Die Abendburg : ELTeC ausgabe Wille, Bruno (1860-1928) ELTeC conversion Leonard Konle 178800 523 COST Action "Distant Reading for European Literary History" (CA16204) Zenodo.org ELTeC ELTeC release 1.1.0 ELTeC-deu ELTeC-deu release 1.0.0 Die Abendburg Wille, Bruno Bruno Wille: Die Abendburg. Chronika eines Goldsuchers in zwölf Abenteuern, 1.- 5. Tausend, Jena: Eugen Diederichs, 1909. Erstdruck: Jena (Eugen Diederichs) 1909.

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Das erste Abenteuer Handelt von Fürzeichen und heimlichen Künsten

Zu zweien Malen bin ich geboren, und beide Male hieß meine Heimat eine Burg: Magdeburg die eine, Abendburg die andere. Ward ich zu Magdeburg geboren für das Zeitliche, so geschah auf der Abendburg meine Wiedergeburt für das Ewige.

In der Stadt am Elbstrom, am Tage der sommerlichen Sonnenwende des sechzehnhundert und sechsten Jahres drang ich aus dunklem Schoße zum Licht, ein Sprößling des Fleisches mit Odem und Geschrei. Johannes Martinus Tilesius, vulgo Tielsch, ward ich in der Taufe benamset, weil ich ja am Johannistage geboren, und weil überdies mein Vater zu Sankt Johannis Kirche ein Prädikante war. Sein ehelich Weib, meine gute Mutter, hieß Barbara Tilesia, und war eine geborene Angern.

Wie mir von den Eltern oft erzählet worden, habe ich die ersten Monde meines irdischen Aufenthalts schier Tag und Nacht geweinet, also daß meine Mutter nicht schlafen gekonnt und zu manchen Malen vor übergroßer Müdigkeit über dem Tischgebete eingenickt ist. Es spricht aber ein alter Kirchenlehrer: So ein neugeboren Kindlein anhaltend weinet, ist es ein Prophet trübseliger Lebensjahre. Das ist gewißlich bei mir eingetroffen. Zähle ich nämlich all die Ängste und Plagen, durch die ich in Junggesellen- und Mannesjahren Spießruten gelaufen bin, all die Tränen, darinnen ich als in einem Flusse geschwommen, Tränen über Waffen- und Hungersnot, Tränen über verloren Gut, entschwundene Lieb und Treue, Tränen ohnmächtigen Zornes und enttäuschter Hoffnung, auch Tränen der Reue über begangene Missetat, Tränen endlich des heißen Verlangens, aus diesem finstern Tale mich zu erretten zum heiligen Lichte droben ... dies alles bedenkend, muß ich schon glauben, daß mein kindisch Heulen eine Ahnung des Zukünftigen gewesen und ein dunkel Begehren, unsere bange Welt recht balde wieder zu verlassen. Zeiten sind kommen, da hab ich mir die Haare gerauft und gejammert: »Warum hat man damals das schreiende Kindlein nicht verstanden und nicht lieber in der ersten Bademulde ersaufen lassen wie einen Katzenbalg!« Doch freilich, jetzo weiß ich: Nicht um hier eitel Lust zu genießen, trieb uns der Urquell herfür, sondern daß wir uns von trüber Täuschung erlösen zur verklärten Abendburg.

In meiner irdischen Vaterstadt lebte ich eilf Jahre. Alsodann verzogen meine Eltern nach Hirschberg im Schlesierlande, dieweil den Vater Sehnsucht zum Schlesischen Gebirge trieb, das seine angestammete Heimat ist. Also gelangte ich in die Gegend der Abendburg.

Magdeburg und Abendburg – beide Namen haben guten Klang. Magdeburg bedeutet die Burg einer Magd, so mit ihrer Unschuld den Angreifer zurücke schlägt. Und da ich als Kind die ersten Male von der Abendburg reden hörte, dachte ich an gülden Abendgewölk, anzuschauen als eine Burg; auch an eine Veste dachte ich, trutzig in den Abendhimmel gerecket, gewappnet wider den Feind, der im Finstern schleicht. Und es war eine Stimme in dem Namen wie Herbstwind, abendlich am Gitterfenster säuselnd, oder wie der verlassenen Jünger fromme Bitte: »Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget.«

Magdeburg stehet in meiner Erinnerung als eine Hauptstadt, gelegen in der Ebene am Elbstrome, hat einen Dom und andere stattliche Kirchen, große schmucke Häuser, bewohnet von viel tausend Menschen, so mit Lärmen durch die Gassen strömen. In den Werkstätten pochen und basteln die Handwerker, in den Kaufläden und Schreibstuben wird gekramt, gebucht, bankerottiert und Geld in die Truhen gescharrt. Schiffer verladen Ballen und Kisten in ihre Kähne, die das gelbe Wasser umspület. Soldaten bauen auf den Schanzen, Bauern treiben Vieh und fahren über die lange Brücke, und die Windmühlen auf den Feldern schwenken ihre Flügel. Sonntags vernehmen die Magdeburger die wohlgesetzten Kanzelreden ihrer eifernden Prädikanten, dann schleppen die Weiber neumodischen Putz durch den Straßenstaub, auf den Tanzböden scharmieren Gesellen und Jungfern, Gevatter Handelsmann und Lohgerber aber sitzen auf der Sudenburger Dingebank, knöcheln und schandieren über Kaiser und Papst. Ihres hitzigen Hopfenbieres voll, pochen sie auf ihre Freiheit, die vom ersten Kaiser Otto hergeleitet wird, und auf den Schutzgeist ihrer Stadt, im Wappen abgebildet. Eine Magd ist es, so auf einer Burg steht und in der Hand ihr Kränzel, der Reinheit Symbolum, stolz erhoben hält.

Es hat aber eine schaurige Bewandtnis mit diesem Schutzgeiste, wenn anders ein scheu Geflüster der Leute Wahrheit vermeldet. Mit der Magd soll nicht, wie man in katholischer Zeit fürgab, die Jungfrau Maria gemeinet sein, auch nicht Frau Venussin aus der Heidenzeit, sondern ein unerwachsen Mägdlein, so lebendig in die Burg ward eingemauert, dieweil man gläubete, die konservierte Unschuld habe Macht, den Angreifer zurückezuwerfen. Als den Platz, allwo vor Alters des Mägdleins Burg gestanden, bezeichnet die Sage das jetzige Krökentor. Sooft im Laufe der Zeiten der dicke Turm am Tor morsch geworden und von neuem auferbauet werden gemußt, versäumete man niemalen, die Kraft des Schutzgeistes zu erneuern, nämlich ein frisch Mägdlein einzumauern.

Die steinalte Olsche des Bäckermeisters Kahle hat uns Kindern diese Mär anvertrauet. Gern saß sie an milden Abenden in unserm Kreise auf der steinernen Freitreppe des Nachbarhauses und erzählete von Zauberei und Räuberei, Spuk und Gespenstern. Wollte auch wissen, daß der runde Turm am Krökentor erst zu ihres Großvaters Zeiten erbauet worden und auch damals nach altem Brauche sein eingemauert Mägdlein erhalten habe. Des näheren beschrieb sie den Hergang also:

Zuerst waren die Ratsherren unschlüssig, woher das Mägdlein zu nehmen sei. In alten Zeiten war es wohl vorgekommen, daß eine Mutter freiwillig ihr Kind geopfert, vermeinend, ein gut Werk zu tun. Jetzt aber dachten die Mütter allzu christlich, wie denn überhaupt das Magdeburgische Volk dem Opfern also wenig geneigt war, daß es wie ein heimlich Gericht mußte betrieben werden bei Nacht und Nebel. Da nun die Eingeweiheten nicht wußten, wie ein Opferkind zu erlangen, gab ihr Anstifter, der schwarze Burgemeister, den Rat, von den städtischen Waisenkindlein solle das Los gezogen werden. Gleicherweise ward beschlossen, und wurden nun dreizehn Mägdlein, so ohne Vater und Mutter auf Stadtkosten Pflege erhielten, ins Rathaus beschieden, angeblich, um mit Namen in ein Buch eingetragen zu werden. Auf den Tisch aber hatte man mit Fleiß einen Apfel gelegt, der die Kinder in Versuchung führen sollte. Wie nun das kleinste Mägdlein den Apfel sahe, nahm es ihn und biß hinein. Dies nun war das verabredete Los; das Mägdlein ward daher still beiseite in Gewahrsam geführet. Des Nachts aber brachte man es in einem Wagen nach dem Krökentor, wo bei Fackelschein Männer stunden, die Angesichter geschwärzt. Man setzte nun das Mägdlein in die offen gelassene Stelle der Mauer, gab ihm seinen Apfel in die Hand und mauerte die Lücke mit Steinen zu. Wie es ringsum finster geworden, hub das Mägdlein an zu weinen. Draußen freilich vernahm man nur ein leis Gewimmer. Es zu übertönen, begunnte der schwarze Burgemeister seine Weiherede: »Gleichwie das Lamm Gottes am Kreuzesstamme sein Blut dahingegeben zur Erlösung der Menschenkinder, also bist du, unschuldig Mägdelein, ein heilsam Opfer für unser Magdeburg. Gebenedeiet bist du! Denn was ist süßer denn Honigseim?« Hier wollte er selber antworten: »Zu sterben fürs Vaterland.« Doch aus der steinernen Gruft drangen mit wimmernder Stimme die Worte herfür: »Der Mutter Brust!« Verwirrt hörte es der Burgemeister, wollte aber die unheimlichen Laute übertönen und sprach: »Wo ruhet es sich weicher denn auf Daunenpfühle?« Wollte nun fortfahren: »Im Grabe für das gemeine Wohl.« Doch es wimmerte abermals und sprach vernehmlich: »An der Mutter Herzen!« Da ergriff ein Grausen die Anwesenden, und einer flehete: »Reißet das Gemäuer nieder! Gebet das Kindlein frei!« Doch ihm wehrete der schwarze Burgemeister, das Wimmern im Gemäuer verstummte, und vollendet war das Werk. Zum Wahrzeichen aber ward an die Stelle, wo des eingemauerten Mägdeleins Füße ruhen, ein Stein in die Mauer eingelassen, so zwei Kinderfüßlein abbildet.

Wiederholt habe ich die kleinen Zehen betrachtet, wenn ich durch das Krökentor ging. Als ich einmal mit meinem Vater vorbeikam, meinte ich: »Das Mägdlein hätte lieber den Apfel nicht sollen nehmen. Ob es ihn wohl noch gegessen hat in seinem Mauerloche?«

»O mein Kind,« antwortete mein Vater erschrocken, »glaub doch nicht, was die Leute schwatzen! Diese Füßlein sind nur zum Gedächtnis der alten Mär abgebildet; es brauchet deswegen kein Mägdlein dahinter zu stecken. Zauberische Menschenopfer hat man wohl in heidnischen Zeiten dargebracht. Jetzt aber sind die Magdeburger Christenmenschen und kennen die Gebote: Du sollst nicht töten und sollst nicht zaubern.«

»Die Gebote kennen sie wohl,« – schwatzete ich – »deswegen aber zaubern und töten sie doch. Hat man nicht vorige Woche einen Schiffer auf dem Marktplatz an den Galgen gehenket? Und unser Küster erzählt, als Junge habe er eine Hexe brennen sehen, die auf einem Besenstiel zum Blocksberg gefahren sei. Eine Nachbarin, die sie mitnehmen gewollt, habe alles vor Gericht ausgesagt.«

Da seufzete mein Vater: »Ja, es ist eine arge Welt! Aber laß uns lieber nicht daran gedenken. Sollte es aber wirklich wahr sein, daß ein Mägdlein eingemauert ward, so ist das schlimm für die Magdeburger. Hätten lieber nach eigener Unschuld trachten, als sich mit fremden Federn schmücken sollen. Durch die geopferte Unschuld sind sie selber schuldig worden und müssen dafür büßen. Werden dereinst noch erleben, wie ihr gefeiet Krökentor von stürmender Hand genommen wird, und wie die stolze Stadt – ein ander Ilium und Jerusalem – in Rauch und Asche aufgehet ...«

»Nicht doch, Vater!« sprach ich. »Warum gläubest du also?«

»Es gehet der Krug zu Wasser, bis er bricht, und einer jeglichen Burg auf Erden ward vom Himmel beschieden, früher oder später zu fallen, wie ein Kriegesmann zu fallen pflegt. Der Himmel meinet es gut mit solchem Verhängnis. Blühet doch alles Lux herfür aus Crux, alles Licht aus Kreuz und Leide. Die Menschen zu erleuchten, muß ihr irdisch Vaterland zerstöret werden, daß kein Stein auf dem andern bleibet. Also werden sie vermahnet, die bessere Heimat aufzusuchen – eine Burg der wahren Unschuld – eine Burg aus eitel Licht ...«

Hierauf so schwiegen wir lange. Ich aber dachte der Rede nach. Und wie wir am Abend an einem Kornfelde lagerten bei dem Lusthaine, den die Magdeburger Vogelsang nennen, kam ich noch einmal auf das eingemauerte Mägdlein zu sprechen. Über dem Kornfelde schwebte eine Wolke, anzuschauen wie ein gülden Gebirg, und ich sprach: »Siehe, Vater, da ist eine Burg aus eitel Licht – eine wunderschöne Abendburg!«

Mit großen Augen sahe mich der Vater an: »Ei, Johannes, was weißest du von der Abendburg?«

»Ich weiß nichts davon, aber du hast wohl einmal von der Abendburg geredet, und nun dünket mich, das da sei solch eine Abendburg.«

Schmunzelnd nickte der Vater: »Wie rotgülden Wolkengebirg mag die Abendburg allerdings ausschauen, id est in der Johannisnacht, wenn sie von ihrer Verwünschung erlöset wird. Aber für gewöhnlich ist sie nur ein wüst Felsengestein.«

»Ist sie denn keine Burg?«

»Mitnichten eine Burg, sondern gänzlich wild Gestein, an die zwo Stunden entfernt von meinem heimatlichen Dorfe Schreiberhau. Raget jäh aus den Wettertannen jenes langerstreckten Gebirges, allwo der Queißfluß und der Kleine Zacken ihren Ursprung nehmen. Von der Abendburg schaust du gen Mittag über dunkle Wipfel nach den Riesenbergen. Die wogen dunkelblau, und in ihren Abgründen schimmert Schnee.«

»Wahr, Vater, da kann man im Sommer Schneebälle machen?«

»Freilich! In den hochgelegenen Felsenspalten gen Mitternacht ist es also kalt, daß der Schnee bis Ende Juli dauert.«

»Wie hoch sind wohl die Riesenberge, Vater? Etwa so hoch wie unser Dom?«

»Weit höher, Johannes! Oft ragen sie über die Wolken hinaus.«

»Ei wie denn, Vater? Wenn sie bis über die Wolken ragen, so kann man von dorten wohl ins Himmelreich schauen, allwo die schönen Engel auf Wolken wandeln? Ach, ich möchte über die hohen Berge gen Himmel klettern.«

»Ei ja doch!« lachte der Vater. »Wie auf einer Leiter, nicht wahr? Nein, Johannes, das Himmelreich ist nicht an einem entlegenen Orte und kommet nicht mit äußeren Gebärden; inwendig im Herzen tut es sich auf.«

Ich war enttäuschet. »So können uns die schönen hohen Berge nicht zum Himmelreiche helfen? Warum verlangest du alsdann immer nach deinen lieben Bergen?«

Der Vater lächelte für sich und nickte: »Ob sie zum Himmelreiche helfen? Das können sie allerdings! So du nämlich Liebe für sie hegest, tun sie dir das Herze auf, und also wird dein innerlich Himmelreich offenbar. Solches ist mir geschehen auf der Abendburg. Und glaube mir, so du dorten hoch vom Steine in die blauen Weiten schauest, und dein Ohr dabei keinen Menschenlaut vernimmt, sondern nur den Wind in den Nadelwipfeln harfen, einen Specht an Baumesrinde hämmern, oder einen Hirschen röhren – und tage-und mondelang immer nur diese Gestalten und Stimmen der Einöde zur Gesellschaft hast, widerfähret dir wohl ein Mirakel, ähnlich dem, was über die Abendburg gemeldet wird.«

»Erzähle, Vater!«

»Die Abendburg, so sagen die Leute von Schreiberhau, ist einmal eines Königs Schloß gewesen. Ward aber verwunschen und in wüst Gestein verwandelt. Zuweilen nur, je nach langem Raume, in Sankt Johannis heiliger Nacht, erscheinet es wieder in alter Pracht. Aufgetan ist dann ein Tor, und wer eintritt, findet wohl Mulden voll Gold und bunten Edelsteinen. Aber man muß des Sonntags geboren und anoch unschuldig sein, sonsten kann man den Schatz nicht heben, kriegt auch die entzauberte Abendburg nimmer zu schauen ...«

»Aber du, Vater, hast sie zu schauen gekriegt.«

»Ach nein, ich bin kein Sonntagskind.«

»Aber sagtest du nicht, dir sei das Mirakel wider fahren?«

»Ein ander Mirakel meine ich und auch eine andere Abendburg. Doch solches zu verstehen, bist du noch zu jung, lieber Johannes.«

»Ach, Vater, so erkläre es mir – vielleichte, daß auch mir solch Mirakel widerfahren mag.«

»Nun wohl, mein Kind,« sagte der Vater, und seine Augen waren leuchtend aufgetan. »Die Abendburg, die ich jetzo meine, ist das Menschenherz. Verwunschen ist es von einem bösen Geiste – demselbigen, so die schwarzen Männer angestiftet, das Mägdlein einzumauern. Dieser Geist kann die ewige Seele also verstören, daß sie einer Wüstenei gleichet, dem düstern Felsen der Abendburg. Doch einen Johannistag gibt es, der den Zauber lösen kann. Das ist die Sonnenwende des Menschenherzens, da es spüret, wie nun die Tage kürzer werden, und wie alles Leben vergehen muß gleich Heu. Nun seufzet es: Ach komm doch endlich, du mein ewig Heil, denn ich bin müde, leibeigen zu dienen dieser unwerten Welt! Da auf einmal ist ausgesprochen das heilige Wort. Die Abendburg, so nichts anderes ist denn der innere Mensch, wird erlöset und strahlet nun als eines Königs Schloß. Auf springet die heimliche Pforte, da gleißet in den tiefen Kammern der Schatz des Menschensohnes, und nimmer fressen den die Motten und der Rost. O mein Johannes, siehe zu, daß selbige Abendburg dereinst dir nimmer verwunschen und verschlossen bleibet.«

Ich hatte aufmerksam gelauschet, zwar nicht verstanden, was ich jetzo weiß, doch eine Ahnung verspüret von dem Heiligtum tief im Menschen. Und wie mein staunend Auge auf dem Vater ruhte, hatte ich gedacht: Also muß ein Prophete aussehen!

Nach einer Weile fragte ich: »Aber wie ist es denn mit der richtigen Abendburg, so bei Schreiberhau gelegen? Hat die jemals einer zu schauen gekriegt?«

»Die Mär vermeldet, in einer Johannisnacht sei eine arme Frau mit ihrem Kindlein zur Abendburg gekommen. Da hat sich der Fels verwandelt, und die Mutter, ihr Kindlein an der Hand, ist eingegangen in das strahlende Schloß und hat in den Gängen Gold gefunden, das von der Decke herabhing wie Tannenzapfen von den Nadelzweigen. Wie sie nun genung abgebrochen und zusammengerafft, ist sie enteilet und hat in der Hast ihres Kindleins vergessen. Draußen erst hat sie mit Schrecken sich umgewandt, es zu holen. Da ist ihr vor der Nase die Türe zugeschlagen, und auf einmal die Abendburg wieder wüster Fels gewesen, und drinnen war das Kindlein. Geweinet und sich das Haar geraufet hat die Mutter, auch vor Verzweiflung das Gold weggeworfen, weil das sie nicht glückselig machen konnte, nun ihr Kindlein verloren. Aber wie sie nach Jahresfrist zur Abendburg kommen ist, sich auszuweinen, hat sich der Felsen abermals zum Schlosse verwandelt, und siehe, drinnen an einem steinernen Tische sitzet das Kindlein frisch und gesund, einen Apfel in der Hand, und winket lächelnd der Mutter, hereinzukommen. Diesmal hat die Mutter nicht nach den kalten Schätzen gegriffen, sondern nach dem lieben Kindlein. Ist mit ihm eilend zum Burgtor hinaus und hat das Wiedergefundene geherzet und geküsset. Der Apfel aber ist eitel Gold worden, also daß die Mutter von ihrer Armut fürder frei.«

»Ei, Vater,« sagte ich verwundert, »wie gleichet doch das Kindlein im Abendburgfelsen dem Mägdlein im Krökentor. Beide sind in Stein eingeschlossen, und beide haben auch einen Apfel in der Hand.«

»O schweig, mein Kind, laß ruhen den alten Frevel!«

»Aber kann nicht auch das Krökentor entzaubert werden wie die Abendburg und das Kindlein herauslassen?«

Sinnend nickte der Vater: »Wenn einst die Gräber sich auftun, wird auch das Mägdlein erlöset, aus dem kalten düstern Gemäuer kommt es lachend heraus, und siehe, ein Mutterherz ist ihm beschert. Unschuld ist ewig bei der Liebe.«

Nach solchem Trostworte erleichterte ein Seufzer meine beklommene Brust. Ich bedachte, es werde vielleicht, wie dem Krökentore, also gemeiniglich für alles Unheimliche, so mich ängstete, ein Stündlein der Erlösung und Verklärung schlagen. Es gab des Unheimlichen nicht wenig in meiner Vaterstadt, und das Mägdelein im Krökentor mag als ein zusammenfassend Symbolum gelten für die Finsternisse meiner Kindheit.

Von einer Scheu vor der Gegenwart und einer Sehnsucht in die Ferne war meines Vaters Seele ständig bewegt. Dem verlieh er gern einen stummen Ausdruck durch kleine Gemälde, wie er denn den Tuschpinsel schier als ein Künstler zu führen wußte. So hatte er einen Felsblock gemalt, aus dem ein Quell schäumend schoß. Darunter stund geschrieben: »Ich steh am Quell und dürste.« Als ich ihn um die Bedeutung der Inschrift befragte, gab er zur Antwort: »Ach wie oft stehet ein Mensch am Quell und muß doch dürsten, dieweilen er nicht trinken darf, nicht trinken kann, nicht trinken mag.« Zu einem andern Gemälde, das einen grauen Wolkenhimmel und darunter ein violenfarben Gebirg fürstellte, sprach der Vater: »Dies Gewölk bedeutet meine Trübsal, und darunter wallet der blaue Strom meiner Sehnsucht.« Gemeinet war wohl die Sehnsucht nach der ewigen Heimat; doch dies allerinnigste Verlangen kleidete sich beim Vater gern in das irdische Gewand seines Heimwehs nach dem Schlesischen Gebirge.

Des Magdeburgischen Amtes waltete er ohne frischen heitern Sinn. Hatte es ja nicht aus Herzensdrange übernommen, sondern mehr um meine Mutter ehelichen zu können. Das mochte nun seine Kirchengemeinde spüren; drum war sie kühl gegen ihn gesonnen. Redete ihm nach, er predige nicht für das Volk, sondern für sich selber und für Schwarmgeister seinesgleichen. Wie der Rat von Magdeburg einmal uneins mit dem Administrator des Erzstiftes gewesen, und schier alle Prediger auf der Kanzel die Bürgerpartei verfochten, mein Vater aber gänzlich von solchen Welthändeln schwieg, ward ein Gespött über ihn im Ratskeller laut. Davon ist er völlig verschüchtert worden; fühlte sich halt nicht zum Eifern geschaffen, wie er denn von je mehr den Studiis gewogen war als dem Predigen, und insonderheit den milden Gelahrten Melanchthon liebte, dem streitbaren Luthero indessen nur Ehrfurcht entgegenbrachte. Was meines Vaters Kleinmut auf die Mutter übertrug, war die Schmalheit seiner Besoldung, so noch aus der alten katholischen Zeit stammte und wohl für einen ledigen Mann zulangte, nicht jedoch für einen Familienvater. Solche Unzufriedenheit ließ den Vater nach einem andern Amte umschauen, und weil er bereits früher im Schuldienste sich herfürgetan, auch eine angesehene Grammaticam herausgegeben hatte, so ward er von seinen Hirschbergischen Landsleuten zum Konrektor ihres Gymnasii erkoren.

Da nun beschlossen war, daß wir gen Schlesien ziehen sollten, kam eine freudige Aufregung über meinen Vater und auch über mich. Nur die Mutter seufzete, und ihre Augen waren oft verweint. Mich deuchte es eine große Sache, bei dem Umzuge andere Länder und Städte zu schauen und gar nach dem ersehnten Gebirge zu gelangen. Wie aber der Tag der Abreise nahe war, kam mir doch ein Bangen, weil ich hinfürder von meiner guten Stadt Magdeburg geschieden sein sollte. Beschloß derohalben, alle trauten Orte noch einmal zu besuchen und ihr Bildnis getreulich meinem Gemüte einzuprägen.

Ging auf den Marktplatz, wo ich gern Ball oder Kreisel gespielt, und über den Breiten Weg, so die Stadt vom Krökentor bis zum Sudenburger Tor durchquert. Prächtig sind allda die Bürgerhäuser, haben breite Freitreppen, künstlich geschmiedete Gitter und am Dache speiende Ungetüme. Über den eisenbeschlagenen Pforten pranget mancherlei Zierat, als da sind Pferdeköpfe, wilde Männer, fromme Sprüche oder Sinnbilder, etwan ein steinern Rad, ein Pflug, eine fette Henne, ein gülden Hufeisen. Wenn ich einem stadtbekannten und kuriösen Menschen begegnete, dem dicken Hökerweibe, Appelolsche benamset, oder dem wilden Peter, dessen Haare und Nägel seit Jahren unverschnitten geblieben, so dachte ich in meinem Sinn: du ahnest nicht, daß ich dich jetzo zum letzten Male anschaue und die weite Reise ins Schlesingerland fürhabe!

Bei solchem Umherwandeln merkte ich, daß mein Abschied nicht bloß der Vaterstadt galt, sondern auch bereits meinem Kindesalter. Zu manchen Malen ward mir klar, wie ich bisher als rechter Einfaltspinsel in die Welt gegafft und mich mit allerhand dummen Einbildungen getragen. Das Haus am Knochenhauer Ufer, drin meiner Mutter Vater wohnte, trug auf dem Dach ein Türmlein, von wo mein Blick oft über das Gewimmel der Dächer ins Weite geschweift war, auch über die Elbe hinweg bis zur grünen Zollschanze, wo der Himmel sich emporzuwölben begunnte. »Dahier muß die Stelle sein, wo die Welt mit Brettern zugenagelt ist,« hatte ich stets bei diesem Anblicke gedacht – als ob hinter den grünen Wällen nichts Irdisches mehr zu finden sei. Jetzo schlug ich mich vor die Stirn und schalt: »Welch Asinus bist du gewesen! Hat nicht der Vater gesagt, hinter der Zollschanze sei die Stadt Wittenberg gelegen, und in dieser Richtung führe die Straße gen Hirschberg? Du Narre sollst noch das Maul aufreißen, wie die Welt so lang und breit.«

Eine andere kindische Einfalt hatte mir eingebildet, der Kaiser Otto, vor dem Rathause hoch zu Rosse abgebildet, sei derselbige, von dem die Bürgersleute sprachen: »Unser Kaiser«, und die um den Kaiser Otto stehenden steinernen Weibsbilder seien die Frau Kaiserin nebst ihren Mägden. Nunmehr zur Nachdenklichkeit gestimmt, befragte ich meinen Vater nach dem Kaiser Otto und erfuhr zu meiner Verwundernis, der habe schon vor vielen hundert Jahren gelebt, und was ich für Mägde angesehen, seien Symbola, Fürtrefflichkeiten seiner glorreichen Regierung, zum Exempel seine Justitia oder Gerechtigkeit, seine Frömmigkeit und Tapferkeit; jetzo aber werde die Krone des Römischen Reiches Teutscher Nation vom Kaiser Matthiae getragen, der wohne im Österreiche, in der Stadt Wien, zwiefach so entfernt wie Hirschberg.

Das Besteigen unseres Dachtürmleins erinnerte mich daran, daß ich ja noch nicht auf dem Magdeburger Dome gewesen sei, von wo man, wie die Leute rühmten, viele Meilen weit in die Runde sehen und bei klarer Luft sogar den Harz erkennen kann. Bat derohalben meinen Vater, mich auf den hohen Turm zu geleiten, und erhielt die Zusage. Sollte jedoch nicht zum Ziel gelangen. Denn wie wir eines Spätnachmittages beim Küster des Domes vorsprachen, damit er uns den Turm auftue, war weder der Küster noch sein Weib daheim, und also blieb uns der Turmschlüssel verwehret. Wir begnügten uns damit, von unten zu betrachten, was des Anschauens würdig. Da staunte ich über die mächtigen Türme mit ihrem aus Stein gemeißelten Zierate. Der Sonnenuntergang entzündete in den Scheiben der hohen Fenster Purpurflammen, und rosig angehaucht war der graue Sandstein, während die Schnörkel und Pfeiler bläuliche Schatten warfen. So hatte ich den Dom noch nie gesehen.

Alsdann gingen wir zum Kreuzgang. In seine Wände sind Steinplatten eingelassen, auf denen geistliche Herren aus alter Zeit, mit Kutten angetan, abgebildet sind; und ich war bisher, weiß nicht aus was Ursach, der erschrecklichen Meinung gewesen, hier habe man Mönche zur Strafe für Ungehorsam lebendig eingemauert, also daß ihre Gestalt unter dem angeworfenen Kalke noch erkennbar. Von diesem Aberglauben heilte mich mein Vater: »Solch Einmauern,« sagte er, »ist in den papistischen Klöstern zwar vorgekommen, aber doch nicht also oft, auch nicht in dieser Weise zur Schau gestellet.«

Ich fragte nun, ob es wahr sei, was ein Klosterschüler mir anvertrauete, daß nämlich ein heimlicher Gang unter der Erde den Dom mit unserer Johanniskirche und sogar mit dem Kloster Berge verbinde.

Hierauf antwortete mein Vater: »Also reden die Leute; wollen auch wissen, daß Kurfürst Moritz, wie er Magdeburg belagerte, durch den unterirdischen Gang in des Dompredigers Wohnung gedrungen sei, um daselbst mit dem Stadtrate ohne Wissen der Bürgerschaft zu akkordieren. Das soll vor mehr denn sechzig Jahren geschehen sein. Den früheren Domprediger habe ich gefragt, was Wahrheit daran sei, und die Auskunft erhalten, in den Kirchenschriften werde nichts dergleichen vermeldet. Was aber die Johanniskirche anlangt, so weiß ich allerdings von einem unterirdischen Gang; er führet aus dem Keller unseres Predigerhauses in ein Gewölbe unterhalb der Kirche, weiter jedoch nicht. Wenigstens hat unser Küster keine Fortsetzung des Ganges gefunden.«

»Wie denn? Aus dem Keller unseres Predigerhauses?« fragte ich. »Wir wohnen ja im Predigerhause.«

»Aus unserm Keller,« bestätigte der Vater. »Hinter Gerümpel befindet sich da eine kleine Tür, unser Küster hat den Schlüssel. Ich bin niemals hineingekrochen. Der Gang soll baufällig sein und gefährlich zu betreten.«

Daß diese Worte mir später einmal zum Schicksal werden sollten, ahnte ich damals nicht, prägte sie aber meinem Gedächtnisse ein, weil sie meine Phantasie aufregten.

Im weiteren Gespräche fragte ich, was für Bewandtnis es mit jener Belagerung durch den Kurfürsten Moritz habe. Es fiel mir bei, daß Tages zuvor der Prediger von Sankt Kathrinen zu meinem Vater die Äußerung getan: »Ein neuer Kurfürst Moritz tut dem Reiche not.« – »Wie denn?« fragte ich jetzo verwundert. »Kurfürst Moritz war doch unser Feind. Hat er nicht Magdeburg belagert?«

»Ja, weil es der Kaiser also gewollt hat, und weil Moritz damals kaiserlicher Feldherr gewesen. Doch unser Feind war Moritz nicht. Denn nur ein Gaukelspiel ist seine Belagerung gewesen. Mit dem Scheine des Gehorsams hat er den Kaiser sicher gemacht, um dann auf einmal gegen ihn die Waffen zu kehren.«

»Ei, so ist Kurfürst Moritz ja falsch und treulos gewesen.«

»Das freilich,« versetzte mein Vater, »aber dem evangelischen Glauben hat er durch solch Vorgehen großen Nutzen gebracht, und denen Politicis kommt es mehr auf den Nutzen an, als auf die Treue.«

Also hat schon das Herannahen meines Abschiedes von der Vaterstadt mich aus der Enge kindischer Meinung zu einem weiteren Gesichtskreis geführt. Wie erstaunte ich aber erst, als wir die Reise angetreten, und jeder Tag meiner Neugier frische Weide sattsam bescherte!

Wir fuhren große Landstraßen dahin, zumeist auf Leiterwagen, die bei schlechtem Wetter mit Leinewand bedeckt wurden. Rechts und links zogen Bäume vorbei, Wiesen und Stoppelfelder, Flüsse und Sümpfe, Gutshöfe und Windmühlen; und wenn die eine Kirchturmspitze hinter einer Erdwelle versank, war schon die neue vorn aufgetaucht. Bald holperten unsere Räder über das Pflaster einer Stadt, bald schlichen sie mühselig durch Sand und Heide oder beklebten sich mit der schwarzen Erde feuchter Wälder. In den Einöden besorgten meine Eltern, es möchte mausend Gesindel auf der Lauer liegen. Widerfuhr uns aber keine Gewalttat, sintemalen wir gefährliche Gegenden niemals ohne bewaffnete Reisegesellschaft passierten.

Wir begegneten Leuten mancher Art: Handwerksburschen und Bettlern, Bauern und Viehhirten, reisenden Kaufleuten und Soldaten, auch Bärenführern und Komödianten. Sahen bei Lohburg eines Seiltänzers Künste, manchmal einen Galgen mit Gehenketen dran, zu Wittenberg ein Blutgerüst und im Wendischen Lande eine schreckliche Balgerei bezechter Burschen.

Täglich an die zehn Stunden ging die Reise. Dann waren wir so derbe durchgerüttelt, daß uns alle Glieder wehtaten. Als wir in die Lausitz kamen, fühlte sich meine Mutter elend. Und zu Wittichau mußten wir ihrethalben zween Tage im Gasthause verweilen, da sie aus kaltem Regenwetter ein Fieber davongetragen.

Bei der Stadt Görlitz schimmerte durch herbstlichen Dunst ein spitzer Berg, die Landeskrone geheißen, und fröhlich sagte mein Vater: »Jetzo fanget das Gebirge an, und so Gott uns behütet, sind wir übermorgen abend am Ziele.« Ich spähete eifrig nach den Bergen aus, da es aber andauernd nebelig war, sah ich nur die nächsten Hügel. Merkte aber an Felsen und schäumenden Bächen, daß wir im Gebirge waren.

Am Morgen ging es durch hohen Fichtenwald, ich nickte in Schlaf, fuhr aber bei einem Ausruf meines Vaters empor. Der Nebel war gewichen, und die Frühsonne strahlte von links; zur Rechten hub sich eine blaue Wolkenwand, nach der meine Eltern heitern Antlitzes hinschauten. »Da haben wir das Isergebirge, Johannes, und heute abend sind wir in Hirschberg.« Nun erst erkannte ich, daß die blaue Wand wellenförmig gegliedert war und aus Bergen bestund, die höher und höher ragten, immer hellblauer gefärbt, je ferner sie waren.

»Der Kegel ganz hinten ist der höchste Berg, Schneekoppe geheißen. Dorten wohnet der Herr der Berge, der verrufene Rübenzagel – doch das sind Fabulae,« sagte mein Vater. Nach einer Pause fügte er hinzu: »Der wahre Herr der Berge ist Gottes Geist; den spürest du in den Bergen. Willst du Gott schauen, so vergiß die Berge nicht – auch nicht das Meer.« Nickend wiederholte er: »Berge und Meer!«

Zu Greifenberg angelangt, freuten wir uns der großen prächtigen Burg, die über dem Städtlein am Berge liegt als ein gewaffneter Schirmherr. Heißet der Greifenstein und ist Residenz des Freiherrn von Schaffgotsch.

Als unser Wagen in der Laubaner Gasse Halt machte, kam aus dem Wirtshause, von den Schlesingern Kretscham geheißen, ein Mann, dem Aussehen nach ein Viehhändler, und fragte den Vater in seiner Mundart, die ich schwer verstund, ob er der neue Konrektor von Hirschberg sei. Drauf berichtete der Mann, daß meines Vaters Bruder, Tobias Tilesius, uns bis Hirschberg entgegengereiset sei und da bereits zween Tage im Schwarzen Rössel unserer Ankunft harre, in Sorgen, es möchte uns unterwegs ein Mißgeschick widerfahren sein.

Mein Vater traktierte den Viehhändler mit einem guten Botentrunk und forschte ihn nach seinem Bruder aus. Den nennete der Viehhändler immer nur den Kräutertobias, dieweilen mein Oheim die wertvollen Gebirgskräuter sammelte und zu Markte brachte. Früher ein kunstfertiger Glasmacher und Schleifer, hatte mein Oheim sich in diesem Handwerk, das die Brust angreift und mit Glasstaube anfüllt, einen schweren Odem zugezogen und sich nun dem Laborantenwesen zugewandt. Wohnte hoch im Gebirge zu Schreiberhau.

Es dämmerte bereits, als wir an einem zweiten Schlosse des Herrn Schaffgotsch, auf einem Berge über dem Städtlein Kemnitz gelegen, vorbeifuhren. Noch ein paar Stunden, und aus der Dunkelheit schimmerten die Lichter von Hirschberg. Unter einer Brücke schoß rauschend Wasser dahin, und nun fuhren wir durch ein festes Tor in die Stadt, um bald vor dem Schwarzen Rössel zu halten.

Aus dem Gasthause trat ein hochgewachsener, doch im Rücken gebeugter Mann, spähete nach dem Wagen und kam hastig herbei. »Tobias!« rief mein Vater froh, sprang vom Wagen und umarmte seinen Bruder. Hierauf begrüßte der Oheim meine Mutter und küßte mich auf die Wange. Wie mein Vater war er lang und hager von Gestalt, auch melancholischen Antlitzes. Während aber mein Vater versonnen und sehnsüchtig aussah, beseelte den Oheim eine wilde Unrast. Grau und verwittert seine Haut, wie Fichtenrinde, struppig der große Bart, keuchend sein Odem. Die Augen lagen in tiefen Höhlen unter buschigen Brauen und glommen düster.

Wie wir so auf der Gasse stunden, nur trübe von der Wagenlaterne beleuchtet, stumm und bewegten Herzens, da ja diese Stadt unser neues Vaterland sein sollte, war mir seltsam zumute. Hörete die Mutter heimlich weinen, den Vater aber mit gefalteten Händen die Worte sprechen:

»Arm zages Pilgramherze,

Irrst lange schon im Dunkeln.

Da siehst du eine Kerze

Durch Nacht und Nebel funkeln.

Gewiß, wer die entzündet

Dem Irrenden zur Hut,

Hat also ihm verkündet:

Komm her, ich bin dir gut;

In meiner treuen Klause

Sei endlich nun zu Hause.«

Du lieber Boberfluß, dein Murmeln tönet hold durch mein Gedenken, so ich des Nachts im Kämmerlein die zurückgelegte Lebensreise betrachte. Dann seh ich frischgemut wie in den Knabentagen deine Wellen an der Sonne blinken und über moosige Felsen hüpfen, vorbei an Stauden und Gebüsch, an Häusern und Gartenmauern. Aus einem finstern Walde bei Schatzlar kommst du her, wo vorzeiten eine Glashütte gestanden. Zwingest und windest dich schäumend durch die Berge bis zu meinem guten Hirschberg, dessen Stadtmauern du gen Mitternacht berührest, um dicht dabei den Zackenfluß zu verschlucken.

Als ich mit meinen Eltern nach Hirschberg gezogen kam, war die Stadt noch schön gebaut und volkreich, hatte gedoppelte Mauern, Brustwehre, Schanzen und Gräben, drei starke runde Tortürme und andere Fortifikationen. War bewohnt von Ackerbürgern, Kaufleuten, Handwerkern, insonderheit Webern. Die lebten ein lustig Leben, liebten wackern Schmaus und Trunk, Gesang und Tanz. Zogen Feiertags vor die Tore zum dörfischen Kretscham, hatten viel Freude am Armbrustschießen und küreten jährlich einen Schützenkönig, so am besten den Vogel auf der Stange getroffen. Waren dabei gar betriebsam und kunstfertig. Das Weibesvolk wirkte Borten und Schleier, die weithin nach Polonien und Böheim, sogar nach Reußenland zu den Moskowitern verführet wurden. Vor der Stadtmauer auf den Uferwiesen des Zacken und Bober lagen die schlohweißen Gewebe hingebreitet, ähnlich Schneeresten im Märzen. Schwatzende Mägde schritten barfüßig über den Rasen, aus gesiebten Kannen Wasser auf die Bleiche zu gießen.

Das Hirschbergische Leben behagte uns allen weidlich. Gern war der Vater im neuen Amte, die Mutter erfreute sich eines reicheren Haushaltes, und ich empfing mit aufgeschlossenen Sinnen all das Neue und Wunderschöne der Gebirgslandschaft. Vernachlässigte dabei die Studia mit nichten. Nachdem ich allbereits zu Magdeburg »amo, amas, amat« gelernt hatte, drang ich jetzo unter Vaters Leitung in der Grammaticae tiefere Gründe ein und galt als ein tüchtiger Scholar.

Die Stunden meiner Muße verbrachte ich gern einsam vor den Stadttoren. Ging abends etwa auf den Hausberg, wo vorzeiten ein fest Gehäus gestanden, vom Herzog Boleslao erbaut, von den Hussiten aber in Asche gelegt, daß nunmehr bloß etliche Mauerfragmenta aus dem Busche ragen. Hier bin ich oft gesessen, in ein Buch vertieft, zum Exempel in die Beschreibung Schlesiens durch Caspar Schwenkfeld. Meditierete dann über die wunderlichen Abenteuer, so dieser Autor vom verrufenen Rübenzagel berichtet.

Wie einmal mein Vater mit mir auf den Hausberg gegangen ist, habe ich den Blick auf die blaue Schneekoppe geheftet und nach einer Weile gesprochen: »Sage mir, lieber Vater, was vermeinest du über den Rübenzagel? Mag wohl etliche Wahrheit in diesem Glauben an den Geist der Berge sein?«

Zur Antwort gab mein Vater: »Was gemeiniglich in Spinnstuben und Schenken vom Rübenzagel laut wird, sind Fabulae. Gleichwohl gibt es einen Geist der Berge. Denn versenkest du dein Schauen in die Art unseres Gebirges, so spürest du darin eine eigne Lebendigkeit. Sie ist ein Teil des göttlichen Odems, der die ganze Welt durchflutet, und ohne dessen Spiritum kein Erdending bestehen mag – das Wasser nicht ohne Undinen, der Fels nicht ohne Kobolde, und kein Elementum ohne seine Elementargeister. Drum gebe ich Unrecht gleichermaßen denen, so den Rübenzagel für eitel Aberglauben halten, als auch jenen anderen, so ihn für eine teuflische Riesengestalt ausgeben. Es lebt der Herr der Berge und ist ein Geist, aber nur im Gemüt spürest du ihn. Er ist groß und gütig, freilich auch rauh und wetterwendisch, wie halt unseres Gebirges Art.«

Mich freute solcher Bescheid. »So ist also der Rübenzagel kein Teufel, und wir brauchen uns nicht vor ihm zu fürchten?«

»Nein, Johannes, das brauchen wir mitnichten. Der Teufel, den wir Menschen zu fürchten haben, hauset nicht in Wäldern und Gebirgen, sondern in uns selber, im menschlichen Herzen.«

Derweilen uns das Gespräch in solch Meditieren einspann, regten sich raunend die Gebüsche im Winde, und es erlosch mählich das Abendrot ob den Tannenwipfeln. Auf dem Heimwege blieben wir noch ein Weilchen stehen bei der Quelle an des Hausbergs Fuße, das Mirakelbörnel benamset. Gedachten der alten Mär, dorten liege ein Schatz vergraben, den die Jungfer Praxedis bewache. Und in tiefer Dämmerung, wann Fledermäuse schattenhaft um uns huschten, und ein Nebel aufstieg, schien aus dem Dickicht die Jungfer im weißen Gewande mir zuzuwinken, daß ich den Schatz heben solle.

Im zweiten Frühjahre unseres Hirschberger Aufenthaltes hat sich ein Omen begeben. Durch die Luft kamen grausam viel Heuschrecken geschwirrt, aus dem südlichen Reußenlande. Haben im Fluge die Sonne verdunkelt, und wo sie niederfielen, ward der Boden ein viertel Ellen hoch bedeckt, also daß man in dem grünen Gewimmel waten gemußt bis an die Knöchel. In ihrer Freßsucht haben sie Gras, Laub und Getreide abgebissen bis auf das letzte Hälmlein und Stümpflein, und ist davon ein Geräusch gewesen, als ob eines Pappelhaines Blätter zittern. Mit Dreschflegeln haben die entsetzten Landleute dreingeschlagen, auch in Karren das Ungeziefer geschaufelt und verbrannt. Haben die Säue und Schafe auf diese seltsamliche Weide getrieben und so die grünen Leiber zerstampfen lassen. Aber die Säue haben so massenhaft vom Geziefer gefressen, daß viele hernach einer Seuche erlegen sind, und der rote Jörge, unser Schinder, genung tote Säue mit seinem blinden Gaule hat hinausführen und beim Gerichte verscharren müssen.

Kaum waren die Heuschrecken so ziemlich fort, da ist eine neue Plage und Beunruhigung losgegangen. Zigeuner, wohl an die hundert Häupter, sind gekommen, auch zwanzig Zeltwagen mit kleinen zottigen Pferden. Haben vor dem Schildauertore ein Lager gemacht. Um dieses Volkes wundersame Art und Sitte zu betrachten, ist die Bürgerschaft in Menge hinausgezogen, nicht ohne Waffen. Auch mein Vater ist hingegangen und hat mich mit sich genommen. Da sah ich denn viel braune Gesichter mit blitzenden Augen und Rabenhaar. Kauderwelsch haben sie geschwatzt, auch mit Bettelei die Besucher angeschrien und um Geld aus der Hand geweissagt. Mein Vater hat mancherlei von diesem Volk berichtet: »Rechte Zieh-Gauner sind es, ohne Vaterland, im Umschweifen geboren, allezeit Stehlens und Raubens beflissen. Geben für, ihre Urväter in Kleinägypten seien vom christlichen Glauben abgefallen, und hierauf habe ihnen Gott die Buße auferlegt, daß sie so viele Jahre im Lande umziehen sollten, als sie dem Unglauben gehuldigt. Aber das ist schelmenhafte Heuchelei, zu dem Ende ersonnen, sich bei den Christen lieb Kind zu machen.«

Unter solchem Gespräche waren wir an Zigeunerlagers Ende gekommen. Am Feuer saß hier ein altes Weib und kochte Gerste mit gebackenen Pflaumen. Auch war sie damit beschäftigt, die stachlichten Körper etlicher Igel mit Lehm zu umhüllen und solchergestalt in der Glut zu rösten. Derweilen ich ihrem Treiben verwundert zuschaute, sagte mein Vater: »Ei, da ist ja der Tobias!«

Allerdings war mein Oheim in der Nähe; eifrig redend stund er bei einem Zigeunermanne, dessen gepichter Schnauzbart schwarz und stechend wie sein Auge. Der Vater schien ebenso befremdet, seinen Bruder im Gespräch mit einem Zieh-Gauner anzutreffen, als dieser verlegen war, solchen Umganges überführt worden zu sein. Indessen mein Vater und sein Bruder einander durch Zuwinken grüßten, lief ich erfreut zum Oheim und gab ihm die Hand.

»Schucker tschawo, scheen Bub mit Weißhand!« sprach auf einmal eine helle Stimme, und neben mir stund eine Zigeunerjungfer. Aus dem zartbraunen, von schwarzen Locken umloderten Angesichte blitzten die großen dunkeln Augen in mein Herz hinein, und ihrer geschmeidigen Glieder Form, kaum verhüllt durch ein zerrissen Hemde und ein kurz Röcklein, stiftete in mir eine seltsame Verwirrung an.

»Schucker tschawo, mit Güldenhaar – wird sich rot wie Blut – ah bravo!« lachte die Jungfer, wobei ihre Zähne wie Perlen blitzten. »Gib Hand, Bub! Turkewawa, wahrsagen will Zigeunermadel. Tsi kosteles – kostet nix! Turkewawa ohne Geld, wahrsagen ganze wahr!«

Der Zudringlichen ließ ich willig meine Hand, die sie lächelnd streichelte und betrachtete. Aufmerkend war der Oheim herbeigetreten, und die Wahrsagerin sprach: »Oh, oh, schucker tschawo werden wie Keenig Salomo – finden Stein der Weisen – heben Schatz – oh, oh, große Schatz!« Und die Zigeunerjungfer ließ meine Hand und blickte mich an, als ob sie über mein Glück staune. Der Oheim schien erregt, da er oft hustete und unter den düstern Brauen die Augen rollte. Seine Hand reichte er hin und sagte: »Prophezeie sie auch mir!« Spöttisch blinzelte ihn die braune Jungfer an: »Will er auch Stein der Weisen?« Und die Hand betrachtend, schüttelte sie verächtlich den Kopf: »Eh, narbulo! ist sich nix von Weisheit, nix Salomo! Ist sich narbulo – hier Linie von narbulo! Ist sich narrisch – narbulo und wie ewige Jüd – ha, ha, ewige Jüd!«

Höhnisch auflachend sprang die Jungfer fort wie eine wilde Katze. Doch bevor sie hinter den Zelten verschwand, drehte sie sich noch einmal um, tat beide Hände küssend an ihren Mund und streckte sie nach mir aus: »Schucker tschawo – Bub mit güldene Haar – oh, oh, Keenig Salomo!«

»Nun aber komm, Johannes!« rief mein Vater und fügte für den Oheim hinzu: »Ade, Tobias! laß dich hernach bei uns sehen.«

Wie bestürzt und verwirrt blieb der Oheim stehen, seine Augen suchten bald die entwichene Wahrsagerin, bald die von ihr gedeutete Linie seiner Hand. Da ich ihm Lebewohl sagte, blickte er mich stumm an.

Auf dem Heimwege berichtete ich dem Vater, was mir widerfahren. Er aber meinte: »Ei ja doch! Sei kein Narr! Willst du etwan betrogen sein, wie das dumme Volk, das blind vor Aberglauben? Einer zusammengeklaubten Schelmenrotte darf man nicht trauen. Noch ist die Welt nicht witzig – sei du es wenigstens!«

Da die Zigeuner Getreide und Hühner stahlen, so sprachen die Bauern: »Da sehen wir nun, was die vorjährigen Heuschrecken anzukündigen hatten. Ein Fürzeichen waren sie dieser zigeunerischen Landplage, haben anzeigen wollen, daß hinter ihnen menschliche Fresser und Mausköpfe kommen, und daß wohl gar noch schlimmere Verwüster folgen werden, als da sein Tartern oder Türken – sintemalen von den Zigeunern das Gerücht geht, sie seien der Türken Ausspäher, beflissen, der Christen Land den Heiden zu verkundschaften.«

Solche Sorge ward genähret durch die seltsamliche Gestalt der Heuschrecken, von denen etliche geblieben waren. »Sehet doch« – sprach man – »wie gewappnete Krieger ist dies Geziefer, mit festen Sturmhauben bedeckt und mit Fühlhörnern als Spießen bewehret. Ihr Schwirren und Zirpen hört sich an, als wetze man Schwerter und rassele mit Rüstungen. Fürwahr auf Schlimmeres denn auf Zigeuner deuten die Heuschrecken. Ein grausam Kriegesheer wird von Osten einbrechen, räuberische Heiden, alles Land kahl und wüste zu machen.«

Der Aberglaube fand an den Heuschrecken fürchterliche Hieroglyphen. Meines Vaters Collega, der Linguiste Hinschius, wollte auf den Flügeln Schriftzeichen aus dem arabischen Alkoran erkennen; andere Zeichen glichen wiederum hebräischen Buchstaben, und ein Scholar las auf einer Heuschrecke das lateinische Wort: cave! – zu Teutsch: hüte dich!

So ward der Leute Sinn gemeiniglich voll Sorgen auf die Zukunft gelenkt. Insonderheit erwartete man für den evangelischen Glauben ein groß Unheil. Munkelte, der Erzherzog Ferdinandus habe den Jesuitern angelobet, das ganze Reich von der lutherischen Pest – dies Wort soll er gebraucht haben – mit dem Schwerte zu kurieren. Bei den in Österreich und Böheim entbrannten Streitigkeiten der Konfessionen war manchem nachdenklichen Menschen zumute wie Pilato, da er die Frage tat: »Was ist Wahrheit?« Und wie der Parteien Hader im ganzen Reiche enden werde, konnte kein Menschenverstand berechnen. Nur das eine wußte man, daß grausame Kämpfe, jammervolle Zeiten bevorstünden. Ratlos starrte man dem Himmel ins Angesicht, von ihm etwan zu erspähen, was im höchsten Rate beschlossen sei. Damals kam der Spruch auf:

»Sechszehnhundert zehn und acht,

Wenn ich dies Jahr recht betracht,

Geht darin die Welt nicht unter,

So geschehn doch schlimme Wunder.«

Zu Hirschberg lag ich mit Eifer den Studiis ob, ward dabei mitnichten ein Stubenhocker. Zum langen starken Burschen emporgeschossen, trieb ich mich mit andern Scholaren umher und machte gern ihren Rädelsführer. Zur Erinnerung an die Hussitenzeit spielten wir Krieg auf dem Hausberge. Die kämpfenden Parteien aber hießen wir Union und Liga. Führer der Liga war ein katholischer Junker namens Zetteritz, während ich die Union befehligte. Den Anlaß dazu gab ein Mann kindischen Gemüts. Ehedem Kapuzinermönch, war er durch die Ausbreitung des evangelischen Glaubens seines Klosters verlustig gegangen und fristete als Dachdecker sein Leben. In diesem Handwerk war er einmal vom Dache gefallen, aber so seltsam, daß er auf beide Füße zu stehen gekommen, als sei er gesprungen. Mit Gelächter ist er in den »Schöpsen« zu einem Kruge Bier gegangen und bald auf sein Dach zurückgekehrt. Doch es sollte wohl sein, daß er zu Schaden käme, denn kaum hatte er die Arbeit begonnen, so stürzte er abermals, und diesmal so schlimm, daß er unbewußt liegenblieb und eine Verkürzung des Verstandes davontrug. Blieb indessen wohlgemut und nicht übel gelitten bei alt und jung. Saßen die Bürger beim Trunke, so trat er pfiffig herbei, griff ungeladen nach einem Kruge und sprach, erst nachdem er ihn geleeret: »Mit Verlaub, Herr Bruder!« – »Hol dich der Kuckuck, Kapuzinerwenzel!« ward ihm entgegnet. Aber die Herumsitzenden lachten und lobten den Kerl. Dieser Kapuzinerwenzel also war mit uns, als wir Scholaren auf dem Hausberge Krieg spielten. Es ward aber die Präpositio getan, unsere zween Haufen Union und Liga zu benamsen, nach den beiden Religionsparteien, in die sich die teutsche Fürstenschaft gespalten hatte. Sintemalen nun die meiste Bevölkerung von Hirschberg lutherisch war, begehrten die Knaben fast allesamt zur protestantischen Union, und das Los mußte entscheiden, wer der katholischen Liga angehören sollte. Zum Hauptmann der Liga proponierte ich den Kapuzinerwenzel. Da trat der Zetteritz auf und rief: »Eine Schande, wenn vor die Katholischen ein abtrünniger Mönch gesetzet würde, so sein Ordensgelübde gebrochen hat.« – »Oho,« rief ich, »er hat wohl getan, sich vom Papste zu wenden. Aber gut, der Kapuzinerwenzel soll nicht Hauptmann der Ligisten sein, dafür ist er viel zu schade. Mag derohalben der Zetteritz selber seine Partei anführen. Was mich betrifft, so bin ich Hauptmann der Union.« Jubelnd traten mir viele Knaben bei. Der Zetteritz aber sprach grimmig zu seinen Ligisten: »Auf denn, streiten wir für den Erzherzog Ferdinandum, so geschworen hat, er werde alle Ketzer ausrotten.« Da erhub sich groß Protestieren, selbst unter den Ligisten: »Mit dem papistischen Ketzerfresser haben wir nichts zu schaffen.« Ich maß den Zetteritz herausfordernden Blickes und sprach: »Wärest du nicht ganz ohne Beistand, ich möchte dir schon weisen, wie man denen heimleuchtet, so uns Ketzer schimpfen und ausrotten wollen.« Da fletschte der Zetteritz die Zähne und stieß mit der Faust nach meiner Brust. Ich aber packte ihn flugs, warf ihn zu Boden und hielt ihm die Arme fest, bis der Kapuzinerwenzel uns voneinander brachte.

Der Vorfall legte den Grund zu einer Feindschaft, die späterhin entsetzliches Unglück angestiftet hat. War auch ein Fürzeichen der grimmen Kämpfe, so demnächst zwischen den Konfessionibus entbrennen sollten. Zu Hirschberg und in der Umgegend waren meist nur solche Leute katholisch, die aus einem katholischen Lande stammeten oder wegen ihres Amtes zu den Papisten hielten. Die Religionsparteien suchten einander den Rang abzulaufen bei den hohen Herren, und solche Nebenbuhlerschaft trat ergötzlich zutage, als der Warmbrunner Grundherr, Hans Ulrich Schaffgotsch, auf seinem Schlosse Kynast bei Hermannsdorf seinen Geburtstag feiern wollte. Wiewohl Hirschberg nicht zur Herrschaft Schaffgotsch gehöret, waren Vertreter des Rates, der Kirche und Schule, darunter mein Vater, abgeordnet worden, den Freiherrn beim Hermannsdorfer Teich zu begrüßen, wo er einem Fischzuge beiwohnen wollte.

Von Böllern begrüßt, kam Hans Ulrich die Straße von Kemnitz dahergesprengt, nebst einem Gefolge von Reitern. Feuer in den blauen Augen, antwortete er auf unsern Jubel mit dem Schwenken seines Federhutes. Er war ein schöner, langer, blondlockiger Mann. Der Prediger von Giersdorf wollte seine Rede anheben; da ward auf einmal zwischen den Scheunen eine Prozession sichtbar, Gepränge, Fahnen, brennende Kerzen. Papisten waren es, gesonnen, um des Grundherrn Gunst zu buhlen, der Meinung, auf seiner Reise durch Welschland und Hispanien habe er sich dem Papismo zugeneiget. Auch der Zetteritz war bei der Prozession. Angetan mit weißem Chorgewande, schwang er sein Weihrauchfässel und plärrete: »Sanctus spiritus«, riß den Hals immer weiter auf: »Adveni–i–sti, desiderabilis.« Bei Herrn Schaffgotsch angelanget, neigeten sich die Papisten devotest, und ihr Führer kam dem Giersdorfer Prädikanten zuvor, indem er einen salbungsvollen Glückwunsch sprach und dabei eine Schrift überreichte. Hans Ulrich las den Titul »Die wahre Religion der Schlesier« und gab die kühle Antwort: »Wir danken euch, sind aber nicht hergekommen, über Religion zu disputieren.« Und mit der Zunge seinem Rosse schnalzend, galoppierte er zum nahen Teiche. Unsere Schar stund verblüffet, alsdann erhub sich ein Gemurmel, und die beiden Religionsparteien sahen einander wie knurrende Hunde an, bis sie schließlich Herrn Schaffgotsch zum Teiche folgten. Die Fischer waren bereits beim Einholen der Netze. Ihr Fischzug war nicht sonderlich mit Beute gesegnet, und Hans Ulrich sprach: »Wir hätten vermeinet, es müsse dahier mehr Fische haben.« Da brummte ein grauköpfiger Fischer: »Ei ja doch, lieber Junker! Sollen wohl gar noch die Fische prozessionsweise ins Garn gehen?« Lange Gesichter machten die Umstehenden. Hans Ulrich aber lachte und wandte sein Roß zu den Papisten: »Dieser Alte redet frisch heraus. Solch freier Mut, bar aller Schleicherei, gehöre alleweil zur wahren Religion der Schlesier.« Nun ernteten die Papisten schadenfrohe Blicke, und ich verspottete den Zetteritz durch Gebärden.

Der nahm am Abend dafür Rache. Herr Schaffgotsch hatte Ritter, Prädikanten und etliche angesehene Bürger, auch meinen Vater, zum Festin geladen, auf daß männiglich mit ihm fröhlich sei und Gott für alles Gute danke. Bei der abendlichen Gasterei sollten etliche Scholaren eine artige Comödiam aufführen, angezettelt von Herrn Schönborn, dem ehemaligen Lehrer des Freiherrn. Ich hatte dabei kein geringer Amt, als Gott, den Vater, darzustellen, wie er vom Himmel herniederschwebet, den verlorenen Sohn aus Höllenflammen zu erlösen. Die Rolle des obersten Teufels aber war dem Zetteritz übertragen.

Wie nun an mich die Reihe kam, war mein Antlitz rot bemalt, weiß umrahmt von Locken und Bart und gekrönt mit güldenem Heiligenschein; es umwallete mich ein blauer Mantel mit Silbersternen. Auf einer Leiter stund ich, und unter meinen Armen hindurch ging ein Strick, daran ich schweben sollte. In der Tiefe lohete das Fegefeuer, und der Zetteritz als Satan befahl seinen Teufelsknechten, die Zangen glühend zu machen, um den verlorenen Sohn weidlich zu peinigen. Da sprang ich von der Leiter, schwebte in der Luft und hub mit Donnerstimme an:

»Halt an, du Höllenfürst! Entfleuch, du Satansbrut!

Ich lösche diesen Brand mit meines Sohnes Blut.

Nicht alle Sünder sind zur Höllenpein erkoren,

Und kein verlorner Sohn soll ewig sein verloren.

Komm, arme Seele, komm ....!«

Auf einmal ward mein Strick losgelassen, und ich stürzte zu den Teufeln. Zetteritz starrete mich an, dann fiel er als ein Besessener über mich her, der ich auf dem Boden kauerte wie ein Vierfüßler. Das Sternengewand zog er mir prall und gerbte mein Fell. Dröhnend Gelächter erhub sich. Ich aber raffte mich auf und vergalt meinem Widersacher, bis man herbeigesprungen kam und uns mit Mühe trennte, worüber der Vorhang fiel.

Herr Schönborn, Autor und Rektor der Comödia, war indigniert, aber Hans Ulrich tröstete ihn durch Lobsprüche, und der Hofnarr, Michel Puchhammer, so unter der Schellenkappe Witz und Weisheit trug, klopfte dem Poeten beifällig auf die Schulter, vermeinend: »Der letzte Effektus war das wahre Kleinod Seiner Comödia. Hand aufs Herze, ihr Herren, wäre es nicht fast klüglich und vergnüglich, wenn alle Händel dieser Welt in Summa könnten ausgefochten werden einzig durch unsere höchsten Potentaten, den lieben Gott und den leidigen Satan? Machet nicht lange Gesichter, ihr Herren! Glaubet mir, das wäre die erbaulichste Comödia, so wir dürften dem Duelle zuschauen, wie Israeliten und Philister zuschauten, als ihre Sache durch David und Goliath ausgefochten ward. Wir hätten alsdann nicht nötig, unsere Schwerter widereinander zu wetzen und zu disputieren, wie die wahre Religion beschaffen sei, wer die ledigen Klostergütel bekommen, und wer König in Böheim werden solle. Ei ja, vermieden wäre aller Bruderzwist von Kain und Abel bis zu Liga und Union. Wir wüßten, daß wir nichts mit menschlicher Macht ausrichten und daß wir uns ergeben müssen in das Verhängnus von oben – wie solches ja auch die Kunst der Künste gebeut, die himmlische Astrologia.«

Im Anschluß an solche Worte, die mir mein Vater berichtet hat, mag jenes Mirakel vorgefallen sein, das später in allen teutschen Landen erzählet, aber freilich auch angezweifelt worden ist. Ich vermag darüber nichts Gewisses auszusagen, sintemalen ich nicht weiß, ob die Geschichte auf Angaben meines Vaters beruht. Genung, ich will sie hier mitteilen; ob sie wahr, bleibe dahingestellet.

Der Narr Michel galt für einen kundigen Astrologen, so die Zukunft des Menschen aus dem Stand der Sterne berechnen könne. Wie er nun von der »Kunst der Künste« räsonierete, fuhr Hans Ulrich auf einmal mürrisch dazwischen: »Schweig, Unglücksrab!« Da die Beisitzenden befremdet stutzten, erklärte sich Hans Ulrich folgendermaßen: »Dieser Narre, der mit seinem Sterngucken prahlet, hat auch mir das Horoskop gestellet; und wisset Ihr, was er geweissaget hat? Ich werde sterben einen gewaltsamen Tod, und zwar am kalten Eisen. Merket wohl, nicht am heißen Eisen der Feldschlacht, von dem ich gern fallen will als ehrlicher Soldat; nein, am kalten Eisen, wie es der Scharfrichter schwinget. Pfui, du grober Michel, deine himmlische Astrologia ist eher ein lausige Zigeunerin.«

Michel zuckte die Achseln: »Kunst der Menschen kann irren, und ich wäre frohen Mutes, so ich Ihro Gnaden Nativität als ein Irrender hätte gestellet. Aber bei Ihro Gnaden Geburt sind Saturnus und Mars ins vierte Haus der Sonnen eingefahren, und was das nach den Regulis meiner Kunst andeutet, habe ich aufrichtigen Sinnes bekennet. Doch wir wollen den Himmel fußfällig bitten, daß er alles zum Besten unseres wertesten Herrn wenden möge.«

Herr Schaffgotsch blickte unruhig in die Runde, schüttelte das Haupt und sagte nach etlichem Besinnen: »Ich hätte nimmermehr gedacht, daß unter Deiner Kappe, so doch viel Witz heget, dergleichen närrische und fanatische Dinge stecken sollten. Gläubet Er etwan, ein Fernglas zu haben, so ins Kabinett der göttlichen Geheimnisse eindringet? Wie will Er Beweis und Rechenschaft davor geben, daß Er Zukünftiges in Wahrheit kann prognostizieren? Wohlan, stellen wir Seine Sternguckerei auf die Probe ... Heda, Kuchelmeister Jochen, sage mir, ob im Burgstalle die ser Tage etwas jung geworden, und ob man auch die Stunde seiner Geburt erfahren kann.«

»Ja, Euer Gnaden – vor fünf Tagen hat ein Mutterschaf ein Lamm geworfen, gerade wie man zur Vesper läutete.«

Da sprach Hans Ulrich lauernden Blickes zu Michel: »Wohlan, so erkunde aus den Gestirnen, welchen Lebensgang das Lamm haben wird.«

Der Sterndeuter trachtete mit einer Schelmerei von der Aufgabe loszukommen und meinte: »Ei ja, stellen wir dem Vieh das Horoskop! Warum soll es nicht gelingen? Wenn der Herrgott jedes Haar auf unserm Haupte gezählet hat, so wird er seine Sterne gewißlich angewiesen haben, nicht bloß der hochmütigen Menschlein Schicksal zu regieren, sondern auch jedem Schäflein, Grashupferlein oder Flöhlein fürzuschreiben, wie es zu hupfen, zu grasen und zu sterben habe. Ist denn überhaupt ein Unterscheid zwischen Mensch und Vieh? Nun ja, im Saufen ist wohl einer. Säuft doch das liebe Vieh nur, bis es seinen Durst gestillet hat. Der Mensch aber, Herrgotts Ebenbild ...«

Herr Schaffgotsch schnitt die weitere Rede ab: »Schon gut! Diesmal gilt es keine Possen. Tu, was ich dich geheißen! Geh alsogleich und erprobe deine Kunst!«

Unter spöttischem Gelächter der Tafelgäste ging der Sterngucker. Nach einer Stunde kehrte er mit dem Bescheide zurück, in den Sternen stehe geschrieben, der Wolf werde das Lamm fressen.

Da lächelte Hans Ulrich triumphierend und rief: »He, Jochen, sage dem Koch, er soll sogleich das Lamm metzgen und heute abend gebraten auftischen.« Nun erscholl lauter Jubel, in den auch Michel einstimmte, indem er rief: »Bravissimo! Ja, man muß dem Schicksal zu Leibe gehen und die Fortune korrigieren.«

Der Abend kam, und allerlei Gebratenes war bereits aufgetragen. Da rief Hans Ulrich: »Wo bleibet das Lamm?«

»Mit Verlaub,« sagten die Tafelträger verlegen – »es brä – brät anoch.«

»Ei, ei,« scherzte der astrologische Narr – »so hat es wohl doch der Wolf gefressen?«

Hans Ulrich ward verwirret und errötete. »Possen!« rief er. »Wo bleibet der Kuchelmeister? Holet ihn sogleich!«

Bleichen Antlitzes trat Jochen ein und stammelte offenbare Ausflüchte. Wie aber Hans Ulrich mit rauher Stimme rief: »Leuge Er nicht, sondern gestehe, was ist geschehen?« Da fiel der Kuchelmeister auf seine Knie und berichtete unter Zittern: »Ach Gnaden, ein Mirakel! Wohl ist mit dem Lamm nach Ihro Gnaden Geheiß verfahren worden. Gemetzget haben wir's, abgehäutet und auf den Bratspieß gestecket. Zum Drehen des Spießes aber haben wir eine Maschine, das ist ein Käfig, so vom hineingesperrten Hunde gedrehet wird. Früher war's ein Hund. Seit wir aber im Schlosse den Sultan haben, wie wir den zahmen Wolf heißen, ist es unsere Lust, von ihm den Bratspieß drehen zu lassen. Wie nun das Lamm gebraten auf der Schüssel liegt, ist der Bratenmeister mit seinem Kucheldiener auf ein Weilchen zu andern Verrichtungen aus der Küche gegangen. Da hat sich der Sultan aus seinem Käfig gemacht und hat das Lamm gefressen.«

Erbleichend sprang der Freiherr auf und ließ sein Tafelmesser fallen. Voller Grauen starreten ihn die Gäste an.

»Michel,« sprach Hans Ulrich sanft zum Hofnarren – »mit dem Lamm hat deine Kunst recht gehabt. Wie es aber mit mir kommen wird, stehet in Gottes Hand. Eins jedoch weiß ich: So ich dereinst durch kaltes Eisen gerichtet werde, ich sterbe unschuldig.« Niedergeschlagenen Auges wie ein Betender, fügte er leise hinzu: »Dulce decus, pro patria mori – süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland sein Leben zu lassen. Dein Wille, o Herr, geschehe – denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen!«

Erschüttert, zum Teil weinend, falteten die Tafelgäste die Hände zum stillen Gebete. Den Herrn Schaffgotsch aber kam trotz seiner Gelassenheit eine Alteration mit Fieberschauern an, also daß er sich zu Bette legen mußte, worauf die Gäste nach Hause kehreten, mit traurigem Bedenken, wie es wohl am Ende kommen werde.

Das andere Abenteuer Das Johanniskind will den winkenden Schatz heben

Den Kräutertobias zu besuchen, hatte sich mein Vater mit mir im Frühjahr nach geschehener Übersiedelung aufgemacht. Fuhren auf einem Bauernwagen dem Zackenfluß entgegen, jedoch nur bis Petersdorf, wo wir abstiegen, um zu Fuß das steile Waldgebirge zu erklimmen. Zur Linken in der Felsenschlucht brausete der Zacken. Rechts ging es einen schroffen Hang empor zu einem ragenden Stein.

Von hier erscholl eines Mannes Zuruf. Der Oheim war es, so droben auf uns geharret hatte und nun gelaufen kam. Nachdem er mit Freuden seinen Willkommen geboten, berichtete er, wie ihm schon von weitem unser Wagen sichtbar gewesen. Mein Vater antwortete: »Allerdings gewähret dieser Stein, Wachstein geheißen, eine weite Aussicht über das Zackental, wie man ihn schon in der Hussitenzeit als Warte verwendet hat, den Paß nach Schreiberhau zu überwachen.«

Der Weg, den wir nun gingen, stieg fast steil durch einen Bachgrund. Anfangs von schroffen Felsen und Fichten begleitet, führte er zu einer Aue, wo Bauden um ein Kirchlein lagen, und Kühe nebst weißen Gänsen weideten. »Hie beginnet Schreiberhau,« sagte mein Vater; »es erstreckt sich eine gute Stunde in die Länge, und wir haben bis zu Oheims Häusel noch ein Stück Weges.«

Nach fürderem Ansteigen ward der Weg eben, wir hatten seine höchste Erhebung erreicht und schauten in ein sanft abfallend Tal, breit und lieblich. Hinter vorderen Waldhöhen stieg jene Gebirgswand himmelan, die ich von fern oft betrachtet hatte. Jetzo, da sie in der Nähe ragete, ward mein Gemüt bewegt wie von tiefem Orgeldröhnen. Ein weithin ausgereckter Riesenrumpf, mit Tannen gleichwie mit bläulicher Wolle bewachsen. Wo der Wald zu Ende, schimmerten Matten, dann kam kahler Fels, mit dunkelgrünem Moose bedeckt. Droben in den Abgründen lag noch Schnee, und der Oheim wies mir, wie die weißen Flächen manchmal seltsame Formen bildeten, einen Stier oder eine Hose, von der die Leute sagten, es sei Rübenzagels Hose. Der Gebirgskamm bildete eine Reihe von Kuppen, die in der Ferne von zartem Blau waren. Gewölk kroch von der anderen Seite des Gebirges über den Sattel herüber, wie graues Raubgezücht, wie Drachen.

Derweilen mein Vater in den Anblick seiner lieben Berge versunken war, wies der Oheim die einzelnen Gipfel: den Reifträger, die Sturmhaube, das Hohe Rad, den Mittagstein, die Schneekoppe. Erklärte mir auch, das graudüstere Gewächs zwischen den Felsen droben sei kein Moos, sondern Knieholz, ein struppicht Nadelgebüsch, so nicht in die Höhe wachse, sondern über das Geröll hinkrieche, die knorrigen Ruten wie zum Verhau verschränkt.

Bald langten wir bei Oheims Häusel an. Es lag in der grünen Aue, wo Murmelbächlein rannen. Neben der Wiese gab es Saatfelder, Gärtlein und etliche Bauden. Gleichwie ein freundlich Auge lugte ein Mühlteich aus des Tales Mitte. Unweit waren dunkle Felsen und lichte Birken mit zarten Frühlingsblättlein. Einen freundlichen Anblick gewährte Oheims Häusel. Baute sich aus rohen Steinen auf, doch war die große Stube aus Balken gezimmert, wobei Moos und Lehm die Fugen verkitteten. Über das bemooste Schindeldach wölbeten zwo alte Linden ihre Kronen. Am Hause war auch ein Viehstall, und ein paar Kühe nebst Ziegen weideten auf der Wiese.

Als wir durch das Blumengärtel gingen, wo gelbe Märzenbecher blüheten, während die Kirschbäume gleich Silberwölklein prangten, sprang ein Hund aus dem Hause auf uns zu und hüpfte mit jauchzendem Gebell am Oheim empor. War mein zukünftiger Freund, der gelbe Schäferspitz Wächter. Vor der Türe des Häusels stund ein weißhaarig Weibel und grüßte freundlich. Beate war es, des Oheims Base, die ihm Haus hielt.

Wir gingen in die Balkenstube, und hier war es sehr warm, da mächtige Holzklötze im Ofen loheten. Weißgescheuert die Diele, alles Hausgeräte sauber und traulich. Bunt bemalt der große Schrank, sowie die Truhe daneben. Wir setzten uns um den Tisch, und nachdem der Vater das Gebet gesprochen, ließen wir uns Brot und Schinken munden.

Da wir nun erquickt waren, sagte mein Vater: »Lieber Bruder Tobias! Schreiberhau und das elterliche Häusel zu schauen, hat mich in der Fremde oft inniglich verlanget. Nun wird meine Sehnsucht durch Gottes Güte gestillet. Die Berge, Bäume und Bäche, alle lieben Orte und Dinge habe ich wiedergefunden. Nur weniges dünket mich verändert. Neu ist jedoch die große Backstube bei den Felsen mit dem tüchtigen Schornstein ...«

»Keine Backstube ist das,« antwortete der Oheim belustigt; »das ist ja mein Laboratorium.«

»Laboratorium? Ei wie denn? Bist etwan ein Chymiste worden?« meinte der Vater befremdet.

Und bedächtig versetzte der Oheim: »Hum! Du weißt ja ... hum! Glas kann ich nicht mehr machen. Vom Blasen und staubigen Schleifen ist mir der Odem benommen. Und wann die Berge verschneiet liegen, mag ich nicht immer bloß Pillulen drehen. Habe mich also der chymischen Kunst ergeben und mir ein Laboratorium angelegt.«

»Und bist wohl gar dem Goldmachen auf der Spur?«

Es war dem Oheim ganz ernst, als er erwiderte: »Aus menschlichem Vermögen kann ich sagen: ich hoffe. Wirst nun freilich denken: da haben wir abermalen einen neuen Grillenfänger, rußigen Kohlenbläser und gefährlichen Schwarzkünstler. So lauten ja wohl die Ehrentituli, mit denen die stolze Disputiergelahrtheit gemeiniglich den Jünger einer Kunst beleget, die in der ganzen untermondlichen Atmosphäre zwar die unsicherste, aber auch die allerkostbarste ist.«

»Nun, nun,« – begütigte mein Vater – »will dich nicht schelten; alle Kunst ist ja von Gott, wohl auch die alchymistische, wofern ...«

»Amen, Amen,« unterbrach ihn der Oheim freundlich und rüttelte des Vaters Schulter: »Bruder Martin, hüpfen tut mein Herze, bisweilen du nicht bist wie jene törichten Prädikanten, so behaupten, daß allen Goldmachern und Schatzgräbern der Teufel im Nacken sitze. Solche Pfaffen mögen im Catechismo Lutheri beschlagen sein – von Magia verstehen sie so viel wie die Kuh vom Kanzelreden.«

»Nun ja doch, Tobias, wohl, wohl! Indessen du hast mich unterbrochen. Von Gott ist alle Kunst, wofern man sie rechten Sinnes übet. Sonsten aber schwarze Kunst und verwerflich.«

Der Oheim winkte mit der Hand ab und kämpfte einen Hustenanfall nieder: »Schwarz? Ah, nur die falsche Kunst ist schwarz, die Gaukelei der Afterchymisten! Was der Mensch aus seines Geistes hohen Kräften suchet und vermag, ist weiß wie himmlisch Licht. Könnte es etwan wider Gottes Willen sein, so einer die Natur zu urkunden und zu meistern trachtet? Soll ich mein Pfund vergraben und faul liegen lassen? Wie spricht denn der Heiland? Werdet vollkommen, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.«

»Die wahre Vollkommenheit« – gab mein Vater zurück – »bestehet im reinen Herzen. Diene der Magiae reinen Herzens, nicht, wie die Schatzgräber, aus Goldgier.«

Der Oheim stutzte: »Als ob nicht auch ein Schatzgräber reinen Herzens sein könnte!«

»Schon gut,« sagte mein Vater; »wenn er mit dem Golde nicht seinen Lüsten dienen will, sondern dem Reiche Gottes.«

»Selbiges will ich« – versetzte der Oheim fest. »Meine Lüste? Die sind abgestorben! Nur die Lust an der magischen Kunst ist übriggeblieben; und so der Himmel sie segnet, will ich gern nach seinem Willen das Gold verwenden.«

»Zum Exempel, wofür?«

»Zum Exempel für deinen Sohn, unsern Johannem, damit er auf hohen Schulen ein großer Physikus und Adepte werde – ein rechter König Salomo.«

Seit dieser Zeit hörte ich in mir eine Stimme mahnen: »Halte zum Oheim, er soll dich leiten!« Je öfter ich nun nach Schreiberhau kam, desto besser behagte es mir daselbst. Die Wiesen mit ihrem Vieh, das Gärtlein und Roggenfeld, die großen Steine, das Laboratorium und der Stall, die Balkenstube, das Häusel mit allen Winkeln, auch die benachbarten Bauden, die Glashütte mit ihrer Schleifmühle, rings die Höhen mit Tannen und Rauschebächen – das alles ward mir bald so traut und lieb, daß es mich in jeder Schulvakanz zum Oheim, zur alten Beate und zu meinem Freunde Wächter zog. Selbst in den Tagen meines Hirschberger Aufenthaltes ist manch heimlich Stündlein gekommen, wo meine Gedanken gen Schreiberhau geflogen sind. Wenn ich zum Exempel vor dem Schlafengehen mit den Eltern das Abendlied sang:

»Ich danke dir von Herzen,

Daß du an diesem Tag ...«

und dann an die Worte kam:

»Noch meinem Vieh was schade,

Es sei klein oder groß«,

so dachte ich an des Oheims Kühe und Ziegen, die ich mit Wächter, eine Peitsche in der Hand, gern auf der Wiese hütete. Schloß sie voll einfältiger Liebe in mein Gebet mit ein, auch Gänse, Hühner und Karnikulein, auf daß nicht etwa Fuchs und Marder sie würge.

Während der langen Ferien begunnte des Oheims Laborantenwesen und chymistisch Treiben meinen Sinn magnetisch zu fesseln. Von Wächter begleitet und auf dem Rücken die Hucke, tat ich manche Suche nach Kräutern. Lernte Pestwurz, Eisenhut, Aronstab, Johanniskraut, Stolzen Heinrich, Taubenkropf, Goldraute und Alraunknoblauch nebst ihren heilenden oder magischen Kräften kennen. Dabei ward mir auch das Gebirge immer bekannter.

Im Laboratorio hatte ich mir bald die kleineren Fertigkeiten zu eigen gemacht, als da sind Säfte pressen, Machandelmus kochen, Eibergeist destillieren, Gestein im Mörsel zerreiben, Tiegel, Kolben und Retorten reinigen, Phiolen verstöpseln, Holzkohle bereiten und die Glut mit dem Blasebalg anfachen.

Auch nahm der Oheim Gelegenheit, meine ziemliche Kenntnis des Lateinischen zu nutzen, indem er mir ein Buch ins Teutsche zu übertragen gab »De secretis operibus artis et naturae« – will heißen: von den geheimen Werken der Kunst und der Natur.

Da ich nun die Arbeit vollendet hatte, legte der Oheim freundlich die Hand auf meine Schulter und sprach feierlich: »Lieber Johannes! Aus dem übertragenen Buche wirst du vollends ersehen haben, wie falsch es ist, Schlimmes in den geheimen Künsten zu sehen. Über die ganze Erde hat Gott den Menschen gesetzet, also auch über ihre geheimen Schätze. Wie die Abendburg ist die Erde – heget Gold und Edelgestein, dem gemeinen Volke verschlossen, und nur dem Adepten zugänglich. Werde drum ein Adepte, Johannes. Hebe den Schatz, so nach himmlischer Bestimmung für dich bereit lieget. Willst du das, Johannes? Nun wohl, so werde ich Mittel und Wege dazu ausfindig machen. Bist du aber auch bewandert in der Kunst des Schweigens? Gänzlich unerläßlich ist sie dem Jünger geheimer Wissenschaft. Zu schweigen gilt es gegen jedermann – merke, auch gegen deine Eltern. Bist groß genung, jetzt ohne der Mutter Schürzenbändel deinen Weg zu gehen.«

Da ich nun beteuerte, ich habe zum Schweigen jeglichen guten Willen und auch bereits etliche Kraft, loderten des Oheims Augen, und er sprach priesterlich: »Wohlan, so nehme ich dich zu meinem trauten Gesellen und Famulo an und verheiße, dich einzuweihen in alle Fertigkeiten, so ich errungen habe oder noch erringen werde. Künftigen Sonntag soll die Lehre anheben.« Dann wandte er das Angesicht zum Fenster, starrte nach den blauen Bergen und murmelte dunkle Worte.

Als wir am Sonntag aus der Kirche heimgekehrt waren und zu Mittag gegessen hatten, richtete ich meine Augen ernst und fragend auf den Oheim. Er nickte mir zu, erschloß den Riegel der bunten Truhe und langte geheftete Skripturen heraus. Im Triumphe hielt er sie hoch: »Siehe hier den Mittler, so dich zum Goldschatz geleiten wird. Komm her und lies!«

Voll Ehrfurcht empfing ich die Skripturen, setzte mich an den Tisch und wollte still für mich lesen. Doch der Oheim nahm bei mir Platz und sprach: »Lies nur laut! Nicht oft genung kann ich diese Wissenschaft vernehmen. Auch ist nötig, daß wir Rates darob pflegen.«

So erhub ich denn die Stimme und las die verblichene Schrift, zu manchen Malen stockend und vor Beklommenheit seufzend.

Der verschnörkelte Titul aber lautete: »Nachrichten von den Walen – wer sie gewesen, wo sie Golderz aufgesuchet und gefunden, wie solches geschmelzet und zu gut gemacht – auch wie sie aus Erzen und Kräutern Gold gebracht – nach alten Schriften denen Liebhabern des Bergwerkes und der chymischen Kunst eröffnet.«

»Walen« – so sagte die Schrift – »heißet ein fremdländisch Volk.« Von diesen Leuten sind viele seit alter Zeit im Bergwerke wohl erfahren und haben ihre Kenntnis der Erze oftmals in teutschen Landen probieret. Sind als Landfahrer und Scholaren ins Erzgebirge und Schneegebirge gezogen, daselbst verborgene Edelmetalle auszuspüren. Nachdem sie erkundschaftet, wo die besten Goldkörner oder Edelgesteine liegen, haben sie an Felsen und Bäumen Erkennungszeichen angebracht, auch in Bücher geschrieben, wie man zu den Orten gelanget.

Wie kostbar aber der Walen Wissenschaft, geht aus folgender wohlverbürgten Nachricht herfür. Vor mehr als einem Saeculo kam alle Jahr ein fremder Mann mit einer Hucke vom Gebirgskamm niedergestiegen. Was aber der Hucke Inhalt gewesen, ist hinterher an Tag gelanget. Ein Junker, so auf der Jagd hin und wieder dem Manne begegnet ist, kommt nach Venedig und siehet denselbigen fremden Mann in fürnehmer Kleidung mit Dienerschaft in einer Gondel fahren. Den Junker erkennend, lässet dieser Venediger anhalten, grüßet unsern Teutschen und ladet ihn ein, seinen Palazzo zu besichtigen. Nach der Gasterei bezwingt der Junker nicht länger seine Begierde und forschet, wie es denn hergegangen, daß aus einem armen Huckenträger solch ein Nobile worden. »Eben vom Huckentragen,« antwortet lächelnd der Venediger; »denn in der Hucke ist eurer Berge Gold gewesen.« Und es hat nun der teutsche Junker vom Venediger vernommen: Hoch auf dem Reifträgergebirge, nahe bei dem zweispitzigen Steine habe er, der Huckenträger, auf einer Wiese Markasit gewaschen bis zur Größe einer Erbse. Damit er nun desto besser auf diesem goldreichen Gebirge ausdauere, habe er für eine Woche Proviant mitgenommen und bei klarem Wetter den Aupengrund hinter der Schneekoppe besucht. In einer Einöde seien Gerippe von Menschen gelegen, die sich vorzeiten an den goldreichen Ort begeben haben, doch, nicht genugsam verproviantieret, Hungers gestorben sind. Dorten nun habe er kostbare Edelsteine aufgelesen, auch viel gutes Gold, Körner wie Haselnüsse. Nachdem der Venediger solchen Bericht getan, hat er seinem teutschen Gaste im Marmor der Speisehalle folgende Inschrift gewiesen: »Montes corconos fecerunt nos dominos.« Zu teutsch: »Das Reifträgergebirge hat uns zu großen Herren gemacht ...«

Hier stutzete ich und riß die Augen auf. Der Oheim nickte mir zu: »Ja, ja – unser Reifträger, auf der böheimischen Seite Korkonosch geheißen. Doch nun schlage einmal das Kapitul auf, so mit einem Buchzeichen angezeiget ist.« Und ich las weiter:

»Bei Hirschberg in Schlesien ist ein Dorf, Schreibers Hau. Gehe oben zum Dorfe hinaus über den Schwarzberg, so kommst du zum Weißen Bach. In einen Tränketrog fließen zwei Wässerlein. Am Wässerlein zur Rechten geh immer fort gen Abend. Findest auf Bergeshöh die Abendburg, einen haushohen Stein. Ist hohl, und tief innen liegt eines Königes Goldschatz begraben. Wie aber der Schatz zu heben, wird nur einem Adepten oder Johanniskinde offenbar ...«

Ich hielt inne und sahe den Oheim fragend an. Dabei stellte sich meinem innern Auge die Abendburg dar, wie sie mein Vater geschildert. Den düstern Felsen sah ich durch Zauber zum Schlosse werden, gleißend vom roten Golde wie Abendgewölk. Und ich seufzete: »Ach Oheim Tobias! Warum hast du mich noch niemals zur Abendburg geführet?«

»Ich führe dich hin, Johannes, und zwar ohne Verzug. Wohlan, mache dich fertig!«

Froh und kühn schlug mir das Herze, stracks rüsteten wir zum Aufbruche. Das kostbare Walenbüchel tat der Oheim in einen Ranzen. »Das nehmen wir mit,« sprach er und hing mir den Ranzen um. Drauf gab er noch ein Stück Brot in den Ranzen, bewehrte seine Rechte mit der alten Partisane, die er auf seinen Gängen ebenso als Stütze wie als Waffe zu verwenden pflegte, und rief die alte Beate herein.

»Gehab dich wohl, Beate! Vier gute Stunden bleiben wir aus.«

»Mit Gott, ihr beede! Und seid mir au für Dunkelheet wieder derheeme,« antwortete Beate und reichte uns die Hand.

Mit freudigem Kläffen kam Wächter gesprungen, da er uns zum Aufbruche gerüstet sah, und sein wedelnder Schweif fragte, ob wir ihn mitnehmen möchten. Da des Oheims Antlitz gnädig war, fuhr Wächter als übermütiger Störer in unsern Hühnerschwarm und hüpfte nach dieser Heldentat bellend über die Wiese.

»Ins Weißbachtal!« sprach der Oheim. »Nehmen wir selbigen Weg, der im Walenbüchel beschrieben stehet.«

Und wir stiegen den nächsten Pfad hinan, so durch Gebüsch und Wiesen, vorbei an Bauden und Steinrücken über den Hüttberg führt, allwo sich der Blick ins Weißbachtal eröffnet. Zur Linken blieb die neue Glashütte von Preisler liegen, wir stiegen über ein Flüßlein, der Rote Floß geheißen, und bogen rechts ab, es aufwärts zu verfolgen. Murmelnd und schäumend kam das Wasser über die moosigen Blöcke gehüpft, als ein Geheimnis, geheget von den Fichten, so mit grauen Bartzotten behangen wie alte Riesen aussahen. An einer Stelle war ein feuchtquappig Waldmoos, davon wir naß Schuhwerk bekamen.

»Hier hab ich oft nach Golde gesucht,« sagte der Oheim; »auch etlichen Goldseifen ausgewaschen; doch lohnet sich nicht die Mühe.«

Bald nach dieser Stelle tat sich der Wald voneinander, und auf sonniger Wiese reckte ein dicker Buchenbaum den mächtigen Wipfel. In den Stamm waren Buchstaben, Kreuzlein, Herzen und andere Zeichen gegraben. Einen schier verwachsenen Riß wies mir der Oheim in der Rinde: »Siehe hier ein köstlich Symbolum von einem Walen eingeschnitten, das ist ein Bischofsstab, wiewohl kaum mehr zu erkennen. An dieser Stätte laß uns niedersitzen, und du sollst fürder aus dem Walenbüchel vorlesen.«

Ich kauerte mich zwischen ein paar glatte Felsen, indessen der Oheim aus dem Ranzen das Manuscriptum holte. Von süßem Bangen war mein Herz erfüllt, wie ich so den heiligen Baum mit den Rätselzeichen anstaunte und auf sein Wipfelsäuseln lauschte. Aus Waldestiefe lockte die gurrende Taube, und wie ein fern Glöcklein klang des Kuckucks Ruf.

Da reichte mir der Oheim das aufgeschlagene Walenbüchel, und ich fuhr fort, zu lesen:

»Ich, der Jacobus Puschmüller, ein Kaufmann zu Regenspurg, war durch des Allmächtigen Verhängnus also verarmet, daß ich mit zehn Floren von Weib und Kind fortgemußt, ein neu Brot ausfindig zu machen. Da bescherete mir Gott einen guten alten Italiener, daß er sich mein erbarmet und mit nachfolgender Beschreibung reicher Schatzlager getröstet hat – wie ich denn an einem der beschriebenen Orte Goldes genung gefunden und mich wiederum zu Ehren gebracht habe.

In Schlesien ist die Stadt Hirschperg, an zween Flüssen gelegen. Gehe von dorten fünf Stunden weit ins Gebirg. Kommest in ein Dorf, geheißen des Schreibers Hau. Gehe auf den Schwarzen Berg und immer gen Abend durch Gehölz, auf eines Pfades Spur, so durch hohe Beerenstauden führet. Kommest zu großen Steinen, sind aber noch nicht die rechten. Gehe vorbei, immer den Pfad entlang, bis haushohe Felsen ragen, anzuschauen als eine Purg. Schwarz ist das Gestein, hat aber eine weiße Stelle, gleichwie eine Pforte aus Marmel. Davor gen Mittag dreizehn Ellen weit findest du zwischen Felsen ein Loch. Stoße einen starken Knittel hinein, wuchte und wiege, bis du den übergelegten Stein aufwiegest. Nun lege ihm was unter und nimm die Kostbarkeit, so dir Gott bescheret, Goldkörner arabischer Art, gleich Haselnüssen; lassen sich plätzen. Tu aber den Stein wieder an seine Stelle, sonsten möchte ein Gespenst dich erschrecken; denn dorten ist es ungeheuer.

So du aber keine Furcht kennest, begib dich zum weißen Stein der Abendpurg zu Walpurgis oder Johannis oder auch am ersten Advent eine Stunde vor Mitternacht. Einen Zauberkreis mache, nach den Regulis Magiae, zünde darinnen ein Feuer an und koche in einem neuen Kessel eine Zaubersuppen. Wie die zu bereiten, weiß ich nicht genau zu sagen. Es gehöret dazu eines Maulwurfes Pfote, und unter strengem Stillschweigen muß gekocht werden. Ist der Nacht Mitte da, so spritze etliches aus dem Kessel an die weiße Marmelpforte, rufend: Woide, Woide, Woide! Da wird der Felsen sich auftun mit Getos, und du darfst eingehen. In einer Nischen des Stufenganges kauert eine vermummete Gestalt, reget sich nicht. Gehe dreist vorbei, kommest alsdann in eine schneeweiße Halle. An der Wand stehen Truhen mit Golde. Inmitten der Halle aber springet aus einem Marmelbecken ein brausend Sauerwasser an die fünf Ellen hoch, stäubet nieder mit Regenbogenglanz und bespület Edelgestein, so im Becken als Bachkiesel lieget: violenblaue Amethyste, rotgelbe Hyazinthen, schwarze Bergkristalle, gelbe Topasier, grüne Saphire, schön durchsichtige Chalcedonier und dunkle Jasponichel mit roten Tupfen gezieret. Nimm, was du willst. Doch eilen sollst du, daß du wieder hinausgelangest, sintemalen die Schatzkammer nur über Mitternacht offen; um ein Uhr tut sie sich zu, unter großem Krachen.

Sei auch dessen wohlbedacht, daß beim Kochen der Zaubersuppen kein einzig Wörtlein werde geredet. Sonsten ist sie unmächtig, und der Herr der Berge möchte ergrimmen. Einem Tölpel ist er bei der Abendpurg erschienen als langbärtiger Riese, so auf einer Harfen gespielet hat, daß die Erde bebete, hat alsdann die Harfe wie einen Donnerkeil nach dem Tölpel geworfen. Der ist umgesunken und wäre nicht wieder erwacht, hätte ihn nicht seine Sippe heim geholet, wobei ein grausamer Hagelsturm tobete. Dies habe ich obgemeldeter Handelsmann von Regenspurg von dem Italiener vernommen, habe auch das Mülderlein gefunden, so der Pilgramstab aufweiset, und daselbst Goldkörner die schwere Menge. Doch in die Abendpurg einzudringen, habe ich nicht das Herz gehabt. Zu Schreibers Hau aber wohnet ein Mann, mit Namen Krebs, seines Zeichens ein Laborant, dem ist manch Geheimnis bewußt. Da frage nach, so der Alte oder sein Sohn Christoph noch am Leben.«

»Genung!« unterbrach mich der Oheim; »laß uns nun zur Abendburg gehen.« Nahm aus meiner Hand das Walenbüchel und verwahrte es im Ranzen, worauf wir aufbrachen und quer durch den Wald immer bergan stiegen, um dann gen Mitternacht abzubiegen und den Kamm des Berges zu verfolgen. Hier ging der Pfad durch hohes Preißelbeergestäud, und ich merkte, daß wir auf dem beschriebenen Wege zur Abendburg waren.

Oft mußten wir von Felsblock zu Felsblock hüpfen und Obacht geben, daß nicht der Fuß in einen Spalt gleite. Die Tannen griffen mit ihren unteren Ästen, kahl und hart wie Gerippe, zu mehreren Malen nach unserm Gewande, es zerfetzend. Unheimlich pfiff der Wind durch die Wipfel, und lauschend glaubte ich eines Waldgeistes Geheul zu vernehmen.

Vor uns erhuben sich schroffe Felsen, und der Oheim sprach: »Siehe, das ist die Abendburg!« Ich war etwas enttäuscht, da meine Phantasei mir die Abendburg gewaltiger und mehr einer Burg ähnlich ausgemalt hatte, und nun eine Steinmasse da lag, nicht größer, denn eine Scheuer. Wie ich aber das Düstere, Wüste, Einsame des Ortes empfand und dem wogenden Raunen des Windes lauschte, wandelte mich ein Staunen und Schaudern an. Ich spürete nun wohl, daß hier die Stätte von Abenteuern und Wundern sein könne. Wir kletterten um den Felsen herum und dann auf seinen Scheitel.

So schaurig es unten bei der Abendburg war, hier oben lachte die Welt im Sonnenlichte. Trunken schweifte mein Aug über die Täler von Schreiberhau hinüber zum Breiten Berge und weiter links zum Kynast. Am Fuße dieses festen Bergschlosses dehnten sich lichtgrüne Felder, freundliche Haine, friedliche Dörfer. Aus dem Dufte der Ferne grüßten die Kirchtürme meiner guten Stadt Hirschberg. Ganz hinten waren ein paar blaue Maulwurfshügel; so sahen die Falkenberge aus. Nach rechts mich wendend, sah ich das Reifträgergebirge und die ganze Kette der Riesenberge bis zur Schneekoppe und dem Landeshuter Kamme. Auch gen Sonnenuntergang schauten wir, und dort öffnete sich das waldige Tal des Queißflusses mit den Flinsberger Bauden.

Nachdem wir unser Auge gesättigt, stiegen wir wieder vom Felsen. Der Oheim winkte mich zu sich und sprach: »Dies ist die Stätte, wo wir den Zauberkreis machen werden. Nun schau! Siehest du den weißen Stein? Das ist die Pforte!« Er deutete auf ein Stück Flins, das verwachsen mit der schwärzlichen Granitwand, allerdings einer Pforte aus weißem Marmel ähnlich war. Ich starrte hin und sah im Geiste allbereits diese Pforte aufspringen, sahe den wüsten Felsen sich verwandeln in das strahlende Schloß und innerlich funkeln von Gold und bunten Steinen. Der Oheim säuberte die Stätte von Gestrüpp. Auf sein Geheiß sammelte ich derweilen den Vorrat dürren Holzes für das künftige Feuer des Zauberkreises. Nicht ohne Grauen betrachtete ich das weiße Gestein und überlegte, wie es nur geschehen könne, daß dieser harte Felsen von einer bloßen Zaubersuppen eröffnet werde.

»Aber Oheim«, sagte ich, »ist dir denn auch bekannt, woraus man die Zaubersuppe bereitet?«

Unsicher schaute mich der Oheim an und hüstelte dumpf. Dann loderte sein Aug, als er entgegnete: »O, das werde ich schon herausbringen! Ohne Sorge Johannes! Ich weiß einen Mann hochgelahrt in geheimen Wissenschaften. Ist ein echter Italiener, Herr Doktor Giacomini mit Namen. Wohnet seit Wochen hier zu Schreiberhau in Preislers Glashütte. Hat den Vorwand, er wolle die Kunst der Glasmacherei studieren. Was er aber will, weiß ich besser. Nach Golde schnüffelt er im Gebirg umher. Hat beim roten Flosse etliche Körnlein Markasit ausgewaschen.«

»Und du meinest, der Italiener verstehe sich auf die Zaubersuppe? Wird er denn sein Geheimnis nicht für sich behalten wollen?«

»Närrchen!« sagte der Oheim. »Ich werde ihm halt proponieren, er solle mir sein Geheimnis enthüllen und dafür das meinige nehmen. Gemeinsam mit ihm werden wir dann den Schatz heben und teilen.«

Schweigsam traten wir den Heimweg an. Oft war mir, als webe in den Tiefen des Waldes ein Spuk. Zwischen den mächtigen Tannen stund der Rübenzagel, ein riesenhafter Köhler, dann plötzlich verwandelt in einen knorrigen Baumstumpf mit langem Moosbarte. Wenn ich so in den Wald starrte, ward Wächter unruhig und hub an zu knurren, was dann wiederum mein Zagen steigerte. Zwischen den Steinen und Baumwurzeln wisperte es manchmal, und die Unterirdischen kicherten: »Hihi! König Salomo!«

Das schlimme Jahr sechzehnhundert achtzehn ging zu Ende, und es war im Novembermond, als ich abermals nach Schreiberhau zum Oheim gereiset war. Bei dem milden Wetter saß ich auf einem Kirschenbaum zwischen kahlen Zweigen, dran rostrot noch etliche Blättlein hingen, und pflückte mir verschrumpfete Kirschen.

Da kam auf Oheims Haus zugeschritten ein kleiner, hagerer Mann in schwarzem Mantel, tief in das gelbe verkniffene Gesicht einen breiten Filz gestülpet, unter dem die schwarzen Äuglein wie aus einem Hinterhalte herfürstachen. Unter meinem Baume blieb er stehen und blinzelte nach mir, die Oberlippe mit den dünnen schwarzen Härlein schief in die Höhe gezogen.

»Eh! Der Famulusse?« – sprach er hastig mit harter Stimme »Ist Er nit Famulusse von Signore Kräutertobiasse?«

Ich verstund die Frage nicht, sprang vom Baume und sagte: »Kommet nur ins Stübel, ich rufe den Oheim.« Führte also den Herrn in die Balkenstube und holte den Oheim aus dem Laboratorio.

»Das ist der Giacomini,« raunte der Oheim erwartungsvoll; »komm mit herein, Johannes!« Ich ging also mit in die Balkenstube.

Mit einer grinsenden Freundlichkeit grüßte Giacomini den Oheim, erkundigte sich dann nach mir und hub unter verlegenem Räuspern an: »Was ik wollte fragen, caro mio – wo iste weiße Stein bei Schreiberhau? weiß unde glatte wie Marmo?«

»Ihr meinet wohl den Flins?« gab der Oheim zur Antwort. »Etliche Blöcke davon liegen am Böheimischen Furt.«

Der Italiener nahm aus seines Rockes Tasche ein Stück Flins und fragte: »Diese Stein? Ah bene! Aber diese Stein soll sein auf Gebirge eingefuget in swarze Granite als eine Porta von Marmo. Wo iste die Orte? Sag Er mir, caro mio!«

»Dergleichen Orte hat es viele im Gebirg«, antwortete der Oheim ausweichend.

»Viele Orte?« sagte Giacomini lauernd; »no no, Signore, ik will nit viele Orte, will diese eine Orte – gelegen auf Bergesrucken, wie swarze Burge mit weiße Porta.«

Da nickte der Oheim mit spöttischem Lächeln und blickte scharf den Italiener an: »Freilich kenne ich diesen Ort – weise ihn aber Euch mitnichten – denn allda ist verborgen ein Schatz – ja ein Schatz!«

Wie vor einer Natter prallte der Italiener zurück und starrte den Oheim an. Dann verzog er sein Gesicht zu einem Grinsen und suchte zu beschwichtigen: »Eine Schatze? Ah Possen! Keine Rede von Schatze! Possen! Weiße Stein iste gut für Glasse. Sage mir, Signore, wo iste weiße Stein? Sage mir Orte, ik bitte.«

»Der Herr Doktor täuschet mich nicht. So Er den weißen Stein nur zur Glasbereitung brauchet, ei warum lässet Er sich alsdann nicht genügen an den Flinsblöcken, so in Menge bei Schreiberhau liegen? Aber der Herr hat selber bekennet, daß Er nur nach der einen Stelle trachtet, wo der weiße Stein gleichwie eine Pforte eingefüget ist in schwarzen Granitfelsen. Die Stelle ist mir wohlbekannt, und dorten lieget ein Schatz – ja ein Schatz! Den soll aber nicht der Herr heben, sondern ein anderer – ja ein anderer! So ist und bleibt mein Wille, und darum verrate ich den Ort mitnichten.«

Zornig funkelten des Italieners Augen, dann griff er mit zitternder Hand in seine Tasche und warf einen Beutel mit klirrender Münze auf den Tisch: »Prenda denaro! Hier nimm Gelde! Weiset mir die Orte!«

»Ich brauche Euer Geld nicht!« entgegnete der Oheim kalt, »dieweil ich den Goldschatz selber heben werde.«

»Ihr? Ihr?« kreischte der Italiener und focht mit den Händen vor Oheims Angesichte. »Schatze hebene? Nix hebene!«

»Mein Famulus hier wird ihn heben,« antwortete der Oheim; »diesem Knaben ist von einer Prophetin geweissaget, daß er solle einen großen Schatz heben und wie König Salomo werden. Zudem ist er ein Johanniskind.«

Mich funkelte nun Giacomini mit seinen schwarzen Augen an und meinte verächtlich: »Ah bah! Wie soll dumme Ragazzo bringen Schatze in seine Hand? Was weiß er von Magia? Eine Propheta weissagete? Soll er werdene Salomo? Ah bah, Possen, nix! Nimm Gelde unde weise den Orte! prenda denaro, prenda, caro mio!« Und er suchte dem Oheim seinen Geldbeutel in die Hand zu drücken.

Da aber der Oheim im Verschmähen standhaft blieb, lief der Italiener wie ein gefangener Fuchs in der Stube umher, irren Auges und keuchenden Odems. Manchmal blieb er stehen, die Hände ringend, und über sein Angesicht ging ein Zucken. Endlich sank er wie gebrochen in den Lehnstuhl, stöhnete und sprach mit matter Stimme: »So swöre Er, swöre auf sein Evangelio, daß Er wolle weisen mir den Orte, wo Schatze liegen und helfene mir mit Famulusse. Avanti! Bilden wir eine Societa, zu hebene Schatze, unde ik gebene Euch Beutel mit Golde.«

»Einen Beutel mit Golde? Nein! Halbpart will ich!« sagte der Oheim fest.

Gehässigen Blickes antwortete der Italiener kleinlaut: »Also gute!«

Hierauf ließ er sich Papier, Feder und Tinte reichen und schrieb den Contractum auf. Alle drei unterzeichneten wir und beschwuren ihn über der aufgeschlagenen Bibel.

Den Abend wollte der Oheim mit Giacomini allein sein, und da sagte die alte Beate munter zu mir: »Kumm ock; wir wollen zu Maiwalds spilla gihn.« Maiwalds wohnten im Nachbarhause, hatten drei mannbare Töchter und sammelten gern Gäste zum Spinnabend. Als wir in die Balkenstube traten, wo der qualmende Kienspan leuchtete, entschuldigte uns Beate mit dem Scherzworte: »Wir mechten amol sahn, ob's Weibsvulk keene Schürzaschüttler brauchet.« »Ju, ju!« rief der Chorus der Jungfern und Burschen fröhlich. »Kumm har, Beate, kumm ock, Johannes!«

Nun setzeten wir uns auf eine Bank, und ich bekam ein Messer, Kienspäne zu schnitzeln. Munter schnurrten die Spulen, und noch eifriger gingen die Mäuler. Männiglich plauderte oder sang, kauete Schnitzäpfel und getrocknete Rüben, sprach auch dem Bierkruge zu. Die Junggesellen trieben mit den Madeln allerlei Kurzweil. Maiwalds Kathrine ward verurteilt, das Kreuz anzubeten. Dies Kreuz aber war Hollmanns Gottlieb, so kerzengrad inmitten der Stube stund, die Arme ausgebreitet. Vor ihm kniete Kathrine nieder und sprach:

»Heilig Kreuz, ich bet dich an,

Du brauchest eine Frau, ich einen Mann.

Bist du gesonnen als wie ich,

So kumm herab und küsse mich.«

Nun umfing der Gesell kosend das Madel, und die Leute lachten dazu.

Plötzlich ward die Stubentür aufgerissen und ein Topf hereingeschleudert, der zerschellend allerlei eingefüllt Gerümpel über den Boden verstreute. Dazu rief eine Madelstimme:

»Do breng ich euch an Aschentopp,

Seid gebeta, on wascht mern Kopp.«

Das gab ein Lärmen, und hurtig sprangen die jungen Gesellen auf, das flüchtende Madel mit Wasser zu begießen. Wie nach solcher Kurzweil die Räder wieder schnurreten, erzählte Maiwalds Pauline von einem seltsamen Knaben; der sei vorzeiten in die Schreiberhauer Spinnstube gekommen, schön von Angesicht, aber mit richtigen Pferdehufen statt der Füße. »Ju ju,« hieß es; »der stammet aus dem Breiten Berge, dorten hauset das Volk der Pferdehufer. Es hat aber auch ein seltsam Weibesvulk, das watschelt auf Gansfüßen ...« »Hu!« schrie ein Weibsbild auf, weil draußen vor dem Fenster ein Totenkopf mit glühenden Augenhöhlen erschien. Bald erkannte man aber, daß es nur ein hohler Kürbis, von einem innern Lichtlein erhellet. Nun kam das Gespräch auf den Berggeist. Ein Bursche berichtete, wie er sich am Hohen Rad als ein Laborant gezeigt habe und plötzlich als ein Truthahn hinweggeflogen sei. Die alte Beate, aus einer Baude beim Mittagstein gebürtig, wollte den Rübenzagel am Großen Teiche gesehen haben. Ein Mönch habe auf einem Felsen gekauert und sich alsdann aufgelöset in quirlenden Nebel. Ja, droben hausete der Herr des Gebirges! Hatte ja auch vorzeiten die drei hausgroßen Steine, neben den Teichen gelegen, hineinwerfen wollen, mit dem überlaufenden Wasser die Welt zu ersäufen. Während also gefabelt ward, erhub sich draußen ein Brausen und Heulen, und man murmelte: »Der Nachtjäger kummet! Ju ju, er jagt die Moosweibel, und die Bäume läuten aus!«

Ganz angefüllt mit wunderbaren Mären machte ich mich zu später Stunde mit der alten Beate auf den Heimweg. »Bleibet noch dahie!« hatten Maiwalds gesagt. »Gleich ist Mitternacht, wir schmelzen Blei.« Doch Beate hatte nicht gemocht. Mit flackernder Laterne suchten wir unsern Pfad, gegen den Wind ankämpfend. In Oheims Laboratorio war noch Licht. Da es eben Mitternacht läutete, blieben wir stehen, und Beate sagte: »Lege dich auf die Erde, Johannes, lausche, was die Unterirdischen erzählen.« Ich legte mich und drückte das Ohr an den Grund, hörte aber nur den Wind brausen und die Glocke läuten. Indessen deuchte mich, als könne ich in dunkle Tiefen sehen. Dorten glomm es bläulich, und ich erkannte den unterirdischen Goldbaum, wie er seine Metalläste durch die Lande reckt. Einer der Äste schlich unter dem Laboratorio dahin, ein anderer wuchs machtvoll durch das Isergebirge zur Abendburg und trug eine Frucht, gestaltet als eine Krone.

Am Morgen tat der Oheim mit dem Italiener einen Gang auf das Gebirge. Heimgekehrt rief er mich in die Balkenstube und sprach in freudiger Erregung: »Jetzo haben wir das Mittel, den Schatz zu heben. Giacomini weiß, wie die Zaubersuppe bereitet wird. Pferdeblut muß man mit alraunischem Lauche kochen. Wo der wächst, ist mir wohlbekannt – auf der Iserwiese. In den Kessel gehören alsdann eines Maulwurfes Pfoten. Endlich muß ein unschuldig Mägdelein oder ein reiner Junggesell etliche Tropfen seines Blutes aus freien Stücken hineintun. Der Junggesell bist du, Johannes – nicht wahr, du gibst ein wenig Blut her? Ist ja nur eine Hautschramme vonnöten. Johannes, mein Johannes! Wie erhoben und riesenstark ist mein Herz! Möchte schier glauben, so müsse unserm Herrgott zu Mute gewesen sein, da er beschlossen hatte, die Welt zu erschaffen..« Und der Oheim reckte die Arme und lief umher.

Andern Tages begab er sich hinunter ins Hirschberger Tal, das für den Zauber benötigte Pferdeblut zu holen. Da der Abend dunkelte, und die alte Beate in der Balkenstube den Kienspan angezündet hatte, war der Oheim noch immer nicht da – was den Doktor Giacomini, der bei mir saß, unruhig machte, also daß er auf einmal emporsprang und ratlos die Hände erhub: »Wo bleibet Kräuter-Tobiasse? Weg iste swarze – scheinet nit Luna, nit Stella.«

Ich schwieg, mir war nicht heimelig zu Sinne. Unrastig aber wandelte Giacomini durch die Stube, mit seinen geräuschlosen Bewegungen und dem schwarzen Habit ähnlich einer huschenden Fledermaus. Plötzlich blieb er stehen und sahe mich stechenden Blickes an: »Johanniskind, sage mir, was tun Er mit Golde, wenn wir hebene den Schatze? Möchte wissene, was Er tun – he?«

Ich stutzte und entgegnete nach etlichem Zaudern: »Alsdann werden meine Eltern nicht mehr arm sein. Und der Oheim sagt, alsdann solle ich Studente werden in Prag und ein gelahrter Mann und ...« »Unde – unde – pah! Possen!« spottete der Giacomini. »Was brauchen Er Golde für Studente werdene!«

Ich entgegnete: »Aber es ist doch besser, wenn ich kein armer Studente bin ...«

»Ah – si si! Studente à la mode! studieret nix, stolzieret in Sammete und Seidene, hat Losament in Palazzo, unde bei Pokulieren Moneta rollen wie Wasserfall, addio! No no, Famulusse! Er tun nit klug mit Golde, Er werden keine Salomo – denn wie spricht Salomo? Vanitas vanitatum vanitas! Eine Schatz darf nit sein, was fortlaufet – eine Schatz soll bleibene getreu bei Salomo – eine Schatz soll nit werdene geringer! War ein Haufen unde wird eine Berg – ah!«

Scheu starrete ich den Italiener an, der lodernden Auges mit Händen, die vor Gier bebeten, seinen Goldberg zu betasten schien. Wenn doch nur endlich der Oheim käme! Es war bereits Nacht, und ein Sturm hatte sich erhoben, der am Dach rüttelte.

Da ging die Haustür, ich vernahm des Oheims schleppenden Schritt, und nun trat er ein. Nach Odem ringend, bot er guten Abend, stellete den mitgebrachten Krug in die Ecke und warf sich ächzend in den Lehnstuhl: »Ah! In Petersdorf bekam ich das Pferdeblut nicht – bis Warmbrunn hab ich müssen laufen, ah! –« Als er sich verschnaufet hatte, machten wir uns zum Aufbruch fertig. Der Oheim nahm auf den Rücken die Hucke, in der sich der Krug mit dem Pferdeblut und eine Axt befand. Seine Linke hielt eine brennende Laterne, die Rechte den Spieß. Giacomini war bewehret mit einem Reiterpistol und einem Degen. Ich trug ebenfalls Hucke und Spieß, außerdem eine brennende Laterne. Voran ging der Oheim, dann kam ich, zuletzt Giacomini.

Das am Himmel jagende Gewölk bildete zuweilen eine Lücke, und dann flog die Mondsichel hindurch, in gewissem Abstande verfolgt von einem Funkelstern; es sah aus, als eile durch Waldesgebüsch ein Jäger nebst seinem Hündlein. Wie rauher Jagdruf und Hundegebell klang es im Sturme, und die Fichten wankten wie läutende Glocken. Stumm schritten wir fürbaß, hätten einander auch schwerlich verstehen können in dem Gebrause.

Als wir bei einer Felsengruppe des Schwarzen Berges aus dem Walde traten, fiel uns der heulende Sturm mit so hartem Stoße an, daß ich mit meiner Hucke ins Beerengestäude taumelte, wobei mir die Laterne erlosch. Giacomini rief den Oheim, der half mir auf und zündete aufs neue meine Laterne an.

Es ging nun wiederum durch Wald. Höchst mühselig gestaltete sich der Weg in der Nähe der Abendburg. Tastend klommen wir über moosige Blöcke, zuweilen glitt der Fuß in eine Felsenspalte. Die Fichtenäste, hart wie Knochen, faßten unsere Kleider. Oft hörten wir Bäume im Sturme brechen, und ein starker Ast schlug neben uns wuchtig zu Boden. Doch freier von Wolken ward der Himmel und verbreitete mit Mondsichel und Gestirnen einen dämmerhaften Schimmer.

Nun sahen wir dicht vor uns düster die Abendburg ragen. Der Oheim zündete sogleich den hergerichteten Holzstoß an, und die prasselnde Flamme belichtete rot die Felsenwand, während des Oheims Schatten wie ein schwarzer Riese verzerrete Gebärden machte. Mir ward des Feuers Obhut anvertrauet, und mit Eifer warf ich von Zeit zu Zeit neues Holz hinein.

Inzwischen zogen Giacomini und der Oheim um uns her den Zauberkreis, wobei sie einen Stab mit übergestreiftem Siegelringe anwendeten.

Nachdem dies Werk vollführet war, setzten wir uns ums Feuer. Der Oheim holte Brot aus der Tasche und gab uns zu essen, wir tranken auch etliche Schlucke Wein aus einer Flasche.

»Merke, Johannes,« – sprach der Oheim – »wenn wir die Zaubersuppe zu kochen beginnen, darf fürder kein Wörtlein gesprochen werden, und du mußt schweigend deine Blutstropfen hergeben. Wenn alsdann die Abendburg sich auftut, dringen alsobald wir beide hinein, der Doktor will draußenbleiben.«

»Muß Zaubersuppene rührene, sonstene gehet Porta zu,« entschuldigte sich der Italiener.

»Sind wir in der Abendburg,« – fuhr der Oheim fort – »so füllen wir geschwind unsere Hucken mit Gold und Edelgestein, eilen dann ohne Säumen hinaus.«

Unter solchen Verabredungen verrann die Zeit, der Doktor verkündete, es sei die eilfte Stunde und an der Zeit, die Zaubersuppe zu kochen. Wir winkten einander zu und legten den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß jetzo beginnen solle das strenge Schweigen.

Nun ward das Pferdeblut im Kessel auf das Feuer gesetzet, und der Oheim tat Alraunknoblauch nebst den Pfoten eines Maulwurfes hinein. Der Italiener gab den Liquor einer Phiole hinzu, dessen Bereitung sein Geheimnis war. Ich entblößete meinen Arm, nahm das Messer, so mir vom Oheim schweigend dargereichet ward, und tat die Spitze an meine Haut. Einen Augenblick zauderte ich mit Bangen. Dann zuckte Entschlossenheit in mir, und ich drückte die Messerspitze tiefer in den Arm, als vonnöten. Das herfürquellende Blut ließ ich in den Kessel rinnen. Die Wunde verband mir der Oheim.

Allgemach begunnte nun die Suppe zu kochen, und mit einem Holzlöffel rührte der Oheim, während Giacomini manchmal scheu ringsum spähete und sich duckte, sobald die Fichten wanketen und knacketen. Das Feuer glühte, daß mir Angesicht und Hände heiß wurden, der Oheim rührete und rührete, eine Sturmwoge nach der andern wandelte heulend über die Wipfel hin, und ich starrete auf die weiße Pforte der Abendburg, die nun bald aufgehen sollte.

Ein schaurig süß Gefühl wandelte mich an, ein heimlich Hoffen und Bangen, ähnlich wie vor einer Weihnachtsbescherung. Heut war ja der erste Advent, und von Haus zu Haus ging das Christkindel. Aus dem Sausen der Wipfel klang mir das fromme Lied, so jetzo drunten in den Hütten erscholl:

»Vom Himmel hoch da komm ich her,

Ich bring euch gute neue Mär,

Der guten Mär bring ich so viel,

Davon ich singen und sagen will.«

Und zur Tür herein trat das Christkindel, licht und holdselig wie ein Engel, mit einem Tüchel voller Gaben, und sagte seinen Spruch:

»Ein schön guten Abend geb euch Gott!

Ich komm herein ohn allen Spott,

Befrag die kleinen Kindelein,

Ob sie auch fromm gewesen sein.

Und wenn sie fromm gewesen sein,

Hat's draußen einen Wagen stahn,

Der ist geschmückt mit schönen Gaben

Für Mädelein und junge Knaben.

Ei Ruprecht, komm herein!«

Da gab es ein Gepolter, und herein tappete Knecht Ruprecht, angetan mit Pelz, rauher Mütze und Fausthandschuhen. Sein Huckepack rasselte, und in der Rechten schwenkte er einen Besen. Er kicherte und gröhlte:

»Plietsch plaatsch Fladerwisch!

Draußa is mers gor zu frisch.

War mich ei die Stube packa,

War a Kindern vertreiba's Lacha.

Bin vom Himmel gefolla,

Hab mir an Huckepack zerknolla.

Ich wünsch euch a langes Leba,

Hundertfufzig Ella lang,

Hicher als die Wulka schweba,

Länger wie a Glockastrang.

Ich wünsch euch a Sack vull Dukota

Und a tichtiga Schweinebrota.

Un wenn noch was zu trinka wär,

Su wär schon alles nach Begehr.

Draußa is mers gor zu frisch ...

Plietsch plaatsch Fladerwisch ...«

Hier reckte Knecht Ruprecht auf einmal seine Gestalt, daß sie wie ein schwarzer Riese in den Nachthimmel ragete. Ich sahe, wie er zum Hiebe mit der mächtigen Rute ausholte, und ein Krachen und Prasseln geschah, als ob ein Donnerwetter einschlüge, davon die ganze Welt zusammenstürzte.

Ich wähnte zuerst, die Abendburg tue sich auf, und vor meinem Auge gleißete bereits der lichte Eingang. Dann aber kam mir der Gedanke, dies Prasseln komme von stürzenden Bäumen. Gleichzeitig sausete ein Fichtenwipfel auf uns hernieder, in das aufstiebende Feuer und in die Zaubersuppe hinein. Eine Funkengarbe sprühete, es zischte und qualmete.

Krachend fuhr ein Feuerstrahl aus Giacominis Pistol. Donnernd rollete der Widerhall drüben den Kamm entlang, und an diesem starken und langen Dröhnen war zu erkennen, wie gewaltig der Baumsturz gewesen.

Der Oheim griff nach mir und betastete meinen Kopf, den ich wimmernd in Händen hielt, weil ihn der Baumwipfel gestreifet hatte. Nun schaute ich mich um und sahe, wie eine Fichte, vom Sturme mitsamt der Wurzel ausgerissen, über uns hergestürzt war, und wie eine Menge Bäume in gleicher Weise vom Sturme gefället waren, also daß die Stelle der dunkeln Waldeskrone auf einmal der Sternenhimmel einnahm.

»Es ist aus!« sagte der Oheim; »die Zaubersuppe ist verschüttet, und wir haben das Schweigen gebrochen. Fort! Hier ist es ungeheuer. Auf, Herr Doktor Giacomini!«

Der kauerte hinter dem Oheim und klapperte mit den Zähnen.

Wir raffeten uns auf, ließen die Werkzeuge liegen, mit Ausnahme der Waffen und der Laterne, und krochen mit vieler Mühe zwischen den Zweigen der quergelegenen Fichten hindurch, bis wir endlich freien Pfad hatten. Ich fühlete, wie mir Hände und Knie zitterten. Mir war, als lache heiser der Riese hinter uns her.

Giacomini hielt sich dicht zum Oheim und schwieg. Als wir aber den gefährlichen Wald hinter uns hatten und auf gutem Wege waren, platzte der Italiener los: »Diavolo! Ihr habete Schulde! Eure Famulusse tauget nix zu Magia! Wird keine Salomo!«

»Schweiget!« herrschte ihn der Oheim an. »Eure Zaubersuppe hat nichts getauget! Lasset den Knaben aus dem Spiel!«

»Doch! Eure Famulusse tauget nix – ist keine Junggeselle – keine Johanniskind.«

»Halt er das Maul!« brüllte der Oheim.

Auch mich packte Entrüstung über den Italiener. »Ihr leuget,« – rief ich – »ich habe keine Schuld – bin anoch ein Junggesell – ja, das bin ich!« Dann kamen mir die Tränen. Bestürzt überlegte ich, ob ich vielleicht doch eine Schuld habe. Bedachte, wie mich des Schreiners Magd einmal küssen gewollt. Ich aber stieß sie von mir, mochte die Weibsbilder nicht ... Ja, ich war anoch ein Junggesell, und geboren am Johannistag!

Während des Zwistes stund auf einmal Giacomini still und starrte ins Weite. Seinem Blicke folgend, sahe ich ein furchtbar Phänomenon. Am wolkenlosen Himmel schwebete es, ungeheuer über dunkeln Bergen: eine blutige Rute, ein glühender Krummsäbel, an den Nachthimmel angenagelt.

»Ecco Cometa!« staunete Giacomini.

Mit Grauen starreten wir schweigend nach dem unheimlichen Gast des himmlischen Gezeltes.

Dann meinte der Oheim: »Oh, nun verstehe ich, warum der Zauber mißlang. Unter solchem Schweifsterne ist kein Glück, er ist ein schrecklich Omen. Siehet aus wie eine Geißel, mit der unser Herrgott die sündige Welt will züchtigen. Barmherziger Heiland, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! Lassen wir das Zanken, Herr Doktor Giacomini! Buße tun ist nötiger. Denn nunmehro soll anheben ein grausam Schlachten und Sengen, Hungersnot und Pestilenz. Und wer weiß, ob nicht gar der Spruch vom Jahre zehn und acht sich erfüllet und die ganze Welt untergehet .... Barmherziger Heiland!«

Wenige Tage nach diesem Abenteuer trieb mich und den Oheim die Neugier, bei Tage zur Abendburg zu gehen, um nachzuschauen, was denn eigentlich sich begeben habe. Wir machten uns bei klarem Wetter des Morgens auf und gingen auf dem nächsten Wege über den Hohen Stein zur Abendburg. Hu, welch grausig Bild! An der Nordseite des Bergkammes war die ganze Waldwand vom Sturme niedergeworfen. Hunderte von Fichten mit der Wurzel ausgerissen und quer über den Preißelbeerweg geworfen. Ein paar mächtige Bäume lehnten sich an den Abendburgfelsen, und einer davon hatte mit seinen Zweigen in unser Zaubertreiben hineingehauen.

Schweigend schüttelte der Oheim den Kopf. Dann meinte er: »Ist das nun ein Naturereignis, oder ist es eine Strafe dafür, daß wir unter dem Unglückssterne gezaubert und dazu dem magischen Gebot zuwider unser Schweigen gebrochen haben?«

»Aber Oheim,« entgegnete ich, »niemand hat das Schweigen gebrochen – nicht eher, als bis die Fichte auf uns niedergestürzt ist. Drum wird es wohl nur ein Sturm gewesen sein, was unser Fürhaben vereitelt hat.«

In diesem Moment machte der Oheim ein erstaunt Gesicht und deutete auf eine Höhlung im Abendburgfelsen: »Das war doch früher nicht?«

Eine Tanne, so ihre Wurzeln hier in Felsenritzen eingelassen hatte, war vom Windstoß ebenfalls umgeworfen, hatte aber dabei mit den Wurzeln einen Stein ausgehoben, unter dem nun die Öffnung klaffte. Als wir hineinspähten, merkten wir, daß sich eine Höhlung erschlossen hatte.

Prüfend sahe mich der Oheim an: »Hast du Mut, hineinzuklettern?«

Ich bezwang meine Furcht und nickte, worauf ich, die Füße voran, in den Spalt rutschte. Gelangte in eine Felsengrotte, fand aber beim Umhertappen, daß sie nicht größer als eine Stube. Kroch nun wieder ins Freie und berichtete dem Oheim.

Der nickte gedankenvoll und meinte: »Dabei ist dennoch Zauber im Spiel. Du siehest ja, Johannes, die Abendburg hatte schon begonnen, sich aufzutun und wäre sicherlich gänzlich offen worden, wenn der vermaledeite Italiener nicht das Schweigen gebrochen hätte. Das Umwerfen der Bäume war halt eine Versuchung, wie sie mancher Zauberer zu bestehen hat. Ich werde doch selber in die Höhlung gehen und forschen, ob sie vielleicht zu den Schätzen leitet.«

Darauf bearbeitete der Oheim mit seiner Axt die erdigen Stellen des Felsenspaltes, so daß man bequemer hineinschlüpfen konnte und kroch in die Grotte, worauf ich folgte. Doch die Prüfung des Innern führte zu keinem günstigen Ergebnis. Die Höhlenwände waren von Granit und öffneten sich an keiner Stelle zu einem weiteren Gange. So mußten wir denn, nicht ohne Enttäuschung, den Heimweg antreten.

Als ich mich bereit machte, wieder zu meinen Eltern nach Hirschberg heimzukehren, sprach der Oheim gebieterisch: »Du weißest, daß du, mein Famulus, zum Schweigen verpflichtet bist. Sprich zu niemand, auch zu deinen Eltern nicht von dem, was sich begeben hat, und bleibe des festen Glaubens, daß es dir dennoch gelingt, den Abendburgschatz zu heben.« Kleinlaut aber fügte er hinzu: »Der Italiener wird uns doch nicht zuvorkommen? Wenn ich nur herausbrächte, was in der Phiole gewesen! Alsdann getraute ich mir, ohne ihn die Zaubersuppe zu bereiten.«

Warum sollte es nicht eine geheime Kunst geben, vermöge deren man in der Knospe schon die Frucht, im Ei den werdenden Vogel erkennt? Daß aber unscheinbaren Dingen etwas von der Knospe und vom Ei eigen sein kann, wird an meiner Jugendgeschichte offenbar, wie denn aus den Mären vom eingemauerten Mägdlein und vom Schatz der Abendburg, aus meines Vaters Bericht über den unterirdischen Gang, aus der zigeunerischen Weissagung und aus den knabenhaften Streitigkeiten mit Zetteritz die wichtigsten Ereignisse und Wendungen meines Lebens herfürgewachsen sind.

Auch mein Comödiaspielen im Schlosse Kynast war gleichsam eines Vogels Ei, weil es dazu führte, daß mir Hans Ulrich seine Gunst zuwandte. Wie ich ihm einmal in der Rosenau begegnet bin, hat er mich ins Auge gefaßt, sein Pferd angehalten und lustig gesagt: »Ei das ist ja der liebe Gott, der sich mit dem Teufel gebalgt hat.« Und oft hat mich seitdem Hans Ulrich, wenn unsere Wege sich trafen, mit dem spaßigen Spitznamen angeredet. Hat den »lieben Gott« sogar in seinen Dienst genommen und als ein Schreiberlein seines Dominiums zu Warmbrunn installieret. Die kriegerischen Zeiten haben das so gefügt. Da ich nämlich das Gymnasium absolviert hatte, meine Eltern aber wegen des böheimischen Aufruhrs und der allgemeinen Unruhen nicht wagten, mich zur Universität nach Breslau oder Prag ziehen zu lassen, und da sie nicht wußten, was mit dem müßigen Burschen anzufangen, habe ich von ihnen gern die Erlaubnis erhalten, brieflich den Herrn Schaffgotsch um einen angemessenen Posten anzugehen. Meine Kammer ist im Dominium dicht neben der Kanzlei gewesen, Essen habe ich aus des Herrn Verwalters Küche empfangen und dazu jeden Sonnabend noch sechs, später zehn Groschen Besoldung. Zustatten gekommen ist mir später, daß ich in meinem Amte mit Gewandtheit reiten, auch schießen und fechten gelernt.

Außerdem ist der Aufenthalt zu Warmbrunn meinem Herzen zugute gekommen, insofern es sich der ersten keuschen Minne zugeneigt und erschlossen hat, ähnlich wie einer Blütenknospe an der Frühlingssonne geschieht. Die Gelegenheit dazu hat jener heilkräftige warme Brunnen gegeben, von dem Warmbrunn, ein wohlgebaueter Ort, zwo Stunden von Hirschberg am Gebirge gelegen, seinen Namen hat. Die heiße Quelle ist gut für Gliederweh und gilt als ein rechtes Kleinod schlesischer Lande. Ward aufgefunden vom Herzog Boleslao Crispo, als dieser auf der Jagd einen Hirschen verfolgte, der seine Wunde im heilkräftigen Wasser baden gewollt. Über der Quelle, so fünf Ellen in der Tiefe aus dem Felsen sprudelt, ist ein steinern Haus errichtet. Den heiligen Wassertäufer Johannem hat man dafür als Patronum erkiesen und über der Pforte abkonterfeit. Das Volk aber ist des Glaubens, am Sankt Johannis Abende, wie auch am nächsten Morgen, habe das Wasser seine beste Heilkraft. Daher strömet zum Sonnwendtage eine bunte Menge aus der Umgegend nach Warmbrunn, sich in das Badebecken zu tauchen. Gichtbrüchige und Lahme hoffen, ihre Krankheit solle sich wenden. Gesunde aber möchten ihren gesunden Leib bewahren; oder, wofern sie das Bad verschmähen, nehmen sie an der lustigen Feier teil, so bei hereinbrechender Dunkelheit auf Wiesen und Hügeln begangen wird, unter Schwenken brennender Besen und Springen durch flammende Scheiterhaufen.

Anno 1622 zu Johanni war's, ich zählte siebenzehn Lenze, als mir am Mittagstische der Herr Verwalter sagte, aus Schreiberhau sei Frau Preislerin nebst ihrer Tochter gekommen, um des Johannissegens im Bade teilhaftig zu werden, und ich solle sie besuchen. Auf den Abend begab ich mich, in meinem Sonntagsgewande, hin und traf die beiden Gäste aus Schreiberhau in ihrem Losament. Es waren Frau und Tochter des böhmischen Emigranten Preisler, so vor fünf Jahren die Glashütte im Weißbachtale angelegt hatte.

Die Preislerin, gütigen Herzens und von einer heitern Beweglichkeit, grüßte mich vom Oheim und berichtete, er komme in jüngster Zeit häufig zur Glashütte, da er einer neuen Bereitung von Rubinglas auf der Spur sei. Jungfer Elfriede, ein Jahr älter als ich, war von einer zarten, engelhaften Bildung des Hauptes und der Glieder. Ihr bleich Angesicht, von braunem Haar umkränzet, glich einer sanften Blume, und die dunkeln Rehaugen stauneten wehmütig in die Welt. Seit ein paar Jahren fiel ihr das Gehen schwer, und schon redete sie davon, zum Tanzen nie wieder fähig zu sein. Aus dem Erbarmen, das ich für die sieche Schönheit empfand, ward eine schwärmerische Zärtlichkeit. Es erglomm in mir ein Verlangen, ihr Gutes und Liebes anzutun, und bald schien es mir, ihr Blick ruhe mit einer frohen Bewunderung auf meinem Antlitz.

Da die Dämmerung hereinbrach, hätte Elfriede gern die Johannisfeuer betrachtet und fragte die Mutter, ob sie an ihrem Arm auf die Wiese gehen dürfe. Erst besorgete Frau Preislerin, es möchte die Abendkühle der Patientin Schaden tun. Weil sich aber die Jungfer mit Tüchern wohl verwahrte, durfte sie an der Mutter Arm hinaus. Nachdem ich eine Weile mit meiner Schüchternheit gekämpft, brachte ich stammelnd für, vielleicht könne die Jungfer auch mich zur Stütze annehmen. Sie dankte und hing sich sogleich an mich, wobei sie meinen Arm, wie es mir schien, vertraulich drückte. Das brachte mein Gemüt in eine süße Verwirrung. Wiewohl ich nicht sonderlich auf das Gespräch achten gekonnt, da ich wie ein Trunkener wandelte, habe ich doch bewegten Herzens aufgemerkt, als wir auf die Abendburg zu sprechen kamen und den ragenden Fels herauszulesen suchten aus dem dunkelblauen Gewoge der Berge, die sich scharf vom verblichenen Abendhimmel abzeichneten. Träumend sprach da Elfriede: »An einem Johannisabend ist einmal ein Sonntagskind auf dem Kynast gestanden, und da hat sich die ferne Abendburg plötzlich zum Schloß verwandelt, und haben die Fensterscheiben das Abendrot gespiegelt.« Mich entzückete diese Mär, als stehe das Wunder leibhaftig vor meinen Augen.

Frau Preislerin aber scherzete: »Geh mir mit dem dummen Gemahre von den Sonntagskindern! Wenn jedem Sonntagskinde beschieden wäre, Wunder zu erleben, fürwahr so wären die Wunder in unsrer Zeit so häufig wie die Spatzen.«

Verwundert meinte Elfriede: »Aber nein, Sonntagskinder sind ganz rare Vögel!«

Da lachte die Mutter: »Jeder siebente Mensch ist ja ein Sonntagskind! Oder gläubest du einfältig Madel, am siebenten Tage halte der Storch Sabbatruhe?«

Ich und Elfriede waren überrascht und mußten mitlachen; doch es kam auch mir von Herzen, als die Jungfer schmollend zur Antwort gab: »Warum soll uns immer die Klugheit aus den Träumen und Mären wecken?«

»Ach mein liebes Kind,« – seufzete die Mutter – »wer vom klugen Tage nichts wissen mag, wird oft bitter genarret und enttäuscht.« Zu mir gewendet, fuhr sie fort: »Denk Er nur, wie meine Elfriede erst vor einer Stunde, kurz bevor Er gekommen ist, bis zu Tränen enttäuschet worden.«

»Aus was Ursach?«

»Sie hatte eine wundervolle Erwartung vom Johannisbade, das sie dem Teiche Bethesda verglich. Wie den Teich Bethesda ein Engel vom Himmel besuchte und mit Heilkraft erfüllte, die versammelten Kranken gesund zu machen, so sollte nach Elfriedens Sinne der heilige Täufer Johannes aus dem Sonnenuntergange dahergeschwebt kommen und den warmen Brunnen mit segnender Hand bewegen. Wie wir aber vorhin, nachdem wir lange in einem Gedränge von Menschen harren gemußt, endlich in das Weiberbad eingelassen worden, ist meinem Kinde, dem schon von der lärmenden Menge die Andacht verscheucht worden, auch die letzte Neigung zum Baden vergangen. Badende Gänse benehmen sich adlig neben diesem Haufen von Leuten, so einander zu verdrängen suchen, um eine gute Stelle zum Auskleiden zu ergattern und unter den Ersten ins Wasser zu kommen. Wie wir das Stoßen und Schelten, das trübe Wasser, das haufenweise Hineinplatschen der Leiber, das Kreischen und Plätschern wahrgenommen, sind wir durch einen Blick einig worden, ungebadet hinauszugehen. Wie töricht ist doch wohl der gemeine Glaube, dem wir bis Dato selber gehuldigt, zur Sonnenwende Sankt Johannis bringe Warmbrunn in einer Viertelstunde mehr Heilung als sonst in einem Badeleben von mehreren Wochen. Nunmehr sind wir entschlossen, morgen heimzureisen und meinen Eheherrn um die Erlaubnis zu bitten, uns später einmal zur längeren Kur nach Warmbrunn zu beurlauben.«

Dunkel war's indessen worden, schwarz lag das Gebirge. Funken taumelten durch Laub und Halme – schwärmende Leuchtkäferlein.

»Schau, Mutter!« rief Elfriede in froher Aufregung, blieb stehen, indem sie meinen Arm losließ, und deutete nach dem Kynast; »das erste Johannisfeuer!« In der Tat leuchtete es auf dem Turme der Veste. »Zur Linken noch eins!« fügte Elfriede hinzu; »am Seidorfer Brünnel muß das sein; und dorten, ganz oben, wohl bei einer Baude!«

»Ich sehe eins über Petersdorf,« sagte ich; »das ist bei den Wachsteinen; desgleichen oben am Schwarzen Berge fackeln sie; das sind Schreiberhauer.« Und nun erglommen immer häufiger, immer lichter die Johannisfeuer in den düsteren Bergen, ähnlich wie Sterne am Nachthimmel erblühn. So auch in mir jene köstlichen Freudenfeuer, mit denen das Herz seine erwachte Liebe feiert.

Es war mir leid, zu hören, daß Preislers bereits am nächsten Morgen nach Schreiberhau heimkehren wollten. Da ich zu dieser Zeit von meinem Amte in Anspruch genommen war, sagten wir einander gleich auf der Stelle Valet. Ich drückte der Jungfer Hand: »Auf gute Genesung – und Wiederschaun!« – Sie lächelte traurig: »Weiß Gott!« – Ich versuchte zu scherzen: »Auf Wiederschaun beim Tanze!« Sinnend nickte sie und tat einen Seufzer: »Auf Krücken vielleicht.«

Seit dieser Zeit ist mir ein süß Weh gleich dem duftigen Hauch einer wunderbaren Blume gekommen, sooft ich in stiller Stunde Elfriedens gedachte. Manch Gespräch voller Andeutungen unserer Herzensverfassung hat sich zwischen uns in meinen Träumereien begeben, und als höchstes Glück deuchte es mich, im Mondenschein der Juninacht Elfrieden an meiner Seite zu haben, ihr Köpfchen an meine Schulter gelehnt.

Mit Sorge und Gram aber hat es mich erfüllt, da ich aus einem Briefe meines Oheims vernommen, mit Preislers Elfriede sei es schlechter worden, sintemalen sie gar nicht mehr gehen könne. Hierauf hab ich in der Bücherei des Herrn Schaffgotsch Schriften nachgeschlagen, so von Körpergebresten und ihrer Heilung handeln. Da ist mir eine Historia von der Kraft des Antimonii begegnet. »Ich bekam«, so erzählt ein Medikus, »überaus großen Schmerz in meinem linken Arm, daß ich den lieben Gott wohl tausendmal gebeten, er möge mich doch endlich empfinden lassen, wie einem Menschen zumute, so ein einzig Viertelstündlein schmerzlos wäre. Rat hab ich bei Gelehrten und Ungelehrten gesucht; hat alles nichts helfen wollen. Recht henkermäßig ward ich gemartert mit Fontanellen auf beiden Armen und Quacksalbereien, bis endlich ein Offizier anriet, ich solle täglich eine Prise Antimoniumpulver einnehmen und allmählich dies Quantum derart vergrößern, daß ich in Schweiß komme, ohne Übelkeit zu empfinden. Daß ich des Offiziers Ratschlag befolgte, hatte ich nicht zu bereuen, da ich durch fortgesetztes Einnehmen dieses Medikamenti meine Glieder von Schmerz und Lahmheit befreite.«

Mich brachte dieser Bericht in Aufregung und Ungeduld. Hätte am liebsten sogleich aus der Hirschberger Apotheke Antimon geholt und mich nach Schreiberhau begeben, meine Elfriede zu heilen. Doch war mir bekannt, daß Antimonium ein Gift, und so besorgte ich, die Patientin könne Schaden nehmen.

Nachdem ich etliche Wochen in Schwanken zugebracht, traf es sich, daß ich auf einem Botengange zu Herischdorf in eines Schreiners Stube ein artig Mägdlein fand, so nicht von ihrem Stuhle aufstehen konnte und Krücken neben sich hatte. Als ich mich nach der Patientin erkundigte, hub der Schreiner an zu seufzen, das Kind sei seit dem fünften Jahre lahm, und es werde auch noch mit ihren Händen schlimm. Traurig lächelnd sagte der Vater zum Mägdlein, es solle mir doch weisen, was es in der Hand halte, und da sahe ich, wie es vergebens sich mühte, die Hand aufzutun, deren Finger zusammengekrümmt übereinander lagen.

Ich dachte an mein Antimonium und fragte den Schreiner, ob er es mit einem Mittel versuchen wolle, von dem ein berühmter Medikus großen Erfolg verspreche. Er brauche dann nur aus der Apotheke pulvrisiertes Antimonium zu holen, so viel wie eine Nuß; ich werde mit aller Sorgfalt die Kur leiten und keinen andern Lohn erwarten als die Freude, einem armen Menschenkinde geholfen zu haben.

Der Mann betrachtete mich von oben bis unten und schüttelte den Kopf, ließ sich aber den Namen des Medikamenti auf einen Zettel schreiben und war am nächsten Sonntag bei mir mit dem Pulver, das er richtig in der Apotheke erhalten hatte. Das erste, was ich tat, war, das Pulver in winzige Prisen zu teilen, die ich durch Wägen auf einer Feinwage gleichmachte. Alsdann nahm ich, um die Wirkung des giftigen Stoffes zu erproben, nüchternen Magens eine Prise ein. Da sie in keiner Weise Schaden brachte, nahm ich des andern Tages zwo Prisen und verspürte nach etlichen Stunden einen leichten Schweiß. Verfertigte nun aus den Prisen unter Beigabe von Brotkrumen Pillulen und ging nach Herischdorf zum lahmen Mägdlein. Den Eltern schärfte ich ein, es solle die Patientin am nächsten Morgen eine Pille, am übernächsten deren zwo erhalten. Als ich wiederkam, vernahm ich, es habe sich keinerlei Wirkung gezeigt. Da ordnete ich für jeden Morgen drei Pillen an – worauf Patientin stark schwitzete. Mein Spruch lautete, es solle mit dem Eingeben fortgefahren werden.

Wie groß war meine Freude, als sich von Woche zu Woche des Mägdleins Befinden besserte. Nach zween Monden stund es vor der Haustüre und, mein ansichtig, ließ es seine Krücken fallen und hinkete freudestrahlend auf mich los, um meine Hand zu küssen. Mir gingen darob die Augen über, besonders auch, weil ich nun ein Mittel zu haben glaubte, meine liebe Elfriede gesund zu machen.

Selbigen Tages noch schrieb ich an die Preislerin, teilte ihr die ganze Geschichte mit und erbot mich, ihre Tochter zu behandeln. Es kam jedoch anders als ich erhofft.

Denn wie ich den Sonntag darauf meine Eltern in Hirschberg besuchte und bei dieser Gelegenheit aus der Apotheke Antimoniumpulver gekauft hatte, fand ich auf dem Marktplatze einen Auflauf. Um einen Reiter drängte sich die Menge, seinem Bericht zu lauschen, und da ich fragte, was es gäbe, antwortete mir ein Bürger: »Von Liegnitz her ziehet feindlich Volk gen Hirschberg, grausame Kosaken, Gnade uns Gott!«

Wie ich nach Hause kam, stunden vor der Türe meine Eltern und redeten mit Nachbarn in ängstlicher, aufgeregter Weise. Bald eilten Bürger mit Büchsen und Säbeln gewaffnet durch die Gassen, und es hieß, die Stadttore seien geschlossen, nachdem man etliche Haufen flüchtender Landleute nebst ihrem Vieh aufgenommen habe. Als ich mich in der Stadt umschaute, fand ich den Ring und andere Plätze zu Lagern hergerichtet, wo die Flüchtlinge nebst ihrem Vieh und anderer beweglichen Habe kampiereten. Die Stadttore waren verrammelt, die Zugbrücken emporgezogen und die Wassergräben gefüllt. Auf den Wällen tummelte sich bewehrte Bürgerschaft, lud Kanonen und Musketen und war so gut auf dem Posten, daß die heranflutenden Reiterschwärme nach Empfang etlicher Salven flugs zerstoben und in weitem Bogen die Stadt umkreiseten, endlich, da sie alles wohl verwahret fanden und auf eine Belagerung nicht eingerichtet waren, das Weite suchten.

Die Umgegend von Hirschberg allerdings litt von den Kosaken. Manche Baude ward niedergebrannt, Korn und Heu aus den Scheuern geraubt und viele Familien durch Grausamkeit in Jammer versetzt. Die Bewohner der Dörfer, nahe an den Waldbergen gelegen, hatten sich in die Wildnis zurückgezogen, wurden aber eine Zeitlang von den Kosaken verfolgt, so ihre zottigen Hunde auf die Spur der Flüchtlinge hetzten. Immerhin kam die Gegend noch ziemlich heil davon.

Indessen hat dies Ereignis meinen Besuch in Schreiberhau für eine Woche verhindert, und hieraus ergaben sich traurige Folgen. Zunächst, wie ich nach Warmbrunn zurückkehrte, eröffnete mir der Verwalter, ich habe andern Tages mit ihm eine Reise nach Greifenberg anzutreten, wo Fohlen aus dem dortigen Gestüt des Herrn Schaffgotsch zu übernehmen seien. Wie wir nun nach Greifenberg gekommen waren, hieß es, neues Feindesvolk sei im Anzuge, und deswegen ward dem Verwalter geboten, bis auf weiteres mit mir in Greifenberg zu verweilen. So ging abermals Zeit dahin, ohne daß ich mich der ersehnten Kur in Schreiberhau widmen konnte. Da schließlich die Gegend vor Feinden sicher schien, mußten wir nach Görlitz reisen, und zwar ebenfalls in Angelegenheiten der Wirtschaft. So verlor ich im ganzen sieben Wochen, und diese böse Sieben brachte Trauer und Reue über mich, wie über die Familie Preisler.

Wie ich nämlich endlich wieder nach Warmbrunn kam, fand ich einen Brief meines Oheims mit der Nachricht: »Betrübe Dich nicht zu sehr, mein lieber Johannes! Deines guten Herzens Fürhaben, Preislers Elfriede gesund zu machen, ist durch Gottes Ratschluß vereitelt worden. Die Jungfer haben wir am gestrigen Tage auf den Friedhof getragen. Ein Fieber ist zu ihrem Leiden hinzugetreten, und ihr Leben wie ein Flämmchen ohne Öl erloschen.« Kaum hatte ich diese Worte gelesen, so war mir, als stocke mein Herz, und als tue sich zu meinen Füßen das Grab auf, mir die Ruhe zu geben, so ich nach Elfriedens Tode nimmer über der Erde glaubte finden zu können. Schluchzend lag ich am Boden, und es dauerte Monde, bis ich mich von meiner Schwermut halbwegs befreit hatte. Hinterher fand ich, daß mein Gram der Abendburg vergleichbar, insofern jedwedes Herzeleid ein heimlich Gold enthält. Meine Neigung für Elfrieden hatte eine Sehnsucht in mir erweckt, zu lieben und zu heilen. Und also war mein besser Selbst gewachsen.

Mein schlimmer Dämon aber war die Prophezeiung der Zigeunerin, des Oheims Goldmachertreiben und die magische Beschwörung des Felsens. Vom Stein der Weisen träumte ich, und auf den Schatz blieb all mein Trachten gerichtet – wiewohl er mir unter wechselnden Gestalten, je nach den unterschiedlichen Stufen meines Lebens erschienen ist, ähnlich dem Gotte Proteus, so in tausend Verwandlungen den forschenden Blicken der Sterblichen entschlüpfet, indem er Feuer und Wasser, Tier und Pflanze wird, und allein dem Starken, der ihn in allen Verwandlungen festzuhalten weiß, sein wahres Wesen offenbart. Hatte ich zuerst von unterirdischen Kostbarkeiten geträumt, so lenkte sich bald mein Begehren auf die alchymistische Goldmacherei. Nachdem auch sie mich genarret, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen; mein Proteus hat auf einmal Fleisch und Bein gehabt, ein holdselig Weib. Abermals jedoch gab es eine Umwandlung, der Schatz ward Herrentum und Ehre, als ein König gar hab ich walten wollen. Endlich hat mich jener Stein der Weisen begnadet, den man nur aus Zähren der Enttäuschung und Entsagung kristallisieren kann. Indessen will ich nicht weiter vorgreifen, sondern der Reihe nach von diesen Abenteuern Bericht geben.

Das dritte Abenteuer Hexlein Schlangenglatt

Anno 1625 war die grausame Pest in Hirschberg eingekehrt. Als ich davon vernommen, trachtete ich besorgt zu meinen Eltern; doch ein Brief des Vaters befahl mir, in Warmbrunn zu bleiben, und wenige Tage darauf kam folgende Post: »Wie gern, lieber Sohn, würde ich Dich herbeirufen, daß wir mitsammen diese Heimsuchung beweinen. Doch in Warmbrunn mußt du bleiben, da unser Haus von der Seuche infiziert ist. Willst Du Deine Mutter wiederfinden, so halte Dich zu unserm treuen Gotte, bei dem sie nun weilet ganz und gar. Unvermutet schnell hat er sie abberufen. Da sie nämlich eine enge Gasse passieren gemußt, ist hinter ihr ein Wagen mit Pestleichen gekommen, dem sie nicht ausweichen gekonnt, also daß das Rad sie am Gewande gestreift. Vermeinend, sich auf diese Weise die Giftmaterie zugezogen zu haben, hat sie sich gleich mutlos zu Bette begeben und des andern Tages bereits diese Welt verlassen. Ohne die Gute müssen wir nun unsere Lebensreise fortsetzen, uns tröstend mit dem ewigen Friedensheim, allwo wir zu allerletzt beisammen sind. Amen, mein geliebter Johannes!«

Wie es tut, eine mutterlose Waise zu sein, hab ich bezeugt mit herben Zähren. Sie sind aber die Vorboten gewesen einer fürdern Bitternis, da denn selten ein Unglück allein kommt. Schon im nächsten Jahre nämlich hab ich auch den Vater verloren, und das hat sich also zugetragen: Nach Erstickung der böheimischen Empörung ist in Schlesien die katholische Partei zur Übermacht gelangt und emsig darauf ausgegangen, die Evangelischen dem Papismo zurückzugewinnen. Dominikaner hielten in Hirschberg geistliche Disputationes und Bußpredigten. Als weltlicher Beistand aber war den eifernden Apostolibus eine halbe Kompagnie kaiserischer Dragoner zur Seite. Diese Seligmacher, wie man sie bitter hieß, haben sich zu den Stützen des evangelischen Glaubens ins Quartier begeben, sie durch Pressung mürbe zu machen. Auch zu meinem Vater sind welche gekommen, haben die besten Gemächer beansprucht und Küche und Keller geplündert. Wie nun eines Sonntags ein Dragoner in berauschtem Zustande, gestiefelt und gespornt im Bette meines Vaters gelegen ist, hat diesen das eine Mal seine sanfte Art verlassen, daß er flammenden Auges Protest erhoben. Da hat der wüste Kerl sich beleidigt gefühlt und mit plumper Faust meinen widerstandslosen Vater angefallen. Zur Tür hinausgestoßen, ist der arme Vater so unglücklich die Treppe hinabgestürzt, daß er auf der Stelle den Geist aufgegeben. Die Entrüstung über die Seligmacher, die mich wie auch die Bürgerschaft hinriß, hat mitnichten etwas gebessert. Wie ich nämlich zu Vaters Bahre eile, geleitet von teilnehmenden Nachbarn, begegnet uns auf der Gasse ein Dragoner-Cornet, ein hochfahrender Junker. Betroffen über unsere finsteren Blicke, zieht er voreilig den Degen. Da brauset es in mir. »Bluthund!« schreie ich, packe den Degen und zerbreche ihn im Nu. Aus dem folgenden Handgemenge werde ich von einem Bürger hinweggerissen, der mich den nahenden Häschern entziehen will.

Da ich der sofortigen Verhaftung gewärtig sein und also ohnehin darauf verzichten mußte, dem Begräbnis meines Vaters beizuwohnen, so flüchtete ich durch einen Garten über die Stadtmauer und begab mich, unter Vermeidung von Warmbrunn, wo ich nicht sicher war, nach Schreiberhau, während der Oheim die Reise zum Begräbnis seines Bruders tat. Es war nun mein Schicksal insofern entschieden, als ich weder nach Hirschberg, noch auch nach Warmbrunn zurückdurfte und einstweilen beim Oheim bleiben mußte. Recht trüb ist mir die Zeit hingegangen, meine Toten hab ich beweint, und nur das Studium laborantischer und alchymistischer Schriften, sowie die Arbeit mit dem Oheim ist mir eine Beruhigung gewesen.

Des öftern haben wir Abends mitsammen beraten, was aus mir werden solle, und weil meine Verfolger hätten erfahren können, daß ich in Schreiberhau weile, so kamen wir zu dem Entschlusse, ich solle nach Ablauf des Winters gen Prag ziehen und bei einem Jugendfreunde meines Vaters, den der Oheim als einen erfahrenen Arzt und Chymisten rühmte, in die Lehre gehen; er hieß Herr Waldhäuserus, medicinae doctor. An ihn gab mir der Oheim ein Empfehlungsbriefel. Im Beisein der alten Beate zählte er dann drei Dukaten auf den Tisch. »Hier hast du eine Erbschaft von deinen Eltern, denen es in ihrer Dürftigkeit doch gelungen ist, dies Gold zu erübrigen. Aus meiner Ersparnis sind ein paar Gulden hinzugefügt. Halte die Gabe so in Ehren, daß du nur im Falle echter Not davon Gebrauch machst. Beate wird die Dukaten in dein Wams einnähen.« Sich die Augen wischend, sprach die alte Beate: »Schau dir die Goldstücke an, Johannes; ich habe sie blank geputzt und in jedes ein Kreuzlein gegraben. Das mag dich an deine Heimat erinnern und an deine Lieben, heimlich sprechend: Gib nicht leichtfertig aus!« Gerührt dankte ich dem Oheim und der guten Beate, worauf diese ihre Brille aufsetzte und die mit Wolle umhüllten Dukaten in mein Reisewams einnähte.

Der Oheim begleitete mich übers Isergebirge, wo noch viel Schnee lag, bis ins Tal des Iserflusses, der geschwollen durch sein Felsenbett brausete. In der Schenke des nächsten Dorfes nahmen wir Abschied von einander. Um seine Traurigkeit zu vertreiben, ließ der Oheim einen warmen Würzewein bereiten. Beim Trinken äußerte er nicht üble Lust, mit mir in die weite Welt zu ziehen, doch wegen unverrichteter alchymistischer Arbeit, auch wegen des Häusels und der alten Beate wollte er lieber einstweilen in Schreiberhau bleiben. Vom Weine gesprächig, erzählte er mir aus seiner Jugendzeit und gab allerlei Ratschläge. Zuletzt kam er hoffnungsvoll auf die Prophezeiung der Zigeunerin, und sein lodernd Auge drang zu meiner Seele Grunde. Dann umarmte und küßte er mich, und ich ging. Vor der Schenke stand er, den Blick auf mich geheftet, bis ich an des Weges Wendung den allerletzten Gruß gewinket hatte.

Verlassenheit empfand ich, da ich im Waldtal neben dem brausenden Flusse keine andere Gesellschaft hatte, als meine betrübten Gedanken. Doch wie nach etlichen Stunden das Tal sanfter und grüner ward, lachte im zwanzigjährigen Geblüt der leichte Sinn. Was vor mir lag, deuchten mich lauter gute Dinge, frohe Überraschungen und Erfüllungen, dabei half es nichts, daß eine Stimme im Innern mich warnte, nur ja nicht übermütig und unvorsichtig in die Welt zu tappen.

Bei Espenbüschen, die ihre Blütenkätzchen sonnten, hielt ich Rast und schaute zurück auf die entfernten schneebedeckten Berge. Indem machte sich ein flatternd Waldvöglein bemerkbar, so allerlei Gerüstwerk zu seinem Neste zusammentrug. Es setzte sich niemalen auf einen Zweig und hub kein Hälmlein auf, ohne zuvor durch Umherspähen versichert zu sein, daß ihm kein Feind oder Garn drohe. Und bevor es seine Fittiche reckte, der Luft sich anzuvertrauen, drehete es noch das Köpfchen prüfend, ob auch kein Raubvogel laure. »Leichtfertiger Tölpel« – sprach ich zu mir – »Waldvögelein mag dich beschämen, weil du in der argen Welt nicht so viel Fürsicht anwendest, wie diese geringe Kreatur.« Kaum aber hatte ich mir selber diese Predigt gehalten, so spitzte ich schon das Ohr, weil zween Wandrer gegangen kamen, deren einer mit schöner tiefer Stimme ein verführerisch Liedel sang:

»Ein Hexlein aus der Hölle Brut,

Ein schmuckes, blond wie Flammenglut,

Ein Hexlein weiß ich, schlangenglatt,

Das Myriaden Buhlen hat.

Es zu umarmen, dürsten

So Bettler und so Fürsten,

Soldaten, Juden, Christen,

Schatzgräber, Alchymisten.«

Sie flehen süß und lispeln hold:

»Sei mein, o mein, Herzliebchen Gold!«

Das Hexlein lacht: »Wen ich begnad',

Ist vieler Leute Potentat.

Ich hex' ihm her, was auf der Erd

Ergötzlichkeit sein Herz begehrt –

Lustgärten und Paläste,

Musik und noble Gäste;

Was willst du? Pokulieren?

Ein Bräutlein karessieren?

Befiehl! Ich klimpre klinglingling,

Und husch, da ist das liebe Ding.«

Der Sänger war ein großer dicker Mann, den breiten Hut mit wogender Feder schief auf dem dunkeln Lockenhaupte, und den Mantel in ähnlicher Weise umgeschlagen, wie es an heroischen Standbildern zu sehen. Auf dem Rücken das Ränzel, in der Hand den Knotenstock, glich er gleichwohl mitnichten einem wandernden Handwerksgesellen. Rollend blitzten große schwarze Augen mit dunkelgemalten Rändern, das Antlitz war blaß und rasiert, die vorgeschobene Unterlippe schien zu verkündigen: »Respekt, ihr Leute!« Mir ganz nahe gekommen, musterte mich der Sänger und blieb mit hochfahrender Miene stehen.

»Ei, guten Tag!« sagte sein Begleiter. Ein Buckeliger war's, hatte listige Augen mit geröteten Lidern, ein fahl und schlaff Gesicht. Etliche blonde Härlein ob dem Munde waren zu einer Art Schnurrbart zusammengedreht. Das geschorene Haupt mit dem spitzen Hut suchte er aus dem Engpaß der Schultern herauszurecken, und das blaue spanische Mäntelein sollte herabwallend den Rückenschaden bemänteln.

»Wo hinaus des Weges?« fragte der Lange, Dicke. Ich begegnete dem hochfahrenden Blicke keck und bedachte mich ein Weilchen, ob ich überhaupt Antwort geben solle. Sprach aber dann, den Hut lüftend: »Guten Tag, Ihr Herren! Da Ihr mich fragt, wohin des Weges, so wisset, daß ich gen Prag ziehe.« »Ei, da gehen wir wohl ein Stücklein mitsammen, so es Ihm beliebt?« sagte der Bucklige. »Warum nicht?« antwortete ich, »wofern der Herr an Eurer Seite Kameradschaft zu halten gesonnen.« »Oho, warum nicht? Freilich doch!« begütigte der Lange und bot mir die Rechte, in die ich einschlug. Gemeinsam gingen wir des Weges und wußten zunächst nicht, worauf unsere Rede kommen solle. Dann begann der Lange: »Also nach Prag gehet Seine Reise? Ist Er Studiosus, oder hat Er Geschäfte?« – »Studiosus möcht ich wohl werden, einstweilen aber bin ich der Apothekerei beflissen.« Meine Begleiter blieben wie angewurzelt stehen, schauten sich an und brachen in Gelächter aus. »Da hätten wir ja den gesuchten Dritten,« sagte der Bucklige triumphierend; »das heißt, wenn er mittun will.« »Er muß wollen«, gab der Lange zur Antwort, pflanzte sich vor mich hin und sprach herablassend: »Ich bin der Apotheker Pomponius, und mein Freund hier ist der Wundermedicus Schrepfeisen. Wir begeben uns zum Frühjahrsmarkte nach Jung-Bunzlau, unsere Salben, Pillulen und Latwerge unter die Leute zu bringen. Wir suchen einen dritten Mann, der unsere Waren bereiten hilft. Denn, was mich betrifft, so hab ich eine besondere Begabung zum Ausrufen, der Medicus aber muß hinter dem Tische sitzen, bei schwierigen Patienten seinen Rat zu geben. Wir machen nun Ihm, junger Gesell, die Propositio, unser Helfer zu werden und dafür einen guten Sold zu empfahen.« Nicht ohne Mißtrauen sahe ich bald den einen, bald den andern an und schwieg. Hierauf setzten wir die Wanderung fort. Mit mir im Reinen, gab ich folgenden Bescheid: »Euer Antrag, Ihr Herren, ehrt mich; indessen wüßt' ich nicht, aus was Grunde ich ihn annehmen sollte. Was ich als Laborant und Apotheker gelernt habe, ist noch gar nicht viel, und so muß ich beflissen sein, mir die rechte Kunst anzueignen. Bei einem erfahrenen Mediko zu Prag soll das geschehen.« – »Hoho,« meinte Pomponius, »gläubet Ihr etwan, der hochberühmte Doktor Schrepfeisen sei nicht erfahren genung? – von mir gänzlich zu schweigen ....« »Und kann Ihm denn Sein Prager Medicus etwas Besseres beibringen, als die Kunst, aus den Gebresten der Leute Gold zu machen?« setzte der Bucklige eifrig hinzu. Ich wußte nicht, was auf diese Einreden zu antworten, und ging stumm des Weges. Der Bucklige redete weiter: »Ein Haufen Geld wird auf den Jahrmärkten zusammengescharrt, und Er soll davon sein gerecht Teil abhaben. Mein Wort darauf, daß für Ihn ein Goldstück täglich abfällt.« Da ich noch immer schwieg, meinte Pomponius spöttisch und etwas lauernd: »Nun freilich, wenn Er selber Gold genung im Wamse hat« .... – Ich stutzte und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoß, da ich der Meinung war, meine Begleiter hätten etwas von meiner eingenähten Erbschaft bemerkt. Aber ich faßte mich und gab die ausweichende Antwort: »Gold im Wamse haben, das freilich wäre eine schöne Sache und lockt mich wohl; indessen muß ich ohne Zeitverlust nach Prag gelangen, da ich sonsten mein Amt als Heilgehilfe versäumen könnte.« – »Nach Belieben!« meinte Pomponius kalt. Der Bucklige aber fügte hinzu: »Kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht überlegt Er sich unsern Antrag noch im stillen.« Nach längerem Schweigen hub ich zu reden an, indem ich den Pomponium ansahe: »Was hat der Herr eine majestätische Stimme. Man sollte meinen, Er gehöre einer Truppe jener Sänger aus Italia an, so kunstreiche Singspiele aufführen.« Pomponius antwortete aufgeblasen: »Seine Diagnosis, junger Gesell, hat etwas Zutreffendes. Allerdings war ich in früheren Jahren Singens und Komödiespielens beflissen und übete meine Kunst vor manch hoher Herrschaft.« Mit schlauem Lächeln fügte der Bucklige hinzu: »Und die Komödiantenkunst soll uns auch in Jung-Bunzlau zustatten kommen, denn es gibt keinen besseren Ausrufer als diesen ansehnlichen Jünger der Muse Thalia.«

Das unweit gelegene Schloß Gitschin, dem Herzog Wallenstein gehörig, veranlaßte den Buckligen zu der Frage: »Ist es wahr, daß der Wallenstein seine Pferde aus silbernen Raufen fressen lässet?« – »Allerdings,« – bestätigte Pomponius – »und in den Ställen fleußt das Trinkwasser durch marmorne Becken, manche Pferde haben gar gülden Geschirr. Um sein Schloß herum dehnet sich der schönste Garten mit seltenen Blumen. Aus Gebüschen lugen marmorne Standbilder glorioser Kriegeshelden, und zum Lustwandeln hat es dort prächtige Säulengänge und Loggien. Ja, der Wallenstein, neuerdings von der kaiserlichen Majestät zum Herzog erhoben, ist in teutschen Landen der reichste Fürst, dem antiken Kröso vergleichbar. Was aber sonderliche Bewunderung verdient, ist dieses Mannes Kunst, aus allem, womit er sich befasset, Gold zu machen. Früher ein armer Edelmann, hat er es verstanden, mächtiger als der Kaiser selbst zu werden, und zwar durch die Waffen, die ihn vom gemeinen Soldaten zum Generalissimo erhoben haben und noch auf einen Königsthron bringen werden, gebet acht!« »Hol mich der Teufel,« meinte der Bucklige, »hätt ich nicht meine vermaledeite Kriegskasse hinten, mir wäre das Waffenhandwerk willkommen, da es für den Armen das beste Mittel, emporzukommen.« – »Für den Armen?« fragte Pomponius. »Doch wohl nicht! Sondern mehr für den Reichen. Der Reiche, wofern er nicht unternehmend, läuft in diesen Kriegszeiten stets Gefahr, seines Gutes beraubt zu werden; drum tut er am besten, selber unter die Beutemacher zu gehen, sich mit einer Soldateska zu umgeben und allerwegen die Leute auszubeuteln. Gelegentlich mag ja auch der Arme als Krieger zu Reichtum gelangen. Aber die Offiziere nehmen ihm alleweil das Beste weg, und der Arme verliert im Felde sein Leben leichter als der Reiche. Sonsten hätt auch ich schon das Glück der Waffen versucht. Doch ich rieche das Pulver nicht gern und weiß mir bequemere Regulen, den Leuten das Geld abzunehmen. Übrigens bin ich schon in meinen Knabenjahren mehr darauf aus gewesen, Geld zu vertun als mühselig zu erringen. Zu den epikureischen Philosophis gehöre ich und überlasse das martialische Heldentum solchen, die sich dazu berufen fühlen.« Und Pomponius trällerte stolz:

»Ein Hexlein weiß ich, schlangenglatt,

Das Myriaden Buhlen hat ...«

»Weißt du« – nahm der Bucklige das Wort – »an wen mich dein Hexlein erinnert? An Jungfer Susannen! Du kennest doch das Wirtshaus in Prag, zur Äpfelkammer geheißen?« »Ei, diese Schönheit ist mir nicht bewußt,« sagte Pomponius; »indessen ich doch sonsten im dortigen Weibsvolk Bescheid weiß. Susanne? Erzähl Er des weiteren von dieser Tempeljungfer Bacchi et Veneris!« – Der Bucklige machte verliebte Augen: »Denket euch des Rehes Wuchs, im Angesicht Lilien mit Rosen vermenget, Augen wie Vergißmeinnicht, korallenrote Lippen und langes goldfarbenes Haar, so habet Ihr die schöne Susanne, wie sie leibt und lebt. Was aber Gemüt und Sinn betrifft, so weiß sie bald die hochgeborene Dame zu spielen, bald wieder durch Schöntun und Schelmerei dem Gast den Kopf zu verdrehen und das Herz zu rauben.« – »Solch eine Rosenknospe hat es leicht, die Leute zu betören,« schmunzelte Pomponius; »muß aber auch List dabei sein. Wetter! wenn ich solch ein glatt Weibsbild wäre, haha, ich getraute mir einen Reichtum zusammenzuraffen, daß ich gleich der ägyptischen Rhodope eine Pyramide aufbauen, oder wie die Phryne die Stadt Theben mit Mauern umgeben könnte. Denn ich wüßte manchen seidenen Schnauzhahnen dermaßen zu lausen, daß ich der schönen Lamiä nichts nachgäbe, die dem verliebten Demetrio all sein Gold abgenommen. Oh, wie manchem Hengst tät ich das Seil über den Kopf werfen, daß er fein artig in meinem Dienst spazieren müßte.« – Der Bucklige nickte: »An List fehlet es der schönen Susanne mitnichten, und nur in einem Punkte soll ihr Verstand der schwachen Ferse des Achilleus gleichen. Sie gläubet alten Weibern, so sich für Prophetinnen ausgeben, und hat sich von ihnen ein schön Stück Geld abnehmen lassen.«

Der Abend war hereingebrochen, als wir ins Städtlein Turnau gelangten und im Wirtshaus »Zur Krone« einkehrten. Da wir übernachten wollten, wies uns der Wirt die Gemächer; in dem größeren waren zwei Betten. Wiewohl es mir passend schien, daß die beiden befreundeten Wanderer das Zimmer mit den zwei Betten nähmen, erklärte der Bucklige: »Mit dir, Pomponi, schlaf ich nicht. Deine Komödiantenkehle verstehet sich nicht bloß aufs Singen und Saufen, sondern auch aufs Schnarchen. Erlaube dahero mein junger Kamerad, daß ich lieber mit Ihm das Zimmer teile.« Mir war dies Ansuchen nicht sonderlich genehm; da aber der Wirt kein drittes Gemach hatte, so blieb mir nichts übrig, als ja zu sagen. Nachdem wir Ranzen, Mantel und Hut in den Kammern abgelegt, gingen wir hinunter in die Gaststube und ließen Wein, Brot und Fleisch auftragen. Bald ward ich inne, daß meine Begleiter im Zechen viel leisten konnten. Wiewohl mich nun die innere Stimme vor dem Weine warnte, tat ich doch des Guten zuviel. Denn ich hatte mir einen tüchtigen Durst an den Leib gelaufen und meiner Begleiter Zureden wie Beispiel überwand stets von neuem meine Bedenken. Als wir in später Stunde zu Bett gingen, mußten mir meine Reisegefährten unter die Arme greifen. Ich hatte noch soviel Besinnung, daß ich mein Wams, drein die Goldstücke eingenäht waren, zusammengerollt unter mein Kopfkissen tat. Kaum hatte ich mich hingestreckt, so schwankte das ganze Haus mit mir, und ich sank in Schlaf.

»Sakrament! Meine Hose!« Von diesem Geschrei erwacht, richtete ich mich verstört im Bette auf. Mein Kopf tat weh. Im Hemd lief der Bucklige umher, als ob er die Kammer durchsuche: »Wo ist meine Hose? Ha, Spitzbuben!«

Besorgt griff ich unters Kopfkissen, mein Wams war verschwunden, das Wams mit den eingenähten Dukaten. Sofort sprang ich auf, wühlte in den Kissen, riß Strohsack und Decken heraus, fand aber das Wams nicht. Auch meine Hose war fort. »Ha! hier sind die Spitzbuben eingestiegen!« schrie der Bucklige zum offenen Fenster hinaus, und zu ihm tretend, sahe ich außen eine Leiter an die Fensterwand gelehnt. Die Faust schüttelnd, lärmte der Bucklige: »Meine Hose! Bestohlen bin ich! Sakrament!« – »Himmel Herrgott, was hat's denn?« rief der eintretende Wirt. – »Spitzbuben haben meine Hose gestohlen.« »Und meine Dukaten!« fügte ich weinerlich hinzu, »in mein Wams eingenäht – fort ist das Wams!« Groß sahe der Wirt bald mich, bald den Buckligen an, ging ans Fenster und schüttelte den Kopf: »Die Kammertür war nicht verriegelt. Wo ist denn der dritte?« Er ging, und wir folgten. Pomponius lag in seinem Bett und schnarchte. »He, Pomponi!« rief der Bucklige. – »Halt's Maul!« grunzte jener und wälzte sich auf die andere Seite. Aber den Wasserkrug ergriff der Bucklige und taufte den widerspenstigen Kameraden, daß er prustend aus dem Bette sprang. »Bist närrisch, Schrepfeisen?« – »Nein, aber bestohlen!« Und wir berichteten, was geschehen. Der Wirt indessen schaute im Gemache umher, prüfte das Fenster und durchstöberte die Betten, als könne hier der Spitzbube seine Beute verborgen haben. Dem Pomponio schien des Wirtes Gebaren nicht befremdlich; bloß daß er trocken sagte: »Hier ist alles in Ordnung.« Mit Achselzucken meinte nun der Wirt zu mir: »Ja, junger Herr! Eine böse Welt! Sein Geld wird wohl hin sein. Drei Dukaten, ins Wams genäht, nicht wahr? Und das Wams unterm Kopfkissen? Hum! Ich ahne!« – »Was ahnet Er?« fragte Pomponius; der Wirt aber blickte ihn scharf an und versetzte: »Ich ahne, daß Er für alle drei Zeche und Herberge zahlen wird.« – »Wer? Ich? Oho! ... Nun ja doch! Aufs Zahlen soll mir's nicht ankommen. Sogar Kleider will ich den Kameraden kaufen. Schaff Er welche, Kronenwirt!« Schweigend, von oben bis unten musterte der Wirt meine Kumpane, murmelte in sich hinein und ging.

Nebst Schrepfeisen begab ich mich wieder in unsere Kammer und setzte mich ratlos auf mein Bett, während jener behaglich nochmals in die Federn kroch. Seinen Verlust hatte er bereits verschmerzt; denn er hub ein meckernd Lachen an: »Hehe, Lehrgeld war das! Hehe, nicht mehr gegreint! Heute verloren, morgen gewonnen! Wahrlich, Johannes, ich verspreche Ihm einen halben Dukaten Tageslohn, so Er als Apotheker mir und dem Pomponio Dienste leistet. Morgen beginnet der Markt in Jung-Bunzlau. Da werden wir als ruhmreiche Heilkünstler auftreten und aus Rindsschmer Gold machen. Ist Er dabei? Nicht? Na, was will Er denn sonsten beginnen? Ist ja kahl wie ein abgehäuteter Esel, hat nicht mal Lumpen, seine Blöße zu decken, und seine Zeche muß der Pomponius zahlen. Nun freilich, das tut der Pomponius aus Kameradschaft. Er aber, Johannes, sollte doch darauf sinnen, wie Er's dem guten Pomponio vergelte. Den Teufel auch, umsonst ist der Tod. Gläubet Er etwan, daß ihm die Kleider gehören, so ihm der Pomponius durch den Wirt besorgen läßt? Nur geliehen sind sie, und so Er sie nicht wieder hergeben will, bleibt Ihm schon nichts übrig, als mit uns zu halten. Siehet Er das ein, hehe?« – Ich schwieg eine Weile, und fragte kläglich: »Und ich soll an jedem Markttag einen halben Dukaten haben?« – »Freie Herberg und Zeche dazu!« versicherte Schrepfeisen. – »Nun, wohlan! So will ich Euer Gehilfe sein.« – »Brav!« erwiderte Schrepfeisen; »was Er zu tun hat, will ich Ihm gleich sagen. Wir haben Salben zum Verkauf nötig, Mixturen, Latwerge, Pflaster, Pillulen. Alles muß Er täglich bereiten. Die Leute reißen sich darum, wie Enten um ausgeschütteten Unflat.« – »Doch wie soll ich als Anfänger in der Apothekerei die Medikamente zustande bringen?« – Der Bucklige lachte: »Rindstalg mit Wachs und etwas Würze, Brotküglein mit Zimmet, Bier oder Tinte vermischt. Und wenn ich nichts als Hühnerdreck hätte, ich wollte dem dummen Volk eine Salbe bereiten.« – »Machet solche Salbe allein,« sagte ich ungehalten; »dazu bedürfet Ihr keines Dritten. Ich wenigstens möchte ein echter Heilkundiger werden, nicht ein Quacksalber.« – »Hoho!« brausete Schrepfeisen auf. »Will Er die Nase hochhalten, da Er doch Ursach hätte, fein demütig zu sein? Mit berühmten Heilkünstlern hat Er zu tun, und wenn ich sage, daß man dem Volke Hühnerdreck aufschmieren könne, so meine ich nur, daß es leichtgläubig ist, und daß wir uns seine Leichtgläubigkeit zunutze machen könnten. Mitnichten aber will ich unsere Medikamenta schlecht machen. Einfach zwar sind die Verrichtungen, so wir von Ihm, Johannes, erwarten; indessen tun wir zu den Salben, Mixturen und Pillulen stets etliche Tropfen von einem Lebenswasser, das in heimlicher Kunst bereitet und tausendfach erprobt ist.«

Obwohl mir auch nach dieser Beschönigung die Sache nicht richtig vorkam, ward ich doch den Quacksalbern gefügig. Allzusehr schon hatte ich mich mit ihnen eingelassen und durch den abends genossenen Wein mein Gewissen wie meinen Verstand benebelt. Wie ich nun, gleichermaßen auch der Bucklige, Gewand erhalten und mich bekleidet hatte, gingen wir zur Wirtsstube hinab, wo drei Teller mit Morgensuppe dampften. Pomponius bezahlte den Wirt, und wir setzten unsere Wanderung fort. Noch vor Abend waren wir in Jung-Bunzlau, wo auf dem Ringe Buden gezimmert wurden. Meine Begleiter ratschlagten, welcher Stand für unsern Warentisch am besten geeignet sei, und der listige Schrepfeisen tat den Vorschlag, mit dem Lammwirt ein Abkommen zu treffen, daß wir neben seiner Tür unsere Waren auftischen durften. Da Pomponius reiche Zeche machte, war ihm der Wirt gefällig, und nun gingen wir an unsere Geschäfte. Einen Teil seines Kellers gab der Wirt zum Laboratorio her. Von Steinen ward innen eine Feuerstätte errichtet, und meine Kumpane kauften Töpfe, Tiegel, gegerbte Felle, aus denen Pflaster gemacht werden sollten, Phiolen, auch Mehl, Zucker, Zimmet, getrocknete Kräuter, Wachs und Rindstalg. Schrepfeisen brachte noch eine Flasche mit himmelblauer Flüssigkeit und sprach wichtig: »Hier vertraue ich Ihm unser Lebenswasser an. Tut Er in jeglich Medikamentum etliche Tropfen davon, so ist es sicher heilsam.«

Nun hub ein Schmelzen und Sieden, Mörseln, Schmieren und Pillendrehen an, und bald stank das Laboratorium nach verbranntem Fett. Schrepfeisen mahnte zur Eile und gab auf meine Frage, wie dies oder jenes zu bereiten, halben Bescheid unter meckerndem Lachen. Als ich das Laboratorium verlassen durfte, war ich mißmutig, Schrepfeisen aber rieb sich die Hände; denn viele Tiegel, Phiolen und Latwerge waren zum Verkauf fertig, auch für das Auge einladend, die Gefäße mit buntem Papier beklebt, die Pillulen versilbert und in Schächtelchen verpackt. An diesem Abend hielten wir uns vom Trinken zurück, um andern Tages frische Kraft zu haben.

Schon in der Frühe ward ich wach vom Lärmen, so auf dem Marktplatz erscholl, wo man die letzten Hammerschläge tat, mit Handwagen Waren herbeischleppte und die ersten Käufer durch schreiendes Ausbieten herbeilockte. Wir hatten aus Brettern eine Erhöhung gezimmert und darauf einen langen Tisch gestellt, wo unsere Medikamenta prangten. An der Mauer des Gasthauses war ein Thron für den Doctorem Schrepfeisen. Beim Trödler hatten meine Kumpane sich auffällig ausstaffieret, auch eine Kriegstrommel und eine Laute erworben. Wie nun der ganze Kram in Ordnung war, begab sich jeder auf seinen Posten, ich also hinunter in mein Laboratorium, wo das Schmelzen und Stänkern von neuem losging. Von oben aber scholl des Pomponii Marktschreierei. Da ich mittags die Lücken der Warenauslage ergänzen mußte, fand ich Gelegenheit, meine Verbündeten bei ihrem Gefecht zu beobachten. Kopf an Kopf drängten sich Gaffer um den Stand, und stolz wie der Gott Hippokrates thronte Schrepfeisen, angetan mit Lockenperücke und scharlachenem Mantel, auf der Nase eine Hornbrille. Dunkelrot im Gesicht, rührte Pomponius die Trommel, als solle ganz Böheim zum Aufruhr erwachen. Und wie sahe der Kerl aus! Unter dem mächtigen Federhute wallten schwarze Locken über einen gefälteten Kragen, der sich wie ein Wagenrad um den Hals legte. Das Wams war von grasgrünem Sammet, mit Silber verscharmieret, über den Rücken hing ein buttergelber Mantel. Aus den Saiten zupfte er ein Präludium und sang wie ein Possenreißer:

»Die Weibgen mit den Flöhen

Hant ewiglichen Krieg.

Wie hetzen sie und spähen,

Daß man die Flöh' erschlüg'!

Und hätt ich allweil baren

Ein Gulden in der Hand,

So oft die Weibgen fahren

Noch Flöhen unters G'wand,

Zwölf Kisten tät ich nageln,

Zu bergen meinen Zoll,

Die sollten täglich hageln

Von Gulden krachend voll.«

Weil des Gelächters ein reicher Tribut kam, warf sich Pomponius auf den Hauptteil seiner Rolle. Wie eine Posaune dröhnte sein Ausrufen: »Jawohl, jawohl, jawohl! Flöhe, Läuse, Wanzen – die nennt ein jeder sein – sie zwicken uns den Ranzen – wie heiße Höllenpein. Doch da kommt der famose, gloriose, hochberühmte Medikus, Herr Doktor Schrepfeisen, nach Jung-Bunzlau und vertreibt alles Geziefer mit dieser Mixtur, aus Würzlein und Kräutlein des Landes Arabia kunstreich bereitet. Etliche Tropfen ins Gewand gesprengt, ins Hemd oder Bett, betäuben und vergiften das ganze Floh- und Wanzengeschmeiß. Aber wir haben hier noch andere Raritäten: Pillulen wider harten Leib, Pflaster für Gliederweh und Husten, wie wir denn alle Gebreste heilen oder doch zu lindern wissen. Da ist insonderheit diese Wundersalbe. Schauet her, Leute! Hier hab ich ein irden Büchslein voll. Zum Einreiben der kranken Glieder und ein wahrer Lebensbalsam. Euch ist bewußt, ehrbar Publikum: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, am letzten Tage aber hat er den Menschen gemacht. Drum bezeugen alle Gelahrten, daß des Menschen Schmalz alle andern Schmälze übertrifft, so wie Gold weit mehr wert, denn Zinn oder Blei. Wenn ich nun diese Wundersalbe mache, so nehm ich erstlich dazu Menschenschmalz, danach Wachs, das haben die Bienen des heißen Landes Afrika aus denen afrikanischen Blüten gesammelt. Drittens nehm ich dazu Sankt Johannisöl, fleußet im Lande Thucia aus den harten Steinfelsen durch wunderbare Schickung Gottes. Endlich brauch ich das oleum popoleum oder Schmalz einer wilden Katze, die schläft auf dem Schweizergebirg von Sankt Gallen bis Sankt Jörgentag und wird davon so feist, daß, wer es nicht mit eigenen Augen gesehen, meinen sollte, das wäre alles erlogen. Summirum summarum, ich nehme das Kräutlein Herba, gewachsen im Lande Regio auf dem Berge Mons, am lieblichen Wasser Aqua, im Monat Mensis. Daraus hat meine Salb ihre wunderbarlichen Kräfte, und ich will nicht ehrlich sein, so mir jemand im ganzen Römischen Reiche die Salbe nachmachet. Herbei denn, alt und jung, Mann und Weib! Kauf in der Zeit, so hastu in der Not! Und wenn die Gesunden tüchtig mit der Salbe schmieren, so kann ihnen keine Krankheit an den Leib. Kaufet, kaufet, das Salbenbüchslein für 5 Gröschel! Ich hab auch kleinere, die kosten drei. Dahier, wer will?« Und es streckten sich gleich fünf, sechs, sieben Arme aus, die Toren gaben gläubig ihre Groschen. Hatte nun Pomponius eine Gattung von Medikamenten unter die Leute gebracht, so fing das Getrommel wieder an, und stets aufs neue vernahm ich das Geträller »Die Weibgen mit den Flöhen.«

So ging es Tag für Tag; am vierten aber war ich von meinem Gewerbe derart angewidert, daß ich mich von den saubern Kumpanen scheiden wollte. Doch wie ich beim Nachtmahl mit meiner Absicht herausrückte, fielen Pomponius und Schrepfeisen mit wilder Beredsamkeit über mich her. Rasselten mit dem ein genommenen Gelde und meinten, das Geschäft gehe über Erwarten gut. Wie ich den mir zukommenden Lohn forderte, wollten sie nicht damit herausrücken und machten geltend, ich wolle sie im Stich lassen. Schließlich kamen wir überein, ich solle zunächst die verdienten zween Dukaten, den dritten am sechsten Tage empfahen. Da mich die Quacksalber nicht entbehren konnten, hielten sie ihre Zusage.

Ich atmete erleichtert, als ich nach Schluß des Marktes im Kämmerlein meine erschöpften Glieder zur Nachtruhe hingestreckt hatte. Und wie ein Vogel aus dem Käfig schlüpfte ich in der Morgenfrühe zum Stadttore hinaus. Bei der ersten Rast im Walde wollte ich meine Goldstücke ins Wams einnähen und holte sie herfür. Sie ersetzten die in Turnau mir entwendeten Dukaten, sahen auch nicht minder blank aus. Indessen schien ein ekler Geruch daran zu haften, und sie weckten peinliche Erinnerung. Hingegen gemahnten jene anderen Dukaten, die mir Beate ins Wams eingenäht hatte, an meine guten Eltern und den Oheim, an ehrliche Arbeit, Sparsamkeit und treue Fürsorge ... Doch was war das? Wie ich meine Dukaten so betrachte, sind es genau dieselben, die mir Beate mit Kreuzen bezeichnet hatte. Ei du tückischer Schrepfeisen, du also hast mir das Geld gestohlen und hast die Leiter ans Fenster gesetzt, um auf falsche Fährte zu leiten, und Pomponius war dein Spießgesell. Nachdem ihr mich bestohlen, habet ihr mich obendrein zu eurem Sklaven gemacht, zum Werkzeug eurer Betrügerei. Und schämtet euch nicht, mich mit denselben Goldstücken zu besolden, die ihr mir abgenommen. Pfui! Ich war versucht, das Geld von mir zu werfen; doch weil es ja auch ein Andenken an meine Lieben war, so nähte ich die Dukaten wieder ins Wams, während des Oheims Gulden mir zur Zehrung dienen sollten.

Nachmittags trat ich aus dem Walde, und da lag im Sonnenschein unter mir, an die weinbepflanzten Hänge geschmiegt, von starken Mauern umgeben, die Residenz von Böheim. Das Gewimmel der Bürgerhäuser nebst Kirchen und Palästen stieg am jenseitigen Berg hinan, den eine ausgedehnte Burg krönte. Rechts tat sich das Moldautal mit dem blinkenden Strome auf. Der Lärm von Handwerkern und Hähnekrähen scholl aus dem Tale herauf, indessen ich mit Wohlgefallen diese bildschöne Stadt betrachtete. Nachdem ich gerastet und mir den Staub abgeklopft hatte, begab ich mich hinunter, Prag zu beschauen und eine Herberge zu suchen.

In einer engen Gasse sah ich über einer Hauspforte drei güldene Äpfel benebst der Inschrift: »Gasthaus zur Äpfelkammer«. Sogleich kam mir in den Sinn, was ich von Schrepfeisen über die schöne Wirtstochter vernommen. Daß ich meiner Neugier nachgab und hier einkehrte, war das natürliche Emporsprießen jenes Samens, den schlechter Umgang in mein Herz gestreut hatte. Die Gaststube war dunkel und verräuchert und erweiterte sich hinter dem großen Ofen zu einem stattlichen Gewölbe. Ich war der einzige Gast. Als ich Ranzen, Hut und Mantel abgelegt und an einem runden Tische Platz genommen hatte, erschien eine zierliche Jungfer. »Ein Quart?« fragte sie etwas von oben herab. Als ich bejaht hatte, brachte sie mir den Wein und machte Miene, wieder zu gehen. Bei der Tür aber kehrte sie um und ging, ein Liedel trällernd, an mir vorbei zum hintern Gewölbe. Blieb dorten gar nicht lange, kehrte zurück, setzte sich an einen Nebentisch, tat einen Blick durchs Fenster und seufzete, als habe sie Langeweile.

Durstig hatte ich mein Quart ausgetrunken, und sogleich trat die Jungfer zu mir: »Wünscht der Herr noch ein Quart?« – »Noch eins, auch Brot und Fleisch.« – »Gut G'selchtes?« – »Wenn sich die Jungfer bemühen mag.«

Als sie das gewünschte vor mich hingestellt hatte, blieb sie an meinen Tisch gelehnt stehen und betrachtete mich freundlich. »Ist der Herr etwan ein Studiosus?« – »Noch nicht, Jungfer, doch möcht ich ein Medikus werden. Einstweilen will ich mich zu einem tüchtigen Heilkundigen und Apotheker in die Lehre tun.«

»Und weiß Er schon einen solchen Lehrmeister?« fragte sie. – »Habe da ein Empfehlungsbriefel an Herrn Doktorem Waldhäuserum«. – »So, so, an den Waldhäuser?« meinte sie geringschätzig. Und ich: »Kennt Sie den Waldhäuser?« – »Freilich, freilich, wie soll ich den Lumpenkurierer nicht kennen? Pöh, den!« –»Lumpenkurierer? Warum heißet Sie ihn also?« Kühl antwortete die Jungfer: »Das ist so ein Volkstitul. Der Lumpenkurierer ist halt ein Medikus für arme Leut, so kein Geld haben, einen angesehenen Arzt zu zahlen.« – »Also ist Herr Waldhäuserus kein angesehener Arzt?« – »Ah bah,« entgegnete die Jungfer; »der Waldhäuser ist, seit ich gedenken kann, ein Lapp und kommt nimmer auf den grünen Zweig. Warum will Er sich auch ausgesucht zum Waldhäuser tun? Sollte meinen, es gäbe für Ihn doch angesehenere Lehrmeister. Zum Exempel den Medikus und Apotheker Schmirsel, so hier gleich um die Ecke auf dem Ring wohnt. An dem stattlichen Haus kann Er gleich sehen, wie einträglich dieses Gelahrten Kunst. Der Schmirsel ist oft bei uns zu Gaste, und so der Herr bis zum Abend ausharret, kann Er die Bekanntschaft des Herrn Schmirsel machen.«

Ich schwieg und ließ mir diese Auskunft durch den Kopf gehen. Dann meinte ich: »Bis zum Abend sind noch etliche Stunden, und ich kann doch nicht die ganze Zeit hier sitzen bleiben.« – »Ei warum denn nicht?« antwortete die Jungfer und sah mich durch halbgeschlossene Augenlider schalkhaft an. Gleich werden ja auch ein paar Studiosen kommen, wie gewöhnlich nach Schluß ihrer Collegia. So mancher Fuchs hat von der Susanne vernommen und möchte sie beäugeln. Da spricht Er denn mit seinesgleichen auf Latein, was ich nicht verstehen soll. Manches Mal hör ich sie sprechen: formosa puella und pulcherrima. Kann der Herr mir wohl sagen, was diese Worte bedeuten?« Und Susanne machte ein Gesicht wie ein neugierig Kind.

Ich schlug die Augen nieder, als ich zur Antwort gab: »Die Worte heißen: ein wohlgestaltet, sehr sauber Mägdelein.« Hell wie Silberglocken lachte die Jungfer und deutete mit dem Finger auf sich, indem sie strahlenden Auges fragte: »Und das soll ich sein?« – »Wer denn sonsten?« – »Ei, könnt ich doch den Herren Studiosis in ihrem Latein die rechte Antwort geben! Will mich der Herr eine solche Antwort lehren? Ich bitte! Wie spricht denn der Lateiner, wenn er sagen will: So ziemlich?« – »So ziemlich ist auf Lateinisch sic satis geheißen.« Da wiederholte die Jungfer mehrere Male »sic satis« sprang vergnügt auf und tänzelte in der Stube umher: »Sic satis, sic satis! Nun wartet, ihr grünen Lateiner! Die Mäuler sollt ihr aufsperren, und der Herr mag des Zeuge sein. Obacht! gleich werden Studiosen kommen.«

Und zur Tür herein traten zween junge Burschen, bestellten Wein und beäugelten die Jungfer. Dabei raunte der eine dem andern zu: »Estne pulcherrima puella?« Mit boshaftem Triumphieren neigte sich Susanne und sagte dem lateinischen Lobredner ins Gesicht: »Sic satis!« Die beiden Studenten schauten einander mit einfältigem Staunen an, und einer sagte: »Blitz und Kartaunen! Sie verstehet Latein!« Da Susanne kichernd wegging und sich nicht weiter sehen ließ, die Studenten folglich ihre Niederlage empfanden, legten sie die Zeche auf den Tisch und schoben ab. Gleich darauf kehrte Susanne zurück und lachte aus vollem Halse: »Denen hab ich's gegeben! Die werden nun von der gelahrten Wirtstochter erzählen. Dem Herrn dank ich auch schön für Seine lateinische Lectio. Zur Vergeltung hab ich Ihm ja meinen Rat gegeben, zum Schmirsel zu gehen. Hat Er sich die Sache überlegt?«

»Ach Jungfer Susanne,« entgegnete ich, »Sie weiß zu überreden, und wiewohl noch nicht entschlossen, zum Schmirsel zu gehen, schwanke ich wie jener berühmte Esel zwischen zwei gleich großen Heubündeln.« – »Sie sind nicht gleich groß«, eiferte Susanne: »Der Schmirsel ist ein ganz großes, Herr Waldhäuser nur eine Handvoll. So Er aber aus Seinem Zaudern nicht herauskommt, will ich Ihm ein Mittel an die Hand geben, das zur Entscheidung führt und auch unterhaltsam ist. Losen wollen wir, ob Er zum Schmirsel oder zum Waldhäuser geht.« Kleinlaut erwiderte ich: »Um den Zufall entscheiden zu lassen, ist mir die Sache doch zu ernst.« – »Zufall?« rief Susanne. »Hätte nicht gedacht, daß Er solch ein schlechter Christ! Wenn ohne Gottes Willen kein Härlein von unserem Haupte fällt, so werden auch Würfel und Los von seiner Hand gelenkt. Drum hat manch großer Mann das Los als ein Gottesurtel betrachtet. Erst dieser Tage hab ich die Geschichte eines berühmten Feldherrn von Venetia vernommen, Franziskus Sforza geheißen. War eines Winzers Sohn, gewohnt, mit dem Karst zu hacken. Wie er einmal in großer Sommerhitze mit seinem Karst mürrisch im Weinberg arbeitet, und etliche neugeworbene Soldaten singend ihres Weges ziehen, bekommt er Lust zum Krieg, ist jedoch im Zweifel, ob er beim Karst bleiben oder den Degen wählen solle. Wohlan, spricht er unter einem Nußbaume; ich will eine Probe nehmen und meinen Karst in diesen Wipfel werfen. Bleibt er droben, so ziehe ich in den Krieg, fällt er wieder herunter, so soll mir's ein Zeichen sein, daß ich elendiger Tropf noch länger hacken soll. Hiermit wirft er den Karst in den Wipfel, und als derselbige droben bleibt, lässet er ihn hängen und ziehet der Soldateska nach. Anfänglich ein Gemeiner, ward er bald Rottmeister, Feldweibel und Offizier und schließlich ein ruhmreicher General. Ei junger Herr, tu Er' s dem Italiener nach und entscheide durch Losen. Ich will Ihm helfen. Da schau, die Handvoll Münzen, die ich blindlings aus meiner Handtasche gerafft habe. Nun Obacht! Ich zähle die Münzen auf den Tisch, und die letzte Münze soll entscheiden, ob Er zum Schmirsel oder zum Waldhäuser gehet. Ist Ihm das recht?« Dabei blickten mich ihre Augen holdselig an, und sie rasselte mit den Münzen, die sie hohl zwischen den Händen hielt.

»Wohlan,« entgegnete ich, »aber ich weiß noch nicht, auf welche Weise die letzte Münze bestimmen soll, zu wem ich gehe.« – »Ganz recht«, erwiderte die Jungfer und legte das Münzenhäuflein auf den Tisch. »Zunächst hat Er zu bestimmen, ob der Schmirsel Hund oder Has sein soll.« – »Hund soll er sein,« erwiderte ich, neugierig, wo, hinaus das wolle. »Gut!« sagte Susanne, »der Schmirsel ist Hund; dann ist der Waldhäuser Has, und nun zählen wir die Münzen auf. Dabei sage ich jedesmal: Hund gewinnt, oder: Has verliert; die letzte Münze entscheidet.« Sodann zählte die Jungfer die Münzen langsam auf, indem sie fortgesetzt sagte: »Hund gewinnt, Has verliert, Hund gewinnt, Has verliert.« Wie nur noch drei Münzen übrig waren, starrte ich in Spannung auf diese Hantierung, so mein Gottesurtel sein sollte, und Susanne sprach: »Hund gewinnt, Has verliert, Hund gewinnt! Und dabei bleibt's! Also hat Schmirsel gewonnen.«

Ich mag ein sorgenvoll Gesicht geschnitten haben, denn die Jungfer meinte: »Das mundet Ihm wohl nicht? Oder gläubet Er etwan, ich habe falsch abgezählt? Wohlan, wir können ja noch einmal losen. Mag Er selber das neue Häuflein bestimmen und nochmals frei wählen, ob Schmirsel Hund oder Has sein soll.« Erleichterten Herzens griff ich etliche Münzen, es waren sieben, reichte sie der Jungfer und sagte: »Diesmal soll Schmirsel der Hase sein.« Die Jungfer kicherte und zählte die Münzen auf: »Has gewinnt, Hund verliert, Has gewinnt, Hund verliert, Has gewinnt, Hund verliert, Has gewinnt! Also hat wieder der Schmirsel gewonnen, denn der ist ja diesmal der Has.« Ich kraute mir hinterm Ohr, verdrossen; indessen sie mich auslachte. »Darf ich noch bringen?« fragte Susanne und war mit Lust um mich beflissen. Vertraulich setzte sie sich zu mir, und dreister gemacht, betrachtete ich ihre wohlgebildeten Hände mit den feinen Spitzenmanschetten. Warf auch auf das Antlitz manch verstohlenen Blick, und dann klopfte mein Herz in süßer Unrast. Frisch wie eine Rose blühete Susanne. Unter dem übermütigen Näslein prangten Kirschenlippen. Verlegen war ich, wenn ihr Blick auf mir ruhte und neugierig an mir herumzutasten schien, um meine Art zu erforschen. Auch mit Fragen verfolgte die Jungfer dies Ziel, und vom Wein gesprächig, hatte ich bald meine Lebensgeschichte berichtet. Als ich erwähnte, daß ich Alchymie treibe, horchte sie auf: »Ei, da wär Er ja der rechte Famulus für den Schmirsel und käme wie gerufen. Ist doch dieser Medikus erst dieser Tage zu einem hohen Herrn berufen worden, so an Hüftweh leidet und viel Gold geben will, so ihn einer heilt. Wenn hernach der Schmirsel kommt, will ich Ihn, Herr Johannes, ihm präsentieren. Sei Er mir aber gescheit, falls Er beim Schmirsel eintreten darf. Nur nicht Sein Medikament verraten! Das muß Geheimnis bleiben, sonsten wird Ihm kein Vorteil davon. Der Schmirsel muß es jedesmal bezahlen, und seh Er zu, daß Er diesem Chymisten manches von seinen Künsten ablauschet. Schwätzet man doch, der Schmirsel verstehe sich aufs Goldmachen.« War ich bisher noch nicht mit ganzer Seele entschlossen, den Schmirsel zu wählen, so entschied diese Mitteilung, indem sie meine abergläubische Hoffnung anreizte, den verheißenen Goldschatz zu gewinnen.

Da es Abend worden, traten neue Gäste in die Stube. Susanne bekam zu tun, und es tat mir leid, daß sie gleichgültig an mir vorüberging, als sei die frühere Vertraulichkeit weggeblasen. Da trat ein hagerer Herr ein, steifen Schrittes, hochnasig und gespreizt, stutzerhaft gekleidet und von einem beklemmenden Wohlgeruch. »Grüß Gott, Herr Schmirsel«, sagte Susanne knixend. Ich horchte auf und betrachtete den Schmirsel. Sein dürres, faltenreiches Angesicht verriet, daß er die Fünfzig weit überschritten habe. Sein schwarzes Haar, das, wie ich später erfuhr, künstlich gefärbt war, glänzte von Fett wie ein gestriegelter Rappe. Um den Hals trug er einen breiten Spitzenkragen. Wams und Hose waren aus schwarzem Sammet. Auf den Ärmeln war ein ganzer Kram von gelbseidenen Bändchen aufgeheftet. Die roten Strümpfe gaben den Beinen etwas Storchenhaftes, auf den Schuhen prangten künstliche Rosen. Der Degen ragte hinten aus dem Rocke, so stolz, daß fünf Dutzend Sperlinge Platz darauf gehabt hätten. Den blauen Mantel und Hut, dessen Krempe auf französische Art von einer Agraffe hochgehalten wurde, hing er an einen Wandhaken, stellte seinen Stock, der einen großen silbernen Knopf hatte, in die Ecke und trat mit Schritten wie ein Tanzmeister, die Fußspitzen fein auswärts, zur Jungfer, verbeugte sich mit Politesse und führte ihre Hand, die sie ihm lächelnd darreichte, an schmatzende Lippen. Diese Lippen waren fortwährend beflissen, noble Manieren zur Schau zu tragen; der Odem zog sie bald nach innen, bald blies er sie wieder spitzig auf, als gelte es, feinen Wein zu kosten. Die Augenbrauen hochmütig emporgezogen, nahm er am großen Tisch in der Ecke Platz.

Wie Susanne Wein gebracht hatte, setzte sie sich zu Schmirsel, und die beiden pflagen des Gespräches mit gedämpfter Stimme, ohne daß ich mehr als einzelne Worte erhaschte. Jetzo kam mir die Jungfer für wie ein schnurrend Schmeichelkätzchen, das sich den Pelz streicheln lässet und zuweilen schalkhaft die Krallen unter den Sammetpfötchen reckt. Auf einmal hielt Schmirsel das Brillenglas vor seine Augen und forschte zu mir herüber. Dann kam Susanne herbei und lud mich zu Schmirsel. Sie nannte ihm meinen Namen, indessen ich mich neigte.

Schmirsel bot mir einen Stuhl und sprach mit gedämpfter Stimme: »Vernehme da mancherlei Gutes von Ihm, junger Gesell, zum Exempel, daß Er sich auf Medicamenta verstehet. Erzähl Er doch einmal, mit allen Umständen, wie Er in Schlesingen das lahme Kindlein kuriert hat. Das Mittel ist mir zwar bekannt, doch möcht ich wissen, ob Er die rechte Bereitung getroffen hat. In diesem Falle wär ich nicht abgeneigt, Ihn als Lehrling in mein Haus aufzunehmen.«

Ich war unschlüssig, was zu antworten, da ich an Susannens Rat dachte, mein Mittel ja nicht preiszugeben. Zum Überflusse trat mir die Jungfer auf den Fuß, und nun sprach ich: »Geehrter Herr Medikus! So glücklich ich mich preisen würde, falls mich der berühmte Herr in die Lehre nähme, muß ich doch das Geheimnis meiner Medicamenta hüten. Sie sind ja mein einziger Schatz, aus dem ich mein Leben fristen und erquicken möchte. Wofern aber der Herr sich damit begnügt, daß ich Ihm das Mittel wider lahme Glieder bereite und zum Verkauf an seine Patienten anheimstelle, und wofern der Herr Medikus mich rechtens dafür besoldet, will ich lieber bei Ihm eintreten als beim Herrn Waldhäuser, an den ich einen Empfehlungsbrief habe.«

Schmirsel warf mir einen harten Blick zu und erwiderte kühl: »So so, zum Waldhäuser will Er? Mag Er sehen, ob ihm der Lumpenkurierer seinen Schatz geheimer Medikamente bezahlt.« Ich schwieg, und auch Schmirsel wollte erst nicht mehr die Lippen voneinander bringen, warf aber schließlich mit scheinbarer Gleichgültigkeit hin: »Welchen Preis will Er denn für sein Mittel haben? Vorausgesetzt, daß es wirklich hilft und etwas Neues ist!« Listig gab ich zur Antwort: »Erst muß ich wissen, ob der Patient mehr oder minder wohlhabend ist, alsdann werde ich mein Medikament jedesmal zu einem angemessenen Preise verkaufen.« Überrascht sah mir Schmirsel ins Auge, lachte dann säuerlich und reichte mir die Hand. »Ich will's mit Ihm versuchen! Abgemacht! Geh Er nun sogleich in mein Haus, um die Ecke links am Ringe gelegen, und installier Er sich.« Drauf ließ der Medikus Feder, Tinte und Papier bringen und schrieb ein Briefel an seine Haushälterin. Ich zahlte meine Zeche und neigte mich sowohl vor meinem neuen Herrn als vor der Jungfer, die mir Glück wünschte.

So brachte mich verliebte Torheit auf jene Bahn, wo Susanne und Schmirsel, Rausch und Habgier herrschten. Was ich bei meinem Lehrmeister trieb, gewährte keinen anderen Lohn als Geld und Geld. Schmirsel, der mit meinem geheimen Mittel einen hohen Herrn kuriert hatte, verlangte immer häufiger danach, und immer kunstvoller machte ich aus Antimonium mein Medikament zurecht, vermengte es mit wohlriechenden Kräutern, fürgebend, diese Kräuter seien das Heilkräftige, damit nämlich Schmirsel nicht hinter das Geheimnis komme. Auch mengte ich das Antimon mit eingemachten Zitronen, Zimt und Rosenzucker zusammen. Solche Apothekerwaren wurden von Schmirsel nicht bloß für seine eignen Patienten verwendet, sondern sogar in den Handel gebracht, wo sie unter dem Namen »Schmirsels Morsellen« und »Gicht–Pillulen« berühmt wurden. Für mich wie für ihn fiel genung Geldes ab. Doch weil ich mich von Susannens eitlem Herzen leiten ließ, verwandte ich meine Einnahme auf Tand, kaufte Kleider à la mode, rauchte Tobak aus einer holländischen Pfeife und war jeden Abend in der Äpfelkammer zu finden, wo ich trinkend, auch spielend mein Geld vertat und einen Umgang hatte, den ich besser gemieden hätte. Um Susannen zu gefallen, stund ich vor dem Spiegel, kämmte mein langes Flachshaar und drehte das sprossende Bärtlein. Mit den stutzerhaften Kleidern und neuen Gewohnheiten hatte ich einen andern Menschen angezogen. Vergessen und verschollen lag das Tüchtige hinter mir, so mir in früheren Jahren, fürnehmlich durch meines Vaters Wort und Beispiel, zugekommen war.

Meine Verliebtheit ließ nicht locker und ward ein rechter Plagegeist, der alle Ruhe und Besonnenheit störte. Susanne bewegte mich, wie der Puppenspieler am Drahte seine Puppe. In einem fort trieb sie mich, für meinen Wohlstand zu sorgen. Leichtgläubig erwartete sie, jene Prophezeiung der Zigeunerin werde sich erfüllen. Zwar dachte sie an keinen Schatz, der aus verwunschenen Schlössern gehoben wird, hoffte indessen, meine alchymistischen Versuche würden eines Tages gelingen. Ich hatte diesen Glauben genährt, zu nächtlicher Stunde von Goldmachergeschichten schwätzend.

Der berüchtigte Chymikus Sebaldus Schwertzer war verstorben, und wie nun seine Hauseinrichtung zu Geld gemacht werden sollte, bestätigte sich das Verslein:

»Goldmacher lassen ihren Erben

Zerbrochne Gläser nur und Scherben.«

Aus dem Plunder des Nachlasses gelangten alchymistische Scharteken für geringe Zahlung an mich. In einer las ich das Rezept einer Tinktur, die geringes Metall zu Golde wandle. An den Rand freilich hatte der Verstorbene eigenhändig geschrieben: »Werde nicht gierig; denn obwohl mir die Goldbereitung gelungen, hat sie Unheil über Unheil gebracht.« Ich ließ mich nicht warnen und suchte den beschriebenen Prozeß zustande zu bringen. Etliche Kräutlein, die das Rezept angibt, verschaffte ich mir, verbrannte sie und tat die Asche mit Essig und Eisenfeilspänen zusammen in ein Glas, das wohl versehentlich nicht ausgespült war. Es begab sich aber gleich hinterher, daß ich auf Geheiß meines Herrn Schmirsel eine Reise tat, die mich einen Monat fernhielt. Wie ich nun in meine Stube zurückkehre, kommt mir ein köstlicher Geruch entgegen, als seien Ambra und Moschus in jenem Glase, und an der Oberfläche der Mischung schwimmt ein rosenfarben Öl gleich der beschriebenen Tinktur. Ich experimentiere damit, wie es die Anweisung vorschreibt. Tue ein halb Lot Silberkalk in einen Tiegel, tunke Baumwolle in mein Öl und lege sie zum Silberkalk. Nachdem im heißen Ofen der Silberkalk mit dem Öl sich verbunden hat, scheide ich den Kalk heraus und traue meinen Augen nicht, dieweilen ich ein Quäntlein allerschönsten Goldes behalte. Schier närrisch vor Freude gehe ich daran, mit meinem Öl eine größere Masse Silbers zu tingieren. Da mir aber der Rausch in Kopf und Hand gedrungen ist, so schütte ich aus Versehen mein Öl ins Feuer, daß es alsobald mit starkem Dufte verfliegt. Vergebens hab ich mich seitdem abgemüht, die kostbare Tinktur von neuem zu destillieren. Es bildete sich kein rosenfarben Öl. Hiezu mußte wohl jene Flüssigkeit notwendig sein, von der ein Rest in dem ungespülten Glas geblieben war. Vergebens grübelte ich, was das für eine Flüssigkeit gewesen.

Den Narrheiten, die ich beging, fügte ich eine besonders unheilvolle hinzu, indem ich Susannen von meinem Erfolge berichtete und das Quäntlein Gold, eingeschlossen in ein silbern Herzlein, ihr zum Angebinde gab. Dabei hatte ich nicht mit der weibischen Geschwätzigkeit und Prahlsucht gerechnet. Wider mein Geheiß sprach Susanne etlichen bevorzugten Gästen davon, mir sei die Goldbereitung gelungen, wobei der sichtbare Beweis herumgereicht ward. Von Schmirsel zur Rede gestellt, gab ich ausweichenden Bescheid, jedoch so, daß ich den Glauben an meine Kunst nur verstärkte. Wochenlang plagte mich Schmirsel mit Fragen, auch mit Spionieren auf meinem Zimmer, wo ich meine heimlichen Experimente machte. Bei Tag und selbst bei Nacht war mir die Ruhe verleidet, und sooft ich die Äpfelkammer besuchte, fühlte ich mich von Susannen zu neuer Goldmacherei angestachelt. Zum Überfluß erschien unter den Gästen des Wirtshauses ein Mensch, so peinliche Erinnerungen, auch düstere Ahnungen künftigen Unheils wachrief; nämlich der Doktor Giacomini. Greise zwar an Haar und Bart, war er derselbe geblieben an Habgier und Tücke. Versteckt suchte er mich nach meiner Goldmacherei auszuforschen, trug freilich eine kalte und harte Abweisung davon, worauf er mich einen Prahlhansen schalt.

Unerwartet, wie ich in die Äpfelkammer gelangt war, kam ich auch wieder heraus, so daß ich mit Staunen jene labyrinthischen Verschlingungen und launischen Abweichungen betrachte auf denen das Schicksal den Menschen führt. Der letzte Abend, den ich im gewohnten Wirtshause verlebte, war von verdrossenen Grübeleien erfüllt. An einem Ecktische saß ich zu später Stunde einsam, die Wange auf die Hand gestützt, und starrte auf das Spiel der Schatten, die ein Schwarm lebhafter Gäste im Scheine der Tischlaterne an meine Wand warf. Zuweilen unterschied ich im Schattengewirr eine Hand, ein verzerrt Haupt und erhobene Becher, derweilen Geschwätz und Lachen, Johlen, Gläserklirren und Würfelklappern sich vermischten. Die Luft war schwer und schwül, erfüllt vom Rauche jenes Tobakkrautes, das Mode zu werden begann und aus niederländischen Tonpfeifen qualmte. Trübsinn drückte mich nieder, heimliche Reue nagte am Herzen. Auf einmal war es mir, als täte mich mein Vater vorwurfsvoll anschauen, traurig sprechend: »Junge, Junge, du hier?« – Verstört richtete ich mich auf und sah umher. Da war das Gesicht verschwunden, und zu mir trat ein Studiosus, so in der Äpfelkammer verkehrte und mit mir Brüderschaft getrunken hatte, wir hießen ihn mit seinem Spitznamen das Roß. »Warum so einsam, Johannes?« lallte er. »Willst du nicht an unserm Tische mit uns knöcheln? Magst nicht? Nun, so laß uns beide mitsammen um die Zeche spielen. Soll ich für dich zahlen, oder willst du für mich zahlen, he? Das laß uns jetzo durch Hund und Hase entscheiden.« In die Tasche griff das Roß und klimperte mit einer Handvoll Münzen, legte sie auf den Tisch und setzte sich neben mich. Ich stutzte, denn »Hund und Hase« war ja jene Art zu losen, durch die Susanne entschieden hatte, ob ich zum Schmirsel oder zum Waldhäuser gehen solle.

Ein Weilchen ohne Neigung, des Rosses Vorschlag anzunehmen, ging ich schließlich darauf ein und erklärte, ich wolle der Hund sein. Hierauf zählte der Studiosus die Geldstücke auf, indem er sagte: »Hund verliert, Hase gewinnt, Hund verliert, Hase gewinnt.« Natürlich kam bei solchem Abzählen heraus, daß ich jeden Falles die Zeche bezahlen mußte. Doch brachte dieser Verlust mir den Gewinn, daß meine finstere Torheit auf einmal von einem Lichtstrahl erhellt ward. Ich erkannte, wie das Spiel »Hund und Hase« nichts war als possenhafter Betrug, einen unbesonnenen Menschen zu übertölpeln. Und solch einen unsauberen Kniff hatte Susanne für ein Gottesurtel ausgegeben, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, daß ihre Leichtfertigkeit über mein Geschick entscheide, da ich doch ähnlich wie Herkules am Scheidewege gestanden. Susanne kam mir auf einmal gänzlich anders für, als sie bisher erschienen. Es war, als sei eine schöne Blume welk und blaß worden, oder als stelle sich heraus, daß eines Angesichtes prangende Farben nichts sind als heuchelnde Malerei. Außerstande, der Jungfer freundlich ins Gesicht zu schauen, begab ich mich heim und fand stundenlang keinen Schlaf vor Enttäuschung und Gram.

Andern Tages wollte ich Susannen zur Rede stellen, wie sie es habe übers Herz bringen können, ein Spiel mit meinem Leben zu treiben, ohne wenigstens hinterher einzugestehen, daß sie sich vom Mutwillen habe fortreißen lassen. Um unter vier Augen mit ihr zu reden, ging ich bereits am Nachmittag in die Äpfelkammer. Ohne besondere Absicht nahm ich diesmal in dem hinten gelegenen Gewölbe Platz.

Gleich darauf hörte ich jemand in die Gaststube eintreten, es war Schmirsel, der seinen gewohnten Platz einnahm. Hinter ihm kam die Jungfer, setzte sich zu ihm und begann zu reden, ohne zu wissen, daß ich zuhöre. »Ei, welch ein schön Balsambüchslein!« Hierauf er: »Es ist nicht schön, als bis die Jungfer es in Ihren schönen Händen hält. Sie behalte es, und mein Herze dazu.« – »Ich werde Ihn nicht in solchen Schaden bringen.« – »Schaden? Mitnichten! Ich bin Ihr Leibeigener, und ist es gleich, ob meine Sachen bei mir oder bei Ihr in Verwahrung liegen.« – »Das ist gar edel von Ihm gedacht; doch ich bitte, nehm Er das Balsambüchslein lieber zurück, es ist ja von Golde. Was würden die Leute sprechen!« »Mögen sie sprechen, was sie wollen, uns beiden kann davon nicht Übles geschehen. Was aber die Köstlichkeit des Balsambüchsgens betrifft, so ist die lange nicht groß genung; meine holde Jungfer wäre gar eines Büchsgens von Demant wert.« »Er ist ein Schmeichler, aber ein lieber. Um Ihn nicht zu kränken, will ich sein Angebinde nehmen und mit meinem allerschönsten Dank nicht zurückhalten.« – »O süßes Kind, wenn das Gold dieses Büchsgens wird blaß werden, nicht eher werde ich aufhören, Ihr aufzuwarten.« Um die Ecke spähend, sah ich, wie er sie beim Kinn ergriff und etwas tun durfte, wovon ich bisher kaum zu träumen gewagt: Auf seinen Schoß zog er sie, ich hörte Busseln und Schmatzen. Eine Weile war ich starr vor trauriger Überraschung, alsodann dämmerte es sacht in meinem dummen Schädel, und ich gestund mir, die angebetete Jungfrau müsse wohl von der Gattung sein, die nichts umsonst und mancherlei um Geld tut. Wie ein Flämmchen am Windstoß erlosch zur selbigen Stunde die Liebe in meinem Herzen. Ich stund auf, hustete laut und ging durch die vordere Gaststube an Sicsatis und ihrem Galan vorbei, ohne auch nur einen Blick hinzuwerfen. In meiner Stube angelangt, packte ich meine Habe zusammen und verließ Schmirsels Haus.

Das vierte Abenteuer Wie Gold gemacht wird

Als ein reuiger Sünder lief ich schnurstraks zum Herrn Waldhäusero, den ich auch zu Hause traf. Der weißbärtige Mann ließ seine großen schwarzen Augen so durchdringend auf mir ruhen, daß ich den Blick zu Boden senkte. Demütig übergab ich meinen Empfehlungsbrief vom Oheim. Als ihn Waldhäuser gelesen, bot er mir freundlich die Hand und lud mich zum Sitzen ein. »Willkommen, Johannes! Ei, was macht denn der gute Tobias?« Nachdem ich Rede gestanden, fuhr Waldhäuser fort: »Und nun erzähle Er mir von Seinem Vater, meinem lieben Freunde Martino Tilesio. Das ist ein selten gotterfüllet Herze, und der Sohn ist glücklich zu preisen, so von diesem edlen Stamme Herkunft, Beispiel und Lehre empfangen.« Bei so liebreicher Anerkennung meines Vaters brach ich in Tränen aus, zumal das Gewissen mir vorhielt, wie wenig ich zu Prag meines Vaters Lehre und Beispiel beherziget hatte. »Was weinet Er, Johannes?« sprach Waldhäuser väterlich. – »Ach Herr, ich bin nicht wert eines solchen Vaters Sohn zu heißen. Seit der Zeit, da ich allein in der Welt stehe, hab ich meinem Vater Unehre gemacht. Ach, daß er anoch lebte, mich von schlimmen Wegen abzubringen .....« – »Wie denn?« unterbrach mich Waldhäuser, »lebt er denn nicht mehr?« Unter anhaltenden Tränen tat ich Bericht. Wie mich dann Waldhäuser über mein Treiben zur Rede stellte, beichtete ich alles haarklein. »Und nun, Johannes,« sprach er, »was willst du beginnen? Möchtest bei mir bleiben? Nun wohl, bist willkommen, und ich will dir ein andrer Vater sein. Versprich mir aber, nie wieder zur Äpfelkammer zurückzukehren und alle Brücken, so dich dem törichten Leben wieder überliefern könnten, hinter dir abzubrechen.«

In aufrichtiger Reue und Dankbarkeit gab ich meine ganze Seele Herrn Waldhäuser hin, worauf er: »Es wohnen in dir zween Menschen, Johannes, die streiten mitsammen. Der eine Mensch trachtet nach Schätzen, so die Motten und der Rost fressen, und obwohl mir dein Oheim Tobias recht lieb ist, muß ich doch tadeln, daß er in dir den goldgierigen Menschen großgezogen hat. Hüte dich vor dem Dämon, der über dich, wie über Tobiam, schon eine gefährliche Macht gewann. Rettung findest du bei dem andern Menschen, so heimlich dir im Herzen lebt, wiewohl, er lange geschlafen hat. Das ist dein besser Selbst, die kostbare Erbschaft, von deinem Vater empfangen. Martinus Tilesius suchte alleweil mit seinem unschuldsvollen Herzen ewig Gut. Es dir zu weisen, lieber Johannes, sei meine Aufgabe, und nichts Geringeres kannst du von mir lernen, als wie jener Stein der Weisen zu erlangen, so den Adepten zu allen wahren Schätzen leitet. Ein Alchymist möchtest du sein und gläubest gar, die Goldbereitung sei dir gelungen. Ich aber sage dir: jenes Gold, so den Bereiter ins Unheil lockt, ist nicht wert, gesucht zu werden, und kein Schatz, vielmehr des bösen Feindes Köder. Was würde es dir helfen, wenn du herausbrächtest, was für ein Stoff in jenem Glase gewesen, wo dein rosenfarben Öl sich bildete? Überlege dir, was du in deiner jetzigen Verfassung mit dem gewonnenen Golde beginnen würdest? Täte es dich nicht in deinen alten Torheiten bestärken und vielleicht zu argem Tun verführen? Gülden lodern die Höllenflammen, und das Gold bereitet denen eine Hölle auf Erden, so nicht den echten Stein der Weisen haben. Der ist nichts andres als der Heilige Geist im Menschen. Auf ihn allein kommt es an. Hast du ihn nicht, so hilft dir kein Gold der Erde, sintemalen du es nicht anzuwenden verstehst. Hast du aber den Stein der Weisen, so bedarfst du keines Goldhaufens. Verschmähest es nämlich, deine Staubhülle in Üppigkeit zu betten und durch dargereichtes Gold Menschenseelen zu knechten und zu verderben. Um froh und friedlich zu leben, bedarfst du keines andern Gutes als rechter Arbeit.«

Lange war's her, seit einer so treuherzig und weise zu mir geredet hatte. Meines seligen Vaters gedacht ich, und voll Zähren stund mir das Auge.

»Du hast mir erzählt, Johannes«, fuhr Waldhäuser nach einer Pause fort, »es sei dir beim Schmirsel geglückt, Gold zu bereiten, und ich möchte dir meine Ansicht darlegen. Ich glaube nicht, daß menschlicher Kunst die Goldmacherei gelingt, ebensowenig, wie es unser Witz fertig bringt, eine Kornähre nachzumachen. Kornähren erhalten wir erst dadurch, daß wir sie von der Natur aus ihrem Samen herauswickeln lassen. Dieselbe Meisterin, so die Ähren herauswickelt, gehört auch zur Umwandlung der Stoffe in Gold. Menschliche Wissenschaft kann vielleicht gewisse Reguln solcher Transmutatio herausfinden, schwerlich aber derart anwenden, daß unter unsern Fingern Gold entsteht. Was aber ruhmredige Goldmacher von ihren gelungenen Experimenten schwätzen, dünket mich Fabel. In deinem Falle, Johannes, hast du dich selber getäuscht, da deine Beobachtung der Umstände ungenau war. Das herfürgekommene Gold war in den verwendeten Stoffen zuvor enthalten. Um sicher zu gehen, hättest du erst den Silberkalk daraufhin prüfen sollen, ob er keine Spur von Gold enthält, hättest dich auch hüten müssen, ein unrein Gefäß zu benutzen. Wer weiß, ob im Gefäße nicht der leicht übersehbare Rest einer wasserklaren Goldlösung gewesen ist?« – Betreten schwieg ich, Waldhäuser sah mir ins Auge und nickte. Dann stund er auf: »Wohlan! Das Nächste kommt zuerst: begib dich nunmehr auf deine Kammer, wasche dich, tu auch von deinem Herzen das Unreine ab. Bis zum Nachtmahl magst du einsam bleiben, auf deinem Kämmerlein oder auch im Garten. Gott befohlen, mein Kind!« Und Waldhäuser rief nach seiner Haushälterin, einer freundlichen Witfrau, die mich auf meine Kammer führte. Hier säuberte ich mich und sann der Rede Waldhäusers nach. Auch in den Garten ging ich, der hinter dem Hause lag, von den Nachbargärten durch hohes, mit Eppich übersponnenes Gemäuer getrennt. Erster Frühling hatte die Knospen aus den Bäumen gelockt, im Gesträuche raschelte ein Gelbschnabel, der seinen Flötenruf erschallen ließ. Ich sog der Erde Odem, Trostes voll, wie ein Flüchtling, so nach Gefahren auf einmal geborgen.

Demütigen Schweigens nahm ich neben Waldhäuser und seiner Haushälterin das Nachtmahl ein, indessen mein neuer Lehrmeister weitere gute Rede tat. »Hast du dir auch klar gemacht, Johannes, zu welchem Zwecke du ein Heilkundiger werden möchtest? Gelüstet es dich, Geheimnisse der Natur zu ergründen? Nun gut; aber sage mir, ob du vom Schmirsel irgendein ander Geheimnis gelernt hast als Finten, deinem Nächsten das Geld aus der Tasche zu locken? Jedenfalls bist du zwei Jahre nur darauf ausgewesen, Geld zu gewinnen. Gesetzt nun den Fall, du hättest einen Haufen Goldes, was würdest du damit beginnen? Ich weiß wohl, daß sich allerlei kaufen lässet, danach einen eiteln Sinn gelüstet, als Haus, Prunkgewand, Pferde, Wagen und Diener, kostbar Tafelzeug, Pasteten und Gebratenes, duftige Weine und Konfekt. Suchest du alle solche Dinge, Johannes? und willst du ihretwegen heilkundig werden? Dann laß dir sagen: bist kaum etwas Besseres, denn ein gemeiner Beutemacher« Darin bestehet kein großer Unterschied, daß der Beutemacher seinem Opfer die Degenspitze auf die Brust setzet und ruft: Geld her oder stirb! Während du an Stelle des Degens den grimmen Knochenmann anwendest, so daß der Kranke denkt: Vor dem Sterben kann mich nur dieser Medikus erretten; ich will ihm Geld geben, sonsten holt mich der Tod. Solch ein Beutemacher, so den Spießgesellen Tod zum Ausbeuteln voranschickt, ist der Schmirsel, und auch du, Johannes, wolltest einer werden. Ei schäme dich, mein Kind, und suche bessere Würde. Höre, was mir gestern fürgekommen, und was eigentlich, wiewohl in wechselnder Form jeden Tag meinem Berufe begegnet. Zu einem Manne werd ich geholt, und meine Untersuchung findet heraus, daß er tödlich am Kopf erkrankt ist, allenfalls aber gerettet werden kann, so ich ihm den Schädel mit einem Meißel öffne. Wie ich ihm selbes dargelegt habe, so faltet der Mann die Hände, und, nachdem er sich mit seinem Gott beraten, spricht er voll Ergebung: ›Wohlan, öffne Er mir den Schädel nach seiner Kunst.‹ Nun gib stille Antwort, Johannes, ist solch erstaunlich Vertrauen, das schier an ein Wunder grenzet, etwan wert, daß man Mißbrauch mit ihm treibe? Wer um schnödes Geld diesem Patienten den gefährlichen Schnitt beibringt, ist ein Kumpan von Totschlägern. Kannst du es übers Herze bringen, deinem Nächsten, der dir wie einem Gotte Zutrauen schenket, dadurch zu vergelten, daß du hinter des Gottes Maske einen Geldschneider birgst? Narr, laß fahren allen Trug und trachte nach der Wahrheit. Ein Tor lässet sich vom Schein begaukeln. Willtu wissen, worin dein wahres Heil zu suchen, so bedenke ein Wort, das du oft gedankenlos in der Schulstube und auf der Kirchenbank ins Ohr genommen hast: Wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Aus diesem Grunde, mein Kind, lerne zuvörderst lieben und finde dich wieder zurück auf jenen rechten Weg, wo du schon einmal gewesen und Novize der Heilkunst worden bist. Hast mir ja berichtet, wie du in Schlesien, vom Mitleide bewegt, darauf gesonnen hast, ein lahm Kindlein genesen zu lassen, und wie du es mit Antimon geheilt hast. Damals, lieber Johannes, mit sechzehn Jahren warst du mehr heilkundig als unter Schmirsels Leitung. Komm morgen mit mir, meine Kranken besuchen. Es sind zumeist Menschen ohne Geld und Gut, Beistandes und Trostes bedürftig. Wenn du bei ihnen sitzest, findest du ein besser Gut und Glück als in der Äpfelkammer bei der törichten Jungfrau und ihrem benebelnden Wein. Den bessern Menschen werden die armen Patienten aus dir herauslocken, und das ist höherer Sold für dich, als wenn das schlimme Gold den Lumpen in dir immer dreister und feister macht.«

An einem Abend des Junimonds lustwandelte ich zur Moldaubrücke und starrte in den finstern Strom, der hinter den Brückenpfeilern rauschend strudelte. Wie diese unrastig tosende Flut kam mir das Treiben für, dem ich zwei Jahre gehuldigt hatte. Verblendet mußte ich gewesen sein, daß ich mich an Jungfer Sicsatis hängen gekonnt. Aufseufzend fühlte ich mein Herz erleichtert, und voller Vertrauen hub ich die Augen vom schwarzen Strom zu den Funkelsternen, so auf der Himmelsaue bunt erblüheten. Eine tiefe Sehnsucht ergriff mich, Waldhäusers Weisheit in mich aufzunehmen. Ich kehrte heim, und da in des Meisters Museo noch Licht war, klopfte ich an. Er ließ mich ein, und ich sahe, daß inmitten des Raumes auf der Bahre, neben der ein Totengerippe stund, eine Kindsleiche lag, die der Meister eben seziert hatte. Er deckte sie mit einem schwarzen Tuche und fragte nach meinem Begehr.

»Guter Meister«, sagte ich, »gestattet, daß ich noch bei Euch bleibe, solange Ihr wachet, um vielleicht die Wohltat Eurer Lehre zu genießen. So Ihr aber noch mit der Leiche zu tun habet, will ich stille zuschauen oder Euer Famulus sein.« »Ich plaudere gern noch ein Stündlein mit dir«, antwortete Waldhäuser. »Laß uns auf den Altan treten, der Sommernacht zu genießen.«

So gingen wir zur Altantür hinaus, und der duftige Odem des Gartens umhauchte uns. Gesträuche blühten, Nachtigallen wetteiferten mit süßem Schlagen. Da in den Nachbarhäusern alle Lichter erloschen, so kam das Leuchten der Sterne zu voller Pracht. Schweigsam empfanden wir den holden Zauber dieser Nacht. Dann meinte Waldhäuser sinnend: »Wie sicher und ruhevoll wandeln droben die Sterne! Hingegen wie unbeständig ist des Menschen Los! Kein Tag wird ihm vergönnet, ohne daß sich ein Zweifel begeben kann, so ihn aus seinem Gleise herauswirft, keine Stunde, kein Augenblick ist in unserer Macht; es kann ein Wechsel mitten im traulichen Wesen entstehen. Niemals ist die Gesundheit unbeweglich, und alle sind wir dem Tode einen Dienst schuldig. Denke nur, wie es dem Menschenkindlein ergangen, das entseelt auf der Bahre liegt. Es ist eine Waise, ein siebenjährig Knäblein, hold von Angesicht und ein Liebling derer, so um ihn waren. Jauchzend klettert der Knabe auf einen Lindenbaum, stürzt aber mit dem brechenden Aste herunter und ist im Nu eine Leiche. Da haben wir den raschen Wechsel, der auf einmal zur Betrübnis führet. Drum, Johannes, mach dich ledig vom Vertrauen auf Fortunas Beständigkeit. Die Gemahlin des Königs in Hispanien hat nicht uneben dies Sinnbild verwendet, daß sie einen Pfauen auf eine Kugel gesetzt und die Auslegung beigefügt: vanitas, Eitelkeit. Gleicherweis spricht auch der Prediger: Es ist alles ganz eitel, und die Toten, so schon den Odem verhauchten, sind eher zu preisen als die Lebendigen. Nun ja, drum war es nicht ganz recht von mir gesagt, als ich den Sturz dieses Kindes ein Unglück nannte. Soll man etwan klagen, daß jemand zu früh in den Schoß der Ewigkeit kommt, gleich als hätte ein Mensch den Himmel in diesem Angsthause gefunden? Als Trost sollten wir es betrachten, daß wir nicht ewig in dem irdischen Jammerwesen stecken bleiben.«

Nachdem wiederum Schweigen eingetreten war, wagte ich die leise Frage: »Wo mag nur das Himmelreich sein, das den abgestürzten Waisenknaben aufgenommen hat? Ist es droben bei den Sternen?« – Und Waldhäuser: »Das Himmelreich wird offenbar an den Sternen, doch betrachte es nicht als einen entlegenen Ort. Gib acht, mein Kind, daß du zunächst begreifest, was ein Symbolum oder Bildnis. Das Auge schaut etwan eine brennende Kerze, und die Seele denkt dabei an der Wahrheit Leuchten. Gleichermaßen bedeutet Sonnenwärme die Liebe, Kälte hingegen Gleichgültigkeit und Haß, Finsternis, Wahn und Lüge. Bedenken wir nun, daß durch den Himmel die Sonne ihre Bahn zieht, die uns des Tages Licht beschert und unser Auge die Form und Farbe aller Wesen erblicken lässet, so dürfen wir das blaue Zelt als des Lichtes Quellenland betrachten. Sehnet sich nun unser Herze nach der Wahrheit, so lenkt es den Blick gen Himmel, als müsse von dort auch dem inneren Menschen Erleuchtung kommen. In diesem Verstande hast du recht, Johannes: das Waisenkindlein ist bei den Sternen. Denn es ist dem ewigen Lichte einverleibet. Dabei aber darfst du nicht vergessen, daß unser aller Meister spricht: Inwendig in euch ist das Himmelreich. In der Menschenseele soll es werden, wie droben am himmlischen Gezelt; weit sei die Seele, das Unendliche zu umfahen, zahllose Lichter müssen in ihr aufblühen, und ruhevoll in steter Ordnung und heimlicher Melodei vollziehe sich des Menschen Trachten und Treiben. Nur so, mein Kind, eroberst du das Himmelreich. Die Kunst aber und Kraft, es aufzuschließen, ist dem verliehen, so den Stein der Weisen hat. Ihn sucht der wahre Alchymist, und auch du, Johannes, sollst danach trachten.«

Wie bei einem Wundertraume staunend fragte ich: »Den Stein der Weisen? Wie soll ich hoffen, den zu erlangen?« – Und die Antwort lautete: »Darfst nicht denken, es sei ein Stein gemeint, aus irdischen Stoffen bereitet. Man sagt freilich, der Stein der Weisen habe sich am Ringe Salomonis befunden. Inmaßen aber dieser König ein Buch von der Weisheit verfaßt hat, so bedeutet Salomonis Ring sein Verlöbnis mit der himmlischen Sophia oder Weisheit, der Stein am Ringe die Kraft, das göttliche Licht zu spiegeln und auszustrahlen. So ist der Stein der Weisen nichts anderes denn die heilige Weisheit im Menschen. Wahrlich, ich sage dir, nur wer den Stein der Weisen hat, ist echten Goldes Bereiter. Du machest große Augen, Johannes, möchtest wohl wissen, was für ein Gold ich das echte heiße. Wohlan, darunter versteht der alchymistische Adept kein irdisch Metall, sondern etwas Geistliches, wie überhaupt sämtliche Metalle, ihre Mischungen und Umwandlungen, Gleichnisse für Qualitäten und Vorgänge der Seele sind. Sobald du dein Auge für das Reich der Sinnbilder aufschleußest, wirst du seltsame Zusammenhänge und Entsprechungen darin entdecken. Sie haben den Grund geliefert für alle geheime Wissenschaft, so für die Mysterien der Andacht, auch für die Sterndeuterei, endlich für die Alchymie. Erinnere dich, daß manche Sterne den Namen von Gottheiten führen: Jupiter, Mars, Venus und Saturn, der Sonnengott Sol und die sanfte Luna wurden von den Alten als Götter verehrt. Kein Wunder, daß man darauf verfiel, zwischen den Herzensqualitäten dieser Götter und ihren Gestirnen eine heimliche Entsprechung anzunehmen. Von Menschen, zornigen, herrischen Gemütes, sagte man, sie seien im Zeichen des roten Mars geboren. Den Abendstern hielt man für eine astralische Macht, von der verliebte Neigung ausgehet. Nun aber bedenke, daß die Planetennamen auch von Chymikern angewandt werden, Metall zu bezeichnen: Sol oder sein Symbolum, der Kreis, bedeutet das gelbstrahlende allerwertvollste Metall; Luna oder eine Mondsichel ist des Silbers Bezeichnung. Das Eisen heißet Mars als des Kriegsgottes Werkzeug. Venus, die cyprische Göttin, bedeutet das Kupfer; der trübselige Unglücksstern Saturn das Blei. Dieser Hinweis nun sei für dich, mein Johannes, ein Schlüssel, das edle Geheimnis der Alchymie zu eröffnen. Unter den Metallen nämlich nicht minder wie unter den Sternen werden Eigenschaften des inneren Menschen verstanden. So ist das Eisen, auch Mars benamset, des Herzens wilder Drang, zu herrschen und zu kriegen. Das schwerfällige Blei bedeutet niederdrückendes Unheil und Schwermut. Venus oder das Kupfer ist die Minne, Silber oder Luna Keuschheit und Unschuld. Das Gold aber bezeichnet das höchste Gut des inneren Menschen, jenen Schatz im Acker, dem das Himmelreich gleichet. Wenn nun der wahre Alchymist danach trachtet, aus niederen Metallen höhere zu bereiten, so kommt es ihm nicht darauf an, den einen Erdenstaub in den andern umzuwandeln, sondern die niederen Herzensqualitäten zu adligen und in das allerhöchste Gut, in des Herzens Gold, zu transmutieren. Ich spüre wohl, Johannes, daß meine Lehre dir neben dem Staunen auch etliche Enttäuschung bereitet. Denn ich kann mir denken, daß ein unerfahren Kind noch nicht auf den rechten Spürsinn gekommen, so das Köstlichste zwischen Himmel und Erde in seinem ganzen Wohlschmack empfindet. Doch harre nur, wirst schon seiner schmecken lernen; laß erst noch viel bitterer die Enttäuschung deine Zunge plagen. Enttäuschung, dies bittere Kraut, ist ja ganz unentbehrlich, willst du den Stein der Weisen bereiten.«

Nachdem ich diesen Worten staunend nachgesonnen, entgegnete ich: »Eure Lehre, weiser Meister, hat mir mit nichten Enttäuschung beigebracht, wenigstens fühlt sich zu dieser Stunde mein Herz so wunderbarlich frei und reich, daß ihm kein Zweifel an der von Euch gespendeten Wahrheit kommt. Drum, edler Meister, treuen Dank!«

Waldhäuser reichte mir freudig die Hand. »Wohlan, mein Kind, halte den Segen der Stunde fest, und damit du ihn tiefer in dich aufnehmest, laß uns noch ein Weilchen im Freien unter Sternen weilen, indessen ich, gleich den Nachtigallen drunten, im Flötenton meine Andacht in die Nacht ströme.« Und er holte seine Flöte, auf der er kunstvoll zu spielen wußte. Sanft und rein, klagend und doch voll Seligkeit schwollen die Töne und bebeten in die Weite, zur Wunderwelt der Lichtsymbola. Wie aber die rührende Weise verklungen, nahm mich der Meister sacht am Arm, trat mit mir ins Museum, wo noch immer die Lampe leuchtete, und an der Bahre das Totengerippe Wacht hielt. Von der Leiche tat er das schwarze Tuch hinweg; das entseelte Knäblein lag wie ein schlafender Engel. Unter Zähren lächelnd betrachtete ich die schöne Bildung des erblichenen Antlitzes, den sanften Mund, die zugeschlossenen Augen, die güldenen Locken. Auch Waldhäuser war in den Anblick versunken. »Dank!« flüsterte er nickend; »Dank für Unterweisung und Demonstratio!« Dann tat er einen sehnsüchtigen Aufblick, als öffne sich die Zimmerdecke und lasse die Sterne hereinstrahlen, und sprach in einer melodischen Art, die nichts seinem Flötenspiel nachgab:

»Fahre wohl, verklärte Seele!

Bis uns lacht ein Wiedersehn,

Wann auch ich aus Staubes Höhle

Darf zu Funkelsternen gehn.

Liebreich winkt ein Hirt: Willkommen

Auf besonnter Blumenweid!

Lämmlein, bist mir angenommen

In der Unschuld weißem Kleid.

Gnade Gott, wir könnten alle

Gleich so erdenledig sein,

Daß wir zum Schalmeienschalle

Hüpften in den Himmel ein.

Träumen laßt mich, Funkelsterne!

Hebt mich über Gräber weit!

Ach, ich traue dir so gerne,

Heimweh nach der Ewigkeit.«

Mit diesem Erlebnis schloß mein Aufenthalt bei Waldhäuser. Nie sah ich ihn wieder, – so daß sein Fahrwohl ungeahnt auch mir galt, – mit der Einschränkung, daß ich nicht wie der tote Knabe mit Unschuld bekleidet war. Immerhin hatte ich Sehnsucht nach dem himmlischen Kleide und war dessen sicher, daß es sich weben lasse aus Waldhäusers Weisheit.

Das fünfte Abenteuer Die Gräfin vom Böhmerschloß

Zu den kostbaren Lehren, die ich von Waldhäuser vernommen, gehört auch eine, für die mein ganzer Lebensgang Zeugnis ablegt, und die gleich am Tage, so auf die nächtliche Meditation folgte, eine traurige Bestätigung fand. Im Anschluß an des Evangelisten Predigt »Im Anfang war das Wort« hatte Waldhäuser gesprochen: »Vergiß niemals, mein Kind, daß durch alles Erschaffene hindurch eine Folgerichtigkeit waltet, vor der es kein Entrinnen gibt. Stellest du ein Ding an die Sonne, so wirft es Schatten, und wenn es regnet, wird's naß. Toren wähnen, ihnen werde Fortuna gestatten, den Folgen auszuweichen. Es muß halt jeder auf sich nehmen, was er angerichtet hat. Wie die Saat, so die Ernte, und wer Wind säet, erntet Sturm.« In Waldhäusers Friedensreiche hatte ich schier vergessen, wie närrisch ich es getrieben, und mich in den Wahn gelullt, die Folgen seien vermeidbar.

Wie ich andern Tages das Haus verließ, um einen Gang für Waldhäuser zu tun, der in aller Frühe seine Patienten aufgesucht hatte, trat ein Soldat zu mir und sprach, ich solle allsogleich zum Herrn Grafen Slawata kommen, der eine wichtige Sache mit mir zu besprechen habe. Da ich vermeinte, der Graf sei ein Patient, so meine Pillen und Morsellen begehre, folgte ich dem Soldaten in des Grafen Palast.

In einem Gemache, das wie eine Kanzlei aussah, saß ein fürnehm gekleideter Herr ergrauten Bartes, und bei ihm war ein Dominikanermönch. Der Herr winkte mir und suchte seinem frostigen Gesicht einen freundlichen Ausdruck zu geben. »Ist Er Johannes Tilesius, der Gold machen kann?« – Nicht ohne Bestürzung versetzte ich: »Mein Name lautet also. Was aber die Goldmacherei betrifft, so geht es mir wie andern Alchymisten: es kommt ein Stündlein, da gläubet man, mächtig wie der Herrgott zu sein, und gleich hernach ist man, was man war, ein armer Narre.« Da hielt der Herr in seiner Hand jene Silberkapsel empor, die ich Susannen geschenkt. Verlegen gab ich zur Antwort: »Das eine Mal nur ist mir die Goldmacherei gelungen; aber was eine zufällige Konstellation der Umstände vermochte, hab ich mit Fleiße nie wieder zustande gebracht.« – Kühl entgegnete der Graf: »So muß Er halt probieren, die Konstellation aufs neue herauszubringen. Habe vernommen, daß Er beim Mediko Waldhäusero seine Zeit mit Krankenbesuchen verliert, anstatt im Laboratorio dem König der Metalle zu huldigen. Wohlan, ich will Ihm zu einem würdigeren Amte verhelfen. In meine Dienste soll Er treten und ein prächtig Laboratorium haben. Wenn er dann aufs neue zustande bringt, was Ihm schon einmal gelungen, wird Er im Golde schwimmen können. Das ist eine Aufgabe würdiger, als die Waldhäuserei. Dieser Lumpenkurierer bringet Ihn vom rechten Wege ab.« – »Nicht doch! Herr Graf!« eiferte ich; »vielmehr hat mich der Waldhäuser auf den Weg der Wahrheit gebracht, und den möcht ich nicht verlassen. Drum wolle mir der Herr erlauben, daß ich seinen Antrag, so ehrenvoll er ist, mit schuldigem Respekt ablehne und mich wieder zu meinem Meister begebe.« Der Graf warf mir einen stechenden Blick zu und wandte sich zum Dominikaner: »So redet Ihr mit ihm, hochwürdiger Pater!«

Nun richtete sich der Mönch herrisch auf, zog die Brauen zusammen und heftete auf mich jenen Blick, mit dem die Viper ihr Opfer lähmet. Zischend sprach er: »Was in Güte nicht geht, das muß Strenge ausrichten. So gebe ich Ihm denn zu bedenken, daß Er nicht bloß ein Ketzer ist, sondern sogar ein Zauberer. Keine Widerrede! Wir haben Zeugen. Denk Er an den Doktor Giacomini!«

Wie vom Donner gerührt, trat ich einen Schritt zurück: »Der Giacomini will gegen mich zeugen? Und hat doch selber die Zaubersuppe bereitet!« Abwehrend unterbrach mich der Mönch: »Was der Giacomini getan, kommet nicht in Betracht. Der Giacomini ist Zeuge, nicht Angeklagter. Johannes Tilesius ist der Zauberei beschuldigt und hat der Jungfer Susanne vom Wirtshaus zur Äpfelkammer eingestanden, daß Er vor Jahren Zauberei getrieben.«

Krampfhaft zuckte mein Herz, da ich vernahm, daß Susanne mich verraten hatte, und ich gab alle Renitenz auf. Triumphierend betrachtete mich der Pfaff und verzog das Gesicht zu einer tückischen Freundlichkeit. »Nun Er weiß, was Ihm widerfahren kann, wird Er kirre sein und des Herrn Grafen Antrag annehmen. Tut Er das, so soll Ihm christliche Milde werden, und im Dienst der Kirche mag Er seinen Frevel sühnen. In diesen Zeitläuften, wo die Höllenschlange sich gegen den göttlichen Menschensohn aufbäumet, muß die heilige Kirche streitbar sein und bedarf dazu der mächtigsten Waffe dieser Welt, des Goldes. Drum frisch ans Werk, Herr Goldmacher, verstanden?« Da ich wie vernichtet in Schweigen verharrte, lächelte er spöttisch und scherzte mit sich selber: »Ei ja, warum soll man Zauberer nicht in den Dienst der Kirche nehmen? Hat nicht der Heilige Wolfgang den Teufel gezwungen, ihm die Steine herbeizukarren, draus eine Kapelle werden sollte?«

Wieder im herrischen Ton wandte sich der Dominikaner zu mir: »Sofort hat Er sein Amt anzutreten. Man wird Ihn ins Laboratorium bringen. Was Er an Stoffen und Werkzeugen benötigt, mag Er bei mir bestellen, falls Er es nicht vorfindet. Eine Bibliothek stehet Ihm zur Verfügung. An gutem Essen und Trinken soll es nicht fehlen. Aber das sage ich Ihm: wenn heuer das Laub von den Bäumen fällt, muß Ihm die Transmutatio Metallorum gelungen sein. Zum Abschied noch den Rat, sich diesem Soldaten nicht zu widersetzen, der Ihn ins Laboratorium bringen wird. Laß Er sich jetzo die Hände fesseln.«

Entsetzt blickte ich nach dem Soldaten, der einen Strick in der Hand hielt und Miene machte, ihn anzuwenden. Ich stürzte zum Fenster und schrie aus voller Kehle: »Hilfe! Hilfe!« Aber da hatte mich der Soldat auch schon gepackt, blitzschnell meine Hände gefesselt und einen Knebel in meinen Mund gezwängt, daß mir das Schreien verging. Gebieterisch streckte der Mönch den Arm nach der Tür, und der Soldat zerrte mich fort. Ich mußte neben ihm die Treppe hinuntergehen und in einem Wagen, so im Hofe mit Pferden bespannt unser harrte, an seiner Seite Platz nehmen. Gleich darauf fesselte mir der Soldat auch die Füße und verband meine Augen. Die Wagentür ward zugeschlagen, und wir fuhren eilig ab.

Außerstande, mir zu helfen, ergab ich mich in mein Schicksal. Daß wir die Moldaubrücke passierten, verriet das Rauschen des Flusses, dann ging es bergan. Als kein Laut von Menschen mehr, nur Wipfelsäuseln zu vernehmen, tat der Soldat das Tuch von meinen Augen und erlöste mich vom qualvollen Knebel, wofür ich ihm meinen Dank sagte. Nachdem wir eine Stunde durch Wald gefahren waren, wurden mir die Augen aufs neue verbunden, ich vernahm nahes Hundegebell und Hähnekrähen, und merkte, daß wir durch ein Dorf kamen. Wieder im Walde, ward ich von der Binde frei, und der Soldat gab mir aus mitgenommenem Vorrate zu essen und zu trinken, genoß auch selber davon. Als die Sonne hinter die Tannenwipfel sank, wurden noch einmal meine Augen verhüllt, und ich merkte bald darauf am dumpfen Widerhall und Klappern der Hufschläge, daß wir durch ein Tor in einen gepflasterten Hof fuhren. Dann hielt der Wagen, mir wurden die Augen frei gemacht und die Fesseln abgenommen.

Aus dem Wagen gestiegen, sahe ich mich um und war im Hofe einer Burg, deren Tor hinter uns zugetan und von Soldaten bewacht war. Mein Begleiter übergab mich einem Manne, der in der Rechten einen entblößten Degen, in der Linken einen Bund Schlüssel hatte und mit einem scharfen Blicke mir gebot, fürder seinen Weisungen zu folgen. Während der Soldat zurückblieb, führte mich mein Vogt ein paar Treppen hinan in einen langen düstern Gang und schloß an dessen Ende eine Tür auf: »Hier wird Er hausen.«

Mein Gemach war geräumig und von wohnlicher Einrichtung. Hatte ein stattlich Himmelbett, einen runden Tisch von Eichenholz, geschnitzte Stühle und einen Polstersessel. Tröstlich ward mein Herz berührt, als ich an der Wand ein Gestell voller Bücher bemerkte. Das Fenster führte in den Burghof und war stark vergittert. »Sogleich wird der Herr sein Nachtmahl erhalten, mag Er inzwischen das Laboratorium betrachten, es liegt hier nebenan.« Hierauf verließ der Vogt mein Gemach, nicht ohne es zu verschließen.

Ich begab mich in das Laboratorium und nahm in der Abenddämmerung seine Hauptteile wahr. Ein Kreuzgewölbe mit zwo steinernen Säulen. Die vergitterten Fenster führten zum Burghof. Am einen war ein großer Tisch mit Retorten, Tiegeln, Phiolen. Längs der Wände gingen Gestelle, und in Büchsen, Kästen, gläsernen Gefäßen waren Minerale und Lösungen. In der Ecke hatte es Mörser verschiedener Größe.

Staunend trat ich an den seltsamen Schmelzofen. Aus gebranntem Ton war er geformt, in Gestalt des biblischen Behemot oder Nilpferdes. Die Feuerung ward eingeführt durch des Ungeheuers Maul. Auf dem Rücken war eine Stätte für den großen Kessel. Um sie zu erreichen, mußte man mehrere Stufen empor zu einer gemauerten Erhöhung steigen. Des Tieres Hinterteil ging ins Gemäuer zum Schornstein. Auffallend war noch, daß zwischen den Nüstern des Behemot der Buchstabe A, auf der Hüfte aber ein Z stund.

Wieder in meinem Gemache, erhielt ich Speise und Wein. Dann eröffnete mir der Burgvogt, er werde mir in all meinen Wünschen gefällig sein, so zur Beförderung der chymistischen Arbeiten dienen! Meine Wohnung dürfe ich einstweilen nicht verlassen, später aber zum Lustwandeln den Burghof verwenden, falls es der Pater Aloisius gestatte.

Einförmig gingen mir die Tage hin. Ich wußte zunächst nichts anzufangen, als die Bücherei zu durchstöbern. Fand mehrere Schriften über göttliche Dinge und menschliche Weisheit. Hinein versunken, fühlte ich mich für Stunden frei, und die philosophische Materie paßte besser für meinen Seelenzustand als das Studium der Chymisten. Die Goldmacherei war mir dermaßen zuwider, daß ich in den ersten Wochen das Laboratorium mied. Meinen Vogt, der mich zur Rede stellte, betrog ich mit der Ausflucht, es tue mir zuvörderst das Studium alchymistischer Bücher not, deren Rezepte ich später durch die Tat erproben werde.

Daß in schlaflosen Nächten Gram mich heimsuchte, ist aus der Natur eines Menschen verständlich, der erst dreiundzwanzig Sommer zählte und die Beraubung der Freiheit zum allerersten Male empfand. Manchmal hatte ich solch Mitleid mit mir selbst, daß ich in Tränen ausbrach und, die Hände zusammengekrampft, gen Himmel flehte, er möge mich doch durch ein Wunder erretten, möge mir einen Ausweg ins Freie weisen. Allmählich sammelte ich meine inneren Kräfte, daß mir der Kummer weniger anhaben konnte. Zur Erbauung gereichte mir das Andenken an Waldhäuser. In tiefer Meditation prüfte ich seine Worte über die geistige Bedeutung der Alchymie und setzete mir ernstlich für, im Laboratorio meiner Seele meine Triebe und Leidenschaften zu läutern und zu edlerem Metalle umzuwandeln.

Was mir dabei zustatten kam und innigen Trost spendete, waren dichterische Versuche. In früheren Jahren hatte ich zwar hin und wieder ein Poem verfaßt, aber nur nach Schulfuchsen-Weise. Erst in jener feierlichen Nacht, da Waldhäuser auf seinem Altan die Flöte gespielt und an der Bahre des Knäbleins ein Gedicht gesprochen, war mir die Ahnung aufgegangen, es könne des Poeten Kunst weit mehr sein, denn Spiel und Schmuck für müßige Stunden. Des Liedes Muse hatte mich damals an eine Pforte gehoben, durch die ich den Himmel offen sahe; nun ward ich inne, daß ich zu selbiger Pforte einen eigenen Schlüssel in mir trage. Wie Gottesdienst war mir nun der hippogryphische Flug zum Olymp. Und seltsam, während meine Träume zu Versen sich gestalteten, vernahm ich oft Musik in der Nähe, so deutlich, als singe ein Engel zur Harfe.

Wehmütig süß war es mir, an die Tage zurückzudenken, die ich in Schlesien und dann zu Prag verlebt. Als eine sanfte Blume schwebte vor mir Elfriedens blasses Gesicht, und meine Liebe zu ihr ward um so zarter und geistiger, je mehr ich in Sicsatis das Hexlein Schlangenglatt erkannte, das die Sinne bezaubert, Eitelkeit und Untreue im Busen. Für Elfrieden errichtete ich in meinem Herzen einen Altar und schmückete ihn mit den Blüten meiner Phantasei. Den ganz flüchtigen Verkehr mit der Patientin in Warmbrunn spann ich träumend zu einem bunten Gewebe von Minneabenteuern aus, von Zusammenkünften und Gesprächen, die sich gar nicht begeben hatten. War das nun Alchymie nach Waldhäusers Lehre?

Monde waren vergangen, und ein gelbes Blatt, vom Wind in den Burghof verweht, kündete den eingetretenen Herbst. Da rasselte der Schlüssel meines Gemaches, zu einer Stunde, wo ich sonst keinen Besuch des Vogtes empfing. Schrecken durchfuhr mich, als der Dominikaner eintrat, während der Vogt an der Tür Posto faßte, den blanken Degen in der Faust, wie bei meiner Ankunft. Finster sprach der Pfaff: »Wie ich vernehme, macht Er einen schlechten Gebrauch von seiner Muße und mißachtet der Befehle, so ich Ihm zu Prag eingeschärft habe. Warum unterzieht Er sich nicht seinen alchymistischen Aufgaben? Warum hat Er kein einzig Mal den Schmelzofen heizen lassen? Bilde Er sich nicht ein, mit mir sein Spiel treiben zu dürfen. Daß Er es weiß: wir haben Mittel, Ihn zu kirren; denn wie es mir freistehet, Ihm den Aufenthalt in dieser Burg angenehm zu machen, so kann ich auch Weisung geben, daß Ihm die gute Kost und die Bibliothek, der Er allzuviel Eifer widmet, entzogen wird. Ja, mehr noch: zeigt Er sich andauernd renitent, so mag Er im finstern Burgverließ logieren, und als letztes Mittel, das dem Verbrechen der Zauberei rechtens gebührt, bleibet noch die Tortur.«

Meine Angst, bei dieser Rede immer mehr gesteigert, ging auf einmal in rasende Empörung über, und mit krallenden Händen wollte ich den Feind erwürgen. Doch den Degen gezückt, sprang der Vogt zwischen uns und stieß mir die Faust ins Gesicht, daß ich taumelte. Dabei kam mir die Besonnenheit wieder, ich beruhigte die keuchende Brust.

Mit verächtlicher Kälte sprach der Pfaffe weiter: »Nun Antwort! Warum hat Er das Laboratorium vernachlässigt?« Ratlos rang ich nach Worten, bis mir eine List beifiel. Zuckte also die Achseln und sprach wegwerfend: »Was soll mir das Laboratorium, da ich doch keinen Gebrauch davon machen kann!«

Der Mönch horchte auf: »Warum denn nicht? Hundert Alchymisten würden Ihn um dies Laboratorium beneiden. Was fehlet daran?« – »Was daran fehlet? Ein Gefängnis ist es; nur in Freiheit kann der Alchymist etwas ausrichten.«

»Keine Flausen!« lautete die Antwort. Ich aber fuhr fort, mich zu verstellen: »Foltert mich! Doch wenn ich auch in Stücke gerissen werde, bleibe ich dabei: Wohl habe ich beim Schmirsel jenes Stücklein Gold hergestellt, so in Eure Hände gelangt ist. Es mag auch sein, daß mir die Goldbereitung das eine Mal wirklich gelungen ist, obschon Herr Waldhäuser meint, das gewonnene Gold sei schon zuvor in den vermischten Stoffen gewesen, ich habe es nur nicht gewußt. Angenommen, ich habe in Wahrheit Gold bereitet, so bin ich damals durch einen Zufall begünstigt worden. Den aber hat die launische Fortuna nie wiederkehren lassen, wiewohl ich mich abgemüht, die gleichen Stoffe und Verhältnisse von neuem zustande zu bringen. Ich könnte Euch ja nun freilich mit leeren Hoffnungen eine Weile am Narrenseil herumführen ...« – »Wehe ihm!« dräuete der Pfaff. – »Eben darum!« fuhr ich fort: »ich will Euch nicht hinhalten, sondern beizeiten über die Schwierigkeit informieren. Wohlan, lasset mich eine Stelle zitieren aus der Schrift: Mysterium chymicum.« Ich holte das Buch, blätterte und las: »Von Paracelso sagt sein Schüler Basilius, er habe mit Hilfe der Mondblume ein rosenfarben Öl gewonnen und damit Silber tingiert, so daß es gutes Gold worden.«

Da ich nun schweigend den Pfaffen ansahe, zuckte er hochmütig mit dem Kopfe: »Was soll mir das Zitat? Ähnliche Stellen, so auf Geschwätz und Aberglauben zurückgehen, sind häufig in Goldmacherschriften.«

Ich nahm mich zusammen, daß ich im Tone der Überzeugung erwiderte: »Mit dieser Stelle hat es eine eigene Bewandtnis. Bedenket, daß ich kurz vor meiner Prager Goldbereitung aus einem Gemisch von Kräutern, die mir meistens unbekannt, einen Absud gekocht habe, und daß hiervon ein Rest in jenem Glase verblieben ist, das nach Aufnahme der Massae das rosenfarbene Wunderöl herfürbrachte. Wahrscheinlich ist die Mondblume unter den Kräutern gewesen.« – »Nun, so schaffe er die Mondblume herbei!« sagte der Mönch. Ich aber erwiderte: »Leicht gesagt. Wenn mir nur bewußt wäre, welch Kraut mit dem Namen Mondblume bezeichnet wird. Jedenfalls werden die Kräuter, besonders seltene, in den unterschiedlichen Gegenden nicht immer gleicherweise benamset. Es gilt, herauszubringen, wie die Mondblume aussiehet. Erst dann bin ich in der Lage, sie zu beschaffen. Diesen Zweck nun verfolget mein theoretisch Studium. Drum wollet mir nicht dazwischen fahren. Dem Mitgliede eines hochgelahrten Ordens ist doch bewußt, daß alle Kunstfertigkeit nur aus der Wissenschaft quillet. Sendet mir Bücher, in denen sich Angaben über die Mondblume vermuten lassen. Ohne sie gleiche ich mit allem Experimentieren nur einem Narren, so um Mitternacht im Wald umhertappet, einen Sonnenstrahl aufzufinden, den er zwölf Stunden zuvor deutlich gesehen.«

Forschend ruhte des Mönches Auge auf mir, nach etlicher Überlegung sprach er: »Also gut, mag Er zunächst studieren, und was die Bücher betrifft, so will ich Ihm schicken, wonach Er begehret. Indessen befehle ich hiermit, daß Er neben der Theorie auch das Experiment emsig betreibe. Kein Tag darf vergehen, ohne daß Er im Laboratorio arbeitet, und wofern mir hierüber kein zufriedenstellender Bericht wird, so sollen Strafen erfolgen. Ernstlich hat Er zu bedenken, daß alle Wünsche, die Er in seiner jetzigen Lage hegen mag, sich nur auf eine Weise erfüllen lassen, wenn Er nämlich die Transmutatio zustande bringet. Sein Glück, sein Befreier, sein Heiland nächst Gott und unserm Herrn Jesu ...« bei diesen Worten bekreuzigte sich der Pfaffe ... »heißet Gold.« Und nun verließ mich mein Quälgeist.

Wie die Tür verschlossen war, sank ich zitternd in den Sessel. Hatte zwar für den Augenblick die Attacke abgeschlagen, wußte aber, der mächtige Feind würde unerbittlich zurückkehren.

Wie seltsam verstehet doch das Schicksal seine Mittel zu wählen! Meine alchymistischen Versuche waren nicht umsonst. Sie führten zwar nicht zur Transmutatio, doch zu einer Erfindung, und diese half mir zur Freiheit.

Ich hatte einen Absud von Kräutern mit Alaun und Spirito vini vermenget und versehentlich die Massa über ein aufgeschlagen Buch fließen lassen. Die wasserklare Flüssigkeit machte zuerst keine Flecken. Wie erstaunte ich aber, als ich einen Monat später das Buch zur Hand nahm und die begossenen Stellen nunmehr braun fand. Ich zog hieraus den Schluß, die ausgegossene Flüssigkeit sei so beschaffen, daß ihre Flecken auf dem Papier, anfangs unsichtbar, erst nach geraumer Zeit dunkel werden. Versuche ergaben, daß nach drei Wochen das benetzte Papier sich dunkel zu färben begunnte. Wie diese Tinte zu meiner Befreiung angewandt ward, soll der nächste Verlauf meiner Chronica melden.

Auch insofern half mir mein Experimentieren, als es mich dazu brachte, den Schmelzofen näher zu untersuchen. Weil mir bei einer gewissen Witterung der Rauch ins Gewölbe schlug, war ich auf Remedur bedacht. Kroch also in den Rachen des Behemot hinein und richtete mich im Innern auf, so daß mein Kopf in den Schornstein kam. Mit einer Laterne leuchtete ich in den rußigen Schlund, er war geräumig; im Gemäuer waren Lücken, und den Fuß hineinsetzend, konnte man wie auf einer Leiter empor gelangen.

Nach dieser Entdeckung begab ich mich gleich zurück ins Laboratorium. Hätte es bedauert, wenn mein Wärter mich innerhalb des Ofens gefunden und also diesen Ausweg aus dem Gefängnis bemerkt hätte. Mein erster Gedanke war, einen Strick zu beschaffen. Von den Ton- und Glasgefäßen, so mit Pergament verschlossen waren, tat ich die Fäden hinweg und knüpfte diese aneinander. Indem ich den so gewonnenen Faden achtfach zusammendrehte, erhielt ich einen Strick von doppelter Mannslänge. Ich verlängerte ihn noch dadurch, daß ich ans eine Ende meinen Leibgurt, ans andere ein zusammengerollt Linnentuch band.

Pochenden Herzens harrete ich der Nacht, den entdeckten Ausweg näher zu untersuchen. Wie sonst um die neunte Stunde löschte ich mein Licht, damit die Wache vom Hofe her nicht zu ungewöhnlicher Zeit Helligkeit bei mir bemerke. Um zehn Uhr jedoch zündete ich die Laterne an, schob sie in den Schmelzofen und kroch hinterdrein. Den Strick um den Leib, kletterte ich im Schornstein aufwärts, indessen mir die unten verbliebene Laterne leuchtete.

An der Mündung des Schornsteins reckte ich mich ins Freie. Der Mond netzte silbern das Dach und beleuchtete waldige Hügel. Im Nachthauche säuselten die Tannenwipfel, eine Eule schrie. Den Riemen um den Schornstein geschlungen, rutschte ich an den Rand des äußeren Burgdaches und lugte hinab. Wie schwer, auf diesem Wege zu entrinnen! Wofern ich selbst einen genügend langen Strick hätte, würde ich in den tiefen Graben gelangen, der die Burg umzingelte; und wie sollte ich hinausklettern? Während ich überlegte, vernahm ich drunten Schritte nebst Waffengerassel und sah im Mondlicht einen Soldaten jenseits des Grabens den Rundgang um die Burg tun. Derweilen ich mich anschickte, wieder rückwärts zu kriechen, löste sich ein Dachziegel und stürzte polternd in den Burggraben. Aber der Wachtposten kehrte nicht zurück, und so rekognoszierte ich weiter. Die Burg war in Form eines Vierecks gebaut und hatte an den Ecken vorspringende Türme. Vom Dache einer jeden Burgfront ragten mehrere Schornsteine. Ringsum nichts als Waldgebirge, keine Spur eines Dorfes. Wie ein Nachtvogel flog mein Träumen über die Wipfelwogen dem Isergebirge zu und suchte das traute Häusel des Oheims, der jetzo in friedlichem Schlafe lag, ahnungslos, daß sein Johannes gefangen sei und sehnsüchtig auf Befreiung sinne.

Auf einmal klang ein melodisch Summen, das ich früher schon bemerkt, jedoch für Einbildung gehalten. Vom nächsten Schornstein kam es her. Ich rutschte rittlings die Dachfirste entlang, und in den Schornstein hineinhorchend, vernahm ich Harfenschall und den Sang einer weiblichen Stimme.

Nach längerem Lauschen beschloß ich, mich ein Stück in den Schornstein hinunterzulassen, um zu erkunden, wer die Sängerin sei, und ob ihr Gemach meine Flucht begünstigen könne. Den Strick befestigte ich oben am Schornstein, ließ das andere Ende in die Höhlung und glitt behutsam hinab. In die Schlinge des unteren Endes steckte ich den Arm und schwebte nun im Schornstein nahe der Mündung eines Kamins, durch den die Musik empordrang. Deutlich vernahm ich den Harfenschall und die Worte, von sanfter Mädchenstimme gesungen:

Es kämmte die Gräfin ihr flutend Haar,

Zur Minne täte sie taugen.

Da wallte vorbei der junge Scholar

Und hub die schmachtenden Augen.

»Scholar, so halt deine Augen in Hut,

Daß sie zu hoch nicht fliegen!

Wer nicht geboren aus Adelsblut,

Darf keine Gräfin kriegen.« –

»Und ist mein Schatz auch hoch und fern,

Mein Minnen soll daran hangen,

Wie ich liebe des Himmels hehrsten Stern.

Wer mag ihn zur Erde langen?« –

»Scholar, von der Erde gehörst du fort,

Hast schon des Himmels Weihen,

Bist gar so rein wie die Engel dort,

Die lieben, ohne zu freien.

Du Keuscher bist höher geboren denn ich,

Dein Adel reicht über die Fürsten.

Du hebst mich hinan, ich fühle mich

Nach himmlischer Minne verdürsten.«

Das war kein Lied, wie es eine Tochter des Vogtes oder ein dienend Weib hätte singen können, im Ausdruck lag etwas Adeliges und Trauriges. Ich wußte nicht, was tun, ob ich mich wieder entfernen oder noch länger lauschen solle. Auf einmal riß das Linnentuch, mit dem ich meinen Strick verlängert hatte, und ich stürzte, wobei sich mein Kopf derart an einem vorspringenden Stein stieß, daß mir die Sinne schwanden.

In mein Gesicht gespritztes Wasser brachte mich wieder zu mir. Ich lag auf der Diele eines fremden Gemaches, ängstlich starrten mich zwei von Kerzenschein beleuchtete weibliche Gesichter an. Das eine gehörte einer etwa zwanzigjährigen schönen Jungfer. Die groß aufgetanen Augen hatten braune Sterne, bleich wie Marmor die feine Haut, die Wangen rosa. Um die Schläfen wallten dunkle Locken. Die zarte Hand hatte soeben meine Stirn mit Wasser benetzt, ich fühlte noch die wohltuende Berührung. Der Jungfer Kleidung war schlicht, doch voller Anmut. Die andere Frau, schon ältlich, hatte eine trauervolle Güte im runden Gesicht; sie war wohl eine Dienerin. »Er kommt zu sich, Jungfer Gräfin!« sagte sie, »die Wunde scheint nicht schlimm.«

»Gott sei gelobt!« entgegnete die Jungfer mit beklommener Stimme. Mich freundlich anblickend fuhr sie fort: »Unbesorgt, junger Gesell! Wir sind Ihm nicht feind. Können uns denken, Er ist der gefangene Goldmacher und hat versucht, übers Dach zu entkommen. Was mich betrifft, so bin ich des Grafen Schlick jüngste Tochter, mit Namen Thekla, und dies ist meine treue Kammerfrau Marianka. Wir beide sind auch nichts anderes denn Gefangene. Diese Burg Wasenstein, die mein Vater seinen Kindern vermacht hat, ward unser Gefängnis. Und dieselben Peiniger halten uns fest, so auch Ihn, junger Gesell, hier eingesperrt haben. Vielleicht lässet sich zwischen uns gemeinsame Sache machen, so daß einer dem andern zur Freiheit hilft. Aber nun sag Er, wie Er sich befindet, und ob seine Kopfwunde sehr schmerzet.«

Solche Worte waren mir noch holdere Musik, als das Lied zur Harfe. Ich richtete mich auf und lächelte: »Dank für des Fräuleins Gnade und ebenfalls Euch, gute Kammerfrau, Dank für den Beistand. Dem Himmel Dank, daß ich euch gefunden habe!«

Meinen Kopf betastend, erklärte ich die Verletzung für unbedeutend und erhub mich vom Boden. Auch die Frauen stunden auf, und nachdem sie ein nasses Tuch zu meiner Kühlung gereicht hatten, war unsere erste Überlegung, wie wir uns vor Überraschung sichern könnten. Die Kammerfrau gab den Rat, ihre Herrin solle mit Harfen fortfahren. Das sei der Wärterin, deren Schlafgemach hinter der einen Wand gelegen, und auch der Burgwache im Hofe unverdächtig. Zur Musik möge ich meine Geschichte erzählen.

Gesagt, getan. Und nun lauschten voll inniger Teilnahme die beiden Frauen meinem Berichte. Als ich auf den Dominikaner und den Prager Herrn zu sprechen kam, in dessen Schloß ich verhaftet worden, sagte das Fräulein bitter: »Mein sauberer Oheim, der Graf Slawata! Und sein tückischer Helfershelfer Pater Aloisius – auch uns gegenüber ein rechter Teufel und Folterknecht. Mein Oheim will seine Nichte um ihre Habe bringen, nachdem er dazu beigetragen, daß mein teurer Vater unter Henkers Schwerte verbluten gemußt. Zum Klosterfräulein wollen sie mich machen, und weil ich mich widersetze, ist diese Gefangenschaft über mich verhängt.«

Ich starrte die Jungfer an: »Unter Henkers Schwerte ist Euer Vater verblutet?« – Nach einem tiefen Seufzer kam die Antwort: »Mein Vater gehörte zu jenen böheimischen Empörern, so für die Glaubensfreiheit kämpften, jedoch am Weißen Berge geschlagen und zum Teil dem Scharfrichter überliefert wurden.«

Ergriffen neigte ich mich und hauchte einen Kuß auf der Jungfer Hand. »Spielet weiter auf der Harfe!« mahnte Marianka. Doch die Gräfin versetzte trüb: »Ich kann es nicht mehr, nachdem die schreckliche Erinnerung an meines Vaters Tod heraufbeschworen ist. So wird es denn am besten sein, wir löschen das Licht und fahren mit leiser Stimme in unserm Gespräche fort. Stelle dem Jüngling Wein hin. Er mag neben meinem Bette im Sessel Platz nehmen, derweilen ich mich hinstrecke.«

Nun lauschte ich im Dunkeln dem Raunen der holden Jungfer. Es war eine Nacht voll wundersamer Gefühle. Zu unserer Furcht vor Entdeckung gesellete sich das Gaukelspiel der Hoffnung, zu den Seufzern, die unsere traurigen Berichte erpreßten, das heimliche Glück einer schnell geknüpften Freundschaft.

»Mein teurer Vater« – sagte die Gräfin. »Ich sehe ihn noch, wie sein gebräunt Antlitz strahlete und keck sein Auge blitzete zur Zeit, da uns das Glück noch lächelte. Was dann der Gram aus ihm machte, mag ein Bildnis zeigen, das der Verurteilte mir überbringen ließ. Gleichwohl war sein letzter Gang aufrecht, daß er der Sieger schien, während seine Gegner scheu zur Seite blickten. Ich war damals noch ein Kind; aber deutlich steht in meiner Erinnerung das grausige Schauspiel, das ich nebst meiner älteren Schwester Elisabeth und meiner treuen Marianka vom Fenster eines Hauses auf dem Altstädter Ring mit ansah. Kopf an Kopf wogte drunten die Menge, während Soldaten mit geladenen Musketen und vorgestreckten Picken das Blutgerüst umgaben. An den Fenstern des Rathauses zeigten sich der Altstädter Rat, die Königsrichter und andere Würdenträger in Prunkgewändern. Unten am Blutgerüst harrete eine Schar von Männern mit bleichen, finsteren Gesichtern, Ketten an Händen und Füßen, darunter mein Vater, schwarz gekleidet. Es waren die verurteilten Rebellen, denen das Haupt, zum Teil auch noch die Schwurhand abgeschlagen werden sollte. Ein Böllerschuß zeigte an, daß die Exekution beginne. Wie der Oberrichter den Stab zerbrochen hatte, traten unter Fanfarengetön drei rotgekleidete Scharfrichter auf das Blutgerüst, und einer entblößete sein breites Schwert. Mit Namen aufgerufen, kam mein Vater zuerst an die Reihe, und ihm wurden die Ketten abgenommen. Stark und hoch gewachsen wie er war, sprang er mit zween gewaltigen Schritten die Treppenstufen hinan, wechselte etliche Worte mit dem Scharfrichter und entblößete rasch den Nacken. Da trat neben ihn ein Jesuiter und hielt meinem Vater unter Beschwörung den Kruzifixum vors Angesicht. Einen Triumphschrei fand ich inmitten meiner Angst, wie auf einmal mein Vater den Jesuiter mit einem Tritt vom Blutgerüst in die johlende Menge warf. Gleich darauf riß mich Marianka vom Fenster zurück und umschlang mich weinend, während draußen ein dumpfer Schlag erscholl, worauf die Menge hohl wie stöhnender Wald murmelte. Ich durfte nicht mehr zum Fenster, und es weinten lange die Frauen, so um mich waren. Marianka reichte mir zum Trost meines Vaters Bildnis, in eine silberne Kapsel gemalt. Ich will es Ihm, Herr Johannes, weisen. Mach für ein Weilchen Licht, Marianka!«

Beim Kerzenschein nahm ich die dargereichte Kapsel und betrachtete das Bildnis. Graf Schlick hatte ein bärtig Antlitz, wachsbleich von der Gefangenschaft, umrahmt von braunen Locken, mit blauen Augen, deren trutzige Kühnheit und Hoheit kein Kummer bewältigt hatte, obwohl Spuren davon den Mund umzogen. Auffällig war die Art, wie die Hände auf der Brust lagen. Die Linke streckte Daumen und Zeigefinger rechtwinklig voneinander. Darunter lag die Rechte mit gleichfalls gespreiztem Daumen, der den Zeigefinger der andern Hand berührte. So war angedeutet der lateinische Buchstabe:

Die Jungfer erläuterte das Zeichen folgendermaßen: »Mein Vater, dem es während seiner Gefangenschaft bis zum letzten Stündlein verwehrt blieb, seinen Kindern von Angesicht zu Angesicht oder auch nur brieflich zu begegnen, hat uns eine Mahnung geben wollen, die er nur bildlich auszudrücken vermochte. Seinen Maler, der zu ihm ins Gefängnis gekommen war, wies er an, diese symbolische Geberde zu malen, vermutlich weil das Z als letzter Buchstabe ans Ende des Lebens und an die letzten Dinge erinnert.«

Ich stutzte, bedenkend, daß ja auch am Schmelzofen ein Z angebracht war, und zwar am hintern Teil des Behemot, während auf dem Maule ein A stund. Als ich der Jungfer davon Mitteilung machte, wechselte sie mit ihrer Kammerfrau einen Blick der Überraschung: »Das ist allerdings seltsam und bringt auf die Vermutung, daß der Buchstabe Z doch eine andere Bedeutung haben kann, als ich bisher annahm.«

Als nach diesem Gespräch das Licht wieder ausgelöscht worden, grübelten wir alle drei eine Weile über das Rätsel. Dann meinte ich: »Die gnädige Jungfer hat etwas gesagt, was mir noch unverständlich: daß nämlich das Z auf dem Schmelzofen von ihrem Vater herrühre. Wie denn? Hat er sich einmal hier aufgehalten?« – »Gewiß doch!« entgegnete das Fräulein. »Habe ich das noch nicht erwähnt? Die Burg, auf der wir uns befinden, ist meiner Familie Eigentum, gern hat mein Vater hier gehauset und hat das Laboratorium nach eigenem Plane angelegt, selber der Alchymie beflissen.«

Nach all den kummervollen Gesprächen schlug unsere Stimmung in jugendlichen Übermut um. Jungfer Thekla erhub sich vom Lager, nahm die Harfe und sang dazu ein Lied von der Prinzessin zu Nirgendheim, die eine Krone aus Mondschein trage und in ihrem Wiegenbettlein gleichwie in einer Karosse durch ihre bunten Lande schaukle. Der Rundreim hieß:

»Hasche dein Glück, wann es kommt geschaukelt,

Weil es sonsten vorübergaukelt.«

Diese holdselige Gräfin war mir die Prinzessin von Nirgendheim und war wohl auch mein Glück. Der Mond schien durchs vergitterte Fenster und versilberte der Jungfer Hände, die hurtig und zart über klingende Saiten glitten. Wie gern hätte ich sie erhascht und an mein Herz gedrückt, das sich stürmisch nach Zärtlichkeit sehnte und zum Zerspringen klopfte. Doch eine Hoheit war dem Fräulein eigen, die mich in Schüchternheit hielt. Um so reiner aber war mein Glück, um so zauberhafter mein Träumen. Zu sanftem Schall, zu Mondenschein und Schattenspiel, zu süßbangem Zittern, Schaukeln und Schweben ward alles, was mich umgab. Ich gedachte der letzten Nacht, die ich bei Waldhäuser verbracht, und wie an des Knäbleins Leiche mir das Geheimnis aufging: »Der wahre Alchymist sucht Herzensqualitäten zu adligen und in des Herzens Gold zu transmutieren.« Und in mir jubelte es: »Bist auf einmal ein echter Goldmacher worden, Johannes!«

Doch vorüber ging das selige Stündchen; ich mußte in mein Gefängnis zurück, und wir sorgten uns, weil der Strick im Schornstein sich nicht mehr erreichen ließ. Schließlich gelang es mir, den Feuerhaken in des Strickes Knotung zu bohren, und nun konnte ich mich emporziehen.

Auf dem Dache angelangt, raunte ich durch den Schlot ein Valet und rutschte auf dem Firste zum Schornstein meines Laboratorii. Beim Schein der Laterne, so noch immer im Schmelzofen brannte, kletterte ich hinunter und kam wohlbehalten in meinem Gemache an. Ich verbarg meine rußige Gewandung und wusch mir die Schwärze ab. Aufs Bett gestreckt, fand ich bis zum Morgengrauen keinen Schlaf, denn mein Kopf schmerzete, und die Abenteuer dieser Nacht gingen durch meinen Sinn.

Andern Tages untersuchte ich die Buchstaben auf dem Schmelzofen. Das A auf der Schnauze war mit schwarzer Farbe hingemalt. Ich kratzte daran, fand aber nichts Sonderbares. Wie ich dann den Buchstaben Z beklopfte, klang die Stelle hohl. Ich lockerte die Kacheln, bis eine herausging, und siehe, da war eine Höhlung. Einen Lederbeutel zog ich herfür, der war mit Goldstücken, über dreihundert an Zahl, angefüllt.

Wie ein Blitz kam mir nun die Einsicht, Graf Schlick habe durch seine Gebärde andeuten wollen, daß überall, wo sich auf seiner Burg das Z befinde, eine Barschaft verborgen sei. Dem Scharfsinn seiner Kinder mußte er es anheimgeben, die Deutung herauszufinden, da ihm ja verwehrt war, in anderer Weise als mit stummer Geberde zu seinen Erben zu sprechen.

Kaum konnte ich die Nacht erwarten, die mich wieder zur Jungfer Gräfin bringen sollte. Nachdem es mir gelungen war, meinen Strick zu verbessern, zog ich meinen rußigen Kittel über und verrichtete unschwer die Reise durch die Schornsteine zu den Gefährtinnen, die mich froh empfingen und Leckereien von ihrer Mahlzeit für mich aufbewahrt hatten.

Gleich nach dem Willkomm brachte ich fliegenden Odems meine Entdeckung vor und überreichte dem Fräulein den Beutel mit Golde. Marianka meinte jubelnd: »Dieser Schatz kann uns befreien!« Die Jungfer freilich bezweifelte, daß es gelingen werde, unsere Hüter zu bestechen. Nach etlichem Sinnen warf ich hin: »Vielleicht ist außerhalb der Burg jemand, der uns den Käfig auftut.« Marianka meinte: »Ja, einer, der auch mächtig genung ist, dem Grafen Slawata die Spitze zu bieten.«

»Ich wüßte nur einen,« sprach die Jungfer; »das wäre Herzog Wallenstein, der mächtigste Herr in Böheim. Aber mit unsern dreihundert Goldstücken können wir diesen Fürsten nicht anlocken.« Da ward der guten Marianka eine Erleuchtung: »Man könnte den Anschein erwecken, als wäre allhie ein viel größerer Schatz zu ergattern. Herr Johannes könnte ja so tun, als sei er wirklich ein Goldmacher. Würde er von den vorhandenen Münzen etliche einschmelzen und für selbstbereitetes Gold ausgeben, so ließe sich dem Wallenstein vielleicht der Mund wässrig machen, daß er Hunger bekäme nach den Reichtümern, die solch ein Goldmacher herfürzaubern kann.« Wir stutzten. Jungfer Thekla wandte ein: »Der Wallenstein hält nichts von Goldmacherei; wie ich von meinem Vater vernommen, hat er die Alchymisten für betrogene Betrüger erklärt. Sein Steckenpferd ist die Sterndeuterei. Doch ich habe vor drei Jahren von der alten Gräfin Wresowitz gehört, Wallensteins Faktotum, ein italienischer Sterndeuter, Seno mit Namen, halte zu den Alchymisten und sei goldgierig. Vielleicht könnten wir diesen Seno durch Vorspiegelungen wild machen und darauf bringen, daß er dem Grafen Slawata den Goldmacher entwendet und hiezu die Macht seines Herrn Wallenstein in Anspruch nimmt.«

Marianka griff sich an den Kopf: »Aber wie ließe sich ein Brief an Seno aus der Burg hinausbringen? Der einzige, der etwas nach außen senden darf, ist Herr Johannes, und an den Pater Aloisius geht jedes seiner Schreiben.«

Jungfer Thekla erhub sich hastig: »Mein Vater hat versucht, sich auf andere Weise mitzuteilen als durch die Schrift. Durch ein Symbolum wollte er zu seinen Kindern reden. Vielleicht können wir ihn nachahmen und ein Schreiben herausbringen, das dem Auge des Pfaffen unverfänglich erscheint, während Seno den geheimen Sinn herausfindet.«

Ich sprang auf und ging im Gemache umher: »Ich hab's, ich weiß ein Mittel. Bei meinen alchymistischen Experimenten hab ich eine Tinte erfunden, ist farblos wie Wasser, daß man zuerst nichts lieset. Doch wenn die Schrift drei Wochen alt, wird sie gelb und lesbar. Es wäre also ein Brief mit gewöhnlicher Tinte zu schreiben, der über Aloisius an Seno gelangen muß, eine Nachschrift aber mit meiner erfundenen Tinte, nur für Seno lesbar, beizufügen. Pater Aloisius müßte den Brief zur Beförderung recht schnell erhalten, solange die Geheimschrift noch unsichtbar.«

Mariankas Angesicht war sorgenvoll, und sie meinte zögernd: »Gesetzt aber, es käme so weit, daß Seno den Herrn Johannes von hier wegnimmt, was haben wir davon? Und was hat Herr Johannes davon? Wird nicht Seno den kostbaren Goldmacher aufs neue hinter Schloß und Riegel bringen?« Dieser Einwand war nun zwar berechtigt. Doch hofften wir, der Zufall, der ja in allen Geschicken eine Rolle spielt, werde uns irgendwie begünstigen. Schließlich überwand unser leichter Jugendsinn die Bedenken, so daß wir uns allbereits in Freiheit sahen und ausmalten, in welcher Weise unser Leben fürder verlaufen solle.

Thekla sprach davon, ihre Schwester aufzusuchen, die an einen hessischen Edelmann in schwedischen Diensten verheiratet sei. »Unser Johannes mag mich dann begleiten und desgleichen bei Schwedens Krone Dienste nehmen, da ich ihn außerhalb dieser Mauern ebensowenig entbehren möchte, wie jetzo.« Das war nun ein Trost zum Abschied, und in mein Gefängnis zurückgekehrt, zehrte ich von der empfangenen Süßigkeit.

Die Jungfer Gräfin hatte derart mein Herz eingenommen, daß ich ohne sie mich verzehrte in seufzender Ungeduld. In meinem Gefängnis kam mir dann die Frage, ob nicht eine Seele durch Sammlung und Aufmerken in solche Verbindung mit der geliebten Seele treten könne, daß des einen Gedanken auf den andern übergingen. Einmal als Marianka leicht erkrankt im Nebenzimmer lag und ich also mit Thekla allein war, tat ich das Geständnis, wie hart mich die Trennung von meinem angebeteten Sterne ankomme, und daß ich durch gesammeltes Denken ein geheimes Band der Sympathie knüpfen möchte. Da nun die Holde merken ließ, daß sie wegen solcher Keckheit mir nicht grolle, so wagte ich die Bitte: »Wolle mir mein Stern die Gnade erweisen, in jeder Nacht, wann die zehnte Stunde schlägt, des entfernten Johannes zu gedenken. Meine Seele hingegen soll genau zur selbigen Zeit entgegen wirken, und wenn wir so inniglich aneinander denken, mag es uns gelingen, durch den Raum hindurch Grüße zu tauschen und einer des andern Trost zu sein.« Sie sahe mich mit langem Blicke an, und daraus sprach so viel Vertrauen und Zuneigung, daß ich entzückt fortfuhr: »Welch ein kostbar Angedenken nehme ich für die Zeit der Trennung mit mir, so ich diesen Blick gleichsam wie ein blühend Kräutlein recht in mein Herze hineinpflanzen darf.«

Da ward mir die Wonne noch einmal, und zwar nach Herzenslust, den Zauber ihres Auges zu trinken. Und dieser Blick, eine stumme Verlobung zweier Seelen, ist mir also lebendig im Gedächtnis geblieben, daß es mir seitdem oft gelang, die süßen Vergißmeinnichtblüten wie körperlich vor mir zu haben. Vorausfühlend, welchen Schatz mir dieser Augenblick bescherte, neigte ich mich zu der edeln Jungfer Hand und küßte mit heißer Dankbarkeit die seinen Finger. Sie aber drückte die Finger an meine Lippen und raunete kaum vernehmlich: »Wag's, Knab!« Nun war ich versucht, die Arme um sie zu schlingen, doch Ehrfurcht hielt mich zurück, ich atmete tief. »Was soll ich wagen?« fragte ich schüchtern. Sie lächelte: »Ich sag's Ihm später einmal.« Und zu Marianka ging sie.

Der Winter nahte, und wenn ich übers Dach kletterte, war es mit Reise bedeckt. Als ich der Jungfer davon Mitteilung machte, geriet sie in Sorge und bat mich, beim Klettern übers Dach alle Fürsicht anzuwenden, daß ich ja nicht ausgleite. Besonders riet sie mir an, ein für allemal die beiden Schornsteine durch einen straffgespannten Strick zu verbinden. Schließlich bat sie inständig, ich solle – so leid es ihr tun werde – lieber auf Besuche verzichten, wann Schnee auf dem Dache liege.

Gleich andern Tages tobte ein Schneesturm, der alles mit dichten Flocken überschüttete. Eingedenk des Versprechens, das mir die Jungfer Gräfin abgenommen hatte, unterließ ich die Wanderung übers Dach. Zu meinem Bedauern hielt das Flockenwetter an. Hochverschneit lag das Dach, und wenn einmal ein Tag ohne Gestöber anbrach, brachte der Abend gleich wieder Schnee. Wochenlang mußte ich darauf verzichten, Thekla zu besuchen, und kämpfte mehr als einmal mit der Versuchung, ihr Gebot zu übertreten.

Während dieser einsamen Zeit hatte ich sämtliche Teile des Fluchtplans ausgearbeitet. Neu war dabei folgendes Rezept, Seno zu gewinnen. Ich wollte ihn einladen, sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, daß ich gemeines Metall transmutieren könne; wollte dabei eine Gaukelei anwenden. Zween Schmelztiegel von ganz gleichem Aussehen hatte ich nötig. Den Boden des einen wollte ich mit Golde begießen, jedoch so, daß es versteckt war durch eine dünne Eisenschicht. Der andere Tiegel sollte ohne Gold bleiben, und ihn sollte Seno vor begonnener Schmelzung besichtigen. Hinterher aber wollte ich ihn mit dem andern heimlich vertauschen. So gedachte ich, den Anschein zu erwecken, es habe sich ein Teil des Bleies zu Golde umgewandelt. Weil nun aber zu besorgen war, daß ich, von Seno weggeführt, gleichsam vom Regen in die Traufe kommen, nämlich bloß den Tyrannen wechseln werde, so galt es auch, dem neuen Gefängnis zu entrinnen. Zu diesem Zwecke wollte ich erklären, der Vorrat meiner Tinktur sei erschöpft, und um ihn zu erneuern, bedürfe ich der Mondblume, so im Schlesischen Gebirg in der Schneegrube wachse. Vielleicht, daß ich beim Kräutersuchen meinen Aufpassern entwischen konnte. Einmal draußen, hoffte ich, Mittel zu finden, auch die Jungfer Gräfin zu befreien.

Da ich zu meinen Arbeiten im Laboratorio vom Burgvogte alle Gerätschaften und Stoffe erhielt, die ich verlangte, so brachte ich es bald fertig, die beiden gleich aussehenden Schmelztiegel zu beschaffen und herzurichten. Zur Verbesserung meines Plans erfand ich ein Mittel, um Senos Aufmerksamkeit abzulenken, derweilen die beiden Tiegel zu vertauschen waren. Ich wollte im entscheidenden Augenblicke das glühende Schüreisen vor Senos Füße fallen lassen. Proben, die ich mit den Geräten und allen nötigen Hantierungen vornahm, gelangen aufs beste, und es galt nur noch, den Wortlaut der Briefe festzustellen. Ich machte mehrere Entwürfe und beschloß, gemeinsam mit den Frauen die Entscheidung zu treffen.

Endlich war das Dach schneefrei genung, eine Wanderung zu gestatten. Wie innig ich mit Thekla verbunden war, verriet mein Herz durch seinen Jubel. Marianka verhehlte nicht, wie sehnlich die Jungfer Gräfin nach mir verlangt habe, wie schon manche Nacht das Feuer im Kamin ausgegossen, und wie gehorcht worden sei, ob ich nicht endlich komme.

Groß war die Freude, als ich meinen Plan in allen seinen Teilen darlegte. Nach sorgfältiger Beratung gaben wir den Briefen folgenden Wortlaut:

»Der hochwürdige Pater wolle mir eine Bitte erfüllen. Ich habe endlich herausgebracht, wie die Mondblume aussiehet, deren ich zur Goldtinktur bedarf. Mein Oheim, Tobias Tilesius, im Isergebirge zu Schreiberhau unweit der Stadt Hirschberg wohnhaft, ist seines Zeichens ein Laborant. Wenn irgend einer die Mondblume beschaffen kann, so ist er es, zumal diese in den Klüften des höchsten Schneegebirges vorkommet. Wenn nun Hochwürden beiliegendes Briefel recht schnell an meinen Oheim befördern und ihm Belohnung in Aussicht stellen möchten, so würde Tobias Tilesius durch Euren Boten das mir erwünschte Kraut senden. Sollte aber mein Oheim die Mondblume nicht getrocknet vorrätig haben, so könnte er sie nach eingetretenem Frühling beschaffen. Mit aller Zuversicht stelle ich in Aussicht, Gold zu machen, wofern die Mondblume in meine Hand gelangt. Wolle dann der Herr so gewogen sein mir die Freiheit zu geben. Um sein zuverlässiger Diener zu bleiben, tut mir keine Gefangenschaft not. Seid zu Gnaden Eurem Diener: Johannes Tilesius.«

Der beizulegende Brief, soweit er mit schwarzer Tinte zu schreiben war, erhielt den Wortlaut: »Lieber Oheim, in Prag ergehet es mir immer noch gut, und ich bin mit großem Eifer der chymistischen Kunst beflissen. Darfst erwarten, daß mir auch fürder die Goldbereitung gelinge, nachdem ich endlich herausbekommen, welch Kraut zur Tinktur nötig; man heißet es die Mondblume, und so Du sie mir beschaffest, werde ich so viel Gold machen, als das Quantum meiner Tinktur gestattet. Die Mondblume, so benamset, weil ihre Blättlein rund wie Vollmond, wächset bei Schreiberhau in der Großen Schneegrube, wo sich eine Basalt-Ader durch den Granit ziehet. Kreucht unter Knieholz am Boden dahin, vergleichbar dem Bärlapp und trägt im Sommer rosenfarbene Glöcklein, würzig duftende. Lieber Oheim! Sollte die beschriebene Blume sich unter Deinen getrockneten Kräutern befinden, so sende mir den ganzen Vorrat. Der Überbringer dieses Briefes, ein Diener des Herrn Grafen Slawata, wird Dir guten Preis dafür zahlen. Falls Du aber die Mondblume noch nicht hast, so siehe zu, daß Du sie findest, sobald der Sommer auf die Berge steigt. Derohalben sollst Du diese Beschreibung der Mondblume aufbewahren und wiederholt lesen. Nun Gott befohlen, guter Oheim, und grüße die alte Beate. Dein Johannes.«

Der nächste Teil des Schreibens, so mit meiner erfundenen Tinte geschrieben werden sollte, erhielt diese Fassung: »Ach Oheim! Diese Nachschrift ist mit einer Tinte geschrieben, so in den ersten beiden Wochen blaß wie Wasser, erst später dunkel wird. Geheime Schrift hab ich erwählt, weil das, was ich Dir jetzo mitteile, nicht für die Augen derer ist, so den Brief an Dich gelangen lassen. Diese Menschen sind meine bösesten Feinde. Der Graf Slawata zu Prag und sein Helfershelfer, Pater Aloisius, ein Dominikaner, haben mich in die böheimische Burg Wasenstein eingesperrt, soll da Gold für sie machen. Das kann ich nun freilich, und Du sollst wissen, lieber Oheim, dieselbe Tinktur, so mir durch Zufalls Hilfe einmal in Prag gelungen ist und Blei zu Golde tingieret hat, verstehe ich jetzo beliebig zu bereiten. Die Mondblume ist bereits in meine Hände gelangt, wiewohl in so geringer Quantität, daß ich nur ein winzig Fläschlein Tinktur gewinnen konnte. Unter diesen Umständen erflehe ich von Dir zween Dienste. Erstens sende mir durch den Grafen Slawata ein reichlich Quantum der Mondblume, zum andern aber sollst Du mich befreien aus meiner Gefangenschaft. Wirst nun fragen: wie vermag ein schlichter Kräutermann eine gewappnete Burg zu öffnen? Wohlan, höre: Begib Dich unverzüglich nach Empfang dieses Schreibens zum Herrn Wallenstein, Herzog zu Friedland. Brauchst aber nicht den Herzog selber zu sprechen, da er sich vielleicht mit meiner Sache nicht befassen mag, wiewohl sie für ihn so wichtig wie ein Königreich. Frage nur nach Doktor Seno, einem italienischen Herrn, als Astrologus in herzoglichen Diensten. Dem sage alles, was Dir von mir bewußt. Magst ihm auch meinen ganzen Brief weisen. Beschwöre ihn, daß er mit seines Herzogs Beistand mich befreie. Ich verspreche ihm, dafür Gold zu bereiten, soviel er haben will. Wofern aber Herr Seno nicht gläubet, daß mir die Goldbereitung möglich, will ich sie vor seinen Augen vollbringen. Habe von meiner Tinktur einen Rest übrig, der Gold für zehn Dukaten im Beisein des Herrn tingieren wird. Im übrigen magst Du dem Herrn, der etwas auf prophetische Vorhersagen gibt, zu wissen tun, was mir die zigeunerische Wahrsagerin zu Hirschberg prophezeit hat: ich werde einen großen Schatz gewinnen und reich wie König Salomo werden. Item ist mir von einem Sterndeuter im Hause des Herrn Medikus Schmirsel eine Vorhersage gemacht. Nachdem dieser astrologische Adepte vernommen, ich sei am Johannistage des Jahres 1606 zu Magdeburg ans Licht gekommen, brachte er heraus, ich werde großen Reichtum zusammenbringen und eines Fürsten getreuer Diener werden. Da ich nun die Frage tat, wer wohl dieser Fürst sei, entgegnete der Sterndeuter: Kein andrer als der künftige Böhmerkönig! Aber nicht bloß zu meinen Gunsten sollst Du Herrn Seno bekehren; noch eines andern Menschenkindes Wohlfahrt liegt mir derart am Herzen, daß ich den Herrn in aller Inständigkeit um Hilfe bitte. Burg Wasenstein, mein Gefängnis, birgt auch eine schuldlose Jungfer, die Tochter jenes Grafen Schlick, so zu Prag wegen Rebellion enthauptet worden. Nicht genung, daß Fräulein Thekla von ihrem Oheim, dem Grafen Slawata, ihres väterlichen Erbes beraubt worden, ist sie gar seine Gefangene, ohne Richterspruch. Ein Klosterfräulein möchte der Slawata aus seiner Nichte machen und, maßen sie sich weigert, den Schleier zu nehmen, sie hinter Schloß und Riegel kirren. Die arme Jungfer verbindet ihr Flehen mit dem meinigen, Herr Seno möge doch Seiner Hoheit, dem Herzog zu Friedland, das Herz zu Gnaden wenden, daß Fräulein Thekla nebst ihrer Kammerfrau zur Freiheit gelange. Um Herrn Seno in Stand zu setzen, seinem Herzog dies alles darzustellen, magst Du meinen Brief, nachdem Du Copiam genommen, in seiner Hand lassen. Nun federe Dich, lieber Oheim, und tue alles genau nach meinem Plane. Lege Herrn Seno meine Ehrfurcht zu Füßen und sei ein zweiter Vater Deinem armen Johannes.«

Diese Briefe wurden von mir geschrieben und in einer Hülle durch einen Courier dem Pater Aloisio übersandt. Kaum war der Courier fort, so zeigte mir Fortuna, wie wenig ihrem Lächeln zu trauen, und wie ihre Gunst an einem Spinnenfaden hängt, leicht zerreißbar. Es begab sich nämlich, daß beim Experimentieren mit Salpeter und anderen entzündlichen Stoffen das im Schmelztiegel befindliche Gemenge sich entzündete und unter dumpfem Knall den ganzen Schmelzofen zersprengete, so daß die Mündung in den Schornstein sichtbar ward. Vom Getöse herbeigerufen, kam der Vogt und besah den Schaden. Wiewohl ich bemüht war, sein Aufmerken vom Schornstein abzulenken, erkannte er doch, daß hier ein Ausweg aus meinem Gefängnisse sei, und ließ sogleich den Schmied holen, der vor die Höhlung des Schornsteins schwere Eisenstangen ins Gemäuer einfügen mußte. Hierauf erst ward mein Schmelzofen durch Mauern und Kitten wiederhergestellt.

Das war nun für mich ein harter Schlag, denn es schien mir kaum möglich, die Eisenstäbe zu beseitigen. Dabei mußte ich noch froh sein, daß ich alles Wichtige mit dem Fräulein verabredet hatte. Von Tag zu Tag wuchs meine Beklommenheit und Ungeduld.

So waren bereits die Frühlingsstürme verrauscht und milde Tage gekommen. Nach meiner Berechnung hätte Seno schon vor sechs Wochen eintreffen können. Pater Aloisius schwieg, und ich wußte nicht ein mal, ob mein Schreiben in seine Hand gelangt sei. Seit die ersten Stare im Burghofe gezwitschert hatten, war nun schon zweimal Vollmond gewesen, aber kein Zeichen der Außenwelt versprach mir Hilfe. Die Hoffnung auf Seno hatte ich bereits aufgegeben, und in tiefer Betrübnis grüßte ich den Tag, an welchem meine Gefangenschaft sich jährte. Um die Mittagszeit erscholl auf dem Hofe ein Lärmen und Hundekläffen, als ob eine Jagdgesellschaft einziehe. In der Tat sah ich durchs Fenster Grünröcke, über der Schulter das Waldhorn, eine Koppel Hunde und Reiter mit Feuerrohren. Froher Schrecken fuhr mir durch die Glieder, als Schritte sich meinem Gemache näherten und ein fremder Herr eintrat, gefolgt vom Vogte und von Soldaten.

Der Herr, von kleiner Gestalt, hatte ein fahles, durchfurchtes Angesicht, Haupthaar und Bart ergraut; er trug fürnehme Kleidung, wiewohl nicht nach Art der Kavaliere. Sein stechend schwarzes Auge ruhte forschend auf mir, und dieser Blick, der mein ganzes Wesen und Schicksal ausspähen wollte, verriet mir: Seno muß das sein!

Hierauf wandte sich der Herr zum Vogte: »Ich will mit diesem Goldmacher allein sein.« Der Vogt stutzte und tat den Einwand: »Wolle der gnädige Herr verzeihen. Habe von meinem Herrn, dem Grafen Slawata, strengsten Befehl, diesen alchymistischen Zauberer mit niemand verkehren zu lassen, und wenn ich ...« Mit gerunzelter Stirne schnitt Seno ihm die Rede ab: »Ich weiß wohl, daß der Graf Slawata Oberstkanzler von Böheim ist; aber einstweilen hat er auf Wasenstein noch nicht zu gebieten, während ich hier stehe im Namen seiner Altezza, des Herzogs zu Friedland. Wolle er das beachten, Vogt, widrigenfalls ich ihm durch meine Leute demonstrieren lasse, wer allhie gebeut.«

Der Vogt rollte die Augen und tat gar einen Griff nach seinem Degen, doch die zupackenden Soldaten machten ihn rasch gefügig. Und Seno befahl: »Haltet den Vogt in eurer Mitte und harret draußen vor der Tür. Ich habe mit dem Goldmacher ein Stündlein zu reden.«

Nach einem Blick ins offene Laboratorium meinte Seno: »Ist das Eure Werkstatt? Treten wir ein!« Wie ein Kundiger betrachtete er den Schmelzofen, trat zu den Gestellen, auf denen die Gefäße mit allerlei Stoffen geordnet stunden, und las etliche Aufschriften. Das Antlitz zu mir wendend, sprach er mit einem forschenden Blick: »Will Er sich nun wirklich unterstehen, vor meinen Augen Gold zu machen, dessen Er sich ja vermessen hat? Sein Oheim, der Kräutermann, ist mit dem Briefe zu mir gekommen. Ich bin der Doktor Seno, ein Berater seiner Altezza, des Herzogs zu Friedland. Will sehen, ob Er in seinem Briefe Possen getrieben hat, oder ob Er wirklich tingieren kann.«

Mein Herz pochte, ich atmete tief. Eine Verneigung tat ich und sprach mit erheuchelter Ruhe: »So der Herr befiehlt, bin ich auf der Stelle bereit. Wolle der Herr in diesem Sessel harren, bis ich Feuer gemacht habe.«

»Will Ihm doch lieber auf die Finger sehen«, erwiderte Seno spöttisch und blieb an meiner Seite, während ich mit der Schaufel die Feuerstätte säuberte, das Brennholz kunstgerecht schichtete, in Brand setzte und mit dem Blasebalg die Glut anfachte. Hierauf nahm ich den Feuerhaken, schürte und ließ ihn in der Glut stecken, während der hölzerne Griff aus dem Ofen ragte. Je näher der Augenblick kam, der über mein Schicksal entscheiden sollte, desto ungestümer jagte mir das Blut durch die Adern, aber auch desto gewaltiger nahm ich mich zusammen, um nichts zu verfehlen. Hiebei kam mir zustatten, daß die benötigten Geräte und Stoffe längst in Bereitschaft, und sämtliche Hantierungen mehrfach durchgeprobt waren.

Ich ergriff zunächst den Schmelztiegel, in dem nichts war, und machte Miene, ihn auf die Glut zu setzen. Mißtrauisch verfolgte Seno alle meine Bewegungen. Und was ich im Stillen erhofft, trat ein: »Halt,« sprach er, »erst laß Er mich den Schmelztiegel besichtigen!«

Ruhig reichte ich ihm den Tiegel, worauf er aus Fenster trat und das Gerät durch genaues Beäugeln, auch durch Beklopfen und Bekratzen untersuchte. Da nichts verdächtig war, kam er wieder zum Ofen und gab den Tiegel zurück: »Gut, fahr Er fort!«

Ich stellte den Tiegel auf die Anrichte neben der Ofentür, wo ich unter einem Tuche den andern, mit Gold ausgegossenen Schmelztiegel bereit hielt. Holte vom Gestell ein Fläschlein, das meine Wundertinktur fürstellte, und reichte es Seno: »Wolle der Herr mir ein wenig beistehen und eigenhändig die Tingierung ausführen.«

Seno hielt das Fläschlein aus Licht, zog den Pfropfen heraus und roch an der Flüssigkeit, die nichts war als ein wertloser Absud. Am Ofen vorbeischreitend, stieß ich mit dem Knie derart an den Feuerhaken, daß er heraussprang und zu Senos Füßen fiel, der vor dem glühenden Eisen hastig zurückwich und dabei das Fläschlein fallen ließ, daß es zerbrach.

Wohl hatte ich diesen Augenblick genutzt und rasch den in meiner Hand befindlichen Tiegel mit jenem andern vertauscht, den das Tuch verborgen hatte. Aber das Zerbrechen der Flasche brachte mich für eine Weile außer Fassung.

Mir ins Gesicht spähend, gläubete Seno, mein Schreck rühre davon her, daß die kostbare Tinktur vergeudet sei, und sprach achselzuckend: »Da werden wir wohl auf die Probe verzichten müssen; der Rest seiner Tinktur ist ja nun verschüttet.«

Diese Wendung der Dinge durfte ich keineswegs zulassen. Allerlei Gedanken wirbelten durch meinen Sinn, bis mir auf einmal eine Ausrede beifiel. Nahm mich zusammen und sprach: »Ei nicht doch, gnädiger Herr! In dem Fläschlein war ja nicht die Tinktur, sondern ein Kräuterabsud, der zwar gleichfalls zur Goldbereitung dienet, von dem ich aber noch einen Vorrat habe. Bloß deshalb fuhr ich zusammen, weil der glühende Haken den Herrn hätte verletzen können. Verzeihe der Herr meine Ungeschicklichkeit.«

Nach dieser Ausrede trat ich ruhig zum Gestell, nahm eine große Phiole mit Kräuterabsud und kehrte zu Seno zurück. Gab ihm hierauf jenen Schmelztiegel zu halten, der in versteckter Weise das Gold enthielt, legte Blei in diesen Tiegel und goß etliches aus der Phiole hinzu. Ein rascher Blick in Senos Antlitz überzeugte mich davon, daß ihm die Verwechslung der Tiegel entgangen war. Ich triumphierte heimlich, holte nun ein ander Fläschlein und hielt es entstöpselt vor Senos Nase: »Der Herr wird vermeinen, Baldrian zu riechen. Ist auch wirklich Baldrian darin. Indessen hab ich Absud der Mondblume beigemengt. Pater Aloysius hätte mein Laboratorium durchforschen können, und mir mußte daran gelegen sein, die Mondblumentinktur nicht in seine Hände geraten zu lassen. Da hab ich sie kurzer Hand zum Baldrian getan, der die Wirkung der Mondblume nicht stört. Gebe nun mein Herr Obacht, hier gieß ich meine Tinktur in den Tiegel und werde gleich das Blei zu Golde tingieren.«

Nachdem ich den Inhalt des Fläschleins hineingetan, nahm ich den Tiegel aus Senos Hand und setzte ihn auf die Glut, die ich mit dem Blasebalg anfachte.

Seno starrte in den Ofen und beobachtete, wie die Flüssigkeit verdampfte, und wie das im Tiegel befindliche Blei zu schmelzen begunnte. Sobald ich die Gewißheit hatte, auch das Gold sei geschmolzen, sagte ich feierlich: »Die Tingierung ist gelungen, und neben dem Blei, das übrig blieb, weil ich zu wenig Tinktur anwandte, haben wir ein klein Quantum Gold gewonnen. Beliebe der Herr, das flüssige Metall in diesen Eimer zu gießen.«

Seno ergriff den Schmelztiegel beim hölzernen Stiele, während ich den Eimer hinhielt, und zischend floß die glühende Massa ins Wasser. Eigenhändig fischte Seno das erstarrte Metall heraus und betrachtete es. Staunend sprach er: »Wahrhaftig, Gold ist dabei, das Experimentum ist gelungen. Werde derohalben seine Bitte erfüllen und Ihn mit mir nehmen. Und zwar soll Er gleich ins Schneegebirge gebracht werden, einen guten Vorrat von der Mondblume zu sammeln. Seine Altezza der Herzog zu Friedland will morgen auf der Höhe des Korkonosch einen Bären hetzen, und bei dieser Gelegenheit mag die Mondblume gesucht werden. Wir reiten noch heute abend gen Rochlitz.«

Außer mir vor Freude, fiel ich auf meine Knie und küßte Senos Hand, indem ich ihn meinen Befreier nannte. »Vollende nun der Herr sein gütig Werk und erlöse auch die junge Gräfin Schlick aus dieser Burg.« Kalt jedoch gab Seno zur Antwort: »Nichts davon! Sei Er zufrieden, daß Er selber hinausgelangt. Wegen der Tochter eines gerichteten Rebellen mag ich nicht Händel mit dem Grafen Slawata beginnen.« Wie flehentlich ich bat, Seno verharrete bei seiner Entscheidung und ließ mich barsch an. Es blieb mir nur der Trost: kommt Zeit, kommt Rat!

Nachdem ich auf Senos Geheiß Papier herbeigeholt hatte, hüllte er die Metallstücke sorgfältig hinein und steckte das Päcklein in seine Tasche. »Nehm Er jetzo«, so sprach er, »sämtliche Geräte und Stoffe, so zur Goldbereitung wertvoll, auch den Schmelztiegel, an sich und mach Er sich bereit, sofort die Burg zu verlassen.«

Während ich den Auftrag ausführte, rief Seno seine Leute herbei und sprach zum Vogt, den sie umgaben: »Diesen Chymisten nehm ich mit mir. Ihn hier festzuhalten, hat niemand ein Recht. So ihn aber Euer Herr zurückfordert, mag er sich an Seine Altezza wenden.« Der Vogt versuchte Widerrede: »Der Gefangene ist ein Zauberer und soll vor Gericht.« Kopfschüttelnd winkte Seno ab: »Macht nichts. Herr Graf Slawata weiß ja nun, wo das Gericht den Zauberer finden kann.« Zu mir gewendet, fügte er spöttisch hinzu: »Das Vöglein kommet halt aus Herrn Slawatas Käfig in den meinen.« Seno ging hinaus, und inmitten der Soldaten verließ ich mein Gefängnis. Wiewohl Senos Worte eine trübe Aussicht eröffneten, ließen sie die Vorwürfe verstummen, die ich mir selber heimlich machte, weil ich ja einen Betrug an Seno verübt. Jetzo durfte ich mir sagen: mit Feinden hast du zu tun, und im Kriege ist Täuschung erlaubt, zumal wenn sie einem Schuldlosen zur Freiheit verhilft. Da Seno den Befehl zum Abmarsch gab, bestieg alles die Rosse, auch mir war eins gesattelt. Aufatmend ritt ich inmitten der Soldaten durch das Burgtor über die Grabenbrücke, hinunter ins Waldtal.

Einen letzten Blick warf ich zurück. Da lag nun auf dem Berge die Veste, wo ich länger denn ein Jahr ein Gefangener gewesen. Stolz und wehrhaft ragete sie mit ihren Türmen, Mauern und Zinnen. Ich fand die Stelle, wo ich übers Dach geklettert war, und die beiden Schornsteine. Der heißgeliebten Gräfin galt mein Herzenspochen. O daß ich sie jetzo grüßen könnte mit der heimlichen Seelenmagie! Thekla! Frei bin ich – und alles will ich dransetzen, auch dich zu befreien – meine Braut!

Das sechste Abenteuer Wie die Jungfer zu mir sagte »Wag's Knab!«

Im warmen Sonnenschein, den ich als Gefangener entbehrt hatte, begrüßt von den rauschenden Tannen und Bergwässern, von Buchfink und Kuckuck, ritt ich mit stillem Jubel dahin, versucht, meinem Roß in die Flanken zu treten und dahinzufliegen wie ein Falk. Ich wollte ein Gespräch mit den Soldaten anknüpfen, ward aber abgewiesen. Wir kamen an einen schäumenden Fluß und verfolgten ihn aufwärts. Auf einer Bergmatte lagen Bauden, und ich vernahm wieder das traute Brüllen der Kühe. Dann ging es durch Wildnis, bis wir um Sonnenuntergang in ein Dorf kamen. Hinter den Hütten erhub sich das Gebirge, und der Wald vermochte die höchsten Gipfel nicht zu erreichen. Wir kamen wieder an den rauschenden Fluß, und nachdem wir eine Stunde seinem Lauf entgegengeritten waren, schoß von rechts ein Bach daher, den sie Mummel nannten. Zwischen Scheuern und Bauden stund allda ein herrschaftlich Haus, wir machten Halt und stiegen ab. Seno begab sich hinein, willkommen geheißen von einem Herrn. Während die Rosse durch Knechte in den Stall geführt wurden, ging auch ich mit den andern in das Haus, wo in einer großen Stube ein Tisch mit Speise und Trank bereitet war. Nach der Mahlzeit gingen zween Soldaten mit mir in ein Gemach, wo eine Streu war. Die Tür schloß der eine Soldat hinter sich ab, das Fenster war vergittert. Die Soldaten wiesen mir meine Lagerstatt an und plauderten mitsammen über die befürstehende Jagd. Ich vernahm, daß andern Morgens der Herzog von Friedland aus den Sieben Gründen zum Hohen Rad hinanreiten werde, wo eines Bären Spur gefunden sei, und daß Herr Seno mit uns auf dem Wege durchs Mummeltal zur Jagdgesellschaft stoßen wolle. Ein Soldat meinte mit mürrischem Blicke auf mich: »Es wäre fürwahr unterhaltsamer, der Bärenhatz beizuwohnen, als diesen Goldmacher bei seinem Kräutersuchen zu begleiten.« – »Begleite du nur, ich entspringe dir!« dachte ich lächelnd und sank in tiefen Schlaf.

Bei Morgengrauen ertönte das Jagdhorn und Rossegewieher, und sogleich waren wir auf den Beinen. Nach einem hastigen Imbiß ging's an dem rauschenden Mummelbach durch wilden Tann höher und höher. Wo das Wasser einen donnernden Absturz tut, hielten wir an und stiegen von den Rossen; sie sollten hier bleiben, da der fürdere Weg zu steil. Lange Wanderstäbe wurden Herrn Seno und den anderen hohen Herren gereicht, und nun stiegen wir den Felsenpfad hinan. Seno wandte sich zu mir: »Droben auf der Elbwiese werd ich mich zu Seiner Altezza begeben. Derweilen mag Er seiner Mondblume nachgehen, aber Soldaten werden Ihn überall hin begleiten, wo Er die Blume sucht. So Er sich unterstehet, wegzulaufen, wird Er niedergeknallt.«

Ein paar Stunden waren wir gestiegen, als die Tannen kurz und knorrig wurden. Dann kam eine blumige Matte und ganz oben eine weite sumpfige Ebene. Da gab es rostrotes Wasser und Binsen und verstreute Blöcke mit Moos bedeckt. Diese Moorwiese bildet den Quellengrund der Elbe. Zur rechten wie ein Höcker der kahle Korkonosch. Geradeaus ein steiler Absturz. Drunten die Sieben Gründe, hinein springt die rauschende Elbe. Dahinter wieder hohes Gebirge, gekrönt von der Schneekoppe. Links kahle, felsige Gipfel, der Reifträger, die Veilchensteine, das Hohe Rad.

Auf einmal schollen aus der Ferne Fanfaren, und Seno ließ einen Hornisten antworten. Vom Elbfall kam ein Trupp mit kläffenden Hunden dahergezogen. Unter den grünen Jagdgewändern leuchtete ein Scharlachmantel, und Seno sagte: »Seine Altezza!« Dann wandte er sich zu mir: »Er mag jetzo gehen, wie Er will.«

Ich und zween der Soldaten blieben zurück, während Seno mit den andern unter Horngetön seinem Herzog entgegenzog. Nachdem ich eine Weile gerastet und mich besonnen hatte, deutete ich nach dem Hohen Rade und sprach zu den Soldaten: »Dorthin muß ich, in die Schneegrube, allwo mein Kraut wächst.« Hierauf prüften die Soldaten ihre Schießrohre und verwarnten mich. Beruhigend winkte ich ab, und dann ging es über die Elbwiese. Von Block zu Block mußten wir hüpfen, um nicht in den Sumpf zu patschen. Endlich auf trocknem Felsenboden, sahen wir den Nebel wirbeln, so hier gern über den Gebirgskamm jagt. Noch einen Blick taten wir zurück; die Jagdgesellschaft hatte sich in mehrere Haufen geteilt, deren jeder unter Führung einer kläffenden Meute seine besondere Richtung verfolgte.

Gleich darauf stund ich auf dem hohen Felsen, der gen Morgen ins Schlesierland ausblickt. Mit wehmütigem Glücke sahe ich drunten die Hütten von Schreiberhau, Auen und Waldberge, weiter die Veste Kynast und Herrmannsdorf, auch etliche Dächer von Warmbrunn und ganz hinten Hirschberg mit seinen Türmen. Hold lächelte die Heimat, und mein Blick taumelte über das Waldgewoge, verwirrt vom Sonnengold und blauen Dufte der Ferne. Und es hüpfte mein Herz. Bevor diese Sonne sinket, bin ich frei, und schlafen tu ich in Oheims Häusel. Frei – oder tot! Ich hatte mir ausgedacht, die Soldaten in die Schneegrube zu führen, wo steile Wände, Schneefelder, unwegsame Blöcke und Knieholzgestrüpp das Gehen schwer machen, wofern der Wanderer nicht mit solchem Gelände vertraut ist. Hier wollt ich einen günstigen Augenblick nutzen und entspringen.

Unter meiner Führung begaben wir uns auf jenen schroffen Felsen, der ähnlich einer Burg zwischen der Kleinen und der Großen Schneegrube emporragt, und sahen in die Große Schneegrube zur Rechten, einen Felsenkessel, groß genung, ein ganzes Dorf zu fassen. War aber nur Wildnis innen. Der Rand des Kessels ging an manchen Stellen senkrecht, an andern war ein Abrutsch von Geröll. In Felsenspalten und an schattigen Hängen lag Schnee, draus rannen Wasseradern in den Grund. Im Kessel waren abgerissene Felsenblöcke nebeneinander gesäet, vom Wasser rundlich gespült. Aus ihren Spalten wuchs das Knieholz, ein kriechend Kieferngebüsch, hart wie Rippen großer Tiere. Das Liebliche an diesem Bilde war neben ein paar klaren Wasserbecken ein runder Teppich von Gras und bunten Blumen. Einen Felsenhübel klommen wir hinab und gelangten auf den blumigen Teppich, allwo wir rasteten. Heimlich sandte ich den Blick die steilen Hänge hinan, einen Ort zu küren, so für meinen Plan paßte.

Hatten wir bisher in der Schneegrube nur Windes Sausen, der Wässerlein Rinnen und das Zwitschern der Berglerche vernommen, so horchten wir jetzo auf das Jagdgetöse, das verworren und schwach von den Rändern des Kessels herniederscholl. Hörner bliesen, Hunde bellten, Treiber knallten mit Peitschen und jauchzten. Da sprach ein Soldat: »Es scheint, sie hetzen den Bären schon.« Zufrieden, abseits von den Jägern zu sein und so leichter entspringen zu können, erhub ich mich: »Ich muß nun den Hang hinan, mein Kraut zu suchen.« Am Ranfte eines Bächleins klomm ich zur Höhe, die immer schroffer ward. »Halt!« rief ein Soldat, »wir sind keine Ziegenböcke.« Finster gab ich zur Antwort: »Ich soll ein Kraut suchen, so nur droben gedeihet. Hindert ihr mich, so werde ich es Herrn Seno melden.« Da die Soldaten schwiegen, setzte ich mein Aufwärtsklimmen fort. Überschritt ein steil Schneegefild, das dem Fuße kaum Halt gab. Ein Soldat wäre abgerutscht, wenn er sich nicht an einem Zacken festgehalten hätte. Des Kletterns überdrüssig, fluchte er und setzte sich auf einen Felsen, der aus dem Schneefeld ragte. Das Gewehr über seinen Schoß gelegt, rief er dem Kameraden zu: »Mag der vermaledeite Goldmacher seinen Hals brechen! Er klettere, wie ihm beliebt. Nach oben kann er ja doch nicht entrinnen, weil die Felsenwände zu steil. Hier unten aber bewachen wir den Paß.« Das war dem andern Soldaten recht, und er postierte sich einen Steinwurf seitwärts zwischen Knieholz. Ich tat, als ob ich Kräuter suche.

Ein Wässerlein aber floß aus dem höchsten Schneefeld, und wie es gleich einem Schlänglein zwischen Felsen dahinschlüpfte, klang es silberhell, lachte und lockte wie eine ferne Schalmei. Und des Lebens Lust, zwischen den grünen Wäldern und den Schäflein der Himmelsaue hauchend, webend, schien mit diesem Stimmchen zu raunen: »Nun sei frei! Der Augenblick ist da!« Auch klang mir im Ohre meiner geliebten Jungfer Raunen: »Wag's Knab!« Schon tat ich spähende Blicke ringsum, schon spannten sich meine Glieder zum Sprunge, als auf einmal unter mir Hundekläffen erscholl. Und sieh, um den Hübel, den wir herabgestiegen waren, kam eine Koppel Hunde gehastet, von einem Pagen gehalten. Hinterdrein ein Jäger mit einem Spieß, ferner jener Rotmantel, und der war kein andrer, als Wallenstein, Herzog zu Friedland. Wie ich eben sein ansichtig geworden, strauchelt er und gleitet mit einem Beine derart in eine Felsenspalte, daß er es nicht herauszuziehen vermag. Dabei ist ihm das Jagdgewehr entfallen. Auf seinen Zuruf wendet sich der andre Jäger und sucht den Herzog aus dem Felsenspalt herauszuziehen.

In diesem Augenblicke erschallt über mir ein gellend Posaunen, und wie ich emporblicke, kommt ein schwarzbrauner Bär auf dem Hinterteil über das steile Schneefeld herabgerutscht, gerade auf den einen Soldaten los. Dieser will hastig ausweichen, strauchelt und stürzt mit dem Kopfe voran den Hang hinab. Der andere Soldat legt sein Gewehr auf den Bären an und feuert. Unverwundet gleitet Petz weiter, springt mit gewandten Sätzen über die Knieholzbüsche und ist nur noch wenige Schritte vom Herzog entfernt. Indessen lässet der Page die Hunde frei, und mit wütendem Geheul packen sie an. Zugleich stürmet der Jäger mit dem Spieß auf den Bären los, der sich auf die Hinterfüße setzt und mit den Tatzen um sich haut. Vom Spieße gestochen, brüllt er und streckt mit einer Ohrfeige den Jäger nieder.

Da beut sich mir nun die beste Gelegenheit zur Flucht: niemand kann ja schießen, und die Gefahr des Herzogs lenkt die Obacht von mir ab. So springe ich denn mit langen Sätzen den steilen Hang hinunter. Wie ich nun ganz nahe dem Untier bin, das aufsätzig mit den Tatzen nach den Hunden haut und, mein ansichtig, mit der glühenden Wut seiner roten Augen mich versengen möchte, da zuckt auf einmal in meiner Brust ein wilder Grimm, und mir ist, als müsse ich meine Kraft nur daran wenden, die Bestie unschädlich zu machen. Auch höre ich den Pagen um Hilfe schreien, dann ins Jagdhorn stoßen, den Herzog aber mir zurufen: »Her zu mir! Nimm mein Gewehr!« Und ich springe hin, hebe das Gewehr vom Boden und lege auf den Bären an. Eben hat er sich von den blutenden Hunden freigemacht, stürzt heran und richtet sich dicht vor mir auf den Hinterfüßen empor, zu seiner ungeheuerlichen Größe, reißt den geifernden Rachen auf und starrt mich mit glasigen Augen an. Schon holt die Tatze aus, da hab ich ihn gut aufs Korn genommen, genau in der Richtung des Herzens, und brenne los.

Dem Krachen folgt ein dumpfes Stöhnen, das Untier stürzt vornüber, wälzt sich mir zu Füßen, mit den Tatzen um sich schlagend, und verröchelt, indes ihm Blut aus dem Maule schießt, und die Hunde, heulend vor Wut, sich in sein Fell verbeißen. Noch einmal bin ich in Versuchung, mich zur Flucht zu wenden. Aber der Herzog Wallenstein ruft mir zu: »Braver Schütze! Her zu mir! Helf Er mir!« Da trete ich zu ihm. Nun kommt auch der Page gelaufen, und wir wälzen den Stein weg, der des Herzogs Bein festgeklemmt hat. Wallenstein erhebt sich und streckt das Bein, um es gelenkig zu machen; dann schaut er nach dem andern Jäger, den des Bären Tatze traf, und spricht zum Pagen: »Flugs dem Grafen Max beigestanden!« Indem ist der Verwundete schon selber zu sich gekommen, richtet sich auf, wischt sich das Blut von der Wange und nimmt seinen Filzhut ab, der glücklich den Tatzenhieb gedämpft hat.

Was nun meine beiden Wächter betrifft, so richtet sich der abgestürzte ebenfalls auf. Der andere, so den vergeblichen Schuß auf den Bären getan, kommt atemlos herbeigerannt; wie von Sinnen reißt er des Herzogs Gewehr aus meiner Hand und packt mich am Kragen. Wallenstein herrscht ihn an: »Mordsblitz! Was hat's denn? Was packest du den Mann?« »Der Goldmacher ist das« – stammelt der Soldat – »ihn sollen wir bewachen.« Verächtlich lacht der Herzog: »Ha ha, der Goldmacher! Senos Mann! Und den solltest du mit deinem Kameraden bewachen? Ihr seid mir ein paar Wächter! Bequem hätte euch der Goldmacher durch die Lappen gehen können.« Hierauf wendet Wallenstein den starren Blick seiner düsteren Augen auf mich: »Und warum ist Er nicht durch die Lappen gegangen – he?« – Wie ich dem gewaltigen Manne ins Auge sehe, kommt mir der Gedanke: »Der hält dein Geschick in Händen, und jetzo gilt's, eine günstige Entscheidung herbeizuführen!«

Es war das einzige Mal, daß ich diesem Helden der Geschichte von Angesicht zu Angesicht genüber gestanden bin. Der Mordstahl hat ihn hinweggerafft, doch lebendig herrscht er noch in meinem Herzen. Majestätisch seine hagere Gestalt. Wie einen König kleidete ihn der scharlachene Mantel, so über das silbern betreßte Jagdhabit niederwallte. Das Angesicht schmal, die Stirne hoch, das Haupthaar schwarz und straff, der Knebelbart ergraut. Die gelbliche Haut verriet mürrischen Sinn, das feine Geäst der Runzeln ein rastlos Grübeln, allezeit wache Gedanken. Unter buschigen Brauen sprang die Nase wie ein Adlerschnabel herfür, jedoch nicht spitz, sondern abgestumpft. Die Augen hatten schwarze Sterne, und der bannende Blick verkündete den unbeugsamen Herrscher. Es wandelte mich jedoch keine Furcht an, da ich auch seine gedankenvolle Ruhe und adlige Großmut spürte.

Fand dahero meinen Freimut, zog den Hut, neigte mich und begegnete aufrecht dem Blicke des Herzogs. »Altezza fragen, warum ich nicht durch die Lappen gegangen bin? Ei, es war doch besser, den Bären zu erlegen!« Der Herzog spähete mich noch immer an. Dann huschte Heiterkeit über sein Antlitz: »Besser? Nun freilich, für mich war's schon besser, sonsten hätte die Bestie mir den Garaus machen können. Auch für den Grafen Max! Ob es aber für einen Gefangenen besser ist, seine Flucht zu versäumen, ist noch die Frage.«

Mit Bestimmtheit erwiderte ich: »Auch für mich war es besser, denn durch Euer Altezza Gnade werde ich eher frei als durch Ausreißen.« Der Herzog zog die Augenbrauen hoch: »Er tut ja, als hab Er meine Gnade allbereits im Sack!«

Schon wollte ich niederknien und meine Bitte aussprechen, als sich der Herzog umwandte. Es kamen mehrere Jagdherren hinter dem Felsenhübel herfür. Auch Seno war dabei. Lebhaft trat er auf seinen Herzog zu und neigte sich: »Heil dem Schützen!« Kalt erwiderte der Herzog, auf mich weisend: »Der da ist der Schütz!« Seno stutzte: »Das ist ja der Goldmacher –?«

Wallensteins Auge blickte träumerisch: »Es ist derselbe Mann, dessen Nativität ergeben hat, er werde dem künftigen König von Böheim einen Dienst leisten.« Zu mir gewandt, fuhr er fort: »Er ist doch jener Magdeburger, anno 1606 geboren am Tage Sankt Johannis?« – »So ist es, Altezza.«

»Und ein Pfaff wird aus Ihm werden,« fuhr der Herzog mit Bestimmtheit fort, »in den Sternen stehet geschrieben, daß Er's zum Hohenpriester bringet. Er sollte machen, daß Er in ein Kloster kommt. Bedenk ich freilich, welch einen Schuß Er getan, so mein ich, auch zum Kriegsmann hab Er das Zeug. Werd Er beides: ein Kriegsmann und ein Pfaff – nach der Mode des französischen Kardinals, haha!«

Seno hub die Hand: »Verzeihen Altezza, nach meiner Berechnung kommt es mit diesem Menschen anders. Nicht Hohepriesterschaft liegt ihm bei, sondern ein Goldschatz. Daß ihn die Sterne dazu berufen, dem künftigen Böhmerkönige einen Dienst zu leisten, ist allerdings wahr.«

»Hat ihn wohl allbereits geleistet!« raunte Wallenstein seinem vertrauten Sterndeuter zu; »nur weiß man nicht, ob ich der künftige König bin, oder obs mein lieber Erbe Max hier ist. Jedenfalls hat der Mann uns beiden die Bestie vom Leibe gehalten. Falls aber der Dienst, den er leisten soll, erst in Zukunft zu erwarten, so ist es klug für unsereinen, sich gut mit ihm zu stellen.«

Graf Max, der sich vom Hieb des Bären erholt hatte, war herangetreten, ein Tuch an seine Wunde haltend. »Ich zahle« – sprach er kleinlaut – »hundert Taler für seinen Schuß.«

Spöttisch meinte Wallenstein: »Wer Gold machen kann, braucht deine hundert Taler nicht. Hab ich nicht recht, Seno? Du willst ja dabei gewesen sein, wie er mit Erfolg tingieret hat – he?« – Ernsthaft nahm Seno aus seinem Gewande ein Papier und wickelte das Gold heraus, das wir im Laboratorio gegossen hatten. »Dies Gold hat er vor meinen Augen tingieret.«

Wallenstein betrachtete nur flüchtig das Metall und gab verächtlich zur Antwort: »Gaukelei! Alle Goldmacher sind Gaukler, und du, mein Seno, bist geprellt, so du dich von diesem Menschen zum besten haben lässest. Sollst mir endlich glauben, Seno: weise zwar bist du als Sterndeuter, doch deine Alchymie ist närrischer Wahn. Ich wette, dieser Mensch nasführet dich, und daß ich ihn frei lasse, ist das Beste für dich wie für uns alle.« – Warnend erhub Seno die Hand: »Will Euer Altezza die Henne fliegen lassen, so jeden Tag ein gülden Ei legen kann?«

Da warf mir Wallenstein einen gebieterischen Blick zu: »Gesteh Er, daß Seine Goldmacherei eitel Blendwerk. Die Wahrheit will ich hören, und damit Er nicht aus Angst zur Lüge greift, hat Er mein Wort, daß ich Ihn zur Stunde freilasse, Ihn auch behüten will, wofern mein Seno sich rächen möchte für seine Nasführung.«

Aufatmend spähte ich dem Herzog ins Auge, ob seiner Gnade zu trauen, dann ließ ich mich aufs Knie nieder: »Altezza sollen die Wahrheit vernehmen. Zuvor aber vergönnet mir eine Bitte. Wie die hundert Taler, die mir vom Herrn Grafen geboten wurden, so würde ich auch ein Geldgeschenk zurückweisen, falls Euer Altezza mich damit belohnen wollten. Dafür aber flehe ich untertänigst um eine andere Gabe ...«

Ungeduldig unterbrach mich Wallenstein: »Will Er Bedingungen stellen? Hab ich Ihm nicht befohlen, unverzüglich die Wahrheit zu gestehen? So Er zu bitten hat, mag's hinterher geschehn. Zuvörderst kommt mein Wille!«

»Zu Befehl, Altezza, und wollet verzeihen!« entgegnete ich, noch immer auf den Knien, »es ist, wie Ihr sagtet. Kein Goldmacher bin ich, sondern nur ein Gaukler. Doch bei Gott, nicht einer von jenen, so schnöden Gewinst suchen. Nach dem edlen Gut der Freiheit tracht ich, ein schuldlos Gefangener; und ferner noch einen zweiten Menschen, einen gänzlich unschuldigen, möcht ich befreien.«

Der Herzog unterbrach mich: »Einen zweiten Menschen? Und wer ist das?« – »Das ist die Tochter des Grafen Andreas Schlick, den man zu Prag enthauptet hat; die junge Gräfin Thekla ist es, eingekerkert in derselben Burg, die auch mein Gefängnis war. Manch nächtliche Stunde hab ich gemeinsam mit dem Fräulein durchgrübelt, uns beide frei zu machen, und rund herausgesagt: die Gabe, so ich von Euer Altezza erbitten möchte, ist der Jungfer Gräfin Befreiung.«

Belustigt blickte Wallenstein auf Seno, wandte sich dann wieder zu mir und meinte: »Ei warum flog Er ins Freie, wenn sein Gefängnis ein so weich Vogelnestlein? Als Goldmacher mit einer holden Gräfin hausen, ist doch kein übel Los. Mich wundert nur, daß der Slawata die beiden Vögelein zusammensperrte. Oder wie seid ihr beide zusammenkommen? Das alles soll Er jetzo beichten, dieweilen wir auf diesem Blütenteppich rasten wollen.«

Und der Herzog schritt nach dem Rasenplatze inmitten der Schneegrube und setzte sich auf einen Block. Die Jagdherren folgten und lagerten sich rings, während Pagen und Diener, darunter meine beiden Wächter, ehrerbietigen Abstand hielten.

Auf Wallensteins Wink trat ich vor und berichtete nun alles so ziemlich der Wahrheit getreu. Wie ich aufs Dach gekrochen und durch den Schornstein der Jungfer Gräfin vor die Füße gefallen sei, als sie gerade zur Harfe sang. Der Herzog nebst seiner Begleitung brach in Gelächter aus. Ich erzählte ferner von meiner erfundenen Tinte und dem geheimen Brief an den Oheim. Glaubte aber verschweigen zu sollen, daß ich einen Schatz des Grafen Schlick gefunden, und daß der Buchstabe Z ihn angedeutet habe. Sagte bloß, Jungfer Thekla habe mir Dukaten gegeben aus dem Erbe ihres Vaters, und ich habe dies Gold angewandt, um Seno vorzugaukeln, daß ich ein Adepte sei.« Wütend blitzte mich Seno an. Wallenstein aber lachte und ermunterte mich, frei zu reden. So schilderte ich denn, wie ich an Stelle des unverfänglichen Tiegels den andern mit dem verborgenen Golde gebracht hatte. Abermals erhub sich Gelächter. Seno machte ein mürrisch Gesicht. An seinem Verdruß weidete sich der Herzog und sprach übermütig: »Goldmachen ist gewiß eine wackere Kunst, doch mir ist nur ein einzig Rezept dafür bekannt, auf das man sich verlassen kann. Nimm Salpeter, Schwefel, Kohle und mache Schießpulver. Das kann zu Golde werden, so du es recht verwendest. Gelb Metall ist genung von unserm Herrgott geschaffen worden, wir Menschen brauchen dem Schöpfer nicht ins Handwerk zu pfuschen. Es stehet uns auch übel an, Kohlen zu blasen und im stinkigen Laboratorio unter Hüsteln und Spintisieren die Lebenszeit zu vertrödeln, genasführet von abergläubischen Idolen und wurmstichigen Scharteken. Ist es denn nicht würdiger, der Drommete und Trommel folgend, das Gold aufzuraffen, wie es Gott geschaffen hat? Zusammenzuscharren, wo er es über die Lande hin verstreute?« Noch einmal richtete Wallenstein sein Aug auf mich: »Diese wahrhaftige Goldmacherei sollte Er sich zu eigen machen, und ich will Ihm dabei helfen. Mag Er mir als Chymiste dienen, aber nur in meinen Salpetermühlen und Pulverwerken. Ich rate Ihm gut – zwingen mag ich Ihn nicht. Denn Er ist hinfüro frei und kann auf der Stelle gehen, wohin Er will. Auch seine Jungfer Gräfin will ich in Freiheit setzen.«

Außer mir vor Freude stürzte ich vor dem Herzog nieder und wollte seine Hand küssen, die er mir jedoch entzog.

Seno machte ein Bedenken geltend: »Das wird Slawata Euer Altezza verübeln.« Grimmen Hohnes gab Wallenstein zurück: »Um so besser! Diesen Oberstkanzler ärgere ich gern. Die böhmischen Rebellen taten nicht klug, daß sie ihn aus dem Fenster stürzten – hätten lieber capite rapite machen und ihn zu Stücken hauen sollen. Die Canaglia ist schuld, daß wir morgen nach Bayern aufbrechen, wo die Kurhüte sich zusammenrotten, mir das Generalat abzunehmen. Wohlan denn, wofern's die Sterne wollen! Mag der Kaiser probieren, ohne mich auszukommen. Mir ist es unerträglich, von jemand zu dependieren. Doch Ferdinandus dependiere von mir! Bald soll er mich von neuem rufen. Es wehet allbereits ein rauher Wind aus Mitternacht. Den nordischen Leuen hör ich brüllen. Cave leonem, Ferdinande!« Bei diesen Worten war Wallenstein heftig und schiefrig worden, indessen seine Begleiter in Spannung lauschten.

Mir gab das dankbare Herz eine treffliche Losung ein. Ich schwenkete meinen Hut und rief: »Vivat Altezza!« Da sprangen die Herren vom Rasen und umjubelten unter Hüteschwenken den Herzog: »Vivat Altezza! Evviva!« Auch in böheimischer Sprache erschollen Zurufe.

Stolz blickte Wallenstein in die Runde. Dann verabschiedete er mich mit einem Wink und sprach zu einem Offizier, der mit Seno in Wasenstein gewesen: »Unverzüglich soll Er nach Wasenstein zurück, die junge Gräfin Schlick zu befreien. Nehm Er aber mehr Leute mit und schau Er, daß Er mit gutem Vorwande in die Burg komme. Will unser Bärenschütz mitgehn, so stehet ihm das frei.«

Noch einmal beugte ich das Knie vor dem Herzog, neigte mich vor dem Grafen Max und den andern Herren und trat zum Offizier, der allsogleich den anwesenden Soldaten den Befehl zum Abrücken gab. Ich schloß mich an, und nun ging es den Weg zurück, den wir gekommen waren.

Im Dorfe drunten, am Mummelbach, wo die Pferde harreten, nahmen wir rasch ein Mittagsmahl und, nachdem der Offizier Verstärkung seiner Mannschaft requiriert hatte, schwangen wir uns in den Sattel und trabten gen Wasenstein. Die Sonne sank glutig hinter die Wälder, als wir vor dem Burgtor anlangten. Die Zugbrücke war hochgezogen, aus den Schießscharten lugten Musketen, und des Vogtes Stimme rief barsch: »Was ist euer Begehr?« – »Obacht!« gebot der Offizier; »laß Er augenblicklich die Musketen einziehen und die Zugbrücke fallen. Befehl des Herzogs von Friedland! Wer nicht gehorcht, soll büßen. Morgen reiset Seine Altezza unter starker Bedeckung nach Bayern und kommt hier nahe vorbei. Drum verständig, Herr Burgvogt! Öffne Er das Tor. Hier bringen wir auch den Goldmacher.« – Nach etlichem Schweigen kam des Vogtes Antwort: »So Ihr den Goldmacher wiederbringet, sollet Ihr willkommen sein.« Und nieder ging die Zugbrücke, das Tor ward aufgetan, wir ritten hinein.

Ich tat einen Jauchzer hinan zum Fenster der Jungfer Thekla. Ohne Verzug ordnete der Offizier ihre Freilassung an. Dem Vogte half kein Protestieren. Als aus ihres Gefängnisses Türe die Geliebte mir entgegen trat, frohes Hoffen im Auge, da stürzte ich wortlos zu ihren Füßen und konnte nichts tun, als ihre Hand immer nur küssen und glückselig aufschauen.

Wir zögerten nicht, uns in die Freiheit zu begeben, und nur geringe Habe ließ die Jungfer durch Marianka zu einem Bündel schnüren. Verstohlen tat sie Goldstücke in meine Hand und flüsterte: »Nun rasch ins Weite, belohn Er die Soldaten!« Allsogleich nahm ich den Offizier beiseite und bat ihn, fünf Dukaten anzunehmen. Wolle er uns mit seinen Leuten nach Tannwald geleiten, so werde sich die Jungfer Gräfin durch eine weitere Gabe erkenntlich zeigen. Das war der Offizier zufrieden, hatte auch nichts dawider, daß ich von den Soldaten für mich einen Karbiner, für Thekla ein Pistol kaufte. Sogleich bestiegen wir die Rosse. Thekla setzte sich hinter mich und schlang ihre Arme um meine Brust, während ein Soldat Marianka zu sich nahm. So ging es zur Burg hinaus in den Wald, auf den sich die Abenddämmerung senkte.

Ohne Säumen verfolgten wir unser Ziel, und in leiser Zwiesprach überlegte ich mit Jungfer Thekla, wie zu reisen für uns das Ratsamste. Tat den Vorschlag, in Tannwald die Soldaten zu beurlauben und uns daselbst drei Pferde zu beschaffen. Da nämlich zu erwarten, daß der Vogt uns nachsetzen werde, so galt es, unsere weitere Spur zu verbergen. Es durfte niemand erfahren, wohin von Tannwald unsere Reise ging. Die Jungfer Gräfin stimmte meinem Plane bei, änderte ihn jedoch in einem Punkte ab: »Marianka muß in Tannwald bleiben. Sie kann das Reiten nicht vertragen und ist bereits jetzt dem Hinfallen nahe. Ǖbrigens hat sie einen Bruder in Schwarzbrunn wohnen und wird froh sein, so wir ihr keine weitere Reise zumuten. Später einmal, wann ich eine ruhige Stätte gefunden, mag sie zu mir kommen.«

Nach dieser Verabredung taten wir. In Tannwald belohnten wir den Offizier und die Soldaten und ließen sie heim reiten, während wir von einem Gastwirte für gutes Geld zwei Pferde kauften, mit der Angabe, wir wollten über Gablonz nach Kursachsen reisen. Selbiges sagten wir auch Marianka und rieten ihr, im Gasthause zu übernachten, andern Tages aber ihren Bruder aufzusuchen. Da ihr die Jungfer Gräfin reichlich Geld gab, so war die gute Dienerin zufrieden, wiewohl sie unter Tränen und Schluchzen vom Fräulein Abschied nahm.

Nach einem kurzen Ritte in der Richtung von Gablonz bogen wir rechts in den Wald und fanden im Mondschein einen Pfad, der gen Weisbach führte, lenkten indessen gleich darauf wiederum ab, und zwar gen Morgen. Zween Bäche überschritten wir und kamen an den Kleinen Iser. Hier hatte mich vor drei Jahren das Waldvöglein gewarnet. Zur Linken lag der Wälsche Kamm. Wald dunkelte auf beiden Seiten. Wir waren zum Hinstürzen müde und schwiegen. Einmal hielt ich mein Pferd und des Fräuleins Pferd an; Hufschläge glaubte ich hinter uns gehört zu haben, es war aber nur der Widerhall unseres Trabes. Der Nachthauch raunete durch die Tannen, fernes Gewässer rauschte, manchmal schrie eine Eule, auch Wölfe hörten mir bellen.

Als der Tag graute, waren wir unweit der Abendburg, trabten ins Weißbachtal und langten beim Lodern der Morgenröte vor Preißlers Glashütte an. Unterwegs hatten wir verabredet, Frau Preislerin zu bitten, die Jungfer bei sich aufzunehmen. In Oheims Haus konnte sie nicht gut wohnen, weil er kein eigen Gemach für sie besaß, auch aus dem Grunde, weil jegliches Aufsehen in der Nachbarschaft vermieden werden mußte. Es traf sich gut, daß bei unserer Ankunft die Preislerin gerade allein vor ihrem Wohnhause war, das Gärtel begießend. Trotz des Bartes, der mir gewachsen war, erkannte sie mich wieder, wobei sie einer traurigen Rührung unterlag, im Angedenken an ihre selige Elfriede. Als ich mein Anliegen vorgetragen und für die Jungfer um Schutz gebeten hatte, war die gute Frau gern bereit und traf sofort Anstalten, ihren Gast zu beherbergen. Es sei ihr eine Herzensfreude, sagte sie, einer Landsmännin beizustehen, die gleich ihr des evangelischen Glaubens halber aus Böheim habe flüchten müssen, und sie wolle das Fräulein ansehen wie ihre eigene Tochter. Wir bedankten uns und machten miteinander aus, die Jungfer solle für eine Prager Verwandte der Familie Preisler ausgegeben werden, ich aber sogleich weiter reiten und vor den Nachbarn verschweigen, was sich mit mir und der Jungfer begeben hatte. Wir bedachten, daß der Graf Slawata vielleicht unsere Spur verfolgen lasse. Mein Pferd blieb, wie das der Jungfer Gräfin, bei Preislers, die einen Pferdestall besaßen.

Ohne daß mich bisher, außer der Preislerin und ihrem Sohne, jemand gesehen hatte, ging ich zu Fuß über den Hüttberg ins Tal des Böhmischen Furt und begrüßte mit stillem Jubel des Oheims Häusel. Der alten Beate, so ebenfalls die Blumen begoß, jauchzete ich unter Schwenken des Hutes zu. Sie hub die Hände hoch und eilte ins Laboratorium, aus dem sie gleich darauf nebst dem Oheim kam. Er eilte mir entgegen und drückte mich schluchzend an seine Brust. In der Balkenstube gab ich kurzen Bericht von meinem Schicksal und bat, den Nachbarn nichts davon zu sagen. Zum Umfallen matt, legte ich mich schlafen und erwachte erst bei sinkender Sonne. Als ich genauer die Begebenheiten erzählt hatte, war es mir lieb, zu vernehmen, daß meine Ankunft von den Nachbarn nicht bemerkt war, und daß keine Rede über den Gast bei Preislers ging. Absichtlich unterließ ich in den nächsten Tagen einen Besuch bei Preislers.

Wie ich schließlich hinging, wäre ich beinahe dem Unheil in die Fänge gelaufen. Bewaffnete Reiter kamen mir entgegen, und ich wußte sofort, es seien meine Verfolger, da ich unter ihnen den Vogt erkannte. Sprang also vom Wege ins Gebüsch und barg mich hinter Felsenblöcken. Ich war nicht bemerkt worden und hörte die Rosse vorüber trappen. Hierauf schlich ich auf versteckten Pfaden zur Glashütte. Beim Wohnhause traf ich die Preislerin, die ein erschreckt Gesicht machte und mich in die Stube zog. Drinnen war Thekla mit dem Schnüren eines Bündels beschäftigt. »Ihr beide müsset auf der Stelle fort,« sagte die Preislerin; »eure Feinde sind gekommen, und wiewohl ich sie auf eine falsche Fährte gelockt habe, können sie jede Stunde zurückkehren. Also begebet euch in einen Schlupfwinkel des Waldes, bis die Gefahr vorüber.« Und die Frau erzählte, wie soeben ein Trupp Dragoner vor ihrem Hause Halt gemacht und nach dem Häusel des Laboranten Tilesius, auch nach zween Reisenden aus Böheim gefragt habe, so vor fünf Tagen nach Schreiberhau gelangt seien. »Ich habe«, berichtete Frau Preisler, »in ruhigem Ton erwidert, ein Mann und eine Jungfer seien allerdings hier vorbeigekommen, einen Tag beim Laboranten Tilesius verweilet und gen Hirschberg weiter gereiset. Gleich nachdem die Soldaten fort waren, hab ich durch einen Knaben ein Briefel an den Kräutertobias gesandt, ihn von meiner Ausrede in Kenntnis zu setzen, damit er sie bestätige. Hoffentlich werden sich die Reiter täuschen und nach Hirschberg locken lassen. Aber wer weiß, vielleicht mißlingt meine List, und die Reiter kehren zurück. Drum machet, daß ihr fortkommet. Flüchtet in die Abendburggrotte, allwo ihr tagelang hausen könnet.« In dem Bündel, das Thekla geschnüret hatte, befand sich ein Vorrat von Brot und Fleisch, auch eine Flasche Wein. Ich holte mir einen Spieß, und Thekla waffnete sich mit dem Pistol, das sie den Soldaten abgekauft hatte. Unbemerkt ging ich zum Walde, bald darauf kam Thekla nach. Als wir das Dickicht hinter uns hatten, durften wir aufatmen, da fürs erste nichts zu befürchten war.

Während wir nun bergan stiegen, sagte ich der Jungfer, was Sehnsucht ich in diesen Tagen nach ihr empfunden habe, und daß ich sie schützen wolle bis zu meinem letzten Blutstropfen. Thekla blieb stehen, drückte innig meine Hand und schaute mir ins Auge mit einem dankbaren Blicke, der wie süßer Feuerwein durch meine Adern rann.

Ich wählte den Weg über den Weißen Flins, um nach einer Wasserlache zu sehen, die früher dort gewesen, und deren wir zum Trinken bedürfen konnten. Auf den Flinsblöcken, so gleich Schnee schimmerten, hielten wir Rast und schauten hinunter ins waldige Tal des dumpfrauschenden Queißflusses. »Ach hochgebornes Fräulein,« seufzte ich, »wollet mir eröffnen, ob Ihr anoch gesonnen seid, mich bei Euch zu behalten. Da wir mitsammen gefangen saßen, habet Ihr geäußert, ich solle Euch zu Eurer Schwester begleiten. Wie dünket Euch jetzo? Es ist wohl an der Zeit, daß wir beraten, wie es künftig mit uns beiden werden soll. Was mich bekümmert, will ich nicht hehlen: Das Fräulein ist eine Gräfin, Ihr Johannes aber niedrig geboren und arm.« Thekla schwieg. Da kam ein Rabe geflogen, setzete sich auf einen weißen Block und krächzete: Rah! rah! rah! Lächelnd sprach die Jungfer: »Hört Er's nicht, Johannes? Dieser Vogel ruft vernehmlich: Wag's Knab, wag's! Anderes weiß auch ich nicht zu raten.« Diese Worte erweckten in meiner Brust einen schäumenden Mut. Ich sprang auf, nahm den Spieß in die Faust und schleuderte ihn mit voller Kraft nach einer Tanne, daß er bebend im Stamme stecken blieb. »Recht so!« rief die Jungfer frohen Blickes an meiner Seite.

Wir gingen nun auf schmalem Bergesrücken über wirre Blöcke durch Tannendickicht zur Abendburg, die wir bei Sonnenuntergang erreichten. Ich fand den Ort so, wie er in meiner Erinnerung stund – nur daß zu meiner Knabenzeit der Felsen größer erschienen war. Ich wies der Jungfer Gräfin das Flinsgestein im schwarzen Granit, das Giacomini eine weiße Pforte genannt hatte, und sprach: »Hier ist die Stätte, wo ich vor zwölf Jahren jenen Schatz heben wollte, so mir zigeunerische Weissagung verheißen. Ein Schatz von Golde ist mir nicht worden – so mag es ein Schatz der Herzenskammer sein, und den kann mir keine andere Magie verschaffen, als des hochgeborenen Fräuleins Gnade.« – Thekla schüttelte freundlich das Haupt und erwiderte leuchtenden Auges: »Der Zauberspruch, diesen Schatz zu heben, lautet: Wag's Knab, wag's!« Da war es nicht mehr die Abendburg, was düster und hart vor mir ragte, sondern mein Schicksal, und ich ward inne, daß ein rechtes Sonntags- und Johanniskind den Felsen des Schicksals in ein gülden Schloß umzuwandeln weiß. Ernsthaft nickte ich der Jungfer zu.

Ich kletterte nun zur Grotte hinan und kroch in die Öffnung, die einem Menschen das Durchschlüpfen verstattete. Kaum war Thekla ebenfalls eingedrungen, so kam aus einem Felsenwinkel ein Knurren wie von einem Hunde. Den Spieß gezückt, starrte ich hin. Wie mein Auge der Dunkelheit gewöhnt war, sah ich funkelnde Augen und dunkle Körper. »Junge Wölfe sind es!« rief ich und wollte eben zustoßen. Aber Thekla hielt mir den Arm: »Wenn es bloß junge sind, so mögen sie am Leben bleiben.« – »Es sind Raubtiere.« – »Aber sie haben eine Mutter.« – »Die wird gleich kommen,« gab ich zu bedenken. – »Gerade deshalb,« erwiderte Thekla; »wenn sie ihre Kinder nicht findet, wird sie die Grotte grimm umlauern. Wir wollen lieber die Wölflein hinaussetzen.« Dieser Rat leuchtete mir ein, behutsam näherte ich mich dem Wolfsnest, packte eins der Tiere am Genick und setzete es zur Öffnung der Grotte hinaus. So verfuhr ich auch mit den übrigen. Schließlich kroch ich ebenfalls hinaus und trug die jungen Wölfe weiter weg.

Dürre Äste brach ich hierauf von den Tannen und schleppte etliche Arme voll in die Grotte, damit wir Feuer machen konnten. Nachdem ich die Öffnung durch eingezwängte Steine verschlossen und das Holz entzündet hatte, setzeten wir uns ums Feuer und öffneten das Bündel, uns durch Speise und Wein zu erquicken. Auf ihren Wunsch berichtete ich der Jungfer alles, was ich von der Abendburg wußte. Sowohl die Mären, die unter den Gebirglern umgingen, als auch die Schatzbeschwörung, der ich als Knabe beigewohnt hatte. »Ich will Ihm seine Erzählung durch eine andere vergelten,« sprach die Jungfer, »will berichten, was für Bewandtnis es mit dem von mir gedeuteten Ruf des Raben hat. Nach ihm benennet sich das ritterliche Geschlecht der Wachsknapp, dessen Begründer ein Freund meines Oheims gewesen. Dieser Mann war unedler Abkunft und ein einfacher Glasmacher namens Spiller. Wie er einmal eine Hucke mit Glaswaren durch den Wald trug, wollten ihn Wegelagerer berauben. In diesem Augenblicke schrie ein Rabe, und es deuchte unsern Spiller, er rufe ihm zu: ›Wag's Knab, wag's!‹ Gefaßten Sinnes bat er die Räuber, sich zu gedulden, bis er seine Hucke hingesetzt hätte, damit die Gläser nicht zerbrochen würden, alsdann würde er geben, was er zu geben imstande. Kaum hatte er die Hucke abgetan, so wischte er mit seinem Stocke dem einen Plünderer eins aus, daß der gleich hinstürzte. Der andere bekam einen Tritt in den Bauch und ließ sein Schwert fallen. Dies griff Spiller auf und stach beide Feinde tot. Nebst seinen Gläsern brachte er auch noch gute Beute heim, den Wegelagerern abgenommen. Dies Abenteuer, vor allem des Raben seltsamer Zuruf, weckte ihm kühnes Sinnen und Unternehmen. Durch seine Beute in den Stand gesetzt, soldatisch Rüstzeug zu kaufen, nahm er kaiserlichen Kriegsdienst, brachte es in Ungarn zum Offizier, ward Oberst eines Reiterregiments und der Gemahl eines gräflichen Fräuleins. Vom Kaiser in den Ritterstand erhoben, nannte er sich Spiller von Wachsknapp. Aus dieser Begebenheit mag mein Johannes ersehen, was aus Ihm noch werden kann, so Er, dem Spiller gleich, des Raben Zuruf beherziget. In diesen Kriegsläuften ist ja morgen oben, was heut unten war. Da Er mich nun befraget, was mit uns beiden werden soll, so proponiere ich: Begleit Er mich zu meiner Schwester; mein Schwäher Falkenberg, in König Gustavi Diensten, wird Ihn willkommen heißen. Vielleicht, daß mein Johannes ebenfalls in schwedische Dienste tritt und beherziget, was hinfüro seine Losung sei: Wag's Knab, wag's!«

Auf hartem Lager suchten wir den Schlaf, nachdem ich für Theklas Haupt eine Art Pfühl zurecht gemacht. Mich wollte keine Ruh begnaden, da ich fortwährend den düstern Felsen meines künftigen Geschickes ungeduldig beschwur. Nach kurzem Schlummer ward auch Thekla unrastig, weil draußen Wolfsgeheul anhub. Die Eltern der Tiere waren gekommen und witterten Menschen. Es klang, als heule eine ganze Meute von Hunden. Ich war versucht, Theklas Pistol auf die Tiere abzubrennen; doch Thekla meinte, ich werde in der Finsternis nichts ausrichten und solle lieber das Pulver sparen.

Seltsam war die Nacht, die wir verbrachten. Bald wechselten wir Worte miteinander, bald sank das Fräulein in Schlaf, bald nickte auch mein Haupt auf die Brust. Doch fuhr ich empor, weil die Tiere kläfften und winselten, griff nach des Fräuleins Hand und drückte sie zärtlich. Nun gaukelte die Phantasei das Schloß der Abendburg vor meine Sinne, die Fenster sah ich gleißen und drang durch die weiße Pforte ins Gewölbe, wo Gold wie Tannenzapfen hing. Dann war ich auf der Burg Wasenstein und hörte das wundersame Harfen. Immer von neuem aber fuhr ich empor, wann das Geheul wieder losging.

Doch der Morgen verscheuchte die Bestien, und als ich die Steine von der Öffnung tat, lachte im Sonnenscheine der Bergwald. Kaum hatten wir die Höhle verlassen, so scholl fern ein Ruf. Anfangs beunruhigt, vernahm ich, daß es der Oheim war, der meinen Namen rief. Ich antwortete, und der Oheim brachte den Bericht, die Luft sei rein, da unsere Verfolger sich hätten nach Hirschberg locken lassen.

Wiewohl die geliebte Jungfer Thekla zugesagt hatte, mich bei sich zu behalten, kam es nun doch zu einer zeitweiligen Trennung. Barbara Agnes, des Herrn Schaffgotsch Gemahlin, an die sich Thekla brieflich um Beistand gewandt, schrieb, sie möge zu ihr auf das Kemnitzer Schloß kommen, obzwar daselbst nicht für die Dauer ein Asylum zu erwarten sei. Dorthin wandte sich nun Thekla, von bewaffneten Dienern der Schaffgotschin geleitet. Es war Thekla insonderheit darum zu tun, ihre Schwester Elisabeth ausfindig zu machen. Ich blieb beim Oheim – unter stetem Sehnen nach der geliebten Jungfer.

Schon verfärbte sich das Birkenlaub, als ich folgenden Brief erhielt:

»Wiewohl noch weiter in die Ferne verzogen, hoffe ich doch, in wenigen Wochen meinen treuen Johannem wiederzusehen, wofern er nämlich noch gesonnen, mir zur Schwester Elisabeth zu folgen. Diese Zeilen schreibe ich aus Dresden, wo ich im Hause einer böhmischen Emigrantin Zuflucht gefunden habe. Bei der Schaffgottschin mochte ich nicht länger bleiben, da ihr Mann Gefahr lief, dem Grafen Dohna und anderen Herren, die ihn feindselig umlauern, Anlaß zur Beschwerde bei Hofe zu geben, indem er der Tochter des Rebellen Schlick Unterschlupf verstatte. Übrigens ist die Schaffgotschin krank und wird wohl sterben. In Mannskleidern bin ich mit dem Kemnitzer Schloßhauptmann nach Dresden gereist, wo ich unter dem Namen Junker Jaroslaus bei der Wittfraue des edeln Herrn Selnicki lebe und für ihres Bruders Sohn gelte. Gestern nun ist Nachricht von meiner Schwester aus den Niederlanden eingetroffen. Ihr Mann, Dietrich Falkenberg, des Schwedenkönigs Gustavi Hofmarschall, gehet auf Befehl seines Herrn nach Magdeburg, und Elisabeth will ihn begleiten. Das Erzstift Magdeburg, mit dem Kaiser völlig zerfallen, hat ein Schutz- und Trutzbündnis mit König Gustavo geschlossen. Er kommet den Evangelischen in Teutschland zu Hülfe und soll ein schlagfertig Volk zusammenhaben. Unsere gute Sache wird siegen. Zwar tritt der ligistische Tilly den Schweden und Magdeburgern entgegen. Die kaiserische Armada aber muß zerfallen, da ihre Seele, Wallenstein, ausgetrieben ist. Diesen bisherigen Generalissimum hat der katholische Fürstentag zu Regensburg dem Kaiser verleidet. Auf daß nun der Kaiser nicht in neue Angst gerate und etwa gar am Wallenstein festhalte, hat man ihm die Schwedengefahr als eine Winzigkeit hingestellt. Wie die Botschaft anlangte, Gustavus werde einfallen, war die jagdlustige Majestät im Begriff, wieder einmal Dianen zu huldigen, und ließ sich nicht davon abbringen, indem sie achselzuckend sprach: Haben wir halt ein Feindel mehr! – Oh du leichtsinniger Ferdinand, wirst das Feindel noch anders einschätzen lernen. Dem Helfer aus Mitternacht jubeln die Magdeburger zu. Mein Schwäher aber wird als oberster Kommandant Magdeburgs Verteidigung leiten. Da beut sich meinem Johanni Gelegenheit, seinem Vaterlande und dem evangelischen Glauben, zugleich auch Seiner Freundin gute Dienste zu leisten. Entscheide Er sich nun: Will Er mich nach Magdeburg bringen und ein Soldat Falkenbergs werden? Voller Hoffnung harre ich des Bescheides. Sollte Er ihn in eigener Person bringen, so wird Ihn froh willkommen heißen Seine Ihm gewogene Thekla.«

Mit Jubel erfüllte mich dies Schreiben, und ich eröffnete dem Oheim, daß ich unverzüglich nach Dresden und dann nach Magdeburg reisen wolle, meine Vaterstadt gen die Papisten zu verteidigen. Des Oheims trübselige Einrede und Beatens Zähren änderten nichts an meinem Entschlusse. Nachdem ich von Preislers Abschied genommen, holte ich aus ihrem Stalle das in Böhmen gekaufte Pferd. Vom Gelde, das mir die Jungfer Gräfin eingehändigt, ließ ich einen Teil beim Oheim, auch die drei gekreuzten Dukaten, so ich als Andenken an meine seligen Eltern bisher im Wamse getragen. Nebst meinem Tiere reisefertig, auch mit Waffen und Zehrung versehen, gab ich in der Morgenfrühe meinen Lieben Umarmung und Valet und ritt übers Isergebirge. Andern Tages gings durch die Lausitz, und schon am dritten Abende langete ich zu Dresden an, stellte mein Pferde in einem Gasthause ein und suchte klopfenden Herzens die Wohnung der Frau von Selnicki. In seltsamer Verwirrung begrüßte ich die Jungfer Gräfin, die in männlichem Gewande, mit kurzgeschnittenen Locken einem schönen Knaben ähnlich war. Da ich zärtlich ihre Hand küßte, lächelte sie: »Ich bin jetzo der Junker Jaroslaus.«

Unverzüglich wollten wir nach Magdeburg reisen, weil es von Tag zu Tag schwerer ward, in die von kaiserischen Völkern umschwärmte Stadt hineinzugelangen. Da Thekla alles zugerüstet hatte, so brachen wir gleich den nächsten Morgen auf, begleitet von den Segenswünschen der edeln Frau Selnicki. Wir kamen noch vor Abend bis Meißen und andern Tages nach einem zehnstündigen Ritte ins Brandenburgische.

Zu Wittenberg fanden wir einen schwedischen Feldwaibel mit dem Anwerben von Söldnern für Magdeburg beschäftigt. Obwohl der Kurfürst Fremden keine Musterung in seinem Lande verstattete, konnten die schwedischen Werber ihres Amtes walten, weil Bürger und Bauern die Magdeburgische Sache begünstigten. »Vom Kaiser und der Liga« – so sagten sie – »ist nur Schlimmes zu gewärtigen. König Gustavus hingegen rettet vielleicht den evangelischen Glauben und unsern Kurfürsten dazu, zumal er ihm verschwähert ist.«

Nachdem wir unsere Pferde in einer Herberge untergebracht hatten, begab ich mich zum Werber, der unter Trommelwirbel und Pfeifenklang den herbeigeströmten Gesellen das Laufgeld bot. Die bereits Angeworbenen hatten Tannenzweige auf die Hüte gesteckt und sprachen unter Johlen dem gespendeten Biere zu. Ich eröffnete dem Feldwaibel, auch ich wolle gern zur schwedischen Fahne, jedoch erst in Magdeburg, wohin ich meinen Herrn, einen böhmischen Junker, zu begleiten habe. »So kommet auf meinen Kahn,« sagte der Feldwaibel, »morgen früh fährt er abwärts mit meinen Rekruten. Nur auf der Wasserstraße gelanget man nach Magdeburg, ohne Gefahr zu laufen, von streifenden Parteien gefangen zu werden.«

Diese Mitteilung brachte mich in Verlegenheit. Ich mochte die Jungfer Gräfin nicht unter trunkene Soldaten bringen, aber auch nicht der Feindesgefahr aussetzen. Schließlich machte ich mit dem Werber aus, daß ich mit meinem Junker möglichst weit zu Pferde reisen und erst zu Beginn des Magdeburgischen Gebietes den Kahn besteigen werde. Zum Treffpunkt bestimmten wir das Städtchen Aken, wo der Kahn am übernächsten Tage eintreffen und einen zweiten Rekrutentrupp aufnehmen sollte.

Andern Tages ritt ich mit Thekla nach Aken, und nachdem wir daselbst übernachtet hatten, langte der Kahn mit den Soldaten an. Ich stellte dem schwedischen Feldwaibel meinen Junker Jaroslaus vor, und wir begaben uns nebst den neuen Rekruten auf den geräumigen Kahn. Da der Wind in die Segel griff und starke Strömung war, so hatten die Ruderer leichte Arbeit, hurtig flogen die Weidengebüsche, Wälder, Auen und Dörflein vorüber. Sonsten war unsere Reise nicht anmutig, dieweilen die Soldateska unaufhörlich Bier trank und johlte. Wiederholt mußte ich Kerle zurückdrängen, wenn sie meinem Junker zu nahe kamen oder Kameradschaft mit ihm trinken wollten. Hätte mich nicht der Feldwaibel in Schutz genommen, ich wäre in Streit mit den Söldnern geraten. Denk ich an diese Reise zurück, so klinget mir ein Lied vor den Ohren, das man auf dem Kahne wieder und wieder sang:

»Ein Schifflein sah ich fahren,

Kapitän und Leutenant.

Darinnen waren verladen

Zwei Fähnlein brave Soldaten.

Kapitän, Leutenant,

Fähnderich, Sergeant,

Nimm das Mädel, nimm das Mädel,

Nimm das Mädel bei der Hand –

Soldaten, Kameraden!«

Über dem linken Ufer sank rot die Sonne nieder, als in der Ferne der Dom von Magdeburg auftauchte, und dann kamen wir an Buckau und Sudenburg vorbei. Eine Zähre im Auge, begrüßte ich die vaterländischen Gefilde und nennete meinem lieben Junker die Dörfer und die Insel Rotehagen. Böllerschüsse donnerten uns zum Gruße vom südlichen Rondell entgegen, und nun lag die Stadt in ihrer Breite vor uns mit Wällen, Mauern und Verteidigungstürmen, mit wimmelnden Bürgerhäusern und ihren zwanzig Kirchen, die düster in den gelben Abendhimmel ragten. Unter der Brücke fuhren wir durch, die von den beiden Hunden flankiert wird, wie der Volksmund zwei Geschütze wegen ihres Bellens und Beißens nennet. Von der Brücke und noch mehr vom Fischerufer jubelten uns die Magdeburger zu, während auf unserm Kahne gesungen ward:

»O Magdeburg, halt feste,

Du wohlgebauet Haus!«

Da mit dem Schwedenkönig ausgemacht war, die Soldaten hätten außerhalb der Stadtmauer zu quartieren, so mußten wir an der Altstadt vorbei und legten erst in der Neustadt an.

Die Sehnsucht nach ihrer Schwester trieb Thekla, sich unverzüglich in die Altstadt zu begeben. Ich geleitete sie bis zur Hohen Pforte, wo ich nebst ihrem Ade einen innigen Dank empfing und dann zurückkehren mußte, dieweilen ich ja als schwedischer Rekrut keinen Einlaß erhielt.

In einem Bretterhause mit dem angeworbenen Volk kampierend, fand ich wenig Schlaf, da mich der Kameraden Lallen und Schnarchen störte, und ich mit Betrübnis von neuem inne ward, wie doch das Fräulein Gräfin gar so weit von mir getrennet war.

Allsogleich des andern Tages sind wir geworbenen Söldner im Angesicht der Neustädtischen Kirche versammelt worden und haben gemeiniglich zu ihrer schwedischen Majestät Fahne geschworen. Da hat uns der Oberste Falkenberg, ein fester teutscher Mann, vermahnt, hinfort wie zusammengeschmiedet Eisen stark und treu beieinander zu stahn und die evangelische Freiheit, insonderheit itzo die Magdeburgische Festung, unserm Schirm anvertrauet, allezeit aufrecht und mannlich zu verteidigen, wie es ehrliebenden Kriegsleuten gebühre. So es aber nicht anders sein könne, sei es preiswert, als redliche Mannschaft im Felde zu sterben für Gottes Ehre und unserer Nachfahren Libertät.

Hierauf so sind wir abgeteilet, und ich bin nebst anderen Rekruten dem Hauptmann Urstedt und seinem Feldwaibel Otten zum Drillen übergeben worden. Zuvörderst haben wir unsere Wehr und Waffen empfangen, als Sturmhaube und Harnisch, Picke, Schwert und Zubehör.

Wie unser Exercitium losgegangen, hat der Oberste Falkenberg vor meiner Kompagnie ausgerufen: »Rekrut Tielsch!« Ich antwortete laut und rannte hin. Wie ich salutierend vor dem Herrn stund, blickte sein blaues Auge durchdringend, aber freundlich: »Ich danke Ihm, Tielsch, daß Er kühn und klug meine Schwäherin aus ihrer Gefangenschaft befreit und wohlbehalten hergebracht hat. Jungfer Thekla ist Ihm eine Fürsprecherin; so Er nur zur Hälfte ihrer Lobsprüche würdig ist, wird aus Ihm ein tüchtiger Soldat und – wofern der Herrgott unser Leben erhält, ein Offizier.« – Solche Rede freute mich unbändig. Auf des Obersten Wink trat ich wieder in Reih und Glied. Hei, wie voller Valeur hab ich nun in meiner Kompagnie auf der Neustädtischen Schafweide Stechen, Hauen und Parieren, auch allerlei Finten geübt, ferner das feste Stillestehen, hurtige Laufen und Formieren nach den unterschiedlichen Befehlen und Hornsignalen. Schon die Woche darauf sind uns Musketen und Hakenbüchsen ausgehändigt worden, und nun hat das Zielen, Laden und Scheibenschießen angehoben. Nicht der kalte Wind Decembris, nicht herabgießender Regen und Schneegestöber hat uns verdrossen. Und so wir abends im Barackenquartier unser Kommisbrot mit Speck verzehreten, wohl gar einen Trunk Zerbster Bieres dazu, ließ unser Mut sich fröhlich im Gesange aus:

»Frisch auf ins weite Feld!

Zu Wasser und zu Lande

Bin ich Soldat ums Geld.

Weil alle Leute schlafen,

Soldaten müssen wachen,

Dazu sein sie bestellt!«

Ums Geld war ich nun freilich nicht Soldat. Doch wenn ich auch heimlich schmunzelte »Eia, mir steht nach edlerem Solde der Sinn«, so hielt ich doch in allen soldatischen Strapazen wacker mit den Kameraden. Die Wachen bekam ich fast sattsam zu kosten. Doch oft fühlte sich mein Mut zu ähnlicher Flamme angefacht, wie in der Nacht des dritten Advents, da ich auf der Zollschanze Posten stund. Mit den Füßen stampfend vertrieb ich mir den Frost. Die Lunte meiner Muskete glomm, und scharf lugete ich hinaus in die vom Sterngeflimmer bleich erhellte Ebene, ob nicht etwan ein Feind daher geschlichen komme. In der nahen Wachtbude intonierten die rauhen Kehlen meiner Kameraden:

»Zu Magdeburg, der werten,

Tummeln sich Völker viel,

Zu Fuß und auch zu Pferden

Treiben sie Waffenspiel.

Im Schilde überm Tore

Da steht ein Mägdelein,

Sein Händlein hat erkoren

Ein Rautenkränzelein.

Das Mägdlein spricht: Hie schauet

Die Burg der freien Magd!

Der Unschuld anvertrauet,

Vor Feinden unverzagt.

So einer auf der Freiten

Mein Kränzelein begehrt,

Der muß zuvörderst streiten

Gen manches Helden Schwert.

Mich halten wohlbeschirmet

Geschütz und Mauerstein.

Komm nur herangestürmet,

Du freches Freierlein!«

Hinter mir scholl es dumpf von den Türmen. Ich kannte sie alle von meiner Kindheit her, die erzenen Munde von Sankt Johannis, Sankt Katharinen, Sankt Jakobi, Sankt Ulrich, Sankt Sebastian, vom Liebfrauenkloster und endlich die dumpfe Glocke vom Dome. Jetzo dröhneten sie die Morgenstunde, kündend, daß mir die Ablösung nahe. Ich schaute zurück und sahe die dunkle Masse der Stadt, Dächer und Türme scharf abgehoben vom dämmernden Osten. Und da deuchte mich, droben zwischen den zween Domtürmen stehe die Magdeburgische Wappenjungfer mit dem erhobenen Kränzel; und niemand anders war's als meiner Thekla seine Gestalt. Sie lächelte mir zu in spöttischer Herausforderung, als wolle sie rufen wie einst auf der Abendburg: »Wag's Knab, wag's!« Und aber mals wallete heiß mein Geblüt, ich drückte die Faust auf mein pochend Herze, leise zu mir selber sprechend: »Harre, Johannes, harre! Wirst sie endlich doch erobern, die stolze Feine! Wohlan, das sei hinfüro all dein Ziel – dein Abendburgschatz, den du gewißlich heben wirst!«

Wie ich des andern Tages den Schlaf, so auf der Wacht versäumet war, etlichermaßen nachholete, ward ich aufgewecket von meinem Korporal, dieweil ein Bote für mich gekommen. Es war ein Page des Obersten Falkenberg. Er führete mich beiseite und tat in meine Hand ein Päcklein, auf dessen Siegel das gräflich Schlicksche Wappen gedrücket war, mir wohlbekannt von Theklas Ringe. Ich gab dem Pagen einen Botenlohn und hieß ihn beim Marketender harren, ob etwan eilige Antwort auf diese Post vonnöten.

Klopfenden Herzens öffnete ich das Päcklein. Es enthielt einen Beutel mit Dukaten nebst einem Briefel, also lautend:

»Mein getreuer Johannes wolle doch nit denken, daß ich sein vergessen, seit wir einander aus den Augen gekommen. Nehme Er meines Herzens Gruß und meines Dankes ein Zeichen. Soldaten bedürfen Geldes, sintemalen Kommisbrot trucken schmecket, und bekanntermaßen die Herren Offiziere nicht gern einen armen Schlucker avancieren lassen. Ei ja, die Welt fordert zu einem guten Gemälde auch einen güldenen Rahmen. Präsentier Er sich also den Herren Fürgesetzten, wie sie es gerne haben, mit etlichem Edelmetalle, auf daß Er, wie zum Exempel der heldenhafte Oberste Aldringen, eines Bürgers Sohn, mit Gottes Beistand an eine Stelle avanciere, wo Ihm freudig vor aller Welt die Hand reichen darf eine, so Ihm wohlaffectionieret.«

Dies Schreiben erregte mir viel Freude, aber auch einen Beigeschmack von Verdruß und Trutz. Schrieb ohne Verzug die Antwort, tat sie nebst den Dukaten zusammen und händigte das Packet versiegelt dem Pagen für die Jungfer Gräfin ein. Es lautete aber mein Briefel:

»In gebührender Reverenz hab ich empfangen, was mein hochgeehrt Fräulein mir geschrieben. Hab's für eine Gnade gehalten, daß Sie bemühet gewesen, mich mit einem Gruße und Beistande zu würdigen. Von Herzen danke ich Ihr die gute Affektion, so Sie gen mich heget, und bitte den Himmel, daß er Sie zu dem Schlusse führe, den mein adlig Fräulein in Aussicht stellet. Indessen verzeihe Sie ihrem Knechte, daß er die beigelegte Gabe, so ehrenvoll sie ist, wieder in Ihre Hand zurückgibt. Meine Dienste für das holdselige Fräulein haben mir einen Lohn eingebracht, vor dem alles Gold nur eitel Armutei bedeutet. Was aber mein Avancement anlangt, so möcht ich vor den Augen meiner Herrin einzig durch eigen Verdienst und Kraft zu Rang und Ehren kommen. Avancement durch Fräuleins Gunst gibt es für mich nur im Reiche des Herzens. Also ist einer gesonnen, so nimmer die Losung vergisset: Wag's Knab.« –

Um sich der Stadt besser zu versichern und sein Kriegsvolk allmählig daselbst einzunisten, setzete Falkenberg durch, daß etliche hundert Soldaten aus den Vorstädten nach Magdeburg hinein quartieren durften. Auch meine Kompagnie erhielt Befehl, sich marschfertig zu machen. Jedoch mußten wir, bevor die Hohe Pforte uns geöffnet ward, dem Burgemeister, Herrn Kühlwein, geloben, zu der Stadt Versicherung in aller Treue das Bündnis zu wahren und gute Disziplin zu halten.

Hierauf so zog ich ins alte gute Vaterland, das ich kindlichen Alters verlassen, aufs neue ein, diesmal ein mannhafter Verteidiger patriotischer Freiheit. Mit Freuden nahm ich die Gassen und Häuser, die Magdeburger Mundart und Sitte wahr; alles war noch ebenso wie vor zwanzig Jahren. Da stund immer noch das alte Rathaus und davor zwischen Krambuden und Marktkörben Kaiser Ottos steinern Bildnis. Hier, auf dem großen Platze, machte meine Kompagnie Halt und ward in die Bürgerquartiere verteilet.

Ich erhielt Befehl, mich nebst meinem Korporal zum Kaufherrn Schmidt zu begeben, der ein gut steinernes Haus neben der Ringapotheke besaß. Als wir zur Stelle kamen, stund vor der Apotheke eine gedoppelte Schildwache, woran zu erkennen, daß allhie der Oberste Falkenberg sein Losament habe. Wie eine Lerche jubelte mein Herz, als in einem oberen Fenster Jungfer Thekla sichtbar ward, und unsere Blicke einander trafen, wobei eine holde Glut ihr Antlitz übergoß. Da wußte ich, daß nicht der Zufall mich an diesen Ort geführet. Stumm, doch inniglich dankete ich dem Fräulein, die linke Hand auf mein Herze gedrückt.

Daß der Oberste Falkenberg mir wohlgesinnet, bewies er gleich in den ersten Tagen meines neuen Quartiers. Es war kurz vor Weihnachten, und der Abend dämmerte. Ich wollte eines dienstfreien Stündleins genießen und wandelte über den beschneiten Ring durch die Reihen der Buden, in denen allerlei Kram feil geboten ward. Die aus Fichtenreisern geflochtenen, bunt gezierten Weihnachtspyramiden betrachtete ich stillfrohen Sinnes, als wäre ich noch ein Knabe, und als gäbe es keine Waffen, keine Feinde.

Da vernahm ich hinter mir Sporenklirren, und als ich mich umwandte, stund da der Oberste Falkenberg. Allsogleich grüßete ich ihn soldatisch und harrte des Befehls. Er sahe mir scharf ins Auge und sprach: »Ist es wahr, daß Er ein flotter Reiter?«

Ich entgegnete: »Vor Jahren hab ich manch Roß des Herrn Schaffgotsch probieret. Seines Gestütes Verwalter war mir gewogen und sah es gern, wenn ich beim Zureiten half.«

»Und als Magdeburger Kind findet Er sich in der Umgegend der Stadt zurecht? Wie? Kennet Er den Weg nach Langenweddingen? Und trauet Er sich zu, allsogleich als Courier dorthin zu reiten, aber noch diese Nacht zurück zu sein?«

»Ja, Herr Oberster!«

»So bring Er diese Post eilends dem Kapitän Rote zu Langenweddingen und kehre sofort mit der Antwort heim. Doch seh Er sich für; die Pappenheimer streifen bereits bis Buckau. Wird Er von den Unsrigen angerufen, so nenne Er die Losung: Vivat Gustavus und füge hinzu: Courier vom Obersten. Wohlan, melde Er sich sofort der Hauptwache, wo man ihm ein Pferd geben wird, und Gott befohlen.« Falkenberg reichte mir den Brief, den ich in meinem Koller barg, worauf ich frohen Mutes den Herrn grüßte und zur Hauptwache eilte. Der wachthabende Offizier wies mir ein tüchtig Pferd an, auch Säbel und Pistol. Ich lud die Waffe, tat dem Pferde Zaum, Gurt und Sattel an, schwang mich hinauf und trabte los.

Als ich Sudenburg passiert hatte, ging's im Galopp voran. Die Nacht war eingebrochen; der von Sternen angeflimmerte Schnee verbreitete ein Dämmerlicht, darin die kahlen Hecken und Bäume zu beiden Seiten der Landstraße dunkle Wegweiser bildeten. Die Gegend war völlig einsam, nur hin und wieder verriet Hundegebell ein Gehöft in der Nähe.

Dicht vor Langenweddingen kam ein Reiter mir entgegengetrabt, den ich für einen Posten des Kapitäns Rote hielt. Zur Sicherheit aber spannte ich den Hahn meines Pistols, hielt mein Pferd an und zielte auf den Reiter. »Wer da? Losung!« rief er, und ich erwiderte: »Vivat Gustavus! Courier vom Obersten!«

Da schoß mir krachend ein Feuerstrahl entgegen, und mein Pferd brach unter mir zusammen. Ich kam jedoch auf die Beine zu stehen und brannte auf den Reiter ab, da er allbereits zum Hiebe ausholte. Er stürzte und lag am Boden. Ich haschte seines Pferdes Zügel und band es an einen Baum. Hierauf untersuchte ich den Gefallenen. Er war tot, durch die Brust geschossen! Ich fand bei ihm eine Brieftasche und einen gefüllten Beutel, nahm seine prächtigen Reiterstiefel, die mir paßten, auch seinen Federhut, schwang mich auf das erbeutete Roß und galoppierte weiter.

Aus Langenweddingen kam mir ein Trupp Reiter entgegen, und ihr Führer war Kapitän Rote. Ich folgte ihm in das Wirtshaus, wo er quartierte, übergab ihm die Post von Falkenberg und berichtete, was vorgefallen. Er ließ sich die Brieftasche zeigen und fand darin ein chiffriertes Schreiben. »Versäum Er nicht, gleich nach der Heimkehr dem Herrn Obersten dies Papier zu übergeben,« schärfte er mir ein. Dann schrieb er seine Antwort an Falkenberg, während ich mich an Warmbier labete.

Als ich gleich darauf wieder im Sattel saß, spürte ich, welch edeln Renner ich erbeutet. Fortuna war mir hold, so daß ich in kürzester Frist wieder nach Magdeburg gelangte. Fand den Obersten auf der Hauptwache, allwo er mit etlichen Hauptleuten Rates pflag. Als ich Meldung getan und die Papiere übergeben hatte, maß mich Herr Falkenberg heiter vom Haupt bis zu den Füßen und sprach: »Dieweilen Er seine Sache also gut ausgerichtet, mag Er bleiben, wozu Er unterwegs avanciert ist. Ein Dragoner soll er sein und gleich morgen in der Schwadron des Rittmeisters Pfeifer exerzieren.«

So war ich ein Reitersmann worden und auf der Staffel des Emporkommens eine Stufe höher gerücket. Denn ein Reitersmann übertraf nicht bloß an Solde den Fußknecht, sondern auch an Ansehen und hatte mehr Aussicht, Offizier zu werden. Als ich mich zu meinem Quartier begab, sahe ich ein Fenster der Falkenbergschen Wohnung erleuchtet, und mir kam der Gedanke, dort möchte vielleicht Thekla wachen. Dann wieder gestund ich mir, es werde wohl des Obersten Kammerdiener sein, so seines Herrn harre.

Ich pochte an die Tür meines Quartierhauses, durch dessen Schlüsselloch ich Licht bemerkte. Gleich darauf ward aufgetan, und die alte Schmidtin, eine Laterne in der Hand, begrüßte mich mit Freuden: »Gott sei gelobt, der Ihn von dem schlimmen Ritte wohlbehalten heimgeführt hat.«

»Dank Euch, Witwe Schmidtin! Aber woher wußtet Ihr denn von meinem Ritte?«

Flüsternd gab die Alte zur Antwort: »Ei, von der Jungfer Gräfin! Am späten Abend ist sie zu mir herübergehuscht und hat mir vertrauet, wie Ihn der Oberste zu gefährlichem Werke ausgesandt habe. Gebanget hat sich das Fräulein – hat gesagt, sie könne nicht schlafen und wolle über der Bibel wachen. Habe ihr versprechen gemußt, gleich nach seiner Heimkehr durch Händeklatschen anzuzeigen, daß alles gut gegangen.« Und sie ging hinaus und klatschte in die Hände. Gleich darauf klirrete oben das Fenster. Ich drückte der guten Alten die Hand und begab mich zur Ruhe.

Nach kurzem Schlafe ward ich von meinem Korporal geweckt und aufgefordert, seine Waffen zu putzen. Als ich dies Werk verrichtet und auch meine Kleidung gesäubert hatte, wobei ich dem Korporal mein nächtlich Abenteuer erzählete, wollte ich mich zum Exerzierplatze begeben.

Vor die Haustür tretend, gewahrte ich einen Trupp Kurrendejungen, der vor des Obersten Quartier Aufstellung nahm. Der Sitte gemäß sang die Kurrende zur Adventszeit vor den Häusern fromme Lieder und heischete Gaben. Um die Laterne des Kantors geschart, intoniereten die Knaben: »Allein Gott in der Höh sei Ehr!« Andächtiglich schaute ich gen Himmel, und die Sterne sprachen mit ihrem friedlichen Schimmer: »Wir waren dabei, haben geleuchtet, als seine Gnade dich beschirmte diese Nacht. Und Dank für seine Gnade!«

Da tat sich die Haustür des Falkenbergschen Quartiers auf, und zwo Mägde brachten eine dampfende Schüssel nebst Tassen und anderen Trinkgefäßen auf die Straße. Eine Mehlsuppe ward den jubelnden Knaben verabreicht. Derweilen sie sich erquickten, erschien droben am Fenster Jungfer Thekla. Triumphierend schwenkte ich den erbeuteten Federhut. Und es sang die Kurrende: »Vom Himmel hoch, da komm ich her.« Glückseligen Herzens begab ich mich nach dem Stadtmarsch zu den Dragonern.

Das Reiterwesen fiel mir gar nicht schwer. Im Sattel saß ich wie ein altgedienter Reiter. Brauchte nur noch Säbelschlagen und Schwadron-Exercitium zu üben. Alles ging mir so gut vonstatten, daß ich nach sechs Wochen ein Gefreiter war und allbereits Korporaldienste tun durfte. Gern verwendete mich der Oberste als Courier und Ordinanz.

Im Februario des Jahres 1631 bekam die Stadt, von den Pappenheimern inzwischen immer schärfer blockiert, auf einmal Luft. General Tilly war auf die Nachricht vom übeln Zustande seiner Kriegsvölker an der Warthe und Oder mit drei Regimentern dorthin geeilt und alsdann ins Mechelnburgische gezogen, wo er den klüglich ausweichenden Schwedenkönig endlich zu fassen gedachte. Um aber zur Entscheidungsschlacht möglichst gerüstet zu sein, hatte Tilly von den Magdeburgischen Belagerungstruppen weggezogen, was irgend abkömmlich erschien. Also ward die Stadt derart von Feinden entblößet, daß es aussah, als solle das Donnerwetter ziemlich unschädlich vorüberziehen.

Südlich war der Feind bis Barby zurückgewichen. Seine Stellung zu erkunden, ritten wir am rechten Elbufer stromauf bis zu einer bewaldeten Insel, die Kreuzhorst geheißen, wo sich Pappenheimer eingenistet hatten. Indessen die Vorbereitungen zum Überfall des Feindes getroffen wurden, zog ich nebst vier anderen Dragonern auf Kundschaft über die Stadt Barby hinaus, in der Richtung auf Calbe.

Die Feuerrohre schußfertig, scharf die vereinzelten Ufergebüsche durchspähend, trabten wir längs des Saaleflusses. Unter milden Sonnenstrahlen war das Eis geschmolzen, die letzten Schollen trieben den gelben Fluß hinab; schon zierten sich die Weidenruten mit Silberkätzchen, und aus dem winterlichen Rasen lugten güldene Huflattichsternlein. Auf einmal in der Ferne Pferdegewieher. Allsogleich hieß ich meine Kriegsgenossen absitzen und die Pferde im Gebüsch verborgen halten, während ich geduckt vorwärts in der Richtung des Schalles schlich. Bald nahm ich eines bewaffneten Reiters wahr, der mir entgegenkam. Ich barg mich hinter einer alten Eiche, die der Feind passieren mußte. Den Karbiner über die Schulter gehängt, kam er gerade auf meine Eiche losgetrottet. Schon wollte ich zum Schusse anlegen, als mir beifiel, der Knall möchte uns andere Feinde auf den Hals locken. Lauerte also mit gezogenem Säbel. Da nun der ahnungslose Pappenheimer dicht an mir vorbeiritt, tat ich einen Sprung und hieb seinem Pferde ins Hinterbein, daß es zusammenbrach und den Reiter in den Sand warf.

Ich wie ein Wolf über ihn her und packe seine Gurgel, während er mich bange anglotzt und mit gequetschter Stimme um Pardon bittet. Ich frage, ob er fortan der Stadt Magdeburg diene wolle, worauf er ja sagt. Hierauf binde ich seine Hände mit Weidenruten auf den Rücken und zücke den Säbel: »Nun sag Er die Wahrheit: kommen noch mehr Pappenheimer, und was haben sie vor? Gib genaue Auskunft, und wehe dir, so du leugest!«

»Ja doch, Herr Schweb,« antwortete der Gefangene – »alles will ich gestehen. Vorreiter bin ich für einen Kahn mit Proviant, so bald die Saale herabgeschwommen kommet.«

»Wie stark ist seine Mannschaft?«

»Ein Korporal und fünf Musketiere.«

»Und wohin soll der Kahn gebracht werden?«

»Gen Barby, allwo der Ratskeller zum Proviantspeicher dient.«

Inzwischen war von meinen Gefährten einer herbeigaloppiert, und ich rief ihm zu:

»Schnell die drei besten Schützen her! Zu Fuße! Der vierte bleibt mit den Pferden im Versteck.« Derweilen mein Befehl ausgeführet ward, gab mir der Kriegsteufel eine seiner Tücken ein, und ich herrschte den Gefangenen an: »Wir werden dich an deinem besten Halse aufhängen, so du nicht tust, was ich jetzo befehle. Lege dich hier in den Sand, und wenn der Kahn kommt, rufe ihn herbei, dein Pferd sei gestürzt, und du habest das Bein gebrochen.«

Vor Bestürzung bleich, versetzte der Gefangene: »Das wolle der Herr mir erlassen. Würde Er selber etwan fertig bringen, seine Kameraden in die Falle zu locken?«

Diese Frage machte mich verwirrt; da ich aber an mein Avancement dachte, und wie ich als Offizier auf Theklas Hand hoffen durfe, tat ich hochmütig und sprach: »Du Hund, wir sind im Kriege, da gilt des Stärkeren Gebot. Auch darfst du nicht vergessen, daß du jetzo schwedisch worden. Nun rede, wirst du das tun, was ich gebiete? Sonsten wahrlich soll der Wind unter deinen Füßen zusammenschlagen. Du mußt – mußt!«

Da sagte der Mann, er wolle es tun, und ich hieß ihn, allsogleich sich niederlegen. Währenddem waren meine Leute herbeigekommen, und wir verkrochen uns. Es währte nicht lange, so erscholl Ruderschlag, und der Kahn kam gefahren.

»Her zu mir!« rief nun der Gefangene. »Bin der Wenzel, mein Klepper ist gestürzet. O weh, o weh!« In ungeheuchelte Tränen brach er aus, und ich besorgte, er möchte alles verderben.

Doch im Kahne gebot eine Stimme: »Aus Land! Musketen hier lassen!« Richtig kam der Kahn, drei waffenlose Soldaten stiegen aus und wateten aus Ufer. Da krachte mein Schuß, und der Befehlshaber des Kahnes stürzte. Gleich darauf feuerte ein zweiter von denen, so mit mir im Uferrohre lauerten, und auch der Steuermann war getroffen. Nun sprangen wir auf und riefen den Soldaten, die hastig zum Kahne zurückstrebten, zu: »Ergebet euch! Wer ausreißt, wird niedergeknallt.« Da baten zwei um Pardon. Der dritte jedoch stürzte mit gezogenem Messer auf den Wenzel los und schrie: »Verräter!« – ward aber vor geschehener Rachetat von den Meinen niedergesäbelt. Wie er röchelnd dalag, drehte er das Angesicht zum Wenzel und stöhnte grimmen Blickes: »Judas!« – »Nicht doch!« antwortete Wenzel kläglich, richtete sich vom Boden auf und hub die Schwurfinger: »Man tät mich dazu zwingen.« Mit dem Haupt seitwärts gen mich deutend, fügte er hinzu: »Der da hat's getan!«

Und des Sterbenden Auge rollete vorwurfsvoll zu mir herüber. Da zuckte mein Herz, als ob ein Geier es in den Fängen hielte. Ratlos griff ich mir ans Haupt wie einer, der sich nicht zu verantworten weiß, und eine Stimme gleich der meines seligen Vaters sprach dumpf in mir: »Was hast du getan, Johannes? Gläubest du, also ins Paradeis einzugehen?« Vor Scham sank mir das Kinn auf die Brust, ich wandte mich zum Wenzel und wollte um Vergebung bitten.

Aber da schwatzete allsogleich der böse Geist in mir dazwischen: »Sei kein Narre – bist halt ein Krieger. Erobere die Braut! Heilig magst du später werden! Wag's Knab!«

Immerhin drängte es mich, am Wenzel etwas gut zu machen; schnitt also die Weidenruten durch, so seine Hände gefesselt hielten, und sprach: »Was krächzest du, ruppige Krähe? Mich willst du verklagen? Sei froh, daß du diesen Dienst leisten gedurft. Er hat dir zum Leben die Freiheit gerettet. Ich lasse dich frei; geh, wohin du magst.«

»Was tust du?« sprach ein Kamerad zu mir. »Nehmen wir ihn doch lieber mit! Er mag rudern helfen.« Da seufzete der Wenzel und zuckte die Achseln: »Meine Freiheit – die ist hin. Mir bleibet keine Wahl. Wie könnte ich jetzo zu den Meinen heimkehren? Muß schon bei euch bleiben.«

Inzwischen hatten meine anderen Kameraden sich des Kahnes bemächtigt und erhuben ein Jubelgeschrei, sintemalen unter dem Segeltuche Korn und geräuchert Fleisch die schwere Menge. Nun hatte ich meine Fassung wiedergewonnen, spürte sogar ein Frohlocken in der Brust. Meine Sorge war nur noch, wie sich dieser Sieg am besten ausnutzen lasse.

Und zum Lohn für meine Folgsamkeit gab mir die Kriegsfuria eine neue List ein. Durch Befragen erfuhr ich vom Wenzel, die Besatzung von Barby sei fünfzig Reiter stark, auf die drei Mauertore verteilet, den Befehl habe ein Kornet, und die heutige Losung laute » Maximilian«. Ich gebot nun meinen Kameraden, nebst dem Wenzel und den anderen Gefangenen, den Kahn gen Barby zu rudern, das inzwischen von den Unsern erobert sein werde.

Begab mich hierauf zu dem Posten bei den Pferden und befahl ihm, sie außer dem meinigen in einen bezeichneten Busch zwischen Schönebeck und Barby zu führen. Dann bekam mein Renner die Sporen, und ich jagte zu meiner Schwadron zurück. Kaum hatte ich dem Rittmeister den Vorfall berichtet, so ging er auch schon auf meinen Plan ein und ließ aufsitzen.

Zunächst umritten wir Barby, da wir für ein Pappenheimsches Detachement gelten wollten und also von Süden her kommen mußten. Die Dämmerung war allbereits hereingebrochen, als wir vor Barbys südlichem Tore anlangten.

Ich und der Rittmeister trabten der Schwadron voran. Wir hatten grüne Feldbinden umgetan, wie sie die Pappenheimer trugen. Als wir eines Flüßleins Brücke passieren wollten, wurden wir von einem Posten angerufen: »Gebt Losung!«

»Maximilian!« entgegnete der Rittmeister.

»Passieret«, sagte der Posten.

Da brachte der Rittmeister sein Pferd an ihn heran und fragte: »He, Kamerad! Habet Ihr zu Barby auch einen guten Trunk?« Gleich darauf sank der Posten lautlos vom Pferde, da ein hurtiger Hieb des Rittmeisters seinen Kopf getroffen hatte.

Ich erhielt nun den Befehl, am Mauertor Einlaß zu begehren. Ritt also hin und sagte dem Trupp Soldaten, die dort Wache hielten und ihre Karbiner auf mich anlegten, die Losung »Marximilian.« Man beleuchtete mich mit einer Fackel und sah meine grüne Feldbinde. »Gut!« sagte der Wachthabende. »Was ist Sein Begehr?«

»Daß Ihr das Tor auftuet für ein Detachement vom Regiment Kufstein.«

Da der Wachthabende zögerte, fuhr ich fort: »So gebet mir einen Mann zum Herrn Kornet mit, der Euch befehligt.«

Hierauf schwand das Mißtrauen der Pappenheimer, und sie taten das Tor auf. Zugleich trabten die Meinen heran und hieben auf die verdutzte Torwache ein, die sich dann ergab.

Nun jagten wir durch Barbys Gassen und bemächtigten uns der übrigen Tore. Unser Verlust war gering; die Feinde gaben sich gefangen, sofern sie nicht niedergemacht waren. Im Ratskeller fanden wir mindestens dreißig Mispel Korn, Speck, Brot und Bier, ferner fünf Zentner Pulver, wonach wir sehr Verlangen trugen. Da auch eine Herde Rinder im Städtlein war, und meine Kameraden mit dem Kahne anlangten, so hatte dieser Handstreich uns reiche Beute eingebracht.

Mein Rittmeister beorderte mich, die angenehme Meldung Herrn Falkenberg zu überbringen. Ich brach sogleich auf und traf am späten Abend den Obersten zu Schönebeck. Genau mußte ich alle Einzelheiten berichten; hierauf sandte Falkenberg Verstärkung nach Barby und traf Anstalten, den erbeuteten Proviant nach Magdeburg einzuheimsen. Zu mir aber sprach er: »Tielsch, Er ist Korporal!«

Bevor ich diese Nacht einschlief, flogen meine Gedanken zu Thekla, und ich sahe mich allbereits als Offizier vor ihr stehen, während sie liebevollen Auges ihre Hand in die meine legte. Doch in mein Triumphieren mengete sich eine Beklommenheit. Des Märleins von der Abendburg gedachte ich, und Worte meines Vaters kamen mir in den Sinn, die er in meiner Kindheit gesprochen: »Das Menschenherz ist die wahre Abendburg; verwunschen ist es von einem bösen Geiste, in seinen tiefen Kammern aber ruhet ein Reichtum, den nimmer Motten noch Rost fressen. Den sollst du heben, mein Johannes!« Und traurig ward mein Gemüte. Zwischen Schlaf und Wachen kam ich mir vor wie jenes Weib, dem sich in der Johannisnacht die Abendburg aufgetan. Wohl hatte sie Goldes eine Last herausgeholt; doch wie sich der Felsen hinter ihr schloß, ward sie gewahr, daß ihr lieb Kindlein innen geblieben. So hatte auch ich mich bereichert an kalten Schätzen und dabei das Kindlein Unschuld verloren. Nun wimmerte es gleich dem eingemauerten Mägdlein im Krökentore.

Morgens, als mein Roß mich im Galoppe wiegte, schalt ich mich einen Grillenfänger, jubelnd: »Vivat Soldateska!«

Wie ohnmächtig der Feind sich fühlte, ward in einer Sitzung der Magdeburger Ratmannen von Herrn Falkenberg dargetan. Der Oberste wies einen Brief, darin ihm Pappenheim viermal hunderttausend Taler und ein Landgut anbot, sofern er die Stadt preisgeben wolle. »Da sehet ihr – sprach Falkenberg – wie der Feind seiner Tapferkeit also wenig zutraut, daß er zum schleichenden Verrate seine Zuflucht nimmt. Was bleibet ihm auch anders übrig? Lebensmittel haben wir genung, um die Blockade noch etliche Monde auszuhalten. Inzwischen wird die schwedische Majestät ihr königlich Wort einlösen und uns entsetzen. Schon jetzo spüren wir, wie König Gustavus uns Luft macht, indem er viel Feindesvolk von der Stadt ablockt und im Lande umherschleppt. So harret aus, Glaubensbrüder, und lachet, weil der alte Ligistenkorporal an euern Mauern sich die morschen Zähne ausbeißet.« Und es sangen die Bürger:

»Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort

Und steur' des Papst und Türken Mord!«

Wie aber auf den Tag die Nacht folget, also brach nach dieser schönen Abendröte unseres Waffenglückes bange Finsternis herein. Es erschien nämlich wider Erwarten Tilly mit seiner Hauptmacht. Dieweilen er den ausweichenden Schwedenkönig nicht zu fassen gekriegt, war er nun resolvieret, mit unserer Stadt aufzuräumen, um nicht länger vor den Blicken ganz Europiens am Narrenseile herumgeführet zu werden.

Das siebente Abenteuer Die Magdeburgische Bluthochzeit

Wenige Tage vor Tillys Anrücken erhub sich ein Sturmwind, wie seit Menschengedenken nicht erhöret worden. Riß von den Dächern Ziegel, daß mehrere Leute erschlagen wurden, und auf den Straßen Haufen von Schutt lagen. Fünf Windmühlen und drei Schiffmühlen sind zerbrochen. Vier Kirchentürme haben ihre Spitzen verloren. Die empörte Windsbraut stürzte heulend in die Vorhalle des Domes, allwo Ereignisse des Alten und Neuen Testamentes abgebildet sind, riß den Klugen Jungfrauen die Lampen aus der Hand und zerschmetterte sie. Das sahen die Leute nicht mit Unrecht als eine Warnung drohenden Unglückes an.

Auch andere schlimme Fürzeichen sind geschehen. Ende März haben die Bauern des Dorfes Krakau, so Magdeburg genüber an der Elbe gelegen, etwas Seltsames beobachtet. Auf dem Kirchendache befand sich von altersher ein Storchennest, drin stund mit fröhlichem Klappern der heimische Storch nebst seiner Störchin. Auf einmal schoß ein fremder Storch heran, den Schnabel als einen Spieß gerecket. Da gab es ein grimmig Scharmützel zwischen dem heimischen und dem fremden Storche. Die Störchin aber sahe untätig zu, schwenkete nur etlichemal die Fittige und klapperte mit dem Schnabel. Schließlich fiel der heimische Storch blutend vom Dach zur Erde nieder. Obwohl nun der fremde das Feld behalten, flog er doch hin weg, begleitet von der Störchin. Hinfüro haben sich keine Störche blicken lassen, und öde ist das Nest geblieben – woraus manche Leute den Schluß zogen, daß es selbigen Ortes bald schlimm hergehen werde.

Es war Tillys Plan, unsere Außenwerke jenseits der Elbe einzunehmen, um das dorten erwartete Entsatzheer des Schwedenkönigs von der Elbbrücke abzuschneiden. So ist Anfang Aprilis kaiserisch Volk von Pechau herangezogen und zwischen unsere feste Stellung in der Kreuzhorst und die Schanze bei Prester ins Holz vorgedrungen. Hat Verhaue angelegt, Karthaunen und Stücke hineingepflanzet und unsern Schanzen, zumeist aus losem Sande erbaut, die Contenance verdorben, daß sie sich nicht halten konnten. Ergrimmt, weil man ihnen so heiße Arbeit gemacht, haben die Kaiserischen auf ihre Gefangenen eingehauen. Doch Einhalt hat General Tilly geboten, hat die noch Lebenden begnadigt und seiner Fahne untergestellt, einen heldenmütigen Leutnant aber gelobt und frei nach Magdeburg entlassen.

Zugleich mit diesem andern Leonidas langte in Magdeburg noch ein zweiter Truppenrest an. Ein Kahn trieb die Elbe herunter, ohne Ruder, er enthielt viele Tote, Verwundete und nur drei Heile. Das war alles, was aus einem unserer Hauptwerke, der Kreuzhorstschanze mit dem übermütigen Namen »Trutz-Tilly«, zurücke kehrte. Während die übrige Besatzung sich dem Angreifer auf Gnade oder Ungnade ergeben hatte, waren diese Flüchtlinge in den Kahn gesprungen und durch Abstoßen mit den Musketen in die Strömung gelangt, dabei aber von vielen Schüssen übel zugerichtet worden.

Gleich nach der Einnahme von »Trutz-Tilly« durch Tilly machte sich Pappenheim an die bei Prester gelegene Schanze »Trutz-Pappenheim«, warf eine Batterie auf und ließ schwer Geschütz sattsam spielen. Hierauf ist er mit stürmender Hand vorgegangen, hat aber wegen vieler Pfähle mit Dornen, so wir ringsum eingeschlagen hatten, wieder weichen müssen. Da die Unseren vermerketen, daß man sie von der Stadt abschneiden wolle, so haben sie sich Hals über Kopf aus dem Staube gemacht. Leider sind auf dieser Flucht viele von den Verfolgern niedergemacht und in die Elbe geworfen worden, damit sie als Leichen gen Magdeburg schwimmen sollten, den Bürgern ein bitter höhnischer Gruß vom Feinde. Auch den befestigten Kirchturm des Dorfes Krakau – denselbigen, wo die ominöse Storchenbegebenheit sich zugetragen – hat Tilly also heftig beschossen, daß unsere Besatzung flüchten gemußt.

Unser Herr Falkenberg hat jetzo seine ganze Außenmacht auf das Zollwerk, den Brückenkopf jenseits der Elbe, beschränkt und es mit gedoppeltem Wall und Graben umzogen. Dieweil nun Tilly diese Beste mit Sturm nicht anfallen gemocht, so hat er sich zur Geduld bequemt und von Krakau her Trancheen gezogen, willens, der Zollbesatzung den Rückzug über die Elbbrücke zu verlegen.

Da bis zum 19. Aprilis die Nebenwerke der Zollveste und sogar die Schanzen zum Roten Hagen gefallen waren, so ließ Tilly an diesem Tage einen Angriff unternehmen. Ein garstig Wetter jedoch hinderte ihn. Es wehete heftig, kalt strömte der Regen, die Laufgräben fülleten sich mit Wasser, das Pulver ward naß, die Soldateska mochte nicht ausdauern. So verschob Tilly den Sturm auf die Frühe des andern Tages. Doch wie im Morgengrauen seine Truppen sich zum heißen Strauße anschickten, gewahrten sie mit Verwundernis, daß in der Schanze alles stille. Kein Schuß ward getan, kein Kommando laut, keine Waffe blitzte. Die Unserigen hatten nämlich über Nacht die Zollschanze geräumt.

Schweren Herzens hatte sich Falkenberg dazu bequemt. Des Nachts, da ich ihm eine Meldung überbrachte, saß er in der Faussebraye mit dampfenden Kleidern am Feuer, düstern Gesichts. »Korporal Tielsch,« – sprach er dumpf – »ist Er nicht auch ein Stück Chymiste? Verstehet Er sich auf die Bereitung von Pulver? Arg gebricht es uns daran. Mit der Schanze Trutz-Kaiser habe ich zehn Tonnen Pulver verloren, und das gänzlich umsonst. Habe damit den Eroberer in die Luft sprengen wollen; doch ist die angelegte Miene nicht losgegangen; die Zündfäden sind in dem Sauwetter feucht worden. Das allerschlimmste aber ist, daß die Magdeburger sich und mich getäuscht haben über den Umfang ihrer Munition. Wie ich um Weihnachten die Magazine inspiziert habe, sind da Pulvertonnen genung gelegen. Jetzo aber stellet sich heraus, daß dreihundertundfünfzig Tonnen nicht Pulver, sondern ungemahlenen Salpeter enthalten. Dieweil nun der Herr Administrator ganz unsinnig mit den städtischen Kartaunen gebummert hat, gebricht uns auf einmal das Pulver, in einem Momente, da wir's am nötigsten brauchen. Denn behaupten ließe sich die Zollschanze nur, wofern wir mit allem Geschütz feuern, rasend feuern könnten. So muß ich dies kostbare Außenwerk preisgeben – kann nicht einmal Minen legen, den Feind, wenn er eingedrungen, in die Luft zu schmettern – oh, oh!« Stöhnend sprang Falkenberg auf und schüttelte die erhobenen Fäuste.

Bestürzt trat ich zurück. »Preisgeben? Die Zollschanze? Ohne Schwertstreich?«

»Bleibet uns etwas anderes übrig?« erwiderte Falkenberg. »Sollen wir etwan unser letztes Pulver morgen hier verschießen? Die Geschütze der Stadtwälle müßten dann schweigen, wofern Tilly übermorgen die Sturmleitern anlegte.«

»Wie könnte er das wagen?« warf ich ein.

Falkenberg zuckte die Achseln. »Er braucht von den Verrätern, so er in Magdeburg stecken hat, nur zu erfahren, daß es uns an Pulver gebricht.«

Mir war, als ob ich einen Schlag aufs Herz erhielte, und ich stammelte: »Verräter?«

»Freilich Verräter! Täglich erfährt der Feind, was bei uns vorgeht. Drum darf ich auf dem Rathause nicht einmal merken lassen, aus was Ursach ich die Zollschanze quittiere. Und hör Er wohl: niemand darf erfahren, was ich Ihm inbetreff des Pulvers anvertraut habe. Ihm sag ich's nur, auf daß Er als Chymiste mir soll raten.«

»Ich kann dem Herrn nur raten, daß sofort aller Schwefel in der Stadt zusammengescharrt werde, und daß die Wassermühlen Tag und Nacht Salpeter mahlen. Wolle der Herr mich dem Pulvermeister beigeben!«

»Gut,« – sagte der Oberste – »Er hat freie Hand. Beginn Er sofort mit der Pulverbereitung. Drei Tage mindestens gedenke ich den Kampf hinhalten zu können. Die Elbbrücke lasse ich noch diese Nacht abbrechen, und so wären wir gen Osten durch den Fluß gesichert. Westlich aber sind unsere Wälle und Mauern fürs erste uneinnehmbar. Nur die Vorstädte sind unsere schwachen Seiten. Werde sie daher niederbrennen.«

Ich erstarrte. »Niederbrennen?«

»Freilich!« entgegnete der Oberste mit kalter Ruhe. »Übermorgen geht zunächst die Sudenburg in Flammen auf, dann die Neustadt. Sonst installieret sich dorten der Feind und findet Deckung vor unseren Kugeln. Ja, Tielsch, heiß wird's. Geh Er nun stracks zum Pulvermeister und zeig Er, was ein Chymiste kann. Den Stein der Weisen verlang ich nicht von Ihm – nur Pulver und aber Pulver – das ist jetzo unser Stein der Weisen.«

Wiewohl ich vor Müdigkeit hätte hinsinken mögen, verlieh meines Amtes Bedeutung mir frische Kraft. Ließ die Müllerinnung und sämtliche Apotheker aus den Federn holen. Um die hastige Pulverbereitung zu rechtfertigen, schützte ich vor, Herr Falkenberg gedenke den Feind durch Minengänge zu bekämpfen und benötige einen Überfluß von Pulver. Allsogleich wurden die auf der Elbe schwimmenden Wassermühlen zum Mahlen des Salpeters hergerichtet. Auch mit Handmühlen und Mörsern, aus Apotheken und Bürgerhäusern herbeigeschafft, endlich mit Mahlsteinen, von kreisenden Pferden bewegt, ließ ich die Pulverisierung betreiben. Es gelang uns, hundertundsiebzehn Tonnen Pulver zu bereiten. Dann aber mußte die Arbeit eingestellt werden, dieweil es an Schwefel fehlte, und ich vergebens mit den Apothekern beriet, wie Sulphur sich formieren lasse.

Am Nachmittag des 21. Aprilis hatte ich mich in mein Quartier begeben und etliche Stunden festge schlafen. Von Wehegeschrei und Getümmel, so durch die Straßen scholl, ward ich aufgescheucht. Es war dunkel, Feuerschein aber strahlte zur Dachluke herein. Hastig begab ich mich hinunter und sahe Männer, Weiber, Kinder auf dem Ringe lagern, bei sich zusammengebündelte Kleidungsstücke und allerlei Hausgerät. Es waren Bewohner der eingeäscherten Sudenburg. Weinend und jammernd starrten sie zum geröteten Himmel; über die Dächer wälzten sich glutige Rauchmassen; dicht wie Schneeflocken stöberte glühend Gebröckel hernieder.

Andern Tages ward auch die nördliche Vorstadt, die Neustadt, den Flammen preisgegeben. Nun hatte man in Magdeburg Hunderte von hungrigen Mäulern mehr zu füllen und sahe das nackte Elend der Flüchtlinge.

Als Flammen und Rauch entschwunden waren, erblickten wir von unseren Stadtmauern und Kirchtürmen nur noch schwarze Ruinen, dahinter aber die eherne Kette der teuflischen Belagerer, und die Luft erzitterte vom Brüllen ihrer Geschütze. Kein Wunder, daß die Bürgerschaft erstarrte, als habe man sie vor den Kopf geschlagen. Auf diesen Eindruck bauend, sandte Tilly seinen Trompeter in die Stadt. Noch sei die Gnadentüre offen, so schrieb er. Um sie nicht gänzlich zu verschließen, solle man sich beizeiten unterwerfen, sintemalen die Stadt unmöglich zu halten. Ein Teil der Bürgerschaft neigte zum Akkorde. Falkenberg aber eiferte wider die Akkordbrüder, und die Prädikanten sprangen ihm bei, indem sie von den Kanzeln herab predigten, wer zu Akkord rate, habe kein Gottvertrauen und wolle das Vaterland dem abgöttischen Papismo in den Rachen werfen. Ein ruinierter Brauer, Hans Herkel, der das Amt eines Rottmeisters bekleidete und großen Einfluß beim gemeinen Manne besaß, sorgte dafür, daß die Wortführer der Kapitulation niedergeschrien wurden. Hiezu halfen etliche Gerüchte und Zeitungen. Der ersehnte Messias Gustavus Adolfus sei im Anmarsche, stehe allbereits in der Mark und bitte bei seiner Seelen Seligkeit die Stadt, doch getrost auszuharren, da er sie präzise auf Tag und Stunde entsetzen werde. Vom Dome spähete bei Nacht eine mehrköpfige Wache gen Morgen, ob etwan des Entsatzheeres verabredet Signalfeuer aufleuchte.

Gleich an dem Tage, da die strenge Belagerung ihren Anfang nahm, hatte Falkenberg nebst seinen Offizieren sämtliche waffenfähigen Bürger, Söhne, Knechte und Handwerksgesellen zu den Waffen gerufen und mit den Soldaten konjungiert, auch jedwedem seinen Posten angewiesen. Und ward die Bürgerschaft also abgeteilt, daß sie den oberen Wall zu besetzen hatte, bei Nacht vollkommen, bei Tage zur Hälfte. Die Soldaten aber sind auf die gefährlichen Stellen in Wall und Zwingmauer gelegt und haben allhie kampieren müssen.

Mit Zagen freilich sahe man, wie die 5000 Wehrhaften, die man zusammengebracht, über die weitläufige Fortifikation verteilt, nur eine dünne Verteidigungskette bildeten, indessen draußen die sechs- bis siebenfache Armada wohlgerüstet und emsig arbeitete. Leider stellete sich heraus, daß manche Teile des Walles und Grabens nicht in gutem Stande; und etliche Bürger murreten wider den Kommandanten, der, ein kecker Kibitz, ins Feld geflogen sei, anstatt zuvörderst das Nest zu verwahren. Schlimm auch, daß die Bürgerschaft uneins war. Der Arme mißgönnete dem Reichen seine Wohlfahrt und mochte nicht dulden, daß jener länger zu Hause bleiben oder sein Gesinde an seiner Statt zu Walle schicken durfte. Die Reichen aber wollten ihre Licenz mißbrauchen, und haben etliche, insonderheit die heimlich Kaiserischen, sich nicht ein einzigmal auf dem Walle sehen lassen. Ging man zu Walle, so geschah es weniger, um dem Feinde Abbruch zu tun, als vielmehr umherzulungern und Neues zu hören. Ein großer Teil wußte sein Bier und die dargereichten Würste besser anzuwenden als die Muskete.

Gleichwohl haben die Unseren in einem Ausfalle dem überraschten Pappenheim Schanzkörbe und Schippen weggenommen, auch 18 Leute erschlagen. Einen größeren Sieg gewann der Oberstleutnant Trost auf der Elbinsel, genannt der Stadtmarsch. Dorten hatte er die Ligisten also weit zurückgetrieben, daß er die Rote-Hagen-Schanze hätte zurückerobern gekonnt, hätte er nur zweihundert Leute mehr gehabt. Aber weil der geschlagene Feind Sukkurs erhielt, mußten die Unsrigen mit der halben Viktoria zufrieden sein. In den Trancheen gab es mehr denn hundert Feinde tot, also daß man die ligistischen Truppen den ganzen Tag damit hat schleppen sehen.

Nach einem dritten Ausfalle, so dem Feind 40 Mann gekostet, hat Tilly sich abermals aufs Paktieren gelegt und Briefe durch seinen Trompeter geschickt. Ist aber nichts aus den Traktaten worden.

Des Feindes Arbeit ist inzwischen besser vorwärts gegangen. An manchen Orten ist er mit seinen Trancheen bis an die Kante des Grabens gelangt, hat auch Brandkugeln und Granaten, etliche einen Zentner schwer, in die Stadt geworfen. Nur weil wenig Heu und Stroh bei uns vorhanden, dazu gute Aufsicht gewesen, so ist kein anderer Schaden angerichtet, als daß eine Kuh zerschmettert worden und an etlichen Stellen Feuer aufgegangen, das jedoch mit nassen Häuten und Wasserkübeln allsogleich gelöscht worden.

Es war für uns schädlich, daß bei der Zerstörung der Neustadt nicht Zeit übrig, alle Mauern und Keller zu ebenen. Diese Deckungen wurden nun von Pappenheim genutzt. Von der Elbe bis zum Krökentor wühlete er Laufgräben durch die Neustadt und machte Approchen bis an unsere Fausse-braye, ließ hier die Pallisaden ausheben und mehrere hundert Leitern zum Sturme ansetzen. Die Pappenheimschen Laufgräben waren so dicht mit Musketen besetzt, daß, sobald von den Unseren einer hinter der Brustwehr herfürlugte, augenblicklich sechs bis acht Schüsse auf ihn fielen.

Am 7. Mai fing der Feind an, aus seinen vollendeten Batterien auf das heftigste zu schießen, und seine Truppen waren in Bewegung, daß wir gläubten, gleich werde der Sturm losgehen. Es gab ein Hin- und Wiederschießen, daß der Erdboden erzitterte und wie Hagel die Kugeln prasselten. Gleichermaßen ging es auch den folgenden Tag. Ein Turm bei der Hohenpforte, so allbereits an die 300 Kartaunenkugeln empfangen, hielt sich nicht länger, sondern stürzte krachend und stäubend zusammen.

Immer düsterer dräueten die Wolken. Eine dumpfe Feierlichkeit lag auf der Stadt, gemahnend, wie nunmehro das schwanke Zünglein unserer Schicksalswage sich neigen solle zum Leben oder zum Tode. Am Abgrund der Ewigkeit stund die Bürgerschaft, starrte schaudernd hinab und besann sich in banger Selbstprüfung auf die letzten Dinge. Aus war es auf einmal mit hoffärtigen Gebärden, mit bunten Röcken, stolzen Hutfedern und güldenen Zieraten. In Trauerkleidung oder gar verwahrlost als Büßer strömten Frauen und Jungfern, Greise und Kinder, sowie die wenigen Männer, so gerade vom Kriegsdienste abkömmlich, in die Kirchen zum Tisch des Herrn, das Abendmahl zu nehmen – vielleicht ihr letztes.

Und seltsam, in diesen schwierigen Tagen fanden überaus viele Trauungen statt. Manch armes Menschenherze wollte die anoch vergönnte, vielleicht ganz kurze Lebensfrist nützen, einen inniglichen Wunsch zu erfüllen. Bei solchen Trauungen nun kam die Sitte auf, daß vor dem Altare rings um das Hochzeitspaar Junggesellen und Jungfern, so heimliche Liebe zueinander im Herzen trugen, Hand in Hand niederknieten, um für den Fall des Todes als Verlobte für das Jenseits zu gelten.

Am Morgen des 8. Mai, da ich von der Nachtwache heimkehrte und bei Sankt Johannis Kirche vorüberkam, ward ich im Kirchgängerzuge Theklas ansichtig und folgte ihr allsogleich in die Kirche. Unter der Wölbung, im Anblicke des Gekreuzigten und der frommen Gemälde, erschüttert von der Orgel, oft die Augen auf Theklas holdes Haupt gerichtet, fühlte ich Flammen der Andacht und der zärtlichen Liebe in meinem Herzen zusammenschlagen. Der Prädikant sprach über die Schriftworte »Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben« und schloß mit dem Gebete: »Erwecke denn in uns die rechte Treue bis in den Tod, so nichts anderes bedeutet, als eine heilige Märtyrschaft, darin unsere Seele erstarket, lieber Haus und Heimat, Gut und Blut dahinzugehen, als ihren Glauben, ihre Liebe, ihre Hoffnung.« Inbrünstig sang die Gemeinde:

»Nehmen sie uns den Leib,

Gut, Ehr, Kind und Weib,

Laß fahren dahin,

Sie haben's kein Gewinn,

Das Reich muß uns doch bleiben.«

Nach dem Segen wollten die aufgebotenen Paare – neun an der Zahl – summarisch durch das Sakrament der Ehe kopulieret werden. Wie sie niederknieten, gab es schier ein Getümmel von solchen Junggesellen und Jungfern, so bei diesem Anlaß sich still einander verloben wollten.

Thekla warf einen traurigen Blick hinter sich, ward mein ansichtig und erschrak. Ich machte mich neben sie, und nun richtete sie ihre Augen tränenvoll, doch zärtlich auf mich. Wie von Magie angezogen, reichten wir einander die Hand und knieten zu den andern nieder.

Taumeligen Fluges schwebte meine Seele im Himmel. Ich vernahm die Worte: »Was Gott zusammenfüget, soll der Mensch nicht scheiden.« Tillys Geschütze brülleten ein höhnisch Amen. Alsdann nahmen sowohl die verlobten wie die verehelichten Paare das Abendmahl.

Kaum war die heilige Handlung vorüber, so gingen Thekla und ich – wie es die Sitte gebot – in Züchten voneinander, obwohl unsere schmachtenden Herzen uns unlöslich verbunden deuchten. Eine Weihe trug ich im Busen, die mein Quartier mit seligen Phantasien erfüllte, bis mich endlich der Schlaf unter sein Zepter nahm.

Um Mittage kam der Page von nebenan und holte mich zum Obersten. Ich fand daselbst etliche Offiziere und ein Häuflein Bürger, zumeist Schiffer und Handwerker.

In unsere Mitte trat Falkenberg, dessen Angesicht in finsterem Trutze erstarret schien. »Magdeburger!« – sprach er heiser; »habe euch versammelt, dieweilen ihr keine schelmischen Proditores oder mattherzigen Akkordbrüder seid, sondern wahrhaft patriotischen und treu evangelischen Sinnes.« Schweigend nickten die Bürger.

»Nun denn,« fuhr Falkenberg fort, »wie ihr wisset, soll heute Tillys Trompeter, der Überbringer des Ultimatums, von der Stadt mit ihrem Bescheide zurückgeschickt werden. Sintemalen nun der Rat all seine Courage eingebüßet, so will er hinter die Menge retirieren. Hat aus diesem Grunde die ganze stimmfähige Bürgerschaft für heute Nachmittag in die Häuser ihrer Viertelsherren berufen, auf daß jedes Stadtviertel für sich ein Votum abgebe. Bitt euch, ihr Bürger, wollet doch mit aller Macht die geplanten Verhandlungen hintertreiben! Der Akkord wäre unser Untergang. So wir aber dem Feinde durch kecke Ablehnung alle Hoffnung nehmen, verbleibet ihm nur der Ausweg, entweder die Belagerung aufzuheben, maßen die schwedische Majestät mit dem Entsatzheere allbereits bei Burg sein muß, oder aber an unserer Beste sich den Kopf einzurennen. Gläubet mir, nicht der Belagerer draußen ist jetzo unser schlimmster Feind, vielmehr in unsern Mauern der schwache Mut und schleichende Verrat.«

»Schelme sind die Akkordbrüder!« rief es aus der Versammlung.

»So vereitelt denn auf jede Weise den Akkord! Streuet aus, was ich jetzo euch sage. Diese Nacht zwischen eilf und zwölf werden bei Biederitz drei Feuer aufgehen. Lasset die Zweifler auf die Domtürme steigen, und dann saget ihnen: Das ist König Gustavi Signal, anzeigen soll es, daß die schwedischen Vorposten schon da sind, und daß Magdeburg nicht in letzter Stunde alles verderben soll.«

Ein paar der Versammelten nickten schlau, andere blickten bedenklich.

»Mit Verlaub,« meinte ein Bürger – »können wir uns denn auf die Signalfeuer verlassen?«

»Feste wie up en Swur,« platzte ein Schiffer heraus – – »wat mien Fritze öwernehmen duht, is als fix und fardig.«

Da nun etliche Gesichter säuerlich wurden, dieweil zutage getreten, daß die Signalfeuer nur Vorspiegelung seien, entschuldigte sich Falkenberg: »Ja, es ist weit gekommen, daß wir müssen zum Truge greisen, die Bürgerschaft vor Desperation zu bewahren. Doch lasset gut sein! Hinterher wird man unsere gewagten Mittel segnen. Im übrigen kann ja der König wirklich nicht mehr ferne sein. Daß aber die Feuer brennen werden, ist so gut wie sicher. Dieses Mannes Sohn, der Fritze, will mit zween anderen heute abend die Elbe hinunterschwimmen, beim Biederitzer Busche an Land gehen und die Feuer anbrennen. Sorget nun. Freunde, daß recht viele Leute bei Nacht die Türme besteigen. Und ferner könnet ihr sagen: Tilly will die Stadt, auch wenn sie sich ergibt, drei Tage plündern lassen – hat seinen Kroaten vorgeredet, hier sei der Reichtum dreier Königreiche.« Scheu blickten die Bürger und grollten.

»Höret weiter«, sprach Falkenberg, indem er ein Schriftstück aus seinem Koller zog. »Hier halte ich einen Brief von der schwedischen Majestät; vernehmet, was darinnen geschrieben stehet.« Hierauf tat der Oberste den Hut von seinem Haupte und las: »Meinem getreuen Falkenberg zu wissen, was Zeitung mir worden. Herzog Wallenstein, vordem Kaiserlicher Feldherr, ist auf seinen Nachfolger Tilly neidisch und ist ränkevoll beflissen, diesen Ligisten in die Schwerenot zu bringen, auf daß hernach der Kaiser keinen andern Rat wisse, als den altbewährten Generalissimum zum Retter des Reiches zu berufen. Vor den Augen der Welt ist der Wallenstein ein Freund Tillys, heimlich aber sucht er seine Lage zu verschlimmern. So hat er seinen mechelnburgischen Statthalter angewiesen, dem Tilly nur ja keinen Proviant zu verschaffen. Ferner möchte der Wallenstein dem Tilly, falls dieser Magdeburg in seine Gewalt bekommen sollte, die Suppe gänzlich versalzen. Hat dahero seinem Freunde Pappenheim, so blind auf ihn vertrauet, den teuflischen Rat gegeben, die Stadt nach der Kapitulation zu plündern und dann durch Feuer vom Erdboden zu tilgen.«

Wie diese heillosen Worte ausgesprochen waren, erhub sich unter den Versammelten ein Gemurmel des Entsetzens und der gärenden Wut. Doch Falkenberg las weiter: »Die Vertilgung Magdeburgs soll der lutherischen Rebellion eine klaffende Wunde reißen. So heuchelt der Friedländische Ränkeschmied, bauend auf des Pappenheimers papistischen Sinn. In Wahrheit freilich will er seinen Rivalen Tilly ruinieren; nicht zugute soll ihm Magdeburgs Einnahme kommen, auf daß ja nicht die Hauptstadt der Elbe ein Stützpunkt der ligistischen Operationen werde.«

Grimm lächelten und nickten die Zuhörer. »So hat nun Pappenheim heimlich angeordnet, es solle die Stadt gleich nach geschehener Plünderung an allen Ecken und Enden angezündet werden. Die evangelische Bürgerschaft soll gänzlich verschwinden und an ihre Stelle eine neue aus papistischen Landen treten; auch soll Magdeburg seinen ehrlichen Namen verlieren und hinfüro Marienburg heißen.«

Bleichen Angesichts antworteten die Bürger mit Stöhnen und Knurren. Falkenberg warf das Schreiben auf den Tisch, schlug mit der Faust darauf und ließ seine Augen flammend im Kreise herumgehen. »Und nun ihr? Was wollet ihr tun? Werdet ihr den Akkord zulassen?«

»Nimmermehr!« Und Fäuste erhuben sich. »Nieder mit den Akkordbrüdern!«

Falkenberg ließ sie eine Weile toben, dann gebot er mit ausgebreiteten Armen Ruhe und sprach dumpf: »Was aber soll geschehen, so unsere Stadt gleichwohl in Feindes Hände gerät?«

Ohne Laut, ohne Regung starrte ein jeder vor sich hin. Es war eine Schwüle, wie vor dem Losbrechen des Gewitters. Dann zuckte der zündende Blitz. Ein hagerer Mann, grau von Angesicht, roten Bartes, trat aus der Versammlung. Es war der Rottmeister Hans Herkel, eine Säule der schwedischen Partei. Wie Irrlichter loheten seine düsteren Augen, in denen das Weiße funkelte. Zähnefletschend schüttelte er die Fäuste und stöhnete wie von einem Dämon besessen: »Meine Seele sterbe mit den Philistern!«

Da wir verwundert den Mann anstarreten, winkte ein Schiffer raunend: »Der Geist kommet über ihn.«

»Simson, Simson!« – fuhr Hans Herkel fort – »in die Hand der Philister warst du gegeben, die hatten dir die Augen ausgestochen. Was hast du da getan? Hast im Philisterhause mit der Rechten die Mittelsäule ertastet und hast dich geneiget kräftiglich: Meine Seele sterbe mit den Philistern! Und hei, da stürzete das Haus auf die Fürsten und das versammelte Volk, und waren der Erschlagenen mehr, die an Simsons Tode starben, denn die er bei Lebzeiten gefället hatte. Simson, Simson, dein Geist komme über Magdeburg!« Nach diesen Worten blickte Hans Herkel als ein Erwachender im Kreise ringsum. »Das war Gottes Ratschlag!« sprach jemand; »dieser Prophete gibt uns ein Zeichen. Wohlan! Wenn wir schon müssen untergehen, so sollen wir wenigstens Rache nehmen.«

»Rache, Rache!« rief Falkenberg. »Ha, ihr Männer, jetzo kommet euch die Erleuchtung. Ja, tuet wie Simson! Oder wie die Bürger von Saguntum, so ihre Stadt nebst allen Schätzen verbrannten, um dem Eroberer Hannibal den Siegespreis zu ruinieren.«

»Zünden wir die Stadt an!« kreischte Herkel. Stutzig lauschte die Versammlung, dann kam es über sie wie grimme Freude: »Recht so! Wir zünden an! Noch bevor der Feind die Stadt geplündert hat, muß sie allbereits in Flammen stehen!«

Triumph blitzete aus Falkenbergs Augen, und er rief: »Patrioten! Helden seid ihr! Ja, unsere Stadt sei wie die römische Jungfer Lukretia; die hat sich selber entleibet, auf daß kein Feind ihre Unschuld raube. O du edle Jungfer Magdeburg! Zünde lieber deine Burg an und stirb auf solchem Scheiterhaufen, als daß du dein Kränzlein verlierest.«

Ein hohl Gelächter erhub sich: »Haha, Pappenheim, du Erzschelm! Siehe, nun hast du deine Meister gefunden. Vermeinest, erst wird geplündert, dann gesenget. Wir aber sagen: Erst wird gesenget – dann magst du wühlen in rauchenden Trümmern nach den Schätzen der drei Königreiche ... haha! Einen Aschenhaufen vermachen wir den papistischen Mausköpfen.« – »Wer tut mit?« rief Herkel. »Gehen wir allsogleich in die Johanniskirche und schwören am Altare, daß wir es tun wollen.«

»Wir tun mit!« rief männiglich und ging eifernd hinaus. Schweren Herzens folgte ich bis zur Kirche, weiter nicht.

Andern Tages, durch etlichen Schlaf gestärket, vernahm ich, daß man auf dem Rathause noch immer verhandle, was denn eigentlich geschehen solle, und daß derweilen Tillys Trompeter von kriechenden Liebedienern mit Braten und Wein regalieret werde. Um zu beschließen, welche Antwort er seinem General heimbringen solle, sei die Bürgerschaft zu den Häusern ihrer Viertelsherren berufen worden; da tobe nun das heiße Ringen der Parteien, und es habe den Anschein, als solle den Akkordbrüdern die Oberhand werden.

Ekel hatte mein Sinn für die Krämerseelen, und ich brannte vor Begier, endlich die Entscheidung herbeizuführen, Mann an Mann. Wir schüttelten die Fäuste, knirschten mit den Zähnen, bissen uns die Lippen blutig in ohnmächtiger Wut, da wir über die Mauer lugend, gewahr wurden, wie der Feind unsere Pfähle am Neustädtischen Bollwerk in aller Ruhe ausgrub, ohne daß wir schießen durften; wegen unseres Pulvermangels war ja befohlen worden, wir sollten Kraut und Lot sparen. Der Feind aber überschüttete uns fortwährend mit Geschossen, also daß Wall und Zingel unter den schweren Kugeln erbebeten.

Bis zur Raserei steigerte sich unsere Kampfbegier, wir öffneten die Hohepforte und überfielen mit blanker Waffe den verdutzten Belagerer. In meiner Wildheit hatte ich keinen anderen Vorsatz, als den Säbel immerfort in Feindesblut zu tauchen, und sooft ich einen Pappenheimer vor mir hatte, fällte ich ihn allsogleich. Zur Besinnung kam ich erst, als mir Blut über die Augen floß und unser Trompeter Rückzug blies. Unsere Schar war zusammengeschmolzen, doch der feindliche Laufgraben angefüllt mit erschlagenen Pappenheimern.

Meine Stirnwunde hatte wenig zu bedeuten. Immerhin ward ich auf Anordnung des Feldschers hinter die Zwingmauer geschickt, allwo die Wunde gewaschen und verbunden ward. Nach einem erquickenden Trunke verfiel ich auf dem Strohlager in tiefen Schlaf.

Unter süßem Vogelzwitschern erwachte ich. In den grauen Morgen, wo ein rosenrot Wölklein schwebete, erhub sich jubilierend eine Lerche. Und die Geschütze schwiegen. Friede! Friede! O bliebe doch immer solch liebliche Ruhe! Ein Bangen kam geschlichen, es möchte die Stille auf einmal unterbrochen werden. Ich atmete nur verstohlen. Dann drehte ich das Angesicht seitwärts. Da lagen die Verwundeten, und ein Bürger kniete, die Hände gefaltet.

Ein Jubelgedanke zuckte mir durch durch den Sinn. Sollte König Gustav nahe, und Tilly im Abzug begriffen sein? »Warum schießet man nicht? Ist etwan der Schwedenkönig gekommen?« fragte ich den Bürger.

»Ja, er stehet bei Biederitz! Von dorten hat er Feuerzeichen gegeben.«

Ein Stich ging mir durchs Herze – so war der Lügenhaber aufgegangen und narrete mich mit leeren Hülsen. »Und Tilly?« fragte ich weiter, indem ich mich aufrichtete – »warum schweigen seine Geschütze?«

»Mag sein, daß er sich rüstet, den Schwedenkönig zu bestehen. Vielleicht auch siehet er ein, daß zu einer Zeit, da die Magdeburger den Akkord beraten, füglich Waffenstillstand sein müsse. Ei Bruderherz, mich dünkt, der Tilly ist gar nicht so grausam. Da trink einmal, Bruderherz!«

Und er reichte mir die Flasche dar, aus der ich einen guten Schluck nahm. Auch er trank und redete listig blinzelnd weiter: »So oder so, – heut hab' ich mein Feuerrohr zum letztenmal auf den Wall getragen. Jetzt geh' ich heim und schlafe mich endlich mal tüchtig aus.«

»Wie? Hat Falkenberg das erlaubt?«

»Ei gewiß, hat er denn nicht selber den Wall verlassen? Aufs Rathaus ist er gegangen, allwo jetzunder der letzte Kampf tobt – Gott sei Dank ein Wortgefecht. Mögen sie streiten! So oder so – wir kriegen Ruhe. Ach Gott ja, der süße Schlaf!«

Er gähnte und dehnte sich, raunte dann geheimnisvoll: »Gott hat mir offenbaret, daß ich von heut ab Ruhe finden soll vor dem grausigen Waffenhandwerk. Das ist gewißlich wahr!« Und mir zunickend ging der Bürger. Vom Wall herüber scholl feierlich der Kriegsgenossen Sang:

»Verzage nicht, du Häuflein klein!«

Den Kopf auf mein Strohbündel zurückgelegt, träumte ich gen Himmel, allwo noch immer die Lerche trillerte, derweilen der Friede so erquickend war.

Da auf einmal spürete ich ein Zwängen an meinem Herzen; ein störender Mißklang, eines Weibes Wehklage, war an mein Ohr gedrungen. Ich versuchte, nicht hinzuhören; aber deutlich vernahm ich die angstvolle Weiberstimme: »Ach Gott, ach Gott! Das ist ein Fürzeichen – das bedeutet ein Unglück.«

Verstört erhub ich mich – meine Stirnwunde schmerzete. Ich schnallte meinen Säbel um, nahm mein Feuerrohr und trat zu der Gruppe von Leuten, wo solche Rede ging. Eine Alte rang ihre knochigen Hände. »Das war der Gespensterwagen – der hat allemal was zu bedeuten.«

»Maul gehalten,« herrschte ich die Alte an. »Höret Sie denn nicht, daß man auf dem Walle Gottesdienst abhält?«

»Ach, Herr Soldate! Ein Spuk hat sich gezeiget. Meine Base liegt totkrank von dem Anblick. Am Fischerufer wohnt sie, und heute nacht, da's eben zwölf geschlagen, geht auf der Straße ein dumpf Getrappel los. Wie sie ans Fenster tritt, siehet sie einen Trupp geharnischter Männer mit Fackeln. Die geleiten einen rasselnden Wagen. Ein ungefüger eiserner Kasten war's, von starken Rappen gezogen – die Häuser haben vor ihm gebebet.«

Ich lachte verächtlich: »Und das war der Gespensterwagen? Gans, die Sie ist!«

»Ach, hör Er nur weiter, Herr Soldate – jetzo kommt ja eben das Gräßliche. Dicht an die Elbe ist der Wagen gefahren, und da haben die Geharnischten die Fackeln auf einen Haufen zusammengeworfen, und lauter blutige Leichen haben sie aus dem großen Eisenkasten geholt und alsodann ins Wasser geworfen. Und hat die Elbe mit den schwimmenden blutigen Leichen vom Feuer beleuchtet wie ein Schlachtfeld ausgesehen. Schlag eins ist der Spuk verschwunden, wie weggeblasen; doch ist dabei ein schauxig Wimmern durch die Lüfte gegangen. Und so wahr ich allhie stehe, eine Menge Fischersleute haben das alles gesehen und haben die Leichen ins Wasser plumpsen hören.«

»Schwätzerin, Närrin! Maul gehalten!« Und ich ging zum Walle – wollte das Geträtsch mir aus dem Sinne schlagen. Und doch hatte sich Unheimliches bei mir eingenistet, Grauen empfand ich und wußte nicht wovor.

Begab mich zur Torwache, allwo die Leute auf ihrem Strohlager schnarcheten. Aus dem Wasserkruge tat ich einen Trunk, kühlete meinen brennenden Hautriß und verzehrete ein Stück Brot.

Hierauf stieg ich durch den runden Turm zum Wall hinan. Auch hier fand ich die Kameraden dem Schlaf ergeben – regungslos lagen sie in der strahlenden Frühsonne, die Posten aber, die den Belagerer hätten im Auge behalten sollen, kehrten ihm den Rücken, an die Brustwehr hingekauert. Dem Geistlichen lauschten sie, so vom Propheten Daniel predigte, wie er, vom Tyrannen in die Löwengrube geworfen, gleichwohl heil geblieben und alsodann sein Dankgebet gesprochen: »Mein Gott hat seinen Engel gesandt, der den Löwen den Rachen zugehalten hat, daß sie mir kein Leid getan haben.«

Bei diesen Worten klang in der Ferne ein langgezogener dumpfer Ton, ähnlich dem Brüllen eines Bullen. Es war das Horn des Türmers auf Sankt Katharinen. Sollte eine Feuersbrunst ausgebrochen sein? Der Prädikant sprach unbekümmert weiter, wiewohl etliche Zuhörer zum Turm emporblickten, von wo noch immer das Horn erscholl.

Auf einmal rief jemand dicht bei mir: »Waffen! Waffen!« Nach der Brustwehr zugewandt, sah ich, wie zween feindliche Soldaten von außen herübergestiegen kamen, dann ein dritter, ein vierter. »Feindioh!« riefen die Unseren. »Waffen!« Meinen Karbiner hatte ich, doch – Teufel – keine Munition.

Schon knatterten Schüsse, und ein Gebrüll von Geschützen erhub sich. Einer unserer Posten stürzte, seine Muskete fiel vor meine Füße. Ich erhub sie wie einen Dreschflegel und ging auf einen Feind los. Der legte sein Pistol auf mich an und schoß. Ich schlug ihn mit dem Kolben nieder, stund aber allbereits vor einem neuen Gegner, der mit dem Schwerte nach mir stach. Ich parierte mit meiner Muskete und stieß sie ihm ins Gesicht, daß er hintaumelte.

Inzwischen hatten sich etliche der Unseren den Pappenheimer Eindringlingen entgegengeworfen, sie niedergemacht und die Brustwehr gewonnen. Ratlos aber lief ein Teil unserer Wallmannschaft durcheinander und schrie: »Waffen! Waffen!« Manche hatten keinerlei Waffen, nicht einmal eine Partisane oder einen Morgenstern.

Ich eilte zur Brustwehr und sahe nun, wie schlimm es mit uns stund. Es wimmelte von stürmenden Pappenheimern. Wie Meereswellen zum Strande rollen, kam Reihe auf Reihe herangeflutet. In der Ferne aber regte es sich hinter allen Hügeln und Gründen von Reitergeschwadern und Pickenierbataillonen, von Fahnen, Spießen und blinkenden Rüstungen. Und war ein Gelaufe im Feinde wie in einem aufgescheuchten Ameisenschwarme.

Wie Katzen sprangen die Pappenheimer heran und renneten die Sturmleitern herauf, trugen auch immer neue Leitern herbei und lehnten sie an die Wallmauer, wiewohl die Unsrigen jetzo schossen und in rasender Wut Mauerbrocken auf die Emporklimmenden warfen.

Nur schwach freilich konnten wir uns wehren, da wir auf Deckung bedacht sein mußten. Hageldicht schwirrten die Kugeln aus den feindlichen Laufgräben, und schon mancher Kamerad lag entseelt oder stöhnend vor unsern Füßen.

Ich hatte die Lunte meiner Muskete entzündet und auch schon einen Pappenheimer von der Leiter geschossen. Da rief mich Kapitän Schulz an: »Korporal Tielsch, im Stall bei der Wachtstube steht mein Pferd, – reit Er, so schnell Er kann, zum Kommandanten Falkenberg – er ist auf dem Rathaus – Sukkurs soll er schicken – Sukkurs so viel als möglich – sonst halten wir den Wall nicht.«

Ich sogleich fort, den Auftrag auszuführen.

Im Turme, der des Walles Eingang war, hasteten mir die Unsrigen entgegen, so zum Kampfe eilten; – mühsam brach ich mir durch ihr Gedränge Bahn, gelangte zum Stalle der Wachtstube, fand das Pferd, schwang mich in den Sattel und galoppierte durch die Gassen.

Aus den Haustüren stürzten die Bewohner herfür, Weiber und Kinder rangen heulend die Hände, vom Katharinenturm brüllte der Alarm, und immer wilder knatterte das Gewehrfeuer.

»Zur Hohenpforte!« rief ich den Bürgern zu, die mit Waffen gelaufen kamen; aus ihren Augen sprühete ein Grimm, der, angesammelt in der langen Zeit qualvollen Ringens, jetzo sich entlud, angezündet von dem Gedanken, daß Leib und Leben, Weib und Kind, Gut und Ehre, Glauben und Vaterland auf dem Spiele stehe.

Vor dem Rathause stund bei einer Gruppe von Bürgersleuten der Page des Obersten Falkenberg und hielt das Roß seines Herrn am Zügel. Ich hin zu ihm, schwang mich aus dem Sattel, gab ihm auch noch mein Pferd zu halten und stürmte die Treppe hinan zum Sitzungssaal. In der Tür blieb ich eine knappe Weile atemlos stehen.

Falkenberg redete zur Ratsversammlung. Wiewohl auf seinem Angesichte Schweiß und Erschöpfung lag, hielt er doch seine kalte, eiserne Trutzigkeit aufrecht. Ich aber trauete meinen Ohren nicht. Was diese Männer beschäftigte, war ja noch immer die Frage, ob mit Tilly zu ackordieren sei. Wußte man denn allhie noch nicht, wie die Dinge stunden?

»Nichts von Traktaten!« rief Falkenberg; »jede Stunde, die ihr heute länger ausharret, ist mit keiner Tonne Goldes zu bezahlen. Zum Abzuge ist Tilly entschlossen, und die Schüsse, so jetzunder gen unsere Mauern donnern, sind der Abschiedssalut ...«

»Mit Verlaub, Herr Oberst,« rief ich und drängte mich durch die Versammlung.

In diesem Augenblicke begann der Türmer der nahen Johanniskirche zu tuten. Die Augen aufgerissen horchte die Versammlung, und Falkenberg stutzte. Gleich darauf aber sprach er mit fester Stimme weiter: »Sollte der Feind aber wirklich wagen, unsere Mauern noch in letzter Stunde zu berennen, so mag er mit blutigem Kopfe heimziehen. O, daß er sich unterstünde! Er wird sich den Kopf zerschellen!«

Indem ward hinter mir die Tür aufgerissen, und der Burgemeister Otto von Gericke kam hereingestürmt: »Der Feind ist allbereits in der Stadt – am Fischerufer plündern die Kroaten!« Mit Rufen des Entsetzens sprang alles von den Stühlen und drängte zum Ausgang.

Ich trat vor Falkenberg und meldete: »Die Pappenheimer stürmen bei der Hohenpforte, Kapitän Schulz läßt um schnellen Sukkurs bitten – der Feind ist allbereits auf dem Oberwalle.«

Bleich und finster starrete mich der Oberst an. Dann verzerrte er das Angesicht zu einem höhnischen Grimme, und aus der breiten Heldenbrust preßte sich ein seltsamlicher Laut, zugleich ein Stöhnen und ein Triumphieren.

»Auf!« rief er in plötzlicher Entschlossenheit und stürmte mit Sporengeklirr zum Saal hinaus, die Treppe hinab. Ich hinter ihm drein. Bei seinem Pferde angelangt, das der Page – wie auch das meine – am Zügel hielt, wandte sich der Oberst zu mir: »Reit Er zur Marschschanze, Oberstleutnant Trost soll mit seinen Reitern der Hohenpforte Sukkurs bringen – schnell, fort!« Und schon saßen wir beide im Sattel, gaben den Pferden einen Sporenhieb und galoppierten nach verschiedenen Richtungen.

Ich den Johannisberg hinunter, über die Strombrücke auf die Insel, so man den Stadtmarsch heißet. Da kam mir der Oberistleutnant Trost mit seinen Reitern entgegen. Ich tat ihm Meldung und trabte gemeinsam mit dem Geschwader zum Orte des Kampfes, von wo das Schießen wie ein unaufhörlich Geknatter erscholl. Munition hatte ich nun.

Als wir in die Große Lakenmacherstraße kamen, sahen wir das Mannsgetümmel mit Pulverdampf und blitzenden Waffen. Hinten aus den Häusern am Tore flogen Steine, Hausgeräte und Balken auf Feindes Haupt hernieder. Ein hölzern Haus stund in Flammen, in der sonnigen Maienfrühe seltsamlich anzuschauen, gleich einer Kerze, so milden Lichtes bei Tage brennt.

»Platz gemacht, Platz!« rief der Oberistleutnant Trost, da wir den kämpfenden Unseren im Rücken waren. Als diese nun zur Seite auswichen und eine Gasse eröffneten, rasselten wir wie ein Donnerwetter hindurch und pralleten wider den Feind, der dicht zusammengedrängt die Picken vorstreckte, während seine Musketiere wider uns eine Salve abgaben. Rings um mich brachen Rosse zusammen und Reiter stürzten, andere Rosse bäumten mit Angstgewieher, Blutquellen schossen aus Tieren und Menschen herfür, ein Stöhnen und Röcheln, ein Klappern aufschlagender Harnische und Waffen, ein Wehgeschrei und Wutgeheul erfüllte die Luft.

Gleich darauf ward aus einem Fenster von nackten Weiberarmen ein Kessel geschwungen, und unter höhnischem Gekreische siedend Öl auf Feindeshaupt gegossen. Hinterher hagelte es Steine, Hausgeräte, brennende Fackeln und wuchtige Balken.

Da gerieten die Pappenheimischen Picken in Unordnung. Den Moment nutzend und angetrieben von der Löwenstimme Falkenbergs, der auf einmal unsere Führung hatte, gab alles, was von den Unseren heil geblieben, darunter ich, dem Rosse die Sporen und brach hauend oder mit Pistol und Karbiner schießend in die feindliche Menschenmauer ein.

Vor mir, neben mir hieben, stachen die Picken, Arme wurden geschwungen, Säbel sauseten, Helme prasselten, man schrie und heulete. Ich hieb wie rasend auf den Feind. Und abermals sahe ich Blutquellen herfürbrechen und manchen Getroffenen stürzen.

Diesmal gewannen wir die Oberhand. Des Feindes Ordnung löste sich, und was nicht liegen blieb, retirierte zur Hohenpforte. »Gewonnen! Gewonnen!« Mit diesem Rufe spornten wir die Rosse zur Verfolgung, unsere Fußtruppen, so inzwischen ihre Musketen geladen hatten, kamen hinterdrein gerannt, wir Reiter machten ihnen eine Gasse, und sie brannten dem flüchtigen Feinde ihre Kugeln auf den Pelz, daß die Lappen flogen.

Schon waren die Pappenheimischen Eindringlinge über den Oberwall zurück in die Faussebraye geworfen, und wir vermeinten, nun werde uns der völlige Sieg gelingen, als auf einmal eine furchtbare Salve groben Geschützes aus der Richtung des Krökentors in unsern Haufen schmetterte. Ich hörte, wie die Unseren auf dem Walle schrien und wimmerten, und dann rief eine Stimme: »Mit unserer eigenen Batterie erschießen uns die Hunde! Auf! Schmeißet sie hinunter!«

Drauf so gingen die Unseren mit Wutgebrüll vor. Wir Reiter wollten absitzen und gleichfalls auf den Wall eilen. Aber da kam Herr Uslar herangesprengt: »Her zu mir! Vom Fischerufer kommen Kroaten! Mir nach!«

Nun wendeten wir die Pferde und folgten dem Offizier. An der Ecke, wo eine Gasse zum Fischerufer hinunterführet, wimmelte es von Menschen. Bürger wollten hastig Ketten über die Gasse spannen. Doch der Oberste Falkenberg schrie: »Noch nicht! Lasset unsere Reiter durch!«

Hierauf so schwenketen wir in die Gasse ein und sahen uns einem kroatischen Reitergeschwader gegenüber. Mit Karbinern schoß es nach den Fenstern, aus denen Steine und Balken geflogen kamen. »Auf und drein!« rief Herr Falkenberg mit geschwungenem Schwerte, wir rasselten an den Feind und warfen ihn, daß er ausriß. Wir folgten ihm zum Fischerufer. Hier kamen Kroaten aus den Häusern, wo sie geplündert hatten. Wir hieben sie nieder.

Doch da sahen wir, wie vom Rondel an der Elbe neue Kroaten geritten kamen; der Wasserstand war also niedrig, daß die Pferde bei der Mauer waten konnten. Es half uns wenig, daß wir auf den Feind schoßen. Immer neue Schwadronen rückten heran, und weil alle ihre Feuerrohre geladen waren, verloren wir viel Leute und mußten weichen.

Der nachrückende Feind kam in der engen Gasse nicht weit. Denn gleich hinter uns hatten die Bürger Ketten gespannt und ihre Häuser zu Festungen umgewandelt. Aber nun flammte eine neue Feuersbrunst auf. Der Feind warf Pechkränze in die Häuser, um durch Brand die Verteidiger auszutreiben.

Wir hielten an der Ecke der Lakenmacherstraße, als auf einmal von der Hohenpforte her eine wilde Flucht der Unseren kam. Gleich hinterher wurden feindliche Harnischreiter sichtbar, und Rufe des Entsetzens gingen durch unsere Reihen: »Jesus! Sie haben die Hohepforte! Nun kommt die ganze Armada!«

Aber Falkenberg schwang sein blutig Heldenschwert mit dem Rufe: »Wer rettet die Stadt?« Und allsogleich rannten wir wütend den Feind an. Gleich beim Anprall erlegte ich mit dem Pistol einen Gegner. Doch brach mein Pferd zusammen, und ich stürzte mit dem Kopfe wider einen Prellstein der Straße, daß mir die Sinne schwanden.

Als ich wieder zu mir kam und mich verwundert aufrichtete, war die Straße ringsum besäet mit Toten und stöhnenden, zuckenden Verwundeten. Ich betastete meinen Kopf, er schmerzte und blutete, doch fand ich keinen Bruch am Schädel.

Nun riß mich die Kriegsfuria aufs neue in den Kampf. Ich sprang auf und lud meinen Karbiner. Da flüchteten etliche unserer Reiterei an mir vorüber, und siehe, einer war der Herr Administrator des Erzstiftes Magdeburg. Doch gleich hinter ihm drein sprengten fünf feindliche Panzerreiter, von denen einer kostbare Federn auf dem Helme trug. Dieser Ritter verlegte dem Administrator den Weg und rief gebieterisch: »Ergebet Euch! Ihr sollet Quartier haben!« Da hielt der Administrator sein Pferd an, steckte sein Schwert in die Scheide und gab sich gefangen.

Ich legte auf den Ritter an und wollte eben losbrennen, als plötzlich eine weibliche Stimme »Johannes« schrie. Es war die Jungfer Gräfin, meine Thekla, als ein Mann gekleidet, mit Blute bespritzt, ein Schwert in der Rechten, ein Pistol in der Linken. »Zu Hilfe, Johannes!« rief sie und lief zu einer kämpfenden Gruppe.

Ich folgte und sahe den Obersten Falkenberg, der vor sich auf dem Rosse einen ohnmächtigen Verwundeten hielt und an drei Harnischreiter, so ihn umzingelten, Schwerthiebe austeilte. Den wildesten Gegner des Obersten traf mein Karbinerschuß. Des andern Roß brach unter dem Schwertstich der Jungfer Thekla zusammen. Da brannte der dritte sein Feuerrohr auf den Obersten ab, stürzte aber gleich darauf, getroffen von einem Beilhiebe des Rottmeisters Hans Herkel, jenes Propheten, so gerufen hatte: »Meine Seele sterbe mit den Philistern!«

Der Oberste Falkenberg ließ sein Schwert fallen, griff sich nach der Brust und sank nach vorne über den Menschenkörper, der noch immer vor ihm lag. Ich nahm des Obersten Linke, während Hans Herkel auf der andern Seite des Rosses die Rechte ergriff, Thekla hielt des Rosses Zügel – und so führten wir den verwundeten Obersten aus dem Kampfgetümmel.

Unweit war der Jakobikirchhof. Dorthinein zu den grünen Grabhügeln ging unser Zug. Bei der Wohnung des Totengräbers war ein Brunnen und eine Bütte mit Wasser. Ein unmündig Mägdlein, des Totengräbers Kind, stund dabei und staunete uns an.

Hier machten wir Halt, ich und Hans Herkel ließen den Obersten vom Roß in unsere Arme gleiten und legten ihn an einen grünen Grabhügel, das Haupt zwischen Stiefmütterchen und Narzissen gebettet. Jungfer Thekla hielt indessen den andern Körper, den das Roß getragen und der noch immer querüber lag, bei den Schultern und schaute schluchzend in das bleiche Angesicht. Und siehe, dies Angesicht gehörte der Frau Falkenbergin. Gleich Thekla hatte sich die edle Frau in Mannesgewand getan und als ein Krieger in den Kampf gestürzt, an ihres Gatten Seite zu fallen. Als wir sie neben den Obersten betteten, spürten wir, daß sie tot war.

Falkenberg drehte seinen Kopf zur Gattin, und ihre Hand legte ich in die seine. Er dankte mir mit einem Blicke und schaute mit wehmütiger Liebe nach seiner entseelten Frau.

Hans Herkel und ich stunden schweigsam dabei. Das Knattern und Donnern der Schlacht scholl herüber. Auf einmal aber ertönte aus dem nahen Blütenbusche das Flöten einer Nachtigall, so süß, als sei in Todes Arm die holdeste Hochzeit. Zugleich hörte ich des Totengräbers Kindlein jauchzen. Mit seinen Händlein plätscherte es in der Wasserbütte und freute sich der glänzenden Wellen und sprühenden Tropfen.

Da ging ich hin, schöpfte meinen Hut voll Wasser und gab dem Obersten zu trinken. Thekla wusch das Angesicht ihrer verblichenen Schwester und weinte heiße Zähren. Hans Herkel hatte des Obersten Koller aufgetan und suchte das Blut der Brustwunde zu stillen.

Stöhnend richtete sich der Oberste auf. Da fielen Ascheflocken aus der Luft bei uns nieder, und gen Himmel richtete der Sterbende sein Auge groß und gierig. Droben flogen Rauchwolken und Funken.

»Herkel!« – stieß er mühsam herfür – »es ist Zeit – ans Werk! Er hat das Zeughaus übernommen.«

Ein heiser Schluchzen brach aus Hans Herkels Brust; dann rief er wild: »Ich tu's!« und rannte spornstreichs fort.

Mit einem Lächeln des Triumphes sank der Oberste zurück in die Blumen. Dann sah er milden Auges abwechselnd mich und Thekla an. »Tielsch,« – hauchte er – »rette Er die Jungfer – in die Kirche – schnell fort!« Keuchend rang des Helden Brust, ein Blutstrom brach aus seinem Munde, er röchelte – und verschied.

Thekla schrie auf, warf sich zu den Toten auf den Boden und umschlang ihre Schwester schluchzend. Dann küßte sie des Obersten Hand.

»Mein gnädig Fräulein«, mahnte ich. Da sie aber nicht hörte und von neuem aufschrie, so ergriff ich ihre Hand, hub die Jungfer empor und sprach: »Bitt Euch, gnädig Fräulein! Wollet doch den letzten Willen des Toten erfüllen und eilends mit mir gehen. Oder möchtet Ihr in Feindes Hand fallen?«

Sie starrte mich tränenvollen Auges an, besann sich und sprach: »Ja doch, Johannes! Ich komme allbereits.«

Nun eilten wir über die Gräber zur Pforte der Jakobikirche. Ich pochte heftig und rief: »Machet doch auf! Wir sind Magdeburger!« Doch verschlossen blieb die Pforte.

Hierauf verließen wir eilends den Kirchhof und liefen die Blaue Beilstraße entlang, die von Menschen ganz leer war, da sich alles in die Häuser verkrochen hatte.

Als wir auf den Breiten Weg kamen, rannten Bürger, jammernde Weiber und Kinder an uns vorüber, nach links, während rechts vom Krökentore her ein feindlich Reitergeschwader anrückte mit Heerpauken und Drommeten. Wie eine blökende Schafherde vor dem Wolfe flüchtete das arme Stadtvolk. Ich hielt der Jungfer Hand und riß sie mit mir fort. Hinter uns krachte eine Salve, und etliche Leute wälzten sich im Blute. Wir waren heil geblieben und bogen um die nächste Straßenecke.

»Zur Johanniskirche!« rief ich, hoffend, dorten vielleicht Einlaß zu finden. Und wir rannten durch die Gassen.

An der Ecke der Marktstraße aber hatte Thekla derart den Odem verloren, daß sie nicht weiter konnte und stehen blieb. Es war gerade bei einer Gruppe jammernder Menschen. Es stund allda ein Prädikant, angetan mit seines Amtes Tracht, die Heilige Schrift mit der Linken an seine Brust gedrückt. Um ihn herum zitterten etliche bange Herzen von Jungfrauen und älteren Weibsbildern. Das war ein Weinen und Händeringen: »Was sollen wir denn tun? Was tun?« Der bleiche Prädikant aber erhub nur immer die Rechte und sprach: »Gott allein weiß das! Gott allein!«

Da packte mich die Jungfer Gräfin am Arm und schrie, die Augen wild aufgerissen: »Bring Er mich um, Johannes! Tu Er mir die einzige Liebe! Die Kroaten kriegen mich sonst! Schieß Er mich tot! auf der Stelle!« Und sie reichte mir ihr Pistol.

Ich riß es aus ihrer Hand, steckte es in meinen Koller und sprach: »Ja doch, mein gnädig Fräulein! Lebendig soll Euch der Feind nicht kriegen – das gelobe ich! Aber noch ist es nicht Zeit zum verzweifeln. Erst such ich, Euch zu retten! So gebeut unseres teuren Obersten letzter Wille. Wollet ihn, mein Fräulein, doch respektieren!«

»Nun gut!« entgegnete sie. »Johannes! Geb Er mir das Pistol zurück. Ich folge Ihm! Doch unser Plan ist schlecht. Bedenk Er nur: So es uns wirklich sollte gelingen, in die Johanniskirche hineinzukommen, was hilft uns das? Der Feind wird die Pforten sprengen oder zu den Fenstern eindringen. Er verschonet die Kirche nicht, für ihn ist sie ein Ketzertempel.«

Daß dieser Einwand richtig sei, leuchtete mir ein. Ich sah im Geiste das Innere der Johanniskirche, sah die hineingeflüchtete Menschenmenge, wie sie teils betete, teils zwischen den Säulen herumirrte und nach einem Verstecke suchte. Versteck! Ja, wenn ich einen Versteck fände! Einen unterirdischen!

»Gott sei gedankt!« rief ich. »Ich weiß Rat! Aus dem Keller des Predigerhauses führet ein unterirdischer Gang in die Johanniskirche und von dorten nach Kloster Berge. In den wollen wir eindringen!« Und wieder ergriff ich des Fräuleins Hand und riß sie mit mir.

Da wir zur Johanniskirche kamen, hörten wir, wie die Pforte von innen vernagelt und verrammelt ward. Wir liefen um die Sakristei herum, und da stund nun das traute Haus, allwo ich als Knabe mit den Eltern gewohnet. Doch die Haustür war verschlossen, und die Eisengitter vor den Fenstern hinderten das Hineinsteigen.

Ich pochte heftig und rief: »Machet doch auf! Wir gehören ja zu euch! Sind evangelisch! Ich bin allhie geboren – bin des ehemaligen Prädikanten Tielsch sein Sohn – jetzo schwedischer Korporal! Machet auf! Wir wollen euch ja helfen! Wir wissen Rettung. Ei, so machet doch endlich auf!«

Vergebens! Indessen blickte aus einem Fenster des Nachbarhauses ein Weibsbild und sagte: »Ach, ihr Soldaten! Seid ihr wirklich Freunde?«

»Ja doch!« entgegnete ich. »Und damit Sie erkennet, daß ich die Wahrheit rede, so sag ich: Mein Quartier ist auf dem Ringe beim Kaufmann Schmidt; Sie kennt wohl seine Mutter, die alte Schmidtin. Und nebenan logieret – ach Gott, nein – hat logieret der Herr Oberste Falkenberg – Gott mache den Helden selig! Und ich – bin ein Magdeburger Kind, vor 27 Jahren hier nebenan im Predigerhause geboren.«

»Ich mache schon auf!« rief das Weibsbild und verschwand. Gleich darauf wurde die Haustür aufgetan. Das Weibsbild, eine Hausmagd, Trude mit Namen, war ganz allein, sintemalen der Hausherr benebst Weib und Kindern in die Johanniskirche sich geflüchtet. Schon wollte die Magd die Haustüre hinter uns verschließen, als mir eine Kriegslist beifiel, den Feind zu täuschen, so jede Minute erscheinen konnte.

»Höret mich an!« sagte ich. »Ich weiß einen Rat! Wir wollen dies Haus also zurichten, als ob die kroatischen Mausköpfe schon hieselbst gewesen wären. Vielleicht daß die Plünderer alsodann vorübergehen, weil sie denken: da ist nichts mehr zu holen. Trude, bringe Sie mir eine Axt.«

Zur Jungfer Gräfin aber sprach ich: »Mein lieber Jaroslaus – so muß ich Euch nun wieder heißen – nimm den Säbel und schlitze die Betten auf – Stroh und Federn sollen verstreut werden.«

Da Trude die Axt gebracht, gab ich ihr fürder auf, in den Hausflur einen Tisch zu setzen und Speisen und Bier aufzutragen. Während sie es tat, zerschlug ich mit der Axt Ofen, Truhen und Schränke, Türen und Fenster. Dann tat ich die Haustüre sperrangelweit auf. Jungfer Thekla schleppte indessen zerschlagene Töpfe, Stroh und Bettfedern bis vorn in den Hausflur und auf die Straße. Wir aßen und tranken etliches von den Speisen und dem Bier. Und nun sahe das Haus also wüste aus, als sei hier für Plünderer rein gar nichts mehr zu holen.

Es war die höchste Zeit, denn schon hörten wir Schüsse bei der Johanniskirche. Von der Magd geführt, gingen wir die Treppe hinauf unters Dach in eine Bodenkammer. Ich und Jungfer Thekla prüften unsere Waffen, ob sie auch in Ordnung. Die Magd aber hielt das Beil gefaßt und zitterte vor Begier, den eindringenden Feind anzufallen.

»Trude,« sprach ich – »ist es möglich, daß wir nebenan ins Predigerhaus gelangen? Dorten ist im Keller sichere Zuflucht, nämlich ein heimlicher Gang, so unterirdisch zur Johanniskirche führt.« Die Magd starrte mich an, als begreife sie nicht. »Ins Predigerhaus müssen wir!« fuhr ich fort. »Aber die Haustür ist verrammelt. Können wir nicht auf andere Weise hingelangen? Vielleicht übers Dach.«

Sofort tat ich die Dachluke auf und spähete hinaus. Dicke Rauchwolken, vermischt mit Funken, flogen über die Dächer. Ein feuerschnaubender Drache wälzte sich auf die Stadt. Drüben in der Johanniskirche hub ein Choral zur Orgel an. Von der Straße her scholl ein roh Gebrüll und Jauchzen: »All gewonnen! All gewonnen!«

Ich prüfte, ob der Weg übers Dach möglich. Es war nach unten steil, hatte jedoch oberhalb der Luke eine platte Stelle, über die man wohl sichern Fußes zu einer ähnlichen Stelle der Predigerhauses gelangen konnte.

»Fort von hier!« sagte ich. »In wenigen Stunden steht das ganze Viertel in Flammen. Wollen wir nicht verbrennen oder dem Feind in die Arme laufen, so müssen wir den unterirdischen Gang im Predigerhause aufsuchen. Vorwärts, klettern wir übers Dach!« Die Magd rang die Hände. Jungfer Thekla nahm entschlossen einen Strick, so durch die Bodenkammer gespannt war, und knüpfte das eine Ende um ihren Leib.

Ich kletterte nun zur Lucke hinaus und ließ mir des Strickes anderes Ende reichen, kroch zur platten Stelle des Daches empor und schlang den Strick um den Schornstein. Hierauf kehrte ich zur Luke zurück und half der Jungfer Thekla auf das Dach und hinan zur platten Stelle steigen. Ebenfalls mit Hilfe des Strickes, den Thekla nun frei gab, holte ich die Magd herauf, versäumte auch nicht, unsere Waffen mitzunehmen. Dann kroch ich hinüber zum Predigerhause, wo ich eine Dachluke offen fand, und befestigte daselbst den Strick, der nun gespannt als ein Geländer vom Schornstein zur begehrten Stelle hinleitete. Uns gelang der schwindelige Stieg übers Dach, und durch die Luke kamen wir in eine Bodenkammer, wie sie vom Gesinde bewohnt wird.

Also waren wir endlich angelangt, allwo ein Weg zur Rettung winkte. Doch unsere Hoffnung ward gar bald verdüstert. Da wir nämlich die Tür der Bodenkammer auftaten, scholl von unten ein bestialisch Toben. Die Beutemacher waren also doch gekommen.

Und nun polterte ein schwerer Schritt die Treppe zu uns herauf. »Nicht schießen,« raunte ich, ergriff den Strick und lauerte hinter der Tür. Thekla trat neben mich mit gezücktem Degen, während die Magd auf der anderen Seite das Beil erhub. »Lebendig müssen wir ihn haben! Er soll uns die Losung sagen!« flüsterte ich.

Gleich darauf trat ein Soldat mit vorgestrecktem Degen ein. Im Nu hatte ich den Strick um seinen Hals geworfen und würgte ihn, daß er vor Schwäche zusammenbrach. Thekla schloß die Tür der Bodenkammer, und während die Magd dräuend das Beil über dem Kopfe des Gefangenen hielt, herrschte ich ihn an: »Schweig! So du schreiest, bringen wir dich um!« Hierauf ließ ich den Strick etwas lockerer, daß der Gefangene wieder Odem bekam und sagte: »Wie lautet eure Losung? Antwort, oder du bist des Todes!«

»Jesus Maria!« krächzete der Soldat.

»Heißet die Losung Jesus Maria?«

»Ja.«

Nun zog ich den Strick wieder fester und sprach zu Thekla: »Was machen wir mit ihm?«

»Totschlagen«, knirschte die Magd.

»Knebeln wir ihn!« meinte Thekla, trennte mit dem Degen ein Stück vom Bettlaken und rollte es zum Knebel zusammen.

Der Gefangene setzte sich zur Wehr. Wie ich aber meines Schwertes Schneide an seinen Hals hielt, ward er kirre und ließ sich den Knebel ins Maul stecken. Hierauf banden wir ihm Füße und Hände hinterrücks zusammen und fesselten ihn an einen Dachbalken.

»Trude!« sprach ich zur Magd, »so jetzo andere Beutemacher heraufkommen, verbleibt uns nur ein Rettungsmittel:

Ich und mein junger Kamerad hier müssen uns stellen, als ob wir zur kaiserischen Soldateska gehören. Die Losung wissen wir ja. Du aber, Trude, bist unsere Gefangene und mußt immer sagen: Das Geld liegt im Keller, da ist ein heimlich Gewölbe. Hörst du, Trude, hier im Keller des Predigerhauses ist ein Gewölbe mit Geld ... Mut, Trude! Und wenn ich mich stelle, als sei ich selber ein Beutemacher – und wenn ich dich sogar würge ...« Hiermit packte ich die Magd an der Gurgel und schüttelte sie, doch ohne ihr wehe zu tun. Entsetzt starrte sie mich an. »Macht nichts,« fuhr ich fort. »Es geschieht ja nur, den Feind zu täuschen. Es kommt darauf an, daß wir ins Gewölbe gelangen – es ist wirklich da und führt vom Keller zur Johanniskirche ...«

Nun redete auch die Jungfer Gräfin der Magd zu: »Tu, was der Korporal gebeut. Es ist eine Kriegslist. Der heimliche Weg kann uns retten.«

Auf einmal erhellte sich das Antlitz der Magd und sie sprach: »Ja, nun verstehe ich. Ja, ich will es tun. Aber mir ist bange. Herr Jesus, wenn die Sache schief geht! ...«

Indem vernahmen wir Tritte auf der Treppe. Da galt es, nicht länger zu zaudern, sondern dem Feinde entgegenzugehen.

»Noch eins,« sagte ich – »wir gehören dem Grafen Mansfeld und sind von der Sudenburg her in die Stadt gedrungen. Nun denn in Gottes Namen los!«

Packte also die Magd bei der Gurgel und rief: »Wo ist der Geldschatz? Im Keller? Führe uns hin, Bestie!« Dann tat ich die Tür auf, wiederholte recht grimmig diese Worte und zerrte die Magd die Treppe hinab, während mein Junker Jaroslaus folgte.

Unten auf dem Flur stund ein Soldat, die Beine gespreizt und die Muskete mit brennender Lunte auf uns angeschlagen. »Losung!« brüllte er.

Gleichmütig entgegnete ich: »Jesus Maria!« und schleppte die Magd vollends hinunter. Da der Kroat noch immer stutzig und mißtrauisch stund, sagte ich ihm keck ins Angesicht: »Holla, Kamerad! Komm Er mit mir in den Keller, dorten liegt Gold – ja Gold – ein großer Schatz!«

Da blitzte freudige Gier aus seinen Augen, er setzte die Muskete ab und schloß sich uns an, indessen wir die Magd auch die nächste Treppe hinunterschleppten.

Unten drangen auf einmal drei Beutemacher auf uns ein und riefen, mit ihren Waffen dräuend: »Losung!« »Jesus Maria!« antwortete ich, während der Kroat in fremder Sprache auf seine Kameraden einredete, worauf sie sich zufrieden gaben. Nur einer – ein junger Offizier – hielt seinen Degen gezückt und sprach: »Wos seids denn Ös? Doch nit Pappenheimer!« »Mansfelder!« entgegnete Thekla. Ich aber fügte hinzu: »Ja, wir Mansfelder waren allbereits früher da, als ihr. Was gaffet ihr, Kameraden? Kommet lieber mit in den Keller – dorten liegt Gold – ja Gold – ein großer Schatz – diese Magd wird ihn uns weisen.«

Die Soldaten redeten eifrig durcheinander. Der Offizier aber fragte verdutzt: »Sakrament noch emol! Sein die Monsfelder ollbereits in der Stodt? Verflucht! Aber gut, Gold nehmen wir! Gehen wir in Keller!«

Nun ließ ich die Magd los, hielt ihr die Faust unter die Nase und herrschte sie an: »Wehe dir, Bestie, so du läugest! Führe uns sogleich in den Keller und weise den unterirdischen Gang!«

»Mit Verlaub, ihr Herren!« antwortete die Magd weinerlich. »Lasset mich nur erst die Laterne anzünden. Unten ist es stichdunkel.« Hiermit ging sie in die Küche, und ich folgte ihr. Mit dem Feuerzeuge machte sie Licht und tat es in die Laterne, worauf ich das Feuerzeug in meiner Tasche barg.

Nun drangen wir alle in den Keller, und ich leuchtete mit der Laterne umher. Vom geheimen Gange nichts zu sehen; wohl aber lag in einer Ecke Gerümpel aufgeschichtet, alte Tonnen und Kisten. »Gesteh, daß der Schatz dahinter liegt!« fuhr ich die Magd an. »Ja doch, ihr Herren,« entgegnete sie und begunnte, das Gerümpel wegzuräumen. Wir halfen, und siehe, in der Mauer war ein niedrig Türlein, mit Eisen beschlagen. Da es unverschlossen war, taten wir es auf und fanden einen Gang, den man nur gebückt passieren konnte.

»Mein lieber Jaroslaus!« sprach ich laut zu Thekla. »Nimm die Laterne und suche den Schatz! Findest du, was wir begehren – du verstehst mich, Jaroslaus – so rufe, daß ich nachkommen soll.«

Sogleich ergriff Thekla die Laterne und kroch in den Gang.

Da rief der Offizier etliche Worte in kroatischer Sprache und sagte dann zur Magd: »Geh mit Milivoi in Kuchel – holen mehr Licht – andere Laterne, auch Fackel – ganz gleich – ist zu dunkel – fort Milivoi!« Und es ergriff einer der Soldaten die Magd am Arm und ging mit ihr hinauf.

Ich war allein mit dem Offizier und dem andern Soldaten. Da konnte ich einen Angriff wagen, zumal es so weit dunkel war, daß nur aus dem Gange ein Schimmer herfürdrang. Gebückt stund der Offizier am Eingange und schaute hinein.

»Hast du etwas gefunden, Jaroslaus?« rief ich.

Da antwortete Thekla in böhmischer Sprache: »Ja, Johannes; der Gang biegt links ab, wird ganz geräumig und geht weiter – ich glaube, er kann uns retten – komm geschwind nach und laß uns kämpfen.«

»Wos sogt er?« fragte der Offizier mißtrauisch. – »Er hat den Schatz!« antwortete ich und griff nach meiner Muskete. »Hot er?« sprach der Offizier und kroch in den Gang.

In diesem Augenblick erhub sich oben im Hause ein Poltern und Geschrei; die Magd Trude eilte zum Keller herein und rief: »Ach Gott, ach Gott – aus der Bodenkammer kommt der Soldat – andere haben ihn frei gemacht.«

Da holte ich mit meiner Muskete zum Schlagen aus und traf den Soldaten, so bei mir stund, daß er lautlos zusammenbrach. Nun kam der Offizier wieder aus dem Gange heraus, ich aber schlug ihn nieder, bevor er sich aufgerichtet hatte. Und sofort flüchtete ich in den Gang.

Gleich darauf erscholl Rufen und Waffenklirren im Keller, Fackelschein strahlte in den Gang, so daß ich meinen Schatten sah. Ein Schuß krachte.

»Johannes!« rief Thekla ängstlich.

»Ich komme,« antwortete ich.

»Schnell, schnell!« rief sie – »daß du hierher um die Ecke biegst – da trifft dich keine Kugel.«

Und es bog sich der Gang wie ein Knie, nach oben geräumig, so daß man sich aufrichten konnte. Hier stund Thekla hinter der Laterne, den Degen gezückt, ein Pistol in der Linken. »Verteidigen wir diese Stelle!« sagte sie.

Ich aber bedachte, ob man den engen Teil des Ganges nicht mit Steinen verrammeln könne. An der Decke fand ich das Gemäuer rissig und morsch, beschloß daher, es mit Pulver zu sprengen.

Riß aus meiner Feldbinde einen Fetzen, schüttete reichlich Pulver darauf, legte ein Stück Lunte hinzu und wickelte alles dermaßen zusammen, daß es ein Päcklein bildete. Das zwängte ich tief in eine Mauerritze und stopfte Steine hinterdrein, jedoch so, daß die Lunte herausragte. »Fort!« sprach ich zu Thekla und zündete das Ende der Lunte an. Wir liefen den Gang entlang.

Auf einmal erscholl hinter uns ein furchtbar Krachen, und der Lufstoß hätte mich beinahe zu Boden geworfen. Die Laterne war erloschen. Rauch und Staub benahm mir den Odem. »Thekla,« stöhnte ich. Sie antwortete erst nach einer Pause: »Hier bin ich.«

Nun holte ich das Feuerzeug aus meiner Tasche und zündete die Laterne wieder an. Wir gingen rückwärts und sahen, daß die Sprengung den Zugang mit Mauerstücken versperrt hatte. Lauschend vernahmen wir des Feindes Stimmen nur als ein verworren Gemurmel.

Stumm blickten wir einander ins Angesicht. Thekla seufzete, und als ich ihre Hand ergriff, verspürete ich, wie sie zitterte. »Mein gnädig Fräulein!« stammelte ich.

Gemeinsam sanken wir auf die Knie, und mir war, als halte ich die Vaterhand umklammert, die so gütig und so stark aus Feindesnot erretten kann. Nach ihrem Gebete schaute Thekla auf, als erwache sie vom Traume, sie starrte auf die Trümmer, so den Gang verschüttet hatten, sah mich hierauf an mit stummer Frage.

»Ein Zurück gibt es nicht mehr,« antwortete ich – »und ob das Vorwärts zur Rettung führt, steht bei demselben Gotte, der uns zu dieser Stunde so wunderbarlich geleitet.«

Aufschluchzend umschlang Thekla meinen Hals und barg an meiner Brust ihr tränenvolles Antlitz. Ich legte den Arm um die bebende Gestalt. Wir fanden keine Worte. Mich deuchte, ich sei ein Nachtfalter und schwirre, vom Lichte trunken, um eines Engels lichtes Angesicht.

Wie ich meinen Sinn gesammelt hatte, sprach ich: »O meine Thekla, liebe Thekla, warum nur ist die Ewigkeit so kurz?« Da sie mich liebreich, doch fragend anschaute, meinte ich: »Wir waren in der Ewigkeit – und sind auf einmal wieder in der bangen Zeit.«

Mit einem schweren Seufzer preßte sie meine Hand an ihren Busen, flüsternd: »Ach, hätte der treue Gott jetzo uns beide zu sich genommen!«

»Es ist wohl noch nicht so weit – Pilger sind wir, und wer weiß, wo unser Ziel. Komm, liebe Braut! Ich bin bei dir, du bist bei mir.«

Und meinen Arm um ihre Schultern gelegt, stützte und leitete ich sie.

Bald hörte der Gang auf, eine sehr schmale Treppe von Stein führte aufwärts, bis sie von einem hölzernen Dache abgeschlossen ward, geformt als ein Sargdeckel. Ich drückte dawider, und es hub sich der Deckel. Ich ließ mir von Thekla die Laterne reichen und leuchtete in den aufgetanen Raum.

Es war eine Gruft, darin etliche Särge stunden. Wir erkannten, daß wir unter der Johanniskirche waren. Die Tür, durch die ich eindrang, war ein Sarg inmitten der anderen – ein Sarg ohne Boden; sein Deckel war der Verschluß unserer Treppe.

Wir stiegen in die Gruft empor und taten den Sargdeckel hinter uns zu. Außer den Särgen befand sich in der Gruft ein Schrein, dessen Tür verschlossen war. Eine Leiter führte zur Decke, und hier mußte eine Falltür sein. Ich kletterte hinan und stemmte mich wider die eiserne Platte. Sie hub sich und klappte mit dumpfem Falle seitwärts.

Wir stiegen in ein Gewölbe, das wohl ebenfalls unterirdisch war, da es keinerlei Fenster hatte. Nur eine Tür, mit Eisen beschlagen. Ich rüttelte daran, sie schien von außen mit einem Vorhängeschloß versperrt. Das Gewölbe enthielt Truhen und Schreine, sowie etliche Fässer. Ich ward nun inne, daß wir in einer Gerätekammer der Kirche waren, wohin ich als Knabe meinen Vater einmal begleitet hatte.

Tat eine Truhe auf und fand eine Altardecke von schwarzem Sammet. »Kirchengerät!« sprach ich. »Vor den Plünderern hat man's geborgen. Hier muß ein guter Versteck sein.«

Auch die Truhen waren mit seinen Geweben angefüllt. Ein Schrein enthielt kostbare Leuchter und Wachskerzen, ein anderer silberne Kelche und Kannen, ein dritter ein Kästlein von Ebenholz, angefüllt mit Oblaten des heiligen Abendmahls. Da ich Thekla fragend ansahe, erschauderte sie und faltete die Hände. Ich verspürete auf einmal nagenden Hunger, brennenden Durst.

»In den Fässern ist Altarwein,« flüsterte ich; »sollen wir nicht ein Weniges davon trinken?« Thekla schwieg. »Der Wein hat noch keine Weihe,« – fuhr ich fort – »man darf ihn trinken.«

Wankend setzete sich Thekla auf eine Truhe, ließ den Kopf hängen und ächzete: »Ach – ich – verschmachte.«

Da holte ich hastig eine der silbernen Kannen, drehte am Zapfen eines Fasses, ließ dunklen Wein in die Kanne laufen und hielt sie an Theklas Mund. Thekla tat einen langen Zug, und nun trank auch ich, flammend Leben rann durch unsere Adern, neue Kraft und Hoffnung war auf einmal da.

»Auch essen dürfen wir,« sagte ich. »Stehet nicht geschrieben, daß Gottes Knecht David sich Hungers halber vom Priester die heiligen Schaubrote geben ließ? Überdies werden die Oblaten ja erst im Abendmahl der Leib des Herrn.«

Thekla blickte zuversichtlich: »Und wären sie selbst schon geweiht, unser Heiland würde denken: Euch zwei armen Menschenkindern ist meine Speise Rettung des Leibes und der Seele. Nehmet hin und esset!«

»Amen!« sprach ich und brachte meiner Braut das Kästlein mit dem heiligen Gebäck; wir aßen und genossen dazu vom Weine.

Taumelnd lehnte Thekla ihren Kopf an meine Brust, und für ein Weilchen kehrte wieder jenes Entzücken, so mich im unterirdischen Gange begnadet hatte. Singen und klingen hörte ich die himmlischen Heerscharen. Bald freilich ward ich inne, daß man droben in der Kirche zur Orgel sang. Da ergriff mich Zagen. Hatte allbereits vermeinet, seit unserer Flucht über die Dächer, allwo ich das Choralsingen der bangen Kirchengemeinde zuerst vernommen, sei eine lange Zeit verflossen; und nun ward mir klar, daß es wohl nur ein Viertelstündlein gewesen, und daß die Feindesnot erst eigentlich beginne.

»Was ist dir?« fragte Thekla erschrocken.

Ich sprang auf. »Wir dürfen der Gefahr nicht vergessen.« Und ich leuchtete mit der Laterne in der Gerätekammer umher, beunruhigt von dem Gedanken, wir möchten keinen Ausweg finden.

Da vernahm ich Orgelton und Gesang, er kam von einer Ecke des Gemaches her, und dort führte eine Schneckentreppe aufwärts. Ich stieg mit der Laterne hinauf und gelangte in einen schmalen Raum, allwo ich nicht weiter konnte. Der Choral aber scholl deutlich durch die eine Wand.

Sie betastend ward ich inne, daß sie aus schwanker Leinewand bestund, und durch ein taghell schimmernd Löchlein sah ich in die Kirche, gerade auf den Prädikanten, so am Altare betete, während die Gemeinde rings um ihn auf den Knien lag. Nun erkannte ich, daß ich in einer ausgehöhlten Seitenwand der Kirche war, nur durch eines Gemäldes Leinewand vom Altarraume getrennt. Ein Ausweg aus den unterirdischen Räumen war ja nun gefunden. Zugleich aber bildete dieser Ausweg eine Gefahr.

Da sprach ich zu Thekla, die neben mir stund und durch das Loch des Bildes schaute: »Wir müssen wieder hinunter zu den Särgen! In der Gerätekammer ist keine Sicherheit. Dringen die Feinde in die Kirche ein, so werden sie alles nach Schätzen durchstöbern. Und wimmern Küster und Prediger erst in der Folter, so verraten sie wohl, wo die silbernen Geräte liegen. Übrigens braucht ein Plünderer nur seine Picke in dies Gemälde zu stoßen, so ist die Höhlung entdeckt und wird für einen Versteck von Schätzen oder Menschen gehalten. Und wird nicht die nahende Feuersbrunst auch die Kirche ergreifen? Kann nicht der Dachstuhl brennend zusammenbrechen? Wer weiß, ob das obere Gewölbe den Einsturz aushält? Hinunter also!«

Wir kehrten zur Gerätekammer zurück, Thekla nahm das Kästchen mit dem Abendmahlgebäck, ich zween Leuchter nebst Wachskerzen, und wir begaben uns durch die Falltür wieder in die Gruft. Holten noch eine Kanne Weines, einen Becher, die Truhe mit Altardecken und Tüchern. Anfangs hatten wir vor, den ganzen Kirchenschatz zu bergen; indessen schien es ratsam, den Plünderern etliche Kostbarkeiten zu lassen, auf daß sie nicht weiter suchen möchten.

Um zu beobachten, was sich ereigne, waren wir aufs neue zur Gerätekammer emporgestiegen; da vernahmen wir, wie der Choral in der Kirche abbrach, wie dann ein Poltern und Krachen losging, als ob man die Kirchenpforte erbreche, und auf einmal ein vielstimmig Angstgeschrei und Weheklagen anhub.

Ich fühlte mein Herz pochen und Kampfeswut mir zu Häupten steigen. Machte meine Muskete bereit, hastete die Schneckentreppe hinan und lugete durch das Loch.

Um den Prediger, der mit entsetzt aufgerissenen Augen und ausgebreiteten Armen am Altare stund, drängten sich weinend und händeringend Weiber und Kinder, wie Küchlein, so unter der Mutter Fittig Schutz suchen. Etliche Männer aber waren handgemein mit der eingedrungenen Soldateska. Schüsse krachten, Partisane und Säbel blitzten, man brüllte gleich wütenden Stieren, stöhnend sanken die Opfer hin, und aus ihren Körpern quollen rote Bäche.

Nun lösete sich der Menschenknäuel um den Altar in einzelne Gruppen auf, wo allerlei Drangsale vorgenommen wurden. Wie Teufel sahen die Beutemacher aus, dunkelrot die Gesichter, blitzend die Augen. Da würgete einer einen alten Mann, einem Frauenzimmer riß man die Kleider vom Leibe. Zween Soldaten packten einen Bürger und quälten ihn durch Drehen seiner Arme, daß er aufschrie. Dann ließen sie nach und herrschten ihn an: »Gesteh!« Viele Plünderer schleppten ihre Opfer fort, auf daß sie in den Wohnungen verborgene Schätze angeben sollten.

O wie schnitt mir die Folter der armen Menschen, das Stöhnen und Kreischen, das Wimmern und Röcheln ins Herze! Zu mehreren Malen bäumte sich in mir die Rachsucht auf, und ich hätte mit der Muskete in die Plünderer hineinschießen mögen. Doch zügeln mußte ich mich, um meine geliebte Braut nicht zu gefährden. Und so schaute ich tatenlos zu, wie grausam der Feind meinen Landsleuten und Glaubensgenossen mitspielete. Manchesmal wandte ich mich ab vor Entsetzen, schüttelte die Faust und biß hinein in ohnmächtiger Wut.

Da legte sich eine Hand auf meine Schulter, Theklas Antlitz stund voll Schmerz und Tränen. Das grausige Schauspiel hatte sie mit angesehen, da auch sie eine Öffnung im Gemälde gefunden. Nun stund sie erschüttert und ratlos, die Hände ringend. Dann warf sie sich an meine Brust und schluchzte.

Ich hielt die zitternde Braut umschlungen und streichelte wortlos ihre Wange.

»Ach, Johannes, laß uns nicht wieder hinschauen! Das ist ja die Hölle! Ihr Anblick weckt böse Geister.«

Ich nickte, und wir kauerten uns in eine Mauernische.

Aber nun vernahmen wir mit dem Ohre, was in der Kirche geschah; es war, als ob ein Bann uns zwinge, darauf zu achten. Und es dehnte sich die Zeit – wir seufzeten – aber des Schreckens war kein Ende.

Horch, nun scholl aus rauhen Kehlen ein Sauflied und ein Jauchzen, als ob man sich beim Weine verlustiere. Dann Weiberkreischen und wiehernd Gelächter. Die Augen aufgerissen, als ob sie innerlich schaue, brütete Thekla schweigend.

Ungeduld quälte mich. Dies Hinhorchen war ja schlimmer als das Zuschauen. Sprang also auf und lugete wieder durch die Öffnung des Gemäldes.

Ist das nicht der Prädikant? Ganz nahe lehnt er an einer Säule, matt zum Hinsinken. Bleich sein Gesicht, der Priesterkragen mit Blut besudelt. Ein Kroat hält die Muskete auf ihn angeschlagen, während ein zweites Feuerrohr am Boden liegt. Als eine reißende Bestia ist der Kerl anzuschauen, wie er die Augen funkeln läßt im gelben Gesicht und, den gepichten Schnauzbart wie Eisen spitzig, in jeder Backe eine Mordkugel vorrätig hält.

»Pfaff, gib Geld!« stößt er heiser hervor. »Gib Geld – oder –«

Da wirst sich eine junge Frau, ihr Kindlein im Arm, vor den Kroaten hin und ruft: »Erbarmen! Gnade! Pardon! Wir haben ja kein Geld mehr! Gnade! Pardon! Mein Mann ist geistlich!«

»Ah, Ketzer!« schnaubt der Kerl. »Pfaff, gib Geld – oder –«

Nun legt die Frau ihr wimmernd Kind auf den Boden, nestelt an ihrem Brustleibchen, reißt etwas Glitzerndes ab und beut es dem Eisenbeißer dar.

Kalt blickt der Wüterich, bläset darauf die Lunte seiner Muskete an und will schießen.

Da ermannet sich die verzweifelte Frau, schlägt ihm die Muskete in die Höhe, wobei der Schuß losgeht, rafft das andere Feuerrohr vom Boden auf und legt es wider den Feind an. Der glotzt wie versteinert.

Indem aber tritt ein anderer Feind von hinten zur Frau und trifft sie mit einer Keulhaue auf den Kopf, daß sie taumelt. Zugleich springen von allen Seiten Feinde herbei, geschwungene Säbel blitzen und zerhacken den hingesunkenen Körper wie Fleisch auf dem Metzgerblocke. Hierauf so packen die Mörderfäuste das am Boden liegende Kindlein an den Beinen und reißen es voneinander wie einen Tuchfetzen.

Da halte ich mich nicht länger, und wie Thekla mir zuruft: »Ja, schieß!« stecke ich die Muskete durch die Öffnung, nehme mir einen Bluthund aufs Korn und brenne los. Zugleich knallt Theklas Pistol. Der Pulverdampf verhüllt die Gruppe.

Wie er sich verteilt, wälzen sich zween Soldaten im Blute, während die anderen sich fortgemacht haben, und nur einer, den Karbiner angeschlagen, zum Gemälde emporstarrt, verdutzt, weil zwar Rauch, aber kein Schütze zu erblicken. Dann wendet der Soldat sein Gesicht ganz aufwärts, als ob er oben im Gewölbe etwas Seltsamliches gewahr werde. Gleich darauf reißt er die Augen auf und schreit: »Feurioh!«

Wie ich mich bemühe, durch das Loch emporzuspähen, siehe, da bricht an einer Stelle der gewölbten Decke schwarzer Qualm herfür und eine Funkengarbe. Und auf einmal geht ein Gebrüll los: »Feurioh! Die Kirche brennt!«

Ein Teil der Plünderer rennt zur Kirchenpforte, der andre Teil scheint es nicht eilig zu haben. Aber da kommt ein Soldat zurückgelaufen: »Macht fort! Das ganze Stadtviertel brennt!«

Nun geht die Flucht erst recht los, alles, was sich regen kann, drängt zum Ausgange. Bis auf wenige Kerle, die entweder kaltblütig oder sinnlos fortfahren, ihren räuberischen und bestialischen Gelüsten zu fröhnen. Einer zerrt am Fuß eines erschlagenen Bürgers, ihm den Stiefel abzuziehen. Ein paar Saufbrüder wanken gröhlend Arm in Arm, den gefüllten Kirchenpokal erhoben.

Bald aber sind die Menschenlaute verstummt, und nun haucht und wispert und knattert die Feuersbrunst.

Fragend sehe ich Thekla an: »Sollen wir hinaus? Oder bleiben?«

»Bleiben!« meint sie. »Denn so wir selbst der Feuersbrunst entgehen, wird uns diese Soldateska empfahen.«

»Laß uns zuvörderst kundschaften! Komm Thekla, wir wollen uns umschauen!«

Mit dem Schwerte zerschneide ich die bemalte Leinewand, hole aus der Gruft die Leiter und lasse sie durch die gewonnene Öffnung hinunter. Drauf steige ich ins Kirchenschiff, gefolgt von Thekla. Den Säbel in der Rechten, in der Linken das Pistol schußfertig, nehmen wir den Weg nach der Pforte.

Welch gräßlicher Anblick! Durch die ganze Kirche verstreut, besonders am Altare, liegen die blutigen Opfer der Mordknechte. Hin und wieder zuckt noch ein Glied; Stöhnen und Röcheln. Auf der Kanzeltreppe sitzt ein bejahrter Mann, reglos, verzerrten Angesichts. Sein Daumen ist in ein Pistol an Stelle des Feuersteins festgeschraubt. Daneben ein Kind mit zerschmettertem Schädel. Mitten in der Kirche haben die Bestien zur Bluthochzeit gesoffen und geschmauset. Roter Wein ist aus einem Fasse gelaufen und mengt sich mit vergossenem Blute.

Und dorten am Taufbecken – was ist das? Nackte Körper, zwei junge Weibsbilder, gänzlich entblößet, haben Kopf und Oberkörper im Taufwasser, solchergestalt ersäufet, indes die Beine heraushängen. Ein ander Weibsbild lieget am Boden, die Arme gefesselt, hat schändliche Gewalt leiden müssen; reget sich nicht mehr. Und neben dieser Leiche hockt ein lebendiger Plünderer. Seine Augen glotzen aus gerötetem Gesichte. Toll und voll gröhlet er:

»Zur Hochzeit immer feste

Blutwurst und Branntewein.

Dann komm du mir ins Neste,

Mein glattes Vögelein.«

Wie wir zur offenen Kirchenpforte kommen, schlägt uns sengendheißer Odem entgegen, ein einzig Meer von Flammen ist der Himmel; rings brennen alle Häuser, es rauscht und heult wie ein Orkan, prasselt und kracht von stürzenden Balken und Ziegeln. Unmöglich, diese Glut zu bestehen. Zurück also, wieder zurück in die Kirche.

Aber seltsam! Von hehrem Orgelklang erbrauset auf einmal das Gewölbe. Spielt uns der Todesengel den Sterbechoral? Oder ist das ein Mensch? Der Organist?

Die Treppe zum Chore eilen wir hinan. Da sitzt vor der Orgel ein Mann mit weißen Locken, Wie ich ihm die Hand auf die Schulter lege, starrt er uns als ein Träumender an und spielt weiter.

»Kommet mit uns!« rufe ich ihm zu. »Auf! Rettung bringen wir, so Gott will. Wir sind Magdeburgische! Die Kirche hat einen unterirdischen Gang! Da hinein wollen wir uns flüchten! Auf!«

Der Organist schüttelt lächelnd das greise Haupt. Dann hebt er mit klarer Stimme zur Orgel zu singen an:

»Ob Sodom und Gomorrha brennt,

Mein Herz bleibt ohne Zagen!

Denn zu Jehovahs Firmament

Holt mich sein Feuerwagen.«

Mit großen Augen, die Lippen schmerzlich zusammengepreßt, starrt Thekla diesen Frommen an, dessen Seele, erhaben ob aller Leibesgefahr, im ewigen Frieden schwebet.

Derweilen nun die Orgel zum Gesange aufspielet, sind auf einmal etliche Orgeltöne zu einem heisern Stöhnen worden, und am Knistern und Qualmen wird vollends offenbar, daß die langen Orgelpfeifen von der Feuersbrunst angesteckt sind. Da packe ich den Organisten und will ihn fortreißen.

Doch er sträubt sich mit vorwurfsvollem Blicke und abwehrenden Händen und ruft: »Hie will ich ausharren, bis mein treuer Gott mich heimholet.«

Thekla, Tränen im Auge, löset meine Hand vom Arm des greisen Mannes: »So laß ihn doch! Wozu sollen wir ihn aus seinen Himmeln reißen? Und was vermagst du ihm zu bieten? Ist uns denn selber Rettung des Leibes gewiß?«

Seufzend nicke ich der Jungfer zu, und nun flüchten wir, sintemalen die auflodernde Flamme sengende Glut verbreitet. Am Fuße der Chortreppe verweilen wir noch ein kleines und horchen mit Staunen auf den Gesang, der wiederum anhebet:

»Denn zu Jehovas Firmament

Holt mich sein Feuerwagen.

Zween Cherubim sind fürgespannt,

Gelenket von Elias' Hand.

Mein Christ mit seinen Frommen

Winkt droben mir Willkommen.«

Inzwischen sind die Orgeltöne immer mehr entartet, und während ich, von herabfallenden Feuerbrocken vertrieben, meine Braut an der Hand, weiterhaste, den unterirdischen Schlupfwinkel zu erreichen, hören wir die seltsamliche Weise, so das wilde Feuer auf den Orgelpfeifen aufspielet – ein Rauschen und Kreischen, Kichern und Quieken. Also schaurig griff diese Verwandlung uns aus Herze, als sei das Instrumentum der frommen Harmonie von höllischen Dämonen besessen und zerstöre sich selbst in heulender Tollheit.

Der Organist mußte allbereits emporgefahren sein zu seinem Gotte. In prasselnden Flammen stund der Dachstuhl, glühende Sparren fielen, Rauch und Schmauch erfüllete die Kirche.

Kaum waren wir mittels der Leiter wieder in die Gruft gelangt und hatten die Falltür hinter uns zugeklappt, so trieb uns brennender Durst, vom Weine aus der Kanne zu trinken und vom kirchlichen Gebäck zu essen. Thekla nahm eine Oblate zwischen ihre feinen Finger und betrachtete sie mit zärtlicher Träumerei: »Wie seltsam, lieber Johannes! Von dieser heiligen Speise haben wir vor zween Tagen in der Kirche droben am Altare genossen, einander gelobend, im Himmelreich Braut und Bräutigam zu sein. Und jetzo? Gläubest du nicht auch, daß die Stunde nahe, da wir Hand in Hand zum Himmelreich eingehen?«

Mein Herz war vom Liebesrausche und, wie jedwedes arme Fleischgeschöpf, vom genossenen Weine stark und feurig worden. Ich ergriff des angebeteten Fräuleins Hand, drückte sie an meine Brust und sprach: »Wohl sind wir Braut und Bräutigam; doch derselbige Herre Gott, so uns einander verlobet hat, offenbaret uns zu dieser Frist in meinem Herzen: Ihr zwei Menschenkinder sollet nicht eher zum Himmelreich eingehen, als bis ihr auf Erden einander Ehegemahl geworden.«

Da sahe mir Thekla ins Auge, groß, tief, unaufhörlich, wie durch Magie gebannt. Hingerissen sank ich auf die Knie, bedeckte ihre Hand mit Küssen und flüsterte: »Und du? Wie entscheidest du?«

»Dein bin ich,« – hauchte sie – »dein, Johannes!« Ach und dann schloß ich sie in meine Arme, und jener Strom, der entsprungen, wo Adam und Eva einander umfingen, seit Jahrtausenden durch die Menschheit rauschet und immer jubilieret: »Seid eins, wie ihr im Paradiese eins gewesen« – der Strom riß uns hin mit schmeichelnden Wellen.

Wie ich nun die Braut an mich preßte, drängte sie mich sanft zurück, und in ihrem Liebesblicke war frommer Ernst, als sie flüsterte: »Ein Sakrament ist die Ehe!«

Ich küßte ihre Hand und gab zur Antwort: »Unsere Liebe ist unser Sakrament. Einen Priester haben wir nicht – einen Priester brauchen wir nicht – alles geht ja zugrunde – unser letztes Stündlein nahet.«

Da strahlte Theklas Auge: »Sei du unser Priester! Traue dich mir an in frommer Feier, Johannes! Gib uns das Sakrament der Ehe – Gott wird es gelten lassen – wie ihm eine Nottaufe gilt.«

Mit heiligem Glück erfüllte mich die Aufgabe, und ich erhub mich stracks. »Ja, unser Priester will ich sein – zurüsten will ich einen Altar. Mag meine Traute indessen hinunter sich begeben in den unterirdischen Gang, gleichsam in ihre Kemenate, um abzutun das kriegerische Mannsgewand und hochzeitlich sich einzukleiden, so gut es in dieser Verlassenheit gelingen will. Mag auch das Bette nicht vergessen, allwo wir des Pförtners harren wollen, so uns aus dieser Gruft zur lichten Höhe erlöset.«

Nun hielt ich Umschau im Gewölbe und plante die Feier, halb in Andacht, halb wie ein spielend Kindlein. Breitete über die Truhe das Altartuch von schwarzem Sammet, stellte die zween dreiarmigen Silberleuchter darauf und besteckte sie mit Kerzen, die ich anzündete.

Thekla war indessen mit brennender Laterne, Tüchern und Gewändern durch den offenen Sarg hinunter in den Gang gestiegen.

Da ich keinen Kruzifix fand, zog ich mein Schwert aus der Scheide und stieß es in den Altar, daß es zwischen den Leuchtern aufrecht stund, mit seinem kreuzförmigen Griff anzuschauen wie des Gekreuzigten Symbolum. Obwohl ein geistlich Gewand vorhanden, beschloß ich, als ein Kriegsmann die Trauung zu vollziehen. Einen gefüllten Silberbecher und das Kästchen mit den Oblaten stellte ich auf den Altar.

Da hub sich aus dem Sarge eine schimmernde Gestalt – meine Thekla, nicht mehr als Jungfer Jaroslaus anzuschauen, sondern als sanfte Jungfrau, angetan wie ein Engel mit wallendem Linnen, das die weichen Arme bloß ließ, über der Hüfte durch einen Gürtel zusammengehalten. Die dunkeln Locken kränzte Silberflitter wie eine Hochzeitskrone.

Ich ging der Braut entgegen, reichte ihr die Hand und führte sie zum Altar, allwo wir in die Knie sanken zu stillem Gebet.

Dann stund ich auf, hub die Braut mir zur Seite und legte ihr Haupt an meine Schulter. »Siehe, meine Traute, wie hold die Kerzen schimmern – vom ewigen Licht der Gnade entzündet, daß wir in dieser finstern Öde einander ins Auge schauen, allwo noch holdere Lichtlein erblühn, ihren Docht aus unseren Herzen nährend.«

Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und bebete vor Weinen.

Ich streichelte ihr Haar. »Stille, mein Kind! Nun laß uns Gott geloben, einander als Gatten anzugehören – und laß uns das Abendmahl darauf nehmen. Nicht vom Geistlichen ist es geweiht, der Gekreuzigte und Auferstandene aber, so im Geist und in der Liebe lebet, er weiß auch ohne Priester die Herzen zusammen zu tun. Laß uns denn bedenken, wie er tat. Und er nahm das Brot, dankete, brach's – Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird – Desgleichen auch den Kelch – und sprach: Das ist das Neue Testament in meinem Blute, das für euch vergossen wird.«

Nach diesen Worten löste ich mich aus der Jungfrau Armen, brachte ihr eine Oblate an die feinen Lippen und tat eine zweite in meinen Mund. Auch den Kelch reichte ich ihr, sie nippte – worauf ich selber trank.

»Und nun, mein Gott, habe Dank, Dank – und tue, wie du willst – wie du willst!« sprach ich, in die Knie sinkend. Aufschluchzend kniete Thekla neben mir; und sie war, was ich längst ersehnt, mein angetraut Gemahl.

Doch in welcher Verfassung der irdischen Dinge! Meine Hoffnung, die früher keck zu stolzen Höhen hinangeblickt, hielt nun die Augen verzweifelt niedergeschlagen. Ehemann und Eheweib waren wir worden, doch nur, um in einer Gruft, lebendig begraben, Arm in Arm den Tod zu erwarten, während über uns die Welt in Gluten zusammenstürzte.

Auf einmal tut mein Herz einen heftigen Schlag und steht still; ein Krachen droben, als sei das Dach ins Kirchenschiff herniedergefahren. Die Erde bebet, wie lang hinrollender Donner poltert es über unsern Häupten. Meiner lieben Frau Arme schlingen sich um mich, ich fühle, wie sie schaudert. Dann wird es droben wieder ruhig, nur die tolle Orgel hören wir heulen.

»Der Organist!« – flüstert mein Weib, und ich erwidere: »Der ist uns längst vorangegangen – den trug sein Feuerwagen in die Ewigkeit – vielleicht, daß er uns jetzo anmeldet.«

Und aber dumpf Gepolter ob uns, die Balken der Decke ächzen und beugen sich, Staub und Schutt sprüht hernieder und blendet die Augen.

Doch mein Weib wischt sie mir aus mit ihrem sanften Gewande, nun schaue ich ganz nah die holdesten Sterne, und ihre Blicke sinken süß berauschend in meine Seele. »Laß ihn poltern droben, den groben Gesellen mit seiner knöchernen Faust!« scherze ich.

Sie drückt mich an sich: »Ja, laß ihn! So er jetzo eindringet, findet er mich in meines Mannes Armen. Im Himmel sind wir – und im Himmel bleiben wir – so oder so!«

Was drauf weiter geschehn im schaurigsüßen Hochzeitsgemache, lebt in meinem Gedenken verschwommen als ein Traum. Wundersam hat die Phantasei Glitzerfäden gewoben in unseres Schicksals düster Gespinst. Ich erinnere mich, wie wir den Deckenvorrat der Truhe auf den Boden breiteten, und wie ich scherzte: »Weiß nun mein Lieb, wie den Waldtauben zumute, so sie ihr Nestlein bauen?« Bald deuchte uns, wirklich wären wir Tauben und schwebeten durch blauen Himmel, einander mit dem Fittich streifend.

Dann wieder fühlte ich, daß wir Menschenleiber hatten, echte Kinder Adams und Evas, und mein waren Theklas entzückende Glieder. Ich spürete den angeschmiegten Busen mit dem pochenden Herzen, spürete den heißen Odem, so meine Sinne trunken machte. Unersättlich stürmte unsere Zärtlichkeit, wie wenn Gewitter mit Wolkenbruch und lohenden Blitzen auf die schwüle, dürstende Erde niedergeht. Dann auch war's, als schaukelten wir in einem Nachen und trieben den Strom hinunter, an dessen Ufer zwischen Zypressen morgenländische Paläste schimmerten. Da stund ein Graubart in Purpur, die Krone auf dem Haupte. Lachenden Auges winkte er uns zu, gleich der Sonne blitzte an seiner Hand ein Ring, und wie Gesang war seine Stimme: »O siegreicher Mann! Hold ist deine Braut wie ein Reh! Halte fest den Schatz, erfreue dich der Perlen!« Und entzückt sah ich auf Thekla und flüsterte: »Wie hold bist du! Dein Auge wunderbar wie die Nacht, dein Haar wie die Ziegenherden auf dem Berge Gilead. Deine Zähne gebadete Lämmer, deine Lippen duftende Purpurrosen.« Sie lächelte, und wie leiser Freudensang scherzte ihre Antwort: »Mein Freund ist mein, und ich bin sein – der unter den Rosen weidet.« Mein Blick ruhte gleich einem Schmetterling ihr auf Stirn und Wangen, Nase und Kinn, wie alles so sanft gebildet war und sich bleich von den dunkeln Locken abhub, und wie unter den seinen Brauen die langen Wimpern den Traum der Minne verschleierten.

Manchmal war's, als ruhe ihr Antlitz allbereits im Banne des Todes. Wenn aber dann das dunkle Auge groß zu mir aufschaute, war auf einmal das Leben neu erblüht. Und ich preßte an mich dies warme Leben und küßte seine Blüten, dazu lächelte Thekla wehmütig.

Es fehlte uns nicht das Gedenken an den Ruin der Dinge ringsumher. Zu drehen schien sich die Kirche, schien sich mit uns herumzuwälzen, als könne sie so dem Tode entrinnen. Eine Riesin war sie in Grimmen und Zucken, und wir pulseten innen als letztes Leben, als banges Herz. Das Heulen und Stöhnen der Riesin drang dumpf zu uns herein und wandelte sich in das Fittichrauschen des Todesengels.

In solchen Schauern banger Seligkeit sah ich den Stein der Weisen gleißen, und ward meinem Innern ein tief Geheimnis enthüllet: Ich schaute, wie Tod und Leben zusammengehören seit dem Sündenfalle Adams und Evas, wie der Herr, während er den Tod über die Menschen verhängte, zugleich die Mutter alles Lebendigen mit Kindern segnete ohne Zahl, wie jeglichen Ortes die Geburt zum Sterben führet, vor dem Winter aber all Gewächs Samen ausstreuen möchte. Von der Sündflut träumte ich, von Paaren, die von der Flut umwogt, auf einer schmalen Insel den Taumelkelch der Liebe schlürfen, indessen rings Ertrinkende krallende Hände aus den Todesgewässern strecken. Auch Sodom und Gomorrha sah ich – und wir zwei lagen auf üppigen Fellen beim Klange goldener Saiten und waren übermütige Fürstenkinder, so all ihre Schätze in einer Stunde vergeuden und ihr brennend Königreich für die allerschönste Hochzeitsfackel nehmen.

Von neuem donnerte das Knochengerippe an unser Brautgemach. Und diesmal vermeineten wir, aus sei alle Erdenlust und Erdennot. Der Kirchturm mußte auf unsere Häupter herniedergekommen sein und als ein ungeheurer Grabstein unsern Tod besiegelt haben. Wie ein Schiff auf wilder See schwankte die ganze Kirche, über uns geschah ein Stöhnen und Brechen, und von der Decke kam eine Masse hernieder. Es war ein Brocken Gemäuer, und der krachte auf den Schrein, so an der Wand stund.

Aus war es jetzo mit unserer himmlischen Abgeschiedenheit; als zitternde Erdenkinder fühlten wir uns wieder verstoßen aus dem Paradeis in eine Wildnis, allwo der Sturm die brechenden Baumwipfel zauset, wo Dornen und Disteln starren, und Giftschlangen den Wanderer in die Ferse stechen.

»Rette mich, Johannes!«

Ich sprang empor, spähete nach der Stelle des Einsturzes und leuchtete umher.

Da bemerkte ich, wie die Tür des Schreins, den wir bisher nicht weiter beachtet hatten, vom Stoße des herabfallenden Gemäuers aufgegangen – und siehe, drinnen war eine Öffnung ins Dunkle, steinerne Stufen führten zur Tiefe.

Mein Ruf froher Überraschung hatte Thekla an meine Seite gebracht, und wir schickten uns an, den neu entdeckten Gang zu erforschen.

»Thekla, süßes Weib, werde nun wieder ein Kriegsmann. Vielleicht, daß wir uns doch noch herauswinden aus den Gefahren.« Ich setzte unsere Waffen in Bereitschaft und tat einen Vorrat von Oblaten in meine Tasche, während Thekla sich aufs neue zum Junker Jaroslaus umwandelte.

Mit erhobenen Leuchtern drangen wir alsodann in den Gang. Nach etlichen Stufen führte er eben und in gerader Linie dahin. Kaum den fünften Teil einer Stunde können wir gegangen sein, doch endlos schien diese Zeit.

Auf einmal ging es bergab, und gleich darauf trat mein Fuß ins Nasse. Hinleuchtend sah ich eine Tür, halb unter Wasser. Schritt durch das Wasser zur Tür und fand, daß ein von innen vorgelegter Eisenstab sich wegnehmen ließ. Indem ward die Tür durch den Druck des äußeren Wassers aufgetan, draußen rauschte die Elbe.

Es war Nacht, doch von Glutschein war der Strom und das jenseitige Ufer beleuchtet. Hoffnung im Herzen wandte ich mich um: »Liebste Frau, nun stehet uns doch noch ein Ausweg offen. Flach ist die Elbe, ich kann schwimmen, Gott wolle, daß ich dich rette.«

Und wir traten Hand in Hand durch die Pforte ins Strombett hinaus, wobei uns das Wasser bis zu den Hüften ging.

Eine einzige Glut der Himmel, draus regneten Funken wie Schneegestöber hernieder. Zur Rechten kam ein brennend Fahrzeug dahergeschwommen, eine jener Schiffmühlen, so schon zu meiner Kindheit zwischen Magdeburg und Buckau auf der Elbe lagen. Von herabgefallenen Feuerbrocken entzündet, hatte sich die Mühle von ihrem Anker gelöst und trieb nun den Strom hinunter. Da sie uns ganz nahe kam und der Wind ihre Brunst von uns wegblies, wateten wir hin und banden uns an einer vom Feuer verschonten Stelle mit unseren Gürteln derart fest, daß uns das Fahrzeug hinter sich her durch das Wasser schleifte, aus dem wir nur mit den Köpfen ragten.

So schwammen wir an der brennenden Stadt vorüber. Wie eine Sünderin im höllischen Feuer, von den Qualen seltsam verwandelt, starrete meine Vaterstadt angstvoll mich an. Die Fenster ausgebrannter Gemäuer deuchten mich Augenhöhlen, deren Augäpfel durch Blendung vernichtet waren. Die Balken und Dachsparren glichen verkohlenden Gerippen, die züngelnden Flammen aber Dämonen, so hohnlachend die höllische Qual bereiten. Und noch immer wuchs das Elend. Neue Opfer gingen in Flammen auf, Rauchwolken quollen dick und dicker; wie Springbrunnen, wie Strahlengarben schossen Funken gen Himmel; und ähnlich dem Flintenknattern einer Schlacht prasselten die brennenden Hölzer. Von den ungezählten Fackeln rot bestrahlt, doch unbeschädigt stund der Dom zu Sankt Mauritz, als fühle er sich erhaben über diese Vergänglichkeit. Andere Kirchtürme freilich brannten wie Fackeln. Von den zween Türmen der Johanniskirche, aus der wir entronnen, war nur ein rauchender Stumpf übrig.

Ich drehte meinen Kopf zu meiner Frau. Ihr Auge stund voller Tränen, ihr Kinn bebete. Ich drückte ihr ermutigend die Hand. Und weiter schwamm mit uns die feurige Mühle.

Am Fischerufer liefen rotbeleuchtete Menschen, Plünderer und ihre Opfer. Schüsse krachten, Johlen mischte sich mit Jammergeschrei, Leichen sahen wir in unserer Nähe schwimmen, ein Weib, im Arm ein schreiend Kindlein, stürzte sich von einer Mauer ins Wasser. Auch Kähne mit Soldaten kamen geschwommen, eine Kugel pfiff dicht an uns vorbei; doch beschirmend hielt der Herr anoch seine Hand über uns. Freilich nur, um uns für die schwerste Prüfung aufzusparen, wie sich allzubald herausstellte.

Fahl brach der Morgen herein, als die Mühle, bis zum Wasserspiegel niedergebrannt, zwischen Weidenbüschen an einem Ufervorsprunge landete; es war hinter dem Dorfe Rotensee, dessen Kirchturm sich zeigte. Wir machten uns von der Mühle los und gingen an Land. Unsere Glieder waren lahm vor Kälte und bebeten.

Als wir dorthin zurückschauten, wo einst eine Stadt gestanden, sahen wir nur eine ungeheure rote Qualmwolke. Im Strome aber hinter dem Ufervorsprung war ein Strudel, darin wurden etliche Leichen umhergetrieben, so daß bald ein bleiches Haupt, bald ein starrer Arm oder ein Fuß aus dem Wasser ragte. Mit Grauen dachte ich an die Spukhistoria, so ich gestern vernommen, wie man die vielen Leichen aus dem Gespensterwagen ins Wasser geworfen, und wie dies Gesicht nun wahr geworden.

Indem vernahmen wir eine hohle Stimme, langgezogene Predigerworte, und von der aschgrauen Morgendämmerung abgehoben, sahen wir einen Mann, in schwarzem Talar, die Arme gen Magdeburg gereckt. Und wie närrisch geworden, predigte er im Klageton für sich hin:

»Eli, Eli, lamah asabtani! O wehe, Zion, du große schöne Stadt! Wie arg bist du verwüstet! War nicht dein Antlitz licht wie Schnee und rötlich wie Korallen? Warst du nicht bekleidet mit Seiden und Purpur und übergoldet mit den Schätzen deiner Kaufleute und Schiffsherren? Wehe, nun ist dir abgefallen die Krone vom Haupte, schwarz starrt dein Angesicht von Ruß und Rauch, dürr wie Baumrinde hängt die Haut um dein Gebein. Denn der Herr hat dich voll Jammers gemacht am Tage seines Grimms, hat Feuer herniederfallen lassen wie auf Sodom und dich zertrümmert als ein tönern Gefäß. Nun mordet das Schwert in deinen öden Gassen, und durch die Trümmer schleichen Hunger und Pestilenz. Wer aber entronnen ist, muß irren und bange girren wie die vom Schwarm verlorene Taube ....«

Und der Prediger verhüllete sein Angesicht mit den langen Ärmeln seines Gewandes und schluchzte. Dann erhub er die Stimme von neuem: »Venit summa dies et ineluctabile tempus ... o mein Magdeburg, vorbei, alles vorbei ... Fuimus Troes, fuit Ilium et ingens gloria Parthenopae ... vorbei, vorbei, du arme Magd! Da liegest du nun ohnmächtig in Asche. Übermannet hat dich der geile Jesuiter, bevor dein Tröster und Bräutigam hat kommen können. Und sie haben dich vom Throne deiner Burg gestoßen, die langen Haare dir abgeschnitten, das Kränzlein zerzauset, den frommen Leib aber bei Trommeln und Pfeifen auf soldatisch geschändet ... oh, oh!«

Verzweifelt rang der Prediger die Hände. Auch uns ging das Unglück der edeln Stadt so zu Herzen, daß wir weinend niederknieten, hinstarrend nach den glutig rauchenden Trümmern.

Jetzo fiel des wunderlichen Predigers Blick auf uns. Er betrachtete uns eine Weile, und da er unsere Trauer erkannte, sprach er mit Gebärden des Mitleides: »Weinet nicht! Glaubet nur! Der Glaube versetzet Berge. Gebet acht, ihr klagenden Leute von Israel! Und auch du, blutige Erde, du rauchiger Himmel, gebet acht und seid Zeugen des Wunders.« Und die Arme gen Magdeburg ausgereckt, predigte der irre Mann im Prophetentone: »Eli, Eli, in deinem Namen tue ich kund: Dies Mägdlein ist nicht tot – es schläft nur! Drum stille! Schlafe dich aus, bleich Töchterlein! Balde kommt ja dein Tröster, so deine Hand ergreifet: Stehe auf und wandle! Und auferstehen wird die Magd. Drum getrost, Kinder Israels! Hoffet, hoffet! Der Herr segne euch und behüte euch!« Zum Segen breitete er die Arme, wandte sich dann und ging mit gefalteten Händen, als ob er von kirchlicher Amtierung abträte.

Wir starrten ihm nach, und für ein Weilchen sah ich im Geiste die Stadt aufs neue herrlich erstanden. Dann besann ich mich auf die eigenen Nöte und erwog die mißlichen Umstände, in die wir beide trotz unsrer vorläufigen Rettung geraten waren. Und wie der Geier seine Fänge um die Beute schlägt, ergriff mich die Sorge um Leibesnotdurft und Leben.

Düster betrachtete ich mein Feuerrohr. Es war vorerst zum Schießen untauglich; desgleichen Theklas Pistol. Uns fehlte ja das Pulver. Umherspähend gewahrte ich in der Ferne eine Staubwolke, aus der es blitzte wie Gewaffen. Sogleich flüchtete ich mit Thekla in das Weidengebüsch, so sich am Elbufer erstreckte. Hier blieben wir liegen, lauschend auf jedes Geräusch und in unseren nassen Kleidern bebend. Verworren Kommandorufen drang an mein Ohr; dann ward es still, und lange Zeit hörte ich nur das Weidenlaub im Winde säuseln, dazu die Lerchen ins glimmende Morgenrot trillern.

Still wurden unsere Seelen. Wir schauten einander ins Auge und ergaben uns einem sanften Gekose.

Nicht lange, so nahm ich wahr, wie meiner Liebsten die Augen zufielen. Bettete also ihr Haupt in meinen Arm, und sofort entschlummerte sie. Wiewohl mein Herz an ihrem lieblichen Anblick sich weidete, und wiewohl ich gegen die Angriffe der Müdigkeit ankämpfte, sank mir doch immer wieder das Kinn auf die Brust, bis mich die Mattigkeit ganz überwältigte.

Das achte Abenteuer Wie die kaum Getrauten sich mußten trennen

Da ich das Auge wieder auftat, lag Thekla noch immer in festem Schlaf, und hoch vom Himmel schien die warme Sonne. Hunger und Durst plagte mich. Sanft, um meine Frau nicht zu wecken, zog ich den Arm unter ihrem Nacken herfür und bettete ihren holden Kopf in den Rasen.

Was nun? Ich gedachte der Oblaten, die ich beim Verlassen der Kirchengruft zu mir gesteckt. In meiner Tasche waren sie vom Elbwasser zu Brei verwandelt, doch immer noch brauchbare Nahrung.

Behutsam erhub ich mich und schlich durch die Weidenbüsche zum Strome. Eine Leiche trieb auf ihm. Obschon ich mit Ekel zu kämpfen hatte, legte ich mich aus Ufer und trank von dem Wasser. Hierauf pflückte ich Sauerampfer, der in Menge auf der Uferwiese grünte. Da er nicht übel mundete, pflückte ich Hände voll und legte den Vorrat bei der noch schlafenden Gattin nieder.

Endlich erwachte sie, fuhr schreckhaft empor und blickte wild umher. Begütigend streichelte ich ihre Hand: »Danken wir dem Himmel, daß er uns so weit bewahret hat!« Thekla antwortete mit einem stummen Nicken und faltete die Hände.

Hierauf bot ich meiner Liebsten von dem Sauerampfer und vom Oblatenbrei, und sie aß. Da sie auch zu trinken begehrte, hätte ich ihr gern den abscheulichen Anblick der mit Leichen treibenden Elbe erspart, wußte aber nach Verlust meines Hutes keinerlei Mittel, Wasser zu transportieren. So blieb mir nichts übrig, als mein arm Weib zum Strome zu führen.

Gierig hingekauert, schöpfte sie mit den Händen und trank mehrmals. Plötzlich aber krächzte dicht bei uns am Ufer eine Krähe, Thekla wandte ihren Kopf hin, ward plötzlich bleich und spie das eben Genossene wieder aus. Dort lag nämlich auf dem Sande, noch halb im Wasser, eine entkleidete Leiche, deren Fleisch die Krähen speiseten.

Meinen Arm um Thekla gelegt, führte ich sie hinweg, und stöhnend vor Gram saßen wir wieder im Dickicht. Wie ein hilflos Kind weinte Thekla, und auch auf meinem Herzen lastete die ganze Schwere unseres Mißgeschicks. Ach wären wir doch beim Oheim in Schreiberhau geblieben! Wie still und glücklich lebten wir dann!

Meine Gedanken erratend, ergriff Thekla meine Hand, die Augen voll Tränen: »Verzeih, Johannes, daß ich dich verleitet, dein friedlich Gebirgsdörfel zu lassen, um eine heimlose Jungfer durchs Elend zu geleiten.«

Die teure Hand streichelnd, entgegnete ich: »Das war mein freier Entschluß.«

Und nun starrten wir vor uns hin. An einer Weidenrute hingen Maikäfer, vom Laube sich mästend. Ein garstiger Anblick. Würde uns in unserer Verlassenheit etwas anderes übrig bleiben, als diesen Käfern ähnlich Kraut zu speisen?

Endlich sammelten wir unsere Gedanken und überlegten, was zu tun. Das Ratsamste deuchte uns, hier in der Nähe des Feindes den Tag über im Gebüsch verborgen zu bleiben, bei Einbruch der Nacht aber weiter zu ziehen. Nach welcher Richtung indessen? Drüben auf dem andern Elbufer hätten wir schwedisch Volk erreichen können. Weil aber Thekla des Schwimmens unkundig, so blieb uns nichts übrig als einstweilen auf dieser Seite des Stromes gen Mitternacht zu ziehen, in der Richtung auf Tangermünde.

Nachdem wir diesen Entschluß gefaßt, stellte sich bei Thekla aufs neue des Durstes Plage ein. Da fiel mir bei, an manchen Uferstellen werde unschwer durch Graben Wasser zu erreichen sein. Sie stimmte mir zu, und nun umgingen wir die Stelle, wo der Leichnam lag, fanden auch wirklich stromaufwärts zwischen den Weiden nackten Sand, in dem sich mit den Händen graben ließ. Mühsam war unser Werk, doch schließlich kam Grundwasser, und nachdem es sich geklärt, stillten wir unsern Durst.

Aufs neue befiel uns Mattigkeit, und zum Schlafe streckten wir uns nieder. Was hätten wir auch Besseres beginnen können als unsern Kummer zu verschlafen und zugleich Kraft zu sammeln für die nächtliche Wanderung?

Abendkühle weckte uns, grauer Dunst lag auf den Wiesen, die Maikäfer schwirrten. »Diese Käfer«, so scherzte ich wehmütig, »tun uns alles vor; wohlan, fliegen auch wir davon!«

Nun füllten wir meine Tasche mit Sauerampfer, tranken noch einmal aus der Wassergrube, erfrischten durch Baden unsere Füße und brachten das Schuhwerk in Ordnung. Ich schulterte mein Gewehr, zog den Säbel und ging als Späher an den Rand des Gebüsches. Wachtfeuer glühten in der Ferne, die nächste Gegend schien gefahrlos. Das Weidengebüsch zog weiter und weiter am Strom dahin.

Und vorwärts schritten wir gen Mitternacht, uns möglichst im Gebüsch haltend. Erst wie es ganz dunkel geworden, und nur der Sternenhimmel matten Schimmer gab, wagten wir, auf freier Wiese dahinzuschreiten.

Hurtig ging unsere Wanderung vonstatten, und alle Gefahren schienen unsern Weg zu meiden. Einmal freilich packte Thekla erschrocken meinen Arm und flüsterte: »Da steht einer!« Es war aber ein Weidenstumpf.

Wir schwiegen lange und vernahmen nur unsern dumpfen Schritt, das Knirschen der Halme und das Gemurmel des Stroms, zuweilen auch eines Fischotters Rascheln, den klagenden Ruf der Unken oder das Krächzen einer Wiesenschnarre. Wachtfeuer sahen wir nicht mehr, wohl aber einen Flammenschein in der Gegend von Wolmirstedt und Neuhaldensleben, auch, sooft wir uns rückwärts wandten, die Glutwolke über meiner eingeäscherten Vaterstadt.

Um die Mitte der Nacht stellte sich ein ernsthafter Grund zur Furcht ein. Drüben am andern Ufer begann ein Wolf zu bellen, gleich darauf ein zweiter, und nun ging ein Heulen los, als balgten sich Höllenhunde um eine arme Seele. Es war aber gut, daß sich auf unserm Ufer keine Bestie vernehmen ließ. So ergriff ich denn Theklas Hand und sprach den grimmen Trost: »Nicht bange, liebe Frau! Nur drüben sind die Untiere. Hüben haben nämlich die streifenden Pappenheimer ihre vierbeinigen Raubbrüder verscheucht.«

Beschwerlich ward unser Gang, als wir zur Ohre kamen. Dieser Nebenfluß der Elbe mündet in einem sumpfigen, struppichten Gelände. Nachdem uns dickes Gebüsch geplagt, zogen wir es vor, schnurstraks gen Morgen abzubiegen, um wieder den Ufersand der Elbe zu gewinnen. Hier tat ich den Riemen von meinem Gewehr und befestigte das eine Ende an meinem Gürtel, während ich das andre Thekla zu halten gab, die hinter mir ging. So wateten wir durch den Strom längs des Ufers, und wenn ich auch stets die flachste Stelle suchte, so konnten wir doch in Triebsand und plötzliche Tiefen geraten. Nur langsam kamen wir vorwärts. Wie wir die Mündung des Nebenflusses durchwateten, stieß Thekla einen Angstruf aus, da sie auf einmal bis an den Hals ins Wasser sank. Doch gleich darauf gelangten wir wieder ins Flache und Seichte, wie überhaupt der Wasserstand niedrig war.

Nach Passieren der Ohre ging es zunächst wieder im Wasser der Elbe weiter, dicht am Ufer, bis das Zurückweichen der Gebüsche uns einen freien Weg im feuchten Sande darbot.

Schon ein paar Meilen lag die Ohre hinter uns, als der Morgen graute, und die Gegend deutlicher ward. Da sah ich auf einer Sandbank im Strome etwas wie Gebälk liegen. Blieb stehen und deutete hin: »Hier beut mir Gott ein Mittel, dich über den Strom zu bringen.« Und sogleich watete ich durch das seichte Wasser auf den Fund los. Es war ein Gefüge von Balken eines abgebrannten Hauses. Ich zerrte es von der Sandbank, wo es gestrandet war, ins Wasser, und es schwamm gut.

Nun kam Thekla herbei, und wir rüsteten uns zu dem neuen Unternehmen. Banden die Waffen auf das Gebälk, wo es am höchsten über den Wasserspiegel ragte. Meine liebe Frau befestigte ich am neuen Fahrzeug in derselben Weise, wie an jener Schiffmühle, so uns aus Magdeburg glücklich entführt.

Noch ein Bedenken hatte Thekla: »Die Wölfe drüben.«

»Die halten sich an die vielen Leichen, so vom Strom angetrieben werden; haben nicht nötig, mit uns zu raufen. Übrigens kommt uns der Tag zu Hilfe, und ich hoffe, bevor es Abend wird, haben wir schwedisch Volk erreicht, da ist Falkenbergs Schwäherin sicher.«

Und ich schob das Gebälk nach der Mitte des Stromes hin. Bald hatten wir nichts mehr unter den Füßen, Thekla hielt einen Balken umklammert, ich aber schwamm und stieß das Fahrzeug vor mir her.

So waren wir etliche Minuten vorwärts gekommen, und der Tag war hereingebrochen, als auf einmal stromaufwärts dumpfer Ruderschlag erscholl. Ich schwamm so kräftig ich vermochte, indem ich mir sagte: Schweden sind das nicht, Feinde sind es!

»Johannes!« raunte Thekla beklommen, weil nun ein großer Kahn erkennbar ward.

Bestürzt entgegnete ich: »Tauche unter einem Balken hindurch, daß dein Kopf zwischen das Gefüge kommt, und du versteckt bist; ich helfe dir.«

Zu spät! Der Kahn schoß gerade auf uns los, und schon sprangen mehrere Männer aus dem Kahn in ein kleines Boot, das an ihm befestigt war. Wie sie herangerudert kamen, legten sie Karbiner auf uns an: »Ergebet euch!«

»Wir sind hilflose Flüchtlinge!« entgegnete ich. Leise aber, nur für Thekla verständlich, fügte ich hinzu: »Sprich du möglichst gar nicht, und dann mit männlicher Stimme.«

Vorn im Boot sah ich einen Offizier stehen, der meinte spöttisch: »Ei, ihr habet ja Feuerrohr und Säbel; hilflose Flüchtlinge führen kein Gewaffen. Magdeburger Rebellen seid ihr! Nur heran, ihr Fischlein, und sein willig! Zappeln hilft nichts.«

Und der Feinde Arme griffen nach Thekla und zogen sie aus dem Wasser. Dabei nun geschah ein Zerren an ihrem Gewand, daß es über dem Busen aufriß, und einer der Kerle rief: »Ei, sehet doch, ein Weibsbild!«

»Schonet ihrer!« flehete ich, indessen man auch mich in das Boot zog. »Seid menschlich, um Jesu willen! Sie ist mein ehelich Weib.«

»Hoho! Ist das nicht der Tielsch? Johannes Tielsch? Maria und Josef, ein wunderlich Wiedersehen!« – Dem vor mir stehenden Offizier starrte ich ins Gesicht. Es war jener Zetteritz, der mit mir das Hirschbergische Gymnasium besucht und beim Komödiespiel als Teufel mein Widersacher gewesen. Ein Adliger katholischer Konfession.

Nicht ohne Hoffnung entgegnete ich: »Herr Ritter Zetteritz! Ja, ich bin der Johannes Tielsch, Gott hat uns in Eure Hand gegeben, auf daß Ihr uns Gnade erweiset.«

Nun hielt Zetteritz den spähenden Blick auf Thekla geheftet und lachte: »Eia! Immer besser!«

»Seid edelmütig!« bat Thekla.

Höfisch neigte sich Zetteritz vor ihr, eine gefährliche Glut im Blicke: »Um Ihretwillen, schöne Jungfer!«

»Sie ist meine Frau!« brausete ich auf.

»Halt Er das Maul!« herrschte er mich an.

Ein Blitz des Unwillens traf ihn aus Theklas Augen, sie stampfte mit dem Fuße auf: »Und ich bin seine Frau!«

Zetteritz runzelte die Stirn und zuckte die Achseln.

Das Boot hatte bei dem großen Kahne angelegt. Zetteritz schwang sich hinein, und wir alle folgten nach.

Gleich darauf befahl Zetteritz den Soldaten: »Untersucht den Mann, ob er keine schriftliche Botschaft bei sich hat. Alsdann bindet ihm die Hände, sonsten mag er sich frei bewegen. Der andere da ist ein Frauenzimmer, wie der holde Busen verrät.« Die Soldaten lachten, Zetteritz aber fuhr sie an: »Daß ihr Schweinepelze euch gebührlich benehmet, verstanden? Korporal, bring Er das Weibsbild unter Deck und schaff Er ein trocken Wams herbei! Drunten möget Ihr Euch umkleiden, Jungfer. Nehmet nur fürder mit Soldatenhosen fürlieb; Weibsröcke führen wir halt nicht. Da müsset Ihr schon warten, bis wir in Güstrow sind.«

Nun durchsuchte der Korporal meine nassen Kleider, fand mein Geld sowie meine Briefschaften und nahm alles weg.

Thekla blickte mich ermunternd an, bevor sie dem Korporal unter das Deck folgte. Zetteritz begab sich zum Vorderteil des Kahns, wo stampfend und wiehernd Rosse stunden. Ich setzte mich auf eine Tonne, da ich Erschöpfung spürte und vor Kälte mit den Zähnen klapperte.

Die Ruderer, teils Soldaten, teils auch Schiffer vom Handwerk, hatten sich aufs neue in die Riemen gelegt, und ihre taktmäßigen Rucke trieben den Kahn hurtig stromabwärts.

Wie zum Hohn huben auch jetzt die Soldaten jenes Lied an:

»Ein Schifflein sah ich fahren –

Kapitän und Leutenant –

Darinnen waren verladen

Zwei Fähnlein brave Soldaten.

Kapitän, Leutenant, Fähnderich, Sergeant,

Nimm das Mädel bei der Hand –

Soldaten, Kameraden!«

Ich verbiß meinen Gram und suchte Rat. Unser Leben mochte nicht ohne weiteres bedroht sein. Theklas weibliche Reize indessen bildeten in dieser Gefangenschaft für uns beide eine Gefahr. Hier war List und Nachgiebigkeit angebracht. Um meines lieben Weibes willen nahm ich mir vor, alle Demütigung zu ertragen und Zetteritz nicht von neuem zu reizen.

Nach einer Weile trat er sporenklirrend, mit strenger Miene zu mir. Soldatisch stund ich vor ihm auf, und er sprach: »Tielsch, wir sitzen nicht mehr auf einer Schulbank, als Feind ist Er in meine Hand gegeben – wird ja nicht leugnen, daß Er von Magdeburg kommt.«

Da ich schwieg, herrschte er mich an: »Antwort! Sein Verhör hat hiermit begonnen. Und das sage ich Ihm, so Er verlogen ist, will ich schon die Wahrheit herausbringen, oder ich ersäufe Ihn wie einen jungen Hund. Still, halt's Maul. Kein Mahnen an unsre Pennälerzeit kann da helfen, also kurz und gut, gesteh Er, wie kommt Er hierher? und wer ist das Weibsbild?«

Mein Odem ging aufgeregt, doch festen Mutes gab ich die Antwort: »Die Schulbank, auf der wir Virgilium und Horatium lasen, hat uns gemeinsam in die lateinischen Tugenden der Großmut und Gerechtigkeit eingeführt, ganz zu schweigen von dem Christensinne ....«

»Laß Er den Christensinn aus dem Spiel; ein Rebell ist Er wider Christi Kirche.«

»Dem Evangelio diene ich, und meiner Vaterstadt Magdeburg hab ich geholfen, ihre Libertät zu verteidigen, wie es einem Patrioten geziemet. Ach freilich, mein gutes Magdeburg ist hin, der Himmel aber hat mich und mein Weib bis zu dieser Stunde behütet und wird uns vollends erretten. Ja, erretten, Herr Ritter, indem er nämlich Euer Herz aufschließet – sei's auch nur um meines Weibes willen, das Euch vorhin gebeten, edelmütig zu sein.«

Spöttisch lächelnd nickte Zetteritz, schwieg eine Weile und meinte dann: »Nun gut. Er hat wenigstens sein Geständnis abgelegt; ich werde nun das Weibsbild verhören.«

Und er verließ mich und begab sich in den Raum unter Deck, worauf ich mich wieder setzte und in finster Brüten versank.

Nach einer Stunde kam der Korporal und gebot mir, ihm zum Herrn Rittmeister zu folgen. Eine schmale Treppe führte unter Deck.

In dem engen Raum, so durch ein klein Fensterlein wenig Licht erhielt, saßen bei Thekla um einen Tisch Zetteritz und ein milchbärtiger stutzerhafter Kornet. Bier in Kannen, Brot und Schinken war aufgetragen. Auf einer Laute klimpernd trällerte der Kornet, ein polierter Affe, und blickte vergnügt auf Thekla, die traurig dasaß, mit einem groben Soldatenwams angetan. Zetteritz betrachtete ebenfalls frech genung meine Frau und weidete sich an ihrer Schönheit, wie auch an ihrer Hilflosigkeit und Verlegenheit.

Nun wandte sich Zetteritz zu mir: »Setz Er sich in die Ecke, Tielsch, und bedank Er sich bei der Jungfer Gräfin; sie hat gebeten, daß wir Ihm zu essen geben. Glaub's schon, daß Ihm der Magen knurrt. Wohlan, hier steht zu essen, zugegriffen! Zapf ihm eine Kanne voll Bier, Korporal, und nimm dir selber eine! Geh aber wieder auf Deck und sorge, daß wir sein inmitten der Strömung bleiben. Sollst auch immer scharf nach dem rechten Ufer spähen; die Schweden könnten dorten streifen.«

Der Korporal stellte mir eine Kanne auf die Bank und trat ab, worauf Zetteritz mit Stirnrunzeln mich ansprach: »Warum isset Er nicht? Soll ich Ihm etwan aufwarten?«

»Erlaubet,« sagte Thekla hastig, schnitt Brot und reichte mir eine Schnitte nebst Schinken, wobei sie mir einen zärtlichen Blick schenkte, mich zu ermuntern.

Während ich meinen grimmen Hunger stillte, klimperte der Milchbart und sang spöttisch:

»Nun friß, mein Schimmel, friß!

Und rühre dein Gebiß!

Kannst du nicht mehr die Glieder rühren,

So laß ich dich zum Schinder führen.

Drum friß, mein Schimmel, friß!«

Zetteritz wandte sich an Thekla: »Also eine Gräfin Schlick ist das Fräulein! Ei, ei, wie seltsam doch das Schicksal sein Spiel treibt! Euer Vater war ein hoher Herr, ein reicher, angesehener Herr. Meine Frau Mutter hat ihn wohl gekannt. Wenn wir nach Güstrow kommen, kann sie Euch erzählen, wie sie in ihrer Jugend mit Eurem Vater verkehrt hat. Ja, ja, der stolze Graf Schlick – und solch jämmerlich, unwürdig Ende hat er genommen! Doch freilich, Rebellion gegen Kaiser und Kirche nimmt mit nichten ein gut Ende. Übrigens waren die böheimischen Anführer unklug, da sie sich mit dem Winterkönige eingelassen. Diese Memme hat ihnen alles verdorben. Euren Vater, Jungfer Gräfin, hätten sie lieber zu ihrem Könige wählen sollen. Der hatte eine Faust! Das war ein Soldat!«

»Wie schade!« witzelte der Kornet; »dann wäre die Jungfer Gräfin jetzo eines Königs Tochter, und an Eures Thrones Schwelle, Prinzessin, würde das Knie Euer Sänger beugen; denn auf Ehre, alsdann wäre ich lieber böheimisch als kaiserisch.« Dabei neigte er sich mit spöttischer Untertänigkeit; dann warf er den Kopf zurück, griff in die Saiten und sang, indem er bald Thekla, bald Zetteritz listig anblinzelte:

Es ritt ein Knecht wohl durch das Ried,

Da hub er an ein wildes Lied,

Gar stürmisch tät er singen,

Daß Berg und Tal erklingen.

Das hört des Grafen sein Töchterlein

In ihres Vaters Prachtkämmerlein.

Sie flocht ihr Härlein in Seiden,

Mit dem Knechte wollte sie reiten.

Wie beide nun zum Walde kamen,

Das Rößlein möchte Futter haben.

»Feinslieb, hie wöllen wir rasten;

Mein Rößlein will fein grasen.«

Er spreitet den Mantel ins weiche Gras,

Gebot ihr, daß sie zu ihm saß:

»Feinslieb, nun mußt du mich lausen,

Mein gelbkraus Härlein durchzausen.«

Des härmt sich des Grafen sein Töchterlein,

Ihre Zähren glänzten wie Edelgestein.

Er schaut ihr finster ins Auge:

»Was weinest du, schöne Jungfraue?«

»Wie sollt ich nicht weinen und reuevoll sein?

Ich bin ja des Grafen sein Töchterlein!

Hätt ich meinem Vater gefolget,

Frau Königin war ich worden.«

Da zog der Grobian Knecht sein Schwert

Und mähte der Jungfer Häuptlein zur Erd.

»Prinzessin, bin ich dir zu schlechte,

So reite mit keinem Knechte!«

»Bravo, bravissimo!« rief Zetteritz und warf Thekla einen Blick zu, dessen Übermut meinen Grimm anstachelte.

Dann rollte er mißtrauisch das Auge zu mir: »He Tielsch! Erklär Er mir eins: Wie gehet es zu, daß Herr Falkenberg, ein Ritter und Würdenträger, seiner Schwäherin, einer Gräfin Schlick, erlauben gekonnt, einen Soldaten zu heuraten, so weder adlig ist noch Offizier?«

Thekla blickte verwirrt, und auch ich stutzte, sammelte mich aber zu der Antwort: »Den Obersten Falkenberg haben wir nicht erst um Erlaubnis gefragt.«

Aber Zetteritz hatte unsere Bestürzung über seinen Einwand wahrgenommen und forschte weiter: »Wie denn? Fand eure Trauung etwan heimlich statt? Wie konnte das geschehn, da doch in Magdeburg des Kommandanten Schwäherin bekannt war? Welcher Prädikant hat sich zu solchem Wagnis verstanden?«

Thekla errötete und schwieg.

Scharf beobachtend fuhr Zetteritz fort: »Und was hat Falkenberg hinterher gesagt, wie er es nun vernommen? He?«

»Nichts davon hat er vernommen,« erwiderte Thekla; »erst als der Held gefallen, sind wir Eheleute worden.«

Zetteritz machte große Augen, stieß einen leisen Pfiff herfür und nickte mit listigem Lächeln. Dann inquirierte er weiter: »Also erst vorgestern seid ihr getraut? Während des Kriegsgetümmels und in der Plünderung? Und in der Johanniskirche? Ei, wie denn? Habe ich nicht soeben zu hören bekommen, wie ihr nicht bei dem Geistlichen der Johanniskirche und seiner Gemeinde, sondern in einem Versteck, lediglich zu zweien euch befunden? Da stimmt etwas nicht! Tielsch, mach Er sich wieder fort! Ich werde die Gräfin allein befragen. Hernach komme ich zu Ihm, und weh Ihm, so Er Flausen macht.«

Ich sprang auf und rang nach Worten: »Ich selber – ich habe die Trauung vollzogen – war mein eigener Priester – vor Gott sind wir Eheleute.«

»Hoho«, lachte Zetteritz. »Vor Gott? Ohne Sakrament? Sag Er lieber, vor Frau Venus, der Teufelin!«

Das Blut stieg mir zu Kopfe, zumal der freche Milchbart jetzt ein höhnisch-hohl Gelächter anhub. Mit geballten Fäusten hätte ich mich auf die Beleidiger stürzen mögen und stund schwer atmend vor ihnen.

Auch Zetteritz war aufgesprungen und maß mich dräuenden Auges, während ihm dunkle Röte ins Gesicht schoß. »Untersteh Er sich!« rief er hochmütig.

Abwehrend trat Thekla zwischen uns. Mich sah sie flehend an, zu Zetteritz aber sprach sie entrüstet: »Herr Ritter! Wie dürfet Ihr an wehrlosen Gefangenen so Euer Mütchen kühlen? Meine Frauenehre verletzet ihr! Tut denn so ein Edelmann?«

Zetteritz mäßigte sich und kehrte ihr genüber den Kavalier heraus: »Halten zu Gnaden, Jungfer Gräfin. Nicht Euch will ich kränken. Mein ritterlicher Schutz ist Euch sicher. Zu bedauern seid Ihr ja ob Eures Mißgeschicks, und daß Ihr obendrein an diesen Tropf geraten, der nach einer Gräfin seine Kommispratzen ausstreckt.«

Da erhub sich in mir der Zornteufel so heiß, daß ich aufbrüllend meine Bierkanne dem Verhaßten ins Angesicht schleuderte und, ohne mich von Thekla zurückhalten zu lassen, ihn anpackte und mit ihm rang. Aber der Kornet und die Soldaten, vom Geschrei alarmiert, packten mich von hinten, und schnell war ich gefesselt, daß kein Sträuben etwas half.

Während man mich hinauf zum Deck schleppte, hörte ich Thekla rufen: »Gnade, Herr Ritter! Ihr habt ihn aufgebracht. Er hat Ehre nicht minder wie Ihr!«

»Bindet ihm auch die Füße!« rief Zetteritz.

Das letzte, was ich von Thekla vernahm, war ein Aufschluchzen und das Wort, an das ich lange mit heißer Dankbarkeit zurückdachte: »Er ist mein ehelicher Gatte!«

Wie ein Bündel, ohne daß ich Arme und Füße regen konnte, hatte man mich auf das Deck gelegt, wo scharrend die Rosse stunden, indes die Sonne mir wie zum Hohn gerade ins Gesicht schien, und die Soldaten schimpften: »Ins Wasser mit dem Landstörzer! Solch Gesindel bringt uns noch die Pest an Bord. Soll man sich mit unnützen Fressern herumplagen? Und beißen will der Hund auch noch? Unsern Rittmeister anzugreifen! Na warte, du Knollfink!«

Der Korporal aber näherte sich mir, und wiewohl er zum Schein ein finster Gesicht machte, raunte er mir die tröstlichen Worte zu: »Ego tibi condoleo, nam et ego addictus sum Augustanae confessioni – will sehen, daß ich Euch freimache.«

»Gratias tibi ago!« raunte ich zurück, worauf sich der Korporal entfernte und hinunter zu Zetteritz ging.

Nach einem Weilchen kam Zetteritz mit dem Korporal an Deck und ließ drei Dragoner antreten. Mit gedämpfter Stimme sprach er zu ihnen. Drauf machten sich die drei Kerle an mich heran, und ehe ich ihr Vorhaben erraten konnte, hatten sie mich am Kopf gepackt und meinen Mund geknebelt, so daß ich nicht zu schreien vermochte. Drauf erscholl ein Hornsignal, die Ruderer stellten ihre Arbeit ein, und das Boot, mittels dessen unsere Gefangenschaft zustande gekommen, ward flott gemacht. Mich hub man ins Boot hinunter und legte die Ruder ein.

Eine Zögerung entstand noch dadurch, daß der Korporal, an Bord geblieben, den einen Soldaten zu sich heranrief und ihm etwas zuraunte.

Hierauf ruderten die Soldaten dem rechten Elbufer zu. Man wollte mich also von Thekla trennen, vielleicht gar umbringen. Das Boot fuhr auf den Sand, man packte mich, warf mich ans Ufer und wollte sogleich wieder wegrudern.

Doch der eine Soldat kehrte zu mir zurück und machte sich mit einem Messer über meine Fessel, als wolle er sie lösen.

»Zum Henker, was tust du?« rief ein andrer Soldat und kam heran. »Bist du des Teufels? Du willst den Rebellen befreien?«

»Wir können ihn doch nicht so hilflos liegen lassen« – antwortete der mitleidige Soldat kleinlaut.

Aber der andere stieß ihn rauh von mir weg und rief: »Auf der Stelle packe dich ins Boot!«

Nun gingen die beiden, und bald hörte ich, wie das Boot wieder zum Kahn zurückkehrte, und wie dann nach einem neuen Hornsignal der Kahn weiter fuhr. Immer ferner, dumpfer erschollen die Ruderschläge, bis ich hülflos allein lag. Auf einmal fiel ein Schuß, und ihm folgten mehrere Schüsse. Es mußte zwischen dem Kahn und einer feindlichen Partei ein Gefecht entstanden sein. Indessen war es bald gänzlich still. Ich suchte meine Fesseln zu zerreißen und wälzte mich im Sande. Der Knebel im Munde erschwerte das Atmen, so daß ich Gefahr lief zu ersticken, insonderheit wenn die Empörung über mich kam. Bald lag ich erschöpft zum Sterben. Einmal kam es mir vor, als trabe in der Nähe ein Pferd. Die Dunkelheit brach herein, und nun traten Gesichte vor meine Seele, als solle ich mein ganzes Leben in dieser letzten Nacht noch einmal durchleben. Böses, das ich getan, ängstete mich wie umherflatternder Spuk. Nicht los werden konnte ich den Wahn, ich müsse jetzo für das büßen, was ich dem kaiserischen Soldaten Wenzel angetan. Wie er am Strande des Saaleflusses hatte liegen und stöhnen müssen, verzweifelt, weil er seine Kameraden an mich verraten sollte, so lag ich nun hier am rauschenden Strom hilflos und gefesselt, dem unerbittlichen Gebot des Schicksals untertan. Wenzels anklagende Augen waren auf mich gerichtet, ich hörte ihn mit einem Fingerzeig auf mich sprechen: »Der da hat's getan.« Nun erfüllte sich der Fluch, den damals Wenzel im Herzen gen mich geschleudert hatte. Bittere Zähren erpreßte mir die Reue, und ich dachte an meines Vaters Lehre, die Hölle sei kein äußerer Ort, sondern der unselige Zustand unseres Herzens, den wir uns selbst durch Torheit und Sünde bereiten. Oh, daß es mir gelänge, meine guten Geister zu sammeln, daß sie mich beschützten vor den höllischen Dämonen! Daß mich nur einmal noch das innere Himmelreich begnadete, sei es auch nur wie den Dürstenden Tautropfen laben! Da kam mir ein tröstlich Bild: Hoch ob den Talen des Riesengebirges war ich auf einmal bei säuselnden Tannenwipfeln, auf die der blaue Himmel warmes Sonnengold herniedergoß. Hoch vom Felsen der Abendburg sah ich die blauen Wogen der Waldberge und die lichten Gefilde des fernen Tieflandes. Das alles war wie strahlende Augen und wie ein Jauchzen. Und ich flehte zum geheimnisvollen Born, aus dem alle Geschicke quellen: Oh, daß mich der verlorene Garten Eden noch einmal umfinge, und ich droben im Bergfrieden weilen dürfte!

Siehe, da stund mein Vater bei mir und sprach: »Gewährt ist dir dein Wunsch! Wirst zur Abendburg gelangen.« Dann zerflatterte das tröstliche Gesicht, die Sehnsucht nach dem Bergfrieden ward verscheucht, mich schauderte. Ein wiehernd Geschrei vernahm ich, wie von einem geängsteten Pferde. Bald darauf stampfte es im Galopp hinweg, dann heulten Wölfe. So sollte mir denn wohl das elende Los beschieden sein, von Raubtieren zerrissen zu werden. Doch diese Sorge spornte meine Lebenskraft, von neuem wälzte ich mich auf dem Sande, an meinen Fesseln reißend. Auf einmal fühlte ich an der Hand, die mit der andern auf meinem Rücken zusammengebunden war, einen Schmerz, wie von einem Schnitte, und meines Vaters Stimme sprach: »Greif zu!« Da hielt ich in den Fingern die Schale einer Muschel, wie sie häufig im Elbsande zu finden sind. Am Rande zerbrochen bildete sie eine Schneide, und mir kam der Gedanke, sie als Messer zu brauchen. Mühte mich nun, mit der einen Hand die scharfe Muschel an die Fessel zu bringen und daran zu sägen. Die halbe Nacht hatte ich so zu tun. Endlich nach einem verzweifelten Ruck sprengte ich den Rest der Fessel und konnte die Arme regen. Das erste war, daß ich mir den Knebel aus dem Munde nahm. Dann knüpfte ich die Fesseln auf, mit denen meine Füße gebunden waren, und war nun völlig frei. Halb abgestorben waren die Beine, und ich ward inne, wie bald ich des Todes gewesen wäre. Aber noch waren die Gefahren nicht vorüber. Von Zeit zu Zeit bellten und heulten die Wölfe ganz in der Nähe. Vielleicht, so sagte ich mir, liegt dort vom Gefechte her ein toter Schwede, und weil dann gewiß auch Waffen dabei sind, wird es das Ratsamste sein, die Leiche aufzusuchen. Mit diesem Vorsatz erwartete ich den Tag.

Nachdem ich meinen Durst im Strome gelöscht und auch Sauerampfer gegessen hatte, suchte ich im Morgengrauen Waffen wider die Wölfe. In den linken Arm nahm ich ein paar faustgroße Steine und hielt eine harte Baumwurzel in Bereitschaft, die ich als Keule verwenden wollte. Nun beschlich ich die Wölfe, es waren zween, sie fraßen an einem menschlichen Leichnam. Ich warf einen Stein so gut, daß der eine aufheulend zur Seite sprang und mit eingezogenem Schwanz sich trollte. Der andere fletschte die Zähne und sträubte die Rückenborsten. Ohne Zaudern schritt ich auf ihn los, und wie er sich zum Sprunge duckte, traf ihn mein zweiter Stein, gleich darauf auch ein Keulenhieb. Davon brach die Vorderpfote, ihm blieb nichts übrig, als zu kämpfen. Fletschend und schnappend hinkte er auf mich los. Ich aber hatte wieder einen Stein aufgehoben und traf so wuchtig die Schnauze, daß er umfiel und nicht mehr jappte.

Nun wandte ich mich dem toten Menschen zu. Der bildete eine unförmige Masse von zernagten Gliedern. Ich zog Gewänder und Stiefel ab und reinigte sie im Wasser. Die Kleidung war von fürnehmer Art. Zum Trocknen breitete ich sie in die Morgensonne. Besonders willkommen waren mir die Waffen des Toten, ein Karbiner, auch Munition, ein Pistol und ein Stoßdegen, dazu ein Beutel mit einer ansehnlichen Summe Geldes. Schließlich kam mir noch der Federhut zustatten. Bald hatte ich meine geringe Kleidung mit der neuen Montur vertauscht. Nachdem ich die Schärpe mit dem Degen umgehängt, Karbiner und Pistol geladen hatte, war ich bemüht, das entlaufene Roß des Toten auszuspähen und verfolgte eine Stunde lang die Stapfen, so kreuz und quer in der Gegend gingen. Auf einmal waren sie tief in den Boden gestampft und führten schnurgerade aus. Weil nun dabei auch Wolfsspuren waren, so zog ich den Schluß, die Raubtiere würden das Pferd gänzlich verjagt haben. Das war nun freilich ein großer Verlust, nachdem ich schon gehofft hatte, durch Aneignung des Pferdes den Kahn einzuholen, der mein Weib entführte. Mit Zähneknirschen gestund ich mir, daß ich zu Fuße dem Zetteritz nicht zu folgen vermöchte; mutlos warf ich mich ins Gras.

Nur das eine Ziel gab es jetzo für mich: die verlorene Eheliebste wieder zu gewinnen. Es fiel mir bei, daß Zetteritz zu Thekla die Äußerung getan: »Weibsröcke führen wir halt nicht; da muß Sie schon warten, bis wir in Güstrow sind«. Hieraus entnahm ich, daß Zetteritz nach der Stadt Güstrow wolle; beschloß also unverzüglich dorthin aufzubrechen und mir baldigst ein Reisepferd anzuschaffen. Aus meinem Magdeburger Schulunterricht wußte ich, daß Güstrow gen Mitternacht in Mechelnburg gelegen. Wanderte also längs der Elbe, so daß die Morgensonne meine rechte Wange beschien. Mittag war's, als mir ein breiter Fluß in die Quere kam, der in die Elbe mündete. Von einem Fährmann, der hier hausete, vernahm ich, es sei die Havel. Um Geld erhielt ich Wegzehrung und ließ mich übersetzen. Im Dorfe drüben gingen mir die Leute scheu aus dem Wege. Doch mein freundlicher Zuruf lockte einen Bauernknecht herbei, und auf meine Frage nach einem Pferd erhielt ich von ihm den Bescheid, seines Vaters Bruder habe ein herrenlos Soldatenroß in seinem Stall geborgen; das werde käuflich zu haben sein. Der Bauer, zu dem wir gingen, wollte anfangs nichts von einem eingefangenen Rosse wissen, ward aber gefügig, sobald ich aus meinem Geldbeutel eine gute Summe herfürholte. Nachdem das Tier gut gefüttert, auch mit Zaum und Sattelzeug versehen war, schwang ich mich hoffnungsvoll hinauf und trabte auf die Stadt Pritzwalk los, die ich noch vor Abend erreichte. Wiewohl zum Umfallen erschöpft, begnügte ich mich mit kurzer Rast und legte noch etliche Meilen zurück, bis ich bei Nacht zu einem Städtlein gelangte, an einem großen See gelegen. Hier pochte ich einen Wirt heraus, ließ mein Pferd einstellen, aß und trank, legte mich und schlief wie ein Stein. In sonniger Maienfrühe ging es weiter, und bereits mittags langte ich am Ziel, in der Mechelnburgischen Residenz Güstrow an. Im nächsten Gasthaus stieg ich ab, und auf meine scheinbar gleichgültige, doch mit Herzklopfen getane Frage, ob kaiserisch Volk hier sei, erfuhr ich, vor fünf Tagen seien hier allerdings Dragoner im Quartier gewesen, aber nur eine Nacht, auf dem Rückzuge vor dem anmarschierenden Schweden. Ich forschte nun behutsam weiter, ob etwan ein Rittmeister namens Zetteritz in Güstrow erwartet werde. »Zetteritz?« versetzte der Wirt. »So hieß ja die adlige Frau, die von den Dragonern geleitet wurde und bei mir Losament hatte. Die ist aus Sorge vor dem Feinde nach Wittenberge gereiset – vor vier Tagen – ihrem Sohne entgegen – und der soll sie nach Magdeburg holen.« Ich hatte Mühe, meinen Schrecken über diese Enttäuschung zu verhehlen. Doch während ich der Hoffnung schon Valet sagte, kam der Wirt, der Rücksprache mit seinem Knecht genommen hatte, wieder zu mir. »Mein Krischan hier will vernommen haben, Frau Zetteritz sei zu ihrem Schwäher nach Rostock gereist, an dessen Verteidigung ihr Sohn, ein Offizier, mitzuwirken habe.« Ich atmete auf, wandte mich sogleich an den Knecht und erhielt aus seinem Munde in glaubhafter Weise diese Auskunft. Nach Rostock also! Unverzüglich und mit verhängtem Zügel trabte ich gen Schwaan und erreichte dies Städtchen, an der Warnow gelegen, nach wenigen Stunden. Ließ mich über den Fluß setzen und begrüßte nach einem mehrstündigen scharfen Ritte von einer Anhöhe die Rostocker Türme.

Zugleich aber sah ich drei bewaffnete Reiter mir entgegentraben, lenkte daher mein Pferd flugs vom Wege ab, hinter Gebüschen mich zu bergen. Doch bemerkt hatten mich die Reiter, und ich gebrauchte die Sporen. Ein Schuß krachte hinter mir, die Kugel hörte ich sausen, und nun hub ein Wettrennen an. Mein gutes Pferd blieb im Vorteil, und ein Buchenwald kam mir zustatten, zwischen dessen hohen Stämmen sich reiten ließ. Als ich darin einen Weg fand, verfolgte ich ihn, die sinkende Sonne zur Linken. Damit die Verfolger meine Fährte verlieren sollten, bog ich vom Wege ab, wo der Waldboden mit welkem Laube bedeckt war, ritt einen Bogen und kam dann wieder auf den Weg. Als der Wald aufhörte und vor mir ein kahler Hügel lag, wollte ich mein Tier verschnaufen lassen, stieg ab und band es an einen Baum. Seltsam war's, daß ich ein Brausen vernahm, wie Waldesbrausen, indessen doch kein Wind ging. Auf den Hügel stieg ich nun und nahm mit Staunen wahr, daß vor mir ein endlos Gewässer lag, die See. Wolkenballen schwebten darüber, angeglüht von der Sonne, die zur Linken unterging. Wellen rollten zum Strande und warfen sich rauschend auf den Sand, eine nach der andern. Im Anschauen vergaß ich der Gefahr, die mich soeben bedräuet hatte. Klein war ich vor diesem riesenhaften Wogewesen, und mir fiel bei, was mein seliger Vater gesagt hatte, als ich zum ersten Male das Schlesische Gebirge von ferne sah: »Willst du Gott schauen, so vergiß nicht die Berge, und nicht das Meer.«

Doch ich durfte nicht verweilen, weil es galt, meine Eheliebste zu suchen und womöglich noch vor Nacht Rostock zu erreichen. Kehrte also zum Pferde zurück, das sich inzwischen an Gras und Läublein gütlich getan, lobte und streichelte es und schwang mich aufs neue in den Sattel. Ich wollte längs des Strandes zur Warnowmündung reiten und mich von einem Schiffer nach Rostock fahren lassen. Wie ich nun vom Hügel hinunter will, ist da ein Abhang, und ich muß daran entlang reiten, bis sich quer eine Schlucht auftut. Mein Pferd strebt die Schlucht hinunter, stolpert aber und stürzt so unglücklich, daß ich mit dem linken Bein unter seinen Körper komme, vermeinend, das Bein sei mir gebrochen. Das Tier sprang wieder auf, ich aber blieb liegen, da ich das Bein nicht brauchen konnte. Daß mir die Weile nicht lang ward, dafür sorgte mein Gliederweh. Das Pferd stund geduldig in meiner Nähe und wieherte manchmal. Ich wünschte, daß es zu mir käme, weil ich hoffte, mich an ihm aufzurichten und vielleicht gar in den Sattel zu gelangen. Doch wie ich auch lockte und schnalzte, es kam nicht. Schon war der Abendglanz an den Wolken verglommen und die Dämmerung brach herein, als ich eines Mannes gewahr wurde, der am Strande ging. Wie ich um Hilfe schrie, stutzte er, kam dann zögernd näher und rief mir zu: »Wer da? Schwed oder Kaiserischer?« Zur Antwort gab ich, daß ich ein Reisender und mit meinem Pferde gestürzt sei. Der Mann, dem Aussehen nach ein Knecht, war anfangs mißtrauisch. Als ich ihm aber guten Lohn für Beistand versprach, holte er mein Pferd, richtete mich auf, daß ich auf mein heiles Bein zu stehen kam, und hub mich in den Sattel. Am Zügel führte er das Pferd über die sandige Düne zu einem Bauernhof, so zwischen Büschen versteckt lag.

Bellende Hunde kamen gesprungen, und auf der Schwelle des Wohnhauses erschien ein bärtiger, martialischer Mann, halb wie ein Soldat, halb wie ein Bauer gekleidet. Der Knecht berichtete ihm, wie er mich gefunden habe, und ich bat den Herrn Rittmeister, wie ihn der Knecht nannte, mich aufzunehmen. Da ordnete dieser an, es solle mir in der Scheune ein Lager aus Stroh und Wolldecken bereitet werden. Als man mich darauf gebettet hatte, betastete der Rittmeister mein Bein und sagte, ich habe mir einen Bruch des Knochens zugezogen und werde wohl wochenlang liegen müssen. Mir war nicht anders, als höre ich mein Todesurtel. Denn nun war die Möglichkeit, Thekla wiederzufinden, völlig dahin, und ohne meine Liebste deuchte mich die Welt ein leeres Nichts. Die Trauer machte mich so schweigsam, daß mein Wirt auf seine Fragen nur einen kargen und wirren Bescheid erhielt. Das hinderte ihn nicht, meine geschwollenen Gelenke mit nassen Linnen zu kühlen und den Bruch mit einer festen Hülle zu umgeben, wobei er äußerte, als alter Soldat habe er dem Feldscher etliches von seiner Kunst abgesehen. Wenig Schlummer fand ich, unaufhörlich raunete mir die Sorge zu, wie Thekla weiter und weiter entführt, und ihre Spur immer mehr verwischt werde. In meiner Hilflosigkeit schluchzete ich, daß mein Wirt es im Hause hörte. Er kam, schalt gutmütig und sagte, ich solle ihm offenbaren, was mich bekümmere. Da er alsdann meine Geschichte vernommen, war er gerührt und erbot sich, sofort nach dem Schwäher der Frau Zetteritz in Rostock zu forschen. Ferner tat er mir wohl, indem er mich aus der Scheune ins Wohnhaus bringen ließ und mir ein Gemach einräumte. Hier lernte ich die Frau Rittmeister kennen, ein großes, starkes Weib. Sie labte mich mit Trank und Speise, hörte teilnehmend meine Geschichte und gab mir den Trost, ich werde schließlich doch noch meine Eheliebste ausfindig machen; das Leben werde man ihr ja nicht gleich nehmen, ich müsse nur Geduld haben. Andern Tages tat mein Wirt die Reise nach Rostock und blieb eine ganze Woche aus. Doch keine frohe Kunde brachte er heim, nichts wußte man in Rostock, nichts auf den umliegenden Höfen von einem Schwäher der Frau Zetteritz und einem kaiserlichen Offizier dieses Namens. So war ich denn darauf angewiesen, der Frau Rittmeister Mahnung zur Geduld zu beherzigen.

Eine seltsame Kurzweil ward mir in den Monden meiner Krankheit. Nach all der erlittenen Trübsal schien der Himmel mich aufheitern zu wollen, indem er etwas zum Lachen auftischte. Der Rittmeister, Schulte mit Namen, und sein Weib zeigten oft ein wunderlich Gebaren. Im polnischen Kriege hatte er Dienste getan und sein Weib geehelicht, das Marketenderin gewesen und ein gut Stück Geld zusammengebracht hatte. Diese Mitgift hatte ihn befähigt, den Hof zu kaufen. Er fand jedoch kein Gefallen am Bauernleben, zumal der Krieg in Mechelnburg ihn um sein reiches Gestüte gebracht hatte. Am Soldatenleben hing immer noch sein Herz, und wenn er an seine Kriegsfahrten zurückdachte, geriet er derart in Eifer, daß er zum närrischsten Prahlhansen aufschwoll. Zum Exempel reichte er mir seinen Säbel und warf sich in die Brust: »Das ist die Waffe, die mir im polnischen Kriege große Ehre eingebracht hat. Ich wäre wohl ein reicher Mann, hätt' ich soviel Dukaten, als von meinem Säbel Tarternköpfe abgeflogen sind. Ich ward bei der köstlichen Klinge des Blutvergießens so gewohnt, daß ich oft mit meinen besten Freunden Händel anfing. Sie wußtens auch alle, drum schickten sie mich gern auf Rekognoszierung und Parteigängerei, nur daß sie im Quartier unbeschädigt blieben. Ja, Czernitzky hatte Glück, daß er mir aus den Händen entwischte; ich hatte ihm – soll mich der und jener – schon die Charpe vom Leibe weggehauen; doch man weiß wohl, was die polnischen Klepper vor Kröten sein, wie sie durchgehen. Sonsten hätt' es geheißen: Bruder, gib eine Tonne Goldes, oder ich haue dich, daß dir die Kaldaunen am Sattelknopf hängen bleiben. Ach, das war ein Leben! Drei Teutsche, sieben Polacken, zehn Kosaken, vierzehn Tartern und ein halb Schock Moskowiter dienten mir als Morgenbrot. Hätt' ich meinen Schecken, der mir leider unter dem Leibe weggeschossen ist, behalten können, ich gäbe zehntausend Taler darum. Er ging in einem Futter dreißig Meilen hin und her, und einmal, von einer ganzen Kompagnie Tartern umringt, sprengte ich über die Feinde hinweg, wobei mein Schecke seine Hinterbeine dem Rittmeister um die Ohren schlug. Was das Beste war, das Tier hatte Menschenverstand, es legte sich flugs auf die Streu zu mir und schlief die ganze Nacht mit. Hatte ich Met und Branntewein, das Pferd soff einen so tüchtigen Rausch wie ein Kerl. Ewig schade, daß es so liederlich hat draufgehen müssen und ich es nicht wenigstens ausstopfen gekonnt. Jawohl, es ist eine brave Sache um den Krieg, wenn einer Courage hat und weiß sie zu brauchen.« Wiewohl nun Schulte mit dem Munde solch ein Held war, hatte doch tatsächlich seine Frau, wie man sagt, die Hosen an. Manchmal hörte ich in meinem Bette, wie sie ihrem Manne die Leviten las, daß das ganze Haus davon hallte. »Was? Du ehrvergessener Vogel willst wieder ausfliegen? Hättest mögen ein Landstörzer werden, so hättest dir lieber eine Zigeunerin aussuchen sollen, nicht mich. Jetzo aber bist du mein Mann, und ich habe dich mit meinem sauer verdienten Gelde in diesen Hof eingesetzt, daß du mir parierest – Potzregiment! Treib es nicht zu bunt! Sonsten machen meine Nägel mit deinem Gesichtsspiegel Kameradschaft.« Hier fiel der sonst so kriegerische Mann mit der allersanftesten Stimme in ihre Rede: »Ach herzliebste Frau, erzürne dich nicht um so geringe Sache! Soll ich daheim bleiben, so brauchst du es bloß zu sagen. Im guten sag es doch, tu deiner Gesundheit keinen solchen Schaden.« – »Laß dein Winseln, du Bettelhund!« fing sie wieder an; »bildest dir wohl gar ein, daß ich mir deinetwegen das Herze abfresse? Rede mir kein Wort dazwischen, sonsten wollen wir sehen, wer Herr im Hause. Wer anders hat dich denn zum Manne gemacht, als eben ich? Ein dürrer Tropf warst du, ein Schuldenmacher, vom Sauf- und Spielteufel besessen, ein prahlender Hanswurst. Ein fetter Gutsherr bist du worden durch meine Mitgift. Nun sei's auch recht, du eingemachter Eselskopf, und bleib mir fein zu Hause sitzen! Und damit du nicht hinwegschleichest zu deinen Kumpanen, so magst du heut und morgen deine Schuh und Strümpfe suchen.« Gleich darauf hörte ich die Türe zukrachen, Herrn Schulte aber kläglich murmeln.

Etliche Stunden nach diesem ehelichen Dialogo besuchte er mich, bloß Strümpfe an den Füßen, und diesmal war auf seinem Angesicht nichts von dem gemeiniglichen Heldenstolz verzeichnet. »Lieber Tielsch,« seufzete er, »wie heftig meine Eheliebste sein kann, wenn ihr körperlich Übel sie befällt, hat Er wohl vernommen. Er muß nämlich wissen, sie leidet an der Galle; im übrigen ist sie eine gute Seele, und man darf ihr die zeitweilige Hitzigkeit nicht nachtragen. Ich mag sie in ihren Anfällen nicht obendrein reizen, denn ich habe Mitleid mit ihr, und unser Herrgott hat mir zwar die Kühnheit verliehen, Feinde niederzusäbeln, doch vor Göttinnen, wie Venus oder Juno, ist selbst der wilde Mars ein Lamm.« Begütigend stimmte ich meinem Wirte bei, und er war mir dankbar dafür. Bald darauf hörte ich aus dem Gespräch im Nebenzimmer, daß die Frau Rittmeister sich nicht allzu lange damit aufhielt, ihren Zorn zu kochen. Sie traktierte ihren Mann mit Koseworten und erlaubte ihm, den Ausgang zu tun, den sie zuvor versagt hatte.

Als er fort war, machte sie mir einen Besuch. Die beleibte Frau nahm im Sessel Platz, und aus dem Vollmondgesicht blickten die Äugelchen freundlich. »Der Herr hat mit angehört, daß es in diesem Hause, gleichermaßen wie im Himmelsgewölbe, zuweilen ein Wetter gibt. Das muß Er schon exküsieren; solch Wetter kommt aus dem Geblüt und hat wenig zu sagen. Diesmal hat mein Mann seinen saubern Kumpan, einen emeritierten Leutnant, besuchen wollen, und den mag ich nicht sonderlich leiden. Nahm daher meinem Mann das Schuhwerk weg, daß er daheim bliebe. Doch mein Zorn ist wie ein Hagelwetter; rasch vorüber geht's, und dann scheint die Sonne. Mein Männchen hat mir versprochen, zur Nacht daheim zu sein, und da hab ich ihm seine Schuh gegeben.« Ich fand das ganz in Ordnung, erlaubte mir aber die Frage: »Nichts für ungut, ehrsame Frau Rittmeister! Wie kommt es nur, daß Ihr Eheherr, eine so heroische Natur, sanfter als ein Lamm ist, wenn Ihr ihm entgegentretet?« – »Ha, das will ich Ihm erzählen,« schmunzelte die Frau. »Wir haben gleich am ersten Tage unserer Ehe durch einen Zweikampf entschieden, wer das Kommando hat.« – »Zweikampf?« staunete ich. »Allerdings!« versetzte sie. »Höret zu! Wir waren also ein neugebacken Paar, hatten die erste Nacht zusammen im Rittmeisterzelte verbracht, und das Frührot lugte herein. Da ruft mein Mann seinen Kommißjungen, der soll einen Prügel beschaffen. Der Junge geht, und da ich mir einbilde, der arme Schelm solle die Schläge bekommen, so bitte ich für ihn. Mein Hochzeiter aber spricht: ›Nicht für ihn sind die Prügel. Meine Liebste weiß ja, daß jedermann im Regiment prophezeiet, Sie werde die Hosen tragen. So aber soll es bei uns nicht sein. Drum will ich Ihr beizeiten mit dem Prügel weisen, wer dem andern über ist.‹ Indem kommt der Junge und legt mit verschmitztem Lächeln den Prügel auf den Tisch. Wie er wieder hinausgeht, merke ich, daß vor dem Zelte ein paar Offiziere lauschen, von meinem Hochzeiter hinbestellt, auf daß sie Zeugen seien, wie er seine Frau zum Gehorsam ziehe. Da geht mir meine Galle über, und wahrlich alsdann ist mit mir nicht gut Kirschen essen. Ehe sichs mein Mann versieht, habe ich den Prügel erfaßt und wische ihm eins über den Kopf, daß er dürmelt wie ein geschlagener Ochs. Beim Kragen schmeiß ich ihn zum Zelt hinaus, daß er lang hinschlägt und als ein Betäubter von seinen Kameraden mit Wasser wieder zu sich selbst gebracht werden muß. Ja, ja, so bin ich, und so hab ich meinen Mann gekirrt, daß er seitdem meinen Widerspruch, wo ich ihn für gut befinde, mit gebührender Sanftmütigkeit entgegennimmt.«

Diese Geschichte hatte für mich das Gute, daß ich nach einer langen Zeit des Grams wieder einmal empfand, was lachen heißt, und vom Hinstarren auf mein trüb Geschick abgelenket ward. Mit meinem Beinschaden ging es aber so schlecht, daß sich die Entzündung steigerte. Rittmeister Schulte holte einen Wundarzt aus Rostock, der schnitt an mir herum und stellte die Prognose, daß ich vor Herbst das Bein nicht werde brauchen können. In der Tat, erst als der rauhe Wind das verblichene Laub von den Bäumen riß, konnte ich humpeln. Wie dann mein Fußgelenk hinreichend erstarkt war, besuchte ich die Stelle, wo mein Pferd zu Fall gekommen.

Um die See zu betrachten und dabei meinen Gedanken nachzuhängen, setzte ich mich auf einen der großen Steine, die hier lagen. Über den Sand zu meinen Füßen spülte die Welle, floß dann zurück und schlug mit der nächsten Welle schäumend zusammen. Und es war das Heer von schwarzen, schäumenden Wellen anzuschauen wie ein Volk von Eisenrittern, gekrönt mit weißen Federn, zum Kampfe heransprengend. Seltsamer Kampf, ohne Ziel, ohne Sinn! Mein Auge starrte dorthin, wo Meer und Himmel sich berühren. Und sieh, auf der düstern Schneide unter finstern Wolkenballen schwebete ein Segel. Du armer Kahn, auf den Wogen wankend, bist du ein Bildnis meiner Liebe. Ins Ungewisse treibst du dahin, und wie rasch haben Sturm, Woge, Klippe dich zertrümmert. Alsdann aber, ach wofür ist dann mein Kämpfen gewesen? Ist es nicht umsonst, wie dies Branden der Flut wider den Strand? Und lohnt es sich, nach dem Scheitern meiner Hoffnung noch länger dies wüste Spiel des Lebens zu treiben, all das grausige Streiten, Blut, Angst und Schuld weiter auf mich zu nehmen? – Ein Auge fühlte ich auf mir ruhen, und mit einem süßen Schauder vermeinete ich zuerst, Thekla betrachte mich mit dem Blicke, den sie mir in der Gefangenschaft gespendet. Dann aber sah ich, daß aus dem Gewölk der Abendstern winkete, den sie auch den Stern der Meere heißen.

Ach Liebe, daß du wankest auf den Wogen,Ein morscher Kahn,Zerfetzt das Segel, steuerlos gezogenAuf Nebelbahn.

Des Tages Herz ist blutig hingesunkenIn düstre See.Wo bist du, armer Kahn? Zerschellt, ertrunken?Ach Lieb, ade!

Nun will auch ich hintaumeln und versinkenIn feuchte Gruft.Doch warnt ein Stern, der Meere Stern, mit WinkenAus blauem Duft:

»Nur Unrast wirf hinab, die eiteln SorgenDer wüsten Welt!Dein Lieben gib empor! Es sei geborgenIm Sternenzelt!

Was in der Zeiten Brandung ging verloren,Muß nichtig sein.Ein Herz allein, dir liebend eingeboren,Bleibt ewig dein.

Und schlug es auch an deinem nur für Stunden,Doch Reim bei ReimSeid ihr dem Chor der Seligkeit verbundenUnd seid daheim.«

Das neunte Abenteuer Wie das Lichtreich aus der Goldhöhle kam

Was im Traumgesicht der qualvollen Nacht mein Vater mir verheißen, hat sich erfüllt. Zur Abendburg bin ich wieder gelangt.

Den Sommer über war mein Fuß heil geworden, und nach treuherzigem Abschied von meinen Pflegern hatte ich mich auf die Suche nach Theklas Spur begeben. Da bei vergeblichem Kreuz- und Querreisen mein Pferd verunglückt, mein Geld aber zur Neige gegangen war, litt ich Hunger und konnte das abgerissene Gewand und Schuhwerk nicht durch besseres ersetzen. Statt der Stiefel Lappen an den Füßen, war ich vom Wandern bis zur Verzweiflung erschöpft. Durfte auch noch keine Stunde davor sicher sein, streifenden Parteien in die Hände zu fallen.

Als Ende Septembris endlich das Schlesische Gebirge ferne blaute, begegnete mir ein invalider Soldat, dem in der Breitenfelder Schlacht ein Hieb den rechten Arm gelähmt hatte. Von diesem Menschen ward mir wichtige Kunde. Als Rittmeister im Regiment Kronenberg habe Zetteritz die Breitenfelder Schlacht mitgemacht, und in einem Bleihagel, mit dem die schwedischen Musketiere die kaiserlichen Reiter überschüttet hätten, sei er vom Pferde gesunken. Der Invalide schwur mit heiligem Eide, er habe das mit eigenen Augen gesehen. Von Thekla wußte er nichts.

Obwohl nun ihr Geschick ganz ungewiß, schöpfte ich neue Hoffnung. Je näher ich dem Gebirge kam, desto lebhafter bildete ich mir ein, Thekla werde mich im Häusel des Oheims umhalsen. Hatte sie durch den Tod des Zetteritz ihre Freiheit wiedererlangt, so würde sie mich in Schreiberhau suchen. Wie ich aber beim Oheim anlangte, hatte mich die Hoffnung betrogen.

Trostlose Zeiten kamen. Wenn der Novembersturm die Nacht durchheulte und am Dache rüttelte, daß die Balken krachten, so lag ich schlaflos und sahe Thekla im Elend irren oder fühlte mich vom Geiste der Verstorbenen umwittert. Wochenlang staken die Schreiberhauer Hütten so tief im Schnee, daß Nachbarn kaum einander besuchen konnten. Öde und traurig war auch dem Oheim und der alten Beate zumute, da sie mich dem Trübsinn nachhängen sahen. Einen Hauch von Frieden fand ich in Büchern geistlichen Inhalts. Von alchymistischen Arbeiten, zu denen mich der Oheim gern gebracht hätte, mochte ich nichts wissen.

Wie endlich der Schnee schmolz, konnte ich mich neuer Hoffnung nicht erwehren, wiewohl ich ihr nicht traute. Ich hielt es nämlich für möglich, daß Thekla, durch den Winter am Reisen verhindert, im Frühjahr nach Schreiberhau kommen werde. Doch April und Mai vergingen, und es erschien keine Thekla, auch keine Nachricht von ihr.

Längst hatte mich die Sehnsucht angewandelt, auf der Abendburg zu hausen. Menschenscheu war ich, hätte am liebsten selbst den Oheim und Beaten gemieden. Vollends im Frühjahr beunruhigte mich das Schreiberhauer Leben; denn es brachte schier täglich Gerüchte von jener schlimmen Welt, die mir abscheulich geworden. Nichts sehen und hören mochte ich von Kriegszügen und Gefechten, Sengen und Plündern und von den teuflischen Quälgeistern, so in Hirschberg und anderen Orten längs des Gebirges quartierten.

Machte mich also bei Sommeranfang nach der Abendburg auf, mir dorten ein Gehäus herzurichten. Der Oheim half mir, hatte mir auch jene Summe Geldes eingehändigt, die ich vor der Reise nach Magdeburg bei ihm gelassen. Wir brachten die Grotte in wohnlichen Zustand, vergrößerten den Eingang und schlossen ihn durch eine starke Tür. Einen Steinwurf unterhalb des Felsens fand sich eine Quelle, zu ihr machten wir einen Stufengang hinunter. Um den Abendburgfelsen herum fällten wir in beträchtlichem Umkreise die Bäume, weil wir eine Balkenhütte bauen und zugleich Weideland für ein paar Ziegen gewinnen wollten. Die Balkenhütte wurde derart an den Felsen angelehnt, daß sie einen Vorraum der Grotte bildete. Aus Steinen errichteten wir daneben einen Ziegenstall. Die Grotte sollte als Küche und Werkstatt dienen. Um den Rauch aus ihr abzuleiten, brachen wir einen Spalt in die Decke, schmal genung, daß kein Raubtier hindurchschlüpfen konnte, zumal ein paar Eisenstangen quer angebracht waren. Den Herbst verwendeten wir zum Sammeln von Blaubeeren und Pilzen, die für den Winter getrocknet wurden. Auch einen Vorrat von Mehl, Speck und Schinken, hartem Käse und Beerensaft legte ich mir an. Meine Balkenhütte war in traulichem Zustande, als Tobias von mir gegangen, und ich nun allein hausete. Die Fugen zwischen den Balken verschloß Moos, das Fensterlein hatte kleine Glasscheiben und war von außen durch Eisenstäbe vergittert; aus Stein war der Ofen gemauert, der gut heizte. Auf einem Simse stunden Näpfe, Teller, Kannen und Becher. Unter dem Fenster war ein Tisch mit einem Stuhle, am Ofen die Bank. Ich hatte auch etliche gute Bücher auf einem Gestell. Neben der Tür hingen mein Jagdrohr, mein Säbel und ein Pistol. In der Ecke lehnte der Spieß. Zween starke Schäferhunde hauseten bei mir. Wenn mich der eine auf meinen Waldwegen begleitete, so blieb der andere daheim und war so abgerichtet, daß er zuverlässig meine Hütte und den Ziegenstall bewachte. Der Trost, den ich in früheren Jahren inbrünstig ersehnt und damals nirgends gefunden hatte, begann mich nun zu segnen, zumal bis in den November hinein die Sonnenstrahlen, selten nur durch Wolken zurückgehalten, gülden und warm rings auf die Berghäupter niederfluteten.

Das kostbarste Gerät meines Heims war eine Harfe. An Thekla gemahnte sie mich, und es war mir Erquickung, mein Leiden und Sehnen in holden Klängen vom Herzen zu strömen. Täglich übte ich das Schlagen der Saiten und sang dazu Lieder, die ich selbst ersonnen, und es kamen Zeiten, da Verse aus mir sprossen wie Blüten am Frühlingsbaum. Bei solch einsamem Hausen trank meine Seele den Bergfrieden und ward immer stiller. Zuweilen freilich fiel mich Unrast an, und es nagte der Gram am Herzen. Vom Buche, drin ich Trost suchte, sprang ich dann auf, hing das Jagdrohr über die Schulter und bewehrte mit dem Spieße die Faust. Durch Tannen und Knieholz streifend, schoß ich nach dem Auerhahn und der fliehenden Hirschkuh. Wollte mir nachts der Schlaf nicht gelingen, so konnte ich lange draußen beim Felsen sitzen und war unter finsterm Himmel auf der Suche nach inneren Sternen.

Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.

Ich bin ein Erlenstumpf,

Dran bleicher Moder glimmert,

Ein gärend fauler Sumpf,

Wo scheu das Irrlicht flimmert.

Unheimlich düstre Welt,

Du Tummelplatz für Toren!

Bin gänzlich unbestellt

In dich hineingeboren.

Sag an, was hast du für

Mit deinem bangen Kinde?

Und hast du keine Tür,

Wo ich den Ausgang finde?

Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.

Mein Leben schäumend rann,

Ein Sturzbach zwischen Steinen.

Was ich dabei gewann?

Oh bitter möcht ich weinen!

Einst ward ich schmuck und neu

Als Menschlein eingekleidet.

Doch alles Fleisch ist Heu,

Und horch, die Sense schneidet.

Ach wohl, die Jugend reicht

Den süßen Taumelbecher.

Doch Rausch und Minne weicht,

Und Reue weckt den Zecher.

Um jeden Bissen Brot

Muß hart der Frohner schanzen;

Sonst hockt die hagre Not

Ihm auf dem leeren Ranzen.

Mach dich nicht gar zu breit,

Du Herr im güldnen Hause!

Ohn' End ist Ewigkeit,

Und schmal die letzte Klause.

Poch nicht auf Ehr und Zier!

Fortuna hat's geliehen.

Der Hobler wird auch dir

Ein Linnenkleid anziehen,

Zum Pfühle untern Kopf

Zwo Handvoll Späne schieben ...

Nun denke nach, du Tropf,

Wie närrisch du's getrieben!

Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.

Und wie ich ratlos bang

Ins dunkle Rätsel staune,

Horch, sanfter Wiegensang,

Ein wogend Waldgeraune:

»Nur stille, Menschenkind!

Was helfen deine Sorgen?

Die Augen schließe lind!

Derweilen wächst das Morgen.

Die Nacht hat ihren Tau,

Auf daß der Maien blühe,

Und aus dem Wolkengrau

Entsprießt die Purpurfrühe.

Soll nicht der Sagenstein,

Wo wüste Tannen dunkeln,

Ein Königspalast sein

Und einst entzaubert funkeln?

Zuvor im Puppenkleid,

Soll unsere trübe Erden

Am Glanz der Ewigkeit

Ein Himmelsfalter werden.

Und ob die Wolke hüllt

Den letzten Sternenfunken,

Dein Traum wird noch erfüllt:

Du schaust, von Sternen trunken.«

Eines Abends im November stieg ich auf den Felsengipfel, die Nacht zu belauschen. Stumm starrten rings die Tannenwipfel, vom bleichen Dämmern beleuchtet, das der Mond durch Wolkendunst über die Berge goß. Feiner Wasserstaub schwebte hernieder und kühlte die heiße Stirn. Es tat wohl, zum bleichen Firmament hinanzustarren. Ich sehnte mich, ein Baum zu sein, allhie Wurzel zu schlagen und grüne Arme gen Himmel zu breiten. In der großen Stille ward jetzo Vogelschrei vernehmbar, Wildgänse schnarrten und kamen geflogen. Ob meinem Haupte sauseten die Fittiche, vorüber zog das dunkle Keilgeschwader. Fern und ferner das Krächzen, und wie der Vögel Raunen von der Öde verschlungen war, schrie mir im Herzen die Sehnsucht auf. Ihr geflügelten Geschwister eilet aus dem Nebellande gen Mittag, wo warm die Sonne blühet. Ich aber bleibe in der Öde hausen, wo mich Sturm und Regen an den Herd bannen und des Schnees Woge begraben wird. Ja, komm geschlichen, kalte Winternacht. Was soll die warme Sonne dem Verdüsterten? Trost ist es ihm, wenn auch die Welt ein trübes Antlitz macht. Wohl blühet in der Seele heimlich eine Blume, doch nie darf ich sie kosen. Des Traumes Glück allein ist mir vergönnt – ich sinne, seufze in der Nebelnacht. – Hinunter in meine Klause ging ich, stimmte die Harfe und ersann schwermütige Weisen.

Bald hatte ich auf ein ander Lied zu lauschen: der Sturm heulte um Felsen und Tannen, rüttelte an Balken und Dachsparren. Tag und Nacht ging es so fort, Nacht und Tag. Als dann die Luft wieder lautlos war, sanken Flocken hernieder, dicht und dichter, und es ging ein Schneetreiben los, daß die weiße Decke an mein Fenster reichte, schließlich gar die ganze Hütte einhüllte und verfinsterte. Wie ich durch den Spalt der Grottendecke wahrnahm, daß kein Schnee mehr fiel, und klarer Frost eingetreten, tat ich behutsam die Tür des Blockhauses auf und grub durch die Hülle einen Schacht. Den ausgeschaufelten Schnee schmolz ich im Kessel, und mit dem heißen Wasser erweiterte ich den Schacht. Machte dann einen Aufstieg, der mich über die glitzernde Fläche lugen ließ. Ein Gefangener war ich nun wohl, hätte beim Ausgehen ja versinken müssen in der weißen Woge. Doch ein Trutz erhub sich in mir, ein keck Gelüsten, dem Vogel gleich zu triumphieren über Erdenleibes Schwere, zu schweben, zu gleiten übers glatte Flockenfeld. Ich bedachte, was mir ein schwedischer Soldat zu Magdeburg erzählt hatte. Daß nämlich die Bewohner der nordischen Berge leichte Brettlein von Mannslänge an die Sohlen riemen und dann wie auf Schlittenkufen über den Schnee gleiten, ohne einzusinken, inmaßen des Körpers Schwere durch die Fläche des Brettes auf eine ebenso große Schneefläche verteilt wird. Ich verfertigte mehrere Schneeschuhe nach verschiedenem Plane und fand, nach tagelangem Erproben im Schnee, ein Paar für meinen Zweck geeignet. Mit der Zeit bekam ich solche Übung, daß ich auf schrägem Schneegefild wie der hurtigste Schlitten abwärts flog. Wollt ich bergan, so ging ich Schritt für Schritt, gestützt auf einen Stab, der über seinem Stachel ein dünnes Querbrett hatte, um Halt auf der Schneedecke zu finden. Dann war ich ein Vogel, flog die Abhänge hinunter und überraschte manches Wild beim Lagern – so schnell war mein Kommen. In einem Zauberreiche deuchte ich mich, wenn ich die eingeschneiten Tannen betrachtete. Die niedergedrückten Zweige trugen zackig geformte Schneeklumpen, an der Wetterseite hingen weiße Mäntel, Mönchskutten mit Kapuzen. Auf dem Knieholz bildete der Schnee wunderliche Tiere, weiße Bären, die auf den Hinterbeinen liefen. Wie Rauhreif kam, war alles Grün und Braun der Bäume versilbert. Jede Fichtennadel ergraut, von seinem Kristall eingepudert. Erneuter Rauhreif machte die Kruste immer dicker, und ich staunte, was doch der harte Winter ein Feinbäcker sein kann, so mit kunstvollstem Zuckergusse die düsteren Bäume zum glitzernden Zauberwalde zu wandeln weiß. Aber auch als Schmiedemeister ließ sich der Winter bestaunen, da er den Bäumen klirrende Rüstungen schmiedete. An der Mittagssonne schmolz der Schnee von den Zweigen, und das Tröpfeln gefror zu Zapfen. Purpurn gleißte der Morgenstrahl darauf, und erhub sich ein Hauch, so klirrten und klimperten die Eiszapfen an den wankenden Wipfeln wie Glas und Glocken. Fegte der Wind über die Berghänge und Talflächen, so wirbelten Schneesäulen empor, wallenden Geistern in weißer Gewandung gleich. Einmal glitzerte ein ganzes Heer solcher Schneewirbel im Sonnenschein. Ein Jauchzen brach aus meiner Seele, und ich spürte, wie voll Göttlichkeit diese Welt für den, der zu schauen weiß.

Bei solcher Betrachtung dachte ich oft an meines Vaters Reden vom Himmelreich, wie Gott nicht fern über den Sternen sei, sondern allenthalben bei uns, in uns zugegen. Das Ganze ist Gottes Leib; Sonne, Mond und Sterne hat er als Augen; mit dem Lichte, das in alle Gründe flutet, schaut er; im Finstern spüret er, lauscht, tastet und sinnt. Sein Odem ist die Luft und das Leben aller Kreatur; göttlich Blut träufelt aus der Wolke; Bach und Strom sind Allvaters Adern, und in unserm Pulse regt sich der unermüdliche Schöpfer. Freilich tut es uns not, unsere göttliche Erborenheit und Naturam zu spüren. Das erst ist die Erlösung, daß wir uns fühlen als Gottes Kind. Wer aber nicht ahnt, daß sein Wesen im unendlichen Geiste weset, der dünket sich wohl klein, arm und verloren. Eine Hölle leidet er, denn die ist nichts andres, als daß wir uns getrennt und abgestückelt fühlen vom Ewig-Einen. Finde dich heim, seufzende Seele, spüre durch alle Kreatur hindurch den Urgrund, unsern All-Vater. Solche Andacht deuchte mich der wahre Schatz meiner Wohnstätte. Zu deuten wußt ich die Mär von der Abendburg, wie der wüste Stein sich dem Johanniskinde zum strahlenden Schlosse wandelt, und wie es blühet im Felsenherzen von Gold und buntem Edelkristall.

Seliger noch ward meine Andacht, als der Frühling mit warmem Hauche den Schnee schmolz, daß die Decke von Tag zu Tag dünner ward, bis im Tal die Matten grüneten, und auf meiner Höhe die Tannen und Felsen vom Schnee frei wurden, der nur noch an Hängen gen Mitternacht lag und schließlich in die kalten Schluchten sich zurückzog. Wenn ich den Oheim besuchte, schimmerten auf grünender Wiese die gelben Schlüsselblumen und wie blaue Flämmchen die Krokusblüten. Erlöst war mein Herz, und wie neugeboren kam ich mir in der Frühe vor, wenn ob den dunkeln Talen der Himmel matt erglänzete, wie aus Opal gebildet – wenn sich dann aus den Waldschluchten weiße Dünste huben und zu einem breiten Gewebe zusammentaten, indessen das dunkelblaue Gewölk ob der fernen Ebene von Feuerbächen durchronnen ward und immer mehr erglühte, bis es sich auftat wie ein Augenlid, und rot das Weltenauge übers Bergreich blitzte. Manchmal hüllte der Nebel die ganze Tiefe unter mir, daß nur die Berggipfel herfürrageten. Die weite, wellige Dunstfläche sahe dann aus wie wogende See, drin Felseninseln schwimmen. Beim Auftauchen der Sonne erglühten die starren Wogen, und die Stirnen der steinernen Riesen badeten im flutenden Tagesstrahl. Freudig regten sich die grünen Wipfel unter mir. Geheimnisvoll kam aus dem Nebel, so alle Täler deckte, das Rauschen der Gießbäche und Brünnlein. Dann flog wohl bei mir eine Berglerche trillernd empor, und wenn sie ins Blaue entschwebete, deuchte sie mich meines Herzens Jauchzen. Was konnte bei solchem Schauen mein alter Gram noch sein? Zerflattern mußte er wie düstere Traumgesichte, die der Morgen scheucht.

Willkommen, Ritter Morgen!

Vor deinem güldnen Haupt

Entfliehn die Wölfe Sorgen,

So mir den Schlaf geraubt.

Der Fels vor meiner Klause

Starrt feierlich mich an,

Die Wipfel mit Gebrause

Wiegt unter mir der Tann.

Steingraue Wolkenwogen

Verhüllen noch das Tal,

Darob der Himmelsbogen

Matt leuchtender Opal.

Und aus dem Dunstmeer ragen

Die Berge drüben steil.

Ihr Stirnenglanz will sagen:

Ganz oben thront das Heil.

Nun blüht von Purpursonne

Das Nebelmeer wie Klee,

Und auch mein Gram ward Wonne,

Dieweil ich drüber steh.

Als Lerche schwebt mein Schauen

Hoch ob dem Erdennest

Durch selig freie Auen ....

O Himmel, halt mich fest!

Doch ob ich auch in den Himmel zu tauchen verstund, fest hielt er mich nicht, und wie die Lerche vom jauchzenden Höhenfluge wieder zur Erde sinkt, so geschah auch mir. Ich sehnete mich nach meiner Gattin und kam mir verwaiset für wie Adam, da ihm der Herr das Paradeis genommen. Auch peinigte mich das Mitleiden mit meinen Landsleuten, die immerfort von der Kriegsfuria Folter litten. Sooft mir Kunde aus den Tälern ward, stöhnte ich vor Grimm, und konnte schon gar nicht zum Oheim hinuntergehen, ohne vor dem zu beben, was ich zu hören bekommen sollte. Die Wachsteinposten berichteten von einer Hungersnot, die seit Pfingsten die Ebene heimsuche. Hagere Bettler in Lumpen hätten nach Schreiberhau herauf gewollt, und da man ihnen den Weg versagen gemußt, kläglich um Speise gebeten. Hätten erzählt, wie das Korn so rar, daß nur noch der Reiche Brot habe. Von Kleien und gemahlenem Moose bereite sich der Arme sein Gebäck und esse gekochte Nesseln nebst anderm wilden Kraute. Dabei höre das Plündern und Plagen durch die Soldateska nimmer auf. Erst sei kursächsische Reiterei in Hirschberg gewesen, und mancher Hausbesitzer habe ein Dutzend Soldaten speisen müssen. Endlich, wie pestartige Seuchen herumschlichen, seien die Sachsen aus Scheu vor Ansteckung abgezogen, nicht ohne Abschiedsgeschenke zu erpressen. Im Juli sei abermals Einquartierung gekommen, diesmal kaiserische, und ihr Oberster habe dem Burgemeister unter Flüchen in Aussicht gestellt, die Stadt für die Aufnahme der Sachsen zu züchtigen. Unbarmherzig plünderte sein Volk die Vorstädte und Dörfer. Als eine mörderische Pest auch diese Einquartierung vertrieben hatte, überrumpelte eine Partei Plünderer das Schildauer Tor. Mit Äxten schlugen sie den Bürgern Türen und Schränke auf und raubten den Kirchen, was noch Wertvolles drin vorhanden. Dabei mußten die Einwohner Mißhandlungen über sich ergehen lassen. Als eine Deputation des Rates beim kaiserlichen Kommissar ob der soldatischen Greueltaten Klage führte, kam der trutzige Bescheid: »Ihr seid ja selber schuld; was habt ihr die Tore nicht besser verwahrt? Wart', ich werde euch eine Sicherheitswache senden.« Nun hatten die Hirschberger ihre liebe Not, die Sicherheitswache abzuwenden, denn solche Salvegarden waren allenthalben im Kriege Plagegeister, nicht minder schlimm denn der Feind. Nach und nach hatte sich in der Stadt auch lüderlich Gesindel eingefunden, das eine Rotte bildete, mehrerlei Unfug trieb und sogar eine Hochzeit auf Kosten der Stadt feierte, von den Bürgern Zehrung und Bier erpressend. Etzlers unterirdisch Weingewölbe räumten die Mausköpfe aus, soffen sich voll und erschlugen ein paar Bürgersleute. Schließlich wurden sie vertrieben, nicht ohne blutigen Kampf. Als zu Friedland kaiserisch Hauptquartier war, kam ein Kommando, Hirschberg solle all seine Geschütze und Glocken ausliefern. Die Stadt verlor drei Mörser und eine Kirchenglocke. So ward das Reich von Höllengeistern gepeitscht; bis in unsere abgeschiedenen Täler drang das Seufzen der Verzweiflung.

Für die Schreiberhauer kam eine Gewissensnot hinzu. Unser Prädikant hatte das Zeitliche gesegnet, und obwohl seitdem aus Giersdorf der evangelische Geistliche kam, die Neugeborenen zu taufen, die Toten zu begraben und die Paare zu trauen, war doch keine rechte Seelsorge vorhanden. Endlich ward dem Giersdorfer verboten, sein Amtieren über seine Gemeinde hinaus zu erstrecken. Wie denn überhaupt der evangelische Glaube im Lande vom Kaiser und seinen jesuitischen Helfern drangsaliert ward. Wegen meines Gesanges zur Harfe hatten mich die Schreiberhauer wiederholt zu Feierlichkeiten geladen, die ich durch Lieder verschönern sollte. So war ich zu einem Begräbnisse gegangen, und als der Giersdorfer Prädikant, nachdem wir lange gewartet, nicht erschien, baten mich die Trauernden, ein Gebet zu sprechen, da ich eines Seelsorgers Sohn und ein halbstudierter Mann. Auf diese Weise kam ich zu meiner ersten Predigt, und die Leute waren erbaut. Da nun die Gemeinde sahe, daß kein rechter Prädikant zu erlangen, drang sie in mich, jeden Sonntag zu predigen. Ich sagte zu und sprach, wie es mir ums Herze war. Der Kirche indessen fremd geworden, sahe ich für das schönste Gotteshaus den freien Himmel an. Proponierete also der Gemeinde, bei, gutem Wetter nicht zwischen Mauern, sondern im Waldesdom der Andacht zu pflegen. Kanzel und Altar war ein Felsen, statt der Kirchenbänke dienten Moos und Beerengestäude, als Glocken summten die vom Wind geschwungenen Fichten. Nur die Orgel war von Menschenhand – meine Harfe – sie gab im Walde guten Klang.

In meinen Predigten tat ich kund, woher das Elend teutschen Landes komme, und wie es zu heilen sei durch die Wahrheit. »Die Konfessionen hadern miteinander, jede wähnt, ihre Pfaffen besäßen in den Glaubensartikeln einen Pakt, durch den der Herrgott verbunden sei, den Schäflein die Himmelsweide aufzutun. Dabei gehet es den Parteien keineswegs bloß um geistlich Gut, irdischer Reichtum ist hauptsächlich der Zankapfel. Die evangelischen Fürsten haben der Papistenkirche die Güter genommen, und nun möchte kaiserliche Majestät die Hand darauf legen. Hin und her gezerrt wird das arme Volk von den Confessionibus. In Strömen fleußt Menschenblut, die Saaten werden zerstampft, die Scheuern niedergebrannt, jeder blühende Gau wandelt sich zur Wüste, und zur Hölle das liebe Vaterland, wo Menschenbestien als Teufel hausen. Woher aber das Streiten um den Glauben, aus dem allerdings dieser unselige Krieg herfürgewachsen? Gibt es denn keine Instanz, wo die Hadernden zum Frieden gelangen können? Ist denn nichts Höheres ausfindig zu machen als die Konfession? Ja, das Höhere lebt! In allen Menschenkindern lebt es! Der eine gemeinsame Urquell ist es, dem jede Kreatur entquillt! Er allein, der Ewige, Eine, Unteilbare sei unsere Konfession! Lasset uns nicht geringer sein denn diese frommen Waldbäume! Nadeln und Zweige der Tanne spüren, daß sie demselben Stamme, derselben Wurzel angehörig sind. Doch wehe, die argen Pfaffen predigen einen andern Gott als den Allwesenden, darinnen wir leben, weben und sind. Schwatzen dem törichten Volke vor, Gott sei ferne der Welt, hoch über den Sternen, durch eine Kluft geschieden von seinen Geschöpfen. Ja, wer das gläubet, ist von Gotte hinweggewandt, denn Gott lässet sich spüren nur im Zuge nach dem Einen, das seine Geschöpfe mit ihm verbindet. Wer solch Heimweh nach der Ewigkeit vermisset, ist fürwahr eine rechte Waise und irret höllenwärts. Die Hölle ist nämlich die Abkehr von Gotte. Diese Abkehr wird von den papistischen Pharisäern befördert, und auch die Evangelischen muß ich anklagen, dieweilen sie den fernen Gott lehren und für seinen Stellvertreter ihren Papst von Papier ausgeben. Nicht also, liebe Seele, traue nicht denen, so dir vorspiegeln wollen, ihnen habe der ferne Gott seinen heiligen Geist eingehauchet, oder das Bibelbuch habe ein für allemal die Offenbarung in sich geschluckt. Hoffe nicht, vom Pfaffen Gnade zu erlangen und die ewige Seligkeit. Babel schreit: Hier ist die Kirche, hie Christus, laufet all herzu! Wenn aber dann die Wahrheit in Gestalt eines Redlichen nahen will, geschieht ein Geschrei: Meidet, ihr Schäflein, diesen schwarzen Teufelsbock! Er sei verflucht, Feuer her! – Ach diese Gleisner! Dieselben sind es, so den Heiland ans Kreuz geschlagen haben. Hochmütig blähen sie sich auf und setzen eine Würde auf die Nase: Wir sind Herrgotts Amtsleute, und alles Volk soll uns gehorsamen! Die auf Sankt Petri Stuhle sitzen, nicht minder die andern Schriftgelehrten, tun als besäßen sie des Himmelreiches Schlüssel, vergeben Sünden um Geld, schändlichen Handel treiben sie damit. Jesus war arm auf Erden und hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegte; sie aber wollen an seiner Statt reich und fett sein. Zur Botmäßigkeit beugen sie die Nacken ihrer Gläubigen, heischen den Mammon und häufen ihn derart, daß es dann nicht verwunderlich, wenn beutegierige Herren sich darüber hermachen.

Da hab ich hingewiesen, woher das ganze Elend kommt. Wir Schreiberhauer wollen nun die Glaubensfehler meiden, die übers teutsche Vaterland den Ruin gebracht. Keinen Götzen wollen wir verehren, vielmehr den Vater unser, so in uns waltet. Wir haben ja alle einen Odem und sind aus einer Seele erboren. Die reine Gottheit ist überall gegenwärtig, an allen Orten und Enden, wohin du sinnen magst, auch mitten in der Erde, in Stein und Felsen. Drum laufet nicht zur Mauerkirche, wo der Pfaffe herrscht; sondern unter freiem Himmel, wo euch das Herz aufgeht, ist Gottes Tempel. Kein Pfaffe soll sich zwischen ihn und unsere Seele drängen. Beten wir ihn an in der Wahrheit, die uns die Bäume predigen und die Berge, die Murmelbächlein und die wehenden Lüfte. Gott lächelt aus jedem Stern und jeder Blume, sein Himmel erschleußt sich dem Menschenherzen, wenn es ihn spürt, wie er schöpft und wirkt, wie er heilt, erleuchtet und durchfriedet. Das Paradeis, so dem verschlossen, der sich von Gotte verirrt, stehet offen allen, die sich zu ihm wenden, nur einzugehen brauchen wir. Gedenket der Mär, die in euren Spinnstuben von der Abendburg geraunet wird. Der öde Felsen droben, so sagt man, sei ein heimlich Schloß, verwunschen vom bösen Geiste. Wer aber die Kraft Magiae besitzt, kann den Felsen zur strahlenden Königsburg wandeln. Ich deute euch diese Mär, die mitnichten ein dummes Gemare. Eine Abendburg ist die ganze Welt, der Himmel mit den Sternen, die Erde mit ihren Gewächsen und Tieren, mit uns Menschenkindern, mit Bergen und Gewässern, mit Meer und Luft. Verwunschen und verstört ist die Welt durch den schlimmen Wahn, sie sei von Gotte verlassen und dem Teufel zum Tummelplatz überliefert. Wer so gläubet, dem freilich macht sie ein trüb Gesicht, dem grauen Steine gleich. Wachet auf, ihr Augen, und schauet mit dem magischen Blick, so wandelt sich die Welt zum Gottesleib, drinnen seine Kraft und Herrlichkeit sich auswirkt allerorten, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wer also die unendliche Abendburg entzaubert, dem blühet innen der verheißene Schatz. Es ist die gewisse Zuversicht, daß jedes Menschenkind in sich den Gott heget, mag er auch nur wie ein Körnlein keimen. Der Erlöser in uns lebt und wächst heran zu Schöpfers Ebenbilde. Die Geheiligten lobsingen miteinander und sind auf einmal in der Stadt des ewigen Lichtes. Da lächelt sie nun, unsere Heimat, und alles Heimweh ist selig gestillt. Friede mit uns allen!«

Also ging von der Abendburg ein gülden Schimmern aus. Der Traum vom Lichtreiche, der mir beim Sagenstein gekommen war, teilte sich durch mein Wort den Schreiberhauern mit und ward eine Schwarmgeisterei. »Bauen wir die neue Burg Zion!« hieß es – »auf daß erfüllet werde, was der Psalmist gesprochen: Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten.« – Wohl gut! Doch was sich leicht ersinnen läßt in der Bergeinsamkeit und ungestört seine phantastischen Ranken und Wunderblüten treibt, – ach welch ander Wesen entfaltet es, übertragen auf den harten Acker der Wirklichkeit, wo es gedeihen soll auf unfruchtbaren Steinen, zwischen widerwärtigen Dornen ... Das sollt ich nun erfahren.

Anno 34 war's, an einem Sonntage des Märzen, und ich hatte abermals vom Lichtreiche gepredigt. Warm schien die Sonne in den Waldwinkel, obwohl zwischen den Felsen am Bache noch dicker Schnee lag. Als nach dem Amen die Gemeinde schwieg, ging Windesharfen durch den Tann, die Erlenzweige wiegten ihre rostroten Blütenkätzlein, und der angeschwollene Bach orgelte einen dumpfen Choral. Da erscholl eines Mannes Zuruf von fern, und zwischen den Baumstämmen tauchte einer von denen auf, so beim Wachstein unser Bergdörfel vor feindlichem Volk behüteten. Auf einem Pferde aber saß ein Mägdlein in herrschaftlicher Tracht, und es folgte ein Trupp Leute. »Schauet doch!« raunete man; »ist das nicht unser adlig Fräulein? Ei freilich, die junge Schaffgotschin! Mit Maiwalds Karle kommt sie zu uns. Und da sind ja auch die Knäblein des gnädigen Herrn! Und der Kemnitzer Rentmeister.« Den Ankömmlingen öffnete man eine Gasse und neigte sich vor der jungen Herrschaft. Als ein rechtes Prinzeßlein anzuschauen war Anna Elisabeth, Hans Ulrichs zwölfjährig Töchterlein, schön, zart wie die Mutter selig. Unter den vier blondlockigen Knaben hatte einer schon etwas vom hohen Wuchse seines Vaters. Der kleinste mochte sieben Lenze zählen. Zuerst vermeinete ich, es werde nun auch der Freiherr kommen. Doch nein. Und es schloß nun die Menge den Kreis um unsere Gäste.

Das Pferd ward vor mir angehalten, und die junge Schaffgotschin sprach mit traurigem Lächeln: »Grüß euch, ihr Leute! Ihr wisset, wir sind eures Grundherrn Kinder. Stehet uns nun bei, bitt euch! Unser Vater – ach, unser Vater ...« Nicht weiter konnte sie und brach in Tränen aus, das Tüchel vor dem Angesicht. Weiber küßten ihres Gewandes Saum, und männiglich murmelte bestürzt: »Was hat's denn mit dem gnädigen Herrn?«

»Gute Leute!« nahm der Rentmeister das Wort und zog den Hut vom ergrauenden Haupte – »eine Heimsuchung hat die edeln Schaffgotsche betroffen; unser gnädiger Herr ward auf Befehl des Kaisers verhaftet ...« – »Mein Gott!« rief alles entsetzt. »Verhaftet? Auf Befehl des Kaisers? Was tat denn unser Herr?«

»Die Verhaftung ist geschehen durch den General Colloredo ...« – »Da haben wir's!« rief ich aus, »Italiener und Spaniolen erwürgen unser Volk.« – »Die Pfaffen sein schuld!« meinte der Bauer Dreßler. »Die Jesuiter!« schrien andere.

Der Rentmeister fuhr fort: »Im Ohlauer Schlosse war's – da quartierte unser Herr. Wollte grade ausreiten, die Feldwachen zu besichtigen. Da ziehet klingenden Spiels Colloredosches Fußvolk auf und besetzt sogleich die Schloßpforten. Unseres Herrn Kammerdiener kommt hereingestürzt: Flugs machet fort, Herr! Doch ihm auf den Fersen sind Colloredos Offiziere, die Degen entblößt. Einer weiset den Haftbefehl vor: Im Namen des Kaisers! Herr Feldmarschall Colloredo gebeut, daß wir Ihro Gnaden nach Glatz transportieren, ohne Verzug, lebendig oder tot. – Unser Herr, zuerst starr und sprachlos, schäumte nun wie ein wilder Eber: Lebendig oder tot? Ich will euch zeigen, wer den andern töten wird. – Und stürmte zur Ecke, wo die Standarten lehneten, und wo sein Degen hängen sollte. Doch der Degen fehlte, ein Schelm hatte ihn entwendet, und den Wehrlosen packten die Offiziere ...« – »Mein Gott!« jammerten die Schreiberhauer, und es weineten die jungen Schaffgotsche. Dreßler rief: »Unser Herr ist halt ein Evangelischer, das ist sein Verbrechen!« Der Bericht aber lautete des weitern: »Noch gleichen Tages waren alle Schriftstücke unseres Herrn von den Obersten genommen und versiegelt, und bei anbrechender Dunkelheit fuhr die Karrete mit dem Gefangenen zur Glatzer Feste. Hinterher ging das Gerücht, Herr Schaffgotsch habe benebst dem Herzog Wallenstein und dessen Schwager Tercky Hochverrat am Hause Habsburg begangen, nämlich den untergebenen Obersten befohlen, dem Wiener Hofe nicht Order zu parieren, dieweilen der Generalissimus mit Wien uneins sei und als Führer der Armada über der kaiserischen Regierung stehen müsse.« Da alles betreten schwieg, nahm Dreßler das Wort: »Wie dem auch sei – an unserm gnädigen Herrn ist kein Falsch.« – Dann sprach wieder der Rentmeister: »Ein gut Gewissen muß unser Herr haben, sintemalen er sein Eigentum, ja seine Kinder, ohne Schutz mitten unter Colloredoschem Volke gelassen hat. Das ist nach Lage der Dinge nun freilich schlimm. Es dräuet den Schaffgotschischen Besitzungen, und in puncto religionis auch den Kindern Gefahr von seiten der Jesuiter, so ja den Kaiser beherrschen. Stellet doch der Kardinal Dietrichstein allbereits das Ansinnen, es sollen evangelische Diener hinfürder den jungen Schaffgotschen fern bleiben ...« – »Hoho!« murreten die Schreiberhauer. – »Man will unsere Herrschaft ausrauben«, nahm ich das Wort. »Raunet man doch, es bestehe bei Hofe das tägliche Brot aus konfiszierten Güteln. Da wird ihnen das Maul wässern nach dem Reichtum der Schaffgotsche. Ich möchte die hochgeborenen Kinder nicht bekümmern; jedoch, Herr Rentmeister, sowie ihr lieben Schreiberhauer, man muß der Gefahr ins Auge schauen. Der Papismus recket seine Hand übers Gebirge, will uns Gut und Glauben nehmen. Da gilt es, fest und treu zueinander zu halten. Drum wollen wir unserm Grundherrn beistehen, so gut es unserm schwachen Vermögen gelingt. Nicht also, ihr Leute?« – »Wir stehen bei!« riefen sie. »Ich selber bin ein armer Eremit der Iserwildnis ...« – »Unser Prädikant ist er!« rief man dazwischen. »Einen Buschprediger heißen sie mich. Ohne kirchliche Bestallung predige ich unsern Schreiberhauern, weil sie, geistlich verwaiset, mein Wort nicht ungern vernehmen und mein Saitenspiel. Ich suche ewiges Heil, suche den Frieden für unser armes Vaterland und bin unserm gnädigen Herrn Hans Ulrich ergeben. Seine Kinder haben eine Zuflucht bei uns, und ihre Feinde werden wir zurückscheuchen ...« Dreßler, der reckenhafte Bauer, schüttelte die Faust: »Wir halten Wacht beim Wachstein, und wehe denen, so ihn berennen! Felsen schmettern wir in ihre Reihen ...« – »Gut und Blut für die Herrenkinderla!« rief der älteste Mann des Dorfes, mit einfältigem Lächeln sich neigend. »Sie sein unsre Gäste – wenn sie möchten fürliebnehmen – wir sein geringe Leute!« rief man, und ein Weiblein platzte heraus: »Die Preislerin, die hat's fürnehmste Häusel.« – »Da hat's Speckeier und Brathühnla«, lallte der älteste Mann. »Nu freilich – ein Unterscheid muß halt doch sein zwischen Adelsblut und gemeinen Menschern.« Hellauf lachte das Fräulein unter Tränen. Dreßler entschuldigte: »Halten zu Gnaden!« Die Preislerin trat aus der Menge und neigte sich: »Hätte mir's nicht nehmen lassen, die junge Herrschaft zu bewirten. Ebenfalls den Herrn Rentmeister und unsern Prediger. Wollet mir folgen, meine geehrten Gäste!« Zum Danke reichte das Fräulein der Witfraue die Hand, und nach einem Grüßen und Vivatruf der Menge wurden die Schaffgotsche zur Glashütte geleitet.

Ich ging neben dem Rentmeister und vernahm noch mancherlei von dem Vorgefallenen. »Eine Parteiung« – erzählte er – »zerreißt die kaiserische Armada. Wallensteinisch sind die einen, höfisch die anderen. Unser Herr hat stets zu Wallenstein gehalten; der hinwiederum hat nicht vergessen, daß der Steinauer Lorbeer insonderheit den Schaffgotschischen Dragonern zu verdanken. Im Januar ist unser Herr im Pilsener Hauptquartier gewesen und hat aus Wallensteins eigenem Munde seine Ernennung zum Obergeneral aller schlesischen Völker vernommen. Wie er dann aber in Glogau seine neue Charge dem Generalleutnant Gallas meldet, schüttelt dieser spöttisch das Haupt und weiset einen schriftlichen Armeebefehl vor, wonach Colloredo der schlesische Obergeneral ist. Da stund unser Herr, der mir selber solche Kränkung geklagt hat, wie ein Schulbub errötend und zähneknirschend. Unter Vorbehalt weiterer Schritte hat er Urlaub genommen und nach längerer Ratlosigkeit einen Diener, den hurtigen Trompeterhans, nach Pilsen zum Generalissimo gesandt und um Aufklärung ersucht. Doch bevor der Trompeterhans zurücke war, hat die Verhaftung unseres Herrn stattgefunden.« – »Und welchen Bescheid hat schließlich der Trompeterhans aus Pilsen gebracht?« – »Er ist noch immer nicht zurück. Seit ein paar Wochen haben wir schier jeden Tag gesprochen: Heut muß er endlich kommen. Gebe Gott, daß ihm nichts Schlimmes widerfahren ist. Seltsamerweis konnten wir auch über die Vorgänge im Hauptquartier nichts Gewisses in Erfahrung bringen – als seien alle Botschaften dorther abgeschnitten. Ein Gerücht will wissen, der Kaiser habe den Wallenstein abermals abgesetzt. Wallenstein aber wolle sich das nicht gefallen lassen und wende sich gegen den Hof; wolle mit den Sachsen rasch Frieden schließen, ihre Truppen an die seinen angliedern und den Kaiser zu Wien besuchen. Anders, so scheint's, gibt der Kaiser nicht nach; abpochen muß man ihm, was not tuet. Es wäre wohl besser gewesen, unser Herr Schaffgotsch hätte das früher eingesehen und nicht so lange mit der Tat gezögert. Hätte sollen dem Colloredo zuvorkommen und diesen selber beim Kopfe nehmen, den Gallas dazu und die ganze welsche Canaglia, so uns am Marke zehrt, den Piccolomini und Collalto, Diodati und Caretto, Maradas und Mora ...«

Während dieser Rede hatten sich die Schaffgotschischen Knaben an uns herangemacht und lauschend ihre zagen Herzlein mit Hoffnung geletzet. In Preislers warmer Balkenstube, wo Brathühnla und Speckeier tatsächlich dufteten, tauete die kindliche Munterkeit auf, indessen ich mit dem Rentmeister beim Biere des weitern über die Zeitläufte redete. Der Herr legte dar, weshalb neuerdings der alte Gegensatz zwischen Wallenstein und dem Hofe zur ärgsten Schärfe geraten sei. Zwar zuerst nach dem Siege bei Steinau schien der Jubel zu Wien kein Ende zu nehmen, und Wallenstein war der glorreichste Held. Im Spätherbst jedoch gab es lange und bleiche Gesichter, da auf einmal der Weimaraner Bernhard die Hand auf Regensburg gelegt hatte, den Schlüssel zu Österreich und Bayern. Der Kaiser machte für solch gefährliche Schlappe den Wallenstein verantwortlich, weil dieser den Süden vernachlässigt habe. Vom Kaiser herbeigerufen, versuchte Wallenstein zuerst, in Eilmärschen Entsatz zu bringen, blieb aber auf halbem Wege in böhmischen Winterquartieren liegen. Zur Rechtfertigung machte er geltend, ein Winterfeldzug werde das Heer ruinieren, die Soldateska werde entweder meutern oder desperieren und krepieren. Nun flüsterten die Höflinge, der Generalissimus sei ein gar zu großer Herre worden und habe Absichten auf die böhmische Krone. Wallenstein, der wohl sah, wie man in Wien seine Stellung untergrub, suchte sich der Treue seines Heeres zu versichern. So kam im Jänner jener Oberstenkonvent im Pilsener Hauptquartier zustande, dem auch Herr Schaffgotsch beiwohnte; einer seiner Diener hat mir davon Bericht gegeben. Den aus allen Lagern herbeigerufenen Kommandanten ließ der bettlägerige Generalissimus durch Feldmarschall Ilow eröffnen, wie er der ewigen Verdächtigungen und Zumutungen von Wien müde und höchlich disgustiert, überdies alt und gichtbrüchig sei und deshalb lieber auf sein Generalat verzichten und ins private Leben zurücktreten wolle. Darob gerieten die Herren in nicht geringe Bestürzung. Weil viele ihre Regimenter aus eigenem Beutel geworben und all ihre Wohlfahrt in die Armada gesteckt hatten, so liefen sie Gefahr, alles zu verlieren, sintemalen sie allein in Wallenstein ihre Bürgschaft sahen. Ihn umzustimmen und zum Ausharren zu veranlassen, sollte ein Bankett verhelfen, das Ilow in seinem Losamente gab. Nach dem Mittagsmahle blies Ilow die vom Weine schon heißen Köpfe durch eine Ansprache zur Glut an. Der Hof wolle die Armada um Quartier, Sold und Beute bringen. Die Pfaffen hätten einen Anschlag auf Herzog Wallenstein gemacht und ihn mit Gifte vergeben wollen. Der Herzog bedeute nicht bloß des Reiches, sondern zugleich des Kaisers Rettung und müsse zu diesem Ende seine Macht ohne jede Schmälerung gebrauchen. Er sei auch solchem vaterländischen Werke trotz aller Gegenminen immer noch geneigt, wofern die Obersten ihm Treue schwüren, seine Person und die Armada zu konservieren. »Der das nit tuet, soll vertilgt werden«, ruft Herzog Julius Heinrich. Und wie der hitzige Losy alle Obersten, so nicht mitmachen mögen, vor Hundsnasen ausschreiet, antwortet ihm einer aufbrausend, er verdiene, für dies Wort zum Fenster hinausgeworfen zu werden. Der Kroat Isolano sucht den Tumult mit gezogenem Degen zu stillen und vermehrt ihn nur. Piccolomini gerät mit Tercky in Wortwechsel, heißet ihn einen traditore, heuchelt indessen Trunkenheit und hüpft lachend mit Isolano umher, worauf sich Tercky beschwichtigen läßt. Inzwischen wird ein zu Papier gebrachter Schluß zur Unterzeichnung aufgelegt, der die Offiziere an Stelle eines körperlichen Eides verpflichtet, zum Friedländischen Herzog ohne Absonderung zu halten, wohingegen dieser beim Heer bleiben solle. Die Unterschriften wurden der Reihe nach geleistet; auf den Herzog Julius Heinrich und den Feldmarschall Ilow folgte Herr Schaffgotsch. Manche unterzeichneten rasch, andere unter Bedenken und dissimilando. Etliche, die nicht ganz eingeweiht waren oder so taten, schrien in das Stimmengewirr: »Déchirez la lettre! Wascherei! Pochen wir's dem Kaiser ab!« Es war eine volle Mette, und viele mögen sich nach so starkem Trunke kaum entsonnen haben, was alles getan und geredet worden. Doch mitnichten übergangen hat's der Wiener Hof, der seine Lauscher und Späher halt mitten unter Wallensteins Vertrauten hat. Für Meuterei schreien die Spaniolen den Pilsener Schluß aus, und der Parteien Feldgeschrei lautet: Hie Ferdinandus – hie Wallenstein!« – »Ja,« rief ich aus, »Wallenstein ist der Mann, unser armes Vaterland zu retten. Wenn's doch wahr wäre, daß er die böhmische Krone erstrebt! Ich wünschte ihm gar des Reiches Krone. Er würde die Fürsten und Pfaffen bändigen, den Welschen heimleuchten und den teutschen Stämmen nach dem schändlichen Bruderzwiste Ruhe und Erholung gönnen. Auf der Grundlage eines Toleranzfriedens! Doch freilich, Gott sei's geklagt, der Pfaff will keine Toleranz, die Soldateska keinen Frieden, und der Kaiser ist diesen Fressern unserer Landeskraft zu Willen. Donner und Hagel! So zwinge doch Wallenstein seinen patriotischen Willen dem Ferdinando auf!«

»Der Trompeterhans!« rief auf einmal einer der Junker, so am Fenster gesessen war, und stürmte zur Stube hinaus. Pferdetrappen nahte, und durchs Fenster spähend, sagte der Rentmeister: »Wahrlich, der Trompeterhans – er bringt Botschaft von Wallenstein.« Wir eilten vor die Tür, und da stieg ein Reiter ab, ein junger Gesell mit sprossendem Bart, in rotem Wams, bewaffnet. Kurz und leicht war er, doch sehnig, behend, feurigen Auges. »Was bringst du?« rief der Rentmeister. Ein düsterer Blick war die Antwort, und wir errieten, daß es eine Hiobspost sei. Der Trompeterhans grüßte die jungen Schaffgotsche und den Rentschreiber, atmete tief und brachte heraus: »Wallenstein ist hin – gemeuchelt haben ihn die Kaiserischen!« Nach dieser grauenvollen Mär war mir zuerst, als narre mich ein böser Traum. Wallenstein ermordet? Unsere große Hoffnung mit einem Schlage vernichtet? Wie denn? Der reichste Fürst, der gewaltigste Söldnerführer, von dem alles zitterte, der Kriegsgott, der des Vaterlandes Schicksal in Händen hielt, er sollte auf einmal hin sein? Und gar gemeuchelt? Wir waren bleich und rangen nach Odem. Es quälte mich, daß die Sonne schien und eine Lerche trillerte. Wir gingen langsam in die Balkenstube. Der Trompeterhans nahm den dargereichten Trunk, setzte sich zum Herd und kam mit dem Bericht heraus:

»Nahe bei Pilsen, in einer Dorfschenke, vernehm ich, der Wallenstein sei zween Tage zuvor nach Eger aufgebrochen, wo er sicherer sei und näher den Schweden, denen er sich nun gänzlich in die Arme werfen wolle ...« – »Den Schweden?« unterbrach der Rentmeister bestürzt. »Ja, dem Feinde!« antwortete der Trompeterhans. »Vom Kaiser geächtet, wollte er halt sein Leben retten.« – »Er hatte doch den Wall seiner Regimenter um sich!« – »Keinen Wall! Verlassen hatten ihn sein falscher Freund Piccolomini, Diodati und mehrere Regimenter. Nur noch fünf Kompagnien hielten zu Wallenstein. Nicht mehr stolz zu Rosse kommandierte er seine Völker. In einer alten Sänfte, von Pferden getragen, barg er den siechen, von Schmerz zerwühlten Leib, und einer Flucht glich dieser Zug. Nur wenige Getreue umgaben den Herzog, seine Schwäher Ilow und Tercky nebst deren Gemahlinnen, etliche Karreten und Sänften. Den Beschluß machte ein tückischer Ausländer namens Buttler mit seinen Dragonern. Das war der Judas, der seinen Meister verkaufte. In Mies, wo Wallenstein übernachtet hatte, erfuhr ich, wie schlecht es mit ihm stehe, und in Plana kam mir gar ein Patent vom Hofe unter die Augen; der Kaiser – so hieß es darin – erkläre den Herzog von Friedland für einen Majestätsverbrecher und lasse ihn durch Gallas, Piccolomini und Maradas lebendig oder tot einholen. Am nächsten Tage sah ich hinter dem Flusse Eger die Burg mit ihrem Turme und die Stadtkirche in die graue Winterluft ragen und meldete mich bei der Torwache als Kurier für den Herzog von Friedland ...« – »Und hast ihn gesprochen?« fragte der Rentmeister ungeduldig. Der Trompeterhans schüttelte das Haupt: »Man hat mich nicht zu ihm gelassen. Oberst Gordon, der Kommandant von Eger, war bereits abtrünnig und mit Buttler einig, den Herzog und seine Partei umzubringen. Ich witterte Unrat, da man mich unter einem Vorwande entwaffnet und auf die Burgwache gebracht hatte. Dorten ward mir gewiß, ich sei ein Gefangener. Durch das Gitterfenster der Wachtstube konnt ich hören, teilweise auch sehen, was auf dem Burghofe und im Bankettsaale vor sich ging. Während, wie es hieß, der kranke Herzog von Friedland in der Bürgermeisterei am Ringe seine einsame Erholung suchte, hatten seine Vertrauten, die Grafen Kinsky und Tercky, der Feldmarschall Ilow und der Rittmeister Neumann, die Einladung des hinterhaltigen Gordon zur fröhlichen Tafel angenommen. Da nach dem Schmause die Fenster geöffnet wurden, konnte man hören, wie der Wein die Zungen gelöst hatte. Ein Wallensteinischer prahlte, in wenigen Tagen werde der Herzog eine Armee zusammengebracht haben, der ganz Europien nicht widerstehen könne. Ein anderer rief im Übermut der Trunkenheit: ›Ihr Brüder, wahrlich ich will mein Haupt nicht eher sanfte legen, als bis diese Hand in Habsburgs Blute gewaschen ist, – ja in Habsburgs Blute, dixi!‹ Lautlos still ward alles, dann ging neues Toben los. Soeben war Friedlands Wohl getrunken, als im Hofe dumpf Waffen klirrten und Soldaten sachte schritten. Auf einmal rief eine Stimme im Bankettsaale: ›Nieder mit Friedland! Viva la casa d'Austria! Holla, wer ist gut habsburgisch?‹ Dies war das Feldgeschrei für die kaiserische Partei und das verabredete Zeichen zum Beginne der Mörderei. Unter solchen Rufen hatten Gordon, Leslie und Buttler die drei Kerzenleuchter vom Tische genommen und sich auf die Seite begeben, indessen andrerseits Dragoner mit blanker Waffe auf die überraschten Freunde Wallensteins eindrangen. Und nun ging ein Waffenrasseln los, ein Hilferufen, Wutgebrüll und Stöhnen. Wie man später sagte, war Kinsky der erste, der in sein Blut sank. Ilow, der seinen Degen von der Wand nehmen will, empfängt den mörderischen Stoß durch den Rücken. Tercky, dem es gelingt, seines Degens habhaft zu werden, wehrt sich wie ein Leu. An die Wand gelehnt, fordert er Gordon und Buttler als schändliche Verräter heraus, ritterlich mit ihm zu fechten. Die Dragoner, von denen er schon zwei niedergestreckt hat, stutzen vor seinen Hieben und Stößen und halten ihn schon für gefeit und gefroren, indem sein Lederkoller wie ein Panzer schützt. Da findet Deveroux mit schlitzendem Dolche den Weg zum Herzen, und dies hat ausgeschlagen. Neumann ist zwar aus dem Saale entronnen, doch nur, um in die Spieße der Außenposten zu stürzen. Gleich mir und der ganzen Wachtstube hatten die in einem Gemache neben dem Saale speisenden Diener das Hilfegeschrei ihrer Herren vernommen, konnten aber nicht beistehen, da sie eingesperrt waren. Wohl sprangen etliche aus dem Fenster, wurden jedoch von den unten postierten Soldaten niedergemacht. Ein einziger entkam aus der Burg und rannte, während eine Kugel hinter ihm drein in die Nacht sauste, zur Bürgermeisterei, um den Frauen der getöteten Grafen die Schreckenspost zu überbringen. Schaurig war's für mich, manches von diesen Vorfällen aus der Nähe wahrzunehmen, ohne helfen, ja ohne meine friedländische Gesinnung verraten zu dürfen. In der Wachtstube verblieb ich die ganze Nacht, von den Soldaten als ein Gefangener gehalten, wiewohl sie kameradschaftlich mit mir redeten und nichts dagegen hatten, daß ich über ihre Schultern durchs Fenster lugte, sobald sich auf dem Hofe etwas zutrug. Bald nach der Mordtat trat der Oberstwachtmeister Leslie zu uns in die Wachtstube und sagte, es sei soeben ein Befehl des Kaisers vollstreckt; hinfürder gelte nur noch des Kaisers Wille, und man solle Seiner Majestät schwören; mit der Friedländischen Tyrannei sei es nun endlich aus. Unverzüglich leistete die Wache den verlangten Eid. Drauf beobachteten wir, wie bei Fackelschein die Ermordeten aus dem Burghause in den Hof geschleift und nebeneinander in die Ecke gelegt wurden. Während man in der Wachtstube zechend und knöchelnd disputierte, lag ich auf meinem Strohsack und überlegte, ob Herzog Wallenstein ermordet, gefangen oder entkommen sei, und was aus diesen Ereignissen für unsern Herrn Schaffgotsch zu erwarten. Als der erste Hahn krähte, ward ein Trupp trunkener Offiziere in die Burg eingelassen, und aus ihren Reden entnahmen wir, was in der Stadt vorgefallen war. Bis gegen Mitternacht hatte sich Wallenstein mit seinem Astrologo über das Geheimnis der Sterne beraten und das Verhängnis der kommenden Stunden enthüllen wollen. Seno hatte ihn vor einer großen Gefahr gewarnt, doch nun vermeinte Wallenstein, die Gefahr sei vorüber, und hatte sich zu Bette begeben. An den Fensterscheiben rüttelte der Sturm, und es klirrte ein scharfer Regen. Auf einmal erschallt weibliches Jammergeschrei; es sind die Gräfinnen Tercky und Kinsky, denen der entsprungene Diener den blutigen Tod ihrer Gatten gemeldet hat. Zugleich stampft die Meuchelbande die Wendeltreppe heran und sprengt die Tür. Im Hemde steht Wallenstein beim Fenster, als Deveroux mit gefällter Partisane auf ihn losstürmt: ›Bist du der Schelm, der des Kaisers Volk dem Feinde zuführen und der Majestät die Krone vom Haupte reißen will?‹ Da Wallenstein verächtlich schweigt und die Brust entblößt, seine Arme ausbreitet, so stößt der Mörder zu. Ohne Schmerzenslaut, stumm sinkt der Herzog zu Boden. Ein paar Augenblicke stund die Meuchelbande starr vor ihm, dem sie bisher zitternden Gehorsam entgegenbrachten. Dann vergaß ihre Furia jede Ehrfurcht und vergriff sich an dem Leich nam. Ein paar Dragoner wollten ihn zum Fenster hinauswerfen. Deveroux ließ ihn die Treppe hinunterschleppen und aufs Pflaster legen. Gegen Morgen brachte ihn ein Wagen auf die Burg, wo er neben die anderen Leichen zu liegen kam. Da hab ich ihn gesehen, den Kriegsfürsten, bleich, blutig und starr, in einen roten Teppich wie in einen scharlachenen Königsmantel gehüllt ...«

Der Trompeterhans verstummte, während das gräfliche Fräulein aufschluchzete, und die Junker klagten: »Vater! Was wird nun aus unserm Vater?« – Nach einem düstern Schweigen fragte der Rentschreiber: »Und wann ist die Untat geschehen?« – »Am 25. Feber.« – »Den Tag zuvor geschah die Verhaftung unseres Herrn Schaffgotsch.« – »Nicht zeitig« – so fuhr der Trompeterhans fort – »hab ich die Meldung der Vorfälle heimbringen können, da ich erst vor fünf Tagen aus der Egerschen Gefangenschaft entlassen worden bin.« – »Was wird aus unserm Vater?« klagten die Kinder aufs neue. »Nun ist er auf die gerühmte Klemenz des Hauses Habsburg angewiesen«, sagte der Rentmeister kleinlaut und bitter. Wir trösteten die jungen Schaffgotsche, so gut es gehen wollte. Ich dachte indessen: Da hat nun der kaiserliche Hof neue Beute; die reichsten Herren des Schlesischen und Böhmischen Gebirges liegen auf der Strecke; die Güter der Friedländischen Herrschaft sowie Terckys und Kinskys werden konfisziert, und wer weiß, ob nicht auch die Schaffgotschischen an die Reihe kommen. Mir scheint, das Hauptverbrechen unseres Herrn ist sein Reichtum. Den Teufel auch!

Als wir die besten Männer von Schreiberhau zur Beratung versammelt hatten, schlug uns eine neue Hiobspost aus Kemnitz nieder. Der kaiserliche Fiskal von Knobelsdorf schrieb dem Rentmeister, es seien die Schaffgotschischen Güter dem Fisco Ihrer Majestät verfallen; was aber die Kinder des Freiherrn anlange, so werde ihnen eine Alimentation gewährt, vorausgesetzt, daß sie sich der kaiserlichen Gnade unterwerfen. Nach manchem Hin und Wider der Meinung kamen wir schließlich überein, es sei für die Herrenkinder das Ratsamste, doch lieber nicht im Gebirge versteckt zu bleiben, sondern ins Kemnitzer Schloß zurückzukehren. Schwer und grimm war mein Herz, als ich diesen Abend den einsamen Gang zur Abendburg tat.

Friede! seufzete ich droben bei meinem Felsen, und in den lichtbesäten Nachthimmel sank mein Schauen ... Friede, warum meidest du wie ein Geächteter das Volk der Erdbewohner? Ist unsere Kreatürlichkeit daran schuld, daß wir so unaufhörlich in Habgier und Streite lodern, nicht anders denn Holz, wann es angesteckt in Flammen aufgeht? Von der Erbsünde reden die Gottesgelahrten, und es muß wohl so sein, daß der Mensch durch einen Sündenfall sein ganz Geschlecht aus dem Garten Eden verbannt. Selbstsüchtig hat die Kreatur sich abgesondert von der Einigkeit ihres Ursprungs und ist dem Schweifen in der Fremde verfallen, wie der verlorene Sohn, oder wie der Engel Luzifer, so in den Abgrund stürzte. Und nun – was kann die verlorene, vereinsamte Seele erlösen und heimführen? Zerreißen muß sie den Schleier des Wahns, es seien die Geschöpfe genötigt, einander zu befehden. Das brauchen sie mitnichten; vielmehr soll sich eines im andern wiederfinden und mit ihm heimkehren zum allgemeinsamen Vatergrunde.

Oh ich ahne die Seligkeit dieser Heimkehr. Du gabst sie mir zu kosten, meine Thekla! Drum glaub ich gern, was die Sprachkundigen sagen: der Name Thekla sei griechisch und bedeute »Gottesschlüssel«. Allerdings hast du, Geliebte, mir aufgeschlossen das Sternenland, wo Ich und Du im Ewigeinen zusammenfließen.

O Schwester fern im Sternenland,

Ich grüße dich mit heißem Weinen.

All meine Tiefen sind entbrannt,

Mich deinem Lichte fromm zu einen.

Du mahnest an den Vatergrund,

Der uns einander eingeboren.

Ein Sündenwahn zerriß den Bund;

Mein Garten Eden ging verloren.

Geschieden aus der Ewigkeit,

Trieb ich der Fremde nach vermessen.

Fort spülte mich die Woge Zeit –

Und meine Schwester war vergessen.

Doch eines Nachts am Felsenstrand,

Als dumpf das Lied der Öde toste,

Da ward ich heimlich süß gebannt,

Weil mich ein Sternenauge koste.

Du warst es, und ich sog den Seim

Der alten Lieb aus diesem Auge.

Nun fühl ich treu, wo ich daheim,

Und daß ich noch zur Heimkehr tauge.

Nun trag ich treu der Fremde Not

Und sehne mich zur Strahlenferne –

Bis alle Fremdheit in mir tot..

O selig Grab im Schwestersterne!

Es war an einem Abend des Julimonds, und ich molk meine Ziegen, als der Oheim nebst einem Fremden auf meine Klause zuschritt. Der war jung, von hohem, schlankem Wuchse, hatte große stahlblaue Augen und schwarzes Haar. Im gebräunten Antlitz sproß der erste Bart. Waffen trug er und sahe wie ein Soldat aus. Als wir einander begrüßt hatten, sprach der Oheim: »Hier ist ein Bote vom Schmiedeberger Stadthauptmann Pretorius, bringet trübe Kunde. Schmiedeberg ist von einer streifenden Partei niedergebrannt.« Seufzend nickte der Bote: »Bis auf wenige zerschlagene Häuser stehet nunmehr alles ganz öde und wüst.« Schweigend sahen wir einander an, verdüstert die Stirnen. Dann fragte ich: »Und hat Er sonst noch etwas von seinem Hauptmann zu vermelden?« – »Allerdings,« entgegnete der Bote, »Pretorius hat einen Teil der Bürgerschaft in den Meltzer Grund gerettet, wohin kein Feind zu dringen wagt. Wir haben ein wenig Vieh und Getreide. Das genügt indessen nicht, und so hat Herr Pretorius Boten in die unterschiedlichen Ortschaften des Gebirges abgesandt, anzufragen, ob für Geld und gute Worte Lebensmittel zu haben seien. Ich bin nach Schreiberhau gekommen, und der Gemeinderat ist meiner Bitte, wie es scheint, geneigt, hat es aber für ratsam befunden, den Herrn Johannes um seine Meinung zu befragen. Da bin ich nun, dein Oheim hat mich hergeleitet. Du wohnest hier dem Himmelslichte nahe und predigest, wie ich vernehme, so wahr, daß ich hoffen darf, auch du wirst uns Lebensmittel bewilligen.« – »Ich stimme bei,« entgegnete ich, »in diesen schlimmen Zeiten sollen wir Bergbewohner zusammenhalten.« Der Bote blickte dankbar und drückte meine Hand. Dann betrachtete er meine Balkenklause, Felsen, Stall und Ziegenweide und schaute über die Bergwälder zur blauen Ferne. Im Seufzer schien ihm eine Bürde vom Herzen zu sinken. »Hier ist es still; wir Schmiedeberger wissen kaum noch, was Frieden ist.« Nachdem er wieder in Sinnen verfallen, meinte er mit traurigem Lächeln: »Denket nur, selbst das Vieh ist der Kriegsunruhe so gewohnt, daß es ohne Antreiben der Hirten auf die Stadt zulief, sobald man anfing, mit dem besondern Hammer die Sturmglocke zu schlagen. Die Tiere wußten dann sogleich, daß Feinde kommen.« Bitter fügte er hinzu: »Freilich, durch das viele Anschlagen ist die Sturmglocke zersprungen.«

Ich lud meine beiden Gäste ein, mit mir das Mahl zu teilen und in meinem Gehäus die Nacht zuzubringen. Da der Bote gern einwilligte, so gingen wir in die Balkenklause. Ich zündete Kienspäne an und trug Brot, Schinken, Milch und Beerenwein auf. Da wir uns zum Essen hingesetzt hatten, faltete ich nebst Tobias die Hände, der Bote aber tat dies nicht, sondern stützte sein Haupt in die Hand. Als wir nun aßen, konnte ich die Frage nicht zurückhalten: »Wie kommt es, lieber Mann aus Schmiedeberg, daß Er vorhin gesagt hat, ich predige Wahrheit, und daß Er gleichwohl an unserm Gebete nicht teilgenommen hat?« – »Ich habe teilgenommen,« erwiderte der Bote, »jedoch auf meine Weise. Wir Putzkeller falten beim Beten nicht die Hände, weil wir nicht droben, nicht jenseits den Gott suchen. Wir schmiegen die Stirn in die Hand, weil in solcher Stellung der Mensch nachzusinnen pflegt. Im Sinnen finden wir den Lichtvater, so nicht im Himmel wie ein Regente waltet, sondern innen im Menschenherzen.« – »Recht so, Schmiedeberger,« erwiderte ich, »des Menschen Herz ist die rechte Kirche, wo er beten soll.« Mit unverhohlner Freude sprach der Bote: »So bist du einer der Unseren, gehörst zu den Putzkellern, ohne es zu wissen.« – »Wer sind denn die Putzkeller?« fragte Tobias, und der Bote antwortete: »Ich habe Euch noch nicht gesagt, daß ich Segebodo heiße, mit dem Beinamen Putzkeller, den auch mein Vater und Großvater führten. So werden seit alter Zeit Anhänger meines Glaubens benamset. Putzkeller waren schon unsere teutschen Urväter, ehe denn die Kirche sie irregeleitet und geknechtet hat.« – »Ei, was glauben denn die Putzkeller sonst noch?« fragte ich, »will Er zum Exempel offenbaren, wie Sein still Gebet gelautet hat?« – »Das will ich«, entgegnete Segebodo, stützte dann seinen Kopf auf die Hand und raunte feierlich:

»Licht-Vader use!

Tovorn wärstu ower uns,

Nu awers bistu under uns,

Un dyn Ryk shall warden binnen uns.«

»Hast du verstanden, Tobias?« sprach ich zum Oheim; »er hat eine ähnliche Mundart, wie man sie im Magdeburgischen redet. Er betet: Licht-Vater unser, zuvor warst du über uns, nun aber bist du unter uns, und dein Reich soll werden innen uns. Fürwahr, ein schön Gebet. Segebodo, sag Er mir, aus welchem Gaue teutschen Landes Er stammt.« – »Im Harzgebirg bin ich geboren, zu Elbingerode, nahe dem Berge Brocken.« – »Und wie kam es, daß Er nach Schmiedeberg verschlagen ward?« – »Mein Vater, das Haupt unserer heimlichen Gemeinde, hat, da ich zwanzig, meine Schwester Berthulde achtzehn Jahre zählte, zu uns gesprochen: Nun gehet, wie es sich für Erleuchtete geziemet, hinaus in die Welt und kündet den blinden Geschwistern das Heil! So bin ich mit Berthulden zunächst nach Goslar kommen. Daselbst haben sie an Berthulden ein Ärgernis genommen und sie der Hexerei angeschuldigt. Beide aber sind wir entwichen und nach den Schlesischen Bergen gezogen.« – Tobias erstaunte: »Wie denn? Eine Hexe soll deine Schwester sein?« Und ich fügte hinzu: »Was hat sie denn getan?« – »Eine Lichtjungfer ist sie«, entgegnete Segebodo; »das will heißen, sie ist geweiht, fromme Dienste zu tun, wenn wir in heiliger Nacht den Vater des Lichts mit Flammen feiern, wie es von alters her auf dem Brocken geschieht.« – »Wie feiert ihr denn?« fragte ich. Segebodo schlug die Augen nieder: »Nichts für ungut, wenn ich auf diese Frage schweige. Unsern Lichtdienst offenbaren wir nur den Eingeweihten. Wir haben unsere Geheimnisse.« – »Und ist euer Geheimnis verraten worden? Hat man euch etwan beim Brockenfeuer belauscht und die Lichtjungfer angegeben?« – »Nein! Wir sichern die heilige Handlung vor Beobachtern durch ausgestellte Wachen; aber zu Goslar hat Berthulde, wiewohl vom Lichte begnadet, einer torenhaften Minne gehuldigt.« – »Wie das?« sagte ich, »oder möchte Er auch darüber schweigen?«

»Ich denke wohl, Euch darf ich es sagen. Erst wenige Tage wohnten wir zu Goslar, als Berthulde ihr Herz an einen Schmiedegesellen verlor, der ein schöner Jüngling war. Ganz unsinnig aber hat sie ihre Minne gemacht, daß sie kaum andere Gedanken gehabt, als ihrem Schatz nachzuschleichen und ihn zur Gegenminne magisch zu bestimmen. Der Geselle jedoch hat nicht ein einzig Mal sein Aug auf sie geworfen. Da hat Berthulde wahrgenommen, wie er des Sonntags gern einen Wald besuchte, wo ein Bach über Steine rauscht. Eines Sonntags nun ist sie rechtzeitig dorthin gegangen, der Zuversicht, ihr Liebster werde sich auch diesmal einstellen. Ihn zu betören, betrieb sie einen seltsamen Plan. Bis auf die weiße Haut hat sie sich entkleidet und die Kleider im Walde versteckt, ihr langes Flachshaar mit Glasperlen durchwirkt und ein Kränzlein von Schilf aufs Haupt getan. So ist sie am Bache gesessen, die Füße netzend, als der Jüngling daherkam. Verwundert blieb er stehen und vermeinete anfangs, es bade sich eine Dirne vom nächsten Gehöft. Berthulde aber hat ein Putzkellerlied mit ihrer schönen Stimme gesungen und mit dem Haarschmuck, den zarten, geschmeidigen Gliedern und ungewöhnlichen schwarzen Augen dem Beschauer mehr und mehr ein übermenschlich Wesen gedünket. Schließlich hat er seinen Hut gezogen und nach demütigem Neigen gesprochen: ›Gnädige Jungfer, oder wie immer Sie zu benamsen! Es mag sich nicht geziemen, daß ein unadliger Mensch sich einem solchen ansehnlichen Frauenzimmer nähert.‹ – ›Das muß Er nicht sagen‹, antwortete mein listig Schwesterlein; ›es ist ein Gottesgeschöpf des andern wert. Überdies hab ich schon hundert Jahr auf Ihn gewartet. Sintemalen es der Himmel nun füget, daß wir diese längst erwünschte Stunde mitsammen erleben, so bitt ich um Gottes willen, Er setze sich zu mir und vernehme, was ich zu reden habe.‹ Der Schmiedeknecht setzte sich, und sie wartete ihm mit folgendem Märlein auf: ›Mein allerliebster Herzfreund, meine Hoffnung und Zuversicht, Sein Name, nicht wahr, ist Jakob? Nun gut! Ich bin Miranda, der Melusine Tochter, die sie mit dem Ritter Stauffenberg erzeugt, leider aber verflucht hat. Drum so soll ich bis zum Jüngsten Tag in diesem Wald verbleiben, es sei denn, daß mich der Schmiedeknecht Jakob aus Goslar zum Ehegemahl erwähle. Nur durch ihn werde ich erlöst – freilich mit dem ausdrücklichen Geding, daß er aller andern Weibsbilder müßig gehe und unsere geheime Heurat ein Jahr lang verschwiegen halte. Darum, so seh Er nun, wie Er's recht mache. Will Er mich ehelichen und diese Dinge halten, so werd ich selig und mach Ihn zum reichsten, glückseligsten Mann auf Erden. So Er mich indessen verschmähet, muß ich zu Wasser zerrinnen.‹ Der einfältige Schmiedeknecht, so die Fabulam der Melusine gelesen, gelobte auf den Knien, der Miranda Ehegesponst zu werden. Gleich hinterher aber nahm er in seiner frommen Scheu unter Verneigungen den Rückzug. Geriet dabei zur Stelle, wo Berthulde ihre Kleider abgelegt hatte, und es dämmerte ihm nun wohl, daß er mit einem gewöhnlichen Menschenkinde zu tun gehabt. Daheim bei seiner Schmiedemeisterin vermochte er nicht reinen Mund zu halten. Er sagte, das nixenhafte Weibsbild habe zusammengewachsene dunkle Augenbrauen gehabt. Die Berthulde kannten, rieten sogleich auf sie, und wegen der Empörung, so im Goslarer Weibsvolk laut ward, konnte der städtische Rat nicht umhin, den Fall zu erwägen. Doch hat's die Schicksalsfrau so gefügt, daß im Rate ein Mann war, so auf meine Schwester ein Auge geworfen. Wie der nun sahe, daß man sie zur Hexe machen wolle, hat er sich still aus der Sitzung entfernt und uns gewarnet. Rechtzeitig konnten wir aus Goslar entweichen, und das war gut, denn sie haben meine Schwester zum Scheiterhaufen verdammt.« – »Aber warum denn?« fragte ich. »Nur eine Komödiantin aus Liebestollheit, keine Hexe ist sie gewesen.« – »Schon recht«, erwiderte Segebodo; »doch kam im Rate noch eine andere Sache zur Sprache. Berthulde hatte ein Zauberding, und nun hieß es, sie stehe mit dem Bösen im Bunde.« – »Was für ein Zauberding?« fragte mein Oheim. Segebodo wollte nicht mit der Sprache heraus. Wie aber Tobias, die Hand auf seinen Arm gelegt, lodernden Blickes in ihn drang, und wie ich hinzufügte, hier seien keine Hexenbrenner, erwiderte Segebodo: »Es war ein Spiritus flammarum.« – »Was ist das?« fragten wir. Aber nun erhielten wir keine Auskunft, und Segebodo stellete uns anheim, das Nähere von seiner Schwester selbst zu erkunden. Da es Schlafenszeit war, machte ich in der Balkenstube für meine Gäste ein Lager zurecht und bat den Oheim, er möge sehen, ob der Ziegenstall verwahret sei.

Kaum war der Oheim hinausgegangen, so rief er jammernd: »Mein Gott! Hirschberg stehet in Flammen!« Wie wir nun kamen, sahen wir den Nachthimmel gerötet, als ob die Sonne aufgehe. Das ganze Hirschberger Tal war besät mit Feuersbrünsten und hinten die Stadt eine einzige Glut. Der Oheim schlug die Hände zusammen und sagte nur immer: »Mein Gott! Mein Gott!« Segebodo knirschte: »Bestien!« Ich preßte die Faust auf mein Herz, das sich schmerzlich zusammenzog. Lange blieben wir unter dem Nachthimmel und berieten, wie sich dem Vaterland oder mindestens den Bewohnern unseres Gebirges helfen lasse. »Das ganze Gebirge sollten wir zur uneinnehmbaren Feste machen,« meinte Segebodo, »und sollten uns abschließen gen alles, was von außen unsern Bergfrieden stören will. Ist nicht zum Exempel die Stätte hier wie zu einer Burg geschaffen? Vor Zeiten hat hier wohl auch eine Burg gestanden, wie der Name Abendburg verrät.« Tobias stimmte bei und berichtete dem Boten die Mär von der Abendburg. Daran knüpfte er die Frage: »Kann deine Schwester, geheimer Künste kundig, wohl eine Zaubersuppe bereiten, die in Sankt Johannis Nacht den Felsen öffnet? Haben wir erst das Gold der Abendburg, so können wir die schönste Burg erbauen und das ganze Gebirge zu einer Feste machen. Wir haben alsodann, woran es uns mangelt: Geld, viele Menschen zu unterhalten und zu besolden.« In stummen Gedanken nickte Segebodo.

Des andern Morgens geleitete ich meine Gäste hinunter zu Oheims Häusel, und wir vernahmen, was sich mit Hirschberg zugetragen. Obwohl die Stadt vom General Colloredo mit einer Schutzwache versehen war, hatten 2000 kaiserische Soldaten die Vorstädte überfallen und geplündert. Hierauf begehrten sie Einlaß in die Stadt. Da man nun die Tore verschlossen hielt, trugen sie Leitern ans Langgassentor, um überzusteigen. Vergebens ließ die Sicherheitswache durch einen Trompeter die Soldateska von Gewalttätigkeit abmahnen. Als Antwort erfolgte heftig Musketenschießen, und ein Vorwerk vor dem Langgassentor ging in Flammen auf. Jetzo gebot der Stadtrat, auf jeden Mordbrenner Feuer zu geben, den man nur erreichen könne. Diese aber zogen sich hinter das Hospital zurück, und am Abend hatten sie Kartaunen aufgefahren, die mit geschmierten Kugeln die Stadt beschossen. Dadurch gerieten ein paar hölzerne Häuser in Brand, und das Feuer flog weiter. So kam es, daß die ganze Stadt in Flammen aufging. Über hundert Menschen, so hieß es, und tausend Stück Vieh hätten dabei das Leben verloren. Viele Hirschberger seien dadurch den Flammen ausgewichen, daß sie über die Stadtmauer in den tiefen Graben gesprungen und hierauf von den Feinden gefangen seien. Sehr geringe Beute sei jedoch den Mordbrennern zugute gekommen, da sie den Rückzug hätten nehmen müssen vor einem Regiment, das Colloredo zum Entsatze der Stadt gesandt habe.

Betrübt stieg ich wieder zur Abendburg empor, und mich quälte ein Zweifel, der mir schon früher zuweilen gekommen war: Wenn Gott in der ganzen Welt lebt und webt, so muß er auch im Mordbrenner sein. Wie lässet sich das nun zusammenreimen? Als Antwort kam mir ein Wort in den Sinn, das ich einmal in einem Buche Philosophiae gelesen: Niemand kann wider Gott sein als Gott selbst. Ist denn also Gott ein Wesen, das mit sich selbst im Widerspruch? Es muß wohl also sein. Was Gott aus sich heraus schöpft, das setzt er sich genüber; indem das Geschöpf anders ist denn Gott, stellt es einen Abfall dar vom Schöpfer. Das eben ist der Sündenfall, daß die Kreatur ihrem Gotte sich entfremdet und Eigenwillen angenommen hat. Doch neben dem Drange, der von Gott absondert, lebt in aller Welt auch noch ein andrer Drang, so fest an Gotte hält und die Geschöpfe wieder hineinreißen möchte in die ewige Einheit, aus der sie gequollen. Solch Heimweh nach dem einen Urgrunde, das sich in mehreren Ständen des Herzens auswirkt, ist des Menschen himmlische Natura, und weil ein Keim davon in jeglichem Geschöpf, verbleibt doch die Lehre sicher: Gott ist in allem, was lebt und webt, auch im Mordbrenner. Ich bedachte noch, wie leichtlich ich selber solch ein Mordbrenner hätte werden können. Magdeburgs Ruinen stunden vor meiner Seele. Daß diese Stadt in Flammen aufging, war ja das Werk patriotischer Bürger, sowie des Obersten Falkenberg, und auch mich hätte man dafür gewinnen können. Wer in der Notwehr, darf Gewalt wider Gewalt setzen. Und so wird es in der gegenwärtigen Lage recht sein, wenn wir angefochtenen Gebirgsbewohner uns verteidigen und nach Segebodos Rate das Gebirge zu einer Feste machen. Auch das Lichtreich hat Mauern und Zinnen nötig, wofern nicht Engel seine Bürger sind. Der Heiland zwar spricht zu Petro: »Stecke dein Schwert in die Scheide!« Wofür indessen hat der Schöpfer den Kreaturen Gebiß, Gehörn und Kralle gegeben, wenn sie sich nicht wehren sollen? Nicht aller Eigenwille der Sonderwesen kann Sünde sein.

In diesem Jahr hat sich nichts Sonderliches mehr begeben. Fern von der schlimmen Welt verblieb ich im Frieden der Abendburg. Das Laub der Birken und Eschen ward gelb und rot. Novemberstürme tobten, dann kehrte wieder die weiße Woge, Tal und Höhe zu überfluten. Als der Frühling des Jahres 35 den Verkehr in den Bergen wieder möglich gemacht hatte, kamen neue Schreckensposten. Die Hirschberger hatten zwar ihre Ruinen notdürftig zum Wohnen eingerichtet. Die Schweden aber waren erschienen und hatten die Auslieferung der kaiserlichen Sicherheitswache gefordert. Nach fruchtlosen Unterhandlungen kam es zur Gewalt, und nun mußten die umliegenden Dörfer, Höfe und Mühlen büßen. Endlich verglich sich der Stadtrat mit dem Feinde, daß dieser 200 Taler Abzugsgelder nahm.

Was Herrn Schaffgotsch anlangt, so stund er vor dem Kriegsgericht zu Regensburg, angeklagt der Meuterei und des crimen laesae majestatis, und war der Stand seines Prozesses für ihn sehr ungünstig. Es hieß, man wolle die Folter über ihn verhängen, damit er seine Schuld gestehe und die Mitschuldigen angebe. Von den Schmiedebergern kam Botschaft durch meinen Oheim, der ihnen etliches Vieh über den Gebirgskamm zugetrieben hatte, da sie weiteren Proviantes bedurften. Der Oheim berichtete, die Schaffgotschischen Kinder seien bei Pretorius, nachdem sie Armut und alle schwere Not zum Erbarmen hätten leiden müssen. Die herrschaftlichen Güter seien ganz enervieret und ausgeschöpfet, so daß es an Speise und Kleidung mangele.

Wie ich an einem Sonntage Aprilis zur Stätte kam, wo ich meine Buschpredigten hielt, war beim Oheim eine Jungfer von seltsamer Schönheit. Hatte feine Glieder, große schwarze Augen unter dunkeln Brauen und ein zart Gesicht. Üppig umwallte sie langes Flachshaar, darauf sie ein blau Kopftüchel trug. Bekleidet war sie mit einem buntbestickten Hemd und einem roten Rock. Die zierlichen Füße waren bloß. Als der Oheim sagte: »Das ist Segebodos Schwester«, neigte sie sich errötend. Auch den andern Sonntag war sie da, und während meiner Predigt ruhte ihr Auge glühend auf mir.

Das nächste Mal wollte ich über Mittag bei Tobias bleiben, dieweilen nachmittags eine Trauung stattfand. Berthulde war nicht bei der Predigt. »Zu Hause wirst du sie finden«, sagte der Oheim; »sie hilft Beaten das Mahl bereiten.« Meinen Besuch zu feiern, hatten die Weibsbilder einen leckern Braten gemacht, auch Kuchen gebacken für das Hochzeitspaar. Das Tischgebet verrichtete Berthulde in derselben Weise, wie Segebodo getan. In sich gekehrt und schweigsam blieb sie während der Mahlzeit. Zuweilen rollte ihr Auge nach mir und betrachtete mich verstohlen. Als Beate das Tischgeschirr abräumte, half Berthulde, und derweilen sie beide in der Küche waren, raunte der Oheim: »Denke nur, diese Jungfer versteht sich auf Magie und versichert, sie könne Zaubersuppen bereiten wie der Giacomini. Hat mir auch ihr flammarisch Zauberding gewiesen. Auch du sollst es betrachten.« Wie die Küchenarbeit besorgt war, sagte Berthulde, sie wolle sich ihr Kränzel für die Hochzeit machen. Sintemalen nun der Oheim in seiner kühlen Stube der Mittagsruhe pflegte, so begleitete ich Berthulden hinaus auf die Wiese. »Nimm blaue Krokusblüten«, sagte ich; »die passen für dein Goldhaar.« Mit einem freundlichen Blicke dankte sie mir. Und wir gingen durch Maiwalds Wiese, sie pflückte einen Krokusstrauß. Hierauf wandelten wir das Bächlein abwärts, der Böhmische Furt geheißen. Murmelnd hüpfte es über die Steine durchs Wiesental. Am Ranfte waren Erlen, Birken, Haselstauden, auch große Felsen. Weiter unten kam hoher Wald, zwischen bemoosten Blöcken bildete das Wasser rauschende Fälle. Wo dazwischen ein kleiner Spiegel war, sahen wir die Forenfischlein gleich dunklen Stäben, bei unserm Nahen schlüpften sie zwischen Steine. Durch die Luft taumelte ein gelber Falter, setzte sich zum Schneeglöckchen in die Sonne und klappte behaglich mit den Flügeln. Ein Schlänglein lag auf besonntem Stein und flüchtete zwischen Gestäude. Der Sturz des Wassers hauchte feuchten Odem. Weil allhie gut sein, setzten wir uns auf einen moosigen Block, der übers Wasser hing. Berthulde legte ihre Krokusblüten hin und hub an, das Kränzel zu winden. Wie ich den Händen zusah und die zierlichen Glieder betrachtete, kam mir in den Sinn, was Segebodo von ihr erzählt hatte, als holdselige Nixe habe sie ihre Füße im Bach gebadet. »Willst du nicht auch mir den Spiritum flammarum weisen?« fragte ich; »hast ihn ja doch den Oheim sehen lassen.« Sie spähte mir ins Auge und schwieg. »Traust mir nicht, Berthulde?« – Sie errötete und schlug die Augen nieder. Um sie zu foppen, neigte ich mich: »Wollet getrost Euer Schicksal mir darlegen, holdes Wasserfräulein Miranda.« Ein Zornblitz fuhr aus ihrem Auge: »Pfui, der Segebodo hat geschwatzet!« – Begütigend ergriff ich ihre Hand: »Macht nichts! Ich bin verschwiegen.« Finster blickte sie seit wärts, vom hastigen Odem wallete ihr Busen. Nach einer Weile blickte sie mich fest an und sprach: »Der Segebodo hat nicht alles erzählt, die Hauptsache fehlt, und die sollet Ihr nun erfahren. Es hat eine sonderbare Bewandtnis mit meinem Zauberdinge. Vor drei Jahren war's, als mein Herz zum erstenmal in Flammen stund ...« Abermals atmete sie rasch und zögerte fortzufahren. »Ich weiß,« sagte ich – »Jakob, der Schmiedeknecht ...« – Sie errötete: »Nein, das war mein Zweiter. Der Erste war ein Junker, und es kam mich bitter an, daß er kein Auge auf mich warf. Sein Reiz nahm alle meine Gedanken, es mied mich der Schlaf, blaß und schmal ward mir das Antlitz. Da begab es sich, daß ein jung Soldatenweib, dem ich mich anvertraute – auch eine Putzkellerin –, mir das Zauberding zum Kaufe anbot. Dieser Spiritus flammarum, so sprach sie, hat die Kraft, seinem Eigentümer dreimal im Leben einen Schatz zu verschaffen – gleichviel ob der Schatz Gold ist oder Minne. Mehr als dreimal aber darf man den flammarischen Spiritum nicht anwenden, sonsten hilft er nichts und versetzet einem auch noch einen Stich. Hat man also dreimaligen Nutzen von ihm gehabt, so soll man trachten, ihn weiterzuverkaufen. Ich bin nun in dieser Lage, so sprach das Soldatenweib, denn mir hat das Zauberding erstens meinen Ehemann, zweitens einen holden Buhlen nebenbei, drittens den Perlenschmuck einer Gräfin eingebracht. Nun muß ich das magische Stacheltier los werden, es möchte mich am Ende durch seine Kapsel hindurch stechen. Willst du mir's abkaufen, so gib drei Groschen. Also sagte das Soldatenweib. Wie ich nun verwundert war, aus was für einem Grunde ein so kostbar Ding für den höchst geringen Preis feil sei, entgegnete sie: Es ist mit dem flammarischen Ding nicht wie mit anderer Ware, bei der man nach einem möglichst hohen Preise trachtet. Dieser Talisman muß von jedem, der ihn weiter verhandelt, um weniger verkauft werden, als dafür gezahlt worden. Ich habe ihn um 31/2 Groschen erworben, so muß ich denn weniger fodern. – Wie denn aber, so fragte ich, wenn der Kaufpreis immer kleiner werden muß, so gibt es doch eine Grenze, dann kann niemand mehr den Talisman kaufen. Ach freilich, entgegnete das Soldatenweib, und das ist schlimm für den letzten Eigentümer. Denn wisse, wer das Ding nicht los wird, nachdem er es dreimal angewendet hat, der muß in Flammen sterben und fährt zum Teufel, wie die Pfaffen sagen. Aber nicht bloß der letzte Eigentümer hat dies Los, sondern auch jeder dreizehnte. Daß er der Dreizehnte ist, zeigt ihm der Spiritus flammarum an, indem alle drei Anwendungen des Zaubers mißlingen und also keinen Schatz verschaffen. Ist die dritte Anwendung mißlungen, so stirbt der Dreizehnte im selben Jahre den Flammentod ...« Das Auge groß und düster, starrte Jungfer Berthulde vor sich hin; ich aber griff ihr an den Arm und rüttelte: »Närrchen! Und daran gläubest du?« Sie nickte: »Bei uns Putzkellern gilt die Magie. Aber höret nur weiter, die Hauptsache kommt erst noch. Wie ich das flammarische Ding – das um drei Groschen mein ward – angewandt habe, den Junker in meine Arme zu bringen, hat es nicht geholfen. Da bin ich denn erschrocken und habe gedacht: Du bist der Dreizehnte! Wie alsdann in Goslar abermals die Minne mich besessen und als ein rechter Quälgeist mich getrieben hat, das Herz des Schmiedeknechts zu erobern, da ist noch die Angst hinzugekommen, und ich habe bei mir gesprochen: Nun aber siehe zu, daß dir nicht auch die zweite Anwendung des Zauberdinges fehlschlägt! Und so bin ich auf das verzweifelte Mittel geraten, meinen Liebsten als Nixe zu betören.« – »Auch das hat aber nichts geholfen, wie mir dein Bruder erzählt hat. Wirst du dich denn nun hüten, zum drittenmal den Spiritum anzuwenden, Berthulde?« – »Weiß nicht« – entgegnete sie. »Das eine aber weiß ich: Sollte mich so heftige Minne befallen, daß ich den dritten Versuch wagete, und sollte auch der fehlschlagen – so möcht ich gar nicht länger dies Leben behalten und wüßte nichts Besseres, als in den Flammen zu sterben, denen ich diene als eine Lichtjungfer. Bei uns Putzkellern – das möget Ihr wissen – geben sich manche Lichtjungfern dazu her, Lichtbräute zu werden. Sie springen dann ins heilige Opferfeuer und werden von den Flammen in Lichtvaters Reich getragen. Die Pfaffen nennen es Hölle.«

Betreten entgegnete ich: »Aber Kind! Fürchtest du denn das Reich des Teufels nicht?« Im Winkel des blühenden Mundes zuckte ein spöttisch Lächeln gleich einem Schlänglein, als sie erwiderte: »Was soll ich ihn denn fürchten? Wir Putzkeller wissen ja besser als die Kirchenschäflein, was der Teufel ist.« – »Nun, was ist er denn?« – Sie hatte ihr Kränzel zustande gebracht und setzte es auf ihr Häuptlein. Wie ein seltsam schön Musikspiel von Flöte und Harfe stimmte zusammen das Goldhaar mit den dunkelblauen Blumen und dazu das nachtende Auge im zart-weißen Gesicht. »Sogar dies will ich dir anvertrauen«, sagte sie, neigte sich zu meinem Ohr, und es kam ein Flüstern, davon ich zuerst nichts verstund, weil mich ihr Hauch verwirrte und ihre Lippe mir das Ohr streifte. »Warum sagst du es nicht laut?« – »Ich sage es so, wie man es mir gesagt hat. Denn es gehört zu den Heilslehren der Putzkeller, wie ich sie vom Vater gelernt habe, und die darf man nur leise weitersagen.« – »So sag es leise!« – Wieder bog sie sich zu mir, und diesmal hörte ich sie raunen: »Der Teufel ist hold. Schön blühen lässet er alle Wesen und ist der Eigenwille der Kreatur.« Staunend überdachte ich das Wort und entgegnete: »Darfst du weiter darüber reden?« Sie nickte. »Mußt du auch das Weitere leise sagen?« Sie schüttelte den Kopf: »Nur die Formeln muß ich leise sagen, sonsten darf ich frei reden.« – »So sage mir, warum er die Kreatur schön blühen läßt.« – Nach kurzem Sinnen meinte Berthulde: »Sieh meinen Kranz, stehet er gut zum Flachshaar? Nun also! So stehet auch die Nacht zum Tage, und so jedes Geschöpf zum andern. Immer muß sich eins vom andern abheben. Siehst du das nicht ein?« – »Allerdings«, entgegnete ich; »ohne Unterscheidung blühen keine Farben und singen keine Töne. Wenn alles nur eins wäre, es gäbe wahrlich keine Kreatur.« – »Nicht wahr?« sagte sie eifrig und fuhr fort: »Was wäre dies alles, Gras und Laub, Stein und Stamm, Wasser und Luft? Was wäre das bunte Prangen der holden Welt, so es nicht Eigensinn gäbe, eins vom andern zu scheiden?« Und aber neigte sie sich zu meinem Ohr und flüsterte: »Urvater ist die ewige Ruh. Schaffen hat er erst gekonnt durch seinen eingeborenen Sohn.« »Durch Christum?« fragte ich verwundert. »Nicht doch«, versetzte sie. »Der eingeborene Sohn, den ich meine, ist der Teufel. Aber ich meine den holden Teufel. Er ist nicht also, wie ihn die Pfaffen schildern. Sie lügen, wenn sie sein Reich eine Folterstätte heißen. Es ist vielmehr die Lust dieser Welt, nichts anderes.« – »Verstehe ich dich recht, so heißest du Teufel, was die Kreatur herfürgebracht und in ihr die Lust am eignen Sonderleben ist.« – Sie nickte eifrig: »Ja, es will ein jedes seine Lust han. Und warum soll es nicht dürfen, wozu Urvater ihm den Drang eingegeben?« – »Aber oft dünket die eine Kreatur lustig, was der andern ein Leid ist.« Berthulde zuckte die Achseln: »Willst du Lust erbeuten, so siehe, wo du bleibest, und wenn auch der andre davon Leides hat, so bleibet doch die eigene Lust alleweil lustig.« – »Aber wir dürfen nicht immer nur dem Streite leben«, entgegnete ich; »siehest du nicht an diesem unaufhörlichen Kriege, wie der Eigensinn der Kreatur aus der schönen Erde allerdings eine Folterstätte machen kann? Erlösung von solcher Hölle gibt es nur in dem andern Drang, so neben dem Eigensinn die Kreatur erfüllt. Dieser andere Drang will nicht absondern, er will einen. Es ist die Minne – aber nicht jene, so Lust für sich begehret – vielmehr will diese Minne der geminnten Seele lauter Liebes antun.« Glühend senkte ihr Blick sich in den meinen, und sie schwieg. »Du bist annoch sehr jung, meine Tochter«, sagte ich. Der Schalk saß ihr im Nacken, als sie lachenden Auges erwiderte: »Bist du denn schon so alt, mein Vater? Hast doch noch kein Fältlein im schönen braunen Angesicht, und dein Aug ist frisch wie aufblühende Kornblume.« – »Wieviel Lenze zählst du?« fragte ich. »Zwanzig, und du?« – Ich mußte lächeln, als ich antwortete: »Freilich nur zehn mehr als du; doch ich habe mehr gelebt als mancher alte Mann und habe viel darüber nachgesonnen.« – »Ich weiß,« sagte Berthulde ehrerbietig, »du bist ein Erleuchteter, und du sollst auch mich erleuchten, sintemalen ich eine Lichtjungfer bin, dem Lichte geweiht. Nun aber laß uns gehen, auf daß wir nicht spät zur Hochzeit gelangen.« Hastig erhub sie sich, und ich scherzte: »Wie soll die Trauung versäumen, wer mit dem Prediger gehet?«

Während wir den Bach entlang heimwandelten, den Oheim und Beaten abzuholen, sang die Jungfer leise vor sich hin mit süßer Stimme. Auf einmal wandte sie sich: »Werden die dreißig Lenze mit den zwanzig Lenzen tanzen?« – »Das gäbe ja schon ihrer fünfzig«, gab ich scherzend zurück. Sie lachte: »Die fünfzig sind noch lange nicht zu alt zum Tanzen.« – »Nun gut! Aber du mußt mir den Spiritum flammarum zeigen; sonsten tue ich keinen Tanz mit dir.« Da sahe sie mich an mit langem Blick, und sorgend Verlangen war darin. Scheu spähete sie in die Runde und raunete: »Sollst ihn sehen! Daß du mir aber nicht böse wirst!« Und sie nestelte an ihrem Busen, zog eine hürnene Kapsel, so an einer Schnur um ihren Hals hing, unter dem Brusttüchel herfür, entnahm ihr eine abgeplattete Glaskugel und reichte sie mir. Im Glase war ein wunderlich Tier eingeschlossen, nicht unähnlich einer Spinne, aber mehr wie ein Skorpion. War feuerfarben, und wenn man das geschliffene Glas bewegte, schien das Tier mit den Gliedern zu zappeln. Ich war versucht, den Talisman in den Bach zu werfen. »Wie garstig!« sagte ich; »wirf doch das Ding weg, es verdrehet dir den Kopf.« – Sie erwiderte: »Wirf es in Wasser oder Feuer, verliere es oder stecke es einem Menschen heimlich zu, umsonst! Bald ist das Zauberding wieder bei dir, und du hast nichts anderes erreicht, als daß es dir bei seiner Rückkehr durch das Glas hindurch mit seinem Sporn einen Stich versetzt.« Hierauf tat Berthulde das Glas wieder in die Kapsel und barg sie am Busen. Sie sann und seufzete: »Nun schilt mich wohl auch der Herr Johannes eine Hexe?« – »Ein Närrchen bist, nichts weiter!« – Zärtlich sahe sie mich an: »Magst mich ein wenig leiden? Auch wenn ich böse Augenbrauen habe?« – »Laß doch einmal schauen«, sagte ich, zog sie zu mir her und nahm sie beim Kinn. Sie schloß die Augen und lehnte den Kopf zurück. Ihre dunkeln Brauen waren ob der Nasenwurzel zusammengewachsen, seltsam, doch nicht unhold. Fein und lieblich war diese Jungfer, und wie die Lippen gleich einer Rosenknospe lockten und zu dürsten schienen, neigte ich mich und tat einen sachten Kuß darauf. Sie sahe mich groß an, lächelte und sang jubelnd wie der Buchfink.

Wir gingen Hand in Hand zu Oheims Häusel und gleich darauf nebst der alten Beate zur Hochzeit. Eine Reue wandelte mich an, daß ich die liebestolle Jungfer gereizt habe, und ich wollte mich von ihr zurückhalten. Gleichwohl konnte ich nicht umhin, mein Wort einzulösen und nach dem Hochzeitsmahl mit ihr zu tanzen. Wie ich sie in den Arm nahm, schmiegte sie den Busen an mich, leicht und süß tanzte es sich mit ihr. Auf einmal aber drückte das Zauberding, und in meiner Brust fühlte ich einen Stich, als habe das magische Tier den Stachel durch Glas und Kapsel gereckt. Mit einem Blick voll Grauen ließ ich Berthulden los. Sie ward bleich und schlug die Augen nieder. »Die Brust tat mir weh«, sagte ich; »bin des Tanzens ungewohnt.« Und ich führte sie zur Bank. Den Bierkrug reichte ich ihr und machte mich bald von ihr los. Gleich darauf hing sie einem jungen Burschen im Arm, und keinen Tanz sah ich sie verpassen.

Als ich abends von den Hochzeitern Urlaub nahm, heimzukehren, war sie verschwunden. Draußen im Mondschein stund sie, beim Gartenbusch, wo ich vorbei mußte. Mit einem Scherz suchte ich davonzukommen: »Gute Nacht, Hexlein!« Sie trat zu mir und meinte frostig: »Weiß schon, der Herr Prädikant ist zu denen übergegangen, so mich eine Hexe schelten.« – »Das sei ferne von mir, Berthulde! Hab ich dir nicht gesagt, du seiest ein Närrchen und keine Hexe?« Da stund sie dicht vor mir und spähete mißtrauisch in mein Angesicht: »Warum hast du beim Tanze dich von mir gewandt? Wegen meiner Hexenaugen, wie?« – »Schmucke Augen hast du!« entgegnete ich. Freude huschte ihr übers mondbeglänzte Angesicht, zart und lieblich war ihr Lächeln, ich nahm ihre Hand und drückte sie. »Bist auch der Nixe nicht bös, die um den Gesellen zu Goslar freite?« hauchte sie, ihr Antlitz war dem meinen nahe. Ich schüttelte den Kopf. – »Aber der Spiritus flammarum mißfällt dir? Aufrichtig, Johannes!« – »Ja,« sagte ich, »tu ihn fort!« Sie atmete tief, als kämpfe sie einen Kampf. Dann entschied sie hart: »Wenn ich Gewalt habe über das Zauberding, werd ich es los nach deinem Wunsche. Wenn ich aber sein dreizehnter Besitzer bin, so holt mich der Spiritus in die Flammen. Einen nur gibt es, der dies verhindern, der mich erlösen kann.« – »Und wer ist das?« – »Der, den ich liebe! So er mich wieder liebt, mag ich der magischen Kapsel ledig werden. Hab ich jedoch kein Glück bei ihm, kein Glück in der Minne, dies dritte-, letztemal, alsodann ist es ausgemacht, daß ich der Dreizehnte bin und auf roten Schwingen fliegen muß, wohin manch putzkellerische Lichtbraut vorangegangen.« Mir war, als wolle mich ein Zwang in der Jungfer Arme bringen, doch wiewohl sie meine Sinne lockte, war in mir eine Scheu. Das Kosewort, so mir schon von den Lippen wollte, hielt ich zurück, schloß meinen Mund und blickte streng. Da war's, als zische aus Berthulde eine Schlange: »Liebst du sie noch, die andre, deine Gräfin? Ich weiß alles, Johannes. Doch gib sie auf! Fort ist sie, tot! Hörst du? Nimm mich, dein bin ich!« Das war ein Stich in mein Herz, Rebellengeist erhub sich in mir, weil sie Thekla verdrängen wollte, ich ließ ihre Hand los und sagte dumpf: »Tot, nun ja, tot mag sie sein – glaub schon. Doch meine tote Eheliebste lebt mir im Herzen ewiglich.« Stehen ließ ich Berthulden und ging, ohne umzuschauen.

Etliche Tage später war's, und auf meinen Bergen schmolz der letzte Schnee. Es regnete und stürmte, ich blieb in meiner Klause, draußen war's unwirtlich. Die Tannen troffen, hinter Wolken hielt sich die Sonne, die Luft schnob feucht. Ließ der Regen nach, so stiegen aus den Waldgründen weiße Nebel und ballten sich zu grauen Massen, die über den Gebirgskamm hinkrochen, ähnlich einem Rudel riesiger Wildschweine. Das Getier der Wildnis blieb versteckt in Schlüften und Steinen. Ich belauschte eine Hirschkuh, die sich an eine trockene Wand des Abendburgfelsens geschmiegt hatte und ihr nasses Fell leckte. Bei des Windes Schweigen toseten in Tälern und Schluchten die Bergwasser. Trübe schossen sie dahin, hüpften an Felsen schäumend hinan, zerwühlten das Erdreich und rissen große Äste, ja Bäume und Steinblöcke fort. Kam ich vom Waldgange heim, so mußte ich mein Schuhwerk und Gewand am Feuer trocknen. Ging daher ungern hinaus und brachte meine Zeit mit Lesen und Sinnen zu, auch mit Zurüstungen, die mir die Grotte ähnlich der Balkenstube wohnlich machen sollten.

Nachts fuhr ich jäh aus dem Schlafe empor, weil es im Grunde der Abendburg dröhnte, als ob eine eiserne Türe zuschlage. Ich dachte an die Mär von den unterirdischen Schatzkammern. Geschah drunten ein magischer Vorgang? Hatte des Goldes Hüter, für gewöhnlich in seiner Nische kauernd, im Schlafe sich geregt? Nicht doch, ihr Träume der Phantasei! Das Dröhnen kam wohl von einer Fichte, die draußen im Walde hinsank. – Beim Lauschen war's, als ob es tief im Grunde tose, und wie ich das Ohr an den Felsen drückte, kam ein leis Rauschen wie von unterirdischen Wasseradern. Mit einem Steinwurf gen Mitternacht war ja auch der Quell des Kleinen Zacken zu erreichen, und nahe dabei entsprangen noch andre Bächlein. Mir kam nun der Plan, den Boden der Grotte zu untersuchen, ob sich nicht darin ein Brunnen anlegen lasse. Ich brauchte alsdann mein Trinkwasser nicht vom Bergabhange heraufzuholen.

Am Morgen zündete ich die Laterne an, nahm Hacke und Spaten und prüfte den Boden der Grotte. Fast gänzlich war er zusammenhängender Fels, aber an einer Stelle Schottergestein, und es fiel mir auf, daß der Schotter scharfe Bruchstellen hatte, also von Menschenhand hergerichtet sein mußte. Da lag mir nun die Frage nahe: Aus welchem Grunde haben Menschen an dieser Stelle Stein zerschlagen und mit dem Schotter den Boden bedeckt? Wollten sie bloß ein Loch ausfüllen, oder ist vielleicht unter dem Schotter etwas vergraben? Man wird hier schon früher einen Brunnen gehabt haben, dachte ich. Als ich mich an den Boden legte und das Ohr aufdrückte, vernahm ich abermals das unterirdische Rauschen. Arbeitete nun emsig mit Hacke und Spaten, räumte den Schotter weg und stieß auf eine Steinplatte, in die ein Eisenring eingelassen war. Mit Hilfe einer Stange, die ich in den Ring schob, gelang es mir, den Stein aufzuwuchten und beiseite zu schaffen.

Mit Staunen sah ich ein offnes Loch, steinerne Stufen führten in die dunkle Tiefe. Feuchte Luft strömte empor, es tosete drunten wie Wasserfall. Mit Schauder hatte ich zu kämpfen, da es mich deuchte, die Abendburg sei magisch aufgetan, und ich solle nun das gefährliche Abenteuer bestehen. Doch dann schalt ich mich einen Toren und bedachte, daß ja alles mit natürlichen Dingen zugegangen. Lud nun mein Pistol und steckte es in den Gürtel, nahm in die Rechte den Spieß, in die Linke eine Fackel und stieg durchs Loch hinunter. War es anfangs von Menschen hergerichtet und mit Stufen versehen, so ging es bald in einen natürlichen Höhlengang über, der in Windungen tiefer führte. Das Gestein, bisher Granit mit Flinsadern, ward morsch, kalkig und wässerig wie getränkter Schwamm. Neben dem Pfade rann ein Murmelbächlein die Steinstufen hinab. Abermals düstere Granitwände, die verengten sich zu einem schmalen Spalt. Und immer lauter ward das Wassertosen. Gleich darauf kam eine Weitung wie Kirchengewölbe. Quer hindurch klaffte eine Schlucht, an die fünf Mannslängen tief, und drunten schoß das tosende Wasser. Zusammen rann es von beiden Seiten aus Felsenspalten und kleinen Höhlengängen. Über die Schlucht führte ein schmaler Steg von Stein. Hinüber ging ich und folgte dem Schluchtwasser abwärts. An einer quergelagerten Granitwand bildete es einen Kessel, einen Strudel, und strudelte durch ein Loch ins dunkle Eingeweide der Erde. Zur Steinbrücke zurückgekehrt, ließ ich mich durch einen Pfad, den Menschenhand bearbeitet hatte, in einen Seitengang führen; ein Nebenflüßlein rann mir entgegen. Aufwärts ging es durch Granit, dann kam eine Kalkader, endlich Flins, und auf einmal weitete sich dies weiße Gestein. Gebannt blieb ich stehn und leuchtete mit der Fackel umher. Ein Dom war das, wie aus Schnee und Eis. Schimmernde Säulen, etliche stark wie Fichten, ragten zum Gewölbe, und droben hing Zierat bei Zierat, alles aus weißem Gestein, Eiszapfen ähnlich. Wasser tröpfelte herab, und wo es auf den Boden fiel, wuchs ein Zapfen empor. Es war, als habe ein Künstler wunderliche Träume von Wölbungen und Grotten, Flechten und Schleiern, von Astwerk, Durchbrechungen und Schnitzerei in Marmor ausgeführt und mit einer glitzernden Glätte überzogen. Wie ich mit dem Schafte des Spießes an einen großen Zapfen schlug, klang er voll wie eine Kirchenglocke. An einer Stelle glich das Tropfgestein einem faltig hängenden Linnentuche. In einer niedrigen Grotte schien ein Volk von weißen Zwergen und Elfen zu wimmeln. Auch fand ich ein Wasserbecken, dessen Spiegel zur Hälfte mit einer Kruste von milchigem Gestein bedeckt war. Die größte Überraschung aber kam noch, als ich um eine dicke Säule herum ging.

Schrecken fuhr in meine Glieder, da in der erhabensten Wölbung zwo Riesengestalten auf einem Throne saßen: Ein Mann mit wallendem Bart- und Lockenhaar, einen mattgüldenen Reif um die Stirn, in der Rechten ein Schwert, neben ihm eine Frauengestalt in wallender Gewandung. Erst wähnte ich, lebendige Wesen vor mir zu haben. Wie ich dann ihrer Reglosigkeit inne ward, dachte ich an balsamierte Leichen. Bald aber war zu erkennen, daß hier die Stümpfe mächtiger Säulen, schon durch natürliche Bildung menschlichen Gestalten ähnlich, mit dem Meißel hergerichtet, dann durch herabtröpfelndes Kalkwasser überkrustet waren. Ein seltsam Gemisch von Lebendigkeit und Verschwommenheit war zustande gekommen, ein phantastisch Gebild. Wie ein König hielt der Mann das Haupt, es rollten die Augen unter der mächtigen Stirn. Der weiße Bart, den das tröpfelnde Wasser bis zu den Füßen verlängert hatte, bezeugte ein ungeheures Alter. Die Königin zu seiner Rechten hielt das Haupt träumend geneigt. Ein weißer Schleier umfloß ihre Gestalt bis hinunter, sanft war das Angesicht. Zu den Füßen des thronenden Paares stund eine große sargartige Truhe aus Stein. Knochen und Waffen waren darin. Wie ich Mut gefunden hatte, nachzusehen, war ich außer mir vor freudigem Staunen; zwischen Menschengebeinen, die in der Truhe lagen, gab es eine Menge von Gold und kostbaren Geräten. Da waren güldene Kronen mit Edelsteinen, Armgeschmeide, Fingerringe, güldene Ketten und ein paar silberne Kessel, ganz mit Goldmünzen angefüllt. Da sich nur zween Menschenschädel fanden, so vermutete ich, in dieser Steintruhe sei nebst dem Schatze das Gebein des Paares niedergelegt, das hier in Tropfstein abgebildet war. In uralten Zeiten mochte dies Fürstenpaar das Isergebirge beherrscht haben, und in der Höhle hatte das dankbare Volk eine heilige Grabstätte bereitet, die niemand betreten durfte, und die in späteren Zeiten, nach Besiegung und Ausrottung des alten Herrschergeschlechtes, vergessen ward. Wer kann das steinerne Rätsel lösen? Vielleicht war dies der Teutschen Stammvater Tuisko. Vielleicht auch ein Götterbild, das Urbild des Berggeistes, den man später den Rübenzagel hieß. Vor mir lagen die Knochen, die ich aus der Truhe geholt hatte, und daneben die Kostbarkeiten, die meinen Sinn verwirrten. Ich griff aus dem Silberkessel eine Handvoll Goldes und sahe, daß die Münzen ein seltsam Gepräge hatten. Keine Schrift war darauf, sondern meistens nur ein Rad oder eine Sonnenscheibe mit einem Kreuz innen. Ich starrte auf das gelbe Gleißen, lauschte dem Klimpern der Münzen, wühlte im Golde, nahm die Zierate und weidete daran mein Herze, daß es trunken ward. Da hast du nun, wonach du seit der Knabenzeit getrachtet! Erfüllt ist dein Hoffen, die Abendburg spendet, wovon die Mären raunen.

Was nun? So sprach es in mir, und vor meinen Augen regte sich das Gold und wuchs, wie Bäume wachsen, und Säulen wurden daraus, Mauern mit strahlenden Fenstern, ragende Dächer, Zinnen, Türme und Tore, Zugbrücke, Graben und Wall. Die verheißene Abendburg strebte vom Bergesgipfel himmelan, aus wildem Gestein herfürgezaubert durch des Goldes Magie, und ich war der Zauberer und Herr. Die Steinbilder der Höhle, des teutschen Volkes uralte Fürsten, die hier Jahrtausende geschlafen hatten, regten sich, das arme Vaterland zu retten, und machten mich zu ihrem Erben, boten mir den Schatz und eine Krone. Wohlan, es sei! Erbauen will ich die Burg und herrschen über die Berge. Nicht, um zu prunken und zu schwelgen, sondern um meinen Landsleuten zu helfen, aus dem Gebirge eine unüberwindliche Feste zu machen und so den Grund zu legen zu des Reiches Libertät.

Doch wiewohl mir bei diesem kühnen Gedanken hoch das Herze schlug, war doch mein Geist von Zweifeln bedrängt. Wie die Zügel der Herrschaft ergreifen? Wie den ersten Schritt tun auf der neuen Bahn? Je mehr ich sann, desto heißer verlangte mich nach einem Menschen, der mir raten könnte, da ich die Wucht meines Erlebnisses kaum zu ertragen vermochte. Ich beschloß, sogleich den Oheim einzuweihen und zu meinem Helfer zu machen. Verließ also den Felsendom – nicht ohne scheue Blicke hinter mich zu werfen, ob auch der Schatz noch da sei, und nicht etwan der steinerne Hüter wie ein Gespenst mich packen wolle. Doch es blieb alles, wie ich es mit Aug und Hand wahrgenommen.

Taumelig überschritt ich die Brücke der Felsenschlucht und stieg den engen Gang empor, bis ich in meiner Grotte war. Hier merkte ich, daß mir die Knie zitterten und das Herze wild pochte. Mußte mich setzen, betastete meinen Kopf und starrte auf das Loch im Boden, da ich noch immer nicht fassen konnte, daß alles mehr sei als Traum. Dann aber trat meine Tatkraft auf den Plan. Die Steinplatte deckte ich auf das Loch und schaufelte den Schotter darüber. Beflügelten Fußes strebte ich zu Tal. Wiederholt freilich hemmte meinen Lauf die Sorge, es möchte in meiner Abwesenheit der Schatz aufgespürt werden. Es war mir, als müsse das Gold magnetisch die Menschen herbeiziehen.

Den Oheim fand ich in seinem Laboratorio. Ich muß wohl seltsam dreingeschaut haben, denn er sahe mich groß an und fragte: »Was hat's denn?« Ich legte die Hände auf seine Schultern und schüttelte ihn, da ich zunächst keine Worte fand. Dann fuhr es mir heraus: »Ich habe den Schatz!« Noch mehr weiteten sich des Oheims dunkle Augen, und er flüsterte scheu: »Machst du keine Possen?« – »Nein, wahrhaftig, der Schatz ist unser, du sollst ihn sehen, sollst alsogleich mit mir kommen. Doch streng verschwiegen müssen wir sein; selbst Beate darf nichts erfahren. Sag ihr, du müssest mich begleiten, weil mir etwas Alchymistisches gelungen sei.« Da sah ich zum ersten Male in meinem Leben den Oheim strahlen vor Freude. Seinen Mund tat er auf, als wolle er jauchzen, brachte aber nur ein Lallen herfür, dann faßte auch er mich bei den Schultern und schüttelte mich wie einen Baum, der voller Früchte hängt. Wie wir einander gefaßt hielten, kamen wir ins Drehen und tanzten lachend umher. Nachdem nun der Oheim die alte Beate verständigt hatte, daß er mit mir gehe, war er leichtfüßig wie ein junger Bursch. Unterwegs im Bergwalde tat ich über alles Bericht. Abermals kam mir die Sorge, es möchte die Höhle mit dem Schatz ein Traum gewesen sein oder ein magisch Phantom, das inzwischen der gewöhnlichen Wirklichkeit Platz gemacht habe. Doch sieh, unter dem Schotter kam die Steinplatte herfür, und als wir sie weggeräumt hatten, klaffte der dunkle Eingang. Hinstarrend und auf das Tosen horchend, schauderte der Oheim, blickte dann scheu um sich und meinte: »Bist du auch sicher, daß kein Unberufener hier eintritt, derweilen wir drunten sind? Laß uns die Pforten verriegeln!« – So taten wir, und da die Hunde in der Balkenstube lagen, fühlten wir uns ziemlich sicher vor Überraschung.

Brennende Fackeln in der Hand, stiegen wir in die Tiefe. Nachdem wir den engen Gang hinter uns hatten, kam die Felsenschlucht, darin das Wasser toste; über die Steinbrücke ging's und jenseits wieder aufwärts, dem Nebenflüßlein entgegen. Im weißen Felsendom erstarrte der Oheim, wie er die Gebilde aus Tropfgestein betrachtete. Weiter wandelnd, kam er zu den beiden Bildsäulen, fuhr zusammen und tat einen Schritt rückwärts. Wie aber sein Blick auf die Truhe fiel, wo der Schatz funkelte, schlug er die Hände zusammen und trat heran. Schwer atmend griff er sich nach dem Herzen, als schlüge es zu heftig. In dem Blicke, den er mir zuwarf, loderten Freude und Furcht zugleich. »Geschwind!« raunte er heiser. »Angefaßt! Bergen wir sogleich den Schatz! Wer weiß denn, ob die Höhle nicht bald zugehet, wie ja die Leute sagen.« Und mit zitternden Händen griff er nach dem Goldtopfe. »Nicht doch«, entgegnete ich; »sei unbekümmert, hier waltet kein Zauber. Das bleibt alles, wie es ist. Was die Mären berichten, ist ja Aberglaube. Freilich enthält die fabelhafte Hülle einen Kern der Wahrheit, der hat sich uns jetzo erschlossen. Die Sage vom Abendburgschatze ist ein dunkel Angedenken an uralte Zeiten, wo dies Fürstenpaar hier eine Burg hatte und in der Höhle seine Goldkammer.« Mich anstarrend, nickte der Oheim und ergriff mich lachend bei den Armen: »Hast recht, Johannes, das ist kein Spuk. Junge, mein Junge, habe ich dir's nicht immer gesagt, daß du den Schatz wirst heben? Die Zigeunerin hat also doch recht gehabt, da sie verhieß, du sollest werden wie König Salomo. Gold hast du nun und eine Königskrone dazu. So halte fest, was das himmlische Schicksal dir beschert.«

Eine Weile schwieg er in starrem Grübeln. Dann rührte ihn wieder Unrast: »Daß du ja nicht den Leuten verrätst, was du hier gefunden hast. Sonsten möchten Habgierige dich beiseite schaffen, um allein das Gold zu haben.« – »Aber Oheim,« wandte ich ein, »wie soll ich das Gold anwenden, ohne zu verraten, daß ich welches habe?«

Und er: »Sage den Leuten, das Goldmachen sei dir gelungen, solle jedoch dein Geheimnis bleiben. Dann bist du die Henne, so güldene Eier legt, man wird dein Leben hüten, du gackerst und bist Herr der Berge.« Etwas Garstiges lugte aus diesem Ratschlage, das mich peinigte. Ich starrte auf die rätselvollen Bildsäulen, der langbärtige König schien mir der Götze Mammon, indessen die Königin mit sanfter Trauer dreinschaute. Und von dieser Sanftmut ward der gute Geist in mir angesprochen. »Soll ich den Leuten etwas vorgaukeln?« wandte ich kleinlaut ein; »das Lichtreich möcht ich doch gründen, da darf ich nicht die Lüge zum Grundstein machen.« Der Oheim zog die Achseln hoch und spreizte die Hände: »Geht es etwan anders? Willst du das Reich gründen, so mußt du den Leuten kostbar, unentbehrlich erscheinen. Sprichst du nun, in der Höhle sei ein Schatz aus alten Zeiten, so wird mancher sagen: Was brauchen wir den Johannes? Ich selber will des Schatzes genießen! Nein, Kind, für die lautere Wahrheit ist unsere Welt nicht reif. Die lautere Wahrheit eignet sich wohl nur fürs Himmelreich. Die Welt will betrogen sein, wie der Lateiner spricht. Buben scheuchet man mit dem schwarzen Mann. Wer den Zweck will, dem muß auch das Mittel gelten. Laß dir ja nicht den Reichtum entwinden. Nimm ein Exemplum an diesem steinernen König. Vermeinest du, der wäre groß worden, hätte er nicht verstanden, das Heft in Händen zu halten? Siehe doch, wie er so fest sein Schwert trägt, so sicher, so stark!«

Unschlüssig blickte ich auf den steinernen Götzen. Der starrte gebieterisch und kam mir auf einmal vor wie der leibhaftige Höllenfürst. Rollenden Auges deutete er auf den gleißenden Schatz, aus seinem Schweigen donnerte mir jenes Wort entgegen, mit dem er den Heiland in der Wüste versucht: »Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest.« Und eine Macht strömte mir ins Herz, ich reckte mich, straffte Nacken und Arm, entschlossen, nach des Oheims Rate zu tun.

Wohl bedachte ich, daß der Schatz nicht mir, sondern dem Grundherrn gehöre. Doch der Grundherr war nebst seinen Kindern in der Gewalt von Beutemachern. Sollte ich denen auch noch den Schatz in die Klauen liefern? Nicht doch! Ich, den des Himmels Walten zum Entdecker auserkoren, wollte das Gold lieber zur Verteidigung des Vaterlandes, ja zur Befreiung des gefangenen Grundherrn verwenden. Hinterher würde Hans Ulrich mich segnen für meine Eigenmächtigkeit. – Als ich diesen Plan dem Oheim darlegte, stimmte er bei, obwohl zögernd.

Nun hub eine Zeit wilder Unrast an. Hinweggescheucht war alle Herzensstille. Wie Wetterodem stürmte es in mir. In einem fort hetzte die Arbeit, und war ich aufs Lager hingesunken, so scheuchte mich bald Sorge wieder empor. Und nicht anders erging es dem Oheim. Gleichwohl waltete eine Spannkraft in uns, als begnade Gott wundersam seine neuen Reichsverweser. Unser erstes Werk war, den Schatz besser zu verstecken, für den Fall, daß ein Unberufener in die Höhle eindränge. Über der Schlucht, darin das Wasser toste, entdeckten wir einen Felsenspalt, der sich nach innen erweiterte. Hier hinein schleppten wir den Schatz. Zur fürderen Sicherung ließen wir durch den Schreiberhauer Schmied eine eiserne Gittertür nebst Schloß verfertigen. Wir selber brachten sie an der Stelle an, wo der erste enge Felsengang endet und die Weitung mit der Schlucht kommt.

Viel Mühe machte uns das Umprägen der alten Münzen. Es ging ja nicht, daß wir sie in ihrer ursprünglichen Form den Leuten einhändigten. Man hätte alsdann erraten, wir seien keine Goldbereiter, sondern Entdecker eines alten Schatzes. Zu Hirschberg ließ der Oheim einen Stempel verfertigen, der die Münze des neuen Reiches prägen sollte. Auf der einen Seite war die Sonnenscheibe mit einem Hakenkreuz innen, auf der andern Seite die Inschrift: Herr der Berge. Um die alten Stücke umzuprägen und glaubhaft zu machen, daß durch Alchymie unser Gold entstehe, war ein Laboratorium nötig. Dazu richteten wir die Grotte ein. Wie sie für unsern Zweck fertig war, schwang ich einen mächtigen Hammer, indessen der Oheim den Prägestock hielt. Unter dröhnenden Schlägen sprangen die Goldmünzen herfür, mit denen das neue Reich zu gründen war. Nach einer Arbeit von etlichen Wochen betrug unser Münzschatz bereits 10000 Dukaten.

Inzwischen hatten wir beraten, wer unter den Männern des Gebirges auszuwählen sei, um beim Gründen unseres Reiches mitzuhelfen. Zum Ersten erkies ich Segebodo, der feurigen Sinnes, aufrecht, klug und tapfer. Ein Führer der Schreiberhauer sollte Dreßler sein, ein Fünfziger, Riese von Gestalt, fest und treu, ehrbar und männiglich geachtet. Auch der Trompeterhans mußte dabei sein. Nachdem auf kaiserlichen Befehl die evangelische Dienerschaft des Hauses Schaffgotsch entlassen war, hatte der Trompeterhans zu Schreiberhau Unterkunft gefunden. Ich wollte den kecken Gesellen zu Hans Ulrichs Befreiung verwenden.

Wir luden diese Männer zur Abendburg, und wie sie in meiner Balkenstube saßen, tat ich eine Handvoll Goldmünzen auf den Tisch: »Das da hat mein Schmelzofen nebenan zustande gebracht, und das Hundertfache kann ich schaffen. Der Schatz soll aber nicht für mich sein, sondern für euch, für das ganze Gebirge. Lasset uns diese Bergwildnis zur Feste umwandeln und reich mit Proviant versehen. Dazu diene uns das Gold. Wollet ihr drei nebst mir und meinem Oheim dies Werk unternehmen? Ich frage, gebet Antwort!« Segebodo war aufgesprungen, über den Tisch gebeugt, starrte er mich glühenden Auges an; dann schlug er mit der Faust auf die Platte, daß die Münzen tanzten, und streckte in heller Freude seine Hand entgegen: »Johannes, wir bauen die Burg!« Der Trompeterhans hatte hastig ein paar Münzen aufgegriffen und stand beim Fenster, sie betrachtend und durch Geklimper prüfend. »Wahrhaftig,« meinte Dreßler, »das ist wie Gold.« – »Es ist Gold, echtes, reines Gold«, sagte ich. Dreßler sahe bald auf mich, bald auf das Gold und griff sich an den Kopf. »Und mehr davon kannst du machen?« fragte er. »Alle Tage so viel wie dies«, frohlockte der Oheim. Wieder schlug Segebodo auf den Tisch: »So glaubet doch, ihr Männer, und reichet die Hände her, schließen wir ein Bündnis, zu tun, was unser Herr Johannes will.« Nun trat freudig der Trompeterhans herzu, und wie wir im Kreise einander die Hände reichten, sprach ich: »Wir fünfe halten fürder zusammen wie Finger einer Hand.« – »Und du bist unser Zeigefinger«, meinte Segebodo. »Ja, du sollst uns führen«, riefen alle. Indem warf die Sonne aus Wolken lugend ihren Strahl durchs Fensterlein, und Dreßler sprach: »Frau Sonne gibt die Weihe!« – »Sie weihet das neue Reich,« sagte ich, »ein Lichtreich soll es werden.« Segebodo tat die Hand an seine Stirn und murmelte wie ein Verzückter. Der Oheim brachte einen Krug Heidelbeerwein nebst Bechern. Wir stießen an und tranken des Reiches Heil. In der Beratung stellten wir fest, was zunächst geschehen solle. Der Oheim und Segebodo meinten, sogleich sei die Abendburg zu einer Feste herzurichten. Dreßler machte geltend: »Auch der Wachstein muß befestigt werden, damit der Feind nicht vom Hirschberger Tal herauf kann.« Der Trompeterhans fügte hinzu: »Auch gehört ein starker Posten ins Jammertal, an den Zackensteig.« – »Recht so,« sagte der Oheim, »durch diese drei festen Plätze sind den Feinden die Pässe nach Schreiberhau verlegt.« – »Vor allem Soldaten und Werkleute her, und tüchtigen Proviant!« sagte ich, und wir machten aus, Segebodo solle, mit Gold versehen, hinunter ins Hirschberger Tal, Leute und Lebensmittel zu schaffen, indessen Dreßler die nächsten Bauden und Ortschaften zu besuchen und die Gebirgler unserm Reiche zu gewinnen habe. Der Trompeterhans, auf den wir alle bauten, erhielt so viel Gold, als sich in seinem Wams und seines Pferdes Sattel verbergen ließ. Unverzüglich brach er auf und trabte ins Böhmische. Durch Bestechung der Wächter sollte er unsern Herrn Hans Ulrich aus der Regensburger Gefangenschaft befreien. Heiße Wünsche geleiteten ihn.

Mit dem Oheim war ich nun beflissen, einen guten Plan zur Befestigung der Abendburg herauszubringen. Ein Brief von Segebodo meldete, er habe schon mehr als fünfzig Soldaten beisammen, lauter Haudegen, werde auch Korn und Vieh bringen, wisse jedoch in einer Sache keinen Rat. Bei den Soldaten seien Weiber und Dirnen. Was solle mit denen werden? Die Soldaten begehreten, sie mitzubringen, und ich solle lieber dafür sein, sonsten möchte die Soldateska das Weibesvolk von Schreiberhau verderben. Ich solle unverzüglich meine Entscheidung kundtun. Betroffen war ich, hatte zuvor nicht bedacht, was Neuerung unser Söldnerwesen mit sich bringen könne. »Weg mit den Dirnen,« sprach ich zum Oheim, »das Lichtreich muß ohne Gesindel begründet werden.« Der Oheim aber meinte: »Engel findest du halt nicht, mußt schon mit dieser rauhen Welt fürliebnehmen. Wer Soldaten braucht, muß ihre Art gelten lassen.« Nach vielem Für und Wider entschied ich, es sollen nur solche Söldner heraufgebracht werden, die keine Dirnen mit sich führen. Wer aber ein Eheweib habe, dürfe es bringen. Den Verschmähten solle der Laufpaß gegeben und durch den Sold einer Woche versüßet werden.

Etliche Tage später kam Segebodo mit sechzig Söldnern, vielen Weibsbildern, auch Werkleuten. Sie geleiteten drei Ochsenwagen, drauf waren Säcke voll Korn und Rauchfleisch, Gewandstoffe, Rüstungen und Waffen, Blei und Pulver, dazu ein Faß Branntewein. Ich teilte die Angeworbenen und bestimmte die größere Hälfte für den Wachstein, dessen Befestigung in Angriff genommen ward. Die andern Leute sollten der Abendburg angehören. Zu ihrem Lagerplatz wählte ich einen Ort, eine halbe Stunde davon auf dem Bergeskamm gelegen. Hier ward aus Fichtenstämmen ein rauhes Obdach hergerichtet, auch für das Vieh ein Stall, und die Vorratskammer. Nun zogen wir um das künftige Burghaus in weitem Bogen einen Graben. Nach innen aufgeworfen, bildete das Erdreich einen Wall, hinter dem gespitzte Pfähle als Brustwehr starrten. Eine Zugbrücke sollte über den Graben führen und durch ein steinern Tor gesichert sein. Mit diesen Anlagen zu beginnen, schien das ratsamste, weil das Gerücht von meinem Golde leicht Beutemacher uns auf den Hals laden konnte.

Wie Wall und Graben notdürftig fertig waren, bat mich Segebodo, der als Hauptmann über die Soldaten gesetzt war, ihnen eine Festlichkeit zu gewähren. Ich willigte ein und versprach, selber zum Fest zu kommen. Der zweite Sonntag Junii war's, ich hatte im Walde meine Predigt gehalten, unter großem Zulauf aus dem Gebirge, und es umjubelte mich der Haufe. Berthulde war darunter; blitzenden Auges, Glut auf den Wangen, sprach sie zu den Umstehenden, die beifällig lauschten. Vom Lichtreiche schwärmte sie, das alle teutschen Lande einen solle im Glauben an den Allvater in uns. Wie ich als Mittagsgast zu Oheims Häusel ging, überholte ich die Preislerin, die nebst ihrem Sohne Christiano von der Predigt heimkehrte. Seit Jahren eine Witwe, war sie gealtert, doch immer noch stattlich. Da ich traulich ihre Hand schüttelte, kamen ihr die Tränen. »Ach, Herr Johannes, weiß Er annoch? wie wir vor zwanzig Jahren zu Warmbrunn mit meiner Elfriede ...« Sie konnte nicht weiter, und auch mich machte die Wehmut wortlos, ich drückte der Mutter Hand und ging.

Von Elfrieden hatte sich mein Sinnen zu Thekla gewandt. O daß sie unter den Lebenden, und an meiner Seite weilte! Sie erst gäbe mir die rechte Freudigkeit und Kraft, deren ich zu meinem Unternehmen bedarf. Wohlan, sprach ich zu mir – sei unermüdlich, ihre Spur auszufinden! Bist ja nicht mehr der hilflose Eremit, hast Gold wie ein Fürst. Suche, reise, sende hundert Kundschafter aus! Vielleicht sollst du sie noch in die Arme schließen. Wenn du sie dann heimführst zu deinem Felsennest, magst du strahlen und lachen: »Weiß meine liebste Gräfin noch, wie sie an dieser Stätte zu mir ›Wag's Knab‹ gesprochen? Nun mach ich das Wort wahr. Der Schatz ist mein, eine Burg ragt in die Lüfte, und ich walte drin als Herr der Berge, die holdseligste Fürstin an meiner Seite!« – Aufjauchzen wollt ich, doch dann schluchzete ich in mich hinein. Ach, ich war jener Mutter gleich, die das kalte Gold der Abendburg gehoben, ihren Herzensschatz aber verloren hatte.

Das zehnte Abenteuer Wie die Goldburg zusammenbrach und einer von neuem geboren ward

Nach dem Mittagsmahl ging ich allein, derweilen der Oheim sein Schläfchen tat, zum Lager der Soldateska; Branntweinstein hatten die Schreiberhauer neuerdings den Platz benamset. Ich fand meine Leute bei Spiel und Tanz, und mancher hatte dem Becher schon weidlich zugesprochen. Im Zelt der Marketender ward mit Knöcheln der Sold vertan, dazu gellte die Pfeife, und aus rauhen Kehlen erschollen Lieder. Unweit auf ebener Matte drehten sich zur Fiedel Soldaten, auch Schreiberhauer Burschen und etliche Dörferinnen. Jauchzen grüßte mich, und gute Miene mußte ich machen zu diesem Treiben, das mir anfangs nicht behagte. Wie ich aber selber einen guten Trunk getan und mit den Leuten mich gemein machte, ward ich ihnen ähnlich und zutunlich.

Als die Sonne sank, kam aus dem Walde ein bewaffneter Haufe, voran der Führer in blauem, silberbetreßtem Wams. Grüßend schwenkte er den Federhut und rief: »Juhu, Viktoria!« – »Ist das nicht Maiwald? Und Dreßler? Sie sind's!« meinte die Preislerin, und man stimmte bei: »Wahrhaftig, der Maiwald! Ei, so schauet doch, wie ein Herr gekleidet!« Ich ging dem Zuge entgegen und ergriff die Hand, die Maiwald freudestrahlend mir bot: »Viktoria, Johannes, gute Botschaft! Ich bringe, was wir brauchen! Da sein zuvörderst dreißig tapfre Schmiedeberger, zwanzig an dere hab ich in Dreßlers Auftrage angeworben, als wir über Hirschberg zogen. Was aber das beste, wir han als Kriegsknechte gleich gute Arbeit getan. Drunten bei der Kirche sein drei Wagen und sechs Gäule davor, auch neun Reitpferde. Die haben wir als Beute mitgebracht. Und denke nur, was Kostbarkeit unter den Wagenplanen! Silbergeschirr, eia, schwere Becher und Kannen, Tafeldecken und Tapezereien mit Bildern darauf, Prachtgewänder, wie ich eins anhabe; feine Zeuge, Sammet und Seide, Federbüsche und Hüte. Überdies ein paar Fäßlein edlen Weines. Das alles bringen wir heim, mit unsern Waffen erbeutet. Wie wir nämlich zwischen Warmbrunn und Hermannsdorf unsere Straße ziehen, kommt einer von meinen Kundschaftern dahergeloffen und meldet: Vom Kynast nahen drei Planwagen mit zwanzig Reitern. – Mit denen werden wir fertig! sag ich und lasse alsogleich meine Leute an einen Ort zurückgehen, wo der Weg von Wald umgeben. Hier machen wir unsere Feuerrohre fertig und kauern im Hinterhalt. Wie nun die Wagen kommen, strecken unsere Schüsse gleich fünf Reiter zu Boden, die übrigen schlagen wir nieder. Nur einen Mann haben wir verloren. Leicht ist es freilich nicht gewesen, die Beute herzuschaffen, ohne von der Kynastbesatzung erspäht zu werden. Wir mußten einen Umweg durch Waldung nehmen. Nun aber sind wir hier und möchten unsern Sieg feiern.«

»Vivat Maiwald!« schrien die Leute. »Viktoria!« Da man mich fragend anblickte, nahm ich das Wort: »Ich danke dir, Dreßler, daß du nach meinem Auftrag getan und im Gebirge verkündet hast, was wir wollen. Auch dir, Maiwald, weil du Soldaten bringest, danke ich. Was aber das Beutemachen anlangt, so kann ich es nicht billigen. Wenn wir ein neues Reich gründen, besser als die alte Haderwelt, dürfen wir nicht mit Mausen beginnen. Merket ihr alle (und meine Stimme ward scharf): daß mir keiner ein Gartbruder werde! Unrechten Gutes bedürfen wir nicht. Erhaltet ihr nicht reichen Sold? Und können wir nicht genung Lebensmittel kaufen mit dem Golde, das ich schaffe?« Maiwald riß vor Überraschung Aug und Maul auf, Murren erhub sich unter den Leuten. Ich aber befahl mit Strenge: »Maiwald, sorge sofort, daß keiner sich an dem Gut vergreife. Das gehört den Kindern unseres armen Herrn Schaffgotsch, den seine Widersacher ausplündern möchten. Morgen soll ein Bote nach Kemnitz zu Herrn Gottwald, ihrem Vormund, und melden, daß wir den Kaiserischen Wagen genommen, die zum Gute der jungen Schaffgotsche gehören. Weil ihr es aber gut vermeinet habt, ihr neuen Soldaten, so gebe ich jedem von euch ein Goldstück, eurem Anführer Maiwald aber zehn. Wohlan, nun ist es gut, lasset uns mitsammen fröhlich sein, ihr seid zum Feste geladen.« So war denn alles begütigt. Dreßler hielt Maiwalds Arm gefaßt und redete auf ihn ein: »Unser Johannes hat ganz recht, aber freilich du bist ein Hauptkerle, ein kecker Fuchs.« Drauf so hub die Musika wieder an, und die Angekommenen nahmen teil am Schwatzen, Trinken und Tanzen. Ich zog Maiwald, der noch immer betreten war, zum Marketender und ließ Wein geben. Bald stimmte er mir bei, und seine Verdrossenheit bezog sich nur darauf, daß er sein prächtig Herrengewand wieder lassen solle. Aber Dreßler meinte: »Was willst du mit dem Pfauenkleid in unsern Bergen? Mach dir ein Lederwams!«

Mein Aufmerken ward jetzo auf eine Gruppe von Soldaten gelenkt, die einem der mitgebrachten Soldatenweiber lauschten. Von Magdeburg ging das Gerede: »Wie die Magdeburger sollten auch wir's machen. Dann kann unsere Burg nicht eingenommen werden.« – »Was sollen wir wie die Magdeburger machen?« sprach ich hinzutretend. Da eiferte das Weib: »Die Magdeburger haben ein Stadttor uneinnehmbar gemacht.« – »Uneinnehmbar?« entgegnete ich; »weiß Sie denn nicht, daß Magdeburg längst über und zerstört ist? Ich selber bin Magdeburger und hab unter Falkenberg die Stadt verteidigen helfen.« – »Das weiß ich wohl. Mein Mann war ja einer von den Pappenheimern und hat mir gute Beute ins Lager von Neu-Haldensleben gebracht. Aber das Krökentor ist doch beim Sturme festgeblieben, ist nur durch Umzingelung eingenommen; die Pappenheimer sind durch die Hohe Pforte in die Stadt gedrungen, und da blieb dem Krökentor freilich nichts übrig als zu kapitulieren.« Düster starrte ich drein: »Solch toller Aberglaube darf hier nicht aufkommen. Daß Sie davon fürder schweige!« Das Weib zuckte die Achsel und murrte frech. Abseits wandte ich mich, lieber bei säuselnden Tannen war ich als bei diesen Menschen; meine Verdrossenheit galt es zu beschwichtigen. War das ein neues Reich, was also anhub? Ein Lichtreich, wie es Berthulde nannte? Durfte es sich gründen auf dieselbigen Mängel und Laster, die es doch bekämpfen wollte? Waren mir rechte Helfer zur Seite, und war ich selber meines Unternehmens würdig? Hatte ich nicht mit Gaukelei begonnen und mit meinem Golde dies Gesindel an mich gelockt? Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Raben. Und nun was weiter? Wie bessere ich das Verfehlte?

»Herr Johannes! Eine Freudenpost! Viktoria!« rief es hinter mir, und zween Männer hasteten herbei; der eine war Christianus, der Preislerin Sohn, mit einem Papier winkte er, als bringe er wichtige Botschaft. Ich stutzte, und etwas sprach in mir: Wie deine Leute knöcheln, so wirft eine dunkle Hand die Würfel deines Geschickes, und da ist nun wieder ein Wurf geschehen, einstweilen verdeckt durch den Würfelbecher, sogleich aber offenbar; vielleicht sind die Würfel dir zum schwärzesten Unheil gefallen ... doch nein, wohl eher zum Glück ... Freudig blickt Christianus. »Sie lebt!« ruft er – und es durchzuckt mich die Hoffnung, Thekla sei gemeint. Vor Beklommenheit kann ich kaum sprechen: »Wer lebt?« – Nun ist Christianus bei mir und beut mir das Papier: »Hie stehet es geschrieben von ihrer eigenen Hand!« – Zitternd nehme ich den Brief: »Rede doch, Christian! Wer denn, wer lebt?« Da kommt die Antwort, nach der meine Sehnsucht oft flehend verlangt hat: »Sie – Eure Eheliebste – die Gräfin Thekla lebt!« – Das war zu viel des Glückes so auf einmal; gelähmt stund ich, wie vom Blitze getroffen, es wankten die Tannen rings und die Berge, es drehte sich alles, ich taumelte. »Halt ihn!« rief Christianus. Dann saß ich im Beerenkraut, die beiden Männer waren um mich bemüht, aus einer Flasche sollte ich trinken. Ich strich mir über die Stirn. Sie lebt! ging es mir durch den Sinn. Sagt nicht Christianus also? Von ihrer eigenen Hand stehe es im Briefe geschrieben? Da ist ja der Brief! Hastig entfaltete ich ihn, während Christianus sprach: »Dieser Bote hat ihn vor kurzem meiner Mutter gebracht.«

Ich erkannte die Schriftzüge, Theklas Hand, und las:

»Liebwerte Preislerin! Ehrsame Witfraue!

Nachdem ich meinen Johannes verloren und vor wenig Wochen auch noch meine zweite Mutter, die edle Frau Zetteritz, weiß ich niemand sonsten in der kalten Welt, bei dem ich Zuflucht suchen könnte, als meine gütige Preislerin, wofern, sie überhaupt noch am Leben. Denn der Oheim Tobias ist ja wohl verstorben. Wenigstens sind zween Briefel, so ich vor drei und vier Jahren durch Soldaten an Tobias Tielsch gesandt, ohne Antwort geblieben, und mein zweiter Bote hat mir die Kunde gebracht, der alte Tielsch sei tot. Damit Sie aber weiß, liebwerte Preislerin, welche Lebensumstände mich treiben, in Schreiberhau Zuflucht zu suchen, so vermelde ich, daß jetzo, nachdem meine Beschützerin, die edle Frau Zetteritz, verstorben, ihr Sohn, ein kaiserlicher Obrist, mich heuren will, wiewohl ich ihn nicht mag. Da will ich nun heimlich entweichen. Darf ich nach Schreiberhau kommen? Sollten diese Zeilen an einen andern guten Menschen gelangen, mag der sich mein erbarmen. Wiewohl als Gräfin geboren, bin ich kein müßig Fräulein. Arbeit ist meine Lust; ich will mich nützlich machen, wie ich kann. Ich weile in Altenhof, einem festen Hause des Ritters Zetteritz, gelegen bei Melnik in Böheim. Mit Zähren trauernder Liebe gedenk ich der Stunden, da ich von meinem Johannes aus der Gefangenschaft zu Euch gebracht ward und an seiner Seite im Schreiberhauer Bergwald hausete. O daß ich wiederkehren dürfte! Meine Grüße sind so innig wie dieser Wunsch, und ich verbleibe treulich Eure

Witfrau Thekla Tilesia, geborene Gräfin Schlick.«

Auf sprang ich und lachte laut, den Brief an mein Herze gepreßt. »Sie lebt, sie kehrt wieder, sie ist mein!« rief ich und überflog von neuem die köstliche Botschaft. Dann griff ich den Boten, der den Brief gebracht hatte, bei den Armen: »Lebt sie wirklich? Sprich, wie fandest du meine Thekla! Ich meine sie, die den Brief dir gab.« – »Nun ja doch,« nickte er, »freilich lebt die Witwe Tilesia und ist wohlauf, wie mir scheint. Sonsten weiß ich nichts; ich sah sie nur das eine Mal. Bin ein Roßhändler, so auf der Reise im Wirtshaus zu Melnik herbergte. Da nun die Witwe Tilesia vernommen, daß ich nach Schlesingen reise, hat sie mir ein gut Stück Geld geboten, wenn ich den Brief besorge.« Ich drückte dem Manne die Hand. »Gehet zum Feste, lasset mich allein! Christian, gib dem Mann zu essen, zu trinken! Feiert, freuet euch! Ich komme bald nach.« Sie gingen, und tief atmend starrte ich ins grüne Dämmern der Tannen. Vor mir schwebte ein Traumgesicht. Wie Flackern war's und gaukelte und lockte, daß ich der Flamme folgte. Doch da ich nach ihr haschte, sank mein Fuß in Schlamm und Moder. Zugleich verblaßte die Flamme und zuckte matt, derweilen das Morgenlicht geflutet kam. Kommst du, Sonnenbraut, reine, strahlende? Bist endlich da, meine Thekla? Auf die Knie warf ich mich ins Moos und rang vor Jubel die Hände. Dann sprang ich auf und kehrte zum festlichen Treiben froh zurück, begrüßt von einer Gruppe, die soeben von Christian vernommen hatte, welch Heil mir widerfahren. Die meisten Feiernden merkten auf eine Prozession weißgekleideter Jungfern, die jetzo singend von Schreiberhau her aus dem Walde kam.

Voran schritt Berthulde, um deren Gewand sich eine Purpurschärpe schlang, während das Haupt mit dem aufgelösten Goldhaar Fichtenzweige krönten. Die anderen Festjungfern waren ebenfalls bekränzt. Ein Schwarm von Kindern, älterem Weibsvolk und Männern gab das Geleite, auch Beate und der Oheim waren dabei. Die Junggesellen auf dem Festplatz krähten vor Lust, lachend bildeten die Jungfern einen Halbkreis, und in dessen Mitte trat Berthulde. Durch einen Baumstumpf erhöht, gebot sie mit winkender Hand Stille und sprach: »Will Mannsvolk Freude ha'n, so darf das Weibsvolk nicht fehlen. Wir Jungfern sind kommen, mit euch zu feiern. Zur Lust hat uns Allvater geschaffen, und das Lichtreich, das unser Herr der Berge mit uns gründet, es sei ein Garten der Lust. Lasset dieses Gartens Blümelein euch gefallen, ihr Kriegsmannen! Heiloh!« Jauchzend stimmte das Mannsvolk zu, Berthulde aber sprach weiter: »Bringet Wein her!« Sogleich tat man desgleichen. Sie nahm den Becher und erhub ihre Stimme: »Heil der Burg und denen, die sie bauen! Heil dem Reiche, das wir gründen! Heil dem Herrn der Berge, unserm König!« – »Vivat unser König!« erscholl es unter Hüteschwenken. »Heiloh! Hoch, hoch!« Nun trat Berthulde mir entgegen, blickte in mein Auge und tat den Becher an ihre Lippen. Wie sie ihn kredenzt hatte, und ich ihn leerte, rief ein Soldat: »Vivat auch die Königin!« Und aber schrie man: »Vivat!« Berthulde warf mir einen Blick voll zärtlichen Feuers zu und schlug die Augen nieder, ihr Busen wogte.

Mich indessen überkam Verwirrung, mir war, als solle ich in ihre Arme geführt werden, und widerstrebte doch. Zwar nicht immer hatte ich so widerstrebt; ich dachte an den Kuß, den ich ihr vor wenigen Tagen gegeben; hatte der ihr den Kopf verdreht? Ich schämte mich und beschloß, ohne Verzug die rechte Antwort zu geben auf Berthuldens stummes Bekenntnis, nämlich offen zu verkünden, daß ich meine Eheliebste wiedergefunden. Auf dem Baumstumpf, von wo Berthulde geredet hatte, stund ich, von frohlockenden Menschen umringt, und sprach, die Arme erhoben in Heller Freude: »Vivat auch die Königin! So hat einer gerufen, und das ist ein Prophet. Erfüllt hat sich sein Spruch; eure Königin ist da; die ich verloren glaubte, lebt. Hier ist ein Brief, von ihrer Hand geschrieben, und dorten schmauset der Mann, so vor wenig Tagen sie gesehen hat. Meine liebe Frau ist es, meine Thekla ...« Ich sah, wie Berthulde erblich. Leid tat sie mir. Doch wie unter den verfinsterten Hexenbrauen ein dräuender Blick herfürschoß, zuckte ich die Achsel und sprach weiter, ohne nach ihr zu sehen: »Thekla ist eine Tochter des Grafen Schlick, jenes böhmischen Helden, den die Jesuiter aufs Blutgerüst gebracht haben. Nachdem ich mit ihr aus Böheim gen Magdeburg geflohen, ward sie die Meine in jenen Schreckensstunden, die meine Vaterstadt in Blut und Asche legten. Am zweiten Tage drauf ward mir mein Weib entrissen, und wie ich auch seitdem geforscht, ganz ausgelöscht blieb jede Spur, bis nun auf einmal der Brief .... der Brief ....« Und wie ich ihn ob meinem Haupte schwenkte, schrien die Leute: »Hoch!« Um zu danken, erhub ich aufs neue die Stimme: »Ihr sollet meine Freude teilen. Morgen reise ich, mir unsre Königin zu holen, und in wenigen Tagen führ ich sie heim. Sintemalen nun nächste Woche Johannis, der Sonne längster Tag, an dem sie triumphieret, so wollen wir alsdann ein ganz groß Festin feiern; unserm Lichtreich soll es gelten und zugleich unsrer Königin, meinem trauten Weibe. Zum Hochzeitsmahl, zu Spiel und Tanz seid alle geladen. Des Lichtreiches Sonne sei meine Liebste!« – »Vivat! Heil dem Goldmacher! Heil dem Herrn der Berge und seiner Königin!« Und in der Jauchzenden Arme sank ich, man riß sich um mich mit Lachen, indessen Pfeife und Fiedel gellten. Wie trunken traf ich nun meine Anordnungen. Eine Handvoll Gold gab ich dem Boten und verhieß ihm eine zweite, so er mein Führer nach Altenhof sein wolle. »Auf, Segebodo!« sprach ich, »laß die Pferde holen, die Maiwald bei der Kirche hat. Wir beide reisen, wenn der Tag graut und nehmen funf gute Reitersleute mit.« Noch eine Weile blieb ich beim Feste. Saß beim Oheim und der alten Beate. Meine Hände hatte ich diesen Getreuen dargereicht, und stumm vor Glück streichelten sie die Hände, wie man einem Kindlein schön tut. Dann trieb es mich vom Getümmel hinweg; ich sehnte mich nach der Abendburg, nach meiner stillen Klause und dem Gott im Herzen, von dem der Friede kommt.

Wie ich einsam mit meinen Hunden heimwärts schritt, war die Nacht hereingebrochen. Doch der ziemlich volle Mond lugte über die Waldberge und streute bläulich Licht auf den Felsenpfad und das Beerenkraut. Der Nadelzweige sachtes Sausen war meinem Herzen frommer Jubelsang, des Mondes Strahlen klangen dazu als heimliche Harfensaiten.

Da schlugen die Hunde an, und hinter einem Felsen, wo es zur Linken steil hinuntergeht, trat herfür eine schimmernde Gestalt. Berthulde war's im weißen Gewand, und nahe gekommen, sah ich unter dem Fichtenkranz vom Monde beglänzt ein höchst trauervoll Angesicht. Unter den niedergeschlagenen Augen hingen Zähren, die sonst schwellenden Lippen waren zusammengepreßt, matt neigte sich das Haupt, schlaff hingen die Arme. »Was ist mit dir, Berthulde?« sprach ich bestürzt. Da kam ein Wimmern: »Mir ist so weh!« Erbarmen trieb mich zu ihr, ich legte die Hand an ihre Schläfe: »Still, mein Kind, gräme dich nicht!« Sie lehnte die Wange mir an die Brust und weinte leis. Ich enthielt mich nicht, ihr Haupt zu streicheln: »So sprich dich aus. Warum denn ist dir wehe? Hab ich dich gekränkt?« Da hing sie schluchzend an meinem Halse, ich fühlte die weichen geschmeidigen Mädchenglieder in meinem Arm, sie zitterte, durchschauert von der Minne Feuer. Oder zitterte sie vor Sorge, ich könne verschmähen, was schmachtend sich mir bot? Ich spürte wohl, wie Zärtlichkeit mich lockte, doch warnend erhub sich eine Stimme in meines Herzens Kammer: »Was willst du tun? Laß du das Irrlicht gaukeln und folge nicht. Magst du denn deiner Sonnenbraut vergessen?« Und ich wand mich aus Berthuldens Arm, sie schlug ihre Hände vors Angesicht, als schäme sie sich. Ihr stummer Gram ging schneidend durch mein Herz, mein Blick mied sie und starrte in den Mond. Da ward an meinem Wams gezerrt, und auf den Knien lag sie wimmernd: »Johannes, bleibe doch, verlaß mich nicht!« Ich zog sie empor. »Was tust du? Wer will dich denn verlassen?« Wild griff sie mit den Händen sich ins Haar, daß ihr der Kranz zu Boden glitt. »Doch, Johannes! Willst ja die andere holen. Tu es nicht, tu es nicht! Mich sollst du minnen, mich allein! Bin ja so heiß entbronnen, dein bin ich ganz. Dir dienen will ich, deine Magd; will alles tun, gebeut nur! Schaffen laß mich an deiner Seite, daß dir das Lichtreich gelinge, laß mich helfen mit dieser Herzensglut, helfen mit Lichtvaters Kraft, der mich zu seiner Huldin geweiht, helfen mit meiner Magie. Ich bin dein würdig, Herr der Berge, du mein König, mein Gott!«

Bestürzt machte ich mich los: »Aber Berthulde! du bist von Sinnen; komm zu dir! Wie kann ich der Deine sein? Sie lebt ja, mein Eheweib lebt!« Mit einem gräßlichen Schrei sprang Berthulde auf, verzerrt das Angesicht; wie Krallen spreizten ihre Finger sich, sie griff nach ihrem Halse. Doch wie ich schon glaubte, sie wolle sich würgen, hielt ihre Hand die Kapsel, so ihr Busen trug. Sie starrte darauf hin und knirschte mit den Zähnen: »Verfluchtes Zauberding! Du hast ihn mir entrissen! Du scheuchest ihn, daß er sich von mir wendet. Hinweg mit dir!« Sie riß die Kapsel von der Schnur und warf sie hinter den Felsen, in die Tiefe, man hörte das Ding drunten aufschlagen, und Berthulde zischelte: »Ha, ächze nur, flammarischer Dämon! Was gilt mir noch dein Dräuen? Ich spotte dein, du tückischer Betrüger, und wenn du wiederkommst, mir deinen Stachel einzubohren, so triff dies Herze, dies zuckend arme Ding, triff es gleich recht! Ich mag nicht weiterleben, da mein Liebster mich verschmäht.« Dann spähte die Rasende mit ängstlich aufgerissenen Augen mir ins Angesicht und schrie, den Arm erhoben: »Johannes, kannst du mich verstoßen? Bringst du es über dich, nun ich dir alles opfere und ledig bin des Zauberdinges, vor dem du Abscheu hast? Weg ist es – da! Frei bin ich; und so es wiederkommen will, weiß ich mir einen Retter, das bist du, ja einzig du! deine Minne kann mich lösen. Doch freilich, wenn du mich nicht magst, so holt mich der flammarische Dämon in seine Flammen. Denn ich bin der Dreizehnte, so ihn besitzt – habe kein Glück in der Minne – zum drittenmal kein Glück!«

Kläglich waren die letzten Worte gesprochen; aus meinen Worten und Mienen entnahm sie, daß ich nicht in ihre Arme mochte. Plötzlich greift sie in ihre rote Schärpe, und ein Messer blinkt in der erhobenen Hand, die Augen rollen, daß ich das Weiße sehe, und zurücksinkend, will sie die Schneide in ihren Busen senken, als ich zugreife und ihr den Stahl entwinde, um ihn gleich darauf hinter dem Zauberdinge dreinzuschleudern. Sie blickt mich wie eine reißende Wölfin an, preßt die geballte Faust an ihren fletschenden Mund und knirscht: »Ha warte, Königin – ha warte!« Nach dieser wütenden Drohung rennt sie weg wie ein gehetztes Wild, fern ein gellender Aufschrei, und nur der Tannen Sausen ist noch zu vernehmen. Jetzo klang dies Sausen bang, als raune die Sorge. »Ein Dämon!« sprach ich in mich hinein. »Hat denn ein Dämon diese Jungfer besessen? Zuvor war sie so liebreich, und nun –! Doch fort damit, fort mit allem Düstern! Thekla ist ja mein! Nur etliche Tage noch, und ich halte die Süße umschlungen.« Aufatmend machte ich mich wieder auf den Weg, und weiter ist mir nichts in dieser Nacht begegnet. Nur daß noch ein zweites Mal die Hunde anschlugen, und ich links unten auf der Iserstraße Hufschlag vernahm. Jemand von den Iserbauden, dachte ich, wird vom Feste heimgeritten sein. Die gleiche Meinung sprachen die Soldaten aus, so die Wache bei der Abendburg hatten.

In der Morgenfrühe erhub ich mich von kargem, unrastigem Schlummer und stieg, zur Reise gerüstet, den kurzen Pfad hinunter zur Iserstraße, wo Segebodo mit den andern fünf Reitern, die zum Mitreisen beordert waren, sowie dem Boten harrte. Sie hatten mein gesattelt Reisepferd. Ich grüßte meine Leute, in der Morgenfrische beglückt von meinem Vorhaben. Segebodo tat die Meldung, in der Nacht sei eins der Pferde, die Maiwald erbeutet, weggekommen. Nach Einbruch der Nacht sei ein junger Bursch, den man in Schreiberhau nicht erkannt habe, plötzlich in den Sattel gesprungen und spornstreichs hinweggetrabt, in der Richtung nach dem Festplatze. Vermeinend, er begehre noch spät daselbst etwas Freude zu erhaschen, habe man ihn nicht verfolgt. Doch seien Roß und Reiter bisher nicht zurückgekehrt. »Es wird derselbe gewesen sein,« entgegnete ich, »den ich nach der Iserwiese traben hörte. Gewiß ein Junggeselle, dorten heimisch, der hier mit seinem Lieb getanzt hat.«

Wiewohl ich vom Boten aus Böheim mehr über Thekla herauszubringen suchte, wußte er nichts als das schon Berichtete. Dies mußte er oft wiederholen, und jedes Wort, jede Gebärde Theklas, jeden Zug in ihrem Angesicht beschreiben. Dann hielt ich mich an Segebodo und erzählte, was ich mit Thekla durchlebt. Nicht ohne Unruhe dachte ich an Zetteritz. Wie ging es zu, daß Thekla so lange in seinem Hause verweilen konnte? Was hielt sie? Seine Mutter? Thekla nennt sie ihre Beschützerin. Nun freilich, das läßt sich hören. Geduld! Alles wird bald klar!

Am dritten Reisetage zählte ich die Stunden und jeden Schritt des Rosses. Wie ein Schmachtender nach Labetrunk verlangt, so brannte mein Herz und konnte kaum sein Heil erwarten. Nun wies der Bote auf eine Häusergruppe hinter Büschen: »Da ist Altenhof.« Segebodo zügelte sein Pferd. »Halt! Erst gilt es zu beraten. Den Boten, denk ich, kannst du entlassen, Johannes!« Ich stimmte bei und gab dem Boten seine Handvoll Gold. Er strahlte ob der reichen Gabe und nahm Urlaub unter Dank und Hutschwenken.

»Laß mich allein hinreiten«, sprach Segebodo; »ich werde kundschaften, ob die Luft rein. Denn es könnte ja der Zetteritz bereits gekommen sein. Wenn ich pfeife, so komme du mit den Leuten nachgeritten.« Ich nickte und hielt mit den Vieren auf der Straße, indessen Segebodo nach dem Hause ritt. Bald darauf hörte ich ihn mit erhobener Stimme sprechen, doch waren die Worte nicht zu verstehen. Dann kam er im Galopp, sein Feuerrohr in der Faust, finstern Blickes. Ich wußte nun schon, daß er nichts Gutes bringe, zog den Degen und ließ die Feuerwaffen in Bereitschaft setzen. »Der Zetteritz ist da«, meldete Segebodo; »wie ich hinkam, starrten mir aus Schießscharten Rohre entgegen, und eine Stimme rief: Halt, was gibt's? Reiße nicht aus, sonsten schießen wir, steh Rede! Was willst du? – Ich sagte nun: Wohnet allhie die hochgeborene Gräfin Schlick, Frau Tilesia? Dann habe ich Botschaft für sie. – Richte die Botschaft aus! Wer sendet dich? hieß es. Ich gab zur Antwort: Mein Herr ist bei mir und wünscht Frau Tilesia zu sprechen. – Dann muß er erst mich sprechen, ich bin der Ritter Zetteritz, kaiserlicher Obrist. Bring deinen Herrn her! – Und ich erwiderte: Vor Eure Feuerrohre mag ich ihn nicht bringen. So Ihr aber ohne Waffen mit ihm verhandeln wollet, wird er sich einfinden. Kommet unbewaffnet heraus, in ziemlichem Abstande von Euren Leuten mag die Unterredung stattfinden. Auch wir werden ohne Waffen kommen. – Diese Proposition hat der Zetteritz angenommen. War's recht von mir getan, Johannes, und bist du einverstanden?« Ich nickte düster und seufzete, den Hoffnungen grollend, die mir ein nahes Glück vorgegaukelt hatten. Dann gab ich meine Waffen in die Hände meiner Leute, Segebodo tat desgleichen und befahl, man solle abwarten und nicht eher herbeieilen, als bis er pfeife.

Zu Fuße nun begaben wir uns nach dem Hause. Es war von Steinmauer und einem Graben umgeben, den ein Bach mit Wasser gefüllt hatte; hinüber führte eine Zugbrücke zum festen Tor. In angemessener Entfernung blieben wir stehen, Segebodo winkte mit dem Hut. Da kam durch die Torpforte ein Mann in fürnehm soldatischer Tracht, und ich erkannte Zetteritz. Bleich und finster sah er aus, seine höhnische Art verzerrte ihm die Miene, als er sprach: »Sehet doch, der Tielsch! Ich ahnte ja, der steckt dahinter. Doch warum kommt Er nicht allein, Tielsch? Hab ich nicht mit Seinem Boten ausgemacht, daß nur wir zwei mitsammen reden?« Ich schwieg, Segebodo gab zur Antwort: »Nichts für ungut! Der Herr Ritter mag es halten wie mein Herr, und von seinen Leuten einen zur Unterredung herzuziehen. Nicht anders hab ichs gemeint.« Da winkte Zetteritz nach seinem Hause und rief einen Namen, worauf ein Soldat aus der Pforte kam und herbeieilte. Es fiel mir auf, daß der den Degen an der Seite trug, doch ich sagte nichts dawider, weil meine peinliche Ungeduld Auskunft über Thekla begehrte. Zetteritz kam mir im Reden zuvor mit einem grimm lauernden Blicke: »Wo hast du sie? Gib Thekla heraus!« Auf den Grund seines Herzens suchte ich meinen Blick zu bohren, als ich versetzte: »Ebendiese Worte wollte ich an dich richten, Zetteritz.« Die Zornröte schoß ihm ins Gesicht, er starrte wie ein lauernd Raubtier und polterte heraus: »Keine Flausen, Schelm! Gib sie heraus, sage ich! Hast sie ja entführen lassen.« Ob dieser Rede, die keine Lüge sein konnte, stutzte ich und tat einen fragenden Blick auf Segebodo. Der zuckte die Achsel: »Entführt ist Thekla?« stammelte ich beklommen. Mich immerfort anstarrend lächelte Zetteritz bös: »Heuchler! Mich täuschest du nicht. Vor drei Stunden war ein Weib hier, das sie entführt hat.« – Ich schrak zusammen; mir kam der Einfall, die eifersüchtige Berthulde könne mir zuvorgekommen sein und Thekla beseitigt haben. »Ein Weib? Wie sahe das Weib aus?« Zetteritz winkte mit rollendem Auge dem Soldaten, der bei ihm war, und dieser antwortete: »Eine saubere Jungfer mit gelbem Haar und dunklem Auge – so sagt die Magd, die sie gesehen.« Ich zuckte und wandte mich an Segebodo. Er war gleich mir bestürzt und raunete: »Berthulde war's!« – »Heuchler!« schrie Zetteritz, »du hast dich verraten. Hast sie entführen lassen! Und möchtest den Unschuldigen spielen! Gib sie heraus! Wo ist sie? Ich erwürge dich!« Schäumend vor Wut wollte er mich packen, ward aber von Segebodo zurückgestoßen. Nun zog der Soldat seinen Degen und wollte einen Hieb auf Segebodo tun. Ich fiel ihm in den Arm und rang mit ihm. Da packte mich eine Faust im Genick und riß mich, daß ich taumelte. Gleich darauf blitzte die Klinge mir vor den Augen, und an der Schläfe getroffen, stürzte ich.

Von dem, was weiter geschehen, ist mir kein deutlich Empfinden worden – nur daß mir zuweilen wie durch dunkle Hülle Gesichte kamen und wirre Reden. Es war, als schwebe ich zwischen Rossen und Reitern. Das Trappen der Pferde durchrüttelte mich, brennend schmerzte mein Haupt. Dann wieder lag ich still, mit Wasser kühlte jemand meine Schläfe.

Eine Zeit voll Angst und Stöhnen durchlebte ich, weiß aber nicht, was mir begegnete. Kein Fiebertraum war's, daß ich in meiner Balkenklause lag. Was ist mit mir? Ach ja, verwundet bin ich, habe eins über den Schädel bekommen. Thekla wollte ich heimholen. Wo ist Thekla? Entführt? Von Berthulden entführt! – Da fühl ich einen Kuß auf meiner Hand. Wer ist das? Thekla? – Mühsam richt ich mich empor. Nicht Thekla, Berthulde ist bei mir. Über mich gebeugt starrt sie ängstlich. Im todblassen Angesicht lodern die schwarzen Augen, schmerzlich sind die dichten Brauen emporgezogen. »Du, Berthulde?« Wehmütig lächelnd flüstert sie: »Johannes, erkennest mich?« Und abermals drückt sie die Lippen auf meine Hand. Ich aber zucke zurück: »Laß mich, Tückische!« In meinem Herzen kocht es, jäh aufgerichtet pack ich ihren Arm: »Wo hast du Thekla? Gib sie heraus! Sie ist mein ehelich Weib!« Versteinert schweigt Berthulde, nun pack ich auch den andern Arm. Sie wehrt sich nicht, die Lippen zusammengepreßt. »Antwort!« – »Von Thekla weiß ich nichts.« – »Lügnerin! Hast sie entführt. Zetteritz hat es gesagt. Wo ist Thekla? Was hast du ihr angetan? O wehe, Leides hast du ihr angetan!« Da entwindet sich Berthulde mir, ich sinke zurück und liege ächzend. Und wieder beugt sie sich über mich. »Still doch, Johannes! Sei lieb zu mir! Ich bin ja dein! Bin deine Magd!« In meiner Hilflosigkeit kommen mir Tränen, und ich wimmre: »So gib doch Thekla heraus! Gib mir mein Weib heraus!« – »Das kann ich nicht!« zischelt sie; »es geht nicht mehr. Fort ist sie, ganz fort, kehrt nie wieder, gib sie auf! Mich hast du ja, ich bin dein!« Zuckend windet sich mein Herz, nicht fassen kann ich das Entsetzliche. »Nie kehrt sie wieder? O Berthulde, warum denn nicht? Ist sie tot? Ach tot! ermordet!« Und auf einmal seh ich Berthulden wie in jener Mondnacht, da ich vom Festin heimkehrte. Sehe das mondbeglänzte Messer in der erhobenen Faust, die rollenden Augen, die fletschenden Zähne. Entsetzen schüttelt mich, abermals fahr ich empor und klammere mich an Berthulden: »Du hast sie umgebracht! Leugne nicht! Offenbar ist deine Tücke!« Die Hexenbrauen hochgezogen, starrt sie mich an, den Mund weit offen vom erstickten Angstruf. Sie schweigt, aus ihrem stechenden Auge lugt das Böse, nicht verhehlen läßt sich ihre Untat. »Mörderin!« kreische ich und kralle nach ihrer Kehle. Sie stößt mich zurück, schwarz wird es mir vor den Augen, ich sinke hin und ächze: »Teufelin! Mir aus den Augen! Fluch dir, Fluch!« Da lacht es gräßlich: »Mein Messer traf sie gut, Viktoria! Sie ist in ihrem Pfaffenhimmel, du bist mein, wir kommen mitsammen in Lichtvaters Halle. Der soll uns trauen! Bist mein, du spröder Bräutigam! Dich küsset deine Königin!« Und auf meinem Munde fühl ich ihre Lippen. Schwindel packt mich, ich sinke und sinke ...

Dann toset es dumpf, als weile ich beim unterirdischen Bache. Ach ja, das ist die Höhle, das sind Tropfsteinzacken, von Fackelschein beleuchtet, und da hält der steinerne König sein Schwert erhoben. Grausiger Götze, was hast du mir getan? Willst mich richten mit deinem Schwert? Soll ich büßen, daß ich dir die Ruhe gestört und dein Gold entwendet?

Schritte kommen gestampft, ein Schuß fällt, noch einer. Vergebens tracht ich, mich aufzurichten. Und finster wird's, der Fackelschein erstirbt, es toset das Höhlenwasser und toset. Dann kommt ein Stöhnen, und wieder ein Stöhnen. Wer ist das? Ich selber bin's wohl! Meine Lippen brennen, am Gaumen klebt die Zunge.

»Wasser!« So ächzete jemand. Wer war's? Kam dies Wort aus meinem Munde? Oder liegt hier noch einer? Ich lausche gespannt. Und abermals ächzt es: »Wasser!« Ich richte mich auf und fühle mehr Kraft als zuvor. Muß wohl geschlafen haben, seit die Schüsse fielen. Hat hier ein Kampf stattgefunden? Und liegt hier wer verwundet? – Von neuem das Stöhnen, und jetzt weiß ich, etliche Schritte seitwärts muß ein hilfloser Mensch liegen. Ich greife mir an den Kopf, der ist mit einem nassen Tuch verbunden. Um mich tastend, find ich einen Krug mit Wasser. Zitternd heb ich ihn empor und trinke.

Nun fühl ich mich gestärkt und krieche, den Krug mit mir nehmend, zum Verwundeten. Ich betaste ihn, er stöhnt. Der Oheim ist es nicht, dieser Mensch hat langes Haar und einen breiten Spitzenkragen. »Wer bist du?« raune ich, doch er antwortet nur mit Stöhnen, dann höre ich wieder das Flehen um Wasser. Es gelingt mir, ihn ein wenig aufzurichten und zu tränken. Doch von der Anstrengung ermattet, werde ich selber hilflos, und ächzend liegen wir nun beide nebeneinander. Hilfe! Bin ich hier ganz verlassen? Wo sind meine Leute? »Tobias!« rufe ich. Doch es antwortet nur des Höhlenbaches Tosen.

Da kommt mir in den Sinn, wie ich schon einmal so verzweifelt lag, am Ufer der Elbe, durch Zetteritz in Fesseln geschlagen, zu den Wölfen ausgesetzt. Damals flehte mein Herz zum Himmel, er möge mir vergönnen, nur einmal noch den Frieden der Bergeinsamkeit zu atmen und die Abendburg zu schauen. Meinem Geistesaug erschien damals mein Vater, verheißend, ich werde gewißlich zur Abendburg gelangen. Und nun lieg ich hier, aufgetan hat sich die Abendburg und gar ihr heimlich Gold mir dargereicht. Gleichwohl bin ich nicht besser dran als in jener Nacht, da den Gefesselten die Wölfe umheulten. Todwund bin, meine Stunden sind gezählt, und von neuem ist mir die kaum gefundene Thekla entrissen. Ist das nun der Schatz, der mir verheißen ward und mich seit jungen Jahren lockte, als könne mein Leben nichts Würdigeres finden? – Und siehe, wiederum schwebt vor mir mein Vater, ich sehe den Reinen, wie er in der Schulstube das Evangelium auslegt, sehe das gütige, traurigmilde Antlitz, die ernste klare Stirn, die träumenden Augen, und sanft spricht seine Stimme, als hauche in ihr Gottes Friede: »Merket, Kinder, was die Welt einen Schatz heißet, ist Staub und tut dem Menschen nicht anders, als daß ihm Herz wie Hand mit Staube besudelt wird. Einen andern Schatz weiset unser Heiland. Nennet ihn einen Schatz im Himmelreich, den nicht die Motten und der Rost fressen. Es ist aber selbiges Himmelreich nicht ferne von einem jeglichen, maßen ja das ewige Licht offenbaret: Inwendig in euch ist das Himmelreich! So haben wir denn in uns selber den wahren Schatz. Nicht in der Erde Tiefen wühle – lieber steige hinunter zu deines Herzens Grunde.« So mein edler Vater. O du weiser Deuter, wie närrisch ist dein Kind von deinem Worte abgefallen! Und bin doch ein Weilchen allbereits auf rechtem Wege gewesen. Die letzten Jahre, da ich als armer Eremit allhie hausete, ward mir jene Gnade, die dem Johanniskinde bei der Abendburg widerfahren soll: Die Allnatur ward mir kenntlich als meine Abendburg und hat sich magisch umgewandelt zum wundervollen Königsschlosse. »Ja, weil du reinen Herzens warst, mein Kind«, so höre ich meinen Vater in mein Sinnen hineinreden. »Aufs Herz kommt alles an; die wahre Abendburg, davon das Märlein gilt, ist das Menschenherz. Es ist verwunschen gemeiniglich, verstört vom bösen Geiste. Erlöse drum dein armes Herz, Johannes, den rauhen Felsen wandle zum Palast, in dem du König bist.« – »O Vater, wie gerne möcht ich, hilf mir nur, o Hilfe!« Und aber wähn' ich mich in der Lateinschule zu Hirschberg, lese auf Vaters Geheiß die heiligen Worte: »Du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten als dich selbst. Jesus aber sprach: Du hast recht geantwortet, tue das, so wirst du leben. Er aber wollte sich rechtfertigen und sprach: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen ....«

Das Wimmern neben mir mahnte mich, daß nicht bloß von Jerusalem und Jericho die Rede galt, sondern daß ich hier zu dieser Stunde erweisen solle, ob ich ein töricht plappernder Heide sei oder in mir jenen Christus habe, der da verheißet: »Tue das, so wirst du leben!« Und ich wußte auf einmal: keinen andern vermeinet der Heiland als mich, wie er weiter erzählt: »Ein Samariter aber reisete und kam dahin. Und da er ihn sahe, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband seine Wunden und goß drein Öl und Wein und hub ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte sein.« Wiewohl das Fieber mich kalt durchschauerte, war mir im Herzen, als erblühe tief innen die lieblichste Sonne. Mein Nächster und ich sind eins! sprach es in mir, und mir war wie einem, der sich den Schlaf aus den Augen reibt und durch zerreißende Schleier die heilige Wahrheit erschaut. O Menschenkind, was ist das nur mit dir, daß du so wirr in Gottes Welt hineingeblickt hast und dich narren ließest vom Wahn, der dir die Sinne verklebte? Halte einen Stab schräg ins Wasser, so siehest du ihn gebrochen; und doch ist er das nicht; betaste ihn, so ist er ganz. Nicht anders war ich betrogen, da ich vermeinete, ich und mein Nächster seien zweierlei. Ich spüre jetzo jenen tiefen Grund, allwo die Wesen eins sind, und jener Spuk der Eigensucht, der den Menschen trennt, zerflattert im Morgenstrahl. Im Lichte lächelt das neue Reich, ich hab es gründen wollen, doch meine Mühe war umsonst, ein Irrlicht hat mich genarrt. Das Himmelreich kommt nicht mit äußeren Gebärden, ein innerlich Einswerden ist es, ein Hirt und eine Herde, ein heiliger Leib, der uns zu Gliedern hat, ein durchdringend Strahlen, so in die heimlichen Herzwinkel leuchtet, eine Güte, die alles versteht und alles verzeiht, ein jauchzend Leben im Reichtum des Menschensohnes und ein Aufsteigen von einem Himmel zum noch höheren. Gleich in der Höhle hier ist eine Stufe solchen Aufstieges, hier ist die dunkle Schwelle meines Himmelreiches. Hilflos neben mir liegt mein Nächster, und sein Gott ist eben der, so in mir waltet, ich muß ihm sein der Vater im Himmel, mein Nächster ist mein Kind, mein armes, liebes.

Und mit den letzten Kräften, die ich zu sammeln vermochte, richtete ich mich auf und tastete nach dem Verwundeten. Benetzt ward mir die Hand von einer warmen Feuchte, die aus dem Lederkoller quoll; hier war die Wunde, die mußte ich stillen und kühlen. Und ich tat des Kollers Knöpfe auf und zerrte das blutgetränkte Hemd von der Brust; das Tuch, das meinen Kopf verband, nahm ich ab, goß Wasser darüber, wusch des Stöhnenden Brustwunde, preßte mein nasses Tuch darauf und knöpfte den Koller drüber. Dann kroch ich zurück zum Orte, wo ich zuvor gelegen, vermutend, außer dem Wasserkruge, den ich daselbst gefunden, könne man mir sonst noch etwas Heilsames hingetan haben. In der Tat fand ich eine Schale mit saurer Milch, auch Eier nebst Brot. Sogleich kroch ich zu meinem Nächsten zurück und flößte ihm Milch ein, dann nahm ich selber Nahrung zu mir. Doch meine Kräfte, übermäßig anstrengt, wurden hinfällig, ich streckte mich auf den harten Stein. Meine Stirn begann wieder zu schmerzen, und ich war zu matt, ihr einen neuen Verband zu machen. Zugleich fühlte ich mein inneres Himmelreich getrübt, als ob ein Wolkenschatten darüber gleite. O wehe mir, Thekla, du bist ja fort, Berthulde hat dich umgebracht. Oder war's ein Traum, daß sie es eingestanden, da ich sie zur Rede gestellt? Berthulde war doch bei mir droben in der Grotte! Sie wollte mich betören mit ihrer Liebeswut, die Räuberin, die Mörderin! Sie rühmte sich, ihr Messer habe Thekla gut getroffen!

Wie ich mich in erneutem Seelenschmerze winde, seh ich auf einmal wieder meines Vaters gütig Angesicht: »Was tust du, ungestümer Johannes? Vergeben sollst du, nicht verdammen! Wenn sie gemordet hat, so wußte sie nicht, was sie tat, verblendet von demselbigen Wahn der Eigensucht, der dich selber lange verstörte. Bedenke doch auch, die Minne war's, die tolle Brunst des jungen Blutes, was der Eifersüchtigen das Meuchelmesser in die Hand gab! Minne war's zu dir, mein Sohn, und du selber hast sie ihr ins heiße Herz gepflanzt. Begreife doch! Willst du das neue Reich gründen, so mußt du verstehen und vergeben.«

Auf meines Vaters Rede folgt erneutes Stöhnen des Verwundeten neben mir, und horch, »Thekla!« ruft er. Ich schrecke zusammen. Wie kommt er zu dem Namen? Oder hat mich mein Sinn getäuscht? Hab ich selber den Namen gesprochen? Von neuem und ganz deutlich stöhnt der Mensch: »Thekla!« und wälzt sich wie gefoltert von innerer Unrast. Ich richte mich auf und taste voll Bangen nach des Mannes Haupte. Sollte es Zetteritz sein? Wahrhaftig! Er hat sein langes Haar, und hier ist der gedrehte Schnurrbart, am Kinn der Spitzbart, auch der breite Kragen. »Zetteritz, bist du es?« Ich rüttle ihn, da stöhnt und haucht er: »Ja, Johannes! Hilf mir und sage mir, wo hast du Thekla?« Nun seh ich rote Flecke tanzen, es wankt der Erde Grund ...

Wirre Gesichter trieben lange ihr dämonisch Spiel mit mir, doch ich rang mich empor aus dieser neuen Versuchung, und immer klarer ward es mir, wie nur in ihres Wahnes Nöten die Menschenkinder sich sorgen und vor Angst einander berauben, unwissend, wo der wahre Schatz zu finden. Und wie sie immer nur meinen, der Irrwisch, dem sie nachjagen, sei das Köstliche. So tat der Zetteritz, nicht anders tat auch ich.

Wie denn aber? Thekla ein Irrwisch? Nicht doch! Nur was Zetteritz von ihr erlangen wollte, war sein Irrwisch. Wie aber stund es denn mit mir? War's etwa auch von mir Verblendung, daß ich mein Weib zurückbegehrte? Nicht doch, sie liebte mich ja, wie ich sie liebte; uns beide einte jenes gütige Verstehen, aus dem das göttliche Reich wie aus einem Keim erwächst. Aber ist nicht solch ein Keim auch in Zetteritz? Liebt er denn nicht denselben Engel, der mir ein Bote Gottes ist? Und kann nicht unsere Liebe zu Thekla uns beide so einig machen, daß jeder einsieht: dein Nächster bist du selbst?

Wiederum kam über mich stilles Glück. Auf Stufen klomm ich, die führten hinan zur lichten Friedenshöhe. Mir nach aber schleppte sich der matte Zetteritz. Da war Thekla auf einmal bei uns. Mit flehender Liebe sahe sie mir ins Auge, und meine Hand reichte sie dem sich anklammernden Zetteritz. Was dann geschehn, liegt mir umschleiert, daß ich die wirren Bilder nicht mehr zu deuten vermag.

Besinnung kam mir erst, als mir ein Licht ins Antlitz fiel und ich über mich gebeugt den Oheim erkannte. Auch er mußte am Kopfe eine Wunde haben, denn der war verbunden. Die Schläfen wusch er mir, feuriger Wein rann in meinen Mund. »Tobias«, lallte ich und tastete nach seiner Hand; »hilf auch dem Zetteritz! Er ist mein Nächster!«

Seitdem ward es heller in und bei mir. Ein wärmend Holzfeuer hatte Tobias angezündet, es flammte vor dem thronenden Riesenpaar, und der rote Flackerschein huschte über die rätselvollen Steingesichter. Kühle Verbände machte mir der Oheim und letzte mich mit Nahrung. Wie ich nach erquickendem Schlummer abermals bat, Zetteritz solle doch ja nicht vergessen werden, erhielt ich zu meinem Staunen die Antwort: »Der Zetteritz ist allbereits seit dreien Tagen droben in der Grotte und so genesen, daß er morgen helfen wird, dich hinaufzutragen.«

Richtig stund nach etlicher Weile neben dem Oheim Zetteritz vor mir. In seinem Angesicht, das die Laterne beleuchtete, zuckte es seltsam, als ringe ein weich Gefühl den Trutz des Mannes nieder. Herkniend ergriff er meine Hand und stammelte: »Dank, Johannes, du hast mich gerettet, und ich war dein Feind. Vergib mir!« Antworten wollt ich, konnte aber nur stumm seinen Händedruck erwidern. Dann überwältigte mich erneutes Leid um jene, die uns beide widereinander gebracht, weil wir beide sie begehrten; und die wir gemeinsam nun verloren hatten. Oder war's vielleicht doch nur ein Traum gewesen, daß Berthulde sie umgebracht? Gewißheit mußt ich haben! »Ich bitte dich, Oheim, und auch dich, Zetteritz, wollet alsogleich mir Aufschluß geben über Thekla. Ist sie wirklich tot?« Beschwichtigen wollte der Oheim, Zetteritz schwieg düster, an seine Lippe die Faust gepreßt. »Ihr foltert mich«, rief ich flehend. Da seufzete schwer der Oheim: »Fasse dich! Ja, sie ist tot.« Nun erlosch meines Hoffens letztes Fünklein, nichts blieb mir übrig, als jenem heiligen Schatze nachzutrachten, den mein Vater angedeutet. Dumpf fragte ich weiter: »Wie starb sie? Ist es wahr, daß Berthulde sie umgebracht?« Traurig nickte der Oheim: »Berthulde hat es eingestanden.« – »Bringt mir Berthulden, ich muß sie sprechen!« Der Oheim wehrte mit der Hand: »Berthulde ist tot, selbst hat sie sich gerichtet, doch frage jetzo nicht weiter. Das alles ist so voller Grauen, daß du es nicht hören darfst, solange du krank. Versuche jetzo, aufzustehen, mein armer Johannes. Lege den Arm um meinen Nacken; Herr Zetteritz, wollet auf der andern Seite als Stütze dienen, recht so, vorwärts ans Tageslicht! Mach dich aber bereit, Trauriges zu schauen. Was wir unternommen haben, arg hat es sich gewandelt in diesen sechs Tagen.« – »In sechs Tagen?« staunte ich. Der Oheim versetzte: »Daß du die Wunde davontrugest, ist noch länger her. Das war ja ein paar Tage vor Johanni.« – »Und vor sechs Tagen?« forschte ich weiter – »was hat sich denn da zugetragen?« – »Da hat der Feind die Abendburg erstürmt und alles wüst gemacht.« Zusammenzuckend nahm ich meinen Arm von des Zetteritz Schulter. Er blickte trübe und sagte dumpf: »Ich tat das nicht, brauchst mir darob nicht zu grollen. Stütze dich nur wieder fest auf mich, ich möchte dir vergelten, was du mir Gutes getan – wiewohl ich nicht hehle, daß ich zu deinen Feinden gehörte und damals gern getan hätte, was die andern taten.« Ich hatte wieder den Arm um seinen Nacken gelegt, schleppenden Schrittes ging es vorwärts. »Welcher Feind hat die Abendburg überwältigt, und was ist aus unsern Leuten geworden?« – »Colloredos Volk, die Besatzung des Kynast hat den Wachstein erstürmt und ist zur Abendburg heraufgedrungen, hat uns einen Tag und eine Nacht belagert und dann mit blutiger Waffe überwältigt. Alles haben sie geplündert und wüste gemacht. Haben auch drunten des Dorfes nicht geschont, wie denn mein Häusel, mein lieb Häusel niedergebrannt, mein Laboratorium zerstört ist. Beate, unsre gute Beate – vor Schrecken starb sie – der Schlag hat sie gerührt, oh!« – Und es weinte der Oheim, auch mir kamen Zähren. Nach einer Pause sprach er weiter: »Was unsere Leute betrifft, so sind die einen tot, die andern gefangen, die letzten geflüchtet. Doch laß gut sein, Johannes, uns bleibt ein Trost: Das Niedergerissene werden wir neu errichten. Diese Höhle ist geblieben, wie sie war. Niemand ist eingedrungen oder hat davon erfahren, niemand sonsten als hier der Ritter, der aber hat gelobt, verschwiegen zu sein.« Zetteritz beteuerte das aufs neue, und der Oheim meinte: »Es ist ja nur, Herr Ritter, weil wir bei den vielen Feinden, die uns erstanden sind, einen Schlupfwinkel haben möchten.« – »Ich verrate nichts«, versicherte Zetteritz. Seufzend stund ich da; doch dieser Seufzer machte leichter mein Herz. »Ich danke dir, Zetteritz, und sinnen will ich, ob ich nicht das Rechte finde für uns alle.« Wir waren an den Höhlenbach gekommen, über den die schmale Steinbrücke führt. Da wir nicht nebeneinander hinüberkonnten, ich aber allein bei meiner Schwäche in die Felsenschlucht hätte taumeln können, so trugen mich die Männer; der Oheim hielt mich um die Brust gefaßt, Zetteritz bei den Beinen. Auch durch den schmalen Gang mit der Eisentür trug man mich. Endlich ging es die obersten Stufen hinauf, und in der Grotte waren wir, erschöpft sank ich auf das bereitete Mooslager.

Umherblickend vermißte ich den Ofen und alle Geräte des Laboratorii. Der Oheim deutete auf tönerne Trümmer: »Die Plünderer haben hier alles nach dem Schatz durchwühlt, den sie beim Goldmacher erwarteten.« Wie ein seltsam trauter Gruß mutete es mich an, daß an der Felsenwand meine Harfe lehnte. »Wie kommt es, daß die verschont ist?« – »Sie war nicht hier,« antwortete der Oheim, »sondern im Dorfe bei Hollmanns, wo du sie gelassen, nachdem sie bei deiner letzten Predigt ertönte. Ich habe sie gestern heraufgeholt.« – »Erkläre mir, warum die Plünderer nicht in die Höhle hinuntergedrungen sind, da sie doch hier in der Grotte waren?«

Der Oheim setzte sich zu mir: »So höre denn, Johannes! Wie ich und Dreßler gesehn, daß wir uns gegen die Belagerer nicht halten konnten, hat Dreßler gesprochen: Retten wir den Johannes! Er wenigstens muß übrigbleiben, er schafft das Gold und kann das neue Reich gründen auch ohne uns. Ich gab Dreßler recht und ging mit ihm in die Grotte, wo du in deinem Wundfieber lagest. Da hab ich dem Dreßler den Höhleneingang entdeckt, und wir haben dich hinuntergetragen, auch Nahrung mitgenommen. Bleibe du mit Johannes unten, sprach Dreßler, ich will den Stein wieder auflegen und mit Schotter verbergen. Da war ich nun mit dir, Johannes, wie lebendig begraben. Bald darauf ist der feindliche Sturm losgegangen. Hinter der verschlossenen Eisentüre hab ich das Poltern droben vernommen, zum Schusse fertig die Muskete, falls einer eindränge, und entschlossen, die Tür zu verteidigen bis zum letzten Odem. Aber sie haben unsere Höhle nicht entdeckt und sind gegangen, wie aus den öden Felsen nichts mehr zu holen war. Zwei Tage drauf hab ich gewagt, den Steindeckel hochzustemmen und ans Tageslicht zu gehen. Habe die Verwüstung erschaut und viele Erschlagene gefunden, zumeist Leute von uns; auch Dreßler ist dabei gewesen. Als Kundschafter bin ich zum Hohen Stein geschlichen. Da ist mir eingefallen, daß ich ja den Höhleneingang offengelassen. Voller Angst bin ich zurückgehastet, gleich zu dir hinunter. O Heiland! Da fand ich einen Mann, der gezückten Schwertes mich anherrschte: Des Todes bist du, so du nicht sogleich gestehst, wo der Tielsch meine geraubte Braut verbirgt!« Vom Oheim, der hier innehielt, wandte ich fragend den Blick auf Zetteritz. »Ja, ich war's«, sagte er. »Nach dem Treffen mit dir, das mich meine wenigen Leute gekostet hatte, war ich deiner Spur gefolgt, um Thekla wiederzugewinnen. Bedenke, Johannes, die Liebe zu ihr trieb mich.« Ich nickte, und der Oheim fuhr fort: »Wer mir so entgegentrat, mußte mein Feind sein. Und ich brannte mein Pistol los, erhielt freilich gleich darauf einen Hieb, daß mir die Sinne schwanden. Ei ja doch, eine starke Klinge führet der Herr Zetteritz; nur war sie nicht so hurtig wie meine Kugel, an der er schier verblutet wäre, wenn du ihm nicht geholfen hättest. Ich lag derweilen betäubt vom Hieb. Wie ich zu mir kam, fand ich euch beide und habe ihm geholfen, weil du darum batest, Johannes.«

Stumm nickte Zetteritz. Ehrfurcht sprach aus seinen Augen. Sein Antlitz, matt beleuchtet vom Tageslicht, das durch den Spalt der Grottendecke kam, war bleich, die finstern Falten zwischen den Brauen, die roten Narben auf Stirn und Wange mahnten an seine Wildheit. Wüst starrten um den Knebelbart sprossende schwarze Stoppeln. In seinem Lederkoller war noch das Loch, wo des Oheims Kugel eingedrungen, und den seinen Kleidern war anzusehen, daß ihnen erst jüngst Blut ausgewaschen war. Traurig schüttelte ich den Kopf, bedenkend, wie sonderbar und gänzlich unvermutet das Schicksal unsere Lage umzuwandeln wußte. Das war nun derselbige Mensch, mit dem gemeinsam ich in die Lateinschule zu Hirschberg gegangen. Gerauft hatte ich mit ihm, da wir Union und Liga spielten, ferner auf dem Kynast in der Comoedia vom verlorenen Sohn. Vor vier Jahren hielt er mich auf dem Elbkahn gefangen und ließ mich schließlich gefesselt ans Ufer werfen, um Thekla für sich allein zu behalten. Nun aber blickten wir beide einander an, ge schlagen und gedemütigt. In öder Felsenwüste hatten wir nebeneinander liegen müssen, hilflos, der eine auf den andern angewiesen. Und der ewige Grund, aus dem alles quillt, hatte es so gefügt, daß dem Verblutenden von seinem Nebenbuhler geholfen ward, und daß die Feinde ineinander den gemeinsamen Menschensohn erkannten.

Auch Zetteritz mochte dies alles bedenken, in seinem Blick war starres Staunen, kopfschüttelnd meinte er: »Seltsam bin ich verwandelt. Muß wohl verblendet gewesen sein, als ich dir feind gewesen. Was aber war's, das mich verblendet? Sie doch nicht, die ich liebte, die ich lieben werde bis zu meinem Grabe.« Und es zuckte über sein Antlitz wie verhaltenes Weinen. Auch ich blickte starr auf das Geheimnis unserer Herzen und fand nach schweigendem Sinnen die Worte: »In uns beiden lebt die eine Liebe. Wenn sie nun bisher nicht vermocht hat, uns zu einen, so muß wohl ein Störendes in ihr gewesen sein, so jeden von uns eigensüchtig vom andern abweichen ließ. Es wollte halt jeder ihm allein solle Thekla gehören, wie ein köstlich Ding, das man eigentümlich besitzt. So freilich mußte jeder des anderen Nebenbuhler sein.« – »Und jetzo?« fragte Zetteritz, die Hand auf seine Stirn gelegt, »wie kommt es, daß du mir nicht mehr Nebenbuhler bist?« – »Sie ist ja tot!« erwiderte ich mit bebender Stimme; »genommen ward sie uns beiden, entrückt von dem Schicksalsgrunde, darin wir wurzeln und weben. Verblieben ist uns eine Thekla, um die zu hadern völlig sinnlos wäre. Ihr Bildnis hat sie jedem unserer Herzen hinterlassen. Wohlan, Zetteritz, verehren wir einträchtiglich diesen heiligen Schatz.« Aufschluchzend warf sich der Kriegsmann zu meinem Lager auf die Knie und preßte mir die Hand, indem er stammelte: »Bruder!« – »Genung!« sagte da der Oheim fest, wiewohl ihm Tränen im Auge stunden. »Höret auf, von Thekla zu reden. Bedenket, die Kopfwunde ist noch nicht heil.« – »Schon recht, guter Tobias«, gab ich zur Antwort; »doch Aussprache gibt mir eher Ruhe als Verschweigen. Unkenntnis foltert mich. Drum tu Bericht über alles, was sich zugetragen, vom Tag an, als ich die Abendburg verließ.« Da sahen der Oheim und Zetteritz einander an, als sei zwischen ihnen stilles Einvernehmen, und Zetteritz sprach: »Sag ihm, Tobias, was er wissen muß, mir aber wollet derweilen Urlaub geben; ich werde draußen graben.« – »Was will er graben?« fragte ich, und seufzend kam die Antwort: »Wir haben Gräber nötig.«

Wie wir beide allein waren, vernahm ich vom Oheim folgenden Bericht: »Berthulde hat durch einen Burschen, dem sie's angetan, vom Boten den Weg zu Thekla erkunden und ein Pferd stehlen lassen und ist dann in der Nacht des Festes davongaloppiert. So ist sie dir zuvorgekommen und hat dein Weib entführt, vorgebend, zu dir solle die Reise gehn. Du hast dann zu Altenau die Wunde davongetragen und bist von deinen drei übriggebliebenen Leuten heimgebracht.« – »Nur drei sind übriggeblieben?« fragte ich; »und Segebodo?« Segebodo ist mit den zwei andern in Altenau gefallen.« Nach trauervollem Schweigen bat ich den Oheim, fortzufahren, und er sprach: »Mit dir langten die Reiter am Morgen der Johannisfeier hier an. Tags zuvor schon war Berthulde gekommen ...« Angstvoll unterbrach ich den Oheim: »Hatte sie Thekla bei sich?« Düster schüttelte er das Haupt und ergriff beschwichtigend meine Hand: »Unterwegs hat die Eifersüchtige die Untat verübt – wo, weiß keiner. Aber sie hat es eingestanden, hat sich der Tat gerühmt.« Ich fuhr zusammen, als habe ich eine Viper berührt. »Ruhig, Johannes, höre weiter. Eine Hexe ist sie gewesen, des Teufels Anbeterin. Ich Blinder, der ich das nicht gleich gesehen, der ich gar die Zauberin dir empfohlen habe! Nun hat sie all dies Unheil über uns gebracht. Schon das flammarische Ding hätte mich warnen sollen. Denke nur, diese Putzkeller bringen ihrem Moloch lebendige Menschen zum Opfer.« – »Woher willst du das wissen?« fragte ich. – »Woher? Hat sie denn nicht ihre heidnische Ketzerei unseren Leuten hier in den Kopf gesetzt und mit ihrem Aberglauben selbst etliche aus Schreiberhau verseucht? Hat sie nicht eine heimliche Partei gebildet, am Johannistage dem Feuergötzen Menschenopfer darzubringen? Und ist sie nicht vor meinen eigenen Augen in die Opferflamme gesprungen?« Tobend hatte der Oheim diese Worte herausgeschrien; verzerrt das Angesicht, schüttelte er die Fäuste. Wie versteinert war ich, dann murmelte ich: »In die Opferflamme gesprungen? Der flammarische Dämon hat ihr den Kopf verrückt!« Mit scheuem Raunen fuhr der Oheim fort: »Wie die Verruchte am Tage vor Johanni hier wieder auftauchte, hielt sie sich von mir zurück. Heimlich war sie beflissen, die Johannisfeier vorzubereiten, damit das Lichtreich, wie sie sagte, würdig beginne. Ihrer Kränzeljungferngilde hat sie eigne Lieder beigebracht und, in ihrer tollen Brunst für ihren König, wunderliche Anordnungen getroffen, wie man dich empfahen und wie man abends die Lichtmette begehen solle. Ihre Helferin ist ein Soldatenweib gewesen, und schier alle fremden Soldaten haben der jungen Hexe gehuldigt. Schrecken aber hat uns befallen, wie du auf einmal halbtot gebracht wurdest. Aufgekreischt hat die erblichene Berthulde, nach ihrem Herzen getastet und mit blauen Lippen gemurmelt: O wehe, da sticht mich mit seinem Stachel das Zauberding – verfallen bin ich ihm, habe ja kein Glück in der Minne! Denn es stirbt mir mein Liebster, o weh! Johannistag aber ist heut, und huldigen wollten wir dem Herrn der Berge. Gebet nun acht, ihr Leute, schauen sollet ihr, wie ich ihm huldige. Ich opfere mich für sein Lichtreich – fliege gleich dem roten Hahn hinauf zu Lichtvaters Halle – meinem Liebsten voran, der bald folgen wird. Ich hielt solche Rede für Narretei, ohne zu ahnen, welch ein Vorhaben sie andeute. Berthuldens Anhänger blickten auf sie mit scheuem Staunen. Dann heischte sie, um dich zu sein und dein zu warten. Ich habe nichts dawider gehabt. Verzweifelt hat sie sich gebärdet, da du bewußtlos und röchelnd in der Balkenklause lagst. Inzwischen war das Festgetümmel im Gange, denn ein Verwundeter bekümmert wenig die Soldateska, und man wollte sich das vorbereitete Fest nicht stören lassen. Sie tranken und sangen, knöchelten und tanzten, und bald waren die Köpfe heiß. Da vernahm ich, es sei vom Soldatenweibe das Gerede aufgebracht, du liegest im Sterben, und so werde der Goldquell bald versiegt sein. Gruppen tuschelten, und ich besorgte, man sinne auf Meuterei. Wie ich nun mit Dreßler derohalben Rates pflag, meinte er, man solle das fremde Gesindel baldigst wieder abschieben, solle zu diesem Zwecke sagen, mit dem Herrn der Berge werde die Goldmacherei endigen, weil ja niemand sonsten das alchymistische Geheimnis kenne. Einstweilen freilich sei des neuen Reiches Säckel annoch gefüllt. Kaum hatte Dreßler solchen Bescheid dem Soldatenweib eröffnet, als ein Wachstein-Soldat angehastet kam und von Maiwald, der dorten das Kommando hatte, die Botschaft brachte, ein Feindeshaufe mache Miene, den Wachstein anzufallen, und es solle meine waffenfähige Mannschaft lieber das Lichtfest aufgeben und Sukkurs bringen. ›Oho!‹ schnarchten da etliche Saufkehlen, ›wir wölln uns verlustieren. Die vom Wachstein mögen sich alleine plagen. Sie gönnen uns das Feiern nicht.‹ Und dieser Meutergeist nahm überhand. Nur wenige Söldner hatten die Zucht, mir zum Wachstein zu folgen. Dorten sah es nicht so übel aus. Die Angreifer, der Besatzung Kynast angehörig, waren ohne Überlegenheit und von ihrem Angriffe mit blutigen Köpfen heimgeschickt, die Unseren hatten dabei kaum einen Schuß zu tun brauchen. Hatten, um Kraut und Lot für den Nahkampf zu sparen, auf den Feind Felsblöcke gewälzt, während er grade in enger Bachschlucht sich zusammendrängte. Weiter unten im Tale sah ich – es schien mir so ...« Hier machte der Oheim eine Pause und starrte, die Stirn gerunzelt, vor sich hin. »Nun?« fragte ich beunruhigt. Der Oheim schüttelte das Haupt: »Ich habe mich wohl versehen. Aber wisse, Johannes, mir war's, als sei unter Colloredos Volk der Giacomini gewesen.« – »Wie? Unserer Schatzbeschwörung Kumpan? Das wäre schlimm! Ich habe dir wohl schon gesagt, daß er zu meinen Angebern in Prag gehörte.« – »Ich sah einen kleinen Buckligen bei den feindlichen Führern; er saß zu Pferde und blieb behutsam in der Ferne.« – »Wie dem auch sei,« sprach ich – »erzähle weiter!« Und der Oheim fuhr fort: »Zur Abendburg ging ich, für den andern Tag das Rechte zu bestellen. Da fand ich alles in Bestürzung und Rumor. Die Pest sei ausgebrochen, sagte Dreßler, während umstehende Weiber die Hände rangen. Und er führte mich abseits, indessen die Leute scheu zurückblieben. Im Tann auf dem Moose lag reglos ein Soldat. Ihm war das Wams abgezogen, daß man den nackten Oberkörper sah. Er ist unlängst verendet, sprach Dreßler, und man hat an ihm das Zeichen der Pest gefunden. Es überrieselte mich kalt, da ich auf das fahle Antlitz blickte, dem die erloschenen Augen nicht zugedrückt waren und die bläulichen Lippen voll Schaum stunden. Lassen wir ihm gleich hier sein Grab scharren, um Gold wird sich ein Totengräber finden, meinte ich. Zum Festplatze zurückgekehrt, sahen wir ältere Leute aus Schreiberhau heimziehen, wiewohl das Festin, da die Sonne unterging, erst seine Höhe erreichen sollte. Die übrigen gaben sich um so wilder dem Taumel hin. In einer Ansprache prahlte das Soldatenweib: Seid unbekümmert! Mit Pest und Feindesgefahr werden wir schon fertig. Berthulde ist Zaubers mächtig und will das Unheil durch ein Opfer beschwichtigen. Obacht! das gibt ein Schauspiel! Wir gingen nun in die Balkenklause, um nach dir zu sehen. Bei deinem Lager hockte Berthulde, du warfest dich im Fieber hin und her. Jählings aufgerichtet schriest du Berthulden an: Mir aus den Augen, Mörderin! Berthulde fuhr zurück und zitterte bei der Türe, bleich und stumm. So geh doch! fuhr Dreßler sie an; du machst ihn wild! Sie rollte die Augen und stampfte mit dem Fuße: Der Meine ist er doch! Höhnisch auflachend schlüpfte sie dann zur Tür hinaus. Sie darf nicht wieder zu ihm, sagte Dreßler; wir müssen einen Mann zur Pflege bestellen. So taten wir, da wir beide andern Ortes nötig waren. Um nämlich vor dem Feinde unsern Proviant zu sichern, wollten wir unverzüglich Vieh und Vorräte vom Branntweinstein nach einem Versteck am Roten Floß schaffen. Nebst etlichen besonnenen Leuten, die wir noch auftrieben, gingen wir ans Werk. Als die Sterne längst glommen, war es getan, so daß wir zur Abendburg heimkehren durften. Schon von weitem sahen wir roten Rauch und Funken aufgehen. Man schwenkte Fackeln und rollte flammende Räder den Bergeshang hinab. Beim Felsen, nicht auf der Seite der Balkenklause, sondern auf der andern, wo er steil abfällt, loderte prasselnd ein groß Feuer, von Männern genährt mit aufgeworfenen Fichtenstämmen. Während etliche Leute, darunter das Soldatenweib, schrien, lachten und einander umhalseten, als wären sie voll und toll, schluchzeten andere und rangen die Hände, die dritten aber starrten düster oder bekundeten Abscheu. Was hat's denn? fragte ich. Da umringten mich etliche Schreiberhauer und, ganz außer sich, redeten sie auf mich ein: Der Teufel ist los! Das fremde Gesindel begeht eine Teufelsmette! Fort von hier! – Eine Teufelsmette? fragte ich. Was tun sie denn? Was ist geschehn? – Da kam die grauenvolle Antwort: Das Feuer frißt zween Menschenleiber – lebendige Menschen werden hier dem Teufel geopfert. Berthulde, die Hexe, hat vom Felsen zum Volke geredet, man solle den Lichtvater versöhnen, durch das kostbarste Opfer solle man ihn bestimmen, daß er die Pest stille und die Burg uneinnehmbar mache. Dann ist diese putzkellerische Lichtbraut in die Flammen gesprungen.«

Schwer atmend, hielt der Oheim inne. Ich war zuerst wie versteinert, dann riß mich Entsetzen empor, und ich raunte heiser: »Verbrannt?« – Starren Blickes nickte der Oheim und fügte dumpf hinzu: »Das Kindlein mit ihr.« – »Wie denn? Ein Kindlein? Was für ein Kindlein?« Der Oheim wollte nicht mit der Sprache heraus, so daß ich schon besorgte, jetzo werde das Allerschrecklichste kommen. Dann aber zuckte er die Achseln und gab seufzend den Bescheid: »Es war halt ein Opferkind, so nannten es die Leute. Wem es gehörte, was weiß ich? Ein fremdes Kind, das sie auf ihrer Reise aufgelesen haben mag, die Teufelsbraut! Laß uns nicht weiter davon reden, frag auch den Zetteritz nicht danach. Ruhe tut uns allen not, Ruhe! Nun du alles erfahren, schlafe und werde bald gesund. Ich will dem Zetteritz beim Graben helfen.«

Wie Tobias gegangen war, schlug ich die Hände vor mein Antlitz und flehte zum Menschensohn in meiner Tiefe, daß er mir Kraft gebe in dieser Bitternis. Rief meines Vaters Geist herbei und beriet mit ihm, wie ich es denn nun anfangen solle, dem düstern Felsen meines Herzens seinen Abendburgschatz abzugewinnen. Erschöpft von der Seelenfolter, die mir diese Stunde beigebracht, sank ich endlich in Schlummer.

Vom leisen Eintreten des Oheims erwacht, spürte ich an meiner Erquickung, daß ich sattsam geschlafen hatte. »Gib mir zu trinken und zu essen, Oheim«, sprach ich. »Auch verlangt mich, ans Sonnenlicht zu kommen. Ich glaube wohl, ich kann alleine gehn.« Erhub mich also und trat zur Grottentür hinaus ins Freie. Ach sieh, da war keine Balkenklause mehr, am Boden lag Asche und halbverbranntes Holz. Der Anblick schnitt mir ins Herz. Dann aber hing mein Blick an der Sonne, die ob dem bläulichen Tann im goldklaren Abendhimmel glühte. Getrost! Es gab noch eine Sonne! – Zetteritz war herbeigekommen und saß nebst dem Oheim bei mir im Beerenkraut. Nachdem ich mich an der Bergwelt erquickt hatte, ließ ich das Auge über die Stätte der grausigen Heimsuchung schweifen. Vom Festgetümmel und dem darauffolgenden Kampfe waren Rasen und Kraut niedergestampft. Des Burgwalles Umzäunung, die aus zugespitzten Pfählen bestund, klaffte hier und dort auseinander. Ein Aschenhaufen bezeichnete die Stätte des Opferfeuers. In Steinwurfes Weite war ein offenes Grab. »Wer soll da begraben werden?« fragte ich, und der Oheim antwortete: »Dreßler; sein Leichnam liegt im Walde. Ich glaube, es wird dir lieb sein, wenn du sein Grab in der Nähe hast. Den andern Gefallenen haben wir ein Massengrab im Walde bereitet. Neben Dreßlers Grube siehest du einen kleinen Hügel, drunter liegt, was ich vom Opferkindlein übrig fand.« Erschaudernd schwieg ich. Dann sorgte ich mich um die Schreiberhauer und fragte: »Wie ist die Lage im Dorfe? Ist es von der Pest heimgesucht?« – »Außer dem einen Pestfall,« versetzte der Oheim, »von dem ich berichtet, weiß ich nur noch von einem zweiten. Am Tage nach der Johannisfeier war's, als Colloredos Volk den Wachstein erstürmt und uns oben umzingelt hatte, da erlag ein zweiter Soldat der Seuche. Um den Leichnam zu entfernen und zugleich die Belagerer zu schrecken, haben wir ihn in eine Ochsenhaut gehüllt und den Abhang hinuntergerollt, hier, wo die Bäume niedergeschlagen sind. Den Feinden vor die Füße ist der schlimme Gast gelangt. Haben sich aber nicht abschrecken, sondern zu unverzüglichem Sturme reizen lassen und, wiewohl wir uns das erstemal gehalten haben, ist im erneuten Sturm die Feste genommen. Was aber das Dorf betrifft, so weiß ich nichts von Pesterkrankung daselbst.« – »Und wie behilft man sich im Dorfe nach der Plünderung? Hat man Proviant bewahrt?« – »Ich fürchte,« versetzte der Oheim, »mancher leidet Not, da unser Vorrat, den ich nach dem Roten Floß geschafft, vom Feinde hinweggeführt ist und die Plünderer den Hütten alles erreichbare Gut geraubt haben.« – »Aber Tobias!« sprach ich vorwurfsvoll, »da müssen wir ohne Verzug helfen!« Zu Zetteritz gewandt, fuhr ich fort: »Mit Tobias hab ich zu ratschlagen und bitte dich, für ein Weilchen uns allein zu lassen.« Zetteritz ging, und ich redete hastig auf den Oheim ein: »Geh sogleich ins Dorf und gib den Leuten Gold, laß sie ins Böhmische reisen, Vieh und Korn zu kaufen. Wir wollen jetzo aus der Höhle das benötigte Gold holen.« – »Das brauchen wir nicht«, entgegnete der Oheim; »ich habe viele Münzen bei mir.« – »Gib sie hin, ans Werk!« Bevor der Oheim ging, rief er Zetteritz zurück und empfahl ihm, mir Speise und Trank zu holen. Dann setzte er sein Pistol in Schußbereitschaft und entfernte sich in der Richtung zum Hohen Stein.

Zetteritz kam nun aus der Grotte mit einem Laibe Brot und einem Kruge. »Habe zwar schon bessern Trunk getan,« sprach er lächelnd, »doch man gewöhnt sich an euern herben Beerenwein.« Er reichte mir den Krug, und ich erquickte mich. Darauf so tat er mir Bescheid: »Auf treue Brüderschaft!« Beisammen saßen wir und ließen auch das Brot uns munden. Wie das Mahl beendet war, verglomm die Sonne hinter den Iserbergen, und zugleich kam von der andern Seite ein Summen geschwommen, sanft wie ein Vogel auf reglosen Schwingen. Es war das Abendgeläut der fernen Dorfkirche. Zetteritz faltete die Hände und versank in Gebet. Wie er nach einer Weile aufseufzete, sah ich sein Auge feucht. Durch eine Bewegung seines Kopfes wies er auf den Abendstern, so zart am erblichenen Himmel schimmerte, und sprach leise: »Weißt du, an wen der Stern mich erinnert? An Thekla! Ich redete einmal mit ihr vom Abendstern.« Wie Zetteritz sinnend verstummte, bat ich ihn, weiterzuerzählen. »Aus Theklas Briefe hast du, mein Bruder Johannes, wohl bereits entnommen, daß ich oft in Thekla gedrungen bin, sie solle mein Weib werden. Dich hielten wir ja für tot, und heiß war meine Liebe zu ihr. Weil ich nun ein anhänglicher Sohn der heiligen Kirche bin, so hätte ich gern Thekla in ihren Schoß zurückgebracht. Da haben wir zuweilen mitsammen über den Glauben geredet, und von der Gottesmutter hab ich ihr gesprochen. Sintemalen ich nun als Kind von meiner guten Amme vernommen, auf dem Abendstern wohne die Gottesmutter, so ist mir solches in den Sinn kommen, wie ich einmal mit Thekla diesen Stern betrachtet habe; und ich habe es ihr gesagt. Da hat sie die Frage getan, wie ich zur Gottesmutter bete, worauf ich ihr mein Ave vorgesprochen habe. Seitdem nun mahnet mich der Abendstern an Thekla, und ich bete dann zur Gottesmutter. So war's im Feldlager, und so ist es jetzo hier.« – »Willst du nicht auch mich dein Ave lehren?« fragte ich weich. Da faltete Zetteritz abermals die Hände: »Gegrüßet seist du, Maria! Bist voller Gnaden, der Herr ist mit dir, gebenedeiet ist die Frucht deines Leibes, Amen!« Verlegen lächelnd wie ein Scholar, der unzulänglich gelernt hat, fügte er hinzu: »Wie es der Priester spricht, lautet das Ave wohl etwas anders; ich hab's vergessen, ich halte mich an das, was ich kann und gewohnt bin. Die Gottesmutter, denk ich, wird es auch so gelten lassen. Sie ist voller Gnaden. Das hab ich in mancher Feldschlacht erfahren, mein Schlachtgebet war stets dies Ave.« – »Ein schön Gebet«, erwiderte ich und überdachte die Worte. Da ergriff Zetteritz meine Hand und drückte sie: »Versuche du doch auch einmal, zur Gottesmutter zu beten! Ich kann nicht reden wie ein Pfaff, doch glaube mir: nur in der wahren Kirche findest du den Stab und Halt, ohne den deine Seele in die Irre schweift. Haben dich diese Unglückstage nicht belehrt, daß du Gefahr läufst, gänzlich vom Himmel abzukommen? Hast ja nicht bloß den katholischen Glauben, sondern auch noch den evangelischen verloren. Dieweilen es unmöglich, daß der Mensch auf nichts stehe, so bleibet dem Ungläubigen, in Ermangelung kirchlichen Beistandes, nichts übrig, als selber sich ein Bildnis vom Göttlichen zu machen. Aber ach, dabei ist er auf seinen Eigenwillen angewiesen, und wunderlich webt seine Willkür, bis er sich schließlich gänzlich in Ketzerei verstrickt und in seinem Götzendienste gar auf den Teufel fällt. Laß dich warnen, Johannes, durch den Frevel, der an dieser Stätte sich ereignet hat. Die Saat des Heidentums hat ihre Giftfrucht getrieben. Wende dich ab von der Bahn, die zur Teufelsmette führt. Bete zur Gottesmutter!« Er war bei diesen Worten ein Eiferer worden, doch seine Treuherzigkeit rührte mich, und ich antwortete: »Habe Dank, du meinst es gut, und still für mich will ich deine Rede prüfen, zumal mir wundersam friedevoll zumute beim Schauen des Abendsternes und bei deiner Mahnung an Thekla und die Gottesmutter. Ach, Bruder, hole mir meine Harfe! Es drängt mich, mein schweres Herz im Gesange zu erleichtern.«

Gern erfüllte er den Wunsch, ich stimmte die Saiten und griff träumerisch leise Akkorde. Den Worten vom Himmelreiche sann ich nach, die meines Vaters Geist zu mir gesprochen: Inwendig ist das Himmel reich. Ist dem so, muß alles, was frommer Glaube heilig hält, im innern Himmelreiche wohnen. Nicht auf dem Abendstern, im Menschenherzen hat die Gottesmutter ihr Heim, und hier auch suche die gebenedeiete Frucht ihres makellosen Leibes. Ja, Menschenkind, so deine Seele nicht selbst Maria wird, kannst du den Heiland nicht empfahen. In dir muß der Gottessohn geboren werden ... Und zum Klange ward dies Sinnen, heimlich fügten sich die Worte und vermählten sich mit einer alten Weise. Wie mir das neue Lied vor der Seele schwebte, sprach ich zu Zetteritz: »Nun laß mich sagen und singen, wie ich zur Gottesmutter bete, und welcher Glaube mich der wahre deucht.« Im nächtlichen Dunkel lagen die starren Wogen der Waldberge. Wie eine blumenbesäte Aue schimmerte das himmlische Gezelt von Sternen, als ich nun harfend anhub:

»Marie, Gebenedeite,

Mit Kind und Myrtenkrone,

O bleib nicht in der Weite,

Auf hehrem Sternenthrone!

Komm in dies Hüttelein

Und mir im Busen wohne!

Es hat das Reich der Himmel

Hier innen allen Raum.

Daß fern im Morgenland

Mein Eden blüht, ist Traum!

Die wache Seele fand

In sich den Lebensbaum.

Sei, Seele, selber du

Die keusche Himmelsmaid,

Vom Licht aus Sternenschoß

Umflutet und umfreit,

In Minne makellos

Zur Mutterschaft geweiht.

Zu Bethlehem die Krippe

Ist jeder Herzensschrein;

Soll mich und meine Sippe

Der Gottessohn befrein,

Er muß aus Menschengrunde,

Aus mir erboren sein.«

Auf diesen Sang schwieg Zetteritz und meinte dann: »Bin ein rauher Soldat, des Geistes Geheimnisse bleiben mir verschlossen. Mir ist es am besten, wenn ich dem traue, was Gottes Kirche seit 1600 Jahren verkündet. Doch lieblich und fromm klingt deine Weise, ich danke dir. Laß mich nun eine Bitte tun. Ich vermisse meinen Rosenkranz, den ich betend noch in Händen hielt, wie ich verwundet in der Höhle lag. Er wird mir dorten entglitten sein. Ich will freilich nicht hehlen, daß ich nur mit Scheu in die Höhle zurückkehre. Indessen möcht ich doch morgen das Rosenkränzel suchen. Willst du es erlauben?« – »Mitsammen wollen wir gleich in der Frühe hinuntergehen«, entgegnete ich, »aber nun ist Schlafenszeit. Auf Tobias können wir nicht warten.« Wir begaben uns zur Grotte, und wohl tat uns das Mooslager.

Vom Schlafe fuhr ich auf, als Tobias die Laterne anzündete. Um den schnarchenden Zetteritz nicht zu stören, fragte ich leise: »Nun, Tobias, wie steht's?« – »Schlimm,« raunte er, »ich war bei Hollmann. Die Feindesgefahr ist nicht vorüber. Colloredos Volk hält den Wachstein besetzt. Mein Rat ist, daß wir uns gleich morgen von hier wegbegeben. Allerdings wähnt der Feind, das ganze Goldmachernest sei ausgerottet, doch Hollmann meint, wenn mich etwan jemand gesehen habe, so könne die Abendburg leichtlich neuen Besuch erhalten.« – »Hat dich denn wer gesehen?« – »Ich glaube nicht. Doch wenn mich der gesehen hat, den ich sahe, so stehet es schlimm. Wie ich nach meinem Häusel schaue, wandelt bei den Trümmern ein fremder Mann. Mit breitem Hut, grauhaarig, in schwarzem Spaniolenmantel, dreht mir den Buckel – ja, ein Buckel war's – du errätst wohl, wen ich meine.« – »Giacomini? Also wirklich?« fragte ich bestürzt. »Er wird's gewesen sein, wiewohl ich es nicht behaupte.« – »Dann fort von hier, Tobias! Wir wollen gleich morgen zu den Iserbauden. Diese Nacht wird uns wohl niemand hier oben stören.« Der Oheim streckte sich nun gleichfalls hin, und unser Sorgen ward durch Schlummers Gnade beschwichtigt.

Als der Morgen ob den Bergen glühte, rüsteten wir uns zum Aufbruch. Tobias und Zetteritz wollten erst Dreßler bestatten. Während sie den Leichnam aus dem Walde holten, vernahm ich hinter dem Felsen ein Geräusch wie von einem abgerutschten Steine. Ich ging hin und sah etwas Dunkles in die Tannen schlüpfen. Das kann doch kein Rotwild gewesen sein? denn es war schwarz. Wie sollte aber ein Schwarzwild hierherkommen? Derweilen ich so überlegte, brachten der Oheim und Zetteritz Dreßlers Leichnam, ich ging mit zur Bestattung. Wie wir das Grab zugeschüttet und still gebetet hatten, sagte Tobias: »Vom Ritter Zetteritz vernehm ich soeben, daß er gern seinen verlorenen Rosenkranz wieder hätte. Mich dünket zwar, solch ein Ding wäre zu missen. Doch gehet nur in die Höhle hinunter, ich halte hier oben Wache.«

Nebst Zetteritz begab ich mich also in die Grotte, und wir taten die Steinplatte beiseite. Mit brennender Laterne stiegen wir in die Tiefe und kamen nicht ohne Grauen an die Stätte, wo wir etliche Tage zuvor nebeneinander mit dem Tode gerungen hatten. Gleichwohl mußten wir daselbst verweilen, denn kein Spähen machte den Rosenkranz ausfindig. Wie ich mich nun plötzlich wende, an einer andern Stelle zu suchen, lauert wenige Schritte vor mir geduckt eine Gestalt, und ich erkenne Giacominis stechende Augen, das scheue, verkniffene Gesicht, die hohen Schultern, den gepichten Spitzbart. Im selben Augenblick wird auch Zetteritz des Eindringlings gewahr und hat ihn gleich bei der Gurgel. »Giacomini!« zische ich grimm; »wie kommt Er hierher?« Zetteritz schüttelt den tückischen Zwerg. »Laß ihn los!« sage ich, »er soll uns Rede stehen.« Giacomini sinkt ächzend auf die Knie: »Gnade, ihr Herren! Was hab ich denn verbrochen? Daß ich hier eingedrungen bin, gibt euch kein Recht, mich anzupacken. Erdrosselt bin ich ja schier.« – »Wie hat Er es angestellt, in die Höhle zu gelangen?« forschte ich weiter, »war denn nicht Tobias oben vor dem Eingange?« – »O freilich«, entgegnete Giacomini und erhub sich; »aber Kräuter-Tobias ist nicht dageblieben, ist nach dem Grabe gegangen, in das ihr eben eine Leiche getan habt. Ich sah alles vom Walde, und da ich zu Ihm wollte, Herr Johannes, so hab ich den Augenblick genutzt, hinter Seines Oheims Rücken in die Grotte zu schlüpfen.« – »Was untersteht sich der Schleicher?« rief Zetteritz und packte ihn von neuem an. »Gnade, ihr Herren!« heulte der Italiener, »seid nicht so streng mit einem armen Goldsucher. Oh! Johannes! sind wir nicht Kameraden? Bedenk Er doch, wie wir vor 25 Jahren mitsammen den Schatz der Abendburg heben gewollt. Was folget daraus? Ich hab ein Recht, hier zu sein; damals haben wir ja den Pakt getan, das Gold zu teilen. So geb Er mir mein Teil, Johannes, ich bitte, ich flehe! Dies Herz ist ausgedörrt vom Dürsten nach Golde. O wie hab ich gesucht und alles getan, nichts gescheut, den Schatz ausfindig zu machen. Vergebens! Betrogen hat mich mein Hoffen! Ich verschmachte, verzweifle. Rette mich, Johannes! Du kannst es, du hast den Schatz! Ja, leugne nicht! Kein Goldmacher bist du, ein Schatzgräber bist du! Und hier muß dein Gold stecken. Gib mir davon! Wo ist es, wo?« Und entschlüpft war er der Faust des Ritters. Wie eine schwarze Ratte rannte er im Felsendom umher. Plötzlich der steinernen Riesen vor sich gewahr, kreischte er vor Angst, und ihm schlotterten die Knie. Dann schoß er auf die steinerne Truhe los und griff hinein. Nur Gebeine aber hatten wir darin gelassen. Mit einem Laut des Abscheus warf er weg den Fund und wollte weitersuchen. Doch wieder packte ihn Zetteritz und schob ihn vor sich her dem Ausgange zu. Anfangs sträubte sich der Italiener, dann bat er, man solle ihn loslassen, ruhig werde er ja mit uns gehen. Wir wir an den Höhlenbach kamen, wich Giacomini vor der Steinbrücke zurück. »Ich werde fallen«, sprach er furchtsam. »Ratte!« herrschte ihn Zetteritz an, »bist doch soeben herübergekommen, so mußt du auch wieder zurück.« »Seid still!« antwortete lauernden Blickes der Mensch; »schon gut, ich werde kommen, lasset mir nur Zeit, meinen Schwindel zu meistern. Zeiget mir, wie man hinüberschreitet.« – »Vorwärts, Zetteritz! Er wird schon nachkommen.« Und ich schreite mit der Laterne über die Brücke, Zetteritz folgt. Auf einmal hinter mir ein Schrei: »Schelm, verfluchter!« Und wie ich mich wende, taumelt Zetteritz in die Felsenschlucht. Im Stürzen krallt er nach Giacominis Mantel und reißt den Aufkreischenden hinter sich drein. Mir ist, als solle mein Herz stillstehen. Es beben mir die Knie, ich hebe die Arme empor und schreie ...

Wie es dann aber in mir ruft: Rette! – so raff ich mich zusammen und leuchte hinunter. Da wälzt es sich dunkel und zappelt, umspült von Wassergischt, und ächzet, dann keucht Zetteritz halberstickt: »Ratte! Zappele, schluck Wasser, krepiere!« – »Zetteritz!« ruf ich, »bist du heil?« Dumpfes Stöhnen antwortet, und es röchelt, als halte der Tod hier Ernte. Vergebens suche ich nach einer Stelle, um die Steinwand hinabzuklettern. Ein Strick fehlt mir. Her einen Strick! »Tobias! Hilfe!« Ins Felsenbett ruf ich: »Halt aus, Zetteritz, ich hole den Oheim!« Und ich eile zum Höhlenausgang.

O du scharfe Geißel des Schicksals! Wie ich ans Tageslicht komme, liegt am Fuße des Felsens Tobias in seinem Blute. Ich rüttele ihn; er ist unbewußt wie ein Sterbender. Am Hinterkopf hat er die Wunde, und wie ich sie befühle, ist da eine breitgedrückte Kugel, und ich hoffe nun, das Hirn werde nicht zerrissen sein. Den Wasserkrug hol ich, wasche die Wunde, unterbinde die blutende Ader und lege um den Kopf ein nasses Tuch. Dann haste ich wieder in die Höhle hinunter. Abermals leucht ich ins Felsenbett und rufe nach Zetteritz. Keine Antwort, keine Regung. Die dunkeln Menschenleiber sind vom reißenden Wasser stromabwärts getrieben zum Felsenloche, wo es in die Tiefe strudelt. Von Angst gepeitscht, will ich eine Stange oder einen Strick ausfindig machen. Da fällt mir jene Felsenkammer ob dem Höhlenbache ein, wo wir den Goldschatz geborgen und die angewandten Werkzeuge untergebracht hatten. Ich haste hinan zur Schatzkammer und finde einen starken Strick, auch eine hölzerne Rolle zum Hochwinden. An einem Steinzacken über dem Bachloche befestige ich Strick und Rolle und gleite ins Felsenbett hinab. Die mitgenommene Laterne zeigt mir die beiden Menschenkörper vom Tode erstarrt in der Umschlingung eines wütenden Kampfes. Der starke Zetteritz hat den buckligen Zwerg erdrückt, erwürgt, ersäuft, und noch immer hält seine Faust dessen Gurgel. Giacomini aber ist mit einem Dolche dem Ritter zwischen die Rippen ins Herz gefahren. Weder am einen noch am andern zeigt sich eine Spur von Leben.

Ich trenne die aneinandergeklammerten Leichname und binde den Strick um Zetteritz. Emporgeklommen, mühe ich mich eine Weile, den schweren Mann heraufzuziehen. Von meiner Krankheit sind meine Kräfte noch schwach. Abermals begeb ich mich ins Felsenbett und schlinge den Strick um Giacomini, der ja leichter ist, den ich denn auch bald heraufbringe. Wie soll ich aber nunmehr Zetteritz holen, da doch niemand zu meinem Beistand vorhanden? Da kommt mir schauerlicher Rat, und bitter lach ich auf: »Hilf du mir, Meuchelmörder, der du dies Arge angerichtet! Hilf dein Opfer heraufziehen!« Und mit grimmer Laune führ ich den Plan aus: Während Giacomini an des Strickes einem Ende befestigt bleibt, schling ich das andere Ende um Zetteritz. Wieder oben, geb ich dem Meuchelmörder einen Tritt, daß er in die Schlucht gleitet und am gestrafften Strick, der über die Rolle geht, als Gewicht schwebt. Ist seine Schwere auch nicht groß, so hilft sie doch, hinabsinkend, Zetteritz emporziehen. Wie ich Giacomini zum zweitenmal hoch gebracht habe, befällt mich Zittern, und ich muß niedersitzen, mich zu erholen. Endlich schleife ich die beiden Körper aus der Höhle ans Tageslicht. Auch jetzto find ich an ihnen weder Hauch noch Puls. Da brech ich Tannenzweige und decke mit Grün das grausige Bild.

Den Tag brachte ich nun mit des Oheims Pflege hin. Beerenwein, den ich ihm einflößte, schluckte er, und es schien um etliches besser mit ihm zu werden. Gegen Abend sank ich in Schlaf, wachte aber mitten in der Nacht auf und lag schlummerlos. Gebieterisch verlangte etwas in mir, daß ich mein Leben überdenken und Rechenschaft ablegen solle. Auch diesmal suchte mich heim ein guter Geist. Waldhäuser war's; er redete in seiner Treue: »Das liegt nun hinter dir, Johannes. Laß gut sein! Das Beste bleibt dir ja: der Schatz der Ewigkeit! Doch wisse: Willst du ihn haben, so mußt du ihn heben, mußt dein Teil dazu beitragen. Also ist einem jeglichen Menschenkinde verordnet. Denk an die wahre Alchymie und wandle deines Herzens Trachten zu Golde um. Warst bisher in dieser Kunst ein Stümper. Was dir noch fehlte, war Enttäuschung. Soll sich die Seele vom Nichtigen wenden, muß sie bitter davon enttäuscht sein. Nun hast du ja solche Bitterkeit. Eine Hölle hat dir das gleißende Metall bereitet. Drum sage dich los vom Götzen Mammon.« Ich schluchzte, Waldhäuser begütigte, mein Herz ward still und fest. »Ich folge dir, Meister«, gab ich zur Antwort, »ich sage mich los vom Schatz, will nur noch davon eine Spende an die armen Gebirgler tun, daß sie ihre zerstörten Hütten aufbauen können.« Waldhäuser hub abwehrend die Hand: »Nicht doch, Johannes! Hüte dich, der Habgier Gift noch fürder in deines Nächsten Herz zu säen. Hast du denn nicht am Italiener gesehn, wie der Durst nach Golde die Seele zur Hölle bereitet?« Sorgenvoll wandte ich ein: »Soll denn das Menschenkind gar keine Habe sammeln und dürftig bleiben sein Leben lang?« – »Denk an des Heilands Warnung vor dem Reichtum. Den Armen fällt es leichter, selig zu werden als jenen, so ihre Seele an den gleißenden Staub verloren.« – Ich fand noch immer keine Klarheit und meinte mutlos: »Hast du denn nicht selber Geld empfangen von deinen geheilten Patienten?« – »Freilich, mein Kind,« erwiderte Waldhäuser mit stillem Lächeln; »aber dies Geld war nicht seelenlos. Unterscheide zwischem totem Gelde und lebendigem. Eine Seele hat jedes Gut, das du erworben hast in redlicher Arbeit für Menschenwohl. Wenn du aber einen vergrabenen Schatz findest, so ist es nicht viel besser, als habest du ihn geraubt. Kein Recht hast du darauf, es fehlt ihm ja die Seele, die dein Schaffen verleiht. Schatzgräber und Goldmacher, Diebe und Räuber erstreben ungerecht Gut, wollen Macht und Lust erlangen, ohne sie zu verdienen. An solchem Gute haftet nicht Segen, sondern Fluch. Verbanne deshalb den Dämon der Abendburg, senke das Gold in unerreichbare Tiefe. Auf, Johannes! Es gilt! Deines Lebens Wende ist gekommen und die Stunde, da dir die wahre Goldmacherei gelingen soll.«

O schicksalreiches Jahr 1635! Seit deinem Johannistage hast du mir absonderlichen Anlaß gebracht, das Hinsterben der Staubgeschöpfe zu beseufzen. Bei welkenden Blumen und vergilbenden Halmen, im Birkenhain, wo schon falbe Läublein taumelten, sah ich manchen Schatten der Unterwelt, mir bekannte Menschen, vom Schnitter Tod gemäht. Und im Septembersturm, im Rauschen des geschwollenen Baches stöhnte die Losung »Vorüber!« Gedemütigt, vom Gold enttäuscht, einsam mit dem schwerverwundeten Oheim hausete ich bei Gräbern und Ruinen. Mit ihrem Leben hatten die meisten meiner Freunde dafür gebüßt, daß sie mir gefolgt waren. Tot war Segebodo, tot Dreßler, tot der ganze Kern meiner Mannschaft. Verlaufen hatte sich der Rest, dem Verrate hingegeben ein Teil meiner Söldner. Tobias hatte nach hitzigem Wundfieber unter meiner Pflege zwar neue Rüstigkeit des Leibes gewonnen, doch aus dem Kopfschaden eine Schwäche des Verstandes davongetragen. Tot war der ungestüme Ritter Zetteritz, tot auch sein Mörder Giacomini. Zu Asche gebrannt die eifersüchtige Berthulde, wie auch das unschuldige Opferkindlein. Und du, meine Thekla? Warum mußtest du dem Messer der Rasenden verfallen? Keine Königin hab ich an meiner Seite; zerbrochen ist der Thron des neuen Reiches, zerstoben mein Traum von Minneglück, von Herrschermacht und gloriosen Taten. Und hilflos weiter stöhnet das arme Vaterland, blutig, zertreten ... Vorüber, vorüber!

Ach, wo sind denn nun jene Helden, einst wie Götter von mir angestaunet? Wo ist der königliche Leu aus Mitternacht, zu dessen Fahne ich geschworen? Wie ein Triumphator durch Teutschland gezogen, hat er sich bei Lützen die Mordkugel geholt. Und seine Gegner, wo sind sie? Auch Tilly, Pappenheim am Waffenhandwerk gestorben. Der reichste aller Gekrönten gar, Friedlands Herzog, so die Kurfürsten und selbst die kaiserliche Majestät von sich dependieren ließ, dieser Abgott der Soldateska, dem die Göttin Viktoria verlobt schien, dieser Cäsar, reißend wie ein Bär und listig wie ein Fuchs, – schändlich ward er umgebracht wie ein zahnloser Hund. Vorüber, vorüber! Schließlich du, mein armer Hans Ulrich – wie mag nun dein Schicksal verlaufen sein? Schreckensposten durchliefen das Gebirge. Erst raunte man, gefoltert sei der Freiherr. Dann hieß es, zu lebenslänglicher Einkerkerung sei er nach Wien transportiert. Zuverlässige Kunde war nicht herauszubringen. »Wo bleibet der Trompeterhansel?« seufzete ich. »Wenn doch der Schatz der Abendburg wenigstens seinem rechtmäßigen Eigentümer, dem Grundherrn, ein Gutes brächte, ihm zur Flucht aus dem Kerker verhelfend! Sollte denn nicht ein einziger Segen vom Golde ausgehen können?« – Seltsam, es kam und kam kein Trompeterhansel, selbst kein Gerücht über ihn.

Einmal im Regensturm, als mir beim Stöhnen des Waldes die allgemeine Vergänglichkeit das Herz abdrücken wollte, war es mir, als trabe durch den Nebel ein Reiter daher. Doch war's nur Spuk; eine schwarze Krähe flog vorbei, und im Bache polterte hohl ein losgerissener Stein.

Im Regengeprassel, im Windesrauschen –

Vorüber, vorüber –

Immer dem einen nur muß ich lauschen:

Vorüber!

Wie düstere Pilger die Wolken ziehn

Vorüber, vorüber.

Wirbelnd des Waldbachs Wellen fliehn

Vorüber.

Aus kahlen Wipfeln hör ich es stöhnen:

Vorüber, vorüber!

Schaurig ein Echo im Herzen höhnen:

Vorüber!

Da hab ich gehastet, hoffend geharrt –

Vorüber, vorüber!

Fiebertraum hat mich gehetzt und genarrt.

Vorüber!

Wie Wasserwirbel mein Leben zerstieben,

Vorüber, vorüber.

Treu ist mir nur das eine geblieben:

Vorüber.

Hei, meine Geschwister Regen und Wind,

Vorüber, Vorüber!

Bin ja wie ihr des Irrwahns Kind –

Vorüber!

Einen Reiter seh ich in Wolken traben;

Bist du's, Vorüber?

Den hagern Rappen umflattert von Raben –

Vorüber.

Nun, dunkler Ritter, willkommen, Tröster,

Du herbes Vorüber!

Mich dünkt, ich werde noch dein Erlöster,

Vorüber.

Wir stürmen ein Weilchen noch um die Wette,

Vorüber, vorüber –

Und trotten zuletzt an ein friedlich Bette –

Vorüber.

Da wirst du die Morgenfanfare blasen,

Mein Heiland Vorüber:

»Träumer, nun ist dein Reiten und Rasen

Vorüber.

Nur immer ins Weite langte dein Hasten:

Vorüber, vorüber!

So ward dein Leben ein einzig Fasten –

Vorüber.

Was du im Weiten nicht fandest, die Ruhe –

Vorüber, vorüber –

Hat Raum genung in der schwarzen Truhe.

Vorüber!«

Als ich am Sonntagmorgen zur Stelle kam, wo ich zuvor meine Predigten gehalten hatte, fand ich die Leute um einen Mann gedrängt. Ich erschrak; denn das war der Trompeterhansel und war's auch wieder nicht. Dem feurigen Reiter von früher glich er nicht anders als dürres, halbverbranntes Holz dem grünen Eichbaum. Erloschen waren ihm die Augen, ausgehöhlt und fahl die Wangen, schwach alle Glieder, zerlumpt die Kleider. Auf dem Steine blieb er sitzen, als ich in den geöffneten Kreis der Leute trat, bot mir trüben Blickes die Hand und brachte kaum die Worte hervor: »Ich kann halt nichts dafür ...«. In Weinen brach er aus, und ich fragte die Leute: »Was ist geschehen?«–»Enthauptet – enthauptet – haben sie unsern gnäidgen Herrn«, lautete eines Schreiberhauers Antwort. Der Trompeterhans nickte, es bebeten seine Lippen, und nachdem er etliche Fassung errungen, kam unter Ächzen und Husten folgender Bericht heraus: »Meine Brust ist krank – es verschlägt mir den Odem – eine Kugel sitzt innen. Wegelagerer haben sie mir zwischen die Rippen gejagt, die feigen Schelme! Vor Regensburg war's, dicht an meinem Ziele mußt ich einbüßen, womit ich unsern Herrn hätte retten können. Ausgeraubt haben mich die Mausköpfe, daß ich halbtot und splitternackt im Walde gelegen bin. Endlich las mich ein reisender Edelmann auf, führte mich im Wagen nach der Stadt und ließ mich von seinem Arzte kurieren – soweit die Kur meiner zerfetzten Lunge noch angedeihen konnte. Da mein Wohltäter, begütert in Polonien, nicht zu den Parteigängern des Wiener Hofes gehörte, durfte ich ihm anvertrauen, daß ich des Herrn Schaffgotsch Befreiung habe betreiben wollen. Braver Diener, sagte der Polnische, als ich vom Krankenbette aufgestanden war – zwar nicht zur Befreiung des Gefangenen mag ich Ihm verhelfen, doch dazu, daß er Seinen armen Herrn ein letztes Mal sehen und sprechen kann. Dahin gehet auch der Wunsch des Herrn Schaffgotsch, den ich heimlich habe informieren lassen. Eile aber tut not, denn schon zimmern sie am Blutgerüst. – Ich erschrak und konnte nicht fassen, wie es so weit habe kommen können. – Ach ja, guter Trompeter – sprach der Polnische – die Wiener Politici brauchen einen gerichteten Anhänger der Friedländischen Partei, um den Meuchelmord zu Eger als eine Vollstreckung Rechtens erscheinen zu lassen. Den höfischen Tonangebern gefügig, hat nun das Kriegsgericht Herrn Schaffgotsch für schuldig erklärt, durch Verschwörung mit dem Friedländer Sedition begangen und die Kaiserliche Majestät hochverräterisch verletzt zu haben. Das Haupt vor die Füße wollen sie ihm legen und warten nur noch die kaiserliche Bestätigung des Todesurtels ab, so stündlich aus Wien eintreffen kann. – Als mir diese Schreckenskunde kam, schrieb man bereits Mitte Julii, meine Kräfte aber waren so gering, daß ich mich kaum fortschleppen konnte. Wenige Tage darauf besuchte mich Wegerer, des gnädigen Herrn Kammerdiener, der treue Konstantin. Gramvoll drückte er meine Hand und konnte zuerst kein ander Wörtlein herausbringen als immer nur: Trompeterhansel – es ist aus! – Dann vernahm ich, wie abscheulich sie dem armen Herrn mitgespielt hatten. Sein Gefängnis war ein Stübel im Rathause, bewacht von zwei Dutzend Mann. Unten in der Erden aber war ein Gewölb, dessen Bekanntschaft dem Gefangenen nicht erspart geblieben. Ihr starret mich an – ja, Leute, gefoltert – gefoltert haben sie den edeln Schaffgotsch – haben ihm die Wippe beigebracht – zentnerschwere Steine an seine Füße gebunden und ihn mit einem Strick an den Armen hochgewunden, daß die Gelenke krachten. Dabei hat ihn ein Auditor der Obstination geziehen, weiterer Ungelegenheiten gewarnt und der Wahrheit erinnert. Ihr Schelme! hat unser Herr geschrien – habet mich bereits verurteilt – und hinterher erst wollet ihr die Wahrheit herausbringen? Oder vielmehr den Schein eurer Gerechtigkeit, da sie selber euch fehlet, soll ich euch geben, ihr henkermäßigen Erpresser! Wie darf man einem schon Verurteilten noch die Tortur applizieren? Schande über solchen Bruch des Rechtes! – Hierauf so hat der Auditor mit der Tortur innehalten lassen und diese feige, saumäßig rechtsverdreherische Ausflucht ergriffen: Mein Herr Schaffgotsch tuet ihm selbsten unrecht, weil er nicht alle näheren Umstände seiner Missetat frei heraussaget und folglich Ursach gibt, daß man also strenge mit ihm prozedieren muß. Vermeinet vielleicht, durch Verschwiegenheit den guten Namen der Seinigen zu erhalten. Aber der Herr muß wissen, daß nicht allein Mutmaßungen, sondern Beweise für seine Schuld vorliegen. Darum ist er auch zum Tode verurteilt. Was aber diese Tortur betrifft, so soll sie Ihn zu mehrerer Heraussagung der Umstände und der Mitschuldigen anhalten. Befugt zur peinlichen Befragung ist das hohe Gericht, weil ein zum Tode Verurteilter bar des Rechtes ist, das nur Lebendigen zukommt. Drum mag der Henker mit Euer Gnaden verfahren wie mit einer toten Kreatur. Ihr seid so gut wie ein Leichnam ...«

»Höllenhunde!« schrie bei diesen Worten des Trompeterhans ein alter Schreiberhauer, und es jammerte, stöhnete, grollte die ganze Gemeinde.

Nach einem keuchenden Husten fuhr der Erzähler fort: »Ja, Höllenhunde, teuflische Pharisäer sind sie alle, so auf den Wink der Pfaffen und Hofschranzen zu Regensburg das Recht verfälscht haben. So hat denn die Tortur ihren Fortgang genommen, und eilf Fragepunkte hat man dem Gefolterten vorgehalten. Der aber hat anfangs nur immer geschrien: Schelme! Ist dann in Stöhnen verfallen und hat schließlich Antworten gegeben – als zum Exempel: Nein! Ich weiß nichts! Nicht doch! Ist nicht wahr! Ein einzig Mal ist er konfuse worden und hat gestammelt: Ja doch, ich will alles sagen – haltet ein! Wie aber dann der Auditor gesprochen: So bekennet, Herr Schaffgotsch, – hat die Antwort gelautet: Tintenfresser! Ich bin kein Herr mehr und bin kein Schaffgotsch mehr – ein Kadaver bin ich, den die Aasgeier zerfleischen – nehmet mir nun endlich meinen letzten Odem – je eher, je lieber – ich mag euch nimmer sehen, ihr Teufelslarven! ... Da nun die Tortur schon drei Stunden gedauert und trotz aller Kunst des Scharfrichters nichts Neues effektuiert hatte, so wurden auf des Auditors Wink dem Opfer die Bande gelöst und die übel zugerichteten Gliedmaßen wieder eingerenket. Den Halbentblößten, der sich nicht aufrecht halten konnte, trugen sie in sein Gefängnis, wo er dem wehklagenden Konstantin die Worte zurief: Sieh, wie die Schinderknechte mich armen Wurm für meine dem Vaterlande geleisteten Dienste zugerichtet haben! Mit Begier, ohne die Arme heben zu können, trank er dargereichtes Bier. Drei Wochen hat er die vom Scharfrichter gelieferten Salben brauchen müssen, bis endlich die Glieder wieder geschmeidiger waren und brauchbar zum allerletzten Gang. Drei Abgesandte des Kriegsgerichts traten ins Stübel und machten Komplimente, Exzellenz hin, Exzellenz her, ohne Worte für ihren traurigen Auftrag zu finden. Bis der edle Herr, ihres Kommens Ziel erratend, ihnen entgegenkam. Lieben Herren – meine Exzellenz ist mir mit Gewalt genommen, und ihr möget euren Auftrag nur geradeheraus sagen. Ich weiß ohnedies, daß mein Blut längst eingeschenket und nur noch ausgetrunken werden soll. Darauf haben sich die Offiziere ihrer Person halber entschuldiget und endlich ihm auf kaiserlichen Befehl das Leben abgesagt. Nun, o Wunder, hat des Herrn Antlitz gestrahlt. Welch angenehme Post! so lautete seine sanfte Antwort. Wahrlich, so süß euch das Leben ist, mir ist es wie Galle, seit mich der Kaiser für meine Dienste also traktieren lassen. O balde, balde möcht ich mich scheiden vom Gelüsten und Hasten dieser eitlen, falschen Welt. Aus enttäuschtem Herzen quillet ein himmlisch Verlangen, alles Unreine hinwegspülend, bis sich am Menschenkinde das Wort erfüllt, so der Heiland bei Jakobs Brunnen gesprochen: Wer das Wasser trinket, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm gebe, wird in ihm ein Brunnen ewigen Lebens. – Hierauf hat ein Offizier die Hände gefaltet und die Worte der Samariterin wiederholt: Herr, gib mir dasselbe Wasser! Der Auditor war auch dabei und meinte herablassend: Kaiserliche Gnade wird erlauben, daß die Hinrichtung hier auf dem Zimmer stattfinde. – Nicht doch! entgegnete aufrecht unser Herr. Mein Gewissen ist nicht scheu, und ich will nach meiner Lebensart lieber unter Gottes Himmel vor aller Welt sterben, als im Winkel abgetan werden. Für mich und die Meinen ist mein Tod keine Schande. – Siehe, da stunden die Richter gleich armen Sündern, spürend, daß sie es wirklich waren. Nun stellten sich auch Jesuiter ein, um noch einmal ihren Bekehrungseifer anzuwenden. Lasset gut sein, Patres, sprach Herr Schaffgotsch. Daß ich euch wiederholt das Ohr geliehen, ist nur zu meiner Unterhaltung geschehen. Nun ich mich ernsthaft um die Himmelsreise zu bekümmern habe, soll mich allein jenes Wort geleiten, so im Anfang bei Gott war und das Licht der Menschen geworden. Hiermit legte er die Hand auf die offene Bibel Lutheri und tat einen Blick auf die Seligmacher, daß sie die Augen niederschlugen und mürrisch gingen. Einer aber sagte auf Latein: Halsstarrigkeit ist nicht die letzte Ursach seines Todes. – Mit seinem Junker Melchior und dem treuen Konstantin allein, besprach unser guter Herr, was noch zu ordnen war. Ließ einen schwarzen Sarg bestellen, für seine hohe Gestalt geräumig. Dem Scharfrichter ward nebst einem Geldgeschenk der Auftrag, einen Schemel bereitzuhalten und dem Sitzenden den Todesstreich unverzagt und getrost beizubringen. Um seinem Heiland eine nüchterne Seele zuzuführen, nahm Hans Ulrich bis zu seiner Hinrichtung nur ein paar Bissen in Bier getauchten Brotes zu sich. Die Nacht brachte er in Andacht zu, sowie mit Schreiben der Valetbriefe an seine Kinder, Verwandtschaft und Freundschaft. Der nächste Tag war ein Sonntag, und da ist es mir gelungen, im Talar eines evangelischen Geistlichen zu unserm lieben Herrn zu gelangen. Bleich und zergrämt sah er aus, doch aufrecht und manchmal wie ein Verklärter. Willkommen, guter Trompeterhans, hat er lieblichen Mundes gesprochen, – ach, wie schade, daß dir die Mausköpfe so übel mitgespielt haben! Ihr Schreiberhauer habet es gut gemeint, daß ihr mich befreien gewollt. Doch ich wäre nicht aus dem Gefängnis entwichen, selbst wenn du mit dem vielen Gelde meine Wächter ihrer Pflicht abspenstig gemacht hättest. Soll ich denn umsonst gelitten haben? Nein, es hat mir mein bitter Leiden die Gewißheit eingebracht, daß es sich nicht verlohnet, ein verdorben Erdenleben auf unrechte Weise festhalten zu wollen und darob das ewige Gut zu verabsäumen. Denn so spricht der Heiland: Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinet- und des Evangelii willen, der wird es behalten. Sage dem Tielsch-Johannes, dessen ich mich gern erinnere: ich danke ihm für seinen guten Willen, und er solle nur immer so tun, wie damals auf dem Kynast, da er in der Scholarenkomödia als Herrgott, in die Hölle gefallen, dem Teufel das Leder gerbte. Mag er fortfahren, den guten Schreiberhauern beizustehn und dem Vaterlande. Doch soll sich der Goldmacher hüten, wie des Aesopi Hund, nach einem Schatten schnappend, das Fleisch der Weisheit aus dem Maul zu verlieren. Gold ist verderblich, Gunst der Menschen launisch, irdische Macht wankend, nur Wahrheit und Liebe besteht in Ewigkeit ...«

Diese Mahnung des gottseligen Märtyrers, mir überbracht durch einen zweiten Zeugen irdischer Vergänglichkeit, erschütterte mich bis ins Mark, wie ein Posaunenstoß vom Jüngsten Gericht. Ich schluchzete auf und hätte sogleich auf mein Angesicht niederfallen und meine Sünde wider die heilige Wahrheit bekennen mögen. Doch schien es mir angebracht, zu warten, bis der Trompeterhans seinen Bericht zu Ende getan.

Und er fuhr fort: »Kurz war meine Unterredung mit dem edeln Herrn, und ich merkete wohl, daß ihm meine geistliche Verkleidung unlieb. Er betrauete mich mit einem mündlichen Valet für seine Kinder und Freunde. Briefe und Andenken werde sein Hofjunker überbringen. Dann mußte ich aus dem Stübel, weil Herr Prediger Lentzius zum Gottesdienst und Abendmahl erwartet wurde. Ich blieb jedoch im Rathause. Was nun für hochwichtige Worte zwischen Herrn Schaffgotsch und seinem Beichtvater gefallen, hat dieser beschlossen, mit in die Grube zu nehmen. Bei der Kommunion war die Tür zum Korridor offen, so daß die Diener nebst dem protestantischen Teile der Wache kniend bei Gesang und Gebet mittun konnten. Geschahe nicht ohne Vergießung reichlicher Tränen. Habe mein Lebenlang keinen Menschen in dergleichen Andacht und ehrerbietigen Sitten am Tische des Herrn gesehn. Andern Morgens, es war der Hinrichtungstag, wagte ich mich abermals ins Rathaus. Konstantin berichtete, der Herr habe festen Schlaf gehabt, gar geschnarchet und beim Erwachen den Sonnenstrahl mit dem Wunsche begrüßt: Gebe mir mein Heiland nach diesem Lichte das ewige Licht! Bald tat sich uns Besuchern die Türe auf, und lächelnd stund da unser geliebter Herre in schwarzen Unterkleidern, gespornten Reiterstiefeln, einem Koller von Elenshaut mit schwarzen Atlasärmeln, weißem Spitzenkragen, Federhut und gelben Handschuhen. Er küßte den erschienenen Predigern die Hand, segnete seine weinenden Getreuen und nickte mir freundlich zu. Da inzwischen der Oberstfeldprofoß mit seinen Knechten die im Stübel vorhandenen Teppiche und Utensilien aufräumte, sprach unser Herr gütig: Nehmet alles hin; doch die Bücher gehören den evangelischen Geistlichen. Hierauf folgte er dem Profossen in den Rathaussaal, wo der gesamte Regensburger Rat mit tiefen Komplimenten dem Freiherrn die Reverenz machte. Der nun gab allen die Hand und bedankte sich dafür, daß sie ihm an ihrer Dreifaltigkeitskirche eine letzte Ruhestatt vergönnen wollten. Sobald er aus dem Rathause ins Freie trat, hub die zahlreich zusammengeströmte Menge zu schluchzen an, und viele sagten: Ach, welch schöner, hoher, lieber Herre! Von solchem Mitgefühl, das aus selbstlosen Herzen ungewöhnlich herfürbrach, war Hans Ulrich gerührt. Er stieg nun in die schlechte, elende Karosse, mit sechs Schimmeln bespannt. Vorreiter war der Feldprofoß, und als einziger Diener, dem dies vom Kriegsgerichte verstattet worden, ging nebenher der treue Konstantin. Wo unterwegs aus den Fenstern Frauen oder Jungfern heraussahen, zog der ritterliche Herr seinen Hut. Ist so frei im Wagen gesessen, als ging es zum Tanze, nach den Fenstern winkend und lächelnd. Vor dem Gasthause zum goldnen Kreuz hat der Wagen gehalten, weil innen im Saale das Kriegsgericht zur Verlesung des Todesurtels versammelt war. Wie nun General Götz den Vorwurf des Verrats und Eidbruches aussprach, verließ unsern Herrn seine Ruhe, daß er sich auf die Brust schlug und mit erhobenen Schwurfingern aufbrausete: Das leugest du, Götz; am Tage der Auferstehung zitiere ich dich und manchen andern vor das Jüngste Gericht. Nicht schuldig dessen bin ich, was ihr mir zur Last leget! – Der erblichene Götz mußte sich erst sammeln, um fortfahren zu können, daß der Beklagte kaiserlichen Pardons nicht fähig, sondern Ihrer Majestät mit Ehr, Leib und Gut heimgefallen sei, dessenwegen er als ein abscheulich warnend Exempel dem Freimann überantwortet werde, um vom Leben zum Tode zu gelangen, und zwar mittelst des Schwertes derart, daß der Kopf der kleine, der Leib der größere Teil bleibe. Was aber die zuerkannte Abschlagung der Schwurhand betreffe, so sei diese ihm durch kaiserliche Gnade erlassen. – Nicht ohne einen Anflug von Spott hat sich Hans Ulrich geneiget. Dann hat er die Frage getan: Ist es wahr, daß der Platz meiner Hinrichtung die Heide geheißen? Wie Götz dies bestätigte, lächelte unser Herr wehmütig: Also soll ich doch auf grüner Heiden mein Leben lassen. Habe mir oft gewünscht, mein Herzblut dorten zu vergießen, wo ein Kriegsmann hingehört. Furcht vor dem Tode hat mich nie angewandelt, obwohl er mir oft so nahe, daß ich ihn mit dem Finger konnt erreichen. Allerdings sterb ich auf grüner Heiden am kalten Eisen. Doch stirbt es sich auf jede Weise wohl, so man bereit, vor Gottes Angesicht zu treten. – Hier tat ein Oberster einen tiefen Seufzer und meinte: Herr Schaffgotsch machet, daß wir bald mitsterben möchten. – Da sei Gott vor! antwortete unser Herr. Vielmehr möget ihr alle lange leben und, falls es gestorben sein soll, im heißen Kampfe fallen fürs Vaterland. Bis dahin gehabt euch wohl, Kameraden! Ist Zeit, daß ich mich auf jenen Weg begebe, den man nimmer zurückgehen kann. – Wie nun unser Herr vom versammelten Kriegsgericht Urlaub genommen und den Saal verlassen hatte, stunden bei der Treppe zween Jesuiter und baten ihn um des Jüngsten Gerichtes willen, seine Seele nicht so halsstarrig dem Teufel zuzuführen. Ich habe meine Seele schon versorgt, antwortete Hans Ulrich; möchtet ihr dem Jüngsten Tag vertrauensvoll entgegensehen wie ich! Da aber die Pfaffen weiter zudringlich waren, schlug er mit den Händen hinter sich, wie man Mücken scheuchet. Vor dem Gasthause begrüßte die Wache den heraustretenden ehemaligen General unter Gewehr, mit Trommelwirbel, die Offiziere den Degen gesenkt. Erfreut dankte der Geehrte und versicherte, er sterbe als redlicher Soldat. Von hier gings im Wagen zur Heide, wo das Blutgerüst war, von zwei Fähnlein umzingelt; und unter Schwenken der Standarten wirbelten die Trommeln, daß man sein eigen Wort nicht hätte verstehen können. Voll Todesmut stieg Hans Ulrich die Treppe zum Schafott empor, gefolgt vom Profossen und dem treuen Konstantin. Dieser nahm seinem Herrn hurtig den Halskragen ab und band ihm das Haar mit einem weißen Tuche in die Höhe, daß der Nacken frei war. Nun faltete unser guter gnädiger Herr zum allerletzten Gebet die Hände und setzte sich fest und gerade auf den Schemel. So will ich denn diesen Leib verlassen und dies arme Leben; Dir zu eigen geb ich meine Seele, gnädiger Herr Gott – sprach er mit fester Stimme, wie hinterher der treue Konstantin berichtet hat. Dann auf einmal stund hinter ihm der schwarzgekleidete Scharfrichter. Von rückwärts war er hinzugetreten, ließ nun den roten übers Schwert gebreiteten Mantel fallen, schwang es – ich sehe es noch in der Sonne blitzen, – und im Nu war der Streich verrichtet.«

Die Hand über die Augen gelegt, hielt der Trompeterhans inne – und ein einziger dumpfer Seufzer entrang sich den Zuhörern – wie die Bäume zusammenstöhnen, wann der Herbstwind sie ergreift. Männer schlugen die Hände vors Angesicht und schauderten, das Weibsvolk schluchzete. Der Trompeterhans aber raffte sich auf, um noch das Letzte zu berichten, und sprach leise unter Kopfnicken: »Ein glücklicher Streich! Wie ein Springbrunnen schoß das Blut, und zu Boden rollte der Kopf, auf dem der Hut noch saß. Der Körper aber blieb fest auf dem Schemel sitzen, damit er noch auf diese Weise künde, von welchem Geiste er bewohnt gewesen. Konstantin nahm das blutige Haupt, küßte die Stirn und wickelte es in ein schwarzes Tuch. Die anderen Diener traten herzu und betteten die Leiche in den bereitstehenden Sarg, unabgewaschen und ohne daß der Kopf angenähet worden. Legten auch das blutbefleckte schwarze Tuch sowie den Degen hinein. Dies hatte Herr Schaffgotsch ausdrücklich befohlen; so wie er zugerichtet war, wollte er am Jüngsten Tage dem Kaiser unter Christi Augen genübertreten. Und ohne Zweifel, dieser edle Herr, ein vaterländischer Märtyrer, verdient mit Gottes Gnade das ewige Leben.«

Nach dieser Rede sank der Trompeterhans erschöpft zurück und war ächzend an einen Baumstamm gelehnt. »Amen!« murmelten die Zuhörer, und es weinten selbst Männer.

Nun sahe ich das Stündlein zu meiner Beichte und Buße gekommen, faßte mich und sprach: »Ich danke dir, guter Trompeterhansel, für die Treue, so du unserm Grundherrn gezollt hast, und ich bedaure nur, daß dir aus unserm Unternehmen ein schwerer Leibesschaden kam. Das Gold, davon ich dir mitgegeben, war dein Unglück. O wie wahr hat unser verklärter Herr Schaffgotsch gesprochen, da er mich warnete vor dem Golde. Es verdirbet die Seele, indem es vom wesentlichen Gute abziehet und auf nichtswürdige Dinge lenkt. Wäre mir doch eher solch Einsehen gekommen! Doch es muß wohl sein: nicht eher wird das Kind klug, als bis es, vom Glanz des Feuers betrogen, hineingegriffen und sich die Finger verbrannt hat. Nun hat mich der Schaden kuriert und mir ein Wahrheitslicht angezündet. Das soll nicht unterm Scheffel stehen. So vernehmet, ihr Leute, mein Bekenntnis. Ich hab euch zuvor gesagt, ich könne Gold machen. Das ist nicht wahr gewesen. Mein vorgebrachtes Gold war in der Erde gefunden, ein alter Schatz der Iserberge, eigentlich also unserm Grundherrn gehörig. Daß ich mich für einen Alchymisten ausgab, geschah, um mich wichtig zu machen und euer Führer zu bleiben. Allerdings war mein Trachten ohne Selbstsucht – euch nämlich wollt ich helfen, eine Beste zur Abwehr des Feindes wollt ich bauen, und nur deshalb Herr der Berge sein, weil ich mich zum Anführer berufen fühlte. Ein Tor freilich war ich, weil ich die Mittel falsch wählte. Mit Golde hab ich Menschen habgierig gemacht und zu Trug, Raub und Mord angereizt. Wer Wind säet, wird Sturm ernten. Was ich erreichen gewollt, ist kläglich mißlungen. Zusammengebrochen ist die Goldburg, und es haben die stürzenden Trümmer manchen von uns begraben, auch friedliche Hütten zerschmettert. Ich bin daran mitschuldig. Ich bekenne, bekenne! Und bitten tu' ich reuevoll: Vergebet mir!«

Zuerst war alles starr, Augen und Mund rissen sie auf. Dann sah ich finstere Blicke auf mich gerichte. Noch schwieg die Gemeinde. Dann murmelten die Leute mit einander, immer unwilliger. Schließlich kam ein bitter Auflachen, und Maiwald höhnte: »Das also war dein Lichtreich, Johannes! Mich hast du gescholten, weil ich Beute gemacht, in offenem Kampfe dem Feinde was abgenommen und es der Gemeinde geben gewollt. Du aber eignest dir heimlich einen Schatz an, Gold aus unsern Bergen, und statt mit uns zu teilen, legst du deine Hand darauf und wirst ein Lügner, ein Großsprecher. Als Goldmacher blähest du dich auf, um unser König zu sein. Ei ja doch! Und nun du den Karren in den Dreck geschoben, flennest du: Vergebet mir! Was haben wir davon, daß du bereuest, und daß wir vergeben? Wer bauet unsere Hütten wieder auf? Wer schafft uns Vieh und Getreide? Her mit deinem Golde! Wo ist es? Her damit!« – »Ja, her damit! Entschädige uns!« riefen rauh die anderen. Meine Demut war in Gefahr, in einem Aufbrausen unterzugehen, mein Odem stürmte. Doch die Hand auf die Brust gepreßt, sprach ich heimlich zu mir selber: »Stille! Recht geschiehet dir, auch wo Unrecht dich geißelt.« Ich zog meinen schmalen Geldbeutel und sprach: »Was ich zu eurer Entschädigung bieten kann, ist dies wenige – drei Dukaten, ererbt von meinen Eltern ...«. Höhnisch lachte Maiwald. Ich aber sah ihm frei ins Auge und fuhr fort: »Lache nicht, habe Achtung vor diesen Münzen! Mit Kreuzlein sind sie bezeichnet, weil sie, von meinen Eltern in ehrbarer Arbeit erworben und für den Sohn aufbewahrt, nichts gemein haben mit dem gottlosen Mammon. Nimm das gute Geld für die Gemeinde, Maiwald! Vor dem ausgegrabenen Schatz aber behüte euch hinfürder der Himmel. Versteckt liegt er, daß ihn kein Mensch mehr findet. Machet keine langen Gesichter! Lasset uns keine Toren mehr sein! Wie denn? Jenes Gift, das so viele Opfer gefordert hat und meine Eingeweide abscheulich grimmen macht, soll ich das wie Zuckerbrot an euch austeilen? Lasset mich zufrieden, da ich nun endlich euer Heil im Auge habe. Und wehe euch, so ihr nach dem Schatz Gelüsten traget! Ich verfluche das Gold. Zu den Dämonen der Tiefe ist es versenkt, und wer ihm nahet, soll das Grauen der Hölle kosten.«

Solche Einschüchterung – Gott sei's geklagt – wirkte mehr, als selbst der weise Salomon durch Predigt hätte ausrichten können. Scheu glotzten mich alle an und schwiegen. Hierauf legte ich den Beutel mit den drei Dukaten hin, tat einen tiefen Seufzer und ging. Man schimpfte hinter mir her, ich nahm es ruhig hin und hörte bald nur die guten Waldbäume summen. Und wie früh Morgens durch schwindende Flore der Nacht immer holder und farbiger die Blüten der Erde schimmern, so kam aus all dem Trüben, das mich umschleiert hielt, nunmehr ein sacht Grüßen, als ob unschuldige Kindlein mich anlächelten. Und da ich beim Abendburgfelsen einsam war, strahlte rings die Welt so rein, als gäb es keine Schuld. Wie ein Freiersmann kam ich mir vor, der nach nächtlichem Irren endlich sich heimgefunden hat zur Braut.

Ein Wandrer tappt in Nacht und Dünsten;

Wonach er suchte, wußt er nicht,

Da hat verlockt mit Gaukelkünsten

Zu Sümpfen ihn ein Flackerlicht.

Er taumelte hinein und hielt den Rausch der Sinne

Für benedeite Minne.

Und falsche Schätze sah er strahlen,

War allen Leibeslüsten hold,

Vernahm mit Gier der Großen Prahlen

Und griff nach Purpur, Lorbeer, Gold.

Er rang und raufte drum, im wirren Fiebertraum,

Doch seine Hand griff Schaum.

Wach auf, Genarrter! Herold Morgen

Macht alle Nachtgespenster fliehn.

Von Bergeseinsamkeit geborgen,

Im heilgen Lichtstrom darfst du knien.

Gib hin die dumpfe Stirn! Der rote Sonnenmund

Küßt dich von Schuld gesund.

In Weiheschauern wird nach oben

Zur spät gefundnen Sonnenbraut

Der Freier auf den Thron gehoben

Und Herz dem Herzen angetraut.

O tiefes Auge, gib mir Ewigkeit zu trinken!

Laß mich in dir versinken!

Wie ich so lag, war mir, als wolle mich mein Schöpfer umbilden, und der ewige Friede weihete mich zu seinem Kinde.

Hernach stund ich auf und tat den Gang in die Höhlentiefe. Der Schatzkammer galt er. Eine Last Kostbarkeit nach der andern holte ich und trug sie dorthin, wo der Höhlenbach ins Loch strudelt. Gold und Silber, Geschmeide und Edelstein warf ich hinein. Und wie die Felsengurgel ihren letzten Schluck getan und den Mammon in der Erde Eingeweide hinuntergeschlungen hatte, fühlte ich mich frei und verstund an mir des Heilands Wort zu Nicodemo: »Wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Laß dich's nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden. Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er führt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.« Ich ahnte, daß ich von neuem geboren, aus dem Geiste geboren werden solle für das wahrhaftige neue Reich, so da ist ein Reich des Lichtes, der Unschuld und Liebe in Ewigkeit.

Das eilfte Abenteuer »Wessen wird sie im Himmelreiche sein?«

Als ein rechter Liebhaber eremitischen Lebens hausete ich auf der verödeten Abendburg, und es trieben die Tannen einen Sommerwuchs nach dem andern. Herbststurm und Schneewoge, Lenzhauch und Sonnenglut bezogen stets aufs neue in alter Reihe den Posten. Von meiner ragenden Warte sah ich die Morgendünste unter mir brodeln und dann den Tag sein glutig Auge auftun, – beobachtete, wie Wolken gleich Marmorburgen im Blauen schwebeten, und wie der Abend rote Rosen um sie spann – träumte und lauschte empor, wann in der nachtenden Halle vieltausend Himmelsbürger feierlich stunden und ganz lautlos, nur mit sanftem Lodern und buntem Funkeln zueinander redeten. Schauend und sinnend gewann ich Andacht und Erkenntnis und ward immer deutlicher inne, worin das wahre Gold der Abendburg bestehe.

Vom schnöden Golde gänzlich abgewandt, lebte ich ärmlich und mühselig. Neben dem Oheim, so von seiner Kopfwunde einen schwachen und irren Geist davongetragen, hatte ich nur den Hund zur Gesellschaft, Ziegen und Zicklein; auch ein paar Bienenschwärme, in hohlen Stämmen angesiedelt. Des Oheims Acker im Tale trug unser Brot, der Wald gab Beeren her und Pilze, Holz, Wildfleisch und Felle. Wiederhergestellt war unser traulich Balkengehäus. Nach Tages Arbeit las ich in Büchern, grub in den Tiefen des Geistes und war fleißig im Niederschreiben meiner Lieder, Abenteuer und Gedanken. Vor dem Schlafen sang ich zur Harfe, der Oheim lauschte, dazu erfreute sich das Herz an Beerenwein oder Meth. Nach Menschenumgang stund nicht unser Sinn. Seitdem ich die Schreiberhauer enttäuscht hatte, blieben sie abseits. Ich sei ein Schwarzkünstler, rauneten sie, der in seiner Grotte Dämonen dienstbar halte. Dem dörfischen Gottesdienste, den ein vom Kynast verordneter Pfaffe abhielt, blieb ich fern, und nur wenn Glockengeläut, Festschalmei oder Begräbnischoral vom Tal erscholl, ward ich daran erinnert, daß man drunten schaffte und feierte, daß es Lachen und Weinen, Hochzeiten, Kindtaufen und Bestattungen gab. Hinweg über Menschengetriebe schaute ich gern in die Ferne und verlor mich in ihrem zarten Dufte. Dabei deuchte mich, dort müsse sich ein Ersehntes erfüllen. Was dies eigentlich war, wußt ich nicht zu fassen.

Versunken in den lockenden Himmel über mir, vernahm ich manchmal, wie er gütig mahnete: »Bleibe bei dir, Kind! In dir selber suche, was ich verheiße! Deinem Herzen bin ich ja nur ein Spiegel. So lerne dich selbst erkennen in mir. Verschmilz das Ferne mit dem Allernächsten, vergiß die trügende Scheidung zwischen dem Deinen und dem Andern! Besiegelst alsodann für dich den Friedenspakt der Kreatur mit Gotte – mag auch die verblendete Welt ihres Streitens kein Ende finden.«

Droben kreist ein Königsaar.

Auf zu ihm ins Blau der Lüfte

Über Tann und Höhlengrüfte!

Himmlische Ferne

Lockt und lächelt wolkenlos klar.

Bist du droben, Heimatland?

Sturm und Woge rauscht hienieden,

Und ein Pilgram seufzt um Frieden,

Weil er die Heimat

Immer nur ahnt – und nirgends fand!

Nur im Traume wird sie sein.

Bette, Fels, dies müde Haupt,

Das enttäuscht noch immer glaubt!

Kehre nun, Seele,

In die Gefilde tief innen ein!

Werde Hauch und Melodie,

Leiser Mondgesang auf Auen,

Sommernächtig Niedertauen!

Bräutliche Blumen

Wecken im Kuß dir fromme Magie.

Dring ins Herz der Kreatur,

Hör aus jeder Tiefe tönen

Heimweh nach dem Allversöhnen!

Heim denn, versöhnt euch!

Gläubig verfolget des Lichtstroms Spur!

Schaut das Gnadenreich enthüllt –

Wo aus Zähren werden Wonnen

Und aus Sündern bunte Sonnen,

Wo sich der Liebe

Zärtlich Schmachten endlos erfüllt. –

Droben kreist ein Königsaar.

Auf zu ihm ins Blau der Lüfte

Über Tann und Höhlengrüfte!

Himmlische Ferne

Lockt und lächelt wolkenlos klar.

An einem sonnigen Tage Septembris wandelte ich längs des Schwarzen Berges, über der Schulter einen Sack voll gesammelter Pilze. Bedachte gerade, wie das menschliche Leben gar so traumhaft sei; sintemalen die Dinge kommen und gehen, nicht anders denn Traumbilder – unberechenbar, von einer rätselhaften Macht eingegeben. Bei solchem Sinnen beschlich mich ein bang Gefühl; sagte mir: dein neues Schicksal ist allbereits unterwegs und lauert im Dunkeln, um plötzlich auf dich zu stoßen. Wer weiß, was auf einmal hier aus diesen Waldgründen kommen mag. Da hast du nun endlich deine Ruhe gefunden als ein Eremit; doch eine auftauchende Veränderung möchte dich vielleicht stören und zu wilder Leidenschaft hinreißen.

Während mein Auge starr auf dem entfernten Waldpfade verweilte, sah ich zween Menschen daher kommen, einen Mann, in der Faust eine Partisane, auf dem Rücken eine Hucke, hinter ihm ein bäuerlich gekleidet Weib.

Ich ging ihnen entgegen und bot guten Tag. Freundlich gaben sie den Gruß zurück. Dann blieb der Mann stehen und sahe mich durchdringend an: »Seid Ihr Herr Johannes, der Buschprediger von der Abendburg?«

»Der bin ich. Was ist euer Anliegen? So ihr in meine Hütte kommen möchtet, haben wir ein Stündlein zu gehen.«

Fragend blickte der Mann auf das Weibsbild und versetzte: »So der Herr Prädikant erlaubet, lässet sich auch an diesem Orte besprechen, was wir auf dem Herzen haben.«

Ich wies auf einen Felsen, von Heidelbeergesträuch umwachsen: »Lasset uns niedersitzen!«

Nun sah ich mir die beiden näher an. Der Mann von kurzer, breiter Gestalt mußte starke Kräfte haben. Haar und Bart waren ergraut; eine breite Narbe im braunen Gesicht und ein soldatischer Koller von Leder ließen vermuten, daß er in diesen Kriegszeiten die Waffe geführt.

Das Weibsbild mochte vierzig Jahre zählen, war gesund, etwas breit von Angesicht, doch angenehm anzuschauen. Ihr blaues Auge frei aufgetan und voll sanften Feuers. Sie sahe dem Manne ähnlich, wiewohl er verschlossen und streng blickte.

Da die beiden schwiegen, wollte ich ihnen Mut zum Reden machen: »Seid ihr Mann und Frau?«

»Geschwister!« versetzte der Mann. »Ich bin Heinrich Kiesewald geheißen, der Hirte vom Breiten Berge, und dies ist meine Schwester Sibylle.«

Da er wieder in Schweigen verfiel, forschte ich weiter: »Hat Er keine Frau?«

Er nickte. »Die hab ich, und um deren willen sind wir gekommen. Sie möchte etliches von Euch, Herr Prädikant, vernehmen.«

»Warum ist sie nicht selber gekommen? Ist sie krank?«

»Das nicht. Aber so verschämt, daß sie einem fremden Manne nicht leicht ihr Herz eröffnet.«

»Sie hat gleichwohl groß Vertrauen zu Euch, Herr Johannes,« sagte Sibylle eifrig. »Ihr Sinnen und Trachten, so dünket mich, ist wie das Eure darauf aus, das himmliche Reich hienieden auszuwirken. Kein ander Begehren hat sie, als immer nur treu und demütig ihre Pflicht zu erfüllen und allen wohlzutun. Dazu ist sie klugen Geistes, eine feine Frau und gehört eigentlich nicht unter geringe Hirten; heget aber gar keinen Hochmut, sondern möchte immer nur Dienerin sein.«

Der Mann nickte, und ich wandte mich zu ihm: »Da ist Er glücklich zu preisen.«

»Hörst du?« sagte Sibylle in scherzender Munterkeit; dann erklärte sie: »Mein Bruder ist nämlich noch nicht zufrieden. Denkt sich halt, sein Glück solle noch größer sein.«

»Und was fehlt daran, Heinrich Kiesewald?«

»Ich habe einen Kummer, und meine Frau hat auch einen. Sie trägt an meinem Kummer mit. Darum aber sind wir kommen, daß Ihr unsere Herzen erleichtert. Wollet Ihr also tun, Herr Prediger? wollet Ihr mit Eurer Weisheit einen Zweifel heilen, so ich Gottes Worte gegenüber hege?«

»Wenn ich kann. Fraget nur frei! Welch Gotteswort ist es denn?«

»Es stehet geschrieben ...«. Hier verstummte der Mann und besann sich.

»Lucä 20 und Matthäi 22,« sagte Sibylle und fuhr für ihren Bruder fort: »Dorten wird erzählt von sieben Brüdern. Der erste nahm ein Weib und starb erblos. Da nahm der zweitgeborene Bruder selbiges Weib, nach dem Gebote Mose, damit ein Erbe entstehe. Doch auch er starb erblos. Nun nahm der dritte das Weib, es erging ihm jedoch nicht anders denn seinen älteren Brüdern. So heirateten auch die anderen Brüder der Reihe nach und starben insgesamt ohne Erben; zuletzt starb auch das Weib. Diese seltsamliche Begebenheit trugen die argen Sadducäer unserm Heilande vor und fragten: Nun sage, Herr, wie wird es in der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie zum Weibe gehabt; wessen wird sie im Himmelreiche sein? – Sehet nun, Herr Johannes, die gleiche Frage richten wir an Euch, weil mein Bruder Heinrich hier mit Zweifeln sich bekümmert und auch noch seine Frau friedlos macht.«

Ich erwiderte: »Warum genügt Ihm nicht der Bescheid, den Christus gegeben? Die Kinder dieser Welt freien und lassen sich freien; wer aber würdig sein will, ins Himmelreich einzugehen, der muß wissen, daß man dorten weder freiet noch sich freien läßt; denn im Himmel ist man den Engeln gleich und Gottes Kind.«

Nachdenklich nickte der Mann: »So saget auch Agnete, und so muß es wohl sein. Ich aber bin ganz irre an der verheißenen Seligkeit; denn wofern nicht wenigstens im Himmel meine Agnete gänzlich mein ist.« Hier preßte er die Lippen zusammen, düster blickte sein Auge.

»Nicht gänzlich Sein?« fragte ich. »Wie soll ich das verstehen? Ist sie denn nicht Seine liebe Ehefrau?«

Da der Mann schwieg, suchte Sibylle nach Worten: »Ja sehet, Herr Johannes, sein ist sie wohl, wen sollte die Gütige nicht lieben? Und ihm hat sie ja vor Gotte die Hand zur Ehe gereicht; nur ist das eine andere Ehe, denn die gewöhnliche.«

»Ihr habet keine Kinder?«

Hierauf Heinrich: »Was meine jetzige Frau ist, die hat von mir kein Kind. Sehet, Herr Prädikant, wir leben mitsammen nicht anders denn Bruder und Schwester.«

»Ist das euer freier Wille? Oder gehorchet ihr einem Zwange?«

»Ihr Wille ist es, und frei, ja frei muß er wohl sein. Denn mein weiser Lehrer Herr Albertus sagte: ein heilig Gemüte ist frei. Meine Agnete dünket mich eine Heilige; Geschwisterschaft hat sie mit mir ausgemacht, als sie mich zum Manne nahm.«

»Und warum nahm sie Ihn?«

Sein Auge lohte, als er zur Antwort gab: »Weil ich nicht leben konnte ohne sie – und weil sie mir Gutes anzutun gedachte. Dankbar wollte sie sein und glaubete, eine Schuld sühnen zu sollen, die sie gen mich habe. Aber Schuld hat sie keine, es war ja nur ein blind Geschick, das mir mein Kind entriß, ... verzeih mir's Gott, wenn ich seine Schickung blind nenne. Will nur sagen: sie hat keine Schuld.«

»Nein, nein,« eiferte Sibylle, »sie hat keine. Denket nur, Herr, welche Heimsuchung uns betroffen. Erst stirbt meinem Bruder die Frau, seine erste Frau. Vor drei Jahren ist's gewesen, und sie hatte ein Kindlein hinterlassen. Was ein herzig frisch Mädelein war Anneliesel! Wie nun die Mutter auf dem Sterbebette gelegen ist, hat sie ihren Mann gebeten, dem Kindlein bald eine zweite Mutter zu geben. Das geschah auf der Reise, in einem Gasthause. Es war aber daselbst eine andre Mutter, eine unglückliche. Der hatte man ihr einzig Kind geraubt, dazu einen Dolchstoß versetzt. Ihr Kind zurückzuerlangen war ihr flehentlicher Wunsch; da half ihr denn mein Bruder ...« Heinrich faßte erregt meinen Arm: »Herr Johannes, das war ...« Doch seine Schwester erhub abwehrend die Hand: »Laß gut sein, Heinrich, schweig davon! Hast du vergessen, was Agnete uns ans Herz gelegt? Rege nicht die höllischen Geister auf! Sollen sie auch noch des Herrn Johannes Herz quälen?« – »Lasset gut sein!« entgegnete ich. »Ist Böses geschehen und nicht wieder gut zu machen, so mag man darüber schweigen. In der Hauptsache erzählet jedoch weiter! Sprachet von einer Mutter, so ihr Kind verloren. Mich dünket, die paßte zu dem Kinde, das seine Mutter verloren.« – Sibylle nickte lebhaft: »So ist es! Höchst liebreich war sie um Klein Anneliesel beflissen, als deren Mutter diese Welt verlassen hatte! Mochte sich von uns gar nicht trennen und zog mit mir und der Kleinen auf einem Troßwagen hinter dem Regimente her, als Heinrich noch Feldweibel war. Da sie auch von Antlitz und Gestalt holdselig war, hat mein Bruder keine andere als sie zur zweiten Ehefrau begehrt. Sie aber hat nein gesagt und hat innig gebeten, daß man ihr nicht grolle. Sie habe vor Jahren geheiratet und im Getümmel des Krieges ihren Mann verloren. Wahrscheinlich werde er tot sein; doch sei das unsicher. Drum widerrate ihr Gewissen den neuen Eheschluß ...«

Bei diesen Worten stutzte ich, da ich an Thekla dachte, die mit der Frau in diesem Schicksal übereinstimmte. Doch Thekla war ja tot, und gar vielen Frauen war in den wirren Zeiten der Gatte abhanden gekommen, ohne daß sie von seinem fürdern Geschicke wußten.

»Welchen Namen hat das Weib?« fragte ich.

»Agnete! Es ist meines Bruders jetzige Ehefrau, von der er berichtet hat.«

Nicht ohne Enttäuschung vernahm ich solchen Bescheid, als wäre ich ganz heimlich ein wenig der törichten Hoffnung gewesen, in diesem Weibe Thekla zu finden. Und ich versank in trübes Sinnen, indessen Sibylle schwieg.

Endlich kehrte ich zur Gegenwart zurück: »Und nun weiter! Agnete hat also doch wieder geheiratet! Was hat sie denn andern Sinnes gemacht?«

»Fürnehmlich jene Heimsuchung«, antwortete Heinrich, und seine Stimme bebete. »O mein Anneliesel, warum hast du dich locken lassen von den Bachblumen?« Ratlos griff er an sein Haupt und seufzete. »Auf dem Marsche ist es gewesen, mein Regiment quartierte an der Unstrut. Maßen wir nun einen sonnigen Tag im Aprilmond hatten, ist Agnete mit dem Mädelein an den Fluß gangen und unter einem Weidenbaum niedergesessen. Im Sonnenschein ist die müde Frau eingenickt. Derweilen hat sich das Kindlein von ihrem Schoß gemacht, am steilen Flußranft zu den gelben Blumen hinunter begeben und ...«

Des Mannes Stimme versagte, indessen Sibylle die Hände vor ihr Antlitz schlug.

Dumpf fuhr Heinrich fort: »Naß und kalt ist klein Anneliesel gewesen, bleich und stumm, da man den Körper in meine Arme tat, das Händlein hat noch die gelben Blumen gehalten. Agnete ist schier von Sinnen worden, und wir haben besorgt, das Herz werde ihr brechen.«

»Schreibet sie sich denn Schuld an des Kindleins Tode zu?« fragte ich.

»Ja,« antwortete Sibylle; »sie hat aber keine Schuld. Sie litt damals an Blutspeien und war so schwach. Mattigkeit hat sie überwältigt.«

»Schuld hat sie keine,« versicherte auch Heinrich. »Das hab ich ihr oft gesagt. Aber sie hat sich angeklagt, hat ihr Haar geraufet und mich um Vergebung angefleht, auf den Knien angefleht – und ich – ich habe sie emporgehoben – und begütigt – habe mich dann vor ihr auf die Knie geworfen – und unsere Tränen sind geflossen. Wie Agnete sich gesammelt, hat sie zu mir gesprochen: Ich will dir dienen, wie eine Magd. Und so du mich noch zur Frau begehrst, bin ich einverstanden. Nur grolle nicht, weil ich dir kein ander Kindlein schenken kann; denn sieh, ich hab ein Geheimnis, daß ich dir jetzo eröffnen will. Agnete hat mir hierauf alles gesagt, was Sibylle Euch, Herr, berichtet hat. Sie sei vor Jahren eines andern Weib worden, und dieser andere befinde sich vielleicht noch am Leben. Doch selbst wenn sein Tod gewiß wäre, vermöge sie mir nur Schwester zu sein. Nicht als ob sie eine Heilige wäre – hat sie gesagt, – sondern weil sie des andern Bildnis im Herzen trage und täglich in Treuen anschaue. Zuletzt hat Agnete gesprochen: So du mich nach dieser Enthüllung noch zum Weibe begehrest, so laß uns zum Prädikanten gehen; hat der nichts einzuwenden wider den Eheschluß, so will ich dir die Hand reichen. Dann hab ich freilich noch eine Bitte: Gib das Waffenhandwerk auf! Laß uns friedlich wohnen und lieber hart arbeiten, als von Blutvergießen und Beutemachen leben. – So hat Agnete gesprochen, und meine Schwester hier, längst von Abscheu wider das Soldatenleben erfüllt, ist mit Flehen und Beschwören der Bitte beigetreten. Da sich nun gerade Gelegenheit geboten, daß ich mit Fug meine Fahne verlassen gekonnt, sind wir unseren eigenen Weg gezogen. Der nächste Prädikant hat unsere Trauung vollzogen, nachdem er meiner Ansicht beigetreten, Agnete solle ihre Zweifel am Tode jenes andern getrost fahren lassen. Ich habe seitdem in einer seltsamen Mischung von Frohsinn und Leide gelebt. Agnete hat für mich wohl ein Lächeln, hat traute Rede, Trost und gütig Tun, sie blickt mir liebevoll ins Aug und streichelt meine Hand. Doch lebt sie nur als Schwester neben mir. Da muß ich denn oftmals seufzen; und also merkt Agnete, wie mir zumute und bittet dann traurig: Vergib mir! – Doch nein, Schuld hat sie keine.«

Nach längerem Stillschweigen hub ich an: »Nicht Agnete hat eine Schuld, eher ist Er, Heinrich, in ihrer Schuld.«

»Das bin ich, Herr Prädikant – und dieweilen ich ihr so viel schulde, will ich alles tun, die Schwermut von ihr zu nehmen, mit der ich sie belaste, solange mein Herz nicht leicht. Drum, Herr Prädikant, erlaubet mir und den beiden Frauen, in Eurer Gemeinde anwesend zu sein, so Ihr wieder einmal eine Predigt haltet. Und ferner bitten wir Euch, alsdann zum Texte ein Wort der Schrift zu wählen, so meinen Kummer beschwichtigen kann.«

»In meiner Gemeinde?« fragte ich nicht ohne Bitterkeit. »Ich habe keine Gemeinde. Bin auch kein Prädikant. Woher kommt euch die Meinung, daß ich Predigten halte?«

Groß sahen die beiden einander an, und Sibylle versetzte: »Zu Petersdorf und Hermannsdorf nennen Euch die Leute einen Buschprediger, so unter den Schreiberhauern Anhang habe.«

»Vor Jahren hab ich Anhang gehabt und auch dem Wahne gelebt, eine Gemeinde, ja weit mehr, ein Reich des Lichtes, begründen zu können. Weil ich nun damals Predigten im Busch gehalten, ist der Name Buschprediger aufgekommen. Bald aber sind mir in herber Enttäuschung die Augen aufgegangen, daß ich eingesehen, wie närrisch mein Unternehmen, wie eitel meine Predigt. Seitdem hause ich als Einsiedler und habe zur Gesellschaft außer meinem Hunde und meinen Ziegen nur den greisen Oheim, der an Verstörung des Geistes leidet. Den Namen Buschprediger lasse ich mir auch jetzo noch gefallen, doch nur in dem Sinne, daß ich den Büschen predige – was nicht so vermessen ist, als Menschenprediger zu sein.«

Da Heinrich und Sibylle verlegen drein schauten, fuhr ich fort: »Weil ihr jedoch eine Ausnahme unter den Menschen seid und nach meinem geistlichen Zuspruch verlanget, so will ich eine Ausnahme machen und euch dreien eine Predigt halten. Will auch gern zu diesem Zwecke zu euch auf den Breiten Berg kommen. Wann ist euch das genehm?«

»Wir danken,« sagte Sibylle erfreut, »und werden Euch einen Brief senden.«

»Ja, Dank Euch,« sprach Heinrich und drückte mir die Hand. »Doch mit Verlaub, ich habe noch einen Wunsch. So Eure Predigt vielleicht auf die sieben Brüder zu sprechen kommt, die ein und dasselbe Weib geehelicht, habet alsdann die Güte, uns auch die Frage zu beantworten: wo ist das Himmelreich? Denn Ihr werdet zugeben, daß hierauf alles ankommt. Bestehet nämlich das Himmelreich im Jenseits, so hat Christus von einer Kraft des Herzens gesprochen, die erst den Auferstandenen eigentümlich. Wir gebrechlichen Kinder der Erdenwelt sind dann wohl zu entschuldigen, so wir nicht die Gesinnung finden, die unser Heiland meint.«

Ich verwunderte mich über diese Tiefe des Nachdenkens, ungewöhnlich bei einem Hirten und ehemaligen Soldaten, und über seine wohlgesetzte Sprache, die einen unterrichteten Geist verriet. Drum fragte ich: »Ihr habet wohl viel über solche Fragen gesonnen und auch gelesen? Wes Standes waren Eure Eltern?«

»Mein Vater besaß reich Gut bei Schatzlar, und ich ward mit Sibylle unter Anwendung gelahrter Bücher erzogen. Drauf hat man meinem Vater den Prozeß gemacht wegen seiner Teilnahme an der böhmischen Glaubensverteidigung, hat unsere Güter konfisziert und uns an Leib und Leben bedräuet. Nach Sachsen sind wir entwichen, und da mein Vater bald darauf verstorben, hab ich die Muskete ergriffen und zur sächsischen Fahne geschworen – teils um das Leben zu fristen, teils um den Glauben zu verteidigen. Nach jahrelangem Soldatenleben hat sich ereignet, was der Herr Prädikant bereits weiß. Meine Schwester Sibylle aber ist es gewesen, die mit Agnetens Hilfe mich dem blutigen Handwerk abspenstig gemacht. Laß uns in Frieden leben, hat sie gesagt, denn der Krieg ist die Hölle, das Himmelreich aber ist bei uns, wir brauchen nur seine Pforten aufzutun, so gehen wir allsogleich, noch im diesseitigen Leben, hinein, und kein hart Brot darf uns solch Himmelreich verleiden. Ein gnädig Geschick hat es damals gefügt, daß ich einem Offizier begegnet bin, dem ich bei Steinau das Leben gerettet. Der war invalide worden. Wie er nun vernommen, ich wolle den Kriegsdienst verlassen, hat er zu mir gesprochen: Ich bin ein Fiskal der konfiszierten Herrschaft Schaffgotsch, und so Er ein friedlich Leben in bäuerischer Arbeit führen mag, will ich Ihm Anstellung gewähren. So sind wir zuerst auf das Vorwerk Reibnitz, diese Ostern aber in die Baude am Breiten Berge gekommen. Vor drei Wochen haben wir erfahren, daß Ihr, Herr Johannes, auf der Abendburg hauset und einer Weisheit mächtig seid, so meine Zweifel heilen kann.«

Es dünkte mich, Sibylle habe noch etwas auf dem Herzen, und so sagte ich: »Rede Sie frei heraus, liebwerte Jungfer, so Sie zu reden begehret!«

Sie errötete. »Daß Ihr keine Predigten zu einer Gemeinde haltet, bedauern wir zwar; doch ist das Euer freier Wille, so wollen wir darob nicht mit Euch rechten. Sollten aber die Leute zu Schreiberhau, denen Ihr doch früher gepredigt habt, von Euch abgefallen sein ...«

Sie zögerte fortzufahren; ich half ihr: »Wären sie es nicht, auch dann hätte ich aufgehört, ihnen zu predigen. Zum Überflusse aber sind sie abgefallen. Einen Schwarmgeist schilt mich ihr neuer Kanzelprädikant, und manche Leute sagen mir Schlimmeres nach. Nicht wahr, ihr habet auch davon vernommen? Da nimmt es mich wunder, daß ihr überhaupt gekommen seid.«

Verlegen schlug Sibylle die Augen nieder, um mich gleich darauf freundlich anzublicken: »Wir trauen Euch.«

Und Heinrich fügte hinzu: »Nun ja, ein Mann von Giersdorf hat Euch einen Schwarzkünstler geheißen, so in seiner Abendburghöhle Dämonen halte, die ihm bei der Goldbereitung zu Diensten. Weil aber die Leute gleichzeitig berichtet haben, daß Ihr in Dürftigkeit lebet, so ward ihnen von mir die Antwort: Ein armer Eremite kann doch kein Teufelsbündler sein; wer sich auf schwarze Kunst versteht, Gold machen und Dämonen beschwören kann, der nähret sich nicht von Beeren und Pilzen, sondern schwelget in Saus und Braus.«

Düster blickte ich drein; Waldhäusers Wort, niemand könne den Folgen seiner Werke entgehen, war an mir erfüllet. Ich selber war schuld an dem Gerede, daß ich Gold in der Abendburg bereite. Tötendes Gift war allbereits meiner Aussaat entsprossen, und noch wucherte sie weiter – das Vertrauen der Leute zu vergiften ...

Aus meiner Nachdenklichkeit weckte mich das Sausen der Tannen. Mein Blick schweifte hinüber zum Breiten Berge und suchte nun die Baude, bei der die seltsamliche Frau Agnete jetzo ihre Herde hüten mochte. Da meinte Sibylle: »Links an der Kuppe des Breiten Berges liegt unsere Baude, auf der grünen Matte, nahe dem Walde. Ihr sehet den Rauch emporsteigen. Aber nun lebet wohl! Wir müssen heim.«

Ich erhub mich: »So lebet wohl und habet Dank für euren Besuch. Entbietet eurer Agnete meinen Gruß und am nächsten Sonntage werde ich euch dreien die gewünschte Predigt halten.«

»Durch ein Briefel will ich Euch nähere Nachricht geben,« sagte Sibylle und drückte meine Hand.

Nun gingen die beiden, ich schaute nach, bis sie im Walde verschwunden.

»Wessen wird sie im Himmelreiche sein?« Diese Worte gingen mir durch den Sinn, und nicht auf Agneten, sondern auf Thekla bezog ich sie. »Bestehet das Himmelreich im Jenseits?« hatte Heinrich gefragt. »In uns ist das Himmelreich; wir brauchen nur seine Pforten aufzutun, so sind wir darin, noch im diesseitigen Leben.« Also meinte Agnete, und ich stimmte ihr bei. »Dorten wird man nicht freien, noch sich freien lassen; denn im Himmel ist man den Engeln gleich und Gottes Kind.« Diese Antwort des Heilands hatte ich zur meinen gemacht. Nun aber fragte ich mich: »Und du selber? Beherzigest du für dich, was du anderen predigst? Bist du deiner Thekla genüber der himmlischen Minne fähig?«

Ach, ich suchte täglich in mir die verlorene Eheliebste, und zärtlich kam sie mir alleweil entgegen. Mein Herz war der Abendburgfelsen, sein heimlicher Schatz aber meine Thekla. Ein süßes Feuer rann durch meine Adern, wenn ich das dunkle Auge betrachtete und der Stimme lauschte, die weich wie einer Rose Schoß. Und am sanften Busen lag ich tausendmal, wie damals in der Gruft der magdeburgischen Kirche. War das nun jene Minne, die bei den Seraphim gilt? Allerdings nicht.

Immerhin verschmolz mit meiner Zärtlichkeit eine Anbetung, wie man sie Engeln erweist. Wenn ich gar bedachte, daß ich sie nimmer irdisch umarmen könne, erschien mir Thekla als eine rechte Geisterbraut, nicht unähnlich der weißen Königin im Felsendom.

Aus Bergen schleicht der Abendhauch, ein Raunen

Im wüsten Hain.

Das Tannenvolk umringt mit scheuem Staunen

Den Sagenstein.

Hie stund ein Schloß; sein Glitzern machte trunken

Wie Abendstrahl.

Verwunschen ward's. Und wo die Pracht versunken,

Bezeugt dies Mal.

Verdüstert hockt der Stein, wie seinen Sorgen

Ein Bettler grollt.

Verkappter Fürst! Im Grunde dir geborgen

Ruht Perl und Gold.

Kein Gräber drang noch durch die Felsenrinde

Zum güldnen Schacht.

Ein Glimmen winkt nur dem Johanniskinde

In Zaubernacht.

Sein Träumeraug erschaut in Höhlenwildnis

Den Perlenschrein.

Auch marmorweiß ein Königinnenbildnis

Im Dom von Stein.

Ich kenne sie, die heilgen Heimlichkeiten

Der Innenschau.

Verwunschen sank auch mir ins Grab der Zeiten

Mein Königsbau.

Doch was dereinst an Seligkeit erblühte,

Ist nimmer tot,

Es bleibt mein Schatz, versunken im Gemüte,

Der magisch loht.

Ich selber bin das Schloß mit güldner Tiefe,

Der Sagenstein.

Und ob ich ganz der Oberwelt entschliefe,

Der Traum ist mein.

Die Königin ward diesen heißen Sinnen

Hinweggebannt.

Verklärt zum Engel weiht sie nun mein Minnen

Dem Geisterland.

Ein Dom von Tropfgestein, soll mich umflechten

Die Innenwelt.

Braut meiner Jugend, throne mir zur Rechten

Im Höhlenzelt!

Am Tage nach dem Besuch der Kiesewaldischen kam ein Brief, den ein Knabe vom Breiten Berge brachte.

»Lieber Herr Johannes! Nichts für ungut, daß ich nicht aufhöre, um Vergünstigungen zu bitten. Ihr habt uns eine Predigt zugesagt. Meine Schwäherin Agnete ist darob hoch erfreut. Doch hanget der Sache noch ein Bedenken an. Wie schon gesagt, hat Agnete ein sehr verschämt Gemüte. Nur mit Beben könnte sie Euch unter die Augen treten, nachdem Heinrich ihre Art Euch enthüllet hat. Später wird sie ihre Schüchternheit Euch gegenüber abtun. Bei der allerersten Begegnung jedoch ist sie befangen und würde keinen vollen Gewinn von Eurer Predigt heimtragen, so Ihr nicht ihrer Schwäche schonet. Darum so hab ich zu Agneten gesprochen: Komm du getrost zur Predigt des Herrn Johannes; ich will ihn bitten, daß dabei jedes nahe Zusammensein mit uns vermieden werde, und daß weder vor der Predigt noch hinterher Gespräche mit uns erfolgen. Habet also die Gewogenheit, lieber Herr Johannes, einen derart geeigneten Ort zur Predigt zu wählen und Euch diesmal von uns zurückzuhalten, gleichwie ja auch ein Prädikant in der Kirche von erhabener Kanzel auf seine Gemeinde niederschaut. Mir ist allerdings nicht klar, wie dies zu ermöglichen. Ihr aber findet wohl Rat. Insonderheit wollet die Sache so einrichten, daß Agnete sich nicht vor Heinrich zu schämen braucht. Ist es möglich, lieber Herr, so werde von Euch der Vorschlag getan, es solle diesmal keinerlei Gespräch erfolgen. Bitt Euch! Ihr würdet zagen Frauenherzen eine Wohltat erweisen, so ihr ein Briefel an unsern Heinrich schriebet und darin ausmachtet, unter welchen Formen und Konditionen die Predigt erfolgen soll. Vielleicht könnet Ihr geltend machen, daß jedwedes nähere Beisammensein den Prediger wie die Gemeinde zerstreuen und die Andacht beeinträchtigen würde. Das ist ja auch keine Unwahrheit.

Dürfen wir nach der Predigt die Grabkreuze betrachten, so Ihr nahe Eurer Klause habt, so mag Euer Oheim uns den Ort weisen. Ehrerbietig grüßt Euch Eure Jüngerin Sibylle.«

Durch meinen Oheim ließ ich dem Knaben Speise und Trank reichen und überlegte, wie auf den Brief zu antworten. Kam zu dem Ende, Agnetens übergroße Schüchternheit müsse geschont, Sibyllens Vorschlag beherziget werden. Verfaßte dahero folgendes Schreiben:

»Lieber Heinrich Kiesewald! Euren Wunsch, ich solle in einer Predigt die Zweifel Eures seufzenden Herzens behandeln, möchte ich am nächsten Sonntag erfüllen und lade Euch nebst Eurer Ehefrau und Eurer Schwester ein, um die Zeit des Kirchenläutens auf der Abendburg einzutreffen. Doch wollet mich entschuldigen, so ich an diesem Tage jedwedem Gespräche mit euch dreien ausweiche, also daß ihr von mir lediglich eine Predigt vernehmet. Ohne mein Beisein wird Euch mein Oheim Tobias empfangen. Alsodann wollet zunächst in meiner Stube rasten und einen Imbiß nehmen. Hernach wird euch Tobias in meinen Felsendom führen. Gleich nach der Predigt wollet den Heimweg antreten. Die Hand reichen wir uns eine Woche später, wann ich euch in eurer Baude besuche. Diesmal indessen wollet mir erlauben, daß ich nicht anders zum Vorschein komme, denn auf der Felsenkanzel. Halte nämlich dafür, daß es Herzen gibt, deren Sammlung gestört wird, so sie durch weltliche Unterredung beansprucht werden. Was aber den sogenannten Dom anlanget, das ist die große Höhle, so ich im Grunde der Abendburg entdeckt habe. Ihr brauchet nicht zu besorgen, daß sie Dämonen beherberge und mir als Laboratorium schwarzer Kunst diene. Ich wähle sie zur Stätte unserer gemeinsamen Erbauung, weil aus ihrem Schlunde ein Psalm erbrauset, unsern Schöpfer zu rühmen, und weil Felsen und Tropfgestein ein Gewölbe bilden, darin die menschliche Stimme voller Wohllaut erklingt. Auch dem Auge beut die Höhle Abenteuer. Es sind allda zwei Götterbilder, von einem Volke grauer Vorzeit aus Tropfgestein gemeißelt. Betrachtet sie mit Fleiß, bevor ich meine Predigt anhebe, und scheltet nicht die alten Heiden. Sie haben auf eigne Art ihr Sehnen und Glauben gestaltet. Mehr zu tun vermögen auch wir nicht. Euch eröffne ich den unterirdischen Dom. Sonsten mag ich ihn den Leuten nicht preisgeben, bin deshalb sogar ein wenig mit jenem bösen Leumund zufrieden, so die abergläubischen Gemüter vor der Abendburghöhle warnet. Seid aber gebeten, an niemand zu verraten, daß euch ein Geheimnis offen, so außer mir und meinem Oheim keinem Lebenden bekannt. Wollet bedenken, daß ich vor Neugier und vor Goldgier die Höhle zu hüten habe. Eure Herzen weiß ich rein davon, inmaßen sie nach dem Schatz des Himmelreiches trachten. Folget also, ich bitte, meiner Einladung in den Felsendom und tut nach meinen Wünschen. Ich bin euer Freund

Johannes.«

Versiegelt übergab ich dies Schreiben dem Knaben, daß er es seinem Herrn Kiesewald bringe.

Seit diesen Begebenheiten schweifte mein Blick gern vom Hohen Stein zum Breiten Berge, und wenn mich der Ferne Holdseligkeit bezauberte, stellte sich der Wunsch ein: Bewahre mich mein Schicksal vor jener Enttäuschung, die nicht erspart bleibt, sobald die Ferne zur Nähe wird! Ach, von den Menschen gilt das wie von allen Dingen. Noch sind die Leute drüben in der Baude am Breiten Berge mir fern, und ein holdes Rätsel ist Frau Agnete. Wer weiß, ob nicht, wann sie nahe kommt, und wann ich eindringe in ihre Art, statt einer Heiligen ein krankes, wirres Weibsbild vor mir steht? Doch ich will beflissen sein, auch in der Nähe die Ferne zu schauen.

Da nun der Sonntag gekommen, unterwies ich in der Frühe meinen Oheim, wie er die Gäste von der Kiesewaldbaude bewirten, alsdann in den Felsendom einführen, nach der Predigt wieder hinausgeleiten und mit den Gräbern bekannt machen solle. Mit Oheims Hilfe tat ich die Steinplatte vom Eingang des unterirdischen Bereiches und legte Kienfackeln bereit.

In meiner Balkenklause meditierte ich, wie die Geschichte von dem Eheweibe der sieben Brüder auszulegen sei.

Ein Summen der Kirchenglocke von Schreiberhau drang an mein Ohr, als der Oheim die Stubentür auftat: »Sie kommen!« Durch das Fenster lugend gewahrte ich, wie die erwarteten Gäste aus dem Walde getreten waren und über die Weidematte auf mein Gehäus zuschritten. Voran Heinrich, wie vormals auf dem Rücken die Hucke und in der Faust den Spieß. Etliche Schritte hinter ihm kam Sibylle mit der andern, einer schlanken, zarten Frauengestalt, deren Antlitz nahezu verhüllet war. Der Weg mußte Agneten schwer fallen, sie stützte sich auf ihre Schwäherin.

Wie ausgemacht war, mied ich meine Gäste, nahm die Harfe über die Schulter, begab mich zunächst in die Grotte, und, nachdem ich meinen Kienspan angezündet, durch das aufgetane Loch hinunter zur großen Höhle. Während ich die steinernen Stufen abwärtsstieg und mit dem Brande umherleuchtete, bedachte ich, wie meinen Gästen bei diesem Gange zumute sein werde.

Mit ihren Sinnen erlebte ich die düstern, triefend feuchten, rot angestrahlten Zacken, das Unheimliche der Schlucht, wo die Wasser mit dumpfem Tosen in jene Felsengurgel hinuntergeschluckt werden, der ich den heillosen Goldschatz überliefert hatte. Wie ich den Abgrund überschritt, glaubte ich noch einmal den Schrei zu hören, mit dem mein Bruder Zetteritz hinunterstürzte, seinen goldgierigen Mörder mit sich reißend. Und von der Raubtierwelt wandte sich meine Seele zur Friedenspforte, so mein sehnsüchtig Suchen entdeckt und auch schon aufgeschlossen hatte.

Ich tat den Aufstieg zum Dome. Das weiße Flinsgestein war wie ein Gewölb aus Schnee, von der Decke zum Boden strebten Säulen aus Tropfstein gleich riesenhaften Eiszapfen. Und lebendig ward das Gewimmel der Gestalten, vom tröpfelnden Kalkwasser gebildet; es regten sich die milchigen Behänge der Decke, in Grotten lauerten weiß vermummte Gestalten, Hulemännlein mit grauen Spitzkappen kamen durch enge Seitengänge aus der Tiefe geschlichen. Dazu wisperten die feinen Brünnlein, pinkten die fallenden Tropfen, gurgelten und tosten die Fluten der Schlucht. In feierlicher Starrheit aber schauten die beiden Götzenbilder vom Throne über ihr Reich. Hoheit lag auf des Mannes gekrönter Stirne, trutzig rollte sein Aug; ein Adlerschnabel seine Nase, ein Wasserfall sein Bart. Wie zum Gerichte hielt er das Schwert erhoben. Lieblich hingegen wäre das Antlitz der weißen Königin, stünde nicht zu ihren Füßen die Steintruhe mit den Menschengebeinen, Pferdeschädeln und Waffen.

Von der Felsenkanzel beschaute ich dies Abenteuer, wie es beleuchtet ward durch den qualmenden Kienspan. Während düsterrote Lichter über die Zacken und Zapfen huschten, stimmte ich meine Harfe.

Da hörte ich des Oheims hohles Husten und sah ihn, eine Fackel in der Hand, die Kiesewaldischen herbeiführen. Auch ich entzündete eine Fackel, die stärker leuchtete als der Kienspan, und steckte sie in einen Felsenspalt bei der Kanzel. Staunend betrachteten meine Gäste den Dom und die Götterbilder. Nach einer Weile saßen sie nieder auf dem Stein, so unterhalb der Kanzel eine natürliche Bank bildet, und schauten erwartungsvoll zu mir hinan. Frau Agnete schien geflissentlich im Schatten zu bleiben und hielt noch immer das Angesicht verhüllt.

Auf der Harfe spielte ich ein Präludium; wie Glocken hallten die Akkorde. Dann hub ich diese Rede an:

»Liebe Freunde! Von der lichten Oberwelt sind wir herabgestiegen in ein düster Reich. Aber noch ist unser Sinn erfüllt von der Sonne, von dem blauen Himmel, dem grünen Walde und dem magischen Schimmern der Ferne. Blicket in euch hinein, findet dorten noch einmal all die Berge und Abgründe, waldigen Hügel und Weidematten: Bächlein blitzen, von den Bauden steigt der Rauch, jedwedes Ding blickt und haucht uns an mit seinem eigentümlichen Wesen. Eine besondere Kunde gehört dazu, sich zurecht zu finden in der Landschaft und auf dem ganzen Erdenball, und solche Wissenschaft von den irdischen Orten dünket jedem Menschen ein würdig Ziel. Wenige aber lassen sich träumen, wie not eine andere Ortskunde tut. Wir haben ja nicht bloß ein leiblich Auge, sondern sind zu geistigem Schauen berufen. Auch im inneren Reiche gibt es Täler, dunkle Abgründe, sonnige Berggipfel und prangende Matten. Wohlan, liebwerte Gäste, suchet mit dem Geistesauge zu schauen, wenn ich euch jetzo ein Traumgesicht zeige, darin ich die Essentiam geistiger Ortskunde erfaßte. Ich befand mich in einem Felsenschlunde. Über Zacken klommen seltsame Wesen, und ich klomm mit ihnen, emporzukommen aus der Unheimlichkeit und das Licht zu erreichen, so von der Bergkuppe herniederfloß. Angst hatte ich vor denen, so mit mir um die Wette nach oben strebten; denn es waren reißende Wölfe und Bären, zischende Schlangen und feuerschnaubende Drachen. Argwöhnisch schnappte das wilde Geziefer, und ich schlug um mich mit einer Keule. Ein höllischer Zustand! Und ich hatte nur einen Trost: die Hoffnung, höher zu kommen und obzusiegen. Allmählich kam ich wirklich höher, die Finsternis ward Dämmerung, und je mehr Licht mich umfloß, desto minder feindselig erschienen mir die anderen Wesen. Mit Staunen erkannte ich, daß es keine reißenden Tiere waren, sondern Menschen, wiewohl sie allerdings Wölfen und Bären, Schlangen und Drachen ähnlich sahen. Wie ich nun inne hielt mit Keulenschlagen, so griffen auch sie mich nicht mehr an; alle waren wir müde der wechselseitigen Fehde. Und eine Stimme sprach: Mag jeder ungehindert seines Weges ziehen! Eine zweite Stimme fügte hinzu: Helfen wir einander! So kommen wir alle besser vorwärts! Da reichten etliche ihrem Nächsten hilfreiche Hand, und auf einmal waren die Gesichter der Menschen adlig. Mit Macht kamen wir nun empor; jauchzend begrüßten die Obersten das Sonnenlicht. Ich gelangte auf eine leuchtende Bergmatte, wo Blumen gleich bunten Sternen flammten. Schön waren die Menschen, und sie reichten sich die Hände und kreisten in feierlichem Reigen bei Flötenspiel und Harfenklang. An einer noch höheren Stelle des Berges stund ein Jüngling, blitzend seine Stirn; der rief mit starker Stimme:

Noch höher! Hier ist schon das Schauen Musik. Neben mir folgten etliche meiner Menschenbrüder der Einladung.

Da wir nun die Höhe erreicht hatten, trat der Jüngling in unsere Mitte und sprach: Reichet euch die Hände und schauet einander tief ins Antlitz. Da findet ihr ein und dasselbe: den Menschensohn, dem ewigen Licht zum Tempel erkoren. Bisher habt ihr vermeinet, ein jeder sei dem Nächsten feind oder doch fremd. Bisher hat jeder gesprochen: Nur ich bin ich, du aber bist du! Nunmehr kündet das ewige Licht aus eures Tempels Fenstern: Aufgewacht vom wüsten Traum, mit dem die Finsternis verstörte! Du bist ich, und ich bin du; und alles Menschliche, aus dem einen Lichte geboren, ist nur ein einziger Mensch. Erkenne ein jeder sich selbst im Mitmenschen wieder, schlinge die Arme um ihn und bitte: Vergib mir, daß ich so lange dich verkannt!«

Hier stockte meine Rede, ich ward gewahr, wie Agnetens Blick sich glühend in mich bohrte. Und ich fuhr fort:

»Wird euch nun klar, liebe Freunde, was ich mit der geistigen Ortskunde meine? Wir müssen im Reiche des Geistes unterscheiden zwischen niedrig und hoch. Zwischen den finstern Abgrund der Nichtigkeit und die himmlische Höhe hineingestellt, fühlen wir uns berufen, zum bessern Zustand zu gelangen. Doch von Gier besessen, besorgen wir, das Bessere müsse unser Nächster uns streitig machen. Da ergrimmen wir und eifern widereinander als reißende Bestien. Und fahren so lange fort mit unseligem Tun, bis wir beim Emporklimmen endlich zur Eintracht uns bekehren. Was hold und schön, erfüllt mit süßer Minne; die heilige Weisheit macht licht und sanft, das klare Schauen der Schöpfung, das liebreiche Zusammenklingen mit allen Geschöpfen begnadet uns paradiesisch.

Ja, Freunde, was wir Himmelreich heißen, ist mitnichten hinter den Sternen und ist auch an keinem besonderen Punkte der Zeit, wie jene wähnen, so erst vom jüngsten Tage erwarten, daß er ihnen das Paradeis auftun werde. Nicht an einem fernen Orte thronet der himmlische Geist, hat auch keine Wallmauer um sich gezogen, sich abzuschließen von seinen Geschöpfen. Sonsten redete ja unwahr der Psalmist: Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehest alle meine Wege. Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich in die Unterwelt, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meere, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten. Auch würde der Apostel irre reden zu den Männern von Athen am Altar des unbekannten Gottes: Er ist nicht fern von einem jeglichen unter uns, denn in ihm leben, weben und sind wir. Ja, allenthalben gegenwärtig ist der ewige Urgrund; alles ist aus ihm erboren und urkundet von ihm. Wer aber jemals das Versunkensein ins heilige Herz der Schöpfung empfunden, wer sich bezaubern ließ durch das magische Zusammenstimmen und in seliger Anbetung sich einer Mitseele geweiht, der hat in sich das Himmelreich, hat es jetzo und allhienieden. Nicht anders vermeinet der Heiland, indem er den Menschensohn, das ist den einen ewigen Menschen verkündet: So jemand zu euch wird sagen, siehe an diesem Orte ist der Menschensohn, an jenem – so sollt ihr es nicht glauben. Wenn sie zu euch sagen werden, siehe er ist in der Wüste, so gehet nicht hinaus, siehe er ist in der Kammer, so glaubet es nicht. Denn in einem Nu allgegenwärtig wie die Helle des Blitzes, der vom Aufgang bis zum Niedergang leuchtet, also wird auch sein die Anwesenheit des Menschensohnes.«

Nachdenklich hatten meine Gäste den Kopf geneigt, bis auf Agneten, die noch immer zu mir emporstarrte. Heinrich griff sich an die Stirn und blickte mit traurigem Ernste. Mit bezug auf ihn fuhr ich fort:

»Ihr habet den Wunsch geäußert, ich soll von den sieben Brüdern und der siebenfach vermählten Frau reden! Nun wohlan! Wollet selber das Urteil fällen und entscheiden, wem von den Sieben die Frau im Himmelreiche gehören soll. Etwa dem Ältesten, der ihr erster Mann gewesen? Und soll ihr dann verwehrt sein, ihre späteren Gatten lieb zu haben? Wäre das ein Himmel für die Frau und für die sechs Brüder? Ist der älteste Bruder etwa paradiesischer Wonne teilhaftig, so er diese, wie einen irdischen Schatz, für sich allein begehret? Seid eins! so rauscht der Baum des Lebens im Garten Eden, und solche Einheit ist die wahre Minne. Alle Gattenminne soll sich dazu verklären; wer aber diese Verklärung verschmäht, hat erst hineingelugt zur Himmelspforte. Wahre Minne bleibet eingedenk, wie viel seliger geben denn nehmen. Will immer nur Liebes erweisen; und an all ihrem Sonnenschein schmilzt das letzte Eis der Fremdheit, so daß zwo Seelen zu Einem Menschen zusammengetraut sind. Drum heiße ich die wahre Minne das Tor zum Himmelreiche.

Wohlan, liebende Seele, bleib nicht unter dem Torbogen stehen, ganz geh hinein! Fürchtest du aber, in all dem Lichte zu verlieren, was du insonderheit liebst, so sei getrost: Innen findest du auf Schritt und Tritt alles wieder, was du zuvor lieben gelernt hast, und die geliebte Seele schaut dir entgegen aus den Augen aller Verklärten. Drum so gibt es im Himmelreiche kein eifersüchtig Minnen mehr, nicht jenes Freien, vor dem Adam und Eva erröten mußten. O finde jene Liebe, so nicht Genuß will, sondern Andacht! Ganz oben in lichter Höhe hauset sie, auf dem Gipfel der Verklärung, und ist eine wunderschöne Jungfrau. Erschauen läßt sie sich von manchem Menschenkinde, und am Strahle ihrer Schönheit entzündet, spricht das Menschenkind: Du meine liebste Braut, gern möcht ich kosten deine Süßigkeit. Doch die himmlische Jungfrau erwidert: So deine Liebe mein ewig Gut erstrebt, sei sie willkommen. Bedenke aber, daß du dem ewigen Gute nicht näher kommst, so du es in die Arme schleußest, wie Menschen mit irdischer Habe tun, die sie für sich allein begehren und den andern wegnehmen. Das ewige Gut ist jenes Wunderbrot, mit dem der Heiland die Fünftausend speiste, ohne daß es weniger ward. Wann du aber noch nicht die Kraft hast, aus aller Verblendung dich zu reißen, so wisse, daß deine Umarmung meine Strahlenkrone raubt und trübe macht mein weißes Gewand. Ach, mancher Erdenjüngling hat im Rausch der Sinne sein Ohr verschlossen solcher Mahnung und hat sich selbst hinausgetrieben aus dem Garten Eden, dieweilen der verbotene Apfel ihm die Enttäuschung beigebracht, so als ein Schatten sich heftet an Habgier und Genußsucht. Da muß der Verstoßene irren in Düsterkeit und Regen, durch Dorn und Distel, Gefahr und Sorge, Schande und Reue. Doch wenn er schließlich verzweifelt am Bergeshang gen Mitternacht liegt, wenn als ein Drache schnaubt der Sturm und alle Bäume heulen, so gehet dem armen Jüngling wohl ein Traum wie erlösende Morgensonne auf. Und siehe, diese Morgensonne ist seine Jungfrau, sie bestrahlt ein fernes Tal, daß es engelgleich lächelt. – Ist das nicht Eden? frägt mit frohem Staunen der Jüngling. Und die Antwort lautet: Das ist die liebe Erde, nur anders angeschaut als sonsten von dir. Im Fegefeuer der Enttäuschung lerntest du nach Unschuld dich sehnen, mit deiner Sehnsucht aber ist auch die Erfüllung erwachsen. Im Auge blühet dir dein Himmelreich. Sei denn mit uns allen der Unschuld Friede!«

Nach dieser Rede griff ich wieder in die Harfe und sang dazu dies Lied:

Es sprach die Ewigkeit:

»Nur still, ihr Kindlein, ruht!

Bewahrt vor allem Streit,

Bleibt Gottes Fleisch und Blut!«

Doch ein Geschrei erwacht:

»Laß uns geboren werden!«

– So wurden Tag und Nacht,

Luft, Wasser, Himmel, Erden.

Das Menschenkindlein sog

Mit Auge, Mund und Ohr.

Die Sondergier betrog,

Daß es sein Herz verlor.

Von Habsucht ausgefüllt,

Denkt es der Herkunft kaum;

Die Heimat liegt verhüllt,

Vergessen wie ein Traum.

Und wenn es rückwärts lauscht,

Grüßt keine Mutter mehr;

Ach, nur ein Garten rauscht,

Ein wogend Wipfelheer.

Mit lichtem Schwerte droht

Ein Wächter vor der Pforte,

Wie Blitz sein Auge loht,

Wie Donner seine Worte:

»Im Heim der Ewigkeit

War einer bei dem andern.

Die unrastvolle Zeit

Läßt euch entfremdet wandern.

O Wüste Einsamkeit,

Wo jeder einzeln irrt!

Die Völker sind entzweit,

Die Sprachen sind verwirrt.

Und weil um Rache schreit

Vergoßnes Bruderblut,

Nun denn, ihr Mörder, seid

Einander Höllenglut!« –

So grollt der Rachegeist.

Doch horch, der Garten Eden,

Er säuselt und verheißt:

»Herbei! Ich heile jeden!

Erlösung wird beschert,

Wenn ihr, der Wüste leid,

Euch reuevoll belehrt

Zur treuen Ewigkeit.

Herbei, ihr Zagen! Kommt

An meine Gartenmauer!

Zu eurem Troste frommt

Der ahnungsvolle Schauer.

Wenn meine Wipfel raunen,

Und Nachtigallen singen,

Will euch vor süßem Staunen

Das volle Herz zerspringen.

Und wo sich zwei vereinen

In Lieben und Erbarmen,

Da halten sie mit Weinen

Ihr Eden in den Armen.«

Dem Nachhall lauschte die kleine Gemeinde. Wie ich die Harfe über die Schulter nahm, erhuben sich die Frauen von der Steinbank, es gingen meine Zuhörer. Ich ergriff die Fackel und verließ die Höhle.

In meiner Klause fand ich auf dem Tisch ein Körblein mit Brot und Eiern. Dazu ein Schreiben von Sibyllens Hand:

»Für die Speise, so Ihr bedürftigen Seelen gespendet, danken wir mit Liebe und möchten Euch gern etwelche Wohltat erweisen. Nehme dahero der Herr Johannes diese geringe Gabe für sein leiblich Wohl und bleibe uns fürder gewogen.«

Durch das Fenster blickte ich meinen Gästen nach und sahe sie bei den Gräbern. Entblößten Hauptes stund Heinrich neben dem Oheim am Kreuze meines Bruders Zetteritz. Vor des Kindes Kreuzlein knieten die Frauen; Agnete hielt die Hände vors Gesicht, als weine sie. Mußte wohl vernommen haben von des Kindes Opferung.

Wiederum sah ich den Scheidenden nach, bis sie im Walde verschwanden, und meine Seele, sonst ruhig, war erfüllt von heimlicher Unrast. Machte mir den Vorwurf, in meiner Rede weit mehr empfohlen zu haben, als ich selber zu leisten imstande.

Nächsten Sonntag in der Frühe begab ich mich auf den Weg zur Kieselwaldbaude. Ich wählte den Weg durchs Jammertal, schritt über den Steg des Zacken und fand mich in den Pfaden zurecht, so den Forst durchqueren. Den Kochelbach, vom trockenen Sonnenwetter Septembris seicht gemacht, konnte ich auf Steinblöcken überschreiten und klomm nun die Waldhöhe hinan, deren höchste Kuppe der Breite Berg.

Dann hörte ich Rinder brüllen, und auf der Weide war ein alter Mann nebst dem Knaben, der mir Sibyllens Brief überbracht hatte. Die Hunde kläfften, bis sie der Knabe durch Steinwürfe von mir zurücktrieb.

Oben auf der Matte, nahe dem Walde, lag die Balkenbaude, mit einem Unterbau aus Felsen. Über das Schindeldach stieg Rauch, ein Kätzlein sonnte sich unter der Haustür. Hinter der Baude dehnte sich zum Walde die aus Baumstämmen gefügte Hürde. Ein Bächlein floß hindurch und füllte etliche Holztröge. Von Tannen war die Weidematte umzingelt. Gleich einem Helm wölbte sich der Breite Berg. Seitlich an ihm vorbei blickte ich in die Schneegruben, gen Abend lag der Schwarze Berg mit dem Hohen Stein. Wieder zu Kiesewalds Baude gewendet, sah ich Heinrich auf mich zukommen, von Sibyllen gefolgt.

»Guten Morgen, Herr Johannes!« sprach er freundlich und bot mir die Hand.

»Seid willkommen!« fügte Sybille hinzu, »und sitzet an unserm Herd.« In beider Antlitz war zu lesen, mit welcher Freude sie mich aufnahmen. Wir traten in die Stube, wo es warm war. Setzten uns um den Tisch, darauf hatte es Buttermilch, Brot und Käse, auch Hammelschinken und eine Flasche Eibereschengeist.

»Nehmt fürlieb,« sprach Heinrich, »stärket Euch nach dem Wege.« Wie er hörte, daß ich übers Jammertal gekommen, meinte er: »Über den Schwarzen Wog hättet Ihr es näher gehabt. Gern will ich Euch auf dem Heimweg bis dorthin geleiten.«

Während ich aß und trank, verwunderte ich mich, daß Agnete nicht sichtbar. Sybille merkte, wen mein Blick suchte, und gab Aufklärung: »Agnete lässet Euch grüßen und um Entschuldigung bitten, daß sie abwesend. Sie begibt sich alle Sonntage hinunter gen Petersdorf oder Giersdorf zu Kranken sowie zu einsamen Leuten und Kindern, so in diesen schweren Zeiten verwaiset oder sonst hilfsbedürftig sind. Den Kindern ist sie Mutter, so gut sie vermag, unterweiset sie im Lesen und Schreiben, legt auch die Schrift aus, daß es zu Herzen geht. Bei einbrechender Dunkelheit wird Agnete von Dorfleuten heimgeleitet. So lange aber, Herr Johannes, dürfet Ihr nicht bei uns bleiben, zumal Agnete Euch bitten läßt, nicht auf sie zu warten.«

Es war mir leid, die Frau zu verpassen, deren edle und geheimnisvolle Art eine sonderliche Teilnahme in mir wachgerufen. Meine Enttäuschung mag ich nicht ganz verhehlt haben, da ich zur Antwort gab: »Hätte ich früher erfahren, daß Agnete heute nicht daheim, würde ich Euch an einem andern Tage besucht haben.«

Errötend versetzte Sibylle: »Ich will gestehen, Agnete wäre auch dann Eurem Besuche ausgewichen. Doch denket nichts Arges. Sie verehrt Euch. Aber sie wünscht, bei Eurem ersten Herkommen möchtet Ihr bloß Heinrich und mich sprechen. Den Grund mag Euch Heinrich nennen.«

»So ist es,« – sagte der Mann zögernd. »Meine Frau hat den Wunsch, ich soll mich mit Euch aussprechen, ohne daß ihr Beisein unsere Offenherzigkeit beengt.«

»Ja, redet frei mitsammen,« meinte Sibylle und verließ die Stube. Heinrich suchte nach Worten: »Ich danke Euch für Eure Auslegung des Evangeliums, und ich muß Euch wohl beistimmen, daß man im Himmelreich nicht also freiet, wie irdische Menschen tun. So Ihr aber vom schwachen Sterblichen verlanget, er solle gleich hier auf Erden ebenso heilig und verklärt sein, wie die Engel, und solle ein geliebtes Weib nicht für sich allein begehren, so mutet Ihr dem Sohne des Staubes zu, daß er mit einem Sprung über eine Kluft hinweggelange. Wann wir hinuntersteigen zum Schwarzen Wog, kommen wir an solch eine Kluft. So breit ist sie, daß, ich keinen Stein hinüberschleudern kann, und tief im Abgrunde strudelt über Felsblöcke der Zackenfluß. Wer nicht Flügel an den Schultern hat, wie die Engel, vermag nicht stracks hinüber zu gelangen. Fein behutsam muß er den Ab stieg nehmen über Geröll und durch Gestrüpp, muß den Fuß auf die Baumstämme setzen, so eine Brücke bilden, und muß am andern Ufer mühselig die Felsen emporklimmen. Die Sinnenwelt, so habet Ihr gesagt, ist ein Gleichnis für das Reich des Geistes. Nun freilich, an einen andern Abgrund, nicht unähnlich dem Schwarzen Wog, hat Eure Predigt mich geführt und heißet mich nun einen übermenschlichen Sprung durch die Luft hinübertun. Hinter der Kluft lächelt verklärt jenes Himmelreich, allwo man nicht freiet und nicht freien lässet. Hinüber aber weiß ich nicht zu gelangen, habe nicht einmal solch einen mühsamen Pfad durch den Abgrund, wie er vom Schwarzen Wog zum Zackenberge führt. Bedenk ich nämlich, es könne ein andrer Mann kommen und meines ehelichen Weibes Minne auf sich lenken, – o Herr, ich hätte nicht die Kraft, zu beherzigen, daß schon hienieden das Himmelreich anhebet. Wie denn? Soll ich etwan zu Agneten sprechen: gehe hin und lebe mit dem andern? Soll ich wie ein Heiliger zuschauen, wenn sie jenen herzet, wie sie mich nie geherzt hat? Ratet Ihr mir, ich solle verzichtend beiseite schleichen, so wär ich vielleicht, wofern Gott mich stärkt, hiezu imstande. Doch gebrochenen Herzens würd ich es tun, und nicht im Himmelreiche wär ich, vielmehr an einer Stätte höllischer Pein. Wahrscheinlich aber wird meine Kraft zum Verzichte gar nicht ausreichen; mag sein, daß mein Nebenbuhler quälenden Neid, gärenden Haß in mir weckt, und wer weiß, was ich dann tue. O Heiland, steh mir bei, daß nicht die Sünde Kains mich hinreiße.« Heinrichs Angesicht glühte, unter finsteren Brauen rollten die Augen. Beschwichtigend ergriff ich seine Faust und löste die zusammengekrampften Finger. »Ihr sagtet, Heinrich, daß ich Euch zumute, ohne Pfad und ohne Stütze über den Abgrund zu gelangen. Aber der Abgrund im inneren Menschen hat wohl Pfad und Brücke; hat auch einen Freund, der dem Unkundigen weiset, wie er gehen soll. Weiset Ihr mich, lieber Heinrich, über den Abgrund am Schwarzen Wog, so lasset mich hinwiederum Euch helfen, über den Abgrund des Herzens zu gelangen.«

»Seid Ihr das imstande?« fragte Heinrich, und vor seinem durchdringenden Auge irrte mein Blick zur Seite. »Wirklich? Seid Ihr das imstande?« wiederholte er mit erhobener Stimme; »oder gehöret Ihr zu jenen Prädikanten, so da meinen: Richtet euch nach meinen Worten und nicht nach meinen Taten?«

Er hatte mir weh getan; doch ich gab im stillen zu, daß er wahr gesprochen.

»Ja Heinrich, zu denen gehöre ich. Auch ich sage: Richtet Euch nach meinen Worten und nicht nach meinen Taten.«

Da er mich stutzig ansah, gab ich die Erklärung: »Könnet Ihr denn nicht begreifen, daß eines Men schen Auge weiter reicht, als die Kraft seiner Füße? Wenn ich den Gipfel der Verklärung schaue, so bin ich doch nicht alsogleich imstande, hinaufzugelangen, obwohl ich mich anstrenge, nicht bloß im Schauen, sondern auch im Wandeln. Bittet mich nun ein Zweifler, ihm die Wahrheit zu zeigen, wie ich sie schaue, so schildere ich zwar den Gipfel der Verklärung, möchte aber nicht derart verstanden sein, als ob ich mich selber zu den Verklärten rechne; vielmehr knie ich demütig in der Tiefe neben demselbigen, dessen Auge sich führen lässet von meinem Auge.«

Heinrich war milde worden: »Verzeihet, Herr Johannes; ich schäme mich des rauhen Wortes, so mir aus dem Munde gefahren, und ich weiß nun, daß Ihr mitnichten den heuchlerischen Prädikanten angehört. Wer die Kraft hat, ohne Zürnen sich mahnen zu lassen an seine Unzulänglichkeit, der ist ein Wegweiser zum Heil, nicht bloß mit Aug und Mund, sondern zugleich mit Herz und Wandel. Ihr habet mich still gemacht mit Eurer guten Antwort. So fahret fort, das Strudeln meines Abgrundflusses zu sänftigen und zeiget mir, wie Schritt für Schritt die Kluft mag überwunden werden.«

Getröstet fuhr ich zu reden fort: »Wohlan, betrachtet noch einmal den Fall, daß jener andere kommt und spricht: ich bin Agnetens erster Mann. Würde er ebenso wie Ihr voll Eifersucht toben, so wäre jeder von euch beiden in Gefahr, den Platz zu verlieren, zu dem euch Agnetens Minne geführet. Erinnert Euch, wie nach meiner Auslegung die Gattenminne unter die Himmelspforte zu führen vermag. Ihr beide also würdet im eifersüchtigen Hader den Eingang zum Paradiese verlieren und wohl gar miteinander in einen höllischen Abgrund taumeln – es sei denn, daß der andere stärker ist denn Ihr, lieber Heinrich, und eben das vollbringt, was die Wahrheit Euch zumutet.«

Betroffen fragte Heinrich: »Stärker denn ich? Er sollte vollbringen, was die Wahrheit mir zumutet? Was mutet sie mir zu?«

Ich entgegnete: »Nehmet einmal an, der andre spräche zu Euch mit Tränen im Auge: Dich liebt Agnete, wie sie einst mich geliebet hat. Aber vielleicht liebt sie mich noch immer. Sei es, wie es sei; ihr Herz ist mir so heilig, daß ich sein Lieben nicht hemmen mag. Darum, lieber Bruder, der du ebenso, wie ich von ihr unter des Himmelreiches Pforte geführt bist, laß uns einträchtiglich vor ihr Antlitz treten; mag sie dann entscheiden, in welcher Verfassung wir drei die wenigen Tage durchleben sollen, so uns – wer weiß – anoch beschieden sind. Wenn sie aber ratlos ist, oder wenn du, ihr jetziger Mann, nicht dulden magst, daß wir als drei Geschwister beisammen bleiben, so will ich still beiseite schleichen und darin Trost suchen, daß ich uns erspart habe, Übles zu tun, und daß ich auch in der Trennung tief im Herzen eins bin mit unserer Schwesterseele.«

Groß sahe mich Heinrich an und schüttelte den Kopf: »Das ist kein Mensch, von dem Ihr redet. Menschen gehorchen dem Trieb der Kreatur. Diesen Trieb beobachtet doch an Kampfhähnen, die eifersüchtig hadern mit Schnabel und Sporn ...« – »Aber, Heinrich!« unterbrach ich ihn lächelnd. »Soll dem Menschen unvernünftig Getier ein Muster sein? Erkläret Ihr seines Herzens Sehnsucht nach Hoheit für eitel Narretei? Und verdient Eure Agnete, die zur Stunde in Petersdorf auf lichten Pfaden wandelt, wie eine Beute dem Stärksten zugeeignet zu werden?« Heinrich errötete. Ich aber fuhr fort: »Eure Frau ist nicht Euer Eigentum. Ein Herz hat Frau Agnete, und darin lebt der heilige Urgrund. Dieses Herzens Neigung soll niemand antasten mit rauher Hand. Angenommen, Ihr tätet es, was käme Euch davon Gewinn? Mag sein, im Kämpfen wäret Ihr dem andern über, – würde dann aber nicht Agnete, wofern sie Liebe für jenen hegt, seine Wunden in sich fühlen? Und würde sie ihn, der um sie gelitten, nicht noch inniger lieben, Euch aber für einen Wüterich halten?«

Verwirrt antwortete Heinrich: »So soll ich mich von ihm verdrängen lassen?« – »Wie wunderlich Ihr redet! Wohnt jener in ihrem Herzen, so vermag kein Ankämpfen ihn daraus zu entfernen; schafftet Ihr ihn auch aus ihren Augen, so erlangtet Ihr nichts weniger als Beförderung in ihrem Herzen. Und so wenig Ihr ihn von dort verdrängen könnet, so wenig ist er imstande, Euch diejenige Liebe zu rauben, die Euch Agnete gewährt ...« Des Mannes Angesicht ward heller: »Ihr meinet also?« – »Ganz gewiß! Wie könnte Agnete, sintemalen Treue sie beherrscht, jemals vergessen, was ihr Heinrich war und ist.« – »Doch ihre Liebe teilt sich zwischen zweien.« – »Lasset gut sein! Liebe ist nicht wie ein irdisch Ding. Ein Laib Brot freilich, das zweien ausgeteilt wird, gewährt einem jeden nur die Hälfte. Die Liebe jedoch gleichet der Sonne; wen sie bescheinet, der hat die ganze Sonne, und mögen es Myriaden Sonnenkindlein sein.«

Leuchtenden Auges legte nun Heinrich Kiesewald die Hand auf meine Schulter, sah mir ins Aug und raunte, als wär's ein Geheimnis: »Ja, wenn ich wüßte, daß mir Agnetens Liebe also sicher wäre, und wenn ich wüßte, daß der andre ... Doch wer weiß denn, was er bringen kann! Sehet, dieser Zweifel nagt an meinem Herzen, und meine Sorge ist wie eine Krankheit auf Agneten übergangen. Das ist der Grund, warum wir Euch, Herr Johannes, bemühen mit unserer Herzensangelegenheit. Agnete ist beglückt von Eurer Antwort und möchte auch mir das Heil zuwenden. Hat drum zu mir gesprochen: Sei du allein mit Herrn Johannes, damit du frei dein Herz ihm offenbaren kannst. Vielleicht, daß er dich heilt von deiner Sorge, er hat Macht über die Herzen, inmaßen ihm die Wahrheit nicht bloß in der Rede lebt, sondern zugleich in der Tatkraft. Sehet nun, Herr Johannes, wie sie so zu mir gesprochen, ist mir das ungefüge Spottwort beigefallen: richtet euch nach meinen Worten und nicht nach meinen Taten. Nicht wahr? Saget selbst, es ist ein harter Weg zum Gipfel der Verklärung, und solang ich nicht weiß, ob jener andre wirklich sprechen würde, wie Ihr ihn sprechen lasset, so lange fehlt mir der Glaube. Was dieser rechte Glaube ist, weiß ich nun allerdings, seit Ihr mir das Glauben vorgemacht. Denn fürwahr, der rechte Glaube ist das Vertrauen auf eine Kraft, so als Keim im Menschenherzen wohnet.«

»Recht so, Heinrich, das Vertrauen auf das bessere Selbst, so im Menschen sich entfalten soll zum Baume himmlischen Lebens.«

Heinrich nickte sinnend: »Wie gleichet Ihr doch in Eurer Lehre meiner Agnete. Auch sie hat uns oft gesagt: Gott und das Himmelreich sind im Menschenherzen und sollen allbereits auf Erden zur Macht gelangen. Was mich betrifft, so bin ich ein Kleingläubiger. Doch ist meine Schwester Sibylle wie Agnete gesonnen. Wären diese edeln Weibsbilder nicht an meiner Seiten gestanden gleich Abgesandten des Lichtes, ich wäre wohl gänzlich verkommen im blutigen Schlamm der Heerstraße. Denn meines väterlichen Erbes beraubt und aus der Heimat vertrieben, bin ich der Widerspenstigkeit voll geworden und der Rachsucht. Habe mir fürgesetzt, der Menschen Härte mit gleicher Härte zu vergelten. Getreulich, wenn auch traurigen Herzens ist meine Schwester Sibylle mit mir gezogen auf den Kriegsfahrten; hat gemildert und gesänftigt, wo ich zu rauh, hat alle Tage mich gemahnt an den Schatz im innern Acker, daß ich den nicht vergessen solle. Wie wir nun in diese Baude hier gekommen und von den Petersdorfern erfuhren, auf der Abendburg hause ein Buschprediger, so das Himmelreich allbereits hienieden gründen wolle, hat Sibylle gleich gesagt: zu dem müssen wir hin! Und vollends, seit wir Eure Predigt vernommen, ist Sibylle Eure Jüngerin geworden. Ja, lieber Herr Johannes, meinen Weibsbildern habet Ihr es angetan. Doch wo ist Sibylle? Sie hat sich hinausbegeben, auf daß wir ungestört uns bereden könnten.« Und Heinrich rief: »Sibylle!«

Gleich darauf trat Sibylle in die Stube, eine Rolle Papier in der Hand. »Seid ihr zwei beide denn nun einig worden?« fragte sie.

Ich stund auf und versetzte: »Euer Bruder hat mir sein Herz aufgetan, und ich habe an seinem Schicksal Anteil genommen. Das ist vorerst genung der Einigkeit.«

Nachdem wir eine Weile in Nachdenken geschwiegen, begunnte Sibylle: »An das Evangelium von der Frau, die mit sieben Brüdern in die Ehe getreten, klinget eine Mär an, die ich euch beiden erzählen möchte, so es euch beliebt.«

Da ich nebst Heinrich zustimmte, setzte sie sich zum Spinnrade, spann aber nicht, sondern hub in getragenem Tone an:

Eine Königstochter war ins Elend gekommen. Ihr Vater hatte seine Krone vom Haupte fallen lassen in einen schwarzen See, und seitdem hat ihn sein Volk nicht mehr als Herrscher anerkannt. Da er nun vor Gram verstorben, ist die Königstochter weinend durch die Welt geirrt. Doch nicht immerfort kann der Mensch traurig sein, zumal wenn er jung und schön ist. Wie also die Königstochter besserer Laune geworden, ist ihr einmal ein junger Bergmann begegnet, der hat mit frischer Stimme das Liedlein gesungen:

Das Gold zur blanken Krone

Liegt in der Tiefe Schrein,

Und wer den Schatz gehoben,

Soll bald ein König sein.

Aufhorchend hemmte die Königstochter ihren Schritt, betrachtete den Jüngling, und da sie ihn schön befunden, sprach sie schelmisch zu ihm: Magst lange in der Erde tappen und schürfen, bis du Gold genung gefunden zu einer Königskrone. Eher wird dein gülden Haar wie Silber bleich, als daß dein Handwerk den Goldschatz hebt. Wüßte dir wohl ein ander Mittel, die Königskrone zu gewinnen. Hör einmal, was ich für ein Liedlein singe:

Im dunkeln See vom Grunde

Winkt einer Krone Gold,

Und hast du sie gefunden,

Wird Minne dir zum Sold.

Der Jüngling spähte in der Königstochter Auge, das ihm nicht anders fürkam, denn wie solch ein See, der am Grunde einen Schatz birgt; und fragte pochenden Herzens: Wie soll ich dein Liedlein deuten?

Da antwortete sie: Ich weiß einen See, drin liegt wirklich und wahrhaftig die Königskrone, nach der dein Streben geht. Mein Vater hat sie verloren und mit ihr sein Königreich. So du aber die Krone vom Grunde holst, mir auf das Haupt setzest und mich zurückleitest in mein verloren Königreich, wird mich das Volk als seine Fürstin anerkennen. Um dich zu besolden, will ich dir alsdann meine Hand reichen, auf daß du neben mir auf dem Throne sitzest, mein ehelich Gemahl.

Da erglühte der Jüngling im Angesicht und antwortete blitzenden Auges: Ich nehme dich beim Wort. Will dir die Krone vom Grunde holen; doch tue ich das nicht, um reich zu werden und zu herrschen, sondern um deine Hand zu gewinnen; denn du bist mir ein größerer Schatz als alles Gold und alle Kronen. Wohlan, führe mich hin, wo die Krone liegt.

Hierauf so gingen die beiden zum schwarzen See. In dessen Schlamm aber hausete eine Sumpfhexe. Wie nun der Jüngling hinuntertauchte in die Flut, tat ihm die Hexe einen Zauber an, daß er nicht mehr aus dem Wasser zurückkehren konnte und bei ihr auf dem Grunde bleiben mußte. Vergebens harrte oben am Ufer die Königstochter in banger Sorge, vergebens rang sie ihre weißen Hände, weinte und betete; ihr Liebster kam und kam nicht.

Nachdem ihre Verzweiflung bis zum Abend getobt, ward sie schwach und wimmerte nur noch leise; dann sank sie zur Erde und verfiel in einen tiefen Schlaf. Und es ward ihr dies Traumgesicht:

Zwischen Felsenblöcken stieg sie angstvoll bergan, dornige Ranken zerfetzten ihr Gewand und Füße. Der Sturmwind raufte das flatternde Haar, und Hagel peitschte schneidend ihr Gesicht. Wie sie endlich die Höhe erreicht hatte, ward der Himmel blau, und von warmer Sonne beschienen lag auf blumiger Wiese eine trauliche Hütte, bei der eine Schafherde weidete. Die Königstochter ging voll Hoffnung auf die Hütte zu und öffnete die Pforte. Da saß eine weißhaarige Alte, mit Spinnen beschäftigt, und nickte freundlich mit einem Gesicht, das viel Gram durchgemacht, aber köstlichen Frieden gewonnen.

Weinend kniete die Königstochter zu der Alten Füßen und hub an, ihr Schicksal zu beichten. Doch die Alte unterbrach sie begütigend: Weiß schon, liebe Tochter, alles ist mir wohlbekannt. Nur nach dem einen laß dich fragen .... nicht als ob es mir unbewußt wäre, sondern bloß aus dem Grunde, damit du selber dir klar darüber werdest –: Wenn dein junger Bergmann wieder aus dem schwarzen See zurückkehrte, jedoch ohne deines Vaters Krone, sag an, wie würdest du ihn dann empfangen?

Da ward die Königstochter sehnsüchtigen Verlangens voll, und hastig gab sie zur Antwort: Wie ich ihn empfangen würde? O herzen würd ich ihn und küssen; jauchzend spräch ich zu ihm: Was kümmert mich die Königskrone, so ich nur meinen Liebsten habe! O hilf mir, hilf mir, gute Mutter, daß ich des Liebsten Leben rette. An seiner Seite will ich gern niedrigen Standes bleiben. Seine Liebe ist mein wahres Königreich.

Lächelnd nickte die Alte: Schön, mein Kind! Dieweilen du so liebevollen Sinnes, will ich dir helfen und dir sagen, wie du den Liebsten wiederfindest, und dazu einen Schatz, besser noch als deines Vaters Krone. Freilich wird dir dabei fürder Leid mitnichten erspart. Allein fürchte dich nimmer vor dem Leide; faltig macht es das Angesicht, doch spiegelklar die Seele. Und wenn du wieder einmal leidvoll zu meiner Hütte kommst, so sollst du meiner Lehren gedenken und dein Gemüt zur Klarheit bringen, indem du spinnst und meine Schafe weidest. Was aber deinen Liebsten anlangt, so kehre zurück zum schwarzen See, und wenn nach Untergang der Sonne der Vollmond vom Walde aufsteigt, dann sprich mit starker Stimme zum Wasser:

Was gibst du, Hexe, mir zum Lohne,

So deinem Sumpf verbleibt die Krone?

Gib meinen Liebsten aus dem Teich,

Denn der gehört ins Himmelreich!

In dem Augenblicke erwachte die Königstochter und hörte noch im Ohre die Worte der Alten klingen. Es war heller Tag, warm schien die Sonne auf die Erwachte nieder. Sie erhub sich, und nachdem sie zunächst abermals ihrer Trauer nachgegeben und vorwurfsvoll in den schwarzen See gestarrt hatte, faßte sie den Entschluß, ihren Traum zu beherzigen.

Getröstet ging sie in den Wald und sammelte Beeren zu ihrer Speise. Lang ward die Zeit für ihre Ungeduld. Wie es endlich dämmerte, ging sie zum See und setzte sich auf einen überhängenden Felsen. Nun stieg vom schwarzen Wald am veilchenblauen Himmel der rote Vollmond auf, eine Eule schrie, und im Nachthauch begunnten die Bäume zu raunen. Gespannter Erwartung erhub sich die Königstochter und sprach mit starker Stimme:

Was gibst du, Hexe, mir zum Lohne,

So deinem Sumpf verbleibt die Krone?

Gib meinen Liebsten aus dem Teich,

Denn der gehört ins Himmelreich!

Da regte sich die Mitte des Wassers, als ob es kochte. Brausend schwollen kreisförmige Wellen, und daraus tauchte der verlorene Jüngling empor. Mit starkem Arme teilte er die Flut und schwamm unter Winken und Jauchzen auf die Königstochter zu, die sich vor Freude kaum zu lassen wußte. Hinter dem Jüngling aber schwoll auf einmal das Wasser zu einem ungeheuren Berge, rollte auf den Schwimmer los und riß ihn mit sich, ging dann übers Ufer und erfaßte auch die Königstochter. Die Wasserwoge, der ganze schwarze Teich, strömte donnernd weit übers Land. Die Königstochter schluckte Wasser, daß ihr die Sinne vergingen.

Wie sie die Augen wieder auftat, lag sie am Hange desselben Berges, den sie im Traume erschaut. In banger Unrast suchte sie nach ihrem Liebsten, fand aber keine Spur von ihm und nicht einmal vom schwarzen See. Gänzlich verändert war die Gegend; die Wasserwoge mußte eine weite Strecke ins Land hinein gespült und ihre Opfer hoffnungslos voneinander getrennt haben.

Nachdem die Königstochter das Suchen aufgegeben, dachte sie an die Worte der Alten und beschloß, deren Hütte auszufinden. Stieg also auf rauhem Pfade durch Dornenranken aufwärts, bis sie auf einer Wiese in der Tat die Hütte fand, bei der Schafe weideten. In der Stube freilich war keine Alte zu finden, obwohl der Spinnrocken, wie im Traume, bereit stund. Etliche Tage wartete die Königstochter auf die Ankunft der Alten, spann Flachs, den sie oft mit ihren Tränen netzte, hütete auch die Schafe, deren Milch ihr Nahrung gab. Es kam und kam keine Alte. So vergingen Jahre und abermals Jahre; die Königstochter war eine Spinnerin und Hirtin worden, und das Leid hatte allerdings, wie die Alte vorhergesagt, ihr Angesicht faltenreich, ihre Seele aber spiegelklar gemacht. Ihres Liebsten hatte sie in den ersten Jahren oft mit heißer Sehnsucht gedacht. Doch war mit der Zeit ihr Herz stille worden, bis die Stunden der ersten Liebe sie nur ein holder Traum deuchten, von dem keine Brücke zur wirklichen Welt führt.

Wie nun der Frühling wieder einmal Gras und Blumen aus der Matte herfürgetrieben, ging die Schafherde, der die bejahrte Hirtin folgte, über ihren gewöhnlichen Weideplatz hinaus und nahte einer andern Herde, bei der ein alter Hirte war. Nun konnte es nicht ausbleiben, daß die beiden Menschen miteinander redeten. Es fand ein jeder im andern ein Herz voll Güte und Weisheit; und das so geschlungene Band der Freundschaft ward hinfüro nicht locker. Von nun an trieben sie täglich ihre Herden zueinander, und wiewohl sie nicht viel redeten, fühlten sie sich doch so recht einmütig und gewannen mitsammen immer mehr Glückseligkeit.

Zuweilen nahm der Hirt aus seiner Tasche die Flöte und blies ein friedevolles Lied. Da sagte einmal die Hirtin: Kannst du auch singen?

Und es gab ihr silberhaariger Freund den Bescheid: In meiner Jugend sang ich manch Lied. Jedoch ist mir das Singen vergangen. Ein Lied nämlich hat mich für viele Jahre traurig gemacht.

Was war denn das für ein Lied? fragte die alte Hirtin.

Und mit leiser Stimme summte der Greis:

Das Gold zur blanken Krone

Liegt in der Tiefe Schrein,

Und wer den Schatz gehoben,

Soll bald ein König sein.

Da sah ihn seine Freundin eine Weile mit großen Augen an und nickte. Erst war ihr Nicken voll Wehmut, dann aber leuchtete ihr Blick verklärt, und sie sagte: So will auch ich dir ein Lied singen, du mein Guter; worauf sie mit zitternder Stimme sang:

Im dunklen Seelengrunde

Winkt einer Krone Gold,

Und hast du sie gefunden,

Wird Minne dir zum Sold.

Nun glitt auch dem greisen Hirten die Decke von den Augen, und in der Freundin, mit der er etliche Jahre bereits beisammen gewesen, und die er liebgewonnen wie eine Schwester, erkannte er seine allerliebste Königstochter wieder.

Anfangs verfiel er in langes Weinen und meinte trübe: Wo sind die Jahre unserer Jugend geblieben? Ach, verfehlt dünkt mich meine Lebenszeit. Welch ein Schatz ist mir entgangen, da wir so frühe voneinander gerissen und erst jetzt, nun wir verblüht, wieder vereinigt wurden.

Sei still, mein Liebster, gab die Hirtin zur Antwort. Nun sind wir ja so weit, wie wir ersehnt; nur daß freilich unser Schicksal anders gestaltet ist, als unser Jugendsinn erwartet hatte. Wir haben erreicht, was wir erreichen konnten, nur daß wir nicht den Weg der Lust gegangen sind, sondern Trennung und Tränen erlitten haben. Doch dieser andere Weg hat einen Vorzug, den mir im Traume die weise Alte angedeutet hat. Blieben denn nicht unsere Herzen bewahrt von Gier und Schuld? Sind sie nicht rein worden, so wie auf diesen Bergwiesen die Lüfte rein sind, die Blumen und Quellen? Und im klaren Spiegel unserer Herzen dürfen wir nun einander schauen, darin lesend, wie lieb ein jeder den andern hat, und wie himmlisch diese Liebe. Komm, Liebster, laß uns jauchzen und laß uns jung sein, gedenkend an jeden Augenblick, den wir in unserer Jugend mitsammen verlebt.

Da ward der Hirt getröstet und stimmte in seiner Liebsten Jubel ein. Wie sie nun in der Sonne bei einem Quell sich niedergesetzt hatten, einander zu erzählen, sprach der Hirt: Sag mir doch, liebste Königstochter, ob mein Gedächtnis irrt. Mir scheint, das Lied, so du gesungen, lautet eigentlich etwas anders. Sangest du nicht damals:

Im dunklen See vom Grunde

Winkt einer Krone Gold?

Mag sein, entgegnete die Liebste. Doch das ist falsch. Es muß heißen: Im dunklen Seelengrunde winkt einer Krone Gold. Dabei laß uns bleiben; denn die Krone, so uns beide krönen soll, hat nicht im Sumpf gelegen und ist kein harter kalter Erdenstoff. Gleicherweise ist auch das Reich, zu dessen Herrschaft wir berufen sind, ganz anders denn meines Vaters Königreich.

Hier machte die Erzählerin Sibylle eine Pause und meinte dann: »Nun saget, ihr zwei, die ihr meiner Mär gelauschet habt: Ist nicht das Reich, in dem die beiden alten Hirtenleute mit ihrer unsichtbaren Krone herrschen, ebendasselbige, von dem der Heiland sagt, daß man darinnen nicht freiet, noch sich freien lässet, sondern mitsammen Gottes Kind ist?«

Mein Herz war weich worden, und auch Heinrich schien ergriffen. »Ich danke Euch, Sibylle«, sprach ich »für dies Märlein, so ich voll Freude dem Schatze meiner Andacht einverleibe. Wo habt Ihr diesen Fund getan?«

»Ja, sprich,« meinte auch Heinrich, »woher dir die Mär kommt; ich habe sie bisher noch nie vernommen.«

Sibylle zauderte und blickte schelmisch, wobei ihr mütterlich volles Angesicht auf einmal jugendlich schien. »Eine Poetin bin ich«, scherzte sie. »Doch nein, ich will gestehen: es hat mir jemand, eine Frau, das alles erzählt. Und daß der Herren Neugier endlich Frieden habe, mögen sie wissen, die Königstochter selber hat mir das erzählet. Nun aber frage keiner mehr! Ich bleibe stumm; denn meine Mär ist aus.«

Nach diesen Worten kam mir der Gedanke, für diesmal sei wohl auch mein Besuch aus; denn was ich in Kiesewalds Baude ausrichten und vernehmen wollte, schien vorläufig zu einem Ende gediehen. Inmaßen stund ich auf und dankte für Gastfreundschaft. Auch Heinrich erhub sich: »Euer Besuch hat mich erquickt, ich danke Euch. Und nicht wahr, wir werden uns des öfteren sehen, so es Euch beliebt.«

Als ich zustimmte, sagte Sibylle ernst vor sich hin: »So der Himmel alles gnädig fügt.«

Heinrich, der mich ja ein Stück Weges geleiten wollte, ging hinaus, seine Partisane zu holen. Da reichte mir Sibylle die Rolle Papier mit den hastigen Worten: »Nehmet und berget es in Eurer Tasche. Agnete gibt es Euch und bittet, daß Ihr morgen leset, was auf dem Papiere geschrieben steht. Nicht heute aber dürfet Ihr es lesen, weder abends noch bei Nacht, sondern erst, wenn Ihr ausgeschlafen habt. Fraget nicht weiter; alles, was Ihr wissen möchtet, findet Ihr in dem Schreiben.«

Da nahm ich das Päcklein und steckte es zu mir, indem ich erwiderte: »Bestellet Eurer Schwägerin meinen Gruß! Ich will tun nach ihrem Geheiß.«

Als nun Heinrich wieder eintrat, reichte ich Sibyllen die Hand, und wir gingen. »Sturm werden wir bekommen,« sagte ich mit einem Blick auf den Gebirgsrücken, da über den Sattel schwarz Gewölk herübergezogen kam.

Schweigend schritten wir zur Kochelschlucht hinunter. Sibyllens Märlein ging mir durch den Sinn. Dachte mir wohl, Agnete werde die Geschichte ihrer Schwäherin erzählt haben mit dem Auftrage, sie uns Männern mitzuteilen. Rätselhaft aber deuchte mich Sibyllens Wort, von der Königstochter selber habe sie alles vernommen. Wie konnte denn Agnete sich mit der Königstochter vergleichen, da doch Agnetens Lebensgang kein Recht hiezu begründete? Hier wob ein Geheimnis. Und welche Bewandtnis hatte es mit der mir anvertrauten Schrift? Warum ward sie verstohlen mir übergeben? Durfte Heinrich von dem Inhalt nichts erfahren? Und was sollte mir die Bitte, nicht heute noch die Schrift zu lesen? Daß mich Agnete heute gemieden, mußte wohl noch einen andern Grund haben, als ihre mütterliche Fürsorge für die Petersdorfer Kinder.

»Erzählet von Eurer Frau, Heinrich. Was hat sie denn veranlaßt, ihr mütterlich Amt bei den Petersdorfern zu übernehmen?«

»Sie kann es nur schwer verwinden, daß ihr das eigene Kind geraubt und Klein-Anneliesel, der Sprößling meiner ersten Ehe, durch den Tod entrissen worden ist. Da sucht nun ihr liebreich Herz sich in fremden Kindern und in allerlei hilfsbedürftigen Menschen Ersatz zu schaffen. Mir ist es recht, daß ihr Sinn heiter wird bei der Jugend drunten im Tale. Nur werd ich die Sorge nicht los, daß der schwierige Weg ihrem Körper zum Schaden gereichen könne. Denn ihre Brust ist schwach von jenem Unfall her, der sie mir zugesellte.«

»Was war das für ein Unfall?«

»Haben wir das noch nicht erzählt? Ein Messerstich hatte ihr von der Schulter her die Lunge verletzt, und wiewohl die Wunde geheilt ist, blieb doch eine Schwäche zurück, und einmal hat sich Blutspeien eingestellt. Deshalb bin ich nicht ohne Sorge, wenn sie an jedem Sonntag sich den Weg zu Tal und wieder herauf zumutet.«

»Warum ist sie denn aber neulich sogar bis zur Abendburg gegangen, und warum habt Ihr sie nicht davon zurückgehalten? Es hätte ja genügt, wenn Ihr bei Eurem ersten Besuche mich zu Eurer Baude eingeladen hättet.«

»Ich weiß nicht, warum Agnete also begierig war, mit eigenen Augen Eure Klause zu schauen. Genung, sie hat gebeten, den Gang mitmachen zu dürfen, und wenn sie ernstlich bittet, kann ich nicht widerstreben. Bin auch gewohnt, nicht mit ihr zu feilschen und zu rechten.«

Nun verfielen wir in sinnendes Schweigen. Zum Kochelgrund gelangt, überschritten wir das Flüßlein mittels einer quer darübergestürzten Fichte und klommen jenseits auf rauhem Pfade die Felsenhöhe hinan, bis wir aus dichtem Tann auf eine kleine Wiese traten und nun freien Blick ins Tal des Zacken hatten. Der brausete drunten über Felsenblöcke, und drüben ging es wieder steil empor.

»Hier ist der Schwarze Wog,« sagte Heinrich, »und dieser geschlängelte Pfad führt Euch hinüber. Gebt mir nun Urlaub, denn ich möchte zurück, um meiner Frau nach Petersdorf entgegenzugehen.«

Dankend schüttelte ich Heinrich die Hand und verfolgte meinen Weg, indem ich den Spieß als Stütze gebrauchte. Bald ward mir klar, daß allerdings hier der nächste Weg zwischen meinem Heim und der Kiesewaldbaude gehe, wiewohl der Abstieg zum Zacken und noch mehr der Aufstieg zur jenseitigen Felsenhöhe also beschwerlich war, daß ich mit lächelnder Zustimmung Heinrichs Wunsch bedachte, auf Engelsfittichen über diese Kluft zu schweben.

Wie ich am Zackenberge oberhalb des Baches, Böhmischer Furt geheißen, durch den Tann schritt, neigten sich die Wipfel mit Brausen und kündeten, daß der Sturm beginne. Wiederum gedachte ich des Märleins von der Königstochter und versetzte mich in ihren Liebsten hinein, wie er als alter Mann die Braut seiner Jugend endlich wiedergefunden, jedoch zu spät, als daß die heiße Sehnsucht junger Jahre sich jetzo erfüllen konnte. Mein Träumen verlieh der Königstochter Theklas Züge, und ich legte mir die Frage vor, wie wohl mir zu Sinn sein möchte, so auf einmal jetzt, nach zwölfjähriger Trennung von einer lieben Frau, ein Weib vor mich hinträte, sprechend: »Ich bin deine Thekla!«

Von jähem Schrecken fühlt' ich mich betroffen, da mir der Einfall kam, Agnete, von der das Märlein ausging, könne Thekla sein. Aber nein, Thekla war ja tot, erdolcht von der eifersüchtigen Berthulde! Oder war das ein falscher Bericht? Lebte Thekla vielleicht? War denn nicht auch Agnete, trotz des Stiches, so ihre Lunge getroffen, wieder genesen? Und was ist das? Agnete ist gestochen, Thekla desgleichen! Und Agneten ward ein Kind geraubt? Brausend wie die Luft flatterten mir die Gefühle, und mein Schritt stürmte dahin. Dann blieb ich stehen und nahm aus meiner Tasche das Päcklein, so Agnete mir vermacht. Mein brennender Blick hätte die Hülle durchdringen mögen; doch ihr Wunsch, daß ich vor morgen nicht lesen solle, zügelte meine Ungeduld.

Daheim angelangt, sah ich meines Oheims Auge erschrocken auf mich gerichtet, da er aus seiner Geistesverwirrung heraus die Worte stammelte: »Was ist? Geht's wieder los mit den Dämonen? Ja, ja ich habe mir's gedacht; es hat sich wieder was angemeldet. O Jesus und Vater!«

Wie ich am prasselnden Ofen saß, und ein Krug Beerenwein mein bänglich Herz ermunterte, ward ich geneigt, mich einen Träumer zu schelten, der an wilder Phantasei schier dem verstörten Oheim gleichkomme. Wie denn? Agnete sollte Thekla sein? Unsinnige Einbildung! Und doch! und doch! Die Art, wie Agnete sich gab, paßte auf Thekla. Zwar hatte ich in Thekla nichts von einem Trachten nach Heiligkeit gespürt. Doch konnten zehn Jahre wohl den Sinn also umwandeln; und solche Wandlung war meiner edlen Frau zuzutrauen, zumal sie die Schule des Leidens durchgemacht. Überdies gemahnte Agnetens Wuchs an Thekla. Freilich lebte diese in meiner Erinnerung als eine ebenso straffe wie schlanke Gestalt, während Agnete mich kleiner deuchte und in ihrer zusammengesunkenen Haltung körperliche Schwäche verriet. Doch auch diese Veränderung konnte sich ergeben haben aus alledem, was ihr inzwischen begegnet.

In solchen Gedanken verbrachte ich den Abend, und nur durch strenges Meditieren und heißes Ringen um Seelenfrieden gelang es mir, etliche Ruhe zu finden.

Die Sonne neigt sich abe

Zum blauen Hügelgrabe.

So leb denn wohl, du rotes Liebesfeuer!

Ich stehe ganz allein

Auf ödem Berggestein.

Wohl heime möcht ich gahn

Und weiß doch nicht, wo Herberg han ...

Schon dräun die Wolken schwarz wie Ungeheuer.

Da mahnt die Sonn im Sinken:

Sieh dort die Zinnen winken!

Den irren Wandrer laden sie, zu hausen.

Des Burgherrn Trostlicht wacht

Getreu die ganze Nacht.

Entzünde dran dein Herze

Als eine fromme Klausenkerze!

Ums Fenstergitter laß Unholde sausen!

Am Morgen allerdings kam ich mir verstört für, als hätten der Sorge Unholde die ganze Nacht mein Gehäus umraunt. Zur Vorbereitung auf Agnetens Eröffnung sammelte ich meinen Sinn und dachte an das Ewige, vor dem wie Spreu verwehen muß, womit die Zeit uns ängstigt.

Wohlan, tritt nun über meine Schwelle, dunkles Schicksal, und enthülle dich! Du findest mich gefaßt! Und ich nahm das Packet aus meiner Tasche und tat seine Hülle ab. Papiere waren mit hastigen Schriftzügen bedeckt. Und ich las: »Mein Johannes!« Mich durchzuckte ein freudiger Schrecken. Thekla! Waren das nicht ihre Schriftzüge?

Fliegenden Blickes las ich weiter: »Durch meine Schwäherin hab ich Dich bitten lassen, Du mögest erst nach durchschlafener Nacht diesen Brief lesen. So tat ich, weil mir wohl bewußt, daß alle Deine Kraft beisammen sein muß, um Dein Herz in seiner Hoheit aufrecht zu erhalten vor dem, was ich Dir zu eröffnen habe. Das Märlein von der Königstochter hast Du vernommen und hast vielleicht vermeinet, es sei insonderheit an Heinrichs Ohr gerichtet. Dem ist nicht also; es gilt vor allem Dir. Ich hab's ersonnen, um durch ein Gleichnis zu Dir zu sprechen. O daß sich doch mein Wunsch erfüllete, und Deiner Wahrheit Kraft auf den Wachtposten gerufen würde durch mein Märlein, wie durch unser Gespräch über die sieben Brüder, so dasselbe Weib geehelicht. Jener Friede, den die alte Hirtin ihrem Liebsten mitgeteilt hat, sei mit Dir, Herzliebster! Hast Du wohl darüber nachgesonnen, wer die beiden sind, der Goldgräber und die Königstochter, so nach langer Trennung im Hirtenleben einander wiederfanden? Das sind wir zwei, Du und ich! Ja, Deine Thekla lebt! Ich bin es, seit etlichen Jahren Agnete geheißen ...«

Geblendet war mein Auge – konnte nicht weiter lesen. Um mich schwankte die Welt. Auf sprang ich und taumelte. Dann kam ein Schrei: »Thekla!« Ich warf mich auf die Knie und krampfte die Hände zusammen: »Mein Gottesquell – du lebst – hast mich nicht verlassen!«

Aber wie denn? Agnete? Nicht mehr Thekla? Eines anderen Weib? – Hastig setzte ich mich wieder zur Schrift:

»Für Dich bin ich noch immer Deine Thekla und will es bleiben in Ewigkeit. Für die anderen freilich bin ich Agnete; so hab ich mich vor Heinrich benamset, da wir einander begegnet sind. Ich wollte meine Vergangenheit verhüllen – als Agnete Kiesewaldin bin ich ihm vom Priester angetraut ...«

Das war nun die härteste Prüfung! Auseinandergerissen fühlte sich mein Herz, zerspalten mein Wesen. Es trieb mich stürmisch zu Thekla, die Gattin zärtlich zu umarmen; eine strenge Macht aber gebot mir Halt ... Heiß fielen Zähren auf meine Hand, o wie zitterte die Hand! Endlich faßte ich mich und las weiter:

»Kraft freilich ist vonnöten, so wir den Gipfel der Verklärung erreichen wollen. Du wirst sie zusammenbringen, da ja in Dir ein reicher Quell himmlischen Lebens strömt. Was mich betrifft, so bin ich Deine geistliche Tochter, und Du wirst mich emporführen. Nun aber laß uns unverzüglich beginnen mit dem Sammeln unserer Kraft. Sei denn stark, mein armer Liebling, bei dem Allertraurigsten, das ich jetzunder zu eröffnen habe ...«

Neuer Schrecken fuhr mir in die Glieder. Wie denn? Noch etwas Schlimmes kommt? – Mein ganzer Körper bebte, als ich weiter las:

»Es betrifft jenes Knäblein, so auf der Abendburg den Opfertod starb, und dessen Asche Du unter dem Kreuzlein beigesetzt hast. Wessen ist dies Kind? Wer ist sein Vater? Bleib aufrecht, wenn ich Dir jetzo sage: Da wir Hochzeit hielten im unterirdischen Gewölbe zu Magdeburg, ward uns beiden dies Kind geschenkt – der kleine Johannes ...«

Keuchend sank ich vornüber, gewaltsam aber richtete ich mich wieder auf. Laut hinausschreien wollte ich meinen Schmerz. Wie ich dann schluchzte, trat Tobias in die Balkenstube und legte die Hand auf meine Schulter, bang loderten die Augen in den düsteren Höhlen. »Tobias!« rief ich verzweifelt. »Mein Kind war's! Meins!« Blöde starrte er und schüttelte das greise Haupt: »Nicht weinen!« Zugleich begunnte mein Hund zu winseln. Ich griff mir an den Kopf und sammelte mich. Dem Oheim drückte ich die Hand, schickte ihn hinaus, tat einen Aufblick zur Höhe und wandte das Auge wieder zur Schrift.

»Friede sei mit Dir, Johannes! Ergib Dich drein! Unser Kind ist ja geborgen – ruhet in des Ewigen Schoße.« – Damals freilich, als das Grausige geschah – als der kleine Johannes der Teufelsmette zum Opfer fiel ... doch das alles sollst du später hören. Einstweilen will ich nur sagen: Eine Mutter, die mit eigenen Augen zuschauen mußte, wie ihres Leibes Frucht dem Flammentode preisgegeben ward von wahnwitzigen Menschen – sie hat mit solchem Leid einen Dämpfer empfangen, der den Trieb ihrer Sinne, falls er hinfüro einmal unbändig werden will, zu beschwichtigen weiß.

Nun aber laß mich der Reihe nach erzählen, wie das alles mit mir gekommen ist, seit ich Dich verlor.

In Scham und Zittern hatte mich Dein jähzorniger Handel mit dem Ritter Zetteritz versetzt. Als man Dich fesselte und auf Deck schleppte, war ich versucht, hinterdrein zu stürzen und wie ein Raubtier um Dich zu kämpfen. Dann aber drückte ich hilfloses Weib die Hand auf mein wild Herze: »Stille, still! und nicht den Kopf verloren! Raserei kann hier nur schaden, Hilfe wird nicht ohne Besonnenheit erlangt.«

Ich beobachtete den Zetteritz. Aufgebracht maß er den Schiffsraum mit großen Schritten und zischte mit höhnischem Lachen zwischen den Zähnen: »Hei warte nur, Tielsch, das sollst du mir büßen!« Gar nicht schildern mag ich, welch wilde Drohungen er ausstieß. Besorgt, man könne Dich töten, sank ich dem Tobenden vor die Füße: »Erbarmen, Herr Ritter; Ihr werdet edelmütig handeln. Habet mir ja angeboten, meiner Hilflosigkeit beizustehen. Nun erfüllet Euer Versprechen, so Euch wirklich an meinem Wohle gelegen.«

Solch Flehen aus Frauenmunde machte den Ritter verwirrt, daß er mich aufhub: »Verzeihe die Jungfer Gräfin meine Wildheit; aber dieser kecke Rebell ...«

Da ich ihn bat, innezuhalten, mäßigte er sich: »Gebiete das Fräulein über mich. Soweit Sie für sich selbst etwas begehrt, bin ich Ihr Kavalier. Den Tielsch aber lasse Sie endlich aus dem Spiele. Danke Sie mir lieber, daß ich Sie befreiet von diesem lästigen Kommißhund. Sakrament, er soll Elbwasser schlucken wie eine versaufende Katze.« Und von neuem lief er wütend umher.

Da überfiel mich Verzweiflung. Im Geiste sah ich Dich gefesselt in die Todesflut sinken, hilflos Entsetzen auf Deinem erbleichenden Angesicht. Ich schrie auf, und ein Toben kam über mich, das ich bisher nicht gekannt. Das Messer, so auf dem Tisch gelegen, zückte ich wider meinen Busen.

Die Augen aufgerissen, stund Zetteritz vor mir, ohne mir in den Arm zu fallen, da er wohl besorgte, in meiner Raserei möcht ich ihm zuvorkommen und zustoßen. »Halt! Besinnt Euch!« rief er heiser. »Mein Blut über Euch!« entgegnete ich und fühlte des Messers Spitze auf meinem Busen. Zetteritz machte ein ganz entsetztes Gesicht, streckte zitternde Hände aus und rief: »Ich begnadige den Tielsch! Messer weg!«

»Hebet erst die Hand zum Schwur, bei Eurer Ehre schwöret, daß Ihr ihn nicht tötet!«

Er tat nach meinem Geheiß: »Bei meiner Ehre!«

Nun ließ ich das Messer fallen, atmete tief und sank auf die Bank.

Da rief Zetteritz nach seinen Leuten, und ein paar Dragoner kamen von oben. »Tut das Messer weg und verweilet bei der Jungfer Gräfin. Ihr habet sie zu bewachen, daß sie sich kein Leides antut. Mit keinem Schritte darf sie auf Deck, und wenn sie nach dem gefangenen Rebellen fragt, daß mir keiner mit einem Wörtlein antworte! Sonsten aber sind des Fräuleins Wünsche zu respektieren und mir zu melden, wie denn die Jungfer Gräfin als eine Person von Stand zu behandeln.«

Zu mir wandte sich Zetteritz mit den Worten: »Wolle die Jungfer Gräfin bedenken, daß unser Kahn durch unsicheres Gebiet fährt, wo feindliche Parteien herumschweifen, die mit ihren Kugeln auf Deck leicht Schaden anrichten. Hier unten aber ist ein sicherer Ort. Drum hab ich befohlen, Sie solle diesen Raum nicht verlassen.« Höfisch neigte sich Zetteritz und ging.

Da saß ich nun, zwar etwas beruhigt, doch sattsam in banger Unsicherheit. Durch Lauschen wollt ich erraten, was auf dem Deck vorging. Vernahm nur die dumpfen Ruderschläge, zuweilen das Wiehern der Pferde.

Auf einmal scholl Hornsignal, und die Ruderschläge hörten auf. Über mir stampften die schweren Reiterstiefel, und bald darauf schienen Ruderschläge jenes kleine Boot, mittels dessen unsere Gefangennahme erfolgt war, vom Kahn wegzutreiben.

Ich sprang auf und rief: »Was geschiehet meinem Gatten? ich will es wissen!« Doch die Dragoner griffen mich bei den Handgelenken, daß ich mich nicht rühren konnte. Hilflos hub ich zu weinen an.

Eine Zeitlang blieb alles still. Dann hörte ich die Ruderschläge sich wieder nähern; das Boot ward am Kahne befestigt, und am Stampfen über mir erkannte ich, daß seine Bemannung an Bord zurückkehre.

Auf einmal knallte ein Schuß vom Ufer her. Sogleich hörte ich Zetteritz kommandieren, und dann gab man über mir mehrere Schüsse ab. Das Rudern ward wieder aufgenommen und beschleunigt.

Die Dragoner bei mir hatten Worte gewechselt, aus denen ich entnahm, daß eine Partei Schweden auf unsern Kahn geschossen habe. Mir gereichte das Gefecht zum Troste, denn ich sagte mir: Zum Kundschaften ist das Boot benutzt worden, und so wird meine Sorge, man könne den Johannes weggeschafft haben, wohl unzutreffend sein.

Beruhigten Herzens blieb ich bis zur Abenddämmerung an meinem Platze. Dann kam Zetteritz und hieß seine Leute, einen Verschlag neben der Kajüte für mich mit einem Strohlager versehen. Mich streifte sein scheuer Blick, und da ich wegen Johannes ihn befragte, wehrte er mit düsterm Schweigen ab. Man brachte mir eine Lampe, Speise und Trank. Ohne die Nahrung anzurühren, warf ich mich auf mein Lager, und da ich sehr erschöpft war, erbarmte sich mein der Schlummer.

Erwacht, sah ich den Tag durch einen Türspalt in mein Kämmerlein lugen. Da ich keine Ruderschläge mehr vernahm, dachte ich mir, unser Kahn müsse gelandet und also wohl am Ziel sein. Flehend hub ich meine Hände zum Himmel: »Was wirst du heute über uns verhängen? Darf ich mit meinem lieben Manne heute deine Güte erfahren, oder möchtest du uns noch länger prüfen? Nun, wie du willst, dein Wille geschehe!« So sprachen meine Lippen, das Herz wußte nichts von solcher Ergebung. Vielmehr suchten die Gedanken in banger Unrast nach Mitteln, mich und meinen Mann aus den Nöten herauszuwinden. Daß meine Jugendblüte Eindruck auf den Ritter gemacht hatte, konnte ich mir nicht hehlen. Sorgsam richtete ich mein Antlitz, Haar und Gewand für diese eitle Welt her. Wie ich nun aus dem Schlafraum trat, saß Zetteritz schmausend am Tische. Errötend stund er auf, neigte sich und lud mich ein, am Frühstück teilzunehmen. Auf den ersten Blick erkannte ich, daß er eine Schuld auf dem Herzen habe, und dieser Argwohn brachte mich in solche Erregung, daß ich meinen Blick in sein Auge bohrte und wie eine gereizte Tigerin losfuhr: »Wo ist mein Mann? Was habt Ihr mit ihm getan?«

Da Zetteritz keine Worte fand, brach ich in lautes Weinen aus und schalt ihn ins Gesicht einen wortbrüchigen Kavalier.

»Schweige Sie, Jungfer«, herrschte er mich an und stampfte mit dem Fuße: »was ich versprochen, das habe ich gehalten. Habe den Tielsch nicht ersäuft, wie er es verdient hatte, sondern an Land setzen lassen.«

»Tückischer Jesuiter!« schrie ich. »Das nennet Ihr begnadigen?« Ich wollte noch weiter toben, doch er eilte an Deck, und die Dragoner vertraten mir den Weg, als ich nachstürzen wollte. Wiederum verfiel ich in Schluchzen und Klagen. Da ließ sich auf einmal eine gebieterische Frauenstimme vernehmen, und in die Kajüte hinunter stieg eine Frau in dunklem Sammetkleid, auf dem weißen Haar einen Federhut. Sie blickte groß und mild auf mich, und sprach streng zu Zetteritz: »Tu die Kerle weg!« Worauf die Soldaten an Deck mußten.

Und Zetteritz zog seinen Hut: »Wolle die Jungfer Gräfin hier meine Mutter begrüßen, die Edelfrau Katharina Zetteritz. Meine Mutter hat sich in Mechelnburg aufgehalten, und mit dem Kahn, drauf wir uns befinden, bin ich ihr entgegengeeilt, um sie vor den andrängenden Schweden zu sichern.«

»Mein armes Fräulein,« sprach die edle Frau und griff nach meiner Hand; »mein Sohn hat mir gebeichtet, wie übel er Euch mitgespielt, da bin ich nun resolvieret, kraft meiner Mutterwürde darauf zu halten, daß er seine rauhe Soldatenart zügele und als Edelmann den Willen eines hochedel geborenen Fräuleins erfülle. Euern Vater habe ich verehrt, und wenn er sprechen könnte, so würde er bestätigen, wie gern er sich der Freiin von Smiritzky entsinnt.«

Nun herrschte die Edelfrau den Sohn an: »Laß unverzüglich das ganze Ufer absuchen, an dem der Gatte meiner Schutzbefohlenen ausgesetzt worden. Wir müssen alles tun, die voneinander getrennten Gatten wieder zu vereinigen. Seid getrost, Gräfin, harret in Geduld! Zuvörderst will ich Euch Kleider aus meiner Truhe schicken.«

Dankbar warf ich mich vor meiner Retterin auf die Knie und bedeckte ihre Hand mit Küssen. Sie zog mich empor, streichelte mein Haupt, drückte mich sanft auf die Bank und ging, von ihrem Sohne gefolgt. Gleich darauf hörte ich über mir ein Stampfen von Rossen, und durfte nun hoffen, daß Zetteritz dich suchen lassen wolle, teurer Gatte.

Es dauerte nicht lange, so kamen Soldaten in die Kajüte und brachten eine Truhe. Dann erschien Frau Zetteritz, grüßte mich abermals, schloß die Truhe auf und suchte eine feine weibliche Tracht aus, worauf sie mich bat, mich einzukleiden und mit ihr einen Gang durch das Städtlein zu tun, damit ich mir die Sorgen aus dem Sinn schlage. Der Kahn sei am Ziel, in Wittenberge; und nun werde die Rückfahrt nach Magdeburg unverzüglich beginnen, da der Nordwind tüchtig in die Segel blase. Nach meinem Gatten sei man schon auf der Suche.

Der Gang durchs Städlein tat mir wohl. Bei unserer Rückkehr zum Kahn war man mit den letzten Zurüstungen zur Abfahrt beschäftigt. Ein Mast war aufgerichtet, bald blähte sich das Segel, und nun stießen Schiffer und Soldaten mit Stangen vom Ufer ab, während Ritter Zetteritz nebst seinem Leutnant Befehle gab.

So schnell, wie wir vorher gefahren waren, ging es jetzo nicht, da wir ja gegen den Strom angingen. Immerhin kamen wir bei dem guten Segelwinde zu des Ritters Zufriedenheit vorwärts. Mehrfach wandte ich mich an Zetteritz mit der Frage, ob die Soldaten auch wirklich meinen Gatten ausfindig machen würden, und jedesmal ängstete es mich, daß er seine zuversichtlichen Worte durch die Miene scheuen Bedenkens Lügen strafte.

Der Abend rötete den Himmel, als ein Hornsignal erscholl, und das Rudern eingestellt ward. »Unsere Leute!« rief der Korporal, worauf der Steuermann den Kahn auf das havelländische Elbufer zusteuerte.

In zitternder Spannung spähte ich zum Ufer, wo etliche Reiter nebst einem Hunde zwischen den Weidenbüschen erschienen. Meine Knie wankten, als ich von Dir, mein Johannes, nichts wahrnahm. An dem Angesicht des Ritters erkannte ich, daß auch er von Schrecken erfüllt war. Ich fühlte, wie ein Weinen mich anwandelte, da ich nun den Kopf zur Frau Zetteritz wandte und mit brechender Stimme sagte: »Sie haben ihn nicht, haben ihn nicht ... O weh, mein lieber Mann!«

Dann sank ich unmächtigen Geistes hin und kam erst wieder zu mir, als man mich in der Kajüte auf die Bank gelegt hatte und meine Schläfe mit Wein rieb. Mein erstes Wort war: »Mein Mann – warum hat man ihn nicht? Was ist mit ihm?«

Frau Zetteritz suchte zu beschwichtigen: »Er wird ja wohl am Leben sein. Nur gefunden hat man ihn nicht.«

»Aber warum suchen die Reiter nicht länger?« rief ich vorwurfsvoll.

Verlegen blickte Frau Zetteritz ihren Sohn an. Der starrete düster zu Boden und zuckte die Achsel. Dann sprach er kleinlaut: »Es ging nicht, bisweilen schwedische Völker durch das Brandenburgische streifen und unsere Leute zurückgejagt haben.«

Frau Zetteritz fügte hinzu: »Drum so dürfet Ihr annehmen, Gräfin, daß Euer Gemahl bei den Schweden ist.«

Diese Hoffnung blieb in der nächsten Zeit mein einziger Trost. Allerdings machte es mir Unruhe, daß die Dragoner auf alle meine Fragen nach dem, was ihnen beim Suchen begegnet sei, immer nur ausweichend, mit schweigendem Achselzucken antworteten und zu guter Letzt erklärten, sie hätten dem Ritter alles gemeldet und nichts mehr hinzuzufügen.

Nach vielem Weinen in einsamen Stunden ergab ich mich in des Himmels Schickung und stellte ihm die Zukunft anheim. Wie nun Frau Zetteritz sahe, daß ich mich in mein Unglück gefunden, eröffnete sie mir eines Tages, sie habe bisher nicht die volle Wahrheit gesagt, weil sie mir nicht auf einmal einen so großen Schmerz habe antun wollen. Es sei kein Zweifel, daß der Verlorene nicht mehr unter den Lebenden weile; eine Beute der Wölfe sei er worden. Von den ausgesandten Dragonern seien nämlich an der Stelle, wo man meinen Gatten ans Ufer gesetzt habe, die Reste eines Menschen gefunden, der von Wölfen zerrissen gewesen; dabei seien die Kleidungsstücke gelegen, die mein Gatte angehabt. Zum Wahrzeichen habe ein Dragoner ein ledern Wams mit schwarzer Stickerei gebracht.

Nachdem ich mich über diese Schreckenskunde ausgeweint, hat Frau Zetteritz mir das Wams gezeigt, und es war das Deinige, mein Johannes, wie Du es in den gemeinsam verlebten Schreckenstagen an Deinem Körper getragen hast. So deuchte mich nun gewiß, Du werdest mir nimmermehr auf Erden begegnen.

Ich brauche nicht zu berichten, wie wir aus dem Magdeburgischen nach Altenhof in Böheim gereiset sind. Genung, ich folgte der Witfrau Zetteritz in ihr Haus und verblieb daselbst jahrelang als ihre Gefährtin und Helferin.

Nach etlichen Monden kam mir ein wehmütig Glück, indem nun sichtbar war, daß ich in den kargen Stunden unserer Ehe gesegneten Leibes worden. Am 6. Hornung des Jahres 1632 hat mir Gott unser Knäblein, den kleinen Johannes, geschenkt, und der ist mir sowohl, wie auch meiner mütterlichen Freundin ein rechter Sonnenschein worden und die wenigen Jahre hindurch geblieben, so er in meinen Armen verlebte. O daß es mir dereinst noch vergönnt sein möchte, teurer Mann, Dir all die lieblichen Stunden zu schildern, da ich unseres Knaben Stammeln belauschte, da ich ihn gängelte und dann die ersten Male frei laufen sah, da sein lieblich Stimmlein singend mit meiner Stimme zusammenging, da wir jauchzend einander im Garten haschten und den Ball in die Lüfte warfen. Für jetzo darf ich nicht verweilen bei solchen Wonnen; schon trüben Zähren mein Aug, indessen ich doch weiter schreiben muß. Zu bemerken wäre noch, daß Zetteritz sich vergebens bemüht hat, von Kaiserlicher Majestät ein Gnadengeschenk für mich zu erwirken; denn es hat der Kaiser die Bitte nur unter der Bedingung erfüllen gewollt, daß ich zur papistischen Kirche mich bekehre. Solch Ansinnen hab ich abgelehnt, nicht bloß aus Treue für den Glauben, den mein teurer Vater mit seinem Märtyrertode besiegelt, sondern auch, weil mir die Lehren der Brüdergemeinde nahegekommen und dann gar lebendig ins Herze gepflanzt worden sind. Ein Gesuch, das ich an den Schwedenkönig richtete, kam zu spät, da dieser Held etliche Tage vorher auf dem Schlachtfelde von Lützen den Geist aufgegeben.

Meine Armut ist mir insofern zum Segen gediehen, als Frau Zetteritz meiner Verheiratung mit ihrem Sohne widerstrebte, indem sie ganz offenherzig geltend machte, bei seinem geringen Vermögen müsse ihr Sohn eine begüterte Frau haben. Ich hatte nun guten Vorwand, die dargebotene Hand des Ritters abzulehnen. War gewillt, nicht mehr zu ehelichen, insonderheit nicht den Mann, durch dessen Verschulden mein Gatte ums Leben gekommen. Aber die Dinge änderten sich, als meine mütterliche Freundin unerwartet das Zeitliche segnete, und Ritter Zetteritz etliche Wochen später sein ererbtes Gut bezog. Da er mich jetzo des öfteren sah, entflammte aufs neue sein Herz, also daß er vor seinem Abschied unter Beteuerungen der Liebe in mich drang, einstweilen sein Haus zu verwalten, dann aber als Gattin ihm die Hand zu reichen. Ich wies ihn abermals zurück, wiewohl ich mich geneigt stellte, ihm als Schaffnerin zu dienen. Dabei beruhigte er sich, hoffend, die Zeit werde mich willig machen, und zog wieder in den Krieg. Hierauf hatte ich nur gewartet, entschlossen, sein Haus zu verlassen. Doch wohin mich wenden? Dich hielt ich ja für tot, Verwandte hatte ich nicht mehr, und von Marianka war keine Spur zu finden. Wußte sonst niemanden, wo ich Zuflucht suchen konnte, als die Preislerin in Schreiberhau. Ging sie also brieflich an, mich bei sich aufzunehmen, damit ich vom Ritter Zetteritz nicht zu einer mir widerstrebenden Ehe gedrängt werde. Wenige Tage nachdem ich den Brief abgeschickt hatte, erhielt ich Botschaft, Zetteritz sei auf dem Heimwege und könne jede Stunde eintreffen. Unverzüglich raffte ich meine geringe Habe zum Bündel zusammen und wollte mit meinem Knaben eben aus der Wohnung gehen, als meine Magd meldete, es sei da ein Weib zu Pferd gekommen und habe Wichtiges mit mir zu reden.

»Laß eintreten,« sagte ich, und es kam eine Jungfer, gut gekleidet, fein und schön von Antlitz und Gestalt; hatte flächsern Haar und eine weiße Haut, jedoch, was selten dabei zu finden, kohlschwarze Augen; die dunklen Brauen waren ob der Nase zusammengewachsen. Sie neigte sich und küßte mein Gewand; sie komme von der Preislerin, sagte sie, mich nach Schreiberhau zu holen. Gab sich für eine Emigrantin aus, so glaubenshalber verfolgt, zu Schreiberhau ein ander Heim gefunden habe. Nannte sich Berthulde. Ungeachtet sie liebreich tat, entging mir nicht etwas Lauerndes, Wildes in ihrem Blicke. Doch ich beschwichtigte mein leis Mißtrauen, zumal sie alsogleich eine lebhafte Neigung für den Knaben zeigte. Als sie vernommen, es sei mein Kind, fragte sie, ob Zetteritz der Vater. »Nicht doch!« entgegnete ich und konnte meinen Unwillen nicht ganz verhehlen. »Nichts für ungut, gnädige Gräfin,« bat die Jungfer; »Ihr habt ja der Preislerin geschrieben, daß Ihr längst im Hause eines Ritters weilet, der Euch zum Weibe begehrt. Aber wollet mir sagen, wie Euer Knabe geheißen.« – »Johannes,« entgegnete ich. Da verschlang sie ihn mit lodernden Augen und nickte: »Wie sein Vater.« Ich stutzte: »Was weiß Sie denn von seinem Vater?« Sie lächelte: »Ich habe nur sagen wollen, daß er seinem Vater ähneln muß, inmaßen die Frau Gräfin ja braune Augen und dunkles Haar, der kleine Johannes aber blaue Augen und güldene Locken hat.« Dabei kniete sie zum Kinde, schaute ihm zärtlich ins Gesicht und küßte es. Lieb war mir, von der Jungfer zu hören, daß sie Pferde für uns bereithalte. An einem Bachbrücklein unweit des Dorfes wollten wir uns treffen. Vor den Augen der Magd nahm Berthulde Urlaub und ritt davon, indessen ich mit dem kleinen Johannes in den Garten ging und durch ein Hinterpförtlein ins nahe Gebüsch schlüpfte. Auf einem Umwege gelangte ich zum Bachbrücklein und fand die Jungfer mit zwei Reisepferden. Unverzüglich stieg ich in den Sattel und ließ mir den Knaben reichen. Berthulde schwang sich gleichfalls aufs Pferd, und wir trabten los. Meine Führerin wählte lauter ein same Waldwege.

Abends kamen wir in ein Dorf namens Altenhain und wollten daselbst herbergen. Die Jungfer besorgte im Gasthause für uns Quartier. Die Pferde wurden in den Stall gebracht, und wir aßen zu Nacht. Berthulde war gern um den kleinen Johannes beflissen und hätschelte ihn. Derweilen kamen andere Gäste. Ein Planwagen, mit zwei Pferden bespannt, ward von einem Mann soldatischen Aussehens in den Hof geführt. Herunter stiegen zwo Frauen mit einem Kinde. Als die Pferde eingestellt waren, kamen die Leute in die Wirtsstube und setzten sich. Des Kindes Mutter war bleich und krank. Der Mann bestellte beim Wirt zu essen. Die neuen Gäste sprachen nur leise mitsammen. Ich hörte, wie der Mann Heinrich genannt wurde und das gesunde Weib Schwester Sibylle anredete. Nach beendeter Mahlzeit suchten wir unsere Kammer, wo eine Streu mit Decken belegt war. Der kleine Johannes schlief sofort ein, wir aber beredeten noch dies und jenes. Berthulde brachte das Gespräch auf den Ritter Zetteritz, und mich überraschte ihr Wort: »Warum will die gnädige Gräfin nicht den Ritter heuren?«

Von neuem stieg mir Mißtrauen auf, und ich fragte, wie sie dazu komme, mir den Ritter Zetteritz zu empfehlen. »Es wäre doch für den kleinen Johannes gut, einen Vater zu haben, zumal wenn es ein Ritter ist,« antwortete sie. Ich schwieg, und wir legten uns schlafen. Ich fand aber wenig Ruhe, da ich mir Gedanken über der Jungfer verdächtige Art machte.

Mitten in der Nacht ward ich inne, wie Berthulde sich aufrichtete und nach mir lauschte, wie sie dann behutsam sich erhub und aus dem Gemach schlich. Argwöhnisch folgte ich ihr und sahe, wie sie über den Hof in den Pferdestall ging. Nach einer Weile kehrte sie zurück, ich huschte vor ihr in die Kammer und stellte mich schlafend, während sie auf leisen Sohlen kam und sich niederlegte. Was hatte sie bei den Pferden zu schaffen? Es ließ mir keine Ruhe, und wie ich bald darauf die Jungfer schnarchen hörte, schlich ich zur Kammer hinaus, die Treppe hinunter, zündete eine vorgefundene Laterne an und trat in den Pferdestall. Durchleuchtete ihn, um herauszufinden, was Berthulde Heimlichkeit getrieben, fand aber nichts Absonderliches. Auffällig war nur, daß mein Pferd mit dem einen Vorderfuß scharren wollte und dabei zusammenzuckte. Da entdeckte ich unterm Huf eine Nadel, die an einer empfindlichen Stelle hineingesteckt war. Ich zog die Nadel heraus, und nun konnte das Pferd schmerzlos auftreten. Nun wußte ich, daß Berthulde mir eine Tücke antun wollte; resolvierete mich, unverzüglich meinen Knaben zu holen und mit dem besseren Pferde davonzureiten.

In diesem Augenblicke erschien Berthulde in der Stalltür. »Warum hat Sie meinem Pferde eine Nadel beigebracht?« herrschte ich sie an. Sie tat unschuldig, konnte aber das Feindselige ihres Blickes nicht hehlen. »Sie will meine Reise aufhalten,« sagte ich ihr ins Gesicht; »warum das? Und weshalb hat Sie mir gestern geraten, ich solle den Zetteritz heuren? Stehet Sie etwan gar im Bunde mit ihm?« – Berthulde biß sich auf die Lippe, scheu rollte ihr Auge unter den finstern Brauen: »Weil ich dem kleinen Johannes wohl will. Was soll denn der Knabe in Schreiberhau, wo doch nur ein Glasmacher aus ihm wird. Indessen er als Sohn des Ritters zu Ansehnlichem gelangt. Auch hehle ich nicht, daß die Preislerin ebenso gesonnen wie ich.« »Was?« entgegnete ich befremdet; »die Preislerin ebenso gesonnen? Wie kann sie mich alsdann zu sich laden und holen lassen?« Hart versetzte die Jungfer: »Die Frau Gräfin irrt, oder vielmehr, ich habe ihr nicht die Wahrheit gesagt. Die Preislerin mag nichts davon wissen, daß Ihr in ihr Haus kommet, will hingegen, daß ich Euch in die Hand des Ritters Zetteritz liefre. Den habe ich auch bereits verständigt, wohin Ihr entweichen wollet, daß ich Euch geleite und in Gewahrsam halte. Jede Stunde kann der Ritter hier eintreffen, und möget Ihr Euch wenden, wohin Ihr wollt, er wird Euch einholen.« Wie eine Betäubte wankte ich bei dieser Enthüllung. Dann witterte ich das Falsche darin und gab entrüstet zurück: »Du willst mich täuschen! Was du vorgibst, ist ohne Sinn. Die Preislerin ist eine gute Frau; sie kann nicht also gesonnen sein. Du leugest, und das wird an den Tag kommen, sobald ich in Schreiberhau anlange.« Wie ein Tier, das sich in der Schlinge gefangen hat, ließ Berthulde ihre Augen umherirren, dann ballte sie die Faust und knirrschte mit den Zähnen: »Wehe Euch, so Ihr waget nach Schreiberhau zu kommen! Des Todes seid Ihr!« Verächtlich entgegnete ich: »Des Todes? Ha, blinder Lärm! Wer sollte denn in Schreiberhau wider mich sein?« – »Wer? Der Zetteritz! ich hetze ihn hinter Euch drein.« – »Man wird mich vor ihm schützen.« – Scheu tat die Jungfer einen Blick hinter sich nach der Stalltür. Dann verzog sich ihr Mund zu einem grimmen Lächeln: »Wer wird Euch schützen? Wer denn? Etwan Euer Buhle? Der ist ja tot.« Da überwältigte mich das Leidvolle meiner Verlassenheit. Ich schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte: »Tot! tot!« – »Ihr habt es ja selber gesagt, er sei längst tot,« setzte Berthulde hinzu und lachte auf. Entrüstet fand ich wieder meinen Mut und fuhr meine Feindin an: »Teufelin! Es sind noch andere Männer zu Schreiberhau, die mich schützen.« Unschlüssig stund sie da und schien nach Rat zu suchen. Ihr Angesicht war verzerrt, und sie zitterte wie von Fieberfrost geschüttelt. Fletschte dann die Zähne wie ein Hund, und auf einmal blinkte in ihrer erhobenen Rechten ein Dolch, während ihre Linke meinen Arm packte und mich auf die Knie riß. »Die Schwurhand hoch!« zischte sie; »Schwöret, Euch nicht in Schreiberhau blicken zu lassen. Auf der Stelle seid Ihr sonst des Todes.« Ich rang mit der Entsetzlichen, und in meiner Hilflosigkeit entfuhr mir der Schrei: »Johannes!« – – »Johannes?« kreischte sie. »Den bekommst du nicht! Nimm lieber das da!« Und sie stach nach mir, daß ich den Stich bei der Schulter fühlte. Der Odem ging mir aus, ich taumelte und verlor die Besinnung.

Wieder zu mir gekommen, lag ich entkleidet in der Kammer, wo ich die Nacht zugebracht hatte. Der Gast, den man Heinrich nannte, und seine Schwester waren bei mir. Meine Wunde brannte, war mit nassen Linnen verbunden. Hastig sah ich mich um, wo der kleine Johannes wäre. Aber das Weib, Sibylle mit Namen, faßte mich beim Arm: »Stille, bleibet liegen; Ihr seid ja verwundet.« – »Aber wo ist mein Kind?« wiederholte ich in Angst und wollte aufspringen. Der Mann lief sogleich hinaus und rief: »Wo ist ihr Kind?« Schrecken malte sich auf Sibyllens Angesicht; »Euer Kind? Ich weiß, gestern abend, da saß es bei Euch. Ja, wo ist es nur? In dieser Kammer war es nicht.« Da schrie ich auf: »Sie hat's mitgenommen, mein Kind geraubt, geraubt! Hinterdrein!« Und ich sprang auf. Doch es drehte sich alles um mich, und ich sank in Sibyllens Arme. Dann kamen Heinrich, der Wirt und andere Leute, und man rief: »Sie ist mit dem Kinde davon. Hat es bei sich auf dem Pferde.« – »Ich habe sie reiten sehen,« bestätigte der Knecht. »Hinterdrein, hinterdrein! rettet mein Kind!« – »Fort, Heinrich,« riefen seine Frau und Sibylle. Er flugs hinaus, rief drunten nach einem Pferde und trabte davon. Hilflos faltete ich die Hände und konnte nur wimmern. Tränen im Auge, suchten mich die Frauen zu beschwichtigen; die Kranke streichelte meine Hand, Sibylle tröstete: »Heinrich wird sie einholen, er ist Soldat.« Ich fand keine Ruhe. Mich verlangte, selber mein Kind zu suchen. Wie nun eine heilkundige Frau kam, die Wunde zu behandeln, bat ich um einen festen Verband, der mir unverzügliche Reise gestatte. Die Heilkundige warnte, doch ich erklärte, die Sorge um mein Kind werde mich eher umbringen als die Wunde. Bald darauf kehrte Heinrich zurück und sagte: »Die Spur der Räuberin ist wie weggeblasen, habet denn Ihr keine Vermutung, wohin sie sich gewandt?« – »Ich reise mit Euch,« entgegnete ich, »und wir wollen übers Isergebirge ins Schlesierland nach Schreiberhau. Dorthin wird sie trachten. Denn sie forderte von mir, ich solle mich nicht in Schreiberhau blicken lassen.« – »Ich werde allein hinreiten,« sagte Heinrich. Aber ich stund von meinem Lager auf und überwand alle Schwäche. Da sagte Heinrichs kranke Frau zu Sibyllen: »Geh auch mit, derweilen ich hier bleibe; eine längere Rast kommt mir und dem Kinde zustatten. Helfet erst dieser armen Mutter.« Indessen nun meine Wunde einen neuen Verband erhielt, sorgte Heinrich für drei Pferde, dann brachte man mich behutsam in den Sattel. Erst ritten wir langsam. Wie es aber gut mit mir ging, setzten wir uns in Trab. Heinrich spähte immerfort nach der Spur der Räuberin. In der Hand trug er ein Feuerrohr, an der Hüfte das Schwert. Wir Frauen waren mit Pistolen und Dolchen bewaffnet. Nach mehrstündigem Ritt hielt Heinrich sein Pferd an und deutete auf den Weg: »Hier ist vor kurzem jemand aus dem Walde geritten. Das wird die Räuberin sein. Die Hufspur hat sie zuerst dadurch verborgen, daß sie vom Weg an einer felsigen Stelle in den Wald abgebogen ist; hier jedoch hat sie wieder den Weg aufgesucht. Er führt zum Isergebirge.« Als wir eine Strecke weitergeritten waren und die Spur noch immer sahen, meinte Heinrich: »Jetzo müssen wir rasten; Eure Wunde bedarf der Ruhe. Unterwegs holen wir die Räuberin doch nicht ein. Es genügt, daß wir wissen, wohin sie sich gewandt. Wir finden sie in wenigen Tagen. Keine Sorge, sie wird dem Kinde nichts tun.« Mein Herz ward leichter, da ich bedachte, wie die Entführerin zum kleinen Johannes zärtlich gewesen. Was sollte sie ihm denn auch antun? Nur für sich haben möchte sie das Kind. Aber wir werden es zurückgewinnen. Nach einer ausgiebigen Rast, bei der wir Speise und Trank zu uns nahmen, ging es weiter, bis wir abends zu Hütten gelangten und Quartier fanden. Es war mir tröstlich, zu vernehmen, am Mittag sei hier eine Reiterin mit einem Kinde vorübergetrabt in der Richtung auf Starkenbach. Da sich beim Untersuchen meiner Wunde herausstellte, daß keine Blutung erfolgt sei, so durften wir hoffen, bald am Ziele zu sein.

Andern Tages ging die Reise bis Tannwald, am übernächsten ward uns mittags bei einer Baude im Tal des Iserflusses die Auskunft, gestern sei hier ein Weib mit einem Kinde gen Schreiberhau geritten. Wir waren auf demselben Wege, den ich vor Jahren mit Dir, Johannes, bei Nacht zurückgelegt hatte. Im Schritt ging es weiter, und als die Sonne in die Wälder sank, waren wir nahe der Grünen Koppe.

Bei einbrechender Dunkelheit sahen wir Leuchtkäferlein über Wiesen taumeln, dann glomm an einem Berge, so bei einer Waldlichtung sichtbar geworden, ein Feuer auf, und Heinrich sagte: »Morgen ist Sankt Johannistag, dorten grüßen sie ihn mit Fackeln.« Wir kamen nun zur Abendburg; es war Nacht; beim Felsen droben wirbelte roter Rauch mit Funken. Viele Menschen jauchzten und johlten zu Harfen und Geigen. Was gab es dorten? Sonst war die Abendburg doch gänzlich einsam. Ich sprach mich darüber zu Heinrich aus, und er beschloß, als Kundschafter vor zugehen, derweilen wir Frauen harren sollten. Wir banden die Pferde an Bäume, und ich setzte mich nebst Sibyllen, indessen Heinrich, in der Hand sein Feuerrohr, durch Dickicht schlich. Immerwährend scholl Geschrei und Singen von der Abendburg. Endlich knackte ein Ast im Walde, und Heinrich war wieder bei uns. »Das Kind ist da!« raunte er froh, und mir sank die schwere Last vom Herzen. An seine Hand geklammert, stammelte ich heißen Dank. »Wo ist es?« – »Droben!« sagte Heinrich. »Sie feiern die Johannisnacht; im Feuerschein hab ich Euer Kind bei seiner Entführerin gesehen. Toll muß sie sein, und die Menge trunken. Berthulde, schlohweiß gekleidet, auf dem Haupte einen Kranz, hat vom hohen Felsen, an dessen Fuß ein groß Feuer lodert, zum Volke geredet. Mann und Weib sind hierauf wie närrisch um die Glut getanzt; schwingen brennende Besen, gleich Flammenrädern. Burschen hüpfen mit ihren Dirnen jauchzend über kleinere Feuer. Kerle taumeln mit erhobenen Bechern, aus Tonnen wird Bier gezapft.« – »Gehen wir sogleich hin,« sagte ich mit erneuter Angst. Aber Heinrich tat den Einwand: »Hinter dem Graben stehen gewappnete Wächter, die möchten uns leichtlich gefangen nehmen, weil wir fremd. Drum wollen wir uns gleichfalls mit Fichtengrün kränzen und so tun, als gehörten wir zum Sonnwendfeste. Ich nähere mich sachte dem Kinde und führe es unbemerkt beiseite. Ihr lauert indessen nahebei und deckt mit euren Pistolen meinen Rückzug, wann ich den Knaben bringe.« Sogleich schnitt Heinrich Zweige von den Fichten, und wir Frauen machten Kränze. Dann prüften wir die Pistolen und schlichen hinter Heinrich her zum Felsengipfel. Wie wir zur Lichtung kamen, war ich erstaunt, die Stätte gänzlich verändert zu finden. Wo früher Wald gestanden, war eine Matte. An den Felsen lehnte ein Balkenhaus, im weiten Kreise umgeben von Graben und Wall. Das große Feuer war nicht bei dem Gehäus, sondern auf des Felsens andrer Seite. Wie besessen tanzten bekränzte Männer und Frauen in bunten Kleidern um die lodernde Flamme, in die soeben ein Tannenwipfel gestürzt war, daß es prasselte. Vom Walde geborgen, schlichen wir an eine Stelle, wo wir aus nächster Nähe den Vorgang betrachten konnten. Was uns hinderte, vollends heranzukommen, war der Graben und dahinter der Wall, so mit zugespitzten Pfählen versehen war. Auf der Matte, die sich innerhalb dieser Wehr zum Abendburgfelsen hinan erstreckte, waren vereinzelte Männer mit Feuerrohren und Partisanen. Sie bewachten den Platz.

Auf einmal kam neue Bewegung in die Menge, weil jemand etwas ausgerufen hatte. Man lief und drängte zum großen Feuer. Ein paar Geigen intonierten eine wildfeierliche Weise, und dann sangen Kranzjungfern:

»Komm ins Leuchten, komm ins Leuchten,

O du wunderweiße Braut!

Deine trüben Erdentage

Sind nun alle, alle aus.

O weh und juchhe! O weh und juchhe!

Weinet und lachet: Lichtbraut ade!

Bald mit Flügeln angetan,

Fleugst du wie der rote Hahn.«

Da war auf einmal die bekränzte Berthulde auf dem Felsen, in ihrem weißen Gewand rot angestrahlt. Nicht weit von ihr stund mein kleiner Johannes, ebenfalls weiß gekleidet und bekränzt. Staunend hielt er das Fingerlein an seinen Mund. Mir jauchzte das Herz, daß mein Kind heil und munter. Ich wollte hineilen, ward aber von Sibyllen zurückgehalten.

Den Arm erhoben, gebot Berthulde Stille, und dann brachte man ihr eine Harfe. Wie eine Verzückte starrte sie in die Glut und redete getragen zum Harfenschall: »Lichtsonne, Born der Lust!« Wie eine betende Prozession murmelte die Menge: »Lichtvater in uns, nicht über uns.« Und Berthulde fuhr fort: »Zu deines Gottesleibes Gliedern heilige uns! Absterben laß dein Kind der Schattentiefe, begrabe das Opfer in läuternden Flammen.« Gleich einem Widerhall scholl es: »Lichtvater in uns, nicht über uns.« Nach diesem Gebet gab Berthulde die Harfe zurück und sprach, erhoben die Hand: »Höret mich an! Heilig ist die Stunde, da wir feiern des Lichtes Triumphieren, und weil allhie eine Braut stehet, sich hinzugeben der Flamme. Wohlan, lasset mich bekennen, wer diese Lichtbraut ist. Von Mitternacht aus dem Harzgebirge bin ich kommen, eine Flüchtige, nebst meinem Bruder. Dieweilen ich schon in der Heimat dem Lichtvater gehuldiget, haben mich die dummen Pfaffenknechte zu Asche brennen wollen. Eine Hexe haben sie mich gescholten, unwissend, daß die Hexen mit Magie das Beste zu erlangen suchen, was die Erde ihren Kindern darbeut: Lust und Minne! Gern wär ich eine Hexe worden, habe mir auch ein magisch Ding zugelegt, denn auf minnigliche Lust ging all mein Seufzen aus. Ein ander Los indessen ward mir vom Lichtvater bestimmet. Zu seiner Lichtbraut hat er mich erkoren; blieb mir doch das Glück der Minne alleweil versagt, als habe Frau Venussin den Auftrag, mir den Rücken zu kehren. Den ich zuletzt und am heißesten liebgewann, dessen Burg heut eingeweihet wird, auch er hat mich verschmäht – oh, verschmäht ...« Schmerzlich preßte die Tolle die Faust auf ihre Brust und starrte in die Glut. »Und warum verschmäht? Ein sanft Weibsbild hat es ihm angetan und mir sein Herz entwendet. Ich aber habe meinen Dolch in ihr Herzblut getaucht, daß sie hingegangen ist, wohin sie gehört. Mag sie Halleluja singen in ihrem Pfaffenhimmel! Ihr Herz hab ich bluten lassen, denn sie hat das meine zuvor bluten lassen. Und weil sie an mir zur Räuberin worden, hab ich ihr Kind geraubt ... Hie stehet es ja, das Schätzchen.«

Heinrich wandte in stummer Frage sein Angesicht zu mir, Sibylle preßte meine Hand, ich war wie versteinert vor Angst. Die unsinnige Lichtbraut aber sank nach dem Auflodern ihrer Wildheit wieder in dumpfen Trübsinn. Griff sich an die Schläfe und sahe ratlos umher: »Was soll ich anoch allhie? Will lieber tun, was mir bestimmt ist. Sterben will ich ...« Wie Verzückung kam es über sie: »Doch in Minne sterb ich, für meinen Liebsten sterb ich, für sein Lichtreich sterb ich, für euch alle sterb ich!« Die Menschen drunten, mit aufgerissenen Augen regten sich murmelnd, und Zurufe kamen: »Heil Berthulde! Lichtbraut! Lichtvater in uns, nicht über uns!« – »Ja, Lichtvater in uns –« triumphierte die Besessene. »Er bleibt in mir, ich bleib in ihm. Stirb dem finstern Abgrunde, so gewinnst du Geburt im seligen Lichtreiche. Gehet nun auch mein Liebster in das Reich – und bald wird er mir folgen –, hei, welch selig Willkommen beut ihm seine Verlobte! Denn ich verlobe mich ihm, werde unauflöslich ihm angetraut durch freien Opfertod in den Flammen« ... »Um Gottes willen!« raunte Heinrich. »Ich muß hin. Bleibet hier, rühret Euch nicht! Ich will auf der andern Seite über Graben und Wall gelangen.« Und geduckt schlich er hinweg, während ich zitterte und vor Angst kaum vernahm, was die Tolle weiter redete. Doch klingt mir noch ein Kreischen im Ohre: »Und vor Lichtvaters Thron will ich weisen das Pfand meiner Minne, das ich mit mir nehme von dieser Erde ... Und sollt ich nicht rein genung sein, euch zu entführen, mag denn das andere Opfer die Erlösung vollbringen. Die geopferte Unschuld macht uneinnehmbar diese Burg. Nun ade, ihr alle! Ein Ade auch meinem Liebsten! Hineilen soll er, wo ich sein harre. Für mich hebet jetzo an der Hochzeitstanz.« – Und drunten sangen sie; später – wie oft habe ich darüber grübeln müssen! – sind mir die grausigen Worte, alles Einzelne, wieder deutlich geworden:

»Springe denn, springe denn

Deinen allerletzten Tanz.

Morgen darfst du schweben

In des ew'gen Vaters Glanz.

O weh und juchhe! O weh und juchhe!

Weinet und lachet: Lichtbraut ade!

Laß die schwarze Erde stahn,

Heim ins Lichtmeer sollst du gahn.«

Indessen hatte sich die Hexe umgewandt und mit Lächeln meinem Knaben gewinkt. Ich war vor Grauen gelähmt, der Schrei erstickte in meiner Kehle. Und zur lockenden Teufelsbraut kam der kleine Johannes, wie ein Vögelchen vom Blick der Schlange in ihren offenen Rachen gelockt. Jauchzend nahm sie das Kind auf den Arm, küßte es und sprang in die Glut – mit meinem Kind in die Glut! Ich sah Funkengarben, hörte den Aufschrei der Menge, dann fühlte ich in meiner wunden Brust einen Stich, heiß quoll es mir vom Munde, hintaumelnd verlor ich die Sinne.

Wieder erwacht, lag ich im finstern Walde am rauschenden Bache. Sibylle netzte mir den Mund. »Mein Kind!« wimmerte ich und hörte Heinrich schluchzen. »Still, still,« sagte Sibylle weinend. »Ergebt Euch in des Ewigen Schickung; einst werdet Ihr Trost finden ob der harten Prüfung. Nur stille, stille!« Und sie streichelte mir die Hand. Ach, wie höhnische Höllengeister kamen mir jetzo die Leuchtkäfer vor, so trunken durchs Dunkel taumelten.

Was soll ich weiter sagen? Höllenpein leide ich, sooft ich bedenke, was damals geschehen. Von Heinrich vernahm ich, er habe die tolle Berthulde niederschießen wollen, doch sei sie ihm mit ihrem Sprunge zuvorgekommen. Zurückgekehrt, habe er mich ohnmächtig gefunden, und auch Sibylle sei halb von Sinnen gewesen. Das Blut sei mir aus dem Munde gequollen, aus meiner Wunde müsse es sich in die Lunge ergossen haben.

Ein wilder Taumel habe nach dem Opfer die Versammlung hingerissen. Ein Weinen und Jauchzen sei losgegangen, Weibsbilder seien in Entrückung hingesunken, schluchzend habe man einander umarmt, sei dann lachend ums Feuer gesprungen und habe emsig Holz hineingeworfen. Hätten damals die Grabenwächter besonnen gespähet, wir wären entdeckt worden und dann wohl des Todes gewesen. Aber die Wächter hatten sich nach dem Schauspiel umgewandt, und die ganze Teufelsgemeinde war von dem Opfervorgang derart hingerissen, daß sie für nichts andres Augen hatte.

Auf mein Flehen trugen mich Heinrich und Sibylle fort. Ich wimmerte nur immer: »Fort von hier! Die Hölle ist hier!« Erst wie kein Laut und kein Feuerschein von der Teufelsmette mehr zu spüren, ward Rast gemacht, und ich lag zum Sterben erschöpft, von Fiebergesichten geängstet. Mein Gatte kann mitfühlen, was in der Mutter vorging, da sie ihr Kindlein, ihren einzigen Trost, so schaurig ins Flammengrab sinken sah. Verzweifelt bin ich zuerst an Gottes Barmherzigkeit, und die Folter hätte mir bald das Hirn zerrissen. Dann aber, im tiefsten Abgrund des Leides, spürte ich ein Fünklein, und innen klang mir ein sanftes Lied. Aus der Finsternis dämmerte und leuchtete ein Lichtkreuz. Und ich betete immerfort: »Selig, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.« So bin ich langsam, ein neuer Mensch worden. Gottes Stille ist über mich kommen, ich habe gelernt, demütig alles hinnehmen, was seine Hand mir schickt. Im übrigen hat es sich mit mir folgendermaßen begeben. Heinrich und Sibylle hatten ihre liebe Not, als ich wegen meines Kindes Opferung halb von Sinnen und vom Blutverlust erschöpft war. Auf der Iserwiese war eine Baude gelegen; dorthin brachten sie mich und pflegten mein länger als eine Woche. Wie ich dann halbwegs zu Kräften gelangt war, reiseten wir zurück nach Altenhain, wo Heinrichs krankes Eheweib nebst dem Kinde geblieben war. Ach wie blind waren wir – blind vor Entsetzen. Wir unterließen es, Näheres über die Teufelsmette zu erforschen – wiewohl die Rede der Lichtbraut ein Rätsel enthielt, von dem eine geheime Stimme in meiner Tiefe sagte: »Sollst es aufklären!« Wir unterließen es, weil ich nichts hören mochte von dem grausigen Erlebnis, auch weil wir bald darauf von einem neuen Schmerz in Anspruch genommen wurden. Wir fanden nämlich Heinrichs Frau dem Tode nahe und kamen kaum rechtzeitig, ihren letzten Willen zu vernehmen. Mich bat sie, ihr Kind fürder als das meine anzusehen und bei ihren Lieben zu verbleiben. So hab ich es denn auch gehalten und habe mit Heinrich, der Feldweibel eines kursächsischen Regimentes war, länger denn ein Jahr Heereszüge mitgemacht. Immer herzlicher mir zugetan, hat er mich zum Eheweibe begehrt, von mir aber die Antwort erhalten, mein Gatte sei vielleicht noch am Leben. Mit Betrübnis hat Heinrich diesen Bescheid vernommen, sich aber nicht zufrieden gegeben und oft angedeutet, wie er auf meine günstige Antwort noch immer hoffe.

Wie sein Regiment einmal am Flusse Unstrut quartierte, hat sich jenes Unglück zugetragen, das Du kennst. Klein Anneliesel, das mir anvertraute Mägdlein, ist, da ich im Behüten nachlässig gewesen und unter einem Weidenbaume eingeschlafen bin, beim Blumenpflücken ins Wasser gefallen und ertrunken. Drauf hab ich heftige Anklagen wider mich erhoben und nur den einen Trost vor mir gesehn, dem unglücklichen Vater durch alle mögliche Güte die Herzenswunde zu heilen, wenn anders dies möglich. Und aufs neue ist Heinrich in mich gedrungen, daß ich die Seine werden solle. Da deuchte es mich Pflicht, die Lücke in seinem Herzen auszufüllen, die seines Kindes und Weibes Verlust ihm gerissen. Und da er endlich meine Bedingung, daß ich ihm nach unserer Trauung nur Schwester sein wolle, bewilligte, gelobte ich ihm vor dem Geistlichen alle Treue, so er von mir beanspruchen durfte.

Ein Trost ist es mir bei diesem Schritte gewesen, daß ich Heinrich bestimmen gekonnt, sein blutig Handwerk aufzugeben und nach einem friedlichen, unschuldigen Brote zu trachten. Schließlich ist uns das Glück zuteil worden, daß Heinrich das Hirtenamt auf dem Breiten Berge erhielt. Aber die Ruhe, so in den ersten Tagen unseres Hirtenberufes in den klaren Berglüften mein Herz besänftigte, hat gar bald einem wilden Sturme weichen müssen.

Wie ich nämlich einen Besuch bei Petersdorfer Leuten gemacht und das Gespräch auf die Teufelsmette gelenkt habe, um Genaueres zu erkunden, da ist mir das Herz schier stillegestanden, als ich vernommen, Johannes Tielsch, der die Hexe Berthulde zu unsinniger Minne entzündet und so die Teufelsmette veranlaßt habe, sei anoch am Leben und in den Trümmern der ehemaligen Beste als Eremite wohnhaft. Meine Aufregung, ein seltsam Gemisch von Schrecken und Jubel, von Gram, Reue und Trost, hab ich vor den Leuten kaum hehlen können, als sie mir des weiteren über Dein Geschick berichteten. Zuerst mit Verzweiflung, dann mit trüber Ergebung hab ich bedacht, wie nah uns das Glück gewesen, da Du und ich und unser Kind auf dem engen Raum der Abendburg beisammen gewesen, und wie eine herbe Schickung gleich darauf den kleinen Johannes uns entrissen, seine Eltern aber voneinander geschieden hat, daß sie erst nach Jahren ihr Wiedersehen gefunden haben und dabei zögern müssen, einander in die Arme zu schließen.

Und was nun weiter? Was soll hinfürder mit uns zwei armen Herzen geschehen? Mit stets erneuter Wildheit wird diese Frage meinen Johannes bestürmen, und alle Leiden wird er durchmachen, mit denen ich selber ringen gemußt. O wie bitter hab ich den Himmel verklagt: »Warum nur hast du der Frau, die ihren Gatten suchte, dicht vor ihrem Ziel ein Hemmnis in den Weg geworfen, das ihr Hoffen vereitelte und auch noch ein höchst jämmerlich Klagewort heraufbeschwört? Mein Johannes kennt dies Wort; es heißt: beinahe! Beinahe wär's geglückt – so klagen unsere armen Herzen. Es fehlte nur diese oder jene Winzigkeit. Eine mißlungene Botschaft, ein eitel Gerücht, falsche Deutungen, dazu Tücke und Unzuverlässigkeit der Menschen – das alles hat neue Wirren zwischen den getrennten Gatten angestiftet, also daß sie nicht zueinander gelangten – nicht rechtzeitig ... Zu spät, ach zu spät! Erst als ich des festen Glaubens, du seiest tot, Heinrichs Ehehälfte worden, hat die Sonne den Nebel zwischen uns beiden verscheucht, so daß wir einander mit unsern Augen gefunden haben.

Da geht nun zugleich ein Jauchzen und ein Schluchzen durch unsere Seelen. Beglückt sind wir, weil jeder den andern noch am Leben weiß und nahe bei sich hat. Und doch können wir nicht unterlassen, bitterlich zu weinen, weil wir nicht unverzüglich einander in die Arme eilen können. Vor mir ist ja eine Kluft und hinter mir ein Band; halt an, du ungestüm Herze, so weh es auch tut, wenn der Zügel zurückreißet und Sorge verstört. Solches Weh durchzumachen ist nunmehr Dein Los, teurer Mann. Und ich, obwohl allbereits etlichen Friedens teilhaftig, werde im Geiste bei Dir, Deine schaurigen Seelenstürme mitfühlen. Da ich indessen tief innen ein Plätzlein des Friedens gefunden, so möcht ich gern meinen armen Liebling aus seinen Kümmernissen an meine Seite retten und aus meinem gesammelten Seelenschatze erquicken. Wohlan denn, erwäge folgenden Trost, den ich für dich wie für mich ausfindig gemacht:

Zum ersten: Wir dürfen nicht unbescheiden im Wünschen sein. Ein unsagbar Glück allerdings scheint es auch mir, so wir zwei beide endlich dauernd und friedreich einander als Gatten angehören. Ja, himmlisch wäre solch Los hier auf den einsamen Weidematten im Schutze der Waldberge. Doch nur des Himmels Güte – und ich meine den Himmel im Menschenherzen – nicht Ungestüm und Kampf, kann dieses Glück bescheren. Harren wir in Demut, bis er alles zum Besten fügt, trösten wir uns einstweilen mit der Gunst, die uns allbereits beschieden. Ist denn nicht das, was wir jetzunder schon haben, weit besser, denn ein ander Los, so uns doch auch nahe lag? Mein Johannes hätte ja wirklich des Todes sein können, so daß uns in diesem Leben kein Stündlein des Wiederfindens mehr vergönnt wäre. Und Berthuldens Dolch hätte ein wenig tiefer treffen können, wo das Herz liegt. Nun aber leben wir beide und wohnen sogar nahe beisammen, dürfen wohl bald, ich hoffe in etlichen Monden, mit Heinrichs Einwilligung einander Liebes erweisen. Gestehe, Johannes: Ist das nicht ein Heil? Drum sollst du stets ermessen, was du gewonnen hast, und sollst bedenken, daß die Entbehrung nur da Schmerzen macht, wo das Verlangen über die Habe hinausgreift.

Zum andern: In dem jetzo eingetretenen Zustande haben wir beide Gelegenheit, jenes Eden zu erschließen, das mein Johannes seiner Thekla in einer unvergeßlichen Predigt gewiesen hat. Ist denn nicht die Minne, so wir füreinander hegen, wert, zu jener adligen Verklärung zu gelangen, so mein Johannes in Gesichten gekostet hat? Ich nehme Dich beim Wort, verehrter Prädikante; zeige jetzo, daß Du nicht bloß mit Traum und Rede gen Himmel zu fliegen verstehst, sondern daß die Beherzigung auf Adlers Fittichen nachfolgt. Auch das Wort ist ja wie der rauhe Abendburgfels. Die Tat erst wandelt ihn zum Königsschloß, drin güldne Schätze funkeln. So laß uns heben den wahren Abendburghort, geliebter Schatzbeschwörer!

Endlich wisse: unheilbaren Schmerz würdest Du mir zufügen, so Du es wagen solltest, vor mein Angesicht zu treten, ehe die Stürme Deines Herzens ausgetobt haben. Dies ist mein fester Wille: erst muß uns beiden die Läuterung gelungen sein, bevor wir einander der Gefahr aussetzen, durch das geliebte Bild zu neuer Glut entzündet zu werden. Insonderheit müssen wir an Heinrichs Seelenheil denken. Das ist gefährdet, sobald er in Dir den Nebenbuhler wittert; Dich würde er verantwortlich machen für meine Sprödigkeit, und es grauset mir, so ich an die Heftigkeit seines Willens denke. Seiner ersten Frau, zu deren Tode, wie zum Tode ihres Kindes, mein Schicksal beigetragen hat, hab ich in die erkaltende Hand gelobet, ihre Lieben getreulich zu stützen. Heget nun mein Johannes anoch Minne für mich, so muß er mir beistehen in allem guten Trachten. Drum so darf nichts geschehen, was Heinrich in Eifersucht und Grämen stürzen könnte. Er weiß nicht, was Du mir bist – und einstweilen soll er nichts davon ahnen. Was den kleinen Johannes betrifft, den hält er für das Kind meines ungestümen Freiers Zetteritz. Laß ihn bei diesem Glauben! Führen wir ihn zu dem Ziel, das Deiner heiligen Sehnsucht vorschwebt! Bringen wir ihn dahin, daß er ohne Groll an meiner Linken, wie Du an meiner Rechten, die Schwelle des Himmelreiches überschreitet. Fühlen wir, daß uns diese Aufgabe gelingen wird, so mag es sein, daß wir beide einander von Angesicht zu Angesicht schauen.

Vorerst suche keinen anderen Verkehr zwischen uns als den heimlichen Austausch von Briefen! Ich flehe Dich an, laß dies unser Gesetz sein. Mag jeder dem andern schreiben, wie es ihm ums Herz. Laß uns aber zuvor die Herzen rein und schön machen. Den allerersten Brief sollst Du nicht eher senden, als bis diese Woche vergangen ist. Am Sonntag um die Mittagszeit, doch keinen Tag früher – es hülfe nichts – entzünde beim Hohenstein ein Feuer, nachdem Du Dein Schreiben wohlverwahrt in den hohlen Buchenbaum beim Kesselstein getan, Du kennst den Felsen mit der kesselartigen Grube gegenüber dem Schreiberhauer Wachstein. Sehe ich Deine Rauchsäule, so sende ich meine Schwäherin Sibylle, in allem meine treue Vertraute, zum Kesselstein, Dein Briefel zu holen. Im Baume wirst Du ein Schreiben von mir jedesmal vorfinden, wenn vom Breiten Berge eine Rauchsäule das Zeichen gegeben hat.

Nun denn, mein Hirt und Heil, halte stets den Geist der Güte und Weisheit im Herzen und übertritt nicht das Gesetz, so unverbrüchlich zwischen uns beiden walten muß. Die Treue zu Heinrich darf nicht verletzt werden. Harre aus, Geliebter – ringe nieder, so heißes Ungestüm Dich hinreißen will – laß den Winter vergehen – dann im Lenze vielleicht ... Einstweilen gibt es keinen anderen Weg für Dich als den von Deiner Thekla gewiesenen. Liebst Du sie wahrhaft, so mußt Du den Gott in ihrem Herzen walten lassen. Gewiß, das tust Du, fromme Seele, und so wirst Du nach Versuchungen und Schmerzen als Sieger vereinigt werden mit Deiner Dich segnenden Hirtin Thekla.«

Das letzte Abenteuer Vom Frieden der Abendburg

Nachdem ich diesen Brief gelesen und aber gelesen, verfiel ich in langes Weinen – wie ein schwaches Kind, ohne Beistand, ohne Rat. Unverdientermaßen peinvoll nannte ich mein Los und wußte vorerst nichts besseres, als mich zu bedauern. Und wie ich dem Geschicke grollte, so mengte sich Bitterkeit sogar in meine Liebe. Wohl lohete sie auf wie ein Waldfeuer, doch beizender Qualm kam heraus. »O Thekla – jammerte ich – bringst du es übers Herz, mich von dir wegzubannen? Warum eilt die Gattin nicht in ihres Gatten Arme? Warum versteckst du dich hinter dem andern Mann und erkennst ihm Rechte zu, die er doch gar nicht hat? Ungültig ist ja deine Trauung mit ihm. Mir warst du früher angetraut, und nicht zur Witfrau hab ich dich gemacht. Die Meine bist du, Thekla, zögere nicht! Was soll mir, der ich lang auf dich geharret und nun vor Sehnen verschmachte, was soll mir noch fürdere Wartezeit? Bin ich ein Büßer, der fasten soll? O grausam wäre das!«

So machte mein Ungestüm einen Rebellen wider den Wunsch der Liebsten. An ihre flehentliche Bitte, vorerst nur brieflich mit ihr zu verkehren und nicht vor dem siebenten Tage zu antworten, mochte ich mich nicht binden. »Nein doch, Frau« – sprach ich heimlich – »laß lieber unseres Schöpfers Wort gelten, zur Eva gesprochen: Deinem Manne sei dein Wille untertan, es seien Mann und Männin ein Fleisch.« Und es brausete mein Blut wie vor vielen Jahren zu Magdeburg, da ich mit der Geliebten unter der Erde Hochzeit gehalten. Alle Reize des süßen Weibes erblühten von neuem und waren entzückender noch als damals in der Kirchengruft; mich verzehrte das Schmachten, eine Wüstenei galt mir das Leben ohne Thekla.

Unsinnige Pläne beschwur meines Blutes Gärung herauf. Umlauern wollt ich Kiesewalds Baude und bei guter Gelegenheit Thekla zur Rede stellen, sie überzeugen, daß sie mir zu folgen habe, und dann mit ihr auf Schleichwegen entfliehen. Würde Heinrich uns verfolgen, dann wehe ihm! Schon im Kampfe mit dem Nebenbuhler sah ich mich, sein Blut floß wie das meine. Und nieder zwang ich ihn, frei war nun die Bahn für mein erobert Glück. Nach Dresden wollten wir uns wenden und ein friedlich Gütlein erwerben beim schönen Elbestrome. An Gelde sollt es nicht fehlen; des Abendburgschatzes wollt ich von neuem habhaft werden. Es reuete mich, ins Felsenloch ihn gesenkt zu haben. Indessen ließ sich der Schaden noch gut machen. Ich plante, das Höhlenwasser zu stauen und das Felsenloch trocken zu legen. Hineinkriechen wollt ich und das Gold wieder herausholen. Falls das Loch zu enge wäre, ließ es sich auseinandersprengen. Das Sprengmittel besaß ich; drei Faß Pulver waren in den kriegerischen Tagen der Abendburg drunten verborgen und noch unverbraucht. Die nächsten Tage schaffte ich in der Höhle, um den Schatz wieder in meine Hände zu bringen. Durch das eisige Wasser patschte ich und griff ins Felsenloch. Verschwunden aber blieben die Kostbarkeiten, hinabgespült in den Schacht harten Gesteins. Meine Mühe, das Wasser zu stauen, wollte nicht gelingen; zerrissen war das Felsenbett, und wenn ich mit Steinen, Moos und Schotter eine Sperre gemacht hatte, kam das Wasser aus tiefen Spalten herfürgeschossen. Da mußt ich mich schon auf langwierige Arbeit einrichten. Abgemattet und verzagt griff ich mit zitternder Hand an meine Stirn: »Was tust du, Narr? Erst verwirfst du das Gold, wie man eine Giftschlange wegschleudert; und jetzo suchst du wieder danach, als ob es dein Heil sei. War nun der Verwerfende ein Narr, oder ist es der reuige Sucher? Besinne dich, Mensch!« Und es raunte mein besser Selbst: »Verworfen hast du den Mammon, weil er Unfrieden und Schuld, Habgier und Neid, Trug und Totschlag heraufbeschwur und solchergestalt als echter Höllenfürst sich zu erkennen gab. Um dich ein für allemal loszusagen von dem Seelenverderber, hast du ihn hinabgestürzt in den schwarzen Erdenschlund. Friede hat dich seitdem begnadet, schon tat der Himmel sich dir auf. Nun aber wendest du dein Angesicht wieder zur Tiefe. Was suchst du drunten? Meinst du, aus dem schaurigen Höllenkessel könne dein Glück emporsteigen? Das Gold holst du vielleicht heraus, dafür aber wirst du dein besser Selbst hinuntersenken.« So haderte ich, und es reuete mich allgemach, daß in dem Briefe, den ich dem hohlen Baum beim Kesselstein anvertraut hatte, eine Sinnesart zum Ausdruck gelangte, keineswegs dem Edelmetall des Herzens angehörig, wie es Waldhäuser empfohlen. Da ich mich schämte, im ersten Brief an Thekla mich also wüst zu geben, so eilte ich zum Kesselstein, den Brief wieder zurück zu nehmen. Er war aber bereits abgeholt. Theklas Antwort ließ nicht lang auf sich warten. Eine Rauchsäule am Breiten Berge gab das Zeichen, daß ich zum Kesselstein kommen solle. Ich eilte hin und zitternd entnahm ich der Baumhöhlung das Papier. Und las Theklas Zeilen, die hastig hingeworfen und zuweilen durch Zähren verwaschen waren:

»Wie zerrissen muß Dein arm lieb Herze sein, teuerster Mann! Wilde Geister möchten Dein Heiligtum erobern und haben mit blendenden Kriegslisten für ein Weilchen Boden gewonnen. Gewißlich nur für ein Weilchen! Bald wird mein Johannes aus seiner Verstörtheit erwachen und dann erst recht ein Gotteskind sein. Die unbeholfene Schreiberin hat im vorigen Brief verschwiegen, welch Entzücken ihr Deine Predigt im Felsendom erweckte. Sinne Dich, Geliebter, in eines anschmiegsamen Weibes Seele hinein, wenn sich der verlorene Gatte wiedergefunden hat, voller Adel wie ein Demant, der dem Besitzer abhanden kam, um köstlich geschliffen zurückzukehren. Nicht als ob ich in den Jahren unserer Jugend Mängel an Dir empfunden. So wie Du warst, hast Du meine wonnige Anbetung gehabt. Und nicht minder zärtlich umfinge Dich jetzo meine Liebe, wärest Du des Kriegsgottes Anhänger geblieben, obwohl ich alsdann zum Himmel flehen würde, daß er Dich über die rauhe Ritterschaft hinaushebe in jenen Stand, zu dem die Sterne Dich bestimmt haben. Herzog Wallenstein war ein astrologischer Prophete, als er sagte, Du werdest kein Kriegsmann sein, sondern Hoherpriester. Ja, einen Born in Dir hat sich die Weisheit bereitet. Denke doch, wie darob eine Frauenseele jubilieren muß, die in langjähriger Trennung vom Geliebten zum selbigen Gipfel der Verklärung aufschauen lernte, den Deine Hohepriesterschaft feiert. So sind wir beide ja im tiefsten Grunde eins, von einer Andacht zum gleichen Pilgerziel bewegt. O reiche mir Deine Hand, ich halte sie fest. Vertrauend will ich ihr gehorsamen, soweit ich vermag. Nachsicht aber, Erbarmen erflehe ich, falls ich vor Schauder zittere und meinen ungestümen Führer zurückzerre von der finstern Tiefe, in die ein Taumel uns stürzen möchte. – Ach es muß wohl sein, daß die süßen Pfirsche bittere Steine bergen, daß zur Liebe Leid gehört und Straucheln zum Emporklimmen. Hat denn nicht selbst der Heilige am Kreuz geseufzet: ›Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?‹ Ist er nicht zur Hölle niedergesunken, bevor er zum Himmel emporfuhr? Hatte nicht Satan Gewalt, ihn zu versuchen? Und war es nicht von höchster Weisheit vorherbestimmt, daß nur durch Einkleidung ins niedere Staubgewand Gott zum Erlöser werden konnte? Unumgänglich – so scheint es – begibt sich alle Kreatur in den Eigensinn des Sündenfalls und wiederholt Luzifers Absturz. Erst aus der Enttäuschung, aus der Friedlosigkeit quillt und drängt das Heimweh nach der himmlischen Unschuld. So will ich denn geduldig mit meinem armen Liebling gehen, will Sorgen und Leiden mit ihm teilen, dieweil ja meinetwegen, aus Lust an dieser Evanatur, mein Adam sich verirrte. Ohn' Unterlaß aber will ich ihn anflehen: Laß mich nicht eine gar zu arge Versucherin sein! Genung, daß ich zur Gedankensünde, zum bösen Plane Dich verführte, nun hüte Dich vor der Ausführung! Halt! Keinen Schritt weiter! Unterlaß die Untat! Es warne Dich das Grauen, so allbereits den Vorschauenden anfällt! Schau doch her, ich zeige Dir, was die Hölle mit uns vorhat. Der Rat, den ihr giftiger Odem raunet, heißt Wortbruch, Flucht, Lüge, Verräterei, Beleidigung, Anreiz zu Eifersucht und Rache, Fehde und Totschlag, Schuld und Selbstqual. Mein Johannes und mein Heinrich, beide meiner Liebe anvertraut, sollen heimgesucht werden von diesen höllischen Folterknechten. Johannes begehrt mich zu seinem Eigentum, wie der Besitzer eine Sache einzig haben will. Heinrich aber wird alsdann zürnen: Halt, Räuber, nimm erst mein Leben, oder laß das deine! So verkehrt sich die Minne, die doch Wohltat sein sollte, zur Untat. Muß das sein? Meinest Du etwan, Heinrich mache Dir mein Herz abspenstig? Angenommen, er fürchte, von Dir in Schatten gestellt zu werden, alsdann wäre diese Sorge nicht so töricht, wie Deine; und ein Recht auf unsere Nachsicht hätte der Arme, der sich betrübt, weil ich ihm nur Schwester bin. Darf ich nicht einmal das? Zürnest Du, weil Heinrich Deiner Thekla gut ist? Ja, gut ist er, Dir und mir hat er lauter Liebes getan. Unser kleiner Johannes war von Berthulden geraubt; da hat Heinrich sich erbarmt des gefährdeten Kindleins und des geängsteten Mutterherzens, hat sein eigen Kind, sein krank Weib verlassen und die Verfolgung der Räuberin unternommen. Derweilen er Deiner Gattin in ihren gräßlichen Nöten treulich beigestanden, ist seine eigene Gattin dem Tode verfallen. Dies Opfer hat Heinrich für uns gebracht. Wie ich nun vielleicht dazu beigetragen habe, daß er Witmann ward, so hab ich sicher seines Mägdeleins Tod verschuldet; denn wär ich wachsam gewesen, wie ich gesollt, so hätte klein Anneliesel die Wassergefahr gemieden. Schlimm genung hab ich dem guten Heinrich mitgespielt. Hab überdies sein Herze betört, daß es nicht mehr ließ von mir, hab es dann gequält, da ich nur mit Schwesterliebe sein glühend Verlangen beantworten konnte. Langmütig und bescheiden hat er alles Leid ertragen, so ich über ihn gebracht, und hat treulich gehalten, was er aus freien Stücken angelobt: mein Beschützer zu sein bis zum Grabe. – Und diesem Manne soll ich mit Verrat lohnen? Aus seiner Hütte stehlen soll ich mich und den Stachel der Eifersucht in seinem Herzen lassen? Über ihn und über Dich heraufbeschwören die Zorn- und Racheteufel? Zwingen und foltern soll uns aufs neue jene Welt, der wir uns schon gänzlich entronnen glaubten? Die Welt der blinden Gier, des wüsten Tobens und blutdürstigen Haders? Die wahre Hölle ist das! O mein Liebling! Ich war einmal in solcher Hölle und habe davon genung für immer. Als Kind mußt ich zuschauen, wie Eiferer meinen teuern Vater umbrachten. Alsdann sperrten sie mich hinter Schloß und Riegel, und nach ihrem Sinn ist es wahrlich nicht gegangen, als Du dorten mein Sonnenschein, mein Befreier worden bist. Kurz nur hat uns damals das Glück gelächelt; dann ist wieder bange Finsternis hereingebrochen. Das große Morden zu Magdeburg raffte Schwester und Schwager an meiner Seite hin. Du, Johannes, halfest mir abermals entrinnen. Denk aber an die Greuel, so uns hierauf begegnet, denk an die Beutemacher im Predigerhause, an den unterirdischen Gang, an den Versteck hinter dem Kirchengemälde, wo wir Zeugen waren jenes Heulens und Zähneklappens, das die Geister der Habgier heraufbeschwören, wo auch immer sie losgelassen sind. Erinnere Dich auch der Ängste, mit denen Zetteritz uns beide quälte, da er liebende Herzen voneinander riß. Lies endlich noch einmal meine Schilderung der Folter, so Berthuldens Eifersucht über mich verhängte. Die wilde Gier mit dem heißen Odem hat den mörderischen Stahl in meine Brust gestoßen, hat unser Kind geraubt und in die Glut der Teufelsmette gerissen, hat dem Abgrund der Verzweiflung ein Mutterherz überantwortet. Der Retter, so mich erhub aus der schaurigen Tiefe, ist der gütige Himmel, Heinrich aber und Sibylle waren seine dienenden Werkzeuge. Keine Zaubermacht über den Wolken vermeine ich, sondern den Gott im Menschengemüte – sein Name ist Erbarmen, Friedfertigkeit, Besonnenheit, Seelenruhe. Diesem Himmel sei anheimgegeben unsere Führung. Er allein beschert das Heil. Er findet den Ausweg aus jeglichem Irrsal; lösbar sind ihm die verworrensten Fäden des Schicksals. Das ist mein Glaube, mein Trost – laß mich selig in ihm werden, mein Johannes! Willst Du es tun, so gib Antwort, je eher, je besser; ich vergehe vor Bangen. Sobald Du entschlossen bist, meine Sehn sucht zu erfüllen und ganz einig mit mir zu sein, entzünde das Feuer am Hohen Stein. Ich weiß dann Bescheid und bin getröstet. Freilich erst am Sonntag kann Sibylle zum Kesselstein gehen. Da Du also Zeit hast, so laß Dein Schreiben reichlich sein; tu mir die Liebe, Dein Leben zu schildern, soweit es mir noch unbekannt. Vertraue Deiner Gattin an, was in den Jahren unserer Getrenntheit Dein Herz bewegt hat. Vergiß auch nicht, Gedichte beizufügen, die Du ersonnen. Deine Weisen sollen mich in Schlummer wiegen, dabei will ich lächeln, Du wirst an meinem Lager sitzen und die treue Hand über meine geschlossenen Augen halten. Oh, trenne Dich nie von mir, Du Meiner! Ewig bin ich Dein.«

Unter dem Buchenbaum am Kesselstein, wo ich diese Worte Theklas gelesen, warf ich mich ins Beerenkraut, wie ein Kämpfer, der vor seinem Gegner reuig und gehorsam die Waffen streckt. Die Hände gefaltet, ergab ich mich der heiligen Seele, die ich anbetete. Ich küßte den Brief und flüsterte flehentlich: »Du reine Quelle, verzeih, daß ich dich trüben wollte! Und Dank dir, daß du mit Wohltat mein garstig Ungestüm vergelten, das Unlautere von mir tun willst!« Zähren brachen aus meinem Auge, es schwand die Welt, nur das zuckende Herz war zu spüren, zugleich aber Linderung wie von einer sanften Hand, süßes Schaudern, stilles Aufjubeln, als sei ein Engel nah. Und ich begab mich zu einer Senkung des Geländes, wo Rüstern einen dunklen Hain wölbten, und zwischen moosigen Blöcken ein dünn Wässerlein wimmerte. Draußen aber auf die Wipfel schien die Herbstsonne warm hernieder und kosete die grünen Kindlein, so auf den Zweigen saßen in dichtem Gewimmel. Und diese Sonne, ihre Güte ergießend über tausend mal tausend schmachtende Kreaturen, deuchte mich Thekla. Waren denn nicht die Waisen, Kranken und Einsamen zu Petersdorf, waren nicht Heinrich und ich selber wie die grünen Sonnenkinder, denen die mütterliche Göttin mit einem Lächeln myriadenfach wohltut? Und da sollte ich neidisch sein auf ein Geschwister? sollte grollen, weil nicht bloß mir das lichte Heil zugute kommt? sollte meinem Bruder Heinrich sein Teilchen Sonnenschein mißgönnen, obwohl ich selber doch nicht im Schatten stund? Nicht doch! gelobte ich inbrünstig; laß schwinden die Habsucht, meine Seele, der Liebesflut gib dich hin, so aus dem Sonnenherzen quillt! – Und im lauschigen Hain, wo durch dunkles Laubdach güldene Lichter äugelten, wo winzige Flügeltierlein ihren Luftreigen summten und das Wasserseelchen weinte, hub mein Herz zu singen an:

Wie traurig diese Wälder düstern!

Kein Sonnengold tiefinnen lacht.

Das tun die felsengrauen Rüstern,

Von Laubgeflechten überdacht.

Auch ich so trüb! Der Liebe Gnade

Darf strahlen nicht zu meinem Grund.

Die Sorg umdüstert meine Pfade;

Bin gar ein öder Dickichtschlund.

Doch duld ich lächelnd, fromme Sonne,

Daß sich dein Brautkuß mir verschließt –

Wenn draußen nur die güldne Wonne

Um all die Sonnenkindlein fließt.

Laß lieben dich mit jener Liebe,

So nicht Genuß, nur Andacht will.

Und ob ich ewig dunkel bliebe,

Von deinem Leuchten träum ich still.

Wiewohl so unter Theklas Führung mein besser Selbst wiedergefunden und gesichert war, vermochte ich meinen Trost nicht festzuhalten. Zweifel und Gram überfielen mich aufs neue, und ich fragte: Muß denn Tugend so streng und herbe sein? Du göttliche Macht der Liebe, warum lässest du zwei deiner Getreusten solche Entbehrung leiden? Ist das dein Heil, wenn Gatte und Gattin, die endlich einander wiederfanden, nachdem sie in Trennung ihre jungen Jahre vertrauerten, jetzunder vor der Umarmung zurückweichen, als wären sie Mönch und Nonne? und nur verstohlene Zwiesprache wagen, ähnlich dem griechischen Liebespaar Pyramus und Thisbe, so nichts anderes für sein Schmachten hatte als zärtlich Gewisper durch den Spalt der grausamen Wand? Mit Stöhnen sah ich meines wallenden Bartes ergrauend Haar und bedachte, daß verlorene Jugend nicht zurückkehre. Versäumt, armer Johannes, hast du dein Liebesglück. Es lächelt dir zwar wieder – doch spät, und dann nur von ferne!

Solche Gedanken trug ich bei Tage mit mir herum, nachts machten sie das Herz schwer und den Kopf heiß, kein Schlummer brachte Trost. Da übermannte mich die Erschöpfung eines Mittags, als die Herbstsonne noch einmal wärmte, und ein duftiger Heuhaufen auf Preislers Wiese lockte. Und es kam mir ein süßbanger Traum: Sonntag war's und Erntefest, ich aber hatte der köstlichen Zeit nicht wahrgenommen, hatte im Heu die Stunden verschlafen. Traurig zumute war meinem Schätzchen, der Hirtin Thekla, die gekommen war, mit ihrem Johannes zu tanzen, und nirgends ihn fand, bis er endlich vom Abendläuten wach wurde. Da war's nun zu spät, Versäumtes nachzuholen, Mißlungenes wieder gut zu machen. Ein anderer Mann hatte ihr den Arm geboten, die Einsame hatte ihn angenommen, der andere führte sie heim. Noch einmal schaute sie nach dem säumigen Liebsten zurück, unsagbare Trauer im Auge. O Träumer, Versäumer! Den verlorenen Tag kann die Allmacht nicht zurückbringen. Die Welt geht ihren starren Gang. Nun fühle, Närrchen, was es heißt: zu spät! Aufschluchzend erwachte ich, einen Augenblick war's, als wandle unweit Thekla an Heinrichs Arm, dann verschwand das Gesicht. Unter Zähren starrte ich unablässig in meines Traumes seltsame Welt und kam nicht los vom unerbittlichen Zuspät. Schließlich löste sich mein Gram in Versen. Ratloses Irren durch ein Labyrinth ahmten sie nach, durch düstere Gänge, die verschlungen immer wiederkehren, obwohl der Verlaufene sie schon einmal durchgemacht hat. Verzweifeln muß er, statt des Gebetes kommt ihm ein bitter Lachen, hin legt er den wirren Kopf, um endlich zu vergessen ...

Und wie ich mich erhub vom Heu,

Und wie mein Blick ging staunend um,

Da schlug aufs Herze mir die Reu:

O weh, du hast verschlafen

Den ganzen Sonntag schier – wie dumm!

Und wie mein Blick ging staunend um,

Stund dort mein Schatz und sah zurück –

An eines Fremden Arm – wie dumm!

Mein Seelenschatz vom Himmel!

Sein dürstend Auge leer von Glück!

Verdürstend sah mein Schatz zurück:

»Was schliefest, Närrchen, auch so lang!

Verträumt ist unser Minneglück,

Im Sinken schon die Sonne ...

Ade! Mir ist wie dir so bang!«

Was schliefest, Närrchen, auch so lang!

Und was nun weiter? Bleib im Traum!

Beliebt vielleicht ein Schlendergang,

Recht einsam, ohne Hoffen?

Vielleicht zu Totenackers Saum?

Ja, was nun weiter? Bleib im Traum!

Die Welt geht ihren starren Gang,

Und Zährenfluten lindern kaum,

Wo mädchenschwach ein Schätzchen

Mit seinem harten Schicksal rang.

Die Welt geht ihren starren Gang.

Wohin? Mein armer Kopf ist irr.

Mag sein, mir wäre minder bang,

So ich noch könnte beten.

Ich hab's verlernt, vom Heuduft wirr.

Wohin? Mein armer Kopf ist irr.

Denk wohl, ich bette mich aufs neu

Und schlaf' im duftgen Halmgewirr

Und von verblichnen Blumen

Träum ich zu Tode mich im Heu.

All dies wechselvolle Seelenwetter beichtete offenherzig mein neuer Brief. Zugleich erstattete ich ausführlichen Bericht über mein Geschick, wie es seit meiner Trennung von Thekla verlaufen war. Indem ich schilderte, wie die Begebenheiten meine innere Welt gewandelt hatten, gewann ich Klarheit über mein Wesen, und ein gut Teil Beruhigung. Hatte Thekla diesen Erfolg herbeiführen wollen? Zuzutrauen war das ihrem klugen Zartsinn. Jedenfalls hatte sie es verstanden, auf Beschaulichkeit, forschende Wahrhaftigkeit mich hinzulenken, was mir eine Wohltat war, insofern ich abgezogen wurde von selbstsüchtigen Ansprüchen und Anklagen. Hatte das Eremitenleben der letzten Jahre keinen anderen Dämpfer für meine Launen gehabt, als die einförmig harte Öde, die mich umgab, und meinen Hang zum Meditieren, so ward ich anitzo von der geliebtesten Menschenseele vor Aufgaben gestellt, die meine besseren Kräfte planvoll zur Entfaltung brachten. Gleich der nächste Brief Theklas trug zur Ordnung meines wirren Gemütes bei.

»Armer Johannes« – schrieb sie – »Dein Gram teilt sich mir mit, bittere Tränen vergoß ich, so oft ich Dein Gedicht las vom Schlaf im Heu und dem versäumten Glück. Menschlich ist es ja, einem unfruchtbaren Grame zu unterliegen, und wer solche Menschlichkeit in wahren Worten ausdrückt, ist ein Tröster ihm selber und auch seinen Mitmenschen. In dieser Hinsicht erkenne ich an, daß die Wunde, die das Schicksal vor etwelcher Zeit meinem Herzen geschlagen, von Deinem Gedicht zwar aufs neue zum Bluten gebracht, zugleich aber mit linderndem Heilbalsam versehen worden. Eine Beigabe dieses Balsams jedoch macht mir brennenden Schmerz. Es ist die Art, wie Du Heinrich beurteilst, wie Du die Rolle deutest, die er in meinem Leben spielt. Laß Dir doch nicht vorgaukeln, daß er mich Dir entführt, und daß mein Auge leer von Glücke sei, als ob dieser Mann mich in öder Gefangenschaft halte. Wie gut er ist, und wieviel echtes Glück ich ihm verdanke, wirst Du dereinst noch erkennen, wenn ihr beide so weit sein werdet, harmlos miteinander umzugehen. Einstweilen bedenke, teurer Johannes, was Du selber in Deiner Predigt gesagt hast, daß nämlich zu unterscheiden sei zwischen der wahren und der falschen Minne. Die falsche Minne stelle ich mir als jenen Drachen für, den alte Märlein beschreiben, wie er einen Goldschatz hütet oder auch eine Maid, die er sich geraubt hat. Wehe dem Ritter, der den Hort erlösen möchte; mit sengendem Odem und giftigem Geifer, mit geringeltem Schweif und krallender Klaue, mit hauendem Flügel und schnappendem Rachen greift das Ungeheuer den Vermessenen an, Blut besudelt den Goldschatz, Grauen entstellt die Jungfrau, die Blumen welken, die Lüfte wimmern, es verhüllt die Sonne ihr Angesicht. Will meines Evangelisten geweihtes Herz solch einem Drachen Unterschlupf gewähren? Und soll ich die Maid sein, die der Drache hütet? Wenn dem nicht so ist, so mag der Drache wenigstens willig sein, sich entzaubern zu lassen. Es raunen ja doch die Mären, er sei ein verwunschener König, und seine Maid könne ihn erlösen durch einen Zauberspruch. Den nenne ich Dir; der Heiland ruft ihn allen Erlösungsbedürftigen zu: Wisset ihr nicht, daß ihr Götter seid? Wohlan, du mein Born, der mich erquicken kann, bleibe doch stets Gottes voll und König im Reiche der Himmel! Ja Du bist König, wiewohl Du es zuweilen vergissest. Deine Enttäuschungen fühle ich schmerzlich nach. Doch zu segnen sind sie, da sie dir Läuterung bescherten. Ich bejuble die heilige Macht, die der Abendburgklausner in sich gefunden hat, absagend jenem Götzen, der zu Taumel, Fehde, Mord verlockte. Ich Glückliche, die ich einen Führer habe, der nicht bloß predigt von Gotteskindern, sondern auch selber eins wird. Was wahre Minne ist, hat so herrlich deine Brüderschaft mit Zetteritz dargetan. Jedem war vom anderen bewußt, daß er mich liebt, und früher waret ihr beide darob arge Nebenbuhler. Gleichwohl habet ihr ineinander den Menschensohn gefunden und vom Hasse euch zur Friedfertigkeit und Freundschaft bekehrt. Nicht mehr verübelt hast Du Deinem Bruder Zetteritz, daß er seiner Minne dasselbe Ziel gab, wie Du. Im Gegenteil, inniger hat dies Ziel eure Seelen geeint. Für tot freilich habet ihr mich gehalten. Ei ja doch, muß ich denn wirklich erst sterben, um Nebenbuhler in Freunde zu verwandeln? Kannst Du nicht schon zu meinen Lebzeiten Heinrichs Bruder sein, damit auch ich etwas davon habe? Sei es, Johannes! Voran schreite zum Ziele, das Deine Predigt gewiesen hat. Heinrich wird folgen, sicherlich, wiewohl wir ihm Zeit lassen müssen, sein besser Selbst zu sammeln. Ich werde still ihn locken und lenken.«

Immer mehr nun verklärte sich Thekla vor meinem Auge. Zugleich ward ich williger zu der Aufgabe, in keuscher Andacht ihr fern zu bleiben und allen Trost in der Vermählung unserer Seelen zu finden. Wenn ich nachts einen besonders reinen Funkelstern ob dem düstern Gebirgskamm schweben sah, deuchte er mich Thekla zu sein, während ich mich dem Teiche bei der Schneekoppe verglich, der in seiner öden Felsenhaft von der Sternenbraut träumt, ohne mehr zu besitzen als ihr Spiegelbild.

Es träumt aus düsterm Felsenschacht

Ein totenstiller See

Zur grenzenlosen Sternenpracht:

»O Seligkeit und Weh!

Laßt taumeln mich, ihr Himmelshöhn,

Versinken ganz in Schau!

Mein Funkelstern, so bräutlich schön

Wie eine Perle Tau!

Und bleibst du, Engel, weltenfern,

Streu deinen Silberschein,

Dein Seelengleichnis, keuscher Stern,

In meine Tiefen ein!

In meine Tiefen lockt ein Grund –

O find ihn, Sternenbraut! –

Wo Erd und Himmel Mund an Mund

Zur ewgen Ruh sich traut.«

Theklas Antwort waren die wenigen Worte: »Dankbar lodert mein Herz, doch es beschämt mich die übergroße Verehrung, die du mir entgegenbringst. O mache mich zu dem, was dein Zutrauen in mir sieht! Versinken möcht ich wohl im geliebten Bergsee!« Diesem Schreiben war, gehüllt in zart Papier, eine Locke beigegeben. Welch Entzücken, süße Gattin, dein braun weich duftend Haar bei mir zu haben, es küssen, auf dem Herzen tragen zu dürfen! Aber ach, dies Stück vom Körper der Geliebten, an dem ihr Hauch, ihr Wesen haftete, berauschte meine Sinne, und des Geblütes Gärung trieb heißes Träumen von Zärtlichkeit herfür. Ich lag mit Thekla unter einem Schleier, der unsere Körper gänzlich verhüllte. Im gleichen Gemache mit uns befanden sich Heinrich und Sibylle. »Wo ist Agnete?« fragte Heinrich, und Sibylle antwortete: »Mag sein, bei Herrn Johannes.« Unter unserm Schleier blieben wir mäusleinstill und fühlten, wie uns die gnädige Heimlichkeit einander antraute.

So heimlich süß war unsre Hochzeitsfeier:

Wir lagen dicht

Beisammen, überwallt von einem Schleier,

Man sah uns nicht.

Wir hörten, wie die Leute nach uns fragten

Im gleichen Raum.

Wir unterm Flore blieben reglos, wagten

Zu atmen kaum.

Nur unsre Hände durften sacht sich drücken,

Wie küssend fand

Sich Hauch zu Hauch, mein Knie war mit Entzücken

An deins gebannt.

Mein glühend Auge, das im Dunkeln schaute,

Versank in deins;

Ich war in dir, du warst in mir, uns traute

Die heilige Eins.

Wohlan, was Edens Glut zusammenglühte,

Trennt keine Welt.

Hinweg denn, Angst, da uns die Hand der Güte

Geborgen hält.

Wir ruhn verhüllt; zum Baldachin, zum Himmel

Ward unser Flor.

Uns singt von Flügelköpfchen ein Gewimmel

Den Wonnechor.

Als ich Thekla den Traum aufschrieb, fügte ich hinzu: »Hat meine Gattin schon bedacht, daß der kleine Johannes uns wiederkehren kann?« – Eine Woche später kam die Antwort: »Du kennst die Mär von der schlafenden Maid, deren Schloß desgleichen schläft, eingesponnen von Rosendorn. Da dringt durch die abwehrende Hecke der Königssohn und erlöst mit seinem Kusse die Maid; sie erwacht, das Hausgesinde, das ganze Schloß erwacht, Rosen erblühen aus dem Dorn, und Hochzeit wird gefeiert. In Deiner Thekla ist etwas ähnlich dieser Maid. Die arge Spindel der Spinnerin des Schicksals hat mich gestochen, und da ist der lange Schlaf über meine Sinne gekommen. Ach wohl, Johannes, Dein Schätzlein ist nicht mehr die frische kecke Jungfer von einst. Schwach und zahm ward mein Blut, kaum ein leis Seufzen ist in mir des Weibes Trieb nach Mutterschaft. Die Männer, so mich umwarben, seit ich Dich verlor, haben nicht vermocht meine Sinne aus dem Dornrösleinschlaf zu wecken, und selbst im trüben Licht des Felsendomes wirst Du wohl bemerkt haben, was für ein hinfällig Weibel die Agnete Kiesewaldin, die halt nimmer den Dolchstich der Kindesräuberin verwunden hat. – Und nun auf einmal bricht der Königssohn durch meine Dornenhecke. Was tust Du, Süßer! Ich schaue Dein Auge, spüre Deinen Hauch, Deinen Kuß, Deine Umarmung – erweckt aufs neue, aufgestört ist ein glühend Sehnen in mir. Und gar vom kleinen Johannes raunest Du, der könne uns wiederkehren ... O Liebling, wie verführerisch kannst Du locken! Ein Wirbelsturm tobt in meinem Herzen, ich wünsche heiß, doch zage zugleich vor der Erfüllung. Wiederkehren soll der kleine Johannes aus des Ewigen Schoße, wo er doch geborgen ruht? In diese Welt der Unrast, Not und Schuld soll er zurück? Ist das ein weiser Wunsch? – Und dennoch! Vom Geschlecht jener Eva bin ich, deren Name bedeutet: Mutter der Lebendigen. Und mit Entzücken lauscht auch mein Herz, von Deinem Zaubersang erweckt, dem Wonnechor der Flügelköpfchen. Nur daß ich nicht von gnädiger Heimlichkeit unser Glück erhoffe, sondern von Heinrichs Güte.«

Mitnichten linderte solcher Bescheid das Schmachten, so Theklas Haarlocke in mir wachgerufen. Wagemut riß mich hin, Theklas Verordnung zu übertreten. Ich konnte mich nicht gedulden, konnte dies Harren auf die mögliche Gunst einer vielleicht fernen Zukunft nicht aushalten. Machte daher einen Boten ausfindig, der nach Kiesewalds Baude gehn und folgendes Briefel verstohlen in Agnetens Hand geben sollte: »Ich ertrag es nicht – muß die heiß Ersehnte mit leiblichem Auge schauen. Gewähre sie mir baldigst diese Gunst, ich bitte flehentlich. Der Bote mag die Antwort mitnehmen.« Und sieh, mein Wunsch ging in Erfüllung; das Schreiben, das ich noch gleichen Tages erhielt, lautete: »Sei morgen nach Mittag um die zweite Stunde, wo der Zackenberg jählings zum Zackenfluß abstürzt; der Schwarze Wog ist der Felsenkessel geheißen. Dann komm ich in Deine Nähe, auf die Waldwiese jenseits. Aber Kluft und Fluß müssen zwischen uns bleiben. Laß Dich nicht hinreißen, zu mir hinüber zu streben. Sobald Du Miene machtest, dies Gesetz zu brechen, würd ich in den Wald flüchten, Du fändest mich nicht, und Trübsal täte mir Dein stürmisch Wesen an. Sollen unsere Seelen fest in Händen das Zepter behalten, so dürfen die Sinne nicht in Versuchung geraten; sonsten werden sie leichtlich Aufrührer. Einstweilen wenigstens besteht solche Gefahr. Mit der Zeit mag dies strenge Gebot Milderung finden – bis vielleicht dermaleinst ... Doch still, du ungestümes Herz!«

Innerlich jauchzend und beflügelten Fußes begab ich mich andern Mittages zur beschriebenen Stelle. Es war viel zu zeitig, als ich am Felsenabsturze stund, wo tief unten der Zackenfluß brausend über die Blöcke gischtet. Drüben von der steilen Halde zwischen blaugrünem Tann und Birken, so bereits von Herbstgolde loderten, lächelte verheißend die lichte Wiese. Da nichts von Thekla zu sehen war und ich wohl noch eine Stunde zu harren hatte, suchte ich die Qual der Ungeduld durch Tätigkeit zu lindern. Ein Feuer wollte ich machen, das weithin der Ersehnten meine Ankunft melden sollte. Hastig sammelte ich Holz, und wie Erlösung war mir die Prasselflamme. Durch aufgeworfene Rasenstücke und feuchtes Holz steigerte ich den Rauch, so daß bald eine mächtige Säule himmelan wirbelte. Dann entsprang meinem erleichterten Herzen ein frohgemut Singen; ein Lied nach dem andern mischte sich ins Tosen des Bergstromes. Derweilen flog das lächelnde Auge über Kluft und Strom. Drüben links wölbte sich wie ein Eisenhut der bewaldete Breite Berg. Unsichtbar blieb Kiesewalds Baude, weil vor ihr eine Höhe lagerte. Nur Einsamkeit und Wildnis fern wie nah, Abgründe und wogende Berge, finstre Tannen und graue Steine, hin und wieder lichtes Beerengesträuch. Geradeaus das höchste Gebirge, ein ungeheurer Wall, in die Ferne erstreckt, wo rundliche Kuppen blauten. Zur Rechten unweit die Schneegruben, steiles Geröll, Wasseradern, graugrüne Steinvölker, dunkle Knieholzgebüsche. Und all dieser mannigfache Erdenstoff unter der klaren Stahlglocke des Himmels war ein sanftbunt Leuchten, ein wehmütig Lächeln und heimlich Locken. Ein Traum jener Sehnsucht, die nicht weiß, wonach sie greifen soll, weil sie die Seligkeit für ungreifbar und unendlich hält. Aus meines Schauens Versunkenheit erwachte ich aufseufzend und ward wieder inne, worauf ich harrte. Mit Adlergier spähte mein Blick in der Richtung des Breiten Berges, ob nicht ein Stück des Pfades sich zeige, der die Waldung durchschnitt, ob nicht ein Weibes Gewand schimmere.

Plötzlich pochte mein Herz – drüben auf der Waldwiese stund die Ersehnte. Winzig wie ein Blümlein war die ferne Gestalt, doch ich erkannte Thekla an der inbrünstigen Gebärde und an der schlanken Zierlichkeit, so in den Jahren der Jugend mein Entzücken gewesen. Beide Hände preßte sie aufs Herz, breitete dann die Arme mir entgegen. So blieb sie eine Weile wie versteinert, während eine Macht in mir mich trieb, ihre Gebärden nachzuahmen. Sie trug ein stahlblau Gewand und ein gleichfarben Kopftuch, das sie aber abnahm, worauf ich das schöne Braun der Locken wiedersah. Ihr Gesicht blieb bei der beträchtlichen Entfernung undeutlich. Doch glaubte ich hinstarrend ihren Blick zu spüren, ihr glühend Auge, und es sank all mein Selbst durch dies rätseldunkle Auge in die wonnigste Heimat. Dasselbe Entzücken durchschauerte mich, das ich einst im böhmischen Waldschlosse empfunden, wenn beim verabredeten Stundenschlag die Liebe mit magischer Kraft durch die Kerkermauern drang, und ein Schmachten dem andern begegnete. »Eins sind wir«, jubelten jetzunder wie damals unsere Seelen; »du und ich selig verschmolzen!« Und offenbar ward mir das Geheimnis der wahren Minne: Nur da erblüht sie, wo zwei Herzen ineinander ihre selbe göttliche Eingeborenheit finden; und ist solche Minne Gewißheit der ewigen Habe, nicht aber Gier. Wer in der Minne nur Lust begehrt, verschließt sich eigenhändig die Himmelspforte. In solcher Erleuchtung ward ich auf einmal mit Schrecken inne, wie ich beinahe Todesgefahr über meine Liebe heraufbeschworen hätte. Wär ich meiner Gier, Thekla hinwegzuführen, gefolgt und also in den Abgrund der Ichsucht getaumelt, so hätt ich mich innerlich von ihrem Herzen geschieden und jene wahre Ehe zerstört, so im Himmel geschlossen wird. Bewahrt vor dem Sündenfalle hatte mich die sanfte Macht der Unschuld, hatte mich Thekla, die gewißlich mein Schutzgeist war. »Engel!« jauchzete ich über den tosenden Abgrund und hub gefaltete Hände. Mit gleicher Gebärde antwortete sie, als habe sie mich verstanden.

Und manch süßes Wort rief ich hinüber, während sie die Hand ans Ohr hielt und manchmal sich neigte, als danke sie für Gehörtes. Auf einmal wandelte sie zum Waldsaum, und schon besorgte ich, die Frist unseres Minnespiels sei abgelaufen; da bückte sie sich, und ich ward inne, daß sie Holz zu einem Feuer sammelte. Beifall winkte ich und beobachtete, wie sie auf einem Felsen inmitten der Waldwiese das Holz schichtete, alsdann mit einem Feuerzeug das gelbrote Flackern erweckte und den blauweißen Dunst. Eifrig holte sie weitere Nahrung für die Flamme, und es hub sich die Rauchsäule, verfolgt von Theklas Blick wie vom meinigen. Auf ihres Feueraltars Schwelle ließ sich nun meine liebe Vestalin nieder und träumte, das Haupt an den Stein gelehnt, zu mir herüber. Ich sang ihr feierliche Lieder, die sie zu vernehmen schien, derweilen die Rauchsäulen hüben und drüben hoch in die stille Luft stiegen und zusammenschmolzen, bedeutend, daß kein Außen, nicht Kluft noch Strom, zu trennen vermöge zwo Seelen, so im Himmel tiefinnen ihre Vermählung fanden. Wie Theklas Feuer niedergebrannt war, erhub sie sich, legte abermals aufs Herz ihre Hände und winkte mir Abschied. Ich antwortete mit Zuwerfen von Küssen. Langsam, unter wiederholtem Zurückschauen, stieg sie zum Waldrande empor, zuletzt warf auch sie einen Kuß über die Kluft und verschwand zwischen den Tannen. –

Aus Theklas folgenden Briefen hebe ich noch die Stelle heraus: »Vielleicht wann die Zeit unser Haar gebleicht hat, das Angesicht faltig ist, und in unseren Herzen die jugendliche Unrast durch friedliche Weisheit abgelöst worden, so sonnen wir uns im güldenklaren Spätherbst, und geschieht uns wohl wie den beiden alten Hirtenleuten, von denen ich Dir sagen ließ:

Im dunkeln Seelengrunde

Winkt einer Krone Gold,

Und hast du sie gefunden,

Wird Minne dir zum Sold.«

Unter dem Austausch unserer Briefe ging der Herbst zur Rüste, nach langwierigem Sturme regnete es tagelang, und dann war der Winter da. Erst brachte er klares Frostwetter, am zweiten Advent aber ein Schneetreiben, das Weg und Wildnis überwogte, also daß Sibylle außerstande war, ihres Botenamtes zu walten. Endlich am Sonntage vor Weihnachten stieg Rauch vom Breiten Berge, auf Schneeschuhen flog ich bergab zum Kesselstein und sahe schon an der Fußspur, daß ein Mensch durch den Schnee gewatet war. Die gute, treue Sibylle! Im hohlen Baume fand ich ein Päcklein, das enthielt außer dem erwarteten Briefe ein handgroß Bildnis Theklas, auf Glas gemalt. Unverkennbar war ihr Angesicht, vom braunen Gelock umrahmt – wiewohl die Frische und Keckheit der Jugend einer blassen Zartheit und wehmütigen Güte gewichen war. Das dunkle Auge, größer und tiefer als ehedem, sprach so rührend von Sehnsucht und Liebe, daß ich hingerissen das Konterfei mit Küssen bedeckte.

Der Brief lautete: »Nur noch ein paarmal tagt es, dann kommt der Heilige Abend. Da muß ich meinem Liebling doch ein Christkindel bescheren. Dies Bild hat der alte Werner zu Petersdorf gemalt, so in besseren Zeiten ein begehrter Glasmaler gewesen. Besser hat er mich gemacht, als ich wirklich bin; wenn es uns vergönnt sein wird, einander in der Nähe zu betrachten, wirst Du Deine Thekla gealtert und mager finden. Habe Nachsicht, guter Johannes! Und noch eine andere Gabe nimm freundlich auf. Begib Dich vom Kesselstein nach Schreiberhau zu Jakob Liebig, dem Schmied, und heische den Korb, den Kiesewalds Sibylle für Dich abgegeben. Den Mohnstollen hat mir Sibylle backen helfen. Die Wolle der Kleidungsstücke ist von unseren Schafen, und selber haben wir sie gesponnen. Vor zween Tagen war's, daß wir den Korb zu Tale brachten, im Hörnerschlitten fuhr uns Heinrich nach Petersdorf. War das ein glückselig Stündlein! Als ich neben Sibyllen im Schlitten saß, von Heinrich mit Wolldecken und Stroh gut verwahrt, blühte Zärtlichkeit aus seinem Herzen, daß er mich auf Mund und Hände küßte, gerührt sprechend: »Ich danke jedem Tage, der die liebe Agnete gesund und froh sein lässet.« Alsdann zog der Gute seine Pelzkappe über die Ohren, begab sich vor den Schlitten zwischen die beiden Kufen, so gleich mächtigen Ziegenhörnern sich emporkrümmten, packte sie mit behandschuhter Faust und zog den Schlitten. Immer hurtiger stampften seine hohen Stiefel durch den Schnee, und dann kam das Abwärtsgleiten. Mit eisenbeschlagenen Hacken lenkend, sperrte sich der starke Mann, daß der aufgewühlte Schnee wie Wassergischt umherspritzte, und blieb alleweil des Schlittens Meister. Indessen jauchzete Sibylle; mir aber war, als schaukle ich in der Wiegen und schwebe zugleich als Schwalbe. Frisch und rein die Winterluft, Wärme und Glück rann durch meine Adern. Rechts und links die Tannen von Rauhreif dick versilbert, von der Schneelast gebeugt. Am violenblauen Himmel erglommen die Sterne. Sibylle hielt mich umschlungen, und das fromme Klingen unserer Seelen scholl zweistimmig in die magische Nacht:

Da draußen, da draußen

Vor der himmlischen Tür,

Da steht ein' arme Seele,

Schaut traurig herfür.

Arme Seel mein, arme Seel mein,

Komm mit mir herein,

Und da werden deine Kleider

So weiß und so rein.

Ja so weiß und so rein,

Viel weißer, denn Schnee.

Und so wolln wir mitsammen

Ins Himmelreich gehn.

Ins Himmelreich, ins Himmelreich,

Ins himmlische Paradeis,

Wo Gott Vater, Gott Sohne,

Gott heiliger Geist.

»Beschere nun die holde Weihnachtszeit meinem Liebling Frieden und Wohlgefallen! Sei glücklich, wie ich es bin. Und wenn Dein Liedergeist Dir gnädig ist, so bitte ihn, daß er eine Weise beschere, wie Deine Thekla sie ersehnt. Sprich darin von dem, was ich liebe, bedenke auch den kleinen Johannes und klein Anneliesel. Zärtlich und fromm mag es klingen, zugleich ein Ständchen und ein Nachtchoral. Im Bette möcht es heimlich meine Seele singen und den Ruheengel gütig stimmen, auf daß er der sehnsuchtsvollen Kiesewaldin Sänftigung und Vergessen, Schlaf und unschuldige Träume zubillige.«

Mit neuem Heile segnete mich diese Botschaft, und inne ward ich, wie mein Herz, aller Trennung spottend, so fühlbar an ihrem schlug, daß ihr Glück das meine ward. Heißer Dank erfüllte mich, und tags vor Weihnachten sandte ich einen zuverlässigen Petersdorfer zu des Breiten Berges Baude. In Sibyllens Hände sollte er einen Korb tun, der meine kleinen Gaben für Heinrich, Sibyllen und Thekla enthielt. Unter vier Augen sollte er der Kiesewaldin ein Päcklein übergeben. Darinnen war das Buch »Abaelardi und Heloisae Briefe«. Unter den Masken dieses Paares, dem ein strenges Schicksal die Herzen zu heiliger Minne lenkte, wollte ich für uns beide eine neue Form geheimer Zwiesprach einführen. Randbemerkungen, von meiner Hand geschrieben, begleiteten den Druck. Der Mönch Abaelardus hatte nicht immer meinen Beifall; eisig hauchte sein Gottesfriede. Doch ich dankte ihm ein Wort, das er in warmer Jugend gesprochen: »Habe nur Liebe, du magst alsdann tun, was du willst.« Heloisa, die liebreiche, war mein Entzücken, und verstohlen hoffte ich, auch aus Thekla werde diese Glut herfürbrechen, die doch der Jungfer Gräfin nicht fremd gewesen. Um sie zu entzünden, hatte ich gewisse Stellen der heloisischen Briefe angestrichen; zum Exempel: »Da ich nun einmal Deiner Gegenwart beraubt bin, so laß doch in Worten der Liebe, die Dir so reichlich zu Gebote stehn, Dein süßes Bild bei mir einkehren ... Da Du bei Gott Deine Zuflucht suchtest, bin ich Dir gefolgt; nein vorausgeeilt ins Kloster bin ich Dir. Und doch, bei Gott, ich wäre auf Dein Wort ohne Zögern Dir in die Hölle vorangeeilt oder gefolgt. Mein Herz war ja nicht mehr mein, ich hatte es an Dich verloren. Und so es itzo auch bei Dir keine Statt mehr findet, alsdann hat es überhaupt keine Heimat mehr; ohne Dich mag es ja nirgendwo sein. Ach laß es denn bei Dir geborgen sein, ich bitte.« Auch ein Schreiben meiner Hand war dem Buche beigefügt, und es hieß darin: »Hier ist das Lied, das meine Sternenbraut sich ausgebeten hat. In Dein Herze bin ich eingegangen und habe von denen gesprochen, die ich darin vorgefunden. Gelingt es meiner Weise, Dich in Schlummer zu singen, laß uns alsdann beide denken, daß ich auf meinen Armen Dich schaukle, Du mein Wiegenkindlein:

Wenn mit Dunkel und mit Schweigen

Mutter Nacht dein Bett umhüllt,

Lausche, wie mein Zaubergeigen

Heimlich deine Kammer füllt.

Lausche, wie dich Wunderglocken

Fromm zu deiner Tiefe locken.

In der Tiefe wohnt die Ruh –

Und die Tiefe, das bist du.

Frieden ihm, so dir zur Seiten

Atmend ruht; er ist dein Schild.

Frieden allen Erdenbreiten,

Jedem Gottes-Ebenbild!

Gib den Hütten dein Erbarmen

Und dem Glück ein froh Umarmen.

Ohne Güte keine Ruh;

Jedes Antlitz, das bist du.

Engel, heitre Lichtgestalten

Steigen aus dem dunkeln Land

Und in deine Hände falten

Kosend sie die Kinderhand.

Sieh doch, deine toten Lieben

Sind dir alle treu geblieben;

Mutterherz heißt ihre Ruh.

Deine Kinder, das bist du.

Spürst du auch, wie auf dein Grüßen

Harrt ein treuer Paladin?

Aus der Ferne dir zu Füßen

Kann ihn deine Sehnsucht ziehn.

Gib dein Auge seinem Auge!

Eins im andern sauge, sauge

Heimatwonne, Heimatruh ...

Du bist ich, und ich bin du.

Horch, mein Lieb, die Zaubergeigen

Singen Hochzeitsmelodein,

Und der bunte Sternenreigen

Stimmt und funkelt üppig drein.

Welten schwärmen dort bei Welten,

Wiegen sich in blauen Zelten,

Summen uns in sel'ge Ruh ...

Ich bin Stern, und Stern bist du.«

»Mein siegreicher Johannes« – so lautete Theklas Antwort – »juble mit mir! Was wir kaum zu hoffen gewagt, es gelingt! Das Wunder, verheißen dem erhöhten Menschensohne, Du vollbringst es. Machst Blinde sehend, Lahme gehend. Heinrich ist genesen von der Sorge, Agnetens erster Gatte werde wiederkehrend ihn verdrängen. Und Du bist es, Dein Gedicht ist es gewesen, wovon Heinrichs Auge aufgeschlossen ward, daß er nunmehr schaut, wie das Himmelreich keimt und wächst in des Menschen Brust, und daß er an gütige Liebe glaubt. Laß Dir berichten, wie alles gekommen ist. Du weißt schon, Sibylle ist meine Vertraute. Ermissest Du nun, mit welchem Entzücken, welchem Stolze mich Deine Lieder erfüllen, so wird es Dich nicht überraschen, daß sie von Sibyllens Hand in ein Buch eingetragen worden sind, darein sie im Laufe der Jahre ihre liebsten Gedichte gesammelt hat. Am Heiligen Abend nun, da wir drei Kiesewaldischen einander unsere Gaben gereicht hatten und beim Kerzenschein unseres dreiarmigen Festleuchters andächtiglich um den Tisch saßen, tat Sibylle ihr Buch auf und las zu meiner bänglich frohen Überraschung dein Lied von der Menschenseele, die sich zur Gottesmutter weihen soll:

Zu Bethlehem die Krippe

Ist jeder Herzensschrein –

Wie solches von der schönen tiefen Stimme verkündet war, sann Heinrich bewegt der Botschaft nach.« Hierauf tat er die Frage: »Wer hat dies fromme Lied gemacht?« Ich erschrak, doch Sibylle sprach mit Fassung: »Es ist ein Mann, so in der Enttäuschung harter Schule gelernt hat, den wahren Schatz im eignen Acker zu suchen.« – »Und sein Name?« forschte Heinrich. – Mit Geistesgegenwart stellte meine Schwäherin als Verfasser nun jenen Waldhäuser hin, von dem Du berichtet hast; und fürwahr, wenn irgend ein Mitmensch Anteil haben könnte an dieses Liedes Urheberschaft, so wär's der Mann, der Dich die Umwandlung der Gefühle zu Edelmetall lehrte. Des weitern aber spann Sibylle ihr Märlein also aus: »Als junger Gesell liebte dieser Waldhäuser eine Jungfer, hütete jedoch dies Geheimnis, indem er daran verzagte, daß seine Angebetete einem geringen Menschen, als den er sich betrachtete, ihr Herz widmen werde. Weil er also nicht um sie warb, reichte sie schließlich einem andern Manne ihre Hand. Unser Poet aber blieb unbeweibt und hegte unaufhörlich seine heimliche Liebe. Wie er nun bereits graue Haare bekam, bescherte ihm die Gelegenheit eine vertrauliche Aussprache mit seiner Herzensherrin; da erfuhr er denn, stets habe sie ihn geliebt. Zu spät, ach zu spät! seufzete Waldhäuser. Meine Jugend ist hin, versäumt mein Glück ein andrer hat es heimgeführt.« Dann fragte er die Frau, ob sie denn wenigstens zufrieden mit dem andern sei. »Ich liebe sein Herz,« antwortete sie; »er ist sehr gut zu mir, und ich bin ihm wieder sehr gut; nie mag ich ihn betrüben, nur der Tod scheidet mich von ihm. Doch gleichfalls bis zum Tode klopft mein Herz voll Sehnsucht nach Dir, Du mein Sternenbräutigam! ...« Sibylle ward hier unterbrochen durch Heinrich, der nach gespanntem Zuhören auffuhr: »Was? Zween Männer zugleich konnten in diesem Weibesherzen wohnen, und keiner hat den anderen verdrängt?« – Ruhig und fest kam die Antwort: »Die beiden Männer wurden halt Brüder, und des öftern hat einer dem andern bedeutet: Über der lieben Frau Herz zu gebieten, hat keiner von uns Gewalt und Recht. Dich guter Freund, mag sie nicht missen; drum schleiche dich ja nicht von hinnen, laß uns beisammen bleiben.« »Und niemals,« fragte Heinrich kopfschüttelnd, »ist ein Nebenbuhler dem andern an die Gurgel gefahren?« – »Nicht doch, du Wildfang! Als Verbündete fühlten sie sich und waren wie zusammenstimmende Töne.« – »Aber nur einer war Gatte, der andre Bruder der Frau; ist es nicht also?« warf Heinrich ein. – »Mag sein,« entgegnete Sibylle errötend, war aber gleich wieder freimütig und sprach im Buche blätternd: »Hier ist noch ein Lied von Waldhäuser; an die geliebte Frau ist es gerichtet und darin segnet er ihren Gatten.« – »Segnet ihn?« staunte Heinrich. – Und nun las Sibylle Dein Gedicht, daß Du zur Weihnachtsgabe mir bestimmt.

Frieden ihm, so dir zur Seiten

Atmend ruht; er ist dein Schild.

Bei diesen Worten weitete sich Heinrichs Auge, Rührung zuckte über sein Antlitz. Schließlich seufzte er, wie einer, dem eine Bürde abgenommen ist, sah uns Weibsbilder heiter an und nickte: »Fürwahr, ein gütig Lied! Wer möchte solchem Nebenbuhler gram sein?« – Ich konnte mich kaum enthalten, laut aufzujubeln. Zu ihm tretend, legte ich den Arm um seinen Nacken, indessen er mich umfing. Da ich keine Worte fand, gab sich die kluge Sibylle zu meinem Munde her: »Wohlgesprochen, lieber Bruder! Gebe nun der Himmel, daß du nicht mehr eifersüchtig bist auf Agnetens ersten Mann. Nimm an, daß er wie Waldhäuser ist.« – »Ja, wenn er so wäre,« antwortete Heinrich trunken mich anschauend. – »Zweifle nicht,« eiferte Sibylle, »so ist er. Laß dir doch endlich einmal erzählen, nachdem dein gereizter Sinn all die Jahre hindurch nichts hören gewollt von ihm.« – »Ich wußte nicht,« entschuldigte sich Heinrich, »daß es Männer gibt wie dieser Waldhäuser.« – »Nun du es aber weißt,« fuhr Sibylle fort, »wirst du Vertrauen haben zu Agnetens erstem Gatten; und wenn er sich am Leben fände ...«. Hier schloß ich die Augen vor Bangigkeit, fühlte aber Heinrichs spähenden Blick, dann flüsterte seine Seele in meine hinein: »Ja, wenn er nun wiederkehrte, wie würde Agnete entscheiden, was ihren Heinrich betrifft?« Und flüsternd gab ich zurück: »Bei Gott, ich würde nicht minder Treue wahren, denn jene tat, die Waldhäuser liebte; ich würde sagen: Nie mag ich meinen Heinrich betrüben, nur der Tod scheidet mich von ihm.« – Dankbar preßte er mich an sich, dann raunte er hastig: »Weiter aber! Was würdest du weiter sagen? würdest ihn auch Sternenbräutigam heißen?« – »Wenn deine Güte es erlaubte, ja!« – Heinrich stutzte: »Meine Güte? Zweifelst du daran?« – Voll schlug ich den Blick nun auf: »Nein, Guter!« – Hierauf schwieg er, doch ein neuer Glanz strahlte aus seinem Auge, und sieh, in dieses Auges schwarzem Spiegel, vom blauen Kränzlein umrahmt, flimmerten winzig die drei Flammen unseres feierlichen Leuchters. Sibylle blickte aufmunternd, als wolle sie mir sagen: »Wohlan, nutze die Stunde!« Ich aber war bereits so glückselig, daß ich nicht denken konnte, wie uns noch Besseres solle werden als die wunderbare Bekehrung Heinrichs. Daß er nun den rechten Glauben gefunden, und daß dein Glaube, mein Psalmist, den seinen geweckt hatte, war meine Seligkeit. Nicht lockte mich, was Vorteil uns beiden Liebesleuten erwachsen könne aus Heinrichs Nachgiebigkeit. Und hiermit sei es gestanden: »Schmachtend nach dir, bin ich doch bange vor der Erfüllung dieses Schmachtens. Denn sie wird uns Änderung bringen. Alles hat ja seine Zeit, und sobald die Frucht ansetzen will, muß die Blüte welken. Versteht mein Johannes, was ich meine? Sieht er das graue Gespenst, vor dem ich zage? Ach daß es unserer Liebe erspart bliebe, seine Macht zu fühlen.«

Wem vertraut ist der Minne Art – wie sie nach langem Dürsten entzückt wird, da auf einmal dem Schmachtenden ganz nah die liebliche Quelle von Stillung flüstert – der mag ohne meine Worte erraten, welch Triumphieren in mir anhub, und wie voller Lachen mein Herz den Lenz begrüßte, so mit sonniger Gunst mich begnaden wollte. Ganz jugendschön, nicht Frau Agnete, sondern meine Magdeburger Braut schwebte Thekla um mich auf allen Pfaden; in des Schneegefildes Lichtfunken, aus den Eiszapfen der Tannen strahlte ihr Blick, ihr Lächeln war im Goldgewölk, ihr zärtlich Geflüster vernahm ich lauschend, von ihrer Umarmung träumte ich, mein Haupt lag ihr im Schoße, indessen sie übergeneigt ihr aufgelöstes Haar niederwallen ließ, so daß mich eine duftige Laube umgab. All meine zärtlichen Gedanken schrieb ich für Thekla auf. Es schloß aber mein Brief folgendermaßen:

»Mich nennest Du siegreich? Dir einzig gebürt die Palme. Du hast unser Schicksal gelenkt. Ohne Dich wär ich erlegen der Versuchung, die schon den schwarzen Drachenfittich um mich schlug. Deine Güte hat mich erlöst, hat mein Minnen geadelt. Und wenn mein Lied für Heinrich heilsam war, Du hast es mit solchem Heil erst erfüllt. Drum vertraue ich Dir mein Dasein an. Der Himmel in Dir hat alle Führung, und folgen will ich, sogar wenn ich des weitern den Weg der Entsagung zu gehen hätte. Daß Deine Hoheit ihn mir anweiset, würde meine Trauer mit Trost und sanfter Schönheit erfüllen. Aber sage mir, mein Engel, ob Deines Briefes Schlußworte den Weg der Entsagung meinen. Und verständlicher sprich mir von dem grauen Gespenst, so Deine Hoffnungen verdüstern will. Es ist wohl nur ein Spuk schwermütiger Laune. Oder was sonst? Warum bangt der Schmachtenden vor ihres Schmachtens Erfüllung?«

Eine Woche, nachdem ich mein Schreiben zum Kesselstein gebracht, fand ich daselbst die Antwort. Sie bestand nur in einem Gedicht, von Sibyllens, nicht von Theklas Hand geschrieben, und ich selber war der Verfasser. Entstanden war es, kurz bevor ich Kiesewalds ersten Besuch erhalten hatte. Nebst anderen Gedichten hatte ich es Thekla mitgeteilt. Wie ein Echo kam es nun zurück, bedeutend: Den Bescheid auf seine Frage mag Johannes sich selber geben, mag er ihn ableiten aus seinen eigenen Worten.

»Zur Fernesucht geboren,

Wird nie der Pilgram froh.

Seine Heimat ging verloren –

Er weiß nicht wo.

Ihn rührt ein stummes Mahnen

Von blauer Höhen-Wand.

Darf er dahinter ahnen

Sein Wunderland?

Im Tale Bauden winken,

Zum Dorfe traut gereiht.

Er aber muß versinken

In Einsamkeit.

Er haust auf Bergesklippen

In dumpfer Schwermut Bann,

Umstarrt von Knieholz-Rippen

Und wüstem Tann.

Verworren träumt im Grunde

Des Mühlenrads Gesumm.

Er lauscht mit zuckendem Munde;

Sein Lied bleibt stumm.

Er schmachtet – wie im Staube

Ein welkes Blumenhaupt.

Doch ward sein frommer Glaube

Ihm nicht geraubt.

O Pilgram, du mußt lernen

In Demut abseits stahn,

Du darfst den blauen Fernen

Nie täppisch nahn.

Wenn ungestüme Minne

Dich riß zum Götterweib,

Umarmten deine Sinne

Nur Menschenleib.

So bleib dem Wunderlande

In keuscher Andacht hold,

Dann spülst du aus dem Sande

Das ewige Gold.

Es sammelt alle Zähren

Die treue Ewigkeit.

Sie sollen sich verklären

Zum Krongeschmeid.

O sieh, ein Fenster glühet

Im letzten Abendglast!

Das Baudenhaus erblühet

Zum Goldpalast.

Die Felsenschatten dehnen

Sich weit ins Talgefild.

So wird gar manches Sehnen

Noch spät gestillt.

Erst wann im großen Dunkel

Versank die wirre Welt,

Erblüht das Trostgefunkel

Am Sternenzelt.

Und birgt sich in der Erden

Ratlos dein Angesicht,

Tief innen soll es werden

Auf einmal Licht.«

Was war das nun? Es beunruhigte mich, daß kein Wörtlein von Thekla geschrieben war. Sollte sie erkrankt sein? Angstvoll bedachte ich, daß mehrfach von ihrer Hinfälligkeit die Rede gewesen. Nicht gänzlich hatte sie sich erholen können von Berthuldens Stich. Wenn sie mir entrissen würde – wie ein betäubender Schlag traf mich dieser Gedanke. Sofort mußte ich Gewißheit schaffen. Begab mich also zu meinem erprobten Boten, der sollte unauffällig in Sibyllens Hand dies knappe Briefel geben: »Ist Agnete krank? Euren Bescheid mag mein Bote sogleich mitnehmen.« Da kam folgende Antwort, von Theklas Hand geschrieben, doch ohne die Festigkeit ihrer früheren Schriftzüge: »Wohl war ich krank. Ich genese. Frohen Dank für die Nachfrage, doch ich flehe: Wollet nimmermehr einen Boten schicken. Es genüge, was ich mitteile. Geduld, bis der Rauch aufsteigt!«

Halbwegs beschwichtigt war meine Sorge, ich beschloß, mich in Geduld zu fassen. Sann nun darüber nach, was Thekla mit meinem Gedicht andeuten wolle. Ach freilich, ihre Edelschönheit bewahrt die Ferne nur, wenn sie fern bleibt. Drum in Demut lerne abseits stahn und taste nie an ihr keusch Geheimnis. Oft hab ich das erfahren, wenn mein Aug übers Wiesental, über die Zackenschlucht und die bewaldeten Hügel zum höchsten Gebirgswall schweifte und im Zauberhaften des Anblicks schwelgte. Ganz heimlich singt und orgelt das Wallen feiner Linien, das Leuchten der Farben und die innigste Bedeutung aller geschauten Dinge. In schwebenden Duft hat sich aufgelöst der trübe schwere Erdenstoff. Fels und Erde, Holz und Laub, sengendes Feuer und beizender Rauch ist zarter Hauch worden, ein Gewebe aus Licht, reiner Geist. Wehmütig lächelt die Ferne, als wolle sie sagen: »Liebe mich, doch umarme mich nie!« Unschuldig schaut das Dörflein im Tale aus. Kommst du aber den Hütten nahe, so findest du Unrat und Siechtum, finstere Geister, wüste Herzen. So scheint in deinem Leben manches verklärt, da du es noch ersehnst; fad und welk aber wird es, wann du es hast. – Wunderliche Ferne! Soll ich dich nun des Truges anschuldigen, weil du nicht hältst, was dein Lächeln verheißt? Oder bist du preiswürdig, weil du Unedles ausscheidest aus der gemeinen Welt und nur den Adel zeigst, so in Dingen und Menschen sich birgt gleich dem Schatz im Abendburgfelsen?

Nach etlichen Tagen kündete eine Rauchsäule, daß ein Schreiben für mich befördert sei. Im Fluge trug mich der Schneeschuh zum Kesselstein, Fußtapfen führten zum hohlen Baum, und ich fand den Brief. Küßte ihn beglückt, da ich Theklas Handschrift erkannte. Zwar nicht mehr so unsicher wie letztes Mal war sie, immerhin zart, schüchtern. »Getrost, mein Liebling!« las ich. »Stille erfüllt mein Herz, Sonnenklarheit. Manchmal ist mir, als gleite ich noch immer im Hörnerschlitten, vom Himmelreiche singend. Auch schaukelt mich jemand auf den Armen. Bist Du das? Oder ist es meine Huldin Hoffnung, die neuerdings so gütig um mich beflissen ist. Sie hat ein leis Lächeln, wie Hauch ist ihr Geflüster. Ich lauschte ihr diese Nacht, derweilen Tauwind am Dache rüttelte. Willkommen, Herold des Lenzes! Nun schmilz mir wacker den Schnee, daß wir balde wieder die liebe Matte zu sehen kriegen. Dann sprießt es zart im Gesträuch, winzige Silberkätzlein sitzen auf Weiden und Weißpappeln. Die Amsel pfeift, und Stare jauchzen. Erst wie ein Anhauch ist das Grün, doch an Sonnenplätzen lugen Schneeglöcklein aus winterlichem Gestrüpp. Eine träumende, jüngst verlobte Braut ist die Erde, und fürwahr, ihr märzlich Träumen ist schöner, als was später wirklich kommt. Mai und Junius schwelgen in Saftgrün und Blüten, in Sonnenwärme und Vogeljubilieren. Doch die Üppigkeit, die satte Lust hat nicht den Adel der Sehnsucht. O selig, wer in seinem Herzen den ersten Lenz verewigt! Erinnere Dich, mein Bräutigam, wem das gelang! Der Königstochter und ihrem Liebsten! Den Schatz der Bräutlichkeit hielt noch mit greisem Haar das Hirtenpaar bewahrt im Seelengrunde. Über sie hatte keine Gewalt das graue Gespenst. – Begreifst Du jetzunder, wen ich meine mit dem Gespenst? Alles Lebendige währt seine Zeit, das reinste Weiß ergraut einmal, es trübt sich jeder Glanz. Kann nicht auch das heiligste Entzücken altern? Diese Sorge ist das Gespenst! Nicht, als ob ich davor scheue, Silberhaar zu bekommen und Falten im Angesicht. Wenn aber unsere Seelen verblühen, wenn ihre Frische welkt, ihr Schwung erlahmt, wenn die staubige Gewöhnlichkeit auf unsere Blumen und Schätze sinkt – schau, mein Bräutigam, müßt es so kommen mit uns, ei so wollt ich doch lieber bald ins Grab flüchten, gelt? In Balsam hüllen möcht ich mein Herz, daß es immer bleibt, wie es ist. Hilf mir doch nachsinnen, wie solches könne geschehn.«

Eine Wehmut ging von dem Briefe aus, daß mir wie einem Bräutigam war, wenn am Altar seine Braut in Weinen ausbricht. Ach ja, die Erfüllung ist ein Abschied von der Sehnsucht. Gleichwohl suchte ich der Braut ihr Zagen auszureden. Mit frohen Farben malte mein Schreiben die Zukunft. Ich schilderte, wie jeder Tag zum Feste werden könne, wenn unser Auge nicht mit flachem Behagen auf der Nähe ruhen bleibe, sondern neue Fernen entdecke, die selbst im Busen der Nähe sich auftun. »Auch fürder wird der Himmel ob uns sich wölben und immerdar an einer Stelle die Erde berühren, wo unsre Fernesucht ihr Wunderland ahnet.«

Es war, als wolle Thekla mein tröstlich Zureden überhören; eine Woche später kam nur diese kurze Antwort: »Mein Bräutigam schwärmte davon, sein Haupt mir im Schoße ruhen zu lassen, von meinem Haar wie von einer Laube umwallt. Ich denke dabei an die Mondkugel im Wolkenschoße. Wundervoll freilich sind Silberschleier und leuchtende Glieder der Wolkenfrau. Doch vom Monde kommt solche Pracht, mit seinem Strahl verklärt er das Gewölk, das ohne ihn trüber Dunst wäre. Weiß mein holder Schwarmgeist, wie die Wolkenfrau geheißen?«

Glühend widersprach ich dieser Demut, die ich Kleinmütigkeit nannte. »Nicht erborgten Glanz hat meine Thekla, sie leuchtet eigen, und nie verbleichen soll mir dieser schönste Stern.« Sorgenvoll bat ich alsdann, sie möge doch endlich deutlichen Bericht über ihr Befinden geben; was ihr gefehlt habe, und ob sie genesen sei. »Und Heinrich? wie läßt er sich an? Das graue Gespenst macht mir halt nur insofern bange, als Heinrichs Seelenschwung ermatten und seine Bekehrung welken könnte.«

Seltsam lautete Theklas Antwort: »In der Chronika derer von Schlick ist der Lebenslauf manches Ahnen beschrieben. Von meines Urgroßvaters Schwester Veronika heißt es, sie sei eine ebenso hochsinnige wie schöne Jungfer gewesen. Überreich an Freiern, trat sie ins dreißigste Jahr, ohne ihr Herz verloren zu haben. Da kam auf ihres Bruders Schloß ein Gast, war anoch ein Jüngling, obwohl bereits mit güldenen Sporen angetan, dazu ein gekrönter Sangesmeister. Als er nun wieder scheiden gemußt, lief Veronika heimlich hinterdrein. Mit ihrem süßesten Lenze hielt Frau Minne die beiden bezaubert. Und wiewohl sie ein ehelich Paar hätten werden dürfen, war eine andere, ungewöhnliche Hochzeit mehr nach ihrem Sinn. Aufs Hochgebirg wallten sie Hand in Hand und mögen auf blumigen Matten bei Felsen und Wolken, erhaben ob dem Getriebe drunten, wie Engel gewesen sein. Nach dreien Tagen aber fand man sie entseelt in einem Abgrunde, wohinein sie in der Umarmung sich gestürzt hatten. Ein hinterlassener Zettel war von des Ritters Hand also beschrieben:

Wen du begnadet in der Zeit,

Hat Eines nur zu sorgen:

Nit welken darfstu, Seligkeit!

Wohlan, im Heim der Ewigkeit

Bleib alterlos geborgen!

Dieser Liebesleute Beispiel zu empfehlen, sei ferne von mir. Herbeizwingen darf man den Tod nicht. Doch ich fühle, wie durch meine Adern rollt der Veronika Blut.

Denn ich möchte nicht wieder ins trübe Tal sinken aus der klaren Höhe, zu der mich des Himmels Güte emporgehoben. In reinster Liebe aufblühen, dann nicht erst das Welken abwarten, sondern gleich eingehn zur stillen Ewigkeit! Unschuldig sterben, wie jenes Knäblein, an dessen Bahre Waldhäuser Heimweh nach der Ewigkeit empfand. Und unser kleiner Johannes – wiewohl Grauen seinen Opfertod umgibt –, im weißen Kleide als ein Lämmlein ist er zum guten Hirten gekommen. So preist ihn ein Lied, das im Herzen seiner Mutter erklungen, bald auch von ihr gelten mag:

Am offenen Fenster

Ein Flämmchen wacht,

Es flirrt und flackert

In wehender Nacht.

Ein Windstoß würgt es;

Da beugt es sich müd,

Als ob ein Blümchen,

Ein blaues, verblüht.

Aus lischt sein Auge;

Ein letzter, Strahl

Hinan zum heiligen

Sternensaal. –

Arm Flackerseelchen,

Du Bettelkind,

Gern wärst du worden

Was Sterne sind.

Mußt nun versprühen

In Nacht und Tod.

Jedoch getrost:

Der Lichtborn loht!

Dein Lichtborn droben,

Die glühenden Sonnen,

Dran heilige Sehnsucht

Dir ist entbronnen.

Und was du liebtest

In armer Zeit,

Dein Reichtum ist es

In Ewigkeit.

Der Sternenliebe

Ergib dich ganz;

So wirst du selber

Zu Sternenglanz.«

Ich weinte. Ein Lied von ihr! ein Lied auf unser Kind! So war nun Klein Johannes ein zitternder Klang im Elternherzen. Wie denn aber? Auch von der Mutter sollte bald dies Lied der Wehmut gelten? So meint sie – oh!

Bange Zweifel bestürmten mich. Immer rätselhafter ward Thekla. Weshalb diese Todesgedanken? Warum ging sie mit keiner Silbe auf meine Fragen ein? War mein Schreiben nicht in ihre Hand gelangt? Wollte sie die Antwort vermeiden? War etwas vorgefallen? »Ich beschwöre Dich, Thekla« – so schrieb ich – »sprich gerade heraus: Vermeinest Du, ein Hindernis vereitele unser ehelich Glück, und willst Du mir Enttäuschung ersparen, indem Du vorschnelle Hoffnungen zügelst? Oder hast Du eine wirkliche Scheu vor unserm Zusammenleben, selbst wenn Heinrich es gestattet? Darf ich nie als Gatte bei Dir einkehren? Willst Du bleiben, was Du bist, möchtest nur meine Braut sein? In Zeit und Ewigkeit nichts weiter als das?«

Der Märzmond war kommen, in den Tälern und selbst an den sonnigen Hängen meiner Iserberge hauchte, sproß und zwitscherte der erste Lenz, nicht anders, als Thekla ihn geschildert. Da erhielt ich, nach siebentägigem Harren, ein neues Schreiben. »Du ewig Meiner! Wie soll ich danken für all Deine Güte, Treue und Geduld, für die Wonnen, so mir Deine Liebe gab, und dafür, daß Du mich zu einem neuen, besseren und glückseligen Menschen gemacht. Immerdar nun möcht ich das bleiben in Deinem Herzen. Als mein Vater endete, hat es die gute Marianka den Kindern erspart, des Vaters Blut und Leichnam zu sehen; so ist es gekommen, daß mein Vater nur rüstig und strahlend mir im Gedächtnis lebt. Nicht wahr, auch dem Bilde, so ich Dir hinterlasse, vergönnest Du, daß es nicht entstellet werde! Wenn einmal der gute Tod mein Abendstündlein läutet, möcht ich mich hinwegstehlen aus dieser Enge wie ein Hauch. Die am Sterbebette weinen, sollen lieber über das, was röchelnd hier unterlag, recht bald ein Tüchel decken; ich schäme mich der armseligen Körperlichkeit. Ich bin nicht Staub; in dieser Ruine, die vordem eine saubere Hütte gewesen, hat mein Geist gehauset und geschafft. Die zertrümmerte Klause meidet er, sein Heim ist ein hohes, weites Königszelt. Diese Mahnung gilt meinem guten Heinrich. Hilf ihm verstehen! Wer wie Du und Sibylle gelernt ins Ewige zu schauen, der findet mich darin, und darf nicht traurig bleiben. Für Dich, mein Liebling, möcht ich noch besonders vorgesorgt haben für den Fall meines Todes. Das beste wäre, wenn Du von meinem Krankenlager gar nichts erführest. Schüttelt mich der peinvolle Husten, so dürft ich denken: Gottlob, er ahnt nicht diesen Verfall. Aus meinen Briefen an Dich, die ich gebieterisch der matten Hand abringen würde, ließe ich nur so viel durchblicken, als meinem Ziele dient.

Nit welken darfstu, Seligkeit!

Wohlan im Heim der Ewigkeit

Bleib alterlos geborgen!

Sei nicht bange, Johannes, versteh mich recht: Nur gesetzt den Fall, daß ich dem Tode nahe, würd ich so tun. Sanft ablenken möcht ich Deine Sehnsucht von der Gattenschaft, daß Dir vertraut der Gedanke werde, mich nie in Deine Arme zu schließen, sondern immer nur eine Sternenbraut zu haben. Selbst wenn ich schon in der Erde ruhete, würden an Dich noch immer Briefe abgehen, auf Vorrat von mir geschrieben. Sibyllen hätt ich eingeschärft: Jeden Sonntag bis auf weiteres gönne ihm sein Briefel!

Schließlich allerdings, nachdem meine Betrachtungen Dich vorbereitet hätten, müßtest Du wohl die Wahrheit erfahren; und also sollte dies geschehen: Wenn mein letzter Brief in Deinen Händen wäre, käme Heinrich zur Abendburg und spräche: ›Lieber Bruder, ich soll Dir melden, sie sei nun bei uns alle Tage!‹ – Will dann mein Liebling weinen, so sinke er an Heinrichs treue Brust. Bei jedem weitern Anfall des Leides aber lausche in Dich hinein, bis Du die Worte vernimmst: ›Dies ist derselbe Kummer, den auch sie empfunden hat, und nun sind Braut und Bräutigam wieder eins, wenn auch nicht in Lust.‹ Mein Wunsch, falls ich bald sterben sollte, wäre noch, es möchten Heinrich und Sibylle Dir zureden, die öde Abendburg doch zu verlassen und lieber in der Baude am Breiten Berge zu hausen. Nicht weil mein Staub daselbst ruht – Dein Herz ist ja mein wahres Grab; vielmehr weil Du wohnen sollst in meinem Stübel. Da mögen Dich täglich grüßen die Zeichen meiner Zärtlichkeit und meines Wandels Spuren. Auch wirst Du Dir viel zu erzählen haben mit Heinrich und Sibyllen. Behalte sie lieb; auch in ihnen lebt Deine Thekla ...

Verzeihe nun, mein Liebling, dies seltsamliche Gedankenspiel, nur ein Vorsorgen ist es ja für den Fall meines Todes. Nicht bekümmern darf es Dich, es soll Dich rüsten und beruhigen, wie es mir selber Trost gab. Ich bin im Frieden; und seliger ist keine Erdenbraut, denn Deine Thekla, berufen zum Altar der Ewigkeit.

Ein Bettlein ward mir zugedacht,

Wie's keine Mutter sanfter macht.

Ich bette mich in seine Ruh,

Wann ich den letzten Seufzer tu.

Und träume lächelnd: O was hab

Ich für ein wundersüßes Grab!

Von deiner Liebe eingewiegt

Und wie in Gottes Schoß geschmiegt!

Nun drücke noch, als weißen Stein,

Die Hand auf diesen Ruheschrein.

Die Hand aufs Herz dir selber, du!

Drin ich so treu geborgen ruh.«

Diese Zeilen ließen wiederholt mein Herz vor Bangen stocken. Wenn Thekla so gesonnen war, konnte ich ja gar nicht wissen, ob der Fall, den sie erörterte, nicht schon eingetreten. Wär's möglich? Lag sie vielleicht wirklich bereits unter der Erde, und waren ihre letzten Briefe nur gütige Täuschung?

Erst schlug mich der Schrecken nieder, und ich zitterte. Dann faltete ich die Hände, von Andacht durchschauert. Hehr und kühl ward es innen wie in einem Dome, und ein Flüstern ging durch die Stille: »Hie bin ich, Liebling! Schau mir ins Auge, wie du bereits im Böhmerschlosse schauen gelernt. Im Seelenblick sei eins mit mir, mich findest du, sooft dein Sehnen lodert, sei's an der Zackenschlucht, sei's wo du magst. In allem Schicksal web' ich dir, aus tausend Verstecken lach' ich dich an. Ich tröste dich, bin dir Beraterin und Schaffnerin, ich wirke mit bei allem Tun, das unsere Seelen einen kann. Nimm mein Bestes in dich auf, setze fort mein Lieben und mein Trachten! So hast du nichts verloren. Seit wir einander aufs neue hienieden begegnet sind, durft ich ja nie ein andres sein denn deine heimliche und ferne Braut. Wohlan, nichts Minderes bin ich worden; alles bleibt, wie es war, und wir haben noch den Vorteil, daß unser Minnen gerettet ist vor dem grauen Gespenst. Briefe tauschen wir, solange du atmest – nur daß du nicht erst zu schreiben, vielmehr bloß an mich zu denken brauchst, und daß dein Herz an Stelle des Baumes dient. Sei nun zufrieden, weil alles doch in Ordnung. Ich wußt es nicht besser einzurichten. Da mir der Tod so nahe bevorstund, wollt ich dir sein Bild ersparen und lieber das holde Geheimnis der Ferne dir verewigen.« So flüsterte es in mir, eine sanfte, gütige Hand lag in der meinen, und am Altare kniet ich mit der Sternenbraut.

Komm, Sonnenmund, du Hochzeitsbecher,

Zum Abendmahle mir geweiht!

Im Kusse sterbend saugt der Zecher

Das Feuerblut der Ewigkeit.

Laß trinken, trinken deinen Gatten –

Bis ihm die Seele feierstill,

Ein Himmel ohne Wolkenschatten,

Ein Sonntag, so nicht enden will.

Wie ich in der folgenden Frühe vor die Tür meiner Klause trat, siehe, da kamen aus dem Walde Heinrich und Sibylle gegangen. Ich schrak zusammen. Das war ja, wie Thekla es angekündigt. Wie versteinert stund ich. Und nun war Heinrich bei mir, schwer atmend. Weh lag auf seinem Antlitz, feierlich blickte sein blaues Auge, dann kamen die bebenden Worte: »Lieber Bruder – ich soll dir melden – sie – ist nun bei uns alle Tage.« Aufschluchzend lagen wir einander in den Armen, indessen Sibylle still für sich weinte. »Du weißt alles, Bruder?« fragte Heinrich weich. Ich nickte. »Und wirst zu uns kommen?« Ich drückte seine Hand und auch Sibyllens Hand: »Sie will es so; gerne komm ich mit; ich danke euch. Lasset mich nur noch das Liebste aus meiner Habe zusammenraffen.«

Wir saßen beisammen und weinten still. Dann hub der Umzug an. Sibylle führte die Ziege; Heinrich trug meine Waffen, in seiner Hucke waren meine Bücher; hinterdrein wankte irr der Oheim mit der Harfe. So schwanden sie im Walde. Auch für mich lag ein Bündel bereit. Doch ging ich noch nicht, mir blieb noch etwas zu tun. Ich durfte ja die Abendburg nicht lassen, wie sie war. Sonst hätte sie in goldgierigen Menschen aufs neue den Dämon reizen können, der doch schon genung des Unheils hier angerichtet. Trümmer sollten den Höhleneingang verschütten. Da kamen mir nun zustatten die vorhandenen Pulverfässer. Ich brachte sie in Spalten der Grotte und leitete Zündschnur zur Balkenklause.

Ein letzter Abschiedsblick ins alte Heim, dann zerrte ich aus dem Ofen Feuerbrände und zündete an. Von Ferne beobachtete ich, wie die Flammen aus Fenster und Dach loderten. Plötzlich huben sich Stücke des Felsens, als ob ein riesiger Maulwurf den Grund emporwühle, dicke Feuerstrahlen schossen herfür, es krachte, als berste der ganze Berg. Und zusammen in sich sank die Abendburg wie ein zertrümmerter Turm, dann war alles in schwarzen Qualm gehüllt, aus dem die Funken stoben. Bald legte sich der Aufruhr, die Balken verkohlten und verglühten, ich trat herzu und vergewisserte mich, daß der Felsen ob der Höhle zusammengebrochen war und den Eingang zur Tiefe, den ohnehin außer mir, dem Oheim und Kiesewalds kein Lebender mehr wußte, völlig begraben hatte. Ein Seufzen; dann lud ich mein Bündel auf und ließ die Stätte hinter mir. Auf des Zackenberges Rücken schaute ich zurück, überm Hohen Stein schwebte noch Rauch. Der war wie ein letztes finstres Mahnen an die Welt der Gier und Fehde. Mein Hund schnopperte unruhig und glotzte scheu. Dann zog er den Schwanz ein, hub den Kopf und heulte aus tiefer Brust. Er heulte, und ich schluchzete. Endlich faßte ich mich und ging.

Wie ich nun an die Schlucht des tosenden Bergstroms kam, allwo ich vor einem halben Jahr Thekla erwartet und das Feuer entzündet hatte, flog mein Blick hinüber zur Waldwiese, als ließe sich aufs neue die Braut finden. Und sieh doch! ich traute meinem Auge nicht: sie stund, wo sie damals gestanden. Wenigstens schien es eine Menschengestalt zu sein. Ein mal meinte ich, Sibylle sei es. Bei schärferem Spähen kam es mir vor, es müsse ein Baumstumpf sein – oder ein Felsen – vielleicht gar nur ein Schatten. Sei's, wie es wolle! Mir war dies Gebilde meine Thekla, ich erkannte ihr stahlblau Gewand und Kopftuch, sogar das Braun der Locken und ihr liebes Angesicht, still lächelte sie mich an.

Dem Schauen hingegeben, war ich ins Beerenkraut gesunken, sanfter Jubel sang mir im Herzen: »Süße ferne Braut! Mein Schatz der Abendburg!« Dazu vernahm ich in weiter Ferne Glockenläuten, als begebe sich zu Hirschberg, im ganzen Tale drunten, ein groß Feiern. Und ich träumte, die Stadtruinen seien bekränzt, auf den Knien lägen die wenigen Bewohner: »Friede! Das lange Sengen und Morden ist aus! Endlich Friede!« Und leibhaftig erschien der Friede, ein weißgekleidet Kindlein. So mag gelächelt haben jenes Kindlein, das der Abendburgfelsen seiner Mutter zurückgab; und so mag strahlen das Mägdlein vom Krökentor, wann die lichte Ewigkeit ihm seine finstre Mauerklause hat aufgetan.

Und nun sieh! Küsse warf mir von drüben meine Braut zu; war dann um ein Freudenfeuer beflissen – und nun sollte auch das meinige lodern.

Waldfeuer drüben an der Bergeshalde,Dein Wölkchen RauchSchwebt einsam nicht; aus meinem TannenwaldeSteigt gleicher Hauch.

Ob dort und hier zwei treue Herzen flammen,Getrennt durch Kluft und Strom –Den Rauch, die beiden Säulen, schmilzt zusammenEin Himmelsdom.

Die Ferne hat ein Minnen uns gegeben,Das nicht genießt,Nur segnend grüßt – und sanft zu Gottes FriedenHinüberfließt.

Waldfeuer drüben an der Bergeshalde,Dein Wölkchen RauchSchwebt einsam nicht; aus meinem TannenwaldeSteigt gleicher Hauch.