The text was transcribed from the GutenbergDE edition, which claims to be based on the 1922 edition, but the page breaks, chapter divisions and chapters were taken from the E-rara facsimile of the 1884 edition.
Es war in Verona. Vor einem breiten Feuer das einen weiträumigen Herd füllte, lagerte in den bequemsten Stellungen, welche der Anstand erlaubt, ein junges Hofgesinde männlichen und weiblichen Geschlechts um einen ebenso jugendlichen Herrscher und zwei blühende Frauen. Dem Herd zur Linken saß diese fürstliche Gruppe, welcher die übrigen in einem Viertelkreis sich anschlossen, die ganze andere Seite des Herdes nach höfischer Sitte frei lassend. Der Gebieter war derjenige Scaliger, welchen sie Cangrande nannten. Von den Frauen, in deren Mitte er saß, mochte die nächst dem Herd etwas zurück und ins Halbdunkel gelehnte sein Eheweib, die andere, vollbeleuchtete, seine Verwandte oder Freundin sein, und es wurden mit bedeutsamen Blicken und halblautem Gelächter Geschichten erzählt.
Jetzt trat in diesen sinnlichen und mutwilligen
»Setze dich neben mich, mein Dante«, erwiderte Cangrande, »aber wenn du dich
gesellig wärmen willst, so blicke mir nicht nach deiner Gewohnheit stumm in die
Flamme! Hier wird erzählt, und die Hand, welche heute Terzinen geschmiedet hat
auf meine astrologische Kammer steigend, hörte ich in der deinigen mit dumpfem
Gesang Verse skandieren –, diese wuchtige Hand darf es heute nicht verweigern,
das Spielzeug eines kurzweiligen Geschichtchens, ohne es zu zerbrechen, zwischen
ihre Finger zu nehmen. Beurlaube die Göttinnen« – er meinte wohl die Musen –
»und vergnüge dich mit diesen schönen Sterblichen.« Der Scaliger zeigte seinem
Gast mit einer leichten Handbewegung die zwei Frauen, von welchen die größere,
die scheinbar gefühllos im Schatten saß, nicht daran dachte
Dieser, ein alter, zahnloser Mensch mit Glotzaugen und einem schlaffen,
verschwätzten und vernaschten Maul – neben Dante der einzig Bejahrte der
Gesellschaft –, hieß Gocciola, das heißt das Tröpfchen, weil er die letzten
klebrigen Tropfen aus den geleerten Gläsern zusammenzunaschen pflegte, und haßte
den Fremdling mit kindischer Bosheit; denn er sah in Dante seinen Nebenbuhler um
die nicht eben wählerische Gunst des Herrn. Er schnitt ein Gesicht und erfrechte
sich, seine hübsche Nachbarin zur Linken auf das an der hellen Decke des hohen
Gemaches sich abschattende Profil des Dichters höhnisch grinsend aufmerksam zu
machen. Das Schattenbild Dantes glich einem Riesenweibe mit langgebogener
»Verschmähe es nicht, du Homer und Virgil Italiens«, bat er, »dich in unser harmloses Spiel zu mischen. Laß dich zu uns herab und erzähle, Meister, statt zu singen.«
»Was ist euer Thema?« warf Dante hin, weniger ungesellig, als er begonnen hatte, aber immer noch mürrisch genug.
»Plötzlicher Berufswechsel«, antwortete der Jüngling bündig, »mit gutem oder schlechtem oder lächerlichem Ausgang.«
Dante besann sich. Seine schwermütigen Augen betrachteten die Gesellschaft, deren Zusammensetzung ihm nicht durchaus zu mißfallen schien; denn er entdeckte in derselben neben mancher flachen einige bedeutende Stirnen. »Hat einer unter euch den entkutteten Mönch behandelt?« äußerte der schon milder Gestimmte.
»Gewiß, Dante!« antwortete, sein Italienisch mit
»Er tat recht«, erklärte Dante, »er hatte sich selbst getäuscht über seine Anlage.«
»Ich, Meister«, plauderte jetzt eine kecke, etwas üppige Paduanerin, namens Isotta, »habe die Helene Manente erzählt, welche eben die erste Locke unter der geweihten Schere verscherzt hatte, aber schnell die übrigen mit den beiden Händen deckte und ihr Nonnengelübde verschluckte, denn sie hatte ihren in barbareske Sklaverei geratenen und höchst wunderbar daraus erretteten Freund unter dem Volk im Schiff der Kirche erblickt, wie er die gelösten Ketten« – sie wollte sagen: an der Mauer aufhing, aber ihr Geschwätz wurde von dem Munde Dantes zerschnitten.
»Sie tat gut«, sagte er, »denn sie handelte aus der Wahrheit ihrer verliebten
Natur. Von alledem ist hier die Rede nicht, sondern von einem ganz andern Fall:
Wenn nämlich ein Mönch nicht aus eigenem
»Notwendig schlimm«, antwortete dieser ohne Besinnen. »Wer mit freiem Anlauf springt, springt gut; wer gestoßen wird, springt schlecht.«
»Du redest die Wahrheit, Herr«, bestätigte Dante, »und nicht anders, wenn ich ihn verstehe, meint es auch der Apostel, wo er schreibt: daß Sünde sei, was nicht aus dem Glauben gehe, das heißt, aus der Überzeugung und Wahrheit unserer Natur.«
»Muß es denn überhaupt Mönche geben?« kicherte eine gedämpfte Stimme aus dem Halbdunkel, als wollte sie sagen: jede Befreiung aus einem an sich unnatürlichen Stand ist eine Wohltat.
Die dreiste und ketzerische Äußerung erregte hier kein Ärgernis, denn an diesem Hof wurde das kühnste Reden über kirchliche Dinge geduldet, ja belächelt, während ein freies oder nur unvorsichtiges Wort über den Herrscher, seine Person oder seine Politik, verderben konnte.
Dantes Auge suchte den Sprecher und entdeckte denselben in einem vornehmen, jungen Kleriker, dessen Finger mit dem kostbaren Kreuze tändelten, welches er über dem geistlichen Gewand trug.
»Nicht meinetwegen«, gab der Florentiner bedächtig zur Antwort. »Mögen die Mönche aussterben, sobald ein Geschlecht ersteht, welches die beiden höchsten Kräfte der Menschenseele, die sich auszuschließen scheinen, die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit vereinigen lernt. Bis zu jener späten Weltstunde verwalte der Staat die eine, die Kirche die andere. Da aber die Übung der Barmherzigkeit eine durchaus selbstlose Seele fordert, so sind die drei mönchischen Gelübde gerechtfertigt; denn es ist weniger schwer, wie die Erfahrung lehrt, der Lust ganz als halb zu entsagen.«
»Gibt es aber nicht mehr schlechte Mönche als gute?« fragte der geistliche Zweifler weiter.
»Nein«, behauptete Dante, »wenn man die menschliche Schwachheit berücksichtigt. Es müßte denn mehr ungerechte Richter als gerechte, mehr feige Krieger als beherzte, mehr schlechte Menschen als gute geben.«
»Und ist das nicht der Fall?« flüsterte der im Halbdunkel.
»Nein«, entschied Dante, und eine himmlische Verklärung erleuchtete seine strengen Züge. »Fragt und untersucht unsere Philosophie nicht: wie ist das Böse in die Welt gekommen? Wären die Bösen in der Mehrzahl, so fragten wir: wie kam das Gute in die Welt?«
Diese stolzen und dunkeln Sätze imponierten der Gesellschaft, erregten aber auch die Besorgnis, der Florentiner möchte sich in seine Scholastik vertiefen statt in seine Geschichte.
Cangrande sah, wie seine junge Freundin ein hübsches Gähnen verwand. Unter solchen Umständen ergriff er das Wort und fragte: »Erzählst du uns eine wahre Geschichte, mein Dante, nach Dokumenten? oder eine Sage des Volksmunds? oder eine Erfindung deiner bekränzten Stirne?"
Dieser antwortete langsam betonend: »Ich entwickle meine Geschichte aus einer Grabschrift.«
»Aus einer Grabschrift?«
»Aus einer Grabschrift, die ich vor Jahren bei den Franziskanern in Padua gelesen habe. Der Stein, welcher sie trägt, lag in einem Winkel des Klostergartens, allerdings unter wildem Rosengesträuch versteckt, aber doch den Novizen zugänglich, wenn sie auf allen vieren krochen und sich eine von Dornen zerkritzte Wange nicht reuen ließen. Ich befahl dem Prior – will sagen, ich ersuchte ihn, den fraglichen Stein in die Bibliothek zu versetzen und unter die Hut eines Greises zu stellen.«
»Was sagte denn der Stein?« ließ sich jetzt die Gemahlin des Fürsten nachlässig vernehmen.
»Die Inschrift«, erwiderte Dante, »war lateinisch und lautete: Hic jacet monachus Astorre cum uxore Antiope. Sepeliebat Azzolinus.«
»Was heißt denn das?« fragte die andere neugierig.
Cangrande übersetzte fließend: »Hier schlummert der Mönch Astorre neben seiner Gattin Antiope. Beide begrub Ezzelin.«
»Der abscheuliche Tyrann!« rief die Empfindsame. »Gewiß hat er die beiden
lebendig begraben lassen,
»Kaum«, meinte Dante. »Das hat sich in meinem Geiste anders gestaltet und ist auch nach der Geschichte unwahrscheinlich. Denn Ezzelin bedrohte wohl eher den kirchlichen Gehorsam als den Bruch geistlicher Gelübde. Ich nehme das 'sepeliebat' in freundlicherem Sinne: er gab den beiden ein Begräbnis.«
»Recht«, rief Cangrande freudig, »du denkst wie ich, Florentiner! Ezzelino war eine Herrschernatur und, wie sie einmal sind, etwas rauh und gewaltsam. Neun Zehntel seiner Frevel haben ihm die Pfaffen und das fabelsüchtige Volk angedichtet.« »Möchte dem so sein!« seufzte Dante. »Wo er übrigens in meiner Fabel auftritt, ist er noch nicht das Ungeheuer, welches uns, wahr oder falsch, die Chronik schildert, sondern seine Grausamkeit beginnt sich nur erst zu zeichnen, mit einem Zug um den Mund sozusagen –«
»Eine gebietende Gestalt«, vollendete Cangrande feurig das Bildnis, »mit
gesträubtem, schwarzem Stirnhaar, wie du ihn in deinem zwölften Gesang als
»Es ist das deinige«, versetzte Dante kühn, und Cangrande fühlte sich geschmeichelt.
»Auch die übrigen Gestalten der Erzählung«, fuhr er mit lächelnder Drohung fort, »werde ich, ihr gestattet es?« – und er wendete sich gegen die Umsitzenden – »aus eurer Mitte nehmen und ihnen eure Namen geben: euer Inneres lasse ich unangetastet, denn ich kann nicht darin lesen.«
»Meine Miene gebe ich dir preis«, sagte großartig die Fürstin, deren Gleichgültigkeit zu weichen begann.
Ein Gemurmel der höchsten Aufregung lief durch die Zuhörer, und: »Deine Geschichte, Dante!« raunte es von allen Seiten, »deine Geschichte!«
»Hier ist sie«, sagte dieser und erzählte.
»Wo sich der Gang der Brenta in einem schlanken Bogen der Stadt Padua nähert,
ohne diese jedoch zu berühren, glitt an einem himmlischen Sommertag unter
gedämpftem Flötenschall eine bekränzte, von festlich Gekleideten überfüllte
Barke auf dem schnellen, aber ruhigen Wasser. Es war die Brautfahrt des Umberto
Mit eingezogenen Rudern fuhr die Barke, dem Willen des Stromes sich überlassend.
Die Bootsknechte begleiteten die sanfte Musik mit einem halblauten Gesang. Da
verstummten beide. Aller Augen hatten sich nach dem rechten Ufer gerichtet, an
welchem ein großer Reiter seinen Hengst bändigte und mit einer weiten Gebärde
nach der Barke herüber grüßte. Scheues Gemurmel durchlief die Reihen der
Sitzenden. Die Ruderer rissen sich die roten Mützen vom Kopf, und
Die zwei ersten der rettenden Kähne strebten sich von den entgegengesetzten Ufern
zu. In dem einen stand neben einem alten Fergen mit struppigem Bart Ezzelin, der
Tyrann von Padua, der unschuldige Urheber des Verderbens, in dem andern, vom
linken Ufer kommenden ein junger Mönch und sein Fährmann, welcher den staubigen
Waller über den Strom stieß gerade in dem Augenblick, da sich darauf das
'Kennst du sie, Astorre?' fragte er den Mönch. Dieser schüttelte verneinend den Kopf, und der andere fuhr fort: 'Siehe, es ist das Weib deines Bruders.'
Der Mönch warf auf das bleiche Antlitz einen mitleidigen, scheuen Blick, welches unter demselben langsam die schlummernden Augen öffnete.
'Bringe sie ans Ufer!' befahl Ezzelin, allein der Mönch überließ sie seinem
Fährmann. 'Ich will meinen
Inzwischen hatte sich die Brenta mit Fahrzeugen bedeckt. Es wurde gefischt mit Stangen, Haken, Angeln, Netzen, und in der rasch wechselnden Szene vervielfältigte sich über den Suchenden und den gehobenen Bürden die Gestalt des Herrschers.
'Komm, Mönch!' sagte er endlich. 'Hier gibt es für dich nichts mehr zu tun. Umberto und seine Knaben liegen nunmehr zu lang in der Tiefe, um ins Leben zurückzukehren. Der Strom hat sie verschleppt. Er wird sie ans Ufer legen, wann er ihrer müde ist. Aber siehst du dort die Zelte?' Man hatte deren eine Zahl am Strand der Brenta zum Empfang der mit der Hochzeitsbarke Erwarteten aufgeschlagen und jetzt die Toten oder Scheintoten hineingelegt, welche von ihren schon aus dem nahen Padua herbeigeeilten Verwandten und Dienern umjammert wurden. 'Dort, Mönch, verrichte, was deines Amtes ist: Werke der Barmherzigkeit! Tröste die Lebenden! Bestatte die Toten!'
Der Mönch hatte das Ufer betreten und den Reichsvogt aus den Augen verloren. Da kam ihm aus dem Gedränge Diana entgegen, die Braut und Witwe seines Bruders, trostlos, aber ihrer Sinne wieder mächtig. Noch trieften die schweren Haare, aber auf ein gewechseltes Gewand: ein mitleidiges Weib aus dem Volke hatte ihr im Gezelt das eigene gegeben und sich des kostbaren Hochzeitskleides bemächtigt. 'Frommer Bruder', wendete sie sich an Astorre, 'ich bin verlassen: die mir bestimmte Sänfte ist in der Verwirrung mit einer andern, Lebenden oder Toten, in die Stadt zurückgekehrt. Begleite mich nach dem Hause meines Schwiegers, der dein Vater ist!'
Die junge Witwe täuschte sich. Nicht in der Bestürzung und Verwirrung, sondern aus Feigheit und Aberglauben hatte das Gesinde des alten Vicedomini sie im Stiche gelassen. Es fürchtete sich, dem jähzornigen Alten eine Wittib und, mit ihr die Kunde von dem Untergang seines Hauses zu bringen.
Da der Mönch viele seinesgleichen unter den Zelten und im Freien mit barmherzigen
Werken beschäftigt sah, willfahrte er dem Gesuch. 'Gehen wir', sagte er und
schlug mit dem jungen Weibe die Straße nach
Der Mönch und Diana waren Gestalten, die jedes Kind in Padua kannte. Astorre,
wenn er nicht für einen Heiligen galt, hatte doch den Ruf des musterhaften
Mönches. Er konnte der Stadtmönch von Padua heißen, den das Volk verehrte und
auf den es stolz war. Und mit Grund: denn er hatte auf die Vorrechte seines
hohen Adels und den unermeßlichen Besitz seines Hauses tapfer, ja freudig
verzichtet und gab sein Leben in Zeiten der Seuche oder bei andern öffentlichen
Fährlichkeiten, ohne zu markten, für den Geringsten
Diana war in ihrer Weise nicht weniger namhaft, schon durch die Vollkraft des Wuchses, welche das Volk mehr als die zarten Reize bewundert. Ihre Mutter war eine Deutsche gewesen, ja eine Staufin, wie einige behaupteten, freilich nur dem Blute, nicht dem Gesetze nach. Deutschland und Welschland hatten zusammen als gute Schwestern diese große Gestalt gebaut.
Wie herb und streng Diana mit ihresgleichen umging, mit den Geringen war sie leutselig, ließ sich ihre Händel erzählen, gab kurzen und deutlichen Bescheid und küßte die zerlumptesten Kinder. Sie schenkte und spendete ohne Besinnen, wohl weil ihr Vater, der alte Pizzaguerra, nach Vicedomini der reichste Paduaner, zugleich der schmutzigste Geizhals war, und Diana sich des väterlichen Lasters schämte.
So verheiratete das ihr geneigte Volk in seinen Schenken und Plauderstuben Diana
monatlich mit irgendeinem vornehmen Paduaner, doch die Wirklichkeit trug diesen
frommen Wünschen keine Rechnung. Drei
Endlich verlobte sich mit ihr, ohne Liebe, wie es stadtkundig war, Umberto Vicedomini, der jetzt in der Brenta lag.
Übrigens waren die beiden so versunken in ihren gerechten Schmerz, daß sie das eifrige Geschwätz, welches sich an ihre Fersen heftete, entweder nicht vernahmen oder sich wenig um dasselbe bekümmerten. Nicht das gab Anstoß, daß der Mönch und das Weib nebeneinander schritten. Es erschien in der Ordnung, da der Mönch an ihr zu trösten hatte und sie wohl beide denselben Weg gingen: zu dem alten Vicedomini, als die nächsten und natürlichen Boten des Geschehenen.
Die Weiber bejammerten Diana, daß sie einen Mann habe heiraten müssen, der sie nur als Ersatz für eine teure Gestorbene genommen, und beklagten sie in demselben Atemzug, daß sie diesen Mann vor der Ehe eingebüßt habe.
Die Männer dagegen erörterten mit wichtigen Gebärden und den schlausten Mienen
eine brennende Frage, welche sich über den in der Brenta versunkenen vier
Stammhaltern des ersten paduanischen Geschlechts eröffnet hatte. Die Glücksgüter
der Vicedomini waren sprichwörtlich. Das Familienhaupt, ein ebenso energischer
wie listiger Mensch, der es fertiggebracht hatte, mit beiden, dem fünffach
gebannten Tyrannen von Padua und der diesen verdammenden Kirche auf gutem Fuß zu
bleiben, hatte sich lebelang nicht im geringsten mit etwas Öffentlichem
beschäftigt, sondern ein zähes Dasein und prächtige Willenskräfte auf ein
einziges Ziel gewendet: den Reichtum und das Gedeihen seines Stammes. Jetzt war
dieser vernichtet. Sein Ältester und die Enkel lagen in der Brenta. Sein Zweiter
und Dritter waren in eben diesem Unglücksjahr, der eine vor zwei, der andere vor
drei Monden von der Erde verschwunden. Den ältern hatte der Tyrann verbraucht
und auf einem seiner wilden Schlachtfelder zurückgelassen. Der andere, aus
welchem der vorurteilslose Vater einen großartigen Kaufmann in venezianischem
Stil gemacht, hatte sich an einer morgenländischen Küste auf dem Kreuz
verblutet, an welches
Und sie stritt sich am Ende so laut und heftig, daß selbst der trauernde Mönch
nicht mehr im Zweifel darüberbleiben konnte, wer mit dem 'egli' und der 'ella'
gemeint sei, welche aus den versammelten Gruppen ertönten. Dergestalt schlug er,
mehr noch seiner Gefährtin als seinethalben, eine mit Gras bewachsene Gasse ein,
die seinen Sandalen wohlbekannt war, denn sie führte längs der verwitterten
Ringmauer seines Klosters hin. Hier war es bis zum Schauder kühl, aber die ganz
Padua erfüllende Schreckenskunde hatte selbst diese Schatten erreicht. Aus den
offenen Fenstern des Refektoriums, das in die dicke Mauer gebaut war, scholl an
der verspäteten Mittagstafel – die Katastrophe auf der Brenta hatte in der Stadt
alle Zeiten und Stunden gestört – das Tischgespräch der Brüder so zänkisch und
schreiend, so voller '-inibus'
Mitten im Sprechen suchte Dante unter den Zuhörern den vornehmen Kleriker, der sich hinter seinem Nachbarn verbarg.
»- waren zwei brennende, hohle Augen, welche durch eine Luke in der Mauer auf ihn
und das Weib an seiner Seite starrten. Diese Augen gehörten einer unseligen
Kreatur, einem verlorenen Mönch, namens Serapion, welcher sich, Seele und Leib,
im Kloster verzehrte. Mit seiner voreiligen Einbildungskraft hatte dieser auf
der Stelle begriffen, daß sein Mitbruder Astorre zum längsten nach der Regel des
heiligen Franziskus gedarbt und gefastet habe und beneidete ihn rasend um den
ihm von der Laune des Todes zugeworfenen
Astorre lenkte die Schritte und die seiner Schwägerin auf einen kleinen, von vier
Stadtburgen gebildeten Platz und trat mit ihr in das tiefe Tor der vornehmsten.
Auf einer Steinbank im Hof erblickte er zwei Ruhende, einen vom Wirbel zur Zehe
gepanzerten, blutjungen Germanen und einen greisen Sarazenen. Der hingestreckte
Deutsche hatte seinen schlummernden rotblonden Krauskopf in den Schoß des
sitzenden Ungläubigen gelegt, der, ebenfalls schlummernd, mit seinem
schneeweißen Barte väterlich auf ihn niedernickte. Die zwei gehörten zur
Leibwache Ezzelins, welche sich in Nachahmung derjenigen seines Schwiegers, des
Kaisers Friedrich, aus Deutschen und Sarazenen zu gleichen Teilen
zusammensetzte. Der Tyrann war im Palaste. Er mochte es für seine Pflicht
gehalten haben, den alten Vicedomini zu besuchen. In der Tat vernahmen Astorre
und Diana schon auf der Wendeltreppe das Gespräch, welches Ezzelin in kurzen,
ruhigen Worten,
'Und das berichtest du so gelassen, Grausamer', tobte der Alte in seiner Verzweiflung, 'als erzähltest du den Verlust eines Rosses oder einer Ernte? Du hast mir die viere getötet, niemand anders als du! Was brauchtest du gerade zu jener Stunde am Strande zu reiten? Was brauchtest du auf die Brenta hinauszugrüßen? Das hast du mir zuleide getan! Hörst du wohl?'
'Schicksal', antwortete Ezzelin.
'Schicksal?' schrie der Vicedomini. 'Schicksal und
'Du tust mir unrecht', versetzte der andere. Ich zwar habe mit der Kirche nichts
zu schaffen. Sie läßt mich gleichgültig. Aber dich und deinesgleichen habe ich
nie gehindert, mit ihr zu verkehren. Das weißt du, sonst würdest du dich nicht
erkühnen, mit dem Heiligen Stuhl Briefe zu wechseln. Was drehst du da in deinen
Händen und verbirgst mir das päpstliche Siegel? Einen Ablaß? Ein Breve? Gib her!
Wahrhaftig, ein Breve! Darf ich es lesen? Du erlaubst? Dein Gönner, der Heilige
Vater, schreibt dir, daß, würde dein Stamm erlöschen bis auf deinen Vierten und
Letzten, den Mönch, dieser ipso facto seiner Gelübde ledig sei, wenn er aus
freiem Willen und
'Verhöhnst du mich?' heulte der Alte. Was anderes blieb mir übrig nach dem Tod meines Zweiten und Dritten? Für wen hätte ich gesammelt und gespeichert? Für die Würmer? Für dich? Willst du mich berauben? ... Nein? So hilf mir, Gevatter' – der noch ungebannte Ezzelin hatte den dritten Knaben Vicedominis aus der Taufe gehoben, denselben, der sich für ihn auf dem Schlachtfeld geopfert –, 'hilf mir den Mönch überwinden, daß er wieder weltlich werde und ein Weib nehme, befiehl es ihm, du Allgewaltiger, gib ihn mir statt des Sohnes, den du mir geschlachtet hast, halte mir den Daumen, wenn du mich liebst!'
'Das geht mich nichts an', erwiderte der Tyrann ohne die geringste Erregung. Das mache er mit sich selbst aus. Freiwillig, sagt das Breve. Warum sollte er, wenn er ein guter Mönch ist, wie ich glaube, seinen Stand wechseln? Damit das Blut der Vicedomini nicht versiege? Ist das eine Lebensbedingung der Welt? Sind die Vicedomini eine Notwendigkeit?'
Jetzt kreischte der andere in rasender Wut: 'Du Böser, du Mörder meiner Kinder! Ich durchblicke dich! Du willst mich beerben und mit meinem Geld deine wahnsinnigen Feldzüge führen!' Da gewahrte er seine Schwiegertochter, welche vor dem zögernden Mönch durch das Gesinde und über die Schwelle getreten war. Trotz seiner Leibesschwachheit stürzte er ihr mit wankenden Schritten entgegen, ergriff und riß ihre Hände, als wollte er sie zur Verantwortung ziehen für das über sie beide gekommene Unheil. 'Wo hast du meinen Sohn, Diana?' keuchte er.
'Er liegt in der Brenta', antwortete sie traurig, und ihre blauen Augen dunkelten.
'Wo meine drei Enkel?'
'In der Brenta', wiederholte sie.
'Und dich bringst du mir als Geschenk? Dich behalte ich?' lachte der Alte mißtönig.
'Wollte der Allmächtige', sagte sie langsam, 'mich zögen die Wellen, und die andern stünden hier statt meiner!'
Sie schwieg. Dann geriet sie in einen jähen Zorn. 'Beleidigt dich mein Anblick
und bin ich dir überlästig, so halte dich an diesen: er hat mich, da ich
Jetzt erst erblickte der Alte den Mönch, seinen Sohn, und sein Geist sammelte sich mit einer Kraft und Schnelligkeit, welche der schwere Jammer eher gestählt als gelähmt zu haben schien.
'Wirklich? Dieser hat dich aus der Brenta geholt? Hm! Merkwürdig! Die Wege Gottes sind doch wunderbar!'
Er ergriff den Mönch an Arm und Schulter, als wollte er sich desselben Leib und Seele bemächtigen, und schleppte ihn und sich gegen seinen Krankenstuhl, auf welchen er hinfiel, ohne den gepreßten Arm des nicht Widerstrebenden freizugeben. Diana folgte und kniete sich auf der andern Seite des Sessels nieder mit hängenden Armen und gefalteten Händen, das Haupt auf die Lehne legend, so daß nur der Knoten ihres blonden Haares wie ein lebloser Gegenstand sichtbar blieb. Der Gruppe gegenüber saß Ezzelin, die Rechte auf das gerollte Breve wie auf einen Feldherrnstab gestützt.
'Söhnchen, Söhnchen', wimmerte der Alte mit einer aus Wahrheit und List
gemischten Zärtlichkeit, 'mein letzter und einziger Trost! Du Stab und
Der Mönch streichelte die fiebernde Hand des Alten zärtlich, antwortete aber mit Sicherheit zwei Worte: 'Meine Gelübde!'
Ezzelin entfaltete das Breve.
'Deine Gelübde?' schmeichelte der alte Vicedomini. Lose Stricke! Durchfeilte Fesseln! Mache eine Bewegung, und sie fallen. Die heilige Kirche, welcher du Ehrfurcht und Gehorsam schuldig bist, erklärt sie für ungültig und nichtig. Da steht es geschrieben.' Sein dürrer Finger zeigte auf das Pergament mit dem päpstlichen Siegel.
Der Mönch näherte sich ehrerbietig dem Herrscher, empfing die Schrift und las, von vier Augen beobachtet. Schwindelnd tat er einen Schritt rückwärts, als stünde er auf einer Turmhöhe und sähe das Geländer plötzlich weichen.
Ezzelin griff dem Wankenden mit der kurzen Frage unter die Arme: 'Wem hast du dein Gelübde gegeben, Mönch? Dir? oder der Kirche?'
'Natürlich beiden!' schrie der Alte erbost. 'Das sind verfluchte Spitzfindigkeiten! Nimm dich vor dem dort in acht, Söhnchen! Er will uns Vicedomini an den Bettelstab bringen!' Ohne Zorn legte Ezzelin die Rechte auf den Bart und schwur: 'Stirbt Vicedomini, so beerbt ihn der Mönch hier, sein Sohn, und stiftet – sollte das Geschlecht mit ihm erlöschen und wenn er mich und seine Vaterstadt lieb hat – ein Hospital von einer gewissen Ausdehnung und Großartigkeit, um welches uns die hundert Städte' – er meinte die Städte Italiens – 'beneiden sollen. Nun, Gevatter, da ich mich von dem Vorwurf der Raubgier gereinigt habe, darf ich an den Mönch ein paar weitere Fragen richten? Du gestattest?'
Jetzt packte den Alten ein solcher Ingrimm, daß er in Krämpfe fiel. Noch aber ließ er den Arm des Mönches, welchen er wieder ergriffen hatte, nicht fahren.
Isaschar näherte den vollen, mit einer stark duftenden Essenz gefüllten Löffel vorsichtig den fahlen Lippen. Der Gefolterte wendete mit einer Anstrengung den Kopf ab. 'Laß mich in Ruhe!' stöhnte er, 'du bist auch der Arzt des Vogts!' und schloß die Augen.
Der Jude wandte die seinigen, welche glänzend
'Ich glaube', antwortete der Jude. 'Noch lebt er und wird wieder erwachen, aber nicht für lange, fürchte ich. Diese Sonne sieht er nicht untergehen.'
Der Tyrann ergriff den Augenblick, mit Astorre zu sprechen, der um den ohnmächtigen Vater beschäftigt war.
'Stehe mir Rede, Mönch!' sagte Ezzelin und wühlte – seine Lieblingsgebärde – mit den gespreizten Fingern der Rechten in dem Gewelle seines Bartes. 'Wieviel haben dich die drei Gelübde gekostet, die du vor zehn und einigen Jahren, ich gebe dir dreißig' – der Mönch nickte –, beschworen hast?'
Astorre schlug die lautern Augen auf und erwiderte ohne Bedenken: 'Armut und Gehorsam, nichts sonst. Ich habe keinen Sinn für Besitz und gehorche leicht.' Er hielt inne und errötete.
Der Tyrann fand ein Wohlgefallen an dieser männlichen Keuschheit. 'Hat dir dieser hier deinen Stand aufgenötigt oder dich dazu beschwatzt?' lenkte er ab.
'Nein', erklärte der Mönch. Seit lange her, wie der Stammbaum erzählt, wird in unserm Hause von dreien oder vieren der letzte geistlich, sei es, damit wir Vicedomini einen Fürbitter besitzen, oder um das Erbe und die Macht des Hauses zu wahren – gleichviel, der Brauch ist alt und ehrwürdig. Ich kannte mein Los, welches mir nicht zuwider war, von jung an. Mir wurde kein Zwang auferlegt.'
'Und das dritte?' holte Ezzelin nach – er meinte das dritte Gelübde. Astorre verstand ihn.
Mit einem neuen, aber dieses Mal schwachen Erröten erwiderte er: 'Es ist mir nicht leicht geworden, doch ich vermochte es wie andere Mönche, wenn sie gut beraten sind, und das war ich. Von dem heiligen Antonius', fügte er ehrfürchtig hinzu.
»Dieser verdienstliche Heilige, wie ihr wißt, Herrschaften, hat einige Jahre bei den Franziskanern in Padua gelebt«, erläuterte Dante.
»Wie sollten wir nicht?« scherzte einer unter den Zuhörern. »Haben wir doch die
Reliquie verehrt, die in dem dortigen Klosterteich herumschwimmt: ich meine den
Hecht, welcher weiland der Predigt des Heiligen beiwohnte,
'Und was riet er dir?' fragte Ezzelin. 'Meinen Stand einfach zu fassen, schlecht und recht', berichtete der Mönch, als einen pünktlichen Dienst, etwa wie einen Kriegsdienst, welcher ja auch gehorsame Muskeln verlangt, und Entbehrungen, die ein wackerer Krieger nicht einmal als solche fühlen darf: die Erde im Schweiß meines Angesichts zu graben, mäßig zu essen, mäßig zu fasten, weder Mädchen noch jungen Frauen Beichte zu sitzen, im Angesicht Gottes zu wandeln und seine Mutter nicht brünstiger anzubeten, als das Breviarium vorschreibt.'
Der Tyrann lächelte. Dann streckte er die Rechte gegen den Mönch aus, ermahnend
oder segnend, und sprach: 'Glücklicher! Du hast einen Stern! Dein Heute entsteht
leicht aus deinem Gestern und wird unversehens zu deinem Morgen! Du bist etwas
und nichts Geringes; denn du übst das Amt der Barmherzigkeit, das ich gelten
lasse, wiewohl ich ein anderes
Noch eines, und dies rede ich als der, welcher ich bin: der Herr von Padua. Dein Wandel war meinem Volk eine Erbauung, ein Beispiel der Entsagung. Der Ärmste getröstete sich deiner, den er seine karge Kost und sein hartes Tagewerk teilen sah. Wirfst du die Kutte weg, freiest du, ein Vornehmer, eine Vornehme, schöpfst du mit vollen Händen aus dem Reichtum deines Hauses, so begehst du Raub an dem Volk, welches dich als einen seinesgleichen in Besitz genommen hat, du machst mir Unzufriedene und Ungenügsame, und entstände daraus Zorn, Ungehorsam, Empörung, mich sollte es nicht wundern. Die Dinge verketten sich!
Ich und Padua können dich nicht entbehren! Mit deiner schönen und ritterlichen
Gestalt stichst du der Menge in die Augen und hast auch mehr oder wenigstens
einen edlern Mut als deine bäurischen Brüder. Wenn das Volk nach seiner rasenden
Art
Isaschar, hilf mir den Mönch überzeugen!' wendete sich Ezzelin gegen den Arzt mit einem grausamen Lächeln. Schon deinetwegen darf er sich nicht entkutten!'
'Herr', lispelte dieser, unter deinem Zepter wird sich die unvernünftige Szene, welche du so gerecht wie blutig gestraft hast, kaum wiederholen, und meinethalb, dessen Glaube die Dauer des Stammes als Gottes höchsten Segen preist, darf der Erlauchte' – so und schon nicht mehr den Ehrwürdigen nannte er den Mönch – nicht unvermählt bleiben.'
Ezzelin lächelte über die Feinheit des Juden. 'Und wohin gehen deine Gedanken, Mönch?' fragte er.
'Sie stehen und beharren! Doch ich wollte – Gott verzeihe mir die Sünde –, der Vater erwachte nicht mehr, daß ich nicht hart gegen ihn sein muß! Hätte er nur schon die Zehrung empfangen!' Er küßte heftig die Wange des Ohnmächtigen, welcher darüber zur Besinnung kam.
Der wieder Belebte tat einen schweren Seufzer, hob die müden Augenlider und richtete aus dem grauen Gebüsch seiner hängenden Brauen einen Blick des Flehens auf den Mönch. 'Wie steht's?' fragte er. Was hast du über mich verhängt, Geliebtester? Himmel oder Hölle?'
'Vater', bat Astorre mit bewegter Stimme, deine Zeit ist um! Dein Stündlein ist gekommen! Entschlage dich der weltlichen Dinge und Sorgen! Denke an die Seele! Siehe, deine Priester' – er meinte die der Pfarrkirche – 'sind nebenan versammelt und harren mit den hochheiligen Sterbesakramenten.'
Es war so. Die Tür des Nebengemaches hatte sich sachte geöffnet, aus demselben schimmerte schwaches, in der Tageshelle kaum sichtbares Kerzenlicht, ein Chor präludierte gedämpft, und das leise Schüttern eines Glöckchens wurde hörbar.
Jetzt klammerte sich der Alte, der seine Knie schon in die kalte Flut der Lethe versinken fühlte, an den Mönch, wie weiland Sankt Petrus auf dem See Genezareth an den Heiland. 'Du tust es mir!' lallte er.
'Könnte ich! Dürfte ich!' seufzte der Mönch. 'Bei
Diese verhallte Weigerung entzündete das letzte Leben des Vicedomini zur lodernden Flamme. 'Ungehorsamer! Undankbarer!' zürnte er.
Astorre winkte den Priestern.
'Bei allen Teufeln', raste der Alte, 'laßt mich zufrieden mit eurem Geknete und Gesalbe! Ich habe nichts zu verspielen, ich bin schon ein Verdammter und bliebe es mitten im himmlischen Reigen, wenn mein Sohn mich mutwillig verstößt und meinen Lebenskeim verdirbt!'
Der entsetzte Mönch, durch dieses grause Lästern im Tiefsten erschüttert, sah seinen Vater unwiderruflich der ewigen Unseligkeit anheimfallen. So meinte er und war fest davon überzeugt, wie ich es an seiner Stelle auch gewesen wäre. Er warf sich vor dem Sterbenden in dunkler Verzweiflung auf die Knie und flehte unter stürzenden Tränen: 'Herr, ich beschwöre Euch, habt Erbarmen mit Euch und mit mir!'
'Laß den Schlaukopf seiner Wege gehen!', raunte der Tyrann. Der Mönch vernahm es nicht.
Wieder gab er den erstaunten Priestern ein Zeichen, und die Sterbelitanei wollte beginnen.
Da kauerte sich der Alte zusammen wie ein trotziges Kind und schüttelte das graue Haupt.
'Laß den Arglistigen seine Straße ziehen!' mahnte Ezzelin lauter. – 'Vater, Vater!' schluchzte der Mönch, und seine Seele zerfloß in Mitleid.
'Erlauchter Herr und christlicher Bruder', fragte jetzt ein Priester mit unsicherer Stimme, seid Ihr in der Verfassung, Euern Schöpfer und Heiland zu empfangen?'
Der Alte schwieg.
'Steht Ihr fest im Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit? Antwortet mir, Herr!' fragte der Geistliche zum andern Male und wurde bleich wie ein Tuch, denn: 'Geleugnet und gelästert sei sie!' rief der Sterbende mit starker Stimme, gelästert und –'
'Nicht weiter!' schrie der Mönch und war aufgesprungen. 'Ich bin Euch zu Willen, Herr! Machet mit mir, was Ihr wollt! Nur daß Ihr Euch nicht in die Flammen stürzet!'
Der Alte seufzte wie nach einer schweren Anstrengung. Dann blickte er
erleichtert, ich hätte fast gesagt
'Gültig! vor dem hochheiligen Sakrament!' frohlockte er und segnete das Paar. Der Mönch widersprach nicht, und Diana schloß die Augen.
'Jetzt rasch, ehrwürdige Väter?' drängte der Alte, 'es eilt, wie ich meine, und ich bin in christlicher Verfassung.'
Der Mönch und seine Braut wollten hinter die priesterliche Schar zurücktreten. 'Bleibt', murmelte der Sterbende, 'bleibt, daß euch meine getrösteten Augen zusammen sehen, bis sie brechen!' Astorre und Diana, kaum einige Schritte zurückweichend, mußten mit vereinigten Händen vor dem erlöschenden Blick des hartnäckigen Greises verharren.
Dieser murmelte eine kurze Beichte, empfing die letzte Zehrung und verschied, während sie ihm die Sohlen salbten und der Priester den schon tauben Ohren jenes großartige: 'Brich auf, christliche Seele!' zurief. Das gestorbene Antlitz trug den deutlichen Ausdruck triumphierender List.
Der Tyrann hatte, während ringsum alles auf den Knien lag, die heilige Handlung sitzend und mit ruhiger Aufmerksamkeit betrachtet, etwa wie man eine fremde Sitte beschaut oder wie ein Gelehrter das auf einem Sarkophag abgebildete Opfer eines alten Volkes besichtigt. Er näherte sich dem Toten und drückte ihm die Augen zu.
Dann wendete er sich gegen Diana. 'Edle Frau', sagte er, 'ich denke, wir gehen nach Hause. Eure Eltern, wenn auch von Eurer Rettung unterrichtet, werden nach Euch verlangen. Auch tragt Ihr ein Gewand der Niedrigkeit, das Euch nicht kleidet.'
'Fürst, ich danke und folge Euch', erwiderte Diana, ließ aber ihre Hand in der
des Mönches ruhen, dessen Blick sie bis jetzt gemieden hatte. Nun schaute sie
dem Gatten voll ins Gesicht und sprach mit einer tiefen, aber wohlklingenden
Stimme, während ihre Wangen sich mit dunkler Glut bedeckten: 'Mein Herr und
Gebieter, wir durften die Seele des Vaters nicht umkommen lassen. So wurde ich
Euer. Haltet mir bessere Treue als dem Kloster. Euer Bruder hat mich nicht
geliebt. Vergebet mir, wenn ich so rede: ich sage die einfache Wahrheit. Ihr
werdet an mir ein gutes und
Inzwischen hatte die geistliche Schar den Leichnam weggehoben, um ihn in der Hauskapelle aufzubahren und einzusegnen.
Astorre stand allein in seinem verscherzten Mönchsgewande, welches eine von Reue
erfüllte Brust bedeckte. Ein Heer von Dienern, das den seltsamen Vorgang
belauscht und genügend begriffen hatte, näherte sich in
Jetzt gewahrte der Mönch plötzlich sein Ordenskleid und den Widerspruch seiner Gefühle und Betrachtungen mit demselben. Er schämte sich vor seiner Kutte, und sie wurde ihm lästig. 'Gebt mir weltliches Gewand!' befahl er. Geschäftige Diener umringten ihn, aus welchen er bald in der Tracht seines ertrunkenen Bruders, mit dem er ungefähr von gleichem Wuchs war, hervortrat.
In demselben Augenblick warf sich ihm der Narr seines Vaters, mit Namen Gocciola,
zu Füßen und huldigte ihm, nicht um wie die andern Verlängerung seines Dienstes
sich zu erbitten, sondern seinen Abschied und die Erlaubnis, den Stand zu
wechseln, denn er sei der Welt überdrüssig, seine Haare ergrauten und es stünde
ihm schlecht an, mit der läutenden Schellenkappe ins Jenseits zu gehen. Mit
diesen weinerlichen Worten bemächtigte er sich der abgeworfenen Kutte, welche
das Gesinde zu berühren sich gescheut
»Amarelle oder Amare«, erläuterte Dante, »heißt das paduanische Hochzeitsgebäck wegen seines bitteren Mandelgeschmackes und zugleich mit anmutiger Anspielung auf das Verbum der ersten Konjugation.« Hier machte der Erzähler eine Pause und verschattete Stirn und Augen mit der Hand, den weitern Gang seiner Fabel übersinnend.
Inzwischen trat der Majordom des Fürsten, ein Alsatier namens Burcardo, mit
abgemessenen Schritten, umständlichen Bücklingen und weitläufigen
Entschuldigungen, daß er die Unterhaltung stören müsse, vor Cangrande, welchen
er in irgendeiner häuslichen Angelegenheit um Befehl bat. Deutsche waren dazumal
Als Dante das Haupt wieder hob, gewahrte er den Elsässer und hörte sein Welsch, das weich und hart beharrlich verwechselte, den Hof ergötzend, das feine Ohr des Dichters aber empfindlich beleidigend. Sein Blick verweilte dann mit sichtlichem Wohlgefallen auf den zwei Jünglingen, Ascanio und dem bepanzerten Krieger. Zuletzt ließ er ihn sinnend ruhen auf den beiden Frauen, der Herrin Diana, die sich belebt und deren marmorne Wange sich leicht gerötet hatte, und auf Antiope, der Freundin Cangrandes, einem hübschen und natürlichen Wesen. Dann fuhr er fort:
»Hinter der Stadtburg der Vicedomini dehnte sich vormals – jetzt, da das
erlauchte Geschlecht längst erloschen ist, hat sich jener Platz völlig verändert
– ein geräumiger Bezirk bis an den Fuß der festen und breiten Stadtmauer aus, so
geräumig, daß er Weideplätze
Während er sann oder träumte, ich weiß nicht was, sprangen auf dem beinahe schon
mittäglich übersonnten Platz vor dem Palast zwei junge Leute von staubbedeckten
Gäulen, der eine gepanzert, der andere mit Wahl gekleidet, obschon im
Reisegewand. Ascanio und Germano, so hießen die Reiter, waren die Günstlinge des
Vogtes und zugleich die Jugendgespielen des Mönches, mit welchen er brüderlich
gelernt und sich ergötzt hatte bis zu seinem fünfzehnten Jahr, dem Beginn
Dante hielt inne und verneigte sich vor dem großen Schatten.
»Mit beantworteten Aufträgen kehrten die zwei zu dem Tyrannen zurück, welchem sie noch überdies die Neuigkeit des Tages mitbrachten: eine in der kaiserlichen Kanzlei verfertigte Abschrift des an den christlichen Klerus gerichteten Hirtenbriefes, worin der Heilige Vater den geistvollen Kaiser vor dem Angesicht der Welt der äußersten Gottlosigkeit anklagt.
Obwohl mit wichtigen, vielleicht Eile heischenden Aufträgen und dem
unheilschweren Dokument betraut, brachten die beiden es nicht über sich, an dem
Heim ihres Jugendgespielen vorbei nach dem Stadtturm des Tyrannen zu sprengen.
Sie hatten in der letzten Herberge vor Padua, wo sie, ohne den Bügel zu
verlassen, ihre Pferde fressen und saufen ließen, von dem geschwätzigen
Schenkwirt das große Stadtunglück und das größere Stadtärgernis, den Untergang
der Hochzeitsbarke und die weggeschleuderte Kutte des Mönches, erfahren,
Gocciola, den sie im Hofe des Palastes fanden, wie er mit einer Semmel
beschäftigt auf einem Mäuerlein saß und die Beine baumeln ließ, führte sie in
den Garten. Ihnen voranwandelnd, unterhielt der Narr die Jünglinge nicht von dem
tragischen Schicksal des Hauses, sondern nur von seinen eigenen Angelegenheiten,
welche ihm als das weit Wichtigere erschienen. Er erzählte, daß er brünstig nach
einem seligen Ende strebe, und verschluckte darüber den Rest der Semmel, ohne
ihn mit seinen wackligen Zähnen gekaut zu haben, so daß er fast daran erstickte.
Über die Gesichter, die er schnitt, und über seine Sehnsucht nach der Zelle
Ascanio versagte sich nicht, das Tröpfchen zu foppen, schon um den lästigen
Begleiter loszuwerden. 'Ärmster', begann er, 'du wirst die Zelle nicht
erreichen, denn, unter uns, im tiefsten Vertrauen, mein Ohm, der Tyrann, hat ein
begehrliches Auge auf dich geworfen. Laß dir sagen: Er besitzt vier Narren, den
Stoiker, den Epikuräer, den Platoniker, den Skeptiker, wie er sie benennt. Diese
vier stellen sich, wann der Ernste spaßen will, auf seinen Wink in die vier
Ecken eines Saales, an dessen Wölbung der gestirnte Himmel und die
Planetenbilder prangen. Der Ohm, im Hauskleid, tritt in die Mitte des Raumes,
klatscht in die Hände, und die Philosophen wechseln hopsend die Winkel.
Vorgestern ist der Stoiker heulend und winselnd draufgegangen, weil der
Unersättliche viele Pfunde Nudeln auf einmal verschlang. Der Ohm hat mir
flüchtig angedeutet, er gedenke ihn zu ersetzen und werde sich von dem Mönch,
deinem neuen Herrn, als Erbsteuer dich, o Gocciola, erbitten. So steht es.
»Ich streiche die Narren Ezzelins«, unterbrach Dante mit einer griffelhaltenden Gebärde, als schriebe er seine Fabel, statt sie zu sprechen, wie er tat. »Der Zug ist unwahr, oder dann log Ascanio. Es ist durchaus undenkbar, daß ein so ernster und ursprünglich edler Geist wie Ezzelin Narren gefüttert und sich an ihrem Blödsinn ergötzt habe.« Diesen geraden Stich führte der Florentiner gegen seinen Gastfreund, auf dessen Mantel Gocciola saß, den Dichter angrinsend.
Cangrande tat nicht dergleichen. Er versprach sich im stillen, bei erster Gelegenheit mit Wucher heimzuzahlen.
Befriedigt, fast heiter setzte Dante seine Erzählung fort.
»Endlich entdeckten die beiden den entmönchten Mönch, welcher, wie gesagt, den Rücken an den Stamm einer Pinie lehnte –«
»An den Stamm einer Zeder, Dante«, verbesserte die aufmerksam gewordene Fürstin.
»- einer Zeder lehnte und sich die Fußspitzen sonnte. Er bemerkte die sich ihm von beiden Seiten Nähernden nicht, so tief war er in sein leeres oder volles Träumen versunken. Jetzt bückte sich der mutwillige Ascanio nach einem Grashalm, brach denselben und kitzelte damit die Nase des Mönches, daß dieser dreimal kräftig nieste. Astorre ergriff freundlich die Hände seiner Jugendgespielen und zog sie rechts und links neben sich auf den Rasen nieder. 'Nun, was sagt ihr dazu?' fragte er in einem Ton, der eher schüchtern als herausfordernd klang.
'Zuerst mein aufrichtiges Lob deines Priors und deines Klosters!' scherzte
Ascanio. 'Sie haben dich frisch bewahrt. Du schaust jugendlicher als wir beide.
Freilich, die knappe weltliche Tracht und das glatte Kinn mögen dich auch
verjüngen. Weißt du, daß du
'Es war nicht mein Wunsch noch freier Entschluß', bekannte der Mönch wahrhaft. Widerstrebend tat ich den Willen eines sterbenden Vaters.'
'Wirklich?' lächelte Ascanio. Erzähle das niemandem, Astorre, als uns, die dich
lieben. Andern würde dich diese Unselbständigkeit lächerlich oder gar
verächtlich machen. Und, weil wir vom Lächerlichen reden, gib acht, ich bitte
dich, Astorre, daß du den Menschen aus dem Mönch entwickelst, ohne den guten
Geschmack zu beleidigen! Der heikle Übergang will sorgfältig geschont und
abgestuft sein. Nimm Rat an! Du reisest ein Jährchen, zum Beispiel an den Hof
des Kaisers, von wo nach Padua und zurück die Boten nicht zu laufen aufhören. Du
läßt dich von Ezzelin nach Palermo senden! Dort lernst du neben dem
vollkommensten
'Er muß dort beim Kaiser eine Schwäbin heiraten', riet der Gepanzerte gutmütig. 'Sie sind frömmer und verläßlicher als unsere Weiber.'
'Schweigst du wohl?' drohte ihm Ascanio mit dem Finger. 'Mache mir keine Langeweile mit semmelblonden Zöpfen!' Der Mönch aber drückte die Rechte Germanos, welche er noch nicht hatte fahren lassen.
'Aufrichtig, Germano', forschte er, was sagst du dazu?' 'Wozu?' fragte dieser barsch.
'Nun, zu meinem neuen Stand?'
'Astorre, mein Freund', antwortete der Schnurrbärtige etwas verlegen, 'ist es getan, fragt man nicht mehr herum nach Beirat und Urteil. Man behauptet sich, wo man steht. Willst du aber meine Meinung durchaus wissen, nun, schau, Astorre, verletzte Treue, gebrochenes Wort, Fahnenflucht und so weiter, dem gibt man in Germanien grobe Namen. Natürlich bei dir ist's etwas ganz anderes, das läßt sich gar nicht vergleichen – und dann der sterbende Vater – Astorre, mein lieber Freund, du hast ganz hübsch gehandelt, nur wäre das Gegenteil noch hübscher gewesen. Das ist meine Meinung', schloß er treuherzig.
'So hättest du mir, wärest du dagewesen, die Hand deiner Schwester verweigert, Germano?'
Dieser fiel aus den Wolken. 'Die Hand meiner Schwester? der Diana? Derselben, die deinen Bruder betrauert?' 'Derselben. Sie ist meine Verlobte.'
'O herrlich!' rief jetzt der weltkluge Ascanio, und 'Erfreulich!' fiel Germano bei. 'Laß dich umarmen, Schwager!' Der Gepanzerte hatte trotz seiner Geradheit gute Lebensart. Aber er unterdrückte einen Seufzer. So herzlich er die herbe Schwester achtete, dem Mönch, wie dieser neben ihm saß, hätte er, nach seinem natürlichen Gefühl, ein anderes Weib gegeben.
So drehte er den Schnurrbart und Ascanio das Steuerruder des Gespräches.
'Eigentlich, Astorre', – plauderte der Heitere, 'müssen wir damit anfangen, uns
wieder kennenzulernen; nicht weniger als deine fünfzehn beschaulichen
Klosterjahre liegen zwischen unserer Kindheit und heute. Nicht daß wir
inzwischen unser Wesen geändert hätten, wer ändert es? Doch wir haben uns
ausgewachsen. Dieser zum Beispiel' – er deutete gegen Germano – freut sich jetzt
eines schönen Waffenruhmes; aber ich habe ihn zu verklagen, daß er
Germano lachte herzlich und erwiderte, auf Ascanio zeigend: 'Und dieser hier hat seine Bestimmung gefunden, indem er der perfekte Höfling wurde.'
'Da irrst du dich, Germano', widersprach der Günstling Ezzelins. Meine Bestimmung
war, das Leben leicht und heiter zu genießen.' Und zum Beweise dessen rief er
freundlich gebietend das Kind des Gärtners herbei, das er in einiger Entfernung
sich vorüberstehlen und nach seiner neuen Herrschaft, dem Mönche, schielen sah.
Das hübsche Ding trug einen mit Trauben und Feigen überhäuften Korb auf dem
lachenden Haupte und schaute eher schelmisch als schüchtern.
'Ein Höfling?' fuhr Ascanio fort, der sich, belustigt durch die Zimperlichkeit
des dreißigjährigen Mönches, wieder neben ihn auf den Rasen geworfen hatte.
'Glaube das nicht, Astorre! Glaube das Gegenteil! Ich bin der einzige, welcher
meinem Ohm leise, aber
'Er ist nur gerecht und sich selbst getreu!' meinte Germano.
'Über seine Gerechtigkeit!' jammerte Ascanio, 'und über seine Logik! Padua ist Reichslehen. Ezzelin ist Vogt. Wer ihm mißfällt, lehnt sich gegen das Reich auf. Hochverräter werden-'. Er brachte es nicht über die Lippen. 'Abscheulich!' murmelte er. 'Und überhaupt: warum dürfen wir Welsche kein eigenes Leben unter unserer warmen Sonne führen? Warum dieses Nebelphantom des Reiches, das uns den Atem beengt? Ich rede nicht für mich. Ich bin an den Ohm gefesselt. Stirbt der Kaiser, den Gott erhalte, so wirft sich ganz Italien mit Flüchen und Verwünschungen über den Tyrannen Ezzelin und den Neffen erwürgen sie so nebenbei.' Ascanio betrachtete über der üppigen Erde den strahlenden Himmel und stieß einen Seufzer aus.
'Uns beide', ergänzte Germano kaltblütig. 'Das aber hat Weile. Der Gebieter
besitzt eine feste Prophezeiung. Der Gelehrte Guido Bonatti und Paul von Bagdad,
welcher mit seinem langen Bart den
'Geflechte von Vernunft und Wahn!' ärgerte sich Ascanio, während der Mönch erstaunte über die Macht der Sterne, den weiten Ehrgeiz der Herrscher und den alles mitreißenden Strom der Welt. Auch erschreckte ihn das Gespenst der beginnenden Grausamkeit Ezzelins, in welchem der Unschuldige die verkörperte Gerechtigkeit gesehen hatte.
Ascanio beantwortete seine schweigenden Zweifel, indem er fortfuhr: 'Mögen sie
beide einen bösen Tod finden, der stirnrunzelnde Guido und der bärtige Heide!
Sie verleiten den Ohm, seinen Launen und Lüsten zu
'Ich denke nicht, Neffe', sprach es hinter ihm. Es war Ezzelin, welcher ungesehen herangetreten war und, obwohl kein Lauscher, den letzten schmerzlichen Ausruf Ascanios vernommen hatte.
Die drei Jünglinge erhoben sich rasch und begrüßten den Herrscher, der sich auf die Bank niederließ. Sein Gesicht war ruhig wie die Maske des Brunnens.
'Ihr meine Boten', stellte er Ascanio und Germano zur Rede, 'was kam euch an,
diesen hier' –
'Er ist unser Jugendgespiele und hat Seltsames erfahren', entschuldigte der Neffe, und Ezzelin ließ es gelten. Er empfing die Briefschaften, die ihm Ascanio, das Knie biegend, überreichte. Alles schob er in den Busen außer der Bulle. 'Siehe da', sagte er, 'das Neueste! Lies vor, Ascanio! Du hast jüngere Augen als ich.'
Ascanio rezitierte den apostolischen Brief, während Ezzelin die Rechte in den Bart vergrub und mit dämonischem Vergnügen zuhörte.
Zuerst gab der dreigekrönte Schriftsteller dem geistreichen Kaiser den Namen
eines apokalyptischen Ungeheuers. 'Ich kenne das, es ist absurd', sagte der
Tyrann. 'Auch mich hat der Pontifex in seinen Briefen ausschweifend betitelt,
bis ich ihn ermahnte, mich, welcher Ezzelin der Römer heißt, fortan in
klassischer Sprache zu schelten. Wie nennt er mich dieses Mal? Ich bin
neugierig. Suche nur die Stelle, Ascanio – es wird sich eine finden –, wo er
meinem Schwieger seinen bösen Umgang vorhält. Gib her!' Er ergriff das Schreiben
und fand bald den Ort: hier
'Korrekt!' lobte Ezzelin und gab Ascanio das Schreiben zurück. 'Lies mir die Gottlosigkeiten des Kaisers, Neffe', lächelte er.
Ascanio las, Friedrich habe geäußert, es gebe neben vielem Wahn nur zwei wahre Götter: Natur und Vernunft. Der Tyrann zuckte die Achseln.
Ascanio las ferner, Friedrich habe geredet: drei Gaukler, Moses, Mohammed und – er stockte – hätten die Welt betrogen. 'Oberflächlich', tadelte Ezzelin, 'sie hatten ihre Sterne; aber, gesagt oder nicht, der Spruch gräbt sich ein und wiegt für den unter der Tiara ein Heer und eine Flotte. Weiter.'
Nun kam eine wunderliche Mär an die Reihe: Friedrich hätte, durch ein wogendes Kornfeld reitend, mit seinem Gefolge gescherzt und in lästerlicher Anspielung auf die heilige Speise den Dreireim zum besten gegeben:
Ezzelin besann sich. 'Seltsam!' flüsterte er. Mein Gedächtnis hat dieses Verschen aufbewahrt. Es ist durchaus authentisch. Der Kaiser hat es mir mit fröhlich lachendem Mund zugerufen, da wir zusammen im Angesicht der Tempeltrümmer von Enna jene strotzenden Ährenfelder durchritten, mit welchen Göttin Ceres die sizilische Scholle gesegnet hat. Darauf besinne ich mich mit derselben Klarheit, welche an jenem Sommertag über der Insel glänzte. Ich bin es nicht, der diesen heitern Scherz dem Pontifex mitgeteilt hat. Dazu bin ich zu ernsthaft. Wer tat es? Ich mache euch zu Richtern, Jünglinge. Wir ritten zu dreien, und der dritte – auch dessen bin ich gewiß, wie dieser leuchtenden Sonne' – sie warf gerade einen Strahl durch das Laub – 'war Petrus de Vinea, der Unzertrennliche des Kaisers. Hätte der fromme Kanzler für seine Seele gebangt und sein Gewissen durch einen Brief nach Rom erleichtert? Reitet ein Sarazene heute? Ja? Rasch, Ascanio. Ich diktiere dir eine Zeile.'
Dieser zog Täfelchen und Stift hervor, ließ sich auf das rechte Knie nieder und schrieb, das gebogene linke als Pult gebrauchend:
'Erhabener Herr und geliebter Schwieger! Ein schnelles Wort. Das Verschen in der Bulle – Ihr seid zu geistreich, um Euch zu wiederholen – haben nur vier Ohren gehört, die meinigen und die Eures Petrus, in den Kornfeldern von Enna, vor einem Jahr, da Ihr mich an Euern Hof beriefet und ich mit Euch die Insel durchritt. Kein Hahn kräht danach, wenn nicht der im Evangelium, welcher den Verrat des Petrus bekräftigte. Wenn Ihr mich und Euch liebet, Herr, so versuchet Euern Kanzler mit einer scharfen Frage.'
'Blutiges Wortspiel! Das schreibe ich nicht! Die Hand zittert mir!' rief der erblassende Ascanio. 'Ich bringe den Kanzler nicht auf die Folter!' und er warf den Stift weg.
'Dienstsache', bemerkte Germano trocken, hob den Stift auf und beendigte das Schreiben, welches er unter seine Eisenhaube schob. Es läuft noch heute', sagte er. 'Mir für meine einfache Person hat der Capuaner nie gefallen: er hat einen verhüllten Blick.'
Der Mönch Astorre schauderte zusammen trotz der Mittagssonne. Zum ersten Male
griff der aus dem Klosterfrieden Geschiedene, gleichsam mit Händen, wie
'Sprich, Mönch, warum vergräbst du dich in dein Haus? Du hast es noch nie verlassen, seit du weltliches Gewand trägst. Du scheust die öffentliche Meinung? Tritt ihr entgegen! Sie weicht zurück. Machst du aber eine Bewegung der Flucht, so heftet sie sich an deine Sohle wie eine heulende Meute. Hast du deine Braut Diana besucht? Die Trauerwoche ist vorüber. Ich rate dir: heute noch lade deine Sippen, und heute noch vermähle dich mit Diana!'
'Und dann rasch mit euch auf dein entlegenstes Schloß!' beendigte Ascanio.
'Das rate ich nicht', verbot der Tyrann. 'Keine Furcht. Keine Flucht. Heute vermählst du dich, und morgen hältst du Hochzeit mit Masken. Valete!' Er schied, Germano winkend ihm zu folgen.«
»Darf ich unterbrechen?« fragte Cangrande, der höflich genug gewesen war, eine natürliche Pause der Erzählung abzuwarten.
»Du bist der Herr«, versetzte der Florentiner mürrisch. »Traust du dem unsterblichen Kaiser jenes Wort von den drei großen Gauklern zu?«
»Non liquet.«
»Ich meine: in deinem innersten Gefühl?«
Dante verneinte mit einer deutlichen Bewegung des Hauptes. »Und doch hast du ihn als einen Gottlosen in den sechsten Kreis deiner Hölle verdammt. Wie durftest du das? Rechtfertige dich!«
»Herrlichkeit«, antwortete der Florentiner, »die Komödie spricht zu meinem Zeitalter. Dieses aber liest die fürchterlichste der Lästerungen mit Recht oder Unrecht auf jener erhabenen Stirn. Ich vermag nichts gegen die fromme Meinung. Anders vielleicht urteilen die Künftigen.«
»Mein Dante«, fragte Cangrande zum andern Mal, »glaubst du Petrus de Vinea unschuldig des Verrates an Kaiser und Reich?«
»Non liquet. «
»Ich meine: in deinem innersten Gefühl?« Dante verneinte mit derselben Gebärde.
»Und du läßt den Verräter in deiner Komödie seine Unschuld beteuern? «
»Herr«, rechtfertigte sich der Florentiner, »werde ich, wo klare Beweise fehlen, einen Sohn der Halbinsel mehr des Verrates bezichtigen, da schon so viele Arglistige und Zweideutige unter uns sind?«
»Dante, mein Dante«, sagte der Fürst, »du glaubst nicht an die Schuld und du verdammst! Du glaubst an die Schuld und du sprichst frei!« Dann führte er die Erzählung in spielendem Scherz weiter:
»Auch der Mönch und Ascanio verließen jetzt den Garten und betraten die Halle.« Doch Dante nahm ihm das Wort:
»Keineswegs, sondern sie stiegen in eine Turmstube, dieselbe, die Astorre als
Knabe mit ungeschorenen Locken bewohnt; denn dieser mied die großen und
prunkenden Gemächer, welche er sich erst gewöhnen mußte als sein Eigentum zu
betrachten, wie er auch den ihm hinterlassenen goldenen Hort noch mit keinem
Finger berührt hatte. Den beiden folgte, auf einen gebietenden Wink Ascanios,
der Majordom Burcardo
Der gleichnamige Haushofmeister Cangrandes war nach verrichtetem Geschäft neugierig lauschend in den Saal zurückgetreten, denn er hatte gemerkt, daß es sich um wohlbekannte Personen handle; da er nun sich selbst nennen hörte und unversehens und lebensgroß im Spiegel der Novelle erblickte, fand er diesen Mißbrauch seiner Ehrenperson verwegen und durchaus unziemlich im Munde des beherbergten Gelehrten und geduldeten Flüchtlings, welchem er in gerechter Erwägung der Verhältnisse und Unterschiede auf dem oberen Stockwerk des fürstlichen Hauses eine denkbar einfache Kammer eingeräumt hatte. Was die andern lächelnd gelitten, empfand er als ein Ärgernis. Er runzelte die Brauen und rollte die Augen. Der Florentiner weidete sich mit ernsthaftem Gesicht an der Entrüstung des Pedanten und ließ sich in seiner Fabel nicht stören.
»,Würdiger Herr', befragte Ascanio den Majordom – habe ich gesagt, daß dieser von
Geburt ein Alsatier
Der Haushofmeister warf sich in Positur, starr seinen Herrn anschauend, ohne Ascanio, der ihm nach seinen Begriffen nichts zu befehlen hatte, eines Blickes zu würdigen.
'Distinguendum est', sagte er feierlich. 'Es ist auseinanderzuhalten: Werbung, Vermählung und Hochzeit.'
'Wo steht das geschrieben?' scherzte Ascanio.
'Ecce!' antwortete der Majordom, indem er ein großes Buch entfaltete, das ihn niemals verließ. 'Hier!' und er wies mit dem gestreckten Finger der linken Hand auf den Titel, welcher lautete: 'Die Zeremonien von Padova nach genauer Erforschung zu Nutz und Frommen aller Ehrbaren und Anständigen, zusammengestellt von Messer Godoscalco Burcardo.' Er blätterte und las: 'Erster Abschnitt: Die Werbung. Paragraph eins. Der ernsthafte Werber bringt einen Freund gleichen Standes als gültigen Zeugen mit –'
'Bei den überflüssigen Verdiensten meines Schutzheiligen', unterbrach ihn Ascanio
ungeduldig, 'laß uns zufrieden mit ante und post, mit Werbung und Hochzeit,
'In Batova', krähte der gereizte Alsatier, dessen barbarische Aussprache in der Gemütsbewegung noch mehr als gewöhnlich hervortrat, 'werden zu den adeligen Sbosalizien geladen die zwölf großen Geschlechter' – er zählte sie aus dem Gedächtnis her – 'zehn Tage voraus, nicht früher, nicht später, von dem Majordom des Bräutigams, gefolgt von sechs Dienern. In dieser erleuchten Versammlung werden die Ringe gewechselt. Man schlürft Cybrier und verzehrt als Hochzeitsgebäck die Amarellen –'
'Gott gebe, daß wir uns nicht die Zähne ausreißen!' lachte Ascanio, und dem Majordom das Buch entreißend, durchlief er die Namen, von welchen sechs Familienhäupter – sechs von zwölfen – und einige Jünglinge mit breiten Strichen ausgelöscht waren. Sie mochten sich in irgendeine Verschwörung gegen den Tyrannen verwickelt und darin den Untergang gefunden haben.
'Merk auf, Alter!' befahl Ascanio, für den Mönch handelnd, welcher in einen
Sessel gesunken war und in Gedanken verloren die freundliche Bevormundung
'Heute und auf heute, Starrkopf!'
'Unmöglich', sprach der Majordom ruhig. Ändert Ihr den Lauf der Gestirne und Jahreszeiten?'
'Du rebellierst? Juckt dich der Hals, Alter?' warnte Ascanio mit einem sonderbaren Lächeln.
Das genügte. Herr Burcardo erriet. Ezzelin hatte befohlen, und der hartnäckigste der Pedanten fügte sich ohne Murren, so eisern war die Rute des Tyrannen.
'Dann ladest du die beiden Herrinnen Canossa nicht, die Olympia und die Antiope.'
'Warum diese nicht?' fragte der Mönch plötzlich, wie von einem Zauberstab berührt. Die Luft färbte sich vor seinem Blick, und ein Bild entstand, dessen erster Umriß schon seine ganze Seele fesselte.
'Weil die Gräfin Olympia eine Törin ist, Astorre. Kennst du die Geschichte des
armen Weibes nicht? Doch du stakest ja damals noch in den Windeln,
'Im Sommer, Ascanio. Eben jährt es sich', widersprach der Mönch.
'Du hast recht – kennst du denn die Geschichte? Doch wie solltest du? Zu jener
Zeit munkelte der Graf Canossa mit dem Legaten, wurde belauscht, ergriffen und
verurteilt. Die Gräfin tat einen Fußfall vor dem Ohm, der sich in sein Schweigen
hüllte. Sie wurde dann auf die sträflichste Weise von einem habgierigen Kämmerer
getäuscht, welcher ihr Gewinnes wegen vorspiegelte, der Graf werde vor dem Block
begnadigt werden. Das ging nicht in Erfüllung, und da man der Gräfin einen
Enthaupteten brachte, warf sich ihm die aus der Hoffnung kopfüber in die
Verzweiflung Geschleuderte durch das Fenster entgegen, wunderbarerweise ohne
sich zu verletzen, außer daß sie sich den Fuß verstauchte. Aber von jenem Tag an
war ihr Geist zerrüttet. Wenn natürliche Stimmungen sich unmerklich ineinander
verlieren wie das erlöschende Licht in die wachsende Dämmerung, wechseln die
ihrigen in rasendem Umschwung von Hell und Dunkel zwölfmal in zwölf Stunden. Von
beständiger
Hätte Ascanio, während seine Rede floß, den flüchtigsten Blick auf den Mönch geworfen, er hätte staunend innegehalten, denn das Antlitz des Mönches verklärte sich vor Mitleid und Erbarmen.
'Wenn der Tyrann', fuhr der Achtlose fort, an der Behausung Olympias vorüber auf
die Jagd reitet, stürzt sie ans Fenster und erwartet, er werde an ihrer Schwelle
vom Pferd steigen und die in Ungnade Geratene, aber nun genug Geprüfte, günstig
und gnädig an seinen Hof zurückführen, wozu er wahrlich keine Lust hat. Eines
andern Tages, oder noch an demselben, wähnt sie sich von Ezzelin, welcher sich
nicht um sie bekümmert, verfolgt und geächtet. Sie glaubt sich verarmt und ihre
Güter, die er unberührt ließ, eingezogen. So brennt und friert sie im
Wechselfieber
Astorre aber versank in seinem Traume. So sage ich, weil das Vergangene Traum
ist. Denn der Mönch sah, was er vor drei Jahren erlebt hatte: einen Block, den
Henker daneben und sich selbst an der Stelle eines erkrankten Mitmönches als
geistlichen Tröster, der einen armen Sünder erwartet. Dieser – der Graf Canossa
– erschien gefesselt, wollte aber durchaus nicht herhalten, sei es, weil er
wähnte, seine Begnadigung werde, jetzt da er vor dem Blocke stehe, nicht säumen,
sei es einfach, weil er die Sonne liebte
Jetzt leuchteten die Farben so kräftig, daß der Mönch die zwei nebeneinander
liegenden Hälse, den ziegelroten Nacken des Grafen und den schneeweißen des
Kindes mit dem gekräuselten, goldbraunen Flaum
'Hat mir mein Gebieter einen Auftrag zu geben?' störte den Verzückten die schnurrende Stimme des Majordoms, der es schwer ertrug, von Ascanio gemeistert zu werden.
'Burcardo', antwortete Astorre mit weicher Stimme, 'vergiß nicht, die zwei Frauen Canossa, Mutter und Tochter, zu laden. Es sei nicht gesagt, daß der Mönch die von der Welt Gemiedenen und Verlassenen von sich fernhält. Ich ehre das Recht einer Unglücklichen' – hier stimmte der Majordom mit eifrigem Nicken bei –, 'von mir geladen und empfangen zu werden. Würde sie übergangen, es dürfte sie schwer kränken, wie sie beschaffen ist.'
'Beileibe!' warnte Ascanio. Tu dir doch das
Herr Burcardo aber, der die Berechtigung einer Canossa, ob sie bei Verstande sei oder nicht, sich zu den Zwölfen zu versammeln, mit den Zähnen festhielt und seinen Gehorsam dem Vicedomini und keinem andern verpflichtet glaubte, verbeugte sich tief vor dem Mönch. 'Deiner Herrlichkeit allein wird gehorcht', sprach er und entfernte sich.
'O Mönch, Mönch', rief Ascanio, 'der die Barmherzigkeit in eine Welt trägt, wo kaum die Güte ungestraft bleibt!'
Doch wie wir Menschen sind«, flocht Dante ein, »oft zeigt uns ein prophetisches Licht den Rand eines Abgrunds, aber dann kommt der Witz und klügelt und lächelt und redet uns die Gefahr aus.
Dergestalt fragte und beruhigte sich der Leichtsinnige:
So ließ Ascanio es gut sein, und sich des andern Befehles des Tyrannen erinnernd, den Mönch unter die Leute zu bringen, fragte er lustig: 'Ist für den Ehereif gesorgt, Astorre? Denn es steht in den Zeremonien geschrieben, Abschnitt zwei, Paragraph soundso: Die Reife werden gewechselt.' Dieser erwiderte, es werde sich dergleichen in dem Hausschatz finden.
'Nicht so, Astorre', meinte Ascanio. 'Wenn du mir folgst, kaufst du deiner Diana
einen neuen. Wer weiß, was für Geschichten an den gebrauchten Ringen kleben.
Wirf das Alte hinter dich. Auch schickt es sich ganz allerliebst: du kaufst ihr
einen Ring bei dem Florentiner auf der Brücke. Kennst du den Mann? Doch wie
solltest du! Höre: Als ich heute in der Frühstunde, mit Germano in die Stadt
zurückkehrend, unsere einzige Brücke über den Kanal beschritt – wir
Dieser weigerte sich nicht, da er selbst das Bedürfnis fühlen mochte, den Bann des Hausbezirkes zu brechen, welchen er, seit er seine Kutte niedergestreift, nicht mehr verlassen hatte.
'Hast du Geld zu dir gesteckt, Freund Mönch?' scherzte Ascanio. 'Dein Gelübde der Armut ist hinfällig, und der Florentiner wird dich überfordern.' Er pochte an das Schiebfensterchen des im untern Flur, welchen die Jünglinge eben durchschritten, gelegenen Hauskontors. Es zeigte sich ein verschmitztes Gesicht, Jede Falte ein Betrug, und der Verwalter der Vicedomini – ein Genuese, wenn ich recht berichtet bin – reichte seinem Herrn mit kriechender Verbeugung einen mit Goldbyzantinern gefüllten Beutel. Dann wurde der Mönch von einem Diener in den bequemen paduanischen Sommermantel mit Kapuze gehüllt.
Auf der Straße zog sich Astorre dieselbe tief ins Gesicht, weniger gegen die
brennenden Strahlen der Sonne als aus langer Gewöhnung, und wandte sich
freundlich gegen seinen Begleiter. 'Nicht wahr, Ascanio', sagte er, diesen Gang
tue ich allein? Einen einfachen Goldring zu kaufen übersteigt meinen
Mönchsverstand nicht. Das traust du mir noch zu? Auf Wiedersehen bei meiner
Vermählung, wann es Vesper läutet!' Ascanio ging und rief noch über die Schulter
zurück: 'Einen, nicht zwei! Den deinigen gibt dir Diana! Merke dir das,
Astorre!' Es war eine
Fraget ihr mich, Herrschaften, warum der Mönch den Freund beurlaubte, so sage ich: er wollte den himmlischen Ton, welchen die junge Märtyrerin der Kindesliebe in seinem Gemüt geweckt hatte, rein ausklingen lassen.
Astorre hatte die Brücke erreicht, welche trotz des Sonnenbrandes randvoll war und von den nahen zwei Ufern ein doppeltes Menschengedränge vor den Laden des Florentiners führte. Der Mönch blieb unter seinem Mantel unerkannt, ob auch hin und wieder ein Auge fragend auf dem unbedecktem Teil seines Gesichtes ruhte. Adel und Bürgerschaft suchte sich den Vortritt abzugewinnen. Vornehme Weiber stiegen aus ihren Sänften und ließen sich drängen und drücken, um ein Paar Armringe oder ein Stirnband von neuester Mache zu erhandeln. Der Florentiner hatte auf allen Plätzen mit der Schelle verkündigen lassen, er schließe heute nach dem Ave Maria. Er dachte nicht daran. Doch was kostet einen Florentiner die Lüge!
Endlich stand der Mönch, von Menschen eingeengt, vor der Bude. Der bestürmte Händler, der sich verzehnfachte, streifte ihn mit einem erfahrenen Seitenblick und erriet sofort den Neuling. Womit diene ich dem gebildeten Geschmack der Herrlichkeit?' fragte er. Gib mir einen einfachen Goldreif', antwortete der Mönch. Der Kaufmann ergriff einen Becher, auf welchem, nach florentinischer Kunst und Art, in erhabener Arbeit irgend etwas Üppiges zu sehen war. Er schüttelte den Kelch, in dessen Bauch hundert Reifen wimmelten, und bot ihn Astorre.
Dieser geriet in eine peinliche Verlegenheit. Er kannte den Umfang des Fingers
nicht, welchen er mit einem Reif bekleiden sollte, und deren mehrere
heraushebend, zauderte er sichtlich zwischen einem weitern und einem engern. Der
Florentiner konnte den Spott nicht lassen, wie denn ein versteckter Hohn aus
aller Rede am Arno hervorkichert. 'Kennt der Herr die Gestalt des Fingers nicht,
welchen er doch wohl zuweilen gedrückt hat?' fragte er mit einem unschuldigen
Gesicht, aber als ein kluger Mann verbesserte er sich alsobald, und in der
heimischen Meinung, der Verdacht der Unwissenheit sei beleidigend, derjenige der
Sünde
Ehe noch der Mönch über diese lose Rede ungehalten werden konnte, erhielt er einen harten Stoß. Es war das Schulterblatt eines Roßpanzers, das ihn so unsanft streifte, daß er den kleinern Ring fallen ließ. In demselben Augenblick schmetterte ihm der betäubende Ton von acht Tuben ins Ohr. Die Feldmusik der germanischen Leibwache des Vogtes ritt in zwei Reihen, beide vier Rosse hoch, über die Brücke, den ganzen Menscheninhalt derselben auseinanderwerfend und gegen die steinernen Geländer pressend.
Sobald die Bläser vorüber waren, stürzte der Mönch, den festgehaltenen größern Ring rasch in seinem Gewand bergend, dem kleinern nach, welcher unter den Hufen der Gäule weggerollt war.
Das alte Bauwerk der Brücke war in der Mitte ausgefahren und vertieft, so daß der
Reif die Höhlung hinab und dann durch seine eigene Bewegung getrieben
Das Edelfräulein zeigte sich unwillig über die Posse der Magd, war aber doch auch
ein bißchen belustigt davon. Sie bemühte sich eifrig, den fremden Ring, der ihr
wie angegossen saß, dem Finger wieder abzuziehen. Da stand unversehens der Mönch
vor ihr und hob die Arme in freudiger Verwunderung. Seine Gebärde aber war, daß
er die geöffnete rechte Hand vor sich hinstreckte, die linke in der Höhe des
Herzens hielt; denn er hatte, trotz der entfalteten Blüte, an der auffallenden
Schlankheit des Halses und
Während das Mädchen bestürzte, fragende Augen auf den Mönch richtete und
immerfort an dem widerspenstigen Ring drehte, zauderte Astorre, denselben
zurückzuverlangen. Doch es mußte geschehen. Er öffnete den Mund. 'Junge Herrin',
begann er – und fühlte sich von zwei starken, gepanzerten Armen umfaßt, die sich
seiner bemächtigten und ihn emporzogen. Im Augenblick sah er sich, mit Hilfe
eines andern Gepanzerten, ein Bein rechts, ein Bein links, auf ein stampfendes
Roß gesetzt. 'Laß schauen', schallte ein gutmütiges Gelächter, 'ob du das Reiten
nicht verlernt hast!' Es war Germano, welcher an der Spitze der von ihm
befehligten deutschen Kohorte ritt, die der Vogt auf eine Ebene unweit Padua zur
Musterung befohlen hatte. Da er unvermutet den Freund und Schwager im Freien
erblickte, hatte er sich den unschuldigen Spaß gemacht, denselben neben sich auf
ein Pferd zu heben, von welchem ein junger Schwabe auf seinen Wink abgesprungen
war. Das feurige Tier, welches den veränderten Reiter spürte, tat ein paar
Die Frauen aber – zu Antiope und der leichtfertigen Zofe hatte sich noch eine
dritte, durch den
Sotte erzählte eben der Alten, offenbar der Mutter des Fräuleins, mit dummem Jubel den Vorgang auf der Brücke: Astorre – auch ihr hatte der Zuruf des Volkes ihn genannt – Astorre der Mönch, der stadtkundig freien müsse, habe Antiope verstohlenerweise einen Goldring zugerollt, und als sie – Sotte –, den Wink der Vorsehung und die Schlauheit des Mönches verstehend, ihn dem lieben Mädchen angesteckt, sei der Mönch selbst vor dasselbe hingetreten, und da Antiope ihm den Ring in Züchten habe zurückgeben wollen, habe er – sie ahmte den Mönch nach – die Linke zärtlich auf das Herz gelegt, so! die Rechte aber zurückweisend ausgestreckt mit einer Gebärde, die in ganz Italien nichts anderes sage und bedeute als: Behalte, Schatz!
Endlich kam die erstaunte Antiope zu Wort und
So langten die Frauen in dem Palast Canossa an und begegneten im Torbogen einem
steif geputzten Majordom, dem sechs verschwenderisch gekleidete Diener folgten.
Herr Burcardo ließ, ehrerbietig zurücktretend, Madonna Olympia die Treppe
voraufgehen, dann, in einer öden Halle angelangt, machte er drei abgezirkelte
Verbeugungen, eine immer näher und tiefer als die andere, und redete langsam und
feierlich: 'Herrlichkeiten, mich sendet Astorre Vicedomini, hochdieselben
untertänigst zu seinen Sbosalizien zu laden,
Dante hielt inne. Seine Fabel lag in ausgeschütteter Fülle vor ihm; aber sein strenger Geist wählte und vereinfachte. Da rief ihn Cangrande.
»Mein Dante«, hub er an, »ich wundere mich, mit wie harten und ätzend scharfen Zügen du deinen Florentiner umrissen hast! Dein Niccolò Lippo dei Lippi ist verbannt durch ein feiles und ungerechtes Urteil. Er selbst aber ist ein Überteurer, ein Schmeichler, ein Lügner, ein Spötter, ein Schlüpfriger und eine Memme, alles nach Art der Florentiner'. Und das ist nur ein winziges Flämmchen aus dem Feuerregen von Verwünschungen, womit du dein Florenz überschüttest, nur eine tröpfelnde Neige jener bittern von Essig und Galle triefenden Terzinen, die du in deiner Komödie der Vaterstadt zu kosten gibst. Lasse dir sagen, es ist unedel, seine Wiege zu schmähen, seine Mutter zu beschämen! Es kleidet nicht gut! Glaube mir, es macht einen schlechten Eindruck!
Mein Dante, ich will dir erzählen von einem Puppenspiel, dem ich jüngst, verkappt
unter dem Volk
Ähnlicherweise, mein Dante, spricht ein Hochherziger, welchen seine Vaterstadt mißhandelt: Ich will geschlagen sein!«
Viele junge und scharfe Augen hafteten auf dem Florentiner. Dieser verhüllte sich schweigend das Haupt. Was in ihm vorging, weiß niemand. Als er es wieder erhob, war seine Stirn vergrämter, sein Mund bitterer und seine Nase länger.
Dante lauschte. Der Wind pfiff um die Ecken der Burg und stieß einen schlecht
verwahrten Laden auf. Monte Baldo hatte seine ersten Schauer gesendet. Man sah
die Flocken stäuben und wirbeln,
Und seine feinfühligen Zuhörer empfanden mit ihm, daß ihn kein eigenes Heim, sondern nur wandelbare Gunst wechselnder Gönner bedache und vor dem Winter beschirmen welcher Landstraße und Feldweg mit Schnee bedeckte. Alle wurden es inne, und Cangrande, der von großer Gesinnung war, zuerst: Hier sitzt ein Heimatloser!
Der Fürst erhob sich, den Narren wie eine Feder von seinem Mantel schüttelnd, trat auf den Verbannten zu, nahm ihn an der Hand und führte ihn an seinen eigenen Platz, nahe dem Feuer. »Er gebührt dir«, sagte er, und Dante widersprach nicht. Cangrande aber bediente sich des frei gewordenen Schemels. Er konnte dort bequem die beiden Frauen betrachten, zwischen welchen jetzt der Wanderer durch die Hölle saß, den das Feuer glühend beschien und der seine Erzählung folgendermaßen fortsetzte.
»Während die mindern Glocken in Padua die Vesper läuteten, versammelte sich unter dem Zederngebälk des Prunksaales der Vicedomini, was von den zwölf Geschlechtern übriggeblieben war, den Eintritt des Hausherrn erwartend. Diana hielt sich zu Vater und Bruder. Ein leises Geschwätz lief um. Die Männer besprachen ernst und gründlich die politische Seite der Vermählung zweier großer städtischer Geschlechter. Die Jünglinge scherzten halblaut über den heiratenden Mönch. Die Frauen schauderten, trotz dem Breve des Papstes, vor dem Sakrilegium, welches nur die von knospenden Töchtern umringten in milderem Licht sahen, mit dem Zwang der Umstände entschuldigten oder aus der Herzensgüte des Mönches erklärten. Die Mädchen waren lauter Erwartung.
Die Anwesenheit der Olympia Canossa erregte Verwunderung und Unbehagen, denn sie
war in auffallendem, fast königlichem Staat, als ob ihr bei der bevorstehenden
Feier eine Hauptrolle zustünde, und redete mit unheimlicher Zungenfertigkeit in
Antiope hinein, welche bangen Herzens die aufgebrachte Mutter flüsternd und
flehend zu beschwichtigen suchte. Donna Olympia hatte sich schon auf den Treppen
gewaltig
Burcardo meldete den Hausherrn. Astorre hatte sich von den Germanen bald
losgemacht, war auf die Brücke zurückgeeilt, ohne dort den Ring noch die Frauen
mehr zu finden, und sich darüber Vorwürfe machend, obschon im Grunde nur der
Zufall anzuklagen war, hatte er in der ihm bis zur Vesper bleibenden Stunde den
Entschluß gefaßt, in Zukunft immerdar nach den Regeln der Klugheit zu handeln.
Mit diesem Vorsatz trat er in den Saal und in die Mitte der Versammelten. Der
Druck der auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit und die sozusagen in der Luft
fühlbaren Formen und Forderungen der Gesellschaft ließen ihn empfinden,
'Herrschaften und Standesbrüder', begann er, 'der Tod hat eine reiche Ernte unter
uns Vicedomini gehalten. Wie ich in Schwarz gekleidet vor euch stehe, trage ich
Trauer um den Vater, drei Brüder und drei Neffen. Daß ich, von der Kirche
freigelassen, den Wunsch eines sterbenden Vaters, in Sohn und Enkel fortzuleben,
nach ernster Erwägung' – hier verhallte sich der Klang seiner Stimme – 'und
gewissenhafter Prüfung vor Gott nicht glaubte ungewährt lassen zu dürfen, dieses
werdet ihr verschieden beurteilen, billigend oder tadelnd, nach der
Gerechtigkeit oder Milde, die euch innewohnt. Darin aber werdet ihr einiggehen,
daß es mir bei meiner Vergangenheit nicht angestanden hätte zu zaudern und zu
wählen, und daß hier nur das Nächstliegende und Ungesuchte Gott gefällig sein
konnte. Wer aber stand mir näher als die schon mit mir durch die trostlose
Trauer um meinen
Donna Olympia sah ihr Traumschloß auflodern und brennen mit sinkenden Säulen und krachenden Balken. Sie tat einen Schritt vorwärts, als wolle sie ihre Augen überführen, daß sie sich betrügen, dann einen zweiten in wachsender Wildheit, und jetzt stand sie dicht vor Astorre und Diana, die grauen Haare gesträubt, und ihre rasenden Worte rannten und stürzten wie ein Volk in Aufruhr.
'Elender!' schrie sie. 'Gegen den Ring an dem
Die Marmordiele öffnete sich nicht, und in den Blicken der Umstehenden las die
Unglückliche, die einem gerechten Mutterzorn arme und schwache Worte zu geben
glaubte, den hellen Hohn oder ein Mitleid anderer Art, als sie es zu finden
hoffte. Sie vernahm hinter sich das verständlich geflüsterte Wort: 'Närrin!',
und ihr Zorn schlug in ein wahnsinniges Gelächter um. 'Ei, seht mir einmal den
Toren', hohnlachte
Alle im Saal bemitleideten Antiope. Nur Diana, so wenig sie an der Treue des Mönches zweifelte, empfand ich weiß nicht welchen dumpfen Groll über die ihrem Bräutigam frech gezeigte Schönheit.
Antiope mochte es verschuldet haben dadurch, daß sie den unseligen Reif am Finger
behielt. Vielleicht tat sie es, um die sich selbst betörende Mutter nicht zu
reizen, in dem Gedanken, diese werde, durch die Wirklichkeit enttäuscht, aus dem
Hochmut, nach ihrer Art, in Kleinmut verfallen und alles mit einem Augenrollen
und ein paar gemurmelten Worten vorübergehen.
Jetzt erlitt sie grausame Strafe. Soweit es eine zügellose Rede vermag, beraubte sie die eigene Mutter der schützenden Hüllen.
Eine dunkle Röte und eine noch dunklere fuhr ihr über Stirn und Nacken. Darauf begann sie in der allgemeinen Stille laut und bitterlich zu weinen.
Selbst die graue Mänade lauschte betroffen. Dann zuckte ihr ein entsetzlicher Schmerz über das Gesicht und verdoppelte ihre Wut. 'Und die andere!' kreischte sie, auf Diana zeigend, 'dieses kaum aus dem Rohen gehauene breite Stück Marmor! Diese verpfuschte Riesin, die Gott Vater stümperte, als er noch Gesell war und kneten lernte! Pfui über den plumpen Leib ohne Leben und Seele! Wer hätte ihr auch eine gespendet? Die Bastardin, ihre Mutter? die stupide Orsola? Oder der dürre Knicker dort? Nur widerstrebend hat er ihr ein karges Almosen von Seele verabfolgt!'
Der alte Pizzaguerra blieb gelassen. Mit dem klaren Verstand der Geizigen vergaß er nicht, wen er vor sich hatte. Seine Tochter Diana aber vergaß es. Durch die rohe Verhöhnung ihres Leibes und ihrer Seele aufgebracht, tief empört, zog sie die Brauen zusammen und ballte die Hände. Jetzt geriet sie außer sich, da die Närrin ihre Eltern ins Spiel zog, ihr die Mutter im Grabe beschimpfte, den Vater an den Pranger stellte. Ein bleicher Jähzorn packte und übermannte sie.
'Hündin!' schrie sie und schlug – in Antiopes Angesicht; denn das verzweifelnde und beherzte Mädchen hatte sich vor die Mutter geworfen. Antiope stieß einen Laut aus, der den Saal und alle Herzen erschütterte.
Nun drehte sich das Rad in dem Kopf der Törin vollständig um. Die höchste Wut ging unter in unsäglichem Jammer. 'Sie haben mir mein Kind geschlagen!' stöhnte sie, sank auf die Knie und schluchzte: 'Gibt es keinen Gott mehr im Himmel?'
Jetzt war das Maß voll. Es wäre schon früher überlaufen, doch das Verhängnis
schritt rascher, als mein Mund es erzählte, so rasch, daß weder der Mönch
Noch stunden sich Diana und Antiope gegenüber, eine bleicher als die andere, Diana reuig und zerknirscht nach schnell verrauchtem Jähzorn, Antiope nach Worten ringend; sie konnte nur nicht stammeln, sie bewegte lautlos die Lippen.
Wenn jetzt der Mönch Antiopes Hand ergriff, um der von seinem verlobten Weibe Mißhandelten das Geleit zu geben, so erfüllte er damit nur die ritterliche und die gastwirtliche Pflicht. Alle fanden es selbstverständlich. Besonders Diana mußte wünschen, das Opfer ihrer Gewalttat aus den Augen zu verlieren. Auch sie entfernte sich dann mit Vater und Bruder. Die versammelten Gäste aber hielten es für das Zarteste, gleichfalls bis auf die letzte Ferse zu verschwinden.
Es klingelte unter dem mit Amarellen und Zyperwein bestellten Kredenztisch. Eine
Narrenkappe kam
»- Liebte Antiope?« unterbrach den Erzähler die Freundin des Fürsten mit einem krankhaften Gelächter.
»Du sagst es, Herrin, er liebte Antiope«, wiederholte Dante in tragischem Ton.
»Natürlich!« – »Wie anders?« – »Es mußte so kommen!- »So geht es gewöhnlich!« scholl es dem Erzähler aus dem ganzen Hörerkreis entgegen.
»Sachte, Jünglinge«, murrte Dante. »Nein, so geht es nicht gewöhnlich. Meinet ihr
denn, eine Liebe mit voller Hingabe des Lebens und der Seele sei
»Wirst du deine rührende Fabel so kläglich verstümmeln, mein Dante?« wendete sich
die entzündliche Freundin des Fürsten mit bittenden Händen gegen den
Florentiner. »Laß den Mönch reden, daß wir teilnehmend erfahren, wie er sich
abwendete von einer
»Ja, Florentiner«, unterbrach die Fürstin in, tiefer Bewegung und mit dunkel glühender Wange, »laß deinen Mönch reden, daß wir staunend vernehmen, wie es kommen konnte, daß Astorre, so unerfahren und täuschbar er war, ein edles Weib verriet für eine Verschmitzte – hast du nicht gemerkt, Dante, daß Antiope eine Verschmitzte ist? Du kennst die Weiber wenig! In Wahrheit, ich sage dir« – sie hob den kräftigen Arm und ballte die Faust –, »auch ich hätte geschlagen, nicht die arme Törin, sondern wissentlich die Arglistige, die sich um jeden Preis dem Mönch vor das Angesicht bringen wollte!« Und sie führte den Schlag in die Luft. Die andere erbebte leise.
Cangrande, welcher die zwei Frauen, denen er jetzt gegenübersaß, nicht aufhörte
zu betrachten, bewunderte seine Fürstin und freute sich ihrer großen
Leidenschaft. In diesem Augenblick fand er sie unvergleichlich schöner als die
kleinere und zarte Nebenbuhlerin, welche er ihr gegeben hatte, denn das Höchste
und Tiefste der Empfindung
Dante für sein Teil lächelte zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend, da er die beiden Frauen so heftig auf der Schaukel seines Märchens sich wiegen sah. Er brachte es sogar zu einer Neckerei. »Herrinnen«, sagte er, »was verlangt ihr von mir? Selbstgespräch ist unvernünftig. Hat je ein weiser Mann mit sich selbst gesprochen?«
Nun erhob sich aus dem Halbdunkel ein mutwilliger Lockenkopf, und ein Edelknabe, der hinter irgendeinem Sessel oder einer Schleppe in traulichem Versteck mochte gekauert haben, rief herzhaft: »Großer Meister, wie wenig du dich kennst oder zu kennen vorgibst! Wisse, Dante, niemand plaudert geläufiger mit sich selbst als du, in dem Grad, daß du nicht nur uns dumme Buben übersiehst, sondern selbst das Schöne dicht an dir vorübergehen läßt, ohne es zu begrüßen.«
»Wirklich?« sagte Dante. »Wo war das? Wo und wann?«
»Nun gestern auf der Etschbrücke«, lächelte der Knabe. »Du lehntest am Geländer.
Da ging die reizende Lukrezia Nani vorüber, deine Toga streifend.
»Ich ließ das Meer grüßen. Die Woge war schöner als das Mädchen. Doch zurück zu den zwei Toren! Horch, sie sprechen miteinander! Und bei allen Musen, fortan unterbreche mich keiner mehr, sonst findet uns Mitternacht noch am Märchenherde.
Als der Mönch, nachdem er Antiope heimgeführt, seinen Saal wieder betrat – doch ich vergaß zu sagen, daß er Ascanio nicht begegnete, obwohl dieser mit der Sänfte und Madonna Olympia darin denselben Weg gemacht hatte. Denn der Neffe, nachdem er die gänzlich Vernichtete ihrer Dienerschaft übergeben, war schleunig zu seinem Ohm, dem Tyrannen, geeilt, ihm den tollen Vorgang als frisches Gebäck aufzutischen. Er hinterbrachte Ezzelin lieber eine Stadtgeschichte als eine Verschwörung.
Ich weiß nicht, ob der Mönch so wohlgestaltet war, wie der Spötter Ascanio ihn genannt hatte. Aber ich sehe ihn, der wie der blühendste Jüngling schreitet. Mit beflügelten Füßen durchschwebt er den Saal, als trüge ihn Zephir oder führte ihn Iris. Seine Augen sind voller Sonne, und er murmelt Laute aus der Sprache der Seligen. Gocciola, der viel Zyperwein geschluckt hatte, fühlte sich gleichfalls beherzt und verjüngt. Auch unter seinen Sohlen löste sich der Marmorboden in weißes Gewölk auf. Er verspürte einen unbesiegbaren Durst, das Gemurmel auf den frischen Lippen Astorres, wie man sich über eine Quelle beugt, zu belauschen, und begann neben demselben die Länge des Saales zu durchmessen, bald mit gespreizten, bald mit hüpfenden Schritten, das Narrenzepter unter dem Arm.
'Das zärtliche Haupt, das sich für den Vater bot, hat sich auch für die Mutter
geboten und gegeben!' lispelte Astorre. 'Das schamhafte! wie es brannte! Das
mißhandelte! wie es litt! Das geschlagene! wie es aufschrie! Hat es mich je
verlassen, seit es auf dem Block lag? Es wohnte in meinem Geist. Es begleitete
mich allgegenwärtig, schwebte in meinem Gebet,
'Des heiligen Paulus?' kicherte das Tröpfchen.
'Des heiligen Paulus auf unserm Altarbild –'
'Mit dem schwarzen Kraushaar und dem roten Hals auf dem breiten Block und dem Beil des Henkers darüber?' Gocciola verrichtete bei den Franziskanern zeitweilig seine Andacht.
Der Mönch nickte. 'Sah ich lange hin, so zuckte das Beil, und ich bebte zusammen. Habe ich es nicht dem Prior gebeichtet?'
'Und was sagte der Prior?' examinierte Gocciola.
'Mein Sohn', sagte er, 'was du sahest, war ein vorausgeeiltes Kind des himmlischen Triumphzuges. Fürchte nichts! Dem ambrosischen Hälschen geschieht kein Leid!'
'Aber', reizte der böse Narr, 'das Kind ist gewachsen, so hoch!' Er hob die Hand. Dann senkte er sie und hielt sie über dem Boden. 'Und die Kutte Euer Herrlichkeit', grinste er, 'liegt so tief!'
Das Gemeine konnte den Mönch nicht berühren. Ein schöpferisches Feuer war aus der
Hand Antiopes
'Die Eva?' fragte der Narr.
'Die Antiope!' antwortete der Mönch.
'Und die andere? Die Große? Was fängst du mit der an? Schickst du sie betteln?' Gocciola wischte sich die Augen.
'Welche andere?' fragte der Mönch. 'Gibt es ein Weib, das nicht Antiope wäre!'
Dies war selbst dem Narren zu stark. Er glotzte Astorre erschreckt an, wurde aber von einer Faust am Kragen gepackt, gegen die Pforte geschleppt und auf den Flur gesetzt. Dieselbe Hand legte sich dann auf Astorres Schulter.
'Erwache, Traumwandler!' rief der zurückgekehrte Ascanio, welcher die letzte schwärmerische Rede des Mönches belauscht hatte. Er zog den Verzückten auf eine Fensterbank nieder, heftete fest Augen auf Augen, und: 'Astorre, du bist von Sinnen!' sprach er ihn an.
Dieser wich zuerst den prüfenden Blicken wie geblendet aus, dann begegnete er
ihnen mit den seinigen,
'Wunderst du dich?' sagte er dann.
'So wenig wie über das Lodern einer Flamme', versetzte Ascanio. 'Aber da du kein blindes Element, sondern eine Vernunft und ein Wille bist, so tritt die Flamme aus, sonst frißt sie dich und ganz Padua. Muß dir das Weltkind göttliches und menschliches Gesetz predigen? Du bist vermählt! So redet dieser Ring an deinem Finger. Wenn du, wie erst dein Gelübde, jetzt dein Verlöbnis brichst, brichst du Sitte, Pflicht, Ehre und den Stadtfrieden. Wenn du dir den Pfeil des blinden Gottes nicht rasch und heldenmütig aus dem Herzen ziehst, ermordet er dich, Antiope und noch ein paar andere, wen es gerade treffen wird. Astorre! Astorre!'
Ascanios mutwillige Lippen erstaunten über die großen und ernsten Worte, welche er in seiner Herzensangst ihnen zu reden gab. 'Dein Name, Astorre', sagte er dann halb scherzend, 'schmettert wie eine Tuba und ruft dich zum Kampfe gegen dich selbst!'
Astorre ermannte sich. 'Man hat mir ein Philtrum gegeben!' rief er aus. 'Ich
rase, ich bin ein
'An Dianen will ich dich fesseln!' sagte Ascanio. 'Folge mir, daß wir sie suchen!'
'War es nicht Diana, die Antiope schlug?' fragte der Mönch. 'Das hast du geträumt! Du hast alles geträumt! Du warst deiner Sinne nicht mächtig! Komm! Ich beschwöre dich! Ich befehle es dir! Ich ergreife und führe dich!'
Wenn Ascanio die Wirklichkeit verjagen wollte, so führte sie der auf dem Flur
klirrende Schritt Germanos zurück. Mit einem entschlossenen Gesicht trat der
Bruder Dianens vor den Mönch und faßte seine Hand. 'Ein gestörtes Fest,
Schwager!' sagte er. 'Die Schwester schickt mich – ich lüge, sie schickt mich
nicht. Denn sie hat sich in ihre Kammer eingeschlossen, und drinnen flennt sie
und verflucht ihren Jähzorn – heute ersaufen wir in Weibertränen! Sie liebt
dich, nur bringt sie es nicht über die Lippen – es ist in der Familie: ich kann
es auch nicht. An dir hat sie keinen Augenblick gezweifelt. Es ist einfach.- Du
hast irgendwo einen Ring verschleudert – wenn es der
'Nicht ich!' rief Astorre. 'Antiope ist rein wie der Himmel! Der Ring wurde von einem Zufall gerollt!' und er erzählte mit fliegenden Worten.
'Aber auch der Schwester, die zufuhr, darfst du es nicht anrechnen, Astorre', behauptete Germano. 'Ihr schoß das Blut zu Kopf, sie sah nicht, wen sie vor sich hatte. Sie glaubte die Närrin zu treffen, die ihr die Eltern verhunzte, und schlug die liebe Unschuld. Diese aber muß vor Gott und Menschen wieder zu Ehren und Würden gezogen werden. Laß das meine Sache sein, Schwager! Ich bin der Bruder. Es ist einfach.'
'Du redest in einem fort und bleibst doch dunkel, Germano! Was hast du vor? Wie vergütest du es der Ärmsten?' fragte Ascanio.
'Es ist einfach', wiederholte Germano. 'Ich biete Antiope Canossa meine Hand und mache sie zu meinem Weibe.'
Ascanio griff sich an die Stirn. Der Streich betäubte ihn. Als er dann aber, schnell besonnen, näher zusah, fand er das heroische Mittel gar nicht so übel; doch warf er einen ängstlichen Blick auf den Mönch. Dieser, seiner selbst wieder mächtig, hielt sich mäuschenstille und horchte aufmerksam. Das Ehrgefühl des Kriegers scholl wie ein heller Ruf durch die Wildnis seiner Seele.
'So treffe ich zwei Fliegen mit einem Schlag, Schwager', erläuterte Germano. 'Das Mädchen wird in ihren Züchten und Ehren hergestellt. Den möchte ich sehen, der hinter meinem Weibe zischelte! Dann stifte ich Frieden zwischen euch Eheleuten. Diana braucht sich nicht länger vor dir noch vor sich selbst zu schämen und ist von ihrem Jähzorn gründlich geheilt. Ich sage dir: sie ist davon genesen, zeitlebens!'
Astorre drückte ihm die Hand. 'Du bist brav!' sagte er. Der Wille, seine
himmlische oder irdische Lust tapfer zu überwinden, erstarkte in dem Mönch. Doch
dieser Wille war nicht frei und diese Tugend nicht selbstlos; denn sie klammerte
sich an einen gefährlichen Sophismus: Nicht anders, als ich selbst eine
Ungeliebte umarmen werde, tröstete sich Astorre, wird auch Antiope
'Was geschehen muß, verschiebe ich nicht', drängte Germano. 'Sonst würde sie sich schlummerlos wälzen.' Ich weiß nicht, meinte er Diana oder Antiope. 'Schwager, du begleitest mich als Zeuge: ich tue es in den Formen.'
'Nein, nein!' schrie Ascanio erschreckt. 'Nicht Astorre! Nimm mich!'
Germano schüttelte den Kopf. 'Ascanio, mein Freund', sagte er, 'dazu eignest du dich nicht. Du bist kein ernsthafter Zeuge in Ehesachen! Auch wird mein Bruder Astorre es sich nicht nehmen lassen, für mich zu werben. Es ist ja zum großen Teil seine eigene Angelegenheit. Nicht wahr, Astorre?' Dieser nickte. 'So bereite dich, Schwager. Mache dich hübsch! Hänge dir eine Kette um!'
'Und', scherzte Ascanio gezwungen, 'wann du über den Hof gehst, tauche den Kopf in den Brunnen! Du selbst aber, Germano, trägst Panzer? So kriegerisch? Schickt sich das zur Freite?'
'Ich bin lange nicht aus der Rüstung gekommen, und sie kleidet mich. Was betrachtest du mich von Kopf zu Füßen, Ascanio?'
'Ich frage mich, woher dieser Gepanzerte seine Sicherheit nimmt, nicht mitsamt der Sturmleiter in den Graben geworfen zu werden?'
'Das kann nicht in Frage stehen', meinte Germano seelenruhig. 'Wird sich eine Beschämte und Geschlagene einem Ritter verweigern? Da wäre sie eine noch größere Närrin als ihre Mutter. Das ist doch sonnenklar, Ascanio. Komm, Astorre.'
Während der Zurückbleibende mit verschlungenen Armen diese neue Wendung der Dinge bedachte, zweifelnd, ob dieselbe auf einen Spielplatz blühender Kinder oder auf ein Camposanto führe, schritten seine Jugendfreunde den nicht langen Weg zum Palast Canossa.
Der wolkenlose Tag verglomm in einem reinglühenden Abendgold, und horch! es
läutete Ave. Der Mönch sprach innerlich die Gewohnheitsgebete, und sein etwas
erhöht liegendes Kloster verlängerte zufällig das vertraute Geläute um ein paar
friedlich wehmütige Schläge, welchen die andern Stadtglocken den Luftraum
Da traf sein Blick das Gesicht des Freundes und ruhte auf den wetterharten Zügen. Sie waren hell und freudig, von erfüllter Pflicht ohne Zweifel, aber doch auch von dem unbewußten oder unbewachten Glück, unter dem von Ehre geschwellten Segel einer ritterlichen Handlung den Port einer seligen Insel zu erreichen. 'Die süße Unschuld!' seufzte der Krieger.
Rasend schnell begriff der Mönch, daß der Bruder Dianens sich selbst täuschte, wenn er sich für uneigennützig hielt, daß Germano Antiope zu lieben begann und sein Nebenbuhler war. Seine Brust empfand einen scharfen Biß, dann einen zweiten noch schärfern, daß er hätte aufschreien mögen. Und jetzt wühlte und wimmelte schon ein ganzes Nest grimmiger Schlangen in seinem Busen. Herrschaften, Gott möge uns alle, Männer und Weiber, vor der Eifersucht behüten! Sie ist die qualvollste der Peinen, und wer sie leidet, ist unseliger als meine Verdammten!
Mit verzogenem Gesicht und gepreßtem Herzen folgte der Mönch dem selbstbewußten
Freier die Treppen des erreichten Palastes hinauf. Dieser stand leer
Sein in den Umriß eines Kleeblattes endigender Bogen war voller Abendglorie, welche die liebreizende Gestalt im Halbkreis von Brust zu Nacken umfing. Ihre gezauste Haarkrone ähnelte den Spitzen eines Dornenkranzes, und die schmachtenden Lippen schlürften den Himmel. Das geschlagene Mädchen lag müde unter dem Druck der erduldeten Schande, mit zugefallenen Augendeckeln und erschlafften Armen; aber in der Stille ihres Herzens frohlockte sie und pries ihre Schmach, denn diese hatte sie mit Astorre auf ewig vereinigt.
Und entzündet sich nicht heute noch und bis ans Ende der Tage aus tiefstem Erbarmen höchste Liebe? Wer widersteht dem Anblick des Schönen, wenn es ungerecht leidet? Ich lästere nicht und kenne die Unterschiede, aber auch das Göttliche wurde geschlagen, und wir küssen seine Striemen und Wunden.
Antiope grübelte nicht, ob Astorre sie liebe. Sie wußte es. Da war kein Zweifel. Sie war davon überzeugter als von den Atemzügen ihrer Brust und den Schlägen ihres Herzens. Keine Silbe hatte sie mit Astorre gewechselt vom ersten Schritt des Weges an, den sie zusammen gingen. Die Hände hielten sich nicht fester beim letzten: sie verwuchsen, ohne sich zu drücken. Sie durchdrangen sich wie zwei leichte, geistige Flammen und waren doch beim Scheiden wie die Wurzel aus der Erde kaum auseinander zu lösen.
Antiope vergriff sich an fremdem Eigentum und beging Raub an Dianen fast in Unschuld, denn sie hatte weder Gewissen mehr noch auch nur Selbstbewußtsein. Padua, das mit seinen Türmen vor ihr lag, die Mutter, des Mönches Verlöbnis, Diana, die ganze Erde, alles war vernichtet: nichts als der Abgrund des Himmels, und dieser gefüllt mit Licht und Liebe.
Astorre hatte von der ersten zur letzten Stufe der Treppe mit sich gerungen und
meinte den Sieg erkämpft zu haben. Ich werde das Opfer vollbringen, prahlte er
gegen sich selbst, und Germano bei seiner Werbung zur Seite stehen. Auf dem
obersten Tritt rief er noch alle seine Heiligen an, voraus Sankt Franziskus,
Der danebenstehende Germano entwarf indessen seine Rede, konnte aber nicht über die zwei Argumente hinauskommen, welche ihm gleich anfänglich eingeleuchtet hatten. Übrigens war er guten Mutes – hatte er doch schon öfter im Reiterkampf seine Germanen angeredet – und fürchtete sich nicht vor einem Mädchen. Nur das Warten ertrug er ebensowenig wie vor der Schlacht. Er klirrte leis mit dem Schwert an den Panzer.
Antiope schrak zusammen, blickte hin, erhob sich rasch und stand, den Rücken gegen das Fenster gewendet, mit dunklem Antlitz den sich im Dämmerlicht vor ihr verbeugenden Männern gegenüber.
'Sei getrost, Antiope Canossa!' redete Germano.
'Ich bringe dir diesen mit, Astorre Vicedomini, welchen sie den Mönch nennen, den
Gatten meiner Schwester Diana, als gültigen Zeugen: siehe, ich bin gekommen,
Das empfindliche Gemüt des lauschenden Mönches verwundete diese rohe Gleichstellung des Mißhandelns und des Leidens, der Schlagenden und der Geschlagenen – oder krümmte sich eine Natter? – 'Germano, so wirbt man nicht!' raunte er dem Gepanzerten zu.
Dieser vernahm es, und da die dunkle Antiope mäuschenstille blieb, verstimmte er
sich. Er fühlte, daß er weicher reden sollte, und redete barscher. 'Ohne Vater
und mit einer solchen Mutter', wiederholte er, bedürfet Ihr einer männlichen
Hut! Das konntet Ihr heute lernen, junge Herrin. Ihr werdet nicht zum andern
Male vor ganz Padua beschämt und geschlagen werden wollen! Gebet Euch mir, wie
Ihr seid, und
Astorre fand diese Werbung von empörender Härte: Germano, so schien ihm, behandelte Antiope wie seine Kriegsgefangene – oder zischte die Schlange? – 'So wirbt man nicht, Germano!' keuchte er. Dieser wendete sich halb. 'Wenn du es besser verstehst', sagte er mißmutig, 'wirb du für mich, Schwager.' Er trat raumgebend beiseite.
Da näherte sich Astorre, das Knie gebogen, hob die Hände mit sich einander berührenden Fingerspitzen, und seine bangen Blicke befragten das zarte Haupt auf dem blassen Goldgrunde. 'Findet Liebe Worte?' stammelte er. Dämmerung und Schweigen.
Endlich lispelte Antiope: 'Für wen wirbst du, Astorre?'
'Für diesen hier, meinen Bruder Germano', preßte er hervor. Da barg sie das Antlitz mit den Händen.
Jetzt riß Germano die Geduld. 'Ich werde deutsch mit ihr reden', brach er los und: 'Kurz und gut, Antiope Canossa', ließ er das Mädchen rauh an, 'wirst du mein Weib oder nicht?'
Antiope wiegte das kleine Haupt sanft und sachte,
'Ich habe meinen Korb', sprach Germano trocken. 'Komm, Schwager!' und er verließ den Saal mit ebenso festen Schritten, wie er ihn betreten hatte. Der Mönch aber folgte ihm nicht.
Astorre verharrte in seiner flehenden Stellung. Dann ergriff er, selbst zitternd, Antiopes zitternde Hände und löste sie von dem Antlitz. Welcher Mund den andern suchte, weiß ich nicht, denn die Kammer war völlig finster geworden.
Auch wurde es darin so stille, daß, wäre ihr Ohr nicht voll stürmischen Jubels und seliger Chöre gewesen, die Liebenden leicht in einem anstoßenden Gelasse gemurmelte Gebete hätten vernehmen können. Das verhielt sich so: Neben Antiopes Kammer, einige Stufen tiefer, lag die Hauskapelle, und morgen jährte sich zum dritten Male der Tod des Grafen Canossa. Nach überschrittener Mitternacht sollte in Gegenwart der Witwe und der Waise die Seelenmesse gelesen werden. Schon hatte sich der Priester eingestellt, den Ministranten erwartend.
Ebensowenig wie das unterirdische Gemurmel vernahm
Da jetzt, von einem scharfen Strahl aus ihrer Leuchte getroffen, die beiden verwundert aufblickten, fragte sie mit einer weichen und natürlichen Stimme: 'Astorre Vicedomini, liebst du die Antiope Canossa?'
'Über alles, Madonna!' antwortete der Mönch.
'Und verteidigst sie?'
'Gegen eine Welt!' rief Astorre verwegen.
'So ist es recht', begütigte sie, 'aber nicht wahr, du meinst es redlich? Du
verstoßest sie nicht wie
Und sie öffnete eine niedrige Tür, hinter welcher ein paar steile Stufen in das häusliche Heiligtum hinabführten. Astorre warf einen Blick: Unter dem plumpen Gewölbe vor einem kleinen Altar bei dem ungewissen Licht einer Kerze betete ein Barfüßer, welcher ihm an Alter und Gestalt nicht unähnlich war und auch die Kutte und den Strick des heiligen Franziskus trug.
Ich glaube, daß dieser Barfüßer hier und gerade zu dieser Stunde durch göttliche
Schickung knien und beten mußte, um Astorre zum letzten Male zu erschrecken und
zu warnen. Doch in seinen lodernden Adern wurde die Arznei zum Gift. Da er die
Verkörperung seines Klosterlebens erblickte, kam ein trotziger
Was sie sah, bleibt ungewiß. Nach der Meinung des Volkes hätte Astorre den Barfüßer mit gezogenem Schwert bedroht und vergewaltigt. Das ist unmöglich, denn der Mann Astorre hat niemals den Leib mit einem Schwert gegürtet. Der Wahrheit näher mag es kommen, daß der Barfüßer – traurig zu sagen – ein schlechter Mönch war und vielleicht derselbe Beutel unter seine Kutte wanderte, den Astorre zu sich gesteckt hatte, da er für Diana den Ehereif kaufen ging.
Daß aber anfänglich der Priester sich sperrte, daß die zwei Mönche miteinander rangen, daß das schwere Gewölbe eine häßliche Szene verbarg – solches lese ich in dem verzerrten und entsetzten Gesicht der Lauscherin. Donna Olympia verstand, daß da unten ein Frevel begangen werde, daß sie als die Anstifterin und Mitschuldige desselben der Strenge des Gesetzes und der Rache der Verratenen sich preisgebe, und da sich die Hinrichtung des Grafen, ihres Gemahls, jährte, glaubte sie auch ihr törichtes Haupt dem Beil unrettbar verfallen. Sie wähnte den nahenden Schritt Ezzelins zu vernehmen. Da floh sie und schrie: 'Hilfe! Mörder!'
Die Gequälte stürzte auf den Flur und an das in den engen innern Hof blickende
Fenster. 'Mein Maultier! Meine Sänfte!' rief sie hinunter, und lachend über den
doppelten Befehl – das Maultier war für das Land, die Sänfte für die Stadt –
erhob sich das Gesinde der Törin langsam und bequem aus einem Winkel, wo es bei
einer Kürbislaterne trank und würfelte. Ein alter Stallmeister, welcher allein
der unglücklichen Herrin Treue hielt, sattelte bekümmert zwei Maultiere und
führte sie durch den Torweg
Auf der großen Treppe stieß die flüchtige Törin, welche der auch bei den Unseligen übermächtige Trieb der Selbsterhaltung ihr geliebtes Kind vergessen ließ, gegen den besorgten Ascanio, der, ohne Nachricht gelassen und von Unruhe getrieben, auf Kundschaft ausgegangen war.
'Was ist geschehen, Signora?' fragte er eilig.
'Ein Unglück!' krächzte sie wie ein aufwiegender Rabe, rannte die Treppe hinab, saß auf ihrem Tier, stachelte es mit rasender Ferse und verschwand im Dunkel.
Ascanio suchte durch die finstern Gemächer bis in die von der stehengebliebenen Ampel der Madonna Olympia erhellte Kammer Antiopes. Wie er sich darin umblickte, wurde die Tür der Hauskapelle geöffnet, und zwei schöne Gespenster entstiegen der Tiefe. Der Mutige begann zu zittern. 'Astorre, du bist mit ihr vermählt!' Der schallvolle Name dröhnte im Echo des Gewölbes wie die Tuba jenes Tages. 'Und trägst Dianens Ring am Finger!'
Astorre riß ihn ab und schleuderte ihn von sich.
Ascanio stürzte an das offene Fenster, durch welches der Ring gesprungen war. 'Er ist in eine Spalte zwischen zwei Quadern geglitscht', sprach es aus der Gasse herauf. Ascanio erblickte Turbane und Eisenkappen. Es waren die Leute des Vogtes, welche ihre nächtliche Runde begannen.
'Auf ein Wort, Abu Mohammed!' rief er, rasch besonnen, einen weißbärtigen Greis, der höflich erwiderte: 'Dein Wunsch ist mir Befehl!' und mit zwei anderen Sarazenen und einem Deutschen im Tore des Palastes verschwand.
Abu-Mohammed-al-Tabîb überwachte nicht nur die Sicherheit der Straße, sondern
betrat auch das Innerste der Häuser, um Reichsverräter – oder was der Vogt so
benannte – zu verhaften. Kaiser Friedrich hatte ihn seinem Schwiegersohn, dem
Tyrannen, gegeben, damit er diesem eine sarazenische Leibwache werbe, und an
deren Spitze war er in Padua verblieben. Abu Mohammed war eine feine Erscheinung
und hatte gewinnende Formen. Er nahm Anteil an dem Schmerz der Familie, deren
Glied er in den Kerker oder zum Block führte, und tröstete die betrübte
Auf der Schwelle des Gemaches winkte Abu Mohammed seinen drei Begleitern,
stehenzubleiben. Der Deutsche, der die Fackel trug, ein trotzig blickender
Geselle, verharrte nicht lange. Er hatte heute zur Vesperstunde Germano nach dem
Palaste Vicedomini begleitet und dieser ihm zugelacht: 'Laß mich jetzt! Ich
verlobe hier mein Schwesterchen Diana dem
Ascanio, der den Deutschen erriet, bat Abu Mohammed, ihn zurückzurufen. Dieser aber weigerte sich. 'Er würde nicht gehorchen', sagte er sanft, 'und mir zwei oder drei meiner Leute niederhauen. Mit welchem andern Dienst, Herr, bin ich dir gefällig? Verhafte ich diese blühenden Jugenden?'
'Astorre, sie wollen uns trennen!' schrie Antiope und suchte Schutz in den Armen
des Mönches. Die am Altare Frevelnde hatte mit einer schuldlosen Seele auch die
natürliche Beherztheit eingebüßt. Der Mönch, welchen seine Schuld vielmehr
ermutigte und begeisterte, tat einen Schritt gegen den Sarazenen und
'Laß dir sagen, Abu Mohammed', erklärte Ascanio, 'dieser Rasende ist der Gespiele meiner Jugend und war lange Zeit der Mönch Astorre, den du sicherlich auf den Straßen Paduas gesehen hast. Der eigene Vater hat ihn um sein Klostergelübde geprellt und mit einem ungeliebten Weib vermählt. Vor wenigen Stunden wechselte er mit ihr die Ringe, und jetzt, wie du ihn hier siehst, ist er der Gatte dieser andern.'
'Verhängnis!' urteilte der Sarazene mild.
'Und die Verratene', fuhr Ascanio fort, 'ist Diana Pizzaguerra, die Schwester Germanos! Du kennst ihn. Er glaubt und traut lange, sieht und greift er aber, daß er ein Getäuschter und Betrogener ist, so spritzt ihm das Blut in die Augen, und er tötet.'
'Nicht anders', bestätigte Abu Mohammed. 'Er ist von der Mutter her ein Deutscher, und diese sind Kinder der Treue!'
'Rate mir, Sarazene. Ich weiß nur eine Auskunft: vielleicht eine Rettung. Wir
bringen die Sache
Antiope umklammerte den Mönch und schrie noch kläglicher als das erstemal: 'Sie wollen mich von dir trennen! Laß mich nicht, Astorre! keine Stunde! keinen Augenblick! Oder ich sterbe!' Der Mönch hob das Schwert.
Ascanio, der jede Gewalttat verabscheute, blickte den Sarazenen fragend an. Dieser betrachtete die sich umschlungen Haltenden mit väterlichen Augen. 'Laß die Schatten sich umarmen!' sagte er dann weichgestimmt, sei es, daß er ein Philosoph war und das Leben für Schein hielt, sei es, daß er sagen wollte: vielleicht verurteilt sie morgen Ezzelin zum Tode, gönne den verliebten Faltern die Stunde!
Ascanio zweifelte nicht an der Wirklichkeit der
'Astorre', fragte er, kennst du mich?'
'Du warst mein Freund', antwortete dieser.
'Und bin es noch. Du hast keinen treuern.'
'O trenne mich nicht von ihr!' flehte jetzt der Mönch in einem so ergreifenden Ton, daß Ascanio nicht widerstand. 'So bleibet zusammen', sagte er, 'bis ihr vor das Gericht tretet.' Er flüsterte mit Abu Mohammed.
Dieser näherte sich dem Mönch, entwand ihm sachte das Schwert, Finger um Finger von dem Griff lösend, und ließ es in die Scheide an seiner Hüfte zurückfallen. Dann trat er ans Fenster, winkte seiner Schar, und die Sarazenen bemächtigten sich der auf dem Vorplatz stehengebliebenen Sänfte Madonna Olympias.
Durch eine enge, finstere Gasse bewegte sich die schleunige Flucht: Antiope voran, von vier Sarazenen getragen, ihr zur Seite der Mönch und Ascanio, dann die Turbane. Abu Mohammed schloß den Zug.
Dieser eilte an einem kleinen Platz und einer erhellten Kirche vorüber. In die dunkle Fortsetzung der Gasse einmündend, stieß er in hartem Anprall mit einem ihm entgegenkommenden andern, von zahlreichem Volk begleiteten Zuge zusammen. Heftiges Gezänk erhob sich. 'Raum der Sposina!' rief die Menge. Chorknaben brachten aus der Kirche lange Kerzen herbei, deren wehende Flämmchen sie mit vorgehaltener Hand schätzten. Der gelbe Schimmer zeigte eine geneigte Sänfte und eine umgestürzte Bahre. La Sposina war ein gestorbenes Bräutchen aus dem Volke, das zu Grabe getragen wurde. Die Tote regte sich nicht und ließ sich gelassen wieder auf ihre Bahre legen. Das versammelte Volk aber erblickte den Mönch, der die aus der Sänfte gesprungene Antiope schirmend umfing, und es wußte doch, daß der Mönch heute mit Diana Pizzaguerra sich vermählt hatte. Abu Mohammed schaffte Ordnung. Ohne weitern Unfall erreichte man den Palast.
Astorre und Antiope wurden von der Dienerschaft mit erstaunten und bestürzten
Blicken empfangen. Sie verschwanden im Tore, ohne von Abu Mohammed und Ascanio
Abschied genommen zu haben. Dieser
'Ein gefüllter Tag', sagte Ascanio.
'Eine selige Nacht', erwiderte der Sarazene, den sternbesäten Himmel betrachtend. Die ewigen Lichter, ob sie nun unsere Schicksale beherrschen oder nicht, wanderten nach ihren stillen Gesetzen, bis ein junger Tag, der jüngste und letzte Astorres und Antiopes, die göttliche Fackel schwang.
In einer Morgenstunde desselben lauschte der Tyrann mit seinem Neffen durch ein kleines Rundbogenfenster seines Stadtturmes auf den anliegenden Platz hinunter, den eine aufgeregte Menge füllte, murmelnd und tosend wie die wechselnde Meereswoge.
Die gestrige Begegnung der Sänfte mit der Bahre und der daraus entstandene Tumult
hatten blitzschnell durch die ganze Stadt verlautet. Alle Köpfe beschäftigten
sich wachend und träumend mit nichts anderm mehr als mit dem Mönch und seiner
Hochzeit: nicht nur dem Himmel habe der Ruchlose sein Gelübde gebrochen, sondern
jetzt auch der Erde, seine Braut habe
Der Tyrann ließ sich, während er einen beobachtenden Blick auf die gärende Masse
warf, von Ascanio das Gestrige berichten. Die Verliebung rührte ihn nicht, nur
der zugerollte Ring beschäftigte ihn einen Augenblick als eine neue Form des
Schicksals. 'Ich tadle', sagte er, 'daß du sie gestern nicht auseinandergerissen
hast! Ich lobe, daß du sie bewachst! Die Vermählung mit Diana besteht zu Recht.
Das mit dem Schwert erzwungene oder mit dem Beutel gekaufte
Ascanio, welcher sich wieder hell und leichtfertig geschlafen hatte, verbarg ein Lächeln. 'Epikuräer!' strafte ihn Ezzelin. Er aber schmeichelte: 'Es ist geschehen, gestrenger Ohm. Wenn du den Fall in deinen Machtkreis ziehst, ist alles gerettet! Beide Parteien habe ich vor deinen Richterstuhl beschieden auf diese neunte Stunde.' Ein gegenüberstehender Campanile schlug sie. 'Wolle nur, Ezzelin, und deine feste und kluge Hand löst den Knoten spielend. Liebe verschwendet, und Geist kennt Ehre nicht. Der verliebte Mönch wird dem niederträchtigen Geizhals, als welchen wir alle diesen würdigen Pizzaguerra kennen, hinwerfen, was er verlangt. Germano freilich wird das Schwert ziehen, doch du heißt es ihn in die Scheide zurückstoßen. Er ist dein Mann. Er knirscht, aber er gehorcht.'
'Ich frage mich', sagte Ezzelin, 'ob ich recht tue, den Mönch dem Schwert meines Germano zu entziehen. Darf Astorre leben? Kann er es, jetzt, da er nach verschleuderter Sandale auch den angezogenen ritterlichen Schuh zur Schlarpe tritt und der Cantus firmus des Mönches in einem geltenden Gassenhauer vertönt? Ich – was an mir liegt – friste dem Wankelmütigen und Wertlosen das Dasein. Allein ich vermag nichts gegen sein Schicksal. Ist Astorre dem Schwerte Germanos bestimmt, so kann ich diesen es senken heißen, jener rennt doch hinein. Ich kenne das. Ich habe das erfahren.' Und er verfiel in ein Brüten.
Scheu wandte Ascanio den Blick seitwärts. Er wußte eine grausame Geschichte.
Einst hatte der Tyrann ein Kastell erobert und die Empörer, die es gehalten
hatten, zum Schwerte verurteilt. Der erste beste Kriegsknecht schwang es. Da
kniete, um den Todesstreich zu empfangen, ein schöner Knabe, dessen Züge den
Tyrannen fesselten. Ezzelin glaubte die seinigen zu erkennen und fragte den
Jüngling nach seinem Ursprung. Es war der Sohn eines Weibes, das Ezzelin in
seiner Jugend
Ezzelin verbarg das Haupt eine Weile mit der Rechten und betrachtete den Untergang seines Sohnes. Dann erhob er es langsam und fragte: Was aber wird aus Diana?'
Ascanio zuckte die Achseln. 'Diana hat einen Unstern. Zwei Männer hat sie verloren, den einen an die Brenta, den andern an ein lieblicheres Weib. Und dazu der karge Vater! Sie geht ins Kloster. Was bliebe ihr sonst?'
Jetzt erhob sich drunten auf dem Platze ein Murren,
Ezzelin betrachtete diesen Sieg der Schönheit fast verächtlich. Er wandte sein
Auge teilnehmend gegen
Die Menge, welche die Gekränkte und ihr Recht Fordernde eine Minute früher mit
zürnendem Jubel begrüßt hätte, begnügte sich jetzt, das Auge noch geblendet von
dem Glanze Antiopes und den Verrat des Mönches begreifend und mitbegehend, der
Gedrückten
Jetzt erschienen die fünf vor dem Tyrannen, der in einem nackten Saal auf einem nur um zwei Stufen über dem Boden erhöhten Stuhle saß. Vor ihm standen Kläger und Verklagte sich gegenüber: hier die beiden Pizzaguerra und, ein wenig beiseite, die große Gestalt Dianas, dort, Hand in Hand verschlungen, der Mönch und Antiope, alle in Ehrfurcht, während Ascanio an dem hohen Sessel des Tyrannen lehnte, als wolle er seine Unparteilichkeit und die Mitte wahren zwischen zwei Jugendgespielen.
'Herrschaften', begann Ezzelin, ich werde euern Fall nicht als eine Staatssache,
wo Treubruch Verrat und Verrat Majestätsverbrechen ist, behandeln, sondern als
eine läßliche Familienangelegenheit. In der Tat, die Pizzaguerra, die
Vicedomini, die Canossa sind ebenso edeln Blutes wie ich, nur daß die
Erhabenheit des Kaisers mich zu ihrem Vogt in diesen ihren Ländern gemacht hat.'
Ezzelin neigte das Haupt bei der Nennung der höchsten Macht; er konnte es nicht
entblößen, da er dasselbe, wenn er es nicht mit dem Streithelm bedeckte,
überall, selbst in Wind und Wetter,
'Von meinem guten!' frohlockte der Mönch.
' – von seinem Dämon zugerollten Brautring wieder vom Finger gezogen. Darum, Herrschaften, begünstigt mich, indem ihr mir die verwickelte Sache entwirren und schlichten helfet; denn bestandet ihr auf der Strenge, so müßte ich auch mich und mich zuerst verurteilen!'
Diese ungewöhnliche Rede brachte den alten Pizzaguerra keineswegs aus der Fassung, und als ihn der Tyrann ansprach: 'Edler Herr, Euer ist die Klage', sagte er kurz und karg 'Herrlichkeit, Astorre Vicedomini verlobte sich öffentlich und ganz nach den Gebräuchen mit meinem Kinde Diana. Dann aber, ohne daß Diana sich gegen ihn vergangen hätte, brach er sein Verlöbnis. Unbegründet, ungesetzlich, kirchenschänderisch. Diese Tat wiegt schwer, und verlangt, wo nicht Blut, welches Deine Herrlichkeit nicht vergossen sehen will, eine schwere Sühne', und er machte die Gebärde eines Krämers, der Gewichtstein um Gewichtstein in eine Waagschale legt.
'Ohne daß Diana sich vergangen hätte?' wiederholte der Tyrann. 'Mich dünkt, sie
verging sich. Hatte sie nicht eine Wahnsinnige vor sich? Und
Da nickte Diana und sprach: 'Du sagst die Wahrheit, Ezzelin.'
'Das ist es auch', fuhr der Tyrann fort, 'warum Astorre sein Herz von ihr abgekehrt hat: er erblickte eine Barbarin.'
'Nein, Herr', widersprach der Mönch, die Verratene von neuem beleidigend, 'ich habe Diana nicht angeschaut, sondern das süße Antlitz, das den Schlag empfing, und mein Eingeweide erbarmte sich.'
Der Tyrann zuckte die Achseln. 'Du siehst, Pizzaguerra', lächelte er, 'der Mönch gleicht einem sittsamen Mädchen, das zum erstenmal einen starken Wein geschlurft hat und sich danach gebärdet. Wir aber sind alte, nüchterne Leute. Sehen wir zu, wie die Sache sich austragen läßt.'
Pizzaguerra erwiderte: 'Viel, Ezzelin, täte ich dir zu Gefallen wegen deiner
Verdienste um Padua. Doch läßt sich beleidigte Hausehre sühnen anders als mit
gezogenem Schwerte?' So redete der Vater Dianens und machte mit dem Arm eine
edle Bewegung,
'Herr', wendete sich jetzt der Mönch offen und edel gegen den Tyrannen, 'wenn du einen Haltlosen, ja einen Sinnberaubten in mir erblickst, ich zürne dir es nicht, denn ein starker Gott, den ich leugnete, weil ich sein Dasein nicht ahnen konnte, hat sich an mir gerächt und mich überwältigt. Noch jetzt treibt er mich wie ein Sturm und jagt mir den Mantel über den Kopf. Muß ich mein Glück – bettelhaftes Wort! armselige Sprache! – muß ich das Höchste des Lebens mit dem Leben bezahlen: ich begreife es und finde den Preis niedrig gestellt! Darf ich aber leben und mit dieser leben, so markte ich nicht!' Er lächelte selig. 'Nimm meine Habe, Pizzaguerra!'
'Herrschaften', verfügte der Tyrann, ich bevormunde diesen verschwenderischen Jüngling. Unterhandeln wir zusammen, Pizzaguerra. Du hörtest es: ich habe weite Vollmacht. Was denkst du von den Bergwerken der Vicedomini?'
Der ehrbare Greis schwieg, aber seine nahe zusammenliegenden Augen glitzerten wie zwei Diamanten.
'Nimm meine Perlfischereien dazu!' rief Astorre, doch Ascanio, der die Stufen heruntergeglitten kam, verschloß ihm den Mund.
'Edler Pizzaguerra', versuchte jetzt Ezzelin den Alten, 'nimm die Bergwerke! Ich weiß, die Ehre deines Hauses geht dir über alles und steht um keinen Preis feil, aber ich weiß ebenfalls, du bist ein guter Paduaner und tust dem Stadtfrieden etwas zuliebe.'
Der Alte schwieg hartnäckig.
'Nimm die Minen', wiederholte Ezzelin, der das Wortspiel liebte, 'und gib die Minne!'
'Die Bergwerke und die Fischereien?' fragte der Alte, als wäre er schwerhörig.
'Die Bergwerke, sagte ich, und damit gut. Sie tragen viele tausend Pfund. Würdest du mehr fordern, Pizzaguerra, so hätte ich mich in deiner Gesinnung betrogen und du setztest dich dem häßlichen Verdacht aus, um Ehre zu feilschen.'
Da der Geizhals den Tyrannen fürchtete und nicht
Germano hatte, seine Wut verbeißend, neben dem Vater gestanden. jetzt löste er den einen seiner Eisenhandschuhe. Er schleuderte ihn dem Mönch ins Gesicht, hätte ihm nicht eine Machtgebärde des Tyrannen Halt geboten.
'Sohn, willst du den öffentlichen Frieden brechen?' mahnte jetzt auch der alte Pizzaguerra. Mein gegebenes Wort enthält und verbürgt auch das deinige. Gehorche! Bei meinem Fluch! Bei deiner Enterbung!' drohte er.
Germano lachte. 'Kümmert Euch um Eure schmutzigen Händel, Vater!' warf er
verächtlich hin. 'Doch auch du, Ezzelin, Herr von Padua, darfst es mir nicht
'Germano', gebot Ezzelin, 'ich bin dein Kriegsherr. Morgen vielleicht ruft die Tuba. Du bist nicht dein eigen, du gehörst dem Reich!'
Germano erwiderte nichts. Er befestigte den Handschuh. 'Vorzeiten', sagte er dann, 'unter den blinden Heiden gab es eine Gottheit, welche gebrochene Treue rächte. Das wird sich mit dem Glockengeläute nicht geändert haben. Ihr befehle ich meine Sache!' Rasch erhob er die Hand.
'So steht es gut', lächelte Ezzelin. 'Heute abend wird im Palaste Vicedomini Hochzeit mit Masken gefeiert, ganz wie gebräuchlich. Ich gebe das Fest und lade euch ein, Germano und Diana. Ungepanzert, Germano! Mit kurzem Schwert!'
'Grausamer!' stöhnte der Krieger. 'Kommt, Vater! Wie möget Ihr länger das Schauspiel unserer Schande geben?' Er riß den Alten mit sich fort.
'Und du, Diana?' fragte Ezzelin, da er vor seinem Stuhl nur noch diese und die Neuvermählten sah. 'Begleitest du nicht Vater und Bruder?'
'Wenn du es gestattest, Herr', sagte sie, 'habe ich ein Wort mit der Vicedomini zu reden.' An dem Mönche vorüber blickte sie fest auf Antiope.
Diese, deren Hand Astorre nicht losgab, hatte an dem Gericht des Tyrannen einen leidenden, aber tief erregten Anteil genommen. Bald errötete das liebende Weib. Bald entfärbte sich eine Schuldige, die unter dem Lächeln und der Gnade Ezzelins sein wahres und ein sie verdammendes Urteil entdeckte. Bald jubelte ein der Strafe entwischtes Kind. Bald regte sich das erste Selbstgefühl der jungen Herrin, der neuen Vicedomini. Jetzt, von Diana ins Gesicht angeredet, warf sie ihr scheue und feindselige Blicke entgegen.
Diese ließ sich nicht beirren. 'Schau her, Antiope!' sagte sie. 'Hier mein
Finger' – sie streckte ihn – 'trägt den Ring deines Gatten. Den darfst du nicht
vergessen. Ich bin nicht abergläubischer als andere,
Antiope stieß einen Schrei der Angst aus und klammerte sich an ihren Gatten. Dann, in seinen Armen geborgen, redete sie stürmisch: 'Ich soll mich erniedrigen? Was befiehlst du, Astorre? Meine Ehre ist deine Ehre! Ich bin nichts mehr als dein Eigentum, dein Herzklopfen, dein Atemzug und deine Seele. Wenn du willst und du gebietest, dann!'
Astorre sprach, sein Weib zärtlich beruhigend, gegen Diana: 'Sie wird es tun. Möge dich ihre Demut versöhnen! und die meinige! Sei mein Gast heute nacht und bleibe meinem Hause günstig!' Er wendete sich zu Ezzelin, dankte ihm ehrerbietig für Gericht und Gnade, verneigte sich und entführte sein Weib. Auf der Schwelle aber wandte er sich noch fragend gegen Diana: 'Und in welcher Tracht wirst du bei uns erscheinen, daß wir dich kennen und dir Ehre bezeigen?'
Diese lächelte verächtlich. Wieder, wendete sie sich gegen Antiope. 'Kommen werde ich als die, welche ich mich nenne und welche ich bin: die Unberührte, die Jungfräuliche!' sagte sie stolz. Dann wiederholte sie: 'Antiope, denke daran: reuig und demütig!'
'Du meinst es ehrlich, Diana? Du führst nichts im Schilde?' zweifelte der Tyrann, da ihm jetzt die Pizzaguerra allein gegenüberstand.
'Nichts', erwiderte sie, jede Beteurung verschmähend.
'Und was wird aus dir, Diana?' fragte er.
'Ezzelin', antwortete sie bitter, 'vor diesem deinem Richtstuhl hat mein Vater die Ehre und Rache seines Kindes um ein paar Erzklumpen verschachert. Ich bin nicht wert, daß mich die Sonne bescheine. Für solche ist die Zelle!' Und sie verließ den Saal.
'Allervortrefflichster Ohm!' jubelte Ascanio. 'Du vermählst das seligste Paar in Padua und machst aus einer gefährlichen Geschichte ein reizendes Märchen, womit ich einst, als ein ehrwürdiger Greis, meine Enkel und Enkelinnen am Herdfeuer ergötzen werde!'
'Idyllischer Neffe', spottete der Tyrann. Er trat ans Fenster und blickte auf den
Platz hinunter, wo
'Wie sie dich lieben!' scherzte Ascanio. – Ein unbestimmtes Gemurmel drang empor. Es verriegelte und verrann.«
Dante schöpfte Atem. Dann endigte er in raschen Sätzen.
»Nachdem der Tyrann sein Gericht gehalten hatte, verritt er um Mittag nach einem seiner Kastelle, wo er baute. Er begehrte rechtzeitig nach Padua zurückzukehren, um die vor Diana sich demütigende Antiope zu betrachten.
Aber gegen Voraussicht und Willen wurde er auf der mehrere Miglien von der Stadt
entfernten Burg festgehalten. Dorthin kam ihm ein staubbedeckter Sarazene
nachgesprengt und überreichte ihm ein eigenhändiges Schreiben des Kaisers, das
umgehende Antwort verlangte. Die Sache war von Bedeutung. Ezzelin hatte vor
kurzem eine kaiserliche Burg im Ferraresischen, in deren Befehlshaber, einem
Sizilianer, sein Scharfblick den Verräter argwöhnte, nächtlicherweile
überfallen, eingenommen und den zweideutigen kaiserlichen Burgvogt in Fesseln
gelegt. Nun verlangte der Staufe Rechenschaft über diesen klugen, aber
verwegenen Eingriff in seinen Machtkreis. Die arbeitende Stirn in die Linke
gelegt, ließ Ezzelin die Rechte über das Pergament gleiten, und sein Stift zog
ihn vom ersten zum zweiten und vom zweiten zu einem dritten. Gründlich
unterhielt er sich mit dem erleuchten Schwiegervater über die Möglichkeiten und
Ziele
Dort, vor der breiten Stadtfeste der Vicedomini, während sie sich in rasch wachsender Dämmerung schwärzte, hatte sich das trunkene Volk versammelt. Zügellose wechselten mit possierlichen Szenen auf dem nicht großen Platze. In der gedrängten Menge gor eine wilde, zornige Lust, ein bacchantischer Taumel, welchem die ausgelassene Jugend der Hochschule ein Element des Spottes und Witzes beimischte.
Jetzt ließ sich eine schleppende Kantilene vernehmen,
Nun verschwanden sie nach und nach in der Wölbung des Tores, wo rechts und links die angezündeten Fackeln in den Eisenringen loderten, mit der letzten Tageshelle streitend. Im Torweg befahl Ascanio als Ordner des Festes, er, der sonst so freundliche, mit einer schreienden und gereizten Stimme.
Von Stunde zu Stunde wuchs der Frevelmut
Dergestalt kämpfte unweit des Palasttores ein hohes Weib in der Tracht einer
Diana mit einem immer enger sich schließenden Ringe von Klerikern und Schülern
niedersten Ranges. Ein hagerer Mensch ließ seine mythologischen Kenntnisse
glänzen. 'Nicht Diana bist du!' näselte er verbuhlt, 'du bist eine andere! ich
erkenne dich. Hier sitzt dein Täubchen!' und er zeigte auf den silbernen
Halbmond über der Stirne der Göttin. Diese aber schmeichelte nicht wie
Aphrodite, sondern zürnte wie Artemis. 'Weg, Schweine!' schalt sie. 'Ich bin
eine reinliche Göttin und verabscheue die Kleriker!' – 'Gurr, gurr!' girrte die
Hopfenstange und tastete mit den Knochenhänden, stieß aber auf der Stelle einen
durchdringenden Schrei aus. Wimmernd hob der Elende die Hand und zeigte seinen
Schaden. Sie war durch und durch gestochen und
Schon wurde der rasche Auftritt von einem andern ebenso grausamen, wenn auch
unblutigen verdrängt. Eine alle erdenklichen Widersprüche und schneidenden
Mißtöne durcheinanderwerfende Musik, die einem rasenden Zank der Verdammten in
der Hölle glich, brach sich Bahn durch die betäubte und ergötzte Menge. Das
niederste und schlimmste Volk – Beutelschneider, Kuppler, Dirnen, Betteljungen –
blies, kratzte, paukte, pfiff, quiekte, meckerte und grunzte vor und hinter
einem abenteuerlichen Paar. Ein großes, verwildertes Weib von zerstörter
Schönheit ging Arm in Arm mit einem trunkenen Mönch in zerfetzter Kutte. Dieses
war der Klosterbruder Serapion, der, von dem Beispiel Astorres aufgestachelt,
nächtlicherweile aus der Zelle entsprungen war und sich seit einer Woche im
Schlamm der Gasse wälzte. Vor einem aus der finstern Palastmauer vorspringenden
erhellten Erker machte die Horde halt, und mit einer geltenden Stimme und der
Gebärde eines öffentlichen Ausrufers schrie das Weib: 'Kund und
Jetzt nickte aus dem schmalen Bogenfenster des Erkers die läutende Schellenkappe Gocciolas, und ein melancholisches Gesicht zeigte sich der Gasse.
'Gutes Weib, sei stille!' klagte der Narr weinerlich auf den Platz hinunter. 'Du verletzest meine Erziehung und beleidigst mein Schamgefühl!'
'Guter Narr', antwortete die Schamlose, 'stoße dich nicht daran! Was die Vornehmen begehen, dem geben wir den Namen. Wir setzen die Titel auf die Büchsen der Apotheke!'
'Bei meinen Todsünden', jubelte Serapion, 'das tun wir! Bis Mitternacht soll die Hochzeit meines Brüderchens auf allen Plätzen Paduas ausgeschellt und hell verkündigt werden. Vorwärts, marsch! Hopsassa!' und er hob das nackte Bein mit der Sandale aus den hängenden Lumpen der besudelten Kutte.
Dieser von der Menge wütend beklatschte Schwank verscholl an den steilen Mauern der mächtigen Burg, deren Fenster und Gemächer zum großen Teil gegen die innern Hofräume gingen.
In einem stillen, geschützten Gemach wurde Antiope von ihren Zofen, Sotte und einer andern, gekleidet und geschmückt, während Astorre den nicht enden wollenden Schwarm der Gäste oben an den Treppen empfing. Sie schaute in ihre eigenen bangen Augen, die ihr aus einem Silberspiegel begegneten, welchen die Unterzofe mit einem neidischen Gesicht in nackten, frechen Armen hielt.
'Sotte', flüsterte das junge Weib zu der Dienerin, die ihr die Haare flocht, 'du ähnelst mir und hast meinen Wuchs.- wechsle mit mir die Kleider, wenn du mich lieb hast! Gehe hin und ziehe ihr den Ring vom Finger! Reuig und demütig! Verbeuge dich mit gekreuzten Armen vor der Pizzaguerra, wie die letzte Sklavin! Falle auf die Knie! Wälze dich am Boden! Wirf dich ganz weg! Nur nimm ihr den Ring! Ich lohne fürstlich!' und da sie Sotte zaudern sah: 'Nimm und behalte alles, was ich Köstliches trage!' flehte die Herrin, und dieser Versuchung widerstand die eitle Sotte nicht.
Astorre, welcher der Pflicht des Wirtes einen Augenblick entwendete, um sein
Liebstes zu besuchen, fand im Gemach zwei sich umkleidende Frauen. Er
Jetzt ließ sie sich rasch fertig kleiden. Selbst die leichtfertige Sotte erschrak vor der Blässe des Angesichts im Spiegel. Nichts lebte darin als die Angst der Augen und der Schimmer der zusarnmengepreßten Zähnchen. Ein roter Streif, der Schlag Dianens, wurde auf der weißen Stirn sichtbar.
Nach beendigtem Putz erhob sich das Weib Astorres mit klopfenden Pulsen und hämmernden Schläfen, verließ die sichere Kammer und durcheilte die Säle, Dianen suchend. Sie wurde gejagt von dem Mute der Furcht. Sie wollte jubelnd mit dem zurückeroberten Ring ihrem Gatten entgegeneilen, dem sie den Anblick ihrer Buße erspart hätte.
Bald unterschied sie aus den Masken die hochgewachsene Göttin der Jagd, erkannte in ihr die Feindin und folgte, bebend und zornige Worte murmelnd, der gemessen Schreitenden, welche den Hauptsaal verließ und sich gnädig in eines der schwachbeleuchteten und nur halb so hohen Nebengemächer verlor. Die Göttin schien nicht öffentliche Demütigung, sondern Demut des Herzens zu verlangen.
Jetzt neigte sich im Halbdunkel Antiope vor Diana. 'Gib mir den Ring!' preßte sie hervor und tastete an dem kräftigen Finger.
'Demütig und reuig?' fragte Diana.
'Wie anders, Herrin?' fieberte die Unselige. 'Aber du treibst dein Spiel mit mir, Grausame! Du biegst deinen Finger, jetzt krümmst du ihn!'
Ob Antiope es sich einbildete? Ob Diana wirklich dieses Spiel trieb? Wie wenig ist ein gekrümmter Finger! Cangrande, du hast mich der Ungerechtigkeit bezichtigt. Ich entscheide nicht.
Genug, die Vicedomini hob den geschmeidigen Leib und rief, die flammenden Augen
auf die strengen der
Der Mönch, der nach Verabschiedung seiner ländlichen Gäste zurückgeeilt kam und sehnlich sein Weib suchte, fand eine Entseelte. Mit einem erstickten Schrei warf er sich neben sie nieder und zog ihr den Pfeil aus dem Halse. Ein Blutstrahl folgte. Astorre verlor die Besinnung.
Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, stand Germano vor ihm mit gekreuzten Armen. 'Bist du der Mörder?' fragte der Mönch.
'Ich morde keine Weiber', antwortete der andere traurig. 'Es ist meine Schwester, die ihr Recht gesucht hat.'
Astorre tastete nach dem Pfeil und fand ihn. Aufgesprungen in einem Satz und das
lange Geschoß
Er wich um einen Schritt. Das kurze Schwert ziehend, welches der Ungepanzerte heute trug, und den Pfeil damit festhaltend, sagte er mitleidig: 'Geh in dein Kloster zurück, Astorre, das du nie hättest verlassen sollen!'
Da gewahrte er plötzlich den Tyrannen, der, gefolgt von dem ganzen Feste, welches dem längst Erwarteten bis ans Tor entgegengestürzt war, ihm gerade gegenüber durch die Tür trat.
Ezzelin streckte die Rechte, Friede gebietend, und Germano senkte ehrfürchtig seine Waffe vor dem Kriegsherrn. Diesen Augenblick ergriff der rasende Mönch und stieß dem Ezzelin Entgegenschauenden den Pfeil in die Brust. Aber auch sich traf er tödlich, von dem blitzschnell wieder gehobenen Schwert des Kriegers erreicht.
Germano war stumm zusammengesunken. Der Mönch, von Ascanio gestützt, tat noch
einige wankende
Die Hochzeitsgäste umstanden die Vermählten. Ezzelin betrachtete den Tod. Hernach ließ er sich auf ein Knie nieder und drückte erst Antiope, darauf Astorre die Augen zu. In die Stille klang es mißtönig herein durch ein offenes Fenster. Man verstand aus dem Dunkel: 'Jetzt schlummert der Mönch Astorre neben seiner Gattin Antiope.' Und ein fernes Gelächter.«
Dante erhob sich. »Ich habe meinen Platz am Feuer bezahlt«, sagte er, »und suche nun das Glück des Schlummers. Der Herr des Friedens behüte uns alle!« Er wendete sich und schritt durch die Pforte, welche ihm der Edelknabe geöffnet hatte. Aller Augen folgten ihm, der die Stufen einer fackelhellen Treppe langsam emporstieg.