Text transcribed from first edition.
Vor etwa fünfundzwanzig Jahren, als die Naturwissenschaften eben wieder auf einem höchsten Gipfel standen, obgleich das Gesetz der natürlichen Zuchtwahl noch nicht bekannt war, öffnete Herr Reinhart eines Tages seine Fensterläden und ließ den Morgenglanz, der hinter den Bergen hervorkam, in sein Arbeitsgemach, und mit dem Frühgolde wehte eine frische Sommermorgenluft daher und bewegte kräftig die schweren Vorhänge und die schattigen Haare des Mannes.
Der junge Tagesschein erleuchtete die Studierstube eines Doctor Fausten, aber
durchaus ins Moderne, Bequeme und Zierliche übersetzt. Statt der malerischen
Esse, der ungeheuerlichen Kolben und Kessel, gab es da nur feine Spirituslampen
und leichte Glasröhren, Porzellanschalen und Fläschchen mit geschliffenem
Verschlusse, angefüllt mit Trockenem und Flüssigem aller Art, mit Säuren, Salzen
und Kristallen. Die Tische waren bedeckt mit
Wo man ein Buch oder Heft aufschlug, erblickte man nur den lateinischen Gelehrtendruck, Zahlensäulen und Logarithmen. Kein einziges Buch handelte von menschlichen oder moralischen Dingen, oder, wie man vor hundert Jahren gesagt haben würde, von Sachen des Herzens und des schönen Geschmackes.
So wollte also Reinhart sich wieder an eine stille, subtile Arbeit begeben, die
er schon seit Wochen betrieb. In der Mitte des Zimmers stand ein sinnreicher
Apparat, allwo ein Sonnenstrahl eingefangen und durch einen Kristallkörper
geleitet wurde, um sein Verhalten in demselben zu zeigen und womöglich das
innerste Geheimniß
Als die Sonne einige Spannen hoch gestiegen, verschloß er wieder die Fenster vor der schönen Welt mit Allem, was draußen lebte und webte, und ließ nur einen einzigen Lichtstrahl in den verdunkelten Raum, durch ein kleines Löchlein, das er in den Laden gebohrt hatte. Als dieser Strahl sorgfältig auf die Tortur gespannt war, wollte Reinhart ungesäumt sein Tagewerk beginnen, nahm Papier und Bleistift zur Hand und guckte hinein, um da fortzufahren, wo er gestern stehen geblieben.
Da fühlte er einen leise stechenden Schmerz im Auge; er rieb es mit der Fingerspitze und schaute mit dem andern durch das Rohr, und auch dieses schmerzte; denn er hatte allbereits angefangen, durch das anhaltende Treiben sich die Augen zu verderben, namentlich aber durch den unaufhörlichen Wechsel zwischen dem erleuchteten Kristall und der Dunkelheit, wenn er in dieser seine Zahlen schrieb.
Das merkte er jetzt und fuhr bedenklich zurück; wenn die Augen krank wurden, so
war es aus mit allen sinnlichen Forschungen, und Reinhart sah sich dann auf
beschauliches Nachdenken über das zurückgeführt, was er bislang gesehen. Er
setzte sich betroffen in einen weichen
Nachdem er in munterer Bewegung den größten Theil seiner Jugend zugebracht und dabei mit Aufmerksamkeit unter den Menschen genug gesehen hatte, um von der Gesetzmäßigkeit und dem Zusammenhange der moralischen Welt überzeugt zu werden, und wie überall nicht ein Wort fällt, welches nicht Ursache und Wirkung zugleich wäre, wenn auch so gering wie das Säuseln des Grashalmes auf einer Wiese, war die Erkundung des Stofflichen und Sinnlichen ihm sein All' und Eines geworden.
Nun hatte er seit Jahren das Menschenleben fast vergessen, und daß er einst auch gelacht und gezürnt, thöricht und klug, froh und traurig gewesen. Jetzt lachte er nur, wenn unter seinen chemischen Stoffen allerlei Komödien und unerwartete Entwickelungen spielten; jetzt wurde er nur verdrießlich, wenn er einen Rechnungsfehler machte, falsch beobachtete oder ein Glas zerbrach; jetzt fühlte er sich nur klug und froh, wenn er bei seiner Arbeit das große Schauspiel mit genoß, welches den unendlichen Reichthum der Erscheinungen unaufhaltsam auf eine einfachste Einheit zurückzuführen scheint, wo es heißt, im Anfang war die Kraft, oder so was.
Die moralischen Dinge, pflegte er zu sagen, flattern ohnehin gegenwärtig wie ein
entfärbter und heruntergekommener Schmetterling in der Luft; aber der Faden,
Jetzt aber war es ihm, wie gesagt, unbehaglich zu Muth geworden; in der Besorgniß
um seine Augen stellte er sich alle die guten Dinge vor, welche man mittelst
derselben sehen könne, und unvermerkt mischte sich darunter die menschliche
Gestalt, und zwar nicht in ihren zerlegbaren Bestandtheilen, sondern als Ganzes,
wie sie schön und lieblich anzusehen ist und wohllautende Worte hören läßt. Es
war ihm, als ob er sogleich viel gute Worte hören und darauf antworten möchte,
und es gelüstete ihn plötzlich, auf das durchsichtige Meer des Lebens
hinauszufahren, das Schifflein im reizenden Versuche der Freiheit da oder
dorthin zu steuern, wo liebliche Dinge lockten. Aber es fiel ihm nicht der
geringste Anhalt, nicht das kleinste Verhältniß ein zur Uebung menschlicher
Sitte; er hatte sich vereinsamt und festgerannt, es blieb still und dunkel um
ihn her, es ward ihm schwül und unleidlich und er sprang auf und warf die
Fensterläden wieder weit auseinander, damit es hell würde. Dann eilte er in eine
Bodenkammer hinauf, wo er in Schränken eine verwahrloste Menge von Büchern
stehen hatte, die von den halbvergessenen menschlichen Dingen handelten. Er zog
einen Band hervor, blies den Staub davon, klopfte ihn tüchtig aus und sagte:
Komm, tapferer Lessing! es führt dich zwar jede Wäscherin im Munde, aber ohne
eine Ahnung
Es war ein Band der Lachmann'schen Lessingausgabe und zwar der, in welchem die Sinngedichte des Friedrich von Logau stehen, und wie Reinhart ihn aufschlug, fiel ihm dieser Spruch in die Augen:
Wie willst du weiße Lilien zu rothen Rosen machen? Küß eine weiße Galathee: sie wird erröthend lachen.
Sogleich warf er das Buch weg und rief: Dank dir, Vortrefflicher, der mir durch den Mund des noch älteren Todten einen so schönen Rath gibt! O, ich wußte wohl, daß man dich nur anzufragen braucht, um gleich etwas Gescheidtes zu hören!
Und das Buch wieder aufnehmend, die Stelle nochmals laut lesend, rief Reinhart: Welch' ein köstliches Experiment! Wie einfach, wie tief, klar und richtig, so hübsch abgewogen und gemessen! Gerade so muß es sein: erröthend lachen! Küß eine weiße Galathee, sie wird erröthend lachen!
Das wiederholte er beständig vor sich her, während er Reisekleider hervorsuchte
und seinen alten Diener herbeirief, daß er ihm schleunig helfe, den Mantelsack
zu packen und das erste beste Miethpferd bestelle auf mehrere Tage. Er anbefahl
dem Alten die Obhut seiner Wohnung
Er hatte die artige Vorschrift auf einen Papierstreifen geschrieben, wie ein Recept, und in die Brieftasche gelegt.
Als Reinhart eine Weile in den thauigen Morgen hineingezogen, wo hier und da Sensen blinkten und frische Heuerinnen die Mahden auf den Wiesen ausbreiteten, kam er an eine lange und breite, sehr schöne Brücke, welche der Frühe wegen noch still und unbegangen war, und wie ein leerer Saal in der Sonne lag. Am Eingange stand ein Zollhäuschen von zierlichem Holzwerk, von blühenden Winden bedeckt, und neben dem Häuschen klang ein klarer Brunnen, an welchem die Zöllnerstochter eben das Gesicht gewaschen hatte und sich die Haare kämmte. Als sie zu dem Reiter herantrat, um den Brückenzoll zu fordern, sah er, daß es ein schönes blasses Mädchen war, schlank von Wuchs, mit einem feinen, lustigen Gesicht und kecken Augen. Das offene braune Haar bedeckte die Schultern und den Rücken, und war wie das Gesicht und die Hände feucht von dem frischen Quellwasser.
„Wahrhaftig mein Kind!“ sagte Reinhart. „Ihr seid die schönste Zöllnerin, die ich
je gesehen, und ich gebe
Sie erwiderte: „Ihr seid bei Zeiten aufgestanden, Herr, und schon früh guter Dinge. Doch wenn Ihr mir noch einige Mal sagen wollt, daß ich schön sei, so will ich gern mit Euch plaudern, so lang es Euch gefällt, und Euch jedesmal antworten, daß Ihr der verständigste Reiter seid, den ich je gesehen habe!
„Ich sage es noch ein Mal; der diese schöne neue Brücke gebaut und das kunstreiche Häuschen dazu erfunden, muß sich erfreuen, wenn er solche Zöllnerin davor sieht!“
„Das thut er nicht, er haßt mich!“
„Warum haßt er Euch?“
„Weil ich zuweilen, wenn er in der Nacht mit seinen zwei Rappen über die Brücke fährt, ihn etwas warten lasse, eh' ich herauskomme und den Schlagbaum aufziehe; besonders wenn es regnet und kalt ist, ärgert ihn das in seiner offenen Kalesche.“
„Und warum zieht Ihr den Schlagbaum so lang nicht auf?“
„Weil ich ihn nicht leiden kann!“
„Ei, und warum kann man ihn nicht leiden?“
„Weil er in mich verliebt ist und mich doch nicht ansieht, obgleich wir
miteinander aufgewachsen sind. Ehe die Brücke gebaut war, hatte mein Vater die
Fähre an dieser Stelle; der Baumeister war eines Fischers Sohn da drüben, und
wir fuhren immer auf der Fähre mit,
„Warum hat er, der so schöne Werke erfindet, eine so häßliche Frau?“
„Weil sie die Tochter eines Rathsmannes ist, der ihm den Brückenbau verschaffen konnte, durch den er groß und berühmt geworden. Jener sagte, er müsse seine Tochter heirathen, sonst solle er die Brücke nicht bauen.“
„Und da hat er es gethan?“
„Ja, ohne sich zu besinnen; seitdem muß ich lachen, wenn er über die Brücke fährt; denn er macht eine sehr traurige Figur neben seiner Buckligen, während er nichts als schlanke Pfeiler und hohe Kirchthürme im Kopfe hat.“
„Woher weißt Du aber, daß er in Dich verliebt ist?“
„Weil er immer wieder vorüberkommt, auch wenn er einen Umweg machen muß, und dann mich doch nicht ansieht!“
„Habt Ihr denn nicht ein wenig Mitleid mit ihm, oder seid Ihr am Ende nicht auch in ihn verliebt?“
„Dann würde ich Euch nichts erzählen! Einer, der eine Frau nimmt, die ihm nicht gefällt, und dann Andere gern sieht, die er doch nicht anzuschauen wagt, ist ein Wicht, bei dem nicht viel zu holen ist, meint Ihr nicht?“
„Sicherlich! Und um so mehr, als dieser also recht gut weiß, was schön ist; denn
je länger ich Euch und
„Aber er hätte auch die Brücke fahren lassen und mich nehmen können, und dann hätte er auch etwas schönes gehabt, wie Ihr sagt!“
„Das ist gewiß! Nun, er hat den Nutzen für sich erwählt, und Ihr habt Euere Schönheit behalten! Hier seid Ihr gerade an der rechten Stelle; viele Augen können Euch da sehen und sich an dem Anblick erfreuen!“
„Das ist mir auch lieb und mein größtes Vergnügen! Hundert Jahre möchte ich so vor diesem Häuslein stehen und immer jung und hübsch sein! Die Schiffer grüßen mich, wenn sie unter der Brücke durchfahren, und wer darüber geht, dreht den Hals nach mir. Das fühl' ich, auch wenn ich den Rücken kehre, und weiter verlang' ich nichts. Nur der Herr Baumeister ist der Einzige, der mich nie ansieht, und es doch am liebsten thäte! Aber nun gebt mir endlich den Zoll und zieht Euere Straße, Ihr wißt nun genug von mir für die schönen Worte, die Ihr mir gegeben!“
„Ich gebe Dir den Zoll nicht, feines Kind, bis Du mir einen Kuß gegeben!“
„Auf die Art müßte ich meinen Zoll wieder verzollen und meine eigene Schönheit versteuern!“
„Das müßt Ihr auch, wer sagt etwas Anderes? Würde bringt Bürde!“
„Zieht mit Gott, es wird nichts daraus!“
„Aber Ihr müßt es gern thun, Allerschönste! So ein bischen von Herzen!“
„Gebt den Zoll und geht!“
„Sonst thu' ich es selbst nicht; denn ich küsse nicht eine Jede! Wenn Du's recht artig vollbringst, so will ich das Lob Deiner Schönheit verkünden und von Dir erzählen, wo ich hinkomme; und ich komme weit herum!“
„Das ist nicht nöthig; alle guten Werke loben sich selbst!“
„So werde ich dennoch reden, auch wenn Ihr mich nicht küßt, beste Schöne! Denn Ihr seid zu schön, als daß man davon schweigen könnte! Hier ist der Zoll!“
Er legte das Geld in ihre Hand; da hob sie den Fuß in seinen Steigbügel, er gab ihr die Hand und sie schwang sich zu ihm hinauf, schlang ihren Arm um seinen Hals und küßte ihn lachend. Aber sie erröthete nicht, obgleich auf ihrem weißen Gesicht der bequemste und anmuthigste Platz dazu vorhanden war. Sie lachte noch, als er schon über die Brücke geritten war und noch einmal zurückschaute.
Für's Erste, sagte er zu sich selbst, ist der Versuch nicht gelungen; die nothwendigen Elemente waren nicht beisammen. Aber schon das Problem ist schön und lieblich, wie lohnend müßte erst das Gelingen sein!
Hierauf durchritt er verschiedene Gegenden, bis es Mittag wurde, ohne daß ihm
eine weitere günstige Gelegenheit aufgestoßen wäre. Jetzt erinnerte ihn aber der
Hunger daran, daß es Zeit zur Einkehr sei und eben, als er das Pferd zu einem
Wirthshause lenken wollte, fiel ihm der Pfarrherr des Dorfes ein, welcher ein
alter Bekannter von ihm sein mußte, und er richtete seinen Weg nach dem
Pfarrhause. Dort erregte er ein großes Erstaunen und eine unverhehlte Freude,
die alsobald nach Schüsseln und Tellern, nach Töpfchen und Gläsern, nach
Eingemachtem und Gebackenem auseinander lief, um das gewöhnliche Mittagsmahl zu
erweitern. Zuletzt erschien eine blühende Tochter, deren Dasein Reinhart mit den
Jahren vergessen hatte; überrascht erinnerte er sich nun wohl des artigen
kleinen Mädchens, welches jetzt zur Jungfrau herangewachsen war, deren Wangen
ein feines Roth schmückte und deren längliche Nase gleich einem ernsten Zeiger
andächtig zur Erde wies, wohin auch der
Nun unterhielten ihn Vater und Mutter ausschließlich von den Schicksalen ihres Hauses und verriethen eine wundersame Ordnungsliebe in diesem Punkte; denn sie hatten alle ihre kleinen Erfahrungen und Vorkommnisse auf das Genaueste eingereiht und abgetheilt, die angenehmen von den betrübenden abgesondert und jedes Einzelne in sein rechtes Licht gesetzt und in reinliche Beziehung zum Andern gebracht. Der Hausherr gab dann dem Ganzen die höhere Weihe und Beleuchtung, wobei er merken ließ, daß ihm die berufliche Meisterschaft im Gottvertrauen gar wohl zu Statten käme bei der Lenkung einer so wunderbarlichen Lebensfahrt. Die Frau unterstützte ihn eifrigst und schloß Klagen wie Lobpreisungen mit dem Ruhme ihres Mannes und mit dem gebührenden Danke gegen den lieben Gott, der in dieser kleinen, friedlich bewegten Familie ein besonderes, fein ausgearbeitetes Kunstwerk seiner Weltregierung zu erhalten schien, durchsichtig und klar wie Glas in allen seinen Theilen, worin nicht ein dunkles Gefühlchen im Verborgenen stürmen konnte.
Dem entsprachen auch die vielen Glasglocken, welche mannichfache Familiendenkmale
vor Staub schützten, sowie die zahlreichen Rähmchen an der Wand mit Silhouetten,
Glückwünschen, Liedersprüchen, Epitaphien, Blumenkränzen
So sah auch die Pfarrerstochter aus, wie wenn sie eben aus einem mit Spezereien durchdufteten Glasschranke käme, als sie, sorgfältig geputzt, wieder eintrat. Sie trug ein himmelblau seidenes Kleidchen, das knapp genug einen rundlichen Busen umspannte, auf welchen die liebe, ernsthafte Nase immerfort hinab zeigte. Auch hatte sie zwei goldene Löcklein entfesselt und eine schneeweiße Küchenschürze umgebunden; und sie setzte einen Pudding so sorgfältig auf den Tisch, wie wenn sie die Weltkugel hielte. Dabei duftete sie angenehm nach dem würzigen Kuchen, den sie eben gebacken hatte.
Ihre Eltern behandelten sie aber so feierlich und gemessen, daß sie ohne
sichtbaren Grund oftmals erröthete und bald wieder wegging. Sie machte sich auf
dem Hofe zu schaffen, wo Reinharts Pferd angebunden war, und in eifriger
Fürsorge fütterte sie das Thier. Sie rückte ihm ein Gartentischchen unter die
Nase und setzte ihm in ihrem Strickkörbchen einige Brocken Hausbrot, halbe
Semmeln und Zwiebäcke vor, nebst einer guten Handvoll Salatblätter; auch stellte
sie ein grünes Gießkännchen mit Wasser daneben, streichelte das Pferd mit zager
Hand und trieb tausend fromme Dinge. Dann ging sie in ihr
Inzwischen ging auch Reinhart hinunter, um das Pferd vorläufig bereit zu machen. Dieses hatte sich das Gießkännchen an die Nase geklemmt und am Gießkännchen hing das Strickkörbchen, und beide Dinge suchte das verlegene Thier unmuthvoll abzuschlenkern, ohne daß es ihm gelingen wollte. Reinhart lachte so laut, daß die Tochter es augenblicklich hörte und durch das Fenster sah. Als sie das Abenteuer entdeckte, kam sie eilig herunter, nahm sich ein Herz und bat Reinhart beinahe zitternd, daß er ihren Eltern und Niemand etwas davon sagen möchte, da es ihr für lange Zeit zum Aufsehen und zur Lächerlichkeit gereichen würde. Er beruhigte sie höflich und so gut er konnte, und sie eilte mit Körbchen und Kanne wie ein Reh davon, sie zu verbergen. Doch zeigte sie sich bald wieder hinter einem Fliederbusche und schien ein bedeutendes Anliegen auf dem Herzen zu haben. Reinhart schlüpfte hinter den Busch; sie zog einen sorgfältig versiegelten, mit prachtvoller Adresse versehenen Brief aus der Tasche, den sie ihm mit der geflüsterten Bitte überreichte, das Schreiben, welches einen Gruß und wichtigen Auftrag enthielte, doch ja unfehlbar an eine Freundin zu bestellen, die unweit von seinem Reisepfade wohne.
Ebenso flüsternd und bedeutsam theilte ihr Reinhart mit, daß er sie in Folge
eines heiligen Gelübdes ohne Widerrede küssen müsse. Sie wollte sogleich
entfliehen;
Als er wieder ins Haus trat, kam ihm der Pfarrherr heiter entgegen und zeigte ihm sein Tagebuch, in welchem sein Besuch bereits mit erbaulichen Worten vorgemerkt war, und die Pfarrfrau sagte: „Auch ich habe einige Zeilen in meine Gedenkblätter geschrieben, lieber Reinhart, damit uns Ihre Begegnung ja recht frisch im Gedächtnisse bleibe!“
Er verabschiedete sich aufs freundlichste von den Leuten, ohne daß sich die Tochter wieder sehen ließ.
Wiederum nicht gelungen! rief er, nachdem er vom Pfarrhofe weggeritten, aber immer reizender wird das Kunststück, je schwieriger es zu sein scheint!
Da das Pferd noch hungrig sein mußte, stieg er unweit des Dorfes nochmals ab, vor einem einsamen Wirthshause, welches am Saume eines großen Waldes lag und ein goldenes Waldhorn im Schilde führte. Aus dem Walde erhob sich ein schöner, grün belaubter Berg, hinein aber führte die breite Straße in weitem Bogen.
Unter der schattigen Vorhalle des Wirthshauses saß ein stattliches Frauenzimmer und nähte. Sie war nicht minder hübsch, als die Pfarrerstochter und die Zöllnerin, aber ungleich handfester. Sie trug einen schwarzen, fein gefalteten Rock mit rothen Säumen und blendend weiße Hemdärmel, deren gestickte weitläufige Ränder offen auf die Handknöchel fielen. In den Flechten des Haares glänzte ein silberner Zierrat, dessen Form zwischen einem Löffel und einem Pfeile schwankte.
Sie grüßte lächelnd den Reisenden und fragte, was ihm gefällig wäre.
„Etwas Hafer für das Pferd,“ sagte er, „und da es sich hier kühl und lieblich zu leben scheint, auch ein Glas Wein für mich, wenn Ihr so gut sein wollt!“
„Ihr habt Recht,“ sagte sie, „es ist hier gut sein, still und angenehm und eine schöne Luft! So laßts Euch gefallen und nehmt Platz!“
Als sie den Wein zu holen ging und mit der klaren Flasche wieder kam, bewunderte Reinhart ihre schöne Gestalt und den sicheren Gang, und als sie rüstig ein Maß Hafer siebte und dem Pferde aufschüttete, ohne an Reiz zu verlieren, sagte er sich: Wie voll ist doch die Welt von schönen Geschöpfen und sieht keines dem andern ganz gleich! — Die Schöne setzte sich hierauf an den Tisch und nahm ihre Arbeit wieder zur Hand. „Wie ich sehe,“ sagte Reinhart, „seid Ihr allein zu Haus?“
„Ganz allein,“ erwiderte sie voll Freundlichkeit, blanke Zahnreihen zeigend, „unsere Leute sind Alle auf den Wiesen, um Heu zu machen.“
„Gibt es viel und gutes Heu dies Jahr?“ „So ziemlich; wenn das Frühjahr nicht so trocken gewesen wäre, so gäbe es noch mehr; man muß es eben nehmen, wie's kommt, Alles kann nicht gerathen!“
„So ist es! Der schöne Frühling war dagegen für andere Dinge gut, zum Beispiel für die Obstbäume, die konnten vortrefflich verblühen.“
„Das haben sie auch redlich gethan!“
„So wird es also viel Obst geben im Herbst?“
„Wir hoffen es, wenn das Wetter nicht ganz schlecht wird.“
„Und was das Heu betrifft, was gilt es denn gegenwärtig?“
„Jetzt, eh' das neue Heu gemacht ist, steht es noch hoch im Preise, denn das letzte Jahr war es unergiebig; ich glaube, es hat vor acht Tagen noch über einen Thaler gekostet. Es muß aber jetzt abschlagen.“
„Verkauft Ihr auch von Euerem Heu, oder braucht Ihr es selbst, oder müßt Ihr noch kaufen, da Ihr ein Gasthaus führt?“
„In der Wirthschaft wird kein Heu, sondern fast nur Hafer verfüttert; für unser Vieh aber brauchen wir das Heu, und da ist es verschieden, das eine Jahr kommen wir gerade aus, das andere müssen wir dazu kaufen, das dritte reicht es so gut, daß wir etwas auf den Markt bringen können; dies hängt von vielen Umständen ab, besonders auch, wie die anderen Sachen und Kräuter gerathen.“
„Das läßt sich denken! Das läßt sich denken! Und also über einen Thaler hat der Zentner Heu noch vor acht Tagen gekostet?“
„Quälen Sie sich nun nicht länger, mein Herr!“ sagte die Schöne lächelnd, „und sagen Sie mir die drolligen Dinge, die Ihnen auf der Zungenspitze sitzen, ohne Umschweif! Ich kann einen Scherz ertragen und weiß mich zu wehren!“
„Wie meinen Sie das?“
„Ei, ich seh' es Ihren Augen die ganze Zeit an, daß Sie lieber von Anderm sprechen, als von Heu, und mir ein wenig den Hof machen möchten, bis Ihr Pferd gefressen hat! Da ich einmal die einsame Wirthstochter hier vorstelle, so wollen wir die wundervollen Dinge nicht verschweigen, welche man sich unter solchen Umständen sagt, und der Welt den Lauf lassen! Fangen Sie an, Herr! und seien Sie witzig und vorlaut, und ich werde mich zieren und spröde thun!“
„Gleich werd' ich anfangen, Sie haben mich nur überrascht!“
„Nun, lassen Sie hören!“
„Nun also — beim Himmel, ich bin ganz verblüfft und weiß Nichts zu sagen!“
„Das ist nicht viel: Sollen wir etwa gar die verkehrte Welt spielen und soll ich Ihnen den Hof machen und Ihnen angenehme Dinge sagen, während Sie sich zieren? Gut denn! Sie sind in der That der hübscheste Mann, welcher seit langem diese Straße geritten, gefahren oder gegangen ist!“
„Glauben Sie etwa, ich höre das ungern aus Ihrem Munde?“
„Das befürchte ich nicht im Geringsten! Zwar, wie ich Sie vorhin kommen sah,
dacht' ich: Gelobt sei Gott, da nahet sich endlich Einer, der nach was Rechtem
aussieht, ohne daran zu denken! Der reitet fest in die Welt
„Sie fallen ja aus der Rolle und sagen mir Unhöflichkeiten!“
„Es wird gleich wieder besser kommen! Sie haben eine so tüchtige Manier, daß man froh ist, Sie zu nehmen, wie Sie sind, da wir armen Menschen uns ja doch unser Leben lang mit dem Schein begnügen müssen, und nicht nach dem Kern fragen dürfen. So betrachte ich Sie auch als einen schönen Schein, der vorüber geht und sein Schöppchen trinkt, und ich benutze sogar recht gern diesen Scherz, um Ihnen in allem Ernste zu sagen, daß Sie mir recht wohl gefallen! Denn so steht es in meinem Belieben!“
„Daß ich Ihnen gefalle?“
„Nein, daß ich es sagen mag!“
„Sie sind ja der Teufel im Mieder! Ein starker Geist mit langen Haaren?“
„Sie glaubten wohl nicht, daß wir hier auch geschliffene Zungen haben?“
„Ei, als Sie vorhin den Hafer siebten, sah ich, daß Sie eine handfeste und zugleich anmuthige Dame sind!
Ihre Ausdrucksweise dagegen kann ich nicht mit den ländlichen Kleidern zusammen reimen, die Ihnen übrigens vortrefflich stehen!“
„Nun, ich habe vielleicht nicht immer in diesen Kleidern gesteckt — vielleicht auch doch! Jeder hat seine Geschichte und die meinige werde ich Ihnen bei dieser Gelegenheit nicht auf die Nase binden! Vielmehr beliebt es mir, Ihnen zu sagen, daß Sie mir wohl gefallen, ohne daß Sie wissen, wer ich bin, wie ich dazu komme, dies zu sagen, und ohne daß Sie einen Nutzen davon haben. So setzen Sie Ihren Weg fort als ein Schein für mich, wie ich als ein Schein für Sie hier zurückbleibe!“
Diese Grobheiten und seltsamen Schmeicheleien sagte die Dame nicht auf eine unangenehme Weise, sondern mit großem Liebreiz und einem fortwährenden Lächeln des rothen Mundes, und Reinhart enthielt sich nicht, endlich zu sagen: „Ich wollte, Sie blieben nun ganz bei der Stange und es beliebte Ihnen, Ihr schmeichelhaftes Wohlgefallen auch mit einem Kusse zu bestätigen!“
„Wer weiß!“ sagte sie, „in Betracht, daß ich in vollkommenem Belieben Sie küssen würde und nicht Sie mich, könnte es mir vielleicht einfallen, damit Sie zum Dank für die angenehme Unterhaltung mit dem Schimpf davon reiten, geküßt worden zu sein, wie ein kleines Mädchen!“
„Thun Sie mir diesen Schimpf an!“
„Wollen Sie still halten?“
„Das werden Sie sehen!“
Sie machte eine Bewegung, wie wenn sie sich ihm nähern wollte; in diesem Augenblicke wallte aber ein kalter Schatten über sein Gesicht, die Augen funkelten unsicher zwischen Lust und Zorn, um den Mund zuckte ein halb spöttisches Lächeln, so daß sie mit fast unmerklicher Betroffenheit die angehobene Bewegung nach dem Pferde hin ablenkte, um dasselbe zu tränken. Reinhart eilte ihr nach und rief, er könne nun nicht mehr zugeben, daß sie sein Pferd bediene! Sie ließ sich aber nicht abhalten und sagte, sie würde es nicht thun, wenn sie nicht wollte, und er solle sich nicht darum kümmern.
Sie war aber in einiger Verlegenheit; denn die Sachen standen nun so, daß sie doch warten mußte, bis Reinhart ihr wieder Anlaß bot, ihn zu küssen, daß sie aber beleidigt war, wenn es nicht geschah. Er empfand auch die größte Lust dazu; wie er sie aber so wohlgefällig ansah, befürchtete er, sie möchte wol lachen, allein nicht roth werden, und da er diese Erfahrung schon hinter sich hatte, so wollte er als gewissenhafter Forscher sie nicht wiederholen, sondern nach seinem Ziele vorwärts streben. Dieses schien ihm jetzt schon so wünschenswerth, daß er bereits eine Art Verpflichtung fühlte, keine unnützen Versuche mehr zu unternehmen und sich des lieblichen Erfolges im Voraus würdig zu machen.
Er stellte sich daher, um auf gute Manier wegzukommen, als ob er den höchsten
Respekt fühlte und von der Furcht beseelt wäre, mit zu weitgehendem Scherze ihr
Auf diesem Waldhörnchen wollen wir nicht blasen! sagte er zu sich selbst, als ihm beim Wegreiten das Schild des Hauses in die Augen fiel: Vielleicht führt uns der Auftrag der Pfarrerstochter auf eine gute Spur, wie das Gute stets zum Bessern führt! Ich will den schalkhaften Seitenpfad aufsuchen, der irgend hier herum zu jenem Schloß oder Landsitz führen soll, wo die unbekannte Freundin haust!
Er fand bald diesen Seitenpfad; es war aber wirklich ein schalkhafter; denn kaum hatte er ihn betreten, so verlor er sich in einem Netze von Holzwegen und ausgetrockneten Bachbetten, bald auf und ab, bald in düsterer Tannennacht, bald unter dichtem Buschwerke. Er gerieth immer höher hinauf und sah zuletzt, daß er an der Nordseite des ausgedehnten Berges umher irre. Stundenlang schlug er sich im wilden Forste herum und sah sich oft genöthigt, das Pferd am Zügel zu führen.
Was mir in dieser Wildniß ersprießen wird, rief er unmuthig aus, muß wohl eher eine stachlichte Distel, als eine weiße Galathee sein!
Aber unvermerkt entwirrte sich zugleich das Wirrsal in ersichtlich künstliche
Anlagen, welche auf die Westseite des Berges hinüberführten. Der Weg ging zwar
immer noch durch den Wald, auf und nieder, enger oder weiter, hier einen Blick
in die Ferne erlaubend, dort in dunkle
Plötzlich lichteten sich die Bäume und Laubwände, ein schmaler Pfad führte unmittelbar in einen offenen Blumengarten, welcher von dem jenseitigen Hofraume nur durch ein dünnes vergoldetes Drahtgitter abgeschlossen war. Gern hätte er sich über Garten und Zaun mit einem Satze hinweggeholfen; da dies aber nicht möglich war, so ritt er mit dem Muthe der Verzweiflung und trotzig, ohne abzusteigen, zwischen den Zierbeeten durch, die Schneckenlinien verfolgend, deren weißen Sand der Gaul lustig stäuben ließ.
Endlich war er hinter dem leichten Gitterchen angelangt, das den Garten verschloß, und das Pferd anhaltend übersah er sich zuerst den Platz, gleichgültig, ob er in dieser barbarischen Lage entdeckt wurde oder nicht; denn sich zu verbergen schien unmöglich.
Er befand sich auf einer großen Terrasse am Abhange des Berges, auf welcher ein schönes Haus stand; vor demselben lag ein geräumiger gevierter Platz, durch steinerne Balustraden gegen den jähen Abhang geschützt. Der Platz war mit einigen gewaltigen Platanen besetzt, deren edle Aeste sich schattend über ihn ausbreiteten. Unter den Platanen und über das Steingeländer hinweg sah man auf einen in Windungen sich weithin ziehenden breiten Fluß und in ein Abendland hinaus, das im Glanze der sinkenden Sonne schwamm. An den zwei übrigen Seiten war der Platz von Blumengründen begränzt, auf deren einem der verlegene Reinhart hielt. Er sah nun zu seinem Verdrusse, daß vorn an der Balustrade zwei stattliche Auffahrten auf den Hof mündeten.
Unter den Platanen aber erblickte er einen Brunnen von weißem Marmor, der sich einem viereckigen Monumente gleich mitten auf dem Platze erhob und sein Wasser auf jeder der vier Seiten in eine flache, ebenfalls gevierte, von Delphinen getragene Schale ergoß. Theils auf dem Rande einer dieser Schalen, theils auf dem klaren Wasser, das kaum handtief den Marmor deckte, lag und schwamm ein Haufen Rosen, die zu reinigen und zu ordnen eine weibliche Gestalt ruhig beschäftigt war, ein schlankes Frauenzimmer in weißem Sommerkleide, das Gesicht von einem breiten Strohhute überschattet.
Die untergehende Sonne bestreifte noch eben diese Höhe sammt der Fontaine und der
ruhigen Gestalt, über
Je ungewohnter der Anblick dieses Bildes war, das mit seiner Zusammenstellung des Marmorbrunnens und der weißen Frauengestalt eher der idealen Erfindung eines müßigen Schöngeistes, als wirklichem Leben glich, um so ängstlicher wurde es dem gefangenen Reinhart zu Muth, der wie eine Bildsäule staunend zu Pferde saß, bis dieses, ein gutes Unterkommen witternd, urplötzlich aufwieherte. Stutzend forschte die schlanke Dame nach allen Seiten und entdeckte endlich den verlegenen Reitersmann hinter dem goldenen Gewebe des leichten Gitterthörchens. Er bewegte sich nicht, und nachdem sie eine Weile verwunderungsvoll hingesehen, eilte sie zur Stelle, wie um zu erfahren, ob sie wache oder träume. Als sie sah, daß sich alles in bester Wirklichkeit verhielt, öffnete sie mit unmuthiger Bewegung das Gitter und sah ihn mit fragendem Blick an, der ihn einlud: ob es ihm vielleicht nunmehr belieben werde, mit den vier Hufen seines Pferdes aus dem mißhandelten Garten herauszuspazieren? Zugleich aber zog sie sich eilig an ihren Brunnen zurück, eine Handvoll Rosen erfassend und der Dinge gewärtig, die da kommen sollten.
Endlich stieg Reinhart ab, und seinen Miethgaul demüthig hinter sich herführend,
überreichte er der reizvollen Erscheinung, sie fortwährend anschauend, ohne
Oder vielmehr war es nicht der Brief, sondern der Zettel, auf welchen er das Sinngedicht geschrieben:
Den Brief hielt er sammt der Brieftasche in der Hand und entdeckte sein Versehen erst, als die Dame das Papier schon ergriffen und gelesen hatte.
Sie hielt es zwischen beiden Händen und sah den ganz verwirrten und erröthenden Herrn Reinhart mit großen Augen an, während es zweifelhaft, ob bös oder gut gelaunt, um ihre Lippen zuckte. Stumm gab sie den Papierstreifen hin und nahm den Brief, den der um Nachsicht Bittende oder Stammelnde dafür überreichte. Als sie das große Siegel erblickte, verbreitete sich eine Heiterkeit über das Gesicht, welches jetzt in der Nähe wie ein schönes Heimatland aller guten Dinge erschien. Ein kluger Blick ihrer dunklen Augen blitzte auf, und als sie rasch gelesen, lachte sie und sagte mit schalkhaft bewegter Stimme:
„Ich muß gestehen, mein Herr, das ist mir das seltsamste Ereigniß! Ein
Unbekannter fällt, Mann und Pferd, vom Himmel und fängt sich wie eine Drossel an
den schwachen Gitterchen meines Gartens, Beete und Wege zerwühlend! Er
überbringt mir ein Schreiben, das mit dem Amtssiegel eines ehrwürdigen
Geistlichen,
Nicht nur vom Abglanz der Abendsonne, sondern auch von einem hellen inneren Lichte war die ziervolle Dame dermaßen erleuchtet, daß der Schein dem überraschten Reinhart seine Sicherheit wiedergab. Aber indem er sich sagte, daß er hier oder nirgends das Sprüchlein des alten Logau erproben möchte und erst jetzt die tiefere Bedeutung desselben völlig empfand, merkte er auch, mit welch' weitläufigen Vorarbeiten und Schwierigkeiten der Versuch verbunden sein dürfte.
Er verbeugte sich abermals mit aller Ehrerbietung und sagte:
„Ich bin über mein Geschick nicht weniger erstaunt, als Sie, mein Fräulein! nur daß ich in ungalanter Weise im Vortheil und auf das Angenehmste betroffen bin, während ich auf Ihrem Gebiete bis jetzt nichts als Schaden und Unheil angerichtet habe. Seit heute früh im Freien, um einer naturwissenschaftlichen Beobachtung nachzugehen, habe ich den Tag damit zugebracht, einen Brief von einer Dame zur andern zu tragen, worin, wie Sie sagen, um Rettigsamen gebeten wird; ich habe mich an diesem Berge verirrt, Gärten verwüstet und mich zuletzt da gefangen gesehen, wo ich schon freiwillig habe hingehen wollen! Welcher Meister hat diese schönen und witzigen Anlagen gebaut?“
„Ich selbst habe sie erfunden und angegeben, es sind eben Mädchenlaunen!“ sagte die Dame.
„Alle Achtung vor Ihrem Geschmack! Da Sie aber so kunstreiche Netze ausbreiten, so haben Sie es sich selbst zuzuschreiben, wenn Sie einmal einen groben Vogel fangen, auf den Sie nicht gerechnet haben!“
„Ei man muß nehmen, was kommt! Zu dem freue ich mich zu sehen, daß meine Anlagen zu was gut sind; denn hätten Sie sich nicht darin gefangen, so wären Sie viel früher angekommen und wahrscheinlich längst wieder weggeritten; so aber, da es spät und weit bis zur nächsten Gastherberge ist, habe ich das Vergnügen Ihnen eine Unterkunft anzubieten. Denn Sie sind mir angelegentlich empfohlen von meiner Freundin und sie schreibt, Sie seien ein sehr beachtenswerther und vernünftiger Reisender, welcher mit ihren Eltern die erbaulichsten Gespräche führe!“
„Das wundert mich! Ich habe kaum zwei oder drei Mal das Wort ergriffen und einige Minuten lang geführt!“
„So muß das Wenige, das Sie sagten, um so herrlicher gewesen sein, und ich hoffe dergleichen auch mit Bescheidenheit zu genießen!“
„O mein Fräulein, es waren im Gegentheil zuletzt solche Dummheiten, die ich besonders der jungen Dame sagte, daß sie den gütigen Empfehlungsbrief schwerlich mehr geschrieben hätte, wenn es nicht schon geschehen wäre!“
„So scheint es denn bei Ihnen in keiner Weise mit rechten Dingen zuzugehen! Wenn
ich meinen Zweck erreichen will, Sie hier zu behalten, muß ich am Ende,
„Nein, schönstes Fräulein, ich möchte jetzo mit Ihrer Hülfe versuchen, der Dinge wieder Meister zu werden! Weisen Sie mir meinen Aufenthalt an, und ich werde ohne Abweichung stracks hinzukommen trachten und mich so fest halten wie eine Klette!“
„Das will ich thun! Aber dann halten Sie sich ja tapfer und lassen sich weder rechts noch links verschlagen, und wenn Sie sich nicht recht sicher trauen, so bleiben Sie lieber auf einem Stuhle sitzen, bis ich Sie rufen lasse! Auf keinen Fall entfernen Sie sich vom Hause, und wenn Ihnen dennoch etwas Ungeheuerliches oder Verkehrtes aufstoßen sollte, so rufen Sie mich gleich zu Hülfe! Läuft es aber glücklich ab und halten Sie sich gut über Wasser, so sehen wir uns bald wieder.“
Mit diesen Worten grüßte sie den Gast und eilte mit ihrem Rosenkorbe in das Haus,
um Leute zu senden. Es erschien bald darauf ein alter Diener mit weißen Haaren,
der, als er das Pferd gesehen, einen Stallknecht aus dem weiter
rückwärtsgelegenen Wirthschaftshofe herbeiholte. Dann kamen zwei Mädchen in der
malerischen Landestracht, die er schon im Waldhorn gesehen, und führten ihn in
das Haus. Als Reinhart in dem ihm angewiesenen Zimmer einige Zeit verweilt und
sein Aeußeres in Ordnung gebracht hatte, erschien das eine der Mädchen wieder
Ueberrascht von dem Anblick der Gruppe, sowie auch etwas übermüthig von den
fortgesetzt anmuthigen Begegnissen dieses Tages, verhinderte er die Mädchen,
ihre Gaben auf den Tisch zu setzen, und führte sie mit wichtiger Miene vor einen
großen Spiegel, der den Fensterpfeiler vom Boden bis zur Decke bekleidete. Dort
stellte er sie, den Rücken gegen das Glas gewendet, auf, und die Jungfrauen
ließen ihn einige Augenblicke gewähren, da sie nicht wußten, worum es sich
handelte. Mit Wohlgefallen betrachtete er das Bild; denn er sah nun vier
Figuren, statt zweier, indem der Spiegel den Nacken und die Rückseite der
schmucken Trägerinnen wiedergab. Um sie festzuhalten, fragte er sie nach dem
Taufnamen ihrer Gebieterin, obschon der denselben bereits kannte, und beide
sagten: „Sie heißt Lucia!“ Zugleich aber verspürten die Mägde den Muthwillen,
stellten die Sachen auf den Tisch und liefen erröthend aus dem Zimmer; draußen
ließen sie ein kurzes schnippisches Gelächter erschallen, das gar lustig durch
die gewölbten Gänge erklang. Bald aber guckten ihre zwei Gesichter wieder zu
einer andern Thüre des Zimmers herein, und die Eine
Reinhart that ihn ganz auf und trat in das anstoßende Gemach, das jedoch außer
einer gewöhnlichen Zimmerausstattung nichts enthielt; er öffnete daher die
nächste, blos angelehnte Thüre und entdeckte einen geräumigen Saal, welcher eine
Art Arbeitsmuseum der Dame Lucia zu bilden schien. Ein Bücherschrank mit
Glasthüren zeigte eine stattliche Bibliothek, die indessen durch ihr Aussehen
bewies, daß sie schon älteren Herkommens war. An anderen Stellen des Saales hing
eine Anzahl Bilder oder war zur bequemen Betrachtung auf den Boden gestellt. Es
schienen meistens gut gedachte und gemalte Landschaften oder dann einzelne
schöne Portraitköpfe, beides aber nicht von und nach bekannten Meistern, sondern
von solchen, deren Gestirn nicht in die Weite zu leuchten pflegt oder wieder
vergessen wird. Oefter sieht man in alten Häusern derlei Anschaffungen
vergangener Geschlechter; kunstliebende Familienhäupter unterstützten
landsmännische Talente, oder brachten von ihren Reisen dies oder jenes löbliche,
durchaus tüchtige Gemälde nach Hause, von dessen Urheber nie wieder etwas
vernommen
Was ihm jedoch am meisten auffiel, war eine besondere kleine Büchersammlung, die
auf einem Regale über dem Tische nah zur Hand und von der Besitzerin selbst
Diese ergötzliche Wendung mußte der Besitzerin des Buches gefallen; denn sie hatte neben die Stelle ein zierliches Vergißmeinnicht an den Rand gemalt. Aus allen Bänden ragten zahlreiche Papierstreifchen und bewiesen, daß jene fleißig gelesen wurden.
Auf einem andern Tische lagen in der That die Pläne zu den Anlagen, in welchen Reinhart sich verirrt hatte, und andere neu angefangene.
Diese Pläne waren nicht etwa auf kleine ängstliche
Wie er so mitten in dem Saale stand, beinah eifersüchtig auf all' die ungewöhnlichen und im Grunde doch anspruchslosen Studien, ungewiß, wie er sich dazu verhalten solle, trat Lucie herein und entschuldigte sich, daß sie ihn so lange allein gelassen. Sie habe seine Gegenwart dem kranken Oheim gemeldet, der bedauere, ihn jetzt nicht sehen zu können, jedoch die Versäumniß noch gut zu machen hoffe. Als Reinhart die schön gereifte und frische Erscheinung wieder erblickte, trat ihm unwillkürlich die Frage, die sein Inneres neugierig bewegte, auf die Lippen, und er rief bedachtlos, indem er sich im Saale umsah: „Warum treiben Sie alle diese Dinge?“
Die Frage schien keineswegs ganz grundlos zu sein, obgleich sie ihm keine Antwort eintrug. Vielmehr sah ihn das schöne Fräulein groß an und erröthete sichtlich, worauf sie ihn mit etwas strengerer Höflichkeit einlud, sie zu begleiten. Reinhart that es nicht ohne Verlegenheit und ebenfalls mit einiger Röthe im Gesicht.
Denn er fühlte jetzt, als er sie am Arme dahin führte, daß seine Frage eigentlich nichts anderes sagen wollte, als: Schönste, weißt du nichts besseres zu thun? oder noch deutlicher: Was hast du erlebt? darum schritt das sich gegenseitig unbekannte Paar in gleichmäßiger Verblüffung nach dem Speisezimmer, und Jedes wünschte meilenweit vom Andern entfernt zu sein, wohl fühlend, daß sie sich unvorsichtig in eine kritische Lage hinein gescherzt hatten.
Doch verlor sich die Verlegenheit, als sie in das bereits erleuchtete Zimmer traten, wo die zwei Mägde mit dem Auftragen des Abendessens beschäftigt waren. Man setzte sich zu Tisch und die Mägde, nachdem sie ihren Dienst vorläufig gethan, nahmen desgleichen Platz, versahen sich ohne Weiteres mit Speise und aßen mit Fleiß und gutem Anstand.
„Sie sehen,“ sagte Lucia zu ihrem Gast, „wir leben hier ganz patriarchalisch, und
hoffentlich werden Sie sich
„Im Gegentheil,“ erwiderte Reinhart, „sie trägt dazu bei, meine Kur zu befördern !“
„Welche Kur?“ fragte Lucie, und er antwortete:
„Die Augenkur! Ich habe mir nämlich durch meine Arbeit die Augen geschwächt und nun in einem alten ehrlichen Volksarzneibuche gelesen: kranke Augen sind zu stärken und gesunden durch fleißiges Anschauen schöner Weibsbilder, auch durch öfteres Ausschütten und Betrachten eines Beutels voll neuer Goldstücke! Das letztere Mittel dürfte kaum stark auf mich einwirken; das erstere hingegen scheint mir allen Ernstes etwas für sich zu haben; denn schon schmerzt mich das Sehen fast gar nicht mehr, während ich noch heute früh es übel empfand!“
Diese Worte äußerte Reinhard durchaus ernsthaft und eben so ehrlich, als jenes
Heilmittel in dem alten Arzneibuche gemeint war. Indem er daher an nichts
weniger als an eine Schmeichelei dachte, war es umsomehr eine solche und zwar
eine so wirksame, daß die Frauensleute des Spottes vergaßen. Fräulein Lucie
wurde auf‘s Neue verlegen und wußte nicht, was sie aus dem wunderlichen Gaste
machen sollte, und die Mägdlein beäugelten ihn heimlich als eine kurzweilige und
zuträgliche Abwechslung in diesem klosterartigen Hause. In der That war es ihm
so wenig um grobe Schmeicheleien zu thun, daß er das Gesagte schon bereute und,
um es zu mildern und
Zugleich jedoch berichtete er mit der unklugen Aufrichtigkeit, welche ihn seit seiner Ankunft plagte, den vollständigen Hergang und die Beschaffenheit seines Ausfluges, die Entdeckung des weisen Sinngedichtes, die Begegnung mit der Zöllnerin und diejenige mit der Pfarrerstochter, sowie endlich mit der Waldhornstochter. Denn so lange er unter den Augen seiner jetzigen Gastherrin saß oder stand, trieb es ihn wie ein Zauber zur Offenherzigkeit, und wenn er die ärgsten Teufeleien begangen, so würde ihm das Geständniß derselben über die Lippen gesprungen sein.
Allein obgleich diese Wirkung Lucien nur zum Ruhme gereichte, schien sie sich dennoch nicht geschmeichelt zu fühlen. Sich des Zettels erinnernd, den ihr Reinhart erst statt des Briefes in die Hand gegeben hatte, röthete sich ihr Gesicht in anmuthigem Zorn, und plötzlich stand sie auf und sagte mit verdächtigem Lächeln:
„So gedenken Sie wol Ihre eleganten Abenteuer in diesem Hause fortzusetzen, und sind nur in dieser schmeichelhaften Absicht gekommen?“
Worauf sie anfing, ziemlich rasch im Gemach auf und nieder zu gehen, während die
zwei Mädchen, als erbos'te Schleppträgerinnen ihres Zornes, ebenfalls
aufsprangen
„Mein Fräulein, wenn Sie es befehlen, so werde ich ohne Verzug das Haus verlassen und mit höflichstem Danke auch für kurzen aber denkwürdigen Aufenthalt augenblicklich meinen Weg fortsetzen!“
Ohne still zu stehen erwiderte die Schöne:
„Es ist zwar Nacht und kein Unterkommen für Sie in der Nähe; aber dennoch geht es unter den bewußten Umständen nicht an, daß Sie hier bleiben, in allem Frieden sei es gesagt! Auch kann die nächtliche Fahrt Ihrem unternehmendem Geiste nur willkommen sein, und überdies werde ich Ihnen einen Wegleiter sammt Laterne mitgeben.“
Demnach blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu entfernen; bescheiden ging er der Dame entgegen, und im Begriff, sich ehrerbietig zu verbeugen, besann er sich aber eines Besseren, richtete sich auf und sagte höflich:
„Ich überlege soeben, daß ich für Sie und für mich am besten thue, wenn ich mich
doch nicht so schimpflich hier fortjagen lasse! Denn während ich durch mein
Bleiben meine eigene Würde bewahre, gebe ich Ihnen Gelegenheit, auf die
herrlichste Weise Ihre weibliche Glorie zu behaupten. Denn auch vorausgesetzt,
daß ich irgend einen ungehörigen,
Er bot ihr hiermit den Arm und führte sie wieder an ihren Platz, was sie ruhig und schweigend geschehen ließ. Sie setzten sich abermals gegenüber; dann reichte sie ihm die Hand über den Tisch und sagte:
„Sie haben Recht, machen wir Frieden! Und zum Zeichen der Versöhnung will ich Ihnen erzählen, was es mit der Waldhornjungfrau für eine Bewandtniß hat. Vorher aber liefern Sie mir als Beweis Ihrer redlichen Gesinnung jenen ruchlosen Reimzettel aus, den Sie bei sich führen! Und Ihr Mädchen nehmt Euere Rädchen und spinnt Eueren Abendsegen!“
Die Mädchen holten zwei leichte Spinnräder und setzten sich herzu; Reinhart suchte das Sinngedicht hervor und gab es Lucien; diese zeigte den Zettel den Mädchen und sagte:
„Da seht, welche Thorheiten ein ernsthafter Gelehrter in der Tasche trägt!“
worauf sie das arme Papierchen unter dem Gekicher der Mädchen an eine der Kerzen
hielt,
„Was nun die hübsche Wirthin vor dem Walde betrifft,“ sagte sie, „so ist sie
allerdings eine eigenthümliche Erscheinung. Schon als Kind zeichnete sie sich
sowol durch Schönheit und frisches Wesen, als auch durch eine ganz eigene
Gescheidtheit und Witzigkeit oder Zungenfertigkeit aus, oder wie man es nennen
will, und je mehr sie heranwuchs, desto glänzender schienen diese äußern und
innern Eigenschaften sich auszubilden. Mit der äußern Schönheit schien es nicht
nur, sondern war es auch wirklich der Fall; denn so hübsch sie auch jetzt noch
aussieht, so ist sie für die, so sie früher gesehen, doch beinahe nur noch ein
Abglanz im Vergleich zu dem, was sie vor einigen Jahren gewesen. Die innere
Schöne oder vermeintliche Weisheit des Mädchens dagegen erwies sich als ein
arger Schein; sie hat zwar jetzt noch ein so schlagfertiges Redewerk, als es
sich nur wünschen läßt, allein es steckt eitel Thorheit und Finsterniß dahinter.
Nicht nur wurde sie von den Eltern, welches roh gleichgültige Wirths- und
Landleute sind, niemals dazu angehalten, etwas zu lernen und in ihre Seele
hineinzuthun, sondern sie empfand auch selber nicht den kleinsten Antrieb und
blieb zu rechten Dingen so dumm, daß sie kaum mühselig schreiben lernte, und man
sagt, daß ihr sogar das Lesen ziemlich
Dennoch hielt sie sich für einen Ausbund, strebte von jeher nach großen Dingen, worunter sie natürlich vor allem das Einfangen eines recht glänzenden jungen Herrn verstand. Da sie aber, wie gesagt, nur im großen Haufen ihre Stärke fand, so wollte es ihr nicht gelingen, ein einzelnes Verhältniß abzusondern und ordentlich auf ein Spülchen zu wickeln.
Als meine Großeltern noch lebten, gab es zuweilen viel junge Leute hier, die sich
nicht übel belustigten und die Gegend unsicher machten. Vorzüglich gefielen sich
die
Da war nun auch ein junger Städter oft bei uns, ein hübsches aber durchaus
unnützes Bürschchen, das von ein wenig Schule und Schliff abgesehen beinah so
thöricht war, wie die Dame im Waldhorn. Reich, übermüthig und ein ganz
verzogenes Muttersöhnchen, gab er, so leer sein Kopf an guten Dingen war, um so
vorlauter in allen Narrheiten den Ton an und war hauptsächlich im Waldhorn der
erste und der letzte. Dies zu sein, war ihm auch Ehrensache, und wenn er einen
Streich nicht angegeben hatte oder in den Zusammenkünften nicht die Hauptrolle
spielte, so fragte er nichts darnach und that, als sähe er nichts, statt mit zu
lachen. Am meisten machte er sich mit der Salome zu schaffen, belagerte sie
unaufhörlich, behauptete, sie sei in ihn verliebt und er wolle sich besinnen, ob
er um sie anhalten wolle, was selbstverständlich alles nur Scherz sein sollte.
Sie widersprach ihm eben so unaufhörlich mit spitzigen Spottreden, die mehr grob
als launig ausfielen, versicherte, sie könne ihn nicht ausstehen, und war
inzwischen begierig, wie sie ihn an sich festbinden werde, woran sie nicht
zweifelte; denn
Im Garten hinter dem Hause gab es eine dichte Laube, die außerdem noch von Gebüschen umgeben war. Dorthin verlockte Drogo eines Abends, als schon die Sterne am Himmel glänzten, die muthwillige Gesellschaft, indem er sich stellte, als ob er vorsichtig der Salome nachschliche und eine geheime Zusammenkunft mit ihr in's Werk setzte. Er glaubte, sie sei schmollend schlafen gegangen, da sie sich den ganzen Abend derb geneckt hatten, und wußte es nun so gut zu machen, daß die Leute wirklich getäuscht wurden und meinten, er wolle sich unbemerkt nach der Laube hinstehlen. Sie winkten einander listig und schlichen ihm eben so pfiffig nach, als er voranhuschte, und als er in die dunkle Laube schlüpfte, umringten sie sachte das grüne Gezelt, um das Liebespaar zu belauschen und zu überfallen; denn es Pflegte eben nicht sehr zartsinnig zuzugehen.
Als Junker Drogo nun drinn saß und merkte, daß die Lauscher sich nach Wunsch
aufgestellt hatten, begann er, dieselben zu äffen und neidisch zu machen, indem
er ein trauliches Geflüster nachahmte, wie wenn zwei Liebende
Nun saß der gute Herr Drogo mit seinen Possen keineswegs allein in der Laube; vielmehr saß niemand anders, als die Salome, auch darin, in eine Ecke gedrückt. Sie war nämlich nicht zu Bett, sondern hieher gegangen, um sich ein wenig zu grämen, da die dämliche Unbestimmtheit ihres Schicksals sie doch zu quälen begann, und sie weinte sogar ganz gelinde, eben als der Possenreißer ankam. Sie konnte nicht erkennen, wer es war, und saß bewegungslos im Winkel, um sich nicht zu verrathen. Als jedoch die Komödie anfing, errieth sie bald ihren Widersacher und hörte auch gar wohl die Uebrigen heranschleichen; kurz, da es sich um eine Nichtsnutzigkeit handelte, vermerkte sie endlich den Sinn des ganzen Auftrittes, während sie etwas Ernsthaftes nicht errathen hätte, und sie verfiel stracks auf den Gedanken, den Spötter in seinem eigenen Garne zu fangen, jetzt oder nie!
Als er am eifrigsten dabei war, mit vieler Kunst in die Luft zu küssen, als ob er
die rothen Lippen der
Zugleich brach jetzt das lauschende Volk los, bereit gehaltene Lichter wurden
rasch angezündet und damit in die Laube geleuchtet, und unter rauschendem
Gelächter und lauten Glückwünschen wurde das Paar entdeckt und umringt. Aber
auch die Eltern des Mädchens kamen herbei, ein aus dem mehrjährigen
Militärdienst heimgekehrter Bruder, der nicht heiter aussah, Ackerknechte und
ländliche Gäste, die noch in der Wirthsstube gesessen. Diese alle machten jetzt
unheimliche Gesichter; das Pärchen wurde an der Spitze der ganzen Schaar in das
Haus begleitet, wo die Eltern Erklärung verlangten. Salome weinte wieder und ihr
war sehr bang; Drogo wollte sich sachte aus der Verlegenheit ziehen und sich
abseits drücken, seine Freunde selbst jedoch verlegten ihm den Weg und mochten
ihm aus Neid und Schadenfreude sein Schicksal gönnen; sie beredeten ihn ebenso
ernsthaft, wie die Verwandten des Mädchens, sich zu erklären, während dieses,
wie gebändigt, hold und traurig da saß und der junge Mensch noch das frische
Gefühl ihrer Liebkosungen empfand.
Es fiel ihm nun nicht schwer, die Zustimmung der Seinigen zu erlangen, die von
jeher thun mußten, was ihm beliebte, und so wurde diese Mißheirath, die
eigentlich nur äußerlich eine solche war, allseitig beschlossen. Aber, o Himmel!
es wäre zehnmal besser gewesen, wenn es innerlich eine solche und die beiden
Brautleute sich nicht vollkommen gleich an Narrheit gewesen wären! Die Braut
wurde jetzt modisch gekleidet und ein halbes Jahr vor der Hochzeit in die Stadt
gebracht, wo sie die sogenannte feinere Sitte und die Führung eines Hauswesens
von gutem Ton erlernen sollte. Damit war sie aber auf ein Meer gefahren, auf
welchem sie das Steuer ihres Schiffleins aus der Hand verlor. Eine ihren
künftigen Schwiegereltern befreundete Familie nahm sie aus Gefälligkeit bei sich
auf. Diese Leute lebten in großer Ruhe und voll Anstand und machten nicht viel
Worte; schnelle, unbedachte Reden und Antworten waren da nicht beliebt, sondern
es mußte alles, was gesagt wurde, gediegen und wohlbegründet erscheinen; im
Stillen aber wurden nicht liebevolle Urtheile ziemlich schnell flüssig. Salome
wollte es im Anfang recht gut machen; da sie aber einen durchaus unbeweglichen
Verstand besaß, so gerieth die Sache nicht gut. Ihre Gebarungen und Manieren,
welche sich in der freien Luft und im Wirthshause hübsch genug ausgenommen,
waren in den Stadthäusern viel zu breit
So kam es dazu, daß der Bräutigam, wenn die Braut nicht gegenwärtig war, sich für
einen armen unglücklichen
Salome verspürte keine Ahnung, daß die Beschaffenheit ihres Geistes, ihrer Klugheit in Frage gestellt war; sie schrieb den obwaltenden Unstern einzig ihrer ländlichen Herkunft und dem übeln Willen der Städter zu. Sie hüllte sich daher in ihr Bewußtsein, dachte, wenn sie nur erst Frau wäre, so wollte sie ihre Trümpfe schon wieder ausspielen, und hielt sich inzwischen an den Liebsten, um seiner Neigung sicher zu bleiben.
Da saßen sie nun eines schönen Nachmittags auch auf einem seidenen Sopha oder
Divan, Salome in einem kirschrothen Seidenkleide, das sie selbst gekauft, mit
dicken goldenen Armspangen, die ihr Drogo geschenkt, und in echten Spitzen, die
von ihrer Schwiegermutter herrührten, Drogo aber im neuesten Aufputz eines
Modeherren. Dergestalt hielten sie sich umfangen und gaben so dem Ansehen
Sie müssen sich nicht wundern, unterbrach sich Lucie, daß ich diese Einzelheiten so genau kenne: ich habe sie sattsam von beiden Seiten erzählen hören, und es scheint außerdem, daß jenes unglückliche Gähnduett gleich einem unwillkürlichen, verhängnißvollen Bekenntnisse die Wendung herbeiführte. Wenigstens verweilten Beide wiederholt bei diesem merkwürdigen Punkte. Der Bräutigam wurde auf einmal ganz verdrießlich und rief: „O Gott im Himmel! Ist das nun alles, was Du zu erzählen weißt?“
Salome wollte ihn küssen; allein er hielt sie ab und sagte: „Laß doch, und sage lieber etwas Feines!“
Da wurde die Abgewiesene von Röthe übergossen; sie sprach aber schnell: „Wie man in den Wald ruft, so tönt es heraus! Sag' mir etwas Feines vor, so werde ich antworten!“
„Ach, die Kameele sprechen nicht!“ erwiderte Drogo unbesonnen mit einem Seufzer. Da wurde sie bleich, lehnte sich zurück und sagte: „Wer ist ein Kameel, mein Schatz?“
„O Liebchen,“ sagte er, „die ganze Stadt nennt Dich so!“
„Und Du hältst mich also auch für eines?“ fragte sie, und er antwortete, indem er sie wieder an sich ziehen wollte: „Sicherlich, und zwar für das reizendste, das ich je gesehen!“
Da fühlte sich Salome von dem schärfsten Pfeil getroffen, den es für sie geben konnte: denn sie hielt ihre vermeintliche Klugheit für ihre eigentliche Ehre, für ihr Palladium und ihre Hauptsache. Aber das war gut für sie, weil sie dadurch eine Wehr und einen Halt gewann, sich vom Verderben rettete und ihre Schwäche gut machte.
Ohne ein ferneres Wort zu sagen, riß sie sich los, löste die Spangen von den
Knöcheln, die Spitzen vom Halse, warf sie dem herzlosen Bräutigam vor die Füße
Als sie eine Zeitlang zu Haus geblieben, schickte ihr die Stadtfamilie, bei der sie gewohnt, ihre Sachen zu ohne jegliche Nachricht oder Anfrage, und noch fernere Zeit verging, ohne daß der Bräutigam oder sonst Jemand nach ihr fragte. Die Ihrigen wollten einen Rechtshandel mit dem Junker Drogo anheben; doch sie verwehrte es zornig, und so ist die Brautschaft der schönen Salome in Nichts verlaufen und die Jungfrau noch vorhanden, wie Sie dieselbe gesehen haben, theilweise etwas klüger und besser geworden, als früher, theilweise noch thörichter.
Ihre Lieblingslaune ist, die Männer zu verachten und mit solchen zu spielen, wie sie wähnt, während sie ihre Gesellschaft doch allem Andern vorzieht. Aber ich glaube nicht, daß sie nochmals zu einer Verlobung zu bringen wäre.“
Als Lucia schwieg, wußte Reinhart nicht sogleich Etwas zu sagen, da eine gewisse
Nachdenklichkeit ihn zunächst befangen und verlegen machte. Des Fräuleins
ausführliche und etwas scharfe Beredtsamkeit über die Schwächen einer Nachbarin
und Genossin ihres Geschlechtes hatte ihn anfänglich befremdet und ein fast
unweiblich kritisches Wesen befürchten lassen. Indem er sich aber der
Lieblingsbücher erinnerte, die er kurz vorher gesehen, glaubte er in dieser Art
mehr die Gewohnheit zu erkennen, in der Freiheit über den Dingen zu leben, die
Schicksale zu verstehen und Jegliches bei seinem Namen zu nennen. Bedachte er
dazu die Einsamkeit der Erzählerin, so wollte ihn von Neuem die neugierige und
warme Theilnahme ergreifen, die ihn schon zu einer unzeitigen Frage verleitet
hatte. Dann aber, als Lucia von dem thörichten Küssen und Kosen in so überlegen
heiterer Weise und mit einem Anfluge verächtlichen Spottes erzählte, war er
geneigt, das als eine strafende Anspielung auf
„Die stolze Resignation, zu welcher sie so unerwartet gelangte, scheint mir fast zu beweisen, daß auch Vorzüge, die nur in der Einbildung vorhanden sind, wenn sie beleidigt oder in Frage gestellt werden, die gleiche Wirkung zu thun vermögen, wie wirklich vorhandene Tugenden, so daß z. B. die Thorheit, wenn ihre eingebildete Klugheit angegriffen wird, in ihrem Schmerze darüber zuletzt wahrhaft weise und zurückhaltend werden kann. Uebrigens ist es doch schade, daß die arme Schöne nicht einen Mann hat!“
„Sie ist nun zwischen Stuhl und Bank gefallen,“ erwiderte Lucia; „denn mit den Herren war es nichts und mit den Bauern geht es auch nicht mehr, und doch hätte sie einen Mann ihres Standes sogar noch beglücken können, der bei gleichen Geisteskräften und täglicher harter Arbeit ihrer Unklugheit nicht so inne geworden wäre und vielleicht ein köstliches Kleinod in ihr gefunden hätte.“
„Gewiß,“ sagte Reinhart, „mußte es irgend einen Mann für sie geben, dem sie
selbst mit ihren Fehlern werth war; doch scheint mir die Gleichheit des Standes
und des Geistes nicht gerade das Unentbehrlichste zu sein. Eher glaube ich, daß
ein derartiges Wesen sich noch am vortheilhaftesten in der Nähe eines ihm
wirklich über
„Edler Gärtner!“ ließ sich hier Lucia vernehmen; „aber die Schönheit geben Sie also nicht so leicht Preis, wie den Verstand?“
„Die Schönheit?“ sagte er; „das ist nicht das richtige Wort, das hier zu brauchen ist. Was ich als die erste und letzte Hauptsache in den bewußten Angelegenheiten betrachte, ist ein gründliches persönliches Wohlgefallen, nämlich daß das Gesicht des Einen dem Andern ausnehmend gut gefalle. Findet dies Phänomen statt, so kann man Berge versetzen und jedes Verhältniß wird dadurch möglich gemacht.“
„Diese Entdeckung,“ versetzte Lucia, „scheint nicht übel, aber nicht ganz neu zu sein und ungefähr zu besagen, daß ein wenig Verliebtheit beim Abschluß eines Ehebündnisses nicht gerade etwas schade!“
Durch diesen Spott wurde Reinhart von Neuem zur Unbotmäßigkeit aufgestachelt, so
daß er fortfuhr: „Ihre Muthmaßung ist sogar richtiger, als Sie im Augenblick zu
ahnen belieben; dennoch erreicht sie nicht ganz die Tiefe meines Gedankens. Zur
Verliebtheit genügt oft das einseitige Wirken der Einbildungskraft, irgend eine
Täuschung, ja es sind schon Leute verliebt gewesen, ohne
„Ich kann mir nicht helfen,“ sagte Lucie abermals, „aber mich dünkt doch, daß wir uns immer auf demselben Fleck herumdrehen!“
„So wollen wir aus dem Kreise hinausspringen und der Sache von einer andern Seite
beikommen! Hat es denn nicht jederzeit gescheidte, hübsche und dabei
anspruchsvolle Frauen gegeben, die aus freier Wahl mit einem Manne verbunden
waren, der von diesen Vorzügen nur das Gegentheil aufweisen konnte, und haben
nicht solche Frauen in Frieden und Zärtlichkeit mit solchen Männern gelebt und
sich vor der Welt sogar einen Ruhm daraus gemacht? Und mit Recht! Denn wenn auch
irgend ein den Anderen verborgener Zug ihre Sympathie erregte und ihre
Anhänglichkeit nährte, so war diese doch eine Kraft und nicht eine Schwäche zu
nennen! Nun kann ich nicht zugeben, daß die Männer tiefer stehen sollen, als die
Frauen! Im Gegentheil, ich behaupte: ein kluger
„Dem Anscheine nach haben Sie immer noch nichts Außerordentliches gesagt,“ versetzte Lucia; „doch fange ich an zu merken, daß es sich um gewisse kennerhafte Sachlichkeiten handelt; das gefallende Gesicht wird zum Merkmal des Käufers, der auf den Sklavenmarkt geht und die Veredlungsfähigkeit der Waare prüft, oder ist's nicht so?“
„Ein Gran dieser böswilligen Auslegung könnte mit der Wahrheit in gehöriger Entfernung zusammentreffen; und was kann es dem einen und dem andern Theile schaden, wenn das zu verhoffende Glück alsdann um so längere Dauer verspricht?“
„Die Dauer des glatten Gesichtes, das der Herr Kenner sich so vorsichtig gewählt hat?“
„Verdrehen Sie mir das Problem nicht, grausame Gebieterin und Gastherrin! Von Vorsicht ist ja von vornherein keine Rede in diesen Dingen.“
„Ich glaub' es in der That auch nicht, zumal wenn Sie, wie zu erwarten steht, sich eine Magd aus der Küche holen werden.“
„Was mir beschieden ist, weiß ich nicht; ich geharre demüthig meines Schicksals. Doch habe ich den Fall erlebt, daß ein angesehener und sehr gebildeter junger Mann wirklich eine Magd vom Herde weggenommen und so lange glücklich mit ihr gelebt hat, bis sie richtig zur ebenbürtigen Weltdame geworden, worauf erst das Unheil eintraf.“
„Der würde ja gerade gegen Ihre orientalischen Anschauungen zeugen!“
„Es scheint allerdings so, ist aber doch nicht der Fall, abgesehen von dem abscheulichen Titel, mit dem Sie meine harmlose Philosophie bezeichnen!“
„Und ist Ihre Geschichte ein Geheimniß, oder darf man dieselbe vernehmen?“
„So gut ich es vermag, will ich sie gern aus der Erinnerung zusammenlesen mit allen Umständen, die mir noch gegenwärtig sind, wobei ich Sie bitten muß, das Ergänzungsvermögen, das den Begebenheiten selbst innewohnt, wenn sie wiedererzählt werden, mit gläubiger Nachsicht zu beurtheilen!“
Da die zwei spinnenden Mädchen die Räder anhielten und ihre vier Aeuglein
neugierig auf den Erzähler richteten, sagte Lucia zu ihnen: „Fahrt nur fort zu
spinnen, Ihr Mädchen, damit der Herr, durch das Schnurren verlockt und
unterstützt, den Faden seiner Erzählung um so weniger verliert! Ihr könnt Euch
die Lehre, die sich
Reinhart begann somit, da die Rädchen wieder surrten, Folgendes zu erzählen:
„In Boston lebt eine Familie deutscher Abkunft, deren Vorfahren vor länger als hundert Jahren nach Nordamerika ausgewandert sind. Die Nachkommen bilden ein altangesehenes Haus, wie wenige in der ewigen Fluth der Bewegung sich erhalten; und selbst das Haus im wirklichen Sinne, Wohnung und Geräthe, sollen bereits einen Anstrich alt vornehmen Herkommens ausweisen, insofern während eines kurzen Jahrhunderts dergleichen überhaupt erwachsen kann. Die deutsche Sprache erlosch niemals unter den Hausgenossen; insbesondere einer der letzten Söhne, Erwin Altenauer, hing so warm an allen geistigen Ueberlieferungen, deren er habhaft werden konnte, daß er dem Verlangen nicht widerstand, das Urland selbst wieder kennen zu lernen, und zwar um die Zeit, da er sich schon dem dreißigsten Lebensjahre näherte.
Er entschloß sich also, nach der alten Welt und Deutschland auf längere Zeit
herüber zu kommen; weil er aber, bei einigem Selbstbewußtsein, sich in
bestimmter Gestalt und auf alle Fälle als Amerikaner zu zeigen wünschte, bewarb
er sich in Washington um die erste Sekretärstelle bei einer Gesandtschaft, deren
Sitz in einer
Er fühlte sich auch bald so heimisch, wie wenn sein Vater schon ein Jenenser
Student gewesen wäre; doch begab sich das nur in der Männerwelt, und sobald die
Gesellschaft sich aus beiden Geschlechtern mischte, haperte das Ding, Sei es
nun, daß, wie in sonst gesegneten Weinbergen es gewisse Schattenstellen giebt,
wo die Trauben nicht ganz so süß werden wie an der Sonnenseite, er in eine etwas
ungünstige Gegend gerathen war, oder sei es, daß der Fehler an ihm lag und er
nicht die rechte Traubenkenntniß mitgebracht, genug, es schienen ihm
zusammengesetzte Gebräuche zu walten, die zu entwirren er sich nicht ermuntert
fand. Erwin sowol wie die übrigen Gesandtschaftsmitglieder waren von einfachen
Sitten, klar und bestimmt in ihren Worten und ohne
Nun erstaunte Erwin, von dieser oder jener Schönen dann sich plötzlich den Rücken zugewendet zu sehen, wenn er auf eine Frage oder Behauptung nach seinem besten Wissen ein einfaches Ja oder Nein erwidert hatte; noch weniger konnte er sich erklären, warum eine Andere das selbst begonnene Gespräch nach zwei Minuten abbrach, in dem Augenblicke, wo er demselben durch eine ehrliche Einwendung festeren Halt gab; unbegreiflich erschien ihm eine Dritte, die wiederholt seine Vorstellung verlangt, ihn dann nach dem Klima seiner Heimat befragt und ohne die Antwort abzuwarten, mit Andern ein neues Gespräch eröffnete. Diese Schneidigkeit war allerdings mehr nur der Mantel für innere Unfreiheit, wie die Zurückhaltung überhaupt, mit welcher er mit seinen Gefährten behandelt wurde, wo er hinkam, während sie gelegentlich entdeckten, daß in ihrer Abwesenheit das breiteste Studium ihrer Personen stattfand. Wenn in diesen Gärten auch hie und da eine Pflanze blühte, die unbefangener und freundlicher dreinschaute, so war auch diese überwacht und sie hütete sich ängstlich, nicht durch die Hecke zu wachsen.
Erwin gab es daher auf, ein Meer von Putz zu befahren, in welchem so wenig
persönliche Gestaltung auftauchen wollte, und um sich von den bestandenen
Fährlichkeiten zu erholen, machte er längere Ausflüge. Er hielt sich bald in
einer der schön gelegenen Universitätsstädte auf, um zugleich die berühmtesten
Gelehrten kennen zu lernen und einige gute Studien mitzunehmen; bald machte er
sich mit den Orten bekannt, wo vorzüglich die Kunst ihre Pflege fand, und
schulte Sinn und Gemüth an dem festlichen Wesen der Künstler. Auf allen diesen
Fahrten sah er sich in eine veredelte bürgerliche Welt versetzt, welche, die
besseren Güter des Lebens wahrend, sich dieses Lebens mit ungeheucheltem Ernst
erfreute. Hier wurden die Kenntnisse und Fähigkeiten mit Fleiß und Ehren geübt,
schwärmten und glühten die Frauen wirklich für das, was sie für schön und gut
hielten, pflegte jedes Mädchen seine Lieblingsneigung und baute dem Ideal sein
eigenes Kapellchen; und weit entfernt, ein aufrichtiges Gespräch darüber zu
hassen, wurden sie nicht müde vom Guten und Rechten zu hören. Dazu brachte der
Wechsel der Jahreszeiten mannigfache Festfreuden, die bei aller Einfachheit von
altpoetischem Zauber belebt waren. Die schönen Flußthäler, Berghöhen,
Waldlandschaften wurden als traute Heimat mit dankbarer Zufriedenheit genossen,
wobei sich die Frauen Tage lang in freier Luft und guter Laune bewegten; der
Waldduft schien ihnen von den Urmüttern her noch wohl zu behagen, und selbst die
Das gefiel dem wackern Erwin nun ungleich besser. Das nähert sich, dachte er, schon eher den Meinungen, die ich herübergebracht habe; es ist nicht möglich, daß diese frohherzigen, sinnigen Wesen inwendig schnöd und philisterhaft beschaffen seien! Auch gerieth er zweimal dicht an den Rand eines Verhältnisses, wie man gemein zu sagen pflegt. Aber o weh! nun zeigte sich auch hier eine Art von Kehrseite. Es herrschte nämlich durch einen eigenen Unstern, wo er hinkam, eine solche Oeffentlichkeit und gemeinschaftliche Beaufsichtigung in diesen Dingen, daß es unmöglich war, auch nur die ersten Regungen und Blicke ohne allgemeines Mitwissen auszutauschen, geschweige denn zu einem Bekenntnisse zu gelangen, welches zuerst das süße Geheimniß eines Pärchens gewesen wäre. Man schien nur in großen Gesellschaften zu lieben und zu freien und durch die Menge der Zuschauer dazu aufgemuntert zu werden. Sobald ein junger Mann mehrmals mit dem gleichen Mädchen gesprochen, wurde das Verhältniß festgestellt und zur öffentlichen Verlebung gewaltsam in Beschlag genommen. Diese Art war aber für Erwin wie ein Gift. Was nach seinem Gefühle das geheime Uebereinkommen zweier Herzen sein mußte, das sollte gleich im Beginn der allgemeinen Theilnahme zur Verfügung gestellt und das Hausrecht des Herzens, der früheste Goldblick des Liebesfrühlings dahin gegeben sein.
So wurde er schon vor dem ersten Capitel seiner Romane zurückgeschreckt und trug nichts davon, als den Verdruß einiger Klatschereien. Das beweist freilich, daß er eine ordentliche Leidenschaft nicht erfahren hatte; sonst hätte er sich durch solche Schwächen, die dem braven Bürgerthum hie und da ankleben, nicht vertreiben lassen. Nichts desto minder empfand er Verdruß und setzte sich, Alles aus dem Sinn schlagend, im ausschließlichen Umgange mit Männern fest, die sich auf einander angewiesen sahen.
Um diese Zeit, es mögen etwa zwölf Jahre her sein, sah ich Erwin Altenauer in meiner damaligen Heimatstadt, wenn man den Sitz einer Hochschule so nennen darf, wo der Vater als Lehrer hinberufen worden ist, sich ein Haus gekauft und die Tochter des Ortsbanquiers geheirathet hat. Ich selbst war kaum zwanzig Jahre alt, obgleich schon seit zwei Jahren Student, so daß ich die Gesellschaft des Deutsch-Amerikaners im Hause meiner Eltern und anderwärts zuweilen genoß. Es war ein nicht kleiner fester Mann mit einem blonden Kopf und trug nur neue Hüte, aber stets so, als ob es alte Hüte wären. Nur ein paar Sommermonate wollte er in unserer Stadt zubringen, um namentlich eine gewisse Partie älterer Geschichte anzuhören, die ein berühmter Historiker vortrug, und unter dessen Aufsicht die Urkunden zu studieren.
In einem stattlichen Hause, das indessen nur zwei Familien bewohnten, hatte er
bei der einen derselben
In jenem Hause, das noch mit weitläufigen Treppen und Gängen versehen war, fiel
ihm seit einiger Zeit bei Ausgang und Rückkehr eine Dienstmagd auf von so
herrlichem Wuchs und Gang, daß das ärmliche, obgleich saubere Kleid das Gewand
eines Königskindes aus alter Fabelzeit zu sein schien. Ob sie das Wassergefäß
auf dem Haupte oder den gefüllten Holzkorb vor sich her trug, immer waren
Glieder und Bewegung von der gleichen geschmeidigen Kraft und gelassenen
Schönheit; alles aber war beherrscht und harmonisch zusammengehalten durch ein
Gesicht, dessen ruhige Regelmäßigkeit von einem Zug leiser unbewußter Schwermuth
veredelt wurde, einem Zug so leicht und rein, wie der Schatten eines
durchsichtigen Kristalles. Erwin begegnete der schönen Person nicht oft;
jedesmal aber, wenn sie mit bescheiden gesenktem Blick still vorüber ging, blieb
die Erscheinung ihm stundenlang im Sinne haften, ohne daß er jedoch besonders
darauf achtete. Eines Tages indessen, als sie auf den
Eines schönen Sonntags, den er im Freien zugebracht, kehrte er spät in der Nacht
nach seiner Wohnung heim, mit langsamen Schritten und wohlgemuth die Sommerluft
genießend. Da und dort schwärmten singende Studenten durch die Gassen, in welche
der helle Vollmond schien; vor dem Hause aber, das er endlich erreichte, befand
sich ein ganzer Trupp dieses muthwilligen Volkes und umringte eine einsame
Frauensperson, die sich an die Hausthüre drückte. Ich kann den Auftritt
beschreiben, denn ich stand selber dabei. Es war Regine, die auf der runden
Freitreppe, drei bis vier Stufen hoch, mit dem Rücken an die Thüre gelehnt,
dastand und lautlos auf die sehr angeheiterte Schaar herabschaute. Sie hatte von
ihrer Herrschaft
In diesem Augenblicke drang Erwin, der dem Spiel schon ein Weilchen ganz erstaunt zugesehen, durch die Leute, ergriff die zitternde Magd bei der Hand und führte sie in das Haus, das er mit einer Drehung seines Schlüssels rasch öffnete und eben so rasch wieder verschloß. Das war so schnell geschehen, daß die Nachtschwärmer ganz verblüfft dastanden und nichts besseres thun konnten, als ihres Weges zu ziehen.
Auf dem Flur, wo jederzeit des Nachts Leuchter bereit standen, zündete Erwin sein Licht an und theilte das Flämmchen mit der aufathmenden Magd, welche froh war, sich geborgen zu wissen und die Herrschaft gebührlicher Weise in der Küche erwarten zu können. Und wie es der Welt Lauf ist, wurde sie von der Sprödigkeit verlassen, die sie soeben noch vor der Thüre aufrecht gehalten, und sie litt es, als Erwin ihr mehr schüchtern als unternehmend Hand und Wange streichelte und dies nur einen Augenblick lang; denn obgleich ihr Sonntagskleid fast so dürftig war, wie der Werktagsanzug, vom billigsten Zeuge und der ärmlichsten Machenschaft, so verboten doch Form und Ausdruck des Gesichtes die unzarte Berührung Jedem, der nicht eben zu den angetrunkenen Gesellen gehörte, und dennoch schien dies Gesicht die Demuth selber zu sein.
Von diesem Abend an nahm die stille Erscheinung Erwin's Gedanken schon häufiger
in Anspruch, und statt ihnen zum bloßen Ruhepunkt zu dienen, zog sie dieselben
Früher als gewöhnlich verließ er am Abend seine Gesellschaft und suchte seine Wohnung auf. Da holte er vor der Thüre, die zu seinen Zimmern führte, unversehens die Regine ein, welche zu ihrer Schlafkammer in den Dachräumen hinaufstieg. Sie hielt neben dem Lichte einen kleinen Bogen Briefpapier in der Hand. Der war ihr soeben auf den Boden gefallen, dabei leicht beschmutzt und auch etwas zerknittert worden, und sie besah sich den Schaden, fügte aber sogleich noch einen Oelfleck hinzu von dem Küchenlämpchen her, das ihr von der Herrschaft gegönnt war.
„Was haben Sie da für einen Verdruß, gute Regine?“ fragte Erwin, indem er die Thüre aufschloß.
„Ach Gott,“ sagte sie, „ich soll einen Brief schreiben und habe mir ein Blatt Papier dazu erbeten; und jetzt ist es schon verdorben, eh' ich nur oben bin!“
„Kommen Sie mit mir herein, ich geb' Ihnen ein anderes!“ versetzte er, und sie ging mit gutem Vertrauen mit ihm, blieb aber bescheiden an der Zimmerthür stehen, während er ein Büchlein des schönsten Papieres zurecht machte. „Haben Sie denn auch Tinte und Federn?“
„Etwas Tinte habe ich in einem Fläschchen, freilich halb eingetrocknet, und eine kratzliche Stahlfeder ist auch noch da!“ erwiderte sie.
„So nehmen Sie hier von diesen Federn mit und
„Leider nein, nur meine Kleiderkommode!“
„Ei, so schreiben Sie hier an diesem Tisch! Ich werde Sie nicht stören und sie haben sich keineswegs zu scheuen! Oder mögen Sie am Pult schreiben, so sind sie grade noch groß genug dazu.“
Er zündete gleichzeitig eine Lampe an, die helles Licht verbreitete und wendete sich dann wieder zu der schweigenden Person, deren Gesicht, wie am Tage schon einmal, die leichte Röthe überflog, mit den Worten: „Sagen Sie, Regine, der schöne Dragoner, der heute bei Ihnen war, ist natürlich Ihr Schatz? Da ist Ihnen wahrhaftig Glück zu wünschen!“ Welche Worte er mit veränderter, etwas unsicherer Stimme hervorbrachte, wie wenn er in Herzensangelegenheiten vor einer großen Weltdame stände.
Das Roth in ihrem Gesichte wurde tiefer und spiegelte sich in dem seinigen, das
trotz seiner acht oder neunundzwanzig Jahre ebenfalls röthlich anlief. Zugleich
aber blitzten ihre Augen nicht ohne einige Schalkheit der harmlosesten Art zu
ihm hinüber, als sie antwortete: „Das war ein Bruder von mir!“ Ob sie im
Uebrigen einen Schatz besitze oder nicht, vergaß sie zu sagen. Auch verlangte
Erwin diesmal nichts Weiteres zu erfahren, sondern schien mit dem Bruder so
vollkommen zufrieden, daß seine anbrechende Heiterkeit unverkennbar war und
„Wollen Sie gleich siegeln?“ fragte er, was sie dankbar bejahte. Er bot ihr eine Achatschale hin, worin ein Siegelring und mehrere Petschafte lagen mit fein geschnittenen Wappen, Namenszügen oder antiken Steinen, und lud sie ein, sich ein Siegel zu wählen. Nach Jahren, als sich das Zukünftige begeben hatte, erinnerte er sich mit Wehmuth des zartsinnigen Zuges, wie das unwissende junge Weib sich scheute, eines von den kostbaren fremden Siegeln zu gebrauchen, und wünschte mit dem zinnernen Jackenknopfe zu petschieren, den sie zu diesem Zwecke aufbewahre. Es sei ein kleiner Stern darauf abgebildet.
„Damit kann ich auch dienen!“ rief er und zog seinen goldenen Bleistifthalter aus
der Tasche; das obere Ende desselben war wirklich mit einem runden Plättchen
versehen, das einen Stern zeigte und zum versiegeln eines Briefes tauglich war.
Das ließ sich Regine gefallen. Erwin erwärmte das hochrothe Wachs und brachte es
auf den Brief; Regine drückte den Stern darauf, und als das
Den Brief in der Hand haltend, konnte sie jetzt füglich gehen; doch wußte der
junge Mann sie mit einer Frage aufzuhalten, an die sich eine andere und eine
dritte reihte, und so stand Regine an derselben Stelle, bis eine gute Stunde
verflossen war, und plauderte mit ihm, der an seinem Arbeitstische lehnte. Er
frug nach ihrer Heimat und nach den Ihrigen und sie beantwortete die Fragen ohne
Rückhalt, erzählte auch manches freiwillig, da vielleicht noch Niemand, seit sie
unter Fremden ihr Brot verdiente, sich so theilnehmend nach diesen Dingen
erkundigt hatte. Sie war das Kind armer Bauersleute, die einen Theil des Jahres
im Tagelohn arbeiten mußten. Nicht nur die acht Kinder, Söhne und Töchter,
sondern auch die Eltern waren wohlgestaltet große Leute, ein Geschlecht, dessen
ungebrochene Leiblichkeit noch aus den Tiefen uralten Volksthumes
hervorgegangen. Nicht so verhielt es sich mit dem Seelenwesen, der
Beweglichkeit, der moralischen Widerstandskraft und der Glücksfähigkeit der
großwüchsigen Familie. In Handel und Wandel wußten sie sich nicht zeitig und
aufmerksam zu kehren und zu drehen, den Erwerb vorzubereiten und zu sichern, und
statt der Noth gelassen aus dem Wege zu gehen, ließen sie dieselbe nahe kommen
und starrten ihr rathlos in's Gesicht. Der Vater war durch einen fallenden
Waldbaum verstümmelt, die lange Mutter voll bitterer Worte und nutzloser
Anschläge; zwei Söhne
Ungefähr so gestaltet sich das Bild, das Erwin den Worten der Magd entnahm, beinahe das Bild verfallender Größe, welche ihre Sterne verlassen haben, eines Geschlechtes, das im Laufe der Jahrhunderte vielleicht seine Freiheit dreimal verloren und wieder gewonnen hatte, zuletzt aber nichts mehr damit anzufangen wußte, da es über den Leiden des Kampfes das Geschick verloren. Oder war es zu vergleichen mit einem verkommenen Adelsgeschlechte, das sich in die Lebensart des Jahrhunderts nicht finden kann? Aus den unzusammenhängenden Mittheilungen schloß er aber auch, daß Regine, obgleich das jüngste der Kinder, gewissermaßen das beste, nämlich der stille, anspruchslose Halt der Familie war, an welchen sich Alle wendeten, und das deshalb so ärmlich gekleidet ging, weil es Alles hergab, was es aufbrachte, während die andern Schwestern nicht ermangelten sich aufzuputzen, so gut sie es vermochten.
Auch heute war sie wieder in Anspruch genommen worden. Erst neulich hatte sie
fast ihren ganzen Vierteljahrslohn den Eltern gebracht, da eine der Töchter in
übeln Umständen heim gekommen. Jetzt wurde der Vater von einer nicht eben
großen, aber dringenden Schuld geplagt und hatte durch die Mutter dem Dragoner
schreiben
Als Erwin sie zum ersten Mal so viel hintereinander sprechen hörte, wurde er von
der weichen Beweglichkeit ihrer Stimme angenehm erregt, da die traulichen Worte,
je mehr sie in Fluß geriethen, immer mehr einen der schönen Gestalt
entsprechenden Wohlklang annahmen, den vielleicht noch Niemand im Hause kannte.
Aber noch wärmer erregte ihn der Gedanke, daß der Noth des guten Wesens so
leicht zu steuern sei; um sie jedoch nicht allfällig sofort zu verscheuchen oder
argwöhnisch zu machen, unterließ er für einmal jedes Anerbieten einer Hülfe und
begnügte sich mit ein paar leichthin tröstenden Worten:
Es lief indessen doch nicht ohne alle Bedenklichkeiten ab; denn als sie, über die
so schnell verflossene Stunde erschreckend, sich entfernen wollte und die
Zimmerthüre öffnete, hörte man von der Treppe her ein Geräusch von
Weiberstimmen. Es waren die übrigen Dienstboten des Hauses, die ihre
Schlafstellen aufsuchten, und es schien allerdings nicht gerathen, daß Regine in
diesem Augenblicke aus der Thüre des fremden Herrn und Hausgenossen trat. Sie
drückte ängstlich die Thüre wieder zu und blickte dabei den Herrn Erwin
Altenauer leicht erblassend an, ungefähr wie wenn es an einem Frühlingsabende
schwach wetterleuchtet, und Erwin half ihr wortlos auf das Verhallen der
Mädchenstimmen lauschen. In diesem Augenblicke sahen sie sich an und wußten, daß
sie allein zusammen seien und ein Geheimniß hatten, wenn auch ein unschuldiges.
Als man nichts mehr hörte, öffnete Erwin sachte die äußere Thüre und entließ die
schöne große Jungfrau mit ihrem Lämpchen. Mit milden klugen Augen, ein wenig
traurig wie immer, nickte sie ihm gute Nacht; etwas Neuartiges lag in ihrem
Blicke,
Es vergingen nicht viele Tage, bis es Erwin gelang, das Mädchen mit seinem Lämpchen abermals in sein Zimmer zu locken, und bald stellte sich die Gewohnheit ein, daß Regine jeden Abend ein halbes oder auch ganzes Stündchen bei ihm eintrat, bald vor dem Aufstieg der anderen Mägde, bald nach demselben; wahrscheinlich war das bewahrte Geheimniß, die Heimlichkeit der vorzüglichste Anreiz, welcher der guten Freundschaft und dem Wohlgefallen der jungen Leute den Charakter einer Liebschaft gab. Regine war aber so ganz von Vertrauen zu dem stets besonnenen und an sich haltenden Manne erfüllt, daß sie alle Bedenken aus den Augen setzte und sich rückhaltlos dem Vergnügen hingab, die kurzen Stunden eines besseren Daseins zu genießen. Sie war, mit Verlaub zu sagen, Weib genug, um von ihrer günstigen Erscheinung zu wissen; aber mit um so größerer Dankbarkeit empfand sie zum ersten Mal die Ehre, die ein gesitteter Mann ihrer Schönheit anthat, ohne daß sie wie eine gescheuchte Katze sich zu wehren brauchte. Erwin aber that ihr die Ehre an, weil er bereits den Gedanken groß zog, sich hier aus Dunkelheit und Noth die Gefährtin zu holen.
Also lebten sie in rein menschlicher Lebensluft so
„Sie schreiben ja wie ein Actuarius!“ sagte er, indem ein Strahl von Freude seine Augen erhellte.
„O wir hatten einen guten Schulmeister!“ erwiderte sie froh über sein Lob; „aber das ist nichts, ich habe eine Schwester, die schreibt im Umseh'n ganze Briefe voll Thorheiten ohne alle Fehler; wenn sie nur sonst recht thäte!“ schloß sie mit einem Seufzer. Wie sich später erwies, reiste nämlich die Schwester auf Liebschaften herum und stellte ihre Schönheit nicht unter den Scheffel. Auch war sie schon einmal mit einem kleinen Kinde heimgekommen.
Zum Schreiben hatte Regine jetzt gesessen, was sie in Erwin's Zimmer noch nie gethan. Sie nahm eine amerikanische Zeitung in die Hand, die auf dem Tische lag, und versuchte zu lesen.
„Das ist englisch!“ sagte Erwin, „wollen Sie's lernen? Dann können Sie mit mir nach Amerika kommen und einen reichen Mann heirathen!“
Sie erröthete stark. „Lernen möcht' ich es schon,“ sagte sie, „vielleicht fahr' ich doch einmal hinüber, wenn es hier zu arg wird.“
Erwin sprach ihr einige Worte vor; sie lachte, bemühte sich aber, in den Geist der wunderbaren Laute einzudringen, und es gelang ihr noch am gleichen Abend, eine Reihe von Worten richtig zu wiederholen und das Alphabet englisch auszusprechen. Ernstlich schlug er ihr nun vor, jeden Abend eine förmliche Unterrichtsstunde bei ihm durchzumachen. Sie that es mit ebenso viel Eifer als Geschick; kaum waren zwei Wochen verflossen, so sah Erwin, daß dieses höchst merkwürdige Wesen, das sich selbst nicht kannte, Alles zu lernen im Stande war, ohne einen Augenblick die demüthige Ruhe zu verlieren. Er schlug plötzlich das Buch zu, über welchem sie zusammen saßen, ergriff ihre Hand und sagte:
„Liebe Regine, ich will nicht länger warten und säumen! Wollen Sie meine Frau sein und mit mir gehen?“
Sie zuckte zusammen, erbleichte und starrte ihn an, wie eine Todte.
„Nun ist es aus,“ sagte sie endlich, indem sie den Kopf auf die Hände stützte; „und ich war so vergnügt!“
„Wie so? was will das sagen, liebes Kind? Bin ich Dir zuwider, oder ist sonst etwas im Wege, das Dich bedrängt und hindert?“ rief Erwin und legte unwillkürlich den Arm um sie, wie um sie zu schützen und aufrecht zu halten. Aber sie legte seinen Arm leidvoll und entschieden weg und fing an zu weinen.
Sei es nun, daß sie in ihrer geringen und aus trüben Quellen geschöpften Weltkenntniß den Augenblick gekommen wähnte, wo ein geliebter Mann sich mit einem Heirathsversprechen versündigte, das ja niemals ernst gemeint sein konnte; sei es, daß sie es für ihre Pflicht hielt, einem ernsten Antrag zu widerstehen, indem sie sich als Gattin eines vornehmen Herrn unmöglich dachte; oder sei es endlich, daß sie schon um ihrer Familienverhältnisse willen, die schlimmer waren, als sie bisher geoffenbart, sich scheute, den fremden Mann, der so glücklich lebte, an sich zu binden: sie wußte sich nicht zu helfen und schüttelte nur den Kopf.
„Ich glaubte, Du seiest mir ein wenig gut!“ sagte Erwin kleinlaut und betroffen.
„Es war nicht recht von mir,“ rief sie schluchzend, „es auch einmal ein bischen gut haben und etwa ein Stündchen ungestraft bei Einem sitzen zu wollen, den ich so gern habe! Mehr wollte ich ja nicht! Nun ist es vorbei und ich muß gehen!“
Sie stand gewaltsam auf, zündete das Lämpchen an
Er fuhr aber nicht in unsere Stadt zurück, sondern nach der nächsten Bahnstation
und bestieg dort mit Reginen den Bahnzug. In einer der deutschen Städte, darin
er schon gelebt, kannte er eine würdige und verständige Gelehrtenwittwe, welche
genöthigt war, fremden Leuten Wohnung und Kost zu geben. Er hatte selbst dort
gewohnt. Dieser wackeren Frau vertraute er sich an, ließ Reginen für ein halbes
Jahr bei ihr, damit sie gute Kleider tragen lernte und die von der Arbeit rauhen
Hände weiß werden konnten. Dann trennte er sich, wenn auch ungern, von der wie
im Traume wandelnden Regine,
Als Reinhart glücklich die Magd auf die Hochzeitreise geschickt, hielt er einen
Augenblick inne und bemerkte erst jetzt, daß das Schnurren der Spinnräder nicht
mehr zu hören war; denn die beiden Mädchen hatten über dem erfreulichen
Schicksal der Regine das Spinnen vergessen, und die Augen gespannt auf den
Erzähler gerichtet, hielten sie Daum und Zeigefinger in der Luft, ohne daß der
Faden lief. Die Eine mochte sich das schöne Reisekleid der glückhaften Person
vorstellen, die Andere in Gedanken die goldene Damenuhr betrachten, die ihr ohne
Zweifel an langer Kette hing. Hinwiederum bedachte Jene die Herrlichkeit des
Augenblickes, wo sie im Fall wäre, selbsteigene Dienstboten anzustellen und aus
einer großen Zahl sich meldender Mädchen, auf dem Sopha sitzend, einige
auszuwählen. Die Andere aber nahm sich vor, an Reginens Stelle jedenfalls sofort
wenigstens sechs Paar neue Stiefelchen von Zeug und von feinstem Leder machen zu
lassen, und mit süßem Schauer sah sie schon den jungen, ledigen
Schuhmachermeister vor sich, den sie hatte in's Haus kommen lassen, die
Stiefelchen anzumessen, jedes Paar besonders, und sie hielt ihm huldvoll den Fuß
hin, bereit, ihm auch die Hand zu schenken, um welche der
Da sagte Lucie: „Wenn Ihr müde seid, Ihr Mädchen, so stellt die Räder weg und geht schlafen! Die merkwürdige Regine ist jetzt versorgt und braucht wahrscheinlich nicht mehr früh aufzustehen, wie Ihr es morgen thun müßt.“
Die hübschen Dienerinnen erhoben sich ohne Zögern, als sie dergestalt aus ihrer kurzen Träumerei geweckt worden, und trugen gehorsam die Spinnrädchen aus dem Zimmer.
Zu Reinhart gewendet, fuhr Lucie fort: Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen, daß die guten Kinder die Kehrseite oder den Ausgang Ihrer Geschichte mit anhören; denn so viel ich vermuthen kann, wird es nun über die Bildung hergehen, welche an dem in Aussicht stehenden Unheil Schuld sein soll, und da wünschte ich denn doch nicht, daß die Mädchen gegen den gebildeten Frauenstand aufsätzig würden!“
„Ich überlege soeben,“ erwiderte Reinhart lächelnd,
„Nein, fahren Sie fort, es ist immer lehrreich, zu vernehmen, was die Herren hinsichtlich unseres Geschlechtes für wünschenswerth und erbaulich halten; ich fürchte, es ist zuweilen nicht viel tiefsinniger, als das Ideal, welches unsern Romanschreiberinnen bei Entwerfung ihrer Heldengestalten oder ersten Liebhaber vorschwebt, wegen deren sie so oft ausgelacht werden.“
„Sie vergessen, daß ich keine eigene Erfindung offenbare, sondern über fremdes Schicksal berichte, das mich persönlich wenig berührt hat.“
„Um so gewissenhafter halten Sie sich an die Wahrheit, damit wir den Fall dann prüfen und reiflich berathen können!“ sagte Lucia, und Reinhart erzählte weiter:
„Erwin Altenauer hatte seine Verheirathung so geheim betrieben, daß in unserer
Stadt Niemand darum wußte; selbst die Herrschaft der ehemaligen Magd und die
übrigen Hausgenossen ahnten Nichts von dem Vorgange, und Jedermann glaubte, er
habe einfach seinen Aufenthalt bei uns beendigt und sei abgereist, wie man das
an solchen Gästen ja gewohnt war. Etwa anderthalb Jahre später
„Auf einmal tauchte Herr Erwin wieder auf. Als ich ihm irgendwo begegnete, lud er
mich ein, ihn zu besuchen. Ich fand ihn in wohleingerichteter Wohnung, die von
gutem Geschmacke förmlich glänzte und zwar in tiefer, stiller Ruhe. Zu meiner
Ueberraschung wurde ich der Gemahlin vorgestellt, einer vornehm gekleideten,
allerschönsten Dame von herrlicher Gestalt. Das reiche Haar war modisch
geordnet, die nicht zu kleine, aber wohlgeformte Hand ganz weiß und mit
alterthümlichen bunten Ringen geschmückt, den Geschenken aus den
Familienschätzen des Hauses in Boston. Ich hatte die Regine nur jenes einzige
Mal in der Nacht gesehen, wo ich dabei stand, als sie von den Studenten bedrängt
wurde; ihre Gesichtszüge waren mir kaum erkennbar geworden, doch auch sonst
hätte ich jetzt nicht vermuthen können, daß die arme Magd vor mir stand, weil
die kleine Begebenheit mir vollkommen aus dem Gedächtniß verschwunden war. Ein
Anflug von Schwerfälligkeit in den Bewegungen, der sich erst mit der eleganten
Bekleidung eingestellt, war schon im Verschwinden begriffen und schien eher ein
Zeichen fremdartigen Wesens als etwas Anderes zu sein. Sie
Da er indessen das Bedürfniß offener Mittheilung an irgend Einen nicht ganz unterdrücken konnte, schon um dem Geheimnisse jeden verdächtigen Charakter zu nehmen, wählte er mich bald zum Mitwisser, und ich war nicht wenig verwundert, in der eigenthümlichen Staatsdame die arme Magd wiederzufinden, die jetzt allmälig in meinem Gedächtnisse lebendig ward, wie sie wortlos die Bedränger von sich abwehrte. Auch der Frau geschah damit ein Gefallen; denn sie hatte wenigstens außer ihrem Manne noch einen Menschen, mit welchem sie ohne Rückhalt von sich sprechen konnte.
Ich erfuhr nun auch, in wie seltsamer Art Erwin die Ausbildung der Frau bis anhin
durchgeführt hatte. Vor Allem war er mit ihr nach London gegangen, da es ihm
zuerst um die englische Sprache zu thun gewesen; und damit sie vor jeder
häuslichen Arbeit bewahrt blieb, wohnte
Ein zweifelloser Erfolg seiner Erziehungskunst blühte ihm fast unerwartet auf einem anderen Gebiete. Während des Aufenthaltes in England war ein berühmter deutscher Männerchor dorthin gekommen, um in einer Reihe von Concerten sich mit großem Aufsehen hören zu lassen. Erwin, der keine Gelegenheit versäumte, seiner Frau alle bildenden Genüsse zugänglich zu machen, führte Reginen ebenfalls in die weite Halle, wo tausende von Menschen als Zuhörer versammelt waren. Sie wagte sich kaum zu rühren, mitten in dem Heere von reichen und geschmückten Leuten sitzend, und vernahm nicht eben viel Einzelnes von den Gesängen. Da hoben die neunzig bis hundert Sänger so deutlich und ausdrucksvoll, wie wenn sie nur ein Mann wären, die Weise eines altdeutschen Volksliedes an, daß Regine jedes Wort und jeden Ton augenblicklich erkannte, denn sie hatte das Lied als halbwüchsiges Mädchen einst selber gesungen und es erst in der Dienstbarkeit und Mühsal des Lebens vergessen. Unverwandt lauschend blickte sie nach dem Häuflein der schwarzgekleideten Männer hin, das wie eine dunkle Klippe aus dem schweigenden und schimmernden Menschenmeere ragte, und was sie hörte, war und blieb das Lied aus ihren Jugendtagen, die so schwermüthig waren, wie das Lied.
Der brausende Beifall, der dem letzten Tone folgte, weckte sie aus der traumartigen Versenkung, und erst jetzt schaute sie erstaunt zu ihrem Manne hinüber, als ob sie fragen wollte, was das gewesen sei. Der wies auf den Text in dem Hefte hin, das sie in der Hand hielt, ohne es bis jetzt gebraucht zu haben, und wahrlich, da stand das Lied zu lesen, Wort für Wort.
Beim Nachhausefahren fing sie es im Dunkel des Wagens an zu singen, und als Erwin
über die anmuthige Regung erfreut ihre Hand faßte, frug sie, was das nur sei,
daß ein schlichtes Liedchen armer Landleute so fern von der Heimat gesungen
werde und einer vornehmen Menschheit so gut gefalle? Noch mehr vergnügt über
diese Frage erwiderte er, Grund und Ursache der Erscheinung seien die gleichen,
warum auch sie, das Kind des Volkes, ihm so wohl gefalle und so sehr von ihm
geliebt werde. Dann sagte er ihr vor der Hand das Nöthigste über die Sache;
schon am nächsten Tage aber suchte er einen deutschen Buchhändler auf, der, wie
er gehört, auch alte Sachen kaufte und wieder verkaufte, und bei diesem fand er
die bekannte Sammlung, welche des Knaben Wunderhorn heißt. Er lehrte sie das
kleine Lied in den stattlichen Bänden aufzufinden, und sie erblickte und las es
mit einem gewissen Stolze zwischen den hunderten von ähnlichen und noch
schöneren Liedern. Aber auch diese las sie und legte das Buch nicht aus der
Hand, bis sie es durchgelesen hatte, manches Lied zwei- und
Jetzt aber nahm Erwin den Augenblick wahr und holte die Goethe'schen Jugendlieder herbei. Zuerst zeigte er ihr diejenigen, die der Dichter dem Volkstone abgelauscht und nachgesungen; dann las er mit ihr eins um's andere der aus dein eigenen Blute entstandenen, indem er der wohlig an ihn gelehnten Frau die betreffenden Geschichten dazu erzählte. Wie über eine leichte Regenbogenbrücke ging sie vom Wunderhorn in dieses lichte Gehölz maigrüner Ahornstämmchen hinüber, oder einfacher gesagt, es dauerte nicht lange, so regierte sie das Büchlein selbständig, und es lag auf ihrem Tisch, wie wenn sie die erinnerungsreiche und wählerische Matrone einer vergangenen Zeit gewesen wäre, und doch lebte sie Alles, was darin stand, mit Jugendblut durch, und Erwin küßte die erwachenden Spuren eines neuen Geistes ihr von Augen und Mund.
Es kann natürlich nicht jeder Pfad und jedes Brücklein aufgezeigt werden, auf
denen Altenauer nun dem
Wie ein Blitz aus heiterm Himmel traf eine Nachricht aus Boston ein, in Folge welcher Erwin ohne einen Tag zu verziehen nach Amerika abreisen mußte, um bei der Ordnung gewisser Verhältnisse hilfreich zu sein, von denen das Wohl der ganzen Familie abhing. Er entschloß sich augenblicklich zur Reise, entschied aber nach einigem Schwanken, daß Regine über die paar Monate seiner Abwesenheit hier zurückbleiben sollte. Die Herbststürme hatten eben begonnen und schon waren Nachrichten von auf der See stattgehabten Unglücksfällen und vermißten Schiffen eingetroffen. Um keinen Preis wollte er das Leben und die Gesundheit seiner Frau den Gefahren der Meerfahrt aussetzen; umsonst fiel sie ihm fast zu Füßen und flehte wie ein Kind, sie mitzunehmen, damit sie bei ihm sei: sobald er nur einen Blick auf ihre Gestalt und ihr Gesicht warf, graute es ihm, dieses schöne Geschöpf sich auf einem untergehenden Schiffe zu denken, und so bitter ihm die zeitweilige Trennung auch war, so zog er sie doch der offenbaren Gefährdung des theuersten Wesens vor.
„Siehst Du, mein Kind,“ sagte er, indem er ihre
Im Geheimen freilich bestärkte ihn noch der Gedanke, um jeden Preis die letzte Hand an sein Bildungswerk legen zu können, ehe er die Gattin in das Vaterhaus mitbringe; die menschliche Eitelkeit vermengt sich ja mit den edelsten Ideen und verleiht ihnen oft eine Hartnäckigkeit, die uns sonst fehlen würde.
Erwin verreiste also ohne Verzug, um den nächsten Dampfer nicht zu versäumen, und
er reiste um so gefaßter, als er Ursache zu haben glaubte, seine Frau in gutem
Umgange zurückzulassen, so wie auch das Haus mit erfahrenen und ordentlichen
Dienstboten versehen war. Er langte wolbehalten in der Heimat an; allein die
Geschäfte wickelten sich nicht so rasch ab, wie er gehofft, und es dauerte gegen
drei Vierteljahre, bis er nach Europa zurückkehren konnte. Während der Zeit
genoß Regine allerdings einer hinreichenden Gesellschaft. Da waren voraus drei
Damen, deren Umgang ihrem Manne zweckmäßig für sie geschienen hatte, da sie im
Rufe einer großen und schönen Bildung standen; denn überall, wo es etwas zu
sehen und zu hören gab, waren sie in der vordersten Reihe zu finden, und sie
verehrten, beschützten Alles und Jedes, das von sich reden machte. Erst später
In der That hat die Wuth, sich die Attribute des andern Geschlechts anzueignen, immer etwas Neronisches; möge jedes Mal die Kröte in den Sumpf springen!
Die Malerin besaß mehr Männer- als Frauenkleider; wenn sie jene auch nicht am
Tage tragen durfte, so zog sie dieselben um so häufiger des Nachts an und
streifte so in der Stadt herum, und es hieß, daß bald die Gazelle, bald das
Rothkäppchen oder das Bienchen trotz ihrer allmälig eintretenden größeren
Corpulenz sich zuweilen in einen derartigen Anzug hineinzwängten und zu einem
geheimen Streifzug verleiten ließen, um als freie Männer unter das Volk zu gehen
und die unauslöschliche Neugierde zu befriedigen.
Indessen verlor ich sie aus den Augen, wenigstens für den persönlichen Umgang. Ich war meinem Versprechen gemäß nach Erwin's Abreise noch zwei oder drei Mal hingegangen, um zu sehen, ob ich etwas nützen könne. Schon das erste Mal waren zwei von den Renommistinnen dort anwesend; ich hörte zu, wie sie die Regine bereden wollten, auf dem im Wurfe liegenden Wohlthätigkeitsbazar eine Verkaufsstelle zu übernehmen, und wie sie das Kostüm beriethen. Es gelang ihnen jedoch diesmal noch nicht, ihre Bescheidenheit zu hintergehen. Später traf ich sie nicht mehr zu Hause. Die ältere Dienerin klagte, daß die Damen sie immer häufiger hinwegholten, und doch müsse man gewissermaßen jede Zerstreuung willkommen heißen, denn wenn die Frau allein sei, so sehne sie sich unaufhörlich nach ihrem Manne und weine, wie wenn sie ihn verloren hätte.
Eines Tages gerieth ich zufällig in die sogenannte
Natürlich war der „Studienkopf“ das Werk der Malerin und Regine von den Parzen
beschwatzt worden, derselben in ihrem Atelier aus Gefälligkeit zu sitzen. Ob sie
wußten, daß die Künstlerin das Bild ausstellen und verkaufen wollte, kann ich
nicht sagen; Regine wußte es jedenfalls nicht, wie mich ihre Haushälterin
versicherte, als ich hinging, um jene zu sprechen, aber nur diese antraf. Denn
ich hatte bemerkt, daß das Bild bereits von einem Händler angekauft war, der
Gemäldetransporte nach Amerika lieferte. — Die Geschichte gefiel mir keineswegs
und ich schwankte, ob ich dem Erwin Altenauer schreiben solle oder nicht. Allein
die drei Renommistinnen galten trotz ihrer wunderlichen Aufführung für ehrbare
Frauen und waren es wol auch, und sie machten nicht unansehnliche Häuser. Der
Mann der Gazelle war ein großer Sprithändler, derjenige des
Ich sah die gute Regine nun nicht mehr, als etwa in einer Theaterloge inmitten ihrer Beschützerinnen, welche vor Vergnügen glänzten, wenn sie durch die schöne Erscheinung die Augen des ganzen Hauses auf sich lenken konnten. Auch empfingen sie genügsamen Herrenbesuch. Regine schien mir das eine Mal traurig und gedrückt zu sein; das andere Mal schien sie aber aufzuthauen und eine wachsende Sicherheit und Munterkeit des Benehmens zu zeigen. Vielleicht, dachte ich, ist das gerade, was Erwin wünscht, und die drei Gänse haben am Ende nichts Böses zu bedeuten.
Ein einziges Mal vor Erwin's Rückkunft sprach ich seine Frau noch näher in
vertraulicher Weise und sah sie sogar während eines ganzen Tages. Der Monat Juni
war gekommen und das prächtigste Sommerwetter im Lande. Da bat sie mich eines
Tages in einem zierlichen Briefchen, bei ihr vorzusprechen, und als ich kam,
theilte sie mit, es sei von ihren Freundinnen und deren Freunden eine große
Landpartie verabredet, die zu Wagen gemacht werden sollte. Nun wolle ihr die
Sache doch nicht recht gefallen, und sie wünsche wenigstens einen
Ich sagte mit Freuden zu und nahm mir vor, den weiblichen Schmierteufel von Maler
je eher je lieber hin zu setzen und mich an die Frau Altenauer zu halten. Als
ich diese dann holte, fand ich es ehrenvoll, an ihrer Seite zu fahren; sie war
in hellfarbigen duftigen Sommerstoff gekleidet und in jeder Beziehung einfach
aber tadellos ausgerüstet. Sie räkelte nicht in der Wagenecke herum, sondern saß
mit ihrem Sonnenschirme in anmuthiger Haltung aufrecht, während die Malerin, die
später uns beigesellt wurde, sich sofort zurückwarf und die Beine übereinander
schlug. Auch die übrigen
Ich wurde von der Gesellschaft nicht unartig aufgenommen; da aber durch den von
mir mitgebrachten Wagen überschüssiger Raum gewonnen war, setzte man uns, wie
bemerkt, die Malerin herein mit der Anzeige, daß das meine Schutzbefohlene sei.
Als man abfuhr und die Kutschen im Freien rollten, zog der Künstler ungesäumt
ein Stück Brot und ein paar Aepfel aus der Tasche und biß hinein; denn er hatte
noch nicht gefrühstückt, wie er sagte, und er genoß immer nur rohes Obst und
Brot des Morgens, weil es das Billigste war. Das that er
„Das sind tempi passati,“ unterbrach mich die Malerin, „jetzt haben wir Künstler Anderes zu thun, als Glasglocken zu reiben und mit Epheukränzchen zu kokettiren!“
„Das seh'n wir wohl!“ sagte ich mit einem Seufzer, „aber es war doch eine schönere Zeit!“
Sobald nun die Wagen den ersten Halt machten, stieg, um ein stattliches Masculinum zu gebrauchen, der Unhold aus und mischte sich unter die Gesellschaft, ohne mich weiter anzusehen. Damit war es freilich noch nicht gethan. Eben als Frau Regine sich freute, von der Malerin erlöst zu sein, gegen die sie einen unerklärlichen Widerwillen empfinde, kamen die Parzen herbei und stellten den für heute ihr bestimmten Cavalier vor, einen jungen Herren von der brasilianischen Gesandtschaft mit einem langen, aus vielen Wörtchen bestehenden Grafentitel, er selbst lang und schlank, wie ein alter Ritterspeer, pechschwarz und blaß, mit der schönsten graden Nase und glühenden Augen. Er war die neueste Schwärmerei der drei Parzen, und weil er gewünscht hatte, mit der schönen Regine bekannt zu werden, brachten sie ihn unverzüglich mit ihr zusammen, womit sie zu erreichen hofften, daß beide interessante Erscheinungen zugleich in ihrer Umgebung gesehen würden.
Als Wirth des Wagens mußte ich dem Herrn natürlich den guten Sitz neben meiner
Dame einräumen, die eigentlich nun seine Dame wurde. Er benahm sich übrigens
durchaus artig und ernst, ja nur zu ernsthaft nach meiner Meinung, da dies auf
weitgehende verwegene Absichten deuten konnte. Regine war still, so viel an ihr
lag; sie beantwortete aber seine Anreden mit freiem Anstande,
Mich aber ergriff jetzt Regine unversehens beim Arme und zog mich raschen
Schrittes bei Seite, bis wir auf einsamere Schattenwege gelangten. Jetzt öffnete
sie auf einmal ihr Herz: sie habe sich auf diesen Tag gefreut, um sich von Erwin
satt sprechen zu können. Die andern Frauen sprächen nie von ihren Männern und
auch von dem ihrigen, nämlich Erwin, thäten sie es nur, um alles Mögliche
auszufragen und ihre Neugierde nach Dingen, zu befriedigen, die sie nichts
angingen. Da schweige sie lieber auch. Mit mir aber, der ich ein guter Freund
und ja ein Landsmann sei, wolle sie nun reden, was sie freue. Sie fing also an
zu plaudern, wie sie auf seine baldige Ankunft hoffe, wie gut und lieb er sei,
auch in den Briefen, die er schreibe; was er für Eigenthümlichkeiten habe, von
denen sie nicht wisse, ob sie andere gebildete oder reiche Herren auch besitzen,
die sie aber nicht um die Welt hingeben möchte; ob ich viel von ihm wisse aus
der Zeit, ehe sie ihn gekannt? Ob ich nicht glaube, daß er glücklicher gewesen
sei, als jetzt, und tausend solcher Dinge mehr. Sie redete sich so in die
Aufregung hinein, daß sie schneller zu gehen und zu eilen begann, wie wenn sie
ihn gleich jetzt zu finden gedächte, und so gelangten wir unerwartet auf einen
freien sonnigen Platz, der einen kleinen Teich umgab. In der Mitte des letzteren
erhob sich eine flache goldene Schale, aus welcher das Wasser über ein großes
Bouquet frischer Blumen so sanft und gleichmäßig herabfiel, und so ohne jedes
Geräusch,
Unwillkürlich setzte sie sich auf eine Bank, dem artigen Wunder gegenüber, und schaute unverwandt hin. Ein seliges Lächeln spielte eben so leis um den Mund, wie das Wasser um die Blumen, und ich sah wohl, daß die lebendige Kristallglocke, die so treu die Rosen schützte, die Gedanken der Frau nur wieder auf den Mann zurückgewendet hatte. Wie ich so neben ihr stand und sie meinerseits voll Theilnahme betrachtete, ohne daß sie dessen inne ward, fühlte ich mich innig bewegt. Ich hätte vormals nie geglaubt, daß es eine so reine Freude geben könnte, wie diejenige ist, in die Liebe einer holden Frau zu einem Dritten hinein zu sehen und ihr nur Gutes zu wünschen!
Aber unvermerkt nahm ich wahr, wie die stille Heiterkeit sich wandelte, leise, leis! und einer immer dunkler werdenden Schwermuth Raum zu geben schien. Die Lippen blieben leicht geöffnet, wie sie es im Lächeln gewesen, aber mit bekümmertem Ausdruck. Das Haupt senkte sich ein weniges, wie von tiefem Nachdenken, und endlich fielen schwere Thränen ihr aus den Augen.
Betroffen weckte ich sie aus diesem Zustande, indem ich mir erlaubte, die Hand
leicht auf ihre Schulter zu
und die einzige Regine schien die ruhigste Person von allen zu sein.
Doch machte ihr die sinkende Sonne, die wir vom Wagen aus so schön niedergehen
sahen, und die mälig eintretende Dämmerung, welche die Kinder und die
Volksfrauen gern gesprächig und munter macht, viel Vergnügen; sie plauderte
ordentlich und in einer Stunde mehr, als sie seit dem Vormittage gesprochen
hatte, und erst als
Der Graf flüsterte mir auf französisch zu, er glaube, daß Madame schlafe. Sie sagte aber ganz vergnügt: „Ich schlafe nicht!“ Und als wir endlich an ihrem Hause vorfuhren, nachdem die Gesellschaft ziemlich ohne Abschied auseinander gerasselt war, und sie von ihrer kleinen Dienerschaft, die mit Lichtern im Thorwege stand, empfangen wurde, schüttelte sie uns beiden ganz herzhaft die Hände zum Abschied, so gutes Vertrauen schien sie jetzt wieder zur Weltordnung gefaßt zu haben.
Der Brasilianer und ich waren nicht minder zufrieden als vernünftige und
ordentliche Leute, die einen guten Eindruck davontrugen, und wir wurden einig,
zusammen noch eine wohlberufene Weinstube zu besuchen und uns bei einer ruhigen
Cigarre etwas Gutes zu gönnen. Wir stießen auf das Wohl der schönen Frau mit
einigen lobenden Worten an, der Graf wie ein ruhiger und anständiger Kenner, und
ich machte ihm es großartig nach, worauf wir nicht mehr davon sprachen, sondern
uns der Betrachtung des nächtlich angeheiterten Weltlaufes überließen. Doch
sprach der des Trinkens nur mäßig gewöhnte Südländer dem Weine nicht eifrig zu;
ich mußte das Beste thun, und so trennten wir uns nach ausgerauchter Cigarre
schon vor zehn Uhr. Der schwarzäugige Graf suchte seine Wohnung auf; ich aber
verfügte mich, zur Schande meiner Jugendjahre sei es gestanden, schleunig noch
in eine neun
Ich hielt es am andern Tage für schicklich, der Frau Regine einen Besuch
abzustatten. Als ich an ihrer Thüre die Glocke zog, öffnete mir die ältere
Dienerin oder Haushälterin oder wie man die Person nennen will, die von allem
etwas vorstellte und versah. Zu meiner Verwunderung betrachtete sie mich mit
einem unheimlich ernsten Gesichte, das zugleich von quälender Neugierde
eingenommen schien. Sie besah mich vom Fuß bis zum Kopfe und ließ den Blick über
diesen hinaus noch weiter in die Höhe gehen, als ob sie in dem Luftraume über
mir nach etwas suchte. Sie schüttelte unbewußt den Kopf, brach aber das Wort,
das sie zu sagen im Begriffe war, ab und wies mich kurz in das Zimmer, wo die
Frau sich aufhielt. Hier befiel mich ein neues Erstaunen, ja ein völliger
Schrecken. Im Vergleich mit dem blühenden Zustande, in welchem ich die Regine am
vorigen Tage gesehen, saß sie jetzt in einer Art Zerstörung am Fenster und
vermochte sich kaum zu erheben, als ich eintrat; sie ließ sich aber gleich
wieder auf den Stuhl fallen. Das Antlitz war todtenbleich, überwacht und
erschreckt, beinahe gefurcht; die Augen blickten unsicher und scheu, auch fand
sie kaum die Stimme, als sie meinen Gruß erwiderte. Besorgt und fast eben so
tonlos fragte ich, ob sie sich nicht wohl befinde? „Allerdings nicht zum
Besten“, antwortete sie
„Sie sind noch ein junger Mann,“ sagte sie, „aber Sie kennen meine Herrschaft von früher her, und ich weiß, daß der Herr etwas auf Sie hält. Da kann ich mir nicht anders helfen und muß mich Ihnen anvertrauen, ob Sie einen Rath wissen in der schwierigen Sache, die mich bedrückt!“
Immer mehr betroffen und verwirrt fragte ich, was es denn sei und was denn vorgehe?
Nachdem sie sich etwas verschnauft und sich zögernd besonnen, sagte sie: „Gestern
Nachts, als ich in meinem Schlafzimmer, das außerhalb unserer abgeschlossenen
Wohnung in einem Zwischengeschosse liegt, noch wach war und eine zerrissene
Schürze flickte, es mochte schon
„Begreiflich fand ich keinen Schlaf mehr. Die Laterne in unserem Treppenhaus wird
Punkt zehn Uhr gelöscht und das Thor geschlossen; der Mensch oder was es war,
mußte also sich vor dieser Zeit in's Haus geschlichen haben oder dann einen
Hausschlüssel besitzen. Als ich um die fünfte Morgenstunde schellte, that mir
die Frau die Thüre auf, nach der während der Abwesenheit des Herrn eingeführten
Ordnung; denn wenn er da ist, so wird der Flurschlüssel nicht inwendig
umgedreht, damit ich des Morgens selbst öffnen kann und nicht zu läuten brauche.
Die Frau zog sich aber wie ein Geist sogleich wieder in ihr Schlafzimmer zurück.
In den von der Sonne erhellten Zimmern bemerkte ich wenig Unordnung. Einzig in
dem Eßzimmer stand das Büffet geöffnet; eine Caraffe, in der sich seit Wochen
ungefähr eine halbe Flasche sicilianischen Weines fast unverändert befunden
hatte, war geleert, das vorhandene Brot im Körbchen
Als die Frau später zum Vorschein kam, war sie verändert, wie Sie ja wol selbst gesehen haben. Nicht ein Wort hat sie verlauten lassen, und ich habe bis jetzt noch nicht gefragt und weiß nicht, was ich thun soll; ich weiß, es ist ein fremder Mann über Nacht dagewesen und heimlich wieder fort. Ich kann das Geheimniß nicht aufdecken und doch dem braven Ehemanne gegenüber nicht die Mitwisserin und Hehlerin eines Verbrechens sein! Und ich kann das arme schöne Geschöpf auch nicht ohne Weiteres zu Grunde richten. Was denken Sie nun hiervon, Herr Reinhart, was zu thun sei?
Ich war wie erstarrt. Sorge und Entrüstung für Erwin Altenauer, aber zugleich auch tiefes Mitleid mit dem Weibe, wenn es wirklich schuldig sein sollte, durchstürmten mich, als ich mich einigermaßen besann. Ich dachte unwillkürlich an den Brasilianer und fragte die ganz verstörte Haushälterin, wie denn der Fremde gekleidet gewesen sei, ob fein oder gewöhnlich? Sie beharrte aber darauf, daß sie nichts habe erkennen können; nur einen breiten, tief in's Gesicht hängenden Schlapphut glaube sie gesehen zu haben.
Ich grübelte und schwieg einige Zeit, während die
Die gute Dienerin, die mehr an Gespenster als an Naturgesetze glauben mochte, schien durch meine Worte nicht aufgerichtet zu werden; doch gelobte sie mir auf mein Andringen, gegen Jedermann ohne Ausnahme das Geheimniß zu wahren und schweigend zu erwarten, wie es mit der Frau weiter gehen wolle.
Ich selbst war keineswegs beruhigt. Immer fiel mir
Kurz, ich wurde nicht klug daraus. Nach Tisch wollte ich den schwarzen Grafen in einem Gartencafé aufsuchen, in welchem jüngere Leute seiner Gesellschaftsklasse sich eine Stunde aufzuhalten pflegten. Ich dachte wenigstens zu beobachten, was er für ein Gesicht machte. Allein ich kam von der Idee zurück, sie widerte mich an, und was hatte ich mich darein zu mischen? Dafür traf ich ihn von selbst auf einer Promenade mit andern Herren. Er grüßte mich genau so ruhig, gesetzt und unbefangen, wie er mich gestern verlassen.
Nach der Regine getraute ich mir vor der Hand nicht mehr zu sehen. Das sind
Dinge, die du am Ende nicht zu behandeln verstehst, noch zu verstehen brauchst!
sagte ich mir. Einige Tage später ging ich in das Theater und sah Reginen in der
Loge der drei Parzen sitzen und hinter ihr den Grafen. Die Parzen spiegelten
sich offenbar in dem Bewußtsein, aller Augen auf sich gerichtet zu
Endlich kam die Nachricht, Erwin sei auf der Rückreise begriffen. Ich will, was
noch zu erzählen ist, so folgen lassen, wie es sich theils für ihn entwickelt
hat, theils mir durch ihn später bekannt wurde. Die Geschäfte hatten ihn zuletzt
nach Newyork geführt, wo er sich dann einschiffte. Dort war er in die
Verkaufsräume eines Kunsthändlers getreten, der nebenbei ein Lager von
amerikanischen Gewerbserzeugnissen eleganter Art hielt; er wollte nur schnell
nachsehen, ob sich etwas für Reginen
Nun, er kam also eines schönen Julimorgens an. Er war die Nacht über gefahren, um
schneller da zu sein. Als er den Thorweg betrat, sah er durch eine offene Thüre
die Hausdienerschaft auf dem Hofe um einen Milchmann versammelt und freute sich,
seine Frau unversehens überraschen zu können. Die Wohnung stand offen und ganz
still und er ging leise durch die Zimmer. Verwundert fand er im
Gesellschaftssaal eine große Neuigkeit: auf eigenem Postamente stand ein mehr
als drei Fuß hoher Gipsabguß der Venus von Milo, ein Namenstagsgeschenk der drei
Parzen; jede von ihnen besaß einen gleichen Abguß, der zu Dutzenden in Paris
bestellt wurde; denn es war eine eigenthümliche Muckerei im Cultus dieses
ernsten Schönheitsbildes aufgekommen; allerlei Lüsternes deckte sich mit der
Anbetung des Bildes, und manche Damen feierten gern die eigene Schönheit durch
die herausfordernde Aufrichtung desselben auf ihren Hausaltären.
Aber auch welche Gewohnheiten! Wie kommt die einfache Seele dazu, auf solche Weise die Schönheit zu spiegeln und die Venus im Saale nachzuäffen? Wer hat sie das gelehrt? Woher hat sie das große Stück unverarbeiteten Seidendamast? Ist sie mittlerweile so weit in der Ausbildung gekommen, daß sie so üppige Anschaffungen macht, wie ein solcher Stoff ist, nur um ihn des Morgens um die Lenden zu schlagen während eines kleinen Luftbades? Und hat sie diese Künste für ihn gelernt und aufgespart?
Diese Gedanken jagten wie ein grauer Schattenknäuel durch sein Gehirn, nur halb
kenntlich; sie zerstoben jedoch
Aber wo es denn sei? fragte der Mann, seinerseits erröthend. Ei, die Malerin habe
es mitgenommen, es sei ja ein Frauenzimmer, erwiderte Regine betreten. Ueberdies
wolle es eine der drei Freundinnen als Andenken in Anspruch nehmen. Erwin sah
die Unerfahrenheit und Unschuld der guten Regine oder glaubte jetzt
Am zweiten Tage nach seiner Ankunft ging er auf seine Gesandtschaft, um einige
Verrichtungen zu besorgen, die man ihm in Washington zur mündlichen Abwickelung
übertragen. Unter anderem gab es da obschwebende seerechtliche Interessen, wegen
welcher mit den brasilianischen Diplomaten Rücksprache zu nehmen war, eh' bei
den europäischen Staaten vorgegangen wurde; übrigens handelte es sich weder um
ein entscheidendes Stadium, noch um eine sehr große Bedeutung der Sache. Erwin
trug seinem Gesandten dasjenige vor, was sich auf unsern Ort, wo wir lebten,
bezog. Der Herr hatte Zahnweh und ersuchte ihn, nur selbst zu den Brasilianern
zu gehen und in seinem Namen das Nöthige zu verhandeln. Erwin ging hin, traf
aber bloß einen Secretär. Der Gesandte sei in Karlsbad, hieß es; doch habe der
Attaché Graf
Er trat mit einem Schritte vor das Tischchen und ließ die Augen an dem Bild haften, indessen es vor denselben in einen Nebel zerfloß und sich wieder herstellte, abwechselnd, man könnte sagen, wie Aphrodite aus dem Dunst und Schaum des Meeres. Er wagte nicht wegzublicken, noch den Grafen anzusehen, und doch war es ihm zu Muth wie einem Ertrinkenden. Aber zum Glück jagten sich die Vorstellungen eben so schnell, als es bei einem solchen geschehen soll. Es war immer eine Möglichkeit, daß der Graf nicht wußte, was er besaß; warum also am unrechten Orte sich selbst und die Frau verrathen? Nöthigen Falls konnte er ja wieder kommen und den Feind seiner Ehre im Angesicht des Bildes niederstoßen. Aber müßte nicht das Weib vorher gerichtet, vielleicht vernichtet sein? Denn ein böser Zusammenhang wird immer deutlicher, woher sonst das elende Wesen im Hause? Was ist indessen mit einer solchen Vernichtung gewonnen, und wer ist der Richter? Ich, der ich ein junges, rathloses Geschöpf fast ein Jahr lang allein lasse?
So war vielleicht eine Minute vergangen, eine von den scheinbar zahllosen und
doch so wenigen, die wir zu leben haben. Plötzlich faßte er sich gewaltsam
zusammen,
„Ich habe es in einem hiesigen Atelier gekauft,“ sagte der Andere, „es soll nach dem Leben gemalt sein!“
Sie schüttelten sich mit der bei Diplomaten üblichen Herzlichkeit die Hand und Erwin zog seines Weges. Er ging aber nicht in seine Behausung, auch nicht zu der Malerin oder zu den Parzen, wie er früher Willens gewesen, noch auch zu mir oder sonst zu Jemandem, sondern er lief eine Stunde weit auf der heißen Landstraße vor das Thor hinaus, genau bis zum ersten Stundenzeiger, und von da wieder zurück. In dieser Zeit wollte er mit seinem Entschlusse im Reinen sein und dann um kein Jota davon abgehen; kein Fremder sollte davon wissen oder darein reden.
In der Mittagshitze, im Staube der Straße, unter den Wolken des Himmels, im Angesichte mühseliger Wandersleute, die ihres Weges zogen, müder Lastthiere, heimwärts eilender Feldarbeiter ließ er die Frau unsichtbar neben sich gehen, um die traurige Gerichtsverhandlung so zu sagen unter allem Volke mit ihr zu führen. Es bedünkte ihn in der That beinahe, als seh' er sie mühsam an seiner Seite wandeln, nach Antwort auf seine Fragen suchend, und seine Bitterkeit wurde von Mitleiden umhüllt, aber nicht versüßt.
Als er an das Stadtthor zurückkam, war sein Beschluß fertig, wenn auch nicht das
Urtheil. Er wollte nicht
Mit diesem Vorsatze trat er wieder in sein Haus, wo er Reginen nicht fand. Ihr war erst seit Erwin's Ausgang das Bedenkliche und Unzulässige des Vorfalls mit dem Bilde schwer in's Gewissen gefallen; Blick und Wort Erwin's hatten sie getroffen und die Dämmerung ihres Bewußtseins plötzlich erleuchtet. Von Angst erfüllt war sie fortgeeilt, zunächst zur Malerin, das Bild von ihr zu fordern. Sie suchte Ausflüchte, versprach es zu schicken oder selbst zu bringen, und gedrängt von der Flehenden, sagte sie endlich, das Bild müsse bei einer der drei Damen sein (der Parzen nämlich), jedenfalls sei es gut aufgehoben und in sicheren Händen. Regine lief zum sogenannten Bienchen, zur Sammetgazelle, zum Rothkäppchen, keine wollte etwas von dem Bilde wissen, jede lächelte zuerst verwundert und jede erhob dann einen dummen Lärm und wollte durchaus die Aermste auf der Jagd nach ihrem Bildniß geräuschvoll weiter begleiten.
Unverrichteter Sache, aber mit doppelter Last beladen
Kein Wort mehr noch weniger sagte er zu ihr und sie wagte nicht ein einziges zu sprechen. Nur tief aufathmen hörte er sie, wie wenn sie sich durch die Aussicht, über das Meer zu kommen, erleichtert fühlte.
Am selben Tage noch wurden also Koffer gepackt, Rechnungen bezahlt und alle die
Dinge verrichtet, die mit einer plötzlichen Abreise verbunden sein mögen. Erwin
brachte dann noch eine halbe Stunde auf der Gesandtschaft zu, sonst nahm er von
Niemandem Abschied. Ich vernahm von alledem das erste Wort durch die entlassene
Haushälterin, die mich wenige Tage später nochmals aufsuchte, um ihr Gewissen zu
beschwichtigen, indem sie mir gestand, sie habe im Tumulte des letzten
Nachmittags während eines stillen Augenblickes dem Erwin mit wenig Worten leise
gesagt, es sei ein einziges Mal in der Nacht ein fremder Mann da gewesen und von
da an sei die
Unmittelbar nach der kurzen Unterredung habe er in der gleichen milden und gelassenen Weise wie vorher das Wenige mit Reginen gesprochen, was er zu sprechen hatte, und beim Verlassen des Hauses der dicht verschleierten Frau den Arm gegeben. Nun wisse sie, die Haushälterin, doch nicht, ob sie recht gethan und das Unglück vergrößert habe.
Ich fragte sie, ob sie von der Sache jemals den übrigen Bediensteten oder Hausgenossen oder sonst Jemand etwas gesagt? Sie betheuerte das Gegentheil und versprach nochmals, es ferner so zu halten, und ich glaube, sie hat es auch gethan. Indessen beruhigte ich sie wegen des Geschehenen. Wenn jener geheimnißvolle Besuch übler Art gewesen sei, meinte ich, so sei nicht viel zu verderben; sei er aber unschuldiger Natur, so komme die dunkle Geschichte um so eher zur Abklärung.
Es fiel mir schwer, an das ganze Ereigniß so recht zu glauben. Die plötzliche
Abreise machte nicht so viel Aufsehen, da die Ankunft Erwin's noch nicht einmal
in
Drei Jahre später, als Regine längst todt war, traf ich Erwin Altenauer als amerikanischen Geschäftsträger in der gleichen Stadt wieder. Er hatte die Stelle absichtlich gewählt, um durch seine Anwesenheit das Andenken der Todten zu ehren und zu schützen, und von ihm erfuhr ich den Abschluß der Geschichte; denn er liebte es, mit mir von dieser Sache zu sprechen, da ich die Anfänge kannte.
Schon die Seefahrt nach dem Westen muß ein eigenartiger Zustand von Unseligkeit
gewesen sein. Die wochenlange Beschränkung auf den engen Raum bei getrennten
Seelen, die doch im Innersten verbunden waren, das wortkarge, einsilbige
Dahinleben, ohne Absicht des Wehthuns, die hundert gegenseitigen Hülfsleistungen
mit niedergeschlagenen Augen, das Herumirren dieser vier Augen
Erwin aber scheute sich ebenso ängstlich vor dem Beginn des Endes; nach dem bekannten Spruche konnte er begreifen und verzeihen, aber er konnte nicht wiederherstellen, und das wußte er.
Und nun erst der Einzug in das Vaterhaus zu Boston! Statt der siegreichen Freude
der Anerkennung, des Beifalls, ein geheimnißvolles, gedrücktes Ansichhalten, ein
schweigsames, vorsichtiges Wesen und zuletzt eine allgemeine Stille im Hause als
Folge des halbwahren Vorgebens von einem plötzlichen Zerwürfnisse, einer
krankhaften Laune der jungen Frau. Nur der Mutter anvertraute Erwin einen Theil
der Wahrheit, so weit diese nicht zu grausam, zu hart für Reginen und ganz
unerträglich auch für die Mutter gewesen wäre. Indem ihr der erste Anblick
Reginen's ein hohes Wohlgefallen und ihre ganze Haltung eine schmerzliche
Theilnahme, aber freilich auch die tiefste Sorge verursacht hatten, war sie mit
einem behutsam schonenden Vorgehen einverstanden, und sie suchte das Beispiel zu
geben, die halb Geächtete mit einer gewissen ernsten Sanftmuth zu behandeln, wie
es etwa verwirrten kranken Personen gegenüber geschieht. Alle Familienglieder,
Angestellten und Dienstboten des Hauses hielten den gleichen Ton inne, ohne
sichtbare Verständigung; Regina hingegen sah sich mitten in der Schar der neuen
Verwandten und Hausgenossen vereinsamt, ohne zu fragen oder zu klagen. In der
entlegenen Wohnung eines Seitenflügels lebte sie bald wie eine freiwillige
Gefangene, während Erwin gleich Anfangs auf einige Wochen verreist war, um das
getrennte Leben weniger auffällig zu machen. Allein wo er ging und stand, fühlte
er die Last des Elendes, in das er mit
Während der Zeit hatte seine Mutter die einsame Regina jeden Tag besucht und ein
Stündchen mit einer Arbeit bei ihr gesessen, ihr auch etwas zu thun mitgebracht
und ein ruhiges Gespräch in Güte mit ihr unterhalten, wobei sie freilich das
Meiste thun mußte. Jedoch vermied sie es gewissenhaft, mit Fragen und Verhören
in die junge Frau zu dringen, die in aller einsilbigen Trauer Zeichen demüthiger
Dankbarkeit erkennen ließ, wie eine edle Natur auch in zeitweiliger
Geistesabwesenheit die Spuren des Guten zeigt. An dem Tage, an welchem Erwin
bereits auf dem Heimwege begriffen war, fand seine Mutter die Regina in eifrigem
Schreiben begriffen. Dies erregte ihre Aufmerksamkeit und wollte ihr gar wohl
gefallen; es lagen schon mehrere beschriebene Blätter da, welche Regina ruhig
zusammenschob, ohne sie ängstlich zu verbergen. Den Umstand, daß sie überhaupt
nie etwas
Erwin fuhr in peinlicher Ungeduld wieder mit einem sausenden Nachtzuge und betrat
Morgens um sechs Uhr sein Haus. Schnell eilte er nach seinem eigenen
Schlafzimmer, um sich zu reinigen und die Kleider zu wechseln. Kaum hörte jedoch
die Mutter von seiner Ankunft, so suchte sie ihn auf und erzählte ihm von
Reginen, Nachdem sie, theilte sie ihm in sichtbarer Ergriffenheit mit, die Zeit
her von ihrem ganzen Benehmen einen solchen Eindruck erhalten, daß jene eine
entsetzliche Heuchlerin und Schauspielerin sein müßte, wenn es erlogen wäre,
habe sie in der vergangenen Nacht oder vielmehr kurz vor Anbruch des Tages eine
seltsam rührende Entdeckung gemacht. Von Schlaflosigkeit geplagt sei sie
aufgestanden und habe sich in der Finsterniß nach dem kleinen Saale hin getappt,
welcher dem von Reginen bewohnten Seitenflügel gegenüber liege. Dort sei auf
einem Tischchen ein kleines Fläschchen mit erfrischender Essenz unter Nippsachen
stehen geblieben, das sie seit lange nicht mehr gebraucht. Wie sie dasselbe nun
gesucht, habe sie über den Hof weg einen schwachen Lichtschimmer bemerkt,
während sonst noch Alles in der nächtlichen Ruhe gelegen. Als sie genauer
hingeschaut, habe sie gleich erkannt, daß der Schimmer aus Reginen's Fenster
komme, und sodann habe sie diese
Erschüttert mit sich selber ringend rief Erwin, der mehr wußte als die Mutter: „O Mutter. Christus der Herr hat die Ehebrecherin vor dem Tode beschützt und vor der Strafe; aber er hat nicht gesagt, daß er mit ihr leben würde, wenn er der Erwin Altenauer wäre!“
Doch schon im Widerspruch mit seinen Worten ließ er die Mutter stehen und ging wie er war, in den Reisekleidern und vom Rauche des nächtlichen Schnellzuges geschwärzt, nach Reginen's Zimmer und klopfte sanft an der Thüre. Kein Laut ließ sich hören; er öffnete also die unverriegelte Thüre und trat hinein. Das Zimmer war leer; mit klopfendem Herzen sah er sich um. Auf der Kommode lag ihr altes Gesangbuch, das er wohl kannte mit seinen Liedern und einer kleinen Anzahl Kirchen- und Hausgebeten. Es war geschlossen und ordentlich an seinen Platz gelegt.
Ihr Bett stand in einem Alkoven, dessen schwere Vorhänge nur zum kleineren Theile
vorgezogen waren. Er trat näher und sah, daß das Bett leer war; nur eines der
feinen und reichverzierten Schlafhemden von der Aussteuer, die er seiner Frau
selbst angeschafft, lag auf dem Bette; es schien getragen, lag aber zusammen
gefaltet auf der Decke. Erschrocken und noch mehr verlegen kehrte er sich um,
schaute sich um, ob sie nicht vielleicht dennoch im Zimmer hinter ihm stünde,
allein es war leer wie zuvor. Indem er sich nun abermals kehrte und dabei einem
der Vorhänge näherte, stieß er an etwas Festes hinter demselben,
Die Stätte, an welcher man den Brief finden werde, solle beweisen, wie sie ihn bis in den Tod liebe. Mit diesen Worten begann die Schrift. Einige weitere Sätze ähnlicher Natur verschwieg Erwin, wie er sich ausdrückte, als heiliges Geheimniß der Gattenliebe. Woher sie solche Töne genommen, sei eben das Räthsel der ewigen Natur selbst, wo jegliches Ding unerschöpflich zahlreich geboren werde und in Wahrheit doch nur ein einziges Mal da sei.
Dann folgte die Eröffnung dessen, was sie bedrückt und ihr Leben verdorben, ohne
daß sie geahnt habe, in welchem Umfange. Es war freilich traurig und einfach
genug, das Geheimniß jenes nächtlichen Besuches, von
Aber wie mußte sich der heimliche Jammer steigern, als sie in einem Tageblatt,
das mehr für die Dienstboten
Nach diesem ward ihr Selbstvertrauen zum Ueberfluß noch erschüttert durch den
Vorfall mit der Malerin. Sie wußte nicht, daß das Bild in den Händen eines
Mannes, des Brasilianers war, und doch bekannte sie es jetzt als eine Sünde, daß
sie sich habe verleiten lassen. Sie habe daraus den Schluß ziehen müssen, daß
sie nicht die Sicherheit und Kenntniß des Lebens besitze, die zur Erhaltung von
Ehre und Vertrauen erforderlich sei. Allerdings hatte die Aermste ja annehmen
müssen, die Malergeschichte allein habe hingereicht, Erwin's Vertrauen zu
untergraben;
Nach ihrem Begräbnisse war das erste, was er unternahm, die neue Versorgung der armen Angehörigen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er, daß der hingerichtete Bruder den erschlagenen Meister wirklich nicht ausgeplündert, indem der wahre Thäter, wegen anderer Verbrechen in Untersuchung gerathen, auch dieses freiwillig gestanden hatte. Erwin Altenauer hat sich bis jetzt nicht wieder verheirathet.
Als Reinhart schwieg, blieb es ein Weilchen still; dann sagte Lucia nachdenklich:
„Ich könnte nun einwenden, daß Ihre Geschichte mehr eine Frage des Schicksals
als der Bildung sei; doch will ich zugeben, daß eine schlimme Abart der
letzteren durch die Parzen, wie Sie die Trägerinnen
Sie bot dem Gaste gute Nacht und sandte gleich darauf den bejahrten Diener her, den Reinhart bei seiner Ankunft gesehen. Der freundliche Mann führte ihn nach seinem Schlafgemache, indem er ihm erzählte, der alte gichtbrüchige Herr beabsichtige, am Morgen mit dem Herrn Reinhart zu frühstücken, da nach gewissen Anzeichen der dermalige Anfall zu weichen beginne.
Mit wunderlich aufgeregtem Gefühle legte sich Reinhart in dem fremden Hause zu
Bett, unter Einem Dache mit dem ziervollsten Frauenwesen der Welt. Wie es Leute
gibt, deren Körperliches, wenn man es zufällig berührt oder anstößt, sich durch
die Kleidung hindurch fest und
Er war zwar bald und fest eingeschlafen; doch der neue Inhalt, die Schatzvermehrung seiner Gedanken weckte ihn vor Tagesanbruch, wie wenn es ein lebendiges Wesen außer ihm wäre, das freundlich seine Schulter berührte. Er mußte sich lange besinnen, wo er sei, und erst als er das von der Morgendämmerung erhellte Viereck des großen Fensters aufmerksam betrachtete, kam er seinen gestrigen Erlebnissen auf die Spur. Es wurde ihm beinahe feierlich angenehm zu Muthe, und indem er in diesem Gefühle so hindämmerte, entschlief er wieder und erwachte erst, als das schöne Landgebiet, in das er hinausschaute, schon im vollen Sonnenscheine lag und der Fluß weithin schimmerte. In den Platanen war großes Vogelconcert, eine Schar dieser Musikanten flatterte und saß an den Marmorschalen des Brunnens, in dessen Nähe ein Tisch zum Frühstücke gedeckt war.
„Lux, mein Licht! wo bleibst Du?“ hörte er eine alte, obwol noch kräftige Stimme
rufen und sah darauf den
Der Oheim fixirte ihn aufmerksam mit der Freiheit alter Soldaten oder Sonderlinge, indem er nach und nach, ohne sich zu eilen, vorbrachte, sein Name sei ihm wohlbekannt, es komme nur darauf an, ob er etwa der Sohn des Professors gleichen Namens in X sei; denn wenn er sich recht besinne, so sei ein Freund aus jungen Jahren dort hängen geblieben und ein berühmter Pandektenpauker geworden?
Reinhart bestätigte lachend seine Vermuthung, und Lucie erklärte das Ereigniß für
ein sehr artiges, welches sie theilweise herbeigeführt zu haben sich etwas
einbilde. Der Oheim jedoch fuhr fort, das Gesicht des jungen Gastes zu studiren
und immer tiefer in seiner Erinnerung nachzugraben,
Reinhart dachte nach und schüttelte den Kopf, sagte aber nach einem weiteren Besinnen: „Es müßte denn sein, was auch wahrscheinlich ist, daß Sie erst auch ein Leutenant gewesen sind, ehe Sie Herr Oberst wurden. Dunkel entsinne ich mich aus meinen Kinderjahren, daß die Eltern, bald der Vater, bald die Mutter, meistens diese, von einem Leutenant sprachen, und zwar hieß es scherzend: das hätte der Leutenant nicht gethan, oder was würde der Leutenant zu dem Falle sagen u. s. w. Dann verlor sich die Gewohnheit, wenn es eine war, und ich habe die Sache vergessen.“
„Sehen Sie, es ist richtig!“ rief der Oberst, „der Leutenant bin ich! In Ihrem angenehmen Angesicht habe ich die Spuren von beiden verehrten Eltern herausgefunden, vom Herrn sowol wie von der Dame, und es geht mir fast ein Licht auf, wie wenn meine junge Lux hier an meinem engen Altershorizont aufgeht als meine tägliche Morgensonne! Sein Sie uns willkommen und bleiben Sie jedenfalls einige Tage, oder besser, machen Sie Ihre Reise fertig und kommen Sie bald wieder für länger! Spielen Sie Schach?“
„Leider nein, ich spiele überhaupt gar nichts!“
„Ei, das ist schade, warum denn nicht?“ rief der Alte.
„Ich bin zu dumm dazu!“ erwiderte Reinhart, der in der That weder die Aufmerksamkeit noch die Voraussicht aufbrachte, welche zum ernsthaften Spielen erforderlich sind. Lucia sah ihn unwillkürlich mit einem dankbaren Blicke an, da sie einen Genossen in dieser Art von Dummheit in ihm fand.
„Nun,“ sagte der alte Herr, „so lang man jung ist, spürt man eben keine lange Weile und braucht kein Spiel. Die hat's auch so, die hier sitzende Jugendfigur! Später wird sie's wol noch lernen; denn ich hoffe, es gibt eine schöne alte Jungfer aus ihr, die ewig bei mir bleibt und auf meinem Grabe fromme Rosen züchtet und oculirt.“
„Das kann geschehen,“ sagte die Nichte, „wenn über das Heirathen solche Anschauungen aufkommen, wie ich sie aus dem Munde des Herrn Ludwig Reinhart habe hören müssen! Denke Dir, Onkel, wir haben gestern bis Mitternacht uns verunglückte Heirathsgeschichten erzählt! Die gebildeten Männer verbinden sich jetzt nur mit Dienstmädchen, Bäuerinnen und dergleichen; wir gebildeten Mädchen aber müssen zur Wiedervergeltung unsere Hausknechte und Kutscher nehmen, und da besinnt man sich doch ein bischen! Sagen Sie, Herr Reinhart, haben Sie nicht noch eine Treppenheirath zu erzählen?“
„Freilich hab' ich,“ antwortete er, „eine ganz prächtige, eine Heirath aus reinem Mitleiden!“
„O Himmel!“ rief Lucie, „wie glücklich! Magst Du sie auch hören, lieber Onkel?“
„Da ihr Faulpelze nichts spielen und nur schwatzen wollt, so ist es das Beste, was wir thun können, wenn wir uns einige blaue Wunder vormachen!“
Der Tisch wurde abgeräumt, Lucie ließ sich einen Arbeitskorb bringen und Reinhart suchte den Eingang seiner Geschichte zusammen. „Denn,“ sagte er, „die Personen, die es angeht, stehen in der Blüthe ihres Glückes, und um sie in keiner Weise darin zu stören, ist es nöthig, sie in eine allgemeine Form der Unkenntlichkeit zu hüllen. Es dürfte daher am zweckmäßigsten sein, die Sache gleich in der Art zu erzählen, wie ein gezierter Novellist sein Stücklein in Scene setzt. Ich würde damit zugleich in meiner Erzählungskunst, die mir wie ein Dachziegel auf den Kopf gefallen, einen Fortschritt anstreben können, man weiß ja nie, wo man es brauchen kann. Es würde also etwa so lauten:
Brandolf, ein junger Rechtsgelehrter, eilte die Treppe zum ersten Stockwerk eines
Hauses empor, in welchem eine ihm befreundete Familie wohnte, und wie er so in
Gedanken die Stufen übersprang, stieß er beinah' eine weibliche Person über den
Haufen, die mitten auf der Treppe lag und Messer blank scheuerte. Es war ihm,
als ob mit einem der Messer nach seiner Ferse gestochen würde; er sah zurück und
erblickte unter sich das zornrothe Gesicht eines, so viel er wegen des
umgeschlagenen Kopftuches
„Es ist doch ein Elend mit uns Menschen!“ rief er aus; „täglich sprechen wir von Liebe und Humanität und täglich beleidigen wir auf Wegen, Stegen und Treppen irgend ein Mitgeschöpf! Zwar nicht mit Absicht; aber muß ich mir nicht selbst gestehen: wenn eine Dame im Atlaskleide auf den Stufen gelegen hätte, so würde ich sie sicherlich beachtet haben! Ehre dieser wehrbaren scheuernden Person, die mir wenigstens ihren rächenden Stachel in die Ferse gedrückt hat, und wohl mir, daß es keine Achillesferse war!“
Er erzählte den kleinen Vorgang. Alle riefen: das ist die Baronin! und der Hausvater sagte: „Lieber Brandolf! diesmal hat Ihre humane Düftelei den Gegenstand gänzlich verfehlt! Die Dame auf der Treppe ist eine wahrhafte Baronin, die aus reiner Bosheit, um den Verkehr zu hemmen, und aus Geiz, statt ihre Innenräume zu brauchen, die gemeinsame Treppe mit Hammerschlag beschmutzt und Messer blank fegt und dabei aus Adelstolz uns Bürgerliche weder grüßt noch auch nur ansieht!“
Verwundert über diese seltsame Aufklärung, ließ sich
Kurz, man war übereingekommen, daß sie ein ausgemachter Teufel und Unhold sei, welcher sein menschenfeindliches und räuberisches Wesen auf eigene Faust betreibe und hauptsächlich den Plan gefaßt habe, durch sein Benehmen einen häufigen Wechsel der Miether zu veranlassen, um solchergestalt viele kleine, aber dennoch übertriebene Rechnungen ausstellen und überschüssige Miethgelder einziehen zu können, wenn die Verunglückten vor der Zeit wegzogen. Und dieser Plan, wenn er wirklich bestand, war allerdings nicht übel, da das Haus in einer lebhaften und schönen Straße lag, welche immer auf's neue anständige und wohlhabende Fremde herbeilockte, die dann froh waren, sich bald loszukaufen und Andern Platz zu machen.
Als diese Schilderung, verwebt mit noch vielen absonderlichen Zügen, beendigt war, fühlte Brandolf eher ein geheimes Mitleid mit der bösen Baronin, als Zorn und Verachtung, und als die Freunde ihn scherzweise fragten, ob er nicht ihr Hausgenosse werden und bei der wunderlichen Nachbarin einziehen wolle, erwiderte er ernsthaft: „Warum nicht? Es käme nur darauf an, die Dame in ihrem eigensten Wesen an der Kehle zu packen und ihr den Kopf zurechtzusetzen!“
Da er aber sah, daß die Frau des Hauses nicht geneigt
Brandolf konnte gar nicht begreifen, wie man bösen und ungerechten oder tollen
Menschen gegenüber in Verlegenheit gerathen und den Kürzern ziehen könne. So
gutmüthig und friedfertig er im Grunde war, empfand er doch stets eine rechte
Sehnsucht, sich mit schlimmen Käuzen herumzuzanken und sie ihrer Tollheit zu
überführen. Wo er von erlittenem Unrecht hörte, wurde er noch zorniger über die,
welche es duldeten, als über die Thäter, weil durch das ewige Nachgeben diese
Unglücklichen nie aus ihrer Verblendung herauskämen. Nur die offene Gewalt ließ
er unbekämpft, weil sie sich selbst brandmarke und weiter keiner Beleuchtung
bedürfe, um in ewiger Jämmerlichkeit und Selbstzerstörung dazustehen. Er besaß
ein tiefes Gefühl für menschliche Zustände und vertraute so sehr auf das
Menschliche in jedem Menschen, daß er sich vermaß, auch im Verstocktesten diesen
Urquell zu wecken oder wenigstens dem Sünder das Bewußtsein beizubringen, daß er
durchschaut und von der Uebermacht des Spottes umgarnt sei. Allein sei es, daß
die Argen seine sieghafte Sicherheit von Weitem ausspürten, sei es das irdische
Schicksal, welches uns das, was man wünscht, selten erreichen läßt, Brandolf
bekam fast nie so recht wohlbegründete Händel, und wo eine ausgesuchte üble
Daher ging er an der Pforte der Baronin wie an einem verschlossenen Paradiese vorbei, in welches einzudringen und mit dem hütenden Drachen zu streiten er sich herzlich sehnte.
Als im September die Freundesfamilie sammt Kindern und Dienstboten, mit Kisten und Koffern im Wagen untergebracht war, um die Reise nach Italien anzutreten, wo ein Winter verlebt werden sollte, als die schwerfällige Maschine endlich unter den Seufzern der Haus- oder hier der Reisefrau fortrollte, da hatte Brandolf, der den Schlag zugemacht, im Hause eigentlich nichts mehr zu thun, und er hätte füglich nach seiner eigenen Wohnung gehen können. Er stieg aber wieder die Treppe hinauf, klingelte bei der Baronin und wünschte ihre Zimmer zu besehen. Sie erkannte ihn als denjenigen, der sie auf der Treppe gestoßen, und als den täglichen Besucher der Nachbarherrschaft. Mißtrauisch und mit großen Augen sah sie ihn an, ohne ein Wort zu sprechen, und hielt die Thüre so, als ob sie ihm dieselbe vor der Nase zuschlagen wollte; doch konnte sie das nicht wagen und ließ ihn mit knappen Worten eintreten.
Mit saurer Höflichkeit führte sie ihn zu den Zimmern; sie waren höchst anständig
und solid eingerichtet, und Brandolf erklärte nach flüchtiger Besichtigung, die
er mehr zum Scheine vornahm, daß er die Wohnung miethe
Erst als Brandolf seine Habseligkeiten in das neue Losament gebracht hatte und
sich dort einhaus'te, sah er sich genöthigt, genauer auf die für solche
Miethzimmer ungewöhnliche Ausstattung zu achten. Es waren überhaupt nur drei
nach der Straße gelegene Stuben; diese schienen aber mit dem Hausrathe einer
ganzen Familie angefüllt zu sein und alles von theuren Stoffen und Holzarten
gearbeitet. Der Boden war mit bunten Teppichen überall belegt, an manchen
Stellen doppelt; in jedem Zimmer standen Secretäre, feine Schränke, Luxusmöbel,
Spieltische und Spiegelgebäude, Sopha's
Nunmehr begann Brandolf aufmerksam die bösen Thaten und Gewohnheiten der Wirthin
zu erwarten, um den Krieg der Menschlichkeit dagegen zu eröffnen. Allein sein
altes Mißgeschick schien auch hier wieder zu walten; der Feind hielt sich zurück
und witterte offenbar die Stärke des neuen Gegners. Leider vermochte ihn
Brandolf nicht mit dem Tabaksrauche aus der Höhle hervorzulocken; denn er
rauchte nicht, und als er zum besondern Zwecke ein kleines Tabakspfeifchen, wie
es die Maurer bei der Arbeit gebrauchen, nebst etwas schlechtem Tabak nach Hause
brachte und anzündete, um die Baronin zu reizen, da mußte er es nach den ersten
drei Zügen aus dem Fenster werfen, so übel bekam ihm der Spaß. Teppiche und
Polster zu beschmutzen ging auch nicht an, da er das nicht gewöhnt war; so blieb
ihm vor der Hand nichts übrig, als die Fenster aufzusperren und einen Durchzug
zu veranstalten. Dazu zog er eine Flanelljacke an, setzte eine schwarzseidene
Zipfelmütze auf und legte sich so breit unter das Fenster als möglich. Es
dauerte richtig nicht
Zunächst wußte Brandolf nichts weiter anzufangen; er hüllte sich in seinen
schönen Schlafrock, that Jacke und Zipfelmütze wieder an ihren Ort und nahm
Platz auf einem der Divans. Dort gewahrte er ein Klingelband von grünen und
goldenen Glasperlen und zog mit Macht daran. Wie ein Wettermännchen erschien die
Baronin auf der Schwelle, immer in ihrem grauen Schattenhabit mit dem
kapuzenähnlichen Kopftuche. Brandolf wünschte seinem Schneider, der viele
Straßen weit wohnte, eine Botschaft zu senden. Die Baronin erröthete; sie mußte
selbst gehen, denn sie hatte sonst niemanden. Ob es so
Aber eine halbe Stunde weit zu laufen? erwiderte sie und ging ein kleines altes Nähkörbchen zu holen, in welchem ein Nadelkissen und einige Knäulchen Zwirn lagen. Brandolf brachte den Rock herbei, und die vornehme Wirthin nähte mit spitzen Fingerchen den Knopf fest. Da sie mit der Arbeit ein wenig in's hellere Licht stehen mußte, sah Brandolf zum ersten Male etwas deutlicher einen Theil ihres Gesichtes, ein rundlich feines Kinn, einen kleinen aber streng geformten Mund, darüber eine etwas spitze Nase; die tief auf die Arbeit gesenkten Augen verloren sich schon im Schatten des Kopftuches. Was aber sichtbar blieb, war von einer fast durchsichtigen weißen Farbe und mahnte an einen Nonnenkopf in einem altdeutschen Bilde, zu welchem eine etwas gesalzene und zugleich kummergewohnte Frau als Vorbild diente.
Es blieb aber nicht viel Zeit zu dieser Wahrnehmung; denn sie war im Umsehen fertig und wieder verschwunden.
Für den ersten Tag war Brandolf nun zu Ende, und so vergingen auch mehrere Wochen, ohne daß sich etwas ereignete, das ihm zum Einschreiten Ursache gegeben hätte. Er mußte sich also aufs Abwarten, Beobachten und Errathen des Geheimnisses beschränken; denn ein solches war offenbar vorhanden, obgleich die Frau hinsichtlich ihrer Bösartigkeit verlästert wurde. Da fiel ihm nun zunächst auf, daß der Theil der Wohnung, wo sie haus'te, immer unzugänglich und verschlossen blieb; es war auch nichts weiter als eine Küche, ein einfenstriges schmales Zimmer und ein kleines Kämmerchen. Dort mußte sie Tag und Nacht mutterseelen allein verweilen, da außer einem Bäckerjungen man niemals einen Menschen zu ihr kommen hörte. Ein einziges Mal konnte Brandolf einen Blick in die Küche werfen, welche mit sauberem Geräthe ausgestattet schien; aber kein Zeichen bekundete, daß dort gefeuert und gekocht wurde. Nie hörte er einen Ton des Schmorens oder ein Prasseln des Holzes, oder ein Hacken von Fleisch und Gemüse, oder den Gesang von gebratenen Würsten, oder auch nur von armen Rittern, die in der heißen Butter lagen. Von was nährte sich denn die Frau? Hier begann dem neugierigen Miethsmann ein Licht aufzugehen: Wahrscheinlich von gar nichts! Sie wird Hunger leiden — was brauch' ich so lange nach der Quelle ihres Verdrusses zu forschen! Ein Stück Elend, eine arme Baronin, die allein in der Welt steht, wer weiß durch welches Schicksal!
Er genoß im Hause nichts, als jeden Morgen einen Milchkaffe mit ein paar frischen Semmeln, von denen er jedoch meistens die eine liegen ließ. Da glaubte er denn eines Tages zu bemerken, daß Frau Hedwig von Lohausen, als sie das Geschirr wegholte, mit einer unbewachten Gier im Auge auf den Teller blickte, ob eine Semmel übrig sei, und mit einer unbezähmbaren Hast davon eilte. Das Auge hatte förmlich geleuchtet wie ein Sterngefunkel. Brandolf mußte sich an ein Fenster stellen, um seiner Gedanken Herr zu werden. Was ist der Mensch, sagte er sich, was sind Mann und Frau! Mit glühenden Augen müssen sie nach Nahrung lechzen, gleich den Thieren der Wildniß!
Er hatte diesen Blick noch nie gesehen. Aber was für ein schönes glänzendes Auge war es bei alledem gewesen!
Mit einer gewissen Grausamkeit setzte er nun seine Beobachtung fort; er steckte das eine Mal die übrig bleibende Semmel in die Tasche und nahm sie mit fort; das andere Mal ließ er ein halbes Brötchen liegen, und das dritte Mal alle beide, und stets glaubte er an dem Auf- und Niederschlagen der Augen, an dem rascheren oder langsameren Gang die nämliche Wirkung wahrzunehmen und überzeugte sich endlich, daß die arme Frau kaum viel Anderes genoß, als was von seinem Frühstücke übrig blieb, ein paar Schälchen Milch und eine halbe oder ganze Semmel.
Nun nahm die Angelegenheit eine andere Gestalt an;
Eines Tages, als er von einem Ausgang nach Hause kam, traf er sie auf dem
Hausflur bei einer Gemüsefrau, welche auf ihrem Kärrchen einen prächtigen
Nelkenstock zu verkaufen hatte, der trotz der vorgerückten Jahreszeit noch ganz
voll von hochrothen Nelken blühte. Die Baronin nahm den Topf in die Hand und
drückte schnell ein wenig das Gesicht in die Blumen, offenbar von einem Heimweh
nach dergleichen ergriffen; sie fragte zögernd um den Preis, schüttelte den
Kopf, gab den Stock zurück und schlurfte eilig davon. Brandolf erstand sogleich
das Gewächs, hoffend, es ihr noch auf der Treppe aufdringen zu können; sie war
aber schon in ihrem Malepartus
Später begab er sich wieder weg, um zu Tische zu gehen, und da es zu regnen begann, versah er seine Füße mit Gummischuhen. Daher war sein Schritt unhörbar, als er nach einigen Stunden zurückkehrte und in's Zimmer trat. Unter der geöffneten Thüre stehend sah er die Frau auf dem Stuhle vor dem Nelkenstocke sitzen, einen Staubwedel in der Hand. Sie lehnte müde zurück und war eingeschlafen, die Hände mit dem Wedel im Schoße. Leise schloß er die Thüre und schlich nach dem Sopha, von wo aus er mit verschränkten Armen die schlafende Frau aufmerksam betrachtete. Man konnte nicht sagen, daß es gerade ein ausdrücklicher Gram war, der auf dem Gesichte lagerte; es glich so zu sagen mehr einer Abwesenheit jeder Lebensfreude und jeder Hoffnung, einer Versammlung vieler Herrlichkeiten, die nicht da waren. Einzig an den geschlossenen Wimpern schienen zwei Thränen zu trocknen, aber ohne Weichmuth, wie ein par achtlos verlorene Perlen.
Desto weichmüthiger wurde Brandolf von dem Anblick; je länger er hinsah, um so
enger schloß er ihn an's Herz; er wünschte dies unbekannte Unglück sein nennen
zu dürfen, wie wenn es der schönste blühende Apfelzweig gewesen
Plötzlich erschütterte sich die Schläferin wie von einem unwilligen oder ängstlichen Traume und erwachte. Verwirrt sah sie um sich, und als sie den Mann mit dem theilnehmenden Ausdruck im Gesichte wahrnahm, raffte sie sich auf und bat mit milderen Worten, als sie bisher hatte hören lassen, um Entschuldigung. Sie that sogar ein Uebriges und fügte zur Erklärung bei, Nelken seien ihre Lieblingsblumen und sie habe dem Gelüste nicht widerstehen können, ein wenig bei dem schönen Stock auszuruhen, wobei sie leider eingeschlafen. Einst habe sie über hundert solcher Stöcke gepflegt, einer schöner als der andere und von allen Farben.
Darf ich Ihnen diesen anbieten, Frau Baronin? sagte Brandolf, der sich sogleich erhoben hatte, ich habe ihn unten gekauft, als ich sah, daß Sie die Pflanze in die Hand genommen und mit Gefallen betrachteten.
Das milde Wetter war aber schon vorüber. Mit Roth übergossen schüttelte sie den Kopf. Bei mir ist zu wenig Licht dafür, sagte sie, hier steht er besser! Als ob es sie gereute, schon so viel gesprochen zu haben, grüßte sie knapp, ging hinaus und ließ sich die folgenden Tage kaum blicken.
Endlich brachte sie die erste Monatsrechnung, auf einen Streifen grauen Papiers geschrieben. Er las sie absichtlich nicht durch; mit dem innerlichen Wunsche, sie möchte recht hoch sein, bezahlte er den Betrag, der jedoch die Ausgabe keineswegs überschritt, auf die er zu rechnen gewohnt war. Während er das Geld hinzählte, stand die sonderbare Wirthin, wie ihm schien, eher in furchtsamer als in trotziger Haltung lautlos da, wie wenn sie der gewohnten Aufkündigung entgegensähe. Aber entschlossen, durchaus ein Licht in das Dunkel dieses Geheimnisses zu bringen, ließ er sie hinausgehen, ohne die geringste Lust zum Ausziehen zu verrathen. Neugierig, wie es sich mit ihren Rechnungskünsten verhalte, studierte er gleich nachher den Zettel und fand ihn nicht um einen Pfennig übersetzt; dagegen war jedesmal, wo er beim Frühstück nur ein Brötchen gegessen, das zweite übrig gebliebene nicht aufgeschrieben. Nun wurde er gar nicht mehr klug aus der ganzen Geschichte, zumal als er beim Weggehen gegen Abend zum ersten Male von der Gegend der Küche her ein schüchternes Knallen wie von einem brennenden Holzscheitlein hörte und den Geruch von einer guten gebrannten Mehlsuppe empfand, die mitzuessen ihn seltsam gelüstete. Nun war er überzeugt, daß die Baronin erst jetzt sich etwas Warmes zu kochen erlaubte. Am Ende, dachte er, thut sie das alle Monat einmal, wenn die Rechnung bezahlt wird, wie die Arbeiter am sogenannten Zahltag in's Wirthshaus zu gehen pflegen!
Und in der That war von der üppigen Kocherei schon am nächsten Tage nichts mehr zu verspüren.
Um die Mitte des Monats October kam es zu einer fast ebenso langen Unterredung, wie die von dem Nelkenstock war. Die Baronin machte Brandolf aufmerksam, daß jeden Tag der Winter eintreten und die Feuerung in den Oefen nöthig werden könne, und sie fragte, ob er Holz wolle anfahren lassen und wie viel? Und es kam ihm vor, als ob sie mit einiger Spannung auf die Antwort warte, aus welcher sie ersehen konnte, ob er bis zum Frühjahr zu bleiben gedenke. Er nannte ein so großes Quantum, daß man alle Oefen der ganzen Wohnung damit heizen und auch auf dem Herde ein lustiges Feuer bis in den Mai hinaus unterhalten konnte. Zugleich übergab er ihr eine Banknote mit der Bitte, alles Nöthige zu besorgen, den Einkauf und das Kleinmachen des Holzes; sie nahm die Note und verrichtete das Geschäft mit aller Sorgfalt und Sachkunde. Es dauerte auch kaum acht Tage, so fing es an zu schneien, und jetzt mußte die einsame Wirthin sich öfter sehen lassen, da sie die drei Oefen ihres Miethsherrn selbst einfeuerte und mit Holzherbeitragen und allem Andern genug zu thun hatte. Sie bekam dabei rußige Hände und ein rauchiges Antlitz und sah bald völlig einem Aschenbrödel gleich.
Wenn Brandolf aber gehofft, sie werde nicht so dumm sein und auch ihr eigenes
Wohngelaß etwas erwärmen,
Indessen wurde die Zeit doch etwas lang in Hinsicht auf seine Verhältnisse. Sein verwittweter Vater war ein großer Gutsbesitzer und sehr reicher Mann, welcher wünschte, daß der einzige Sohn bei ihm lebte und die Verwaltung der Güter übernahm. Auf der andern Seite war der Sohn ein entschiedenes juristisches Talent und ein gut empfohlener junger Mann, welcher von oben dringend zum Staatsdienste aufgefordert und ermuntert wurde. Er war auch nach der Hauptstadt gekommen, um sich die Dinge näher anzusehen und sich für einstweilen zu entschließen, wenn auch nicht für immer.
Täglich einige Stunden auf dem Ministerium als Freiwilliger arbeitend und im Uebrigen ein etwas wähliger reicher Muttersohn, ließ er sich mit aller Gemächlichkeit Raum, zum Entschlusse zu kommen. Doch wurde so eben von Neuem in ihn gedrungen, da man ihn zu einer bestimmten Function ausersehen hatte, die seinen Aufenthalt in einem entlegenen Landeskreise erforderte. Er aber wollte den Abschluß seines Abenteuers in der Miethswohnung durchaus nicht fahren lassen, der Vater drang ebenfalls auf Erfüllung seines Wunsches, und so lag er eines Morgens länger im Bette als gewöhnlich und sann über den Ausweg nach, den er zu ergreifen habe. Endlich gelangte er zu der Meinung, daß er ja ganz füglich seine juristischen Kenntnisse und amtlichen Beziehungen benutzen könne, um im Stillen und mit aller Schonung über die Vergangenheit und Gegenwart der Baronin die wünschbaren Aufschlüsse zu sammeln und je nach Befund und Umständen der verlassenen Frau eine bessere Lage zu verschaffen, oder aber sie aus dem Sinne zu schlagen und sein Unternehmen als ein verfehltes aufzugeben.
Mit diesem Vorsatz kleidete er sich an und eilte, seinen Morgenkaffe zu nehmen,
um sich ungesäumt auf den Weg zu machen. Allein trotz der vorgerückten Stunde
war das Kaffebrett nicht an der gewohnten Stelle zu erblicken; die Zimmer waren
erkaltet und in keinem Ofen Feuer gemacht. Verwundert machte er eine Thüre auf
und horchte auf den Flur hinaus; es war nichts zu sehen
„Kennen Sie mich nicht? wie geht es Ihnen?“ sagte Brandolf und suchte an ihrem dünnen und weißen Handgelenk den Puls zu finden, der sich mit seinem heftigen Jagen bald genug bemerklich machte. Als sie nicht antwortete, noch die Augen öffnete, eilte er zu der Hausmeisterin hinunter, die im Erdgeschoß hauste, und forderte sie auf, zu der Erkrankten zu gehen und Hülfe zu leisten, während er einen Arzt herbeihole. Er selbst machte sich unverzüglich auf den Weg, dies zu thun; er war dem bewährten Vorsteher eines Krankenhauses befreundet und suchte ihn an der Stätte seiner vormittäglichen Thätigkeit auf. Der Arzt beendete so rasch als möglich die noch zu verrichtenden Geschäfte und fuhr dann unverweilt mit dem Freunde, den er in seinen Wagen nahm, nach dessen Wohnung. „Du hast da eine wunderliche Wirthin gewählt“, sagte er scherzend; „am Ende, wenn sie stirbt, bekommst Du noch Pflegekosten, Begräbniß und Grabstein auf die Rechnung gesetzt und kannst alsdann ausziehen!“
„Nein, nein!“ rief Brandolf, „sie darf nicht sterben!
Ich hab' es einmal auf dies mysteriöse Bündel Unglück abgesehen, und es ist mir fast zu Muthe wie einem schwachen Weibe, dem das Kind erkrankt ist!“
Er erzählte dem Arzte, so lange der Weg es noch erlaubte, einiges von der Lebensart der Baronin. Jener schüttelte immer verwunderter den Kopf. „Lohausen!“ sagte er, „wenn ich nur wüßte, wo ich den Namen schon gehört habe! Gleichviel, wir wollen sehen, was zu thun ist!“
„Das ist ja ein vertracktes Loch!“ rief er dann, als er das feuchte, kalte und finstere Zimmer betrat, in dem die Kranke lag. Sie war jetzt bewußtlos und hatte sich nach Aussage der Hausmeisterin nicht geregt, seit Brandolf fortgegangen. Nach kurzer Betrachtung erklärte der Arzt den Zustand für den lebensgefährlichen Ausbruch einer tiefen Erkrankung. „Vor Allem muß sie hier weg,“ sagte er, „und in ein rechtes Bett in guter Luft! In meinen Krankensälen wird sich leicht ein Platz finden, wenn wir sie hinbringen; die Einzelzimmer sind freilich im Augenblicke alle in Anspruch genommen.“
„Wir können die menschenscheue Frau nicht dem Momente aussetzen, wo sie am
unbekannten Orte und unter einer Menge fremder Gesichter zu sich kommt“,
versetzte Brandolf, der das Kleinod seiner Theilnahme nicht aus dem Hause lassen
wollte. „Und überdies“, sagte er, „haben wir es hier sichtlich mit verborgener
und arg verschämter Armuth zu thun, deren Gemüthsbewegungen auch berücksichtigt
sein wollen. Ich kann
„Ich habe hier neben in die Kammer hineingeguckt“, berichtete jetzt die Hausmeisterin, „und gesehen, daß die Stücke eines vollständigen schönen Bettes dort bei einander liegen. Der Himmel mag wissen, warum die wunderliche Dame auf diesem Armesünderschragen schläft, während sie ein so gutes Lager vorräthig hat!“
„Das will ich Euch sagen, Frau Hausmeisterin!“ sprach Brandolf, „sie thut es, weil sie das gute Bett spart, um nöthigen Falls zwei Miether einlogiren zu können. So viel habe ich gesehen, daß sie wahrscheinlich ihr Leben lang gewöhnt war, mit dem Entbehren immer an sich selbst anzufangen, vielleicht nicht aus Güte, sondern weil sie es für nothwendig hielt. Denn die kleine, schmale Weibsanstalt unter dieser Decke ist ein wahrer Teufel von Unerbittlichkeit gegen sich und andere.“
Der Arzt aber warf nur ein: „So will ich eine gute Wärterin, die ich kenne,
gleich selbst aufsuchen und hersenden.“ Worauf er sich in seiner Kutsche wieder
entfernte, nachdem er noch angedeutet, er werde Verhaltungsbefehle und
Anordnungen der Wärterin mitgeben. Auch die Hausmeisterin mußte sich in eigenen
Geschäften zurückziehen und Brandolf saß allein am Leidensbette der
Fieberkranken, bis die Wärterin mit ihrem Korbe und
Etwas länger als zwei Wochen blieb die Kranke bewußtlos, und der Arzt versicherte
mehrmals, daß in dem zarten Körper eine gute Natur stecken müsse, wenn er sich
erholen solle. Es geschah dennoch; die Fieberstürme hörten auf und eines Tages
schaute sie still und ruhig um sich. Sie sah das schöne Zimmer mit ihrem eigenen
Geräthe, die freundliche Wärterin und den behäbigen Doctor, der mit tröstlichen
Mienen und Worten an ihr Lager trat; aber sie frug nicht nach den Umständen,
sondern überließ sich der schweigenden Ruhe, wie wenn sie fürchtete, derselben
entrissen zu werden. Erst am zweiten oder dritten Tage fing sie an zu fragen,
was mit ihr geschehen sei und wer
Als Brandolf von der bessern Wendung hörte, wurde er sehr zufrieden und empfand etwas wie das Vergnügen eines Kindes, wenn ein lieber Gast im Hause sitzt und nun allerlei angenehme und merkwürdige Dinge in Aussicht stehen. „Wie wenig braucht es doch,“ dachte er im Stillen, „um sich selber einen Hauptspaß zu bereiten, und was für schöne Gelegenheiten liegen immer am Wegrande bereit, wenn man sie nur zu sehen wüßte!“
Inzwischen hatte sich die Kunde von der erkrankten und von ihm verpflegten
adeligen Wirthsfrau weiter verbreitet, und er bekam in den Kreisen, die er
besuchte, davon zu hören, was ihn keineswegs belästigte. Er machte sich nur
darüber lustig, daß er in das Haus gezogen sei, einen ungerechten Drachen zu
bändigen, und statt dessen nun den Kranken- und Armenpfleger spielen müsse.
Durch das Gerede entwickelten sich dagegen ein paar dürftige Angaben über das
Vorleben des Pfleglings. Als die Tochter eines im Nachbarstaate seßhaft
gewesenen und verstorbenen Freiherrn von Lohausen sei sie mit einem Rittmeister
von Schwendtner verheirathet worden, habe sich aber nach einer dreijährigen
unglücklichen Ehe von ihm scheiden lassen, und der ꝛc. Schwendtner sei dann in
übeln Umständen verschollen. Brandolf empfand sogleich eine
Nach ungefähr weiteren acht Tagen befand sich die Baronin entschieden auf dem Wege der Genesung, wenn keine schlimmen Einflüsse dazu kamen. Brandolf war sehr begierig, das gerettete Wesen anzusehen, und ließ durch die Wärterin ordentlich anfragen, ob die Frau Baronin seinen Besuch empfangen würde. Denn er wollte auch im Punkte der Höflichkeit zur Befestigung ihrer Gesundheit beitragen und gut machen, was sie als dienende Wirthin in ihrer Vermummung erlitten haben mochte. Kurzum, es sollte alles wohlsinnig und freundlich hergehen, so lange er die Hand im Spiele hatte.
Als er den Bericht erhielt, daß sie seinen Besuch erwarten wolle, zog er einen Ausgeherock und Handschuh' an und begab sich in das Krankenzimmer hinüber.
Er erstaunte nicht wenig, sie in ihrem hübsch zugerüsteten Bette liegen zu sehen,
und hätte sie beinahe nicht wieder erkannt, angethan wie sie war mit reinlich
weißem Gewande und mit dem vergeistert weißen Gesichte, das von dem leicht aber
schicklich geordneten Haar umrahmt wurde. Sie richtete mit großem Ernste die
Augen auf ihn, als er auf einem Stuhle Platz nahm, den die Wärterin neben das
Bett gestellt hatte. Ihr Blick haftete zerstreut und aufmerksam zugleich an
seinem Gesichte und schien dasselbe neugierig
„Ihr Freund, der gute Herr Doctor,“ sagte sie leis, „meint, ich werde gesund werden.“
„Er ist davon überzeugt und ich auch, denn er versteht es!“ erwiderte Brandolf und sie fuhr fort:
„Sie haben es nicht gut getroffen mit Ihrer Wohnung! Statt besorgt und bedient zu werden, wie es sich gehört, mußten Sie die Wirthin versorgen und bedienen lassen, die Sie nichts angeht!“
„Ich hätte es ja nicht besser treffen können“, antwortete er mit offenherzigem Vergnügen; „thun Sie uns nur den Gefallen und lassen sich ferner recht geduldig pflegen und nichts anfechten! Nicht wahr, Sie versprechen es?“
Er hielt ihr unbefangen und zutraulich die Hand hin und sie legte ihre fast wesenlose blasse Hand hinein, die nur durch die Schwäche ein kleines Gewicht erhielt. Zugleich bildete sich auf dem ernsten Munde ein ungewohntes unendlich rührendes Lächeln, wie bei einem Kinde, das diese Kunst zum ersten Male lernt; dasselbe machte aber Miene, in ein weinerliches Zucken übergehen zu wollen. Brandolf verschlang das flüchtige kleine Schauspiel mit durstigen Augen; da er sich jedoch erinnerte, daß er die Kranke nicht lang hinhalten und aufregen durfte, so drückte er sanft ihre Hand und empfahl sich.
Er eilte aber auch um seiner selbst, willen davon, weil es ihn an die freie Luft
drängte, ein Freudenliedchen zu
„Ei,“ sagte er, „meine Katze hat Junge, und als ich heut' eines der Thierchen in die Hand nahm, gingen ihm in demselben Augenblicke die Aeuglein auf und ich sah mit ihm die Welt zum ersten Mal.“
Die Herren schüttelten lachend die Köpfe ob dem Unsinn; Brandolf hingegen wurde am gleichen Nachmittage noch sehr scharfsinnig; denn als er thatlustig auf sein Büreau ging, wo er die Acten eines in der Provinz hausenden höheren Justizbeamten zu prüfen hatte, arbeitete er mit so vergnüglich hellem Geiste, daß eine ausgezeichnete Kritik zu Stande kam, in Folge welcher jener ungerechte Mann aus der Ferne erheblich beunruhigt, gemaßregelt und endlich sogar entsetzt wurde, alles wegen des jungen Kätzleins, dessen Welterblickung Brandolf gefeiert haben wollte.
Am nächsten Tage wiederholte er seinen Besuch und brachte der Baronin einige
zartgefärbte junge Rosen, die er im Gewächshause eines Gärtners zusammengesucht.
Sie hielt dieselben in der Hand, die auf der Decke ruhte.
Brandolf sorgte jetzt jeden Tag um etwas Erquickliches für die Augen oder den Mund, wie es der Arzt erlaubte, und die Genesende ließ es sich gefallen, da es ja doch ein Ende nehmen mußte. Nach Ablauf einer weiteren Woche verkündigte die Wärterin, daß die Baronin aufgestanden sei und Brandolf sie im Lehnstuhle finden werde. So war es auch. Sie trug ein bescheidenes altes Taftkleid und ein schwarzes Spitzentüchlein um den Kopf; immerhin sah man, daß sie dem Besuch Ehre zu erweisen wünschte. Sie blickte mit sanftem Ernste zu ihm auf, als er Glück wünschend eintrat und auf ihren Wink sich setzte.
„Wie ich damals mit einem Messer nach Ihrer Sohle stach,“ sagte sie, „dachte ich nicht, daß ich einst so Ihnen gegenüber sitzen werde!“
„Es war ein sehr lieber Stich; denn er ist die Ursache unserer guten Freundschaft und ohne ihn würde ich kaum je Ihr Zimmerherr geworden sein,“ antwortete Brandolf, „weil ich kam, um Sie dafür zu strafen.“
„Sie haben freilich Kohlen auf mein Haupt gesammelt,“ sagte sie traurig, „indem Sie wahrscheinlich mein Leben gerettet haben. Aber Sie griffen zugleich in dies gerettete Leben ein, weil ich es nun ändern muß. Ich erfahre, daß ich nicht auf die bisherige selbständige Weise bestehen kann, und will versuchen, irgendwo als Wirthschafterin oder so was unterzukommen. Ich habe mir von der Wärterin und der Hausfrau so weit möglich die Ausgaben zusammentragen lassen, und um die Rechnung zu bereinigen und die nöthigen Mittel für die nächste Zukunft zu gewinnen, gedenke ich nun, meinen Hausrath, das letzte was ich besitze, zu veräußern, sobald ich vollständig hergestellt bin. Ich muß Ihnen also die Wohnung kündigen und bitte Sie, mir das nicht ungut aufzunehmen. Sie thun es aber nicht, denn Sie sind der erste gute Mann, der mir vorgekommen ist, und es thut mir leid, Sie so bald verlieren zu müssen!“
„Dieser Verlust wird Ihnen nicht so leicht gelingen!“ rief Brandolf fröhlich und ergriff ihre Hand, die er fest hielt. „Denn Ihr Vorsatz trifft auf das Beste mit dem Plane zusammen, den ich für Sie entworfen habe! Glauben, Sie denn, wir werden Sie ohne Weiteres wieder so allein in die Einöde hinauslaufen lassen?“
„Ach Gott,“ sagte sie und fing an zu weinen, „ich bin so gute Worte nicht gewohnt, sie brechen mir das Herz!“
„Nein, sie werden es Ihnen gesund machen!“ fuhr er fort, „hören Sie mich freundlich an! Mein Vater lebt als verwittweter alter Herr auf seinen Gütern, während ich mich noch einige Zeit fern halten muß. Unsere alte Wirthschaftsdame ist vor einem halben Jahre gestorben und der Vater sehnt sich nach einer weiblichen Aufsicht. So lassen Sie sich denn zu ihm bringen, sobald Sie zu Kräften gekommen sind, und machen Sie sich nützlich, so lange es Ihnen gefällt und bis sich etwas Wünschenswertheres zeigt! Daß Sie uns nützlich sein werden, bin ich überzeugt; denn ich halte die starre Entbehrungskunst, die Sie hier geübt haben, nur für die erkrankte Form eines sonst kerngesund gewesenen haushälterischen Sinnes, und ich weiß, daß Sie Ihren Untergebenen gerne gönnen werden, was ihnen gehört, wenn die Sachen vorhanden sind. Hab' ich nicht Recht?“
Ihre Hand zitterte sanft in der seinigen, als sie leise sagte: „Es thut freilich wohl, sich so beschreiben zu hören, und ich brauche Gottlob nicht nein zu sagen!“
Sie blickte ihn dabei mit Augen so voll herzlicher Dankbarkeit an, daß ihm über diesem neuen lieblichen Phänomen die Brust weit wurde.
„Also ist es abgemacht, daß Sie kommen?“ fragte er hastig, und sie sagte: „Ich
finde jetzt nicht mehr die Kraft,
„Morgen plaudern wir weiter, es eilt nicht!“ rief er mit eifriger Fürsorge und stand entschlossen auf, so ungern er ihre Hand fahren ließ, als er bemerkte, daß sie angegriffen, müde und hinwieder aufgeregt wurde.
Desto besser sah sie verhältnißmäßig am andern Tage aus. Sie erhob sich von ihrem Sessel und ging ihm mit kleinen Schritten entgegen, als er kam. Doch nöthigte er sie sofort zum Sitzen.
„Ich habe sehr gut geschlafen die ganze Nacht,“ sagte sie, „und zwar so merkwürdig, daß ich fast während des Schlafes selbst die Wohlthat fühlte, wie wenn ich es wüßte.“
„Das ist recht!“ sagte er mit dem Behagen eines Gärtners, der ein verkümmertes Myrtenbäumchen sich neuerdings erholen und im frischen Grün überall die Blüthen erwachen sieht. Denn er gewahrte mit Verwunderung, welch' anmuthigen Ausdruckes dieses Gesicht im Zustande der Zufriedenheit und Sorglosigkeit fähig war. Er nahm einen kleinen Spiegel, der in der Nähe stand, und hielt ihn der Frau vor mit den Worten: „Schauen Sie einmal her!“
„Was ist's?“ sagte sie leicht erschrocken, indem sie in den Spiegel sah, aber nichts entdecken konnte.
„Ich meinte nur, wie schön Sie aussehen!“
„Ich? ich war nie eine Schönheit, und bin es kaum dem Grab entronnen wol am wenigsten!“
„Nein, keine Schönheit, sondern etwas Besseres!“
Das rothe Fähnchen ihres Blutes flatterte jetzt schon etwas kräftiger an den weißen Wangen. Sie wagte aber nicht zu fragen, was er damit sagen wollte, und nahm ihm schweigend den Spiegel aus der Hand; und doch schlug sie mit einer innern Neugierde die Augen nieder, was das wol sein möchte, was besser als eine Schönheit sei und doch im Spiegel gesehen werden könne. Brandolf bemerkte das nachdenkliche Wesen unter den Augdeckeln; er sah, daß es wieder Ungewohntes war, was ihr gesagt worden, und da es ihr nicht weh zu thun schien, so ließ er sie ein Weilchen in der Stille gewähren, bis sie von selbst die Augen aufschlug. Es ging ein sogenannter Engel durch das Zimmer. Um nicht eine Verlegenheit daraus werden zu lassen, ergriff die Baronin das Wort und sagte: „Es ist mir jetzt so ruhig zu Muthe, daß ich glaube, Ihnen meine Angelegenheit ohne Schaden kurz erzählen zu können; es ist nicht viel.
„Sie sehen in mir die Abkömmlingin eines Geschlechtes, das sich seit hundert
Jahren nur von Frauengut und ohne jede andere Arbeit oder Verdienst erhalten
hat, bis der Faden endlich ausgegangen ist. Jede Frau, die da einheirathete,
erlebte das Ende ihres Zugebrachten, und immer kam eine andere und füllte den
Krug. Ich habe meine Großmutter noch gekannt, deren Vermögen
„Der Vater verschwendete das Geld auf immerwährenden Reisen, da es ihm nie wohl
zu Hause war. Mit den zunehmenden Jahren fing eine andere Thorheit an, ihn zu
besitzen, indem er sich an falsche Frauen hing, denen er Geld und Geldeswerth
zuwendete, was er aufbringen konnte. Sogar Korn und Wein, Holz und Torf ließ er
vom Hofe weg und jenen zuführen, die Alles nahmen, was sie erwischen konnten.
Die heranwachsenden Söhne verachteten ihn darum, thaten es ihm aber nach und
bestahlen das Haus, wo sie konnten, um sich Taschengeld zu machen. Niemand
vermochte sie zu zwingen, etwas zu lernen, und als sie das Alter erreichten,
wußten
„Der Vater wurde kränklich und starb, und nun war die Mutter mit mir allein auf
dem verarmten Stammsitze zu Lohausen, den sie nie gesehen zu haben wünschte.
Schon seit Jahren hatte sie zu retten gesucht, was zu retten war, und jetzt
kämpfte sie wie ein Soldat gegen den Untergang. Von ihr lernte ich fast von
nichts zu leben und das Nichts noch zu sparen. Mit wenigen Leuten hielten wir
uns auf dem Hofe, obgleich er schon verschuldet war. Früh und spät schaute die
Mutter zur Sache; ihr Vermögen war verloren, aber noch hatte auch sie zu erben
und in dieser Hoffnung nur hielt sie sich
„Nun befand ich mich allein, aber nicht lang. Die letzte Erbschaft, die in das unselige Haus kam, fiel mir zu; sie betrug volle zweihunderttausend Thaler. Mit ihr waren plötzlich auch die Brüder wieder da, scheinbar in ordentlichen Umständen, obgleich von wilden Gewohnheiten. Sie brachten einen Rittmeister Schwendtner mit sich, einen hübschen und gesetzten Mann, der einen wohlthätigen Einfluß auf sie zu üben und sie förmlich im Zaume zu halten schien, wenn sie allzusehr über die Stränge schlugen. Er war mit Rath und That bei der Hand und voll bescheidener Aufmerksamkeit, ohne das Hausrecht zu verletzen. Die Dienstboten schienen froh, einen kundigen Mann sprechen zu hören, denn sie waren freilich nicht mehr von der vorzüglichsten Art und verstanden selbst nicht viel. Trotzdem blieb ein Rest von Unheimlichkeit, der mir an Allem nicht recht zusagte, und ich befand mich in ängstlicher Beklemmung. Allein vielleicht gerade wegen dieser Angst und inneren Verlassenheit fiel ich der Bewerbung des Rittmeisters, die er nun anhob, zum Opfer; ich heirathete den Mann in tiefer Verblendung, ohne ein zarteres Gefühl, das ich nicht kannte, und nun fing meine Leidenszeit an.
„Denn Alles war eine abgekartete Komödie gewesen. Mein Vermögen wurde mir aus den
Händen gespielt, ich wußte nicht wie, und angeblich in einer hauptstädtischen
Bank sicher angelegt. Die Brüder verschwanden wieder, nachdem sie den Lohn ihres
Seelenverkaufs mochten empfangen und sich vorbehalten haben, an dem Raube ferner
Theil zu nehmen. Drei Jahre brachte ich nun unter Mißhandlungen und
Demüthigungen zu. Die Brüder habe ich nicht mehr gesehen. Mein Mann war häufig
oder eigentlich meistens abwesend, bis er eines Tages mit einer ganzen
Gesellschaft halb betrunkener Männer zu Pferde und zu Wagen auf dem Hofe ankam
und mir befahl, eine gute Bewirthung zuzurüsten. Ich that was ich vermochte,
während die Männer auf das Pistolenschießen geriethen. Ich hatte ein krankes
Kind in der Wiege liegen, welches ich einen Augenblick zu sehen ging; es war
nach langem Wimmern ein wenig eingeschlafen. Da kam Schwendtner mit der Pistole
in der Hand und verlangte, ich sollte „seinen Jungen“ der Gesellschaft
vorweisen. Ich machte ihn auf den Schlaf des armen Kindes aufmerksam. Er aber
rief: Ich will dir zeigen, wie man ein Soldatenkind munter macht! und schoß die
Pistole über dem Gesichtchen los, daß die Kugel dicht daneben in die Wand fuhr.
Es schreckte erbärmlich auf und verfiel in tödtliche Krämpfe; es war auch in
drei Tagen dahin. An jenem Tage aber zwang mich der Unhold, beim Essen mit zu
Tisch zu sitzen. Um Ruhe zu
„Inzwischen fuhr die Gesellschaft wieder davon, wie sie gekommen war. Nachher
starb wie gesagt das Kind; ich begrub es in der Stille, ohne den Mann zu
benachrichtigen, und verließ nachher das Lumpenschloß, dessen Namen mir leider
geblieben ist. Durch den Verkauf meiner mütterlichen Schmucksachen gewann ich
die Mittel, einen Advocaten zu nehmen, der mich von dem Manne befreite und die
Auseinandersetzung besorgte, die damit endete, daß ich nicht einen Thaler mehr
von dem Meinigen zu sehen bekam. Alles war verschwunden, obschon schwerlich
aufgebraucht in so wenig Jahren. Schwendtner wurde nicht lange nachher wegen
einer andern Niederträchtigkeit aus dem Officierstande gestoßen und soll sich
eine Zeit lang mit meinen Brüdern als Spieler herumgetrieben haben. Zuletzt
sollen alle drei mit einander in's Gefängniß gekommen sein. Das Gut Lohausen
wurde verkauft und ich behielt nichts als die hausräthliche Einrichtung, mit der
ich, wie Sie sehen, mich als Zimmervermietherin durchzubringen gesucht habe,
freilich mit wenig Glück. Seit zwei Jahren ziehe ich in dieser Stadt, wo mich
Niemand leiden mag, von einem Haus in das andere, immer von der Angst gehetzt,
die Miethe nicht
Nicht nur weil sie mit ihrer Erzählung zu Ende war, sondern auch weil Brandolf Zeichen der Unruhe von sich gab und glühende Augen machte, hielt sie inne. Ehe sie jedoch seine Aufregung recht wahrnehmen konnte, hatte er den in ihm aufgestiegenen Grimm schon bezwungen und verschluckte gewaltsam die Wuth, die ihn gegen das Gesindel erfüllte, damit die genesende Frau nicht in Mitleidenschaft gerathe, nachdem sie die Unglücksgeschichte so gelassen erzählt wie einen quälenden Traum, von dem man erwacht ist.
„Das ist nun vorbei und wird nicht wieder kommen!“ sagte Brandolf ruhig und ergriff ihre Hand, die er sänftlich streichelte; denn er fing ein wenig an, sie wie eine wohlerworbene Sache zu behandeln oder ein anvertrautes Gut, für das man verantwortlich ist, das man aber dafür nicht aus der Hand läßt. So zog sich das neue Leben still und ruhig dahin, bis im sonnigen März der Arzt die Baronin für genesen und fähig erklärte, ohne Gefahr eine Reise anzutreten.
Jetzt wurde der ganze Hausrath, vor Allem das Porzellan und Glas mit den unzähligen Wappen, verkauft; nur was zum Andenken an ihre Mutter dienen konnte, behielt sie, alles Andere wollte sie wo möglich aus ihrem Gedächtnisse vertilgen.
Auch ließ sie ihren bescheidenen Kleidervorrath nach neuerem Zuschnitt umändern, suchte auf Brandolf's Bitte, da es daran fehle, eine ordentliche Stubenjungfer aus, und reiste endlich, mit seinen Grüßen wohl versehen, von der Jungfer begleitet in die Provinz, wo der Vater Brandolf's hauste und zu ihrem Empfange alles vorbereitet war.
Brandolf dagegen begab sich in eine andere Landesgegend, wo er die Aufgabe übernommen hatte, während einiger Monate ein nicht unwichtiges Amt provisorisch zu verwalten und gewisse in Verwirrung gerathene Verhältnisse in Ordnung zu bringen. Man gedachte hierdurch seine Kräfte zu prüfen und ihn zu Weiterem vorzubereiten; er aber behielt sich vor, nach vollbrachter Sache in seine Freiheit zurückzukehren.
Es dauerte nicht viele Wochen, so kamen Briefe des alten Herrn, Brandolf's Vater,
die vom Lobe der Frau Hedwig von Lohausen und von dem neuen Stande der Dinge
voll waren. Es sei, wie wenn sie eine Schaar Wichtelmännchen im Dienste hätte,
so glatt und gutgeordnet gehe seit ihrer Ankunft alles von Statten; ein wahrer
Segen liege in ihren Händen und rührend sei
Endlich kam ein Brief, in welchem der Vater schrieb, er habe sich den Gedanken einer Heirath wirklich überlegt und gefunden, daß der Sohn sie in's Werk setzen müsse. Denn so liebevoll die Frau von Lohausen für ihn sorge, hänge ihr Herz jedenfalls am Sohne, er müsse es ihr angethan haben, das bemerke er wol. Niemals spreche sie von ihm; aber so oft sein Name genannt werde, erröthe sie ein wenig, gleich einem jungen Mädchen, dem sie auch in ihrer schlanken und feinen Tournüre ähnlich sei. Darum wünsche der Vater, daß Brandolf sich entschließen könnte, den Sprung zu wagen; er hoffe auf keine bessere Schwiegertochter für seine Verhältnisse.
Brandolf antwortete, er sei es zufrieden. Die Hedwig sei ihm als Schützling lieb,
wie wenn sie sein Kind wäre; allein er könne sie auch als sein Frauchen lieb
haben
Darauf schrieb der Alte zurück, er habe es sofort gethan und augenblicklich ein Ja erhalten. Es sei auf dem Wege zu dem großen Gemüsegarten geschehen, den sie in so herrlichen Stand gebracht habe. Sie sei so ehrlich und offen, daß sie sich nicht eine Secunde lang zu zieren vermocht, sondern ihm gleich beide Hände zitternd entgegen gestreckt habe, von einem ganz merkwürdig hingebenden und seelenvollen Ausdruck des schmalen Gesichtes begleitet. Ja, ja, die kleine Hexe sei nicht nur nützlich, sondern auch angenehm u. s. w.
Hierauf begann Brandolf allerhand kleine Briefchen und große Geschenke an die
Erwählte zu senden. Sie antwortete eben so kurz; aber die Buchstaben flimmerten
von den Empfindungen, die darin lebten. Der Tag der Verlobung wurde in den Monat
Mai verlegt und die Verwandten und Freunde geladen. Als Hauswirthin hatte Hedwig
die Pflicht und Freude, alle Vorbereitungen zu treffen, und sie selbst war die
Braut. Bei Brandolf's Ankunft war sie ihm allein entgegen geeilt; so hatten sie
es verabredet. Er stieg aus dem Wagen und wandelte mit ihr durch einen einsamen
blumigen Wiesenpfad, auf dessen Mitte er sie fest an sich drückte und sie an
seinem Halse hing, von den niederhängenden Aesten der weiß
Da Brandolf bis gegen den Herbst hin mit seiner amtlichen Verrichtung beschäftigt und nicht gesonnen war, auch nach der Hochzeit noch im Dienste zu bleiben, wurde die Zeit der Weinlese zu dem Feste bestimmt, um zugleich eine natürliche Lustbarkeit mit demselben zu verbinden und es zu einer gewissermaßen symbolischen Feier für die wirthliche Braut zu gestalten, die so Vieles erduldet und entbehrt hatte. Es sollte auch von einer Hochzeitreise nicht die Rede sein, sondern das eheliche Leben gleich im Anfange in das Arbeitsgeräusch und den bacchischen Tumult des Herbstes untertauchen.
Zur Zeit der Kornernte reis'te Brandolf nochmals auf ein paar Tage nach Hause;
nachdem er die Braut im bittern Winter kennen gelernt, im Lenz sich mit ihr
verlobt, wollte er sie im Glanze des Sommers sehen, ehe der Herbst die Erfüllung
brachte. Sie war jetzt vollkommen erstarkt und beweglich, aber immer besonnen
und still waltend, und die helle Liebesfreude, die in ihr blühte, von der
gleichen unsichtbaren Hand gebändigt und geordnet, wie die Wucht der goldenen
Aehren, die jetzt in tausend Garben auf den Feldern gebunden lagen. Zwischen
zwei ausgedehnten gelben Ackerflächen zog sich ein schmaler
„Bist Du auch schon so gewesen, wie jetzt in diesem Augenblicke?“ sagte Brandolf vertraulich, indem er ihrem Thun und Lassen gemächlich zuschaute.
„Nein,“ antwortete sie, „ich habe die Erinnerung nicht! Es ist mir Alles neu und darum so froh und kurzweilig. Ich scheine mir überhaupt früher nicht gelebt zu haben.“
Auf der Rückreise nach dem Orte seiner jetzigen Thätigkeit bekam Brandolf
Regenwetter und sah sich deshalb mehr als sonst veranlaßt, bei den am Wege
Solch' ideale Jugendbestrebungen kamen ihnen jetzt im Unglück zustatten und liehen ihnen den Vorwand, einen dauernden Verband zu bilden und das Land nach Brot und Abenteuern zu durchstreifen.
Brandolf seinerseits, der an einem Fenster des Posthauses saß und durch das an
demselben herabrieselnde Regenwasser nach den drei grauen Brüdern hinausschaute,
konnte nicht im Zweifel sein, wen er da vor sich sehe. Schrecken und Sorge um
seine Braut waren die erste Wirkung des unwillkommenen Anblickes. Sie ahnte
nicht, daß ihr böses Schicksal so nahe um sie her schweifte. Dann stieg der Zorn
mächtig in ihm auf und er verspürte Lust, die Peitsche seines Kutschers zu
nehmen, hinauszugehen und auf die drei Menschen einzuhauen. Je länger er aber
hinsah, desto milder wurde die gewaltsame Stimmung und verwandelte sich zuletzt
in eine launige Genugthuung, als er sich doch überzeugen mußte, wie übel es den
Kumpanen erging. Er sah, wie der schlechte Schwendtner einmal um's andere die
gerötheten Augen wischte und sich an seinem durchlöcherten Schuhwerk zu schaffen
machte, in welches er ein Stückchen Birkenrinde schob, das er vor dem Schuppen
fand, während die Lohäuser aus dem Schnappsack einige Brotrinden hervorsuchten
und daran kauten, dann aber einen weggeworfenen Cigarrenstummel aus dem
Straßenkoth holten,
Nach ungefähr einer halben Stunde, während es in Strömen fortregnete, war in Brandolfs Gedanken ein mehr lustiger als gewaltthätiger Rache- und zugleich Befreiungsplan fertig, der sich um den Beschluß drehte, das Kleeblatt auf seine Weise zur Hochzeit zu laden. Und unverweilt machte er sich an die Vollziehung.
Er führte einen anschlägigen und getreuen Knecht vom väterlichen Gute mit sich, der Jochel hieß und mit ihm aufgewachsen war, auch in früheren Jahren manchen närrischen Streich mit ihm bestanden hatte. Diesen Jochel zog er jetzt in's Vertrauen und unterrichtete ihn, wie er die drei Musikanten sich merken und ihre Spur verfolgen müsse, damit er zur rechten Zeit sich in geeigneter Verkleidung an sie machen und sie in die Nähe des Gutes locken konnte, mit der Aussicht auf ordentlichen Gewinn und schönes Leben. Denn es handelte sich darum, sie am Tage der Hochzeit und des Winzerfestes zur Hand zu haben, ohne daß sie wußten, was vorging.
Es gelang auch der Schlauheit des guten Jochel so vortrefflich, daß er sie bis zum rechten Zeitpunkt richtig auf den Platz brachte, das heißt in ungefährliche Nähe, wo ihnen der Mund wässerte, den Jochel vor der Hand mit einem und andern Kruge Most erquickte und diesen wieder mit einem Gläschen Branntwein abwechseln ließ.
Sie übten dabei wohlmeinend ihre grausigen Harmonien,
So kam nun der große Festtag heran, von der goldig mildesten Octobersonne
geleitet, welche einen Duftschleier nach dem andern von der Erde hob und
zerfließen ließ, bis alles Gelände mit Bäumen und Hügeln in warmem
Farbenschmucke erglänzte und die Ferne ringsherum in geheimnißvollem Blau eine
glückverheißende Zukunft darstellte. Im Hauptgebäude war Vormittags die Trauung,
bei welcher schon die feine Musik aus den offenen Fenstern tönte. Dann folgte
das Festmahl der Hochzeitgäste, indeß die Winzer und die eingeladenen Landleute
im Freien tafelten und nach einer tapfern Landmusik bereits tanzten. Gegen Abend
jedoch, als die Sonne immer lieblicher ihre Bahn abwärts ging, fand nun der
große Aufzug der Winzer statt, an welchem die drei Kujone mitzuwirken berufen
waren. Der Zug bestand freilich in nicht viel anderem, als daß die Winzer und
Kelterer
Doch entwickelte sich der Zug malerisch genug unter den hohen Bäumen hervor, und Brandolf hatte dafür gesorgt, daß durch allerhand buntes Zeug, ein Dutzend Thyrsusstäbe, Schellentrommeln, Satyrmasken und vorzüglich durch eine Anzahl artiger Kindertrachten, welche die Zeit der Traubenblüthe vorstellten, Abwechselung und Farbe in die Sache kam. Das Ganze drückte das Vergnügen eines guten Weinjahres aus; der Schluß hingegen war der Verachtung vorbehalten, die einem schlechten Weinjahre unter allen Umständen gebührt. Die drei Teufel eines solchen: der Teufel der Säure, derjenige der Blödigkeit und der Teufel der Unhaltbarkeit wurden rückwärts an den Schwänzen herbei und vorübergezogen und mußten durch ihre Musik das Gift und das Elend eines schändlichen Weines ausdrücken.
Das waren eben unsere drei Herabgekommenen. Man hatte denselben, um ihnen jeden
Argwohn zu benehmen, den Charakter ihrer Rolle offen mitgetheilt. Sie wußten
auch, daß eine Hochzeit da war; allein Jochel hatte ihnen so unbefangen einen
falschen Namen der Braut genannt, auf den sie überdies kaum achteten, daß sie
ihre wahre
So kamen sie denn auch heran; immer rückwärts hopsend und stapfend, durften sie
keinen Augenblick stille stehen; hinter ihrem Rücken hörten sie die vordere
Musik, das Singen, Jauchzen und Trommeln der Winzer und Bacchanten, ohne zu
wissen, wohin sie kamen; sie hörten das Schreien und Lachen des Volkes am Wege
und sahen endlich die Reihen der geschmückten Hochzeitgäste, welche in die Hände
klatschten und Beifall riefen. Mit Schweißtropfen auf der rußigen Stirn kratzte
der Herr Rittmeister von Schwendtner erbärmlich an seiner Geige und bliesen die
Lohäuser in ihre gesprungenen Röhren, bis sie unversehens vor dem
Epheutempelchen anlangten, in dem
Wie träumend griffen sie an ihre Hörner, dann hinten an die Schwänze, wo sie sich
gebunden fühlten; dann blickten sie wieder an das Zauberbild der verrathenen
Schwester, der Gattin hinauf; das böse Gewissen ließ sie aber den Mund nicht
öffnen, und eh' sie sich besinnen konnten, ließ Jochel das Seil wieder anziehen,
daß sie die rückspringende Procession fortsetzen mußten. Der Zug ging um das
Haus herum, auf dessen hinterem Balkone die Stadtmusik stand und ihn begrüßte.
Dann mündete er in den Park und erschien zum zweiten Male vor der Herrschaft und
ging vorüber. Wieder ließ man die drei Unholde einen Augenblick vor der Braut
still stehen und wieder mußten sie weiter stolpern und immer lauter und
betäubender wurde der Lärm und der Jubel. Allein
Jochel führte sie und die zwanzig Küfer nach einer entfernt gelegenen Schenke, um
die Teufelsgruppe dort extra zu bewirthen. Nur mußten die drei Gehörnten jetzt
vorwärts gehen und musiciren, indessen die Küfer hinter ihnen das Seil hielten.
Darüber wurde es dunkel, und als die wunderliche Gesellschaft bei der Schenke
anlangte, sah man in der Gegend des Winzerfestes drüben ein herrliches Feuerwerk
gen Himmel steigen. Die Teufel wurden jetzt endlich mit ihren Schwänzen
losgebunden, blieben aber fortwährend von den kräftigen Burschen umringt und
Ob dem Hause standen die schönsten Sterne, was freilich die Teufel nicht rühren mochte; denn wenn sie für dergleichen Gefühl gehabt hätten, so wären sie jetzt nicht hier gewesen. Nur der weiche, vornehme Klang der Violinen verletzte ihnen das Herz, weil er sie an bessere Zeiten erinnerte und sie sich die Schwester und Gattin vorstellen mußten, wie sie in diesem Augenblicke im Reigen dahinschwebte.
Um die Noth ihres Inneren zu ersäufen, überließen sie sich um so gieriger dem Getränke, das ihnen Jochel rückhaltlos einschenkte. Als er sie für betrunken genug hielt, fing er an, sie zu necken und zum Zorn zu reizen; Andere folgten und zerrten sie an den Schwänzen, worauf sie unverweilt um sich schlugen und eine schöne Prügelei anhuben.
In diesem Augenblicke erschienen zwei Gendarmen, die im Hause darauf gewartet
hatten, und eh' eine Viertelstunde verflossen war, saßen die drei Landstreicher
festgemacht
Hedwig erfuhr den ganzen Hergang erst, als sie eines Tages, ein schönes jähriges
Knäblein auf dem Schoße haltend, die Sorge aussprach, daß das Kind einst seinen
bösen Oheimen in die Hände laufen oder gar die Bekanntschaft des häßlichen
Schwendtner machen könnte. Jetzt erst erzählte ihr der Mann den harten Spaß, den
er sich damals mit den Herren erlaubt. Entsetzt schaute sie auf, das Kind wie
zum Schutze gegen unbekannte Gefahren an sich druckend; allein er beruhigte und
tröstete sie sogleich mit der Nachricht, daß laut Briefen, die er zu verschaffen
gewußt, die drei Gesellen nach ihrer Ankunft in Amerika, wie umgewandelt, sich
sofort getrennt hätten. Ja, der Einfall habe die merkwürdigste Wirkung auf sie
gethan; jeder von den Dreien sei in dem amerikanischen Wirbel aufrecht
schwimmend dahin getrieben und an einem bescheidenen sichern Ufer gelandet, wo
er sich halte. Einer sei ein stiller Bierzapfer in der Nähe
Brandolf's Vater wurde achtundachtzig Jahre alt und versicherte, dies verdanke er nur der Lebensfreude, welche von der stillen Gesundheit der Frau Tochter ausströme. So verschieden ist es mit der Dankbarkeit des Bodens beschaffen, in welchen eine Seele verpflanzt wird.
„Ihr Herr Brandolf ist ja ein Ausbund von einem edlen und wohlmögenden Frauenwähler!“ sagte Lucie, als Reinhart die verarmte Baronin in seiner Erzählung zu Glück und Ehren gebracht hatte; „aber sind Sie auch sicher, daß dieser Erkieser seines Weibes nicht ein wenig das Spiel des Zufalls war, oder am Ende selbst eher gewählt wurde, während er zu wählen glaubte?“
„Wie so?“ fragte Reinhart.
„Ich meine nur!“ erwiderte Lucie; „haben Sie auch alle Umstände ordentlich aufgefaßt und wiedergegeben, und nichts übersehen, was auf eine bescheidene Einwirkung, ein kleines Verfahren der guten Frau von Lohausen hindeuten ließe?“
„Kennen Sie die Leute, oder haben Sie sonst schon von der Geschichte gehört?“
„Ich? Nicht im Mindesten! Ich höre heute zum ersten Male davon reden.“
„Nun, wenn Sie also keine andere Quelle kennen, so
„Und ich bitte den hochzuverehrenden Herrn tausendmal um Verzeihung, wenn meine Vermuthung beleidigend war, daß der armen Frau Hedwig noch ein Rest von eigenem Willen hätte vergönnt sein können im Punkte des Heirathens!“
„Ei, mein ungnädiges Fräulein, warum denn so gereizt? Ich wehre mich ja lediglich für eine Frauengestalt, die durch ihre Hülflosigkeit nur gewinnt und dem Geschlechte zur Zierde gereicht!“
„Ei natürlich, ja! So versteh' ich es ja auch!“ sagte Lucie mit fröhlichem Lachen, welches ihre Locken anmuthig bewegte; „ein sanftes Wollschäfchen mehr auf dem Markte! Diesmal handelt es sich noch um die Nutzbarkeit einer guten Wirthschafterin, und wir müssen gestehen, Sie haben das Thema fast wie ein Kinder- und Hausmärchen herausgestrichen!“
„Aber, liebe Lux.“ rief jetzt der Oberst, „sei doch nicht so zänkisch! Du hast ja, Gott sei Dank, nicht nöthig, Dich über diese Dinge zu ereifern, wenn Du doch unverheirathet bleiben und mein Alter verschönern willst!
In dieser Hoffnung will ich Dir übrigens jetzt etwas Hülfe bringen! Mit unserer Wahlfreiheit und Herrlichkeit, bester Freund, ist es nämlich nicht gar so weit her, und wir dürfen nicht zu sehr darauf pochen! Wenigstens hab' ich die Ehre, Ihnen in mir einen alten Junggesellen vorzustellen, der vor langen Jahren einst zum Gegenstande der Wahlüberlegung eines Frauenzimmers geworden, als er nur die Hand glaubte ausrecken zu dürfen, und dabei so schmälich unterlegen ist, daß ihm das Heirathen für immer verging. Wenn Ihr es hören wollt, so will ich Euch das Abenteuer, so gut ich kann, erzählen; es lächert mich jetzt und zugleich gelüstet mich, es vor meinem Ende zum ersten Male Jemandem zu erzählen oder schwatzend zu redigiren, wie unser Freund Reinhart sich ausdrückt.“
Die jungen Leute bezeugten natürlich ihre Neugierde, die sie beide auch empfanden, und sie baten den Oheim, mit seinen Mittheilungen nicht zurückzuhalten.
Er warf noch einen aufmerksam forschenden Blick auf Reinhart's Gesicht, blickte hierauf nachdenklich zu Boden und ließ seinen weichen silbernen Schnurrbart durch die Finger laufen, als er seine Rede begann.
Es ist bald geschehen, daß man alt wird (sagte er), so rasch, daß man beim
Rückblicke auf den durchlaufenen Weg sich nur auf Einzelnes etwa besinnen und
sich namentlich
Wir haben schon von der westdeutschen Universitätsstadt gesprochen, wo Sie
geboren sind, Herr Reinhart. Dort habe ich auch einmal als Student gelebt, zur
Zeit, als der erste Napoleon noch regierte und die Frauensleute unter den Armen
gegürtet waren. Ich sollte Jura studieren, fand aber nicht viel Muße dazu, da
ich einen Anführer unter den Rauf- und Zechbrüdern vorstellte und sonst allerlei
Verworrenes zu treiben hatte. Von der politischen Noth des Vaterlandes mit
leidend, suchte ich Erleichterung in aufgespannten Kraftgesinnungen und
verzweifelt heroischem Dasein, welches bald in ein halbkatholisches
Romanzenthum, bald in eine grübelnde Geisteskälte hinüberschillerte. Ich war
bald mehr ein aufgeklärter Mystiker, bald mehr ein gläubiger Freigeist, alles
natürlich ohne die entsprechenden Kenntnisse zu pflegen, die mit solchen
Richtungen damals verbunden wurden. Nichts verstand ich ganz, als die
körperlichen Uebungen, Fechten, Reiten und Trinken, letzteres nicht im Uebermaß,
aber doch genug, um zuweilen empfindsam zu werden und die moralischen Leiden der
Zeit in erhöhtem Maße zu fühlen. Da war denn ein Freund vonnöthen, der ohne
Ueberhebung sein Herz dem
Einen solchen fand ich in einem Studenten, dem wir den altdeutschen Spitznamen Mannelin gegeben, wobei wir ihn einstweilen noch lassen wollen. Ich hatte in einem Collegium den Platz neben ihm erhalten, und er war mir vielleicht dadurch anziehend geworden, daß er fast in Allem das Gegentheil von mir zu sein schien. Immer ruhig, meistens fleißig, war er doch kein Spielverderber, und obschon er weder focht noch ritt, noch viel trank, nahm er an den allgemeinen Versammlungen und Hauptsachen Theil und sah mit einer fast gelahrten und feinen Haltung schon als Jüngling in die Welt und war gern gesehen.
Engere Bekanntschaft machte ich mit diesem Mannelin in dem Bankhause, bei welchem
ich empfohlen war und auch er seine Wechsel vorzuweisen hatte. Der Bankier
pflegte auf jeden Sonntag einige Studenten zu seinen Tischgesellschaften
einzuladen, und so trafen wir einstmals dort als Tischnachbarn zusammen und
unterhielten uns so gut, daß wir nachher einen langen Spaziergang zusammen
machten und uns auch in der Folge öfter sahen. Ich fühlte bald das Bedürfniß,
meine Lustbarkeiten und Waffenthaten häufiger zu unterbrechen und den ruhigen
Genossen aufzusuchen, dem immer eine Stunde oder mehrere zur Verfügung standen,
weil er immer vorher schon Etwas gethan hatte und auch nachher wieder
gleichmüthig arbeiten
Mit großer Duldsamkeit ertrug er meine Vorliebe für das Unerklärliche und
Uebersinnliche, das ich fortwährend in allen Dingen herbeizog und anrief, und
vertheidigte ohne allen Eifer seinen Standpunkt der Vernunft, wie Einer der es
besser weiß, aber es nicht gerade fühlen lassen will. Er war schon von seinem
Vater her ein geübter Kantianer und ließ, was darüber hinausging, sich nicht
anfechten. Närrischer Weise freute ich mich eigentlich dessen und war seiner
Gesinnung und seines Wissens froh, während ich ihn mit phantastischen Reden
bekämpfte. Es war mit mir, wie wenn Jemand durch einen verrufenen Wald geht und
auf seine Furchtlosigkeit pocht, im Stillen aber sich auf das gute Schießgewehr
verläßt, das ein Begleiter mit sich führt. Zuweilen wollte es mir allerdings
vorkommen, als ob ich dem Mannelin ein Bischen zum stillen und am Ende gar
spaßhaften Studium diente, wie es auf Hochschulen ja immer solche Leimsieder
gibt, die für das Geld, das sie ihre Eltern kosten, vor Allem etwas glauben
lernen zu sollen und sich allen Ernstes einbilden, sich für so und so viele
Zehngroschenstücke selbst Lectionen in der Menschenkenntniß geben zu können. Die
Zehngroschenstücke verwenden sie nämlich an einige Flaschen Bier oder Wein, die
sie dabei wagen müssen, und sie bringen sie den Vätern unter der Rubrik:
„Allgemeines zur Weltbildung“ extra in Rechnung. Aber ein solcher
Als unsere gute Freundschaft in dem Bankierhause bemerkt wurde, lud man uns immer zusammen ein, wie wir auch bald zu einer Art von Hausfreunden gediehen, deren erwartetes oder unerwartetes Erscheinen stets gern gesehen wurde. Wegen der Verschiedenheit unseres Wesens ging für die Andern auch immer etwas Kurzweiliges um uns vor, woran vorzüglich die einzige Tochter Hildeburg ihr Vergnügen zu finden schien. Ohne in der Denkweise dem Einen oder Andern entschieden beizustimmen, brachte sie uns immer in's Gefecht, und wenn nicht ein besonders angesehener Gast vorhanden war, der auf die Gesellschaft der Tochter des Hauses Anspruch erhob, so nahm sie bei Tisch unfehlbar zwischen uns Beiden oder ganz in der Nähe Platz. Als das endlich zu scherzenden Bemerkungen Anlaß gab, erklärte sie uns offen als ihre lieben und getreuen Diener, ernannte mich zu ihrem Marschall und den Mannelin zu ihrem Kanzler und was dergleichen Späße mehr waren. Eine vielbegehrte reiche Erbin und in allen Dingen verständige und, wie der Student sagt, patente Person, ein fixer Kerl, wie sie war, setzte sie sich durch solche Freiheiten keinerlei Mißdeutungen aus.
Das hinderte indessen nicht, daß wir Beide uns in sie verliebten und es einander leicht anmerkten. Doch blieben wir dabei nicht nur friedlicher Gesinnung, sondern die gemeinsame Verehrung diente sogar dazu, unsere Freundschaft zu befestigen und den Verkehr angenehm zu beleben, weil ja ohnehin von ernsthaften Folgen für uns noch Jahrelang nicht die Rede sein konnte, auch Hildeburg uns so vollkommen unparteiisch behandelte, daß Keiner vor dem Andern aufgemuntert oder gereizt wurde. Wie Mannelin im Innersten dachte, wußte ich freilich nicht; ich dagegen kann nicht leugnen, daß ich mich heimlich für prädestinirt hielt, weil die Schöne eben so stark brünett war, wie ich selber, Mannelin hingegen der blonden Menschenart angehörte. In der That waren ihre wagerechten Augenbrauen so sammetdunkel, wie der heraldische schwarze Zobel auf den alten Wappenschilden, und über der Stirne hing die krause Nacht eines Tituskopfes — na, ich will keine Beschreibung zum Besten geben, nur anmerken will ich noch, daß an festlichen Tagen ein paar kleine Brillantsterne aus der nächtlichen Wildniß funkelten wie Leuchtwürmchen. Und dennoch fiel der Blick, der von dem Schimmer angezogen wurde, sogleich hinunter in den warmen Glanz der dunkeln Augen, die meistens gütig ihn empfingen. Aber trau, schau wem!
Doch ein heißeres Feuer entflammte sich, in welchem die Stadt Moskau aufging und
das dem Napoleon die Stiefelsohlen verbrannte. Es dauerte nicht lange, so hieß
es bei der studierenden Jugend überall: heimgereist! Mir
„Das weiß ich wahrhaftig selber nicht!“ rief sie; „erst war mir der Kanzler lieber; seit aber in seinem Umgange der wilde Marschall so gesittet und liebenswürdig geworden ist, verliere ich diesen auch ungern! Und doch ist es wieder nicht Recht, wenn der Andere, der die Quelle der Besserung ist, es büßen soll! Mag mir der Himmel helfen!“
Sie verbarg auf das Artigste die Wehmuth des Abschiedes hinter der Miene einer komischen Verlegenheit, ergriff endlich ein herzförmiges Zuckergebilde des Nachtisches, zerbrach es und gab Jedem von uns eine Hälfte. Ich tauchte die meinige in das Weinglas und verschlang sie sogleich zum Zeichen meines Liebeshungers; Mannelin dagegen behielt die seinige in der Hand und spielte scheinbar damit, bis er sie unbeachtet in die Tasche schieben konnte.
Nach aufgehobener Tafel wurde ein Spaziergang durch den Garten gemacht, soweit die Wege in der frühen Jahreszeit gangbar waren; denn wir befanden uns in den ersten Monaten des Jahres 1813. Ich weiß nicht wie es kam, daß wir uns mit dem Mädchen bald von den übrigen Gästen entfernten und ihr zu beiden Seiten gingen. Wir fühlten uns jetzt ernster und zugleich leidenschaftlicher gestimmt, als früher, da wir uns der Tiefe unserer Neigung zu dem schönen Wesen deutlicher bewußt wurden; nur die Ungewißheit der Zukunft und die voraussichtliche Dauer und Gefährlichkeit des bevorstehenden oder vielmehr schon begonnenen Krieges mochten verhüten, daß sich die zwischen uns Beiden bisanher waltende gleichmüthige Freundschaft trübte.
Hildeburg merkte wol an unserem stillen Wesen und an der Natur unserer Athemzüge, was uns bewegte, und sie selbst wurde fühlbar erregter. Als wir unversehens vor einem Pavillon anlangten, stieß sie die Thüre auf, ging hinein und öffnete die vom Winter her noch verschlossenen Fensterläden, indem sie uns rasch mit einem Blicke überflog. Wir folgten ihr in den kleinen Saal und sie wandte sich uns zu.
„Ich bin in allem Ernste in einer so traurigen Lage, wie noch nie ein Mädchen
gewesen ist; denn ich habe Euch Beide lieb und kann es nicht auseinander lösen.
Du, Marschall, hast mein halbes Herz verschlungen; das ist thöricht, aber es
verführt mich; und Du, Kanzler,
Nach diesen Worten fiel sie Jedem von uns um den Hals und küßte ihn heftig auf
den Mund, zuerst mich und dann den Mannelin, hierauf den Mannelin und endlich
mich noch einmal. Wir standen wie vom Himmel gefallen und vermochten uns nicht
zu regen. Für uns war die Situation ganz verflucht und ich habe weder im Krieg
noch im Frieden eine ähnlich verzwickte Lage wieder erlebt. Denn wenn, wie wir
es ja soeben erfahren hatten, ein ehrbares Frauenzimmer allenfalls in
leidenschaftlicher Wallung zwei Männer nacheinander küssen kann, so werden
diese, wenn sie das Weib lieben, niemals dazu kommen, dasselbe nun gemeinsam
anzufassen und wieder zu küssen. Wir brauchten uns auch nicht darüber zu
besinnen, weil sie, ehe das möglich war, uns enteilte und im Vorbeigehen die
Hand auf den Mund legend
Es war uns nicht möglich, noch länger zu weilen; wir verabschiedeten uns, wobei Hildeburg wie alle Andern unsere Hände schüttelte und die Thränen der Rührung nicht verhehlte.
Da gingen wir nun mit unserem getheilten Glück und Mißglück von hinnen und sprachen, nachdem wir ein gezwungenes Lachen bald aufgegeben, über eine Stunde lang kein Wort miteinander, obgleich wir zusammen blieben. Wir konnten uns nicht sehr gehoben fühlen; denn ein Graf von Gleichen, der zwei Frauen hat, kann dabei ein guter Ritter und Kreuzfahrer sein; zwei gute Gesellen aber, die der Gegenstand der Doppelneigung eines jungen Mädchens sind, müssen sich doch etwas zu zwiefältig, zu halbschürig vorkommen, und es ist nicht Jedermanns Sache, ein siamesischer Zwilling zu sein. Dennoch hatte uns das seltsame Geständniß Hildeburg's und ihre leidenschaftliche Umarmung Herz und Sinn noch vollends gefangen genommen, und wir liebten das schöne schlanke Naturspiel unvermindert fort, zumal dasselbe ja noch tragischer als wir gestellt war, wenn es sich so mit ihm verhielt, wie es sagte.
Es half uns denn auch das Empfinden der Tragik über die gegenseitige Verlegenheit
hinweg. Als wir den Versammlungsort aufsuchten, wo an die hundert junge Männer,
die am nächsten Tage nach allen Seiten unter
Nicht minder pathetisch stieß ich an, daß beide Gläser klirrten, indem ich rief: „Und Friede dem Todten!“
So trennten wir uns als wackere Freunde, und nach wenigen Stunden fuhren wir auf getrennten Wegen dahin, ohne daß wir für die Zukunft irgend eine Abrede oder Bestimmung getroffen hatten. Wie das Kriegsglück wollten wir auch das Schicksal unserer ungewöhnlichen Liebesgeschichte sich selbst überlassen.
Mannelin hatte hellere Sterne, als ich; während ich noch immer unter Oesterreichs zögernden Standarten harren mußte, stürmte der blonde Duckmäuser mit seiner Muskete schon von Schlacht zu Schlacht, und erst auf Leipzigs Feldern kam ich zum Tanze und athmeten wir den gleichen Pulverdampf, aber ohne uns zu sehen oder von einander zu wissen.
Ich kann dem Verlaufe des gewaltigen Feldzuges jetzt nicht weiter folgen. Auch in Paris traf ich den Freund nicht, obgleich wir fast gleichzeitig dort einmarschirt waren.
Schon zum Leutenant vorgerückt, war er so zu sagen fast auf dem Pflaster jener Stadt noch schwer verwundet worden und lag, als ich seine Spuren suchte, unerreichbar in einem entlegenen Lazareth. Es hieß sogar, er werde bereits gestorben sein, als ich meine Nachforschungen fortsetzte; da widerstrebte es mir, mich von seinem Tode zu überzeugen, um an geweihter Stätte des Kampfes und Sieges nicht die nackte Selbstsucht in mir aufkommen zu lassen. Denn seit Streit und Mühsal aufgehört hatten und die Friedenspalmen winkten, waren auch die Gedanken an das verhexte Liebeswesen wieder stärker wach geworden, und ich blieb absichtlich im Dunkeln über Mannelin's Tod, damit ich nicht gleich wie ein Wechselgläubiger vor das schöne Mädchen zu treten, versucht würde, an dessen Verheißung, den Ueberlebenden zu heirathen, ich fest glaubte.
Im Monat Mai des Jahres 1814, zur Zeit wo das lange Rheinthal blühte wie ein
einziger Fliederbusch, zog unser Regiment über den Strom ostwärts; es bekam aber
den Befehl, in der Rheingegend Halt zu machen, um die ferneren Umstände
abzuwarten, wie wir denn auch bald nachher nach der Lombardei gesandt wurden.
Die Schwadron, in der ich ritt, kam aber nirgends anders hin zu stehen, als in
unsere gute Universitätsstadt. Mit welchen Gedanken sah ich die Pferde in den
Marstall und die Reitbahn stellen, in denen sich der Student so oft getummelt
hatte! Und als ich mein Quartier im
Allein auch ich verwunderte mich, da ich auf Befragen vernahm, die Bankiersfamilie befinde sich zur Zeit nicht in der Stadt, sondern auf einem Landsitze, der ungefähr eine Meile entfernt sei. Ein französischer Emigrant, der vor zwanzig Jahren das Grundstück an sich gebracht, hatte es nämlich augenblicklich zum Verkaufe ausgeboten, als die Ordnung der Dinge in Frankreich umgestürzt war; und der Bankier hatte nicht gesäumt, das Gut auf die leichte und billige Weise zu erwerben, die in solchen Zeit- und Kriegsläufen denen möglich ist, welche baares Geld haben.
Ich konnte daher am Tage der Ankunft nicht mehr vorsprechen, ritt aber um so
zeitiger am andern Morgen hinaus, von meinem Reitknechte begleitet. Es regnete
ein wenig an dem Tage, weshalb ich den Kragen des weißen Reitermantels
aufgestellt und die Schirmmütze etwas tief in die Augen gezogen hatte, als ich
durch eine lange Allee auf das alte schloßartige Gebäude zuritt, das wenig gut
unterhalten schien. Man mochte glauben, daß eine gewöhnliche
Officiers-Einquartierung angekommen sei, da auch in der Umgebung schon
österreichische Reiterei erschienen war. Es trat daher nur ein Diener aus der
Thüre, mich zu empfangen und nach meinen Wünschen zu fragen Statt ihm zu
antworten, sprang ich vom Pferde, überließ die
Eh' ich antworten konnte, trat Hildeburg in den Saal, die allein mich von einem Fenster aus erkannt hatte, sobald ich nur von der Landstraße in die Allee eingebogen war.
Ich vergesse niemals die Erscheinung, wie sie mir entgegen trat. Wie ein weißes Tuch so bleich war das Gesicht, das Auge träumerisch erschreckt und auf dem Munde doch ein Lächeln des Wiedersehens, das aus dem Herzen kam, blasse Trauer und erröthende Freude mehrere Secunden lang sich jagend: es war kein Zweifel, sie hielt den armen Mannelin für todt und mich für gekommen, mein Recht geltend zu machen!
Zum Glücke waren die Eltern an allerlei wunderliche Stimmungen gewöhnt, sonst
hätten sie jetzt ihren wahren Zustand ahnen müssen, besonders als ich nicht
länger ver
Allein als Hildeburg eine Viertelstunde später mit mir zu Zweit durch eine Zimmerflucht wandelte, um mir das Haus zu zeigen, das erst neu hergestellt und eingerichtet werden müsse, hielt sie Plötzlich an und sagte mit leise hallenden Klagetönen: „Es ist nur zu wahr! Mein kluger, lieber Kanzler Mannelin liegt in Frankreich unter dem grünen Rasen; sie haben ihm die Brust durchschossen und seine treuen blauen Augen ausgelöscht! Und Du, Marschall, bist gekommen, es mir zu sagen!“
Und gleichzeitig sah sie mich mit tief aufflammenden Augen an, die ebenso wol aus Haß wie aus Liebe so erglüht sein konnten. Denn auf den blaß gewordenen Lippen lag jetzt nichts als bittere Trauer. Das Du, mit dem sie mich anredete, wagte ich nicht zu erwidern, so herrisch hatte es geklungen, beinahe wie der Herr mit dem Diener oder der Officier mit dem Soldaten sprach.
„Nein, Fräulein Hildeburg!“ sagte ich, einen Schritt zurücktretend, doch mit
scheuer Ehrerbietung, denn sie sah
„Den Teufel hoffst Du!“ rief sie mit funkelnden Augen und lachte jählings laut auf, indessen mich das Gewissen Lügen strafte. Denn in diesem Augenblicke schien es mir, daß ich nicht genug gethan hatte, um über das Schicksal Mannelin's in's Klare zu kommen, und zugleich fühlte ich mich von brennender Eifersucht gegen den Abwesenden gepeinigt, der so leidenschaftlich betrauert wurde. Sie hatte ihn offenbar mehr geliebt oder liebte jetzt noch nur ihn. In dieser Beklemmung that ich einen unfreiwilligen schweren Seufzer, worauf Hildeburg mich bei der Hand nahm und mit veränderter Stimme sagte: „Kommen Sie und sprechen wir vor der Hand nicht mehr davon!“
Ruhig ging sie neben mir in den Saal zurück, wo eine Erfrischung aufgetragen war,
und als ich gegen Abend mich nach der Stadt begab, reichte sie mir treuherzig
die Hand und sagte: „Sie hoffe mich noch öfter zu sehen, so lange das Regiment
in der Gegend bleibe.“ Da die Witterung meistens gut war, so fand sich fast
täglich Ursache und Vorwand, den Spazierritt zu wiederholen, und wenn ich
ausblieb, sagte Hildeburg am nächsten Tage sogleich: „Warum sind Sie gestern
nicht gekommen?“ Sie schien sich mir wieder mehr zuzuneigen, und das eine Mal
verlor sie unversehens einen trauten Blick an mich, das andere Mal streifte sie
mich leicht mit einer Berührung,
Als ich eines schönen Nachmittags auf den Landsitz hinausritt und eben in der
langen Ulmenallee in unwilliger Gemüthsbewegung das Pferd in eine unruhige und
heftige Gangart versetzt hatte, ohne dessen bewußt zu sein, eilte mir aus dem
Hause ein fröhliches Menschenpaar entgegen: Hildeburg, welche einen preußischen
Infanterieofficier, oder mein Freund Mannelin, der das Fräulein Hildeburg an der
Hand führte; ich konnte in der Ueberraschung nicht erkennen, welches von beiden
der Fall war. Meine erste Empfindung war die Freude über das unverhoffte
Wiedersehen, die zweite ein Gefühl der Zufriedenheit über die Herstellung des
früheren Zustandes zwischen den drei Personen, womit wenigstens für den
Augenblick der quälende Zweifel beseitigt wurde. Auch
Mannelin vollends war unverkennbar glücklich und zufrieden, die Dinge so zu
finden, da er schon gefürchtet haben mochte, zu spät zu kommen; denn er wußte,
daß er irriger Weise für todt ausgegeben worden. Er war aber nicht so unrettbar
verletzt gewesen und jetzt leidlich geheilt; doch hatte er einen mindestens
halbjährigen Urlaub antreten müssen, um sich ganz zu erholen. Schon wieder mit
Büchern versehen war er auf dem Wege nach einem Badeort mit heißen Quellen
begriffen und hielt kurze Einkehr in der Universitätsstadt. Erst auf dem
Landgute des Bankherren hatte er heute vernommen, daß ich ebenfalls im Lande
sei. Mannelin hatte durch den Kriegsdienst sich sehr vortheilhaft verändert, was
das Aeußere betrifft. Ohne gerade martialisch drein zu schauen, hatte er doch an
fester Haltung gewonnen. Sein leichter blonder Bart auf Wangen und Oberlippe
erhielt durch den Ernst der Ereignisse und Abenteuer, der in den Augen und auf
dem Munde sich gelagert hatte, eine größere Bedeutung, als ihm sonst zugekommen
wäre, und das militärische Wissen und Erfahren, um welches er reicher geworden,
vereinigte sich vortrefflich mit seinem wissenschaftlichen Geiste. Aber
ungeachtet er die bedeutendsten Kriegsthaten mitgemacht und zahlreichere
Gefechte und Gefahren bestanden, als ich, hörte man ihn
Das verlieh dem liebenswürdigen Duckmäuser einen neuen Glanz, der indessen auch mir zugute kam; denn als ich einst nach eifrigem Sprechen vom Hauen und Stechen in der darauffolgenden Stille plötzlich wahrnahm, wie renommistisch ich mich neben ihm ausnehmen mußte, suchte ich mich beschämt zu bessern und wurde auch hie und da bescheidener. Leider mußte ich nachher, da ich Soldat von Prefession blieb, mich doch wieder an das Schreien und Rufen gewöhnen.
So verlebten wir noch eine Reihe von angenehmen heiteren Tagen, bis nicht
unerwartet und doch unverhofft der Abmarschbefehl für mein Regiment anlangte,
und zwar hatte der Aufbruch in sechs Tagen stattzufinden. Von Stund' an war
Hildeburg in ihrem Benehmen verändert. Bald unruhig und zerstreut, bald in sich
gekehrt und über etwas brütend, das sie beschäftigte und drückte, wechselten
ihre Launen unaufhörlich, und als ob sie es selbst nur zu wohl wüßte, entzog sie
sich meist der Gesellschaft, die zuweilen ziemlich zahlreich wurde, je mehr die
Umgebung des erst später wohnlich zu machenden Hauses zum Aufenthalt im Freien
einlud. Indem ich, von dem veränderten Betragen des Mädchens abermals betroffen,
über dasselbe nachdachte, fühlte ich mich geneigt, die Erscheinung
Hildeburg selbst schien mir entgegen zu kommen; sie veranlaßte ihre Eltern, mir zu Ehren ein Abschiedsessen zu geben, und mich forderte sie bei der Einladung auf, es so einzurichten, daß ich auch den Abend bleiben könne. Ein Bett für mich solle trotz der mangelhaften Einrichtung bereit sein, meinte sie, und vor Gespenstern würde ich mich wol kaum genieren. Denn es gehe die Rede, daß in dem älteren Flügel des Hauses etwas nicht richtig sei.
In der That hatten die Dienstboten von einem alten Gärtner dergleichen Reden
gehört und mit eigenen Beobachtungen, die sie zu machen glaubten, ergänzt.
Während der Mahlzeit, welche reich und belebt genug war, gerieth die
Unterhaltung ebenfalls auf diesen Gegenstand. Die alte Mama beklagte sich über
so beunruhigende Herumbietungen, die doch keinen vernünftigen Grund haben
könnten; der alte Herr verwies darauf, daß mit Luft und Licht und frischer
Tünche der neuen Arbeiten das Unwesen sich wol verziehen werde. Mich aber stach
Mannelin, der bisher das Gespräch nicht theilnahmswerth gefunden, sah mich ganz verwundert an und fragte mich treuherzig lachend: „Ob ich noch unter die Geisterseher gehen wolle?“ Hierdurch gereizt, bejahte ich die Frage kühnlich, sofern ich nur das Glück wirklich haben sollte, ein Stück der andern Welt jetzt schon kennen zu lernen; zugleich aber stellte ich ein wenig großthuerisch in Aussicht, den Dingen in's Gesicht sehen und sie zur Rede stellen zu wollen, wenn sie anders heran kämen. Um was sich's eigentlich handle im vorliegenden Falle? schloß ich meine Prahlerei.
„Es soll ein Poltergeist sein, den man die alte Kratt nennt!“ sagte Hildeburg halb eingeschüchtert durch meine Reden, wie wenn sie befürchtete, es möchte am Ende etwas Wahres aus der Sache werden. Vor achtzig Jahren habe nachweisbar eine freiherrliche Familie Kratt das Gut besessen; Weiteres habe man noch nicht heraus gebracht, als daß es nur selten und nur in gewissen Nächten spuke.
Da die Mutter Hildeburg's ein ängstliches und noch mehr verdrießliches Gesicht zu
machen begann über die Verunzierung des neuen Besitzes und mein Freund Mannelin
sich gleichgültig von dem Gespräch wieder ab
Natürlich blieb ich nun da; die zwei Oesterreicher küßten der Dame die Hand,
schwangen sich in den Wagen und fuhren wie die Kugel aus dem Rohre davon,
während ich mit Hildeburg dem leuchtenden Diener in's Haus zurückfolgte, mit
einem geheimen Herzklopfen wegen der süßen Entscheidung, die ich halbwegs
erwartete. Hildeburg zog sich jedoch bald in die Unsichtbarkeit zurück, und der
Tag endigte für mich damit, daß ich in der Gesellschaft Mannelin's und von
Hildeburg's Vater noch mehrere Gläser
Ich mochte kaum eine halbe Stunde geschlafen haben, so wurde ich durch einen schrecklichen Knall oder Fall geweckt, der mitten im Zimmer erfolgt sein mußte. Ich sperrte die Augen auf, und halb schwindlig von den aufgestörten Geistern des genossenen Getränkes, von Schlaftrunkenheit und Ueberraschung, suchte ich mich zu besinnen, was ich denn gehört habe? Es dünkte mich, es könnte ein schwerer Gegenstand in oder außer dem Zimmer umgestürzt, ebenso gut aber in dem baufälligen Hause oben oder unten etwas gebrochen sein. Zuletzt aber behielt ich wieder den Eindruck, daß der Ton in nächster Nähe entstanden sein müsse. Ich sah und horchte hin, aber Nichts war zu sehen oder zu hören, als der unheimliche Mondglanz auf der dunkeln Schreibcommode. Auf einmal fegt' und kratzt' etwas hinter der Wand, dicht an meinem Bette. Ich warf mich herum und starrte; das war nun außer dem Spaß! Und wie ich starre, fährt mir ein eiskalter Luftzug über das Gesicht, die Bettvorhänge flattern einen Augenblick lang hin und her und plötzlich wird mir die Decke vom Leibe gerissen.
„Donnerwetter!“ rufe ich beklemmt und setze mich endlich aufrecht, jetzt ganz
munter geworden. Es spukte wahrlich. Ich brachte die Beine aus dem Bett und saß
Plötzlich wird das Messerchen wieder hingelegt, wo es
Es blieb also nur noch die Umgebung des Bettes zu untersuchen. Dasselbe stand mit dem Kopfende eine gute Spanne von der Wand entfernt, so daß zwischen der Gardine und der Wand allerdings Jemand, der nicht zu dick war, sich mit Noth dort durchwinden konnte. Als ich jedoch die schwere Bettstelle mit Mühe etwas weggerückt hatte, fand ich ringsum nichts als das gleiche Holzgetäfel, wie es überall die Wände und auch die Decke bekleidete. Von einer Ursache des Knalles konnte ich auch nirgends eine Spur entdecken.
Desto ernster erneuerte sich der Eindruck des Gesehenen; die schnurrige und
widerwärtige Seite des Spukes trat zurück vor der Ahnung der endlosen Unruhe
einer Seelensubstanz, für die sich, wenn dies Landhaus einst lange vom Erdboden
verschwunden sein wird, dasselbe stets wieder aufbaut mit dem alten Zimmer und
der Commode, in welcher die verbrecherischen Papiere liegen, sowie auch der
Schlüsselbund und das Radirmesser immer vorhanden, obschon sie vom Roste längst
aufgelöst sind. Ich grübelte über diese furchtbare Existenz und Fortdauer in der
Man sprach eben von dem nächtlichen Knall, der demnach im ganzen Hause gehört worden war, und da ich mit düsterem Gesicht hinzutrat und mich erst schweigend verhielt, wurde die Stimmung noch betroffener und verlegener. Befragt, ob ich es auch gehört, bejahte ich ohne Weiteres hinzuzufügen, da ich die Familie nicht erschrecken mochte und es der Zeit und dem Gespenste selbst überließ, die Herrschaft mit den Merkwürdigkeiten dieses Hauses bekannt zu machen. Erst als ich mit Hildeburg und Mannelin vor meinem Weggehen noch etwas auf und nieder ging und die Erstere zu mir sagte: „Was ist Ihnen denn, daß Sie so ernst und schweigsam sind?“ antwortete ich unwillkürlich: „Was wird es sein? die alte Kratt hab' ich gesehen!“
„Und haben Sie mit ihr gesprochen?“
Sie sagte das mit unbefangenem Lachen, wie man
Ich will nur gleich den chronologischen Verlauf zu Ende erzählen. Nach meiner Abfahrt setzten Hildeburg und Mannelin die Gartenpromenade fort, und erst jetzt drückte der Freund seine mit einigem Unwillen vermischte Besorgniß über den Stand meiner geistigen und körperlichen Gesundheit aus, da ich nicht nur von Gewissensfurcht, sondern sogar von förmlichen Hallucinationen geplagt scheine. Es wäre schade für mich, wenn ich in dem krankhaften Wesen weiter dahin lebte und Fortschritte machte, und er frage sich, ob er mich nicht zur Einholung eines Urlaubes veranlassen und an den bewußten Badeort mit sich nehmen solle. Offenbar hätten die Kriegserlebnisse meinem beweglichen Wesen nicht gut gethan u. s. w.
Hildeburg erwiderte nachdenklich, ob er denn so sicher wisse, daß nur Täuschung
sei, was ich gesehen zu haben
Jetzt schaute Mannelin die Sprecherin mit ebenso besorgtem als liebevollem Blicke an. Ihn bekümmerte, daß sie solchem Unsinn zugänglich schien. Sie las die Sorgen in seinen Augen und blickte wahrscheinlich hierfür wieder dankbar zurück; doch verharrte sie in ihrem Zweifel und sagte nach fernerem Nachdenken:
„Ich muß doch wenigstens wissen, ob Andere in dem alten Gemache eine ähnliche Erfahrung machen, oder ob es wirklich nur der Rittmeister ist, der etwas sieht. Ich werde den Johann beauftragen, dort eine Nacht zuzubringen.“
„Der alte Johann“, sagte Mannelin, „wird natürlich so viele Geister sehen, als man wünscht oder fürchtet! Wenn Sie einen zuverlässigen Bericht wollen, so lassen Sie die Stube für mich zurecht machen! Ich will mich in Gottes Namen der curiosen Aufgabe unterziehen, wenn durchaus etwas geschehen soll!“
„Sie?“ rief Hildeburg, „nein, Sie dürfen es nicht
Mannelin blieb aber bei seinem Vorsatze, und so ließ er sich, als gegen elf Uhr man allerseits schlafen ging, in das Gemach leuchten, in welchem ich die letzte Nacht zugebracht hatte.
„Wollen Sie nicht wenigstens Ihren Degen und die Pistolen mitnehmen?“ sagte der Diener, der aus dem früheren Zimmer die nöthigen Sachen trug und von dem Vorhaben unterrichtet war.
„Nein!“ antwortete Mannelin; „gegen Geister würden die Waffen nichts helfen, und wenn allenfalls lebendige Leute einen Unfug treiben, so muß man nicht gleich Blut vergießen!“
Genug, mein Mannelin befand sich endlich, gleich mir, allein in dem unheimlichen
Zimmer. Er ging mit dem Leuchter darin herum, verriegelte die Thüre und legte
sich halbangekleidet zu Bett, nachdem er den Tisch an dasselbe gerückt. Dann las
er eine Stunde oder länger, bis es am Thurme Mitternacht schlug. Dann klappte er
das Buch zu und horchte noch eine Weile mit offenen Augen. Als aber alles still
blieb, wurde ihm das Ding langweilig; er löschte das Licht, legte sich auf die
Seite und schlief ein. Kaum hatte er einige Minuten geschlafen, so erfolgte zwar
kein Knall, wie gestern, allein es klopfte
„Na, Frauchen, was treiben Sie denn da?“
Wie eine Schlange schnellte das Gespenst empor und
Denn in seinem Arme ruhend erklärte sie ihm nun den Handel. Sie habe, seit wir
Beide wieder in ihrer
Diese artigen Vorgänge wurden mir in einer Geheimsitzung, die zu Dritt stattfand,
am andern Tage feierlich eröffnet, als ich zum letzten Male hinausritt. Ich
hatte ahnungsvoll das raschere Pferd gewählt, da ich jetzt um so unaufhaltsamer
wieder davon galopiren konnte. Vorher mußte ich jedoch mit dem Pärchen den Weg
begehen, den
Zum Ueberflusse mußte auch noch das Traurigste, was es gibt, der Zufall, sein Siegel darauf drücken. Um ganz unparteiisch zu verfahren, hatte das gute Mädchen vorher im Stillen das Loos gezogen, welchen von den zwei Liebhabern sie zuerst der Prüfung unterwerfen solle; denn, sagte sie, mancher zufällige Umstand konnte auf das Ergebniß von Einfluß sein, die Verschiedenheit des Wetters, der Mondhelle, des körperlichen Befindens und der Gemüthsstimmung konnte eine veränderte Urtheilskraft bedingen, wie ich denn auch geschehenermaßen am Tage vor meiner Prüfungsnacht mehr Getränke zu mir genommen, als der Andere zu seiner Stunde wegen Mangel an Gesellschaft habe thun können, da ich ja fortgewesen sei! Also genau wie beim Pferderennen, wo bis auf's Kleinste Alles verglichen und abgewogen wird!
Daß durch den Sieg meines Nebenbuhlers trotz des technisch untadelhaften Verfahrens ihren geheimsten Wünschen besser entsprochen worden sei, als wenn ich gesiegt hätte, daran durfte ich schon damals nicht zweifeln. Denn sie schien von Stund an von jeder Last befreit und ungetheilten leichten Herzens zu leben, welches hat, was es wünscht.
„Das ist die Geschichte von Hildeburg's Männerwahl, bei der ich unterlegen bin“, schloß der Oberst, und rasch gegen Reinhart gewendet sagte er:
„Wissen Sie, wie sie eigentlich hieß? Denn Hildeburg wurde sie nur von Mannelin und mir genannt, wenn wir am dritten Orte von ihr sprachen. Sonst aber hieß sie Else Morland, später Frau Professorin Reinhart und wird demnach Ihre Frau Mutter sein! Lebt sie noch? Und wie geht's ihr?“
Für erwachsene junge Leute ist es immer eine gewisse Verlegenheit, von den
Liebesgeschichten zu hören, welche der Heirath der Eltern vorausgegangen. Die
Erzeuger stehen ihnen so hoch, daß sie nur ungern dieselben in der Vorzeit auf
den gleichen menschlichen Wegen wandeln sehen, auf denen sie selbst begriffen
sind. Auch Reinhart saß jetzt in nicht angenehmer Ueberraschung und war ganz
roth, da die Laune, in welcher er sich seit zwei Tagen bewegte, sich gegen ihn
selbst zu kehren schien. Ein par Mal während der Erzählung des alten Herrn hatte
es ihm vorkommen wollen, als ob es sich um Bekanntes oder Geahntes handle; doch
war das vorübergegangen, wie man oft nicht merkt oder nicht erkennt, was einen
am nächsten angeht. Zu der seltsamen Entdeckung trat ein noch seltsamerer Eifer
der Selbstsucht, als er bedachte, wie nahe die Gefahr gestanden habe, daß ein
anderer als sein Vater die Mama bekommen hätte, und was wäre alsdann aus ihm,
dem Sohne geworden? Und was war er jetzt anderes als der Sohn der
willkürlichsten Manneswahl einer übermüthigen Jungfrau? Nun, Gott sei Dank, war
es wenigstens seine Mutter und sein Vater! Es hätte
Dergleichen Gedanken fuhren ihm in rascher Folge durch den Sinn, bis er die Augen aufschlug und sah, wie Lucie behaglich in ihrem Gartenstuhle lehnte, die Arme übereinander gelegt und die Augen in voller Heiterkeit auf ihn gerichtet hielt. Das ganze Gesicht war so heiter, wie der Himmel, wenn er vollkommen wolkenlos ist.
„Trösten Sie ich mit dem Evangelium,“ sagte sie, „wo es heißt: Ihr habt mich nicht erwählet, sondern ich habe euch erwählet!“
„Schönsten Dank für den Rath!“ erwiderte Reinhart, durch den Sonnenschein in ihren Augen zum Lachen verführt; „ich begreife und würdige durchaus die Genugthuung, die Ihnen die Erzählung des Herrn Oberst verschafft ! Daß ich in meinem eigenen Papa geschlagen würde, hätte ich allerdings nicht geglaubt!“
„Wie undankbar! Seien Sie doch stolz auf Ihren Herrn Vater, der meinen so vortrefflichen Onkel hier besiegt hat! Wie vortrefflich muß er selbst sein! Ich bin wahrlich ein bischen verliebt in ihn nur vom Hörensagen! Ist er noch so hübsch blond?“
„Er ist schon lange grau, aber es steht ihm gut.“
„Und die Mutter?" warf jetzt der Oberst dazwischen, „ist sie auch grau, oder noch schwarz und schlank wie dazumal?“
„Dunkelhäuptig ist sie noch und schlank auch, aber nur dem Geiste nach; ich glaube nicht, daß sie jetzt noch durch das Ofenloch und zwischen Bett und Wand hervorschlüpfen könnte.“
„Ich möchte sie doch nochmals sehen und den Mannelin auch“, sagte der Oheim Lucien's mit weicher Stimme. „Ich fühle mich ganz versöhnlich und verzuckert im Gemüth!“
„Und mich empfehlen Sie wol gütigst der Mama, wenn Sie ihr schreiben?“ sagte das Fräulein mit einem anmuthigen Knicks; „oder werden Sie nichts von Ihrer kleinen Reise und den hiesigen Ereignissen sagen?“
„Ich werde es gewiß nicht unterlassen, schon weil ich trachten muß, den Herrn Oberst und vielleicht auch die Nichte mit gutem Glück einmal hinzulocken, wo die Eltern wohnen.“
„Das thun Sie ja! Sie werden auch sicher gelegentlich hören, daß wir unversehens dort gewesen sind, nicht wahr, lieber Onkel?“
„Sobald ich wieder fest auf den Füßen bin,“ rief dieser, „werden wir die lang geplante Reise machen und alsdann die alten Freunde im Vorbeigehen aufsuchen.“
„Jetzt fällt mir erst ein,“ sagte Reinhart, „daß unser seit mehr als dreißig Jahren neuerbautes Landhaus an der Stelle des alten Gebäudes stehen wird, das die Großeltern Morland gekauft hatten! Da können Sie auch darin rumoren, wenn Sie kommen, Fräulein Lucie!“
„Sobald ich in zwei Männer zugleich verliebt bin,
Der heitere Glanz ihres Gesichtes war zum Theil erloschen, als die kleine Gesellschaft sich jetzt erhob. Reinhart sprach von seiner Abreise, sowol aus Schicklichkeit als in einer Anwandlung von Kleinmuth, und erbat sich Urlaub, um die nöthigen Anstalten zu treffen. Der alte Herr widersetzte sich.
„Sie müssen wenigstens noch einen Tag bleiben!“ rief er; „an den par Stunden, die ich mit Ihnen zugebracht, habe ich vorläufig nicht genug, und über das Zukünftige sprechen wir noch weiter. Das unverhoffte Vergnügen, an meine jungen Tage wieder anzuknüpfen, lasse ich mir nicht so leicht vereiteln!“
„So Plötzlich wird Herr Reinhart nicht gehen können“, sagte jetzt Lucie; „denn sein Pferd ist in der Frühe mit unseren Pferden auf die Weide hinauf gelaufen und soll dort drollige Sprünge machen. Es kann also heute Niemand weder fahren noch reiten bei uns, es müßte denn strenger Befehl ergehen, die Thiere heimzuholen.“
„Nichts da!“ versetzte der Oberst; „dem armen Leihpferd ist es auch zu gönnen,
wenn es einen guten Tag hat. Jetzt will ich mich für eine Stunde zurückziehen
„Zeitungen werden für Ihre angegriffenen Augen schwerlich gut sein“, sagte Lucie; „wenn Sie lesen wollen, so holen sie sich lieber irgend ein altes Buch mit großem Druck, Sie wissen ja wo, und bleiben Sie dort im kühlen Schatten oder gehen Sie damit unter die Bäume! Ich muß jetzt leider ein bischen nach der Wirthschaft sehen!“
Luciens Sorge für seine Augen, deren Zustand er beinahe selbst vergessen hatte,
that ihm so wohl, daß er sich ohne Widerrede fügte und nach ihrem Bücher- und
Arbeitszimmer ging, nachdem die drei Personen sich getrennt. Er griff das erste
beste Buch, ohne es anzusehen, von einem Regale herunter, und da es in dem
Zimmer ihm nicht ganz geheuer dünkte, begab er sich in den Vexierwald hinaus,
durch welchen er hergekommen war. Dort bemächtigte sich seiner immer mehr ein
gedrücktes Wesen, das sich zuletzt in dem Seufzer Luft machte: Wär' ich doch in
meinen vier Wänden geblieben! Nicht nur die vernommene Kunde von den ganz
ungewöhnlichen Jugendthaten seiner Mutter, die Anwesenheit eines Liebhabers und
Rivalen seines Vaters, sondern auch der ungebührlich wachsende Eindruck, den
Lucie auf ihn machte, verwirrten und verdüsterten ihm das Gemüth. Das waren ja
Teufelsgeschichten! Der Verlust seiner goldenen Freiheit und Unbefangenheit, der
im Anzuge war, wollte
Auf diese Art brachte er die Zeit zu, und als er in das Haus zurückkehrte, traf
er zum Ueberflusse die Pfarrfamilie, welche auf Besuch gekommen war, um das
Ereigniß gerade seiner Erscheinung weiter zu betrachten und nach der Wirkung zu
forschen, welche dieselbe unter den großen Platanen am Berge zurückgelassen
habe. Das Pfarrerstöchterchen erröthete über und über, da er dem Mädchen im
blauen Seidenkleidchen die Hand gab, und Lucie, welcher er die Geschichte
erzählt hatte, blickte ihn mit heller Schadenfreude an, die aber in ihren Augen
so gutartig und schön war, wie in andern Augen das wärmste Wohlwollen. Ueber
diesem Besuche verging der Tag in anhaltendem Geräusch und Gespräch; die
Pfarrleute duldeten nicht, daß man sie eine Minute ohne Rede und Antwort ließ,
oder sich einer Zerstreuung hingab. Da der Oberst sich auf Grund seiner
schlechten Gesundheit zeitig unsichtbar machte und Lucie das Töchterlein
mehrmals entführte, um ihr allerlei Anpflanzungen zu zeigen, blieb Reinhart
zuletzt allein übrig, den Eltern Stand zu halten, und als gegen Abend die
Familie mit
„Ich bewundere Ihre Geduld,“ sagte Lucie, als sie nun allein waren, „mit der Sie den guten Leuten zugehört und Bescheid gegeben haben.“
„Hab' ich denn wirklich so geduldig ausgesehen?“ fragte Reinhart verwundert; er hatte nicht das beste Gewissen, weil er die guten Menschen innerlich dahin gewünscht, wo der Pfeffer wächst.
„Vortrefflich haben Sie ausgesehen! Glauben Sie nur, man ist immer etwas besser, als man es Wort haben will! Zur Belohnung sollen Sie eine gute Tasse Thee bekommen und meine Mädchen wieder spinnen sehen! Wein gebe ich Ihnen nicht mehr; denn Sie haben bei Tische schon etwas mehr in den heimlichen Zorn hinein getrunken, als für Ihre Augen gut war.“
„Nun soll ich doch wieder zornig gewesen sein?“
„Ja freilich! Um so rühmlicher ist die nachherige Selbstbeherrschung und Geduld!“
Als es dunkel und der Thee getrunken war, nahmen die Mädchen wirklich ihre
Rädchen und spannen noch eine Stunde. Das Schnurren, sowie das zwanglose und
friedliche Gespräch, das man zuweilen wie zum Spaße beinahe ausgehen ließ, um es
doch gemächlich wieder anzubinden, beruhigten vollends die aufgeregten Geister
in Reinharts Brust, so daß er zuletzt sich häuslich mit der Lampe beschäftigte,
die nicht hell brennen wollte,
In guter Laune zog er ab, als Alles zu Bett ging, und nahm vermuthlich aus
Versehen das Buch mit, das er aus Luciens Zimmer geholt und bis jetzt noch nicht
aufgeschlagen hatte. Erst auf seinem Gastzimmer that er es und sah, daß es eine
Geschichte von Seefahrten und Eroberungen des siebzehnten Jahrhunderts war. Das
Buch mußte seiner Zeit fleißig gelesen worden sein, da es zum zweiten Male
gebunden worden. Denn viele Blätter klebten von der Farbe des bunten Schnittes
zusammen, und als Reinhart zwei solche von einander löste, lag ein Blättchen
altes Papier dazwischen mit vergilbter Schrift bedeckt. An einem Junimorgen des
Jahres 1732 schrieb eine Dame in französischer Sprache an eine andere: „Liebste
Freundin! Lesen Sie die artige kleine Geschichte, die ich hier angestrichen
habe! Guten Tag! Ihre getreue Freundin J. Morgens 9 Uhr.“ Dies Briefchen mußte
der Buchbinder, der den neuen Einband gemacht, nicht gesehen haben, denn es war
mit eingebunden und seither von keinem Auge mehr erblickt worden. Daneben war in
der That eine halbe Seite des Buchtextes mit Rothstein angestrichen, der sich
auch auf dem gegenüberstehenden Blatte abgedruckt hatte, so daß Reinhart nicht
wußte, welche der beiden bezeichneten Stellen galt. Dennoch wunderte ihn, was an
jenem Junimorgen vor hundert und zwanzig oder mehr Jahren die verschollene Dame
so
Wie wenn sie Reinhart's Vorsatz und Vorbereitung gekannt hätte, sagte Lucie am Morgen, als die drei Personen wieder unter den Platanen am Brunnen saßen: „Heute werden wir leider die Zeit ohne Geschichtserzählungen verbringen müssen, wenn der Onkel nicht dennoch eine zweite Hildeburg erfahren hat oder Herr Ludwig Reinhart noch eine dritte Treppenheirath kennt.“
„Behüt' uns Gott“, lachte und murrte der Onkel durcheinander, „vor einer zweiten Schmach jener Art. Ich hatte ein für allemal genug!“
„Und was mich betrifft,“ nahm Reinhart das Wort, „so kenne ich einen dritten Fall von der Treppe herrührender Vermählung freilich nicht, dafür aber einen Fall, wo ein vornehmer und sehr namhafter Mann seine namenlose Gattin buchstäblich vom Boden aufgelesen hat und glücklich mit ihr geworden ist!“
„Wie herrlich!“ rief Lucie fröhlich lachend, weniger aus Muthwillen als vor
Vergnügen und Neugierde, zu
„Ohne Verzug!“ sagte Reinhart, indem er sich räusperte und begann:
Wir sprechen von dem portugiesischen Seehelden und Staatsmanne Don Salvador Correa de Sa Benavides, der schon in jungen Jahren so thatenreich gewesen, daß er bereits damals den Haß der Neider erfuhr, während die Jugend sonst von diesem Uebel verschont zu bleiben pflegt. Denn ältere Männer müssen schon sehr traurige Gesellen werden, bis sie Jünglinge oder Frauen wegen eines Erfolges beneiden. Den Jünglingen selbst aber ist das Laster meistens noch unbekannt, oder es nimmt in ihnen wenigstens die edlere Gestalt eines fruchtbaren Wetteifers an.
Zu einer solchen Zeit neidischer Verfolgung legte Don Correa den vom Jugendgrün
bekleideten Commandostab nieder und stieß den Degen in die Scheide, und um die
Muße nicht ganz ungenutzt vorübergehen zu lassen, gedachte er zum ersten Male
der Freuden der Liebe und hielt dafür, da es doch einmal sein müsse, es wäre
jetzt
Nun bewog ihn aber sein Selbstgefühl, vielleicht der erlittenen Beleidigung wegen
und auch in der Meinung, eine um so treuere und ergebenere Gattin zu erhalten,
dieselbe als ein gänzlich unbekannter und ärmlicher Mensch zu suchen und zu
erwerben, so daß er sie mit Verheimlichung von Namen, Rang und Vermögen
sozusagen nur seiner nackten Person verdanken würde. Er schiffte sich also zu
Rio de Janeiro, wo er Gouverneur gewesen, in aller Stille, nur von einem Diener
begleitet, ein und begab sich nach Lissabon. Dort wohnte er unbemerkt in einem
entlegenen Gemache seines Palastes und ging nur verkleidet aus, in die Theater,
die Kirchen und auf die öffentlichen Spaziergänge, wo es schöne Damen aus der
Hauptstadt und aus den Provinzen zu sehen gab. Lange wollte sich nichts zeigen,
was ihm besonders in die Augen gestochen hätte, bis er eines Abends bei irgend
einem der öffentlichen Schauspiele eine junge Frau sah, deren Schönheit und
Benehmen ihm auffielen. Sie war weder groß noch klein zu nennen und vom Kopfe
bis zu den Füßen schwarz gekleidet, den steifen weißen Ringkragen ausgenommen,
der nicht nur dem strengen, wohlgeformten Gesichte mit seinem blühweißen Kinn,
sondern auch den dicken schwarzen Lockenbündeln zu beiden Seiten als
Präsentierteller diente. Von der Brust glühte ein par
Diese Dame saß auf einem Lehnsessel in der vordersten Reihe; rechts und links von
ihr hockten auf dreibeinigen Stühlchen ein Stallmeister und ein Geistlicher,
hinter dem Sessel stand ein Page, und ganz zuletzt hockte noch eine Kammerfrau
auf einem Schemel. Alle diese Personen verhielten sich so still und steif wie
Steinbilder und wagten kein Wort, weder unter sich noch mit der Herrin zu
sprechen, wenn diese nicht einen leisen Wink gab. Merkwürdig schien besonders
der Stallmeister, welcher, den hohen Spitzhut auf den Knieen haltend, mit
furchtbarem Ernste dasaß. So fadenscheinig sein ergrauter und umfangreicher
Schädel war, reichten doch die langgezogenen Silberfäden hin, nicht nur auf der
Mitte der Stirne eine fest in sich zusammengerollte Seeschnecke zu bilden, die
von keinem Sturme aufgelöst wurde, sondern auch noch beide bartlose Wangen mit
zwei sauber gekämmten Backenbärtchen zu bekleiden, welche allnächtlich sorgsam
gewickelt und hinter die Ohren gelegt wurden. Dafür war das aufwärts gehörnte
Schnurrbärtchen von echtem, steif gewichstem Bartwuchse. Der Anblick konnte für
närrisch gelten; doch Don Correa wußte schon aus Erfahrung, daß dergleichen
komische Pedantismen an untergebenen Beamten und Dienern meist auf Ordnungssinn
Was den geistlichen Herrn betrifft, so bot derselbe durchaus nicht den Anblick eines verwöhnten oder herrschsüchtigen Beichtvaters, sondern sah eher einem eingeschüchterten, kurz gehaltenen Hofmeisterlein gleich, und er hielt, während er mit halb niedergeschlagenen Augen die Weltlichkeiten des Schauspiels wahrnahm, mit zagen Händen seinen flach gerollten Hut auf dem Schoße, als ob es eine Schüssel voll Wasser wäre.
Von dem kleinen Pagen guckte nur das weiße spitzige Gesichtchen nebst einem blutrothen Wamsärmel hinter der Stuhllehne hervor, und von der Kammerfrau vollends sah man erst, als sie aufstand, daß sie ebenfalls einen hochrothen Rock, irgend eine rothe Kopftracht und ein Korallenhalsband trug. Die Dame schien sich demnach nur in schwarz und roth zu gefallen.
Während sie so unbeweglich und halb gelangweilt dem Spektakel beiwohnte und
selten über etwas lächelte, ging dann und wann irgend ein Cavalier einzeln oder
mit andern, die noch Platz suchten, an ihr vorbei und grüßte
Er fragte, in der Menge der geringen Bürger verborgen, einige Nachbarn nach dem Namen der vornehmen Frau; es konnte aber Keiner Auskunft geben, weil sie wahrscheinlich eine Fremde sei. Da er aber mit jedem Augenblicke von der schönen und eigenthümlichen Erscheinung mehr eingenommen wurde und jedenfalls wissen wollte, wen er vor sich habe, so blieb ihm nichts anderes übrig, als das Ende abzuwarten und zu sehen, wohin die Dame mit ihrem Gefolge sich begeben würde. Er stellte sich daher zeitig an den Ausgang, durch welchen die Herrenleute sich entfernten, und wartete geduldig, bis die Unbekannte in der gemächlichen Procession erschien, mit welcher die Grandezza sich fortbewegte, um die bereitstehenden Kutschwagen, Pferde, oder Maulthiere zu besteigen.
Für die Fremde wurden drei prächtig geschirrte Maulthiere bereit gehalten. Das
erste bestieg sie selbst mit Hülfe des Stallmeisters, das zweite dieser mit dem
Pagen hinter sich, das dritte der junge Priester, hinter welchem die Kammerfrau
Platz nahm, sich fest an ihm haltend, sodaß als das herumstehende Volk sich an
dem Anblick
Er vernahm also, was er nur wünschen konnte: daß die fremde Dame eine junge
Wittwe sei und Donna Feniza Mayor de Cercal genannt werde. Sie besitze im
Südwesten von Portugal ein kleines Städtchen und großen Reichthum und wohne
meistens auf einem einsamen Felsenschloß am Meere; dort lebe sie so eingezogen,
daß weiter nichts von ihr gesagt werden könne, und wenn sie nicht alle Jahre
einmal nach der Hauptstadt käme, um ihre
Als Don Correa hiemit genugsam unterrichtet war, verließ er die Herberge, um
andern Tages desto früher bei der Hand zu sein. Er verwandelte sich in einen
halbschwarzen maurischen Matrosen und belagerte das Schiff des Königs, bis die
Herrschaft aus der Thüre trat und die Maulthiere bestieg. Im gleichen Aufzuge
wie gestern, ein Maulthier mit der Nase am Schwanze des andern, ritt die Dame
nach der großen Kathedralkirche und Correa folgte. Da er sah, daß am Portale
niemand bei der Hand war, die Maulthiere zu halten, drängte er sich hinzu und
anerbot, den Dienst zu leisten, der ihm vom Stallmeister auch übertragen wurde.
Der junge Kriegsmann war seiner Zeit und Geburt gemäß ein guter Katholik; es
gefiel ihm daher sehr gut, daß die Frau von Cercal ihre Dienerschaft so
vollzählig mit in die Messe nahm und an dem Segen der Religion theilnehmen ließ,
und das Gemunkel von einem Zauberwesen erhöhte unter diesen Umständen eher seine
Theilnahme, als daß es ihn abschreckte.
So lange sie noch in Lissabon verweilte, strich er in immer neuen Verkleidungen
um sie herum, wenn sie öffentlich erschien, was aber nicht mehr manchen Tag
dauerte. Und jedesmal, wo er sie sah, bestärkte sich sein Entschluß, Diese und
keine Andere zu seiner Gemahlin zu machen. Daher nahm er, als sie abgereist war,
seine eigene Gestalt wieder an, jedoch mit dem Aussehen eines armen und geringen
Edelmannes. Er suchte einen abgetragenen braunen Mantel und einen eben so
mißlichen
Der Ort, dessen Namen sie führte, lag hinter dem Küstengebirge, das Schloß aber,
in welchem sie wohnte, an dem steilen Abhange gegen das Meer hin. Don Correa
kreuzte so lange auf offener See, bis er sich vergewissert hatte, daß die Donna
Feniza wieder dort sei, und er segelte einige Mal so nahe vorüber, daß er mit
seinen scharfen Augen die Lage und Bauart erkennen konnte. Dann fuhr er wieder
hinaus und wartete einen starken Wind oder wo möglich ein Sturmwetter ab, und
als dieses wirklich eintrat, schoß er auf dem wogenden Meere mit vollen Segeln
heran, zog sie ein wie ein strandender Schiffer und lieh sich zuletzt, nachdem
die Barke weidlich umhergeworfen worden, wie er war, mit seinem Degen und dem
zusammengewickelten Mantel auf den klippenreichen Strand schleudern, so daß er
sich mit Mühe durch die Brandung schlug und festen Fuß gewinnen konnte. Seinen
Leuten hatte er strenge befohlen, sich mit der Barke wieder auf die offene See
zu machen und nach
Don Salvador Correa erklomm den schmalen Strandweg und begann einen steilen
Staffelpfad hinanzusteigen, der hinter Felsen und Gebüsch halb versteckt in die
Höhe führte. Als er einige Dutzend Stufen zurückgelegt, kam ihm ein Knabe
entgegen, welcher der ihm schon bekannte Page der Schloßfrau war. Man hatte oben
des Fahrzeuges Kampf mit dem Unwetter beobachtet, jedoch nicht sehen können, was
zunächst dem Lande vorging, weshalb die Frau den Pagen heruntergesandt, damit er
Kundschaft hole. Don Correa fragte den Knaben, wo und auf wessen Gebiet er sich
befinde, und gab ihm mit wenigen Worten zu verstehen, daß er gestrandet und ohne
Obdach sei, worauf der Kleine ihm verdeutete, er möchte warten, bis er
hinaufgelaufen sei und mit den Befehlen der Herrin zurückkomme. Zugleich zeigte
er dem Fremden eine natürliche Grotte, welche auf einem kleinen Absatz in den
Fels hineinging und eine Ruhebank enthielt, auch mit einem verschließbaren
Gatter versehen war. Da die Sonne schon wieder durch die zerrissenen Wolken
brach, indessen das Meer noch rollte und rauschte, so hing Don Correa seinen
triefenden Mantel über das Gatter, damit er trockne,
Er war in diesen Anblick und die dazu gehörigen Gedanken so vertieft, daß er leichte Schritte, die sich näherten, nicht hörte, und daher höchlich erstaunte, als der Mantel unversehens von einer Hand zurückgeschoben und statt des Planeten Venus die ganze Gestalt der Donna Feniza Mayor de Cercal sichtbar wurde, hinter welcher der Knabe stand.
Correa erhob sich indessen mit ritterlicher Haltung und bat um Verzeihung, daß er keinen Hut abnehmen könne, weil das Meer ihm den seinigen geraubt habe. Aber noch mehr wurde er überrascht, als die in Lissabon so spröd und einsilbig gewesene Frau ihn jetzt mit großen Augen und unverkennbarem Wohlgefallen anschaute und mit fester wohltönender Stimme fragte, woher er komme und woher er sei.
Und von ihrer Schönheit von Neuem betroffen, war er kaum im Stande, das zurechtgezimmerte Märchen von seinem widrigen Schicksal als armer Edelmann, der sein Glück in weiter Welt zu suchen gezwungen und an diesem Ufer elendiglich gestrandet und im Stiche gelassen worden sei, mit einigem Zusammenhange vorzubringen. Um so bessern Eindruck schien er aber zu machen. Die Frau setzte sich statt seiner auf die Bank, und als sie im weiteren Verlaufe des Gespräches wahrnahm, daß der Fremde nach seinem ganzen Wesen ein junger Mann von Stand, Lebensart, Geist und Entschlossenheit sein müsse, lud sie ihn höflich ein, Platz neben ihr zu nehmen und sich auszuruhen, und schloß damit, ihm die wünschenswerthe Hülfeleistung und Gastfreundschaft auf ihrer Burg anzubieten. Ein Hut werde sich ohne Zweifel auch aufbringen lassen, fügte sie bei, als sie schon auf dem engen Steige voran ging, während der schiffbrüchige Cavalier mit seinem Mantel folgte und der Page als, der letzte die Staffeln erkletterte.
Einige Tage später trug der glückliche Abenteurer nicht nur einen neuen Hut, sondern noch verschiedene andere schöne Kleidungsstücke, welche die Donna ihm geschenkt; nur den alten Mantel mit dem Sternhimmel hatte er noch umgeschlagen, als er mit ihr den Staffelweg hinunter stieg, um an dem einsamen Strande spazieren zu gehen. Die Sonne gab aber so warm, daß das sehr hübsche Paar bald einen Schatten suchte und jene Grotte betrat. Hand in Hand saßen sie auf der Steinbank, und als die Sonne tiefergehend auch hier eindrang, hingen sie scherzend den Mantel vor den Eingang und betrachteten die von den Motten geschaffenen Sternbilder.
Noch nie haben Sterne der Armuth ein schöneres Glück bestrahlt! flüsterte Correa und legte den Arm um die schlanke Frauengestalt. Sie deutete mit dem Finger auf ein etwas größeres Loch, das vielmehr wie ein kleiner Riß aussah:
Hier glänzt sogar eine Mondsichel unter den Sternlein, gleich dem Hirten unter den Schäfchen, wie die Dichter sagen!
Das ist nicht von den Motten, sondern ein verjährter Degenstich! erwiderte
Correa. Sie wollte wissen, woher der Stich rühre, und er erzählte, wie er als
junges Studentchen einst sich seiner Haut habe wehren müssen, als er nächtlicher
Weile einem unter dem Hause einer Schönen plärrenden Ständchensinger im
Vorbeigehen ein „Halt's Maul!“ zugerufen habe. Denn von Frauenliebe
Ob er jetzo wirklich ernsthaft zu lieben verstehe? fragte Feniza Mayor und küßte ihn, eh' er zu antworten vermochte.
So ging es den einen wie den andern Tag, bis die sonst so gemessene und stolze Dame von Cercal gänzlich bethört und in Leidenschaft verloren war, und Don Correa fand weder Zeit noch Gedanken, über das Wunder sich zu verwundern, da er selbst in hitziger Verliebtheit gefangen saß; kurz es war nicht zu ergründen, welches von Beiden das Andere in so kurzer Zeit verführt und verwandelt habe. Da blieb es denn, weil nichts sie hinderte, nicht aus, daß sie sich zusammen verlobten und die Hochzeit vorbereiteten, die in aller Eile vor sich gehen sollte.
Donna Mayor fragte kaum, woher er stamme und gab sich mit dem Märchen zufrieden, das er ihr aufband, in der Meinung, eines Tages als der vor sie hinzutreten, der er war. Um so unbefangener gab er sich jetzt dem Vergnügen hin, von ihrem Liebeseifer sich kleiden, speisen und tränken und liebkosen zu sehen, da er hieraus die Ueberzeugung schöpfte, daß er so viel Gunst nur sich allein verdanke.
Die Hochzeit wurde im Palaste der kleinen Stadt
Etwa ein halbes Jahr lang lebte man nun wie auf der Insel der Kalypso, bis der
Thatendurst des Salvador Correa endlich mit doppelter Gewalt wieder erwachte und
ihn nicht länger so weichlich dahin leben und träumen ließ. Er hatte schon
geheime Winke erhalten, daß die Regierung sich seiner zu bedienen und trotz
seinen
Im Augenblicke seines Eintretens stand die Donna des Hauses leichenblaß und ohne alle Fassung, so unvorbereitet war sie, irgend etwas zu sagen oder zu thun. Bei ihr standen der Stallmeister, der sein zerstörtes Ammonshorn auf dem Schädel mit der Hand bedeckte, und die Kammerfrau. Correa, der immer in der besten Meinung lebte und arglos guter Laune war, umarmte die Frau zum Abschied und theilte ihr beiläufig mit, er habe den Stallmeister, der ihm als dem Herren nicht gehorchen wolle, soeben aus dem Dienste gejagt, und da es in Einem hinginge, so entlasse er auch die rothröckige Kammerdame, deren Gesicht ihm nicht gefalle. Beide Personen wünsche er bei seiner Rückkunft nicht mehr zu treffen und werde für anständige und ihm genehme Leute sorgen.
Niemand regte sich oder erwiderte ein Wort. Auf der steinernen Wendeltreppe, die er nun hinabstieg, drückte sich der Page mit feindseligem Blick in eine Ecke. Geh' hinauf zur Frau, rief er ihm zu, und sag' ihr, ich hätte Dich auch fortgejagt! Sollte ich Dich noch sehen, wenn ich wiederkomme, so werf' ich Dich aus dem Fenster! Wie eine Spinne rannte der Page treppan.
Im Thorwege standen die Pferde gesattelt und der Reitknecht im Reisekleid dabei.
Er benahm sich aber so zögernd und verdrießlich, daß der Herr den Widerwillen
Steh'n wir so? sagte Don Correa bei sich selbst, als er die Flucht des Burschen bemerkte. Anstatt denselben zu verfolgen, setzte er aber seinen Weg fort, da er sich lieber allein behelfen als solchen Dienern anvertrauen wollte. Im Uebrigen belustigte ihn die Sache eher, als sie ihn ärgerte, und fast bedünkte es ihn, es sei kurzweiliger, ein Weibchen zu besitzen, wo sich ein bischen Pfeffer und Salz daran finde, statt lauter Honig.
Die Angelegenheit in Lissabon erledigte sich nach Wunsch. Er wurde zum Vice-Admiral ernannt und Jedermann wollte, da er jetzt öffentlich auftrat, sein bester Freund sein. Doch rüstete er sich sofort zur Abreise, da er von der Regierung den Auftrag hatte, mit drei großen Kriegsschiffen nach Brasilien zu gehen und die dortigen Geschäfte vor der Hand zu übernehmen.
Das Admiralschiff ließ er zur Aufnahme einer vornehmen Dame einrichten und aus
seinem Familienpalaste jede Bequemlichkeit und stattliches Geräthe hintragen.
Auch kostbare Geschenke aller Art kaufte er ein, welche er der Gemahlin bei
ihrer Ankunft auf dem Schiffe zu überreichen und so das von ihr Empfangene
reichlich
Die Kunde von dem Auftreten Don Correa's verbreitete sich im Lande; aber so wenig das Publikum etwas von seiner Verheirathung wußte, so wenig ahnte die Frau von Cercal, daß von ihrem Manne die Rede sei, wenn sogar in ihre entlegene Felsenwohnung das Gerücht von dem Glanze des neuen Admirals drang.
Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, in einer mondlosen Nacht fuhren die drei
mächtigen Schiffe heran und stellten sich in gehöriger Entfernung dem Schlosse
gegenüber auf, dessen Lage der Admiral nicht nur aus den dunklen Formen des
Gebirges, sondern auch den hell erleuchteten Saalfenstern des Hauptthurmes
erkannte. Um die Ueberraschung möglichst vollständig zu machen, ließ er nur die
nothwendigsten Laternen auf den Decks brennen und auch die gegen das Land hin
verhüllen. Desto heller und prächtiger strahlte das Innere des Admiralschiffes
und besonders die große Kajüte, welche einem fürstlichen Saale gleich sah. Eine
Tafel war mit Seidenscharlach und über diesem mit weißem Leinendamast gedeckt;
mit schwerem Silbergeschirr und vielarmigen Kandelabern beladen, welche mit
vergoldeten Gefäßen voll duftender Blumen ferner Himmelsstriche abwechselten,
ließ der Tisch
Um halb zehn Uhr begab sich Don Correa in ein Landungsboot und ließ sich an's
Ufer führen, nachdem er angeordnet, daß genau um Mitternacht, wo er auf der
Rückfahrt begriffen sei, alle Verdecke erleuchtet, die Raketen steigen und die
Kanonen der Breitseiten gelöst werden sollten. Er hatte sich in den alten
braunen Mantel gehüllt und einen einfachen Hut aufgesetzt. Am Ufer ausgestiegen,
befahl er der Bootsmannschaft, ruhig seiner zu harren, und schritt unverweilt
den Staffelweg hinauf, den er auch in der Dunkelheit zu finden wußte. Das
Burgthor war verschlossen; doch sah er durch Gitterspalten einen Lichtschein
sich bewegen und klopfte mit dem Degenknopf zwei Mal an das Thor. Mit einer
Laterne vor sich hinleuchtend, öffnete der abtrünnige Stallknecht den
„Geh vor mir her und leuchte!“ sagte Don Correa kurz, ohne den Burschen zweimal anzublicken. Derselbe gehorchte freilich diesmal dem Befehl; aber er sprang so behende treppauf, daß Correa nicht auf dem Fuße folgen konnte und im Dunkeln tappen mußte. Oben angelangt, stieß der Knecht eine Thüre auf und rief mit athemloser Kehle in das erhellte Gemach hinein: „der Herr ist da!“
„Wer ist da?“ sagte Donna Feniza, die in ihrem Armstuhle am Nachtessen saß.
„Er, der die Ohrfeigen gibt und uns Andere weggejagt hat oder noch wegjagen wird!“
„O Du Esel!“ rief die Frau in all' ihrem Reize und ließ zugleich ein kurzes Gelächter läuten, als sie jetzt dicht hinter dem Burschen den Admiral stehen sah und wie er ihn an der Schulter bei Seite schob.
Dieser nun schaute mit einem völligen Schrecken auf die Scene, wenn bei einem
Manne seiner Art das Wort angewendet und nicht eher mit dem Ausdruck äußerstes
Erstaunen zu ersetzen ist. Am runden Tische, an welchem er so manche schöne
Stunde ihr gegenüber gesessen, waren außer der Herrin noch zu sehen der
Stallmeister, die Kammerfrau, der junge Beichtvater, und ihr zunächst ein
Unbekannter, ein stämmiger Mensch von halb kriegerischem Anstrich, mit breiten
Schultern und einer langen Schmarre über Nase und halbes Gesicht hinweg, so daß
auch der
Dennoch waren in der Verwirrung seines Geistes die ersten Gedanken nicht auf diese Sorgen gerichtet, sondern auf die glänzende Versammlung an Bord seines Schiffes. Wie sollte er, ohne Zeit zu verlieren und ohne Gewalt zu brauchen, das Haus räumen und die Frau gütlich bewegen, sich in Staat zu werfen oder wenigstens etwas aufzuputzen und ihn zu begleiten, ohne daß er jetzt schon das Geheimniß verrieth? Denn trotz dem übeln Eindrucke, den der Auftritt auf ihn machte, schwankte er noch nicht, die wild gewordene Taube festzuhalten und wieder zu zähmen, und dazu brauchte er ja vor Allem die herrliche Ueberraschung, die er mit so viel Mühe und Sorgfalt ihr bereitet hatte.
Aus diesen Gedanken, während welchen er nicht einmal zu bemerken fähig war, wie die Frau nicht Miene machte, sich auch nur ein wenig zu erheben und ihm entgegen zu gehen, weckte ihn unversehens ihre Stimme, als sie inmitten der allgemeinen Todesstille sagte:
„Ei wahrlich! Das ist ja mein Gemahl! Und wie!
Habt Ihr, edler Don, Kleider und Geld, was ich Euch gegeben, auf Eueren Irrfahrten so bald durchgebracht, daß Ihr in Euerem mottenzerfressenen Bettlermantel wieder vor mir steht?“
Er überlegte einen Augenblick, was sie eigentlich gesagt habe, und fand, daß es jedenfalls nichts Schönes und Liebevolles sei. Einen Blick auf die kleine Tafelrunde werfend, antwortete er, mehr um aus der Verlegenheit zu kommen, mit trockenen, aber nicht ganz traulichen Worten:
„Laß Dich lieber fragen, meine gute Hausfrau, wie es kommt, daß ich hier die Leute noch vorfinde, die ich weggeschickt habe, bis auf den Spatz, der hinter Deinem Sessel steht? Hat dieser nicht ausgerichtet, daß er entlassen sei? Und wer ist der fremde Herr, den ich an meinem Tische so breit da sitzen sehe, ohne mein Vorwissen?“
Die Dienstleute blickten alle halb spöttisch, halb ängstlich auf die Gebieterin; der Fremde warf einen Blick auf sein Seitengewehr, das an breiter Koppel von gelbem Leder mit großen Messingschnallen in der Fensternische hing.
Feniza aber sagte mit schnippischen und schnöden Worten:
„Dieser Tisch ist, so viel mir bewußt, mein Tisch, und es sitzt daran, wem ich es
erlaube. Nehmt, statt zu zanken, lieber den Platz ein, der noch frei ist, und
stärkt Euch, wenn Ihr Hunger habt! Aber benehmt Euch
Das plötzliche Gelächter der Anwesenden war zunächst das Echo dieser Rede. Selbst der spitznäsige Page ließ ein durchdringendes Gekicher hören, wie es zu tönen pflegt, wenn unerwachsene Buben sich in die Unterhaltung der Erwachsenen mischen und dieselbe überschreien.
Es gab aber gleich darauf einen größeren Lärm. Don Salvador hatte sich mit wechselnder Farbe dem Tische genähert, legte die Hand daran, und indem er sagte: „So? strecke ich meine Füße unter den Tisch?“ stürzte er denselben um mit Allem, was darauf stand, mit Schüsseln, Krügen, Gläsern und Leuchtern, und dies mit einer solchen Gewalt, daß zu gleicher Zeit Alle, die daran gesessen, sammt ihren Stühlen zu Boden geschleudert wurden, mit Ausnahme der Frau. Die hatte, von des Mannes verändertem Gesicht und von seinem Herantreten erschreckt, sich merkwürdig schnell von ihrem Stuhl erhoben und in eine Ecke geflüchtet, von wo sie furchtsam und neugierig hervor schaute.
Indessen war der Erste, der sich aus der Verwüstung vom Boden aufgerichtet, der
fremde Gesell, und Correa sah nun, als jener auf den Beinen stand und mit dem
gezogenen Schwerte auf ihn eindrang, daß er es mit einem außergewöhnlich großen
und starken Manne zu thun hatte. Er verlor aber keine Zeit; obgleich feiner und
schmächtiger gewachsen, als Jener, ergriff er den
Dann stellte er sich, auf die gezogene Degenklinge gestützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knieen und ausgestreckten Händen da stand, und sagte, nachdem er sie eine Weile ernstlich betrachtet:
„Was bist Du für ein Weib?“
„Was bist Du für ein Mann?“ fragte sie entgegen mit furchtsamer Stimme und immerfort zitternd.
„Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur von Rio bin ich! Wirst Du mir nun gehorchen?“
Durch diese offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib in ihren Augen moralisch
wieder das Oberwasser. Denn
Sie schlug eine unangenehme Lache auf, indem sie rief:
„Nun merk' ich, was Du für ein Windbeutel bist! Ein Schlucker wie Du, den ich schiffbrüchig am Strande aufgelesen, und der berühmte, der reiche Don Correa!“
„Da Du mich nur mir selbst gegenüberstellst und der Vergleich Deine bösliche Beschimpfung aufwiegt, so kann ich darüber hinweg gehen!“
Mit diesen Worten, die er mit einer durch die äußerste Noth gebotenen Gelassenheit aussprach, da die Zeit unaufhaltsam verstrich und er in seiner Verstrickung aller Sinne nur die Schande und das gefährdete Ansehen erblickte, wenn er wie ein Thor unverrichteter Sache zu seinen Schiffen zurückkehrte, — mit diesen Worten ergriff er das Weib am Arme und führte es an ein Fenster, welches auf das nächtliche Weltmeer hinausging.
„Dort liegen meine Schiffe vor Anker“, sagte er; „in einer halben Stunde werden
wir Beide dort sein, wo viele Herren und Damen uns erwarten und Du als meine
Gemahlin begrüßt wirst! Morgen früh kehren wir nochmals hierher zurück, um
einzupacken und eine zwischenweilige Verwaltung zu bestellen, denn Du wirst
„Warum sollte ich Dir nicht gehorchen, da ich erfahren, wie Du an mir hängst?“ flüsterte sie in zärtlichen Lauten; „Alles ist vorüber und ich gehe mit Dir bis an das Ende der Welt. Aber ich kann mich nicht allein ankleiden und die Kammerfrau hast Du mir vertrieben, also wirst Du mir ein wenig helfen müssen!“
Sie ergriff süß lächelnd seine Hand und er folgte ohne Widerstand in ihre Kammer, in der Hoffnung, seine Ehre mindestens vor der Welt noch zu retten. Doch behielt er den gezogenen Degen in der Hand, da die Drohung so schnell gewirkt.
Nun begann sie aber die kostbare Zeit zu verzetteln, indem sie erst mit
verstellter Unentschlossenheit ein Staatskleid aussuchte und mit niedlichem
Geplauder seinen Rath verlangte, dann das Oberkleid, das sie trug, von ihm
aufnesteln ließ, tausend Kleinigkeiten herbeiholte, dazwischen mit Kosen und
Schmeicheln sich zu schaffen machte, bis
„Wenn Du nicht gleich fertig wirst,“ sagte Correa, „so trag' ich Dich mit Gewalt hinunter wie Du bist.“
„Nur noch das große Halsband will ich holen“, rief sie, „und den Rubin, der zu dem schwarzen Kleide so gut steht. Und meine weißen Kragen hat die Kammerfrau heute unter den Händen gehabt. Im Augenblick bin ich wieder da.“
Damit schlüpfte sie aus einer Thüre, eh' Correa sich besonnen hatte, ob er sie gehen lassen wolle. Die Thüre verschloß sie von außen, ganz leise, und durcheilte mit dem Licht in der Hand die übrigen Räume, bis sie ein Stockwerk tiefer ihre vertriebenen Genossen fand, die mit lauernden Blicken in einem Häuflein standen.
„Zündet an! Zündet an!“ kreischte sie heiser; „er ist ein Pirat und hat ein Schiff auf der See! Steckt unverzüglich an, es wird Euch nicht reuen! Zündet an! Freiheit und Leben sind wol einen alten Thurm werth!“
Gleich einer Furie eilte sie voraus und hielt das Licht an einen Haufen Reisig,
der auf einer hölzernen Treppe lag, während die Uebrigen ein Gebirge von
Strohwellen in Brand setzten, das die steinerne Haupttreppe verstopfte. Dann
wurde in der Küche ein großer Stoß entzündlicher Stoffe entflammt, deren Gluth
bald die hölzerne Diele ergreifen mußte; dann vertheilten sich die Dämonen auf
den untersten Flur, in den Stall, die Scheune, den Holzschuppen
„Das ist kein Pirat, das ist ein großer Capitän oder gar ein Admiral“, stöhnte Der mit der Schulter, der im Fieber schlotterte.
„Fort, Fort! Es ist der Teufel!“ schrie die Donna Feniza, die jetzt auch wieder zu schlottern anfing, und die Cavalcade der Mordbrenner floh ohne sich weiter umzusehen über das Gebirge.
Der Admiral ging aber nicht verloren. Nachdem mehrere Minuten vorüber und die
Frau nicht zurück war, wollte er selbst nachsehen, und als er alle Thüren von
außen verschlossen fand, merkte er den Verrath. Als er
Im Boote angelangt und seinen Sitz einnehmend befahl er die sofortige Abfahrt,
und als er genugsam vom
Das Gefühl der Befreiung von einer unbekannten schmachbringenden Zukunft und der unmittelbaren Lebensgefahr erhellte dennoch etwas die dunkle Laune, sodaß er auf seinem Admiralschiffe die glänzende Gesellschaft zu Tisch sitzen ließ und mit gefaßtem Sinne einige Worte an sie richtete. „Er habe geglaubt,“ sagte er, „den Herrschaften eine ehrliche Gemahlin und Reisegefährtin vorstellen zu können; allein der unerforschliche Wille der Vorsehung hätte es dahin gelenkt, daß eine Flamme des Unheiles und des Unterganges angezündet und ein Gericht nothwendig geworden sei, welches das traurige Räthsel den Freunden lösen werde.“
In der That setzte er nach beendigter Mahlzeit noch vor Tagesanbruch ein
Standgericht nieder, welches die Verfolgung und Aburtheilung der Urheber des
Schloßbrandes aussprach. Der Umstand, daß das Verbrechen im Angesichte eines
Kriegsgeschwaders verübt und dessen Führer beinahe das Opfer wurde, schien die
Gerichtsbarkeit
So treulich die seltsame Sippschaft früher zusammen gehalten und so anhänglich
die Dienstleute der Herrin bisher geschienen, so gänzlich zertrümmert war jetzt
das alles. Eines sagte gegen das Andere aus, Eines gegen Alle und Alle gegen
Eines. Es ergab sich, daß die
Mit alledem waren das Wesen und die Seele der Feniza selbst nicht weiter aufgeklärt, als die Thatsachen gingen. Der Vergleich mit dem schönen weichen Fell einer geschmeidigen Tigerkatze, oder mit der blauen stillen Oberfläche eines tiefen Gewässers, auf dessen Grunde häßliches Gewürme im Schlamme kriecht, u. dgl. hätte zu nichts geführt. Ihr Charakter war darum nicht minder auch ihr Schicksal. Wäre es ihr möglich gewesen, in der letzten Stunde den Worten des Mannes zu glauben, mit dem sie sich doch verbunden hatte, so wäre sie ohne Zweifel mit ihm gegangen und gerettet worden. Aber nur für einmal; denn nachher würde sie es nicht über sich gebracht haben, die Selbstsucht, Willkür, die Liebe zum Laster und die vollendeten Künste der Heuchelei zu unterdrücken, die ihre Lebenslust waren.
Jetzt war sie aber ärger zerbrochen, als die Schulterknochen ihres Buhlgesellen. Als Correa seine Aussage thun mußte, blickte er sie nicht an; dennoch erschien er ihr auf seinem Stuhle wie ein Höllenrichter. Das weiße feine Kinn, das einst so vornehm auf dem Halskragen geruht hatte, zitterte fahl und schlaff ohne Unterlaß, während ihre scheuen Augen an seinem Munde hingen, und die Perlenzähne klapperten beinahe vernehmlich. Alles dies quälte den Admiral fast so viel, wie sie selbst. Denn war sie schuldiger, weil das Geschöpf den wahren Menschen in ihm nicht geahnt hatte, als er, dem es mit der Bestie in ihr gerade so ergangen war?
Nachdem in Folge kurzer Berathung alle Angeklagten zum Tode verurtheilt worden, ließ er das Gericht durch ein paar geistliche Capitelsherren, die an Bord waren, vervollständigen und seine Ehe mit der Verbrecherin feierlich auflösen. Die Gültigkeit dieser letzten Verhandlung kam nicht mehr in Frage, weil die Feniza Mayor von Cercal gleich nachher mit ihren Genossen an's Land zurückgebracht und an der geschwärzten Mauer des ausgebrannten Thurmes aufgehangen wurde, worauf der Admiral die Anker lichten ließ und die Fahrt nach Westen fortsetzte. Nach vollen zehn Jahren erst nahm er auf ebenso ungewohnte aber glücklichere Weise die zweite Frau.
Um diese Zeit nämlich segelte der Admiral Correa von Brasilien aus mit einer
bedeutenden Flotte nach der Westküste von Afrika, um die dortigen Besitzungen
den Holländern wieder abzunehmen, welche sich während des portugiesischen
Verfalls darin festgesetzt hatten. Er erschien unversehens vor St. Paul von
Loanda, belagerte und erstürmte diesen und andere Plätze, und zwang überall die
Holländer zur Uebergabe und zum Rückzuge, so daß er in zwei Monaten die Gebiete
von Benguela, Loanda, kurz, die südliche Westküste von Afrika der Herrschaft
seiner Fahnen und seines Landes wieder unterwarf und seinen Namen mit neuen
Ehren erschallen ließ. Dazu brachte er an die zwanzig kleinere Negerkönige unter
die Gewalt seines Stabes, sah sich dann aber veranlaßt, Halt
Denn über die hinterliegenden Landstriche dehnte sich in unbekannter Weite das Reich des sogenannten Königs von Angola, dessen wahre Stärke nicht leicht zu berechnen war, zumal er sich in geheimnißvoller Ferne hielt und mit einem Nimbus von Macht und Schrecken umgab, der so gut auf einiger Wirklichkeit, als auch nur auf schlauer Prahlerei oder Täuschung beruhen konnte.
Correa setzte sich daher in einer geeigneten Landschaft fest und ließ den für
furchtbar geltenden Negerfürsten durch eine Gesandtschaft gefangener Häuptlinge
auffordern, sich bei ihm einzufinden, um seine Tributpflicht und die
portugiesische Oberherrschaft über ganz Angola anzuerkennen und für den Anfang
zum Zeichen guten Willens gleich so und so viel Goldstaub und Elfenbein
mitzubringen. Der König von Angola fühlte sich durch diese Botschaft nicht
angenehm berührt, suchte sich aber mit eigenthümlicher Staatsklugheit aus der
Sache zu ziehen. Er tödtete die armen Abgesandten, sobald sie Correa's Befehle
verkündigt, damit sie den Frevel nicht wiederholen konnten. Dagegen sandte er
schleunig eine eigene Botschaft mit einigen großen Elephantenzähnen und einem
Säcklein Goldsand in das portugiesische Lager, und ließ jene Gegenstände als
großmüthiges Geschenk der Freundschaft überreichen und die Abordnung seiner
königlichen
Der schreckliche Tyrann und Wüstenlöwe befolgte die Politik manches zahmen Spießbürgerleins in Europa, welches immer die Frau hinschickt, wo Muth und kluge Beredsamkeit erwünscht sind; nur mußte er, da er etwa hundert Frauen besaß, die er selbst nicht fürchtete, dafür zur Schwester greifen, die ein keckes Einzelstück war und im Gerüchte stand, daß sie schon einmal im Begriffe gewesen sei, den König, ihren Bruder, abzusetzen und hinrichten zu lassen.
Daß seine Abgesandten umgebracht worden seien, wußte Don Correa nicht; er
betrachtete daher die von dem angolesischen Herrscher getroffenen Maßregeln als
Zeichen eines halben Gehorsams und baldiger Unterwerfung; als er aber nach
einiger Zeit von den ausgesandten Spähern vernahm, daß Annachinga, die Fürstin
von Angola, sich mit einem Gefolge nähere, das eher einem Heerzuge gleiche, so
stellte er seine Truppen in einer Ordnung auf, die zur Schlacht wie zur
Ehrenparade diente. In der That wimmelte es wie ein schwarzer Wolkenschatten
heran, der immer mehr in's Breite wuchs und ein bald dumpfes, bald gellendes
Dröhnen von Menschenstimmen, Thiergeheul und kriegerischen Instrumenten aus sich
heraus gebar. Die Portugiesen fanden für gut, als Gegengruß ihre zahlreichen
schweren Geschütze abzufeuern, deren Metall in der afrikanischen Sonne funkelte,
worauf das dunkle Heerwesen,
Voraus wurde als Geschenk des Königs eine Herde wilder Thiere, Elephanten,
Giraffen, Löwen, Tiger und dergleichen an Ketten geführt, und zwar von Männern,
die mit ihrem hohen Wuchs und trotzigen Aussehen die Kraft und Ueberlegenheit
des Volkes zeigen sollten, mit welchem man es zu thun habe. Dann ritt ein
Dutzend persönlicher Vasallen der Annachinga auf ziemlich bunt geschirrten
Ochsen vorüber, jeder von einigen schild- und speertragenden Reisigen oder
Knappen begleitet, wahrscheinlich seinen Untervasallen; denn auch diese gingen
schlank wie Tannen und elastisch einher gleich Leuten, die auch noch irgend
Etwas unter sich haben. Auf einem mit Ochsen bespannten Wagen schwerfälligster
Form, der mit Decken behangen war, erschien endlich die Fürstin, in kostbare,
offenbar sehr alte Stoffe gekleidet, Hals und Arme mit einer Last von Ketten und
Ringen geschmückt. Sie saß nach abendländischer Weise auf ihrem Sitze, eine
kalte
Im Innern des Lagers wurde die Fürstin erst recht mit Trommeln- und Trompetenlärm
empfangen und eingeladen, vom Wagen zu steigen. Sauber gekleidete, aber
keineswegs hohe Officiere führten sie in eine leicht erbaute lange Zelthalle,
die durch Tapeten in verschiedene Räume abgetheilt war. Im ersten Raume befand
sich eine Versammlung von Würdenträgern und oberen Officieren, welche die
nöthigen Erkennungen mit der Fürstin austauschten und die einleitenden Gespräche
unterhielten, bis sie zu ihrer Verwunderung vernahm, daß der Höchststehende
Zwei Herren, die sie herein begleitet hatten und sich jetzt aufrecht auf die
Seite stellten, wiesen stumm auf das Kissen, als Annachinga sich umsah, wo sie
Platz nehmen solle. Sie bemerkte nichts, als das Trüpplein ihrer Frauen hinter
sich, und winkte eine derselben herbei. Diese kniete unverweilt hinter das
Kissen, indem sie die Arme auf den Boden legte und so in der Stellung einer
ägyptischen Sphinx einen Ruhesitz bildete. Auf diesen Sitz ließ sich die Fürstin
würdevoll nieder, die Füße auf das vor ihr liegende Kissen streckend, stolz
„Es ist wohlgethan,“ ließ sich der Admiral nun vernehmen, „daß der Mann, den man den König von Angola nennt, meine Botschafter gehört und den Willen meines Landes und seines Gebieters geehrt hat, obgleich ich noch lieber gesehen hätte, wenn er selbst gekommen wäre!“
Nachdem die beiden Dolmetscher, die mit herein gekommen, diese Rede zuerst unter sich, dann dem Ohr der Fürstin verständlich gemacht, erwiderte sie:
„Du bist nicht ganz auf dem richtigen Wege des Verstehens, denn Deine Abgesandten wurden nicht angehört, sondern vertilgt, wie sie den Mund aufthaten!“
Als diese Worte wiederum übersetzt waren und Don Correa ihren Sinn erfuhr, schwieg er eine Weile und ließ nur sein blitzendes Auge auf der schwarzen Person ruhen. Dann ließ er fragen, warum man die Boten getödtet habe und was man für einen Erfolg von dieser That erwarte?
„Sie wurden getödtet,“ antwortete sie, „weil sie die Unterthanen und Dienstleute des Königs gewesen sind und Unwürdiges gegen ihn in den Mund genommen haben. Durch ihr Blut wurde seine Würde versöhnt, Dir aber ist kein Schaden dadurch geschehen, da Du jetzt anbringen magst, was Du von uns wünschest!“
„Ich habe nicht zu wünschen, sondern zu befehlen und zur Rechenschaft zu ziehen!“
sagte der Admiral in strengem
Allein ohne sichtbaren Eindruck dieser Worte, ohne mit den Wimpern oder den Lippen zu zucken, erwiderte Annachinga auf die Drohung:
„Du wirst Dich auf die sechzig oder siebenzig weißen Leute besinnen, die in unseren Händen sind! Mehr als die Hälfte davon gehören Deinem Lande an!“
Hiemit schien die Sage bestätigt, daß eine ziemliche Zahl Europäer im Innern von Angola festgehalten werde, wie denn auch seit Jahren manche holländische und portugiesische Kaufleute verschwunden und erst in letzter Zeit noch einzelne Soldaten, die sich verirrt, in Gefangenschaft gerathen waren. Obgleich die schwarze Dame muthmaßlich übertrieb, so konnte immerhin genug an der Sache wahr sein, und Don Correa überdachte einen Augenblick das Mißliche des Umstandes und was er zu antworten habe. Aber die Negerfürstin, gleich einer vollendeten Diplomatin, ließ seine Verlegenheit nicht dauern oder groß werden, sondern fuhr sogleich fort, indem sie plötzlich auf die Hauptfrage übersprang.
„Wir wissen nicht,“ sagte sie, „welchen Nutzen Du Dir davon versprichst, uns als
Unterworfene zu behandeln und uns die Knechtschaft anzubieten, ehe Du nur unsere
Macht geprüft, einen Angriff gewagt, geschweige denn uns überwunden hast. Und
wenn Du uns wirklich besiegt hättest, so wären die Vortheile für Dich geringer,
Hatte Don Correa schon an der Art ihres Aufzuges erkannt, daß er es mit einer gewissen Macht zu thun hatte, die vielleicht nicht ungestraft zu unterschätzen war, so mußte er sich jetzt sagen, daß dieselbe auch wußte, was sie wollte, und mit Vernunftgründen zu unterhandeln fähig schien. Er änderte also schnell entschlossen seinen Plan und sagte:
„Da man uns bestimmte und deutliche Anträge macht, welche von ehrlichem
Entgegenkommen zeugen, so ist genügender Grund vorhanden, hierüber Rath walten
zu zu lassen. Ich bin bereit, bis zum Austrag der Sache freie Verhandlung auf
gleichem Fuße zu gewähren, und behalte mir den endgültigen Entschluß nach
Umständen
Die Fürstin erklärte, das letztere vorzuziehen, und erhob sich mit derselben stolzen Würde von ihrem Sitze, mit welcher sie sich darauf niedergelassen hatte. Zugleich erhob sich auch der Admiral, um sie seinen Worten entsprechend auf gleichem Fuße zu behandeln und ritterlich hinaus zu geleiten. Als dergestalt die Anwesenden dem Ausgange zuschritten, bemerkte Don Correa, daß die knieende Sklavin unbeweglich liegen blieb, und machte lächelnd die Fürstin aufmerksam, daß sie vergesse, ihren lebendigen Feldstuhl mitzunehmen.
„Ich setze mich nie zum zweiten Male auf denselben Stuhl“, antwortete sie ohne zurückzublicken. „So mag er dem Hause bleiben, in welchem ich mich seiner bedient habe. Ich schenke Dir diese Person!“
So aufschneiderisch diese Rede klang, so gab sie ihm doch auf's neue zu denken, und er begleitete die Fürstin nicht ohne kriegerische Höflichkeit bis an den Ausgang des Lagers. Als er hierauf sich wieder in das große Zelt zurückzog, um zunächst die Angelegenheit für sich allein zu überlegen, bemerkte Don Correa mit einiger Ueberraschung, daß in dem verlassenen Raume das junge Weib noch immer still und reglos auf seinen Knieen und Ellbogen lag.
Er trat näher, ging um das schöne Bildwerk herum, welchem das Mädchen oder was es war, eher glich, als einem Lebewesen, und betrachtete mit Erstaunen und auch mit Verlegenheit die Erscheinung, mit der er nichts anzufangen wußte. Sie war in weißes Baumwollenzeug gekleidet, das von den Schultern bis zu den Füßen ging und unter den Armen bis gegen die Hüften hin mit Binden von gleicher Farbe umwickelt war. Nur die hellbraunen Schultern und die Arme waren bloß und in Formen von vollkommener Schönheit und Ebenmäßigkeit gebildet. Das Haar erschien trotz seiner Ebenholzschwärze nicht so wollig, wie bei den Negern, sondern fiel in weicheren breiten Bändern rings vom Haupte, nachdem es ein auf diesem befestigtes, kronenartiges Körbchen von Weidenzweigen durchflochten. Von dem Gesichte konnte Don Correa nichts sehen, weil es zur Erde gerichtet und von dem niederhängenden Haar verschleiert war.
Obgleich gegen Sklaven und farbige Menschen gleichgültig und verhärtet wie die ganze gebleichte Welt, bückte er sich endlich doch ein wenig und sagte in mitleidigem Tone: „Wie lange wirst Du noch liegen? Steh' auf!“
Das arme Weib errieth den Sinn dieses Befehles und richtete sich empor; doch
waren die Glieder von der unnatürlichen Lage beinahe erstarrt und der Athem
beengt; sie schwankte im Aufstehen und wußte sich nicht recht zu helfen, so daß
Don Correa ihr die Hand reichen und sie einen Augenblick halten mußte, um sie
vor dem Umfallen
Zugleich beschloß er auf derselben Stelle, die heidnische
Als sodann Don Correa die Unterhandlungen mit der angolesischen Königsschwester
bis zu einem gewissen Punkte weitergeführt und diese sich mit ihrem Troß
hinwegbegeben hatte, eilte er ebenfalls nach Loanda St. Paul. Er fand die
Sklavin bei den Frauen des Offiziers wohl aufgehoben und schon in christlicher
Tracht einhergehend, das dunkle Haar nach Art der portugiesischen Mägde
bescheiden geflochten und aufgebunden. Es wollte ihm beim ersten Anblick fast
vorkommen, als hätte sie mit der einfachen Weidenkrone und dem weißen
Wickelgewande einen guten Theil ihres geheimnißvollen Reizes verloren, und er
bedauerte beinah' schon die Umwandlung; doch sah er bald, daß die unschuldige
und weltursprüngliche Demuth ihres Antlitzes, verbunden mit dem natürlich edlen
Gang, der ihr eigen war, jedes Kleid beherrschten, das man ihr geben konnte.
Während des Verkehrs mit Annachinga hatte er diese einmal beiläufig, wie man
sich etwa aus Höflichkeit über die Beschaffenheit eines Geschenkes bei dem Geber
erkundigt, befragt, welcher Race
Höflich, aber leichthin, der Geringfügigkeit des Gegenstandes entsprechend, dankte Don Correa der Dame für ihren sportmäßigen Rath und nahm das Gespräch über die wichtigeren Staatsgeschäfte wieder auf.
In Loanda fand er jetzt die Angaben der Annachinga durch das, was man inzwischen der Sklavin hatte abfragen können, so ziemlich bestätigt. Sie erinnerte sich dunkel, als kleines Kind steinerne Häuser an einem Wasser gesehen und einen großen Lärm und Rauch erlebt zu haben, dann an der Hand oder auf dem Arm der Mutter durch unendliche Landstrecken gekommen zu sein, bis die Königsschwester von Angola Mutter und Kind gekauft. Deutlicher war ihr das spätere gegenwärtig, wie die Mutter von der Fürstin hart behandelt worden und frühzeitig gestorben sei. Sonst wußte sie von nichts weiter, als daß sie Zambo hieß.
Das nächste, was der Admiral nun that, war, daß er sie taufen ließ und hiefür ein kleines Fest veranstaltete, ohne im übrigen sein Vorhaben zu verrathen. Die Kirche wurde mit Palmenzweigen und Blumen geschmückt, unter dem Vorwande, diesen ersten Sieg über das noch zu unterwerfende Königreich zu feiern, und der Altar flimmerte von Lichtern. Ein Dutzend Jesuiten sangen und musizierten während des Hochamts gleich hundert Nachtigallen, und der dreizehnte hielt die Predigt, in welcher er die erbauliche Vorstellung ausmalte, daß Zambo ein letzter Nachkomme der weisen Königin von Saba sei und nun erst das Heil erworben habe, das diese merkwürdige Vorfahrin im alten Testamente bei den Juden vergeblich gesucht.
Don Correa selbst war der Taufpathe und die vornehmste Frau in Loanda die Pathin,
als die Handlung
Auf einmal ertönte die laute Stimme eines der Priester, der rief: „Wunder! Wunder! Ein großes Heil ist geschehen! Der Herr ist eingekehrt in seine irdische Wohnung, in sein liebliches Pavillon und Sommerhäuschen! Er will die erste Heidin sehen, die wir hier getauft haben!“
Alles blickte starren Auges auf das Altarbild, auf welches die Zambo gedeutet hatte, und bald rief hier, bald dort Einer aus der Menge: Ich seh' es auch! Ich seh' es auch! ohne daß Jemand wußte, was eigentlich zu sehen sei. Die Jesuiten, schnell gefaßt, die günstige Gelegenheit zu packen, schlugen alle weiteren Erörterungen mit einem mächtigen Tedeum nieder, das sie anstimmten und in welches alles Volk einfiel. Dann ergriffen sie die Neugetaufte und führten sie mit Kreuz und Fahne in Procession in der Kirche und um die Kirche herum, unter geschwungenen Räucherfässern und fortwährend ihr Ora pro nobis singend. Immer mehr Volk lief herbei, und in kurzer Zeit war sie ihrem Herrn und Beschützer abhanden gekommen und unsichtbar geworden; denn man schleppte sie auch noch in den Straßen herum und in verschiedene Häuser hinein, wo man sich an ihrem Anblicke erbauen wollte.
Endlich ging Don Correa, sie zu suchen, und holte sie aus dem dicksten Haufen
Leute heraus, wo sie sich ersichtlich voll Furcht und Angst befand, da sie gar
nicht wußte, was Alles zu bedeuten habe, und zu glauben begann,
Zambo saß zwischen der Pathin und ihrer bisherigen Pflegerin. Sie war mit einem
weißen Schleier und einem
Don Correa, der ihr gegenüber saß, mußte sich etwas zusammennehmen, sie nicht zu oft anzusehen, nicht nur der anwesenden Frauen, sondern auch des Geistlichen wegen, der sie getauft hatte und ebenfalls zugegen war. Obgleich die braune Marie schon einigermaßen an das abendländische Tischgeräthe gewöhnt war, vermochte sie doch nicht zu essen; denn der Wechsel der Eindrücke, die sie so rasch nach einander empfangen, bedrückte ihr Herz. Sie glaubte sich wol der Gefahr entzogen und fühlte auch, obschon sie nicht ein Wort der Tischgespräche verstand, man rede freundlich von ihr; doch ihre neue Lage, Umgebung und Zukunft erschienen ihr so gänzlich fremd und unbekannt, daß die Reglosigkeit ihrer Seele eher zu- als abnahm. Erst als Don Correa eigenhändig einen Teller mit süßen Früchten und portugiesischem Backwerke füllte und ihr denselben hinüberreichte, fing sie gehorsam und ehrfürchtig an zu naschen und aß den Teller tröstlich leer. „Ei seht,“ sagten die Frauen, „wie gut sie dem gütigen Herren zu gehorchen versteht! Wahrhaftig, seine Gnaden haben eine Eroberung gemacht!“
Als nun Alles über den unversehens leer gewordenen Teller lachte, schaute Maria
verwundert um sich und lachte auch. Noch Niemand hatte sie lachen sehen und
Unterdessen war die Dämmerung hereingebrochen und die Gesellschaft erging sich
nach aufgehobener Tafel noch einige Zeit im Freien, um die wohlthuende Nachtluft
zu genießen, welche Meer und Land balsamisch kühlend umfloß. Ueber den
Gesprächen der zerstreut auf und nieder gehenden Leute blieb die Zambo oder
Maria unbeachtet, wie es so zu geschehen pflegt, nachdem der Mensch sein
bescheidenes Theil Aufmerksamkeit erregt hat. Sie stand abseits unter einer
Gruppe hoher Palmenbäume, an einen der Stämme geschmiegt, und blickte unverwandt
nach Westen, wo die Sichel des untergehenden Mondes über dem Meere glänzte, und
zwar so stark, daß die Palmen ihren Schatten warfen. Die äußerste Kante des
großen goldenen Gestirnes schimmerte noch extra im fernen Sonnenlicht gleich
einem blitzenden schmalen Ringe, während Zambo's scharfes Auge zugleich die nach
dem Innern des Ringes hin allmälig verschwimmenden Gebilde wahrnahm, die von dem
Lichte schwächer getroffen, ihr aber vertraut waren. Stets aber hing das Auge
wieder an dem blitzenden Ringe. Es war die letzte Ueberlieferung eines
wahrscheinlich schon seit tausend Jahren untergegangenen Cultus, welche in dem
Mädchen von der alten Heimath oder der todten Mutter her noch dämmerte;
Da faßte Jemand sänftlich diese Hand; es war Don Correa, der vorsichtig an sie herangetreten und ihr dieselbe Hand auf den Mund legte, zum Zeichen, daß sie schweigen solle. Dann streifte er einen schimmernden Ring an ihren Finger und küßte sie schnell auf den Mund, worauf er ebenso ungesehen hinweg schritt, als er gekommen war. Bald nachher ging die kleine Gesellschaft auseinander und Zambo kehrte mit ihrer Beschützerin in deren Behausung zurück.
Am nächsten Tage schon ließ der Admiral zwei seiner Schiffe unter Segel gehen,
die er nicht mehr brauchte, und sandte sie mit Depeschen, das eine nach
Brasilien, das andere nach Portugal. Auf demjenigen, das nach Brasilien ging,
hatte er in der Frühe bereits die Zambo nebst einer Dienerin untergebracht und
dem Befehlshaber auf die Seele gebunden. Die Schwester seiner längst
verstorbenen Mutter lebte in Janeiro als Aebtissin eines Conventes von
Dominikanerinnen. Dieser anvertraute er die Zambo mit einem Briefe, worin er die
vornehme Klosterfrau bat, das getaufte Heidenkind in den klösterlichen Schutz
aufzunehmen, mit christlicher Sitte und guter Lebensart bekannt zu machen und es
aber für die Rückkehr in die Welt bereit zu halten, alles unter Zusicherung
Die Abfahrt der Schiffe war freilich schon früher bestimmt gewesen; die Einschiffung der Zambo aber hatte er ganz plötzlich und rasch betrieben, und als die Jesuiten ihre Speculationen auf die Wunderperson an diesem Tage weiter ausarbeiten und vor allem nur die Visionärin in Sicherheit bringen wollten, fuhren die Schiffe längst außer Sicht, und der zukünftige Wallfahrtsort an der Westküste des Welttheils verwandelte sich einstweilen in ein Luftschloß und ist es auch geblieben.
Zambo-Maria selbst wußte am wenigsten, was mit ihr vorging. Als der Admiral seine letzten Anordnungen auf dem Schiffe getroffen und dasselbe verließ, hatte er sich zum Abschiede nicht länger bei ihr aufgehalten, als bei anderen Nebenpersonen, und kaum ihre schmale braune Hand einen Augenblick in die seine genommen und gestreichelt, indem er seinem guten Taufpathchen, daß es Jeder hören konnte, ein par gewöhnliche Worte der Aufmunterung sagte, dann aber sich abwendete und nicht mehr umsah. Das Naturkind schien aber die Hauptsache schon soweit zu verstehen, daß sie die par leichten Liebkosungen, die sie von ihm erfahren, sowie das Geschenk des Ringes sorgfältig bei sich behielt, obschon die Frauenspersonen bereits das eine und andere Wort mit ihr austauschen konnten und sie schon auf dem Schiffe ein weniges portugiesisch plaudern lernte.
In der Zeit waren auch die Unterhandlungen mit dem Königreich von Angola zu Ende geführt und die Fürstin, wie gesagt, mit ihren Leuten abgezogen. Die Schlauheit und Beredtsamkeit der schwarzen Diplomatin konnte nicht hindern, daß ihr Bruder doch als Vasall der Krone Portugals betrachtet und schließlich Don Correa zum Regenten in Angola ernannt wurde. Er regierte das Königreich mehrere Jahre.
Mit Ablauf des ersten Jahres aber fuhr er nach Rio de Janeiro hinüber, um das Kleinod heimzuholen, das er dort aufgehoben wußte, und Hochzeit zu halten. Zur Belohnung für seine Thaten hatte der König unter anderm seinem Wappen zwei Negerkönige mit goldenen Kronen als Schildhalter beigegeben. Diese Figuren widmete er der zukünftigen Gattin als Zierat, indem er sie auf Geräthe, Schmuck und Tapezerei, die er in den europäischen Fabriken bestellte, überall anbringen ließ. Noch auf dem Schiffe, als es in den Hafen von Rio de Janeiro einlief, entwarf er in Gedanken ein Gemälde, das er bestellen wollte, auf welchem Zambo-Maria in der Tracht einer Königin von Saba getauft wurde und die zwei Mohrenkönige das Taufbecken hielten. Als er aber das Kloster der Dominikanerinnen betrat und im Sprechzimmer stand, um seine Frau Tante, die Aebtissin, nach dem jungen Weibe zu fragen, sagte ihm die nach der Begrüßung mit trockenen Worten, die braune Person sei vor kurzen Tagen fortgelaufen und verschwunden.
Don Correa erblaßte und stand wie vom Blitze getroffen. Der erste Gedanke sodann war nicht etwa ein Fluch auf die Entflohene, sondern auf die eigene Thorheit. „Warum hast du die arme Creatur nicht bei dir behalten“, sagte er sich, „und gleich geheirathet wie sie war! Jetzt wird sie zu Grunde gehen!“
Er fragte die Nonne, ob man denn keine Vermuthung hege, was sie zur Flucht
bewogen und wo sie sich hingewendet habe? Jene verneinte Alles und meinte, der
Admiral möge, wenn so viel an dem Weibe gelegen sei, sie jetzt selbst aufsuchen
lassen, wozu er mehr Macht und Mittel besitze, als sie. Erst jetzt ging er in
sein altes Wohnhaus zu Rio, das er zur Hochzeit einzurichten gedacht hatte. Er
fand schon manche Kiste mit angekommenen Sachen vor; aber statt sie zu öffnen,
sandte er nach allen Seiten Leute aus, die Spur der Verschwundenen zu suchen,
und machte sich selber auf den Weg, voll Erbarmen mit ihrer Rathlosigkeit. Auch
war die anfängliche Liebeslaune, die ihn beim ersten Anblick nach so langem
Unterbruche befallen, zeither zu einer inneren Neigung erwachsen, zu einem
tieferen Bedürfnisse, dieser Menschenseele außerhalb des Weltgeräusches so recht
für sich gut zu sein, und er fragte sich, als er fruchtlos nach ihr ausschaute,
ob er sich mit seinen äußerlichen und luxuriösen Anstalten und Bestellungen
nicht gegen die Einfachheit des unschuldigen Wesens versündigt und es zur Strafe
dafür nun verloren habe. Er erinnerte sich,
Von dem Verlangen getrieben, über das Wesen und Leben der Zambo im Kloster Näheres zu erfahren, eilte er wieder hin und befragte die Stiftsvorsteherin eifrig und sogar mit einer gewissen Heftigkeit, die über den Rang und Stand des Mannes, wie über die Tragweite der Sache fast hinauszugehen schien. Die alte Dame mit ihrem goldenen Kreuz auf der Brust sah ihn aus wohlgenährten Augenlidern blinzelnd aufmerksam an und erzählte dann sehr gelassen nur Gutes von der Negerin, wie sie die Maria nannte, trotzdem sie offenbar keine war. Sie habe die portugiesische Sprache schon ziemlich brauchen gelernt, sich still und gehorsam verhalten und gern mit den weiblichen Arbeiten beschäftigt.
„Welche Arbeiten?“ fragte Ton Correa, der wußte, daß die Damen in diesem Stifte
so wenig etwas thaten, was man arbeiten nennen konnte, als diejenigen außerhalb
desselben. Er fürchtete daher, das Mädchen möchte zu niedrigen Arbeiten, wo
nicht zum Sklavendienste gebraucht worden und vielleicht deshalb entflohen sein.
Allein die Aebtissin fuhr ausweichend fort, allerlei Vortheilhaftes von dem
verschwundenen Kinde zu bekunden, und dem Herrn wurde es nur immer bitterer und
fast traurig zu
Mit verworrenen Gedanken ging er endlich wieder in seine Wohnung, um sich nur etwas zu sammeln. Denn er, der sonst in Entschluß und That nie zu zögern pflegte, sah sich diesem Geheimnisse gegenüber durchaus ohnmächtig und unentschlossen. Die Dienstverhältnisse erlaubten ihm nicht, lang in Rio de Janeiro zu verweilen; verließ er aber die Stadt und das Land, so verlor er jede Hoffnung, die Zambo doch noch zu finden, und der Mann, der Land und Leute zu erobern gewohnt war, sah sich außer Stand, das unschuldigste und bescheidenste Heirathsproject auszuführen.
Als er in solchen düsteren Betrachtungen das Haus erreicht hatte und eben in
seinem Cabinette Degen und Handschuhe auf den Tisch warf, kam sein Page Luis
vorsichtig hereingeschlüpft, ihm eine merkwürdige Nachricht zu bringen. Es war
ein vierzehnjähriger aufgeweckter Knabe und seinem Herrn so ergeben und
vertraut, daß dieser ihn für sicherer und zuverlässiger hielt, als alle anderen
Diener, und ihm auch sonst wegen seines anmuthigen Wesens herzlich wohl wollte.
Luis hinterbrachte also nun, als er so von ungefähr in der Straße geschlendert
sei, habe ihn die Frau des Nachbars, eines alten französischen Schiffsherrn, die
für eine heimliche Protestantin gelte, herbeigewinkt und ihm hinter der
Don Correa erkannte sogleich die Wahrheit der Angaben und dankte der Frau dafür,
sie bittend, auch ihrerseits die Sache geheim zu halten. Ein stiller Grimm
erfüllte ihn trotz seiner katholischen Gesinnung gegen die Jesuiten, die
offenbar von Afrika aus über seinen Kopf hinweg die Hand im Spiele hatten, und
nicht minder erwachte sein Zorn gegen die verlogene Prälatin, seine Muhme. Diese
vermuthete in der That nicht mit Unrecht,
Der Admiral und Regent oder Vicekönig von Angola legte sich noch in der gleichen Nacht den Vorwand zurecht, die Reise nach Europa auszudehnen und am Hofe zu Lissabon über den Stand und die Zukunft der afrikanischen Angelegenheiten persönlich zu berichten, und am nächsten Tage ging er mit zwei Schiffen ostwärts unter Segel, ohne das Ziel der Fahrt bekannt zu machen. Mit großer Ungeduld sah er die Tage und Wochen vergehen, obgleich er mit dem günstigsten Wind und Wetter segelte, und als er endlich in den Golf von Cadix abbiegen konnte, fand er die Bai und den Hafen durch Wachtschiffe verschlossen, weil die Pest in der Stadt hauste.
Dieser neue Unstern steigerte seinen Unmuth und die Besorgniß für die arme Zambo
auf's Höchste, zum Glück aber auch seine Besonnenheit. Da er wegen der auf ihm
lastenden Verantwortung sowie bei der sicheren Nutzlosigkeit überhaupt nicht
daran denken konnte, seine Person auf spanischem Boden auszusetzen, beschloß er,
vorerst die Fahrt nach Lissabon zu beendigen und nur den Knaben Luis auf
Kundschaft zu schicken. Er vertraute demselben, der die Zambo kannte und von ihr
gekannt war, sein Geheimniß ganz an, ließ ihn das Gewand eines zerlumpten
Es dauerte keinen Tag, so trieb sich Luis mit einer Schachtel voll indianischer
Schnurrpfeifereien in der Stadt herum und bot überall seinen Kram zum Verkaufe
an, wurde aber allenthalben weiter geschickt, hier mit dem Unwillen Derer,
welche Pestkranke oder schon Todte hatten, dort mit dem Gelächter und den
Flüchen des gesund gebliebenen Pöbels, der sich zechend, tanzend und singend in
Schenken und auf öffentlichen Plätzen herum trieb. Luis ließ sich aber Nichts
anfechten, sondern durchwanderte die Stadt die Kreuz und Quere, bis er auf ein
Nonnenkloster stieß, welches dem Dominikaner-Orden angehörte. Es bestand aus
einem Haufen alter Gebäude und hoher Mauern, die da und dort mit sarazenischen
Fensterlöchern durchbrochen waren. Natürlich war ihm der Eintritt so
verschlossen, wie jedem andern Mannsbilde; nur in die Kirche konnte er eintreten
und bemerkte dort, daß der Gottesdienst ungeregelt abgehalten wurde und das
In der Herberge, die er aufgesucht, kaufte er von der Tochter eines plötzlich
verstorbenen Bauers einen kleinen Esel, und von einem Verkäufer alter Kleider
einen Weiberrock und ein zerrissenes Kopftuch; dann belud er den Esel mit einem
Korbe voll frischer Orangen, schwang sich selbst, als arme Bauerndirne
gekleidet, auf das Kreuz des Esels und ritt gemächlich in der Richtung des
Klosters davon. In diesem Aufzuge gelang es ihm, in einen Vorhof einzudringen,
dessen Thüre sich just geöffnet hatte, um einen Arzt einzulassen; und da drinnen
Verwirrung und Rathlosigkeit herrschte, indem die Aebtissin soeben von der
Krankheit ergriffen worden, so trieb die angebliche Orangendirne ihren Esel
unbeachtet bis in einen Garten, wo einige Klosterfrauen ängstlich spazieren
gingen. Da fing er an, seine Früchte auszurufen und einen solchen Lärm zu machen
als ein kreischendes Landmädchen, daß bald mehrere Nonnen herbei kamen und um
den Esel herum standen. Die Eine und Andere kaufte ein paar Orangen, die der
schlaue Knabe beinahe um Nichts hergab, der schlechten und unglücklichen Zeit
wegen, und der geringe Preis verlockte die guten Frauen, die Gelegenheit zu
benutzen und sich die kleine Erfrischung zu verschaffen. Einige suchten sich
unter den goldenen Kugeln einen Vorrath aus, indem sie dieselben in der Hand
wogen und an die Nase brachten, und inzwischen ließ Luis seine Augen verstohlen
herumgehen,
Kaum hatte Luis sie erkannt, so trieb er unvermerkt den Esel näher, bis das graue Thierchen unter dem Fenster stand; und nun fing Jener aus Leibeskräften an zu rufen: „Kauft, hochwürdige Damen! Kauft frische Orangen für den Durst! Sie sind gesund, wie die Aerzte sagen, und preiswürdig! Für ein halbes Soundsoviel und ein viertel Nichts dazu kann ich drei Stücke geben! Kauft, gnädige Frauen, und erlabt Euch, so vergeßt Ihr die Gefahr! Das Neueste ist, daß Niemand in den Hafen von Cadix einfahren darf, der aus der Ferne herkommt. Nehmt die Orangen geschenkt, fromme Frau Mutter! Gestern mußte der Vicekönig von Angola, der berühmte und prächtige Don Salvador Correa, der tapfere Erstürmer so vieler Festungen, unverrichteter Dinge aus unserem Gewässer abziehen. Ich sah seine Schiffe; er sei nach Lissabon gefahren, heißt es, und werde einige Zeit sich dort aufhalten! Er soll ein gar schöner und stolzer Herr sein, sagt man; aber solche Leute sind oftmals die allerleutseligsten mit denen, die ihnen gefallen! Kauft mir die Orangen ab, so kann ich nach Hause!“
Alles das rief der kecke Bursche so vernehmlich als
In diesem Momente trat aber eine lange Priorin oder Chormeisterin, oder dergleichen hervor, die sagte: „Was schreit und klatscht denn die Dirne? Wie kommt sie in den Garten herein, und was weiß und hat sie von einem Vicekönig zu plaudern?“
Und sie schritt noch näher heran und streckte die dürre Hand, an welcher ein Paternoster hing, nach dem Rockärmel des verkleideten Pagen aus, der aber inzwischen schnell zu bewerkstelligen wußte, daß der Esel hinten ausschlug, der Korb auf den Boden fiel und die Orangen umher rollten. Während ein Theil der Nonnen nach den Orangen lief, der andere vor dem ausschlagenden Esel floh, machte Luis mit aufgeschürztem Rocke, daß er aus den Klosterräumen hinauskam, und rannte mit langen Schritten durch lauter Nebengassen davon. In der Herberge angekommen, wechselte er unbemerkt die Kleider, bezahlte den Wirth mit erlösten Kupfermünzen und verstelltem Feilschen, ging unverweilt aus der Stadt und wanderte, bis er den nächsten Hafenort erreichte, wo er eine Fahrgelegenheit nach Lissabon fand.
So glücklich, wie wenn er den schönsten Vogel im
Eines Abends spät ging er in seinem Gemache nachdenklich auf und ab und überlegte sich, ob es seiner würdig sei, in dieser Weiberfrage so viel Wesens zu machen und so viel Aergerniß zu dulden, und ob das Bedürfniß und Project, sich ein so stilles weiches Ruhebett in der Häuslichkeit zu bereiten, überhaupt vor einem höheren Urtheile zu rechtfertigen sei. Der Page Luis saß an dem Tische in der Mitte des Zimmers, über eine große Seekarte gebückt und halb in Schlummer versunken; denn der Admiral gab ihm selber Unterricht in der Schifffahrtskenntniß und prüfte ihn zuweilen, was er auch diesen Abend gethan hatte, bis er durch den Hauptgegenstand, der ihn belästigte, selbst zerstreut wurde und den Knaben außer Acht ließ. Die Kerzen des silbernen Kandelabers, der die Seekarte mit ihren unbeholfenen Gebilden beleuchtete, waren zur Hälfte herabgebrannt, und die Stutzuhr auf dem Kamine zeigte die zehnte und eine halbe Stunde.
„Ich bin nun sechsunddreißig Jahre alt“, sagte er bei sich, „und dürfte die
Fackel des Eros füglich auslöschen! Wer Krieg führen und befehlen soll, muß
reinen Tisch im Herzen und kühles Blut haben. Das Haus ist freilich zu erhalten;
allein vielleicht wäre es am besten, dem Willen der Frau Muhme zu folgen und
eine gleichgültige
Hier wurde die Stille der Nacht unterbrochen durch ein schüchternes Zeichen der Hausglocke, die in der weiten Flurhalle des Palastes hing. Ein einziger Anschlag ließ sich vernehmen, welchem ein schwächlicher Nachklang folgte, der im Entstehen abbrach und erstarb. Don Correa achtete nicht darauf und setzte seine Promenade fort. Wie er aber doch alles bemerkte, was vorging, so ward er nach ein paar Minuten inne, daß das Hausthor nicht geöffnet wurde, sondern Alles still blieb und der Thorhüter mithin schlafen oder abwesend sein mußte. Nachdem er erst jetzt ein kleines Weilchen stillgestanden und gehorcht hatte, trat er zu dem schlafenden Knaben, weckte ihn und sagte: „Es hat Jemand auf der Straße geläutet; geh' hinunter und laß den Pförtner nachsehen, was es sei!“
Als der Knabe aufsprang und sofort hinauslaufen wollte, rief der Herr noch: „Nimm hier den Leuchter mit und komm' gleich wieder, so will ich so lange im Dunkeln stehen!“
Es schien ihm aber doch etwas lange zu dauern; er hörte die schweren Thorflügel
nach einiger Zeit auf und zu machen, aber es währte noch Minuten, bis die
Schritte des Knaben näher kamen, und er öffnete fast ungeduldig
„Da ist sie von selbst gekommen!“ rief der Knabe mit triumphierender Freude über das treffliche Abenteuer. Zambo dagegen fiel aus Erschöpfung und Aufregung vor den Admiral hin und umfing mit den Armen seine Füße, während aus den zu ihm aufblickenden Augen große Thränen quollen. In froher Ueberraschung hob er sie, nun zum zweiten Male, von der Erde auf und sein Schlafrock von dunklem Sammet wurde vom Staube weiß gefärbt. Gleich dem Vater des verlorenen Sohnes eilte er selbst, die weibliche Dienerschaft aufzujagen und ihr den nächtlichen Ankömmling zu jeglicher Pflege zu übergeben und anzuempfehlen.
Dann erst ließ er sich von dem Pagen mittheilen, wo er die Zambo gefunden. Luis
erzählte mit glückseligem Eifer, daß er, ohne den Thorwärter zu wecken,
vorläufig nur die Klappe des vergitterten Guckfensters geöffnet und
hinausgeschaut habe. Da sei eine müde Frauengestalt draußen gestanden, die sich
kaum aufrecht gehalten, und als er durch das Gitter das Licht auf sie gerichtet,
sei es die gute Zambo gewesen. Nun habe er selbst die Riegel
Am nächsten Morgen fühlte sich Zambo so gut erholt und gesund, daß sie vor dem
Hausherrn erscheinen und ihre merkwürdige Wanderfahrt erzählen konnte. Die Pest,
welche damals übrigens außer in Cadix nur an einem einzigen Hafenplatze
aufgetreten, hatte durch ein par
Diese Erzählung trug sie allerdings nicht fließend vor; sie mußte ihr vielmehr
stückweise abgefragt werden; dennoch war Don Correa erfreut, die Zambo zum
ersten Male in seiner eigenen Sprache zusammenhängend reden zu hören und
überdies nicht nur in ihren Worten, sondern auch in den von der Sprache belebten
Zügen des dunkeln Antlitzes das Licht eines guten Verstandes wahrzunehmen,
gleich dem Morgenschimmer, der einen schönen Tag verspricht. Freilich waren
diese Züge bewegter als sonst, weil auch sie die erlernte Sprache ihres
Beschützers zum
„Wo hast Du den Ring gelassen, den ich Dir gegeben?“ fragte er sie, ihre Hand ergreifend, wie wenn er ihn suchte.
„Verzeih', Herr, man hat mir den Ring genommen!“ sagte sie mit gesenktem Blicke.
Er trat zu einem schweren Schranke, aus welchem er ein mit Silber eingelegtes glänzendes Stahlköfferchen holte, das er öffnete. Die darin liegenden Schmucksachen und Kleinodien mit einem Rucke durcheinander rüttelnd, bis er einen Frauenring fand, hielt er denselben einen Augenblick gegen das Licht, wie wenn er sich ein letztes Mal den Schritt überlegte, den zu thun sich ihm nochmals die Wahl bot. Als er vor zwölf Jahren ausgezogen war, die erste Frau zu freien, hatte er in der Eile vergessen, den Trauring seiner Mutter mitzunehmen, wie er sich vorgenommen. Jene dunkeln Vorgänge mit ihrer elenden Täuschung traten einen Moment vor seine Seele; doch dünkte ihm der Umstand, daß der unentweihte Ring jetzt im rechten Augenblicke noch zur Hand war, ein günstiges Zeichen, und er steckte ihn der Zambo an den Finger, daran der frühere gesessen.
Das Trauungsfest, welches er ohne Zaudern herbeiführte, machte trotz der
verhältnißmäßig großen Einfachheit ein allgemeines Aufsehen, obschon kein so
schreiendes, wie es heutzutage der Fall sein würde. Selbst der König
Der fremdartige Reiz der ganzen Erscheinung wurde aber noch erhöht durch die über sie ausgegossene natürliche Demuth und den träumerischen Glanz ihrer Augen, welche verriethen, daß sie nicht recht wußte, was mit ihr vorging, da sie von den Nonnen in keiner Weise auf weltliche Dinge vorbereitet worden.
Das erfuhr Don Correa erst auf seinem schönen Admiralschiffe, als er gleich nach
der Hochzeit mit der Gemahlin die Rückreise nach Afrika angetreten hatte. Die
Donna Maria Correa hielt sich nach wie vor für
Eines Tages, als das Geschwader dem Ziele seiner Fahrt näher kam, erging sich Don
Correa mit der Frau auf dem obersten Verdecke und führte sie in den luftigen
Pavillon, der über dem Stern des Schiffes errichtet war. Die Zeltdecken
schützten hier vor den Sonnenstrahlen und den Blicken des Schiffsvolkes. Sie
schauten still auf den unendlichen Ocean hinaus, dessen gleichmäßig schimmernde
„Hat das Meer auch eine Seele und ist es auch frei?“ fragte die Frau.
„Nein,“ antwortete Don Correa, „es gehorcht nur dem Schöpfer und den Winden, die sein Athem sind! Nun aber sage mir, Maria, wenn Du ehedem Deine Freiheit gekannt hättest, würdest Du mir auch Deine Hand gereicht haben?“
„Du frägst zu spät“, erwiderte sie mit nicht unfeinem Lächeln; „ich bin jetzt Dein und kann nicht anders, wie das Meer!“
Da sie aber sah, daß diese Antwort ihn nicht befriedigte und nicht seiner Hoffnung entsprach, blickte sie ihm ernst und hochaufgerichtet in die Augen und gab ihm mit freier und sicherer Bewegung die rechte Hand.
„Das haben Sie gut gemacht!“ sagte Lucie; „wir Andern wollen uns merken, wie nützlich die Demuth ist, und wie erhöht wird, wer sich erniedrigt hat! Aber auch mir ist während Ihrer Erzählung ein kleines Lesefrüchtchen aus meinen Büchern eingefallen, das gleichfalls von einer farbigen Person, einer Wilden handelt. Vielleicht haben wir noch die Muße, das Geschichtchen abzuwandeln, und zwar im wörtlichen Sinne, indem wir ein wenig in's Holz hinausgehen?“
„Es scheint mir, daß ich hier in eine Art von Duell hineingerathen bin“,
versetzte der Oberst; „Herr Reinhart hat Dein schönes Geschlecht der Erde und
der Stellung wieder näher gebracht, die er ihm anweist. Ohne Zweifel willst Du
den Streich parieren und Dich aus eigener Kraft vom Boden erheben, auf welchem
die braune Weibsperson zweimal gelegen hat. Lege also los, liebe Lux, und
schau', daß Du nicht liegen bleibst! Wenn ich aber mit zuhören soll, so muß ich
bitten, daß wir diesen
„Verzeih', lieber Onkel,“ sagte die Lux, „daß ich das im Gefechtseifer vergessen habe! Es versteht sich von selbst, was Du wünschest! Ich wollte nur der Ungeduld unsers Gastes entgegen kommen, der mir etwas unruhig zu werden scheint und vielleicht gerne den Ort verändert!“
„Achten Sie nicht darauf!“ antwortete Reinhart, „warum soll ich nicht unruhig sein, wenn ich ein Geschütz auf mich richten sehe, dessen Trefffähigkeit und Ladung ich noch nicht kenne? Also fangen Sie gütigst an und seien Sie nicht zu grausam!“
Lucie räusperte sich zum Scherz ein wenig und sagte: „Anfangen! Das hab' ich gar nicht bedacht, daß man anfangen muß! Warum soll ich mich eigentlich abquälen, um eine Sache zu blasen, die mich nicht brennt? Nun, ich springe gleich hinein!“
Zur Zeit, da Marie Antoinette sich nach Frankreich verheirathete, gab es in der
Touraine einen hübschen guten Jungen, der noch gar nicht flügge war und keinem
Menschen etwas zu Leide gethan hatte. Er hieß Thibaut von Vallormes und war
Fahnenjunker in einer Compagnie eines Fußregimentes, das ich nicht näher zu
bezeichnen wüßte, indem ich den Namen desselben nicht angezeigt fand. Trotz
seiner kriegerischen Stellung war er, wie gesagt, noch halb kindisch und hielt
sich, wenn er nicht Dienst hatte, immer bei alten Tanten, Basen und andern
Zum Pagendienste bei den Ceremonien der königlichen Vermählung wurden aus der Armee eine Anzahl gerade solcher hübschen Bürschchen zusammen gesucht und nach Paris berufen, und auch der zierliche junge Thibaut ward des Glückes theilhaft. Nach dem Schlusse der Festlichkeiten geschah es dann, daß unter Anderem auch die sämmtlichen Pagen in einem Salon des Versailler Schlosses versammelt, gespeist und beschenkt wurden, eh' sie zur Heimreise auseinandergingen. Nachdem ein Kammerherr oder so was Jedem sein Packetchen überreicht, wurde ihnen unerwartet kund gethan, daß die junge Dauphine die Junker noch zu sehen wünsche. Sie mußten also hinmarschieren, wo sie mit einigen Hofdamen saß; jeder Einzelne wurde ihr vorgestellt und erhielt unter graziösen Dankesworten für seinen artigen Dienst noch eigenhändig ein Geschenk, das ihr ein Hofherr darreichte. So bekam Thibaut eine schöne goldene Uhr, aber ohne Kette oder Band, mit den Worten, die Berlocken müsse er sich mit der Zeit selbst dazu erobern.
Ganz roth vor Vergnügen betrachtete Thibaut die
Als alle die Herrlichkeiten genugsam bewundert worden und auch die freundlichen Worte der künftigen Königin besprochen und commentirt, brachte auch Thibaut vor, was sie ihm gesagt, und er setzte hinzu: „Wenn ich nur wüßte, was ihre königliche Hoheit damit meinte, daß ich die Berlocken selbst erobern müsse!“
„Ha!“ rief ein Standartenjunker von der Reiterei, „das ist doch klar, es bedeutet, daß Sie sich die Berlocken aus kleinen Andenken von Damen herstellen sollen, deren Herzen Sie geraubt haben! Je mehr, je besser!“
„Ich möchte doch nicht behaupten, daß die Frau Dauphine so Etwas gemeint hat,“
wandte ein anderer Junge schüchtern ein, „ich glaube eher, sie wollte sagen,
Monsieur de Vallormes möge sich die nöthigen Bijoux
„Ei warum nicht gar,“ meinte der Cornett, „das wären langweilige Berlocken! Es müssen eroberte Trophäen sein! Jeder Gentilhomme trägt sie!“
Thibaut entschied sich für die letztere Auslegung, und als er in seine Stadt Tours zurückkam, sah er sich von Stund' an nach den Gelegenheiten um, die schrecklichen Raubzüge zu beginnen. Er vermied die Plauderstübchen der alten Tanten und guckte eifrig nach jungen Mädchen aus, die etwas Glänzendes an sich trugen, sei es am Halse, an der Hand oder an den Ohren. Da er sich aber auf die Hauptsache, die Eroberung der Herzen, noch nicht verstand und nach einigen thörichten Possen gleich nach jenen Dingen greifen wollte, so wurde ihm überall auf die Finger geschlagen und es wollte sich Nichts für seine Uhr ergeben.
Einst reiste er für die Osterfeiertage nach Beaugency an der Loire, wo er
Verwandte besaß, und da schien sich ein Anfang für seine Unternehmungen
gestalten zu wollen. Es war nämlich ein sehr schönes Frauenzimmer aus dem
benachbarten Orleans dort zum Besuche, das freilich schon etwa zweiundzwanzig
Jahre zählte und daher den Kopf eine Hand breit höher trug, als der kaum
siebzehnjährige Fähnrich, wie sie auch ohnehin hochgewachsen war. Aber
Als nun der junge Thibaut sich in sie verliebte, beging Guillemette den Fehler,
sich sein Hofmachen als kleine Erheiterung eine Weile gefallen zu lassen, was
sie schon seiner Jugend wegen für unverfänglich hielt. Sie ließ sich von ihm
Fächer und Handschuhe tragen, spielte und lachte mit ihm, wie wenn sie noch ein
halbes Kind wäre, und wenn er nicht von selbst in ihre Nähe kam, rief und lockte
sie ihn herbei. So oft er es möglich machen konnte, eilte er nach Beaugency, wo
sie längere Zeit blieb, und jagte mit ihr durch Garten und Saal. Eines Tages
aber, als er ihr plötzlich zu Füßen fiel und ihre Kniee umspannte, mußte er
erfahren, daß sie ihn lachend abschüttelte und er weiter von dem Ziele des
Herzensraubes war, als jemals. Da faßte er in jugendlichem Leichtsinn den
Vorsatz, ihr wenigstens das Korallenherz zu stehlen, und führte ihn auch aus.
Während einer sommerlichen Nachmittagsstunde hatte sich Guillemette in ein
kühles Gartenzimmer eingeschlossen, um zu schlafen, leider aber nicht das offene
Fenster bedacht. Durch dieses Fenster entdeckte Thibaut das in einem
geflochtenen Armsessel schlafende Fräulein und stieg leise wie eine Katze
hinein. Das Herz hing an einem Sammetbändchen an ihrem Halse und es gelang ihm,
dasselbe los zu machen und in die Tasche zu stecken, auch wieder durch das
Fenster zu entfliehen, ohne daß sie erwachte oder er von einem Menschen gesehen
wurde. Die grüne Spinne mochte in ihrer dunkeln Kapsel noch so sehr zittern und
blinkern,
Thibaut, der inzwischen Lieutenant geworden, trug nun das Herz an seiner Uhrkette
und sah schon lange nach einem neuen Gehängsel aus, das er jenem beigesellen
konnte. So gewahrte er denn einstmals die kleine Denise, das Töchterlein des
seligen Notars Jakob Martin, das eben aus der Klosterschule gekommen und nun bei
der Mutter lebte. Er wunderte sich, wie artig das Mädchen ausgewachsen war und
auf den rothen Stöckelschuhen daherging. Auf der Brust trug es ein bescheidenes
Herz von Bergkrystall, das, in Gold gefaßt, auch geöffnet werden konnte; aber es
war nichts darin und das Herz ganz durchsichtig. Dennoch faßte er sogleich den
Plan, dasselbe zu erobern, als er so stehen blieb und dem Mädchen nachschaute,
das mit blutrothem Gesichte davon eilte. Er spazierte täglich an ihrem Hause
vorüber, sandte ihr verliebte Gedichtchen zu, die er den Poesieen des Mr. Dorat,
der Frau Marquise d'Antremont oder des Herrn Marquis de Pezai und anderen
Dichtern der damaligen Zeit entlehnte, aber ohne Unterschrift ließ. Es gelang
ihm dadurch, den Kopf der jungen Denise und ihrer Mutter zugleich in Verwirrung
zu setzen, so daß er
Es dauerte jetzt einige Zeit, bis Thibaut wieder auf eine Spur gerieth, die er
jedoch abermals verlor, wie es auch dem geschicktesten Jäger geschehen kann, und
als er eines Sonntag Nachmittags nichts anzufangen wußte, nachdem er seine
Berlocken genugsam besehen hatte, fiel es ihm ein, endlich einmal seine jüngste
Tante Angelika zu besuchen, die noch nicht ganz fünfzig Jahre alt sein mochte
und eine empfindsame alte Jungfer war. Da sie gerade am offenen Schreibtische
saß, machte sich Thibaut hinter die ihm bekannten Lädchen und Schatullen, um
darin zu schnüffeln, wie ehemals. Er stieß auf ein
„Welch' ein schönes Bijou!“ rief Thibaut, „wollen Sie mir das nicht schenken?“
„Was fällt Dir ein, lieber Neffe?“ fragte sie verwundert, indem sie ihm das Herz aus der Hand nahm und es mit glänzenden Augen betrachtete; „was wolltest Du auch damit thun? Es einem anderen Frauenzimmer schenken?“
„O nein!“ sagte Thibaut, „ich würde es an meine Uhr hängen und dabei stets meiner Tante Angelika eingedenk sein!“
„Ich kann es Dir dennoch nicht geben,“ erwiderte die Dame mit weicher Stimme, „es ist meine theuerste Erinnerung, denn der Geliebte und Verlobte meiner Jugend hat es mir geschenkt!“
Auf sein neugieriges Verlangen erzählte sie dem Neffen mit vielen Worten die
verjährte Liebesgeschichte mit einem herrlichen jungen Edelmann, der voll
seltener Treue und Hingebung unter schwierigen Umständen an ihr gehangen, sich
ihretwillen geschlagen und in der Blüthe der Jahre in der glorreichen Schlacht
von Fontenay als ein tapferer Held gefallen sei, vor mehr als dreißig Jahren.
Die
Ganz begeistert fiel Thibaut auf ein Knie, wie wenn er selbst der verlorene Liebhaber wäre, und rief, die Hände auf sein Herz legend: „Ich schwöre Ihnen, theuerste Tante, daß ich Sie ähnlich geliebt haben würde, wäre meine Jugend mit der Ihrigen zusammengefallen! Ja ich liebe Sie jetzt, wie nur eine junge Seele eine andere junge Seele lieben kann! O schenken Sie mir Ihr schönes Herz, ich will es hegen und an mich schließen, daß es nicht mehr einsam ist!“
Er war in der That so närrisch verzückt, daß er selbst nicht wußte, ob er das
kleine Schmuckherz oder das liebende Menschenherz verlangte; die Tante Angelika
aber verwechselte in ihrer Schwärmerei den gegenwärtigen Augenblick mit der
Vergangenheit und den neben ihr knieenden Jüngling mit dem lange entschwundenen
Geliebten. Sie schlang in süßer Vergessenheit beide Arme um den Hals des
hübschen Schlingels und drückte ihm mehrere Küsse auf die Lippen, und der
Taugenichts entblödete sich nicht, der traumvergessenen würdigen Dame
Als Thibaut die neue Trophäe an der Uhr befestigt hatte, dünkte ihm die Berlocke
mit drei Herzen nunmehr stattlich genug zu sein, um sie endlich auszuhängen;
auch kam es ihm gerade recht, daß er an eine Offiziersstelle in Paris versetzt
wurde; denn nur diese Stadt konnte fortan der rechte Schauplatz seiner ferneren
Thaten sein. Und es fehlte ihm nicht an Eroberungen und Protectionen, die ihm
bald eine eigene Compagnie verschafften, deren Capitän er wurde. Allein je
vornehmer die Damen waren, deren Eroberung er machte, und je kostbarer die
Kleinödchen, die er an seine Uhrkette hing, desto unklarer wurde es ihm, ob er
eigentlich es sei, der die Schönen sitzen ließ, oder ob er von ihnen verlassen
werde. Gleichviel, sein Uhrgehänge klirrte und blitzte, daß es eine Art hatte,
und er galt für den gefährlichsten Cavalier der Armee, wenn er im Kreise der
Herren Kameraden die Geschichte der einzelnen Merkwürdigkeiten erzählte und die
Juwelen und Perlen streichelte, die sich darunter
Zuletzt wurde ihm sein Ruhm fast langweilig, besonders da kein Plätzlein mehr für neue Siegeszeichen auf seiner Weste vorhanden war. Weil er aber ein für alle Mal ein Glückskind heißen konnte, zeigte sich in diesem Stadium die Aussicht auf einen neuen Lebens- und Siegeslauf, den als ein bewährter und geprüfter Mann anzutreten es ihn gelüstete.
Gerade damals hatte die französische Begeisterung für den Freiheitskampf der
Nordamerikaner ihren Höhepunkt erreicht, und nachdem schon viele Franzosen als
Freiwillige für die Gründung der großen Republik mitgefochten, war es
bekanntlich dem Marquis von Lafayette gelungen, die Absendung eines förmlichen
Hülfsheeres zu bewirken. Der Capitän Thibaut von Vallormes ging mit und befand
sich bei den sechstausend Mann, welche vom Grafen von Rochambeau über den Ocean
geführt wurden und im Juli 1780 auf Rhode-Island landeten. Thibaut war weder ein
nachlässiger noch ein untapferer Soldat, und so gerieth er im Verlaufe des
schwierigen Krieges und auf den Hin- und Herzügen bald in die vorderste Linie,
bald sonst auf ausgesetzte Punkte. Der frische Luftzug der neuen Welt, der
gewaltige Hauch der Freiheit, der von ihm ausging, und die anhaltende
Beschäftigung des Dienstes unter allerlei Gefahren ließen den Offizier allgemach
ernster erscheinen; auch an seiner Einzelperson,
Die französischen Militärs aber mochten den Tag nicht erwarten, ihre Neugierde
und die Lust an den idealen Naturzuständen zu befriedigen; sie lockten schon
vorher die wilden Rothhäute über das Wasser und schifften auch zu ihnen hinüber,
und jeder suchte in seinem Gepäcke nach Gegenständen, welche er verschenken oder
an Merkwürdigkeiten vertauschen konnte. Thibaut war unter den Ersten, die über
den Strom setzten, und that es bald täglich nicht nur ein, sondern zwei Mal, und
war in den Wigwams zu Hause. Nämlich eines der indianischen Mädchen zog ihn
unwiderstehlich hinüber, daß er seine ganze siegreiche
Ich kann es nicht wagen, eine Beschreibung von dem wunderbaren Wesen zu machen, und muß es den Herren überlassen, sich nach eigenem Geschmacksurtheil das Schönste vorzustellen, was man sich damals unter einer eingeborenen Tochter Columbias dachte, sowol was Körperbau und Hautfarbe, als Kostüm und dergleichen betrifft. Ein hoher Turban von Federn wird unerläßlich, ein buntes Papagenakleidchen räthlich sein; doch wie gesagt, ich will mich nicht weiter einmischen und nur noch andeuten, daß sie in ihrer Sprache Quoneschi, d. h. Libelle oder Wasserjungfer genannt wurde.
So viel ist sicher, daß sie es meisterlich verstand, wie eine Libelle ihm bald
über den Weg zu schwirren, bald sich unsichtbar zu machen, jetzt einen
verlangenden Blick auf ihn zu werfen, dann spröd und kalt ihm auszuweichen;
allein Thibaut wurde nicht müde, sich bethulich und geduldig zu zeigen und sie
wenigstens mit schmachtenden Augen zu verfolgen, wenn sie durchaus nicht in die
Nähe zu bringen war. So gleichgültig er zuletzt gegen das Frauengeschlecht in
Frankreich gewesen, so heftig verliebte er sich jetzt in das rothe Naturkind und
ging geradezu mit dem Gedanken um, dasselbe zu seiner rechtmäßigen Gemahlin zu
erheben. Wie würde das philosophische Paris erstaunen, dachte er sich, ihn mit
diesem Inbegriff
Durch seine Beharrlichkeit schien die zierliche Wasserjungfer wirklich allmälig zahm und halbwegs vertraulich zu werden; die Herren Kameraden, die bisher darüber gelächelt, daß seine Macht über die Frauenherzen sich nicht bis an den Hudson und den Delaware erstrecke, fingen an, ihn zu bewundern und zu loben, daß er als echter Franzose nicht das Feld räume; kurz, er hatte zwischen Tag und Nacht schon mehr als ein kleines Stelldichein abgehalten mit wunderlichem Zwiegespräche von Geberden und abgebrochenen Worten, wobei Keines das Andere verstand noch auszudrücken wußte, was es wollte. Nur Eines glaubte Thibaut zu bemerken, nämlich daß Quoneschi jedenfalls von einem zärtlichen Gedanken bewegt war, der sie fortwährend beschäftigte und die dunklen Augen öfters wie in banger oder zweifelhafter Erwartung auf ihn richten ließ.
Nun waren die höheren Personen auf beiden Seiten des Flusses versammelt und die
Unterhandlungen für einstweilen erledigt, die indianischen Häuptlinge im
französischen Lager auch gut bewirthet worden, und es blieb noch der officielle
Besuch der französischen Herren bei den Wilden übrig, welche sich auch ein wenig
zeigen wollten. Am Vorabend kam noch ein ganzes Schiff voll Weiber herüber
gefahren, die vor dem Weitermarsch der
Unser guter Thibaut erschrak über die Deutlichkeit des Verlangens nach den
Berlocken und besann sich ein Weilchen mit melancholischem Gesichte; er war ganz
überrascht von der ungeheuerlichen Keckheit des Begehrens
Mit raschem Entschlusse löste er den Ring, der das Gehängsel zusammenhielt, von
der Uhr und übergab es ihr in seiner ganzen Pracht und Kostbarkeit. Mit einer
kindlichen Freude, welche die zarte Rothhaut des Urwaldes womöglich noch röther
machte, empfing die Libelle, die Wasserjungfer, den Schatz und überhäufte den
Geber mit Zeichen der lieblichsten Dankbarkeit; dann lief sie eilig
Thibaut hingegen empfand ein Gefühl, wie wenn Einer ihm den schönen Zopf abgeschnitten hätte, der so stattlich den Rücken seines Scharlachrockes schmückte, und in der Nacht hatte er einen schweren Traum. Es träumte ihm, er habe das Korallenherz der schönen Guillemette aufgemacht, die grüne Spinne sei herausgelaufen und habe ihn in die Nase gebissen, die wie eine Rübe aufgeschwollen sei.
Am Morgen wurde es ihm wieder besser zu Muthe, als er den klar erglänzenden Tag gewahrte, der über der großen Stromlandschaft aufgegangen war, und heiteren Herzens bestieg er die übersetzende Kahnflotille, da er ja endlich der wahren Liebe und Seligkeit entgegenfuhr.
Das rothe Volk war in einem weiten Ringe um ein Feuer versammelt, an welchem
Hirsche und andere Jagdbeute gebraten und gute Fische gekocht wurden. Die Frauen
und Mädchen machten die Köche und brachten sonst noch allerhand ihrer Leckereien
herbei. Die Männer saßen ernst im Kreise herum, vorab die Häuptlinge, alle in
ihrem höchsten Schmuck und Staate. Für die französischen Herren aber war ein
besonderer Raum und Ehrenplatz offen gelassen, den sie vergnügt über das neue
Schauspiel einnahmen; und nun begann ein Schmausen, das den Indianern freilich
besser zu schmecken schien als den Europäern, wenn es den letzteren auch von den
Frauen
Jetzt war die Mahlzeit beendigt, der Platz um das Feuer wurde geräumt und der Kreis erweitert, worauf ein Zug junger Krieger aufmarschierte, um zu Ehren der befreundeten Macht einen schönen Kriegstanz zum Besten zu geben. Ein lauter Schrei oder Ausruf der Alten und Häuptlinge begrüßte die Schar, welche von dem längsten und kräftigsten der Jünglinge, einem baumstarken Bengel, angeführt wurde.
Wenn ich vorhin bescheiden auf eine Schilderung der schönen Libelle verzichtet
habe, behielt ich mir vor, dafür das Aeußere dieses jungen Kriegshelden um so
ausführlicher darzustellen, soweit meine schwachen Kräfte reichen; denn hier
tritt ja das Frauenauge mit seinem Urtheile in sein Amt. Denke man sich also
einen Complex herrlich gewachsener riesiger Glieder vom sattesten Kupferroth und
vom Kopf bis zu den Füßen mit gelben und
Quoneschi, die Wasserjungfer aber, die zu den Füßen Thibaut's lag, that erst einen Seufzer und ließ dann einen jauchzenden Jubelruf ertönen; sie rüttelte den Offizier am Arme und zeigte mit feurigen Augen auf den Kriegstänzer, indianische Worte redend wie mit Engelszungen, die aber Thibaut nicht verstand, bis ein hinter ihm stehender Amerikaner sagte: „das Weibsbild schreit immer, das sei ihr Verlobter, ihr Liebhaber, dessen Frau sie noch heute sein werde!“
Ganz starr vor Erstaunen blickte Thibaut nach dem Tänzer hin, dessen schreckliches Gesicht in allen Farben zu blitzen schien, so daß er es nicht deutlich zu sehen vermochte in seiner Verwirrung. Immer näher kam der Donner-Bär mit seiner Bande; da riefen auf einmal mehrere Offiziere unter schallendem Gelächter:
„Parbleu! der hat ja die Berlocken des Herrn von Vallormes an der Nase hängen!“
Entsetzt sah Thibaut die Wahrheit dieser Bemerkung; sie hingen dort, die
Berlocken. Der Wilde tanzte jetzt dicht vor ihm und unter seiner blau und roth
bemalten Nase, deren Rücken durch einen scharf gebogenen weißen Strich
bezeichnet war, funkelte und blitzte es, bammelte das Korallenherz der
verlassenen Guillemette, das Krystallherz
Jetzt tanzte dieser ein Weilchen auf derselben Stelle, still wie die Luft vor dem Gewitter, indem er nur mit dem einen oder anderen Fuße ein wenig trampelte; plötzlich aber stieß er ein wahres Bärengebrüll hervor, ergriff die Quoneschi am Arme, schwang sie wie ein geschossenes Reh auf seine Schulter und ras'te, gefolgt von seinen Aexte schwingenden Genossen und dem Beifallsrufe der rothen Völker, aus dem Ringe hinaus. Der Herr von Vallormes bekam weder die Berlocken noch die Indianerin je wieder zu sehen.
Fast glaub' ich, dort wartet ein Schreinermeister, den ich bestellt habe und sprechen muß; ich empfehle mich so lange den Herren!“ sagte Lucia unmittelbar nach dem Schlusse der kleinen Erzählung und ging, sich leicht und mit verhaltenem Lächeln verneigend, davon. Reinhart blickte ihr nach und sah dann den alten Oberst an.
„Was hat Ihre prächtige Nichte“, sagte er, „nur für einen Zorn auf meine armen Schützlinge, daß sie so satirische Pfeile auf mich abschießt? Das geht ja fast über das Ziel hinaus!“
„Je nun,“ erwiderte der Oberst lachend, „sie wehrt sich eigentlich doch nur ihrer Haut, die übrigens ein feines Fell ist! Und merken Sie denn nicht, daß es weniger schmeichelhaft für Sie wäre, wenn sich die Lux gleichgültig dafür zeigte, daß Sie für allerhand unwissende und arme Kreaturen schwärmen, zu denen sie einmal nicht zu zählen das Glück oder Verdienst hat?“
Ob Reinhart als Gelehrter schon so unpraktisch oder
„So geht es“, sagte er mit unmerklicher Bewegung; „wenn man immer in Bildern und Gleichnissen spricht, so versteht man die Wirklichkeit zuletzt nicht mehr und wird unhöflich. Indessen habe ich natürlich an das Fräulein gar nicht gedacht, so wenig als eigentlich an mich selbst, so wie man auch niemals selber zu halten gedenkt, was man predigt. Es ist Zeit, daß ich abreite, sonst verwickele ich mich noch in Widersprüche und Thorheiten mit meinem Geschwätz, wie eine Schnepfe im Garn.“
„Gut, reiten Sie,“ antwortete der alte Herr, „aber kehren Sie bald wieder! Kommen Sie zuweilen Sonntags und nehmen Sie statt des alten Nilpferdes einen jungen Kutscher mit guten Trabern, so fahren Sie rascher vom Fleck und sind weniger vom Wetter abhängig. Ich mag der Lux zur Abwechselung eine heitere junge Gesellschaft, wie die Ihrige, gönnen; sie ist frei, munter und selbständig und macht keine Dummheiten. Ich selbst aber freue mich ordentlich sentimental darauf, den Freunden meiner Jugend durch Sie am Lebensabend noch einmal nahe zu treten, und freue mich auch, der Dame Else Moorland, Ihrer Mutter, meine Nichte unter Augen zu stellen, damit sie sieht, wir seien hier auch nicht von Stroh!“
Nachdem sie noch ein Weilchen geplaudert, Reinhart mit ungeduldigem Herzklopfen, eilte er ins Haus, den Mantelsack zu packen, und nach dem Stalle, das Pferd satteln zu lassen, welches sich auf der Weide rund gefressen hatte. Er war so eilig, weil er glaubte, Zeit und Geschick damit zu beschleunigen, mochten sie bringen, was sie wollten.
„Sie werden doch noch mit uns essen, eh' Sie reisen?“ sagte Lucie betreten, als er wieder unter den Platanen erschien und sie dort vorfand. „Es ist nicht möglich“, antwortete Reinhart; „wenn ich heute noch zu Haus ankommen will, so muß ich vor Tisch aufbrechen!“
„Ei, ist denn Ihre Fahrt schon zu Ende? Sie haben ja kaum begonnen! Sie werden doch die schädliche Arbeit nicht schon wieder aufnehmen wollen?“
„Gewiß nicht, mein Fräulein, ich möchte jetzt mein Augenlicht mehr schonen, als jemals, denn die bewußte Kur hat ihm so gut gethan, daß es undankbar wäre, es wieder zu gefährden!“
„Sie werden natürlich auf allen den bewußten Stationen Halt machen, über welche sie gereist sind?“
„Dann würde ich nicht weit kommen! Ich denke vielmehr den andern kürzern Weg von hier aus zu nehmen, der über die Althäuser Brücke führt.“
Lucie schien mit diesem unbedeutenden Gespräche zufrieden zu sein; sie entließ
den berittenen Naturforscher in freundlicher Weise, und er zog so ernst seines
Weges,
Und es kam ärger; unbekannte Nöthen fingen an, sich in seinem Herzen zu regen,
daß er widerwillig die Natur dieses Muskels von Neuem untersuchen, und als
hierbei nichts herauskam, sich gewöhnen mußte, in angestrengter Arbeit die
Störungen zu vergessen, wenn er nicht einem unwürdigen Zustande der Träumerei
verfallen wollte. Dennoch wiederholte er den Besuch auf dem Landgute zunächst
nicht, um durch das Getrenntsein den Ernst der Lage gründlicher zu erforschen
und klar zu stellen. Nur ein par Briefe schrieb er ohne jede unbescheidene
Anspielung und erhielt eben solche Antworten. Desto froher machte ihn ein
unerwarteter Brief seiner Mutter Else oder Hildeburg, welche ihm im Laufe des
Sommers schrieb, daß der Oberst und seine schöne Nichte auf einer Reise bei
ihnen vorgesprochen hätten, und wie das eine erquickliche Geschichte und ein
fröhlicher Tag gewesen, wie ferner für den Herbst ein Gegenbesuch verabredet
sei. Die Lucie sei eine ernsthafte und kluge Person mit dem Gemüth eines Kindes,
und der Papa Reinhart, der den Leuten sonst so kurze Zettel zukommen lasse,
schreibe ihr
Im September kam ein Briefchen von Lucie; sie schrieb: „Ihre Eltern sind beide hier bei uns; wollen Sie nicht auch kommen? Es wäre doch nicht schön, wenn wir die liebe Herrschaft nicht mit der Anwesenheit des Sohnes regaliren könnten und so gottesjämmerlich daständen, nachdem wir mit seiner Freundschaft geprahlt haben! Aber lassen Sie das Nilpferd zu Hause und bringen Sie einen Koffer mit! Der Onkel Marschall will mit Ihnen smoliren, was mir leider als einem Frauenzimmer versagt bleibt!“
Obgleich Reinhart, der so ausführliche Weiber- und Liebesgeschichten aus dem
Stegreife erzählt hatte, die letzteren Worte schon als vorläufige Andeutung
eines Abschlages anzusehen geneigt war, sofern er etwa einen solchen
herausfordern würde, packte er doch einen Koffer mit allen wünschbaren und
kleidsamen Sachen, die in seinem Besitze waren, und fuhr hin. Er fand Alles in
schönster Laune unter, den Platanen vereinigt; die Else Moorland trug ohne
Schaden an ihrer Matronenwürde ein schneeweißes Kleid gleich der Lucie, da eine
warme Sommersonne schien, und ihr schwarzes Haar ohne Haube entrollt. Der Oberst
hatte die Krücke im Hause gelassen und trug Sporen an den Stiefeln. Der alte
Reinhart
Nun sollte endlich auch ein Besuch in dem bekannten Pfarrhause abgestattet werden, dessen Oberhaupt ein Studienfreund des alten Reinhart gewesen, woher eben die Bekanntschaft auch mit dem Sohne.
„Gehen Sie auch gern hin?“ sagte Lucie besorgt zu dem jungen Reinhart, weil sie wünschte, daß ihm jeder Tag heiter und angenehm verlief, und wußte, daß ihn die besondere Art der Pfarrleute zuweilen ermüdete.
„Ich bin in der That nicht recht aufgelegt,“ versetzte er, „einen ganzen Tag dort zuzubringen.“
„Da bleibst Du eben hier,“ rieth die Mutter, „es handelt sich ja ohnehin mehr um uns Alte; wenn der Marschall mitfährt, so wird der Wagen so schon besetzt; er will uns nämlich in seiner leichten Jagdstellage, oder wie man es nennt, hinführen, der Eisenfresser. Sei ruhig, Marschall!“
Dies rief sie, weil der Oberst, hinter ihr stehend, sie an einer Bandschleife zupfte, als er das Wort vernahm.
„Und was geschieht denn mit Dir, Lux?“ sagte er hierauf.
„Mit mir? Ich muß eben das Haus hüten, wie alle armen Haushälterinnen, und für den Abend sorgen!“
„Gut, dann sorge auch für ein rechtschaffenes Getränke! denn das Smoliren mit dem jungen Duckmäuser muß einmal stattfinden, daß die Duzerei durchgeführt ist. Du kannst auch gleich mithalten!“
Beide junge Leute, errötheten wie Confirmanden, die erst etwas erleben sollen. Kein Mensch hätte geglaubt, daß sie sich vor einigen Monaten schon alles mögliche Zeug erzählt hatten.
Als die Alten fort waren und jetzt auf einmal eine Stille herrschte, standen die Jungen noch verlegen da und schienen doch zu zögern, die innestehende Wage des Augenblickes zu stören, bis Reinhart den Ausweg fand, Lucien um ein Buch zu bitten, darin er lesen könne. Sie lud ihn ein, selbst nachzusehen, was ihm diene. So gingen sie gemächlich in das Haus hinein, die Treppe hinauf und betraten das bescheidene Museum, in welchem das Fräulein seine Jahre verbrachte. Durch die offenstehenden Fenster wallte die Luft herein, indeß das milde Gold der Septembersonne, von der grünen Seide der Gardinen halb aufgehalten, halb durchgelassen, den Raum mit einem sanften Dämmerschein erfüllte.
„Was wollen Sie lesen?“ fragte Lucie.
„Darf ich eines von Ihren Lebensbüchern nehmen?“ erwiderte Reinhart; „ich habe bemerkt, daß hin und wieder etwas an den Rand geschrieben ist, und nun empfinde ich ein Gelüste, diesen Spuren nachzugehen und Ihre guten Gedanken zu haschen. Vielleicht, wenn es überhaupt erlaubt wird, entdecke ich das Geheimniß, welches Sie in den Offenbarungen anzieht!“
„Das Geheimniß ist ein sehr einfaches,“ versetzte Lucie, „und doch ist es
allerdings eines. Ich suche die Sprache der Menschen zu verstehen, wenn sie von
sich selbst reden; aber es kommt mir zuweilen vor, wie wenn ich durch einen Wald
ginge und das Gezwitscher der Vögel hörte, ohne ihrer Sprache kundig zu sein.
Manchmal scheint mir, daß Jeder etwas anderes sagt, als er denkt, oder
wenigstens nicht recht sagen kann, was er denkt, und daß dieses sein Schicksal
sei. Was der Eine mit lautem Gezwitscher kundgibt, verschweigt der Andere
sorgfältig, und umgekehrt. Der bekennt alle sieben Todsünden und verheimlicht,
daß er an der linken Hand nur vier Finger hat. Jener zählt und beschreibt
mittelst einer doppelten Selbstbespiegelung alle Leberflecken und Muttermälchen
seines Rückens; allein daß ein falsches Zeugniß, das er einst aus
Charakterschwäche oder Parteilichkeit abgelegt, sein Gewissen drückt,
verschweigt er wie ein Grab. Wenn ich sie nun alle so mit einander vergleiche in
ihrer Aufrichtigkeit, die sie für kristallklar halten, so frage ich mich, gibt
„Es sind wol manche ganz wahrhaftig,“ sagte Reinhart, „nur sagen sie nicht alles auf ein Mal, sondern mehr stückweise, so nach und nach, und die Natur selbst, sogar die heilige Schrift verfahren ja nicht anders!“
„Was mich tröstet,“ fuhr Lucie fort, „ist, daß mehr Gutes als Schlimmes verschwiegen wird. Beinah' Jeder würde, wenn er nur Gelegenheit und Stimmung fände, uns zuletzt doch noch mit dem Unangenehmsten bewirthen, das er über sich aufzubringen wüßte; Viele aber sterben, ohne daß sie des Guten und Schönen, das sie von sich erzählen könnten, je mit einer Silbe gedenken. Diese führen auch trotzdem die lieblichste Sprache; es ist als ob die Veilchen, Maßlieben und Himmelsschlüsselchen zwischen ihren Zeilen hervorblühten, ganz gegen Wissen und Willen der bescheidenen Schreiber und Schreiberinnen.“
Reinhart hatte auf dem Stuhle Platz genommen, der vor Luciens Tische stand, und
sie lehnte lässig am Tische. Inzwischen griff er von dem Brette der
Lebensbeschreibungen eines der Bücher heraus, und als er darin blätterte,
entfiel demselben ein sonderbares Bildchen oder Einlegeblatt. Das Bildchen war
mit ungezwirnter Seide und feinster Nadel auf ein Papier gestickt, in der Art,
daß es sich auf beiden Seiten vollkommen gleich darstellte.
Reinhart besah das Blättchen zuerst achtlos, dann aufmerksamer, da er eben, als er es in das Buch zurücklegen wollte, den Inhalt erkannte.
„Was ist das für eine kleine Herzensgeschichte?“ fragte er, „es scheint ja gar leidenschaftlich herzugehen. Das eine steckt wie eine rothe Rübe im Boden fest, während das andere feuerspeiend und geflügelt sich empor schwingt!“
Lucie nahm ihm die naive Schilderei aus der Hand, beschaute sie ebenfalls und sagte dann: „Also hier steckt das närrische Ding? Es wandert seit Jahren in diesen Büchern herum und kam mir lange nicht zu Gesicht. Uebrigens ist es eine Klosterarbeit, die ich selber verfertigte.“
Als Reinhart die Sprecherin etwas verwundert ansah setzte sie erröthend hinzu: „Ich bin nämlich katholisch!“
„Darüber brauchen Sie doch nicht zu erröthen!“ meinte Reinhart, den eine solche
Verschiedenheit der Confession eher belustigte als betrübte. Sie verstand seinen
freien Sinn, wurde aber jetzt ganz roth und sagte mit unwillkürlichem
Hiermit lag die Sache freilich anders. Ein Religionswechsel ist in dies scheinbar ruhige Leben gefallen; was mag damit alles zusammenhangen! sprach es sogleich in seinem Innern, und er blickte zu der unweit von ihm stehenden Lucie mit der Ueberraschung empor, mit welcher man sonst in einen unvermutheten Abgrund hinabschaut. Sein Gesicht zeigte sogar einen etwas bekümmerten Ausdruck; es malten sich darin Mitleid und Sorge eines Menschen, dem keineswegs gleichgültig ist, was ohne sein Wissen geschah, als ob es ihn nichts anginge.
Die Augen plötzlich aufschlagend, sagte Lucie mit wehmüthigem Lächeln: „Sehen Sie, da haben wir gleich so eine Geschichte, von der man nicht weiß, ob man sie bekennen oder verschweigen soll! Es wissen nur wenige Personen darum und selbst mein Oheim ahnt nichts davon, obgleich er auch katholisch ist.“
„Mir aber,“ erwiderte Reinhart, „haben Sie nun schon zu viel verrathen, als daß Sie mir nicht anvertrauen sollten, um was es sich handelt!“
„Es ist im Grunde nichts als eine Kinderei, die Sie erfahren dürfen“, versetzte
Lucie; „es ist mir sogar lieb, wenn Sie es wissen, damit Sie eine gute Freundin,
wie ich bin, nicht gelegentlich unbewußt verletzen oder wenigstens kleinen
Verdrießlichkeiten aussetzen. Mein Vater war Protestant, wie Jedermann in dieser
Gegend, die Mutter
Ungefähr anderthalb Meilen unterhalb unserer Stadt ragte am gegenüber liegenden Ufer, wo die Menschheit katholisch ist, das besagte Kloster idyllisch aus dem Wasser in ländlicher Einfachheit und nur von seinen Obstbäumen, Wiesen und Feldern umgeben.
Da die Besuche meiner Mutter meistens auf eines der heitern Kirchenfeste in
schöner Jahreszeit verlegt wurden, wie z. B. auf Fronleichnamstag, wo die
Stiftsfrauen sich eine gewisse Fröhlichkeit, ein bescheidenes Wohlleben gönnten,
so machte die Mama sich die Freude noch dadurch feierlicher, daß sie sich auf
dem blau glänzenden Flusse hinunter fahren ließ und meine Person im frühsten
Kindesalter mitnahm. Sie putzte mich dann zierlich und hellfarbig heraus, damit
ich den guten Nonnen in ihrer dunklen Tracht und Abgeschiedenheit den Sommertag
hindurch als eine Art lebendiger Puppe dienen konnte, mit welcher sie spielten,
und die Mama empfand das schönste Vergnügen, mich von Hand zu Hand, von Schoß zu
Schoß gehen zu sehen. Als ich jedoch etwas größer wurde, hielt ich mich selbst
so ernst und still wie ein Nönnchen und war stolz darauf, die beiden Freundinnen
nicht zu verlassen, wenn sie unter traulichen Gesprächen und Erinnerungen in der
Zelle am Fenster standen oder einen Gang durch die blühenden Gärten und Felder
machten. Bei der festlichen Tafel jedoch mußte ich neben der Frau Priorin
sitzen, die mir ab und zu wohlwollend die Hand streichelte und mich niemals
entließ, ohne mir
Leider war ich trotz dieser Klosterfreuden schon ein rechtes kleines Heidenstück und zwar durch den Unverstand der großen Menschen. Es besuchte ein hübscher junger Mann unser Haus, der so oft er mich erblickte, mich auf seine Kniee nahm, küßte und seine kleine Frau nannte. Als ich das vierte oder fünfte Jahr hinter mir hatte, ließ ich mir's freilich nicht mehr gefallen; ich sträubte mich, schlug um mich und entfloh. So oft er aber kam, fing er mich wieder ein, und so ging das Spiel fort, bis ich acht, bis ich zehn Jahre alt war. Ich blieb stets gleich wild und spröde, und doch wurde ich allmälig unzufrieden, ja unglücklich, wenn er etwa vergaß, mich seine kleine Frau oder seine Braut zu nennen, die er zu heirathen nicht verfehlen werde. Indessen sah ich ihn endlich nur noch selten, weil er längere Zeiträume hindurch abwesend war; wenn er einmal wieder kam, geschah es in veränderter Gestalt, jetzt als verwegener Student, dann als Militär in glänzender Montur, oder als gereister Weltmensch, was ihm in meinen kindischen Augen einen geheimnißvollen Reiz verlieh.
Zuletzt aber verschwand er auf mehrere Jahre und ich vergaß ihn endlich. Jetzt
war ich zwölf Jahre alt, und die Mutter starb uns weg. Eine achtlose Erzieherin
und einige Stundenlehrer besorgten meine Ausbildung, während der Vater
verschiedenen Liebhabereien lebte und öfter verreiste. Um diese Zeit las ich den
Wallenstein von Schiller und verliebte mich unversehens in den Max Piccolomini,
dessen Tod mir gewiß so nahe ging, wie der guten Thekla. Des Nachts träumte ich
von ihm und am lichten Tage erfüllte er mir die Welt, ohne daß ich seine
Gestalt, seine Gesichtszüge deutlich zu erkennen vermochte. Auf einem Stück
Haide unweit der Stadt gab es eine kleine Erderhöhung, von ein par
Hollunderbäumen überschattet. Ich nannte den Ort das Grab des Piccolomini und
bepflanzte ihn heimlich mit Sinngrün, das ich in meiner Botanisirbüchse aus dem
Walde holte. Manches einsame Stündchen saß ich dort und ließ friedlich Thekla's
Geist an meiner nicht unbehaglichen Trauer Theil nehmen. Einst aber, als ich mir
besonders lebhaft das Aussehen des jugendlichen Kriegshelden und Liebhabers
vorzustellen suchte, sah ich deutlich vor mir die Züge Leodegar's, meines
scherzhaften Kindergemahls oder Verlobten. Sogleich ward ich dem
zweihundertjährigen Todten untreu und meine stille Trauer um ihn verwandelte
sich in eine ebenso stille Sehnsucht nach dem Lebenden, und ich zweifelte nicht
an seiner Wiederkehr; denn ich merkte, daß er es eigentlich war, der in meinem
geheimsten
Und ich verschwieg die geheime Triebfeder meiner jungen Jugend unverbrüchlich; nie erwähnte ich derselben mit einem Worte und nannte den Namen so wenig, als wäre er nicht in der Welt. Wurde aber einmal von Leodegar gesprochen, so hörte ich aufmerksam zu und wich nicht vom Orte, so lang es dauerte. Eines Tages hörte ich ihn als phantastisch, gewaltsam, rechthaberisch und ehrgeizig schildern in Verbindung mit dem Zugeständnisse, daß er von großen Gaben sei. Weil ich aber den Sprachgebrauch dieser Worte zum Theil aus mangelnder Erfahrung mißverstand, zum Theil aus Widerspruch und Parteilichkeit umkehrte, so nahm ich phantastisch für phantasievoll, gewaltsam für machtvoll; rechthaberisch verwechselte ich mit Recht liebend, und ehrgeizig galt mir so viel wie von Ehre beseelt, als ruhmwürdige Gesinnung. Das Bild wurde daher immer schöner und idealer in meinem Herzen; mit ängstlichem Eifer strebte ich besser und Leodegar's nicht ganz unwerth zu werden, und wenn ich Fehler beging, so ruhte ich nicht, bis ich glaubte, sie durch Reue und allerhand kleine gute Werke als gesühnt betrachten zu dürfen.
So erreichte ich den Schluß des fünfzehnten Lebensjahres, der mit Sommers Anfang
eintrat, als der Vater eben auf einer größeren Reise begriffen und für Monate
abwesend war. Unverhofft erschien um diese Zeit Leodegar in der Heimat, jedoch
nur auf ein par Wochen, während welcher er einige Mal in unser Haus kam, worin
ich unter der Obhut einer Wirthschafterin und meiner Gouvernante einsam lebte.
Jene gehörte zu einer kirchlichen Sekte mit sehr ausgeprägten Lehren und
Gebräuchen, und sie verbrachte jede freie Minute mit dem Besuche der Conventikel
oder dem Lesen der Traktate. Mein Papa ließ sie gewähren und munterte sie sogar
auf, um zu seinem Vergnügen gewisse religionspsychologische Studien an ihr zu
machen, und sie merkte natürlich nicht, daß er ihre Reden zergliederte und unter
die Rubriken eines Tabellenwerkes vertheilte. Die Erzieherin dagegen verwendete
alle ihre Tage mit dem Vermehren und Ordnen einer Käfersammlung. Sie stand mit
Gelehrten und Naturalienhändlern in Verbindung und sandte fortwährend Schachteln
fort. Denn sie verstand, auf zahlreichen Ausflügen den letzten Käfer aus seinem
Hinterhalt zu ziehen, und hatte eine seltene Art, die gerade in einem Gehölze
unserer Gegend zu finden war, nahezu ausverkauft. Ich kann mich des Namens
dieses ausgerotteten Käferstammes nicht mehr entsinnen. Am betrübtesten darüber
war ein insektenkundiger Herr Oberlehrer, welcher der handelslustigen Dame den
Ort nachgewiesen hatte und sich daher
Unter solchen Umständen, solchen Vorgesetzten that ich was ich wollte, d. h. niemand sah auf mich. Als ich aber von Leodegar's Ankunft hörte, war es, wie wenn ich zu dieser Unabhängigkeit hinzu auf einen Ruck noch ein par Jahre älter würde. Ich erwartete ihn mit zitterndem Herzen und trat ihm dennoch mit der Haltung einer zwanzigjährigen Person verschämt und feierlich entgegen.
Alle Welt! rief er überrascht aus, als er meiner ansichtig wurde; da darf ich ja nicht mehr von meiner kleinen Frau reden, das gibt bald eine große!
Ich aber erblickte ihn jetzt fast mit Entsetzen; denn seine regelmäßigen aber
starken Züge, die schwarzen, in die Stirne fallenden Locken, die großen Augen,
die mit kalten Flammen leuchteten, alles sah ich später lange noch einem
gemalten Bilde gleich vor mir; damals aber erschreckte und blendete mich dies zu
seinem vollen Ausdruck gelangte Wesen, und der Schrecken diente nur dazu, meine
Kinderei auf den Gipfel zu treiben. Ich nahm mich jedoch zusammen; nach einer
kurzen Unterhaltung lud ich meinen Seelenfreund auf einen bestimmten Tag
gelassen zu Tisch, als ob es nur so sein müßte. Die
Ich selber deckte schon in der Morgenfrühe den Tisch mit dem besten Geräthe, das die Mutter nur bei seltenen Gelegenheiten einst gebraucht hatte; mit neuer Verwunderung gab Frau Lise, die Wirthschafterin, das Silberzeug heraus. Als dann der Tisch fertig war und in aller Herrlichkeit glänzte, zog ich mein schönstes Kleid an und unterließ nicht, mich mit den kleinen Schätzen zu schmücken, die man meiner Jugend anvertraut hatte. Auch Fräulein Hansa putzte sich auf meine Bitte stattlich heraus; sie rauschte in schwarzer Seide einher, einem Erträgnisse ihrer Käferhandlung, und hatte einen großen ägyptischen Scarabäus vorgesteckt, den ihr der Vater geschenkt. Das Alterthum war aus edlem Stein geschnitten, in Gold gefaßt und zu einer Brustnadel verwendet.
So weit war Alles gut und nach meinem Willen vollbracht. Aber nun änderte sich
die Sache. Als wir zu Dreien am Tische saßen und uns unter der Aufsicht der Frau
Lise bedienen ließen, sah ich mich plötzlich auf mein wahres Alter und
Zöglingsdasein zurückgewiesen. Ich wußte nichts zu sagen und thronte in meiner
Pracht
Die zwei älteren Personen mochten den Scherz, den sie von früher her kannten, nicht mehr für angemessen halten; denn sie lächelten etwas säuerlich dazu. Ich hingegen wurde roth und fühlte mich nichtsdestoweniger beruhigt, weil das unverhofft verlautende Wort meinen alten kindlichen Glauben an den Ernst und die Wahrhaftigkeit desselben bestätigte.
Nach beendigter Mahlzeit und als auch der Kaffe genommen war, schlug unser Gast vor, einen Spaziergang in das Freie zu machen. Er werde am nächsten Morgen wieder abreisen, sagte er, und wisse nicht, ob er so bald wieder komme.
Mit schrecklicher Beklemmung hörte ich diese Ankündigung; kein größeres Unglück schien es mir in der Welt zu geben, als die abermalige unerwartete Trennung. Allein kaum eine halbe Stunde später fühlte ich mich noch zehnmal unglücklicher. Wir gingen durch ein vernachlässigtes Lustwäldchen, dessen schmale holperige Wege sich an einem Hügel im Stadtforste verloren. Leodegar hatte der Erzieherin den Arm gegeben, den sie nun nicht mehr fahren ließ, so daß ich genöthigt war, wie ein Hündchen hinter dem Paare drein zu laufen. Sie achteten nicht einmal darauf, und ich befand mich in meiner fünfzehnjährigen Nichtsnutzigkeit so elend, daß ich zu weinen anfing und mit dem Schnupftuch den Mund verstopfen mußte, um das Schluchzen und Stöhnen nicht laut werden zu lassen. Das paßte nicht gut zu meinem modischen Anzuge, den ich demjenigen erwachsener Damen so ähnlich als möglich gemacht hatte.
Plötzlich aber gab es eine Wendung der Dinge. Fräulein Hansa zog das Fläschchen
mit Spiritus, das sie stets bei sich trug, aus der Tasche und that einen Sprung
unter die Bäume, wo sie die langen Fühlhörner eines Käfers aus einer bemoosten
Rinde hervorstehen
Jetzt sah sich Leodegar nach mir um und erblickte mich in meinem verzweifelten Zustande, der mich wohl so schlimm dünkte, wie die Lage des sterbenden Kerbthierchens. Ueberrascht ergriff er meine Hand, legte sie in seinen Arm und führte mich weiter, wie er vorher die Gouvernante geführt hatte, indem er sagte: Was gibt's denn da? Warum weint man? Eine Braut, eine kleine Frau, die weint, wo soll das hinaus?
So kindermäßig das klang, so tröstete mich doch der alte Titel, der mir zukam wie
der Platz an der Seite des Mannes, dessen Arm mich doch eher beängstigte als
erfreute. Ich antwortete nichts, trocknete die Thränen und brachte das Gesicht
in Ordnung. Als wir ein hundert Schritte gegangen, erreichten wir den Saum des
Gehölzes und betraten die anstoßende Haide, wo wir gleich das Grab des
Piccolomini fanden. Das Immergrün, das ich einst gepflanzt, hatte seit drei
Jahren den kleinen Hügel dicht übersponnen; die Hollunderbüsche waren höher und
breiter geworden und mit Blüthenbüscheln behangen, und irgend Jemand, dem das
Plätzchen
Hier wollen wir ausruhen und auf das Fräulein warten! sagte Leodegar; was ist das für ein lauschiger Winkel, den ich noch nie gesehen?
Es ist ein Grab, wie ich glaube, erwiderte ich in ängstlicher Zerstreuung, brach jedoch meine Rede ab. Mir war zu Muth, als ob ich wenigstens dreißig Jahr' alt wäre und auf weitentlegene Jugendträume zurückblickte. Obgleich es nur der Schatten eines Dichtergebildes war, der hier begraben lag, so empfand ich doch eine Art Furcht vor der Nebenbuhlerschaft der zwei Männer; denn der Lebende schien mir wohl so schön und gewaltig, wie ich mir einst den Todten gedacht. Das Laub der Hollunderbäume flüsterte mir unheimlich in die Ohren. Auch hatte ich eines Tages meine Erzieherin in einer Damengesellschaft äußern gehört, daß die Männer es hassen, wenn ihre Frauen von früheren Liebesgeschichten erzählen. Alles das war trotz meinem Hange zur Aufrichtigkeit Grund genug, auf Leodegar's Frage, wer denn hier begraben sein solle, stumm wie ein Fisch zu bleiben. Ich zitterte leise vor Beklemmung. Er bemerkte es, nahm mich brüderlich in den Arm, streichelte mir die Backen und fragte, was mir denn sei und warum ich geweint habe?
Da brach ich von Neuem in Thränen aus; ich sehnte mich nach Vertrauen, nach
Freundschaft und Liebe, nach
Vetter Leodegar! Wann wirst Du mich denn heirathen?
Er schwieg erst ein Weilchen, wie um sich auf die Antwort zu besinnen. Dann hob er mein Kinn mit einem Finger empor, daß er mein Gesicht sehen konnte, und das seinige hing mit zärtlichen Augen über mir, indessen der Mund seltsam lächelte.
Endlich sagte er: Du gutes Mädchen, wenn Du erst katholisch bist, wird die Hochzeit sein!
Aber meine Mama ist ja auch nicht protestantisch geworden, sagte ich, und der Papa hat sie doch geheirathet.
In diesem Punkte sind Dein Papa und ich zwei Dinge! erwiderte er nachdenklich, indem er mich zärtlicher an sich zog und einen Kuß auf meine Stirne zu drücken im Begriffe war. Da hörten wir die Schritte und die Stimme der Erzieherin hinter den Bäumen, und Leodegar ließ mich unwillkürlich frei. Dieses Fahrenlassen kam mir kleinem Ungeheuer zu statten; denn eben sträubte ich mich gegen den Kuß. Dennoch gab es dem Abenteuer in meinem Sinne die Weihe des Geheimnisses; ich wußte nun, daß die Leute nichts von dem Vorgange wissen durften, und hielt denselben um so eher für eine heimliche Verlobung.
Der Spaziergang wurde nun auf breiteren Wegen fortgesetzt: erst nach einigen
Minuten lachte Leodegar
Frühzeitig ging ich zu Bette, um ungestört weinen und über die ernste Wendung meines jungen Lebens, über die Worte Leodegar's nachdenken zu können. Allmälig aber schlief ich ein, erwachte jedoch kurz nach Mitternacht. Da stand ich leise auf und kleidete mich vollständig reisefertig an, worauf ich einen Handkorb mit den nothwendigsten Sachen voll packte, endlich aber auch einen Brief an meine Hausgenossinnen schrieb, worin ich ihnen meldete, ich hätte ein Heimweh nach der Jugendfreundin meiner Mutter, der Nonne, empfunden und sei in das Kloster hinuntergefahren, wo ich einige Zeit, bis der Vater zurückkehre, verweilen werde. Punktum.
Hierauf nahm ich meine Nachtkerze und den Reiseoder vielmehr Marktkorb, schlich
mit unhörbaren Schritten in den Flur hinunter, öffnete die hintere Hausthüre,
die in den Garten führte, und stieg in den dort angebundenen Nachen, den Korb
auf dessen Boden setzend. Nach alle
Ich fuhr aber frech und träumerisch ohne allen Unfall dahin und lenkte im ersten Morgenscheine in die mir bekannte Bucht ein, wo die Fischerkähne des Klostermüllers unter den hohen Weidenbäumen standen.
Eben läutete das Mettenglöcklein des Klosters; im Chore sangen die Nonnen ihre
Frühgebete, während draußen die Amseln, die Finken und andere Vögel ihre
Tagelieder erschallen ließen, daß die Luft zu leben schien. Aber auch die Hunde
rannten bellend herbei, da ich die Landung mit Geräusch bewerkstelligte, an die
Kähne stieß und mit der Kette des meinigen über dieselben hinwegsprang.
Glücklicherweise kam einer der Klosterknechte, der sich meiner noch erinnerte,
und beschwichtigte die Hunde. Er machte den Kahn fest und trug meinen Korb
Doch sogleich holte sie aus ihrem Wandschränklein ein Gläschen duftigen Nonnenliqueurs und zwang mich, das wärmende Tränklein mit einem würzigen Zuckerbrote zu mir zu nehmen. Als dies geschehen, ruhte sie nicht, bis ich auf ihrem Bette lag und einschlief, während sie sich selbst mit ihrem Gebetbuche auf einen Schemel setzte und dem Aufgang der Sonne entgegen sah.
Als die Glocke zur Morgensuppe geläutet wurde, kam sie mich zu wecken; denn sie
hatte inzwischen schon mit der
Dergestalt blieb ich im Kloster sammt dem Plane, den ich im Kopfe barg. Gegen Abend aber erging sich Schwester Klara mit mir im Felde, wie sie vormals mit der Mutter gethan, und entlockte mir mit sanftem Andringen die Ursache, die mich auf so unvermuthete Weise anher geführt.
Ich eröffnete ohne Zögern meinen Wunsch, mit ihrer Hülfe und dem Schutze dieses Klosters zur katholischen Religion überzutreten.
Klara erschrak zum zweiten Male über mich und
Was mich betraf, so verharrte ich auf meinem Vorsatze; höheren Orts wurde überlegt, wie ich die muthmaßlich einzige Erbin des vorhandenen Vermögens, das Kind einer Katholikin sei, welche, durch den ketzerischen Ehemann dem rechten Glauben entzogen, ohne die Tröstungen der Kirche verstorben; wie mein Begehren offenbar eine Fügung sei, deren mögliche Früchte für Stift und Kirche nicht leichthin verscherzt werden dürften.
Nun war ich nach den Landesgesetzen, wenn ich erst ein Jahr älter geworden,
berechtigt, nach freier Wahl den Uebertritt zu thun, auch gegen des Vaters
Willen. Es ward also die Frage gestellt: sollte man dies Jahr verfließen lassen
und mich thunlichst unter den Augen
Solchermaßen wurde denn auch gehandelt. Der Herr Probst selber ertheilte mir während zwei Monaten den geistlichen Unterricht; dann empfing ich in der Klosterkirche die Taufe. Zwei Conventualen aus dem fernen Mutterstifte, dem der Probst angehörte, und zwei Nonnen, von denen Klara die eine, wohnten als Taufzeugen bei. Nachher wurden die nöthigen Urkunden aufgesetzt und unterschrieben, und der Probst verwahrte sie einstweilen in seinem Archive. Der Name Lucia wurde mir gelassen.
Ich vermag meine Seelenverfassung während des Unterrichts und der Ceremonie kaum
zu beschreiben. Jedenfalls hatte ich dabei ein böses Gewissen und fühlte
deutlich, daß ich meinem Vater gegenüber nichts Gutes that. Außerdem empfand ich
eine eisige Kälte im Herzen, die mich auch drückte; nur der Gedanke, daß ich
mich jetzt unauflöslich mit Leodegar vereinigt habe und keine
Sie schaute mich mit großen Augen an, schlug sie dann tief erröthend auf ihre Arbeit nieder, und nach einem Weilchen fiel eine schimmernde Thräne darauf. Ich glaubte, die stille fromme Dame schäme sich für mich, da ich es nicht selbst thue; ganz unglücklich kniete ich vor ihren Füßen und weinte auf ihre Hände. Es war mehr die Erinnerung an eigenes Leid, das sie einst in dies Kloster geführt, die sie jetzt bewegte. Sanft richtete sie mich auf und sagte:
Wir sprechen nicht mehr darüber! Schweig und vergiß, oder mögen dir Gott und seine Heiligen helfen!
Wir haben freilich nach Jahren wieder davon geredet; denn sie lebt noch. In jenen
Tagen, da ich noch bei ihr weilte, lehrte sie mich zur Zerstreuung dergleichen
Bildchen sticken, wie Sie hier eines sehen, und dieses war von ihrer
Und doch gab es sofort Ursache genug zu Angst und Sorgen. Das regelmäßige
Dampfboot legte beim Kloster an; ich guckte neben der Frau Klara neugierig aus
dem Zellenfenster; aber statt einer fremden Ordensfrau, oder eines Herren
Prälaten-Inspektors, oder eines weltlichen Geschäftsmannes sah ich meinen Vater
an das Land steigen. Mit seiner Erscheinung fiel mir eine neue Last auf's Herz
und das böse Gewissen verwandelte sich in eine Sorge, die ich noch nie gekannt.
Er war früher, als man gedacht, und unversehens von der Reise zurückgekehrt, und
als er erfuhr, daß ich seit Monaten im Kloster lebe, über meine Eigenmächtigkeit
wie über die fahrlässige Art der Gouvernante und der Wirthschafterin von einem
tiefen Unwillen ergriffen worden. Beide entließ er augenblicklich, und sie
mußten sogleich aus dem Hause scheiden. Gegen die guten Klosterfrauen verlor er
die frühere Duldsamkeit, von der zornigen Furcht befangen, sie möchten
Jetzt lernte ich auf einmal das Seufzen, da ich, wenn auch nicht ein Verbrechen, doch einen unerlaubten, ernsten und auffälligen Schritt zu verhehlen hatte. Als ich in das väterliche Haus trat und die beiden durch meine Schuld verstoßenen Frauen nicht mehr sah, seufzte ich wiederum tief auf und ward der Bitterkeit des Lebens inne.
Ich fand jedoch nicht lange Zeit, nach den Verschwundenen zu fragen. Der Vater
hatte in Thüringen eine Art Erziehungs- oder Vollendungsanstalt für größere
Mädchen gesehen. Dieselbe wurde in entschieden protestantischem Geiste geleitet,
wodurch einer besondern Klasse der Gesellschaft gedient werden sollte. Und da
der Vater stets zu religiösen Experimenten geneigt war, die er an andern Leuten
anstellte, wie die Naturforscher an den Fröschen, so dachte er hiedurch am
ehesten den Katholizismus auszutreiben, welchen ich im Kloster eingeathmet haben
mochte.
Die strenge lutherische Rechtgläubigkeit, die er vorausgesetzt, war aber in Wirklichkeit nicht gar so weit her. Es handelte sich mehr um gewisse unzukömmliche Einwirkungen, um taktlose oder unschickliche Uebungen und Thorheiten, die sich heutzutage manche schlecht kontrolirte halb- oder einseitig gebildete Lehrerschaften beiderlei Geschlechts erlauben, und welche durch ernsthaft und gleichmäßig geschulte Lehrkräfte fernzuhalten man bestrebt war. Das eigentliche Ziel konnte sogar ein recht weltliches genannt werden. Man suchte, da man doch für eine bessere als gewöhnliche Bildung sorgte, die Mädchen vor allerlei Unbescheidenheit, Absprecherei, Verschrobenheit und Unzierlichkeit zu bewahren, um ihnen nicht von vornherein Zukunft und Schicksal zu verderben, sondern ihnen ein unbefangenes Herz für die reifere Erfahrung, einen unbeschädigten Verstand für das in der Welt selbst zu erwerbende Urtheil freizuhalten. In diesem Sinne konnte die herrschende Christlichkeit lediglich einem durchsichtigen Glasgefäße verglichen werden, welches den Staub abhielt und das Licht durchließ, ohne selbst vor dem Zerbrechen geschützt zu sein. Vollkommen ist ja nichts in der Welt.
Uebrigens traf ich eine Anzahl sehr wohl erzogener, gutartiger Mädchen, alle
heitern unschuldigen Herzens, unter welchen die Wahl der vertrauteren
Freundinnen schwer gewesen wäre, wenn nicht ganz gleichgültige äußere
Denn mit jedem Tage, den ich älter wurde, erkannte ich deutlicher, daß es ganz unmöglich wäre, mich zu entdecken, wenn ich in diesen ruhigen Kreisen, wo nichts verfrüht und nichts gewaltsam gedreht wurde, nicht als ein abenteuerliches bedenkliches Wesen erscheinen wollte. Dieses ewige Verschweigen eines und desselben Geheimnisses, daß ich nämlich katholisch und wie ich es geworden sei, unterschied mich von der ganzen kleinen und großen Welt, in der ich lebte.
Aber im gleichen Maße, in welchem die verschwiegene Last an Schwere wuchs, wurde
sie mir auch theurer. Ich hörte nie etwas von Leodegar und wußte nicht, wo er
lebte. Weder der Vater noch die Schwester Klara, mit
Mein Vater war in Italien und schrieb mir, er werde mich im Herbst abholen; und da er gute Berichte über mich erhalten, werde er mich zur Belohnung mit nach dem klassischen Lande nehmen, wohin er für den Winter und Frühling zurückzukehren gedenke. Dort würden mir die letzten etwaigen Klostergedanken sicherlich vergehen.
„Daß ich's nicht vergesse,“ endigte der Brief, „unsern Vetter Leodegar habe ich
ganz zufällig in Rom getroffen.
Die Nachricht war nur zu begründet. Fast am gleichen Tage sagte der Institutsvorsteher, als er bei Tisch die Zeitung las, zu mir: Da steht, daß ein junger deutscher Liguorianer aus Ihrer Heimat sich in Rom durch seine Predigten berühmt mache. Er trägt sogar den gleichen Familiennamen mit Ihnen! Kennen Sie ihn, Fräulein Lucie? Sie sind aber doch nicht katholisch!
Mit tonloser Stimme erklärte ich, von alledem nichts zu wissen, und schenkte mir möglichst gleichgültig ein Glas Wasser ein.
Mein armer Vater holte mich nicht mehr ab. Er hatte sich in den heißen Sommermonaten durch unvorsichtiges Reisen ein Fieber geholt, von dem er nicht genas.
So kehrte ich vollständig verwaist in mein leeres Haus zurück. Da ich für die
Vermögensverwaltung noch eines Vormundes bedürftig war, so bat ich meinen Oheim,
den Bruder meiner. Mutter, darum, der eben in den Ruhestand zu treten
beabsichtigte und mir einen Besuch
Von der verfrühten thörichten Leidenschaft und ihrem Gegenstande erholte ich mich
zwar bald, da es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Aber ich hatte durch meine
Streiche Jugend, Leben und Glück, oder was man dafür hält, mir selbst vor der
Nase abgesperrt. Den Uebertritt konnte ich nicht rückgängig machen, wenn ich
nicht als eine abenteuernde Doppel-Convertitin in das Gerücht kommen wollte.
Inzwischen lernte ich mich mit der Idee trösten, daß meine Geschichte mich vor
späterem Unheil, Unstern und vor Teufeleien bewahrt habe, die ich ohne diese
Erfahrung noch hätte erleben oder anrichten können. Es gibt ja auch Krankheiten,
die man den Kindern einimpft, damit sie später davor bewahrt bleiben! Nun aber
halten Sie reinen Mund, nicht wahr? Und mischen Sie die Geschichte nicht unter
die Beispiele, die
„Seien Sie in dieser Hinsicht ganz ruhig“, antwortete Reinhart; „ich gönne mir selber kaum, was Sie mir so gütig anvertrauten. Doch das Gleichniß mit dem Impfen der Kinder kann ich Ihnen nicht gelten lassen. Was Sie erlebt haben, ist wohl zu unterscheiden von der ungehörigen Liebesucht verderbter Kinder und widerfährt nur wenigen bevorzugten Wesen, deren edle angeborene Großmuth des Herzens der Zeit ungeduldig, unschuldig und unbewußt vorauseilt. Der naive Kinderglauben an die leichtfertigen Scherzworte des Herrn Cardinals, an welchem Sie so treulich festgehalten haben, gehört zu dieser Großmuth, wie ein Taubenflügel zum andern, und mit solchen Flügeln fliegen die Engel unter den Menschen. Beschämt ermesse ich an diesem Beispiele des Guten, wie theilnahmslos mein Leben verlaufen ist, wie inhaltslos, und auf wie leichtsinnige Weise ich sogar vor Ihr Angesicht gerathen bin!“
„Sie werden endlich ja wahrhaft artig gegen Unsereines“, sagte Lucie; „ich danke Ihnen für das gnädige Urtheil,“
Sie athmete leicht auf und fuhr fort: „Sehen Sie, nun bin ich erst ganz von der verwünschten Heimlichkeit befreit. Wie schwierig ist es, einen Beichtvater zu finden, wie man ihn braucht! Aber wollten Sie nicht lesen?“
„Jetzt nicht mehr“, meinte Reinhart; „wer möchte noch lesen! Lieber möcht' ich
hinaus in's Freie, den Tag entlang,
„Da haben Sie recht!“ lachte Lucie freundlich; „warum sollen wir uns nicht auch einen guten Tag machen? Wir haben's ja in uns, nicht wahr?“
„Was denn?“
„Ich meine das bischen Kinderdummheit mit den Taubenflügeln, trotzdem wir so große alte Leute sind! Wissen Sie was, wir gehen durch den Wald nach Althäusern am Flusse hinunter; dort finden wir sogar ein leidliches Mittagessen in der Post, wo wir die Reisenden und die Fuhrleute betrachten können. Und eben fällt mir ein, daß ich alsdann bei dem dortigen Schuhmacher nachsehen kann, ob er meine Wald- und Feldschuhe für den Herbst gemacht hat und ob sie mir passen. Der Meister Schuhmacher ist nämlich der Bräutigam unseres Bärbchens geworden, den man ein wenig zu Ehren ziehen muß.“
Sie schlug eine der grünen Gardinen zurück und rief hinaus: „Bärbchen, hast Du etwas auszurichten? Wir gehen spazieren und kommen zu Deinem Schuh- und Hochzeitmacher!“
Das angerufene Mädchen kam gelaufen, fragte zuerst, ob es am nächsten Sonntag
ausgehen dürfe, und bat nach erhaltener Erlaubniß, dem Geliebten dies anzuzeigen
und ihm zu verdeuten, daß er zu Hause bleiben und sie erwarten solle. Sie werde
ihm auch die neuen Winterstrümpfe mitbringen.
Sie machten sich wohl gerüstet auf den Weg und beobachteten aufmerksam alle Merkwürdigkeiten, die ihnen aufstießen, einen Hirschkäfer, der am Fuße eines Baumes saß und fleißig schrotete, so daß er schon ein beträchtliches Häuflein Sägemehl ausgeworfen hatte; einen Eichbaum, der eine schlanke Buche in seinen knorrigen Armen hielt; das vermischte Laub ihrer Kronen flüsterte und zitterte in einander, und eben so innig schmiegte sich der glatte Stamm der Buche an den rauheren Eichenstamm. In einem klaren Bache, der durch den Bergwald herunterfloß, kam eine große schöne Schlange geschwommen und warf sich unfern den beiden Lustwandlern auf's Trockene; ein starker Krebs hing an ihrem Halse, vermuthlich um sie anzufressen. Reinhart griff die Schlange mit rascher Hand und hob sie empor.
„Halten Sie mir das arme Thier,“ sagte er zu Lucien, „damit ich den Quäler abnehmen kann! Fassen Sie nur fest mit beiden Händen, es ist keine Giftschlange!“
Lucie sah ihn etwas furchtsam an; doch traute sie seinen Worten und hielt die
Schlange tapfer fest, die sich nicht heftig bewegte. Reinhart drückte den Krebs,
bis er seine Scheeren aufthat, und warf ihn in den Bach. Die Schlange blutete
ein wenig. Sie schaute das schöne Fräulein ruhig an, und dieses blickte mit
sichtlicher Erregung dem Waldgeheimniß in die nahen Augen. Ihre
„Wie schön es gemustert ist!“ rief sie, ihm nachsehend, bis es im Farrenkraute verschwand; „und wie froh bin ich, daß ich gelernt habe, die Creatur in Händen zu halten! Und wie erbaulich ist das kleine Rettungsabenteuer!“
„Ja,“ erwiderte Reinhart, „es erfreut uns, in dem allgemeinen Vertilgungskriege das Einzelne für den Augenblick zu schützen, soweit unsere Macht und Laune reicht, während wir gierig mitessen. Aber sehen Sie, die Creatur scheint diesmal dankbar zu sein und uns das Geleit zu geben!“
Er wies zur Seite des Weges, wo die Schlange wieder zum Vorschein kam und neben ihnen herkriechend das Paar in der That eine Strecke weit begleitete, bald im Gesträuche verborgen, bald sichtbar. Zuletzt hielt sie still, richtete sich in die Höhe und drehte sanft den kleinen platten Kopf hin und her.
Lucie schaute wortlos aber mit wogendem Busen hin, und erst, als die Erscheinung aus den Augen war, rief sie: „Ach, von dieser schönen Schlange wünschte ich zu träumen, wenn ich einmal traurige Tage hätte. Gewiß würde mich der Traum beglücken!“
Sich alle Zeit gönnend, gelangten sie um Mittag in das Dorf, gingen in die
Wirthschaft zur Post und ließen sich Suppe und die übrigen einfachen Gerichte
geben, die dort üblich waren. Gleich bescheidenen Reisenden oder
„Das ist nicht übel,“ sagten sie, „das Bärbelchen hat sich ein sehr behagliches Nest ausgesucht!“
Was ihnen aber noch mehr auffiel, war der Gesang einer schönen Stimme, welche
durch das offene Fenster ertönte im allerseltsamsten Rhythmus. Da sich auf der
entgegengesetzten Seite ebenfalls ein Fenster befand, war das Innere der Stube
ganz hell und durchsichtig, und sie standen im Schatten des Baumes einige Zeit
still und schauten hinein. Der junge Meister, der noch allein arbeitete, war
eben im Anfertigen eines neuen Vorrathes von Pechdraht begriffen. An einem Haken
über dem jenseitigen Fenster hatte er die langen Fäden von Hanfgarn aufgehängt,
welche durch die ganze Stube reichten, und schritt nun, die eine Hand mit einem
Stücke Pech, die andere mit einem Stücke Leder bewehrt, rück- und wieder
vorwärts Garn und Stube entlang, strich das Garn und drehte oder zwirnte es auf
dem einen Knie in kühner Stellung kräftig zum haltbaren Drahte und
Wenn er mit leichten Schritten begann:
bei dem luftigen Band aber durch einen Knoten im Garn aufgehalten wurde und dasselbe daher um eine ganze Note verlängern und zuletzt doch wiederholen mußte, so war die unbekümmerte und unbewußte Treuherzigkeit, womit es geschah, mehr rührend als komisch. Die Strophe:
gelang ohne Anstoß, ebenso die folgende:
Nur schien ihm das „genung“ nicht in der Ordnung zu sein, und er sang daher verbessernd:
Reinhart und Lucie blickten sich unwillkürlich an. Der Sänger im kleinen Hause schien für sie mitzusingen, trotz jenes abscheulichen Idioms. Welch' ein Frieden und welch' herzliche Zuversicht oder Lebenshoffnung pulsirten in diesen Sangeswellen. Am jenseitigen Fenster stand ein mit Grün behangener Vogelkäfig. Nun kam aber die letzte Strophe: Fihle, sang er,
Weil der Draht noch nicht ganz fertig war, sang er diese Strophe mehrmals durch, immer heller und schöner, mit dem Rücken gegen die Lauscher draußen gewendet; im Bewußtsein der nahen Glückserfüllung wiederholte er das
besonders kraftvoll und ließ dann im höchsten Gefühle die geschleiften Noten steigen:
Da ein par Kanarienvögel mit ihrem schmetternden Gesange immer lauter drein lärmten, war eine Art von Tumult in der Stube, von welchem hingerissen, Lucie und Reinhart sich küßten. Lucie hatte die Augen voll Wasser und doch lachte sie, indem sie purpurroth wurde von einem lange entbehrten und verschmähten Gefühle, und Reinhart sah deutlich, wie die schöne Gluth sich in dem weißen Gesichte verbreitete.
Es war ihnen unmöglich, jetzt in das Häuschen hineinzugehen; ungesehen, wie sie gekommen, begaben sie sich hinweg, und erst als sie wieder die Waldwege betreten hatten, stand Lucie still und rief:
„Bei Gott, jetzt haben wir doch Ihr schlimmes Recept von dem alten Logau ausgeführt! Denn daß es mich gelächert hat, weiß ich, und roth werde ich hoffentlich auch geworden sein. Ich fühle jetzt noch ein heißes Gesicht!“
„Freilich bist Du roth geworden, theure Lux,“ sagte Reinhart, „wie eine Morgenröthe im Sommer! Aber auch ich habe wahrhaftig nicht an das Epigramm gedacht, und nun ist es doch gelungen! Willst Du mir Deine Hand geben?“
So kam es, daß am Abend, als die Alten nach Hause kehrten, Lucie schon vor ihrem Oheim auf Du und Du mit Reinhart stand. Alle waren zufrieden mit der Verlobung, und Lucie mit dem Schuhmacher so sehr, daß sie Bärbel am andern Tage selbst hingehen ließ, ihm die vergessene Botschaft zu bringen.
Reinhart nannte später seine schöne Frau, wie der Oheim, nur Lux, und, indem er das Wortspiel fortsetzte, die Zeit, da er sie noch nicht gekannt hatte — ante lucem, vor Tagesanbruch.