Der Pfeiferkönig. Eine Zürchergeschichte : ELTec Ausgabe Lienert, Meinrad (1865-1933) ELTeC conversion Johanna Meyer 256 52470

2020-05-18

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Erstes Kapitel Fahrende Spielleute

Es war ein wundervoller erster Maitag im Jahre unseres Herrn und Heilandes 1436.

Über dem Zürichsee lag ein hellblauer Duft, wie der Schmelz eines taubestäubten blauen Dornzwetschgleins, wie der entstehende Traum im Blauauge eines erwachenden Mägdleins. Man wußte nicht, wäre es schöner, als ein seliger Engel in den heitern Himmel hineinzutauchen oder in den lautern See als ein unseliger Nix. Das ganze Seetal sah so frisch und fein aus, als hätte sich der Liebgott aus Sehnsucht nach dem zerstörten Paradiese ein kleines Abbild davon gemalt und ließe nun durch die strahlende Morgensonne die taufrischen Farben trocknen.

Heute, am ersten Maitag, als dem Feste der Heiligen Philipp und Jakob des mindern, sollte in der freieidgenössischen Stadt Zürich ein großer Spielmannstag zu Ehren U. L. Frauen abgehalten werden. Zugleich gedachte die große fahrende Bruderschaft der Spielleute, einen neuen Pfeiferkönig zu erwählen, denn der alte war vor kurzem gestorben. Da sollte nun heute der Münsterhof ein großes Stelldichein des fahrenden Pfeifervolkes werden.

Ungewöhnlich viele und mannigfache Schiffe fuhren den See hinab; ungelenke Nauen und Fischerkähne aller Art, aber auch das große Marktschiff von Rapperswil und das Johanniterschiff von Wädiswil, denen ein ganzer Schwarm von kleinen, unansehnlichen Bauernkähnen nachfluderten, wie die jungen den alten Wildenten.

Die meisten Leute wollten zum gewohnten Maienjahrmarkt nach Zürich, um dort ihre Waren unter den Dielenen und anderwärts feilzuhalten oder sich sonstwie am Jahrmarkttreiben und am ausgekündigten Spielmannstag nach bestem Vermögen zu vergnügen.

Fast zuletzt, weit hinter dem Horgener Marktschiff, das den Fischkasten voll Rotforellen, die Zinspflicht vom Ägerisee für die Abtei am Fraumünster, mitführte, schwamm noch der schwere Nauen des klösterlichen, mit Zürich verburgrechteten Hofes Pfeffikon daher.

Er war vollgepfropft, schier überladen mit allerlei Waren und Gerümpel. Die Mitte beherrschten ein paar Fässer, gefüllt mit dem blutroten Leutschenwein des Gotteshauses Einsiedeln ab seinem Weinberge zu Freienbach. Des Klosters Spichwart zu Pfäffikon sandte in Geratjahren gegen gute Bezahlung stets einige Fässer dem Schenkhof der Probstei am großen Münster, wo er immer höchst willkommen war und von wo ihn alle Gotteshäuser und wohlhabenden Leute der Stadt, als besondern Tropfen, als Heiligtagwein, herzubeziehen pflegten. Neben der Tranksame lag in einem Wirrwarr von Sachen, auch ein gewaltiger Tuchballen, den ein prächtiges, braungekräuseltes Bärenfell bedeckte. Und auf dem Fell, in Tücher eingeschlagen, befand sich noch ein duftiges Backwerk, ein Osterfladen. Der Ballen Leinwand war Weberarbeit der Waldschwestern in der Au bei Einsiedeln, wo die Äbtissin von Zürich weben ließ. Das Bärenfell darüber aber ein Geschenk des Fürstabtes Burkhard von Wißenburg an seine Freundin am Münster, die gnädige Frau Anna von Hewen, und der wohlriechende Osterfladen auf dem Bärenfell eine Leckerei für seine, als Tischtöchterlein in der Abtei weilenden Bäschen, die beiden Elsbeth von Wißenburg.

Aus dem Durcheinander der Ladung schnatterte von Zeit zu Zeit eine eingepferchte Entenschar, wie auf Kommando, in den Morgen hinein.

Die Ruderknechte schliefen, denn ein ausgiebiger Südwind trieb das Fahrzeug langsam, aber sicher den See hinunter.

Auf dem Schiffsschnabel saß ein junger, braunhaariger Bursche und ließ seine bloßen Füße vom gischtenden Wasser umspielen. Auf seinem abgelegten Schuhwerk lag eine Fidel.

Aber in der Mitte des Nauens befanden sich noch drei wunderliche alte Gesellen. Einer schnarchte auf dem Schiffsboden. Aus den herumliegenden weißen Rüben guckte der Kelch einer Posaune, die also bresthaft aussah, als wäre der Beulentod darüber gegangen. Der zweite, ein buckliger Zwerg, hockte rittlings auf einem Weinfaß, als wäre er der Patron der Weinleute, und blies seelenvergnügt auf seiner Sackpfeife. Der dritte aber kauerte auf einem mächtigen Käsleib, den auch die verliebtesten Arme nicht zu umschlingen vermocht hätten. Er hielt die Baßgeige im Arm und beäugelte trübselig sein glänzendes Nasentröpflein.

»Ich bitte dich bei den Hühneraugen deiner Urgroßmutter, hör' auf, Glückhütlein!« schimpfte brummend der dicke Baßgeiger, »du machst mich mit deiner Sackpfeife noch also trübsinnig, daß mir alle Blutegel und Schröpfköpfe der Welt die Schwermut nicht mehr aus dem Leibe zu ziehen vermögen. Du bist doch bei Gott kein Regenpfeifer.«

»O Lamphütlein,« antwortete der bucklige Faßreiter, »du bist noch schier ungeduldiger als meine Herren von Zürich und Schwyz, die so sehnlich auf des Toggenburgers Ende warten, obwohl es ihnen mit dem Erbe auch gehen könnte wie Hund und Katze, als sie um die Wurst stritten, daß sie nämlich zuletzt der österreichische Pfau davonträgt. Sowieso, was kümmert's dich, wenn ich mir gerne eins vorpfeife! Letzte Nacht, wie wir im Speicher zu Pfäffikon auf dem Stroh lagen, mußten wir doch auch die ganze Nacht zuhören, wie du durch die Nase pfiffest, so daß wir in der Dunkelheit nichts anderes dachten, als du habest dich in ein wachestehendes Grattier oder in ein wild gewordenes Wiesel verwandelt.«

Damit setzte der Glückhütlein die Sackpfeife wieder an den Mund und blies mit vollen Backen nach herzenslust drauflos.

»Ei, du willst dich wohl auf das Pfeiferkönigtum einüben,« knurrte hönisch der Lamphütlein.

»Wer weiß wie's Gott fügt,« machte, geschwind die Pfeife vom Mund nehmend, der Glückhütlein. »Würde ich gar König des heiligen römischen Reichs, ich tät' auf keinem andern Thron regieren als auf einem Weinfaß, und der Bürgermeister von Zürich müßte mein Mundschenk und der größte Raufbold unter den Zunftmeistern mein Bartscherer werden. Nun, wie Gott will, sagte des Schulmeisters Weib, ich bin die Zeit meines Lebens guter Hoffnung. Also ich sage dir: die Vorsehung, die mich einmal einen Hafen voll Goldgulden ausgraben ließ . . .«

»O du Prahlhans! Es waren ja bloß elende Silberlinge und einiges Pfannenkupfer.«

»Ich sage dir, die nämliche Vorsehung, die mich jenen Schatz graben ließ, weiß schon was sie noch für gute Dinge für mich in ihrem Glückshorn verborgen hat. Mein Stern ist im Aufgang!« lärmte er eifrig. »Frag den Lumpenhütlein, der da in den Rüben liegt und wie ein Bär nach dem Winterschlaf seinen Sommerschlaf zu tun anfängt, frag ihn, ob es nicht urchiges, spiegellauteres Gold war; er half es mir verputzen.«

»Ei freilich,« machte jetzt eine hochgeschraubte Fistelstimme, »es waren, genau gezählt, sechs Stücke weniger als Judas bekam, wie er seinen Herrn und Heiland verriet, macht vierundzwanzig Silberlinge, und einige lützle Kupferhanse waren auch noch dabei.«

Also sprach der lange, glatzköpfige Posaunenbläser, der sich eben halbwegs aufrichtete und mit seiner roten Nase den eingekerkerten Leutschenwein auswitterte.

»Lumpenhütlein,« sagte der gekränkte Glückhütlein, »du bist undankbarer als Judas. Silberlinge oder Goldfische, du hast die meisten durch deine Gurgel schwimmen lassen. Doch davon im zweiten Teil, sagte der Pfarrer und machte sich flink in die Küche, einen halbgebratenen Kalbsfuß aus der Pfanne zu schnappen. Wäre ich nicht in deine schlechte Gesellschaft geraten, so hätte ich das Schaf allein fressen können, sagte der Wolf zum Tiger. Sowieso: Ich pfeif dir! Du bist weder mein Gott noch mein Richter.«

Da giguxte auch schon wieder seine Sackpfeife in den Morgen hinein.

Flink tauchte der Posaunist seinen roten Kopf über den Rand des Nauens ins Wasser, fuhr dann blitzgeschwind und triefend wie ein Besen, der in den Brunnen gefallen ist, wieder heraus und gurgelte: »Bist du des Teufels, du Geizkragen! Weißt du denn nicht was geschrieben steht: Sammelt euch nicht Schätze, die der Rost und die Motten verzehren! Und da hältst du mir den dürftigen Rausch vor, den ich mir aus deinem Kupfer mit Ach und Krach anschaffen konnte. Schäme dich! Er langte nicht einmal zu einem landesüblichen Katzenjammer. Ich pfeif' und rülps' dir künftig auf das Schatzgraben.«

»So, warum hast du denn letzthin doch wieder mit mir und dem Lamphütlein nach den goldenen Kegeln im Ruchenbergtobel gesucht?«

»Der Gauch soll künftig nach Schätzen graben,« brummte jetzt auch der dicke Baßgeiger und tat einen schwermütigen Schluchzer. »Ich fand wohl einmal einen Schatz und ärgerte mich über ihn zwanzig Jahre lang also, daß ich immer grasgrün auf einer Seite anlief wie deine vertrunkenen Kupferheller. Ich sage euch, dieser Schatz setzte mir Hörner auf wie Jakobsleitern. Ich lief immer im Lande herum, wie ein Sechszehnender, der das Geweih nicht abbringt. Endlich versenkte man mir den teuern Schatz wieder ins Erdreich. Er ruhe sanft! sagte der Kappenhans, ich werde mich wohl hüten, ihn wieder auszugraben.«

»O du Hansnarr!« lachte der Lumpenhütlein auf, »da warst du doch selber schuld an deinem Geweih, denn hättest du den Kopf nicht dazu gehabt, so wären dir auch keine Hörner daraus hervorgewachsen. Juhuu! Ich pfeif' dir drauf, schön ist die Welt!«

»Ein stinkendes Sandloch ist sie,« seufzte der Lamphütlein.

»Eine frischgewichste Tanzdiele ist sie,« lachte der Lumpenhütlein.

»Wer weiß, was noch für Freuden auf uns warten,« sagte der Glückhütlein und krähte überlustig: »Wohlauf, mein glückhaft Schiff, fahr zu, Fortunen woll'n wir jagen!«

Der Nauen bog um das weidenbestandene Zürichhorn. Nun tauchte bald die Stadt mit ihren Türmen, Ringmauern und Grendelpfeilern aus dem See und um die Türme des großen Münsters war ein weißes Blitzen wie von Taubenflügeln.

Da sprang vorne im Nauen der braune Bursche auf, stellte sich bolzgrad auf den Schiffsschnabel, schwang seine Fidel gegen die aufsteigende Stadt und sang hellauf in den schönen Morgen hinein:

Nun hat der lichte Maientag Sein blau Panier gelüftet, Und was da lebt in Haus und Hag Zum Heerbann angestiftet.

Welch ein Gejaid und FreudgedingAn allen Ort und Enden! Kein Hermelin ist so gering,
 Sein Wämslein will es wenden.

Schafwölklein ziehen sonnenwärtsUnd Taubenflügel blitzen.Wie könnt die Seel im dunklen HerzMir jetzo ruhig sitzen!

Wär ein Gedanke mir im Kopf
 So schwer wie Blei geronnen,
 Heut tanzt er wie ein Maidleinzopf
 Um Kirchweihzeit am Bronnen.

Hellauf, mein Geiglein, fahr voran!
 Mag niemand länger warten.
 Geleit' des Sommers Heeribann
 Durch diesen Gottesgarten.

Und wo ein grauer Nebeldunst
 Noch kreucht im tiefen Tale,
 Gieß aus, o Mai, die Sonnenbrunst
 Aus deiner goldnen Schale!

Und wo im Herzen eine Klag' 
Nicht weichen will und schwinden,Fleug hin mein Lied, wie Lerchenschlag
 Aus maienfrischen Winden!

Bevor der Gesang verhallte, hatte der Bursche die Fidel im Arm und begann ein Tänzlein aufzuspielen. Die erwachten Ruderknechte pfiffen und trampten dazu.

Aufjauchzend ließ er sich nieder.

Die Knechte des Turmspeichers von Pfäffikon brüllten Beifall.

»Spiel' noch einen auf, Lützelpfeifer!« rief einer.

»Jaha, gib noch so einen Gestobenen zum besten!« heischte ein anderer. »Es tut einem wohl bis an den Herzbart herauf.«

Die drei alten Spielleute aber hatten ihm aufmerksam, mit kunstverständigen Mienen zugehört.

»Der Lützelpfeifer, der hätte das Holz zum Pfeiferkönig,« meinte der Glückhütlein. »Ein Spielmann ist er, das ist gewiß und zum König hat er das Zeug. Schaut nur wie er den Scheitel trägt, als hätte er eine unsichtbare Krone darauf. Denn ich sage euch: Wie der Kopf, so die Kappe und umgekehrt.«

»Er ist ein Künstler, so wahr mich die Vorsehung zum Posaunenbläser berufen hat,« machte der Lumpenhütlein. »Aber er wird wissen, warum er die Fidel spielt. Für die Posaune hätte er den Ansatz ewig nicht aufgebracht. Gott kennt seine Leute.«

»Ja, ja, das Fideln versteht er,« meinte der Lamphütlein, »aber zu einem rechten Aufstrich, den alle Leute zu hören vermögen, auch die alten Gehörübel auf der Bauerntanzdiele und nicht nur die Geheimniskrämer, Horchbasen und Ohreulen, bringt er's nie und nimmermehr. Im Handgelenk muß es der Spielmann haben. Und zudem,« brummte er verdrossen, »trinken kann er auch nicht.«

»Laßt ihn gehen,« sagte der Lumpenhütlein. »Er spielt seine Fidel wie ein gemaltes, splitternaktes Engelein an der Kirchendecke in der heiligen Nacht. Und was das Trinken anbelangt, so hat er gewiß Talent. Wer weiß, ob er uns nicht eines Tages unter den Tisch säuft.«

Der Lamphütlein tat wieder einen trockenen Schluchzer und ließ seine Weinäuglein betrübt nach den Leutschenfässern wandern.

»Ich wollt', wir könnten das Wettsaufen gleich jetzt abhalten,« knurrte er seufzend. »Mir hockt der Durst im Magen, wie eine Kröte in einer ausgetrockneten Brunnenstube. Ich glaube alleweil, mein Urahne hat mit den Juden den vierzigjährigen Durchzug durch die Wüste mitgemacht und dabei solch einen Durst bekommen, daß er ihn durch alle Generationen hindurch bis auf mich herab noch nicht zu löschen vermochte, denn mit meinem Brand im Leib könnte ich mich an allen Jahrmärkten als wandelndes Fegfeuer sehen lassen.«

Der Lumpenhütlein brach in ein schadenfreudiges Gewieher aus.

»Lach' nicht so dumm,« machte verdrossen der Lamphütlein. »Es kommt ja ein Gelächter aus deinem Weintrichter, als ob man einen Barren voll Esel mit Disteln kitzelte.«

Der Glückhütlein aber jauchzte eins in den Morgen hinein.

Nun fingen auf einmal alle Glocken der nahenden Stadt zu läuten an und bald trieben die Schloßknechte von Pfäffikon ihren Nauen durch die Grendel in den Stadtring.

Viel Volk, besonders fahrende Spielleute, Buben und Mägdlein, standen am Ufer, die ankommenden Fahrzeuge zu beaugenscheinigen.

»Allheil zum Spielmannstag!« lärmte der Glückhütlein auf seinem Faß, wie sie gegen den Finkenstad fuhren.

Jetzt legte das Schiff an.

Flink sprang der junge Spielmann ans Land und verlor sich im Volke.

Nun bemühten sich auch die drei alten Gesellen, über Säcke, Körbe und allerhand andern Gerümpel kletternd, aus dem Schiff zu kommen.

»Ei, seht da!« rief am Port ein junger fahrender Lautenschläger. »Da kommen die drei Spielleute und Schatzgräber von Einsiedeln, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein. Sag' an, Glückhütlein, was für eine Ritterschaft hast du dir damals gekauft aus deinem vollen Schatzhafen?«

»Die Ritterschaft zum grünen Affen,« antwortete der Glückhütlein prompt.

Ein tolles Gelächter ringsum.

Verwundert streckten einige fremde Herren die Köpfe aus den Fenstern der Herberge zum Raben.

Jetzt waren die drei alten Knaben am Gestade. Sie verschüttelten sich wie Hühner, die ab den Eiern kommen und der Lamphütlein tat noch einen mißfälligen Blick auf das viele Wasser der Limmat. Dann machten sie sich hurtig, unbekümmert um das gaffende, spottlustige Volk, in ein Stadtgäßlein davon zu einer kühlen Herberge.

Zweites Kapitel Der Spielmannstag.

Die Fähnchen auf dem Einsiedlerhof knarrten im Morgenwind und die drei hohen bunten Fenster auf der Rückseite des Fraumünsters leuchteten in der Sonne.

Die obere Brücke, die Vorhalle vor der Wasserkirche, das Helmhaus genannt, und die Ufer bis unter die Schwibbögen, »die Dielenen« an der Wühre, waren mit Marktleuten und ihren Sachen besetzt. Laut wurden die Waren ausgerufen und Gaukler und andere Marktschreier trieben sich, umkreist von Kindern, in der Menge herum, die nach dem Münsterhof in die mindere Stadt drängte, wo der Spielmannstag abgehalten werden sollte.

Es war ein buntes, lärmendes Treiben. Nicht nur über die obere Brücke, sondern von allen Seiten, durch das Wollishofer Türlein und vom Rennweg her strömte das Volk in den Hof. Bürger und Bürgerinnen, Landleute von den Höfen um den See, mit ihren Vögten und Pfarrherren, aber vor allem allerlei Pfeifervolk, als Sackpfeifer, Lautenschläger, Fidler, kurzum Spielleute jeder Art und Landfahrerinnen aller Gattung drängten dem Münsterhofe zu. Der erste Maitag war allzeit ein freier Tag für alles fahrende Volk; heute aber sollte es ein hochzeitlicher Tag werden.

Schon begannen die Glocken der Abtei zu läuten, und vom Hofe unter den Linden ließen die Bogenschützen die große Büchse über die Stadt donnern.

Aber im Münsterhofe selber ward das Gedränge immer größer, besonder um die Marktgäden im Münster.

Schimpfend und fluchend in allen Tonarten, versuchten die Stadtknechte und die hier pflichtigen Leute von der Gremplerzunft den Raum für die Spiele freizubekommen und einige Ordnung in die Wirrnis zu bringen. Doch wären sie kaum so rasch zum Ziele gelangt, hätte sie nicht ein Teil der Bogenschützengilde, die eben vom höher gelegenen Hofe herab kam, mannlich Püffe austeilend, unterstützt.

Aber auch die Häuser um den Hof waren mit Leuten voll gepfropft. An den Bogenfenstern der Frau von Schännis saßen einige zu Gast gekommene Konventfrauen und aus den Pfrundhäusern guckten die schwarzen Kappen der alten Chorherren und Kapläne. Die Schule der Abtei war bis unter das Dach hinaus besetzt von schreienden, sich balgenden Schülerknaben und andern Jungen, die sich einen bequemen Ausguck mutig errauften. Es gab keine Sitzgelegenheit im Hofe, wo sich die Jugend nicht zu postieren versuchte, mochte sie noch so halsbrecherisch aussehen.

Vor der Leineweber Zunfthaus zur Wage hatten sich auf einer weitumlaufenden Tribüne die Herren der Stadt mit ihren Frauen, die allerhand wunderliche Hauben trugen, niedergelassen. Die Mitte nahmen, einem bisherigen Vorrecht gemäß, die alten adeligen Geschlechter und die Herren des Rats ein, in dem nun freilich seit kurzem die neuern Geschlechter am einflußreichsten geworden waren. Es bestanden schon lange in der Stadt die zwei sich offen und noch mehr im Geheimen befehdenden Parteien der altadeligen und der emporgekommenen neuen Geschlechter, deren Kraft in den regierungsfähig gewordenen Zünften steckte. Diese Parteiung zeigte sich auch jetzt im Münsterhofe wieder. Die Gefolgschaft der neuern hatte sich, ohne es verabredet zu haben, seitwärts auf und um die Tribüne gemacht, die Mitte sorglich meidend.

Dort saß das Haupt der alten Geschlechter, Herr Bürgermeister und Ritter Rudolf Meiß, ein hochgewachsener, gereifter Mann mit offener Stirne. Er galt als der schönste und reichste Bürger der Stadt.

Eben schaute er auf, und ein freudiges Lächeln, das er nur ungern zu verbergen schien, ging über sein Gesicht. Auf der Tribüne aber und im Hof ward das laute Getue mit einemmale zu einem Murmeln und Zischeln. »Sie kommt, sie kommt! Seht ihr, wie hochmütig sie aufzieht! Gewahrt ihr, wie vornehm sie die Nase rümpft!« tönte es im Volke. Aber unter den fahrenden Spielleuten hieß es: »Seht ihr die schöne Frau! Das ist die Beschützerin U. L. Frauen Spielleutenbruderschaft, die Äbtissin am Fraumünster, die Nachfolgerin der vormaligen Fürstinnen von Zürich.«

Es war wirklich die junge Äbtissin Anna von Hewen, die jetzt leichten Fußes, nach rechts und links die Geschlechter grüßend, mit ihren Herren und Frauen die Mitte der Tribüne erstieg.

Jetzt erhob sich Herr Meiß, dessen enge Freundschaft mit der Äbtissin jedes Kind kannte, und begrüßte sie mit leichtem freudigem Zunicken, das Anna von Hewen mit einem ungenierten, liebreizenden Lächeln erwiderte.

Anna von Hewen war ein feiner Blondkopf mit etwas scharf geschnittenem Gesicht und einer hochmütigen Bogennase. Aber ein Paar sinnliche volle Lippen und zwei dunkelblaue Augen wußten ihren Zügen alle Schärfe zu nehmen. Denn wenn diese Augen lächelten, waren sie wie zwei Bergseelein, die in ihren blauen Wassern ein verführerisches Nixenvolk zu bergen schienen. Sie mochte jetzt kaum sechsundzwanzig Jahre zählen; war schon in ihrem zwanzigsten Jahre Äbtissin geworden. Ein gar weit ausgeschnittenes, reich mit Gold und Silberfäden durchwirktes Brokatgewand mit langer Schleppe vollendete das Fürstliche ihrer Erscheinung.

Sie setzte sich, ihren langen »Pfauenschweif« mit graziöser Fußbewegung seitwärts schiebend, neben Bürgermeister Meiß und sagte halblaut zu ihm: »Ich hätte gern auch meinen Bruder, den Freiherrn Friedrich mitgebracht, aber da uns von der Schattenburg schlechte Nachrichten zukamen, schickte ich ihn vor einigen Tagen nach Feldkirch, denn der alte Freund unserer Familie, Graf Friedrich von Toggenburg soll im Sterben liegen.«

Unterdessen hatte sich auch der Äbtissin Gefolge niedergelassen. Neben ihr saßen die greise Frau Mutter des Klosters Seldenau vor der Stadt und Uli Edlibach, der Schüchzer geheißen, ihres Gotteshauses Ammann, mit dem alten Custoden. Ihre übrigen Chorherren und Kapläne hatten da und dort in ihrer Nähe Platz gefunden.

Ihr zu Füßen aber saßen ihre Tischtöchter, Kinder aus ihr befreundeten adeligen Häusern.

Da waren die beiden Elsbeth von Wißenburg, die flachshaarigen Schwestern; die braune, allzeit auflachende Anna von Thengen und Verena von Monsax, ein weiches, von tiefschwarzen Haaren umrahmtes Gesichtchen, mit heimweherischen, dunklen Augen und einem reizenden Stülpnäschen. Sie war die jüngste der Tischtöchter. Trugen alle zierlich geflochtene Kränze von Schneeglöcklein in den Haaren.

Aller Augen hafteten auf der schönen Äbtissin und ihren Tischtöchtern.

Die Äbtissin schien es aber kaum zu beachten. Sie hatte sich in ein angelegentliches halblautes Gespräch mit Herrn Meiß verloren. Jetzt tat sie einen flüchtigen, fast mißfälligen Blick nach der linken Seite der Tribüne. Dort saßen und standen einige Häupter der Partei des Volkes, Herren des Rates und Zunftmeister; unter ihnen auch eine Anzahl Chorherren der Probstei und Predigerherren in ihren weißen Kutten. Aber weder ihr eigentliches Haupt, Bürgermeister Rudolf Stüssi, noch seine rechte Hand, den Stadtschreiber Stäbler, der Graf genannt, bemerkte sie unter ihnen.

»Fällt es dir nicht auch auf, mein Freund,« raunte sie Meiß zu, »daß weder Stüssi noch der Stadtschreiber dort drüben stehen? Ich sehe nur die beiden Schwenden, den Joggi Schwarzmurer, und dort unter dem Trüpplein der Schildner z. Schneggen, den Götz Escher. Ich denke, Herr Stüssi und sein böser Geist, der Graf, werden unsern Spielmannstag wohl für Kinderspielerei und Süßfeilerei halten. Seit die Herren in Rom von Kaiser Sigismund zu Rittern geschlagen wurden, ist ihnen das Haar gar lang geraten. Und ich veranlaßte doch ihretwegen diesen Festtag für die große Spielleutenbruderschaft. Gedachte ihnen hiebei wieder einmal die alten Geschlechter so recht vor Augen zu führen.«

»Wie boshaft!« machte Bürgermeister Meiß, den Schalk in den Augen. »Und nun sind die, denen es zumeist vermeint war, weggeblieben! Übrigens,« setzte er ernster bei, »haben jetzt Bürgermeister Stüssi und sein Schreiber allweg Wichtigeres zu tuen. Wie du eben selbst sagtest, liegt Graf Friedrich von Toggenburg im Ende. Er besitzt, wie du auch weißt, schon seit sechsunddreißig Jahren in Zürich das Burgrecht. Da er nun keine erbfähigen Kinder hat, richtete unsere Stadt schon lange ihr Augenmerk auf die Herrlichkeiten seines vornehmen Bürgers, und ich darf es wohl sagen, es sehnen sich hier viele gar sehr nach seinem Ende. In letzter Zeit entfremdete sich aber Stüssi, dessen Sohn sich auf der Schattenburg recht unfein und anmaßend benommen haben soll, den Grafen. So näherte er sich dem ebenfalls ländergierigen Schwyz und ließ sich auch von diesem Land ins Landrecht aufnehmen. Nun werden dann die Schwyzer auch erben wollen. So können wir's erleben, daß unsere Stadt und Schwyz um des Grafen Länder willen, arge Spähne und Stöße miteinander bekommen. Ich kenne Stüssi und die Schwyzer. Stüssi und Graf haben dabei aber Neben- oder vielleicht sind es ihre Hauptabsichten, gegen uns, die ihnen verhaßten, zu hochstehenden Stadtjunker. Sie gedenken mit des Toggenburgers Erbschaft den letzten Einfluß der Fürstäbtissin und das Ansehen der Geschlechter zu vernichten und sich allmächtig zu machen.«

»Ich weiß es nur zu wohl, mein Lieber,« machte Anna von Hewen halblaut. »Aber so Gott will, soll mir dieser Bauer aus dem Glarnerlande mit seinem groben Schuh nicht zu rasch auf den Fuß treten.«

»Ich nähme den Fuß jedenfalls in Acht,« meinte er ernst. »Ach sieh da!« setzte er aufschauend hinzu, »welch ein Duft um diese Jahreszeit!«

Die Äbtissin wollte sich ebenfalls umschauen, da kniete vor ihr, im kleidsamen Pagengewand, ein Schüler ihrer Abtei. Der trug auf einem schwarzsamtenen Kissen, in feuchtes Moos gebettet, einen Kranz blutfarbener Rosen.

»Ach!« machte Anna von Hewen. »Welch ein Wohlgeruch!« Sie steckte ihr Adlernäschen in die Blumen und fragte dann: »Woher die Rosen?«

»Welsche Kaufleute, Lamparter, die soeben mit Seidenstoffen im »roten Schwert« abgestiegen sind, haben sie Euer Frauen Gnad als Zeichen ihrer brennenden Verehrung und ihrer Sehnsucht, Euch bedienen zu dürfen, aus Mailand über den stiebenden Steg mitgebracht.«

»Wie prächtig!« sagte erfreut die Äbtissin. Sie legte ihre herzförmige Haube der alten Frau Mutter von der Seldenau in den Schoß und setzte den Rosenkranz ohne weiteres auf ihr goldenes Haar. »Geh' jetzt! Ich lasse mich bei den Kaufleuten bedanken, sie seien mir nachher zu Hause willkommen.«

Sie zupfte den Knaben am Kinn. Hurtig ging er davon.

Die Trommeln rasselten.

Jetzt erhob sich Bürgermeister Meiß, den die Äbtissin als Festveranstalterin, zum Spielregenten ernannt hatte und verkündete unter lautloser Stille, daß die Fürstin am Fraumünster, als Protektrix der Spielleute, den heutigen Spielmannstag angesetzt habe, um den erledigten Thron des Pfeiferkönigtums neu zu besetzen, wie gebräuchlich von altersher. Und da trage sie nun an, daß derjenige Spielmann zum Pfeiferkönig erhoben werden möchte, der den süßesten Sang oder das trefflichste Spiel auf seinem Instrumente zum besten gebe. Den Sieger werde eine ihrer Maienfrauen, die da in so anmutigem Büschel zu der gnädigen Frauen Füßen beisammen seien, mit ihren Maiglöcklein krönen. Zudem werde der Stadtläufer dem erkorenen Pfeiferkönig, alter Übung gemäß, einen versilberten Spielmannsschild mit dem reich vergoldeten Bilde U. L. Frau Maria, als der Patronin der großen Bruderschaft, übergeben. Die Herrin an der Abtei, Bürgermeister und Rat hätten ihn für diesen Anlaß besonders herstellen lassen.

Der ganze Hof, vor allem die fahrenden Spielleute, brachen in lauten Jubel aus.

Herr Meiß lächelte und fügte dann noch bei: »Laut eines besondern Wunsches der gnädigen Frau sollen aber an diesem Spielmannstage einmal alle und ein jeglicher, ob fahrender Spielmann oder nicht, zu den Wettspielen zugelassen werden, wie vordem in der Stadt schon ausgekündigt worden.«

Wie das die fahrenden Pfeifer hörten und als sie sahen, daß auch einige Herren aus der Pfaffheit an den Spielen teilzunehmen gedachten, machten sie zwar recht sauersüße Gesichter. Doch wagten sie keinen lauten Widerspruch. Sie erinnerten sich beizeiten des trefflichen Sprichwortes, daß mit großen Herren nicht gut Kirschen essen sei. Zwar schimpfte Itelschalk, des Pfeiferkönigtums Marschalk, halblaut weidlich unter den Spielleuten herum, ihnen bedeutend, daß sich die hohe Frau und die Stadt, auf Kosten der Fahrenden, doch nur einen guten Tag mit dem Wettspiel um das sonst von ihnen so gering geschätzte Heckenkönigtum zu machen gedächten. Aber auch er wagte nicht laut zu werden. Dafür stachelte er sie allerwärts auf, alles dranzusetzen, daß die Spielleutenbruderschaft nicht zum bloßen Spotte würde. Dann rief er laut: »Ja, bei sankt Felix und Fridolin und allen fahrenden Heiligen, wir lassen es draufankommen. Hie allzeit fahrend' Spielleut'!«

Der Donner der großen Büchse vom Hofe unter den Linden ließ die Häuser um den Münsterhof erzittern.

Herr Meiß winkte. Die Wettspiele begannen.

Einige Pfaffen und Laienbrüder machten Ehren halber den Anfang. Sie versuchten es beharrlich mit Marienlob. Einige sangen zu ihrer Lautenbegleitung einen gar langen Text, der wie der Schnee im Bergland kein Ende nehmen wollte. Der Beifall, den sie einheimsten, klang aber auch recht dünn, denn das bärenmäßige Schnarchen einiger übernächtiger alter Zünfter durfte nicht zum Applaus gerechnet werden. Doch spielte ein alter Chorherr aus den Pfrundhäusern, zu seinem sehr langen seraphischen Lobgesang, die Harfe nicht übel. Doch als er mitten im Liede dreimal gewaltig nießen mußte und es noch gewaltiger aus der Schule der Abtei lärmte: »Helf Euch Gott, Herr Magister, zu einem seligen Ende!« – packte er sein Spielzeug zusammen und rief schelmisch lächelnd, da man ihm reichlichen Beifall spendete, daß er gleichwohl auf die Kränzlein der Maienfrauen nicht zu hoffen wage.

Nun war die Zuhörerschaft heiter gestimmt und wäre gewiß in guter Laune verblieben, hätte sich Exuperantz, der Küchenbruder bei den Barfüßern nicht einfallen lassen, auch öffentliche Lorbeeren ernten zu wollen. Er bearbeitete aber das »hölzerne Gelächter« so betrübend, daß ein Wickelkind in der Dachlucke des Berenbergischen Hauses Himmel und Erde mit seinem mörderischen Wehegeschrei anzufüllen anfing, worauf ein solches Echo aus allen Kinderstuben und von allen Straßenecken kam, daß man den Münsterhof für einen verhagelten Kleinkinderteich nehmen konnte. Da drückte sich der Bruder und ward nicht mehr geseh'n. Als nun gar der glatzköpfige Pförtner von den Augustinern auf dem Zürichberg, auf einem selbstgedrehten Waldhorn das letzte Gericht vom Himmel herabzututen versuchte, rief ihm ein Schwertfeger die ungesalbten Worte zu: »Macht Euch nach Hause, lieber Bruder! Man soll Euch brav Tranksame verabreichen, denn nach dem Blasbalg zu schließen, müßt Ihr ein gehöriges Feuer in der Esse haben.«

Da erhob sich ein dröhnendes Gelächter, und der verschimpfierte Konversus zog verdrossen ab.

Nun kam allerlei weltliches Pfeifervolk auf den Plan. Es war auch nicht immer ein Labsal, ihm zuzuhören. Sonderlich der Sackpfeifer war alles übersatt. Ein pockennarbiger Tuchscherer rief laut, man könnte meinen, sämtliche Mäuse im Stadtring hätten sich in Sackpfeifen verwandelt.

Kaum aber war es etwas stiller geworden, traten drei wunderliche Gesellen, wovon einer eine mächtige Baßgeige mitschleppte, in den Kreis. Sie wurden mit lautem Auslachen bewillkommt, denn das Kleeblatt der Spielleute und Schatzgräber von Einsiedeln war weitum bekannt.

Die drei alten Knaben ließen sich durch die Spötteleien und das übermütige Gelächter nicht anfechten. Der Lamphütlein richtete sich an seiner Baßgeige bedächtig auf, blinzelte dirigierend über sein melancholisches Nasentröpflein hinweg nach seinen Genossen und begann dann auf einmal mit dem Fidelbogen seine Baßgeige also zu streichen, als wäre sie ein wilder Esel und müßte für die Kultur zurechtgestriegelt werden.

Aber strahlenden Antlitzes blies der Glückhütlein seine Sackpfeife drein und jetzt schmetterte auch der Lumpenhütlein die Töne also aus seiner Posaune, daß sie wie das heilige Donnerwetter mit allen Winden davonstoben.

Gottlob, dachte Kaiser Carolus auf seinem hohen Sitz im Karlsturm des großen Münsters, gottlob bin ich von Sandstein, es möchte einer sonst des Teufels werden und in die Limmat hinunterspringen.

Ein wildes Hohngelächter ging im Hofe um.

Die drei Spielgenossen aber schienen von alledem nichts zu verspüren. Sie bliesen und geigten tapfer und unentwegt drauflos, ganz versunken in ihre Kunst. Der Lamphütlein bog sich so zärtlich und tief über seine Baßgeige, als wäre sie eine Bauchrednerin und täte ihm wahrsagen. Wie die Zuhörer eben verzweifeln und davonlaufen wollten, endigten die Gesellen mit einem Fortissimo, wovon die berühmte Mauer von Jericho zusammengeschmolzen wäre wie Maienbutter.

Als aber die drei fahrenden Altgesellen der Kunst statt des sicher erwarteten Beifallssturmes, nur ein greuliches Schimpfen und Höhnen zu hören bekamen, rüsteten sie sich, gekränkt wie Hühner, denen man die Eier immer wegnimmt, zum Abzug.

»Die Kunst ist bloß die Metze aller Herren und Pfaffen,« brummte, schwermütig den Baß schulternd, der Lamphütlein, »darum muß sie allzeit, wie der Sigrist, im bloßen Hemde herumziehen.«

»So müssen wir's eben wieder mit dem Schatzgraben versuchen,« meinte der Glückhütlein. »He, und ich wüßte wohl, wo noch ein rechtschaffener Schatz zu finden wäre.«

»Eija, bin auch dabei, aber erst morgen,« sagte der Lumpenhütlein, »heute wollen wir noch mit den Herren dieser musenleeren Stadt zu Vesper trinken.«

Sprach's, nahm die Posaune unter den Arm und machte sich, gefolgt von den andern, davon.

Es war unruhig geworden im Hofe und die Frauen auf der Tribüne begannen sich zu langweilen.

Aber auf einmal horchte alles auf. Der Hof widerhallte von dröhnendem, sich rasch näherndem Roßgestampf. Und jetzt ritten, in stolzer Gangart, ein Trupp Reiter, es mochten ihrer ein Dutzend sein, in den Kreis. Es waren prunkvoll und farbenfreudig gekleidete Burschen von der Bogenschützengesellschaft, Söhne wohlbestellter Zünfter. An ihrer Spitze ritt Hans Stüssi, Bürgermeister Rudolf Stüssis Sohn.

Stolz führte er seine Reiterschar in den Spielkreis, sah mit dreisten, begehrlichen Augen zur Äbtissin auf und grüßte mit einer blitzenden Kriegstrompete. Dann setzte er sie an, blies einige schneidige Reiterstücke und zuletzt ein schmetterndes Hallali zum Angriff. Die Pferde bäumten sich und der junge Stüssi führte vor den bewundernden Zuschauern mit seinen Freunden einen waghalsigen und doch zierlichen Reitertanz auf. Plötzlich aber hob er die Trompete hoch. Blitzgeschwind war die Truppe wieder in Reih und Glied, nochmals ein flottes Rückzugssignal, und fort ging's wie ein Hagelwetter zum Hofe hinaus.

Ein toller Jubel brach los im Münsterhofe. Die Zünfter und das einheimische Volk waren entzückt. Ratsherr Schwarzmurer tat einen schadenfreudigen Seitenblick nach der Tribünenmitte und rief: »Wen sollten wir denn zum Spielmannskönig wählen, wenn nicht Bürgermeister Stüssis Sohn, der mit seinem Trompetlein sogar die Rosse zum Tanzen bringt.«

Der Äbtissin war es schwarz geworden vor den Augen. Dies Ende hatte sie nicht geträumt. Bürgermeister Stüssi und seinen Anhang gedachte sie mit dem Aufzug der alten Geschlechter bas zu ärgern und der ihr meist ergebenen Pfaffheit und den vornehmen Söhnen der Stadt einen vergnügten Tag zu machen. Und nun kam unversehens und sicher nur, um sie herauszufordern, der junge Stüssi und holte sich das Kränzlein einer ihrer Tischtöchter. Denn nach dem Jubel, unter dem er abgezogen, zu urteilen, würden ihm Kränzlein und Spielmannsschild sicherlich nicht entgehen. Er hatte die Trompete wirklich meisterlich geblasen zu seinen Reiterkünsten, es war nicht auszureden. So sollte ihr der so vergnüglich begonnene Tag wieder von diesem Glarnerbauern verdorben werden. Sie hätte Schild und alle Kränzlein ihrer Tischtöchter lieber den drei Spielleuten aus dem Finsterwald gönnen mögen, als diesem hochfahrenden Fant, der, wie sie zu sagen pflegte, vom Alten nichts als die freche Gebärde erbte und der ihr so lange mit begehrlichen Augen und verfänglichen Reden nachgelaufen war, bis sie ihn auf einer Fahrt nach Baden, in der Nähe des Pilgerbrunnens im Hard, ans Land hatte setzen lassen. Sie begann leise, aber eifrig mit Bürgermeister Meiß zu reden.

In der Mitte der Tribüne, unter den Geschlechtern, war es allmählich recht ruhig geworden, während es rechts und links und im Hof allüberall von Gelächter und Lärm wiederhallte.

Das fahrende Volk der Spielleute aber war mäusleinstill, es schämte sich.

Da legte die jüngere Elsbeth von Wißenburg, ein Tischtöchterlein der Äbtissin, die Hand auf den Mund und winkte nach allen Seiten: »Pst, pst!«

Noch ging ein Weilchen ein murmelndes Getue und ein lebhaftes Kichern um, als schwärmten im Hof hundert Bienenflüge, aber dann horchten alle Frauen verwundert auf: Ein leises, leichtfertiges Tanzliedchen kam zu ihnen heraufgeglitten, umschmeichelte ihnen die seidenen Strümpfe wie ein Nest voll frisch geschloffener Kätzlein also, daß ihre zierlichen Schnabelschuhe vor Vergnügen zu trippeln anfingen. Und wie sie, freudig erstaunt, Umschau hielten, erblickten sie im Spielring einen unbekannten, barhäuptigen Burschen.

Der aber hielt minniglich seine Fidel an der Brust und stand da wie aus Erz gegossen. Nur der Fidelbogen und die Finger tänzelten und im Sommerwind zitterten leise seine braunen Locken.

Überrascht, erfreut, schaute Anna von Hewen auf den Burschen. »Welch ein feiner Knabe!« machte sie halblaut, Meiß heimlich die Hand drückend, »sieht er nicht aus wie aus einem alten schönen Märlein davongelaufen?«

Auch der Bürgermeister sah wohlgefällig auf den jungen Spielmann.

»Ein Fahrender,« machte die Äbtissin und errötete vor Vergnügen. »Wahrhaftig, er spielt wie ein Hexenmeister.«

»Wäre der ein Junker,« meinte Herr Meiß, »er hexte sich im Hui in aller Frauen Herzen hinein.«

Die Äbtissin antwortete nicht. Ein seltsames, stilles Lächeln spielte immerfort um ihren Mund. Unverwandt schaute sie auf den fidelnden Burschen. Nur einmal ging wie der Blitz ein triumphierender Blick nach der Seite, wo die feindlichen Häupter saßen.

»Der Fahrende spielt wie ein Zauberer,« machte jetzt die greise Frau Mutter der Seldenau zur Äbtissin gewandt.

»Ei freilich,« flüsterte die zurück, »paßt auf, liebe Frau Mutter, er wird den dreistnäsigen Aufkömmling aus dem Sattel zaubern.«

Das Volk im Hofe aber kletterte sich schier auf die Schultern und reckte die Hälse hoch. Selbst die Unfug treibenden Knaben waren still geworden.

»Was ist das für einer?« fragte ein Bauer vom Hofe zu Männidorf einen alten verwahrlosten Lautenschläger.

»Das weiß der Gauch,« brummte der, »wie sollte ich jeden Grünschnabel kennen.«

»Wohl,« machte jetzt halblaut ein langer, sonnengebeizter Ruderknecht, »den kenne ich gut genug, ist ja der Pfeifer von der Insel Lützelau oben im See. Dort sehen wir ihn etwa fischen, aber plötzlich ist er wieder weg wie ein Nebelfetzen. Verkurzweilt uns oft die Zeit, wenn er dem Spichwart im Turm zu Pfäffikon Fische bringt. So jung er ist, im Landfahren ist er so beschlagen wie ein Alter. Er weiß malefizlustige Stücke aufzuspielen. Eigentlich war er erst ein fahrender Schüler und sollte ein Schreiber oder Pfaffe werden. Da ging er seinen Alten davon und fing das Landfahren an. Wer es aber einmal geschmeckt hat, kann es nimmer lassen. Gewiß ist er rechter Leute Kind . . .«

»Ruhig dahinten, ihr Maulesel!«

Da bezapfte sich der Pfäffikoner Schloßknecht den Mund mit einigen gemurmelten, aber darum nicht weniger aufrichtig gemeinten, landesüblichen Flüchen.

Ulmann, der Lützelpfeifer, aber spielte bald überlustig, ein Jauchzen über alle Dächer hinaus, bald also schwermütig, als wäre er ein gefallener Engel und hätte das Heimweh nach der ewigen Seligkeit im Fidelbogen. Und mit einemmale nahm er die Fidel von der Brust und begann mit frischer, heller Stimme zu singen:

O Welt, o Welt im Sommerrust! Nun ist dein Glanz und buntes Blust Uns endlich aufgegangen. Jedwedes Tröpflein Tau im Gras Die Welt weist wie ein Spiegelglas, So viel die Weid aus hangen.

Nun zieh'n die Falter über'n Rain,
 Und jeder meint, er trag' allein
 Ein blumig Lenzgewändchen. 
Und flügelt doch um jedes Haus,
 Auch über alle Ständlein aus, 
Solch' ein lebendig Fähnchen.

O Welt, o Welt im Maienscherz!
 Jetzund, o Schatz, fleug' an mein Herz,Wo weit die Jauchzer langen.
 Wo Hoffnung lauter Nestlein macht,Und Jakobsleitern Tag und Nacht
 Aus allen Himmeln hangen.

Als der Fahrende sein Lied zu Ende gesungen, war einen Augenblick alles mäusleinstill im Hof. Dann erscholl ein vereinzeltes kräftiges Auflachen, das allsogleich im tollen Jubel der fahrenden Spielleute unterging. Und plötzlich stieg der Ruf aus dem Jauchzen: »Ulmann, der Lützelpfeifer soll unser König sein!«

»Der Lützelpfeifer, der Lützelpfeifer!«

Anna von Hewen atmete tief auf und ihr Gesicht war ein sonniges Lächeln. »Nun mag Herr Hans Stüssi verreiten,« machte sie leise.

Aber die Zünfter und Zünftersöhne und das Volk der Stadt ließen es nicht gelten. Es erhob sich ein großes Geschrei im Hofe und lärmende, trotzige Stimmen riefen: »Es lebe Hans Stüssi, unser Spielmannskönig!«

Doch Itelschalk, des Pfeiferkönigtums Marschalk, ging unter den Fahrenden um und beschwor sie, vom Lützelpfeifer nicht abzulassen, da er den Anspruch der Spielleutenbruderschaft auf das Pfeiferkönigtum glänzend dargewiesen habe. Doch als er in die Nähe der Stüssischen Parteihäupter kam, fuhr Hans Keller, Mitglied des Rates, ihn und seine Leute an: »Gebt Ruhe, ihr landfahrenden Brettspieler und Zinkenzeller! Seid zufrieden, daß sich die zünftigen Leute der Stadt auf euere unnützen Schnurrpfeifereien einlassen, oder wir jagen euch zu allen Toren hinaus.«

Da wurden die fahrenden Pfeifer wieder gar kleinlaut, und als der junge Stüssi mit einem Schweif von Freunden zu Fuß in den Hof zurückkehrte, gingen alle ihre Einsprachen unter in dem wilden Jauchzen und Gebrüll, mit dem des Bürgermeisters Sohn empfangen wurde. »Heil, Heil Hans Stüssi, unserm Spielmannskönig!« schrieen, kreischten und heulten die Buben aus allen Fenstern und Winkeln.

Die blauen Augen der Äbtissin funkelten wie der östliche Himmel vor dem Zunachten. Sie drückte verstohlen, heftig Herrn Meißens Hand.

Aber Bürgermeister Rudolf Meiß erhob sich ruhig und winkte gebieterisch nach allen Seiten. Es ward allmählich still im Hof. Dann fragte er mit freundlichem Lächeln, ob man denn den König sich selbst wählen lassen wolle oder ob man es vorziehe, altem gutem Brauch gemäß, die schönen Maifrauen der Äbtissin entscheiden und den auserwählten glücklichen Spielmann mit ihrem Kränzlein krönen zu lassen.

Ein Aufjubeln im Hofe.

»So mögen denn,« rief laut der Spielregent, »die zwei einzig der Krone würdigen Spielleute, Herr Hans Stüssi, Sohn des Bürgermeisters von Zürich und Ulmann, der Lützelpfeifer genannt, in den Kreis treten. Die Maifrauen werden ihres Amtes walten.«

Der junge Stüssi aber machte sich im Kreise seiner Freunde erst weidlich über den Spielmannstag lustig; nannte den Pfeiferkönig einen Komödiantenkönig und sagte halblaut zu den Nächststehenden: »Paßt auf, liebe Gesellen, ich bringe euch ein schlohweißes Jungfernkränzlein zurück. Zwar wäre mir der brennende Rosenkranz unserer lieben Frauen Gnad weit willkommener, allein Herr Meiß wird ihn nicht hergeben wollen.«

Ein schlechtverhaltenes Auflachen ging durch den Hof. Anna von Hewen hatte es wohl bemerkt. Ebenso glaubte sie zu spüren, wie die Frauen und Töchter der Zünfter ihr die Verlegenheit vom Gesichte abweideten. Lachend trat nun Hans Stüssi in den Ring und schritt, keck das Schnäuzchen aufwirbelnd, gegen die Mitte der Tribüne.

Jetzt rief Herr Meiß den zu seinen Füßen sitzenden Maifrauen halblaut zu: »Meine lieben Fräulein, nun ist's wohl an der Zeit, daß eine ihre Schneeglöcklein wagt und den Pfeiferkönig damit krönt.«

Die Äbtissin war blutrot geworden. Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Gleich wird die Hand einer ihrer Tischtöchter den Sohn des mächtigen Bürgermeisters bekränzen. Sie merkte mit stillem Ingrimm das höhnische Lächeln von Stüssis Anhang.

Aber unter den Maifrauen, den Tischtöchtern der Äbtissin, war eine kichernde Verwirrung und ein verlegenes holdseliges Erröten. Keine machte Miene, sich zu erheben. Keine griff ins Haar, die Maiglöcklein herabzunehmen. »Geh' du, Elsbeth!« – »Nein, Schwester, du bist die ältere, geh' du! Ich stürbe vor Scham, sieh nur die vielen Augen!« – »Aber du, Anna, du bist doch sonst so keck.« – »Nein, Elsbeth, um alle Schätze der Welt nicht, bei Männern bin ich nicht so, die kleine Monsax mag's tuen.« – »Ich darf nicht,« flüsterte Verena v. Monsax kichernd zurück, »es friert mich, wenn ich nur dran denke.« – »Ich tu's auch nicht,« machte nun die ältere Elsbeth entschlossen, »nein, so vor allen, lieber lauf' ich davon.«

Aller Augen richteten sich allmählich auf die Maifrauen. So konnte es nicht weitergehen.

»Wer ist die Älteste von euch?« fragte jetzt halblaut die Äbtissin.

Es wollte keine Antwort kommen.

»Aber welche ist denn die Jüngste?«

Ein zischelndes Räuspern und Getue begann wieder unter den Tischtöchtern.

Und nun erhob sich aus ihnen langsam, zögernd, das dunkellockige Köpfchen der kleinen Monsax. Blutrot über und über, mit gesenkten Augen, stand sie da; ein verlegenes Lächeln geisterte noch einen Augenblick um ihren halb geöffneten Mund und über die weißen Zähne, dann verging es.

»Frau Mutter,« machte sie kaum hörbar und hob die schwarzen, zitternden Augenwimpern zur Äbtissin, »ich weiß ja nicht, welchen ich kränzen soll.«

Rasch neigte Anna von Hewen ihr Haupt gegen sie und raunte ihr mit der gleichgültigsten Miene von der Welt zu: »Kränze den hübschern!« Und laut setzte sie bei: »Was willst du denn noch? So spute dich doch, die Leute werden ungeduldig.«

Jetzt griff Verena v. Monsax mit bebender Hand und unsichern Fingern in ihr rabenschwarzes Haar, die Schneeglöcklein zu lösen. Aber wie sie die weißen Kettlein heraushob, blieb eine Blume drin hängen und das zierliche Kränzlein ging auseinander.

Erschrocken, in tötlicher Verlegenheit, stand die kleine Graubündnerin da. Es zuckte in ihren Mundwinkeln, sie war dem Weinen nahe.

»Da kann ich aushelfen,« sagte schnell die Äbtissin. Und lächelnd hob sie das purpurfarbene Rosenkränzlein aus ihrem Goldhaar, gab es ihrer aufatmenden Tischtochter in die Hand und sagte: »Nun geh' aber, mein Kind!«

Und Verena v. Monsax stieg zierlichen Schrittes, ein verschämtes Lächeln auf der Wange, im schwarzen Haargelock das vergessene Schneeglöcklein, die Tribüne hinab, vor welcher zuvorderst, dem nahenden Fräulein kecken, lachenden Angesichtes entgegenschauend, Hans Stüssi eben abkniete. Etwas hinter ihm kniete mit leicht geneigtem Haupt Ulmann, der Lützelpfeifer.

Ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen, umging Verena v. Monsax ruhig und flink den jungen Stüssi und legte das Rosenkränzlein dem braunen Spielmann in die demütigen Locken.

Dann kehrte sie, etwas hastig, zu ihren Freundinnen zurück.

Der Stadtläufer aber, dessen Gedanken schon bei der abendlichen hochzeitlichen Ürte sein mochten, war dem Vorgang nicht mit der ihm gebührenden Aufmerksamkeit gefolgt und streckte nun den glitzernden Spielmannsschild Hans Stüssi mit beiden Händen entgegen.

Der war, stumm und bleich vor Wut, aufgeschossen. Er erfaßte den prächtigen Schild und warf ihn Ulmann, der immer noch in zitterndem Glück, wie ein Erstkommunikantenmägdlein dakniete, vor die Füße. Es klirrte, als sprängen hundert Fensterscheiben.

»Ich danke dem Herrn Spielregenten und ganz besonders meiner Frauen Gnad für ihr Wohlwollen!« rief, sich überschreiend, Hans Stüssi zur Tribüne empor.

Und kreideweiß, mit Augen als hätte er einem ganzen Kornhaus voll Mäuse Gift gelegt, kehrte er sporenklirrend zu seinen Freunden zurück.

Jetzt löste sich das ungeheure Staunen, das die Menge wie mit einem Zauberstabe gebannt hielt. Aus den Reihen der Fahrenden stieg ein brausender Jubel, ein hundertfältiges Siegesgeschrei.

»Lang lebe unser König, Ulmann der Lützelpfeifer! Heil, Heil!«

Aber in den Jubel stachen jetzt wilde, lärmende Ausrufe.

Auch Ulmann war aufgesprungen. Ein zweiter Jubelsturm fuhr über ihn hinweg. Da packte es ihn gewaltig. Sein Herz jauchzte vor Hochmut. Flink griff er nach der zu seinen Füßen liegenden Fidel, hob das rosenbekränzte Haupt gar hoch und schritt mit glänzenden Augen an die Tribüne. Dreimal verneigte er sich tief vor der Äbtissin, dem Spielregenten und den Maifrauen. Dann ließ er sich auf die Kniee nieder, denn er gedachte, der Äbtissin und ihren Tischtöchtern ein Dankständchen zu bringen.

Anna von Hewen vermochte das Entzücken über ihren Triumph nicht zu verbergen, so viel sie sich auch mühte. Ihre Stirn glühte, die Augen leuchteten wie Freudenfeuerlein und umsonst suchte sich ein beständiges Lächeln in den seinen Rümpfen des trutzigen Bogennäschens zu verstecken. Sie konnte es sich nicht versagen, alle Augenblicke verstohlen nach Stüssis Miträten und Freunden hinzusehen.

Aber die kleine Monsax verwandte keinen Blick von dem fidelnden Spielmann. Wie gebannt hingen ihre dunklen Augen an seiner wundertätigen Hand.

»Meine Liebe,« flüsterte Herr Meiß der Äbtissin zu, »du hättest den fahrenden Gesellen vielleicht lieber nicht kränzen lassen sollen. Es war unüberlegt und dürfte dir und mir wenig Spaß, wohl aber vielen Kummer machen. Schau nur Stüssis Leute an, wie sie grimmig nach uns blicken und nur ungern die Fäuste verbergen.«

Mit besorgtem Lächeln sah er sie an.

»Ich hab's getan,« gab Anna von Hewen ruhig, aber mit blitzenden Augen zurück. »Es mag ein teurer Spaß werden, doch ich konnte diese absichtliche, boshafte Herausforderung nicht kaltblütig hinnehmen. Und zudem mußte ich allen zeigen, daß mir eine solche Zauberfidel und ein so herziges Lied mehr gelten als die Kriegstrompete dieses allzusichern Hoffartgockels, selbst wenn sie alle Pfahlbürger, ja selbst der ganze Olymp vorzöge. Und wenn . . . .«

Plötzlich verstummte die Äbtissin und fuhr auf, stand bolzgrad, mit herausfordernden, zürnenden Augen da, laut rufend: »Könnt Ihr das dulden, Herr Spielregent?!«

Eine Schar Zünfterssöhne und die Reiter des jungen Stüssi hatten sich unversehens in die Fahrenden geworfen, auf sie losgeschlagen, daß sie ängstlich aufschreiend nach allen Seiten auseinanderdrängten und nun riß ein Freund Stüssis den Pfeiferkönig empor und machte Miene, ihn fortzuschleppen.

Unter den Tischtöchtern der Äbtissin war ein lauter Aufschrei. Er kam von der kleinen Monsax, die zitternd aufsprang und die Hand ausstreckte, als wollte sie dem bedrängten Pfeifer helfen.

Wohl eilten ihm Itelschalk und einige beherzte Spielleute zu Hilfe, aber sie und er wären wohl von den wilden Jungburschen blutig geschlagen worden, hätte sich nicht Bürgermeister Meiß erhoben und mit weithinschallender Stimme gerufen: »Gebt Frieden den Fahrenden, es ist heute ihr Tag!«

Nur höchst ungern ließen die aufgebrachten Burschen den Lützelpfeifer fahren, und rief ihm einer zu: »Warte nur, Kerl, wir werden dich noch erwischen!« Worauf Ulmann, die zerzausten Haare aus dem bleichen Gesicht zurückwischend, ruhig antwortete: »Und ich werde meiner Frauen Gnad doch noch danken.«

Da machten sie Miene, nochmals über ihn herzufallen, allein hinter ihnen lärmte es: »Gebt Raum, gebt Raum!« Und die Zunftknechte der Grempler drängten, mit ihren Picken eine Gasse erzwingend, gegen die Tribüne.

Ihnen nach schritt, das Pferd an einer Hand und in der andern den abgelösten Helm, ein geharnischter, schon etwas angegrauter Mann. Jetzt machte er Halt, wischte sich den Schweiß von der Stirne und rief dann zur Äbtissin empor: »Gott gebe euch, Bürgermeister und Rat und Euch, gnädige Frau, ein langes Leben! Graf Friedrich der Hinterste von Toggenburg ist nicht mehr. Er verschied vorgestern auf seiner Feste Schattenburg. Gott begnade ihn und uns alle!«

Der Bote aber war Freiherr Friedrich v. Hewen, der Äbtissin Bruder.

Ein großes Gerede begann ringsum im Hof.

Sofort blickte Bürgermeister Meiß zur Stüssischen Partei hinüber, wo die Kunde unter den Zünftern eine große Bewegung verursachte. Eben brachen dort die Räte Schwarzmurer und der lange Heini Schwend auf und mit ihnen, inmitten einer Schar von der Gesellschaft der Schildner zum Schneggen, machte sich auch Hans Stüssi aus dem Hof, nicht ohne einen haßerfüllten Blick nach der Mitte der Tribüne.

»Eine hochwichtige Botschaft,« sagte Herr Meiß zur Äbtissin.

»Ja, es mögen seltsame Zeiten kommen,« gab sie zurück, »der Toggenburger hat viele und ehrgeizige Erben.«

Sie schien äußerlich ruhig, aber ihre Augen funkelten nach den abziehenden Räten und Zünftern.

»Gnad ihm Gott!« machte Herr Meiß. »Der Graf war ein kluger Mann und verstand es trefflich, sich eine warme behagliche Stube zu machen und die erbgierigen zwei Nachbaren Zürich und Schwyz, die ihm gelüstig durch's Fenster schauten, mit gleich schönen Versprechungen davon abzuhalten. Nun werden sie wohl kaum friedlich teilen.«

Anna von Hewen hatte sich erhoben. Sie verabschiedete sich mit einem heimlichen, warmen Händedruck und leichten Kopfnicken von Bürgermeister Meiß. Dann ging sie, gefolgt von ihren Herren und Frauen, in den Hof hinab, wo ihr Bruder sie erwartete und gleich nach einer kurzen, herzlichen Begrüßung leise zu ihr sagte: »Meine liebe Schwester, ich kann kaum für ein paar Stunden dein Gast sein. Bevor es einnachtet, muß ich wieder nach der Schattenburg aufbrechen, da mich Elisabeth von Mätsch, des verstorbenen letzten Toggenburgers Wittib und unsere Base, zu ihrem Vormund zu machen gedenkt.«

Die Äbtissin antwortete nichts. Sie winkte einem ihrer Dienstleute, der dem Freiherrn das Pferd abnahm, und ging dann mit ihm, den nebenanstehenden Pfeiferkönig mit einem flüchtigen Blick streifend, langsam durch die Menge nach der Abtei.

Ulmann, der Lützelpfeifer aber, staunte ihr nach, die lenzfrischen Maifrauen der Äbtissin, die ihn im Vorbeigehen neugierig und freundlich ansahen, kaum beachtend. Da griff die kleine Monsax an ihre Stirne, als wollte sie eine Fliege davon wegscheuchen. Es kam aber das Schneeglöcklein in ihre Finger, das ihr von ihrem Kränzlein noch im Haar hängen geblieben. Sie ließ es zu Boden fallen und zertrat es.

Jetzt wachte Ulmann auf. Herr Meiß, der Spielregent, rief seinen Namen, ernannte ihn feierlich zum König aller fahrenden Spielleute und ließ ihm durch den Stadtläufer den Spielmannsschild und den Lehenbrief, der ihn unter Zürichs Schutz und Schirm stellte und ihn und seinen Marschalk und seine Leute, allen Fürsten, Grafen, Edlen und Herren anempfahl, unter dem Jauchzen der großen Spielleutenbruderschaft, überreichen.

Dann schloß er ruhig den Spielmannstag und lud, freundlich lächelnd, die fahrenden Musikanten ein, sich auf des Rats und der gnädigen Frauen Äbtissin Wohl, in den erlaubten Trinkstuben und Herbergen Zürichs nach Lust bis zur Nachglocke gütlich zu tuen.

Er wollte noch etwas sagen, da fingen auf einmal alle Glocken der Stadt zu läuten an und von der obern Brücke her durch den Hof gegen das Innere der kleinen Stadt, rannten einige Knaben und lärmten so laut sie vermochten: »Graf Friedrich der Hinterste ist tot! Juhuu!«

Da winkte Herr Meiß zum Abzug.

Drittes Kapitel Das Ständchen.

Auf dem Hof, unter den Linden, dauerte das Festleben bis in den späten Nachmittag hinein. Dort hielten die Bogenschützen ihr gewohntes Jahrmarktschießen ab.

Eine bunte Gesellschaft fremden Volkes machte sich im Hofe zu schaffen. Es ging zu wie am St. Felix- und Regulatag. Lärmende Gaukler und fahrende Wunderdoktoren gaben sich redlich Mühe, die Leute der Stadt und von den Höfen am See auszubeuten, und äußerst offenherzige, toll herausgeputzte fahrende Frauen sahen sich, nicht erfolglos, nach fröhlichen Knaben um.

Aber vorne im Hofe, wo sich ein paar Büblein abarbeiteten, einen ungeheuerlichen Katzenkopf mit Rasenstücken und Steinen zu laden, war ein lebhaftes Armbrustschießen nach den Scheiben hinter den Tätschhäuschen in der Klostermatte am Ötenbach. Der Stubenknecht der Bogenschützengesellschaft sorgte nach bestem Vermögen dafür, daß niemand verdurstete, denn in einem ausgiebigen Fäßchen hatte er die Tranksame auf das Mäuerlein des Hofes postiert.

Auf den Dächern der gegenüberliegenden Häuser der mehrern Stadt und darüber, auf den grünen Halden des maiblustbestäubten Zürichberges und auf den rötlichen Riesenföhren am Höhenkamm, lag der warme, goldene Schein der Abendsonne.

Eben legte Hans Stüssi, des Bürgermeisters Sohn, einen Pfeil auf die gespannte Armbrust, da schlug es am nahen Wendelstein zu St. Peter dröhnend fünf Uhr.

»Feierabend!« rief der an der Armbrustwinde lehnende Meister der Gesellschaft.

»Den Pfeil schösse ich noch ab und wenn's von allen Kaminen und Bäumen der Stadt fünfe schlüge,« machte der junge Stüssi und drückte ab.

Da berührte eine Hand seine Schulter, und wie er sich fast unwillig wandte, denn er war in recht übler Laune, – stand der Untervogt im Kratz vor ihm und sagte lachend: »Lieber Junker, wenn Ihr nach dem Spiel Eueres Nebenbuhlers um der Maifrauen Kränzlein ein besonderes Gelüsten verspürt, so müßt Ihr jetzt laufen, sonst möchte es leicht zu spät sein. Er bringt eben meiner Frauen Gnad im Hofe der Abtei ein Ständchen.«

Hans Stüssi erbleichte.

»Gelt Hans, der wagt etwas!« neckte ihn des langen Schwenden Sohn. »Hat's ja freilich im Münsterhof vor allen gesagt, er werde der gnädigen Frau trotz dir den Dank noch abstatten. Siehst du's jetzt!«

Stüssi nagte, grimmig dreinschauend, an seinem Schnäuzchen.

»Was, das laßt Ihr Euch gefallen, Junker, daß Euch ein Landfahrer, ein Darmfidler verhöhnt!« rief Hans Asper, der oberste Ratsknecht, dem jungen Stüssi zu. »Ei, dem wollte ich fideln, daß er sich die Beine bis an den Kragen hinauf abtanzen müßte.«

»Wer kommt mit?!« überschrie sich Stüssi, auffahrend.

»Ich bin dabei,« lachte der junge Schwend, »wir wollen uns mit dem König der fahrenden Brettspieler und Darmsaitensäger einen fröhlichen Jahrmarktabend machen. Wer tut noch mit?«

»Wir kommen alle!« rief es unter den jüngern Bogenschützen ringsum. Und die schweren Armbrüste schulternd, verließen sie den Hof.

Auf dem Weg trieben sie's arg mit Lärmen und Lachen und hatten ihre grobkörnige Lustbarkeit mit einigen fahrenden, bunt aufgedonnerten Frauen, die der wohlgewachsenen Jungmannschaft emsig folgten.

Aber als die übermütigen Burschen die hübschen Dirnen sogar in ihre Mitte nahmen, verging den aus ihren Häusern guckenden Leuten das Lachen, wenigstens die Töchter der Stadt und noch vielmehr ihre Mütter, ärgerten sich nicht wenig.

Im Münsterhofe wurden die Burschen ruhiger und wie sie beim Werkhof durch das Kilchtor in den äußern Hof der Abtei traten, die fahrenden Fräulein immer in der Mitte, hörte man nichts mehr als ihre gedämpften Schritte und das kichernde Getuschel der Weibsbilder.

Erstaunt fuhren der Torwart und der Kratzschreiber, der Schreiber der Armenpflege im Kratz, die eben einen reichlichen Abendschoppen auf einem Bänklein hinter der Tormauer vertilgten, auf und sahen mit blöden Augen dem seltsamen Zug der Bogenschützen und der fahrenden Weiber nach.

»Jetzt weiß ich nicht, bin ich besoffen oder träume ich,« machte der Torwart. »Bringen uns diese heillosen Bogenschützen ein ganzes Rudel landfahrender Weibsbilder ins Kloster, als wäre hier ein Frauenhaus, und ziehen an mir vorbei, als wäre ich von Stein, wie der König aus dem Karlsturm! Potz Blitz und Blut, was suchen denn die in der Abtei?«

»Ei,« sagte mit weinheiserer Stimme das schäbig aussehende Kratzschreiberlein, »diese Jungfern werden alles Maria Magdalenen sein und im Kloster von unserer lieben, gnädigen Frau Äbtissin das Bußetun und Kasteien lernen wollen.«

»Halt den Schnabel, du ausgetrockneter, siebenfacher Familienkater – Vater, wollt' ich sagen, oder ich lasse dich nicht mehr in die Abtei, dann mußt du elend verdursten. Ei, du verdammter Spielmannstag, wen jagst du uns noch in die Küche? Eben ließ ich auf sein bittliches Anhalten hin den fahrenden Pfeiferkönig in den Hof der Äbtissin, da er ihr ein Dankspiel fideln wolle, und nun bringt mir dieser ausgeblasene Hoffartsgockel, der junge Stüssi, gar alle Flüchtlinge von Sodom und Gomorrah ins Haus. Komm', Kratzschreiber, wir wollen ihnen nach!«

Aber wie machten sie große Augen, als sie den Hof der Äbtissin voll von Leuten sahen!

In den offenen Fenstern des Hauses der Äbtissin lagen Anna von Hewen und ihre Tischtöchter und schauten wohlgefällig in den Hof hinunter. Der Äbtissin Arme ruhten auf einem buntgestickten Gesimsteppich.

Im Hofe aber, umgeben von Gotteshausleuten, Beamteten, Knechten und Mägden, stand Ulmann, der Lützelpfeifer und spielte auf seiner Fidel.

Es war trotz der vielen Leute zwischen den Mauern stiller als in der Kirche. Man vermeinte, zum übermütigen Tänzchen, das Ulmann eben mit fliegender Hand fidelte, die Geisterfüßchen der Elfen tanzen zu hören.

Jetzt aber schaute die Äbtissin verwundert nach dem Tore ihres Hofes, aus dem ein Haufe jugendlicher Bogenschützen durch die zurückweichenden Gotteshausleute nach dem in sein Spiel versunkenen Lützelpfeifer hindrängte.

Sprachlos vor Erstaunen erhob sie sich. Was wollten diese Burschen und was sollten gar die Weibsbilder bedeuten, die sie mit sich führten? –

Anna v. Hewen besah sich die Eindringlinge genauer und sie erkannte Hans Stüssi, des Bürgermeisters Sohn. Sie erbleichte.

Auf einmal, wie auf ein Zeichen, brachen die Bogenschützen in ein gewaltiges Gelächter aus und lärmte einer mit schriller, nachgemachter Fistelstimme: »Lang lebe meiner Frauen schöner Hofpfeifer!«

Wiederum wiederhallte es im Hofe von einem rohen Auflachen.

Anna v. Hewen mußte sich am Fensterpfosten halten, denn sie glaubte jeden Augenblick umzusinken. Es war ja schon oft laut und lärmend in ihrer Abtei zugegangen, aber so etwas hatte sie noch nie erlebt. Wie besinnungslos starrte sie auf die tolle Szene hinab.

Ulmann, der Lützelpfeifer, der sich auf das Gelächter hin überrascht umgewandt hatte, merkte gleich, daß man sich über die Äbtissin auf seine Kosten lustig machen und für den Schimpf, den sie Stüssi und seinen Leuten angetan, rächen wollte. Er nahm seine Fidel unter den Arm und wollte sich flink davon machen. Aber die Bogenschützen, die sich, die Weiber nachziehend, durch die Klosterleute drängten, verlegten ihm den Weg. Ein grobschlächtiger Bursche packte ihn am Wams und stellte ihn vor den jungen Stüssi.

»Wohin so hurtig, königlicher Herr?« redete ihn dieser, boshaft lächelnd, an. »Seht,« sagte er, auf die kichernden Weiber zeigend, »wir haben Euch hier Euere weiblichen Untertanen mitgebracht; sie sterben vor Sehnsucht nach ihrem König. Wollt Ihr Euch nicht gleich ein Leibschätzlein auslesen oder meinetwegen zwei; im Pfeiferkönigreich wird viel geliebt, man nimmt's da nicht so genau. Schaut Euch die Tauben an, edler Herr! Ist keine darunter, die Euch nicht das Futter aus der Hand pickt, Ihr braucht bloß zu locken.«

Ein tolles Auflachen verschlang seine weitere Rede. Ulmann mühte sich gewaltig, wegzukommen, doch einige eiserne Griffe hielten ihn fest.

Droben hörte man die Äbtissin nach ihren Kammerfrauen rufen: »Babeli, Agnes!«

Jetzt raunte der junge Stüssi dem Pfeifer, der umsonst von seinen Peinigern abzukommen suchte, ins Ohr: »Was wollt Ihr denn nach dieser hochnäsigen Fürstin ausschauen, hoher Herr, wo doch so viele willige Mägdlein auf Euch warten; sie hat ja schon einen lustigen Friedel.« Und ganz leise, die Hand an den Mund haltend, fügte er bei: »Wollt Ihr denn auf Euern königlichen Armen Meißens Kindlein wiegen?«

»Elender Hoffartsgockel!« schrie der Pfeiferkönig auf.

Da packten ihn Stüssi und einige andere und einer lärmte: »Kommt, wir wollen ihm im Niederwasser das Maul waschen!«

»Ja, fort mit dem Stirnstößel!« brüllte ein anderer, »fort mit ihm ins Fischerhüttlein auf der niedern Brücke, dort soll er wie ein Dieb ins Wasser tanzen.«

»Laßt mich!« machte ergrimmt, ein verstecktes Weinen in der Stimme, der Lützelpfeifer und sah flüchtig, verzweifelnde Scham in den Augen, zu den Fenstern der Abtei empor, denn die wilden Bursche versuchten ihn fortzuschleppen.

Die Äbtissin mit ihren Frauen war nicht mehr dort.

Aber jetzt war Hundegebell in den Klostergängen und auf einmal sprangen zwei gewaltige Rüden aus der Seitentüre der Abtei. Die Klostermägde fuhren aufkreischend auseinander. Ein gellender Pfiff, die Hunde blieben drohend stehen.

Nun eilte ein dunkelhaariges Mägdlein über die Schwelle, hielt mit hochroten Wangen einen Augenblick an und rief in den Gang zurück: »Eilt, eilt, Herr Spichwart, sie wollen ihn fortschleppen!«

Es war die kleine Monsax, die graubündnerische Tischtochter der Äbtissin.

Jetzt kamen raschen Schrittes Herr Edlibach, des Gotteshauses Ammann, mit dem gelbnasigen Hofschreiber und dem breitschultrigen Zoller aus der Türe.

»Wer wagt es, also den Klosterfrieden zu verbrüllen?!« donnerte der Ammann.

Aber drüben durch das Hoftor machten sich die Bogenschützen mit Hans Stüssi, schadenfroh lachend, davon, den fluchenden Torwart und den schlotternden Kratzschreiber, die im Torbogen standen, also an die Mauern werfend, daß es ihnen einen Moment war, sie wären in Jericho und die Mauern stürzten mit Posaunenschall über sie zusammen.

Wie der Spichwart mit seinen Leuten und der voraneilenden Verena v. Monsax ans Tor kamen, verschwand eben der letzte der unerwünschten Besucher, Herrn Edlibach eine lange Nase machend, im äußern Hof.

An der Mauer aber lehnte wie betäubt, Ulmann der Lützelpfeifer und wischte sich das Blut von der Wange, das aus einer kleinen Kopfwunde rann.

»Wahrhaftig,« schimpfte der Ammann, »die jungen Herren dieser neuen Regentensippe erlauben sich immer mehr. Geht's so fort, so müssen wir noch Feldschlangen und Katzenköpfe an die Tore stellen. Was hast du, Pfeifer, haben sie dich etwas zerzaust?«

Ulmann antwortete nicht, er war plötzlich wie in Glut getaucht, denn aus der Seitentüre der Abtei kam jetzt raschen Schrittes, gefolgt von ihren Frauen, die Äbtissin.

»Ei,« machte sie, als sie bei ihm ankam, »die bösen Buben haben dir übel mitgespielt, mein Spielmann. Tut dir etwas weh?«

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

Verena v. Monsax tupfte ihm mit ihrem seidenen Mailänder Nastüchlein, das ihr die Äbtissin von den welschen Kaufleuten eben gekauft hatte, sorglich das Blut von der Stirne.

»Führe ihn zum Brunnen im äußern Hof, Vrenlein!« gebot sie, »und wasch ihm das Blut weg. Herr Edlibach hat dann die Güte, den Burschen irgendwo in meinem Hause unterzubringen. Er soll vorläufig dableiben, jetzt erst recht,« machte sie kurz.

Mit einem wohlwollenden und doch scharf prüfenden Blick schaute sie Ulmann nochmals an, dann wandte sie sich zum gehen. »Gott zum Gruß, Herr Edlibach! Kommt!«

Ruhigen Schrittes kehrte sie mit ihren Frauen, samt Hofschreiber und Zoller, in das Abteigebäude zurück. Auch ihre übrigen Dienstleute hatten sich vor ihrem strengen Blick nach und nach im Kloster verloren.

Als Ulmann mit dem Spichwart und Verena von Monsax am Brunnen war, nötigte sie ihn auf den Brunnenrand zu sitzen und wusch ihm dann mit einem grobleinenen Waschtüchlein, das eine Magd aus dem Hause der Jungfrauen hergetragen hatte, die Stirne behutsam rein, wobei sie's mit dem besten Willen nicht verhindern konnte, daß ihm hin und wieder eine ihrer schwarzen Locken um die Wangen spielte. »Tut's weh?« fragte sie wohl dutzendmal, ihn mit besorgten Augen ansehend.

Zuletzt wand sie ihm auf's sorgfältigste ihr rotgetupftes, weißseidenes Sacktüchlein um den Kopf. Er bedankte sich vielmal und dann ging das Fräulein davon.

Am Eingang zum innern Hofe schaute sie sich mit einem langen Blick um. Der Pfeiferkönig schritt ruhig, ohne sich umzusehen, mit dem Spichwart in die Gebäude.

Da errötete Verena v. Monsax und verschwand im Torbogen.

»Ich werde dich in das Schlafstüblein der »Freiheit« bringen. Dort magst du nächtigen; das weitere wird meiner Frauen Gnad anordnen. Aber eines rate ich dir, Bursche: Kehr du sobald als möglich auf dein Eiland, die Lützelau, zurück und laß deine Ständchen vor Herrenhäusern bleiben. So gut sie gemeint sind, du bist kein Graf, sondern bloß der Pfeiferkönig. Nimm mir's nicht übel. Statt den Nymphen der Frauenklosterbrunnen die Fidel zu spielen, locke lieber die derben, bubensüchtigen Nixlein um den See. Die geraten dir, Zug um Zug, ins Netz, winkst du ihnen mit deiner beinlüpfigen Fidel. Doch da sind wir ja. Geh' jetzt in deine Kammer und darnach magst du dich zu einem Vesperbrot in der Dienstleute Stube begeben. Behüt dich Gott!«

Bedächtig stieg Herr Edlibach eine schmale Schneckenstiege zu des Ammanns Stube hinauf, während Ulmann, der Pfeiferkönig, in die angewiesene Kammer trat, leise die Türe hinter sich schließend.

Viertes Kapitel In der Erkerstube der Äbtissin

In der Erkerstube der Äbtissin, am offenen Fenster, saß am späten Vormittag Anna von Hewen, vor sich auf dem Gesimse eine silberne Platte mit einer leeren Milchtasse und einer angebrochenen Semmel.

»Um Gottes willen, Babeli,« sagte sie zu ihrer ältern Kammerfrau, die eben einen Staublappen in der Hand, auf eine im Hintergrunde des Gemaches stehende Staffelei zuschlurfte, »du wirst doch das Bild nicht abstauben wollen, es ist ja kaum trocken. Erst gestern malte der Meister zum letztenmal daran.«

»Nun ist's aber auch wie lebendig,« machte die alte Jungfer. »Wo man steht, bis in den hintersten Winkel, schauen einen Euerer Frauen Gnad gemalte Augen an.«

»Das kann nichts schaden,« sagte die Äbtissin. »Nimm das Bildnis und stell es hier auf das Fenstergesims!«

Die Kammerfrau trug das Ölgemälde der Äbtissin in die Fensternische und stellte es behutsam auf das Gesims. Durch ein rotes Butzenscheiblein spielte ein Sonnenstrahl um die Nase der ältlichen Kammerfrau.

»Aber Babeli,« machte die Äbtissin, »wie hast du doch heute eine rote Nase!«

Erschrocken äugelte die alte Jungfer nach ihrer Nasenspitze.

»Heilige sankt Regula!« ächzte sie entsetzt. »Wahrhaftig blutrot! O weh, was ist das?! Jetzt ist sie grasgrün, jetzt gar himmelblau. Ihr Heiligen der Abtei, ich bin verhext, ich bin verhext! Ach!« machte sie dann gedehnt, froh aufatmend den Augen der vergnügten Äbtissin folgend, »ach, die bunten Katzenscheiblein.«

»Rück' das Bild noch etwas mehr ans Licht! – So. Jetzt nimm das Zeug hier,« sie wies auf die silberne Platte »und geh'!«

»Au!«

Die Türe ging; fast hätte sie der aufkreischenden Kammerfrau das Geschirr aus den Händen gewischt. Ein schlanker, braunhaariger Bursche trat über die Schwelle und hinter ihm zeigte sich das rote Gesicht des Torwartes.

»Da wäre also der Spielmann!«

»Der Spielmann?« machte halblaut, die Augen sinnend auf ihr Bildnis gerichtet, Anna von Hewen.

»He ja, der Pfeiferkönig da. Ihr habt ihn ja herbefohlen.«

Jetzt sah sich die Äbtissin rasch um und den Burschen erkennend, sprach sie freundlich lächelnd: »Ei sieh da, unser Pfeiferkönig!«

Der Torwart machte die Türe zu und trollte davon.

»Gott grüß' Euer Frauen Gnad!« wünschte Ulmann, der Lützelpfeifer. »Ihr ließt mich rufen, just, als ich davon gehen wollte.«

»Ja,« sagte sie, sich erhebend, »ich muß dir doch danken für dein Ständchen, das dir so schwere Unbill einbrachte. Wie heißest du eigentlich, mein Freund?«

»Ulmann Meyer, der Lützelpfeifer.«

»Wessen Mann bist du?«

»Ich bin ein freier fahrender Mann des gnädigen Herrn von Einsiedeln, dessen Küche ich mit Fischen aushelfe und in dessen Kirche ich an hohen Festtagen mit meinem Spiel diene.«

»Wo hast du denn eine Heimstätte?«

»Ich wohne in dem zürcherischen Freiland der kleinen Insel Lützelau, in der Ruine des Frauenklösterleins.«

»Da hält also der Pfeiferkönig Hof und ersinnt die schalkhaften Liedlein, wovon du uns eines im Münsterhofe vorsangest und deren sich kein ritterlicher Minnesänger zu schämen brauchte, wie Herr Meiß meinte.«

Ulmann lächelte.

Ob er denn nicht lieber ein Hofschreiber geworden wäre, fragte sie ihn weiter.

Nein, gab er bescheiden, aber fest zurück, er hätte sich den hochmütigen Nasen nie unterbequemen können.

Sie schaute ihn aufmerksam an. Solch eine hochfahrende Rede aus dem Munde eines fahrenden Gesellen war ihr ein ganz neues Erlebnis. Und wie bescheiden wieder und selbstverständlich er sie vorgebracht hatte.

»Du hättest dich vor sie hin in die Sonne gestellt,« sagte sie dann, »so aber verlierst du dich im Schatten.«

In seinen Augen war ein plötzliches Aufleuchten. »O, Euer Frauen Gnad, es ist schön im Schatten zu wandern und still hineinzuträumen in den sonnigen Himmel, es gibt kein größeres Glück auf Erden.«

Ihr Mund öffnete sich halbwegs zu einem lautlosen Lächeln und wie er in ihre blauen Augen blickte, war ihm, er schaue in die blaue Dämmerung eines Waldes hinein, wo hinter einem Waldkapellchen hervor ein splitternacktes, neugieriges Waldhexlein gucke und ihm leise winke. Jetzt wollte seine Seele auf Tod und Leben, alles vergessend, hinter dem Hexlein herlaufen, es zu haschen, da beschatteten der Äbtissin dunkle Wimpern das wunderliche Märlein. Errötend sah er zu Boden..

»Also auf der Lützelau wohnst du,« machte sie nachdenklich. Dann lachte sie auf. Es klang ihm wie den Kindern das Glöcklein, das zum Weihnachtsbaum läutet. »Was schaust du denn mein Bildnis so aufmerksam an? Gefällt es dir?« fragte sie.

Mit prüfenden Augen beschaute er der Äbtissin Brustbild.

»Es ist schön,« sagte er dann, »aber Euer Frauen Gnad ist es nicht.«

»Ja, wer ist's denn?« fragte sie, schier verwundert.

»Euer Schatten, wenn Ihr wollt.«

»Mein Schatten? – Ei du Schmeichler, du tust dem Meister unrecht.«

»Ich kann es nicht recht sagen, wo's fehlt,« machte er fast verlegen, »aber mir ist's, es fehle dem Bildnis das anmutige Lächeln, wie der Rose im Stubentopf das Leuchten und der Duft der taubenetzten Rose im Hag mangelt. Oder wie dem Federwämslein des gefangenen Vogels das farbige Gleißen des Waldvögleins fehlt. Ich kann es halt nicht sagen, aber ich glaube, so wie Ihr ausseht, könnte man Euer Gnad doch nicht malen.«

Jetzt lachte Anna von Hewen überlaut auf. Es bedünkte den Pfeiferkönig, er höre die Englein die silberne Himmelsstiege herunterspringen.

»Ei, was bist du für ein sonderbarer Bursche.« –

Sie sah ihn ein Weilchen mit lachenden, forschenden Augen an. Dann sagte sie plötzlich: »Sie nannten dich gestern höhnisch Hofpfeifer der Äbtissin. Sag an, hättest du wirklich Lust, mein Spielmann zu werden?«

Er konnte kein Wort hervorbringen, es war zu unverhofft gekommen. Mit strahlenden Augen schaute er sie an.

»Du sollst keinen Mangel leiden, auch wird dir die Welt deswegen nicht verschlossen, mich aber würdest du dankbar finden für den Nutzen und die Kurzweil, die du meinem Gotteshause und mir schafftest. Willst du?«

»Ja, Euer Frauen Gnad,« machte er jetzt, »ich will Euch dienen, was ich vermag.«

»Gut denn,« sagte sie kurz. »So begib dich jetzt einstweilen in die Torstube. Der Torwart und meine Stubenfrau sollen dir eine Dachkammer in meinem Gebäude anweisen. Das weitere wird sich finden. Ich werde dich rufen, bedarf ich deiner. Bis dahin magst du meine Kirchenmusikanten etwas hernehmen, sie haben es notwendig. Geh'!«

Als kurz nachher Bürgermeister Rudolf Meiß in die Erkerstube trat und fragte, was sie da für einen seltsamen Gast gehabt hätte, schlang sie die Arme um seinen Hals, küßte ihn und sagte lachend: »Der braune Bursche, der Pfeiferkönig? Ei, den habe ich soeben zu meinem Hofpfeifer ernannt; mir zu lieb und Stüssi und seinen gehorsamen Dienern zu leid.«

»Den fahrenden Pfeifer?«

»Sieh' mich doch nicht so ernsthaft an, Ruodi,« sagte sie, »es ist mal so. Du bist doch schon recht alt,« sie zupfte ihn am Bart, »man müßte dir den Bart bald ganz ausrupfen, mein Herzensgockelchen, wollte man dir alle grauen Haare ausziehen. Da wirst du's doch verstehen, daß ich mich beizeiten nach einem andern Zeitvertreib ausschaue.«

»Ja,« meinte Herr Meiß, der ungewöhnlich ernst gestimmt war, »es täte mich wahrlich nicht wundern, wenn du mir einen Jungen vorzögest, denn wahr ist's leider, ich werde älter.«

»Aber nicht kälter,« lachte sie auf und verschloß ihm den Mund mit Küssen. Ob er denn glaube, sie wisse nicht, daß er der schönste Mann im Stadtring und darüber hinaus sei und ob er denn nicht an ihr liebes Knäblein denke, das sie für alle Ewigkeit zusammenbinde? Sie habe es jetzt einer treuen Amme in Frauenfeld anvertraut und er könne nicht glauben, wie sie sich darnach sehne, ihm das Kind eines Abends heimlich zeigen zu dürfen, da es gar ein feines sei und ihm und ihr auf's Haar gleiche.

»Uns beiden?« machte er verwundert.

»Gewiß, mein Lieber. Wenn du's anschaust, gleicht es mir, und wenn ich's anschaue, gleicht es dir.«

In stillem Glück hörte Herr Meiß der schönen Frau zu. Jetzt erblickte er aber ihr Gemälde in der Fensternische.

»Sieh da, so ist der langweilige Maler endlich zu Ende gekommen,« machte er erfreut und stellte sich neugierig vor das Bildnis.

»Wie gefällt es dir?«

»Gut, meine Liebe, recht gut. Der Meister hat deine Art wohl erfaßt und sie treulich wiederzugeben versucht. Ist ihm auch so ziemlich gelungen. Die zwei Seelen in einer Brust: Die hochmögende Königin . . .«

»Ei, ei, Herr Ritter!«

»Und das schalkhafte, verliebte Klosterkätzchen . . .«

»Es wird immer besser.«

»Sind recht gut getroffen. Ich hätte mir die Augenbrauen etwas strenger gewünscht, damit jedermann gleich deutlich geworden wäre: Dort in den hochgeschwungenen Buschrändern sind die kleinen bösen Gewitter verborgen, die so unerwartet in die blauen Augen hineinblitzen können.«

»Du schlimmer, du böser alter Zauberer!« schmollte die Äbtissin und zupfte Herrn Meiß am Bart.

Jetzt begann die große Glocke der Probstei zum großen Münster zu läuten.

Anna von Hewen horchte auf. »Was hat das zu bedeuten?«

»Ja, richtig,« machte er, und seine offene Stirne verdüsterte sich, »es wird ein feierliches Requiem für den Toggenburger im großen Münster abgehalten. Ich komme eben vom Rathaus.«

Die Äbtissin sah ihn forschend an. »Vom Rathaus? Habt ihr dort etwa schon über des Grafen Tod und seine Hinterlassenschaft verhandelt?«

Der Bürgermeister ließ sich in der Äbtissin Lehnstuhl, ihrem Bild gegenüber, nieder und sie lehnte sich neben ihm ans Fenstergesimse an.

»Erzähl', erzähl'!« drängte sie.

»Bürgermeister Rudolf Stüssi war schon zu Beginn der Sitzung auffallend erregt und als nun ein Bote die Meldung brachte, die Schwyzer hätten schon die ihnen verschriebene Marchlandschaft samt der Feste Grinau besetzt, ward er sehr aufgebracht und drängte den Rat, er solle nun sofort mit allem Eifer Zürichs Ansprüche auf des Toggenburgers hinterlassene Länder geltend zu machen suchen. Ihr älteres Burgrecht mit dem Grafen habe ja vor dem Schwyzer Landrecht den Vorrang. Es würde das beste sein, er könnte nächster Tage in des Grafen Landen selbst zum rechten sehen. Es sei schon übel genug, daß die Schwyzer ohne weiteres die March besetzt hätten. Seine Rede gegen Schwyz wurde immer drohender; sie ward wie ein Schwert, das zum Kriege winkt.

Als ich dann anriet, in Ruhe mit den natürlichen Erben und Schwyz, mit dem der Graf nun einmal doch verlandrechtet sei, sich auseinanderzusetzen, wurde ich nur ungern angehört, obwohl ich beifügte, daß gewiß auch Österreich seine verpfändeten Länder zurückhaben wolle und man im Falle eines Streites die übrigen Eidgenossen als Schiedsrichter anrufen könne und solle.

Aber der Rat bevollmächtigte Stüssi, sofort ins Gaster und die andern, der Stadt zugesicherten Herrschaften des seligen Grafen und wenn tunlich, auch zur Gräfin, als ihrer Bürgerin, zu reiten und alles ihm gutscheinende, zur Wahrung der zürcherischen Ansprüche vorzukehren.

Es tat mir leid, daß sie nicht wenigstens zuerst des Grafen natürliche Erben sich hören lassen wollten. Aber der Stadtschreiber, der Graf, ward spitzig und rief mir, unter dem Beifall der andern, zu, ob wir denn warten wollen, bis andere dem großen Hafen die goldenen Ostereier aus dem Neste genommen hätten.«

Anna von Hewen war allmählich ganz still geworden. Dann frug sie auf einmal den sinnend auf das Gemälde blickenden Bürgermeister, wann Stüssi reiten wolle. Er glaube in den nächsten Tagen, beschied Herr Meiß. Da müßte sie sich sputen, meinte sie nun, denn sie beabsichtige auch eine Kondolenzfahrt zur Gräfin und möchte nur ungern mit diesem, mit städtischen Würden aufgeputzten Bauern zusammentreffen.

Ja, antwortete er, es dürfte auch klüger sein, wenn sie ihn jetzt vermiede. Er sei wütend über ihr böses Spiel mit seinem vielgeliebten Sohne im Münsterhof. Es habe dies von ihr unbesonnen, aber mit gewohnter Entschiedenheit verursachte Aufsehen, seine Abneigung gegen sie und ihn in tiefen Haß verwandelt, der ihnen noch gefährlich werden könnte. Er solle gestern Abend auf der Trinkstube zum Schneggen, da er etwas angetrunken war, gesagt haben: Er werde nicht ruhen, bis der ganze See zürcherisch, die Straße ins Bündnerland und bis ins Welschland offen sei, und bis die Macht der hochnasigen Geschlechter und der Päbstin von Zürich vollständig gebrochen sei. Es liege in den alten Namen immer noch eine Kraft, die ihm widerstrebe. Auch müsse diese Abtei nun einmal aufhören, die Hochburg des gesamten schwäbischen Adels in der Eidgenossenschaft zu sein. Er werde sie zum leeren Schneckenhaus machen, trotzdem die Äbtissin, wie er wohl wisse, die abgeblaßte Herrlichkeit ihres Hauses wieder frisch vergolden möchte.

Erbleichend hatte Anna von Hewen zugehört. Nun sagte sie, seltsam lächelnd, den Bürgermeister bei der Hand fassend: »Ich weiß, daß du nicht so denkst. Aber sag', mein Lieber, würdest du einer wiedererstandenen Fürstin von Zürich die Hand als ihr getreuer Untertan küssen?«

»Die fürstliche Hand mit tausend Freuden,« gab er ernst zurück, »den fürstlichen Siegelring nie.« Jene Zeit sei für immer vorüber, fuhr er dann fort, er fürchte, es gebe zu wehren genug, wenn man für die alten Geschlechter den Schein und für die Abtei den Rest der verflogenen Herrlichkeit gegen die alles vermögenden Zünfte und den hinter ihnen stehenden Volkswillen behaupten wolle. Rudolf Stüssi habe den Willen, mit allen Vorrechten der Geschlechter aufzuräumen, freilich mit dem wohl zu merkenden Hintergedanken, den Rücken des Volkes als Steigesel für seinen unbändigen Ehrgeiz und die eigenen Herrschergelüste zu gebrauchen.

Um das Volk ganz zu gewinnen, werde er nun trachten, ihm vom Toggenburger Totenmahlkuchen ein recht großes Stück heimbringen zu können. Er und sein listiger Stadtschreiber werden daher mit allen Mitteln sich an des Toggenburgers Tisch setzen wollen und müßten sie darum sein Haus und die ganze Eidgenossenschaft in Kriegsbrand stecken. Stüssi sei jetzt wie ein Vollblutpferd, das nach der fetten Weide zittere und der Stadtschreiber sei der Nachtmahr, der es reite.

»Ja, ist denn niemand unter euch, der es versteht und wagt, diesem wilden Draufgänger einen Zaum anzulegen?« unterbrach die Äbtissin unwillig den Bürgermeister.

Er habe bisher sein möglichstes getan, entgegnete Herr Meiß, Stüssi und seine Parteigänger im Zaum zu halten und er werde mit seinen meist treulich zu ihm stehenden Leuten von der Konstafel auch jetzt wieder alles dransetzen, den ungestümen Mann und seinen allzuwilligen Anhang von gefährlichen Abenteuern zurückzuhalten. Aber er habe die Mehrheit nun nicht mehr für sich, denn er könne den Räten kein Bergspieglein vorhalten wie Stüssi, das so verlockende Aussichten auf schöne Erbländer zeige. Damit vermöge der jetzt so ziemlich alles. Seine Macht wachse wie eine Lawine und eine Lawine in den Zaum zu nehmen, sei schwierig. Er sehe es kommen. Erlange der Bürgermeister das Erbe nicht friedlich, so werde er darum mit Schwyz und aller Welt streiten, und wie er Rudolf Stüssi und das Haupt der Schwyzer, den ältern Itel Reding kenne, werden da zwei Herrenbauernschädel arg zusammenkrachen, bis einer breche.

»Ich würde nicht zu sehr trauern,« sagte jetzt die Äbtissin, »wenn dieser Stüssi eine Schlappe erlitte, also daß das toggenburgische Erbe samt und sonders der Stadt entginge. Der Adel im Aargau, Thurgau und im ganzen Schwabenlande würde aufatmen.«

Einen raschen lauernden Blick tat sie nach dem Bürgermeister.

Aber schier entrüstet antwortete Herr Meiß: »Nein, meine liebe Freundin, den Schaden der Stadt möchte ich denn doch nicht wünschen. Läßt er sich auf rechten Wegen erreichen, bedeutet der Zuwachs doch eine Stärkung unserer schönen Stadt. Dein Wunsch,« setzte er seltsam bei, »riecht ein bißchen stark nach Landesverrat, um so mehr, als du Rat und Kapitel bei deiner Wahl durch Bischof Otto von Konstanz beurkundetest, nichts gegen sie zu unternehmen.«

Lächelnd fuhr sie ihm über's Haar. »Runzle doch die Stirne nicht so sehr, es macht dich um zehn Jahre älter, du gutmütiger Ruodi! Bedenkst du denn so wenig, daß uns das Volk auch unserer Rechtsamen beraubt und daß seiner Führer Niedergang unser Aufgang wäre.«

Meiß lächelte halbwegs und drohte ihr mit dem Finger.

»Anna, ich kenne dich so ziemlich,« machte er, »oder ich meinte es doch. Aber jetzt geht mir etwas auf, was ich lieber nicht glauben möchte. Du bist ehrgeizig, regierst gern, das weiß ich. Solltest du am Ende wirklich, wie Bürgermeister Stüssi vermutet, nach der Wiederaufrichtung des fürstäbtlichen Stuhles von Zürich trachten?«

Mit großen, streng fragenden Augen schaute er sie an.

»O du Schalksnärrchen,« machte sie lachend, ihm mit der Hand die Augen bedeckend, »mach' doch nicht Augen wie Daumeuschrauben. Ich bin ja zufrieden, wenn ich dich, den vornehmsten Mann in Zürich, beherrschen kann.«

»Das dachte ich doch,« sagte er nun beruhigter, »daß eine so kluge Frau wie du, nicht solch müßigen Träumereien nachhängt, denn das muß ja ein Kind einsehen, daß es mit der ausschließlichen Fürstinnenherrschaft in dieser aufstrebenden Volksstadt für immer zu Ende ist. Und nun lebwohl, meine Liebe!« machte er dann. »Ich muß mich sputen. Es würde mir übel ausgelegt, erschiene ich nicht im Totenamt; zu spät bin ich schon, es dürfte bald zur Wandlung läuten.«

Sie umarmten sich. Dann gab die Äbtissin ihrem Freunde das Geleite bis in ihren Baumgarten hinunter, durch dessen Tor er in die Abtei zu kommen pflegte.

Kaum hatten die Äbtissin und der Bürgermeister die Erkerstube verlassen, ging die Türe knarrend wieder auf und über die Schwelle trampten, mit dem Torwart, die drei Spielleute von Einsiedeln, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein.

»So, hier wartet ihr auf meine Frau,« brummte der Torwart. »Und daß sich keiner untersteht – sakerlot!« machte er und schaute schier scheu nach der Äbtissin Gemälde in der Fensternische, »jetzt hab' ich beim Eid Hagel gemeint, sie sitze dort auf dem Fenstersims. Also daß sich keiner untersteht, sag' ich, meiner Frauen Gnad mit seinem übelriechenden Äpfelmosttrichter zu nahe zu kommen. Ich hätte euch eigentlich nicht zu ihr hinauf führen sollen.«

Einer um den andern hatten die drei Spielleute in das Weihwasserkesselchen gelangt und sich bekreuzt und eben war der Lamphütlein daran, den armen Seelen zu spritzen.

»Stubenvater,« sagte er unwirsch, »du brauchst uns das Schinnenzeug nicht zu putzen, wir sind auch schon mit Herren zusammengetroffen und hatten alle Torwärter, die höflicher waren als du. Was machst du denn wie ein alter angriffiger Bär Männchen vor uns? Es fürchtet uns vor dir ja doch nicht, du zweiseitiger Brummbaß! Und was das Übelriechen anbelangt, so ist es gewiß auch noch keinem Mägdlein eingefallen, dich im Wonnemonat Mai für ein Veilchen zu halten. Wohl, du mußt uns Lebensart predigen, Leuten, die in der halben Welt herumkommen, während du tagaus tagein in deiner Torklause liegst und brummst und saufst. Trost den armen Seelen im Fegfeuer!« machte er, andächtig den Boden mit Weihwasser besprengend.

»Du hast immer noch das gleiche böse Maul,« schimpfte der Torwart, »nimmt mich Wunder, wenn das einmal einrostet.«

»Ei, so lang es noch ein Weinkännlein in unserer lieben Eidgenossenschaft gibt,« entgegnete der Lamphütlein, »hat es keine Not. Ich will das Mundwerk damit fleißiger einölen, als ein sündhaftes Klosterfräulein sein Türenbeschläg.«

Brummend machte sich der Torwart davon; ein Gelächter schallte ihm nach.

»Wir werden ihm heut doch noch um ein Trünklein an die Türe klopfen,« sagte der Lamphütlein, »so Gott und meiner Frauen Gnad bei Laune sind.«

Der Glückhütlein hatte sich unterdessen, wie ein Kater, der mit aufgestelltem Buckel eine Taube beschleicht, näher ans Bildnis der Äbtissin herangemacht.

»Bei unserm Landespatron sankt Meinrad,« machte er halblaut, »es ist die Fürstin, wie sie Gott und ihr Leibschneider ins Leben gestellt haben. Es hängt gar noch ein Tautröpflein an der Rose, die sie in der Hand hält. Ist doch ein heillos schönes Weib.«

»Freilich,« meinte jetzt der Lumpenhütlein, der nun mit den andern, das Gemälde kritisch beaugenscheinigend, davor getreten war, »ja freilich, ein sündhaft schönes Weib. Der stiegen nicht bloß zwei Richter, sondern gleich das ganze Stadtgericht über die Mauer, täte sie in der Limmat vor dem Rathause baden. Ei, der Gauch, mit der wollt' ich willig Kirschen vom Baume lesen, auch wenn es ein Apfelbaum wäre. Und eine gescheite Hexe muß das sein, daß sie sich jung malen läßt und nicht wie's Brauch ist, erst wenn man ihre und ihrer Ahnen ganze Lebensgeschichte aus den Runen ihres Gesichtes deutlicher als aus einem Beichtspiegel ablesen kann. So bleibt sie ewig jung.«

»Sie hat wohl ein scharfes Gesicht,« meinte jetzt der Glückhütlein »und ein kühn geschwungenes Bogennäschen, aber jetzt sieht man das mit tausend Augen nicht. Ihr Gesicht ist jetzt wie eine Felsennase im Morgensonnenschein, eitel Duft und Glanz.«

»Wart' nur bis die Haselnüsse wieder zehn Jahre lang reif geworden sind,« sagte der Lumpenhütlein, »dann schaut dir das nämliche Gesicht aus wie eine Felsennase in der Abenddämmerung, unbestimmt, um die Augen einen blauen Nebel, aber doch noch schön, etwa wie Maria Magdalena kurz bevor sie das Bußetun anfing.«

»Ja,« machte der Lamphütlein, »und dann wartet bis die Haselnüsse noch zehn weitere Jahre reif geworden sind; dann macht sie ein Gesicht, wie eine Felsennase im heitern Mittag, scharfkantig wie ein Lämmergeierschnabel.«

Ein fröhliches Auflachen hallte in die Erkerstube. Anna von Hewen, die still durch eine Seitentüre schaute und das Ende des kritischen Gesprächs noch so ziemlich erlauscht hatte, trat nun in die Stube.

»Sieh da die Spielleute von Einsiedeln!« machte sie gutgelaunt. »Was bringt ihr mir, ihr alten Knaben?«

Verblüfft, dumm dreinschauend, standen die drei Alten da.

»O, ich hab' es wohl gehört,« sagte sie jetzt, mit lachenden Augen vor die überraschten und sich allmählich sammelnden Spielleute hintretend, »zu alt darf ich nicht werden, sonst gefalle ich euch nicht mehr. Aber,« setzte sie schalkhaft bei, »ihr scheint mir auch nicht ewig jung zu bleiben, denn seit ihr mir zur Verherrlichung meiner Erhebung zur Äbtissin, vor nicht allzu langer Zeit, im Hofe spieltet, seid ihr alle schon recht grau geworden.«

»Freilich,« sagte nun der Lamphütlein, der zuerst wieder Haltung gewann, »wir sind bald silbergrauer als frischgeschloffene Weidenkätzchen. Das kann aber für kein Wunder gelten, wenn man so oft verschneit wird und keinen Unterstand findet.«

»Und nun, was wünschet ihr denn von mir?«

»Euer Frauen Gnad, wir wünschen uns unter Euern besondern Schirm zu stellen,« machte der Lamphütlein. »Man hat uns im blauen Esel, wo wir sonst alleweil übernachteten, schnöde hinausgeworfen. Und in der Herberge zum Affenwagen brachte man uns auf der zügigen Winde unter, als wären wir bresthafte Stühle oder Bildnisse schon beerbter alter Tanten und Vettern. Und das alles nur, weil wir des Abtes von Einsiedeln Leute seien, obwohl wir doch gewiß nichts dafür können, daß der Graf von Toggenburg noch andere Leute und gar den Stand Schwyz statt einzig und allein die Stadt Zürich zum Erben einsetzte. Ich habe bisher das Erben für die leichteste und angenehmste Arbeit gehalten, sehe aber jetzt ein, daß es sogar großen Herren und einer ganzen Stadt Alpdrücken machen kann.«

»Ja, seid nur froh, daß ihr nicht mitzuerben braucht,« machte schier ernsthaft die Äbtissin. »Übrigens,« fügte sie lachend bei, »haben es ja Leute, die, wie ihr, allerorten die Schätze nur so aus dem steinharten Boden zu zaubern vermöchten, nicht nötig. Und nun begebt euch zum Torwart in die Torstube und erholt euch dort von den Unbilden und Mühsalen, die man euch in unserer Stadt verursachte. Der Torwart soll euch bis morgen Unterschlupf gewähren. Geht mit Gott!«

Dankend zogen die drei Gesellen ab. »Gott und seine Doppelheiligen sankt Felix und Regula mögen es Euch vergelten!« riefen sie im Abziehen.

Wie ihre Schritte in den Gängen verhallten, ließ sich die Äbtissin, die mit halblächelndem Munde nach der Türe geträumt hatte, in den Lehnstuhl nieder und schaute nachdenklich vor sich hin.

Es war gekommen wie sie's erwartet hatte. Meiß war zu gerade, ihm durfte sie ihre Absichten jetzt nicht anvertrauen, er würde auf ihre Pläne nicht eingehen. Zwar war er gescheiter als die andern alle, aber auch besser; zu gut für einen der widerstehen und gar drauflos soll. Er mußte erst gehärtet werden, die Ereignisse, ihre Feinde würden ihr dazu behilflich sein. Dann vermöchte sie ihn, ohne daß er's merkte, dahin zu führen, wo sie ihn haben wollte, wo er ihren Absichten selbst wider Willen dienlich sein konnte. Wie einfach, wie geradewegs ihr Geliebter zu seinem Ziele, zur Bändigung Rudolf Stüssis zu kommen glaubte. – Sie mußte lächeln. Wie wenig kannte der offene, vornehm ruhige Meiß den gewalttätigen, bauernschlauen Glarner und wie unterschätzte er die Triebkraft des Ehrgeizes, die auch sie an sich erfuhr. Landesverrat? Hatte Meiß nicht von Landesverrat gesprochen. – Dies Wort mochte vielleicht für ihn einen Sinn haben, niemals für die Nachfolgerin der rechtmäßigen, von Gott und den römischen Königen eingesetzten Herrin von Zürich. Warum sollte sie nicht die gleiche Herrlichkeit ausüben wie ihre Vorgängerinnen und wie die Fürst-Äbte von St. Gallen und anderwärts! War es nicht betrübend und bedrückend genug, daß sich ihre Vorgängerinnen allmählich bevogten und ein Herrscherrecht um das andere hatten entreißen lassen. Bald verblieb ihr nicht viel mehr als das Recht der Begnadigung, Zoll und Münz. Diese städtische Vormundschaft, auch in scheinbar dienender Form, war ihr eine peinvolle Fessel und sie mußte, wie sie bedünkte, unerträglich werden, kämen ein siegreicher Stüssi und sein Anhang dazu, die Nasen in ihre letzten Heimlichkeiten zu stecken. Aber nun war die Gelegenheit da, es vielleicht zu wandeln. Sie wollte ihren Vorteil wahrnehmen und alles versuchen, sich ihrem Ziele, der Wiederherstellung des Fürstenthrones von Zürich, näher zu bringen. Es galt den Kampf mit dem emporgekommenen Volke der Stadt. In seinem Haupt, in Bürgermeister Stüssi, wollte sie es mit aller Frauenlist niederzwingen und wieder zu bändigen suchen.

Zuerst mußte sie jetzt Stüssis Absichten auf des Toggenburgers Nachlassenschaft, von deren Verwirklichung er Allmacht erhoffte, durchkreuzen können. Das weitere würde sich finden. Zu diesem Zwecke würde sie sich aber mit dem eifersüchtigen Schwyz, auch mit den adeligen Verwandten des Toggenburgers und allen Herren, die Zürich abhold waren, in enge Verbindung setzen müssen. Da war nun vor allem ein kluger, treuer Kundschafter notwendig, der ihr die gefährlichen schriftlichen und mündlichen Botschaften vermitteln würde. Sie hatte im Geiste alle ihre dienstbaren Leute, geistliche und weltliche, an sich vorbeiziehen lassen, aber schien ihr der eine treu genug, so bedünkte er sie wieder nicht klug genug und umgekehrt. So lag sie noch am frühen Morgen, hierüber grübelnd, im Bette und konnte zu keinem Ende kommen. Da war ihr mit einemmale der Pfeiferkönig eingefallen. Er hatte bei seinem Ständchen im Hofe so andächtig zu ihr aufgeschaut. Und heute nun, wie er demütigen und willigen Herzens, wie ein Bräutlein vor dem Himmelbett, vor ihr stand und sie doch wieder ansah mit stolzen, strahlenden Augen, wie ein gefallener Engel, ward es in ihrer Seele fest beschlossen, er müsse ihr Kundschafter werden und kein anderer. So einen brauchte sie, einen hochmütigen Bettlerkönig.

Mit einemmale schoß die Äbtissin aus ihrem Sinnen auf. »Ei,« sagte sie laut, »alles will erben, alles läuft nach Schätzen, selbst die drei alten Käuze aus dem finstern Wald. Nun denn, da lauf ich auch mit, sonst sackt dieser Bauer auf dem Bürgermeisterthron die ganze Welt ein. Bis jetzt war ich die geliebkoste Magd der Stadt, aber mich gelüstet nach ihrem verlorenen Fürstenkrönlein. Ich werde es suchen. So darf es nicht weitergehen. Kann man's ändern, ich will es ändern. Babeli!« rief sie in den Gang hinaus.

»Ja, Herrin?« kam eine ferne Stimme aus den Gängen zurück.

»Der bestellte Rennbote soll sogleich kommen.«

»Da bin ich schon.«

Ein hochgewachsener Klosterknecht trat ins Gemach und blieb neben der Türe stehen.

Anna von Hewen ging zu einer großen, reich mit Schnitzereien verzierten Truhe, klappte den Deckel auf und entnahm ihr ein sorgfältig zusammengerolltes Schriftstück. Sie legte sein schweres Wachssigel aus die Hand und betrachtete sinnend das Sternlein ihres Wappens ob den zwei, ihre Köpfe unter dem Arm tragenden Stadtheiligen Felix und Regula.

»Lieber wollt' ich den Kopf auch unter dem Arm tragen wie diese Heiligen, als länger auf dem Halse ohne Fürstenkrone,« flüsterte sie vor sich hin. »Nun geh' auf, mein Stern!«

Dann gab sie die Schriftrolle ihrem Gotteshausknecht in Verwahrung und hieß ihn eilen.

Fünftes Kapitel. Der Schatz.

In der warmen Torstube der Abtei saßen um den kuhbeinigen Tisch am großen Kachelofen die drei Spielleute von Einsiedeln, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein. Bei ihnen hockte auch noch, mit triefenden Äuglein der schindeldürre Schreiber des Unter- oder Bettelvogtes im Kratz, das Kratzschreiberlein.

Er hatte der gnädigen Frau ein langes Verzeichnis der Armen der minderen Stadt zutragen müssen und war auf dem Hinauswege an der Torstube, worin es gar laut herging, bis in die Nacht hinein hängen geblieben. Er besaß eine feine Witterung für Trinkgelegenheiten. Der Schenkhofer der Probstei am großen Münster behauptete von ihm sogar, seine lange spitze Nase rieche den welschen Wein bis über das St. Gotthardgebirge.

Auf dem Ofengesimse stand ein schadhafter Leuchter, die bemalte Büste eines kleinen pausbackigen Engleins, das in jeder Hand einen Kerzenstock hielt. In einem steckte ein brennender Wachskerzenstummel, der in der niedern Stube eine heimelige Dämmerung verbreitete.

Traurig schauten die drei Gesellen in ihre Krüglein; sie waren leer. Zwar wandte der Lamphütlein das seinige prüfend um, aber es rann kein Tröpflein mehr heraus.

»Stubenvater!« lärmte er.

Der alte Torwart trat mit unsichern Schritten ein.

»Was brüllt ihr denn alleweil, wie wenn es da drin brennen tät!«

»Red' nicht so dumm, es brennt auch,« gab weinheiser der Lamphütlein zurück. »Hat jeder von uns einen Dörrofen im Leib. Geh', alter Klosterdachs und hol' uns noch einen Krug Wein im Schenkhof der Probstei. Du gehst heute mit der Tranksame so sparsam um, als schenkte man im Keller der Probstei heiliges Öl aus. Geh', Stubenvater und hol' Wein! Wir singen dir dann das Lied, das du so gern hörst, das Lied von dem einfältigen Mägdlein, das einen Torwart lieb hatte: »Steh' auf, steh' auf Torwächter mein! Und lasse dein Feinsliebchen ein, heraußen tut es schneien«. – Wie lang ist's denn her, seit dir dein Schatz davonging?,« fragte er.

»Ach was,« brummte der Torwart, »ich pfeif dir auf dein Lied. Du krächzest ja allemal doch wie eine Urgroßmutter, die den Krampf in beiden Waden hat. Brecht jetzt einmal auf und kriecht ins Nest! Es ist längst Nachglockenzeit vorüber und der Schenkhof der Probstei fester zu als die Haustüre des Kratzschreibers. Zudem hat mir meiner Frauen Gnad nicht mehr als den großen Henkelkrug zweimal plattvoll für euch erlaubt. Wie viel fehlt euch denn noch, ihr seid ja schon voll.«

»Was!« lärmte jetzt entrüstet der Lumpenhütlein. »So einer bist du! Jetzt sitzen wir in deinem heißen Stubenloch, durstiger als die drei Jünglinge im Feuerofen und du willst die Weinsperre für uns einführen und gar die unschuldige Nachglocke vorschützen, du Geizhals! Und weiß doch jedes Kind, daß im Schenkhof das Türlein für brave Kunden die ganze Nacht geht. Die Chorherren bechern doch auch oft genug bis in alle Gockelfrühe auf ihrer Trinklaube, bis sie den steinernen König Carolus wie ein aufgescheuchtes Eichhörnchen am Turm herumklettern sehen. Schaff Wein her, Stubenvater!«

»Schaff Goldgulden!« höhnte der Alte. »Ihr seid ja die berühmten Schatzgräber von Einsiedeln, da kann das für euch kein so großes Hexenwerk sein. Der Wein ist dieses Jahr bluterdenteuer. Das kommt daher, weil man heuer die Juden für ewig aus der Stadt verwies und nun haben sie den Wein besprochen und zum versiegen gebracht. Doch Juden hin, Juden her, es ist den Kindleinfressern recht geschehen.«

»Wüßte nur einer einen Schatz,« meinte der Glückhütlein, »ich wollt' ihn herauszaubern wie ein Johanniskäferchen aus einem Staudenbusch und läge er einem Drachen im Bauch.«

»Schätze wüßte ich genug,« brummte, trocken schluckend, der Lamphütlein, »ließe mich nur der Probst am großen Münster seine Sakristei visitieren. Was ich dort neben König Caroli goldenem Gebetbuch noch herauszaubern könnte, weiß Gott und der Probstei Schatzmeister. Es wäre aber gewiß ein kurzweiliges Nesterausnehmen.«

»Ja,« machte lachend der Lumpenhütlein, »und dürfte ich die geblümten Umhänglein von allen Himmelbetten der Stadt ziehen, ich wollte auch manchen schönen Schatz ans Tageslicht hervorzaubern, dem zudem Rost und Motten nichts anhaben könnten, selbst wenn man ihn alltäglich in ein warmes Bad legte.«

Der Torwart schmunzelte vergnügt.

»Da drauf pfeif' ich,« knurrte der Lamphütlein. »Hätt' ich den Schlüssel zum Schenkhof der Probstei, ich wollte dir und dem Torwart auf dem Deckel eines Fasses fünfzigjährigen Elsässers alle Jungfrauen von Zürich bis nach Thule vermachen.«

Das ließe er sich gerne gefallen, meinte der alte Torwart, daß eines Tages soviel Jungfrauen vor seinem langweiligen Klostertore ständen und Einlaß begehrten.

»Freilich,« sagte der Lumpenhütlein, »das möchte dir gefallen. Aber vielleicht ging's dann anders her als im neuen Testament: Die klugen Jungfrauen blieben draußen und nur die törichten kämen hinein.«

Die alten Gesellen lachten. Aber der Kratzschreiber, dem mit dem Wein seine Bedeutung als Kanzler des Bettelvogtes im Kratz in den Kopf gestiegen war, verwies ihnen mit etwas lallender, mühselig die bedürftigen Worte zurechtrückender Zunge, ihre üppigen Reden, die sich für arme landfahrende Wichte gar nicht schicken täten.

»Halt den Schnabel, Kratzschreiber!« schnörrzte ihn der Lumpenhütlein an, »und kratz' dich selber, wenn du nicht warten magst bis du heim kommst und dich deine Herzallerliebste mit dem Birkenbesen kratzt. Du mußt uns zuletzt predigen. Wir sind alle drei ledig, wie die Stadt Venedig und haben alle miteinander nicht soviel Dummheiten verübt, wie sie bei dir zu Hause, sieben an der Zahl und alle auf zwei Beinen, herumlaufen.«

»Darum bist du ledig,« antwortete lallend der Kratzschreiber, »weil Keine mit dem Lumpenhütlein unter's Lumpenhäublein kommen wollte.«

Dasmal lachten die andern.

»Was?!« brauste der Lumpenhütlein auf. »Du kommst mir so! Ich sage dir aber: Die allerschönsten Weiber haben mich allzeit angeschaut wie die Sonne einen Schneemann, zum aufsaugen.«

»Eheu!« machte der Kratzschreiber, mit der Zungenspitze nach den weiter nötigen Lauten angelnd, »das muß schon lange her sein, denn damals hast du entweder noch das Haar oder dann die Kappe aufgehabt.«

»Wie!« lärmte in den höchsten Fisteltönen der Lumpenhütlein, den die Anspielung auf seine Glatze gewaltig kränkte, »wie, du hältst mir meine Haarschwäche vor, du ausgeblasenes Markbein, du eingeborene Vogelscheuche, du auserlesenes Marterwerkzeug für schönheitsliebende Augen, du . . .«

»Bitt für uns!« fiel der Lamphütlein ein.

Aber der Lumpenhütlein hatte sich erhoben und machte Miene, über den Kratzschreiber, der sich in seiner Angst wie ein geneckter Igel im Ofenwinkel zusammenzukugeln versuchte, herzufallen.

»Hock ab, du Hansnarr!« grollte der Torwart und drückte den Lumpenhütlein auf den Stuhl zurück, »Streit will ich keinen haben. Wenn es aber wahr ist, daß ihr Schätze zu heben versteht, so könnten wir heute Nacht noch einen ganz schweren Becherlupf tun, denn ich wüßte wohl einen Schatz der alle fünfe, samt des Kratzschreibers sieben ungeschneuzten Kindern, zu Landgrafen machen würde.«

Jetzt horchten die Schatzgräber auf und der Glückhütlein fragte mit strahlenden Augen, wo denn der Schatz, den er meine, vergraben sei.

Da setzte sich der Torwart mit geheimnisvoller Miene auf die Ofenbank an den Tisch und streckten alle eifrig die Köpfe zusammen.

»Ihr dürft es aber nicht weiter sagen,« machte er halblaut. »Wenn ihr's nun wissen wollt: Der Schatz liegt im Kreuzgärtlein der Abtei, im Ziehbrunnen des Friedhofes schon seit Römerzeiten begraben, wie mir der alte Custos im Vertrauen mitteilte. Und die selige Äbtissin Anastasia müsse ihn um ihres leichtfertigen Lebens willen hüten, bis sie ein mutiges Menschenkind erlöse.«

»Das ist mir aber eine sonderbare Schatzhüterin,« stotterte der Kratzschreiber, »hat sie doch dem Stift bei Leibzeiten das halbe Land Uri verputzt.«

»Das ist eben der Fluch, du Lampohr,« machte der Lumpenhütlein, »denn nun muß sie einen Schatz bewachen, den sie nicht verputzen kann.«

»Still! Bezapft euere Weinschläuche!« herrschte sie der Torwart an. »Also,« fuhr er dann weiter, »ich kann darauf schwören bei was ihr wollt, denn ich sah den Schatz schon oft im Vollmondscheine glitzern und glänzen. Doch verstand ich mich eben nicht auf's Schatzgraben und hätte mich allein auch nicht getraut.«

»Potz Blitz,« brummte der Lamphütlein, »nun wollen wir heut einmal aus dem Goldhafen statt alleweil aus dem Mushafen anrichten.«

»Ja, diese Nacht wär's günstig,« meinte der Glückhütlein, »der Mond gibt heut heller als die Sonne im Herbstnebel.«

»Aber noch einen Trunk müssen wir darauf tuen,« sagte der Lumpenhütlein, »der Durst ist ein schlechter Zauberer. Stubenvater, hol' Wein! Wir wollen dir nachher dafür aus dem gehobenen Schatz den Schenkhof der Probstei kaufen.«

Ohne Widerrede machte sich der Torwart davon und dauerte keine Vaterunserlänge, stoffelte er mit suchendem Schuhwerk schon wieder in die Stube und stellt den großen Henkelkrug, ausgeebnet mit goldenem Elsäßer, auf den Tisch.

Da lachten die alten Gesellen auf und der Lamphütlein sagte: »Ei, du hinterhältiger Schelm und Weinmauser, es will mich bedünken, du habest den Wein dasmal nicht im Schenkhof geholt; hattest ihn wohl unter dem Bänklein vor der Türe verborgen, statt wie es meiner Frauen Gnad verordnet, uns damit einen rechten Trost aus die Nacht zukommen zu lassen.«

»Sei still!« schnauzte der Torwart und füllte rundum die Krüglein. »Da ist der Wein, nun sauft!«

»Und wenn es am Wendelstein zu St. Peter Zwölfe schlägt, muß es getan werden,« machte flüsternd der Glückhütlein. »Stärkt euch, Brüder!«

»Und jetzt singt mir mein Lied!« machte der alte Torwart, »denn es ist mehr als dreißig Jahre her seit mir mein Schatz mit des Pelzers Gesellen in einer kalten Winternacht davonlief. Sie war Stubenmagd im Kloster. Und doch ist's mir jeden Winterabend, sie müsse mir wieder kommen und ans Tor klopfen. Heißt's denn nicht auch so im Lied?«

»Freilich,« sagte der Glückhütlein und dann fing der Lumpenhütlein zu singen an und die andern, der einnickende Kratzschreiber ausgenommen, fielen frohgemut ein, denn sie hatten ja wieder Tranksame.

Steh' auf, steh' auf, Torwächter mein! Und lasse dein Feinsliebchen ein, Heraußen tut es schneien. –

Was suchst denn du vor meiner Schwell?
 Lauf' jetzt mit deinem Freudgesell
 Zu Tanz und Tändeleien!

Torwächter auf, daß Gott erbarm'! 
Ich hab' ein kleines Kind im Arm
 Von einem Herrn Grafen. –

Auf ging das schwere Klostertor:
 Gehst du in Sünde bis an's Ohr,
 Dein Kind kann ich nicht strafen.

Sie huscht hinein, doch ohne Kind.Hier bin ich ärmste, reich an Sünd;
 Kein Richter spricht mich ledig. –

Willkomm, willkomm, Feinsliebchen hold!Ich nähm' um dich nicht Welschlands Gold,Mit samt der Stadt Venedig.

Aber gegen Mitternacht brachen sie auf, den Schatz zu heben.

Durch einen Wirrwarr von Gängen gelangten sie glücklich in den Kreuzgang, den gedeckten Umgang um das Kreuzgärtlein. Zwar hatten sich die mit der Örtlichkeit wenig vertrauten Spielleute bei dem Herumtappen und Tasten in den dunklen Gängen einige Beulen geholt, was aber nur daher kam, wie der Lumpenhütlein meinte, weil die Ecken immer am unrichtigen Platze standen.

Das Kreuzgärtlein duftete von Veilchen und um seine Grabmäler kroch eine blaue Dämmerung. Aber über das Dach des Kapitelhauses und die epheuumsponnene Mauer, hing, aus eitel Mondschein gewoben und feiner als Spinnweb im Morgentau, ein Schleier, der sich allmählich bis ins Gärtlein hinunter aufwickelte.

Und an der Mauer des Jungfrauenhauses lag, wie der Zeitstab einer Sonnenuhr, der Schatten eines Dachreiterkreuzes. Aber gegenüber, tief unten, geisterte um die zierlichen roten Zwischensäulen und die ausgehauenen Figuren der Umgangbogen, schon das volle Mondlicht.

»Potz Blut!« brummte der Lamphütlein, sich mit blöden Augen im Kreuzgang umsehend, »da kleben ja an allen Wänden und Pfeilern steinerne Könige und Klosterfrauen und gar da oben aus den Bogen wachsen die Köpfe heraus wie Lederäpfel und grinsen einen gespenstig an. Gott gebe allen Christgläubigen die ewige Ruh'! Es sieht wahrhaftig zum fürchten aus.«

»Freilich,« machte halblaut der Torwart, »es ist auch zum fürchten, aber jetzt nicht, nur nachts in der stillen Woche. Da steht der steinerne König auf und die steinernen Konventfrauen steigen von den Wänden und halten alle miteinander stillen Umgang.«

»Das glaube ich nicht,« sagte der Lumpenhütlein.

»Und es ist doch wahr, so heilig wahr als du voll bist,« schnörrzte ihn der Torwart ab. »Einmal wagte ich's und schlich mich leise in den Gang. Aber ich kam zu spät, sah nur noch weiße Nebel umgehen.«

»Das glaube ich,« machte der Lumpenhütlein.

»Was, du vertrunkene Christenseele, du verspottest mich und die nachtwandelnden Geister?!«

»Seid still!« gebot jetzt der Glückhütlein. »Oder wollt ihr die hilfreichen Geister verscheuchen?«

»Dieser glatzköpfige Posaunenengel,« brummte der Torwart, »hat mich . . .«

»Wenn ihr nicht Ruhe gebt, kehr' ich wieder in die Torstube zurück,« schimpfte flüsternd der Glückhütlein, »dann zaubert, wenn ihr's könnt. Jetzt heißt's das Maul bezapfen, der Teufel ist um den Weg mit hunderttausend Legionen Helfershelfern. Er möchte uns beim Schatzheben ein Bein stellen, weil wir eine arme Seele erlösen wollen. Also still, mäusleinstill!« gebot er mit warnend erhobenem Finger. »Und jetzt kommt einmal!«

Der Sodbrunnen mit Drehwinde und Wassereimer befand sich mitten im Garten.

»Pst!« machte der Glückhütlein, als sie am Brunnen anlangten. »Nun muß es um den Brunnen so still sein, wie um das Grab eines armen Teufels. Stellt euch an die Winde und tut was ich euch sage!«

Die zwei andern Schatzgräber und der Torwart machten sich in feierlichem Schweigen an die Winde. Der Kratzschreiber aber setzte sich, sinnlos betrunken, in sich hineinkichernd, zwischen die Grabsteine.

»Laßt den Eimer hinunter!« befahl der Glückhütlein.

Der Eimer verschwand in der Brunnenstube.

Nun begann der buckelige Glückhütlein einen tollen Hockuspockus mit wunderlichen Sprüchen und Gebärden. Er verwarf die Arme nach allen Himmelsrichtungen und murmelte unablässig Beschwörungen in den Brunnen hinein.

»Ich sehe ihn schon glänzen,« flüsterte der Torwart, der sich neugierig über das Drehrad gebeugt hatte.

Jetzt schlug es zu St. Peter Zwölfe.

»Dreht, dreht!« machte hastig der Glückhütlein, »der Schatz schwappelt schon im Eimer, ich höre es deutlich. Dreht, dreht!«

Da schafften sie gewaltig an der Winde und nun ächzte der grobhölzige Eimer, schwer, als wäre er mit Goldpflaster beladen, herauf an das Dämmerlicht des Mondes.

Gierig fuhren sie darauf los. Aber im Eimer schwappelte nur kühles, durchsichtiges Brunnenwasser und auf seinem Rande hockte ein schöngesprenkeltes Krötlein in der ansehnlichen Größe eines landesüblichen Holzerhandschuhes.

Paff vor Überraschung und Enttäuschung glotzten alle auf das feuchtglänzende, rostbraune Tierlein.

»Was?!« machte entrüstet der Torwart, »ist das der ganze Zauber, dieses Brunnenkrötlein? – Ja, mein lieber Hexenmeister, das hätte ich auch herausgefischt und zwar ohne deswegen einen solchen Narrentanz um den Brunnen aufführen zu müssen. Ei, du verlogener . . .«

»Pst! Still! So schweig doch ins Henkers Namen!« fauchte ihn der Glückhütlein in höchster Aufregung an. »Wo hast du denn deine Sinne?! Merkst du denn nicht, daß das eine verhexte Kröte ist und daß in ihr die verwunschene Äbtissin Anastasia steckt und auf Erlösung wartet. Das ist doch so klar und windheiter wie eine Föhnnacht. Als häßliche Kröte muß sie den Römerschatz hüten, weil sie einst so hoffärtig war und wer sie dreimal küßt, der erlöst sie und erhält den vergrabenen Schatz.«

»Potz Blut und Blitz!« brummte der Torwart und wischte mit dem Ärmel den Mund. »Ich küsse keine Kröte und wenn sie zehnmal die verhexte Äbtissin Anastasia und über und über, wie ein Meßkelch, vergoldet wäre.«

»Ich beim Eid auch nicht,« machte der Lumpenhütlein. »Wenn denn um's Kuckucks willen eine Äbtissin geküßt sein muß, um den Schatz zu heben, so will ich lieber die gegenwärtige küssen als die vergangene.«

»Wäre das Krötlein in einem Legel Kometenwein gelegen, statt in einer Brunnenstube voll Wasser, tät ich den Kuß wagen,« meinte der Lamphütlein.

»Daß dich der Gockel picke!« zischte jetzt unwirsch der Glückhütlein. »Wenn niemand die verwunschene Kröte küssen will, so könnt ihr dem Schatz pfeifen. Ich tät's wohl, wenn ich dürfte, doch das wäre wider die Beschwörung.«

»So soll sie der Kratzschreiber küssen,« meinte jetzt der Lumpenhütlein. »Hat er's gewagt, seine Alte ein halbes Jahrhundert lang auf ihren dornenreichen Rosenmund zu küssen, so wird er's diesem schöngesprenkelten, frischgewaschenen Krötlein auch einmal tun dürfen, besonders wenn er die Augen zumacht und denkt, es sei der Geist der lustigen Äbtissin Anastasia.«

»Ja beim Strahl,« machte der Torwart, »der Kratzschreiber soll die Kröte küssen. So alt er ist, hängt er sich doch immer noch allen Weibsbildern an die Röcke, auch wenn die Röcke von nichts weniger als von Seide und Sammet sind. Da kann er sich einmal an einer sattküssen, ohne daß sie ihn auf's Maul schlägt. Wo steckt er denn?«

Der Kratzschreiber saß aber immer noch zwischen den Grabsteinen und guckte, in sich hineinkichernd und schwatzend, mit glänzenden Froschäuglein zu den Sternen auf, als sähe er dort die Engel Ringelreihen tanzen.

Da umstanden ihn die Schatzgräber.

»Beim ewigen Hagel, er ist voll wie ein Wassereimer,« machte der Torwart, »wenn wir ihn hälden, so überläuft er.«

»Steh' auf, Bruder!« raunte der Lumpenhütlein dem blöd lächelnden Schreiberlein zu. »Steh' auf und komm'! Es gibt eine Äbtissin zu küssen. Einen wahren Heiligtagkuß darfst du tun im Vergleich mit den altbackenen Werktagsküssen deiner Kammergenossin. Dieser Kuß verschwägert dich mit allen verstorbenen adeligen Herren der Stadt Zürich. Steh' auf, steh' auf!«

»Hi hi hi, surge amica mea!« machte kichernd der Kratzschreiber. »Steh' auf, steh' auf, mein Schätzelein und laß mich durch dein Fensterlein! Die Nachtigallen schlagen. Was wollen sie denn sagen? Süß ist die Nacht im Maien, zu zweien, ja zu zweien! Hi hi hi.«

Der Lumpenhütlein lachte laut auf, aber der Glückhütlein zischte dem Schreiber ins Ohr: »Steh' doch auf, du vertrockneter Tintenfrosch! Eine junge Äbtissin sollst du küssen.«

»Juhuu!« krähte der Kratzschreiber heiser, daß alle zusammenfuhren. »Ja küssen. Ei, da bin ich auch dabei, Brüder, denn ich weiß was küssen heißt, ich.« Und überselig stotterte er: »Oscula summa dedi!«

»Er redt schon lateinisch,« sagte der Torwart, »jetzt ist er völlig besoffen. Nun schmatzt er uns die Kröte ab, als wär sie ein Maifräulein und hätte den Mund mit frischem Waldhonig bestrichen.«

»Faßt an, Gesellen!« gebot der Glückhütlein.

Und allsogleich erwischten sie das überglückliche Schreiberlein an den Henkeln und schleppten ihn zum Brunnen.

Sie meinten schon, sie hätten's gewonnen. Der Kratzschreiber begann unbewußt den welken Mund zu büscheln und es schien den Schatzgräbern, das dicke Krötlein auf dem Eimerrand äugle ihn recht begehrlich an, da stolperte er und stieß mit dem Arm heftig an den Eimer. Das aufgeschreckte Krötlein tat einen kecken Sprung und platschte in die Brunnenstube zurück.

Da standen sie nun, steif und starr wie Loths Weib und glotzten in den Brunnen hinunter.

»Potz Welt abeinander!« machte der Glückhütlein. »Jetzt ist die ganze Beschwörung für die Katz, die heillose Brunnenhexe ist uns entwischt. Ist aber auch niemand schuld als du,« fuhr er den kichernden Kratzschreiber an, »du mit deinem langsamen Enterichschnabel. In der Zeit wollte ich die eilftausend Jungfrauen abschmatzen.«

Mit weinseligen Äuglein guckte der Kratzschreiber um sich, wie ein Frosch im Teich, den ein Feuerbrand an die Oberfläche des Wassers lockt. Er wußte nicht wie ihm geschah. Die Welt kam ihm zu wunderlich vor, er ward immer feuchtfröhlicher gestimmt.

»Ich sehe die Kröte noch im Brunnen herumschwappeln,« machte der Torwart. »Hat sie der Schreiber hinuntergescheucht, so soll er sie auch wieder herauf holen. Kratzschreiber, du mußt das Krötlein aus dem Brunnen fischen!«

»He,« stotterte der Kratzschreiber, »bin ich denn ein Fischreiher geworden?«

»Freilich,« sagte der Lumpenhütlein, »und was für einer. Lang nur an den Schnabel!«

»Ei, du wirst Augen machen,« raunte ihm der Glückhütlein zu, »wenn du den Römerschatz im Kübel hast, auf lauter lötigem Gold hockst und wie der Blitz, reicher als die Königin von Saba, wieder herauffährst.«

Ehe der Kratzschreiber bei sich so recht ins Klare kam, ob er eigentlich ein Mensch sei oder ein Fischreiher, hoben ihn die Schatzgräber auf und setzten ihn, hin- und hertaumelnd, im Schweiße ihres Angesichts, auf den Eimer.

Da kauerte er nun, wie ein Kind auf dem Häfelein und lallte kichernd, mit dem Eimer hin und herschaukelnd: »Schatz, das Türlein aufgemacht! Amor vugi-vagi-vigilat, die Liebe wacht, die ganze Nacht, hihi, die ganze Nacht.«

»Dreht, Gesellen, dreht!« machte hastig der Glückhütlein.

So fuhr denn der Kratzschreiber in die Brunnenstube hinunter, wie seinerzeit der keusche Josef von Ägypten.

Aber auf einmal war im Brunnen ein Geschwappel und Gezappel, als müßte der Kratzschreiber mit der verwunschenen Äbtissin Anastasia wettschwingen, als schlügen die Brunnenjungfern Purzelbäume um ihn herum.

»Zieht, zieht!« tönte es dumpf aus dem Loch herauf, »zieht, ich ersauf'!«

Jetzt drehten die andern aus Leibeskräften und der Kratzschreiber flog geschwinder herauf als ein mit Salomonis Schlüssel beschworener Geist.

»Hilfio!« lärmte er stotternd, »helft, ihr Christen, man bringt mich um, man ersäuft mich wie eine junge Katz. Hilfio, Hilfio!«

Da kauerte er nun im überfließenden, lebhaft hin- und herpendelnden Wassereimer und seine schlotternden Beine gingen wie Brunnenröhren.

»Schweig doch, du Schlotterweide!« herrschte ihn der Torwart an. »Du weckst ja den ganzen Konvent auf. Wo hast du die Kröte?«

»Domine Deus!« lärmte der Kratzschreiber. »Angeli et archangeli venite venite!«

»Potz Heiland!« schimpfte der Torwart. »Nun fängt er gar noch die Psalmen zu singen an. So gib doch einmal Ruh', du lateinisches Feuerhorn!« Jetzt schallte ein gewaltiges Gelächter in das Kreuzgärtlein herab und wie die Schatzgräber verwundert aufschauten, sahen sie in allen Fenstern und Gucklöchern des Kapitelhauses, auf allen Seiten ringsum, behaubte und bezipfelkappte Köpfe. Und im Hause der Jungfrauen war ein überlustiges Zischeln, Kichern und Auflachen, denn die Pflegetöchter der Abtei sowohl als auch die Mägde hatten dem kurzweiligen Schatzgraben schon eine Zeitlang heimlich zugesehen.

Aber als sich nun die Schatzgräber hurtig daran machten, den Kratzschreiber von seiner nassen Schaukel herabzuheben, überkam diesen das trunkene Elend und er begann bitterlich zu weinen.

»Oh, oh!« wehklagte er schluchzend, »sie haben mich in einen Fischreiher verzaubert. Die Beine gehen mir bis in den Brunnen hinunter. Audi me, sancte Felix! Miserere mei, sanctissima Regula! In einen Fischreiher, oh, oh!«

»Das ist jetzt eine saubere Geschichte,« machte boshaft der Lamphütlein. »Jetzt hat dich deine Alte bis heute immer für einen Klapperstorch gehalten.«

Der Lumpenhütlein wollte laut auflachen, aber es blieb ihm im Halse stecken, denn nun kamen des Klosters Hofschreiber, der Zoller und meiner Frauen Gnad Pelzmacher halbbekleidet und die weißen Zipfelhauben noch auf den Köpfen, gegen den Brunnen.

»Potz Kreuzsternenhagel!« knurrte keuchend der Torwart. »Nun hat uns dieser lateinische Jammerheilige richtig die ganze Abtei aus den Betten geheult. Da hockst!«

Damit setzte er mit den andern den hilflosen, triefenden und schluchzenden Schreiber zwischen die Grabsteine auf den Boden.

»Ja, um's Himmels willen, was ist denn das für ein Geheul und Geplärre da im Kreuzgärtlein mitten in der Nacht?!« fuhr jetzt der Hofschreiber wütend gegen den Brunnen. »Es tönt ja grad, als hätte man da in der Brunnenstube ein Sonderfegfeuer für die Abtei eingerichtet. Wäre aber auch kein Wunder,« herrschte er jetzt den Torwart an, »es geht nachts in diesem Hofe von liederlichen Leuten aus und ein, ärger als in der stillen Woche im Beichthaus. Ich wollte lieber die Metze von Jericho ans Tor setzen, als dich, alten faulen Brummbär. Aber eben, seit wir soviel leichtes Geflügel im Hause haben, ist auch der Hof immer voll Füchse,« machte er mit erhobener Stimme, zum Hause der Jungfrauen hinaufschielend.

»Oh, oh!« ächzte der Kratzschreiber, seine nassen Beine betastend, »ein Fischreiher, ein Fischreiher!«

»Und ihr, landfahrende Spitzbuben,« wandte sich der Hofschreiber an die Schatzgräber, »wie konntet ihr mit diesem trunkenelendigen Waschlappen da so ein Spiel aufführen und wer hat euch überhaupt geheißen, im Kreuzgärtlein meiner Frauen Gnad nach Schätzen zu graben?«

»He,« machte der Lumpenhütlein, »es ist uns ergangen wie jenem Altmättler Mägdlein, das seinem Gesellen das Fensterlein aufmachte, der Torwart hat uns mit Güte dazu gezwungen.«

»Was schwatzest du, du Hansnarr! Wie kann er euch denn mit Güte gezwungen haben?«

»Ei,« gab der Lumpenhütlein zurück, »er tischte uns ein paar Krüge süßen Elsäßers auf.«

Jetzt war rings an den Klosterwänden wieder ein tolles Auflachen. Aber der Torwart und die Schatzgräber hoben unterdessen den Kratzschreiber mit Ach und Krach aus den Grabmälern auf und machten sich mit ihm, zwischen den Denksteinen hin- und hertorkelnd, davon, denn ihre Beine hatten ärgere Gewichte angehängt, als Galeerensklaven.

»Und daß du mir morgen die fahrenden Weintrichter fortschickst, du versoffene Nachtkappe!« schallte ihnen des Hofschreibers spitzige Stimme nach.

»Wir gehen schon, Herr Hofkanzler,« machte gekränkt der Glückhütlein. »Es gibt gottlob anderwärts auch noch Schätze zu heben, sind noch lange nicht alle Schätze hütenden Jungfrauen erlöst.«

Aber der Lamphütlein brummte vor sich hin:

»Wenn nur die ganze Brunnenstube voll rabenschwarzer, haberbreidicker Tinte wäre und diese ausgehonigte, vertrocknete Hofschreiberseele als Gänsefeder bis zum Nachglockenläuten am jüngsten Tage darin stecken müßte! Ich wollte mir dafür gerne zwanzig Jahre von meinem vergangenen sündhaften Leben abziehen lassen.«

»Ach, wie seid ihr kleinmütig und unzufrieden,« lachte, mit dem Kratzschreiber einen unfreiwilligen Ruck in die Grabsteine tuend, der Lumpenhütlein.

»Laßt uns den Herrn loben und ihm inbrünstig danken, daß wir jetzt mit diesem lateinischen Kratzschreiber nicht zu einer zürichdeutschen Kratzschreiberin und sieben Kratzkindern heimkehren müssen. Es ist, meiner Seel, kein Gang zum Tanz. Juhuu, hoch der ledige Stand!«

»Et flore-florebit in aeternum!« stotterte schluchzend der Kratzschreiber.

Sechstes Kapitel. In meiner Frauen Hofstube.

In der großen Hofstube der Abtei saßen die Tischtöchter der Äbtissin beisammen und spannen.

Durch die farbigen Butzenscheiben zauberte die Morgensonne allerlei buntes lebendiges Blust auf den Stubenboden und an die dämmerigen Wände. Durch ein rotes Scheiblein gar zitterte ein spinnwebfeiner Strahl und legte in das Wassernäpfchen eines Spinnrades ein leuchtendes Rosenblatt.

An einem offenen Fenster saß Verena von Monsax und träumte nach den fernen blauen Schneebergen. Ihre Hände lagen im Schoß und das Spinnrädchen stand stille. Obwohl ihr und den andern Töchtern das Sticken und Spinnen nur ein gelegentlicher Zeitvertreib war, pflegte sie doch, einmal an der Arbeit, an Emsigkeit alle zu übertreffen. Aber heute, an diesem schönen Maienmorgen, hatte sie sich sogleich in eine Fensternische gemacht, das Scheiblein aufgetan und sehnsüchtig über den blauen See hinausgeschaut.

»Vrenlein,« sagte die jüngere Elsbeth von Wißenburg, »ich glaube alleweil, du habest in der Nacht einen sehr kurzweiligen Traum gehabt, daß du immer noch dran fortspinnst. Oder hast du etwa Heimweh nach dem Gesange der Unken deines rätischen Burggrabens?«

»O bewahre!« machte die ältere Elsbeth. »Das Vrenlein sehnt sich mehr nach jungen Spielleuten, als nach alten Burgruinen.«

Ein helles Auflachen ging durch die Stube.

Die kleine Bündnerin errötete.

»O Elsbeth,« gab sie dann zurück, »tu' doch nicht so. Ja, wenn man dich nicht kännte! Du und ihr alle hättet ihm den schönen Rosenkranz unserer Frau Mutter so gerne ausgesetzt wie ich. Ihr gabt euch nur so einen Schein und kamt dann vor lauter Ziererei nicht dazu. Nun soll wieder ich schuld sein, ich merk's schon, sonst tätet ihr mich nicht alleweil necken.«

»Sei doch nicht so ein Schnippschnabel!« sagte die ältere Elsbeth. »Es war doch keine so übermäßige Ehre, diesem Pfeifer das Kränzlein einer andern aufzusetzen. Du hättest ihm doch gewiß lieber das deinige auf den braunen Scheitel gedrückt.«

Wieder ging ein munteres Lachen um.

»Aber,« fuhr sie zu reden fort, »unserer gnädigen Frau Mutter sagt eben das sprechende Spiegelein immer wieder, sie sei die Schönste im Land und da nascht sie halt solche Nachtischsüßigkeiten uns andern gerne vor dem Munde weg.«

»Es ist mir aber gleichgültig mit wessen Kränzlein ich ihn gekrönt habe,« sagte jetzt Verena von Monsax. »Es hat mich gefreut, daß ich's tun durfte und ich hab's mit gutem Willen getan, denn, das werdet ihr auch zugeben müssen, der junge Spielmann fidelte wie ein Zauberer.«

»Ei freilich,« meinte die braunhaarige Anna von Thengen neckisch, »obwohl er kein gelernter Zauberer war, lockte er doch nicht bloß ein wassersüchtiges Krötlein aus dem Klosterbrunnen, wie die drei nächtlichen Schatzgräber von Einsiedeln, sondern gleich zwei schöne Nymphen. Aber natürlich,« setzte sie bei und ließ ihr Rädlein munter schnurren, »es war eben ein junger Zauberer. Wäre er alt gewesen, meine schöne Frau Mutter hätte ihre Rosen besser in Acht genommen und ihrer dunkeläugigen Tischtochter kleine weiße Hand würde sich alsdann wohl nicht so sehr geirrt haben und hätte den jungen Stüssi gekränzt. Ist doch auch ein annehmbarer Junge und ein Reiter von guter Haltung, wenn auch sein vornehmer Anzug den Bauern nicht ganz verheimlicht.«

»Ja, warf die ältere Elsbeth ein, »ich hätte mich lieber an den jungen Stüssi gemacht, der einst ein gar mächtiger Herr werden mag. Sein Vater, der neugebackene Ritter, gilt bald mehr in Zürich, als der Freund unserer Frau Mutter, der stattliche Bürgermeister und Ritter Meiß. Obwohl Stüssis Wappenschild auf der Trinkstube z. Schneggen einer der jüngsten ist, schauen die Leute doch ehrfürchtiger nach ihm, als nach der abgeblaßten Vergoldung der ältesten Wappen.«

»Pst, pst!« warnte Anna von Thengen. »Wenn das die Fürstin hörte!«

»O ja, sie würde uns zürnen,« meinte die jüngere Elsbeth von Wißenburg. »Ich hörte sie letzthin zu Herrn Meiß sagen, dieser bäuerische Großhans, dessen Vater noch mit der Mistgabel statt mit dem Schwert, ins Feld ausgerückt sei, erhebe sein Haupt immer dreister. Man müsse ihm ein Bein zu stellen suchen, bevor er den ganzen Schweif seiner Anhänger in die Ratsstube nachziehe, von wo sie mit ihrem üblen ländlichen Geruch die regimentsfähigen Geschlechter vertreiben.«

»So, hast du also wieder gelauscht, du Schelmin!« verwies ihr, mit schlecht gespielter Entrüstung, die ältere Elsbeth.

»Das geht dich doch gar nichts an,« trumpfte sie ihre jüngere Schwester ab. »Wen findet man denn mehr hinter allen Türen als dich! Ist kein Schlüsselloch in der ganzen Abtei, das nicht weiß, wie unordentlich dir die Haare um die Ohren spielen. Und zudem bist du ja nicht meine Mutter.«

»Wie mögt ihr euch alleweil zanken! Gebt doch Frieden!« bat die kleine Monsax.

»Ach ja, es ist doch wahr,« machte schmollend die jüngere Elsbeth, »die da will mich immer bemuttern. Aber obwohl sie bald dreißig Jahre alt ist, bin ich doch nicht ihre Tochter.«

»Aber nein, aber nein, das ist gelogen, du Fratz!« schrie erbost, schier weinerlich, die ältere Schwester. »Ich bin kaum fünfundzwanzig. Wart' nur, wart' nur, Elsbeth, ich sag's, wenn ich heimkomme, wie du mich überall verlügst.«

Jetzt gingen die Spinnräder wie frisch geschmiert, es schnurrte in der Stube wie in einem Wald voll schlafender Wildkatzen.

»Ach gebt euch doch zufrieden,« drängte Verena von Monsax, »und schaut nicht so bös drein, sonst schimpft unsere Frau, wenn sie kommt. Ihr wißt ja, sie will allezeit frohe Gesichter um sich sehen.«

»Ei freilich und schöne Gesichter,« lachte die jüngere Elsbeth, »denn Herr Ritter Meiß ist, wenn auch nicht der jüngste, so doch der schönste Mann im Stadtring, ein stolzer Bürgermeister und liebenswürdiger Herr. Und ist er denn nicht fast alltäglich bei unserer schönen Frau Mutter zu Besuch, als wäre er eine Chorfrau und müßte die Stunden mit ihr beten. Nun hat sie auch noch den hübschen Fidler, diesen landfahrenden Pfeiferkönig zurückbehalten. Sie will gewiß die Fidel streichen lernen.«

Lachte alles auf, nur Verena errötete und machte ein Schmollmäulchen.

»Hört, Kinder!« sagte Anna von Thengen. »Mir ist eben eine Geschichte von einem Geiger eingefallen. Soll ich sie erzählen?«

»Eija, ja doch, ja!« rief es durcheinander.

»Gut, so hört denn! Es war einmal ein Fidelmann und der hatte eine wunderbare Zaubergeige. So bald er sie spielte, mußten alle Leute und auch die Tiere, ja die leblosesten Dinge, Tische, Stühle, Pfannen, kurzum alles was nicht niet- und nagelfest war, zu tanzen anfangen. Da tanzte denn alles von zuoberst bis zuunterst im Hause und im Stall, sogar die Schweine und die Ochsen hopsten herum.«

»O mein!« sagte die jüngere Elsbeth unter dem Auflachen der andern. »Ein Schwein und einen Ochsen möchte ich mal miteinander tanzen sehen.«

»Ei, das kannst du wohl sehen,« machte mit lachenden Schalkenaugen die braune Thengen. »Guck nur zur Kirchweihzeit in die Gesindestube; dort walzt der dicke Küchenmeister, der Joggi Brun, mit den Mägden herum wie ein aufrechter Ochs, fehlen ihm nichts als die Hörner.«

Das Lachen wollte nimmer enden.

»Ja, der Brun das ist ein rechter Ochs,« rief die jüngere Elsbeth. »Und was der für einen dicken Bauch hat!«

Ihr glockenhelles Auflachen überjubelte das der andern.

»Aber nein, wenn die Fürstin hören würde, was wir für lose Reden führen!« machte Verena von Monsax. »Schäme dich, Anna, so etwas zu erzählen!«

»O sei du nur still!« eiferte Anna von Thengen. »Du willst immer die Heilige spielen und derweil denkst du den ganzen Tag und nachts erst recht an einen fahrenden Pfeifer. Gelt, man sollte eben immer von jenem Fidler reden, der an dir alles zum tanzen bringt, selbst wenn er nicht spielt: Die Beine, die Arme und die tugendhaften Gedanken im Köpfchen mit dem künftigen Heiligenschein. Und gar die Seele täte dir im Herz, wie eine frisch gefangene Haubenmeise im Käfig, herumflattern, wenn er dir spielte. O, bezapf' du dein frommes Betmäulchen nur, du Schalksnärrlein!«

Wieder lachten sie hellauf, verstummten aber sogleich. Die Türe ging und auf der Schwelle stand ein braunhaariger Bursche, Ulmann, der Pfeiferkönig.

»Geh' doch hinein!« brummte hinter ihm der Torwart. »Meine Frau wird gleich kommen. Ich soll dich hieher bringen, hat sie gesagt. Die übermütigen Schnattergänse da,« fügte er gedämpfter bei, »werden dir etwa genug zu schaffen geben bis sie kommt.«

Ein allgemeines Rücken der Spinnräder.

»Mach dich nur weg, du alter Brummbär!« rief Anna von Thengen dem Torwart zu.

»Ja, ja, die Weiber,« knurrte der. »Kaum sind sie mit einem Bein aus dem Bett, greifen sie schon mit beiden Händen nach den Mannsleuten. Gott und sankt Felix mögen wissen, was meine Frau mit diesem glatten, armen Schelmen wieder vor hat!«

Knurrend und murrend schloß er die Türe und trollte sich davon.

Mit verlegenem Lächeln stand Ulmann unter dem Bilde eines Heiligen, von dessen vergoldetem Heiligenschein ein schwacher Abglanz in seinen Locken lag. Unter den Tischtöchtern aber war ein nicht endenwollendes Kichern und Zischeln. Nur Verena von Monsax barg ihre blutrote Wange halbwegs im Flachsstock ihres Spinnrades, denn bei des Pfeifers Eintritt war ihr der Faden gerissen und nun schien das Wiederanknüpfen eine recht schwierige Arbeit zu sein.

Anna von Thengen aber sprang mit lachendem Gesichte auf, trat vor den Pfeifer und sprach mit tiefem Knix: »Euere Majestät, vielmögender König aller fahrenden Spielleute! Erbarmt Euch unser in Gnaden, denn seht, Euere Untertanen langweilen sich.«

»Ei,« sagte Ulmann lächelnd, »das will mich nicht bedünken.«

»Spiel' uns doch ein Tänzchen, einen recht unbändigen schwyzerischen Gautanz!« rief die jüngere Elsbeth.

»Das möchte mir meiner Frauen Gnad übel aufnehmen,« gab der Spielmann bescheiden zurück.

Jetzt lachten sie alle laut auf und die ältere Elsbeth sagte, den Fidler in Ton und Gebärde nachahmend: »Unserer Frauen Gnad tanzt selber gern, am liebsten mit einem schönen Herrn.«

Wie das tolle Gelächter etwas nachließ, bat auch Verena: »Ei, so spiel uns denn etwas!«

»Gerne wollte ich euch dienen, aber ich habe ja die Fidel nicht bei mir.«

»Wo ist sie denn?« fragte rasch die kleine Bündnerin und sprang auf.

»Sie hängt noch in der Kapelle des hl. Nikolaus, wo ich den Kaplänen vorspielte,« beschied er. »Ich will sie gleich holen.«

»Bleib nur, ich hole sie herauf,« sagte Verena.

»Nein, ich!« – »Nein, ich!« schrie es durcheinander.

Da flatterten auch schon alle miteinander davon und die flinke Thengen rief zurück: »Die Tänzer werden wir auch gleich mitbringen!«

Ulmann sah sich allein in der großen Hofstube.

Doch bald gingen Schritte im Gang. Da kommen sie schon wieder, dachte er. Wie aber die Türe ging, trat Anna von Hewen, die Äbtissin, herein, sündhaft schön, wie eine aus einem langweiligen Beichthausgemälde davongelaufene Maria Magdalena.

»Wie, du bist schon hier, mein junger Freund!« Dann sich schier erstaunt umsehend: »Wo sind aber meine Töchter und Gespielinnen? Ich wollte sie gerade für einen Augenblick wegschicken.«

»Sie sind eben fortgelaufen, um meine . . .«

»Gut, gut, weiß schon,« unterbrach sie ihn. »Sie werden wieder einmal in den Gängen herum Versteckens spielen wollen. Aber,« machte sie dann, Ulmann scharf ansehend, »laß sie, ich habe mit dir zu reden. War es denn nicht gestern, daß du mir sagtest, du hättest deine Heimstätte in der Klosterruine der Insel Lützelau?«

»Eija, Euer Frauen Gnad,« machte er, sie fragend, schier erschrocken anblickend.

»Brauchst nicht zu erschrecken, lieber Gesell. Ich will dich aus deinem Paradiese, so es für einen Einsamen eines geben kann,« lachte sie schalkhaft, »nicht austreiben. Aber obschon die Lützelau ein zürcherisch Freiland ist, möchte ich doch nicht ohne deinen Willen dort einbrechen.«

»Wie, Ihr wolltet nach der Lützelau?«

Mit verwunderten Augen schaute er auf.

Sie lächelte.

»Das gerade nicht, als Klausnerin ließe ich mich dort nicht einmauern, wäre mir gar zu einsam und zu still. Aber einmal landen möchte ich an der kleinen Insel für ein Stündchen. Dort dürfte so recht ein Unterschlupf sein, der jedem unberufenen Auge fernläge. Was meinst du?«

»Heja, die zerfallene Kapelle des Schwesternhauses habe ich in ein recht wohnlich Stüblein umgewandelt. Für ein paar Stunden wäre darin wohl zu leben. Es befände sich auch in guter Ordnung, da ich die Insel erst vor kurzem verließ.«

»So höre denn, mein Freund! Ich machte dich zu meinem Hofspielmann, aber wenn du dich treu erweisest, sollst du mehr sein.« Sie sah ihn an, als wollten ihre Blicke nach seiner Seele angeln. »Kann ich dir trauen?«

»Ich bin Euer Knecht und habe keinen andern Willen, als den Ihr mir eingebt.«

In ihre kühlen blauen Augen kam für einen Moment ein warmes Lächeln.

»Ich will dir vertrauen. So merk' wohl auf und lerne schweigen! Ich beabsichtige morgen Nachmittag eine Seefahrt nach Rapperswil. Dort lasse ich mir Pferde geben und werde so schnell als tunlich zu meiner Base, der Gräfin von Toggenburg verreiten, um ihr und den übrigen Erben des Grafen, die sich gegenwärtig dort einfinden werden, mein Beileid zu bezeugen. Du sollst mich ein Stück Wegs begleiten. Magst mir,« sagte sie, ihn freundlich, schier herzlich anblickend, »mit deiner Fidel die lange Seefahrt verkurzweilen. Willst du?«

»Wie sollte ich nicht wollen,« machte er und sein Kopf glühte.

»Wir stoßen erst nachmittags hier ab,« redete sie weiter, »um während der Nacht an der Lützelau, wie ich dir schon sagte, für kurze Zeit anlegen zu können. Ich hoffe, dort jemand zu treffen, den ich durch meinen Rennboten auf morgen nach Mitternacht hinbestellt habe. In deiner Behausung sollst du uns für ein Stündchen Unterstand gewähren. Hast du mich wohl verstanden?«

»Ja, Euer Frauen Gnad.«

»Du kannst schweigen?«

Er nickte still.

»Ich möchte aber nicht zuviel eigene Leute mitnehmen und nur die Ruder mit meinen Knechten versehen. Sie müßten dann, wenn ich lande, im Schiff zurückbleiben. Hast du nun einige Gesellen, auf die du dich verlassen kannst, die deine Behausung umstellen und bewachen, während ich drin bin? Es liegt mir viel daran, daß meine Leute nichts merken. Sie sollen die nächtliche Landung für eine bloße Frauenlaune, meinetwegen für ein zärtliches Abenteuer halten.«

»Ich weiß einige fahrende Bursche in der Stadt gegenwärtig, die mir durch ein Feuer barfuß nachlaufen würden.«

»Gut, so versichere dich ihrer und sei für morgen Nachmittag bereit.«

»Ich werde bereit sein.«

»Kannst du schweigen?«

Er wollte antworten, konnte jedoch nur noch nicken, denn schier heftig ward die Türe aufgerissen, Verena von Monsax wollte hereinstürmen, prallte aber zurück, lächelte verlegen und tat, als wollte sie sich zurückziehen.

»Was verbirgst du hinter dem Rücken?« fragte schier streng die Äbtissin. »Ei, ei, eine Fidel! Gewiß des Pfeiferkönigs Geiglein. Wollt ihr tanzen?«

»Ja, gnädige Frau Mutter.«

»Wie kommst denn aber gerade du zu der Fidel?« wunderte Anna von Hewen.

»Der Spielmann ließ sie in der St. Nikolauskapelle am Arme eines steinernen Engels hängen. Dort nahm ich sie weg und die andern . . .«

»Ja, wo sind die andern?«

»Da sind wir!« hallte es im Gang. Und jetzt kam es durch die Türe herein: Einmal Anna von Thengen, Lienhart, den jungen Hofkaplan an der Hand haltend. Darnach Elsbeth, die ältere, den gelbnasigen Hofschreiber mitführend, und zuletzt noch Elsbeth, die jüngere, mit dem schmalhalsigen Magister.

»Bei allen Heiligen unserer Abtei, jede hat einen gefunden,« lachte nun überlaut die Äbtissin. »Ja, wenn's zum tanzen und tändeln geht, da lassen sich meine Mannsleute leicht finden. Aber wenn ein Brieflein aufgesetzt werden sollte, mit meiner Frauen Sternsigel dran, Meister Hofschreiber, oder eine neue Vesper sollte eingeübt werden, Herr Magister puerorum, oder die Messe vor Tag sollte gelesen werden, Herr Hofkaplan, da kann meiner Frauen Gnad oft lange suchen, bis sie findet.«

»Der Spielmann da hat uns verführt,« machte mit kecker Fröhlichkeit Anna von Thengen, »denn wäre er nicht in die Stube gekommen, so wären wir auch nicht auf's Tanzen verfallen.«

»So muß also ich zuletzt noch an euerm Übermut schuld sein?«

»Ach ja, liebe Frau Mutter. Ihr habt's doch auch gern, wenn's lustig zugeht,« sagte jetzt die jüngere Elsbeth, sich an die Fürstin heranschmeichelnd. »Tanzt auch mit!«

»Ich dächte, ihr solltet spinnen.«

»O, die Waldschwestern in Einsiedeln haben ja noch genug Zeug zum weben,« machte lachend die ältere Elsbeth.

»Ja, ja, ihr Schalken! So tanzt meinetwegen. Ich wollt' am End gerne selber ein Tänzlein wagen, allein heute habe ich keine Zeit. So fangt denn an in Gottes Namen!«

Unterdessen hatte die Thengen der kleinen Monsax die Geige entrissen und hastete, mörderlich darauf herumfeilend, in der Stube herum, von Verena verfolgt.

»Gib sie, gib sie! Du richtest sie zu grunde!«

»Ja, Anna, hörst du, du meisterloser Übermut, gib ihr die Fidel!« gebot die Äbtissin. »Die kleine Monsax hat das erste Anrecht darauf außer mir, denn sie ist's doch, die den Pfeiferkönig mit meinen Rosen kränzte.«

Ein schallendes Gelächter ging in der Stube um und glühend über und über, drückte sich Verena in eine Fensternische.

Nun hatte aber die hurtige Thengen dem Spielmann die Fidel überreicht. Der setzte sie ohne weiteres ans Kinn und gleich war es, als tanze ein sonniges Elfenvolk aus dem braunen Kästchen. Und alsobald walzte auch der ländlich handsame Kaplan mit Anna von Thengen in der Stube herum. Hinter ihnen drein stelzte, wie ein betrunkener Storch, der Hofschreiber mit der ältern Elsbeth, gefolgt vom schmalen Magister, der mit der jüngern Elsbeth verzweifeltere Sprünge machte, als eine aufgescheuchte Heuschrecke. Verena aber stand schmollend in der Fensternische und kehrte den Tanzenden den Rücken zu.

Da war der Tanz zu Ende.

»Kleine Monsax!« rief die Äbtissin.

Widerwillig, langsam wandte sich Verena.

»Ja?«

»Komm her zu mir, du Schmolllämpchen!«

Gesenkten Hauptes, die dunklen Augen auf den Schnabelschuhen, stand die kleine Bündnerin vor ihrer gnädigen Frau.

»Willst du den Trotzkopf spielen? Zur Strafe mußt du sogleich mit dem Pfeiferkönig einmal tanzen. Der Herr Magister soll fideln. Willst du?«

Jetzt hob Verena ihr schwarzhaarig Köpfchen und guckte scheu, durch Tränen lächelnd, nach dem Geiger. »Ja,« machte sie leise.

Voll Mißvergnügen begann der Scholastikus die Fidelsaiten zu martern, also daß sie aufjammerten, als ob er auf armen Seelen geigte. Und da tanzten auch schon scheu und verschämt, aber zierlichen Schrittes, Ulmann, der Pfeiferkönig und Verena v. Monsax durch die Stube.

»Ein schmuckeres Tänzerpaar ist noch auf keine Glasscheibe gebrannt und an keine Wand gemalt worden,« machte beifällig die Äbtissin.

Wie aber der Tanz zu Ende war, und er war es zu schnell, bedünkte die kleine Monsax, – drohte ihr die hohe Frau scherzhaft mit dem Finger und sagte: »Vrenlein, Vrenlein, du still Wässerlein!«

Aber nun wollten alle mit dem jungen Hofpfeifer, der sein Spielzeug wieder zuhanden nahm, tanzen, was die andern Tänzer nicht übel ärgerte.

Da lachte Anna von Hewen und sagte: »Ihr könnt ja die drei Schatzgräber von Einsiedeln heraufholen, die verstehen sich auch auf das Tanzaufspielen. Sie werden nun ihren süßen Elsäßer wohl ausgeschlafen haben.«

»O, die sind schon in aller Frühe fort,« belehrte der Hofschreiber. »Wollten mit dem Rapperswiler Marktschiff den See hinauf.«

»Wunderliche Gesellen,« machte die Äbtissin, »brachten mir gestern das ganze Haus aus Rand und Band.«

Dann nickte sie Ulmann freundlich zu und ging davon, ihren Pfauenschweif zierlich nachziehend.

Jetzt begann der Pfeifer sein Spiel wieder und also ward meiner Frauen Hofstube zu einer klappernden Tanzdiele.

Aber der gelbe Hofschreiber und der schmalbrüstige Magister merkten bald, was für ein boshafter, hinterhältiger Teufel im Tanz steckt. Erst hatte er sie mit schwülen Verheißungen verlockt und jetzt, da Brust und Beine zu ächzen anfingen, wollte er sie nicht mehr losgeben, denn die Tischtöchter der Äbtissin, des Tanzteufels reizende Kreaturen, schienen unermüdlich. »Ach,« seufzte der Hofschreiber in seinem innersten Herzen, »wie habe ich doch so freudig begonnen und nahm es für einen hochzeitlichen Tanz, und jetzt, o weh, o weh! ist diese wilde Thengen die fleischgewordene Drille. Ach, wenn's nicht aufhört, tanze ich bald meinen Totentanz.«

Doch auf einmal standen alle erschrocken still.

Draußen in der Stadt war ein gewaltiges Lärmen und Schreien. Und wie sie sich ängstlich fragend anschauten, hörten sie von der Gasse herauf die wildkreischenden Rufe: »Hie Zürich, hie Schwyz! Mordio, Mordio!«

Einen Augenblick starrten sie sich erbleichend an, aber dann schossen sie an die Fenster, rissen alle Scheiben zurück und schauten in die Stadt hinunter.

»Potz heilige Zeit!« begehrte jetzt der Hofschreiber zornig auf. »Nun war es mir nicht anders, als die groben Hunnen von Schwyz seien über uns gekommen, nun sind's bloß diese Lausbuben.«

Drunten, in der Nähe der Abtei, über die obere Brücke, tobte eine wilde Knabenschlacht von der mehrern Stadt her, mit Pfeifen und Hornen und Trommelschlag. Die Jungen der mindern Stadt spielten die Schwyzer, während die der mehrern Stadt Zürcher bleiben wollten. Mit allerhand rostigem oder rechtem und echtem, aus des Vaters Kasten genommenem Waffenzeug und angetan mit zerbeulten Helmen und Harnischstücken, fielen die Buben tapfer übereinander her. Die Knaben der hablichern Einwohner ritten auf den ärmlichen Jungen des niedern Dorfes und der Vorstädte. So wüteten denn auch die Pferde gegeneinander mit ausschlagendem Barfuß und fletschenden Zähnen.

Allerhand Fähnlein wehten ob den Bubenknäueln und Steine und gar Pfeile ab Eibenbogen flogen hin und wieder.

Jetzt drückte ein neuer Vorstoß unter dem Helmhaus vor der Wasserkirche über die Brücke: »Hie Zürich, hie allweg Zürich!« Die Schwyzer wichen gegen den Werkhof und gegen den Kratz und ihr Feldhauptmann, dessen wallenden Federbusch die sieghaften Zürcher eben samt einem Büschel Haare elend ausrupften, wäre wohl übel zugerichtet worden, wenn nicht im selben Augenblicke einige fluchende Stadtknechte vom Münsterhof her unter die Buben gefahren wären.

Nun rannten Freund und Feind über die Brücke gegen die jenseitigen Schwibbogen und unter das Helmhaus. Ein alle Heiligen und Wetterzeichen herabfluchender Stadtknecht brach schier zusammen; ein Stein, von sicherer Knabenhand geschleudert, hatte ihn an den Kopf getroffen.

»Jetzt schau mir einer, wie's diese kleinen Kröten schon treiben!« schimpfte der Magister. »Fehlt wenig, sie brächten sich um.«

»Das wird einmal gehörig krachen, wenn die Alten aneinander geraten, wie's heißt, daß Bürgermeister Stüssi es wünsche,« meinte kopfschüttelnd der Hofschreiber.

»He, aber wo ist denn unser Hoffidler hingekommen?« machte erstaunt der junge Kaplan.

Schauten sich alle verwundert im großen Saal um.

»Da unten läuft er schon über die Brücke!« rief die jüngere Elsbeth von Wißenburg. »Und sind einige Gesellen seiner Bekanntschaft, Sackpfeifer und Schwegelpfeifer bei ihm.«

Alle schauten dem Pfeiferkönig nach bis er mit seinen fahrenden Gesellen in der Vorhalle der Wasserkirche verschwand.

Siebentes Kapitel. Die Nachtseefahrt.

Etwas spät nach der Vesper, – denn die Kammerfrauen mußten sich lange mühen, bis sie die überquellenden goldenen Haare ihrer Herrin entwirrt und in blinkende Goldfäden geflochten hatten, – bestieg Anna von Hewen, im überreich mit Reiherfedern gezierten Jagdhute, in ein wahrhaft fürstliches Gewand gehüllt, das Herrenschiff der Abtei im Kratz.

Eine Schar Kinder umstand den von seinen zwei Rüden umtollten Ammann Edlibach, der seiner hohen Frau eben gute Reise wünschte und sie bat, die Frau von Toggenburg auch von ihm grüßen zu wollen. Vor der Pfisterei im goldenen Winkel standen des Gotteshauses Bäckerknechte, samt dem Untervogt im Kratz und dem Kratzschreiber. Gafften alle neugierig nach dem abstoßenden Herrenschiff.

Jetzt winkte die Äbtissin mit ihrer behandschuhten Hand, ihren geistlichen Herren und ihren Frauen, die ihr aus der Abtei Kußhände zuwarfen, zu und da trieb der schwere Nauen schon um den mitten im Fluß stehende Wellenbergturm und gegen die Grendel hinauf.

Die Kinder am Ufer aber staunten dem abziehenden Schiffe mit ehrfurchtsvollen Augen nach.

»Die gnädige Frau ist aber eine reiche,« sagte ein barfüßiges Büblein. »Ihre Haare sind von lauter lötigem Gold, ich sah es ganz deutlich glitzern.«

»He, ich sah es auch, so gut wie du,« machte ein Mägdlein. »Und einen großen Hut mit vielen, vielen Federn hatte sie auf und lange spitze Schuhe wie Storchenschnäbel. Das ist aber schon eine stolze!«

»Ja,« meinte ein anderes Büblein, »und geduftet hat es um sie herum, wie am Morgen früh in unserm Vorgärtlein. Und im Vorbeigehen hat sie mich über den Kopf gestreichelt und gesagt: »Büblein, du bist ein Rotznäschen!«

»Ja, das ist eine reiche!« – »Ja, und eine stolze!« – »Ja, und eine schöne!« redeten die Kinder durcheinander.

Als das Schiff gegen die Grendel kam, schaute die Äbtissin, die sich mit ihren Kammerfrauen mitten im Nauen auf einer mit Kissen bedeckten Bank niedergelassen hatte, verstohlen nach dem Kratzturm hinüber.

Dort lag hinter den Grendelpfeilern ein riesiger Nauen, auf dem Zimmerleute eine Hütte aufzurichten im Begriffe standen. Es war ein Kriegsschiff der Schiffleute.

Anna von Hewen verwandte kein Auge davon. Es fielen ihr die Herrenleute, die eben der Zimmerer Werk beaugenscheinigten, besonders auf. Sie erkannte sie alle sofort. Gleichwohl fragte sie eine ihrer Frauen, was dort für Herren ständen.

Der größte, mit dem wilden Bart und der starken Nase, der neben der Feldschlange stehe, sei Herr Rudolf Stüssi, der Bürgermeister, beschied die ältere Kammerfrau. Der andere, mit dem grimmigen, langen Gesicht sei Joggi Schwarzmurer, der Ratsherr, und der dritte der lange Heini Schwend.

Jetzt mußten die Herren beim Kratzturm die Ruderschläge vernommen haben, denn sie wandten die Köpfe und sahen verwundert nach dem Nauen der Äbtissin. Als sie das Schiff und die Herrin darin erkannten, verbeugten sich Schwend und Schwarzmurer gemessen. Bürgermeister Stüssi aber hatte sich wieder den Zimmerleuten zugewandt und tat keinen Ruck.

Anna von Hewen biß sich in die Unterlippe, und dann ging ein spöttisches, etwas schadenfreudiges Lächeln über ihr weißes Gesicht und machte es für einen Augenblick unschön, wie ein Kaminrauch eine sonnenbeleuchtete Landschaft. »Es kränkt dich, Bauer, daß ich dein flegelhaftes Söhnlein in die Schranken wies. Gedulde dich! So Gott und die Heiligen der Abtei mir helfen, werde ich auch dich dahin weisen, wo du herkommst, in die Bauernstube.«

Das Schiff fuhr durch den offenen Grendel. Hier erst fielen der Äbtissin die vielen Schiffleute auf, die außerhalb der Grendelpfeiler sich ehrlich abmühten, einen sogenannten scharfen Igel aus spitzen Pfählen herzustellen. Hans Asper, der oberste Ratsknecht, führte die Aufsicht. Er sah wohl die Frau von der Abtei und ihr Schiff, tat aber, als wäre beides für ihn Luft.

»Nun seh' einer den groben Lümmel, grüßt mich nicht einmal,« murmelte Anna von Hewen bei sich. »Aber natürlich. Wie der Herr, so der Knecht.« Und laut sagte sie, daß es der Ratsknecht hören mußte: »Es ist gerade, als ständen wir vor einem Kriege, also wird hier im See drauflosgewerkt. Ich tät wohl gerne wissen, wem es vermeint ist.«

Dann sah sie gradaus, blinzelte aber mißmutig nach rechts und links und redete kein Wort bis der Nauen nach langem um das Weiden- und Erlengestäude des Zürichhorns strich.

Jetzt weitete sich der See und in der Abendsonne träumten die weinbekränzten Hügel von Zollikon und die tannenbekränzten Höhenzüge vor dem Albis. Und weit hinten leuchteten zwischen Wölklein, die immer goldiger wurden, die ewigen Schneeberge.

Da hellte sich der Äbtissin Stirne. Sie rief ihrem Spielmann, der mit Itelschalk, dem Gugelpfeifer, vorne auf dem Schiffsschnabel hockte, zu: »Auf, mein lieber Pfeiferkönig, gib uns ein Spielchen zum besten!«

Rasch erhob sich der Gugelpfeifer und machte sich daran, einen Ruderknecht abzulösen.

Ulmann aber nahm sogleich sein Spielzeug, das er unter der Bank verborgen hatte, zur Hand und jetzt säuselte, erst wie das Singen eines erwachenden Rotkehlchens im aufgehenden Tag, ein unbestimmtes, zitterndes Zwitschern über den See und dann ward daraus ein inbrünstiges Liebeslied.

Mäusleinstill lauschte das ganze Schiff und um der Fürstin Mund war ein beständiges Lächeln.

Als er zu spielen aufhörte und sie schon gegen Küsnacht schwammen, leuchteten einige rote Wolken aus dem See und der Himmel über dem warmen, mit fast zärtlicher Freundlichkeit niederschauenden Schneegebirge, hatte einen blaßroten Schein wie die Stirne eines errötenden Mägdleins.

Aber auf einmal war die ganze rosenfarbene Herrlichkeit verschwunden. Es begann zu dämmern und ein Schattenschleier nach dem andern sank leise und langsam wie schwarze Schneeflocken ins Seetal. Bald war es Nacht geworden.

Erst ging noch ein lebhaftes Plaudern um im Schiff und mancher verstohlene, begehrliche Blick tastete von den Rudern weg nach der immer schattenhafter werdenden Äbtissin, die dergleichen Fahrten nicht das erstemal machte. Aber allmählich ward es stille und wie ein ziemlich ausgiebiger Nachtwind von der Stadt her wehte, zogen die Ruderknechte das Segel auf, legten sich hin und ließen den Liebgott das Schiff seeaufwärts treiben. Am Steuer saß jetzt Itelschalk, der Gugelpfeifer und hielt scharfen Auslug.

Auch die zwei Kammerfrauen in der Schiffsmitte waren nach und nach halbwegs eingenickt. Und träumte die ältere mit Heimweh von vergangenen Sünden, so träumte die jüngere mit stiller Sehnsucht von zukünftigen, denn sie beide waren im Gedanken an die Sünden der Äbtissin eingeschlummert. Diese aber war so wach, wie am heitern Vormittag und dachte an ganz andere Dinge, als sich ihre zwei Kammerweiber träumen ließen.

Schier düster vor sich hinblickend, sann sie angestrengt nach, wie sie Bürgermeister Stüssi und seine immer selbstbewußter und zuversichtlicher auftretenden Zünfte zurückhalten, ja erniedrigen, aber das schwindende Ansehen und die absterbende Macht der Geschlechter und dann endlich die unbedingte Oberherrlichkeit der Fürstin von Zürich, wieder herstellen könnte. Alle Parteiung, aller Unfriede sollte verschwinden und die Stadt sollte glücklicher als sie's je war, unter ihrem Krummstab werden. Und sie gelobte in ihrem Herzen, falls ihr das gelänge, in ihr Münster eine große neue Orgel bauen lassen, die ein Kunstwerk über jedes in der Eidgenossenschaft werden müßte.

So durfte diese alles zersetzende, friedlose Volksherrschaft nicht weiter zunehmen. Jetzt schien es ihr möglich, ihr so lange schon ins Auge gefaßte Ziel zu erreichen, jetzt oder nie wieder. Sie gedachte all ihre Frauenlist bei der derzeit noch zu Zürich neigenden Gräfin von Toggenburg spielen zu lassen und vor allem auch wollte sie die der Stadt abholden übrigen Verwandten aufstacheln. Kurzum, sie wollte alles tun, um zu bewirken, daß Stüssi und seine Zünfte schließlich mit leeren Händen heimkehren müßten. Mit den mächtigsten und entschlossensten Gegnern des Bürgermeisters wollte sie sich jetzt in Verbindung setzen, mit den tatkräftigen Schwyzern und sie gegen den Demagogen hetzen. Durch Bauern sollten die Bauern gebodigt werden.

Ein böses Lächeln ging um ihren Mund.

Und niemand durfte vorzeitig merken, daß ihre kleine Frauenhand im Spiele war. Sie mochten sie für alles, für mannstoll, für vergnügungswahnwitzig wie ihre Vorgängerin halten, es sollte sie nicht rühren. Wenn es ihr nur gelang, ihre Absichten durchzuführen. Meiß, das Haupt der alten Geschlechter, den sie ja herzlich liebte, mußte ihr ein geschärfteres, widerstandsfähigeres Werkzeug werden. Er war zu sanft, zu vornehm, diesen emporgekommenen Rohlingen gegenüber. Er bewunderte ja geradezu Rudolf Stüssis Tatkraft. Ihr Angesicht überflog ein Schatten, als sie murmelte: »Ich habe dir viel geopfert, Meiß, mehr als alle andern Mütter opfern müssen, denn ich darf mich von meinem Kinde nie Mutter nennen lassen.«

Dann aber lachte sie halblaut auf. Es ist noch nicht aller Tage Abend, dachte sie, das wird sich später finden. Was mir jetzt dringend not tut, ist ein kluger treuer Kundschafter, ein Mensch, der sich eher das Herz aus dem Leibe reißen läßt, als daß er mich verrät. Ich muß über Einsiedeln in Verbindung mit den mächtigsten Herren des Rates zu Schwyz zu kommen suchen. Mein zeitweiliger Verkehr mit dem Vetter der Elsbethen, dem Abte im finstern Wald, wird eine gute Ausrede sein für meine Botschaften nach Schwyz. Warum sollte ich nicht alles wagen? Es ist nur mein heiliges Recht, was ich anstrebe. Und sollte es nicht gelingen, wird man mich doch nicht fassen können. Diesen fahrenden Spielmann, der mich mit so verliebten Augen ansieht, möchte ich zugerne zu meinem Kundschafter machen. Sie lächelte. Er hat Eigenschaften, die ich über alles liebe. Er ist schön wie ein Geliebter im Traum und treu wie eine Weiberkrankheit.

Sie lachte so laut auf, daß ihre Kammerfrauen schier erschrocken aufschauten und sich rasch den langen Schlaf aus den Augen rieben.

»Wo sind wir?«

Jetzt war ein gespenstiges Flimmern um das Schiff, als umflögen es ungeheure Schwärme kleiner weißflügliger Mücken.

Verwundert schaute Anna von Hewen nach dem Höhenzug, aus dem ein Feuer hervorzuckte. Nun stammte es in einer Tanne auf und auf einmal stand der Vollmond auf dem Berge.

Und dann schwamm er auch im See wie ein gewellter silberner Riesenschild. Und ein Heiligenschein war um ihn und ein Flimmern und Schimmern, als trügen plauderhafte, kichernde Nixlein den blitzenden Schild auf ihren weißen Schultern im See herum.

Vorn im Nauen, auf dem Schiffsschnabel, saß Ulmann, der Lützelpfeifer, die Geige im Schoß.

Von Zeit zu Zeit hatte er verstohlen nach der in ihre ehrsüchtigen Träume versunkenen Äbtissin, dann wieder in die Nacht hinein gestaunt. Und wie nun der Mond in das Seetal dämmerte, war ihm, er sei ein verwunschener Prinz und fahre in seinem glückhaften Schiff nach einem verzauberten Eilande. War alles wie im Märchen: Die geheimnisvollen Ufer, der wunderbergende See und darüber die Sterne, die dufteten wie Blumen. O daß diese Fahrt nie enden möchte!

Da schrak er zusammen. Eine leichte Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt. Anna von Hewen, die Äbtissin, stand bei ihm, lächelte ihn freundlich an und sagte halblaut: »Was träumt mein lieber Spielmann? Denn das ist ja wohl eine Nacht, in der sich mit offenen Augen träumen läßt. Nimm deine Fidel und spiel' mir ein fröhlich Liedlein vor! Zwischen meinen spinnenden Kammerkatzen wird's mir allmählich zu langweilig.«

Flugs hatte er das Geiglein an der Brust und spielte ein lüpfiges Tänzchen, so lüpfig, daß der zwei erwachten Kammerfrauen winzige Schnabelschuhglöckchen leise dazu zu klingeln anfingen. Dann aber ward sein Spiel immer heimlicher und heimlicher und zuletzt war es so voll schwermütigen Sehnens, wie die Klagen der Wasserfrauen unter dem Eise nach der verblichenen Hochsommersonne.

Anna von Hewen hatte sich neben ihm niedergelassen.

»Welch eine Lust, deinem Spiel zu lauschen!« machte sie und sah ihn groß an. »Deine Fidel ist doch wohl ein Schlüssel für alle Törlein, seien sie nun an den Stuben oder an den Herzen. Mir ist, ich könnte dir bis am Morgen zuhören. Bist du müde?«

»Wie sollte ich müde werden, Euch zu spielen.«

Er lächelte verlegen und legte die Geige über die Kniee.

Jetzt streifte sie wie zufällig mit weicher Hand über seinen Arm.

»Du hast es in der Hand und im Kopf, du bist ein Hexenmeister.«

Mit dunkelrotem Gesicht saß er da und wagte sie nicht anzusehen.

»Gefällt es dir in meinem Dienste?«

Jetzt hob er die leuchtenden Augen zu ihr auf.

»Möchtest du mir immer dienen?«

»Ja, wenn Ihr mich haben wollt.«

Nun fuhr sie wie liebkosend über die Saiten seiner Geige.

»Man sagt, die Spielleute hätten das Herz in der Fidel und könnten darum nur ihr die Treue halten. Und wenn sie ihnen genommen würde und sie darauf nie mehr ihre süßen Lieder und frohen Tänze spielen dürften, könne sie zeitlebens nichts mehr glücklich machen.«

Sie sah ihn seltsam an.

»Nein, Herrin, glaubt das nicht,« antwortete er mit bebender Stimme.

»Mein Freund, Herr Bürgermeister Meiß hat es gesagt.«

Ein flinker Griff, des Pfeifers Arm wirbelte auf, die Geige pfiff durch die Luft und klatschte weit weg ins Wasser.

Mit durchdringendem Blick schaute die Äbtissin auf den bebenden Burschen.

»Verzeiht, verzeiht, Euer Frauen Gnad!« machte er jetzt leise, in dumpfer Beschämung und fiel vor ihr auf's Knie. »Es übernahm mich also, denn es tat mir weh, daß Ihr dieses dumme Lügenmärlein auch glauben solltet.«

Jetzt lächelte sie ihn an, wie der Schutzengel eine arme Seele, die eben aus dem Fegfeuer im Himmel ankömmt. Mit leiser Hand streichelte sie ihm ein paarmal über sein Braungelock.

»Steh' auf!«

Er setzte sich gesenkten Hauptes wieder zu ihr.

Die Äbtissin aber sah ein Weilchen der leise im Mondschein treibenden Geige nach, dann sprach sie: »Ich werde dir eine neue Fidel anschaffen; du sollst mir noch oft mit deiner Kunst Freude machen und keine Blustfahrt will ich machen ohne dich, selbst wenn du dein Spielzeug nimmer anrührtest, denn höre!« machte sie flüsternd und ihm so nahe rückend, daß ihm einige Löckchen, welche die goldenen Schnüre nicht zu halten vermochten, die Wange wie mit Falterfüßchen betasteten. »Höre, du sollst mir mehr sein als nur der Hofspielmann. Ich will dich zu meinem Vertrauten und Freund erheben, wenn du verschwiegen sein kannst wie der Meineid und treu bis in den Tod.« Und nun kam ihr Mund seinem Ohre also nahe, daß er dessen warmen Hauch zitternd verspürte, und raunte ihm zu: »Willst du mein Kundschafter werden?«

Er nickte stumm.

»Würdest du dich für mich wie ein Räuber und Mörder von Wildnis zu Wildnis jagen, foltern und töten lassen, ohne mich mit einem Blicke zu verraten, selbst wenn ich dich verriete?«

»Ja.«

Jetzt umspannten ihre weichen, warmen Finger sein Handgelenk mit leisem Druck und sich flüchtig umschauend, machte sie: »So vernimm denn, mein lieber Freund, was ich dir anvertrauen will. Wir müssen aber leise sein wie ein Nebelregen. Komm', rück' näher und neige dein Haupt zu mir!«

Nun begann im vordern Schiffsende ein Lispeln wie ein Windsäuseln im Farenkraut, also, daß die zwei Kammerfrauen mit dem besten Willen, den sie doch hatten, kein Wörtlein mehr zu erschnappen vermochten. Das wurmte sie nicht wenig.

»Nun sieh' einmal, wie sie's treibt!« flüsterte die jüngere Kammerfrau der ältern zu. »O Babeli, das ist eine! Gott behüte meine Zunge vor böser Nachrede, aber ich lasse mich auf der niedern Brücke zu Zürich auf den steinernen Esel höcken, wenn sie dem lausigen Pfeifer nicht soeben den Kopfputz streichelte, als wäre er ihr weißes Kützchen. Nun weiß man doch, weswegen sie ihn zu ihrem Hoffidler machte. Ei, so was! Ist ja freilich ein gradgewachsener Bursche, aber am Ende doch nur ein unehrlicher fahrender Pfeifer. Und sie ist doch sonst so hochfahrend, daß sie sogar den Bürgermeister Stüssi einen Bauern nennt und ist ihr niemand gut genug, der seinen Wappenschild nicht gleich am Apfelbaume des Paradieses aufhängen kann.«

»O Agnes, du Einfalt vom Zürichberg! In Liebessachen hängt sie sich und ihren Adel lieber an einen warmen, schlankaufgeschossenen Menschen, als an einen kalten, krüppeligen Stammbaum. Hierin haben es alle gleich.«

»Ach, ihr lieben Heiligen der Abtei, hast du jemals so was gesehen! So treibt's also meiner Frauen Gnad!«

»Ei, du Närrchen,« machte die Ältere, »hätte ich überall genauer hinsehen wollen, ich würde mir die Augen wohl längst aus dem Kopf geschaut haben. Doch ich gewöhnte mir beizeiten das Blindsein an und bin bei solchen Sachen taubstumm wie ein roter Ackerstein, obwohl die wüsten Klatschweiber der Zünfter sagen, ich hätte mir den Schnabel glatt abgeschwätzt, er sei früher länger gewesen als eine Brunnenröhre.«

Die andere lachte halbwegs auf.

»Sei doch still und lach nicht so einfältig, sonst glaubt die Gnädige gar, wir reden über sie.«

»Ach was,« gab die Jüngere zurück. »Schau doch hin; sie hört nichts und sieht nichts, so hängt sie dem Pfeifer am Ohr, als wär' er ihr Beichtvater.«

»Sie wird ihm wohl auch artige Dinge erzählen,« machte die Alte. »Aber gottlob, ich brauche sie nicht zu wissen, ich weiß, Gott sei Dank, sonst genug. Die Papiermühle von Basel würde Tag und Nacht gehen müssen, wollte ich aufschreiben lassen, was ich alles noch unter der heikelnäschigen Anastasia und jetzt wieder unter diesem bubensüchtigen und doch so hochnäsigen Wyler Fräulein, das einst auf seinem ärmlichen Burgstall kaum zu essen hatte, erlebte. Die Fische möchten zu reden anfangen und wehe, wehe! rufen, wüßten sie alles was ich weiß. Zuletzt geht es bei uns noch zu wie auf der schwäbischen Alb.«

»Wie ist's denn dort zugegangen?« wunderte die Jüngere.

»Gelt, das wüßtest gern. Du mußt aber die Beichtväter auf der schwäbischen Alb fragen, ich hab's vergessen.«

»Ach mein! So sag's doch, Babeli! Ich sag's keinem Menschen wieder.«

»Meister, oho!«

Laut kam der Ruf vom Steuer her, also daß die beiden Kammerfrauen aufschnellten, wie zwei Katzen, die vom Dach gefallen.

»Jesus, Gott und Heiland!« machte die Ältere. »Was gibt's denn?!«

Jetzt reckten und dehnten sich einige verschlafene Ruderknechte und fahrende Pfeifer und mit einemmale war alles lebendig im Nauen.

Itelschalk, der Gugelpfeifer, kam gegen den Schiffsschnabel geschritten. Auch Ulmann hatte sich rasch erhoben. Aber die Äbtissin blieb ruhig sitzen und schaute fragend nach ihrem ungewohnten Steuermann.

»Meister schau, es brennt ein Licht auf der Lützelau!«

»Ein Licht?«

Ulmann blickte nach seiner kleinen Insel, die langsam näher kam.

Hinter den hohen Weidenbäumen, in der Gegend des zerfallenden Schwesternhauses, war ein Feuer.

»Schaut, schaut, wie's aufgeht!« sagte Itelschalk.

Ulmann wechselte einen raschen, verständnisvollen Blick mit der Äbtissin.

»Gewiß geht es um bei der Ruine,« meinte ein Ruderknecht.

Die Ruderer und Pfeifer bekreuzten sich.

»Laßt uns landen!« sagte jetzt der Pfeiferkönig. »Ich habe dort meine Heimstätte und will wissen, was los ist. An die Ruder, Gesellen, zieht das Segel ein! Seid doch vorsichtig und haut nicht wie toll ins Wasser! Man sieht kaum die eigene Hand vor dem Mund seit der Mond weg ist. Hurtig, hurtig, liebe Gesellen!« Und leise raunte er der Äbtissin im Vorbeigehen zu: »Sie werden wohl schon dort sein, die Ihr erwartet.«

»Doch war es unvorsichtig von ihnen, solch ein Feuer aufgehen zu lassen,« gab sie flüsternd zurück.

Itelschalk stellte sich auf den Schiffsschnabel und bald strich der schwere Nauen durch's Schilf und fuhr in die kleine, von ehrwürdigen Baumältesten überwölbte Bucht des Eilandes.

Schon knirschte der Ufersand unter dem anstoßenden Schiff und Itelschalk sprang, gefolgt von einigen Pfeifern, ans Bord. Jetzt wollten auch des Klosters Ruderknechte ans Ufer setzen.

»Halt, Gesellen!« gebot Anna von Hewen. »Ihr bleibt hier und tut einen währschaften Trunk bis ich zurückkehre. Ich möchte der Inselschwestern Ruine einen kurzen Besuch machen. Meine Frauen werden euch unterdessen aufwarten. Babeli, Agnes! Ihr findet Speise und Tranksame im Fischkasten.«

Aber die ältere Kammerfrau verlegte sich auf's Bitten; es gelüstete sie auch ans Ufer zu gehen.

»Nehmt uns doch mit, gnädige Frau! Es fürchtet mir so allein auf dem Nauen bei den vielen Männern.

»He wohl,« sagte ein rotköpfiger Ruderknecht, »bleibt ihr nur ruhig da, wir sind ja keine Kindleinfresser. Und wenn wir auch welche wären, Ihr brauchtet Euch trotzdem nicht zu fürchten, denn, will's Gott, Ihr seid ja kein Kindlein mehr.«

Ein nur schlecht unterdrücktes Lachen ging im Schiff um.

»Nehmt mich mit, gnädige Frau!«

Doch diese achtete ihrer nicht mehr. Sie stand auf dem Schiffsschnabel und schaute, mit bedenklich messenden Augen, ins dunkle Wasser, das zwischen Nauen und Ufer quirlend wellte.

»Es ist recht dunkel,« machte sie verlegen.

Da war Ulmann neben ihr.

»Gebt mir die Hand!« bat er hastig. »Ihr möchtet sonst leicht zu kurz springen und ins Wasser fallen.«

Da fühlte sie ihre zarte Hand fest und warm umschlossen und armschwingend wie ein Büblein, das mit seinem Schwesterchen bachspringen will, zählte er: »Eins, zwei, drei!« Ein kecker Sprung – da lagen sie schon weich gebettet im Farenkraut der Lützelau und ein duftendes Haargelock wellte für einen Augenblick über des Pfeiferkönigs Gesicht.

Ein Kichern im Schiff.

Aber blitzgeschwind waren sie aufgesprungen. Und lächelnd, mit ruhiger Hand ihr aufgegangenes Blondhaar in die goldenen Fäden flechtend, sprach Anna von Hewen: »Siehst du, man kommt nicht so leicht in's Pfeiferkönigreich.«

»Verzeiht!« bat Ulmann, »ich tat gar zu ungeschickt.«

Sie sah ihn mit warmen Augen an und sagte: »Nun komm' und laß uns flink nach deinem verhexten Schlosse gehen!«

»Da siehst du nun,« brummte die ältere Kammerfrau im Schiff, »was ihr alles einfällt. Jetzt spielt sie gar mit diesem Landfahrerherzog Versteckens auf dieser verhexten Insel.«

»Und läßt Euch nicht einmal zusehen, geschweige mitspielen,« sagte der rotköpfige Ruderknecht.

Laut lachten des Klosters Knechte auf und die jüngere Kammerfrau lachte, den Fischkastendeckel aufklappend, aus vollem Halse mit.

Bevor aber die Äbtissin das Schiff verlassen hatte, war Itelschalk, der Gugelpfeifer, mit seinen Burschen schon unter den Bäumen verschwunden und in den Busch untergetaucht. Eine Weile schlüpften sie durch den blühenden Wirrwarr stark duftender Gesträuche. Da fiel ein Lichtschein in die Stauden.

»Halt!« gebot Itelschalk. Dann bog er mit beiden Händen das Gestäude zurück und nun wunderten alle in die erleuchtete Lichtung. Da machten sie große Augen. Im mauerlosen Höflein einer Ruine kauerten um ein schwaches Feuer drei unheimliche Gestalten. Ein kleiner buckeliger Kobold mit einer mächtigen Infula auf dem Kopf, streute unter unverständlichem Murmeln ein gelbes Pulver in die Glut. Ein dickes, bauchiges Ungetüm und eine lange rotnasige Mumie kauerten dabei und stierten mit gierigen, sprungfertigen Augen ins Feuer.

Von Gespensterfurcht gepackt, wollten die Gesellen die Haselzweige fahren lassen und sich auf und davon machen.

»Die Schatzgräber!« machte erstaunt der Gugelpfeifer.

Da wurden auf einmal aus den unheimlichen Spukgeistern die drei Spielleute von Einsiedeln: der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein.

Ein schallendes Gelächter ging in die verrauchende Nacht.

Aber Itelschalk brach mit seinen Gesellen aus dem Busch und plötzlich, im vollen Feuerscheine stehend, rief er: »Was hext ihr denn da, ihr alten Narren?«

Wie niedergedonnert glotzten die drei Schatzgräber auf die fahrenden Leute. Da waren sie von ihnen schon umringt.

»Ihr habt gewiß des Pfeiferkönigs Schatz heben wollen,« sagte lachend der Gugelpfeifer, »aber ihr kommt zu spät, liebe Nachteulen, er hat ihn eben aus dem Schiff gehoben. Und meine Sackpfeife wette ich, es dauert kein Vaterunser lang, so kommt unseres Königs Reichsschatz auf zwei Beinen hiehergelaufen.«

Aber jetzt hatte sich der Glückhütlein von seinem anfänglichen Entsetzen erholt. Wie eine Katze, die fauchend einen Buckel stellt, fuhr er den Gugelpfeifer an: »O du verbrannte Gugelhaube, jetzt hast du den Zauber gebrochen!«

Ein gewaltiges Gelächter umrauschte die drei Gesellen.

Da packte es aber den Glückhütlein. Auf sprang er und tanzte um sich selber wie ein gesträubter Igel, dem die Stechfliege am unrechten Ort sitzt.

»Potz Blut, potz Blut!« kreischte er wütend, »das bringt auch bloß ein Gugelpfeifer fertig, einem grad dann einen Stein ins Wasser zu werfen, wenn die Goldfische zugweise ins Netz wimmeln wollen. O du Elsternaug, du Hasenfratz, du Schelm und Spielverderber!«

Erbost wie ein heiratslustiger Witwer, dem die Enkel im Tanzhaus Großvater rufen, hockte er sich wieder ans Feuer nieder und packte seine Mistelstäudlein, Agnus Dei, den Gegenzauber und das sämtliche Zauberwerkzeug zusammen, ohne die wie toll lachenden Gesellen weiter eines Blickes zu würdigen.

»Jetzt kann ich wieder Wasser schlucken,« machte verdrossen, durch seine Posaune nach den Sternen guckend, der Lumpenhütlein. »Und ich sah doch meinen Stern nie heller glänzen als heute Nacht. Des Teufels Schüttsteingesell muß ihn mir zum Possen mit Torfasche geputzt haben. Nichts zu trinken, Bruder?« wandte er sich an einen der Zunächststehenden.

Der Lamphütlein aber äugelte schwermütig nach seinem Nasentröpflein, wie ein Huhn nach dem Schnabel und brummte seufzend: »Es ist halt wie im Traum, wenns am kurzweiligsten werden will, erwacht man.«

Damit streckte er sich am Feuer ins Gras, legte den Kopf auf seine Baßgeige, tat ein paar trockene Schlucker und schloß die weinroten Augen.

»Ihr hext, bis man euch irgendwo den Rauch unter die Nase setzt,« machte der Gugelpfeifer, »aber . . .«

Er verstummte. Im nahen Busch war ein Knacken und Rascheln. Der Pfeiferkönig kam bedächtig, gefolgt von Anna von Hewen, aus dem Gestäude.

»Ei der Gockel,« brummte der Glückhütlein. »Es war mir doch wie vor, da seien Weibsleute im Spiel. Den wollte ich aber sehen, der mit allen Gegenzaubern der Welt wider diese Hexen aufkömmt. Haben kein Haar im Schopf und keinen Faden am Unterrock, der nicht hexen kann. Den größten Zauberdoktor mit dem dicksten Buche überhext das kleinste Mägdlein mit dem dünnsten Augenhärchen. Was sollte da unsereins gegen diese Weltshexen vermögen. O ihr heillosen Nachthauben!«

Jetzt stand der Pfeiferkönig mit der Äbtissin bei den Fahrenden.

Verwundert staunten sie die drei alten Gesellen von Einsiedeln an, denn diese hatten sie nicht am Feuer vermutet. Dann aber verstand Ulmann. »Sie haben hier gewiß nach Schätzen gesucht,« sagte er zu seiner Begleiterin.

Sie lachte kurz auf und sagte freundlich: »Und nun seid ihr schon wieder durch die Frau von der Abtei zu Zürich gestört worden. Tröstet euch, liebe Gesellen! Kommt ihr wieder einmal in mein Haus, werde ich euch auf meine Kosten einen ganzen Abend aus dem Schenkhof der Probstei bewirten lassen.«

»Euer Frauen Gnad,« machte, sich von seiner Baßgeige halbwegs aufrichtend, der Lamphütlein, »Euer Wort in Ehren. Beim heiligen Meinrad und seinen zwei Raben, wir werden es nicht vergessen.«

Sprach's und legte sich ruhig auf die andere Seite nieder.

Hurtige Ruderschläge ließen sich vernehmen.

Blitzgeschwind trat Ulmann das Feuer aus, daß es wirbelnd aufqualmte und gebot streng: »Gesellen, merkt wohl auf: Keiner bewege sich von der Stelle wo er steht oder liegt, bis ich euch anrufe. Itelschalk!« raunte er dann seinem Marschalk zu, »Geh' ans Wasser und führ die Leute in meinen Schlupf. Dann mach' dich davon und halte gute Wacht um meine Behausung.«

Totenstill war es geworden, nur die Ruderschläge kamen näher, und im Gestäude war der rasche Schritt des Gugelpfeifers hörbar.

»Wollt Ihr mir nun folgen, gnädige Frau?«

Ohne weiteres faßte sie fest seine Hand und behutsam führte er sie durch die Ruine.

»Welch eine wunderliche Nacht!« machte sie leise. »Es ist alles wie im Märchen. Ein verwunschenes Eiland, eine sternbeglänzte Klosterruine und eine Äbtissin, die lebendigen Leibes mit einem wirklichen warmblütigen König darin herumspukt.« Ein Auflachen, munter wie ein Glockenspiel im Welschland, ging durch die Ruine. »Nun, ich werde diese Nacht nicht vergessen und wenn ich hundert Jahre alt werde. Und du, mein lieber Gesell?«

Und wärmer faßte sie seine zitternde Hand.

»Hier sind wir,« machte er gedrückt.

Ihm war, er müsse sich den brausenden Kopf einrennen an den kalten Mauern. Langausatmend ließ er die Äbtissin los und tastete an einer Wand herum. Mit einemmale ward es hell, eine rote Ampel flackerte in einer Mauernische.

»Hier ist mein Heim.«

Sie standen im Gewölbe der kleinen Klosterkapelle.

Er wies auf einen hohen, gepolsterten Lehnstuhl.

»Wenn Ihr Euch setzen wollt! Es ist mein bestes Stück. Der Spichwart zu Pfäffikon schenkte mir den alten Prunkstuhl um meiner guten Dienste willen. Nun will ich rasch Itelschalk entgegen.«

Wie er fort war, schaute sich Anna von Hewen neugierig in dem seltsamen Gemache um. Ob dem zerbröckelnden Altar des kleinen Chores hing ein gekreuzigter Heiland. Zu seinen Füßen kniete Maria Magdalena mit dürstendem, halboffenem Munde und weitausgebreiteter Schürze, als wollte sie das Blut aufsaugen, das dunkelrot aus der Seitenwunde Christi zu tröpfeln schien. Um ihr aufgelöstes vergoldetes Haar war ein geisterhaftes Flimmern. Ihre bloßen Füße bedeckte fast ganz ein Strauß von Steinlilien und wilden Rosen. War davon noch ein wundersamer Duft in der Kapelle, wie ein gottwohlgefälliger Gedanke in einem guten Herzen.

Etwas schläfrig ließ sich die Äbtissin auf den Polsterstuhl nieder. Doch kaum wollte sie müde die Hände in den Schoß legen, kamen Schritte gegen die Kapelle.

Sie sprang auf und stand bolzgrad, erwartungsvoll da, eine Fürstin vom blonden Scheitel bis zum kleinen roten Schnabelschuh.

Hastig trat Ulmann ein und stellte sich neben der Türe auf. »Meiner Frauen Freunde!« meldete er kurz.

Aber als jetzt unter dem Spitzbogen der Türe eine hochgewachsene kriegerische Gestalt und hinter dieser noch ein wildbärtiges Gesicht sich zeigten, flog um die scharfgeschnittene Adlernase der Äbtissin ein bezauberndes Lächeln und in ihren Augen war das blaue Leuchten des Zürichsees im Morgensonnenschein.

Leise machte sich Ulmann davon.

Im Vorhöflein der klösterlichen Ruine waren unterdessen die drei Spielleute von Einsiedeln wieder munter geworden, während die andern fahrenden Pfeifer im Busche um sie herum schliefen. Hie und da guckte der Vollmond aus dem Gewölke.

Der Glückhütlein hockte in einem fußlosen Taufsteine wie in einer Pfanne und trug noch immer die Infula auf dem Kopf.

»Gott und Sankt Wolfgang mögen wissen,« machte er, »was in unsere schöne Frau von Zürich gefahren ist; sie treibt's immer dicker. Da spielt sie nun mit unserm Pfeiferkönig ›Büblein, fang' mich!‹ im Gewinkel dieser unfruchtbaren Ruine herum, als wäre sie mit ihm in den Flitterwochen. Obwohl er zwar nur ein Bettlerkönig ist und wir seine Hofmusikanten, so ist er doch glückhafter als der Erzkönig Salomon unter all seinen Weibern, denn es war wohl nicht eine darunter, die nicht lieber mit seinen jungen Pagen, als mit dem alten König ›Fang mich!‹ gespielt hätte. Glück hat er wie ein Herrenkind am Nikolausentag.«

»Du kannst ja des Pfeiferkönigs Hofnarr werden,« machte mit seiner hohen Fistelstimme der Lumpenhütlein, »den Buckel hast du bereits und eine Narrenkappe trägst du Sommer und Winter, auch wenn keine Schellen dran hängen. Ich meinerseits zöge vor, beim Probst am großen Münster zu Zürich Schenkhofer zu werden.«

»Spar' deinen Witz, mein Lieber!« sagte der Glückhütlein. »Ich bin, mit Lob, ein gedienter Hofnarr. Bei meinem gnädigen Herrn von Einsiedeln tat ich drei volle Monate Hofnarrendienste und es war mir dabei wohl wie einem Maikäfer im frischen Laub. Aber da lieh mich mein Herr dem Grafen von Monsax, weil der seinen Hansnarren dem Grafen von Brandis verschenkt hatte. Als sich die erlauchte Gräfin jedoch an meinem allzuschwer bepackten Buckel stieß – denn sie erwartete den Klapperstorch – tauschte mich der Herr von Sax gegen den Hansnarren des Toggenburgers aus. So kam ich von einer Burg auf die andere bis nach Feldkirch. Wie mich aber die Schloßknechte auf der Schattenburg immer plagten, wenn sie besoffen waren – und sie waren es immer – und wie mich gar die Frauen der Gräfin in den Garten stellten, als Vogelscheuche gegen die kirschenfressenden Rinderstare, machte ich mich aus diesem langweiligen Leih- und Tauschhandel davon.«

»Darum hast du also den Beruf verfehlt und bist ein Spielmann worden,« lachte der Lumpenhütlein.

»Oho!« machte der Glückhütlein. »Ich sage dir: wenn der Pfeiferkönig es vermöchte, die große Frau von Zürich, dieses schlohweiße, vollbusige Weib zu seiner heimlichen Königin zu machen, ich sattelte wieder um, stände bei der Fürstin ein und zöge die Schellenkappe über die Ohren als ein ordentlicher Narr unter all den unordentlichen und außerordentlichen Erznarren dieser Welt. Heijuppedihee! Es sollte mir keine große Kunst sein, ihre zwanzigjährigen Tischtöchterlein, ohne Guckeguckelöffeleinspiel auf den Knieen, zum Lachen zu bringen. Das junge Weibervolk lacht ja inwendig noch, wenn es auswendig von Tränen tropft. Halt wie bei einem Wirtshaus, wo auswendig alle Dachtraufen gehen und inwendig alles tanzt.«

»Man merkt wohl, daß du ein Hansnarr bist,« sagte der Lumpenhütlein. »Wie sollte dieses stolze Weib, das aufzieht, als hätte sie ein Szepter im Rücken und einen Reichsapfel im Kopf, einen armmütigen Lützelpfeifer zu ihrem lustigen Friedel machen. Er kann ihr höchstens heimgeigen bis vor's stille Kämmerlein, dort aber heißt's: Das Riegelein vür, bleib vor der Tür und wiege deine Liese!«

»Das weiß der Gauch,« machte der Glückhütlein, »bei den Weibern und den Äpfeln weiß man nie genau, wenn sie fallen, wohin sie fallen. Der Mensch kann da Wunder erleben, selbst wenn er mit den Heiden in die Schule gegangen ist. Schau ihr einmal in die Augen. Da steht drin geschrieben: Es hat gottlob genug der Knaben, der mir gefällt, den will ich haben. Die weiß was sie will und will was sie weiß. Glaubst du, ich habe die vornehmen Weiber zur Zeit meiner glorreichen Narretei nicht kennen gelernt? Mein guter Posaunenengel, ich sage dir, diese Weiber stellten die Narren um sich herum auf wie Kegel. Und diese Weibernarren waren mir armem Berufsnarren weit über.«

»Ei, die ist nicht halb so angriffig, wie ihr Bogennäschen dergleichen tut,« warf der Lumpenhütlein ein. »Die ist gewiß von einer kühlen, bedächtigen Rasse, hat mir zu flachsheitere Haare und zu blaue Augen.«

»Was?!« sagte schier beleidigt der Glückhütlein. »Geh' mir mit deinem Flachskopf und deinen blauen Augen. Ich sage dir, diese Art ist die gefährlichste, wie ja auch das Wetter am bösesten umschlägt, wenn wir das sanfte Alpenglühen und eine sternenheit're Föhnnacht haben. Ich sah heute, wie das schöne Weib ein paar Augen machte, als sie mit dem Lützelpfeifer aus dem Gestäude in den Schein des Feuers trat. Sie glänzten dir wie der Widerschein eines im See liegenden Schatzes, der gerne gehoben sein möchte. Wäre ich noch jung, ich wollte ihn dem blöden Lützelpfeifer vor der Nase herauszaubern, denn Gott weiß, was diese Weiber für Gelüstlein haben. Sowieso! Ich wollte ich hätte meinen Hafen voll Goldgulden wieder . . . .«

»Vierundzwanzig Silberlinge waren es und vierzig Heller.«

»Silber oder Gold, es ist verputzt bei Butz und Stiel. Ich wollte, ich hätte das schöne Geld noch und säße damit in Sicherheit bei dem gastlichen Doggen von Gersau.«

»Und ich wollt', ich wäre nie zur Herberge heraus,« sagte, immer wieder trocken schluckend, der Lamphütlein, »oder ich müßte in des Klosters Keller zu Pfäffikon spucken. Ich habe aus dieser verfluchten Insel nun seit heute morgen so viel Wasser gelappt, daß mir wassersüchtiger zu Mute ist, als einer rot- und grüngesprenkelten Laubkröte auf einer heißen Steinplatte. Könnte ich nur dieses heillose Gewäsch wie ein alter Hecht, zum Maul herein und zu beiden Ohren herauslassen. Es ist eine verwässerte, miserable Wirtschaft auf dieser Welt. Mein einziger Trost ist jetzt unsere schöne Frau von Zürich. Zwar nicht um ihres schneetaubenweißen Halses willen, aber weil sie uns einmal im Schenkhof der Abtei nach Tranksame schatzgraben lassen will. Bei den zwei Raben unseres Landespatrons, wir werden es nicht vergessen und müßten wir noch im Fegfeuer die Zungen darnach herausstrecken.«

»Still, ihr alten Toren!«

Itelschalk, der Gugelpfeifer, war in das Höflein getreten.

»Auf und macht euch jetzt schleunigst davon! Es tagt bald und ihr braucht euere Nasen nicht in alles zu stecken. Wie kommt ihr denn hieher? Wo habt ihr euer Fahrzeug?«

»He, hinten an der Insel liegt es im Schilf. Es ist der Fischerkahn eines Seebauern von Ürikon,« antwortete der Lumpenhütlein. »Wir versprachen ihm einen Goldgulden, wenn er uns seinen wurmstichigen Seeholzschuh leihe.«

»Ihr einen Goldgulden?« machte Itelschalk mit großen Augen.

»Ei, diesmal bekommt er ihn freilich noch nicht,« sagte der Lumpenhütlein, »denn wir konnten ja den Schatz nicht heben. So muß er sich gedulden bis wir ihn ein andermal, falls uns nicht wieder diese heillosen Weiber ins Gras laufen, herauszaubern können.«

»Dieser Bauer von Ürikon kann alt werden, bis er zu seinem Goldgulden kommt,« lachte der Gugelpfeifer kurz auf.

Dann horchte er gespannt. »Auf, auf und trollt euch zum Kuckuck! Die gnädige Frau kommt.«

Brummend und halblaut schimpfend, erhoben sich die drei Spielleute und krochen ins Gestäude.

Ging nicht lange, stieß ihr Kahn von der Insel ab und verschwand in der Dunkelheit langsam in der Richtung des Hofes Ürikon.

Bald nachher stiegen Itelschalk und seine Gesellen wieder in der Abtei großen Nauen, worin die Ruderknechte satt und faul herumlagerten. Gleich darnach kam auch Anna von Hewen, die Äbtissin, mit dem Pfeiferkönig zum Schiff. Ihr Angesicht war gerötet und ihre blauen Augen glänzten wie ein stiller Weier im Gewitter.

»Morgen Abend hoffe ich dich mit Botschaft aus dem Tal von Schwyz wieder bei mir,« rannte sie Ulmann zu. »Spute dich, mein Lieber! Es ist noch viel zu tun. Schirm' dich Gott!«

Flüchtig, mit durchdringendem Auge sah sie ihn an. Das Sternlein darin glänzte kühl wie der Morgenstern im Novemberhimmel, aber um ihren Mund spielte ein verführerisches Lächeln.

»Helft mir ins Schiff!« rief sie jetzt.

Nun zog sie der zuvorderst im Nauen bereitstehende Gugelpfeifer sorgsam ins Fahrzeug und da saß sie wieder zwischen ihren zwei Kammerfrauen, die sie und ihren Kopfputz heimlich mit Sperberaugen anschielten.

Anna von Hewen hob den Arm hoch, dem Pfeiferkönig rasch zuwinkend.

»Stoßt ab!« gebot Itelschalk vom Steuer aus.

Und nun rutschte der schwerfällige Nauen knirschend ab dem Sand und glitt schwappelnd durch das Schilf in den offenen See hinaus.

Eine Weile sah ihm der Lützelpfeifer stumm nach. Doch dann eilte er, schwer aufatmend, durch das auseinanderschnellende Gestäude nach dem entgegengesetzten Ufer des Eilandes.

Auch dort hatte eben ein aufrechtstehender Fischer des Hofes Pfäffikon seinen Kahn, in dem zwei dunkle Gestalten saßen, von der Insel abgestoßen und ruderte nun rasch in der Richtung des Speichers von Pfäffikon davon.

»Gott geleit' euch!« rief ihnen Ulmann nach.

»Vergiß nicht, uns gegen Mittag nachzufahren,« rief eine Stimme aus dem Kahn zurück, »denn wir müssen zeitig verreiten, wollen wir vor Nacht durch die Wälder kommen.«

Bald verschwand das Fahrzeug hinter dem Hurdener Steg nach der Insel Ufenau. Noch eine Weile kamen seine Ruderschläge über den See, dann ward es stille.

In schweres Sinnen versunken, ging der Pfeiferkönig nach der weidenüberschatteten Landzunge seiner Insel. Es begann zu tagen.

Dort warf er sich in das Heidekraut und schaute mit träumenden Augen in die Auferstehung des Tages.

Es heiterte immer mehr. In der Ferne, dem burggekrönten Städtlein Rapperswil zu, sah er den klösterlichen Nauen fahren. Er schaute ihm nach, sehnsüchtiger als Noah der Taube, die er aus der Arche nach Land aussandte. Und seine Gedanken liefen dem Schiff auf leisen Spinnenbeinchen nach, unablässig, wie ein Bettlerkind den ausreitenden Herrenleuten.

Jetzt war gegen die Hurdener Schilffelder hinauf im Morgenwind ein Fliehen geisterhafter Nebelhorden. Ihnen nach schwamm es wie mit tausend schneeweißen Armen, als suchten aufgeschreckte Wasserfrauen sich eilig vor dem alles enthüllenden Tag im Schilfe zu verstecken. Wie an einem feuerspeienden Berg hing am Speer ein dräuhender brandroter Rauch. Nun legte sich davon ein Schein auf den See bis an das Eiland als ein feuerfarbener Teppich für den Einzug der nahenden Sonnenherrlichkeit. Im Schilf aber war ein geheimnisvolles Plätschern.

»Ach,« machte Ulmann seufzend, »ich bin wie ein dummes Büblein, das nach dem Stern auf dem Berge läuft und dann mit leeren Händen, blutigen Füßen und weinendem Herzen heimkommt.«

Nun standen die Berge im heitern Tag. Der Speer aber spie nun Feuer aus. Eine glühende Lohe fuhr aus seinem Gipfel und da ward aus ihr mit einem Zauberschlage die strahlende Morgensonne.

Ein Aufflattern im Schilf. Ein Zug Wildenten schwang sich auf und flog gen Rapperswil, das mit seinen Mauern und Türmen eben aus verträumter Dämmerung tauchte. Mit einemmale wandte sich der Zug und flog über den obern Hurdener Steg, durch dessen Pfeiler der hellblaue Obersee schimmerte. Der einschlummernde Pfeiferkönig aber hielt diese Pfeiler für den ersehnten Gatter, der in die blaue, glückselige Ewigkeit hineinführt.

Achtes Kapitel. Im Baumgarten der Äbtissin.

Auf der Schattenburg bei Feldkirch waren zu den großen Trauerfeierlichkeiten alle Verwandten des verstorbenen Grafen Friedrich VII. von Toggenburg nach und nach eingetroffen.

Sie und in erster Linie die verwitwete Gräfin Elisabeth, die sich auf mündliche Äußerungen des Verstorbenen berief, machten Ansprüche an die reiche gräfliche Verlassenschaft an Festen und Ländern. Es fanden sich da ein die Herren von Mätsch, der Gräfin Leute, von Raron, Montfort, Brandis, Monsax und andere. Und bald genug zankten sie sich mit der Gräfin um die von ihr einstweilen übernommene Herrschaft.

Um diese Zeit erschien auch die Fürstäbtissin von Zürich auf der Schattenburg, um gegen Bürgermeister Stüssi zu intriguieren. Dieser war bald nach ihr verritten, als er vernahm, wohin ihre Seefahrt ging. »Jetzt ist's Zeit, daß Ihr reitet,« sagte der Stadtschreiber Graf zu ihm, »sonst jagt uns die Füchsin den Hasen in die unrechte Küche.«

Bald befand sich Stüssi im Gaster, einem Land des verstorbenen Grafen und suchte die Landleute ohne weiteres zu veranlassen, Zürich zu huldigen, da die Stadt nun, nach des Grafen zürcherischem Burgrecht und Versprechungen, dieses verpfändete Gebiet, wie noch anderes, einlösen könne. Aber dort ward ihm die Huldigung verweigert und im Herbst des gleichen Jahres wurden die seinerzeit von Österreich an den Grafen verpfändeten Herrschaften, dessen Herzog von der Gräfin Elisabeth, mit Einverständnis der Verwandten, zurückgegeben. Damit war Stüssi vom Herzog von Österreich in diesen Landen aus dem Feld geschlagen.

Von da an beobachtete der Bürgermeister die heimgekehrte Herrin am Fraumünster mit immer mißtrauischeren Augen, denn, sagte er sich, sie werde kaum zu ihrem Vergnügen oder aus bloßer Anteilnahme an der Trauer der Gräfin, nach der langweiligen Schattenburg geritten sein. Und sein Mißtrauen ward noch gesteigert, als man ihm zu wissen tat, wie ungewöhnlich fleißig die Äbtissin ihren Hoffidler, den Pfeiferkönig, gen Einsiedeln in das Schwyzergebiet schicke. Aber da sie ihrem warnenden Ammann bedeutete, ihr Spielmann geleite als ehemaliger Mann jenes Gotteshauses, nur ihre Flachs- und Reistensendungen nach der Waldstatt, wo sie weben lasse, durfte man ihr laut nicht zuviel nachreden. Doch erhielt sich in der Stadt das Gerücht, der Pfeiferkönig wandere über Einsiedeln bald nach Schwyz an die Kilchgaß, bald nach Glarus und an aller Herren Höfe. »Was er von der Fraumünsterabtei fortträgt, ist allweg nicht immer nur gesponnener Flachs,« meinte der Stadtschreiber, »sondern eher sind's gesponnene Netze, um darin die Zürcher abzufangen, wenn sie auf's Erben ausgehen.«

Wirklich schienen Anna von Hewens unablässige Bemühungen und Ränke aller Art dahin zu gehen, die Gräfin Elisabeth, wie es ihr mit den übrigen Erben des Grafen gelang, – auch noch zu Gunsten von Schwyz zu stimmen. Denn nun hatte sie sich an Schwyz herangemacht, um diesen einzigen tatkräftigen Erben nach Österreich, zum äußersten Widerstande gegen Zürich aufzuhetzen. Dies gelang um so leichter, als Ital Reding, der Schwyzer Landammann, auf die stets zunehmende Herrlichkeit Zürichs und die Macht seines Bürgermeisters eifersüchtig war und alles einzusetzen anfing, um auf Zürichs Kosten sein Land zu mehren und dem übelgelittenen Gegner Stüssi die saftige Beute vor dem Munde wegzuschnappen. Denn als nun die Gräfin Elisabeth zwischen Zürich und Schwyz hin- und herzuschwanken begann und Stüssi, hartköpfig, wie er war, von einem Ausgleich mit Schwyz nichts wissen wollte und die beanspruchten Talschaften des Toggenburgers zum Huldigungseid ausrief, kamen ihm die Schwyzer mit dem verbündeten Glarus zuvor. Es gelang ihnen, mit den zaudernden Völkerschaften des Toggenburgs auf einer Landsgemeinde zu Wattwil ein ewiges Landrecht einzugehen und zwar nur wenige Stunden bevor auch Stüssi zur Abnahme des Huldigungseides im Toggenburg erschien.

Da ergrimmte der heftige Stüssi und schwor laut darauf, er sei nur deswegen zu spät ins Toggenburg gekommen, weil der Führer der Schwyzer von der Abtei am Fraumünster aus zu früh Wind bekommen habe.

Jetzt begann er die Äbtissin wahrhaft inbrünstig zu hassen, aber auch zu fürchten, denn er wußte wohl, wie die stolze und kluge Frau von ihm und seiner Volksherrschaft dachte und was sie zu seinen Gegnern trieb.

Zu gerne hätte er ihre Wühlereien gegen seine Politik aufgedeckt, aber ihr schlauer Kundschafter vereitelte alle derartigen Bemühungen. Ein Anschlag, den Pfeiferkönig einmal bei einer Wanderfahrt aus dem Wollishofertörlein von einigen vermummten Schwertlern z. Schneggen in einem Hohlweg überfallen zu lassen, um ihm seine Botschaften abzufangen, mißlang, da sich schon bei seinem Austritt aus der Stadt allerlei verdächtige Gesellen zu ihm schlichen und ihn wie eine Leibwache umgaben. Und weil die Schildner mit diesen geringen Leuten keinen Kampf eingehen, noch sich erkennen lassen mochten, blieb er unbehelligt.

Bald darnach ließ Bürgermeister Rudolf Stüssi seine Leute in Waffen an die Grenzen der streitigen Landschaften ausziehen. Nun rückten auch die Schwyzer mit ihrem Banner aus und besetzten ein Städtlein jenes Gebietes.

Anna von Hewen, die mit Sehnsucht den Krieg zwischen Zürich und Schwyz herbeiwünschte, jubelte aber zu früh. Die andern Stände der Eidgenossenschaft suchten zu vermitteln. Sie rieten den Parteien, Zürich und Schwyz möchten die von ihnen beanspruchten Gebiete des Toggenburgers gemeinsam übernehmen. Aber Stüssis Feuerkopf wollte davon nichts wissen. Als Antwort sperrte er den Markt gegen Schwyz und Glarus.

Jetzt konnte die Äbtissin am Fraumünster auch keine Gespinnste mehr nach Einsiedeln schicken und nur mit aller List und Unerschrockenheit gelang es dem Pfeiferkönig heimlich aus der Stadt und mit wichtiger mündlicher Botschaft nach Feldkirch auf die Schattenburg zu kommen.

Diese Botschaft aber riet der Gräfin Elisabeth unter anderm, den für sie so lästigen unehelichen Sohn ihres verstorbenen Herrn nach Schwyz schaffen zu lassen und diesen, Hans von Toggenburg genannten Burschen, dort, fern genug von ihr, als Landmann aufnehmen zu lassen. Dies und anderes gefiel der bedrängten und der ewigen Plakereien müden Gräfin so gut, daß sie bald darnach den natürlichen Sohn des Grafen nach Schwyz sandte und mit ihm, gleichsam als Einkauf, die Mitteilung, daß sie im Einverständnis mit ihren Verwandten für sich und ihre Länder mit Schwyz und Glarus ein ewiges Landrecht eingehe.

Jetzt waren Schwyz und Glarus tatsächlich Eigentümer der beanspruchten toggenburgischen Länder.

Das war für Zürich und seinen mächtigen Bürgermeister eine gewaltige Niederlage. Beim Abendtrunk auf dem Schneggen ließ der gereizte Stüssi deutlich durchblicken, daß er der Frau an der Abtei die Schuld an diesem Abkommen beimaß. Allein zu laut durfte er auch jetzt nicht werden, denn als man ihren Spielmann eines Tages außerhalb der Stadt doch abfing, fand man keinerlei Botschaft auf ihm. Und zudem zieh ihn Bürgermeister Meiß, der unablässig in der Ratsstube mit seinen Parteigängern für einen gütlichen Vergleich mit Schwyz eintrat, der bösen lügenhaften Nachrede, als er Anna von Hewen als Verräterin verdächtig zu machen suchte.

Aber nach längerer Zeit, als der Schaden den Zürich erlitten, von der Bürgerschaft so recht erfaßt wurde, mußten alle Gegner Stüssis verstummen. Eine wahre Wut packte das Volk. Rudolf Stüssi und sein sog. böser Geist, der Stadtschreiber Graf, hetzten und schürten. Vergeblich setzten die andern Eidgenossen Vermittlungstage an, umsonst wagte Rudolf Meiß im Rate für die Vermittlungsvorschläge der Eidgenossen einzustehen und von einem gefährlichen Bruderkriege in fast anklagender Rede abzumahnen. Er mußte zuletzt schweigen, man schwang drohend die Fäuste gegen ihn. Und als er das Rathaus verließ, rief ihm ein betrunkener Schwertler aus dem Schneggen zu: »Herr Ritter, wenn Ihr für meiner lieben gnädigen Frauen Kindlein einen Pathen sucht, so wüßte ich Euch keinen, der es williger wäre, als der Hirtenkönig in Schwyz, der Ital Reding.« Ein wildes Auflachen hallte ihm nach.

Von dieser Zeit an ward Herr Meiß nie mehr recht heiter. Auf seine schöne Stirne begann allmählich die Schwermut ihre Schatten zu legen. Aber Anna von Hewen suchte ihn immer wieder aufzurichten. Sie liebte ihn und gedachte, ihn doch noch für ihre Absichten zu gewinnen, denn er und die alten Geschlechter sahen mit Bangen, wie die übermächtig gewordene Demagogenherrschaft Stüssis und Grafs zum Bruche mit der ganzen Eidgenossenschaft trieb. Der Krieg mit Schwyz war unvermeidlich und er kam dann auch plötzlich zum Ausbruch.

Nach einer kleinen Schlappe der Zürcher am Etzelberge ging die Stadt zwar, zum Schrecken der Äbtissin am Münster, einen Waffenstillstand ein. Aber als der heftige Rudolf Stüssi auch jetzt wieder alle Vermittlungsversuche der übrigen eidgenössischen Orte fast verhöhnte, nahmen die Schwyzer den Kampf neuerdings auf.

Da rückte der Bürgermeister von Zürich mit Macht aus, um von dem klösterlichen Speicherturm zu Pfäffikon aus ins Land der Schwyzer einzubrechen. Er hoffte auf die Neutralität der höhnisch zurückgewiesenen Eidgenossen und glaubte in diesem Falle mit seinen sechstausend Mann die Schwyzer erdrücken zu können.

Es war einige Jahre nach dem Spielmannstag, im Spätherbste des Jahres 1440, als die Zürcher Fahne nach Pfäffikon ausrückte.

Voll heimlicher Angst hatte Anna von Hewen in jenen Tagen ihren getreuen Kundschafter ausgesandt, die Gegner zu beobachten und ihr sobald als möglich Bericht zu bringen. Der Sieg Stüssis müßte auch für sie eine Niederlage bedeuten. Sie hatte für diesen Fall sogar die Flucht im Auge. Doch ging sie gewohnterweise ihrer Wege und war sorglich bemüht, ihre schweren Gedanken niemand merken zu lassen.

Es war ein wundervoller Nachmittag im Spätherbst.

Das Tor des Früchtehauses der Abtei stand offen. Die Klosterknechte hatten eben die letzten Zehnten an Kernen und Haber und einige andere Gefälle an trockenen und nassen Früchten von des Gotteshauses Dinghöfen untergebracht, denn es war anfangs Wintermonat.

Unter der dämmerigen Vorhalle mit den drei mächtigen Säulen stand noch ein gewaltiger Korb voll goldener Usteräpfel von Egg ob dem Greifensee. Und daneben ein umfangreicher Korb voll Walnüsse aus dem Tale von Schwyz. Daran reihte sich noch ein stattlicher Korb voll kleiner, tiefblauer Trauben, ein Geschenk des neuen Abtes Rudolf von Monsax von Einsiedeln, ab seinem Weinberge zu Freienbach.

Eben waren die Mägde der Abtei damit beschäftigt, die schönen Früchte in kleinen Meßkörben ins Vorratshaus zu tragen und da zu versorgen.

Anna von Hewen half selber mit. Sie wäre aber kaum aus den andern als die Äbtissin zu erkennen gewesen, denn sie trug ein Gewand von großer Einfachheit. Aber die goldene Welle ihrer Haare und vor allem die entblößten Arme und der weiße, von einem goldenen Kettlein umschlungene Hals, verrieten sie. Er gab jetzt einen rosigen Schein.

Mit den Mägden um die Wette, trug sie ihr volles Körbchen ins geräumige Vorratshaus, hin und wieder im Vorbeistreifen ein Träubchen pickend oder mit ihren lachenden Zähnen eine Nuß knackend, wobei sie glühendrot wurde, wollte sich ein Nüßlein nicht gleich aufbeißen lassen.

Vor dem Früchtehaus, über dem Baumgarten, worin der Wachtturm der Äbtissin im Mauerring der Stadt stand, schien die milde Spätherbstsonne.

Die meisten der hohen, weitauslangenden Nußbäume und die krausen Äpfelbäume trugen noch ihre welkenden Blätter, aber ihre Laubkronen waren nicht mehr undurchdringlich. In ihren Schatten zitterten schon, wie goldflüglige Falter, die Sonnenstrahlen. War es aber einen Augenblick windstill, erschienen die Schatten der Bäume mit goldfarbenen Laubblättern gesprenkelt und hin und wieder geriet eine Ameise, verwundert die winzigen Fühler hebend, in den zitternden Goldstaub dieser Strahlentapfen. Die singenden Gartenmücken aber versammelten sich ob den glänzenden Tanzplätzchen und ließen sich in sorgenlosem Tanze die feinen Flügelchen durchleuchten, also daß auch das geringste schöner anzusehen war, als das größte buntfarbige Kirchenfenster.

Unter den Bäumen war ein lautes, frohes Treiben. Die Tischtöchter der Abtei tanzten Ringelreihen und sangen mit hellen Stimmen:

Frau Königin schlief unterm Baum. Titilatileia! Da hatt' sie einen schönen Traum. Titilatilo.

Ihr träumt' von einem braunen Knab.
 Titilatileia!
 Der stieg zu ihr vom Baum herab. 
Titilatilo.

Er herzte sie im grünen Gras.Titilatileia!
 Der König bei dem Weine saß.Titilatilo.

Und als die Glocke Zwölfe schlug,- 
 Titilatileia!
 Da hat der König doch genug.
 Titilatilo.

Frau Königin zum Schlosse ging.Titilatileia!
 Wo hast du meinen gold'nen Ring?
 Titilatilo.

Und als du bei dem Weine warst, –
 Titilatileia!
 Da schlief ich ein im grünen Gras. 
Titilatilo.

Und als du saßest bei dem Wein, –
 Titilatileia! 
Holt' ihn vom Baum ein Vögelein.
 Titilatilo.

Dann lachten sie übermütig auf und rief eine: »Fang mich, fang mich!« Und in atemloser Hast wirbelten sie um die Baumstämme.

»Du bist's!« schrie die jüngere Elsbeth von Wißenburg und klopfte Anna von Thengen auf die Schulter: »Nein du!« lachte diese auf und tätschelte die ältere Elsbeth blitzgeschwind auf den Rücken. »Nein du!« machte diese und faßte die kleine Verena von Monsax im flatternden Haarschopf. Ein gellender Aufschrei, die andern stoben von ihr weg und umtanzten sie neckend.

»Was gibt's denn?« rief die Äbtissin aus der Vorhalle des Früchtehauses.

»Ach, sie haben mich so im Haar gerissen,« gab Verena zurück und begann ihre etwas zerzauste, dunkle Haarwelle in Ordnung zu bringen, dabei ließ sie aber ihre schalkhaften, warmen Augen aufmerksam rundum gehen. Und wie ihr die jüngere Elsbeth nahe genug schien, haschte sie nach ihr, und da ihr der Griff mißlang, jagten sie beide auf die offene Türe des Hauses der Äbtissin zu.

Flink, wie ein Füchslein in die Grube, schoß die jüngere Elsbeth in den Klostergang hinein, die schwere Türe hinter sich zuschmetternd. Eine Weile versuchte Verena sie aufzudrücken, sie schien aber verriegelt und gab nicht nach.

Es wird ihr im dunkeln Gang schon verleiden, dachte die kleine Monsax und drückte sich nebenher an die Mauer, mit Sperberäuglein nach der Türe guckend.

Schon wollte ihr das Postenstehen zu langweilig werden, um so mehr, als sie die beiden andern Gespielinnen wieder zu umhüpfen begannen. Aber plötzlich horchte sie auf und stand bolzgrad, sprungfertig und mit weitausgebreiteten Armen da.

Die Türfalle klinkte, jetzt ging die Türe und: »Heilige sankt Regula!« schrie er auf, – die kleine Monsax hatte für einen Augenblick Ulmann, den Pfeiferkönig, umarmt.

Ein tolles Auflachen war im Hofe und kichernd sprang nun auch die jüngere Elsbeth an ihr vorbei aus dem Gang, sie im Vorbeihuschen am dunkeln Schopf zupfend. »Fang' mich, fang' mich!«

Aber in unsäglicher Verwirrung stand Verena da, blutrot über und über, die Arme noch halbwegs ausgebreitet.

»Vergebt, mein Fräulein!« sagte jetzt mit etwas verlegenem Lächeln Ulmann. »Ihr seid diesmal an den Unrechten gekommen. Und,« setzte er bei, »eigentlich doch nicht, denn ich habe Euch viele herzliche Grüße von Euerm Verwandten Abt Rudolf, meinem neuen Herrn von Einsiedeln. Ich traf ihn in seinem Speicher zu Pfäffikon. Und nun könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo meiner Frauen Gnad sich befindet.«

Verena vermochte nicht sogleich zu antworten und erstaunend sah Ulmann ihre Augen voll Tränen stehen.

»Sollte ich Euch weh getan haben?«

»Nein, nein,« machte sie jetzt halblaut und zeigte rasch nach dem Früchtehaus. »Schaut, dort ist unsere Frau Mutter!«

Nun wurde Verena von ihren verwunderten Gespielinnen umringt. Sie wollten durchaus wissen, was sie auf einmal habe und warum sie wegen einer solchen Kleinigkeit, wie dieser Mißgriff es war, weine.

Ulmann aber schritt hurtig auf das Früchtehaus zu, die Äbtissin zu suchen.

Doch diese hatte ihn schon gesehen, denn sie war Zeuge der uufreiwilligen Umarmung bei der Türe des Gebäudes der Äbtissin.

»Hier bin ich!« rief sie Ulmann zu. »Beeil' dich, beeil' dich!«

Mit flinker Hand hatte sie ihr Haar geordnet, den Rock ein paarmal tüchtig geschüttelt, ein welkes Apfelläubchen vom Busen gelesen und begann jetzt, nicht allzu eilig, ihre zurückgestülpten Ärmel nach vorne zu ziehen.

Mit welcher Sehnsucht hatte sie ihres Kundschafters geharrt! Sie meinte, den Abend nicht erleben zu können, so peinigte sie das Verlangen zu wissen, was Stüssis kriegerischer Auszug gegen die Schwyzer für einen Ausgang genommen. Um sich den Tag nach bestem Vermögen zu verkürzen, hatte sie sich daher beim Früchtehaus zu schaffen gemacht und von Zeit zu Zeit für den Sieg ihrer Freunde gebetet. Und nun kam endlich ihr heißersehnter Kundschafter. Jetzt aber begann sie zu zittern und wünschte fast den getreuen Boten wieder über alle Berge, denn sie fürchtete seinen Bericht. Was hing für ihre Pläne nicht alles von dieser Botschaft ab, von Stüssis Sieg, von Stüssis Niederlage.

Wie er aber näher kam, begannen ihre Augen gierig nach ihm zu angeln und zu zangeln und suchten herauszuziehen, was er unter seiner ruhigen Miene verbarg.

»Willkommen, mein Freund, willkommen!«

»Gott zum Gruß, gnädige Frau!«

Jetzt stand er bei ihr.

»Was bringst du mir?« fragte sie in leiser Hast.

»Gute und wichtige Botschaft.«

Das Vesperglöcklein läutete.

»Kinder!« rief die Äbtissin in den Baumgarten. »Es läutet zur Vesper. Geht, geht, mit dem Magister die Vesper zu singen!«

Sogleich, aber langsam, Verena von Monsax in der Mitte, machten sich die Fräulein in die Abtei.

Anna von Hewen aber hatte auch die Mägde weggeschickt und dann ihren Kundschafter unter die dämmerige Vorhalle gezogen.

»Jetzt sind wir allein. Und nun erzähle, erzähle! Gute Nachrichten, sagst du? Ich sterbe vor Neugier. So rück' doch aus, rück' aus!«

»Ja, meiner Frauen Gnad, lauter gute Botschaft,« machte er. »Ihr wißt, daß Bürgermeister Stüssi mit einer ganzen Flotte von Kriegsnauen den See hinauffuhr. Zu Pfäffikon beim festen Speicher landete er. Er gedachte dort die nahenden Schwyzer zu erwarten. Er meinte, es nur mit ihnen wagen zu müssen. Ich saß im Speicherturm bei dem alten Spichwart und sah ihn landen.« Der Spielmann atmete schwer auf und fuhr sich über den verschwitzten Kopf. »Verzeiht, ich habe mich etwas beeilt.«

»O ja, verschnauf' dich ein bißchen, lieber Freund! Ich habe das in meiner Aufregung gar nicht beachtet,« sprach sie und strich ihm mit ruhiger Hand die braunen Locken aus der feuchten Stirne zurück.

»Da auf einmal,« fuhr er blutrot weiter, »kamen aus dem Lager der Eidgenossen von Uri, Unterwalden, Luzern und Zug Boten in das zürcherische Lager und meldeten, daß sich ihre Leute, nachdem Bürgermeister Stüssi jeden wohlgemeinten Schiedsspruch mit den Waffen in der Hand mißachte und verhöhne, auf Seite der Schwyzer geschlagen hätten. Sie lassen Zürich absagen und der Stadt auch ihrerseits Fehde ankündigen.«

Ulmann atmete wieder lange aus. Aber Anna von Hewen erfaßte ungeduldig seine Hände und sie ungestüm pressend, machte sie: »Rede, rede!«

»Da war es, als hätte der Blitz ins Lager geschlagen. Über die Zürcher, die unter sich selber uneins waren, – denn Herr Meiß wollte den Schiedsspruch der Eidgenossen annehmen, – kam ein gewaltiger Schrecken. Und obwohl die Schildner zum Schneggen, die tapfern Schwertler und die Bogenschützen fluchend den Kampf verlangten, schifften sich Stüssi und seine erschrockenen Zünfte und Stadtknechte schnell ein und fuhren mit vollen Segeln, ohne einen Schwertstreich gewagt zu haben, über den See, als fürchteten sie, die Schwyzer und ihre Eidgenossen könnten ihnen wie der Heiland über das Wasser nachlaufen. Sie müssen bald hier sein.«

Stumm, gierig wie ein Hermelin am Hafen, hingen ihre Augen an seinem Munde. Es war, als könnte sie's nicht fassen.

»Bursche, Ulmann, hast du auch recht gesehen?«

»Ja, Euer Frauen Gnad. In wilder Flucht kommen sie den See hinunter.«

»Rudolf Stüssi, der Prahler, Graf, das Tintengifthäfelein von Stockach, die stolzen Schwenden, der dreiste Uli von Lommos, der grobe Hans Asper, sie alle auf der Flucht?! –«

»Ja, sie alle, alle und sechstausend Mann mit ihnen.«

Jetzt ließ sie seine Hände fahren, faltete die ihrigen, blickte aufwärts und sagte halblaut: »Der Himmel will, daß mein Wille geschehe. So helfe mir Gott, daß Hewens Sternlein steige!«

Dann bedeckte sie für einen Augenblick das Gesicht, aber als sie wieder aufschaute, brannten ihre Augen wie blaue Schmidtenfeuerlein, und auf ihrem erhitzten Gesicht leuchtete ein Lächeln und wollte nimmer und nimmer auslöschen.

»Jetzt mag dieser Grillenhans an der Probstei, der Chorherr Hämmerlin, die Schwyzer mit seinem Gänsekiel verspotten und die Stadtweiber mögen ihre Hauben vor den Mund und die Augen binden,« murmelte sie. »Stüssi, der Großhans und sechstausend Zürcher sind vor den Länderbauern davongelaufen, bevor die nur zum Kampf aufgestanden. Welch eine offene Schmach für die ungeschlachten Leineweber und buntriechenden Grempler! Welch ein heimlicher Triumph für die verhaßten Stadtjunker, und gar für mich, für mich!«

Jetzt wandte sie sich plötzlich wieder an den stumm nach ihr staunenden Spielmann, faßte ihn bei beiden Händen, schüttelte sie und sagte, herzlich auflachend: »Du bist wohl totmüde, mein trauter Freund? Hast dich arg abhetzen müssen.« Sie sah sich mit geschwindem Blick ringsum. »Komm', komm', mein vielgetreuer Bote! Ich will dich für's erste ein wenig erlaben.«

Und sie führte ihn an der Hand zu dem Korb mit den kleinen dunkelblauen Trauben.

»Nimm, mein Lieber, nimm!« lud sie mit bezauberndem Lächeln ein und hielt ihm mit zwei Fingern eine Traube vor die Augen: »Schau, wie frisch! Der Duft der Herbstsonne liegt noch auf den Beeren. Und so süß sind sie, so süß, wie, ja wie – nun sag', wie süß denn? So süß wie, so süß . . .«

»Wie die Liebe,« machte er mit zitternden Lippen.

»Ja, ja, du Schalk!« lachte sie. »Das war nicht schwer zu erraten. Nimm, nimm!« Sie schob ihm eine Beere in den Mund. »Also du weißt auch, daß die Liebe süß ist? Ei, ei, wer hat dir's denn gesagt?«

»Das Herz,« machte er.

»Das Herz? – Magst du lieber Nüsse aufbeißen? Da sind welche in Hülle und Fülle. Stopfe dir die Taschen damit voll, mein lieber, rotwangiger Nußknacker! Deswegen gibt's doch Kernenbrot auf Weihnachten. Doch nein, komm', von diesen goldenen Äpfeln sollst du essen.«

Sie nahm ihn wieder bei der Hand und führte ihn zur halbgeleerten großen Äpfelzeine.

»Sind das nicht Goldäpfel?« sagte sie und setzte sich auf eine Seite der Zeine. Aber rasch sprang sie wieder auf, denn der große Korb begann nach ihrer Seite zu hälden und die Äpfel wollten herauskugeln.

»Setz' dich auf die andere Seite, Bursche, dann kann der Korb nicht umleeren.«

So setzten sie sich beide in die Äpfel. Sie griff einen heraus und hielt ihn ihm hin: »Nimm, mein Lieber, nimm!«

Er nahm den Apfel, dankte und schaute mit leuchtenden Augen auf ihr rundes, schneeweißes Handgelenk, denn ein Ärmel war noch immer etwas zurückgestülpt. Er vergaß zu essen.

»Was du für ein scheuer Knabe bist!« sagte sie lächelnd und legte die Äpfel auseinander. Dann wählte sie einen besonders schönen aus, warf ihn wie einen Ball in die Höhe, fing ihn wieder auf, tätschelte ihn allseitig liebevoll und mit einemmale schaute sie Ulmann groß an. Da war ihm wieder, er sehe in ihren Augen das nackte Hexlein hinter einer Kapelle neugierig hervorgucken, wie damals, als er sie das erstemal sah.

Sie hielt ihm den Apfel hart vor die Augen.

»Schau, was das für ein prächtiger Apfel ist! Komm', wir wollen ihn miteinander essen. Wer das erste Kernlein erwischt, darf einen Wunsch tun.«

Sie biß kräftig in den Apfel und dann hielt sie ihm den Mund hin, einen kleinen Bißen zwischen den blinkenden Zähnen und ein Lächeln um die Augen, wie ein Hochsommermorgen um einen blauen See.

»So beiß doch an!«

Bebend vor Glückseligkeit, neigte er sich zu ihr und berührte mit zitternden Lippen den Apfelbissen.

Einen Augenblick schaute sie ihm schier erstaunt ins braune Auge, das ein einsamer Strahl der scheidenden Abendsonne verklärte. Der Apfelbissen fiel aus ihrem Munde.

»Du hast ein Kernlein an der Lippe!« machte sie kichernd. »Nun sag', was wünschest du dir?«

»Küsse mich!«

Da schloß sie ihm den Mund mit einem langen Kusse.

»Jesus, was gibt's denn?!«

Ein lautes Pochen war am Gartentore.

Anna von Hewen war aufgesprungen.

Wieder klopfte es polternd ans Tor. »Macht doch auf, potz Hagel!« lärmte es, »wir haben Eile!« Und nun hämmerte es auf's Gartentor wie auf einen Ambos.

»Welche Frechheit!« machte zornig die Äbtissin. »Wer wagt es denn, unsern Klosterfrieden also zu verbrüllen?! Bleib hier!« befahl sie, als Ulmann Miene machte, ans Tor zu laufen. »Bleib hier hinter den Säulen der Vorhalle. Ich will jetzt nicht, daß man dich sieht. Gehorch!«

Er stellte sich hinter eine der breiten Säulen. Die Äbtissin aber schritt zornrot, aufrechten Ganges, auf das Gartentor zu, im Gehen flink einen Apfelkern vom Munde wischend.

Aus dem Gebäude der Äbtissin kamen schon Ruodi Schultheß, der Zoller und sein Knecht, Stefan Murer, meiner Frauen Pelzmacher und Hans Eigen, meiner Frauen Leibschneider, gelaufen.

Eben hob die Äbtissin eigenhändig den schweren Nachtriegel.

Knarrend ging das Tor auf und ein Ratsknecht plumste in den Garten herein. Aber hinter ihm stand, umgeben von einigen schwerbewaffneten Stadtknechten, des regierenden Bürgermeisters Sohn, Hans Stüssi, in voller Kriegsrüstung. Sein vergoldeter Helm glänzte und gleißte in der Abendsonne wie der Blitz, und sein versilberter Panzer wie ein Nordlicht. An Federn schien er alles auf dem Kopfe zu haben, was im Zürichgau von Pfauen und anderm vornehmem Gevögel aufzutreiben sein mochte. Sein Schwert war fast länger als die Lanzen der Stadtknechte und doppelgriffig. Kurzum, es sah aus, als stände der torhütende Erzengel Raphael an der Pforte.

Einen Moment stand Anna von Hewen stumm vor Überraschung vor dem kriegerischen Aufzug und auch der junge Stüssi und seine Kuechte machten große Augen auf die Äbtissin, die sie zuletzt hinter dem Tore vermuteten. Doch die Verblüffung der Frau dauerte nicht lange.

»Um Gottes und Mariä willen, was fällt Euch denn ein, Herr Stüssi, mir so ins Haus zu fallen? Wollt Ihr mir Fehde ansagen?«

»Vergebt, gnädige Frau!« sagte mit etwas befangenem Lächeln, Hans Stüssi. »Aber ich habe von meinem Vater, der ja der Stadt erster Hauptmann ist, den Befehl, während seiner Abwesenheit alle festen Türme mit ständigen Wachen zu besetzen, weil man nie wisse, was noch werden könne. Und da ich Eile habe, wollte ich die vier Mann für der Äbtissin Turm rasch abgeben, um mit den andern weiter zu kommen.«

»Wie, in den Turm hier in meinem Baumgarten will Euer Herr Vater jetzt Leute legen? Fürchtet ihr schon, die Eidgenossen könnten Euch eines Tages über die Mauern steigen? Nein, mein Herr, das kann ich so ohne weiteres nicht zugeben. Zieht in Gottes Namen nur weiter, ohne Ratsverfügung lasse ich keine Stadtknechte in die Abtei.«

Der junge Stüssi lächelte seltsam und zog seine zierliche Schnurrbartspitze in den Mund.

»Ich habe den Hartmannsturm, den Schrättelisturm, den Augustiner, den Turm im Kratz besetzt, ich werde auch den Turm der Äbtissin besetzen, wie noch alle andern. Für meines Vaters Willen gibt es im Stadtring keine besondern Türme und Mauern, er bricht durch. Also sperrt Euch nicht, gnädige Frau Äbtissin, und gebt Raum!«

»Herr Stüssi, Ihr werdet grob und gebt mir damit das Recht, mit Euch deutlicher zu reden. Gut denn: Hier bin ich Herrin und dulde keinen andern Willen als den meinigen. Mit einem Wort, ich weiche nur einem zwingenden Ratsbeschluß. Habt Ihr ihn?«

»Nein.«

»So geht!«

»Frau Äbtissin, Ihr beleidigt mich und meinen Vater. So lasse ich mich nicht abfertigen.« Und keck sagte er: »Ich muß in den Turm, es ist ein städtischer Turm. Kommt, Gesellen!«

Uuterdessen waren noch andere Klosterleute herbeigeeilt. So Heini Biedermann, der Klosterschaffner, der alte Custos, der Chorherr, mit den Hofkaplänen Lienhart und Etter, auch des Gotteshauses Bäckermeister aus dem goldenen Winkel mit seinen Gesellen. Zu ihnen schlich sich nun auch Ulmann, der Pfeiferkönig, den es hinter der Säule nicht länger litt. Der junge Stüssi hatte ihn wohl bemerkt und ein böses Feuerlein kam in seine Augen.

»Wagt's!« machte eben, glühend vor Zorn, die Äbtissin. »Zwar täte es mich nicht sonderlich wundern, denn die Gräfin von Toggenburg erzählte mir vor nicht allzuferner Zeit recht ausführlich, was zwar die ganze Stadt weiß, wie liebenswert Ihr Euch auf der Schattenburg aufführtet. Seither hatte des seligen Grafen Freundschaft mit unserer Stadt einen Riß.«

»Gehässiger Weiberklatsch,« machte Hans Stüssi kurz und stieß einen der Stadtknechte an: »Rück' vor!«

Wirklich wollte ein alter Stadtknecht an der Äbtissin vorbei gegen den Turm gehen.

Da packte ihn Ulmann und warf ihn also unter die andern Knechte zurück, daß ihm die Sturmhaube vom Kopfe flog und eine leuchtende Glatze zum Vorschein kam.

Laut auf lachten die Gotteshausleute. Auch um die Mundwinkel der Äbtissin zuckte einen Augenblick etwas wie ein Lachen. Sie wandte sich jedoch und winkte ihren Hofkaplänen. Dann ging sie stolzen Ganges davon.

Kreideweiß vor Wut stellte sich Hans Stüssi vor den Pfeiferkönig und sprudelte heraus: »Ei, du heilloser Gutslerhauptmann und Gilerkönig, du willst mir den Weg in die Abtei verlegen?! Freilich,« machte er mit giftigem Lächeln, »du hast ja das erste Anrecht dazu, wenn Herr Meiß nicht da ist. Den andern wird es kaum vergönnt sein, mit meiner schönen gnädigen Frau im Früchtehaus Versteckens zu spielen.«

Die Stadtknechte lachten. Ulmann aber erbleichte und stierte in den Boden.

Das nahm der junge Stüssi für schuldbewußte, demütige Scham. Er lachte auf und setzte bei: »Du vermagst ja alles bei der gnädigen Frau Fürstin und wir wissen wohl, was für saubere Gespinnste sie durch dich nach Einsiedeln zum weben bringen läßt. Aber eines kannst du doch nicht machen: Die Amme von Ritter Meißens Kindlein.«

Ein wieherndes Auflachen.

Aber ein Faustschlag traf Hans Stüssi auf den Helm. Der Pfeiferkönig hatte ihn gewagt.

Fluchend wollten der junge Stüssi und die Stadtknechte über den Spielmann herfallen.

Da stand der Gotteshausammann, Herr Edlibach, der eben aus seiner Amtsstube im Kloster zu arbeiten hatte, mit seinen zwei Rüden vor ihnen. Zuerst herrschte er Ulmann an: »Streich dich davon, Unverschämter!«

»Er schmähte unsere Frau, Herr Spichwart,« antwortete Ulmann und schritt trotzig nach dem Hause der Äbtissin.

»Laßt den Kerl nur hier, Herr Edlibach!« machte jetzt, ingrimmig lächelnd, Hans Stüssi, »ich möchte mir seine Fratze ganz besonders merken, denn wenn ich ihm irgendwo außerhalb des heiligen Landes der Abtei begegne, will ich nach Gebühr mit ihm abrechnen. Glaubt mir, er soll nicht zu kurz kommen.« Und plötzlich wandte er sich wild an die Stadtknechte: »Und nun tut euere Pflicht ins Teufels Namen! Wir werden mit diesem übersalzenen Weibe und seinem Spielkreis schon noch fertig.«

Jetzt schwang Hans Eigen, meiner Frauen Leibschneider, drohend seine Elle und der Pfister machte gegen seine verständnisinnig grinsenden Gesellen die nicht mißzuverstehende Armbewegung des Teigknetens.

Aber Herr Edlibach strich seinen aufmerkenden Rüden über den Rücken und sagte ruhig: »So knabenhaft widerhaarig täte sich Euer Herr Vater allweg nicht aufführen, junger Meister Stüssi. Ich rate Euch, nehmt Vernunft an! Ihr seht, der Äbtissin Leute lassen ihre Herrin nicht ungestraft schmähen und sich nicht ungerecht angreifen. Und nun . . .«

Da keuchte, die Beine verwerfend wie ein übermutig Zeitrind das zum erstenmal auf die Weide kömmt, der dürre Kratzschreiber gegen das Tor und lärmte, sich überschreiend: »Sie kommen, sie kommen!«

»Wer kommt?« rief ihm der Ammann entgegen.

»Jesus Maria und sankt Josef! Unsere Kriegsschiffe kommen! Mehr als vierzig Nauen rudern eilig den See herunter, geschwinder als nachtreisende Schneegänse,« krähte der Kratzschreiber, mit den Armen herumfuchtend wie ein ballspielender Gaukler. »Und über den hurtigen Schiffen weht unserer guten Stadt blauweißes Zeichen und es sieht ganz so aus,« machte er jetzt, keuchend ins Tor tretend, »als hätten sich die uns'rigen vor den Schwyzern und ihren Eidgenossen wie besessen ins Wasser gestürzt und davongemacht und wollten sich jetzt beeilen, unter Dach zu kommen, bevor es ihnen Morgensterne über die Blechhauben hagelt. O cacoventres Suitenses! O diese schwyzerischen Molkenbäuche! Hört ihr's, hört ihr's?!«

Ein langgezogenes Tuten kam vom See her und gleich darnach ein donnernder Böllerschuß, der die Klostermauern erzittern machte.

»Aha!« lärmte jetzt der Schneider, auf einmal voll Verwegenheit. »Aha, nun kommen diese Helden, welche die Schwyzer, an ein Seil gebunden, in die Stadt schleppen wollten, wie seinerzeit die Besatzung von Freudenberg. Dasmal, bedünkt mich, hätten aber leicht andere an den Strick kommen können, besäßen die Schwyzer nicht nur einen ungelenken Floß, statt Kriegsnauen.«

»Freilich, freilich, da können die Zürcher jetzt Gott danken,« machte schalkhaft der graue Chorherr, der Kustos, »daß sie nicht wie vormals die Griechen, ihre schnell hinsegelnden Schiffsdrachen hinter sich verbrannten.«

Der junge Stüssi war auffallend still geworden. Recht verlegen stand er da und er und sein prächtiger Federbusch sahen gleich geknickt aus. Doch ermannte er sich jetzt und sprach: »Ich werde es meinem Vater sagen, wie man in der Abtei schon zu reden wagt.«

Er winkte seinen Leuten und zog mit ihnen ab.

Der Schneider aber sprach, so laut, daß es die Abziehenden noch wohl zu hören vermochten: »Aha, aha, ich werde es meinem Vater sagen. Gerade so hatte es jenes Büblein auch, als es des Nachbars Zwetschgenbaum schüttelte und statt süßer Zwetschgen bittere Ohrfeigen auf seinen Kopf herabfielen.«

Ein polterndes Lachen tönte den Abziehenden nach.

»Kannst du dein böses Maul denn nicht halten!« fuhr Herr Edlibach den Schneider an, als Hans Stüssi und seine Leute weg waren.

»Ach was, Herr Spichwart,« gab der Schneider zurück. »Da sie nun verspielt haben, werden sie uns jetzt nicht auffressen. Zudem ist dieser hochnäsige, frisch vom Waffenschmied bezogene Kriegsgott nicht mehr als wir, trotzdem sein Panzer so hell glänzt, daß es einen gelüsten möchte, sich davor zu rasieren. Was war denn sein Vater? Eines Glarnerbauern Sohn, der morgens und abends um den heimatlichen Jauchekasten herumstampfte und daher weder bei Tag noch bei Nacht nach den ersten Veilchen roch.«

»Schweig, Kerl!« donnerte ihn der Ammann an. »Was wahr ist in Ehren. Herr Hansen Stüssis Vater hat es allein weiter gebracht, als du und dein ganzer Stammbaum bis zu Kain und Abel zurück. Weiter zurück wird er ja kaum reichen, da man es im Paradiese noch ohne deinesgleichen machen konnte. Kommt, Herr Kustos!«

»Aha!« machte gekränkt der Schneider, und die andern lachten ihn aus.

Wie Herr Edlibach mit dem alten Chorherrn im Hause der Äbtissin verschwunden war, machten sich die andern Gotteshausleute hinaus ans nahe Gestade im Kratz, wo sie, nicht ohne Schadenfreude, eben der Stadt Fähnlein durch die Grendel fahren sahen.

Anna von Hewen aber war mit ihren Kaplänen in ihr Hofgebäude gegangen.

Bevor sie sich von ihnen trennte, sagte sie zum jungen Lienhart: »Mein Freund, Ihr seid Wochenherr. An Euch ist's darum, morgen früh die Messe recht andächtig zu lesen. Ich werde ihr zeitig anwohnen, es gilt für meine Freunde die himmlischen Heerscharen aufzubieten. Ihr mögt dann zu Mittag bei mir am Hofe speisen.

»Ei, du mein Gott!« murmelte der junge Kaplan vor sich hin. »Wenn doch meiner Frauen Gnad diese Sachen im Frieden lassen möchte!«

Aber die Äbtissin stieg zuoberst in ihr Haus bis auf den Estrich. Dort guckte sie verstohlen durch eine Dachlucke über den See hinauf. Es dämmerte schon, doch vermochte sie noch gut zu sehen, wie still und bescheidentlich das zürcherische Heer in die Stadt schwamm. Den Kriegsnauen sah sie aber eine große Anzahl anderer Nauen und Kähne folgen. Sie waren angefüllt mit in die Stadtmauern flüchtenden Landleuten und ihrer Habe.

Da warf sich die Äbtissin strahlenden Angesichts auf die Kniee, küßte den Estrich und sagte fast laut: »Nun habe ich meine Freunde gesegnet. Werden sie Zürichs Herren, so werde ich auch wieder die mächtige Frau von Zürich. Gott gebe ihnen Glück und Heil!«

Wie sie, so leise als tunlich, von der Winde wieder in ihre Gemächer hinabsteigen wollte, hörte sie in einer Dachkammer ein halblautes Singen.

Befremdet blieb sie stehen. Dann lächelte sie: »Ach, mein Kundschafter. Ich muß ihm doch wieder eine Fidel anschaffen, gewiß vermißt er sie sehr.«

Hurtig verließ sie die Dachräume.

In seiner Windenkammer aber kniete Ulmann auf dem Boden, sah mit glückstrahlenden Augen in frommer Einfalt in den dunkelnden Himmel hinein und sang laut:

O Herr, mein Gott, ich lobe dich! Hör' gnädig mein Gebete! Und schick' mir einen kleinen Stern Bis zu der Morgenröte.

Und deiner Herrlichkeit ein Strahl 
Begnade meine Fraue,Und lege seinen lichten Schein
 Auf ihre Augenbraue.

Neuntes Kapitel. Das Kindlein.

Es schneite, aber langsam und spärlich. Es war, als ständen im Himmel die neugierigen Englein an den Fenstern und täten die Eisblumen abkratzen.

Nur hin und wieder hing sich dem Büblein, das auf dem Geländer der obern Brücke hockte, ein zierliches weißes Sternchen in die Fuchspelzkappe oder auf die gelüstig nach den glitzernden Federchen schnellende Zunge.

Und doch war die Stadt Zürich voll Schnee. Alle Türme und Dächer trugen weiße Sturmhauben. Selbst König Carolus auf dem Wendelstein der Probstei hatte eine weiße Zipfelkappe über die Krone gezogen.

Jetzt flog ein Schneesternchen dem Büblein sogar auf die Augenwimper. Es zuckte ein wenig mit den Augen, guckte aber seelenvergnügt, nun an einem gewaltigen Eiszapfen lutschend, einer Knabenschar zu, die einen stattlichen, auf's vornehmste herausgeputzten Schneemann umtollte. Der trug auf dem Kopfe einen umgekehrten Wassereimer, auf dem die Eiszapfen, wie bei der Kristallkrone des Berggeistes, bolzgrad aufstanden. Als Szepter hielt er im Arme eine Ofenkrücke und als Reichsapfel einen mit Schnee gefüllten rostigen Helm.

Nun warfen sich die Knaben vor dem Schneemann in die Knie und lärmten: »Lang lebe König Friedrich III. von Österreich, unser guter Freund! Nieder mit den Eidgenossen!«

Eben kam Ulmann, der Pfeiferkönig, aus der Vorhalle der Wasserkirche über die Brücke, nicht ohne Verwunderung auf die ungewöhnlichen Ausrufe der Knaben hörend.

Eine Schar wildblickender, vom Wein geröteter Schwertler, Schildner zum Schneggen, schritt ihm entgegen.

»Seht!« machte einer ganz laut, »da kommt Meißens Stellvertreter und Lückenbüßer bei unserer gnädigen Frau.«

Ein Gelächter schallte Ulmann entgegen. Und wie die Schildner an ihm vorbeigingen, bekam er einen Stoß, daß er ans Brückengeländer taumelte, und brüllte ihn einer an: »Nun geh' und sage deiner Frau, ich lasse sie und ihr Büblein grüßen!«

Ulmann ging, auf's höchste überrascht, gesenkten Hauptes nach der Abtei. Er konnte sich das plötzliche, überkecke Gebahren der Stüssischen Partei nicht erklären. Sie war sonst sehr kleinlaut geworden und hatte auch ihn ziemlich unbehelligt in der Stadt umgehen lassen. Und nun auf einmal dieser wilde Trotz, dieses herausfordernde Drauflosgehen. Was mochte wohl geschehen sein, daß man ihm sogar das elende Stadtmärlein von einem Kinde der Äbtissin wieder ins Gesicht zu schreien wagte? O, wie ihn dies Gerücht, das er nie und nimmermehr glauben wollte, so oft mit bösen Träumen aus dem Schlafe schreckte! Doch er ermannte sich, fuhr sich über die Stirne, die trüben Gedanken wegzuscheuchen und hob den Kopf hoch.

Bald betrat er ruhig die Abtei.

Neben der Türe der Torstube saß auf einem Bänklein, an der Mauer lehnend, der alte Torwart und schnarchte.

In der Torstube selber schien es hoch herzugehen, denn es lärmte, sang und johlte darin.

Verwundert machte der Spielmann die Türe auf und schaute hinein.

»Juhee, unser König! Willkommen, Gott willkommen!« lärmte es ihm entgegen.

Am mächtigen Kachelofen, um den vierschrötigen Tisch hockten die drei Spielleute von Einsiedeln, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein.

»Herein mit dir, trink uns Bescheid!« lärmte der Lumpenhütlein. »Gott meint es gut mit dir, Meister. Er hat sich deinen Weg wohl gemerkt und dich zur rechten Stunde hiehergeleitet. Juhuu! Wir haben gute Zeiten, Herrenzeiten!«

Drei Krüglein fuhren Ulmann entgegen.

»Unserm König Heil, Heil!«

»Euch bring' ich's, liebe Gesellen!« machte Ulmann und trank aus jedem Krüglein Bescheid. »Wo kommt ihr aber im tiefsten Winter her? Doch nicht aus dem Finsterwald.«

»Wir kommen geradewegs von den Augustinern auf dem Zürichberg,« antwortete der Glückhütlein. »Wir spielten einem alten frommen Küchenbruder, der uns zu seinen Lebzeiten gar oft gastlich bewirtete, ein Requiem an seinem frischen kalten Grabe.«

Der Schalk kam in Ulmanns Augen.

»Und der Küchenbruder ist nicht wieder lebendig geworden?«

Da hob der Lumpenhütlein drohend den Zeigfinger: »König, König!« sagte er fistelnd, »du verhöhnst die Kunst.«

Auch die zwei andern schielten ihn, sonderbar lächelnd, seitlings an.

»Es war nicht böse gemeint, liebe Gesellen.«

»Du bist vielleicht noch einmal froh,« brummte der Lamphütlein, »wenn wir dir ins himmlische Jerusalem heimgeigen.«

Jetzt lachte Ulmann laut auf.

»Ja, wollt ihr denn, wie die Patriarchen des alten Testaments und der ewige Jude, alle Welt überleben?«

»Wer weiß,« machte der Lamphütlein. »Der Noah ist seinerzeit auch allein übrig geblieben, da er, wie wir, den Wein liebte und sich beizeiten vor dem vielen Wasser in die Arche verzog?«

»Und sagt, ihr alten Bursche, wohin geht morgen euer Weg?«

»Morgen? Wir müssen noch heute durch's Wollishofertürlein,« beschied der Glückhütlein, »denn morgen früh sollten wir einem gemästeten Bauern auf Kilchberg zur Hochzeit aufspielen.«

»Da müssen wir noch vor der Nachglocke aufbrechen,« meinte der Lumpenhütlein, »denn es ist mit dieser Stadt nach Nachglockenzeit wie mit der Hölle: Hinein kommt man wohl, aber hinaus nicht mehr.«

»So gehabt euch wohl derweil! Ich seh' nochmals nach euch,« sagte Ulmann. »Muß mich doch vorerst in der Küche bei dem dicken Meister Brun nach einem Imbis umsehen.«

»Ist doch ein schmucker Knabe, unser Meister,« sagte der Lumpenhütlein, als der Pfeiferkönig fort war.

»Freilich,« machte der Glückhütlein, »der bringt's noch weit; dem sein Stern ist nicht von Hexengold. Dem können wir noch einmal mit einem adeligen Schätzlein heimgeigen.«

»Das glaub' der Gauch,« meinte der Lumpenhütlein.

»Was frag' ich dem darnach, ob adelig oder nicht,« sagte mit weinschwerer Zunge der Lamphütlein. »Und wenn der Adel von unseres Königs einstiger Gesponsin älter wäre als der aller andern abstammungssüchtigen Hochmutsnarren der ganzen Welt, gibt ihr unter den fahrenden Leuten doch niemand einen roten Heller darum. Denn, läuft sie mit unsern Weibern barfuß, wird ihr kein Hofhund den Adel von der Wade lesen, wenn er ihr darnach fährt.«

»Adel hin, Adel her,« lärmte der Lumpenhütlein, »ich pfeif' auf die Weiber! heißt das,« fügte er rasch bei, »wenn andere sie haben. Juhuu! Heut' haben wir gute Zeiten, Herrenzeiten haben wir. Der Wein läuft uns wie den Juden, die der Teufel und seine Stubenhitzer holen mögen! – das Quellwasser, als Moses an die Felsen klopfte. Wäre er gescheit gewesen, hätte er die wassersüchtigen Felsen bleiben lassen und an ein rechtes Weinfaß geklopft. Gott segne und erhalte unsere Frauen Gnad, die Fürstin an der Abtei!« schrie er und hob sein Krüglein hoch. »Sperrangelweit hat sie uns den Schenkhof der Probstei auftun lassen, wie sie's uns auf der Lützelau weissagte. Welch eine Frau! Ich wollte, sie wäre wieder Königin in Zürich. Hei, wie tät ich ihr hofen! Mit meinen Küssen wollt' ich ihr allmorgentlich als ihr getreuer Stubenknecht die kleinen Schnabelschuhe putzen, tausendmal lieber als der verwunschenen Anastasia um alle Schätze der Welt den quakenden Mund küssen. Ich schmisse, wie unser Meister, der Lützelpfeifer, die Posaune in den See und tät' ihr mit dem Maul was vorflöten, denn gilt es dem Weibervolk zu pfeifen, so weiß ich den Schnabel zu spitzen so gut als einer. Hoch lebe unsere Frau! Ei, wie will sie uns wohl. Dort hängt ja noch ein volles Fäßchen und draußen vor der Türe schnarcht steinhagelvoll der Stubenmeister, unseres Anrufes gewärtig. Das sind Zeiten! Kommt, liebe Gesellen, wir wollen unsere Weinkännel ein bißchen ausblasen und eins singen, bevor wir wieder aus dieser verschlafenen Stadt fahren, in der die Leute die Augendeckel und die Fällladen ihrer Häuser den ganzen Tag nie recht aufbringen. Da sind wir Waldleute doch beigott aus anderm Holz, als diese ewigen Nachtkappen, denen man ein Halbjahr aufgeigen muß, bis es sie ab dem Gestühl lupft, wo unsere sündigen Seelen schon einen Gestobenen tanzen, sobald sie irgendwo eine Fidel wittern. Juhuu! Singt, Brüder, fingt!«

Und er begann mit kreischender Fistelstimme zu singen und die andern fielen mannlich ein:

Gesellen, hebt den Becher hoch! Den Wein will ich lobpreisen. Er taut uns auf, heijuppedihee! Und wären wir von Eisen.

Laßt uns aus vollem Weinkrüglein
 Frau Venus Geister klopfen! 
Ein Hexlein ist, heijuppedihee!
 Versteckt in jedem Tropfen.

Wir wollen heut wie der Prophet,–
 Stoßt an, glükhafte Narren!Wir wollen heut, heijuppedihee!
 Dreispännig himmelfahren.

Liegt ja im Wein das SchlüsseleinFür alle Himmelstüren.Einziehen wir, heijuppedihee!
 Nektar zu pokulieren.

Es ging in der Torstube immer lärmender zu.

Ulmann hatte sich zu einem kurzen Abendbrot in die Küche verzogen. Darnach aber stieg er bedächtig über die lange Treppe zu den Gemächern der Äbtissin empor.

Er war müde. In der vergangenen Nacht hatte er eine Botschaft nach Schwyz getragen und nun war er schon wieder zurück, obwohl ihm seine Herrin strenge befahl, sich gehörig Rast zu gönnen und ja nicht vor drei Tagen in die Stadt zurückzukehren. Dem Wächter am Wollishofertürlein hatte er eine Mahnfahrt um einen ausstehenden Zehnten vorgetäuscht.

Als er gegen die Erkerstube der Äbtissin schritt, vernahm er schon vor der Türe ein herzhaftes Auflachen und ein liebkosendes Getue.

Weil er der Frauen Tischtöchter im Gemach vermutete, öffnete er die Türe nur ganz wenig, obschon er Befehl hatte, stets unangemeldet in diese Lieblingsstube der gnädigen Frau einzutreten. Er wollte, falls Besuch drin wäre, sich unbemerkt zurückziehen können.

Jetzt schaute er in die Stube und schrak zusammen.

Im großen Lehnstuhl saß Anna von Hewen, ließ ein Kind auf den Knieen reiten und sagte dazu das Sprüchlein: »Reite, reite Rößlein, zu Baden steht ein Schlößlein, zu Baden steht ein großes Haus . . .«

Und als das Kindlein vor Vergnügen mit dem ganzen Gesicht lächelte und mit Armen und Beinen strampelte, schluchzte sie auf vor Freude, drückte es stürmisch an ihre Brust und dann wiegte sie's im Schoß, tippte ihm mit einem Finger das stammelnde Mäulchen und sagte: »Aber nein, wie doch mein Vögelchen schön singen kann! Chrrr, grrr – ei, ei, es tönt noch viel feiner als meines Spielmanns Zauberfidel. Plappere nur zu, liebes Schnäbelchen, mein junges Meislein! Jetzt kommen gute Zeiten. Und bin ich erst wieder Fürstin in Zürich, will ich dich allen zünftigen Hauben zum Trotz zu mir nehmen. Dann muß ich dich nicht wieder bei Nacht und Nebel kommen und verschwinden lassen. Dann mache ich einen Prinzen aus dir und einen so edlen, guten Mann, wie dein Vater es ist. O mein Kind, mein Kind!«

Und wieder und wieder preßte sie das Kind an sich und küßte es also stürmisch ab, daß es aufschrie.

»Babeli!« rief sie dann. »Komm', bring' das Büblein wieder zur Amme! Es ist ermüdet und schläf'rig, die Äuglein wollen ihm zufallen. Fass' es doch nicht so plump an!« sagte sie aufgeregt zu ihrer ältern Kammerfrau, die ihr das Kind etwas rasch abnehmen wollte. »Du tust ihm ja weh.«

Die Kammerfrau wollte etwas entgegnen.

»Pst, pst!« warnte die Äbtissin. »Siehst du denn nicht, die Äuglein sind ihm schon zugefallen. Nun geh', aber leiser, leiser, nicht wie in Holzschuhen, hörst du?«

Die Amme ging mit dem Kinde sachte auf eine Seitentüre zu, verfolgt von den ängstlichen Augen der Äbtissin.

Ulmann, der die Türe der Erkerstube schon vor dem Erscheinen der Kammerfrau lautlos zugemacht hatte, war wie ein Nachtwandler die lange Stiege hinuntergestiegen.

Jetzt lehnte er zuunterst im Gang hinter dem Haustore an der Wand, die klopfende Stirne in den Händen.

Das Tor ächzte und öffnete sich knarrend.

Der Pfeiferkönig fuhr auf.

Bürgermeister Meiß schritt hastig, in schlecht verborgener Aufregung an ihm vorbei, ihn flüchtig anblickend.

Schier feindselig starrte Ulmann dem hochgewachsenen Manne nach.

Rudolf Meiß aber trat bald, den Gruß vergessend, mit schnellen Schritten in der Äbtissin Erkerstube.

Erstaunt schaute ihm Anna von Hewen, die in ihrem Lehnstuhl sinnend an einem Fenster saß, entgegen.

»War nicht eben dein Spielmann hier? Was hattest du mit dem Burschen? Wie ich ins Haus trat, stand er totenbleich, die Stirne an die Wand gedrückt, im Gang. Hast du ihn fortgejagt?« hastete der Bürgermeister heraus.

»Ei, du mein Gott, was ist's denn mit dir?!« sprach schier erschreckt die Äbtissin und ging ihm entgegen. »Du fährst mir ja in die Stube wie ein Windstoß. Wer, sagst du, soll eben hier gewesen sein, Ulmann, mein Hofmusikant? Nein, da irrst du, den hab' ich heute mit keinem Auge gesehen. Du mußt dich getäuscht haben, er ist schon seit gestern nicht mehr in der Stadt. Aber lass' ihn. Du scheinst mir kränker zu sein als jeder andere. Du selbst, mein Lieber, siehst ja ganz blaß und niedergedrückt aus. Was hat's denn gegeben? Sag', sag'!«

Da ergriff Herr Meiß der Äbtissin Hand, führte sie zu ihrem Lehnstuhl und sprach schier leise: »Setze dich, Anna, und erschrick mir nicht, ich kann dir heute kein willkommener Bote sein. Aber ich wollte selber kommen, bevor dir einer mit der schlimmen Botschaft ins Haus platschte.«

Mit verwunderten, bange werdenden Augen schaute sie ihn an. »Um Gottes willen, was ist denn los, rede, rede!«

»Du weißt, daß wir seit dem Frieden, den Zürich nach der Flucht von Pfäffikon, mit den Eidgenossen notgedrungen einging, ruhigere Zeiten hatten. Leider mußte ich bald merken, daß sie dir viel zu ruhig waren, daß dir die Demütigung Stüssis und der Stadt nicht genügten, denn – unterbrich mich nicht! – du trachtetest wohl nach Verwirklichung deiner allzu kühnen, aber nicht ungefährlichen Träume. Und man hält mich für deinen Mitschuldigen, Anna. Mit welchem Unrecht, weißt du. Aber ich wäre trotz alledem wieder zu einem ruhigen Schlaf gekommen, denn die meistens gemäßigten, eidgenössisch gesinnten alten Geschlechter kamen allmählich wieder zur Geltung in öffentlichen Dingen. Und obwohl auch mir die Gewalt der Volksmänner noch zu groß schien, da sie damit übel hausen – so war mir doch der Friede und die freie Entfaltung unserer Stadt auch viel wert. Doch ich traute dem Landfrieden nie so recht. Stüssi und sein Anhang waren erbittert und konnten den Verlust der Toggenburger Erbschaft und zahlreicher eigener Höfe nicht verwinden. Das schlimmste aber war, daß die Schwyzer sich dem Frieden der Eidgenossen mit Zürich nicht aufrichtig angeschlossen hatten. In der Stadt hörte man damals munkeln, eine gewisse herrschsüchtige Äbtissin sei es gewesen, durch ihres kühnen Kundschafters Mund, die Schwyz vom gemeinsamen Frieden der Eidgenossen, nicht ohne Erfolg, denn sie hielten ihn nie recht, abzuhalten suchte. Man sagt, sie habe den hitzigen Stüssi, wie einen draufgängerischen Stier, wieder mit dem roten Fähnlein der Schwyzer zum Kampfe reizen wollen.

Meine Liebe, ich mag dich nicht fragen, was an dem Gerüchte wahr ist, denn ich fürchte die Antwort. Aber wahr ist, daß Rudolf Stüssi und seine Mitregenten den Frieden auch nicht sonderlich achteten und sich durch das Haupt der Schwyzer, den zielbewußten, gewandten Ital Reding auf's Eis locken ließen. Tag und Nacht sannen sie daran herum, wie sie mit mehr Erfolg nocheinmal gegen die Schwyzer und ihre Eidgenossen ausziehen, die Niederlage rächen und das verlorene Land, mit anderm dazu, wieder gewinnen könnten.

Das glimmende Feuer bei Stüssi war also wieder angefacht. Sein unholder Geist, dieser Stäbler, der Tintengraf aus dem Schwabenlande, der unser Verhältnis zu den Eidgenossen nie voll erfaßte, blies auch mit vollen Backen drein und so mußt du dich nicht wundern, Anna, daß das Feuer heute plötzlich in wilden Flammen ausbrach. Aber nicht so wie du vielleicht wünschest: Zürich allein gegen Schwyz und die Eidgenossen. Meine Liebe, was ich schon lange heimlich fürchtete, ist heute wahr geworden. Soeben hat unser Rat beschlossen, eine Gesandtschaft zum neuen König Friedrich III. abzuordnen, die ihm ein Bündnis unserer Stadt mit dem Hause Österreich, dem Erbfeinde der Eidgenossen, anzutragen hat. Der Bürgermeister Heini Schwend und der Stadtschreiber Graf sollen übermorgen schon zu ihm nach Salzburg reisen.«

Anna von Hewen hatte sich erhoben. Sie war totenbleich und vermochte einen Augenblick kein Wort herauszubringen. Jetzt aber sagte sie kaum hörbar: »Es kann nicht sein, Rudolf.«

»Ach, meine Liebe, es ist nur zu wahr.«

Da schoß sie auf. Ihr Antlitz glühte.

»Und ihr habt das geduldet?!«

»Wir mußten es wohl dulden,« machte er bedrückt, sich auf einen Stuhl niederlassend. »Ich erhob flammenden Protest dagegen und mit mir Herr Ulmann Trinkler, Meister Effinger und andere meiner Partei. Aber Rudolf Stüssi und Schwarzmurer, der lange Schwend und der kurzgebundene Haus Keller fuhren über uns her, wie neue Birkenbesen und brüllten uns nieder. Sie hatten gut brüllen; das Volk vor der Ratsstube jauchzte ihnen zu, denn man hatte das Gerücht von dem Bündnis lange vor der Ratssitzung unter den kleinen Leuten verbreiten lassen, damit sie auf die Stimmung in der Ratsstube drücken hülfen.

Und es half. Die Räte waren nun der großen Mehrheit nach Teig; Stüssi konnte sie sich zurechtkneten wie er wollte. Seltsam lächelte der Stadtschreiber, als ich die Ratsstube verließ. Draußen hoben die Leute die Fäuste gegen mich auf und schrie einer, ein pockennarbiger Brotfeiler, aus dem Haufen: »Meißlein, Meißlein, nun steckst du bald im Vogelhäuslein!«

Jetzt werden Bürgermeister Stüssi und seine Gesellen gewaltig aufgehen. Diese neue österreichische Partei wird zuerst uns unschädlich machen und dann mit den fremden Helfern über die Miteidgenossen herfallen wollen, alles um des verstorbenen Toggenburgers Zweideutigkeit willen.«

»Und das wollt ihr nun gehen lassen?« warf sie spöttisch ein.

Hochrot, zornbebend fuhr er auf. Der Äbtissin Augen glänzten, so hatte sie ihren sonst so bedachten Herrn noch nie gesehen.

»Nein, o nein, nie und nimmermehr werden wir das stillschweigend gehen lassen,« sagte er heftig. »Ich bin leider, leider Stüssis wahnwitzigem Ehrgeiz zu wenig entgegengetreten, heute sehe ich's ein. Er würde mit diesem Bündnis erst die Eidgenossen und dann, wider Willen, unsere Stadt wieder an Österreichs Pfauenschwanz anbinden. Er ist, ohne es zu erfassen, zum Hochverräter geworden und wird nun in blinder Leidenschaft gegen uns und seine Miteidgenossen rasen.«

Erschöpft ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen.

»Ja, hättest du nur früher, als es noch Zeit war, diesen Glarner und seinen bösen Geist von Stockach erkannt, es wäre nie so weit gekommen. Nun aber ist's auch höchste Zeit. Raffe dich auf! Bleibe fest und lasse dich nicht wieder durch dein allzu vornehmes Denken und dein gutes Herz wankend und zurückhaltend machen. Steh' auf, mein Freund! Vereinige deine Leute zu einer eidgenössisch gesinnten Partei und trete diesen Wütrichen mannhaft entgegen.«

Er schwor ihr zu, nun alles zu tun, um dieses gefährliche Volksregiment hintanzuhalten und Rudolf Stüssi zu Fall zu bringen, da sonst das Land zu keinem erträglichen Frieden komme. Aus ihren Augen wolle er die Kraft zum Kampfe schöpfen; das Wohl der Stadt und der Eidgenossenschaft sollen ihm alles, sein Leben nichts gelten.

»Und nun behüt' dich Gott!« machte er, sich hastig erhebend. »Du wirst bald von mir hören.«

Anna von Hewen hielt ihn zurück.

»Rudolf!«

Erstaunt blieb er stehen und sah sie an; so zärtlich hatte sie ihn nur in den ersten Zeiten ihrer Liebe angerufen.

»Was hast du, Liebste? Ich werde bald wieder kommen, jetzt tut Eile not. Laß mich fort zu meinen Freunden.«

Da umhalste sie ihn und raunte ihm ins Ohr: »Willst du dein Söhnchen sehen?«

Verständnislos schaute er sie einen Augenblick an, dann hochrot, freudig: »Unser Ruodeli? Ja wie, du hast ihn gar hier? Wo ist er?!«

»Pst! Ruhig, ruhig! Ich ließ mir das Kind gestern Nacht von Frauenfeld bringen und in der morgigen Nacht bringt es meine Amme, unter treuer Bedeckung, wieder dorthin zurück bis, ach bis . . .«

Die Stimme versagte ihr. Sie nahm Meiß an der Hand, zog ihn mit und trat, eine Seitentüre öffnend, in eine weite düstere Nebenstube. Ein Himmelbett stand darin und daneben, auf einem Tischchen, ein brennender Kerzenleuchter. Sachte, mit bebender Hand, zog sie den Umhang zurück.

»Sieh Rudolf, hier liegt dein Büblein!«

In den weichen Kissen des weiten Himmelbettes lag ein schlummerndes Kind mit kugelrundem Köpfchen und roten Wänglein. Es guckte den großen Mann mit verwunderten blauen Augen an und verzog sein Mäulchen zu einem stillen Lächeln.

Lange, in glückliche Träume versunken, staunte der Bürgermeister auf das Kind. Aber allmählich umschatteten sich seine Augen mit Schwermut und leise, kaum vernehmbar, redete er: »Büblein, Büblein, was soll aus dir werden?«

»Ein lieber, ein einziger Mann, wie sein Vater soll er werden,« machte jetzt die Äbtissin, seine Hand krampfhaft drückend. »Nun steh' auf, Meiß, und zeige, daß du sie alle wie Saul sein Volk, um Haupteslänge überragst. Bereite deinem Knaben einen Weg zu meinem Haus und zu deinem Herzen! Sind wir mächtig, brauchen wir auch unser Kind nicht mehr wie ein gestohlenes Kleinod in der Nacht zu verbergen.« Und auf schrie sie mit einemmale: »Wehre dich, Mann!«

Er schaute sie schier erschrocken an, und ihre Augen kamen ihm einen Augenblick vor wie ein dunkelblauer, unheimlicher Weiher im Schnee. Doch zwei glänzende Sternlein tauchten jetzt aus dem abgründigen Blau und leuchteten ihm freundlich entgegen.

»Mein Lieber, du bist heute so sonderbar. Bist du krank?«

Ein Rascheln im Zimmer. Die Amme war leise eingetreten.

Noch einen langen Blick tat Herr Meiß auf das Kind, das mit den winzigen Fingerchen die Pelzverbrämung seines Mantels ins Mündchen zu stopfen versuchte, dann zog die Äbtissin den Umhang zu.

Jetzt verließ der Bürgermeister, ihr mit flüchtigem Lächeln zunickend, raschen Schrittes das Schlafgemach.

Stumm hatte ihm Anna von Hewen nachgeschaut. Es war ihr, es sei nicht ihr aufrechter, stolzer Geliebter gewesen, der eben gesenkten Hauptes aus dem Zimmer ging, sondern irgend ein fremder, alter Mann.

Seufzend schlug sie die Vorhänge des Himmelbettes wieder zurück, setzte sich müde auf das Bett und staunte trübselig das Kind an.

Wie ging mir der Tag so schnell vorüber, dachte sie. Wo ich auch hinsehen mochte, fand ich ein Nest voll Hoffnungen auszunehmen. Und nun diese Botschaft von dem drohenden Bündnis mit Österreich. Kommt es zustande, so haben Stüssi und seine Leute wieder Oberwasser und alle die Schlösser, die ich für mich und mein Kind in stillen Nächten baute, sind in die Luft gestellt. All das mühselige gefahrvolle Spiel mit dem ich Stüssi niederrang, war vielleicht vergeblich. Österreichs Herzog, der neue König, wird für Zürich ein starker Bundesgenosse. Die Eidgenossen werden entweder einen Frieden eingehen müssen, der ihnen alles nimmt und mir nichts gibt, oder den gefährlichen Kampf aufzunehmen haben. Nun, wie ich die Schwyzer und ihre Eidgenossen kenne, werden sie den Kampf jedem schmählichen Frieden vorziehen. Und wer weiß, ob sie nicht auch dasmal siegen. Sie haben Österreich schon zweimal aus dem Sattel gestochen. Aber es wird ein gewaltiges Ringen geben. Gott weiß, wie's enden könnte. Meiß muß alles daran setzen, das Bündnis zu verunmöglichen und wird es doch abgeschlossen, muß er's in der Stadt als Verrat an der Eidgenossenschaft brandmarken, kurzum, es auf jede Weise wieder zu lösen suchen. Was er für die rechtmäßige Fürstin von Zürich nie täte, wird er nun mit aller Kraft für die Stadt und für den Bund der Eidgenossen wagen.

»Nein,« machte sie jetzt, sich erhebend, fast laut, »es ist noch nicht alles verloren. Ich habe auch noch meinen treuen Kundschafter, der mir ein ganzes Heer wert ist. Wenn er nur bald zurückkommt. Er muß mir gleich wieder nach Schwyz aufbrechen.«

Dann sah sie trübe vor sich hin. Es wird mir heute eine lange Nacht werden, dachte sie, denn nun heißt es neue Netze spinnen. Auch muß ich gegen Jene Waffen ins Feuer zu bringen suchen, die doch im Herzen diese gerstenmusbauchigen Bauernherren und rauhhändigen Grempler und Ledergerber der Städte nicht ausstehen mögen, – gegen den österreichischen Adel. Nun denn, es sei. Für mein heiliges Recht gegen alle Welt!

Rasch beugte sie sich über ihr Kind und raunte ihm ins rote Öhrchen: »Schlaf, Ruodeli, schlaf, du sollst doch ein Fürstenkind werden!«

Unterdessen war Ulmann, der Pfeiferkönig, wie im Schlafwandel aus dem Gebäude der Äbtissin durch die Höfe nach der Torstube zurückgegangen.

An der Mauer vor der Stube schnarchte immer noch der alte Torwart. Er mußte einen recht ausgiebigen Schlaftrunk zu sich genommen haben.

Sachte öffnete Ulmann die Türe und schlich sich, unbeachtet von den festenden Spielleuten von Einsiedeln, in den Ofenwinkel, wo er sich, finster blickend, auf den Ofentritt niederließ.

Die drei betrunkenen Schatzgräber aber leckten die runden Löffel, womit sie eben ein vom Küchenmeister ihnen zugeschicktes Gerstenmus ausgelöffelt hatten, fein säuberlich ab und legten sie neben die hölzerne Musgelte.

»So, jetzt wäre ich satt bis an die Grenze aller Weisheit, bis an die Stirnhaare hinauf,« machte rülpsend der Lumpenhütlein, »satter kann kein Herzog werden, selbst wenn er, wie die hochselige Äbtissin Anastasia, lauter Forellenzünglein zu Mittag äße. Hab' einen heißen Tropfen und einen Gerstenbrei, zäher als eine pergamentene Bibel, im Leib. So darf ich mich wohl wieder in die Winternacht hinaus wagen, obwohl ich's noch lange als Stubenhitzer meiner lieben Frau am Münster aushalten täte.«

»Ja,« sagte der Glückhütlein, »sie hat uns die Schatzkammer des Schenkhofes aufgetan. In diesem Kloster könnte ich's bis am jüngsten Tag aushalten.«

»Denn wo mein Schatz ist, da ist auch mein Herz,« machte der Lamphütlein. »Ich tät gerne das Schatzgraben aufstecken, eine Kutte über den Kopf ziehen und um die erledigte Klause des Einsiedlers am Limmatspitz beim Rate dieser weinliebenden Stadt anhalten, trüge man mir allzeit wie heute die Tranksame kübelweis zu.«

»Behüt mich der Herrgott!« lachte der Lumpenhütlein. »Da ließe ich mich doch lieber mit der schönen Äbtissin am Fraumünster zusammen in der Klose zu St. Stephan einmauern. Zur Gesundheit, Brüder!« lärmte er und hob sein Krüglein. »Gott helf' uns weiter!« Stoßt an! Lang lebe unser Frauen Gnad!«

Die Krüglein fuhren klirrend zusammen und dann begannen sie ein Schlucken und Glucken wie die Dachkennel im Gewitter.

Da knarrte die Türe, und wie sie halbwegs aufging, streckte der Kratzschreiber den Kopf herein und beaugenscheinigte neidisch die fröhlichen Zecher.

»Eine saubere Bruderschaft,« krähte er. »Vor der Türe hockt meiner Frauen ungetreuer Stubenmeister, voller als eine Haselnuß mit Zwillingskernen und da drin vertun sich die drei Kolkraben von Einsiedeln und saufen die Abtei zu armen Tagen, bevor sie selber alle drei in der Elenden Herberge ihr Landfahrerleben auf einem überjährigen faulen Laubsack abbüßen.« Jetzt setzte er ein wichtiges Gesicht auf: »Hört ihr's, ihr siechen Leiber mit den vertrunkenen Seelen! Der Meister Kratzvogt läßt euch durch mich ansagen, ihr sollt euch so bald als menschenmöglich aus der Stadt machen. Es habe außer euch noch genug faulenzendes Gesindel hier und wenn er euere Musikkünste auch nicht zu hören bekomme, so wolle er sich deswegen nicht hintersinnen und sich gerne mit dem Hornung vertrösten, wo Gott Amor auf den Katzen spiele. Sowieso, sagte der Vogt, sollte man alle Fahrenden, besonders die alten, übelzeitigen, auf ewig ausweisen, da sie die gleichen Schelme seien, wie die Juden, nur daß sie kein Geld hätten. So, jetzt wißt ihr's!«

Mit wachsendem Erstaunen, regungslos, hatten die Schatzgräber dem Kratzschreiber zugehört. Aber jetzt kam Leben in sie.

»Ei, du ausgebrannter Wachskerzenstock!« zischte ihn der Lumpenhütlein an, »du Brosamenfink am Tische meiner Herren von Zürich! Was kümmert uns denn dein Kratzvogt?! Und wenn du uns noch seine und deine Kratzvögtin auf Birkenbesen herschickst, brechen wir doch nicht auf, bevor das letzte Meilener Rebengold aus unsern Krügen vertröpfelt ist, du Nebelkopf! Und obwohl du noch nicht einmal lateinisch redest, bist du doch schon besoffen und der letzte, der berufen ist, uns zu predigen und die Spielleutenbruderschaft und uns mit deinem Abzugskännel für mißratenen Holzäpfelmost zu beleidigen, du wehklagende Gänsefeder!«

»Wart!« machte der Lamphütlein und tat, als wollte er sich auf den Schreiber stürzen. »Wart, du kommst mir wie vom Gutwetterwind hereingeblasen. Wir harrten schon lange mit Sehnsucht auf dich. Komm', komm' schnell, wir wollen den Römerschatz aus der Brunnenstube des Kreuzgärtleins heben! Es ist jetzt schön kühl im Eimer zu sitzen. Hurtig, hurtig!«

Aber da hatte der Kratzschreiber die Türe schon hinter sich zugeschlagen und sich schleunigst davongemacht, noch bevor ihm des Glückhütleins Löffel nachgeflogen kam.

Ein tolles Gelächter ging durch die Torstube.

Jetzt gewahrte der Lumpenhütlein den im Ofenwinkel kauernden, trübselig vor sich hinstarrenden Pfeiferkönig.

»Potz Blitz!« lärmte er. »Wo bist du denn hereingeschlüpft, Meister? Kannst du dich unsichtbar machen? Da wollt' ich dich doch bitten, mir für kurze Zeit deine Tarnkappe zu leihen. Ich täte dann in den Häusern der Menschen einen Rundgang antreten. Ei, da könnte ich einmal erfahren, wie die Seelen der lieben, meist so großhansigen Mitchristen ausschauen, denn im stillen Kämmerlein werden sie sichtbar, splitterfaselnackt, wie sie der Teufel und seine Gesellen dereinst aus den Gräbern an den Haaren vor das letzte Gericht zerren. Nein, behalte deine Tarnkappe lieber, meine Neugier möchte übel belohnt werden. Aber, Bursch, Meister, was machst denn du für ein Gesicht, als hättest du eine Matte voll Sauerampfern abgeweidet? Bist du bei unserer Frau in Ungnade gefallen oder hat dich ein Mägdlein nicht hereingelassen? Das kann ich nicht glauben, wenn ich dich ansehe. In deinem Alter kann einer die artigen Mägdlein um sich herum aufreihen, wie die Buben die Fröschenschenkel an den Weidenruten. Auf dein Wohl, Meister! Dir bring' ich's und deinem Schatz, sei's eine weiße Maus oder eine graue Katz!«

Ulmann verhielt sich still in seinem Winkel, schaute nicht einmal auf.

»Laßt ihn!« sagte der Glückhütlein. »Er wird im Spiel seinen letzten Kupferhaufen verwürfelt haben.«

»Nein,« meinte der Lumpenhütlein, »deswegen läßt ein junger Hupfauf den Kopf noch lange nicht hängen, eher wenn's ihm beim Weibervolk schief geht; obwohl es jungen Kerlen in der Liebe geht wie abstürzenden Katzen, sie fallen alleweil wieder auf die Füße.«

»Dummes Zeug,« brummte der Lamphütlein. »Was wollt ihr denn da lange ratsamen und im Nebel herumfahren, statt einfach und schlicht da auf den Busch zu klopfen, wo wir auch etwa zu finden sind. Der Meister wird sich halt in Bruns Küchenwein übernommen haben und hat nun das trunkene Elend.«

Ulmann war aufgestanden und wollte sich still davonmachen.

»He, Meister, wohin des Wegs?!« riefen die Schatzgräber.

»Aus der Stadt, in die Nacht hinaus.«

»Heijo, Bruder, da sind wir auch dabei!« lärmte der Lumpenhütlein, »denn sonst kann unser gemästete Bauer auf Kilchberg morgen nicht Hochzeit halten. Hochzeit ohne Tanz und Spiel, gilt mir keinen Birnenstiel. Auf, Gesellen! Unser König soll mit vornehmem Gefolge abziehen. Dir bringen wir's, Meister, zum guten End! Lang lebe unser König!«

Ein Schlucken und Glucken und drei leere Weinkrüglein standen köpflings auf dem Tisch.

Jetzt schritt Ulmann aus der Torstube, gefolgt von den drei alten Schatzgräbern, die einer um den andern, als hätten sie's einander zugeschworen, über die Türschwelle in den verschneiten Hof hinauspurzelten.

Als der Torwart bald nachher gähnend, mit katerschwerem Haupt, vor seiner Stube erwachte, denn es schneite ihm auf den Kopf, – fand er die Torstubentüre sperroffen und über den frischen Schnee im Hof geisterte der unruhige Schein des erlöschenden Öllämpchens.

Erstaunt wischte er sich die schlafenden Augen aus. Vor ihm, bei der Türe im Schnee waren wunderliche Abdrücke von Händen mit gespreizten Fingern und von Füßen, ja von ganzen Menschenleibern und gar von einer Baßgeige. Und um eine gerade Wegspur nach dem Hoftore wand sich, in allerhand verschnörkelten Bogen und Guirlanden, ein unentwirrbares Rankenwerk.

»Aha, die bodenlosen Schlemmer sind abgezogen!« brummte der Alte und machte sich, eine neue Ranke um die gerade Wegspur stapfend, nach dem Tore.

Wie er's halbwegs öffnete, fluderte ihm eine eben aufwirbelnde Schneehose ins Gesicht. Schimpfend und gähnend warf er das Tor wieder zu und schob den schweren Nachtriegel.

Zehntes Kapitel. Die Rückkehr.

Das Bündnis zwischen der Stadt Zürich und dem Hause Österreich war, trotz allem Widerstand des Bürgermeisters Rudolf Meiß und seines Anhanges, zur Tatsache geworden.

Rudolf Stüssi und mit ihm die Zünfte und das Volk erhofften alles von diesem Bündnis. Es war für Ritter Meiß jeder Gang zum und vom Rathause eine Art Spießrutenlaufen. Man beschimpfte ihn und die eidgenössisch Gesinnten wo sie sich blicken ließen. Als vorläufige Voranzahlung mußte die Stadt ihre schöne, kurz vorher erworbene Grafschaft Kyburg an König Friedrich abtreten. Hiefür versprach er freilich, die Landschaft Toggenburg zurückzukaufen und sie dann an Zürich abzutreten.

Wie nun Herr Meiß sich erkühnte, im Rate mit grimmigem Spotte Österreich als den klugen Mann mit dem Spatz in der Hand und Zürich als die gläubige Einfalt mit der Taube auf dem Dach darzustellen, konnte er nur mit Not und Mühe dem erbosten Volke, das fortwährend die Ratssitzungen belagerte, durch die Ratsknechte entrissen werden.

Die Äbtissin am Fraumünster war tiefbetrübt über dieses Bündnis, sie fürchtete immer mehr, die Eidgenossen würden den zwei mächtigen Gegnern unterliegen. Zudem war sie nun zur Untätigkeit, zur Ohnmacht verurteilt, seit ihr sicherer Kundschafter, Ulmann, der Pfeiferkönig, nicht mehr in die Abtei zurückkam. Denn seit jener Nacht, als sie ihr Kind im Hause hatte, blieb er verschollen. Da erst merkte sie, wie unentbehrlich er ihr geworden war. Nur ihm konnte sie sich anvertrauen. Wie klug und wie verschwiegen war er gewesen! Sie vermochte sich nicht zu erklären, was ihn von der Abtei, von Zürich fernhielt. Sollte er sich doch fürchten, in die aufgeregte, ihr und ihm feindlicher als je gesinnte Stadt zu kommen? Wie sie auch heimlich nach ihm fragen und forschen ließ, der Pfeiferkönig kam nicht mehr und sie fing zu glauben an, er sei heimlich ermordet oder sonstwie beseitigt worden. »Ach,« seufzte sie oft, »meine Botschaften haben wohl einen Kopf, aber keinen Mund und keine Füße mehr.«

Ende Herbstmonat des Jahres 1442 zog dann König Friedrich III. von Österreich mit einem Schweif von Edelleuten, tausend Reitern und großem Gepränge in Zürich ein, behosiannt von der entzückten Stadt, auf's ehrfürchtigste empfangen vom Rate und der österreichischen, allmächtig gewordenen Partei Stüssis. Im großen Münster legte die Bürgerschaft dem König erst den Reichseid und darnach den Eid auf das mit dem Hause Österreich abgeschlossene ewige Bündnis ab.

Bürgermeister Rudolf Stüssi und mit ihm das Volk der ganzen Stadt, schwelgte in den ausschweifendsten Hoffnungen. Sie geberdeten sich alle, als lägen die Eidgenossen schon im Graben. Sie, die eben noch Eidgenossen waren, schmückten sich jetzt mit dem roten Kreuz und dem Pfauenschweif Österreichs und die Helme ihrer Herren strotzten von Pfauenfedern. Die ganze Stadt schwamm in einem tollen Freudentaumel. Denn nun behielten sie als Vertreter des österreichischen Herzogs den Markgrafen von Hochberg mit vielen Edlen und Reisigen in ihrer Mitte. Selbst die oberste Kriegsleitung legten sie in die Hände des österreichischen Grafen Thüring von Hallwil.

Die Eidgenossen gerieten hierüber in höchste Aufregung. Sie nannten das Bündnis einen schwarzen Verrat am eidgenössischen Bunde und als gar König Friedrich ihre Freiheiten nicht mehr bestätigte, war der Bruch mit ihm vollständig. Noch versuchten sie, die Zürcher mit wohlmeinenden und drohenden Vorstellungen aller Art zu veranlassen, vom Sonderbündnis mit Österreich zurückzutreten. Sie wurden hierin auf's kräftigste und furchtlos unterstützt von Bürgermeister Meiß, den die Äbtissin am Münster unablässig in Atem hielt.

Aber Rudolf Stüssi war allmächtig geworden und wurde nun zum Tyrannen, der nur noch seinen Willen gelten lassen wollte. Er verstand es, in der Stadt das Gerücht in Umgang zu bringen, Meiß beabsichtige eine Verschwörung, um die Österreicher aus der Stadt zu vertreiben, die österreichische Partei zu vernichten und mit den Eidgenossen einen schmählichen Frieden zu machen, aus dem dann die alte Geschlechterherrlichkeit, wenn nicht gar die Herrschaft der Fürstin von Zürich, in der Stadt aufgehen sollte.

Täglich lag Graf, der Stadtschreiber, Stüssi in den Ohren: Meiß müsse unschädlich gemacht werden, sonst falle man noch über seine langen Beine. Es tue jetzt aber not, alle Wege in der Stadt frei zu haben.

So kam es, daß man Meiß während einer flammenden Rede für Auflösung des entehrenden Bündnisses, in der Ratsstube ungestört verhaften und unter dem Beifall des aus dem Schneggen schauenden Markgrafen von Hochberg und unter dem Gejohle des Volkes, in den Turm in der Aa, in den Wellenberg abführen konnte.

Anna von Hewen war entsetzt, als ihr diese Kunde zukam. Obwohl sie Stüssi viel zutraute, an eine Einkerkerung des vormals mächtigsten Mannes, des Hauptes der alten Geschlechter, hatte sie nie ernstlich gedacht.

In grimmigem Schmerze versuchte sie alles, was dem Gefangenen den düsteren Kerker erleichtern und Aussicht auf Befreiung versprechen konnte. Wie betrübte es sie jetzt, ihren Kundschafter nicht zur Hand zu haben, denn trotz ihrer Liebe zu Ritter Meiß, konnte sie sich doch nicht dazu verstehen, seine Befreiung von Stüssi selbst zu erbitten. Endlich gelang es ihr doch, mit Hilfe der von ihr aufgestachelten eidgenössischen Partei, die Eidgenossen zu vermögen, daß sie auf Stüssi mit allen möglichen Mitteln drückten, bis er Meiß widerwillig freigab. Aber er schwor, daß er ihn zu günstigerer Zeit einmauern und verhungern lassen werde.

Halbverhungert, abgezehrt und auf den Tod krank, langte Bürgermeister Meiß in seinem Steinhaus an. Anna von Hewen sah ihn nie mehr. Er legte sich nieder und starb bald darnach aus Gram über die erlittene Schmach und Unbill und die Verkennung seines guteidgenössischen Sinnes, der Zürich nicht an Österreich ausliefern wollte.

Die Äbtissin aber ward jetzt immer mehr inne, welch ein starker Wall ihr Meiß gewesen, denn laut und leise hieß es auf den Trinkstuben der Stadt, die verräterische Frau an der Abtei werde nun bald Meißens steinernen Stuhl im Wellenberg abrutschen müssen, falls ihr nicht noch etwas schlimmeres begegne.

Da ward sie immer sorgenvoller und wäre gerne mit Glimpf aus der Stadt gekommen, denn nun waren beim Rate und beim Markgrafen von Hochberg auch die Kriegserklärungen von Schwyz, Uri, Unterwalden, Luzern, Zug, Glarus und Bern eingetroffen. Die Fürstin von Zürich kam sich vor wie eine Maus in der Falle, die zitternd schon den Schlüssel an der Speisekammertür drehen hört.

Die Feindseligkeiten begannen, besonders von schwyzerisch-eidgenössischer Seiten mit Raubzügen ins offene Land und gelegentlicher Belagerung fester Städtlein und Burgen, wobei sie, nach guter frommer Vätersitte, wie die eidgenössischen Anführer sagten, im offenen Felde keine Gefangenen machten, sondern gleich alles totschlugen. Zum ersten seien darnach ihrer weniger und zum andern habe man keine weitern Scherereien mit gefangenen Feinden.

Die Zürcher hatten, abgesehen von den kühnen Handstreichen der Gesellen zum Schneggen, bei ihren Streifzügen wenig Glück, besonders da sie sich mit den spärlich zugezogenen Österreichern nie recht einigen konnten und weil sie es auch mit den Eidgenossen noch nicht zum äußersten kommen lassen wollten. Als aber diese raubend und sengend in den zürcherischen Gebieten herumzogen, rafften sie sich auf. Und endlich vernahm die ängstlich nach Waffentaten lauschende Äbtissin am Fraumünster mit freudigem Erstaunen, daß es den Eidgenossen gelungen sei, die Verbündeten in einem großen Gefecht ob dem See am Hirzel zurückzuwerfen.

Das hob ihren stark gesunkenen Mut, obwohl die Zürcher darnach auf den Trinkstuben sagten, sie wollten mit den Eidgenossen schon fertig werden, selbst ohne Österreicher, wenn es diese Staudenläufer wagen sollten, mit ihnen eine Schlacht im offenen Gelände aufzunehmen.

Es war im Jahre 1443, Ende Heumonat, gegen Abend vor dem Maria Magdalenentage. Eine brütende Hitze lag über der Stadt.

Am Brunnen im Hofe der Abtei stand Verena von Monsax und ließ aus dem eben aufgedrehten und einwenig gehäldeten Eimer Wasser in den großen Henkelkrug der Äbtissin rinnen. Dann schwenkte sie ihn tüchtig aus und füllte ihn aus dem Eimer wieder an bis zum Rand.

Wie sie aber den Krug abstellte und sich, um selbst einen Trunk zu tun, durstig über den Eimer bog, erschrak sie. Ein Schatten legte sich über das Holzgefäß und aus dem spiegelklaren Wasser schauten sie zwei wohlbekannte braune Augen an.

Blitzgeschwind wandte sie sich, das Blut schoß in ihr schmales, bleiches Gesicht: Ulmann, der Pfeiferkönig, stand vor ihr und sagte herzlich: »Gott grüß Euch, gnädiges Fräulein! Dürfte ein armer Spielmann, der lange in der heißen Sonne wanderte, wohl einen Trunk Wasser aus dem Eimer eueres Brunnens tun?«

»Sei mir von Herzen willkommen!« machte Verena und hob sogleich in zitternder Verlegenheit den neben ihr stehenden Krug auf: »Hier trink, mein Freund!«

»Nein, aus diesem hoffärtigen Kruge nicht, doch gern, wenn Ihr's erlaubt, aus dem Eimer.«

»Nein, trink nur aus dem Kruge, ich werde ihn wieder frisch anfüllen. Es ist der Krug meiner gnädigen Frau Mutter.«

Sie sah ihn scharf an.

»Der Äbtissin?« fragte er mit aufleuchtenden Augen.

»Ja,« machte sie kaum hörbar und hob den Krug wieder. »Trink nur, du darfst es wohl wagen, denn seit Herrn Meißens Tod spricht sie recht oft von dir. Dein langes Wegbleiben hat ihr gewiß weh getan. Trink, trink!«

Er schüttelte den Kopf, beugte sich über den Eimer und trank in langen Zügen. Dann sagte er: »Glaubt Ihr wirklich, daß meiner Frauen Gnad meine Abwesenheit nicht leicht nahm?«

»Sie hat fast täglich von dir gesprochen.«

Verena sagte es in einem Tone, der irgend ein bitteres Gefühl nur mühsam verbarg. Schier verwundert schaute sie Ulmann einen Augenblick an. »Sollte mir die gnädige Frau böse sein?«

»O nein,« machte Verena und ihre Stimme war wie die eines Kindes, in dessen Herz die traurige Seele schon zu weinen anfängt, wenn der Mund noch lächelt. Dann fragte sie mit schüchternem Zögern: »Sag' wo, ja sag', wo warst du denn so lange?«

Jetzt sah sie ihn an, mit zwei dunklen Augen, die ihm unverhüllt geoffenbart hätten, wo eine Seele im Fegfeuer einen Schatz für ihn bewache und sich glühend nach Erlösung sehne.

Aber der Pfeiferkönig schaute sinnend in den Eimer und antwortete trübe lächelnd: »Fragt lieber nicht, denn ich war bei den reichen Armen, bei den fahrenden Spielleuten.«

Er senkte das Haupt.

»Und nun bist du uns, gottlob, doch wieder gekommen. Ich,« sie ward blutrot, »meine gnädige Frau Mutter, wird sich freuen, denn eben war sie recht traurig, da hab' ich ihr zur Laute singen müssen.«

»Ja,« sagte er jetzt hastig. »Ich muß zu ihr, denn Euch darf ich's wohl sagen: Ich habe für sie eine wichtige Botschaft.«

»So komm'!« machte sie halblaut und griff nach dem Kruge. »Ich will ihr das Wasser bringen, so magst du mich ja begleiten.«

Sie wollte gehen.

»Nein,« bat er und griff nach dem Gefäß. »Laßt mich den Krug tragen!«

»Laß, laß!« sagte sie und wollte den Krug an sich ziehen. Aber er hatte ihn ebenfalls an einem Henkel gefaßt. »Er ist zu schwer für Euere zarte Hand.«

»Nein, nein, ich will ihn tragen; du bist ja totmüde, man sieht dir's an.«

So zogen sie hin und her und sie legte ihre warme Hand gar fest auf seine Hand und suchte ihm scherzend Finger um Finger vom Henkel zu lösen.

»Ei, ich trag' ihn ja gern,« sagte er, »ist es doch der Krug meiner Herrin.«

Da fiel ihre Hand matt herab; sie ließ ihm das Gefäß und schritt schweigend vor ihm her über den Hof und dann die lange Stiege hinauf zu der Frauen Gemächer.

Vor der Erkerstube blieb sie stehen und sagte, sich freundlich an Ulmann wendend: »So gib mir nun den Krug und sei bedankt!«

Er überreichte ihr den Doppelhenkel, wobei ihn ihr dunkles Auge unverwandt ansah.

»Nun laß uns eintreten!«

Die schwere Türe ging und sie traten, nicht ohne Befangenheit, in das Gemach.

Anna von Hewen saß in einer Fensternische und schaute mit krankhaften Augen über die Stadt hin.

»Frau Mutter, Euer Spielmann ist angekommen.«

»Spielmann?« machte traumversunken die Äbtissin. »Vrenlein, ich brauche keine Spielleute mehr . . .« Jetzt ersah sie den Ankömmling. Sogleich erhob sie sich.

»Du, wie, du bist's?!«

Freudig, voll herzlicher Wärme rief sie's.

»Ich glaubte dich tot und nun stehst du unerwartet vor mir, so wie du mich unerwartet verlassen hast. Nein, doch nicht so ganz,« machte sie, ihn lange und forschend anschauend. »Du bist reifer, mannlicher geworden, aber deine frischen, äpfelroten Wangen sind verschwunden.«

Verena von Monsax hatte den Wasserkrug auf das Fenstersims gestellt und wollte sich nun so leise als möglich davonschleichen.

»Vrenlein, wohin denn so eilig? Hast du unsern alten, lieben Freund schon bewillkommt?«

»Ja, Frau Mutter.«

»Gut denn, so geh'! Er soll bald wieder spielen. Ich will ihm die wohltönendste Fidel kaufen, die von hier bis nach Mailand aufzutreiben ist. Zwar nicht mir soll er spielen,« fügte sie trüb werdend bei, »ich habe keinen Grund zum tanzen, wohl aber dir, kleine Monsax,« wandte sie sich mit schalkhaften Augen an die Graubündnerin. »Denn du wirst doch auch hie und da an deinen Tänzer aus der Hofstube gedacht haben.«

»Mutter!« machte Verena in abwehrendem, schier ängstlichem Tone und ging hurtig, mit blutrotem Angesicht, davon.

Ulmann hatte unterdessen die Äbtissin mit heißen Augen betrachtet. Obwohl sie gealtert schien, bedünkte sie ihn doch begehrenswerter als jemals, denn sie war nur eine üppigere, eine vollerblühte, königliche Rose geworden.

»So und jetzt rück' aus, du Ungetreuer und beichte! Wo warst du denn so lange?«

»Ich war . . .«

»Doch nein,« unterbrach sie ihn rasch. »Jetzt will ich's noch nicht wissen; ein andermal dann. Zuerst möchte ich nun vernehmen,« machte sie ernst, fast streng werdend, »warum du mir so plötzlich wieder kommst. Es müssen wichtige Dinge sein, die dich herzwingen, sonst hätte man den König der Spielleute wohl kaum mehr an meinem Hofe gesehen.«

Es klang fast bitter, wie sie es sagte, und wie ermüdet ließ sie sich in ihren Lehnstuhl nieder.

»Ihr habt es erraten, gnädige Frau,« machte er. »Ich bringe dringende Botschaft. Ihr wißt, daß die Eidgenossen an der Letze am Hirzel jüngsthin Zürich samt seinen Österreichern blutig heimschickten. Aber Zürichs Übermut war darnach so groß als vorher und von einem Nachgeben keine Rede. Nun ist der Heuet vorüber; die heimgekehrten Eidgenossen sind wieder ausgerückt und . . .«

»Ziehen gen Zürich!« unterbrach ihn Anna von Hewen aufschießend.

»Ja,« sagte er. »Die Banner von Uri, Schwyz und Unterwalden, Zug, Luzern und Glarus ziehen schon dem Albis entlang und werden morgen nach kurzem Lager gegen die Stadt losbrechen.«

»Herr, mein Gott! Ihr lieben Heiligen der Abtei!« rief sie, hochrot vor freudiger Aufregung aus, »das ist mehr als ich zu hoffen wagte. Aber,« machte sie zweifelnd und ergriff ungestüm Ulmanns Hände. »Ist es auch die heilige Wahrheit?«

»So wahr mir Gott helfe! Ein Kriegsmann von Schwyz teilte mir die Absicht der Eidgenossen mit und hieß mich eilen, ich möchte davon der Fürstin von Zürich Kunde geben, denn sie werde sich auf das Nahen ihrer Befreier und Wiederhersteller gewiß freuen.«

Anna von Hewen konnte ein wildes Auflachen nicht verhalten. »Ha,« schrie sie, »jetzt, so Gott will, werdet ihr geschoren, ihr Feiler und Grobschmiede!«

Und ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckend, brach sie in ein nimmerendenwollendes Schluchzen aus.

»O Meiß,« rief sie dann, »o hättest du doch diese Botschaft erlebt! Die Eidgenossen kommen und meine guten Freunde, die Schwyzer. Endlich, endlich! Aber nun sollen sie die geschmähte und mit Kerker und Tod bedrohte Pfäffin an der Abtei von der Wetterseite kennen lernen,« machte sie wild und ihre Augen waren wie sturmgejagte Wellen, auf denen die Sternlein tanzen.

Schier erschrocken staunte er auf die aus Rand und Band geratene Frau. Sie faßte ihn an den Schultern.

»Ist es aber gewiß und heilig wahr, sag', sag'!«

»Bei meiner Mutter Seligkeit; die Eidgenossen kommen, um die Stadt einzunehmen.«

»O meine lieben Heiligen Felix und Regula!« machte sie, die Hände faltend, »so habe ich nicht umsonst vor euerm Altare gefleht, nicht umsonst meine Kapläne euch zu Hilfe rufen lassen. Gott sei Lob und Dank! Es möchte nun wohl werden,« halblaut, ingrimmig sagte sie's, – »daß ihr lieben Heiligen bald nicht mehr allein ohne Köpfe wäret. Meine guten, willfährigen Freunde, die Schwyzer kommen.«

Sie war wie von Sinnen. Lange sah sie, bald mit dräuhenden Augenbrauen, bald mit herrischem, gefährlichem Lächeln vor sich hin. Dann flüsterte sie: »Es wird ein gewaltiger Kampf werden, Bürgermeister Stüssis Kopf ist hart wie ein Fels. O, wer ihn mir so träfe, daß er am Boden aufschlüge, als hätte ihn Gottes Donner niedergeworfen und er für immer das Aufstehen vergäße! Den wollte ich wohl umhalsen, wie noch keiner gehalst und geherzt worden ist seit Adam. Zu meinem Trautgesell, zu meinem heimlichen Kämmerer wollte ich ihn machen und ihm williger dienen, als ein Ministrant dem Priester am Altare. Wer ihn mir träfe, wer das Herz dazu hätte!«

Ihr Auge streifte Ulmann flüchtig, blitzartig. Aber er hatte das Sternlein deutlich gesehen, das aus dem Gewitterblau dieses Auges, wie ein verlockender Irrwisch, und wieder wie ein winkendes Waldhexlein, aufsprang.

»Ach,« seufzte sie, »der zu mir stand, der mich nie verließ und alle meine Wünsche wußte, bevor er mich sah, er ist tot, hingemordet von diesem Luchse aus den Glarnerbergen und von dieser Giftkröte von Stockach. Drunten in m. L. Frauenkapelle zu den drei Königen, mir so nah und doch in ewiger Weite, liegt mein armer getreuer Freund im tiefen Grabe. Er hört mir wohl immer geduldig zu, wenn ich ihm klage, aber er antwortet mir nicht mehr. Niemand ist, der mich noch verstände, der meine Schmach, der meines Freundes Tod diesem Holofernes vergälte.«

Plötzlich fuhr sie auf, nahm Ulmanns Kopf zwischen beide Hände, zog ihn gegen ihr Angesicht und blickte ihm tief in die Augen. »Du warst mir ein treuer Kundschafter,« sagte sie und ihr warmer Atem hauchte an seine Wange: »Schau, ich möchte es dir lohnen.« Ihre Augen leuchteten und ein Lächeln geisterte um ihren Mund verheißungsvoll, wie ein heiterer Märzmorgen. »Aber sag', warum hast du mir das angetan und bist fortgegangen?«

Er senkte die Blicke und schwieg.

Aber als er wieder aufsah, schaute sie ihn immer noch mit dem gleichen bezaubernden Lächeln an und zupfte ihn am Ohrläppchen. Doch alsbald wurden ihre Augen kalt, wie die Berge, auf denen eben das Abendrot erloschen ist und ernst, fast flehentlich redete sie: »Verlass' mich jetzt nicht mehr, mein Freund, jetzt nicht. Siehe, in deine Hände lege ich die mörderischen Steine, die Rudolf Stüssi nach meinem Haus und nach meinem Herzen geworfen hat. In deine Hände lege ich sie. Hilf mir, Lieber, hilf mir!« schrie sie auf. Und so nahe, daß ihre Lippen fast sein Ohr berührten, raunte sie ihm zu: »Wer weiß, ob nicht ein sonniger Herbst vor der Türe wartet, der mir den Schoß voll Goldäpfel schüttelt, die so süß schmecken, wenn sie zwei zusammen essen.«

»O meine Frau!« machte Ulmann bebend, mit heißen Augen, »o meine gütigste Frau!«

»Pst, still!« warnte sie, »ich höre die Töchter kommen.« Und ruhig wehrte sie ihn ab. »Sie kommen, mich zum Abendbrot abzuholen. Geh', mein Lieber, erlabe dich, denn du bist müde. Dann, es wird bald dunkeln, – geh' in der Stadt herum und sieh' zu, was sie jetzt reden und treiben. Es kann für unsere Freunde und für uns wichtig sein. Jetzt heißt es alles dransetzen: Die Schwyzer, meine Helfer, und ihre Eidgenossen kommen! Geh' aber nicht aus, bevor es dunkel wird. Das Volk ist wegen seiner Mißerfolge erregt und du weißt, wie sie uns anschauen. Behüt dich Gott, denk an mich und komm bald wieder, mein lieber, lieber Freund!«

Anna von Hewen begleitete Ulmann bis zur Türe. Dort langte sie ins Weihwasserkesselchen und machte ihm feierlich über Stirne, Mund und Brust das Zeichen des Kreuzes.

Eben sprang die Türe auf und fast wäre die jüngere Elsbeth dem Spielmann in die Arme gesunken. »Au!« schrie sie auf.

Ulmann aber ging rasch, ohne eine der Tischtöchter anzusehen, davon.

»Wenn ich gewußt hätte, daß der schöne Pfeiferkönig wieder mit uns ›Fang mich!‹ spielen will, hätte ich dich vorausgehen lassen,« sagte Elsbeth auflachend zu Verena von Monsax.

Verena hörte sie nicht. Sie stand immer noch im Gang, die Hand auf dem wild pochenden Herzen und schaute Ulmann nach bis er über die Stiege verschwand.

»Kommt, Kinder, wir wollen sogleich in die Kirche gehen!« gebot die Äbtissin. »Beeilt euch und betet recht andächtig! Es ist endlich ein großes Glück für mein Haus im Anzug. Betet, daß es der Herr nicht vorüber gehen lasse. Kommt!«

Nun begab sich die Äbtissin, gefolgt von ihren Tischtöchtern, in den Chor des Münsters, um vor den Reliquien der Heiligen Felix und Regula zu beten. Ihre Augen glänzten und ihr Gang war der Judiths, die, das Haupt des Holofernes im Sacke, gen Jerusalem hinaufsteigt.

Ulmann aber gedachte nicht mehr der Warnung Anna von Hewens, nicht vor der Dunkelheit in die Stadt zu gehen. Es tobte in seinem Kopfe und auf der blutroten Stirne perlte der Schweiß. Das Lächeln der Äbtissin lag noch wie Sonnenschein auf seinem Angesichte und um seine Wange duftete der Hauch ihres Mundes. Ein Sturm leidenschaftlicher Gefühle machte ihn fast wahnsinnig. Und immer mehr verdüsterten sich seine Augen. Er begann über der Frauen Rede zu brüten, die ihm so deutlich wie ein Wegweiser ein bestimmtes Ziel zeigte. Er knirschte vor wilder Entschlossenheit. Und obwohl seine Augenbrauen finster dräuhten, war doch in seinem tiefsten Herzen ein übertolles Jauchzen. Er sah nur noch das Gleißen der Goldäpfel im Baumgarten der Äbtissin.

Also lief er in den äußern Hof. Dort stand der Markstaller, ein verschwitztes Pferd tränkend und Freiherr Friedrich von Hewen, der Äbtissin Bruder, der eben abgestiegen war, schritt, Ulmann flüchtig und freundlich zunickend, dem innern Hofe zu. Er kam von Wyl hergeritten, in dieser gefährlichen Zeit nach seiner Schwester zu sehen.

Ulmann hatte ihn kaum beachtet. Wie ein Traumwandler lief er aus der Abtei und am Münster vorbei, aus dem, wie aus weiter Ferne, ein Orgeln kam, schwermütig wie die ewige Anbetung der armen Seelen.

In einen Wirrwarr von Gedanken versunken, schlenderte der Pfeiferkönig der Limmat entlang langsam nach dem Platz der Weinleute. Dort aber erwachte er auf einmal und schaute sich schier befremdet um. Nun fiel ihm auch die Warnung der gnädigen Frau ein. Doch jetzt war er schon mitten in der Stadt und bald mußte es ja dämmern.

Um das Rathaus blitzte es von Taubenflügeln und ob den Türmen des großen Münsters war der Himmel ein einziges rotes Geleuchte, duftig wie der rosige Hauch auf dem Wänglein eines einschlummernden Kindes.

Auf der niedren Brücke ging es zu wie am Kirchweihmarkte. Und doch war das Bild heute ein ganz anderes. Stadtknechte mit Sturmhauben und langen Lanzen und Edelleute der verbündeten österreichischen Vorlande, mit wallenden Pfauenfederbüschen, zogen zu Fuß und zu Pferd, in buntem Wechsel über die Brücke. Den vierröhrigen Brunnen umstanden schwatzend und lachend, mit ihren Holzgelten die Mägde.

Auf einmal gab es beim Schergaden unter dem Hause zum roten Schwert ein fürchterliches, betäubendes Geschrei und Gejohl. Eine Schar splitternackte Knaben und Mägdlein tanzten unter dem glitzernden Bartbecken des Schergadens einen wilden Ringelreihen. Es hatte soeben ein Knabe, auf eines andern Rücken hockend, eine tote Ratte, die nun munter hin- und herpendelte, an das Becken gehängt.

Plötzlich stob die mutwillige Schar auseinander. Der erboste Scherer sprang mit gezücktem Seifenpinsel unter sie, ihre Milchbärte gehörig einzuseifen. Aber er purzelte in der Hast über den vor dem Gaden stehenden Schleifstein und so fanden die Buben und Mägdlein schön Zeit, sich flink über das Brückengeländer zu schwingen und kopfüber in den Fluß zu springen.

Von dort aus bedachten sie den wütenden, auf sie hinunterschimpfenden Scherer mit einem vielgestaltigen Spiel ihrer Zungen und Nasen.

Ulmann machte sich hurtig über die Brücke und schritt um die Gäden unter dem Schneggen auf den Fischmarkt.

Im Schneggen polterten die Schildner ein Kriegslied und im goldenen Engel, auf der Schiffleute Trinkstube, war ebenfalls ein Becherlupfen und lachender Lärm, als gäbe es gar keine Eidgenossen. Vom Karlsturm der Probstei tönte jetzt die Abendglocke und in das Läuten mischte sich übermütiges Gelächter von der Chorherren Trinklaube.

Da hielt er an. Wußte nicht, sollte er vorwärts gehen oder umkehren.

Auf der obern Brücke bis in die Halle des Helmhauses vor der Wasserkirche staute sich ein mit Kriegsleuten vermischter Volkshaufe und aus der Halle selbst kam jetzt ein fürchterliches Tuten, schnarrendes Pfeifen und brummendes Kratzen und ein tolles wildes Gelächter, als stünden eine Allmend voll Pferde wiehernd gegeneinander auf.

Ulmann kam es doch etwas unheimlich vor, sich an den lärmenden Haufen zu wagen. Aber da es immer dunkler ward, schritt er vorwärts. Vielleicht gab es da etwas zu sehen, das er seiner gnädigen Frau zu berichten hatte.

Er begab sich mutig unter das lärmende Volk.

Was er nun sah, jagte ihm das Blut in den Kopf und krampfte seine Fäuste zusammen.

In der offenen Halle vor der Wasserkirche drängte sich ein Haufe roher Weiber und Männer, unter ihnen österreichische Troßbuben und Stadtknechte und zu allervorderst Knaben und Mägdlein mit Wickelkindern auf den Armen.

In ihrer Mitte aber, im offenen Kreise, spielten die drei Schatzgräber von Einsiedeln, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein, im bloßen Hemde, bleich vor Scham und zitternd vor Übermüdung, einer tollen Schar Veitstänzer zum Tanze auf.

Heini Schwend, der Feldhauptmann, mit einer Anzahl Schwertler z. Schneggen, hatte die drei Spielleute bei einem Handstreich in Wyl aufgeschnappt und sie der Kurzweil wegen mit anderer Beute in die Stadt geschleppt. Vor dem Rathause hatte er sie laufen lassen. Doch gerieten sie einer Anzahl Stadtknechte und österreichischer Söldner in die Hände, die sie bis auf's Hemd auszogen und sich nun mit ihnen und den erfreuten, wie gewöhnlich vor der Wasserkirche versammelten Veitstänzern der Stadt einen billigen, lustigen Abend zu schaffen gedachten.

Eben machten sie, totmatt, eine Pause und als einen Augenblick alles ermüdet schwieg, fragte ein kleines Mägdlein laut sein größeres Brüderchen: »Hansheini sag, weswegen gehen denn die drei Tanzaufspieler nicht ins Bett, wo sie doch schon im bloßen Hemd sind?«

Ein rohes, aufjauchzendes Gelächter. Und ein wildblickender Zuzüger vom See gab dem Lamphütlein einen Stoß und brüllte ihn an: »He da, du Faß, kratz drauf los! Ihr heillosen Stirnstößel sollt uns aufspielen bis euch die Arme abfallen. Habt ihr den eidgenössischen Landnarren zum Tanz aufgespielt, so sollt ihr's nun auch unsern Stadtnarren tun.«

»Dir wird der Teufel einmal aufgeigen,« knurrte ächzend der Lamphütlein, »du Seekalb, wenn du mit seiner Großmutter auf dem glühenden Rost tanzest.«

Er jammerte laut auf, eine Faust hatte ihn ins Gesicht getroffen.

Jetzt drang Ulmann durch die schadenfreudig aufjubelnden Leute und rief zornbebend: »Laßt diese alten Bursche im Frieden! Es sind harmlose fahrende Spielleute und stehen unter dem Schirm der Stadt.«

Staunend, stumm vor Überraschung, glotzten alle auf den kecken Redner.

Endlich ermannte sich ein Stadtknecht und herrschte Ulmann an: »Was kümmert's dich, du Grünschnabel! Bist du denn der Meister dieser drei überzeitigen Waldkäuze von Einsiedeln?«

»Ei freilich,« lärmte jetzt ein anderer Stadtknecht. »Kennt ihr denn diesen frechen Hund nicht mehr? Das ist ja der Pfeiferkönig, meiner gnädigen Frau Hoffidler und Kundschafter.«

Ein toller Lärm ging in der Halle um.

»Der Pfeiferkönig, der Pfeiferkönig!«

»Ja,« rief Ulmann mutig, »es ist wahr, die Stadt hat mich in allen Ehren zum Herrn der fahrenden Spielleute erwählt und sie alle, auch diese drei armen alten Knaben, unter ihren und meinen Schutz gestellt. Bedenkt das und laßt doch die Alten in Ruh', sie sind ja zum sterben müde.«

»Sag', Gesell, wo hast du deiner Frauen Kränzlein?« brüllte ihn einer aus dem niedern Volk an, »hast du's etwa mit andern Mägdlein deiner fahrenden Bruderschaft auf deinen Verräterfahrten vertändelt?«

Doch ein hochgewachsener Stadtknecht lärmte gebieterisch ins wilde Gelächter: »So laßt denn die drei alten Lumpen laufen, aber der Gilerkönig soll mit auf den Schneggen. Herr Bürgermeister Stüssi und die Schwertler hat es schon längst darnach gelüstet, sich das königliche fahrende Bürschlein einmal rundum anzusehen.«

Sogleich wurde der Pfeiferkönig im Haar gepackt und aus der Vorhalle der Wasserkirche gerissen.

»Fort mit ihm zum Schneggen!«

Man schleppte ihn gegen das Rathaus.

Es war mittlerweile ganz dunkel geworden. Um den Röhrenbrunnen am Fischmarkt kochten österreichische Herrenknechte einen Kessel voll Fleisch, andere hockten am Boden herum und würfelten auf Trommeln. Und in ihrer Nähe lagen an der Limmat ein paar bewaffnete Bauern vom See bäuchlings am Boden und sogen an der ergiebigen Zitze eines Weinfäßchens. Einige rauchende Fakeln warfen einen tänzelnden Schein auf den ruhig ziehenden Fluß. Sah aus, als stünden im Wasser gewundene, flittergoldene Pfähle. Auch auf dem Rüden ging's hoch her. Doch waren an den offenen Fenstern nur österreichische Gäste zu sehen, nebst einigen widerwillig mit ihnen pokulierenden Parteifreunden Rudolf Stüssis. Die alten Geschlechter von der Konstafel oder Junkerpartei besuchten seit dem österreichischen Bündnis ihre Trinkstube wenig mehr.

Vor der Brotlaube, unter dem Rathause, standen neugierig der Reihe nach die Brotfeiler und die Leute aus den Gäden und sahen schmunzelnd zu, wie man den Pfeiferkönig an seinen braunen Locken vorbeischleppte.

Im Anbau des Rathauses, auf der Trinkstube der Schildner oder Schwertler zum Schneggen, wo sich mit dieser Auslese aller städtischen Haudegenschaft auch die Staatslenker und sonstigen Volkshäupter als Stubenhitzer zu einem währschaften Abendtrunke säßhaft zu machen pflegten, ging's laut her. Die verschiedenen kleinen Schlappen, die sie im Felde erlitten, ja selbst der siegreiche Hau der Eidgenossen am Hirzel hatte dem Mut der Schwertler nicht im mindesten geschadet. Die Eidgenossen scheuten auch niemand mehr, als diese kleine, tollkühne Gesellschaft der Schwertler, die ihnen mit verwegenen und listigen Handstreichen großen Abbruch taten.

Eben als man Ulmann gegen die steinerne Vortreppe des Schneggen zehrte, ging dort ein Gesang los, davon die papierenen Scheiben zitterten. Dröhnend schallte es in die dunkeln Gassen hinaus:

Der Stier von Uri lud zum Tanz All seine Eidgenossen. Hob auch die Kuh von Schwyz den Schwanz. Das hat uns bas verdrossen.

Wer lüftet denn sein Feldpanier? 
Die Schilderschaft zum Schnecken.
 Tat Kuh und Kalb samt UristierBis daß sie brüllten, necken.

Langheini Schwend, der Feldhauptmann,
 Stand auf und sprach. Potz Hagel!Heut heißt es einen Hau getan, 
Auf, auf . . .

Die Türe der Trinkstube sprang auf und von kräftigen Armen geschleudert, fuhr Ulmann am aufschreckenden Stubenknecht vorbei, über die Schwelle und zu Boden.

Jetzt verstummte der lärmende Gesang.

Unter ihren Wappenschildern, an fünf runden Tischen, becherten die Schildner mit den Regenten der Stadt. Saßen an jedem Tische ihrer wohl ein gutes Bauerndutzend. Vor einem mächtigen Kachelofen, mit turmartigem, gekröntem Aufsatz, saß, den Humpen in der Faust, der breitschulterige, wildbärtige Bürgermeister Rudolf Stüssi und um ihn seine Vertrauten, der Stadtschreiber Graf, Joggi Schwarzmurer, die beiden Schwenden, Götz Escher und Schultheiß Uli von Lommos, nebst einigen österreichischen Herren.

»Wer fährt uns denn da wie eine Wildsau in die Stube?!« donnerte der lange Heini Schwend.

»Der Singvogel unserer lieben gnädigen Frau an der Abtei!« rief lachend eine kräftige Stimme aus dem hereindrängenden Haufen. »Der Pfeiferkönig!«

Jetzt rauschte ein Lachen um die Tische.

Aber Bürgermeister Stüssi schaute mit finstern Augen nach Ulmann, der sich flink erhoben hatte und nun, brennend vor Scham, gesenkten Hauptes dastand.

»Also das ist der Vogel, der die Stimme unserer zukünftigen Fürstin von Zürich so gut nachzuahmen versteht und sie über alle Berge und an alle Burg- und Herrenbauernhöfe unsern Feinden ins Ohr trägt,« rief Joggi Schwarzmurer.

»Ja, ja, er ist's!« lärmte es aus dem Volkshaufen, der die Türe füllte. »Der Frauen Kundschafter ist's!« Und ein schielender Brotfeiler fügte bei: »Er war wohl eine Zeitlang fort. Da nun aber Herr Meiß tot ist, braucht sie einen Tröster, der ihr was vorfidelt.«

Ein übertolles Gelächter erstickte den zornigen Aufschrei des Spielmanns.

Jetzt kamen gegen die Trinkstube eilige, dröhnende Schritte, es polterte die Stiege herauf, die Leute in der Türe wurden mit Faustschlägen auseinandergetrieben und auf einmal drängte sich der junge Hans Stüssi mit einer Schar seiner Freunde in die Stube. Sie hatten, von ihrem Umgang nach dem Niederdorftor zurückkehrend, Kunde von der Festnahme des Pfeiferkönigs erhalten.

»Da ist er!« rief ein vorauseilender Knabe.

Hans Stüssi atmete einen Augenblick schwer auf. Dann packte er den Pfeiferkönig im Haar, schüttelte ihn wütend und lärmte: »So, du frecher Hund, du wagst es doch wieder in unserer Stadt umzugehen! Aber du kommst mir wie gerufen, ich paßte schon lange umsonst auf dich. Nun wollen wir abrechnen.«

Rasch riß er einem ihm zunächst stehenden Stadtpfeifer die Schwegelpfeife aus der Hand, hielt sie Ulmann vor's Gesicht und fuhr ihn an: »Schau dir dies Pfeiflein an, Pfeiferkönig! Mit dem spielst du jetzt deinem Bürgermeister und den Herren der Stadt sogleich zum Tanze auf. Hast lange genug unserer schönen, hochwohlmögenden,« er verbeugte sich tief, »Fürstäbtissin am Fraumünster die Fidel gestrichen.«

Er drückte ihm, unter einem polternden Auflachen der Tischrunden und des Volkshaufens die Schwegelpfeife in die Hand.

Aber Ulmann tat keinen Ruck.

»Ei, seht den Bettlerkönig, wie er groß tut!« lärmte der junge Stüssi. »Das hat er seiner schönen, insonderheitlich,« er verbeugte sich wieder fast bis zum Boden, – »hochwohlgeborenen Königin von Zürich abgeguckt. Pfeif, du Hund!« schnörrzte er wütend.

Ulmann regte keinen Finger.

Da entriß ihm Hans Stüssi das Pfeiflein wieder, spuckte drauf und warf es ihm ins Gesicht.

»So laß es bleiben, du Fetzelkönig! Kommt, Bursche, wir wollen ihn durch den Krüppelwald jagen!«

Mit zitternden Fingern las Ulmann das zu Boden gefallene Pfeiflein auf und barg es im Wams.

»Heja, fitzt ihn nur zur Stadt hinaus!« rief mit quikendem, dünnem Stimmlein der Stadtschreiber Graf und seine schlauen Äuglein funkelten: »Meiner lieben Frauen Gnad wird ja wohl einen frischen Hofpfeifer finden. Soviel ich weiß, läßt sie die Semmeln und die Mannsleute in ihrem Hause nicht gerne altbacken werden.«

Ein rasendes Gelächter allerseits.

Und jetzt donnerte plötzlich Bürgermeister Stüssis Stimme durch die Trinkstube: »Genug des Spiels! Fort mit dem Kerl! Zieht ihm die Hosen ab und jagt ihn zum Rennwegtor hinaus!«

Strahlend vor grimmiger Freude packten Hans Stüssi und seine Genossen den Pfeiferkönig und fuhren mit ihm durch die aufschreienden Weiber und Kinder zur Türe hinaus und die Treppe hinunter.

Als die Nachglocke erklang, wurde Ulmann mit gebundenen Händen auf die niedere Brücke zum Brunnen geführt. Dort wurde ihm von einem Stadtknecht der Kopf dreimal fast bis zum ersticken in eine volle Wassergelte gedrückt. »Es ist heiß,« sagte er lachend. »Wir wollen den Stubenhitzer der Äbtissin ein bischen abkühlen.«

Dann trieb man den Spielmann die Strehlgasse hinauf in den Rennweg. Bei dem Eimer am Brunnenrand gab es einen zweiten Halt. Und als Ulmann meinte, den Geist aufgeben zu müssen vor Elend und Scham, jagte man ihn durch eine Gasse roher Stadtknechte, die mit Fäusten und Schuhen nach ihm schlugen, zum Rennwegtor hinaus.

»Nun, Zaunköniglein, habe ich dir deine Unverschämtheiten redlich bezahlt!« lärmte in jauchzendem Haß der junge Stüssi. »Nun muß ich mit deiner Frau Königin noch auf gleich kommen.«

Jetzt polterte aus dem Torturm der Fallgatter herunter. Der Volkshaufe verlief sich schnell und Hans Stüssi machte sich mit seinen Gefährten lachend und scherzend, durch den Rennweg zurück.

Ulmann aber schleppte sich vor der Stadtmauer stöhnend, zerschlagen und blutüberströmt bis zur Klose an der Stephanskirche, wo er zusammenbrach.

Elftes Kapitel. Der Pfeiferkönig.

Am andern Morgen trugen nach dem Ütliberg ausgesandte Ausspäher die Kunde in die Stadt, die Eidgenossen zögen in großen Heerhaufen dem Albisberge entlang und hätten es offenbar auf die Stadt abgesehen.

Das war nun aber den handlichen Zünftern zuviel. Und obwohl ihnen die Botschaft heimlich für ihre Stadt bange machte, verdroß sie die Keckheit der Eidgenossen, die sich gleich hinter die feste und gut bewehrte Stadt machen wollten, so gewaltig, daß sie alles andere darüber vergaßen.

Sie beschlossen daher, ohne den Stellvertreter des Königs, den Markgrafen Wilhelm von Hochberg oder ihren österreichischen ersten Feldhauptmann Thüring von Hallwil im mindesten zu beraten oder zu fragen, vor die Mauern und über die Sihl zu gehen, um dort die Eidgenossen im freien Felde, hinter dem Grünhag mannlich zu erwarten. »Heijo, da sollen sie uns kommen!« meinte Heini Schwend zu seinen Schwertlern. »Im offenen Felde werden wir die Hirtenknaben gehörig verhauen.«

Also zogen sie gegen Mittag in hellen Scharen mit der Stadt blauweißem Banner durch das Rennwegtor aus dem Mauerring und über die Sihlbrücke.

Jenseits des untiefen, fast ausgetrockneten Flusses, lagerten sie sich in der Nähe der Kapelle des Sondersichenhauses zu St. Jakob dem mindern.

Und wie sie vernahmen, die Eidgenossen hätten bei dem Dorfe Rieden ob dem See Halt gemacht, als getrauten sie sich doch nicht so recht in die Stadtnähe, wuchs ihnen der Mut gar sehr. Sie wurden so sorglos, daß sich jede rechte Ordnung löste, nicht einmal Wachen oder Späher schickten sie aus. Und da die heiße Sonne des ausgehenden Heumonats auf ihre Blechhauben und Harnische niederbrannte, machten sie sichs bequem, schnürten die schweren Blechhauben, Arm- und Beinschienen ab, streckten sich unter den Linden und hinter dem Grünhag und alsbald hob ein gewaltiges Zechen und lärmendes Treiben an. Sie schienen die Eidgenossen vergessen zu haben oder ihren Zug auf die Stadt für leere Drohung zu halten.

In Tansen, Tragfäßchen, Gelten und Zubern aller Art mußten ihnen die nur allzu willigen Stadtknechte Tranksame zutragen. Zwar floß der klare Bergfluß, die Sihl, ganz nahe an ihnen vorbei, aber als einige Durstige darnach zu laufen begannen, lärmte ein rotnasiger Haubenschmied: »Schämt ihr euch denn nicht, ihr zweibeinigen Kröten, von dem elenden Gesöff zu lappen, das aus dem Schwyzerbiet herläuft, wo wir doch alle Keller voll Königswein in der Stadt haben!« Da ließen sie das feindliche Gewässer ruhig um die Steine quirlen und sparten ihre schönen Dürste für den prozessionsweise anrückenden Königswein.

Nämlich, als im vorigen Herbste König Friedrich in Zürich zu Besuch war, geriet der Wein besonders gut. Da nannte man ihn dem König zu Ehren, der ihn süß aus der Stande getrunken, Königswein. So hatte man gleich auch eine zünftige Ausrede für ein unablässiges Becherlupfen und Zustupfen; denn, weil es nur einen Jahrgang Königswein gab, mußte man in ihm doch alles hochleben lassen, was einem mehr oder minder am Herzen lag.

Allemal rauschte ein gewaltiges Gelächter den Grünhag entlang, wenn wieder ein paar Stadtknechte mit Tansen auf den Rücken, oder Holzgelten auf den Köpfen, betrunken über die lange, schmale Sihlbrücke wackelten und fackelten.

Aus dem kriegerischen Auszug war ein Fest im Grünen geworden.

Als nun der Zürcher oberste Feldhauptmann, der österreichische Graf von Hallwil mit Hans von Rechberg, dem von Busnang und einigen andern zugewandten Edelleuten mit ihren Reisigen, eilig über die Sihl geritten kam, schauten die Zechenden schier verwundert auf die nahenden Reiter und ward ihnen allmählich wieder durch den aus dem Königswein aufsteigenden Nebel ersichtlich, weshalb sie zu Felde lagen.

Hallwil aber, schon erbost durch den ohne sein Zutun bewerkstelligten Auszug, erschrak mit seinen Edlen, als er sah, in welch sorgloser Unordnung die Zürcher, zechend oder ein Mittagsschläfchen verübend, herumlagerten.

Zornrot ritt er unter sie und fragte heftig, für was man ihn denn zum Feldhauptmann ernannt habe, wenn man sich um ihn nicht mehr kümmere, als um einen abgehauenen Katzenschwanz. Er sei aber doch der Feldhauptmann, dem sie zugeschworen hätten, und so befehle er ihnen im Namen des verbündeten Königs, hinter die Sihl und in die Stadtmauern zurückzukehren. Die Eidgenossen seien ihnen der Zahl nach übermächtig und die Zürcher mit ihren österreichischen Helfern hätten genug zu tun, die Stadt zu halten.

Aber die Zürcher, die der österreichischen Kriegsgefährten längst überdrüssig waren, ließen den Feldhauptmann reden und der angeheiterte Zunftmeister Hans Keller rief ihm gar zu: »Herr Graf, schnallt den Panzer ab und setzt Euch zu uns ins Grüne, so wollen wir im Wams einen Wettlupf in Königswein zusammen wagen, die Ofenwinkel in der Stadt laufen Euch nicht davon. Ihr mögt Euch darnach mit Euern Freunden noch früh genug dorthin verkriechen.«

Da ward Herr Hallwil wild.

»Ei, ihr wohlgemuten Leute,« rief er aus, »ist's so gemeint? Kommt, laßt uns absteigen, ihr Herren! Obwohl es uns bei dieser Sauordnung bös geraten mag, soll uns doch niemand hinter den Öfen suchen müssen.«

Sogleich stieg ein Teil der Edelleute mit ihren Knechten ab. Die andern machten sich, vorsichtiger, zum Markgrafen von Hochberg in die sichere Stadt zurück.

Unterdessen war der Rat in der Stadt in ständiger Sitzung beisammen, bereit, bei der ersten Kunde vom wirklichen Anrücken der Eidgenossen, ebenfalls mit den letzten Mannschaften über die Sihl zu eilen.

Eine Anzahl Herren des Rates hatte es nicht übel verschnupft, daß Bürgermeister Stüssi, übernommen von seiner unbesonnenen Heftigkeit und Prahlsucht und gestachelt von Kampfbegierde, die Zürcher aus der Stadt und gar über die Sihl ausziehen ließ. Doch wagten sie nicht, außer einem bedeutungsvollen Schweigen, sich etwas merken zu lassen.

Bürgermeister Rudolf Stüssi war seit Ritter Meißens Tod wunderlich und gereizt und ertrug den Widerspruch nur noch wild fauchend, wie eine Wildkatze, die einen Vogel zu rupfen anfängt, den Blick des Menschen. Er fühlte sich nicht mehr so fest im Sattel seit es sich gezeigt, daß trotz dem verheißungsvollen Bündnis mit Österreich die Eidgenossen nicht nur nicht erdrückt werden konnten, sondern sich an der vermehrten Gefahr erst recht aufrichteten. Daß sie ihm aber gar seine Feste, in der er als König saß, zu bedrohen wagten, erfüllte ihn mit einer namenlosen Wut. Statt die Eidgenossen sich an den Mauern die Köpfe einrennen zu lassen, spielte er seine letzten Trümpfe aus und hetzte in wildem Übermut die Zünfte dem mächtigen Feinde ins freie Feld entgegen, trotz allen Abmahnungen seiner österreichischen Verbündeten.

In der Ratsstube herrschte eine seltsame Schwüle und fühlbare Bedrücktheit, denn jeder Augenblick konnte wie ein Blitz die Meldung vom Herannahen der Eidgenossen ins Haus werfen.

Eben erhob sich Rudolf Stüssi, vollständig geharnischt, einen Arm auf eine gewaltige Streitaxt stützend, von seinem Thronstuhl und trug unter Totenstille an, es sei nun an der Zeit, den ärgsten Feind im Innern, Anna von Hewen, die Äbtissin am Fraumünster, zur Verantwortung zu ziehen und so rasch als tunlich unschädlich zu machen. Unter grimmigem Lächeln sagte er: »Es ist nun nicht mehr zu frühe, die heimlichen Sünden der schönen Frau an der Abtei einmal beichtzuhören. Sollten die Eidgenossen in die Stadt gelangen, was Gott und unsere Mordäxte verhüten mögen, so dürfte es leicht zu spät sein. Die Fürstin von Zürich täte dann uns andern für die allerletzten Beichtväter sorgen.« Dann aber machte er finster: »Lange genug haben wir das Zwischenspiel und die bösen Ränke dieser hochfahrenden Pfäffin im seidenen Unterrock ertragen. Viel zu lange durfte sie ungebüßt die Schwyzer und alle Welt gegen uns hetzen. Die ganze Stadt weiß, was für eine Rolle ihr frecher, durchtriebener Hofpfeifer spielte. Dieser Fetzelkönig wagte es sogar, die ehrlichen Söhne der Stadt anzugreifen, er, der hochverräterische Kundschafter. Und es ist leider wahr, sie war mit ihm königlich versehen, denn es gelang uns nie, ihn zu erwischen. Doch was wollen wir länger auf Beweise fahnden, um das heillose Weib einziehen zu können? Jedermann konnte sie bei unsern Erfolgen traurig, bei den Siegen unserer Feinde hochwohlauf sehen.

Als die Eidgenossen vor kurzem das Kloster Rüti plünderten und die Leichen der Adeligen, ja sogar des Grafen Friedrich von Toggenburg, ihres Freundes, aus den Särgen leerten und sich mit den Gebeinen des Grafen von Thierstein, wie Schulbuben mit Schneeballen bewarfen, soll die schöne Frau kurz aufgelacht haben, wie sie's vernahm. Dann soll sie gesagt haben, mit Stüssis hartem Schädel werden die Eidgenossen eines schönen Tages vor der Abtei nach dem dürren Gebein des Stadtschreibers kegelschieben. Und es möchte das wohl werden, kämen sie in die Stadt, denn die Eidgenossen würfen dem Herrgott die blauen Scheiben ein, wäre er ihnen nicht allzeit zu willen und fürchteten sie den Teufel nicht.«

Er horchte einen Augenblick auf. Draußen ward es mit einemmale ungewöhnlich laut mit Rufen und Lärmen. Dann fuhr er fort: »Doch genug, das Maß ist voll. Die eitle Frau, der wir doch zur Regierung verhalfen, will über unsere Rücken nach dem wurmstichigen Thronstuhl der alten Fürstinnen von Zürich schreiten. Soll sie dies Ziel jemals erreichen? Nein!« donnerte er plötzlich in wild aufsteigendem Grimm. »Nein! Sie soll nicht einmal mehr darnach blinzeln dürfen. Wir wollen ihr die goldenen Schnüre aus den Haaren reißen und den weißen Hals für den . . .«

»Hilfio, hilfio! Die Eidgenossen!« lärmte es in die Ratsstube.

Hans Asper, der oberste Ratsknecht stand schweißbedeckt in der Türe.

Auf schnellten die Räte, wie Vesperbrot haltende Bauern, ob denen der Blitz in den Baum fährt.

Bürgermeister Stüssi sprang, seine Streitaxt in die Faust krampfend, vom Thronstuhl und ergriff das dreieckige Rennfähnlein, das ihm ein Ratsknecht überreichte.

Über Kopf und Hals fuhr alles zur Ratsstube hinaus.

Jetzt begann das Glöcklein im Chortürmchen der Probstei zu läuten, dann fiel die Feuerglocke der Abtei ein, dann das Primlegel und die große Glocke und nun hub auch das Glöcklein zu St. Verena zu wehklagen an, mit einemmale überrauscht von den großen Glocken des großen Münsters und zu St. Peter.

Vor dem Rathause auf Plätzen und Gassen war ein heilloser Wirrwarr. »Feindio, hilfio!« schrieen die aufgeschreckten Weiber und Kinder.

Von ihrer Trinkstube zum goldenen Horn her, die Marktgasse herunter, kamen dröhnenden Schrittes, mit wirbelnder Trommel, ein Trüpplein von der Schmiedezunft. Sie schlossen sich Bürgermeister Stüssi an, der eben, das Rennfähnlein in der Faust, an der Spitze einer in der Stadt verbliebenen Schar Schwertler und Bogenschützen, über die niedere Brücke stürmte.

Diesen nach rannte noch die zuletzt aufgebotene Metzgerzunft. Wie sie über die niedere Brücke polterte, donnerte vom Hof herab ein Lärmschuß. Da schwang der Metzger Zunftmeister seine Mordaxt drohend gegen die Abtei hinauf und brüllte: »Heut deinen Freunden, morgen dir! Hie allweg Zürich!«

Und fort rasten sie wie das heilige Donnerwetter.

Allmählich ward es stiller in der Stadt, nur die Glocken heulten fort und vom Zürichberg kam nun der Widerhall ferner lärmender Geschütze.

Es ging gegen Abend.

In ihrer Erkerstube stand Anna von Hewen, die Äbtissin im offenen Fenster und um sie drängten sich ihre Frauen, doch war von den Tischtöchtern nur Anna von Thengen unter ihnen.

Vor ihr auf dem Fenstergesimse lag, aufgeschlagen, ihr mit Samt eingebundenes, in prächtiger Handschrift und schönfarbigen Initialen geschriebenes Gebetbüchlein.

Aber jetzt las sie nicht darin. Mit brennenden Augen, bebend vor Aufregung, schaute sie nach dem trotz der beginnenden Dämmerung immer röter werdenden Himmel und dann in die Gassen der Stadt hinunter.

Dort war ein wilder Lärm, ein Rufen und Schreien und ein tolles Durcheinander fliehender Leute.

»Sie kommen, sie kommen!« kreischten die Weiber und Kinder. »Die Eidgenossen kommen!« – – – »Mordio, mordio!« brüllten einige aus dem Münsterhof nach der Brücke flüchtende Stadtknechte. »Sie sind schon in der mindern Stadt, hart auf uns!« – »Retta Österreich!« lärmte eine Schar österreichischer Troßbuben. »Man will Österreich den Eidgenossen ausliefern, Verrat, Verrat!« – »Hilfio, feindio, mordio!« schrie es aus allen Gassen. Suchte alles über die Brücken in die mehrere Stadt hinüberzukommen, was besonders auf der niedern Brücke ein arges Drängen absetzte, denn dort und bis um den Schneggen, hielt eine in gleißendem Eisen starrende Reiterschar österreichischer Edelleute mit ihren Reisigen, an ihrer Spitze der Markgraf von Hochberg.

Da sie die Eidgenossen schon in der mindern Stadt glaubten und sich von den Zürchern an sie verraten wähnten, hatten sie sich, ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen, flink beritten gemacht und bei der niedern Brücke aufgestellt.

Anna von Hewen sah die wilde Flucht ihrer Feinde, hörte aus ihrem Hilfegeschrei den Sieg ihrer Freunde und Helfer heraus. Sie vermochte ihre Freude nicht zu verbergen und schrie auf: »Lauft, lauft, ihr da unten! Ich will zu Gott beten, daß ihr alle erstochen werdet. Zwei Klafter springe ich jetzt hinter Schwyz und lasse Österreich auf ewig fahren, denn werden die Eidgenossen Meister, so ist das mein größtes Glück. Behüte Gott, die ich segne!«

Und als die Frauen hinter ihr bei dem zunehmenden Lärm in den Gassen aufschrieen, wandte sie sich mit strahlenden Augen um und sagte schier unwillig: »Fürchtet ihr euch? Ei, da hat es keine Not, denn euch geschieht nichts Böses von meinen Freunden, den Eidgenossen.«

Kaum schaute sie wieder zum Fenster hinaus, lachte sie laut auf.

Eben rannte um die Gäden am Fraumünster, flott ausgreifend wie ein frischgehaberter Gaul vor der Trompete, die Lanze wie einen Ellenstecken unterm Arm tragend, meiner Frauen Leibschneider und flink, wie ein Schulbube mit gestohlenen Äpfeln, verschwand er durch das Kilchtor in der Abtei.

Hinter ihm drein gegen den Kratzturm aber eilte der Untervogt im Kratz mit einigen Stadtknechten und ihnen folgte in flottem Galopp, aber ohne Sturmhaube und Waffen, mit jämmerlichem Gesicht, der Kratzschreiber. Sein Haar war übel zerzaust und sein Wams hinten von oben bis unten zerrissen, wie der Vorhang im Tempel zu Jerusalem, als hätte es der hl. Martin mit dem Schwert geteilt. Er schien mit knapper Not den wilden Griffen irgend eines handsamen Eidgenossen entronnen zu sein. »Jesus Gott, Jesus Gott, sie kommen!« lärmte er erbärmlich. »Hilfio, mordio, mordio!«

Der Lärm in der Stadt nahm immer mehr zu und jetzt hörte man den fernen Donner eines großen Geschützes. Der zudunkelnde Himmel aber war brandrot geworden und warf auf das Gesicht der immer noch im Fenster liegenden Äbtissin einen blutroten Schein.

Plötzlich wurde die Türe aufgerissen.

Die Frauen der Äbtissin kreischten entsetzt auf und auch Anna von Hewen wandte sich rasch um.

Ihr Bruder, Freiherr Friedrich von Hewen, trat flinken Schrittes in die Stube.

»Ha, du bist's, Bruder! Wie steht's, wie steht's?!« rief die Äbtissin, auf ihn zueilend. »Kommen sie wirklich, die Eidgenossen, oder ist es nur ein leeres, schreckhaftes Geschrei? Rede, rede!«

Der Freiherr ließ sich auf einen Stuhl fallen, strich mit der Hand über die schweißtriefende Stirne und sagte: »Kommen sie heut nicht, so kommen sie morgen. Eins ist gewiß: Die Zürcher wurden heute schwer auf's Haupt geschlagen.«

Er atmete lange auf. Aber Anna von Hewen faßte ihn, hochrot vor gewaltiger Aufregung, am Ärmel und ihn kräftig schüttelnd, rief sie fast aufschreiend: »So bericht' doch, so erzähl', erzähl'! Siehst du denn nicht, daß ich sterbe, wenn du noch lange wartest!«

»Ei, so lass' mich doch ein bißchen verschnaufen,« brummte er.

»Licht! Bringt Licht!« schrie die Äbtissin.

»Ich ritt also, wie du mir auftrugest, aus der Stadt, um nach dem Gang der Schlacht zu sehen. Und siehe da, ich kam eben zur rechten Zeit.

Wie ich an der Kirche zu St. Stephan vorbei gegen die Sihlbrücke ritt, hörte ich das dumpfe Brüllen des Stiers von Uri, das Tüten der Harsthörner von Unterwalden und eben brachen die Fähnlein von Schwyz und Glarus in wildem Anlauf durch den Grünhag in den schießenden, nur wenig geordneten Haufen der Zürcher hinein.

Zwar stellten sich diese mannhaft, aber, ich weiß nicht weshalb, plötzlich lärmten die hintersten ›Verrat, Verrat!‹ und fingen an auszureißen. Und als dann auch die übrigen Banner der Eidgenossen in die verwirrte Herde der Zürcher und ihrer österreichischen Edlen drückten und den heillosen Knäuel unter dem Schirm ihrer Schützen, auseinanderzuhauen anfingen, löste er sich mit einemmale auf und der ganze Brei wälzte sich in unaufhaltsamer Flucht über die Sihlbrücke, hinter ihnen her jauchzend und brüllend die Eidgenossen. Es war mir, ich sehe Uli von Lommos Federbusch im Gedränge untergehen.«

Eine Kammerfrau brachte zwei Kerzenleuchter in die Stube. Anna von Thengen entnahm dem einen eine brennende Kerze und zündete damit, auf einen Stuhl stehend, auch den großen Leuchter an, der als ein Zwölfendergeweih mit behaubtem Frauenköpfchen, von der getäferten Decke hing.

»Aber bei der Sihlbrücke,« fuhr der Freiherr fort, »gelang es Rudolf Stüssi, ich erkannte seine hohe Gestalt aus allen heraus, – eine Schar der Flüchtenden zu stellen und die allzusiegesgewissen Verfolger zurückzudrängen.

Da geschah etwas merkwürdiges. Ein flinker braunhaariger Bursche, ich meinte in ihm deinen Spielmann zu erkennen, – stellte sich vor das Fähnlein der vordersten, zurückgeworfenen Schwyzer und Glarner. Flugs hatte er sein Schwegelpfeiflein am Mund und es spielend, schritt er todesmutig gegen die Zürcher.

Jetzt ermannten sich die Schwyzer und Glarner. ›Haarus, haarus!‹ brüllten sie und wie eine Schlaglawine fuhren ihre Fähnlein auf die Sihlbrücke los. Die Zürcher flohen wieder, nach kurzem erbittertem Widerstande. Noch sah ich aber den bäumigen Bürgermeister Stüssi, allein auf der Brücke stehend, mit wirbelnder Streitaxt, den ganzen Ansturm als ein gewaltiger Held aufhalten.

Aber plötzlich sank er und ich wurde von der Lawine der Flüchtenden erfaßt und mitgerissen.

Mit Not kam ich durch das Rennwegtor in die Stadt, um mich und hinter mir flüchtende Zürcher und österreichische Reisige, aber auch schon vereinzelte mordgierige Eidgenossen. Ich sprang vom Pferd und machte mich hurtig auf die Ringmauer, wo man eben in aller Hast die große Büchse lud.

Da sah ich es schon auflodern in der Vorstadt, und eben fuhren aus dem Kirchendache zu St. Stephan die Flammen wie feurige Ruten himmelan.

Über den Graben aber, vor der Mauer, jagten immer noch, schreckensbleich, gehetzte Zürcher. Unter ihnen der Stadtschreiber Stäbler, der Graf. Hart vor dem Tore wandte sich einer der Flüchtenden, – es schien mir ein Bauer zu sein – und rannte dem aufkreischenden Schreiber fluchend seine Lanze durch den Leib.

Jetzt sah ich des Torwächters entschlossenes Weib aus einer Turmlucke einen Kalchkopf auf ein paar hereinstürmende Feinde werfen und gleich darnach rasselte der Fallgatter nieder.

Nun zogen sich die Eidgenossen, denen die Stadt heute schon bei einem Haar geworden wäre, langsam zurück, denn jetzt hagelten aus der großen Büchse, ab Armbrüsten und aus Handbüchsen Kugeln und Pfeile auf sie herab.

Schnell machte ich mich fort, dir die Schlacht zu melden. Als ich mich an der Mauer in den Sattel schwang, sah ich eben noch, wie einer der eingedrungenen und nun gefangenen Eidgenossen das eroberte zürcherische Stadtfähnlein durch den herabgelassenen Fallgatter einigen kecken vor dem Tore stehenden Eidgenossen zustreckte und dann von den ihn umdrängenden Zürchern zusammengehauen wurde.

Lebhaft ritt ich zu. Als ich aber in die Strehlgasse kam, erblickte ich zu meinem Erstaunen deinen Spielmann, den Pfeiferkönig, in den Händen eines tobenden Haufens grimmiger Blutharscher. Er war blutüberloffen und ein wilder Kerl brüllte ihn, sinnlos vor Wut, an: »Bekenn', du Hund, bekenn'! Du warst es, der den Bürgermeister meuchlings von der Brücke stach, du bist es, der dem verfluchten Weib an der Abtei den Zwischenträger gemacht hat. Bekenne, daß sie eine Hochverräterin ist, bekenne es vor diesen allen!«

Wie sie ihn auch schlugen, der Spielmann blieb stumm.

›Zerbrecht ihm Arme und Beine,‹ lärmte einer, ›martert ihn bis er bekennt!‹

Sie drückten ihn nieder und ich sprengte davon, dir Botschaft zu bringen. Es war ein böser Tag für die Stadt, denn ihre Bürger liegen haufenweise erschlagen vor den Mauern, die Eidgenossen aber stehen, wie eine Wolke voll frischer Donnerwetter, vor dem Tore. Was hast du, Schwester, was bist du auf einmal so bleich?«

Anna von Hewen war in ihren Lehnstuhl gesunken.

»Laßt mich, laßt mich!« gebot sie den Frauen, die sich an sie heranmachten, »es ist nichts.«

Unterdessen war es finstere Nacht geworden, nur ein feuerfarbener Nebel war noch draußen am Himmel.

Mit geschlossenen Augen lag die Äbtissin im Lehnstuhl. Ihr war, sie komme um den Verstand. Welche Nachrichten! Rudolf Stüssi und Stadtschreiber Graf, ihre ärgsten Widersacher, ihre Todfeinde, erschlagen. Wie es ihr Bruder erzählte, hatte ihr Blut zu sieden angefangen, doch war es ihr gelungen, den kalten Schweiß auf der Stirne, ein wildes Aufjauchzen hinunterzuwürgen. Es war ja eine Kunde über alle ihre Hoffnungen. Meiß war gerächt, und sie selbst sah sich ihrem Ziele, dem Thron von Zürich, ganz nahe. War auch die Stadt noch nicht in der Eidgenossen Gewalt, so standen sie doch sieghaft vor den Toren und hatten der österreichischen Partei den Todesstoß gegeben. Die Stadt wird zu Kreuze kriechen und alle, alle Bedingungen für den Frieden eingehen müssen. Sie jubelte innerlich vor Wonne. Dann aber war die Unglücksbotschaft vom Pfeiferkönig, ihrem Kundschafter gekommen. Wie, wenn sie ihn zu einem Bekenntnis zu zwingen vermöchten, bevor die Stadt fiel? Würde man sie nicht noch hastig und mit teuflischer Rachelust wegen endlich erwiesenem Hochverrat unter das Beil zu bringen suchen? So konnte sie noch elend zu Fall kommen an der Stufe ihres fürstlichen Thrones! Das alles ging ihr wie der Wind durch den Sinn. Sie wagte es nicht auszudenken. Doch er wird treu sein und standhalten. Aber wenn ihn die Pein doch zum reden brächte und ihr heutiger Rachetag sich in eine blutige Nacht für sie verwandeln würde? Wenn den Ärmsten die Qual doch zum reden brächte! –

Jetzt glühte ihr Kopf und ihre Ohren waren schon voll von den Klängen des Armsünderglöckleins.

Sie sah, wie ihr die rohen Blutknechte die goldenen Schnüre vor den Augen Hans Stüssis aus den Zöpfen rissen, sie gierig mit ihren mordgewohnten Fleischerhänden anpackten. Nein, nein, nein! schrie es wie wahnsinnig auf in ihr. Ulmann mußte heute noch um jeden Preis aus den Griffen seiner Peiniger befreit werden. Er war ihres Gotteshauses Mann und jetzt nach dieser schmachvollen Niederlage würde es niemand wagen, ihr in den Arm zu fallen. Und wenn auch, sie mußte ihn heute so oder anders befreien und morgen kommen die Eidgenossen.

Erschrocken stoben die Frauen auseinander. Die Äbtissin, über die sich eben ihr Bruder besorgt beugen wollte, war aufgefahren.

Mit schier wahnwitzig funkelnden Augen stand sie da und schrie: »Eilt, eilt, ihr Frauen! Ruft mir das ganze Haus zusammen. Aber hurtig, hurtig! Alle meine Geistlichen, Chorherren und Kapläne, Dienste und Knechte, alle bis auf den letzten Pfisterjungen, sollen in meinen Hof eilen, denn ich will in die Strehlgasse ziehen, meinen Eigenmann, den Pfeiferkönig, zu befreien. Fort, packt euch! Komm, Bruder!«

Sie drängte die aufgeschreckten Frauen vor sich her und bald war in der Abtei herum ein polterndes Laufen und Lärmen.

Nun eilten mit entsetzten Gesichtern die beiden Elsbeth von Wißenburg, die sich auf dem Estrich versteckt hatten, herein.

»Frau Mutter, Frau Mutter, was ist das für ein Lärm in der Abtei?! Sind die Eidgenossen schon eingebrochen?!«

»Nein,« machte die Äbtissin kurz, fast wild.

Als sie in den Gang hinaustrat, stand auch Verena von Monsax bleich, aber gefaßt vor der Türe.

Die Äbtissin wies weder sie noch die andern Tischtöchter zurück, als sie ihr die lange Stiege hinunter nachkamen.

Babeli, die ältere und Agnes, die jüngere Kammerfrau, trugen ihnen die Kerzenleuchter voran.

Bald gelangten sie ans Tor. Die Äbtissin wollte es aufreißen, aber es ging nicht auf. Rasend vor Ungeduld zerrte sie an der Klinke und als es sich doch nicht öffnen wollte, half ihr Bruder mit einem gewaltigen Rucke nach. Jetzt ging das Tor ächzend auf und an die Hand der Äbtissin schlug ein feuchtes Haupt.

»Die Lichter hoch!« schrie sie auf.

An der Türfalle hing der leblose Körper eines Menschen.

Die Äbtissin griff mutig in sein blutverkleistertes Haargelock: Die toten Augen des Pfeiferkönigs starrten sie an.

»Heilige Muttergottes!«

Entsetzt wich die Äbtissin zurück.

Aber Verena von Monsax machte sich aufschreiend über den Toten her, löste ihn mit zitternden Fingern von der Türklinke und ließ sich, wild aufschluchzend, mit dem Toten auf das Stieglein vor der Türe nieder, sein zerschundenes Haupt sorglich in ihren Schoß bettend.

Regungslos hatte ihr die Äbtissin zugeschaut. Er hat mich nicht verraten, das war ihr erster Gedanke.

Aber als jetzt der Freiherr sagte: »So haben sie den tapfern Burschen doch noch erschlagen,« erwachte sie und mit Tränen in den Augen rief sie: »Ei, ich danke euch von Herzen, ihr mordgewohnten Blutharscher, daß ihr mir meinen lieben Spielmann zugetragen habt. Es soll euch nicht vergessen werden. Er ist mir hochwillkommen, denn er war getreu bis in den Tod. Hört!« rief sie dann ihrem herbeieilenden Schaffner und Zoller mit schier rauher Stimme zu: »Tragt mir meinen Hofspielmann sogleich ins neue Bad! Darnach sollen ihn meine Frauen bekleiden wie einen Fürsten und in m. L. Frauen Kapelle vor den zwei steinernen Särgen meiner seligen Vorläuferinnen, der Königstöchter Hildegard und Bertha, aufbahren wie einen König von Gottes Gnaden. Er wird dort in guter Gesellschaft sein. Und sollen auch den Schild nicht vergessen, der in seiner Dachkammer hängt. Tummelt euch!«

Dann trat sie zu Verena von Monsax.

»Und du, Vrenlein, komm jetzt mit uns!«

Der Hof füllte sich mit Leuten. »Ist der Spielmann aufgebahrt, magst du zu ihm hinabsteigen, um für ihn zu beten. Jetzt komm!«

Als Verena von Monsax unbeweglich blieb und sie schier feindselig anblickte, löste sie ihr die Hände ruhig vom blutigen Haupte des Toten, hob sie auf und verschwand mit der Schluchzenden, gefolgt von ihrem Bruder und den Frauen im düstern Aufgange ihres Hauses.

Der Widerhall eines letzten donnernden Schusses kam durch die Nacht.

Zwölftes Kapitel. Meiner Frauen Namenstag.

Die offenen Scheiblein in der großen Stube der Abtei zitterten leise im lauen Sommermorgenwind. Und auch die Rosen zitterten mit, die sich in leuchtenden Kränzen um die Mittelpfosten der Bogenfenster wanden.

Auf dem Boden der Stube lagen die goldenen Scheiben der Morgensonne und an den braunen Wänden rankten sich überall Epheugewinde empor bis zu den fünf Blumenkörben, die in Abständen von der geschnitzten Decke hingen.

Die Stube duftete wie ein Rosengarten, denn auch über den Teppich, der von der Türe zum thronartigen Lehnstuhl der Fürstin führte, hatte man ein Füllhorn von Rosen ausgeschüttet.

Man feierte heute das Fest der hl. Anna, Mutter Mariä und Namenstag der Äbtissin Anna von Hewen.

Da hatten es sich die Frauen der Abtei trotz der kriegerischen Zeit, nicht nehmen lassen, in aller Morgenfrühe die Gärten des Klosters für ihre gnädige Frau Mutter zu plündern.

Eben war sie eingetreten und sah sich flüchtig, aber mit freundlichem Lächeln, in der hochgeschmückten Hofstube um. Sie nahm eine Rose vom Teppich auf, roch daran, ließ sie wieder fallen und trat an ein Fenster.

Mit langem Blick schaute sie erst über den blauen See hinauf und dann in die Stadt hinein. Ihre Züge wurden ernster und erschienen in der Morgensonne etwas blaß und übernächtig.

Lange hatte sie nicht einschlafen können. Der alles vorweisende dunkle Spiegel der Nacht zeigte ihr immerfort den blutüberströmten, zerschlagenen Pfeiferkönig, ihren treuen Kundschafter. Als sie endlich einschlummerte, folterten sie, wie die Krallen des blutsaugenden Nachtgevögels, unheimliche Träume. Zweimal mußte sie ihre Kammerfrau anrufen. Aber als der Morgen mit goldenen Fingern an ihrem Himmelbett herumtastete, ging der bleiche Schatten des Kundschafters still fort und statt seiner lagen die Schatten des toten Stüssi und seiner Freunde vor ihrem Bette und durch die Tore der Stadt sah sie die Eidgenossen hereinrasen.

Da war sie hastig aufgestanden und in den Chor des Münsters geeilt, der hl. Anna zu danken für dies Namensfest, das ihre heftigsten Feinde tot sah und sie so Großes hoffen ließ.

Lange staunte sie über die Stadt. Das war die Stadt ihrer fürstlichen Vorgängerinnen, vielleicht bald auch die ihrige.

Schritte ließen sich hören und nun klopfte es.

Aufgeräumt wandte sich die gnädige Frau. Da ging die Türe und ihre Hofkapläne traten ein, gefolgt von den alten Chorherren aus den Pfrundhäusern. Und eben als die Äbtissin sich in ihrem Thronsessel niederließ, erschien auch noch des Gotteshauses Ammann, Herr Edlibach, mit bekümmertem Antlitz, und die ersten Beamteten der Abtei. Sie alle beglückwünschten die Äbtissin zu ihrem heiligen Namenstage, wünschten ihr eine recht lange Herrschaft und alles was sie sich selber wünsche.

Stehend und wohlwollend lächelnd, ließ sich die hochgewachsene Herrin huldigen und entließ dann alle auf's gnädigste. »Wenn wir den langen Tisch gedeckt haben werden, erwarte ich euch wieder,« rief sie den alten Chorherren nach.

»Wir werden den ganzen Vormittag nach dem Wendelstein zu St. Peter hinaufhorchen,« gab im Hinausgehen ihr schneeweißer Senior scherzend zurück, »und wie's Mittag schlägt hereinstürmen. Aha!« sagte er, hurtig zur Seite tretend, »die haben das Stürmen besser los als wir.«

Die Tischtöchter der Äbtissin eilten herein, erst die beiden blonden Elsbeth von Wißenburg, dann die braunlockige Anna von Thengen und zuletzt kam, aber ganz langsam und totenbleich, an der Türe das Weihwasser nehmend und den armen Seelen spritzend, Verena von Monsax.

Trugen alle, außer Verena, Rosenkränzlein in den Locken.

»Glück und Segen und langes Leben, liebe Frau Mutter!« riefen die Fräulein und verbeugten sich tief vor der Äbtissin.

Sie aber gab einer jeden die Hand und sagte: »Auch ich, liebe Kinder, wünsche euch allen und besonders auch dir, übermütiges Ännchen – bist ja heute auch Namenstagskind, – alles Gute. Und dann danke ich für die prächtigen Rosen. Ihr habt die langweilige Hofstube wahrhaftig in eine Rosenlaube verwandelt. Ich danke euch!«

Jetzt war auch Verena zur Äbtissin getreten und hatte lautlos ihren Siegelring geküßt.

»Du bist krank, Vrenlein,« redete die Äbtissin sie an, »du bist sehr krank.«

»O ja,« sagte die ältere Elsbeth, »sie hat die ganze Nacht nicht geschlafen und als sie meinte, wir schliefen, weinte sie überlaut in die Bettdecke hinein.

Die Äbtissin winkte, die andern entfernten sich.

Wie sie allein waren, fuhr Anna von Hewen der kleinen Monsax eine Weile liebkosend über das dunkle Haar, seufzte und fragte dann: »Vrenlein, was weinst du?«

Verena gab keine Antwort.

»Siehe, Maria Magdalena, die arme Sünderin steht vor dir, sag', warum weinst du?«

Verena blieb stumm, und keine Träne war in ihren Augen.

Da ging die Türe und Babeli, die ältere Kammerfrau und Agnes, die jüngere, mit ein paar Gesellen des Pfisters, trugen eine gewaltige Korbzeine voll Hofsemmel, Nonnenleckerli und Birnenfladen herein.

Verena von Monsax ging still, gesenkten Hauptes davon. Bekümmert staunte ihr die Äbtissin nach.

»Euer Frauen Gnad, hier haben wir die Geschenke,« redete die ältere Kammerfrau. »Der Kratzschreiber steht mit den armen Kindern aus dem Kratz und aus der Elenden Herberge schon im Gang. Soll ich sie hereinlassen?«

»Laß sie herein,« machte Anna von Hewen ruhig und setzte sich wieder in ihren Stuhl.

Wie die Kammerfrau öffnete und die Klosterknechte hinaus waren, zeigte sich im Heiligtagrust der magere Kratzschreiber in der Türe. Erst streckte er die gelbe Nase in die Stube und dann stelzte er herein und ihm nach drängten schüchtern eine Schar armseliger, verhudelter Büblein und Mägdlein mit durchsichtigen, blassen Gesichtern.

»Gott zum Gruß!« rief krähend der Kratzschreiber.

»Gott zum Gruß!« schrieen ihm die Kinder nach.

Er verbeugte sich vor der Äbtissin bis auf den Boden; dann schnellte er auf und stellte sich bolzgrad wie ein Tatzenstecken, vor die Kinderschar, hob die Hand hoch und krähte: »Laudate pueri nomen Dominae Annae de Hewen, monasterii turicensis abbatissae! Laudate, glorificate, juhubilate!«

Und jetzt brach die Schar gar gewaltig los:

»Gegrüßt sei Euer Frauen Gnad Zum heil'gen Namenstag! Gott streu Euch Rosen auf den Pfad Zu jedem Glockenschlag!

Das gebe Gott, daß Euer Herz
 Weiß bleib' wie Eure Hand!Er leit' Euch dran einst himmelwärts
 In ein glückselig Land.

Still hörte die Äbtissin den Glückwunschgesang an, und als er zu Ende war, schlich ihr eine Träne über die Wange. Dann aber hieß sie schwermütig lächelnd, Kratzschreiber und Kinder herantreten, dankte ihnen und winkte ihren Kammerfrauen, die Körbe heranzutragen. Die glänzenden Augen der Kleinen hatten sie schon längst erspäht und ihr Gesang mochte mehr an sie gerichtet sein als an ihre Spenderin.

Jetzt bedeutete Babeli, die ältere Kammerfrau den Kindern, jedes dürfe eine Semmel aus dem Korb nehmen, welchen Wink sie sogleich und schön der Reihe nach befolgten.

Da kam aber ein Büblein mit einem Triefnäschen und das nahm zwei Semmel aus dem Korb.

Geschwind putzte ihm die Kammerfrau mit dem Schürzenzipfel das Triefnäschen und fragte: »Kleiner, sag', warum hast du denn zwei Semmel herausgenommen?«

»He,« sagte das Büblein, »eine will ich halt der Mutter heimbringen.«

»Wie heißest du denn?«

»Ruodi.«

»Und dein Vater?«

»Ich habe keinen Vater.«

»Wie heißt aber dein Pathe?«

»Auch Ruodi.«

»Ja, ihr scheint mir eine rechte Ruodifamilie zu sein. Heißt denn dein Pathe nicht noch anders?«

»He, Bürgermeister heißt er noch.«

Die Äbtissin horchte auf.

»Was für ein Bürgermeister?« fragte sie.

»He, Herr Stüssi, der tote Bürgermeister.«

Erstaunt sah die Äbtissin auf das Büblein. »Stüssi?« Zögernd, schier widerwillig sprach sie den Namen aus.

»Ei freilich,« machte jetzt der Kratzschreiber wichtig, »Herr Stüssi war wohl ein rauher, kurzgebundener Mann, aber er meinte es gut mit dem niedern Volk und war vielen armen und verlassenen Kindern Pathe.«

Jetzt senkte Anna von Hewen für einen Moment wie in Beschämung die Augen. Dann aber kam ein strenger Zug um ihren Mund. Kalt blickte sie auf die Kinder.

Hurtig teilten die Kammerfrauen erst die Semmel, dann einen Teil des süßen Gebäckes aus.

Bald waren die Körbe leer und der Kratzschreiber zog, ebenfalls mit Süßigkeiten für sieben bittere Kinder und eine räße Gattin beladen, mit seiner beglückten Schar ab.

Dann erschienen in der Hofstube trotz den Kriegszeiten, einige Herren und Frauen der eidgenössisch gesinnten Geschlechter und nach ihnen, mit ihrem Scholasticus, die ebenfalls nach Süßigkeiten züngelnden Schüler der Abtei.

Noch bevor aber der letzte der Lateinschüler wieder draußen war, stand der Torwart in der Türe und brummte zu einem Mann, der hinter ihm stand:

»Hier ist meine Frau. Sie wird aber heut kaum viel Zeit für fahrendes Volk haben, drum mach kurz, wir haben Namenstag.«

Damit trampte er, in den Weihbrunn langend und sich bekreuzend, davon. Vor dem Thronsessel der Äbtissin aber stand ein hochgewachsener Mann.

»Gott gebe Euch ein langes Leben und ein rasches, seliges Ende!«

»Wer bist du?« fragte kurz die Äbtissin.

»Ich bin Itelschalk, der Gugelpfeifer, Marschalk des Pfeiferkönigtums.«

In der Frauen Mundwinkel zuckte es erst wie Spott, dann wie Mitleid.

»Ja, ich erkenne dich. Was willst du von mir? Du willst wohl euern toten König sehen. Laß dich vom Torwärter führen. Mein treuer, lieber Spielmann ist vor m. L. Frauen Kapelle aufgebahrt.«

»Euer Frauen Gnad, ich komme soeben vom Bürgermeister Schwarzmurer. Er hat mir bewilligt, Ulmann, den Lützelpfeifer, aus der Abtei fortzunehmen, falls Ihr Euern Willen hiezu gebt. Wir möchten ihn nach der Lützelau bringen, denn wo unser König einsam Hof hielt, da soll er auch sein einsames Grab finden. Seid uns die Bitte nicht ab, gnädige Frau, die Spielleutenbruderschaft wird es Euch gedenken.«

Anna von Hewen blickte eine Zeitlang trübe, schier düster, vor sich hin. Dann sagte sie so leise, daß sie der Gugelpfeifer fast nicht zu verstehen vermochte: »So führt ihn denn in sein märchenhaftes Reich. Euch war er ein stolzer König und mir ein getreuer Knecht. Geht mit Gott!«

Itelschalk wollte noch etwas sagen, aber die Äbtissin hatte sich abgewandt und gebot fast heftig: »Geht!«

Da machte sich der Gugelpfeifer davon.

Sie konnte aber ihren trüben Gedanken nicht lange nachhängen. In die Hofstube wankte, geführt von beiden Kammerfrauen, die alte Frau Mutter des Frauenklosters in der Seldenau. Die Eidgenossen hatten ihr außerhalb der Stadt liegendes Kloster vollständig ausgeraubt und in der Kirche alles kurz und klein geschlagen. Sie war darüber vor Schmerz fast kindisch geworden. Tränenlos, ohne ein Wort zur Begrüßung finden zu können, legte sie die Arme über der Äbtissin Schultern und küßte sie mit welkem zitterndem Munde. Endlich aber berichtete sie mit leiser Stimme das Unglück ihres Gotteshauses.

Anna von Hewen versuchte sie auf bessere Tage zu vertrösten, doch sie wollte nicht darauf eingehen und sagte, Gott habe ihr dieses Strafgericht für ihre einstige Sündhaftigkeit geschickt. Sie habe einst zu sehr an irdischem Wohlleben gehangen und zu spät sehe sie jetzt ein, daß die Gnade Gottes im Herzen ein tausendmal größerer Schatz sei, als alle Kronen der Erde. »Bedenkt es, meiner lieben Frauen Gnad,« machte sie zuletzt schweratmend, »bedenkt es! Die gläubige Wimper eines Bettlerkindes ist mehr wert, als ein golddurchwirkter Purpurmantel. Das kleinste Mückenflügelchen, das sich im Staub dieser Erde rein erhält, wiegt schwerer vor Gott als der Krönungsschatz zu Aachen. Bedenkt es, Fürstin, bedenkt es und lebt wohl!«

Die Äbtissin geleitete die Greisin zur Türe. Da ging diese knarrend auf und in voller Rüstung stampfte Freiherr von Hewen, der gnädigen Frauen Bruder, in die Stube. Jetzt überließ sie die Frau Mutter ihren Kammerfrauen und wie sie nun mit ihrem Bruder allein war, machte er rasch: »Es tut mir beigott leid, Schwester, aber ich muß fort, geradewegs muß ich verreiten. Mein Gaul steht schon im Hof. Also komm her!«

»Ein Kuß zu deinem Namenstag. Damit mußt du heute bei mir vorlieb nehmen. Ich muß mich beeilen, wichtige Dinge, die ich dir noch schnell melden wollte, denn dich, ich weiß es, gehen sie auch an, – rufen mich ab. Eben suchte mich ein Bote der Eidgenossen, in Begleitung Hansens von Rechberg und des Markgrafen auf. Sie kamen aus dem Rathaus und baten mich, nach Konstanz, zum Bischof, unserm Bruder Heinrich, zu reiten, auf daß er zwischen Zürich-Österreich einen Teils und den Schwyzern und ihren Eidgenossen andern Teils einen ehrlichen Frieden vermittle, denn auch die Eidgenossen seien des ewigen Herumschlagens und Kriegens fast müde. Sie seien mittlerweile schon gen Baden abgezogen. Also nun weißt du's, Schwester. Du bist kein Schilfrohr und wirst es klug bedenken. Ich durfte den Eidgenossen nicht zuwider sein und mit Österreich darf ich's nun auch nicht verderben, denn bis jetzt bemühten sich mein Bruder, der Bischof und ich, schon um deinetwillen, weise die goldene Mitte zu halten und zu warten, wohin es Gott lenke. Er führt es zu einem Frieden und nun wäre es töricht, den Friedensboten nicht machen zu wollen. Es kann uns nützen. Flink noch einen Kuß! Und nun, leb wohl!«

Und fort stampfte der Freiherr.

Noch lange lauschte Anna von Hewen seinen in den Gängen hallenden Eisentritten. Wie gebrochen lag sie in ihrem Lehnstuhl und starrte ein Blumenkörbchen, das über ihr hing, unverwandt an. Aber sie sah die Rosen nicht. Es wirbelte ihr vor den Augen wie ein Feuerfunkentanz. Was hatte sie da vernommen? Die Eidgenossen abgezogen nach einem solchen Sieg, der ihnen die Stadt schon fast gestern und in einigen Tagen sicher, in die Hände gegeben hätte. Sogar die Schwyzer sollten kampfmüde sein und nach einem wohlfeilen Frieden züngeln und das ohne ihrer gedenken zu wollen. Sie hätte doch zum wenigsten erwartet, der Friedensbote der Eidgenossen käme zuerst zu ihr, um sie zu versichern, daß man ihre fürstlichen Ansprüche bei den Friedensunterhandlungen nicht außer Acht lassen werde. Nun nichts von alledem. Sie war schnöde vergessen und übergangen!

Also das war der Lohn ihrer unablässigen Arbeit. – Sie hatte alles, selbst ihr Leben für ihre fürstlichen Rechtsamen gewagt und nun dies Ende! Lebwohl, Fürstin von Zürich! Nun wird die österreichische Partei, die Partei der Volksherrschaft, erst recht wieder aufleben. Stüssis Wille steckt nun dem Volke im Blut, und seine Getreuen schweißt die Not fester zusammen als je. – Sie lächelte bitter, unheimlich. – Und diese kurzsichtigen Edelleute aus den österreichischen Vorlanden werden den ungeschlachten Zünftern wieder aufhelfen soviel sie können. O diese adeligen Toren! Die angriffigen Fäuste der Ledergerber, Grempler und Leineweber dieser Stadt, die ihnen heute voll Angst, Vertrauen heuchelnd, die Schlüssel ihrer Tore übergeben haben sollen, werden sie ihnen bald genug wieder aus den Fingern ziehen und ihnen dafür eines Tages diejenigen ihrer eigenen Burgställe abverlangen. Haben sie denn vom Schicksal der Fürstäbtissinnen von Zürich, vom traurigen Ende der Regensberger und anderer Herren nichts gelernt?

»Weh' mir!« machte sie seufzend. »Nun hat der tote Bauer aus dem Glarnerlande doch gesiegt. Umsonst habe ich meinen lieben Meiß geopfert, vergeblich den treuen braunlockigen Spielmann einen grausigen Tod sterben sehen.«

Ihr blaues Auge wurde wie ein Schatten im Firn. Sie klopfte sich an die Brust und murmelte: »Parce nobis Domine!«

Plötzlich aber schoß sie aus ihrem trübseligen Hinstarren auf, schritt durch die Stube und stellte sich an einer Wand unter ihr rosenumwundenes Bildnis, das mit hoffnungsfrohen blauen Augen hochmütig auf sie herablächelte.

Eine Weile schaute sie mit scharfen, prüfenden Augen an das Gemälde herauf. Dann redete sie's an: »Ei, wie man doch so hochmütige Augen haben kann, obwohl man nur die gnädige Frau an der Abtei ist. Ja, meine liebe Anna, wenn du die Fürstin wärest in Zürich! Aber mein Märlein ging anders aus, als es bei meiner alten Amme auszugehen pflegte, die Prinzen kamen wohl, aber das ersehnte Krönlein brachten sie nicht mit. Nun denn,« machte sie, richtete sich bolzgrad auf und rümpfte die schöne Adlernase: »Konnt' ich's nicht ändern, kann's niemand ändern.«

Und stolz und aufrecht, mit gewitternächtigen blauen Augen, rauschte sie aus der großen Hofstube.

Nach einer Weile ging die Türe wieder. Die Stubenfrau mit ihren Mägden trat ein. Sie hatte soeben Weisung erhalten, die Epheukräuze und Rosen abzunehmen und sie dem toten Spielmann ins Totenschiff mitzugeben.

Am späten Abend hockten auf dem Mäuerchen bei der Wasserkirche, der Limmat entlang, eine Schar Knaben und Mägdlein, wie die Frösche auf einem Grabenbord und ließen ihre bloßen Füße in den stillziehenden Fluß baumeln.

Es begann eine laue Sommernacht.

»Ich sehe einen Stern ob dem Uetliberg!« rief ein Knabe.

»He, ich auch,« machten alle und einer setzte bei:

»Das ist ja bloß der Abendstern.«

»Ich sehe noch einen!« schrie jetzt ein Mägdlein. »Und ich auch noch einen!« rief gleich ein anderes. »Und ich noch drei!« – »Und ich zehn!«

Nun wollte ein jedes mehr Sterne sehen als alle andern, denn der Himmel füllte sich damit allmählich an. So zählten sie weiter und rechneten und rechneten, vermochten aber das Einmaleins ebensowenig zu erschöpfen als den Sternenhimmel. Da hielten sie ermüdet und gelangweilt inne.

Nur ein Büblein, das schon bis auf Fünfe zählen konnte, ergab sich nicht so rasch. Wie alle verstummten, streckte es den Finger gen Himmel und hob zu zählen an. »Eins, zwei, drei, vier, fünf!« Und gellend jauchzte es: »Fünf Sterne sind im Himmel!« Sehr zufrieden mit sich, daß es die Sternenzahl so flink herausgebracht hatte, fluderte das Büblein mit seinem Barfüßchen dem neben ihm sitzenden Kinde Wasser auf's Röcklein.

»O du dummer Hansheini!« machte das erzürnt. »Es ist ja gar nicht wahr, daß bloß fünf Sterne im Himmel sind, es hat ja mehr als hundert.«

»Nein, fünf,« behauptete das Büblein.

»Nein, mehr als tausend,« neckte das Mägdlein.

»Nein, fünf.«

»Nein, soviel als Gott zählen mag.«

Jetzt ward der Kleine wild, fing zu pläären an und wollte eben das höhnende Jüngferlein am Flachsschopf zupfen, da schwamm in voller Pracht und Sommernachtsherrlichkeit der Mond im Wasser und im gleichen Augenblicke stach gegenüber beim Fraumünster im Kratz ein Nauen in den Fluß.

Sogleich verhielten sich die Kinder mäuschenstill und schauten nach dem großen Fahrzeug.

»Jetzt kommen sie mit dem toten Pfeiferkönig!« rief halblaut ein Mägdlein aus.

Auch die obere Brücke war voll von neugierigem Volk und österreichischen Reisigen und auf dem Umgang der Wasserkirche hockten, wie zwitschernde Spatzen, eine Reihe Buben.

Aber droben, in der Erkerstube des Hauses der Äbtissin, stand Anna von Hewen mit ihren Frauen im offenen Bogenfenster und schaute ruhig, einen krankhaft herben Zug um den Mund, hinab auf das abstoßende Herrenschiff der Abtei.

Nur undeutlich war in der Dämmernacht der tote Pfeiferkönig zu sehen, aber sein Spielmannsschild, den er im Arm hielt, flimmerte und schimmerte im Vollmondschein und es war, als erfüllte sein Rosenbett die ganze Nacht mit Wohlgeruch.

Ein halbunterdrücktes Aufstöhnen war hinter der Äbtissin.

Rasch wandte sie sich.

Verena von Monsax stand hinter ihr. Die dunklen Haare fluteten über ihr Gesicht, das sie mit beiden Händen bedeckt hielt und ein verhaltenes, krampfhaftes Schluchzen schüttelte sie wie ein Aspenzweiglein in stürmischer Winternacht.

Leise schloß die Äbtissin das Scheiblein, legte die Hand auf das tiefgesenkte Haupt ihrer trostlosen Tischtochter und flüsterte ihr zu: »Weine nicht, Vrenlein! Er wartet auf dich im Himmel!«

Da schüttelte Verena von Monsax traurig ihre dunklen Locken. »Auf mich nicht,« sagte sie leise und ihre Stimme war wie ein singendes Rotkehlchen im verschneiten Busch. Dann wandte sie sich und schlich sich, still weinend, aus der Erkerstube.

Jetzt sank die Äbtissin wie totmüde in einen Stuhl und flüsterte vor sich hin: »Heilige Muttergottes, welch ein Namensfest!«

Drunten im Fluß suchte der klösterliche Nauen die Mitte der starkströmenden Wasser zu gewinnen und bald fuhr er gegen den mitten in der Limmat stehenden Wellenbergturm.

Da kam ein Singen aus dem Schiff:

Und wo im Herzen eine Klag Nicht weichen will und schwinden, Fleug hin, mein Lied, wie Lerchenschlag Auf maienfrischen Winden!

Dann glitt das Schiff um den Turm und die Zünfter und Bürger der Stadt, die allerwärts vom Ufer und aus ihren Trinkstuben nach dem seltsamen Schiff wunderten, und die ehrsamen Frauen an ihren Stuben und Kammerfenstern lobten in ihren Herzen Gott und die Stadtheiligen, daß sie mit diesem losen Pfeifervolk in keiner Gemeinschaft standen.

Als aber der Nauen am Finkenstad vorbeitrieb, begann auf einmal am Ufer ein lärmendes Musizieren. Das pfeifende Schnarren einer Sackpfeife überwinselte das jämmerliche Stöhnen eines Brummbaßes und das betäubende Getute einer Posaune.

»Habt Dank, ihr lieben Gesellen!« machte mit wehmütigem Lachen Itelschalk, der Gugelpfeifer, der auf dem Schiffsschnabel hockte. »Es ist gut gemeint und kommt euch von Herzen.«

Bald fuhr das Schiff durch die Grendel in den See hinaus und die drei wunderlichen Spielleute aus dem finstern Wald, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein, die noch allein beieinander am Bord standen, schauten dem stillen Totenschiff ihres Königs nach, bis es in der dämmernden Nacht verschwand.

Ende.