Aus der Heimat: ELTeC Ausgabe Walden, Marie (1834-1890) ELTeC conversion Priska Rüegg 283 75238

2020-05-18

Transcription UB Basel Scan UB Basel Aus der Heimat. Erzählungen von Marie Walden Walden, Marie B. S. Haller Bern 1884

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Myni liebe Leser und Leserinne!

Es sy inz grad vier Jahr sit mys älter Brüderli ech sy Ufwartung gmacht het; .. es früsches munters Buebli, aber im ne grobe Röckli und ruuche Händlene, wo zart besaiteti Nature bim erste Aputsch schier erschrocke sy drab. Und doch het me dem Chind viel Sründlichkeit und Güeti etgegebracht und 's i gar vielne Füsere guet ufgno, wil me-n-ihm agseh het, daß es es guet meint.

Das het d'm Schwösterli, wo d'Ehr het hüt vor ech z'erschyne, Mueth gmacht. Es het sich ufgstrüüßt so guet daß es het chönne, het d'Schüehli gsalbet, d's Röckli bürstet und d'r Weg under d'Süeß gno für ech e chly churzi Zyti cho z'mache.

Es het ech viel z'brichte vo Treui und Ufopferung, vo Liebi und Vrsöhnung, vo Meitlene und Schnydere, churz vo Allem wo d’ Sraue speziell ageit und scho d'Eva im Paradies begeisteret het, vo Allem wo me öppe in Armenabe und Visite vrhandlet wenn d’'Süeß afange erwarmet sy und d'Gaffeechanne halb leer isch.

Su loset ihm e chly ab dem Meiteli, ihr liebe Lüt zu Stadt und Land ~ d's Mämlliche persee inbegriffe ~ syni Händli sy suber und d's Züngli isch gschliffe; es macht ech allweg hie und da e churzwylige Moment und villicht chunt sys Brichte öppe am ne arme Fraueli oder Meitschi z’guet wo i d'r Welt umegschüpft wird und niene keis rechts Hei het.

D'r lieb Gott geb sy Sege d'rzue!

Bern, im Dezember 1883.

Marie Walden.

I. Die Waise
Erstes Kapitel. Auf der Messe.

Ein schneidender Ostwind pfiff über den Marktplatz der Stadt, und einzelne Schneeflocken, Nachzügler des Winters, fielen auf die durchweichte Erde. Die Strahlen der Frühlingssonne brachen zuweilen aus lichtgeränderten Wolken hervor, aber sie hatten nicht Kraft genug jene zitternde Kleine zu erwärmen, die, unter luftigem Bretterdache kauernd, mit frostbebender Stimme die Fiäufer anzulocken suchte, welche prüfend ihren zerbrechlichen Kram von irdenem Kochgeschirr umsstanden.

Das Kind mochte ungefähr zehn Iahre zählen und war trotz seines blaugefrornen Gefichtchens und der zerzausten braunen Locken eine liebliche Erscheinung. Seine großen braunen Rehaugen glänzten von Leben und einer früh entwickelten Intelligenz und seine feinen bleichen Züge hatten „quelque chose d’intéressant“, wie eine elegante Zofe mit weißer Schürze ihrer Begleiterin zuflüsterte.

Ermuthigt durch die freundlichen Blicke der beiden Käuferinnen, erhob das Kind auf's Neue sein schon ganz heiseres Stimmchen: „O nehmt's m'r doch au eppes ab, hab ebe no gar nix v'’rdient heit."

„Nous pourrious acheter nos casserolles ici tout aussi bien qu’ailleurs, si la petite ne les vend pas trop chéres,“ sagte die elegantere der beiden Zofen halblaut zu ihrer Begleiterin.

„Oh, que non, mamselle,“ sagte das Kind lebhaft in seiner Muttersprache. „Regardez voir ma belle vaisselle, et c'est moi qui vous aiderai à choisir.“

„Panuyxre petite!“ sagte die Kammerzofe. „Que tu dois avoir froid! Où est ta maman ? Pourquoi vu'est-elle pas ici ?“

„Maman est morte,“ sagte das Find mit schimmerndem Auge. „L’année passée elle a pris froid pendant la foire à Bâle.*

„Et ton pére ? J’espére bien qu'il n’est pas à boire dans un cabaret tandis qu'il te laisse geler ici.“

„Papa est ici dans notre char,“ antwortete die Kleine, während sie mit dem starren Händchen die Thräne trocknete, die ihr in's Auge trat. „Hier il s'est mis au lit comme d'’ordinaire et cette nuit il a failli mourir et n’'a pas pu se lever ce matin. Pauvre papa, il a si mal, si mal.“ Sie zeigte dabei auf einen unweit am Rande des Marktplatzes stehenden, mit Leinwand bedeckten Wagen, aus dem ein leises Stöhnen hervordrang.

„Et qu’est-ce qu'il a, ton papa ?“ fragte die Zofe weiter.

„La voisine Madeleine a dit qu'il a la eolique,“ erwiderte das Find, „et elle eroit qu'il va mourir.“

„N’avez-vous pas appelé un médecin ?“

„Oh que si, mamselle; mais il a fait un visage si sérieux et a dit que la maladie était bien grave.“

Säg, Adele, i cha nümme länger warte, i mueß hei; mach daß m'r fertig werde,". drängte die Begleiterin der eleganten Zofe. „Chumm, Meiteli, zeig m r dys Gschirr."

„Gschwind, gschwind," sagte das Mädchen, mit kindlicher Lebhaftigkeit sich ihrem Geschäfte zuwendend. „V'’là une belle casserolle, et je vous Ia laisserai pour deux franes seulement, ce n'est rien, vraiment.“

Die beiden Sreundinnen kauften, was sie nöthig hatten, kniffen die Kleine in die Wange und sagten ihr, sie solle nur guten Muthes sein, ihr Vater sei gewiß nicht so krank. Dann gingen sie leichten Sinnes weiter, plauderten von der letzten Sonntagsparthie und besprachen eingehend die wichtige Frage, ob sie ihre neuen Kleider mit Plissés oder Volants garniren lassen wollten.

Mais, Adele, vous avez employé un temps inoui pour acheter eette casserolle; c'est bien fâcheux que la euisiniére ait ses rhumatismes et ne puisse pas faire ses commissions elle-même,“ sagte Adelens Gebieterin, Fräulein vou Elm, während die Zofe ihr den Thee servirte.

„Mademoiselle me pardonnera, je suis sûre, quand je Ini raconterai mon aventure avee la petite tile au marché.“ Mit französischer Lebhaftigkeit erzählte sie die einfache Geschichte der kleinen Verkäuferin und schloß dann : „Si Mademoiselle le permet, j’irai demain, dans un moment perdnu, m’'informer des nouvelles de son pere.“

„Mais certainement, Adele, je vous le permets,“ erwiderte die Dame, „et nous tâcherons de le soulager.“

Auf dem Markte war es stiller geworden. Marie Srank, wie wir das kleine Mädchen nennen wollen, war mit ihrem heutigen Erlöse zufrieden und hätte vor Freude darüber Kälte und Hunger beinahe vergessen, wenn nicht ihre Nachbarin Madeleine ein kleines Rohlfeuer angefacht und Kaffee geliocht hätte, ja sogar eine Bratwurst in der flachen Pfanne hätte zischen lassen. Der Geruch davon erinnerte Marie daran, daß sie zu Mittag nur ein wenig Suppe genossen habe, die sie für ihren kranken Vater geholt und die dieser zurückgewiesen hatte. Seufzend schickte sie sich eben an, ihr Geschirr in Ordnung zu stellen, als Madeleine ihr rief und mit der, man darf wohl sagen, königlichen Barmherzigkeit, die der Arme an Seinesgleichen ausübt, ihr einen Sitz an ihrem Seuer zurecht machte, und ihr Abendessen mit ihr theilte; auch dem kranken Vater durfte Marie eine Tasse warmen Kaffee bringen, die er gierig austrank und dann wieder in jene dumpfe Betäubung zurücksank, welche die Wirkung schmerzsstillender Arzneien auf Schwerkranke zu sein pflegt.

Bei eintretender Nacht kroch auch die Kleine in das Stroh ihres Wagens, wickelte sich in eine zerlumpte Decke, und 3z0g die kalten Süße dicht an den Leib herauf. Dann senkte sich der gute Sreund armer Kinder, ein tiefer traumloser Schlaf, auf ihre müden Glieder, und unter seiner Herrschaft vergaß sie ihren Vorsatz, dem Vater zu wachen. Der Wind heulte über den Platz, Schnee- und Regenschauer durchnäßten die dünne Ceinwanddecke des Wagens und tröpfelten leise auf die Schläfer nieder; sie merkten es nicht.

Der Morgen kam mit Licht und dem Lärm einer größern Stadt. Die Küher fuhren mit ihren Karren, von dem Gebell ihrer großen Hunde bealeitet, über den Marktplatz; ein unweit wohnender Spengler hatte frühzeitig seine Werkstatt geöffnet und das Tingting seiner Gesellen tönte arbeitzmuthig in die frische Morgenluft hinaus; Omnibusse rafselten durch die Straßen zum Bahnhofe und die Droschkenführer fuhren auf ihren Plätzen auf.

Auch auf dem Geschirrmarkte hatte das tägliche laute Treiben begonnen, Männer, Weiber und Kinder waren ihren Strohlagern entstiegen, der Morgenkaffee kochte auf dem Kohlfeuer und die Sonne durchglänzte den davon aufsteigenden dünnen Dampf. Ihre Strahlen sielen durch die Oeffnung des Leinwanddaches auf ein todtblasses, schmerzverzogenes Antlitz und glitten dann hinüber zu dem vom Schlafe rosig angehauchten Kindergesichtchen, das nur ein klein wenig aus der alten Decke hervorschaute.

Von dem lauten Treiben um sie her erwachte endlich die kleine Schläferin, strich sich die Haare aus dem Gefichte und richtete sich noch ganz traumumfangen auf. Plötzlich kam ihr das Bewußtsein, daß sie den kranken Vater vernachlässigt habe, und mit hastiger Geberde wickelte sie sich aus der sie umhüllenden Decke heraus. Ihr warmes Händchen suchte die kalten Singer ihres Vaters zu löfen, dessen Hand, zur Saust geballt auf der Decke lag, aber sie waren starr und steif; sie streichelte die blasse, eingefallene Wange, sie war eiskalt und feucht vom Todesschweiß.

„Papa, Papa!“ rief das Kind, von schrecklicher Angst erfaßt, „réveille-toi, je t'en prie, écoute moi, ta petite Marie! Oh!“ fuhr sie, in lautes Wehklagen ausbrechend, fort, „oh papa, je t'avais oublié, et tu es kâché contre moi, n’est-ce-pas ?“

Ihr Angstruf versammelte bald das ganze Personal des Marktplatzes um den Wagen. Die Surcht des Kindes wurde zur traurigen Gewißheit, sein Vater war eine Leiche.

Es war rührend anzuhören, wie die rohen Männer, die sonst nicht drei Worte redeten, ohne einen sluch auzzustoßen, die derben Weiber, die ihre eigenen Sprößlinge oft sehr unsanft behandelten, die kleine Waise zu trösten versuchten, die immer und immer wieder in neues Weinen und den Klageruf ausbrach: „Pauvre papa, je t’ai oublie!“

Bald erschien auch die löbliche Polizei, die bei den bewegtesten Szenen im Leben der civilisirten Völker eine so große Rolle spielt und eine um so wichtigere, je weiter das betreffende Volk in Bildung und Gefsittung fortgeschritten ist, wie ja auch die Zahl der Wärter, Lehrer und Erzieher eines Kindes in dem Maße sich vermehrt, als es reicher und vornehmer ist. Die Lebenskraft aber, die zur gesunden körperlichen und geistigen Entwicklung des Kindes und der Völker nöthig ist, kann weder ein weiser Lehrer und treuer Wärter, noch die bestorganisirte Polizei mittheilen, die stammt allein aus dem Urquell alles Lebens, aus Gott.

Der leblose Körper des armen Kachelifuhrmanns wurde in die Todtenkammer eines Spitals geschafft unter herzzerreißendem Geschrei des Kindes, das seinen Papa nicht verlassen wollte und die Bahre bis zum Spitale begleitete, dann aber, durch den grausigen Anblick der kahlen Todtenkammer abgeschreckt, auf den Marktplatz zurückschlich, wo es sich unter seine Bude setzte, das Gesicht in seiner Schürze verbergend.

Im vornehmen Hause wird es gewöhnlich erst spät Tag. Auch dasjenige von Fräulein von Elm machte darin keine Ausnahme. Die Sonne war schon ein gut Stück weit auf ihrer glänzenden Bahn fortgeschritten, als Adele, das elegante Zöfchen, ihre Toilette beendigt hatte, die wohl noch einmal so lange dauerte, als die ihrer Gebieterin. Kaum hatte sie der kranken Föchin widerstrebend die erbetenen Dienste geleistet, so ertönte die Klingel. Adele nahm ein Porzellantöpfchen mit heißem Wasser und verschwand im Zimmer ihrer Herrin.

Diese hatte schlecht geschlafen, ihre Träume führten sie immer auf's Neue auf den Marktplatz und sie beschloß, gleich nach eingenommenem Srühstück den kranken Mann in Person aufzusuchen. Dieß lag aber nicht in Adelens Plan, welche fich vorgenommen hatte, bei diesem Anlaße zu ihrer Schneiderin zu gehen, um ihr neues Kleid zu probiren; sie war daher sehr unangenehm enttäuscht und versuchte Alles, ihre Dame davon abzubringen.

„Mais mademoiselle va se refroidir par ce temps humide; si mademoiselle tient à parler la petite elle-même, je pourrais aller la chercher.“

„C'est ce que je puis faire moi-même,“ erwiderte Fräulein von Elm trocken. „Donnez-moi mes galoches et mon imperméable, et quand vous anrez acheré votre besogne, vous aiderez la cuisinière. “

Adele schnitt eine Grimasse, als sie außer Gesichtsweite ihrer Dame war, und brummte: „Je veux être pendue, si je ne troure pas moyen de sortir anjourd’lui, que cette bête de euisiniere soit malade ou non.“

„Marie,“ sagte Madeleine, die gute Nachbarin, zu der armen Fileinen, die noch immer mit verhülltem Angesicht in einem Winkel kauerte, „v’là une dame qui rent te parler.“ Sie hatte Fräulein von Elm bereits in wortreicher Rede von dem traurigen Ereignisfe unterrichtet, und in dem wohlwollenden Herzen der reichen Dame war das Mitleid wach geworden und in seinem Gefolge der Entschluß, sich der kleinen Waise anzunehmen. Theilnehmend faßte sie die Hand des Kindes: „Paurre petite, ou vient de me dire que le bon Dien t’a envoyé une grande éprenve, et tu es si jeune encore. Mais, prends courage, tu ne seras pas délaissée, ni abandonnée, pourru que tu aies confiance en Lui.“

Das Kind hob fein verweintes Gessichtchen empor, konnte aber vor Schluchzen nicht sprechen. Madeleine nahm an seiner Stelle das Wort. „Madame voit bien comme c'est. La petite n’a absolument rien qui lui appartienne que les habits qu’elle a sur le dos et ce pen de vaisselle; le char même, dans lequel son pêére est mort, ne lui appartient pas. V’Ià, je voudrais bien Ia garder pour quelque temps, mais les affaires vont mal et j'aimoi-même une bande d’enfants qui me rendent la vie dure, et voyez, madame, Marie est une tendre petite, elle ne supporte Pas bien notre vie et se met à grelotter à chaque sitflée de vent.“

„Voudrais-tun venir avec moi, ma petite?“ wandte Fräulein von Elm sich zu dem Kinde, das verwunderungsvoll auf die Sprechende blickte.

„Mais il fant que je vende mes casserolles,“ sagte sie endlich schüchtern.

„Oh, si ce n’est que ga, je m'en cehargerai bien,“ sagte Madeleine; „tu n’as qu’à snivre madame, et avant que je partirai d’ici, je t'apporterai Vargent, si madame rent bien aroir l’obligeancee de me donner son adresse.“

Wie willenlos ließ Marie sich Alles gefallen, der Schmerz hatte sie ganz betäubt ; nur als sie von ihrer bisherigen Beschützerin sich losreißen sollte, erneuten sich ihre Thränen.

„Va, ma paurrette,“ sagte diese endlich, mit dem Zipfel der Schürze sich die Augen trocknend, „tu n’aurais trouré ici que la misere; la vie est dure pour les paurres gens.–“ Damit nahm sie aus einem unter dem Ladentische stehenden Rorbe einen schreienden Säugling hervor, der dort in Lumpen gebettet lag.

Weinend folgte Marie ihrer nunmehrigen Beschützerin, die sie zuerst in einen Laden führte, wo allerlei von Armen verfertigte Kleidungsstücke zu verkaufen waren, und dort einen vollständigen Traueranzug für sie erstand. Dann kehrte sie mit dem Kinde in ihre Wohnung zurück, wo es ihr Erstes war, der Köchin den Befehl zu geben, ein Bad zu rüsten.

Wie verlassen stund Marie in dem hohen, mit alterthümlich geschnitzten dunkeln Nußbaumschränken versehenen Vorzimmer und getraute sich nicht, mit ihren. schmutzigen Schuhen die zierliche Küche zu betreten, wohin Fräulein von Elm sie gewiesen hatte, während sie sich auf ihr Simmer begab.

Düngi (Abkürzung von Caton, Katharina), die Köchin, war Übler Laune. Der Rheumatismus, das Bad und ein von der schönen Angorakatze vom Tische heruntergeworfener Rahmtopf waren schuld daran. Adele fand eine boshafte Freude daran, sie noch mehr zu reizen, indem sie die Köchin singend und trällernd umtänzelte und sich beständig in der Kuche zu schaffen machte. Endlich verlangte sie gar noch ein heißes Bügeleisen; das erschöpfte Düngi’'s Geduld. „Machet, daß D'r m'r us d'r Chuchi chömet, süsch schütte-n-i-n-Ech e Chelle voll heißi Sleischbrüje a."

Adele lächelte spöttisch. „ume nit so jrob, nit so jrob. Was ka-n-i d'rfür, daß Dir syd in bös Lun. Dir könn’ Ech iyz amüfir mit dem Bade de cette petite.“

„O dä Schleck wird öppe hoffetlich Euch zuefalle, das isch einisch öppis, wo D'r nit Käntschli d'rfür alege chönnet."

„Wie Dir Dütsch doch geng sd so wüst und unbarmerzig gege's arm Lüt!“ sagte Adele mit heuchlerisch entrüsteter Stimme, während sie einen Blick auf die mit der Ausweidung eines Kühnchens beschäftigte Köchin warf. „Mir Welsch sy gans anders und gönne ne alles Guts."

„Ja und syd e wahri Landplag für üs bravi dütschi Meitli, mit eue glatte Gfräsere und Schlangemülere."

Adele verdrehte die Augen. „Mon Dieu! was mrr is doch Alles müß gfalle lah. Düngi, syd D'r bös mit mr, i nime s nit übel, wil Ihr nit Bildung heit."

Statt aller Antwort schritt die Köchin zum Kerde, lüftete den Deckel eines Topfes, während sie mit der andern Kand eine Felle in die darin enthaltene Slüssigkeit tauchte.

Adele ergriff kreischend die Slucht und überrannte beinahe ihre Herrin, die nach dem Bade sehen wollte. „Qu’est-ce que e'est que ce bruit?* fragte sie streng, ihre Stirn runzelnd. „Qu’avez-vous à faire à la cuisine à présent, Adele? “

„C'est que j’ai voulu repasser Ia robe de mademoiselle, et la euisinieére n'a pas voulu me donner un fer,“ sagte die Zofe geschmeidig.

„Oui, je connais ça,“ erwiderte die Dame, „Adele, vous préparerez le bain pour cette petite dans votre chambre et vous Ia laverez et la peignerez en ma présence.“

Das Ding ging der Zofe wider den Strich, wie wir sagen, sie war aber so gewandt, daß sie nicht das Mindeste davon blicken ließ, sondern ohne jede rauhe Geberde, ohne einen unfreundlichen Blick Marie in ihr Zimmer führte, das Bad bereitete und fie entkleidete, so lange ihre Gebieterin da war. Als aber diese abgerufen wurde und auf einen Augenblick das Zimmer verließ, verwickelten sich plötzlich die Locken des Kindes in den Knöpfen von Adelens leid und es kostete Marie einige Thränen, als das FRammermädchen dieselben rauh und heftig losriß. Fräulein v. Elm trat wieder ein und Adele war auf's Neue die Sanftmuth selbst.

Der Reinigungsprozeß förderte ein recht liebliches Kinderantlitz zu Tage. Adele, für alles Zierliche und Elegante eingenommen, überhäufte die Kleine mit Schmeichelnamen und Küssen und erbot sich, wenn Mademoiselle sie einstweilen im Hause behalten wolle, ihr Unterricht in den Handarbeiten zu geben und sie zu häuslichen Dienstleistungen anzuleiten. Da Adele darin äußerst geschickt und brauchbar war, so gab Fräulein von Elm einstweilen ihre Zustimmung dazu, um so eher, weil sie selbst noch unschlüssig war, was mit dem Finde anzufangen sei, für dessen Erziehung sie sich vorgenommen hatte zu sorgen.

Zweites Kapitel. Im vornehmen Hause.

Fräulein von Elm war bereits über das mittlere Lebensalter hinaus, Silberfäden durchzogen ihre schwarzen Haare und Salten lagen um die Augen und den feinen Mund. Sie war reich und hatte keine nahen Anverwandten; früh schon war sie durch den Tod ihrer Eltern unabhängig und selbstständig geworden, und hatte den Genuß des Reichthums, mehr noch seine Gefahren, durchgekostet. Sie war geistreich und gemüthvoll, nobel im besten Sinne dieses Wortes. Von ihr auch durfte man sagen:: Sie hat ausgestreut und gegeben den Armen. Sie war Mitglied zahlreicher wohlthätiger Vereine, Anstalten und Fomites, und wo sie ihre Hand an den Pflug legte und ihr Rath durchzudringen vermochte, da hatte das Werk gesegneten Sortgang und Bestand. Letzteres war aber nicht immer der Fall; Fräulein von Elm war eine abgesagte Seindin jeder Augendienerei, mochte sie sich nun äußern, wie sie wollte. Eine persönliche Schmeichelei, wenn sie auch noch so geschickt angebracht war, weckte von vornherein ihr Mißtrauen und verschloß ihr sonst so wohlwollendes Herz.

„Faut-il done être grossier pour jouir de votre protection?“ fragte sie einst eine Freundin.

„Peut-être.“ war die Antwort.

Das ihrem offenen Charakter so zuwiderlaufende Wesen Adelens duldete Fräulein von Elm wohl nur deßhalb, weil sie dasselbe nicht ganz durchschaute und sie zu rechtlich war, ohne genügenden Grund einem jungen Mädchen sein Sortkommen zu erschweren. Unermüdlich im Aufsuchen des sich dem Blick entziehenden verschuldeten und unverschuldeten Elendes und sich durch lieine erfahrene Undankbarkeit irre machen lassend, hatte sie doch ihre Schwächen. So sonderbar es nach dem Vorhergesagten auch klingen mag, sie war etwas hochmüthig. Bei Ausübung ihrer Wohlthätigkeit übersprang sie leicht drei bis vier Stufen der menschlichen Gesellschaft, beugte sich zu dem Elendesten nieder und suchte ihn aufzurichten, das that ihr Herr und Meister und sein Werk wollte sie treiben. Aber eine oder zwei Stufen herabsteigend eine schlicht bürgerliche Frau auf gleichen Suß mit sich selbst zu stellen, das vermochte sie nur in seltenen Ausnahmsfällen. Da war entweder Falte oder barmherzige Herablassung.

Im Hause dieser Besschützerin schien dem Waisenkinde ein glückliches Loos gefallen zu sein, es erfreute sich der liebreichssten Behandlung von ihrer Seite, wurde in eine gute Schule geschickt und für alle seine Bedürfnisse sorgte Fräulein von Elm auf's Reichlichste. Aber kein Licht ist ohne Schatten.

Die Zeit der Dame war streng eingetheilt und gut ausgefüllt. Von zehn Uhr bis zum Mittagessen besorgte sie ihre weitläufige Jorrespondenz und die Geschäfte ihrer vielgestaltigen, öffentlichen und privaten Wirksamkeit. Nachmittags las sie und machte Ausgänge zu Wagen oder zu Suß und der Abend war dem Besuche eines Komites, einer Erbauungsssstunde oder populären Vorlesung gewidmet, oder sie empfing Besuch bei sich.

Jeden freien Augenblick dachte sie sich der Waise zu widmen, deren christliche Erziehung ihr aufrichtig am Herzen lag; aber diese freien Augenblicke waren eben selten; das einmal Uebernommene durfte einer neuen Verpflichtung zu liebe doch nicht hintan gesettt werden. Wenn sie glaubte, eine ruhige Stunde gefunden zu haben, so war Marie ausgegangen um Frommissionen zu machen, oder ein Besuch trat dazwischen, und nur selten kam es zu einem ungestörten Beisammensein Mariens und ihrer Wohlthäterin. Da war dann Erstere meist schüchtern und zurückhaltend und wenn ein Gespräch bloß aus Fragen und einsilbigen Antworten besteht, so gleicht es mehr einem Verhör als einer traulichen Plauderei. Beide fühlten sich unbehaglich, die Beschützerin und der Schützling, und wenn auch Fräulein von Elm aus Pflichtgefühl diese Unterredungen immer wieder zu suchen und auzzunugten strebte, so trachtete Letzterer um so geflissentlicher darnach, sie zu vermeiden und abzukürzen und wurde darin von Adele unterstützt, die sich Mariens mehr und mehr bemächtigte.

Sie mochte das Kind sehr gut leiden, da sie mit ihm nach Herzenslust in ihrer Muttersprache plaudern konnte, und es so lieblich und intelligent war, Alles leicht begriff und seine Anstelligkeit und Brauchbarkeit der Zofe manches Cob eintrug. Auch ging sie gerne mit ihm aus und gefiel sich überaus wohl in der Rolle einer mütterlich besorgten Erzieherin. Es sah so hübsch aus, wenn sie auf der Promenade mit dem schönen Finde plauderte und lachte uud dabei ihre Perlenzähne zwischen den rothen Lippen sichtbar werden lassen konnte.

Leider war Adelens Charakter zur Erziehung eines Kindes nicht besonders geeignet; Eitelkeit und Leichtsinn bildeten den Grund davon, und eine, jeder augenblicklichen Laune folgende Gutmüthigkeit und Liebenswürdigkeit schwamm auf der Oberfläche. Sie fand Freude daran, Marie anzuleiten, der Föchin sileine Streiche zu spielen, „des enfantillages“, wie sie sie vor Sräuleintvon Elm entschuldigte, wenn Düngi sich darüber beklagte; dann gab sie ihr Unterricht in allerlei Sofenkünsten, wie man sich eines unangenehmen Auftrags entledigen und ihn Andern zuschieben könne, wie man unter dem Scheine der Emsigkeit faullenzen und in eigenen Angelegenheiten die halbe Stadt durchlaufen könne unter dem Vorwande, eine JFiommission für Mademoiselle zu machen.

Diese Lehren fielen bei dem intelligenten, aber verwahrlosten Kinde auf fruchtbaren Boden und bald that es aus eigenem Antriebe es seiner Lehrmeisterin noch zuvor. Düngis silagen über „das wälsch Pack“ wurden immer häufiger und Fräulein von Elm mußte mehrmals strafend einschreiten.

Besonders waren es die Sonntage, wo Marie keine Schule hatte, die die Sofe zu ihrem Unterrichte und Verkehr mit ihr benutzte.

Diese Sonntage wurden im saufe des Sräuleins auf sehr verschiedene Weise gefeiert. Die Dame besuchte regelmäßig Morgens den Gottesdienst, an Sessttagen auch Nachmittags und Abends eine Bibelstunde, nie gab sie an diesem Tage eine Gesellschaft, an dem schönen Grundsatze festhaltend, auch für die Dienstleute habe Gott den Sonntag zum Ruhetag gemacht. Sie erlaubte sich an diesem Tage weder das Lesen von Unterhaltungsbüchern noch Fartenspiel und ihren Mägden stund eine reiche Ausxwahl religiöser Erbauungsschriften zu Gebote, wenn diese nur davon hätten Gebrauch machen wollen. Aber eben da fehlte es.

Die Köchin flickte Vormittags Strümpfe und Unterröcke, während ihre Herrschaft zur Kirche ging; sie selbst besuchte dieselbe nur selten. So oft Fräulein von Elm sie auch dazu aufforderte, sie hatte stets eine Menge Ausreden, wie die zum Hochzeitsmahle des Königs Geladenen: „I ha hinecht aber nüt chönne schlafe vor Schmerze, i möcht's e chly nache mache währed d'r Predig." Oder: „I bi ja erst vor dreine Wuche gsi." Oder: „ssüt prediget d'r Kerr Däche, dä v’rôtah-n-i i Gott's liebe Name nüt; er thuet geng z'vorderist was z'hinderist ghörti und liest Alles nume ab; es nöthet mi geng z’schlafe, wenn i ne nume gseh d’Chanzelstäge uf schlüfe.“

Die Winternachmittage versschlief sie meist und im Sommer setzte sie sich an ihren Auszgehtagen auf eine Bank in's Sreie und unterzog im Verein mit einer gleichgesinnten Freundin die vorbeipassirenden Damen einer eingehenden Kritik: „Nei aber lueget doch, Trineli, was die wieder für-n-es G'hänk dür e Staub schleipft; i will Babi heiße, wenn ihresMeitli morn nit e Stund dra z’putze het. U lueget dert dä Fuet! und wie het die es Sunneparisöli! Nei und die jungi Tochter dert mit dem rosefarbe Röckli! I erlebe’'s no, daß es i d Mode chunt, d’s Hemli über alles Andere az’lege u’s de styf z’ brodiere.“

Noch anders feierte Adele ihren Sonntag. Sie ging wenigstens alle vierzehn Cage in die französische Kirche, wozu sie sich so kokett als möglich herausputzte; aber Nachmittags da mochte auch sie nicht in Erbauungsschriften lesen, sondern fertigte, wenn sie hüten mußte, in ihrem Zimmer zierliche Arbeiten oder las Romane. Beides hätte Fräulein von Elm nicht geduldet, aber das Mädchen war viel zu gewandt, sich je darüber ertappen zu lassen, und ihre Herrin hielt das Spioniren in Bezug auf ihre Dienstboten unter ihrer Würde.

Ueber jedes andere Sonntagsvergnügen aber ging Adelen das Spazieren. Wenn so ein schöner Sonntag vom Himmel lachte und an ihr die Reihe war auszugehen, da ging ihr Herz in Sprüngen; sie tänzelte singend im Hause herum, was, wie sie wohl wußte, Düngi jedesmal fuchswild machte; und sobald fie die glänzend geputzten Bestecke versorgt und das Speisezimmer in Ordnung gebracht hatte, schwebte sie auf und davon wie ein bunter Schmetterling.

Zwischen diesen drei verschiedenen Richtungen stund nun die kleine Waise; aber ihr lebensfrohes Kinderherz zog sie am meisten zu dem leichten Wesen Adelens hin. Zum Vormittagsgottesdienste nahm Fräulein von Elm sie mit, dann besuchte sie eine Sonntagsschule und Nachmittags, wo ihre Beschützerin fast immer zu Hause war, wurde sie in ihr Zimmer entboten und die Dame brachte ihr sicher kein geringes Opfer, wenn sie fich bemühte, das Kind zu unterhalten und zu beschäftigen.

Aber ihre so gut gemeinten Versuche blieben meist erfolglos, da Adele dem Kinde vorher sagte:

„Tâche de t’'esquiver aussi vite que possible, je t'apprendrai un joli dessin au crochet ou je te prendrai avec moi à la promenade.“

„Mais mademoiselle ne me laissera pas aller,“ antwortete Marie zaghaft.

„Oh que si, tu verras! Fais seulement ce que je dis!“ meinte die schlaue Zofe zuversichtlich.

Im Zimmer des Fräuleins gähnte dann Marie versstohlen, blickte zum Senster hinaus und war ganz zerstreut bei Allem, was sie that und sagte, so daß die Dame endlich anfing, des Kindes müde zu werden. Dann trat Adele wie zufällig in's Zimmer, zum Spaziergange gerüstet.

„Mademoiselle a-t-elle encore des ordres à me donner? fragte sie höchst respektvoll. Auf eine verneinende Antwort meinte sie: „Mademoiselle se fatiguera avee cette petite; elle est bien sotte anjourd’hui à ce qu'il paraîtt. Si mademoiselle permet, je la prendrai avec moi faire un petit tour de promenade.“

Dann kam die Reihe an Marie, ihre Rolle zu spielen: „Oh, s'il vous plaît, mademoiselle,“ bat sie, ihre glänzenden Kinderaugen zu ihr aufschlagend, und sehr oft erreichte die List ihren Zweck.

Indessen auf die Länge ließ Fräulein von Elm jich nicht hintergehen. Sie fühlte es dem Wesen des Findes . an, daß es nicht aufrichtig sei, und sah in seinen Augen das scheue blitzartige Aufleuchten des bösen Gewissens. Wie von glühendem Stahle berührt, zuckte ihr Herz zusammen beim Gedanken, daß ihr Haus für die Waise eine Stätte des Verderbens werden könne. ~ „Das wolle Gott in Gnaden verhüten,“ dachte sie und beschloß sich nach einer Anstalt umzusehen, in welcher Marie unter schärferer Zucht stehen und eine ihren Verhältnissen angemessene, einfach christliche Erziehung erhalten würde.

Sie glaubte diese endlich in dem Asyle „zum guten Hirten“, einer Anstalt für verwahrloste Mädchen, gefunden zu haben. Dieselbe lag in einiger Entfernung von der Stadt und stand unter der Leitung einer Direktion, von welcher Fräulein von Elm einige Mitglieder persönlich kannte. Gegen ein etwas höheres Fostgeld nahm dies Asyl auch kantonsfremde Mädchen auf. ~ Eine ihrer Bekannten, Frau Halden, hatte erst kürzlich ein solches darin untergebracht und bei ihr wollte sie sich näher erkundigen, hatte aber kaum den Gedanken gefaßt, als auch schon das seidene Schleppkleid der würdigen Dame vor ihrer Thüre rauschte und Düngi sie anmeldete, da Adele ausgegangen war.

Die alte Köchin war höchst mißtrauisch gegen Besuche im Allgemeinen. Sahen fie schäbig asu, so zählte sie nachher die silbernen Löffel im Eßsschranke des Vestibüls; trugen sie Schleppen oder weiße Cravatten und Cylinder, so fürchtete sie für den Geldbeutel ihrer Herrin, „üse Geldseckel“, wie sie's nannte. So brummte sie auch jetzt, nachdem sie den Besuch in's Wohnzimmer geführt hatte: „Die wird wieder cho Stütir bettle für eini vo dene tüners Anstalte, wo Geld fresse wie d’'Sunne d'r Schnee. Erfch gester hei m'r d'm unheilbare Spitäli zwänzg Franke g'gäh, vorgester isch d'r barmherzig Samariter da asi, dä Möff ; zu allem Glück hei m'r Armen-Abe gha und mi het’s drr Jumpfere chönne v'rmeuke, süsch hätte mrr g'wüß müeße schwitze. – Dä barmherzig Samariter isch no d'r Uv’rschantist von Allne z’säme, i cha ne nit schmöcke. Die vorderi Wuche ischts o g'ange, s'het Eis d'm Andere Thür i d’sßand g'gäh, d’Drakenisse-Anstalt, d's v'rwahrlost Chinder-Asyli und allimal hei m'r Haar g'lah, und, was d’s Aergste isch, i ha se im Vrrdacht, sie geb no hie und da wo-n-i nüt d'rvo weiß. Aber das mueß myr Treu de einisch guete, susch cha dä barmherzig Samariter üs de erhalte, s'wär nüt as billig, dä Mulaff!“

Die Auskunft, welche Fräulein von Elm von der etwas überschwänglichen Frau Halden erhielt, lautete sehr befriedigend. Auch ein Vorfall, der sich an einem der nächsten Tage ereignete, befestigte ihren Entschluß, Marie anderswo unterzubringen als im eigenen Hause.

Zu den Obliegenheiten dieser Letztern gehörte es, in ihren Sreistunden Holz in die Küche zu tragen, ein Geschäft, das sie gründlich haßte und dem sie sich zu entziehen suchte, wo sie nur konnte. Auch heute hatte sie dasselbe verschleppen wollen und erst als Düngi mit einer Klage bei der Herrschaft drohte, ging sie läßig und langsam auf den Estrich und ließ den gefüllten Bolzkorb wie aus Versehen die Treppen hinunterpoltern. Düngi, fürchtend Marie sei selbst hinuntergefallen, lief herbei, und als sie sah, daß dem Mädchen nichts geschehen, fing sie an, dasselbe auszuschelten, zumal als es, statt die auf der Treppe zerstreuten Scheiter aufzulesen, dieselben vollends hinabwarf. Dabei traf es die Köchin an ihr schmerzendes Bein, so daß diese laut aufschrie und auf die Missethäterin losstürzte, welche ihr den Holzkorb als Schild vorhielt. Adele, durch den Lärm herbeigelockt, hielt sich die Seiten vor Lachen. „Wart du Täsche," rief Düngi im höchsten Sorn, „i will d'r d's Maji singe."

„Oh, s'il vous plaît, chantez,“ sagte Marie, wohl wissend, daß die welschen Laute die Wuth der Köchin noch steigern würden. „Vous avez une si belle voix et j’aime tant entendre chanter.“ „Bradle so viel de witt, du welschi Chrot; i will dr dyni Locke cho erdünnere, wohl," erwiderte Düngi und rückte ihr näher auf den Leib. Marie wollte sich, um einen modernen Auszdruck zu gebrauchen, rückwärts konzentriren, fiel aber dabei über einige Scheiter. Düngi war im Begriff, diesen Umstand benutzend, ihr einige tüchtige „suschen“ zu verabreichen, und Adele, noch immer lachend, rüstete sich, ihrem Schützling zu Hülfe zu kommen, als Fräulein von Elm, von einem Ausgange zurückkehrend, auf den Schauplatz trat.

„Quel affreux vacarme!“ rief sie entrüstet. „Des que je tourne le dos, il se passe quelque chose de désagréable.

Düngi, zellet, was isch g'gange.“

Die Köchin erzählte den Verlauf des Streites auf ihre Weise, Marie und Adele redeten auch darein und suchten ihr das Gegentheil darzuthun, wobei jede Partei glaubte, durch lauteres Schreien dem Rechte auf ihrer Seite zum Siege zu verhelfen; man verstund kaum sein eigenes Wort mehr.

„Taisez-vous,“ sagte Fräulein von Elm mit ihrer nicht lauten, aber sehr deutlichen und markirten Stimme. ,I wott nüt meh g'höre. Düngi ganget i d’Chuchi; toi, Marie tu viendras dans ma chambre, et vous, Adele, vous mettrez la table sans perdre un mot de plus.“

Gleich am folgenden Tage schrieb die Dame an den Vorsteher des Asyls „zum guten Hirten“, „üse liebe Schmelz“, wie ihn Frau Halden genannt hatte. Als sie erfuhr, daß ihr Schützling alsbald eintreten könne, ward Mariens Aussteuer rasch besorgt und Fräulein von Elm führte sie selbst ihren neuen Pflegeltern zu.

Drittes Kapitel. Der schöne Vorsteher.

Die Anstalt „zum guten Hirten“ lag in etwa zweistündiger " Entfernung von der Stadt, in einem grünen, stillen Thal, an jonniger Halde, rings von Pflanzungen umgeben, unter welchen sich die dunkeln Kartoffelfelder durch ihre Ausdehnung bemerklich machten. Weiter oben am Bache, der das kleine Thal durchfloß, stunden einige ärmliche Hütten und da, wo dasselbe in's sauptthal mündete, lag ein stattliches Dorf.

Es war ein Regentag und alle Bewohner daher in s Haus gebannt, das mit seinem geräumigen, von zwei schönen Kastanienbäumen beschatteten Hofe einen recht günstigen Eindruck gemacht hätte, wäre besagter Hof nur etwas reinlicher gewesen.

Neben den Stufen, die zur Hausthüre hinaufführten, lag ein Häuflein vergilbter Rohlblätter. In dem hölzernen, inwendig mit grünem Schleim überzogenen Brunnentrog befand sich Wäsche und rings herum war eine tiefe Pfütze. Körbe, Zuber, Besen standen in malerischer Unordnung umher, unter dem Vordache des Hauses hingen an zusammengehknüpfter Waschleine zerrissene Hemden und Schnupftücher und Waschklammern lagen hier und dort zerstreut.

Fräulein von Elm faßte ihre Röcke zusammen, als sie, Marie an der Hand haltend, den Hof durchschritt. Sie zog die Klingel, unter welcher auf einer Messsingplatte die Worte stunden: „Herberge zum guten Hirten“, darunter in etwas kleineren Buchstaben: „Schmelz, Vorsteher und Herbergsvater".

Ein großes Mädchen öffnete und erkundigte sich nach dem Begehren der Dame. Als diefe ihren Namen genannt hatte und nach dem Herrn Vorsteher fragte, ging es ihn zu rufen, mit der Be, merkung, da es Samfîtag sei, so bereite er sich auf seine morgende Andacht vor. Die Reinlichkeit des Kausflurs entsprach so ziemlich der des Hofes, aber Fräulein von Elm hatte nicht Seit sich umzusehen, denn Schmelz kam sofort, sie mit höchster Ehrerbietung und anscheinend herzlichster Freude willkommen zu heißen.

Eine imponirend schöne Männergestalt in der Vollkraft der Jahre. Ein krauser, dunkler Bart umschloß das sehr stark entwickelte Rinn, die Nase war kühn gebogen und die etwas hervortretenden Augen vom durchsichtig reinsten Blau. Die breite gewölbte Stirne erschien noch höher dadurch, daß der Vorderkopf kahl war. Seine Gestalt war weit über Mittelgröße und die sehr gewählte Kleidung ließ ihr Ebenmaß vollkommen hervortreten, seine wohlgepflegten Hände waren weiß wie die einer Dame. Das Arbeitszimmer, in das er seinen Besuch führte, war mit höchster Bequemlichkeit, ja Eleganz ausgestattet und erinnerte an nichts weniger als an eine, ernster Geistesarbeit gewidmete Klause.

„Es steit hüt schynt’s wieder e bsunders glückliche Tag im Kalender,“ begann der Vorsteher, „daß i d’'Ehr und d'Sreud ha, e neui Gönneri i üser arme alte Hütte z'begrüeße."

Fräulein von Elm erinnerte sich nicht, je eine wohlklingendere Männerstimme gehört zu haben: sie gewann dem Sprecher gewöhnlich sofort die Herzen und er hatte jede Biegung derselben vollkommen in seiner Gewalt.

„Und das isch also üses neu Schäfli," fuhr er fort, Marie liebevoll bei der Hand fassend. „D’r Herr geb sy Sege zum Yntritt und machi, daß es zue snr Ferd g'höre mögi."

„Das hoffe-n-i," erwiderte die Dame. „Herr Schmelz, i epfiehle.:n-Ech das Chind recht ydringlich, s'het gueti Anlage und isch m'r lieb; i ha’s überno, für ihn's z'sorge, und möcht, daß es hie und da e Sunntig bn mtr zuebringe dörft."

Ein leiser Schatten flog über des Vorstehers Gesicht, aber er erwiderte freundlich: „S'issch süsch nit gebrütichlich by-n-is, IJumpfer von Elm, üsi Chinder us d'r Anstalt uf B'suech la z’gah; m'r hei da ebe trüebi Erfahrunge g'macht, daher üsi Strengi i der Beziehung. Indesse im vorliegende Fall macht me natürlich en Usnahm; i bi überzügt, d'Direktion wird niit d'rgege ha, wenn i-n-ere d'r Fall vortrage. Mir wüsse ja," fuhr er in einschmeichelndem, vertrauensvollem Tone fort, „daß vo Euem Huus us nume e segesryche Yfluß uf das Chind wird usg’Üebt werde, und daß es nit mit em ne böse Chopf wieder hei chunt. Mir hei üsi Sögling früecher hie und da hei glah; de, wie's a vielne Orte geit, het me se usg'fragt: Hessch emel o0 gnue z'esse, du arm’s Tröpfli? :c. Die Chinder hei meh zellt, weder daß sie g wüßt hei, Sache z' sämmeg stellt, die gar kei Rapport mitenandere g!ha hei, und Anders us allem Zusammehang usseg’risse ~ churz, es het viel V'rdruß g'’gäh. Wie-n-i damals v'rlästeret worde bi und g'litte ha, cha sich kei Mönssch denke. I ha my Stell welle niederlege, aber d’Direktion het mi erssuecht, mys Amt no länger z'b'’halte. So ha-n-i mi la bewege, my Hand wieder a d'Pflueg z’lege, und d'r Herr het my schwachi Chraft g'segnet.“

„D'Stell vom ne Armevater isch allerdings kei liechti," entgegnete Fräulein von Elm, als Schmelz seine lange Rede geendigt hatte. „Es bruucht es rychlichs Maß vom Geist des Meisters für z'sueche und z’g'winne, was v'rlore isch; aber ebe deßwege cha-n-i m'r kei schöneri Afgab für-n-es Mönschelebe denke, als so unmittelbar i Christi Sueßsstapfe z’trete. Aber wie viel Arme- und Waiseväter schnytere a der Klippe, daß sie meine, d’Chinder syge um ihretwille und nit sie um d'r Chinder wille da, daß sie ihre eigene Ruehm und Nute sueche uf em ne Weg, wo nüt söll g' wunne werde als d’'Herze vo de Chindere und einisch en Ehrestell im Himmel."

„E herrlichi Ansicht, mit dere i ganz yv’rstande bi," sagte der schöne Mann, in malerischer Stellung die Hand auf Mariens Fopf legend, die soeben an der Hand eines größern Mädchens, das sie zu ihrem Schranke führen sollte, im Begriff war, das Zimmer zu verlassen. Die Gruppe erinnerte an das bekannte Bild, das Pestalozzi unter seinen Rindern darstellt, Schmelz wußte aber gar wohl, daß sein vortheilhaftes Aeußere dabei nicht verlieren werde. „Möcht üsi v'rehrti Jumpfer von Elm villicht e Choral g'höre; mir fyre g' wöhnlich d'r Yntritt vom ne neue Samilieglied uf d ie Wys."

„Mit Freude," erwiderte die Dame, „aber vorher möcht i no bitte, mr d's Huus z’zeige und mi Euer Frau vorz’stelle, Herr Schmelz."

Wieder flog ein leichtes Wölkchen über die schöne Stirne. »I weiß nit recht, wies usg'seh wird im Huus hüt," sagte er. „I ha mi uf d’Andacht vorbereitet und d’rby, wie g'wöhnlich, ganz i d'Schrift v'rtieft" – er wies mit graziöser Handbewegung auf die offene Bibel hin, die auf seinem Schreibtisch lag ~ „und my Frau het e großi Blätzete underhänds. Aber darf i vor Allem bitte, mi nit meh mit Herr Schmelz, sondere mit Vater Schmelz az’rede, da i ja nit e Herr, sondere e Vater vo üse liebe Chindere sy möcht.“

„Gern," sagte Fräulein von Elm in etwas trockenem Tone.

Auf dem Gesichte des Vorsstehers spiegelte sich Unmuth, als er in den schmutzigen Hausgang tretend in den Hof hinausblickte. „Wer het d'r Hof sölle putze?" wandte er sich an das große Mädchen, das die Thüre geöffnet hatte und jetzt läßig mit einem Besen hantirte. „Wer het hüt d'Wuche mit d'm Ufruume?"

„Allweg d's Ottilie Würmli und d's Cläri Hockbode," erwiderte das Mädchen in anklagendem Tone. „Wenn Oeppis schlecht g' macht isch, su chunt's sicher vo dene her."

„Mit geng so vorylig mit eue Urtheile über Anderi. Wie het's üse Heiland g macht? fötte mir is überall frage,“ sagte Schmelz mit der Miene eines fürbittenden Hohepriesters, dann sich zu Fräulein von Elm wendend fügte er bei: „Es chostet unendlichi Mühj in ere settige große Hushaltig und bi dene v'rwahrloste Chindere d’'Ornig ufrecht z’'erhalte; es bruucht mängs Gebet und viel Thräne, bis me's durekämpft und dahi bracht het, die Chinder ohni Zwang, bloß dür Ernst und Mildi ihrem Heiland zuez'füehre."

„Nu Dir heit doch a Euer Frau e Stützi, Vater Schmelz," sagte Fräulein von Elm, auf der Treppe stehen bleibend, um Athem zu schöpfen.

„Ach," seufzte Schmelz, „my Frau cha m'r nie e Stützi sy im wahre Sinn des Worts; sie steit geistig z’tief .under m'r und ihres G'müeth isch z'fast d' m Irdische zuekehrt. O wie schmerzlich !" ~

Er bedeckte einen Augenblick sein Gesicht mit der schönen and, wie um jedem fremden Auge den Anblick seines ungeheuren Schmerzes zu entziehen, dann raffte er sich plötzlich auf : „Durch Kreuz zur Krone," sagte er mit seiner metallreichen, vibrirenden Stimme. ,I bitte tusedfältig um Entschuldigung, daß i mi so ha la gah; es begegnet m'r süsch üsserst selte, daß i am ne andere Mönssch die Wunde i mym Innere ufdecke."

Nach dieser kleinen, aber effektvollen Szene führte der Vorsteher Fräulein von Elm in's Lehrzimwer, wo unter der Aufsicht der jungen HKülfslehrerin einige der Mädchen aufräumten. Diese mußten der Dame ihre Schriften und Arbeiten zeigen; dann, anknüpfend an den Spruch, der über der Thüre sstund: „Bete und arbeite", hielt Schmelz ein kleines Examen Über Religion. Solche improvisirte Prüfungen waren seine Stärke; die Finder antworteten gut und er sprach in ganz treffender Weise über die Arbeit ohne Gebet und das Oebet ohne Arbeit. Fräulein von Elm, die mit dem Lobe sonst sehr karg umging, konnte nicht umhin, dem Vorsteher einige Worte der Anerkennung zu spenden.

Darauf führte derselbe. seinen Besuch noch in den Schlafsaal, ein düsteres, niedriges Gemach unter dem Dache, dessen kleine Senster sämmtlich offen stunden. Die darin herrschende Unordnung entschuldigte er damit, daß die Kinder noch nicht aufgeräumt hätten, da der Schlafsaal gewöhnlich zuletzt an die Reihe komme.

„Aber jitz füehret D'r mi doch de zu Euer Frau, Vater Schmelz," sagte Fräulein von Elm, als sie wieder die Treppe herabstiegen.

„I darf Ech g'wüß fast nit zuemuethe," erwiderte der Vorsteher etwas zögernd, „i das unv'rmydlich Gnist nnezcho; i will myr Frau la übererüefe.“

„Das möcht i nit,“ sagte die Dame. „Bitte, Herr Schmelz, zeiget m’r d'r Weg."

Diesem so entschieden ausgesprochenen Wunsche durfte derselbe sich nicht länger widersetzen; mit seiner gewohnten glatten Sreundlichkeit führte er die Dame hinüber in das große Zimmer, wo Frau Schmelz inmitten ihrer Zöglinge saß, die sämmttlich mit Slicken beschäftigt waren. Kleidungsstücke, Wäsche, alte Leinwand lagen auf Tisch und Sußboden zerstreut umher, die Finder waren theilweise nur halb angezogen, um irgend ein Stück ihrer Garderobe auszubessern, und das Ganze hatte ein eben nicht sehr einladendes Aussehen. Frau Schmelz selbst, eine vierschrötige Gestalt mit breitem Gesicht, war nicht ordentlich gekleidet, nur so „agwusschet“, wie wir Berner sagen, und bildete einen scharfen Gegensatz zu ihrem geschniegelten Gemahl. Verlegen stand sie auf beim Eintritte der Besucherin und warf dabei einen Haufen „Blätze" vom Schooße herab auf den Sußboden. „S'isch m!r leid," sagte sie nach linkisschem Gruße, „daß D'r da i das Züüg yhechömmit, d'r Ma hätt! Ech nit fölle überefüehre."

„Eue Ma cha nüt d'rfür, Frau Schmelz,“ erwiderte Fräulein von Elm; ,i ha selber welle überecho, für Ech e neue Zögling z'epfehle, dä-n-i hüt i d'Anstalt bracht ha. Heit Geduld mit dem Chind, “ fuhr sie fort, Marie bei der Hand fassend; aber laht ihm keini Sehler nah; es bruucht en ernfti Zucht, so eini, daß es g'spürt: da mueß i folge und es isch zu mym eigene Beste."

„Fe mir wei öppe thue, was is müglig isch,“ antwortete Frau Schmelz. „Die Ching hei's öppe nit bös, we sie folge und werche wei; Suulhüng dole m'r de nadissch nit," fügte sie bei, zwei Mädchen in's Auge fassend, die, dem Gespräche zuhörend, ihre Arbeit niedergelegt hatten. , Zürnit's doch recht nit u heit's nit für unguet, daß D’r mi da i dem strube Züüg inne atroffe heit, die Chleider und Hemli sy geng ume zerheit, u so ne Anstalt bruucht gar Hungs viel Geld; mi v’rmah nit dürhar Neus az’schaffe. Iitz luegit us dem Gloschli da nimen-i no Blätze für zweu angeri zwegzriestere; s'isch nit schad, das z'vrtrömere."

„Nei, würklich, mit dem isch nit viel meh z’ mache," sagte Fräulein von Elm beim Anblicke des Garderobestückes, dessen ursprünaliche Sarbe nur noch in einigen Salten erkennbar und das über und über mit Lappen von verschiedenem Stoffe bedeckt war.

„Seh, mach' m'r das usenangere,“ sagte die Hausmutter, die Reliquie einem kleinen Mädchen in den Schooß werfend; „aber v’'rschryß m'r dä Kung nit. Luegit," fuhr sie mit gesprächiger Zunge fort, „wenn d’'Sach blätzet isch, isch sie wieder wie neu u git no viel wärmer. We d'r Schmelz öppe wieder Geld het, cha me de es paar neui Gloschli aschaffe. Sit d'm Hustage . . . . ."

Schon seit einer Weile war der Vorsteher unruhig hin und her getrippelt, nun konnte er seine Ungeduld nicht länger mehr zügeln. „Aber Frau," fiel er ihr in's Wort, „mir dörfe üse werthe B'suech mit üser armselige Hushaltig nit behellige und se no d'rzue i dem Gnist inne la stah. Dörft i frage," fuhr er fort, sich an die Dame wendend, „öb m'r Ech villicht jitz öppis singe dörfte, aber nit hie inne, wo d'r Ton i dene Kudle verlore geit, nei, dobe im Lehrzimmer, wo me gueti früschi Luft het. Chömet, Chinder.“

„Gern, Herr Vorsteher,“ antwortete Fräulein von Elm. „Lebet wohl, Frau Schmelz; i epfiehle-n-Ech also das Chind."

„Feit ume ke Chummer," sagte diese; „es söll ihm nit z'’handlig gah. Aber Daniel," wandte sie sich an ihren Mann, der, seinem Besuch die Thüre öffnend, ihr den Rücken zukehrte, „schick m'r de die Ching enangerenah wieder yche, we d'r g'sunge heit, g'’hörssch! u la se nit desumegheie." Schmelz warf ihr einen strafenden Blick zu ohne zu antworten, und die würdige Gattin brummte halblaut eine Verwünschung über das „Tüfels G'sing“, während die glockenreinen Töne eines herrlichen Chorals aus der offenen Thüre des Lehrzimmers ertönten.

Fräulein von Elm, für die ein weicher Lehnstuhl aus dem Boudoir des Vorstehers herbeigebracht worden war, erfreute sich nicht wenig an dem Gesang, obgleich weder Schmelz noch seine Frau ihr einen besonders günstigen Eindruck gemacht hatten.

Herzlich küßte sie beim Abschied das weinende Kind: „Bis guet und brav, Marie, im nächste Monet chasch de am ne Sunntig zue m'r cho; gället, Herr Schmelz ?“

„Ganz wie d' Jumpfer von Elm s'wünscht,“ antwortete dieser geschmeidig; dann, sich vor die Stirne schlagend, rief er aus: „Ach bald hätt i's v'rgessse, Ech z'ersueche, doch no d’Chuchi und d’Chleiderschäft vo de Chindere in Augeschyn z’näh, i wär Ech unendlich dankbar d'rfür; my Frau schynt m'r d'r Sach nit ganz g wachse z'sh und isch oft unwohl, da wär m'r e Rath von ere settige Rennerin wie Dir syd, Guld werth."

„Es anders Mal, Herr Vorsteher,“ erwiderte Fräulein von Elm auf ihre Pferde blickend, die vor Ungeduld scharrten und beinahe die Stränge zerrissen, so daß der wohldressirte Kutscher sie fast nicht mehr zu bändigen vermochte, seinem Aerger darüber aber nur in leise gemurmelten Slüchen Luft machen durfte. „Füt gits es nümme und i ha Eui Zyt bereits sehr in Anspruch g’no."

„My Syt steit im Dienst vo myr Pflicht,“ erwiderte der schöne Vorsteher mit anmuthiger Verbeugung, dann öffnete er den Wagenschlag und half der alten Dame mit ehrerbietigster Beflissenheit beim Einsteigen. Kaum war dieß geschehen, so schossen die feurigen Pferde in die Zügel und mit Mühe nur gelang es dem Kutscher, ihren angeschlagenen sausenden Galopp in eine sanftere Gangart zu verwandeln.

Abends nach dem Schlafengehen der Kinder saß das sich so unähnliche Ehepaar Schmelz einträchtig beieinander. Auf dem Tische stand weißes Brod, ein Teller mit Schinkenschnitten, und in zwei fein geschliffenen Gläsern perlte rother Wein.

„Mir werde e schwere Stand ha mit dem neue Meitschi," hub der würdige Vorsteher an, prüfend den Perlenkranz in seinem Neuenburger betrachtend. „Die Iumpfere het sich usbedunge, daß es vo Zyt zu Zyt e Sunntig by-n-ere zuebringe söll; da cha me sich in Acht näh, was me mit dem Chrötli macht, wenn’s geng hei cha ga chläpperle."

„Aber warum geissch Seligs ga v’rspreche ?" meinte die Frau. „Es düecht mi, du föttisch doch öppe wüsse, wie das gah wird.“

„Sie hätt's bir Direktion scho wüsse dürez'setze, wenn i's nit erlaubt hätt, und würd vo Afang a V'rdacht g'schöpft ha,“ erwiderte der Gatte. „Nei da isch nüt Anders z’mache als v'rfluecht Sorg z'’ha, das Meitsschi nüt under die Große z'lah und so viel müglich im Aug z'b'’halte, und vor Allem darf men-ihm nie nüt d'rglyche thue, daß es Dieß und Jenes d'r Jumpfer von Elm nit umesäge söll, süsch het's g'fehlt. Das isch hauptsächlich dy Sach, mys Tübeli."

We's neuis Lustigs und Chumligs wär," sagte die Frau verdrießlich, „su wär's allweg nit my Sach, das wurd d'r Herr nit a mi la cho. Da geisch und v'rsprichsch dene Wybere alles Liebs und Guets, un i cha d'r Fung sy u d'r Dreck ustrappe."

„Holde Gattin meiner Iugend," deklamirte Schmelz, „du thuesch m'r da bitter Unrecht, wenn de seisch, d'Schwierigkeite lahj i geng a di cho. Wie lang balanciere-n-i jitz scho i myr luftige Stellung, z'ringsetum vo Sinde und Spione umgäh, mache hie e Bückling und dert e Reverenz, schnelle mi hie ufe und dert abe, wie's d’'s Glychg'wicht v’rlangt, und ha bis dahi bi d r Direktion emel no e Stei im Brett wüsse z’'b’halte."

„Los Schmelz," sagte die Frau, nachdenklich die Hände im Schooße faltend, „i däiche mängisch, mir wäre baas, we m'r die Anstalt mit kem Aug gseh hätti; i hätt wäger es ringers Cebe gha as Schuelmeisteri dert i dem Chrache, wo mer früecher gsi sy; dert hätt i mi öppe wüssse z'binäh, hie isch m'r d'Sach nit chünds; i werche e ganze Tag u cha’s Niemerem recht mache; du v'rachtissch mi, wil i nit so g’'lehrt bi wie du, un am Eng chöme m'r no wüest da dänne u v'rliere üsse guete Name. Du seisch m'r ume, was d’gern witt; aber i ha zweu Auge im Chopf u merke wohl, daß d'r Wage uber Ort fahrt.“

Auf der glatten Stirne des Vorstehers zogen sich Salten des Unmuths zusammen bei diesen Worten. „Du redsch wie des v'rôteisch, my Schatz," versetzte er achselzuckend. „I bi hie ganz i d'r rechte Stellung und cha myni Gabe besser etfalte als uf em ne Dorf-Misthuufe. Wenn du i dym Theil scho dyr Ufgab nit ganz g'wachse bisch, su macht das nit sövel, wenn i nebe d'r stande, und im Ganze sy mir doch wohlagseh bi d'r Direktion und das isch d'Hauptsach."

„Ja ebe," sagte die Frau, „isch das dy Schade, daß d'r die Alles glaubt. Sie sy viel d'Schuld, wenn de dy ehrliche Name v’'rlürst. Hätte sie ihri Pflicht tha un dürhar nahegluegt un nit vo Afang a zu Allem Ia gseit, su hättisch e rechte Ma g'gäh; aber däweg geit’'s z Bode mit is."

Trink du es paar Schlück Neueburger,“ sagte der Vorsteher mit höhnischem Lächeln; „es Int ‘d'r schynt's hüt schwer im Bluet, und wenn Sraue chöme i d'’Anstalt, su salbadere nit so lang wie hüt, das macht ne Längizyti und treit nüt ab, g'hörsch ?"

„Ja, Daniel, i g'höre, red ume, du chasch es bsungerbar styf, aber daß i d'r de Alles glaubi, was d' seisch, s'Selb nit."

Das Ehepaar, dessen Zwiegespräch wir so eben belauscht haben, wirkte schon seit mehreren Iahren an der Anstalt „zum guten Hirten“. Schmelz war außerhalb des Kantons zum Lehrer gebildet worden, er hatte sich als Primarlehrer die Gunst einer nicht mehr ganz morgenfrischen Bauerntochter zu erwerben gewußt, die als reiche Erbin galt und früher manchen Korb ausgetheilt hatte. Furz nach ihrer HKeirath starb aber ihr Vater und es stellte sich heraus, daß das gehoffte Erbe von den Schulden verschlungen werden würde. Von da an verachtete Schmelz die Frau, die er nur des Geldes wegen genommen hatte, und ließ es sie, besonders seit er Vorsteher der Anstalt war, oft bitter fühlen.

Mit ihren Zöglingen ging Frau Schmelz oft sehr „handlig" um, Schläge und Püffe wurden nicht gespart, aber sie ließ sich, so weit sie's verstund, Nutz und Srommen der Anstalt angelegen sein und verwandte das Geld, das ihr Mann ihr für die Haushaltung zukommen ließ, getreulich zu dem allgemeinen Besten. Sie schonte sich nicht und arbeitete früh und spät fast über ihre Kräfte; aber sie gewann nicht viel damit, denn die rechte Einficht fehlte ihr und die gehörige Uebersicht. War sie draußen in den Pflanzungen, so ließ sie im Hause die Mädchen ohne Aufsicht schalten; war sie im Hause, so verrichteten die draußen beschäftigten Kinder nichts; denn ihr Gatte sprach wohl ganz prächtig über die rechte Theilung der Arbeit, Haushaltungskunst und Erziehung, aber außer den wenigen Unterrichtsstunden, die er den Kindern gab, legte er nirgends Hand an. Auch die junge HKülfslehrerin, die die Kinder in den Elementarfächern und Handarbeit unterrichten sollte, folgte treulich seiner Spur und sah gleich ihm von oben herab auf die ungebildete Frau.

Schmelz besaß, wie wir gehört, das volle Vertrauen der Direktion, und das Lob, das ihm bei jedem Anlasse gespendet wurde, wäre wohl auch minder selbstsüchtigen Naturen gefährlich geworden. ~ Wie konnte der hochbegabte Mann nur diese ganze Arbeitslast bewältigen, die einen Andern zu Boden gedrückt Hätte! Katte er den Tag über Unterricht ertheilt, Rechnungen geführt, Sremde empfangen, so leitete er Abends einen Jünglingsverein und schrieb Nachts Beiträge in eine Pädagogische Zeitschrift, wie er verschämt lächelnd zugab, wenn ihn einer seiner Obern bei einem Mittagsschläfchen überraschte.

Hinter den Coulissen, die der gewandte Mann mit fo glänzenden Sarben zu bemalen verstand, sah die Sache nun freilich etwas anders aus. Da entpuppte sich der vielseitige Mann als ein Heuchler, der den göttlichsten Beruf, den es auf Erden geben kann, zu selbstsüchtigen Zwecken mißbrauchte, der mit dem Namen Christi auf den Lippen seinen Geboten ungescheut Kohn sprach.

Welch demoralisirenden Einfluß ein solcher Charakter auf die seiner Leitung anvertrauten Kinder ausüben mußte, läßt sich denken. Es war vor Allem die Gewöhnung zu Cüge und Trug, die wie ein sittlicher Pessthauch von dem Vorsteher ausgehend, die jungen Herzen vergiftete. Sein ganzer Unterricht, und großentheils auch der seiner jungen Gehülfin war nur darauf berechnet die Direktion zu täuschen und ihr Sand in die Augen zu streuen. Die schlausten und hübschesten unter den Mädchen waren seine Günstlinge, die ungestraft fich Alles erlauben durften, die schwäche rn und schüichternen aber die Sündenböcke, die Alles ausbaden und jjeden Ausbruch böser Laune tragen mußten. War Schmelz gut aufgelegt, so scherzte er mit seinen Söglingen auf eine Art, die haarscharf an der Grenze des Anstandes vorbeiging; in bösen Augenblicken aber sperrte er die, welche er nicht leiden konnte, in einen dunkeln Keller ein und mißhandelte sie dort auf so grausame Weise, daß seine Frau, so rauh sie auch sonst war, öfters hinter dem Rücken ihres Mannes die Gefangenen befreite.

Nach dem soeben Gesagten ist es begreiflich, daß Schmelz seine Söglinge so wenig als möglich unter die Leute ließ. Kamen aber dennoch einmal ihre Klagen vor die Ohren eines Mitgliedes der Direktion und wurde der Vorsteher darüber zur Rede gestellt, so versammelte er seine Schäfchen in pleno, erzählte ihnen die gegen ihn vorgebrachten Anfchuldigungen und fragte dann: „Redet jiz, Chinder; isch das wahr? narn-i je so g handlet? Säget nume ung'scheut eui Meinig. Nie hatte die Urheberin der Klage den Muth, für dieselbe einzustehen, sie wußte zu gut, was ihrer in solchem Salle wartete; wohl aber riefen die Bevorzugten in edler Entrüstung: . „Nei, das isch erloge, dir heit das nie g'seit, oder gmacht, Vater ! “

„Da g'höret D’'r’'s jitz selber,“ meinte dann Schmelz mit sanfter, demuthsvoller Miene, und auf solche sogenannte Untersuchung sich stützend wies er jede fernere Beschuldigung von der sand. „eis enzig's vo dene Chindere isch gege mi uftrete. E Ma i myxr Stellung isch halt jeder Bozheit usg’setzt, aber fettigi Erfahrunge sy sehr schmerzlich.“

Viertes Kapitel. Wie es Marie in der Anstalt erging.

Marie Srank, die kleine Waise, war eine leichtlebige, bewegliche Natur. Vom tiefsten Schmerze bis zur sprudelnden Lebhaftigkeit war bei ihr nur ein kleiner Sprung; der schnelle Wechsel ihrer Stimmungen und Eindrücke war zugleich der Hauptreiz ihres Wesens und ihr größter Sehler. Ihre Trauer beim Tode des Vaters war lebhaft, fast verzweiflungsvoll gewesen, hatte aber bei dem behaglichen Leben im Haufe ihrer Beschützerin bald einer übermüthigen Lebenslust Platz gemacht, so daß Düngi ihr manchmal sagte: „Emel du treisch nume mit d’m Sürtechli leid, susch hörtisch singe und holeie wie-n-e Chüjerbueb und dezumegumpe wie-n-es Süli uf d'r Weid.

„Söll i öppe mit de Beine leidtrage? “ frug die Kleine mit schalkhaftem Gesichte.

Was ihr nun vorerst in der Anstalt schwer fiel, obgleich sie sich dessseu nicht deutlich bewußt wurde, das war neben der viel schlechtern Kost das Aufgebenmüssen ihrer Persönlichkeit. Ihrem Vater war sie Gehülfin und Freundin gewesen, in dem Fause ihrer Gönnerin hatte sie ebenfalls eine Rolle gespielt; hier in der Anstalt nun, obwohl der vornehmen Dame wegen recht gut behandelt, fühlte sie instinktmäßig, daß Niemand sie um ihrer selbst willen liebe und daß, sowie fie keine eigenen Kleider und Wäsche, sie auch hier keine Heimat habe. Schon das ärgerte sie, daß man sie nicht bei ihrem Taufnamen, jondern nur Srank oder Sränkli rief, weil noch mehr Marie da waren. Endlos waren die Scherze und Neckereien, die ihre Gefährtinnen mit diesem Namen trieben. „Marie, wie viel bisch werth?" hieß es alle Augenblicke. – „Denk öppe-n-es Sränktli, meh nit," antwortete eine Andere. ~~ „I ha.n-es Sränkli g'funde,“ rief plötzlich eine der im Garten Arbeitenden. -– „Wo, wo? Seig !" rief es von allen Seiten. ~ ,Chassch es ha, wenn d'witt, s'isch es falsches," sagte die Erste und versetzte unter dem Gelächter der Uebrigen Marie einen derben Stoß. Diese war empfindlich und weinte zuweilen bei diesen Neckereien, sobald aber die rohe Bande diese Achillesferse bemerkte, trieb sie es noch ärger, wenn Schmelz oder seine Frau nicht zugegen waren.

Ersterer behandelte die Waise sehr freundlich und legte ihren Besuchen bei Fräulein von Elm nie das Geringste in den Weg. Mit Gruß und wohlwollendem Lächeln wurde sie nach der Stadt entlassen und der Vorsteher ließ es an Aufmerksamkeiten nicht fehlen. Ein schöner Blumenstrauß, einige auserlesene Srtüichte wurden Marie fast immer für ihre Gönnerin mitgegeben; gelegentlich durfte fie die gelungene Arbeit einer der Schülerinnen mitnehmen und ihr vorzeigen. Besonders bei ihren Besuchen in der Anstalt legte Schmelz es darauf an, sie zu gewinnen. Ihr gegenüber ließ er den süßlichen Ton und die frommen Phrasen allmälig ganz fallen. Er bat sie, ihm doch ja ihre Ausstellungen und Rügen ganz offen mitzutheilen; er bedürfe in mancher Hinsicht des einsichtigen Rathes noch gar sehr und nehme solchen am liebsten von ihr an. Ihren Worten hörte er mit bescheidener Aufmerksamkeit zu und dankte ihr in ernster, schlichter Weise. So entkräftete der Vorsteher den unvortheilhaften Eindruck, den Fräulein von Elm anfangs von ihm in sich aufgenommen hatte, und wußte ihr nach und nach eine günstige Meinung von seiner Person und seinem Wirken beizubringen. Auch mit Frau Schmelz stund die vornehme Dame auf gutem Suße, da sie unter der rauhen und ungebildeten Außenseite der Erstern das redliche Bestreben erkannte, ihr Möglichstes zu thun, und wenn jie sich auch veranlaßt sah, zuweilen eine Bemerkung zu machen, so that sie dieß in so milder Meise, daß Frau Schmelz es nie übel nehmen konnte.

Unter dem Schutze des Sräuleins stehend und deßhalb ausnahmsweise freundlich behandelt, fand fich Marie, seit sie fich an das Anstaltsleben gewöhnt hatte, nicht unglücklich, besonders seit sie mit eimem etwa ein Jahr ältern Mädchen, das bisher von Allen „,verschüpft" worden war, innige Sreundschaft geschlossen hatte. Auch auf die bleiche, schüchterne Bertha fiel nun ein Strahl des Wohlwollens, seit Marie sie auf Geheiß ihrer Besschützerin bei ihren Besuchen hatte mitnehmen dürfen. Die beiden Mädchen wurden bald von den andern als Prinzessinen beneidet und ihre Sürbitte bei dem Herrn Vorsteher wurde eifrig nachgesucht.

Doch diese Herrlichkeit währte nicht lange. Kaum ein Iahr nach Mariens Eintritt in die Anstalt erkrankte Fräulein von Elm an einem anfänglich leicht scheinenden Uebel, das aber bald einen bedrohlichen Charakter annahm. Die Kranke verbarg sich die Gefahr keineswegs, ordnete mit klarster Umsicht ihre irdischen Angelegenheiten und sorgte für ihre zahlreichen Schützlinge und Pathenkinder. Sie vergaß auch die kleine Waise nicht, indem sie ihr nicht bloß eine bescheidene Summe zur dereinstigen Erlernung eines Berufes aussetzte, sondern sie noch ganz speziell dem Schutze eines Bekannten, des Majors Sallen, empfahl, der seit Kurzem als Mitglied in die Direktion des Asnyls gewählt worden war.

Als die Srühlingsstürme über die Erde brausten entschlummerte sie im Srieden ihres Gottes, dessen reiches Pfund sie so treu verwaltet hatte, um im Reiche der seligen Geister zu neuem Frühling, neuer Lebens- nnd Liebesthätigkeit zu erwachen.

Marie hatte noch von ihrer Wohlthäterin Abschied nehmen dürfen, hatte weinend ihren sanften Zuspruch angehört und in die erkaltende Hand der Sterbenden versprochen, Gott vor Augen und im Herzen zu behalten. Dann nahm die Köchin sie hinaus in die Küche, setzte ihr Essen und Trinken vor und belehrte sie unter den eigenen strömenden Thränen, daß ,sy's Leben fürethi kei RHungschnitte meh sy werdi und es d’s Beste d’rvo vorab g'ha heigi".

Ach, das erfuhr das arme Kind nur zu bald. Kaum war ihr einfaches neues Trauergewand fertig, so wandte sich das Blatt. Schmelz hatte erwartet, ihre reiche Gönnerin werde eine bedeutende Summe der Anstalt zuwenden, auch ihn selbst nicht vergessen, und deßhalb all’ seine Künste aufgeboten.

„Ueses arm Asyli hätt's so bitter nöthig; mi chönnt so mängs Nöthigs mache, we me nit mit d'm Geld nit geng so müeßt schmürzele," sagte er zu seiner Frau,

„Ja säg recht,“ erwiderte diese. „D’'s Nöthigste wurd sy, daß de es Iahrs zwuri its Oberland uehe sschesle chönntisch ga d'r groß Herr mache."

Als nun ein bescheidenes Legat für die Anstalt das Resultat all’ seiner Bemühungen war, fand Schmelz sich bitter enttäuscht und rächte sich an Marie für den Zwang, den er sich früher auferlegt hatte.

Es wurde ihr nun nicht mehr erlaubt, sich aus der Anstalt zu entfernen, um Düngi zu besuchen, die mit dem ihr zugefallenen schönen Erbe ein gemächliches Leben führte. Auch gestattete man ihr nur höchst selten, zu Major Sallen zu gehen, der sie nun an Statt ihrer verstorbenen Besschützerin in sein Haus einladen ließ. „Es chönnt Oeppis blybe bhange,“ meinte der Vorsteher mit spöttischem Lächeln.

Er klagte bei jedem Anlasse vor der Direlition über die Verderbniß dieses Rindes und strafte es um der geringsten Ursache willen. Sein KRostgeld wurde nach dem letzten Willen des Sräuleins aus deren Nachlasse bestritten, bis das Kind der Schule entlassen sein würde, trozdem mußte es täglich hören, „es shg nume us luter Gnad’ da und wenn s nit besser thüj, jag me's furt." Ach, Marie sehnte sich manchmal sehr nach Ausführung dieser Drohung.

Da sie oft aus bloßer Laune, nicht um irgend eines Sehlers willen mißhandelt wurde, so gab sie sich keine Nlühe mehr, brav zu fein, und ließ jedem schlimmen Gelisten freien Lauf. Die Bozheit und Lieblosigkeit ihrer Umgebung vergalt sie mit Tücke und HKinterlist, und kein Lichtstrahl von oben fiel mehr in die Seele des armen Kindes, denn des Vorstehers faule heuchlerische Srömmigkeit flößte ihr einen wahren Ekel ein und stumpfte jedes religiöse Gefühl in ihr ab.

Auch äußerlich hatte sie sich sehr verändert. Ihre rossigen Wangen waren bleich und schmal geworden, die dunkeln Augen waren roth gerändert und statt der glänzenden braunen Locken Hingen nun zwei struppige Zöpfe über den magern Rücken des schnell in die Höhe wachsenden Mädchens herab.

So sehen wir sie in der Srühe eines Sonntaqmorgens vor ihrem Kleiderschranke stehen, zwei Monate nach Fräulein von Elm’s Tode. MWeinend betrachtete fie ihre rothe Hand, auf welcher die KHaselgerte von Frau Schmelz eine derbe Schwiele hervorgebracht hatte. Es war nämlich durch sie in der Anstalt die Sitte eingeführt worden :- von der freilich die Direktion nichts wußte ~ den Tag des Herrn stets mit einer Inspektion der Alltagskleider zu beginnen, „wil's a de Werchtige e ke Zyt d’rfür gäb". Für jeden Sleck oder Riß setzte es Hiebe ab und das Schadhafte und Schmutzige mußte noch vor dem Sriihsstück ausgebessert oder ausgewaschen werden, welch letzteres für die Sehlbaren heute nur aus trockenem Brode besstund Der Sonntag war für unsere Marie deßhalb der schrecklichste Tag der ganzen Woche, da sie unordentlich war und felten leer ausging.

Während oben im Haufe Geheul und Schluchzen den Sabbat begrüßte, hielt der Vorsteher unten sein Lever. Verschlafen und im tiefsten Négligé zog die junge Lehrerin die Srühstücksglocke, welche die Hausgenossen in's Eßzimmer rief. Oben am Tische warteten duftender Kaffee, Butter und Käse auf den Vorsteher, unten aber war das Srühmahl der Kinder, blaue Milch und Brod aufgetischt. Nach gehaltener Morgenandacht, in welcher Schmelz dem Herrn der Erde für seine Gaben dankte und um Segen zur Seier seines Tages bat, ließ er sich nebst seiner Ehehälfte und der Lehrerin behaglich schmatzend diese Gaben schmecken, vollkommen ungestört durch die lüsternen Blicke der armen Kinder, deren Schüssselchen längst geleert waren, als Herr Schmelz sich die dritte Tasse Kaffee einschenkte.

Nach dem Srühstück führte derselbe seine Schäflein ~ ein Lieblingsausdruck von ihm = in die Kirche, nicht in die nächstgelegene, denn der dortige Pfarrer predige nicht evangelisch, behauptete er, fondern in ein näher bei der Stadt liegendes Dorf, wo der Präsident der Direktion im Sommer ein Landhaus bewohnte. Es war ein ganz evangelischer Anblick, wenn der schöne Mann weihevoll an der Spitze des Zuges durch die Firchgänger dahinschritt, zwei hübsche Mädchen an der Hand führend und freundlich mit ihnen plaudernd.

Heute hatten Marie und ihre Freundin Bertha nicht in die Firche gehen können, weil sie die „Chuchiwuche" hatten. Der Morgen war wunderschön, das Auge blickte in duftige, sonnbeglänzte Sernen und mußte geblendet sich schließen vor all den zitternden und funkelnden Lichtstrahlen, die sich in den Thautropfen brachen, mit denen die Wiesen übersäet waren.

In der Küche aber fah es schmutzig und verräuchert aus, unordentlich stund das ungewasschene Srühstücksgeschirr herum, alte Körbe, Zuber mit einer räthselhaft riechenden Sliissigkeit machten die Passage unsicher und schwierig. Frau Schmelz war Sonntags meist übler Laune und ihre kleinen Adjutanten mußten es entgelten: sie wurden beständig ausgezankt und konnten ihr nichts recht machen. „La g'seh, Bertha, du Suulhung, g'sehsch nit was abz’ wäsche isch, söll d'r Bei mache? Marie, wenn d’ d'r Holzchorb nit besser füllsch und d’s Holz besser bygisch, gheie-n-i d'r es Schyt a Gring." So ging es fort, bis Frau Schmelz die beiden Mädchen in den Garten schickte, um Salat zu holen. Verdrießlich riß Bertha aus einer dunkeln Ecke ein Körbchen hervor, das ein Beispiel irdischer Hinfälligleit war. Als Marie leichten Schrittes ihrer vorangehenden Freundin folgen wollte, rief die Frau ihnen keifend nach: nMachit de d'Röck uehe, Meitleni, jüsch ." Dieser Weisung folgend, schürzten sich die Mädchen auf, ehe sie sich gemächlich an die Arbeit machten.

„Warum isch sie au geng am ne Sunntig so bös ?“ fragte Marie, mit einer Gehäusschnecke spielend, die sie in den änden hielt.

„Sie isch allweg taubi," erläuterte in altklugem Tone die ältere Bertha, „daß sie alleini daheime chrebse mueß un er un die Iungi z'säme z’Predig sy, vo wege sie isch grusam e schalusi."

„Was isch das schalus ?" frug Marie.

„O du Schaf!" sagte Bertha lachend. „Weisch de das no nit? Sie meint drum, er heig die Iungi lieber als seie, das isch schalus, und i glaube, es syg Oeppis dra,“ setzte sie hinzu.

„Aber warum de geng mit üs balge,“ meinte Marie, „wo ja nüt chönne d'rfür?“

„Du Tröpfli,“ entgegnete Bertha weisheitsvoll, „weisch nit, daß mir grad sh wie dWösschbretter, wo dest meh Schläg überchöme, je wüester d'r Züüg isch , wo me druff usbrätschet, und doch nüt chönne d'rfür, daß er dreckig isch. Aber im Ganze will i doch no viel lieber d'r Alte ihres Branze und Zangge als sys süeß Wese: es macht mr fry übel, wenn i gseh, wie-n-er mit dene vürnehme Herre und Sraue thuet wie d'r heilig Syrabe. Es chunt m'r albez i Hals, daß i fry ersticke mueß u graduse brüele möcht: Ja, we Dir wüßtid ."

„Hesch nie nüt g'seit?“ sagte Marie. „J chönnt mi nit überha."

„Das wirsch müeße leere hie, wenn de dy Kut ganz b'halte witt," erwiderte die Andere, ihr einen Schlag auf die sand gebend, daß die Schnecke, mit der sie bis dahin getändelt, mitten unter die ausgezogenen Salatstauden in's Körbchen fiel. „La jitz das Gfätterle sh. Los, sie brüelet.“

„A bah," klagte Marie, „lue i cha ne nit ume finge.“

„Mach g'schwing; la doch dä tillers Schnegg jitz sy, sie nimmt is süsch gwünd bi de Züpfe."

Die Mädchen hörten den nicht eben leisen Schritt der um die FHausecke biegenden Frau Schmelz und eilten rasch zum Brunnen, wo sie den Salat möglichst sauber und flink reinigten, so daß Letztere, etwas besänftigt, jedem ein Sttick Brod verabfolgte.

Nach der Kirche nahte für Alle der Glanzpunkt des Tages, das Mittagessen, das Sonntags für die Zöglinge aus sleissch, Salat und Kartoffeln besstund, wozu noch für Jedes ein halbes Glas Wein kam, doch nur für die, die am Morgen nicht gestraft worden waren. Vor dem Vorsteher freilich stund Braten und ein delikater Kirschkuchen, der nicht ganz verzehrt wurde. Das letzte Stück davon erhielt eines der größern Mädchen, welches besonders bei ihm in Gunst stund. Mit schadenfrohem. Lächeln ,spienzelte“ dieses feinen Gefährtinnen den seltenen Leckerbissen, ehe es ihn verzehrte, ohne auch nur ein Stücklein davon abzugeben. Lachend sah Schmelz auf die Finder herab, die bittend mit verlangenden Augen die Bevorzugte umstanden. „Gället, wenn d'r o d’rvo hättet," sagte er.

Nachmittags war der schöne Vorsteher meist unfichtbar. Wer ein Anliegen an ihn hatte, wurde mit dem Bescheide abgefertigt, er leite die Singübungen, oder mache einen Spaziergang mit dem Juünglingsverein. Frau Schmelz benugtte diese Zeit zu einem auzgiebigen Schläfchen und die junge Lehrerin, welche die Aufsicht über die Kinder führen sollte, meinte auch nicht, daß sie schuldig sei, dieser lästigen Pflicht ihr Privatvergnügen zu opfern, und zog sich mit einem Buche in eine stille, schattige Ecke zurück.

Dieß machte sich denn auch die zuchtlose Bande zu Nute. Als einzige Schranke bestund nur noch das Gebot : Laß dich nicht erwischen, - ganz nach dem edeln Vorbilde, das fie täglich vor Augen hatte. Auf alles nur irgend Eßbare stürzte sich gierig die wilde Schaar; jedes Thierlein, das in ihre Hände fiel, wurde gemartert; sie zankten, kratzten, bissen sich untereinander, bis der Lärm zuweilen selbst Frau Schmelz weckte, die dann mit Stock und Peitsche auf die Störefriede losfuhr.

Am schlimmsten erging es an solchen Nachmittagen den kleinsten und schwächsten unter den Kindern; es war ein eigentlicher Wetteifer unter den andern, wer sie am empfindlichsten necken und plagen könne. Deßhalb verkrochen sich die armen Finder, sobald der Spektakel losging, an irgend ein verborgenes Plätzchen.

So sehen wir auch heute ein halbes Dutzend der Rleinen und „Versschüpften“, unter ihnen auch unfere Sreundinnen Marie und Bertha, hinter einem von der Anftalt etwas abseits gelegenen Bretterhaufen, wo sie ungestört zu bleiben hofften. Vergnüglich und einträchtig spielten sie da mit einer schönen Puppe, die Marie von Fräulein von Elm als Weihnachtsgeschenk erhalten hatte. Die Einen kochten für die kleine Prinzessin aus Erde, Gras und Blumenblättern ein festliches Mahl, Andere bereiteten ihr ein Bett von Heu, das sie auf der nahen Wiese geholt, die bevorzugtessten der kleinen Dienerinnen aber durften der Puppe mit Distelköpfen die goldenen Haare kämmen und Alle waren ganz in ihre wichtigen Staatsämter vertieft und glücklich.

„Aha, da sy sie! D’'s ganz Nest binenangere. ~ Was machit d'r da? La gfeh; dumms Zütüig! – Woher hesch das Titi, Sränkli ? ~ So schallten die Stimmen der herannahenden Bande durcheinander. Die kostbare Puppe, die sie so sorgfältig geschont hatte, ward Marie aus den Händen gerissen, eins der großen Mädchen tanzte mit ihr im Kreise herum und zog die gebrechlichen Glieder hin und her, bis sie auseinanderfielen. Dann warf sie sie verächtlich Marie zu Süßen: „Sä, da hesch dy Tolgg ume," wobei nun auch der Kopf zu Schaden kam.

Vergeblich hatte Marie die flehentlichsten Bitten an Mathilde Brand, eben jenes große Nlädchen, das heute den Kirschkuchen erhalten hatte, verschwendet; vergeblich waren ihre Thränen ~ nun aber stürzte sie wie eine. wilde Katze auf ihre Gegnerin los, ihr das Gesicht und die Hände blutig kratzend, bis jene endlich mit Hülfe ihrer Genossinnen sich losmachen konnte. Marie wurde tüchtig durchgeprtigelt und Bertha erklärte, wenn man sie nicht in Ruhe lasse, so werde sie Frau Schmelz rufen. Ein schallendes Hohngelächter war die Antwort auf diese ohnmächtige Drohung, worauf die Bande sich entfernte, Marie halb befinnungslos vor Schmerz und Zorn zurücklassend, während die weinenden Kleinen sich bemühten, die Kleider der mißhandelten Puppe zu glätten und zu säubern.

Tröstend beugte Bertha sich zu ihrer Freundin herab, die krampfhaft schluchzend in einer Ecke saß und das Gesicht mit den Händen bedeckt hielt. „Schwyg du jitz, Marieli, villicht werde die Dreckmeitli doch no g'straft; mir wei ne scho e Suppe arichte, de wei m'r doch de lache und ne d’s Gäbeli mache; schwyg du jitz; chumm, m'r cheu glych no mit d'm Bäbi gfätterle, we's scho z’rheit isch. Mir mache-n-ihm es schön's Bettli u v'rbinge-n-ihm mit em ne Lümpli oder Papyrli d’'Arme und d'Bei, de isch es chranknigs, un i bi d'r Dokter, gäll ?"

Mit reichlichen Thränenspuren im Gessichte ging Marie bereitwillig auf diesen Vorschlag ein und bald waren Alle wieder in ihr Spiel vertieft. Der Doktor und seine kleinen Gehülfinnen zerquetschten Gras und Ersterer legte es der Puppe als kühlenden Verband auf, verschrieb ihr auch ein Tränklein, das aus den beiden Urelementen unsres Planeten, Erde und Wasser, bestehend. der Patientin über das zerschlagene Gesicht geschüttet wurde.

Nach dem Abendessen kam Schmelz heim. Die beiden sstreitenden Parteien klagten sich gegenseitig vor ihm an. „Daß es doch geng am ne Sunntig Stryt gäh mueß,“ fagte er salbungsvoll. „Dir wüsset doch, Chinder, wie betrüebend das für mi isch. Zell jit, Mathilde, was isch g'gange,"

Unter Heulen und Schluchzen erzählte nun diese den Vorfall auf ihre Weise und wies ihr zerkratztes Gesicht, so daß alles Unrecht auf Mariens Seite zu liegen schien. Letztere wollte aber ihrer Gegnerin das Seld nicht so leichten FRaufes überlassen. Sie zeigte ihre zerbrochene Puppe, die blauen sSlecken an ihren Armen und berief sich auf Berthas Zeugniß, daß sie nicht der angreifende Theil gewesen. Mathilde wehrte sich und suchte sie zu überschreien: „Dä Toggel ha-n-i nit v'rderbt, s'isch ja Alles usenangeregheit, wie-n-is nume agr’rüehrt ha, weisch es, du Möril!"

„Still!“ gebot der Vorsteher, der während Mariens Vertheidigung die Stirne gerunzelt hatte. „Marie Srank, du bisch en unv’rbesserlichi Zangge; wo du bisch. da git es Stryt, das isch fertig. Du chasch morn d'r ganz Tag A esche siebe im Cheller unde, d's Mittagesse bringt me d'r de abe, und de bittisch d's Mathilde um V'rziehung, sufch git es zwölf Tötzeni. Du, Mathilde, hättisch allerdings das Titi chönne la sy, und damit Alles ganz unparteiisch zuegang, su muesch du dy Straf 0 abthue. Du chasch m'r acht Tag lang mys Zimmer ufruume, aber guet, süssch ~." Er drohte lächelnd mit dem Singer und hielt hierauf eine etwas eilige Abendandacht, worin er Gott für den friedevollen Sonntag dankte und die Hoffnung aussprach, daß nach einer Reihe solcher Tage der ewige Sabbat anbrechen möge.

Fünftes Kapitel. Ich sah einen Gottlosen, der war trozig und grünete wie ein Lorbeerbaum. – Ich fragte nach ihm, da ward er nicht mehr gefunden.

Es ging schon gegen den Herbst. Nach längerer Abwesen| _ heit war der Armenvater Schmelz wieder zu seinen Schäflein zurückgekehrt. Die Direktion war von ihm um Bewilligung eines Urlaubs zu einer Badekur begrüßt worden, die er zur Stärkung seiner angegriffenen Gefundheit dringend bedürfe,“ wie es in seinem zierlichen, an den Präfidenten gerichteten Schreiben hieß.

„Los, Daniel,“ sagte Frau Schmelz eines Abends zu ihrem Manne, „mach doch, daß das Holz no zuehe chunt, für daß es no bim schöne Wetter a Scherme tha wird.“

„Was für Holz?“ frug der in nicht sehr holdseliger Laune zurückgekehrte Gatte in ärgerlichem Tone.

„Was für Holz? “ wiederholte Frau Schmelz. „Was angers weder die Wedele, wo m'r bruuche für z’heize.“

„Sn die de nit cho? “ schnellte Schmelz über die Schulter weg.

„fse wohl, aber ume gar weni, chuum meh weder d’'s Halbe vo fern, mit dene cheu mir's dä Winter my armi Thüri nit mache. I ha mit d'm Suehrme g stucket, weder er het m'r g'seit, er br.ngi kener meh, du heigisch ume die b'sstellt; s'Selb wird doch öppe nit wahr sy."

„Wohl isch's wahr,“ sagte Schmelz höhnisch lächelnd. „I ha halt zweni Geld g ha für meh z’chaufe. Du weisch ja, daß jiz am Platz vo dem guete Kerr Schwarm, wo g’storbe isch, d'r Major Sallen als Kassier vo d'r Direktion isch g' wählt worde und fider isch Alles v’rtüflet. D'r vorig Kassier het mr d’s Zuetraue g’schenkt, i ha eigetlig für ihn d’'Sach gmacht; aber jiz geit s nit meh so heimelig wie früecher, wo m'r no under üs gsi syh. Um jede Chrüzer Geld mueß i siebemal bettle, mueß ne siebemal quittiere u siebemal Rechnig ablege d’rvo ; es erleidet mr, so d'rby z sy. Chuum bin i hei, so chärissch du mit m'r wege dem D - Folz ; aber wo nit isch, da het d'r Chaiser d's Recht v’rlore; lue, daß d's mit dem chasch mache, wo da isch."

„Ja," erwiderte die Frau Vorsteherin, „we du dys schießig Bubele im Kamin ufstecke witt, su wei m'r's luege z'mache, aber angers geit’'s my Seel nit."

„Los, Fraueli, i möcht d'r e Vorschlag mache," sagte der schöne Mann. „Chönnt me nit die Meitleni a de Holznamittage i Wald schicke ga Holz uflesse wie anderi armi Chinder o. Mi chönnt ja,“ fuhr er schnell fort, um einer Entgegnung zuvorzukommen, „nume die schicke; wo de daheime nit guet bruuche chasch, öppe nit z viel mitenandere; dene Chinder miech's g' wüß no Sreud und üs wäre sie ab."

„Mira," erwiderte die Frau, „we du’z mit d’r Direktion usmache wotssch; Neuis muß gah, s'Selb gseh-n-i wohl. Aber los, Daniel, us dyne Ersparnisse allei, wie de m’r vorg’fiederet hesch, chasch du i dem Bad, oder wo de sieder desumegheit bisch, nit g'lebt ha, sövli dumm bin i de nit, daß i Seligs glaubi. U däich ume dra, das chunt uf my armi Thüri nit guet use, wenn die Ching dä Winter düre halb erfrüre müeße, chönnte doch de d'r Direktion d’Auge ufgah.“

„A bah !“ sagte Schmelz geringschätzig, „du bisch wie-n-es Kuuri im Wald, prophezeiisch geng Unglück, wo nie chunt. Was wett d'Direktion o d’rvo merke, u chunt 's ere doch i d’Nase, He nu su git me re öppis Guggers a. Lue, Schatzeli, da ha-n-i d'r zwo Släsche chätzers süffige süeße Wy kramet, wo'd so gern hesch. Dankissch m'r nit?“

„Wärisch du daheimbliebe u hättisch Holz g’chauft, s!Selb hätt mi baas g'freut," meinte die Frau.

Das Holzauflesen kam der Direktion wirklich in die Nase. Major Sallen, bei einem Ausfluge den Wald durchstreifend, hatte die Anstaltskinder dort angetroffen, wie sie sich ohne Aufsicht, schreiend und zankend mit andern armen Kindern herumtrieben, und auf sein Befragen erfahren, daß Schmelz sie geschickt, um Holz aufzulesen. Er hieß sie ihre Bündel schnüren und ihn nach der Anftalt begleiten, wo er sofort den Vorsteher darüber zur Rede stellte.

Dieser stand in unterwürfiger Haltung vor ihm und erklärte in höflichster Sorm, wie er dieses Auskunftsmittel nur ergriffen habe, weil die Schlafkammern der Mädchen unter dem Dache der Bise ausgesetzt und schwer zu erwärmen seien, so daß er mit den gekauften Wedelen nicht auszukommen vermöge. Uebrigens seien die Rinder zu Hause gerade entbehrlich und versäumten nicht viel.

„Das ma sy; aber warum laht Dr se so ohni Ufsicht im Wald umelaufe und wüest thue? " fragte der Major die Stirne runzelnd.

„Das isch m'r sehr leid, Herr Major," antwortete Schmelz mit sehr gut gespielter Zerknirsschung. „My Frau isch im Garte beschäftiget gsi, d'Underlehrere het grüslich Chopfweh, so ha-n-i mi grad zwegg'macht gha, die Chinder z'begleite, du chunt en Audienz und het mi bis jiz ufg'halte.

„Uf jede Fall, Herr Schmelz, wirde-n-i i d'r nächste Sitzung vo d'r Direktion das Holzuflese vorbringe. Dir syd da chly eigemächtig vorg' gange und i zwyfle dra, daß me' billige wird“

„Wie gseit, Herr Major," erwiderte Schmelz sich aufrichtend, „s'isch nume d'Noth, wo mi drzue zwunge het; indesse, wenn die Herre vo d'r Direktion anderi Mittel und Wege wüffe, fo . ... "

„Adieu, Herr Schmelz, i bi pressiert," sagte der Major auf seine Uhr sehend. „Dä Abstecher hiehere het m r guet e Stund weggno."

„Dä hätt i d'r gschenkt," stund auf des Vorstehers Gesichte geschrieben, als er, sich verbeugend, dem Major die Gitterthüre des Hofes öffnete.

Letzterer schritt gedankenvoll, den Kopf geneigt, die Hände auf dem Rücken, seines Weges. Schmelz fürchtete diesen Mann und er hatte Recht. Wie das wilde Thier scheut und sich zurückzieht vor dem festen Blicke des Menschen, so floh vor dem Wesen des Majors Alles, was Lüge und Heuchelei hieß, oder verkroch sich hinter sein letztes Bollwerk. Er fühlte sich allezeit in der Gegenwart Gottes, daher stund sein Wandel vor der Welt in hellem Lichte, und er war bereit, nicht bloß den Menschen, sondern ihm, dem höchsten Richter, „Rechnung zu thun von seinem Haushalte".

Sein Antrag in der Direktionssitzung, das Holzauflessen im Walde als einen Unfug abzustellen, fand Widerspruch, da die meisten Mitglieder sich gewöhnt hatten, Alles, was Schmelz that oder sagte, beinahe wie eine göttliche Eingebung aufzunehmen, und weil besonders der Präsident Jeden, der in dieser Beziehung anderer Meinung war, mit Blicken maß, die deutlich zu sagen schienen: „Guete Fründ, wer snd Dir eigetlich, daß D'r gege so-n-e Ma, wie üse Schmelz isch, uftrete weit."

Es war eine sehr stürmische Sitzung, der Apostel Paulus würde sich über unsere parlamentarischen Sortschritte gewundert haben. Ein älteres Direktionsmitglied erwähnte überdieß noch eines ihm zu Ohren gekommenen Gerüchtes, als seien Kleider und Weißzeug der Anstaltszöglinge in erbärmlichsstem Zustande und als habe der Vorsteher die Rosten seiner Badekur nicht aus eigenem Gelde beftritten. „Es wär villicht guet," schloß der Nrtuthige „wenn me die Sach einisch ghörig underssueche würd. Het das Orücht Grund, su sh m'r schuldig nzschryte; isch es us d'r Cuft ggriffe, nu so schadt en Undersuechung jedefalls nüt."

Mehrere Mitglieder gaben diesem Antrage ihre Zustimmung; der Präsident aber bemerkte, wie traurig es doch sei, daß die Welt stets das Strahlende zu schwärzen suche und daß gegen die edelsten Menschen immer die schlimmsten Geister aufgehetzt und losgelassen würden; es sei dieß um so mehr zu bedauern als bei solchen auf Liebe gegründeten und durch Liebe erhaltenen Anstalten jedes gegenseitige Mißtrauen als ein die Wohlfahrt zerfressender giftiger Wurm anzusehen sei. Obgleich er also von diesem Standpunkte aus eine Untersuchung nicht beantragen könne, ja mißbilligen müsse, wolle er fich derselben doch um so weniger widersetzen, als er sich überzeugt halte, daß Schmelz damit ein großer Dienst geschehe.

So ward die Untersuchung beschlossen, und sie gestaltete sich zu einem recht gemüthlichen Samilienfestchen, da der Präsident und mehrere Mitglieder zur Besichtigung der Kleider- und Wässcheschränke ihre Srauen mitgenommen hatten.

Schmelz war der aufmerkssamsste, liebenswürdigste Wirth, den man sich denken kann, und seine Gattin, die biedere, schlichte Hausfrau, hielt sich möglichst im Hintergrunde, Faus und Hof waren blank gescheuert, die Betten und Kleider der Söglinge rein und ihre Gesichter strahlten in heller Freude, da sie an dem stattlichen Abendessen, das für die werthen Gäste aufgetischt wurde, heute theilnehmen durften. Nachher löste ein schönes Lied das andere ab, und als man endlich zur Arbeit schritt, war der tirübe Oktobertag schon weit vorgerückt, so daß man, um fertig zu werden, bei der vorgenommenen Unterfuchung nur oberflächlich zu Werke gehen konnte. Es hatte dieß um so weniger auf sich, da, wie Schmelz behauptete, die große Rauptwässche noch bevorstehend und deßhalb nur wenig Weißzeug in den Schränken sei.

In den Büchern, die die Herren während dessen besichtigten, zeigten sich ebenfalls Lücken und Dunkelheiten, welche der gewandte Vorsteher aber auf die plausibelsste Weise zu erklären wußte, so daß man beschloß, die Untersuchung später noch einmal aufzunehmen und für dießmal davon abzustehen. Es sollte dann dafür aus dem Schooße der Direktion eine Kommission gewählt werden, die die Sache im Laufe des Winters zum Abschluß zu bringen hätte.

Ob diese Kommission nun ge.rählt wurde oder nicht, ob sie im ersteren Salle ihre Pflicht versäumt, das bleibe dahingestellt; Thatsache ist, daß nichts in der Sache geschah und Alles beim Alten blieb.

Aber über Schmelz und sein Treiben wachten dennoch zwei argwöhnische Augen, die sich durch seine CLiebenswürdigkeit nicht blenden ließen. Es waren die des Majors Sallen, der den Antrag auf Untersuchung gestellt hatte. Er hatte neuerdings erfahren, daß bei der herrschenden bittern Winterkälte die Zöglinge der Anstalt fast erfrieren müßten; dazu war sein Schützling Marie Srank das letzte Mal an dem bestimmten Sonntage nicht zu ihm gekommen, und er wollte auf eigene Verantwortung hin der Sache auf den Grund zu kommen suchen. Als Verbündeten und Begleiter erkor er sich seinen Foausarzt und Sreund, Doktor Wand, einen bissigen, sarkastischen Mann mit dem menschenfreundlichssten Herzen von der Welt. Nur ungern wollte dieser sich dazu verstehen. „Warum ssöll i d'Singer in e settige Teig stoße?" sagte er. „Du wirsch gseh, er blybt is a de Hände bhange."

„Cha sy," sagte der Major; „s wird nit die ersti Gülle sy, wo m'r zsäme ustrappe."

„Ebe nit," meinte der Doktor; „brönnti Chinder förchte d's Füür."

Dessenungeachtet stieg er an einem bitter kalten Wintertag mit dem Major in dessen offenen, mit zwei schönen Pferden bespannten Schlitten, der unter des Letztern kundiger Sührung windesschnell über die glatte Bahn dahinflog.

„Hättisch jiz nit no e chältere Tag chönne uslese, Major?“ fragte der Doktor, seinen Pelzmantel über der Brust zusammenziehend. „D'Byse pfyft ja, daß eim Höre und Sehe v'rgeit.“

„Es isch mr drum angst," erwiderte dieser „d'Sach sng scho z’lang g'gange. Vorgester het me m'r vo ganz glaubwürdiger Syte her gseit, es syg unvrantwortlich von is, daß m r dä Schmelz eso lahje mache. Die zügige Schlafchammere vo dene Chindere underem Dach werde nie gheizt und sys Kaminfüür brönn e ganze Tag. I ha mi bim Suehrme erkundiget, wo d'r Anstalt gwöhnlich d’s Holz füehrt, nnd dä het m'r gseit, er heig fern bloß halb so viel Holz müeße füehre als anderi Jahr, es heig ne selber vrwunderet. Es heißt, die Chinder heige fast alli böfi Händ und Süeß, d'Frau Schmelz syg chrank, er geng i syr warme Stube und die jungi Person, d’Lehrere, viel by-n-ihm. Du gsehsch, Dokter, es lohnends Seld für üsi beidersytigi Thätigkeit," setzte er hinzu, mühsam seine Pferde zügelnd, die ihren leichten, tänzelnden Trab stets mit einem sausenden Galopp zu vertauschen im Begriff waren.

„E netti Ufgab," erwiderte der Doktor. „Also d m Schmelz und syr junge Fründin sötte m r chüel mache und dene Meitscheni warm; wei luege, wie m'r das z Stand bringe. Aber lue, geit's nit da ab gege d'’Anstalt zue? "

„O du unschuldige Dokter!" lachte der Major, meinssch i well da wie-n-e Graf vorfahre bim Huus, für daß d'r Schmelz Zyt heig, sich uf d'Syte z mache? Das isch ebe scho viel z’lang so g'gange. Nei, mir fahre i d's Dorf und gange z'Sueß i d’Anstalt, wenn's dr so recht isch.

„I füege mi dyr überlegene Wyszheit," meinte der Doktor. „selber uf d'Gfahr, dür e Schnee z'müeße und nassi Stiefel z'übercho."

Als sie im Dorfe ausgestiegen waren und der Major dem Stallknecht dreimal empfohlen hatte, die Pferde gut abzureiben und es ihnen an Nichts fehlen zu lassen, schlugen die beiden Herren einen Sußweg ein, der sie längs des Abhangs an die Hinterseite des Anstaltsgebäudes führte.

„I gange süsch nit gern uf Schlychwege," sagte der Major; „aber jiz sy mr Indianer uf em Chriegspfad un da isch en Umweg wohl erlaubt.“

„I mueß denk my Cigarre dännethue,“ meinte der Doktor, „süsch v'rrathet mi d'r Rauch im findliche Lager, d'r Schmelz raukt viel fyneri als i."

Beim Hause angekommen, traten die beiden Herren durch die Hinterthüre in den Gang und kamen unbemerkt vor diejenige des Eßzimmers, aus welchem die scheltende Stimme der jungen Lehrerin hervordrang. Lauschend blieben sie einen Augenblick stehen.

„A bah!“ hörten sie sie sagen, „das #sy nume Slause; das wär doch kurios, wenn du nit nähje chönntissch, Zeig !"

Eine weinende Kinderstimme antwortete: „O d'r Gottswille ryßet mr d'r Lumpe nit ab, es chlebt scho lang und brönnt mi wie Süür. I will ja probiere znähje."

„Mit dem Ghudel um e Singer chasch du doch nit nähje u machsch no AUs dreckig. La gseh, da macht me churze Prozeß; we's scho chly blüetet, su isch si das nit d'r werth; du chasch d'Hand i chalts Wasser stoße. Wottisch still ha oder nit, du Chrot ? “

Ein Wehegeschrei erfolgte und rasch traten die beiden Herren ein. Roth vor Zorn stand die Lehrerin inmitten des Zimmers unserer Bertha gegentiber, der sie soeben mit rauhem Griffe den anklebenden Verband von den offenen Srostbeulen abgerissen hatte. Thränen übersströmten des Mädchens Gesicht, das halb betäubt vor Schmerz die blutende Hand schüttelte und mit den Süßen stampfte.

„Isch das Eui Heilmethode, Jumpfer Baldrian? " frug der Doktor mit blitzenden Augen die durch den unerwarteten Besuch noch etwas Betroffene. „Churze Prozeß, nit wahr, s'ifch s’Eifachste? I wett, i fänd Glegeheit, Ech so z behandle wie Dir das arm Chind da iryfchaagget heit. Chum Meiteli,“ fuhr er in ganz anderm, sanftem Tone fort; „lue, i thue d'r nit weh," und sich zu einem der umherstehenden Mädchen wendend: „Reich m'r e chly läjs Wasser; de badet me die bluetigi Hand drin und v'rbind’t fe mit chüeler Salbe, das thuet nit weh."

Sanft wie eine Mutter ihrem Finde verband der rauhe Doktor die verwundete Hand, so daß des Mädchens Thränen versiegten und es ganz geduldig stille hielt.

„Wo isch d'Frau Schmelz ?“ wandte er fich dann wieder an die Lehrerin, die das Zimmer zu verlasssen im Begriffe war.

„Sie isch chrank," sagte diese mürrisch. „I mueß die ganzi Bushaltig alleini mache."

„Es geit schynt’s o drnah,“ meinte der Doktor in spöttischem Tone. „Es mueß aber öppis Ernstlichs gah, die Chinder hei ja fast alli vrbundni Händ und bösi Süeß, oder?" wandte er sich fragend zu einem der Mädchen, das mühsam durch's Zimmer hinkte.

„I ha myner Strümpf scho lang nit meh chönne abzieh,“ antwortete dieses, und d'Süeß thüe m'r grussam weh."

„Nu fu rüefet d'm Herr Vorsteher, Jumpfer Baldrian," sagte der Doktor; „mir heige mit ihm z'rede, und sider snd so guet und sorget für-n-es Kamillebad."

„Es isch niene Kamille da,“ entgegnete die Lehrerin, „und d r Herr Schmelz isch für-n-es paar Tag vrreifet.'

Der Major und der Doktor wechselten einen Blick. „Und wohi, we me frage darf ?" sagte Ersterer.

„Ja da chönne die Herre d’Frau frage," sagte die junge Dame, das Zimmer verlassend, „die wird's wohl wüsse."

„Und wo isch de d's Marie Srank ? “ wandte sich der Major an Bertha. ,„I gseh’'s niene.'

S'isch chranks,“ sagte diese, „schon e Rung u Int überobe. Söll i mit Ech cho?“

„Was het's ?" frug der Doktor während sie die zwei Treppen erstiegen, die zum Schlafsaal führten.

„I weiß nit," sagte das Mädchen; ,s*"isch achegheit vor-n-es paar Wuche, d’Chellerstege ache; es chlagt si grufam u cha nit sstah, süsch fehlt ihm apparti nüt."

Im Schlafsaale, dessen mit dichter Eiskruste bedeckte Senster nur jenes geheimnifßzvolle Dämmerlicht eindringen ließen, das öde Räume noch öder erscheinen läßt, war es schaurig kalt und dumpfe schlechte Luft erfüllte den niedrigen Raum. Derselbe war leer, aber im Augenblicke als die Herren eintraten, öffnete sich eine Seitenthüre, die junge Lehrerin kam heraus, schloß schnell ab und nahm den Schlüssel zu sich.

„Was isch das für-n-e Stube, Jumpfer Baldrian? ' frug der Doktor, rasch auf sie zutretend, während der Major mit großer Mühe eines der Senster öffnete.

„Myni, Herr Dokter,“ sagte die Lehrerin dreist, „und i la Niemer yne."

„Das wei m'r doch luege,“ entgegnete diefer. „Gebet m'r d'r Schlüssel uf d'r Stell, süsch . . . .“

„Es isch m'r am End gradaglych,“ erwiderte die junge Person, wenn die Herre doch so gwunderig sy; aber i ha da obe nüt meh z’thüe. Adieu, ihr Herre.“

Sie wollte den Schlafsaal verlassen, aber der Major liam ihr zuvor. „Dablybe,“" sagte er ernst, „mir hei noch mit Ech z'rede."

Unterdessen hatte der Doktor die Thüre geöffnet. „Es jungfräulichs Gmach in d'r That,“ sagte er ironisch, sich flüchtig umschauend in dem kleinen Raume, dessen Wände und Fußboden mit Schmutz bedeckt waren. Seine Aufmerksamkteit wandte sich aber sofort einem elenden Lager zu, wo zwischen Bettüchern, deren ursprüngliches Weisz kaum noch zu erkennen war, unter zerlumpter Decke die kleine Marie Srank lag. Ihre einst so rosigen Wangen waren bleich und eingefallen, und erschreckend groß starrten die dunkeln Augen aus dem spitzen Gesichtlein hervor. Die magern Händchen waren blau und mit Srostbeulen bedeckt, denn auch hier war es bitter kalt.

„Was fehlt dem Chind, Jumpfer Baldrian? “ frug der Arzt, sich über die kleine Leidensgestalt beugend.

„Sie säge, es syg gfalle," erwiderte die Lehrerin mürrisch; „i weiß nüt drvo, weder daß me m'r’'zs i my Stube bracht het, wo-n-i's sider vrpflegt ha zu allne andere Arbeite.“

„Vrpflegt?“ wiederholte der Doktor. „Daß Gott erbarm! Vrreble heit D'r's lah, wüsset D'rs! Het me nit e Dokter greicht, wo das begegnet isch ? “

„Ja, da syd so guet und fraget d'r Herr Schmelz," entgegnete das Fräulein; „i wäsche myni Jsänd in Unschuld. Er het Umsschläg gmacht und ihm d’r Rügge und d'Bei mit ere Salbe ygriebe, vo wege er vrsteit selber öppis vom Doktere."

„Ja ja, wie-n-es Kameel vom Tanze," sagte der Doktor, die kleine Niranke unterssuchend, die bei seiner sanften Berührung oft schmerzlich zusammenzuckte und stöhnte.

„Und was het de d'Frau Schmelz eigetlich für-n-e Chrankheit?“ frug der Major die Baldrian, welche, eine Hand auf der Thürklinke, sich diesem unliebsamen Examen zu entziehen suchte.

„I bi kei Dokter,“ erwiderte sie. „Die Herre würde m'r öppe uf d'Ohre gäh, wenn i öppis Lätzes fieg. Da chunt sie übriges selber; s' mueß no nit Matthäi am letschte sy mit ere."

Wirklich war es Frau Schmelz, die die Treppe heraufkeuchte, und auf jedem Absatze hörte man ihre scheltende Stimme, welche die neugierig nachdrängenden Mädchen zurückscheuchte in die untern Räume. Der Major trat ihr rasch entgegen unter die Thüre des Schlafsaales, während die Lehrerin an ihm vorüberhusschend das Weite gewann, an Frau Schmelz anprallte und diese beinahe die Treppe hinuntergeworfen hätte.

„Sturm was D'r snd, heit D'r kener Auge im Chopf ? " sagte die würdige Dame, als sie sich von dem Anstoß erholt hatte; dann den Major gewahrend: „I mueß mi wäger vrexgüsiere, Herr Major, daß i di Herre so ha la warte; i bi glege und ersch vor ere Viertelstung ha-n-i v rnoh, Dir sngit da. Dr Schmelz isch ebe . . . ."

„Mir treffe Alles i dr größte Unornig a, Frau Schmelz," sagte der Major ernst, „und das Chind da inne isch himmelschreiend vrnachläßiget worde. Warum heit Dir nit d’r Vrstand gha, d'r Dokter la z reiche, wenn Eue Ma s’nit tha het ?“

„Wil i nit Meister gsi bi hie im Huus, für's gradufe z’säge, err. I ha zu aller Sach nüt z'säge gha, bsungerbar i d'r letschte Sht, ha mi halb z’tod g werchet und Mängs müeße gseh, wo m'r lieber gsi wär, i hätt e kener Auge."

„Sit wenn isch Eue Ma furt und wenn chunt er ume?" frug der Major.

„O Herr Jeses, das weiß i nit," erwiderte sie auf die letzte Frage. „Er het m'r gseit, er heig Gschäfti z!Basel unger, mir sölle nit Längizyti ha, we's scho es paar Tag länger gang. Drmit isch er furt.“

„Weit D'r mi i sys Zimmer füehre, Frau Schmelz? I möcht e cnly über d'Büecher luege,“ sagte der Major.

„Bhüet is ja, Herr, chömit ume, u dr Gottswille leut mi's nit etgelte, we d'r Schmelz neuis Ung schickts agstellt het, i vrma mi desssi wäger nüt.“

In diesem Augenblicke trat der Doktor zu ihnen. ..Das Chind isch jedefalls schwer vrletzt,“ fagte er, „und s'isch mr meh als zwyfelhaft öb es drvochunt. Hie cha-n-es jedefalls nit blybe, es mueß in e Spital, wo me zue-n-ihm luegt. Dir heit da e schweri Vrantwortung uf Ech,“ fuhr er Frau Schmelz an, die er erst jetzt gewahr wurde.

„I cha gwünd nüt d'rfür, Herr Dokter,“ versicherte fie weinend. „Dr Schmelz und die Jungi hei das e so gheims gha u mi nie welle yche lah zu dem Ching, Dir meut's glaube oder nit, s'het m'r mängisch z’Nacht d'r Schlaf broche, wenn i ha afah däiche dra, un i ha em Ma agha vo de siebe Cnde nache, er söll doch z'’grechtem docktere. aber er het mi nume usg’lachet, und die Jungi het geng bschlosse gha und d'r Schlüssel im Sack nachetreit."

„Und wüsset D'r is nit z säge, wie das Chind fich beschädiget het?“

„I weiß ume, daß i einisch am ne Namittag im Wöschhüsli äne Wösch ngleit ha, du ha-n-i es Gschrei ghört, aber mi desse nit sövli gachtet, es brüelet öppe dickisch eis vo dene Meitlene: na.en-ere BHalbstung oder so bin i fertig und gah übere i's Huus, du seit m'r d'r Ma, d’'s Marie syg de gfalle u sie heigi’s uechetreit, sider ha-n-is ebe nimme gseh, wie-n-i dene Herre brichtet ha. Weder jiz wei m r's doch achereiche un in es rechts Bett yhethue, das arm Tröpfli," sagte sie, unter die Thüre des Zimmerchens tretend, wo das stöhnende Kind lag.

„D’r Herr Dokter wott drfür sorge, daß es morn in e Spittel chöm. Frau Schmelz,“ sagte der Major. „I will's hie la reiche und Dir fsüberet’s de underdesse, so dörft me's ja nit emal schicke. Und jiz zeiget m’r no die Büecher, wenn Drr weit so guet sy, währed d'r Dokter mit dene andere Chinder z'thüe het.“

Frau Schmelz gehorchte unter fortwährenden Betheuerungen, daß sie jede Mitfchuld läugne, „we's neuis Ungrads g'gange syg."

Selbst die bloß flüchtige Einsicht, die der Major heute in die Bücher nahm, bestätigte seine Vermuthung, daß die Abreise des Vorstehers eine Slucht, und daß feine ganze Buchführung nur auf Täuschung und Betrug beruht habe. Er versschloß das elegante Arbeitszimmer mit dem aufrichtigen Wunsche, daß Gott den Heuchler finden und ihm seine Verbrechen recht fühlbar machen möge, wenn auch die Menschen ihn nicht mehr erreichen könnten.

Lassen wir nun vor diesem dunkeln Bilde den Vorhang fallen.

Sechstes Kapitel. Ein Armenvater.

Ueberspringen wir einen Zeitraum von einigen Monaten und begleiten den Major Sallen, den nunmehrigen Präsidenten der Direktion, nach der Anstalt „zum guten Hirten".

Es war ein warmer Srühlingstag. Die beiden Kasstanienbäume im Hofe zeigten sich schon im lichtgrünen Blätterschmucke, jubelnder Vogelsang tönte aus allen Hecken und den Bäumen der Hofstatt und fröhliche Geschäftigkeit herrschte in dem sauber aufgeräumten Hofe.

Mehrere größere Mädchen spülten Wäsche im Brunnentroge, einige kleinere jäteten das Unkraut aus, welches seit Langem schon das ursprüngliche Pflaster des Hofes mit einem grünen Teppich bedeckt hatte, sprangen auch wohl zuweilen zu der Tragbahre hin, die am Stamme der Kastanie sstund und auf welcher, durch Kissen gestützt, ein bleiches Kind saß und strickte. Zuweilen schlug es die langbewimperten Augen auf und blickte glückselig umher, dehnte seine schwachen Glieder in den warmen Sonnenstrahlen und lachte mit, wenn seine Gefährtinnen sich neckten.

Unter die Hausthüre trat jetzt eine junge Srnu mit einem Finde auf dem Arme. Ihr Gesicht war nicht eben schön, dazu waren die Züge zu grob, aber es lag in ihnen ein Ausdruck von Gutmüthigkeit, Lebensmuth und Srohsinn, und wenn sie lachte, so flog es wie heller Sonnenschein über ihr Antlitz.

Sie trat zu der Bahre, wo das kranke Mädchen lag und blickte es freundlich an. „Wottisch Neuis, Marieli? “ frug sie, mit der freien Hand die Kissen ordnend. „Lue i ha da im Cheller no en Vepfel funge, wottisch ne öppe ? "

Mariens Augen glänzten. „O gern,“ sagte sie, „Dir fsöllit Dank ha drfür."

„Müetti, mir o-n-e Vepfel," rief das kleinste der jätenden Mädchen, das der Mutter wie aus dem Gesichte geschnitten war.

„Warum nit gar, Züseli," sagte die Frau, sich lachend umwendend, „du bisch ja gung und magsch alli Spys erlyde, un es isch so chranks, schäm di." Dann rief sie zu den größern Mädchen hinüber: „La gseh, es söll mr eis das Ching cho gaume, daß i mit d'r Wösch fechte cha."

Zwei der größern Mädchen sprangen fast zu gleicher Zeit hinzu, aber nur einem von ihnen streckte das Kleine die runden Aermchen entgegen; es war Bertha, die Freundin der kleinen Marie.

Eben wollte die Frau zum Brunnen gehen, als der Major die Gitterthüre öffnend ihr ein freundliches „Grüeß Gott, Frau Vorstehere“ zurief.

„Schöne Dank, Herr Major,“ erwiderte sie und jener Sonnenblick überflog ihr Gesicht. „J sött mi wäger vrexgüsiere, i gseh hüt strub us, mir hei es Wöschli ungerhänds.

„I gseh nüt Strubs an Ech, Frau Vorsstehere. Arbeitstracht wie Dir se traget und Usuberkeit sy zwo ganz vrschiedeni Sache."

„Wenn d'r Herr Major m'r doch lieber nit Frau Vorsstehere sieg, ume gradane der Name.“

„Warum nit," erwiderte dieser, „oder ehnder no Muetter, wie-n-Ech d!Chinder säge. Und üses Marieli heit D’r o chly a d'Sunne use treit, das isch schön.“ Damit wandte er sich zu der Franken: „Lue, Marieli, da schickt d'r my Frau. es Mämumi und öppis für ihm Chleidleni z'mache."

„Vrgelt's Gott, sagte das Kind, und da es, von schwerer Frankheit genesend, noch schwach war, machte sich das Uebermaß seiner Freude in Thränen Luft. Die kleinen Mädchen verließen ihre Arbeit, drängten neugierig sich herzu und wollten sogleich mit der Puppe zu spielen anfangen, aber der Major that diesem Verlangen sofort Einhalt und sagte ernst:

„Nei, Chinder, hüt isch heilige Werchtig, hüt mueß gschaffet sy. Dir syd g'sund und föllet arbeite.! Dann fügte er milder hinzu: „Wenn d'r jiz no recht flyßig syd mit d'm JIäte, wer weiß."

Die Kleinen blickten schalkhaft lächelnd zu ihm auf und machten sich flink wieder an ihre Arbeit.

„Isch Eue Ma dinne, Frau Chräuchi?“ frug jetzt der Major.

„Ja, er isch i d'r Schuelstube, entgegnete die Frau. „Bertha, gang füehr d'r Herr Major yne."

„Isch nit nöthig,“ meinte dieser, „i kenne neue afe d'r Weg.!

Er traf den Gesuchten wirklich im Lehrzimmer, wie er zwei altersschwache Schulbänke zurechtmachte. Es war kein schöner Mann wie sein Vorgänger, im Gegentheil eine vierschrötige Gestalt von Mittelgrösße. Auf starkem Nacken saß ein großer Fiopf mit schlichten, braunen, in die Stirne gekämmten Haaren. Das Gesicht war glatt rasirt und trug, wenn der Mann nicht sprach, keinen besonders geistreichen Ausdruck. War letzteres aber der Fall, dann wurden die großen hellblauen Augen dunkel und sprachen lebhaft mit, während dem breiten Munde mit den weißen Zahnreihen nur langsam und bedächtig im wuchtigsten Berner-Dialekt die Worte entquollen.

„Wie geit's ?“ frug der Major, ihm die Hand bietend.

„Ho, i ha apartig nüt z chlage,“ erwiderte Kräuchi, den Hammer ergreifend. um einen Nagel einzuschlagen. „Z'werche git's gnue, aber dessi bin i gwanet, ume ha-n-i ei Täubi über die angeri vo wege dem Falungg wo vor mr da gi isch. All's het er znüte la gah, d'r groß Herr gmacht, un mit dene Chinge isch er umg’gange, es weiß e ke Mönsch wie. Mit dene Größere isch fasch nüt meh azfah.“

„Das v'’rwunderet mi gar nit, na Allen was i vom Schmelz weiß,“ sagte der Major. „S’isch m'r nume leid für Euch, Was isch da z’mache ?"

He," entgegnete Kräuchi, wenn D'r mi fragit, su säge-n-i das: Vor Allem müeßt m’'r das Mathilde furt; das isch allem Aschyn a grüslig wohl a gsi bi dem Schmelz u het chönne trybe, was's het welle. Das vrfüehrt m'r die Angere, daß fasch nit meh mit ne z'gattige isch. Grad vorhi ha-n-i recht müeße an mi ha, daß i das Meitli nit z'’hert erhaui. Mir hei vorgester am ne Huehn ungergleit und hüt chume-.n-i grad drzue wie das nütznutzig Täschli vor em Nest steit un d'r Glugger d'Eier dännenimmt; zweu het's usgsoffe un die angere het's ume z’rheit us heiterer Bosheit. I ha-n-ihm richtig es paar über e Rügge n g'gäh mit d'm Munizähn, es wird sie allweg bsinne dra; d'r Frau ha-n-is no nit emal geit.“

„Wär nit en anderi Straf villicht zweckmäßiger als das Dryschlah ?“ frug der Major. ,I bi kei Fründ drvo süsch."

„Vrzieht, Herr," antwortete Kräuchi, „das het i sfym Lebe ume z’weni Schläg übercho, drum mache sie jiz villicht Ydruck. I ha scho All's probiert, ha’s z’ Schange gmacht vor de-nAngere, 's ybschlosse, ihm nüt z'esse g'gäh, weder es het mi düecht, es werd geng vrhärteter u vrstockter; das isch d’s erst Mal, daß i's z’ärstem i d'Singer gno ha.“

„Geb' Gott, daß's öppis nützi." sagte der Major. ,I gseh wohl, es laht sich da nit mit Theorie fechte, und d’'Praxis vrstandet D'r scho, iha d s Zutraue zue-n-Ech, Dir werdet wiisse Maß z'ha."

„So viel m'r mügli isch," erwiderte Kräuchi. „Wers Ech recht wär, chönnte m'r jiz no chly d'r Chehr mache u luege was öppe mueß g’reperiert sy churzum. Nit daß i meini, s'müeß All’'s ungereinissch gmacht sy, vrstöht mi wohl, Herr; aber es git Sache, wo nit warte cheu, we me später d'r Schade nit dopplet lyde will."

„I bi grad darfür cho," sagte der Major, „und Unbilligs werdet weder Dir no i vrlange, mir kenne enandere afe." Er bot ihm die Hand, in die Kräuchi ohne viel Worte einschlug.

Während die beiden Männer die Runde machen, wollen wir dem Leser erklären, wie das Asyl „zum guten Hirten“ zu diesen Hauseltern gekonmmen ist.

Der Major hatte sein Vermögen zum guten Theile in Hypothelken auf dem Lande angelegt. Unter vielen andern befaß er auch eine folche auf einem kleinen Gütchen in einer entlegenen Berggemeinde, dessen Besitzer in Geltstag fiel, worauf er als erster Pfandgläubiger das „sseimetli" an die Hand ziehen mußte. Er verwaltete sein Vermögen selbst mit großer Umsicht und so, daß ihm daraus nicht ein Anlaß erwuchs zum Mammonsdienste, sondern zu echt christlicher Liebesthätigkeit. Deßhalb begnügte er sich auch damals nicht damit, durch einen Bevollmächtigten das Gütlein verpachten zu lassen, sondern er reiste selbst Hin und besichtigte es als Kenner. Dann zog er Erkundigungen ein über den frühern Besitzer, und da er ihn als tüchtigen, braven, nur durch Unglücksfälle herabgekommenen Nann schildern hörte, so nahm er ihn gegen sehr mäßigen Zins als Pächter an und es bildete sich in der Solge zwischen ihnen ein recht freundliches Verhältniß. Der Major stand bei einem Kinde seiner Pächtersleute zu Gevatter und als einige Iahre nachher der Mann plötzlich starb, eine kränkliche Frau und eine Schaar unmündiger Kinder zurücklassend, übernahm der Gutsherr die Kosten für die Erziehung seines Pathchens. Als er sich nach geeigneten Pflegeeltern für dasselbe umsah, ward ihm dazu der Lehrer des Ortes empfohlen, der sich zur Verbesserung seiner Besoldung mit der Aufziehung von Kostkindern abgebe.

„Viel luegt ihm zwar nit drby use," sagte ihm der Pfarrer des Ortes, an den er sich um Auskunft gewandt, „drfür het er se z’guet; i glaub es syg meh no e Liebhaberei von ihm; dä Ma ist es Original, aber e chly es grobhölzigs.

„Macht nüt,“ meinte der Major, „wenn er nume tüechtig isch."

Der Pfarrer hatte nicht Unrecht, Samuel Kräuchi war allerdings ein etwas grob zugehauenes Original. Er erklärte sich auf des Majors Anfrage sofort bereit, das Kind in Pflege zu nehmen, forderte aber ein so geringes Kostgeld, daß sich der Letztere aus freien Stücken erbot, noch zuzulegen.

„Das thue-n-i nit." sagte Kräuchi entschieden und in nicht besonders höflichem Tone.

„Dir snd e wunderliche Ma,“ meinte der Major. „Mit dem Chostgeld chönnet Dir das Chind sicher nit i d'r Ornig ha."

„Und Dir syd e wunderlige ßerr," fuhr Kräuchi heraus.

„Chömit luegit, gäb dene Chinge Neuis abgeit.“

Er führte ihn in das kleine Wohn- und Eßzimmer, wo sechs ärmlich, aber sauber gekleidete Kinder um den Tisch saßen und tapfer einem Haferbrei zusprachen, der auf dem Tische stund. Ihre Gefichtlein waren rosig und rein, Alle sahen so fröhlich aus und mit Allen ging die junge Frau, die mit einem Finde an der Brust daneben saß, so freundlich um, daß Niemand errathen konnte, daß viere davon nicht ihre eigenen Finder seien. Das Geräthe des Zimmers trug das Gepräge höchster Einfachheit, ja Dürftigkeit, aber keiner der Hausgenossen schien etwas dabei zu vermissen.

Auf Kräuchi's Geheiß sprangen die barfüßigen Kleinen sofort auf und boten dem Major die Hand.

„Iiz luegit," sagte Ersterer, „zweu vo dene Chinge zahle m'r no minger Chostgeld as ig Ech gheusche ha, u sägit selber gäb ne Neuis fehlt."

„I wüßt nit was," entgegnete der Major. „Dir snd e merkwürdige Mönsch, d'r Erst, wo m'r vorchunt, dä vrdienets Geld zruckwyst."

So kam das Pathchen des Majors in dieses Haus und Letzterer konnte sich nur dazu Glück wünschen. Es hatte eine glückliche Iugend, durfte nicht NTangel leiden, und was es entbehren mußte, that ihm nicht weh, denn es fühlte es nicht. Unablässig zwar wurde es zur Arbeit angehalten, aber die Pflegeeltern theilten mit den Kindern Arbeit und Jost und straften mit Maß und Gerechtigkeit.

Als der Major sich mit dem Gedanken vertraut machte, daß Schmelz entfernt werden müsse und dieser dann flüchtig wurde, fiel sein Augenmerk sofort auf Kräuchi. Er schlug ihn der Direktion vor und diese ertheilte ihm Vollmacht, mit dem Lehrer zu unterhandeln. Es kostete Mühe, bis Letzterer sich bewegen ließ, seinen ihm lieb gewordenen Wirkungskreis aufzugeben; endlich überwogen doch, nicht die Rückficht auf das größere Einkommen, sondern die Aussicht auf ein weiteres Seld der Thätigkeit und die Achtung vor dem Charakter des Majors seine Bedenken, und er entschloß sich, die Leitung der verwahrlosten Anstalt zu übernehmen.

Anfangs hatten die neuen Hauseltern mit Schwierigkeiten aller Art zu kämpfen: die größeren Mädchen zuchtlos und verwildert, die kleinen verschüchtert und verschlossen, mangelndes Geräthe, zerbrochenes Werkzeug, nirgends Vorräthe, der zum Anpflanzen bestimmte Boden im schlechtesten Susstande. Mancher Andere hätte die sand vom Pfluge zurückgezogen, oder wäre muthlos geworden und hätte die Sache im alten Geleise gehen lassen; aber Rräuchi hatte nicht umsonst Iahre lang dem zähen Boden seiner Heimat Srüchte abgerungen und den noch zähern Köpfen der dortigen Jugend Kenntnisse eingetrichtert. Er faßte das Leben nicht als Genuß, er faßte es als Arbeit auf, und jede neue Schwierigkeit entlockte diesem Stahle neue Sunken von Kraft und Energie. Langsam zwar war sein Sortschreiten, aber es geschah mit einer Zähigkeit und Ausdauer, der auf die Länge nichts zu widerstehen vermochte. Er sprach wenig, lachte selten, mit Tadel und Lob ging er äußerst sparsam und vorsichtig um, Schläge kamen nur in Ausnahmsfällen vor. Dennoch fühlten die Söglinge bald, daß ein eiserner Wille sie beherrsche, der jeden Widerstand zu beugen und zu brechen wisse.

Frau Kräuchi, „die Mutter", wie sie vom zweiten Tage an von den Mädchen freiwillig genannt wurde, stand neben ihrem Gatten wie der lachende Maitag neben dem trüben Herbsstabend. Blühend wie eine Rose, fröhlich und zum Scherze geneigt, schien sie mit dem Leben nur zu tändeln und ernste Arbeit ihr fremd zu sein. Blickte man aber in ihren Wirkungskreis hinein, so fragte man sich verwundert, wie die Frau mit ihren kleinen Findern und der ungeübten Hülfe dieß alles zu leisten im Stande sei. Sie besaß die seltene Kunst, die Kinder zur Arbeit anzuhalten, so daß diese ihnen wie ein Spiel vorkam. Sie spornte ihren gegenseitigen Wetteifer an, gab ihnen Aufgaben, und wenn sie dieselben zu ihrer Zufriedenheit gemacht hatten, erhielten fie ganz kleine Belohnungen, ein Stücklein Brod, ein wenig Milch oder Brei, ein kleines Bildchen, oft auch nur ein anerkennendes freundliches Wort. Die Herzen ihrer kleinern Zöglinge schlossen sich ihrem holden Wesen bald auf, sie arbeiteten ihr zu liebe fast über ihre Kräfte, so daß sie mehr verrichteten als die größern, die mit wenigen Ausnahmen nur mit Strenge zum Gehorsam und läßiger Arbeit gebracht werden konnten.

Beide Gatten ergänzten einander in herzlicher Liebe, die zwar selten in Blick oder Wort, desto mehr aber in unbegrenztem Zutrauen, gegenseitiger Achtung und in ihrem friedlichen gemeinsamen Schaffen zu Tage trat. Ihre Kinder waren in Allem den Zöglingen gleichgehalten, sie theilten ihre Nahrung und mußten, so jung sie waren, gleich jenen überall mit angreifen. Lob oder Tadel der lachenden Mutter, des ernsten Vaters wurde ihnen mit größter Unparteilichkeit gespendet.

Allmälig gewann die Anstalt ein ganz anderes Aussehen. Kaus und Hof wurden von Grund aus gereinigt, Kleider und Wäsche geflickt und die Pflanzungen sorgfältig und zu rechter Zeit bestellte. Der Major nannte seine fast wöchentlichen Inspektionsbesuche seine Erholung und die Direktion wünschte sich Glück zu der Wahl des neuen Vorsstehers.

„Oeppis höflicher zwar chönnt er sy," meinte eines der Mitglieder. „I ha letschthin mit myne Töchtere i üser Anfstalt e Bsuech gmacht, und statt eim aständig z'epfah, wie's d'r Schmelz so guet vrstande het, isch my Monsieur ganz g'lasse i sym Herdöpfelplätz bliebe. I ha ne du natürlich la rüefe; i hätt gern myne Töchtere es schöns Lied la singe, wie's ja früecher geng dx Bruuch isch gsi, wenn d’'Direktionsmitglieder d’Anstalt bsuecht hei; aber was het m'r d'r Herr gantwortet was glaubet D'r? Das vrsuumi z’lang, sie heige jiz nit Zyt. Iiz frage-n-i-n-Ech? ~ Und wo-rn-i du so vrstuunet gsi bi über fettigi Maniere und nit grad Oeppis druf gseit ha, fragt er du no: „„Oder möcht d'r Herr no öppis Angers mit m'r? D’Arbeit pressiert."n Das isch m’r doch du z'viel gsi. Nei, guete Fründ, ha-n-i-n-ihm du gseit, ganget Dir wieder zu Eue Herdöpfle, und bi myner Wege g’gange. I ha’s d' m Major erzellt, wie s m’r g'gange snyg, aber dem schmöckt me d'r Stall o chly a, er het nume glächlet drzue, denket !

Am glücklichsten bei diesem Zustand der Dinge war unsere arme Marie. Man hatte sie am Tage nach des Doktors Besuch in der Anstalt in den Spital gebracht, wo sie viele Wochen lang blieb, bis der Arzt erklärte, was seine Kunst vermöge sei nun geschehen, ganz heilen könne er sie nicht, sie werde stets lahm bleiben, aber zur Stärkung bedürfe sie guter Pflege und der Landluft, müsse auch den Spital nächstens verlassen. Während man sich darüber berieth und in Verlegenheit war, was mit ihr anzufangen sei, besuchte Bertha mit des Vorstehers Erlaubniß ihre kleine Freundin, und diese erzählte ihr, was der Doktor gesagt und wie sie nun bald auf's Land kommen werde.

„Wieder i d'Anstalt ?" frug Bertha.

„J weiß's nit," entgegnete Marie. „Sie hei nüt drvo gseit."

„O i wett," sagte Bertha mit glänzenden Augen. ,S'*isch jiz ganz angers als früecher, mir hei's viel besser, we mtr scho meh folge miüeße,'

„Ja," sagte Marie kleinlaut, „aber i cha wäger nit i d Anstalt, i cha nit viel mache und müeß no lang geng liege, seit d’Schwester."

„Du würdisch allweg bal wieder gsung dufse,“ meinte Bertha; „i wett scho zue d'r luege.“

Bald darauf trat der Vorsteher eines Tages in's Arbeitszimmer des Majors. Dieser blickte überrascht auf , denn Firäuchi war eine seltene Erscheinung in der Stadt.

„Was bringt Ech Guets ?" frug er, ihm die Hand reichend.

„Ho, aparti Guets bringt mi nüt," entgegnete der Vorsteher, sich langsam und schwerfällig auf den ihm gebotenen Stuhl niederlasssend. „I hätt’ Ech ume welle cho ga frage, was D'r mit dem chranknige Ching im Spittel wellit. Sie brichte Neuis drvo, es sött ufs Lang ufe, und grad ebe bin i selber by-nihm gsi un ha’s so gschauet, un es het mi düecht, mir wette emel probiere mit ihm i d'r Anstalt. Es isch es styfs heiters Meiteli und wenn ihm öppe recht gluegt wird, cha-n-es einisch nüsti sy 5 Brod vrdiene."

„Ja, Chräuchi,“ erwiderte der Major, „mir thäte's wytus am liebste zu Euch, aber mir hei-n-Ech nüt drvo möge säge; denn wüsset D'r, was D'r Ech drmit ufladet? Das Chind mueß no wuchelang liege, darf nit stah und nit gah und mueß pflegt sy wie-n-es chlyhs Chind, wenn's überhaupt wieder zwegchunt."

„D'Abwart het m’r das neue brichtet," sagte Kräuchi bedächtig, die Arme auf die Schenkel gestützt; „weder es düecht mi nüüssti, es sött zmache sh, wenn öppe es styfs chlys Brügiwägeli un e schickigi Matratze z'übercho wär, daß me's drmit chönnt ume un ane büre, s’Selb wurd si de scho mache. Richtig mit d'r Spys müeßt me-n-ihm borge i d'r erste Zyt, bis's öppe chly erstarchet wär."

„Dir thüet e Gottslohn, wenn D'r's übernehmet, Chräuchi," erwiderte der Major.

„Für's Selb isch's si scho d'r werth, fi e chlyseli z’lyde, und de schadt es dene gsunge Chinge nit es Bröszmeli, we sie si scho mit dem chranknige e chly gmühje müeße u nit geng ume a seie selber sinne cheu."

„Und Eui Frau, was seit de sie drzue?“ frug der Major. „Sie wird am meiste Last und Plag ha mit dem Chind."

„Darfür heit e ke Chummer, Kerr,“ erwiderte der Vorsteher. und es war als ob ein Cichtstrahl in sein Auge falle. „Was i mache, isch Vrenelin recht."

„So isch es also abgmacht. Vrgelt Ech's Gott a Eui eigene Chinde, Chräuchi, was D'r a dem chrankne thue weit."

„I thue nüt as my Schuldigkeit, Herr. En Armevater het einisch gar es großes Vrspreche vor Gott, meh as en angere Mönssch, u wer's si will la wohl sy i d'r Welt, söll d'Singer da dänne ha. U jiz bhüet Ech Gott," fügte er bei, indem er aufstand, „nüt für unguet, daß i gstört ha."

So kam dann Marie zurück in die Anstalt und fand dort eine Pflege, wie man sich dieselbe nur wünschen konnte. Die Hauseltern selbst trugen sie an schönen Tagen in's Sreie und machten ihr an Regentagen in der Wohnstube ein Lager zurecht. Selbst in der arbeitsvollsten Zeit wurde sie nie vernachläßigt.

Siebentes Kapitel. Rachsucht und Treue.

Kräuchi schien das Rechte getroffen zu haben, indem er N Mathilde Brand mit Strenge behandelte. Das Mädchen führte fich besser auf, wurde plötzlich freundlich, fast zudringlich, besonders seit zwei ihrer Genossinnen, mit denen sie stets „zämegspannet" hatte, eine anderweitige Unterkunft gefunden und die Anstalt verlassen hatten. Auch in Bezug auf Mathilde hätte der Vorsteher dieß lebhaft gewünscht, aber ihre Mutter war längst gestorben, der Vater, ein übelbeleumdetes Subjekt, trieb sich vagabundirend im Lande herum, und die arme Berggemeinde, der sie angehörte, hätte jedenfalls nicht besser für sie sorgen können. Zudem sollte sie auf nächste Ostern konfirmirt werden, und so willigte Kräuchi, obgleich widerstrebend, ein, sie bis zu diesem Termine zu behalten.

Dieser Entschluß wäre ihm noch weit schwerer geworden, wenn er gehört hätte was Mathilde den zwei Gefährtinnen beim Abschiede sagte: „Gäht de Achtig, dir ghöret bald Oeppis vo nrr; i will scho mache, daß i o us der Chräze use chume."

Der Vorsteher hatte des bösen Beispiels wegen, das von jenem Kleeblatte ausging, dasselbe in abgesondertem Raume schlafen lassen und auch tagüber möglichst von den Andern ferne gehalten; als es aber mit Mathilde fich zum Besssern wandte, wurde diese Beschränkung mehr und mehr aufgehoben und sie durfte endlich auch wieder das allgemeine Schlafzimmer ihrer Gefährtinnen theilen, während die kranke Marie unten in den Wohnräumen ihr Lager hatte, wo sie leichter verpflegt werden konnte.

Einem gewitterreichen Sommer folgte ein nasser, kalter Ferbst und in die wenigen schönen Tage drängte sich ein Uebermaß von Arbeit, so daß der Vorsteher über jedes Paar Hände froh war, das sich regen konnte. Die junge Lehrgehülfin, welche die Direktion im Srühjahr angestellt, war im Laufe des Sommers erkrankt und ausgetreten und die Stelle bis dahin nicht besetzt worden.

Die Wintervorräthe mußten eingesammelt, das Obst besorgt werden, die große Fauszwäsche stund vor der Thür. Auch wollte Rräuchi vor Beginn des Winters noch das Gartenland neu eintheilen, da die beinahe kniehohe Buchseinfassung, eine Pflanzstätte der Schnecken, den Gewächsen Schaden brachte. Abends gab es immer Obst und Gemiise zu rüsten und meist war es zehn Uhr, wenn nach gehaltener Andacht die Kinder müde und schläfrig die Ruhe suchten und der Vorsteher die beiden Hausthüren abschloß.

So that er auch eines dunkeln Abends zu Anfang des Oktobers, dann Fsetzte er fich zum Schreibtische, um Rechnungen in Ordnung zu bringen, und erst spät suchte auch er die Ruhe, die er, obgleich müde von der Tagezarbeit, nicht gleich finden konnte. Es beunruhigte ihn, daß Mathildens Vater sich in der Nähe hatte blicken lassen und heute hatte ihm eines der Mädchen gesagt, „e strube Ma stang bim Wöschhuus un er un d’s Mathilde redi zsäme.“ Als er aber der Sache nachforschen wollte, war der Mensch verschwunden, und Mathilde läugnete rundweg, mit Jemanden gesprochen zu haben.

Eine so kräftige, gesunde Natur wie des Vorstehers läßt aber der Sorge nie lang Spielraum; nach kurzem Gebete überschlich auch ihn der Schlaf, während der Nordost um das alte Haus heulte und Eingang zu finden suchte.

Was sind denn das für dunkle Gestalten, die um das Gebäude hufchen, bald hier, bald dort auftauchend im ungewissen Lichte des NTondes, der zuweilen zwischen den vorüberjagenden Wolken hervorschimmert? Was ist das für ein Seuerschein, der hin und her flackert, bald auf der obern Laube, wo sSlachs und Hanf, von der Rooße kommend, in Bündeln aufgehängt, des Brechens harren, bald im Holzschuppen, der von dem Peristyle des ehemaligen Herrenstockes abgeschnitten wurde, als derfelbe seiner jetzigen Bestimmung dienstbar gemacht und der Estrich zum Schlafsaale umgewandelt ward?

Bald flackert die Slamme auf, hier, dort, an drei Orten zugleich, der Sturm bläst sie zum Seuer an, es prassselt, knistert und leckt an den Sparren des Daches. Vor dem hellen Lichtschein, der auf die Umgebung des Hauses fällt, ziehen die dunkeln Gestalten, eim Mann und ein Weib, sich hinter die Bäume der Hofstatt zurück, die den Hügel hinansteigend an den Wald grenzt.

„Herr Jeses, Fürio !“ rief die Hausfrau, von dem grellen Lichtschein erweckt, der ihr in die Augen fiel. „D's Huus brönnt, stang uf Ma, los wie's chräschlet !“

Eines Satzes sprang der Vorsteher aus dem Bette. „Weck die Ching,“ sagte er, während er hastig die nöthigsten Kleidungsstücke anzog. „Göht is Wöschhüsli, vor em ne Rung thuet's ech dert nüt; i gah ueche zu dene Meitlene.'

Drei Stufen auf einmal übersspringend eilte Kräuchi die beiden Treppen hinauf, von denen die obere hölzern war. Schon kam ihm oben Rauch und ein verdächtiges Knistern entgegen. Er stürzte in den Schlafsaal, die Kinder waren erwacht und liefen erschrocken hin und her, aber nur wenige von ihnen dachten daran, sich anzukleiden.

„Gschwing, gschwing legit d's Nöthigste a, Ching l" rief der Fausvater und eilte dann die Dachlucken zu schließen, deren Eisenbeschläg schon ganz heiß war. Dann trieb er die Kinder vor sich die Treppe hinab, die Kleinsten hebend und tragend, und die Größern anweisend, aus den im untern Gange stehenden Kleiderschränken jedes einen Arm voll zu nehmen und nach dem Waschhause zu eilen, das im dichten Schatten eines Nußbaumes etwas abseits gelegen, ziemlich gesichert schien, da der Wind die Slammen in entgegengesetzter Richtung trieb.

Unterdessen hatte das Seuer das ganze Dach ergriffen, Sturmglocken ertönten von fern und nah, die Spritze des nächsten Dorfes war bereits auf dem Platze und ihre Mannschaft bildete mit Hülfe der herbeieilenden Zuschauer eine Eimerkette bis zum Bache hinab.

„Sy m'r Alli hie ?" frug der Hauszvater, mit den letzten seiner geretteten Zöglinge zum Assnle flüchtend, nun erst, da er seine Pflicht gethan, an das Schicksal der eigenen Samilie denkend.

„D’s Marie fehlt ~ und d’'s Mathilde - und eues Züseli !" riefen mehrere Finder durcheinander.

In Sprüngen eilte Kräuchi zur Brandstätte zurück, wo er seine Frau fand, die sich gegen den Spritzenmeister wehrte, der sie nicht mehr in's brennende Haus lassen wollte. Mit leichtem Schwunge schob Kräuchi ihn beiseite und stürzte in's Wohnzimmer, dessen Sensterscheiben schon alle vor Hitze zersprungen waren. Dort fand er Marie in krampfhafter Aufregung fchluchzend und sein kleines siebenjähriges Züfeli an ihrem Lager kniend und sie tröstend: „Nit briegge, Marieli, Vaterli chunt is gwünd bal cho ga reiche.“

„Warum vrsuumst du di da, Züsseli ?“ rief der Vorsteher seinem Kinde zu.

„Müetti het mi gheiße bi Marielin blybe, wil’'s si so gförchtet het," antwortete die Kleine einfach, und glücklich, in kindlichem Zutrauen zum Vater emporsschauend setzte sie hinzu: „Mir het's nüt angst gmacht; i ha wohl gwüßt, daß d'is nit vrgissisch."

Ohne Zeit zu verlieren, lud der Vater das Mägdlein sich auf den Rücken. „Häb di guet,“ sagte er, dann nahm er das kranke Kind auf die Arme und wollte eben die Schwelle überschreiten, als das Gebälke des Dachstuhls bedrohlich krachte.

„Gschwing, gschwing ," riefen die umstehenden Männer. „D's Dach chunt ahe.“

Mit gewaltigem Satze sprang Kräuchi vorwärts über die gefährdete Stelle weg; aber Züseli hatte, durch den Ruf erschreckt, aufwärts geschaut und dabei einen Augenblick vergessen, sich anzuklammern ; durch die Erschütterung des Sprunges hatten seine Aermchen sich vollends gelöst und dicht vor der Schwelle war es zu Boden geglitten. Im selben Augenblicke stürzte das brennende Gebälke herab – ein Schrei ~ und das holde, tapfere Rind lag erschlagen zu des Vaters Süßen unter flammendem Grabhügel, und wie Grabgeläute klang das Heulen der Sturmglocken.

Ein lichter Streif im Osten verkündete den Kampf, den die aufgehende Sonne des Herbstmorgens mit dem Nebelmeer begann, das sich wie eine dichte Decke über die Bläue des Himmels gelegt hatte. Der Sturm war vorbei, kaum bewegte ein Windhauch die wie gekocht herabhängenden Blätter der umstehenden Bäume. Das Gemäuer des Hauses stund geschwärzt und rauchend da, der Spritzenmeister der Dorfspritze, die die Nachtwache auf der Brandstätte übernommen , richtete das Wendrohr auf iden glimmenden Trümmerhaufen, der den Zugang zum Hause versperrte. Rings umher halb verkohlte Bettstücke, aus denen die vergilbten Sedern hervorquollen, geschwärzte Schränke, zusammengebrochene Bänke und Stühle, von der Hitze verbogener Seldwerkzeug ~ ein grauses Bild der Zerstörung.

Vor dem Waschhause stund eine Gruppe der armen Kinder, theilweise nur leicht gekleidet, bleich, zitternd vor Kälte und Schreck, die meisten weinend.

„Mi het m'r gseit, s'shg eis von ech im Süür bliebe; s'wird doch nit wahr sy?“ frug der Major , der soeben vom Dorfe herkam.

„Wohl, d's Züseli isch dinnebliebe,“ antwortete schluchzend eins der Mädchen, und als der Major nicht zu wissen schien, wen es meine, setzte es hinzu: D’s Züseli Chräuchi."

„Doch nit das lieblich blund Meiteli, wo m’r geng so fründlich isch cho d'Hand gäh ?" rief der Major.

„Wohl ebe das," meinten die Kinder.

„Myn Gott, was für-n-es gräßlichs Unglück!“ rief der Major tief erschüttert. „Wo sy d'Huseltere? Da inne?"

„D’Muetter wohl, aber d’r Vater isch dert,“ sagte eines der Finder, mit dem Singer auf die Brandsîtätte zeigend.

„Dir werdet no nüt Warms gha ha dä Morge, daß d'r so blau und vrfrore uszgseht ?" fuhr der Major fort.

„Nei,“ erwiderte Eines, „d'Muetter ma nüt as pläre, es schüttet se überall."

Wie von einem Herbîtreif geknickt, ein Bild des Iammers, traf der Major die sonst so lebensfrohe Frau. Sie saß in einem Versschlage hinter der Waschküche, umringt von den ihr noch übriggebliebenen Kindern. Ihr zur Seite saß Vreneli, ihr ersstgebornes Mägdlein, des Vaters Ebenbild , dessen rothgeränderte Augen vor Müdigkeit fast zufielen, nebenbei auf einem Deckbette schlummerte der fünfjährige Iakobli und der kleine krausköpfige, dunkeläugige Hannesli lag schlafend ihr im Arme, während sie mit der Hand die Schürze vors Gesicht hielt. Faum konnte sie vor Schluchzen den Gruß des Majors erwidern und mit abgewandtem Gessichte reichte sie ihm die Hand.

„Gott het Ech furchtbar schwer heimgsuecht, Frau Chräuchi," sagte er, eine Thräne trocknend, die ihm unwillkürlich in's Auge trat. „Em ne Mönsch isch es unmüglich, Ech welle z’tröste bim ne settige Unglück; mir chönne nüt als briegge mit Ech und bete für Ech und Gott wird das Leid an Euch und Euer Samilie so segne, dasßz D'r ihm villicht no drfür danke chönnet, wenn's Ech jiz scho fast Herz abdrückt."

Frau Kräuchi brachte keinen Laut der Erwiderung über die zitternden Lippen, ein schwacher Händedruck und erneuertes Schluchzen, das aus dem gequälten Mutterherzen hervorbrach, war ihre ganze Antwort. Der Major verstand sie gar wohl: er ktißte das halb schlafende Vreneli und verließ leise den engen dunkeln Raum.

Draußen neben dem großen Herde der Waschküche fand er Marie Srank auf einem Haufen geretteter Kleider, mit einem alten Asschentuche zugedeckt, in fieberhaftem Schlummer, aus dem sie zuweilen schreiend emporfuhr.

„Chinder, chönnet d'r füüre ? Heit d'r Holz?“ frug er die umherstehenden und sitzenden Kinder, die in allen möglichen Stellungen Erschlaffung, Müdigkeit und Sroft blicken ließen.

Die Aussicht auf ein Srühstück belebte die gesunkenen Lebensgeister wieder. „Sütire cheu m'r scho, warum nit," riefen Mehrere zugleich ; „aber mir hei ke Gaffee, ke Milch u susch nüt."

„Was s'Selb isch, Gaffeebulver hätt’ i neue da e chlyseli,“ sagte ein gebeugtes Mütterchen, das foeben unter die Thüre trat, u Milch bringt Brunne-Sritz es Chessseli voll, u Brod ... ."

„Das chönne zweu von ech bim nächste Beck ga reiche, da isch Geld,“ ergänzte der Major. Dann sich zu der Alten wendend: „Weit Drr hie chly luege, und sobald D’'r öppis Warms heit, für d' Frau Chräuchi und ihri Chinder sorge ?"

„Grad ebe drfür bin i uehecho,“ antwortete BachbodenBäbi, die nächste Nachbarin, denn ihr und ihrem Manne gehörte eine der Hütten im Thalgrunde nebst genug Land, um einige genügsame Ziegen und Schafe nothdürftig am Leben zu erhalten. „Mynelis Trost ja, da wei m'r nüsti scho luege. ~ Gäht die Spöhn da, Meitleni ~ es brönnti ja scho ~ jiz wei m’r Wasser uberthue. – Mynelis Gott ja, das wei mr scho mache, bruuchit ume kei Chummer z’'ha, Herr. Da thüe m'r. . .

Als der Major sah, daß Alles im Geleise war, schritt er mit raschen Schritten der Brandsstätte zu; es drängte ihn, dem edlen Manne zu danken, der die Rettung der ihm Anvertrauten um so theuren Preis erkauft hatte.

Er kam zu einem erschütternden Auftritte. Kräuchi hatte soeben mit Hülfe der Löschmannschaft und einigen Nachbarn die blutigen und halbverbrannten Ueberreste seines Kindes aus den Trümmern hervorgezogen und auf ein Brett gelegt. Er war kaum zu erkennen. Haare und Augenbraunen waren versengt, das Gesicht und die Kände trugen Brandblasen und ein schwarzes Hemd umhüllte den zusammengesunkenen Oberkörper.

Als der Major zu ihm trat und keines Wortes mächtig ihm nur die and reichte, machte Kräuchi eine gewaltige Anstrengung, um zu sprechen: „Der Herr hat's geg." Dann erstarb seine Stimme, die Lippen bebten und zwei große Thränen, vielleicht die ersten seines Lebens, rollten herab über sein vom Schmerze wie versteintes Gesicht.

Unwillkürlich hatten die Umstehenden die Mützen abgenommen, die Hände gefaltet und Jeder sprach andächtig ein leises Gebet. –} Dann zog einer der Männer seinen Kittel ab und breitete denselben sanft über den unkenntlichen Körper.

„Nit mit is Wöschhüsli," sagte Kräuchi leise, als zwei Männer das Brett aufhoben. „D’Frau gstieng das jiz nit us. Damit schritt er voran nach einem kleinen Blumenkeller, dessen Eingang frei war. „Stellit ume da ab. U du, Rees, gäll du geisch dä Morge zum Tisschmacher wegem ne Todtebaum ? D’s Mäs bruucht er nit cho ga z’näh," setzte er ganz leise hinzu.

„I möcht Ech danke im Name vo d'r Direktion für dä Heldemueth, wo D'r hinecht bewiese heit, Chräuchi,“" sagte der Major: „aber i weiß gar nit was säge angesichts des Opfers, mit dem D'r d'Rettung vo dene frömde Chindere erchauft heit. ÖDott söll und wird Eue Vrgelter sy , mir Mönsche chönne nüt thue als in Ehrfurcht und Liebi Ech d'Hand drücke."

„Laht's guet sy, Herr," sagte Kräuchi abwehrend. „I ha my Pflicht tha; hätt' i's angers gmacht, su wär i e Schuft gsi; daß es mit Züselin so g'gange isch, isch Gottes Wille gsi, es wird ihm ume dest wöhler sy jiz."

„Vater, föllisch cho ga Gaffee näh, Bachbode-Bäbi schickt mi," sagte Bertha herantretend.

„Ma nit," erwiderte dieser, zusammenschauernd vor dem kühlen Morgenlüftchen, das durch die halbverbrannten Kronen der nahen Bäume fuhr.

„Ganget doch, Chräuchi," mahnte der Major, „und wär's nume mir z'Gfalle, mir hei hüt Alli no Chraft nöthig."

Der Vorsteher gab nach, und während er ssich erquickte, befah der Major was von Hausrath und Betten noch gerettet worden war. Dann fertigte er, auf einem halbverkohlten Zuber silzend, ein Verzeichniß der nächsten und nothwendigsten Lebensbedürfnisse an, das er durch einen der müßig herumlungernden Buben des Dorfes an seine Frau schickte, mit der Bitte, die Sachen so schnell als möglich zu besorgen und zur Stelle zu senden.

Als er damit fertig war, gesellte sich der Hausvater wieder zv ihm, augenscheinlich etwas gestärkt. Er hatte Gesicht und Kände gewaschen, sein Gang war wieder aufrecht und fest. „S'het m’'r nüsti wohl tha," sagte er, den Rock zuknöpfend, den ihm einer der Männer geliehen hatte.

„Und wie geit's Euer Frau?" frug der Major.

„Sie cha chly schlafe,“ antwortete der Hauszvater, unwillkürlich seine Stimme dämpfend. „Bäbi het se zwängt, es Chacheli Warms z’näh, es het ere i d'r Glättstube es Glieger zweggmacht, und die Ching näh jiz o."

„Und jiz wei m'r denk Chriegsrath halte, was vor Allem gah müeß, gäb das Gschwürm vo gwunderige Cüte da isch," meinte der Major.

„Fe däich wohl," sagte Firäuchi. „Weder, we's erlaubt isch, su hocke-n-i chly ab, d'Scheiche sy m'r neue so gstabelig.n Er zog die Trümmer eines Stuhles herbei und setzte sich, dann fuhr er fort: „Bachbode-Rees het m'r gseit, sie wetti em ne Theel von is Platzg mache dunger in ihrem Hüsli; es sy zweu Stübli un zweu Gade, da wetti sie si zsämelah un is eis vo de Stüblene und die zweu Gade abtrete. – D’Lüt sy brav u sufer," fuhr er nach einer kleinen Pause fort, da der Major nicht gleich antwortete; „aber richtig für Alli wär nit Platzg, däich chuum meh weder für üs un öppe die Halbe vo dene Chinge. Was meinit D r?“

„J cha natürlich vo mir us nit grad Ia und Ame säge," entgegnete der Major. „I will so bald als müglich d'Direktion zsämeberuefe und ere's vorbringe, und i zwyfle nit, daß sie drmit wird yversstande sy, s'wird Niemer öppis Gschyders wüsse. Sur die nächste Tage werdet D’r Ech jedefalls mit dem Obdach müeße behelfe. Mir wei’s ga aluege, wenn D’r mitcho möget."

„Warum nit?" sagte der Vorsteher sich erhebend.

„I ha-n-e Ton ghört," begann der Major, während sie den Hügel hinabstiegen, „das Mathilde Brand syg d'Urhebere vo der Brunst. Glaubet D’r das ?“

„S'wird wohl sy," meinte Kräuchi. „I cha nit angers, i mueß ihm's zuetraue, bssungerbar shm Alte, wo i de letschte Tage geng um s' suus ume rodiert isch."

„Aber wie het das Mreitschi z Nacht use chôönne?“ frug der Major.

„Es wird öppe uber d’Laube ab sy, d'r Alt wird dunger gwartet und ihm ghulfe ha. Mir fy gester z’ Abe grusam müed gsi, und d'Frau isch uehe g'gange wie all Abe un het dene Chinge s’Liecht eweg gno, u bal nache mueß es das gmacht ha. Im Huus ifchts nimme gsi, wo's Süür ufg'ange isch, s'Selb ifch usgmacht, u sider ha-n-its mi kem Aug’ meh gseh.“

„Settigi Erfahrunge sy schmerzlich, sowohl für Euch als für üs. Mir vo d'r Direktion hei hie ganz besonders Grund a d'Brust z'schlah und z'säge: Vergieb uns auch unsre Schuld," sagte ernst der Major. ~

„D'Sach gfiel m'r nit so übel," meinte er, als sie zusammen die Hütte besichtigt hatten, ,wenn nume d'r Platz nit so eng wär! Meh als höchstes zeche bis zwölf vo dene Meitschene chönnet D'r unmüglich da underbringe, und wo sölle die andere hi? I denke doch, under dene Umstände lahi es sich nit mache. Villicht weiß doch d'r Eint oder d'r Ander vo dene serre vo d'r Direktion e besseri Uskunft."

„D'r Platzg isch allweg nit groß," meinte Kräuchi; „aber es düecht mi, emel die Halbe vo dene Chinge fötti mr chönne mitnäh, für die angere wett i öppe Platzg sueche d'r Winter dure, daß d'Direktion nit z' viel Chöste hätt. Es wär is doch uchumlig, hie furt z'müeße, mir hei no ordli Herdöpfel im Bode und Oepfel a de Bäume, de sött ufgruumt sy uf em Brandplatz, das mache d Lüt gern vrgebe, we me ne zMüni u z’Abe git, darfür mueß Oepper da sy. Und we D'r Vorhabes syd, wieder z’baue, wär i lieber i d'r Nächtsemi, öppe nit für z'rregiere, aber für e chly zur Sach zluege. Drnebe ha-n-i nüt z'bifehle, i mueß's mache wie die Herre wei."

„Wenn D'r für die andere Chinder Plat; finde chönnet, su will i ja gern Euem Plan d’'s Wort rede," entgegnete der Major. „Die Gründ, wo Dr da afüehret, sy ylüchtend gnue und Dir am erste würdet zs z’büeße ha, wenn d'r Platz nit gnüegti."

Mit diesen Worten erreichten sie die Brandstätte, die wie ein der Plünderung preisgegebenes Heerlager aussah. Schaaren von Neugierigen durchstöberten jeden Winkel und die wachhabende Löschmannschaft brauchte eben nicht die zartesten Ueberredungskünste, um sie von gefährlichen Orten abzuhalten.

Die Kunde, „es syg es Ching vrbrunne," hatte Iung und Alt, Kind und Greis, herbeigelockt. Man hoffte allerwenigstens auf den Anblick eines blutigen Setzens, eines verbrannten Gliedes, und ein Gemurmel der Enttäuschung ließ sich hören, als man keine Blutlache fand und die Brandfîtätte aussah wie jede andere.

„Fei sie's ächtert scho dännetreit?* frug grämlichen Tones ein am Stocke gehender, zitternder Greis seine Schwiegertochter, die mit einem Finde auf dem Arme neben ihm stund, um dem kleinen Geschöpfe möglichst früh den Genuß eines solchen Anblicks zu verschaffen. „Isch de nienefer nüt meh z'gseh, ume wege dem zrheitnige Husrath hätt i m'r de währli d's Muul nit bruuche vrbrönne a dym heiße Gaffeegschlüder."

„Bisch selber d'Schuld," erwiderte die zärtliche Tochter; ,i ha längste z!Morge tischeniert gha, wo du mit dyne Broffle vo Zänge no am erste Bitzli Brod käulet hesch. Allweg werde sie s dännetha ha, Seligs laht me nüssti öppe nit dezumegheie bis d'Sleuge u d'Hüng druff sy. Aber lue, i traue bim Schietz, dert unger äynm Bettstücki sshg Neuis." Und kühn wie ein Heldenweib schritt sie über Trümmer und Graus, mit dem Suße jeden auffallenden Gegenstand umwendend; wer weiß, vielleicht blühte ihr das Glück doch noch! Mühsam humpelte am Stecken der Alte ihr nach.

Bei dem Spritzenmeister stund ein hochgewachsener mächtiger Greis mit tiefgebräuntem Gesicht und vollem, weit in den Nacken fallendem Silberhaar. Als die beiden Männer herantraten ging er auf sie zu und schüttelte erst dem Vorsteher, dann dem Major die Hand. „S’issch d'r ungfellig g’gange hinecht," sagte er zu Ersterm. „Es düecht mi strengs, daß das arm Chingli si dessse het müeße etgelte, was Angeri vrfehlt hei. – Ke nu sterbe müeße m'r Alli un ihm isch es jiz allweg ringer g'gange as später; aber für dy Frau isch es nüsti unerchants gsi, un es wird seie hert gha ha. – Was i ha welle sige, i bi uehe cho für cho ga z'’luege, was dr öppe am nöthigste manglit. d'Dorfgmeind wett o gern Neuis thue, wie's d'r Bruuch isch, un i ha ne anerbote, mit d'r cho ga zrede dessitwege."

„Dir söllit Dank ha zum Schönste für d’s Anerbiete, Statt? halter," erwiderte Rräuchi, „aber s'isch nit a mir, da welle z'bifehle, hie isch d'r Herr Präsident vo d'r Direktion, er cha-n-Ech am beste Uskunft gäh, wo's is fehlt."

Der schöne Greis wandte sich nach dem Major um, der ein wenig zur Seite getreten war, als Ersterer mit dem Vorsteher sprach. „Nüt für unguet, Herr Präsident," sagte er, „daß ig Ech ni bchennt ha, i bi öppe früecher wo Äyne no da gsi isch, nit mängisch i d'’Anstalt uehe cho, er het Uesereim nit viel drna gfragt u so ha-n-Ech no nie gseh.“

„Bruuchet Ech da nit lang z’vrexgüsiere, Herr Statthalter,“ sagte der Major: „i ha Euch ja o.nit kennt. –~ Und jiz danke i-n-Ech im Name vo d'r Direktion für Eui Theilnahm, aber was is am nöthigste wär, dörfe mr chuum säge, s'isch schier uvrsschant.“

„He," sagte der Statthalter, „sägit Dir ume, mir hei ja geng no d'Wehli, Ia oder Nei z'säge, we's is z'uber isch; weder we's chly e Müglichkeit isch, su wei m'r's luege z'mache“,

„Das isch guete Bscheid ,“ erwiderte der Major. „D’Sach ist e so : DDDirektion wird wohl wieder welle la baue, und da meint d'r Vorsteher, es wär guet, wenn er chly i d'r Nächi blybe chönnt, und wett sich dä Winter düre da unde im Bachbode yrichte; aber natürlich chönnt er de derthi nit alli die Anstaltschinder mitnäh und mi müeßt luege, e Theil drvo anderwytig underzbringe. Darfür ha-n-i an Ech denkt; aber wie gseit, es isch schier uvrschant."

„He,“ sagte der „Statthalter, das wurd si scho mache. Srüecher, unger Äym hätt i grad unbsinnt gseit, es gäb nüt drus, mir bigehri die vrwahrlosete Ching nit, aber jiz isch's angers. I will die Sach vorbringe, üssi Gmeind nimmt ech allweg es paar ab, richtig lieber nit grad die Chlynste, we's z' mache isch, die angere astoßede Gmeinde helfe öppe-n-0, u mir wei luege, daß die Ching a rechti Ort chöme, wo sie werche müeße u z’'esse hei, wege Selbem heit e ke Chummer.“

„Aber," sagte FRräuchi, „mir hei no ordli Herdöpfel dusse, wie söll i die mit dene Chlyne usmache, wo ume öppe ufglese u no nie e Charst i de Hänge gha hei ?"

„Darfür plag di niisti nit," erwiderte der Bauer, „,es het öppe e niedere Buur im Dorf e Chnecht, wo.-n-er e Tag oder zwe schicke ha, dadruf chunt es is de notti nit a. Du hesch öppe dys Müglige tha bi der Brunst, s'’hätt nit Mänge zersch a die frömde Ching däicht, gäb a die eigene. ~ U jiz will i hei, gäb's Mittag lütet. Bhüet ech Gott Allisamme," setzte er hinzu und bot den Männern die runde, schwere Hand. Dann sich an den Vorsteher wendend: „Die wo d' nit chumlig lege chasch, cheu ahe cho is Dorf, mi cha ne i d'r Schuelstube öppen:es Olieger zwegmache; i will's em Schuelmeister säge, er cha se ösppe gegen Abe anne cho ga reiche.“

Die Kunde, daß sie getrennt und ein Theil der Zöglinge anderwärts untergebracht werden folle, erregte bei manchem der Mädchen mehr Bestürzung als Freude, obgleich den Sortgehenden ein kaum schwereres, wohl aber leicht behaglicheres Leben wartete als den Dableibenden; es regte sich doch ein Gefühl in ihren Herzen, das ihnen sagte, es sei ein Vaterhaus und ein Vaterherz, welches sie zurücklassen müßten.

„We m'r ume no mit Züselin z’Lycht chönne hätti," schluchzte eins der Mädchen beim Abschiede, „mir hätti scho im Wösschhüsli welle liege bis dennhi."

„He, das wird scho z'mache sy," tröstete Kräuchi; „warum nit, dir heit ja d's Recht d’'rzue.'

Achtes Kapitel. Enge Räume.

Ein prächtiger in süßer Lieblichkeit strahlender Herbstf Z morgen war aufgegangen über der schwarzen Brandstätte. Noch stieg ein leiser Brandgeruch von ihr auf und mischte sich mit dem kräftigen Dufte der frisch aufgebrochenen Ackerfelder ringsum. Die in der Nähe stehenden Bäume senkten trauernd ihre versengten, theilweise noch mit Srüchten behangenen Zweige und krächzend umkreiste eine Schaar Dohlen ihre zerstörten Wohnungen. Der Rasen war weit herum zertreten und geschwärzt, der Gartenzaun theils verbrannt, theils niedergerissen, die Gemüse und Blumen zerstampft, nur in einer sonnigen Ecke blühte unbeschädigt eine Monatrose und neben ihr spreizte sich die gelbe Georgine.

Die tiefe, erhebende Stille ward nur unterbrochen durch die fonore Stimme eines mit Kräuchi befreundeten Lehrers, der inmitten zahlreicher, unter dem weitschattenden Nußbaume versammelter Zuhörer dem blonden Kinde die Leichenrede hielt. Unter dem vorspringenden Dache des Waschhauses stund auf zwei sogenannten „Böcken“ der schmucklose verschlossene Sarg. Daneben saß die bleiche Mutter umgeben von ihren Kindern und lehnte leise weinend das Haupt an die letzte Behaufung ihres Lieblings. Der Vater stund im Kreise seiner Zöglinge bei dem Leichengeleite, an welchem auch die Direktion durch den Major und zwei andere Mitglieder vertreten war.

Die ganze Umgebung, verklärt vom Lichte der herbstlichen Sonne, bot ein so ergreifendes Bild irdischer Finfälligkeit und Trennung, daß es wahrlich keiner großen Redekunst bedurft hätte, um die Herzen der Zuhörer zu rühren. Demungeachtet bot der Redner all seinen poetischen Schwung auf und malte in Bildern, die von Adjektiven überströmten, das entschwundene Glück des Hauses und der Samilie. Dann ging er über auf die opferwillige Treue des Armenvaters, verglich ihn mit Tell und Winkelried, endlich brachte er ihn auch in etwas dunkle Beziehungen zu Zwingli. Während dieser Lobrede konnte der Major dem Drange nicht widerstehen, einen Blick auf des Vorstehers Gesicht zu werfen, er suchte ihn aber vergeblich. Kräuchi hatte sich leise aus dem Hörerkreise entfernt und an das Sußende des Sarges gestellt, wo er sich zu seinem Weibe niederbeugte und ihr einige Worte des Troftes zuflüsterte.

Endlich war die Rede zu Ende, der Kreis löste sich und der Sarg wurde auf das Wägelein gehoben. Die meisten der Leidtragenden nahmen als selbstverständlich an, daß die lahme Marie neben dem Sarge sitzend gleichsam als Siegestrophäe mitgeführt werden würde; aber Kräuchi, allem Gepränge abhold, hatte dieß nicht zugeben wollen. „Das Ching isch ohnihin sit d r Brunst so ufgregt,“ sagte er, „u de chunt es si jiz gar grusam wichtig vor, dem mueß me nit no ga nahehelfe." So blieb Marie zu ihrem großen Leidwesen unter Bäbi's Obhut zurück, während ihre Gefährtinnen, paarweise geordnet, dem Sarge folgten. Hinter ihnen führte Frau Kräuchi mit ihrem ältesten Mädchen den Zug der Srauen an, sie war still und gefaßt, obgleich sie eigentlich der Sitte gemäß beim Sortführen des Sarges hätte in Rrämpfe, oder wenigstens in Ohnmacht fallen sollen. Die Männer mit dem Armenvater und seinen Knaben an der Spitze schlosssen den Zug, der sich das grüne stille Thal hinuntersschlängelte. Durch die klare Luft tönte das Oeläute der Dorfglocke, etwas altersschwach und „schätterig", aber eben deßhalb so ehrwürdig und ergreifend.

„Gott geb dir e fröhlichi Urständ ,“ rief der Todtengräber, als er den Sarg hinabgelassen hatte in das kühle Grab, dann rollten dumpf die Erdschollen darüber, es war die Ehrensalve für das in Ausübung kindlicher Treue gestorbene brave Kind, und wie Iubelgesang der Engel klang der von den Anfstaltskindern am Grabe gesungene Choral : Auferstehn, ja aufersstehn wirst du, mein Staub. Ein Gebet in der Kirche schloß die allen Theilnehmern wohl unvergeßliche Feier.

Zwei Weiber wanderten nach der Beerdigung ihrer Heimat zu.

„Bi froh z’laufe," sagte die Eine, „s'’het mi meineidig a d'Süeßz gfrore, Kolzschueh azlegge für z’Lycht schickt si nüt un i dene Lederschüehlene het me geng chalt. Er hätt s no styf chönne."

„Allweg," erwiderte die Andere, weder er ma brichte was er will, dumms isch es doch gsi vo Chräuchin, sys styf Chingli la is Süüir z’gheie u für was? Für so-n-e Grieggel, wo syr Lebtig nüt Grechts git, un äys hätt e tolli Lehrere g'gäh oder mira no e Nähjere u hätt süchtig Geld chönne vrdiene."

„Was witt," meinte die Erste, „es Mannevolch isch emel geng es Mannevolch, heig's e Chutte a was für eini daß s'well, we'd meinsch, es sng eis gschyder weder s'anger, su isch es no s’Dümmste vo Allnesame. Mi mueß geng zfriede sy mit ne, we sie kener Suufhüng sy.

„Hesch uf my Armi recht ," erwiderie die Andere. „Adie, i gah da ab."

„Adie wohl, lauf nit z’streng."

Wohl sagt der große Dichter: Raum ist in der kleinsten Kütte für ein glücklich liebend Paar ~ aber im Bachboden gab es viele Paare zu versorgen und dazu war der Raum nur sehr klein. Der Hausbesitzer mit seiner Frau und Tochter, dem taubsstummen Mädi, hatte sich die eine der untern Stuben vorbehalten, die andere diente als Schlafzimmer der Eheleute Kräuchi und ihrer Kinder, meist auch als Wohnzimmer der ganzen großen Samilie. Die eine der obern Kammern war der Schlafraum der Zöglinge; reichlich . aufgeschüttetes Stroh mit Leintüchern bildete ihr Lager, zum Zudecken erhielten sie die geretteten Bettstücke; Pflöcke, die der Hausvater in die Wände trieb, trugen ihre Garderobe; ein Schieber, der im Sußboden angebracht war, ließ die Wärme herauf, wenn man ihrer bedurfte. Die Nebenkammer wurde mit einem eisernen Ofen versehen und diente als Schulzimmer, in dem der Fausvater selbstgezimmerte primitive Bänke und Tische anbrachte. Die große Küche mit der „eli“ und dem ungepflasterten Boden war der gemeinschaftliche Speisesaal, auch hier war die geschickte Hand des Vorstehers thätig und errichtete aus Kaminsteinen und Lehm einen provisorischen Herd, an welchem die einfachen Mahlzeiten zubereitet werden konnten. Betten, fFiüchengeschirr, besonders aber Kleider und Wäsche waren in Solge eines Aufrufs, den die Direktion in öffentlichen Blättern an die „bekannte Mildthätigkeit der Stadtbewohner“ gerichtet hatte, reichlich gesteuert worden. Was vorläufig noch nicht verwendbar war, wurde im Waschhausse untergebracht, mitunter ganz merkwürdige Dinge, denen die Brandbeschädigten kaum einen Namen zu geben wußten: „Weiße Kragen und Stulpen, zerrissene Schleier, schadhafte Sonnenschirme, ausgediente Ballröcke vom luftigssten Gewebe, sogar ein Sächer, dann eine wahre Mussterssammlung von Männer- und Damenhüten, Mützen jeder Art, eine Maschine zum Zuckersschlagen, Theeseiher, alte defekte Lichtstöcke, eine außer Gebrauch gekommene Moderateurlampe, ein Briefkasten, dessen Deckel man absägte und ihn so zum Salzfaß umschuf, ein paar gehäkelte weiße Schutzdecken für gestickte Lehnstühle, aus denen die Hausmutter nach langem Besinnen zwei Unterröcke verfertigte. „Settig Lüt chönne Alles bruuche," schien die Losung der großmüthigen Geber bei ihren „Schubladenleereten“ gewesen zu sein.

Kräuchi fragte den Major, was er mit dem in einer Ecke aufgestapelten unnützen Plunder anfangen folle.

„Vrchaufet was D'r öppe chönnet," antwortete ihm dieser, „D’'s Andere würd i vrbrönne; laht’'s nume nit vo de Chindere da ume zaagge, das chönnt böses Bluet mache.“

Kräuchi war herzlich froh, daß die viele Arbeit ihm über die erste Zeit hinweghalf. Seine Frau kränkelte, war wehmüthig und empfindlich, die Söglinge außer Rand und Band. So lange das Wetter es gestattete, schaffte er mit den Kindern draußen, dann, als ein früher Schneefall Alles in's Haus trieb, hielt er Morgens fleißig Schule und an weniger stürmischen Iachmittagen nahm er das kleine Volk mit hinaus, das in den Fiellern des verbrannten Hauses aufgeschüttete Obst zu besorgen und zu erlesen, die Liebesgaben zu ordnen, ja unter seiner Aufsicht und Mithülfe betheiligten sie sich beim Abräumen der Brandstätte und leisteten hier und da leichte Handlangerdienste beim begonnenen Neubau.

Der Armenvater war unendlich erfinderisch in Beschäftigungen, die dem Alter und den Kräften seiner Söglinge angemessen waren. Er schaffte gutes Material zu Holzschuhen für sie an uud besohlte dieselben in den langen Winterabenden selbste. Als im Sebruar die Selder schneefrei wurden, ließ er sie Wurzeln und Kräuter juchen, die Bäbi dann an den Markttagen in der Stadt verkaufte. Das daraus gelöste Geld legte er in eine gemeinschaftliche Kasse zur Bestreitung allgemeiner kleiner Bedürfnisse und zur Deckung unabsichtlich verursachten Schadens. Die Kinder bekamen einen solchen Seuereifer dafür und waren so glücklich an folchen Nachmittagen, daß es als Strafe galt, zu Hause bleiben zu müssen.

Obgleich die Rost nur die allereinfachste war, da auf dem kunsstlosen Herde nur je ein Gericht zu gleicher Seit über dem Sener stehen konnte, so fahen die Zöglinge dennoch alle gesund und fröhlich aus und blieben von Krankheiten verschont. Selbst Marie Srank, nachdem sie den Schreck überwunden, sing an wieder aufzuleben. Frau FKräuchi gab sich zwar Mühe, dem Mädchen den Tod ihres Kindes nicht nachzutragen, aber es gelang ihr nicht immer; desto größere Sürsorglichkeit wandte ihr der Fausvater zu, und sobald ihr körperlicher Zustand es gestattete, nahm er sie mit sich hinaus in die freie Lüft und behielt sie unter seiner ganz speziellen Aufsicht.

So milde indessen glücklicherweise der Winter war, so gab es doch auch wilde stürmische Tage, an denen jeder Ausgang unmöglich war. Solche wurden zur Hausarbeit bestmöglichst ausgenützt, gestalteten sich aber für den schweigsamen Vorsteher zu wahren Geduldsproben.

Salomo sagt: „Wo viele Worte sind, da geht es ohne Sünde nicht ab."“ Aber die fonst so tiefe Wahrheit der Aussprüche dieses Weisen traf bei Bachboden-Bäbi nicht zu. Sie war das geschwätzigste und zugleich das gutherzigste Geschöpf, das je eine Schürze getragen. Wären Kräuchi und seine Frau von anderem Schlage gewesen, sie hätte sich widerstandslos von ihnen ausbeuten lassen.

Bäbi’'s Zunge war ein Perpetuum mobile: sie sprach beständig, wenn nicht mit Andern, doch mit sich selbst; sie erzählte sich Alles, was sie vornahm: ,So jiz will i däich ga choche. - Ifch ächtert Wasser da? ~ Nei, mueß zum Brunne ga reiche. - So, d’s Chesseli wird däich nit leer fh. Mueß es zersch leere“ :c. Wenn Rees, ihr Mann, wie öfters geschah, abwesend war, denn er war Metzger, so hatte sie Niemand, mit dem sie sprechen konnte, da sie der taubstummen Tochter sich bloß durch Zeichen verständlich machen konnte; drum war die Anwesenheit von beständigen Zuhörern für sie eine Quelle der Glückseligkeit und dieß jedenfalls ein gewichtiger Grund, der sie zur Aufnahme der Abgebrannten bestimmt hatte.

Frau Kräuchi fand sich leichter in das beständige Geschwätz der Alten, da diese ein offenes Ohr für ihre Klagen hatte und ihr zu liebe that, was sie nur konnte; aber für ihren Mann war es eine wahre Marter. Im ganzen Hause war kein Winkel, wohin Bäbi’'s schrille Stimme nicht zu dringen vermochte. Hielt er droben in der Rammer Schule und war mitten in der Erklärung eines Abschnittes aus der Kinderbibel, so kicherten die Mädchen, weil Bäbi drunten ihrem Liebling, dem kleinen Hannesli, der ihr immer an der Schürze hing, den .Bölima“" beschrieb, oder ihm den Himmel ausmalte als „e guldige Saal mit em ne Tisch voll Zuckerzüüg u guete Sache und d'r Herrgott sitzi obedra mit ere glitzerige Chron uf em Chopf und d'r Heiland syg grad ungerzueche un ume Tisch ume sygi Engeli, die warti uf u spieli u singi.. Rechnete er droben mit den Kindern die Brüche, so klagte Bäbi, ,jiz svg ihm die wyßi Oybe hüt o no gust g'gange u vo d'r schwarze mäggeli d'Milch e so starch,“ und er hatte Mühe, die Aufmerksamkeit seiner Kinder von der schwarzen „Gybe“ weg auf die Zähler nnd Nenner zu lenken.

Aber erst die langen Winterabende. – Dann versammelte sich Iung und Alt in der Küche, oder, wenn es kalt war, in der Wohnstube. Die Zöglinge nähten und sstrickten unter der Aufsicht der Hausmutter, die kleinen Knaben spielten, Rees lag lang ausgestreckt auf dem Ofen, oder saß auf dem SeuerHerde und qualmte seinen „Murtechabis", Bäbi und ihre blödsinnige Tochter spannen und Erstere erzählte gewöhnlich Hexenund Gespenstergeschichten. Der Vorsteher haßte diese Gespräche um der Mädchen willen sehr und versuchte ihnen ein Ende zu machen, indem er vorlas; aber dieß ging selten lange. Er war kein sehr guter Vorleser und Bäbi unterbrach ihn, so oft sie ein Wort zwischen hinein schieben konnte. Er wußte sich oft nicht anders zu helfen, als indem er die Kinder so früh als möglich zur Ruhe schickte und den Schieber, der im Sußboden angebracht war, vorher sorgfältig verschloß. Er selbst versuchte dann im Lehrzimmerchen zu rechnen oder zu schreiben, aber gar oft störte ihn Bäbi's Erzählertalent auch da. Spasses halber schrieb er einmal nieder, was die Alte drunten erzählte, und wir bitten unsere Leser, es ihnen mittheilen zu dürfen.

„Ja wüssit d'r,“ begann ihre krächzende Stimme, „die Anstalt, wo jiz vrbrunne isch, het früeher zum ne Guet ghört und isch e Herrestock gsi. S'isch grusam e rychi Samilie gsi, het zentume Güeter u Höf u Wald gha. Gwöhnlia sy sie i d'r Stadt gwohnt, aber we sie öppe neuis Gheims gha hei, sy sie hiehare cho. Mys Müetti ~ S'isch letschte Hustage dryßg Jahr gsi, daß mr’s vrgrabe hei, grad d'r Sunde nam Srauetag, s’het schützlig strub Wetter gmacht z'selbissch ~ het mr mängissch brichtet, was das für grusam rych Lüt gsi sygi. Die jungi Wittfrau ~ sie het du sider no zwe Manne gha = fôll bsungerbar e schöni gsi sy, aber uber Alls us en usglaßnigi und allbot syg sie da gsi mit Eim, wo sie lieb gha heigi.

Nu das isch jiz guet, stange-n-ei einisch am Abe vor üsem ßüsli, Ssisch däich öppe Ends Augste gsi ~ weisch Rees, mir hei grad denn es neus Bschüttloch gha la mache - stange-n-i fo u luege gegem Dorf use, s’het mi düecht, Rees suum si so lang, du isch s m'r gsi, wie wenn si Neuis rüehrti uf em Sueßweg, wo vom Stock i Wald uehe geit. Däiche-n-i, muesch doch ga ga luege, was das syg, s'isch scho chly feister gsi, un i gah bis zum Steg ache, jiz düechts mi, es syg e Wybervolch, un es göhj nit, es rütschi ume so dür d'Matte uf, un wie-n-i so stange u d'r Sach nahedäiche, gits e Schyn un das Perfönli, oder was es het möge gs, isch dür e Haag düregschlüffe, u Rees weiß wie dick u bstangnige dä isch, i gsäch myr Treu nit es Löchli drin für-n-e Steichratte dürezstoße, so wahr as i lebe. U de säge no e Theel Lüt, es gäb nüt Seligs, sie glaubi nüt weder was sie gseh u gryfe chönni. ~ Aber i für mi ha gnue gseh = es düecht mi dickisch, es syg no vor m'r zuehe, es wyßlochtig agleits längs Wydbervolch, mit em ne Sunneparisöli, u das isch ech dür dä Faag düregschlüffe, s'het fei so-n-e Schyn g'gäh.“

„U du änefer dem PNaag, hesch nüt meh gseh?" frug Frau Kräuchi.

„He nei," erwiderte Bäbi. „Rees isch du bald nahe vom Wald ahe cho un i frage-n-e du no, gäb ihm Niemeser ebcho ng. ~ une, wer hätt m'r de fölle ebcho ?"" fragt er. ~ He, sägen-i, es heiterlochtigs großes Wybsbild mit em ne Sunneparisöli un em ne schwarze Hüngli; i ha’s gseh dert dür äny Haag düreschlüfe, ja my Seecht wie-n-e Schyn, un es het schier so-n:e Chlapf g'’gäh. Aber Rees isch bsungerbar en unglaubliche Mönsch; i säge-n-ihm geng, es gäb ihm de do no einissch es Seiche, daß er glaube müeß, er mög welle oder nit. – Wenn i's nit selber gseh hätt, wett i no nüt säge, gwünd nit, aber lue, i ha’'s vor m’'r gseh, grad wie du jiz vor mrr sitzisch, Vreneli, es großzlochtigs wyßlächt agleits Wybervolch mit em ne Sunneparisösli un em ne schwarze Hüngli u nebe re yhe isch so-n-e feistere Herr gsi u die sy dür dä Haag düregschlüffe, s'het mi düecht, sie sötti fei so gfloge sy u nache het's e Schyn g'gäh un e grüslige Chlapf. Du bisch du nahe grad heicho, Rees, hesch de nienefer nüt gseh ? –~ Ja dä schloft. Mir wei däich o i s Bett, s'’het scho vor em ne Rung ZSechni gschlage am Zyt. – Ja, we's z selbisch no so feister gsi wär wie hinecht, wett i nüt drwider ha, daß i mi trumpiert heig, aber s'isch bloß so bi de halbe Nüne ume gfi un ufgände Moon. U da han se ja müeße gseh, das großlochtig schön Wybervolch mit d'm Sunneparisöli un em schwarze Küngli, un linggs nebe re dä schwarz Mönsch un rechts wie-n-es Chingli im ne länge wyße Hemli. U wo die dür e Haag düregfahre sy, het's e Schyn g'gäh wie vom ne Süürtüfel un e Chlapf wie us ere Jianunne u gstauche het's, es isch m'r fasch gschmuecht worde."

Bis hieher hatte der Vorsteher getreulich niedergeschrieben, was Bäbi's Phantasie ihm diktirte, nun kam ihm der Krampf in die arbeitsmüden Singer, und auch er fand, es sei Zeit aufzubrechen, da die durch den Haag schlüpfende Gespenstergesellschaft sich mit jeder Minute vermehrte, wie die Geschichte vom Joggeli, der Birnen schütteln sollte, und nur noch Kindermagd und Köchin fehlten, um den Geissterhaushalt vollzählig zu machen.

Neuntes Kapitel. Verschiedene Standpunkte.

Auch der längste und strengste Winter muß endlich dem ä Frühling weichen, und der vergangene verdiente keines diejer Prädikate, wenn es auch der in so engem Raume eingeschlossenen Samilie oft so vorkommen mochte.

Sonnige Tage öffneten die Thore ihres Gefängnisses und lockten sie hinaus zu erfrischender und stärkender Beschäftigung in Garten und Seld. Es gab viel zu thun und jede Hand mußte emsig fich rühren, denn Manches war erst durch den Brand, nachher durch den Neubau niedergerissen und zertreten worden, es kostete Zeit und Mühe, namentlich den Garten wieder in Stand zu stellen. Auf Frau Kräuchi hatte die Beschäftigung in freier Luft den günstigsten Einfluß, ihr müder Schritt wurde elastischer, die blassen Wangen rötheten sich , zuweilen stahl sich wieder ein Scherzwort über ihre Lippen und freundlicher und munterer gestaltete sich ihr Verkehr mit den Ansstaltskindern.

Ihr Mann, der den Winter über mit größter Geduld ihre empfindlichen reizbaren Stimmungen getragen hatte, freute sich in seiner ernsten stillen Weise; Worte machte er keine, Lieb-. kosungen waren seiner Natur zuwider, aber die Arbeit flog ihm nur so aus den Känden, er nahm das Schwerste fast wie spielend auf sich und war nie zu müde, wenn er ihr eine Aufmerksamkeit erweisen, einen Dienst leisten konnte. Betete er bei der Abend- oder Morgenandacht mit seinen Kauzgenossen, so legte er in altbekannte Worte einen Ausdruck und eine Inbrunft, deren man sein hölzernes Wesen nie für fähig gehalten hätte.

Der Neubau der Anstalt war tüchtig gefördert worden den Winter über, bald nach Pfingsten konnten die untern Räume bereits bezogen werden, nachdem der gesteuerte Hausrath darin aufgestellt und das Nothwendige angeschafft worden war. Die Einweihung des neuen Hauses dagegen verzögerte sich noch längere Zeit, da man mit dieser Seier zugleich eine andere verbinden wollte, nämlich die Taufe eines Blut- und Namensschwesterchen Züseli's.

Die Einzelheiten dieses Sestes wollen wir sowohl uns selbst als dem Leser ersparen und bloß erwähnen, daß die Ansstaltsdirektion dabei vollzählig vertreten war, zwei der Mitgleder, darunter natürlich der Major Sallen, hatten sich zu Pathen erboten.

Seit dem Brande schon hatte die Direktion angefangen, Kräuchi's Vorzüge anzuerkennen. Man stieß sich nicht mehr an seinem rauhen Wesen, zog ihn überall zu Rathe und war auf gutem Wege, ihm eben so blindlings zu vertrauen als seinem Vorgänger; selbst der sonst so vorsichtige Major war freigebiger mit Beifall und Anerkennung als er es villeicht selbst dachte. Am Sestttage selbst ward der Hausvater mit Aufmerksamkeit und Lob überschüttet; die meisten Direktionsmitglieder waren ihm von Herzen dankbar dafür, daß sie unter seiner mussterhaften Führung getrost wieder in den bequemen Hausrock des Gehenlassens schlüpfen konnten, ja der Kassier der Anstalt, welcher voriges Iahr den Armenvater beim Kartoffelnsetzen überrascht und ihm gesagt hatte: „Guete Fründ blybet Dir bi Eue Herdöpfle," zog ihn heute bei Seite und bat ihn in höflichstem Tone, doch gütigst sein Amt einstweilen versehen zu wollen, da er eine längere Reise zu machen gedenke und Niemand kenne, dem er dasselbe mit unbedingterm Vertrauen übergeben könne.

„Das wird's chuum gäh, Herr,“ erwiderte Kräuchi in trockenstem Tone. „I danke für d’'s Zuetraue; aber erstes han-i schier nit dr Wyl, wenn i my Sach recht mache will, u de schickt es mr si süsch neue nit u wurd die Herre däich o nit ganz am Ort düeche. I la Seligs lieber a Angeri cho u ha d'Singer dänne; wer weiß, öb's m'r nit o gieng wie Änym, wo vor mr'r isch da gsi."

Der mit dem Major hinausgefahrene Arzt, dessen Bekanntschaft wir bereits gemacht, hatte dies Gespräch gehört, ohne daß die Redenden es wußten.

„Was het ech eigetlich o gege dä Armevater so ufbracht, daß d'r so uf ihm syd und ne absolut vrderbe weit?“ frug der Doktor, als sie beim Heimfahren das Dorf hinter sich gelassen hatten und eine stille, klare Sommernacht ihre Flügel über sie ausbreitete.

„J glaube, du redisch im Sieber,“ erwiderte der Major, ihn erstaunt ansehend. „A öppis eso denkt ja kei Mönsch.“

„Er cha mi doch duure," fuhr der Arzt wie im Selbstgespräche, jene Erwiderung nicht beachtend , fort. „Er isch bis jiz jedefalls e brave Ma und het drfür d'r Bewys gleistet."

„La gseh, Dokter, was isch mit d'r?" rief der Major, ihn am Arme ssrchüttelnd. „Hesch über Ort glade oder es Rädli z viel im Chopf ? Mir hei üse Vorsteher ja Alli gern, mi zeigt ihm's ja, so guet me nume cha."

„Ebe,“ meinte der Doktor in seinem gewöhnlichen sarkastischen Tone, „ebe das isch es. Mi macht ne völlig zum ne Götzebild u betet ne a. Scho währed d'm Winter het's mi dunkt, es gang i d'r Direktion en andere Luft; was me früecher z’weni tha het, thuet me jiz z’ viel, und Die, wornihm am ungünftigste gsi sy, stoße jiz am lütisste i ds Horn, für h Ruehm uzztrumpeete. Und auch du, Brutus, auch du!‘'~

„Aber was hei m'’r de eigetlich o gmacht, das di hüt so i Barnisch bringt, du wunderliche Dokter ?" frug der Major, sich auf seinem Sitze so rasch umwendend, daß ihm fast die Zügel aus den Känden schlüpften.

„Dir laht eue Vorsteher d's groß Wort füehre überall,“ sagte der Doktor; „rvenn er will, so geschieht es; wenn er befiehlt, so steht es da; fyni Meinunge gelte fast wie göttlichi Offebarunge, und Viel vo-n-ech würde's für-n-e Sünd halte, se nächer z’-prüefe und im gegebene Fall Oppofition z’ mache."

„Aber los doch, Dokter, söll me de am ne anerkannt tüechtige, brave Armevater sy Stellung ga erschwere dür-n-es fortwähreds Mißtraue, wo-n-er nit verdienet und das ne kränke und lähme mueß? Und wird es fsfettigs Mißtraue nit auch d’s Vertraue vom Publikum zu üser Anstalt schwäche und undergrabe ?“

„E vrständigi Opposition und e gehörigi Kontrolle isch no lang keis Mißtraue und wird d'Achtung vom Publikum um keis Baar schmälere. E gschyde Ma wie d'r Chräuchi wird se nit schüüiche, denn us d'r Opposition bildet me sich Ansicht und Urtheil und sie isch deßwege viel werthvoller als e bsständigi Zuestimmung. En unparteiischi JFontrolle aber isch für jede brave Angestellte d's Seili, wo d'm Bergstyger um e Lyb bunde wird, es hinderet ne durchus nit i syne Bewegunge, sy Chopf blybt ganz ebe so schwindelfrei, syni Tritte werde deßwege nit ussicherer, im Gegetheil, er gwinnt a Mueth und Zueversicht, er weiß, es cha nit tief abe gah mit m'r, en Andere gspürt mys Salle, und wenn my Chraft z'schwach isch, su hilft mr my Süehrer wieder uf."

„Dys Glychniß ma ganz zuetreffend sy für-n-: andere Armevater oder Angestellte,“ entgegnete der Major, „aber denk, waz d'r Chräuchi für is gleistet und glitte het; er müeßt's bitter empfinde, wenn me ne z’gnau kontrolliere und überwache wett."

„Da bisch ebe uf em Holzweg, Major. D'r Chräuchi isch gschyder als d'r nume denket.“ Und der Doktor erzählte seinem Freunde den Vorschlag des Kassiers, sowie die Antwort darauf. Der Major schwieg lange, in tiefe Gedanken verloren, endlich sagte er: „Du magsch nit so ganz unrecht ha, Dokter; jedefalls sölle dyni Wort nit uf unfruchtbare Bode gfalle sy.“

„I hoffe's,“ antwortete dieser, „und glaub mr, die meiste Armeväter und Beamte, die vrlore gange und ihri Samilie z’ Grund richte, chönne mit vollem Recht e Theil vo d'r Schuld uf d'Behörde werfe, die se hätte sölle beufsichtige.“

Kräuchi’'s Natur war Eichenholz, dessen zähe Saser bis jetzt der Säulniß des überschwänglichen Lobes und Zutrauens widerstanden hatte; aber seine Frau war aus weicherem Stoffe. Sie sonnte sich mit Behagen in dem Glanze der Anerkennung, der ihres Mannes Haupt umstrahlte und auch auf sie und ihre Finder seinen Schein warf. Sie wandte dem Aeußern dieser Letztern mehr Aufmerksamkeit zu, als es vordem geschehen war, kleidete sie besser, ließ sie weniger mit angreifen, soweit dieß hinter des Vaters Rücken möglich war.

Ganz besonders ihr ältestes Töchterlein, Vreneli, war es, dem sie diese zweifelhaften Vortheile zuwendete. Das Find besaß nicht die holde Lieblichkeit und Offenheit seines versstorbenen Schwesterchens; es war, man möchte fast sagen, am Schatten gewachsen. Sein Wesen war nicht lügenhaft und doch nicht aufrichtig, nicht boshaft und auch nicht gutmüthig, Sremde konnten es nicht lieben und nicht hassen; es hatte nur einen hervortretenden Charakterzug, dieß war eine sehr gute Meinung von sich selbst. Es bildete sich viel darauf ein, des Vorssstehers Töchterlein zu sein, und nahm sich gegenüber den „Ansstaltsmeitlene" Manches heraus, was die Mutter ungerügt passiren ließ, der Vater aber nicht geduldet hätte, wenn Vreneli nicht klug genug gewesen wäre, ihre Schliche vor ihm zu verbergen.

Am meisten litt darunter die arme Marie Srank. Ihrer fränklichkeit halber mußte sie mehr zu Hause bleiben als die Andern, die mit dem Hausxvater draußen arbeiten konnten. Da nun auch Frau FKräuchi sie nicht gut leiden mochte, so wurde alles Ungeschick und aller angerichtete Schaden ihr zugeschrieben; wenn man sie auch nicht mißhandelte ~ denn dazu war die Mutter doch zu gutmüthig – fo wurde sie doch oft unschuldig gescholten und von Vreneli beständig geneckt.

Kräuchi hatte viel Arbeit; er war außer der Schul- und Schlafenszeit selten im Hause, so blieb ihm dieser Zustand der Dinge lange verborgen. –~ Einmal aber, an einem regnerischen Samftag-Nachmittag saß er, Hefte korrigirend, im Lehrzimmer, da hörte er nebenan ein halb unterdrücktes Weinen und dazwischen eine tröstende Stimme, die sagte: „Muesch nit pläre wege Seligem, sie het's nit apparti bös gmeint, isch halt taubi gsi, un Vreneli cha grüsli guet schwätze.

Der Vorsteher horchte auf. Unter den Zöglingen war keine, die Vreneli hieß, es mußte sein eigenes Kind sein. Unter Schluchzen erwiderte eine andere Stimme, die er alsbald als die von Marie erkannte:

„Das weiß i ebe wohl u darf mi gar nit wehre, wil mynetwege s'Züseli gstorbe isch.

„Warum, du dumms Maji? " frug die Andere ärgerlich.

„He warum !“ erwiderte Marie. „Sie treit m’r das halt geng no grusam nah, i bin ere dürhar im Weg, d's Vreni merkt das u wenn Neuis z'rheit oder vrdrecket isch, sött i's gmacht ha. Ui, ui, i wett, er hätt mi im Sütür glah." ’ Und ihre Stimme brach in leidenschaftlichem Weinen.

Die Andere sagte: „Lue du vrsüngst di, Marie; red doch nit eso; s’'het ja so sölle sy, süsch hätt er di nit ufebrunge. Und d'Muetter meint’'s währli nit so bös, sie gseht halt am Vreneli e ke Sehler. Im Winter, we d'r Vater meh daheim sy cha, chunt er ihm de scho öppe uf d'Sprüng, zell druf."

Marie weinte immer noch, aber leiser, die verständige Trösterin, in der KRräuchi Bertha vermuthete, ließ aber nicht nach, bis sie sich völlig beruhigt hatte, worauf Beide das Zimmer verließen.

Das Gehörte bemühte den Vorsteher sehr. Ein Anderer an seiner Stelle würde vielleicht sofort sich nach dem Vorfalle ererkundigt haben und eingeschritten sein; aber er hatte die Gewohnheit, empfangene Eindrücke ersst in sich selbst und mit Gott zu verarbeiten, ehe er mit Menschen darüber sprach. Es ist eine überaus kostbare Sache um diese Gewohnheit, in ihr beruht eben jene feste heitere Gemüthsruhe, jene imponirende Mürde, die Hausväter und Hausmiüitter in Wahrheit zu Stellvertretern Gottes macht.

Mehrere Tage lang arbeitete Kräuchi an diesem Eindrucke und ging während dieser Zeit mit besonderer Sürsorglichkeit dem lahmen Mädchen nach. – Endlich eines Abends gab ihm sein Weib selbst Anlaß, sich auszusprechen , indem sie von Vreneli zu reden anfing, seine Gaben, sein besonnenes Wesen pries und endlich nach diesen Einleitungen erst mit dem wahren Jakob herauszrückte, dem Vorschlage nämlich, das Mädchen nächstes Jahr in die Sekundarschule des Dorfes zu schicken.

„So !“ sagte ihr Mann. „Warum ?"

„He,“ antwortete die Frau etwas stockend, „mir söttis doch guet erzieh, un ihn’'s neuis Rechts la leere, daß es einisch sys Mues und Brod chönnt vrdiene."

„U cha-n-es das nit, wenn es hie blybt u bi mir i d'Schuel geit?“ frug Kräuchi ganz gelassen.

„He, s'het doch schöni Gabe, da harn-i däicht . . . ." erwiderte die Frau verlegen.

„Aber die angere Ching hei zum Theil o schöni Gabe,“ sagte der Vorsteher, „un drby meh Slyß weder Vreneli un hei no nöthiger as es neuis Rechts z’leere für ihres Brod chönne z’vrdiene. Wenn my Schuel für üsersch Nreitschi nit gueti gnue isch, so isch sie 's no minger für die arme Ching, wo einissch i d'Welt usegstoße werde u Niemeren hei, wo für se sorget. Das isch öppe nit gar es schöns Zügniß für-n-e Lehrer, wenn er syni eigene Ching nit guet gnue bschuele cha.“

„Aber i ha drum gmeint,“ begann die Frau wieder, „Vreneli chönnt de dist eh Lehrere werde, we's i d'Sekundarsschuel gieng, u de hie i d'r Anstalt blybe, wil m'r doch e Lehrere mangle.“

„Dadrus gits allweg niemale Oeppis; das thue-.n-i nie u wenn üsserssch Vreneli siebezg Mal Lehrere wär," sagte Kräuchi entschieden. „Wenn i re Anstalt meh as ei oder zwo Persone vo d'r glyche Samilie regiere, su chunt das selte guet. Das git de so-n-es Kütt, die arme Ching sy wie vrchauft u de Huseltere chunnt es de gar liecht i Chopf, sie syhge allei Meister uber se. Nei, we's öppis Grechts. git us üsem Nreitschi, chan-es sys Brod unger frömde Lüte o vrdiene, grad so guet as daheime."

Die Frau hatte ihr kleines Kind aus der Wiege genommen, als sie es besorgt und an die Brust gelegt hatte, sagte sie : „Es isch m'r. o nit emal sövli um's Leere, as daß es nit d'r ganz Tag bi dene Meitlene ume sy mueß, es lehrt da mängs Ungattligs, bsungerbar vom Marie Srank; eitwäders zangge sie zsäme oder gäh enangere nüt as Narrewerch a. Das IMMeitli isch m'r uberhaupt zwider," fuhr sie erregter fort; „i wett es chäm m'r us de-n-Auge; we m'r scho Mühj giebe, i cha's fasch nit vrgesse, daß synetwege üsersch Züseli . . . ." Sie vollendete nicht, sondern zog mit der freien Hand die Schürze vor die Augen."

Da trat ihr Mann dicht vor sie hin und richtete den ernsten Blick seiner ganz dunkel gewordenen Augen auf die Weinende. vS'issch m'r recht," sagte er, „daß d' grad selber drvo afahsch. Wenn e Spryße im ne Singer isch, su mueß er ufe, süsch eiteret's und wird e bösi Sach; un grad prezys glych isch es mit d' m Gmüeth, dert müeße d'Spryße o use, we's heile ssöU, un jiz will i doch es Wort da druber rede.

Es het mi schon e Rung düecht, du tragisch's em Marie nah, daß es nit im Süür blybe syg, un mix, daß i’'s ufetreit heig, u das Ching müeß si dessi etgelte. – Iiz was meinsch, isch das recht? -- S'Marie cha nüt drfür, daß es am Lebe bliebe isch, s'Züseli cha nüt drfür, daß es gstorbe isch, un i selber bi o nit d'Schuld, daß i no da stange. Das alles het üse Herrgott eso la gscheh u het em ne Niedere das g’gäh, was er für d’'s Beste funge het.

Uesersch Züsseli tuuscheti wäger jiz nit meh mit dem arme Marie,“ fuhr er nach kleiner Pause, sich die Augen trocknend, fort. „das wird syr Lebelang es arms Trépfli blybe; mir hei das ja gwüßt, gäb m'r's gno hei, un's jiz z'vrstoße wege re Sach, dere es si nüt vrmah, wär bi Gott nit recht. Weder so wie i d'r letschte Zyt cha!s schier nimme gah, wegem Selbem hesch recht, ume suechsch d'r Sehler am lätze Ort.

Vreneli isch ebe nit wie's sh söll, es macht m'r große Chummer, s'’treit ssys Chöpfli viel z Höch u wenn d' ihm geng hängsch un ablosisch, chunt's nit besser mit ihm. Un ihn's dessitwege i d Sekundarsschuel z'thue, wär ume i's Süiür b'blase. Mir wei Vrenelin daheime bhalte un enangere helfe s'unger Ufficht z'ha un ihm d'r Hochmueth nit nahzlah. I will em Marie gwünd nit d's Wort rede, we's im Sehler isch, das vrsprichen-i; aber de trag ihm nüt meh nah u nimm di chly zssäme, mir wei doch nüsti Züselin das nit z’leid thue, daß m'r is lahje usenangere bringe dür sy Tod, da wär ja d'r zweut Schade größer as d'r erst," sagte er in ungewohnt weichem Tone und bot seinem Weibe die schwielige Hand.

Während der Rede ihres Mannes hatte die Frau krampfhaft und schmerzlich geschluchzt, aber Ersterer wollte die Wunde einmal recht ausbluten lassen, damit sie desto sicherer heile. Als er schwieg, entfernte sie die Schürze von dem verweinten Gesichte. Ein Mondstrahl fiel in diesem Augenblicke auf das mit weißem Slaum bedeckte Köpfchen des Säuglings, der in sattem Behagen die kleinen Glieder dehnte, die großen Augen öffnete und die Mutter freundlich anlächelte. Da versiegten ihre Thränen, sie drückte den holden Erfatz für den verstorbenen Liebling an ihr Herz, legte die Band in diejenige ihres Mannes und verband fich ihm damit auf s Neue zu gemeinsamem Streben, zu vereinter gesegneter Arbeit an den eigenen und den fremden Kindern.

Zehntes Fapitel. Die Vergeltung.

Zwei friedliche stille Jahre flossen nun über der Anstalt und ihren Bewohnern dahin. Sie waren sowohl für das materielle Gedeihen der ersstern, als namentlich für die geistige Entwicklung der letztern segensreich und förderlich.

Ganz besonders war dieß bei Marie Srank der Fall, deren bisherige Erziehung einem mit allen möglichen Lappen geflickten Bettlerkeide glich. Diese Zeit ungesstörten Zusammenlebens mit ihren Pflegeltern, welche in vollem Einversständnisse arbeiteten, anbauend und ausbauend, sie wurden für das heranwachsende Mädchen zum unschätzbaren Gewinn.

Wie eine vertrocknete Wurzel, wenn sie in feuchtwarmes Erdreich versetzt und sorgfältig gepflegt wird, in überraschender Schnelle Blätter und Blüthen treibt, so entwickelte sich das verkümmerte Kind äußerlich und innerlich in erfreulichsster Weise.

Obgleich sie etwas lahm blieb und ihr Gang deßhalb kein schöner war, so erblühte sie doch zu einem lieblichen Mädchen. Der feine Kopf von dunkelm, lockigem Haar umrahmt, die großen sprechenden Augen, die rosige Gesichtsfarbe, der anmuthige Mund mit den schönen Zähnen ließen den mangelhaften Wuchs übersehen. Dazu hatte sie ihre ganze frühere Lebhaftigkeit wiedergewonnen und ihr fröhliches, allezeit zu Spiel und Scherz aufgelegtes Wesen verbreitete wie einen hellen Schein um ssie her.

Auch ihre geistigen Anlagen waren entwickelt und ausgebildet worden; sie war eine strebsame, gute Schülerin, wenn ihr auch etwas mehr Ausdauer zu wünschen gewesen wäre. Im Haufe, in Küche und Garten griff sie flink mit an und wußte, wie Frau Kräuchi sagte, „d'r Sach e Gattig z'gäh". Sie war vorzugsweise die Wärterin des Kleinen Züseli, das Find hing mit großer Liebe an ihr und die Eltern vertrauten es ihr ohne Sorge an, sie war zuverläßig und aufrichtig dankbar.

An Stelle der in den meisten Schulen und Anfstalten üblichen Schülerreisen, die unter seinem Vorgänger eine große Rolle gespielt, hatte Kräuchi ein. häusliches Sest eingeführt, das alle ausgetretenen und gegenwärtigen Zöglinge an einem Sommertage in der Anstalt vereinigte. Auf dem Programm stunden: Eine einfache Mahlzeit und Nachmittags bei gutem Wetter ein kleiner Ausflug, bei schlechtem Spiele im. Haufe selbst. Der sonst so einsilbige Vorsteher, der bei der Arbeit nie scherzte und weder Gelächter noch Getändel duldete, konnte an diesem Tage mit den Sröhlichen auf seine stille Weise fröhlich sein, ohne deßhalb im Mindesten an Autorität zu verlieren ; die Zöglinge aber freuten sich auf das Sest, als auf die Krone des ganzen Jahres.

Obgleich dasselbe weniger kostete als vordem die Schülerreisen mit Schmelz, glaubte der Major, welcher des Doktors Lektion sich zu Herzen genommen hatte, doch, Kräuchi um den Grund dieser etwas willkürlich vorgenommenen Abänderung befragen zu müssen und Letzterer verantwortete sich, indem er sagte:

„Lueget, Herr, das isch eso mit dene Schuelerreise: Die mehrste Ching hei ebe ke Nutze drvo und die meist Zyt nit emal großi Sreud drby. Gwöhnlia füehrt me se i die größere Städt, trybt se da wie-n-e Chuppele Schaf d’Gassse uehe un ahe u selte nimmt si eine vo dene Herre Lehrere d'Mühj, ne z’'erkläre, was sie öppe gseh. U wenn ers scho no thuet, su ghöre's nit alli und viel lose nit emal. Uefi Ching sy ebe mehretheils gwanet, so naheztrample u nüt z’gseh u nüt z'schmöcke bis me ne d'Nafe druf uhe stoßt. Die Schuelerreisse sy m'r scho als Lehrer geng zwider gsi; die Ching hei drfür daheime d's Geld müeße erchähre, villicht erstehle, Hei d'Syht vrssuumt u d’Chleider vrderbt, u we me hingerdry gluegt het, für was ? Für OVeppis, wo sie i dr Schuel wöhlfeler hätti chönne leere, nit emal drvo z’rede, daß sie uf selige Reise no Viel gseh, wo sie susch müt drvo gwüßt hätti u seie ume gluftig macht.

„Dessitwege, heit’'s nüt für unguet, Herr, ha-n-i die Reife i d'r Anstalt abgstellt u vo mir us du das Sesstli ygfüehrt. Es bringt ech minger i d'Chöste, die Ching #y gwünd baas drby, un es sschüücht si allveg no Mängs vo dene Usgitretene, si schlecht ufzfsüehre wenn es weiß: I cha de nit as Sestli."

Der Major, welcher wirklich dießmal bloß aus Pflichtgefühl, nicht aus Neigung Opposition gemacht haite, gab sich mit der erhaltenen Auskunft vollständig zufrieden, ja er spendete fortan aus eigener Tasche einen Beitrag zu der Mahlzeit und nahm, wenn es ihm immer möglich war, daran Theil.

Es war das letzte dieser Hausfeste, das Marie als Zögling der Anstalt mitfeiern durfte und daher für sie doppelt wichtig, besonders weil ihre Freundin Bertha, die nach Ostern eine Lehrzeit angetreten hatte und die sie seit Wochen nicht wiedergesehen hatte, auch daran Theil nahm.

Morgens noch trübe und umwölkt, hatte der Himmel gegen Mittag sich aufgehellt und als bei Tische der Vorsteher ankündigte, daß man Nachmittags die Hochwacht, eine nicht sehr entfernte Anhöhe, besteigen und dort Kaffee trinken würde, stieg der Iubel des jungen Volkes auf's Föchste und es nahm sich kaum Zeit zum Essen, um alles Mitzunehmende herbeizutragen und zu vertheilen.

Nun erhob sich aber die wichtige Frage, welches der größern Mädchen zu Haufe bleiben solle, um Bachboden-Bäbi „gaumen“ zu helfen, da man ihr die Arbeit des Aufwaschens und die Hut des kleinen Züseli nicht allein überlassen konnte und Frau Kräuchi bei der RKaffeekocherei nicht fehlen durfte.

Bäbi war zwar lauter Diensteifer und Bereitwilligkeit, verrichtete aber demungeachtet nicht viel, da sie nie klar wußte, was sie eigentlich thun wollte, bald hier, bald dort angriff, Alles wieder liegen ließ und nach etwas Anderm rannte, alle Augenblicke sagend: „Iiz ha-n-i bal vrgesse – Tusig Schieß, was ha-.n-i neue da welle cho ga reiche? ~ E zWVetter, jiz weiß i nimmeh, was i im Sinn gha ha."

„La gseh,“ frug der Vorsteher, „wer wott daheime blybe un Bäbin helfe gaume, daß üsersch Muetterli o mitgah cha? Oeppe du, Marie Srank, du magsch doch nit sauft g’laufe ?“

Wie ein Donnerschlag trafen diese Worte des Mädchens Ohr, sie hatte sich so lang darauf gefreut, diesmal mitgehen zu dürfen; die Thränen drangen ihr in die Augen und bereits hatte sie die Worte auf der Zunge : „A bah, es cha dasmal es Angers daheimeblybe.“ da verwandelte fich vor ihren Augen die Scene wie durch Zauberei: Der lachende Sommertag wurde zur stürmischen Nacht, die Sonne zu Slammen, statt der fröhlichen lauten Geschäftigkeit ringsum hörte sie das Prasseln des Seuers, das Rufen der sörner, und es war ihr, als fühle sie sich wieder krank und matt in den Armen des Mannes, der sie durch's Seuer getragen und ihr Leben mit größerem Opfer als selbst dem seines eigenen vom Tode erkauft hatte. Wie mit Blitzesschnelle ging dieß an ihrem Geisste vorüber; sie fand den Muth nicht mehr, ihm Nein zu sagen, und gewann es endlich über sich, zu antworten: „He ja, Vater, i will scho dablybe."

Wie ein heller Schein flog es über die breiten Züge des Vorstehers; aber er fagte nichts als: „se nu so gaumit de guet.“

Dann brach die jauchzende Schaar auf, Marie sah ihr nach so weit fie konnte und hörte die fröhlichen Töne des Liedes „Im schönsten Wiesengrunde steht meiner Heimat Kaus" allmählig in der Serne verklingen.

Noch einmal wallte die Luft in ihr auf, ihren Gefährtinnen nachzulaufen, aber ein ihr unbekanntes Etwas hielt ihren Suß davon zurück. Sie lehnte das Haupt an den Pfosten der Hausthüre und weinte bitterlich. Was sie am schmerzlichsten traf, war, daß auch Bertha es hatte über's Herz bringen können, mitzugehen und sie alleine zu lassen.

Endlich raffte sie sich auf und ging in die Küche zum Abwaschen. Sie traute ihren Augen kaum, da fstund ja die vermeintlich lieblose Bertha beim Schüttstein, emsig mit Tellern und Schüsseln hantirend.

„Bisch wege mir dabliebe, Bertha? “ frug Marie, ihre Schürze vorbindend.

„Ja," sagte diese, „du hesch mi erbarmet, und de harn-i chlyni Schueh, s'het m'r nit viel gmacht dazblybe.

„Bisch doch es Liebs und es Bravs," entgegnete Marie, deren Sröhlichkeit alsbald wiederkehrte. „I ha di scho im Vrdacht gha, du syngisch o drusgstellt. + Aber Bäbi," wandte sie sich an die Alte, die ab- und zutrug, „trag dä Napf nit wieder yche, hesch ne ja ersch vorhi use brunge."

„S'isch kurlig," meinte diese, „gäb wie-n-i Gschirr useträge, steit d'r Tisch dinne geng ganz präglet voll, luegit da das gspalte Teller han-n-i wäger scho drümal ufetreit u wäger steits m'r dinn allimal wieder vor d'r Nase. Vrzieh m'r's Gott, i glaube emel es syg da Hexewerch drhinger. Wirde mi wohl öppe nit bsegnet ha dä Morge."

„Das isch kes Hexewerch," sagte Marie lachend, „du nimmscch es halt im Vrgeß geng wieder mit yche, was d' usebringsch. “

„Das wird öppe nit sy," entgegnete die Alte. – „Wil ga luege gäb Züsseli erwachet isch.“

„Sider mache m'r hie fertig," sagte Bertha, die Waschgebse ausspülend und umfstülpend , „de göh m'r e chly i Wald uehe mit ihm."

Endlich, eben als die Mädchen die Küche in Ordnung gebracht hatten, erschien Bäbi wieder. „Es schlöfelet no“, sagte sie, „un es isch ja e Süng em ne Ching d'r Schlaf z'breche. Göht ume, Meitleni, aber blybit nit z’'lang. Züseli wott allweg de gern e c1y Wägeli fahre, we's erwachet isch, u göht emel nit z'wyt i Wald yche, s!het si vor acht Iahre oder so dert e Besebinger erhäicht,“

„Dä thuet is nit," sagte Marie übermüthig; „es nähm mi no schier wunger wie-n-er usgsäch.“

„E, e," antwortete die Alte mit aufgehobenem Singer, „chönntisch di vrsünge. Ha d'r gseit, wie's mir einisch g'gange .. . ."

„Chumm doch, chumm," drängte Bertha, „süsch müeße mr no es Halbdotze Gschichte ghöre, eini läntwyliger als die angeri."

„Mir wei chly Beeri sueche für Züselin,“ sagte Marie eifrig, „i ha-n-es Chacheli mitgnoh drfür."

Mira." erwiderte Berlha, „aber mir wei zersch e chly absitze. I d'r Blütti obe im Wald hei mr de im Schwick viel gwunne, d'Sunne ma dert gar schön zueche."

Marie war's zufrieden und die beiden Mädchen setzten sich nahe am Waldsaume auf eine hervorragende, mit dünnem Moos bedeckte Tannwurzel.

Zwischen zwei großen Stämmen hindurch konnten sie, wie in einen Rahmen gefaßt, das stille grüne Thal tibersehen. Der Bach glitzerte in den Sonnenstrahlen wo er sichtbar wurde, und verlor sich dann wieder unter ganzen Büfchen von blauen Vergißmeinnicht und wilder Münze. Der Harzgeruch des Waldes vermischte sich mit dem würzigen, starken Dufte des der Sense entgegenreifenden hohen Grafes und des an der steilen Halde üppig wuchernden Thymians. Tausende von Grillen erfüllten die Cuft mit ihrer eintönigen Mufik, bunte Salter nützten ihr kurzes Sommerleben, von Blume zu Blume flatternd. Zu den Süßen der Mädchen schlüpften Käfer und Ameisen emsig über die Tannnadeln, ihre häuslichen Geschäfte besorgend, während die langbeinige Waldspinne hochmüthig an dem kleinen Gesindel vorüberstelzie. Der Sommertag war voll Licht und Luft, voll Leben, Arbeit und Hoffnung.

„J ha mi recht vrwunderet," begann Bertha, nachdem die beiden Sreundinnen eine gute Weile stillschweigend dagesessen, „daß d’ so gschwind parat gsi bisch daheime z'blybe und nit emal e Mauggere gmacht hesch. I hätt das nit eso chönne. Es dunkt mi o nit recht, i mueß es säge, für d'’Arbeit bisch nit lahm, da weiß me di z'finde; aber wenn’s de es Reisli git, wo doch, weiß Gott, hie i d'r Anstalt selte vorchöme, da heißt's de : Jiz chasch daheime blybe. Oder bisch selber lieber nit g’gange ?"

„Nei das nit, es het mi fasch vrschrisse, daß i nit mit chönne ha," gestand Marie, „und es hätt chuum es Haar gfehlt, su hätt i d'm Vater Nei gseit, aber s'isch m’r gar kurlig g’gange." Sie erzählte nun, was wir bereits wissen und schloß dann : „Es dunkt mi mängisch, es syge zwe Mönsche i m'r. D’r eint möcht d'm Vater und d'r Muetter Alles z’ Gfalle thue, was er cha, am liebste öppis recht Großes, und d'r ander meint, es überschehj ihm, mi sött ihm borge, und er müeß hingerab näh gege die Angere."

„Hüt hesch mi emel duuret," entgegnete Bertha. „Das chäzis Vreni hätt o chönne daheime blybe, was bruucht das d'Nase geng z'vorderist z'ha.“

„Säg jiz nüt meh drvo,“ bat Marie. ,I ha'’s ja freiwillig tha, un es wär nit recht, -wenn i hingerdry druber ging ga brummle un es Wese mache. D'r Vater het's doch eigetlig um mi vrdienet, daß i nit ume geng a mi selber däichi, un wenn's einissch neuis Rechts us m'r git, ha-n-is ihm u d’m liebe Gott z’vrdanke."

Sie hatte ein kleines Moospflänzchen aus dem Grunde gerissen und zerpflückte es langsam, in Gedanken verloren, etwas bei ihr so Seltenes, daß Bertha sie bei den Schultern faßte und ihr verwundert in's Gesicht sah. „Was Guggers hesch, dasßz d’ so still bisch ungereinisch ? KHesch eis vo Bäbi's Unghüürere gseh oder was isch mit d'r ?"

„Nüt Appartigs, aber s'isch m'r hüt d'r ganz Tag so wunderlig im Chopf ; bal meine-n-i, i müeß singe, bal i müeß briegge. I weiß nit, was i astellti, we du nit da wärisch. Aber los, we d’ mi lieb hesch, so säg nüt meh über e Vater. Däich dra, wie's jiz angers isch i dr Anstalt, sit er da isch; u we m'r scho meh arbeite müeße und weniger Sreiheit hei as unger em Schmelz, wett i doch nit gmalet meh so-n-es Lebe füehre, wie m'r's früeher gha hei. Däich dra, wie m' gloge, gstohle, enangere tryschaaget hei u wie-n-er mit üs umg’gange-n-isch. Ihm vrdanke-n-is wäger nit, daß i no lebe; es tschuderet mi fei, wenn i a die Zyte denke. Nei, i für my Theil wirde's em Vater nie vrgessse, was er für is tha het, bsungerbar für mi, un i wett, es gäb e Glegeheit, wo-n-is so recht chönnti zeige, wie's m'r isch."

Sie war aufgestanden, ihr liebliches Gesicht glühte vor Erregung und die allezeit nur mühsam in Zaum und Zucht zu haltenden krausen Kaare hingen ihr in natürlichen Locken in die Stirn.

„Chumm doch nit so in es Züüg yne deßwege,“ sagte Bertha; „i will d'r ja vrspreche was de witt; i ha’s wäger nit bös gmeint gha, glaub’'s nume. ~ Aber chumm jiz ! Wenn d' no beere witt, so muesch enangerenah cho, süsch meint Bäbi, d'r Besebinder heig is d'r Hals umdräiht."

„Da wett i mi doch nüsti no chly wehre, gäb i am Ufgeisste wär," sagte Marie lachend mit ihrer alten Lebhaftigkeit. „Tusig, wo "isch jiz d's Chacheli? O Bertha, lue, du hesch d'r Sueß druf gha, jiz isch es zrheit !"

„Su wei m'r doch das tüners Beere la sy un jiz heigah."

„Nei, das mueß sy. I nime es paar großi Blätter u hefte se mit Chriesnadle zsäme; i ha Züselin vrheiße, i well ihm Beeri bringe."

„Dort unten in der Mühle saß ich in süßer Ruh," sang Marie, obgleich nicht sehr à propos, während sie den Waldpfad hinaufgingen, welcher zu der Lichtung führte.

„Bertha! Maji !“ jauchzte eine helle Kindersstimme den Heimkehrenden entgegen, die ihre Blätterkörbchen sorgfältig in der hohlen Hand trugen und sie jetzt dem Kinde gegen Küsse und Liebkosungen überlieferten. Als Alles aufgespeist war, sagte die Kleine: „Züseli wott Adie gah.“

„Dersch wei m'r Gaffee näh,“ meinte Bäbi, „Züseli isch grusam durstig; dir ssyd lang im Wald obe gsi, dir tillers Meitleni dir. Göht füürit jiz, nache cheu m'r de no vor’'s Huus use hocke bis sie heichöme un i brichte-n-ech de öppe e schöni Gschicht.“

„Ume das nit," sagte Marie halblaut im Hineingehen, „darvor wei m'r luege z’sy."

„Mir wei das Ching e chly i's Wägeli näh un ne etgegefahre," schlug sie nach dem Abendessen vor; „s'macht ja nimme so heiß un isch e kes Wülchli niene."

„Mira su göht,“ antwortete Bäbi, „we d'r doch d'Bei nit still Ha cheut, aber heit grussam Sorg.“

Die Mädchen waren längst mit dem altväterischen, auf Hohen Rädern stehenden Wägelchen unten auf der Straße angelangt, als die Alte noch nicht zu Ende war mit ihren Weisungen und Verhaltungsmaßregeln.

Diese sogenannte Strafze war ein breiter Rarrweg, auf beiden Seiten von Hecken eingefaßt, der weiter thalaufwärts, eine kleine Strecke oberhalb dem Bachboden, eine plötzliche Biegung machte, sich um den Suß eines vorsspringenden Hügels windend.

Um den Heimkehrenden entgegen zu gehen, mußten die beiden Mädchen an dieser Stelle vorbeifahren. Gemüthlich plaudernd schritten sie langsam fürbaß, bald aber wurde dieß der verwöhnten Kleinen im Wägelchen langweilig. „Gschwing, gschwing !" rief sie unaufhörlich.

Um ihr den Willen zu thun, setzten sich die Sreundinnen in Trab und näherten sich eben der oben erwähnten Krümmung, „im Chrump“ geheißen, als ein hoch mit Säcken beladener Müllerwagen ihnen entgegenfuhr, dessen wahrscheinlich betrunkener Lenker sein scheu gewordenes Gespann nicht zu regieren vermochte.

Auszuweichen war nicht mehr möglich; der Weg war gerade an dieser gefährlichen Stelle sehr schmal, auch hielt der Wagen nicht einmal die Mitte desselben, sondern fuhr auf eben der Seite, wo sich die Mädchen befanden.

Diese hätten sich indessen durch einen Sprung auf die andere Seite noch retten können, dann aber war das Kind im Wägelchen dem sichern Tode geweiht.

Bei Bertha siegte die Liebe zum eigenen Leben, in Mariens Herzen dagegen das Gefühl der Dankbarkeit und Pflichttreue. Nicht achtend der eigenen Gefahr, riß sie mit rascher Bewegung das leichte Gefährt unmittelbar vor den Süßen der Pferde weg auf die Seite, im nächsten Augenblicke lag sie am Boden, von einem Kufschlage schwer am Kopfe verwundet, während die Räder des Wagens ihr den einen Arm zermalmten. Vergeblich fuchte der Suhrmann seine Pferde zum Stehen zu bringen, es gelang ihm erst eine gute Strecke weiter unten, als das eine Nad brach und die Thiere sich in die Kecke verwickelten.

Bertha war unverletzt geblieben und stieß, halb besinnungslos vor Schreck, ein durchdringendes Angstgeschrei aus, welches die Bewohner der beiden Hütten im Thale alsbald herbeirief. Unter dem umgestürzten Wägelchen hervor ertönte Züseli's klägliches Weinen, die mit einer leichten Beule davongekommen war und sich in Bertha’z Armen bald beruhigte.

Desto schlimmer stund es um die arme Marie, deren Förper, mit Blut übersströmt, regungslos dalag. Glücklicherweise befand sich unter den Herbeigeeilten auch Bachboden-Rees, Bäbi’s Mann, der alleine in dem jammernden und neugierig zuschauenden Kreise von Srauen und Kindern Geisstesgegenwart und Kaltblütigkeit zeigte.

Nothdürftig verbunden, wurde das verunglückte Mädchen auf eine improvisirte Tragbahre gelegt. Als man es aufhob, entrang ein schmerzliches Stöhnen sich seiner Brust und es öffnete die dunkeln Augen, ängstlich um sich schauend. „Wo isch Züseli?“ frug es mit schwacher Stimme. ~ „Hie, hie; es het ihm nüt tha!“ riefen die Umstehenden, und Bertha legte des Findes lebenswarmes, weiches Händchen ‘an Mariens kalte, blutige Wange. „Gottlob!“ sagte diese, erleichtert aufathmend.

Bachboden-Rees und ein stämmiges Weib übernahmen den Transport in die Anstalt. Derselbe mußte furchtbar schmerzhaft sein für das arme Mädchen, denn es stöhnte bei jedem Schritte, den die Träger machten, und als diese, im Hofe des Anstaltsgebäudes angekommen, sich anschickten, es die Stufen hinauf und in's Haus zu tragen, da bat es flehentlich, „mi söll's doch d'r Gottswille hie usse la sy , d'r Vater trag's de scho i's Fuus, we's sy müeß."

„Warum nit, das cha me ja mache, wie d' witt," meinte Rees gutmiüthig. „I gah jiz no ga d'Geiße ythue; wenn se gmulche ha, chume-n-i de cho ga luege gäb Chräuchi hei syg un gäb i öppe zum Dokter söll. Bäbi cha ungerwyle zu d'r luege un d'r öppe Ufschläg mache un z'treiche gäh.“

Gewiß, das Mütterchen hatte den besten Willen zu helfen, aber sie bethätigte ihn vorerst dadurch, daß sie rastlos und zwecklos herumtrippelte, die Hände zusammenschlug und alle Augenblicke ausrief : „Aber nei, aber nei, was das jiz o fürn-e Sach isch !‘

Dann versprach sie der schwer Leidenden „es Chacheli Warms" und setzte dieß Werk in Gang, indem sie ein Resselchen verkehrt unter die Brunnröhre stellte, endlich schleppte sie Lasten von Bettstücken herbei, um Marie von der feuchten Abendluft zu schützen, bis diese darunter beinahe erstickte und leise bat: „D'r Gottswille, Bertha, mach daß es mi i Rueh laht, u nimm m'r das schwer Dackbett da weg.“

„Bäbi ," sagte Bertha, dem Wunfche der Freundin entsprechend, „Züseli trinkt eso gern Geißmilch und sött Oeppis ha uf dä Chlupf ufe. Wettisch du öppe mit ihm i Bachbode abe? I traue m'r nit, no einisch mit ihm uf d'Straß z’gah."

„Herrje ja, Züseli mueß gueti Geißmilch ha, süchtig gueti, Rees wird allweg jiz gmulche ha," erwiderte die Alte, das Find an die Rand nehmend.

Es war ein köstlicher Sommerabend. Die Sonne, nahe dem Untergange, färbte den westlichen Horizont nicht mit feuriger Glut, nur mit jenem goldenen, sanften Lichte, das im Sommer schönes Wetter zu verkünden pflegt. Die letzten Strahlenblicke der scheidenden Königin zitterten durch das unterste Gecisst des Kastanienbaumes, in dessen Schatten die Bahre stand. Die Blätter, von leisem Abendwinde bewegt, warfen seltsam zuckende Schatten auf das bleiche jugendliche Gesicht mit den großen dunkeln Augen, die starr und weitgeöffnet in den Abendhimmel schauten, als zöge ein Geisterheer an ihnen vorüber.

Wohl mochten die Geister der vergangenen Tage an Marie vorüberziehn, wohl dachte sie vielleicht, wie sie vor drei Iahren als Genefende unter diesem Baume geruht, und wie der Herr seinen Engel gesandt hatte, sie zu erretten aus äußerer und innerer Noth.

Sie hätte diesem Retter so gerne noch danken mögen, ihn noch. mit den Augen gesehen, deren Lider mit jeder Minute schwerer wurden. Wo blieb er nur? Aengstlich fragend sah sie zu Bertha auf : „Chöme sie ächt nit bald hei? Gsehsch se no niene?"

Diese sah die kalte Stirne sich mit Schweißtropfen bedecken, sie hörte, wie die schweren Athemzüge nach und nach in Todesröcheln übergingen, ihr ward es himmelangst. Freudig würde sie in diesem Augenblicke ein Jahr ihres Lebens hingegeben haben, wenn sie damit die sofortige Rückkehr der Hauseltern hätte bewirken können. Unruhig ging sie hin und her, vom Lager der Kranken zu der Gitterthüre des Hofes; nichts unterbrach die Stille als das Röcheln der Erstern und von Zeit zu Zeit ihre schwächer werdende Stimme.

Plötzlich flog ein heller Schein der Freude über ihre entstellten Züge. „Sie chöme, sie chöme!“ rief sie mit neu aufflackernder Lebenskraft.

Bertha strengte ihre Augen an; in der einbrechenden Dämmerung ließ sich in der Serne nichts deutlich unterscheiden. ~ Da, endlich -- das war der schwere, aber eilige Schritt des Vaters. Sie riß die Gitterthüre auf und sprang ihm entgegen. „Vater, Vater!“ rief sie mit fliegendem Athem in abgebrochenen Sätzen, „chumm doch recht gschwind ~ d’s Marie blanget grusam ~ s'isch under ne Wage cho ~ d'm Züseli het's nüt tha, d's Marie het d's Wägeli chönne uf d'Syte zieh ~ drum isch's du überfahre worde, s'cha wäger nüt drfür."

Kräuchi trocknete sich den Schweiß von der Stirne; er war ganz bleich geworden. „I ha's fei gspürt," sagte er endlich, „daß es neuis Ungrads g'gäh het. I ha-n-es Blange aha na Hei, no nie eso. Mir wäri scho vor emene Wyltschi da, aber zweu vo dene Chinge hei fi vrlüffe u das het is vrsuumt. I Ha d'r Frau u de-n-Angere gseit, sie sölli nachecho, u bi gliffe, was i möge ha."

"Marie, Marie, d'r Vater isch dal“ rief Bertha der Freundin zu, die mühsam die Augen aufschlug.

„O Vater,“ sagte sie, „zi ha grufam blanget na d'r. Es het mi düecht, i chönn nit sterbe, wenn i d'r nit no säge chönn, wie-n-i de nit vrgessse heig, was du un d'Muetter a m’'r tha heit un wie.-n-i so gern, ach so gern, ech Oeppis z'Gfalle hätt möge thue u wie m'r das so grüsli leid syg, daß i-n-ech's jiz nit meh erzeige chönn. - Aber gäll, Vater, du glaubsch einewäg, daß es m'r Aersst isch drmit."

Tiefbewegt beugte der Vorsteher sich zu dem sterbenden Mädchen nieder und eine Thräne fiel auf die eiskalte Hand desselben.

„O Marie," sagte er, was hättisch meh chönne thue für is, as üsersch Ching z'rette u für ihns z'sterbe. Du heschts is wäger rych, rych vrgulte, we m'r üsi Pflicht tha hei a d'r. D'r lieb Gott wird d'r's vrgelte."

„Säg d'r Muetter o, i hätt ere no recht welle danke, und sie söll m'r nüt nahtrage, und Allnesame laj i danke. – O i bi so glücklich und so zfriede. ~ Aber, Vater, s wird so feister,“ flüsterte sie nach einer kleinen Weile, ,i gseh di nimmeh, gim m'r d'Hang, daß i weiß, daß de no da bisch.“

Da kniete der Vorsteher an der Bahre nieder und Mariens Hand fassend sprach er langsam die Worte des 23. Pfalms : „Ob ich gleich wandle durch's dunkle Thal, so fürchte ich doch kein Uebel, denn der Herr ist bei mir.“

„Fürchte ich kein Uebel, denn der Kerr ist bei mir“ hauchte die Sterbende fast unhörbar. Dann verklärte ihr Gesicht sich in einem seligen, siegesfrohen Lächeln ~ der Waise hatte sich aufgethan die Thüre des Vaterhauses.

Ende.

II. Versöhnt.
Versöhnt.

Eine stille Sommernacht lag über der Erde. Der Mond sandte sein mildes Licht durch die Zweige der Sruchtbäume eines wohlgepflegten Gartens und einzelne Strahlen fielen zwischen ,.. den üppigen Blättern einer Reblaube herab auf eine alte Frau. Auf dem tannenen Tisschchen vor ihr stand eine Lampe, umschwirrt von Saltern, die sich freiwillig dem Slammentode weihten, zuweilen schoß, angelockt durch den Schein, in schwerfälligem Fluge eine Sledermaus an dem Ausgang der Laube vorüber. Tiefe Stille herrschté ringsum, unterbrochen nur durch das. eintönige Plätschern des Springbrunnens und das leise Schnurren einer schönen großen Katze, die neben der alten Frau behaglich auf einem Kissen ruhte und den armen, thörichten Saltern zublinzelte.

Die Frau Amtsschreiberin ~ wie wir sie nennen wollen, denn alte Frau dürfen wir doch nicht immer sagen - hatte ihr Strickzeug einen Augenblick in den Schooß sinken lassen und horchte aufmerksam auf das Geräusch von Schritten, unter welchen der Kies auf den mondbeschienenen Wegen des Gärtchens knirschte. Im nächsten Augenblicke stand eine jugendlich schlanke Gestalt am Eingang der Laube, trat rasch näher und umfing küsssend die Matrone.

„Myn Trost, Marie, was hesch ? Du brieggisch ja, was het's g'gäh?" frug diese.

Die junge Frau konnte eine gute Weile vor Schluchzen nicht antworten, je mehr sie ihre Thränen zu trocknen bemüht war, desto reichlicher entsströmten diese ihren Augen. Eine Zeitlang ließ die Sragende sie gewähren, dann zog sie sie neben sich auf die Bank nieder und sagte ein wenig ungeduldig : „La gseh, Marie! Die ganzi Nacht wei m'r doch nit da zsämesitze und südere, zell, was hesch, isch d's Buebi chrank oder het's d'r süsch öppis g'gäh ?“

„Ach, Mamma, seufzte die junge Frau, „i darf d'r 's schier nit säge, aber 's het hüt d'r ganz Tag i mrr inne tönt: „Hätt i doch nicht ghürathet!“

„Aber um Gottswille, Marie, du vrsündigisch di! E settige brave, schöne Ma und so-n-e agnehmi Lag! Denk doch o, was d'seisch. Bisch nimme es Schuelmeitschi, bisch e Frau und drzue no e Muetter.“

„J cha d'r nit helfe, Mamma, brav ma d'r Gottfried scho sy, mira o no schön, das isch halt Gschmackssach, aber mit dyr agnehme Lag’ ~ o du güetigi Zyt! Wenn i d'r brichte wett ~*

„Und für was anders bisch de eigetlich cho, Marie?" fragte die Amtsschreiberin in etwas vorwurfsvollem Tone: „So spat am Abe bisch doch nit nume da use gloffe, für daß m’'r enandere gegessytig agränne? La gseh, zell und leer d's Herz, mir wei doch luege, öb da nit no z'helfe syg."

„O Mamma, d’s Gottfried’'s Wunderlichkeite vrbittere m'r völlig d's Lebe. Lue, 's geit über d's Bohnelied! Gester befiehlt er, mi ssl ne hüt am Süfi wecke. – Warum? Das weiß kei blüetige Mönsch, mi wär ja no so froh, wenn er si einisch e chly still hätt. Nu guet, mi weckt ne. Da faht er scho afah brummle, s'syg füf Minute z'spat, daß me doch nie exakt sy chönn. Du heißt's: Gim m'r es paar früschi Socke Frau. Die sh m'r z’eng ~ die sy m'r z' wyt > die z’'läng ~ die z’churz. So ischts en ewigi Längi g'gange, bis er endlich gstaffiert gsi isch und i säge d'r, i ha d'Geduld. vom ne Engel bewiese, bis er du no a d'r Cravatte z'usserist am ne Zöpfli etdeckt. daß e Stich fehlt. Dä hätt i-n-ihm du sölle umemache uf d'r Stell und wo-.n-i säge d's Buebi sng erwachet und well z’trinke, er chönn darmit jyz wohl e chly warte, wird er taub u lauft undescheniert furt – und wer 'du d'r Gaffee het chönne nf d'r Servante umezaagge bis um Achti, wo 's endlich d'm Herr het bliebt, heizcho, das bin i gsi. Du, unglücklicherwys trifft er grad d'Schnydere bim Descheniere a ~ s’ isch gwüß gsi, wie wenn d'r Tüfel ne zuechegstüpft hätt ~ u het der arme Person es Gsicht gmacht, daß sie d's Esse nume so abegworget und gmacht het, daß sie so fläthig als müglich ihm us de-n-Auge chöm. Mi het er du richtig agschnauzt, nit für Gspaß, was das für-n-e Manier syg, daß i wieder d'Schnydere heig und syg doch ersch vor füf Wuche da gsi. Inz fragen-i di, Mamma, cha-n-e jungi Frau, wo öppis uf sich het, meh als füf Wuche sy ohni Schnydere? Daß sie scho vor vierzeche Tage hätt sölle cho, ha-n-i ihm nit emal dörfe säge."

„Das dunkt mi jiz nit so viel anders, daß er e chly es suurs Gsicht gmacht het wege d'r Schnydere," erwiderte die alte Frau, „d'Ferre frage dene selte viel nah, dy Papa het si emel o geng drusgmacht, wenn i se zur Selteni einisch gha ha, aber so oft wie du, Chind, hätt i gar nit dörfe. Bsunders hüür dunkt es mi, du heigisch se allbott."

„Ach, Mamma, du nimmsch o geng d'm Gottfried sy Partei; wenn er d'r uf der Nase umetanzeti, du thätisch ihm no drzue flöte. Denk doch, was i mit ihm ha! Da ssötte alli Stubeböde glänze wie-n-e Spiegel, mi darf niene kei Tropf Wassser schütte oder mi mueß ne sssiebe Mal ufwäsche und siebe Mal wieder uftröchne. Fei Thürfalle darf me mit nasse Kände arüehre |Z wenn er's emel gseht ~ ohni daß er eim aschnüzi wie-n-e taube Maudi. Uesi Möble stande alli zmitts i d'r Stube, wie wenn m'r zügle wette, e jedi Gumode mueß e halb Ell wyt vo d'r Wand dänne sy. Was isch das o für-n-e Gmüethlichkeit? Und de dy agnehmi Lag, Mamma, nei wahrhaftig ! Ja und das harn-:i no vrgesse: Denk, d'Bodedecheli mueß me alli drei Stege-n-ab uf e Ghüdermissst ga uschlopfe. Was seisch de d ar zu, Mamma?!

„Nu du hesch doch zweu Meitli und öb sie jyz das mache oder öppis Anders, am End git er ne d'r Lohn, Chind."

Die junge Frau machte eine sschmollende Miene, was ihrem bewegten Gesichtchen allerliebst stand, aber auf die Länge summ bleiben konnte sie nicht:

„Ach du muesch halt nit drby sy !“ seufzte sie endlich. _,„I wett i chönnt d'r Alles zelle! Inyz nume, was i mit d'm Esse ha. Er wott alli Tag früschi Sleischsuppe, de ißt er aber nit öppe gschwellts Rindfleisch, wie-n-en andere ehrliche Bürger, vrschwyge de Ghäck oder Saaßefleisch. O Jere nei! Das isch für mi und die Meitli, er wott nume Bratis und o mit dem isch er mords wunderlich, es sött nit meh blüete und doch fasch; churz, es isch es ewigs Kähr. Föch wott er perse nume was ihm grad gschmöckt, so meisterlosigi Plättli: Bluemchöhli, Artefüfi, Säuchrut, Rabünzli und einissch het er dem arme Mareili fasch d'r Hals umdrähjt, wil’s nit Eier uf e Spinet tha het. Brei, seit er, mach ihm Süüri und d'Herdöpfel dricke ne im Mage, aber d'r Guggummerefsalat de nit, sschynt's, Un de am Suntig mit d'm Dessert! O Mamma, was bin i fürn-e gschlagni Frau! Da wott er vo Afangs Maie a bis usgänds Heumonet nüt als Erdbeerischnitte, da cha.n-i luege wien-i drzue chume, und vo Afangs Augste a bis es schneit geng Zwetschgechueche, lue i cha d'r säge es lüpft mi, wenn i nume dra denke. Un wenn i zum Desscheniere Vorbruchanke giebe, so isch er im Stand u speut ne uf d’'s Teller use. Isch das nit abscheulich, Mamma? Und ha-n-i nit Urfach z'wünsche, i hätt ne nie gseh ?“" schloß sie mit hochrothen, erhitzten Wangen, während eine neue Thränenfluth in ihren Augen aufzussteigen begann.

„Säg das nit no einisch, Marie,“ mahnte die Mutter in ernsstem Tone, „du weisch no nit, was e Frau het a mene brave und vo Herzesgrund guete Ma, wo se lieb het und das isch bi dym Gottfried d'r Fall, i weiß es."

„O Mamma, du weisch drum no nit Alles", sagte die junge Frau mit leiser, von Schluchzen fast erstickter Stimme. „Hüt z’Mittag ha-n-i vrgesse Wy uf e Tisch z'stelle und wer mi drü Mal abesprengt i Cheller, isch d'r Herr gsi und hätt doch wahrhaftig selber d'r WnI gha z’gah ! Z'ersch Mal, wo-n-i ufechume und d'släsche uf e Tisch stelle, het er so wunderlig dütet u blickt und i ha emel nit chönne begryfe, was das sy föll; er het mr Bolli-Auge gmacht, i ha gmeint, er well m'r se a Chopf schlengge ; du wo d’s CLisebeth use gsi isch, schnauzt er mi a: „„Du vrsteisch doch i Gottzname nüt". –~ E wohl, säge-n-i, ~ gwüß ganz sanftmüethig, – we me m'r's öppe seit, daß es e Gattig het, aber uf d’Taubstummesprach vrstande-n-i mi nüt. – „„I ha di drum vor em Meitli nit chönne frage, öb de d'r Schlüssel wieder a d'r Chellerthüre heigisch la stecke, wie gwöhnlich ?“ – Nu su hättisch m'r's chönne chüschele, aber i will ga bschließe, wenn de witt, bhüet is. ~ „„Su bring doch grad no ei släsche Wy ufe, mit eire hei m’'r nit gnue, wenn die Wetters Schnndere da isch." —~ Nu guet, i laufe ganz ghorfam abe, reiche no e Släsche, bschließe und wo-n-i ufechume, nimmt er m'r släsche us d'r Hand, thuet se-n-uf, schmöckt dra, schmöckt am Zapfe zringsetum, grännet schützlich und seit: „„Aber Frau, i der Släsche isch einisch Münzewasser oder öppis derigs gsi, dä Wy mueß me-n-i d'Essigfläsche schütte, reich andere ~ aber wie mängisch ha.n-i scho . . "" ~ J] bi gloffe, so gschwind i ha chönne, nume für d'r Predig z’ertrünne und wo-n-i wieder ufechume, säge-n-i : JIiz gange-n-i d'r aber de nit zum vierte Mal. Da schnauzt er mi vor d'r Schnydere, wo sider ynecho isch, gar bedenklich a, i bi fasch desusgfalle und seit : „Du bisch selber d'Schuld, daß de meh weder einisch hesch müeße abelaufe, warum hesch so-n-es Gansehirni und so-n-e Säuornig und de no ussezheusche, we me di uf Vrsehe ufmerkssam macht, wo-n-en Andere usgsschirret hätt, das isch doch bim Wetter kei Manier, Settigs.'""

„Jiz frage-n-i di, Mamma, hättisch du, wo de no jung gsi bisch, darzue chönne schwnge und das so chönne abeschlücke ? I cha m'r's nit denke. Mir isch es gsi, wie wenn me i mx inne e Stiürtüfel azündeti und die ganzi Ladig undereinisch zum Muul us wett, es het mi fassch erstickt. Endlich säge-n-i du, das syge alles no lang keini Vrbreche, en Andere wär selber g’gange, anstatt so-n-e Lärme und so-n-.es Oheie z ha. Du worn-er mi geng so starr agluegt und nüt druf gseit het, ha-n-i mi felber meh und meh i d'Hitz ynegredt und endlich gseit, i lah mr e settigi Behandlung nit gfalle, i syg nit sy Sklavin, sondere sy Frau. Da isch er ganz bleich worde, ufgstande, usegloffe und het si i syr Stube ybschlosse. I ha natürlich o fassch nüt chönne abebringe und ha meh Thräne gschlückt als Suppe ; wenn d'Schnydere nit da gsi wär, i hätt lut uf briegget. So ha-n-i mi nit drfür gha, bsunders wil sie du gmeint het, sie müesz mi tröste und mr'r gseit het, i söll das nit z'schwer näh, so Herre heige i Gottsname keis Gfüehl und was eim nit angebore syg, das chönn me si halt nit erwerbe; gäb wie mörig nett, daß sie üßerlich syge, innerlich schmöchke sie doch nume na Cigarre und Bier. Zmitts i mym Elend hätt i no fasch müeße lache, wenn i a die innerliche Herre vo d'r Jumpfer Gax denkt ha.

„D’s z’Abe het d'r Gottfried natürlich o vrtäubbelet, obschon i ihm dur d's Mareili ha la chlopfe drfür ~ selber gah ha-n-i neue o nit möge. ~ JIiz macht es m'r halt furchtbar Angst, d’'s Wetter gang hinecht ersch recht los und anechneue wott i nit, er cha m'r zersch säge, es syg ihm leid, er het agfange, nit i, sisch nit a mir und das isch es nit," schloß sie mit hoch aufathmender Bruft und blitzenden Augen.

„Foesch d's Buebi im Bett, Marie?“ frug die alte Frau.

„Ja natürlich. Warum ?"

„Wil m'r jiz grad e Gschicht z’ Sinn chunt, die-n-i d'r gern erzelle wett, wenn de e Halbstund Zyt hesch.“

„Bhüet is ja, Mamma, no e Stund wenn de witt. Es brönnt m'r gar nit heizgah und mym Pascha under e Bart z'stah."

„Wo my Ma no glebt het und m'r zsäme i myr liebe alte Feimet, i de grüene Emmethalerberge gwohnt hei," begann die Frau Amtsschreiberin, „ha-n-i e Wöschere gha, Schüre-Mädi het me-n-ere gseit, E flyßigeri, besseri Frau isch nie hinder em ne Züber gstande, mi het möge frage, wo me het welle, s'het Niemer von ere öppis Böses gwüßt und drzue het es nie gchlagt, isch geng helluf gsi und grüsli dienstfertig.

„Es isch es arms Waisli gsi und vo d'r Gmein uferzoge worde. Siebe Jahr oder so het es a mene brave Ort dienet, du isch's ihm i Chopf gschosse, es well hürathe; d'Meisterlüt hei-n-ihm's no gwehrt, aber es het's dennzumal nit chönne ngseh, daß sie's guet mit ihm meine und het denkt, es shg ne nume, daß sie nit für ne-n-anderi Iumpfere luege müeße. Gege Bursch wär insowyt nüt z'säge gsi; sppe d'r arbeitsamst, het me gfeit, hg er nit, aber er het es eiges Hüsli gha und no ordlich Land drzue und d’'s Mädi het emel g’glaubt, es gang ihm e Thür zum Himmel uf, wenn es da chönn ysitze und wenn er scho nit viel arbeiti, su mach's nüt, we me so rych syg wie er. – Aber das Glück het nit lang gwährt; Hans het afah hindereliege und denkt, es thüj’s dem arme Fraueli wohl, e chly bös z'ha, es syg si desse gwanet. Und meh und meh het er die Gwohnheit übercho, ganzi Tage so umezhöckle, drab het er Längizyti übercho und endliche het ne d'r Tüfel chönne adrähje, daß er het afah trinke. Afangs het es no welle z'Bode stelle mit ihm, wenn er öppe by-n-ihm selber gsi isch, aber es het bald ufghört; wenn er daheim gsi isch zur Selteni, isch nüt mit ihm z’mache gsi und er het wüest tha, bis er wieder Geld gha het für z'suufe und het d's Mädi 's nit gha oder ihm nit welle gäh, su het er d's Brod us d'r Tischdrucke gno, oder was ihm grad z'Hande cho isch, het's in es Tuech ybunde und ihm drmit zum Chopf gschlage bis es blüetet het. Aber trotz Alem, was es z’Inde gha het, isch es nie über e Hans ga chlage und was no s'Schönste gsi isch, es het ssyne Chindere nie nüt Böses über ihre Vater gseit.

„Alli Jahr het es es Chind übercho und wo sie endlich d's achte hei la taufe und Hans am Morge na d'r Taufi sy Ruusch usgschlafe gha und nam z’Morge brüelet het, zieht d's Mädi die leeri Tischdrucke füre und seit zue-n-ihm : „Cue selber Hans, i ha kes Brösmeli Brod meh für die Ching, d's Hüsli, d's Lang d'r meist Husrath hesch vrchauft, i ha uf d'r Gottswelt nüt meh als die acht Ching un wo-n-i Spys söll hernäh für se, weiß i nit. Du hesch m'r mängisch fürgha, wie-n-i so-n-es arms Meitli gsi syg und de nit emal es Bett erwybet heigisch mit mr. Lue jyz hei m'r Beedi prezys glych viel, acht Ching u süsch nüt. Iyz gang Hans, alleini traue-ni m'r, mit Gott und guete Lüte die Ching z'erhalte, aber di nit no drzue; daß sie dys schlecht Byspiel vor Auge heige, s'Selb wott i nit."

Und d'r Hans isch g'‘gange, aber nit z’grechtem furt, wie d’s Mädi ghoffet het, er isch nume so im Land ume g'vagantet und hätt meh weder einisch wieder welle zue-n-ihm cho, wie me gseit het. wenn es ne nit geng gschaßt hätt.

„Wunderbarer Wys, es het's fasch Niemer chönne glaube, het die armi Frau ssich ohni alli öffentlichi Understützung mit dene acht Chindere durebracht. D's Mädi het pflanzet, gspunne, het gsuecht z’'verdiene was ihm müglich gsi isch und d’Chinder drzue gha, sobald sie hei chönne laufe. Aber was es gschaffet und etbehrt het, darvo macht me si kei Begriff ; es het m'r einisch selber gseit, im Summer syge d'Nächt z’zelle, wo-n-es z’ grechtem i d's Bett gangi.

„Und d'r lieb Gott het sy Slyß gsegnet. Die acht Chinder sy ufgwachse und guet usgfalle, frylich körperlich chly bliebe und vrkümmeret, aber doch nit so, daß nit es Jeders vo ne fähig gsi wär, shs Mues und Brod selber z’vrdiene. D'Muetter hei sie fast agluegt und werth gha, wie-n-e Engel Gottes und Eis wie d’'s Andere hätt se gern by.-n-ihm gha, wo sie het afah chrächele und ere öppe tha, was ihm müglich gsi wär, aber d’s Mädi het nit welle und gseit, es heig dene Chindere d'Spys nit chönne gäh un se nit la lehre, wie-n-es gern hätt welle und 's nöthig gsi wär, jyz dunk es ihn’'s wüest, we's ne da wett ga uberlege sy, so lang daß es no vrdiene chönn.

„So het es si bi frömde Lüte zuezoge, i mene chalte, fystere Gade, wo-.n-es uf nere Leitere drzue het ufe müeße, isch nach wie vor a dWösche g'’gange mit schröckliche Lybschäde, wo die meiste Andere i d’'s Bett glege wäre und Tag und Nacht gruchset hätte. I ha-n-ihm mengisch abgwehrt und ihm geit, es fsöll si doch schone, aber es het nit welle und geng gseit: „„I d'r Ewigkeit cha-n-i de leue gnue.“"

„Aber nach und nach het es doch müeße abgäh, es het chuum meh chönne laufe, vrschwyge de wäsche, du het’'s agfange nähje i shm Alter, aber Vrdienst isch natürlich weneli drby gsi. „„I cha!s ebe gar grobiänisch,"" het's albez gseit, „Ju mueß no froh sy, we m’r öppe Chnechte ihrer Zwilchhose z' plätze gäh."“ - „Aber zahle sie di de 0 ?“ ha-n-i's einisch gfragt. ~ un 0, we sie's hei, su gäh sie m’'r öppe-n-es Swänzgi, u hei sie's nit, he nu su bin i nüsti zfriede, i bruuche-n-öppe nit meh viel uf dieser Welt und d’Lüt sh grusam guet gege m'r.""

„Ja, das het es erfahre, d’'s Mädi. E brave, flyßige Mönsch vrhungeret Gottlob im Bernerland nit. Aber worüber me sich überall vrwunderet het und !s chuum het welle glaube, das isch gsi, daß die armi, alti, gebrechlichi Frau, wo selber nume so blößelig het möge gschlütüfe, ihre Halungg vo Ma, dä si nit gschämt het, bi shne Chindere, für die-n-er nüt tha het, ga z bettle, z’ 5nte, wenn's chalt gsi isch oder ihm öppis gfehlt het und er niene gwüßt het wohi und voll Ungeziefer gsi isch, wieder uf- und agno und syni letschte Chräft dra gsetzt het, ne z’-putze und nachezfuetere. Dank het's natürlich keine drvo gha. Sobald daß Hans wieder usgseh het wie-n-e Mönsch und's ohni d's Mädi het chönne mache, isch er wieder ga vagante, wie vorher.

„D’Lüt hei-n-ihm viel Vorwürf gmacht deßwege, aber s'het si nit la abbringe drvo. „„I ha gar weni Zyt gha für d's Bete un z’Chile z’gah,"" het's albez gseit, „u mängisch bin i no hiläßig gsi und am Sunde ga 1chlafe, da möcht i doch d'm Hans no thue, was i cha. für daß er gsehj, daß i-n-ihm vrzoge heig, villicht vrzieht d'r lieb Gott mir myner Sünde o dest eh un thuet Hanse d's Herz uf, daß er en angere Mönsch wird.""

„Mängisch het es si nume mit schwarzem Gaffee erhalte, bis öppe wieder e gueti Seel oder eis vo syne Chindere cho isch und ihm öppis bracht het, es isch fasch es Wunder gi, wie's no die Leitere uf und ab chönne het; aber we me's het welle beduure und ihm gwünscht het, daß es bald drus und dänne chönn, so het es ganz es fröhlichs Gsicht gmacht und gseit: „Was wett i lieber weder sterbe, aber i mueß wäger warte, er chunt de scho.""

„Und einisch isch er cho. Am ne Morge heits d'Lüt im uus nüt ghört i sym Gade und wo sie sy ga luege, isch's tod im Bett glege. Die Chinder sy Alli furt gsi, aber me het Allne chönne Bscheid mache, daß sie z'Lycht chömi mit d'r Muetter nnd Alli het's grüslig hert gha, daß sie re so weni heige chönne thue. Aber vo Hans het me nit gwüßt, wo-n-er umestrolchet und het ihm nüt chönne la säge und d'Lüt hei gseit, das ng lätz, viellicht wär er öppe jiz in si gange und hätt es anders Lebe agfange, d'r lieb Gott, wenn er doch allwüssend syg, hätt ihm jiz das sauft chönne z'wüsse thue und ne zuecheschicke, es îyg albeneinisch kurlig mit ihm. Aber währed sie so greseniert hei, isch Gott syni stille Wege g'gange und am ne Morge, wo d'r Sigerist d Chilchhofthüre uftha het, isch Hans tod glege uf d's Mädi’'s Grab, d'r Schlag het ne troffe gha." ~

Eine gute Weile blieb es ganz still in der Laube. Die junge Frau hatte während der Erzählung, leise weinend, ihren Kopf an die Schulter der alten Frau gelegt ; diese faltete die Hände und schaute, wie in Erinnerung verloren, vor sich hin; endlich sagte sie: „J ha scho viel vo christliche Helde und Heldinne gleser vo Märtyrere aller Art, aber öb alli die es ganzes Lebe lang e settigi Zucht vo täglicher Selbstv'rleugnung a sich usgtiebt hei, wie die armi Wöschere, das mueß i doch bezwyfle. – Und du, Marie, was meinsch, wer het meh Grund und Anlaß gha z' vrzieh, du oder d's Mädi ?"

„Mamma, i will d'm Gottfried säge, es ssyg m'’r leid und i heig gfehlt," flüsterte die junge Frau.

„D'r lieb Gott geb sy Sege drzue," erwiderte die Matrone. „Aber du muesch jiz hei. Söll d’'s Aenni mit d'r Laterne di begleite ?"

Der Mond war hinter eine Wolke getreten, das Licht der Lampe flackerte im plötzlich erwachten Nachtwinde unstät hin und her und am Eingang der Laube zeigte sich in schattenhaften Umrissen eine große Gestalt.

„Gottfried, bisch du's ?“ rief die junge Frau in freudiger Ueberraschung.

„E wer wett's anders sy ?“ sagte eine tiefe männliche Stimme. ,I sueche-n-e Frau, wo m'r drusgloffe-n-isch.“

„Und dere 's leid isch, daß sie gfehlt het,“ ergänzte Marie, ihre Band in die des Gatten legend.

Mir hei Beidi gfehlt", sagte dieser, „und wei-n-is künftig besser in Acht näh, was m'r enandere säge vor de Lüte und we m'r allei sy, gäll Marie? Und Euch, Mamma, danke-.n-i vo Herzesgrund. Dir ssöllet wohl schlafe uf das guet Werk, wo D'r vollbracht heit.“

„A bah !“ sagte die Frau Amtsschreiberin, „s isch si doch d'r werth, so-n-es Wese druszmache! D's Aenni mit d'r Laterne cha denk daheime blybe ?“

„Allweg,“" sagten Beide, „mir zünde-n-.is selber."

Ende

III. Anna's Beruf.
Erstes Kapitel. Aus der Lehrzeit.

Es ist ein mäßig großes Zimmer im dritten Stock gegen die Gasse, in das wir unsere Leser einführen. Sertige Kleider hängen rings an den Wänden, Stoffe, Suttertücher c. z liegen aufgestapelt in einem halb offenen Schranke. An dem runden Tische beim Senster, dessen Oberfläche mit Nadelkissen, Scheeren, Sadenspuhlen, Tuchlappen, Bändern und Knöpfen ganz bedeckt ist, sitzen vier bis fünf junge, meist bleichsüchtig und schwächlich aussehende Mädchen, die emsig die Nadel führen und kaum von der Arbeit aufzublicken wagen.

In der Ecke, halb versteckt hinter dem Vorhange, sitzt Anna, die jüngste Lehrtochter von Fräulein Hürssch, einer sehr beliebten und geschickten Schneiderin, deren Hand und Zunge aber unerbittlich strenge über die armen Mädchen herrschen. Anna ist ein hübsches Mädchen, trotz ihrer bleichen Gessichtsfarbe. Schwere dunkle Slechten umgeben den fein geformten Kopf, der sich unter dieser Sülle zu beugen scheint, auf den- Lippen spielt gewöhnlich ein schelmisches Lächeln, wenn sie nicht in halb komischem Uebermuthe sich kräufeln; beides aber steht der kleinen Person außerordentlich gut, und es ist anzunehmen, daß sie dieß nicht ganz ignorirt. Sie scheint ganz vertieft zu sein in ihre Arbeit, nur zuweilen streift ein schalkhafter Blick unter den langen Wimpern hervor zu einer ihrer Gefährtinnen hinüber, dann, von der strengen Gebieterin angerufen, schlägt sie das dunkle Auge zu ihr auf, unbefangen und furchtlos ihren Blick erwidernd, vor welchem die meisten Mädchen nicht Stand halten.

Fräulein Hürsch, die Beherrscherin dieses Reiches der Nadel, ist ein älteres, dürres Srauenzimmer; eigentlich sollte sie „Gelb" heißen, denn gelb ist ihr Kleid, ihre Gesichtsfarbe, selbst Haare uno Augen und ein gelblicher Ton liegt auch über ihr ganzes Wesen ausgebreitet. Sie ist im allgemeinen Sinne des Wortes eine kreuzbrave Person; punkto Rechtschaffenheit und Sittlichkeit kann nicht der mindeste Tadel sie treffen, aber die Kunst, ihren Untergebenen das Leben angenehm zu machen, versteht sie halt nicht, und die Lehrzeit bei ihr kann daher mit Recht eine Geduldsprobe genannt werden.

Es klopft an die Thüre und eine Dame tritt ein. Verbindlich erwidert Fräulein Kürsch den Gruß der Eintretenden und setzt hinzu:

„D’'Frau Dolttere chunt denk für azprobiere. Grad ebe macht d’'s Elise die letschte Stiche für Eue Rock z’ Sade z schlah. Darf i bitte, sider Platz z’näh. ~ La gseh, Elise, schick di, aber mach m'r nit so längi Stiche, das geit ja uf bim bloße Yneschlüüfe."

„Dir heit doch liechts Suetter gno, wie-n-i-n-Ech gseit ha, gället Jumpfer Hürsch ?" unterbricht die Dame.

„Bhüetis ja, Frau Doktere, ganz wie D'r's befohle heit. ~ Anna, lueg uf dy Arbeit, die Sliege cha glych d'r Umhang uf spaziere, wenn du se scho nit beobachtisch! ~ S’macht artig Wetter, gället Frau Doktere ?“

„O ja,“ meinte diese, „wenn me d'r Parapluie und d'Ueberschueh nit vrgißt."

Ebe, ebe," sagte Fräulein Hürsch lachend, „mi sött d'Bei uf d’Achsle näh, wie my Muetter albez gseit het. – Nu la gseh, Elise, du Schnegg, d’Frau Doktere wott nit bis z' Wiehnecht warte uf dä Rock, gib her und mach dert am andere d’ Chnopflöcher. ~ Exeusez, Frau Doktere, wenn's am meiste pressiert, su wott's am wenigste rücke. – So jyz. – Darf i-n-Ech erfueche, mit m'r da übere z’cho i d's Gabineet. ~ Anna, dys Züüg hanget a Bode, bring m’'r doch mys Gufechüsssi übere, aber hüt no, mi sôtt meine, dir hättet Blei i de Beine; wohl da isch me doch zu myr Zyt anders gleitig gsi," setzte sie, eine Stecknadel im Munde, mit etwas undeutlicher Stimme hinzu.

Anna hatte, nachdem sie das Gewünschte hinübergebracht, die Thüre hinter fich zugezogen und Fräulein Hürsch dieß im Eifer des Anprobirens nicht bemerkt. Die jungen Mädchen blickten von der mühsamen Arbeit auf, athmeten tief, streckten die Glieder und flüsterten miteinander oder tauschten Blicke aus, ja die Eine zog sogar einen Apfel aus der Tasche und biß hinein. Anna drapirte fich mit dem Aleide, das sie zertrennen follte, und sah so komisch aus, daß Alle lachen mußten, nur leider zu laut, denn Fräulein Fürsch erschien sofort auf der Schwelle des Heiligthums.

„Was söll das heiße? ~ Uf d'r Stell, Anna, gang a dy Arbeit, dä Rock mueß bis z'Mittag fertig sy. ~ Nanette, für was glaubsch, daß i di zahli als Ouvriere? ~ Elise, i erlaube das Vepfelesse währed d'r Arbeit durchus nit. – Liseli, du bisch nümme im Bett, d's Giene isch nit aständig. ~ Uxcusez, Frau Doktere,“ sagte sie dann, sich wieder umwendend, ,aber Dir glaubet nit, was me mit dene tüners Gärxnase für-n-e Plag het, nüt als schmähle mueß me e ganze Tag, und sie wüssse doch, wie das m'r zwider isch. –~ Wohl, mir hätte's üser Lehrmeistere so sölle mache, das wär schön ussecho. Also zweu Biais unde a Rock? ~ Guet. ~ D'r Rock föll fertig sy i acht Tage? ~ Scharmant, i will's notiere."

„Chönnet D'r am Mäntig über vierzeche Tag zue m'r uf d'Stör cho, Jumpfer Hürsch ?“

„I will mys Büechli reiche däne. (Ciest halblaut:) Rock mit Schüpung, Stadträthin B. ~ Ja, das isch dä, wo siebemal mueß garniert sy undedüre, vrsuumt e chly. - Zwei Röcke zu kehren, das Obere zu unterst von Fräulein A. ~ Sh die vo d'r Wöschere zruck, Nanette ?"

„Ja, scho gester."

„Guet. – Donnerstags Stör, drei Tage bei Frau Obersstin S. + Die seit geng drei Tag, wenn me zwo Wuche lang z’thüe gnue hätt. – Drei Mantillen zu garniren und Frau W. ein seiden Rock, das Zeug hat sie durch die Magd gesandt, ist aber zu wenig. ~ S’wird es Gschenk sy vom Herr, das isch fasch geng so bi de Gschenkere vo de Manne, i weiß es jyz afange und misse allimal zersch nache, wenn i ghöre, es syg vom Herr. D'Brütigämer, die heits de umkehrt, die gäh de Jante vo Züüg, mi chönnt die Bohnestichlig vo Döchtere gwöhnlich zweumal dry ylyre, und nache gäb's no e scharmante Badmantel. — Polonaise für Töchterlein K. ist zum Probiren. ~ Aha, das isch das, wo sie nie wott still ha, bis me's mit ere Gufe sticht. -Merinos-Rock für Frau Pfarrer G. schon zu Saden geschlagen, und FKnopflöcher will sie selbst machen. ~ Die werde schön usecho; afäng mira, wenn me eim d’s Zuetraue nit schenke wott. Bhüetis wohl, Frau Doktere, es git's mit d'r Stör i vierzeche Tage."

„Also i zelle de uf Ech, Jumpfer Kürsch; machet m'r de nit fobong. Und no Eis, das hätt i bim ne Haar vrgesse. Wenn Drr Lehrtöchtere mitnehmet, su bringet doch de d's Anna, d’'s Gotteli vo üsem Züseli; i mueß ihm das z'Gfalle thue, wenn es scho gegewärtig e chly höhn isch über ihn's, so freut’s es doch."

„Ganz wie D’r weit, Frau Doktere. Es isch zwar ~

„Isch es eigetlich da, d's Anna? Mys fatal churz Gsicht ~~ i kenne's nit emal, wenn's nit grad vor nrr sîteit."

„Anna, chumm grüeß d'Frau Doktere und dank ere, daß sie d'r z’Best gredt het, daß de zue-n-ere uf d'Stör chasch , s'wär nit dy Chehr gsi dasmal.“

„I danke vielmal, Frau Doktere,“ sagte die Angeredete, als die Wortfluth ihrer Gebieterin verrauscht war. „Weit D'r so guet sy und m'r d'r Grueß usrichte für d'Gotte.“

„Tu, nu,“ brummte das gelbe Fräulein, „seit me das so ohni wyters? Du bisch emel, Gottlob, nit schüüch."

„Nu su wei m'r Ech de also erwarte shy, und Eue Grueß will i usrichte, Anna," erwiderte die Dame, deren Blicke mit Wohlgefallen auf dem vor ihr stehenden Mädchen ruhten. „Adieu, Jumpfer Hürsch, lebet wohl, ihr Döchterel!“

„Lebet wohl, Frau Doktere! I will d’Thür e chly offe lah, s'isch fyster im Gang, stoßet Ech emel nit, da isch e Tritt ~ so — so."

„Und jyz, hei m’r grückt sider?" wandte sich die Gebieterin an ihre jungen Arbeiterinnen. „Anna, i wott die Säde nit alli am Bode ha, lies se uf. Elise, nimm nit so längi Näthlige und vrmach m'r besser, das geit ja Alles wieder uf. Nanette, du hesch d’'s Uhretäschli vrgessse, und d'r Ceintürebändel isch vorne nit gsaumet. Das isch m'r dech e tusigs Hotscherei; i wett lieber mys Brod mit Steinechlopfe vrdiene als settigi Stöck ga brichte. Allons, lueget uf d’Arbeit, fuli Prinzessine.“

So ging es Tag für Tag, Schelte vom Morgen bis zum Abend und Arbeit von einer „Tagheiteri" zur andern, ja weit darüber hinaus, denn oft mußten die Arbeiterinnen in pressirter Seit bis Mitternacht schaffen, mochten sie wohl oder unwohl sein, mochte draußen der Regen niederrauschen oder in lichtem Abendscheine die Sirnen leuchten, für sie, die Töchter der Arbeit, gab es an den Werktagen weder Frühling noch Sommer, und wenn sie zuweilen durch schönes Wetter oder irgend eine Schaustellung verlockt, bei einem ihrer Ausgänge etwas länger verweilten als strikt nöthig war, so wurde ihnen sofort der Mittagsspaziergang, die einzige halbe Erholungsstunde des Tages, entzogen, und sie waren von früh bis spät ununterbrochen an den Nähtisch gefesselt.

Das war eine harte Schule für die lebenslustige Anna, die vor einigen Jahren ihren braven Vater verloren hatte und seither von seiner Schwester, dem obenerwähnten Züsseli, ihrer Pathin, die seit langen Iahren in der Samilie des Doktors diente, erzogen worden war. Anna’s Mutter genoß nämlich nicht des besten Rufes. Ihr offizielles Gewerbe war das einer Wollekrämplerin und Roßhaarzupferin; dieß diente aber bloß als Aushängeschild, hinter welchem sie das weit einträglichere einer Lotto-Kollekteurin geschickt zu verbergen wußte. Die hübsche, muntere Anna wäre ihr nun zu allerlei Swecken sehr bequem gewesen, und sie entließ sie höchst ungern in die Anstalt, in der Züseli sie unterbrachte, um sie dem häuslichen Einflusse zu entziehen, aber widersetzen durfte sie sich nicht, da sie noch mehr Kinder hatte und das Geld und die Gunst ihrer alternden Schwägerin nicht verlieren mochte.

Züseli’'s Augenmerk und sehnlichster Wunsch war, Anna zu einer tüchtigen Diensstmagd, zu ihrer Nachfolgerin, heranzubilden; aber Letztere war nicht damit einverstanden, sie wollte unabhängig, frei werden, „si nit ihrer Lebtig la kujeniere", und ihre Mutter bestärkte sie darin so sehr sie konnte; sie hoffte mehr Gewinn aus ihrer Tochter ziehen zu können, wenn dieselbe einen selbstständigen Beruf erlernte, als wenn sie unter Züseli’s spezieller Obhut und Aufsicht in einen Dienst trat.

Diese nahm es gewaltig übel, daß Anna nicht auf ihre so wohlgemeinten Pläne einging; sie wollte erst nichts von ihr wissen, und nur auf des Doktors Zureden und Vorstellung hin ließ sie sich dazu bewegen, Anna nicht zu verstoßen, sondern das Lehrgeld bei Fräulein Hürsch für sie zu bezahlen.

Das gelbe Fräulein stand im Rufe, eine ausgezeichnete Lehrmeisterin zu sein. Vormünder und Behörden, denen es daran gelegen war, ihre Pfleglinge in guter Obhut zu wissen, übergaben dieselben vertrauensvoll ihrer Sürforge. Daß das Leben der jungen Mädchen bei ihr kein sehr angenehmes war, fiel selten schwer in's Gewicht. Es ist dem Manne, resp. einer Lehrtochter gut, daß sie das Joch in der Iugend trage, dachten sie ~ vielleicht nicht ganz mit Unrecht.

Wehe aber Denen, welche dem Fräulein durch ihr Betragen Grund zu Klagen boten! Da fackelte sie nicht lange, sondern ging gleich vor die rechte Schmiede. „Es isch d’r de agrichtet," sagte sie Heimkehrend zu der Schuldigen; „d'r Herr Almuesner chunt de, sobald er e Moment het." ~ Und richtig - ehe man sich's versah, brauste das Ungewitter heran und entlud sich über dem Haupte der Angeklagten, die zitternd und weinend dasaß, während ihre Gefährtinnen erschrocken die Köpfe beugten wie Blumen vor dem Sturmwinde.

Anna war bis dahin verhältnißmäßig sehr gut davongekommen; sie zeigte Geschick zum Berufe, war schmiegsam und nicht leicht einzuschüchtern und hatte überdieß als köstliche Gabe von der Natur eine große Elastizität des Geistes empfangen, die selbst dem schwächlichen Körper nachhalf.

Auch unter dem Drucke dieses eintönigen , arbeitsvollen Daseins litt sie nicht so sehr wie die Andern, sondern wußte ihm noch heitere Seiten abzugewinnen. Wenn sie Bestellungen auszurichten hatte, begnügte sie sich selten mit der einfachen Ueberbringung der erhaltenen Antwort; sie führte die Personen, mit denen sie zu verkehren hatte, gewöhnlich selbstredend ein:

„Bisch ga frage, Anna, öb sie is dert und dert morn uf d’Stör welle?"

„Bhüetis ja, Jumpfer Kürsch,“ war die Antwort. „Natürlich,"" Het d'Frau Ganzebüel gseit, uMmatürlich sy m'r ech erwarte, Mädeli nimm meh Milch bim Chüjer hüt." ~ Dann ~ die tiefe Stimme der Köchin nachahmend: g„,„Söll i Nidle näh, Frau, chunt Visite?" Leise antwortete dann diefe: „nIVas denkssch, Mädeli; Milch thuet's sauft, es sh ja nume d'Schnydere.""

In den Läden, wohin sie geschickt wurde, hatte Anna allerlei kleine Abenteuer und wußte diese so lustig, so farbenreich zu erzählen, daß selbst die Gestrenge zuweilen lächelte und die andern Mädchen ihr das sonst sehr begehrte Ausgehen freiwillig Überließen, nur um nachher den Genuß dieser kleinen Plaudereien zu haben. Waren die jungen Arbeiterinnen aber unter sich, dann gab wohl Anna dem minder harmlosen Kange nach, Andere, ganz besonders aber die Lehrmeisterin nachzuahmen, eine Kunst, die sie vortrefflich verstund und woniit sie sogar auf den Stören, wenn nach Tische Fräulein Fsürsch fortging, die Finder ergötzte.

Diese Stören waren ein Lichtblick in dem freudlosen Leben der jungen Mädchen. Olücklich die, welche mitgehen durften. Gab es auch nicht immer splendide Kost und oft viel Arbeit, so war's doch freiere Bewegung, and’re Räume, and’re Gesichter, und –~ was Anna besonders liebte, – es gab Kinder in den meisten ihrer Kundenhäufer.

Fräulein Kürssch dagegen frug den Stören überhaupt nicht viel nach; sie haßte das „Gregier vom Schinder", wie sie sich ausdrückte, am meisten aber die Kinder. „S'isch nit d's Agnehmsste, gwüß nit," pflegte sie zu sagen. „Sy sie chly, so brüele sie eim d'Ohre voll, und mängisch bringe d' Mammane die Schatzeli no zu Üs i d'Stube, für is appartig Sreud z’mache; ja es isch wahrhaftig scho vorcho, daß sie m'r se uf e Tisch gsetzt hei; nei, exeusez, das isch denn doch des Guete nume z' viel. ~ Sh die Chrôtli größer, so laufe sie geng um ein ume, daß me ganz sturm wird, bald hei sie e Scheeri, bald e Nadle i de Singerli. ~ Nei, Chind, la das sy. – Gang da abe. + Nimm m'r das Schemeli nit furt. ~ So geit es d'r ganz Tag, vo denn a, wo sie füregschloffe sy , bis me se am Abe endlich underethuet. Und sy die Gäxnase vo Meitsscheni endlich größer, so gränne sie über e Schnitt; eis wott d'Gstalt churz, eis wott se läng, und wenn sie wüest sy, so sött me se schön mache."

Bald waren die zwei Wochen vorbei und die Stör bei der Frau Doktorin nahte heran. Die Mädchen beneideten Anna nicht wenig, daß sie mitgehen durfte, denn es war eine sehr angenehme Stör: Doktors bewohnten im Sommer ein schönes Landhaus nahe bei der Stadt, die Rost war überaus gut und die Hausfrau eine verständige, freundliche, wenn auch etwas vornehme Dame.

Anna freute sich sehr auf diese relativ glücklichen Tage. Neben all dem Angenehmen, dessen wir bereits Erwähnung gethan, war auch ein dicker Bube von drei Jahren da, mit dem Anna bei gelegentlichen Besuchen, die sie der Pathin machte, gute Sreundschaft geschlossen hatte. Das letzte Mal war er ihr sogar nachgelaufen und hatte sich nur unter der Bedingung von ihr zurückbringen lassen, daß Anna das nächste Mal „Hotti hü" mit ihm spiele und ihm eine lange Geschichte erzähle. Das Einzige, was einen leichten Schatten auf die sonnige Aussicht warf, war die Ssurcht, die „Gotte" möchte die Ursache ihres Zerwürfnisses in unliebsamer Weise zur Sprache. bringen; aber darüber tröstete. sie sich bald, hatte sie doch eine schlagfertige Zunge und ein leichtes Herz.

Viel heimliches Geflüster unter der jungen Schaar verursachte die Frage, wer Fräulein Hürssch und Anna wohl begleiten dürfe, denn wie gewöhnlich gab das gelbe Fräulein erst spät am Vorabende des so ungeduldig erwarteten Tages ihre Absichten kund.

„Also morn gange m'r zu d’s Dokters ," begann sie. „Du chunsch mit, Elise, und du, Anna; s'wär eigetlich nit dy Chehr, aber wil's d'Frau Doktere wünscht. – Und mir isch's recht, wenn i di cha under Auge ha, hie trybsch m'r doch nüt als Gugelfueg; aber daß de di de dert schickisch, bim Wätschgi!“

Nanette, die Ouvrière, di in Abwesenheit der Gebieterin das Fommando führte, wurde nun mit allen Obliegenheiten ihrer verantwortungsvollen Statthaltersschaft bekannt gemacht und mit einer solchen Lawine von Aufträgen überschüttet, daß es der ganzen Kaltblütiglkeit einer so apathisschen Natur, wie die Nanetten's war, bedurfte, um nicht außer sich zu gerathen.

„So," schloß Fräulein Fürsch endlich, „i glaube für morn heigisch Arbeit gnue ?"

„Ja und für übermorn o no," erwiderte Nanette; „a d'r Arbeit laht D'r's öppe nie fehle."

„Darfür zahle-n-i di," sagte das Fräulein mit hoheitsvoller Miene. ~ La gseh, ihr Döchtere, was loset d'r da, machet daß d'r i d's Bett chömet, das geit ech doch hell nüt a!"

Zweites Kapitel. Juheh, us em Chräzli!

Der ersehnte Morgen brach an. Um halb sechs stunden die vier Lehrtöchter auf, die im Hause wohnten und zujammen in einem Zimmer schliefen.

Anna hatte große Mühe, mit dem Ordnen ihres ungewöhnlich reichen Haarschmuckes zu rechter Zeit fertig zu werden. Aufgelöst in glänzenden Wellen wogte es, bis zur Erde reichend, um ihre Gestalt her und hüllte sie wie in einen Mantel ein. Oft rief die Glocke zur Arbeit, ehe sie die dunkeln Slechten in dreifachem Kranze um den Kopf geschlungen hatte. Anna war eitel auf diese Haare und wollte sie nicht abschneiden lasen, so viel Kummer und Kopfweh sie ihr auch verursachten und so oft auch ihre Gebieterin über „die tusigs Mähne" schimpfte.

Heute war es ihr noch ganz besonders daran gelegen, recht schmuck zu erscheinen, und bereits hatte sie fünf Minuten versäumt, als Fräulein ßürsch in Person kam, sie zu holen: „Allons, marsch! D's nächst Mal mueß i di denk im Bett uf d’'Stör trage, du Zaagge."

Es war halb sieben Uhr, als man sich nüchtern zur Arbeit setzte; denn, liebe junge Mädchen, die ihr, in behaglichem Wohlstande lebend, Großes vollbracht zu haben glaubt, wenn ihr vor dem Srühstück eure Person und euer Schlafzimmer in Ordnung bringt, diese armen Kinder mußten noch eine volle Stunde arbeiten, ehe sie auf die Stör gehen konnten, wo sie oft noch auf ihr Srühstück warten, oder mit erkaltetem und gewärmtem Faffee vorlieb nehmen mußten.

Es schien ihnen auch heute eine halbe Ewigkeit bis Fräulein Hürsch endlich sagte: „Nu su machet ech jyz zweg; aber füehret ech guet uf, und zwar bim Tisch und bi d'r Arbeit. Anna, du leisch m'r en andere Rock a, so wie-n-e Santudel nime-n-i di nit mit. Wo blybt ächt o d's Nanette, dä Schnegg ? ~ Aha, endlich! ~ Du hesch emel schynt's guet gschlafe, wil d’ fast nit uf möge hesch ?“

„I ha die ganzi Nacht Sandweh gha und gar nit chönne schlafe bis am Morge um fuüfi," erwiderte die Gescholtene mürrisch.

„S'isch Eine e schlechte Schütz, wenn er kei Usred weiß," brummte die Gestrenge. „Nu su schick di jyz um das dist meh. – Chömet, ihr Döchtere, my Mage lütet zum Desscheniere und eue villicht o."

Nun, folchen Bedürfnissen kam man bei Doktors entgegen. Heiszer duftender Kaffee und frischgebackene Weggli labten die Schneiderinnen.

Fräulein Hürsch wollte aber bei Tische auf den Stören gerne zeigen, daß sie feine Manieren habe, und sie glaubte dieß am besten dadurch an den Tag zu legen, daß sie ihre Untergebenen beständig zurechtwies: „Anna, sitz grad ~ Elise, häb d'änd uf e Tisch; zieh d'r Naselumpe ufe, wenn d’ schnüze witt. ~ Nume bis so-n-es Totschli ghörig esse cha,“ pflegte sie zu sagen, „mueß Uesereis mit Geduld d'r Kimmel vrdiene."

„Darf i hurti ga d’'Gotte grüeße ?“ fragte Anna, als fie vom Tische aufstunden.

„Ach mira, so lauf; aber daß de i füf Minute wieder da sngisch, i wott das Dampe nit.“

„Guete Dag, Aenneli," erwiderte Züseli, die alte Köchin, auf den Gruß ihrer Nichte. „Gäll das isch öppis gmacht gsi vo üser Frau, daß sie di het gmacht mitz’cho. Zeig jyz, daß d' öppis chasch, un i nit vrgebe sövli mueß zahle für di, wil de die Schnnderei doch für d's Tüfels Gwalt hesch welle erzwänge."

„J mueß gah, sie balget süsch,“ sagte Anna, froh loszukommen. „Adiel!"

Flüchtigen Fußes eilte sie davon und unternahm eine Jagd auf Fußschemel, das erste Geschäft, zu dem sie gewöhnlich auf jeder Stör von der Lehrmeisterin beordert wurde. Theodor, ihr kleiner Sreund, hatte ihr während sie frühstückte mit offenem Munde zugesehen, sie dann in die Küche begleitet, und begeisterte sich nun so für den neuen Sport, daß er das ganze Haus pliünderte und sämmtliche Sußbänke zu Fräulein Hürsch's Süßen legte, welche diese Huldigung sehr gnädig aufnahm. „Danke, Schatzeli,“ dieß war der Superlativ ihrer Zärtlichkeit; „danke, du bringsch nume z'viel.“

Nun glaubte sich der kleine Bursch das Recht erkauft zu haben, dazubleiben und den Geheimnissen ihrer Kunst zuzusehen. Zu Anna’s größtem Entzücken arbeiteten sie bei dem warmen Sommerwetter in der offenen Veranda, die mit blühenden Topfgewächsen geschmückt war. Während Fräulein Hürsch an einem Nebentische zuschnitt, belustigte sich Theodor damit, ihren silbernen Singerhut, den sie wie ein Heiligthum in Ehren hielt, mit Erde zu füllen und diese darin mit einem Hölzchen festzustampfen. Anna verwies es ihm leise, aber er hörte nicht darauf, bis er die Erde nicht mehr herausbringen konnte, dann entleidete ihm sein Spielzeug, und er legte es in. Anna’s Schooß, die es eiligst zu reinigen suchte, ehe ihre Lehrmeissterin den Frevel entdecken würde. – Es war aber schon zu spät.

„La gseh, was machsch du mit mym Singerhuet ?" rief sie zornig, „dä geit di hell nüt a.“

„Myn Trost," verantwortete fich Anna, „i han ne nume welle e chly putze, s'isch Herd drinne gsi."

„Ja, mutze Tusig, wie wett jyz Ferd dry cho sy ?"

„E das Buebli het vori drmit gfätterlet,“ sagte Anna.

"Su hättisch chönne luege, drfür hesch d'Auge ," sagte das gelbe Fräulein, sich mit Energie an den Arbeitstisch setzend.

Theodor hatte sich bei ihrem Schelten hinter zwei große Laurierrosenstöcke zurückgezogen, nun trat er wieder hervor, umhktreiste den Tisch, kam immer näher und ergriff ein Nadelbüchslein. Fräulein Hürsch nahm es ihm aus der Hand. ,I wott o nähje,“ sagte der Kleine, \mir Hose mache.“

„Mei, Schatzchind," sagte Erstere ~ ihre zweite Zärtlichkeitsstufe ~ „das chasch du nit, la du lieber die Nadle sy.“

Der Kleine gehorchte und legte die Büchse auf den Tisch, ergriff aber dafür die große Scheere und wollte damit im Garten Rosen abschneiden, „Bouquet mache," wie er sagte.

„Gieb die Scheeri ume, du chönntissch d'r weh thue.“ Damit nahm sie dem widerstrebenden Knaben die Scheere aus der Hand. Bald darauf sank Theodörchen zum ,tusigs Bueb" herab, als Fräulein Hürssch eine Sadenspuhle suchte und sie endlich in den Händen des Kleinen fand.

Das Ding wurde demselben nachgerade langweilig; er hole sein großes Pferd und galoppirte die Veranda auf und ab, dabei auf den hellen Sommerstoff tretend, der von Anna’s Schooße niederhing.

Jetzt war Fräulein Hürsch's Geduld erschöpft: „Schlingel du," sagte sie erbost, „absurde Bueb , pack di furt oder i rüefe d'r Mamma.“

„Ha ja nüt gmacht," entgegnete Theodor gleichmüthig, „und i gange nit, üses uus ghört nit dir, es ghört mym Papa.“

In diesem Augenblicke trat das Kindermädchen unter die Thüre. „Bisch du da, Theodor? Chumm, du muesch anderi Schueh alege, du chasch mit m'r i d’'Stadt, hie chönne sie di doch nit bruuche.“

Theodors Aktien begannen wieder zu steigen. „Ja, dä tusigs Bueb isch eim geng überall im Weg, nehmet ne nume furt," sagte Fräulein Kürsch.

„Los, söll is d'r Mamma säge?" frug das Kindermädchen.

„Sie het mr o geng Alles us de Singere gschrisse," entgegnete Theodor.

„Du hättisch d'r ja drmit chönne weh thue, Chind," sagte Fräulein Kürssch ganz sänftiglich, da fie sah, daß ein Stärkerer über Theodörchen gekommen war.

Als Mittags der Kleine sie zum Essen rief, war er wieder „Schatzchind", als er ihr auf Geheiß der Mamma beim Essen Brod anbot, wurde ihm mit „Merci, Schatzeli" gedankt. Diese auf- und absteigende Scala wiederholte sich jeden Tag ein paar Male und Fräulein Hürsch sagte seufzend: „S'wär e scharmanti Stör, wenn das Säu-Theodöri nit wär !“

Die Herren der Schöpfung sind bekanntlich den armen Schneiderinnen nicht sehr gewogen, ja manche Frau muß alle Frünste anwenden, um sie dem Manne nicht vor Augen zu bringen. Unser Doktor theilte die Abneigung seines Geschlechtes gegen die Künstlerinnen von der Nadel in vollem Maße. „E rechtschaffene Burger geit ne süst us em Weg,“ pflegte er zu sagen, . aber Ueserein cha leider nit so druslaufe, wie öppe e Herr Nationalrath, vo wege mir hei üsi Pflichte hie i d'r Stadt und nit z!Mürre oder uf em Ssuulhorn obe."

Nun hatte Fräulein Hürsch überdieß noch die liebenswürdige Eigenthümlichkeit, mit dem Hausherrn, wenn sie seiner anfichtig werden konnte, politisiren zu wollen; sie warf ihm dann gewöhnlich das auf der letzten Stör Aufgeschnappte an den Kopf und bildete sich nicht wenig auf ihre Konversationsgabe ein.

Die Männer politisiren überhaupt nicht gerne mit Srauen; sie behaupten nicht ohne Grund, sie wüßten Alles nur halb und verstünden eine Menge von Dingen nicht, deren Renntniß man bei jedem gebildeten Manne voraussetzen dürfe, Ausnahmen natürlich vorbehalten. Zu diesen Ausnahmen gehörte aber das gelbe Fräulein nicht, ja sie brauchte noch dazu immer unrichtig ausgesprochene und falsch angewandte Sremdwörter, was dem Doktor ganz besonders ein Greuel war; seiner Frau war es daher bei Tische immer angst nnd bange, wenn Fräulein Hürssch nur den Mund öffnete.

Auch heute war dieß der Fall. Der Doktor erschien erst, als die Andern schon bei der Suppe waren, und setzte sich mit flüchtigem Gruße zu Tische, während die Hausfrau sich unendliche Mühe gab, Fräulein Hürssch in ein Gespräch über eine neu aufgetauchte Sirma, die „in Kleidersstoffen machte“, zu verwickeln. Ihre Bemühungen waren vergeblich ~ wen die Götter verderben wollen, den machen sie zuvor blind.

„Gället, Herr Dokter, sie hei-n-is doch vor-n-es paar Iahre im Ständerath e schöni Suppe ybrochet mit d'r Gotthardsupplikation ?* frug die Gelbe plötzlich mit triumphirender Miene, während die arme Frau dreinschaute wie Einer, der an ein Pulverfaß gekettet ist, an das man die brennende Lunte legt. „Da hei m'r chönne üses guet Geld in e schlechte Hafe werfe, und mi het scho dennzumale gseit, wenn einisch d'r Gotthard offe sng, su werde m'r de prüüßisch. Wenn me-n-es Loch mach, su schlüüf d'r Tüfel yne, seit d'r Herr Professer Bädeli."

Der Doktor brummte etwas von Weibergeschwätz, auf das man gar nicht eintreten könne; aber Fräulein Hürsch fuhr unbeirrt fort :

„Mi cha’s öppe gnue erfahre, wie's mit dene Ysebahne und Brüggebauereie und Settigem geit. wie Mänge isch nit scho dürebrönnt mit ere Kasse, nume i d'r letsschte S5ht ? Das chunt ebe vo dene chäzis Ysebahne und Telegraphe ; wie-n-e Schwick sy sie us em Land, die Halungge, und mir chönne ne nacheluege."

„Dumms Zütig !" sagte der Doktor. „Es isch gar kei Sinn i dem, wo D’r da vorbringet; dara sy d'Ysebahne nit d'Schuld, wenn e Kassier Ryßus nimmt."

„Ebe,“ erwiderte Fräulein Kürsch, die sich wie ein Eichhorn von’ einem Aste zum andern schwang, „ebe dara isch üsi schlechti Polizei d'Schuld und d'’Abschaffung vo d'r Todesstraf und d'Nationalchemie. Im Zuchthuus hei's die Kerline besser als es ehrlichs Srauezimmer, wo sich fasch d' Singerbeeri vorab arbeite mueß für die Spitzbuebe helfe z'erhalte.*

„E fo syd doch froh, wenn sie dürebrönne, so sy sie.n-Ech ja us de Chösste," warf der Doktor dazwischen.

„Ja, und mit dem neue Strafgsetzbuech isch es o nit," hüpfte die Gelbe fröhlich weiter, „süsch würde die Brandstifter, wo-n-is d'Hüser azünde, -anders gstraft, du myni Güeti! Syd Dir yversstande mit dem neue Sriedesrichtergset, Herr Dokter ?"

„Mit was ?" frug dieser, seinen Teller mit Gemüse füllend.

„E mit dem Getz, daß jiz jede Bueb, wo us d'r Schuel isch, chönn Sriedesrichter werde und dörf heussche, was er well, und jedi Frau, wo d'r Ma taub machi, chönn vorgforderet werde und a Schatte gheit."

„So," sagte der Doktor, „hei üsi wyse Landesväter e settigs Gsetz gmacht. I ha zwar nüt drvo ghört, indesse schynt m'r d'r letscht Paragraph ganz am Ort z'sh. Nume, wenn i öppis drzue z'säge hätt, su müeßt mr no dry, daß me d i e Wyber o a Schatte dörft thue, wo eim nit rüehjig la esse und geng vo Sache rede, wo sie nit vrstande. Adieu."

„D'r ßerr Dokter isch doch geng so guet ufgleit und fo iebeswürdig,“ sagte Fräulein Bürsch, ihre Serviette faltend. „Weit D'r öppe so guet sy und cho aprobiere, Frau Doktere ?"

„Lieber de, wenn D'r umechömet," erwiderte die Dame aufstehend.

„Ganz wie's Ech lieber isch. ~ Schicket Ech underdesse e chly, ihr Döchtere,“ mahnte die Gestrenge und ging ihres Weges.

Nach kurzer Pause setzten sich die jungen Mädchen wieder zur Arbeit. Sie waren immer froh, wenn Fräulein Hürsch bei Tisch das gelehrte Register zog, weil sie dann vor tadelnden Blicken und Worten Ruhe hatten. Die heutige Niederlage mochten sie ihr zwar herzlich gönnen, wußten aber wohl, daß sie dieselbe zu entgelten haben würden.

Anna hatte heftige Kopfschmerzen ; sie sehnte sich danach, ihr gequältes Haupt irgendwo niederzulegen und die Augen zu schließen, aber davon konnte keine Rede sein.

„Ja was meinsch ?“ erwiderte ihre Gefährtin auf einen bezüglichen Wunsch. „Wie wett i alleini möge ko, und du weisch, wie fie mit is ustüflet, we m’r nit Alles gmacht hei, was sie im Chopf het."

„J wett scho nähje," meinte Anna, „aber i gseh chuum meh wohin i stiche."

„Gang heufch öppe-n-es alts Tüechli nnd e chly Essig und mach D’'r Umschläg uf d'Stirne, das thuet D'r sicher guet,“ rieth Elise.

„I ma nit,“ erwiderte Anna. „D'Gotte faht süsch wieder die alti Lyre a vo wege d'r Schnyderei und das vrleidet m’r afe wie chalts Chrut."

„E nu, so will is probiere," sagte Elise. „Öppe z'töde wird das nit gah."

Nach einer kleinen Weile kehrte sie zurück, in der einen Hand das Tuch und ein Näpfchen mit Essig, in der andern eine Tasse Kaffee. „I wett, i hätt o so-n-e Gotte," meinte sie, das Tüchlein in den Essig tunkend; „enanderenah het sie Gaffee gmacht und mir o no g'’gäh, denk nume, und keis Wörteli balget.“

Anna löste ihre schweren Slechten und fühlte sich durch die Umschläge und den starken Kaffee bedeutend erleichtert, so daß sie, als Theodor nach gehaltener Siesta rosig und frisch in tadellosem Anzuge wieder auf den Schauplatz trat, mit ihm plaudern und tändeln mochte.

Da erblickte die kleine Gesellschaft von ferne den daherwandelnden gelben Sonnenschirm. Flugs schickte Anna sich an, ihr Haar wieder aufzustecken; aber ehe sie damit zu Stande kommen konnte, war die Gestrenge mit unheilverkündender Miene in die Veranda getreten, wo die unglückliche geleerte Tasse noch auf dem Tische stand,

„Pfitusi, pfitusi," sagte sie bissig ; „wieder die Mähne! Gang wäsch d'ßänd, Anna. – Und was hei die Sräuleins ssider gmacht ?" frug sie nähertretend, „Gaffee trunke und mit dem Chind gfätterlet, schynts !“

„Excusez," erwiderte Anna, „i ha so Chopfweh gha und gar nit chönne arbeite, du het m'r d’ Gotte Gaffee gmacht; es het m'r’s drum gheusche," setzte sie hinzu, Elise einen Blick zuwerfend, den diese verstohlen erwiderte.

Dieß „es het m’'r's drum gheusche" war nämlich eine von Fräulein Hürsch oft gebrauchte Redensart. Sie hielt sich für leidend ~ wohl nicht ohne Grund, wie wir später sehen werden ~ und verwandte deßhalb eine ganz besondere Aufmerksamkeit auf ihren Magen und dessen Sunktionen. Es war wunderbar zu hören, was dieses Organ leisten und nicht leisten konnte. Mochte sie irgend ein Gemüse nicht, war eine Suppe, ein Brei angebrannt, so hieß es : „Es heuscht m'r's nun einmal nit und wenn i's trotdem isse, su kunveniert es m’'r nit.“ Handelte es sich aber um einen delikaten Gurkenfalat, eine süße fette Speise, so bellte das gute Geschöpf und vergnüglich einpackend sagte die Gelbe : „Lueget, es heusscht m'r's."

Daß nun diese Redensart auch von Andern, von ihren Lehrtöchtern, gebraucht werden könne, schien ihr höchst anmaßend. „Warum nit gar, du bisch halt es meisterlosigs Gschöpf, was d’'s Muul guet dunkt, das mueß ynegschüttet sy, aber de d’Arbeit — la gseh !! –~ Und nun ergoß sich ein Strom von Vorwürfen über die armen Mädchen bis Elise weinte, Anna glühend roth vor Zorn und Aufregung sich zu vertheidigen suchte.

„Gang, Frau," sagte der Doktor, dessen Zimmer neben der Veranda lag, fich zum Ausgehen anschickend, „gang stopf ere d's Muul mit es paar Güetzeni, daß sie die arme Meitscheni chly i Rueh laht. Es wird ihri Nationalchemie sy, daß sie so usgschirret."

Anna’'s Kopfschmerz wurde immer stärker. Sie machte Stich um Stich und hörte wie im Traume auf die Worte, die an ihr Ohr drangen. Es war ihr, als sähe sie ein halbversiegtes Bächlein Tropfen um Tropfen von glühendem Selsen herabfickern und mühe sich vergeblich, einen derselben zur Labung aufzufangen. Endlich fiel selbst der Lehrmeisterin ihr versstörtes Aussehen auf ; sie fühlte einen Strahl von Mitleid und schalt sie selbst d ann nicht, als der größte Theil ihrer Nachmittagsarbeit wieder aufgetrennt werden mußte, sondern schickte sie heim, während sie um so eifriger die angefangene Tagesarbeit zu vollenden fuchte und Elife kaum Athem zu schöpfen gestattete.

Die Sonne war untergegangen als die Schneiderinnen ihren Heimweg antraten, aber noch färbte ihr Wiederschein den westlichen Himmel und rosige Wölklein segelten auf dem blauen Meere dahin. Ein weicher Duft lag über Berg und Thal und selbst die unbeseelte Natur schien freudig aufzuathmen in der warmen stillen Abendluft.

Die zwei Damen aber waren nicht so behaglich und friedlich gestimmt. Fräulein Hürsch schimpfte über den Staub auf der Straße und zählte in Gedanken die unvollendete, bis Ende der Woche abzuliefernde Arbeit auf. Plötzlich sagte sie laut, so daß das trübselig hinter ihr her zottelnde, halb schlafende Mädchen aufschreckte : „Ja, hinecht mueß dä Rock für d’ Frau Obersti no fertig gmacht werde; mir müeße-n-is no drzue ha, Elise."

„Hinecht no ?“ frug diese gähnend. „Chönne m'r de nit i d’s Bett, wenn mrr heichöme ?“

„Das wär öppe chumlich, grad underezschlüfe, wenn me vo d'r Stör heichunt. Dir shd m'r emel e schläferigi Nation dir. Und bsunders jiz, wo d’'s Anna nüt cha mache, söttet d'r's uf d’ Ehr näh."

„I wett i hätt o Chopfweh,“ meinte Elise verdrießlich, „su chönnt i o i d's Bett ga liege, wie d's Anna; 's hätt o nit bruucht so nöthlich z'thue."

I glaube würklich nit, daß Phantast drhinder syg,“ sagte Fräulein Hürsch; „es isch süst e flyßigi Arbeitere und het Schygg. Du gist emel nit d'Süeteri under ihn's, Elise, wenn d’ scho bäumelisch wie-n-e welsche Hahne und länger i d'r Lehr bisch als es. I cha-n-ihm scho hie und da öppis gäh zum Garniere und dir mueß me ja no jedi Blegi nacheluege, wo d’anäjhsch.“"

„I mache my Sach so guet i cha,“ erwiderte Elise, „und besser als guet cha’s Niemer mache.“

„Bhüetis nei," spöttelte Fräulein Hürsch, „emel du jedefalls nit. -– Aber was luegsch m’'r geng hindertssi? I wott das abselut nit ha, es schickt si nit; da het d'z Anna 0 d’s Pre vor d'r, es het viel besseri Maniere weder du."

„Es isch schier gar en Engel,“ brummte Elise.

„Was hesch da z’brummle ? ~ So, endlich wäre m'r daheime. Gang jyz gschwind ufe und zieh d'r Huet ab, nache cumm enanderenah cho arbeite.“

„Nume nit gsprengt,“ sagte Elise, langsam die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinanssteigend.

Nur zu langsam verflossen unserer lebenslustigen Anna die zwei Jahre der Lehrzeit; Geschmack und Geschick machten sie indeß zu einer sehr guten Arbeiterin und sie wurde nach und nach beinahe ein Günstling des gelben Sräuleins, das sie gerne als bezahlte Gehülfin noch länger behalten hätte. Dieß war auch der Wunsch ihrer Pathin und Doktors, die für ihren oberflächlichen, jedem Eindrucke zugänglichen Charakter eine Menge von Gefahren voraussahen, wenn sie bei ihrer Iugend sich selbst überlassen wäre.

Damit stimmten aber die Wünsche des jungen Mädchens nicht überein. Sie war des „Zwangs“ längst müde geworden und wurde darin heimlich von ihrer Mutter unterstützt, die für sich einen Vortheil darin erblickte, wenn Anna nicht mehr unter der Obhut ihrer Freunde stund.

Das junge Mädchen hatte sich in letzter Zeit einer ihrer Gefährtinnen sehr angeschlossen, die vor einigen Wochen nach der französischen Schweiz gegangen war und dort in einem vAtelier“ eine Stelle gefunden hatte. Diese setzte Alles daran, die geschickte Freundin in ihre Nähe zu ziehen, und fand Arbeit für sie in dem nämlichen Geschäft. Ohne Iemand zu Rathe zu ziehen, nahm Anna mit ihrem gewöhnlichen Leichtsinn die Stelle an, sobald sie sich das Geld zu einem Anzuge und den Reisekosten verdient hatte, und kündigte Fräulein Hürsch ihren Entschluß erst an, als sie mußte.

Da brach das Wetter los. „So so, das sy schöni Neuigkeite. Chuum het me so mene Schlärpli d Nase putzt, so lauft es furt und seit eim nit emal dankheigisch für Alles, wo me mit ihm gha het. Nimmt mi wunder, was fie bi d's Dokters drzue säge. Nimmt mi wunder."

„Du geisch doch no zur Gotte ga Adie mache ?" frug Elise. „Gseit hesch ere's doch ?"

„Mei,“ antrwortete Anna zögernd; „i ha denkt, i schryb ere de e schöne Brief, wenn i einisch furt syg. Aendere dra cha sie nüt, und das ewig Kähr isch m'r schuderös zwider."

„Los, das hätt doch o kei Manier," mahnte die Freundin. „Du muesch doch nit so alli Brügge hinder d'r abbreche; du weissch ja nit, öb de gueti Lüt nit no nöthig hesch.“

„Mira, su cha-n-i ja am Sunntig no gah,“ sagte Anna; „aber i weiß eigetlich nit warum me nit cha frei und sy eigene Meister sy, we me doch selber sys Brod vrdienet."

„So, also i d’'s Welschlang möchtisch ?“ fragte Züsseli, als Anna ihr ihren Entschluß mittheilte. „Würklig i d's Welschlang ? Möchtisch o wieder öppis dürezwänge, Aenneli ? Was denkssch aber o? E fettige Pfyfolter i d's Welschlang ? Du geisch z’ Grund a Lyb u Seel und de ha-n-i vrgebe sövli zahlt für di. Bsinn di no gäb d’ so öppis machsch."

„Das isch usbsinnt,“ sagte Anna. „D’Sach isch abgmacht, und die anderi MWuche mueß i gah."

„Herr Je, Herr Je!“ rief Züseli und schlug die Hände zusammen. „Albez hätt doch so-n-es Meitschi öppe e Gotte, wo so viel für ihn's tha het, um Rath gfragt, ~ Nei, was isch das o für-n-e Welt !“

„Adie, Gotte ; es schlaht Vieri, i mueß gah ; lebet wohl und zürnet nüt. I schrybe-n-öppe de."

Damit wollte Anna flüchtig sich verabschieden, als die Hausfrau in die Küche trat.

So, Anna, das isch schön, daß D’r o einisch wieder zur Gotte chömet," sagte sie.

„Ja denket Frau," rief Züseli, ,was me doch erlebe mueß. Da wott das Säumeitsschi jiz no i d's Welschlang ! Het me afe so öppis ghört ?“

„Isch das schon en usgmachti Sach? I wett m'r’'s emel no wohl überlege," sagte die Dame. „Dir wüsset, Anna, daß Eui Gotte gmeint het, emel no es Iahr oder zweu söttet D’r bi d'r Jumpfer Kürsch blybe, wil D’r doch dert so i guete Hände snd und viel profitiere chönnet. Was seit sie drzue ?“

„Sie isch natürlich nit gar zfriede, daß i gange,“ sagte Anna selbstgefällinz. „So lang me da isch schimpft sie eim e ganze Tag us und nache wott sie eim nit la gah."

Wenn sie eire vo ihre Lehrtöchtere het la Grechtigkeit widerfahre, so sshd D ir's gsi, Anna," sagte ernst die Frau Doktorin. „Daß D'r nit Eues Lebelang by-n-ere blybe weit isch ja natürlich; aber Dir syd no sehr jung, überleget Ech’s no."

„Ja, i cha nimme zruck,“ meinte Anna, .i ha mys Vrspreche g'gäh und mueß es halte-"

„Su ganget i Gottsname. Wie me sich bettet, so Int me; aber gar schön heit D'r’'s Euer Gotte nit gmacht, Anna.“

„Nei, myr Treu nit," sagte diese und trocknete sich die Augen mit der Schürze. „I bi mi meh weder einisch greuig gsi, daß i sövli ~ U de het m'r dy Vater no gseit gäb er gstorbe isch, i söll emel guet zu d'r luege, du manglisch Ufsicht."

„Bis jyz emel ha-n-i-n-Ech ke Schand macht, Gotte," erwiderte Anna, bluthroth werdend, „und i wett bald lieber, Dir hättet mi daheim glah bir Muetter, weder mr geng fürzha --"

„E Anna, Eui Gotte wott ja nume Eues Beste, Dir vrstandet enandere nume nit recht; sie meint ja nume, Dir föllet Ech brav uffüehre, daß sie's bi Euem Vater einissch vrantworte chönn. Gället Züseli, so meinet D'r's ?!

„Prezys eso wie D’r säget. Es macht m’'r angst um's Aenneli, vo wege so-n-es jungs Meitschi fo wnt eweg z’lah, das het e Nase, bsungerbar so-n-e Oali."

„Adie Frau Doktere, i mueß gah, es schlaht scho bald Vieri. Adie Gotte; i sschrybe de öppe wie's mrr geit."

„Es netts Meitschi,“ sagte die Dame, der flüchtig dahineilenden Gestalt nachschauend, „flingg, gschnd; wenn's nume d’s Lebe e chly ernster aluegti."

„Ja das het es vo syr Alte,“ sagte Züseli; „d’r Vater isch ganz angers gsi, un i traue geng, sie mach ihm d'r Chopf groß; sie isch e Täsche wo se d'Fut arüehrt. Wüssit D’r, Frau, was me denn erzellt het ?"

„Dir heit m'r’'s scho gseit, Züseli. I denk, Dir föttet ga füüre, d'r Herr wott früech z’Abe hüt."

Der Tag von Anna’s Abreise war gekommen. Ihr Hoffer stund in dem engen Hausgange und sie legte noch die letzte Hand an ihre Toilette, als Elise kam, sie zum Srühstück zu rufen. „Du wirsch luege," sagte sie, „so öppis ha-n-i no nie erlebt; s'isch en Aenderung vor em Tod vo d'r Alte."

Trotz ihres beständigen Schimpfens über Anna’s „Druslaufe" hatte das gelbe Fräulein für ein splendides Srühstück gesorgt und sogar frische „Weggli“ dazu holen lassen, ein bisher unerhörtes Ereigniß.

Anna war nicht besonders weich gestimmt. Die Zukunft erschien ihr viel zu rosig, die vergangene Lehrzeit viel zu dunkel, als daß der Abschied ihr hätte schwer fallen können. Als die gute Elise sie weinend umarmte und versicherte, es syg d'r einzig Mönsch uf d'r Welt, dem es öppis nahfrag, und es wüß nit was afah so alleini, und d's Anna wüß ja, wie-n-es es arms Waisli syg und föll ihm doch all vierzeche Tag jchrybe und ihns lieb bhalte, da erwiderte Anna diese Zärtlichkeit nur kühl und war recht froh, als Fräulein Hürsch aus der Nebenstube herüberrief: „Mach gschwind, Anna, d'Bahn wartet nit,“ leiser hinzusetzend: „Das ewig Bhüete. vrsuumt ja e halbe Tag."

„Lebet wohl, Jumpfer Hürsch," sagte das junge Mädchen, „i danke-n-Ech vielmal für alli Mühj, wo D'r mit mrr gha heit. I will öppe de schrybe, wenn i Zyt ha."

„Ja, ja," erwiderte das gelbe Fräulein, „es freut mi, wenn's D'r guet geit; drnebe glaube-n-i s nit, i kenne ds Welschland o und ihri tusigs Brütich. ~ Kesch d'Reste zu dyne Chleidere? ~ Guet. – Adieu."

Drittes Kapitel. Im Welschland.

Im Atelier von Madame Toutrond wurde Anna sehr freundlich empfangen. Die elegante stattliche Dame kli, „e sie auf beide Wangen und überschüttete sie mit einer Sluth von Worten: Voilà la nouvelle ourrière! Quelle deliciense petite figure, distinguée, vraiment! Mais vous paraissez délicate, ma ehére. Avez-vous été malade dernierement? Oe serait facheux; nous u’avons pas le temps d’être malade ici, va. – Elle est charmante,“ sagte sie etwas leiser zu Emma, der Freundin, die sie am Bahnhofe abgeholt hatte, „et elle a l’air intelligent.“

„O pour cela je vous en réponds,“ versetzte Jene.

„Eh bien, eonduisez-la dans sa chambre et montrez-lui la place pour mettre ses effets, ensuite vous redescendrez rite, Emma,“ gebot Madame.

„Und wie gfallt d'r jyz üsi Madam, Anna?" frug Emma, als sie zusammen den Koffer hinauftrugen.

„Die isch anders fründlich als üse Bär daheime," erwiderte die Angeredete. „Aber d’'s Sranzösische macht m’'r Chummer; i wirde viel usglachet werde, bis i so gleitig parliere cha wie du."

O das chunt d'r de hie wie im Schlaf. Wirsch gseh, Anna, das isch hie bi üs ganz es anders Lebe als i d'r Chefi vo d'r Jumpfer HKürsch."

Emma hatte nicht zu viel gesagt, das war wirklich ein durchaus verschiedenes Leben. Anna hatte sich indeß bald eingewöhnt und selbst die Sprache machte ihr nach kurzer Zeit so wenig Schwierigkeiten mehr, daß Madame sich nicht genug wundern konnte über die Intelligenz „de la jeune Allemande.“

Ueberhaupt war sie meist die Sreundlichkeit selbst, die Worte strömten wie Honig über ihre Lippen, sie sparte das Lob nicht, wo sie es nur immer anbringen konnte, ging mit ihren Arbeiterinnen um wie mit jüngern Schwestern und machte sie zu Vertrauten ihrer häuslichen Zwistigkeiten, de ses petits orages domestiques. aber – Geld hatte sie nie, das mußte man nicht von ihr verlangen. „Ne me tourmentez done pas tant. ma ehère,“ erwiderte sie auf jede Bitte um Bezahlung von Seiten eines der jungen Mädchen, „vous aurez le premier frane qui me reste en mains, je vous le jure.~ ~ Aber da saß der Haken ~ es blieb ihr selten Geld „en mains“. Entweder brauchte sie es, um sich lästiger Schulden zu entledigen, oder es wurde ein neuer Hut, ein neues Kleid gekauft, irgend eine Lustfahrt angestellt und fort waren die goldenen Vögel, so viele ihr deren auch in's Haus flogen, denn sie arbeitete geschmackvoll und elegant, ließ sich aber auch gehörig dafür bezahlen.

Wartete sie ihren Arbeiterinnen auch nicht mit blanker Munze auf , so gingen diese doch nicht ganz leer aus. „Voilà une étofke qui vous ira à mervreille, allez. vous en anrez une belle robe: un chapeau se tronvera aussi.s So kamen die Mädchen allerdings zu hübschen Kleidern und zu einer bedeutenden Dosis Eitelkeit, aber nicht zu Geld. Die spärlichen Tropfen davon, die aus Madame'’s stets geöffneter Hand auf sie niederträufelten, fielen wie auf heißgen Stein und wurden alsbald verschlungen durch die dringendsten Bedürfnisse oder zu etwas ganz Ueberflüsssigem verwendet.

Die Kost war sehr ungleich. Hatte Nsadame Geld, so lebte man flott; trat Ebbe ein in ihrer Kasse, nun, dann kam auch wenig und schlechtes Essen auf den Tisch. „Il kaut savoir s’arranger d’apres les cireonstances,“ sagte Madame mit dem liebenswürdigsten Lächeln, das eine Reihe von Perlenzähnen enthüllte, die dem Sahnarzte alle Ehre machten. Ob sie sich selbst in solchen Sällen die gleichen Entbehrungen auferlegte, darüber stiegen in den Mädchen bescheidene Zweifel auf, die bald zur Verneinung führten, seit eine von ihnen einmal in Madame'’s Zimmer gesandt wurde, etwas zu suchen. Dasselbe glich einer Trödlerbude, und als sie so umherstöberte, entdeckte sie eine nur leicht bedeckte Niste, worin Liqueur, Torte, Gallerichpastete bunt durcheinander lagen. Monsieur durfte diese Genüsse zuweilen theilen, wenn ruhige Sluih, d. h. Srieden zwischen ihnen war, sonst tröstete er sich in irgend einem Restaurant.

Arbeiten mußten die jungen Mädchen hier noch mehr als bei Fräulein Hürsch. Zwar fing der Tanz Morgens selten vor neun Uhr an, dafür aber war es meistens Mitternacht, wenn Madame sagte: „C'est assez pour aujourd’hui;: vous pouvez vous retirer, mes amies.* War sehr viele Arbeit, so mußten die Mädchen wohl ganze Nächte aufbleiben und schliefen dann stehend und gehend ein, was Madame .savoir rattraper le sommeil“ nannte. Als Erquickung bei dieser nächtlichen Arbeit gab es zuweilen, doch sehr selten, Liqueur und Biscuit, gewöhnlich Wein und Brod, oder wenn die Kasse leer war, bloß kalten Sruchtbrei, aber wenn die Arbeit vor Mitternacht aufhörte gar nichts.

Das Schlimmste war, daß auch die Sonntage zur Arbeit ausgenutzt wurden und nur hie und da, wenn das Metter recht schön, die Einnahmen reichlich und die Gläubiger nicht allzu indiskret waren, wurde Nachmittags eine Lustparthie gemacht. Von Gottesdienst war nie die Rede.

Dieß that Anna, so leichtsinnig sie auch war, doch weh. In den letzten Iahren war sie gewöhnt worden , den Sonntag als leiblichen und geistigen Erquickungstag zu betrachten und zu gebrauchen. Fräulein Hürsch hielt strenge darauf, daß Morgens die Kirche besucht werde; Nachmittags oder Abends mußten die Mädchen mit ihr spazieren gehen, was ihnen zwar als lästige Pflicht erschien, immerhin aber ein Ausruhen war. In der arbeitsvollsten Zeit durften sie an den Sonntag-Nachmittagen ihre Kleider flicken, fonsst mußten sie dieß am Samstag Abend thun.

Anna besonders hatte früher oft über die Langweiligkeit dieser Sonntage geklagt; nun begann sie sich danach zu sehnen, da das ewige Einerlei im Atelier von Madame Toutrond , wo man nie auf Stören ging, noch viel ermüdender war. Sie bat Madame, sie doch einmal zur Kirche gehen zu lassen.

„Mais pourquoi, ma ehere?“ entgegnete diese freundlich. .JII faut porter la religion en soirmême, alors on n’a pas besoin de la chereher à l'église: mais vous êtes une tinette, vous voulez gagner un bout de sommeil, avouez-le seulement.“

Dieß war nicht Anna’s Absicht gewesen; aber sie sagte sich selbst, daß sie wahrscheinlich in der Kirche mehr schlafen als zuhören würde, und bestand deßhalb nicht auf ihrer Bitte, was ihr wohl auch nicht viel geholfen hätte, denn trotz aller Liebenswürdigkeit wußte Madame ihren Willen stets durchzusetzen.

Einen weitern schlimmen Einfluß übte Letztere dadurch auf ihre jungen Arbeiterinnen aus, daß sie es mit der Wahrheit gar nicht genau nahm, oder vielmehr, daß dieselbe für sie gar nicht vorhanden war. Sie versprach ihren Kunden goldene Berge, ohne die leiseste Absicht ihr Wort zu halten; besonders war dieß der Fall in Bezug auf die Zeit der Ablieferung versprochener Arbeit. „En trois jours, vous pouvez y compter,“ war stehende Redensart bei ihr.

„Mais, madame,“ wagte dann zuweilen eines der jungen Mädchen zu fagen. „ce n’est pas possible de faire cet ourrage en trois jours.“

„Drôle que vous êtes,“ entgegnete Madame lächelnd, „personne ne prend cela ä la lettre. c'est une maniere de parler.“

War die verssprochene Arbeit nicht zu rechter Zeit fertig, so half sie fich gewandt aus der Klemme. Entweder ließ sie durch eins der jungen Mädchen sagen, Madame sei nicht zu Haufe und habe verboten, in ihrer Abwesenheit fertige Arbeit herauszugeben, ehe sie sich selbst von deren tadellosser Ausführung überzeugt habe; oder sie erschien selbst im höchsten Glanze der Liebenswürdigkeit, unendlich bedauernd, daß sie ihr Wort nicht habe halten können. aber es sei ein „grand denil“ dazwischen gelkiommen, und fie habe mit ihren Arbeiterinnen mehrere Nächte hindurch geschafft, ohne fertig werden zu können; „mais en trois jours je vous le promets pour sûr,“ schlos; sie. En trois jours war's natürlich wieder die nämliche Geschichte, und sie wußte genau, bei welchen Kunden und wie oft sie die „trois jours“ aufmarsschiren lassen durfte.

Dazu gebrauchte sie nun in gewissenlosser Weise die von ihr abhängigen jungen Mädchen; sie nannte das .savoir faire“, nnd wenn eins der Letztern je einen Skrupel äußerte, was aber selten vorkam, so beschwichtigte sie denselben, indem sie sagte: „Mais, mon Dieu, vous auriez une belle pratique. si vous disiez toujours la rérité, allez! Ce v’est pas un péché, n'est-ce pas, que de gagner sa vie honorablement? Eh bien, je ne pourrais le kaire autrement, voyez vous-même. Si je disais d’abord aux, pratiques: Revenez en trois semaines ~ persoune ne me donnerait de l’ourrage;; si je le leur promets en trois jours en les faisant attendre trois semaines, elles sont toutes contentes de l’obtenir entin.

Das war diesmal die reine Wahrheit, und wir berühren damit eine wunde Stelle in dem Verhältniß zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. – Niemand will warten. Jeder will auf Frossten eines Andern zuerst bedient sein. Meist wird die Arbeit erst bestelt, wenn man ihrer dringend bedarf, und dann wird von den Arbeitern oder Arbeiterinnen gefordert, daß sie dieselbe, unbekümmert um anderweitige eingegangene Verpflichtungen, auf der Stelle machen follen; ja es ist ganz merkwürdig, wie selbst brave, sogar fromme Leute unwillig werden, wenn eine Schneiderin z. B. ihnen nicht sogleich verspricht, was sie wünschen, während die Gleichen sich von einem Termin zum andern aufstunden und vertröften lassen, und endlich triumphiren, wenn die Arbeiterin sie versichert, ob wahr oder falsch, sie habe ihretwegen eine andere Frau, vielleicht noch eine quasi Freundin, angeführt und warten lassen.

Wie oft kömmt es vor, daß eine wohlhabende Dame aus bloßer purer Laune oder doch um ganz geringfügiger Ursachen willen sich in den Kopf setzt, eine Arbeiterin auf einen andern als den vorher bestimmten Tag auf die Stör zu nehmen, ohne Rücksicht darauf, ob die von der Zufriedenheit ihrer Kunden abhängige Person ihr an anderem Orte gegebenes Wort deßhalb brechen oder, wie es dann meistens geschieht, für die reiche Dame die Sünde der Lüge auf s Gewissen nehmen müsse.

Wie viel wird auf solche Weise an den armen, aus ihrem Verdienste lebenden Arbeitern verschuldet und fällt gewiß einst vor dem allwissenden Gott nicht ihnen, sondern uns zur Last, die wir sie zur Unaufrichtigkeit und zum Wortbruch recht eigentlich herangezogen haben.

Darum, liebe Leserinnen, laßt meine Bitte euch an's Herz dringen: Sorgt zu rechter Zeit und laßt, wenn möglich, in der sogenannten stillen Seit, wo der Arbeiter ja auch leben muß, Benöthigtes machen, oder aber lernt warten; achtet das Wort, das eure arme Nätherin einer Andern gegeben hat, so heilig wie euer eigenes, haltet nicht viel auf Denen, die sogleich Alles über Bord werfen, um nur euern Wünschen gefällig zu sein; rechnet es dagegen einer Arbeiterin zur höchsten Tugend an, wenn sie, um nicht wortbrüchig zu werden, euch von vorne Herein zur Geduld verweist.

Zu dieser letztern Sorte gehörte auch Fräulein Hürsch. Sie verlor zuweilen Runden deßhalb, gewann aber oft andere damit. Nie ließ sie einer angenehmen Stör zu liebe einer kinderreichen Hausfrau, bei der es lärmend zuging, absagen, wenn sie ihr einmal versprochen hatte zu kommen. „Dtm Einte recht, d’'m Andere billig," pflegte sie zu sagen. „Es thät mir o weh, wenn mir d’'Chunde ließe absäge wege so emene ufgstrüßtte Bürzi mit neue Mustere und emne Modejournal.“

Anna'’s Charakter war nicht durchaus offen und aufrichtig; kleine Nothlügen waren ihr geläufig und lasteten nicht schwer auf ihrem Gewissen, das barsche Wesen von Fräulein Fsürsch, ihr Zanken und Schelten verführten sie nicht selten zu Unwahrheiten; aber das gelbe Fräulein war nicht leicht zu täuschen, und wehe Der, die sie auf falschem Wege ertappte: „E vrlogene Mönsch het scho sy Platz bîstellt uf d'r Extrapost zur Höll,“ sagte sie.

Nun läßt es sich leicht denken, wie verderblich die Ansichten und Praktiken von Madame Toutrond auf Anna'’s Charakter wirken mußten, und wie bald die mitgebrachten guten Gewohnheiten in alle Winde verflogen waren. Nie fand sie Gelegenheit zu rechtem Nachdenken. nie hatte sie Zeit, sich ihres Gottes zu erinnern, und wenn sie zuweilen beten wollte, schlief sie darüber ein. Ihre Gefährtinnen waren nicht besser als sie und jede Anregung zu ernsterem Streben ihnen abgeschnitten.

Natürlich logen die Mädchen nicht bloß auf Befehl von Madame, sondern auch auf eigene Rechnung, Letztere hörte daher selten ein wahres Wort, wenn sie Bericht verlangte über das, was in ihrer Abwesenheit vorgefallen war.

Eines Tages hatte Anna vergessen, ein fertiges Kleid in einem vornehmen FKundenhause abzugeben. „A bah, dä dumm Rock," sagte sie, ihre Vergeßlichkeit gewahr werdend, „i henke ne da i dä fyster Egge und de dä Regemantel drüber, i trage ne nam Esse, und wenn d'Madame fragt, wo-n-i syg, su säget de, i syg ga Nadle chaufe, gället ?"

Man versprach die verlangte Beihülfe, und als Madame kam und fragte, ob das Kleid abgegeben worden sei, bejahte Anna keck und zuversichtlich.

Bald nachher aber trat das Kammermädchen jener Dame in's Zimmer und verlangte dasselbe.

„Mais c'est un mésentendn,“ sagte Madame. „Ne m'’aviez vous pas dit, Anna, que vous aviez porté la robe ce matin?“

„Madame m'a mal comprise, sagte Anna, ein wenig roth werdend; ,„j’avais dit que je l’avais oubliée.“

Madame war viel zu gewandt, um die Sache jetzt zu erörtern, sondern sagte bloß: „Vous kerez mille exuses ä ladame. Je suis désolée de vous avoir fait de la peine. Mais. où est done la robe ?“

„Ici, madame,“ sagte Anna; „je viens de la plier.“

„Eh bien, voilà, il paraîit que je me suis trompée,“ sagte Madame mit dem freundlichsten Lächeln, indem sie der Zofe die Thüre öffnete.

Bei Fräulein Kürsch wäre nun über die Schuldige ein schreckliches Gericht ergangen, dieß war jedoch hier nicht der Fall. Madame bemerkte nur: „Vous avez voulu me dire un petit mensonge, n’estree pas, Anna ? Vous auriez dû être mieux préparée ä tout.“

Anna senkte beschämt den Kopf, nicht deßhalb, weil sie gelogen hatte, sondern weil sie nicht „preparée à tout“ gewesen war.

Einige Wochen später führte ein Auftrag von Madame sie in das Haus der nämlichen Dame. Das Kammermädchen meldete: „La jeune ouvriere de Madame Toutrond,“ und leiser: „C'est celle qui a fait la bête listoire avee cette robe, Madame se rapelle peut-être?“

„Vaites entrer,“ sagte diese.

„Dir chönnet dütssch, gället?" redete sie dann gütig das eintretende Mädchen an.

„Ja, Madame," antwortete diese etwas zagend.

„Gället Dir syhd's, wo letschthin vrgesse het, m'r dä Rock z’bringe ?"

Anna wurde glühend roth und stotterte eine Entschuldigung; aber die Dame ließ fie nicht ausreden, sondern sagte :

„Dir heit damals wahrschynlich en Unwahrheit gseit für Ech us d'r Vrlegenheit z' zieh; bi d'r Madame Toutrond, wo selber gar nit ufrichtig isch, wird Ech das ssicher nit höch agrechnet, aber nit alli Lüt denke so wie sie. ~ Hei-n-Ech eigetlich Eui Eltere dahi placiert ?"

„Nei, Madame," sagte Anna. „My Vater isch gsstorbe. E Fründin het mr zu der Stell vrhulfe.'

„Das ha-.n-i doch denkt," meinte die Dame. + Zahlt sie-nEch guet? JI frage das gwüß nit us bloßem Gwunder, i ha anderi Gründ drzue.“

„D'Madame het is e schöne Lohn vrsproche; aber sie git is fasch nie Geld, hingege Chleider überchöme m'r no ziemlich viel. We m'r Geld ha m ü eß e, isch es bös,“ schloß Anna lächelnd.

„I glaube nit, daß dä Platz geignet syg für Ech," sagte die Dame. „Eui Cüt daheime würde wohl o myr Meinung sy, wenn sie Alles wüßte. D' Madame Toutrond steit öppe nit im beste Ruef hie, und mi seit sie heig sehr viel Schulde. Am End müeßet D’r no Eue ganze suur vrdiente Lohn ybüeße und heit jedefalls moralisch meh Schade drvo als. Gwinn. Sobald sich öppis Aständigs zeigt, thätet D'r am beste, furt z’gah, wenn i-n-Ech guet zum Rath bi."

„Aber wie chume-n-i de zu mym Geld, wenn i hie furt gange?" wandte Anna ein.

„I dem Fall wendet Ech de nume a mi; d'Madame Toutrond wird scho nahgäh, wenn i-n-Ech by-n-ere z’best rede. Dir interessieret mi; i ha ghört, Dir syget flyßig und gschickt, Dir snd frömd hie, gseht aständig und intelligent und drzue sehr schwächlich us, das alles het mi für Ech ygno; machet daß D’r my gueti Meinung o recht vrdienet ?"

Freundlich reichte sie dem jungen Mädchen die Hand, dieses dankte herzlich für die gütigen Worte und kehrte, nachdenklicher als vorher, in's Atelier zurück.

Das Leben im Hause der Madame Toutrond ward für die jungen Mädchen immer schwerer und mühevoller, Tag und Nacht Arbeit, ohne Ruhe noch Rast, kein Sonntag Erleichterung bringend, Reines wagte mehr um die Erlaubniß zu bitten, den Gottesdienst besuchen zu dürfen „pour attrapper un bont de sommeil.

Madame arbeitete wenig mehr im Atelier, sie schnitt nur noch zuweilen zu und überwachte das Anprobiren, sonst war sie meist in ihrem Zimmer „pour mettre en ordre mes livres, wie sie sagte. In der Dämmerung war ein lebhaftes, geheimnißvolles Treiben im Hause, fremde Leute kamen und gingen, die Vorräthe an Sutterstoffen, Garnitur cc. wurden hervorgesucht, gemessen und abgeschätzt und verschwanden eins nach dem andern. Madame sagte, sie mache, wie alle zwei Iahre, ihr Inventar.

Hie und da vermißte man des Morgens ein Möbel oder ein anderes Stück Kausgeräth, dann meinte die Kausfrau, wenn sie die suchenden Blicke bemerkte: „Mais, qu’estree que vous regardez, ma chèére? Le mennisier l’'a cherehé pour l’arranger.“

Ungeachtet ihres Versprechens hatte Anna bloß zu Anfang ihres Aufenthaltes bei Madame Toutrond einmal nach Hause geschrieben. nachher hatte sie keine Lust und auch keine Zeit mehr dazu. Um so überraschter war sie daher, als fie eines Tages einen Brief von ihrer alten Freundin Elise erhielt, die sonst auch nicht zu den schreibseligen Naturen gehörte. Etwas mühsam entzifferte Anna seinen Inhalt, denn die bleiche Tinte und kritzelnde Seder waren der ungeübten Hand der Schreiberin nur schlecht zu Hülfe gekommen. Er lautete wie folgt :

Liebes Anna.

Es wird dich inträssiren zu vernehmen, daß unsre Iungfer Hürsch endlich hat dran glauben miissen abzureisen in die himmlische Ruhe der Seligen wie der Herr Vikar an der Leicht sagte. Jetzt wird es dich wunder nehmen wie so das gegangen ist, denn als du noch da gewesen bist, hat sie wohl etwa geklöhnt über ihren Magen, aber z'’grechtem im Bett war sie eben nie. Nun hergegen in der letzten Zeit hat es ihr grausam geböset, sie hat bereits nichts mehr essen können als Suppe und Milch getrunken, sie war so dürr wie ein Scheit und so gelb wie ein Fürbs, und hat mich manchmal wenn wir bei der dicken Frau Baruff auf der Stör waren und die uns so schön aufwartete, weißt noch ? und wir so tapfer einpackten, fast erbarmet.

Jetzt am vordern Dienstag waren wir auch auf der Stör und sie war schon am Morgen übel zweg, wir haben ihr frei angehalten sie soll doch im Bett bleiben, wir wollten die Sache ja schon machen, aber das hat nicht müssen sein, sie ist aufgekräbelt und mit uns gekommen und es ist noch zum Verwundern ordlich gegangen bis am Abend, da hat sie kaum mehr heim können, hat sich in einem fort erbrechen müssen, wir sind alle gesprungen für ihr etwas zu reichen, Eines hier aus, das Andere dort aus. Endlich am Morgen mußte ich zum Doktor, und als ich ihm sagte wie es mit ihr. hause, da meinte er, es werde wohl Matthäi am Lätzen sein. Wo er sie sah, hat er gar ein bedenkliches Gesicht gemacht und hat uns gesagt, wir follten ihr thun, was wir könnten, lang mache sie es doch nicht mehr. ~ Und richtig am Abend ist sie dann gestorben. Es hat mich doch fast gedauert, obwohl sie uns manchmal ertäubt hat. Aber gelernt hat man etwas bei ihr und genug zu essen hatten wir auch.

Jetzt warum ich schreibe, ich gedenke daran mich zu etabliren, es wäre jetzt gerade die günstigste Seit, wo die Iumpfere gestorben ist und die Runden noch nicht wissen wohin. Da habe ich gedacht wir könnten uns zusammen verassossiren, du kannst es sonderbar gut treffen mit dem Garnieren und dem Schnitt und sonst, aber mit dem Nähen bin ich dir dann Meister.

Was ich dir aber noch sagen wollte, zu deiner Alten wollen wir nicht, sie hat mir zwar davon gesagt, aber da müßten wir die besten Runden verlieren, hergegen habe ich ein Logis im Biet vorn heraus in der VRöseligaß.

Jetzt wenn du willst so thue mir es zu wissen, längstens bis in acht Tagen.

Es grüßt dich fründlichdeine

Elise.

Wie das Morgenroth einer schönen Zukunft ging diese Aussicht dem überarbeiteten, müden Mädchen auf. Selbstständig zu werden, „sich zu etabliren“, bildete ein unerschöpfliches Thema in den Gesprächen der jungen Arbeiterinnen und das höchste Ziel ihrer Wünsche. Kein Wunder also wenn unsere leichtherzige Anna über alle Bedenken hinwegsprang und mit beiden Händen zugriff, um „des Zwangs einisch los z'sân". Es war ihr ganz recht, mit der gutmüthigen Elise allein zusammen zu wohnen und sich auch gegenüber ihrer Mutter vollständig unabhängig stellen zu können. Im ersten freien Augenblick schrieb sie daher an Elise und theilte ihr mit, daß sie mit ihren Plänen völlig einverstanden sei.

Aber nun kam das Schwere der Sache. Es galt die getroffene Verabredung Madame Toutrond mitzutheilen und den rücksständigen Lohn heraus zu bekommen. Für das Letztere verließ Anna sich auf das Versprechen der deutschen Dame und ging zuversichtlich den Dingen entgegen, die da kommen faollten, oder die sie vielmehr hatte kommen heißen.

Madame machte kein sehr freundliches Gesicht, als Anna mit ihren Absichten herausrückte :

„Comment, vous voulez partir au moment où la saison va commencer et que nous avons de lourrage par-dessus les oreilles? Vons plaisantez, n’est-ce pas ?“

„Mais non, madame, c'est tout sérieux; mais je ne désire partir que le mois prochain, vous savez que nous nous sommes arrangées ainsi.“

„Peut-être dans la saison morte,“ meinte Madame, indem ihr Gesicht sich aufhellte. „Mais j’aurais de la peine ä trouver maintenant une ourvrière comme vous; cependant, si la chose est arrêtée, il n'y a rien ä dire, je vois bien qu'il faut laisser échapper l’oiseau.“

„Et madame aurait-elle la bonté de régler mes comptes un de ces jours ?* sagte Anna, ihren Muth zussammenraffend.

„Nous rerrons,“ erwiderte diese, ihre Stirn runzelnd; , je terai de mon mieux: mais si je vous laisse aller tout de suite, vous aurez des égards, n’est-ce pas ? D’ailleurs vous u’y perdrez rien à attendre, je vous enverrai l’argent, ne craignez rien, il est à la caisse d’épargne.“

Diese Versicherung beruhigte Anna indessen nicht ganz ; sie konnte sich des Gedankens nicht entschlagen, daß die „eaisse d’épargne“ wohl die Kiste mit der Gallerichpastete in Madame's Zimmer sein möchte, und daß ihre Ersparnisse dort in der Liqueurflasche steckten; auch wäre keine deutsche Seele je auf den Einfall gekommen, daß aus diesem Zimmer irgend etwas wie eine vernünftige Rechnung hervorgehen könne; aber es mußte doch so sein, denn fast täglich schickte Nsadame in der Mittagsoder Dämmerstunde ihre Arbeiterinnen nach allen Richtungen der Windrose aus mit Rechnungen, deren Grundlage in einem schmutzigen Notizbuche zu finden sein sollte, mit dessen Blättern oft die Katze spielte.

Einen solchen Anlaß benutzte unsere Anna, die deutsche Dame um die ihr versprochene Sürsprache zu bitten, damit Madame Toutrond ihr wenigstens einen Theil ihres Lohnes baar auszahle.

„Bhüetis ja," entgegnete die edle Frau; „was me vrspricht, das haltet me. Aber Dir müeßet m'r erlaube, Ech druf ufmerksam z'mache, daß es nit nume im Welsche, sondere o im Kanton Bern und andere Orte Lüt git, wo viel verspreche und weni halte, wo schöni Wort gebe, uf die me nüt baue cha, und daß es Ech überall so gah cha wie jyz mit d'r Madame Toutrond, wenn D’r so unbedachtsam und fürschützig i d's Lebe ynespringet. Sraget künftig Gott und Eues Gwüsse um Rath, wenn D'r Ech zu öppis etschließe söllet, nit nume Eui eigene Wünsch ; de ma's Ech gah, wie's will, su snd D'r i Gottes Hand und hanget nit vo Mönsche ab, sondere vo ihm und das isch gar e große Trost."

Die Sürsprache der Dame erwies sich als so wirksam, daß Anna vor ihrer Abreise den größten Theil ihres Lohnes baar in Händen hatte.

„Du bisch doch o d’s gfelligsst Tüpfi, wo's git," sagten ihre Gefährtinnen, als sie freudestrahlend ihnen das gefüllte Portemonnaie „spienzelte". „Ueserein, we me öppis vrgißt, gäb wie liecht, wird balget, aber du nit, nei, du machssch im Gegetheil no netti Bekanntschafte, mi hilft d'r zweg, und dys schitter Sigüri, wo me fast wie-n-es Erdbeeri zwüsche de Singere vrdrücke chönnt, und dys bleich Gsichtli isch dir viel nützer als Andere d'r töllst Lyb und Backe wie Chlapperrosse."

„S'issch emel jyz eso," meinte Anna mit fröhlichem Lächeln; „aber d'r nächst Sunntig Namittag, wo's schön isch, mueß is d'Madame freigäh, de gibe-n-i-n-Ech Allne es Abschiedsfeeteli, mir gange uf d’'s Land und mache-n-is recht lustig."

Viertes Fapitel. Auf eigenen Füßen.

Einige Wochen waren in's Land gegangen, ein kalter winter hatte die Erde in seine eisigen Arme geschlossen und Weihnachten war vor der Thüre.

Als Bewohnerin eines Masardenstübchens im vierten Stocke eines schmalen Haufes finden wir Anna wieder. Es war Abend und sie war augenscheinlich erst von einer Stör heimgekommen, denn sie legte eben Mantel und Hut ab. Ihr von der scharfen Winterluft geröthetes, von den schweren, dunkeln Slechten eingerahmtes Gefichtchen sah lieblich aus im Scheine einer kleinen Lampe, die auf dem Tisschchen stund, vor welchem Elise eifrig nähte. Diese war heute, da dringende Arbeit fertig zu machen war, zu Hause geblieben, während Anna auf die Stör gegangen war. Selten nur erhob sie die glanzlosen blauen Augen zu der Freundin, die. ein Schürzchen vorsteckend, sich anschickte ihrem Beispiele zu folgen.

„Was isch hinecht no z’mache, Elise?" frug sie. „Isch d Frau Glimmer cho aprobiere hüt ?"

„Du heschts guet im Sinn, wenn du meinsch die chöm da vier Stäge uf cho aprobiere, nei bhüet is, was denkssch o! Sie het d’'s Chammermeitli gschickt und la säge, du chönnissch morn i d'r Mittagsstund zue-n-ere gah drfür."

„Und wege d'r Garnitur het sie nüt la säge?“ frug Anna weiter.

„Mei, du chasch se ja de frage; aber lue's azchehre, daß m'r se nit müeße zahle, die wott allweg vo de thüürste Sranfe."

„Ja das wird Müüs ha," meinte Anna, „und am End was machts? Su hei m’r de, wenn sie-n-is zahlt, e größere Huufe Geld z’näh."

„Ja ebe, wenn sie-n-is zahlt; sie het emel no nüt drglyche tha und isch is ja scho bald hundert Franke schuldig.“

„A bah, Elise, du bisch emel geng so mißtrauisch," sagte Anna, „das hesch de vo d'r ürsschene g’'erbt, die het o Niemerem trauet, wenn sie d'Sach nit vrbrieft und vrsieglet uf d'r Hand gha het."

„Ja, drum isch sie o zu Oeppis cho; denk dryßigtused Franke het ihre Neveu chönne usnäh," entgegnete Elise.

Anna erwiderte nichts darauf und während einiger Zeit hörte man im Stübchen nur das Geräusch des durch den Stoff gezogenen Sadens und das gelegentliche Niederfallen einer Scheere.

Endlich hatte Anna ihre Arbeit vollendet; sie erhob den Fopf und rief, das zierliche Iäckchen auf ausgestrecktem Arme der Slamme entgegenbreitend: „Isch’'s nit nett, Elise ?"

„Wohl," erwiderte diese, „aber lue, d’'Sadeschläg sy no drinne."

„Das scheniert großi Geister nit," sagte Anna, „die sy bald uszoge, nache nähje-n-i no d'r Sack yne und de wei mr i d's Bett, oder hesch du no öppis fertig z' mache, Elise ?“

„Ach nei," seufzte diese, „i ma's doch nit fertig und morn isch o no e Tag."

„Ja, aber morn machsch du allweg nit viel dra," sagte Anna, den Mund spöttisch verziehend, „s'isch ja Sunntig, und übermorn wei m'r zsâme uf d’'Stör, weisch ? – Du machsch e chly z'lang a d'r Sach, Elise,“ fuhr sie eifrig fort. „Du näjsch nume viel z’guet, myn Trost, die wo’s uftrönne müeße, wüssse eim kei Dank für so chlyni Stichli; üsi Madame Toutrond het albe gseit: „„Ne faites done pas de si petits points, ma chére; il faut avoir pitié de ceux qui seront obligés de les défaire.“

„Ach," sagte Elise gleichmüthig, „es git m'r's emel nit so flüchtig z'nähje, und de bsinne-n-i mi bim Schnyde viel länger als du, es het m'r scho mängisch schier gruset, wie du dryschnäflisch."

„Da la du d'r Chummer nume a mi," erwiderte Anna. „Die elegante Dame begehre gar nit, daß me ne zu jedem Schnäfeli Sorg het, wenn d'Sach nume guet geit und mit Gout garniert isch. Nume so bi de mindere Lüte wird so gnau druf gluegt, daß nüt z’Schande gangi."

„I cha d'r nit helfe, Anna," sagte Elise, „es chunt m'r fast wie-n-e Sünd vor, settigi Bitze under e Tisch z'werfe, wie du's thuesch."

„Nu weisch," meinte Anna sscherzend, „s'het drum nit IJkderma so-n-es zarts Gwüssse wie du. Guet Nacht."

Das Stübchen, welches die beiden Sreundinnen bewohnten, hatte zwei Dachfenster, die über Dächer und Schornsteine weg Aussicht boten auf eine in der Serne bläulich schimmernde Bergkette. Sie gestatteten Sonne und Luft ungehinderten Zugang zu dem engen, schmalen Raume, welchen das Bett, in dem die beiden Mädchen schliefen, fast zur Hälfte ausfüllte. Ein eiserner Ofen stund gegenüber in einer Ecke und daneben lag ein Häufchen kleingespaltenes Holz. Ein tannenes Tischchen zwischen den beiden Senstern, ein wurmstichiger Schrank in der obern Ecke und zwei Stühle vervollständigten die Ausstattung des Stübchens. Doch halt! bald hätten wir ein sehr wichtiges Stück, den Spiegel, vergessen, der über dem Tisschchen angebracht war. Das Zimmer war in keineswegs tadelloser Ordnung, rings an den Wänden hingen Kleidungsstücke, der Tisch war mit Nähgeräth, der Sußboden mit Lappen und Säden bedeckt.

Dieß störte den Schlaf der beiden Sreundinnen aber nicht im Mindessten. Zarte Röthe lag auf Anna's Wangen, und selbst über Elisen's breite, unschöne Züge goß der Schlaf der Jugend seinen verklärenden Glanz.

Sie konnten's ziemlich gut zusammen die Beiden, wie man zu sagen pflegt, obwohl ihr Wesen grundverschieden war. Anna war zu viel, Elise zu wenig mit ihrer eigenen Person beschäftigt; Anna war geneigt zu unüberlegten Ausgaben, ihre Gefährtin drehte jeden Centime zweimal um, ehe fie ihn durch die Singer schlüpfen ließ; Anna war gewandt und flink bei der Arbeit, aber nicht sehr ausdauernd, Elise ersetzte durch Sleiß und Beharrlichkeit nicht ganz, was ihr an Geschicklichkeit abging; sie war auf das Zussammenhalten des Erworbenen, Anna bloß auf den Erwerb und ein nicht zu schweres Leben bedacht.

Inneres religiöses Leben war bei Beiden nicht viel. Anna hatte im Welschland die meisten guten Eindrücke, die sie in der Unterweisung empfangen, über Bord?geworfen, Elisen's Gemüth war durch Fräulein Hürsch's Behandlung verbittert worden. Beide besuchten indeß den Gottesdienst und führten einen durchaus anständigen Lebenswandel, auf welche Tugenden sie sich nicht wenig zu gute thaten.

Aeußerlich ging es den beiden jungen Arbeiterinnen über Erwarten gut. Das ziemlich kostspielige Abschiedsfestchen, das Anna ihren Gefährtinnen im Welschland gegeben hatte, ihr Antheil an der Einrichtung des Zimmers und des vorausbezahlten Miethzinses hatten ihren Geldbeutel noch nicht ganz erschöpft und auch Elise hatte kaum die Hälfte ihrer bisherigen Ersparnisse dafür gebraucht. Als Nachfolgerinnen der soliden und geachteten Fräulein KHürsch hatten sie gleich zu Anfang eine hübsche Rundschaft erhalten, die sich stets vermehrte, da die Mädchen eifrig bemüht waren, ihre Leute zufriedenzustellen. Hier offenbarte sich denn auch wieder die Verschiedenheit ihres Wesens. Während Elise die Bürgerhäuser, wo es einfache, solide Arbeit gab, vorzog, bediente Anna weit lieber die vornehmen, eleganten Damen, wie jene Frau Glimmer, von der zwischen ihnen vorhin die Rede war.

Diese Letztere war eine jener zierlichen Damen, die nie bezahlen können, auch wenn die Mittel dazu in ihren Händen sind, sondern ihre Arbeiter und Arbeiterinnen auf den Lohn, meist auch auf den Ersatz des für sie ausgelegten baaren Geldes warten lassen, so lange es irgend angeht, und wenn die armen Leute dann dringend werden, ihre gerechte Sorderung als Unversschämtheit aufnehmen und ihnen am Ende den sauren Verdienst als Almosen darwerfen, um sich von ihnen weg einem neuen Opfer zuzuwenden.

Für jetzt aber lagen noch keine solchen Schatten zwischen der Dame und der jungen unerfahrenen Anna, die stolz darauf war, einer so vornehmen, glänzenden Kundin arbeiten und ihr sogar Geld vorstrecken zu dürfen. Die Dame aber war lauter Sonnenschein und Holdseligkeit, so lange die in ihr Netz gerathene Sliege willig sich aussaugen ließ.

Die späte Dämmerung des Wintermorgens war längst angebrochen. Aus den Schornsteinen kräuselten überall Rauchwölkchen sich zum trüben Kimmel empor, die morgendliche Thätigkeit der Köchinnen verkündend, Glockenklänge kamen von fern und nah über die schneebedeckten Dächer, einzuläuten den Tag des Herrn. Seine Vorhöfe sollten heut’ offen stehen allen Arbeitsmüden, allen Beladenen und unter geistigem oder leiblichem Drucke Seufzenden, damit sie ihre Seelen vom Werktagssstaube reinigen und sie baden könnten in dem Muell des Lebenswassers, das, vom Throne Gottes ausgehend, alle Seiten, alle Länder, alle Verhältnisse durchströmt und jedem Durstigen unvergängliche Labung beut.

Auch zu den Ohren der beiden Schläferinnen im Dachstübchen drangen endlich die hehren Töne. Sie erhoben sich, lauschten und wurden inne, daß es Sonntag sei und sie sich beeilen müßten, wenn sie noch zeitig genug zur Kirche kommen wollten. Hastig schlüpften sie in ihre Kleider und Anna fing an, ihre „Mähne z’behandle“", wie Fräulein Hürsch es nannte, während Elise, deren kurzes Haar bald geflochten war, gutmüthig das Bett machte, fortwährend brummend über ,die chätzers länge Haar“ und ihrer Freundin wenigstens zum fünfzigsten Male vorhaltend, wie viel besser sie daran thun würde, dieselben abzuschneiden und zu verkaufen.

„Schwyg m'r jyz de drvo," sagte Anna, ungeduldig an den Strähnen zerrend, „i ha d'r scho mängisch gseit i thüj's nun einmal nit."

„So chöme m'r gwüß z'spät für d' Predig," entgegnete Elise, indem sie sich zu der Spirituslampe niederbeugte, um die Slamme anzuzünden, die den gemeinschaftlichen Srühsstückskaffee kochen sollte; „es lütet ja scho bald.“

„U de," meinte Anna achselzuckend, „su geit me es anders Mal; deßwege vrchaufe-n-i myni Haar emel no lang nit," fügte sie bei, mit eitelm Wohlgefallen die soeben beendigte, fast handbreite Slechte durch die Hand gleiten lassend.

Es isch nun einmal asständig, z Predig z'gah ," sagte Elise; „d'Jumpfer Hürsch het albez gseit, es mach gueti Gattig uno mi glaubi nit, wie viel die nette Chunde eim druff heige, wenn me uf de Störe chönn säge: I bi im Münster z’Predig gsi, da und da het d'r Herr Pfarrer d'r Text gha, er het über d'Reformer loszoge, zwone Sraue isch es übel worde und e Fund isch i d'r Chilche umegloffe.“

„Aber los," wandte Anna ein, die mittlerweile mit dem Friämmen ihrer Haare fertig geworden war, „we me nume deszwege z’Predig geit, su wird eim d'r lieb Gott das öppe nit höch arechne, das isch ihm bloß d'Visite gmacht, nüt meh und nüt minder.“

„Thue recht und scheue Niemand," sagte Elise, die sich zuweilen im Citiren weiser Sprüche gefiel, sie aber nicht sehr geschickt anbrachte. – „Chumm, d’'s Wasser chochet; gieb dert d’'s Gaffeebulfer ab em Ladli; los, es lütet bim Tusig scho d's Zeiche und mir hei no nit descheniert und d'Stube no nit gwüischt.“

„Bah , das git's no Alls," sagte Anna leichthin. fich mit einem Besen bewaffnend. „Thue es Senster uf, Elise."

„Warum nit gar!“ meinte diese, „s'isch ja süsch chalt gnue i dem Ställi.“

„Aber es mueß e chly glüftet sy," behauptete Anna; ,es stinkt ja vo allem Mügliche."

„Du hesch doch es fyns Näsi," gab Elise zur Antwort; „chasch froh sy, we d' nie e bösere Gschmack dry überchunsch. Mira thue uf, we's sy mueß, aber schick di e chly."

Anna hatte bereits das Sensterchen geöffnet und mit überraschender Schnelligkeit und Gewandtheit das Stübchen gekehrt. Erst als sie Alles in die möglichst zierliche Ordnung gebracht, setzte sie sich mit der ungeduldigen Elise zum Srühstück, während draußen die Glocken zu läuten anfingen.

„JI gange afange," sagte Letztere, als sie sich, wie Anna es nannte, „agfungget" hatte, „du chasch de mache so lang, daß d' witt. Was du thun willst, das thue aber bald."

Anna stund allerdings lange vor dem Spiegel, sie verwandte viel Zeit und Mühe auf ihren Anzug, wußte aber Stoff und Schnitt geschmackvoll zu wählen. Als sie endlich in der weiten schwarzen Tuchjacke uud dem Sammthütchen durch den Hausgang ging, blickte ihr der rußige Obergeselle, der in der Schlosserwerkstätte des Erdgeschosses aufräumte, nach und fagte für sich: „Es netts Meitli und wie-n-i ghört ha schaffig und brav; mueß luege zuechezcho, we's nit scho Eine het, die chönnt mi jyz gluste; wenn i nume hüt nit so drygseh hätt. ~ Het sie mi ächtert gseh ?"

Nach dem einfachen, aus Kaffee und Bratwurst bestehenden Mittagessen holte Anna ihr Nähgericht hervor.

„Wotsch jyz gwüß scho wiederume nähje,“ sagte Elise, die vor der Kommode kniete und den Sußboden rings mit allerlei Jiram belegt hatte. „Weisch scho nimme, was d’ Frau Dokttere leschthin gseit het, wo sie di am Sunntig a d'r Arbeit atroffe het? „„Sunntigarbeit frißt d'Werchtigarbeit wie d'Sunne d'r Winterschnee.

Anna verzog ihren hübschen Mund zu spöttischem Lachen. „Ja ja," sagte sie, „predige isch e wohlfeli Sach, we me sys Brod nit vrdiene mueß. Wenn alli Predige druckt würde, won-i scho ha müeße sschlücke, es gäb es halbs Jahr lang fürn-e Ofe z'’heize und er würd erssch no schön warm drvo. Die Lüt, wo eim predige, hei gwöhnlich selber die größti Sreud, sich ghöre z’rede, und wenn me nume lost, so frage sie de d’'m Andere weni drna und luege nit lang, gäb ihri Predige öppis abbracht heige a eim. – Dä Rock für d'Frau Glimmer mueß emel hüt no fertig gmacht sy, Elise; du weisch ja wie spät sie d'Sach bstellt u wie sie de usturniert, wenn sie druf warte mueß."

„Su mach ne a eim vo de nächste Abe fertig, oder blyb morn daheime, i will alleini uf d’'Stör,“ schlug Elise vor.

„Für daß m'r de keinisch nie fertig werde bi der längwylige Frau Gelz, wo d'r Gaffee so schlecht macht und nie früsches Brod drzue git," entgegnete Anna lebhaft; „nei bim Tusig, da wei m'r nit es halbs Iahrhundert schaffe, da chumen-i mit d'r; mi mißt und schnydt und nähjt so fläthig, daß me cha, und wenn d'Sach halb fertig isch, seit me, mi chönn nit umecho, und nimmt’s hei für's usmache."

Elise, obgleich sie die Lüge, sowohl als die Sonntagsarbeit für unrecht hielt, sagte nichts mehr; sie fühlte, wie sie mit ihrer langsamen Denk- und Redeweise der sschlagfertigen Gefährtin gegenüber doch den Rürzern ziehen müsse. Iene Grundsitze waren eben noch nicht in ihr Fleisch und Blut übergegangen, fie lagen in ihrer Seele wie Abweissteine, die ihr den Weg zu Verbotenem versperrten, die sie nicht umstoßen konnte und welche zu umgehen ihre geistige Trägheit sie verhinderte; thaten dieß aber Andere, so wußte sie keinen Widerstand zu leisten, waren ihr diese Steine doch selbst oft lästig genug.

„Was wotsch du dä Abe mache, Elise?“ nahm Anna nach langem Schweigen wieder das Wort.

Diese, die in dem schmutzigen, zerlesenen Bande einer Leihbibliothek blätterte und schlafend las oder lesend schlief, wie man diese dämmerige Thätigkeit nennen konnte, erhob die Augen nicht vom Buche, als sie antwortete: „Ach i blätze de villicht my Werchtigrock."

„Aha, also du arbeitisch am ne Sunntig o? ' meinte Anna, mit einem schalkhaften Aufblitzen ihrer dunkeln Augen.

„Das isch drum nit d’'s Glyche, öb me für sich oder für Anderi arbeiti," erwiderte Elise. „D'r lieb Gott weiß ja wohl, daß i nit ghudlet darf uf d'Stör gah, und daß, wenn's es Loch git, me's blätze mueß. Und du, was hesch du im Sinn?"

„Ach, i denk, i gang dä Abe e chly zu myr Alte abe, die prediget m'r emel nit wie d'Gotte und ander Cüt," setzte sie mit einem Seitenblicke auf Elise hinzu.

„Nei, aber sie läschlet d'r d's Geld ab; erssch am leschte Sunntig isch sie d'r ja füf Sränkli cho ga etlehne und i ha nüt ghört, daß sie's umebracht heig.“

„Los," sagte Anna in gereiztem Tone, ,das geit di eigetlich nüt a und fürzha bruuchsch m'r’'s nit, s'isch vo mym Geld gsi, und we d’Muetter s’'nit umebracht het, su het sie's für mi i d’s Lotto tha, sie het m'r's vrsproche."

„La di doch nit i Settigs ny,“ sagte Elise. „Weisch no wie d’Jumpfer Hürsch almez gseit het: „Wer i d's Lotto thuet, dä het d m Tüfel es Haar us em Schwanz zoge.""

„Ach, das isch alti Wysheit,“ sagte Anna und rümpfte die Nase, „la mi ungschore drmit. Los, es chlopfet Oepper."

„Ja, und du arbeitisch hüt, das chönnt e schlechte Ydruck mache, wenn's Oepper drnah wär."

„Gang thue uf," sagte Anna rasch, „und stell di chly breit under d'’Thüre, sider ruume-n-i hurti Alles i d'Schublade yne.“

Elise gehorchte; aber ihre Vorsichtsmaßregeln waren unnöthig ~ es war bloß Sanny, die Wochenmagd im ersten Stocke.

„Tussig, wie flyßig!“ sagte die eintretende Magd, sich die rothgeschwollenen Hände reibend. „Wenn Alli thäte arbeite wie Dir, es gäb bald nüt meh z’thüe. Dir heit m'r da letschthin es Schüpung grangschiert u nüt drfür welle, jyz git m’'r hüt die Schauspielere, dere-n-i d's Wasser trage und d’Gantine reiche, zweu Billets für i d's Juheh ufe, un i denke grad, das isch öppis für die ordlige Döchtere; es wird öppis wüethig Schöns gspielt, es heißt d'r Mord i d'r Cholegaß. Sätt," sagte sie zu Anna, „da sy sie."

„Und de Dir," meinte diese, ,was machet Dir de dä Abe?"

„Fe öppe, was ander Abe o," sagte Sanny, sich auf die Tischecke setzend.

„E i blybe gern daheime, weisch Anna, i sött ja doch my Werchtigrock blätze," sagte Elise.

„Müt drvo," entgegnete Anna. „Meinsch , i wett da drvolaufe u di daheime la hocke, wo du doch i d'r WuÖuche prezys glych bös hesch wie-n-i. Glychi Arbeit, glychi Sreud, het almez üsi Hürschene gseit, wenn m'r zsäme gschwätzt hei und de z'’Mittag nit hei us dörfe, weissch no? Nei, d's Sanny chunt mit is cho d'r Gaffee trinke, und de chaufe m'r es dritts Billet, das wird öppe nit Magdeburg choste, und darmit voilä."

„Aber los, wenn's d’s Dokters vrnähmte,“ meinte Elise bedenklich; „sie hei nüt uf em Theater und mir müeße Sorg ha zu üsne nette Chunde."

„Ach, die werde o nit grad Alles i d'Nase übercho ," erwiderte Anna; „sy sie selber dert, so luege sie nit i d's Iuheh ufe, dadruf chasch Gift näh, oder em Lehrbueb dunde us d'r Schmidte em Samsstig z’Abe es Müntsschi gäh, was uf d’s Glyche usechunt, u geit ne öpper Anders öppis eso ga chläfele, su mache-n-i recht es demüethigs Myneli u säge, mir syge leider vrfüehrt worde."

„I glaub, D'r chönntet d' m Tüfel e Nase drähje," sagte Sanny lachend.

„Es schöns Cumpliment," meinte Anna. „Weit Dr scho furt ?"

„J dampeti no lang gern e chly mit Ech, aber i mueß no ga abwäsche a mene Ort u z’Abe chume-n-i-n-Ech also cho reiche."

„Ja mir wei mit d'm Gaffee uf Ech warte, suumet Ech de nit z’lang."

Sanny versprach es und nach genosssenem Abendessen brachen die drei Sreundinnen auf, Elise immer noch ein wenig zaghaft und unsicher; sie war die Letzte, indem sie sorgsam die Lampe und das Seuer im Ofen löschte und dann nachdenklich den zwei plaudernden und lachenden Mädchen folgte.

Wir glauben, dem Leser Anna’'s Charakter nun hinlänglich geschildert zu haben, um ihn begreifen zu lassen, mit welch lebhafter Freude sie der Vorstellung folgte; sie lebte sich so in die Lage und Gefühle der handelnden Personen ein, daß, ihr unbewußt, halblaute Ausrufe des Entzückens oder Bedauerns ihren Lippen entschlüpften. Das sie umgebende Publikum ward aufmerksam auf sie, Sanny stieß sie an, Elise flüsterte ihr einige ärgerliche Worte in's Ohr und legte sich in Gedanken einen theuern Eid ab, nie mehr mit „em ne settige Santudel“ in's Theater zu gehen.

Auch der rußige, unweit von ihr sitzende Schlosfergeselle richtete seine Blicke auf sie, die aber nicht Aerger, sondern etwas ganz Verschiedenes ausdrückten. Als die Vorstellung zu Ende war und die Gäste des Iuheh die engen Treppen hinunterpolterten, da stund er plötzlich neben ihr. „Aexgüsi, Jumpfere,“ sagte er, „söll-n-Ech öppe da ahefüehre, mi chönnt fast ungfellig werde i der Chruze.'

Dankbar nahm Anna die gebotene Hülfe an. Ihre Person lief auch wirklich Gefahr in dem Gedränge zu Boden gestoßen zu werden; denn in unferer lieben Vaterstadt halten es selbst sehr gebildete Männer mit ihrer Würde nicht unvereinbar, mit den Srauen, dem sogenannt schwachen Geschlechte, bei solchen Gelegenheiten ein eigentliches. Wettrennen, oder besser besagt, Wettdrücken nach der Thüre anzustellen, worin natürlich die roheste Kraft den Sieg erringt.

Fröhlich plaudernd ging Anna an der Seite des Arbeiters, sie war ganz verwundert, sich schon vor ihrer Hausthüre zu sehen, als die vorauseilende Elise dieselbe haftig aufschloß und ihr dann vor der Nase wieder zuwerfen wollte; Anna’s Begleiter stemmte sich aber dagegen und sagte gutmüthig lachend:

„Nu nu, su vrchäset mi doch nit, Jumpfere; i wär ja bald e gstruppierte Ma worde."

„J wott drum nit die halbi Nacht da usse dampe," erwiderte diese bissig.

„I ha’s o nit im Sinn, du Brummbär," sagte Anna lachend. „Guet Nacht, Herr Chlopfestei, und i danke de für Eui Begleitung.“

Elise hatte bereits Licht angezündet, als Anna in's Stübchen trat, sie beobachtete ein mürrisches Schweigen, während diese trällernd ihre Sachen ablegte.

„Fset's d'r hinecht nit gfalle, Elise, daß d' so-n.es Osicht machsch wie d'Mitternacht?‘ frug sie, der Freundin schalkhaft in die Augen blickend.

„Ach stürm m'r jyz nit o no drvo u la mi i Rueh," brach Elise endlich los. „Wär i daheime bliebe, i hätt doch öppe chönne denke wie's gieng."

„Was gieng?" frug Anna.

„He mit dir, daß de di im Theater so ufgfüehrt hesch, daß alli Lüt uf is gluegt hei, es het si ja gar nit gförmt. „Mi blaset nit, wenn's nit brönne söll,"" het d' Jumpfer Kürssch albez gseit."

„A bah, dumm," sagte Anna, sich der Schuhe entledigend; „du bisch eifach schalus, wil d'r Chlopfestei mit mir heicho isch u nit mit dir, voilà.

„Gäb i o wett schalus sy, wenn i nit so em ne Hosebei nachezottle cha ," rief Elise, sich abwendend, um ein zorniges Erröthen zu verbergen.

Ohne Srieden gemacht und fich gute Nacht gesagt zu haben, schliefen Beide ein, was bisher noch nie vorgekommen war.

Fünftes Kapitel. Auf Irrwege geführt.

Das Wort „Frühling" oder „Hustage“ Hat in der Stadt und auf dem Lande einen sehr verschiedenen Klang. Fier 11t es der Trompetenstoß, der aus mehr oder weniger behaglicher Winterrast zu schwerer heißer Arbeit ruft, die nur durch kurze Sommernächte unterbrochen wird; dort ist es für gar Viele das Signal zum Ausruhen von der Winterarbeit, zum Aufathmen nach anstrengendem vierzehnstündigem Tagewerk. Der Fausvater seufzt erleichtert auf, wenn die Sorge für das Heizmaterial aufhört, die Hausmutter freut sich, daß die oft geflickten Winterkleider in den Schrank gehängt werden können. Die Reichen sprechen von Badekuren, von Sommerfrische, die Armen wärmen ihre erstarrten Glieder in der Srühlingssonne, und in manch mattes Auge, manch verhärmtes, abgezehrtes Antlitz tritt wieder ein Strahl von Hoffnung beim Anblicke der grünenden und blühenden Erde. Selbst in die Brust des Schwindsüchtigen zieht neue Lebensfreude, neue hoffnungsvolle Täuschung ein, oder auch bringt ihm der Frühling die Erlösung aus dem gemarterten, morschen Leibe, und mit dem seiner Hülle entstiegenen Schmetterling schwingt seine Seele sich empor in das Reich des Lichtes und der Klarheit.

Für unsere beiden Freundinnen brachte der Frühling zunächst wenig Naturgenuß, nur vermehrte Arbeit, der fie sich freudig hingaben. Es war recht gut, daß der Morgenstrahl, der ihr Lager traf, sie von Tag zu Tag früher weckte, und daß die Spatzen der Nachbarschaft so lärmende Morgenkonzerte veranstalteten, sie wären sonft gar nicht fertig geworden, so emsig sie auch schafften und so gut sie jede Stunde zu benugen strebten. Elise sorgte sich sehr darum, sie möchten mit der Seit nicht auskommen, Anna aber nicht im Mindesten. Sie war nicht ohne Sinn für Natursschönheit und freute sich, wenn die von ihrem Dachfenster aus sichtbaren Hügel sich mit jungem Grün schmückten, wenn ab und zu aus den Gärten der Nachbarschaft das Lied einer Amsel zu ihr empordrang. Elise konnte dieß nicht begreifen; sie freute sich bloß, daß sie nicht mehr heizen mußten und weniger Oel brauchten.

„Für e Summer mueß i doch denk es neus Mänteli ha.“ sagte Anna eines Tages mehr zu sich selbst als zu Elise, die sich mit der Bereitung des Abendessens beschäftigte, „für am ne Werchtig geit mys alt Sähnli no, aber für e Sunntig und für uf eleganti Störe darf i s sicher nimme alege."

„Los," sagte Elise, „du vrbruuchsch m'r viel z'viel Geld, dä Weg cheu m'r's nümme zsämmeha, dys sschießig Lotto nimmt scho usööd viel furt und de dyni irdische Hültsche, wie d'Hürschene albez gseit Het –~ das förmt si ersch nüt. A d'r Meß hesch ja e Lätsch gchauft, du es Paar Stiefeli, de düderlisch geng no vo mene Corset, und wer weiß, wenn d'r Hoffertstüfel z' vollmig i di schießt, muesßz no es Parisöli zueche.“

„Richtig," sagte Anna, „da bringsch mi grad druf, es Parisöli mueß i allweg o no ha, mi het ja jyz ganz netti für füf Franke "

Elise antwortete nicht gleich, sie wandte sich um und schlug erschrocken die Hände zusammen. „Aber d'r tusig Gottswille," stieß sie endlich hervor, „söll de Alles deidei gah, was mtr so gnue vrdiene? Inz müeße m'r für die alte Tage sorge, wo m'r gsund sy und Arbeit hei."

Anna warf einen Blick auf den Spiegel und schlug ein helles Gelächter auf. „O du gueti alti Drucke,“ rief sie, „mir sy Beidi chuum zwänzgi u sötte a die alte Tage denke! Denk du mira dra, wenn's di freut, i ha anderi Sache z’denke, wo m'r besser gfalle als die wüesste alte Tage, wo d’ßut grschrümpfelet wird wie-n-e Grauech im Maie."

Elise ließ sich nicht abbringen. „Lach so viel als d’ witt," sagte sie, „einisch muesch doch o wüsse, wie m'r dran sy und daß i nit für nüt e chly huse möcht. Die nächsti Wuche chunt d'r Fuuszzins, dä nimmt is wieder zeche Franke furt, de isch d'Wössch ~ du gisch o geng e Huufe wie-n-e Heustock ~ de sy m'r es paar Tag daheime, jedefalls am Sunntig, und nume mit Gaffee und Brod bisch du nie zfriede z! Mittag, nei da mueß es bratwürsstlet oder g'eiertätschlet sy."

Anna sah ganz verwundert auf ihre sonst so wenig redselige Gefährtin. „Nei wie du bradle chasch, we me d'r Hahne i d’s recht Loch steckt," sagte fie. „NTach doch nit so-n-es Wese. D'r Weibel isch is no nit cho und Geldstag hei m'r o no nit gmacht, arbeite thüe m'r ja vo eir Tagheiteri zur andere und wenn mtr is drby z'esse und z’trinke gönne und aständig drher cho wei, isch das doch no keis Vrbreche.“

„Ja wenn me di ghört,“ brummte Elise, „su sött me meine, mir thäte im Ueberfluß schwümme und d's Geld chäm is dür d’s Oferohr ab, aber wirssch gseh, es chunt dä Weg nit guet."

„Mir hei emel no Geld," meinte Anna, „und de no viel nz'zieh; d'Frau Glimmer allei isch is ja ordlich über hundert Franke schuldig, vrschwyge de die andere chlyne Pöstli."

„Wenn i di wär," sagte Elise, „su wett i bim Tussig afe ga luege, gäb die Madame Glimmer zahle wett oder nit."

Anna warf die Lippen auf. „Das macht si myggerig," sagte fie, jemel es paar Wuche wott i no warte; zahlt sie de nit, he nu su cha me de geng no luege."

„Chumm jyz cho ga d'r Gaffee näh, süsch chaltet er," sagte Elise, und Anna gehorchte.

Als die beiden Mädchen in kurzer Zeit das einfache Ntahl beendigt hatten, sagte Anna: „Hesch m'r nit öppe es Commifsiönli z’mache, i bi ganz gstabelig vom Sitze."

„E wohl,“ entgegnete Elise, welche die kleine Haushaltung führte; mir müeße Wygeist ha und Oel; gang i das chly Lädeli a d'r Nägeligaß; s da hesch d’Blechpintli.“

„S'ifch no chly heiter, sagte Anna, „und da laufe-n-i d'r mit dene Blechpintli my Ser nit i d'r Stadt ume. Gimm mr zwo Glasfläsche in es aständigs Chörbli."

„Su la’s hocke," antwortete Elise nicht eben in freundlichstem Tone. „Glasfläsche ha-n-i jyz keini; d'Blechpintli sy de guet für mi. Wirsch förchte, dy Schryber chönnt di öppe gseh.“

Anna wurde glühend roth und riß Elise die Blechflaschen aus der sand. „So gieb, du alti Chäre,“ rief sie und rannte fort.

Aber ihr Zorn war immer eben fo geschwind verflogen als ihre guten Vorsätze. Nach einer Viertelstunde kam sie lachend heim und warf sich auf einen Stuhl, während sie fortfuhr zu lachen, bis Elise endlich sagte: „Bisch vrrückt worde, Anni, daß d' so thuesch ?"

„Denk,“ sagte diese endlich, nach mehreren nutzlosen Versuchen sich verständlich zu machen, „denk, i bi also i das Cädeli g'gange, wo de m'r gseit hesch, du hei sie mi agluegt wie nit gschyd, daß i e ganze Schoppe MWygeist well und e halbi Maß Oel, und hei mitenandere brümmelet und mtr endlich vrdütet, wenn i en gros ychaufe well, su müeß i a d'Schmöckgaß hindere. I glaub, sie syge vrrückt worde" ~ und ein neuer Anfall von Lachen ergriff sie.

„Isch si jyz das d'r werth, eso z’lache?“ meinte Elise, !die Lampe anzündend. „Du wirsch öppe e Schryber oder e Ladegumi gseh ha, wo d'r gfalle het, und das wird di so lustig mache."

„Darvo wott i nüt ghöre ," sagte Anna, die Augenbrauen zusammenziehend, „i necke di o nit mit d'm Chlopfestei."

„Ja, dem hesch es emel gar nit schön gmacht," fuhr Elise fort, die, wenn einmal im Zuge, selten zu rechter Zeit schweigen konnte. „ZBerssch hesch d'r la höfle von ihm und dralyche tha, wie wenn's d'r grüsli viel an ihm glege syg, nache hesch ne usgspottet und ihm fürgha, er chönn nume füf Buchstabe recht säge und heig eis Bei ynekrümmt u d’s andere ufe."

„Es isch ihm nit so übel g'gange," sagte Anna mit muthwilligem Lächeln. „Du nimmsch ne ja i Schutz und lymsch ihm sys broche Herzeli wieder zsäme.'

„Du bisch recht es nütnutzigs, usfüehrischs Meitli, weissch," sagte Elise, über und über roth werdend; „du hesch is emel nüt Böses nahzrede, du."

„E myn Trost nei," entgegnete Anna; wenn en Engel und e Schlossergsell enandere gfunde hei, was wett me anders als Guets drzue chönne säge." Dann, um einer jedenfalls sehr lebhaften Erwiderung zuvorzukommen, fuhr sie hastig fort: „Also, wenn sölle m'r zur Frau Gelz uf d' Stör ?“

„Scho die nächsti Wuche; für drei oder vier Tag heig sie z thüe, het sie gseit."

„Da wird sie Arbeit ha für anderthalbe Monet, i kenne das," sagte Anna. „Will mache, daß i denn Chopfweh ha, emel d'r zweut oder dritt Tag, wenn d’'Sach öppe grangschiert isch."

„Du vrsündigisch di, Anni," meinte Elise; „wirsch einissch no Chopfweh gnue übercho."

„Guete-n-Abe mitenandere,"“ sagte plötzlich eine Stimme unter der Thüre, daß die Mädchen erschreckt auffuhren. „a-nech doch nit öppe erchlüpft?“

Die Stimme gehörte einer kleinen spitzen Frau an, die einst hübsch gewesen sein mußte, denn noch war der Glanz ihrer dunkeln Augen nicht erloschen und die geöffneten Lippen zeigten tadellose Zähne, aber die Spuren der frühern Schönheit ließen das gelbe Antlitz eher unheimlich als anziehend erscheinen; ein stetes, fast widerlich süßes Lächeln erinnerte an jene Süßigkeit, mit der man ehemals die Brechpulver zu vermischen pflegte. Es war Frau Musch, Anna’s Mutter.

„E bisch du's !" sagte die Tochter nicht eben freundlich. „Daß du jyz so spät am Abe no die vier Stäge uf chrüüchsch ! Mir hei jyz de i d's Bett welle."

Elise hatte sich schweigend ohne Grufßz abgewandt und machte Miene, das Zimmer zu verlassen, als Frau Wusch sie mit den Worten zurückhielt:

„E Dir werdet mi doch nit flieh, IJumpfer Elife. Es het mi so gfreut, Ech hüt grad aztreffe. I weiß ja, daß D'r d' m Lotto nüt nahfraget; jyz lueget, da het d’'s Anna füf Franke gwunne, und i myr Sreud bin i grad no dä Abe cho für Ech z’zeige, daßz d's Geld, wo me i d'’s Lotto setzt, dopplet vorumechunt."

Anna'’s Gesicht hellte sich auf, als von dem Gewinn die Rede war, und schmunzelnd steckte sie denselben in die Tasche. „Ja gäll, Elise, hättisch o dry tha," sagte sie.

„Mit dene paar Sränkli vrfüehret d'r mi emel no nit," sagte diese. „Was i vrdiene, das ha-.n-i sicher, wenn i emel nit für d'Glimmere arbeite," setzte sie halblaut hinzu; „was i drgege im Lotto gwinne, isch ungwüß und drzue em ne Andere abgstohle."

„Ach mit dyr Wysheit ,“ spottete Anna; aber Frau Wusch fiel ihr in's Wort und sagte :

„Nei, was Dir für solidi Grundsätz heit, Jumpfer Elise. fsundert Mal ha-n-is scho zum Anna gseit, es syg doch gfellig asi, daß es sich grad heig chönne mit Euch rangschiere, und Dir möget m'r’'s glaube oder nit, mängissch scho isch's m'r ertraumt, Dir snget sy Schutzengel, und da bin i g'’gange und ha uf d’'s Siebezgi gsetzt und allimal het's öppis gha. Apropos, het dir no nie nüt vo Engle traumt, Anna; das isch gar ferwänt es guets Numero ?“

„Nei vo Engle nit,“ sagte Anna, vor dem Spiegel ihre schweren Slechten lösend, „aber hinecht ischts m'r ertraumt, i nähji am ne sndige Rock und allimal da, wo-n-i well ynesteche, gîehj i es Numero; endliche isch's m'r erleidet, i ha Alles furtgworfe und bi erwachet drob."

„Nei los me doch o!“ rief Frau Wusch. „Du bisch recht eigetlich es Glückstüpfi, i cha's nit anders säge. Grad das isch d'r allerbest Traum; hüt no muesch uf d's Sechsesiebezgi setze, du chasch ja glücklich werde für dyr Lebtig, bruuchsch di nimme abzhunde u chasch d’'Dame mache," fügte sie bei, als sie sah wie Elise den Kopf schüttelte und Anna zögernd ihr mageres Beutelchen hervorzog.

„Lue,“ sagte sie endlich, „da sy myni letschte füfzg Santine.“

„E was denksch!" rief die Alte. „Vom ne ssettige prächtige Numero traume und de nume es paar Santine welle nsetze, es wär ja e wahri Sünd.“

„E i wett's jiz la guet sy," mischte sich Elise ein; „d's Anna het recht, we's nume nie mit dem Züüg si yglah hätt."

Nun hätte Anna aus Widerspruch wahrscheinlich den Wunsch ihrer Mutter erfüllt, aber diese sagte mit gut gespielter Treuherzigkeit :

„Dir heit Recht, Jumpfer Elise; i ha nume Gspaß gha. Soig ere emel geng schön, Anna, su wird's d'r guet gah. Aber Herrje, wie spät es scho isch, i mueß fläthig hei. Chasch m'r e chly cho zünte, Anna? Eui Stäge sy so fyster. CLebet wohl, Jumpfer Elise."

„Leb wohl, du alti Hex," brummte diese. „Du hesch d'r Weg zue-n-is ufe o gfunde; aber es wird e neui Tüfelei mtüeße abgredt sy."

„Da hesch einisch e rechte Meister gfunde, Anneli,“ sagte unten im Hausgang Frau MWusch leise zu ihrer Tochter, während ein abscheuliches Lächeln ihr ohnehin nicht Vertrauen einflößendes Gesicht zu einer Sratze verzog. „Wie-n-es schöns Lebe hesch d'r da agrichtet mit dem alte Zanggyse; aber wie me bettet, fu lyt me. Sie het d'r ja o nit welle erlaube, meh z’gäh weder das Süfzgerli. Wohl i wett em ne settige Strupf ga folge, wenn i so gschickt und so hübsch wär wie du."

Die Pille wirkte. „E bah," sagte Anna, „i mache ja doch geng wie-n-i will, und zum Bewys drvo will d'r no zweu Fränkli gäh, wenn d' m'r dä Füffränkler chasch wechsle.“

„E la di's doch nit reue u gieb ne ganz,“ meinte Frau Wusch.

„J hätt drum gern es Parisöli gchauft," sagte Anna.

„E du Tröpfli,“ lachte die Verführerin, „in es paar Wuche chasch e ganze Lade voll Pariföli ga erlese und d’s schönste drus chaufe und e neue Huet drzue."

„Mira, su nimm ne," sagte Anna; „aber de säg m'r nimme, i folgi geng d'm Elise, i mache, was i will und drmit Punktum, streu Sand drum.“

„E Anneli, nit grad so ufbrönne wie Büchsebulver, es chönnt's ja no Oepper ghöre," mahnte Frau Wusch. „Wer meint's besser mit d'r weder d'Muetter, wo di underem Herze treit het. Cue, da han d'r hinecht no es paar Rueßetäfeli gmacht, will d’ se so gern hesch, i ha se dobe vor dem alte Krokodill nit welle uspacke; aber gieb ihm emel de keis, ghörsch."

„Danke, Muetter,“ sagte Anna, eins der süßen Dinger in den Mund steckend. „Aber jyz mueß i gah, süsch thuet es wien-e löthige Tüfel, wenn i's so lang im Sysîtere lah."

„Su mach doch Fyrabe mit ihm und suech d'r für di apparti es netts Stübli, wo de chönntisch Lehrtöchtere ha und Geld vrdiene wie Heu. Los, grad ebe denke-n-i dra, i üfem uus wird jyz de e schöni Stube gege d'Gaß use leer; d'r Herr Gyrigümper, wo se gha het, isch Chilchgmeindrath worde, und da mueß er an e vorderi Gaß ga wohne; die wär wie gmacht für di, da chönntisch am Abe uszgah und Bekanntschafte mache, und heicho ganz wie d’ wettisch; so-n-es netts Meitschi wie du cha zeche gueti Partheie mache für eini. Söll i mit d'r Huusfrau rede ?"

„Pressier no nit eso; s’isch doch nit, daß m'r gar nit meh zsämelebe chönne, und i wott no d'Wehli ha."

„Ja gar lang bsinne chasch di nimmeh , d'r Herr Gyrigümper geit scho i vierzeche Tage, u de hei sie allweg bald Oepper Ander.“

„Los, los, es chunt," rief Anna. Man hörte droben eine Thüre gehen und Jemand die Treppe herabkommen.

„Nu su mach's de wie-n-i d'r’'s gseit ha, Anna," sagte Frau Wusch mit absichtlich lauter Stimme. „Bring m’'r de am Samstig z’Abe d' Wösch. – Guet Nacht."

Sechstes Kapitel. Arm durch eigene Schuld.

Der Sommer ist vergangen und hat den. Herbst gebracht, so sagen wir denn Allen eine gute, gute Nacht. – So klang es, von einer wandernden Mufikantenbande gesungen, aus einer Schenke am Wege, als Anna eines Sonntag-Abends von dem Landhause des Doktors zurückkehrte. Die wehmüthige Melodie paßte gut zu dem nebligen, trüben Septembertage, sowie zur Stimmung der jungen Arbeiterin.

Sie war bei Doktors gewesen, um fich zu erkundigen, wie es der Frau gehe, die vor einigen Wochen Zwillinge geboren hatte -~ das war die offizielle Angelegenheit; was aber weit wichtiger war für sie, jedoch mit diplomatischer Gewandtheit nur als Nebenzweck eingeschoben wurde: sie hatte Geld borgen wollen von der „Gotte", „nume öppe zeche oder zwänzg Franke". Das Lotto hatte den ganzen Verdienst der letzten Monate verschlungen und sie recht eigentlich arm gemacht. Bei Elisen war sie tief verschuldet, Frau Glimmer war, so oft sie sie an's Sahlen mahnen wollte, entweder nicht zu Hause oder nicht bei Fasse gewesen, und da Elise mahnte und drängte, so wußte sie keinen andern Ausweg, als bei der „Gotte" anzuklopfen.

Da kam sie aber nicht gut an. „So, i fött dir jyz no Geld etlehne, i en alti Person em ne junge Meitli, wo vrdiene cha, wo-n-i scho sövli für ihn's tha ha. Nei, da müeßt i doch my Seecht e zweiete Esel sh. Wärisch du ga diene, das wär Alles anders. -- Und de ha-n-i o vrnoh, du spannisch wieder mit dyr Alte zsäme, u weisch doch, wie-n-i das hasse, u die wird di öppe zum Lotto vrfüehrt ha, die Täsche was sie isch ; nei, dere gheie-n-i myni Batze my Thürt nit i d'Gosche, u sobald daß d’ Frau wieder uf de Beine isch, säge-n-i-n-ere d'r ganz Bettel. Wärisch du ga diene, es wär Alles anders g’gange,“ schloß sie.

Und die Alte blieb unerbittlich, wie freundlich auch Anna bat und das Geld wiederzugeben versprach. Da war das junge Mädchen trotzig aufgebrochen, ohne die Einladung zum Kaffee anzunehmen, ja selbst ohne seinen kleinen Sreund Theodor zu beachten, der, soeben von einer seiner kleidergefährlichen Expeditionen zurückgeholt, sich mit Geschrei und Weinen von der and des Findermädchens loszumachen suchte, um Anna nachzulaufen. Der Stärkere blieb aber dießmal Meister und Theodöri mußte sich in' s Haus zum Umkileiden führen lassen, welches Amt, von jeher keine Sinecure, heute besonders eine schwere Arbeit war.

Wie nöthig hätte Anna den guten, warmen Kaffee gehabt, denn die dünne Brühe und das trockene Brod, aus dem ihr Mittagsmahl bestanden hatte, waren längst verdaut, sie sah recht bleich und mager aus, als sie so, in ihr leichtes Mäntelchen gehüllt, unter dem kalten Nordwestwinde zusammenschauerte.

Da schien ihr plötzlich ein Licht aufzugehen , ein guter Gedanke gekommen zu sein. Ihre müden Schritte wurden fest und elastisch, ihr ganzes Wesen hob sich mit der Spannkraft der Iugend. und um ihren hübschen Mund spielte ein Lächeln beim Anblicke eines Buben, der sein struppiges Kaupt mit Sedern herausgeputzt hatte und seinen Kameraden zurief : „Hüt mache m'r Zulukafferli’s und i bi d'r Häuptling." In einem Bäckerladen kaufte sie sich ein Brödchen und -eilte nun durch die dunkeln Gassen ihrer Wohnung zu.

Trällernd erstieg sie die steilen Treppen, als sie plötzlich Hhorchend stehen blieb. In ihrem Zimmer hörte sie eine Männerstimme. „Aha, Jumpfer Tuged," dachte fie, „das wei m'r d'r um d'Nase umerybe, bis de gnue gschmöckt hesch."

Ohne Geräufch zu machen erklomm sie die letzten Stufen und öffnete leise die Thüre. Beim Senster stunden der junge Schlosser und Elise in einer Haltung, die den Verdacht aufkommen ließ, sie hätten einander geküßt.

Guete-n-Abe mitenandere,“ sagte Anna laut im Eintreten.

Erschrocken wandte Elise sich um und woollte sich losmachen; der junge Arbeiter hielt sie aber fest und sagte: „Stisch si da nüt z’schäme, Elise; daß m'r Brutlüt sy, wird d' Jumpfer Anna doch einisch müeße erfahre.“

Diese war betroffen. Klopfenstein hatte ihr wohl anfangs den Hof gemacht, sich aber seit geraumer Zeit zurückgezogen, da Anna sich nichts aus ihm zu machen schien und ihm schnippische Antworten gab, so oft er mit ihr anbinden wollte. Daß er aber in Elise sich verlieben und sogar sich mit ihr verloben würde, ihr ein Mädchen vorziehen könnte, das so gar keine äußern Reize besaß, das kam unfrer eiteln Anna doch ,stotzig“ vor und war keine geringe Demüthigung für sie. Ehe sie dieß aber eingestund, hätte sie sich zu Stücken hacken lassen. Rasch faßte sie sich und sagte lächelnd:

„Was machsch du für Streiche hinder mym Rügge, Elise ? ~ Aber la gseh, üser Lebtig fyret me e Vrlobung nit fo troche! Herr Chlopfestei, ssyd doch e chly galant und rücket us für-n-e sSläsche."

„Aber nit thüüre, ghörsch Sämi," sagte Elise halblaut zu ihrem Erwählten; „füfzg Santine für d'Släsche sy fürgnue, und drzue chönne sie no d’'s Glas liefere."

„Verse werde m’'r denk de chuum mache bi dem Göttertrank," spottete Anna. „Und was bringt is ächt dy Schatz drzue? Es paar dürri Schnitz oder es fernderigs Habchüechli ?"

„"Moggier di nume, es steit d'r gar wohl a,“ sagte Elife spitzig. „I wett mi tüsche, wenn i Schulde hätt wie du. Hessch öppis uszgrichtet bi d'r Gotte ?“

Anna warf trotzig die Lippen auf. „Nit e fule Rappe het sie m'r g'gäh !" rief sie heftig. „Gäb i dem alte Chratte no einisch gange ga chüderle, eh wett i ~*

„Ja und morn isch wieder d'r ßuuszins nache," warf Elise dazwischen.

„Du wirssch ne denk no einisch für mi müeße zahle,“ sagte Anna, ein Schürzchen vorsteckend. „Wenn einisch my große Gwinnst us em Lotto da isch, giebe-n-i d'r’s ume."

„Ja mutze Tufig, das hesch m'r scho mängissch gseit, aber mit d'm bloße Vrspreche wird kei Chueh feiß. Lüschi wott i, weissch."

„Ja du gueti Seel, wo niit isch, da het d'r Chaiser d’'s Recht vrlore, und us Steine git's keis Oel. Lue selber, mys Portemonnaie isch ganz leer, us mym letschte Zechnerli ha-n-i es Züpfli g’chaufi."

„Brod wär o guet gnue gsi,“ meinte Elise halblaut. „Aber los, wenn i di wär, su miech i einisch die Glimmere z'bleche, us dem Stei git’s Oel, we me hert gnue drückt.“

„Das wott i o," entgegnete Anna, „grad morn gange-n-i zue-n-ere für ere dä neu Rock azprobiere. Und los no was m'r z'Sinn cho isch, wo-n-i so truurig heizottlet bi. Wenn d’ Frau Glimmer nit zahlt, su ha-n-i denkt, i chönnt d'r ja my Antheil am Husrath abtrete einsstwyle, daß du gsicheret wärisch; i cha!s ja grad wieder ylöse, wenn i im Lotto gwinne. “

„Mir isch's recht," sagte Elise; e Luus im Chrut isch geng besser weder gar keis Fleisch. Aber de hesch süsch no Schulde; d'r Schuehmacher het dä Namittag fasch d'Thüre ygsprengt und d’Wöschere wott d'r ja nüt meh wäsche.“

„Ja chly Geld sött i allweg ha," meinte Anna nachdentlich. „Mi isch o gar ke Mönsch, we me nüt im Sack het, und vor acht Tage überchume-n-i chuum zweu Fränkli.“

„Wenn i nit wüßt, daß d’ i das vrfluecht Lotto thätisch, i meinti du würdissch d's Geld fresse," sagte Elise.

„Schwyg jyz vo dem Lotto, es isch es ewigs Kähr; etlehn du mir lieber zeche oder zwänzg Franke, su bin i flott."

„Ja das glaube-n-i," sagte Elise; „aber da müeßt i o Tinte gschlückt ha, wenn i dir jyz no wett ga Geld etlehne. Was denksch o, du vrdiensch es viel ringer als i, u de hesch dyni Haar, vrchauf die afange.“i

„Nei, das thue-n-i nun einmal nit. Aber los, i vrsetze d'r my schöne Summerhuet und d'r schöner vo myne Mäntle."

„Das laht si ghöre,“ meinte Elise. „Zeig m'r's."

Der Handel kam zu Stande, und als Elisen's Bräutigam mit zwei Slaschen Wein und einem Paket Lebkuchen zurückkehrte, war Anna die Sröhlichste im kleinen Freise und eine durchaus Andere als das bleiche, frösstelnde Mädchen, das vor einer Stunde so müde durch die Straßen geschlichen war.

„Also, Anna, i gange jyz hüt," sagte Elise am folgenden Morgen zu ihrer Gefährtin. „Du weisch, i mueß i d’'s PfarrHaus ga D."

„Aber es macht chalt und strub; los wie's chutet im Chemi."

„Sie zelle jyz halt uf mi, i mueß einewäg gah,“ erwiderte Elise.

„Wenn chunsch ume?" frug Anna.

„Füt isch Mäntig – vor em Donstig allweg nit. I ha viel z'thüe dert, und sit m'r nümme zsäme uf d'Stör g’'gange, wott’s m'r nit recht vo Hand gah. ~ Gaffeebulver isch de nume no für hüt, und wenn d' chaufsch, so la grad Schigoree drunder thue, und wenn d’ usgeisch, su bschließ emel guet.“

„Leisch nit my Mantel a," frug Anna, „,dyne isch so dünn und d'r Luft so chalt ?“

„A bah, er reut mi," erwiderte Elise, „und de isch er ja no nit myne, du hesch m’'r ne nit vrchauft, nume ngsetzt und so lang ha ne nume i Vrwahrung. I lege d'r Schlüssel da uf d's Ladli. Adieu."

Nachdem Anna sich angekleidet und gefrühstückt hatte, öffnete sie das Senster und sperrte es mit einem bereitliegenden Stücke Holz, daß der Wind es nicht zuschlagen könne, der draußen die Blätter von den Bäumen riß und zerrissenes dunkles Gewölk über den Himmel jagte. Von den fernen grünen Hügeln her schwebte ab und zu auf Sturmesflügeln der schwache Klang von Weideglocken zu Anna’s feinem Ohr und erweckte in ihrem Herzen eine Art von Heimweh, sie mußte selbst nicht nach was. Endlich schloß sie das Senster und setzte sich zur Arbeit, aber es wollte nicht recht vorwärts damit, der Feopf that ihr weh, und sie war froh, als die Stunde schlug, zu welcher sie bei Frau Glimmer vorsprechen konnte.

Sie mußte warten. „Madame n'est pas encore levée,“ sagte das Rammermädchen, „dans une Jemi-heure pent-être elle sera prête. Mais ne vous en allez done pas,“ fügte sie bei als Anna das Vorzimmer verlassen wollte; „vous pourez attendre ici; vous ne seriez peut-être pas de retour, quand madame vous demandera, et elle n’aime pas attendre une minute.“

„J cha warte uf se," dachte Anna, „darf nit emal e chly voruse währed sie no im Bett isch, und es Muul voll früschi Luft hätt m'r doch so wohl tha. S'isch unglych vrtheilt i d'r Welt."

Endlich ward sie gerufen. Während sie anprobirte, brachte sie ihre Bitte um Bezahlung an.

"So, also Geld weit D’'r" ~ sagte die Dame, den reichen Spitzenbesatz ihres Kleides prüfend überblickend. „Es isch mr leid, aber di Moment isch my Kafse ganz leer. Dir chönntet aber, wenn D’r weit und ’s Ech dienet isch, die Blunde zum Rock uf my Name im Lade la ufschrybe. Laht m'r Eui Rechnung da, mir wei nam Neujahr de luege, vorher denket nume gar nit dra; um die Zyt chunt kei vrnünftige Mönsch mit emne Gunte."

„Aber i bruuche d's Geld grad jyz,“ sagte Anna. „Wenn d' Frau Glimmer nume wett so guet sy und mr afe das gäh., was i für se usgleit ha, oder wenigstes öppis uf Abschlag."

„Das isch Zuedringlichkeit, Jumpfer Anna," erwiderte die Dame hochmüthig. „Erlaubet m'r lieber e wohlmeinende Rath und laht Ech mit d'm Geld nit so uscho, daß D’r Eue Chunde i der Wys d'Pistole uf d'Brust setze müeßet, das isch unagnehm und macht sschlechti Gattig. ~ Die Garnitur da chönnt öppis graziöser falle, und de möcht i ganz schöni Perlemuetterchnöpf. nit nume so halbbatzigi wie d’s letscht Mal.“

Mit welch bittern Gefühlen Anna heimkehrte, läßt sich denken.

Einsam und traurig verging ihr der Nachmittag. Freunde auf Erden habe sie keine mehr, dachte sie, und der Sreund im Himmel war ihr ferner getreten als je. Von der Unterweisung her war er ihr zwar nicht ganz fremd, früher dachte sie in müßigen Augenblicken zuweilen an ihn und betete Abends zu ihm, wenn der Schlaf nicht gar zu mächtig war; aber seit das Lotto, die Sucht nach Reichthum und mühelosem Erwerb ihre Seele überfluthet hatten, seit sie nicht mehr zur Kirche ging, nicht mehr betete und den Sonntag mit etwas verändertem Arbeitsprogramm zum Perktag erniedrigte, zerflossen ihr die Süge des alten Bekannten immer mehr in dämmernder Serne. Den Vordergrund ihres Denkens nahm einzig die Welt ein, mit dem Genuß, den sie dem Kinde der Arbeit zu bieten vermochte, weit mehr aber noch mit der Begierde nach dem, der ihr versagt war.

Von ferne dachte Anna nicht daran, daß sie an ihren finanziellen Bedrängnissen selbst schuld sei, war sie doch bis dahin fleißig und brav gewesen wie Wenige; es war eine Ungerechtigkeit, dafßz die Einen schwer arbeiten mußten, Andere mühelos genießen durften. Was nützten ihr denn Sleiß und Tugend, wenn sie ihr nicht einmal Brod verschafften und einige Centimes übrig ließen, um ihr die Möglichkeit zu gewähren, reich zu werden.

Unter diesen Gedanken war es Abend geworden, draußen hatte der Sturm sich gelegt und am Abendhimmel ging die Sonne in einem Glanzmeer zu Rüsste. Sie erfüllte das Dachstübchen mit einer Sluth von Licht, es schien als seien die Wände aus edlem Gesteine und die Geräthe von Gold. Sast geblendet legte Anna die Arbeit aus der Hand und ging an die Bereitung ihres Abendkaffees.

Um die Schönheit des Abends und frische Luft zu genießen, stellte sie Töpfchen und Schüsselchen in die Dachrinne und schwanz, sich auf den Senstersims. Mit klugen Aeuglein besah ein Sperlingspärchen sich die Gelegenheit und rathschlagte zwitschernd, ob es thunlich sei, einen Schnabel voll Brod zu erhaschen. Die Antwort mußte bejahend ausgefallen sein, denn die Vögel flogen näher und näher und pickten die Krumen auf, welche Anna ihnen zuwarf. Mit der ihr eigenen Elastizität des Geistes hatte sie ihre bittern Gedanken für den Augenblick vergessen, erfreute sich an dem Spiel mit den Thierlein und sah dann wieder der Sonne zu, die langsam sinkend ihre Seinde, die Wolken, bestrahlte und gleich goldenen Palästen erglänzen ließ. -- Ein letzter rother Sunke noch, ein lichter Streif am Horizonte – dann stieg die Dämmerung, die schon geraume Zeit über den engen Gassen und Höfen der Stadt gebrütet hatte, immer weiter empor an den Hügeln und drang durch das Sensterlein in das kleine Gemach.

Anna schloß es zu und zündete die Lampe an. Da ging die Thüre auf und Frau MWusch trat ein.

„Guete-n-Abe, Anneli,“ sagte sie freundlich. „Lue da bringen-i d'r dn Wössch; sie chostet e Franke.“

„Chasch nit e chly warte mit d'm Geld, Muetter? I ha fasch nüt meh und überchume nüt bis morn z’Abe. Drzue bin i d'm Elise schuldig, weiß Niemer wie viel, und Die, wo mir schuldig sy, zahle mi nit. I arbeite m'r fasch d' Singer vorab und chume geng tiefer dry.“

„Los, i wett das anders mache," meinte Frau Wusch in theilnehmendem Tone. „Wie viel zahlsch für das Gadi!“

„Füf Franke im Monet," antwortete Anna; ,aber sit ~ sit ~ denk, sit d' m Maie het d’'s Elise m'r’s vorgstreckt und i ha my Antheil am KHusrath und myni beste Chleider ngsetzt drfür."

So, so," sagte Frau Mujch spöttisch, „die weiß ihri Wösch z’tröchne wil d'Sunne schynt und Anderi blutt z’ mache. Glaub m'r's nume, du chasch d'r wytus größst Theil vo dem ssguuszins zahle, wenn nit alle, und dä Chratte macht best drby und lachet di hinder dym Rügge us."

„Aber was föll i mache?" frug Anna. ,I bi jyz nun einmal drinne und so lang i.-n-ihm schuldig bi, laht’s mi hie nit furt."

„Das glaube-n-i, so wie sie e Gnzhals isch," erwiderte Frau Wusch. „Aber mir wei dere schlimm gnue sy und ere drfür thue, daßß du us der Sklaverei use chunsch. Alls was dt vrdiensch chasch ja i das Loch ynegheie und es wird nume je länger je größer. Bi mir häittisch viel die besseri Chost und einewäg chäm's di nit thüürer als hie. D’s Stübli vom Gyrigümper chasch zwar nit ha, da isch jyz d'r Herr Hasepflunder drinne, aber es isch sussch no es netts, wo almez üse Alfred gschlafe het. Dert chönntisch sy wie d'Vögel im Hirs; Ss'"isch o-n-es Dachstübeli wie das, nume viel größer u schöner. Geit's nit öppe z grechtem furt es paar Tag, daß d' sider zügle chönntisch? Wenn d’ de einisch bi mir bisch, will i dem Tschudi scho Meister werde."

„Grad jyz isch es nit daheime,“ sagte Anna.

„Bis wenn?“ frug die würdige Matrone hastig.

„Bis em Donnstig z’Abe, het’s gseit, u villicht no e Tag Tag länger,“ meinte Anna.

„Das breicht si ja wie gwünscht," erwiderte Frau Wusch. „Mir zügle dyni Sache nit undereinisch, all Abe öppe en Arfel voll; bal chume-.n-i u reiche s und bal bringsch du's, de fallt's Niemerem uf, und em Donnsstig schickt me d'r Schlüssel dürn-e unbekannte Bueb. I wrill das scho reise, la mi nume mache. Oder hesch öppe e schriftliche Akkord mit ihm?“ setzte sie hinzu.

„Mei das nit,“ sagte Anna zögernd. „Aber so bi Nacht und Nebel si drusmache, dunkt mi doch ueue nit schön. Und de ha-n-i ja no Chleider by.n-ihm ngsetzt, die dörft i nit emal furtnäh und übrchäm se dä Weg gar nit meh ume."

„Was? Nit furtnäh dörftisch se? Du bist doch d's Dümmste!“ rief Frau Wusch. „So wie dä Strupf gjüdlet und graxeret het mit d'r. Bluetsuger sött das Mönsch heiße. Dyni beste Chleider ga näh, ja wolle !“

„Mira," sagte Anna, ,i will cho; s'wott ja so wie so bald hürathe, und da wird's ihm nit so viel mache. Aber i wott de es netts Stübli, Muetter, u mit d'r Chocherei wott i nüt z’thüe ha."

„Bhüet is nei, Anneli, was denksch, Anneli," sagte diese; „Cs freut mi ja so we m'r binenandere sy cheu und i öppis für di thue cha, du bisch m'r ja geng d's Liebste gsi vo Allne. So gieb, i will gah u nime grad en Arfel mit. Dä Mantel hesch ygsezt? Guet, dä wanderet grad hüt mit, und die Person mueß gueti Auge ha, we sie dä umegseht," setzte sie halblaut hinzu.

Siebentes Kapitel. Schuld und Unschuld.

Einige Monate waren vergangen. Wunderliebliche, fast _ sommerlich warme Srühlingstage kamen schier plötzlich im Gefolge eines ziemlich strengen Winters, man prophezeite ein herrliches Iahr, während die bekannten „ältesten Leute" die weisen Köpfe bedenklich und vielsagend schüttelten.

In dem großen Wohnzimmer ihrer Mutter finden wir unsere Anna wieder. Die Senster desselben gingen zwar gegen die Gasse, diese war aber so eng und die Wohnung überdieß Schattseite, daß der lichte Sonnenstrahl in dieser Jahreszeit nur die Dächer der gegenüberstehenden Häuser vergoldete.

Das Zimmer sah aus, als ob man recht absichtlich die verschiedenartigsten Dinge darin angehäuft hätte. Im KHintergrunde desselben stund ein Bett, daneben lag ein Haufen ungekrämpelter Wolle. Slache KRörbe mit Roßhaar stunden auf und um den geheizten Kachelofen und rings um denselben in einiger Entfernung war eine Schnur gezogen, an welcher Ueberzüge :c. zum Trocknen hingen. Da Frau Wusch, die würdige Matrone, seit einigen Jahren auch das edle und einträgliche Trödlergewerbe mit ihrer vielgestaltigen Thätigkeit vereinigt hatte, so waren die Wände mit getragenen Manns- und frauenkleidern von jeder möglichen Sorm uud Sarbe bedeckt. Auf einer Fiommode stand altes Geschirr, dem der Sturm des Lebens übel mitgespielt zu haben schien. Ein Korb mit Schuhen und ein Ständer mit einer Pyramide von Küten und Mützen vervollsständigten das pittoreske Aussehen des Zimmers. Der Dampf der trocknenden Wäsche und der Geruch der alten Sileider verbreiteten einen fast erstickenden, schwer einzuathmenden Dunst.

An einem Tischchen in der Nähe des Senssters arbeitete Anna. Sie hatte es geöffnet und dachte gerade jetzt nicht ohne Sehnsucht an ihr luftiges Dachstübchen, wo die Sonne fo ungehindert hineinschien, wo man die Vögel zwitschern hören und grüne Fügel sehen konnte, während der Blick hier nur auf dem feuchten Pflaster und den steinernen Mauern ruhte und aus der Wirthsschaft gegenüber wüsster Lärm, Biergeruch und Tabaksqualm herüberdrang.

Das schöne Stübchen, das ihr die Mutter in Aussicht gestellt, als sie sie zu sich lockte, hatte sie bald mit einem kleinen finstern Raume unter dem Dache vertauschen müsssen, wo sie schlafen und Abends bei Licht arbeiten konnte. Bei Tag aber war sie auf die Wohnstube angewiesen.

Auch im Uebrigen war Manches anders, als sie erwartet und man ihr versprochen hatte. Daß ihre Mutter sie nicht aus Liebe, sondern aus purem Eigennutz zu sich gezogen und durch die Art und Weise, wie sie sich von Elise getrennt, an sich gefesselt hatte, das war ihr kein Geheimniß mehr.

War nun doch gar nichts mehr ihr eigen, selbst das Nöthige mußte sie erst verdienen und dann gleichsam erobern oder erstehlen, denn ihre Mutter rechnete ihr jeden Kreuzer nach und forderte denselben unter dem einen oder andern Vorwande als ihr Recht. Das einzige Gute, was dieser Zustand für sie hatte, war, daß sie nun nicht mehr in's Lotto setzen konnte, da sie nie Geld hatte. Ihre Mutter schien dieß jetzt selbstverständlich zu finden, da sie sie nun auf andere Weise in ihrer Gewalt hatte.

Anna hatte wohl daran gedacht, sich aus ihrer Tyrannei zu befreien und es auch versucht, aber Frau Wussch wußte bisher jeden solchen Verssuch zu entdecken und zu vereiteln; sie hatte den Vogel eingefangen, sie wollte ihn auch behalten. Zu diesem Zwecke suchte sie Anna allmälig für den Trödlerhandel zu gewinnen und zu interessiren. „S'isch e Guldgruebe, we me'’s recht vrsteit," pflegte sie zu sagen, aber Anna ließ sich nicht „brichte"n. Sie hatte einen Widerwillen gegen die abgetragenen, schmutzigen Kleider, noch mehr aber gegen die Leute, die sie verkauften und kauften. Arme, zerlumpte, heulende Finder, kreischende Weiber, die einem zuweilen die Saust unter die Nase hielten, wenn sie sich übervortheilt glaubten, liederliche Studenten, die ihr auf unverschämte Weise den ßof zu machen suchten, zweifelhafte Existenzen aller Art, oft sogar eigentliches Gesindel, das die Waare, die es verkaufte, sicherlich nicht auf ehrliche Weise erworben haben konnte, das waren die Runden ihrer Mutter. Sie war Abends so müde und der Fopf that ihr so weh von dem ewigen Seilschen, Zanken und Kreischen, daß sie seelenfroh war, sich in ihren Winkel unter dem Dache zurückziehen zu können, wie sehr auch Frau Musch sie zum Dableiben zu überreden suchte und ihr Bruder Alfred, der noch in die Unterweisung ging, das „Synettli“ necken und versspotten mochte. Er war ein geborner christlicher Schacherjude und fast noch geriebener und versschlagener als seine Mutter.

„Hesch scho wieder d's Senster offe, Anna? " sagte die eintretende Frau Wusch. „I ha’s nit gern, sie chönne eim vo da äne übere bis z'hinderisch i d'Stube gseh, sie sy so mords gwunderig."

„Mira, wenn de Oepper chunt will i's zuethue, aber bis dahi wott i off ha, i ha hüt aber so Chopfweh. -- Säg, i ha vori d'r Sach eso nachedenkt, s'isch doch eigetlich merkwürdig, daß d's Elise sich nüt zeigt het hie und d'r Sach, wo-n-i by-nihm ygsetzt gha ha, nüt nahgfragt het; einissch oder zweumal ha-n-is vo wytem gseh, aber i bin ihm us Weg g'gange, i ha uf d'r Gaß e settigi Erörterung nit welle; aber isch es de nie hie gsi? Das thät mi doch vrwundere.“

„Ja mi o," entgegnete Frau Wusch. „Was denlksch, die lauft em ne Chrüzer nahe wie d'r Tüfel ere arme Seel; sie het mehrmals zue d'r welle, aber wenn i nit da gsi bi, het ere dä guet Bueb, d'r Alfred, Bscheid g'gäh und ere ufgwartet, daß sie sit d' m Neujahr si nüt meh zeigt het. Ni wird kre jyz öppe wohl los sy.“

„Und wegem Mantel het's nüt gseit?“ frug Anna hastig.

„Bhüet is," sagte Frau Wusch,“ sie het tha wie d’r lybhaftig Satan und is mit allem Mügliche dräut, aber i ha glächlet und denkt: Säg du nume, und ha nit viel drzue gseit. Das het se am meiste ertäubt, und endlich, wo sie nit het welle vrtöne vo dene Chleidere, frage-n-i du: Heit dr öppis Schriftlichs vom Anna vorzwyse? --- „„Je nei," het sie brüelet, „we me meint, mi heig's mit ehrliche Lute z’'thüe, su macht me d'Sach nit grad schriftlich ?“! - Am End het’s richtig müeße abzieh ohni Mantel. Du bisch denn grad uf der Stör gsi, süsch hättissch das Brüel müeße ghöre i dym Gade obe."

„Aha, Lisebeth." wandte sie sich an ein eintretendes Mädchen, „Dir chömet cho luege, öb Eues Numero awunne heig. Lueget, dasmal no nit. Es isch ebe gar wunderlich mit d'm Lotto ~ Anna thue doch d's Senster zue ~ e Chehr lang gwinnt me nüt und wird ganz maßleidig, de undereinissch chunt's wie wenn's Guld regneti, we me nit nahlaht. Lueget, da my Tochter het’s erfahre; es het zersch o nüt vom Lotto welle, partu nit, aber nah di nah het's ihns afah zieh, es het ygsetzt, aber zersch geng vrlore, gäll Anneli? ~ Aber jyz, jyz chunt’s, das isch grad –~ So das isch brav, daß D'r nit grad d’s Courage vrlüret,“ sagte sie, bemerkend, daß das Mädchen sein Geldbeutelchen zog.

„J bi gar gfellig gsi uf em Märit hüt," sagte es. „Es isch e Burefrau grad früsch acho mit Eiere und het no nit gwüßt was sie gelte; dere ha-n-i du chönne agäh, mi überchöm hüt zechni für sechzg Santine, und da ha-n-i du profitiert und ere d'Eier alli abgchauft; d'r Frau rechne-.n-i de siebni für sechzg Santine u säg’ ere de, die Wyber heige gseit, es syg e Chrankheit under de Hüehnere. Lueget das Geld hätt i jyz welle i d's Lotto thue."

„Das wird Ech sicher Glück bringe,“ sagte Frau Wusch. „Was nütze dVörthel, we me se nit bruucht, und im Lotto isch's e Regel, was mit Glück isch gwunne worde, bringt wieder Glück, we me's ysett ~ gäll Anneli?"

„I mueß hei,“ sagte das Mädchen. „Oeppe die anderi Wuche, wenn i zur Schnndere mueß, chume-n-i wieder dadure cho ga luege, Adie.“

„Adie wohl u chömet de ume. Wenn Ech Eue Platz öppe erleidet isch, su säget m'r's de; so-n-es hübsches netts Meitli sött nit so i Bofelplätze sich müeße ga vrderbe : i wett e rechti Dame us Ech mache."

„S'isch guet, daß i's weiß," erwiderte die, beiläufig gesagt, nichts weniger als hübsche, vierschrötige Magd, die von ihrer jetzigen Herrschaft auf die uneigennützigsste Weise aus einem Bettelmädchen zu einer Magd herangebildet und erzogen worden war. „S'isch guet, daß me's weiß; es isch m'r scho mängissch vrleidet. Sie isch es Rybyse; we d'r Herr nit wär, i blieb ke Stung länger bim ne selige Lumpelöhnli."

„D ir heit recht,“ sagte Frau MWusch; „mi mueß zue sich selber luege, wil me jung isch, es luegt süsch Niemer zu eim. Dir heit mi scho mängisch erbarmet, ja gwüß erbarmet heit Dr mi."

„Ja we Dir wüßtet, wie bös i's ha," antwortete die Bemitleidete, die nun in einen ganzen Strom von Alagen sich ergoß, an die sie früher nicht gedacht hatte, so daß sie schließlich selbst erstaunt war, sich so bemitleidenswerth und unglücklich zu finden.

Ueber eine halbe Stunde dampete sie so und kaum hatte sie sich ein wenig Luft gemacht, so klopfte es, auf das „Herein" von Frau Musch trat ein bleiches Mädchen auf die Schwelle, das ein kleines Bündel unter dem Arme hielt. Die Magd verabschiedete fich und Frau Wusch wandte sich zu dem Kinde, das sein Bündelchen entfaltend in kläglichem Tone sagte:

„D'’Muetter laht frage, gäb D’'r ere nit zweu Sränkli chönntet gäh uf das Glosschli; sie wett’'s wieder ynlöse, wenn d'r Vater am Samste Geld heibringt; mir hei gar nüt z'esse," setzte das Kind hinzu, und die Thränen traten ihm in die Augen.

„Zeig," sagte Frau Musch, deren Gesicht fich verfinstert Hatte. Sie hielt das Kleidungsstück gegen das Licht. „Herr Jeses, da isch es Schabeloch, hie no eis und da undedüre isch d'r Saum ganz gstoße, und de no bauelig gfüeteret – nei, my Liebi, für-n-es settigs Ghudel cha-n-i chuum es Sränkli gäh und i wett's überhaupt lieber nit. Gang du hei drmit u säg's d'r Muetter. Mi cha hützutag die schönste Glofschli chaufe fürn-es Sränkli oder anderthalbs."

D'r Gottswille," bat das Kind, „gäht m'r zweu Sränkli; es isch d's Einzige, was m'r wüsse yzsetze; d'Muetter het gseit, sie well si scho Inde bis am Samste, we mir nume z'esse heigi; sit gester z Mittag hei m'r keis äsigs Brösmeli meh gha.

„Lue das Yfetze isch ohnihin nit mys Gchäft," entgegnete die Dame in vollster Seelenruhe, ,„i chaufe d'Sach viel lieber. Zweu Fränkli will i gäh für das Gloschli, wil d'r so arm dra shd, we m’'r’'z d' Muetter vrchaufe will, aber druf etlehne chan-i nit meh als es Fränkli.“

„E myn Gott,“ sagte das Kind, während die Thränen ihm aus den Augen stürzten, „mir sy feufi zum Tisch u hüt isch ersch Zyste, und we m’r scho nume ganz weneli Maisbry mache, zweu Pfung bruucht's doch im Tag und das macht scho dryßg Santine. U vrchaufe darf i das Glosschli wäger nit," fuhr die Fleine fort, mit bittendem Blicke zu der Trödlerin aufschauend. „d'Muetter frürt so geng und huestet grussam, d'r Gottswille gäht m'r nume angerhalbs Fränkli, de will i's dalah "

„Mira," erwiderte Frau Wusch, „su will i d'r no es Zwänzgi gäh über das Fränkli us; i ha ebe gar es guets erz; i hoffe, es werd m'r im Kimmel einisch agrechnet werde. Sä da hesch d’s Geld.“

„I darf gwünd fasch nit,“ sagte das Kind; ,es isch viel z'weni für-n-es fövli schöns Gloschli."

„Nu su lauf süsch u vrsuum mi nit da e halbe Tag vrgebe," erwiederte die Frau ungeduldig, ihm das Kleidungsstück hinhaltend.

„I Gottsname," sagte endlich das Mädchen, und ein tiefer Seufzer, der ein weniger hartes Herz gerührt hätte, entrang sich seiner Brust. „I will d’'s Geld näh, Adie."

Frau Wusch fand nicht nöthig, diesen Gruß zu erwidern; sie vertiefte sich in die genaue Besichtigung des Gekauften.

Schon während ihre Mutter mit der Kleinen verhandelte, war Anna hinausgegangen. Sie war srchnippisch und unlenksam, eitel und zur Unwahrheit geneigt, aber sie hatte kein böses Herz und namentlich Kindern gegenüber war ihr die Art und Weise ihrer Mutter oft zuwider. In einem dunkeln Winkel des Hausganges wartete sie bis das Kind fortging und drückte ihm, als es an ihr vorbeikam, eine kleine Silbermünze in die Hand, für jetzt ihr ganzes Bessitzthurfkf, dann eilte sie davon, ehe die freudig überraschte Kleine ihr nur recht danken konnte.

„E Anna," sagte Frau Musch zu der Eintretenden, indem sie den Unterrock der armen Frau schmunzelnd zu andern an einen Nagel hängte, „jyz bin i doch gfellig gsi, so-n-e guete Schick ha-n:i lang nit gmacht. Lue doch, d'r Ueberzug isch ganz wullig und schier wie neu, so vier à füf Franke löse-n-i guet und gern drus."

„Aber i ha gmeint, du heigisch ne nit g'chauft, d'Frau well ne wieder nlöse,“ entgegnete ihr Anna.

„A bah, sie seits,“ meinte Frau Wusch geringschätzig, ,i kenne das Züüg; d'r Ma isch e Suufus, da isch Zechni gege Eis z'wette, die löst ne nit y; drum ha-.n-i dem Meitschi das ZSwänzgi no nacheg'gäh, süsch hätts m'r chönne pfyfe.“

Mach doch jyz z!Miltag, Muetter," sagte Anna, die schon oft erfahren hatte, daß ihre Einmischung in die Angelegenheiten der Mutter nur zu Streit geführt hatten; „i sött nam Esse nothwendig us; aber mach nit so-n-es Gsschlargg wie gester."

„E du Meisterlos,“ rief die Nlutter, „das isch ja Sydemüesli gsi."

„Ja mira,“ entgegnete Anna, „aber das worn-i almez uf de Störe überchume, het en anderi Chust. Mach doch Bratwürst und Salat, i ha Glust na Fleisch.“

A will afe ga fürire, d'r Alfred chunt jyz de us d'r Schuel, er cha de ga reiche. Dä guet Bueb! Das Gichäftli wird ne o freue,“ sagte die glückliche Mutter.

Es waren nicht bloß das schöne Wetter und ihr Kopfweh, noch die Kommission, welche sie vorgeschüizt, die Anna hinaustrieben: sie fühlte das Bedürfniß, allein zu sein mit den in ihr wogenden Gedanken.

Die Aeußerung Elisens, „sie heig drum gmeint, sie heig's mit ehrliche Lüte z'thüe", waren für sie wie ein Blitz, der die Schwärze der Wolkenwand, aus der er hervorzuckt, in ein plötzliches grelles Licht setzt.

Es ist eigenthümlich, wie es Stimmungen gibt, in denen Worte, die wir zu andern Zeiten kaum beachtet hätten, als Samenkörner oder spitzige Widerhaken in unsere Seele fallen und sie aufwühlen, verwunden bis in ihre innersten Tiefen. Der Christ erkennt darin das Walten und Wirken jenes Gottesgeistes, der weht wo er will; er sieht die Hand des Vaters, der sein Rind auf sein en, oft seltsamen und geheimnißvollen Wegen führt.

So ging es heute unserer Anna. Jenes Wort, von Elise in gerechter Entrüstung gesprochen, ward zu einem Steine, der, in's Wasser geworfen, noch lange seine Kreise zieht.

Während sie rasch die Gassen durchschritt, um die Stadt bald hinter sich zu haben, quälte sie der Gedanke, daß sie sich nun nicht mehr zu den ehrlichen Leuten zählen düirfe, darin hatte Elise Recht, und doch hatte sie sich bis zu dieser Stunde auf ihre Rechtschaffenheit so viel eingebildet. Sie schämte sich ihres Betragens gegen Elise, aber nur vor den Menschen; daß sie gegen Gott gefehlt Habe, kam ihr gar nicht in den Sinn, und noch weniger sah sie ein, daß gerade ihr eigenmächtiges Handeln, ihr aus der Schule laufen es sei, was sie in eine so mißliche Lage gebracht habe. Daß sie sich losmachen miisse von ihrer Mutter, das war ihr klar, denn das Treiben in ihrem Hause erfüllte sie mit Angst und Widerwillen, und sie ahnte, daß ihr noch Manches verborgen geblieben sei.

Welche Gestalten sah man Abends zwischen Tag und Nacht im Gange und in der kleinen Küche, welche geheimnißvollen Unterredungen fanden da statt, besonders in letzter Zeit. Als sie so darüber nachdachte, tauchte es plötzlich in ihrem Gedächtnisse auf, wie sie vor einigen Tagen Abends, von einer Stör heimkehrend in der dunkeln Küche ihr Lämpchen habe anzünden wollen, wie da eine tiefe Männerstimme flüssternd gefragt habe: „„Git's es jyz hinecht, Frau MWusch?'" und als sie ihm nicht geantwortet und im Schreck ausgerufen. „Um Gottswille!" hatte er einen Sluch ausgestoßen und sie war wie ein gescheuchtes Reh die Treppen zu ihrem Kämmerlein hinaufgeflogen.

An dieß Alles mußte Anna denken, als sie mechanisch ihre müden Schritte nach der Gegend richtete, wo das Landhaus des Doktors lag. Es war ein herrlicher Srühlingstag, mild und warm die Luft, schon tönte Vogelsang in den Hecken und Bäumen, an denen die braunen, glänzenden Knospen sschwollen im Sonnenschein. In weißem Silberglanz hoben sich die Alpen von dem lichtblauen Himmel ab, und klar und krystallen umfloß der Aaresstrom sein Schooßkind, die Bärenstadt, das sich in seinen Armen so behaglich eingenistet.

„E da isch d' Jumpfer Anna, dert, dert, d'Jumpfer Anna, lue, lue IJumpfer Anna, Jumpfer Anna!“ ertönte plötzlich eine helle Knabenstimme, und als die Gerufene sich umssah, erblickte sie Theodor, der den Kiesweg hinunter, welcher die Villa mit der Straße verband, auf sie zulief. Er faßte ihre Hand und zog sie durch die halb offene Gitterthüre, indem er ihr sein frisches, rosiges, von krausem braunem Faar umrahmtes Gesicht zuwendend, sagte: „Du muesch cho d’'Sehwösterli luege, myni Schwösterli,“ indem er auf das „myni" großen Nachdruck legte. „Denk, mir dörfe hüt hie cho Gaffee trinke; denk, d'r Papa het's erlaubt ; er isch mit d'r Mama usgfahre, und mir sy Alli da, nume das dumm Züseli het nit welle mitcho“ ~ dann fich erinnernd, daß Züseli mit Anna verwandt sei, setzte er hinzu: „Eigetlich isch es nit so dumm, nume schmähle thuet es albeneinisch ; i wett du wärisch üsi Chöchi. Chasch du de nit choche ?"

„Nei,“ sagte Anna scherzend zu ihrem kleinen Freunde; ,i bränte Alles a.“

„Ja da chönnte m'r di nit bruuche in d'r That,“ sagte Theodor nachdenklich und altklug, „i und d'r Papa möge die bräntete Sache nit; aber Chindemeitli chönntisch sy, i wett di nit chlemme bim Strähle. D’s Lina isch so-n-es böses und macht so-n-es merkwürdigs Muul, we's taub isch.“

„Aber i ca o bös sy,“ sagte Anna, „und lue wie-n-i drnluege.“

„Aber du machsch es expreß eso,“ entgegnete Theodor eifrig, „und d's Lina vo Natur. Du chasch lieb sy, i weiß es."

„Ja albeneinissch wohl,“ antwortete Anna, die ihr Kopfweh ganz vergesssen hatte über ihrem Geplauder mit dem lieben Knaben. „Aber zeig m’r jyz dyni Schwötterli, i mueß de gah.“

„Dert sy sie,“ sagte Theodor und zeigte mit dem dicken Zeigefinger nach der beschatteten Veranda, wo das Kindermädchen eben eins der Kleinen zu geschweigen suchte.

„Chumm , Theodor, mir müeße hei! rief es. „Es isch d'r Vorgängere, d'r Frau Bluem, grüsli schlecht worde, und sie chunt de nache, wenn sie ma; aber die Meiteli sy durstig, und i cha ne nit Milch wärme, wenn se gaume mueß.

Der Knabe protestirte: „Mir dörfe hie Gaffee trinke, d'r Papa het's erlaubt, i has ghört, und i darf o ha, und du hesch Weggli mitgno und d's Züseli het is Milch g'gäh," sagte er bestimmt.

„Aber Theodor, i cha nit Gaffee mache, wenn i die Chinder gaume mueß; häb doch für-n-e Halbbatze Vrstand."

„D’Jumpfer Anna cha ja myni Schwösssterli gaume und sider chasch du ga choche, Lina ,“ schlug Theodor vor. „Wenn myni Schwösterli de Gaffee überchöme, so brüele sie de nimmeh.“

„Wenn i öppis helfe cha, fu will i gern dablybe- bi dene Chlyne,“ sagte Anna mit dem ihr eigenen muntern freundlichen Wesen; „d'r Theodor und i wei scho guet zue ne luege,"

„I wär recht froh drüber," erwiderte das Findermädchen. „Giebe-n-i ne nüt bis m'r hei sy, su brüele fie m'r die ganzi Stadt ab und d'r groß Bueb hüület am End o no, und villicht besseret's d'r Frau Bluem vom Gaffee. Aber Theodor understand di und weck m'r d’'s Mili.“

Der Knabe sagte nicht Ia, nicht Nein, er blickte nur mit unverhehltem Triumphe der Abgehenden nach, die nach einigen Anweisungen in der Küche verschwand.

Nun erachtete es der kleine Bruder als sein spezielles Amt, seine Freundin auf jede einzelne Schönheit seiner Schwesterchen aufmerksam zu machen, indem er bei dem erwachten anfieng und mit dem Singer derb auf die besprochenen Punkte tippte, was für die Kleine nicht sehr ergötzlich sein mußte, denn sie fing auf's Neue an zu weinen. Theodor wollte trösten, was entgegengesetzte Resultate hatte.

„La du's inz e chly sy," sagte Anna, „i will mit ihm spaziere.! Sie ging auf der Veranda hin und her, die Kleine in den Armen wiegend und ein Liedchen ssummend, während sich Theodor in der Nähe des Wägelchens herumtrieb, wo das zweite Schwesterchen schlief.

„Das isch no viel d’'s schönere," sagte er endlich, „söll d'r zeige, was es für Aeugeli het ?"

„La!s sy,“ rief Anna; aber schon hatte der Fnabe dem schlafenden Finde das eine Augenlied in die Höhe geschoben; es erwachte natürlich und half dem Schwesterchen schreien.

„Ja los, Theodöri, wenn de's daheime so machsch und d's Züseli und d's Lina scho albeneinisch ungeduldig werde und d'r d'r Marsch mache, su vrwunderet's mi nüt. Was hesch jyz no nöthig gha, das arm Meiteli ga z'wecke; lue, jyz briegge sie ia Beidi." Als sie sich nach ihm umsah, war der kleine Unmuß nirgends zu sehen.

Endlich kam Lina mit Milch für die Kleinen. „Wo isch d'r Bueb?“ frug sie.

„Er isch ersch no da gsi,“ erwiderte Anna; „er het m’r d's Chlyne gweckt, und drwyle daß i das us em Wägeli gno ha, isch er vrschwunde; i ha denkt, er syg bi Euch i d'r Chuchi."

„Dä wird aber am en Ort ga-n-e Tüfelei astelle!“ rief das Kindermädchen entrüstet. „Dir glaubet nit, was mir für-n-e Plag hei mit dem Säubueb; mir freue-n-is Alli wie uf d’s Wiehnechtchindli, wenn er dä Srüehlig i d'Schuel mueß."

„I will ne ga sueche," sagte Anna, und sie war schon unten im Garten, als das Kindermädchen ihr zurief: „O syd so guet, süsch stellt is dä Süchel no öppis Ungrads a; villicht isch er im Garte."

Anna’s Instinkt sagte ihr, Theodörchen sei jedenfalls nicht im Garten, sondern auf der Straße zu finden. Sie eilte durch das Gitterthor, sah ihn aber nirgends. „Theodor, Theodor!“ rief sie. Niemand antwortete.

Z'D - was machsch du da, Bueb?“ sagte ein derber Suhrmann, der soeben aus der nahen Schenke kam und zu seinem Srachtwagen zurückkehrte, den er auf der Straße hatte stehen lasssen. „Was hesch du da z thüe, du Luusbueb, mach daß d' use chunsch.“ Da ihm dieß zu lange dauerte, so beförderte er mit unsanftem Griffe aus der fogenannten , Suehrbänne" unsern Theodor zu Tage, [indem er ihm als Absschiedsgeschenk einen tüchtigen Flaps auf die Hinterseite mitgab.

Zierlich sah nun der Knabe eben nicht aus, da in besagter „Suehrbänne“" ein Rohlensack und ein Gefäßz mit Wagenschmiere untergebracht war.

„Aber um Gottswille, wie gsehsch du dry!" rief Anna, den heulenden Knaben durch's Gitterthor ziehend und dieses verschließend. „Gang rüehm jyz d’'m Lina dyni Keldethate. Denket, i d'r Suehrbänne vom ne Güeterwage isch er gsi. Was hesch o da welle mache, Theodor?"

„Fahre," heulte der Knabe.

„Grad wie wenn Dä no nie gfahre wär," sagte Lina. „Und wer hätt hüt mit Papa und Mamma chönne usfahre, wenn er d's Köch g'gesse hätt bim z Mittag, wer? Chumm , i will di ga wäsche, du Scheussäli; für heizgah leit me d'r d's Mänteli a, de gseht me die vrdräckete Chleider nit.“

Als das Reinigungsgeschäft vorüber, war Theodor wieder ganz er selbst. Gleich großen Männern hatte er sich in seiner tiefsten Niederlage wiedergefunden. „Und d'r Gaffee, Lina,“ frug er; „es dunkt mi, du chochisch neue lang, wei de luege wie's ussechunt.“

„Chumm, i will d'r gäh," erwiderte Lina „su, hesch di doch en Augeblick still.“

Anna hatte sich zu den kleinen herzigen Mädchen gesetzt, und als die gesättigten Geschöpfchen fie freundlich anlächelten und ihr die Aermchen entgegenstreckten, da hätte Niemand denken sollen, daß sie nicht ihr Lebenlang FKinderwärterin gewesen sei. Die nahenden Tritte der vom Kaffee wieder hergestellten Frau Bluem schreckten sie aus dem süßen Spiele auf.

„So so," sagte diese, „mit Schyn isch dene Chlyne nüt abg'gange währed's m'r schlecht isch gsi, sie sy ja zwäg wie jungi Schwalbeli. Syd Dir Ä“

„I bi Schnydere,“ erwiderte Anna, um der Frage zuvorzukommen. „I gange hie uf d'Stör und da kennt mi d'r Theodor und het m'r zuechegrüeft."

„Das isch schad,“ sagte die Wärterin, „Dir wäret jyz wie gmacht für-n-es Chindemeitli in es vürnehms Huus; i wüßt Ech meh weder ei Platz."

Danke," sagte Anna; „my Bruef gfallt m'r emel einisch doch no besser und de bin i nit bunde und–"

„D'Jumpfer Anna söll o cho Gaffee trinke,“ sagte Theodor, mit vollen Backen kauend; „i ha d'm Lina gseit, es söll nit alli Wegli ufesse. Chumm, chumm!"

Damit zog er sie ihres Widerstrebens ungeachtet in's Zimmer, wo Lina ihr Kaffee einschenkte und ihr beim Trinken Gesellschaft leistete.

„seit D'r o scho ghört vo dem Ybruch bim Goldschmied D." frug sie, die Unterhaltung beginnend. „Mi het lang geng g'glaubt, es snge Srömdi gsi, wo's gmacht heige; jnz seit is hüt üse Chühjer, mi fahj doch a irr werde dra und denki, es syge Hiesigi, und d'Polizei syg uf ere Spur; es syg da so-n-es Nest bi-n-ere Grämplere i d'r Sunnegaß.“

Anna ersschrack bis in's Herz hinein. Das war vielleicht bei ihrer Mutter. Doch in der Sonnengasse, die sehr mit Unrecht diesen Namen führte, wohnten mehrere Trödlerinnen, deren Ruf punkto Ehrlichkeit wohl ebenfalls nicht fleckenlos war. Auf einmal jedoch kam ihr der Mann in der Füüche wieder in den Sinn und sie wurde ganz bleich."

„Sehlt Ech öppis ?" frug das Mädchen theilnehmend , „Dir gseht so bleich us.“

"I ha d'r ganz Tag Chopfweh gha," sagte Anna, ,es het m'r a d'r früsche Luft e chly besseret gha, iyz chunt's ume; i will hei und grad i d’s Bett.“

„Mehmet doch no chly schwarze Gaffee, das isch guet gege d’s Chopfweh,“" rieth Lina.

„Mei i danke vielmal,“ sagte Anna. „Wenn i schlafe cha, su besseret's, süsch nit. I lahj d'Gotte grüße, wenn D'rweit so guet sy."

„Ja, mir wei-n-ere rüehme, wie chumlich D'r is cho snget,“ sagte Lina. „Gäll Theodor, mir hei viel z'rüehme daheime ?"

„Wottsch du scho furt, Jumpfer Anna?" frug Theodor; de wett i mit dir cho, nit mit d'm Lina, es lauft geng so langsam."

„Nei nei, Theodor, bis lieb u folg und gang mit de-.nAndere.“ Sie entschlüpfte seinen wiederholten Verssuchen, sie zurückzuhalten, und versschloß sorgfältig von aufen die Gitterthüre, dann ging sie langsam ihres Weges, die Fand an die schmerzende Stirn legend.

Sie hatte sich vorgenommen, heute bei Frau Glimmer vorzusprechen, zum wie vielten Male, das wußte sie eigentlich selbst nicht mehr, um wenigstens eine Abschlagszahlung aus ihr herauszupressen, von der sie weder ihrer Mutter, noch Elisen, mit der sie eine solche hätte theilen sollen, etwas sagen wollte.

Aber es war etwas über sie gekommen, das sie drängte nach Fause zu gehen und ihr doch wieder Grauen vor ihrer Reimat einflößte. So von widerstreitenden Gefühlen bewegt, unterließ sie den vielleicht ohnehin vergeblichen Gang zu der Dame und setzte sich auf eine Bank in einer der öffentlichen Anlagen bis die Sonne unterging und von der Aare ein dichter kalter Nebel heraufkroch und sich über die Gassen lagerte.

In der Sonnengasse war es bereits völlig Nacht, als sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinansstieg.

Sie ging in die KAiüche, tappte nach ihrem Lämpchen und wollte es eben anzünden, als die Stubenthüre aufging und ein Polizeibeamter neben ihr stand.

„Syd Dir die Anna Wusch ?" frug er.

„Ja," erwiderte Anna zitternd.

„So müeßet D’r mit m'r cho," sagte der Mann des Gesetzes. „Machet nit lang Stämpeneie, es nützt Ech doch nüt. Eui Lüt und Dir ghöret Alli zu d'r glyche Bande, sie sy scho abgfüehrt worde und i ha uf Ech gwartet."

„Aber um Gottes Barmherzigkeit wille, was söll i de 0 gmacht ha, i weiß sicher nüt, i ha mym Bruef glebt und was die Andere tha hei weiß i nit.“

„Mir kenne das," entgegnete der Polizeidiener. „Eui Muetter, Eue Brueder und Dir snd agchlagt, dä Raub us dem Guldschmiedlade, wo letschthin gleert worde isch, vrssteckt z'ha, also d'r Hehlerschaft. Mir hei auch bereits Alles gfunde, Also marsch.“

„Aber i weiß gwüß, gwüß vo nüt,“ betheuerte Anna. D'r Gottswille leut mi gah, i bi sicher unschuldig.“

Säget das de mira d'm Herr Undersuechungsrichter; wenn er Ech's glaubt, nu wohl und guet; i ha my Instruktion und will Ech nume das säge, daß i Euem Stübeli zwe Ringe sy gfunde worde, unde am Bode, fast under d's Täfel ynegstoße, sehr gschickt vrsteckt. Iyz werdet D’r Eui Unschuld nit meh thüür welle vrchaufe, oder ?“

„I ha se sicher nit - “ wandte Anna schluchzend ein.

„Mir hei jyz gnue dampet,“ sagte der Beamte barsch. „Allez marsch - pläre chönnet D'r i üsem Lokal, i üsem Vorrathschämmerli o.“

Anna folgte ohne weitere Widerrede; sie wußte kaum, was mit ihr geschah, stolperte über jeden Stein und zog sich die Bemerkung des behäbig dastehenden Sleischers zu: „So jung no und wird i d’Chefi gfüehrt ganz sternevoll – mueß das vrwerthe für my Vortrag im Gasssseleist über die besseri Beufsichtigung d'r Juged.“

* * *

Einige Wochen später stund ein bleiches, verkommen aussehendes Mädchen, in dem wohl Wenige die hübsche Anna erkannt haben würden. vor dem Besitzer ihrer früheren Wohnung, sich den Schlüssel erbittend, zu dem Raume, wo man ihre Habseligkeiten hingeschafft hatte.

Der Mann war Kirchenältester und galt als eine Stütze der sittlichen und religiösen Zucht, hatte aber früher keine Silbe gefagt zu dem Treiben von Frau Wusch, obschon ihm dasselbe wohl bekannt war; sie zahlte einen hohen Zins für die geringe Wohnung, zahlte ihn regelmäßig, daneben drückte er ein Auge zu.

Seit aber die Polizei sich eingemischt hatte und die Wusch verhaftet worden waren, hatte er sich zur tugendhaftesten Entrüstung aufgeschwungen über das Pack und machte nun dieser edlen Strömung Luft gegenüber dem armen, zitternden Mädchen, indem er es mit Vorwürfen und Schmähungen überhäufte.

„Und jyz," schloß er, „nehmet was Eues isch, aber wohlvrstande nume das, und machet daß D’'r m'r us de-n-Auge chömet, i wott kei Diebsherberg meh; e Ma i myr Stellung cha sich nit gnue in Acht näh, wen er im Huus het."

„Aber i bi freigsproche worde, Herr Birlibyßer," wagte Anna endlich zu erwidern.

„Ja Lyrilari," sagte das würdige Kirchenhaupt; „mi het Ech allerdings nüt chönne bewyse, aber das zeigt nume, daß D'r no schlimmer syd als das ander Pack. D'r Polizeidiener het m'r gseit, die Ringe heig Eue Brueder in Eues Stübli vrsteckt für se für sich z'bhalte und öppis vo dem Raub z’profitiere; dert werd Niemer nachelvege, het er denkt, und vor em Richter heig er uf alli Süli use glaugnet, bis me-n-ihm dür-n-e Züge, wo's dür-n-ne Spalt düre gseh het, het chönne nachwyse, daß er’ s gmacht heig. Du erssch het er's endlich ygstande, und Dir syd quasi freigsproche worde, wil Eues Vorlebe guet syg. Aber we me recht nacheforschti, wer weiß –~

„Bitte, gebet m’'r jyz d'r Schlüssel, Herr Birlibyßer,“ sagte Anna. ,I ha Euch nit beleidiget und vrbitte mr ~" „Potz, weit D'r m'r öppe gar no e Prozeß ahänke, Fräulein, da will i mi doch in Acht näh, mi cha hützutag nüt wüssse. Da isch d'r Schlüssel, bringet ne aber de unfehlbar ume und wohlvrstande ~"

Anna entfloh, che er ausreden konnte. Sie ktleidete sich in ihrer alten Wohnung um und trat dann den schweren Gang zu Frau Glimmer an. Von Geld entblößt und soeben aus dem Gefängniß entlassen, hatte sie nur den Weg der Schande vor sich, und vor dem bebte sie doch zurück, nicht aus klar empfundenen ssittlichen Grundsätzen, sondern aus Scheu vor dem Urtheil der Menschen,

„Madame prend le café, elle a du monde,“ erwiderte das fammermädchen auf ihre Bitte, Madame einen Augenblick sprechen zu dürfen; „mais si vous voulez attendre dans le petit vestibule, je Ini dirai que vous êtes là.“

Beklommen setzte Anna sich auf einen der strohgeflochtenen Stühle und blickte gedankenvoll in den engen feuchten Hof. Die Zeit ward ihr lang; endlich erschien das Zöfchen wieder mit einem Theebrett voll Tassen und glänzendem Silbergeschirr. Es war im Begriff in den Salon zu treten, als Anna fragte: „Estree que vous avez dit à madame que je desire lui parler.“

„Je vais le faire maintenant; mais si vous êtes tellement pressée, vous fteriez mieux de revenir une autre tois,“ entgegnete das Kammermädchen sschnippisch.

„S’il vous plait, dites-Iuni de m’accorder un instant, je ne serai pas longue,“ bat Anna.

Drinnen in dem reich ausgestatteten Salon richtete das Mädchen leise seine Botschaft aus.

„Qui est-ce ?“ frug Madame, die in schwarzem Stoffkleide mit echten Spitzen garnirt im Kreise einer eleganten Damengesellschaft saß.

„La jeune ourvriére que Madame occupait avant le nourelan.“ antwortete die Zofe.

„Ne lui avez-vous pas dit que avais du monde à présent.“

„Si, mais elle insiste à parler Madame anjourd’lui même.“

„Quelle insolente petite personne que cette jeune Wusch! Et de venir ici après ce qui s'est passé, non vraiment ~ et à propos Fanny,“ wandte sie sich hastig an das Kammermädchen, „elle sort probablement de prison, où l’avez-vous fait attendre, j'espére pas dans la chambre à manger à cause des euillers d’argent, vous savez ?“

„O que non, Madame, elle est au vestibule.“

„Tant mieux, qu'elle attende encore un pen, je viendrai bientôt Iui faire entendre raison.û Sie wandte sich mit unwilliger Miene wieder ihren Gästen zu.

„Heit D'r en unagnehmi nourelle gha, my Liebi?" frug eine der Damen.

„Imaginez-vous,“ sagte die Wirthin, „daß e jungi Schnydere, die-n-i früecher us Erbarme okupiert ha ~ denn sie isch no chuum us d'r Lehrzyt ~- m'r jyz alli Moment uf d'r Kube isch mit ihrem Gunte und mtr Geld abforderet, wie wenn i nächstens faillire müeßt; stisch nit nume im höchste Grad indischkret, s'isch abominabel, impertinent; findet D'r nit o?"

„Sicher,“ entgegnete eine der Damen, welche Frau Glimmer und ihre Saumfseligkeit im Bezahlen ihrer Arbeiter schon oft scharf getadelt Hatte, wenn Frau Glimmer nicht zugegen war ~ „sicher isch das en Impertinenz, und die Person vrdienti öppis ganz Anders als ihres Geld. Und de, wenn i mi nit trumpiere, isch das die jungi Musch, wo mit ihrer ganze Sippschaft letschthin i d'r Chefi gsi isch !"

„S'isch geng die glychi Gschicht," sagte eine alte Iumgfer, deren Blumenblätter längst abgefallen waren, wenn je solche den vergilbten Stengel geschmückt hatten, ,„settigi jungi Persone sy ebe tugedhaft und brav bis die ersti Vrsuechung a se chunt, de falle sie dry und de sött me se no beduure wie armi unschuldigi Opferlämmer; ja es wird no dahi cho, i prophezeie-nEch’s, es wird no dahi cho, daß me se sogar i de Zuchthüsere no ufsuecht, protegiert und dorlotiert, und en eigene Verein gründet, wo-n-is settigi Gschöpfer, wenn sie etlah sh als Meitli, als dames de compagnie oder als was weiß i no alles, ufsalze wird, lueget de nume. Aber wenn me es ssittlichs Bewußtsyn, moralische Halt het, su cha me unmüglich Mitlyd ha mit dene Lüte, emel i gwüß nit, i weiß was Vrsuechung isch, i weiß es !“

Die meisten der anwesenden Damen stimmten ihr bei, und während drinnen im Salon die Lohe eines gewaltigen Autodafé’s gen Himmel stieg, ertheilte draußen Frau Glimmer der jungen Arbeiterin die erbetene Audienz. Sie war höchst ungnädig, die gnädige Frau, Alles an ihr glitzerte und funkelte und das schwere Seidenkleid raufchte und knarrte bei jeder ihrer Bewegungen.

„Es wird natürlich wieder sy für m'r Geld z'’heusche. daß D’r hüt daher cho syd,“ redete sie das junge Mädchen an.

„Wenn d’Frau Glimmer wett so guet sy," bat Anna höflich.

„Loset, Jumpfer Wusch, es isch en eigetlichi Pflicht für mi, Ech druf ufmerksam z' mache, wie unpassend und rücksichtslos Eues Benehme gegenüber Eue Chunde isch. Scho einisch ha-ni-n-Ech das gseit, aber my Mahnung het schynt’s nüt gnützt. Wenn D’r e Sunke vo Vrstand und Zartgfüehl heit, su werdet D'r ygseh, daß i jyz unmüglich cha mit Ech rechne. Chömet i dreine MWuche, im ne Monet ume und de cha me de luege."

„Das het m'r d'Frau Glimmer schon es paar Mal geit, aber das Mal mueß i Geld ha, i bi ganz z'usserist usse," erwiderte Anna, all ihren Muth zusammenfassend.

„So öppis isch m’r no gar nie vorcho," sagte Frau Glimmer in höchster Erregung, „und de no von ere Person, wo so ne zweudütige Ruef het wie Dir und wahrsschynlich direkt us d'r Chefi chunt. Aber natürlich, das sy die Allerfrechste. Da heit D'r zwänzg Franke," schloß sie, ihr Portemonnaie öffnend und ihr das Geld auf den Tisch werfend. „Aber jyz machet, daß D'r furtchömetl!"

Wie eine Träumende nahm Anna das Goldstück und entfernte sich. Sie war innerlich fast gebrochen und zu Boden geschmettert. Gleich einer losgerissenen Epheuranke flatterte ihr Denken von einem wunden Punkt zum andern und in ihrem Herzen war ein See von Bitterkeit, der Alles überfluthete.

Als sie endlich eine armfelige Unterkunft gefunden, schaffte sie ihre Habseligkeiten dahin, es als Vortheil betrachtend, daß ihre neue Wohnung so dunkel war, war es doch in ihr selbst tiefe dunkle Nacht.

Achtes Kapitel. Heimgesucht.

Es war ein schwüler Sonntag-Nachmittag in der ersten _ Hälfte des Sommers. Auf den Gassen und Plätzen der Stadt lag blendendes Sonnenlicht, während die Kastanienbäume der Promenaden in voller dunkler Blätterfülle kühlen Schatten spendeten.

Man war auf dem Lande mitten im „Heuet" und ein leises Lüftchen trug zuweilen den würzigen Duft bis mitten in's erz der Stadt, in gar manchem der vielen Spaziergänger eine Erinnerung oder Sehnsucht weckend nach der Zeit, da er, auf dem Lande wohnend, auch heuen half und behaglich auf dem vollen Suder gelagert heimkehrte.

Schaaren von Menschen wallten heute auf Wegen und Stegen, aus jeder Schenke schallte Gesang und Musik und die benachbarten Vergnügungsorte waren alle dicht besetzt. Es schien, als sei Niemand zu Haufe geblieben, selbst Kranke und Greise schleppten sich mühsam nach der Promenade, um auf einer Bank Luft und Sonnenschein, wohl auch das Gespräch einer Nachbarin zu genießen. Einzelne Gebrechliche wagten sich sogar hinaus an die Ecken der belebtesten Straßen, um durch Gesang und Zitherspiel das Mitgefühl der gesunden fröhlichen Menschen zu erwecken und reiche Ernte einzusammeln.

Und doch ~ wie viel Elend, Armuth, Verkommenheit verbarg sich auch heute in den dunkeln Höfen, HKinterhäusern, Dach- und Kellerwohnungen der Stadt, wie manches kranke Auge scheute das grelle Sonnenlicht, wie mancher Arme hatte keine anständigen Kleider, um Sonntags auszugehen, wie Mancher hatte selbst am Tage des Herrn keine Zeit und keine Lust, sich seines Gottes zu erinnern und seiner Schöpfung sich zu freuen.

Auch unsere Anna saß heute arbeitend an dem kleinen Senster ihres dunkeln feuchten Stübchens, das auf einen engen Hof hinausging, wo bei nassem Wetter das Regenwasser aus der schadhaften Dachrinne plätschernd herabfiel und der offenen Mündung der Kloake zusströmte, aus der häufig Ratten heraussprangen und fich am Tageslichte tummelten.

Heute zwar war diese Oeffnung geschlossen, aber Abfälle aller Art, die Gerüche aus der Drogueriehandlung des Vorderhauses und der Schusterwerkstatt, sowie der sämmtlich geöffneten Senster der sechs Haushaltungen des Hinterhauses hauchten unbeschreiblichen Duft aus , der das Athmen schwer machte.

Auf den Grund des Höfchens fiel nur in den längsten Sommertagen etwa eine Stunde lang ein Sonnenstrahl, die Höhle dagegen, wo die junge Arbeiterin wohnte ~– wir finden wirklich keine passsendere Bezeichnung für solche Wohnungslöcher – war das ganze Jahr hindurch sonnenlos und finster und konnte nur durch jenes kleine Senster, das auf den ßof ging, gelüftet werden.

Anna litt heute wieder an heftigem Kopfschmerz, der sie in letzter Zeit allwöchentlich zwei- bis dreimal heimgesucht hatte; sie ließ deßhalb auf einen Augenblick ihre Arbeit sinken und blickte in den Hof hinaus in der Hoffnung, den kleinen runden, sonnenbeschienenen Sleck zu sehen, der gestern ihr Auge erfreut hatte, doch heute war Alles dunkel. Sie schaute nach dem Himmel, der etwa einer Handbreit groß zu sehen war, aber auch ihn erblickte sie nicht, denn die Wäscherin im vierten Stocke hatte eine lange Stange zum Sensster hinausgelegt und daran mehrere Hemden zum Trocknen aufgehängt, die den Sonnenstrahl auffingen, ehe er den Boden des Höfchens erreichen und das schmerzende Auge des jungen Mädchens erquicken konnte. Das war der letzte Tropfen, der ihren bis zum Rande gefüllten Wermuthsbecher überfließen machte.

Sie war der Verzweiflung nahe und hatte Niemand, dem sie klagen, vor dem sie ihr volles, beladenes Kerz ausschütten sionnte. AU ihre Freunde schienen sie verlassen zu haben. Seit sie aus dem Gefängniß entlassen worden, war sie hier wie lebendig begraben, Niemand kümmerte sich um sie, die meisten ihrer Kunden hatten ihr den Rücken gekehrt, da sie ihnen nicht Wort halten konnte, weil Kränklichkeit ihr häufig das Arbeiten unmöglich machte. Das an Elise begangene Unrecht war ein Brandmal in ihrem Gewissen, und überall, wo sie hinkam, fühlte sie, daß man ssich vor ihr zurückzog und sie als eine Person von zweifelhaftem Rufe betrachtete. Die Frau, bei welcher sie wohnte und schlief, war nicht schlecht, aber roh; sie hatte sich gewöhnt, ihre „Schlafmeitli“ als Leute aus der untersten und verkommenssten Klasse zu behandeln und fürchtete überdieß das schwächliche „Grööggeli“ möchte ihr, wenn auch nur einen Tag, zur Last fallen. Alle Baarschaft Anna’s war aufgezehrt, was sie verdienen konnte, reichte kaum zur Bezahlung ihres Schlafgeldes und ihrer ärmlichen Nahrung aus, ihre Gläubiger waren noch unbefriedigt und in das Haus ihrer vornehmen Schuldnerin wagte sie sich nicht mehr.

All die äußere Noth, wie groß sie auch war, wäre erträglich gewesen, hätte Anna die Schuld daran nicht bloß bei Andern, sondern auch bei sich selbst gesucht. Alles, was sie verloren und so schmerzlich mißte, hätte sich entbehren lassen, wenn Gott ihr Halt und Hort gewesen wäre; aber wie der verlorne Sohn war fie ferne gezogen über Land und darbte nun leiblich und geistig, ohne die Rückkehr zum Vater zu finden, ja ohne zu erkennen, daß diese Rückkehr nöthig sei.

Das Elend ihrer äußern Lage, die Bitterkeit ihres Herzens und ihre körperliche Schwäche übermannten das arme Mädchen in diesem Augenblicke, schwindelnd warf sie sich auf's Lager, froh, daß ihre „Cogisfrau“ abwesend war, weil sie es sonst nicht gestattet haben würde.

Anna hätte schlafen, schlafen mögen, lange, lange, ohne mehr zu erwachen, aber so gut ward es ihr heute nicht. Die Fnaben des über ihr wohnenden Schuhflickers hatten aus der Schulbibliothek eine Indianergeschichte erbeutet und tanzten nun über ihrem Kopfe in ihren Kolzschuhen den Kriegstanz. Sie hatte nicht den Muth aufzustehen und um Stille zu bitten, was ihr wohl auch nicht viel geholfen haben würde; sie blieb liegen, aber es war ihr zum Sterben weh und einsam um's Herz.

Da drang aus weiter Serne ein Ton an ihr Ohr, dem sie fast willenlos laufchte ~ und wieder -- und wieder derselbe Jilang, der fich in ihre Seele stahl wie eine Stimme aus der Keimat, wie ein Gruß aus Sreundesmund. Das Höfchen blieb dunkel und feucht, während der Sonnenstrahl die Hemden der Wäscherin trocknete, die Schustersknaben ,indianerleten“ noch immer, aber fie sah, sie hörte es nicht mehr, der Ton hatte ihr Sonnenschein und Trost gebracht. „Nit vrlasse, nit vrlassse," schien er fort und fort zu sagen. Eine unsichtbare Macht zog sie vom Lager empor und gab ihr Kraft und Muth sich anzukleiden. Wohin sie eigentlich gehen wolle, wußte sie selbst nicht recht, aber der Ton leitete sie.

Draußen in den breitern, belebtern Gassen umfing sie Lärm und Licht. Ströme von Sonnenschein ergossen sich über die grauen Mauern und braunen Dächer und thaten ihren müden Augen weh.

Mit Mühe nur folgte sie dem Zauberklange, der von dem Gerassel der Wagen oft fast verschlungen wurde. Wie in einen Hafen der Ruhe führte er die arme Anna aus dem lauten Treiben hinweg in's stille Gotteshaus, wo sie sich in einer Ecke niederließ. Da ward es ihr, als habe sie eine verlorne Heimat wiedergefunden. Alles that ihr so wohl, die kühle Stille, das gedämpfte, farbige Licht, die Klänge der Orgel. Ob sie auch zu müde und zu schwach war, um dem Gottesdienste recht folgen zu können, so ward ihr dennoch das Höchste zu Theil, Gott selbst feierte in ihrem Herzen ein Hochamt, weihevoller und segenspendender als je eines bei Rerzenglanz und Weihrauchduft gehalten wurde. Er legte ihr Worte des Gebetes auf die Lippen, während sein Diener predigte und in den unaussprechlichen Seufzern, die ihrem gepreßten Herzen entstiegen, waltete sein heiliger Geist.

Es ward ihr selig zu Muthe. Die Menschen zwar hatten sich von ihr abgewendet. Glück und Lust des Lebens waren vor ihr versunken, ihre Gesundheit, ihre Iugend waren dahin; aber als sie sich von Noth und Elend umFîtellt sah wie ein gehetztes Wild, als ihr Herz von Bitterkeit überfloß, da suchte Gott sie auf, da ging er seinem verirrten Kinde in seine dunkle Höhle nach und fandte den Glockenton, es wieder an sein Haus, an sein Herz zu ziehen.

Aber wie seltsam ~ in diesem Glanze des seligsten Glückes sah Anna nun Alles mit ganz andern Augen an als vorher. Nicht ihre Mitmenschen trugen die Schuld an ihrer Noth, sondern vielmehr sie selbst. Wie hatte sie die treugemeintesten Warnungen leichtsinnig in den Wind geschlagen, ihren wahren Sreunden den Rücken gekehrt und ihre Sorge um sie oft mit Undank vergolten. Wie ungeduldig und unzuverlässig war sie im Verkehr mit ihren Arbeitgebern gewesen und hatte e ben d a d u r ch gewiß viele verscheucht. Wie schlecht hatte sie an Elisen gehandelt, wie leichtsinnig sich in die Arme ihrer Mutter geworfen, alle Abmahnungen verlachend. Und endlich ~ wie hatte sie ihres Gottes vergessen, fast absichtlich und ohne Noth seinen Sabbat geschändet, den Tag, an dem er sie wieder gefucht hatte. Das Bewußtsein, die Erkenntniß der eigenen Schuld ging ihr auf, und davor verschwand Alles, was sie den Andern vorwerfen zu können geglaubt hatte.

Doch es war eigenthümlich, diese Erkenntniß, diese Selbstvorwürfe machten ihr das Herz nicht schwerer, sondern leichter; sie zogen den Stachel aus ihrer Wunde, d. h. die Bitterkeit, welche jedes Leid größer, jede Last unendlich schwerer macht; fie brachten sie in das rechte Verhältniß zu Gott und ihren Mitmenschen und machten ihr Herz weich und voll Demuth.

Der Gottesdienst war zu Ende, die Leute verließen die Kirche. Anna wartete bis zuletzt und ging erst, als der Küster die Thüre schließen wollte.

„Heit D'r gschlafe, IJumpfere ?“ frug dieser gutmüthig. „Oder ischts Ech öppe übel worde ?" setzte er nach einem Blicke auf ihr bleiches Gesicht hinzu; „wenn das isch, so bruuchet D'r nüt z'pressiere, i cha zersch a de-n-andere Orte fertig mache."

„Nei, gschlafe ha-n-i nit," antwortete Anna, „aber i ha gar grüseli Chopfweh.“

„E nu su sfitzet nume no chly ab,“ sagte der Mann freundlich, „e Viertelstund geit's scho no, bis i fertig bi, und gäb i iyz d i e Thüre zersch oder zlescht bschließe, chunt ja uf d's Glyche use."

Anna benutzte diese Erlaubniß. Das freundliche Wort, seit Wochen das erste, das sie erhalten, that ihr so wohl. So lange wir als sterbliche Nenschen auf dieser Erde wohnen, bleibt uns das Bedürfniß nach menschlichem Trosste, nach menschlicher Theilnahme; erst wenn wir diesen Leib des Staubes abgelegt haben und nach Gottes Bilde erwachen werden, wird unsere Seele vollkommen satt und all unser Sehnen gestillt werden.

Eine Andere als sie gekommen, kehrte Anna in ihr trauriges Heim zurück. Sorgfältig legte sie die weggeworfene Nähterei zusammen und holte dann aus dem Grunde ihres Koffers die Bibel hervor, der man es ansah, daß sie bisher wenig gebraucht worden war.

Als ihre „Logisfrau", eine Hausirerin, Abends zurückkehrte, gab sie nicht wie sonst widerwillig und verdrießlich Bescheid, sondern erbot sich so freundlich, ihr bei der Bereitung des Abendbrodes zu helfen, daß das rohe Weib sie ganz erstaunt ansah und zum ersten Male frug, ob ihr etwas fehle, sie sehe so bleich aus.

„O i ha nume wieder mys Chopfweh hüt, süsch fehlt m'r nüt‘ antwortete Anna sanft, während sie das Kesselchen nahm, um beim Brunnen Wasser zu holen.

„Chasch dä Abe mit m'r Gaffee näh; i will ne chiy starch mache, das isch bsungerbar guet für's Chopfweh," sagte die Frau, und mit freundlichem Danke nahm Anna das Anerbieten an.

In ihrer äußerlichen Lage veränderte sich nun zwar in den nächsten Wochen nichts, ja ihre Gesundheit ward eher schlimmer als besser, aber sie trug Alles viel leichter; seit ihr Herz frei war von Bitterkeit, war jeder FRränkung, jeder Entbehrung die scharfe Spitze abgebrochen.

Sie wurde freundlicher, liebenswürdiger gegen die Menschen, mit denen sie in Berührung kam. Konnte sie eine Arbeit nicht zu rechter Zeit abliefern, so entschuldigte sie sich so demüthig, war so geduldig mit den Launen und Munderlichkeiten ihrer Funden und so dankbar für jede Arbeit, die sie erhielt, daß diese sich von Woche zu Woche mehrte. Anna hätte sich nun wohl etwas bessere Nahrung verschaffen können, aber sie that dieß dennoch nicht, sondern legte jeden Centime, den sie irgendwie erübrigen konnte, bei Seite, gönnte sich überhaupt keine Ruhe bis sie Elissen ihr Darlehn wieder erstatten und ihre übrigen Schulden tilgen konnte. Selbst ihr prächtiges Haar, von dem sie sich bisher nie hatte trennen können, verkaufte sie zu diesem Zwecke.

Sorgfältig wie bisher wich sie ihrer ehemaligen Freundin aus, doch jetzt nicht mehr aus bösem Gewissen, fondern weil sie ihr erst unter die Augen treten wollte, wenn sie sie vollständig zu befriedigen im Stande wäre. Da fügte es sich, daß sie eines Abends in der Dämmerung um eine scharfe Ecke biegend Elisen gerade gegenüberstund und nicht mehr ausweichen konnte.

„Dasmal chasch jyz nümme ertrünne, Anni,“ sagte Elise, das erste peinliche Schweigen brechend. „Gäll du hesch es böses Gwüssse, daß d' mi so fliehsch ?"

„In es paar Tage wär i de zue d'r cho, Elise; i ha m'r’'s längste vorgno gha, aber "

„Ja, wüesst heit d'r m'r's gmacht, du und dy Alti, das isch wahr," fiel ihr diese in's Wort, „es het si gar nit gförmt dä Weg druszlaufe und mtr die Chleider z’stehle, wo d' m'r ygsetzt gha hesch. Zu allem Schade no uvrschanti Rede und Schlämperlige, es het e kei Gattig gha. Und jyz, was wotsch by m'r, öppe wieder cho ga etlehne? Nei, my Schatz, dadrus git's nüt, es settigs Schaf bin i de ~"

Sie unterbrach sich, denn während ihrer Rede war die Gasflamme in ihrer Nähe entzündet worden und bei ihrem Scheine sah sie Anna’s bleiches, schmales Gesicht, ihre thränenerfüllten Augen, und das Mitleid ward stärker als der Zorn.

„Aber Anni, wie gsehsch du us !“ rief sie. „Mi kennt di ja bald nimmeh. Bisch chrank gsi ?“

„Mei, eigetlich chrank nit," entgegnete die Angeredete, „aber wege dem ewige Chopfweh cha-n-i weneli vrdiene und mueß e chly gnue thue mit d'm Esse, süssch fehlti m'r nüt."

„Du wirsch doch no gnue vrdiene für dys Esfe und d'r Zins, so gschickt wie de bisch? Oder thuesch geng no i d's Lotto ?"

„Mei, scho e Chehr nimmeh," sagte Anna leise. „Aber i möcht drum ~ i möcht drum zahle, was i d'r schuldig bi, und drfür ha-n-i o myni Haar vrchauft, wie de m'r so mängisch agrathe hesch ; lue!"

Elise ward ganz gerührt. „Da ha-n-i d'r de Unrecht tha," sagte sie endlich. „Das ha-n-i nit g'glaubt vo d'r. Chumm mit m'r, i mache jyz grad Gaffee, du trinksch de mit is."

„I bi hüt gar pressiert," erwiderte Anna, „und de ha-n-i mi vrschwore, i well nit ehnder zue d'r cho, bis i d'r umegäh chönn, was de mr'r etlehnt hesch, und am Samsîtig geit m'r ordlich y, de bringe-n-i d'r’'s de am Sunntig, chasch di druf vrlah ~ wenn i emel gsund blybe,“ setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu.

„Nu ja, su will i di de erwarte sy; aber chumm de grad zum Mittagesse, ghörsch ?"

„Nei, aber am Abe zum Gaffee chume-n-i, wenn d' mi witt," entgegnete Anna.

Der Sonntag Abend kam und ging, aber Elise wartete vergeblich auf ihre Freundin. Sie hatte sich die Luxusausgabe von einem halben Pfund Käse gestattet, da sie wußte, daß Anna ihn gerne aß, und wollte die Delikatesse nun für später aufheben; aber Klopfenstein, der, so sparsam er sonst war, doch auf gutes reichliches Essen hielt, legte Protest ein.

„Nei, nei, Schatz," sagte er, „allzu scharf macht schartig, und am ne Sunntig darf me sich wohl öppe e chly Chäs erlaube, wenn me allei ischj wenn's dir nahgieng, su gschwelltisch du luters Wassser und mir chönnte Geduld ybroche."

„Jä lue, Sämi," entgegnete Elise, „wenn i nit denkt hätt, du hulfisch m’r huse, und nit gseh hätt, wie de am Sunntig am Meorge dyni Werchtigchleider umegmacht hesch und i d'r IWerchstatt jedes Stäubeli Hammerschlag und Sielestaub zsämmeliratzet hesch, i wär villicht-"

„Vas villicht?" frug der junge Ehemann.

„Nit so schnitzig gsi, d'r Ja z'säge," platzte Elise heraus.

„So so," meinte Klopfenstein gedehnt. „Dy Huisrlichkeit het m'r o gfalle, aber deßwege allei hätt i di doch nit gno."

„Wege was de?" frug Elise hastig.

„Viel Wüsse macht Buuchweh,“ sagte Klopfenstein. „Mi mueß de Wybere nit Alles säge, sie hätte eim süsch z'fasch underem Duume. –~ Aber Spaß appart, het’'s dyr Fründin ächt öppis g'gäh , daß sie nit cho isch? Es hätt mi gfreut, se wieder z’gseh."

So harmlos diese Worte gesprochen waren, sie ärgerten Elise doch.

„Ach, was wett's ihm g'gäh ha?" sagte sie. „Es haltet eifach sys Wort nit, wie-n:es m't's früecher mängisch gmacht het, und die ganzi Saasse, wo's m'r da am Mittwuche z’Abe agrichtet het, vo Umegäh und Leidssy und Haarabhaue isch villicht o nume Wind gsi; schwätze cha das Anna halt wätterlis guet, i ha das geng gwüßt und mi nume z'viel von ihm la vrbändle."

"Syg's jyz was und wie-n-es well,“ sagte Klopfenstein, indem er den Käse mit einem Eifer in Angriff nahm, der Elifens Hoffnung, ihn noch morgen aufstellen zu können, völlig vereitelte, „jedefalls gang du morn am Meorge grad ga luege, villicht het sie das Geld doch binenandere oder emel e Theil drvo, und cha d'r's gäh, süsch ischs allweg nit e großi Vrsuumniß.“

„Ja, wenn i wüßt, wo's wohnt!," meinte Elise bedenklich.

„E das isch scho z'vrnäh,“ sagte Klopfenstein, „i schicke am Morge d'r Lehrbueb grad uf d’Polizei, die het ja ihri Nase überall, dert isch es scho z'vrnäh.“

Gesagt, gethan. „Uf em Geißehöfli im Numero dryzächni wohni sie!" hatte der Lehrbube Elisen zur Küchenthüre hinein-. gerufen, dann eine kleine Weile gewartet in der Hoffnung, etwa ein Stücklein Brod als Botenlohn zu empfangen, und war endlich brummend und polternd zur Werkstatt hinabgestiegen, wo er vom Obergesellen noch derb angeschnauzt wurde, weil er so lange gemacht habe. „Du wärisch guet nam’ Tod z'schicke, wenn me lang lebe wett," sagte er zu dem dicknasigen Jüngling.

„Mira’ i gieng no lieber derthi weder zu Euem Fraueli," entgegnete der Gescholtene höhnissch.

„Warum ?" frug Klopfenstein unbedacht.

„Wil m'r d'r Tod no ehnder mit öppis thät ufwarte als es," sagte der Lehrbub unter dem Gelächter der Uebrigen.

„Nu su will i d'r mit öppis ufwarte," meinte der Obergeselle, indem er ihm eine klatschende Ohrfeige applizirte.

Nach einigem Suchen fand Elise endlich das „Geißehöfli". Auch heute war es kalt und feucht darin.

„Wohnt hie e Schnnydere Wusch ?" frug sie einen Jungen, der eine Treibjagd auf zwei große Ratten veranstaltet hatte.

„Dert," sagte der Bub lakonisch, indem er mit dem schmutzigen Zeigefinger auf eine schwarze Oeffnung wies, die fast wie der Eingang zu einem Suchsbau aussah, „die ersti Thüre linggs."

Elise fand sich zurecht und klopfte an dem bezeichneten Orte, erhielt aber keine Antwort. „PVillicht isch's uf d'r Stör," dachte sie und hob die Flinke, die Thüre war unverschlossen. Hinten in der Ecke stund ein breites Bett und darauf lag Anna in tiefem Schlafe, wie es Elise zuerst vorkam; als sie aber näher trat, fuhr sie mit einem Schrei zurück, sie glaubte eine Todte vor sich zu sehen. Sie eilte hinaus und sagte dem Buben:

„Rüef doch gschwind dyr Muetter, die Schnnydere isch gstorbe."

Müetti isch nit daheime, treit Hudle zsäme,“ gab er zur Antwort.

„Isch de kei anderi Frau im Kßuus, wo m'r helfe und agäh chönnt, was z'mache sng?" frug fie angstvoll.

„Nei," erwiderte der Junge gleichmüthig. „Coch-Bäbi geit ga fege, d'Sritzlere isch ga glase und d’ Gabi-Lene husiert.“

„Was isch?" frug plötzlich eine fast männlich tiefe Stimme.

Elise wandte sich um und erblickte eine lange hagere Weibsperson mit einem großen Bogenkorbe am Arm.

„Die da seit, dys Schlafmeitli syg gstorbe," sagte der Bub auf Elise zeigend.

„Wird öppe nit sy," meinte die Frau, „weder gfalle het's m'r scho lang nimmeh, bsungerbar dä Morge nit; s!’het m'r agha, s'möcht im Bett blybe hüt, und dessitwege bin i zmitts im halbe Tag heicho ga luege. Es reut mi no, s'isch i d'r letschte Snt neue no es Guets gsi."

Unter diesen Reden hatte sie ihren Kram abgestellt und war zu dem Lager herangetreten.

„Nei, Jumpfere, es isch no nit todt," sagte sie nach kurzer Untersuchung, „aber allweg nach drby. Es het fasch nüt meh g'gesse sit es paar Wuche und isch ganz vo Chräfte cho; lueget, was es für Aermli und Beineli het. ~ Iyz wüsset D'r was! Syd so guet u laufet grad zum Armedokter, er wohnt a d'r Schmöckgaß, er söll enanderenah cho, es pressieri; de mueß er es Zügsemi gäh, daß es in e Spittel cha, hie cha’s nit blybe; ungerdesse will i's astryche u luege gäb's z'wecke syg."

Nach langem Hin- und Herlaufen fand Elise endlich den ihr bezeichneten Arzt, der auch sofort das Nöthige besorgte, damit die Kranke in den Spital gebracht werden könne. Diese war unterdessen erwacht, redete aber irre, und der Doktor sagte: „Das git e längi Gschicht, die Natur isch ganz erschöpft, s'nimmt mi wunder, daß s’no so lang g'gange isch. Mir wei froh sh, wenn sie se nume recht lang bhalte."

„Und was ssöll de mit ihre Sache gah?“" frug die Hausiererin. „I ha so scho weni Platz, und uf ihn’s warte und keis neus Schlafmeitli näh bis es umechunt, s'Selb chönnt m'r wohl lang gah."

„I will se la reiche dä Abe," sagte Elise. „Es kennt mi und isch ihm allweg d’s Rechte.

„He nu su wei m'r se grad zsämmepacke," sagte die Frau, „und de näht d'r Schlüssel vom Trögli, i wott de hingerdry nit Cumpliment, i heig ihm öppe gno, s’Seib wär m'r de nit aständig. Gester am Abe het's mr no d’s Schlafgeld zahlt; das breicht si jyz no guet, süsch chönnt i däich d'r Sach nahepfnfe, weder nüsti es isch nit es unebes Meitli gsi."

Neuntes Kapitel. Theodor als Diplomat.

Auf der Veranda vor dem Landhause des Doktors war der Srühstückstisch gedeckt. Glitzernde Sonnenstrahlen fielen durch die Zweige der Linde, die mit ihren Aesten die halbe Terrasse überschattete und spielten mit dem blanken Geschirr und den silbernen Löffeln. Der reiche Thau des Augustmorgens funkelte im Sonnenlichte auf dem prächtigen Asternbeet, das unten an den Stufen lag, und der violett silberne Herbstduft hüllte die Ferne ein.

Theodor war bereits in die Schule abmarschirt, nachdem er als vielverssprechenden Beginn seiner heutigen Tagefahrt die Faffeekanne von der „Servante" herabgestoßen hatte. Seine Mutter saß am Tische und wartete auf den Doktor; sie seufzte zuweilen tief auf und ihre bleichen Wangen, sowie die rothgeränderten Augen erzählten von Sorgen und Nachtwachen.

Da trat der Erwartete auf die Veranda, setzte sich nach freundlichem Morgengruße zum Srühstück und fragte nach Theodor. Als er dessen Missethat erfahren hatte, sagte er: „Gottlob daß er si rüehre ma. Ueses arm Mili het schynt's nit gar e gueti Nacht gha; i bi vori no by-n-ihm gsi."

„Mei,“ erwiderte die Gattin; „es paar Mal het es grüslich gweeberet, das arm, arm Chind.“

„Und de isch de d Mamma ufgstande, anstatt d’Abwart la z’ mache, wie-n-i a ihre rothe Auge gseh,“ sagte der Doktor mit leisem Vorwurfe. „Cos, Chind, das geit eifach so nimmemeh. Denk, was de gha hesch i d'r letschte Zyt: d'r Theodor chrank am Scharlachfieber, du o, und endlich no dä unglücklich Fall vom Chlyne. Das wär ja gnue für-n-e robusteri Frau, als du bisch, azgryfe. Schon di doch, i bitte di; die Abwart isch sicher zueverläßig, i ha i d'r ganze Stadt na-n-ere gfahndet."

„Ach, i glaube's ," seufzte die Frau; „aber d's Mili wott nüt von ere, es briegget allimal, wenn sie's nume arüehrt, und das cha.-n-i halt de nit ghöre. Ueberhaupt cha-n-i keis Vrtraue meh ha, sit d's Lina, wo ja süsch es ordlichs bravs Meitli isch, üses arm Mili so het la falle. I bi nie rühjig, als wenn i d’s Liseli o cha under de-n-Auge ha."

„Und die ewigi Sorg und Angst nimmt dir und mir alles Behage und alli Sreud weg," entgegnete der Doktor ernst, „und de kämpft dys guet Herz en ewige Kampf mit dym müetterliche Gfüehl; du möchtisch d's Lina bhalte und ihn’s sy Unvorssichtigkeit nit la etgelte, und doch hesch kei rechte Mage meh zue-n-ihm; es wär am End besser gsi, mi hätt’'s grad furtgschickt."

Die junge Frau sah überrascht auf. „Grad prezys so geit's m'r," sagte sie; „i chume gar nit drüber us. Was söll i o mache ?"

„Wieder e chly d'r Chopf ufha, d’'m liebe Gott vrtraue und nit nume i üses, sondere o i anders Elend yneluvege, my Liebi,“ antwortete der Doktor herzlich. „Grad jyz hätt i d'r e Mission, wenn d' se anäh wettissch."

„Und die wär?“ forschte die Gattin.

„Sit es paar Wuche scho ha-n-i die Anna Wusch, d’s Gotteli vo üsem Züseli, im Spittel ~"

„Ach ja," fiel ihm die Frau in's Wort. „Das Anna ha-.n-i würklich schmählich vrgesse und ha m'r doch vorgno gha, öppis für ihn's z’thue, wenn's freigsproche werd. Und warum sseissch m'’r’'s nit ehnder, daß es chrank isch ?"

„Wil i e vrgeßliche Dokter bi," erwiderte der Gatte lächelnd.

„Ja und e zerstreute o, my Fründ," sagte die Frau Doktorin, „süsch hättisch nit däi Morge myni Manschettechnöpf ntha statt d'Hemlichnöpfli, wie-n-i grad ebe gseh. Und da werde d'r d’Chnopflöcher z’chly sy gsi und du hesch wieder mit d'm Messer chly nacheghulfe, nit ?

Das gute, joviale Gesicht des Doktors zeigte komische Bestürzung. „Nume ganz weneli," sagte er kleinlaut. „Aber lue, d'r Schrecke vor dym Richterblick isch m'r i alli Glieder gfahre, schenk du m'r no e Tasse Gaffee h. ~ Und jyz revenons à nos moutons. I ha zersch gmeint, die Anna überchöm d's Nervefieber, wo me se bracht het, aber dä Sieberafall isch bald vrby gsi, und es isch im ne Zuestand vo körperlicher Schwächi und moralischer Niedergschlageheit, die, wie-n-i glaube, vo völliger Bluetarmueth herchöme und die-n-i im Spittel gar nit würksam bekämpfe cha. Es sött absolut uf d's Land, aber wie und wohi? Sy Muetter isch im Zuchthuus und sy Heimetgmeind isch es katholischs Nest im Kanton Sryburg und die gäh allweg, auch im beste Fall, für-n-e Protesstanti weni. Da ha-n-i denkt, wie's wär, wenn mir das Anna es paar MWuche hie use nähmte. Im Spittel vrschlaht es m'r nume d'r Platz und i mueß Anderi abwyse, mit dene meh z' mache isch als mit ihm. I d's Züselis Stübli chönnt me ja scho es Ruehbett ynestelle. Mühj wird es chuum viel mache, und es wär e Oottslohn. De am End,“ setzte er nach kleiner Pause hinzu, „y m'r o d'm Züseli schuldig, öppis für sys Gottechind z'thue.“

„O wege dem bruuchte m'r is nit z'verchöstige" meinte die Frau Doktorin mit einem Versuche zu lächeln. „D's Züseli isch furchtbar erbost über sys Nießli; es wär nit emal rathsam, se z Nacht i d'r glyche Stube z’lah.“

„Indesse hei m'r's scho es paar Mal erlebt, daß d’Cüün vo d'r Madame Züseli g'änderet hei," sagte der Doktor aufstehend; „nei, da wett i de am End no ehnder uf d’'Wetterprophezeiunge vo d'r Sternwarte gah. Und selber uf d'Gfahr hi, daß es m’'r das Meitschi z!Nacht im ne Afall vo Zärtlichkeit abhaberiti, nähm i's gern use."

„Und möchtisch hie e Siliale vom Spittel yrichte für armi Reconvalescente, i gseh das cho," erwiderte seine Frau, ihm freundlich die Hand reichend. „So schick m'r das Anna; aber de schmähl de nit, wenn's hie und dä e vrsalzeni Suppe git."

* * *

Das kleine Zwillingstöchterchen des Doktors hatte seine kurze, leidensvolle Erdenlaufbahn vollendet. Während das Schwesterchen wie ein Nöslein erblühte, war sein kleiner, siecher Förper leichter und leichter, seine Bäcklein bleicher und schmaler und seine schönen Augen glänzender geworden. Endlich nach einer bangen schweren Nacht durchflog ein letztes Zucken seine kleinen Glieder, ein letzter Blick noch, der die Mutter suchte, und der Schmetterling entfaltete seine Flügel, während das Morgenroth das blasse Gesichtlein wie mit Rosenschimmer übergoß.

Bitterlich weinte die arme Mutter bei der kleinen Leiche; auch dem Vater hing eine Thräne an den Wimpern, als er seinem Kinde die Augen zudrückte. Und doch kam ein Gefühl der Erleichterung über die Eltern, als sie ihre Kleine nun geborgen wußten vor allem Weh der Erde, als der kleine Mund nicht mehr wimmerte, die kleinen Glieder nicht mehr qualvoll zuckten, die Augen sie nicht mehr hülfeflehend ansahen, während sie doch nicht helfen konnten und schwerer litten als ihr Kind.

Mit verdoppelter Liebe und Freude wandten sie sich nun den Schätzen zu, die ihnen noch geblieben waren und von Anna treu gehütet wurden.

„Ja säg los, Fraueli,“ sagte der Doktor einige Tage nach dem Begräbniß, als er seine prächtigen Spätrosen inspizirend von Beet zu Beet ging, „jä los, sisch am End nit ohni mit dyr Idee von ere Erholungsanssstalt hie, wenn alli Patiente so profitiere wie die Anna Wusch. Mi kennt se chuum meh, so het sie si zwegglah."

„Ja, und i mache mi anheisschig, selber eini azfah, wenn d' m'r alles settigi Patiente zueschicke wettisch, wo so nüt im Weg sy und eim so chumlich chöme. S'isch schad. daß das Anna Schnydere blybe wott = es vrsteit zwar sh Bruef guet ~ aber es gäb es vortrefflichs Chindemeitli, wenigstes was d'r Umgang mit de Chindere ageit. Sit er uf d'r Welt isch, isch d'r Theodor no nie so artig gsi als i dene vier W$ÖUche, daß es da isch; d's Liseli juzet und chrähjt und streckt d'Aermeli, wenn's es nume gseht, und selber üses lieb Mili het almez glächelet, und d’s Chöpfli drähjt, wenn's i d'Stube cho isch."

„Du wirssch ja ganz begeisteret,“ erwiderte der Doktor, sie verwundernd anschauend. „Aber das Anna isch nun einmal Schnydere und nit Chindemeitli und wird sy Bruef gwüß nit welle ufgäh wege üsem Schlingel, und einisch sött das z Visite sy hie doch ufhöre, dä Weg chunt’s us allem Vrdienst use und vrlürt sy Chundschaft.“

„J weiß es wohl, seufzte die Frau, „und es isch ja usgmacht, daß es am Sunntig z’Abe gah söll; sy Fründin Elise, wo letschthin da gsi isch, het ihm bereits es Stübeli gfunde und sie wei wieder zsäme uf d'Störe gah. Aber i säge: Leid isch's m'r."

„U mi dunkt’'s, das Aenneli chönnt wohl no e Rung dablybe," ertönte plötzlich Züseli’s Stimme, die nebenan im Küchengarten jätete und von dem Gespräche nichts verloren hatte. „Inz chunt de dä Herbstbofel und das Zuechemache, und i ma, weiß Gott, o nimme nache wie vor zwänzg Jahre; da chönnt es sauft no e chly helfe, syne wyße Schnyderefingerli wurd es gar nüt schade. Weder i meine de nit, daß es de geng mit dene Chindere gfätterle un d'r Narr mache sött; wie Dir gseit heit, das zVifite sy sött ufhöre. I wett's i d'Chuchi näh un’s zersch öppe d's Wüestere mache z'mache, d’s Oefeli abrnbe, d'Häfe lüpfe, Holz und Wasser träge, nahdinah fieng ihm das doch de a gfalle und am End gäb's no e Meisterchöchi us ihm. Un y Schnyderei bruuchti's dessitwege nüt ufzgäh, sie chäm eim mängisch no chumlig, zum Bysspiel myni beede Wintergloschli sötti neu bleit und ybändlet und d'Hemli plätzet sy, da chönnt es geng am Abe nähje und villicht hätt ihm d’Frau o no öppis, daß es nit us d'r Uebig chäm."

Das Ehepaar sah einander an und lächelte. „Für-n-es Chuchimeitli, wie Dir meinet, isch d's Anna z'schwach, Züiseli," sagte der Doktor. „Dadrus git's nüt, aber mir wei Oepper näh für Ech z'helfe; töde söllet D'r Ech nit i üisem Dienst."

„Ja, denk öppe so-n-e Strupf wie das Lehema-Meitli," grollte Züseli, ,wo m'r bim Suppehafe zueche d'Züpfe ufbindt und bim ne Haar d'Serwyße i Euem Bassin gwäsche hätt, wenn ig ihm se nit no hätt chönne dänneschryße. Die hüttige Meitli sy nüt meh, sie gäh nit d'Süeteri unger üs alti; un wott me si de öppe no ufopfere für-n-es Gottechind nahez'zieh, daß's nit so-n-e Schlamp us ihm geb ~ nei das mueß denit y — mira" ~ und Züsseli schoß mit seinem Kratten voll Unkraut im hellen Zorne davon.

„O wetssch, s'het nygschlage!“ sagte der Doktor. „I wott de dä Abe nit Cotelettes, Frau.“

Ach, leid war es auch unserer Anna, das Haus zu verlassen, wo man sie mit so ächt christlicher Liebe aufgenommen und verpflegt hatte. Nach so viel Verachtung und Elend, die fie sich durch ihren Eigenwillen großentheils selbst zugezogen hatte, wie sie es jetzt einsah, war ihr die herzliche Güte der Eltern, die Liebe der Kinder, das freundliche Samilienleben, in das sie hineinblicken durfte, was dem Erssstarrten ein laues Bad. Mit dem Körper lebte ihr ganzes, munteres, schelmisches Wesen wieder auf und kam den Kindern zu gute, die sich rasch gewöhnt hatten, sie als Olied des Hauses zu betrachten.

Herzlich gerne wäre sie nun dageblieben, als ein früher von ihr so über die Achsel angessehenes Kindermädchen, die Abhängigkeit eines Dienstboten wäre ihr in diesem Haufe nicht mehr schrecklich gewesen und die Welt draußen, in die sie wieder eintreten sollte, wehte sie kalt und rauh an.

Auch Elise war nicht mehr dieselbe, seit sie ihren Sämi Hatte und würde wohl bald für noch Iemand Anderes zu sorgen haben; dann war sie wieder allein.

Ihre Wünsche aber gegen die Hausfrau auszusprechen, getraute sie sich nicht. Obgleich sie wußte, daß diese ein Rindermädchen suche, da Lina das Glätten erlernen wollte, so verschlossen ihre letzten Erlebnisse und die Schande der Ihrigen ihr doch den Mund.

Der Tag des Abschieds kam, ein prächtiger Hserbstmorgen in Sonntagsglanz und Sabbatssstille. Die Sonne hatte siegreich die Nebel zurückgeworfen und von ihren Strahlen erwärmt und durch die Lindenzweige vor Blendung geschützt, stund auf der Veranda das Wägelchen mit der schlafenden Fileinen. Unweit davon saß Anna, den Schooß voll Blumen, die sie zu einem Kranze wand, den sie heute noch auf Mili's kleines Grab legen wollte. Theodor stund vor ihr, die Arbeit bewundernd und seinen Senf dazu gebend, wo allfällig noch eine Rose oder Aster anzubringen wäre. Er sprach in jenem lautem Sliüstertone, den Kinder annehmen, wenn sie Iemand nicht hören soll, denn Anna hatte ihm gesagt, sie hoffe, Liseli schlafe heute recht lange, damit wenn die Mamma aus der Predigt komme, der Kranz fertig sei und sie sie damit überraschen könnten.

„Das wird wohl d's letscht Mal sy, daß i hie sitze und Chränz mache,“ sagte sie fast unwillkürlich und die Augen wurden ihr feucht. „Das isch die schönsti Zyt gsi i mym Lebe, wo-n-i hie ha dörfe zVisiti sy," fügte sie bei, mit der sand üiber die Augen fahrend.

„Was hesch, Anna," frug Theodor. „Het di e Dorn gstoche ? Gim m'r d's Messer, i will ne abhaue."nei, nei," erwiderte diese, „das Surtgah isch m'r halt undereinisch eso über d's Herz cho, und doch mueß es sy."

„Das dunkt mi emel dumm," sagte Theodor. „Warum schickt d Mamma di furt und nit d’s Lina mit synm wiiesste Muul und syne grobe Toope, wo üses Myli het - "

„Scht, Theodor," warnte Anna, sich besorgt umsehend.

„Es ghört's nit, s'isch ja z’Predig g'gange." sagte der Knabe. „Los, blieb d u bi üs; dys Muul gfallt mrr viel besser weder d' m Lina sys, und Röck mache und neui ßose für mi cha-n-es ja o nit. Wottisch nit blybe?“ Und da Anna den Feopf schüttelte, fuhr er dringlich fort, ihr in die Augen sehend : „Warum nit? Wegem CLiseli? Oder wege mir ?"

„I bi nit Chindemeitli, i bi Schnydere, und deßwege gangen-i furt," erwiderte Anna ausweichend.

„A bah," meinte Theodor, „das macht nüt. Mi änderet ja mängisch das, was me isch. My Papa isch früecher o Student gsi und jyz isch er Dokter; i weiß es, er het m’'r's gseit. Und de sy ja es Chindemeitli und e Schnydere fasch d's Glyche. Mas macht e Schnydere? Nähje ~ Und es Chindemeitli? ~ O nähje. Bis du üsses Chindemeitli, lue i wett lieb sy u folge, du thätisch di ganz vrwundere."

„Allweg thät i mi vrwundere," sagte Anna durch Thränen lächelnd, „wenn du mir z’lieb so-n-es Engeli wurdisch. Lue, i blieb ja grüseli gern als Chindemeitli da; aber dyni Eltere chönne mi nit astelle drfür und frage darf i nit. ~ Gschwind, gieb die Blueme no, mir wei d'r Chranz hurti fertig mache, gäb d’s Lisseli erwachet, los, es bärzelet scho."

„Wart i säge's d'r Mamma, sie mueß d's Lina furtsschicke und di de bhalte, gwüß das mache-n-i."

Bald kam Besuch. Wein und Backwerk stund auf dem Tische und Theodors beweglicher Geist richtete sich so ganz auf das Bemühen, sich den ihm als Sohn des Hauses gebührenden Antheil zu sichern, zu welchem Zwecke er erstaunenswerthe Fletterkünste an dem Geländer der Veranda zum Besten gab, daß er seine Unterredung mit Anua einstweilen völlig vergaß.

„Mueß es also jyz sy?" sagte die Frau Doktorin, einen Seuszer unterdrückend, als Anna Nachmittags zum Sortgehen gerüstet in den Garten kam , um Abschied zu nehmen. „Mueß es also jyz s ?" Loset, Anna, öb m'r hie furtgange, müeßet D'r de no recht e langi Stör cho mache; richtet Ech y drnah und bhaltet Ech's bi Eue andere Chunde vor. D’Luft hie thuet Ech so wohl und die Chinder hätte süsch viel z'fesch Längizyti. I will myni Winterchleider de grad la rangschiere und die vom Theodor ~

„Und i will furchtbar viel vrschryße no dä Herbst!" schrie dieser aus dem Gipfel eines Pflaumenbaumes herab , „und de grad so, daß d's Lina nüt meh drmit cha mache und d's Anna recht lang dra het." Dann plötzlich sich des Versprechens von diesem Morgen erinnernd, sagte er mit dem altklugen Wesen, das er zuweilen annahm: „Aber Mamma, s'isch doch eigetlich e dumi Gchicht: mir wette d's Anna bhalte und es wett gern dablybe, 's het m'r’'s gseit, warum mueß es de o furt?"

Wie eine Offenbarung klang der Frau Doktorin die Rede ihres Söhnleins. An diese Lösung hatte fie gar nicht gedacht, obgleich es so nahe lag, Anna zu fragen, ob sie als Diensstbote dableiben wolle.

„Ja bhüet is ," sagte sie freundlich, „wenn d's Anna als Chindemeitli by-n-is blybe will, su isch mr e wahri Sorg ab em Herze. Aber es isch e gschickti Arbeitere und isch früecher, wie-n-i weiß, gern sh eigene Herr und Meister gsi."

Tief erröthend antwortete Anna: „Ja i weiß es wohl, i ha das früecher für-n-es Glück gha, aber s'ifch m'r doch e chly anders cho i de letschte Zhte. De sh m'r die Chinder so lieb und Dir und d'r Herr Dokter snd so gut gege mi gsi. Aber i hitt Ech nie dörfe frage, will i ~ und d'Muetter ~ sie stockte und erröthete auf's Neue.

„Nei Anna, das macht is nit," erwiderte die Frau Dektorin. „Aber wenn Dr würklich weit by-n-is blybe – und i weiß, s'issch mym Ma o recht + so mueß i-n-Ech zwo Bedingunge stelle: Erstes, daß D’'r nie meh i d’'s Lotto \,thüjet, und zweutes, daß Eue Vrchehr mit Euer Muetter ganz ufhsri. Syd Dr yvrôtande drmit und vrsprechet D'r, i guete Treue das z'halte, so wei m'r hoffe, daß d'r lieb Gott is recht lang binenandere lahj."

„Vrgelt's Gott," sagte Anna, die freundlich dargebotene Hand ihrer nunmehrigen Herrin ergreifend. „I vrspriche-n-Ech das gern, und i hoffe, d'r lieb Gott werd m'r helfe, daß i's halte chönn."

„föurrah!“ schrie Theodor und glitt eiligst vom Baume herunter. „Das isch fein, daß d’'s Anna dablybt, und das han-i jyz zwegbracht, gäl Mamma? Gim mtr jnz recht e schöni Ankebire ~ darf i eini ga uslese ?“

Mit der gespendeten Srucht, deren Saft ihm aus den Mundwinkeln herabträufelte, und einem Stück Brod ging er triumphirend zur Scheune hinüber, gab auch seiner Freude noch ferner kräftigen und angemessenen Ausdruck dadurch, daß er sich mit dem gleichaltrigen Pächtersfohne prügelte und mit zerrissenem Kleide und blutiger Nase siegesfreudig nach Haufe kam.

Auch der Doktor war sehr zufrieden mit diesem Ausgange; nur verlangte er ausdrücklich, daß so lange Liseli klein und der Pflege so bedürftig sei, Anna sich ausschließlich den Kindern widme, so daß für die gröbern häuslichen Arbeiten und Züseli's Unterstützung ein kräftiges Mädchen angestellt werde.

Das war aber nicht ganz leicht. Die alte Magd , höchst unzufrieden darüber, daß Anna „nume es Chingemeitsschi worde syg und hätt doch so gueti Anlage gha zum ne Chöchi“, protestirte energisch und beharrlich gegen jede der ihr als Adjutantin vorgeschlagenen Personen, bis sie endlich bei jenem geschmähten „Lehema's Meitli" anlangte, das beim Suppenhafen sich die Zöpfe aufband.

* * *

Kaum war der Herbst in den Winter übergegangen und die Samilie wieder in der Stadt, so erhielt die Frau Doktorin eines Tages folgenden Brief von unbekannter Handschrift:

Geehrte Frau!

Als Präsidentin des neugegündeten Srauenvereins zur Hebung der sittlichen und ökonomischen Lage der weiblichen Bevölkerung aus den untern Klassen übersende ich Ihnen hiemit diese Statuten und verbinde damit die Mittheilung, daß, da der Verein, dessen Präsidentin ich zu sein die Ehre habe, es zu seiner nächsten Aufgabe gemacht hat, solche Personen aufzusuchen und zu patronisiren, die dazu geeignet sind, ich eine gewisse Anna Wusch, die eine dunkle, z. Th. im Gefängnisse zugebrachte Vergangenheit hat und die ich früher, um sie vor noch tieferem Fall zu bewahren, beschäftigte, zur Patronisirung vorgeschlagen habe und unter meine ganz spezielle Protektion zu nehmen gedenke.

Da Sie, wie ich höre, besagte Anna Wusch, die früher Schneiderin war, in ihren Dienst gezogen haben, so bitte ich, ihr den generösssen Antrag mitzutheilen und mir ihren daherigen Entschluß sammt dem Ausdruck ihrer Freude und Dankbarkeit zu übermitteln.

Mich Ihnen höflichst empfehlend

Esmeralda von Glimmer.

Nasenpromenade 24.

Der Doktor lachte herzlich, als ihm seine Frau das Schriftstück zeigte.

„Wer isch die hochgeborni Dame?" frug er. – „Kennt se ächt d's Anna ?"

„Natürlich,“ erwiderte die Frau; „s"isch allweg die, wo-.n ihn’'s nie zahlt het; es macht alli Gattig."

„Rüef ihm doch," sagte der Doktor. „Das wei m'r bald vrnäh; es wär gar z'lustig, wenn's Die wär, dere wett i de Eis la liege.“

Anna bestätigte die Annahme ihrer Herrin und fügte bei: „D’ Frau Glimmer isch m’'r no geng viel schuldig ; bloß zwänzg Franke het sie m’'r uf Abschlag g'gäh und d's letscht Mal, wo-ni.n-ere's gheusche ha, het sie mi zum Huus us gjagt."

„Heit D’r dä Gunte no ?“ frug der Doktor.

„Nei,“ entgegnete Anna. „Sie het öppe afe drei oder vier vo m'r; allimal wenn i g'gange bi ga d’s Geld heusche, het sie gseit, i söll d'r Gunte dalah und so ha.n-i's Alles getreulich im Chopf.“

Su machet no eine," sagte der Doktor und notieret druffe, was ssie-n-Ech afe alssAbschlagszahlung g'gäh het; de gebet m'r ne, i will die Sach übernäh.'“

Die Antwort des Doktors lautete wie folgt:

Geehrte Frau Präsidentin des Srauenvereins zur Hebung der sittlichen und ökonomischen Lage der weiblichen Bevölkerung aus den untern Klassen.

Ihr generöses Anerbieten hat die Anna Wusch, deren Vorleben uns übrigens genau bekannt ist, nicht wenig überrascht. Sowohl sie, als wir, erblicken darin eine Aufforderung, Ihnen diese Rechnung zu übersenden; denn Sie werden ohne Zweifel darin vollkommen mit uns übereinstimmen, daß die ökonomische Lage der arbeitenden Frauen am besten dadurch gehoben wird, wenn die reichen Damen sie nicht jahrelang auf Bezahlung warten lassen.

Sollten Sie ganz wider Erwarten mit dieser Ansicht nicht einverstanden sein, so wären wir zu unserm größtem Bedauern gezwungen, der Frau Präsidentin einige unangenehme Augenblicke zu bereiten.

Mit vollkommenster Hochachtung und Ergebenheit

Pr. Theodor Joachim Freudenvoll.

Am folgenden Tage hatte Anna das Geld in Händen, „denn", sagte Frau Glimmer zu ihrem Gatten, ,es isch besser, sich mit der raeaille nit umezschlah und nahzgäh; üsi hüttigi bourgeoisie wird allimal impertinent, wenn sie meint, sie chönn is öppis ufrupfe."

* * *

Die Jahre vergingen. Anna war eine ausgezeichnete Jiindermagd geworden. Natürlich nicht gleich von Anfang an, denn außer ihrer Geschicklichkeit in den Handarbeiten, sowie der ihr angeborenen Gabe mit Kindern umzugehen und fie an sich zu fesseln, gab es doch noch Manches, was sie erst erlernen mußte, ganz besonders Ordnung und Pünktlichkeit. Auch ward ihre Natur nicht fofort engelhaft; ihr schnippisches Wesen, ihr Hang zu Leichtsinn und Unaufrichtigkeit zeigten sich hin und wieder: aber sie vergaß es nicht, wie der liebe Gott sie gesucht und zu sich gezogen; sie öffnete seinem gute Geiste ihr Herz, arbeitete an sich selbst und „ließ sich sagen“. Dazu war sie in den besten Händen; ihre Herrin war fest und geduldig; nie nachlassend im Ermahnen und am einmal gegebenen. Befehlc unverbrüchlich festhaltend, verlangte sie doch nicht von einem Tage zum andern Vollkommenheit, sondern bloß Gehorsam und guten Willen.

Die Sreundschaft zwischen Anna und Theodor besstund manch harte Probe. Entrüstet kehrte sie ihm zuweilen den Rücken, wenn er mit seinem Schwesterchen „Hyänelis machte,“ dieses dann von der graufamen Bestie ergriffen wurde, aufgefressen werden sollte und glühend roth und weinend sich zu Anna flüchtete, oder wenn Theodor ihr „altes Moos" und n„ehamean“ sagte, in der naiven Meinung, sie nehme es für eine Schmeichelei.

Indeß waren dieß nur vorübergehende Wolken. Anna fühlte sich daheim in dieser Samilie, die sie liebte und hochschätzte, und lehnte mehrere sehr vortheilhafte Anträge ab, die man dann, als ein Kindermädchen hier nicht mehr nöthig war, der so überaus anständig und nett aussehenden Dienerin machte, um sie als bonne d’enfant in vornehme Häuser zu ziehen. Als Stubenmagd und Saktotum im Hause des Doktors bleibend, war es ihre höchste Freude, bei CLiselits Balltoiletten zu Rathe gezogen zu werden und Theodor's Ausstattung in die Sremde besorgen zu helfen.

Als später die zwei Geschwister an eine m Tage Hochzeit hielten und Anna dabei serviren durfte, da war lauter Glück und Sonnenschein in ihrem Herzen; sie konnte sich nicht satt sehen an den jungen Leuten, die sie hatte erziehen helfen, und vergeblich suchte sie sich Rechenschaft zu geben darüber, wer schöner sei, „üsers Liseli oder üse Theodor".

Noch glücklicher indeß war die treue Seele, als im Iahr darauf bei den beiden jungen Ehepaaren Sprößlinge erwartet wurden und die Geschwister sich darum stritten, wer „,üses Anneli" zur Wärterin bekommen werde. Da sie sich nicht darüber einigen konnten, ward der Entscheid Anna überlassen, die nach zwei schlaflosen Nächten erklärte, sie gangi zum junge Herr Dokter, es werd dert öppe wohl e Bueb gäh und de heig sie wieder e Theodor. Dä syg doch hauptsächlich d'Schuld gsi an ihrem Glück, wenn er scho albeneinisch e Säubueb gsi syg und schützlig Huus gha heig mit de Kose.

Ende.

IV. Ein drangsalsvoller Morgen
Ein drangsalsvoller Morgen.

Motto:

Soll Deine Frau den Haushalt wohl versehen,

So gieb ihr Geld und brauche den Verstand.

Ha me de eigetlich hie o nie recht usschlafe ? frug Lina, der soeben erst aus der Pension heimgekehrte Backfisch beim Srühstücke. „Das isch doch längwylig! Chuum isch d'r letscht Omnibus d'Gaß ab donneret und die letschte Studente us d'r Kneip hei bummlet, öppis na de Endlefe, wie sie säge, su faht dä Säulärme scho wieder a und eis Wägeli nam andere rafslet d'Stadt ab. Seit üsi bravi Polizei de nit drzue ?"

„Jä Lineli“, antwortete die Mama, eine magere bleiche Frau, „hesch vrgesse, daß hüt Märittag isch ? Was de so früech ghörsch sy meistes Metzger vom Land. Im Summer chauft me d’s Fleisch gern öb es lang a d'r Sunnewärmi gsi isch und bis die Lüt ihri Sleischbänk g'rangschiert und bis d'sleischgschauer d'r Chehr gmacht und 's undersuecht hei, wird es meistes Sechsi. De chöme z'ersch d’Stadtmetzger und erlese's. D’s Schönste drvo nehme sie und vrchaufe's i d'r Schaal zeche oder zwänzg Centimes thüürer, als me’'s uf em Märit chauft. S'’git ebe geng Lüt, die gern meh zahle, wenn sie de wiüisfe was sie hei und daß es Stadtfleisch und nit vo der zwyfelhafte Märitwaar isch, wo so-n-e kuriosi Chust und nie es recht appetitlichs Ussehe het."

„Aber isch de das erlaubt?" rief Lina in edler Entrüstung.

„Ach, Du Chind“, sagte die Mama, „d'Zyte ändere drum und jyz seit me dem Gwerbfreiheit. Albez het das Sürchauf gheiße und isch vrbote gsi. Vor de Zechne het kei Wiedervrchäufer uf öffetlichem Märit dörfe ga ychaufe. Das sy no schöni Zyte gsi für üs Huusfraue. Damals ifch me no nit all drei Schritt über-n-e Grämpler gstolperet und het gueti Waar zu vrnünftige Pryse übercho, ohni ne se müeße us em Rache z'schrysze und sich drfür la wüest z'säge. Mir Sraue mache ebe Gîetz nit, süsch gsäch sicher Mängs anders vs."

„Ach, Frau, hör doch uf mit dym KAlöhn“, fiel ihr der Hausherr in's Wort, die Zeitung zusammenfaltend, in der er bis dahin gelesen. Wir stellen ihn unsern Lesern als Herr Rentier Gäbeli vor, seine Schuldner, wenn sie mit dem Zins im Rückstand waren, sagten ihm aber, „Herr Hauptme“ und wer Geld von ihm wollte, begrüßte ihn als „err Major". „Hör doch uf, du findsch nie es End, wenn de uf das Kapitel vo dene Grämplere chunsch. Das gäb mir es schöns Kafelantis, wohl, wenn d'Sraue würde d’Gsetz mache."

Allweg", sagte ein lang aufgeschossener Iüngling, der in etwas eilger Toilette soeben zum Srühstückstisch trat und den das farbige Band als Studenten bezeichnete, allweg, i möcht emel wüsse, wie's ging, wenn üses Lini regierti."

"Meinsch?" sagte diese. „Das miech mir emel kei Chummer. Jedi Cigarre und jede Vierlig Tabak müeßt zwe Centimes Stüür und jede Student, wo z’Abe um Endlefi no nit im Bett wär, e Franke Bueß zahle u hätt er's nit, su nähm’ i-n-ihm d’'Chappe zum Pfand. D’s Geld gäb! i de dene Wybere, wo nütnutzigi Manne hei und errichteti für settigi Strolche e neui Anstalt, wo sie alli Tag drümal prüglet würde und nume das z'esse überchäme, was ihri arme Wyber und Chinder daheime o hei. Wie gfiel d'r mys Regiment, Edi?“

„Du redsch wie d's vrsteissch," erwiderte dieser achselzuckend, „was wett o vom ne Bachfischli Vrnünftigers z’erwarte sy ?"

Die ohne Zweifel sehr lebhafte Erwiderung Lina's schnitt die Köchin ab, welche, den Kopf zur Thüre hereinsteckend, rief: Frau Gäbeli, i wott uf e Märit u sötti Geld ha."

„Papa, gim m'r doch Geld," fagte die Fausfrau bittend, ihrem Gatten die Hand auf die Schulter legend, „i ha nume no zwänzg Centimes im Sack."

„Was machsch du o geng mit dene Usumme, wo de m'r uspressisch ?" fuhr dieser „rauzig" auf, „es isch wie wenn d's i Schüttstei abe thätisch werfe, es ewigs Kähr um Geld und doch mueß i für Alles no apparti zueche. D’s Lebesmittelkässeli isch fasch erschöpft, meh als öppe zeche Franke chan i d'r nit gäh,“ schloß er, indem er sein Portemonnaie öffnend, ihr das Geldstück auf den Tisch warf.

„Ja, my Liebe,“ sagte Frau Gäbeli, .das isch gwüß nume de Mülise pfiffe, i mueß Fleisch, Köch, Eier, Chäs ha hüt, drzue sött i nothwendig Anke chaufe zum Uslah, er isch jyz nit so thüür und i ha keine meh.“

„Ja und mir söttisch es Märitchörbli chaufe, weisch Mama," fiel Lina ein, „du hesch m'r 's vrsproche".

„Und i ha zwe Kamerade yglade uf my Bude dä Abe und möcht ne gern Oeppis zum Bier gäh, chauf m'r doch e Wurst, Mama," sagte der Student.

„Und i cha hüt myni Schueh umeha vom Schuehmacher," warf Alfred, der jüngere Bruder, dazwischen.

„Gnue, gnue," rief Herr Gäbeli, sich die Ohren zuhaltend, „Dränget eui unbescheidene Wünsch i vrsschwiegene Buese zruck, dir uvrschants Volk, d’'s Lebesmittelkässeli isch fasch leer, dir heit's ghört, es het scho d'm Schuelgeldkässeli müeße etlehne."

„Gabriel, gim m'r doch no chly Geld, lue i cha’s sicher mit dem nit mache hüt," wiederholte Frau Gäbeli in noch unterwürfigerem Tone.

„Mynetwege, da hesch no zeche Franke, nume daß i dem Kähr los wirde, aber de nimm de einisch Rücksicht uf das, wo-n-i gern ha und chauf e Chalbschopf uf em Märit und bim Siegfried es Paar Bratwürstli, aber vrgiß m'r das ja nit, die Würstli wott i de z’Nacht, Adieu.“

„Helfet m'r dra denke, Chinder, was d'r Papa möcht, süsch git’'s bös Wetter und mys Gedächtniß faht grüsli a abnäh. Lina, wenn de d's Mädi vom Sleischmärit zruck isch, chasch mit m'r cho Anke chaufe und sider wäsch hurti d’Tasse.“

„Aber gäll, Mama, chaufsch m'r doch de chly es netts Chörbli," sagte Lina, das „Tassenzüberli“ auf den Tisch stellend, „nit so-n-es Ghudel."

„Ja, mys lieb Chind, i mueß mi na d'r Dechi strecke, hüt darf i d' m Papa nit no meh Geld heusfche."

„Gäb i dä Weg wett ga d's Geld bettle für d'Hushaltig und m'’r allimal vo siebe Lyde nache Alles wett la fürhah, ging i lieber ga d'Gaß wüsche," sagte Lina zu ssich selbst, als die Mama hinausgegangen war, ,i glaub, i würd mym Ma anders d'r Marsch mache."

„Frau," sagte die heimkehrende Köchin, „Dir heit mr z' weni Oeld g'gäh, i ha no e Franke vo mym müeße drzue thue."

„Aber Mädi," erwiderte Frau Gäbeli erschrocken, „was hesch o gmacht? i ha gmeint i brchöm no Geld ufe.“

„He was ha-n-i gmacht? Es paar Pfüngli Fleisch ha-n-i meh gno, wil’s so wüethig schöns gsi isch, vom ne scharmante junge Stier, wie m'r d'r Metzger gseit het un e Bodebürste han-i g'chauft, üse Bürstema isch m'r grad i Weg gliiffe und gäb i di alti no länger bruuche, wett i d's Ghüder lieber mit de Singere zsäme wüssche. Luegit wie's schöns ich, so grobi Säde und schneewyße Schmutz und luegit wie brave Burst und wie wohlfel; im ne Lade hät's fafch d’'s Halb meh kost. Siebezg Centimes hätt i für d's Pfung fölle gäh un er het m'r’'s du für feufesechzg glah, wil i ordli zsäme g'chauft ha."

„Und d'r Chalbschopf und d'Würstli für e Herr, die hesch doch nit vrgesse?“ unterbrach Frau Gäbeli den Redestrom der Foöchin.

„Bhüet is nei, was denket d'r Frau, i hats ungerinne im Chorb, e selige schöne Gring ha-n-i nit bal gseh, dr Metzger het si vrfluechet, es gäb! kener so i d'r Stadt.“

„Du hättisch zersch chönne frage, Mädi, gäb d' e Bodebürste gchauft hättissch. Aber thue jyz d's Köch brühje und bschließ guet, i wott mit myr Tochter ga Anke chaufe.“

„Ja bschließe, wenn die beide Herre da sy," brummte die Magd, „em Alte stiehlt emel Niemer nüt, dä hocket de z’'guet druff und d'r Jung schießt ume un ane wie-n-es Wesspi im ne Gutter inne."

Durch die Einkäufe der Köchin war bereits in den zwanzig Franken, welche der Großmuth des Herrn Rentiers abgerungen worden waren, eine bedeutende Bresche gemacht worden, Frau BGäbeli sah sich daher veranlaßt, nur das Allernöthigste an Butter einzukaufen.

Der Markt war mit Käufern und Verkäufern gut besetzt. Der vorige war mit Waare überfüllt gewesen und die Preise bedeutend gesunken; davon wollte nun heute Jedermann Profitiren, man drängte und stieß sich auf dem engen Platze.

Plötzlich fuhr ein Wagen mit Bierfässern wie ein Feil in die wogende Menge hinein, von vorn aber drängte ein Polizeidiener mit Stentorstimme und handfesten Manieren die Leute dichter zusammen: „La gseh Hingere, göht doch zrugg," was aber leichter gesagt als gethan war.

Frau Gäbeli hätte sich beinahe in die Arme des Bauern gestürzt, mit welchem sie um eine „Ankenballe" handelte und Lina hatte ein unfreiwilliges tête à tête mit einer alten Luzerner Eierhändlerin, die wie ein Rohrspatz schimpfte und den „Chaibe Berner Hagle alli Strof“ anwünschte.

Die polizeiliche Zärtlichkeit brachte den Butterhandel rasch zum Abschlusse, da Frau Gäbeli und ihre Tochter danach verlangten, sich in den sichern Schutz ihres Haufes zurückzuziehen."

Sie arbeiteten sich durch's Gedränge bis zur Butterwaage hindurch, wären hier aber beinahe vom Regen in die Traufe gekommen, es wurde viel gehandelt, auch meinte die Wägefrau nicht, daß Alles auf ein Mal gewogen sein müsse und das Warten unbequem sei. „Ume süferli vorab," sagte sie während ihre Hände eine „Ankenballe" abnahmen, drehte sie ihr Gesicht einem Zweiten zu und ihre Zunge sprach eifrig mit einem Dritten.

Als endlich die Ankenballe den Weg zur Waagschaale gefunden hatte, gieng's wieder eine gute Weile, ehe sie bedächtig Gewicht auflegte, dann noch geraume Zeit bis sie nachgesehen und ausgerechnet hatte, wie viel die Butter wog und oft gelangten die Kunden erst nach viel fruchtlosem Mahnen zu diesem Resultate. Nicht immer freilich war die Frau fselbst Schuld an den Geduldsproben, die sie die Leute durchmachen ließ. Da sie stets kleine Münze hatte, so mußte sie öfters wechseln, dann gab man ihr gekaufte Butter in Verwahrung und ließ dieselbe später abholen, was jeweilen ohne einige einleitende und begleitende Wort nicht abgehen konnte. Zuweilen verkürzten sich die Wartenden auch selbst die Zeit mit Plaudern, woran dann die MWägefrau natürlich meist wieder Antheil nahm.

Der Bauer, welcher Frau Gäbeli die Butter verkauft hatte, war indeß keine Hiobsenatur. Er drängte mit handlichen Geberden sich zum Tische heran und stieß zwei Srauen dabei auf die Seite, ihre Reklamationen kurz abfertigend: „Stadtwyber hei baas d'r Wyl z'warte weder Ueserein. La gseh,“ sagte er zu der Wägenden, „chlappere du de es angers Mal; dä Rung ha-n-i nit d'r Wyl zwarte, bis m'r d' Süeß agwachse sy am Bode."

„Dir syd pressiert, my Liebe,“ erwiderte die Frau, ,lueget das geit hie d'r Reje nah, hie mueß Jede warte und wär's d'r Bundespräsident.“

„Selb gseh-n-i öppe scho, daß e Niedere warte mueß, weder das isch m’r ebe nit aständig," sagte der Bauer, mit scharfem Blicke die Operation des Wägens überwachend.

„Sechs Pfund un e Vierlig isch's,“ bemerkte die Frau, indem sie die Butter mit dem anhängenden Frautblatte von den Waagschale hob und in Lina’s Körbchen legte, welches diese ihr darreichte.

Der Bauer hatte unteroeß eine Fand voll Geld aus der Fosentasche gezogen und rührte nun mit dem Singer darin herum, endlich fand er das gesuchte „Seuferli" und warf es der Frau zu, mit den Worten: „Für'z Warte fstt me eigetlig nit no müeße bleche, du söttisch eim für die vrsuumti Zyt müeße entschädne."

„Sitzet Dir de um das disst minder lang im Wirtshuus," meinte die Frau, „de heit d'r no d'r größt Nutze vom Warte."

„Ja bricht mi du Teigaff!" sagte der Bauer und war yeretschcidne.

„Wie viel Geld hesch no, Mamma?“ frug Lina auf dem Heimwege.

„Mit viel meh, warum fragsch ?"

„O i möcht drum so gern chly Himbeeri chaufe,“ erwiderte das Mädchen, „es glustet mi so schröcklich“.

„Mu mynetwege ," antwortete die Mutter, „aber höchstes für-n-e halbi Franke, gim m'r d'r Chorb mit d'm Anke, i will afange hei."

Lina spähte umher nach der lockenden Srucht, viele Körbchen und Krättlein waren bereits leer und für andere noch gefüllte wurde ein zu hoher Preis gefordert: endlich erblickte sie ein Mädchen in ihrem Alter, das noch einen Topf mit prächtigen Beeren emporhielt. Es war barfuß, dürftig gekleidet und der Anblick seines bleichen magern Gesichtes rührte Cina's weiches Herz. „Wie viel möchtisch für dyni Beeri?" frug sie.

„Achzg Centimes,“ erwiderte das Mädchen.

„Das isch m'r z’viel, sövel chan i nit gäh,“ meinte Lina.

„Für feufesiebezg will Ech se lah ; minger darf i wäger nit heibringe," sagte leise das arme Kind, „ig un myner Gschwisterti hei gester d'r ganz Tag drab vrsuumt."“

„J will's emel wage," erwiderte Lina, der das Find leid that, „dyni Beeri sy schön und d’s Geld wohl werth, gieb."

Das Kind reichte den Topf hin, aber ehe Lina ihn abnehmen konnte, erhielt sie einen heftigen Stoß, der sie mitten in die Körbe der Marktweiber hineinwarf. Ein sogenanter „Brügiwagen“" war hinter ihr durch den schmalen Raum zwischen dem Bache und dem kaufenden und verkaufenden Publikum durchgefahren, obgleich die andere Seite der Gassse leer war. Beinahe hätte er dicht neben Lina einen Kinderwagen umgeworfen, an dem er haarsscharf vorbeifuhr.

Da die Marktleute glaubten, das Fahren auf dieser Seite sei polizeilich verboten, so sahen sie sich nach einem Wächter der öffentlichen Sicherheit um, aber vergeblich. Die Herren hatten ihre gewöhnliche Morgentour auf dem Markte beendigt und stärkten sich wohl jetzt für die Strapazen des Nachmittags.

Der Suhrmann die suchenden Blicke bemerkend, ungerührt von dem Hagel von Schimpfworten und Verwünsschungen, von dem er überschüttet wurde, lachte aus voller Kehle über den gelungenen Spaß und die ohnmächtigen Drohungen und fuhr mit wo möglich noch größerer Rücksichtslosigkeit weiter.

Eine handfeste Gärtnersfrau, die am lautesten nach der Polizei gerufen und den Suhrmann ausgesschimpft hatte, gab sich nicht so leicht zufrieden, wie man es in unserm öffentlichen Leben von den Srauen verlangt. „So het me's mit dene Kagels Polizeiere,“ sagte sie, ihre umgestürzten Körbe wieder zurecht stellend, „da wo sie nöthig wäri, fingt me kene, un we me se de am mingste bigehrt, hocket eim so-n-e Stinker uf d'r Nase. „O wetsch du arms Tröpfli, sisch schad um die Beeri !“

Dieser Ausruf galt dem Himbeerenmädchen und ihrer Waare. Als Lina von dem erhaltenen Stoße das Gleichgewicht verlor, faßte sie, um sich zu halten, den ausgestreckten Arm des Findes, dieses kam dadurch ebenfalls in's Schwanken und ein guter Theil der so mühsam gesammelten Beeren fiel auf die Erde und in einen Forb mit Kartoffeln.

„O Herr Jeses, myni Beeri;" rief das arme Mädchen weinend, „jyz darf se nimme vrchaufe und mir mangleti doch d's Geld so übel! Herr Jeses, was söll i o afah?"

„Chumm," tröstete die gutmüthige Lina, „mir wei se zsämelese so guet m'r chönne und se de schwenke bim Brunne; i zahle d’r einewäg füfesiebezg Centimes drfür und wenn d Mama schmählt, so nime-n-its us mym Sachkgeld, i bi ja d'Schuld, daß es d'r so g'’gange isch."

„Vrgelt’'s Gott, Iumpfere," erwiderte das Mädchen, strich mit der thränennassen Hand die Haare aus der Stirn und begann das mühsame Geschäft des Beerenssüchens von Neuem. Sehr viel war es indeß nicht, was die beiden Mädchen noch zurückerobern konnten und als das arme Kind das mit Sand und Erde beschmutzte kleine Häufchen sah, flossen seine Thränen auf's Neue.

„Briegg nit," mahnte Lina, „,lue i halte d'r sicher, was i d'r vrsproche ha. Aber wettisch m'r öppe die nasse Beeri heibringe? Sie vrderbe m’r süsch mys neu Chörbli".

„Bhüet is ja," antwortete das Mädchen, „wenn i nume scho daheim wär."

„Fesch wnt?" frug Lina.

„Zwo Stung; weder das miech nit sövel, aber i ha nüt z’ Morge gha, gäb daß i g'gange bi. D’'s Müetti het nume no es halbs Brödli gha und het gseit, es spar das für die Chlynere, i syg d’'s Aeltiste und mög's am sauftisste erlyde. Inz düecht es mi, i shg ganz usghöhlt's innefer."

„Villicht hei m’r d'r öppis uszesse vo gester," sagte Lina, „mir hei Chrut gha und i wär froh, wenn's dänne chäm, chumm nume da nne."

Sie führte ihren Schützling in die Küche, Mädi sah höchst verächtlich auf die allerdings nicht sehr appetitlichen Beeren. „Pfit NHuß, wettige Dreck!" rief sie.

„Es het Ungfell gha drmit," sagte Lina „und i bi zum Theil selber dra d’'Schuld, gieb ihm doch chly Suppe oder e Reste Jöch ufzesse, Mlädi, s'isch gester no so viel Chrut überbliebe."

„Gangit fragit zersch," erwiderte die Köchin, „we mes da suechti, müeßt its gfresse ha."nei i dä Vrdacht chämisch du gwüß nit, Mädi," sagte Lina lachend im Abgehen, „we du thätisch Chrut esse, würde m'r mit dene Köchreste o einisch fertig."

Die Mama war nicht unerbittlich. Lina durfte dem Mädchen zu dem aufgewärmten Gemiise noch ein großes Stück Brod abschneiden und mit herzlichen Dankesworten schied das arme Mädchen Lina sprang ihr noch nach, um ihr zu fagen, sie solle mit ihren gesammelten Beeren das nächste Mal zuerst in ihr Haus kommen; sie wälzte nämlich kühne Pläne in ihrem Busen und hoffte, vom Papa die Erlaubniß zu bekommen, sich in Konfitüre versuchen zu dürfen.

Sie war die Treppe wieder heraufgestiegen und wollte eben die Gangsthüre schließen, da läutete man und eine rauhe Stimme rief herauf: „Ca gseh, Iumpfere, sägit doch d'r Frau Gäbeli 's sng e Holzfuehrme dunger vor em Huus, mit em ne Sueder sackers schön buechig Spälte, für füfzg Franke d’'s Chlafter wett er se dä Rung lahz; sie het m'r bifohle i söll ere zueha, wenn i fing uf em Märit u besser als hüt macht sie's uf my . nit."

Lina rapportirte der Mama. „Das breicht sich doch ungschickt," sagte diese, „d’'s Holz hätte m'r allerdings bitter nöthig, aber dä Mano wott allweg grad zahlt sy und d'r Papa i syr Höhli ufzsueche und ihm Geld z'heusche isch so-n-e Sach."

„E bäh!“ meinte Lina, „i will's probiere, ganz schlücke wird er mi chuum. Wottisch du sider ga rede mit dem Ma, Mama?"

„Ja Chind, guet Glück zu dym Vorhabe."

Lina hatte sich die Sache leichter gedacht; der Papa schien lange gar nicht verstehen zu wollen, um was es sich eigentlich handle, endlich begriff er und da ging die Büchse los. Lina ließ das Unwetter über sich ergehen und hielt tapfer Stand. Als der Papa innehielt, um Athem zu schöpfen, sagte sie: „Papa, wotsch m'r jyz d's Geld gäh, wo-n-i d’ Schmählete abtha ha?"

„Sisch gräßlich, was m'r die Hushaltig chostet!" klagte Herr Gäbeli mit Thränen in der Stimme. „Afäng, i will luege, gäb öppis im Holzkässeli isch, aber ‘s wird .chuum, 's het ersch hüt d’'m Lebesmittelkässeli müeße etlehne."

Nach diesen Worten zog er eine Schublade seines Schreibtisches heraus, in welcher eine ganze Reihe kleiner Pappschachteln stand. Eine derselben, mit der Aufschrift: „Holzkassa“, nahm er heraus und zählte das darin befindliche Geld; es waren dreißig Franken. „Mira nimm’s und strych di,“ sagte er zu Lina.

„Jä Papa, 's isch z'weni, sagte diese, „füf zig Franke söll d's Folz choste, es syg buechigs, seit d'r Holzhauer."

„Inz o no," meinte Herr Gäbeli, „wenn's tannigs wär, su gäb 's es schier. Was macht me jyz ? Lue da drin isch nüt meh, gsehsch ?"

„Aber lue da, Papa, i dem Druckli glänzt es ganz vo Guld und Silber und lue, da Int no es Zwänzigfrankestück drnebe, darf i das nit näh, Papa?"

„Mei, warum nit gar," entgegnete Herr Gäbeli hastig, „das isch ja d's Huuszinskässeli und die zwänzig Franke, wo dra aglehnt sy, das isch d'Reserve für d'Illuminationsgebühr. Nei, was dentksch doch!“

„Aber Papa chunt es nit schier i d's Glyche, us welem Druckli me's nimmt, wenn's nume da isch ?"

„Das vrsteisch du nit, Chind, da hätt me gly usghuset, wenn me geng da näh wett, wo Oeppis z'finde isch. Dir Sraue heit doch o nit e Spur von ere Idee von ere eifach und praktisch ygrichtete Vrmögesvrwaltung."

„Aber im volliegede Fall was sölle m’'r mache, Papa? Holz müeße m'r emel ha."

„Afäng, i gseh wohl i wirde euch Bluetsuger doch nit anders los," antwortete seufzend der Rentier, „mynetwege cha’s d'sgsuuszinskasse das Mal d'r Holzkasse etlehne."

Mit feierlichem Ernste schnitt er ein Stück Papier zurecht, daß es in die kleine Schachtel paßte und schrieb darauf: Der Holzkasse entlehnt Sr. 20. Dann legte er den Zettel in die betreffende Schachtel und erst nach all diesen Vorbereitungen suchte er das unscheinbarste Goldstück heraus und händigte es seiner Tochter ein, die wie ein Reh davon sprang, ihre Mutter zu erlösen, die fast Blut schwitzte und dem ungeduldig warten den Verkäufer schon das zweite Glas Wein eingeschenkt hatte.

„Jä Mama, das het Müüs gha," sagte Lina, als sie Beide die Treppe wieder emporstiegen, „d'r Papa het unendlichi Schneggetänz gmacht. Sit wenn het er eigetlich die viele Kässeli ?"

„O Lina,“ seufzte die Mama, ,du glaubsch nit wie mänge böse Moment m'r das tüners Drucklisysstem scho gmacht het! Wenn du emel einisch söttisch hürathe su müeßt es mr i Ehkontrakt, daß dy Ma d'r es Gwüssses gäh sölli für d'Huushaltig und sy Nase nit i Alles inezsstoße bruuchi. D’Details von ere suushaltig vrssteit selte e Ma recht; entweder sy sie so Tüpflichünge oder sie richte mit d'r große Chelle a, daß Alles üiber Ort geit."

"Mama," unterbrach der eben von der Schule heimkehrende Alfred diese mütterlichen Auslassungen, „i bi im Heigah bim Schuehmacher dure und ha myni Schueh greicht, wo m’r z'sohle g'gäh hei, sie choste vier Franke, aber i fött ihm d's Geld dä Namittag bringe, i ha’s vrsproche.“

„Du myni Güeti, Alfred," jammerte Frau Gäbeli, „es chunt doch hüt Alles zsäme, i ha chuum zwo Franke meh und d'm Papa darf i 's gwüß nit heusche, er het hüt scho gar viel müße gäh und chönnt höhn werde "

"S'wär nit zersch Mal," entgegnete der Sohn, nicht eben sehr respektvoll. „Geld mueß i aber ha, 's macht si vrdammt myggerig, en arme Ma, wo's nöthig het, für nüt u wieder mit druf la zwarte. Gang säg du's em Papa, Lini.'

„I bi scho gsi," meinte diese, „i gange hüt nit es zweuts Mal, gang du selber, Sred, 's sy ja dyni Schueh.“

„S' mird nit Magdeburg chosste am End,“ sagte der Knabe, den Kopf zurückwerfend, „und isch e gueti Vorüebung uf die Zyt, wo-.n-i Student sy wirde, das wird d'm Papa de no Steine choste. „Papa," sagte er, in dessen Zimmer tretend, „i ha hüt am Morge myni Schueh bim Schuehmacher greicht, sie choste vier Franke, wottisch m'r d's Geld gäh ?“"

Der Vater blickte nicht auf, er erwiderte nur dumpf: „Gang säg's d'r Mama.“

„Das ha-n-i ja scho tha, aber sie het keis Geld meh und schickt mi zu dir."

„Du wotssch doch nit säge, daß d'NTama nit meh vier Franke heig für dä Schuehmacher z’'zahle, vo d'r Summ, wo sie m'r dä Morge abgschwindlet het ?"

„So het sie m'r's emel gseit, erwiderte der Knabe, „und i cha nit glaube, daß; mi d' Mama gsschickt hätt, dir cho Geld heusche, wenn sie selber hätt."

„Du hesch se denk lätz vrstande, Sred, gang frag no einisch.“

Die nochmalige Anfrage lieferte ein gleiches Resultat. Der Herr Rentier schlug die Hände über dem Kopfe zufammen. „Mir strecke nächstes d'Bei obsig" (Berner Ausdruck für Bankerott machen), rief er verzweiflungsvoll, .de cha de d' Mama ga luege, wer ere geng usrückt, sie wird allweg chly meh müeße leere huse de."

„Aber Papa," sagte der ritterliche Alfred, „das isch ungrecht; d'Mama huset für sich, wo sie cha, aber üses Esse und üsi Chleider chosste gar viel, darfür cha d’'Mama nit."

„Myn Trofst, myn Trost," sagte Herr Gäbeli wehmüthig, die bekannte Schublade öffnend: „d' Chleiderkasse het nume no zwo Franke und e halbe und isch drzue no d'r Lebesmittelkasse und d'm Schuelkässeli schuldig. Swar hätt sie o yzzieh vom Accidenzkässeli und drei Franke vo d'r Dienstekasse, aber wo nüt isch het d'r Chaiser d's Recht vrlore. Wie viel. seisch, daß de ha müeßisch ?"

„Vier Franke," antwortete der Knabe.

„S'isch doch es Heidegeld,“ bemerkte der freigebige Vater, „zwe und e halbe Franke sy no da, die chan d'r gäh, aber won-i d's Andere hernäh söll, das isch d'Srag. Villicht wär d'r Schuehmacher zfriede drmit, i wett ne emel no frage."

„Nei, Papa, das thue-n-i sicher nit," erwiderte der Knabe fest, „i bruuche fasch so großi Sohle wie-n-e Ma und für settigi heusche anderi Schuehmacher e Süffränkler. Zwe uud e halbe Franke zahlte ja dem arme Ma chuum meh weder d’s Leder und sött er de die ganzi Arbeit vrgebe mache? Lieber zahlcn-i d's Sehlende us mym eigene Sackgeld."

„Brönn doch nicht grad so uf wie-n-e Süürtüfel, Sred, mira wenn's sy mueß, su will i 's us em Sackgeldkässseli etlehne."

So gesagt, so gethan, doch nicht eher, bis die Schuld wie das vorige Mal gehörig aufgezeichnet worden war. Erleichtert aufathmend kehrte Alfred mit dem schwer errungenen Gelde in's Wohnzimmer zurück. „D’'m Papa heusche.n-i emel die Wuche keis Geld meh, sövel isch gwüß,“ sagte er, „lieber chlopfen-i Steine, 's geit ringer.“

Da ertönte die Hausglocke. „Oeppe hoffetlich Niemer wo Geld wott", meinte Lina, ,e settige Morge ha-n-i no nie erlebt."

„S'isch Eine dusse, wo Stüür heuscht für e Ma uf em Brunne,“ sagte Mädi, die Thüre öffnend.

„Gang säg du grad mir gebe nüt, Edi, das isch d’s Chürziste," wandte Frau Gäbeli sich an ihren ältern Sohn, der mit einer Zeitung unter dem Senster saß. Er ging hinaus, kam aber bald zurück. „Mir dörfe die Sach unmöglich grad abwyse,“ sagte er, „dä Homo het m'r d'Liste zeigt und da han.i gseh, daß sogar ganz minderi Lüt a tiser Gaß underschriebe hei."

„Ja, wer wott’s de d'm Papa vorbringe?" frug Lina, „öppe du, Edi, du bisch hüt no nüt im Füür gsi."

„J gange nit," erklärte dieser, „grundsätzlich nit.!" I chume viel z'oft mit d'm Papa i schmerzlichi Berüehrunge, denn d'r Geldpunkt isch ja bi üs Beidne e bloßliegende Nerv. Aber wüsssset d'r was? D’s Mädi söll d' m Papa dä Ma i d'Stuebe füehre und de lah m'r se de zsäme mache."

Dieser Vorschlag fand Beifall. In’s Studir- oder, wie die Finder es nannten, in's Kassenzimmer des Rentiers eingeführt, prässentirte der Mann respektvoll seine Liste. „Für d's Standbild uf Euem Brunne, Herr Major," sagte der in solchem Geschäft Erfahrene.

„Was," knurrte ßerr Gäbeli, „scho wieder e Bettelei."

„Bewahr'!“ rief der Mann, ,das isch e patriotisschi Sammlung und wenn einisch drfür zahlt isch, steit so-n-es Monument da für ewigi Zyte."

„Ja, “ erwiderte Herr Gäbeli, die Hand auf der Ksosentasche, „wie isch de das? I ha im Blättli e längi Lobred glese uf ene junge Patrizier Chünstler, wo das Standbild us edlem Bürgersinn heig la ufe Brunne thue, aber es issch nüt drinne gstande von ere Sammlung d'Gaß ab."

„Lueget, Herr Major," sagte der Sammler, ,wie d'r gseht, het sich dä Herr Chünsstler grad zersch mit ere namhafte Summ underschriebe, Dir müeßet denke so-n-es Standbild chosstet gar viel, nume scho d'Malerei, denket ~."

„Ebe d'Malerei,“ bemerkte Herr Gäbeli grämlich, „wenn i gwüßt hätt, daß i o dra zahle müeßt, su hätt i de vorher myni Wünsch g'üßeret. I hätt dä Manoggel ganz wyß oder mira ganz schwarz la asstryche, s'wär netter gsi.“

„Aber nit historisch, Herr Major," wandte der Mann ein, „bedenket, schwarz und roth isch Bernerfarb und lueget,"“ fügte er bei, indem er an’s Sensster trat, Dir gseht ne ja no vo d'r schöne Syte, üse tapfere Venner Brüggler; denket, sogar die Bürger, wo ne vo d'r andere gseh und fich eigetlich drüber z’beklage hätte, hei schön und mit wahre Freude underschriebe. Es wär doch e wahri Schmach und Schand für üsi Stadt, wenn d'r Name vom ne so hervorragede ryche Bürger und Militär i d'r Sammlung für-n-e alte Chrieger fehle sött."

„S'isch eigetlich nit so übel, das Standbild ," sagte der geschmeichelte Major, an's Senster tretend, „und git üsem Logis no es historischs Interesse und brav agstriche isch es, das mueß me würklich säge, nume was d’Sarb g'chosstet het. I will drei Srankte spendiere, aber de wär's doch am Platz, daß me im Blättli o üse patriotische Gassesinn erwähnti."

„Vrssteit sich, Herr Major ," sagte der Sammler, seine Cisste einsteckend. „Eui MWünsch sölle müglichst berückssichtiget werde."

„Das isch e Tag l" seufzte Herr Gäbeli, als er wieder allein war. „Die drei Franke will i denk us d'r Fuuszinskasse näh, dert isch emel no Oeppis, 's isch nüt als billig, daß die se zahlt, die Devantüre vo dem Herr Venner Brüggler treit doch zum Agrément vom Logis by. Aber i mueß luege, daß m'r e Zins ngeit, alli myni Kässseli sy leer und es isch keis, wo nit zweune andere schuldig isch."

Während fich diese Szene im Kabinet abspielte, war Frau Gäbeli voll Sorge und Angst. Gleich nachdem der Mann mit der Steuerliste bei Ersterm eingetreten war, hatte Mädi sie in die Küche gerufen und ihr gesagt: „S'isch m'r doch handlig g'gange mit d'm Herr sym Chalbschopf. I ha-n-e gschwellt gha un ne grad i d'Pfanne welle thue, für z’brägle, du chunt dä Ma uf em Brunne un drwyle, daß i dem ha müeße nahegumpe, het d'm Chüjer sy Hung m'r bim Sacker dä Chalbschopf gno."

„Du bisch doch geng d’'s glych Mädi,“ zürnte Frau Gähbeli, „wie mängisch ha-m-i d'r gseit, du söllisch uf die Chalbschöpf vom Herr die grösti Sorgfalt vrwende, 's isch ja e Lieblingsspys von ihm. Was mache m'r jyz ?"

„Angeri Chalbschöpf gäb's no gnue i d'r Stadt,“ meinte die Föchin, „aber zum Esse s) sie doch de nit grad verakomidirt. Zürnit doch recht nit, Frau, i ha d'm Hung Eis mit d'm Tröhlholz chönne abstrecke, aber d'r Chalbschopf het er partu nit welle la gah. Aber mir hei ja no Reste vom gestrige Fleisch."

„Die darf me d'm Herr unmüglich gäh und für Fleisch z’brate isch es z' spat; mi mueß halt die Wurst ufstelle, wo de für e junge Herr greicht hesch, er cha sshni Ramerade es anders Mal ylade. Aber schmöck doch, Mädi, wie dyni Bohne sstinke. Das wird es schöns Mittagesse gäh," sagte Frau Gäbeli im Abgehen halblaut zu sich selbste „Wenn i d'm Papa scho Oeppis vo Eiere mache wett, so ißt er m'r doch Bohne, bsunders wenn er merkt, daß sie nit sy, wie sie sy sötte."

„Frau," erscholl aus der Thüre des uns bekannten Kabinets die holdselige Stimme des Rentiers, „bürst m'r doch mys schwarz Gilet, s' gseht dry, wie we me drmit d'r Bode gfegt Hätt, und gim m'r eis vo myne neue Kemli, aber uf d'r Stell; mach doch nit so langsam wie-n-e Schnegg, i bi pressiert."

„Geisch furt, Gabriel?" frug die Frau, und es zeigte sich auf ihrem vergrämten Gesicht wie Sonnenschein hinter Nebelgewölk. „Du hesch m'r nüt drvo gseit."

„Wohl frylich han d'r 's gseit," eiferte Herr Gäbeli, „aber wenn me euch Wybere Oeppis mittheilt, su isch es grad, wie wenn me Heustüffel uf nes Teller usleerti, i zwo Minute isch niene nüt meh z’gseh. Mir Kapitaliste hei hüt e gmüethlichi Vreinigung und es Zweckessse im wyße Nashorn."

„Das isch doch brav vom wysze Nashorn, daß es m'r dä Surrmuus hüt abnimmt," dachte die geplagte Frau, erleichtert aufathmend, „wenn i dem wyße Nashorn drfür cha-n-es Gfalle thue, söll's a mir nit fehle. Lineli deck für e Papa nit, er itzt nit daheim."

„O wetsch, es bräntet öppis," sagte diese, die Nafe rümpfend.

„Das macht nüt, wenn d' Mama nume einisch rühjig cha z’ Mittag esse," meinte Alfred. Und mit diesem frommen ktindlichen Wunsche sind wir Alle einverstanden, nicht wahr, lieber Leser ?

Ende.