Der Heilige: ELTeC Ausgabe Meyer, Conrad Ferdinand (1825-1898) ELTeC conversion Sebastian Cramm 235 41845

2020-05-18

Transcription Projekt Gutenberg Hella Reuters page images Scan E-rara Der Heilige Meyer, Conrad Ferdinand Verlag von H.Haessel Leipzig 1880

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I.

Langsam fallend deckte der Schnee das blache Feld und die Dächer vereinzelter Höfe rechts und links von der Heerstraße, die aus den warmen Heilbädern an der Limmat nach der Reichsstadt Zürich führt. Dichter und dichter schwebten die Flocken, als wollten sie das bleiche Morgenlicht auslöschen und die Welt stille machen, Weg und Steg verhüllend und das wenige, was sich darauf bewegte.

Jetzt erscholl auf dem Holzboden der bedachten Brücke, welche sich unfern der Stadt über den Sihlstrom legt, der dumpfe Hufschlag eines Pferdes, und unter dem Sparrenwerk der finstern, den Stadtmauern zugewendeten Öffnung erschien ein einsamer Reiter. Seine feste Gestalt war so warm in einen grobwollenen Mantel gewickelt und er hatte sich dessen Kapuze derart über den Kopf gezogen, daß von seiner Person kaum mehr als ein breiter grauer Bart zum Vorschein kam. Hart hinter dem starken Gaul von heimischer Rasse trabte mit beschneitem Rücken und melancholisch gesenkter Schweiffahne ein großer Pudel. Der polternde Widerhall des Hufes in der Holzwölbung weckte die drei Reisegefährten aus dem Halbschlummer, den Frost und Schnee über sie gebracht hatten, und stellte ihnen Tor und Herberge in nahe Aussicht. Ersteres wurde in raschem Trotte erreicht. Unter dem niedrigen Torbogen warf der Reiter seine Kapuze zurück, schüttelte die Flocken vom Mantel, rückte sich die Pelzmütze aus der energischen Stirn und ritt in guter, trotz der Last seiner Jahre kriegerischer Haltung durch den Rennweg, die erste am Fuße der kaiserlichen Pfalz sich hinziehende Straße.

Es war der drittletzte Tag des Jahres der Gnade 1191, denn der Reisende hatte die Gewohnheit, Zürich zwischen Weihnachten und Jahresende heimzusuchen.

Rechts, wo der Bäcker seine frischen Laibe ausgab, links, wo unter dem rußigen Vordach der Rollenschmiede der Amboß erdröhnte und die Funken sprühten, ward der Reiter auch heute, wie jederzeit bei seinem Einzug in Zürich, mit schallendem Zuruf als Hans der Armbruster, Hans der Engelländer bewillkommt. Die alemannischen Laute aber, in welchen er Gruß und Rede zurückgab, schlugen so rund und frank aus seinem Munde, daß sein zweiter Zuname kaum auf eine ferne Heimat zurückführte, sondern auf befriedigte Reiselust und kecke Wanderfahrt.

Auch gab der Reisende dem Herbergsvater zum Löwen, der bei ertönendem Hufschlag neugierig unter die Tür getreten war und, den Vorüberreitenden erkennend, sich von demselben, mit gezogener Kappe, Auskunft über das Verhalten des heurigen Schaffhausers im Keller erbat, so sachkundige und den Beteiligten verratende Antwort, daß unschwer zu erkennen war, wo Hans dem Engelländer heute sein Weizen blühe und sein Wein reife.

Bis hieher geschah alles, wie Hans der Armbruster die Stadt der Fürstin-Abtissin seit Jahrzehnten kannte. Eines aber befremdete ihn an diesem Tage, der kein Festtag war, und allgemach begann er sich darüber zu wundern. Von Frauen verkehrten sonst in dieser strengen Jahreszeit und frühen Stunde nur wenige vor dem Hause; heute aber überschritten sie eilfertig und geschmückt alle Schwellen; und als Meister Hans durch steil abfallende Gäßlein der Mitte der Stadt und den rasch dahinschießenden Wassern der Limmat sich zuwandte, als er über die untere Brücke und am Rathause vorüberritt, sah er es wie Ameisenzüge an beiden Flußufern aufwärts laufen. Häuflein folgte dem Häuflein. Frauen jeglichen Standes, hochmütige Edelweiber mit kostbaren Meßbüchern in der Hand, ehrbare Töchter des Handwerks, züchtige Klosterfrauen, hübsche Dirnen von leichtem Wandel eilten neben runzligen, hustenden Großmüttern, die das Oberkleid im Schneegestöber über die armen, grauen Häupter gezogen hatten. Alles strömte seewärts, wo am Ausfluß der Limmat wie zwei Behelmte die Münster stehen.

Doch – was bedeutete das? – nur eines derselben, das Münster unserer lieben Frau, ließ mit fliegenden Glocken seine dringende Einladung erschallen: das gegenüberliegende große Münster aber verharrte in einem mißbilligenden Schweigen.

Nachdenklich ritt der Armbruster, dem allgemeinen Zuge folgend, unter den Schwibbögen längs der Limmat hinauf der berühmten Herberge zu den Raben St. Meinrads entgegen, wo er alljährlich abzusteigen pflegte. Jetzt aber, unten am Hügel, wo weiland St. Felix und Regula geblutet haben, hielt er seinen Braunen an. Er hatte einen Blick in die steile Kirchgasse geworfen, die hier, vom Großmünster herabführend, ausmündet. Es bewegte sich darin, ihm entgegenschreitend und sorgsam die besten Stellen im schmelzenden Schnee aussuchend, die feine, ehrwürdige, in Marderpelz gehüllte Gestalt eines Chorherrn. Das unter dem schwarzen Barett blaß erscheinende Antlitz heftete sich mit schmerzlichem Ausdruck auf die genäßten Schuhe. So wurde er des Armbrusters nicht gleich gewahr, der sich rüstig vom Pferde geschwungen hatte, um den alten Herrn in bescheidener Stellung und trotz des noch immer dauernden Gestöbers mit entblößtem Haupte zu erwarten.

»Gottes und seiner Mutter Gnade zum Gruß, ehrwürdiger Herr«, sagte Hans der Engelländer, als der Greis neben ihm stand.

Leicht überrascht heftete dieser das kluge Auge auf den Grüßenden, und ein plötzlicher Gedanke leuchtete über seine durchsichtigen Züge, ein Gedanke offenbar erfreulicher Art, den er aber listig für sich behielt.

So sprach ihn denn der Armbruster zuerst und folgendermaßen an: »Gestattet, daß ich mich bei Euch erkundige, ob ich den edeln Herrn Kuno, Euern würdigen Bruder, im Stifte finden werde. Er schuldet mir eine Kleinigkeit für hergestellte Armbruste, ferner den Kaufpreis eines nach englischer Manier gebauten Stückes, das vor drei Jahren bestellt und geliefert wurde, was alles, nach meiner Übung, ich vor Neujahr einzuziehen trachte. Den vorletzten und letzten Christmond traf ich den edeln Herrn bei erschöpfter Kasse, da er mit dauerndem Unglück im Würfelspiel zu kämpfen hatte. Wie mag es wohl heuer um ihn stehen?«

»Das frage du ihn selber, nachdem du Imbiß bei mir gehalten hast!« erwiderte der Alte. »Er kehrt bei Zunachten ins Stift. Alle Brüder, Propst und Kapitel, sind auf die Jagd verritten, mich Alten, wie du siehst, ausgenommen. Ich gedachte meinen Ausgang dem neuen Heiligen zu widmen, dessen Marter und Wunder dort drüben« – er wies nach dem schlank aufsteigenden Chor des Fraumünsters – »zu dieser Stunde von einem geistreichen Luzernerpfaffen dem gläubigen Volke dargelegt werden und dessen Glorie meine darüber unbilligerweise empfindlichen Brüder für heute aus der Stadt vertrieb. Da jedoch mehr Neugier als Andacht meine Schritte lenkte und der Schnee des Himmels sie hemmt, so mag ich ohne Schaden meiner Seele umkehren.

Laß deinen Braunen in die Herberge zu den Raben führen! Dort steht der Stallknecht St. Meinrads wie eingepflanzt am Wasser und starrt nach der Frauen Münster hinüber! Dein Tapp, der hier trübselig im Schnee sitzt, mag sich an meinem Küchenfeuer wärmen. Aber bei St. Felix' blutigem Haupte, ich kann nicht länger im Nassen stehen! In diesen Schneepfützen sitzt die tückische Hexe mit ihrer Zange, ich meine die böse Gicht, die mich diesen Winter gezwickt und erst vor kurzem losgelassen hat. Folge mir bald, Engelländer!«

Nach diesen geflügelten Worten schmiegte Herr Burkhard sich fröstelnd in seinen Pelz und begann, vorsichtig, wie er gekommen war, die feuchte Gasse wieder hinanzusteigen.

Hans aber rief den lungernden Knecht herbei und übergab ihm mit den Zügeln seines Gauls allerhand Aufträge und Weisungen an den Wirt und die Stammgäste des Hauses zu den Raben; denn dort sprach der Adel ein, und unter ihm hatte der Armbruster viele Kunden und Schuldner.

Dann schnallte er sein Felleisen von dem Rücken des Tieres, nahm das Gepäck unter den Arm und schritt mit Tapp, der sich nie von dem Eigentum seines Herrn trennte, die zum Stifte führende steile Gasse hinauf.

Die Einladung des Chorherrn kam ihm gelegen, denn Hans der Armbruster war ein sparsamer Mann.

II.

Der Wintertag blieb so dunkel, daß der schmale Wohnraum des Chorherrn, wo er seinen Gast bewirtete, mehr von der golden flackernden Flamme des Herdes als durch das einzige hochgelegene Bogenfensterchen erhellt wurde.

Während der Armbruster sein Mahl beendigte, hatte sich Herr Burkhard, der von feiner Körperlichkeit und mäßiger Lebensweise war, schon eine Weile in seinen mit weichen Vliesen überlegten Armstuhl versenkt und die pelzumhüllten Füße dem Feuer zugestreckt. Ein ebenfalls ergreister Schaffner räumte das Tischgeräte weg und stellte eine Kanne kräftigen Landweins mit zwei silbernen Bechern auf das Steinsims des Kamines.

Der Chorherr war offenbar in vergnügter Stimmung. Es ergötzte ihn, an diesem trüben Wintertage einen welt- und menschenkundigen, auch weitgewanderten Mann schnellen Geistes in sein Gelaß gelockt zu haben zur Befriedigung einer längst gehegten Neugierde. Das feingeformte Haupt mit seinen wenigen schneeweißen Locken lag auf dem roten Kissen der Lehne, mit geschlossenen Augen, aber dem wachen Ausdrucke des Triumphes über einen gelungenen Anschlag.

Jetzt öffnete er plötzlich einen leuchtenden Blick und sagte: »Gesegnete Mahlzeit, Hans! Wende deinen Stuhl und rücke zu mir. Du fragtest mich, wer der neue, von der Frau am Münster erhöhte, von uns Chorherren aber geschmähte Heilige sei. Über Tisch halte ich es nicht für heilsam, von kirchlichen oder gar himmlischen Dingen zu reden; aber nun bin ich da, um Auskunft zu geben. Der neue, von dem Heiligen Vater der Christenheit bescherte Fürsprecher im Himmel hat im selben Jahre mit mir das Licht der Welt erblickt. Schon das spricht gegen ihn. Es gilt von den Heiligen wie vom Weine: je älter, desto besser und wundertätiger. Wie dieser hier« – er schlürfte aus seinem Becher –, »das Blut unseres Bodens, mit unserem Blute verwandt ist und es seit undenklicher Zeit würzt und stärkt, ähnlich wirken unsere Heiligen St. Felix und Regula, über deren Leibern dieses Stift und diese Stadt erbaut sind. Geschlecht um Geschlecht haben sie als streitbare Nothelfer behütet. Wir sind ihnen und sie uns vertraut und verpflichtet. Mit ihrem Bild und Siegel machen wir, nach dem Vorgange unserer Väter, unser Tun und Lassen gültig. Ich will keine Hoffart damit treiben, daß sie nach ihrer blutigen Marter die abgeschlagenen Häupter urkundlich in den eigenen Händen von der Richtstätte am Limmatufer bis hieher getragen haben, vierzig Schritte bergan, obgleich ihnen das sicherlich keiner der abgeschwächten neuen Heiligen nachtut. Für mich kommt in Betracht, daß St. Felix und Regula ihren Glauben gegen einen heidnischen Kaiser mit ihrem Blute bezeugt und nicht gegen einen christlichen König und Lehensherrn sich überhoben und aufgelehnt haben wie dieser neue Heilige von meinem Jahrgang.

Solcher gerechten Erwägungen aber sind die Köpfe unserer Frauen vom fürstlichen Stifte nicht fähig! Da mußte ihnen unter andern kostbaren Schriftstücken ein Pergament zukommen, worauf das Leben und die Marter meines Altersgenossen beschrieben und verherrlicht ist. Die heiligen Akten wurden zur Erbauung während der Mahlzeit vorgelesen, und von Stund an konnten die Gedanken der edeln Frauen nicht mehr zur Ruhe kommen. Sie trieben offen und heimlich daran, daß der Tag dieses Märtyrers auch bei uns feierlich begangen werde.

Den Weibern gefällt das Neue und Fremdländische.

Der Rat unserer Stadt war aus genannten Gründen der Sache abhold und hätte sie auch wohl verhalten, wäre den Frauen nicht eine Güte des Himmels zu Hilfe gekommen.

Verwichenen Herbstmonat bei der langen Dürre geriet der Abtei eine Scheune voll Heu neben ihrem großen Gehöfte zu Wiedikon in Brand. Der Föhn jagte die Flamme gerade auf das Meierhaus zu, das zu rauchen begann und verloren schien. Da ließ die mächtig fromme Kusterin, Frau Berta, die eben zugegen war, durch den Meier und seine Söhne den schweren Schiefertisch vor das Haus schleppen, zog eine Kreide aus der Tasche und schrieb mit armlangen Buchstaben auf die Platte:

Sancte Thoma, steh uns bei!

Was geschah? Blickte der Heilige vom Himmel herunter und las? Dem sei wie ihm wolle, der Wind wandte sich augenblicklich, das Scheuerlein fiel in erlöschenden Schutt zusammen, und die Meierei war gerettet. Jetzt langte die Hilfe aus der Stadt an. Hier stand der Tisch, dort verkohlte der Trümmerhaufen – das Wunder und der Heilige waren nicht weiter anzufechten.

So ist es gekommen, daß wir heute sein Fest feiern, den Tag, daß ich's zu sagen nicht vergesse, des heiligen Thomas von Canterbury.«

Nach dieser ausgiebigen Rede ergriff der Chorherr seinen Pokal, tat ein paar kleine Züge, und, die Kanne ergreifend, sah er sich nach seinem Zuhörer um, dessen Becher er auffüllen wollte. Hans, der auf einem Holzschemel am Feuer saß, gab keinen Laut von sich. Etwas Seltsames war mit ihm vorgegangen. Im Anfang war er, die Ellenbogen auf die Knie stützend und das gesenkte Haupt in die Hände gelegt, der Erzählung des Chorherrn mit Aufmerksamkeit gefolgt. Herr Burkhard hatte den Namen des Heiligen absichtlich bis zuletzt verschwiegen, doch der Armbruster mochte ihn schon früher erraten haben. Er blieb jetzt unbeweglich, wie in sich selbst zusammengebrochen, und es war, als schüttle ein Schauder seine Glieder. Der Chorherr schenkte ihm den Becher voll und betrachtete ihn mit Blicken der Teilnahme und etwas durchschimmernder Schadenfreude.

»Halt ich dich endlich, schlauer Mann!« begann er wieder. »Bei den blutigen Zöpfen der heiligen Regula, heute, Armbruster, trittst du mir nicht über die Schwelle zurück, ohne mir von St. Thomas von Canterbury erzählt zu haben, was du weißt, und ganz andere Dinge, als der Luzernerpfaffe unserer gnädigen Frau drüben im Stift aufbindet oder als in dem Pergamente stehen, das mir die edle Herrin zur Gesundung meiner Seele geliehen hat. Du bist dem Heiligen zu seinen Lebzeiten begegnet, das wirst du mir nicht leugnen! Ich habe es selbst gehört, wie du meinen Brüdern, den Chorherren, es mag sich jetzt gerade verjähren, in unserer Trinkstube mit lauter Stimme – denn sie hatten dir mit dem Becher stark zugesetzt – und gewaltigen Gebärden dartatest, daß du an König Heinrich gehaftet habest wie der Knopf am Wamse, ja wie die Haut am Leibe. Du gerietest in lodernden Eifer; denn die Herren hatten in Zweifel gezogen, daß König Heinrich bei jener unseligen Krönung seines ältesten Sohnes Tränen der Freude vergossen habe. Du riefest: ›Ich habe sie rieseln sehen!‹ und verschwurest dich bei deiner Seelen Seligkeit. Ich, der gerade eintreten wollte, um einen geselligen Becher zu trinken, denn ich war noch um das jünger, und dich deine Geschichte beteuern hörte, ich glaubte dir, denn du bist kein Prahler. Bist du aber immerdar um König Heinrich gewesen, hast ihm Gewand und Becher gereicht, sein Lachen und Weinen gekannt, wie du versichertest, so mußt du auch den Mann gekannt haben, der ihm Leib und Seele zerstört hat, sei es, während er als Kanzler ihm zu Diensten war, sei es später, da er als heiliger Bischof, sein Feind und sein Opfer, ihn zur Verzweiflung und ins Verderben trieb. Am Ende, Unglücklicher, warest auch du unter jenen, die dem Heiligen zu seinem Martertode geholfen haben. Doch nein! In dem Pergamente der Äbtissin steht geschrieben, wie die Mörder des Heiligen durch ihre Sünde dergestalt entmenscht wurden, daß es der ganzen Schöpfung vor ihnen graute und selbst ihre Leibhunde den Bissen aus ihrer Hand verabscheuten. Tapp aber« – er wies auf den zwischen den Knien des Armbrusters sich aufmerksam hervordrängenden Pudelkopf – »nimmt, wie ich gesehen habe, alles, was du ihm reichst.«

»Der gnädige Gott hat mich davor behütet«, murmelte Hans; »aber den Heiligen – ja – ich habe ihn gekannt, so gut als ich Euch kenne, Herr Burkhard. Und dabei bin ich auch gewesen, wenn Ihr es doch wissen wollt, als ihm der Wilhelm Tracy vor dem Hochaltare den Schädel einschlug. Und sein Lächeln sehe ich noch, das – Gott genade mir – heilige Hohnlächeln, mit dem er verschied, als erwiesen ihm seine Henker gerade einen Liebesdienst. O Herr, das sind schwere, unerforschliche Geschichten!«

»Erzähle, Hans«, rief der Chorherr mit zitternder Lebendigkeit und richtete sich, die alten Hände auf die Armlehnen stützend, begierig in seinem Stuhl in die Höhe.

Der Armbruster schürte schweigend das Feuer und faßte seine Gedanken zusammen. Seine festen eckigen Züge waren finster geworden, und seine funkelnden Augen sannen. Offenbar schien ihm billig, den Wunsch seines Gastfreundes zu erfüllen; aber ungerne tat er es. Denn jene Ereignisse, staunenswert und unbegreiflich nicht nur für die Fernstehenden, sondern auch für die Mithandelnden, waren der wichtigste Teil seiner eigenen Geschichte, die es dem verschlossenen Manne zu erzählen schwer wurde, und griffen in Tiefen seiner Seele hinunter, wo sein Empfinden zwiespältig wurde und seine Gedanken wie vor einem Abgrunde stehen blieben.

Er äußerte sich mit behutsamen Worten: »Ihr mögt leichtlich besser Bescheid wissen, Herr Burkhard, in dem, was meines Herrn Königs Fürstenhändel und Taten im Weltlauf betrifft; was aber den Wandel und die Natur seiner Person angeht – und des Thomas Becket Menschenantlitz auch« – fügte er scheu und leise hinzu –, »so habe ich wahrlich vor einem Jahre in jener trunkenen Nacht nicht geprahlt, als ich mich berühmte, sie zu kennen, obwohl ich, heilsamer für mich, davon geschwiegen hätte. Noch jetzt, Herr, brauch ich nur die Augen zu schließen, um den König wie den Priester leibhaft vor mir zu sehen. Lieblich ist der Anblick nicht, wie der dieser langen ruhigen Gesichter, welche Eure Stadtheiligen hier in den Händen tragen!« und er wies auf das Mittelbild eines farbig gewirkten Teppichs, der die Mauer bekleidete. »Viele Jahre lang, nachdem ich aus Engelland heimgekehrt war, hatte ich während des Tages in Gedanken und des Nachts im Traume mit jenen zwei unglücklichen Herren zu schaffen. Am Tage mußte ich mir die sanften, spitzfindigen Reden des einen, die leichtfertigen Scherze, harten Drohungen und verzweiflungsvollen Zornworte des andern ohne Unterlaß wiederholen und war gezwungen, darüber nachzusinnen, wie unabwendbar beider Verderben sich daraus entwickelte. Des Nachts sah ich sie aufeinanderstoßen mit Rauch und Feuer, wie der Apostel Hans in seiner Offenbarung schreibt, und keines meiner Weiber – ich habe deren etliche geehlicht und begraben – konnte es dann unterlassen, mich mit Angst und Grauen aus dem Schlafe zu rütteln. Denn, Herr, es ist etwas anderes, wenn Könige und Heilige gegeneinanderfahren, als wenn in unseren schwäbischen Trinkstuben geschrien und gestochen wird. Wohlan, ich will Euch von diesen Geschichten erzählen, obwohl es ein schlimmes Ding ist und schwierig zu bewältigen; aber ich darf den Wunsch meines Gastfreundes nicht unerfüllt lassen« schloß der Armbruster mit einem grimmigen Lächeln.

»So tue, wie du verheißest«, sagte der Stiftsherr und legte sich mit erwartungsvoll angeregten Mienen in seinen Sessel zurück.

III.

»Ich rede nicht gerne von meiner Jugend« – begann Hans der Engelländer seine Erzählung –, »und meine Gedanken weichen ihr aus, wenn ich nicht vor den heiligen Festen, um mich vor Gott und seiner heiligen Mutter zu demütigen, sie aus dem Dunkel emporsteigen lasse, oder wenn nicht ein Neider und Widersacher mir dieselbe böswillig in meinen alten Tagen gegen die Zähne wirft.

Lieber Herr« – und der Armbruster tat einen tiefen Seufzer –, »sie ist eine unehrliche und befleckte. Dennoch muß ich damit Euch und mir zur Last fallen, denn mein armer Lebenslauf läßt sich von dem des Heiligen und des Königs nicht trennen, wenigstens in meinem alten Kopfe nicht. Ihr müßt wissen, ich bin aus einem edeln Geschlechte, und wenn Ihr Hohenklingen oder Hohenkrähen sagt, so nennet Ihr zwar nicht mein Stammhaus, das in Schutt versunken ist, aber sein Name lautete ähnlich, und es lag, wie jene festen Häuser, unweit vom Bodan und vom Rhein. Schon mein Vater war schwer verschuldet und – warum, das weiß Gott – von seiner Sippe gescheut und gemieden, als er, um seinen Gläubigern zu entgehen und um seine Seele zu retten, sich das Kreuz anheftete und nach dem Gelobten Lande zog, aus welchem er nicht zurückkehrte. Mein Mütterlein schleppte seit meiner Geburt einen siechen Leib und weinte sich die Augen blind, als mein älterer Bruder nicht in ritterlicher Fehde, sondern in bösem Raufhandel um Dein und Mein erschlagen wurde; denn wir halfen uns, wie wir konnten, und lauerten an den Wegen, wo etwas vorüberkam. Bei meiner Sippe suchte ich weder Rat noch Hilfe, ich hätte dort keine gefunden. Die einzigen Freunde waren mir meine Armbrust und meine Hunde, mit denen ich zu Walde zog; aber ich selbst ward wie ein Wild gehetzt von einem bösen Feinde, den ich wie den Teufel haßte. Das war der Jude Manasse, der in Schaffhausen saß und auf Zinsen lieh. Ihm hatte mein Vater seinen Burgstall und seine wenigen Äcker verpfändet. Nun begab es sich, daß mich meine Mutter zu dem Juden schickte, um Aufschub zu verlangen, aber keine Barmherzigkeit war bei dem Wucherer zu finden. Da erfaßte mich plötzlich eine große Kümmernis und ein Erbarmen mit meinem siechen Mütterlein und auch mit dem blutigen Leiden unseres Heilandes, den die Juden grausam gemartert haben, und ich schlug den Manasse hart mit Fäusten, daß er starb. Gott rechne mir diesen Mord nicht zu! Als ich ihn beging, war ich, wenn auch schon von Mannesgestalt und Stärke, noch ein Kind und dazu von weicher und heftiger Gemütsart. Der Jude indessen hatte in der Stadt und unter dem umliegenden Adel viele Freunde, und ich wäre verloren gewesen ohne die geöffnete Klosterpforte von Allerheiligen. Und da ich froh sein mußte, daß sie sich fest hinter mir schloß, wurde ich unverhofft geistlich und nach Jahresfrist ein Mönch. In alledem hatte ich aufrichtig gehandelt und war kein Falsch an mir gewesen; aber ich taugte schlecht zum Mönche und hatte den Wuchs meiner Natur und das Erdreich ihres Gedeihens nicht vorausgekannt. Mißversteht mich nicht, Herr! Nicht das sündige Blut unserer Stammeltern allein meine ich, sondern mehr noch den zündenden Funken, der aus der Schöpferhand Gottvaters in den Ton, aus welchem ich geformt bin, herübergesprungen ist, das ist: Kraft, Verstand, Unternehmung, Baukunst und Wanderlust. Aber von menschlicher Kunst und Wissenschaft war zu Allerheiligen nichts zu lernen als der Poet Virgilius, den ich auch heute noch großenteils auswendig weiß.

Der Prior rühmte an diesem Poeten, daß er ein frommer Heide gewesen und Gott ihm zum Lohne seiner Tugenden prophetische Kraft eingehaucht, so daß in seinen Versen die hochgelobte Mutter mit dem Kinde sich spiegle und deutlich zu erkennen sei. Daher kam es, daß die Rolle, aus der ich lernte, ganz von Messerstichen durchlöchert war. In der Johannisnacht, da ich von Allerheiligen schied und bevor ich den Sprung über die Mauer tat, habe auch ich hineingestochen zu dreien Malen, nach inbrünstiger Anrufung der drei heiligen Namen, und die Worte getroffen: sagittas, calamo, arcui. Und Virgilius hatte wahr gesprochen: mit Pfeil und Bogen hab ich all mein Lebtag zu tun gehabt.

So genoß ich denn meiner raschen Füße wieder und eilte durch das Waldgebirg dem Elsaß zu, den großen Bogen des Rheines mit einer geraden Linie abschneidend. Gegen Mittag kam ich vor einem festen Orte auf eine Wiese, wo von allerlei Volk ein Bogenschießen abgehalten wurde. Ich war schon unterwegs wie berauscht von dem Odem der Erde und der Lust, meine Glieder zu brauchen, und da ist es nicht zu verwundern, daß ich mir in dem Lustlager und Getümmel der Schießenden von den ausgelassenen Gesellen, die der verlaufene Mönch ergötzte, einen Bogen in die Hand geben ließ und dann, mit vorgestrecktem Fuße Stand fassend, Schuß um Schuß ans Ziel schickte. Mein Blick, sei Euch gesagt, ist scharf und sicher von Natur und hat mich von Kindheit an nie betrogen.

Ich glaube, daß sie mich, der den Becher verlernt hatte, trunken machten, daß ich in der Glut die Ärmel aufstreifte und die Kutte bis an die Schenkel schürzte, und mir steht dunkel und ärgerlich vor Augen, daß ich zuletzt unter Spott und Gelächter mit nackten Armen und Beinen im Narrentriumphe herumgetragen wurde.

Am frühen Morgen, in der Knechtstracht, die mir ein guter Gesell geschenkt, weiter wandernd, betrachtete ich nicht ohne Scham den Stand meiner Dinge. Ein beflecktes Wappen lag rechts und eine zerrissene Kutte links hinter mir am Wege. Nichts blieb mir als das Handwerk, und ich suchte mir eines, das mich von ritterlichen Leuten und Dingen nicht ganz entferne und seinen Mann ernähre in Kriegs- und Friedenszeiten. Da erhellte sich mir die Losung des Virgilius, und ich beschloß, ein Bogner und Armbruster zu werden. Aller Anfang ist schwer, lieber Herr; und neben den müßigen Gewöhnungen des Wegelagerers und des Mönches hatte ich noch viel Torheit eines weichen Herzens zu überwinden. Ich mußte zu festem Stande kommen; denn, ob ich schon einen Juden getötet und ein Klostergelübde gebrochen, so hätte mich doch mein frommes Gemüt fast in eine dritte Missetat gestürzt. Dies will ich Euch noch erzählen – vom übrigen werde ich kurz sein.

Ich war, gen Straßburg wandernd, unter eine Bande von fahrenden Schülern geraten, und wir zechten in einer Schenke gegenüber den Mauerwerken und Turmspitzen der berühmten Stadt. Da fiel mir ein, wie mein Mütterlein mir weiland viel geredet hatte von einer frommen Muhme, die in einem Straßburger Kloster ein heiliges Leben geführt und deren Fürsprache im Himmel sie, wenn das Wasser des Elends ihr bis an den Mund stieg, mit Nutzen anzurufen pflegte. Solches dachte ich auf meinen irrenden Wegen auch zu tun. Also ging ich einen der Fahrenden, der ein helles offenes Gesicht hatte und, wie er sagte, die Stadt von früher her wohl kannte, mit freundlichen Worten an, ob er mir das Kloster nicht weisen könne, wo meine Muhme Willibirg im Geruche der Heiligkeit gestorben sei.

›Lieber‹, antwortete er, ›siehest du dort den achteckigen Turm mit dem farbigen Dache? Und daneben das lange Gebäude an der Stadtmauer? Dort hat deine Muhme gewaltet.‹

Da warf ich mich auf die Knie und rief, nach dem Hause hinüberblickend, die heilige Frau inbrünstig an, mir zu allem guten und heilsamen Werke behilflich zu sein. Was höre ich hinter mir? Ein unterdrücktes Gekicher, ein toll ausbrechendes Gelächter, und, rasch den Kopf wendend, sehe ich den Fahrenden, der die Zipfel seines Gewandes zu zwei langen Ohren gestaltet hatte, die er neben den meinigen winken und wedeln läßt. Zu gleicher Zeit lachten die anderen unbändig: ›Der Esel betet zum Hause der schönen Frauen hinüber!...‹ Aber schon lag der Schalk unter meinen Knien, während ich schwere Tränen fallen ließ über die Bosheit und Schlechtigkeit der Welt und ihn würgte, daß ihm der Lebensodem ausgegangen wäre, wenn ihn mir die anderen nicht entrissen hätten.

In Straßburg trat ich in die erste Lehre bei einem Bogner, der mich ehrlich hielt und mir die Handgriffe, so viel er sie wußte, rechtschaffen beibrachte. Doch war er ein Mann des Brauches und der Gewohnheit, der den Kopf eigensinnig schüttelte zu den Verfeinerungen und Ausbildungen, deren das Wesen und die Gestalt der Armbrust fähig ist und die damals aus Engelland und Flandern, besonders aber aus dem heidnischen Granada bis zu uns in das deutsche Reich hereindrangen. Mir aber, der einen jungen und neugierigen Geist hatte, ließ es, nach den einmal überwundenen Anfängen, keine Rast noch Ruhe; denn, lieber Herr, in jeder, auch der geringsten Kunst ist ein Ziel der Vollendung verborgen, das uns ruft und lockt, ihm Tag und Nacht sehnsüchtig nachzuziehen.

Oft hab ich damals im Traume eine Armbrust gebaut und einen Bolzen gebildet, die noch weiter trugen als das sarazenische Schießzeug, aber im Frühlicht verblichen meine Fündlein wie höhnische Irrwische; denn es waren plumpe Tastungen oder willkürliche Gedanken, da ich wohl einige Griffe, aber noch nicht die Gründe und Gesetze meiner Kunst erkannt hatte.

So beschloß ich zu wandern und bei den Meistern zu lernen. Durch Frankreich und Aquitanien wanderte ich und überstieg den Pyrenäenberg und erblickte jeden Abend in den roten Wolken des Sonnenniederganges die Wunderstadt Granada, wohin mich meine Seele zog, bis sie zuletzt wahr und wirklich vor mir auf dem Abendhimmel stand. Und es war mir vergönnt, die Weltpracht, die sie dort aufgerichtet haben, zu betrachten, das durchbrochene Schmuckwerk ihrer Paläste, die Palmen und Zypressen ihrer Zaubergärten und die aufsteigenden Strahlen ihrer rauschenden Wasserkünste.«

»Und du bist unbeschnitten an Leib und Glauben wieder zurückgekehrt, armer Hans?« warf Herr Burkhard ein.

»Zweifelt nicht daran, und mit einem weit klügeren Kopfe auf den Schultern, als ich ihn hingetragen hatte. Was aber meinen Christenglauben betrifft, Herr, so habe ich ihn gegen einen großen Philosophen behauptet, dem ich die Röhren, wodurch er den Gang der Gestirne beobachtete, vervollkommnen half. Allnächtlich zeigte er mir die langsam wandelnden Heere des Himmels und erklärte mir, wie von Ewigkeit her die menschlichen Geschicke an diese leuchtenden Zeichen und Figuren, diese Tiergestalten und Wagen geschmiedet seien, so daß keine Hand, weder menschliche noch göttliche, in die sich drehenden Speichen des Feuerrades greifen könne und kein Raum bleibe weder für die menschliche Wahl noch für den Zorn und die Gnade Gottes.

Ich aber glaubte ihm nicht und berief mich auf die Gewitterflut der Reue, wann ich meine Sünde vollbracht hatte.

Im übrigen fand und lernte ich in Granada, was ich dort zu suchen gekommen war. Es ist nur die Wahrheit, lieber Herr! die heidnischen Bogner sind unübertroffen. Haben sie doch vor Zeiten mit klugem Witze aus dem Umfange des Bogens die gedrungene und handliche Gestalt der Armbrust gezogen, wie die Sage lautet und ich gerne glauben will: denn Gott hat den Heiden viele Kunst und Wissenschaft gegeben, Mathematik, Mechanik, Baukunde, alle Lehre, wo gezählt und gewogen wird, um ihnen, wie ich meine, vor dem ewigen Tode einen kurzen Stolz zu gönnen.«

Der Chorherr nickte billigend zu diesem weisen Worte, und der Bogner fuhr fort:

»Drei Jahre verblieb ich in der Heidenstadt, die Tage verflogen mir im Wettlaufe der Arbeit, und an den Abenden ergötzte ich mich, da mir nach und nach die arabische Zunge geläufig wurde, ohne Wein und Streit in den luftigen, offenen Hallen, wo sie Märchen erzählen. Dort vernahm ich einmal aus dem Munde eines braunen, glutäugigen Burschen, dem sie am liebsten lauschten, denn er verstand es, die Gebärde beider Geschlechter und jeden Alters und Standes mit beweglichem Mienen- und Gliederspiele darzustellen, eine Geschichte, nicht besser und nicht schlechter als seine übrigen: Sie scheint Euch abweges; aber ich lasse sie nicht liegen, denn sie gehört zur Sache.

Es ist das Märchen vom Prinzen Mondschein.

Ein junger Fremdling sei von einer gegen Mitternacht gelegenen Insel nach Cordova gekommen und habe sich dort bei dem Kalifen in Gunst gesetzt durch den Zauber seiner Gestalt und Rede und durch seine Meisterschaft im Schachspiele. Daneben habe er trotz seiner anmutigen Jugend eine solche Schärfe des Verstandes und politische Weisheit besessen, daß der von ihm beratene Kalife ohne Krieg und Blutvergießen durch die bloße Anwendung der Staatskunst in nicht langer Zeit der mächtigste der maurischen Könige geworden sei. Darum habe er den Prinzen Mondschein – so nannten die Cordovaner den Fremdling um der Blässe und Sanftmut seines Antlitzes willen – ganz närrisch liebgewonnen und ihm ohne Bedenken die schönste seiner Schwestern zum Weibe gegeben, Prinzessin Sonne, die, nachdem sie einmal den Fremdling erblickt, ihre leuchtenden Augen nicht mehr von ihm habe abwenden können. Sonne und Mond seien aber nicht über einen Jahreslauf zusammengeblieben, da die Geburt eines Mädchens der Prinzessin das Leben gekostet. Hierauf hätten hundert neidische Höflinge gegen den Fremden, dessen Stellung sie erschüttert glaubten, sich heimlich verschworen. Der Kluge habe sie entlarvt, doch in milder Gesinnung für ihr Leben gebeten. Da seien eines Tages von königlichen Sklaven zehn Maultiere, mit ebenso vielen Säcken beladen, durch die Pforten seines Palastes getrieben worden, und als das Gesinde die Säcke geöffnet, seien die abgeschnittenen Köpfe seiner hundert Feinde auf den Marmorboden des Hofes gerollt. Der Beschenkte aber sei beim Anblicke der blutigen Gabe erblassend in seine Gemächer zurückgetreten und habe nach eingebrochener Nacht sein Kind aus der Wiege gehoben, ein Pferd bestiegen und die schlummernde Cordova verlassen. Mit ihm aber habe Glück und Macht dem König auf immer den Rücken gewandt.

Der Märchenerzähler verschwor sich im Feuer seines Vortrages, den Prinzen Mondschein persönlich gekannt und ihn oft auf den Plätzen von Cordova mit über der Brust gekreuzten Armen demütig begrüßt zu haben. Sie seien nicht sehr verschieden an Alter, und nicht zehn Jahre seien vorüber seit jenen Begebenheiten.

Er war überzeugt, daß er die Wahrheit rede, aber ich nicht völlig; denn die Mauren, ehrwürdiger Herr, lügen mit mehr Aufrichtigkeit als wir, weil ihnen ihre rasche Einbildungskraft das Nichtgeschehene täuschend wie das Geschehene vorgaukelt.

Kurz vor meiner Abreise dann hörte ich den braunen Gesellen die Märe vom Prinzen Mondschein zum anderen Male erzählen und – diese Gerechtigkeit widerfahre ihm! – ohne merklichen Ausschmuck oder Umbau. Das fiel mir auf. Doch hatte ich nicht Zeit, ihn auszufragen, denn ich selber bereitete mich damals darauf vor, wie Prinz Mondschein, aus diesen fremden Sitten und Gebräuchen mich in der Stille nach der Christenheit heimzufinden.

Ich unternahm eine Meerfahrt nach Engelland, wo es mir bald gelang, bei dem vornehmsten Bogner in der Stadt London selbst Arbeit zu finden. Er hatte seine Werkstätte an der Themse unweit des festen Stadtturmes aufgetan und arbeitete mit vielen Gesellen. Da seine Kunst von König und Ritterschaft gesucht wurde, war sein Gut groß angewachsen, und man hätte ihn einen angesehenen Mann nennen können, wäre er nicht, wie alle vom Handwerk, von sächsischem Geblüte gewesen. Die Sachsen aber werden seit der Eroberung von ihren normännischen Herren unehrlich gehalten und auf eine unchristliche Weise unterdrückt.«

»Oho!« unterbrach Herr Burkhard. »Ist das die Rede eines Mannes, der ein halbes Menschenalter hinter Herrn Heinrich getrabt und stolziert hat?«

Hans warf dem Chorherrn einen gescheiten Blick zu und erwiderte ohne langes Besinnen:

»Es kommt, o Herr, beim Urteilen wie beim Schießen lediglich auf den Standpunkt an. Damals, mitten unter den Sachsen lebend, drückte ich mich beiseite oder zog die Mütze, wann ein Zug Normannen auf ihren gepanzerten Rossen vorübersprengte. Hernach, als ich selber droben saß, hätte es meine Ehre nicht gelitten, mich von einem Sachsen anders als barhaupt ansprechen zu lassen. Jetzt, da Sachsen und Normannen für mich verblichene Bilder sind, habe ich, nebst der Weisheit meiner grauen Haare, einen mittleren und mäßigen Stand und spreche: Macht und Eroberung sind von Gott gesetzt, und da die Normannen schärferes Blut und ungestümere Geister haben, so sind sie die Herrscher. Aber derselbe Gott hat Knechtsgestalt angenommen und uns alle mit seinem teuern Blute gekauft: darum mache der Herr sein Gesinde nicht bitter und vergreife sich nicht an dem Weibe und Kinde seines Knechts!

Solches aber geschah meinem Meister, dem zu seinem Unsegen eine schöne Tochter im Hause wuchs.

In Wahrheit, die goldhaarige Hilde war die schönste Magd in London, und ich konnte kein Auge von ihr verwenden, wann sie uns nach der Vespermahlzeit, ohne sich allzulange bitten zu lassen, ihre Balladen vorsang.«

Von Erinnerung überwältigt, wiegte der Bärtige seine breit vorragende Stirn und summte in unmelodischen Tönen:

»In London was Young Beichan born, He longed strange countries for to see –«

»Wohin verläufst du dich, Hans?« rief Herr Burkhard, der das Englische nicht verstand, mit beginnendem Mißmut.

Der Armbruster fuhr aus seinem Traume auf, und in den etwas abgespannten Zügen seines alten Zuhörers lesend, daß diesem der Einleitung zu viel und die Weile lang werde, sprach er ihn heftig an: »Wisset Ihr, Herr, von was diese Ballade, welche jung Hilde uns vorsang, handelt?...

Von der Geburt eines Heiligen aus dem Schoße einer Sarazenin, desselben heiligen Thomas, dessen Geschichte Euch zu erzählen ich hier bin!«

Die plötzliche Wendung, mit welcher Hans sein Schifflein aus dem Fahrwasser des eigenen Lebens in die Strömung eines größeren hineinsteuerte, gab dem Chorherrn einen Stoß; er richtete sich in seinem Sessel so steil und so rasch in die Höhe, als sein Alter es zuließ, und rief erstaunt:

»Sarazenenblut in den Adern des heiligen Thomas? Lieber, bist du bei guten Sinnen?«

»Hättet Ihr das Pergament geduldig gelesen, das Euch die Frau vom Münster, wie Ihr sagt, geliehen hat, Ihr würdet mich nicht mit so entsetzten Augen anschauen. Denn gerade dieser Punkt, will ich wetten, ist darin schön hervorgehoben. Hat sich doch die ganze Pfaffheit von London stark der Sache angenommen und die Heidin, bevor sie dieselbe in eine christliche Ehe treten ließ, sorgfältig bekehrt! Sie tauften sie auf den Namen Grazia oder Grace, was deutsch lautet: Gnade. Um der großen Gnade willen, welche die Mutter der Ungläubigen erwiesen!

In der Brautnacht der Sarazenin aber hatte eine prophetische Nonne zu London ein Gesicht und sah aus dem neuen Ehebunde eine weiße Lilie, das ist einen Heiligen, entsprießen und gen Himmel wachsen.

Und es geschah, wie die Nonne gesehen hatte.

Aber viel hat es gebraucht, bis aus dem Heidenkinde der Heilige herauswuchs: Blut und unendlichen Jammer, den Sturz eines Königs und, wo nicht den Untergang, doch die Erschütterung eines Königreiches!

Ich will nun ganz nach der Ordnung, wie es Euch bequem ist, Herr, erzählen, wer die Eltern des Thomas Becket gewesen sind.

Die Geschichte ist mir vertraut; denn sie war die Freude der blonden Hilde, welche damals noch jung und unschuldig war und das Wunder natürlich fand, daß zweie, die sich liebten, über Land und Meer zusammenkamen.

Vor vielen Jahren begab es sich einmal, daß ein Handelsmann aus London mit Namen Gilbert Becket nach dem Morgenlande fuhr und dort von einem mit seinen Reitern und Herden in der Wüste ziehenden Fürsten überrascht und gebunden wurde. Die eigene Tochter des Heiden aber erbarmte sich seiner Bande und zerschnitt sie. Vor Jahresfrist dann floh sie dem Sachsen nach; denn sie hatte ihr Herz an ihn verloren, und in Engelland singen und sagen sie, daß die vornehme heidnische Magd, obwohl ihrem Willen und Gedanken nur zwei Worte zu Gebote standen: London und Gilbert, mit diesen den Weg zu ihrem Lieblinge gesucht und gefunden habe.«

»Höre, Hans«, gab der Chorherr einem aufsteigenden Zweifel Ausdruck, »du reitest das geflügelte Rößlein der Fabel nicht schlechter als dein brauner Freund, der Märchenerzähler in Cordova. Es fehlt nur noch, daß auch du darauf schwörest, du seiest dabei gewesen.«

Der Bogner zuckte gleichmütig die Achseln.

»Nicht ich, lieber Herr; mein Meister aber in London, der ein pünktlicher und trockener Mann war, hat mir oft gesagt, wie er, ein junger Geselle, durch die Straßen der Stadt hinter der fahrenden Sarazenin hergelaufen sei. Denn diese habe jeden Vorübergehenden angehalten und ihn gefragt: ›Gilbert?‹ Dadurch sei sie stadtkundig geworden, so daß ihr am Ende viel Volk nachgezogen, um mit ihr ›Gilbert!‹ zu rufen. Die einen aus Mitleid mit dem schönen, ausgehungerten Frauenbilde, das vor Kümmernis jede Speise zurückwies, die andern der Törin spottend, die einen Gilbert aus Tausenden in London, wo der Name gemein ist, herausfinden wollte. Endlich sei der wahre Gilbert an sein Fenster und vor seine Schwelle getreten, habe die Heidin bei der Hand ergriffen und an seinen Herd geführt.

Wann aber der Meister so erzählte, ermangelte er nie anzufügen:

›Fahrende Heidinnen, Hans, bringen uns Christen nichts Gutes. Wäre doch das Wüstenkind in seinem Zelte geblieben, statt nach unserm Engelland zu schwimmen und uns hier den Kanzler auf die Welt zu setzen, den Verräter an seinem Volke!‹ –

Der Kanzler, der weltberühmte Kanzler von Engelland, die Wonne und Weisheit des Königs, die Bewunderung und der Neid der Normannen, der Haß und geheime Schrecken der Sachsen, war damals in aller Munde.

Sein rasch aufleuchtender Stern, die wie aus einem unerschöpflichen Füllhorn über ihn ausgeschütteten Gnaden und Würden, seine Türme, Burgen, Abteien, seine Zaubergärten und unbegrenzten Wälder, sein Gefolge von hundert und dann von tausend Rittern, die goldenen Geschirre seiner Rosse und Mäuler, die üppigen Tafeln seiner Feste und die unabsehbaren Reihen der Geladenen, seine köstlichen Gewande und blitzenden Steine – das alles gab den Leuten von London zu wundern und zu reden von Morgen bis Abend.

In der Werkstätte konnte ich mir während der Arbeit die Ohren nicht verhalten, und so klangen sie mir unablässig von dem Sohne des Sachsen und der Sarazenin. Daß ihm seine Landsleute alle schwarzen Frevel nachredeten, setzte mich nicht in Erstaunen und lag in den Staatsverhältnissen, da der Kanzler der einzige Sachse war, der im Sonnenlichte der königlichen Gnade wandelte. Aber denkwürdig bleibt es immerhin, daß die Väter an demselben Manne keine gute Faser fanden, den die Söhne jetzt auf den Knien anrufen.

Ein schlechter Sohn sei er gewesen, der den Geruch der väterlichen Ölfässer und Warenballen verabscheut habe. In den Dienst eines schwelgerischen normännischen Bischofs sei der Jüngling zuerst getreten, dort habe er französisch lispeln gelernt, und kein ehrliches sächsisches Wort sei mehr über seine Lippen gekommen. Um seinen von Vaterseite sächsischen Ursprung zu verwischen, habe er von den Händen dieses Normannen, als ein Leichtfertiger, die ersten Weihen empfangen. Dann, reich geworden durch den Tod des Vaters, sei er über Meer gefahren, habe in Calais seine treuen sächsischen Diener verabschiedet, welsches Gesinde gedungen, köstliche Gewande gekauft und sich als Ritter aufgetan. Durch Aquitanien und Spanien sei er an die maurischen Höfe gezogen, von seinem mütterlichen heidnischen Blute getrieben, und beim Könige von Cordova in die höchste Gunst gekommen. Dort habe er mit Weisen aus dem Morgenlande Sterndeutung und geheime Wissenschaft getrieben, worin er seine Meister bald übertroffen, so daß es ihm nach seiner Heimkehr habe glücken können, König Heinrich durch höllische Sympathie unvergänglich an sich zu ketten.

Herr, darin war das Goldkorn der Wahrheit schwer zu finden. Um so mehr wuchs meine Begierde, diese lebendige Fabel mit Augen zu schauen; aber lange mußt' ich mich gedulden, denn Thomas Becket weilte damals mit dem Könige jenseits des Meerarmes in Aquitanien, das, wie Ihr wißt, zu dem Weibergute seiner Königin gehörte.

Endlich kam der Tag. Ich schnitzte in der Werkstatt an einem Bolzen. Da fängt es an, auf der Straße unruhig zu werden, zu treiben und zu summen. Meine Gesellen verlassen ihr Zeug, steigen auf Schemel und Bänke und drücken die Köpfe in die Fenster. Pauken und Zimbeln schmettern. Hinter den berittenen Spielleuten folgte ein Herold mit den drei Pardeln auf der Brust und bereitete den Weg dem Sohne der Heidin Grazia.

Ein schöner Mann war er und fürstlich, wie König Salomo. Mit den normännischen Herren konnte er sich wohl nicht messen an Frische des Antlitzes und Macht des Wuchses. Aber er lenkte mit unvergleichlichem Anstande seinen goldgeschirrten, tanzenden Araber, und sein farbloses Antlitz besaß eine ernste Lieblichkeit.

Wie ich damals, mitten unter dem niedern Volke stehend, ihn bewunderte, ließ ich mir nicht einfallen, daß ich selbst über ein kurzes in den Dienst des Königs treten und dort diesem wundersamen Herrn täglich, ja stündlich begegnen würde.

Das begab sich aber folgendergestalt.

In der Werkstätte meines Meisters gingen die Normannen ein und aus, denn da gab es stets mit neuer Kunst erfundene oder vervollkommnete Armbruste zu prüfen. Leider blieb bei diesen Besuchen die schüchterne Hilde nicht immer verborgen. Sie war die Freude und der Wunsch meiner Augen; so konnte mir nicht entgehen, daß die der normännischen Ritter schärfer auf ihr hafteten als heilsam war. Einer von ihnen, den sie Gui Malherbe, das ist Veit Unkraut, hießen und der im Gefolge und an der reichen Tafel des Kanzlers sein schädliches Dasein fristete, ein frecher, ungebundener Edelknecht, aber gegen die Frauen von geschmeidigen Manieren, wurde mir täglich mehr zum Stachel und zum Ärgernis, und es fraß mir das Herz ab, ihn mit der sächsischen Magd auf der Grenzscheide verblümter Tändelei und nackter Herrenfrechheit spielen zu sehen, ohne ihm dafür mein Messer zwischen die Rippen stoßen zu dürfen. Mein Leben hätt' ich es mir vielleicht kosten lassen; aber den Meister und das Mägdlein wollt' ich nicht ins Verderben stürzen, wie es doch damit geschehen wäre.

Was soll ich da Worte machen, wo mein Herr Burkhard sich aus seiner Jugend erinnert, wie behend der Böse in solchen Fällen sein Netz auswirft und zuzieht!

Eines Tages wurden der Meister und ich auf ein etliche Meilen von London gelegenes Schloß gerufen, um einem normännischen Herrn die Waffenkammer einzurichten. Es wird ein verabredetes Spiel gewesen sein. Wir wurden unter allerlei Vorwand dort aufgehalten, und als wir nach London heimkehrten, war Jung Hilde verschwunden – gewaltsam entführt nach der Aussage der Nachbarn, die nächtlicherweile Pferdegetrappel und eine jammernde Stimme gehört hatten, willig folgend, wie die feigen Gesellen und furchtsamen Mägde logen, da sie der Meister zur Rede stellte.

Ich warf meinen Verdacht auf Gui Malherbe – was sage ich? die Sache war mir gewiß, und so riet ich meinem Meister, dem Kanzler kniend den Weg zu verlegen, wenn er an unserer Werkstatt vorüberritte nach dem festen Turme von London, zu dessen Kastellan der König ihn erhoben hatte, und nicht zu weichen, bis er ihm Gehör gebe und seinen normännischen Knecht zur Rechenschaft ziehe.

So geschah es eines Tages. Mein armer Meister warf sich vor dem prächtig geschirrten Zelter des Kanzlers in den Staub und heischte, seinen grauen Bart raufend, mit erstickter Stimme und mit tränenbedeckten Wangen Gerechtigkeit gegen den Räuber seines Kindes, der mit trotziger Miene, aber unruhigen Augen in der dritten Reihe hinter seinem prunkenden Gebieter betritt.

Ich kann es nie vergessen und sehe es jetzt noch, wie dieser gelassen und unbewegt, ohne eine Miene zu verziehen, den Geängstigten kaum mit einem dunkeln Blicke aus seinen halbgeschlossenen Augen streifte, das Pferd langsam an ihm vorüberlenkend.

Als dann der verzweifelnde Sachse auf die Füße sprang, die geballten Fäuste gegen ihn schüttelte und ihm nachschrie: ›Schade, Pfaffe, daß du kein Kind hast, das dir ein Normanne verderben kann!‹ da berührte Thomas Becket, wie von einem lästigen Insekt umschwärmt, leise sein arabisches Roß, um es in etwas raschere Gangart zu setzen. Ich aber drängte den alten Mann in sein Haus zurück und entzog ihn den höhnenden Blicken und verächtlichen Scherzreden der den Kanzler geleitenden Reiterschar.

Nun folgten jammervolle Tage, an die ich noch heute nur mit Bitterkeit zurückdenke; damals glaubte ich sie kaum zu überstehn. Es wurde nichts besser, als eines Tages die arme Hilde unversehens, da es dunkelte, in der verlassenen Werkstatt saß, den Vater erwartend, von dem sie wußte, daß er bei einbrechender Nacht mit eigenen Händen Laden und Türe verriegelte.

Ich habe nie erfahren, ob der Normanne Malherbe seine Gefangene freiwillig zurückgab, weil er ihrer müde geworden, oder ob der Kanzler in seiner verborgenen Weise einen Druck auf ihn ausgeübt hatte.

Eines dagegen sah ich deutlich: der Meister trieb mich in treuer Absicht aus dem Hause. Er war gesonnen, sein zertretenes und scheu gewordenes Kind einem Angelsachsen aus seiner Verwandtschaft, der in der Werkstatt arbeitete und Trustan Grimm hieß, einem ungeschlachten Rotkopf, zum Weibe zu geben. Dabei wollte er mich nicht zusehen lassen. So lag er mir täglich an, eine bessere Stellung zu suchen, und da ich in jener Zeit, um Groll und Gram zu verwinden, eine Armbrust erfand, die weiter trug und sich leichter spannen ließ als alle damaligen – ein braves Werk, wenn ich es auch später abermals übertroffen habe –, so redete er mir zu, meine Erfindung König Heinrich, der ein Förderer und Pfleger der edeln Wurf- und Schießkunst war, persönlich zu überbringen und zu empfehlen. Ich sah, er meinte es gut mit mir, und ich befolgte seinen Rat.

IV.

Als ich auf Schloß Windsor zum ersten Male vor den König von Engelland trat, zitterte mir das Herz im Leibe, denn er war von gewaltigem Wuchs und herrischer Gebärde, und seine blauen unbeschatteten Augen brannten wie zwei Flammen. Er blickte mich zuerst ungnädig an, begriff aber sogleich, worum es sieh handelte, mehr aus der dargebotenen Armbrust als aus meinen stockenden Worten, nahm, spannte sie, legte den Pfeil, trat an das geöffnete Fenster und schoß nach einer Krähe, welche sich auf die, da es windstill war, bewegungslose Fahne des Schloßturms gesetzt hatte; und ein helles Lachen ging über sein Antlitz, wie sich die Fahne drehte und das Tier flatternd in die Dachrinne stürzte.

Noch einmal prüfte er mit dem Finger Senne und Drücker, dann warf er mir einen befriedigten Blick zu. ›Das ist mit Kunst gemacht, mein Junge‹, lobte er mein Werk. ›Da, trag es in meine Rüstkammer und melde dich beim Waffenmeister als meinen Dienstmann; denn du bleibst um mich, Deutscher, und magst mir die Armbrust auf die Birsch nachtragen.‹

Da war keine Widerrede, auch wenn mein eigenes Herz nicht danach gelüstet hätte, den Königsdienst zu versuchen als das Höchste im Weltspiel.

Während Herr Heinrich noch zu mir sprach, kam sein Dritter, der halbwüchsige Herr Richard, hereingesprungen mit dem Jubelrufe: ›Vater, die normännischen Hengste sind da! Prächtiges Blut!‹ und Herr Heinrich ließ sich von seinem Lieblinge fortziehen.

Jetzt erhob sich aus einer tiefen Nische, wo er, ohne von mir erblickt zu werden, vor einem mit Schriftstücken belegten Marmortisch gesessen hatte, ein vornehmer, bleicher Mann in köstlichen Gewanden und trat, diese schön und langsam bewegend, zu mir, als trüge er Verlangen, auch seinerseits über meine Erfindung sich unterrichten zu lassen. Es war der Kanzler. Ich wiederholte meine Lehre mit mehr Verwirrung – könnet Ihr es glauben? – als vor dem Könige; denn mir wurde bange, da er, aufmerksam lauschend, mich ganz ausreden ließ, und mir schien, als ertöne meine einsame Rede viel zu keck und laut in der hochgewölbten Halle.

›Eure Gnade‹, endigte ich, ›ist ein Gelehrter und hat wohl kein Gefallen an Kriegszeug?‹

Er senkte die dunkeln Augen und antwortete leutselig: ›Ich liebe das Denken und die Kunst und mag es leiden, wenn der Verstand über die Faust den Sieg davonträgt und der Schwächere den Stärkeren aus der Ferne trifft und überwindet.‹

Mit diesem schönen und einsichtigen Lobe der Armbrust, lieber Herr, köderte mich der Kanzler, ohne es zu wollen, und ich hätte ihm meine Lust an seiner Weisheit mit dankbaren Worten bezeigt, hätte ich meine Scheu vor seinem blassen und übermenschlich klugen Antlitz verwinden können.

In die Rüstkammer tretend, fand ich dort den Waffenmeister, einen eisgrauen Normannen, der mich wohl um Kopfeslänge überragte. Herr Rollo empfing mich hochfahrend und geringschätzig, beschäftigte sich dann aber eingehend mit meiner Erfindung; denn er war in Engelland der beste Kenner alles Rüstzeuges. Er brummte etwas Beifälliges zwischen den Zähnen und kam endlich dahin, meinen Gedanken zu billigen. Als er mich dann um meine Heimat befragte und erfuhr, ich stamme von unweit des schwäbischen Meeres her, schenkte er mir aus seinen harten Runzeln einen aufmerksamen Blick.

›Treue Leute, die Schwaben, und deren sind wir hier zu Hofe bedürftig‹, sagte er. ›Hältst du dich aufrichtig, Deutscher, so mangelt es hier nicht an Gnaden und Lohn. Du trittst in eines gewaltigen Herren Dienst.‹

Und er hob an, das Wesen der normännischen Könige mit großen Worten zu preisen und mir ihre Reiche und Herrschaften aufzuzählen. ›Diesseits und jenseits des Meeres sind sie mächtig‹, rühmte er, ›und was sie ergreifen, das lassen sie nimmermehr los.‹

Dabei zeigte er mir die Panzerhemden und Kronhelme des Eroberers und seines Sohnes, welche, an den Mauern der langgestreckten Halle, zuvörderst in einer endlosen Reihe von Rüstungen und Waffenstücken hingen.

›Eines nur‹, fuhr er kopfschüttelnd fort und wehrte mir, einen verrosteten Pfeil zu berühren, der unter der Rüstung des zweiten Königs auf den Steinfliesen lag, ›eines nur, das Letzte, mißrät ihnen. Die hohen Herren haben allesamt ein böses Sterben. Dieser Bolz – Gott und der Teufel wissen, wer ihn abschoß – hat Herrn Wilhelm dem Rothaarigen mitten im lustigen Jagen den Lebensfaden zerschnitten. Aber was tut's? Glänzende Sonnen gehen blutig unter.‹

 

So ritt ich denn von nun an in Jagd und Fehde hinter meinem Herrn und Könige her und fand ihn, wie er sich mir am ersten Tage gezeigt hatte: von wechselnden Launen wie April, barsch, ungeduldig, aufbrausend, schrecklich im Zorn, aber auch wieder von mitteilsamem Gemüte, zugänglich und leutselig, so daß man zur guten Stunde einen Scherz wagen durfte und es geschehen konnte, daß der erhabene Herr mit seinem Gesinde lachte, bis ihm die hellen Tränen über die Backen liefen.

Daß ich aber aus dem Stalle und der Gewehrkammer in das Vorzimmer gelangte und mich zuletzt auf die Schwelle der königlichen Schlafkammer wie ein Rüde betten durfte, das geschah nicht sprungweise, sondern allmählich von Schritt zu Schritte.

König Heinrich war ein gewaltiger Nimrod, der es liebte, in gestrecktem Jagen auf den Fährten eines Hirsches zu fliegen, sein Gefolge weit hinter sich lassend, und der dann, von wenig Bedürfnissen wie er war, bei einbrechender Nacht mit dem ersten besten Lager vorlieb nahm. Da war ich, auf meinem schnaubenden Tiere mich dicht hinter ihm haltend, oft der Einzige in der Nähe, ihn zu bedienen, und brachte ihn auch trunken zu Bette, wann er, nach dem Schweiße der Jagd, dem Becher zugesetzt hatte. So gewöhnte er sich an meinen Dienst und mich, und, wenn ich mich auch nicht mit bösen Listen einschmeichelte, war ich doch witzig genug geworden, um mir mein gutes Spiel nicht täppisch zu verderben.

Dreierlei aber kam mir dabei zugute: daß ich weder Normanne noch Sachse war, daß ich von niemandem als meinem Herrn Miet' und Gabe nahm – einzig den Kanzler, dem keiner etwas weigern durfte, zu Zeiten und unter Umständen ausgenommen – und daß ich, ohne gerade den dummen Hans zu spielen, mich etwas einfältiger stellte, als ich von Natur war, und etwas neuer, als mich die Erfahrung gelassen hatte. Dergestalt fand Herr Heinrich ein Wohlgefallen an meiner schwäbischen Treuherzigkeit.

Doch auch Herr Thomas half mir weiter in der Gunst des Königs dadurch, daß er seine Blicke gnädig auf mir ruhen ließ – denn der König sah mit den Augen seines Kanzlers –, und dadurch, daß er mir zuweilen ein scherzendes, sinnvolles Wort zuwarf, welches er in seiner Ehrerbietung an Herrn Heinrich nicht richten durfte und von welchem er doch wünschte, daß dieser es vernehmen möge.

Das Wohlwollen des Kanzlers aber fiel mir zu an einem Tage, da er und ich den Finger an den Mund legten.

Im ersten Jahre meines Königsdienstes nämlich begab es sich, daß Herr Heinrich an einem schwülen Sommernachmittage in seinem Gemache sich zum Schlummer gelegt hatte, als der Kanzler in dringenden Geschäften ihn aufsuchte. Ich trat Herrn Thomas entgegen und flüsterte, den Finger auf die Lippen legend: ›Herrlichkeit, der König schläft...‹ Nun müsset Ihr wissen, ehrwürdiger Herr, daß die Heiden in Granada, Vornehm und Gering, die fromme Gewöhnung haben, jedesmal, wann von Schlummer und Schlaf geredet wird, hinzuzufügen: ›Gelobt sei, der nicht schläft noch schlummert!‹ So tun sie von Kindesbeinen an, ohne sich mehr dabei zu denken, als wir Schwaben bei unserem ›Grüß Gott‹. Da ich unter den Heiden lebte, hatte ich mir diesen Spruch gleicherweise angewöhnt, um mir auf eine unschuldige Art etwas Landesfarbe zu geben. War ich nun selber schlummertrunken, oder erinnerte mich der im verhängten Zimmer noch blasser als sonst erscheinende Kanzler an einen Mauren, oder tat ich es aus bloßer Gewohnheit, deren Macht stark ist – kurz, ich sagte: ›Herrlichkeit, der König schläft – gelobt sei, der nicht schläft noch schlummert!‹

Da lächelte der Kanzler wider seinen Willen, bis zuletzt die ganze Reihe seiner Perlenzähne schimmerte, und fragte mich dann in ernsthaftem Tone: ›Wie kommt ein Deutscher zu diesem Gruße?‹

Ich erzählte ihm, das Erwachen des Königs erwartend, daß ich drei Jahre in Granada die Bognerkunst erlernt hätte, und erzählte ihm auch die Geschichte des Prinzen Mondschein. Das war freilich ein gewagter Mutwille und hätte mir zum Schlimmen gereichen können. Aber die Versuchung zu ergründen, ob Prinz Mondschein und der Kanzler ein und dieselbe Person seien, und zu erproben, ob der ewig Ruhige nicht wenigstens diesmal sich überraschen lasse, war für mich zu stark. Herr Thomas aber verzog keine Miene. Er hielt eine Weile, wie er zu tun pflegte, die Augen sinnend gesenkt, dann erhob er sie auf mich und legte langsam den weißen Finger auf den Mund. Ich dagegen bog das Knie vor ihm und meldete ihn dann dem Könige, der in seiner Kammer eben ein Geräusch gemacht hatte.

Da mich nun die beiden Herren leiden mochten und mir gleicherweise trauten, werdet Ihr an das Wunder glauben, daß ich der seltnen Gunst genoß, hinter dem Stuhle meines Königs zu stehen, wenn er mit dem Kanzler in Staatsgeschäften zusammensaß. Herr Heinrich ließ sich dann von mir einen perlenden weißen Wein einschenken, der aus Frankreich kam, während er mit listigen Augen und innigem Vergnügen den scharfsinnigen Auseinanderlegungen und verwickelten Schachzügen seines Kanzlers folgte, und dieser sonnte sich, wie eine schlanke weiße Schlange, in den Strahlen der fürstlichen Gunst.

König Heinrich betrachtete den von ihm aus dem Nichts Gehobenen mit Wohlgefallen als sein Geschöpf; aber das Geschöpf, ehrwürdiger Herr, war dem Schöpfer unentbehrlich geworden und unterjochte ihn mit seinem sanften Eigensinne.

Oft habe ich dabeigestanden, wann der Kanzler den König, dessen zur Jagd gesattelte Pferde schon im Schloßhofe wieherten und stampften, noch beim Überschreiten der Schwelle aufhielt, seine Rollen vor ihm entfaltete und den Unbändigen durch den Zwang seiner milden Worte nötigte, ihm Gehör zu schenken, und ich mußte mich wundern, wie er, den Stift in der einen und das Pergament in der andern Hand, Herrn Heinrichs hingeworfenen Bescheid wiederholte und entwickelte, denselben in eine schöne, geschmeidige Rede verwandelnd, daß es nur so strömte, wie flüssiges Gold.«

»Auch deine Rede strömt, daß ich mich wundern muß«, stichelte der greise Chorherr.

»Gebt Raum meiner Rede«, rief Hans, »und laßt mich Euch den wundersamsten Mann beschreiben, welchen die Erde getragen hat, das Vorbild und die Mode des Jahrhunderts. Der vornehmste Adel von Engelland gab ihm seine Söhne als Edelknaben in die Lehre, und welcher Jungherr den Ritterschlag nicht von der Hand des emporgekommenen Sachsen empfangen hatte, galt nicht für voll unter dieser hochmütigen und wegwerfenden Jugend.

Es hat mich oft ergötzt, wann die schmucken Knaben, welche ihre blühenden Lippen nie mit einem englischen Worte verunreinigt hätten, an den farblosen des Thomas Becket hingen, dem freilich die französische Herrensprache zierlicher vom Munde klang als nicht einem unter ihnen; wie sie sich jede seiner Redensarten und Wendungen sorgfältig merkten, die Feinheit seiner Scherze bewunderten, den Schnitt seiner Kleidung nachzeichneten und seine ruhige Gebärde nachahmten, als das Höchste höfischer Vollendung.

Eines aber, mein ich, mangelte dem Kanzler. das Ungestüm und die Schärfe eines männlichen Blutes.

Nicht, daß er feige gewesen wäre! Eine Memme hätte sich keinen Tag am Hofe König Heinrichs gehalten; denn die Normannen sind kitzlig im Ehrenpunkt wie kein anderer Adel. Gleich fährt das Schwert aus der Scheide, und verloren ist unter ihnen, wer den Stich eines Blickes oder einer Klinge nicht parieren und zurückgeben kann.

Ob zwar ein halber Kleriker, war Herr Thomas in jeder ritterlichen Übung und Waffe wohlerfahren, wobei ihm sein biegsamer Wuchs zustatten kam, und zog wohl auch, wenn es die Staatsgeschäfte erlaubten, mit dem König zu Felde. Ich bin einmal hinter seinen Fersen eine Sturmleiter hinaufgeklettert und habe ihn innerhalb der erstiegenen Ringmauer jener französischen Burg mit einem wütigem Pikarden handgemein werden sehen, totenblaß in der Tat und die Zähne aufeinanderbeißend. Aber er täuschte die feindliche Waffe und jagte dem Recken richtig zielend das Schwert durch das Herz, freilich um es dann, als sein Gegner in der Lache seines Blutes lag, mit Ekel und Abscheu zu betrachten und wegzuwerfen. ›Bogner, gib mir ein reines!‹ gebot er mir. Und doch war dieses Schwert ein Meisterstück fremder Schmiedekunst, das Euch die Maschen jedes Panzers durchschnitt wie Tuch. Ich habe es aufgehoben und lange Jahre zu meiner eigenen Sicherheit gebraucht.

Herr Thomas konnte kein Blut vergießen.

In den Bezirken seiner weiten Besitztümer spielte und weidete das Wild in den Waldlichtungen wie im Paradiese, und wann er seine Forste besuchte, näherten sich die Rehe und freuten sich, ihm aus der Hand zu fressen.

Auch das Todesurteil eines Menschen vermochte er ohne Erblassen nicht zu unterschreiben, und eine Hinrichtung, wie solche in einem ordentlichen Staatswesen häufig sind, mit anzusehen, überstieg seine Kraft, während mein Herr und König sich gerne herabließ, ihnen, als die verkörperte Gerechtigkeit, vorzustehen. Oft gab es Herrn Heinrich zu lachen, wann er mit seinem Kanzler an einem Rabensteine vorüber ritt und Herr Thomas mit Unlust das Haupt abwendete, nicht wegen der Geister, die dort heimisch sind (denn der Kanzler war ein ungläubiger Mann), sondern aus Grauen, wie er einmal fallen ließ, vor der gequälten Menschheit, deren zerrissene Glieder dort auf dem Rade zuckten.

Sogar das Urteil einer landkundigen und ihrer teuflischen Frevel geständigen Zauberfrau und Hexe zu unterschreiben, weigerte sich der Kanzler und setzte sich dadurch, der sonst so kluge Mann, einer heidnischen Laune wegen, in Widerspruch mit ganz Engelland: König, Adel, Volk und Pfaffheit.

Das war die schwarze Mary, die in einem Dorfe unfern von London ihr Wesen trieb, Gewitter braute, Seuchen ausgehen ließ, Vieh und Kindlein würgte, bis sie zuletzt von einem geistlichen Gerichte gefoltert und, nachdem sie willig bekannt, um ihre reuige Seele aus dem ewigen Brande zu retten, zum zeitlichen Feuer begnadigt wurde.

Da geschah es, daß der verzärtelte Kanzler die Unholdin in ihrem ekeln Kerker aufsuchte und sich ihre verlassene Jugend und ihren spätern Umgang mit dem Teufel erzählen ließ. Könnet Ihr es mir nun glauben, daß Herr Thomas der schwarzen Mary, die unter heißen Tränen nach der reinigenden Flamme schrie, den Satan auszureden suchte und ihr vorhielt, sie betrüge andere und sich selbst? Und je handgreiflicher sie ihm alles schilderte, um so ungläubiger wurde der Heide. Herr Thomas riß den Prozeß vor den König; dieser aber wollte nichts von Gnade hören, sondern sagte majestätisch: ›Kanzler, ich bin das christliche Gewissen von Engelland, ich kann nicht!‹ Da sprach der Kanzler gelassen: ›Was vermag ich gegen die hohe Weisheit des Jahrhunderts, welche, o Herr, die deinige ist!‹ und unterschrieb das Todesurteil.

Später, als er den Saal verließ, wendete er sich zu mir, der neben der Schwelle stand, und sagte: ›Die Mary ist eine Hexe wie ich ein Heiliger! Alter Hans, es gibt Augenblicke, da mir gleichermaßen graut vor dem, was die Menschen sind, und vor dem, was sie sich zu sein einbilden!‹

Diese Rede habe ich nie verstanden; aber ich muß vermuten, daß Herr Thomas in hochmütiger Philosophie nicht an die Künste Satans glaubte.

Als hernach die schwarze Mary hinausgeführt und gerichtet werden sollte, fanden sie ihren Kerker leer, und da Herr Heinrich mit drohendem Finger den Kanzler darüber zur Rede stellte, meinte dieser, das sei ein Blendwerk, so gut wie alles Frühere – und damit war die Sache abgetan.

Später lief die Rede, die schwarze Mary sei nicht mit solchem Gestank abgefahren, sondern führe auf einer entlegenen Meierei des Kanzlers ein stilles und eingezogenes Leben. Wenn sie aufrichtig in sich gegangen ist, sei es ihr wohl gegönnt! Ich will Euch nur gestehen, daß auch mich ein Mitleid mit der Sünderin überfallen hatte, als ich sie auf ihrem modrigen Strohhaufen sitzen und unter den verwirrten Strähnen ihrer Haare hervor mit schwarzen, irren Augen zu dem Kanzler aufblicken sah, als ich sie über ihre unbeschirmte Jugend klagen hörte und über die Unbill, die man ihr angetan, als sie noch unschuldig war. Wußte doch auch ich ein Lied davon zu singen!

Ihr sehet nun, Herr, denn ich habe es in meiner Ehrlichkeit an den Tag gelegt, daß der Kanzler, als er die Hexe besuchte, mich als einen verläßlichen Mann hatte mitreiten lassen.«

Der Chorherr blickte den Armbruster prüfend an. »Du bist es, Hans«, rief er, »der das arge Weib geflüchtet hat!«

»Meint Ihr wirklich, Herr?« versetzte Hans, und es war, als ob er unter seinem Barte den Mund verzöge. Dann lenkte er seitwärts:

»Eine schlimmere Hexe, die zu jener Zeit in Engelland lebte, konnte auch nicht verbrannt werden, und aus triftigen Gründen. Mein Herr und König war mit ihr verheiratet.

Warum Herr Heinrich mit Frau Ellenor in die Ehe getreten war, dem geschiedenen Weibe des Königs von Frankreich, das offenbart sich jedem, der die Weltkarte betrachtet und darauf die Länder zählt, die sie ihm zubrachte; das ist Gascogne, Saintonge und Poitou mit unzähligen Burgen und Städten. Sie soll in ihrer Jugend lieblich und bescheiden gewesen sein. Ich will ihr diese Märzblume nicht aus der Krone nehmen. Zur Zeit, da ich das Knie vor ihr bog, hatte sie einen schwarzen Helm von üppigen Haaren, unstete, beschäftigte Augen und stets gejagte Füße. Auch hielt sie Herr Heinrich beiseits, bald in einer Abtei, denn sie war zeitweise andächtig, bald in einer abgelegenen Burg mit wenig Gesinde, das zuweilen ein ehrgeiziger nachgeborener Sohn oder ein eitler Fahrender, der mit einer Vornehmen zu tun haben wollte, vergrößerte.

Der Kanzler begegnete ihr, wo er ihr nicht ausweichen konnte, mit tiefer Ehrerbietung, während ich glaube, daß sie ihm zuwider war; denn er liebte an Frauen das Zarte und Anständige. So vergnügte er sein Auge – wenngleich der große falsche Prophet den Seinigen diese bildlichen Ergötzungen untersagt hat – oft an den weißen und ruhigen Gliedmaßen der keuschen Marmorweiber, die er in seinen Palästen aufgestellt hatte. Ihr habet wohl noch keine gesehen. Sie werden aus dem Schutte zerstörter Griechentempel hervorgezogen, und der Herr von Byzanz hatte dem Kanzler für eine politische Gefälligkeit deren einige zugeschickt. Es sind tote Steine ohne Blick und Kraft der Augen, aber betrachtet man sie länger, so fangen sie an zu leben, und nicht selten bin auch ich vor diesen kalten Geschöpfen stehengeblieben, um zu ergründen, ob sie heitern oder traurigen Gemütes sind.

An Frau Ellenor dagegen, die nicht von Marmor war, hatte der Kanzler kein Wohlgefallen, und ihrerseits haßte sie ihn von Herzen. Möglich, daß er ihr einmal, wie der unschuldige Joseph der Ägypterin, seinen Purpurmantel in den Händen zurückließ; denn sie hatte, obschon sie eine Rechtgläubige war – in diesem Punkte hab ich ihr nie etwas nachreden hören –, eine Anmutung zu den Heiden; wie sie es denn auch vor Zeiten mit einem sarazenischen Flaumbarte gehalten hatte, da sie ihren gottesfürchtigen ersten Gemahl auf seiner Kreuzfahrt nach dem Gelobten Lande begleitete.

Es kann Euch das nicht unbekannt sein, denn es ist über den Erdkreis erschollen.

Oder sie haßte ihn auch nur, weil er sie auf allen ihren Wegen im Auge behielt, als eine Gefahr und drohende Verwirrung des Königreiches. Bedenket wohl, lieber Herr, daß ihre drei Länder den Herren Heinrich, Gottfried, Richard und Hans, des Königs vier Söhnen, als Muttererbe zugehörten. So bemühte sich die Weisheit des Kanzlers, Frau Ellenor in erträglicher Gangart und mäßiger Zügelung zu halten, nicht zu locker, damit sie nicht durch die Launen ihres heißen Blutes Schande über den König und Engelland bringe, nicht zu hart, damit sie sich nicht bäume in jähem Unmut und sich losreiße mit ihren Ländern und Söhnen.

Diese Söhne aber ließ Herr Thomas nicht von seiner Seite und war ihnen ein zärtlicher Vater und stündlicher Lehrer. Wenn die Natur der Zucht nicht öfter spottete als ihr gehorchte, die vier Kinder von Engelland hätten nicht ihresgleichen gefunden, eine so große Liebe und herrliche Weisheit hat der Kanzler an sie gewendet. Aber Junker Heinrich schätzte an ihm nur den Wurf seines Kleides und die edle Beredsamkeit seiner Gebärde; denn er war ein Geck und ein Schauspieler. Junker Gottfried dagegen vergaß über Nacht, was er gestern geliebt oder geschworen hatte, und konnte, von unsteter Art, keine Ergötzung und keinen Ernst zu Ende führen.

Den Dritten des Königs, Richard, das Löwenherz, hatte Herr Thomas besonders lieb, und auch mir war er ins Herz gewachsen. Das Spiel seiner Natur war ehrlich wie ein Stoß ins Hifthorn und überquoll wie der Schaum am Gebiß eines jungen Renners. Da blieb kein Widerstand, man mußte ihm gut sein – aber Klugheit war nicht in ihm, nicht eines Pfennigs wert; wie er denn auch zu dieser laufenden Stunde für eine Tat seines jähen Blutes unten in Österreich eingetürmt liegt.

Junker Hans, der Vierte – Gott behüte meine Zunge, gegen ihn zu reden, denn er steht jetzt zunächst dem Throne! –, aber einen nichtsnutzigern, bösern Buben trug die Erde nicht; und diese meine Hand hat mir oft gegen ihn gezuckt, wenn er an mir oder einem andern Gottesgeschöpf seine Tücke ausließ – wenn er mir eine kunstreiche Armbrust mutwillig schändete oder stumme Tiere marterte.

Wie er lachte! Ich habe Tag meines Lebens, auch in Schenken und auf Märkten, nicht gemeiner lachen hören.

Wißt, der Kanzler sah zuweilen nach, wann ich die viere schießen lehrte, und erzählte ihnen dann wohl während einer Rast, zu Lust und Warnung, Tierfabeln, die mich, als einen Weidmann, besonders ergötzten. Da redeten und handelten Geflügelte und Vierfüßige, je nach ihrer Natur, oder wenigstens nach der Art, die ihnen von den Menschen beigelegt wird. Auch dieses kluge Spiel haben die Araber erfunden, um ungestraft die Fehler ihrer Machthaber unter der Tiermaske zu tadeln und zu verspotten.

Kam nun eines dieser Fabelgeschöpfe zu Schande und Schaden im Munde des Kanzlers, plumpte Braun der Bär in die Grube, hing Isegrim in der Falle und dergleichen, so schlug der kleine Hans unversehens eine gellende teuflische Lache auf, daß ich, obwohl mit seinem Wesen vertraut, zusammenschrak und der Kanzler, der doch ein Freund der Klugheit war, das Kind mit traurigen Augen betrachtete. Aber er gab seinen Ekel dem innerlich Mißschaffenen nicht zu fühlen, sondern ließ sich mehr zu ihm herunter und bedachte ihn mehr als die andern. Ich habe ihn auch wohl seufzen hören, was sonst nicht seine Art war, wann ich ihm eine frische Missetat Herrn Hansens zu berichten hatte.

In Wahrheit, der Reichskanzler liebte die Königskinder wie seine eigenen, und übel ward ihm vergolten.

Jetzt komme ich zu reden auf ein Geheimnis der Ungerechtigkeit, das zwar in keiner Chronik wird verzeichnet stehen, aber doch die Grabschaufel ist, die Herrn Thomas und Herrn Heinrich, einem nach dem andern, seine Grube gemacht hat.«

 

Hans der Armbruster faltete mechanisch die starken alten Hände, als hätten auch sie mit dieser Schaufel gegraben.

V.

»Jetzt, da Ihr einen Einblick habt in Herrn Heinrichs Haushalt«, fuhr Hans der Armbruster fort, »erkennt Ihr von weitem, daß er bei Frau Ellenor keine Ruhe und kein Vergnügen fand und daß er auf seinen Kriegs- und Königsfahrten häufige Umschau hielt unter den Töchtern seiner Länder diesseits und jenseits des Meeres.

Ich will es Euch nicht verhalten, daß ich ihn auf manchem Ritte begleitet habe, den ich als ein anfänglich unter geistlicher Zucht Gewachsener lieber unterlassen hätte und welcher mir zeitweilig die Beichte erschwerte. Aber wollet bedenken, daß der König wenig sichere Leute um sich hatte und ich durch meine Treue auf geraden und krummen Straßen Hauszwist, ja Meucheltat und Giftmord verhütete.

Denn Frau Ellenor war ein eifersüchtiger Teufel, ob sie auch selber ihrem Eheherrn keine Treue hielt. Sie bestach von Herrn Heinrichs Leibknechten, was sich bestechen ließ, dermaßen, daß ihr seine Absprünge alle bekannt wurden und sie ihre Nebenbuhlen in feindseliger mörderischer Weise verfolgen konnte. Mehr als eine fand der König tot, oder sie verwelkte plötzlich in seinen Armen.

So war es ihm billig zu gönnen, daß er an mir einen verläßlichen Knecht gefunden hatte.

 

Eines Tages begab es sich, daß der König mit wenig Gefolge eine Birsch anstellte in einem entlegenen Forste, wo er, meines Wissens, sonst nicht zu jagen pflegte. Gegen Abend überfiel uns ein flammendes Wetter und trieb die Herren auseinander. Ich aber hielt mich bei dem König und fand für ihn Schutz unter einem ausgehöhlten Felsen, wo er den Wolkenbruch vorübergehen ließ. Als die Donner verrollt hatten und der Regen kaum noch durch das Laub der Eichen schlug, suchte ich den Weg, den wir hergekommen waren, fand ihn aber versperrt durch ein Wirrsal abgerissener Äste und bloßgewaschener Wurzeln, worüber die gelben Wasser eines ausgetretenen Baches sich wälzten. Ich ließ mein Hifthorn schmettern, doch von keiner Seite kam Antwort. Da befahl mir der König, nach derjenigen vorzuschreiten, wo der Wald sich lichte. Ich tat es und bahnte für ihn Pfad mit dem Jagdschwert. Bald sah ich die Glut der sinkenden Sonne purpurn vor mir auf den Stämmen blinken. Ich wandte mich um nach dem Könige, er aber drang ungeduldig an mir vorüber der rötlichen Helle entgegen, so heftig, daß ich Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben.

Da sah ich ihn plötzlich verwundert den Schritt hemmen. Am Waldsaume stand er unter den tröpfelnden Zweigen und lugte, die Augen mit der erhobenen Rechten beschattend, unverwandt in die untergehende Sonne hinaus. Ich hob mich auf den Zehen und reckte das Haupt über seine Schulter empor, und was ich erblickte, erschien mir als eine Verblendung und Zauberei, die in den nächsten Augenblicken zerfließen müsse.

Auf einer goldgrünen Waldwiese stand ein Schlößchen, wie ich seinesgleichen wohl im Königreiche Granada gesehen hatte. Es war von hohen glatten Mauern aus gelbem Steine umgeben, über welchen eine kleine blauschimmernde Kuppel emporstieg und schlanke dunkle Baumspitzen ragten, die ich Zypressen genannt hätte, wären wir unter einem südlicheren Himmel gewesen.

Das zierliche, feste Bauwerk war frisch und neu und glänzte im letzten Lichte wie ein Juwel.

Der König verlor kein Wort, sondern ging mit raschen Schritten auf die schmale Pforte zu und klopfte mit dem Griffe seines Schwertes an. Nichts regte sich drinnen. Nun begann auch ich gegen das Holz des tief in einer Mauerwölbung verborgenen Tores zu hämmern. Da glaubte ich in der schmalen Spalte eines Seitenfensterchens ein altes Gesicht erscheinen und verschwinden zu sehen, und bald darauf wurden die Riegel geräuschlos zurückgezogen.

Ein grauer Sachse öffnete und bog stumm und zitternd das Knie vor dem König. ›Du, Äscher?« sprach ihn Herr Heinrich an und fuhr ungeduldig lachend fort: ›Du wirst deinen König doch nicht draußen stehen lassen? Ich bin naß und hungrig! Wem gehört denn dieser schmucke Schrein? Dem Kanzler? Oder stehst du nicht mehr in seinen Diensten? – Bei Sankt Jörg, ich muß glauben, der strenge Herr habe sich mit einer Waldfei eingelassen! Welche Melusine hat ihm zu Lust und Ruhe dies da hingezaubert? Flugs melde mich ihrer elfischen Lieblichkeit!‹

Nun erkannte auch ich den Alten und erinnerte mich, daß ich ihn einst in London mitten im Trosse des Kanzlers an unsrer Bognerwerkstatt vorübertraben sah. Dort war er mir aufgefallen durch sein schwermütiges Aussehen und seine schwarzen zusammengewachsenen Brauen unter weißem Haupthaar. Am Hofe hatte ich ihn hinter Herrn Thomas nicht wieder wahrgenommen.

Der Sachse blickte den König mit flehenden Augen an und stammelte, das könne ihm das Leben kosten.

›Bei meinem Königswort, das soll es nicht. Mich kann das Gebot, das du erhalten, nicht angehen!‹ drängte Herr Heinrich und setzte seinen Fuß über die Schwelle, während er mir einen Wink gab, draußen zu verharren.

Äscher in seiner übergroßen Bestürzung wußte nicht, wohin zuerst sich wenden, bis ihn mein Herr mit majestätischen Worten zurechtwies:

›Schließe dies Tor und melde deiner Herrin den Besuch und die Gnade ihres Königs!‹

Ich setzte mich wartend nieder und lehnte den Rücken gegen die Mauer. Mir war behaglich zumut in der Abendkühle und die Rast nicht unlieb. Das Abenteuer schien mir ergötzlich. Ich lachte unter meinem Bart über Herrn Heinrichs letzte erhabene Rede und lobte es in meinem Geiste, daß der Herr diesmal, in Anbetracht seines Hungers und seiner reifen Jahre, nicht als singender Troubadour vor der Pforte geblieben, sondern der Dame des Schlößchens, kurz und gut, seine Würde und königliche Herrlichkeit offenbaren ließ.

Ich elender Tor!

 

Als sich nach geraumer Zeit die Pforte wieder öffnete und Herr Heinrich aus dem Bürglein trat, war es, obwohl das Jahr in der Sommermitte stand, tiefe Nacht geworden. Der Sachse schritt uns mit der Fackel den schmalen Pfad voran, auf welchem wir bald einen einsamen Meierhof erreichten, wo man uns Pferde und einen Führer gab.

Als wir im Frührot in das Tor der Burg einritten, aus welcher gestern der König zur Jagd gezogen war, und ich ihm den Bügel hielt, gab er mir aus leuchtenden Augen einen Blick, und während seine Linke mir den Mund zuschloß, warf mir seine Rechte eine mit Edelsteinen besetzte Spange zu, die er sich vom Hute gerissen.

Das Gold, das er im Beutel trug, hatte er alles dem alten Äscher in die Hände geschüttet.

Das war der Anfang. Aber von der Sonnenwende jenes Jahres bis zu seinen fallenden Blättern habe ich den König oft durch jenen friedlichen Forst begleitet und den Ritt häufiger noch allein gemacht, um seinen Besuch anzusagen oder die Zeichen seiner brünstigen Liebe, seltene Perlen des Meeres und was der Erdenschoß Kostbares gibt, seiner verborgenen Buhle zu überbringen. Ohne daß ich diese je erblickt oder den Burghof betreten hätte! Nur an der Pforte verkehrte ich mit dem alten Äscher, der freilich jedesmal, wann er meiner ansichtig wurde, erbärmlich seufzte, aber weder den Gehorsam weigerte, noch je zurückwies, was aus der königlichen Hand auf seine Seite fiel.

Ich hatte strenges Verbot, auf diesen Pfaden mich bei Tageslichte blicken zu lassen; auch gehörten sie zu den einsamsten, die ich je geritten bin. Keiner lebendigen Seele bin ich darauf begegnet, als etwa im Morgengrauen einem ätzenden Wilde und zweimal, da ich mich verspätet hatte, einsamen Waldfahrern.

Der Mond hatte gewechselt seit Beginn dieses Abenteuers, als eines Tages mein brauner Hans sich einen Hinterfuß verstauchte. Ich liebte das Tier wie einen Bruder und blieb bei ihm in der Meierei zurück, bis ich um dasselbe außer Sorge sein konnte. Dann schlug ich den Rückweg zu Fuß ein. Rasch eilte ich von hinnen. Es war klarer Tag, als ich eine weite grüne, von spottenden Echostellen umgebene Lichtung durchschritt, an deren Ende ein dort beginnender Felsweg vom Hufschlag eines Pferdes erklang. Ich schlug mich schnell ins Gebüsch und legte mich auf den Bauch, die Augen spähend auf den langen Wiesenpfad gerichtet. Und ich erblickte dort den arabischen Schimmel des Kanzlers, von seinem Herrn langsam und lässig gelenkt. Das schöne Tier schnoberte wollüstig und sog mit geöffneten Nüstern die Morgenluft und den Waldgeruch ein.

Herr, ich war nicht überrascht, den Kanzler auf diesen grünen Wegen zu finden. Ich war darauf gefaßt, seiner früher oder später ansichtig zu werden, wie er diese Straße fahre; denn die Zierfeste wurde von seinem Knechte gehütet, und ihre maurische Bauart, die ausländischen Bäume des Burggartens, das jagdfreie Wild ringsherum hatten mich längst über den Erbauer ins Gewisse gebracht. Daraus hatte auch der König am ersten Tage erraten, wer hier etwas Liebes versteckt halte.

Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Es ergötzte mich, diesen Vater der Weisheit und tiefen Gelehrten auf etwas Menschlichem zu betreffen, und daß ihm Herr Heinrich, der einzige, der es ungestraft durfte, ins Gehege gekommen, das ließ mich in Sicherheit lachen. Auch ist es seit grauen Zeiten angenommen, daß in Buhlschaft und Liebeswette Kleriker und Gelehrte ausgestochen werden von Fürsten und Kriegsleuten.

Sicherlich jedoch ließ ich von meiner Wissenschaft gegen Herrn Heinrich nichts merken, weder mit einer schlauen Anspielung noch mit einem lustigen Gesichte; denn es gibt Grenzen, Herr, im gefährlichen Umgange eines Knechtes mit einem König, selbst dem leutseligsten. In der Stille meiner Gedanken ergötzte mich ein Tun, das ich für einen fürstlichen Mutwillen hielt; aber ich verwickelte mich in einen Greuel und in eine Torheit, die Herrn Heinrich die Krone, das Leben und – wehe – seiner Seele Seligkeit gekostet hat.

Versteht, Herr, ich meinte, der Kanzler hätte sich eine reife, süße Traube aus irgendeinem besonderen aquitanischen Weinberge in den englischen Nebel herübergeholt, und wenn er nun an ihr die gefaulten Beeren entdecke, schiebe er sie gleichgültig und höchstens, als ein Zärtling, mit etwas Ekel auf die Seite. Schon sah ich ihn, wie er, seinen König und Schöpfer als Nebenbuhler findend, mit einer höfischen, leise verächtlichen Miene aus den Schranken trat.

Dergestalt gewahrte ich in diesem Verrate wenig Übel und keine Gefahr.

Mit schadenfroher Neugier blickte ich aus meinem Versteck zu dem langsamen Reiter hinüber, der seit wenigen Tagen aus Canterbury zurückgekommen war, wo ihm die Pfaffen des Königs zu tun gegeben hatten, und der jetzt seine Nächte in Windsor über den während seiner Abwesenheit liegengebliebenen Geschäften zubrachte. Bei dem gleichmäßig milden Scheine einer griechischen Ampel schrieb er unermüdet, so daß der König, wann er aus unruhigem Schlafe auffuhr, über den Hof hinweg den für ihn und das Reich Sorgenden erblicken konnte.

Aber ist er's? Ist dies der verschlossene Kanzler mit den kalt prüfenden Blicken und den Staatssorgen, fragte ich mich verwundert, oder ein andächtiger Ritter und Pilger nach dem heiligen Grale? – Ihr kennet die Mär von dem Kelch mit dem kostbaren Blute, der, unter süßem Getön vom Himmel sinkend, auf Montsalvatsch sich niedergelassen hat? – In den blassen, träumenden Zügen lag eine selige Güte, und das Antlitz schimmerte wie Mond und Sterne. Sein langes Gewand von violetter Seide floß in priesterlichen Falten über den Bug des silberfarbenen Zelters, der, sonst nach dem feurigen Schalle der Zinken und Pauken zu tanzen gewöhnt, heute langsam den weichen Pfad beschritt und den zierlichen Fuß hob wie nach dem Tone der Flöten, welche die verborgenen Waldgötter spielen.

Ich entsetzte mich ob der Frömmigkeit, mit welcher der Scheinheilige auf sündige Buhlschaft ritt – ganz anders als mein fürstlich frecher und minnedurstiger Herr –, und doch übermannte mich ein Mitleid mit dieser getäuschten Andacht und dann eine plötzliche Furcht, der Blasse dort, dessen Wesen mir von jeher eine mir ungewohnte Scheu angehaucht hatte, möchte den Raub seines Heiligtums an uns, meinem König und mir, insgeheim, aber unerhört und grausam rächen.

In diesem Augenblicke zeigte sich die senkrechte, tiefe Staatsfalte wieder zwischen den feinen Brauen des Kanzlers. Herr Thomas trieb sein Pferd an, nicht von Ungeduld befallen, sondern von einer aufsteigenden Sorge, wie mir schien.

 

Wieder stand die Sichel eines neuen Mondes am Himmel, als ich zum andern Male auf diesen Wegen vom Tag ereilt wurde. Der König hatte gegen Mitternacht von seiner Buhle Abschied genommen, denn es stand seine Reise nach der Normandie bevor, mich dann aber, an der Grenze des Forstes angelangt, wieder zurückjagen lassen mit der Botschaft, er begehre sie noch einmal zu umfangen und werde morgen wiederkommen.

Nach ausgerichtetem Auftrage ritt ich müde und schläfrig durch den schon herbstfeuchten Wald zurück. Während mein schreitender Gaul die gelben Blätter von den Zweigen strich, hatte ich trübselige Gedanken über die Vergänglichkeit des irdischen Wesens, wie sie mir gewöhnlich sind, wann ich die bleichen Lichter der Zeitlosen auf den Wiesen erblicke.

Ein helles Gewieher in nächster Nähe erweckte mich aus meiner Schwärmerei. Nach einer Wendung des Pfades erblickte ich einen gesattelten Gaul, der an das Gehege des Meierhofes gebunden stand. Ich gleite vom Pferde, führe es ins Dickicht und spähe, geräuschlos zurückgeschlichen, über den hohen Zaun des Gehöftes. Drinnen verkehrte mit dem ihn mißtrauisch betrachtenden Meier ein hagerer geharnischter Gesell, der mir erst den Rücken zuwandte, dann aber mitten im Gespräche rasch den Kopf drehend, gerade in der Richtung des Schlößchens, den scharfen Haken seines Raubvogelgesichtes zeigte. Ich erkannte den Geier, suchte meinen Gaul und setzte ihn in Galopp. Niemand anders umkreiste das Lustrevier meines Königs als der Normanne Malherbe, mir verhaßter seit Hildes Entführung als jener Kriegsknecht auf dem Passionsbilde zu Allerheiligen, welcher unserm Herrn und Heiland ins Gesicht speit und gegen den ich schon auf Kindesbeinen einen besonderen Grimm verspürte. Der Kanzler hatte den Verworfenen aus seinem Gefolge entfernt, und es verlautete, er habe bei Frau Ellenor Dienst und Gunst gefunden. Ich sah, was da bevorstand. Erfuhr Frau Ellenor das Versteck der Waldelfe, so wettete ich keinen Pfennig auf ihr zartes Leben.

Als ich dem Könige von dieser schlimmen Begegnung Bericht gab, schoß ihm das Blut dunkelrot zu Kopfe vor Zorn und Liebe.

›Wir müssen mit der kleinen Dame über Meer‹, sagte er und runzelte die Brauen. ›Und zur Stunde! Bevor der Habicht die Taube zerfleischt!‹

Er befahl mir, auf den Abend drei gesattelte Rosse und für ihn eine unscheinbare Tracht bereit zu halten.

 

Es war schon dunkel, als der erst spät vom Kanzler freigelassene Herr Mantel und Kappe ergriff und sich zu Pferde warf.

Nach einer Stunde scharfen Rittes, schon fast auf der Hälfte des Weges, winkte er mich an seine Seite und sagte mir, ich kehre in der Frühe nicht mit ihm zurück, sondern habe morgen in dem Schlößchen zu bleiben und die Herrin mit einer Zofe nach eingebrochener Nacht auf seine nächste Burg zu bringen, von wo er sie werde über Meer geleiten lassen.

Rasch waren wir am Ziel. Der Herr fand für sein Haupt einen weichen Pfühl und ich am Fuße der Mauer einen harten, den Sattel meines Pferdes, dem ich mit den zwei andern eine nächtliche freie Weide gönnte.

Als sich die nebelfeuchten Wipfel des Waldes vergoldeten und ich eben die drei Tiere wieder eingefangen hatte, trat der König aus der Pforte, und an seinem Arme hing ein liebliches Geschöpf, nicht über fünfzehn Jahre alt. Das schönste Mädchenhaupt, das ich je erblickt habe, lehnte an der Schulter des Königs und heftete auf seine lusttrunkenen Augen zwei flehende und furchtsame. Rabenschwarze Haare, von einem goldenen Stirnreif zusammengehalten, flossen aufgelöst über die zarten Schultern und Hüften nieder bis fast zur Erde. Sie war in Tränen, und Herr Heinrich sprach ihr Mut ein.

›Ich lasse dir diesen hier. Er ist mein treuer Knecht und wird dich hüten wie seinen Augapfel. Laß dich heut' abend ohne Furcht zu Rosse heben. Es muß sein, ich will es, Grace! Ein kurzes, und wir sind unter einem warmen Himmel wieder vereinigt.‹

Er küßte sie, schwang sich zu Pferde und sprengte von dannen, während ihm das Kind mit beiden Armen Grüße nachsendete. Mir aber war alles Blut aus dem Herzen gewichen. Die Wahrheit durchfuhr mich wie ein scharfer Strahl. Vernehmt es: der König hatte den Kanzler nicht bei einer prächtigen und ehrgeizigen Schönheit ausgestochen, Leid und Sünde! er hatte sich an des Thomas Becket unschuldigem Kinde vergriffen. Wißt: Gnade, wie sie der König genannt hatte, war des Kanzlers leibhaftiges Ebenbild, soweit ein junges unwissendes Antlitz einem erkälteten und welterfahrenen gleichen kann. Der edle Zug seiner Brauen, seine dunkeln, schwermütigen Augen, das ernste Lächeln seines Mundes, die Sanftmut seiner Gebärde – da war kein Zweifel: Gnade, zu jung, um des Kanzlers Schwester zu sein, war sein eigen Fleisch und Blut. Herr Heinrich, ein christlicher König, hatte schlimmer als heidnisch an einer unmündigen Seele und einem kaum reifen Leibe gesündigt.

Obgleich ein armer Knecht, zürnte ich mit meinem Herrn, und meine Fäuste ballten sich, als hätte man mir das eigene Kind zerstört. Alsobald ergriff mich auch eine große Kümmernis, und ich hätte blutige Tränen weinen mögen, daß mein König, den ich lieb hatte, durch den Mord der Unschuld den göttlichen Zorn herausfordere. Ich suchte den hohen Herrn zu entschuldigen mit seinem starken Blute, seiner Allmacht, seinen blinden, unklugen Stunden, doch vergeblich! Es klang mir in den Ohren: dein Herr hat eine Todsünde begangen! Meine Sinne öffneten sich: ich sah Gnades Schutzengel, der sich aus Betrübnis und Scham mit beiden Händen ein weißes Tüchlein vor das Gesicht hielt, und hörte die Posaunen des Gerichtes mächtig erdröhnen.

 

Doch ich nahm mich zusammen. Die zwei Tiere, zwischen denen ich stand, wurden unruhig, ich faßte sie fester, und meine Verzückung wich.

Das Kind des Kanzlers war in der Burg verschwunden. Äscher stand allein im Torweg und winkte mich zum ersten Male in sein kleines, in die dicke Ringmauer hineingebautes Wächterstübchen.

Er sah scheu und elend aus und war so zerfahrenen Gemütes, daß er vergaß, mir die Speise und den Trank vorzusetzen, deren ich nach meinem Schrecken wahrlich bedürftig war. Während ich mir selbst zu einem Brote verhalf und den Weinkrug aus dem Wandschrank holte, gestand er zögernd, die von meinem Könige befohlene Flüchtung der schönen Gnade werde nicht ohne Gefahr sein. Er habe seinem Herrn, dem Kanzler, in aller Treu und Redlichkeit berichtet, das Waldschloß werde von dem Normannen Malherbe seit mehreren Tagen belauert und umkreist. Er erwarte stündlich den Kanzler, der mit Bewaffneten anlangen und eine Besatzung hinter diese Mauern legen werde.

›Hätte ich doch dem Teufel widerstanden‹, jammerte er in elender Reue, ›und meinem Herrn gleich den ersten Besuch des deinigen geoffenbart. Mein Leib wäre daraufgegangen – jetzt hab ich auch meine Seele verkauft! – Aber woher den Mut nehmen, mich der höchsten Gewalt zu widersetzen! Verwirrender Schrecken wandelt vor deinem Könige her! Fluch über die Stunde meiner Geburt! Alles, selbst die Kenntnis des Guten und Bösen, haben uns diese Normannen geraubt!... Aber auch mein Herr, der Kanzler, trägt eine Schuld. Er, welcher die verkörperte Weisheit ist, hat Gnade schlecht erzogen. Glaubst du mir's, Bogner? Kein Kruzifix, kein Meßbuch, keinen Heiligen halten wir im Hause!... Außer einem geringen Sankt Joseph dort in der Mauernische für uns Dienstleute. – Mit arabischen Lettern bedeckte Pergamente brachte er dem Kinde, heidnische Märchen, die den grausamen Weltlauf zu einem süßen Abenteuer verfälschen – und das Kind ergötzte sich bei Tag und Nacht an diesem schönen Lug und Trug. Auch Monna Lisa, die welsche Lautenspielerin, ihre Zofe, hat den Kanzler in Gedanken oft darüber angeklagt. Die Ärmste! Sie hielt den Gang des Königs kniend auf. Aber er füllte ihr die Hände und schob sie beiseite. Bei den Weibern ist dein Gebieter ein so herzgewinnender Herr als für uns ein grausamer König – und so wurde die Torheit begangen.‹

Während der greise Sachse also bänglich und unnütz jammerte, hatte ich mich nach und nach mit Trank und Speise gestärkt und in meinem Gemüte ermuntert.

›Hans‹, sprach ich zu mir, ›sei kein altes Weib – nimm dich zusammen. Unheil ist geschehen; aber noch ist eine Möglichkeit, daß es zum Bessern umschlage. Wer weiß, ob Königin Ellenor nicht vor ihrer Zeit mit dem Tode oder nach ihrer Zeit mit einem Fahrenden abgeht! So würde der Herr frei und machte seine Gnade zur Königin. Ist sie doch zwiefach aus fürstlichem Geblüte! Besorge du das Heutige und bringe das Kind über Meer!‹

Wißt, Herr, das sagte ich, um mich zu trösten. Aber, glaubet mir, all meine im Herrendienst schwer erworbene Habe, meine Kunst und die Hälfte meines Blutes hätte ich daran gegeben, um Herrn Heinrich von seiner Tat und mich von meiner Dienstleistung dabei loszukaufen. Diese Sünde sank so schwer in die göttliche Waagschale, daß ihr Gewicht den Herrn und den Knecht wohl erdrücken konnte.

Herr Heinrich hatte den Glauben eines Kindes mißbraucht. Gnade war von beiden Eltern her heidnischen Blutes, und die unterwürfigen arabischen Weiber beugen sich vor dem Zepter bis in den Staub. Der König ist ihnen an Gottes und des Gesetzes Statt und mehr als Vater und Mutter. So begriff ich, daß Gnade das böse Geheimnis des Königs vor dem Vater bewahrt hatte.

Wie heiß und unbesonnen mußte der Kanzler sein Töchterlein lieben, um es, der sonst nach allen Seiten Umblickende und das Keimen der Dinge Belauschende, in seine und damit in die Nähe des normännischen Hofes gebracht zu haben – so klügelte ich weiter. Und wie schwer wird er es bereuen! – Doch ich raffte mich schleunig auf, um das Nötige zu beschicken.

Ich nahm drei runde Brote unter den Arm und führte meine zwei Rosse, die draußen angebunden standen, in eine nahe Waldschlucht neben ein klares Wässerlein, speiste sie, ließ sie saufen und knüpfte ihre Zügel an zwei Fichtenstämme. Es tat mir wohl, für zwei kluge und treue Geschöpfe zu sorgen, die nichts wußten von Verrat und Sünde.

Als ich aus der Schlucht wieder emporstieg, schreckte mich ein Hornruf, der aus einer andern Ecke des Waldes erscholl und auf welchen das Flattern eines Tüchleins von der die blaue Kuppel umgebenden Zinne antwortete.

Schleunig durcheilte ich den mich von der Burgmauer trennenden Raum und schlich, in ihren Schatten gedrückt, nach der Pforte, durch die mich der erbleichte Äscher zitternd hineinzog. Seine kleine Pförtnerstube blickte durch drei schmale Luken in das Freie, in die Torwölbung und in den Burghof.

Wohl ein Dutzend Reisige sprengten aus dem Walde. Voran der Kanzler, den ich an seinem wunderschlanken arabischen Grauschimmel erkannte und an der feierlichen Art, wie er ihn lenkte. Er war in voller Rüstung mit gesenktem Visier. Vor dem Tore, wo sie abstiegen, ließ er von einigen die Tiere in der Richtung der Meierei wegführen; die übrigen folgten ihm, nicht zu meiner Freude, durch die Pforte und erhielten im Hofe den Befehl, sich rings auf die Mauerzinnen zu verteilen.

Ich hatte meinen Standort gewechselt, den Kanzler im Auge behaltend, dem jetzt Äscher Rechenschaft abzulegen schien und der dann in der Burgwohnung verschwand. Der alte Pförtner trug den Schlüssel meines Versteckes am Gurt, ich war in der Falle und legte mich auf die Lauer.

Mir gerade gegenüber, in der Mitte des Burghofs, stand der Kuppelbau, von dem Halbrunde seiner mit immergrünen üppigen Sträuchern bewachsenen Terrasse umgeben. Nach einer Weile trat Herr Thomas, Gnade an der Hand haltend, durch die hohe Bogentür und ließ sich mit ihr auf einer weiß schimmernden Marmorbank nieder neben einer rot geäderten Schale, über welcher emporschießende Wasserstrahlen sich in der Luft kreuzten. Und aus solcher Nähe blickte ich in die besorgte, aber nicht argwöhnische Miene des Herrn und in Gnades rätselhaftes Gesichtchen, daß ich plötzlich den Kopf zurückbog, obgleich die Mauer, durch die ich auslugte, außen von Eppich übersponnen war.

Jetzt winkte der Kanzler die Zofe, welche mit gesenkten Augen unter der Tür stand, hinweg – wohl jene welsche Monna Lisa, deren Tugenden ich eben aus Äschers Munde kennengelernt hatte. Eine Weile saßen sie schweigend, und Grace blickte, um den väterlichen Augen auszuweichen, in das perlende Wasser.

 

Dann begann der Kanzler in arabischer Sprache: ›Mein Kind, du wirst nur noch wenige Tage hier bleiben, und es ist nicht unmöglich, daß du in dieser kurzen Zeit noch durch einen Überfall geängstigt wirst. Aber fürchte dich nicht. Ich lasse dir zehn tapfere Leute, welche diese Mauern gegen feindliche Überraschung zu halten vollkommen imstande sind. Du wirst dich nach und nach an Waffenlärm gewöhnen müssen, mein scheuer Vogel. Das ist das Los jeder Burgfrau in der Willkür und Zuchtlosigkeit dieser Tage.

Und es ist die Zeit gekommen, daß ich mich von dir, meine Wonne, trenne und dich vermähle. Nicht zwar unter diesem feuchten Himmel, sondern jenseits des Meeres in einem sonnigen Lande von mildern Sitten. Wenn es sein kann und dich dein Stern dahin führt, nicht weit von deinen Pflegeeltern im Poitou. Du gedenkst doch immer noch des ehrlichen Calas, dem sie, weil er Arabisch versteht, nachreden, daß er aus maurischem Geblüte stamme, der aber sein Vaterunser betet nicht anders als wir beide? Ist doch kaum ein Jahr vergangen, daß der Alte, dich hieher bringend, mit Tränen sich von dir getrennt hat!

Ich weiß nicht, ob es gut war‹, sagte er, die Stirne faltend.

›Sollt' ich mich‹, fuhr er fort, wie sich selbst entschuldigend, da Grace schwieg, ›nicht eine kurze Spanne meines Lebens an deiner keuschen Jugend ohne Teilung erfreuen?

Doch ist nun die letzte Frist verflossen, die ich mir gönnen konnte, und der Augenblick des Scheidens da.

Ich darf dieses liebe Haupt nicht gefährden!‹ und er legte ihr die schmale Hand auf den Scheitel.

›Der Herr verreist morgen nach dem Festlande, und ich folge ihm in wenig Tagen. Du aber begleitest mich, dicht verschleiert, mit deinen Frauen und weichst nicht von meiner Seite, bevor ich dich in die Hut eines tapfern und feinen Mannes gebe.

Der König wird mir doch einen Tag, wenn er von seinen unreinen Freuden trunken ist, für meine reinen gönnen. Dieser König!‹ sagte er mit verächtlichen Lippen, als erblickte er ihn leibhaftig vor sich. – Wahrhaftig, ich wunderte mich, ihn so reden zu hören.

›Erschrick mir nicht‹, fuhr er fort, denn Graces Hand, die er festhielt, zuckte in der seinigen, ›ich verstehe zu wählen. Ich werde zusehen, wem ich dich anvertraue, und auch aus der Ferne meine Hand schirmend über dir halten, denn ich bin mächtig in allen normännischen Landen.

Und in ein Kloster begehrst du dich nicht einzuschließen? Nein, sagen mir deine Blicke, du hast keine Sünde zu büßen und Licht und Sonne nötig.‹

Wäre der weise Herr Thomas nicht in seinen eigenen Gedanken befangen gewesen, er hätte die Seelenangst seines Kindes bemerken müssen; aber seine Augen waren gehalten, und Gnade, die nach Worten rang, brachte endlich ein schwaches Flüstern hervor:

›Wer ist es, Vater, der mich hier gefährdet?‹

›Wer?‹ wiederholte der Kanzler mit leise bebender Stimme und wie mit dem Entschlusse, seinem Kinde den Lauf und die Bosheit der Welt nicht länger zu verbergen, sagte er ohne Hehl: ›Eine besudelte Königin. Sie haßt mich, ihre Späher haben ihr von deinem Dasein berichtet, und ich will nicht, daß Frau Ellenor von dir wisse und an dir herumrate – ihre Gedanken schon verunreinigen.‹ Grace erblaßte, woran ich ersah, daß Herr Heinrich vor ihr sein Eheweib, an dem nichts zu rühmen war, klüglich mochte beschwiegen haben.

Sie raffte sich aber zusammen und flüsterte wieder: ›So sprachest du, mein Herr und Vater, nicht immer. Hattest du nicht beschlossen, mich einst vor das Angesicht des Königs zu stellen, und rühmtest du nicht seine Gunst als die eines gütigen und majestätischen Herrn? Auch Herrn Richard hast du vor mir gelobt...‹

›Sprach ich so‹, erwiderte Thomas ernsthaft, ›so sprach ich töricht und beirrt von meinem väterlichen Wohlgefallen an dir. Ich habe mich eines Bessern besonnen. Jene eitle Rede sei verweht, wie die Luft, in der sie verhallte. Du darfst nicht an den Hof, in diesen Pesthauch, wo nichts Reines gedeiht. Aber in einem sprichst du recht: dem Könige gebührt Ehrfurcht und Gehorsam!

Doch genug! Meine Stunde ist um. Übergib dich kindlich und ohne weitere Gedanken meiner Sorge. Meinst du, daß ich dich liebe? Unermeßlich! Mein Einziges, mein Alles!‹

Und er drückte ihr einen sanften Kuß auf die Stirne.

 

Herr Thomas hatte sich erhoben. Er ließ seinen prüfenden Blick rings über die Zinnen gehen, ob jeder seiner Reisigen den befohlenen Posten wahre, und so durchdringend war dieser Blick, daß ich mich in meinem dunkeln Versteck auf den Boden gleiten ließ und nur noch die Worte vernahm: ›In drei Tagen denn! Bereite dich. Auf Wiedersehen!‹ und den an den Anführer der zehn gerichteten Befehl: ›Du lässest mir niemanden ein noch aus bei deinem eigenen Leben!‹

Als ich mich vorsichtig wieder in die Höhe richtete, war die Marmorbank leer. Thomas Becket mit seinem unglücklichen Kinde war verschwunden.

Mir hatte geschaudert, da ich den Mann, welchen ich als allwissend kannte, zum ersten Male als einen Getäuschten und Betrogenen erblickte; Entsetzen kam über mich, daß der väterliche Glaube an die teure Unschuld eines Kindes dem Teufel dazu hatte dienen müssen, den Scharfblick des Klügsten zu blenden und durch eine vollkommene Rüstung den vergifteten Pfeil zu treiben.

 

Nach einer Weile wurde draußen die arabische Stute des Kanzlers vorgeführt, Herr Thomas verritt, und der Schlüssel knarrte in der Türe meines Gelasses. Äscher starrte mich mit seinen hilflosen, matten Augen an, ich sah, daß er völlig haltlos war, und ergriff die Herrschaft.

›Geh hinüber‹, sagte ich, ›bringe Monna Lisa, der Lautenspielerin, im Namen des Königs den Befehl, sie habe sich bei Todesstrafe mit ihrer jungen Herrin reisefertig zu machen und diese Nacht im Torgewölbe sich einzufinden, sobald deine Ampel erlischt. Geh!‹

Er kam mit der Antwort zurück, die Welsche leiste Gehorsam. Ich hieß ihn, da es dämmerte, sein Licht anzünden und sich, die Kreide in der Hand, vor seine Rechentafel setzen, wenn etwa eine auf der gegenüberliegenden Zinne auf und nieder schreitende Wache einen mißtrauischen Blick in das helle Fenster schickte, und warf mich in eine Ecke auf sein Lager, denn ich war nach der Spannung des Tages der Ruhe bedürftig. Aber der stöhnende Alte verdroß mich mit seinem ängstlichen Gemurmel und seinen eintönigen Selbstanklagen. Ich gebot ihm Ruhe und fand doch den Schlaf nicht.

Wie es denn grausamerweise geschehen kann, daß, während das Herz von Angst zusammengepreßt ist, die kalten Gedanken unermüdlich und gleichgültig ihren besonderen Weg wandern, arbeiteten die meinigen daran herum, aus welchem Grunde der Kanzler sein unseliges Kind habe Grazia nennen müssen. Ob der gnädigen Bekehrung seiner eigenen so getauften Mutter zu Ehren oder einer heidnischen Anwandlung nachgebend, weil Grazia wohl die himmlische Gnade bedeutet – die Gott uns allen schenken möge! –, aber ebensogut die feinste Blüte menschlicher Art und Anmut.

Weiter gab es mir zu denken, daß Herr Thomas Gnade von seinem Liebling Richard erzählt und sich also wohl eine Weile in dem sträflichen Ehrgeiz gewiegt hatte, sein Kind an Herrn Heinrichs Hof und zu fürstlichen Ehren zu bringen. Darüber entschlummerte ich, und der Traumgott betrog mich mit allerhand Gaukelspiel. Es ist ja bekannt, daß geträumte Trauer Freude bedeutet, geträumte Lust Tränen. – Mir war, als träte ich wieder aus dem Walde hinter Herrn Heinrich, dessen Antlitz sich plötzlich verjüngte und in das seines Sohnes Richard verwandelte. Der unbändige Königssohn pochte an das Tor des Waldschlosses und zertrümmerte die Pforte mit einem Schlage seiner gepanzerten Faust. Aber der treue Äscher warf sich ihm dreist in den Weg, und Monna Lisa zürnte in tugendhaften Tränen. Doch siehe, da trat der Kanzler, Gnade an der Hand haltend, aus dem Innern des Schlosses, und die Rechte Richards ergreifend, führte er die beiden unter die Wölbung der Bäume. Diese aber verwandelte sich in die Wölbung der Halle von Windsor. Vor Heinrich und Ellenor, die elterlich blickten, kniete das von Schönheit duftende Brautpaar, Pauken und Drommeten schmetterten, ich warf meinen Filz in die Luft und schrie: ›Lang lebe Prinz Richard und Prinzessin Grazia!‹

Darüber erwachte ich und hörte den fahlen Sünder Äscher Gebete murmeln, und an das Fenster tretend, erblickte ich das Licht in dem Burggemach, wo Monna Lisa mit dem unreifen Kebsweibe eines alten Königs auf das Erlöschen meiner Ampel harrte.

Es war eine böse Nacht, die schlimmste meines Lebens. Am Himmel wanderten schwarze lange Wolken und bedeckten die wachsende Mondsichel mit ihren schleppenden Gewändern. Eben verhallte auf den Zinnen der Schritt der Runde. Ich löschte die Ampel. ›Wir haben zwei Rosse, Äscher‹, sagte ich, ›du setzest Monna Lisa auf das deinige.‹ Wir tasteten uns die Wendeltreppe hinunter. Im Torwege standen zwei verhüllte Frauen. Eine von ihnen, die Schlanke, dicht Verschleierte, ward von Schluchzen erschüttert. Ich zog behutsam die Riegel zurück, schlich aus dem Tore und spähte über mich. Mir war, als hörte ich auf der Mauer die Sehne eines Bogens spannen, aber es regte sich nichts weiter – ich mußte mich getäuscht haben.

Drei Vaterunser lang, ich habe in meinem Leben keine inbrünstigeren gebetet, wartete ich. Ein Bracke heulte, dann wurde wieder alles still.

Jetzt holte ich die zitternde Gnade, hob sie auf meinen Arm und lief mit ihr, was ich konnte, dem Walde zu. Plötzlich wurde es licht und lichter um uns. Ein Wolkenbild ward vom Winde so hastig getrieben, daß der Mond aus seiner Schleppe hervorrollte.

Ein Pfiff und sausender Schwung! Hätte doch der Pfeil mich getroffen! Das leichte Wesen in meinen Armen ergriff krampfhaft meinen Hals. Warmes Blut überströmte mich, und die hervordringende Spitze des Pfeiles, der dem Kinde des Kanzlers die Kehle durchbohrt hatte, ritzte meine Wange. Ein ersticktes Röcheln, und es war mit Gnade zu Ende!

Ich ließ die junge Leiche der mir auf den Fersen folgenden Monna Lisa in die Arme gleiten, und während das leichtsinnige Weib ein durchdringendes Geschrei ausstieß, erreichte ich den Wald, von Pfeilen umschwirrt und gefolgt von dem keuchenden Atem Äschers.

Ich hatte mich auf das eine Roß geschwungen, Äscher auf das andere. Wir brausten über den nächtlichen Waldweg, und ich und Äscher, der im Sattel wankte, wir drückten unsere Häupter in die fliegenden Mähnen der Pferde, damit wir nicht abgestreift würden von den kahlen Ästen, welche, als trauerten sie, schwarz und tiefer als sonst herabhingen.

Doch wir erreichten glücklich die mondhelle, große Lichtung, an deren Ende der Weg sich senkt. Hier flogen unsere geängstigten Tiere. Da höre ich einen mißtönigen Schrei hinter mir. Ich wende mich und sehe Äschers Rappen, sonst ein frommes Tier, bolzgerade aufsteigen mit gesträubten Mähnen und plötzlich in wilder Angst sich rückwärts überschlagen. Ein vorüberhuschender weißer Schein hatte ihn erschreckt. Es mag eine blanke Hirschkuh gewesen sein, wie sie der Kanzler der Seltenheit wegen in seinen gefriedeten Forsten hegte. Neben einem Haufen Feldsteine wälzte sich das Roß und lag ein Toter mit entstelltem Gesicht. Da stieg mir das Haar zu Berge. Ich trieb mein Tier an, ohne mich mehr nach dem verendenden Rappen noch dem gerichteten ungetreuen Knechte umzusehen.

VI.

Ich wandte mich nach Dover, um Herrn Heinrich über das Meer in die Normandie zu folgen; doch widrige Winde hatten ihn aufgehalten. Ich fand ihn noch dort, und die Stunde, ihm das Unheil zu berichten, traf ich früher, als ich geglaubt, und noch auf englischem Boden.

Der Herr brach in schwere Jammertränen aus und verschloß sich in seiner Kammer. Ich aber legte mich auf die Schwelle meines Königs, wie ich von jeher in gefahrvollen Stunden zu tun gewohnt war. Drinnen floh ihn der Schlaf, und ich hörte ihn nächtlicherweile mit harten Tritten auf und nieder schreiten. Dazwischen wehklagte er erbärmlich und redete zu sich selber laut und ungestüm, so daß ich seine von Seufzern unterbrochene Rede wohl vernehmen konnte.

›War sie nicht meine Wonne!‹ klagte er. ›Ich hätte mein zartes Lämmchen auf eine sichere Weide gebracht!... Aber was kann ich gegen die böse Art meiner Königin und die Dummheit meiner Knechte! Was kann ich gegen die Tücke des Schicksals?... Mir und dem Kanzler – uns beiden – ist auf der Waldwiese groß Herzeleid gewachsen... Aber ich will ihm mein Gemüt schreiben... er soll es wissen, daß ich ihn mit Gunst und Gnaden überschütten will, mehr als je zuvor, und daß er meinem Herzen und meinem Throne für immer der Nächste bleibt.‹

Gegen Morgen wurde er ruhiger, und im ersten Frühlichte rückte er sich Tisch und Sitz zurecht und schien einen Brief zu beginnen, je und je einen Satz vor sich her murmelnd, bevor er ihn niederschrieb. – Zuletzt hörte ich seines Siegels schweren Druck.

Er rief mich und übergab mir ein Schreiben.

›Dieses hast du in des Kanzlers eigene Hände zu legen‹, sagte er, ›suche ihn, bis du ihn findest.‹

 

Dergestalt fuhr der König über Meer, ich mit meinem Briefe nach London, und der war keine leichte Bürde, das dürft Ihr mir glauben. Ob ich auch im Gehorsam meines Herrn gehandelt, war mein Gewissen schwer bedrückt und hatte ich eine heilige Furcht, vor den Kanzler zu treten; denn dieser mußte jetzt die wahre Ursache von Gnades Untergang ans Licht gezogen haben.

In London, wo ich ihn zuerst suchte, war er nicht. Auf welchem seiner vielen Schlösser er sich befinde, konnte oder wollte mir sein städtisches Gesind' nicht sagen: ich hatte es auch nicht nötig, denn ich wußte es.

Auf einem frischen Pferde jagte ich am hellen Tage – was war noch zu verbergen? – denselben Weg, den ich oft genug in Dämmer und Mondlicht gemacht hatte. Der klarste Himmel schimmerte über den gelben Baumkronen und zwischen den hier und dort schon entlaubten Zweigen.

Das Herz pochte mir wie ein Hammer, als ich das schimmernde Schlößchen erblickte und, vom Pferde springend, die sonst so wohl verschlossene Pforte offenstehen sah. Kein Türhüter fragte nach meinem Begehr. Im Burghof war es still, nur der Wind flüsterte in den immergrünen Zweigen des fremden Holzes, und der Springbrunnen spielte plätschernd mit seinen goldenen Kugeln.

Ich hielt den Fuß an, mich nach einem lebendigen Wesen umschauend. Da ward ich eines Weibes gewahr, das an der Gartenmauer vor einem dort eingefügten Heiligenschreine kniete. Sie hielt das Haupt in beide Hände versenkt und bemerkte mein Kommen nicht. Ich aber berührte Monna Lisa hart an der Schulter. Sie wandte sich erschrocken und starrte mich mit von Tränen geröteten Augen an. Dann bedeutete sie mich mit beiden Händen, schleunig zu entweichen. Da wies ich ihr den Brief und verlangte, als Bote des Königs, unverzüglich vor den Kanzler geführt zu werden.

Zitternd, aber ohne Widerrede, stieg sie die Stufen zu den gelblichen Säulen des Kuppelbaues mir voran und öffnete die Tür: ›Sie liegt in der Kapelle – ich habe sie noch geputzt wie eine Königin‹, sagte sie furchtsam und verschwand.

Ich trat in den heitern Raum einer von oben erleuchteten kleinen Rundhalle. Rings der Mauer entlang lief ein kostbares Polster, und in der Mitte stand ein vergoldetes Gitterhaus voll Geflatter und Gezwitscher. Bunte, fremdländische Vögel spielten da unter Zwergpalmen, aber nirgends war ein menschliches Wesen, das sich daran gefreut hätte.

Ich schritt über die farbigen Figuren des Mosaikbodens nach einer schmalen Marmortreppe, die zu einer Bogenpforte führte, öffnete und schlug scheu die innen darüber hangende Damastdecke zurück.

Mir wurde ein Anblick, der mir das Wort auf der Lippe bannte und den Atem in die Brust zurückdrängte. Ich schaute in das Halbdunkel der Burgkapelle. Aber da war kein Crucifixus und kein ewiges Licht, und statt eines heiligen Leichnams unter dem Altare lag in einem Schreine vor demselben, ebenso reich geschmückt, die tote Gnade. Ein Lichtstrom, der durch das einzige, hoch gelegene Fenster sich ergoß, beleuchtete ihre überirdische Schönheit. Ihr Haupt ruhte auf einem Purpurkissen und trug ein Krönchen von blitzendem Edelgestein. Der zarte Körper verschwand in den von Goldstickerei und Perlen starrenden Falten ihres über die Wände des Schreins ausgebreiteten Gewandes. Die kleinen durchsichtigen Hände lagen auf der Brust gekreuzt und hielten keusch den schwarzen Schleier ihres Haares zusammen, der vom Scheitel fließend die zarten Wangen einrahmte und, die zwei Wunden des Halses bedeckend, sich unter dem blassen Marmorkreuz ihrer Arme wieder vereinigte.

Neben dem lieblichen Todesantlitz aber lag ein anderes hingesunken, von demselben Sonnenstrahle gebadet, lebloser und gestorbener als das der Leiche, ein Antlitz, über das die Sterbenot der Verzweiflung gegangen und von dem sie, nach getanem Werke, wieder gewichen. Es war der Kanzler, der mit zerrauftem Haar und aufgerissenem Gewande neben dem Sarge lag, die Arme auf den Rand desselben stützend.

Lautlose Stille herrschte. Nur ein Laubgeflüster regte sich im offenen Fenster, und leichte Blätterschatten tanzten über das Purpurkissen und die beiden Angesichter.

Ich weiß nicht, wie es geschah, daß mir in dieser bangen Stunde das maurische Wesen in Granada durch den Sinn fuhr. Ich erzähle Euch eben die Sache, wie sie war. Was immer es sein mochte, die Einflüsterung eines lichten oder eines schwarzen Geistes, ich wurde getrieben, in arabischer Zunge einen Vers des Korans auszusprechen – Gott der Heilige rechne es mir nicht zu –, der Anblick der erblaßten Gnade mag mich an das Paradies der Ungläubigen und seine Engel erinnert haben. – Der heidnische Spruch aber lautete so:

›Schön sind sie und lieblich, ja, sie sind schön wie Lilien und Hyazinthen. Sie senken die Lider, und ihr reines Antlitz hat die Blässe des Straußeneis, das im Sande wohl geborgen ist.‹

Kaum war der Spruch meinen Lippen entfahren, so ging mit dem Gesichte des Kanzlers eine Veränderung vor. Es glitt eine Bewegung der Freude und Liebe darüber hin. Er wandte sich langsam zu dem, der ihn mit diesem Koranvers getröstet hatte.

Ich nahm den Augenblick wahr, nahte mich ihm, bog das Knie und überreichte mit banger Furcht den königlichen Brief.

Eine Weile brauchte der Entrückte, sich in diese Welt zurückzufinden. Nun wurde er der drei Leoparden des königlichen Siegels ansichtig – die Hand, in welche ich das Schreiben gelegt hatte, zuckte, wie von einem Skorpion gestochen, und schleuderte es in heftigem Schmerze von sich. Gleich einem Manne, der auf der Folter liegt und unsagbare Qual erduldet, verzog er seine edeln Brauen. Die vorwurfsvollen Augen richteten sich auf mich, und in ihrer Tiefe entglomm eine Flamme, grausam und gramvoll wie die Hölle. Dieser Blick traf mich mit der Gewalt eines Wurfgeschosses, ich entsetzte mich in der Seele und floh ohne Urlaub von dannen.

VII.

Nun erschreckt Ihr, Herr, und vermutet, zu dieser Stunde sei die Feindschaft ausgebrochen zwischen dem König und Thomas Becket – Ihr würdet irren. Eine Weile zwar mieden sie einer des anderen Atem und Angesicht; doch in begründeter und ungezwungener Weise, weil Herr Heinrich jenseits des Meeres mit dem Capetinger in Fehde stand und der Kanzler inzwischen in Engelland die Staatsgeschäfte besorgte.

Denn der Glaube meines Herrn an die Weisheit und Treue des Kanzlers blieb unerschüttert; ja dieser Felsenglaube war überhaupt nicht ins Wanken zu bringen. Und seinerseits nahm Herr Thomas nie williger jede Bürde der Arbeit und Feindschaft auf sich, die ihm aus seinem Eifer für die Größe seines Königs entsprang.

Er hatte damals keinen leichten Stand, da er zum Vorteil der königlichen Rechte mit der vornehmen normännischen Pfaffheit angebunden und sich verbissen hatte. Ihr kennt diese Händel, Herr, denn sie wuchern überall. In Engelland waren sie aus den unmäßigen, von dem Eroberer an die bischöflichen Stühle geknüpften Vorrechten erwachsen. Nicht nur, wie auch anderwärts, Händel von Pfaffe mit Pfaffe wurden den königlichen Gerichten entzogen, sondern auch der von einem Pfaffen geschädigte Laie mußte den Geschorenen vor dem geistlichen Richter suchen. Da nun – in aller Einfalt geredet – keine Krähe der anderen die Augen aushackt, blieben, schwächere Dinge ungerechnet, pfäffischer Totschlag und Weiberraub ohne Ahndung oder, schlimmer noch, wurden so sanft bestraft, daß es einem bösen Scherze glich und die ungedämpfte Brunst der Geschorenen immer weiter um sich griff.

Darüber ergrimmte mein Herr und König, denn er war im gemeinen Wesen ein gerechter Mann, und versuchte, seine Pfaffheit einzutun. Kein leichtes Werk!

Auf dem Stuhle des Primas und Erzbischofs von Canterbury, welchem der Eroberer weiland aus Staatsgründen die anderen englischen Bistümer völlig untergegeben hatte, saß damals ein trotziger Normanne, dem seine Tonsur gerade recht war, um gegen seinen Lehensherrn und König Panier aufzuwerfen. Und auch der damalige Heilige Vater in Rom – sie sagen, man habe ihn aus einem Kloster hervorgezogen, um ihn auf den Thron zu setzen, und er hätte zeit seines Lebens nicht viel von der Welt und ihren Geschäften gehalten und begriffen – nahm Partei für den normännischen Bischof, weil er überhaupt kein geistliches Recht wollte umkommen lassen. An diesen wendete sich nun der Kanzler von Engelland in zahlreichen Staatsschriften, das taube Ohr Seiner Heiligkeit bestürmend, sie möge dieser in Mutwillen ausgearteten geistlichen Gerichtsbarkeit Regeln und Schranken setzen.

Und ich sage Euch, Herr – denn ich weiß, auf welcher Seite die Chorherrn von St. Felix und Regul stehen –, Gerechteres wie Schlaueres wurde nichts gegen die weltliche Gewalt der Pfaffen geschrieben und wird in Ewigkeit nicht geschrieben werden, als was dem Kanzler aus seiner geschmeidigen Feder floß. Mit keiner beleidigenden Rede oder langweiligen Beghardenpredigt verdarb er seine Sache, das ist nicht gebräuchlich im Staatsverkehr; sondern er berannte den schlichten Geist des Heiligen Vaters mit schlagenden Tatsachen. Er stieß, figürlich geredet, einen Fensterladen nach dem andern auf, so daß eine große Helle entstand und selbst ein Kind begreifen mußte: Geiz, Habsucht, Raub, Hinterlist, Unzucht und Gewalttat, wie sie die Pfaffen König Heinrichs an sich hatten, seien etwas anderes als der reine und unschuldige Wandel des Heilands und seiner zwölf Boten.

War es auch nur, um seinen Schmerz zu verwinden, der Kanzler zog mannhaft ins Feld. Schrift, Kirchenväter, Rechtslehrer ließ er für sich streiten, und sein schärfstes Schwert war der schöne evangelische Spruch: ›Mein Reich ist nicht von dieser Welt.‹

Ich sehe die Frage auf Euern Lippen, wie mir solches zur Kenntnis kam. Hört an. Wann eine Botschaft oder ein Staatsbrief des Kanzlers ins Lager gelangte, welche mein König zu unterzeichnen hatte – denn in Person und Kraft des Königs stritt der Kanzler mit dem Papste –, ließ sich Herr Heinrich, wenn ihm gerade keiner seiner Kleriker zur Hand war, das Schriftstück von seinem unwürdigen Knechte vorlesen. Es war ihm bewußt, daß ich in meiner Jugend auf pfäffischen Wegen gewandelt und des Lesens kundig sei; seine eigenen Augen aber, ob sie wohl noch scharf und sicher in die Ferne blickten, waren untauglich geworden, Handschriftliches zu entziffern.

Er lachte herzlich über die getroffenen Bildnisse, welche der Kanzler von seiner Pfaffheit entwarf. ›Merke, Hans, es macht ihm Kurzweil‹, sagte er wohl zu mir, ›meine Pfaffen an den Haaren zu ziehen, denn er ist ein ungläubiger Philosoph und verkappter Sarazen.‹

Auch mich hat dabei oft ein Lachen angewandelt, aber kein fröhliches. Nicht daß ich es dem Heiligen Vater mißgönnt hätte, wie er zu Zeiten beschaffen ist, sondern mir schien, was meinem Herrn und Könige bei seiner treuherzigen Art gänzlich entging, unter diesem spielenden Witz brenne ein Abgrund von strafendem Ernst und dunkler Trauer.

Herr, ich konnte das Antlitz aus der Burgkapelle nicht vergessen!

Oft, wann ich etwa einen Pfeil schnitzte und dabei meinen Gedanken freien Lauf gab, fragte ich mich, ob Herr Thomas sich je wieder an den königlichen Tisch setzen und Scherzreden mit Herrn Heinrich werde wechseln können, den Hauch seines Mundes mit dem des Königes mischend. Dieser schien nicht daran zu zweifeln und mit seiner natürlichen Tapferkeit vergangene Dinge hinter sich zu werfen.

Aber ich wettete in meinem Geiste gegen ihn; denn nach dem Urteile meines Herzens ging es wider menschliche Möglichkeit.

 

Mein Herr und König saß nach beendigter Fehde auf einer seiner Burgen in der Normandie; da geschah es eines Tages, daß ich, was selten vorkam, ein müßiger Mann war und auf dem Turme mit dem Wärtel, einem guten Gesellen, plauderte. Er übergab mir eine Weile sein Amt, da ihm das Liebchen aus dem Küchengarten winkte.

Wie ich Umschau halte, erblicke ich an einem nahen Hügel eine kleine, auf den Krümmungen des Weges sich herabwindende Heerfahrt. Voran in der Abendsonne ein blitzender Gewappneter, der in das Hifthorn stößt! Das war das Löwenherz. Hinter ihm ritten seine drei Brüder und ein reisiges Gefolge. Jetzt erblick ich etwas leuchtend Weißes – den Schimmel des Kanzlers. Ein höhnisches Lachen der Sicherheit überkommt mich – ich ergreife das große Wächterhorn, erwidere Herrn Richards Ruf und begrüße den Kanzler, freilich nur mit meinem natürlichen, auf diese Entfernung nicht vernehmbaren Mundwerke, mit den frechen Worten: ›Herr Thomas, Ihr habt keines Mannes Mark in den Knochen und keines Ritters Blut in den Adern! A la bonne heure! Mich soll's nicht anfechten, wenn meinem Herrn einfällt, Euch lebendig auf dem Roste zu braten und Euch zu einem heiligen Lorenz zu machen.‹ Und mir schien, da ich das weiße Roß erblickte, der Herr und der Knecht habe von dem Kanzler nichts weiter zu befahren und auch der Himmel werde die Rache des feigen Mannes sinken lassen.

Ich eilte hinunter und beobachtete den Einzug, mich möglichst beiseite haltend.

Herr Thomas war nicht verändert, seine Gebärde so ruhig und sein Gewand so kostbar wie vordem. Der König in seiner heftigen Art stürzte den Söhnen und seinem Kanzler entgegen, nach dem er sich wohl noch mehr als nach seinen Kindern gesehnt hatte. Dieser ersparte ihm jede Scham und äußerliche Reue, er verneigte sich ehrfürchtig vor ihm und redete dann von den Knaben mit Sorgfalt und Wohlwollen, fügte aber mit milder Ruhe hinzu, seine Zeit, die wachsenden Staatssorgen, seine Reisen und Gesandtschaften, auch eine früher ihm unbekannte Müdigkeit erlaube ihm nicht länger, ihre Erziehung persönlich zu leiten, er werde ihnen berühmte Männer zu Lehrern geben, die ihn leicht entbehrlich machen würden.

Der König stand betroffen von dieser Rede, und seine Kinder umringten den Kanzler und umarmten ihn mit Tränen, bittend und flehend, er möge sich ihnen nicht entziehen. Nur der kleine Hans schnitt eine vergnügte Grimasse. Da bat Herr Heinrich mit den Knaben, daß er sie nicht von sich weise.

Die beredten Lippen des Kanzlers wiederholten seine Weigerung mit neuen anmutigen Wendungen, aber seine dunkeln Augen richteten sich auf den König und schienen zu sagen: ›Grausamer Mann, du hast mich meines Kindes beraubt und verlangst, daß ich mich um die deinigen bekümmere!‹

Ich weiß nicht, ob Herr Heinrich in diesem Blicke die Wahrheit las; aber er drang nicht weiter in den Kanzler.

 

Von jener Stunde an brach Hader aus zwischen den vier Königskindern, und die Liebe des Kanzlers versöhnte sie nicht; denn sie waren ihm gleichgültig geworden, und er überließ sie ihren Trieben.

Ich habe Euch schon erzählt, daß ich im Bogen und in der Armbrust der Lehrmeister der vier Jungherren war. Ich hatte strenges Verbot, von ihnen jemals zu weichen oder ihnen eine Armbrust in den Händen zu lassen; denn da sie von verschiedener und unbrüderlicher Natur waren, mußte gewehrt werden, daß sie nicht mit der Schießwaffe aufeinander losgingen.

Eines Tages nun, da ich mit den vier Armbrusten zu den vier Jungherren in den hintern Burghof ging, hörte ich schon von weitem zwischen dem Gebelle der Bracken Getümmel und Schlachtruf. Ich fand die Herren dort so hart ineinander verwickelt, daß ich Mühe hatte, sie zu sondern. Das Löwenherz hatte Herrn Gottfried mit der Rechten an der Kehle, mit der Linken aber Herrn Heinrich an den gekräuselten Haaren gefaßt und schüttelte beide wacker. Ihm selbst hinwiederum hatte sich der kleine Hans, der es mit den beiden Ältesten hielt, an den Rücken gekrallt und biß ihn in den Hals. Ich griff zuerst nach dem Kleinen, der Wildkatze, und löste dann die Herren Heinz und Gottfried aus den streitbaren Fäusten des Löwenherzens.

Da warf sich Herr Richard mit flammendem Zorne nach mir herum und schrie mich an: ›In Teufels Namen, Armbruster, willst du uns unser Hauserbe rauben?‹ – ›Welches Erbe, Beausire?‹ fragte ich verblüfft. – ›Uns zu hassen!‹ rief er. ›Darauf leistet keiner von uns Verzicht.‹ – Mich erfaßte ein tiefes Verbärmnis über diesen Worten eines Unmündigen. Ich zog ihn beiseite und redete ihm christlich zu, wie süß es sei, wenn Brüder einträchtig beisammen wohnen. Herr Richard aber brach in stürmische Tränen aus und schluchzte: ›Er hat mich heute nur nicht angeschaut!‹ Und ich erriet, daß er von Herrn Thomas sprach. ›Wenn der Kanzler sich weniger mit Euch abgibt‹, tröstete ich, ›so ist es dringender Staatsgeschäfte halb Eurem Herrn Vater zu Nutz und Lieb.‹ Da schüttelte jung Richard trotzig den Kopf, leuchtete mich mit seinen großen blauen Augen an und rief: ›Das lügst du, Armbruster! Der Kanzler liebt den Vater nicht!‹

Aber nicht nur untereinander verfolgten sich die viere; sondern – wehe – sie begannen auch der Majestät ihres Vaters die schuldige Ehrerbietung zu versagen. Ich weiß noch, wie es mir ins Herz schnitt, was ich sehen und hören mußte, als ich einst meinen Herrn und König in seine Schlafkammer geleitete. Er hatte sich den Kopf an den Staatsgeschäften zerarbeitet und den Leib mit einer Hirschjagd ermüdet; so hatte er denn sein schweres Haupt über dem Schlaftrunke geneigt und schnarchend in seine auf den Tisch gelegten Arme versinken lassen.

Wir begegneten auf dem Gange den schlimmern seiner Söhne, dem ältesten und dem jüngsten. Erfrechte sich da nicht der kleine Hans, der, wäre der Herr bei unverhüllten Sinnen gewesen, sich vor ihm verkrochen hätte, schwankend, als spotte er eines Trunkenen, hinter den königlichen Tritten herzuziehen, und der andere, der Kleidernarr, wandte sich von seinem Erzeuger mit einem hochmütigen Pfui. Nachdem ich meinen Herrn wohl versorgt hatte, traf ich Junker Heinrich noch auf dem Gange. Da ließ ich ihn hart an, nannte ihn einen schwarzen Ham und drohte, ihn bei dem Kanzler zu verklagen. ›Herr Thomas verachtet den Vater‹, versetzte der Knabe. ›Wie hielte der feine Berberhengst mit dem borstigen Eber Freundschaft?‹ Entsetzt hielt ich ihm die Hand auf den Mund; er aber warf die langen weichen Locken aus dem Gesicht und entsprang mit einem scharfen Gelächter.

Ich mußte mich über die feine Witterung wundern, welche oft kindliche Unerfahrenheit von den verborgenen Dingen des Gemütes hat. Denn, wahrlich, es war nicht Herr Thomas, der sich etwas merken ließ von seinem Widerwillen gegen den König oder der es in irgendeinem Falle an williger Ehrfurcht hätte fehlen lassen.

Allabendlich saß dieser Unentbehrliche am königlichen Tische und erheiterte den Herrn mit den feinen Spielen seiner Rede.

Noch seh ich, wie er lächelnd in seinem Stuhle zurücklehnte und der frohe König lauschend an seinen kaum bewegten Lippen hing. Ich stand hinter dem Stuhle meines Herrn und betrachtete zuweilen mit stiller Furcht dieses unkörperliche Antlitz, das im Ampelschein wie im Tageslicht gleich blaß war und auf welchem für mich jener Todeszug, der mich daraus angestarrt hatte, als es damals neben Graces Haupt auf dem Sargkissen lag, auch in der belebten Laune des Bankettes nie mehr völlig verschwinden wollte.

Habt Ihr das aus Byzanz gekommene Bild gesehen, das die Mönche in Allerheiligen zu Schaffhausen als ihren besten Schatz hüten? Es ist ein toter Salvator mit eingesunkenen Augen und geschlossenen Lidern; aber betrachtet man ihn länger, so ändert er durch eine List der Zeichnung und Verteilung der Schatten die Miene und sieht Euch mit offenen Schmerzensaugen traurig an. Eine unehrliche Kunst, Herr! Denn der Maler soll nicht zweideutig, sondern klar seine Striche ziehen.

Mit dem Kanzler aber ging es mir umgekehrt. Wenn ich sein Antlitz länger betrachtete und er gerade schwieg, so war es, als schlössen sich seine Lider und es sitze ein Gestorbener mit dem König zu Tische.

Ich bin dessen nicht gewiß, Herr, aber ich muß es glauben, daß mein König in jenen Tagen sich gegen den Kanzler mag ausgelassen haben über die Trauer, die er ihm wider Willen bereitet. Wenn auch nur mit wenigen oder verdeckten Worten, hat er ihm wohl sein Leid bezeugt und gebeichtet. Ich denke, daß er die Last von sich abzuwälzen suchte, und zwar auf diese meine Schultern hier, was ich ihm nicht verüble, denn so ist der Lauf der Welt, und zu befahren hatte ich dabei nichts. Der Kanzler war viel zu weise, um das Werkzeug mit der Hand, die es führt, zu verwechseln, und viel zu hoch, um einen Knecht seiner Rache zu würdigen.

Versteht mich! Herr Heinrich mag das Spiel des Zufalls und mich verklagt und verlästert haben, was das böse Sterben des Kindes angeht; den Raub desselben und die Fleischeslust rechnete er sich nicht hoch an, denn er kannte in diesen Dingen kein Recht und kein Gesetz. Auch trug er die Tat damals leicht, glaub ich, weil unser aller Richter sie ihm noch nicht in ihrer vollen Schwere zugewogen hatte.

 

In jenen Tagen begab es sich, daß der Kanzler einmal gegen Abend dem König auf die Jagd nachgeritten kam und die Herren unter einer weithin schattenden Eiche sich lagerten. Ich saß an der lichten Seite des Stammes und kraute einem Jagdhunde hinter den Ohren. Der König kannte meine Treue und war gewohnt, meinetwegen sich keinen Zwang anzutun, und Herr Thomas sah über mich hinweg oder, wann er mir einen Blick schenkte, war es kein unfreundlicher, denn jener von mir neben Gnades Sarg gesprochene Koranvers hatte ihm gefallen und wohlgetan. So war ich Zeuge eines wunderbaren und dem Menschenverstand unglaubwürdigen Gespräches, das aber so wörtlich wahr und gewiß ist, als daß ich hier bei Euch sitze.

Die beiden Herren beredeten sich über ein Schreiben des Königs von Frankreich, das Herr Thomas aus seinem Gewande hervorgezogen hatte. Er unterhielt nämlich einen geheimen Briefwechsel mit dem Capetinger in Paris, dem dazumal sein Kanzler, der Abt Sugerius, gestorben war und der, um einen Ersatz zu finden, Herrn Thomas, als den klügsten Mann der Erde, gerne seinem Herrn abtrünnig gemacht und in den eigenen Dienst gelockt hätte. Dieser tat nicht unwillig und erfuhr unter der ungesucht ihm in die Hand gefallenen Larve auf einem kurzen und sichern Wege alles, was er von den Anschlägen des fremden Königs gegen den seinigen und die normännische Krone durchaus wissen mußte.

In dem Briefe, den der Kanzler Herrn Heinrich übergeben hatte, mochte der König von Frankreich ihm wieder hart zusetzen, in seine Dienste überzutreten, denn mein Herr ergötzte sich mit wahrhaft königlicher Lust an dem Schreiben.

›Schau, schau!‹ spottete er, ›zehntausend Pfund bietet er dir. Er will es sich etwas kosten lassen. Aber daraus wird nichts, mein Vetter Frankreich. Diesen preiswürdigen Mann laß ich nimmermehr fahren!‹ Und er legte die Hand liebevoll auf die Schulter seines Günstlings. Dann scherzte er in übermütig vermessener Laune:

›Hast du etwas gegen mich auf dem Herzen, mein Thomas, und willst es mich entgehen lassen, tapferer Mann, ohne Gefahr deines Leibes und Lebens, wohlan, dazu kann Rat werden! Morgen send ich dich – in den Geschäften, die du weißt – nach Paris zu dem, der um dich wirbt! Laß sehen, ob es ihm gelingt, dich zu verführen und mit Schmeichelwort zu Falle zu bringen!‹

Wundert Euch nicht allzusehr über diese unvernünftige Scherzrede und die freche Sicherheit meines Königs. Sahet Ihr die zweie zusammensitzen, den gewaltigen Leib und den Löwenkopf des einen, die feinen Gliedmaßen und die milde Miene des andern, es wäre Euch verständlich gewesen.

Darauf entstand eine Stille. Ich glaubte, der Kanzler empfinde es bitter, daß Herr Heinrich, der so tief in seiner Schuld stand, ihm die Angeborenheit seines schmiegsamen und unterwürfigen Wesens, die doch der Majestät allein zugute kam, in grausamem Leichtsinne vorhalten mochte. Doch erwiderte Herr Thomas nach einer Weile ohne merkliche Ärgernis in ruhiger und – wie sage ich – philosophischer Rede:

›Was ich gegen dich auf dem Herzen habe, ob wenig oder viel, du hast Grund, mein Gebieter, an meiner Treue nicht zu zweifeln. So böse bin ich nicht und auch nicht so kurzsichtig und abenteuerlich, daß ich an dir zum Verräter würde. Doch hat deine scherzende Weisheit meinen wunden Punkt getroffen; denn du kennst meine unvollkommene Natur und mein zur Erniedrigung der Dienstbarkeit geschaffenes Wesen. Sei es frühe Gewohnheit des Herrendienstes, sei es die Eigenschaft meines Stammes und Blutes, ich kann dem gesalbten Haupte und den hohen Brauen der Könige keinen Widerstand leisten. – Und da du so glücklicher Laune bist und ein Wohlgefallen hast an deinem Knechte, erkühnt er sich, dir in dieser traulichen Einsamkeit einen Rat zu erteilen: Gib mich nie aus deiner Hand in die Hand eines Herrn, der mächtiger wäre als du! – Denn in der Schmach meiner Sanftmut müßte ich ihm allerwege Gehorsam leisten und seine Befehle ausführen auch gegen dich, o König von Engelland... Aber ich rede töricht... wo ist der König, der mächtiger wäre als du? Welche Herrschaft kann mit der deinigen hadern ohne ihren eigenen Schaden und Verlust? Siehe, es lebt keiner, der dich vor Gericht zöge!... Darum rede ich töricht und spreche von etwas, das nicht vorhanden ist, von einem Traum, einem Hauch, einem Nichts.‹

Der König mochte diese Rede nicht höher anschlagen als der Kanzler; denn nachdem er ein bißchen gesonnen, gähnte er, wie zu einer unnützen und unangenehmen Betrachtung, und befahl mir, ihm einen Becher Weines zu reichen. – Auch ich konnte mir aus der Rede des Kanzlers nichts machen und legte es mir erst später aus, daß der heimlich zu Tode Verwundete verdeckter- und zweifelnderweise von der dunkeln und langsamen Rache Gottes sprach.

Herr Heinrich erhob den Becher, betrachtete das schimmernde Gold des Rheinweins, als ergötze er seinen Geist an dessen Klarheit, leerte den starken Trank auf einen Zug und lachte, daß ihm die Augen übergingen.

›Wie du mir vorkommst, mein Thomas‹, lallte der Herr mit unsicherer Zunge, denn er hatte durstig getrunken und der Wein stieg ihm zu Kopfe, ›immer erhabener!... Meiner Treu – ich weiß nicht, was ich rede, aber nicht übel Lust hätte ich, dir ein Meßglöcklein um deinen Ziegenhals zu hängen und dich in Teufels Namen mit einem Ruck auf den Stuhl von Canterbury zu setzen!... Dort throne mir und orakle gegen den Heiligen Vater!...‹

Der Kanzler erhob sich rascher, als seine Gewohnheit war. ›Unter dieser Eiche ist nicht gut wohnen‹, sagte er. ›Es mag in der Vorzeit grausamer Zauber unter ihr getrieben worden sein! – Ihr Schatten verwirrt das Hirn.‹

Hier verstummte das Gespräch.

 

So ganz neben das Ziel traf übrigens mein Herr und König in der Laune seiner Trunkenheit nicht, wenn er meinte, der Kanzler ergebe sich zeitweilig tiefsinnigen und wunderbaren Betrachtungen. Ich selbst weiß davon zu erzählen. In der Vorhalle, wo ich oft meines Herrn gewärtig mich stundenlang aufhielt und auch der Kanzler zuweilen, ohne meiner zu achten, in tiefem Sinnen auf und nieder schritt, hing in einer düstern Ecke ein großer hölzerner Crucifixus, ein grobes, mageres Werk, aber ein Haupt mit rührenden Zügen. Der König hielt ihn hoch in Ehren, weil sein Vorfahr, Wilhelm der Eroberer, ihn vor der Schlacht bei Hastings inbrünstig angebetet und durch seine Macht dann auch den Sieg erlangt hatte. Auf dieses Bildwerk hatte der Kanzler sich sonst wohl gehütet, seine verwöhnten Augen zu heften; denn er verabscheute das rieselnde Blut und das Häßliche. Aber in jener Zeit hörte ich zuweilen mit Verwundern, wie er mit dem gebräunten Crucifixus Zwiesprach hielt. In arabischer Zunge, ich vernahm es deutlich, flüsterte er mit ihm. – Ich freute mich, daß er sich an den guten Tröster wandte, obschon mir dabei fast unheimlich zumute war; denn, Herr, ich hörte davon zu wenig und zu viel und Dinge, die ich nicht gern wiederholen mag, weil sie, wenn nicht Eure Seele gefährden, doch Eurer Frömmigkeit zum Ärgernis sein könnten. Wußt' ich doch nicht, inwieweit Herr Thomas das maurische Wesen von sich getan und ob er, wie wir, den Hochgelobten, der am Kreuze hängt, als den heiligen Gott selber anrufe. Einzelne Stoßseufzer, unzusammenhängende Worte nur vernahm ich in der allmählich aus meinem Gedächtnisse entschwindenden Sprache, die mich erbauten oder auch erschreckten. Innig und schmerzvoll sprach er zu dem stillen Gekreuzigten, aber lästerlich und wie zu seinesgleichen, so schien mir.

Also geschah es eines Tages, daß der Kanzler wiederum vor dem Bildnisse stand, ohne mich gewahr zu werden, der, in einer Ecke des weiten Gemaches auf einem Schemel sitzend, sich stille hielt und gering machte.

›Auch du hast gelitten‹, so hauchte er, ›und wohl so grausig, als du hier in der Marter schwebst!... Warum? Warum?... Der Welt Sünde zu tragen, steht geschrieben... Was hast du gesühnt, du himmlisches Gemüt?... Friede solltest du bringen und an den Menschen ein Wohlgefallen... aber, siehe, diese Erde dampft und stinkt noch von Blut und Greuel... und Schuld und Unschuld wird gemordet wie vor deiner Zeit!

Sie haben dich geschlagen, angespien, gemartert... du aber beharrtest in der Tapferkeit der Liebe und batest am Kreuze für deine Mörder... Verscheuche den Geier des unversöhnlichen Grams, der mein Herz verzehrt!... Damit ich in deine Stapfen trete... Ich bin der Ärmste und Elendeste der Sterblichen... Siehe, ich gehöre dir zu und kann nicht von dir lassen, du geduldiger König der verhöhnten und gekreuzigten Menschheit!...‹

Nachdem der Kanzler noch eine Weile mit dem Bilde geflüstert, wendete er sich langsam und entdeckte mich auf meinem Schemel. Ich hielt mich unverwundert und beschloß, tapfer zu lügen, wenn er mich früge, ob ich ihn belauscht hätte.

Er aber näherte sich mit ruhigen Schritten, unmerklich lächelnd. – ›Sohn Japhets‹, sprach er mich an, ›du hast unter den Kindern Sems gelebt und weißt, daß sie es nicht glauben, der Ewige habe seinen einzigen Sohn ans Kreuz schlagen lassen – wie belehrst du sie eines Besseren?‹

Ich erhob meine Augen fest auf den Kanzler und antwortete unverzagt: ›Mein Salvator hat den Verräter Judas geküßt und seinen Peinigern vergeben; solches aber vermag ein bloßer Mensch nicht, denn es geht gegen Natur und Geblüt.‹

Herr Thomas wiegte leise das Haupt. ›Das hast du recht gesagt‹, meinte er, ›es ist schwer und unmöglich.‹ –

 

Waren aber die Worte des Kanzlers nicht allesamt christlich, so wurden es seine Werke je mehr und mehr. Es schien in jenen Tagen, als wolle Herr Thomas, müde seines Glanzes, der Herrlichkeit sich entkleiden und, selbst ein friedloser und herzkranker Mann, Übel heilen und Frieden bringen, so weit seine Macht reichte. Aber er tat es mit furchtsamer Klugheit, damit der König und die Normannen seiner nicht spotteten oder einen Argwohn gegen ihn faßten.

Es wurde ihm nicht schwer, dem Könige zu zeigen, daß es klug sei, nicht über Maß seine Sachsen zu belasten und sie nicht zur Verzweiflung zu treiben, und daß es vorteilhaft sei, als ein gütiges Wesen über ihnen zu stehen, großmütiger als seine Normannen, die ihre sächsischen Knechte und Mägde nach ihrem Gefallen mißhandelten. So durfte er mit königlichen Gesetzen das sächsische Volk erleichtern, nicht auffällig und herausfordernd, sondern umsichtig und verborgen, um die Normannen nicht zu reizen. Begreift, er packte die Last auf dem Rücken des Saumtieres um, ohne sie zu vermindern, und sorgte nur dafür, daß die Riemen nicht zu tief ins Fleisch schnitten.

Aber auch den Normannen erwies er Dienste und verdoppelte gegen sie seine Freigebigkeit. Er überhäufte sie mit Gunst und fürstlichen Geschenken und schlichtete ihre persönlichen Zwiste mit weisen Schiedsprüchen. Hatten sich zwei Mächtige verfeindet, so trat er als Friedensstifter zwischen sie.

›Wer bin ich?‹ sagte er dann wohl, ›um mich in die Angelegenheiten der Großen zu mischen? Ein Diener meines Herrn, der ihm die Stützen seines Thrones erhalten will.‹ Und die zwei Feinde gingen versöhnt und in ihrem Stolze befriedigt von ihm.

Hätte sich Herr Fauconbridge nur warnen lassen! Dieser beneidete den Kanzler um seine Gunst bei beiden Königen, Herrn Heinrich und dem Capetinger, und stellte ihm nach mit gezogenem Schwerte, aber auch mit heimlicher Verleumdung und der Schrift des Kanzlers nachgefälschten, an den König von Frankreich gerichteten Briefen, mit denen er unter der Hand Herrn Thomas des Hochverrats bezichtete, während er selbst mit dem Hofe von Frankreich gefährliche Ränke spann.

Doch Herr Thomas durchschaute und überblickte ihn. Er lud ihn ohne Wissen und Beunruhigung des Königs zu sich – ich selber trug den Brief – und legte ihm dann mit gelassenen Worten und in sichern Beweisstücken die Wahrheit vor. – Weil er ihn aber, ohne Rache an ihm zu suchen, ziehen ließ, statt ihn, wie er gekonnt hätte, mit einem Schlage zu vernichten, hielt ihn der Normann für einen vorsichtigen Feigling, der sich vor dem entscheidenden Streiche fürchte, und gebärdete sich fortan zwiefach sicher und frech, bis er mit einer Tat offener Felonie die Krone angriff und man ihm dann freilich sein Blutgerüst zimmern mußte.

Dergestalt verlor Herr Fauconbridge, dessen Ahnen mit dem Eroberer gekommen waren, sein Erbe und sein Haupt durch die langmütige Barmherzigkeit des Kanzlers.

Als dieser dem Könige später erzählte, er habe die verwegenen Pfade des rebellischen Barons von Anfang an gekannt und im Auge behalten, der König aber ihn fragte, warum er den Verräter nicht früher entlarvt habe, antwortete der Kanzler: ›O Herr, wozu?... Es regen sich unter dem Tun eines jeglichen unsichtbare Arme. Alles Ding kommt zur Reife, und jeden ereilt zuletzt seine Stunde.‹

VIII.

Da begab es sich eines Tages, daß der König mit seinem Kanzler über Staatsgeschäften zusammensaß. Das war in einem Schlosse der Normandie. Der Herr ließ sich von mir den Becher füllen mit jenem leichten Schaumweine, den er liebte, und der Kanzler legte ihm den Inhalt der eben aus Engelland angelangten Botentasche vor. Einen Brief, an welchem das Siegel von Canterbury hing, behielt er bis zuletzt und sprach dann, denselben vor dem Könige entfaltend, in seiner ruhigen Art:

›Der Primas von Canterbury ist zu Anfang verwichener Woche gestorben, erhabener Herr.‹ – Herr Heinrich wunderte sich wenig darüber. Ohne etwas zu entgegnen, ließ er wohlgefällige Blicke auf dem Kanzler ruhen.

›Er kränkelte schon lange‹, fuhr Herr Thomas fort, ›doch glaubte ich ihn seinem Ziele noch nicht so nahe. Jetzt ist für dich, o König, und für die englische Staatsmacht die gelegene Zeit, die entscheidende Stunde gekommen, wo du das schädliche Geschwür deines Reichs, die geistliche Gerichtsbarkeit, schneiden und heilen kannst. Wenn mein Herr diese gefährliche Stelle mit kühner Wahl besetzt, so ist er der Erfüllung seiner königlichen Wünsche nahe gerückt.‹

Der König zwinkerte schalkhaft mit den Augen, sei es, daß er wie gewöhnlich an der Weisheit seines Kanzlers sich ergötzte, sei es, daß er dieselbe mit der seinigen diesmal noch zu überbieten und zu überraschen hoffte.

Herr Thomas sah die schlaue Miene des Königs und beobachtete sie gelassen. ›Auch einen besseren Heiligen Vater als den, welchen sie vor etlichen Monden in Rom auf den Thron gehoben haben, könnten wir uns nicht wünschen. Er hat eine Leidenschaft, durch welche wir ihm menschlich nahe kommen können. Mit gelehrter Hast sammelt und betrachtet er Münzen, und, wunderbar, während er sich begnügt, die alten römischen Imperatoren in ein paar wohlerhaltenen Exemplaren zu besitzen, kann er deiner Goldstücke, o Herr, nie genug bekommen, zu Hunderten, zu Tausenden ersehnt er sie, weil sie dein erhabenes Antlitz tragen und er an ihm, als an demjenigen eines treuen Sohnes der Kirche, sein Gefallen findet.‹

Herr Heinrich schüttelte sich vor Lachen, während der Kanzler diese Hohnrede mit ernstem und traurigem Munde, wie er immer zu scherzen pflegte, vortrug. ›Wie aber wird mein Herr nun den Stuhl des Primas besetzen?‹ sprach er weiter. ›Mit jenem Bischof oder mit diesem Abte‹ – ich bin der Namen nicht mehr sicher und möchte Euch um nichts in der Welt, auch nur in einer Kleinigkeit, das Unwahre sagen –, ›beide sind sie geeignet für die Zwecke meines Herrn, doch vielleicht der Abt noch besser, denn er ist der Lasterhaftere.‹

›So läßt er sich leichter handhaben‹, ging der König auf den Gedanken seines Kanzlers ein.

›Der Bischof wäre nicht weniger gefügig‹, versetzte Herr Thomas, ›der Vorzug des Abtes ist ein anderer, und ich gebe nur der Weisheit meines Königs Worte, wenn ich der Gefahr deiner Politik folgendermaßen das Antlitz aufdecke. Du weißt, o Herr, wie und warum der Eroberer, dein erhabener und ruhmbedeckter Ahne, die englischen Bistümer nicht nur mit der Gerichtsbarkeit über die Kleriker, sondern, was den Staat entkräftet und zerstört, über die Händel zwischen Klerikern und Laien begabt hat. Das war damals nützlich, da die ersten Bischöfe des Eroberers Kreaturen waren; jetzt ist es schädlich und unerträglich, denn aller Eigenwille deiner Normannen duckt unter den Bischofsstab, und jeder Empörer gegen deine Majestät läßt sich eine Krone scheren, um die Blitze deiner Gerechtigkeit ungestraft verhöhnen zu können.‹ –

Mein Herr und König ballte seine auf der Lehne des Stuhles liegende Hand, denn er war ein Freund der Ordnung und der Gerechtigkeit.

›Deiner Weisheit ist nicht verborgen‹, bemerkte Herr Thomas, ›warum auch erschlichene Rechte der Kirche sich so schwer mindern oder aufheben lassen: weil die Kirche ein Doppelwesen ist, das aus Leib und Seele besteht. Der Leib ist ein Heer von Geschorenen und Ehelosen, ein paar tausend von Münstern und Klöstern, ein Bündel von Gebräuchen, Gelübden und auf Fabeln und Fälschungen beruhenden Ansprüchen. – Die Seele der Kirche aber ist Tugend, Bescheidenheit, Erbarmen, Keuschheit‹ – der König machte unwillkürlich eine Gebärde und zuckte mit den Wimpern –, ›kurz, alles, was jener Andere lehrte, den sie gekreuzigt haben.‹

Ihr müßt wissen, Herr Burkhard, daß der Kanzler den Salvator nie bei einer seiner hochgelobten Würden nannte, sondern immer nur den ›Andern‹, und ich meine, daß es seinem heidnischen Blute widerstrebte, den heiligen Namen auszusprechen.

›Das Volk aber, o Herr, kann Gefäß und Inhalt nicht trennen; – hast du es mit einem Primas zu tun, der durch seine Tugend Gewalt über die englischen Seelen übt, du nimmst ihm nicht ein Titelchen seiner Vorrechte. Darum wähle du einen öffentlichen Sünder, einen unbestrittenen Lasterhaften wie unsern Abt...‹«

 

Also fuhr der Armbruster, der im besten Zuge war, in der Rede des Kanzlers fort, doch Herr Burkhard hatte sich gegen ihn vorgeneigt und zupfte ihn am Ärmel.

 

»Armbruster«, tat er Einspruch, »ich halte dich für einen wahrhaften Mann; aber es wird mir schwer zu glauben, daß ein jetziges Mitglied der triumphierenden Kirche sich bei Lebzeiten, auch vor seiner Bekehrung, über die hienieden streitende so schnöde geäußert und deinem König einen so ruchlosen Rat gegeben. Ich habe es dir gesagt, dem neuen Heiligen bin ich nicht grün; aber was zu viel ist, ist zu viel. Das kommt aus deinem Eigenen!«

»Herr«, versetzte Hans der Engelländer mit einem bösen Lächeln unter seinem grauen Barte, »es mag sein, daß der Kanzler dazumal nicht diese körperlichen Worte ausgesprochen hat, dem Geiste nach aber hat er sich so ergangen, das dürft Ihr mir glauben, und nicht ein-, sondern hundertmal – versteht mich, als Staatsmann. Er hat vor meinem Könige diese Frage häufig erörtert. Daß aber etwas von dem Meinigen beifloß, ist nicht unmöglich, denn leider beten wir alle dieselbe Litanei, sobald auf die Sitten der Pfaffheit die Rede fällt – natürlich mit gebührender Ausnahme Eures Stiftes und noch mehr Eurer eigenen ehrwürdigen Person. –

Gesetzt aber auch, meine Geschichte wäre etwas ins Ungewisse geraten, von jetzt an wird sie echt und unumstößlich wie das Evangelium. Denn was nun geredet wurde, haftet in meinem grauen Kopfe wie die römische Schrift auf einem umgestürzten Meilenstein, dessen Bruchstücke noch die unauslöschlich eingegrabenen Lettern tragen. Bei der Gnade der Mutter Gottes, ich rede die Wahrheit und lüge nicht. Wo aber stand ich, ehrwürdiger Herr, als Ihr mich unterbrochen habt?«

 

»Bei deinem lasterhaften Abte«, versetzte der Alte noch etwas gereizt.

»Zweifelt nicht daran, daß der Kanzler ihn empfohlen hat!« fuhr Hans mit Feuer fort.

»›Mein König‹, sagte Herr Thomas, ›diesem tierischen Menschen wird es nicht gelingen, die Rechte seines Stuhles als göttliche zu verteidigen. Du wirst sie ihm entreißen – und dann: weg mit ihm!‹

Er stieß diese Worte verachtungsvoll von seinen feinen Lippen und fügte hinzu: ›Der Unreine wird sich überdies selbst zerstören. Begnügt er sich doch nicht, o Herr, wie deine anderen Bischöfe, Buhlerinnen zu halten, sondern überfällt und verdirbt die unschuldige Jugend.‹

Ich meine, daß der Kanzler nur jenen landkundigen Sünder im Sinne hatte; aber unversehens mußte ich an Gnade denken, und auch der König bewegte sich unruhig. Doch schnell überwand er die Scham und verwarf diesen Verdacht, wußte er doch, daß Herr Thomas es verschmäht hätte, sein Inneres durch eine Anspielung zu enthüllen.

In der hellen Laune eines Freigebigen, der im Begriffe steht, ein großes Geschenk zu machen, und mit freudestrahlenden Augen fuhr der König fort:

›Wohin denkst du, Thomas? Diesen Stuhl, worin zwei Heilige und Gelehrte gesessen haben, von denen der eine, der selige Lanfranc, den die Wandlung leugnenden Ketzer Berengar besiegt, der andere, St. Anselm, einen triumphierenden Beweis für das Dasein Gottes geführt hat, diesen Stuhl sollte ich mit einem Schweine besetzen? Das bleibe ferne von meinem königlichen Willen!‹ Und mein Herr und König freute sich seines Wissens.

In der Miene des Kanzlers war die vorwurfsvolle Frage zu lesen, ob ihm Herr Heinrich durch eine plötzliche Laune lang erwogene Pläne durchkreuzen werde.

Der König ergriff seinen Becher und leerte ihn fröhlich. ›Ich will meinen Pfaffen einen Primas setzen, darob sie sich wundern werden, einen Mann von vornehmer und unbefleckter Sitte, einen spitzfindigen Philosophen und dazu einen mir ergebenen Mann und geborenen Gegner des päpstlichen Wesens.‹

Herr Thomas aber erwiderte mit einem ungläubigen Lächeln: ›Ich lasse meine Blicke, o Herr, durch deinen Klerus wandern, aber sie suchen deinen Erwählten vergebens.‹

›Du errätst nicht?‹ drängte der König, ›ich will dir zu Hilfe kommen! Ich sage dir, wahrlich keiner wird auf dem Stuhle des Primas sitzen als du!‹

Der Kanzler blieb ruhig, aber in allmählichem Erblassen wich jede Farbe aus seinem Antlitz. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück. Dann wendete er, den Anblick des Königs vermeidend, seine dunkeln Augen seitwärts zu mir. Mit zwei Fingern seiner lässig herabhängenden Rechten hob er eine Falte seines Purpurgewandes langsam in die Höhe, so daß die zurückgebogenen Schnäbel seiner köstlichen Schuhe sichtbar wurden.

›Bogner‹, scherzte er und streifte mit einem verächtlichen Blicke seine von Edelsteinen schimmernde Kleidung, ‹beschaue dir einmal den heiligen Mann!... Diesen Täufer Hans, der die weichen Kleider verschmäht, die man an den Höfen der Könige trägt – betrachte dir diesen guten Hirten, der das verirrte Lamm auf den Schultern heimholt und sein Leben läßt für die Herde.‹

Der König stieß ein grelles Gelächter aus – mir aber ward übel dabei zumute.

Inzwischen hatte sich der Kanzler mit kaltem Angesichte gegen den König gewendet. ›Hoheit‹, sagte er, ›diese Wahl ist nicht dein Ernst. Sie ist eine unmögliche in den Augen deiner Bischöfe, deiner Normannen und deiner Sachsen. – Soll der englische Klerus, als seinem Vater, einem geschmeidigen Höfling gehorchen, weil dieser einmal in seiner Jugend durch Zufall oder um eines Vorteils willen die erste Weihe empfangen hat – soll ein Sachse die Seelen deiner Normannen oder ein Abtrünniger – wie sie ihn nennen – die Seelen deiner Sachsen weiden? Herr, dein Kanzler widerrät dir diese schlechte Wahl.‹

›Sie ist die vortrefflichste‹, behauptete Herr Heinrich hartnäckig. – ›Du auf dem Stuhl von Canterbury, und der Thron St. Petri kracht in seinen Fugen; du unter der Mitra, und dem Heiligen Vater wackelt die seinige auf dem Kopfe! Schach und Schachmatt!‹

›Ich weiß nicht, Herr‹, fuhr der Kanzler mit ernsthaftem Spotte fort, ›ob du je von jenen plötzlichen Wandlungen gehört hast, die mit einem Menschen vorgehen können, der sein Kleid wechselt und geistliches Gewand anzieht. Es ist kein Geringes, den Hirtenstab zu ergreifen, den zwei jetzt in der Glorie Stehende in den Händen getragen haben: der selige Lanfranc, der die Frucht der Ähre und des Weinstockes als den Leib und das Blut Gottes erkannte, und der heilige Anselm, der den Unergründlichen ergründete. Wenn ich nun durch ein Wunder zu einem wahren Bischof würde? Das käme dir unerwartet und ungelegen!‹

›Thomas, zügle deine Zunge!‹ drohte ihm der König mit dem Finger, ›ich leide keinen Spott über heilige Dinge! Wohl ist es schon lange, daß ich anfange, dich zu durchblicken. Du hast arabische Philosophie eingezogen – du folgst einer Geheimlehre und bist kein demütiger Christ; ich aber will als ein solcher leben und sterben!‹

›Du kannst nicht glauben, o König‹, antwortete Herr Thomas traurig und deutete auf seine Brust, ›daß auf diesen abgestorbenen Baum noch ein Tau des Himmels fallen möge – und du hast wohl recht! Aber auch ohne Frömmigkeit kann man der Welt müde werden. Unter den Flügeln deiner Macht habe ich dieses Reich lange Jahre regiert, mit welchen Mitteln? Mit Gewalt, Bestechung, Wortbruch... und mit schlimmern, die ich nicht aussprechen mag. So werden die Reiche der Welt verwaltet, aber ich bin es müde. Was ist mir dieses Engelland? Ich bin kein Normanne, nicht einmal ein Sachse! Fremdes Blut fließt in meinen Adern. – Und die Schätze, mit welchen du mich, Großmütiger, überhäufst – für wen sammle ich sie? – Für den Rost und die Motten!‹

Hier sah ich gleich, daß Herr Thomas an den Tod von Gnade dachte, und auch der König war davon gerührt. Eine Träne rollte auf seiner Wange, denn Herr Heinrich hatte ein weiches Herz.

›Sunt lacrimae rerum‹, murmelte der Kanzler vor sich hin.

›Von wem ist dieser Vers, Armbruster? Du warst ja ein Kleriker!‹ wandte er sich von neuem gegen mich, als wollte er die Maske des Gleichmutes, die einen Augenblick gefallen war, wieder vornehmen.

›Von dem römischen Poeten Virgilius‹, antwortete ich ohne Anstand, ›und er bedeutet, daß man die menschlichen Dinge nicht zu stark pressen soll; denn sie sind innerhalb voller Tränen.‹ Also wollte ich meinem Herrn und Könige zu Hilfe kommen.

›Nimm mir ab das alte Joch‹, bat der Kanzler, ›statt mir ein neues aufzubürden, das mich zum Doppelsinnigen und Zweideutigen macht.‹

Einen andern Kanzler suchen? Unmöglich. Herr Thomas war unentbehrlich, und das konnte nicht sein Ernst sein. So sagte sich Herr Heinrich, wie ich mir es denken muß, denn er brach plötzlich in die Worte aus:

›Du bist ehrgeizig, ehrgeizig, ehrgeizig! – Du machst dich kostbar, du Überkluger, weil du dich unersetzlich weißt. Sieh, Thomas, das gefällt mir nicht. Ein fröhlicher Geber, ein fröhlicher Nehmer!‹

›Dein Kanzler muß ich bleiben, denn ich glaube, unsere Sterne und unsere Geburtsstunden stehen zueinander in Beziehung‹, erwiderte Herr Thomas; ›aber zwinge mich nicht, dein Primas zu werden!‹

›Greif zu, greif zu!‹ schrie Herr Heinrich, durch diesen Beginn von Nachgiebigkeit angefeuert.

›Halt ein, o König!‹ rief zu gleicher Zeit der Kanzler – mit einem Blicke, ehrwürdiger Herr, den ich nie vergesse, mit dem Blicke eines Sterbenden. Er fuhr mit der Hand an die Stirn, als brenne ihn dort eine Wunde, und seine Stimme sank zum Geflüster herab:

›Wohin werde ich geführt? In welche Zweifel? In welchen Dienst und Gehorsam? In welchen Tod?‹

Dann erhob er sie wieder fast drohend zur Frage: ›Bist du meiner gewiß, o König?‹

›Gewisser als meiner selbst‹, versicherte Herr Heinrich, der kein feines Ohr besaß und deshalb die geflüsterten Worte überhört hatte. ›Genug des Rätselns! – Ich brauche dich, Thomas! Und sage nicht: was geht mich Engelland an? Meine Gunst hat dich längst über die Sachsen weggehoben, und ich habe mehr für dich getan als für irgendeinen Normann.‹

Hier verzog ein Blitz des Hohns das Antlitz des Kanzlers; aber Herr Heinrich achtete dessen nicht und schrie ungeduldig: ›Keine Widerrede mehr! Ich erhebe dich so hoch ich will und du, gehorche!‹

Da neigte Herr Thomas sein bleiches Haupt und sprach: ›Was du verhängst, das geschehe!‹

IX.

So begab sich denn der Kanzler mit unbeschränkter königlicher Vollmacht im Gehorsame seines Herrn nach Engelland zurück, und dort formte und bildete er mit seinen geschickten Fingern die Bischöfe, die den Primas zu wählen hatten, wie geschmeidigen Ton, bis sie aus seiner Meisterhand als seine Geschöpfe hervorgingen und ihre Stimmen zu seinen Gunsten vereinigten. Alles verlief aufs beste. Herr Thomas wurde ernannt, und der normännische Bischof von Wincester legte ihm mit bittersüßer Miene und großer Feierlichkeit seinen brüderlichen Segen aufs Haupt.

Da gelangte eines Tages eine unglaubliche Mär in die Normandie. Meinem Herrn und Könige wurde berichtet, sein Kanzler habe alle Pracht des weltlichen Lebens mit einem Male und gänzlich von sich getan. Zu dem üblichen Gastmahle seiner Bischofsweihe habe er gegen alle Art und Sitte nicht seine Brüder, die Bischöfe, und übrige vornehme Pfaffheit nebst der Blüte des normännischen Adels geladen, sondern er habe Armut und Schwären, die Bettler und Krüppel von den Landstraßen und Zäunen holen lassen, um seine weiten Säle und seine bischöfliche Tafel würdig zu füllen.

Der König hielt dieses staunenswerte Ereignis für erfunden oder wenigstens von den Neidern und Feinden seines Lieblings ins Große getrieben. Er machte sich über seine normännischen Hofleute lustig, die solches neue und unerhörte Ding verdroß. ›Herren‹, schäkerte er mit ihnen, ›das müßt ihr meinem Kanzler schon lassen, über Miene und schickliche Tracht jeden Standes weiß er Bescheid. In allem zeigt er Geschmack! Euch hat er in der Vollendung des Höflings vorgeleuchtet und euch alle an feinem ritterlichen Anstand übertroffen. Jetzt gibt er seinen neuen Standesgenossen, den Bischöfen, das hohe Beispiel der echten apostolischen Lebensart. Ein seltener, oh, ein einziger Mann!‹ –

Als neue Kunden die erste bestätigten, hinzufügend, der Primas habe sein kostbares Bischofsgewand gleich nach der feierlichen Handlung der Weihe wieder abgelegt und wandle mit magerem, verfastetem Angesicht in einer groben Kutte durch die Straßen von Canterbury, seine Gäste, die sächsischen Bettler, wo er gehe und stehe, hinter sich herziehend, da wurde Herr Heinrich unsicher, und die scherzhaften Anwandlungen vergingen ihm; doch bald hatte er erraten, daß der unvergleichlich Kluge die Maske eines heiligen Mannes nur vorgenommen, um gegen den Papst in den bevorstehenden Unterhandlungen über die geistliche Gerichtsbarkeit in Engelland eine Macht zu gewinnen.

Immerhin beschloß er, selbst zu der Sache zu sehen, und beschleunigte seine Überfahrt nach Engelland.

 

Unterwegs zwischen Dover und London wurde er zu wiederholten Malen von normännischen Herren erwartet und um Recht angerufen gegen den neuen Primas, seinen Kanzler, der sich weigere, ihnen ihre entlaufenen sächsischen Knechte zurückzugeben, welche – so klagten die Herren – jetzt haufenweise den Klöstern zueilen, um sich das Haupt scheren zu lassen; wozu Herr Heinrich mißmutig das seinige schüttelte.

Am Morgen nach seiner Ankunft in Windsor versammelte sich in der großen Halle des Schlosses aller Adel, um die heimgekehrte Majestät zu begrüßen. Sie schlummerte noch. Ich aber bewachte die Tür, durch welche mein König in die Halle zu treten pflegte und von wo sich die glänzende Versammlung leicht überschauen ließ.

Unter all den Herren war von nichts anderem die Rede als von der unerklärlich plötzlichen Verwandlung des Herrn Thomas. Sie waren gespannt auf seine Erscheinung; denn sie wußten, daß er kommen würde, die Majestät zu begrüßen, und unterhielten sich lebhaft mit gedämpften Stimmen, wie es sich in königlichen Gemächern geziemt. Nur Herr Rollo, der Greis, der sie alle um Haupteslänge überragte, tat sich keine Gewalt an, und seine Rede grollte wie ein dumpf rollender Donner.

Er stand auf der rechten Seite des Saales in einem Kreise bejahrter Herren, die hagerste, trockenste Gestalt unter ihnen, und lästerte nach seiner Art gegen die Gesamtheit der Geschorenen und den neuen Primas insbesondere.

›Nie traute ich ihm Mannestreue zu‹, schalt der Waffenmeister, ›dieser blassen Memme! Der falsche und feige Sklave duckt seinen dünnen Leib in die Kutte, weil er ihn dort mehr in Sicherheit glaubt als unter dem Schilde seines Königs. Hätt' ich mit dem Heuchler angebunden, solange er ein Schwert trug! Ihr werdet erleben, der Ränkeschmied stiftet uns schweres Unheil an!‹

Und die Herren stimmten ihm bei.

Auf der anderen Seite höhnten und kicherten die Jüngeren, denen Herr Wilhelm Tracy sein Mokierbüchlein wies.

Dieser Herr war ein fertiger Zeichner, müßt Ihr wissen, der mit dem Stifte zu spotten verstand wie kein anderer. Mit einer kleinen Verzerrung verwandelte er ein Menschenantlitz in das eines Tieres oder in das Abbild eines toten Dinges, dem Gelächter aller Welt preisgebend. Auch mich faßte einmal sein Griffel und schuf mich zu einem krummbeinigen Jagdhund, der dem König in seiner großen Schnauze eine Schnepfe zutrug. Obschon mir damals der Spaß nicht gefiel, war ich der erste, ihn zu belachen, denn es war das klügste. Andere, von reizbarerem Blute und besserem Adel als ich, erzürnten sich wohl, wenn sie Herr Wilhelm in solcher Verwandlung auf die Täfelchen seines Buches kritzte, das er jederzeit an den Gurt gekettelt trug. Gut, daß seine Klinge ebenso spitz war als sein Griffel, sonst hätte ihm dessen Schärfe das Leben gekostet.

Der Spötter wies jetzt der jungen Ritterschaft ein neues Blatt seiner Schildereien. Neugierig näherte ich mich Herrn Rinald dem Schönen, wie sie ihn nannten, der das Spottbüchlein eben in der Hand hielt. Er wand sich vor Lachen und ließ dabei das Büchlein auf den Boden fallen. Ich hob es ihm auf und erblickte darin eine seltsame Pflanze. Aus einem mageren Halme, dessen herabhängende Blätter die Ärmel einer Kutte bildeten, wuchs am schwanken Stielchen eines dünnen Halses als Ähre ein mir wohlbekanntes Marterangesicht. Es war die Heuchelgestalt eines Eremiten und der Primas, wie er leibte und lebte.

So schnell wird am Hofe ein Gefürchteter zu einem Verlachten.

Das Büchlein machte noch die Runde, da vernahm man aus der Ferne einen wunderlichen Klang. Es war eine fromme, einfältige Litanei, die sich dem Burghofe langsam näherte, von tausend und aber tausend inbrünstigen Stimmen halb kriegerisch, halb klagsam gesungen.

›Der Primas und seine Bettler!‹ ertönte es im Saal, und die Herren eilten an die Fenster. Auch ich fand meine Spalte und sah, wie Herr Rollo von der zunächst ragenden Zinne die gepanzerte Rechte gebieterisch ausstreckte.

›Die Zugbrücke auf! Zu die Torflügel!‹ schrie er in den Burghof hinunter, wo normännische Waffenknechte das Tor hüteten. Aber der friedliche Heerhaufe: Mönche, Bettler, Kinder, jegliches Volk geringer Art, drückte und drang wie eine Herde unaufhaltsam herein. Die Kriegsknechte konnten Herrn Rollo nicht mehr gehorchen, sie waren unwillkürlich zurückgewichen, denn Herr Thomas hatte sie mit ausgebreiteten Armen gesegnet. Er schritt hinter einem hochgetragenen Kreuze an der Spitze seines armen Zuges. Er, den ich nie anders hatte zu Hofe kommen sehen als im kostbarsten Aufzuge und mit dem edelsten Geleite, trug ein grobes, härenes Gewand, und die Zehen seines nackten, auf Sandalen wandelnden Fußes glänzten unter der dunkeln Wolle hervor wie ein Stück Elfenbein.

Ehrerbietig und scheu empfing ihn die königliche Dienerschaft, um ihn in die Burg zu geleiten. Noch einmal wandte er sich auf der Schwelle gegen die Seinigen und gebot ihnen, geduldig seiner Rückkehr zu harren.

Sie gehorchten und lagerten sich demütig auf den Boden, die steinernen Bänke des Hofes und die Stufen der Marmortreppe frei lassend. Mein Blick fiel auf den Sachsen, der dem Primas das Kreuz vorgetragen hatte. Er war in der Mitte des Haufens stehengeblieben und hielt das ihm anvertraute Zeichen noch immer hoch. Ein roter Bart deckte zum großen Teil das lehmfarbene Gesicht; dennoch schien mir, ich sollte diese groben Züge kennen. Wahrhaftig, es war Trustan Grimm, der Verlobte meiner Hilde, der Tochter des Bogners in London. Ich freute mich, ihn als Mönch zu finden, und mutmaßte, daß ihn Hilde trotz ihrer Erniedrigung und dem Willen ihres Vaters verschmäht habe, wie es sich auch verhielt, ich aber erst in späteren Tagen mit Gewißheit erfuhr.

 

Inzwischen hatte Herr Thomas die inneren Treppen erstiegen und gerade, da ich mich wieder vom Fenster zurückwandte, trat er in die Halle. Das Ziel aller Blicke, schritt er leise bis in die Mitte des Gemaches. Hier erhob er langsam den Blick auf die Versammlung und mit einer väterlichen Gebärde die segnende Rechte. Ein unmutiges Gemurmel lief durch die Reihen, aus dem das Scheltwort des Waffenmeisters hervorbrach:

›Behalt ihn für dich, Pfaff, deinen schäbigen Segen; wir begehren ihn nicht!‹

Herr Thomas bewegte sich schweigend gegen das offene Fenster und breitete, von den Normannen verschmäht, seine barmherzige Rechte über das Volk der Sachsen aus.

Da stieg aus der Tiefe des Hofes ein lautes Getöne auf, gemischt aus Geschrei des Weinens und der Freude, so daß man den Jubel vom Jammer nicht unterscheiden und trennen konnte; denn es war, seit die Sachsen ihre heimischen Könige verloren hatten, seit hundert Jahren das erste Mal, daß aus einem königlichen Fenster Gruß und Segen auf sie herabfloß.

Die Normannen aber ballten die Fäuste oder legten sie an den Knauf ihrer Schwerter.

Der Primas wandte sich, ohne jemandes zu achten, gegen die wohlbekannte Türe des Königs, gerade da ein Kämmerer von innen sie öffnete und Herr Heinrich in guter Morgenlaune in den Saal trat. Ehrerbietig stand Herr Thomas vor ihm und harrte seiner Anrede mit gesenktem Haupte und in unterwürfiger Haltung.

Herr Heinrich betrachtete seinen Kanzler eine Weile aufmerksam und zweifelnd, nicht anders – haltet mir's zugute – als man einen langjährigen Liebling – Roß oder Bracken – beschaut, der durch Schur oder Stutzen des Schweifes seine Gestalt verwunderlich geändert hat. Überraschung und Gelächter stunden auf seinem Gesicht; doch gedachte er seiner königlichen Würde und Weisheit und entließ zuerst die Hofleute mit einer leutseligen Handbewegung.

›Wir danken euch, Herrschaften‹, sagte er, ›für eure Begrüßung, Dienstwilligkeit und Liebe. Freude und Fröhlichkeit des Wiedersehens versparen Wir auf Unsere festliche Tafel, zu der Wir euch alle einladen, wie es Unsrer Gnade und euerm Werte ziemt. Doch vorerst die Geschäfte mit Unserm Kanzler. Wollet inzwischen einen Gang in Unsre neuen Gärten tun. Vergeßt nicht, einen Blick zu werfen auf den neuen Wasserspender im hinteren Hofe, den grimmigen ehernen Löwenkopf, den Uns der wallonische Meister in Unsrer Abwesenheit vollendet hat. Au revoir, seigneurs barons!‹

Nach diesen Worten des Königs leerte sich der Saal; der letzte, der widerwillig hinausschritt, war Herr Rollo der Waffenmeister.

Jetzt konnte sich mein Herr und König nicht länger halten. ›Zum Henker, Thomas, wie siehst du aus?‹ sprach er neckend seinen Kanzler an, ›kommst du aus der Mauser? Die Federn sind dir ausgefallen, und die Widderhörnchen deiner ritterlichen Schuhe hast du dir abgestoßen – ja, wie ich sehe, sogar die Schuhe selbst verloren!... Ei, ei! Was kann man nicht alles an einem Philosophen, wie du, erleben! – Du bist doch keine schillernde Schlange, welche die Haut wechselt? Zugegeben, daß etwas Abstinenz einen Bischof kleide, so tust du des Guten zu viel, du Großartiger, viel zu viel!... Willst du dich wie ein Asket der Wüste abtöten? So kann ich nicht wieder mit dir Mahlzeit halten, was meine Wonne war; denn Wasser und Wurzeln taugen einem königlichen Magen nicht!‹

Herr Thomas hatte diesen lustigen Worten mit gesenkter Stirne zugehört, ohne eine Miene zu verziehen; nun richtete er die Augen auf das Angesicht des Königs. Da sah mein Herr, wie strenges Fasten und grausame Kasteiung die Wangen des Bischofs verzehrt, die Form seines Schädels verschärft und seinen jederzeit ernsten Blick fremdartig vertieft hatte.

Es übermannte meinen Herrn ein Mitleid. ›Thomas, mein Liebling‹, begann er wieder, ›wirf nun deine Maske weg! Wir sind allein und unbelauscht. Ich glaub es, die Mummerei ist zu meinem Besten, aber Gott verdamme mich, wenn ich verstehe, wohin du damit zielst! Was bedeutet diese Verwandlung? Öffne deinen Mund, du Rätselhafter, Geheimnisvoller.‹

›Deine Rede, mein Herr und König, trifft mich unerwartet‹, antwortete der Kanzler. ›Ich bin kein anderer als ich scheine und mich trage! dein Diener, den du kennst.‹

›So bin denn ich behext?‹ rief Herr Heinrich. ›Ist dies meine Hand? – Bin ich der König? – Bist du mein Kanzler? – Haben wir Tag um Tag zusammengesessen und dieses Land regiert?... – Nein, treiben wir keinen unzeitigen Scherz! Es ist nicht Faschingsnacht, sondern heller, nüchterner Tag! Welch ein unheimlicher Geist ist in dich gefahren? Schütte dein Herz vor mir aus... Du weißt, das meinige steht dir immer offen!‹

›Ich danke dir, o König, daß du dein Geschöpf ermutigst, frei mit dir zu reden‹, erwiderte der Primas. ›So wag ich es, dir zu bekennen, daß diese Hand zu schwach ist, um zugleich den Bischofsstab und dein Siegel zu führen. Unausbleiblich käme das eine der mir anvertrauten Kleinode oder das andere dabei zu Schaden, und ich bin ein zu getreuer Knecht, um dir einen unbrauchbaren Kanzler oder der Kirche einen schlechten Bischof zu gönnen. Nimm, ich flehe dich darum an, o Herr, dies Zeichen deines mächtigen Willens, der mich zu seinem Werkzeuge erkor, dies Pfand deiner übergroßen, unverdienten Gnade, die mich lange Jahre beglückte, nimm es heute wieder von mir!‹

Und Herr Thomas griff in die Falten seines allzu weiten Gewandes, zog das Staatssiegel mit den drei Leoparden daraus hervor und reichte es dem Könige entgegen, um es in seine Hand zu legen.

›Keineswegs!‹ rief Herr Heinrich und trat einen Schritt zurück, ›so, Kanzler, haben wir nicht gewettet! Nicht eine Stunde kann ich deinen Dienst entbehren. Nur du und deine Klugheit können das zustande bringen, worüber wir zusammen gedacht und gewacht haben. Ich könnte mit meiner starken Hand das zarte Gewebe deiner Finger zerstören! Kein Sträuben! Mein Kanzler bist und bleibst du!‹

›Du willst nicht mein Verderben‹, beschwor ihn Herr Thomas, ›dafür bist du zu großmütig! Siehe, ich fürchte mich, den Höhern zu erzürnen, dem du selbst mich anheimgegeben hast. Er ist ein eifersüchtiger Meister, der keinen zweiten neben sich duldet.‹

Diese schwer zu deutende Rede verwirrte den König dergestalt, daß er das Siegel unwissentlich zurücknahm. Er runzelte argwöhnisch die Stirn, und seine Stimme klang mißtönig, als er fragte: ›Wem habe ich dich abgetreten? Doch nicht dem Papste in Rom?‹

Der Primas verneinte mit dem Haupte.

Ein überirdisches Licht umglänzte plötzlich seine Stirn. Er erhob den hagern Arm, daß der Ärmel der Kutte weit zurückfiel, und zeigte nach oben. Da erstaunte mein Herr und König und erschrak in den Tiefen seiner Seele. Das Staatssiegel entglitt seiner Hand und fiel klirrend auf den Marmorboden. Ich trat hinzu und bückte mich nach dem kostbaren Geräte, dessen Griff von purem Golde war. Als ich es prüfend besichtigte, siehe, war es zersprungen, und eine feine Spalte lief mitten durch den edeln Stein und das Wappen von Engelland! Schweigend stellte ich es auf den Tisch mit den vier Drachenfüßen, der neben dem Sessel meines Königs stand.

Als ich mich wieder nach den beiden wandte, hatte sich mein Herr gefaßt und sagte in gewaltsam scherzhafter Laune: ›Sankt Jörg steh mir bei! Du hast mir einen frommen Schreck eingejagt, Thomas! Jetzt aber genug der Überraschungen und Kunststücklein!... Setze dich zu mir, wie immer, und laß uns die trockenen Geschäfte vornehmen.‹

Er warf sich in seinen Stuhl, und ich rückte einen anderen, etwas niedrigeren, aber ebenso reich verzierten für den Kanzler herbei, denselben, auf welchem er immer neben dem König gesessen.

Aber Herr Thomas blieb in ehrfurchtsvoller Entfernung vor dem Könige stehen.

›Erhabener Herr, gib mir Zeit und gedulde dich‹, sagte er. ›Ein halbes Leben habe ich gebraucht, um die Verhältnisse und Rechte deines Reiches zu erforschen – wie könnte ich diejenigen der heiligen Kirche, in deren Dienst du mich gestellt hast und der ich lange fremd blieb, ja feindselig entgegenstand, von heute auf morgen erkannt haben? Darum trage mich mit Geduld.‹

›Zur Sache, Thomas, zur Sache!‹ drängte der König. ›Dir ist wohl bewußt, warum ich dich zu meinem Primas gemacht habe! Laß uns nun gemeinsam die geistliche Gerichtsbarkeit aufheben und vernichten.‹

›Du sollst mich geneigt finden‹, antwortete der Bischof nachdenkend. ›Sind doch in meinen Augen diese Rechte, über die hin und her gestritten wird, veränderliche Gestaltungen, wechselnde Formen, irdene Gefäße, tauglich oder untauglich, je nachdem sie den Wein der ewigen Gerechtigkeit rein bewahren oder vergiften. Ich will mich an den Meister selbst wenden mit der Frage, wie er es meine.‹

›Bei wem willst du dich erkundigen, Thomas?‹ lachte der König, ›bei der heiligen Dreifaltigkeit?‹

›In den Evangelien‹, flüsterte Herr Thomas, ›bei Ihm, an dem keine Ungerechtigkeit erfunden wurde.‹

›So spricht kein Bischof!‹ rief Herr Heinrich in ehrlicher Entrüstung, ›so redet nur ein böser Ketzer! Das hochheilige Evangelienbuch gehört auf eine perlengestickte Altardecke und hat nichts zu tun mit dem Weltwesen und der Wirklichkeit der Dinge. Blicke mir ins Auge, Thomas! Entweder willst du mein Feind werden, oder du hast mit unsinnigem Fasten die herrliche Klarheit deines Geistes getrübt. In Kürze: bringe mir die geistliche Gerichtsbarkeit um, Thomas! Dafür, nur dafür habe ich dich auf meinen schönen Stuhl von Canterbury gesetzt. – Ich will nicht, indem ich die Frevel meiner Pfaffheit ungerochen lasse, die Blitze des göttlichen Gerichtes auf mich und mein Haus herablenken. Jüngst noch hat ein sächsischer Kleriker das Werk und den Ruhm meines Ahns, des Eroberers, auf der Kanzel rebellisch gelästert und ein normännischer sich an der Unschuld eines Kindes vergriffen.‹

›Herr‹, versetzte der Primas, und seine eingefallene Wange flammte, ›sei gewiß, daß ich die Sünden meiner Kleriker härter ahnde als kein weltliches Gericht tun würde!... Abscheuliche Dinge!... und das Abscheulichste...‹ hier hielt er inne und schloß dann mit sinkender, veränderter Stimme... ›Aufruhr und Empörung gegen deine Ahnen und dich – christliche Könige. – Hier erkenne ich den Willen Gottes. – Ob er mir aber die in meine Klöster geflüchteten Sachsen ihren Peinigern, deinen Baronen, auszuliefern gebietet, das frag ich mich und zweifle!‹

Jetzt erkannte Herr Heinrich deutlich, daß der Primas ihm die geistliche Gerichtsbarkeit nicht zurückgeben wolle und seinen heiligen Spott mit ihm trieb.

›Ich bin ein Betrogener!‹ schrie er und sprang von seinem Sitze empor.

In diesem Augenblicke begannen die im Burghofe harrenden Sachsen, vielleicht um ihre Besorgnis für den Primas zu beschwichtigen, eine neue Litanei. Sie sangen das siegesgewisse ›Vexilla Dei prodeunt‹.

Da stürzte der schon gereizte Herr Heinrich ans Fenster und blickte hinunter. ›Thomas‹, gebot er, ›heiße die Schächer schweigen, die du hinter deinen Fersen nachziehst. Das Geheul deiner verhungerten Meute ist mir widerlich.‹

Herr Thomas regte sich nicht. ›Mag auch ein Bischof den Armen und Mühseligen verbieten, dem Kreuze zu folgen?‹ fragte er demütig.

Da geriet der König in bleiche Wut. ›Du wiegelst mir die Sachsen auf, Rebell! Verräter!‹ schrie er und tat einen Schritt gegen den Primas. Seine blauen Augen quollen aus den Höhlen, und er griff mit den nervigen Händen in die Luft, als wolle er den ruhig vor ihm Stehenden erwürgen.

Da öffnete sich eine Türe.

Frau Ellenor stürzte herein und warf sich, in Tränen aufgelöst, dem Primas zu Füßen.

›Ich bin die größte der Sünderinnen!‹ schluchzte sie, ›und nicht wert, den Staub von deinen Sandalen wegzuküssen, du heiliger Mann!‹

Herr Thomas neigte sich zu ihr und beschwichtigte sie mit milden Worten.

Dieses Schauspiel gab meinem Herrn die verlorene Fassung wieder. Er betrachtete sein zu den Füßen des Bischofs liegendes Weib eine geraume Weile. Dann zuckte er die Achseln, schlug eine Lache auf, wandte den Rücken und verließ die Halle.

X.

An jenem Tage verwundete ein Giftpfeil das Herz König Heinrichs. Erst war der Stich nur klein, und mitunter schien es, als wolle er heilen. Aber in der Tiefe eiterte er fort und fraß immer schmerzhafter ins Fleisch, bis zuletzt von diesem einzigen Punkte aus Herrn Heinrichs ganzes Wesen untergraben und sein Königsleben zerstört wurde.

Schnell zwar kam das Verderben nicht über ihn, denn meines Königs starke, freudige Natur leistete ihm Widerstand. Im Drange der Geschäfte, im Wetten und Wagen des Lebens verbiß und vergaß er wohl auch seinen Groll. Zu Nacht aber fuhr er, kaum eingeschlummert, aus unruhigen Träumen empor, sprang von seinem Lager und stellte, rastlos in der Kammer auf und nieder schreitend, den undankbaren Liebling, der ihn als nächtliche Scheingestalt heimgesucht und erschreckt hatte, zur Rede, bald beleidigt und drohend, bald aber auch liebreich mit kosenden Worten. Er hielt ihm alle Beispiele des Undankes vor, deren er sich aus biblischer und weltlicher Historie entsann, und überwies ihn, der seinige sei der größeste. Keines Menschen Mund schildert, was mein König litt. Anwesend und abwesend verfolgte ihn Herr Thomas gleicherweise.

Stand der Primas leiblich als ein stiller Dulder vor dem Könige, so ergrimmte dieser über den erbarmungswürdigen Anblick; hielt sich Herr Thomas abseits vom königlichen Angesichte im Frieden seiner bischöflichen Wohnung, so zürnte und klagte Herr Heinrich um so herzzerreißender, daß sein Vertrautester, früher die Seele seiner Ratschläge, der ihn kenne wie keiner, sein Herz verrate, sich von ihm entferne und sondere, die Schärfe einer übermenschlichen Klugheit gegen ihn wendend.

Und doch ließ es der Primas nicht fehlen an versöhnlichen Worten und unterwürfigem Entgegenkommen. Dann fuhr der König zu und faßte hastig die bedingungsweise gebotene Hand, welche der über dies triumphierende Zugreifen Erschrockene schon wieder erkältet zurückzog. Ebensogut hätte mein König eine Wolke umarmt als seinen ehemaligen Kanzler, diesen schlanken, schmeidigen Aal, festgehalten.

Aber auch wenn der Primas über einen streitigen Punkt ein wahres und wirkliches Zugeständnis machen wollte, durfte es nicht gelingen. Entweder stieß er auf der Fahrt nach Windsor mit einem weltentfremdeten Einsiedler zusammen, der gerade jenes Tages aus seiner Höhle kriechen mußte, um den übertreuen Bischof zu beschwören, die Rechte Gottes und der Armen, seiner Kinder, nicht dem Fürsten der Welt preiszugeben. Oder es vertrat ihm, wenige Schritte vor der königlichen Schwelle, ein verzückter Mönch, das Kreuz in der Faust, den Weg und trieb mit schwärmerischen Worten den Demütigen nach Canterbury zurück.

Wollt Ihr die Wahrheit erfahren?

Eine vermittelnde Formel, welche die englische Königsmacht und die Rechte der barmherzigen Kirche zu gleichen Teilen geschont und gesichert hätte, wäre schon vorhanden und der Klugheit des Kanzlers erfindlich gewesen, wie ich meine. War doch der König nicht unmenschlich und Thomas kein erhitzter Eiferer! Aber die Herzen der beiden Herren kannten sich nicht mehr, und wann sie den letzten Schritt zueinander tun wollten, trat das Gespenst ihrer gestorbenen Liebe als blasse Feindschaft zwischen sie.

Dann sei nicht vergessen, daß Frau Ellenor jetzt als ein züchtiges Eheweib nicht mehr von meinem Herrn wich und ihm seit ihrer Bekehrung Tag und Nacht in den Ohren lag, den Heiligen Gottes nicht zu beleidigen, womit sie den König erboste und verhärtete.

Gehetzt und gezischelt, Glut gelegt und ins Feuer geblasen wurde gleichfalls nach Hofgebrauch. Der normännische Adel insgesamt hatte seinen Haß und Abscheu geworfen auf den gottseligen Rebellen, der den entlaufenen Hörigen der eroberten Güter die unerstürmbare Zuflucht seiner Klöster öffnete. Täglich und stündlich wurde dem Herrn hinterbracht, wie der Bischof zunehme und groß werde im Volke der Sachsen und seine gleisnerischen Hände überall und allezeit hilfreich und segnend ausstrecke. Er unterwühle das Reich mit einem heimlich brütenden frommen Aufruhr der Seelen, gefährlicher als ein offener und körperlicher, weil er sich nicht mit Waffen niederwerfen lasse.

Wurde dem König solcher Argwohn eingeraunt, so gab der Gereizte seinem liebsten Rüden einen Tritt und behandelte auch mich unwirsch, besonders wann ich ihm eines jener subtilen Schreiben überreicht hatte, in welchen der Primas mit der ängstlichen Linken zurücknahm, was seine großmütige Rechte gegeben.

Dann geschah es wohl, daß der Herr das trügliche Schriftstück fluchend in der Faust zerdrückte und zur Jagd blasen ließ, ob er seinen Unmut auf freier Heide verwinde. Aber es gelang ihm nicht. Wurde ihm der Edelhirsch zugetrieben und reichte ich ihm die Armbrust, so erblickte er statt des geängstigten Wildes seinen Verfolger, stöhnte qualvoll: ›Hüte dich, Thomas Schlankhals!‹ und durchbohrte dem Tiere das Herz.

Endlich entschloß sich Herr Heinrich, forderte den Primas vor ein Gericht seiner Barone, ließ ihn als Reichsverräter verurteilen und vertrieb ihn auf ewig aus seinen Landen. Am selben Tage aber, da Herr Thomas wie ein Verbrecher über Meer entfliehen mußte, wich Frau Ellenor von ihrem Gemahl und verließ Schloß Windsor mit einem weit vernehmbaren Wehegeschrei.

Jetzt begann das Ohr meines Herrn und Königs Tag und Nacht über Meer zu lauschen, was Herr Thomas drüben beginne.

 

Zuerst verlautete, der Capetinger habe ihn an der jenseitigen Küste mit Ehrfurcht empfangen und um seinen Segen gebeten, ihn versichernd, er, als ein christlicher Fürst, habe wahrlich sein Leben lang nie einen Mönch beleidigt, geschweige einen Bischof.

Das war König Ludwig, den sie den Jüngling nannten, weil er als ein unbärtiger Knabe den Thron bestieg, und der Name blieb ihm, da er es nie zu einer herzhaften Männlichkeit gebracht hat; wie denn auch Frau Ellenor, die er als seine Königin heimgeführt hatte, in der Gärung ihrer übermütigen Jugend sich bitterlich beklagte, man habe sie mit einem heiligen Mönche vermählt.

Dieser Herr war ein geborner Freund der Geistlichkeit und beschwor den Vater der Christen mit Beilegung goldener Pfennige, die Sache des heiligen Primas an die Hand zu nehmen gegen Herrn Heinrich, welcher sein und seines Hauses Erbfeind war und den er mit den Waffen der Kirche wirksamer zu bekriegen hoffte als mit seinen weltlichen.

Seinerseits hielt der Heilige Vater die Waage in sorgsamer Hand, beflissen, seine Gnade je und je in diejenige der Schalen zu legen, die durch das Gewicht hineingelegten Goldes herabgezogen werde.

Diese päpstliche Weisheit gedieh meinem Könige in jener Zeit zum Nachteil, da ihm seine Kriege in Irland ein schweres Geld kosteten und ihm weniger als früher für den Vater der Christenheit übrig blieb.

Dennoch zögerte der Heilige Vater, für Herrn Thomas ohne Rückhalt einzutreten. Er konnte kein rechtes Vertrauen zu ihm fassen und in seinem Geiste den verfolgten Bischof von dem ehemaligen Kanzler nicht sondern. Diesen hatte er wiederholt als einen durchtriebenen Staatsmann erfahren, und es erschien ihm verdächtig, daß er jetzt von seiner Kunst keinen Gebrauch mache, sondern sich verfolgen lasse wie ein großer Apostel der ersten Kirche oder ein schwärmerischer Ketzer der jüngsten Zeit.

Es wurde mir von glaubwürdigen Zeugen versichert, und wie ich Herrn Thomas kannte, hielt ich es für Wahrheit, er habe seine Sache heilig gehalten und seine Hände rein von jedem Verrat an seinem Herrn und Könige, den Papst nicht weiter in Anspruch genommen und vom Capetinger nichts verlangt als eine Klosterzelle, wohin er sein Haupt berge.

Dergestalt ging er denn, vom Heiligen Vater aufgeopfert, die Hoflager des Capetingers vermeidend, am Wanderstabe des Elends von Kloster zu Kloster, und oft verloren sich seine Spuren. Während so seine Leiblichkeit in Frankreich abnahm und schwand, wuchs seine Macht und geistige Gegenwart in Engelland und stand über den trauernden Sachsen wie der Vollmond in der Nacht. Oder, wenn Ihr lieber wollt, Herr Thomas wohnte wie das Christkind im Stalle, niedrig und prächtig, in allen englischen Hütten und Herzen. Er herrschte dort als König und vertrieb die Furcht aus den Seelen.

Diese meine Augen haben es gesehen, wie die Sachsen und mehr noch ihre Weiber jetzt, da Herr Heinrich den Primas gerichtet hatte, seiner Majestät Ehrfurcht und Kniebeugung verweigerten, sich abkehrend, wo er vorüberritt. Noch ist mir ein Stücklein davon erinnerlich. Mein König lustwandelte eines Tages in seinen Gärten, wo sie sich gegen Wald und Fluß ins Freie verlieren, und ich ging nach meiner Gewohnheit von ferne in seinen Stapfen. Da kroch aus den blühenden Büschen ein blondes Sachsenkind hervor und geriet dem König zwischen die Füße. Der heute gutgelaunte Herr hob den Buben auf, liebkoste ihn und drückte ihm ein Silberstück in das Händchen. ›Halte fest, mein Junge!‹ sagte er. Da sprang die Mutter, die sich in einer ersten Anwandlung von Ehrfurcht und Zittern hinter einen Baumstamm geduckt hatte, mit brennenden Augen hervor, entriß dem Kinde die Münze und warf sie entsetzt ins Dickicht, als wäre es einer der dreißig verfluchten Silberlinge. Ich eilte herbei, um die Freche, welche mit dem Kinde auf dem Arme davonrannte, zu ergreifen. Herr Heinrich aber sprach: ›Hans, laß sie laufen!‹ und wandelte fürbaß mit verdorbener Laune, seufzend und nachdenklich.

Tag und Nacht ging alles Träumen und Sinnen meines Königs darauf hin, wie er Herrn Thomas seiner Primaswürde, an der, wie er sich einredete, die Verehrung der Sachsen hing, rechtsgültig und für immer entkleide. Darüber habe ich ihn oft, die Faust auf die Stirne gedrückt, grübeln und brüten sehen. Eines Morgens trat er mit triumphierendem Angesicht aus seiner Kammer – er glaubte das Rätsel gelöst.

Es war am Tage der Himmelfahrt unseres Herrn, daß Herr Heinrich vor die Versammlung seiner Barone trat und ihnen vorstellte, sein weit verästetes Reich bedürfe eines zweiten Hauptes, und er würde sich, die Krone mit seinem Erstgeborenen teilend, Last und Sorge erleichtern.

Die Herren willigten in guten oder bösen Gedanken und Absichten ein, daß Prinz Heinrich neben seinem Vater gekrönt werde, und es krönte und salbte den Jüngling der normännische Bischof von York. Darauf folgte ein der Gelegenheit würdiges Festmahl, und dabei begab es sich, wie ich hier vor einem Jahre Euern Brüdern, den Herren im Stift, vorgemacht und nach Wahrheit beteuert habe, daß mein Herr dem Jungkönige Heinz bei Tische diente und ihm eigenhändig die Speise vorlegte. ›Heute bin ich einer schweren Bürde ledig geworden!‹ rief er und vergoß Tränen der Freude.

 

Ist Euch die List der Sache klar, Herr? Erkennet Ihr, welche Last mein König abzuwerfen wähnte?

Ihr schüttelt das Haupt? Wohlan, hier habt Ihr den Schlüssel dazu. Das große Privilegium, der unvergleichliche Edelstein der bischöflichen Mütze von Canterbury war die Krönung der englischen Könige. Dadurch, daß sie ein anderer Bischof vollzog, wurde die Primaswürde vernichtet und Herr Thomas heruntergerückt. So rechnete mein König und ergriff das Mittel, den eiteln Heinz an seine Seite auf den Thron zu heben; denn er meinte, sein Erstgeborner werde sich damit begnügen, das schimmernde Krönlein auf seinem Haupte im Spiegel zu betrachten und es auf Gewand und Pferdedecke sticken zu lassen.

War der Plan nicht fein und staatsklug wie weiland die Ratschläge des jetzt der Schlauheit der Welt abgestorbenen Kanzlers?

Es war ein böses Fündlein, wie Herr Heinrich kein schlimmeres hätte tun können!

 

Wenige Wochen später zeigte es sich. Zwei Unheilskunden langten an dem gleichen Tage in Windsor an.

Die eine erzählte, Jungkönig Heinrich sei, den wetterwendischen Herrn Gottfried mit sich ziehend, nach Paris geritten unter dem Vorwande eines Turniers, in Wahrheit aber, um die jenseits der Meeresenge gelegenen Länder des Normannenreiches unnötiger und schmählicherweise von dem Capetinger zu Lehen zu nehmen.

Die andere lautete, der verborgene Herr Thomas sei in einer französischen Stadt zu Pfingsten an den Tag getreten und habe unter dröhnendem Glockenschlage die brennenden Kerzen auf dem Hauptaltare des Domes mit dem Hauche seines Mundes gelöscht, den Bischof von York, der in die Rechte des Stuhles von Canterbury gegriffen, mit dem Banne schlagend.

Wie der alte König, denn diesen unlieben Namen mußte mein Herr seit der Krönung seines Sohnes tragen, diese zwei Botschaften erhielt, gebärdete er sich wie ein wahnsinniger Mann. Er tobte, entgürtete sieh vor seinen Knechten, warf sich stöhnend auf sein Lager, zerfetzte die seidenen Decken, riß mit den Zähnen die Wolle aus den Polstern und zerschlug sich die Brust mit verzweifelten Fäusten.

›Löset mir den versuchten Vampir vom Herzen!‹ heulte er, den Schaum vor dem Munde, und meinte Herrn Thomas, ›er zernagt mir Leib und Seele!‹«

 

Herr Burkhard hörte diese Mär mit Unlust, denn er war ein reichstreuer Waiblinger und darum auch in den Händeln anderer Nationen ein königlich gesinnter Mann. Es konnte ihm nicht gefallen, einen großen und tapfern Fürsten in solcher Erniedrigung seiner selbst zu erblicken.

 

Er machte seinem Mißbehagen mit einem Stiche gegen den gehärteten Armbruster Luft.

»Die zwei Hiobsposten an demselben Tage?... Hans, du träumst! – Liegt doch ein volles Jahr dazwischen, wenn die Zahlen auf den Rändern meiner Chronik nicht fügen!...«

»Bleibt mir vom Leib mit nichtigen Zahlen!« grollte der Armbruster. »Ein anderes ist es«, fügte er, seines unwirschen Wortes sich sogleich bewußt, mildernd hinzu, »ob einer noch im Tagewerke und in der Zeit steht, oder ob der Tod sein Lebensbuch geschlossen hat. Ist einmal das letzte Sandkorn verrollt, so tritt der Mensch aus der Reihe der Tage und Stunden hinaus und steht als ein fertiges und deutliches Wesen vor dem Gerichte Gottes und der Menschen. Beide haben redet und unrecht, Eure Chronik und mein Gedächtnis, jene mit ihren auf Pergament gezeichneten Buchstaben, ich mit den Zeichen, die in mein Herz gegraben sind.

Aber, haltet mich nicht auf! Mich verlangt zu enden, lieber Herr. Denn ich erblicke ein blutiges, totes Haupt vor mir und den gegeißelten Rücken meines Königs.

XI.

Am Abende des Tages, da mein Herr und König durch sein blindes Wüten sich selbst geschändet und vor seinen Knechten erniedrigt hatte, saß ich niedergeschlagen und einsam, voll Scham und Trauer um meinen Herrn, auf einem Mäuerchen bei den Stallungen. Da erhielt ich unversehens einen Schlag auf die Schulter, und Herr Richard, der nach seinen Hengsten geschaut, schwang sich, leutselig, wie er mit den Knechten war, rittlings neben mich auf die Mauer.

›Hans‹, sagte er ohne Umschweif, ›deine Augen haben gesehen, wie sinnlos und unritterlich der Vater sich heute gebärdete! Versänke dieser Tag in ewige Finsternis!... Eine reißende Bestie!... Jammer und Schande!...‹ Zwei kindliche Zornestränen rannen über seine Wangen. – ›Gut noch, daß die Aufrührer, der Heinz und der Gottfried, solches Ding nicht geschaut haben; sie würden den elenden Mann am französischen Hofe und bei allen andern Thronen als einen Wahnwitzigen und Unfähigen auskünden, der sein Reich so wenig als sein eigen Gemüt bezähmen und regieren kann. Bleibt es so, oder wird es schlimmer mit ihm, ei, wie leichtes Spiel haben die Brüderlein, dem Vater die Krone vom Haupte zu reißen und mir mein Erbteil zu entwinden! Aber bei den Augen Gottes‹, beteuerte er, ›das darf nicht dauern!...‹

›Habet Geduld, Herr Richard‹, unterbrach ich ihn, ›und weichet nicht von einem Kranken! Wenn Ihr mit Sicherheit in Euer Erbe treten wollt, bauet auf Gottes Verheißung, die denen, so Vater und Mutter ehren, langes Leben und den Besitz des Landes verbürgt!‹

›Nicht meinetwegen allein muß das Ding ein Ende nehmen‹, sagte Herr Richard. ›Ich bin der Drittgeborne, und, meiner Treu, mich ergötzte besser, ein Reich mit dieser Faust zu ergreifen als das des Eroberers zu erben! Aber...‹, er sprang auf die Füße und reckte die Hand gen Himmel, ›umkommen lasse ich es nicht, das Reich des Normannen, so wahr sein Blut in meinen Adern rollt! Diesseits und jenseits des Meeres soll es zusammenhalten und die Welt beherrschen!‹

Wie er so hoch und herrlich vor mir stand, konnte ich von seinem Glanz das Auge nicht verwenden. Er aber wandte sich zu mir mit den ungeduldigen Worten: ›Hans, wo begann das? Und wurde so schlimm? In der Stunde, sag ich dir, wo der Vater mit der Weisheit, das ist mit Herrn Thomas, sich entzweite. – Widersprich mir nicht! – Ich will verkappt über Meer und nach dem Kloster fahren, wo der Primas fastet und betet. Er hat mich lieb gehabt und liebt mich zur heutigen Stunde, wenn noch eine Faser seines Wesens unvermöncht ist. – Rede mir nicht ein! – Ich gehe, seine Knie zu umfassen! Ich will flehen und bitten – nicht wie ein Königskind und nicht wie zu einem Menschen... ich ruhe und raste nicht, bis ich die zweie zueinander gezogen und versöhnt habe!... Er muß wiederum des Vaters Kanzler werden; denn allein seiner großen und einzigen Weisheit ist es möglich, das Wirrnis zu lösen!‹ –

Ich wußte, wie gerne Herr Richard sich verkleidete und auf Abenteuer ausritt. Diesmal jedoch wurde er durch frommes, kindliches Leid mehr noch als durch sein Blut getrieben.

Ich hielt dem ehrlichen Wildfang noch vor, wie leicht mißlungene Versöhnung in verschärfte Feindschaft umschlägt; dann ging ich unverzüglich, ihm und mir geringes Gewand zu verschaffen, willfährig ihn auf seinen Wegen zu begleiten, denn die fröhliche Zuversicht seiner Augen hatte mich Gewitzigten verblendet.

Urlaub von meinem Könige nahm ich nicht, dieweil es ihm selbst genehm sein mußte, nachdem ich der Zeuge seiner Schmach gewesen, meinen Anblick etliche Tage zu missen.

 

Wir durchritten Frankreich, in zwei ärmliche deutsche Reiter verkleidet, die Kriegsdienst und Löhnung suchen. Herrn Richards Jugend und Adel aber strahlte so siegreich aus dem geflickten Mantel hervor, daß ich, um jeden Verdacht abzuwenden, mich meiner Hofsitten gänzlich entäußerte, in Herbergen und auf Heerstraßen gröblich fluchend und schwörend in meinem väterlichen Alemannisch. Auch ritten wir nachts und rasteten des Tages.

 

Da stieß ich mit einem zusammen in einer Herberge, wo Herr Richard in der entlegensten Kammer schlief, mit einem, der von unten her Gewalt über die Geister empfangen hatte, der mit scharfem Schwerte und noch schärferer Zunge, wo er stand und ging, wie ein Engel der Zwietracht Bande der Natur zerschnitt und den Frieden mordete. Auch das Löwenherz sollte ihn später erfahren, aber jenes Tages blieb er noch vor ihm verschont.

Ich saß vor meinem Imbiß in der Trinkstube, da hörte ich Pferdegestampf auf dem gepflasterten Flur und den Lärm eines anlangenden reisigen Truppes. Ein fünf oder sechs in Kostbarkeit gekleideter und turniermäßig gewaffneter Ritter traten ein und verlangten einen guten, schnellen Trunk.

Es waren Südfranzosen von gelenken Gliedern, feurigen Augen und geflügelter Rede, die, wie ich bald erfuhr, von einem Lanzenspiele in der berühmten Stadt Paris kamen, das sie infolge eines plötzlich entloderten bösartigen Zwistes fluchtweise verlassen hatten.

Sie ließen Scheiter ins Feuer werfen und setzten sich scherzend und silbenstechend um den lodernden Herd. Kreuz und quer sprangen die klingenden Worte. Die einen der Jünglinge setzten die Frauen von Paris herunter neben den Schönheiten von Arles und Tarascon, die andern erhitzten sich wiederum an dem Zwist, der ihnen das Fest vergällt und gekürzt hatte.

Wer diesen gestiftet, darüber war ich nicht im Zweifel. Gerade jetzt sprang er wieder von seinem Sitze und in ihre Mitte, der mit den brennenden Augen und flatternden Haaren, und machte sich zum Herrn des Gespräches.

›Wahr ist es, überall, wo ich hintrete, lodert die Flamme aus der Erde‹, rief er ihnen zu, ›hoch und aufrichtig, kein ersticktes Feuer, wie das eurige! Hasset ihr sie doch auch im stillen, ihr Provenzalen und Aquitanier, Kinder der Sonne, diese Leute des Nordens mit den gepanzerten Gliedern und steifen Gebärden, mit der herrischen Sprache und den begehrlichen Augen! Fühlet ihr doch, wie sie euch beneiden, ihr Begünstigten, eure von Öl und Wein triefenden Hügel, die alte Freiheit eurer römischen Städte, eure glücklichen Porte, wo die Waren und die Gedanken der Erde getauscht werden, Meer und Himmel, eure vollkommenen Weiber, eure süßeste Sprache! Fühlet ihr doch, daß sie euch aus der Sonne drängen und wie Ungeziefer zertreten werden!

So wird es kommen! Denn die Völker der Erde vertilgen sich, und der Haß ist der allmächtige König der Welt! Ihr aber wollet euch nicht stören lassen – so bauet denn eure Nester, rastet und scherzet im Reiche der Täuschung, ihr Sonettendichter! Liebet, bis ihr in der Liebe den Haß findet!

Mich aber lasset auffahren über den Schein in die Wahrheit der Dinge. Hoch lebe der Haß, der glühende Atem der Erde! Sehet dieses Herz, das Gefäß seiner prächtigen Flamme! Wer da hassen will, der pilgere zu dem lodernden Herzen Bertrams de Born! Vor diesem Altar werden die Gesinnungen offenbar und fahren die Hände an die Schwerter!‹

Und er deutete auf ein flammendes Herz in feiner Stickerei von Gold und Purpur, das auf der linken Seite sein schwarzes, eng anschließendes Wams zierte.

›Das Herzchen auf Euerm Wams hatt' ich mir anders gedeutet, Herr Bertram‹, spöttelte schüchtern ein junges Blut, das Violenblau – wohl die Farbe seiner Dame – auffällig zur Schau trug. ›Ihr wandtet Eure Augen doch auch wohl in Liebe Frauen zu, wenn auch nur fürstlichen! Unlängst noch fuhret Ihr über Meer zu Eurer alten Flamme, der Königin Ellenor. Wollet uns das Kriegslied singen, das Ihr dem tugendsamen Gemahl König Heinrichs in den Dämmerstunden zuflüstertet!‹

›Das läßt sich nicht singen und sagen!‹ höhnte der Wilde. ›Zwei Worte hab ich ihr zugeraunt und zwei andere ihrem Sohne, dem Jungkönig Heinz: Gestreut ist die Saat, und Bluternten werden aufgehen!

Bei den Flügeln Lucifers, ich verstricke König Heinrich und seine Söhne in die Ringe eines Drachen, giftiger als der, welcher den Priester Laokoon und seine Kinder erdrückte!‹

Ich konnte den Blick nicht von dem Manne verwenden, der sich jetzt – zu meinem Grauen – nach der Richtung kehrte, in der wir zum Kloster reiten sollten, mit beiden Armen in die Weite grüßend.

Verwundert Euch nicht! ich wußte, wen er vor sich sah.

›Dort betet einer, der noch besser haßt als ich!‹ rief er aus... ›Ich grüße dich, Gefährte!‹

Und er trank dem Fernen, den seine Augen erblickten, feierlich aus voller Schale zu.

›Du stiller, langsam grabender Mann! Du duldest wie dein Meister und lässest dich töten wie er: Du glaubst der Liebe zu dienen, aber der Haß ist der mächtigere, und dein Tod, wie der deines Gottes, ist die Verdammnis der Menschen!

Bischof! Die Wette gilt: wer von uns beiden König Heinrich von Engelland am tiefsten in die Hölle stürze! Dort will ich ihn finden und, mein Knie auf seiner Kehle, einen Triumphgesang anstimmen, daß die Höllenkreise sich dehnen, die Verdammten zu Riesen werden und was darüber schwebt, in sein Nichts verschwindet!‹ –

Das grausige Lästerwort, als ob der süße Pelikan nicht uns allen zu Lieb und Heil sich die Brust geöffnet, hatte mir das Haar zu Berge getrieben, während die an Ketzerscherze gewöhnten provenzalischen Herren sich wenig daraus machten, wohl aber daran herumrieten, wer Herrn Bertrams Mithasser sei.

Dann sprang das Gespräch über auf ein seltsames Zeichen, das jüngst die Leute von Arles erschreckt hätte. Auf dem dortigen römischen Markte sei ein marmornes Mädchenhaupt zu Tage gekommen mit gebrochenen Augen und der Bitterkeit des Todes auf dem Munde, und wenn man seine geflochtenen Locken näher betrachtete, so seien es züngelnde Nattern. Sie meinten, dieses traurige Haupt bedeute ein kommendes großes Sterben in ihren sonnigen Ländern.

All dieses künftige Elend und das gegenwärtige meines Königs bewegte mir das Herz so kläglich, daß ich mich nicht halten konnte und einen schweren Seufzer ausließ. Die Herren, die mich bisher nicht in acht genommen, blickten sich nun verwundert nach mir um. Da erhob ich mich von meinem Becher und ging mit schweren Reitertritten und einem ehrlichen schwäbischen ›Grüez Gott‹ an ihnen vorbei. Sie antworteten als höfliche Leute ohne Zögern mit einem hübschen Kopfnicken. Als ich aber aus dem obern Stockwerke, wohin ich gegangen war, Herrn Richard zu wecken, ihnen nachblickte, die sich rasch zu Pferde schwangen, ebenso stürmisch aufbrechend, wie sie gekommen waren, da warf der Unbändige, ihr Anführer, gerade noch ein loses Spottwort über meinen schwäbischen Seufzer unter sie, und die Herren verritten unter dem Gellen eines scharfen welschen Gelächters.«

 

Der züchtige Herr Burkhard hatte sich über den Lästerungen dieses Fremdlings zu wiederholten Malen still bekreuzt. Jetzt bemerkte er nachdenklich: »Aus dem Schwefelgeruche dieser Reden, Hans, ersiehest du leichtlich, mit wem du in dieser französischen Trinkstube zusammengesessen hast. Mir ist es außer Zweifel, wer jenen fahrenden Mann besaß und begeisterte. Kein Besserer als der Arge, der ein Rebell und Mörder ist von Anfang.

Darum auch wußte er den Martertod des Herrn Thomas voraus, und gleichermaßen, so fürchte ich, wird sich erfüllen, was dieser Unheimliche von der drohenden Verwüstung jener südlichen Lande wahrsagte, worauf auch das ausgegrabene Schreckensweib hindeuten mag.

An jenen Küsten wimmelt es, wie verlautet, von Ketzern jedes Irrtums, besonders von hartnäckigen Manichäern. Ich liebe den Frieden, bin den Menschen hold und freue mich, die läßlichen Sünden zu vergeben. Hier aber wird die Gnade verworfen, und ich könnte es wahrlich geistlichen und weltlichen Herren nicht verargen, wenn sie sich zusammentäten, um diese Verstockten aus dem Mittel der Christenheit zu heben, daß ihre Stätte sie nicht länger kenne.

Doch besser ist, bei diesen traurigen Dingen nicht zu verweilen. Hans, erzähle mir, ob ein Segen war bei der Fahrt des Herrn Richard. Er ist der einzige deiner Engelländer, an welchem meine Seele ein Gefallen finden kann.«

 

»Es war mir kaum möglich, mein Roß neben dem flüchtigen Falben des Löwenherzens zu halten«, fuhr der Armbruster willig fort; »denn seine Sehnsucht nach Herrn Thomas wuchs von Stunde zu Stunde und war kaum mehr zu zügeln, als die Türme des Klosters, wo dieser sich barg, auf dem klaren, blauen Herbsthimmel sich vergrößerten und die Mauern seiner Umfassung schimmerten wie die himmlische Stadt.

Mein Löwenherz kennend und den Sturm seiner Gefühle, beschwor ich den Herrn, mich ihm vorausreiten und die Gelegenheit erkunden zu lassen, worein er, wenn auch ungern und scheltend, zuletzt willigte.

Der Bruder Pförtner vernahm mein Gesuch ohne Argwohn, und als ich den Herrn Thomas nannte, machte er eine so ehrfürchtige Gebärde und zog ein so frommes Gesicht, daß ich wohl merken konnte, der Kanzler stehe hier in hohem Ansehen und im Geruche der Heiligkeit. Er sagte mir, der Primas befinde sich in der Kirche und er wage es nicht, auch wäre es frevelhaft, ihn in seiner Andacht zu stören.

Inzwischen zeigte mir der Mönch die nackte Zelle des aus dem bischöflichen Palaste von Canterbury Verstoßenen mit dem rauhen Feldsteine, worauf er schlummernd das Haupt zu stützen pflegte. Dies harte Kopfkissen verwunderte mich, denn ich wußte, von wie empfindlicher Natur und von wie feinen Gliedmaßen der Kanzler war. Endlich aber, als es nicht werden wollte und des heiligen Mannes Andacht zu keinem Ende kam, ließ mich der Pförtner in die Kirche treten gegen das Versprechen, mich still und eingekehrt zu verhalten, solange der Betende meiner nicht ansichtig würde. So trat ich denn achtsam zwischen den Säulen hervor und wurde alsbald Herrn Thomas gewahr, der in einem hochlehnigen Chorstuhle stand, eher sinnend als betend. Da ich den wundersamen Herrn seit manchen Jahres Frist nicht mehr gesehen hatte, so erschrak ich über die widernatürliche Schmalheit seines Antlitzes und seine tiefen schmerzlichen Augen, deren Blick mehr nach innen als nach außen gerichtet schien.

Ich kniete im Schatten des Hochaltars auf die Stufen nieder und verehrte das Heiligste, ohne Herrn Thomas aus dem Auge zu lassen. Ob er meiner Gegenwart gewahr wurde oder nicht, blieb mir unbewußt, denn nichts an ihm geriet in Bewegung.

Als ich aber nach einer guten Weile langsam mich von den Knien erhob, richtete der Kanzler, ohne mich anzublicken oder eine Miene zu verziehen, die Frage an mich: ›Wie befindet sich mein Herr und König?‹ – Ganz in dem Tone, wie er vormals zu fragen pflegte, wann er mich in Windsor vor der Schwelle der königlichen Kammer traf. Da schossen mir die heißen Tränen in die Augen.

Er aber bewegte sich leise die Stufen herunter, winkte mir mit der Hand, ihm zu folgen, und schwebte mir voraus in den Klostergarten, ein lustiges grünes Geviert mit blühenden Rosenbüschen in der Mitte eines kunstvollen Kreuzganges von neuester Bauart. Obwohl draußen schon die Blätter fielen, hatte das Welken und Sterben der Natur noch keinen Einlaß gefunden in diesen von sorgfältigen Mönchen gepflegten grünen Raum.

Der Primas ließ sich zwischen dem üppigen Gesträuch auf eine Steinbank nieder und wiederholte seine Frage: ›Wie steht es um meinen Herrn und König?‹

›Herr Thomas‹, sagte ich, ›es steht mit ihm nach gemeinem Menschenschicksal und erbärmlicher noch. Er ist nicht mehr zu kennen. Sähet Ihr ihn, es jammerte Euch seiner, und Euer Eingeweide würde sich über ihn erbarmen!‹ Dann schilderte ich ihm mit beweglichen Worten den Verfall und die Verstörung des eines so majestätischen Fürsten.

Er hätte mich lange reden lassen.

Herr, er hörte mich an ohne Schadenlust, auch ohne sichtbares Mitleid, auch nicht fremd und gleichgültig, sondern wie man wohl vernimmt, daß ein Unheil eingebrochen ist, welches man lange vorhergesehen und worauf man sich im Geiste gefaßt hat.

So schwieg er. Aber ich meinte zu fühlen, daß sein Herz sich erweichte, darum erkühnte ich mich und schrie: ›Herr Thomas, Ihr seid ein heiliger Mann und kasteiter Christ! Wenn Ihr vergeben könntet, was Herr Heinrich an Euch gefrevelt hat... es nähme heute noch ein gutes Ende!‹

Er aber schwieg.

›Verzeiht dem Könige‹, schrie ich wieder, ›daß Gnade verloren ging!‹

Da senkte Herr Thomas das Haupt und antwortete rätselhaft: ›Schlimm, wenn die süße Gnade verlorenging... das sei ferne.‹

 

In diesem Augenblicke vernahmen wir das wehklagende Schelten der Mönche, welche einen jungen Reitersmann, der den Pförtner überrumpelt hatte und in den Kreuzgang einbrach, an den Armen zurückhielten. Es war Herr Richard. Das Harren und seine Verkleidung mochten das Löwenherz verdrossen haben.

Die Mönche abschüttelnd, stürzte er zu den Füßen des Primas und rief: ›Mein Vater, mein Vater! Sie wollen mich nicht zu dir lassen.‹

Dieser betrachtete ihn eine Weile schweigend. Dann strich er ihm mit sanfter Hand die schweißgenäßten, verworrenen Blondhaare aus der Stirn und schlichtete sie ihm mütterlich.

Wie ich dies Zeichen seiner zärtlichen Liebe zum Löwenherzen sah, hielt ich unsern Handel für gewonnen und verzog mich bescheiden unter die Gewölbe des Kreuzganges, die beiden Herren ihren Engeln und Schutzheiligen überlassend.

Ich setzte mich unter den Bogen einer durch ein Bündel feiner Marmorstäbe geteilten Fensteröffnung auf die breite Steinplatte und warf hie und da einen forschenden Blick ins Grüne zu den zwei Herren hinüber. Dieser Kreuzgang war voll Bildwerk und, wie gesagt, nach dem neuesten Geschmacke gebaut. Seine Säulen waren mit reichem Gesimse gekrönt, auf welchem, in abwechselnder Reihe, je ein Geschöpf der obern oder der untern Regionen saß, hier ein psallierender Engel, dort ein lächerlicher oder boshaft grinsender Wechselbalg. Aber ich verwendete auf diesen Zierat wenig Aufmerksamkeit, denn mein Auge wurde immer wieder von der Steinbank im Klostergarten angezogen.

Der Königssohn hielt die Knie des Kanzlers umfaßt, der nur sanft zu widerstreben schien, bis jetzt Herr Richard mit glühenden Wangen seine letzte Bitte vorbrachte und den Primas noch herzlicher umfaßte. Hier wandte sich Herr Thomas mit traurigem Antlitze weg, aber der Prinz ließ nicht von ihm, bis er auch diese gewährte. Ich hörte, wie der Jüngling während dieses Ringens um die Seele seines Vaters das Wort ›baiser‹ wiederholt ausrief, und erriet, daß es sich um den Friedenskuß der Kirche handle, mit welchem der Primas seine nächste Unterredung mit dem Könige zu weihen und zu beginnen versprechen sollte.

Nach einer guten Weile schritten die Herren, der blühende Jüngling zur Linken des kasteiten Bischofs, Hand in Hand an mir vorüber durch den Kreuzgang und trennten sich noch innerhalb desselben. Ich folgte. – Herr Richard neigte sich über die blasse Hand des Kanzlers und benetzte sie mit Tränen kindlichen Dankes. Wahrlich, auch mein Herz jubelte, daß die erbarmungswürdigen Leiden meines Königs zu Ende gingen. Da mußte ich, wehe, über den Häuptern der zweie ein steinernes kleines Scheusal erblicken, das, auf dem Gurt eines Pfeilers hockend, mit seinem Krötenbeinchen höhnisch nach ihnen stieß und dazu die Zunge reckte. Dieses mißfiel mir, obschon es ein Zufall war, und ich hätte die beiden Herren lieber erst am nächsten Pfeiler sich scheiden sehen, wo ein harfenierender Engel seine Schwanenfittiche ausbreitete.

 

Herr Richard schickte mich dann Hals über Kopf zum Könige, seinem Vater, mit einem Schreiben, worin er diesen bat, um Gottes Wunden und um seines eigenen Heiles willen die den Bitten des Sohnes gewährte Zusammenkunft mit dem Primas zu beschleunigen.

Als Herr Heinrich aus dem Briefe entnahm, der Bischof verspreche ihm den heiligen Friedenskuß, litt es ihn nicht länger in seiner Burg, er trieb seine Ritter und schalt seine Knechte, bis wir nach wenigen Stunden spornstreichs verritten – so heiß dürstete ihn nach der Berührung der Lippen, die seine langjährigen Qualen stillen und seinem Leben den Frieden geben sollten, wie sein Glaube war.

 

Es war an einem grauen Tage und auf einer trübseligen Heide, daß die Herren zusammentrafen. Herr Thomas, der mit kleinem Gefolge erschien, hatte Mühe, sich von seinem Tiere zu heben. Er war schmal von Gestalt und schwankend geworden, wie ein in Sonne und Wind verschmachtetes Schilf. Der König stürzte vor, um ihm den Bügel zu halten, den Primas aber hatten seine Mönche schon in ihren Armen empfangen. Er stand ehrerbietig vor meinem Herrn, ein müder Mann; aus tiefen Höhlen blickten seine Augen, und zitternd klang seine Stimme, als er an den König die erste Rede richtete: ›Gnädiger Herr, laßt die andern zurücktreten, damit unser Geheimnis unbelauscht bleibe.‹ Er winkte seine Mönche weg, und der König wies mit hastigem Gehorsam seine Ritter zurück, denn ihn dürstete nach dem Friedenskusse. Ich aber ergriff die Zügel der beiden Pferde und hielt mich mit ihnen in kleiner Entfernung von den Herren, während die andern, Mönche und Ritter, wohl auf die Weite eines Bogenschusses nach zwei Seiten zurückwichen.

Herr Heinrich konnte sich jetzt nicht länger halten; mit gespitzten Lippen näherte er sein zerfallenes, aufgedunsenes Angesicht dem kasteiten, heiligen Haupte des Kanzlers. Es war häßlich und abstoßend, das Antlitz meines Königs, aber so rührend und sehnsüchtig, als begehre es nach dem Genusse des göttlichen Leibes.

Was jetzt geschah, Herr, was in dem Innern des Kanzlers vorging, wer kann es sagen?

 

Ich meine, daß dieser Verein von Häßlichkeit und Begierde ihn an die Erwürgung der kindlichen Gnade erinnerte. Er entzog ekelnd seine Lippen dem Könige und betrachtete das nahe Haupt mit Schauder, als erblicke er den Inbegriff jeder Unterdrückung und Schandtat.

Doch der König in seiner blinden Sehnsucht ergriff die Arme und suchte den Mund des Kanzlers, als ihn dieser mit einem Schrei des Entsetzens zurückstieß.

Wie nun Herr Heinrich mit Schmerz und Zorn gewahr wurde, daß ihm der Primas trotz des gegebenen Wortes den Frieden nicht gewähren konnte, verhärtete sich plötzlich sein Gemüt, und er stieß verzweifelnd die Worte aus: ›Was hab ich mit dir zu schaffen, Thomas? Was verfolgst du meine Seele?‹

Der Kanzler aber war seines Willens wieder mächtig und seines Pfades sicher geworden. Er erwiderte mit ruhiger Hoheit: ›Du kennst seit langem meine Natur, o Herr, die in die Stapfen eines Größeren treten muß. Ich bin dessen nicht gewiß, ob der Nazarener, dem ich gehöre und nachzufolgen suche, es über sich gebracht hätte, deine scheusäligen Lippen zu berühren. Den Verräter Judas hat er geküßt, der ihn, die Unschuld und Liebe selbst, verkauft und in den Tod geliefert hat; aber ob er einen Mund geküßt hätte, der die Seele seines Kindes vergiftete und den Leib der Unschuld verdarb, daran muß ich zweifeln. Und da er zugleich ein Gott ist, wie die Kirche lehrt, so kann er den Mord seines Lammes nicht vergeben ohne eine schwere und völlige Sühne, weil er sich selbst, das heißt die Gerechtigkeit, die sein Wesen ist, nicht zerstören kann. Und ich, der ein Mensch, aus heidnischem Blute und nicht so gelassen bin, als ich scheine, ich soll über mich bringen, was mein Meister nicht vermocht hätte! Und doch, es soll geschehen. Aber um ein Lösegeld, Seelen gegen Seele! Sammle deine Sinne, König, höre mich an und überlege.

Siehe, ich habe noch andere Kinder, deine Sachsen, deren Seelen du selbst einst meiner Hut anvertraut hast.

Aber wie soll sie der verbannte Hirte weiden? Und wie sollen diese Seelen gedeihen, wenn ihre Leiber das Eigentum deiner Wölfe, deiner unersättlichen Barone sind? Seit dein Ahn, der Eroberer, viele Tausende dieser überwundenen Sachsen einer Handvoll eiserner Normannen unterworfen hat, wohnen die Beraubten nicht mehr auf eigenem Grunde. Du verstümmelst die Männer wegen eines erlegten schädlichen Wildes kraft deiner barbarischen Jagdgesetze und scheuchst Jünglinge und Mägde in den Schatten der Klöster weg von der Sonne und von der ererbten nährenden Erde, die sie friedlich bauen und bevölkern sollten.

Laß mich gewähren! Höre mich an: ich will dir und dem Sohne, der dir bleibt, ein Volk schaffen. Nicht mit Eroberung und Gewalttat, sondern mit Weisheit und Gerechtigkeit, mit dem sanften Stabe des Bischofs will ich überwinden. Weil ich die Seelen beherrsche, so fürchte ich mich nicht vor den Schwertern deiner Normannen. Ich bin in diesen Tagen des blinden Zornes und der plumpen List noch immer der Klügste der Sterblichen.

O mein König, wie töricht hast du gehandelt, da du, meine Macht zu zerstören, deinen Sohn Heinrich gekrönt hast! Und wie ungerecht! Denn du selbst hast mich zu deinem Primas gemacht, und dein Primas bin ich auf immer.

Siehe hier‹ – er hob eine Rolle aus seinem Busen, ›den Bannstrahl des Papstes in Rom, den er gegen dich wirft, weil du an die Rechte meines Stuhles getastet hast – ein unreines Feuer, das ich nicht auf dein Haupt herabbeschworen habe! – Heute ist der Heilige Vater ein Mietling deines königlichen Vetters von Frankreich, wie er einst, da ich dir diente, der deinige war. Du hast die Seele des Latiners nicht verstanden und spartest das Geld zur Unzeit.

Gib dich, mein Herr und Gebieter, in meine Hände zurück, und ich trete dir diese käufliche Brandfackel aus! Auch auf die Rechte meines Stuhles werde ich einst verzichten, wann ich sie gebraucht haben werde, um in deinem Königreiche jedem Raum und Recht und dir ein Volk zu schaffen. Denn nicht des Latiners Knecht bin ich, sondern ein Diener und Bruder des Nazareners.‹

Über diesen erstaunlichen Worten war das Angesicht des Königs bald aufgeflammt und bald erbleicht. Zuweilen schien er überwältigt, dann sträubte sich sein Königsstolz, dem Bischof und seiner Weisheit sich zuzuneigen und zu ergeben. Feindschaft und Grauen gewann wieder die Übermacht, und seine Seele blieb zwiespältig.

›Siehe, mein Fuß ist müde‹, fuhr Herr Thomas mit weicher Stimme fort. ›Ich bin eine erlöschende Flamme, doch scheint mir lebenswert, in diesem Zeitalter des Hasses und Zwiespalts ein Reich zu gründen, wo Gott und dem Menschen nicht ins Angesicht gespien und geschlagen werde.

Erbe des Eroberers, willst du ein gerechter König werden?

Begehrst du eine mildere Todesstunde als die deiner Ahnen? Über dir schwebt‹ – und Thomas schaute in den leeren Raum über dem Haupte des Königs, wo ich im Geiste eine Hand mit gezücktem Schwerte erblickte – ›eine andere als meine Rache. Ich sühne sie dir. Ich schirme dich. Besser diene ich dir jetzt als einst dein ehrgeiziger Kanzler. Ich bin dein Freund! Denn, siehe, dein Sohn Richard hat für dich gebeten.‹ –

Diese schöne und geistliche Rede hätte vielleicht meinen armen König überwunden, hätte nur der kluge Herr Thomas das Löwenherz nicht ins Spiel gezogen!

Mein Herr Heinrich, obwohl er seinen Dritten über alles liebte, war durch den unkindlichen Verrat und Abfall der Jungherren Heinz und Gottfried gegen sein eigenes Fleisch und Blut argwöhnisch geworden. Ihn ärgerte zu dieser Stunde, daß sein Sohn Richard für ihn gebeten, und in seinem Herzen schwoll und kochte ein schwarzes Mißtrauen.

›Wohin drängst du mich, Thomas?‹ begann er, ›ich soll meine Normannen erzürnen? Was sinnst du?... Meine sächsischen Knechte freigeben?... Meinst du's im Guten... Willst du mich verderben?...‹ Er runzelte die Stirn, als mühe er sich nachzudenken, aber plötzlich kam ein verwirrender Geist des Zornes über ihn: ›Ich erkenne dich‹, rief er, ›du willst mich und mein Reich zerstören!... Seit Gnade, die Gott verdamme, dahin ist, brütest du Tag und Nacht über meinem Untergange, du Heuchler, du Verderber, du rachsüchtiger Heide!‹

Das Antlitz des Herrn Thomas aber leuchtete wie das eines Engels, und er sagte mit strahlenden Augen: ›Ich vergebe dir den Tod Gnades und deine Lästerung, wenn du meine Brüder, die Sachsen, freigibst und fortan göttliche und menschliche Wege wandelst! Willst du, König Heinrich?...‹

In diesem Augenblicke wurde der Haufe der normännischen Herren unruhig, die es verdroß, den König so lange mit dem geächteten Bischof, dessen Klugheit sie fürchteten, verhandeln zu sehen, und deren Ehrerbietung gegen ihren Fürsten schon merklich gesunken war. Sie rasselten mit den Speeren und Schilden, tummelten ihre Rosse und schrien: ›Finissez, Seigneur Roi, finissez!‹

Herr Heinrich erschrak und bedeutete den Primas, schleunig von ihm zu weichen.

›Zurück mit dir‹, rief er, ›in dein französisches Kloster!... Und daß deine Sohlen nimmermehr den englischen Boden berühren, du Volksverführer! Weder hier noch jenseits will ich je mit dir wieder zusammenkommen und zu schaffen haben, du Zauberer und Schicksalsrabe!...‹

Aus dem Angesichte des Primas wich jedes Leben.

Er antwortete mit sanfter Stimme: ›Ich weiß nicht, ob ich deinem Worte folgen kann, denn lange bin ich nun gewandert, und Hirt und Herde verlangen nach einander. Auch sehne ich mich nach meiner Ruhestätte. Darum, o Herr, verspreche ich nicht, dir zu gehorchen. – Doch besorge nichts von mir, meine Schritte suchen den Frieden.‹

›Hüte, hüte dich, bei deinem Leben, meinen englischen Boden zu betreten!‹ schrie der König außer Sinnen und gebärdete sich so heftig, daß Herr Richard, das Löwenherz, der, aufmerksam auf die zweie, sich in der Nähe der normännischen Ritter hielt, mit verhängtem Zügel und bestürzten Mienen herangesprengt kam.

Thomas Becket aber wendete sich von dem Könige mit einem wehen Lächeln. ›Ich glaube, die Stunde meiner Befreiung nahet‹, sagte er. ›Wo hätte ich Zager sonst den Mut genommen, das Haupt zu erheben und meinen Herrn und König zu erzürnen!‹ –

 

So schieden sich Herr Heinrich und Herr Thomas voneinander ohne den Frieden, den sie doch beide redlich gesucht hatten.

XII.

Als wir die graue Heide, den Ort des verweigerten Kusses, verlassen hatten und schweigsam in uns gekehrt nach der festen normännischen Stadt Rouen trabten, trieb uns nach einem warmen, verlängerten Spätherbst eine rauhe Winterluft die ersten Flocken entgegen. Mich drückte der Kummer wie ein zu enger Brustpanzer, denn ich gab die Sache meines Königs verloren, wohl wissend, was ich Herrn Richard nicht verhehlt hatte, daß das an einem Sonnenstrahl der Güte schmelzende Eis der Herzen, von neuer Kälte überfallen, sich zwiefach verhärtet. Mit meinen Augen hatte ich es gesehen, wie der Primas dem Löwenherzen zuliebe sein innerstes Naturwesen hatte zwingen wollen, die Lippen meines Königs zu berühren, und wie er es nicht gekonnt.

Von Dohlen und Krähen umflattert, sprengte Herr Heinrich über das Blachfeld, das sich langsam mit Schnee bedeckte.

Da, an einem Kreuzwege, spornte Herr Richard seinen Falben, den er bei währendem Ritte gegen seinen Gebrauch in den hinteren Reihen gehalten hatte, neben den Berberhengst des Königs und beurlaubte sich von dem Vater mit gesenktem Haupte und, wie mir schien, tiefsinnigen und hinterhältigen Mienen, wie sein tapferes Antlitz sie sonst niemals zeigte. Er schützte ich weiß nicht welche persönlichen Anliegen und Verwickelungen in seiner Grafschaft Poitou vor, und ich verstand, daß er zwar nicht mit den Brüdern gegen den König Panier aufwerfen, aber außerhalb des Streites sich halten werde.

 

In der Stadt Rouen hielt sich Herr Heinrich bis zur Weihnacht, die nicht ferne war, in guter Zucht und christlicher Zerknirschung, hörte fleißig die Messe und tat sich wehe mit Fasten und jeglicher Enthaltsamkeit; denn er war gesonnen, am Morgen des teuern Festes das hochheilige Brot zu essen.

So tat er auch mit Andacht und Freude. Dann setzte er sich mit seinem adeligen Gesinde an die reich beladene Tafel, um seinen kasteiten Magen zu ergötzen. Das festliche Mahl war zu seiner Mitte gelangt, da regte sich der Böse und schickte einen Störefried.

Gestiefelt und gespornt – denn er hatte sich eben vom Pferde gekugelt – keuchte der Bischof von York durch die Halle und stellte sich, rot wie ein Puter, mit erzürnten Gebärden vor den tafelnden König. Dieser kurze, hitzige Normanne konnte mit seiner Unrast und dem Auffahren seiner Gliedmaßen einen Gelassenen und Gesunden aus der schönen Fassung bringen, geschweige meinen König. Ihm an der Seite erschien einer seiner Kleriker, ein Mann mit langem Gesichte voller Vernunft, der ihn mit bedächtigen Reden zu beruhigen und zu regeln trachtete.

›Helfet mir, gerechter König Heinrich‹, überschrie sich der Kleine. ›Nicht genug am Primas, hat nun auch der Heilige Vater in Rom seinen Bannstrahl auf mein Haupt geschossen. Thomas Becket, den Gott verpeste, hat die Bulle verstohlenerweise auf seinem eigenen Leibe in Euer englisches Königreich getragen, und eben jetzt, zur heiligen Freudenzeit, wird sie in allen Kirchen, wo Sachsen Messe lesen, zu meiner und meines Königs Schmach feierlich verkündigt. Und wie ist der Sohn der Bosheit nach Canterbury gekommen?... Als ein Triumphator mit Roß und Wagen und einem langen sächsischen Heerzuge!...‹

Hier gelang es dem verständigen Kleriker, seine Stimme hörbar zu machen.

Dem sei nicht so, wandte er ein, auf einer frommen Eselin sei der Primas eingeritten; wahr sei es aber, daß das Volk Gewand vor ihm ausgebreitet und, was Grünes in dieser Winterzeit vorhanden, auf seinen Weg gestreut habe. Der Verbannte sei als ein müder Mann nach Canterbury zurückgekehrt und habe sein erzbischöfliches Haus, ja sein Gemach seither nicht wieder verlassen. Freilich habe der Primas zwei päpstliche Bullen in seinem Gewande nach Engelland gebracht: die eine aber habe er in die Flamme seines Herdes geworfen, die andere von seinen kriegslustigen Klerikern nur mit Widerstand sich entreißen lassen. Herr Thomas sei am Erlöschen, und die Natur selbst werde Herrn Heinrich von seinem Peiniger und Widersacher in Bälde befreien.

Das sei die nüchterne Wahrheit. Ein ihm verpflichteter Hausgenosse des Primas habe sie ihm getreulich erzählt.

Der Bischof aber rannte diese Vernunft mit gewaltsamen Worten zu Boden. ›Thomas am Erlöschen?‹ schrie er. ›Bei meiner Bischofsmütze, drei Lebensgeister hat der Zähe, um deiner Majestät zu schaden! Thomas ein Friedebringer? Den Krieg bringt er dir nach Engelland! Überall auf seinen Wegen tumultuierten die Sachsen und griffen zu ihren Äxten! Ich habe es von Augenzeugen!‹

Das schien mir schon damals unmöglich, wie ich die geschwächten Sachsen kannte. Aber ich hörte kaum auf die kollernden Worte des Bischofs, denn alle meine Sinne waren auf meinen König geheftet, dessen Innerstes zu sieden begann.

Er hatte die Berichtigungen des verständigen Klerikers in der Betäubung seines Zornes nicht vernommen.

Jetzt kam die lodernde Flamme zum Ausbruch. Herr Heinrich, von dem Aufruhr oder der Demut des Primas gleicherweise empört, sprang in sinnlosem Zorne vom Sitz empor und stieß seinen Becher so hart von sich, daß er weit über die Tafel rollte, den Wein in roten Strömen auf das Linnen vergießend, wie Blut in den Schnee.

›Ich habe ihm verboten, meinen Boden zu betreten!‹ schrie der König mit bebender Stimme. ›Ich weiß, er verbirgt in seinem Busen und Gewande auch einen päpstlichen Bannbrief gegen mich, seinen König. Er hat mir ihn selbst gezeigt, der Böse!‹ Jetzt schlug er verzweifelnd die Fäuste gegeneinander und wehklagte: ›Ich habe ihn gekleidet und geschmückt wie eine Geliebte. Er hat wie ein schmeichelndes Hündlein das Brot aus meiner Hand gegessen, und dieser Teufel von Undankbarkeit tritt mich mit Füßen, zerreißt mein Haus und zerstört mein Reich.‹

Er blickte irr über die verstummte Tafelrunde und schleuderte seinen Rittern die beschimpfenden Worte zu: ›Ich mäste Knechte! Sie zehren am Mark meiner Länder und strecken die Füße aus unter meinem vollen Tisch; aber keiner dieser Fresser und Schwelger ist Mannes genug, mir einen Verräter vom Halse zu schaffen!‹

 

Während der Herr mit rollenden Augen auf und nieder schritt und sich keiner mit der Rede an ihn wagte, hatte sich die Mehrzahl der Königsgäste erhoben und umringte den Bischof, diesen mit Fragen und Vorwürfen bestürmend.

Hinter dem Stuhle des Königs stehengeblieben, sah ich am untern Ende der plötzlich gelichteten Tafel viere zusammensitzen, die sich Blicke zornigen Einverständnisses zuwarfen und im Flüstertone, als hielten sie geheimen Rat, aufgeregte Worte tauschten. Ihre Namen, Herr, sind Euch bekannt, denn die Legende hat sie in alle vier Winde gerufen, sie sind die Unseligsten aller Lebenden, und jedes Christenkind in Engelland bekreuzt sich vor ihnen.

Das ist zum ersten Herr Wilhelm Tracy, der Spötter, dann Herr Richard aus der Bretagne, Herr Rinald, der Schöne, ein Liebling der Weiber, und letztens Herr Hug, der Einsilbige.

Ich stand zu ferne, um ihre Worte zu verstehen, aber ihre Gebärden sprachen deutlich genug.

Noch seh ich, wie Herr Hug sich die Lippe benagte, wie Herr Rinald seine weichen Langhaare um die Finger schlang und zerriß, während Herrn Richard der Zorn dunkelrot in die Stirne stieg und der witzige Mund des Herrn Wilhelm Tracy, der sonst voller Gelächter war, sich zum bittersten Hohne verzog. Dann schienen sie eins geworden und verschwanden zusammen durch eine Hintertüre.

Ich wandte mich nach dem Fenster und sah die viere im Schloßhofe ungeduldig auf ihre Rosse harren und sie dann hastig besteigen.

 

Als ich am Abend dieses schlimmen Christtages in der Kammer meines Herrn erschien, um seinen Jagdbefehl für morgen zu holen, fand ich ihn, wie den Zornmütigen zu geschehen pflegt, stumm und niedergeschlagen, so daß ich es wagen durfte, meinem geängstigten Herzen Luft zu machen.

›Zu Mittag nach Eurer scharfschneidigen Tischrede‹, begann ich, ›sind vier Eurer Gäste‹, und ich nannte sie, ›spornstreichs verritten, ich meine nach der Küste. – Hätten sie aus Euern entrüsteten Worten einen Wunsch oder einen Befehl herausgehört... o Herr! Was dann? Wenn sie Eure Rede in Eure Tat verwandelten – es wäre nicht Euer Wille.‹ –

Er starrte mich an, mühsam seine Gedanken zusammenknüpfend, und antwortete nicht.

›Bei der glückseligen Krippe‹, warnte ich flehentlich, ›das ist kein Geringes! Alle Heiligen und Engel wollen Euch behüten, daß Ihr Euch keinen Märtyrer auf die Seele ladet!‹ –

Jetzt begriff er mich plötzlich und packte mich an der Schulter. ›Wann sind sie verritten?‹ fragte er, obwohl ich es ihm eben gesagt hatte. ›Warum mahnst du nicht zu guter Zeit, krächzender Rabe?‹ –

›Noch ist es nicht zu spät!‹ versetzte ich unerschrocken. ›Betrachtet die von Mitternacht heranziehenden Schneewolken! Sicherlich tobt die See, und sie haben Gegenwind.‹

›So sattle meinen Berber‹, befahl er, ›er überholt den Sturm. Erreiche die viere und bring sie mir zurück. Du ereilst sie mir – ich will es!‹

›Herr‹, sagte ich, ›sie werden mich nicht hören; denn Ihr habt ihre Ehre aufs Blut gereizt. Besser, ich reite einen andern Weg, erreiche die Küste, wo der Meeresarm am dünnsten ist, presse dort das schnellste Schiff, wem es gehöre, gelange nach Canterbury vor den vier von Euerm Zorne Gejagten und schaffe Herrn Thomas in Euerm Namen Sicherheit.‹

›Das ist deine Sache!‹ drohte er. ›Wisse eines: ich will nicht, daß dem Primas ein Leides geschehe! Wird ein Haar dieses ehrwürdigen Hauptes gekrümmt, so büßest du dafür und baumelst mir am nächsten Galgen!‹

Es hätte dieser unsinnigen Drohung für mich nicht bedurft. Nie wurde schneller gesattelt, nie rastloser geritten! Unterwegs erfuhr ich, die viere hätten sich dem nächsten Seehafen, welchen sie den Port der Gnade nennen, zugewendet, und eilte quer durch französisches Land nach Calais, von wo mich ein Schnellsegler in wenig Stunden nach Engelland hinüber brachte, während ich inmitten der stürzenden Wellen Gottes liebe Mutter, die mich auch erhörte, inbrünstig anrief, mich den vier Zornmütigen nur wenigstens um zwanzig Ave Maria vorkommen zu lassen.

Auf englischem Boden wurde ich häufig von streifenden geharnischten Normannen angerufen; denn das Land war in Unruhe und die Sage überall verbreitet, der Primas umgebe sich in Canterbury mit sächsischen Waffen.

Von diesem in der Luft herrschenden Geiste der Bangigkeit gejagt, trieb ich, auf die fliegende Mähne des Berbers mich beugend, das edle Tier zu rasendem Laufe, und dennoch schien es mir, als wollten sich die aus dem Häuserhaufen von Canterbury aufsteigenden Türme der Kathedrale, auf die ich meinen Blick unverwandt geheftet hielt, nicht vergrößern.

Als ich mich endlich in Schweiß gebadet den Mauern der Stadt näherte, fand ich die Straße vor dem Tor mit frisch abgehauenen Tannenzweigen und dürftigen Wintermaien, den Zeugen eines friedfertigen Einzuges, bestreut. –

Ich glitt vom Pferde und führte das schnaufende Tier durch eine Hintergasse in die Brauerei, wo ich abzusteigen pflegte; denn ich hatte nicht selten meinen König nach Canterbury begleitet, dessen eben vollendetes Münster als ein Wunder der neuen Baukunst galt. Der Hauswirt, ein Sachse, der zugleich der Alderman von Canterbury war, schloß gerade behutsam die Läden der gegen die lange Hauptgasse gewendeten Fensterreihe. Als ich ihn fragte, wozu er am hellen Tage Finsternis mache, deutete er mir mit der Linken zu schweigen und schob mich mit der Rechten vor die breite Spalte eines Fensterbalkens. Ich lugte durch und sah die viere von der Königstafel in voller Rüstung die Gasse auf und nieder reiten, mit ausgestreckten Schwertern auf die Fenster und die Haustore weisend.

›Jeder halte sich im Hause! Keiner setze den Fuß auf die Gasse!‹ gebot Herr Wilhelm Tracy, der seinen Rappen vor der Wohnung des Aldermans herumriß, während das Tier aus schnaubenden Nüstern eine Dampfwolke in die kalte Winterluft ausstieß.

Nachdem der Herr sein Roß gewendet, wiederholte er den Befehl, nicht in der verächtlichen Weise, wie der normännische Hochmut die Sachsen anzufahren pflegt, sondern mit feierlichem Heroldsrufe.

Die erschrockenen Bürger gehorchten. Hier schloß sich eine Kaufbude, dort trug ein Hökerweib jammernd seine Körbe weg, weiter unten hob eine geängstete Mutter ihr auf der Gasse spielendes Kind auf den Arm und flüchtete es heim.

Der witzige Herr Wilhelm war nicht zu kennen. Ernst und unglücklich schauten seine Augen unter den schwarzen Brauen hervor aus der Blässe seines Angesichtes. Es wurde mir deutlich, daß sich die viere unterwegs geeinigt hatten und die auf ihrer Seele brennenden Schmachworte des Königs nicht mit einer zornigen Mordtat, sondern mit Gericht und Bluturteil zu löschen gedachten.

Auch ich ratschlagte mit dem Alderman, machte den echten und letzten Willen meines Herrn und Königs geltend und gebot ihm, sobald die viere gewichen, seine Bürger zu ermutigen, zu bewaffnen und mit ihnen meines Zeichens zu harren.

Dann schlüpfte ich durch Seitengäßchen und erreichte das feste erzbischöfliche Haus, wo sie mich als Königsknecht und eine in Engelland wohlbekannte Person ohne Schwierigkeit, ja bereitwillig wie einen Nothelfer, einließen.

 

Sie führten mich in eine prächtige, lieblich erwärmte Halle, wo der Primas unter vielen Klerikern und dienenden Brüdern Tafel hielt, hinter denen ich mich barg, ungern mich geduldend, bis der Augenblick es erlaube, mich Herrn Thomas zu nahen.

Er selbst berührte keinen Bissen, sondern hielt das geisterhafte Haupt mit geschlossenen Augen in den bischöflichen Stuhl zurückgelehnt, einen armen, frommen Mann aus Canterbury anhörend, der mit bebender Stimme den Eintritt der viere berichtete.

Nachdem er ihn von der Nähe der Gefahr überzeugt hatte, beschwor der Sachse den Primas, sein Leben durch die Flucht zu retten. Ein ängstliches Gemurmel lief um die Tafel.

Herr Thomas aber regte sich nicht. ›Es ist genug‹, sagte er ruhig, segnete und entließ den Weinenden. Dann sprach er: ›Gib mir den Kelch!‹, und der junge Kleriker, an den er sich wandte, ein blondlockiger Knabe in weißem faltigen Gewand, reichte ihm eine mit Wasser gefüllte kristallene Schale, die er langsam ausschlürfte.

Jetzt trat ich vor und warf mich dem Primas zu Füßen. ›Ehrwürdiger Vater, ich komme von meinem König! – Ihm ist bange um Euch!‹ rief ich. ›Er sendet mich auf eiligen Schiffen und dampfenden Rossen, daß ich Euch mit meinem Leibe decke und die königliche Macht über Euer Haupt breite!... Auf, fromme Brüder‹, und ich wendete mich an seine Kleriker, ›auf! Stehet mir bei! Führet Euern Bischof in sein innerstes, festestes Gemach! Und ihr andern, helfet mir die Tore versperren und die Türen verrammeln! Ist nur das erste Feuer der vier Herren verlodert und ihr erster Anlauf abgeschlagen, so geleite ich mit Hilfe der Leute von Canterbury den Primas in die nächste königliche Burg. – Herr Thomas, im Namen der benedeiten Mutter, widerstrebet nicht! Gebt Euch in des Königs Schutz, und Euch wird kein Haar gekrümmt werden!‹

Ohne sich von der Stelle zu rühren, richteten die Kleriker insgesamt ihre Blicke auf den Primas; doch dieser machte mit wenigen gelassenen Worten meinen Anschlag zunichte. ›Besser als dir ist der Wille deines Herrn mir bekannt. Ich lese deutlich in seinem Herzen! Gottes ewiger Ratschluß und der Vorsatz meines Königs erfülle sich an mir!‹

›Bei den fünf heiligen Wunden!‹ schrie ich, außer mich geratend, ›der König will nicht, daß Ihr hier erwürgt werdet! Trägt er die Schuld, wenn Ihr die trotzige Absicht habt, Euern Leib und des Königs Seele wissentlich und freventlich zu verderben?‹ –

Da wandte sich plötzlich Herr Thomas gegen mich und schlug mich mit biblischen Worten: ›Hebe dich von hinnen, du Schalk und böser Knecht, denn du bist mir ärgerlich!‹ –

Erschrocken sprang ich auf die Füße und wich zurück unter die Kleriker. Ich war betrübt und mehr noch ergrimmt, daß Herr Thomas, der bis heute säuberlich mit mir gefahren war, im Augenblicke, da sein Innerstes offenbar wurde, mir so böse und ehrrührige Namen gab, als wäre ich ein Erzschelm von lange her. – War das nicht eine Ungerechtigkeit? Ich überlasse Euch das Urteil, jetzt, da Ihr meinen Wandel von jung auf kennt und ich Euch nichts von meiner Blöße verhehlt habe.

Bevor ich den Schmerz dieses unverdienten Schlages verwunden hatte, wurde die Türe geöffnet, und die vier normännischen Herren traten in die Halle, ohne Rüstung und Waffen, in gewöhnlicher Hoftracht. Sie begrüßten den Primas mit tadelloser Courtoisie und feindseligen Mienen.

Der Bischof hatte sich bei ihrem Eintreten in seinem Stuhl emporgerichtet, und ich wunderte mich über die Erhabenheit seiner Gestalt, aus welcher jede Schwäche gewichen schien. Er erwiderte den Gruß seiner finstern Gäste ebenso adelig und lud sie, die Hand leise bewegend, an seine Tafel. Sie setzten sich.

›Wie steht es um meinen Herrn und König?‹ fragte er sie nach einer Weile und erhielt keine Antwort.

›Ist's Friede?‹ fragte er wieder.

Die viere aber betrachteten den Bischof, die einen mit gesenkter Stirn unter drohenden Brauen hervor, die andern mit scheuen Seitenblicken, nur ein unverständliches Gemurmel kam über ihre Lippen.

Zuerst ermannte sich Herr Richard, den sie seiner unbezwinglichen Faust halben Frappedür, das heißt in unserer Zunge Schlagehart, nannten. ›Im Namen des Königs kommen wir!‹ sagte er.

›Ich glaube euch‹, versetzte der Primas. ›Ihr, die ihr um ihn seid, verstehst seine Winke und erfüllet seinen Willen.‹

›Hebe den Bann von dem Bischof zu York, Primas, oder hebe dich selbst aus Engelland!‹ fuhr Herr Frappedür fort, und der Einsilbige stimmte bei: ›Hebe den Bann oder dich selbst.‹

›Nicht ich allein, jetzt hat ihn auch ein anderer als ich, der Heilige Vater in Rom, mit dem Banne belegt‹, erwiderte Herr Thomas ruhig. ›An diesen wende sich mein Bruder in York. Meine Sache kann das nicht länger sein. Ich suche nur den Frieden.‹

›So entrinnst du uns nicht, du Doppelzüngiger!‹ drang Herr Wilhelm Tracy, der unter den vieren der gewandteste Redner war, auf den Primas ein. ›Befreie den Bischof von dem Banne, den du auf ihn geschleudert hast! Er brennt ihm stärker auf der Haut als der römische. Genug der Unterscheidungen und Spitzfindigkeiten! Gehorche deinem Könige und Lehensherrn in geraden Treuen, wie wir alle tun! Bist du nicht lediglich ein Geschöpf seiner Gnade? Wer hat dich aus dem Nichts gezogen und aus einem Sachsen zu einem Menschen gemacht? Woher kommt dir die erhabene Macht dieses Stuhles? Du Undankbarer, Feindseliger, sprich und bekenne: aus wessen Händen hast du sie empfangen?‹

Da rief Herr Thomas mit durchdringender Stimme, daß es durch die Halle zitterte:

›Aus den Händen meines Königs zu seinem Gericht!‹

Über dieser harten Rede gerieten die viere in Aufruhr. Rinald der Schöne drehte an den Fingern seiner Handschuhe, die er bis jetzt spielend in der Linken gehalten. Herr Richard Frappedür stieß mit Rücken und Fuß seinen Stuhl zurück, daß das Eichenholz krachte, und der Einsilbige sagte: ›Endet!‹

Herr Thomas aber sprach mit heiliger Hoheit: ›Ich glaube, Ihr drohet, tapfre Herren? Was will mein König von mir? Was sein ist, will ich ihm geben. Meinen Leib? Hier ist er. Nehmet ihn. Mein Gewissen aber gehört weder ihm noch mir.‹ –

›Vergessen wir der ritterlichen Sitte nicht!‹ sprach Herr Wilhelm. ›Herren, überlasset mir die Fragestellung!‹

Er erhob sich und trat in Totenblässe vor den Primas.

›Thomas Becket, nimmst du den Bann von dem Bischofe zu York? Rede!‹

Herr Thomas aber schwieg und verurteilte sich damit zum Tode.

›Thomas Becket, du hast den englischen Boden gegen den Willen deines Königs und den Spruch seines Parlamentes wieder betreten. Weiche aus Engelland! Zugesagt ist dir freies Geleit bis ans Meer. Wann ziehst du von hinnen? Rede!‹

Herr Thomas aber schwieg.

Eine Weile harrte Herr Wilhelm auf Antwort, dann schloß er finster: ›Das ist Felonie. Dein Blut über dich!‹ –

Die viere verließen den Saal mit gemessenen Schritten. Ich wußte, sie gingen, sich zu waffnen.

 

Es entstand nun eine so große Stille, daß ich mein Herz wie einen Hammer gegen die Rippen schlagen hörte. Da erklang aus dem Schweigen, stark und markig, eine Stimme, die ich anfangs nicht erkannte. Sie gehörte Herrn Thomas, der einen ihm gegenüber an der Wand hängenden Crucifixus mit Inbrunst ansprach:

›Fürst der Schmerzen, nimm Wohnung in diesem Leibe!‹

Wieder hörte ich lange Zeit nichts als die Schläge meines Herzens. Dann sprach Herr Thomas zum andern Male und streckte seine schmalen Hände aus:

›Durchstich sie und gewähre mir deine Passion!‹

Da erbebte ich in Ehrfurcht und getraute mir nicht länger, das Angesicht des Herrn Thomas zu besehen, weil ich fürchtete, der Dreifaltige habe in seinem Leib Einzug gehalten und blicke majestätisch aus seinen Augen.

Aber ich raffte mich zusammen, als ich auf dem Gange Waffenlärm vernahm, stürmte nach der Pforte und stieß alle Riegel vor. Durch mein Zufahren wie aus dem Banne eines Traumes gelöst, umringte der ganze Haufe der Kleriker den Primas, etliche fielen ihm zu Füßen, andere, die ihn fortziehen wollten, faßten seine Arme, noch andere umschlangen seine Hüften, um sich seiner zu bemächtigen und ihn mit liebender Gewalt wegzutragen.

Inzwischen schmetterten Beilschläge von draußen gegen die Türe.

Der Primas aber wollte von dem Sitze, wo er gerichtet worden, nicht weichen. Da trat ein schlanker, klug blickender Diakon vor ihn hin, legte den Finger auf den Mund und machte ihn auf das feine Geläute eines Glöckleins aufmerksam, das in dem Tumulte kaum zu vernehmen war. ›Es läutet zur Vesper, und man erwartet Euch in der Kirche, Vater‹, mahnte er.

Thomas Becket erhob sich ohne Weigerung, ein Zug ordnete sich, und der Primas durchschritt hinter dem vorgetragenen Kreuze den langen Gang, der durch das Innere des bischöflichen Hauses in den Chor der Kathedrale führte. Auch ich wandelte in Reih und Glied mit den psallierenden Pfaffen.« –

Hier hielt der Armbruster inne. Sein Blick richtete sich auf eine neben ihm auf dem Kaminsimse stehende Sanduhr, in welcher eben die letzten Körner aus dem oberen in das untere Glas rollten. Hans drehte die Uhr und sagte: »Heute jährt es sich, und es war zu dieser Stunde des Nachmittags, daß Herr Thomas seinen letzten Gang antrat.

 

In den Chor des Münsters gelangt, warf er sich vor dem Fronaltar auf die Knie, von seinen Klerikern umlagert, deren mehr als einer, an den Bogentoren des Lettners lauschend, furchtsam Blicke durch die Länge des Schiffes nach dem Hauptportale irren ließ, durch welches die Normannen jeden Augenblick eindringen konnten; denn der Diakon hatte diese Zufluchtsstätte nicht der Festigkeit, sondern der unantastbaren Heiligkeit des Ortes wegen gewählt.

Auch ich hielt das Portal unverwandt im Auge, entschlossen, im letzten Augenblicke, nicht gegen die vier Herren das Schwert zu ziehen – solches war mir als einem Knechte verwehrt –, aber Herrn Thomas mit meinem Leibe zu decken, ob ich die Schuld vergossenen Märtyrerblutes von meinem Herrn und Könige abwende.

Alle Zeit und Frist nimmt ein Ende. Es klirrte und blitzte unter dem Portal, die viere traten, geharnischt vom Wirbel bis zur Sohle, in die Pforte und stürmten mit nackten Schwertern durch das Schiff der Kirche. ›Mir nach, Getreue des Königs!‹ schrie Herr Wilhelm Tracy.

Schleunig wollte ich noch die offenstehenden festen Gitterpforten schließen, die den Chor von der Kirche trennen; aber der Primas, der sich erhoben und gegen seine Mörder gewendet hatte, wehrte es mir mit unwiderstehlicher Gebärde. Seine Kleriker aber alle umdrängten ihn. Die jüngeren und mutigeren füllten die Stufen. Voran auf die unterste stellte sich festen Fußes Trustan Grimm, der das Kreuz trug. Die anderen standen und knieten um den Bischof und drückten sich durcheinander wie eine erschreckte und verwirrte Herde, deren Hirte geschlagen wird.

›Wo ist der Verräter?‹ rief Herr Wilhelm Tracy. Da hielt der tapfere Mönch Trustan das Kreuz mit beiden Händen gegen ihn empor als einen Schutz und eine Drohung. Ein Schwerthieb, ein Blutstrahl, und der vom Leibe getrennte Arm sank mit dem Kreuz auf die Erde. Jetzt griffen die viere mit flach fallenden Hieben die geängstigte Pfaffheit an und trieben die auseinanderstürzenden Geschornen in feige Flucht. Ich aber trat neben Herrn Thomas, der mitten vor dem Hochaltare stand, die Arme öffnend, wie der Gekreuzigte über ihm, als hätte sich dieser verdoppelt.

›Der König will, daß du sterbest!‹ sprach Tracy und erhob das Schwert. ›Es geschehe!‹ antwortete Herr Thomas.

Ich umschlang ihn mit diesen beiden Armen und fühlte den Schlag niederblitzen und wurde in demselben Augenblicke unter dem Rufe: ›Fort, Knecht!‹ von einer eisernen Faust, die nur dem Frappedür gehören konnte, gepackt und geschleudert, daß ich sausend mit dem Schädel gegen eine Säule fuhr.

Während mir die Sinne schwanden, sah ich ein Blutmeer vor meinen Augen und darin ein sterbendes, lächelndes Haupt.

 

Wie lange ich auf den Steinplatten lag, ist mir unbewußt. Als meine Sinne wiederkehrten, war ich allein in der Kirche. Ich versuchte, mich aufzurichten, aber wagte nicht, nach der Leiche des Heiligen hinzublicken, die zwei Schritte von mir entfernt vor dem Altare lag. Das aber sah ich, wieder zurücksinkend, daß mein Lederkoller mit dem Blute des Gemordeten benetzt war.

Jetzt erhoben sich aus der dunkeln Tiefe des Schiffes zerreißende Klagetöne, das Wehgeschrei wuchs und wuchs, und die Kirche füllte sich mit armem sächsischen Volke, das nach seinem Vater schrie und die Rache des Himmels auf die Mörder herabflehte. Mit unheimlicher Hast und Liebe stürzten sich neben mir die Gestalten über den heiligen Leichnam, umfaßten die toten Hände und Füße, küßten die Wunden und wuschen sie mit Tränenströmen. Ihre Kleider und Lumpen aber tunkten sie gierig in das ausgegossene Märtyrerblut.

Endlich brachte ich mich auf die Knie, zog mit noch umnebelten Sinnen ein Tüchlein hervor und wischte die rieselnden Tropfen von meinem Wams. Da ward mir jammervoll zumute, und ich stöhnte:

›Mea culpa, mea maxima culpa.‹« – –

 

Also sprechend, ließ sich Hans der Armbruster, als wäre das Vergangene wieder gegenwärtig, stöhnend von seinem Schemel in die Knie sinken. Herr Burkhard streckte mitleidig seine alten Arme nach ihm aus und tröstete ihn mit liebreichem Zuspruche.

XIII.

Unterdessen war das kärgliche Licht des Wintertages zur Neige gegangen, und da gerade ein dichter Tanz von Schneeflocken vor dem Fenster wirbelte, ward es plötzlich so dunkel in dem schmalen Gemache, daß die zwei Alten kaum mehr die Züge der eine des andern unterscheiden konnten. Ein paar letzte Flämmchen zuckten wie Irrlichter über die Kohlen, denn der Erzähler wie der Hörer hatten das Schüren des Feuers vergessen, und nichts war vernehmbar als das leise Schnarchen des hart vor dem Herde ausgestreckten Tapp und das Knuspern eines in der Nähe des Brotkastens geschäftigen Mäuschens.

Da trat der alte Knecht des Chorherrn mit einem Arm voll Holz herein, nährte die Glut und ließ mit schnarrendem Geräusche die in Ketten hangende, dreischnäblige Öllampe nieder, welche nach einer Weile mit ihren gleichmäßig brennenden Lichtern den gewölbten Raum ruhig erhellte.

»Ich bin zu Ende« seufzte der Armbruster. »Denn was wäre noch zu sagen, nachdem Ihr nun jenes blutende und an den Steinstufen zerschlagene Haupt erblickt habt? Was wäre noch zu sagen von dem Könige und mir, seinem armen Knechte?...

Außer wenn Ihr hören wollt, wie mein Herr unter der immer schwerer drückenden Bürde des heiligen Leichnams zusammenbrach – denn Herr Thomas durfte ihm auch in der Glorie nicht verzeihen – und wie der Friedlose den Knecht als einen Verhaßten und Mitschuldigen von sich trieb. Und doch hat sich Herr Heinrich vor der Gruft seines Getöteten gegeißelt und ihn aufrichtig angebetet, wie es in der Chronik verzeichnet steht.«

»Nach der glaubwürdigen Aussage meiner Chronik«, bemerkte der Chorherr bedenklich, »hat sich dein König am Grabe des heiligen Thomas zu Canterbury gegeißelt, aber nicht ohne kluge und weltliche Absichten; denn er wollte sich im Streite gegen die Söhne stärken und die ihm abgewendeten Herzen seiner Sachsen wiedergewinnen. Du selbst, Hans, hast mir offenbart, daß dein König ein großer Sünder gewesen ist.«

»Als ein Gleisner und Heuchler, meint Ihr?« rief der Armbruster entsetzt und fuhr, durch diese Anklage weitergerissen, fort: »Bei dem dorngekrönten Haupte Gottes, nie hat ein Mensch redlicher gebetet als Herr Heinrich in der Stunde, da er die steinernen Füße des Heiligen mit Küssen und Tränen bedeckte! Ein sächsischer Steinmetz hatte ihn abgebildet, auf seiner Gruft liegend, die Hände über der Brust gekreuzt, still lächelnd. Nicht des Mannes Kunst, aber die Ähnlichkeit des Bildes war groß; denn er hatte sich den Primas bei dessen Lebzeiten wohl eingeprägt und sich seines Antlitzes bemächtigt.

Ich kniete hinter meinem Herrn, während er reuig seiner Sünden gedachte, und als er das Fleisch seines Rückens zur Geißelung entblößte, lief es mir heiß und kalt über den meinen. Inbrünstig bat auch ich den Heiligen, in die Stapfen Gottes zu treten und seinen Mördern zu verzeihen.

Inzwischen stöhnte Herr Heinrich: ›Nur den Liebling, das Löwenherz, nimm mir nicht, du mächtiger Streiter Gottes! Wie wenig habe ich dich gekannt, du heiliger Mann, in dessen Nähe und Atem ich Verworfener zu leben gewürdigt war‹...

 

Ein Hornstoß ertönt. Ich kenne das Signal: ein Reitender aus dem Heerlager meines Königs in Frankreich. Geschwind werf ich Herrn Heinrich einen Mantel über die Striemen seiner Schultern, trete vor das Portal, empfange die Botschaft und stürze mit dem Schreiben zu meinem Könige zurück.

Ich glaubte, Herr Thomas habe ihn augenblicklich erhört und ihm Sieg gegeben über die Söhne.

Er bricht zitternd das Siegel, aber die Buchstaben schwimmen ihm vor den Augen. ›Lies!‹ befiehlt er zornig vor Sehnsucht nach Sieg und Friede; aber was ich las, lautete anders:

›Ich, Richard Graf von Poitou, klage nicht in meiner Sache, sondern in der meines Erziehers und geistlichen Vaters im Himmel, dessen Mörder heil und ledig auf der Erde umhergehen, ohne ein Königsurteil, welches sie verfolge. Ich verdamme diese Lässigkeit, und damit niemand daran zweifle, verkündige ich Königen und Völkern, daß ich mich lossage von meinem Vater nach dem Blute, wie er selber von Christus und seinem Zeugen sich losgesagt hat.‹

Während ich stammelnd dieser grausamen Schrift Sprache gab, war der Herr mit starren, hervorquellenden Augen an mich herangetreten. Die Stimme versagte mir, er aber fuhr mir mit beiden Händen an die Gurgel. ›Das lügst du, Schandbube!‹ schrie er und brach ohnmächtig zusammen.

Herr Thomas aber auf seinem Grabsteine lächelte.« –

»Genug!« rief der erbleichende Chorherr und streckte seine Hände abwehrend gegen den Armbruster aus.

 

Herr Burkhard liebte das Heitere und Ergötzliche, wie das hohe Alter pflegt, das nur noch einen letzten Rest des Lebens zu genießen hat. Als er den Armbruster in sein Gemach zog, war es ihm darum zu tun gewesen, ein paar Geschichtchen und Menschlichkeiten aus dem Leben des Heiligen zu belächeln und das Gold des neuen Heiligenscheines – der Bescheidenheit zulieb – ein wenig zu schwärzen. Hans aber hatte ihm einen qualvollen Kampf und zwei schmerzverzogene Menschenangesichter gezeigt, und diesem Eindrucke war er nicht gewachsen. Er suchte nach einem Scherzworte, um ihn abzustumpfen.

»Mich tröstet«, sagte er nach einer Weile, »daß du vor mir sitzest als ein Frommer und Ehrbarer. Wahrlich, du bist ein schmeidiger Mann, daß dich dein König nicht am Gurt erwischt und mit hinuntergerissen hat.« –

Der Armbruster hatte sich mit funkelnden Augen auf seinem Schemel aufgerichtet. Seine Erzählung hatte ihn erleichtert wie eine Beichte und in allen Muskeln gestärkt; denn er besaß trotz seiner grauen Haare ein tapferes Herz, das die harten Sprüche der in den menschlichen Dingen verborgenen Gerechtigkeit ertragen könnte.

»Auch ich bin nicht ungeschlagen davongekommen«, sagte er, »doch ich verzog mich bei Zeiten und ließ es an mancherlei Heilbringendem nicht fehlen. ich will Euch das noch in Kürze berichten und wie ich der jetzige geworden bin.

Die Gäule laufen rascher, wenn es dem Stalle zugeht.

 

Als ich nach jener Geißelung hinter Herrn Heinrich nach Schloß Windsor zurücktrabte, ward mir zur Sicherheit, daß meines Bleibens im Königsdienste nicht länger sein werde. Seit dem Tode des Primas war ich den Augen meines Königs ein Ärgernis geworden, und er hatte mir meine Ohnmacht, jenen aus den Händen seiner Mörder zu reißen, mit zornigen, unbilligen Worten vorgerückt. Wo der Herr mich erblickte, wendete er sich ab. Ein wohlgebildeter Page von vornehmem aquitanischem Geblüte hatte mich Bärtigen im Schenkendienst ausgestochen. Auch auf die Jagd begleitete ich ihn nur noch selten, und zu seiner Buße in Canterbury hatte er mich mitreiten lassen, weil er sich vor mir nicht zu schämen brauchte.

 

Auf Schloß Windsor nahm mich der Waffenmeister, Herr Rollo, ins Verhör; denn die Geißelung des Königs war ruchbar geworden und wanderte unter den Sachsen, Erbauung und Schadenfreude verbreitend, von Mund zu Munde. Da er die schmähliche Wahrheit vernahm, schwoll ihm die dunkle Zornader auf der Stirn zum Zerspringen, und er machte sich nach seiner Weise Luft mit frechen Worten:

›An seine Gruft ist er gekrochen und hat den Feigling angebetet! Wie mag der Bleiche in seiner Höhle gekichert haben!... Und daß er ihm noch unter dem Boden hervor einen Stich gab, das ist der Schlange würdig!... Ein gepeitschter normännischer König!... Aber es ist sich nicht zu wundern! Hast du gesehen, Hans, schon seit Jahr und Tag trägt König Heinrich ein Pfaffengesicht auf den Schultern!‹

Hierin sagte Herr Rollo die Wahrheit. Das Angesicht meines Königs war nicht mehr zu kennen. Es war zerfallen und nach unten gesunken. Statt des freudigen Leuchtens von ehemals gab es nur noch einen matten weißen Schein von sich, wie faules Holz in der Nacht.

›Die englische Luft ist mir stinkend geworden!‹ zürnte Herr Rollo. ›Ich ziehe nach der feuerspeienden Insel Sicilia, wo mir ein Neffe lebt. Hans, nimm eine Kohle dort vom Herd‹ – wir standen in der Waffenkammer –, ›und schreibe für mich ein Valet an die Wand, daß ich keinem gegeißelten Könige diene.‹ Ich wußte, der edle Herr war des Schreibens unkundig, und ich brachte seine Gedanken nach Kräften in einen lateinischen Spruch, mit dessen Fassung er sich zufrieden gab und der lautete:

›Ego – Normannus Rollo – valedico – regi Henrico.‹

Bevor ich aber die Kohle ansetzte, bemerkte ich: ›Ich habe dieselbe Fahrt, Herr.‹

›Wie, du gehst, Bogner? Der König wird dich missen!‹ warf er hin und runzelte die Stirn.

Ich wies auf die blauen Flecken meines gewürgten Halses und sagte: ›Zum dritten Male schon habe ich Herrn Heinrich Unheil verkündet, was Wunder, daß er dem Raben gram wird! Mein Königsdienst bringt ihm kein Glück mehr. Was soll ich seinen Zorn reizen! Ich will gehen, bevor er wie König Saul zur schlimmen Stunde einen Spieß nach mir wirft. Aber daß Ihr von ihm lasset, Herr, den er wert und teuer hält als den ältesten Zeugen und die Verkörperung des normännischen Ruhms, das wird ihn als ein böses Omen erschrecken und verfinstern.‹

Da riß mir der Waffenmeister die ungebrauchte Kohle aus der Hand, warf sie gegen den Herd und wandte mir finster brummend den Rücken.

 

Am selben Tage trat ich vor meinen Herrn und bat um Entlassung, mit schwererm Herzen noch als an jenem ersten Tage meines Herrendienstes, da ich ihm in demselben Gemache meine vervollkommnete Armbrust gezeigt hatte. Er schaute mich nicht unfreundlich, nur fremd und traurig an und gnadete mich ab. Ein reicher Mann wurde ich damit nicht, aber meinen ehrlichen Lohn ließ mir Herr Heinrich durch seinen Schatzmeister ausrichten.

 

Als ich meine Kammer in Windsor räumte, fand ich in der Tiefe einer Truhe, wohin ich es verstoßen hatte, das Tüchlein mit dem Blute des Heiligen. Was damit beginnen? Wohl war es köstlicher als der ganze Lohn, den mir König Heinrich hatte verabreichen lassen, denn schon damals wurden die geringsten Überbleibsel des Herrn Thomas hundert-, ja tausendfach mit Gold aufgewogen. Aber es ging mir gegen die Erinnerungen des Gemütes, ein Blut zu verkaufen, an welchem ich nicht ohne einige Schuld war. Die zwei übrigen Auswege, das blutige Tüchlein an mir zu behalten oder es zu vertilgen, waren gleicherweise bedenklich.

Bevor ich Engelland verließ, versäumte ich nicht, meinen frühern Meister, den Bogner in London, aufzusuchen. Er hatte mir Gutes erwiesen, und während meines Königsdienstes war ich ihm abtrünnig geworden. Er empfing mich mit großen Ehrenbezeugungen, denn er wußte nicht, daß ich in Ungnade gefallen war, und lachte und weinte wie ein Kind. Bitternis und Herzeleid hatten ihn an Leib und Seele geschwächt. Ich fragte nach Hilde. Sie liege an einem zehrenden Fieber darnieder, sagte er und führte mich in ihre Kammer.

Als sie mich erkannte, leuchtete ein Glanz aus ihren tiefliegenden blauen Augen. Sie dankte mir, daß ich gekommen sei; sie habe danach gedürstet, mich noch einmal vor ihrem Sterben zu sehen. In mir aber stieg mit dem Mitleid die alte Liebe mächtig auf, so daß ich ihr vorschlug, gedemütigt, wie ich war durch die Schläge des Schicksals, sie als mein angetrautes Weib mit mir heimzuführen, wenn sie nur gesunden könnte. Sie nickte, aber zweifelnd und traurig.

Da fiel mir mein kostbares Heiligtum ein, denn es war in ganz Engelland ein groß Rühmen und Prahlen von den durch die Reliquien des heiligen Thomas gewirkten Genesungen und Wundertaten. Tote sogar, so predigte die sächsische Pfaffheit, seien kraft der Berührung mit denselben in die Zeitlichkeit zurückgekommen. Im schnellsten Ritte jagte ich nach Windsor und zurück. Ich eilte mit meinem Tüchlein hinauf in ihre Kammer. Sie schlummerte, und ich legte es ihr leise auf die Brust. Da regte sie sich, lächelte freundlich, tat ein paar schwere Atemzüge, schlug die Augen strahlend auf und schloß sie wieder mit einem leisen Seufzer. Herr, sie war tot.

Da faßte mich ein grimmiger Schreck und Zorn, daß Herr Thomas, der die Toten auferwecke, mich unversöhnlich verfolge und mir mein Liebes töte. Ich entfloh, und das blutige Tüchlein ist wohl mit ihr eingesargt worden.

 

Ich hatte eine stürmische Meerfahrt, und zweimal warf mich die Welle an die englische Küste zurück. Nachdem ich endlich festen Boden beschnitt, strebte ich nach schwäbischen Landen; denn die Erfahrung des Lebens hatte mir die Lust der Wanderung und weltlichen Neugier völlig ausgetrieben. Wie ich einmal wieder mein Roß im Rhein getränkt hatte, zog mich das Heimweh unaufhaltsam stromaufwärts, bis durch das Tor Schaffhausens.

Dort fand ich den Juden Manasse verschollen und wurde als ein weltkundiger und namhafter Mann mit Ehren aufgenommen. Ehe der Flitter meines Ruhmes verblieb, heiratete ich eine junge Wittib, die mir neben zwei Knäblein ihres ersten Bettes einen Turm in Schaffhausen und einen sonnigen Weinberg am Rheine zubrachte.

Ihr traut es mir zu, Herr, daß ich, obzwar ein adeliger Mann und gewesener Königsknecht, mein Handwerk nicht aufgab, vielmehr unverweilt eine fröhliche Werkstatt auftat, aus welcher ich bald einen weiten Umkreis von Burgen und Städten mit großem und kleinem Geschoß versah.

Von meinem König aber erfuhr ich nichts, als daß er mit sich und seinen Söhnen nicht zum Frieden kommen konnte.

 

Da begab es sich eines Tages, daß ich, das ältere Büblein meiner Frau an der Hand, gegen den Rheinsturz hinausging, um mit einer neuen Armbrust über den Strom zu schießen, prüfend, in welchem Maße durch den Wirbelwind, der dort über den Wassern schwebt, der Flug des Geschosses gestört werde.

Wie ich nach einem Zielpunkte am jenseitigen Ufer spähe, erblicke ich die graue Gestalt eines Ritters, auf einem Felsblocke sitzend, das Schwert quer über die Knie gelegt wie Euer Carolus Magnus hier am Münsterturme. Meinem Knäblein beginnt es zu grauen, und ich zerbreche mir den Kopf, wer das seltsam natürliche Bildwerk über Nacht in die Wildnis an den Strom gesetzt habe.

Da hebt der Ritter langsam die geharnischte Hand empor, und ich sehe, wie er mir winkt. Jetzt erkenn ich ihn, springe in den Nachen des Fergen, stoße mich über, und Herr Rollo ruft mir entgegen: ›Ich grüße dich, Schwabe, und lade mich bei dir zum Nachttrunke.‹

 

Heimkehrend sagte er mir, er sei auf der Fahrt nach Palermo. Heute in dies Städtchen am Rheine gekommen, habe er Hengst und Dienstleute dort untergebracht und sei dann, von einem fernen Donnern gelockt, neugierig stromabwärts gegangen bis zu diesem tapfern Wasserspiele.

Als wir zusammen durch die Gassen von Schaffhausen schritten und das Volk den gewaltigen alten Herrn bestaunte, war mir, als hätt' ich vor Zeiten unter einem fremden Riesengeschlechte gelebt. Herr Rollo trank manchen Becher meines Weines und lobte ihn. Ich aber wagte endlich eine Frage nach meinem Herrn und Könige. Da blies der Waffenmeister in die Luft, und ich verstand, Herrn Heinrichs Seele sei von hinnen gefahren.

›Und sein Sterben?‹ fragt' ich angstvoll, ›wie war es?‹

›Unpfäffisch!‹ gab er zur Antwort. ›Ein roter Vaterzorn hat ihn wie der Strahl getötet. Dein Abgott, der Knabe Richard, hatte ihn mit Hilfe des Capetingers unter sich gebracht und forderte als erste Bedingung des Friedens einen väterlichen Segen, wenn es auch nur die leere Gebärde wäre.

Da erhob sich Herr Heinrich, von meinen Armen gehalten, voll stillen Grimmes auf seinem Siechbette und streckte gezwungen seine Rechte über den Sohn aus. Aber die falsch segnenden Finger zog der Sterbekrampf zusammen, und sie erstarrten in der Luft.‹

›Haltet ein, Herr Rollo!‹ rief ich schaudernd, und nach einer Weile fuhr ich fort: ›Gestattet Ihr es, so begleite ich Euch eine Strecke weit, ich will eine Wallfahrt tun zu der schwarzen Muttergottes von Einsiedeln, mich verlangt, für die Seele meines Herrn zu beten.‹

Am zweiten Tage erreichten wir die unfruchtbare Hochebene, wo Menrads Zelle liegt. Herr Rollo lehrte nicht an, er wandte un dspornte sein Pferd, indem er mit leichtem Kopfnicken von mir Abschied nahm und gegen die Thürme des Klosters anspie.

Ich aber stieg von meinem Tiere und zog mit nackten Füßen und barem Haupte zu der Heilsstätte. Nachdem ich dort alles übliche und Reinigende verrichtet, trank ich zum Abschiede noch einmal von jeglicher Röhre des Brunnens, der, wie Ihr wißt, dem gesegneten Leibe St. Meinrads entsprungen ist.

Wie ich den andächtigen Mund von einer Röhre weghebe, sehe ich an der nächsten das durstige Haupt eines Pilgers hangen, dem der rechte Ärmel leer an der Seite niederfiel. Jetzt erhob auch er das Angesicht gegen mich, und wir schauten uns in die Augen.

Ehe wir uns dessen weiter versahen, waren wir beide aufgesprungen und hielten uns an den Gurgeln – Trustan Grimm und ich.

Da erscholl neben uns ein kräftiger Baß: ›Hände weg!‹, und ein blühender, junger Mönch fragte uns nach Herkommen und Heimat.

Als er erfuhr, der eine von uns sei der Kreuzträger des heiligen Thomas, der andere der Leibknecht König Heinrichs gewesen, fand er es verzeihlich, daß wir uns an die Hälse gefahren, schied uns aber mit gleichmäßiger Buße, jedem seine Zahl Vaterunser auferlegend, und der ehrlichen Predigt, kleine Leute hätten sich nicht in den Streit großer Herren zu mischen, zumal wenn diese schon an einem der drei jenseitigen Orte ihren richtigen Platz gefunden hätten.

So zog jeder von uns seine Straße. Ich in meine Werkstatt am Rhein, Trustan Grimm nach dem Heiligen Grabe, noch etwas Böses gegen die lauen schwäbischen Pfaffen in seinen roten Bart murmelnd.

Nach zehn Jahren erhob der noch heute regierende Papst, dem Schrei Engellands und der Christenheit Gehör gebend, Herrn Thomas in den leuchtenden Kreis der Kirchenheiligen. Statt der geforderten drei Wunder wurden deren über hundert vermeldet und verbürgt, und das verdienstliche Sterben auf den Stufen des Altars wog nicht weniger in der Schale seiner Würdigkeit.

Als solches den christlichen Ländern verkündigt wurde, schrieb ich den Namen des Herrn Thomas in meinen selbstgefertigten Kalender ein, hart unter die kleinen ersten Märtyrer, die unschuldigen Kindlein von Bethlehem, mit welchen er freilich, den gewaltsamen Tod durchs Schwert ausgenommen, nur wenig gemein hat.« –

 

In diesem Augenblicke fuhr Tapp scharf bellend auf, und bald antwortete ihm von der Gasse herauf Rüdengeheul und Roßgestampf. Ein greller Fackelschein fuhr durch das Zimmer, und wie die beiden in den hölzernen Söller hinaustreten, erkannte der Armbruster an der Spitze des die steile Gasse herabreitenden Jagdzuges seinen Gönner und Schuldner, Herrn Kuno, und wurde auch von ihm erkannt. Denn während die Linke des jungen Chorherrn den Zügel kürzte, riß er mit der Rechten einen vollen Ledersäckel aus seinem Gewande hervor, welchen er dem Armbruster in großmütiger Laune entgegenstreckte.

Hans wollte sich beurlauben, doch Herr Burkhard legte ihm die zitternde Hand auf die Schulter.

»Freund«, sagte er, »nächtige du unter dem Dache von St. Felix und Regul! Hat dich doch der heute hier regierende Heilige einen Schalksknecht genannt und möchte dir leichtlich, unversöhnt, wie er ist, auf deinem finstern Wege zur Herberge Fallstrick und Hinterhalt legen. Gehe jetzt und erhebe deine Schuld bei Herrn Kuno, ehe die Würfel rasseln. Unterdessen wird dir das Lager in meiner Kammer gerüstet. Ich schlafe wenig, und es ist mir lieb, heute nacht einen lebendigen Atem neben mir zu hören, denn ich fürchte, das blutige Haupt des Herrn Thomas könnte mir im Dunkel der Nacht vorschweben!

 

Morgen aber, als am Tage des gottseligen Königs David, magst du getrost deines Weges fahren.«