchzend umschlang Thekla meinen Hals und barg an meiner Brust ihr tränenvolles Antlitz. Ich legte den Arm um die bebende Gestalt. Wir fanden keine Worte. Mich deuchte, ich sei ein Nachtfalter und schwirre, vom Lichte trunken, um eines Engels lichtes Angesicht.
Wie ich meinen Sinn gesammelt hatte, sprach ich: »O meine Thekla, liebe Thekla, warum nur ist die Ewigkeit so kurz?« Da sie mich liebreich, doch fragend anschaute, meinte ich: »Wir waren in der Ewigkeit – und sind auf einmal wieder in der bangen Zeit.«
Mit einem schweren Seufzer preßte sie meine Hand an ihren Busen, flüsternd: »Ach, hätte der treue Gott jetzo uns beide zu sich genommen!«
»Es ist wohl noch nicht so weit – Pilger sind wir, und wer weiß, wo unser Ziel. Komm, liebe Braut! Ich bin bei dir, du bist bei mir.«
Und meinen Arm um ihre Schultern gelegt, stützte und leitete ich sie.
Bald hörte der Gang auf, eine sehr schmale Treppe von Stein führte aufwärts, bis sie von einem hölzernen Dache abgeschlossen ward, geformt als ein Sargdeckel. Ich drückte dawider, und es hub sich der Deckel. Ich ließ mir von Thekla die Laterne reichen und leuchtete in den aufgetanen Raum.
Es war eine Gruft, darin etliche Särge stunden. Wir erkannten, daß wir unter der
Johanniskirche waren. Die Tür, durch die ich eindrang, war ein Sarg inmitten der
anderen –
Wir stiegen in die Gruft empor und taten den Sargdeckel hinter uns zu. Außer den Särgen befand sich in der Gruft ein Schrein, dessen Tür verschlossen war. Eine Leiter führte zur Decke, und hier mußte eine Falltür sein. Ich kletterte hinan und stemmte mich wider die eiserne Platte. Sie hub sich und klappte mit dumpfem Falle seitwärts.
Wir stiegen in ein Gewölbe, das wohl ebenfalls unterirdisch war, da es keinerlei Fenster hatte. Nur eine Tür, mit Eisen beschlagen. Ich rüttelte daran, sie schien von außen mit einem Vorhängeschloß versperrt. Das Gewölbe enthielt Truhen und Schreine, sowie etliche Fässer. Ich ward nun inne, daß wir in einer Gerätekammer der Kirche waren, wohin ich als Knabe meinen Vater einmal begleitet hatte.
Tat eine Truhe auf und fand eine Altardecke von schwarzem Sammet. »Kirchengerät!« sprach ich. »Vor den Plünderern hat man's geborgen. Hier muß ein guter Versteck sein.«
Auch die Truhen waren mit seinen Geweben angefüllt. Ein Schrein enthielt kostbare Leuchter und Wachskerzen, ein anderer silberne Kelche und Kannen, ein dritter ein Kästlein von Ebenholz, angefüllt mit Oblaten des heiligen Abendmahls. Da ich Thekla fragend ansahe, erschauderte sie und faltete die Hände. Ich verspürete auf einmal nagenden Hunger, brennenden Durst.
»In den Fässern ist Altarwein,« flüsterte ich; »sollen wir nicht ein Weniges davon trinken?« Thekla schwieg. »Der Wein hat noch keine Weihe,« – fuhr ich fort – »man darf ihn trinken.«
Wankend setzete sich Thekla auf eine Truhe, ließ den Kopf hängen und ächzete: »Ach – ich – verschmachte.«
Da holte ich hastig eine der silbernen Kannen, drehte am Zapfen eines Fasses, ließ dunklen Wein in die Kanne laufen und hielt sie an Theklas Mund. Thekla tat einen langen Zug, und nun trank auch ich, flammend Leben rann durch unsere Adern, neue Kraft und Hoffnung war auf einmal da.
Thekla blickte zuversichtlich: »Und wären sie selbst schon geweiht, unser Heiland würde denken: Euch zwei armen Menschenkindern ist meine Speise Rettung des Leibes und der Seele. Nehmet hin und esset!«
»Amen!« sprach ich und brachte meiner Braut das Kästlein mit dem heiligen Gebäck; wir aßen und genossen dazu vom Weine.
Taumelnd lehnte Thekla ihren Kopf an meine Brust, und für ein Weilchen kehrte wieder jenes Entzücken, so mich im unterirdischen Gange begnadet hatte. Singen und klingen hörte ich die himmlischen Heerscharen. Bald freilich ward ich inne, daß man droben in der Kirche zur Orgel sang. Da ergriff mich Zagen. Hatte allbereits vermeinet, seit unserer Flucht über die Dächer, allwo ich das Choralsingen der bangen Kirchengemeinde zuerst vernommen, sei eine lange Zeit verflossen; und nun ward mir klar, daß es wohl nur ein Viertelstündlein gewesen, und daß die Feindesnot erst eigentlich beginne.
»Was ist dir?« fragte Thekla erschrocken.
Ich sprang auf. »Wir dürfen der Gefahr nicht vergessen.« Und ich leuchtete mit der Laterne in der Gerätekammer umher, beunruhigt von dem Gedanken, wir möchten keinen Ausweg finden.
Da vernahm ich Orgelton und Gesang, er kam von einer Ecke des Gemaches her, und dort führte eine Schneckentreppe aufwärts. Ich stieg mit der Laterne hinauf und gelangte in einen schmalen Raum, allwo ich nicht weiter konnte. Der Choral aber scholl deutlich durch die eine Wand.
Sie betastend ward ich inne, daß sie aus schwanker Leinewand bestund, und durch ein
taghell schimmernd Löchlein sah ich in die Kirche, gerade auf den Prädikanten, so am
Altare
Da sprach ich zu Thekla, die neben mir stund und durch das Loch des Bildes schaute: »Wir müssen wieder hinunter zu den Särgen! In der Gerätekammer ist keine Sicherheit. Dringen die Feinde in die Kirche ein, so werden sie alles nach Schätzen durchstöbern. Und wimmern Küster und Prediger erst in der Folter, so verraten sie wohl, wo die silbernen Geräte liegen. Übrigens braucht ein Plünderer nur seine Picke in dies Gemälde zu stoßen, so ist die Höhlung entdeckt und wird für einen Versteck von Schätzen oder Menschen gehalten. Und wird nicht die nahende Feuersbrunst auch die Kirche ergreifen? Kann nicht der Dachstuhl brennend zusammenbrechen? Wer weiß, ob das obere Gewölbe den Einsturz aushält? Hinunter also!«
Wir kehrten zur Gerätekammer zurück, Thekla nahm das Kästchen mit dem Abendmahlgebäck, ich zween Leuchter nebst Wachskerzen, und wir begaben uns durch die Falltür wieder in die Gruft. Holten noch eine Kanne Weines, einen Becher, die Truhe mit Altardecken und Tüchern. Anfangs hatten wir vor, den ganzen Kirchenschatz zu bergen; indessen schien es ratsam, den Plünderern etliche Kostbarkeiten zu lassen, auf daß sie nicht weiter suchen möchten.
Um zu beobachten, was sich ereigne, waren wir aufs neue zur Gerätekammer emporgestiegen; da vernahmen wir, wie der Choral in der Kirche abbrach, wie dann ein Poltern und Krachen losging, als ob man die Kirchenpforte erbreche, und auf einmal ein vielstimmig Angstgeschrei und Weheklagen anhub.
Ich fühlte mein Herz pochen und Kampfeswut mir zu Häupten steigen. Machte meine Muskete bereit, hastete die Schneckentreppe hinan und lugete durch das Loch.
Nun lösete sich der Menschenknäuel um den Altar in einzelne Gruppen auf, wo allerlei Drangsale vorgenommen wurden. Wie Teufel sahen die Beutemacher aus, dunkelrot die Gesichter, blitzend die Augen. Da würgete einer einen alten Mann, einem Frauenzimmer riß man die Kleider vom Leibe. Zween Soldaten packten einen Bürger und quälten ihn durch Drehen seiner Arme, daß er aufschrie. Dann ließen sie nach und herrschten ihn an: »Gesteh!« Viele Plünderer schleppten ihre Opfer fort, auf daß sie in den Wohnungen verborgene Schätze angeben sollten.
O wie schnitt mir die Folter der armen Menschen, das Stöhnen und Kreischen, das Wimmern und Röcheln ins Herze! Zu mehreren Malen bäumte sich in mir die Rachsucht auf, und ich hätte mit der Muskete in die Plünderer hineinschießen mögen. Doch zügeln mußte ich mich, um meine geliebte Braut nicht zu gefährden. Und so schaute ich tatenlos zu, wie grausam der Feind meinen Landsleuten und Glaubensgenossen mitspielete. Manchesmal wandte ich mich ab vor Entsetzen, schüttelte die Faust und biß hinein in ohnmächtiger Wut.
Da legte sich eine Hand auf meine Schulter, Theklas Antlitz stund voll Schmerz und Tränen. Das grausige Schauspiel hatte sie mit angesehen, da auch sie eine Öffnung im Gemälde gefunden. Nun stund sie erschüttert und ratlos, die Hände ringend. Dann warf sie sich an meine Brust und schluchzte.
»Ach, Johannes, laß uns nicht wieder hinschauen! Das ist ja die Hölle! Ihr Anblick weckt böse Geister.«
Ich nickte, und wir kauerten uns in eine Mauernische.
Aber nun vernahmen wir mit dem Ohre, was in der Kirche geschah; es war, als ob ein Bann uns zwinge, darauf zu achten. Und es dehnte sich die Zeit – wir seufzeten – aber des Schreckens war kein Ende.
Horch, nun scholl aus rauhen Kehlen ein Sauflied und ein Jauchzen, als ob man sich beim Weine verlustiere. Dann Weiberkreischen und wiehernd Gelächter. Die Augen aufgerissen, als ob sie innerlich schaue, brütete Thekla schweigend.
Ungeduld quälte mich. Dies Hinhorchen war ja schlimmer als das Zuschauen. Sprang also auf und lugete wieder durch die Öffnung des Gemäldes.
Ist das nicht der Prädikant? Ganz nahe lehnt er an einer Säule, matt zum Hinsinken. Bleich sein Gesicht, der Priesterkragen mit Blut besudelt. Ein Kroat hält die Muskete auf ihn angeschlagen, während ein zweites Feuerrohr am Boden liegt. Als eine reißende Bestia ist der Kerl anzuschauen, wie er die Augen funkeln läßt im gelben Gesicht und, den gepichten Schnauzbart wie Eisen spitzig, in jeder Backe eine Mordkugel vorrätig hält.
»Pfaff, gib Geld!« stößt er heiser hervor. »Gib Geld – oder –«
Da wirst sich eine junge Frau, ihr Kindlein im Arm, vor den Kroaten hin und ruft: »Erbarmen! Gnade! Pardon! Wir haben ja kein Geld mehr! Gnade! Pardon! Mein Mann ist geistlich!«
»Ah, Ketzer!« schnaubt der Kerl. »Pfaff, gib Geld – oder –«
Nun legt die Frau ihr wimmernd Kind auf den Boden, nestelt an ihrem Brustleibchen, reißt etwas Glitzerndes ab und beut es dem Eisenbeißer dar.
Da ermannet sich die verzweifelte Frau, schlägt ihm die Muskete in die Höhe, wobei der Schuß losgeht, rafft das andere Feuerrohr vom Boden auf und legt es wider den Feind an. Der glotzt wie versteinert.
Indem aber tritt ein anderer Feind von hinten zur Frau und trifft sie mit einer Keulhaue auf den Kopf, daß sie taumelt. Zugleich springen von allen Seiten Feinde herbei, geschwungene Säbel blitzen und zerhacken den hingesunkenen Körper wie Fleisch auf dem Metzgerblocke. Hierauf so packen die Mörderfäuste das am Boden liegende Kindlein an den Beinen und reißen es voneinander wie einen Tuchfetzen.
Da halte ich mich nicht länger, und wie Thekla mir zuruft: »Ja, schieß!« stecke ich die Muskete durch die Öffnung, nehme mir einen Bluthund aufs Korn und brenne los. Zugleich knallt Theklas Pistol. Der Pulverdampf verhüllt die Gruppe.
Wie er sich verteilt, wälzen sich zween Soldaten im Blute, während die anderen sich fortgemacht haben, und nur einer, den Karbiner angeschlagen, zum Gemälde emporstarrt, verdutzt, weil zwar Rauch, aber kein Schütze zu erblicken. Dann wendet der Soldat sein Gesicht ganz aufwärts, als ob er oben im Gewölbe etwas Seltsamliches gewahr werde. Gleich darauf reißt er die Augen auf und schreit: »Feurioh!«
Wie ich mich bemühe, durch das Loch emporzuspähen, siehe, da bricht an einer Stelle der gewölbten Decke schwarzer Qualm herfür und eine Funkengarbe. Und auf einmal geht ein Gebrüll los: »Feurioh! Die Kirche brennt!«
Ein Teil der Plünderer rennt zur Kirchenpforte, der andre Teil scheint es nicht eilig zu haben. Aber da kommt ein Soldat zurückgelaufen: »Macht fort! Das ganze Stadtviertel brennt!«
Nun geht die Flucht erst recht los, alles, was sich regen kann, drängt zum Ausgange.
Bis auf wenige Kerle, die entweder kaltblütig oder sinnlos fortfahren, ihren
räuberischen und bestialischen Gelüsten zu fröhnen. Einer zerrt am Fuß
Bald aber sind die Menschenlaute verstummt, und nun haucht und wispert und knattert die Feuersbrunst.
Fragend sehe ich Thekla an: »Sollen wir hinaus? Oder bleiben?«
»Bleiben!« meint sie. »Denn so wir selbst der Feuersbrunst entgehen, wird uns diese Soldateska empfahen.«
»Laß uns zuvörderst kundschaften! Komm Thekla, wir wollen uns umschauen!«
Mit dem Schwerte zerschneide ich die bemalte Leinewand, hole aus der Gruft die Leiter und lasse sie durch die gewonnene Öffnung hinunter. Drauf steige ich ins Kirchenschiff, gefolgt von Thekla. Den Säbel in der Rechten, in der Linken das Pistol schußfertig, nehmen wir den Weg nach der Pforte.
Welch gräßlicher Anblick! Durch die ganze Kirche verstreut, besonders am Altare, liegen die blutigen Opfer der Mordknechte. Hin und wieder zuckt noch ein Glied; Stöhnen und Röcheln. Auf der Kanzeltreppe sitzt ein bejahrter Mann, reglos, verzerrten Angesichts. Sein Daumen ist in ein Pistol an Stelle des Feuersteins festgeschraubt. Daneben ein Kind mit zerschmettertem Schädel. Mitten in der Kirche haben die Bestien zur Bluthochzeit gesoffen und geschmauset. Roter Wein ist aus einem Fasse gelaufen und mengt sich mit vergossenem Blute.
Und dorten am Taufbecken – was ist das? Nackte Körper, zwei junge Weibsbilder, gänzlich entblößet, haben Kopf und Oberkörper im Taufwasser, solchergestalt ersäufet, indes die Beine heraushängen. Ein ander Weibsbild lieget am Boden, die Arme gefesselt, hat schändliche Gewalt leiden müssen; reget sich nicht mehr. Und neben dieser Leiche hockt ein lebendiger Plünderer. Seine Augen glotzen aus gerötetem Gesichte. Toll und voll gröhlet er:
»Zur Hochzeit immer feste
Blutwurst und Branntewein.
Dann komm du mir ins Neste,
Mein glattes Vögelein.«
Wie wir zur offenen Kirchenpforte kommen, schlägt uns sengendheißer Odem entgegen, ein einzig Meer von Flammen ist der Himmel; rings brennen alle Häuser, es rauscht und heult wie ein Orkan, prasselt und kracht von stürzenden Balken und Ziegeln. Unmöglich, diese Glut zu bestehen. Zurück also, wieder zurück in die Kirche.
Aber seltsam! Von hehrem Orgelklang erbrauset auf einmal das Gewölbe. Spielt uns der Todesengel den Sterbechoral? Oder ist das ein Mensch? Der Organist?
Die Treppe zum Chore eilen wir hinan. Da sitzt vor der Orgel ein Mann mit weißen Locken, Wie ich ihm die Hand auf die Schulter lege, starrt er uns als ein Träumender an und spielt weiter.
»Kommet mit uns!« rufe ich ihm zu. »Auf! Rettung bringen wir, so Gott will. Wir sind Magdeburgische! Die Kirche hat einen unterirdischen Gang! Da hinein wollen wir uns flüchten! Auf!«
Der Organist schüttelt lächelnd das greise Haupt. Dann hebt er mit klarer Stimme zur Orgel zu singen an:
»Ob Sodom und Gomorrha brennt,
Mein Herz bleibt ohne Zagen!
Denn zu Jehovahs Firmament
Holt mich sein Feuerwagen.«
Mit großen Augen, die Lippen schmerzlich zusammengepreßt, starrt Thekla diesen Frommen an, dessen Seele, erhaben ob aller Leibesgefahr, im ewigen Frieden schwebet.
Derweilen nun die Orgel zum Gesange aufspielet, sind auf einmal etliche Orgeltöne zu einem heisern Stöhnen worden, und am Knistern und Qualmen wird vollends offenbar, daß die langen Orgelpfeifen von der Feuersbrunst angesteckt sind. Da packe ich den Organisten und will ihn fortreißen.
Thekla, Tränen im Auge, löset meine Hand vom Arm des greisen Mannes: »So laß ihn doch! Wozu sollen wir ihn aus seinen Himmeln reißen? Und was vermagst du ihm zu bieten? Ist uns denn selber Rettung des Leibes gewiß?«
Seufzend nicke ich der Jungfer zu, und nun flüchten wir, sintemalen die auflodernde Flamme sengende Glut verbreitet. Am Fuße der Chortreppe verweilen wir noch ein kleines und horchen mit Staunen auf den Gesang, der wiederum anhebet:
»Denn zu Jehovas Firmament
Holt mich sein Feuerwagen.
Zween Cherubim sind fürgespannt,
Gelenket von Elias' Hand.
Mein Christ mit seinen Frommen
Winkt droben mir Willkommen.«
Inzwischen sind die Orgeltöne immer mehr entartet, und während ich, von herabfallenden Feuerbrocken vertrieben, meine Braut an der Hand, weiterhaste, den unterirdischen Schlupfwinkel zu erreichen, hören wir die seltsamliche Weise, so das wilde Feuer auf den Orgelpfeifen aufspielet – ein Rauschen und Kreischen, Kichern und Quieken. Also schaurig griff diese Verwandlung uns aus Herze, als sei das Instrumentum der frommen Harmonie von höllischen Dämonen besessen und zerstöre sich selbst in heulender Tollheit.
Der Organist mußte allbereits emporgefahren sein zu seinem Gotte. In prasselnden Flammen stund der Dachstuhl, glühende Sparren fielen, Rauch und Schmauch erfüllete die Kirche.
Mein Herz war vom Liebesrausche und, wie jedwedes arme Fleischgeschöpf, vom genossenen Weine stark und feurig worden. Ich ergriff des angebeteten Fräuleins Hand, drückte sie an meine Brust und sprach: »Wohl sind wir Braut und Bräutigam; doch derselbige Herre Gott, so uns einander verlobet hat, offenbaret uns zu dieser Frist in meinem Herzen: Ihr zwei Menschenkinder sollet nicht eher zum Himmelreich eingehen, als bis ihr auf Erden einander Ehegemahl geworden.«
Da sahe mir Thekla ins Auge, groß, tief, unaufhörlich, wie durch Magie gebannt. Hingerissen sank ich auf die Knie, bedeckte ihre Hand mit Küssen und flüsterte: »Und du? Wie entscheidest du?«
»Dein bin ich,« – hauchte sie – »dein, Johannes!« Ach und dann schloß ich sie in meine Arme, und jener Strom, der entsprungen, wo Adam und Eva einander umfingen, seit Jahrtausenden durch die Menschheit rauschet und immer jubilieret: »Seid eins, wie ihr im Paradiese eins gewesen« – der Strom riß uns hin mit schmeichelnden Wellen.
Wie ich nun die Braut an mich preßte, drängte sie mich sanft zurück, und in ihrem Liebesblicke war frommer Ernst, als sie flüsterte: »Ein Sakrament ist die Ehe!«
Ich küßte ihre Hand und gab zur Antwort: »Unsere Liebe
Da strahlte Theklas Auge: »Sei du unser Priester! Traue dich mir an in frommer Feier, Johannes! Gib uns das Sakrament der Ehe – Gott wird es gelten lassen – wie ihm eine Nottaufe gilt.«
Mit heiligem Glück erfüllte mich die Aufgabe, und ich erhub mich stracks. »Ja, unser Priester will ich sein – zurüsten will ich einen Altar. Mag meine Traute indessen hinunter sich begeben in den unterirdischen Gang, gleichsam in ihre Kemenate, um abzutun das kriegerische Mannsgewand und hochzeitlich sich einzukleiden, so gut es in dieser Verlassenheit gelingen will. Mag auch das Bette nicht vergessen, allwo wir des Pförtners harren wollen, so uns aus dieser Gruft zur lichten Höhe erlöset.«
Nun hielt ich Umschau im Gewölbe und plante die Feier, halb in Andacht, halb wie ein spielend Kindlein. Breitete über die Truhe das Altartuch von schwarzem Sammet, stellte die zween dreiarmigen Silberleuchter darauf und besteckte sie mit Kerzen, die ich anzündete.
Thekla war indessen mit brennender Laterne, Tüchern und Gewändern durch den offenen Sarg hinunter in den Gang gestiegen.
Da ich keinen Kruzifix fand, zog ich mein Schwert aus der Scheide und stieß es in den Altar, daß es zwischen den Leuchtern aufrecht stund, mit seinem kreuzförmigen Griff anzuschauen wie des Gekreuzigten Symbolum. Obwohl ein geistlich Gewand vorhanden, beschloß ich, als ein Kriegsmann die Trauung zu vollziehen. Einen gefüllten Silberbecher und das Kästchen mit den Oblaten stellte ich auf den Altar.
Da hub sich aus dem Sarge eine schimmernde Gestalt – meine Thekla, nicht mehr als
Jungfer Jaroslaus anzuschauen, sondern als sanfte Jungfrau, angetan wie ein Engel mit
wallendem Linnen, das die weichen Arme bloß ließ, über der
Ich ging der Braut entgegen, reichte ihr die Hand und führte sie zum Altar, allwo wir in die Knie sanken zu stillem Gebet.
Dann stund ich auf, hub die Braut mir zur Seite und legte ihr Haupt an meine Schulter. »Siehe, meine Traute, wie hold die Kerzen schimmern – vom ewigen Licht der Gnade entzündet, daß wir in dieser finstern Öde einander ins Auge schauen, allwo noch holdere Lichtlein erblühn, ihren Docht aus unseren Herzen nährend.«
Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und bebete vor Weinen.
Ich streichelte ihr Haar. »Stille, mein Kind! Nun laß uns Gott geloben, einander als Gatten anzugehören – und laß uns das Abendmahl darauf nehmen. Nicht vom Geistlichen ist es geweiht, der Gekreuzigte und Auferstandene aber, so im Geist und in der Liebe lebet, er weiß auch ohne Priester die Herzen zusammen zu tun. Laß uns denn bedenken, wie er tat. Und er nahm das Brot, dankete, brach's – Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird – Desgleichen auch den Kelch – und sprach: Das ist das Neue Testament in meinem Blute, das für euch vergossen wird.«
Nach diesen Worten löste ich mich aus der Jungfrau Armen, brachte ihr eine Oblate an die feinen Lippen und tat eine zweite in meinen Mund. Auch den Kelch reichte ich ihr, sie nippte – worauf ich selber trank.
»Und nun, mein Gott, habe Dank, Dank – und tue, wie du willst – wie du willst!« sprach ich, in die Knie sinkend. Aufschluchzend kniete Thekla neben mir; und sie war, was ich längst ersehnt, mein angetraut Gemahl.
Doch in welcher Verfassung der irdischen Dinge! Meine Hoffnung, die früher keck zu
stolzen Höhen hinangeblickt, hielt nun die Augen verzweifelt niedergeschlagen.
Ehemann und Eheweib waren wir worden, doch nur, um in einer Gruft,
Auf einmal tut mein Herz einen heftigen Schlag und steht still; ein Krachen droben, als sei das Dach ins Kirchenschiff herniedergefahren. Die Erde bebet, wie lang hinrollender Donner poltert es über unsern Häupten. Meiner lieben Frau Arme schlingen sich um mich, ich fühle, wie sie schaudert. Dann wird es droben wieder ruhig, nur die tolle Orgel hören wir heulen.
»Der Organist!« – flüstert mein Weib, und ich erwidere: »Der ist uns längst vorangegangen – den trug sein Feuerwagen in die Ewigkeit – vielleicht, daß er uns jetzo anmeldet.«
Und aber dumpf Gepolter ob uns, die Balken der Decke ächzen und beugen sich, Staub und Schutt sprüht hernieder und blendet die Augen.
Doch mein Weib wischt sie mir aus mit ihrem sanften Gewande, nun schaue ich ganz nah die holdesten Sterne, und ihre Blicke sinken süß berauschend in meine Seele. »Laß ihn poltern droben, den groben Gesellen mit seiner knöchernen Faust!« scherze ich.
Sie drückt mich an sich: »Ja, laß ihn! So er jetzo eindringet, findet er mich in meines Mannes Armen. Im Himmel sind wir – und im Himmel bleiben wir – so oder so!«
Was drauf weiter geschehn im schaurigsüßen Hochzeitsgemache, lebt in meinem Gedenken verschwommen als ein Traum. Wundersam hat die Phantasei Glitzerfäden gewoben in unseres Schicksals düster Gespinst. Ich erinnere mich, wie wir den Deckenvorrat der Truhe auf den Boden breiteten, und wie ich scherzte: »Weiß nun mein Lieb, wie den Waldtauben zumute, so sie ihr Nestlein bauen?« Bald deuchte uns, wirklich wären wir Tauben und schwebeten durch blauen Himmel, einander mit dem Fittich streifend.
Dann wieder fühlte ich, daß wir Menschenleiber hatten, echte Kinder Adams und Evas,
und mein waren Theklas entzückende Glieder. Ich spürete den angeschmiegten Busen mit
Manchmal war's, als ruhe ihr Antlitz allbereits im Banne des Todes. Wenn aber dann das dunkle Auge groß zu mir aufschaute, war auf einmal das Leben neu erblüht. Und ich preßte an mich dies warme Leben und küßte seine Blüten, dazu lächelte Thekla wehmütig.
Es fehlte uns nicht das Gedenken an den Ruin der Dinge ringsumher. Zu drehen schien sich die Kirche, schien sich mit uns herumzuwälzen, als könne sie so dem Tode entrinnen. Eine Riesin war sie in Grimmen und Zucken, und wir pulseten innen als letztes Leben, als banges Herz. Das Heulen und Stöhnen der Riesin drang dumpf zu uns herein und wandelte sich in das Fittichrauschen des Todesengels.
Von neuem donnerte das Knochengerippe an unser Brautgemach. Und diesmal vermeineten wir, aus sei alle Erdenlust und Erdennot. Der Kirchturm mußte auf unsere Häupter herniedergekommen sein und als ein ungeheurer Grabstein unsern Tod besiegelt haben. Wie ein Schiff auf wilder See schwankte die ganze Kirche, über uns geschah ein Stöhnen und Brechen, und von der Decke kam eine Masse hernieder. Es war ein Brocken Gemäuer, und der krachte auf den Schrein, so an der Wand stund.
Aus war es jetzo mit unserer himmlischen Abgeschiedenheit; als zitternde Erdenkinder fühlten wir uns wieder verstoßen aus dem Paradeis in eine Wildnis, allwo der Sturm die brechenden Baumwipfel zauset, wo Dornen und Disteln starren, und Giftschlangen den Wanderer in die Ferse stechen.
»Rette mich, Johannes!«
Ich sprang empor, spähete nach der Stelle des Einsturzes und leuchtete umher.
Da bemerkte ich, wie die Tür des Schreins, den wir bisher nicht weiter beachtet
hatten, vom Stoße des herabfallenden
Mein Ruf froher Überraschung hatte Thekla an meine Seite gebracht, und wir schickten uns an, den neu entdeckten Gang zu erforschen.
»Thekla, süßes Weib, werde nun wieder ein Kriegsmann. Vielleicht, daß wir uns doch noch herauswinden aus den Gefahren.« Ich setzte unsere Waffen in Bereitschaft und tat einen Vorrat von Oblaten in meine Tasche, während Thekla sich aufs neue zum Junker Jaroslaus umwandelte.
Mit erhobenen Leuchtern drangen wir alsodann in den Gang. Nach etlichen Stufen führte er eben und in gerader Linie dahin. Kaum den fünften Teil einer Stunde können wir gegangen sein, doch endlos schien diese Zeit.
Auf einmal ging es bergab, und gleich darauf trat mein Fuß ins Nasse. Hinleuchtend sah ich eine Tür, halb unter Wasser. Schritt durch das Wasser zur Tür und fand, daß ein von innen vorgelegter Eisenstab sich wegnehmen ließ. Indem ward die Tür durch den Druck des äußeren Wassers aufgetan, draußen rauschte die Elbe.
Es war Nacht, doch von Glutschein war der Strom und das jenseitige Ufer beleuchtet. Hoffnung im Herzen wandte ich mich um: »Liebste Frau, nun stehet uns doch noch ein Ausweg offen. Flach ist die Elbe, ich kann schwimmen, Gott wolle, daß ich dich rette.«
Und wir traten Hand in Hand durch die Pforte ins Strombett hinaus, wobei uns das Wasser bis zu den Hüften ging.
Eine einzige Glut der Himmel, draus regneten Funken wie Schneegestöber hernieder. Zur
Rechten kam ein brennend Fahrzeug dahergeschwommen, eine jener Schiffmühlen, so schon
zu meiner Kindheit zwischen Magdeburg und Buckau auf der Elbe lagen. Von
herabgefallenen Feuerbrocken entzündet, hatte sich die Mühle von ihrem Anker gelöst
und trieb nun den Strom hinunter. Da sie uns ganz nahe kam und der Wind ihre Brunst
von uns wegblies,
So schwammen wir an der brennenden Stadt vorüber. Wie eine Sünderin im höllischen Feuer, von den Qualen seltsam verwandelt, starrete meine Vaterstadt angstvoll mich an. Die Fenster ausgebrannter Gemäuer deuchten mich Augenhöhlen, deren Augäpfel durch Blendung vernichtet waren. Die Balken und Dachsparren glichen verkohlenden Gerippen, die züngelnden Flammen aber Dämonen, so hohnlachend die höllische Qual bereiten. Und noch immer wuchs das Elend. Neue Opfer gingen in Flammen auf, Rauchwolken quollen dick und dicker; wie Springbrunnen, wie Strahlengarben schossen Funken gen Himmel; und ähnlich dem Flintenknattern einer Schlacht prasselten die brennenden Hölzer. Von den ungezählten Fackeln rot bestrahlt, doch unbeschädigt stund der Dom zu Sankt Mauritz, als fühle er sich erhaben über diese Vergänglichkeit. Andere Kirchtürme freilich brannten wie Fackeln. Von den zween Türmen der Johanniskirche, aus der wir entronnen, war nur ein rauchender Stumpf übrig.
Ich drehte meinen Kopf zu meiner Frau. Ihr Auge stund voller Tränen, ihr Kinn bebete. Ich drückte ihr ermutigend die Hand. Und weiter schwamm mit uns die feurige Mühle.
Am Fischerufer liefen rotbeleuchtete Menschen, Plünderer und ihre Opfer. Schüsse krachten, Johlen mischte sich mit Jammergeschrei, Leichen sahen wir in unserer Nähe schwimmen, ein Weib, im Arm ein schreiend Kindlein, stürzte sich von einer Mauer ins Wasser. Auch Kähne mit Soldaten kamen geschwommen, eine Kugel pfiff dicht an uns vorbei; doch beschirmend hielt der Herr anoch seine Hand über uns. Freilich nur, um uns für die schwerste Prüfung aufzusparen, wie sich allzubald herausstellte.
Fahl brach der Morgen herein, als die Mühle, bis zum Wasserspiegel niedergebrannt,
zwischen Weidenbüschen an
Als wir dorthin zurückschauten, wo einst eine Stadt gestanden, sahen wir nur eine ungeheure rote Qualmwolke. Im Strome aber hinter dem Ufervorsprung war ein Strudel, darin wurden etliche Leichen umhergetrieben, so daß bald ein bleiches Haupt, bald ein starrer Arm oder ein Fuß aus dem Wasser ragte. Mit Grauen dachte ich an die Spukhistoria, so ich gestern vernommen, wie man die vielen Leichen aus dem Gespensterwagen ins Wasser geworfen, und wie dies Gesicht nun wahr geworden.
Indem vernahmen wir eine hohle Stimme, langgezogene Predigerworte, und von der aschgrauen Morgendämmerung abgehoben, sahen wir einen Mann, in schwarzem Talar, die Arme gen Magdeburg gereckt. Und wie närrisch geworden, predigte er im Klageton für sich hin:
»Eli, Eli, lamah asabtani! O wehe, Zion, du große schöne Stadt! Wie arg bist du verwüstet! War nicht dein Antlitz licht wie Schnee und rötlich wie Korallen? Warst du nicht bekleidet mit Seiden und Purpur und übergoldet mit den Schätzen deiner Kaufleute und Schiffsherren? Wehe, nun ist dir abgefallen die Krone vom Haupte, schwarz starrt dein Angesicht von Ruß und Rauch, dürr wie Baumrinde hängt die Haut um dein Gebein. Denn der Herr hat dich voll Jammers gemacht am Tage seines Grimms, hat Feuer herniederfallen lassen wie auf Sodom und dich zertrümmert als ein tönern Gefäß. Nun mordet das Schwert in deinen öden Gassen, und durch die Trümmer schleichen Hunger und Pestilenz. Wer aber entronnen ist, muß irren und bange girren wie die vom Schwarm verlorene Taube ....«
Und der Prediger verhüllete sein Angesicht mit den langen Ärmeln seines Gewandes und
schluchzte. Dann erhub er die Stimme von neuem: »Venit summa dies et ineluctabile
Verzweifelt rang der Prediger die Hände. Auch uns ging das Unglück der edeln Stadt so zu Herzen, daß wir weinend niederknieten, hinstarrend nach den glutig rauchenden Trümmern.
Jetzo fiel des wunderlichen Predigers Blick auf uns. Er betrachtete uns eine Weile, und da er unsere Trauer erkannte, sprach er mit Gebärden des Mitleides: »Weinet nicht! Glaubet nur! Der Glaube versetzet Berge. Gebet acht, ihr klagenden Leute von Israel! Und auch du, blutige Erde, du rauchiger Himmel, gebet acht und seid Zeugen des Wunders.« Und die Arme gen Magdeburg ausgereckt, predigte der irre Mann im Prophetentone: »Eli, Eli, in deinem Namen tue ich kund: Dies Mägdlein ist nicht tot – es schläft nur! Drum stille! Schlafe dich aus, bleich Töchterlein! Balde kommt ja dein Tröster, so deine Hand ergreifet: Stehe auf und wandle! Und auferstehen wird die Magd. Drum getrost, Kinder Israels! Hoffet, hoffet! Der Herr segne euch und behüte euch!« Zum Segen breitete er die Arme, wandte sich dann und ging mit gefalteten Händen, als ob er von kirchlicher Amtierung abträte.
Wir starrten ihm nach, und für ein Weilchen sah ich im Geiste die Stadt aufs neue herrlich erstanden. Dann besann ich mich auf die eigenen Nöte und erwog die mißlichen Umstände, in die wir beide trotz unsrer vorläufigen Rettung geraten waren. Und wie der Geier seine Fänge um die Beute schlägt, ergriff mich die Sorge um Leibesnotdurft und Leben.
Still wurden unsere Seelen. Wir schauten einander ins Auge und ergaben uns einem sanften Gekose.
Nicht lange, so nahm ich wahr, wie meiner Liebsten die Augen zufielen. Bettete also ihr Haupt in meinen Arm, und sofort entschlummerte sie. Wiewohl mein Herz an ihrem lieblichen Anblick sich weidete, und wiewohl ich gegen die Angriffe der Müdigkeit ankämpfte, sank mir doch immer wieder das Kinn auf die Brust, bis mich die Mattigkeit ganz überwältigte.
Da ich das Auge wieder auftat, lag Thekla noch immer in festem Schlaf, und hoch vom Himmel schien die warme Sonne. Hunger und Durst plagte mich. Sanft, um meine Frau nicht zu wecken, zog ich den Arm unter ihrem Nacken herfür und bettete ihren holden Kopf in den Rasen.
Was nun? Ich gedachte der Oblaten, die ich beim Verlassen der Kirchengruft zu mir gesteckt. In meiner Tasche waren sie vom Elbwasser zu Brei verwandelt, doch immer noch brauchbare Nahrung.
Behutsam erhub ich mich und schlich durch die Weidenbüsche zum Strome. Eine Leiche trieb auf ihm. Obschon ich mit Ekel zu kämpfen hatte, legte ich mich aus Ufer und trank von dem Wasser. Hierauf pflückte ich Sauerampfer, der in Menge auf der Uferwiese grünte. Da er nicht übel mundete, pflückte ich Hände voll und legte den Vorrat bei der noch schlafenden Gattin nieder.
Endlich erwachte sie, fuhr schreckhaft empor und blickte wild umher. Begütigend streichelte ich ihre Hand: »Danken wir dem Himmel, daß er uns so weit bewahret hat!« Thekla antwortete mit einem stummen Nicken und faltete die Hände.
Hierauf bot ich meiner Liebsten von dem Sauerampfer und vom Oblatenbrei, und sie aß. Da sie auch zu trinken begehrte, hätte ich ihr gern den abscheulichen Anblick der mit Leichen treibenden Elbe erspart, wußte aber nach Verlust meines Hutes keinerlei Mittel, Wasser zu transportieren. So blieb mir nichts übrig, als mein arm Weib zum Strome zu führen.
Gierig hingekauert, schöpfte sie mit den Händen und trank mehrmals. Plötzlich aber
krächzte dicht bei uns am Ufer eine Krähe, Thekla wandte ihren Kopf hin, ward
plötzlich bleich und spie das eben Genossene wieder aus. Dort lag nämlich
Meinen Arm um Thekla gelegt, führte ich sie hinweg, und stöhnend vor Gram saßen wir wieder im Dickicht. Wie ein hilflos Kind weinte Thekla, und auch auf meinem Herzen lastete die ganze Schwere unseres Mißgeschicks. Ach wären wir doch beim Oheim in Schreiberhau geblieben! Wie still und glücklich lebten wir dann!
Meine Gedanken erratend, ergriff Thekla meine Hand, die Augen voll Tränen: »Verzeih, Johannes, daß ich dich verleitet, dein friedlich Gebirgsdörfel zu lassen, um eine heimlose Jungfer durchs Elend zu geleiten.«
Die teure Hand streichelnd, entgegnete ich: »Das war mein freier Entschluß.«
Und nun starrten wir vor uns hin. An einer Weidenrute hingen Maikäfer, vom Laube sich mästend. Ein garstiger Anblick. Würde uns in unserer Verlassenheit etwas anderes übrig bleiben, als diesen Käfern ähnlich Kraut zu speisen?
Endlich sammelten wir unsere Gedanken und überlegten, was zu tun. Das Ratsamste deuchte uns, hier in der Nähe des Feindes den Tag über im Gebüsch verborgen zu bleiben, bei Einbruch der Nacht aber weiter zu ziehen. Nach welcher Richtung indessen? Drüben auf dem andern Elbufer hätten wir schwedisch Volk erreichen können. Weil aber Thekla des Schwimmens unkundig, so blieb uns nichts übrig als einstweilen auf dieser Seite des Stromes gen Mitternacht zu ziehen, in der Richtung auf Tangermünde.
Nachdem wir diesen Entschluß gefaßt, stellte sich bei Thekla aufs neue des Durstes Plage ein. Da fiel mir bei, an manchen Uferstellen werde unschwer durch Graben Wasser zu erreichen sein. Sie stimmte mir zu, und nun umgingen wir die Stelle, wo der Leichnam lag, fanden auch wirklich stromaufwärts zwischen den Weiden nackten Sand, in dem sich mit den Händen graben ließ. Mühsam war unser Werk, doch schließlich kam Grundwasser, und nachdem es sich geklärt, stillten wir unsern Durst.
Abendkühle weckte uns, grauer Dunst lag auf den Wiesen, die Maikäfer schwirrten. »Diese Käfer«, so scherzte ich wehmütig, »tun uns alles vor; wohlan, fliegen auch wir davon!«
Nun füllten wir meine Tasche mit Sauerampfer, tranken noch einmal aus der Wassergrube, erfrischten durch Baden unsere Füße und brachten das Schuhwerk in Ordnung. Ich schulterte mein Gewehr, zog den Säbel und ging als Späher an den Rand des Gebüsches. Wachtfeuer glühten in der Ferne, die nächste Gegend schien gefahrlos. Das Weidengebüsch zog weiter und weiter am Strom dahin.
Und vorwärts schritten wir gen Mitternacht, uns möglichst im Gebüsch haltend. Erst wie es ganz dunkel geworden, und nur der Sternenhimmel matten Schimmer gab, wagten wir, auf freier Wiese dahinzuschreiten.
Hurtig ging unsere Wanderung vonstatten, und alle Gefahren schienen unsern Weg zu meiden. Einmal freilich packte Thekla erschrocken meinen Arm und flüsterte: »Da steht einer!« Es war aber ein Weidenstumpf.
Wir schwiegen lange und vernahmen nur unsern dumpfen Schritt, das Knirschen der Halme und das Gemurmel des Stroms, zuweilen auch eines Fischotters Rascheln, den klagenden Ruf der Unken oder das Krächzen einer Wiesenschnarre. Wachtfeuer sahen wir nicht mehr, wohl aber einen Flammenschein in der Gegend von Wolmirstedt und Neuhaldensleben, auch, sooft wir uns rückwärts wandten, die Glutwolke über meiner eingeäscherten Vaterstadt.
Um die Mitte der Nacht stellte sich ein ernsthafter Grund zur Furcht ein. Drüben am
andern Ufer begann ein Wolf zu bellen, gleich darauf ein zweiter, und nun ging ein
Heulen los, als balgten sich Höllenhunde um eine arme Seele. Es war aber gut, daß
sich auf unserm Ufer keine Bestie vernehmen
Beschwerlich ward unser Gang, als wir zur Ohre kamen. Dieser Nebenfluß der Elbe mündet in einem sumpfigen, struppichten Gelände. Nachdem uns dickes Gebüsch geplagt, zogen wir es vor, schnurstraks gen Morgen abzubiegen, um wieder den Ufersand der Elbe zu gewinnen. Hier tat ich den Riemen von meinem Gewehr und befestigte das eine Ende an meinem Gürtel, während ich das andre Thekla zu halten gab, die hinter mir ging. So wateten wir durch den Strom längs des Ufers, und wenn ich auch stets die flachste Stelle suchte, so konnten wir doch in Triebsand und plötzliche Tiefen geraten. Nur langsam kamen wir vorwärts. Wie wir die Mündung des Nebenflusses durchwateten, stieß Thekla einen Angstruf aus, da sie auf einmal bis an den Hals ins Wasser sank. Doch gleich darauf gelangten wir wieder ins Flache und Seichte, wie überhaupt der Wasserstand niedrig war.
Nach Passieren der Ohre ging es zunächst wieder im Wasser der Elbe weiter, dicht am Ufer, bis das Zurückweichen der Gebüsche uns einen freien Weg im feuchten Sande darbot.
Schon ein paar Meilen lag die Ohre hinter uns, als der Morgen graute, und die Gegend deutlicher ward. Da sah ich auf einer Sandbank im Strome etwas wie Gebälk liegen. Blieb stehen und deutete hin: »Hier beut mir Gott ein Mittel, dich über den Strom zu bringen.« Und sogleich watete ich durch das seichte Wasser auf den Fund los. Es war ein Gefüge von Balken eines abgebrannten Hauses. Ich zerrte es von der Sandbank, wo es gestrandet war, ins Wasser, und es schwamm gut.
Nun kam Thekla herbei, und wir rüsteten uns zu dem neuen Unternehmen. Banden die Waffen auf das Gebälk, wo es am höchsten über den Wasserspiegel ragte. Meine liebe Frau befestigte ich am neuen Fahrzeug in derselben Weise, wie an jener Schiffmühle, so uns aus Magdeburg glücklich entführt.
»Die halten sich an die vielen Leichen, so vom Strom angetrieben werden; haben nicht nötig, mit uns zu raufen. Übrigens kommt uns der Tag zu Hilfe, und ich hoffe, bevor es Abend wird, haben wir schwedisch Volk erreicht, da ist Falkenbergs Schwäherin sicher.«
Und ich schob das Gebälk nach der Mitte des Stromes hin. Bald hatten wir nichts mehr unter den Füßen, Thekla hielt einen Balken umklammert, ich aber schwamm und stieß das Fahrzeug vor mir her.
So waren wir etliche Minuten vorwärts gekommen, und der Tag war hereingebrochen, als auf einmal stromaufwärts dumpfer Ruderschlag erscholl. Ich schwamm so kräftig ich vermochte, indem ich mir sagte: Schweden sind das nicht, Feinde sind es!
»Johannes!« raunte Thekla beklommen, weil nun ein großer Kahn erkennbar ward.
Bestürzt entgegnete ich: »Tauche unter einem Balken hindurch, daß dein Kopf zwischen das Gefüge kommt, und du versteckt bist; ich helfe dir.«
Zu spät! Der Kahn schoß gerade auf uns los, und schon sprangen mehrere Männer aus dem Kahn in ein kleines Boot, das an ihm befestigt war. Wie sie herangerudert kamen, legten sie Karbiner auf uns an: »Ergebet euch!«
»Wir sind hilflose Flüchtlinge!« entgegnete ich. Leise aber, nur für Thekla verständlich, fügte ich hinzu: »Sprich du möglichst gar nicht, und dann mit männlicher Stimme.«
Vorn im Boot sah ich einen Offizier stehen, der meinte spöttisch: »Ei, ihr habet ja Feuerrohr und Säbel; hilflose Flüchtlinge führen kein Gewaffen. Magdeburger Rebellen seid ihr! Nur heran, ihr Fischlein, und sein willig! Zappeln hilft nichts.«
Und der Feinde Arme griffen nach Thekla und zogen sie aus dem Wasser. Dabei nun geschah ein Zerren an ihrem Gewand, daß es über dem Busen aufriß, und einer der Kerle rief: »Ei, sehet doch, ein Weibsbild!«
»Hoho! Ist das nicht der Tielsch? Johannes Tielsch? Maria und Josef, ein wunderlich Wiedersehen!« – Dem vor mir stehenden Offizier starrte ich ins Gesicht. Es war jener Zetteritz, der mit mir das Hirschbergische Gymnasium besucht und beim Komödiespiel als Teufel mein Widersacher gewesen. Ein Adliger katholischer Konfession.
Nicht ohne Hoffnung entgegnete ich: »Herr Ritter Zetteritz! Ja, ich bin der Johannes Tielsch, Gott hat uns in Eure Hand gegeben, auf daß Ihr uns Gnade erweiset.«
Nun hielt Zetteritz den spähenden Blick auf Thekla geheftet und lachte: »Eia! Immer besser!«
»Seid edelmütig!« bat Thekla.
Höfisch neigte sich Zetteritz vor ihr, eine gefährliche Glut im Blicke: »Um Ihretwillen, schöne Jungfer!«
»Sie ist meine Frau!« brausete ich auf.
»Halt Er das Maul!« herrschte er mich an.
Ein Blitz des Unwillens traf ihn aus Theklas Augen, sie stampfte mit dem Fuße auf: »Und ich bin seine Frau!«
Zetteritz runzelte die Stirn und zuckte die Achseln.
Das Boot hatte bei dem großen Kahne angelegt. Zetteritz schwang sich hinein, und wir alle folgten nach.
Gleich darauf befahl Zetteritz den Soldaten: »Untersucht den Mann, ob er keine schriftliche Botschaft bei sich hat. Alsdann bindet ihm die Hände, sonsten mag er sich frei bewegen. Der andere da ist ein Frauenzimmer, wie der holde Busen verrät.« Die Soldaten lachten, Zetteritz aber fuhr sie an: »Daß ihr Schweinepelze euch gebührlich benehmet, verstanden? Korporal, bring Er das Weibsbild unter Deck und schaff Er ein trocken Wams herbei! Drunten möget Ihr Euch umkleiden, Jungfer. Nehmet nur fürder mit Soldatenhosen fürlieb; Weibsröcke führen wir halt nicht. Da müsset Ihr schon warten, bis wir in Güstrow sind.«
Thekla blickte mich ermunternd an, bevor sie dem Korporal unter das Deck folgte. Zetteritz begab sich zum Vorderteil des Kahns, wo stampfend und wiehernd Rosse stunden. Ich setzte mich auf eine Tonne, da ich Erschöpfung spürte und vor Kälte mit den Zähnen klapperte.
Die Ruderer, teils Soldaten, teils auch Schiffer vom Handwerk, hatten sich aufs neue in die Riemen gelegt, und ihre taktmäßigen Rucke trieben den Kahn hurtig stromabwärts.
Wie zum Hohn huben auch jetzt die Soldaten jenes Lied an:
»Ein Schifflein sah ich fahren –
Kapitän und Leutenant –
Darinnen waren verladen
Zwei Fähnlein brave Soldaten.
Kapitän, Leutenant, Fähnderich, Sergeant,
Nimm das Mädel bei der Hand –
Soldaten, Kameraden!«
Ich verbiß meinen Gram und suchte Rat. Unser Leben mochte nicht ohne weiteres bedroht sein. Theklas weibliche Reize indessen bildeten in dieser Gefangenschaft für uns beide eine Gefahr. Hier war List und Nachgiebigkeit angebracht. Um meines lieben Weibes willen nahm ich mir vor, alle Demütigung zu ertragen und Zetteritz nicht von neuem zu reizen.
Nach einer Weile trat er sporenklirrend, mit strenger Miene zu mir. Soldatisch stund ich vor ihm auf, und er sprach: »Tielsch, wir sitzen nicht mehr auf einer Schulbank, als Feind ist Er in meine Hand gegeben – wird ja nicht leugnen, daß Er von Magdeburg kommt.«
Da ich schwieg, herrschte er mich an: »Antwort! Sein Verhör hat hiermit begonnen. Und das sage ich Ihm, so Er verlogen ist, will ich schon die Wahrheit herausbringen, oder ich ersäufe Ihn wie einen jungen Hund. Still, halt's Maul. Kein Mahnen an unsre Pennälerzeit kann da helfen, also kurz und gut, gesteh Er, wie kommt Er hierher? und wer ist das Weibsbild?«
»Laß Er den Christensinn aus dem Spiel; ein Rebell ist Er wider Christi Kirche.«
»Dem Evangelio diene ich, und meiner Vaterstadt Magdeburg hab ich geholfen, ihre Libertät zu verteidigen, wie es einem Patrioten geziemet. Ach freilich, mein gutes Magdeburg ist hin, der Himmel aber hat mich und mein Weib bis zu dieser Stunde behütet und wird uns vollends erretten. Ja, erretten, Herr Ritter, indem er nämlich Euer Herz aufschließet – sei's auch nur um meines Weibes willen, das Euch vorhin gebeten, edelmütig zu sein.«
Spöttisch lächelnd nickte Zetteritz, schwieg eine Weile und meinte dann: »Nun gut. Er hat wenigstens sein Geständnis abgelegt; ich werde nun das Weibsbild verhören.«
Und er verließ mich und begab sich in den Raum unter Deck, worauf ich mich wieder setzte und in finster Brüten versank.
Nach einer Stunde kam der Korporal und gebot mir, ihm zum Herrn Rittmeister zu folgen. Eine schmale Treppe führte unter Deck.
In dem engen Raum, so durch ein klein Fensterlein wenig Licht erhielt, saßen bei Thekla um einen Tisch Zetteritz und ein milchbärtiger stutzerhafter Kornet. Bier in Kannen, Brot und Schinken war aufgetragen. Auf einer Laute klimpernd trällerte der Kornet, ein polierter Affe, und blickte vergnügt auf Thekla, die traurig dasaß, mit einem groben Soldatenwams angetan. Zetteritz betrachtete ebenfalls frech genung meine Frau und weidete sich an ihrer Schönheit, wie auch an ihrer Hilflosigkeit und Verlegenheit.
Nun wandte sich Zetteritz zu mir: »Setz Er sich in die Ecke, Tielsch, und bedank Er
sich bei der Jungfer Gräfin; sie hat gebeten, daß wir Ihm zu essen geben. Glaub's
schon,
Der Korporal stellte mir eine Kanne auf die Bank und trat ab, worauf Zetteritz mit Stirnrunzeln mich ansprach: »Warum isset Er nicht? Soll ich Ihm etwan aufwarten?«
»Erlaubet,« sagte Thekla hastig, schnitt Brot und reichte mir eine Schnitte nebst Schinken, wobei sie mir einen zärtlichen Blick schenkte, mich zu ermuntern.
Während ich meinen grimmen Hunger stillte, klimperte der Milchbart und sang spöttisch:
»Nun friß, mein Schimmel, friß!
Und rühre dein Gebiß!
Kannst du nicht mehr die Glieder rühren,
So laß ich dich zum Schinder führen.
Drum friß, mein Schimmel, friß!«
Zetteritz wandte sich an Thekla: »Also eine Gräfin Schlick ist das Fräulein! Ei, ei, wie seltsam doch das Schicksal sein Spiel treibt! Euer Vater war ein hoher Herr, ein reicher, angesehener Herr. Meine Frau Mutter hat ihn wohl gekannt. Wenn wir nach Güstrow kommen, kann sie Euch erzählen, wie sie in ihrer Jugend mit Eurem Vater verkehrt hat. Ja, ja, der stolze Graf Schlick – und solch jämmerlich, unwürdig Ende hat er genommen! Doch freilich, Rebellion gegen Kaiser und Kirche nimmt mit nichten ein gut Ende. Übrigens waren die böheimischen Anführer unklug, da sie sich mit dem Winterkönige eingelassen. Diese Memme hat ihnen alles verdorben. Euren Vater, Jungfer Gräfin, hätten sie lieber zu ihrem Könige wählen sollen. Der hatte eine Faust! Das war ein Soldat!«
»Wie schade!« witzelte der Kornet; »dann wäre die Jungfer Gräfin jetzo eines Königs
Tochter, und an Eures
Es ritt ein Knecht wohl durch das Ried,
Da hub er an ein wildes Lied,
Gar stürmisch tät er singen,
Daß Berg und Tal erklingen.
Das hört des Grafen sein Töchterlein
In ihres Vaters Prachtkämmerlein.
Sie flocht ihr Härlein in Seiden,
Mit dem Knechte wollte sie reiten.
Wie beide nun zum Walde kamen,
Das Rößlein möchte Futter haben.
»Feinslieb, hie wöllen wir rasten;
Mein Rößlein will fein grasen.«
Er spreitet den Mantel ins weiche Gras,
Gebot ihr, daß sie zu ihm saß:
»Feinslieb, nun mußt du mich lausen,
Mein gelbkraus Härlein durchzausen.«
Des härmt sich des Grafen sein Töchterlein,
Ihre Zähren glänzten wie Edelgestein.
Er schaut ihr finster ins Auge:
»Was weinest du, schöne Jungfraue?«
»Wie sollt ich nicht weinen und reuevoll sein?
Ich bin ja des Grafen sein Töchterlein!
Hätt ich meinem Vater gefolget,
Frau Königin war ich worden.«
Da zog der Grobian Knecht sein Schwert
Und mähte der Jungfer Häuptlein zur Erd.
»Prinzessin, bin ich dir zu schlechte,
So reite mit keinem Knechte!«
»Bravo, bravissimo!« rief Zetteritz und warf Thekla einen Blick zu, dessen Übermut meinen Grimm anstachelte.
Dann rollte er mißtrauisch das Auge zu mir: »He Tielsch! Erklär Er mir eins: Wie
gehet es zu, daß Herr Falkenberg,
Thekla blickte verwirrt, und auch ich stutzte, sammelte mich aber zu der Antwort: »Den Obersten Falkenberg haben wir nicht erst um Erlaubnis gefragt.«
Aber Zetteritz hatte unsere Bestürzung über seinen Einwand wahrgenommen und forschte weiter: »Wie denn? Fand eure Trauung etwan heimlich statt? Wie konnte das geschehn, da doch in Magdeburg des Kommandanten Schwäherin bekannt war? Welcher Prädikant hat sich zu solchem Wagnis verstanden?«
Thekla errötete und schwieg.
Scharf beobachtend fuhr Zetteritz fort: »Und was hat Falkenberg hinterher gesagt, wie er es nun vernommen? He?«
»Nichts davon hat er vernommen,« erwiderte Thekla; »erst als der Held gefallen, sind wir Eheleute worden.«
Zetteritz machte große Augen, stieß einen leisen Pfiff herfür und nickte mit listigem Lächeln. Dann inquirierte er weiter: »Also erst vorgestern seid ihr getraut? Während des Kriegsgetümmels und in der Plünderung? Und in der Johanniskirche? Ei, wie denn? Habe ich nicht soeben zu hören bekommen, wie ihr nicht bei dem Geistlichen der Johanniskirche und seiner Gemeinde, sondern in einem Versteck, lediglich zu zweien euch befunden? Da stimmt etwas nicht! Tielsch, mach Er sich wieder fort! Ich werde die Gräfin allein befragen. Hernach komme ich zu Ihm, und weh Ihm, so Er Flausen macht.«
Ich sprang auf und rang nach Worten: »Ich selber – ich habe die Trauung vollzogen – war mein eigener Priester – vor Gott sind wir Eheleute.«
»Hoho«, lachte Zetteritz. »Vor Gott? Ohne Sakrament? Sag Er lieber, vor Frau Venus, der Teufelin!«
Das Blut stieg mir zu Kopfe, zumal der freche Milchbart jetzt ein höhnisch-hohl
Gelächter anhub. Mit geballten Fäusten
Auch Zetteritz war aufgesprungen und maß mich dräuenden Auges, während ihm dunkle Röte ins Gesicht schoß. »Untersteh Er sich!« rief er hochmütig.
Abwehrend trat Thekla zwischen uns. Mich sah sie flehend an, zu Zetteritz aber sprach sie entrüstet: »Herr Ritter! Wie dürfet Ihr an wehrlosen Gefangenen so Euer Mütchen kühlen? Meine Frauenehre verletzet ihr! Tut denn so ein Edelmann?«
Zetteritz mäßigte sich und kehrte ihr genüber den Kavalier heraus: »Halten zu Gnaden, Jungfer Gräfin. Nicht Euch will ich kränken. Mein ritterlicher Schutz ist Euch sicher. Zu bedauern seid Ihr ja ob Eures Mißgeschicks, und daß Ihr obendrein an diesen Tropf geraten, der nach einer Gräfin seine Kommispratzen ausstreckt.«
Da erhub sich in mir der Zornteufel so heiß, daß ich aufbrüllend meine Bierkanne dem Verhaßten ins Angesicht schleuderte und, ohne mich von Thekla zurückhalten zu lassen, ihn anpackte und mit ihm rang. Aber der Kornet und die Soldaten, vom Geschrei alarmiert, packten mich von hinten, und schnell war ich gefesselt, daß kein Sträuben etwas half.
Während man mich hinauf zum Deck schleppte, hörte ich Thekla rufen: »Gnade, Herr Ritter! Ihr habt ihn aufgebracht. Er hat Ehre nicht minder wie Ihr!«
»Bindet ihm auch die Füße!« rief Zetteritz.
Das letzte, was ich von Thekla vernahm, war ein Aufschluchzen und das Wort, an das ich lange mit heißer Dankbarkeit zurückdachte: »Er ist mein ehelicher Gatte!«
Wie ein Bündel, ohne daß ich Arme und Füße regen konnte, hatte man mich auf das Deck
gelegt, wo scharrend die Rosse stunden, indes die Sonne mir wie zum Hohn gerade ins
Gesicht schien, und die Soldaten schimpften: »Ins Wasser mit dem Landstörzer! Solch
Gesindel bringt uns noch die Pest an Bord. Soll man sich mit unnützen Fressern
Der Korporal aber näherte sich mir, und wiewohl er zum Schein ein finster Gesicht machte, raunte er mir die tröstlichen Worte zu: »Ego tibi condoleo, nam et ego addictus sum Augustanae confessioni – will sehen, daß ich Euch freimache.«
»Gratias tibi ago!« raunte ich zurück, worauf sich der Korporal entfernte und hinunter zu Zetteritz ging.
Nach einem Weilchen kam Zetteritz mit dem Korporal an Deck und ließ drei Dragoner antreten. Mit gedämpfter Stimme sprach er zu ihnen. Drauf machten sich die drei Kerle an mich heran, und ehe ich ihr Vorhaben erraten konnte, hatten sie mich am Kopf gepackt und meinen Mund geknebelt, so daß ich nicht zu schreien vermochte. Drauf erscholl ein Hornsignal, die Ruderer stellten ihre Arbeit ein, und das Boot, mittels dessen unsere Gefangenschaft zustande gekommen, ward flott gemacht. Mich hub man ins Boot hinunter und legte die Ruder ein.
Eine Zögerung entstand noch dadurch, daß der Korporal, an Bord geblieben, den einen Soldaten zu sich heranrief und ihm etwas zuraunte.
Hierauf ruderten die Soldaten dem rechten Elbufer zu. Man wollte mich also von Thekla trennen, vielleicht gar umbringen. Das Boot fuhr auf den Sand, man packte mich, warf mich ans Ufer und wollte sogleich wieder wegrudern.
Doch der eine Soldat kehrte zu mir zurück und machte sich mit einem Messer über meine Fessel, als wolle er sie lösen.
»Zum Henker, was tust du?« rief ein andrer Soldat und kam heran. »Bist du des Teufels? Du willst den Rebellen befreien?«
»Wir können ihn doch nicht so hilflos liegen lassen« – antwortete der mitleidige Soldat kleinlaut.
Aber der andere stieß ihn rauh von mir weg und rief: »Auf der Stelle packe dich ins Boot!«
Siehe, da stund mein Vater bei mir und sprach: »Gewährt ist dir dein Wunsch! Wirst
zur Abendburg gelangen.« Dann zerflatterte das tröstliche Gesicht, die Sehnsucht nach
dem Bergfrieden ward verscheucht, mich schauderte. Ein wiehernd Geschrei vernahm ich,
wie von einem geängsteten Pferde. Bald darauf stampfte es im Galopp hinweg, dann
heulten Wölfe. So sollte mir denn wohl das elende Los beschieden sein, von Raubtieren
zerrissen zu werden. Doch diese Sorge spornte meine Lebenskraft, von neuem wälzte ich
mich auf dem Sande, an meinen Fesseln reißend. Auf einmal fühlte ich an der Hand, die
mit der andern auf meinem Rücken zusammengebunden war, einen Schmerz, wie von einem
Schnitte, und meines Vaters Stimme sprach: »Greif zu!« Da hielt ich in den Fingern
die Schale einer Muschel, wie sie häufig im Elbsande zu finden sind. Am Rande
zerbrochen bildete sie eine Schneide, und mir kam der Gedanke, sie als Messer zu
brauchen. Mühte mich nun, mit der einen Hand die scharfe Muschel an die Fessel zu
bringen und daran zu sägen. Die halbe Nacht hatte ich so zu tun. Endlich nach einem
verzweifelten Ruck sprengte ich den Rest der Fessel und konnte die Arme regen. Das
erste war, daß ich mir den Knebel aus dem Munde nahm. Dann knüpfte ich die Fesseln
auf, mit denen meine Füße gebunden waren, und war nun völlig frei. Halb abgestorben
waren die Beine, und ich ward inne, wie bald ich des Todes gewesen wäre. Aber noch
waren die Gefahren nicht vorüber. Von Zeit zu Zeit bellten und heulten die Wölfe ganz
in der Nähe. Vielleicht,
Nachdem ich meinen Durst im Strome gelöscht und auch Sauerampfer gegessen hatte, suchte ich im Morgengrauen Waffen wider die Wölfe. In den linken Arm nahm ich ein paar faustgroße Steine und hielt eine harte Baumwurzel in Bereitschaft, die ich als Keule verwenden wollte. Nun beschlich ich die Wölfe, es waren zween, sie fraßen an einem menschlichen Leichnam. Ich warf einen Stein so gut, daß der eine aufheulend zur Seite sprang und mit eingezogenem Schwanz sich trollte. Der andere fletschte die Zähne und sträubte die Rückenborsten. Ohne Zaudern schritt ich auf ihn los, und wie er sich zum Sprunge duckte, traf ihn mein zweiter Stein, gleich darauf auch ein Keulenhieb. Davon brach die Vorderpfote, ihm blieb nichts übrig, als zu kämpfen. Fletschend und schnappend hinkte er auf mich los. Ich aber hatte wieder einen Stein aufgehoben und traf so wuchtig die Schnauze, daß er umfiel und nicht mehr jappte.
Nun wandte ich mich dem toten Menschen zu. Der bildete eine unförmige Masse von
zernagten Gliedern. Ich zog Gewänder und Stiefel ab und reinigte sie im Wasser. Die
Kleidung war von fürnehmer Art. Zum Trocknen breitete ich sie in die Morgensonne.
Besonders willkommen waren mir die Waffen des Toten, ein Karbiner, auch Munition, ein
Pistol und ein Stoßdegen, dazu ein Beutel mit einer ansehnlichen Summe Geldes.
Schließlich kam mir noch der Federhut zustatten. Bald hatte ich meine geringe
Kleidung mit der neuen Montur vertauscht. Nachdem ich die Schärpe mit dem Degen
umgehängt, Karbiner und Pistol geladen hatte, war ich bemüht, das entlaufene Roß des
Toten auszuspähen und verfolgte eine Stunde lang die Stapfen, so kreuz und quer in
der Gegend gingen. Auf einmal waren sie tief in den Boden gestampft und führten
schnurgerade
Nur das eine Ziel gab es jetzo für mich: die verlorene Eheliebste wieder zu gewinnen.
Es fiel mir bei, daß Zetteritz zu Thekla die Äußerung getan: »Weibsröcke führen wir
halt nicht; da muß Sie schon warten, bis wir in Güstrow sind«. Hieraus entnahm ich,
daß Zetteritz nach der Stadt Güstrow wolle; beschloß also unverzüglich dorthin
aufzubrechen und mir baldigst ein Reisepferd anzuschaffen. Aus meinem Magdeburger
Schulunterricht wußte ich, daß Güstrow gen Mitternacht in Mechelnburg gelegen.
Wanderte also längs der Elbe, so daß die Morgensonne meine rechte Wange beschien.
Mittag war's, als mir ein breiter Fluß in die Quere kam, der in die Elbe mündete. Von
einem Fährmann, der hier hausete, vernahm ich, es sei die Havel. Um Geld erhielt ich
Wegzehrung und ließ mich übersetzen. Im Dorfe drüben gingen mir die Leute scheu aus
dem Wege. Doch mein freundlicher Zuruf lockte einen Bauernknecht herbei, und auf
meine Frage nach einem Pferd erhielt ich von ihm den Bescheid, seines Vaters Bruder
habe ein herrenlos Soldatenroß in seinem Stall geborgen; das werde käuflich zu haben
sein. Der Bauer, zu dem wir gingen, wollte anfangs nichts von einem eingefangenen
Rosse wissen, ward aber gefügig, sobald ich aus meinem Geldbeutel eine gute Summe
herfürholte. Nachdem das Tier gut gefüttert, auch mit Zaum und Sattelzeug versehen
war, schwang ich mich hoffnungsvoll hinauf und trabte auf die Stadt Pritzwalk los,
die ich noch vor Abend erreichte. Wiewohl zum Umfallen
Zugleich aber sah ich drei bewaffnete Reiter mir entgegentraben, lenkte daher mein
Pferd flugs vom Wege ab, hinter Gebüschen mich zu bergen. Doch bemerkt hatten mich
die
Doch ich durfte nicht verweilen, weil es galt, meine Eheliebste zu suchen und
womöglich noch vor Nacht Rostock zu erreichen. Kehrte also zum Pferde zurück, das
sich inzwischen an Gras und Läublein gütlich getan, lobte und streichelte es und
schwang mich aufs neue in den Sattel. Ich wollte längs des Strandes zur Warnowmündung
reiten und mich von einem Schiffer nach Rostock fahren lassen. Wie ich nun vom Hügel
hinunter will, ist da ein Abhang, und ich muß daran entlang reiten, bis sich quer
eine Schlucht auftut. Mein Pferd strebt die Schlucht hinunter, stolpert aber und
stürzt so unglücklich, daß ich mit dem linken Bein unter seinen Körper komme,
vermeinend, das Bein sei mir gebrochen.
Bellende Hunde kamen gesprungen, und auf der Schwelle des Wohnhauses erschien ein
bärtiger, martialischer Mann, halb wie ein Soldat, halb wie ein Bauer gekleidet. Der
Knecht berichtete ihm, wie er mich gefunden habe, und ich bat den Herrn Rittmeister,
wie ihn der Knecht nannte, mich aufzunehmen. Da ordnete dieser an, es solle mir in
der Scheune ein Lager aus Stroh und Wolldecken bereitet werden. Als man mich darauf
gebettet hatte, betastete der Rittmeister mein Bein und sagte, ich habe mir einen
Bruch des Knochens zugezogen und werde wohl wochenlang liegen müssen. Mir war nicht
anders, als höre ich mein Todesurtel. Denn nun war die Möglichkeit, Thekla
wiederzufinden, völlig dahin, und ohne meine Liebste deuchte mich die Welt ein leeres
Nichts. Die Trauer machte mich so schweigsam, daß mein Wirt auf seine Fragen nur
einen kargen und wirren Bescheid erhielt. Das hinderte ihn nicht,
Eine seltsame Kurzweil ward mir in den Monden meiner Krankheit. Nach all der
erlittenen Trübsal schien der Himmel mich aufheitern zu wollen, indem er etwas zum
Lachen auftischte. Der Rittmeister, Schulte mit Namen, und sein Weib zeigten oft ein
wunderlich Gebaren. Im polnischen Kriege hatte er Dienste getan und sein Weib
geehelicht, das Marketenderin gewesen und ein gut Stück Geld zusammengebracht hatte.
Diese Mitgift hatte ihn befähigt, den Hof zu kaufen. Er fand jedoch kein Gefallen am
Bauernleben, zumal der Krieg in Mechelnburg ihn um sein reiches Gestüte gebracht
Etliche Stunden nach diesem ehelichen Dialogo besuchte er mich, bloß Strümpfe an den
Füßen, und diesmal war auf seinem Angesicht nichts von dem gemeiniglichen Heldenstolz
verzeichnet. »Lieber Tielsch,« seufzete er, »wie heftig meine Eheliebste sein kann,
wenn ihr körperlich Übel sie befällt, hat Er wohl vernommen. Er muß nämlich wissen,
sie leidet an der Galle; im übrigen ist sie eine gute Seele, und
Als er fort war, machte sie mir einen Besuch. Die beleibte Frau nahm im Sessel Platz,
und aus dem Vollmondgesicht blickten die Äugelchen freundlich. »Der Herr hat mit
angehört, daß es in diesem Hause, gleichermaßen wie im Himmelsgewölbe, zuweilen ein
Wetter gibt. Das muß Er schon exküsieren; solch Wetter kommt aus dem Geblüt und hat
wenig zu sagen. Diesmal hat mein Mann seinen saubern Kumpan, einen emeritierten
Leutnant, besuchen wollen, und den mag ich nicht sonderlich leiden. Nahm daher meinem
Mann das Schuhwerk weg, daß er daheim bliebe. Doch mein Zorn ist wie ein Hagelwetter;
rasch vorüber geht's, und dann scheint die Sonne. Mein Männchen hat mir versprochen,
zur Nacht daheim zu sein, und da hab ich ihm seine Schuh gegeben.« Ich fand das ganz
in Ordnung, erlaubte mir aber die Frage: »Nichts für ungut, ehrsame Frau Rittmeister!
Wie kommt es nur, daß Ihr Eheherr, eine so heroische Natur, sanfter als ein Lamm ist,
wenn Ihr ihm entgegentretet?« – »Ha, das will ich Ihm erzählen,« schmunzelte die
Frau. »Wir haben gleich am ersten Tage unserer Ehe durch einen Zweikampf entschieden,
wer das Kommando hat.« – »Zweikampf?« staunete ich. »Allerdings!« versetzte sie.
»Höret zu! Wir waren also ein neugebacken Paar, hatten die erste Nacht zusammen im
Rittmeisterzelte verbracht, und das Frührot lugte herein. Da ruft mein Mann seinen
Kommißjungen,
Diese Geschichte hatte für mich das Gute, daß ich nach einer langen Zeit des Grams wieder einmal empfand, was lachen heißt, und vom Hinstarren auf mein trüb Geschick abgelenket ward. Mit meinem Beinschaden ging es aber so schlecht, daß sich die Entzündung steigerte. Rittmeister Schulte holte einen Wundarzt aus Rostock, der schnitt an mir herum und stellte die Prognose, daß ich vor Herbst das Bein nicht werde brauchen können. In der Tat, erst als der rauhe Wind das verblichene Laub von den Bäumen riß, konnte ich humpeln. Wie dann mein Fußgelenk hinreichend erstarkt war, besuchte ich die Stelle, wo mein Pferd zu Fall gekommen.
Um die See zu betrachten und dabei meinen Gedanken
Ach Liebe, daß du wankest auf den Wogen,Ein morscher Kahn,Zerfetzt das Segel, steuerlos gezogenAuf Nebelbahn.
Des Tages Herz ist blutig hingesunkenIn düstre See.Wo bist du, armer Kahn? Zerschellt, ertrunken?Ach Lieb, ade!
Nun will auch ich hintaumeln und versinkenIn feuchte Gruft.Doch warnt ein Stern, der Meere Stern, mit WinkenAus blauem Duft:
Was in der Zeiten Brandung ging verloren,Muß nichtig sein.Ein Herz allein, dir liebend eingeboren,Bleibt ewig dein.
Und schlug es auch an deinem nur für Stunden,Doch Reim bei ReimSeid ihr dem Chor der Seligkeit verbundenUnd seid daheim.«
Was im Traumgesicht der qualvollen Nacht mein Vater mir verheißen, hat sich erfüllt. Zur Abendburg bin ich wieder gelangt.
Den Sommer über war mein Fuß heil geworden, und nach treuherzigem Abschied von meinen Pflegern hatte ich mich auf die Suche nach Theklas Spur begeben. Da bei vergeblichem Kreuz- und Querreisen mein Pferd verunglückt, mein Geld aber zur Neige gegangen war, litt ich Hunger und konnte das abgerissene Gewand und Schuhwerk nicht durch besseres ersetzen. Statt der Stiefel Lappen an den Füßen, war ich vom Wandern bis zur Verzweiflung erschöpft. Durfte auch noch keine Stunde davor sicher sein, streifenden Parteien in die Hände zu fallen.
Als Ende Septembris endlich das Schlesische Gebirge ferne blaute, begegnete mir ein invalider Soldat, dem in der Breitenfelder Schlacht ein Hieb den rechten Arm gelähmt hatte. Von diesem Menschen ward mir wichtige Kunde. Als Rittmeister im Regiment Kronenberg habe Zetteritz die Breitenfelder Schlacht mitgemacht, und in einem Bleihagel, mit dem die schwedischen Musketiere die kaiserlichen Reiter überschüttet hätten, sei er vom Pferde gesunken. Der Invalide schwur mit heiligem Eide, er habe das mit eigenen Augen gesehen. Von Thekla wußte er nichts.
Obwohl nun ihr Geschick ganz ungewiß, schöpfte ich neue Hoffnung. Je näher ich dem Gebirge kam, desto lebhafter bildete ich mir ein, Thekla werde mich im Häusel des Oheims umhalsen. Hatte sie durch den Tod des Zetteritz ihre Freiheit wiedererlangt, so würde sie mich in Schreiberhau suchen. Wie ich aber beim Oheim anlangte, hatte mich die Hoffnung betrogen.
Trostlose Zeiten kamen. Wenn der Novembersturm die Nacht durchheulte und am Dache
rüttelte, daß die Balken
Wie endlich der Schnee schmolz, konnte ich mich neuer Hoffnung nicht erwehren, wiewohl ich ihr nicht traute. Ich hielt es nämlich für möglich, daß Thekla, durch den Winter am Reisen verhindert, im Frühjahr nach Schreiberhau kommen werde. Doch April und Mai vergingen, und es erschien keine Thekla, auch keine Nachricht von ihr.
Längst hatte mich die Sehnsucht angewandelt, auf der Abendburg zu hausen. Menschenscheu war ich, hätte am liebsten selbst den Oheim und Beaten gemieden. Vollends im Frühjahr beunruhigte mich das Schreiberhauer Leben; denn es brachte schier täglich Gerüchte von jener schlimmen Welt, die mir abscheulich geworden. Nichts sehen und hören mochte ich von Kriegszügen und Gefechten, Sengen und Plündern und von den teuflischen Quälgeistern, so in Hirschberg und anderen Orten längs des Gebirges quartierten.
Machte mich also bei Sommeranfang nach der Abendburg auf, mir dorten ein Gehäus
herzurichten. Der Oheim half mir, hatte mir auch jene Summe Geldes eingehändigt, die
ich vor der Reise nach Magdeburg bei ihm gelassen. Wir brachten die Grotte in
wohnlichen Zustand, vergrößerten den Eingang und schlossen ihn durch eine starke Tür.
Einen Steinwurf unterhalb des Felsens fand sich eine Quelle, zu ihr machten wir einen
Stufengang hinunter. Um den Abendburgfelsen herum fällten wir in beträchtlichem
Umkreise die Bäume, weil wir eine Balkenhütte bauen und zugleich Weideland für ein
paar Ziegen gewinnen wollten. Die Balkenhütte
Das kostbarste Gerät meines Heims war eine Harfe. An Thekla gemahnte sie mich, und es
war mir Erquickung, mein Leiden und Sehnen in holden Klängen vom Herzen zu strömen.
Täglich übte ich das Schlagen der Saiten und sang dazu Lieder, die ich selbst
ersonnen, und es kamen Zeiten, da Verse aus mir sprossen wie Blüten am Frühlingsbaum.
Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.
Ich bin ein Erlenstumpf,
Dran bleicher Moder glimmert,
Ein gärend fauler Sumpf,
Wo scheu das Irrlicht flimmert.
Unheimlich düstre Welt,
Du Tummelplatz für Toren!
Bin gänzlich unbestellt
In dich hineingeboren.
Sag an, was hast du für
Mit deinem bangen Kinde?
Und hast du keine Tür,
Wo ich den Ausgang finde?
Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.
Mein Leben schäumend rann,
Ein Sturzbach zwischen Steinen.
Was ich dabei gewann?
Oh bitter möcht ich weinen!
Einst ward ich schmuck und neu
Als Menschlein eingekleidet.
Doch alles Fleisch ist Heu,
Und horch, die Sense schneidet.
Ach wohl, die Jugend reicht
Den süßen Taumelbecher.
Doch Rausch und Minne weicht,
Und Reue weckt den Zecher.
Um jeden Bissen Brot
Muß hart der Frohner schanzen;
Sonst hockt die hagre Not
Ihm auf dem leeren Ranzen.
Mach dich nicht gar zu breit,
Du Herr im güldnen Hause!
Ohn' End ist Ewigkeit,
Und schmal die letzte Klause.
Poch nicht auf Ehr und Zier!
Fortuna hat's geliehen.
Der Hobler wird auch dir
Ein Linnenkleid anziehen,
Zum Pfühle untern Kopf
Zwo Handvoll Späne schieben ...
Nun denke nach, du Tropf,
Wie närrisch du's getrieben!
Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.
Und wie ich ratlos bang
Ins dunkle Rätsel staune,
Horch, sanfter Wiegensang,
Ein wogend Waldgeraune:
»Nur stille, Menschenkind!
Was helfen deine Sorgen?
Die Augen schließe lind!
Derweilen wächst das Morgen.
Die Nacht hat ihren Tau,
Auf daß der Maien blühe,
Und aus dem Wolkengrau
Entsprießt die Purpurfrühe.
Soll nicht der Sagenstein,
Wo wüste Tannen dunkeln,
Ein Königspalast sein
Und einst entzaubert funkeln?
Zuvor im Puppenkleid,
Soll unsere trübe Erden
Am Glanz der Ewigkeit
Ein Himmelsfalter werden.
Und ob die Wolke hüllt
Den letzten Sternenfunken,
Dein Traum wird noch erfüllt:
Du schaust, von Sternen trunken.«
Eines Abends im November stieg ich auf den Felsengipfel, die Nacht zu belauschen. Stumm starrten rings die Tannenwipfel, vom bleichen Dämmern beleuchtet, das der Mond durch Wolkendunst über die Berge goß. Feiner Wasserstaub schwebte hernieder und kühlte die heiße Stirn. Es tat wohl, zum bleichen Firmament hinanzustarren. Ich sehnte mich, ein Baum zu sein, allhie Wurzel zu schlagen und grüne Arme gen Himmel zu breiten. In der großen Stille ward jetzo Vogelschrei vernehmbar, Wildgänse schnarrten und kamen geflogen. Ob meinem Haupte sauseten die Fittiche, vorüber zog das dunkle Keilgeschwader. Fern und ferner das Krächzen, und wie der Vögel Raunen von der Öde verschlungen war, schrie mir im Herzen die Sehnsucht auf. Ihr geflügelten Geschwister eilet aus dem Nebellande gen Mittag, wo warm die Sonne blühet. Ich aber bleibe in der Öde hausen, wo mich Sturm und Regen an den Herd bannen und des Schnees Woge begraben wird. Ja, komm geschlichen, kalte Winternacht. Was soll die warme Sonne dem Verdüsterten? Trost ist es ihm, wenn auch die Welt ein trübes Antlitz macht. Wohl blühet in der Seele heimlich eine Blume, doch nie darf ich sie kosen. Des Traumes Glück allein ist mir vergönnt – ich sinne, seufze in der Nebelnacht. – Hinunter in meine Klause ging ich, stimmte die Harfe und ersann schwermütige Weisen.
Bei solcher Betrachtung dachte ich oft an meines Vaters Reden vom Himmelreich, wie
Gott nicht fern über den Sternen sei, sondern allenthalben bei uns, in uns zugegen.
Das Ganze ist Gottes Leib; Sonne, Mond und Sterne hat er als Augen; mit dem Lichte,
das in alle Gründe flutet, schaut er; im Finstern spüret er, lauscht, tastet und
sinnt. Sein Odem ist die Luft und das Leben aller Kreatur; göttlich Blut träufelt aus
der Wolke; Bach und Strom sind Allvaters Adern, und in unserm Pulse regt sich der
unermüdliche Schöpfer. Freilich tut es uns not, unsere göttliche Erborenheit und
Naturam zu spüren. Das erst ist die Erlösung, daß wir uns fühlen als Gottes Kind. Wer
aber nicht ahnt,
Seliger noch ward meine Andacht, als der Frühling mit warmem Hauche den Schnee
schmolz, daß die Decke von Tag zu Tag dünner ward, bis im Tal die Matten grüneten,
und auf meiner Höhe die Tannen und Felsen vom Schnee frei wurden, der nur noch an
Hängen gen Mitternacht lag und schließlich in die kalten Schluchten sich zurückzog.
Wenn ich den Oheim besuchte, schimmerten auf grünender Wiese die gelben
Schlüsselblumen und wie blaue Flämmchen die Krokusblüten. Erlöst war mein Herz, und
wie neugeboren kam ich mir in der Frühe vor, wenn ob den dunkeln Talen der Himmel
matt erglänzete, wie aus Opal gebildet – wenn sich dann aus den Waldschluchten weiße
Dünste huben und zu einem breiten Gewebe zusammentaten, indessen das dunkelblaue
Gewölk ob der fernen Ebene von Feuerbächen durchronnen ward und immer mehr erglühte,
bis es sich auftat wie ein Augenlid, und rot das Weltenauge übers Bergreich blitzte.
Manchmal hüllte der Nebel die ganze Tiefe unter mir, daß nur die Berggipfel
herfürrageten. Die weite, wellige Dunstfläche sahe dann aus wie wogende See, drin
Felseninseln schwimmen. Beim Auftauchen der Sonne erglühten die starren Wogen, und
die Stirnen der steinernen Riesen badeten im flutenden Tagesstrahl. Freudig regten
sich die grünen Wipfel unter mir. Geheimnisvoll kam aus dem Nebel, so alle Täler
deckte, das Rauschen der Gießbäche und Brünnlein. Dann flog wohl bei mir eine
Berglerche
Willkommen, Ritter Morgen!
Vor deinem güldnen Haupt
Entfliehn die Wölfe Sorgen,
So mir den Schlaf geraubt.
Der Fels vor meiner Klause
Starrt feierlich mich an,
Die Wipfel mit Gebrause
Wiegt unter mir der Tann.
Steingraue Wolkenwogen
Verhüllen noch das Tal,
Darob der Himmelsbogen
Matt leuchtender Opal.
Und aus dem Dunstmeer ragen
Die Berge drüben steil.
Ihr Stirnenglanz will sagen:
Ganz oben thront das Heil.
Nun blüht von Purpursonne
Das Nebelmeer wie Klee,
Und auch mein Gram ward Wonne,
Dieweil ich drüber steh.
Als Lerche schwebt mein Schauen
Hoch ob dem Erdennest
Durch selig freie Auen ....
O Himmel, halt mich fest!
Doch ob ich auch in den Himmel zu tauchen verstund, fest hielt er mich nicht, und wie
die Lerche vom jauchzenden Höhenfluge wieder zur Erde sinkt, so geschah auch mir. Ich
sehnete mich nach meiner Gattin und kam mir verwaiset für wie Adam, da ihm der Herr
das Paradeis genommen. Auch peinigte mich das Mitleiden mit meinen Landsleuten, die
immerfort von der Kriegsfuria Folter litten. Sooft mir
Für die Schreiberhauer kam eine Gewissensnot hinzu. Unser Prädikant hatte das
Zeitliche gesegnet, und obwohl seitdem aus Giersdorf der evangelische Geistliche kam,
die Neugeborenen zu taufen, die Toten zu begraben und die Paare zu trauen, war doch
keine rechte Seelsorge vorhanden. Endlich ward dem Giersdorfer verboten, sein
Amtieren über seine Gemeinde hinaus zu erstrecken. Wie denn überhaupt der
evangelische Glaube im Lande vom Kaiser und seinen jesuitischen Helfern drangsaliert
ward. Wegen meines Gesanges zur Harfe hatten mich die Schreiberhauer wiederholt zu
Feierlichkeiten geladen, die ich durch Lieder verschönern sollte. So war ich zu einem
Begräbnisse gegangen, und als der Giersdorfer Prädikant, nachdem wir lange gewartet,
nicht erschien, baten mich die Trauernden, ein Gebet zu sprechen, da ich eines
Seelsorgers Sohn und ein halbstudierter Mann. Auf diese Weise kam ich zu meiner
ersten Predigt, und die Leute waren erbaut. Da nun die Gemeinde sahe, daß kein
rechter Prädikant zu erlangen, drang sie in mich, jeden Sonntag zu predigen. Ich
sagte zu und sprach, wie es mir ums Herze war. Der Kirche indessen fremd geworden,
sahe ich für das schönste Gotteshaus den freien Himmel an. Proponierete also der
Gemeinde, bei, gutem Wetter nicht zwischen Mauern, sondern im Waldesdom der Andacht
zu pflegen. Kanzel und Altar war ein Felsen, statt der Kirchenbänke
In meinen Predigten tat ich kund, woher das Elend teutschen Landes komme, und wie es
zu heilen sei durch die Wahrheit. »Die Konfessionen hadern miteinander, jede wähnt,
ihre Pfaffen besäßen in den Glaubensartikeln einen Pakt, durch den der Herrgott
verbunden sei, den Schäflein die Himmelsweide aufzutun. Dabei gehet es den Parteien
keineswegs bloß um geistlich Gut, irdischer Reichtum ist hauptsächlich der Zankapfel.
Die evangelischen Fürsten haben der Papistenkirche die Güter genommen, und nun möchte
kaiserliche Majestät die Hand darauf legen. Hin und her gezerrt wird das arme Volk
von den Confessionibus. In Strömen fleußt Menschenblut, die Saaten werden zerstampft,
die Scheuern niedergebrannt, jeder blühende Gau wandelt sich zur Wüste, und zur Hölle
das liebe Vaterland, wo Menschenbestien als Teufel hausen. Woher aber das Streiten um
den Glauben, aus dem allerdings dieser unselige Krieg herfürgewachsen? Gibt es denn
keine Instanz, wo die Hadernden zum Frieden gelangen können? Ist denn nichts Höheres
ausfindig zu machen als die Konfession? Ja, das Höhere lebt! In allen Menschenkindern
lebt es! Der eine gemeinsame Urquell ist es, dem jede Kreatur entquillt! Er allein,
der Ewige, Eine, Unteilbare sei unsere Konfession! Lasset uns nicht geringer sein
denn diese frommen Waldbäume! Nadeln und Zweige der Tanne spüren, daß sie demselben
Stamme, derselben Wurzel angehörig sind. Doch wehe, die argen Pfaffen predigen einen
andern Gott als den Allwesenden, darinnen wir leben, weben und sind. Schwatzen dem
törichten Volke vor, Gott sei ferne der Welt, hoch über den Sternen, durch eine Kluft
geschieden von seinen Geschöpfen. Ja, wer das gläubet, ist von Gotte hinweggewandt,
denn Gott lässet sich spüren nur im Zuge nach dem
Da hab ich hingewiesen, woher das ganze Elend kommt. Wir Schreiberhauer wollen nun
die Glaubensfehler meiden, die übers teutsche Vaterland den Ruin gebracht. Keinen
Götzen wollen wir verehren, vielmehr den Vater unser, so in uns waltet. Wir haben ja
alle einen Odem und sind aus einer Seele erboren. Die reine Gottheit ist überall
gegenwärtig, an allen Orten und Enden, wohin du sinnen magst,
Anno 34 war's, an einem Sonntage des Märzen, und ich hatte abermals vom Lichtreiche
gepredigt. Warm schien die Sonne in den Waldwinkel, obwohl zwischen den Felsen am
Bache noch dicker Schnee lag. Als nach dem Amen die Gemeinde schwieg, ging
Windesharfen durch den Tann, die Erlenzweige wiegten ihre rostroten Blütenkätzlein,
und der angeschwollene Bach orgelte einen dumpfen Choral. Da erscholl eines Mannes
Zuruf von fern, und zwischen den Baumstämmen tauchte einer von denen auf, so beim
Wachstein unser Bergdörfel vor feindlichem Volk behüteten. Auf einem Pferde aber saß
ein Mägdlein in herrschaftlicher Tracht, und es folgte ein Trupp Leute. »Schauet
doch!« raunete man; »ist das nicht unser adlig Fräulein? Ei freilich, die junge
Schaffgotschin! Mit Maiwalds Karle kommt sie zu uns. Und da sind ja auch die Knäblein
des gnädigen Herrn! Und der Kemnitzer Rentmeister.« Den Ankömmlingen öffnete man eine
Gasse und neigte sich vor der jungen Herrschaft. Als ein rechtes Prinzeßlein
anzuschauen war Anna Elisabeth, Hans Ulrichs zwölfjährig Töchterlein, schön, zart wie
die Mutter selig. Unter den vier blondlockigen Knaben
Das Pferd ward vor mir angehalten, und die junge Schaffgotschin sprach mit traurigem Lächeln: »Grüß euch, ihr Leute! Ihr wisset, wir sind eures Grundherrn Kinder. Stehet uns nun bei, bitt euch! Unser Vater – ach, unser Vater ...« Nicht weiter konnte sie und brach in Tränen aus, das Tüchel vor dem Angesicht. Weiber küßten ihres Gewandes Saum, und männiglich murmelte bestürzt: »Was hat's denn mit dem gnädigen Herrn?«
»Gute Leute!« nahm der Rentmeister das Wort und zog den Hut vom ergrauenden Haupte – »eine Heimsuchung hat die edeln Schaffgotsche betroffen; unser gnädiger Herr ward auf Befehl des Kaisers verhaftet ...« – »Mein Gott!« rief alles entsetzt. »Verhaftet? Auf Befehl des Kaisers? Was tat denn unser Herr?«
»Die Verhaftung ist geschehen durch den General Colloredo ...« – »Da haben wir's!« rief ich aus, »Italiener und Spaniolen erwürgen unser Volk.« – »Die Pfaffen sein schuld!« meinte der Bauer Dreßler. »Die Jesuiter!« schrien andere.
Der Rentmeister fuhr fort: »Im Ohlauer Schlosse war's – da quartierte unser Herr.
Wollte grade ausreiten, die Feldwachen zu besichtigen. Da ziehet klingenden Spiels
Colloredosches Fußvolk auf und besetzt sogleich die Schloßpforten. Unseres Herrn
Kammerdiener kommt hereingestürzt: Flugs machet fort, Herr! Doch ihm auf den Fersen
sind Colloredos Offiziere, die Degen entblößt. Einer weiset den Haftbefehl vor: Im
Namen des Kaisers! Herr Feldmarschall Colloredo gebeut, daß wir Ihro Gnaden nach
Glatz transportieren, ohne Verzug, lebendig oder tot. – Unser Herr, zuerst starr und
sprachlos, schäumte nun wie ein wilder Eber: Lebendig oder tot? Ich will euch zeigen,
wer den andern
Ich ging neben dem Rentmeister und vernahm noch mancherlei von dem Vorgefallenen.
»Eine Parteiung« –
Während dieser Rede hatten sich die Schaffgotschischen Knaben an uns herangemacht und
lauschend ihre zagen Herzlein mit Hoffnung geletzet. In Preislers warmer Balkenstube,
wo Brathühnla und Speckeier tatsächlich dufteten, tauete die kindliche Munterkeit
auf, indessen ich mit dem Rentmeister beim Biere des weitern über die Zeitläufte
redete. Der Herr legte dar, weshalb neuerdings der alte Gegensatz zwischen
Wallenstein und dem Hofe zur ärgsten Schärfe geraten sei. Zwar zuerst nach dem Siege
bei Steinau schien der Jubel zu Wien kein Ende zu nehmen, und Wallenstein war der
glorreichste Held. Im Spätherbst jedoch gab es lange und bleiche Gesichter, da auf
einmal der Weimaraner Bernhard die Hand auf Regensburg gelegt hatte, den Schlüssel zu
Österreich und Bayern. Der Kaiser machte für solch gefährliche Schlappe den
Wallenstein verantwortlich, weil dieser den Süden vernachlässigt habe. Vom Kaiser
herbeigerufen, versuchte Wallenstein zuerst, in Eilmärschen Entsatz zu bringen, blieb
aber auf halbem Wege in böhmischen Winterquartieren liegen. Zur Rechtfertigung machte
er geltend, ein Winterfeldzug werde das Heer ruinieren, die Soldateska werde entweder
meutern oder desperieren und krepieren. Nun flüsterten die Höflinge, der
Generalissimus sei ein gar zu großer Herre worden und habe Absichten auf die
böhmische Krone. Wallenstein, der wohl sah, wie man in Wien seine Stellung untergrub,
suchte sich der Treue seines Heeres zu versichern. So kam im Jänner jener
Oberstenkonvent im Pilsener Hauptquartier zustande, dem auch Herr Schaffgotsch
beiwohnte; einer seiner Diener hat mir davon Bericht gegeben. Den aus allen Lagern
herbeigerufenen Kommandanten ließ der bettlägerige Generalissimus durch Feldmarschall
Ilow eröffnen, wie er der ewigen
»Der Trompeterhans!« rief auf einmal einer der Junker, so am Fenster gesessen war,
und stürmte zur Stube hinaus. Pferdetrappen nahte, und durchs Fenster spähend, sagte
der Rentmeister: »Wahrlich, der Trompeterhans – er bringt Botschaft von Wallenstein.«
Wir eilten vor die Tür, und da stieg ein Reiter ab, ein junger Gesell mit sprossendem
Bart, in rotem Wams, bewaffnet. Kurz und leicht war er, doch sehnig, behend, feurigen
Auges. »Was bringst du?« rief der Rentmeister. Ein düsterer Blick war die Antwort,
und wir errieten, daß es eine Hiobspost sei. Der Trompeterhans grüßte die jungen
Schaffgotsche und den Rentschreiber,
»Nahe bei Pilsen, in einer Dorfschenke, vernehm ich, der Wallenstein sei zween Tage
zuvor nach Eger aufgebrochen, wo er sicherer sei und näher den Schweden, denen er
sich nun gänzlich in die Arme werfen wolle ...« – »Den Schweden?« unterbrach der
Rentmeister bestürzt. »Ja, dem Feinde!« antwortete der Trompeterhans. »Vom Kaiser
geächtet, wollte er halt sein Leben retten.« – »Er hatte doch den Wall seiner
Regimenter um sich!« – »Keinen Wall! Verlassen hatten ihn sein falscher Freund
Piccolomini, Diodati und mehrere Regimenter. Nur noch fünf Kompagnien hielten zu
Wallenstein. Nicht mehr stolz zu Rosse kommandierte er seine Völker. In einer alten
Sänfte, von Pferden getragen, barg er den siechen, von Schmerz zerwühlten Leib, und
einer Flucht glich dieser Zug. Nur wenige Getreue umgaben den Herzog, seine Schwäher
Ilow und Tercky nebst deren Gemahlinnen, etliche Karreten und Sänften. Den Beschluß
machte ein tückischer Ausländer namens Buttler mit seinen Dragonern. Das war der
Judas, der seinen Meister verkaufte. In Mies, wo Wallenstein übernachtet hatte,
erfuhr ich, wie schlecht es mit ihm stehe, und in Plana kam mir gar ein Patent vom
Hofe unter die Augen; der Kaiser – so hieß es darin – erkläre den Herzog von
Friedland für einen Majestätsverbrecher und
Der Trompeterhans verstummte, während das gräfliche Fräulein aufschluchzete, und die Junker klagten: »Vater! Was wird nun aus unserm Vater?« – Nach einem düstern Schweigen fragte der Rentschreiber: »Und wann ist die Untat geschehen?« – »Am 25. Feber.« – »Den Tag zuvor geschah die Verhaftung unseres Herrn Schaffgotsch.« – »Nicht zeitig« – so fuhr der Trompeterhans fort – »hab ich die Meldung der Vorfälle heimbringen können, da ich erst vor fünf Tagen aus der Egerschen Gefangenschaft entlassen worden bin.« – »Was wird aus unserm Vater?« klagten die Kinder aufs neue. »Nun ist er auf die gerühmte Klemenz des Hauses Habsburg angewiesen«, sagte der Rentmeister kleinlaut und bitter. Wir trösteten die jungen Schaffgotsche, so gut es gehen wollte. Ich dachte indessen: Da hat nun der kaiserliche Hof neue Beute; die reichsten Herren des Schlesischen und Böhmischen Gebirges liegen auf der Strecke; die Güter der Friedländischen Herrschaft sowie Terckys und Kinskys werden konfisziert, und wer weiß, ob nicht auch die Schaffgotschischen an die Reihe kommen. Mir scheint, das Hauptverbrechen unseres Herrn ist sein Reichtum. Den Teufel auch!
Als wir die besten Männer von Schreiberhau zur Beratung versammelt hatten, schlug uns
eine neue Hiobspost aus Kemnitz nieder. Der kaiserliche Fiskal von Knobelsdorf
schrieb dem Rentmeister, es seien die Schaffgotschischen Güter dem Fisco Ihrer
Majestät verfallen; was aber die Kinder des Freiherrn anlange, so werde ihnen eine
Alimentation
Friede! seufzete ich droben bei meinem Felsen, und in den lichtbesäten Nachthimmel sank mein Schauen ... Friede, warum meidest du wie ein Geächteter das Volk der Erdbewohner? Ist unsere Kreatürlichkeit daran schuld, daß wir so unaufhörlich in Habgier und Streite lodern, nicht anders denn Holz, wann es angesteckt in Flammen aufgeht? Von der Erbsünde reden die Gottesgelahrten, und es muß wohl so sein, daß der Mensch durch einen Sündenfall sein ganz Geschlecht aus dem Garten Eden verbannt. Selbstsüchtig hat die Kreatur sich abgesondert von der Einigkeit ihres Ursprungs und ist dem Schweifen in der Fremde verfallen, wie der verlorene Sohn, oder wie der Engel Luzifer, so in den Abgrund stürzte. Und nun – was kann die verlorene, vereinsamte Seele erlösen und heimführen? Zerreißen muß sie den Schleier des Wahns, es seien die Geschöpfe genötigt, einander zu befehden. Das brauchen sie mitnichten; vielmehr soll sich eines im andern wiederfinden und mit ihm heimkehren zum allgemeinsamen Vatergrunde.
Oh ich ahne die Seligkeit dieser Heimkehr. Du gabst sie mir zu kosten, meine Thekla! Drum glaub ich gern, was die Sprachkundigen sagen: der Name Thekla sei griechisch und bedeute »Gottesschlüssel«. Allerdings hast du, Geliebte, mir aufgeschlossen das Sternenland, wo Ich und Du im Ewigeinen zusammenfließen.
O Schwester fern im Sternenland,
Ich grüße dich mit heißem Weinen.
All meine Tiefen sind entbrannt,
Mich deinem Lichte fromm zu einen.
Du mahnest an den Vatergrund,
Der uns einander eingeboren.
Ein Sündenwahn zerriß den Bund;
Mein Garten Eden ging verloren.
Geschieden aus der Ewigkeit,
Trieb ich der Fremde nach vermessen.
Fort spülte mich die Woge Zeit –
Und meine Schwester war vergessen.
Doch eines Nachts am Felsenstrand,
Als dumpf das Lied der Öde toste,
Da ward ich heimlich süß gebannt,
Weil mich ein Sternenauge koste.
Du warst es, und ich sog den Seim
Der alten Lieb aus diesem Auge.
Nun fühl ich treu, wo ich daheim,
Und daß ich noch zur Heimkehr tauge.
Nun trag ich treu der Fremde Not
Und sehne mich zur Strahlenferne –
Bis alle Fremdheit in mir tot..
O selig Grab im Schwestersterne!
Es war an einem Abend des Julimonds, und ich molk meine Ziegen, als der Oheim nebst
einem Fremden auf meine Klause zuschritt. Der war jung, von hohem, schlankem Wuchse,
hatte große stahlblaue Augen und schwarzes Haar. Im gebräunten Antlitz sproß der
erste Bart. Waffen trug er und sahe wie ein Soldat aus. Als wir einander begrüßt
hatten, sprach der Oheim: »Hier ist ein Bote vom Schmiedeberger Stadthauptmann
Pretorius, bringet trübe Kunde. Schmiedeberg ist von einer streifenden Partei
niedergebrannt.« Seufzend nickte der Bote: »Bis auf wenige zerschlagene Häuser stehet
nunmehr alles ganz öde und wüst.« Schweigend sahen wir einander an, verdüstert die
Stirnen. Dann fragte ich: »Und hat Er sonst noch etwas von seinem Hauptmann zu
vermelden?« – »Allerdings,« entgegnete der Bote, »Pretorius hat einen Teil der
Bürgerschaft in den Meltzer Grund
Ich lud meine beiden Gäste ein, mit mir das Mahl zu teilen und in meinem Gehäus die
Nacht zuzubringen. Da der Bote gern einwilligte, so gingen wir in die Balkenklause.
Ich zündete Kienspäne an und trug Brot, Schinken, Milch und Beerenwein auf. Da wir
uns zum Essen hingesetzt hatten, faltete ich nebst Tobias die Hände, der Bote aber
tat dies nicht, sondern stützte sein Haupt in die Hand. Als wir nun aßen, konnte ich
die Frage nicht zurückhalten: »Wie kommt es, lieber Mann aus Schmiedeberg, daß Er
vorhin
»Licht-Vader use!
Tovorn wärstu ower uns,
Nu awers bistu under uns,
Un dyn Ryk shall warden binnen uns.«
»Hast du verstanden, Tobias?« sprach ich zum Oheim; »er hat eine ähnliche Mundart,
wie man sie im Magdeburgischen redet. Er betet: Licht-Vater unser, zuvor warst du
über uns, nun aber bist du unter uns, und dein Reich soll werden innen uns. Fürwahr,
ein schön Gebet. Segebodo, sag Er mir, aus welchem Gaue teutschen Landes Er stammt.«
– »Im Harzgebirg bin ich geboren, zu Elbingerode, nahe dem Berge Brocken.« – »Und wie
kam es, daß Er nach Schmiedeberg
»Ich denke wohl, Euch darf ich es sagen. Erst wenige Tage wohnten wir zu Goslar, als
Berthulde ihr Herz an einen Schmiedegesellen verlor, der ein schöner Jüngling war.
Ganz unsinnig aber hat sie ihre Minne gemacht, daß sie kaum andere Gedanken gehabt,
als ihrem Schatz nachzuschleichen und ihn zur Gegenminne magisch zu bestimmen. Der
Geselle jedoch hat nicht ein einzig Mal sein Aug auf sie geworfen. Da hat Berthulde
wahrgenommen, wie er des Sonntags gern einen Wald besuchte, wo ein Bach über Steine
rauscht. Eines Sonntags nun ist sie rechtzeitig dorthin gegangen,
Kaum war der Oheim hinausgegangen, so rief er jammernd: »Mein Gott! Hirschberg stehet in Flammen!« Wie wir nun kamen, sahen wir den Nachthimmel gerötet, als ob die Sonne aufgehe. Das ganze Hirschberger Tal war besät mit Feuersbrünsten und hinten die Stadt eine einzige Glut. Der Oheim schlug die Hände zusammen und sagte nur immer: »Mein Gott! Mein Gott!« Segebodo knirschte: »Bestien!« Ich preßte die Faust auf mein Herz, das sich schmerzlich zusammenzog. Lange blieben wir unter dem Nachthimmel und berieten, wie sich dem Vaterland oder mindestens den Bewohnern unseres Gebirges helfen lasse. »Das ganze Gebirge sollten wir zur uneinnehmbaren Feste machen,« meinte Segebodo, »und sollten uns abschließen gen alles, was von außen unsern Bergfrieden stören will. Ist nicht zum Exempel die Stätte hier wie zu einer Burg geschaffen? Vor Zeiten hat hier wohl auch eine Burg gestanden, wie der Name Abendburg verrät.« Tobias stimmte bei und berichtete dem Boten die Mär von der Abendburg. Daran knüpfte er die Frage: »Kann deine Schwester, geheimer Künste kundig, wohl eine Zaubersuppe bereiten, die in Sankt Johannis Nacht den Felsen öffnet? Haben wir erst das Gold der Abendburg, so können wir die schönste Burg erbauen und das ganze Gebirge zu einer Feste machen. Wir haben alsodann, woran es uns mangelt: Geld, viele Menschen zu unterhalten und zu besolden.« In stummen Gedanken nickte Segebodo.
Des andern Morgens geleitete ich meine Gäste hinunter zu Oheims Häusel, und wir
vernahmen, was sich mit Hirschberg zugetragen. Obwohl die Stadt vom General Colloredo
mit einer Schutzwache versehen war, hatten 2000 kaiserische Soldaten die Vorstädte
überfallen und geplündert. Hierauf begehrten sie Einlaß in die Stadt. Da man nun die
Tore verschlossen hielt, trugen sie Leitern ans Langgassentor, um überzusteigen.
Vergebens ließ die Sicherheitswache durch
Betrübt stieg ich wieder zur Abendburg empor, und mich quälte ein Zweifel, der mir
schon früher zuweilen gekommen war: Wenn Gott in der ganzen Welt lebt und webt, so
muß er auch im Mordbrenner sein. Wie lässet sich das nun zusammenreimen? Als Antwort
kam mir ein Wort in den Sinn, das ich einmal in einem Buche Philosophiae gelesen:
Niemand kann wider Gott sein als Gott selbst. Ist denn also Gott ein Wesen, das mit
sich selbst im Widerspruch? Es muß wohl also sein. Was Gott aus sich heraus schöpft,
das setzt er sich genüber; indem das Geschöpf anders ist denn Gott, stellt es einen
Abfall dar vom Schöpfer. Das eben ist der Sündenfall, daß die Kreatur ihrem Gotte
sich entfremdet und Eigenwillen angenommen hat. Doch neben dem Drange, der von Gott
absondert, lebt in aller Welt auch noch ein andrer Drang, so fest an Gotte hält und
die Geschöpfe wieder hineinreißen möchte in die ewige Einheit, aus der sie gequollen.
Solch Heimweh nach dem einen Urgrunde, das sich
In diesem Jahr hat sich nichts Sonderliches mehr begeben. Fern von der schlimmen Welt verblieb ich im Frieden der Abendburg. Das Laub der Birken und Eschen ward gelb und rot. Novemberstürme tobten, dann kehrte wieder die weiße Woge, Tal und Höhe zu überfluten. Als der Frühling des Jahres 35 den Verkehr in den Bergen wieder möglich gemacht hatte, kamen neue Schreckensposten. Die Hirschberger hatten zwar ihre Ruinen notdürftig zum Wohnen eingerichtet. Die Schweden aber waren erschienen und hatten die Auslieferung der kaiserlichen Sicherheitswache gefordert. Nach fruchtlosen Unterhandlungen kam es zur Gewalt, und nun mußten die umliegenden Dörfer, Höfe und Mühlen büßen. Endlich verglich sich der Stadtrat mit dem Feinde, daß dieser 200 Taler Abzugsgelder nahm.
Was Herrn Schaffgotsch anlangt, so stund er vor dem Kriegsgericht zu Regensburg,
angeklagt der Meuterei und
Wie ich an einem Sonntage Aprilis zur Stätte kam, wo ich meine Buschpredigten hielt, war beim Oheim eine Jungfer von seltsamer Schönheit. Hatte feine Glieder, große schwarze Augen unter dunkeln Brauen und ein zart Gesicht. Üppig umwallte sie langes Flachshaar, darauf sie ein blau Kopftüchel trug. Bekleidet war sie mit einem buntbestickten Hemd und einem roten Rock. Die zierlichen Füße waren bloß. Als der Oheim sagte: »Das ist Segebodos Schwester«, neigte sie sich errötend. Auch den andern Sonntag war sie da, und während meiner Predigt ruhte ihr Auge glühend auf mir.
Das nächste Mal wollte ich über Mittag bei Tobias bleiben, dieweilen nachmittags eine
Trauung stattfand. Berthulde war nicht bei der Predigt. »Zu Hause wirst du sie
finden«, sagte der Oheim; »sie hilft Beaten das Mahl bereiten.« Meinen Besuch zu
feiern, hatten die Weibsbilder einen leckern Braten gemacht, auch Kuchen gebacken für
das Hochzeitspaar. Das Tischgebet verrichtete Berthulde in derselben Weise, wie
Segebodo getan. In sich gekehrt und schweigsam blieb sie während der Mahlzeit.
Zuweilen rollte ihr Auge nach mir und betrachtete mich verstohlen. Als Beate das
Tischgeschirr abräumte, half Berthulde, und derweilen sie
Betreten entgegnete ich: »Aber Kind! Fürchtest du denn das Reich des Teufels nicht?«
Im Winkel des blühenden Mundes zuckte ein spöttisch Lächeln gleich einem Schlänglein,
als sie erwiderte: »Was soll ich ihn denn fürchten? Wir Putzkeller wissen ja besser
als die Kirchenschäflein, was der Teufel ist.« – »Nun, was ist er denn?« – Sie hatte
ihr Kränzel zustande gebracht und setzte es auf ihr Häuptlein. Wie ein seltsam schön
Musikspiel von Flöte und Harfe stimmte zusammen das Goldhaar mit den dunkelblauen
Blumen und dazu das nachtende Auge im zart-weißen Gesicht. »Sogar dies will ich dir
anvertrauen«, sagte sie, neigte sich zu meinem Ohr, und es kam ein Flüstern, davon
ich zuerst nichts verstund, weil mich ihr Hauch verwirrte und ihre Lippe mir das Ohr
streifte. »Warum sagst du es nicht laut?« – »Ich sage es so, wie man es mir gesagt
hat. Denn es gehört zu den Heilslehren der Putzkeller, wie ich sie vom Vater gelernt
habe, und die darf man nur leise weitersagen.« – »So sag es leise!« – Wieder bog sie
sich zu mir, und diesmal hörte ich sie raunen: »Der Teufel ist hold. Schön blühen
lässet er alle Wesen und ist der Eigenwille der Kreatur.« Staunend überdachte ich das
Wort und entgegnete: »Darfst du weiter darüber reden?« Sie nickte. »Mußt du auch das
Weitere leise sagen?« Sie schüttelte den Kopf: »Nur die Formeln muß ich leise sagen,
sonsten darf ich frei reden.« – »So sage mir, warum er die Kreatur schön blühen
läßt.« –
Während wir den Bach entlang heimwandelten, den Oheim und Beaten abzuholen, sang die
Jungfer leise vor sich hin mit süßer Stimme. Auf einmal wandte sie sich: »Werden die
dreißig Lenze mit den zwanzig Lenzen tanzen?« – »Das gäbe ja schon ihrer fünfzig«,
gab ich scherzend zurück. Sie lachte: »Die fünfzig sind noch lange nicht zu alt zum
Tanzen.« – »Nun gut! Aber du mußt mir den Spiritum flammarum zeigen; sonsten tue ich
keinen Tanz mit dir.« Da sahe sie mich an mit langem Blick, und sorgend Verlangen war
darin. Scheu spähete sie in die Runde und raunete: »Sollst ihn sehen! Daß du mir aber
nicht böse wirst!« Und sie nestelte an ihrem Busen, zog eine hürnene Kapsel, so an
einer Schnur um ihren Hals hing, unter dem Brusttüchel herfür, entnahm ihr eine
abgeplattete Glaskugel und reichte sie mir. Im Glase war ein wunderlich Tier
eingeschlossen, nicht unähnlich einer Spinne, aber mehr wie ein Skorpion. War
feuerfarben, und wenn man das geschliffene Glas bewegte, schien das Tier mit den
Gliedern
Wir gingen Hand in Hand zu Oheims Häusel und gleich darauf nebst der alten Beate zur
Hochzeit. Eine Reue wandelte mich an, daß ich die liebestolle Jungfer gereizt habe,
und ich wollte mich von ihr zurückhalten. Gleichwohl konnte ich nicht umhin, mein
Wort einzulösen und nach dem Hochzeitsmahl mit ihr zu tanzen. Wie ich sie in den Arm
nahm, schmiegte sie den Busen an mich, leicht und süß tanzte es sich mit ihr. Auf
einmal aber drückte das Zauberding, und in meiner Brust fühlte ich einen Stich, als
habe das magische Tier den Stachel durch Glas und Kapsel gereckt. Mit einem Blick
voll Grauen ließ ich Berthulden los. Sie ward bleich und schlug die Augen nieder.
»Die Brust tat mir weh«, sagte ich; »bin des Tanzens ungewohnt.« Und ich führte sie
zur Bank. Den Bierkrug reichte ich ihr und
Als ich abends von den Hochzeitern Urlaub nahm, heimzukehren, war sie verschwunden.
Draußen im Mondschein stund sie, beim Gartenbusch, wo ich vorbei mußte. Mit einem
Scherz suchte ich davonzukommen: »Gute Nacht, Hexlein!« Sie trat zu mir und meinte
frostig: »Weiß schon, der Herr Prädikant ist zu denen übergegangen, so mich eine Hexe
schelten.« – »Das sei ferne von mir, Berthulde! Hab ich dir nicht gesagt, du seiest
ein Närrchen und keine Hexe?« Da stund sie dicht vor mir und spähete mißtrauisch in
mein Angesicht: »Warum hast du beim Tanze dich von mir gewandt? Wegen meiner
Hexenaugen, wie?« – »Schmucke Augen hast du!« entgegnete ich. Freude huschte ihr
übers mondbeglänzte Angesicht, zart und lieblich war ihr Lächeln, ich nahm ihre Hand
und drückte sie. »Bist auch der Nixe nicht bös, die um den Gesellen zu Goslar
freite?« hauchte sie, ihr Antlitz war dem meinen nahe. Ich schüttelte den Kopf. –
»Aber der Spiritus flammarum mißfällt dir? Aufrichtig, Johannes!« – »Ja,« sagte ich,
»tu ihn fort!« Sie atmete tief, als kämpfe sie einen Kampf. Dann entschied sie hart:
»Wenn ich Gewalt habe über das Zauberding, werd ich es los nach deinem Wunsche. Wenn
ich aber sein dreizehnter Besitzer bin, so holt mich der Spiritus in die Flammen.
Einen nur gibt es, der dies verhindern, der mich erlösen kann.« – »Und wer ist das?«
– »Der, den ich liebe! So er mich wieder liebt, mag ich der magischen Kapsel ledig
werden. Hab ich jedoch kein Glück bei ihm, kein Glück in der Minne, dies dritte-,
letztemal, alsodann ist es ausgemacht, daß ich der Dreizehnte bin und auf roten
Schwingen fliegen muß, wohin manch putzkellerische Lichtbraut vorangegangen.« Mir
war, als wolle mich ein Zwang in der Jungfer Arme bringen, doch wiewohl sie meine
Sinne lockte, war in mir eine Scheu. Das Kosewort, so mir schon von den Lippen
wollte,
Etliche Tage später war's, und auf meinen Bergen schmolz der letzte Schnee. Es regnete und stürmte, ich blieb in meiner Klause, draußen war's unwirtlich. Die Tannen troffen, hinter Wolken hielt sich die Sonne, die Luft schnob feucht. Ließ der Regen nach, so stiegen aus den Waldgründen weiße Nebel und ballten sich zu grauen Massen, die über den Gebirgskamm hinkrochen, ähnlich einem Rudel riesiger Wildschweine. Das Getier der Wildnis blieb versteckt in Schlüften und Steinen. Ich belauschte eine Hirschkuh, die sich an eine trockene Wand des Abendburgfelsens geschmiegt hatte und ihr nasses Fell leckte. Bei des Windes Schweigen toseten in Tälern und Schluchten die Bergwasser. Trübe schossen sie dahin, hüpften an Felsen schäumend hinan, zerwühlten das Erdreich und rissen große Äste, ja Bäume und Steinblöcke fort. Kam ich vom Waldgange heim, so mußte ich mein Schuhwerk und Gewand am Feuer trocknen. Ging daher ungern hinaus und brachte meine Zeit mit Lesen und Sinnen zu, auch mit Zurüstungen, die mir die Grotte ähnlich der Balkenstube wohnlich machen sollten.
Nachts fuhr ich jäh aus dem Schlafe empor, weil es im Grunde der Abendburg dröhnte,
als ob eine eiserne Türe zuschlage. Ich dachte an die Mär von den unterirdischen
Am Morgen zündete ich die Laterne an, nahm Hacke und Spaten und prüfte den Boden der Grotte. Fast gänzlich war er zusammenhängender Fels, aber an einer Stelle Schottergestein, und es fiel mir auf, daß der Schotter scharfe Bruchstellen hatte, also von Menschenhand hergerichtet sein mußte. Da lag mir nun die Frage nahe: Aus welchem Grunde haben Menschen an dieser Stelle Stein zerschlagen und mit dem Schotter den Boden bedeckt? Wollten sie bloß ein Loch ausfüllen, oder ist vielleicht unter dem Schotter etwas vergraben? Man wird hier schon früher einen Brunnen gehabt haben, dachte ich. Als ich mich an den Boden legte und das Ohr aufdrückte, vernahm ich abermals das unterirdische Rauschen. Arbeitete nun emsig mit Hacke und Spaten, räumte den Schotter weg und stieß auf eine Steinplatte, in die ein Eisenring eingelassen war. Mit Hilfe einer Stange, die ich in den Ring schob, gelang es mir, den Stein aufzuwuchten und beiseite zu schaffen.
Mit Staunen sah ich ein offnes Loch, steinerne Stufen führten in die dunkle Tiefe.
Feuchte Luft strömte empor, es tosete drunten wie Wasserfall. Mit Schauder hatte ich
zu kämpfen, da es mich deuchte, die Abendburg sei magisch aufgetan, und ich solle nun
das gefährliche Abenteuer bestehen.
Schrecken fuhr in meine Glieder, da in der erhabensten Wölbung zwo Riesengestalten
auf einem Throne saßen: Ein Mann mit wallendem Bart- und Lockenhaar, einen
mattgüldenen Reif um die Stirn, in der Rechten ein Schwert, neben ihm eine
Frauengestalt in wallender Gewandung. Erst wähnte ich, lebendige Wesen vor mir zu
haben. Wie ich dann ihrer Reglosigkeit inne ward, dachte ich an balsamierte Leichen.
Bald aber war zu erkennen, daß hier die Stümpfe mächtiger Säulen, schon durch
natürliche Bildung menschlichen Gestalten ähnlich, mit dem Meißel hergerichtet, dann
durch herabtröpfelndes Kalkwasser überkrustet waren. Ein seltsam Gemisch von
Lebendigkeit und Verschwommenheit war zustande gekommen, ein phantastisch Gebild. Wie
ein König hielt der Mann das Haupt, es rollten die Augen unter der mächtigen Stirn.
Der weiße Bart, den das tröpfelnde Wasser bis zu den Füßen verlängert hatte, bezeugte
ein ungeheures Alter. Die Königin zu seiner Rechten hielt das Haupt träumend geneigt.
Ein weißer Schleier umfloß ihre Gestalt bis hinunter, sanft war das Angesicht. Zu den
Füßen des thronenden Paares stund eine große sargartige Truhe aus Stein. Knochen und
Waffen waren darin. Wie ich Mut gefunden hatte, nachzusehen, war ich außer mir vor
freudigem Staunen; zwischen Menschengebeinen, die in der Truhe lagen, gab es eine
Menge von Gold und kostbaren Geräten. Da waren güldene Kronen mit Edelsteinen,
Armgeschmeide, Fingerringe, güldene Ketten und ein paar silberne Kessel, ganz mit
Goldmünzen angefüllt.
Was nun? So sprach es in mir, und vor meinen Augen regte sich das Gold und wuchs, wie
Bäume wachsen, und Säulen wurden daraus, Mauern mit strahlenden Fenstern, ragende
Dächer, Zinnen, Türme und Tore, Zugbrücke, Graben und Wall. Die verheißene Abendburg
strebte vom Bergesgipfel himmelan, aus wildem Gestein herfürgezaubert durch des
Goldes Magie, und ich war der Zauberer und Herr. Die Steinbilder der Höhle, des
teutschen Volkes uralte Fürsten, die hier Jahrtausende geschlafen hatten, regten
sich, das arme Vaterland zu retten, und machten mich zu ihrem Erben, boten mir den
Schatz und eine Krone. Wohlan, es sei! Erbauen will ich die Burg und herrschen über
die Berge. Nicht, um zu prunken und zu schwelgen, sondern
Doch wiewohl mir bei diesem kühnen Gedanken hoch das Herze schlug, war doch mein Geist von Zweifeln bedrängt. Wie die Zügel der Herrschaft ergreifen? Wie den ersten Schritt tun auf der neuen Bahn? Je mehr ich sann, desto heißer verlangte mich nach einem Menschen, der mir raten könnte, da ich die Wucht meines Erlebnisses kaum zu ertragen vermochte. Ich beschloß, sogleich den Oheim einzuweihen und zu meinem Helfer zu machen. Verließ also den Felsendom – nicht ohne scheue Blicke hinter mich zu werfen, ob auch der Schatz noch da sei, und nicht etwan der steinerne Hüter wie ein Gespenst mich packen wolle. Doch es blieb alles, wie ich es mit Aug und Hand wahrgenommen.
Taumelig überschritt ich die Brücke der Felsenschlucht und stieg den engen Gang empor, bis ich in meiner Grotte war. Hier merkte ich, daß mir die Knie zitterten und das Herze wild pochte. Mußte mich setzen, betastete meinen Kopf und starrte auf das Loch im Boden, da ich noch immer nicht fassen konnte, daß alles mehr sei als Traum. Dann aber trat meine Tatkraft auf den Plan. Die Steinplatte deckte ich auf das Loch und schaufelte den Schotter darüber. Beflügelten Fußes strebte ich zu Tal. Wiederholt freilich hemmte meinen Lauf die Sorge, es möchte in meiner Abwesenheit der Schatz aufgespürt werden. Es war mir, als müsse das Gold magnetisch die Menschen herbeiziehen.
Den Oheim fand ich in seinem Laboratorio. Ich muß wohl seltsam dreingeschaut haben,
denn er sahe mich groß an und fragte: »Was hat's denn?« Ich legte die Hände auf seine
Schultern und schüttelte ihn, da ich zunächst keine Worte fand. Dann fuhr es mir
heraus: »Ich habe den Schatz!« Noch mehr weiteten sich des Oheims dunkle Augen, und
er flüsterte scheu: »Machst du keine Possen?« – »Nein, wahrhaftig, der Schatz ist
unser, du sollst ihn sehen, sollst
Brennende Fackeln in der Hand, stiegen wir in die Tiefe. Nachdem wir den engen Gang
hinter uns hatten, kam die Felsenschlucht, darin das Wasser toste; über die
Steinbrücke ging's und jenseits wieder aufwärts, dem Nebenflüßlein entgegen. Im
weißen Felsendom erstarrte der Oheim, wie er die Gebilde aus Tropfgestein
betrachtete. Weiter wandelnd, kam er zu den beiden Bildsäulen, fuhr zusammen und tat
einen Schritt rückwärts. Wie aber sein Blick auf die Truhe fiel, wo der Schatz
funkelte, schlug er die Hände zusammen und trat heran. Schwer atmend griff er sich
nach dem Herzen, als schlüge es zu heftig. In dem Blicke,
Eine Weile schwieg er in starrem Grübeln. Dann rührte ihn wieder Unrast: »Daß du ja nicht den Leuten verrätst, was du hier gefunden hast. Sonsten möchten Habgierige dich beiseite schaffen, um allein das Gold zu haben.« – »Aber Oheim,« wandte ich ein, »wie soll ich das Gold anwenden, ohne zu verraten, daß ich welches habe?«
Und er: »Sage den Leuten, das Goldmachen sei dir gelungen, solle jedoch dein
Geheimnis bleiben. Dann bist du die Henne, so güldene Eier legt, man wird dein Leben
hüten, du gackerst und bist Herr der Berge.« Etwas Garstiges lugte aus diesem
Ratschlage, das mich peinigte. Ich starrte auf die rätselvollen Bildsäulen, der
langbärtige König schien mir der Götze Mammon, indessen die Königin mit sanfter
Trauer dreinschaute. Und von dieser Sanftmut ward der gute Geist in mir angesprochen.
»Soll ich den Leuten etwas vorgaukeln?« wandte ich kleinlaut ein; »das Lichtreich
möcht
Unschlüssig blickte ich auf den steinernen Götzen. Der starrte gebieterisch und kam mir auf einmal vor wie der leibhaftige Höllenfürst. Rollenden Auges deutete er auf den gleißenden Schatz, aus seinem Schweigen donnerte mir jenes Wort entgegen, mit dem er den Heiland in der Wüste versucht: »Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest.« Und eine Macht strömte mir ins Herz, ich reckte mich, straffte Nacken und Arm, entschlossen, nach des Oheims Rate zu tun.
Wohl bedachte ich, daß der Schatz nicht mir, sondern dem Grundherrn gehöre. Doch der Grundherr war nebst seinen Kindern in der Gewalt von Beutemachern. Sollte ich denen auch noch den Schatz in die Klauen liefern? Nicht doch! Ich, den des Himmels Walten zum Entdecker auserkoren, wollte das Gold lieber zur Verteidigung des Vaterlandes, ja zur Befreiung des gefangenen Grundherrn verwenden. Hinterher würde Hans Ulrich mich segnen für meine Eigenmächtigkeit. – Als ich diesen Plan dem Oheim darlegte, stimmte er bei, obwohl zögernd.
Viel Mühe machte uns das Umprägen der alten Münzen. Es ging ja nicht, daß wir sie in ihrer ursprünglichen Form den Leuten einhändigten. Man hätte alsdann erraten, wir seien keine Goldbereiter, sondern Entdecker eines alten Schatzes. Zu Hirschberg ließ der Oheim einen Stempel verfertigen, der die Münze des neuen Reiches prägen sollte. Auf der einen Seite war die Sonnenscheibe mit einem Hakenkreuz innen, auf der andern Seite die Inschrift: Herr der Berge. Um die alten Stücke umzuprägen und glaubhaft zu machen, daß durch Alchymie unser Gold entstehe, war ein Laboratorium nötig. Dazu richteten wir die Grotte ein. Wie sie für unsern Zweck fertig war, schwang ich einen mächtigen Hammer, indessen der Oheim den Prägestock hielt. Unter dröhnenden Schlägen sprangen die Goldmünzen herfür, mit denen das neue Reich zu gründen war. Nach einer Arbeit von etlichen Wochen betrug unser Münzschatz bereits 10000 Dukaten.
Inzwischen hatten wir beraten, wer unter den Männern des Gebirges auszuwählen sei, um
beim Gründen unseres Reiches mitzuhelfen. Zum Ersten erkies ich Segebodo, der
Wir luden diese Männer zur Abendburg, und wie sie in meiner Balkenstube saßen, tat
ich eine Handvoll Goldmünzen auf den Tisch: »Das da hat mein Schmelzofen nebenan
zustande gebracht, und das Hundertfache kann ich schaffen. Der Schatz soll aber nicht
für mich sein, sondern für euch, für das ganze Gebirge. Lasset uns diese Bergwildnis
zur Feste umwandeln und reich mit Proviant versehen. Dazu diene uns das Gold. Wollet
ihr drei nebst mir und meinem Oheim dies Werk unternehmen? Ich frage, gebet Antwort!«
Segebodo war aufgesprungen, über den Tisch gebeugt, starrte er mich glühenden Auges
an; dann schlug er mit der Faust auf die Platte, daß die Münzen tanzten, und streckte
in heller Freude seine Hand entgegen: »Johannes, wir bauen die Burg!« Der
Trompeterhans hatte hastig ein paar Münzen aufgegriffen und stand beim Fenster, sie
betrachtend und durch Geklimper prüfend. »Wahrhaftig,« meinte Dreßler, »das ist wie
Gold.« – »Es ist Gold, echtes, reines Gold«, sagte ich. Dreßler sahe bald auf mich,
bald auf das Gold und griff sich an den Kopf. »Und mehr davon kannst du machen?«
fragte er. »Alle Tage so viel wie dies«, frohlockte der Oheim. Wieder schlug Segebodo
auf den Tisch: »So glaubet doch, ihr Männer, und reichet die Hände her, schließen wir
ein Bündnis, zu tun, was unser Herr Johannes will.« Nun trat freudig der
Trompeterhans herzu, und wie wir im Kreise einander die Hände reichten, sprach ich:
»Wir fünfe halten fürder zusammen wie Finger einer Hand.« – »Und du bist unser
Zeigefinger«, meinte Segebodo.
Mit dem Oheim war ich nun beflissen, einen guten Plan zur Befestigung der Abendburg
herauszubringen. Ein Brief von Segebodo meldete, er habe schon mehr als fünfzig
Soldaten beisammen, lauter Haudegen, werde auch Korn und Vieh bringen, wisse jedoch
in einer Sache keinen Rat. Bei den Soldaten seien Weiber und Dirnen. Was solle mit
denen werden? Die Soldaten begehreten, sie mitzubringen, und ich solle lieber dafür
sein, sonsten möchte die
Etliche Tage später kam Segebodo mit sechzig Söldnern, vielen Weibsbildern, auch Werkleuten. Sie geleiteten drei Ochsenwagen, drauf waren Säcke voll Korn und Rauchfleisch, Gewandstoffe, Rüstungen und Waffen, Blei und Pulver, dazu ein Faß Branntewein. Ich teilte die Angeworbenen und bestimmte die größere Hälfte für den Wachstein, dessen Befestigung in Angriff genommen ward. Die andern Leute sollten der Abendburg angehören. Zu ihrem Lagerplatz wählte ich einen Ort, eine halbe Stunde davon auf dem Bergeskamm gelegen. Hier ward aus Fichtenstämmen ein rauhes Obdach hergerichtet, auch für das Vieh ein Stall, und die Vorratskammer. Nun zogen wir um das künftige Burghaus in weitem Bogen einen Graben. Nach innen aufgeworfen, bildete das Erdreich einen Wall, hinter dem gespitzte Pfähle als Brustwehr starrten. Eine Zugbrücke sollte über den Graben führen und durch ein steinern Tor gesichert sein. Mit diesen Anlagen zu beginnen, schien das ratsamste, weil das Gerücht von meinem Golde leicht Beutemacher uns auf den Hals laden konnte.
Wie Wall und Graben notdürftig fertig waren, bat mich Segebodo, der als Hauptmann
über die Soldaten gesetzt war, ihnen eine Festlichkeit zu gewähren. Ich willigte ein
Von Elfrieden hatte sich mein Sinnen zu Thekla gewandt. O daß sie unter den Lebenden, und an meiner Seite weilte! Sie erst gäbe mir die rechte Freudigkeit und Kraft, deren ich zu meinem Unternehmen bedarf. Wohlan, sprach ich zu mir – sei unermüdlich, ihre Spur auszufinden! Bist ja nicht mehr der hilflose Eremit, hast Gold wie ein Fürst. Suche, reise, sende hundert Kundschafter aus! Vielleicht sollst du sie noch in die Arme schließen. Wenn du sie dann heimführst zu deinem Felsennest, magst du strahlen und lachen: »Weiß meine liebste Gräfin noch, wie sie an dieser Stätte zu mir ›Wag's Knab‹ gesprochen? Nun mach ich das Wort wahr. Der Schatz ist mein, eine Burg ragt in die Lüfte, und ich walte drin als Herr der Berge, die holdseligste Fürstin an meiner Seite!« – Aufjauchzen wollt ich, doch dann schluchzete ich in mich hinein. Ach, ich war jener Mutter gleich, die das kalte Gold der Abendburg gehoben, ihren Herzensschatz aber verloren hatte.
Nach dem Mittagsmahl ging ich allein, derweilen der Oheim sein Schläfchen tat, zum Lager der Soldateska; Branntweinstein hatten die Schreiberhauer neuerdings den Platz benamset. Ich fand meine Leute bei Spiel und Tanz, und mancher hatte dem Becher schon weidlich zugesprochen. Im Zelt der Marketender ward mit Knöcheln der Sold vertan, dazu gellte die Pfeife, und aus rauhen Kehlen erschollen Lieder. Unweit auf ebener Matte drehten sich zur Fiedel Soldaten, auch Schreiberhauer Burschen und etliche Dörferinnen. Jauchzen grüßte mich, und gute Miene mußte ich machen zu diesem Treiben, das mir anfangs nicht behagte. Wie ich aber selber einen guten Trunk getan und mit den Leuten mich gemein machte, ward ich ihnen ähnlich und zutunlich.
Als die Sonne sank, kam aus dem Walde ein bewaffneter Haufe, voran der Führer in
blauem, silberbetreßtem Wams. Grüßend schwenkte er den Federhut und rief: »Juhu,
Viktoria!« – »Ist das nicht Maiwald? Und Dreßler? Sie sind's!« meinte die Preislerin,
und man stimmte bei: »Wahrhaftig, der Maiwald! Ei, so schauet doch, wie ein Herr
gekleidet!« Ich ging dem Zuge entgegen und ergriff die Hand, die Maiwald
freudestrahlend mir bot: »Viktoria, Johannes, gute Botschaft! Ich bringe, was wir
brauchen! Da sein zuvörderst dreißig tapfre Schmiedeberger, zwanzig an dere hab ich
in Dreßlers Auftrage angeworben, als wir über Hirschberg zogen. Was aber das beste,
wir han als Kriegsknechte gleich gute Arbeit getan. Drunten bei der Kirche sein drei
Wagen und sechs Gäule davor, auch neun Reitpferde. Die haben wir als Beute
mitgebracht. Und denke nur, was Kostbarkeit unter den Wagenplanen! Silbergeschirr,
eia, schwere Becher und Kannen, Tafeldecken und Tapezereien mit Bildern darauf,
Prachtgewänder, wie ich
»Vivat Maiwald!« schrien die Leute. »Viktoria!« Da man mich fragend anblickte, nahm
ich das Wort: »Ich danke dir, Dreßler, daß du nach meinem Auftrag getan und im
Gebirge verkündet hast, was wir wollen. Auch dir, Maiwald, weil du Soldaten bringest,
danke ich. Was aber das Beutemachen anlangt, so kann ich es nicht billigen. Wenn wir
ein neues Reich gründen, besser als die alte Haderwelt, dürfen wir nicht mit Mausen
beginnen. Merket ihr alle (und meine Stimme ward scharf): daß mir keiner ein
Gartbruder werde! Unrechten Gutes bedürfen wir nicht. Erhaltet ihr nicht reichen
Sold? Und können wir nicht genung Lebensmittel kaufen mit dem Golde, das ich
schaffe?« Maiwald riß vor Überraschung Aug und Maul auf, Murren erhub sich unter den
Leuten. Ich aber befahl mit Strenge: »Maiwald, sorge sofort, daß keiner sich an dem
Gut vergreife. Das gehört den Kindern unseres armen Herrn Schaffgotsch, den seine
Widersacher ausplündern möchten. Morgen soll ein Bote nach Kemnitz zu Herrn Gottwald,
ihrem Vormund, und
Mein Aufmerken ward jetzo auf eine Gruppe von Soldaten gelenkt, die einem der
mitgebrachten Soldatenweiber lauschten. Von Magdeburg ging das Gerede: »Wie die
Magdeburger sollten auch wir's machen. Dann kann unsere Burg nicht eingenommen
werden.« – »Was sollen wir wie die Magdeburger machen?« sprach ich hinzutretend. Da
eiferte das Weib: »Die Magdeburger haben ein Stadttor uneinnehmbar gemacht.« –
»Uneinnehmbar?« entgegnete ich; »weiß Sie denn nicht, daß Magdeburg längst über und
zerstört ist? Ich selber bin Magdeburger und hab unter Falkenberg die Stadt
verteidigen helfen.« – »Das weiß ich wohl. Mein Mann war ja einer von den
Pappenheimern und hat mir gute Beute ins Lager von Neu-Haldensleben gebracht. Aber
das Krökentor ist doch beim Sturme festgeblieben, ist nur durch Umzingelung
eingenommen; die Pappenheimer sind durch die Hohe Pforte in die Stadt gedrungen, und
da blieb dem Krökentor freilich nichts übrig als zu kapitulieren.« Düster starrte ich
drein: »Solch toller Aberglaube darf hier nicht aufkommen.
»Herr Johannes! Eine Freudenpost! Viktoria!« rief es hinter mir, und zween Männer
hasteten herbei; der eine war Christianus, der Preislerin Sohn, mit einem Papier
winkte er, als bringe er wichtige Botschaft. Ich stutzte, und etwas sprach in mir:
Wie deine Leute knöcheln, so wirft eine dunkle Hand die Würfel deines Geschickes, und
da ist nun wieder ein Wurf geschehen, einstweilen verdeckt durch den Würfelbecher,
sogleich aber offenbar; vielleicht sind die Würfel dir zum schwärzesten Unheil
gefallen ... doch nein, wohl eher zum Glück ... Freudig blickt Christianus. »Sie
lebt!« ruft er – und es durchzuckt mich die Hoffnung, Thekla sei gemeint. Vor
Beklommenheit kann ich kaum sprechen: »Wer lebt?« – Nun ist Christianus bei mir und
beut mir das Papier: »Hie stehet es geschrieben von ihrer eigenen Hand!« – Zitternd
nehme ich den Brief: »Rede doch, Christian! Wer denn, wer lebt?« Da kommt die
Antwort, nach der meine Sehnsucht oft flehend verlangt hat: »Sie – Eure Eheliebste –
die Gräfin Thekla lebt!« – Das war zu viel des Glückes so auf einmal; gelähmt stund
ich, wie vom Blitze getroffen, es wankten die Tannen rings und die Berge, es drehte
sich alles, ich taumelte. »Halt ihn!« rief Christianus. Dann saß ich im Beerenkraut,
die beiden Männer waren um mich bemüht, aus einer Flasche sollte ich trinken. Ich
strich mir über die Stirn. Sie lebt!
Ich erkannte die Schriftzüge, Theklas Hand, und las:
»Liebwerte Preislerin! Ehrsame Witfraue!
Nachdem ich meinen Johannes verloren und vor wenig Wochen auch noch meine zweite Mutter, die edle Frau Zetteritz, weiß ich niemand sonsten in der kalten Welt, bei dem ich Zuflucht suchen könnte, als meine gütige Preislerin, wofern, sie überhaupt noch am Leben. Denn der Oheim Tobias ist ja wohl verstorben. Wenigstens sind zween Briefel, so ich vor drei und vier Jahren durch Soldaten an Tobias Tielsch gesandt, ohne Antwort geblieben, und mein zweiter Bote hat mir die Kunde gebracht, der alte Tielsch sei tot. Damit Sie aber weiß, liebwerte Preislerin, welche Lebensumstände mich treiben, in Schreiberhau Zuflucht zu suchen, so vermelde ich, daß jetzo, nachdem meine Beschützerin, die edle Frau Zetteritz, verstorben, ihr Sohn, ein kaiserlicher Obrist, mich heuren will, wiewohl ich ihn nicht mag. Da will ich nun heimlich entweichen. Darf ich nach Schreiberhau kommen? Sollten diese Zeilen an einen andern guten Menschen gelangen, mag der sich mein erbarmen. Wiewohl als Gräfin geboren, bin ich kein müßig Fräulein. Arbeit ist meine Lust; ich will mich nützlich machen, wie ich kann. Ich weile in Altenhof, einem festen Hause des Ritters Zetteritz, gelegen bei Melnik in Böheim. Mit Zähren trauernder Liebe gedenk ich der Stunden, da ich von meinem Johannes aus der Gefangenschaft zu Euch gebracht ward und an seiner Seite im Schreiberhauer Bergwald hausete. O daß ich wiederkehren dürfte! Meine Grüße sind so innig wie dieser Wunsch, und ich verbleibe treulich Eure
Witfrau Thekla Tilesia, geborene Gräfin Schlick.«
Auf sprang ich und lachte laut, den Brief an mein Herze
Voran schritt Berthulde, um deren Gewand sich eine Purpurschärpe schlang, während das
Haupt mit dem aufgelösten Goldhaar Fichtenzweige krönten. Die anderen Festjungfern
waren ebenfalls bekränzt. Ein Schwarm von Kindern, älterem Weibsvolk und Männern gab
das Geleite, auch Beate und der Oheim waren dabei. Die Junggesellen auf dem Festplatz
krähten vor Lust, lachend bildeten die Jungfern einen Halbkreis, und in dessen Mitte
trat Berthulde. Durch
Mich indessen überkam Verwirrung, mir war, als solle ich in ihre Arme geführt werden,
und widerstrebte doch. Zwar nicht immer hatte ich so widerstrebt; ich dachte an den
Kuß, den ich ihr vor wenigen Tagen gegeben; hatte der ihr den Kopf verdreht? Ich
schämte mich und beschloß, ohne Verzug die rechte Antwort zu geben auf Berthuldens
stummes Bekenntnis, nämlich offen zu verkünden, daß ich meine Eheliebste
wiedergefunden. Auf dem Baumstumpf, von wo Berthulde geredet hatte, stund ich, von
frohlockenden Menschen umringt, und sprach, die Arme erhoben in Heller Freude: »Vivat
auch die Königin! So hat einer gerufen, und das ist ein Prophet. Erfüllt hat sich
sein Spruch; eure Königin ist da; die ich verloren glaubte, lebt. Hier ist ein Brief,
von ihrer Hand geschrieben, und dorten schmauset der Mann, so vor wenig Tagen sie
gesehen hat. Meine liebe Frau ist es, meine Thekla ...« Ich sah, wie Berthulde
erblich. Leid tat
Da schlugen die Hunde an, und hinter einem Felsen, wo es zur Linken steil
hinuntergeht, trat herfür eine schimmernde Gestalt. Berthulde war's im weißen Gewand,
und nahe gekommen, sah ich unter dem Fichtenkranz vom Monde beglänzt ein höchst
trauervoll Angesicht. Unter den niedergeschlagenen Augen hingen Zähren, die sonst
schwellenden Lippen waren zusammengepreßt, matt neigte sich das Haupt, schlaff hingen
die Arme. »Was ist mit dir, Berthulde?« sprach ich bestürzt. Da kam ein Wimmern: »Mir
ist so weh!« Erbarmen trieb mich zu ihr, ich legte die Hand an ihre Schläfe: »Still,
mein Kind, gräme dich nicht!« Sie lehnte die Wange mir an die Brust und weinte leis.
Ich enthielt mich nicht, ihr Haupt zu streicheln: »So sprich dich aus. Warum denn ist
dir wehe? Hab ich dich gekränkt?« Da hing sie schluchzend an meinem Halse, ich fühlte
die weichen geschmeidigen Mädchenglieder in meinem Arm, sie zitterte, durchschauert
von der Minne Feuer. Oder zitterte sie vor Sorge, ich könne verschmähen, was
schmachtend sich mir bot? Ich spürte wohl, wie Zärtlichkeit mich lockte, doch warnend
erhub sich eine Stimme in meines Herzens Kammer: »Was willst du tun? Laß du das
Irrlicht gaukeln und folge nicht. Magst du denn deiner Sonnenbraut vergessen?« Und
ich wand mich aus Berthuldens Arm, sie schlug ihre Hände vors Angesicht, als schäme
sie sich. Ihr stummer Gram ging schneidend durch mein Herz, mein Blick mied sie und
starrte in den Mond. Da ward an meinem Wams gezerrt, und auf den Knien lag sie
wimmernd: »Johannes, bleibe doch, verlaß mich nicht!« Ich
Bestürzt machte ich mich los: »Aber Berthulde! du bist von Sinnen; komm zu dir! Wie
kann ich der Deine sein? Sie lebt ja, mein Eheweib lebt!« Mit einem gräßlichen Schrei
sprang Berthulde auf, verzerrt das Angesicht; wie Krallen spreizten ihre Finger sich,
sie griff nach ihrem Halse. Doch wie ich schon glaubte, sie wolle sich würgen, hielt
ihre Hand die Kapsel, so ihr Busen trug. Sie starrte darauf hin und knirschte mit den
Zähnen: »Verfluchtes Zauberding! Du hast ihn mir entrissen! Du scheuchest ihn, daß er
sich von mir wendet. Hinweg mit dir!« Sie riß die Kapsel von der Schnur und warf sie
hinter den Felsen, in die Tiefe, man hörte das Ding drunten aufschlagen, und
Berthulde zischelte: »Ha, ächze nur, flammarischer Dämon! Was gilt mir noch dein
Dräuen? Ich spotte dein, du tückischer Betrüger, und wenn du wiederkommst, mir deinen
Stachel einzubohren, so triff dies Herze, dies zuckend arme Ding, triff es gleich
recht! Ich mag nicht weiterleben, da mein Liebster mich verschmäht.« Dann spähte die
Rasende mit ängstlich aufgerissenen Augen mir ins Angesicht und schrie, den Arm
erhoben: »Johannes, kannst du mich verstoßen? Bringst du es über dich, nun ich dir
alles opfere und ledig bin des Zauberdinges, vor dem du Abscheu hast? Weg ist es –
da! Frei bin ich; und so es wiederkommen will, weiß ich mir einen Retter, das bist
du, ja einzig du! deine Minne kann mich lösen. Doch freilich, wenn du mich
Kläglich waren die letzten Worte gesprochen; aus meinen Worten und Mienen entnahm sie, daß ich nicht in ihre Arme mochte. Plötzlich greift sie in ihre rote Schärpe, und ein Messer blinkt in der erhobenen Hand, die Augen rollen, daß ich das Weiße sehe, und zurücksinkend, will sie die Schneide in ihren Busen senken, als ich zugreife und ihr den Stahl entwinde, um ihn gleich darauf hinter dem Zauberdinge dreinzuschleudern. Sie blickt mich wie eine reißende Wölfin an, preßt die geballte Faust an ihren fletschenden Mund und knirscht: »Ha warte, Königin – ha warte!« Nach dieser wütenden Drohung rennt sie weg wie ein gehetztes Wild, fern ein gellender Aufschrei, und nur der Tannen Sausen ist noch zu vernehmen. Jetzo klang dies Sausen bang, als raune die Sorge. »Ein Dämon!« sprach ich in mich hinein. »Hat denn ein Dämon diese Jungfer besessen? Zuvor war sie so liebreich, und nun –! Doch fort damit, fort mit allem Düstern! Thekla ist ja mein! Nur etliche Tage noch, und ich halte die Süße umschlungen.« Aufatmend machte ich mich wieder auf den Weg, und weiter ist mir nichts in dieser Nacht begegnet. Nur daß noch ein zweites Mal die Hunde anschlugen, und ich links unten auf der Iserstraße Hufschlag vernahm. Jemand von den Iserbauden, dachte ich, wird vom Feste heimgeritten sein. Die gleiche Meinung sprachen die Soldaten aus, so die Wache bei der Abendburg hatten.
In der Morgenfrühe erhub ich mich von kargem, unrastigem Schlummer und stieg, zur
Reise gerüstet, den kurzen Pfad hinunter zur Iserstraße, wo Segebodo mit den andern
fünf Reitern, die zum Mitreisen beordert waren, sowie dem Boten harrte. Sie hatten
mein gesattelt Reisepferd. Ich grüßte meine Leute, in der Morgenfrische beglückt von
meinem Vorhaben. Segebodo tat die Meldung, in der Nacht sei eins der Pferde, die
Maiwald erbeutet, weggekommen.
Wiewohl ich vom Boten aus Böheim mehr über Thekla herauszubringen suchte, wußte er nichts als das schon Berichtete. Dies mußte er oft wiederholen, und jedes Wort, jede Gebärde Theklas, jeden Zug in ihrem Angesicht beschreiben. Dann hielt ich mich an Segebodo und erzählte, was ich mit Thekla durchlebt. Nicht ohne Unruhe dachte ich an Zetteritz. Wie ging es zu, daß Thekla so lange in seinem Hause verweilen konnte? Was hielt sie? Seine Mutter? Thekla nennt sie ihre Beschützerin. Nun freilich, das läßt sich hören. Geduld! Alles wird bald klar!
Am dritten Reisetage zählte ich die Stunden und jeden Schritt des Rosses. Wie ein Schmachtender nach Labetrunk verlangt, so brannte mein Herz und konnte kaum sein Heil erwarten. Nun wies der Bote auf eine Häusergruppe hinter Büschen: »Da ist Altenhof.« Segebodo zügelte sein Pferd. »Halt! Erst gilt es zu beraten. Den Boten, denk ich, kannst du entlassen, Johannes!« Ich stimmte bei und gab dem Boten seine Handvoll Gold. Er strahlte ob der reichen Gabe und nahm Urlaub unter Dank und Hutschwenken.
»Laß mich allein hinreiten«, sprach Segebodo; »ich werde kundschaften, ob die Luft
rein. Denn es könnte ja der Zetteritz bereits gekommen sein. Wenn ich pfeife, so
komme du mit den Leuten nachgeritten.« Ich nickte und hielt mit den Vieren auf der
Straße, indessen Segebodo nach dem Hause ritt. Bald darauf hörte ich ihn mit
erhobener Stimme sprechen, doch waren die Worte nicht zu verstehen. Dann
Zu Fuße nun begaben wir uns nach dem Hause. Es war von Steinmauer und einem Graben
umgeben, den ein Bach mit Wasser gefüllt hatte; hinüber führte eine Zugbrücke zum
festen Tor. In angemessener Entfernung blieben wir stehen, Segebodo winkte mit dem
Hut. Da kam durch die Torpforte ein Mann in fürnehm soldatischer Tracht, und ich
erkannte Zetteritz. Bleich und finster sah er aus, seine höhnische Art verzerrte ihm
die Miene, als er sprach: »Sehet doch, der Tielsch! Ich ahnte ja, der steckt
dahinter. Doch warum kommt Er nicht allein, Tielsch? Hab ich nicht mit Seinem Boten
ausgemacht,
Von dem, was weiter geschehen, ist mir kein deutlich Empfinden worden – nur daß mir zuweilen wie durch dunkle Hülle Gesichte kamen und wirre Reden. Es war, als schwebe ich zwischen Rossen und Reitern. Das Trappen der Pferde durchrüttelte mich, brennend schmerzte mein Haupt. Dann wieder lag ich still, mit Wasser kühlte jemand meine Schläfe.
Eine Zeit voll Angst und Stöhnen durchlebte ich, weiß aber nicht, was mir begegnete.
Kein Fiebertraum war's, daß ich in meiner Balkenklause lag. Was ist mit mir? Ach ja,
verwundet bin ich, habe eins über den Schädel bekommen. Thekla wollte ich heimholen.
Wo ist Thekla? Entführt? Von Berthulden entführt! – Da fühl ich einen Kuß auf meiner
Hand. Wer ist das? Thekla? – Mühsam richt ich mich empor. Nicht Thekla, Berthulde ist
bei mir. Über mich gebeugt starrt sie ängstlich. Im todblassen Angesicht lodern die
schwarzen Augen, schmerzlich sind die dichten Brauen emporgezogen. »Du, Berthulde?«
Wehmütig lächelnd flüstert sie: »Johannes, erkennest mich?« Und abermals drückt sie
die Lippen auf meine Hand. Ich aber zucke zurück: »Laß mich, Tückische!« In meinem
Herzen kocht es, jäh aufgerichtet pack ich ihren Arm: »Wo hast du Thekla? Gib sie
heraus! Sie ist mein ehelich Weib!« Versteinert schweigt Berthulde, nun pack ich auch
den andern Arm. Sie wehrt sich nicht, die Lippen zusammengepreßt. »Antwort!« – »Von
Thekla weiß ich nichts.« – »Lügnerin! Hast sie entführt. Zetteritz hat es gesagt. Wo
ist Thekla? Was hast du ihr angetan? O wehe, Leides hast du ihr angetan!« Da
entwindet sich Berthulde mir, ich sinke zurück und liege ächzend. Und wieder beugt
sie sich über mich. »Still doch, Johannes!
Dann toset es dumpf, als weile ich beim unterirdischen Bache. Ach ja, das ist die Höhle, das sind Tropfsteinzacken, von Fackelschein beleuchtet, und da hält der steinerne König sein Schwert erhoben. Grausiger Götze, was hast du mir getan? Willst mich richten mit deinem Schwert? Soll ich büßen, daß ich dir die Ruhe gestört und dein Gold entwendet?
Schritte kommen gestampft, ein Schuß fällt, noch einer. Vergebens tracht ich, mich
aufzurichten. Und finster wird's, der Fackelschein erstirbt, es toset das
Höhlenwasser und toset.
»Wasser!« So ächzete jemand. Wer war's? Kam dies Wort aus meinem Munde? Oder liegt hier noch einer? Ich lausche gespannt. Und abermals ächzt es: »Wasser!« Ich richte mich auf und fühle mehr Kraft als zuvor. Muß wohl geschlafen haben, seit die Schüsse fielen. Hat hier ein Kampf stattgefunden? Und liegt hier wer verwundet? – Von neuem das Stöhnen, und jetzt weiß ich, etliche Schritte seitwärts muß ein hilfloser Mensch liegen. Ich greife mir an den Kopf, der ist mit einem nassen Tuch verbunden. Um mich tastend, find ich einen Krug mit Wasser. Zitternd heb ich ihn empor und trinke.
Nun fühl ich mich gestärkt und krieche, den Krug mit mir nehmend, zum Verwundeten. Ich betaste ihn, er stöhnt. Der Oheim ist es nicht, dieser Mensch hat langes Haar und einen breiten Spitzenkragen. »Wer bist du?« raune ich, doch er antwortet nur mit Stöhnen, dann höre ich wieder das Flehen um Wasser. Es gelingt mir, ihn ein wenig aufzurichten und zu tränken. Doch von der Anstrengung ermattet, werde ich selber hilflos, und ächzend liegen wir nun beide nebeneinander. Hilfe! Bin ich hier ganz verlassen? Wo sind meine Leute? »Tobias!« rufe ich. Doch es antwortet nur des Höhlenbaches Tosen.
Da kommt mir in den Sinn, wie ich schon einmal so verzweifelt lag, am Ufer der Elbe,
durch Zetteritz in Fesseln geschlagen, zu den Wölfen ausgesetzt. Damals flehte mein
Herz zum Himmel, er möge mir vergönnen, nur einmal noch den Frieden der
Bergeinsamkeit zu atmen und die Abendburg zu schauen. Meinem Geistesaug erschien
damals mein Vater, verheißend, ich werde gewißlich zur Abendburg gelangen. Und nun
lieg ich hier, aufgetan hat sich die Abendburg und gar ihr heimlich Gold mir
dargereicht. Gleichwohl bin ich nicht besser dran als in jener Nacht, da den
Gefesselten
Das Wimmern neben mir mahnte mich, daß nicht bloß von Jerusalem und Jericho die Rede
galt, sondern daß ich hier zu dieser Stunde erweisen solle, ob ich ein töricht
plappernder Heide sei oder in mir jenen Christus habe, der da verheißet: »Tue das, so
wirst du leben!« Und ich wußte auf einmal: keinen andern vermeinet der Heiland als
mich, wie er weiter erzählt: »Ein Samariter aber reisete und kam dahin. Und da er ihn
sahe, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband seine Wunden und goß drein Öl und Wein
und hub ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte sein.« Wiewohl
das Fieber mich kalt durchschauerte, war mir im Herzen, als erblühe tief innen die
lieblichste Sonne. Mein Nächster und ich sind eins! sprach es in mir, und mir war wie
einem, der sich den Schlaf aus den Augen reibt und durch zerreißende Schleier die
heilige Wahrheit erschaut. O Menschenkind, was ist das nur mit dir, daß du so wirr in
Gottes Welt hineingeblickt hast und dich narren ließest vom Wahn, der dir die Sinne
verklebte? Halte einen Stab schräg ins Wasser, so siehest du ihn gebrochen; und doch
ist er das nicht; betaste ihn, so ist er ganz. Nicht anders war ich betrogen, da ich
vermeinete, ich und mein Nächster seien zweierlei. Ich spüre jetzo jenen tiefen
Grund, allwo die Wesen eins sind, und jener Spuk der Eigensucht, der den Menschen
trennt, zerflattert im Morgenstrahl. Im Lichte lächelt das neue Reich, ich hab es
gründen wollen, doch meine Mühe war umsonst, ein Irrlicht hat mich genarrt. Das
Himmelreich
Und mit den letzten Kräften, die ich zu sammeln vermochte, richtete ich mich auf und
tastete nach dem Verwundeten. Benetzt ward mir die Hand von einer warmen Feuchte, die
aus dem Lederkoller quoll; hier war die Wunde, die mußte ich stillen und kühlen. Und
ich tat des Kollers Knöpfe auf und zerrte das blutgetränkte Hemd von der Brust; das
Tuch, das meinen Kopf verband, nahm ich ab, goß Wasser darüber, wusch des Stöhnenden
Brustwunde, preßte mein nasses Tuch darauf und knöpfte den Koller drüber. Dann kroch
ich zurück zum Orte, wo ich zuvor gelegen, vermutend, außer dem Wasserkruge, den ich
daselbst gefunden, könne man mir sonst noch etwas Heilsames hingetan haben. In der
Tat fand ich eine Schale mit saurer Milch, auch Eier nebst Brot. Sogleich kroch ich
zu meinem Nächsten zurück und flößte ihm Milch ein, dann nahm ich selber Nahrung zu
mir. Doch meine Kräfte, übermäßig anstrengt, wurden hinfällig, ich streckte mich auf
den harten Stein. Meine Stirn begann wieder zu schmerzen, und ich war zu matt, ihr
einen neuen Verband zu machen. Zugleich fühlte ich mein inneres Himmelreich getrübt,
als ob ein Wolkenschatten darüber gleite. O wehe mir, Thekla, du bist ja fort,
Berthulde hat dich umgebracht. Oder war's ein Traum, daß sie es eingestanden, da ich
sie zur Rede gestellt? Berthulde war doch bei mir droben in der Grotte! Sie wollte
mich betören mit ihrer Liebeswut, die Räuberin,
Wie ich mich in erneutem Seelenschmerze winde, seh ich auf einmal wieder meines Vaters gütig Angesicht: »Was tust du, ungestümer Johannes? Vergeben sollst du, nicht verdammen! Wenn sie gemordet hat, so wußte sie nicht, was sie tat, verblendet von demselbigen Wahn der Eigensucht, der dich selber lange verstörte. Bedenke doch auch, die Minne war's, die tolle Brunst des jungen Blutes, was der Eifersüchtigen das Meuchelmesser in die Hand gab! Minne war's zu dir, mein Sohn, und du selber hast sie ihr ins heiße Herz gepflanzt. Begreife doch! Willst du das neue Reich gründen, so mußt du verstehen und vergeben.«
Auf meines Vaters Rede folgt erneutes Stöhnen des Verwundeten neben mir, und horch, »Thekla!« ruft er. Ich schrecke zusammen. Wie kommt er zu dem Namen? Oder hat mich mein Sinn getäuscht? Hab ich selber den Namen gesprochen? Von neuem und ganz deutlich stöhnt der Mensch: »Thekla!« und wälzt sich wie gefoltert von innerer Unrast. Ich richte mich auf und taste voll Bangen nach des Mannes Haupte. Sollte es Zetteritz sein? Wahrhaftig! Er hat sein langes Haar, und hier ist der gedrehte Schnurrbart, am Kinn der Spitzbart, auch der breite Kragen. »Zetteritz, bist du es?« Ich rüttle ihn, da stöhnt und haucht er: »Ja, Johannes! Hilf mir und sage mir, wo hast du Thekla?« Nun seh ich rote Flecke tanzen, es wankt der Erde Grund ...
Wirre Gesichter trieben lange ihr dämonisch Spiel mit mir, doch ich rang mich empor aus dieser neuen Versuchung, und immer klarer ward es mir, wie nur in ihres Wahnes Nöten die Menschenkinder sich sorgen und vor Angst einander berauben, unwissend, wo der wahre Schatz zu finden. Und wie sie immer nur meinen, der Irrwisch, dem sie nachjagen, sei das Köstliche. So tat der Zetteritz, nicht anders tat auch ich.
Wie denn aber? Thekla ein Irrwisch? Nicht doch! Nur was Zetteritz von ihr erlangen
wollte, war sein Irrwisch. Wie
Wiederum kam über mich stilles Glück. Auf Stufen klomm ich, die führten hinan zur lichten Friedenshöhe. Mir nach aber schleppte sich der matte Zetteritz. Da war Thekla auf einmal bei uns. Mit flehender Liebe sahe sie mir ins Auge, und meine Hand reichte sie dem sich anklammernden Zetteritz. Was dann geschehn, liegt mir umschleiert, daß ich die wirren Bilder nicht mehr zu deuten vermag.
Besinnung kam mir erst, als mir ein Licht ins Antlitz fiel und ich über mich gebeugt den Oheim erkannte. Auch er mußte am Kopfe eine Wunde haben, denn der war verbunden. Die Schläfen wusch er mir, feuriger Wein rann in meinen Mund. »Tobias«, lallte ich und tastete nach seiner Hand; »hilf auch dem Zetteritz! Er ist mein Nächster!«
Seitdem ward es heller in und bei mir. Ein wärmend Holzfeuer hatte Tobias angezündet, es flammte vor dem thronenden Riesenpaar, und der rote Flackerschein huschte über die rätselvollen Steingesichter. Kühle Verbände machte mir der Oheim und letzte mich mit Nahrung. Wie ich nach erquickendem Schlummer abermals bat, Zetteritz solle doch ja nicht vergessen werden, erhielt ich zu meinem Staunen die Antwort: »Der Zetteritz ist allbereits seit dreien Tagen droben in der Grotte und so genesen, daß er morgen helfen wird, dich hinaufzutragen.«
Richtig stund nach etlicher Weile neben dem Oheim Zetteritz vor mir. In seinem
Angesicht, das die Laterne beleuchtete, zuckte es seltsam, als ringe ein weich Gefühl
den Trutz des Mannes nieder. Herkniend ergriff er meine Hand und
Umherblickend vermißte ich den Ofen und alle Geräte des Laboratorii. Der Oheim deutete auf tönerne Trümmer: »Die Plünderer haben hier alles nach dem Schatz durchwühlt, den sie beim Goldmacher erwarteten.« Wie ein seltsam trauter Gruß mutete es mich an, daß an der Felsenwand meine Harfe lehnte. »Wie kommt es, daß die verschont ist?« – »Sie war nicht hier,« antwortete der Oheim, »sondern im Dorfe bei Hollmanns, wo du sie gelassen, nachdem sie bei deiner letzten Predigt ertönte. Ich habe sie gestern heraufgeholt.« – »Erkläre mir, warum die Plünderer nicht in die Höhle hinuntergedrungen sind, da sie doch hier in der Grotte waren?«
Der Oheim setzte sich zu mir: »So höre denn, Johannes! Wie ich und Dreßler gesehn,
daß wir uns gegen die Belagerer nicht halten konnten, hat Dreßler gesprochen: Retten
wir den Johannes! Er wenigstens muß übrigbleiben, er schafft das Gold und kann das
neue Reich gründen auch ohne uns. Ich gab Dreßler recht und ging mit ihm in die
Grotte, wo du in deinem Wundfieber lagest. Da hab ich dem Dreßler den Höhleneingang
entdeckt, und wir haben dich hinuntergetragen, auch Nahrung mitgenommen. Bleibe du
mit Johannes unten, sprach Dreßler, ich will den Stein wieder auflegen und mit
Schotter verbergen. Da war ich nun mit dir, Johannes, wie lebendig begraben. Bald
darauf ist der feindliche Sturm losgegangen. Hinter der verschlossenen Eisentüre hab
ich das Poltern droben vernommen, zum Schusse fertig die Muskete, falls einer
eindränge, und entschlossen, die Tür zu verteidigen bis zum letzten Odem. Aber sie
haben unsere Höhle nicht entdeckt und sind gegangen, wie aus den öden Felsen nichts
mehr zu holen war. Zwei Tage drauf hab ich gewagt, den Steindeckel hochzustemmen und
ans Tageslicht zu gehen. Habe die Verwüstung erschaut und viele Erschlagene gefunden,
zumeist Leute von uns; auch
Stumm nickte Zetteritz. Ehrfurcht sprach aus seinen Augen. Sein Antlitz, matt
beleuchtet vom Tageslicht, das durch den Spalt der Grottendecke kam, war bleich, die
finstern Falten zwischen den Brauen, die roten Narben auf Stirn und Wange mahnten an
seine Wildheit. Wüst starrten um den Knebelbart sprossende schwarze Stoppeln. In
seinem Lederkoller war noch das Loch, wo des Oheims Kugel eingedrungen, und den
seinen Kleidern war anzusehen, daß ihnen erst jüngst Blut ausgewaschen war. Traurig
schüttelte ich den Kopf, bedenkend, wie sonderbar und gänzlich unvermutet das
Schicksal unsere Lage umzuwandeln wußte. Das war nun derselbige Mensch, mit dem
gemeinsam ich in die Lateinschule zu Hirschberg gegangen. Gerauft hatte ich mit ihm,
da wir Union und Liga spielten, ferner auf dem Kynast in der Comoedia vom verlorenen
Sohn. Vor vier Jahren
Auch Zetteritz mochte dies alles bedenken, in seinem Blick war starres Staunen,
kopfschüttelnd meinte er: »Seltsam bin ich verwandelt. Muß wohl verblendet gewesen
sein, als ich dir feind gewesen. Was aber war's, das mich verblendet? Sie doch nicht,
die ich liebte, die ich lieben werde bis zu meinem Grabe.« Und es zuckte über sein
Antlitz wie verhaltenes Weinen. Auch ich blickte starr auf das Geheimnis unserer
Herzen und fand nach schweigendem Sinnen die Worte: »In uns beiden lebt die eine
Liebe. Wenn sie nun bisher nicht vermocht hat, uns zu einen, so muß wohl ein
Störendes in ihr gewesen sein, so jeden von uns eigensüchtig vom andern abweichen
ließ. Es wollte halt jeder ihm allein solle Thekla gehören, wie ein köstlich Ding,
das man eigentümlich besitzt. So freilich mußte jeder des anderen Nebenbuhler sein.«
– »Und jetzo?« fragte Zetteritz, die Hand auf seine Stirn gelegt, »wie kommt es, daß
du mir nicht mehr Nebenbuhler bist?« – »Sie ist ja tot!« erwiderte ich mit bebender
Stimme; »genommen ward sie uns beiden, entrückt von dem Schicksalsgrunde, darin wir
wurzeln und weben. Verblieben ist uns eine Thekla, um die zu hadern völlig sinnlos
wäre. Ihr Bildnis hat sie jedem unserer Herzen hinterlassen. Wohlan, Zetteritz,
verehren wir einträchtiglich diesen heiligen Schatz.« Aufschluchzend warf sich der
Kriegsmann zu meinem Lager auf die Knie und preßte mir die Hand, indem er stammelte:
»Bruder!« – »Genung!« sagte da der Oheim fest, wiewohl ihm Tränen im Auge stunden.
»Höret
Wie wir beide allein waren, vernahm ich vom Oheim folgenden Bericht: »Berthulde hat
durch einen Burschen, dem sie's angetan, vom Boten den Weg zu Thekla erkunden und ein
Pferd stehlen lassen und ist dann in der Nacht des Festes davongaloppiert. So ist sie
dir zuvorgekommen und hat dein Weib entführt, vorgebend, zu dir solle die Reise gehn.
Du hast dann zu Altenau die Wunde davongetragen und bist von deinen drei
übriggebliebenen Leuten heimgebracht.« – »Nur drei sind übriggeblieben?« fragte ich;
»und Segebodo?« Segebodo ist mit den zwei andern in Altenau gefallen.« Nach
trauervollem Schweigen bat ich den Oheim, fortzufahren, und er sprach: »Mit dir
langten die Reiter am Morgen der Johannisfeier hier an. Tags zuvor schon war
Berthulde gekommen ...« Angstvoll unterbrach ich den Oheim: »Hatte sie Thekla bei
sich?« Düster schüttelte er das Haupt und ergriff beschwichtigend meine Hand:
»Unterwegs hat die Eifersüchtige die Untat verübt – wo, weiß keiner. Aber sie hat es
eingestanden, hat sich der Tat gerühmt.« Ich fuhr zusammen, als habe ich eine Viper
berührt. »Ruhig, Johannes, höre weiter. Eine Hexe ist sie gewesen, des Teufels
Anbeterin. Ich Blinder, der ich das nicht gleich gesehen, der ich gar die
Schwer atmend, hielt der Oheim inne. Ich war zuerst
Wie Tobias gegangen war, schlug ich die Hände vor mein Antlitz und flehte zum Menschensohn in meiner Tiefe, daß er mir Kraft gebe in dieser Bitternis. Rief meines Vaters Geist herbei und beriet mit ihm, wie ich es denn nun anfangen solle, dem düstern Felsen meines Herzens seinen Abendburgschatz abzugewinnen. Erschöpft von der Seelenfolter, die mir diese Stunde beigebracht, sank ich endlich in Schlummer.
Vom leisen Eintreten des Oheims erwacht, spürte ich an meiner Erquickung, daß ich
sattsam geschlafen hatte. »Gib mir zu trinken und zu essen, Oheim«, sprach ich. »Auch
verlangt mich, ans Sonnenlicht zu kommen. Ich glaube wohl, ich kann alleine gehn.«
Erhub mich also und trat zur Grottentür hinaus ins Freie. Ach sieh, da war keine
Balkenklause mehr, am Boden lag Asche und halbverbranntes Holz. Der Anblick schnitt
mir ins Herz. Dann aber hing mein Blick an der Sonne, die ob dem bläulichen Tann im
goldklaren Abendhimmel glühte. Getrost! Es gab noch eine Sonne! – Zetteritz war
herbeigekommen und saß nebst dem Oheim bei mir im Beerenkraut. Nachdem ich mich an
der Bergwelt erquickt hatte, ließ ich das Auge über die Stätte der grausigen
Zetteritz kam nun aus der Grotte mit einem Laibe Brot und einem Kruge. »Habe zwar
schon bessern Trunk getan,« sprach er lächelnd, »doch man gewöhnt sich an euern
herben Beerenwein.« Er reichte mir den Krug, und ich erquickte mich. Darauf so tat er
mir Bescheid: »Auf treue Brüderschaft!« Beisammen saßen wir und ließen auch das Brot
uns munden. Wie das Mahl beendet war, verglomm die Sonne hinter den Iserbergen, und
zugleich kam von der andern Seite ein Summen geschwommen, sanft wie ein Vogel auf
reglosen Schwingen. Es war das Abendgeläut der fernen Dorfkirche. Zetteritz faltete
die Hände und versank in Gebet. Wie er nach einer Weile aufseufzete, sah ich sein
Auge feucht. Durch eine Bewegung seines Kopfes wies er auf den Abendstern, so zart am
erblichenen Himmel schimmerte, und sprach leise: »Weißt du, an wen der Stern mich
erinnert? An Thekla! Ich redete einmal mit ihr vom Abendstern.« Wie Zetteritz sinnend
verstummte, bat ich ihn, weiterzuerzählen. »Aus Theklas Briefe hast du, mein Bruder
Johannes, wohl bereits entnommen, daß ich oft in Thekla gedrungen bin, sie solle mein
Weib werden. Dich hielten wir ja für tot, und heiß war meine Liebe zu ihr. Weil ich
nun ein anhänglicher Sohn der heiligen Kirche bin, so hätte ich gern Thekla in ihren
Schoß zurückgebracht. Da haben wir zuweilen mitsammen über den Glauben geredet, und
von der Gottesmutter hab ich ihr gesprochen. Sintemalen ich nun als Kind von meiner
guten
Gern erfüllte er den Wunsch, ich stimmte die Saiten und griff träumerisch leise Akkorde. Den Worten vom Himmelreiche sann ich nach, die meines Vaters Geist zu mir gesprochen: Inwendig ist das Himmel reich. Ist dem so, muß alles, was frommer Glaube heilig hält, im innern Himmelreiche wohnen. Nicht auf dem Abendstern, im Menschenherzen hat die Gottesmutter ihr Heim, und hier auch suche die gebenedeiete Frucht ihres makellosen Leibes. Ja, Menschenkind, so deine Seele nicht selbst Maria wird, kannst du den Heiland nicht empfahen. In dir muß der Gottessohn geboren werden ... Und zum Klange ward dies Sinnen, heimlich fügten sich die Worte und vermählten sich mit einer alten Weise. Wie mir das neue Lied vor der Seele schwebte, sprach ich zu Zetteritz: »Nun laß mich sagen und singen, wie ich zur Gottesmutter bete, und welcher Glaube mich der wahre deucht.« Im nächtlichen Dunkel lagen die starren Wogen der Waldberge. Wie eine blumenbesäte Aue schimmerte das himmlische Gezelt von Sternen, als ich nun harfend anhub:
»Marie, Gebenedeite,
Mit Kind und Myrtenkrone,
O bleib nicht in der Weite,
Auf hehrem Sternenthrone!
Komm in dies Hüttelein
Und mir im Busen wohne!
Es hat das Reich der Himmel
Hier innen allen Raum.
Daß fern im Morgenland
Mein Eden blüht, ist Traum!
Die wache Seele fand
In sich den Lebensbaum.
Sei, Seele, selber du
Die keusche Himmelsmaid,
Vom Licht aus Sternenschoß
Umflutet und umfreit,
In Minne makellos
Zur Mutterschaft geweiht.
Zu Bethlehem die Krippe
Ist jeder Herzensschrein;
Soll mich und meine Sippe
Der Gottessohn befrein,
Er muß aus Menschengrunde,
Aus mir erboren sein.«
Auf diesen Sang schwieg Zetteritz und meinte dann: »Bin ein rauher Soldat, des Geistes Geheimnisse bleiben mir verschlossen. Mir ist es am besten, wenn ich dem traue, was Gottes Kirche seit 1600 Jahren verkündet. Doch lieblich und fromm klingt deine Weise, ich danke dir. Laß mich nun eine Bitte tun. Ich vermisse meinen Rosenkranz, den ich betend noch in Händen hielt, wie ich verwundet in der Höhle lag. Er wird mir dorten entglitten sein. Ich will freilich nicht hehlen, daß ich nur mit Scheu in die Höhle zurückkehre. Indessen möcht ich doch morgen das Rosenkränzel suchen. Willst du es erlauben?« – »Mitsammen wollen wir gleich in der Frühe hinuntergehen«, entgegnete ich, »aber nun ist Schlafenszeit. Auf Tobias können wir nicht warten.« Wir begaben uns zur Grotte, und wohl tat uns das Mooslager.
Vom Schlafe fuhr ich auf, als Tobias die Laterne anzündete. Um den schnarchenden
Zetteritz nicht zu stören, fragte ich leise: »Nun, Tobias, wie steht's?« – »Schlimm,«
raunte er, »ich war bei Hollmann. Die Feindesgefahr ist nicht vorüber. Colloredos
Volk hält den Wachstein besetzt. Mein Rat ist, daß wir uns gleich morgen von hier
wegbegeben. Allerdings wähnt der Feind, das ganze Goldmachernest sei
Als der Morgen ob den Bergen glühte, rüsteten wir uns zum Aufbruch. Tobias und Zetteritz wollten erst Dreßler bestatten. Während sie den Leichnam aus dem Walde holten, vernahm ich hinter dem Felsen ein Geräusch wie von einem abgerutschten Steine. Ich ging hin und sah etwas Dunkles in die Tannen schlüpfen. Das kann doch kein Rotwild gewesen sein? denn es war schwarz. Wie sollte aber ein Schwarzwild hierherkommen? Derweilen ich so überlegte, brachten der Oheim und Zetteritz Dreßlers Leichnam, ich ging mit zur Bestattung. Wie wir das Grab zugeschüttet und still gebetet hatten, sagte Tobias: »Vom Ritter Zetteritz vernehm ich soeben, daß er gern seinen verlorenen Rosenkranz wieder hätte. Mich dünket zwar, solch ein Ding wäre zu missen. Doch gehet nur in die Höhle hinunter, ich halte hier oben Wache.«
Nebst Zetteritz begab ich mich also in die Grotte, und wir taten die Steinplatte
beiseite. Mit brennender Laterne stiegen wir in die Tiefe und kamen nicht ohne Grauen
an die Stätte, wo wir etliche Tage zuvor nebeneinander mit dem Tode gerungen hatten.
Gleichwohl mußten wir daselbst verweilen, denn kein Spähen machte den Rosenkranz
ausfindig. Wie ich mich nun plötzlich wende, an einer andern Stelle zu
Wie es dann aber in mir ruft: Rette! – so raff ich mich zusammen und leuchte hinunter. Da wälzt es sich dunkel und zappelt, umspült von Wassergischt, und ächzet, dann keucht Zetteritz halberstickt: »Ratte! Zappele, schluck Wasser, krepiere!« – »Zetteritz!« ruf ich, »bist du heil?« Dumpfes Stöhnen antwortet, und es röchelt, als halte der Tod hier Ernte. Vergebens suche ich nach einer Stelle, um die Steinwand hinabzuklettern. Ein Strick fehlt mir. Her einen Strick! »Tobias! Hilfe!« Ins Felsenbett ruf ich: »Halt aus, Zetteritz, ich hole den Oheim!« Und ich eile zum Höhlenausgang.
O du scharfe Geißel des Schicksals! Wie ich ans Tageslicht komme, liegt am Fuße des
Felsens Tobias in seinem Blute.
Ich trenne die aneinandergeklammerten Leichname und binde den Strick um Zetteritz.
Emporgeklommen, mühe ich mich eine Weile, den schweren Mann heraufzuziehen. Von
meiner Krankheit sind meine Kräfte noch schwach. Abermals begeb ich mich ins
Felsenbett und schlinge den Strick um Giacomini, der ja leichter ist, den ich denn
auch bald heraufbringe. Wie soll ich aber nunmehr Zetteritz holen, da doch niemand zu
meinem Beistand vorhanden? Da kommt mir schauerlicher Rat, und bitter lach ich auf:
»Hilf du mir, Meuchelmörder, der du dies Arge angerichtet! Hilf dein Opfer
heraufziehen!« Und mit grimmer Laune führ ich den
Den Tag brachte ich nun mit des Oheims Pflege hin. Beerenwein, den ich ihm einflößte,
schluckte er, und es schien um etliches besser mit ihm zu werden. Gegen Abend sank
ich in Schlaf, wachte aber mitten in der Nacht auf und lag schlummerlos. Gebieterisch
verlangte etwas in mir, daß ich mein Leben überdenken und Rechenschaft ablegen solle.
Auch diesmal suchte mich heim ein guter Geist. Waldhäuser war's; er redete in seiner
Treue: »Das liegt nun hinter dir, Johannes. Laß gut sein! Das Beste bleibt dir ja:
der Schatz der Ewigkeit! Doch wisse: Willst du ihn haben, so mußt du ihn heben, mußt
dein Teil dazu beitragen. Also ist einem jeglichen Menschenkinde verordnet. Denk an
die wahre Alchymie und wandle deines Herzens Trachten zu Golde um. Warst bisher in
dieser Kunst ein Stümper. Was dir noch fehlte, war Enttäuschung. Soll sich die Seele
vom Nichtigen wenden, muß sie bitter davon enttäuscht sein. Nun hast du ja solche
Bitterkeit. Eine Hölle hat dir das gleißende Metall bereitet. Drum sage dich los vom
Götzen Mammon.« Ich schluchzte, Waldhäuser begütigte, mein Herz ward still und fest.
»Ich folge dir, Meister«, gab ich zur Antwort, »ich sage mich los vom Schatz, will
nur noch davon eine Spende an die armen Gebirgler tun, daß sie ihre zerstörten Hütten
aufbauen können.« Waldhäuser hub abwehrend die Hand: »Nicht doch, Johannes!
O schicksalreiches Jahr 1635! Seit deinem Johannistage hast du mir absonderlichen
Anlaß gebracht, das Hinsterben der Staubgeschöpfe zu beseufzen. Bei welkenden Blumen
und vergilbenden Halmen, im Birkenhain, wo schon falbe Läublein taumelten, sah ich
manchen Schatten der Unterwelt, mir bekannte Menschen, vom Schnitter Tod gemäht. Und
im Septembersturm, im Rauschen des geschwollenen Baches stöhnte die Losung »Vorüber!«
Gedemütigt, vom Gold enttäuscht, einsam mit dem schwerverwundeten
Ach, wo sind denn nun jene Helden, einst wie Götter von mir angestaunet? Wo ist der
königliche Leu aus Mitternacht, zu dessen Fahne ich geschworen? Wie ein Triumphator
durch Teutschland gezogen, hat er sich bei Lützen die Mordkugel geholt. Und seine
Gegner, wo sind sie? Auch Tilly, Pappenheim am Waffenhandwerk gestorben. Der reichste
aller Gekrönten gar, Friedlands Herzog, so die Kurfürsten und selbst die kaiserliche
Majestät von sich dependieren ließ, dieser Abgott der Soldateska, dem die Göttin
Viktoria verlobt schien, dieser Cäsar, reißend wie ein Bär und listig wie ein Fuchs,
– schändlich ward er umgebracht wie ein zahnloser Hund. Vorüber, vorüber! Schließlich
du, mein armer Hans Ulrich – wie mag nun dein Schicksal verlaufen sein?
Schreckensposten durchliefen das Gebirge. Erst raunte man, gefoltert sei der
Freiherr. Dann hieß es, zu lebenslänglicher Einkerkerung sei er nach Wien
transportiert. Zuverlässige Kunde war nicht herauszubringen. »Wo bleibet der
Trompeterhansel?« seufzete ich. »Wenn doch der Schatz
Einmal im Regensturm, als mir beim Stöhnen des Waldes die allgemeine Vergänglichkeit das Herz abdrücken wollte, war es mir, als trabe durch den Nebel ein Reiter daher. Doch war's nur Spuk; eine schwarze Krähe flog vorbei, und im Bache polterte hohl ein losgerissener Stein.
Im Regengeprassel, im Windesrauschen –
Vorüber, vorüber –
Immer dem einen nur muß ich lauschen:
Vorüber!
Wie düstere Pilger die Wolken ziehn
Vorüber, vorüber.
Wirbelnd des Waldbachs Wellen fliehn
Vorüber.
Aus kahlen Wipfeln hör ich es stöhnen:
Vorüber, vorüber!
Schaurig ein Echo im Herzen höhnen:
Vorüber!
Da hab ich gehastet, hoffend geharrt –
Vorüber, vorüber!
Fiebertraum hat mich gehetzt und genarrt.
Vorüber!
Wie Wasserwirbel mein Leben zerstieben,
Vorüber, vorüber.
Treu ist mir nur das eine geblieben:
Vorüber.
Hei, meine Geschwister Regen und Wind,
Vorüber, Vorüber!
Bin ja wie ihr des Irrwahns Kind –
Vorüber!
Einen Reiter seh ich in Wolken traben;
Bist du's, Vorüber?
Den hagern Rappen umflattert von Raben –
Vorüber.
Nun, dunkler Ritter, willkommen, Tröster,
Du herbes Vorüber!
Mich dünkt, ich werde noch dein Erlöster,
Vorüber.
Wir stürmen ein Weilchen noch um die Wette,
Vorüber, vorüber –
Und trotten zuletzt an ein friedlich Bette –
Vorüber.
Da wirst du die Morgenfanfare blasen,
Mein Heiland Vorüber:
»Träumer, nun ist dein Reiten und Rasen
Vorüber.
Nur immer ins Weite langte dein Hasten:
Vorüber, vorüber!
So ward dein Leben ein einzig Fasten –
Vorüber.
Was du im Weiten nicht fandest, die Ruhe –
Vorüber, vorüber –
Hat Raum genung in der schwarzen Truhe.
Vorüber!«
Als ich am Sonntagmorgen zur Stelle kam, wo ich zuvor meine Predigten gehalten hatte,
fand ich die Leute um einen Mann gedrängt. Ich erschrak; denn das war der
Trompeterhansel und war's auch wieder nicht. Dem feurigen Reiter von früher glich er
nicht anders als dürres, halbverbranntes Holz dem grünen Eichbaum. Erloschen waren
ihm die Augen, ausgehöhlt und fahl die Wangen, schwach alle Glieder, zerlumpt die
Kleider. Auf dem Steine blieb er sitzen, als ich in den geöffneten Kreis der Leute
trat, bot mir trüben Blickes die Hand und brachte kaum die Worte hervor: »Ich kann
halt nichts dafür ...«. In Weinen brach er aus, und ich fragte die Leute: »Was ist
geschehen?«–»Enthauptet – enthauptet – haben sie unsern gnäidgen Herrn«, lautete
eines Schreiberhauers Antwort. Der Trompeterhans nickte, es bebeten seine Lippen, und
nachdem er etliche Fassung errungen, kam unter Ächzen und Husten folgender Bericht
heraus: »Meine Brust ist krank – es verschlägt mir
Nach einem keuchenden Husten fuhr der Erzähler fort: »Ja, Höllenhunde, teuflische
Pharisäer sind sie alle, so auf den Wink der Pfaffen und Hofschranzen zu Regensburg
das Recht verfälscht haben. So hat denn die Tortur ihren Fortgang genommen, und eilf
Fragepunkte hat man dem Gefolterten vorgehalten. Der aber hat anfangs nur immer
geschrien: Schelme! Ist dann in Stöhnen verfallen und hat schließlich Antworten
gegeben – als zum Exempel: Nein! Ich weiß nichts! Nicht doch! Ist nicht wahr! Ein
einzig Mal ist er konfuse worden und hat gestammelt: Ja doch, ich will alles sagen –
haltet ein! Wie aber dann der Auditor gesprochen: So bekennet, Herr Schaffgotsch, –
hat die Antwort gelautet: Tintenfresser! Ich bin kein Herr mehr und bin kein
Schaffgotsch mehr – ein Kadaver bin ich, den die Aasgeier zerfleischen – nehmet mir
nun endlich meinen letzten Odem – je eher, je lieber – ich mag euch nimmer sehen, ihr
Teufelslarven! ... Da nun die Tortur schon drei Stunden gedauert und trotz aller
Kunst des Scharfrichters nichts Neues effektuiert hatte, so wurden auf des Auditors
Wink dem Opfer die Bande gelöst und die übel zugerichteten Gliedmaßen wieder
eingerenket. Den Halbentblößten, der sich nicht aufrecht halten konnte, trugen sie in
sein Gefängnis, wo er dem wehklagenden Konstantin die Worte zurief: Sieh, wie die
Schinderknechte mich armen Wurm für meine dem Vaterlande geleisteten Dienste
zugerichtet haben! Mit Begier, ohne die Arme heben zu können, trank er dargereichtes
Bier. Drei Wochen hat er die vom Scharfrichter gelieferten Salben brauchen müssen,
bis endlich die Glieder wieder geschmeidiger waren und brauchbar zum allerletzten
Gang. Drei Abgesandte des Kriegsgerichts traten ins Stübel und machten Komplimente,
Exzellenz hin, Exzellenz her, ohne Worte für ihren traurigen Auftrag zu finden. Bis
der edle
Diese Mahnung des gottseligen Märtyrers, mir überbracht durch einen zweiten Zeugen irdischer Vergänglichkeit, erschütterte mich bis ins Mark, wie ein Posaunenstoß vom Jüngsten Gericht. Ich schluchzete auf und hätte sogleich auf mein Angesicht niederfallen und meine Sünde wider die heilige Wahrheit bekennen mögen. Doch schien es mir angebracht, zu warten, bis der Trompeterhans seinen Bericht zu Ende getan.
Und er fuhr fort: »Kurz war meine Unterredung mit dem edeln Herrn, und ich merkete
wohl, daß ihm meine geistliche Verkleidung unlieb. Er betrauete mich mit einem
mündlichen Valet für seine Kinder und Freunde. Briefe und Andenken werde sein
Hofjunker überbringen. Dann mußte ich aus dem Stübel, weil Herr Prediger Lentzius zum
Gottesdienst und Abendmahl erwartet wurde. Ich blieb jedoch im Rathause. Was nun für
hochwichtige Worte zwischen Herrn Schaffgotsch und seinem Beichtvater gefallen, hat
dieser beschlossen, mit in die Grube zu nehmen. Bei der Kommunion war die Tür zum
Korridor offen, so daß die Diener nebst dem protestantischen Teile der Wache kniend
bei Gesang und Gebet mittun konnten. Geschahe nicht ohne Vergießung reichlicher
Tränen. Habe mein Lebenlang keinen Menschen in dergleichen Andacht und ehrerbietigen
Sitten am Tische des Herrn gesehn. Andern Morgens, es war der Hinrichtungstag, wagte
ich mich abermals ins Rathaus. Konstantin berichtete, der Herr habe festen Schlaf
gehabt, gar geschnarchet und beim Erwachen den Sonnenstrahl mit dem Wunsche
Die Hand über die Augen gelegt, hielt der Trompeterhans inne – und ein einziger
dumpfer Seufzer entrang sich den Zuhörern – wie die Bäume zusammenstöhnen, wann der
Herbstwind sie ergreift. Männer schlugen die Hände vors Angesicht und schauderten,
das Weibsvolk schluchzete. Der Trompeterhans aber raffte sich auf, um noch das Letzte
zu berichten, und sprach leise unter Kopfnicken: »Ein glücklicher Streich! Wie ein
Springbrunnen schoß das Blut, und zu Boden rollte der Kopf, auf dem der Hut noch saß.
Der Körper aber blieb fest auf dem
Nach dieser Rede sank der Trompeterhans erschöpft zurück und war ächzend an einen Baumstamm gelehnt. »Amen!« murmelten die Zuhörer, und es weinten selbst Männer.
Nun sahe ich das Stündlein zu meiner Beichte und Buße gekommen, faßte mich und
sprach: »Ich danke dir, guter Trompeterhansel, für die Treue, so du unserm Grundherrn
gezollt hast, und ich bedaure nur, daß dir aus unserm Unternehmen ein schwerer
Leibesschaden kam. Das Gold, davon ich dir mitgegeben, war dein Unglück. O wie wahr
hat unser verklärter Herr Schaffgotsch gesprochen, da er mich warnete vor dem Golde.
Es verdirbet die Seele, indem es vom wesentlichen Gute abziehet und auf nichtswürdige
Dinge lenkt. Wäre mir doch eher solch Einsehen gekommen! Doch es muß wohl sein: nicht
eher wird das Kind klug, als bis es, vom Glanz des Feuers betrogen, hineingegriffen
und sich die Finger verbrannt hat. Nun hat mich der Schaden kuriert und mir ein
Wahrheitslicht angezündet. Das soll nicht unterm Scheffel stehen. So vernehmet, ihr
Leute, mein Bekenntnis. Ich hab euch zuvor gesagt, ich könne Gold machen. Das ist
nicht wahr gewesen. Mein vorgebrachtes Gold war in der Erde gefunden, ein alter
Schatz der Iserberge, eigentlich also unserm Grundherrn gehörig. Daß ich mich für
einen Alchymisten
Zuerst war alles starr, Augen und Mund rissen sie auf. Dann sah ich finstere Blicke
auf mich gerichte. Noch schwieg die Gemeinde. Dann murmelten die Leute mit einander,
immer unwilliger. Schließlich kam ein bitter Auflachen, und Maiwald höhnte: »Das also
war dein Lichtreich, Johannes! Mich hast du gescholten, weil ich Beute gemacht, in
offenem Kampfe dem Feinde was abgenommen und es der Gemeinde geben gewollt. Du aber
eignest dir heimlich einen Schatz an, Gold aus unsern Bergen, und statt mit uns zu
teilen, legst du deine Hand darauf und wirst ein Lügner, ein Großsprecher. Als
Goldmacher blähest du dich auf, um unser König zu sein. Ei ja doch! Und nun du den
Karren in den Dreck geschoben, flennest du: Vergebet mir! Was haben wir davon, daß du
bereuest, und daß wir vergeben? Wer bauet unsere Hütten wieder auf? Wer schafft uns
Vieh und Getreide? Her mit deinem Golde! Wo ist es? Her damit!« – »Ja, her damit!
Entschädige uns!« riefen rauh die anderen. Meine Demut war in Gefahr, in einem
Aufbrausen unterzugehen, mein Odem stürmte. Doch die Hand auf die Brust gepreßt,
sprach ich heimlich zu mir selber: »Stille! Recht geschiehet dir, auch wo Unrecht
dich geißelt.« Ich zog meinen
Solche Einschüchterung – Gott sei's geklagt – wirkte mehr, als selbst der weise Salomon durch Predigt hätte ausrichten können. Scheu glotzten mich alle an und schwiegen. Hierauf legte ich den Beutel mit den drei Dukaten hin, tat einen tiefen Seufzer und ging. Man schimpfte hinter mir her, ich nahm es ruhig hin und hörte bald nur die guten Waldbäume summen. Und wie früh Morgens durch schwindende Flore der Nacht immer holder und farbiger die Blüten der Erde schimmern, so kam aus all dem Trüben, das mich umschleiert hielt, nunmehr ein sacht Grüßen, als ob unschuldige Kindlein mich anlächelten. Und da ich beim Abendburgfelsen einsam war, strahlte rings die Welt so rein, als gäb es keine Schuld. Wie ein Freiersmann kam ich mir vor, der nach nächtlichem Irren endlich sich heimgefunden hat zur Braut.
Ein Wandrer tappt in Nacht und Dünsten;
Wonach er suchte, wußt er nicht,
Da hat verlockt mit Gaukelkünsten
Zu Sümpfen ihn ein Flackerlicht.
Er taumelte hinein und hielt den Rausch der Sinne
Für benedeite Minne.
Und falsche Schätze sah er strahlen,
War allen Leibeslüsten hold,
Vernahm mit Gier der Großen Prahlen
Und griff nach Purpur, Lorbeer, Gold.
Er rang und raufte drum, im wirren Fiebertraum,
Doch seine Hand griff Schaum.
Wach auf, Genarrter! Herold Morgen
Macht alle Nachtgespenster fliehn.
Von Bergeseinsamkeit geborgen,
Im heilgen Lichtstrom darfst du knien.
Gib hin die dumpfe Stirn! Der rote Sonnenmund
Küßt dich von Schuld gesund.
In Weiheschauern wird nach oben
Zur spät gefundnen Sonnenbraut
Der Freier auf den Thron gehoben
Und Herz dem Herzen angetraut.
O tiefes Auge, gib mir Ewigkeit zu trinken!
Laß mich in dir versinken!
Wie ich so lag, war mir, als wolle mich mein Schöpfer umbilden, und der ewige Friede weihete mich zu seinem Kinde.
Hernach stund ich auf und tat den Gang in die Höhlentiefe. Der Schatzkammer galt er.
Eine Last Kostbarkeit nach der andern holte ich und trug sie dorthin, wo der
Höhlenbach ins Loch strudelt. Gold und Silber, Geschmeide und Edelstein warf ich
hinein. Und wie die Felsengurgel ihren letzten Schluck getan und den Mammon in der
Erde Eingeweide hinuntergeschlungen hatte, fühlte ich mich frei und verstund an mir
des Heilands Wort zu Nicodemo: »Wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von
neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Was vom Fleisch geboren
wird,
Als ein rechter Liebhaber eremitischen Lebens hausete ich auf der verödeten Abendburg, und es trieben die Tannen einen Sommerwuchs nach dem andern. Herbststurm und Schneewoge, Lenzhauch und Sonnenglut bezogen stets aufs neue in alter Reihe den Posten. Von meiner ragenden Warte sah ich die Morgendünste unter mir brodeln und dann den Tag sein glutig Auge auftun, – beobachtete, wie Wolken gleich Marmorburgen im Blauen schwebeten, und wie der Abend rote Rosen um sie spann – träumte und lauschte empor, wann in der nachtenden Halle vieltausend Himmelsbürger feierlich stunden und ganz lautlos, nur mit sanftem Lodern und buntem Funkeln zueinander redeten. Schauend und sinnend gewann ich Andacht und Erkenntnis und ward immer deutlicher inne, worin das wahre Gold der Abendburg bestehe.
Vom schnöden Golde gänzlich abgewandt, lebte ich ärmlich und mühselig. Neben dem
Oheim, so von seiner Kopfwunde einen schwachen und irren Geist davongetragen, hatte
ich nur den Hund zur Gesellschaft, Ziegen und Zicklein; auch ein paar Bienenschwärme,
in hohlen Stämmen angesiedelt. Des Oheims Acker im Tale trug unser Brot, der Wald gab
Beeren her und Pilze, Holz, Wildfleisch und Felle. Wiederhergestellt war unser
traulich Balkengehäus. Nach Tages Arbeit las ich in Büchern, grub in den Tiefen des
Geistes und war fleißig im Niederschreiben meiner Lieder, Abenteuer und Gedanken. Vor
dem Schlafen sang ich zur Harfe, der Oheim lauschte, dazu erfreute sich das Herz an
Beerenwein oder Meth. Nach Menschenumgang stund nicht unser Sinn. Seitdem ich die
Schreiberhauer enttäuscht hatte, blieben sie abseits. Ich sei ein Schwarzkünstler,
rauneten sie, der in seiner Grotte Dämonen dienstbar halte. Dem dörfischen
Gottesdienste, den ein vom Kynast verordneter Pfaffe
Versunken in den lockenden Himmel über mir, vernahm ich manchmal, wie er gütig mahnete: »Bleibe bei dir, Kind! In dir selber suche, was ich verheiße! Deinem Herzen bin ich ja nur ein Spiegel. So lerne dich selbst erkennen in mir. Verschmilz das Ferne mit dem Allernächsten, vergiß die trügende Scheidung zwischen dem Deinen und dem Andern! Besiegelst alsodann für dich den Friedenspakt der Kreatur mit Gotte – mag auch die verblendete Welt ihres Streitens kein Ende finden.«
Droben kreist ein Königsaar.
Auf zu ihm ins Blau der Lüfte
Über Tann und Höhlengrüfte!
Himmlische Ferne
Lockt und lächelt wolkenlos klar.
Bist du droben, Heimatland?
Sturm und Woge rauscht hienieden,
Und ein Pilgram seufzt um Frieden,
Weil er die Heimat
Immer nur ahnt – und nirgends fand!
Nur im Traume wird sie sein.
Bette, Fels, dies müde Haupt,
Das enttäuscht noch immer glaubt!
Kehre nun, Seele,
In die Gefilde tief innen ein!
Werde Hauch und Melodie,
Leiser Mondgesang auf Auen,
Sommernächtig Niedertauen!
Bräutliche Blumen
Wecken im Kuß dir fromme Magie.
Dring ins Herz der Kreatur,
Hör aus jeder Tiefe tönen
Heimweh nach dem Allversöhnen!
Heim denn, versöhnt euch!
Gläubig verfolget des Lichtstroms Spur!
Schaut das Gnadenreich enthüllt –
Wo aus Zähren werden Wonnen
Und aus Sündern bunte Sonnen,
Wo sich der Liebe
Zärtlich Schmachten endlos erfüllt. –
Droben kreist ein Königsaar.
Auf zu ihm ins Blau der Lüfte
Über Tann und Höhlengrüfte!
Himmlische Ferne
Lockt und lächelt wolkenlos klar.
An einem sonnigen Tage Septembris wandelte ich längs des Schwarzen Berges, über der Schulter einen Sack voll gesammelter Pilze. Bedachte gerade, wie das menschliche Leben gar so traumhaft sei; sintemalen die Dinge kommen und gehen, nicht anders denn Traumbilder – unberechenbar, von einer rätselhaften Macht eingegeben. Bei solchem Sinnen beschlich mich ein bang Gefühl; sagte mir: dein neues Schicksal ist allbereits unterwegs und lauert im Dunkeln, um plötzlich auf dich zu stoßen. Wer weiß, was auf einmal hier aus diesen Waldgründen kommen mag. Da hast du nun endlich deine Ruhe gefunden als ein Eremit; doch eine auftauchende Veränderung möchte dich vielleicht stören und zu wilder Leidenschaft hinreißen.
Während mein Auge starr auf dem entfernten Waldpfade verweilte, sah ich zween Menschen daher kommen, einen Mann, in der Faust eine Partisane, auf dem Rücken eine Hucke, hinter ihm ein bäuerlich gekleidet Weib.
Ich ging ihnen entgegen und bot guten Tag. Freundlich gaben sie den Gruß zurück. Dann blieb der Mann stehen und sahe mich durchdringend an: »Seid Ihr Herr Johannes, der Buschprediger von der Abendburg?«
Fragend blickte der Mann auf das Weibsbild und versetzte: »So der Herr Prädikant erlaubet, lässet sich auch an diesem Orte besprechen, was wir auf dem Herzen haben.«
Ich wies auf einen Felsen, von Heidelbeergesträuch umwachsen: »Lasset uns niedersitzen!«
Nun sah ich mir die beiden näher an. Der Mann von kurzer, breiter Gestalt mußte starke Kräfte haben. Haar und Bart waren ergraut; eine breite Narbe im braunen Gesicht und ein soldatischer Koller von Leder ließen vermuten, daß er in diesen Kriegszeiten die Waffe geführt.
Das Weibsbild mochte vierzig Jahre zählen, war gesund, etwas breit von Angesicht, doch angenehm anzuschauen. Ihr blaues Auge frei aufgetan und voll sanften Feuers. Sie sahe dem Manne ähnlich, wiewohl er verschlossen und streng blickte.
Da die beiden schwiegen, wollte ich ihnen Mut zum Reden machen: »Seid ihr Mann und Frau?«
»Geschwister!« versetzte der Mann. »Ich bin Heinrich Kiesewald geheißen, der Hirte vom Breiten Berge, und dies ist meine Schwester Sibylle.«
Da er wieder in Schweigen verfiel, forschte ich weiter: »Hat Er keine Frau?«
Er nickte. »Die hab ich, und um deren willen sind wir gekommen. Sie möchte etliches von Euch, Herr Prädikant, vernehmen.«
»Warum ist sie nicht selber gekommen? Ist sie krank?«
»Das nicht. Aber so verschämt, daß sie einem fremden Manne nicht leicht ihr Herz eröffnet.«
»Sie hat gleichwohl groß Vertrauen zu Euch, Herr Johannes,« sagte Sibylle eifrig.
»Ihr Sinnen und Trachten, so dünket mich, ist wie das Eure darauf aus, das himmliche
Reich hienieden auszuwirken. Kein ander Begehren hat sie, als immer nur treu und
demütig ihre Pflicht zu erfüllen und
Der Mann nickte, und ich wandte mich zu ihm: »Da ist Er glücklich zu preisen.«
»Hörst du?« sagte Sibylle in scherzender Munterkeit; dann erklärte sie: »Mein Bruder ist nämlich noch nicht zufrieden. Denkt sich halt, sein Glück solle noch größer sein.«
»Und was fehlt daran, Heinrich Kiesewald?«
»Ich habe einen Kummer, und meine Frau hat auch einen. Sie trägt an meinem Kummer mit. Darum aber sind wir kommen, daß Ihr unsere Herzen erleichtert. Wollet Ihr also tun, Herr Prediger? wollet Ihr mit Eurer Weisheit einen Zweifel heilen, so ich Gottes Worte gegenüber hege?«
»Wenn ich kann. Fraget nur frei! Welch Gotteswort ist es denn?«
»Es stehet geschrieben ...«. Hier verstummte der Mann und besann sich.
»Lucä 20 und Matthäi 22,« sagte Sibylle und fuhr für ihren Bruder fort: »Dorten wird erzählt von sieben Brüdern. Der erste nahm ein Weib und starb erblos. Da nahm der zweitgeborene Bruder selbiges Weib, nach dem Gebote Mose, damit ein Erbe entstehe. Doch auch er starb erblos. Nun nahm der dritte das Weib, es erging ihm jedoch nicht anders denn seinen älteren Brüdern. So heirateten auch die anderen Brüder der Reihe nach und starben insgesamt ohne Erben; zuletzt starb auch das Weib. Diese seltsamliche Begebenheit trugen die argen Sadducäer unserm Heilande vor und fragten: Nun sage, Herr, wie wird es in der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie zum Weibe gehabt; wessen wird sie im Himmelreiche sein? – Sehet nun, Herr Johannes, die gleiche Frage richten wir an Euch, weil mein Bruder Heinrich hier mit Zweifeln sich bekümmert und auch noch seine Frau friedlos macht.«
Nachdenklich nickte der Mann: »So saget auch Agnete, und so muß es wohl sein. Ich aber bin ganz irre an der verheißenen Seligkeit; denn wofern nicht wenigstens im Himmel meine Agnete gänzlich mein ist.« Hier preßte er die Lippen zusammen, düster blickte sein Auge.
»Nicht gänzlich Sein?« fragte ich. »Wie soll ich das verstehen? Ist sie denn nicht Seine liebe Ehefrau?«
Da der Mann schwieg, suchte Sibylle nach Worten: »Ja sehet, Herr Johannes, sein ist sie wohl, wen sollte die Gütige nicht lieben? Und ihm hat sie ja vor Gotte die Hand zur Ehe gereicht; nur ist das eine andere Ehe, denn die gewöhnliche.«
»Ihr habet keine Kinder?«
Hierauf Heinrich: »Was meine jetzige Frau ist, die hat von mir kein Kind. Sehet, Herr Prädikant, wir leben mitsammen nicht anders denn Bruder und Schwester.«
»Ist das euer freier Wille? Oder gehorchet ihr einem Zwange?«
»Ihr Wille ist es, und frei, ja frei muß er wohl sein. Denn mein weiser Lehrer Herr Albertus sagte: ein heilig Gemüte ist frei. Meine Agnete dünket mich eine Heilige; Geschwisterschaft hat sie mit mir ausgemacht, als sie mich zum Manne nahm.«
»Und warum nahm sie Ihn?«
Sein Auge lohte, als er zur Antwort gab: »Weil ich nicht leben konnte ohne sie – und
weil sie mir Gutes anzutun gedachte. Dankbar wollte sie sein und glaubete, eine
Schuld sühnen zu sollen, die sie gen mich habe. Aber Schuld hat sie keine, es war ja
nur ein blind Geschick, das mir mein Kind
»Nein, nein,« eiferte Sibylle, »sie hat keine. Denket nur, Herr, welche Heimsuchung uns betroffen. Erst stirbt meinem Bruder die Frau, seine erste Frau. Vor drei Jahren ist's gewesen, und sie hatte ein Kindlein hinterlassen. Was ein herzig frisch Mädelein war Anneliesel! Wie nun die Mutter auf dem Sterbebette gelegen ist, hat sie ihren Mann gebeten, dem Kindlein bald eine zweite Mutter zu geben. Das geschah auf der Reise, in einem Gasthause. Es war aber daselbst eine andre Mutter, eine unglückliche. Der hatte man ihr einzig Kind geraubt, dazu einen Dolchstoß versetzt. Ihr Kind zurückzuerlangen war ihr flehentlicher Wunsch; da half ihr denn mein Bruder ...« Heinrich faßte erregt meinen Arm: »Herr Johannes, das war ...« Doch seine Schwester erhub abwehrend die Hand: »Laß gut sein, Heinrich, schweig davon! Hast du vergessen, was Agnete uns ans Herz gelegt? Rege nicht die höllischen Geister auf! Sollen sie auch noch des Herrn Johannes Herz quälen?« – »Lasset gut sein!« entgegnete ich. »Ist Böses geschehen und nicht wieder gut zu machen, so mag man darüber schweigen. In der Hauptsache erzählet jedoch weiter! Sprachet von einer Mutter, so ihr Kind verloren. Mich dünket, die paßte zu dem Kinde, das seine Mutter verloren.« – Sibylle nickte lebhaft: »So ist es! Höchst liebreich war sie um Klein Anneliesel beflissen, als deren Mutter diese Welt verlassen hatte! Mochte sich von uns gar nicht trennen und zog mit mir und der Kleinen auf einem Troßwagen hinter dem Regimente her, als Heinrich noch Feldweibel war. Da sie auch von Antlitz und Gestalt holdselig war, hat mein Bruder keine andere als sie zur zweiten Ehefrau begehrt. Sie aber hat nein gesagt und hat innig gebeten, daß man ihr nicht grolle. Sie habe vor Jahren geheiratet und im Getümmel des Krieges ihren Mann verloren. Wahrscheinlich werde er tot sein; doch sei das unsicher. Drum widerrate ihr Gewissen den neuen Eheschluß ...«
»Welchen Namen hat das Weib?« fragte ich.
»Agnete! Es ist meines Bruders jetzige Ehefrau, von der er berichtet hat.«
Nicht ohne Enttäuschung vernahm ich solchen Bescheid, als wäre ich ganz heimlich ein wenig der törichten Hoffnung gewesen, in diesem Weibe Thekla zu finden. Und ich versank in trübes Sinnen, indessen Sibylle schwieg.
Endlich kehrte ich zur Gegenwart zurück: »Und nun weiter! Agnete hat also doch wieder geheiratet! Was hat sie denn andern Sinnes gemacht?«
»Fürnehmlich jene Heimsuchung«, antwortete Heinrich, und seine Stimme bebete. »O mein Anneliesel, warum hast du dich locken lassen von den Bachblumen?« Ratlos griff er an sein Haupt und seufzete. »Auf dem Marsche ist es gewesen, mein Regiment quartierte an der Unstrut. Maßen wir nun einen sonnigen Tag im Aprilmond hatten, ist Agnete mit dem Mädelein an den Fluß gangen und unter einem Weidenbaum niedergesessen. Im Sonnenschein ist die müde Frau eingenickt. Derweilen hat sich das Kindlein von ihrem Schoß gemacht, am steilen Flußranft zu den gelben Blumen hinunter begeben und ...«
Des Mannes Stimme versagte, indessen Sibylle die Hände vor ihr Antlitz schlug.
Dumpf fuhr Heinrich fort: »Naß und kalt ist klein Anneliesel gewesen, bleich und stumm, da man den Körper in meine Arme tat, das Händlein hat noch die gelben Blumen gehalten. Agnete ist schier von Sinnen worden, und wir haben besorgt, das Herz werde ihr brechen.«
»Schreibet sie sich denn Schuld an des Kindleins Tode zu?« fragte ich.
»Schuld hat sie keine,« versicherte auch Heinrich. »Das hab ich ihr oft gesagt. Aber
sie hat sich angeklagt, hat ihr Haar geraufet und mich um Vergebung angefleht, auf
den Knien angefleht – und ich – ich habe sie emporgehoben – und begütigt – habe mich
dann vor ihr auf die Knie geworfen – und unsere Tränen sind geflossen. Wie Agnete
sich gesammelt, hat sie zu mir gesprochen: Ich will dir dienen, wie eine Magd. Und so
du mich noch zur Frau begehrst, bin ich einverstanden. Nur grolle nicht, weil ich dir
kein ander Kindlein schenken kann; denn sieh, ich hab ein Geheimnis, daß ich dir
jetzo eröffnen will. Agnete hat mir hierauf alles gesagt, was Sibylle Euch, Herr,
berichtet hat. Sie sei vor Jahren eines andern Weib worden, und dieser andere befinde
sich vielleicht noch am Leben. Doch selbst wenn sein Tod gewiß wäre, vermöge sie mir
nur Schwester zu sein. Nicht als ob sie eine Heilige wäre – hat sie gesagt, – sondern
weil sie des andern Bildnis im Herzen trage und täglich in Treuen anschaue. Zuletzt
hat Agnete gesprochen: So du mich nach dieser Enthüllung noch zum Weibe begehrest, so
laß uns zum Prädikanten gehen; hat der nichts einzuwenden wider den Eheschluß, so
will ich dir die Hand reichen. Dann hab ich freilich noch eine Bitte: Gib das
Waffenhandwerk auf! Laß uns friedlich wohnen und lieber hart arbeiten, als von
Blutvergießen und Beutemachen leben. – So hat Agnete gesprochen, und meine Schwester
hier, längst von Abscheu wider das Soldatenleben erfüllt, ist mit Flehen und
Beschwören der Bitte beigetreten. Da sich nun gerade Gelegenheit geboten, daß ich mit
Fug meine Fahne verlassen gekonnt, sind wir unseren eigenen Weg gezogen. Der nächste
Prädikant hat unsere Trauung vollzogen, nachdem er meiner Ansicht beigetreten, Agnete
solle ihre Zweifel am Tode jenes andern getrost fahren lassen. Ich habe seitdem in
einer seltsamen
Nach längerem Stillschweigen hub ich an: »Nicht Agnete hat eine Schuld, eher ist Er, Heinrich, in ihrer Schuld.«
»Das bin ich, Herr Prädikant – und dieweilen ich ihr so viel schulde, will ich alles tun, die Schwermut von ihr zu nehmen, mit der ich sie belaste, solange mein Herz nicht leicht. Drum, Herr Prädikant, erlaubet mir und den beiden Frauen, in Eurer Gemeinde anwesend zu sein, so Ihr wieder einmal eine Predigt haltet. Und ferner bitten wir Euch, alsdann zum Texte ein Wort der Schrift zu wählen, so meinen Kummer beschwichtigen kann.«
»In meiner Gemeinde?« fragte ich nicht ohne Bitterkeit. »Ich habe keine Gemeinde. Bin auch kein Prädikant. Woher kommt euch die Meinung, daß ich Predigten halte?«
Groß sahen die beiden einander an, und Sibylle versetzte: »Zu Petersdorf und Hermannsdorf nennen Euch die Leute einen Buschprediger, so unter den Schreiberhauern Anhang habe.«
»Vor Jahren hab ich Anhang gehabt und auch dem Wahne gelebt, eine Gemeinde, ja weit
mehr, ein Reich des Lichtes, begründen zu können. Weil ich nun damals Predigten im
Busch gehalten, ist der Name Buschprediger aufgekommen. Bald aber sind mir in herber
Enttäuschung die Augen aufgegangen, daß ich eingesehen, wie närrisch mein
Unternehmen, wie eitel meine Predigt. Seitdem hause ich als Einsiedler und habe zur
Gesellschaft außer meinem Hunde und meinen Ziegen nur den greisen Oheim, der an
Verstörung des Geistes leidet. Den Namen Buschprediger lasse ich mir auch jetzo noch
gefallen, doch nur in dem Sinne, daß
Da Heinrich und Sibylle verlegen drein schauten, fuhr ich fort: »Weil ihr jedoch eine Ausnahme unter den Menschen seid und nach meinem geistlichen Zuspruch verlanget, so will ich eine Ausnahme machen und euch dreien eine Predigt halten. Will auch gern zu diesem Zwecke zu euch auf den Breiten Berg kommen. Wann ist euch das genehm?«
»Wir danken,« sagte Sibylle erfreut, »und werden Euch einen Brief senden.«
»Ja, Dank Euch,« sprach Heinrich und drückte mir die Hand. »Doch mit Verlaub, ich habe noch einen Wunsch. So Eure Predigt vielleicht auf die sieben Brüder zu sprechen kommt, die ein und dasselbe Weib geehelicht, habet alsdann die Güte, uns auch die Frage zu beantworten: wo ist das Himmelreich? Denn Ihr werdet zugeben, daß hierauf alles ankommt. Bestehet nämlich das Himmelreich im Jenseits, so hat Christus von einer Kraft des Herzens gesprochen, die erst den Auferstandenen eigentümlich. Wir gebrechlichen Kinder der Erdenwelt sind dann wohl zu entschuldigen, so wir nicht die Gesinnung finden, die unser Heiland meint.«
Ich verwunderte mich über diese Tiefe des Nachdenkens, ungewöhnlich bei einem Hirten und ehemaligen Soldaten, und über seine wohlgesetzte Sprache, die einen unterrichteten Geist verriet. Drum fragte ich: »Ihr habet wohl viel über solche Fragen gesonnen und auch gelesen? Wes Standes waren Eure Eltern?«
»Mein Vater besaß reich Gut bei Schatzlar, und ich ward mit Sibylle unter Anwendung
gelahrter Bücher erzogen. Drauf hat man meinem Vater den Prozeß gemacht wegen seiner
Teilnahme an der böhmischen Glaubensverteidigung, hat unsere Güter konfisziert und
uns an Leib und Leben bedräuet. Nach Sachsen sind wir entwichen, und da mein Vater
bald darauf verstorben, hab ich die Muskete ergriffen und zur sächsischen Fahne
geschworen – teils um das Leben
Es dünkte mich, Sibylle habe noch etwas auf dem Herzen, und so sagte ich: »Rede Sie frei heraus, liebwerte Jungfer, so Sie zu reden begehret!«
Sie errötete. »Daß Ihr keine Predigten zu einer Gemeinde haltet, bedauern wir zwar; doch ist das Euer freier Wille, so wollen wir darob nicht mit Euch rechten. Sollten aber die Leute zu Schreiberhau, denen Ihr doch früher gepredigt habt, von Euch abgefallen sein ...«
Sie zögerte fortzufahren; ich half ihr: »Wären sie es nicht, auch dann hätte ich aufgehört, ihnen zu predigen. Zum Überflusse aber sind sie abgefallen. Einen Schwarmgeist schilt mich ihr neuer Kanzelprädikant, und manche Leute sagen mir Schlimmeres nach. Nicht wahr, ihr habet auch davon vernommen? Da nimmt es mich wunder, daß ihr überhaupt gekommen seid.«
Und Heinrich fügte hinzu: »Nun ja, ein Mann von Giersdorf hat Euch einen Schwarzkünstler geheißen, so in seiner Abendburghöhle Dämonen halte, die ihm bei der Goldbereitung zu Diensten. Weil aber die Leute gleichzeitig berichtet haben, daß Ihr in Dürftigkeit lebet, so ward ihnen von mir die Antwort: Ein armer Eremite kann doch kein Teufelsbündler sein; wer sich auf schwarze Kunst versteht, Gold machen und Dämonen beschwören kann, der nähret sich nicht von Beeren und Pilzen, sondern schwelget in Saus und Braus.«
Düster blickte ich drein; Waldhäusers Wort, niemand könne den Folgen seiner Werke entgehen, war an mir erfüllet. Ich selber war schuld an dem Gerede, daß ich Gold in der Abendburg bereite. Tötendes Gift war allbereits meiner Aussaat entsprossen, und noch wucherte sie weiter – das Vertrauen der Leute zu vergiften ...
Aus meiner Nachdenklichkeit weckte mich das Sausen der Tannen. Mein Blick schweifte hinüber zum Breiten Berge und suchte nun die Baude, bei der die seltsamliche Frau Agnete jetzo ihre Herde hüten mochte. Da meinte Sibylle: »Links an der Kuppe des Breiten Berges liegt unsere Baude, auf der grünen Matte, nahe dem Walde. Ihr sehet den Rauch emporsteigen. Aber nun lebet wohl! Wir müssen heim.«
Ich erhub mich: »So lebet wohl und habet Dank für euren Besuch. Entbietet eurer Agnete meinen Gruß und am nächsten Sonntage werde ich euch dreien die gewünschte Predigt halten.«
»Durch ein Briefel will ich Euch nähere Nachricht geben,« sagte Sibylle und drückte meine Hand.
Nun gingen die beiden, ich schaute nach, bis sie im Walde verschwunden.
»Wessen wird sie im Himmelreiche sein?« Diese Worte gingen mir durch den Sinn, und
nicht auf Agneten, sondern
Ach, ich suchte täglich in mir die verlorene Eheliebste, und zärtlich kam sie mir alleweil entgegen. Mein Herz war der Abendburgfelsen, sein heimlicher Schatz aber meine Thekla. Ein süßes Feuer rann durch meine Adern, wenn ich das dunkle Auge betrachtete und der Stimme lauschte, die weich wie einer Rose Schoß. Und am sanften Busen lag ich tausendmal, wie damals in der Gruft der magdeburgischen Kirche. War das nun jene Minne, die bei den Seraphim gilt? Allerdings nicht.
Immerhin verschmolz mit meiner Zärtlichkeit eine Anbetung, wie man sie Engeln erweist. Wenn ich gar bedachte, daß ich sie nimmer irdisch umarmen könne, erschien mir Thekla als eine rechte Geisterbraut, nicht unähnlich der weißen Königin im Felsendom.
Aus Bergen schleicht der Abendhauch, ein Raunen
Im wüsten Hain.
Das Tannenvolk umringt mit scheuem Staunen
Den Sagenstein.
Hie stund ein Schloß; sein Glitzern machte trunken
Wie Abendstrahl.
Verwunschen ward's. Und wo die Pracht versunken,
Bezeugt dies Mal.
Verdüstert hockt der Stein, wie seinen Sorgen
Ein Bettler grollt.
Verkappter Fürst! Im Grunde dir geborgen
Ruht Perl und Gold.
Kein Gräber drang noch durch die Felsenrinde
Zum güldnen Schacht.
Ein Glimmen winkt nur dem Johanniskinde
In Zaubernacht.
Sein Träumeraug erschaut in Höhlenwildnis
Den Perlenschrein.
Auch marmorweiß ein Königinnenbildnis
Im Dom von Stein.
Ich kenne sie, die heilgen Heimlichkeiten
Der Innenschau.
Verwunschen sank auch mir ins Grab der Zeiten
Mein Königsbau.
Doch was dereinst an Seligkeit erblühte,
Ist nimmer tot,
Es bleibt mein Schatz, versunken im Gemüte,
Der magisch loht.
Ich selber bin das Schloß mit güldner Tiefe,
Der Sagenstein.
Und ob ich ganz der Oberwelt entschliefe,
Der Traum ist mein.
Die Königin ward diesen heißen Sinnen
Hinweggebannt.
Verklärt zum Engel weiht sie nun mein Minnen
Dem Geisterland.
Ein Dom von Tropfgestein, soll mich umflechten
Die Innenwelt.
Braut meiner Jugend, throne mir zur Rechten
Im Höhlenzelt!
Am Tage nach dem Besuch der Kiesewaldischen kam ein Brief, den ein Knabe vom Breiten Berge brachte.
»Lieber Herr Johannes! Nichts für ungut, daß ich nicht aufhöre, um Vergünstigungen zu
bitten. Ihr habt uns eine Predigt zugesagt. Meine Schwäherin Agnete ist darob hoch
erfreut. Doch hanget der Sache noch ein Bedenken an. Wie schon gesagt, hat Agnete ein
sehr verschämt Gemüte. Nur mit Beben könnte sie Euch unter die Augen treten, nachdem
Heinrich ihre Art Euch enthüllet hat. Später wird sie ihre
Dürfen wir nach der Predigt die Grabkreuze betrachten, so Ihr nahe Eurer Klause habt, so mag Euer Oheim uns den Ort weisen. Ehrerbietig grüßt Euch Eure Jüngerin Sibylle.«
Durch meinen Oheim ließ ich dem Knaben Speise und Trank reichen und überlegte, wie auf den Brief zu antworten. Kam zu dem Ende, Agnetens übergroße Schüchternheit müsse geschont, Sibyllens Vorschlag beherziget werden. Verfaßte dahero folgendes Schreiben:
»Lieber Heinrich Kiesewald! Euren Wunsch, ich solle in einer Predigt die Zweifel
Eures seufzenden Herzens behandeln,
Johannes.«
Versiegelt übergab ich dies Schreiben dem Knaben, daß er es seinem Herrn Kiesewald bringe.
Seit diesen Begebenheiten schweifte mein Blick gern vom Hohen Stein zum Breiten Berge, und wenn mich der Ferne Holdseligkeit bezauberte, stellte sich der Wunsch ein: Bewahre mich mein Schicksal vor jener Enttäuschung, die nicht erspart bleibt, sobald die Ferne zur Nähe wird! Ach, von den Menschen gilt das wie von allen Dingen. Noch sind die Leute drüben in der Baude am Breiten Berge mir fern, und ein holdes Rätsel ist Frau Agnete. Wer weiß, ob nicht, wann sie nahe kommt, und wann ich eindringe in ihre Art, statt einer Heiligen ein krankes, wirres Weibsbild vor mir steht? Doch ich will beflissen sein, auch in der Nähe die Ferne zu schauen.
Da nun der Sonntag gekommen, unterwies ich in der Frühe meinen Oheim, wie er die Gäste von der Kiesewaldbaude bewirten, alsdann in den Felsendom einführen, nach der Predigt wieder hinausgeleiten und mit den Gräbern bekannt machen solle. Mit Oheims Hilfe tat ich die Steinplatte vom Eingang des unterirdischen Bereiches und legte Kienfackeln bereit.
In meiner Balkenklause meditierte ich, wie die Geschichte von dem Eheweibe der sieben Brüder auszulegen sei.
Ein Summen der Kirchenglocke von Schreiberhau drang an mein Ohr, als der Oheim die
Stubentür auftat: »Sie kommen!« Durch das Fenster lugend gewahrte ich, wie die
erwarteten
Wie ausgemacht war, mied ich meine Gäste, nahm die Harfe über die Schulter, begab mich zunächst in die Grotte, und, nachdem ich meinen Kienspan angezündet, durch das aufgetane Loch hinunter zur großen Höhle. Während ich die steinernen Stufen abwärtsstieg und mit dem Brande umherleuchtete, bedachte ich, wie meinen Gästen bei diesem Gange zumute sein werde.
Mit ihren Sinnen erlebte ich die düstern, triefend feuchten, rot angestrahlten Zacken, das Unheimliche der Schlucht, wo die Wasser mit dumpfem Tosen in jene Felsengurgel hinuntergeschluckt werden, der ich den heillosen Goldschatz überliefert hatte. Wie ich den Abgrund überschritt, glaubte ich noch einmal den Schrei zu hören, mit dem mein Bruder Zetteritz hinunterstürzte, seinen goldgierigen Mörder mit sich reißend. Und von der Raubtierwelt wandte sich meine Seele zur Friedenspforte, so mein sehnsüchtig Suchen entdeckt und auch schon aufgeschlossen hatte.
Ich tat den Aufstieg zum Dome. Das weiße Flinsgestein war wie ein Gewölb aus Schnee,
von der Decke zum Boden strebten Säulen aus Tropfstein gleich riesenhaften Eiszapfen.
Und lebendig ward das Gewimmel der Gestalten, vom tröpfelnden Kalkwasser gebildet; es
regten sich die milchigen Behänge der Decke, in Grotten lauerten weiß vermummte
Gestalten, Hulemännlein mit grauen Spitzkappen kamen durch enge Seitengänge aus der
Tiefe geschlichen. Dazu wisperten die feinen Brünnlein, pinkten die fallenden
Tropfen, gurgelten und tosten die Fluten der Schlucht. In feierlicher Starrheit aber
schauten die beiden Götzenbilder vom Throne
Von der Felsenkanzel beschaute ich dies Abenteuer, wie es beleuchtet ward durch den qualmenden Kienspan. Während düsterrote Lichter über die Zacken und Zapfen huschten, stimmte ich meine Harfe.
Da hörte ich des Oheims hohles Husten und sah ihn, eine Fackel in der Hand, die Kiesewaldischen herbeiführen. Auch ich entzündete eine Fackel, die stärker leuchtete als der Kienspan, und steckte sie in einen Felsenspalt bei der Kanzel. Staunend betrachteten meine Gäste den Dom und die Götterbilder. Nach einer Weile saßen sie nieder auf dem Stein, so unterhalb der Kanzel eine natürliche Bank bildet, und schauten erwartungsvoll zu mir hinan. Frau Agnete schien geflissentlich im Schatten zu bleiben und hielt noch immer das Angesicht verhüllt.
Auf der Harfe spielte ich ein Präludium; wie Glocken hallten die Akkorde. Dann hub ich diese Rede an:
»Liebe Freunde! Von der lichten Oberwelt sind wir herabgestiegen in ein düster Reich.
Aber noch ist unser Sinn erfüllt von der Sonne, von dem blauen Himmel, dem grünen
Walde und dem magischen Schimmern der Ferne. Blicket in euch hinein, findet dorten
noch einmal all die Berge und Abgründe, waldigen Hügel und Weidematten: Bächlein
blitzen, von den Bauden steigt der Rauch, jedwedes Ding blickt und haucht uns an mit
seinem eigentümlichen Wesen. Eine besondere Kunde gehört dazu, sich zurecht zu finden
in der Landschaft und auf dem ganzen Erdenball, und solche Wissenschaft von den
irdischen Orten dünket jedem Menschen ein würdig Ziel. Wenige aber lassen sich
träumen, wie not eine andere Ortskunde tut. Wir haben ja nicht bloß
Da wir nun die Höhe erreicht hatten, trat der Jüngling in unsere Mitte und sprach: Reichet euch die Hände und schauet einander tief ins Antlitz. Da findet ihr ein und dasselbe: den Menschensohn, dem ewigen Licht zum Tempel erkoren. Bisher habt ihr vermeinet, ein jeder sei dem Nächsten feind oder doch fremd. Bisher hat jeder gesprochen: Nur ich bin ich, du aber bist du! Nunmehr kündet das ewige Licht aus eures Tempels Fenstern: Aufgewacht vom wüsten Traum, mit dem die Finsternis verstörte! Du bist ich, und ich bin du; und alles Menschliche, aus dem einen Lichte geboren, ist nur ein einziger Mensch. Erkenne ein jeder sich selbst im Mitmenschen wieder, schlinge die Arme um ihn und bitte: Vergib mir, daß ich so lange dich verkannt!«
Hier stockte meine Rede, ich ward gewahr, wie Agnetens Blick sich glühend in mich bohrte. Und ich fuhr fort:
»Wird euch nun klar, liebe Freunde, was ich mit der geistigen Ortskunde meine? Wir müssen im Reiche des Geistes unterscheiden zwischen niedrig und hoch. Zwischen den finstern Abgrund der Nichtigkeit und die himmlische Höhe hineingestellt, fühlen wir uns berufen, zum bessern Zustand zu gelangen. Doch von Gier besessen, besorgen wir, das Bessere müsse unser Nächster uns streitig machen. Da ergrimmen wir und eifern widereinander als reißende Bestien. Und fahren so lange fort mit unseligem Tun, bis wir beim Emporklimmen endlich zur Eintracht uns bekehren. Was hold und schön, erfüllt mit süßer Minne; die heilige Weisheit macht licht und sanft, das klare Schauen der Schöpfung, das liebreiche Zusammenklingen mit allen Geschöpfen begnadet uns paradiesisch.
Ja, Freunde, was wir Himmelreich heißen, ist mitnichten hinter den Sternen und ist
auch an keinem besonderen Punkte der Zeit, wie jene wähnen, so erst vom jüngsten Tage
erwarten, daß er ihnen das Paradeis auftun werde. Nicht an
Nachdenklich hatten meine Gäste den Kopf geneigt, bis auf Agneten, die noch immer zu mir emporstarrte. Heinrich griff sich an die Stirn und blickte mit traurigem Ernste. Mit bezug auf ihn fuhr ich fort:
»Ihr habet den Wunsch geäußert, ich soll von den sieben Brüdern und der siebenfach
vermählten Frau reden! Nun wohlan! Wollet selber das Urteil fällen und entscheiden,
wem von den Sieben die Frau im Himmelreiche gehören soll.
Wohlan, liebende Seele, bleib nicht unter dem Torbogen stehen, ganz geh hinein!
Fürchtest du aber, in all dem Lichte zu verlieren, was du insonderheit liebst, so sei
getrost: Innen findest du auf Schritt und Tritt alles wieder, was du zuvor lieben
gelernt hast, und die geliebte Seele schaut dir entgegen aus den Augen aller
Verklärten. Drum so gibt es im Himmelreiche kein eifersüchtig Minnen mehr, nicht
jenes Freien, vor dem Adam und Eva erröten mußten. O finde jene Liebe, so nicht Genuß
will, sondern Andacht! Ganz oben in lichter Höhe hauset sie, auf dem Gipfel der
Verklärung, und ist eine wunderschöne Jungfrau. Erschauen läßt sie sich von manchem
Menschenkinde, und am Strahle ihrer Schönheit entzündet, spricht das Menschenkind: Du
meine liebste Braut, gern möcht ich kosten deine Süßigkeit. Doch die himmlische
Jungfrau erwidert: So deine Liebe mein ewig Gut erstrebt, sei sie willkommen. Bedenke
aber, daß du dem ewigen Gute nicht näher kommst, so du es in die Arme schleußest, wie
Menschen mit irdischer Habe tun, die sie für sich allein begehren und den andern
wegnehmen. Das ewige Gut ist jenes Wunderbrot, mit dem der Heiland die Fünftausend
speiste, ohne daß es weniger ward. Wann du aber noch nicht
Nach dieser Rede griff ich wieder in die Harfe und sang dazu dies Lied:
Es sprach die Ewigkeit:
»Nur still, ihr Kindlein, ruht!
Bewahrt vor allem Streit,
Bleibt Gottes Fleisch und Blut!«
Doch ein Geschrei erwacht:
»Laß uns geboren werden!«
– So wurden Tag und Nacht,
Luft, Wasser, Himmel, Erden.
Das Menschenkindlein sog
Mit Auge, Mund und Ohr.
Die Sondergier betrog,
Daß es sein Herz verlor.
Von Habsucht ausgefüllt,
Denkt es der Herkunft kaum;
Die Heimat liegt verhüllt,
Vergessen wie ein Traum.
Und wenn es rückwärts lauscht,
Grüßt keine Mutter mehr;
Ach, nur ein Garten rauscht,
Ein wogend Wipfelheer.
Mit lichtem Schwerte droht
Ein Wächter vor der Pforte,
Wie Blitz sein Auge loht,
Wie Donner seine Worte:
»Im Heim der Ewigkeit
War einer bei dem andern.
Die unrastvolle Zeit
Läßt euch entfremdet wandern.
O Wüste Einsamkeit,
Wo jeder einzeln irrt!
Die Völker sind entzweit,
Die Sprachen sind verwirrt.
Und weil um Rache schreit
Vergoßnes Bruderblut,
Nun denn, ihr Mörder, seid
Einander Höllenglut!« –
So grollt der Rachegeist.
Doch horch, der Garten Eden,
Er säuselt und verheißt:
»Herbei! Ich heile jeden!
Erlösung wird beschert,
Wenn ihr, der Wüste leid,
Euch reuevoll belehrt
Zur treuen Ewigkeit.
Herbei, ihr Zagen! Kommt
An meine Gartenmauer!
Zu eurem Troste frommt
Der ahnungsvolle Schauer.
Wenn meine Wipfel raunen,
Und Nachtigallen singen,
Will euch vor süßem Staunen
Das volle Herz zerspringen.
Und wo sich zwei vereinen
In Lieben und Erbarmen,
Da halten sie mit Weinen
Ihr Eden in den Armen.«
Dem Nachhall lauschte die kleine Gemeinde. Wie ich die Harfe über die Schulter nahm, erhuben sich die Frauen von der Steinbank, es gingen meine Zuhörer. Ich ergriff die Fackel und verließ die Höhle.
In meiner Klause fand ich auf dem Tisch ein Körblein mit Brot und Eiern. Dazu ein Schreiben von Sibyllens Hand:
»Für die Speise, so Ihr bedürftigen Seelen gespendet, danken wir mit Liebe und möchten Euch gern etwelche Wohltat erweisen. Nehme dahero der Herr Johannes diese geringe Gabe für sein leiblich Wohl und bleibe uns fürder gewogen.«
Durch das Fenster blickte ich meinen Gästen nach und sahe sie bei den Gräbern. Entblößten Hauptes stund Heinrich neben dem Oheim am Kreuze meines Bruders Zetteritz. Vor des Kindes Kreuzlein knieten die Frauen; Agnete hielt die Hände vors Gesicht, als weine sie. Mußte wohl vernommen haben von des Kindes Opferung.
Wiederum sah ich den Scheidenden nach, bis sie im Walde verschwanden, und meine Seele, sonst ruhig, war erfüllt von heimlicher Unrast. Machte mir den Vorwurf, in meiner Rede weit mehr empfohlen zu haben, als ich selber zu leisten imstande.
Nächsten Sonntag in der Frühe begab ich mich auf den Weg zur Kieselwaldbaude. Ich wählte den Weg durchs Jammertal, schritt über den Steg des Zacken und fand mich in den Pfaden zurecht, so den Forst durchqueren. Den Kochelbach, vom trockenen Sonnenwetter Septembris seicht gemacht, konnte ich auf Steinblöcken überschreiten und klomm nun die Waldhöhe hinan, deren höchste Kuppe der Breite Berg.
Oben auf der Matte, nahe dem Walde, lag die Balkenbaude, mit einem Unterbau aus Felsen. Über das Schindeldach stieg Rauch, ein Kätzlein sonnte sich unter der Haustür. Hinter der Baude dehnte sich zum Walde die aus Baumstämmen gefügte Hürde. Ein Bächlein floß hindurch und füllte etliche Holztröge. Von Tannen war die Weidematte umzingelt. Gleich einem Helm wölbte sich der Breite Berg. Seitlich an ihm vorbei blickte ich in die Schneegruben, gen Abend lag der Schwarze Berg mit dem Hohen Stein. Wieder zu Kiesewalds Baude gewendet, sah ich Heinrich auf mich zukommen, von Sibyllen gefolgt.
»Guten Morgen, Herr Johannes!« sprach er freundlich und bot mir die Hand.
»Seid willkommen!« fügte Sybille hinzu, »und sitzet an unserm Herd.« In beider Antlitz war zu lesen, mit welcher Freude sie mich aufnahmen. Wir traten in die Stube, wo es warm war. Setzten uns um den Tisch, darauf hatte es Buttermilch, Brot und Käse, auch Hammelschinken und eine Flasche Eibereschengeist.
»Nehmt fürlieb,« sprach Heinrich, »stärket Euch nach dem Wege.« Wie er hörte, daß ich übers Jammertal gekommen, meinte er: »Über den Schwarzen Wog hättet Ihr es näher gehabt. Gern will ich Euch auf dem Heimweg bis dorthin geleiten.«
Während ich aß und trank, verwunderte ich mich, daß Agnete nicht sichtbar. Sybille
merkte, wen mein Blick suchte, und gab Aufklärung: »Agnete lässet Euch grüßen und um
Entschuldigung bitten, daß sie abwesend. Sie begibt sich alle Sonntage hinunter gen
Petersdorf oder Giersdorf zu Kranken sowie zu einsamen Leuten und Kindern, so in
diesen schweren Zeiten verwaiset oder sonst hilfsbedürftig
Es war mir leid, die Frau zu verpassen, deren edle und geheimnisvolle Art eine sonderliche Teilnahme in mir wachgerufen. Meine Enttäuschung mag ich nicht ganz verhehlt haben, da ich zur Antwort gab: »Hätte ich früher erfahren, daß Agnete heute nicht daheim, würde ich Euch an einem andern Tage besucht haben.«
Errötend versetzte Sibylle: »Ich will gestehen, Agnete wäre auch dann Eurem Besuche ausgewichen. Doch denket nichts Arges. Sie verehrt Euch. Aber sie wünscht, bei Eurem ersten Herkommen möchtet Ihr bloß Heinrich und mich sprechen. Den Grund mag Euch Heinrich nennen.«
»So ist es,« – sagte der Mann zögernd. »Meine Frau hat den Wunsch, ich soll mich mit Euch aussprechen, ohne daß ihr Beisein unsere Offenherzigkeit beengt.«
»Ja, redet frei mitsammen,« meinte Sibylle und verließ die Stube. Heinrich suchte
nach Worten: »Ich danke Euch für Eure Auslegung des Evangeliums, und ich muß Euch
wohl beistimmen, daß man im Himmelreich nicht also freiet, wie irdische Menschen tun.
So Ihr aber vom schwachen Sterblichen verlanget, er solle gleich hier auf Erden
ebenso heilig und verklärt sein, wie die Engel, und solle ein geliebtes Weib nicht
für sich allein begehren, so mutet Ihr dem Sohne des Staubes zu, daß er mit einem
Sprung über eine Kluft hinweggelange. Wann wir hinuntersteigen zum Schwarzen Wog,
kommen wir an solch eine Kluft. So breit ist sie, daß, ich keinen Stein
hinüberschleudern kann, und tief im Abgrunde strudelt über Felsblöcke der Zackenfluß.
Wer nicht Flügel an den Schultern hat, wie die Engel, vermag nicht stracks hinüber zu
gelangen. Fein behutsam
»Seid Ihr das imstande?« fragte Heinrich, und vor seinem durchdringenden Auge irrte mein Blick zur Seite. »Wirklich? Seid Ihr das imstande?« wiederholte er mit erhobener Stimme; »oder gehöret Ihr zu jenen Prädikanten, so da meinen: Richtet euch nach meinen Worten und nicht nach meinen Taten?«
Er hatte mir weh getan; doch ich gab im stillen zu, daß er wahr gesprochen.
»Ja Heinrich, zu denen gehöre ich. Auch ich sage: Richtet Euch nach meinen Worten und nicht nach meinen Taten.«
Da er mich stutzig ansah, gab ich die Erklärung: »Könnet Ihr denn nicht begreifen, daß eines Men schen Auge weiter reicht, als die Kraft seiner Füße? Wenn ich den Gipfel der Verklärung schaue, so bin ich doch nicht alsogleich imstande, hinaufzugelangen, obwohl ich mich anstrenge, nicht bloß im Schauen, sondern auch im Wandeln. Bittet mich nun ein Zweifler, ihm die Wahrheit zu zeigen, wie ich sie schaue, so schildere ich zwar den Gipfel der Verklärung, möchte aber nicht derart verstanden sein, als ob ich mich selber zu den Verklärten rechne; vielmehr knie ich demütig in der Tiefe neben demselbigen, dessen Auge sich führen lässet von meinem Auge.«
Heinrich war milde worden: »Verzeihet, Herr Johannes; ich schäme mich des rauhen Wortes, so mir aus dem Munde gefahren, und ich weiß nun, daß Ihr mitnichten den heuchlerischen Prädikanten angehört. Wer die Kraft hat, ohne Zürnen sich mahnen zu lassen an seine Unzulänglichkeit, der ist ein Wegweiser zum Heil, nicht bloß mit Aug und Mund, sondern zugleich mit Herz und Wandel. Ihr habet mich still gemacht mit Eurer guten Antwort. So fahret fort, das Strudeln meines Abgrundflusses zu sänftigen und zeiget mir, wie Schritt für Schritt die Kluft mag überwunden werden.«
Betroffen fragte Heinrich: »Stärker denn ich? Er sollte vollbringen, was die Wahrheit mir zumutet? Was mutet sie mir zu?«
Ich entgegnete: »Nehmet einmal an, der andre spräche zu Euch mit Tränen im Auge: Dich liebt Agnete, wie sie einst mich geliebet hat. Aber vielleicht liebt sie mich noch immer. Sei es, wie es sei; ihr Herz ist mir so heilig, daß ich sein Lieben nicht hemmen mag. Darum, lieber Bruder, der du ebenso, wie ich von ihr unter des Himmelreiches Pforte geführt bist, laß uns einträchtiglich vor ihr Antlitz treten; mag sie dann entscheiden, in welcher Verfassung wir drei die wenigen Tage durchleben sollen, so uns – wer weiß – anoch beschieden sind. Wenn sie aber ratlos ist, oder wenn du, ihr jetziger Mann, nicht dulden magst, daß wir als drei Geschwister beisammen bleiben, so will ich still beiseite schleichen und darin Trost suchen, daß ich uns erspart habe, Übles zu tun, und daß ich auch in der Trennung tief im Herzen eins bin mit unserer Schwesterseele.«
Groß sahe mich Heinrich an und schüttelte den Kopf: »Das ist kein Mensch, von dem Ihr
redet. Menschen gehorchen dem Trieb der Kreatur. Diesen Trieb beobachtet doch an
Kampfhähnen, die eifersüchtig hadern mit Schnabel und Sporn ...« – »Aber, Heinrich!«
unterbrach ich ihn lächelnd.
Verwirrt antwortete Heinrich: »So soll ich mich von ihm verdrängen lassen?« – »Wie wunderlich Ihr redet! Wohnt jener in ihrem Herzen, so vermag kein Ankämpfen ihn daraus zu entfernen; schafftet Ihr ihn auch aus ihren Augen, so erlangtet Ihr nichts weniger als Beförderung in ihrem Herzen. Und so wenig Ihr ihn von dort verdrängen könnet, so wenig ist er imstande, Euch diejenige Liebe zu rauben, die Euch Agnete gewährt ...« Des Mannes Angesicht ward heller: »Ihr meinet also?« – »Ganz gewiß! Wie könnte Agnete, sintemalen Treue sie beherrscht, jemals vergessen, was ihr Heinrich war und ist.« – »Doch ihre Liebe teilt sich zwischen zweien.« – »Lasset gut sein! Liebe ist nicht wie ein irdisch Ding. Ein Laib Brot freilich, das zweien ausgeteilt wird, gewährt einem jeden nur die Hälfte. Die Liebe jedoch gleichet der Sonne; wen sie bescheinet, der hat die ganze Sonne, und mögen es Myriaden Sonnenkindlein sein.«
Leuchtenden Auges legte nun Heinrich Kiesewald die Hand auf meine Schulter, sah mir
ins Aug und raunte, als wär's ein Geheimnis: »Ja, wenn ich wüßte, daß mir Agnetens
Liebe also sicher wäre, und wenn ich wüßte, daß der
»Recht so, Heinrich, das Vertrauen auf das bessere Selbst, so im Menschen sich entfalten soll zum Baume himmlischen Lebens.«
Heinrich nickte sinnend: »Wie gleichet Ihr doch in Eurer Lehre meiner Agnete. Auch
sie hat uns oft gesagt: Gott und das Himmelreich sind im Menschenherzen und sollen
allbereits auf Erden zur Macht gelangen. Was mich betrifft, so bin ich ein
Kleingläubiger. Doch ist meine Schwester Sibylle wie Agnete gesonnen. Wären diese
edeln Weibsbilder nicht an meiner Seiten gestanden gleich Abgesandten des Lichtes,
ich wäre wohl gänzlich verkommen im blutigen Schlamm der Heerstraße. Denn meines
väterlichen Erbes beraubt und aus der Heimat vertrieben, bin ich der
Widerspenstigkeit voll geworden und der Rachsucht. Habe mir
Gleich darauf trat Sibylle in die Stube, eine Rolle Papier in der Hand. »Seid ihr zwei beide denn nun einig worden?« fragte sie.
Ich stund auf und versetzte: »Euer Bruder hat mir sein Herz aufgetan, und ich habe an seinem Schicksal Anteil genommen. Das ist vorerst genung der Einigkeit.«
Nachdem wir eine Weile in Nachdenken geschwiegen, begunnte Sibylle: »An das Evangelium von der Frau, die mit sieben Brüdern in die Ehe getreten, klinget eine Mär an, die ich euch beiden erzählen möchte, so es euch beliebt.«
Da ich nebst Heinrich zustimmte, setzte sie sich zum Spinnrade, spann aber nicht, sondern hub in getragenem Tone an:
Eine Königstochter war ins Elend gekommen. Ihr Vater hatte seine Krone vom Haupte
fallen lassen in einen schwarzen See, und seitdem hat ihn sein Volk nicht mehr als
Herrscher anerkannt. Da er nun vor Gram verstorben, ist die Königstochter weinend
durch die Welt geirrt. Doch nicht immerfort kann der Mensch traurig sein, zumal wenn
er jung und
Das Gold zur blanken Krone
Liegt in der Tiefe Schrein,
Und wer den Schatz gehoben,
Soll bald ein König sein.
Aufhorchend hemmte die Königstochter ihren Schritt, betrachtete den Jüngling, und da sie ihn schön befunden, sprach sie schelmisch zu ihm: Magst lange in der Erde tappen und schürfen, bis du Gold genung gefunden zu einer Königskrone. Eher wird dein gülden Haar wie Silber bleich, als daß dein Handwerk den Goldschatz hebt. Wüßte dir wohl ein ander Mittel, die Königskrone zu gewinnen. Hör einmal, was ich für ein Liedlein singe:
Im dunkeln See vom Grunde
Winkt einer Krone Gold,
Und hast du sie gefunden,
Wird Minne dir zum Sold.
Der Jüngling spähte in der Königstochter Auge, das ihm nicht anders fürkam, denn wie solch ein See, der am Grunde einen Schatz birgt; und fragte pochenden Herzens: Wie soll ich dein Liedlein deuten?
Da antwortete sie: Ich weiß einen See, drin liegt wirklich und wahrhaftig die Königskrone, nach der dein Streben geht. Mein Vater hat sie verloren und mit ihr sein Königreich. So du aber die Krone vom Grunde holst, mir auf das Haupt setzest und mich zurückleitest in mein verloren Königreich, wird mich das Volk als seine Fürstin anerkennen. Um dich zu besolden, will ich dir alsdann meine Hand reichen, auf daß du neben mir auf dem Throne sitzest, mein ehelich Gemahl.
Da erglühte der Jüngling im Angesicht und antwortete blitzenden Auges: Ich nehme dich
beim Wort. Will dir die Krone vom Grunde holen; doch tue ich das nicht, um
Hierauf so gingen die beiden zum schwarzen See. In dessen Schlamm aber hausete eine Sumpfhexe. Wie nun der Jüngling hinuntertauchte in die Flut, tat ihm die Hexe einen Zauber an, daß er nicht mehr aus dem Wasser zurückkehren konnte und bei ihr auf dem Grunde bleiben mußte. Vergebens harrte oben am Ufer die Königstochter in banger Sorge, vergebens rang sie ihre weißen Hände, weinte und betete; ihr Liebster kam und kam nicht.
Nachdem ihre Verzweiflung bis zum Abend getobt, ward sie schwach und wimmerte nur noch leise; dann sank sie zur Erde und verfiel in einen tiefen Schlaf. Und es ward ihr dies Traumgesicht:
Zwischen Felsenblöcken stieg sie angstvoll bergan, dornige Ranken zerfetzten ihr Gewand und Füße. Der Sturmwind raufte das flatternde Haar, und Hagel peitschte schneidend ihr Gesicht. Wie sie endlich die Höhe erreicht hatte, ward der Himmel blau, und von warmer Sonne beschienen lag auf blumiger Wiese eine trauliche Hütte, bei der eine Schafherde weidete. Die Königstochter ging voll Hoffnung auf die Hütte zu und öffnete die Pforte. Da saß eine weißhaarige Alte, mit Spinnen beschäftigt, und nickte freundlich mit einem Gesicht, das viel Gram durchgemacht, aber köstlichen Frieden gewonnen.
Weinend kniete die Königstochter zu der Alten Füßen und hub an, ihr Schicksal zu beichten. Doch die Alte unterbrach sie begütigend: Weiß schon, liebe Tochter, alles ist mir wohlbekannt. Nur nach dem einen laß dich fragen .... nicht als ob es mir unbewußt wäre, sondern bloß aus dem Grunde, damit du selber dir klar darüber werdest –: Wenn dein junger Bergmann wieder aus dem schwarzen See zurückkehrte, jedoch ohne deines Vaters Krone, sag an, wie würdest du ihn dann empfangen?
Lächelnd nickte die Alte: Schön, mein Kind! Dieweilen du so liebevollen Sinnes, will ich dir helfen und dir sagen, wie du den Liebsten wiederfindest, und dazu einen Schatz, besser noch als deines Vaters Krone. Freilich wird dir dabei fürder Leid mitnichten erspart. Allein fürchte dich nimmer vor dem Leide; faltig macht es das Angesicht, doch spiegelklar die Seele. Und wenn du wieder einmal leidvoll zu meiner Hütte kommst, so sollst du meiner Lehren gedenken und dein Gemüt zur Klarheit bringen, indem du spinnst und meine Schafe weidest. Was aber deinen Liebsten anlangt, so kehre zurück zum schwarzen See, und wenn nach Untergang der Sonne der Vollmond vom Walde aufsteigt, dann sprich mit starker Stimme zum Wasser:
Was gibst du, Hexe, mir zum Lohne,
So deinem Sumpf verbleibt die Krone?
Gib meinen Liebsten aus dem Teich,
Denn der gehört ins Himmelreich!
In dem Augenblicke erwachte die Königstochter und hörte noch im Ohre die Worte der Alten klingen. Es war heller Tag, warm schien die Sonne auf die Erwachte nieder. Sie erhub sich, und nachdem sie zunächst abermals ihrer Trauer nachgegeben und vorwurfsvoll in den schwarzen See gestarrt hatte, faßte sie den Entschluß, ihren Traum zu beherzigen.
Getröstet ging sie in den Wald und sammelte Beeren zu ihrer Speise. Lang ward die
Zeit für ihre Ungeduld. Wie es endlich dämmerte, ging sie zum See und setzte sich auf
Was gibst du, Hexe, mir zum Lohne,
So deinem Sumpf verbleibt die Krone?
Gib meinen Liebsten aus dem Teich,
Denn der gehört ins Himmelreich!
Da regte sich die Mitte des Wassers, als ob es kochte. Brausend schwollen kreisförmige Wellen, und daraus tauchte der verlorene Jüngling empor. Mit starkem Arme teilte er die Flut und schwamm unter Winken und Jauchzen auf die Königstochter zu, die sich vor Freude kaum zu lassen wußte. Hinter dem Jüngling aber schwoll auf einmal das Wasser zu einem ungeheuren Berge, rollte auf den Schwimmer los und riß ihn mit sich, ging dann übers Ufer und erfaßte auch die Königstochter. Die Wasserwoge, der ganze schwarze Teich, strömte donnernd weit übers Land. Die Königstochter schluckte Wasser, daß ihr die Sinne vergingen.
Wie sie die Augen wieder auftat, lag sie am Hange desselben Berges, den sie im Traume erschaut. In banger Unrast suchte sie nach ihrem Liebsten, fand aber keine Spur von ihm und nicht einmal vom schwarzen See. Gänzlich verändert war die Gegend; die Wasserwoge mußte eine weite Strecke ins Land hinein gespült und ihre Opfer hoffnungslos voneinander getrennt haben.
Nachdem die Königstochter das Suchen aufgegeben, dachte sie an die Worte der Alten
und beschloß, deren Hütte auszufinden. Stieg also auf rauhem Pfade durch Dornenranken
aufwärts, bis sie auf einer Wiese in der Tat die Hütte fand, bei der Schafe weideten.
In der Stube freilich war keine Alte zu finden, obwohl der Spinnrocken, wie im
Traume, bereit stund. Etliche Tage wartete die Königstochter auf die Ankunft der
Alten, spann Flachs, den sie oft mit
Wie nun der Frühling wieder einmal Gras und Blumen aus der Matte herfürgetrieben, ging die Schafherde, der die bejahrte Hirtin folgte, über ihren gewöhnlichen Weideplatz hinaus und nahte einer andern Herde, bei der ein alter Hirte war. Nun konnte es nicht ausbleiben, daß die beiden Menschen miteinander redeten. Es fand ein jeder im andern ein Herz voll Güte und Weisheit; und das so geschlungene Band der Freundschaft ward hinfüro nicht locker. Von nun an trieben sie täglich ihre Herden zueinander, und wiewohl sie nicht viel redeten, fühlten sie sich doch so recht einmütig und gewannen mitsammen immer mehr Glückseligkeit.
Zuweilen nahm der Hirt aus seiner Tasche die Flöte und blies ein friedevolles Lied. Da sagte einmal die Hirtin: Kannst du auch singen?
Und es gab ihr silberhaariger Freund den Bescheid: In meiner Jugend sang ich manch Lied. Jedoch ist mir das Singen vergangen. Ein Lied nämlich hat mich für viele Jahre traurig gemacht.
Was war denn das für ein Lied? fragte die alte Hirtin.
Und mit leiser Stimme summte der Greis:
Das Gold zur blanken Krone
Liegt in der Tiefe Schrein,
Und wer den Schatz gehoben,
Soll bald ein König sein.
Im dunklen Seelengrunde
Winkt einer Krone Gold,
Und hast du sie gefunden,
Wird Minne dir zum Sold.
Nun glitt auch dem greisen Hirten die Decke von den Augen, und in der Freundin, mit der er etliche Jahre bereits beisammen gewesen, und die er liebgewonnen wie eine Schwester, erkannte er seine allerliebste Königstochter wieder.
Anfangs verfiel er in langes Weinen und meinte trübe: Wo sind die Jahre unserer Jugend geblieben? Ach, verfehlt dünkt mich meine Lebenszeit. Welch ein Schatz ist mir entgangen, da wir so frühe voneinander gerissen und erst jetzt, nun wir verblüht, wieder vereinigt wurden.
Sei still, mein Liebster, gab die Hirtin zur Antwort. Nun sind wir ja so weit, wie wir ersehnt; nur daß freilich unser Schicksal anders gestaltet ist, als unser Jugendsinn erwartet hatte. Wir haben erreicht, was wir erreichen konnten, nur daß wir nicht den Weg der Lust gegangen sind, sondern Trennung und Tränen erlitten haben. Doch dieser andere Weg hat einen Vorzug, den mir im Traume die weise Alte angedeutet hat. Blieben denn nicht unsere Herzen bewahrt von Gier und Schuld? Sind sie nicht rein worden, so wie auf diesen Bergwiesen die Lüfte rein sind, die Blumen und Quellen? Und im klaren Spiegel unserer Herzen dürfen wir nun einander schauen, darin lesend, wie lieb ein jeder den andern hat, und wie himmlisch diese Liebe. Komm, Liebster, laß uns jauchzen und laß uns jung sein, gedenkend an jeden Augenblick, den wir in unserer Jugend mitsammen verlebt.
Da ward der Hirt getröstet und stimmte in seiner Liebsten Jubel ein. Wie sie nun in
der Sonne bei einem Quell sich
Im dunklen See vom Grunde
Winkt einer Krone Gold?
Mag sein, entgegnete die Liebste. Doch das ist falsch. Es muß heißen: Im dunklen Seelengrunde winkt einer Krone Gold. Dabei laß uns bleiben; denn die Krone, so uns beide krönen soll, hat nicht im Sumpf gelegen und ist kein harter kalter Erdenstoff. Gleicherweise ist auch das Reich, zu dessen Herrschaft wir berufen sind, ganz anders denn meines Vaters Königreich.
Hier machte die Erzählerin Sibylle eine Pause und meinte dann: »Nun saget, ihr zwei, die ihr meiner Mär gelauschet habt: Ist nicht das Reich, in dem die beiden alten Hirtenleute mit ihrer unsichtbaren Krone herrschen, ebendasselbige, von dem der Heiland sagt, daß man darinnen nicht freiet, noch sich freien lässet, sondern mitsammen Gottes Kind ist?«
Mein Herz war weich worden, und auch Heinrich schien ergriffen. »Ich danke Euch, Sibylle«, sprach ich »für dies Märlein, so ich voll Freude dem Schatze meiner Andacht einverleibe. Wo habt Ihr diesen Fund getan?«
»Ja, sprich,« meinte auch Heinrich, »woher dir die Mär kommt; ich habe sie bisher noch nie vernommen.«
Sibylle zauderte und blickte schelmisch, wobei ihr mütterlich volles Angesicht auf einmal jugendlich schien. »Eine Poetin bin ich«, scherzte sie. »Doch nein, ich will gestehen: es hat mir jemand, eine Frau, das alles erzählt. Und daß der Herren Neugier endlich Frieden habe, mögen sie wissen, die Königstochter selber hat mir das erzählet. Nun aber frage keiner mehr! Ich bleibe stumm; denn meine Mär ist aus.«
Als ich zustimmte, sagte Sibylle ernst vor sich hin: »So der Himmel alles gnädig fügt.«
Heinrich, der mich ja ein Stück Weges geleiten wollte, ging hinaus, seine Partisane zu holen. Da reichte mir Sibylle die Rolle Papier mit den hastigen Worten: »Nehmet und berget es in Eurer Tasche. Agnete gibt es Euch und bittet, daß Ihr morgen leset, was auf dem Papiere geschrieben steht. Nicht heute aber dürfet Ihr es lesen, weder abends noch bei Nacht, sondern erst, wenn Ihr ausgeschlafen habt. Fraget nicht weiter; alles, was Ihr wissen möchtet, findet Ihr in dem Schreiben.«
Da nahm ich das Päcklein und steckte es zu mir, indem ich erwiderte: »Bestellet Eurer Schwägerin meinen Gruß! Ich will tun nach ihrem Geheiß.«
Als nun Heinrich wieder eintrat, reichte ich Sibyllen die Hand, und wir gingen. »Sturm werden wir bekommen,« sagte ich mit einem Blick auf den Gebirgsrücken, da über den Sattel schwarz Gewölk herübergezogen kam.
Schweigend schritten wir zur Kochelschlucht hinunter. Sibyllens Märlein ging mir
durch den Sinn. Dachte mir wohl, Agnete werde die Geschichte ihrer Schwäherin erzählt
haben mit dem Auftrage, sie uns Männern mitzuteilen. Rätselhaft aber deuchte mich
Sibyllens Wort, von der Königstochter selber habe sie alles vernommen. Wie konnte
denn Agnete sich mit der Königstochter vergleichen, da doch Agnetens Lebensgang kein
Recht hiezu begründete? Hier wob ein Geheimnis. Und welche Bewandtnis hatte es mit
der mir anvertrauten Schrift? Warum ward sie verstohlen mir übergeben?
»Erzählet von Eurer Frau, Heinrich. Was hat sie denn veranlaßt, ihr mütterlich Amt bei den Petersdorfern zu übernehmen?«
»Sie kann es nur schwer verwinden, daß ihr das eigene Kind geraubt und Klein-Anneliesel, der Sprößling meiner ersten Ehe, durch den Tod entrissen worden ist. Da sucht nun ihr liebreich Herz sich in fremden Kindern und in allerlei hilfsbedürftigen Menschen Ersatz zu schaffen. Mir ist es recht, daß ihr Sinn heiter wird bei der Jugend drunten im Tale. Nur werd ich die Sorge nicht los, daß der schwierige Weg ihrem Körper zum Schaden gereichen könne. Denn ihre Brust ist schwach von jenem Unfall her, der sie mir zugesellte.«
»Was war das für ein Unfall?«
»Haben wir das noch nicht erzählt? Ein Messerstich hatte ihr von der Schulter her die Lunge verletzt, und wiewohl die Wunde geheilt ist, blieb doch eine Schwäche zurück, und einmal hat sich Blutspeien eingestellt. Deshalb bin ich nicht ohne Sorge, wenn sie an jedem Sonntag sich den Weg zu Tal und wieder herauf zumutet.«
»Warum ist sie denn aber neulich sogar bis zur Abendburg gegangen, und warum habt Ihr sie nicht davon zurückgehalten? Es hätte ja genügt, wenn Ihr bei Eurem ersten Besuche mich zu Eurer Baude eingeladen hättet.«
»Ich weiß nicht, warum Agnete also begierig war, mit eigenen Augen Eure Klause zu schauen. Genung, sie hat gebeten, den Gang mitmachen zu dürfen, und wenn sie ernstlich bittet, kann ich nicht widerstreben. Bin auch gewohnt, nicht mit ihr zu feilschen und zu rechten.«
Nun verfielen wir in sinnendes Schweigen. Zum Kochelgrund gelangt, überschritten wir
das Flüßlein mittels einer
»Hier ist der Schwarze Wog,« sagte Heinrich, »und dieser geschlängelte Pfad führt Euch hinüber. Gebt mir nun Urlaub, denn ich möchte zurück, um meiner Frau nach Petersdorf entgegenzugehen.«
Dankend schüttelte ich Heinrich die Hand und verfolgte meinen Weg, indem ich den Spieß als Stütze gebrauchte. Bald ward mir klar, daß allerdings hier der nächste Weg zwischen meinem Heim und der Kiesewaldbaude gehe, wiewohl der Abstieg zum Zacken und noch mehr der Aufstieg zur jenseitigen Felsenhöhe also beschwerlich war, daß ich mit lächelnder Zustimmung Heinrichs Wunsch bedachte, auf Engelsfittichen über diese Kluft zu schweben.
Wie ich am Zackenberge oberhalb des Baches, Böhmischer Furt geheißen, durch den Tann schritt, neigten sich die Wipfel mit Brausen und kündeten, daß der Sturm beginne. Wiederum gedachte ich des Märleins von der Königstochter und versetzte mich in ihren Liebsten hinein, wie er als alter Mann die Braut seiner Jugend endlich wiedergefunden, jedoch zu spät, als daß die heiße Sehnsucht junger Jahre sich jetzo erfüllen konnte. Mein Träumen verlieh der Königstochter Theklas Züge, und ich legte mir die Frage vor, wie wohl mir zu Sinn sein möchte, so auf einmal jetzt, nach zwölfjähriger Trennung von einer lieben Frau, ein Weib vor mich hinträte, sprechend: »Ich bin deine Thekla!«
Von jähem Schrecken fühlt' ich mich betroffen, da mir der Einfall kam, Agnete, von
der das Märlein ausging, könne Thekla sein. Aber nein, Thekla war ja tot, erdolcht
von der eifersüchtigen Berthulde! Oder war das ein falscher Bericht? Lebte Thekla
vielleicht? War denn nicht auch Agnete, trotz des Stiches, so ihre Lunge getroffen,
wieder genesen? Und
Daheim angelangt, sah ich meines Oheims Auge erschrocken auf mich gerichtet, da er aus seiner Geistesverwirrung heraus die Worte stammelte: »Was ist? Geht's wieder los mit den Dämonen? Ja, ja ich habe mir's gedacht; es hat sich wieder was angemeldet. O Jesus und Vater!«
Wie ich am prasselnden Ofen saß, und ein Krug Beerenwein mein bänglich Herz ermunterte, ward ich geneigt, mich einen Träumer zu schelten, der an wilder Phantasei schier dem verstörten Oheim gleichkomme. Wie denn? Agnete sollte Thekla sein? Unsinnige Einbildung! Und doch! und doch! Die Art, wie Agnete sich gab, paßte auf Thekla. Zwar hatte ich in Thekla nichts von einem Trachten nach Heiligkeit gespürt. Doch konnten zehn Jahre wohl den Sinn also umwandeln; und solche Wandlung war meiner edlen Frau zuzutrauen, zumal sie die Schule des Leidens durchgemacht. Überdies gemahnte Agnetens Wuchs an Thekla. Freilich lebte diese in meiner Erinnerung als eine ebenso straffe wie schlanke Gestalt, während Agnete mich kleiner deuchte und in ihrer zusammengesunkenen Haltung körperliche Schwäche verriet. Doch auch diese Veränderung konnte sich ergeben haben aus alledem, was ihr inzwischen begegnet.
In solchen Gedanken verbrachte ich den Abend, und nur durch strenges Meditieren und heißes Ringen um Seelenfrieden gelang es mir, etliche Ruhe zu finden.
Die Sonne neigt sich abe
Zum blauen Hügelgrabe.
So leb denn wohl, du rotes Liebesfeuer!
Ich stehe ganz allein
Auf ödem Berggestein.
Wohl heime möcht ich gahn
Und weiß doch nicht, wo Herberg han ...
Schon dräun die Wolken schwarz wie Ungeheuer.
Da mahnt die Sonn im Sinken:
Sieh dort die Zinnen winken!
Den irren Wandrer laden sie, zu hausen.
Des Burgherrn Trostlicht wacht
Getreu die ganze Nacht.
Entzünde dran dein Herze
Als eine fromme Klausenkerze!
Ums Fenstergitter laß Unholde sausen!
Am Morgen allerdings kam ich mir verstört für, als hätten der Sorge Unholde die ganze Nacht mein Gehäus umraunt. Zur Vorbereitung auf Agnetens Eröffnung sammelte ich meinen Sinn und dachte an das Ewige, vor dem wie Spreu verwehen muß, womit die Zeit uns ängstigt.
Wohlan, tritt nun über meine Schwelle, dunkles Schicksal, und enthülle dich! Du findest mich gefaßt! Und ich nahm das Packet aus meiner Tasche und tat seine Hülle ab. Papiere waren mit hastigen Schriftzügen bedeckt. Und ich las: »Mein Johannes!« Mich durchzuckte ein freudiger Schrecken. Thekla! Waren das nicht ihre Schriftzüge?
Fliegenden Blickes las ich weiter: »Durch meine Schwäherin hab ich Dich bitten
lassen, Du mögest erst nach durchschlafener Nacht diesen Brief lesen. So tat ich,
weil mir wohl bewußt, daß alle Deine Kraft beisammen sein muß, um Dein Herz in seiner
Hoheit aufrecht zu erhalten vor dem, was ich Dir zu eröffnen habe. Das Märlein von
der Königstochter hast Du vernommen und hast vielleicht vermeinet, es sei
insonderheit an Heinrichs Ohr gerichtet. Dem ist nicht also; es gilt vor allem Dir.
Ich hab's ersonnen, um durch ein
Geblendet war mein Auge – konnte nicht weiter lesen. Um mich schwankte die Welt. Auf sprang ich und taumelte. Dann kam ein Schrei: »Thekla!« Ich warf mich auf die Knie und krampfte die Hände zusammen: »Mein Gottesquell – du lebst – hast mich nicht verlassen!«
Aber wie denn? Agnete? Nicht mehr Thekla? Eines anderen Weib? – Hastig setzte ich mich wieder zur Schrift:
»Für Dich bin ich noch immer Deine Thekla und will es bleiben in Ewigkeit. Für die anderen freilich bin ich Agnete; so hab ich mich vor Heinrich benamset, da wir einander begegnet sind. Ich wollte meine Vergangenheit verhüllen – als Agnete Kiesewaldin bin ich ihm vom Priester angetraut ...«
Das war nun die härteste Prüfung! Auseinandergerissen fühlte sich mein Herz, zerspalten mein Wesen. Es trieb mich stürmisch zu Thekla, die Gattin zärtlich zu umarmen; eine strenge Macht aber gebot mir Halt ... Heiß fielen Zähren auf meine Hand, o wie zitterte die Hand! Endlich faßte ich mich und las weiter:
»Kraft freilich ist vonnöten, so wir den Gipfel der Verklärung erreichen wollen. Du
wirst sie zusammenbringen, da ja in Dir ein reicher Quell himmlischen Lebens strömt.
Was mich betrifft, so bin ich Deine geistliche Tochter, und Du wirst mich
emporführen. Nun aber laß uns unverzüglich beginnen mit dem Sammeln unserer Kraft.
Sei denn stark, mein
Neuer Schrecken fuhr mir in die Glieder. Wie denn? Noch etwas Schlimmes kommt? – Mein ganzer Körper bebte, als ich weiter las:
»Es betrifft jenes Knäblein, so auf der Abendburg den Opfertod starb, und dessen Asche Du unter dem Kreuzlein beigesetzt hast. Wessen ist dies Kind? Wer ist sein Vater? Bleib aufrecht, wenn ich Dir jetzo sage: Da wir Hochzeit hielten im unterirdischen Gewölbe zu Magdeburg, ward uns beiden dies Kind geschenkt – der kleine Johannes ...«
Keuchend sank ich vornüber, gewaltsam aber richtete ich mich wieder auf. Laut hinausschreien wollte ich meinen Schmerz. Wie ich dann schluchzte, trat Tobias in die Balkenstube und legte die Hand auf meine Schulter, bang loderten die Augen in den düsteren Höhlen. »Tobias!« rief ich verzweifelt. »Mein Kind war's! Meins!« Blöde starrte er und schüttelte das greise Haupt: »Nicht weinen!« Zugleich begunnte mein Hund zu winseln. Ich griff mir an den Kopf und sammelte mich. Dem Oheim drückte ich die Hand, schickte ihn hinaus, tat einen Aufblick zur Höhe und wandte das Auge wieder zur Schrift.
»Friede sei mit Dir, Johannes! Ergib Dich drein! Unser Kind ist ja geborgen – ruhet in des Ewigen Schoße.« – Damals freilich, als das Grausige geschah – als der kleine Johannes der Teufelsmette zum Opfer fiel ... doch das alles sollst du später hören. Einstweilen will ich nur sagen: Eine Mutter, die mit eigenen Augen zuschauen mußte, wie ihres Leibes Frucht dem Flammentode preisgegeben ward von wahnwitzigen Menschen – sie hat mit solchem Leid einen Dämpfer empfangen, der den Trieb ihrer Sinne, falls er hinfüro einmal unbändig werden will, zu beschwichtigen weiß.
Nun aber laß mich der Reihe nach erzählen, wie das alles mit mir gekommen ist, seit ich Dich verlor.
In Scham und Zittern hatte mich Dein jähzorniger Handel
Ich beobachtete den Zetteritz. Aufgebracht maß er den Schiffsraum mit großen Schritten und zischte mit höhnischem Lachen zwischen den Zähnen: »Hei warte nur, Tielsch, das sollst du mir büßen!« Gar nicht schildern mag ich, welch wilde Drohungen er ausstieß. Besorgt, man könne Dich töten, sank ich dem Tobenden vor die Füße: »Erbarmen, Herr Ritter; Ihr werdet edelmütig handeln. Habet mir ja angeboten, meiner Hilflosigkeit beizustehen. Nun erfüllet Euer Versprechen, so Euch wirklich an meinem Wohle gelegen.«
Solch Flehen aus Frauenmunde machte den Ritter verwirrt, daß er mich aufhub: »Verzeihe die Jungfer Gräfin meine Wildheit; aber dieser kecke Rebell ...«
Da ich ihn bat, innezuhalten, mäßigte er sich: »Gebiete das Fräulein über mich. Soweit Sie für sich selbst etwas begehrt, bin ich Ihr Kavalier. Den Tielsch aber lasse Sie endlich aus dem Spiele. Danke Sie mir lieber, daß ich Sie befreiet von diesem lästigen Kommißhund. Sakrament, er soll Elbwasser schlucken wie eine versaufende Katze.« Und von neuem lief er wütend umher.
Da überfiel mich Verzweiflung. Im Geiste sah ich Dich gefesselt in die Todesflut sinken, hilflos Entsetzen auf Deinem erbleichenden Angesicht. Ich schrie auf, und ein Toben kam über mich, das ich bisher nicht gekannt. Das Messer, so auf dem Tisch gelegen, zückte ich wider meinen Busen.
Die Augen aufgerissen, stund Zetteritz vor mir, ohne mir in den Arm zu fallen, da er
wohl besorgte, in meiner Raserei möcht ich ihm zuvorkommen und zustoßen. »Halt!
Besinnt Euch!« rief er heiser. »Mein Blut über Euch!« entgegnete ich und fühlte des
Messers Spitze auf meinem Busen. Zetteritz
»Hebet erst die Hand zum Schwur, bei Eurer Ehre schwöret, daß Ihr ihn nicht tötet!«
Er tat nach meinem Geheiß: »Bei meiner Ehre!«
Nun ließ ich das Messer fallen, atmete tief und sank auf die Bank.
Da rief Zetteritz nach seinen Leuten, und ein paar Dragoner kamen von oben. »Tut das Messer weg und verweilet bei der Jungfer Gräfin. Ihr habet sie zu bewachen, daß sie sich kein Leides antut. Mit keinem Schritte darf sie auf Deck, und wenn sie nach dem gefangenen Rebellen fragt, daß mir keiner mit einem Wörtlein antworte! Sonsten aber sind des Fräuleins Wünsche zu respektieren und mir zu melden, wie denn die Jungfer Gräfin als eine Person von Stand zu behandeln.«
Zu mir wandte sich Zetteritz mit den Worten: »Wolle die Jungfer Gräfin bedenken, daß unser Kahn durch unsicheres Gebiet fährt, wo feindliche Parteien herumschweifen, die mit ihren Kugeln auf Deck leicht Schaden anrichten. Hier unten aber ist ein sicherer Ort. Drum hab ich befohlen, Sie solle diesen Raum nicht verlassen.« Höfisch neigte sich Zetteritz und ging.
Da saß ich nun, zwar etwas beruhigt, doch sattsam in banger Unsicherheit. Durch Lauschen wollt ich erraten, was auf dem Deck vorging. Vernahm nur die dumpfen Ruderschläge, zuweilen das Wiehern der Pferde.
Auf einmal scholl Hornsignal, und die Ruderschläge hörten auf. Über mir stampften die schweren Reiterstiefel, und bald darauf schienen Ruderschläge jenes kleine Boot, mittels dessen unsere Gefangennahme erfolgt war, vom Kahn wegzutreiben.
Ich sprang auf und rief: »Was geschiehet meinem Gatten? ich will es wissen!« Doch die Dragoner griffen mich bei den Handgelenken, daß ich mich nicht rühren konnte. Hilflos hub ich zu weinen an.
Auf einmal knallte ein Schuß vom Ufer her. Sogleich hörte ich Zetteritz kommandieren, und dann gab man über mir mehrere Schüsse ab. Das Rudern ward wieder aufgenommen und beschleunigt.
Die Dragoner bei mir hatten Worte gewechselt, aus denen ich entnahm, daß eine Partei Schweden auf unsern Kahn geschossen habe. Mir gereichte das Gefecht zum Troste, denn ich sagte mir: Zum Kundschaften ist das Boot benutzt worden, und so wird meine Sorge, man könne den Johannes weggeschafft haben, wohl unzutreffend sein.
Beruhigten Herzens blieb ich bis zur Abenddämmerung an meinem Platze. Dann kam Zetteritz und hieß seine Leute, einen Verschlag neben der Kajüte für mich mit einem Strohlager versehen. Mich streifte sein scheuer Blick, und da ich wegen Johannes ihn befragte, wehrte er mit düsterm Schweigen ab. Man brachte mir eine Lampe, Speise und Trank. Ohne die Nahrung anzurühren, warf ich mich auf mein Lager, und da ich sehr erschöpft war, erbarmte sich mein der Schlummer.
Erwacht, sah ich den Tag durch einen Türspalt in mein Kämmerlein lugen. Da ich keine
Ruderschläge mehr vernahm, dachte ich mir, unser Kahn müsse gelandet und also wohl am
Ziel sein. Flehend hub ich meine Hände zum Himmel: »Was wirst du heute über uns
verhängen? Darf ich mit meinem lieben Manne heute deine Güte erfahren, oder möchtest
du uns noch länger prüfen? Nun, wie du willst, dein Wille geschehe!« So sprachen
meine Lippen, das Herz wußte nichts von solcher Ergebung. Vielmehr suchten die
Gedanken in banger Unrast nach Mitteln, mich und meinen Mann aus den Nöten
herauszuwinden. Daß meine Jugendblüte Eindruck auf den Ritter gemacht hatte, konnte
ich mir nicht
Da Zetteritz keine Worte fand, brach ich in lautes Weinen aus und schalt ihn ins Gesicht einen wortbrüchigen Kavalier.
»Schweige Sie, Jungfer«, herrschte er mich an und stampfte mit dem Fuße: »was ich versprochen, das habe ich gehalten. Habe den Tielsch nicht ersäuft, wie er es verdient hatte, sondern an Land setzen lassen.«
»Tückischer Jesuiter!« schrie ich. »Das nennet Ihr begnadigen?« Ich wollte noch weiter toben, doch er eilte an Deck, und die Dragoner vertraten mir den Weg, als ich nachstürzen wollte. Wiederum verfiel ich in Schluchzen und Klagen. Da ließ sich auf einmal eine gebieterische Frauenstimme vernehmen, und in die Kajüte hinunter stieg eine Frau in dunklem Sammetkleid, auf dem weißen Haar einen Federhut. Sie blickte groß und mild auf mich, und sprach streng zu Zetteritz: »Tu die Kerle weg!« Worauf die Soldaten an Deck mußten.
Und Zetteritz zog seinen Hut: »Wolle die Jungfer Gräfin hier meine Mutter begrüßen, die Edelfrau Katharina Zetteritz. Meine Mutter hat sich in Mechelnburg aufgehalten, und mit dem Kahn, drauf wir uns befinden, bin ich ihr entgegengeeilt, um sie vor den andrängenden Schweden zu sichern.«
»Mein armes Fräulein,« sprach die edle Frau und griff nach meiner Hand; »mein Sohn
hat mir gebeichtet, wie übel er Euch mitgespielt, da bin ich nun resolvieret, kraft
meiner Mutterwürde darauf zu halten, daß er seine rauhe Soldatenart zügele und als
Edelmann den Willen eines hochedel geborenen Fräuleins erfülle. Euern Vater habe ich
verehrt,
Nun herrschte die Edelfrau den Sohn an: »Laß unverzüglich das ganze Ufer absuchen, an dem der Gatte meiner Schutzbefohlenen ausgesetzt worden. Wir müssen alles tun, die voneinander getrennten Gatten wieder zu vereinigen. Seid getrost, Gräfin, harret in Geduld! Zuvörderst will ich Euch Kleider aus meiner Truhe schicken.«
Dankbar warf ich mich vor meiner Retterin auf die Knie und bedeckte ihre Hand mit Küssen. Sie zog mich empor, streichelte mein Haupt, drückte mich sanft auf die Bank und ging, von ihrem Sohne gefolgt. Gleich darauf hörte ich über mir ein Stampfen von Rossen, und durfte nun hoffen, daß Zetteritz dich suchen lassen wolle, teurer Gatte.
Es dauerte nicht lange, so kamen Soldaten in die Kajüte und brachten eine Truhe. Dann erschien Frau Zetteritz, grüßte mich abermals, schloß die Truhe auf und suchte eine feine weibliche Tracht aus, worauf sie mich bat, mich einzukleiden und mit ihr einen Gang durch das Städtlein zu tun, damit ich mir die Sorgen aus dem Sinn schlage. Der Kahn sei am Ziel, in Wittenberge; und nun werde die Rückfahrt nach Magdeburg unverzüglich beginnen, da der Nordwind tüchtig in die Segel blase. Nach meinem Gatten sei man schon auf der Suche.
Der Gang durchs Städlein tat mir wohl. Bei unserer Rückkehr zum Kahn war man mit den letzten Zurüstungen zur Abfahrt beschäftigt. Ein Mast war aufgerichtet, bald blähte sich das Segel, und nun stießen Schiffer und Soldaten mit Stangen vom Ufer ab, während Ritter Zetteritz nebst seinem Leutnant Befehle gab.
So schnell, wie wir vorher gefahren waren, ging es jetzo nicht, da wir ja gegen den
Strom angingen. Immerhin kamen wir bei dem guten Segelwinde zu des Ritters
Zufriedenheit vorwärts. Mehrfach wandte ich mich an Zetteritz mit der Frage, ob die
Soldaten auch wirklich meinen Gatten
Der Abend rötete den Himmel, als ein Hornsignal erscholl, und das Rudern eingestellt ward. »Unsere Leute!« rief der Korporal, worauf der Steuermann den Kahn auf das havelländische Elbufer zusteuerte.
In zitternder Spannung spähte ich zum Ufer, wo etliche Reiter nebst einem Hunde zwischen den Weidenbüschen erschienen. Meine Knie wankten, als ich von Dir, mein Johannes, nichts wahrnahm. An dem Angesicht des Ritters erkannte ich, daß auch er von Schrecken erfüllt war. Ich fühlte, wie ein Weinen mich anwandelte, da ich nun den Kopf zur Frau Zetteritz wandte und mit brechender Stimme sagte: »Sie haben ihn nicht, haben ihn nicht ... O weh, mein lieber Mann!«
Dann sank ich unmächtigen Geistes hin und kam erst wieder zu mir, als man mich in der Kajüte auf die Bank gelegt hatte und meine Schläfe mit Wein rieb. Mein erstes Wort war: »Mein Mann – warum hat man ihn nicht? Was ist mit ihm?«
Frau Zetteritz suchte zu beschwichtigen: »Er wird ja wohl am Leben sein. Nur gefunden hat man ihn nicht.«
»Aber warum suchen die Reiter nicht länger?« rief ich vorwurfsvoll.
Verlegen blickte Frau Zetteritz ihren Sohn an. Der starrete düster zu Boden und zuckte die Achsel. Dann sprach er kleinlaut: »Es ging nicht, bisweilen schwedische Völker durch das Brandenburgische streifen und unsere Leute zurückgejagt haben.«
Frau Zetteritz fügte hinzu: »Drum so dürfet Ihr annehmen, Gräfin, daß Euer Gemahl bei den Schweden ist.«
Diese Hoffnung blieb in der nächsten Zeit mein einziger Trost. Allerdings machte es
mir Unruhe, daß die Dragoner auf alle meine Fragen nach dem, was ihnen beim Suchen
begegnet sei, immer nur ausweichend, mit schweigendem Achselzucken
Nach vielem Weinen in einsamen Stunden ergab ich mich in des Himmels Schickung und stellte ihm die Zukunft anheim. Wie nun Frau Zetteritz sahe, daß ich mich in mein Unglück gefunden, eröffnete sie mir eines Tages, sie habe bisher nicht die volle Wahrheit gesagt, weil sie mir nicht auf einmal einen so großen Schmerz habe antun wollen. Es sei kein Zweifel, daß der Verlorene nicht mehr unter den Lebenden weile; eine Beute der Wölfe sei er worden. Von den ausgesandten Dragonern seien nämlich an der Stelle, wo man meinen Gatten ans Ufer gesetzt habe, die Reste eines Menschen gefunden, der von Wölfen zerrissen gewesen; dabei seien die Kleidungsstücke gelegen, die mein Gatte angehabt. Zum Wahrzeichen habe ein Dragoner ein ledern Wams mit schwarzer Stickerei gebracht.
Nachdem ich mich über diese Schreckenskunde ausgeweint, hat Frau Zetteritz mir das Wams gezeigt, und es war das Deinige, mein Johannes, wie Du es in den gemeinsam verlebten Schreckenstagen an Deinem Körper getragen hast. So deuchte mich nun gewiß, Du werdest mir nimmermehr auf Erden begegnen.
Ich brauche nicht zu berichten, wie wir aus dem Magdeburgischen nach Altenhof in Böheim gereiset sind. Genung, ich folgte der Witfrau Zetteritz in ihr Haus und verblieb daselbst jahrelang als ihre Gefährtin und Helferin.
Nach etlichen Monden kam mir ein wehmütig Glück, indem nun sichtbar war, daß ich in
den kargen Stunden unserer Ehe gesegneten Leibes worden. Am 6. Hornung des Jahres
1632 hat mir Gott unser Knäblein, den kleinen Johannes, geschenkt, und der ist mir
sowohl, wie auch meiner mütterlichen Freundin ein rechter Sonnenschein worden und die
wenigen Jahre hindurch geblieben, so er in meinen Armen verlebte. O daß es mir
dereinst noch vergönnt sein möchte, teurer Mann, Dir all die lieblichen Stunden zu
schildern, da
Meine Armut ist mir insofern zum Segen gediehen, als Frau Zetteritz meiner
Verheiratung mit ihrem Sohne widerstrebte, indem sie ganz offenherzig geltend machte,
bei seinem geringen Vermögen müsse ihr Sohn eine begüterte Frau haben. Ich hatte nun
guten Vorwand, die dargebotene Hand des Ritters abzulehnen. War gewillt, nicht mehr
zu ehelichen, insonderheit nicht den Mann, durch dessen Verschulden mein Gatte ums
Leben gekommen. Aber die Dinge änderten sich, als meine mütterliche Freundin
unerwartet das Zeitliche segnete, und Ritter Zetteritz etliche Wochen später sein
ererbtes Gut bezog. Da er mich jetzo des öfteren sah, entflammte aufs neue sein Herz,
also daß er vor seinem Abschied unter Beteuerungen der Liebe in mich drang,
einstweilen sein Haus zu verwalten, dann aber als Gattin ihm die Hand zu reichen. Ich
wies ihn abermals zurück, wiewohl ich mich geneigt stellte, ihm als Schaffnerin zu
dienen. Dabei beruhigte er sich, hoffend, die Zeit werde mich willig machen, und zog
»Laß eintreten,« sagte ich, und es kam eine Jungfer, gut gekleidet, fein und schön
von Antlitz und Gestalt; hatte flächsern Haar und eine weiße Haut, jedoch, was selten
dabei zu finden, kohlschwarze Augen; die dunklen Brauen waren ob der Nase
zusammengewachsen. Sie neigte sich und küßte mein Gewand; sie komme von der
Preislerin, sagte sie, mich nach Schreiberhau zu holen. Gab sich für eine Emigrantin
aus, so glaubenshalber verfolgt, zu Schreiberhau ein ander Heim gefunden habe. Nannte
sich Berthulde. Ungeachtet sie liebreich tat, entging mir nicht etwas Lauerndes,
Wildes in ihrem Blicke. Doch ich beschwichtigte mein leis Mißtrauen, zumal sie
alsogleich eine lebhafte Neigung für den Knaben zeigte. Als sie vernommen, es sei
mein Kind, fragte sie, ob Zetteritz der Vater. »Nicht doch!« entgegnete ich und
konnte meinen Unwillen nicht ganz verhehlen. »Nichts für ungut, gnädige Gräfin,« bat
die Jungfer; »Ihr habt ja der Preislerin geschrieben, daß Ihr längst im Hause eines
Ritters weilet, der Euch zum Weibe begehrt. Aber wollet mir sagen, wie Euer Knabe
geheißen.« – »Johannes,« entgegnete ich. Da verschlang sie ihn mit lodernden Augen
und nickte: »Wie sein Vater.« Ich stutzte: »Was weiß Sie denn von seinem
Abends kamen wir in ein Dorf namens Altenhain und wollten daselbst herbergen. Die Jungfer besorgte im Gasthause für uns Quartier. Die Pferde wurden in den Stall gebracht, und wir aßen zu Nacht. Berthulde war gern um den kleinen Johannes beflissen und hätschelte ihn. Derweilen kamen andere Gäste. Ein Planwagen, mit zwei Pferden bespannt, ward von einem Mann soldatischen Aussehens in den Hof geführt. Herunter stiegen zwo Frauen mit einem Kinde. Als die Pferde eingestellt waren, kamen die Leute in die Wirtsstube und setzten sich. Des Kindes Mutter war bleich und krank. Der Mann bestellte beim Wirt zu essen. Die neuen Gäste sprachen nur leise mitsammen. Ich hörte, wie der Mann Heinrich genannt wurde und das gesunde Weib Schwester Sibylle anredete. Nach beendeter Mahlzeit suchten wir unsere Kammer, wo eine Streu mit Decken belegt war. Der kleine Johannes schlief sofort ein, wir aber beredeten noch dies und jenes. Berthulde brachte das Gespräch auf den Ritter Zetteritz, und mich überraschte ihr Wort: »Warum will die gnädige Gräfin nicht den Ritter heuren?«
Mitten in der Nacht ward ich inne, wie Berthulde sich aufrichtete und nach mir lauschte, wie sie dann behutsam sich erhub und aus dem Gemach schlich. Argwöhnisch folgte ich ihr und sahe, wie sie über den Hof in den Pferdestall ging. Nach einer Weile kehrte sie zurück, ich huschte vor ihr in die Kammer und stellte mich schlafend, während sie auf leisen Sohlen kam und sich niederlegte. Was hatte sie bei den Pferden zu schaffen? Es ließ mir keine Ruhe, und wie ich bald darauf die Jungfer schnarchen hörte, schlich ich zur Kammer hinaus, die Treppe hinunter, zündete eine vorgefundene Laterne an und trat in den Pferdestall. Durchleuchtete ihn, um herauszufinden, was Berthulde Heimlichkeit getrieben, fand aber nichts Absonderliches. Auffällig war nur, daß mein Pferd mit dem einen Vorderfuß scharren wollte und dabei zusammenzuckte. Da entdeckte ich unterm Huf eine Nadel, die an einer empfindlichen Stelle hineingesteckt war. Ich zog die Nadel heraus, und nun konnte das Pferd schmerzlos auftreten. Nun wußte ich, daß Berthulde mir eine Tücke antun wollte; resolvierete mich, unverzüglich meinen Knaben zu holen und mit dem besseren Pferde davonzureiten.
In diesem Augenblicke erschien Berthulde in der Stalltür. »Warum hat Sie meinem
Pferde eine Nadel beigebracht?« herrschte ich sie an. Sie tat unschuldig, konnte aber
das Feindselige ihres Blickes nicht hehlen. »Sie will meine Reise aufhalten,« sagte
ich ihr ins Gesicht; »warum das? Und weshalb hat Sie mir gestern geraten, ich solle
den Zetteritz heuren? Stehet Sie etwan gar im Bunde mit ihm?« – Berthulde biß sich
auf die Lippe, scheu rollte ihr Auge unter den finstern
Wieder zu mir gekommen, lag ich entkleidet in der Kammer, wo ich die Nacht zugebracht
hatte. Der Gast, den man Heinrich nannte, und seine Schwester waren bei mir. Meine
Wunde brannte, war mit nassen Linnen verbunden. Hastig sah ich mich um, wo der kleine
Johannes wäre. Aber das Weib, Sibylle mit Namen, faßte mich beim Arm: »Stille,
bleibet liegen; Ihr seid ja verwundet.« – »Aber wo ist mein Kind?« wiederholte ich in
Angst und wollte aufspringen. Der Mann lief sogleich hinaus und rief: »Wo ist ihr
Kind?« Schrecken malte sich auf Sibyllens Angesicht; »Euer Kind? Ich weiß, gestern
abend, da saß es bei Euch. Ja, wo ist es nur? In dieser Kammer war es nicht.« Da
schrie ich auf: »Sie hat's mitgenommen, mein Kind geraubt, geraubt! Hinterdrein!« Und
ich sprang auf. Doch es drehte sich alles um mich, und ich sank in Sibyllens Arme.
Dann kamen Heinrich, der Wirt und andere Leute, und man rief: »Sie ist mit dem Kinde
davon. Hat es bei sich auf dem Pferde.« – »Ich habe sie reiten sehen,« bestätigte der
Knecht. »Hinterdrein, hinterdrein! rettet mein Kind!« – »Fort, Heinrich,« riefen
seine Frau und Sibylle. Er flugs hinaus, rief drunten nach einem
Andern Tages ging die Reise bis Tannwald, am übernächsten ward uns mittags bei einer Baude im Tal des Iserflusses die Auskunft, gestern sei hier ein Weib mit einem Kinde gen Schreiberhau geritten. Wir waren auf demselben Wege, den ich vor Jahren mit Dir, Johannes, bei Nacht zurückgelegt hatte. Im Schritt ging es weiter, und als die Sonne in die Wälder sank, waren wir nahe der Grünen Koppe.
Bei einbrechender Dunkelheit sahen wir Leuchtkäferlein über Wiesen taumeln, dann
glomm an einem Berge, so bei einer Waldlichtung sichtbar geworden, ein Feuer auf, und
Heinrich sagte: »Morgen ist Sankt Johannistag, dorten grüßen sie ihn mit Fackeln.«
Wir kamen nun zur Abendburg; es war Nacht; beim Felsen droben wirbelte roter Rauch
mit Funken. Viele Menschen jauchzten und johlten zu Harfen und Geigen. Was gab es
dorten? Sonst war die Abendburg doch gänzlich einsam. Ich sprach mich darüber zu
Heinrich aus, und er beschloß, als Kundschafter vor zugehen, derweilen wir Frauen
harren sollten. Wir banden die Pferde an Bäume, und ich setzte mich nebst Sibyllen,
indessen Heinrich, in der Hand sein Feuerrohr, durch Dickicht schlich.
Immerwährend
Auf einmal kam neue Bewegung in die Menge, weil jemand etwas ausgerufen hatte. Man lief und drängte zum großen Feuer. Ein paar Geigen intonierten eine wildfeierliche Weise, und dann sangen Kranzjungfern:
»Komm ins Leuchten, komm ins Leuchten,
O du wunderweiße Braut!
Deine trüben Erdentage
Sind nun alle, alle aus.
O weh und juchhe! O weh und juchhe!
Weinet und lachet: Lichtbraut ade!
Bald mit Flügeln angetan,
Fleugst du wie der rote Hahn.«
Da war auf einmal die bekränzte Berthulde auf dem Felsen, in ihrem weißen Gewand rot angestrahlt. Nicht weit von ihr stund mein kleiner Johannes, ebenfalls weiß gekleidet und bekränzt. Staunend hielt er das Fingerlein an seinen Mund. Mir jauchzte das Herz, daß mein Kind heil und munter. Ich wollte hineilen, ward aber von Sibyllen zurückgehalten.
Den Arm erhoben, gebot Berthulde Stille, und dann brachte man ihr eine Harfe. Wie
eine Verzückte starrte sie in die Glut und redete getragen zum Harfenschall:
»Lichtsonne, Born der Lust!« Wie eine betende Prozession murmelte die Menge:
»Lichtvater in uns, nicht über uns.« Und Berthulde fuhr fort: »Zu deines Gottesleibes
Gliedern heilige uns! Absterben laß dein Kind der Schattentiefe, begrabe das Opfer in
läuternden Flammen.« Gleich einem Widerhall scholl es: »Lichtvater in uns, nicht über
uns.« Nach diesem Gebet gab Berthulde die Harfe zurück und sprach, erhoben die Hand:
»Höret mich an! Heilig ist die Stunde, da wir feiern des Lichtes Triumphieren, und
weil allhie eine Braut stehet, sich hinzugeben der Flamme. Wohlan, lasset mich
bekennen, wer
Heinrich wandte in stummer Frage sein Angesicht zu mir, Sibylle preßte meine Hand,
ich war wie versteinert vor Angst. Die unsinnige Lichtbraut aber sank nach dem
Auflodern ihrer Wildheit wieder in dumpfen Trübsinn. Griff sich an die Schläfe und
sahe ratlos umher: »Was soll ich anoch allhie? Will lieber tun, was mir bestimmt ist.
Sterben will ich ...« Wie Verzückung kam es über sie: »Doch in Minne sterb ich, für
meinen Liebsten sterb ich, für sein Lichtreich sterb ich, für euch alle sterb ich!«
Die Menschen drunten, mit aufgerissenen Augen regten sich murmelnd, und Zurufe kamen:
»Heil Berthulde! Lichtbraut! Lichtvater in uns, nicht über
»Springe denn, springe denn
Deinen allerletzten Tanz.
Morgen darfst du schweben
In des ew'gen Vaters Glanz.
O weh und juchhe! O weh und juchhe!
Weinet und lachet: Lichtbraut ade!
Laß die schwarze Erde stahn,
Heim ins Lichtmeer sollst du gahn.«
Indessen hatte sich die Hexe umgewandt und mit Lächeln meinem Knaben gewinkt. Ich war
vor Grauen gelähmt, der Schrei erstickte in meiner Kehle. Und zur lockenden
Teufelsbraut kam der kleine Johannes, wie ein Vögelchen vom Blick der Schlange in
ihren offenen Rachen gelockt. Jauchzend nahm sie das Kind auf den Arm, küßte es und
sprang in
Wieder erwacht, lag ich im finstern Walde am rauschenden Bache. Sibylle netzte mir den Mund. »Mein Kind!« wimmerte ich und hörte Heinrich schluchzen. »Still, still,« sagte Sibylle weinend. »Ergebt Euch in des Ewigen Schickung; einst werdet Ihr Trost finden ob der harten Prüfung. Nur stille, stille!« Und sie streichelte mir die Hand. Ach, wie höhnische Höllengeister kamen mir jetzo die Leuchtkäfer vor, so trunken durchs Dunkel taumelten.
Was soll ich weiter sagen? Höllenpein leide ich, sooft ich bedenke, was damals geschehen. Von Heinrich vernahm ich, er habe die tolle Berthulde niederschießen wollen, doch sei sie ihm mit ihrem Sprunge zuvorgekommen. Zurückgekehrt, habe er mich ohnmächtig gefunden, und auch Sibylle sei halb von Sinnen gewesen. Das Blut sei mir aus dem Munde gequollen, aus meiner Wunde müsse es sich in die Lunge ergossen haben.
Ein wilder Taumel habe nach dem Opfer die Versammlung hingerissen. Ein Weinen und Jauchzen sei losgegangen, Weibsbilder seien in Entrückung hingesunken, schluchzend habe man einander umarmt, sei dann lachend ums Feuer gesprungen und habe emsig Holz hineingeworfen. Hätten damals die Grabenwächter besonnen gespähet, wir wären entdeckt worden und dann wohl des Todes gewesen. Aber die Wächter hatten sich nach dem Schauspiel umgewandt, und die ganze Teufelsgemeinde war von dem Opfervorgang derart hingerissen, daß sie für nichts andres Augen hatte.
Auf mein Flehen trugen mich Heinrich und Sibylle fort. Ich wimmerte nur immer: »Fort
von hier! Die Hölle ist hier!« Erst wie kein Laut und kein Feuerschein von der
Teufelsmette mehr zu spüren, ward Rast gemacht, und ich lag zum Sterben erschöpft,
von Fiebergesichten geängstet. Mein
Wie sein Regiment einmal am Flusse Unstrut quartierte, hat sich jenes Unglück zugetragen, das Du kennst. Klein Anneliesel, das mir anvertraute Mägdlein, ist, da ich im Behüten nachlässig gewesen und unter einem Weidenbaume eingeschlafen bin, beim Blumenpflücken ins Wasser gefallen und ertrunken. Drauf hab ich heftige Anklagen wider mich erhoben und nur den einen Trost vor mir gesehn, dem unglücklichen Vater durch alle mögliche Güte die Herzenswunde zu heilen, wenn anders dies möglich. Und aufs neue ist Heinrich in mich gedrungen, daß ich die Seine werden solle. Da deuchte es mich Pflicht, die Lücke in seinem Herzen auszufüllen, die seines Kindes und Weibes Verlust ihm gerissen. Und da er endlich meine Bedingung, daß ich ihm nach unserer Trauung nur Schwester sein wolle, bewilligte, gelobte ich ihm vor dem Geistlichen alle Treue, so er von mir beanspruchen durfte.
Ein Trost ist es mir bei diesem Schritte gewesen, daß ich Heinrich bestimmen gekonnt, sein blutig Handwerk aufzugeben und nach einem friedlichen, unschuldigen Brote zu trachten. Schließlich ist uns das Glück zuteil worden, daß Heinrich das Hirtenamt auf dem Breiten Berge erhielt. Aber die Ruhe, so in den ersten Tagen unseres Hirtenberufes in den klaren Berglüften mein Herz besänftigte, hat gar bald einem wilden Sturme weichen müssen.
Wie ich nämlich einen Besuch bei Petersdorfer Leuten gemacht und das Gespräch auf die
Teufelsmette gelenkt habe, um Genaueres zu erkunden, da ist mir das Herz schier
stillegestanden, als ich vernommen, Johannes Tielsch, der die Hexe Berthulde zu
unsinniger Minne entzündet und so die Teufelsmette veranlaßt habe, sei anoch am Leben
und in den Trümmern der ehemaligen Beste als Eremite wohnhaft. Meine Aufregung, ein
seltsam Gemisch von Schrecken und Jubel, von Gram, Reue und Trost, hab ich vor den
Leuten kaum
Und was nun weiter? Was soll hinfürder mit uns zwei armen Herzen geschehen? Mit stets erneuter Wildheit wird diese Frage meinen Johannes bestürmen, und alle Leiden wird er durchmachen, mit denen ich selber ringen gemußt. O wie bitter hab ich den Himmel verklagt: »Warum nur hast du der Frau, die ihren Gatten suchte, dicht vor ihrem Ziel ein Hemmnis in den Weg geworfen, das ihr Hoffen vereitelte und auch noch ein höchst jämmerlich Klagewort heraufbeschwört? Mein Johannes kennt dies Wort; es heißt: beinahe! Beinahe wär's geglückt – so klagen unsere armen Herzen. Es fehlte nur diese oder jene Winzigkeit. Eine mißlungene Botschaft, ein eitel Gerücht, falsche Deutungen, dazu Tücke und Unzuverlässigkeit der Menschen – das alles hat neue Wirren zwischen den getrennten Gatten angestiftet, also daß sie nicht zueinander gelangten – nicht rechtzeitig ... Zu spät, ach zu spät! Erst als ich des festen Glaubens, du seiest tot, Heinrichs Ehehälfte worden, hat die Sonne den Nebel zwischen uns beiden verscheucht, so daß wir einander mit unsern Augen gefunden haben.
Da geht nun zugleich ein Jauchzen und ein Schluchzen durch unsere Seelen. Beglückt
sind wir, weil jeder den andern noch am Leben weiß und nahe bei sich hat. Und doch
können wir nicht unterlassen, bitterlich zu weinen, weil wir nicht unverzüglich
einander in die Arme eilen können. Vor mir ist ja eine Kluft und hinter mir ein Band;
halt an, du ungestüm Herze, so weh es auch tut, wenn der Zügel zurückreißet und
Zum ersten: Wir dürfen nicht unbescheiden im Wünschen sein. Ein unsagbar Glück allerdings scheint es auch mir, so wir zwei beide endlich dauernd und friedreich einander als Gatten angehören. Ja, himmlisch wäre solch Los hier auf den einsamen Weidematten im Schutze der Waldberge. Doch nur des Himmels Güte – und ich meine den Himmel im Menschenherzen – nicht Ungestüm und Kampf, kann dieses Glück bescheren. Harren wir in Demut, bis er alles zum Besten fügt, trösten wir uns einstweilen mit der Gunst, die uns allbereits beschieden. Ist denn nicht das, was wir jetzunder schon haben, weit besser, denn ein ander Los, so uns doch auch nahe lag? Mein Johannes hätte ja wirklich des Todes sein können, so daß uns in diesem Leben kein Stündlein des Wiederfindens mehr vergönnt wäre. Und Berthuldens Dolch hätte ein wenig tiefer treffen können, wo das Herz liegt. Nun aber leben wir beide und wohnen sogar nahe beisammen, dürfen wohl bald, ich hoffe in etlichen Monden, mit Heinrichs Einwilligung einander Liebes erweisen. Gestehe, Johannes: Ist das nicht ein Heil? Drum sollst du stets ermessen, was du gewonnen hast, und sollst bedenken, daß die Entbehrung nur da Schmerzen macht, wo das Verlangen über die Habe hinausgreift.
Zum andern: In dem jetzo eingetretenen Zustande haben wir beide Gelegenheit, jenes
Eden zu erschließen, das mein Johannes seiner Thekla in einer unvergeßlichen Predigt
gewiesen hat. Ist denn nicht die Minne, so wir füreinander
Endlich wisse: unheilbaren Schmerz würdest Du mir zufügen, so Du es wagen solltest, vor mein Angesicht zu treten, ehe die Stürme Deines Herzens ausgetobt haben. Dies ist mein fester Wille: erst muß uns beiden die Läuterung gelungen sein, bevor wir einander der Gefahr aussetzen, durch das geliebte Bild zu neuer Glut entzündet zu werden. Insonderheit müssen wir an Heinrichs Seelenheil denken. Das ist gefährdet, sobald er in Dir den Nebenbuhler wittert; Dich würde er verantwortlich machen für meine Sprödigkeit, und es grauset mir, so ich an die Heftigkeit seines Willens denke. Seiner ersten Frau, zu deren Tode, wie zum Tode ihres Kindes, mein Schicksal beigetragen hat, hab ich in die erkaltende Hand gelobet, ihre Lieben getreulich zu stützen. Heget nun mein Johannes anoch Minne für mich, so muß er mir beistehen in allem guten Trachten. Drum so darf nichts geschehen, was Heinrich in Eifersucht und Grämen stürzen könnte. Er weiß nicht, was Du mir bist – und einstweilen soll er nichts davon ahnen. Was den kleinen Johannes betrifft, den hält er für das Kind meines ungestümen Freiers Zetteritz. Laß ihn bei diesem Glauben! Führen wir ihn zu dem Ziel, das Deiner heiligen Sehnsucht vorschwebt! Bringen wir ihn dahin, daß er ohne Groll an meiner Linken, wie Du an meiner Rechten, die Schwelle des Himmelreiches überschreitet. Fühlen wir, daß uns diese Aufgabe gelingen wird, so mag es sein, daß wir beide einander von Angesicht zu Angesicht schauen.
Nun denn, mein Hirt und Heil, halte stets den Geist der Güte und Weisheit im Herzen und übertritt nicht das Gesetz, so unverbrüchlich zwischen uns beiden walten muß. Die Treue zu Heinrich darf nicht verletzt werden. Harre aus, Geliebter – ringe nieder, so heißes Ungestüm Dich hinreißen will – laß den Winter vergehen – dann im Lenze vielleicht ... Einstweilen gibt es keinen anderen Weg für Dich als den von Deiner Thekla gewiesenen. Liebst Du sie wahrhaft, so mußt Du den Gott in ihrem Herzen walten lassen. Gewiß, das tust Du, fromme Seele, und so wirst Du nach Versuchungen und Schmerzen als Sieger vereinigt werden mit Deiner Dich segnenden Hirtin Thekla.«
Nachdem ich diesen Brief gelesen und aber gelesen, verfiel ich in langes Weinen – wie ein schwaches Kind, ohne Beistand, ohne Rat. Unverdientermaßen peinvoll nannte ich mein Los und wußte vorerst nichts besseres, als mich zu bedauern. Und wie ich dem Geschicke grollte, so mengte sich Bitterkeit sogar in meine Liebe. Wohl lohete sie auf wie ein Waldfeuer, doch beizender Qualm kam heraus. »O Thekla – jammerte ich – bringst du es übers Herz, mich von dir wegzubannen? Warum eilt die Gattin nicht in ihres Gatten Arme? Warum versteckst du dich hinter dem andern Mann und erkennst ihm Rechte zu, die er doch gar nicht hat? Ungültig ist ja deine Trauung mit ihm. Mir warst du früher angetraut, und nicht zur Witfrau hab ich dich gemacht. Die Meine bist du, Thekla, zögere nicht! Was soll mir, der ich lang auf dich geharret und nun vor Sehnen verschmachte, was soll mir noch fürdere Wartezeit? Bin ich ein Büßer, der fasten soll? O grausam wäre das!«
So machte mein Ungestüm einen Rebellen wider den Wunsch der Liebsten. An ihre flehentliche Bitte, vorerst nur brieflich mit ihr zu verkehren und nicht vor dem siebenten Tage zu antworten, mochte ich mich nicht binden. »Nein doch, Frau« – sprach ich heimlich – »laß lieber unseres Schöpfers Wort gelten, zur Eva gesprochen: Deinem Manne sei dein Wille untertan, es seien Mann und Männin ein Fleisch.« Und es brausete mein Blut wie vor vielen Jahren zu Magdeburg, da ich mit der Geliebten unter der Erde Hochzeit gehalten. Alle Reize des süßen Weibes erblühten von neuem und waren entzückender noch als damals in der Kirchengruft; mich verzehrte das Schmachten, eine Wüstenei galt mir das Leben ohne Thekla.
Unsinnige Pläne beschwur meines Blutes Gärung herauf. Umlauern wollt ich Kiesewalds
Baude und bei guter
»Wie zerrissen muß Dein arm lieb Herze sein, teuerster Mann! Wilde Geister möchten
Dein Heiligtum erobern und haben mit blendenden Kriegslisten für ein Weilchen Boden
gewonnen. Gewißlich nur für ein Weilchen! Bald wird mein Johannes aus seiner
Verstörtheit erwachen und dann erst recht ein Gotteskind sein. Die unbeholfene
Schreiberin hat im vorigen Brief verschwiegen, welch Entzücken ihr Deine Predigt im
Felsendom erweckte. Sinne Dich, Geliebter, in eines anschmiegsamen Weibes Seele
hinein, wenn sich der verlorene Gatte wiedergefunden hat, voller Adel wie ein Demant,
der dem Besitzer abhanden kam, um köstlich geschliffen zurückzukehren. Nicht als ob
ich in den Jahren unserer Jugend Mängel an Dir empfunden. So wie Du warst, hast Du
meine wonnige Anbetung gehabt. Und nicht minder zärtlich umfinge Dich jetzo meine
Liebe, wärest Du des Kriegsgottes Anhänger geblieben, obwohl ich alsdann zum
Unter dem Buchenbaum am Kesselstein, wo ich diese Worte Theklas gelesen, warf ich
mich ins Beerenkraut, wie ein Kämpfer, der vor seinem Gegner reuig und gehorsam die
Waffen streckt. Die Hände gefaltet, ergab ich mich der heiligen Seele, die ich
anbetete. Ich küßte den Brief und flüsterte flehentlich: »Du reine Quelle, verzeih,
daß ich dich trüben wollte! Und Dank dir, daß du mit Wohltat mein garstig Ungestüm
vergelten, das Unlautere von mir tun willst!« Zähren brachen aus meinem Auge, es
schwand die Welt, nur das zuckende Herz war zu spüren, zugleich aber Linderung wie
von einer sanften Hand, süßes Schaudern, stilles Aufjubeln, als sei ein Engel nah.
Und ich begab mich zu einer Senkung des Geländes, wo Rüstern einen dunklen Hain
wölbten, und zwischen moosigen Blöcken ein dünn Wässerlein wimmerte. Draußen aber auf
die Wipfel schien die
Wie traurig diese Wälder düstern!
Kein Sonnengold tiefinnen lacht.
Das tun die felsengrauen Rüstern,
Von Laubgeflechten überdacht.
Auch ich so trüb! Der Liebe Gnade
Darf strahlen nicht zu meinem Grund.
Die Sorg umdüstert meine Pfade;
Bin gar ein öder Dickichtschlund.
Doch duld ich lächelnd, fromme Sonne,
Daß sich dein Brautkuß mir verschließt –
Wenn draußen nur die güldne Wonne
Um all die Sonnenkindlein fließt.
Laß lieben dich mit jener Liebe,
So nicht Genuß, nur Andacht will.
Und ob ich ewig dunkel bliebe,
Von deinem Leuchten träum ich still.
Wiewohl so unter Theklas Führung mein besser Selbst wiedergefunden und gesichert war,
vermochte ich meinen Trost nicht festzuhalten. Zweifel und Gram überfielen mich aufs
neue, und ich fragte: Muß denn Tugend so streng und
Solche Gedanken trug ich bei Tage mit mir herum, nachts machten sie das Herz schwer
und den Kopf heiß, kein Schlummer brachte Trost. Da übermannte mich die Erschöpfung
eines Mittags, als die Herbstsonne noch einmal wärmte, und ein duftiger Heuhaufen auf
Preislers Wiese lockte. Und es kam mir ein süßbanger Traum: Sonntag war's und
Erntefest, ich aber hatte der köstlichen Zeit nicht wahrgenommen, hatte im Heu die
Stunden verschlafen. Traurig zumute war meinem Schätzchen, der Hirtin Thekla, die
gekommen war, mit ihrem Johannes zu tanzen, und nirgends ihn fand, bis er endlich vom
Abendläuten wach wurde. Da war's nun zu spät, Versäumtes nachzuholen, Mißlungenes
wieder gut zu machen. Ein anderer Mann hatte ihr den Arm geboten, die Einsame hatte
ihn angenommen, der andere führte sie heim. Noch einmal schaute sie nach dem säumigen
Liebsten zurück, unsagbare Trauer im Auge. O Träumer, Versäumer! Den verlorenen Tag
kann die Allmacht nicht zurückbringen. Die Welt geht ihren starren Gang. Nun fühle,
Närrchen, was es heißt: zu spät! Aufschluchzend erwachte ich, einen Augenblick war's,
als wandle unweit Thekla an Heinrichs Arm, dann verschwand das Gesicht. Unter Zähren
Und wie ich mich erhub vom Heu,
Und wie mein Blick ging staunend um,
Da schlug aufs Herze mir die Reu:
O weh, du hast verschlafen
Den ganzen Sonntag schier – wie dumm!
Und wie mein Blick ging staunend um,
Stund dort mein Schatz und sah zurück –
An eines Fremden Arm – wie dumm!
Mein Seelenschatz vom Himmel!
Sein dürstend Auge leer von Glück!
Verdürstend sah mein Schatz zurück:
»Was schliefest, Närrchen, auch so lang!
Verträumt ist unser Minneglück,
Im Sinken schon die Sonne ...
Ade! Mir ist wie dir so bang!«
Was schliefest, Närrchen, auch so lang!
Und was nun weiter? Bleib im Traum!
Beliebt vielleicht ein Schlendergang,
Recht einsam, ohne Hoffen?
Vielleicht zu Totenackers Saum?
Ja, was nun weiter? Bleib im Traum!
Die Welt geht ihren starren Gang,
Und Zährenfluten lindern kaum,
Wo mädchenschwach ein Schätzchen
Mit seinem harten Schicksal rang.
Die Welt geht ihren starren Gang.
Wohin? Mein armer Kopf ist irr.
Mag sein, mir wäre minder bang,
So ich noch könnte beten.
Ich hab's verlernt, vom Heuduft wirr.
Wohin? Mein armer Kopf ist irr.
Denk wohl, ich bette mich aufs neu
Und schlaf' im duftgen Halmgewirr
Und von verblichnen Blumen
Träum ich zu Tode mich im Heu.
All dies wechselvolle Seelenwetter beichtete offenherzig mein neuer Brief. Zugleich erstattete ich ausführlichen Bericht über mein Geschick, wie es seit meiner Trennung von Thekla verlaufen war. Indem ich schilderte, wie die Begebenheiten meine innere Welt gewandelt hatten, gewann ich Klarheit über mein Wesen, und ein gut Teil Beruhigung. Hatte Thekla diesen Erfolg herbeiführen wollen? Zuzutrauen war das ihrem klugen Zartsinn. Jedenfalls hatte sie es verstanden, auf Beschaulichkeit, forschende Wahrhaftigkeit mich hinzulenken, was mir eine Wohltat war, insofern ich abgezogen wurde von selbstsüchtigen Ansprüchen und Anklagen. Hatte das Eremitenleben der letzten Jahre keinen anderen Dämpfer für meine Launen gehabt, als die einförmig harte Öde, die mich umgab, und meinen Hang zum Meditieren, so ward ich anitzo von der geliebtesten Menschenseele vor Aufgaben gestellt, die meine besseren Kräfte planvoll zur Entfaltung brachten. Gleich der nächste Brief Theklas trug zur Ordnung meines wirren Gemütes bei.
»Armer Johannes« – schrieb sie – »Dein Gram teilt sich mir mit, bittere Tränen vergoß
ich, so oft ich Dein Gedicht las vom Schlaf im Heu und dem versäumten Glück.
Menschlich ist es ja, einem unfruchtbaren Grame zu unterliegen, und wer solche
Menschlichkeit in wahren Worten ausdrückt, ist ein Tröster ihm selber und auch seinen
Mitmenschen. In dieser Hinsicht erkenne ich an, daß die Wunde, die das Schicksal vor
etwelcher Zeit meinem Herzen geschlagen, von Deinem Gedicht zwar aufs neue zum Bluten
gebracht, zugleich aber mit linderndem Heilbalsam versehen worden. Eine Beigabe
dieses Balsams jedoch macht mir brennenden Schmerz. Es ist die Art, wie Du Heinrich
beurteilst, wie Du
Immer mehr nun verklärte sich Thekla vor meinem Auge. Zugleich ward ich williger zu der Aufgabe, in keuscher Andacht ihr fern zu bleiben und allen Trost in der Vermählung unserer Seelen zu finden. Wenn ich nachts einen besonders reinen Funkelstern ob dem düstern Gebirgskamm schweben sah, deuchte er mich Thekla zu sein, während ich mich dem Teiche bei der Schneekoppe verglich, der in seiner öden Felsenhaft von der Sternenbraut träumt, ohne mehr zu besitzen als ihr Spiegelbild.
Es träumt aus düsterm Felsenschacht
Ein totenstiller See
Zur grenzenlosen Sternenpracht:
»O Seligkeit und Weh!
Laßt taumeln mich, ihr Himmelshöhn,
Versinken ganz in Schau!
Mein Funkelstern, so bräutlich schön
Wie eine Perle Tau!
Und bleibst du, Engel, weltenfern,
Streu deinen Silberschein,
Dein Seelengleichnis, keuscher Stern,
In meine Tiefen ein!
In meine Tiefen lockt ein Grund –
O find ihn, Sternenbraut! –
Wo Erd und Himmel Mund an Mund
Zur ewgen Ruh sich traut.«
Theklas Antwort waren die wenigen Worte: »Dankbar lodert mein Herz, doch es beschämt mich die übergroße Verehrung, die du mir entgegenbringst. O mache mich zu dem, was dein Zutrauen in mir sieht! Versinken möcht ich wohl im geliebten Bergsee!« Diesem Schreiben war, gehüllt in zart Papier, eine Locke beigegeben. Welch Entzücken, süße Gattin, dein braun weich duftend Haar bei mir zu haben, es küssen, auf dem Herzen tragen zu dürfen! Aber ach, dies Stück vom Körper der Geliebten, an dem ihr Hauch, ihr Wesen haftete, berauschte meine Sinne, und des Geblütes Gärung trieb heißes Träumen von Zärtlichkeit herfür. Ich lag mit Thekla unter einem Schleier, der unsere Körper gänzlich verhüllte. Im gleichen Gemache mit uns befanden sich Heinrich und Sibylle. »Wo ist Agnete?« fragte Heinrich, und Sibylle antwortete: »Mag sein, bei Herrn Johannes.« Unter unserm Schleier blieben wir mäusleinstill und fühlten, wie uns die gnädige Heimlichkeit einander antraute.
So heimlich süß war unsre Hochzeitsfeier:
Wir lagen dicht
Beisammen, überwallt von einem Schleier,
Man sah uns nicht.
Wir hörten, wie die Leute nach uns fragten
Im gleichen Raum.
Wir unterm Flore blieben reglos, wagten
Zu atmen kaum.
Nur unsre Hände durften sacht sich drücken,
Wie küssend fand
Sich Hauch zu Hauch, mein Knie war mit Entzücken
An deins gebannt.
Mein glühend Auge, das im Dunkeln schaute,
Versank in deins;
Ich war in dir, du warst in mir, uns traute
Die heilige Eins.
Wohlan, was Edens Glut zusammenglühte,
Trennt keine Welt.
Hinweg denn, Angst, da uns die Hand der Güte
Geborgen hält.
Wir ruhn verhüllt; zum Baldachin, zum Himmel
Ward unser Flor.
Uns singt von Flügelköpfchen ein Gewimmel
Den Wonnechor.
Als ich Thekla den Traum aufschrieb, fügte ich hinzu: »Hat meine Gattin schon
bedacht, daß der kleine Johannes uns wiederkehren kann?« – Eine Woche später kam die
Antwort: »Du kennst die Mär von der schlafenden Maid, deren Schloß desgleichen
schläft, eingesponnen von Rosendorn. Da dringt durch die abwehrende Hecke der
Königssohn und erlöst mit seinem Kusse die Maid; sie erwacht, das Hausgesinde, das
ganze Schloß erwacht, Rosen erblühen aus dem Dorn, und Hochzeit wird gefeiert. In
Deiner Thekla ist etwas ähnlich dieser Maid. Die arge Spindel der Spinnerin des
Schicksals hat mich gestochen, und da ist der lange Schlaf über meine Sinne gekommen.
Ach wohl, Johannes, Dein Schätzlein ist nicht mehr die frische kecke Jungfer von
einst. Schwach und zahm ward mein Blut, kaum ein leis Seufzen ist in mir des Weibes
Trieb nach Mutterschaft. Die Männer, so mich umwarben, seit ich Dich verlor, haben
nicht vermocht meine Sinne aus dem Dornrösleinschlaf zu wecken, und selbst im trüben
Licht des Felsendomes wirst Du wohl bemerkt haben, was für ein hinfällig Weibel die
Agnete Kiesewaldin, die halt nimmer den Dolchstich der Kindesräuberin verwunden hat.
– Und nun auf einmal bricht der Königssohn durch meine Dornenhecke. Was tust Du,
Süßer! Ich schaue Dein Auge, spüre Deinen Hauch, Deinen Kuß, Deine Umarmung – erweckt
aufs neue, aufgestört ist ein glühend Sehnen in mir. Und gar vom kleinen Johannes
raunest Du, der könne uns wiederkehren ... O Liebling, wie verführerisch kannst Du
locken! Ein Wirbelsturm tobt in meinem Herzen, ich wünsche heiß, doch zage zugleich
Mitnichten linderte solcher Bescheid das Schmachten, so Theklas Haarlocke in mir wachgerufen. Wagemut riß mich hin, Theklas Verordnung zu übertreten. Ich konnte mich nicht gedulden, konnte dies Harren auf die mögliche Gunst einer vielleicht fernen Zukunft nicht aushalten. Machte daher einen Boten ausfindig, der nach Kiesewalds Baude gehn und folgendes Briefel verstohlen in Agnetens Hand geben sollte: »Ich ertrag es nicht – muß die heiß Ersehnte mit leiblichem Auge schauen. Gewähre sie mir baldigst diese Gunst, ich bitte flehentlich. Der Bote mag die Antwort mitnehmen.« Und sieh, mein Wunsch ging in Erfüllung; das Schreiben, das ich noch gleichen Tages erhielt, lautete: »Sei morgen nach Mittag um die zweite Stunde, wo der Zackenberg jählings zum Zackenfluß abstürzt; der Schwarze Wog ist der Felsenkessel geheißen. Dann komm ich in Deine Nähe, auf die Waldwiese jenseits. Aber Kluft und Fluß müssen zwischen uns bleiben. Laß Dich nicht hinreißen, zu mir hinüber zu streben. Sobald Du Miene machtest, dies Gesetz zu brechen, würd ich in den Wald flüchten, Du fändest mich nicht, und Trübsal täte mir Dein stürmisch Wesen an. Sollen unsere Seelen fest in Händen das Zepter behalten, so dürfen die Sinne nicht in Versuchung geraten; sonsten werden sie leichtlich Aufrührer. Einstweilen wenigstens besteht solche Gefahr. Mit der Zeit mag dies strenge Gebot Milderung finden – bis vielleicht dermaleinst ... Doch still, du ungestümes Herz!«
Aus Theklas folgenden Briefen hebe ich noch die Stelle heraus: »Vielleicht wann die Zeit unser Haar gebleicht hat, das Angesicht faltig ist, und in unseren Herzen die jugendliche Unrast durch friedliche Weisheit abgelöst worden, so sonnen wir uns im güldenklaren Spätherbst, und geschieht uns wohl wie den beiden alten Hirtenleuten, von denen ich Dir sagen ließ:
Im dunkeln Seelengrunde
Winkt einer Krone Gold,
Und hast du sie gefunden,
Wird Minne dir zum Sold.«
Der Brief lautete: »Nur noch ein paarmal tagt es, dann kommt der Heilige Abend. Da
muß ich meinem Liebling doch ein Christkindel bescheren. Dies Bild hat der alte
Werner zu Petersdorf gemalt, so in besseren Zeiten ein begehrter Glasmaler gewesen.
Besser hat er mich gemacht, als ich wirklich bin; wenn es uns vergönnt sein wird,
einander in der Nähe zu betrachten, wirst Du Deine Thekla gealtert und mager finden.
Habe Nachsicht, guter Johannes! Und noch eine andere Gabe nimm freundlich auf. Begib
Dich vom Kesselstein nach Schreiberhau zu Jakob Liebig, dem Schmied, und heische den
Korb, den Kiesewalds Sibylle für Dich abgegeben. Den Mohnstollen hat mir Sibylle
backen helfen. Die Wolle der Kleidungsstücke ist von unseren Schafen, und selber
haben wir sie gesponnen. Vor zween Tagen war's, daß wir den Korb zu Tale brachten, im
Hörnerschlitten fuhr uns Heinrich nach Petersdorf. War das ein glückselig Stündlein!
Als ich neben Sibyllen im Schlitten saß, von Heinrich
Da draußen, da draußen
Vor der himmlischen Tür,
Da steht ein' arme Seele,
Schaut traurig herfür.
Arme Seel mein, arme Seel mein,
Komm mit mir herein,
Und da werden deine Kleider
So weiß und so rein.
Ja so weiß und so rein,
Viel weißer, denn Schnee.
Und so wolln wir mitsammen
Ins Himmelreich gehn.
Ins Himmelreich, ins Himmelreich,
Ins himmlische Paradeis,
Wo Gott Vater, Gott Sohne,
Gott heiliger Geist.
Mit neuem Heile segnete mich diese Botschaft, und inne ward ich, wie mein Herz, aller
Trennung spottend, so fühlbar an ihrem schlug, daß ihr Glück das meine ward. Heißer
Dank erfüllte mich, und tags vor Weihnachten sandte ich einen zuverlässigen
Petersdorfer zu des Breiten Berges Baude. In Sibyllens Hände sollte er einen Korb
tun, der meine kleinen Gaben für Heinrich, Sibyllen und Thekla enthielt. Unter vier
Augen sollte er der Kiesewaldin ein Päcklein übergeben. Darinnen war das Buch
»Abaelardi und Heloisae Briefe«. Unter den Masken dieses Paares, dem ein strenges
Schicksal die Herzen zu heiliger Minne lenkte, wollte ich für uns beide eine neue
Form geheimer Zwiesprach einführen. Randbemerkungen, von meiner Hand geschrieben,
begleiteten den Druck. Der Mönch Abaelardus hatte nicht immer meinen Beifall; eisig
hauchte sein Gottesfriede. Doch ich dankte ihm ein Wort, das er in warmer Jugend
gesprochen: »Habe nur Liebe, du magst alsdann tun, was du willst.« Heloisa, die
liebreiche, war mein Entzücken, und verstohlen hoffte ich, auch aus Thekla werde
diese Glut herfürbrechen, die doch der Jungfer Gräfin nicht fremd gewesen. Um sie zu
entzünden, hatte ich gewisse Stellen der heloisischen Briefe angestrichen; zum
Exempel: »Da ich nun einmal Deiner Gegenwart beraubt bin, so laß doch in Worten der
Liebe, die Dir so reichlich zu Gebote stehn, Dein süßes Bild bei mir einkehren ... Da
Du bei Gott Deine Zuflucht
Wenn mit Dunkel und mit Schweigen
Mutter Nacht dein Bett umhüllt,
Lausche, wie mein Zaubergeigen
Heimlich deine Kammer füllt.
Lausche, wie dich Wunderglocken
Fromm zu deiner Tiefe locken.
In der Tiefe wohnt die Ruh –
Und die Tiefe, das bist du.
Frieden ihm, so dir zur Seiten
Atmend ruht; er ist dein Schild.
Frieden allen Erdenbreiten,
Jedem Gottes-Ebenbild!
Gib den Hütten dein Erbarmen
Und dem Glück ein froh Umarmen.
Ohne Güte keine Ruh;
Jedes Antlitz, das bist du.
Engel, heitre Lichtgestalten
Steigen aus dem dunkeln Land
Und in deine Hände falten
Kosend sie die Kinderhand.
Sieh doch, deine toten Lieben
Sind dir alle treu geblieben;
Mutterherz heißt ihre Ruh.
Deine Kinder, das bist du.
Spürst du auch, wie auf dein Grüßen
Harrt ein treuer Paladin?
Aus der Ferne dir zu Füßen
Kann ihn deine Sehnsucht ziehn.
Gib dein Auge seinem Auge!
Eins im andern sauge, sauge
Heimatwonne, Heimatruh ...
Du bist ich, und ich bin du.
Horch, mein Lieb, die Zaubergeigen
Singen Hochzeitsmelodein,
Und der bunte Sternenreigen
Stimmt und funkelt üppig drein.
Welten schwärmen dort bei Welten,
Wiegen sich in blauen Zelten,
Summen uns in sel'ge Ruh ...
Ich bin Stern, und Stern bist du.«
»Mein siegreicher Johannes« – so lautete Theklas Antwort – »juble mit mir! Was wir kaum zu hoffen gewagt, es gelingt! Das Wunder, verheißen dem erhöhten Menschensohne, Du vollbringst es. Machst Blinde sehend, Lahme gehend. Heinrich ist genesen von der Sorge, Agnetens erster Gatte werde wiederkehrend ihn verdrängen. Und Du bist es, Dein Gedicht ist es gewesen, wovon Heinrichs Auge aufgeschlossen ward, daß er nunmehr schaut, wie das Himmelreich keimt und wächst in des Menschen Brust, und daß er an gütige Liebe glaubt. Laß Dir berichten, wie alles gekommen ist. Du weißt schon, Sibylle ist meine Vertraute. Ermissest Du nun, mit welchem Entzücken, welchem Stolze mich Deine Lieder erfüllen, so wird es Dich nicht überraschen, daß sie von Sibyllens Hand in ein Buch eingetragen worden sind, darein sie im Laufe der Jahre ihre liebsten Gedichte gesammelt hat. Am Heiligen Abend nun, da wir drei Kiesewaldischen einander unsere Gaben gereicht hatten und beim Kerzenschein unseres dreiarmigen Festleuchters andächtiglich um den Tisch saßen, tat Sibylle ihr Buch auf und las zu meiner bänglich frohen Überraschung dein Lied von der Menschenseele, die sich zur Gottesmutter weihen soll:
Zu Bethlehem die Krippe
Ist jeder Herzensschrein –
Wie solches von der schönen tiefen Stimme verkündet war, sann Heinrich bewegt der
Botschaft nach.« Hierauf tat er die Frage: »Wer hat dies fromme Lied gemacht?« Ich
erschrak, doch Sibylle sprach mit Fassung: »Es ist ein Mann, so in der Enttäuschung
harter Schule gelernt hat, den wahren Schatz im eignen Acker zu suchen.« – »Und sein
Name?« forschte Heinrich. – Mit Geistesgegenwart stellte meine Schwäherin als
Verfasser nun jenen Waldhäuser hin, von dem Du berichtet hast; und fürwahr, wenn
irgend ein Mitmensch Anteil haben könnte an dieses Liedes Urheberschaft, so wär's der
Mann, der Dich die Umwandlung der Gefühle zu Edelmetall lehrte. Des weitern aber
spann Sibylle ihr Märlein also aus: »Als junger Gesell liebte dieser Waldhäuser eine
Jungfer, hütete jedoch dies Geheimnis, indem er daran verzagte, daß seine Angebetete
einem geringen Menschen, als den er sich betrachtete, ihr Herz widmen werde. Weil er
also nicht um sie warb, reichte sie schließlich einem andern Manne ihre Hand. Unser
Poet aber blieb unbeweibt und hegte unaufhörlich seine heimliche Liebe. Wie er nun
bereits graue Haare bekam, bescherte ihm die Gelegenheit eine vertrauliche Aussprache
mit seiner Herzensherrin; da erfuhr er denn, stets habe sie ihn geliebt. Zu spät, ach
zu spät! seufzete Waldhäuser. Meine Jugend ist hin, versäumt mein Glück ein andrer
hat es heimgeführt.« Dann fragte er die Frau, ob sie denn wenigstens zufrieden mit
dem andern sei. »Ich liebe sein Herz,« antwortete sie; »er ist sehr gut zu mir, und
ich bin ihm wieder sehr gut; nie mag ich ihn betrüben, nur der Tod scheidet mich von
ihm. Doch gleichfalls bis zum Tode klopft mein Herz voll Sehnsucht nach Dir, Du mein
Sternenbräutigam! ...« Sibylle ward hier unterbrochen durch Heinrich, der nach
gespanntem Zuhören auffuhr: »Was? Zween Männer zugleich konnten in diesem
Weibesherzen wohnen, und keiner hat den anderen verdrängt?« – Ruhig
Frieden ihm, so dir zur Seiten
Atmend ruht; er ist dein Schild.
Bei diesen Worten weitete sich Heinrichs Auge, Rührung zuckte über sein Antlitz.
Schließlich seufzte er, wie einer, dem eine Bürde abgenommen ist, sah uns Weibsbilder
heiter an und nickte: »Fürwahr, ein gütig Lied! Wer möchte solchem Nebenbuhler gram
sein?« – Ich konnte mich kaum enthalten, laut aufzujubeln. Zu ihm tretend, legte ich
den Arm um seinen Nacken, indessen er mich umfing. Da ich keine Worte fand, gab sich
die kluge Sibylle zu meinem Munde her: »Wohlgesprochen, lieber Bruder! Gebe nun der
Himmel, daß du nicht mehr eifersüchtig bist auf Agnetens ersten Mann. Nimm an, daß er
wie Waldhäuser ist.« – »Ja, wenn er so wäre,« antwortete Heinrich trunken mich
anschauend. – »Zweifle nicht,« eiferte Sibylle, »so ist er. Laß dir doch endlich
einmal erzählen, nachdem dein gereizter Sinn all die Jahre hindurch nichts hören
gewollt von ihm.« – »Ich wußte nicht,« entschuldigte sich Heinrich, »daß es Männer
gibt wie dieser Waldhäuser.« – »Nun du es aber weißt,«
»Mich nennest Du siegreich? Dir einzig gebürt die Palme. Du hast unser Schicksal gelenkt. Ohne Dich wär ich erlegen der Versuchung, die schon den schwarzen Drachenfittich um mich schlug. Deine Güte hat mich erlöst, hat mein Minnen geadelt. Und wenn mein Lied für Heinrich heilsam war, Du hast es mit solchem Heil erst erfüllt. Drum vertraue ich Dir mein Dasein an. Der Himmel in Dir hat alle Führung, und folgen will ich, sogar wenn ich des weitern den Weg der Entsagung zu gehen hätte. Daß Deine Hoheit ihn mir anweiset, würde meine Trauer mit Trost und sanfter Schönheit erfüllen. Aber sage mir, mein Engel, ob Deines Briefes Schlußworte den Weg der Entsagung meinen. Und verständlicher sprich mir von dem grauen Gespenst, so Deine Hoffnungen verdüstern will. Es ist wohl nur ein Spuk schwermütiger Laune. Oder was sonst? Warum bangt der Schmachtenden vor ihres Schmachtens Erfüllung?«
Eine Woche, nachdem ich mein Schreiben zum Kesselstein gebracht, fand ich daselbst
die Antwort. Sie bestand nur in
»Zur Fernesucht geboren,
Wird nie der Pilgram froh.
Seine Heimat ging verloren –
Er weiß nicht wo.
Ihn rührt ein stummes Mahnen
Von blauer Höhen-Wand.
Darf er dahinter ahnen
Sein Wunderland?
Im Tale Bauden winken,
Zum Dorfe traut gereiht.
Er aber muß versinken
In Einsamkeit.
Er haust auf Bergesklippen
In dumpfer Schwermut Bann,
Umstarrt von Knieholz-Rippen
Und wüstem Tann.
Verworren träumt im Grunde
Des Mühlenrads Gesumm.
Er lauscht mit zuckendem Munde;
Sein Lied bleibt stumm.
Er schmachtet – wie im Staube
Ein welkes Blumenhaupt.
Doch ward sein frommer Glaube
Ihm nicht geraubt.
O Pilgram, du mußt lernen
In Demut abseits stahn,
Du darfst den blauen Fernen
Nie täppisch nahn.
Wenn ungestüme Minne
Dich riß zum Götterweib,
Umarmten deine Sinne
Nur Menschenleib.
So bleib dem Wunderlande
In keuscher Andacht hold,
Dann spülst du aus dem Sande
Das ewige Gold.
Es sammelt alle Zähren
Die treue Ewigkeit.
Sie sollen sich verklären
Zum Krongeschmeid.
O sieh, ein Fenster glühet
Im letzten Abendglast!
Das Baudenhaus erblühet
Zum Goldpalast.
Die Felsenschatten dehnen
Sich weit ins Talgefild.
So wird gar manches Sehnen
Noch spät gestillt.
Erst wann im großen Dunkel
Versank die wirre Welt,
Erblüht das Trostgefunkel
Am Sternenzelt.
Und birgt sich in der Erden
Ratlos dein Angesicht,
Tief innen soll es werden
Auf einmal Licht.«
Was war das nun? Es beunruhigte mich, daß kein Wörtlein von Thekla geschrieben war.
Sollte sie erkrankt sein? Angstvoll bedachte ich, daß mehrfach von ihrer
Hinfälligkeit die Rede gewesen. Nicht gänzlich hatte sie sich erholen können von
Berthuldens Stich. Wenn sie mir entrissen würde – wie ein betäubender Schlag traf
mich dieser Gedanke. Sofort mußte ich Gewißheit schaffen. Begab mich also zu meinem
erprobten Boten, der sollte unauffällig in Sibyllens Hand dies knappe Briefel geben:
»Ist Agnete krank? Euren Bescheid mag mein Bote sogleich mitnehmen.« Da kam folgende
Antwort, von Theklas Hand geschrieben,
Halbwegs beschwichtigt war meine Sorge, ich beschloß, mich in Geduld zu fassen. Sann nun darüber nach, was Thekla mit meinem Gedicht andeuten wolle. Ach freilich, ihre Edelschönheit bewahrt die Ferne nur, wenn sie fern bleibt. Drum in Demut lerne abseits stahn und taste nie an ihr keusch Geheimnis. Oft hab ich das erfahren, wenn mein Aug übers Wiesental, über die Zackenschlucht und die bewaldeten Hügel zum höchsten Gebirgswall schweifte und im Zauberhaften des Anblicks schwelgte. Ganz heimlich singt und orgelt das Wallen feiner Linien, das Leuchten der Farben und die innigste Bedeutung aller geschauten Dinge. In schwebenden Duft hat sich aufgelöst der trübe schwere Erdenstoff. Fels und Erde, Holz und Laub, sengendes Feuer und beizender Rauch ist zarter Hauch worden, ein Gewebe aus Licht, reiner Geist. Wehmütig lächelt die Ferne, als wolle sie sagen: »Liebe mich, doch umarme mich nie!« Unschuldig schaut das Dörflein im Tale aus. Kommst du aber den Hütten nahe, so findest du Unrat und Siechtum, finstere Geister, wüste Herzen. So scheint in deinem Leben manches verklärt, da du es noch ersehnst; fad und welk aber wird es, wann du es hast. – Wunderliche Ferne! Soll ich dich nun des Truges anschuldigen, weil du nicht hältst, was dein Lächeln verheißt? Oder bist du preiswürdig, weil du Unedles ausscheidest aus der gemeinen Welt und nur den Adel zeigst, so in Dingen und Menschen sich birgt gleich dem Schatz im Abendburgfelsen?
Nach etlichen Tagen kündete eine Rauchsäule, daß ein Schreiben für mich befördert
sei. Im Fluge trug mich der Schneeschuh zum Kesselstein, Fußtapfen führten zum hohlen
Baum, und ich fand den Brief. Küßte ihn beglückt, da ich Theklas Handschrift
erkannte. Zwar nicht mehr so unsicher
Eine Wehmut ging von dem Briefe aus, daß mir wie einem Bräutigam war, wenn am Altar seine Braut in Weinen ausbricht. Ach ja, die Erfüllung ist ein Abschied von der Sehnsucht. Gleichwohl suchte ich der Braut ihr Zagen auszureden. Mit frohen Farben malte mein Schreiben die Zukunft. Ich schilderte, wie jeder Tag zum Feste werden könne, wenn unser Auge nicht mit flachem Behagen auf der Nähe ruhen bleibe, sondern neue Fernen entdecke, die selbst im Busen der Nähe sich auftun. »Auch fürder wird der Himmel ob uns sich wölben und immerdar an einer Stelle die Erde berühren, wo unsre Fernesucht ihr Wunderland ahnet.«
Es war, als wolle Thekla mein tröstlich Zureden überhören; eine Woche später kam nur diese kurze Antwort: »Mein Bräutigam schwärmte davon, sein Haupt mir im Schoße ruhen zu lassen, von meinem Haar wie von einer Laube umwallt. Ich denke dabei an die Mondkugel im Wolkenschoße. Wundervoll freilich sind Silberschleier und leuchtende Glieder der Wolkenfrau. Doch vom Monde kommt solche Pracht, mit seinem Strahl verklärt er das Gewölk, das ohne ihn trüber Dunst wäre. Weiß mein holder Schwarmgeist, wie die Wolkenfrau geheißen?«
Glühend widersprach ich dieser Demut, die ich Kleinmütigkeit nannte. »Nicht erborgten Glanz hat meine Thekla, sie leuchtet eigen, und nie verbleichen soll mir dieser schönste Stern.« Sorgenvoll bat ich alsdann, sie möge doch endlich deutlichen Bericht über ihr Befinden geben; was ihr gefehlt habe, und ob sie genesen sei. »Und Heinrich? wie läßt er sich an? Das graue Gespenst macht mir halt nur insofern bange, als Heinrichs Seelenschwung ermatten und seine Bekehrung welken könnte.«
Seltsam lautete Theklas Antwort: »In der Chronika derer von Schlick ist der
Lebenslauf manches Ahnen beschrieben.
Wen du begnadet in der Zeit,
Hat Eines nur zu sorgen:
Nit welken darfstu, Seligkeit!
Wohlan, im Heim der Ewigkeit
Bleib alterlos geborgen!
Dieser Liebesleute Beispiel zu empfehlen, sei ferne von mir. Herbeizwingen darf man den Tod nicht. Doch ich fühle, wie durch meine Adern rollt der Veronika Blut.
Denn ich möchte nicht wieder ins trübe Tal sinken aus der klaren Höhe, zu der mich
des Himmels Güte emporgehoben. In reinster Liebe aufblühen, dann nicht erst das
Welken abwarten, sondern gleich eingehn zur stillen Ewigkeit! Unschuldig sterben, wie
jenes Knäblein, an dessen Bahre Waldhäuser Heimweh nach der Ewigkeit empfand. Und
unser kleiner Johannes – wiewohl Grauen seinen Opfertod umgibt –, im weißen Kleide
als ein Lämmlein ist er zum guten Hirten gekommen. So preist ihn ein Lied,
Am offenen Fenster
Ein Flämmchen wacht,
Es flirrt und flackert
In wehender Nacht.
Ein Windstoß würgt es;
Da beugt es sich müd,
Als ob ein Blümchen,
Ein blaues, verblüht.
Aus lischt sein Auge;
Ein letzter, Strahl
Hinan zum heiligen
Sternensaal. –
Arm Flackerseelchen,
Du Bettelkind,
Gern wärst du worden
Was Sterne sind.
Mußt nun versprühen
In Nacht und Tod.
Jedoch getrost:
Der Lichtborn loht!
Dein Lichtborn droben,
Die glühenden Sonnen,
Dran heilige Sehnsucht
Dir ist entbronnen.
Und was du liebtest
In armer Zeit,
Dein Reichtum ist es
In Ewigkeit.
Der Sternenliebe
Ergib dich ganz;
So wirst du selber
Zu Sternenglanz.«
Ich weinte. Ein Lied von ihr! ein Lied auf unser Kind! So war nun Klein Johannes ein zitternder Klang im Elternherzen. Wie denn aber? Auch von der Mutter sollte bald dies Lied der Wehmut gelten? So meint sie – oh!
Der Märzmond war kommen, in den Tälern und selbst an den sonnigen Hängen meiner
Iserberge hauchte, sproß und zwitscherte der erste Lenz, nicht anders, als Thekla ihn
geschildert. Da erhielt ich, nach siebentägigem Harren, ein neues Schreiben. »Du ewig
Meiner! Wie soll ich danken für all Deine Güte, Treue und Geduld, für die Wonnen, so
mir Deine Liebe gab, und dafür, daß Du mich zu einem neuen, besseren und glückseligen
Menschen gemacht. Immerdar nun möcht ich das bleiben in Deinem Herzen. Als mein Vater
endete, hat es die gute Marianka den Kindern erspart, des Vaters Blut und Leichnam zu
sehen; so ist es gekommen, daß mein Vater nur rüstig und strahlend mir im Gedächtnis
lebt. Nicht wahr, auch dem Bilde, so ich Dir hinterlasse, vergönnest Du, daß es nicht
entstellet werde! Wenn einmal der gute Tod mein Abendstündlein läutet, möcht ich mich
hinwegstehlen aus dieser Enge wie ein Hauch. Die am Sterbebette weinen, sollen lieber
über das, was röchelnd hier unterlag, recht bald ein Tüchel decken; ich schäme mich
der armseligen Körperlichkeit. Ich bin nicht Staub; in dieser Ruine, die vordem eine
saubere Hütte gewesen, hat mein
Nit welken darfstu, Seligkeit!
Wohlan im Heim der Ewigkeit
Bleib alterlos geborgen!
Sei nicht bange, Johannes, versteh mich recht: Nur gesetzt den Fall, daß ich dem Tode nahe, würd ich so tun. Sanft ablenken möcht ich Deine Sehnsucht von der Gattenschaft, daß Dir vertraut der Gedanke werde, mich nie in Deine Arme zu schließen, sondern immer nur eine Sternenbraut zu haben. Selbst wenn ich schon in der Erde ruhete, würden an Dich noch immer Briefe abgehen, auf Vorrat von mir geschrieben. Sibyllen hätt ich eingeschärft: Jeden Sonntag bis auf weiteres gönne ihm sein Briefel!
Schließlich allerdings, nachdem meine Betrachtungen Dich vorbereitet hätten, müßtest
Du wohl die Wahrheit erfahren; und also sollte dies geschehen: Wenn mein letzter
Brief in Deinen Händen wäre, käme Heinrich zur Abendburg und spräche: ›Lieber Bruder,
ich soll Dir melden, sie sei nun bei uns alle Tage!‹ – Will dann mein Liebling
weinen, so sinke er an Heinrichs treue Brust. Bei jedem weitern Anfall des Leides
aber lausche in Dich hinein, bis Du die Worte vernimmst: ›Dies ist derselbe Kummer,
den auch sie empfunden hat, und nun sind Braut und Bräutigam wieder eins, wenn auch
nicht in Lust.‹
Verzeihe nun, mein Liebling, dies seltsamliche Gedankenspiel, nur ein Vorsorgen ist es ja für den Fall meines Todes. Nicht bekümmern darf es Dich, es soll Dich rüsten und beruhigen, wie es mir selber Trost gab. Ich bin im Frieden; und seliger ist keine Erdenbraut, denn Deine Thekla, berufen zum Altar der Ewigkeit.
Ein Bettlein ward mir zugedacht,
Wie's keine Mutter sanfter macht.
Ich bette mich in seine Ruh,
Wann ich den letzten Seufzer tu.
Und träume lächelnd: O was hab
Ich für ein wundersüßes Grab!
Von deiner Liebe eingewiegt
Und wie in Gottes Schoß geschmiegt!
Nun drücke noch, als weißen Stein,
Die Hand auf diesen Ruheschrein.
Die Hand aufs Herz dir selber, du!
Drin ich so treu geborgen ruh.«
Diese Zeilen ließen wiederholt mein Herz vor Bangen stocken. Wenn Thekla so gesonnen war, konnte ich ja gar nicht wissen, ob der Fall, den sie erörterte, nicht schon eingetreten. Wär's möglich? Lag sie vielleicht wirklich bereits unter der Erde, und waren ihre letzten Briefe nur gütige Täuschung?
Komm, Sonnenmund, du Hochzeitsbecher,
Zum Abendmahle mir geweiht!
Im Kusse sterbend saugt der Zecher
Das Feuerblut der Ewigkeit.
Laß trinken, trinken deinen Gatten –
Bis ihm die Seele feierstill,
Ein Himmel ohne Wolkenschatten,
Ein Sonntag, so nicht enden will.
Wie ich in der folgenden Frühe vor die Tür meiner Klause trat, siehe, da kamen aus
dem Walde Heinrich und
Wir saßen beisammen und weinten still. Dann hub der Umzug an. Sibylle führte die Ziege; Heinrich trug meine Waffen, in seiner Hucke waren meine Bücher; hinterdrein wankte irr der Oheim mit der Harfe. So schwanden sie im Walde. Auch für mich lag ein Bündel bereit. Doch ging ich noch nicht, mir blieb noch etwas zu tun. Ich durfte ja die Abendburg nicht lassen, wie sie war. Sonst hätte sie in goldgierigen Menschen aufs neue den Dämon reizen können, der doch schon genung des Unheils hier angerichtet. Trümmer sollten den Höhleneingang verschütten. Da kamen mir nun zustatten die vorhandenen Pulverfässer. Ich brachte sie in Spalten der Grotte und leitete Zündschnur zur Balkenklause.
Ein letzter Abschiedsblick ins alte Heim, dann zerrte ich aus dem Ofen Feuerbrände
und zündete an. Von Ferne beobachtete ich, wie die Flammen aus Fenster und Dach
loderten. Plötzlich huben sich Stücke des Felsens, als ob ein riesiger Maulwurf den
Grund emporwühle, dicke Feuerstrahlen schossen herfür, es krachte, als berste der
ganze Berg. Und zusammen in sich sank die Abendburg wie ein zertrümmerter Turm, dann
war alles in schwarzen Qualm gehüllt, aus dem die Funken stoben. Bald legte sich der
Aufruhr, die Balken verkohlten und verglühten, ich trat herzu und
Wie ich nun an die Schlucht des tosenden Bergstroms kam, allwo ich vor einem halben Jahr Thekla erwartet und das Feuer entzündet hatte, flog mein Blick hinüber zur Waldwiese, als ließe sich aufs neue die Braut finden. Und sieh doch! ich traute meinem Auge nicht: sie stund, wo sie damals gestanden. Wenigstens schien es eine Menschengestalt zu sein. Ein mal meinte ich, Sibylle sei es. Bei schärferem Spähen kam es mir vor, es müsse ein Baumstumpf sein – oder ein Felsen – vielleicht gar nur ein Schatten. Sei's, wie es wolle! Mir war dies Gebilde meine Thekla, ich erkannte ihr stahlblau Gewand und Kopftuch, sogar das Braun der Locken und ihr liebes Angesicht, still lächelte sie mich an.
Dem Schauen hingegeben, war ich ins Beerenkraut gesunken, sanfter Jubel sang mir im Herzen: »Süße ferne Braut! Mein Schatz der Abendburg!« Dazu vernahm ich in weiter Ferne Glockenläuten, als begebe sich zu Hirschberg, im ganzen Tale drunten, ein groß Feiern. Und ich träumte, die Stadtruinen seien bekränzt, auf den Knien lägen die wenigen Bewohner: »Friede! Das lange Sengen und Morden ist aus! Endlich Friede!« Und leibhaftig erschien der Friede, ein weißgekleidet Kindlein. So mag gelächelt haben jenes Kindlein, das der Abendburgfelsen seiner Mutter zurückgab; und so mag strahlen das Mägdlein vom Krökentor, wann die lichte Ewigkeit ihm seine finstre Mauerklause hat aufgetan.
Waldfeuer drüben an der Bergeshalde,Dein Wölkchen RauchSchwebt einsam nicht; aus meinem TannenwaldeSteigt gleicher Hauch.
Ob dort und hier zwei treue Herzen flammen,Getrennt durch Kluft und Strom –Den Rauch, die beiden Säulen, schmilzt zusammenEin Himmelsdom.
Die Ferne hat ein Minnen uns gegeben,Das nicht genießt,Nur segnend grüßt – und sanft zu Gottes FriedenHinüberfließt.
Waldfeuer drüben an der Bergeshalde,Dein Wölkchen RauchSchwebt einsam nicht; aus meinem TannenwaldeSteigt gleicher Hauch.