Sonnwende über dem Iltishag. Eine Geschichte aus dem oberen Toggenburg: ELTeC Ausgabe Birnstiel, Johann Georg (1858-1927) ELTeC conversion Automatic Script 157 36750

2022-01-11

Transcription UB Basel Scan UB Basel Sonnwende über dem Iltishag. Eine Geschichte aus dem oberen Toggenburg Birnstiel, Johann Georg Buchdruckerei A.Stutz Wädenswil 1920

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Vortort

In den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts hat Professor Eduard Osenbrüggen von Zürich,der früher viel- und gern gelesene Verfasser von Wanderstudien, zum erstenmal das Toggenburg bereist. Im oberen Teil des Thurtales hat ihm ein landes und volkskundiger Weggenosse von einem armen Kesselflicker Bochs ler erzählt, der mit einer treuen Lebensgefährtin jahrelang die Mühsale eines an Not und bitteren Erfahrungen reichen Daseins teilte und des Lebens nicht froh werden konnte, weil ihm von seiner Heimatgemeinde auf Grund einer staatlichen Verordnung die Bewilligung zur Eingehung einer rechtmäßigen Ehe hartnäckig vorenthalten wurde. In der Alphütte zum Iltishag,hoch über dem Burgtobel zwischen Stein und Starkenbach, erreichte das Elend der Familie seinen Tiefpunkt, aber auch dank des Eingreifens liebevoller Menschen, seine Wende. Der Wandersmann Osenbrüggen war von dem, was ihm über Not und Rettung der Leute Bochsler in wenig Worten berichtet worden war, tief ergriffen und hatte die Freude. in Alt St.Johann einen der wackersten Helfer persönlich kennen zu lernen und ihm voll Dank und Anerkennung die Hand zu drücken.Was Osenbrüggen in seinen Wanderstudien auf kaum vier kleinen Seiten berichtet, hat der Verfasser dieser Novelle ausgesponnen, wobei er sich erlaubt hat in Hinsicht auf Orts- und Personennamen von der einem phantasierenden Erzähler zustehenden Willkür Gebrauch zu machen. Es lag ihm daran, dem Leser hiemit anzudeuten, daß die nachfolgende Geschichte von der „Sonnwende über dem Iltishag“ eines historischen Kernes nicht entbehrt, obwohl im Toggenburg vielleicht nur wenige leben, denen je eine Kunde vom Kesselflicker Bochsler und seiner Familie zu Ohren gekommen ist.

8 E

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Ein Wirtshausfenster. das gegen die Straße schaut, ist ein lustiges Ding, aber Wirtshausgespräche belustigen nicht jedes Menschenherz. Man sollte keine Brücken hinter sich brechen,bevor man einen sichern Steg ins Neuland hat.

An der Straßenkehre, hoch über dem waldigen Simmitobel stand ein kleines Wirtshaus und drinnen an einem Tisch saß ganz allein ein Mann. Er kehrte der Türe den Rücken und wer eintrat, sah nicht seine Kummerstirn, die schlecht zum bartlosen Jünglingsgesichte paßte; er sah auch nicht die Augen, die sich verdüstert der weitgedehnten, stromdurchflossenen und von Bergen flankierten Ebene tief unten zuwandten, als müßten sie Abschied nehmend von allem, was da unten liegt, nur Vorwurf und Klage hinuntersenden. Der Wanderer, anscheinend ein Mann, der vom dritten Jahrzehnt seines Lebens schon wohl die Hälfte hinter sich hatte, maß mit fragendem Blick seinen schweren Tornister, der nebst andern Dingen auch gebrauchtes Werkzeug zu enthalten schien: „Soll ich dich noch weiter schleppen oder schmeiß'ich dich ins Tobel, damit die letzte Brücke zwischen einst und jetzt für mich gebrochen sei?“

So sehr war der Wanderer in Sorgen und Gedanken versunken, daß er für zwei neue Gäste, die eben eingetreten waren, kaum Beachtung hatte. Erst als sie zu reden begannen, horchte er auf. Sobald er aber merkte,daß sie den Dialekt der breiten Ebene sprachen, aus der auch er heraufgestiegen war, da wandte er den von der Hand gestützten Kopf zur Seite, als fürchte er, er ι

444 kannt zu werden. Er brauchte indessen nicht zu fürchten,daß man sich geflissentlich um ihn kümmere. Es kam der Wirt, der die neu Angekommenen kannte und binnen Kurzem mit ihnen in eifrigstem Gespräch war. Ueberdies lag das Wirtshaus an der Straße, die zwei Talschaften des Kantons verband und sehlustigen Augen immer wieder etwas bot.

Da stand zum Beispiel unten vor den Fenstern die Post, die von drei muntern Rößlein gezogen, eben unter Peitschenknall und Schellengeklingel aus der Richtung von Wildhaus gekommen war. Der Postli trank einen Schoppen, den ihm der Reisende dort auf der Banketta gespendet hatte, und der Konduktör rumorte im Schweiße des Angesichtes im Gepäckkasten des Postwagens herum,sichtlich erbost, daß nicht auch er schon so weit war, sich mit dem „guten Roten“ befassen zu können, der im Keller der Tobelwirtschaft sein „Buket“ besser behielt als an manchen andern Orten. Kaum war der gelbe Rumpelkasten in eine Staubwolke gehüllt, hinterm nächsten Rank verschwunden, so hörte man von der obern Straßenkehre her das Läuten einiger schwerer Senntumsschellen,deren vierbeinige dumpfbrummende Träger näher und näher kamen. Als sie unter den Fenstern waren, grüßten zwei Sennen herauf, deren scharlachrote Westen und blumengeschmückte Hüte sich prächtig abhoben auf dem Untergrund der weißen und heißen Straße. Den Nachtrab bildeten ein paar Rinder, die den zwischen ihre Hörner gebundenen Melkstuhl mit einer gewissen Würde trugen und fast geheimnisvoll einhertrotteten, als ob sie Einhörner wären oder Spukgestalten aus einer andern 400 v Welt. Schweigend gafften der Wirt und die Gäste an den Fenstern. bis der den Schluß des ganzen Zuges bildende Hüterbub samt dem ihn begleitenden Hund auch vorüber war. Im Augenblick aber, als die Wirtshausgäste sich setzen wollten, reckte der Wirt nochmals den Hals, denn auf eines Steinwurfs Weite hinter der Herde sah er einen Mann mit etwas geschwärztem Gesicht, der eine alte Pfanne geschultert trug. „Verdammtes Geschmeiß“, brummte er dann, mit dem Daumen rückwärts weisend: „Die liegen einem auch immer in den Ohren mit ihrem verflixten: Nir zu verzinnen? Nix zu flicken...?Löchrige Pfannen, Kessel gabutti, alles wie neu, tutti quanti... halba vergeba?... Ja danke für Obst!...Was die heut' verzinnen, das rinnt morgen schon wieder ins Feuer. Dazu sind sie erst noch teure Krämer, und hat man sie im Haus, so bringt man sie fast nicht mehr heraus. Alles visigucken sie in ihrer Flickwut aus, und sind sie fort, die schnauzbärtigen Slowaken, so weiß man auch nicht, was sie neben Kesseln oder Pfannen sonst noch mitgenommen haben, die Hallunken. Ueberhaupt dieses landfahrende Gesindel: Mausfallenhändler, Scheerenschleifer, Savoyardenbuben, Dudelsackpfeifer und wie sie alle heißen. 'S ist Zigeunerware, Landplage, faules Pack,das nie gelernt hat, einen ehrlichen Beruf zu treiben.“

„Es ist etwas dran“, bestätigte einer der Gäste. „Es mag ja auch rechte Leute unter ihnen geben, aber sie führen ein unstätes Leben. Heut' Arbeit, morgen keine.Heute, morgen und übermorgen auf der Fahrt, und am vierten Tag ein bischen schaffen. Einmal in dulci jubilo hinterm vollen Topf und ein andermal so grausig arm, daß man nicht zu ihnen sagen kann: „Vogel friß oder stirb“. sondern eher: „Vogel stiehl oder stirb!“

„Was will man“, warf der andere der beiden Gäste ein. „Sie sind von einer andern Menschenrasse, kommen aus Polen, Galizien oder weiß der Kuckuck woher und haben von dem, was wir „ehrliches Leben“ nennen, ganz andere Begriffe.“

„Was? aus Polen oder Galizien?“ rief da etwas erregt der Wirt über den Tisch „... ein Speck aus Polen und Galizien!... Es gibt allenthalben Faulpelze, die statt festzusitzen, im Land herumflanieren... Ich habe unter der Blahe von Korbflechter und Kesselflickerwagen auch schon aargäuisch und jurassisch oder gar mostindisch parlieren gehört. Und dies dünkt mich eine Schande, wenn sogar ein Schweizer...“

Hier kam der Wirt nicht weiter. Sein Gerede wurde unterbrochen durch das Aufschlagen und Zerklirren eines Glases, das vom andern Tisch auf den Boden gefallen war. Der Wanderbursch, der mit raschem Ruck,wie in plötzlicher Erregung sich vom Siztz erhoben hatte,mußte es heruntergewischt haben mit linkischer Geberde,und da lag es nun, vom Rotwein übergossen, wie in blutigen Scherben. Mit zitternden Fingern klaubte der junge Mann das nötige Geld für Imbiß und Glas aus seinem Beutel. Dann ging er davon wie ein Geschlagener.So ganz und gar nicht wie einer, der einen guten Vespertrunk getan und mit neugestärktem Mut nun den kleinen Rest seiner Tagwanderung noch unter die Füße nimmt.

„Ja, so ist's eben“, brummte er bergan steigend,tief verdrossen vor sich her, „ein Handwerk mag noch so ehrlich sein, hat es nun einmal keinen guten Ruf, so hat's der Teufel gesehen. Da hilft alles Sichabschinden, Mühen und Bravsein nichts. Da mögen die Schulmeister und Pfaffen lang moralisieren und predigen: „Nicht das Handwerk ehrt den Mann, sondern der Mann ist's, der das Handwerk zu Ehren bringen soll und kann. Papperlapapp! Ich glaube nicht mehr daran... Einem Schmied oder Schreiner mag das Glück erblühen, sofern er ein Kerl ist, der sich sehen lassen daxf, auch einem Schneider mags gelingen, sogar einem Bürstenbinder, Häftlimacher oder Lumpensammler. Für einen Kesselflicker aber ist Hopfen und Malz verloren!.... Jesses so ein Schwarzpeter und Zigeuner! Hat's mal einen in diese Hölle verschlagen in jungen Jahren, so sehe er zu, wie er wieder herauskomme, bevor er ganz verludert, dank der Verachtung der barmherzigen Menschen!“

Unter so trüben Gedanken war der Wanderbursche bis zu einer Straßenbiegung emporgestiegen, von der sich nochmals ein Blick ins Tiefland bot, durch das wie ein Silberband der breite Fluß sich zog. Hier rastete er ein letztes Mal, stützte die Ellbogen auf die Knie und,das sorgenschwere Haupt auf seinen Händen ruhen lassend,schaute er verträumt auf das Land, das vor ihm lag,wie ein aufgeschlagenes Buch, aus dem heraus er jetzt immer nur wieder die Geschichte seiner traurigen Jugend las.

Dort drunten im Rheintal war er der Severin Bochsler geboren. Dort in jenem Dorf, das wie ein Verstecken spielendes Kind sich verbirgt, wenn der Waldhüter kommt, dort hat er früh seine Mutter und damit seiner Kindheit Paradies verloren. Des Vaters Haushälterinnen, deren eine der andern folgte, hatten kein Herz für ihn gehabt. Der Vater selber aber, wie gut er's zuweilen mit dem einzigen Kinde gemeint haben mag, war nicht der Mann, der einem mutterlosen Hause den gefährdeten Heimatgeist erhalten konnte.

Ja, hätte er wenigstens ein Haus besessen. Doch damit war's lange aus. Der Severin wußte sich kaum zu denken, wann und wo er das gehabt, was ein Kind die Heimat nennt. Ungeschick und Mißgeschick hatten den Vater um alles gebracht, sogar um den Beruf. War er vor seinem Bankerott ein kleiner Kupferschmied gewesen, so verzichtete der in Not Geratene auf seinem Beruf zu bleiben oder in die Werkstatt eines andern Meisters sich zu stellen. Zum Gehorchen war er zu alt und auch zu stolz. So trieb er sich halt als Löter und Verzinner da und dort herum, flickte, was es zu Stadt und Land zu flicken gab, und gab's nichts mehr,so wanderte er, in Gottes- oder wenn er recht verärgert war in drei Teufels Namen weiter.

Das wäre nun an sich nicht so schlimm gewesen.Aber, daß der junge Severin, der ein liebebedürftiges Herz besaß, gar nirgends Wurzel schlagen konnte, und daß er, der stets den Kopf voll Fragen und Lust und Liebe zum Lernen hatte, an den Schulen fast ganz vorüber kam, das war das Traurige. Und etwas war schlimmer noch als das. Gern hätte er einen Beruf gelernt. O,nur irgend einen, der den Menschen seßhaft und fröhlich macht und ihn befähigt, eines Tages irgend ein Meisterstüchk zu schaffen und wär's auch unter tausenden das Geringste. Nur nicht dies ewig vermaledeite Flicken, dies 12 Betteln vor den Häusern, dies heimatlose Sichumtreiben und Flanieren und Sich-über-die-Achsel-betrachten-lassen!Wie inständig hatte er doch den Vater oft und oft gebeten.Doch immer hatte der vertröstet und verschoben. Immer hatte der Alte den Jungen nötig gehabt. Und ein klein Bischen verborgene Liebe mag's ja auch gewesen sein, die des Vaters Gemüt beschwerte, wenn er sich fragte, wie ihm wäre. wenn er sein Leben ohne den Sohn zu führen hätte?Schneller als vorauszusehen war, ist's zwischen Vater und Sohn zum Bruch gekommen. Es war dem Alten nicht entgangen, daß der Junge seit einiger Zeit einem ganz verträumten Wesen verfallen war. Bald ging dieser wehmütig des Weges und tat, als ob ihm das Weinen zu vorderst wäre. Bald pfiff und sang er über der Arbeit,wie er's früher nie getan. Oft suchte er die Einsamkeit,und zuweilen ruhten seine Hände, während die Augen ins Weite starrten, als sähen sie in einen siebenten Himmel. Redete man ihm ein, so war er von einer Empfindlichkeit sondergleichen. Dem Vater, der auch einmal jung gewesen und der sich auf Menschenherzen zu verstehen meinte, schwante, es könnte über seinen Jungen etwas wie Liebe gekommen sein. Wie sollte sie, die rastlos umgehende, ewig suchende Zauberin nicht auch das Herzkämmerlein eines armen Buben gefunden haben?Und hatte dieser helle Augen und einen Wuchs gleich einer schlanken Tanne, wie sollte es nicht Mädchenaugen geben. die mit Wohlgefallen darauf ruhten?Der Vater hatte recht geraten; doch wußte er's nicht bestimmt und schwieg sich aus. Nur reizte ihn des Sohnes verändertes Wesen. Las er ihm's doch fast am Rücken ab,13 wie sehr ihm nun erst das unseßhafte Wandern und Auslugen nach Arbeit verleidet war. Wie ein Person gewordener Vorwurf saß und stand und ging der Jüng-ling vor des Vaters Augen. Und leicht erregbar und jähzornig, wie er war, nahm er Anstoß am leisesten Tadel,der über des Vaters Lippen kam. So entstand eine Spannung zwischen beiden, die Schlimmes befürchten ließ.Und dieses Schlimme blieb nicht aus.

Es kam ein Tag, der trennte sie. Harmlos begann's mit einem kleinen Meinungsstreit. Ein Wort gab das andere und jedes nachfolgende war spitziger als das frühere. Auf einmal rauchte im Jungen der Jähzorn auf, und er schleuderte das eben noch gebrauchte Werkzeug vor des Vaters Jüße: „Du hast mich um das Glück der Jugend betrogen, du hast dich gestemmt, als mich's zog, einen ehrlichen Beruf zu lernen, du bist schuld, daß ich ein Lumpenleben führe und, daß ich statt fest in einer Werkstatt zu sitzen, herumhudeln muß, wie ein Nichtsnutz. . wie ein Zigeuner... wie ein... ein. ..!“

„Schweig!“ fuhr jetzt der Alte drein und schmiß den Hammer an eine Pfanne, daß es krachte. „Du hast es recht bei mir gehabt, und was ich dich gelehrt, ist ehrliches Handwerk, wie jedes andere. Aber was will man?Dich reitet der Hochmutsteufel... undankbarer Gauch und, und soll ich dir's grad offen sagen,ins Gesicht?... Du hast dich wohl mal vergafft in ein schönes Lärvchen, und jetzt gelüstet dich's, einer Metze nachzulaufen!... Geh... geh... wenn du's nicht lassen kannst, irgend ein Lumpenmensch höher zu stellen, als deinen alten Vater!...“ Nachdem er sich so ereifert, schnurrte der Vater in keuchendem Zorne am Jungen vorbei und steuerto einer Wirtschaft zu. Wie versteinert und totenblaß stand Severin. Lang, lange stand er und sann, und ihm war,als sei zwischen ihm und dem Vater ein Band zerrissen, das keine Menschen und Engelshand mehr flicken könne. Der Vater hatte mit grober Hand an etwas gerührt, das ihm, dem Sohne, tief in der Seele heilig war, an seine junge Liebe zu einem Mädchen, dem er dort unten im Tale unter blühendem Flieder dereinst sein Herz erschlossen, bevor es ins Bergland verzogen war,und das er um so heißer liebte, je schmerzlicher er sein Nahesein vermißte.

Wie ein Schlafwandler tappte Severin eine Weile im Kellerraum umher, wo er eben noch sein Werk getan;dann suchte er, mehr träumend als wachend, sein Werkzeug zusammen, packte es in einen Tornister und zog von dannen.

Wohin? Er wußte es selber nicht. „Nur fort, nur fort, in ein ander' Leben!“ So stürmte ein Ruf durch seine Seele. Und so war er denn, Gram und Hoffnung im Herzen, aus dem Tiefland die Bergstraße gen Wildhaus emporgestiegen, hatte drunten in der Wirtschaft am Simmitobel zum Ueberfluß noch den Schimpf über sein bisher getriebenes Gewerb' vernommen und wanderte jetzt beim Sinken des Tages weiter, von der Sehnsucht erfüllt, am Fuß der Berge, die da oben über grünen Alpen grüßten, einen Beruf, und will's Gott noch viel mehr zu finden, denn ins Bergland war sie ja gezogen, die er liebte.15 W Um's Zunachten lief er an einem stillen See vorbei,darinnen Wald und Berge sich spiegelten. Weiter unten grüßte ein Dorf mit zwei Kirchen, deren Glocken Betzeit läuteten, und an den Hügeln, an deren Hängen liebliche Hütten klebten, glühte der letzte Abendsonnenstrahl noch da und dort in einem Fenster, wie dunkelrotes Feuer.

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Etwas vom Suchen und Finden und davon, daß auch der Stern des Finderglückes Sonnenflecke hat. Allerlei Kichter und eine edle Richterin. Wie selbst ein unsauberer Rüssel auf eine reine Perle stoßen kann. Ein Freudetrunkener und einer,der in der Freude zu viel getrunken hat. Zwei Tage nach seiner Ankunft in Wildhaus stand Severin schon mit einem Schurzfell angetan in einer Schmiedewerkstatt. Es hatte aber viel gebraucht, bis ihm eine Türe aufgegangen war. Beim Schmiedmeister hatte er zaghaft vorgesprochen, nachdem ihm der Herbergswirt bedeutet hatte, bei Bauern werde kein Ankommen sein für einen, der nicht derbe Bauernhände habe und beweise,daß er Fleisch von ihrem Fleische und Blut von ihrem Blute sei. War er schon ohne den üblichen Gesellengruß unters Hoftor getreten, so riß der Meister erst recht die Augenbrauen hoch, als er hörte, daß der Ankömmling nicht einmal seines Handwerkes sei. Und hatte er's erst heraus, daß der baumlange Kerl,. der wie die Gesundheit selber vor ihm stand, nie im Fegfeuer einer Lehrzeit gewesen war und nicht einmal das Recht besaß, mit Ehren sich Gsell zu nennen, da lähmte das Erstaunen ihm die Zunge. Nach guter Weile faßte er sich und fragte: „Ja um's Himmels Willen was habt Ihr denn getrieben?“ Und wie da nun unter Stottern und Erröten die Antwort kam: „Kesselflicker bin ich gewesen ...mein Vater ist's auch und hat es so gewollt ...“, da lachte der Schmied einen Schollen heraus. Um seine Lippen aber spielten Spott und Aerger und grob stieß er zuletzt heraus: „Fehlte noch, daß ich in meiner Butik solche Güdelware dulde!“

Dem Severin schoß eine Blutwelle ins Gesicht und der Zorn wollte ihm den Atem rauben. Dann gedachte er aber seiner Not und Hematlosigkeit und seines Entschlusses, ein Neues zu beginnen, wie viel's auch kosten möge. Seine Augen bekamen feuchten Glanz, und mit einem Zittern in der Stimme bat er: „Meister, probiert's mit mir, es soll Euch nicht gereuen!“

„Probieren!“ brummte der Meister, „bald gesagt, was fang ich mit Euch an? Lehrbub könnt Ihr nicht mehr werden... Ihr dünkt mich bei Gott zum Heiraten reifer als zum Blasbalgtreten und zu anderm Ohrfeigendienst! Und zum Gesellen langt's halt nicht .“

„Aber schaffen kann ich doch und schaffen will ich,daß mir die Rippen krachen, und einen Handlanger könnt Ihr wohl immer brauchen!“

Während die Männer so verhandelten, stand, von ihnen unbeachtet, eine ältere Frau an der Tür, die aus der Werkstatt nach der höher gelegenen Wohnung führte.Mit sichtlichem Wohlgefallen ruhten die Augen auf dem schlanken Burschen, und sie warf dem Schmied einen Blick zu, der sagen wollte: „Du hast schon Leute eingestellt, die weniger versprachen. Laß dich doch erweichen!“Der Meister verstand den Wink, strich sich den Bart und lenkte ein nach einigem Zögern.

So spürte Severin denn wieder Boden unter seinen Füßen. Arbeit haben auf festem Platz war ihm, der so lange gewandert war, schon halb so viel wie eine

18Heimat haben. Doch fehlte ihm freilich noch viel zum vollen Heimatglück. Das Größte fehlte ihm. Unsagbar heiß war sein Sehnen nach dem Angesicht, auf dem der Abglanz der von ihm geliebten Seele lag, und das ihm,so oft er es in Gedanken schaute, wie eine Verheißung der Freude erschien, die bis jetzt seinem Leben in Armut ganz gemangelt hatte.

Unablässig quälte ihn die Frage, wo das Mädchen weilen möchte, das eines Tages drunten im Tiefland seinen Weg gekreuzt und zum ersten Mal helles Licht ins Schattenland seines fast hoffnungslosen Wanderlebens getragen hatte. Die Gewißheit sollte ihm rascher werden,als er's je gedacht.

In der Werkstatt arbeitete neben Severin der „dicke Egli“, wie sie ihn im Dorfe nannten, ein breitschultriger,untersetzter Schmiedgeselle, arbeitstüchtig, flink, verwegen und auch listig und verschlagen. Für schöne Mädchen hatte er immer ein Auge, selbst wenn er gelegentlich ein Pferd beschlug und alle fünf Sinne beisammenhalten mußte, um nicht „eines hinter die Ohren“ zu erwischen.Mitteilsam war er auch. Was irgend in seinem schwarzen,kraushaarigen Kopf umging, das mußte heraus, selbst wenn's sein Schaden war.

Freundlich nahm er sich des Severin an. Eine gute Zudienung bei der Arbeit war ihm eben recht, und zwischen Hämmern und Feilen ein bischen mehr Kurzweil zu haben,war ihm auch willkommen. Besonders dann, wenn der Meister nicht um die Wege war.

Eines Montagmorgens sind Geselle und Handlanger wiederum allein. Der Egli hat rot unterlaufene Aeuglein 4348444

44444 und aus seinem Mund kommt ein widerlicher Geruch wie von Magensäure, Tabak und Wein. Zuerst lacht er schadenfroh in sich hinein, wie einer, dem ein toller Streich gelungen ist. Dann legt er los: „Flott, beim Eid! Malefiz flott Schad, daß du nicht mit sein konntest!Sie haben wieder mal etwas ausgeräuchert. Unten an der Straße gegen Unterwasser, da ist schon lang ein Haus im Verruf. Weibsgeschichten, weißt du und spielwütiges Zusammenhocken und dergleichen. Das lag dem Tugendbund schon lange quer. . 'S tun zwar nicht lauter Tugendengel mit und der Bund beschloß in geheimer Waldsitzung ein Gericht. Mich hat keiner eingeweiht,aber zu Ohren kam's mir doch. Und in gemessener Entfernung schleiche ich hintendrein. Ein Anführer kommandiert die Schar. Zuerst stellen sie in weitem Umkreis Posten auf, daß ja keine sündhafte Seele ihnen entwischen könne. Dann nahen sich alle, mit Stöcken bewehrt, der Festung, die eingenommen werden soll. Einer trägt eine Birkenrute in der Hand. Jawoll ja, zum Zuchtmeister der Dirnen hat man ihn ernannt. Gott verdammich' ein verflirxtes Amt! Jetzt stehen sie vor'm Haus. Der Anführer klopft mit seinem Stecken dreimal an einen aufgezogenen Laden und meldet die Gegenwart des Sittengerichtes an ... Grabesstille im Haus und rundherum kein Laut. Das winzigste Mäuslein hätte man pfeifen hören können. Nun tritt der Häuptling ein paar Schritt zurück und schreit den unsichtbaren Hausbesitzer also an: „Hausmeister raus mit dem Gesindel! Rrraus! rrraus! rrraus!. ..“ abermalige Totenstille dann Wiederholung des Rufs. Und endlich, weil alles 20 nichts nützt, beginnt der Sturm... Axthiebe ans Haustor. Heiliges Donnerwetter, wie das kracht! Auf einmal weicht die Tür und schwubbs, drückt alles durch den Gang in die Stube hinein und in die Kammern.

Ich schleiche sachte hinterher, immer auf dem Sprung zu fliehen, denn das Sittengericht will keine Unberufenen hinter sich haben. In der Stube steht ein langer Kerl hinterm Tisch auf, der Hausbesitzer. Dem stehen über den Brauen zwei Stirnfalten steil auf wie gezogene Schwerter und er macht ein Gesicht, als wollte er sagen:Probiert's und ich will euch den Meister zeigen.

„Gib das Gesindel heraus“, so herrscht ihn der Führer der Gilde an. „Tust du's gutwillig und schnell, wohlan,so soll die Strafe gelinde sein! Setzt ihr euch aber zur Wehr, dann Gnad' Gott, dir, dem Hehler und dem Lumpenpack, das hier sein schamlos Werk getrieben hat!“

Der Lange hinterm Tisch sagt nichts, nur krempelt er die Aermel auf, schielt nach einem Stuhlbein und atmet schwer dazu. Wieder wird er angerufen; wieder sagt er nichts. Da fliegt ihm ein Holzscheit an die Nase und, eh' er sich's versieht, überrennen ihn zwei Mann.Flugs bearbeiten ihn sechs, acht Fäuste. Im Winkel,in den er sich zuletzt, zerkratzt und müd' zurückgezogen,harrt er, streng bewacht, der Dinge, die da kommen sollen.Nebenan in der Kammer hört man Fluchen, Klatschen,Stampfen, Schreien. Ein Nest wird ausgenommen. Zwei Männer setzen sich zur Wehr. Unter Betten und im Dunkel eines eingebauten Kastens kreischen junge Weiber.Endlich sind sie überwältigt. Vor dem Haus wird ihnen das Maß der Sünden vorgerechnet, dann tritt die Birken21 an rute in ihr Amt und am Schluß vermahnt das. Haupt der jungen Richterschar zu einem bessern Lebenswandel.“

„Schon bei Beginn der Predigt“, so erzählte der Egli weiter, „hatte ich mich verzogen. Der Rückweg führte mich am Steinerhof vorbei. Dort leuchtete ein Licht in die Sommernacht. Man hatte den Lärm von ferne gehört und wartete auf Uli, den Sohn, den man auch zu den Braven im Tugendbunde zählt. Weißt du zu den „Brr aaaven“, die andere richten dürfen!Mich rechnet man freilich nicht dazu, hi, ha, haha! Ist mir auch lieber, denn mein Rücken hat keine Einrichtung zum Einhängen von Engelsflügeln. Also nicht weit vom offenen Fenster steh' ich und horche und höre, im Finstern stehend, ein paar abgerissene Sätze. Sie müssen von der Räucherung gesprochen haben. Die Alten ich meine den Steiner und sein Weib die waren fürs Gericht. Warum auch nicht? Alte Kracher haben keinen Sinn für Lust und Freude, tun immer, als wären sie Herrgötter gewesen in jungen Jahren und wackeln entsetzt mit Hauben und Zipfelmützen, wenn einmal frische Buben oder lebenslustige Dirndlein tun, was vor fünfzig Jahren noch nicht Brauch und Mode war. Sie stimmen dann mit ihren dürren Händen für das Schwert, zum mindesten für die Rute, spielen die Richter und verzieh'n vor Hochmut das Maul bis an die Ohren, wenn auch ihre Buben schon die Richter spielen. S'ist zum Körbeln!“

„Nun weiß ich ja nicht“, fuhr der Egli weiter,„ob der Steiner und seine Alte grad für's Hängen oder Köpfen wären, aber sicher hatten sie am Krach dort oben ihre Freude, denn ich hörte nur, daß sie zuletzt noch 22 sagten: „Es ist ihnen recht geschehen! Ja, mehr als recht geschehen!“ nämlich denen, die auf's Dach bekommen haben. Damit schien aber eine Magd, die noch mit in der Stube saß und die ich vorerst nicht sah, nicht einverstanden. Potz Blitz, hatte die eine Stimme! So tief und doch so weich, wie ich keine noch gehört.'S muß ihr aber auch ernst gewesen sein. Etwas von Heuchelei sagte sie und daß junge Leute nicht richten sollten und daß auch gesunkene Menschen noch ihr Gutes haben daß man mit Rutenstreichen das Böse im Menschen nicht besiege und daß man aus einer Abrechnung mit fehlbaren Leuten keine Fastnacht machen sollte. Solches und noch anderes sagte sie. Nichts Neues, weißt du, aber die Art, wie sie's sagte! O ihre zarte und doch so frische Art, die hat sogar mich Hartgesott'nen tief unterm Brusttuch warm gemacht. Warm? Narreteien!Heiß hat sie mir gemacht, heiß, heiß, das sag' ich dir!Und wie ich nun erst ganz nah ans Fenster trete und das Mädchen sehe. Donnerschieß! Mich wirft heut' noch die bloße Erinnerung um. Die schlanke Gestalt, die schweren Haarflechten, das ovale Gesicht mit den festen Linien und den schwarzen Augen, das vergeß' ich nimmer! Kein Gesicht wie ein bemalter Puppenkopf, sag' ich dir. Nicht grad fein hab' schon schönere Weiber in Menge gesehen. Aber doch alles so fix, so gesund, so, so, ich weiß gar nicht, wie ich sagen soll. Kreuzmillionen,ich bin verrückt und vernarrt... reineweg vernarrt!“ ...

So schwadronierte der dicke Egli und hätte wohl ein Erkleckliches noch hinzugefügt, wäre der Meister nicht plötzlich wieder eingetreten. So schwieg er denn, trom xRXXXX melte mit dem Hammer einen förmlichen Wirbel auf seinen Ambos und hatte keine Ahnung von der ungeheuren Wirkung seiner Worte auf das Gemüt des Menschen,der dort nebenan hantierte und dessen Gesicht nicht nur glühte vom Widerschein des Feuers in der Esse, sondern vor Aufregung, Angst und brennendem Verlangen.

Also gefunden! Endlich gefunden, dachte der arme Severin. Nun wußte er, wo Christine war, die er lang und schwer vermißt. Dem Plan, sie nun zu suchen und,wenn's not tat, auch zu schützen, galt sein ganzes Sinnen.Flüchtig streifte sein Blick den dicken Egli, sein stiernackiges Gebahren und seine Katzenjammeraugen. Da faßte ihn ein Grauen: „Hüte dich! Ein Leu geht um und sucht, wen er verschlinge!“

Nicht lang nach Severins Eintritt beim Schmied war Markttag im Sidwald. Scharenweis' strömten Alte und Junge, Sennen und Händler, Buben mit scharlachroten Westen und Mädchen mit hochgebundenen blonden Zöpfen und frischen Apfelgesichtern, der Thur entlang, das Tal hinab. Die Maisonne gab ihren Segen, und unten bei der Burg, wo die Straße durch eine Felsenkluft sich zwängt, sang der jungwilde Fluß, mit Steinen sich raufend,sein Knabenlied. Es tönte gar schön zum Schellen der Rinder und zum Jauchzen der Aelpler, die ihr Vieh zu Markte trieben, und Säntis und Churfirsten, Goggaien,Stockberg und Speer hatten ihre Freude daran, denn,wie finster sie zuweilen blickten, heute lag eitel Lachen auf ihren Steingesichtern. Auch die Gotteshäuser, kathollisch und reformiert, wußten heute nichts davon, daß da oben, zu Zwinglis Tagen, und später, wegen Glaubens24 o händeln Sturmglocken geläutet, Hämmer gegen Gitter und Bilder geschwungen und im Stillen Hellebarden und Schwerter geschliffen worden sind. Die Jahrmarktleute zogen alle brüderlich an der Steiner und NeßlauerKirche und am Neu St. Johanner-Kloster vorbei und keiner sah den andern daraufhin an, ob er beim Beten „Unser Vater“ oder „Vater unser“ sage.

Severin schritt stiller als sonst an Eglis Seite, doch wenn er heute neben dem Dicken nicht herzlich lachen konnte, so lag's ja nicht daran, daß er katholischen, der geschwätzige Gesell aber des andern Glaubens war.

Auf dem erhöhten Jahrmarktplatz, der gar lieblichen Blick ins Tal und zum Gebirg gewährte, war buntes Getriebe; ein Wetteifern von Jarben und Tönen, Tuten,Rufen, Reden kaufender und verkaufender Leute, Brüllen von Kühen und Blöken von Schafen, Leuchten grellen Rots,tiefen Blaus, hellen Gelbs auf Menschengewändern, Blumensträußen, Regenschirmen, Budenwagen, und neben, unter und über allem als allregierende Talfarbe das satte Grün der Wiesen und Weiden. Da waren aber nicht nur die Menschen mit ihrer lebendigen Habe, da waren auch die Handwerker, bald hätt' ich gesagt, die Künstler mit ihren Produkten. Was geschickte Bauernhand den Winter über geschnitzt an Eimern, Kufen, Standen, Budern, Kellen und Löffeln, Rechen und Gabeln, was Wagner, Schmiede und Schlosser kunstvoll zusammengeschweißt und gehämmert an Wagen, Ackergeräten, Sensen, Sicheln, ja sogar an Maschinen, als da sind Handmühlen, Gerstenstampfen und dergleichen, das lag da prächtig ausgebreitet und das Beste und Feinste stammte aus dem Zwingli25 Ma dorf am Juß des Säntis. Dort war auch Frau Musika daheim, und ob zwar die Tage längst vorüber waren,da der Uli Ammann vom Kühboden schon in seinen Bubenjahren Tag und Nacht darüber gesonnen hat, wie er eine Orgel erstelle, und trotz unsäglicher Mühen und Enttäuschungen nicht ruhte, bis er's heraus hatte, es liefen doch im obersten Thurtal noch ein paar grundgeschickte Mandli herum, in deren Köpfen schöne Melodien summten und deren Finger die prächtigsten Instrumente schnitzten. Es lagen also auch Geigen, Klarinetten, Guitarren und Zithern zum Verkaufe da. Des Jungpolks Augen hafteten mit Verliebtheit dran. Im Holz der Violinen und Flöten schlummerten Tanzweisen und Lieder,die am Abend des Markttages wie Sturm in Herzen und Füße fahren wollten.

Von allen Herrlichkeiten sah und hörte Severin wenig. Rastlos suchend, bange fragend, wanderten seine Blicke die Menschenreihen auf und nieder. Kehrten sie traurig zurück, so schickte er sie doch immer wieder aus:„Geht, geht und laßt euch nicht ermüden. Sie ist im Land: ihr müßt sie sehen und koste es mein Leben!“Solchem Hunger und Dürsten mußte Stillung werden.

Christine war da, und ihre Augen hatten Severin entdeckt, nur durfte sie ihm jetzt noch nicht begegnen.Der Dicke hielt sich immer dicht an seiner Seite; den hätte sie gern weit weg ins Pfefferland gezaubert.

Nach Stunden, wie die beiden Männer sich aus einem Menschenknäuel winden, einer Schenke zusteuern,und, daselbst eingetreten, ihre Blicke durch qualm und lärmerfüllte Stuben gleiten lassen, da trifft Severins 26 Blick wie zufällig auf zwei dunkle Augen, die, wie die seinen, schon lange suchend den Raum durchflogen haben mögen. „Ist's möglich? Um Gottes Willen hab'ich recht gesehen?“ Er stutzt, das Blut fährt ihm zum Herzen und zum Haupte. Ihm schwindelt, denn ihn faßt wie Wirbelsturm eine unsagbare Freude. Lob und Dank! Der Dicke hatte seine Blicke anderswo gehabt, und am Tische sitzt er so, daß er im Rücken hat, was Severin nun unabläßig mit strahlenden Augen sucht und grüßt.

Nach geraumer Weile erhebt sich dort hinten in der Ecke ein behäbiger Alter, der Bauer vom Steinerhof,zwingt Christine, die sich miterhoben hat, mit sanfter Gebärde auf ihren Stuhl zurück, als wolle er zu ihr sagen: „Warten ruhig warten, bis ich wiederkomme!“und verschwindet. F

„Heija! Jetzt oder nie!“ so schreit's in Severins Seele. Kaum gedacht, hat er sich weggestohlen von Eglis Seite, steht dort hinten, faßt eine Stuhllehne und beugt sich, trunken von Freud' und Wonne, nieder zum Mädchen.das in süßer Verwirrung, schüchtern und wie gelähmt von der Wucht des seligen Moments, die Augen und Lippen des lange Vermißten zu sich reden läßt.

Vom Gesumme der Menschenstimmen umrauscht, vertrauen sie sich an, was eins vom andern in Eile erfahren soll. Dann bittet Christine, besorgt, daß der Bauer bald zurück sein könnte, mehr mit Winken als mit Worten, daß Severin von ihr gehe. „Am Sonntag“ flüstert sie ihm zu „... Am Sonntag in Alt St. Johann nach der Morgenmesse!“ ...

Auf dem Heimweg ist Egli voll von Wein und 27 Wonne. Hoch über den Felsen, die einst Burg Starkenstein getragen, flimmern Sterne und vor seinen umnebelten Augen tanzen die Bilder lustiger Mädchen. Die Schwarze vom Steinerhof, die er heute nicht gefunden, ist mit darunter, und jetzt kommt er ins Schwärmen und Schwadronieren, mißt unsicheren Schrittes die Straße,prallt wie ein hin und hergestoßener Gummiball von Zeit zu Zeit an Severins Schulter und schwört beim aufgehenden Mond, daß er die schöne Maid eines Tages suchen und ihr Herz, und gliche es der stärksten Burg,erobern wolle.

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III.Es lautet im Tal und in den Menschenherzen. Von einem. der höher steigt als er soll und von einem andern, der mehr schwatzt,als nötig ist. Es rauscht in einer Werkstatt und in Menschenköpfen. Ein Schwätzer verrät, was ein Schweigsamer verbergen möchte. Tröstende Bergpracht und ängstigende Waldnacht. In Sonntagsruhe lagen Berg und Tal, als Severin gen Unterwasser schritt. Freundlich grüßten im Schein der Morgensonne die Fensterlein der vielen an Berge und Halden verstreuten Hütten.

Wie erzählt doch die Sage? Ein Riese, der draußen im Vorarlberg mit seiner Familie hauste, kam zur Weihnachtszeit aus den großen Städten im Unterland heraufgereist. Einen schweren Sack, gefüllt mit Weihnachtssachen für seine Riesenkinder, schleppte er mit sich. Um seinen Weg abzukürzen, wollte er mit mächtigen Riesenschritten über den hohen Säntis steigen. Allein, oben am Kalbersäntis, nahe beim eigentlichen Gipfel, verfehlte er den Tritt, fiel und ließ seinen Sack zu Boden plumpsen.Er öffnete sich, alles kugelte und rollte den Berg hinunter.Wie der Riese sich wieder erhob und um sich schaute, lagen die vielen schönen Häuschen, die er seinen Kindern hatte schenken wollen, zerstreut auf den Abhängen. Als er das sah, freute er sich des anmutigen Anblicks, und schnell entschlossen sagte er: „Ich lasse sie so, wie sie gerade liegen; schöner hätte man sie gar nicht aufstellen können.Wahrhaftig, das sollen meine Kinder sehen! Dann zog er eine Schnur um den Sack, und mit dem Rest der Häuschen schritt er wohlgemut seiner Heimat zu.29 ιν Das ist die Sage von den schmuchen Häuschen. O,sie schmückten in der Tat das Land und glänzten auch heute wie Tauperlen im Gras. Auch das Kirchlein, dem Severin sich nahte und darinnen Christine schon kniete,war nichts als Ruh und Frieden und dachte nicht mehr daran, wie da einst eines Klosters fromme Ruhe gestört worden war durch Pest, durch Feuersbrunst und Krieg, bis Abt und Mönche eines Tages ihre Bündel schnürten, um ihr Bethaus drunten im Tal auf andern Grund zu stellen.

Severin stand hart neben der Tür und war mit Sinnen und Gedanken, wenn nicht bei Gott, so doch beim Liebsten, was ihm Gott gegeben hatte. Warten war seinem brausenden Blut ein schweres Werk.

Endlich wanderte er an Christinens Seite und wälzte,stammelnd in Glückseligkeit, die Last eines langen Jahres von seiner Seele. Was beide sich bekannten und versprachen, was sie planten und erhofften, hat niemand erfahren. Die Wege waren noch fast menschenleer. Wolken und Winde, Vögel und Blumen, selber Offenbarungen einer großen Berg und Tal erfüllenden Liebe, maßten sich nicht an, die zwei Glücklichen zu stören.

Und sie selber wollten sich auch ferner am liebsten ganz verborgen vor den Menschen lieben. Sie hofften auf das Kommen einer güten Zeit, die ihnen gestatte, der Welt zu sagen, daß sie für Leben und Tod, für Glück und Leid sich angehören.

Christine wollte gewiß nur trösten und beglücken,doch eine schwere Probe sollte Severin nach ihrem Wunsch sich auferlegen. 20ααν.Mannhaft müsse er, so verlangte sie, darauf verzichten, sie im Steinerhofe aufzusuchen. Die Nachtbubenart, nach der liebesbrünstige Bursche nach alter Landessitte auf Bäumen und Leitern, an den Fenstern und in den Kammern ihren Mädchen huldigten, gefiel ihr nicht.Sie war die Tochter einer andern Gegend. Und sie war nur eine Magd. Sie durfte sich nicht wie das Kind eines seßhaften Bauern frei umwerben lassen.

Severin versprach, was sie verlangte. Langsam stiegen sie jetzt den Weg empor, und als sie die zwei Wildhauser Türme samt dem von ihnen behüteten Dörfchen grüßen sahen, trennten sie sich. Ein Jegliches trug ein Riesenbündel Hoffnung mit. Doch schritten sie leicht dahin,denn Bündel, die die Hoffnung schnürt, sind leichte Last für Menschenseelen. So trafen sie sich auf einsamem Kirchweg, sei's in Wildhaus oder drunten im St. Johann, des öftern wieder, und jedes Wiedersehen, und war es noch so kurz, brachte ihnen ein Stück Himmel auf die Erde.

Zwischenhinein kamen für Beide stille und arbeitsreiche Tage und ihre Sache wäre vielleicht auf gutem Weg geblieben, wenn nicht der Egli gewesen wäre, der dicke Egli mit seinem mädchensüchtigen Herzen und dem Pochkopf, der ihm befahl, der Christine in den Weg zu treten.

Eines Abends entschloß er sich, am Steinerhof zu „fensterlen“. Er band ein Tuch über sein Gesicht, zog weite Soldatenhosen an seine Beine und kehrte den Rock,sodaß das Futter nach außen schaute. Dann schlich er im Dunkel sich davon, einen Prügel unterm Gewand verbergend, für den Fall, daß etwa noch andere in gleicher Absicht um die Wege wären. Hinter einer Hecke verbarg 31 er sich, bis im Steinerhof kein Licht mehr brannte. Dann bestieg er einen Baum, von dem aus er beinah' ans Fenster von Christinens Kammer sich schwingen konnte. Ein Lächeln froher Erwartung spielte um seinen breiten Mund, denn er kannte doch den Hergang bei solchen Nachtgeschichten:Erst lockt mit verstellter Stimme der Bursch, dann öffnet sich das Fenster. Das Mädchen sucht den Buben an Gestalt und Stimme zu erkennen. Erkennt es ihn und mag ihn leiden, so wehrt es seinen Eintritt in Kammer oder Stube nicht. Erkennt es den Liebedürstenden nicht und hat an ihm auch dann kein Wohlgefallen, wenn die Larve fiel, dann wird er abgewiesen und er sucht den gleichen Weg nicht mehr zu machen.

Der Dicke fühlte sich seiner Sache sicher, lockte mit hochgedrückter Fistelstimme und tat ungestüm wie ein Maikäfer, dem es nichts macht, da wo noch Licht hinter einem Fenster ist, den Brummschädel einzurennen. Doch,wie nötlich und eifrig er auf seinem Baume tat, so kühl und ruhig blieb das Mädchen. Es bemühte sich nicht einmal auf die Person zu raten und bat den Kletterer ruhig und bestimmt, vom Baum zu steigen und die blauen Hosen wohl zu schonen, die doch dem Vaterland gehören.Selbst als der Liebhaber die Umhüllung vom Gesichte riß und seinen Namen nannte, ließ es sich nicht erweichen und schloß das Fenster.

Unbändig war Eglis Zorn. Er sann auf Rache.An wem wollte er sich rächen? An Christine? O,nicht nur an ihr. An der ganzen Welt. Schon der nächste Tag sorgte dafür, daß sein Haßgefühl eine bestimmte Richtung fand.39 sasnasaoareco ao·Wortkarg und verstört hantierte er an der Werkbank. Für niemand hatte er Blick und Wort, auch für den Severin nicht, der doch seine Sache aufs Beste machte und das anfänglich so starke Mißtrauen seines Meisters nach und nach besiegte.

Gegen Mittag tritt ein Bauer aus Alt St. Johann ans Werkstattor und begehrt, daß man ihm sein Roß beschlage. Eilig treten Meister und Geselle aus dem Haus zum Dienste an, indessen Severin ein- und ausgehend das Nötige herzuschaffen hat. Eben ist er abermals im Werdhstattraum verschwunden, da deutet der Bauer mit dem Peitschenstiel auf ihn und sagt so nebenhin zum Egli, der eben des Rosses Hinterfuß in Arbeit hat: „Den da habt ihr noch nicht allzu lang, aber gesehen hab ich ihn bereits. Wo war's doch nur? Ei Gott!Jetzt fällt's mir ein. Der hat einen Schatz, die Steinerhofmagd. Und wenn die unten zur Frühmesse geht, so ist er auch dabei. Hi, hi, 's ist kurzweiliger, selbzweit zu beten!... Sie werden wohl auch hier oben katholische Andacht halten, aber die spielen halt „Verbergis“! Bis man ihnen mal auf die Schliche kommt, hä, häb... Man zennt so was, gelt Egli? Und wann gedenkst denn du einmal einem schönen Gof den Hof zu machen? Reif wärst du längst dazu ... ich denk' ...“

„Halt 's Maul du“, schreit ihn der Egli an und haut dem Gaul, der mit dem Fuße stößt, eins auf den Hintern. „Was wird so ein Rindvieh wie du..“

He heee! Was gibt's da draußen?“ ruft der Meister,der auf einen Augenblick ins Haus getreten war und eben wiederkehrt. Er hätte gern noch mehr gesagt, doch brer weiß, daß mit Egli nicht gut Kirschen essen ist, wenn er je einmal den Koller hat.

Jetzt brennt ein Licht auf im Kopf des zornigen Gesellen. „Heiliges Gewitter“, denkt er, „also Severin,der Landstreicher, der Esel, der...., der steht zwischen mir und der schwarzen Hex auf dem Steinerhof!... So ein Himmelstürk! Tut, als wüßt' er nichts von zweierlei Leut' und steigt hinter den Mädchen her mit dem Rosenkranz in der Hand. Dreimal Pfui! Der soll mir's büßen!“

Severin sah vorerst noch nicht, was für Wetterwolken sich über seinem Haupte ballten, doch fast von Stund' an mußte er des rohen Gesellen Rache fühlen.Der Rohe kujonierte ihn, wo er konnte und machte ihn schlecht beim Meister. Klappte im Betrieb etwas nicht, der Severin trug die Schuld. Fehlte unterm Werkzeug irgend ein Stück Severin hatte es verschleppt.War nach Tagesarbeit noch etwas zu besorgen und ein weiter Weg zu machen Severin mußte gehen. Immer und immer der Severin. Und gab sich's einmal, daß dieser etwas Ungeschicktes sagte oder tat, dieweil er eben immer noch zu lernen hatte, dann schüttete Egli ganze Schalen giftigsten Spottes über des Armen Haupt, machte ihn herunter, wo möglich vor den Leuten und untergrub ihm das fröhliche Selbstvertrauen, das er hier gefunden hatte. Es war ein Hundeleben, und der Meister,dem der arbeitstüchtige Geselle immer wieder zu höfeln wußte, war zu schwach, um eines Tages ein entschiedenes Wort zum Schutz des Angefochtenen zu sprechen.

Immer schwerer wurde dem Severin zumute. Er fühlte: „So kann es nicht mehr weitergehen“ und 34 eeines Sonntags faßte er sich ein Herz und klopfte an Eglis Kammer an. Einmal mußte er doch fragen, was dieser seit Wochen wider ihn habe und ob es in seinen Kräften liege, Verschuldetes guk zu machen?...

Weh der schönen Hoffnung, mit der er gekommen war. Egli war bei schlechter Laune. Das demütige Wesen seines Widersachers reizte ihn. So nahm er denn kein Blatt vor's Maul, schüttete eine Flut von Schimpfworten über Severin aus, titulierte ihn spöttisch „Kesselflicker‘, machte aus Mücken Elefanten, indem er Kleinigkeiten, die sich der Neuling hatte zu schulden kommen lassen, ins Große bauschte, und ans Ganze hängte er noch ein übermäßig giftiges Spottkapitelchen,das anhob mit den Worten: „Und dann hat man scheints auch einen Schatz, das heißt, man stiehlt ihn einem andern vor der Nase weg. Himmeldonnerwetter solche Schlechtigkeit!“ Diese Worte begleitete der Zornige mit einem Faustschlag auf den Tisch, daß Boden und Wände zitterten. Dann schnellte er empor, riß die Tür' der Kammer auf und machte eine Zorngeberde, die in unzweideutiger Weise sagen wollte: „Marsch hinaus! Oder dann sieh zu, wie du unten an der Treppe Bein' und Arme zusammenliesest!“

Severin gehörte sonst zu denen, die schnell Feuer im Dache haben und im Jähzorn nicht mehr wissen, was sie tun. Diesmal war er starr. Wie vor den Knopf geschlagen, taumelte er von dannen, sank draußen auf eine Bank und wußte nicht, ob er weinen oder wüten sollte.

Erst jetzt kam so recht eigentlich für ihn die böse Zeit, und der Dicke sorgte, wo er stand und ging, auch 35

44440 die Leute gegen ihn einzunehmen. Dem Sluch der Lächerlichkeit sollte der Arme verfallen, darum riß er mit grober Hand den Schleier von Severins Vergangenheit. „Landstreicher, Kesselflicker ist er gewesen, daß ihr's wißt!“so zischte er in die Ohren hämischer Buben und diesen war's Vergnügen, dem Verfehmten nachzustellen und hinterrücks ihn auszuhöhnen:

„Alti Pfannãä

Löcher und Schrannã.

Ruessige Grind

Pack' di g' schwind.

Fule Strichkt

Flick, flick, flich! ..“Hätte doch der Geplagte ein Menschenherz gefunden.dem er alles hätte sagen können! Doch, er war fremd im Dorf und wurde es mehr und mehr. Und der Weg zur einzigen Seele, die ihn ganz verstand, der war ihm fast verrammelt, denn der Steinerhof war ihm verschlossen, und selber den Weg dorthin zu wagen, verbot ihm ein Versprechen. Kurze Begegnungen auf dem Kirchweg waren alles, und sie reichten nicht, das gramerfüllte Herz bis auf den untersten Grund zu leeren.

So fraß er halt das Leid in sich hinein, wurde kleingläubig und verzagt, mied die Menschen und sah sich überall verfolgt. Immer war er Stimmungsmensch gewesen, heute jauchzend und großer Pläne voll. morgen betrübt und hoffnungslos.

Und so ließ er sich denn treiben. Am Werktag band ihn Arbeit fest, half ihm vergessen, machte ihn währschaft müde und zog ihm in der Nacht den Schleier tiefen Schlafes über die Augen.36868 Doch der Sonntag war dann und wann einmal für ihn ein harter Tag. Hart vor allem, wenn die Frühmeßler sich verliefen und Christine nicht unter ihnen war.

Verstört und trübselig schlich er dann zum Dorf hinaus. Unten in einer Wiese stand das jahrhundertealte, steinbeschwerte Lisighaus, darinnen Meister Ulrich Zwingli zur Welt gekommen war. Streifte sein Blick die elende, altersschwarze Hütte, und sann er, wie der Haß diesen Menschen einst verfolgt und heute noch Ketzer schalt, weil eine große Liebe ihn getrieben hatte, dann ging ein Erbarmen durch seine Seele, und war sie auch eine katholische Seele, sie rechnete sich's nicht zur Sünde an, das Bündel eigenen Mißgeschicks neben das Kreuz eines schwer Verfolgten hinzulegen. E

Doch zu langen Betrachtungen neigte er nicht und zum Stillstehen im Dorfe noch weniger. Es zog ihn in die Berge. Die stillen steinernen Riesen dort standen ja gleich ihrer sieben in stattlich stolzer Reihe nah beisammen wurden seine Freunde. Nicht daß ihm darum zu tun war, auf alle Gipfel zu steigen oder an allen Wänden herumzuklettern. Aber allein sein und wandern,in Bewunderung der schönen Welt die Häßlichkeit der Menschen auf Stunden vergessen, hie und da auf ein Berggeheimnis oder Wunder stoßen und dabei ein Gefühl haben, wie ein verängstetes Kind, das auf einmal den Schritt des Vaters hört, die Augen erheben zu mächtigen Höhen und Fernen und die Kleinheit des eigenen Ich und aller alltäglichen Stänkereien spüren, ausziehen mit heißem Herzen und brennenden Augen und 37 arr heimkehren mit kühler Stirn und ruhigem Blut, das war es, was ihn immer wieder aufwärts zog.

Die Berge zeigten ihm alte und neue Welten. Vom Sommerigkopf sah er hinunter ins Jugendland. „Lebt der Vater noch? Wie treibt er's ohne mich? War der Teufel oder der Herrgott mächtig in mir, in der Stunde,als ich ihm den Rücken kehrte?“ ... „Dort hebt der Säntis sein ungeheures Haupt. Hat er nicht auch etwas Väterliches im Gesicht? Väterlich freundlich ja, wenn rosige Sonnenwölklein auf ihm liegen, väterlich grimmig,wenn es wettert, föhnt und dröhnt. Jort, ich fürchte das väterliche Zorngesicht!“ ...

Auf der Krayalp da lagen kleine Wunder im Alpengras verborgen Gletschermühlen. Sie haben seit Jahrtausenden ihr Mahlwerk eingestellt, liegen auf dem Boden,starren den Himmel an, der noch tausendmal älter ist und lachen fast hörbar, wenn so ein Severinlein oder sonst ein krabbeliges Menschenkind kommt, so eine zweibeinige Alltagsfliege, die den Kopf hoch trägt wegen der dreißig, fünfzig oder siebzig Sömmerlein, durch die sie brummend zieht, bevor der ewige Winter anbricht!...

Und was für Gedanken schossen da erst durch des Sonntagswanderers Kopf, wenn er durch den dunklen Tannwald zwischen den Schwendiseen am Käserruck sich langsam und sinnend erging, wenn er zu oberst auf dem Selun auf dem Bauche lag, die Ellbogen stützte, den Kopf zwischen den Händen hielt und in dutzendfachen Turmestiefen senkrecht unter starrendem Felsgestein den tiefblauen See erblickte, wie einen Himmel unter dieser Welt, und hüben und drüben wieder Berge bis in nebel38 Aannn graue Jernen, Berge in Bünden und Tirol. Berge in Uri und Glarus und im Bernerland und weiß Gott noch in wie viel Landen. aLg er so da, und die Sonntagsglocken läuteten aus den Tiefen herauf, wie aus einer versunkenen Stadt im See, und weit, weit im offenen Tal brannten Feuer auf, die die aufgehende Sonne auf Dächern und Türmen und Wassern angezündet hatte, und aus Hütten und Alpen in der Nähe grüßten Stimmen glücklicher Menschen, dann war ihm um's Weinen, um's Beten,um's Lachen und auch wieder um's Fliehen oder Fluchen,denn die Welt war voll Glanz, aber auf ihm selbst und auf seinem Liebesglück lag Schatten. Diesen Schatten auf sich fühlend, wich er auf seinen Fahrten den Sennen und ihren Hütten gerne aus. Er tat's zu seinem Leid.Zu Menschen zu kommen, die ohne Argwohn gegen ihn waren, und nicht verdorben von wilder Leidenschaft, zu Menschen mit warmem Herzen und guten Gedanken.das wäre Wohltat für ihn gewesen.

Wie jener „Seluner“ wollte er zwar nicht werden.der, halb Mensch halb Tier, ohne Kleidung, Sprache und Sitten sich gespenstisch umtat in Gebüsch und Höhlen.Als Kind habe man ihn, so erzählten sie unten im Tal,ausgesetzt und Mutter Natur habe ihn an ihre Brust genommen und nicht sterben lassen. Beeren und Kräuter.Früchte und Milch von Geißen oder Kühen seien seine Nahrung gewesen. Und weil kein Kleid, von Menschenhand gewoben, seine Blößen deckte, sei ein Pelz von dichtem Haar seines Leibes Schutz geworden.

Severin hat das Wunderwesen nie gesehen; ihm gleich zu kommen, hatte er keine Lust; aber einem Ausgestoß'nen 39 glich auch er zuweilen doch. Geister der Schwermut umflatterten ihn mit schwarzen Flügeln. Hat er sie in die Flucht geschlagen? Wie oft? Jür immer? Wer konnte es wissen. Nur die Berge hätten es erzählen können.

Einmal ist er zu lieber, langer Sonntagszeit in Weiden und Alpen am Schindelnberg herumgestiegen, hat die Augen zum Neuenalpspitz aufgehoben und sich vermessen, an Felsen heraufzukommen, deren Bezwingung Bergkundige ihm nie geraten hätten.

So gab es sich, daß der Abend schon seine ersten Schatten warf, als Severin, noch an den Hängen klebend,das Ziel ganz fern zu seinen Häupten hatte. Rascher als er erwartet, brach die Nacht herein, und sie kam mit einem Dunkel, das vor Augen lag, wie eine Wand,gefügt aus schwarzen Steinen.

Unter Mühen und Gefahren tappte und tastete der Wanderer über Geröll und Schutt sich talwärts weiter,bis endlich der Juß den weichen Boden der Alpe wieder spürte.Doch wohin denn nun des Weges? Der Ruf aus brennender Kehle weckte keine Antwort. Kein Lichtlein glimmte weder oben am Himmel noch unten in der Tiefe.Endlich hörte er das Rauschen eines Waldes, und bald bahnte sich der müde Juß durchs Gestrüpp und zwischen harzduftenden Tannen seinen Pfad.

Wieder gings über Triften und weiter unten nochmals in ein tiefes Waldesdunkel. Dem Verirrten war,als narrten ihn böse Geister. Ihn schmerzten, vom Straucheln und Reißen an Wurzeln und Geäste, die Jüße und die Hände, und müde ließ er auf einen Strunk sich 10 ennn nieder, schon verzichtend auf das Finden des Weges, und willens, da wo er saß, nun auch zu bleiben und auf den kommenden Tag zu warten.

Da sieh auf einmal ein Zeichen des Lebens!Ein Hund schlägt an, und tiefer unten, am Fuß einer steilen Halde, blitzt ein Lichtlein auf.

Severin verläßt den Wald und steigt herab. An der Tür' einer Hütte steht er, Einlaß begehrend still.Ein finstrer, bärtiger Geselle tut ihm auf, heißt ihn sitzen und holt ihn aus mit Fragen. Unterm Strohbündel,darauf der Bärtige sitzt, tropft Blut, und dem, der's wissen will, erzählt der Lauf einer schlechtversteckten Flinte vom Handwerk ihres seltsamen Besitzers.

Nach peinlichem Verhör merkt der Geselle, daß da nichts zu fürchten ist und daß er kein Sonntagskind vor sich hat, sondern einen von der Schattenseite menschlichen Lebens, von den Vielen einen, die die „Gerechten“ drunten in den Landen barmherzig „arme Teufel“ nennen.

So wird er denn vertraulich und teilt mit dem Unbekannten brüderlich sein Brot. Dann gibt er ihm zu verstehen wo er sei: „In den Schwandwald müßt Ihr, vom Rotenstein kommend, geraten sein. Oder seid Ihr am End' vom Stockberg her über die Riese hereingetorbelt? Item! jetzt seid Ihr auf der Weid zum Iltishag viel näher der Straße als Ihr meintet.Hier in der Nähe ist das FJelsentor der Thur, drüben überm Wasser, das Ihr tief unten brausen hört, ist der Starkenstein oder wenn ihr wollt. die Burg. Springt Ihr ins Wasser, was Ihr wohl hübschlich bleiben laßt,so bringt es Euch in Kurzem ins Dörflein Stein. Wollt aba Ihr aber hinauf ins St. Johann und ins Wildhaus, so steckelt Ihr halt in Gottes oder ins Teufels-NRamen die Weid hinab zum Beerenboden, geht dem Thurbord nach und macht bei Starkenbach, daß Ihr übers Wasser auf die Straße und, so's Euch beliebt, in eine Pinte kommet!“

„Also verstanden? Im Iltishag seid Ihr jetzt mit mir, im Paradies der Füchse und der Hasen. Und wenn Ihr wollt der Räuber hu huul!“

Sofern Ihr mal an eine Heirat mit irgend einer Schönen denkt, so möcht ich Euch raten, hier oben nicht die Flitterwochen zu verbringen. In der Sommernacht ließen Euch die Eulen und anderes Gesindel nicht ruhig schlafen, und im Winter, wenn der Schnee sich hier zusammensackt, könntet Ihr und Euer Schatz die Zehen arg abfrieren, hahaha! Blos, wenn Ihr mal mit Gott und der Welt abeinander seid, dann ist's da oben recht, denn der Iltishag ist das End' der Welt, hihi und jetzt Guet Nacht!“

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IV.Ein schöner Sonntag macht vieles wieder gut und auch ein alter Petter mit einem Sonntagsgemũüt ist nicht zu verachten. Ein Gesundbrunnen erquickt alte Leiber, eine lustige Tanzmusik fahrt in junge Füße und frische Abendwinde kühlen zwei heiße herzen. Nach Tagen ungestillter Sehnsucht und bitterer Erfahrungen sollte aber den Liebenden doch einmal ein Sonntag werden, der sie für viel vergangenes Leid entschädigen und ihnen Mut machen konnte für manchen kommenden bösen Tag.

Christine, die als Waise in der Welt stand und nur wenige und entfernte Verwandte besaß, hatte noch einen Paten, der, in hohem Alter stehend, im Rietbad bei Ennetbühl Linderung für allerlei Gebresten des Alters suchte. Immer hatte er ein Herz für sein Patenkind gehabt und nun bat er es brieflich, ihn am Jakobisonntag aufzusuchen. Christine erbat sich auf dem Steinerhofe Urlaub für diesen Tag, erhielt ihn und erlebte noch das unerhörte Glück, daß ihr kurze Zeit zuvor bei einem Gang ins Dorf ein Zufall den Severin in Seh und Hörweite brachte, so daß sie sich sein Geleit für die Reise erbitten konnte.

Erst unten beim „Eschen“ wagte Severin sich der wacker ausschreitenden Wanderin als Gefährte anzuschließen. Und nun hob zwischen Beiden in herrlicher Morgenfrische, bevor noch die Sonne über die Berge kam, ein Plaudern, ein Sichgrüßen mit freudestrahlenden 43 24 Augen, ein überquellend glückliches Austauschen von Eindrücken, Beobachtungen und Erinnerungen an, daß sie nur zu rasch jenes stillverborgene Tüälchen erreichten, das von einem Flüßchen durchrauscht, den Stockberg und den ungeheuren Klotz des Säntis als Wächter und Hüter um sich hat.

Im Pfarrdörfchen trennten sie sich. Christine durfte dem Paten den berufslosen Bräutigam noch nicht zeigen.Mit Augen und Gedanken aber wollten sie und Severin sich den Tag über oft und gern begegnen und zum wahren Fest sollte ihnen der gemeinsame Heimweg werden.

Ei, was es da an Wundern in und außer dem uralten Badgasthause doch zu schauen und zu kosten gab.Da war die Heilquelle mit ihrem kristallhellen, nach faulen Eiern riechenden Schwefelwasser, Gesundung versprechend gegenüber dutzendfachem Leibesungemach. Da waren die Badeordnungen und Sprüche, die schon seit den Tagen Wallensteins und Gustav Adolfs zu hoffenden Menschen geredet haben; da waren Speisesaal und Kammern, Wirtschaft und Badezellen, Kegelbahn und schattige Ruheplätze und stilles und lautes, bäuerliches und städtisches Volk von fern und nah.

Severin las, während Christine draußen mit dem Paten an Wald und Garten sich erfreute, eine alte Tafel,die seit Urgroßväter Zeiten Genesenden ein Zehngebot zu Gemüte führte und kam auch zu der Stelle, wo es heißt: „Zehntens soll weder Traurigkeit noch Zorn kein Statt noch Platz haben, sondern man soll lustig, fröhlich und guter Dinge sein, auch in dem Bad mit guten Gesprächen und Singen und außer demselben mit 4 Spazierengehen und andern Kurzweilen sich aufmuntern“... und ferner: „Die Arznei hat Gott gegeben dem Menschen der Gesundheit zu pflegen. Drum danket ihm auch für die Wohltat, der uns dies Wasser gegeben hat.“ Ein Lächeln huschte über des stillen Lesers Züge.Im Weiterlaufen aber entfuhr ihm ein Seufzer, der sagen wollte: „Ja, ja, wenn es so leicht wäre, Traurigkeit und Zorn mit Wasser abzuspülen, ins Bad zu steigen und wie neugeboren herauszukriechen: „Lustig, fröhlich und guter Ding und gegen Gott voll Dank für solches Wunderwasser!“ J

Am Nachmittag war im Rietbade großes Leben.Von allen Seiten kamen in malerischer Sennentracht junge Bauern mit blumengeschmückten Hüten, gelben Kniehosen und scharlachroten Westen oder mit schönen über der Hemdenbrust sich kreuzenden Lederriemen, auf denen im Goldglanz Kuh und Kälblein wandelten. Auf einer Bühne luden Geige, Hackbrett und Klarinette zum Tanz, und an den Wänden herum saß an den Tischen altes und junges, männliches und weibliches Bergvolk in Singlaune, Jodelstimmung und unstillbarer Tanzbegier.

In lustigen Walzern drehten sich rotwangige Mädchen und frische Buben, gegenseitig die Hände sich auf die Schultern legend. Die Frauenröcke blähten sich im Tanz,die Füße der Burschen „doppelten“ in ohrbetäubendem,rhytmischem Stampfen, während die glühenden Köpfe der erhitzten Tänzer in bäuerlich vornehmer Steifheit sich unbeweglich hielten. als ob ihnen jegliche Drehvorrichtung fehle. Gellende Juchschreie durchschnitten die Luft,und Festdüfte aller Art, von Bratenschüsseln, Weinflaschen, RX

0m Blumensträußen und Tabakpfeifen kommend, mengten und ballten sich im vollgepfropften Saal.

Christine saß abseits neben ihrem Paten, dem ins Gesicht geschrieben war, daß er wohl eines letzten Sommers sich erfreue. Dieser Gedanke warf Schatten auf ihr Gemüt und sie ließ sich zu keinem Tanze holen, wie sehr die Jungmannschaft um sie sich mühte. Umso fleißiger suchten ihre Augen ihren Freund, dessen treuherzige Mienen ihr mehr sagten, als alle bunten Farben und alle summenden und singenden Töne, die den Saal erfüllten. Er stand an einer Wand als stummer Zeuge all des Taumels, der sinnbetörend ihn umwirbelte, aber,ob er auch den Genüssen, denen die Jungmannschaft im Saale fröhnte, als armer Fremdling fast ganz entsagte,er schaute so beseeligt drein, als wäre die Baßgeige, die er hörte, nur eine von den Hunderttausenden, die an seinem Himmel hingen. So glücklich war er noch nie gewesen, und das größte Glück sollte ja erst der Abend bringen, wenn ihm vergönnt war, der grundgütigen Spenderin all' seiner unergründlichen Freude ein stundenlanges Geleit zu geben.

Bei Zeiten schied Christine, und eine dunkle Ahnung,die sie fürchten ließ, den ehrlichsten Beschützer, den sie außer Severin noch hatte, zum letztenmal zu sehen, sorgte,daß ein Tränlein ihr über die Wangen rann, während die Klarinette drinnen im Saal wieherte vor Freude und die Paare sich wiegten im Rausch einer übergroßen Wonne.

Doch nicht lang und auch sie war so voll Seligkeit, daß sie, obwohl im Staub einer vielbegangenen 46 C avcStraße watend, vermeinte, an Severins Seite durch einen Rosenhain zu pilgern. Stundenlang hatten sie sich wohl gesehen, doch nicht gesprochen, und so ging es denn ihrem Rededrang, wie dem Wasserstrahl des Brunnens, der um so wuchtiger seinem Gelaß enteilt, je länger ihn eine Hand in der Röhre gefangen hielt. So heiß war ihr Begehr, sich auszureden und der Sprache der Liebe freien Lauf zu lassen, daß sie, zumal die Sonne noch hoch am Himmel stand, vom breiten Weg abbogen, um im kühlen Schatten ein Stündchen zu verträumen, dort unten am Gießen, wo die Thur über Felsen springt und klare Wasser in weißen Gischt sich wandeln.

Was sie sich gesagt, haben außer ihnen selbst nur Sträucher, Bäume und Wellen gehört. In die Herztafeln der Liebenden aber blieb es eingetragen als eine Frohbotschaft, an die Beide unerschütterlich glaubten und die sie im Herzen behalten wollten, was auch das Leben ihnen bringen möge.

Severins Hoffen und Schwärmen wurde kühn und stürmisch. Wars ihm doch, als müsse er mit starken Armen umfangen und mit zitternden Händen fassen und nimmer lassen, was das Leben, dessen Grausamkeit er genug erfahren, ihm nehmen könnte. Christine, wie in Vorahnung kommender schwerer Dinge, fürchtete den heißen Atem dieser blinden Liebe, die tat, als ob Abgründe Brücken wären und Träume schon Erfüllung. Ihr Gemüt war voll von nie gekannter Freude, aber sie hielt ihr Herz in keuscher Zucht und dämpfte, eine leise Wehmut still verbergend, die Glut in Severins Blut, daß sie nicht Feuer werde und ihn und sie verzehre. EERXXüWWWie sie aber in der Dämmerung des kühlen Sommerabends stille an ihres Freundes Seite näher und näher den Bergen kam, die wie gottbestellte Wächter das Tal umstanden und blitzende Sterne in ihren Kronen trugen,da umfaßte sie Severins Hand mit festem Druck, als stände sie am Altar mit ihm und gelobe ihm ewige Treue.Und aus der himmelhochjauchzenden Freude des heißen Tages ward Zuversicht und freudiger, tiefer Friede, der wie sanfter Abendwind auch die Wellen in Severins Seelenwassern zur Ruhe brachte.

Noch hatten sie ein letztes kurzes Wanderstündchen und das wollten sie nicht verstreichen lassen, ohne es der Frage nach den kommenden Dingen zu schenken. Wie jedes auf seinem Posten warten, schaffen und sparen wolle,wie es jetzt gelte, Steine zusammenzutragen, um einst ein Häuslein aufzurichten, wie Severin im neuen Berufe zuerst erstarken und Christine im Steinerhof zur tüchtigen Hausfrau werden solle, das und vieles andere ward besprochen.

Als sie unten am Wildhaus sich die Hand zum Abschied reichten, da wußten sie besser als je zuvor, daß sie zusammengehören fürs ganze Leben. Und es war gut so, denn schwere Schwüle lag in der Luft, und die Wetter, die bald über sie hinfahren sollten, ballten sich schon in Fels und Schluchten.

IIVVVV ꝛeterrn wunnngsusspusshouhuuretenchihipünppsuühhüii

.Der Steinerhof. Eine arme Magd und ein reicher Sohn. Dersuchung und Sieg. Ein Verargerter sucht einen guten Freund und findet einen schlechten helfer. Not zwischen zwei Feuern. Ein gebrochenes Versprechen und ein offener Krieg. Von zwei kebensschifflein, die ihren RAurs verloren haben. Der Steinerhof, auf welchem Christine diente, war im Grunde nicht das, was man anderwärts, z. B. im Bernerland unter einem Hof verstand. Nicht ein kleines Reich war er, darinnen als Fürst ein Großbauer, der Gebieter über eine Schar von Knechten und Mägden, der Besitzer großer Herden und eines ganzen Zuges stattlicher Rosse, residierte. Er war nichts anderes, als ein währschaftes, habliches Toggenburger Bauernhaus, immerhin vornehm in seiner Art. Stolz ragte sein hübsch geschweifter Giebel empor, und die nach oben sich verjüngenden Fensterreihen hoben sich im Scheine der Sonne glitzernd vom braungebrannten, wetterfesten Schindelschirme ab wie leuchtende Geschmeide auf dunklem Sammetgrund. An den Fenstern grüßten Geranien, Rosmarin und Nägelein, die unten im Garten einem herzerquickenden Farbenecho riefen,und die stattliche Scheune, darinnen nebst heimeligem Brummen und Blöken auch das Scharren junger Rosse sich hören ließ, erzählte jedem, der es noch nicht wußte,daß in diesem einen Haus mehr Zeug vorhanden sei als in einem halben Dutzend jener kleinen Hütten, die als „Tätschhüsli“ an den Hängen herumlagen und vom Los armer „Chlebbuurli“ viel Ernstes und wenig Erbauliches zu berichten wußten. 10 Wer erst unter des Steinerhofes Dach von Stube zu Stube hätte wandern können, dem hätte man's nicht noch besonders auf die Nase binden müssen, daß da der Wohlstand guten Grund und Boden habe. In der sogenannten „guten Stube“ hingen an der Wand in Oel gemalt die Bilder verstorbener Ahnen. Die Frauen mit hübsch gefältelten Hauben, einem Lächeln auf den Lippen,einem Blümlein in der steifen Hand. Die Männer mit derben Bauerngesichtern, das Haar zünftig in Stirn und Schläfen hineingebürstet. In den Kammern standen von Malerhand hübsch geblümelte und mit Sprüchen verzierte Schränke und Truhen, darinnen nebst den moschusduftenden Gewändern der Lebenden auch noch alte Trachten und Uniformen zu finden waren. Bei genauem Nachforschen hätte man da und dort, aufs beste verwahrt,einen schweren Säbel, eine Reiterpistole und etwa einen Raupenhelm gefunden, der bekundet hätte, daß unter den Vorfahren auch stattliche „Draguner“ gewesen waren.Das Prachtstück des Hauses aber war ein kleiner Saal im oberen Stockwerk, wo an bildergeschmückter Wand die Hausorgel stand, die Spenderin weihevoller Stimmung in stillen Abendstunden, wenn nach altem Brauche die Glieder des Hauses zur Andacht sich zusammentaten.

Christine, die in Küche, Keller und Kammern die Gehilfin der Hausfrau war, galt viel im Steinerhof.Die ihr befahlen, schätzten ihren Fleiß und ihre Treue, und die Wenigen, die neben ihr im Dienste des Hauses standen,achteten ihr grades, bescheidenes, unverfälschtes Wesen.

Zwei Augen suchten mehr als alle andern Augen im Hause immer geflissentlich ihr Angesicht. Nur ganz XX verstohlen suchten sie es zuerst und hatten dabei den Wiederschein eines verborgen brennenden, fast wilden Feuers. Später taten sie nicht mehr heimlich, diese Augen.die Uli, dem Sohn im Steinerhof gehörten. Sie lichterten überall herum, wo Christine stille schaffend ihres Weges ging und zündeten ihr zuweilen dreist ins Gesicht,daß eine tiefe Glut es übergoß und daß es gleich einem verschüchterten Vogel ängstlich sich zu verbergen suchte.Mit innerem Grauen sah Christine die Stunde kommen, da Uli nicht blos mit den Augen reden, da er offen hervortreten, am End' wie ein Sturmwind dreinfahren, Liebe stammeln und Gegenliebe fordern werde.Wo irgend es anging, wich sie dem jungen Steiner aus und hoffte, daß irgend ein Wunder ihr zu Hilfe komme.Das Wunder kam nicht, aber der Uli kam. Eines Sonntags, als Vater und Mutter dem Ruf der Glocken gefolgt waren, wähnend, daß ihnen der Sohn auf dem Kirchweg bereits vorangeschritten sei, da gab Uli alle Bedenken, die bisher seinen Juß gehemmt, und seinen Mund verschlossen hatten, auf. Unversehens stand er in einer von Morgenlicht durchfluteten Kammer. Christine legte dort an die Vollendung sonntäglicher Ordnung noch die letzte Hand. Sein Tritt hatte sie erschreckt, doch an ein Fliehen war nicht mehr zu denken. Wie hätte sie auch fliehen mögen? Ein bittender, liebesschwerer Blick lähmte sie und kündete ihr das ganze, tiefe Unglück einer verhängnisvollen Stunde an. Uli faßte ihre Hand und bestürmte sie mit dem Geständnis seiner heißen Ldiebe, zog sie neben sich auf eine Fensterbanßk und nahm ihr, die die Augen mit den Händen deckte und vor 51

84 Bewegung keines Wortes mächtig war, alle vermeintlichen Bedenken weg, jedes einzelne entkräftend in sprudelnder Beredsamkeit. „Sag' bitte nichts vom Standesunterschied!Wärst du so arm, daß all' dein Hab und Gut in ein Tüchlein gebunden mit dir hieher gekommen wäre, und wärst du des ärmsten Besenbinders Kind ich würde dich hochhalten wie eines Schloßherrn Tochter.“ ... „Du ja, ja ich ahne: du willst nicht zwischen mich und meine Alten treten, die daraufhalten, daß ich nicht nach meinen, sondern nach ihrem Wunsch und Willen wähle,das habliche Bauernmädchen und nicht die hergelaufene Magd? Laß mich sorgen, ich bin ihr Einziger und hab'schon Manches durchgedrückt!“... „So hör' doch auf,sag ich! Hör' endlich auf mit deinem Flennen! Treib'mich nicht zur Verzweiflung und rede red'! Sag'heraus, daß du mein sein willst!“ ... „Heiliger Himmel!Du ziehst deine Hand zurück und wendest dich ab? Laß mich doch nicht stehen, wie einen, der versinken muß in bodenlosen Grund. Bei allem was dir teuer ist,sag' nur ein einzig Wörtlein, das mir Hoffnung gibt!...Keines?... Warum?... Christine ist's etwa daß du katholisch bist und ich von der andern Religion?...Dann lach' ich dich an und schrei' dir ins Gesicht, daß ich dich nähme, selbst wenn dein Vater ein Türk gewesen wäͤre!“ ...Mittlerweilen hatten die Beiden sich der Türe genaht und Uli pflanzte sich dort auf, als wollte er sagen:„Gibst du mir nicht dein Wort, so bringt man mich mit zehn Rossen nicht von dieser Stelle!“ 52 E Christine verstand die Drohung, faßte sich endlich ein Herz, richtete sich auf und sagte, alle Weinerlichkeit wie mit tapferem Rucke von sich schüttelnd: „Laßt's gut sein, Ulrich. Ich glaube euerem ehrlichen Willen.Aber es kann nicht sein. Ihr seid ein Ehrenmann, der hält, was er verspricht, und Ihr wollt kein Mädchen an Euch ketten, das sein Wort gebrochen hat...“

„Wie du hast ein Wort gegeben? Sag' Nein!Sag' zehnmal Nein! ich bitte! Ein freundliches Weiberlächeln, das du wohl mal einem Tropf geschenkt, wird doch noch kein Versprechen sein!“...

„Wägt Eure Worte, Ulrich!... Männer mit Lächeln zu kirren, war niemals meine Art. Dichtet Ihr mir solches zu, so empfind' ich's wie einen Schlag in mein Gesicht. Auch ein armes Mädchen hat seine Ehre!...Und heißt Ihr den, den ich liebe, einen Tropf, so schändet ihr ihn und mich... Arm ist er ja wie eine Kirchenmaus. doch weiß ich, warum ich zu ihm halte!“

„Alle Wetter, Christine, keine Spargimenter! Mache mich nicht verrückt. Ich weiß, du willst mich nur auf die Probe stellen. Frisch jetzt heraus mit der Sprache,und nichts als ja oder nein. Du hast einen Schatz?“

„Ja!“ ....

„Und du willst nicht von ihm lassen?“

Nein!“

„Auch dann nicht, wenn ein Anderer dir sagt, daß er dich liebt, so feurig und tief, wie ein ernster Mann überhaupt nur lieben kann?“

„Nein!“

„Und du weißt, was deiner wartet, wenn du einem Menschen dich verschreibst, der kaum das Hemd. das XV er auf dem Leibe trägt, sein eigen nennt? Weißt du das und denkst du es auch aus?“

„Ja! “

„Herr Gott wie kann ein Mensch mit offenen Augen so ins Verderben rennen! Christine hab' Erbarmen mit mir und mit dir selber!“

„Laßt mich, Ulrich! Mich schmerzt Euer Leid, aber wenden kann ich's nicht, so gewiß “

„Erspar' dir weiteres! Nur eine Frage noch, auf daß mir Blinden der Star auch ganz gestochen sei. Lebt er auswärts oder hier .... der Bewußte, hm... der..der ... Mensch... dem du mit Leib und Seele, mit Haut und Haar dich zu eigen geben willst?... Ich kann's bei Gott nicht fassen!.!.. Und was ist er seines Zeichens 7

„Nun denn Ulrich! Weil Ihr danach fragt. Sonst trug ich's als Geheimnis mit, wohin ich ging und wollte es keiner sterblichen Seele anvertrauen. Jetzt habt Ihr ein Anrecht auf die Wahrheit und sollt wissen, daß ich zu meinem Erwählten stehe, was auch komme. Hier lebt er. Seit Kurzem freilich. Und wollt Ihr Näheres wissen,so geht zum Schmied im Dorf und fragt nach dem Taglöhner Severin!“

Ein paar Tage nach diesem Geschehnis es war an einem Sonntagabend sah man den Uli und den Egli ein Stück weit unterhalb des Dorfes beieinander stehen. Wo sie sich getroffen, und wie lang sie schon beisammen waren, ließ sich nicht erraten. Erst müssen sie gleichgültiges Zeug besprochen haben und wollten eben auseinandergehen.54 XIEII vdearrn604a60 Da reißt der junge Steiner den Egli am Aermel noch einmal herum und tut ein bißchen geheimnisvoll,gleich als wollt' er sagen: „Halt, noch eine Frage!“Dann sieht man, wie der Dicke rot wird und stutzt und zuletzt mit verschmitztem Gesicht seines Weges zieht.Anfänglich läuft er langsam, wie einer, der über etwas sinnt. Plötzlich steht er still, greift sich an den Kopf,als ging' ihm ein Licht auf. Dann lacht er einen Schollen heraus, schlägt mit dem Stecken nach einem Straßenstein, daß er funkensprühend in den Graben fliegt und brummt in sich hinein: „Jesses Gott auch derl...Natürlich wird auch er ein Auge auf die schwarze Hexe haben, sonst ging ihn der Kesselflicker einen Teufelsdreck was an. Ob der hier wär' oder im Pfefferland es wär ihm hundewurscht!... Aber wartet, ihr Mädchenschmecker, ich will euch die Hölle heizen!... Ihr sollt noch an den Egli denken!“ ...

Der Egli war ein Mensch, der weder Geldstücke noch Gefühle auf die Länge verborgen bei sich tragen konnte. Ihm mußte heraus, was er in sich hatte. So brannte er denn förmlich darauf, dem schon genugsam gequälten Severin einen neuen Giftdorn ins Fleisch zu treiben. Diesmal galt es, ihn zu rasender Eifersucht zu stacheln.„Gell hä “ giftelte er eines Morgens, als er den Hammer über einem von Severin aus dem Feuer geholten Eisen schwang „deinem Schatz seine Treu' steht auch nicht mehr so hoch im Preis!“ Severin schwieg und verwerchete einen ohnmächtigen, dumpfen Zorn, indem er die Feuerzange mit eisernem Griff zusammenpreßte.55 „Hab' mir's aber lang' gedacht“ fuhr der Dicke fort,indem er hämmerte, daß die Glut in alle Winkel spritzte, „hab' mir's gedacht, daß die ihre schwarzen Augen nicht blos für dich armen Schlucker haben werde!“...

Mit starrem Blick schaute Severin den Sprühfunken nach. Hätte er das Treugold aus seines Mädchens Seele springen und sich verlieren sehen, wie die von Eglis Hammer gelösten Feuerkörner, er hätte nicht schrecklicher blicken können. Und jetzt kam ja der Hauptschlag erst noch hergesaust.

„Nimm dich in acht du! Ein Anderer kommt dir ins Gäu und der hat näher zum Schatz! Merkst du nichts, verrückter Güggel? Steck' doch deinen Schnabel mal in den Steinerhof und du wirst den Geißbock riechen,der von deiner Brügi fressen willl Mek-mek-mähähähäl!“

Wie Severin den Rest des Tages noch verbrachte,das wußte er selber nicht. Alles tat er wie im Traum.Einem Fiebernden gleich pendelte er umher zwischen Esse und Ambos, Drehbank und Türe. Das Essen berührte er kaum. Die Meisterin stand und sann. Seit Menschengedenken war kein Geselle hier oben krank gewesen. Der Meister schüttelte das Haupt. Eine Montagskrankheit vermochte er niemals ernst zu nehmen. Daß er seit längerer Zeit auch den ganzen Severin nicht mehr ernst zu nehmen Willens war, das war das Traurigste an der Sache trauriger fast als Krankheit oder Sterben.Und daß es so gekommen, das ist das Werk jenes Schelms gewesen, der als Geselle in der Werkstatt stand.

Was nun für Severin kam, war schwüle Gewitternacht. Das krachende Wetter hat der nächste Tag gebracht. Schon in aller Herrgottsfrühe war der vor Angst und innerer Not gequälte vom Lager aufgesprungen. Weder Bett noch Haus vermochten ihn zu halten. Selbst den Gedanken an die Pflicht stieß er weg und glich dabei dem Zornigen, der in Unvernunft vom Tische wischt,was er eben noch am nötigsten hatte.

„Arbeiten? Gott bewahre! Nein, nur fort aus allem fort! Wohin aber um Gotteswillen? Zu Christine, damit endlich Klarheit werdel Aber bindet dich nicht ein gegebenes Wort, dem Steinerhofe fern zu bleiben? Wort hin, Wort her! Brennt's einmal so in einer Menschenseele, daß sie rein verbohlen muß, wenn sie nicht zum Brunnen springt, ja selbst zum verbotenen Brunnen, dann wird nicht lang mehr auf und abgemacht.Geht's um Leben oder Sterben, dann weg mit allen Schranken!“ ...

So verließ denn der Severin das Schmiedehaus,irrte abseits vom Dorfe während ungemessener Zeit und nahte sich dem Hof, der trotz des Werktags in träumerischer Stille an der Morgensonne lag. Leise schlich der Ankömmling ums Haus, hoffend, daß er Christine am Küchenfenster oder sonstwo in einer Kammer sehe. Nirgends ein Laut und nicht der Schatten eines lebendigen Wesens. Nicht einmal der Hund schlug an. So trat er denn durch eine Hintertüre ein. Durch ihr Knarren erschreckt, schreitet Christine aus dem Dunkel eines Flurs hervor, der Ursache des Geräusches nachzuspüren. Plötz-lich steht Severin vor ihr. Mit einem Gesicht steht er da, als wären alle Lichter am Himmel und auf der Erde auf einmal ausgeblasen. „Am Werktag kommt 4 er“, denkt Christine, „trägt sein Sonntagsgewand und macht Mienen, als wär' er gerüstet zu einer Reise nach Amerika.“„Gott im Himmel“, ruft sie aus, dieweil auf ihrer weißen Stirne die Wolken von Angst und Sorge, Leid und Liebe sich jagen. „Was hat's gegeben?“

„Christine, laß' mich ruhig reden!“ ... „Reden? Ratürlich sollst du reden, aber warum an diesem Ort und zu dieser Stunde? Du hast mir doch versprochen, Severin.“

„Ich weiß, ich weiß! Wirf mir nichts vor!....Aber die Furcht, Christine... die Furcht! Himmel noch einmal, diese Furcht, dich zu verlieren!... Ich konnte weiß Gott nicht anders... der Schmiedgeselle Laß'mich irgendwo mich setzen und alles von Anfang sagen!“ ...

„Nein nicht dort hinein!“ wehrt Christine an der Tür' der großen Stube. Sind die Steiners fort,so hab' ich hier keine Gäste zu empfangen. Sie sind zu einem Begräbnis ins Land hinabgefahren. Der Uli ist ins Dorf. Jeden Augenblick kann er kommen. Und Gnad' uns Gott, wenn er am heiter hellen Tage uns hier beisammen findet!“

„Meinetwegen mag er kommen, grad mit ihm möcht'ich ein Hühnlein rupfen!“

„Severin, das ust du nicht, so wahr dir unser Glück am Herzen liegt. Tut Reden not, so überlaß' es mir. Du wirst doch glauben “

Auf einmal hält Christine mit Reden inne und erbleicht. Sie hat Ulis Schritt gehört, reißt schnell eine Kammertüre auf und nötigt Severin, sich eilig zu verbergen. Doch wie angewurzelt steht der fest. Ist Gefahr. 6 eνν-νννααα so will er seinem Widersacher stehen, Mann gegen Mann und Aug' in Auge.

„Schleicher“, schnaubt Uli in schlecht verhaltener Wut.Was wollt Ihr hier?“

„Was ich will, das will ich mit Ehr' und Rechten“,gibt Severin zurück. „Drum bin ich am hellen Tag gekommen!“

„Am hellen Tag jawohl, wo ander Leut schaffen Lump, der Ihr seid! “

„Halt! So lass' ich mir nicht “

Schweigt, so euch die Zäühne im Maule lieb sind!Zur Hintertür seid Ihr hereingeschlichen, so recht nach Schelmenart!“

„Gilt's die Ehrlichkeit, so wag“ ich ruhig mich mit Euch zu messen!“

„Aber Weiberröcken nachzuspüren, in Häusern, wo Ihr nichts zu suchen habt, ist das Euer Handwerk, he?“

„Nach Weiberröcken frag' ich nicht, aber nach einem Mädchen, das mir gehört. Hört ihr's? Von Gott und Rechts wegen mir und keinem Menschen sonst und wär' er König! Und was mein Handwerk anbetrifft “

„Ich weiß es Kesselflicker, elender, lumpiger,lausiger Kesselflickerl! Marsch zum Teufel!“

Jetzt blitzten die Augen Beider wie geschliffene Dolche.Laut aufweinend schickt Christine sich an, die Streiter voneinander fern zu halten. Zu spät. Schon sitzt ein Faustschlag in Severins Gesicht. Der taumelt, rappelt sich auf, packt mit eisernem Griff den Uli und schleudert ihn mit voller Wucht gegen einen Tisch, daß er an scharfer Kante blutüberströmt zusammenbricht.59 ενιαανοαα „Haus.. friedens.. bruch!“ lallt Uli, bevor ihm die Sinne schwinden, „das wirst du teuer zahlen müssen

Schuft!“

Ein paar Stunden später wandert Severin, all' sein Hab und Gut in einem Tornister tragend, am Simmitobelwirtshaus vorbei. Er denkt daran, wie er vor Monaten hinter jenen Fenstern gerastet und wie Enttäuschung und Leid schon dort für ihn begonnen hatten. Als müßt er einem neuen Schlag ausweichen, so duckt er sich, wendet sein Angesicht zur Seite und beschleunigt die Schritte, die ihn talwärts dem Rheine zu und dem noch fernabliegenden,von Wald und Hügeln verdeckten Heimatdorf entgegenführen sollen. Im Bergland läßt er einen unerfüllten Traum zurück, und das offene Land zu seinen Füßen,auf das sich eben die Abendschatten senken und in dem die Lichter aufglimmen, mutet ihn an wie ein Feld, dessen Lagerfeuer das Kommen einer Schlacht verkünden.

Wenige Tage später fuhr zu früher Stunde ein Wagen die gleiche Straße bergab. Erst drunten im Tal sollte er seine Ladung bekommen, drum ermunterte der Fuhrmann da und dort einen Wanderer aufzusteigen.Unter denen, die dem harten Zwang, sich im Staube abzumühen und Last zu tragen, enthoben waren, fand sich ein schlankes, bleiches Mädchen, dessen Augen unter starken dunklen Brauen verträumt und traurig blickten.Es fuhr rücklings, hob aber keinen Blick mehr hinaus zu den Bergen, die nach und nach hinter Hügeln und Wald verschwanden. Der Fuhrmann war guter Laune und pfiff ein Lied; zwei Fahrgäste, deren Beine behaglich über den Rand des Leiterwagens hingen, plauderten sich heiser. Das Mädchen schwieg beharrlich, seine Mienen aber, über die wie dunkle und helle Wölklein Gedanken des Schmerzes und der Hoffnung huschten, ließen erraten,daß es auf Stimmen der Vergangenheit und der Zukunft lausche und darüber Weg und Wald und Berg und Tal vergesse.e IIIttttDDDD

VI.Was man heute im dorn verwirft, das sucht man oft morgen mit Schmerzen wieder. Ein junger Blondkopf klopft an Steinen herum und ein alter Rotbart an einem Menschenhorzen. Von einer Jungfrau und von der Wahrheit, daß ein Zufluchtsort nicht immer eine Heimat ist. Die Briefe kommen nicht immer an die rechte Adresse und die Menschen finden sich oft nicht da, wo sie sich suchen. Ein sonniger Abend hat schon manchen entschädigt für einen düsteren Morgen.

Das Rheintal, in das Severin an seinem Unglückstag herabgestiegen, war lang und der Dörfer lagen gar viele hüben und drüben am Fluß. Sie waren ihm alle bekannt. Wohin sollte er sich wenden und was sollte er tun?Die Frage war schwer, aber das Herz entschied.Je zahlreicher nämlich am Weg des Wanderers die Erinnerungen an frühere Tage wurden, desto öfter trat vor sein inneres Auge das Bild des alten Vaters, den er im Zorn verlassen hatte. Dem Gram, den er in der Seele einst bergan getragen, war es gegangen, wie der Herbstwolke, die eben hoch über seinem Haupte in Nebelfetzen sich zerfaserte und weggeblasen ward. Was er einst im Sturm getan, sah sich anders an, nachdem Zeit und Erfahrung darüber hingegangen waren. Was er einst nicht recht verstanden, weil er als Mensch mit heißem Blut auch gar darein verstrickt gewesen war, das nahm sich aus der Entfernung anders aus. Zu seinem eigenen Erleben erst Distanz bekommen, ist schon reichlicher Gewinn. Je weiter ihn denn die Füße ins Land seines frühern Wirkens trugen, desto fester wurde in ihm der Entschluß: „Ich will den Vater suchen!“ So fragte er denn von Ort zu Ort herum und bekam nach langem Suchen den Bescheid, der Alte habe des Wanderlebens und Alleinseins satt, als müder, kränkelnder Mann seinen Bürgerort im Oberlande aufgesucht. Dort in Pradins, wie wir das Dorf hier nennen wollen, habe das Armenamt sich seiner angenommen.

Eines Morgens schritt Severin, vom Rhein abbiegend und einem aufwärts steigenden Fußweg folgend.dem Dorfe zu, das halb versteckt unter Bäumen lag.Lieblich lag es am grünen Hang, hinter dessen sanften Linien die Felsmassive mächtiger Berge sich erhoben. Es waren die vorgeschobenen Schildknappen des Vaters Säntis, die seit Aeonen hier die Wacht am Rheine hielten.Stolz lugten ihre Steingesichter. Es war, als lachten sie der winzigen Hütten, in die die Menschen tief unten sich verkrochen. Vor heiligem Respekt aber glänzten ihre harten Stirnen, wenn drüben über dem Fluß weißhäuptige,bis in den Himmel ragende Vettern mit gar seltsamen,romanischen Namen grüßten. Da und dort streckte ein Schlößchen seinen Graukopf über den Wald, als wolle es mit den Riesen dort oben Versteckens spielen. Wiesen und Matten dehnten sich wohlig im Schatten fruchtgesegneter Büume. Unten in den Feldern wiegte sich das Korn im Morgenwind und schwere Maiskolben, stolz ihren Blättermantel von sich streifend, streckten die Köpfe hoch,als riefen sie dem oftmals versagenden Weinstock drüben am Raine zu: „Seht, wir sind's und auf uns ist ein Verlaß!“372 rarerareanc a αα Durch all' diesen Reichtum schritt Severin wie ein Stück Armut dahin. Reichtum hatte er wohl auch.Sehnige Hände, die schaffen konnten und Diener eines guten Willens waren, die waren sein Vermögen. Doch was hilft ein Vermögen, das weder Zinsen trägt, noch flüssig wird. Schon an mehr als einer Schmiede hatte er angekehrt und um Arbeit angehalten. Man hat ihn abgewiesen. Er war ja nicht vom Jach und Zeugnisse fehlten ihm auch. Bei den Bauern hätte er erst kein Glück. Einige kannten ihn von früher her und lachten,daß ein Kesselflicker bauern wolle. Andere glaubten,den Stromer in ihm zu wittern, und was sie über Herkunft und Vergangenheit ihm abzupressen wußten, das stillte den hintersten Hunger ihrer Neugier nicht. Sie konnten sich zu nichts entschließen. Das lag schwer auf Severin, und was seinen Gram noch mehrte, das war ein ungeslilltes Heimweh nach Christine. „Wo ist sie?Atmet sie noch die böse Luft des Steinerhofes oder hat wilde Eifersucht sie ausgetrieben? Wenn ja wohin ging ihr Weg? Eltern und Geschwister hat sie nicht.Wer wird einer Fortgejagten gleich Vertrauen schenken?“

Solche Fragen jagten sich in seinem Innern, dieweil er ohne Blick für Häuser oder Menschen fürbas ging. Die Leute schüttelten die Köpfe hinter seinem Rücken. „Das ist ja dem Kesselflicker seiner!“ sagten einige. Von andern ward's bestritten. „Freilich ist er's“,wiederholten die ersten, „Gift könnt' ihr drauf nehmen Immer hat der anders getan, als andere Leute!“ ...

Nach kurzer Weile saßen sich im Tenn eines alten Gadens zwei Männer gegenüber. Auf wurmstichiger Sta 7r belle hockte, zwischen halb und ganz entleerten Bohnenstangen und allerlei Grümpel ein zitteriger Greis.Severin war beim Blick auf ihn erschrocken. Der Vater hatte sich in Kurzem gar verändert. Ein gebrochen'Männlein kauerte er auf seinem Stuhl und tat ziemlich freudlos, was ihm, dem Almosengenössigen der Heimatgemeinde, zu tun befohlen war, damit er einen Teil des Kostgelds abverdiene.

Den Jungen, der als Bild der Kraft dem Vater gegenübersaß, würgte der Schmerz. Bittere Erinnerung stieg ihn auf. Wohl war der Vater hart und schroff gewesen. Aber väterlicher Zorn berechtigt nicht zu kindlicher Rücksichtslosigkeit.

„Vater, es war unrecht; könnt Ihr mir verzeihen ?“..„Lasss das Bub'“ gab der Alte zurück „wir tun Beide gut, an Vergangenes nicht zu rühren. Wie

„Ich bin bei einem Schmied gewesen, doch nahm's ein rasches Ende.“

„Ach so, bist du nicht damals einem Mädchen nachgelaufen und wirst natürlich...“

„Schont mich, Vater! Schlechtes hab' ich nicht gewollt und nicht getan. Hab' ich mich an Euch versündigt,so bin ich hart genug gestraft.“

Du bist arbeitslos?“

Mehr als das: berufslos, denn was hab' ich eigentlich recht gelernt? Niemand stellt mich ein. Was mache ich aus meinem Leben? Ein Mädchen gern haben und denken,daß man mit ihm durchs Leben will, ist keine Sünde.Es aber verlieren und von ihm gejagt werden wie ein Hund, ist ein Elend und zum Verzweifeln F ö

6604 „Gemach Bub' du bist noch jung. War's dir ernst mit deiner Liebe und hängt dein Mädchen noch an dir, so werdet ihr euch finden. Aber das mit deinem Beruf gibt mir zu denken!“

„Ich habe nur gesagt, was wahr ist; niemand gibt mir Arbeit!“

„Wer ist der Niemand? Gibt's nicht Herbstarbeit auf Jeld und Wiesen? Und der Rhein, der vor nicht langer Zeit sich aufgeführt hat, als wollte er das ganze Land ersäufen was meinst du? Holt der die tausend Fuder Schutt und Schlamm von selber in sein Bett zurück ?“„Da ist Arbeit für kurze Zeit. Ich will Grund und Boden für mein späteres Leben. Taglöhnern? Heute dies und morgen das und am dritten Tage nichts das mag ich nicht. Mich verlangt nach fester Tätigkeit!“

„Gut! so treibst du halt, was ich getrieben habe.Dort im Schopf liegt alles, was du an Werkzeug brauchst.Tust du's recht, so ehrt es dich so gut, als ob es Goldschmiedarbeit wäre!“

„Aber das Wandern, Vater das ewige Flanieren und keine Heimat haben?“

„Der Mensch kann sich in alles finden, wenn er ordentlich will. Und übrigens wo steht geschrieben,daß du wandern müßest? Schaff dir eine feste Bude,und wär's für einmal nur ein Loch zwischen guten Mauern,so wird es gehen. Ob du vorwärts kommst, ist deine Sache!“So besprachen sich der Alte und der Junge. Es floß Herzton in des Alten Stimme. Früher war sein ß6XEE Reden kurz und hart gewesen. Fast als müßte er über eine Rührung Meister werden, senkte er schweigend das runzelige Haupt und kraute sich im weißen Haar. Wer weiß, ob er nicht an die Tage seines Wanderns dachte und an manchen furchtbar schweren Sorgenstein, den er dabei auf seinem Weg gefunden hat. „Und der Severin sollte es nicht besser haben?“

Auf einmal ergriff er des Sohnes Hand, was er bisher fast nie getan, schaute ihm treuherzig ins Gesicht und redete wie einer, der nicht mehr allzulang zu leben hat:„Du wirst noch durch allerlei trübe Wasser waten müssen,Severin; bis an den Hals können sie dir zu Zeiten steigen. Versprich mir nur, den Kopf stets hoch zu halten und die Hände wacker zu gebrauchen. Verachte keine Arbeit, auch die nicht, die wir vereint getan!... Und dein Mädchen? Geh' ihm nach, wenn du's nicht lassen kannst, aber prüfe, ob es sich in Armut schicken kann,und bedenke auch: durch die Heiratstüre kommst du nur,wenn die Gemeinde dir zu Willen ist. Den Riegel an der Tür hat sie in der Hand. Gnad' Gott dem armen Teufel, der's daheim an seinem Bürgerort nicht an den Göttern hat!“

Lang war Severin beim Vater geblieben. Schweren Herzens ist er von dannen gezogen. „Nun sitzt mein Vater“ so sagte er zu sich beim Gang durch's Dorf „und ißt, bei einem geizigen Bauern untergebracht,ein kümmerlich Gnadenbrot. Ich habe Gesundheit und Kraft und kann ihn nicht erhalten. Weiß Gott, so viel an mir liegt, muß das anders werden!“87 iz Eines Tages steht, nicht lang nach dieser Wanderung ins Heimatdorf, der Severin auf einem Felde unweit vom Rhein. Ein Dammbruch hatte dort auf weite Strecken das Land verheert. So war denn da, wie in einem Ameisenhaufen, ein emsiges Schaffen, ein unaufhörliches Zu und Abfahren mit Schuttkarren und Wagen, ein Rufen und Plaudern in verschiedenen Dialekten und Sprachen, ein Hämmern, Schaufeln und Pickeln, so lang der Herrgott es Tag sein ließ.

Wie da so gegen Abend der Severin im Schweiß des Angesichts sich an einer Stoßbenne müht, da kommt ein großer Mann mit graugesprenkeltem Rotbart, einer altmodischen Schirmmütze auf dem Kopf und einem langen,zugespitzten Stock in der Hand auf das Arbeitsfeld. Er geht langsam, denn ein währschafter Hausierkasten hängt ihm am Rücken und die langbewimperten Augen tasten förmlich die Reihen der Erdarbeiter ab, bleiben dann und wann auf einem haften, fragend: „Bist du's oder bist du's nicht?“ und endlich heften sie sich fest am Severin und gehen nicht mehr weiter. Ein freudiges Erröten zieht über das bärtige Gesicht, und auf den scharf Beobachteten zuschreitend, ruft der Hausierer: „Jesses! So hab' ich Euch endlich. Da lauf ich seit zwei Wochen in Geschäften vom Bodensee herkommend das ganze Rheintal hinauf, verkaufe, was ich in meinem Gewürzkasten hab'und behalte auf Weg und Steg stets noch ein Auge offen,um den Severin Bochsler aufzustöbern, und sieh' da steht er ja auf einmal, wie er leibt und lebt, blos ein Bischen hagerer und bleicher als ehedem. Na grüß Gott denn.junger Freund! Ihr kennt doch noch den „roten Meyer“?“ Freilich kannte ihn Severin. Schon in Kinderjahren,da die Mutter noch lebte und der Vater noch nicht auf Kesselflickerwegen lief, hatte dieser Wundermann wohl jedes Jahr einmal im Hause vorgesprochen. Ei, war das jedesmal ein Fest gewesen, wenn die Türflügel des Hausierkastens aufgegangen waren. Welch ein „Sesam tu dich auf!“ Die Ziehknöpflein von langen Schubladenreihen guckten da wie Geisteräuglein in die Stube: „Ja ja, wenn ihr wüßtet, was wir alles bergen?“ Dann kroch ein wunderbares Duften, wie aus dem Morgenland in die schnuppernden Kindernäschen, Geruch von Anis,Zimmet, Muskatnuß, von Nägeli, Campher, Thee, von Balsam, Schnupftabak und dutzend anderen Dingen. Alle Fächer und Fächlein sprangen auf, alle Gerüche mengten sich und füllten das Haus wie Opferrauch. Und hatten die Kinderaugen lang genug an der Mutter herumgebettelt,daß sie um Gotteswillen doch etwas kaufe, so lohnte es der gute Rübezahl mit einem Bröcklein , Bärendreck“.Dieser segnende Santi-Klaus bereiste jährlich das Appenzellerland, das Rheintal und das Toggenburg. Severin war ihm im Leben oft begegnet. Tausend und abertausend Menschen kannte der Alte, war in manches Geheimnis eingeweiht und trug in seines Rockes Falten nicht nur die Gerüche anderer Zonen, sondern auch Neuigkeiten und Botschaften, die er da und dort in guter Absicht und ohne Schwätzerei an Mann zu bringen hatte.

Jetzt stand er also unten am Rhein bei Severin,näherte seinen Bart dem Gesicht des jungen Mannes und tat vertraulich, wie einer, der etwas sagen will, was nur dieser und sonst keiner hören soll.39 trr Nach verrichtetem Tagewerk saßen die Beiden in der verborgenen Ecke einer alten Schenke, dahin der Alte den Jungen eingeladen hatte. Ein guter Roter,der drunten am Fläscherberg im Sonnenbrand zu Feuer und Jarbe gekommen war, glühte von einem letzten Sonnenstrahl getroffen und ein Widerschein davon lag auf Severins Gesicht, während der Hausierer mit halber Stimme ihm Wichtiges zu sagen hatte.

Weit unten im Land, am Buchberg, nicht weit von Staad am Bodensee, hatte er Christine angetroffen. Jetzt war er eben daran, dem zu erzählen, der das größte Anrecht hatte, die Geschichte ihres jüngsten Leidens anzuhören.

Mit Schimpf und Schande hat man sie aus dem Steinerhofe weggejagt. In Grabs hat sie an einem Bauernhause um Arbeit vorgesprochen, aber sie kam der Bäuerin zu hoffärtig vor. Seltsam tritt man ärmlich auf, so rümpft man die Nase und wittert den Lumpen.Hält man etwas auf sich, bei aller Einfachheit, so muß man vom Hochmutsteufel geritten sein. In Altstätten wies man die Arbeitsuchende in ein vornehmes Haus. Mit Bangen stand sie an der schweren Eichentür und griff mit der Hand nach dem goldig glänzenden Glockenzug. Die Unterredung mit der Herrin war nicht lang. Die Dame wollte das Zeugnis von der letzten „Herrschaft“ sehen. Christine hatte keines und zog um eine Hoffnung ärmer weiter. In Rebstein tat sie, um sich durchzuschlagen, eine Weile Feldarbeit und erinnerte sich eines Tages, daß nicht allzufern um den Buchberg herum eine entfernte Verwandte der Mutter selig wohnen müsse.Protestantin zwar, doch werde sie, so war ihr Gedanke, XEXR t2 will's Gott eine arme Verwandte nicht verstoßen, auch wenn diese katholischen Glaubens sei.

Sie hatte recht geraten. Am Buchberg, in einem lieblichen Weiler, der von Weinbergen umkränzt, im Rücken ein paradiesisches Seitental hat, und vor Augen den mündenden Rhein, den mächtigen blauen See und seine städtegeschmückten Ufer hüben und drüben, wohnte wirklich die Base mit ihrem Manne. Die war Protestantin, nahm aber ihre noch unbekannte Nichte, unbesehen ihres andern Glaubens in ihr Haus, zumal keine Kinder da waren und sie Hilfe brauchen konnte.

Der ältliche und etwas schäbige Mann war einverstanden, und so weit wäre alles recht gewesen. Aber die Sache hatte ihren Haken. Der Vetter und die Base gehörten der Mormonensekte an. Der liefen sie mit heißer Inbrunst nach. Sie hielten sich für bekehrt, trotz augenfälliger Charaktermängel, und andere zu bekehren, das heißt, sie in ihr Getue hineinzuziehen, schien ihnen der beste Beweis ihrer Heiligkeit zu sein. Abend für Abend sprangen sie ihren „Stündeli“ nach, hielten fleißige Hausandacht und die Bibelsprüche troffen ihnen, ob's paßte oder nicht, gar leicht vom Mund. Im Spezereiladen aber,den sie führten, drückten sie gern mit dem Finger auf die Wage, priesen alte Ladenhüter für neueste Ware an, mengten verdorbenes Zeug in Gutes hinein, um alles an Mann zu bringen. Und ein böses Maul hatten sie auch, halfen böse Gerüchte verbreiten und glaubten mit Schadenfreude und Hochmut an das Schlechte in andern Menschen.“

„Bei diesen Leuten war Christine eingezogen. Erst 71 ne

Gbtz taten sie ihr freundlich und hatten den Mund voll Honig,so oft sie mit ihr redeten. Dann geberdeten sie sich wie Spinnen, die um einen eroberten Fliegenbraten ein ganzes Gewebe von Fäden ziehen. Sie hüllten ihr andersgläubiges Pflegekind in ein Netz von frommen Redensarten und Andachtsübungen ein und schleppten es mit in ihre Stündchen. Als es aber, aufrichtig und tapfer.wie es war, eines Tages zu verstehen gab, daß es seine Arbeit treu verrichten, aber in Sachen des Glaubens unbehelligt bleiben wolle, ja, als es sich erst erdreistete,dann und wann einen Sonntagsgang nach dem nächsten Gotteshaus zu tun, da zeigte es sich, daß auch Vetter und Base jenem wunderlichen Heiligen im Dom zu Salerno glichen, der zwei Gesichter hat, eines vorn am Kopf und eines hinten.“

„Von jetzt an hatte Christine ein Hundeleben und sie hat es heute noch“, fuhr der rote Meyer im Erzählen fort. „Schaffen muß sie mehr als genug und bekommt kein gutes Wort. Die Alten hassen sie, wollen sie aber doch nicht von sich lassen.“

Severin saß am Tisch mit gesenktem Haupt und seufzte auf.

Wie zum Trösten legte der Hausierer einen Finger auf des jungen Mannes Hand und bat: „Nur noch einen Moment bald bin ich mit meiner Botschaft fertig.“Und so fuhr er denn fort: „Christine ist stark und hat den Stolz, die Flinte nicht so schnell ins Korn zu werfen,aber einmal kann doch ihre Geduld zu Ende gehen. Sie bietet sich nirgends mehr an, was ich nur halb begreife.Ein Zug der Bitterkeit gräbt sich um ihren Mund. Ein 77 DVWD

Wpaarmal enttäuscht, tüt sie, als ob keinem Menschen zu trauen wäre. Vor allem eines: Bitten mag sie nicht und sich erniedrigen noch viel weniger. Aber ein bißchen Schlauheit könnte ihr doch, mein' Seel, nicht schaden.Was ginge ihr an der Ehre ab, wenn sie noch ein Weilchen unter neuem Regiment sich ducken müßte, innerlich könnte sie doch ihr Haupt erheben und nach der Höhe streben.Wer's zu etwas bringen will, der muß sich schmiegen und bücken lernen und von Zeit zu Zeit auch eine bittere Pille schlucken können. Doch ich glaube, guter Freund, ich glaube Euer Herzensmädchen verlangt nach einem ganz andern Leben. Selbständig will sie sein und niemand über sich nur einen guten Kameraden neben sich haben! Je bälder, desto lieber!“ ...

Bei diesen Worten schüttelte er derb den schlaff auf dem Tisch liegenden Arm des jungen Mannes, dann das Glas ergreifend und zu einem festen Trunk sich rüstend, rief er unter fröhlichem Augenzwinkern: „Auf gut Glück, Freund Severin!“

Hat der Erzähler auf ein frohes Aufleuchten in Severins Gesicht gewartet, so ist die Erfüllung seiner Erwartung ausgeblieben. Junge Leute sehen, auch wenn ihnen dichtes Gestrüpp im Wald den Weg verdeckt und sperrt, die Rosen und nicht die Dornen. Severin aber hatte sich dies Jungsein in der Seele schon zu gutem Teile abgewöhnt und das war seine Schwäche. Wäre ein anderer aufgeschossen, wie ein langgehemmtes FJeuer und hätte gerufen: „Da und da muß es hinaus, denn ich will, ich will!“ so brütete er schwermütig vor sich hin und seine arme, vorzeitig alte Seele keuchte unter 73 dem Druck der Sorge, die ein berufloses Leben mit sich zu bringen drohte.

„Was soll ich?“ kümmerte er, „Christine jetzt schon an mich ketten, wo ich doch nur Handlanger mit kleinem Lohn und wechselnder Arbeit bin? Ja, wenn ich Meister wäre und im Schurzfell in einer Schmiede stände. Doch meine Schmiederei hat ein jähes End' genommen, und jetzt “«

„Und jetzt?“ fuhr der Hausierer ärgerlich drein

„ieetzt heißt es vorwärts schauen, in die Hände speien und angreifen, wo irgend eine Gelegenheit zu Verdienst und Arbeit wartet! Und wär's, daß Ihr wieder Kessel flicken müßtet, was Ihr übrigens meisterlich verstanden habet.“„Ach ja aber aber ich möchte lieber seßhaft sein und ein Gewerbe treiben, das die Leute besser ästimieren ...“„Ach so, pfeift Ihr diese häßliche Melodie?: Aber aber ich möchte, ich möchte... und die Leute, die Leute Donnerwetter nocheinmal, Junge, daß ich jetzt auf den Tisch hauen und es heraussagen muß. Wer lauter Wenn und Aber hat, wer immer „möchte“ und fragt, was die Leute sagen, der bringt's in alle Ewigkeit zu nichts! Ich hab' auch kein seßhaftes Leben übernommen, als mir mein Vormund eines Tages den Kasten an den Rücken hängte und mir befahl, seiner Kundschaft auf dem Lande nachzulaufen, aber ich machte gute Miene zum bösen Spiel, tat, was ich tun mußte und, wie der Appetit mit dem Essen kommt, so kam mir mit der Arbeit auch die Arbeitsfreudigkeit. Es ist kein Beruf, V ta 04 der nicht seine Hürten hätte. Je heißer aber das Mühen,desto herrlicher der Lohn. Klingelt nicht Gold dabei, so läuten doch Friedensglocken im Herzen eines Menschen,der ehrlich will. Und noch eines: jede Arbeit ist recht und aller Ehren wert, die ein Mensch recht tut, ich meine so,daß er nicht nur Hände, sondern ein Herz dafür hat.Was die Leute dazu sagen, ficht mich den Teufel nichts an, wenn ich nur Respekt vor mir selber habe. Und Summa Summarum: lieber ein ganzer Kerl als Kesselflicker, denn ein Viertelsschmied oder sonst ein Individuum,. das weder Fisch noch Vogel ist verstanden?“

Es gibt Menschen, die Aufregung oder Schatten mit sich bringen, wohin sie kommen, doch glücklicherweise auch solche, die Ruhe um sich breiten und es helle machen,selbst ohne viele Worte.

Auch in Severins Nacht fiel Licht. Dort im Winkel der alten Schenke wurde er frohgemut. Wein und Freude lösten ihm die Zunge. Mancher Sorgenstein, der sein Gemüt beschwerte, der löste sich wie Sand, und als er nach langem Abendsitz dem Rotbart die Hand zum Gutnachtgruß bot, da atmete er freier und schritt so mannlich aufrecht seines Weges, als hätte seine Leibeslänge seit Kurzem sich um ein Merkliches gestreckt.

Jetzt wußte er doch, wo Christine war. Sie bald zu sehen, war sein heißer Wunsch, und aus Wünschen und Hoffen wurde Erfüllung, nur auf andere Weise,als er sich's geträumt.

Tag und Nacht hat er darüber gesonnen, wie er es anstelle, um dem Mädchen, das er mit Heimweh suchte,sein Nahesein und sein baldiges Kommen anzukünden.75 a Es aufsuchen unter dem Dach seines jetzigen Heims? Das ging nicht. Drohend stand das Erlebnis vom Steinerhofe vor ihm auf. Ihm einen Boten senden, der das Haus umschleiche, bis gut Glück ihm Gelegenheit schaffe,seinen Auftrag auszurichten? Schon recht, aber wo fand sich solch ein Bote? Warten nach dem Grundsatz:„Kommt Zeit, kommt Rat?“ Dagegen bäumte sich in ihm das unruhvolle Herz. Herzen, die brennen, verstehen sich nicht aufs Warten.

So schickt er halt einen gut versiegelten Brief, hinter dem er in Kurzem herwandern will. „Am Sonntag in der Frühe wenn du auf dem Kirchweg bist“, so lautete die Parole. Und so legte er denn am Sonnabend unten am Rhein mit niegekanntem Hochgefühl die Schaufel hin. Noch in der Nacht, als kaum der Morgen über den Bergen dämmerte, stand er auf und verließ das Haus.Vom herbstlichen Garten ließ er sich eine liebliche Aster schenken. Die steckte er auf den Hut und frisch zog er aus. Der Weg war weit. Noch schliefen die Dörfer,durch die er hallenden Schrittes zog. Zur Linken hatte er Bergland mit Wald und FJels, zur Rechten rauschte der Rhein, und als es zu tagen begann, schlichen lautlos mächtige Nebelschwaden über Aecker und Wiesen, über Ried und Sumpf. Endlich, als er schon über Altstätten hinaus war, und immer eiliger ausschritt im Vorgefühl einer großen Wiedersehensfreude, da brach die Sonne durch, und wie von tausend Engelshänden gezogen, hoben sich die riesigen Nebelschleier über dem schönen, gottgesegneten Tal, an dessen noch weit entferntem untern Ende der Buchberg lag und all' die Pracht um ihn herum und dann erst noch ein Häuschen im Grünen,darinnen nach Severins Meinung eine Blume blühte,wie schöner keine zweite aus Gottes Hand gekommen war.

Er kam aber nicht zu jenem Berg und zum Häuschen mit der Wunderblume noch viel weniger.

Zwischen St. Margrethen und dem burgüberragten RheineckerStädtchen, dessen rote Kirchturmszwiebel freundlich in die Lande und zum Rhein und der langen länderverbindenden Brücke niederlugte, wartete ein Erlebnis auf ihn. Auf das stieß er unvermutet. Besser gesagt, es stieß auf ihn, so daß er dem ruhig gleitenden Nachen glich, den unversehens ein Windstoß in der Flanke faßt und zu einer Fahrt in anderer Richtung zwingt.

Christine saß nicht im Buchberghäuschen, um am Fensterchen, von Blumen halb verdeckt, den Tritt eines sehnlich erwarteten Wanderers zu erhorchen. Auch war sie nicht auf dem Weg zu irgend einer Kirche, aber auf einem Stundenstein kauerte sie, ein Bündel neben sich,ihr schwarz umrahmtes Haupt auf die Hand gestützt,gleich als suche sie etwas zu fassen, was sie erst erlebt. aber noch kaum begriffen hatte.

Wäre ein Blitz vor ihm in die Erde gefahren, Severin hätte nicht betroffener stehen können. „Du hier Christine? Wie eine Bettlerin mit dem Bündel! Um aller Heiligen willen, red' doch, was ist geschehen?“

Rasch erhebt sich das Mädchen, kämpft eine aufsteigenden Rührung tapfer nieder und schließt den lang Vermißten in die Arme.

„Laß' mich der Reihe nach erzählen“, sagt sie, „aber nicht hier. Dort drüben am Waldrand im Moos, dort

77b a2magst du hören und ruhen, du Armer! Wie hast du auf langem, langem Nachtweg dich gemüht um meinetwillen.“Sie fuhr ihm mit der Hand über die heiße Stirn und durchs feuchte Haar, lächelte, indem sie sich unter einer Tanne niederließ und scherzte sich über ihr Elend hinweg, indem sie sagte: „Dein Magen wird lang geworden sein vom Oberland bis hieher, und ein Butterbrot, so groß wie ein Wähenbrett, dürfte dir der willkommenste Morgengruß sein. Doch nimm jetzt das, mach' die Augen zu und denk', es sei Butter mit Honig drauf.“ Drauf küßte sie ihn auf den Mund und fügte hinzu: „Sei zufrieden! Dein Kuß muß auch mir heut' als Morgenessen dienen. Man hat mich an die Luft gesetzt und niemand hat mich gefragt, ob mir's vielleicht beliebe, vorerst zu speisen. Doch komm', ich will dir alles sagen.“

Nun erzählte sie, wie der Brief, den er an sie geschrieben, vom mißtrauischen Mormonenvetter, dem das Frommsein die Neugier und Frechheit noch nicht ausgetrieben. ahgefangen und gelesen worden sei, wie er gleich darauf Skandal gemacht, die Base herbeigerufen und dann gemeinsam mit ihr ein Feuer auf sie, die arme Magd eröffnet habe, als wäre sie eine befestigte Stadt.„Was du erlaubtest dir, mit einem ungläubigen Mannsbild anzubändeln und machst ihm noch Mut, dir,aus weiß der Herrgott was für einer Ferne, nachzulaufen,als ob der Mensch, der eine sündige Seele im Leib' hat,am Sonntag nichts Gescheiteres zu tun wüßt' als einem Mädchen nachzustellen? Der gottlose Tropf! Und an so einen hängst du dein Herz? Unsereinem sagt man natürlich nichts davon. Die himmlische Unschuld spielt man und hat doch den Kopf voll Flausen und Teufelsgedanken... Jajaja, jetzt geht uns ein Licht auf,darum wollte man nichts hören von himmlischer Liebe,weil das Herz zum Platzen vollwar von weltlicher Liebe! Zum Platzen voll... Herr du meines Lebens! Einen Schatz haben... und heiraten wollen... und nichts in die Ehe bringen, als leere Hände, ein Bündel voll Plunder...und dann erst noch eine Herzkammer voll Kehricht und Unrat!... Willst du das sofort bereuen? Willst du dem Kerl den Laufpaß geben, daß er in Zeit und Ewigkeit nicht mehr an dich denkt, geschweige, daß er den Buchberg übersteigt und den Juß über unsere Schwelle setzt?Willst du versprechen, daß du von jetzt an zu uns Mormonen kommst, die ja die „Heiligen der letzten Tage“sind? Willst du oder willst du nicht? Sag' ja, dann soll alles vergessen sein und du sollst es im Hause haben,wie unser Kind!... Was du sagst nein? Und bleibst dabei?... Nun, dann scheer' dich zum Henker! Aber schnell, schnell, schnelle.. du brauchst unsere heilige Luft nicht länger zu verpesten!“

Christine hatte, solches erzählend, sich ganz warm geredet. Noch anderes hat sie ihrem Severin berichtet:wie sie eingepackt und unter Verwünschungen fortgezogen,wie sie einen Teil ihrer Habseligkeiten in einem ihr befreundeten Hause eingestellt und unter dem Läuten der Sonntagmorgenglocken schweren Herzens und nassen Auges ihm entgegengewandert sei.

Eine Stunde später saßen die Beiden in einer Schenke,bereit, ihr langes Fasten endlich einzustellen und sich 412007 zu gemeinsamer Fahrt zu stärken. Dann pilgerten sie stundenlang, immer rheinaufwärts und meist in eifrigstem Gespräch. So eifrig waren sie bei Worten und Gedanken, bei Hoffnungen und Zukunftsplänen, daß sie mitunter geraume Weile stille standen und weder Auge noch Ohr zu haben schienen für andere Menschen, die kommend und gehend, reitend und fahrend, ihres Weges zogen.

Nur einmal, als ein Trupp Pilger, die von jenseits des Rheins gekommen waren und mit staubigen Schuhen,den Rosenkranz in den Händen und laute Gebete auf den Lippen, vorüberstapften, der Gnadenmutter des weit hinter Bergen liegenden Einsiedeln entgegen, da seufzte Christine ihnen nach, als hätte sie sagen wollen: „Nehmt,bitte, auch unsere Seelenbürde mit und legt sie vor Maria nieder, daß sie helfe! Was sind wir Armen ohne des Himmels Hilfe!“

Als die Nacht hereinbrach und sie wieder im Werdenbergerländchen waren, nicht weit von Pradins, da war ein großer Entschluß in ihnen reif. Sie wollten recht bald einen eigenen Hausstand gründen. Severin war gesonnen, zu treiben, was er am besten konnte. Kesselflicker wollte er wiederum sein, doch wo möglich an festem Ort und ohne Nomadenleben. Morgen gedachte er, des Vaters Geschirr und Werkzeug zu holen und beim Amt der Heimatgemeinde das Ehebegehren vorzubringen. Christine war Willens für die Zeit ihres ledigen Standes sich in ein Stübchen einzumieten, den Schut einer Familie anzurufen und durch ehrliche Arbeit, und sei sie auch noch so schwer, sich Brot zu schaffen und einen Sparpfennig zu gewinnen. 20014339Der Wille der Beiden war gut, ihre Kraft war groß und sie hatten ein Recht, zu glauben, daß immer noch gelte, was schon die Alten sagten: „Wo ein Wille, da ist ein Weg und des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“

X A pouuan,nñeleraa t B

VII.Amt und Verstand sind nicht immer beieinand und wo verschiedene Hande hämmern, trifft oft nur eine den Nagel auf den Ropf. Es gibt Dekrete, die man unrichtig auslegen kann und GSemeinderãte. die Gutes wollen und Boöses schaffen.

Zu Pradins im Hirschen lag neben dem großen Schankraum eine sogenannte Herrenstube. Dorthin zogen sich am Sonntag, wenn mehr Volk als gewöhnlich sich zum Abendschoppen fand, die Gemeindehäupter und andere,die ihrer Familie oder ihres Geldes wegen galten und etwas zu sagen hatten, zurück. Statt harter Stabellen standen dort alte, klobige Polstersessel großen Kalibers um einen runden Tisch, auf dem auch die nötigen Rauchund Schnupfutensilien zu finden waren, die mithelfen sollten, die Feierabend- oder Sonntagsstimmung der ehrbaren Gäste zu erhöhen.

In jener Herrenstube ratschlagten auch oon Zeit zu Zeit die Räte der Gemeinde, sofern sie das Bedürfnis hatten, den trockenen Sitzungen im Schulhaus etwa eine Tagung mit herz- und magenerquickender Zubehör folgen zu lassen.

Eines Abends, es war Spätherbstzeit, saßen beim Einbruch der frühen Nacht, während ein scharfer Wind amn den Vorfenstern der Gaststube rüttelte, fünf Männer um den runden Tisch. Eine Oellampe warf ihren matten Schein auf allerlei papierene Akten, über die bereits verhandelt worden war und im Ofen knisterten und knatterten die Scheiter, mit denen die Wirtin nicht sparte, so oft A 44 Traktandum abgewickelt und einige der Männer rutschten unruhig auf ihren Sitzen, um zu bekunden, daß sie nach weitern Verhandlungen kein Verlangen trugen und gern nach Hause gingen. Fast alle waren Bauern, und sie wußten, ohne nach der Uhr im Wandgehäuse aufzuschauen,daß die Stunde des Melkens und Jütterns nicht mehr ferne sei.Zwei hatten sich bereits erhoben und machten Miene,mit der Wirtin abzurechnen. Da guckte Dürr, der Gemeindeammann, mit weit offenen Augen über die auf der untersten Nasenspitze sitzende Hornbrille hinweg, räusperte sich tüchtig und rief dann halb im Scherz und halb im Aerger heraus: „Jaaa halt, halt, ihr Mannen so lang ich nicht Schluß erkläre, braucht ihr mir nicht davon zu laufen! Wir haben noch ein bißchen Werg an der Kunkel, und das muß abgesponnen sein!“

„Pressiert's“, fragte Schöb, der Bauer vom Unterdorf, „und kann man, was noch vorliegt, nicht auf ein andermal versparen?“

„Einverstanden“, brummten Lenherr und Hardegger drein. „Wir hocken seit vier Stunden, und das sollte bigost genügen.. . Brauchen wir denn alles auf einmal abzumachen? Eins nach dem Andern, und nach Neujahr oder im Frühling ist wieder Zeit!“

„Meint ihr?“ ruft darauf der Ammann im Frageton.Dann packt ihn der Schalk; ein Lächeln spielt um die Mundwinkel und er fährt fort: „Aber, wenn nun zwei Leutchen, die, was weiß ich, wie lang schon verliebt sind bis über die Ohren, gerne wissen möchten, ob sie einander haben dürfen? Meint ihr auch noch, das pressiere nicht?“

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44 440 α „Ach so aus dem Loch pfeift der Wind', sagt Guntli, der Küfermeister, der ruhig auf seinem Platz geblieben war. „Nun ja sonst sagt man, wenn's brennt,so muß man löschen! Wir werden keine Unmenschen sein und helfen, wenn wir's können.“

„Gemach! “ warf der Ammann ein „das ist eben die Frage, ob wir's können, oder besser gesagt, ob wir's dürfen! Item, ich rate, wir packen nochmals an.Die Uhr steht erst auf halber Sechs, in einer Stunde läßt sich noch manches machen und vom roten Oberländer wird's im Keller auch noch haben hä?“ So sagt er lächelnd, nach der Wirtin blickend, streckt ihr den leeren Schoppen hin und die vier Brüder im Rate tun das Gleiche.

„Also um eine Ehesache handelt es sich noch.“So begann der Ammann aufs Neue. Der Severin Bochsler von Pradins, seines Zeichens Kesselflicker, seines Alters 28 Jahr, katholischer Konfession, zur Zeit hier,und eine gewisse Christine Zäch, von Oberriet, Dienstmagd, katholisch, ihres Alters 23 Jahr, wollen Anstalten treffen, in den Ehestand einzutreten. Bochsler hat beim Pfarramt vorgesprochen und von dort ist die Frage ans Ammannamt gekommen, ob die Gemeindeverwaltung keinen Einspruch mache? Der alte Bochsler ist, wie ihr wißt, vom Almosenamt versorgt und es fragt sich:Kann der Gemeinderat einverstanden sein, daß der Sohn eines Armengenössigen einen Hausstand gründet? Es existiert ein Dekret des Großen Rats vom 22. Juni 1820, das also lautet: „Wir Landammann und großer Rat des Kantons St. Gallen, in Erwägung, daß durch 84 22222 das vielseitige, leichtsinnige Heiraten dem Staate sowohl,als den Gemeinden große Gefährde und Nachteile erwachsen und daher das Wohl beider einige Fürsorgen und Beschränkungen erfordern, verordnen als Dekret:

Art. 1. Wenn ein Kantonsbürger sich verehelichen will, so hat er an die Armenkasse der Ortsgemeinde,welche ihn im Jall der Not unterstützen müßte, einen Beitrag von 22 Gulden zu leisten. Unabhängig von dieser Leistung kann der betreffende Gemeindeverwaltungsrat die eheliche Einsegnung eines Brautpaares bei dem Ortspfarrer einstellen lassen:a. wenn die Mannsperson bereits Unterstützung aus der Armenkasse der Gemeinde genießt;b. wenn anschaulich wäre, daß die Brautleute weder durch Vermögen noch Beruf, noch Arbeit eine Haushaltung ohne Unterstützung der Gemeinde erhalten könnten,oder c. wenn sie zwar eine Haushaltung erhalten könnten,von welchen es aber wegen liederlichem Lebenswandel nicht zu erwarten wäre.

Gegen solche Einstellung der Einsegnungen findet Rekurs an den Kleinen Rat statt, welcher nach eingezogenem Bericht das Endliche entscheidet.“

„So lautet das Dekret, ihr Mannen“, fuhr der Amtmann fort, „und ich will euch daran erinnern, daß, was ich hier verlesen, im Juni 1830, in Erwägung, daß es sich durch langjährige Vollziehung als wohltätig und zweckmäßig erprobt hat, auf's Neue bestätigt worden ist.

„Wie verhält es sich nun mit Severin Bochsler?Unterstützung hat er nie von uns empfangen. Gesund und kräftig ist er auch, aber sein Vater, der alte Bochsler,fällt uns zur Last. Eine Schande, daß ihn der Junge nicht erhalten kann. Früher schafften sie zusammen, aber der Bengel, daß ich so sagen muß, ist ihm eines Tages davon gelaufen. Weiß der Kuckuck warum. Vielleicht wegen Weibsgeschichten. Richtig, jal Sie habe gedient auf einem Toggenburger Bauerghof, so munkelt man, und er sei ihren Spuren nach. Lang habe es aber nicht gedauert. Ein Schmied, bei dem er in Arbeit stand, der habe ihn zum Teufel gejagt. Warum? He nun, man kann sich's denken. Wer den Kopf voll Flausen und Mädchengeschichten hat, der wird hinterm Ambos nicht viel taugen. Und was ist überhaupt von einem Kesselflicker zu erwarten? Sie die Christine soll auch nichts Rares sein. Kaum war ihr sauberer Schatz aus dem Bergland fort, so ist sie dort oben auch verschwunden und im Land herumgefahren. Der steckt die Zigeunerei bereits im Blut. Wie soll's erst werden, wenn sie ihren Kesselflicker hat? Landauf und ab werden sie wohl vagieren und nirgends eine rechte Heimat haben. Heut'werden sie Brot haben, morgen keines. Jetzt werden sie juchheien und ein andermal darben. Und solche Leute kriegen Kinder, meine Herren Räte, Kinder viele Kinder! Heilige Dreifaltigkeit, wer hat nicht schon gesehen, wie's im tuchüberspannten Wagen eines Kesselflickers wudelt und wimmelt, wie wilde Gofen ihre Strubelköpfe strecken gleich hungrigen Vögeln im Nest.Und eine solche Brut soll das Bürgerrecht und im Notfall die Hilfe unserer Gemeinde haben? Kreuzmillionen ich danke schön! Nun ist ja freilich der Severin 86 XIXL

XXX Bochsler willig, die geforderten 22 Gulden aufzutreiben,auch verspricht er, sich ehrlich durchzubringen und seinem Mädchen rühmt er alles Gute nach, als ob es ein Engel vom Himmel wäre und dereinst ganze Körbe voll Glücks und Segens auszuschütten imstande sei. Das kennt man!War je ein. Bräuterich, der nicht den Himmel voll Baßgeigen sah? Ach du mein Trost! Wo werden diese Baßgeigen in ein paar Jahren sein? Nein und nochmals nein aus Nichts wird Nichts, und wo nichts zu beißen und zu brechen ist, da ist der Ehestand ein jämmerlich Vergnügen. Von der Last, die uns Armenpflegern aufliegt, nicht zu reden!“

Während der Gemeindeammann so gesprochen, hatten der Lenherr, der Hardegger und der Schöb mit ihren Köpfen tüchtig Beifall zugenictkt. Wär's nach ihrem Wunsch gegangen, man hätte sofort abgestimmt und den ganzen Fall ohne ein weiteres Wort begraben. So ganz leicht sollte ihnen doch der Sieg nicht werden.

Da war ja noch der Küfermeister Guntli, und der hatte schon oft den Mut gehabt, mit Wille und Verstand seinen eigenen Weg zu gehen. Schon während des Amtmanns Rede war er ein paarmal mit seiner schwieligen Hand aufgeregt durch sein dichtes graues Haar gefahren.jetzt meldete er sich zum Wort und ohne Umschweif und Anrede fing er an:

„Das Dekret mag recht sein, Ammann Dürr, alle Achtung vor dem Dekret! Ihr sagtet ja, es habe sich mehrfach gut bewährt, aber was neunundneunzigmal gut war, kann doch im hundertsten Fall einmal ein Unrecht sein. Mich däucht, die Satzung, die ihr da gelesen, a2e ccaziele ein bißchen stark auf's Geld und auf den sogenannten guten Ruf. Man kann beides für sich haben, das Patent zum Heiraten bekommen und doch ein minderer Fötzel sein, der in die Ehe weniger paßt, als mancher arme Teufel. Tausende haben mit Nichts begonnen und sind zu Hab' und Gut gekommen, und es war auch etwa mal einer, der's nicht an den Leuten hatte und dem es übel ging, so oft sein Name das Unglück hatte, in die Knůãtschmühle böser Mäuler hineinzuhkommen und doch war der Mann viel besser als sein Ruf.“

Guntli war mit seinem Spruch noch nicht zu Ende und schickte sich eben zu weitern Reden an. Er kam aber nicht dazu, denn der Hardegger, der ihm mit sichtlichem Mißfallen zugehört, fuhr auf einmal ganz unberufen drein:

„Papperlapapp keine lange Predigt. Gehört alles nicht zur Sach'! Wir stimmen einfach ja oder nein,lassen wir den Schlufi heiraten oder “

„Halt! „Schlufi“?“ ruft Guntli dawider „ ja soo geht man dermaßen um mit einem Menschen,der ein ehrliches Begehren stellt? ...“

„Ehrliches Begehren?“, gab der Hardegger zurück.„Kann an einem Kesselflichker auch was ehrlich sein!Donner und Hagel! Ich mein', der Kerl hat genug auf dem Kerbholz. Daß er dem Vater davongelaufen, das ist einmal wahr und daß er aus der Fremde handum heimgekehrt ist und den Alten nicht erhalten kann, selb streicht mir auch keiner durch.“

„Recht so!“ brummte der Schöb dazwischen, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen „und das Weibs88 dbild weiß auch nicht, was Brauch ist, sonst wär' sie ihm nicht vom Buchberg her, wo sie den Platz verloren hat,bis dahinauf nachgelaufen. Brautleute gehören nicht so nah zusammen!“

„Ja woll ja, ganz meine Meinung“, half der Lenherr eifrig, „und ein Mädchen, das in einem Jahre drei Plätze hat “

.Langsaam langsaam und der Ordnung nachl!“,so fuhr mit entschiedener Ruhe jetzt der Ammann drein.„So kommen wir an kein Bord. Sagt mir eure Meinung über die Frage, ob die Brautleute, von denen wir reden,ihr Auskommen werden finden können? Guntli meldet Ihr Euch zum Wort? Gut, der Guntli hat das Wort!“

„Ein Prophet bin ich freilich nicht und kann nicht voraussagen, ob und wie die zwei sich werden durchs Leben schlagen. Das aber meine ich: sie sind beide gesund und jung. Haben sie kein Geld, so bringen sie doch ein Kapital in den Ehestand: Gesundheit und guten Willen, sie zu verwerten, das ist doch, weiß Gott, auch was. Nimmt ein alter verlebter Hösi ein blutjunges Mädchen, was auch schon vorgekommen ist oder heiraten sich, rein um des Geldes willen, zwei Ungesunde, denen der Tod schon auf der Brust sitzt, so habt ihr nichts dagegen eben weil sie's haben. Haben? Was heißt haben? Ist's denn so bombensicher, daß, was man heute besitzt, auch nach Jahr und Tag noch vorhanden ist? Und ist's nicht mehr da und die Gesundheit auch nicht und die Liebe vielleicht erst recht nicht, weil ja zuerst das Geld kam und dann lang nichts mehr und dann noch einmal das Geld und wieder das verfluchte 39 Geld was dann? Da lob' ich mir denn doch zwei Leutchen, die doch einander auch ein bißchen gern haben und denen auch, wenn sie sonst arm sind, wie Kirchenmäuse, doch ein Feuerlein im Herzen brennt. Haben sich zwei Menschen recht lieb, und der Severin und die Christine gingen für einander durchs Feuer, wie ich hörte dann ist ihr Auskommen wohl gut genug verbürgt, und geht's einmal schief, so halten sie zusammen und 's Hüdsli fallt nit um!“

„Ei der Teufel“, witzelte der Schöb über den Tisch,„der Guntli tut ja ganz verliebt. So einem alten Wittlig ist doch nicht zu trauen.“

Drauf der Ammann: „Ruhig laßt ihn reden!“

„Nur Geduld! Gleich bin ich fertig“, setzt der Guntli nochmals an. „Ihr geht fleißig in die Kirche, ihr Mannen. Käme einer und sagte, ihr seid nicht gute Christen, ihr schlüget ihm das Gesicht zu Brei. Wohl,so tut auch da wie Christen!“

„Jetzt wird's mir aber zu dick!“ fährt der Hardegger auf und schlägt die FJaust auf den Tisch, daß die Schoppengläser klingeln: „An die Religion laß' ich mir nicht rühren!“„Ich auch nicht“, sagt der Lenherr, „und ich auch nicht“, fügt der Schöb hinzu.

„Ich rühre auch nicht daran fällt mir nicht im Traume ein“, erwiderte Guntli. „Aber das mein' ich:Ist einer ein Christ, so hört er nicht auf blödes Geschwätz und glaubt an das Gute in dem Menschen. Habt ihr untersucht, ob alles wahr sei, was böse Zungen über das junge Pärchen schwatzen? Was meint ihr denn.90 rev0 wer hat die rechte Religion? Der Andere hinabstößt oder der sie heraufhebt? Der ihnen die Sache, in die sie mit ehrlichem Willen hineinwollen, verhäfelet oder der ihnen ein Brücklein baut, das sie über böse Wasser bringt?Ich meine denn doch bigost, zwei Menschen aufhelfen und sie zusammenbringen, sei mehr, als Steine zwischen sie legen. Und übrigens nehmt euch in Acht! Laßt ihr sie nicht zusammenkommen, so tragt die Verantwortung mit für alles, was dann kommen mag. Ich steh' für nichts! Aber warnen tu ich. Aus Liebe kann Leidenschaft werden. Mächtig wächst sie am Widerstand und zerreißt alle Dämme, so man sie nicht gewähren läßt.“

Auf das hin trat eine Pause ein und keiner wagte eine Widerrede. Dann nahm nach langem Räuspern der Ammann Dürr das Wort. Er gehörte zu denen, die,ohne eigene feste Meinung, sich gern hin- und herbewegen lassen. So schlug er sich denn so halb auf Guntlis Seite,zumal er seine Gründe nicht entkräften könnte und er sagte: „Der Guntli hat ja gewiß in manchem Recht.Helfen ist Christenpflicht, und an das Bessere in den Menschen glauben auch. Ich will auch zugeben, daß ein Ehestand in Armut, aber in Frieden, zehnmal besser sein kann, als das Zusammenleben gewisser Leute, die volle Kisten und Kasten, aber vielleicht den Zwietrachtsteufel, den Geiz oder Hoffahrts- oder Eifersuchts oder sonst einen Teufel im Hause haben. 'S mag ja sein, daß es beim Severin und seiner Allerliebsten mit der Liebe in Ordnung ist, aber ihr Mannen wenn einmal Zeiten kommen, wo's hinten und vorne fehlt, wo man hungert 91 und nichts zu essen hat, wo man Bräuch' und Steuern zahlen sollte und nichts ist da, aber die Schulden stieren einen mit Gespensteraugen aus allen Winkeln an, vielleicht kommt noch Krankheit oder allerlei Ungemach dazu, dann bekommt auch die Liebe gern ein Loch und wenn sie auch einst aus noch so gutem Tuch gewoben war. Mit der Armut kommt der Streit, und der Streit mehrt die Armut, und wenn's nirgends mehr klappt und allenthalben klöpft und kracht, wer hat dann die Bescherung, so sich die Leute nicht zu helfen wissen? Hm, ja ich denk', wir Armenpfleger wissen das und unser auszehriger Pfrundfond weiß es auch. Alles in allem es könnt' ja wohl vieles stimmen,aber über eins komm' ich einfach nicht weg, daß ihr's grad wißt: über den Kesselflicker! Ein Kesselflicker ich mag nicht schwatzen, ein Kesselflicker der flickt eben Kessel, und hat zu tun, so lang genug löchrige Pfannen im Lande sind und dann scheert er sich und sucht und findet und findet nicht, verdient und verdient nicht, fährt herum und weiß nicht, wohin er gehört, eines Tages aber sitzt er uns auf der Haube, mit Kind und Kegel, sag' ich euch,und dann weiß man, wo er hingehört!“ ....„Unterstützt, unterstützt, unterstützt und Schluß jetzt!“ riefen wie aus einem Mund der Hardegger, der Lenherr und der Schöb. Der Guntli aber stand auf und stieß mit Wucht den Stuhl von sich:„Einen Mann verachten des Berufes wegen, das geht mir fast noch mehr wider den Strich als alles,was ihr da proletet habt. Was kann der Mann dafür,daß sein Vater Kesselflicker war und daß er ihn nichts Anderes lernen ließ? Daß es ihn vor Jahresfrist noch 32 775 lockte, sich zu ducken und Lehrbub bei einem Schmied zu sein, das spricht nicht gegen ihn. Warum's ihm dort oben den Schlitten zerschlug, das hat er uns nicht gesagt.Es hieß, er sei im Streit hinweggezogen, und wo ein Streit war, da muß man immer beide Teile hören. Item,was gehn uns frühere Händel an? Ich sage: Jeder Beruf ist recht, so man ihn recht betreibt. Gibt er auch nur Brot aber keine Butter, so ist das die Sache derer,die das butterlose Brot zu essen haben. Schandbrot ist's nicht, sofern es die Frucht der ehrlichen Arbeit ist. Aber zwei Menschen das Törlein in's Land der Ehe vor der Nase zuzuschletzen, mit dem Bedeuten: „Geht! was ist von Kesselflickersleuten Gutes zu erwarten!“, das ist ein Unrecht, sag' ich ein Unrecht sag' ich noch einmal! Und gegen solch ein Unrecht muß ich protestieren!“„So protestiert in Gottes Namen!“ warf ihm der Hardegger an. „Lieber ein Unrecht an zwei Menschen,die nichts sind und wahrscheinlich nie was werden, als ein Unrecht an der Gemeinde!“„Bist du frei von jedem Unrecht an der Gemeinde?“„Halunke!“ schreit ihn der Hardegger an, „du wirst mir doch nicht nachreden wollen, daß ich je gestohlen habe. Einem Bauern darf man auf die Finger sehen,aber was so ein Küfer im Dunkel des Kellers treibt ...“„Schweigt, wenn Euch die Zähne im Maule lieb sind', spricht Guntli und hebt in bleichem Zorn die Hand, dem Gegner unter die Augen tretend. Im Nu springen die andern auf, ein Unglück zu verhüten und in wildem Durcheinanderreden gehn die Ermahnungen des Ammanns unter.93 t?Da ermannt sich Guntli, reißt die Kappe vom Nagel an der Wand, schreitet zur Tür, und, dort noch einmal sich wendend, spricht er mit kalter Ruhe: „So macht's denn ohne mich, aber das schreibt euch hinter eure Ohren:Eine geplante Ehe hindern ist mitunter ein viel größeres Unglück als eine lang bestehende, innerlich faule nicht lösen. Es wäre, weiß Gott, besser, es würde da und dort, wo das Zusammensein von Mann und Frau auf Schein, Lug und Trug gebaut ist, ein Strich durch alles gemacht, als daß man zwei junge Menschen, die das Leben noch erziehen kann, nicht zusammenläßt, bloß weil sie nicht Anwartschaft haben, reich zu werden. Da mach'ich nicht mit. Verstanden? Nie und nimmer.“

Als der empörte Guntli Stube und Haus verlassen hatte, spannen die Ratsherren den Faden dieses Ehetraktandums noch ein wenig weiter. Der Ammann schwankte und suchte zu vermitteln. „Warten könnte gut sein in dieser Sache“, meinte er. „Keinen runden Abschlag geben und die Leutchen auf ein Jahr oder zwei vertrösten. Wer weiß, ob sie bis dann nicht so weit sind, daß wir Ja und Amen sagen können, dieweil doch er und sie bei gutem Verstand und gesunden Kräften sich befinden.“

Dagegen aber stand die Meinung auf, das ermuntere die Beiden nur zu weitern Liebeleien, die gefährlich seien,man sei durch solchen Entscheid so halb gebunden und das Bessere sei doch, einen glimmenden Funken mit flachen Händen jetzt gleich auf dem Ratstisch totzuschlagen, statt ihn weiter glimmen und Jeuer werden zu lassen. In einem Jahr oder in zweien seien die Leute doch nicht anders als am heutigen Tage und mit so unreifen Menschen dürfe man überhaupt nicht Federlesens machen, zumal man den Wortlaut des Dekretes für sich habe.

Man stimmte ab und es ward beschlossen, das Gesuch des Severin Bochsler und der Christine Zäch ohne Zusatz und Klauseln von der Hand zu weisen.

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VIII.Was ein Kesselflicker nicht mehr flicken kaun, sucht ein Küfer zurechtzumachen. Der Santisklaus geht um ung findet nicht alle Tũren. Weihnachten kommt mit einem bösen Geschenk und Neujahr mit einem guten Rat. hilfesuchen und dabei hilflos werden kommt oft zusammen und auf eine tolle Fastnacht folgt ein Ascher-mittwoch mit Schrecken.Severin erhielt den Bericht über den Ratsentscheid,als er eines Abends totmüde von einer Kreuz und AID heimgekommen war. Etwas außerhalb seines Bürgerortes hatte er sich in einem Schuppen ein ummauertes Gelaß gemietet, das ihm als Werkstatt dienen mußte. Von da zog er mit einem Karren jeweils auf halbe oder ganze Tagereisen aus. Und hatte er Glück gehabt, so kehrte er mit einer Ladung flickbaren Zeuges wieder.

Der Tag, an dem ihm der Brief des Gemeindeammanns übergeben ward, war ein herber Tag gewesen.Er hatte ihm wenig eingebracht, und weil schnelles Verzagen eine Schwäche seines Wesens war, so belastete ihn die Botschaft doppelt schwer. Tief verstört stieg er einen, das Dorf umgehenden Feldweg an, um Christine in ihrer am andern Gemeindeende liegenden Wohnung aufzusuchen. Erst nach geraumer Zeit kam sie aus einem Kundenhause heim und da ließ denn der Betrübte seinem Unmut und seiner Klage freien Lauf.

Einen Augenblick war auch Christine tief betroffen,dann aber ermannte sie sich. Nutzloses Klagen war nie 96 ihre Art gewesen. Sie gehörte zu den Menschen, die sich von der Not wohl biegen, doch ja nicht brechen lassen und die den Glauben nie ganz verlieren, daß jedes Unglück auch sein Gutes in sich berge. Konnte sie nun auch ihrem Severin nicht beweisen, daß dies Gute dem gegenwärtigen Ungemach auf dem Fuße folgen müsse, und konnte sie noch weniger sagen, in welcher Gestalt es dereinst erscheinen werde, so brachte sie es doch zustande.ihrem eigenen Herzen Ruhe zu gebieten und auch in eine Welt voll Schatten mit hellem Auge zu schauen.Das gab auch Severin einen Teil der verlorenen Ruhe zurück und so kamen sie nach und nach dazu, mit Fassung und Vernunft die eigene Zukunft zu besprechen. Daß sie nicht voneinander lassen wollten, selbst wenn Himmel und Erde sich gegen sie verschwören würden, das stand ihnen fest und der Gedanke, daß nie alles verloren sei für Menschen, die sich selber nicht verloren geben, gab ihnen neuen Mut. Einstweilen zu schaffen und zu sparen,jedes an seinem Ort, das war ihr fester Wille und dem Willen half ein mächtiges Vertrauen, das sie in ein mannlich Wort zusammenfaßten: „Mögen Menschen uns im Stiche lassen, Gott wird Wege für uns haben,und wär's auch, daß nach dem Brechen aller Brücken,der Weg in die Fremde, ja über Meere führte, wir würden ihn in Gottes Namen wählen!“

Es schien in der Tat, als wäre die Hilfe schon ganz nah. Schon der nächste Abend zündete ihnen am dunkeln Himmel ein Hoffnungssternchen an.

Gemeinderat Guntli suchte den Severin auf. Im Werkstättlein, wo der Platz nur knapp für beide reichte. XRD standen sie bald in eifrigstem Gespräch. Von der Sitzung der Räte erzählte Guntli, dann zog er ein Papier heraus,eine Abschrift des Dekrets, das der Ammann vorgelesen hatte. Das las und besprach er laut vor den Ohren Severins, der den Kopf traurig hängen ließ, als wär' da nichts zu hoffen. Als aber Guntli gegen den Schluß des hochobrigkeitlichen Erlasses kam, da hob er triumphierend den Kopf, wie ein Kartenspieler, der dem Gegenpart geflissentlich ein paar fette Stiche läßt, dann aber die gesparten Trümpfe plötzlich wie unbezwingliche Sieger aufspazieren macht. Lächelnd erhob er den Kopf, tippte mit dickem Zeigfinger energisch auf Severins Brust, als müsse er ihn aus dem Schlafe wecken und legte hernach den gleichen in freudiger Erregung zitternden Finger aufs Papier und sagte mit erhobener Stimme, auf des Dekretes letzten Satz hinweisend: „Da ist Euere Rettung!Sperrt die Augen auf aus dem da läßt sich etwas machen! Leset selbst, da steht geschrieben: „Gegen solche Einstellung der Eheeinsegnung findet Rekurs an den kleinen Rat statt, welcher nach eingezogenem Bericht das Endliche entscheidet.“ Seht Ihr, so steht's: Ihr macht eine Eingabe an den kleinen Rat, das ist die Regierung in St. Gallen. Getraut Ihr Euch nicht, selbst das Schreiben aufzusetzen, so bin ich auch noch da. Und jetzt macht kein Gefräß, als hättet Ihr saures Bier oder einen faulen Fisch erwischt. Ueberlegt Euch die Sache wohl.Sagt's Eurem Schatz. Und vor allem: Haltet Euch wacker und laßt Euch nichts zu schulden kommen!“

In Hoffen und Bangen verbrachten nun Severin und Christine ihre Tage. Das Gesuch an den kleinen Rat 98 war abgegangen, aber Woche um Woche verging, ohne daß eine Antwort kam.

Eines Tages wollten Bekannte Christinens einen städtisch gekleideten Herrn gesehen haben, der aus dem Haus des Gemeindeammanns kam, auch den Pfarrer besuchte, dann im „Hirschen“ speiste und bei Zeiten wieder von dannen ging.

Knapp vor Weihnachten 's war grad am Klausentag sollte das Hoffen und Harren der zwei Liebenden,die eine gar sehnliche Adventshoffnung in sich trugen,zu Ende kommen.

Christine saß ums Zunachten in ihrem Kümmerlein.Alleine und verlassen. Severin war für eine ganze, lange Woche in Sachen des Berufes fort. Wer konnte wissen,wie nah oder wie fern er grad an diesem Abend war.

Im Dorf war ein tolles Leben. Ganze Gilden halbwüchsiger Burschen zogen dorfauf und -ab. Die einen schüttelten allerhand Schellen, daß es tönte. als rasen verschüchterte Kuh- und Geißenherden die Straßen und Seitenwege entlang. Andere spektakelten mit Pfannendeckeln, zerbrochenen Töpfen und dergleichen. Unter den Haustüren und an den Fenstern schauten vergnüglich lachend die Alten. vergangener Zeiten gedenkend, da auch sie das „Chlausenschellen“ nach uralter Sitte getrieben hatten. In der Stube dufteten das herrliche Birnbrot und die „Chlausenhüte“ d. h. die mit Goldschaum gezierten „Biber“, die die Form gupfiger Hüte mit eckigen Krempen hatten. Dumpftrommelnde Aepfel und raschelnde Nüsse, die aus vollen Säcken auf Tisch und Stubenboden fielen, machten Musik für Kinderohren. Etwas von diesem Jubel und Trubel drang gedämpft hinauf ins Stübchen, da Christine beim Schein eines schwachen Lämpchens nähte.

Auf einmal störte ein derbes Klopfen an der Tür sie auf. Der Postbote, dem dichter Schnee auf Mütze und Mantel lag, hatte einen Brief an Severin bestellen wollen und war, weil er des Adressaten Tür verschlossen fand, da heraufgekommen. Der Brief mußte wichtig sein, denn er trug ein großes, schweres Siegel, und aufgegeben war er in der Stadt.

Klopfenden Herzens und mit zitternden Fingern breitete Christine das aus seiner Umhüllung gelöste, amtliche Schreiben. Dann starrte sie vor sich hin und endlich sanßk ihr Haupt auf den Tisch, verbarg sich im Tuch, daran sie genäht und benetzte es mit heißen Tränen.Das Gesuch an den Kleinen Rat war abgewiesen.

Unten auf der Straße tumultierten die Kläuse. In der Stube unter ihren JFüßen lachten und sangen Kinder über vollen Körben, Kinder geplagter, kleiner Bauern,denen niemand die Ehe verboten hatte, weil sie mit einem Häuflein Erbe von Vater und Mutter angetreten waren. Sie selber aber glich einem Aschenbrödel, das auch ein Weihnachten hatte haben wollen, nun aber an einer verschlossenen Türe stand, hinter der die hundertmal Glücklicheren verschwunden und wohlgeborgen waren.Das Lämplein schweelte, im Ofen erlosch das Feuer. Von niemand gesehen, setzte sich Frau Sorge neben die arme Christine und erwog unter Seufzen mit ihr die Frage:„Wie soll man's anstellen, auch dem Severin zu sagen,daß er ein Narr sei, wenn er noch weiter hoffe?“ Weihnachten zog ins Land mit Lichtern und mit Liedern. Severin und Christine saßen im Dunkel und hatten keine Lieder. Weil sie aber ihr Ungemach gemeinsam trugen, kamen sie sich innerlich immer näher. Keines wollte das andere gar so traurig sehen. Aus Klagen wurde Trösten. Und wagten sie auch kaum, an ihre Tröstung recht zu glauben, so wurden sie doch stiller, und in der Stille wurde ein neuer Mut geboren. Es forderte die Jugend ihr Recht, sie, die das Vorrecht hat, zu hoffen,auch wo das Alter meint, es sei nur Grund zum Fürchten.

Wie sie lang nach der Jahreswende eines Abends beisammen waren, die Zukunft zu beraten, schenkte ihnen die Ruhe, zu der sie durchgedrungen waren, einen Plan und ein Hoffnungsschimmerchen legte sich darauf,gleich einem Fünklein, das aus der Luft gewirbelt kommt.„Wie wär's“, sagte Christine, „wenn wir den Weg nach der Gallusstadt unter die Jüße nähmen und unser Gesuch selbsteigen vor die hohen Herren trügen? Was kein Papier vermag, das vermag der Mensch, der bescheiden, aber nicht mutlos kommt und sich die Not vom Herzen redet.“

Severin hatte Bedenken zehn für eines. Doch endlich willigte er ein und sie wurden eins, überhaupt ihr Dorf zu verlassen und weiter unten am Rhein ihr Brot zu suchen. Jedes auf seine Weise, wie bisher.

Aus Entschluß wurde Tat. Schon waren sie auf der Wanderung, an deren Ziel sie endlich, endlich nach langen Wartens Mühsal eine Erlösung zu erleben hofften.So sehr war ihr Herz von Hoffnung geschwellt, daß sie die ganze Welt um sich her vergaßen. Sie wußten ua nicht einmal, daß Fastnacht im Lande sei. Nach Speis'und Trank begehrend, ließen sie zu guter Stunde des Tages sich am Tisch einer alten Schenke nieder. Eine kleine Rheinstadt, darinnen an Jastnachtstagen immer ein großer Umtrieb war, lag nicht weit. In der Wirtsstube saß allerlei festhungriges Volk, dessen Begier nach toller Lustigkeit im Städtchen drinn auf seine Rechnung kommen wollte.

Während sie sitzen, geht die Türe auf und es schlendert ein dicker Kerl herein, der den Hut hinten am Kopf, die Haare in der Stirne und die Hosen in den hochgezogenen Stiefelrohren hat. Er pustet, wie einer,der schnell gelaufen ist, und im gedunsenen Gesicht irrlichtern giftigschlaue Aeuglein, die in der Stube herumspazieren und zuletzt wie in tiefer Betroffenheit auf dem jungen Paar am gleichen Tische haften. Zorn und grausamer Spott streiten sich in den Mienen des Dicken, und unruhig hasten die auf dem Tisch liegenden Hände, denen man ansieht, daß sie fleißig über dem Feuer waren, nach dem vollen Glase. Dann mißt der Unheimliche mit stechendem Blick sein Gegenüber, den erschrockenen Severin,und laut lacht er heraus. Hierauf tasten seine frechen Augen gierig die Gestalt Christinens ab und abermals kommt das gräßliche Lachen.

Dann mit verstellter Lustigkeit sich zu andern Wirtshausgästen wendend und mit Augenzwinkern auf das Pärchen weisend, legt er endlich los: „Jaja so was könnte einem passen nichts schaffen und selbander durchs Land spazieren wie Adam und Eva im Paradies, das heißt, bevor der Herrgott sie samt der Schlange heraus102 x

XE geschmissen hat. Madame und Mosjö sind wohl auf der Hochzeitsreise? Hä hähähäl! Und der Gemeinderat von Pradins gab seinen Segen dazu? Man hat so was dergleichen läuten gehört. Hihihi!“

Severin ward feuerrot und totenblaß. Es drehte sich die Welt vor seinen Augen und in seiner Brust arbeitete der Zorn, als müßte er ein junges Herz zersprengen. Christine, einen Augenblick gelähmt vor Schreck.fühlte, daß schwere Gefahr im Anzug sei und griff unterm Tisch besünftigend nach Severins Hand.

Das sah der dicke Egli und grausam höhnend fuhr er fort: „Ja nehmt euch nur fest bei der Hand.'S tut not. Zusammenkommen dürft ihr eineweg nicht.Bis ins Wildhaus hinauf hat der Rat von St. Gallen seine Fühlhörner oder besser gesagt, seine Ohren, ausstreckt, um inne zu werden, was für Gelichter ihr seid.Aber wir haben es ihm gesteckt. Der weiß bei Gott „was Lands“ und hat genug erfahren. Kriegen tut ihr euch in Ehr' und Züchten nie nehmt Gift darauf so's euch beliebt. Und fielet ihr dem Landammann zu Füßen und tätet, als ob ihr direkt als Engel vom Himmel kämet einen Tritt gäb' er euch und riefe: „Zum Kuckuck mit dem Lumpenpack!...“

Jetzt hält der Severin es länger nicht mehr aus.„Halt 's Maul Lügner!“ schreit er den Egli an und springt hinter dem Tische auf. Der Gegner aber, der den Angriff erwartet hat, führt blitzschnell einen Faustschlag nach Severins Magen. Das verschlägt ihm den Atem, und wie ein hingeworfener Sack taumelt er gegen ein Fenster, das klirrend in Stücke geht. Rundum fahren die Gäste von den Stühlen empor, bereit, dem einen oder andern der Streitenden beizuspringen. Da stellt sich Christine in ganzer Größe, flammenden Blickes und achtunggebietend dem Elenden entgegen, und ihren Zorn bemeisternd, fordert sie ihn mit fast vornehmer Ruhe auf,keinen Finger mehr zu rühren, ansonsten sie sich nicht enthalten werde, der ganzen Stube zu erzählen, was für einer er sei und wie schlecht er an dem soeben aufs Neue Gekränkten gehandelt habe.

Das Wort tat Wunder. Keiner wagte, nach Severin zu rühren. Er selber wiederholte seinen Angriff nicht und als der Egli sich anschickte, ein neues Wortgeplänkel zu eröffnen, bedeutete ihm ein allgemeines Murren, daß er besser tue, sich aus dem Staub zu machen. Der Wirt forderte ihn offen dazu auf. Unter furchtbaren Drohungen verließ der Störefried das Haus und nahm den Weg rheinaufwärts unter die Füße, während bald nachher das junge Paar in entgegengesetzter Richtung still und traurig seines Weges zog.

Wohin wollte es nun? Ach, wer das wüßte! Zur Regierung nach St. Gallen? Was konnte das noch nützen. Der Egli hatte gesagt, was dort zu hoffen war.Aber wohin denn nun wohin um Gottes Willen? Sie berieten nichts und planten nichts. Willenlos gingen sie andern Menschen nach, und wohin die Füße, die keine Gedanken hatten, gehen wollten.

Kaum gedacht, standen sie in der kleinen Stadt und starrten, ihr Weh vergessend, in ein tolles Fastnachtstreiben. Auf einem offenen Platze gröhlten in wildem Durcheinanderwogen ganze Kinderscharen. Auch alte oneN αα Gaffer standen da und dort herum. Auf einmal verkündet ein vielstimmiges Gekreisch: „Gend acht, gend acht: der Röllelibotzl!“ Am Brunnen stand, den phantastischen Hut mit Blumen und Bändern geschmückt, ein junger Kerl. Ueber die weißen Hosen hatte er schwarze Kniestiefel gezogen und um Bauch und Sitzleder ging ihm ein breiter Gurt, besetzt mit rollenartigen Schellelein.In der Hand trug er eine spitz zulaufende Spritze, die am Brunnen wohl mehr als eine Maaß Wasser in ihrem rundgewalzten, langen Leib gesogen hatte. Die Wasserkanone war wohl geladen, schon lag der Finger am Ring des Kolbens, der nur eingestoßen werden mußte, um einen haushohen Wasserstrahl in die Luft zu setzen und bereits suchten die Aeuglein des Kanoniers nach einem Ziel für sein Geschütz. In der Stadt waren die Katholiken Meister. Nur sie trieben Maskerade und mit Vorliebe suchte der Röllelibotz den Wasserstrahl auf Leute der andern Konfession zu richten.

Auf einmal tauchte auf dem Platze ein anderer lustiger Kunde auf. Die Kinder begrüßten ihn mit Hallo:„der Blotterabotz, der Blotterabotz', so riefen sie und einige brüllten drein: „der Chottlabuch‘. Er trug ein Kleid von braunen Lappen, hatte eine Larve vor dem Gesichte und war bereit, mit einer an langem Stecken hängenden Saublase auf Köpfe und Rücken der vor ihm Fliehenden loszutrommeln.

Auf einmal erblickte der Röllelibotz das seltsame Pärchen. Sein scheues Gebahren und verwundertes Schauen reizte ihn. „Fastnachtsbummler aus dem Tal herauf oder gar aus dem Appenzellerland herab“, so dachte 322

224 er. „Am End' gar Leute aus ketzerischem Teig gebacken da wird man doch nach alter Manier ein wenig spritzen dürfen.“

Und sieh da, kaum gedacht, zischt der Wasserstrahl durch die Luft auf Severins Rock und Hut. Wie aus schweren Schlaf geschreckt, fährt der auf und fuchtelt mit den Händen. Umsonst sucht Christine, ihn zu schützen.Das macht die Sache ärger; auch sie empfängt einen großen Teil des nassen Segens und unbeschreiblich wird das Gaudium der aus Rand und Band geratenen Jugend.

Doch das ist für die Betroffenen nicht das Ende.Wohl suchen sie beschämt im Menschenhaufen zu verschwinden. Doch der Haufe weicht, wohin sie kommen.Es mehrt sich das Gelächter auch unter alten Narren, die die pöbelhafte Kinderschar gewähren lassen, und wie zu guter Letzt erst noch der „Blotterabotz“ anrückt und die luftgefüllte Blase auf Kopf und Rücken der schwer Durchnäßten tanzen läßt, da will des Jubels gar kein Ende werden.

Halb irr vor Scham und Traurigkeit sitzen noch stundenlang hernach die Beiden in einer rauchgesüttigten Pinte sich wortlos gegenüber. Wie Schiffbrüchige sitzen sie, die das räuberische Meer an einen fremden Strand gespült. nachdem es ihnen alles weggenommen.

Sie sahen nicht, daß der Zeiger der Pintenuhr auf Mitternacht stand und daß die Wirtin die Lampen löschte.Erst als der Wirt ihnen Feierabend bot und kalt bemerkte: „Seht, wo ihr unterkommt hier gibt's kein Uebernachten!“ da standen sie müde auf und wankten hinaus in die kalte Nacht. Wohin? Keins fragte darnach. ELLVVVVVVV Sie ließen sich gehen. Mochten Zufall, Verzweiflung oder Schicksal in Wasser oder Feuer sie treiben, was ging sie das an? Da war ja weiter nichts zu hoffen.

Eine Viertelstunde vom Städtchen entfernt war ein Bauernhof. Unweit davon ein Stadel voll duftenden Heus. Der Knecht mag zum Tanz gegangen sein und alles darüber vergessen haben, auch das Schließen des Tores, dessen Knarren die Ankömmlinge wie aus einem Traume weckte.

Wortlos, unterm Zwang gleichen Gefühles, ohne Erwägung und Widerstreit, erliegend den Mächten leidender,verzweifelnder Liebe, eines wilden Dranges, sich einmal auszuleben, bevor Nacht und Grauen kommen und eines ungeheuren Trotzes gegen die Menschen, die alles getan hatten, ihr Zusammenkommen zu verhindern, wandten sie ihre Schritte zur Scheune, die samt dem weitabfallenden Dach für eine Nacht sie schützte mit Nachsicht und Erbarmen. Und das Band, das Kirche und Staat zu knüpfen unterlassen, knüpfte nun die Not und eine aus Not geborene, alte Fesseln von Brauch und Sitte zersprengende, heiße, sündhafte, trotzige Liebe!

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8 *IE xxcecorcur xrethutelencatpeinnlnutenonun ii. -nuteleultücdühtsüssüllttüs

IX.Don einem Ehepaar, das sucht und nicht findet und von allerlei Leuten, die finden was sie nicht suchen sollten. Viel Steine una wenig Brot. Das Glũck im Winkei und auf Radern pPon einem Nesselflicker, der nicht lateinisch kann unã doch einen besseren Weg geht. als ein Student. , Die Liebe suchet nicht das ihre.“Jahre waren verflossen seit jenem unheilvollen Fastnachttag, an dem Severin und Christine, überwältigt von Enttäuschung, Scham und Schmerz, das Recht, als Mann und Frau in unzertrennlicher Gemeinschaft durchs Leben zut gehen, in trotziger Verzweiflung an sich gerissen hatten.Warten und Geduld haben, Schaffen und Sparen, Entsagung üben und unter Zusammenraffung aller Kraft aus dem harten Stein des Schicksals Hoffnungsfunken schlagen,das wäre ja in der Tat der heldenhaftere Weg gewesen.

Heldentum läßt sich aber nicht sofort erzeugen, wenn man es in schwerster Stunde gerade braucht. Es muß unter Bewährung in der Stille wachsen und wird dann eines Tages Taten tun.

Stand denn nun also am Anfang von Severins und Christinens gemeinsamem Weg zwar nicht die Heldentat, so ist dann doch des Weges Fortgang eine Probe gewesen auf alles, was etwa tief verborgen an heldentümlichem Wesen auf dem Grund ihrer Seele ruhen mochte.

O, was hatten ihnen die letzt vergangenen Jahre nicht alles gebracht! Die Schilderung all' ihrer Erfahrungen könnte Bücher füllen, Bücher mit Blättern voll derder 108 CLL 4444 an bessere Tage erinnern und sozusagen in ruhiger Stunde an einem sonnigen Plätzchen geschrieben waren. Es ist ja kein Menschenleben und kein Zusammensein solcher, die innerlich zusammengehören, ganz auf der Schattenseite. Gottes Sonne dringt auch durch schmale Ritzen, und ein einziger Strahl, der zeitweise ins Dunkel fällt, läßt Millionen Sonnenstäubchen im Goldlicht tanzen.

Zwar lebten die Kesselflickersleute so ziemlich von der Hand in den Mund, und auf Tage, wo sie etwas hatten,folgten auch wieder solche, wo Schmalhans oben am Tische saß, ihnen sein Hungergesicht zeigte und müdelächelnd sagte: „He nun der Herr Jesus hat auf die Vögel des Himmels verwiesen, die nicht sorgen und doch immer wieder ein TischleinDeckdich finden, wenn sie genug von der Luft gelebt haben.“ Und sie nahmen die Worte des Herrn Schmalhans hin als Leute, die schon in frühesten Jahren gelernt hatten, sich in allerlei Lagen zurecht zu finden. Weil sie aber einander so recht von Herzen lieb hatten, so wälzten sie manchen Stein, an dem ohne ihr treues Zusammenhalten ihre Kraft zu Schanden geworden wäre.

Hatten sie zuerst geträumt vom Glück in einem freundlichen Heim und wär's auch nur in einem winzigen Stüblein gewesen so ist auch dieser Traum nicht Luftgespinst geblieben. In Steinach, dem lieblichen Dorf an stiller Bucht, nicht weit von jenem massigen alten Bau, dessen gezacktes, große Kornschätze schützendes Dach weit hinaus grüßt auf den mächtigen großen See,hatten sie ihr erstes Standquartier. Christine ließ die Nadel oft bis tief in die Nacht nicht aus den Händen,

34040 damit der Mann nicht allein fürs tägliche Brot zu sorgen habe, und Severin lötete, verzinnte und hämmerte unweit davon in einem Kellerloch zurecht, was er an flickbedürftigem Zeug seeauf und -ab in den Dörfern und Weilern zwischen dem schwäbischen Meer und der Gallusstadt aufgetrieben hatte.

So weit wäre alles gut gewesen. Aber tief bedauerlich war, daß aus dem Wohnrecht, das die Beiden da und dort besaßen, nie ein dauerndes Wohnglück hat werden können. Wohin sie ja immer kamen, da hat man sie meist eine Weile gewähren lassen. Dann aber kam stets einmal die Zeit, wo man ihnen der Ordnung wegen die nötigen Ausweispapiere abverlangte, die über Herkunft, Zivilstand und dergleichen Aufschluß gaben. Am einen Orte fragte man früh, am andern erst nach geraumer Zeit oder dann, wenn böse Mäuler Zweifel zu äußern oder in der Luft liegende Gerüchte aufzufangen und herumzubieten sich unterstanden hatten.

So kam es oft und oft dazu, daß anfängliches Wohlwollen sich in Mißtrauen und Feindschaft kehrte und daß sie schmerzlich sich losreißen mußten, wo das mit Liebe gepflegte Bäumchen ihres Hausstandes so gerne Wurzel geschlagen hätte.

Was war da zu machen? Das junge Paar und ob es noch so unbescholten lebte, sein ehrlich Brot verdiente und in Treue zusammenhielt hatte Gesetz und Recht gegen sich. Zum zehnten und hundertsten Mal mochte es vor den Ohren seiner Widersacher beteuern, daß es nach einer obrigkeitlichen und kirchlichen Sanktion seines Verhältnisses ein brennendes 110 Verlangen habe; die Welt liebte es eben doch, das böse Faktum und nicht den guten Willen anzuschauen. Und nicht ungern gab es sich, daß die am unnötlichsten taten und die größte sittliche Entrüstung zeigten, deren Eheleben trotz der einstigen Einsegnung durch Priesterhand nichts weniger als friedlich, rein und mustergültig war.

So kamen sie halt, ohne es zu wollen, nach und nach doch in das Wanderleben, vor dem ihnen einst so sehr gegraut, und auch sie haben reichlich erfahren, daß die Verhältnisse oft mächtiger werden als der Mensch.Wie an des Pilgers Fuß und Kleid im Sommer Staub und Kot und im Winter Feuchtigkeit und Schnee sich hängen, so setzte sich in Christines und Severins Gewand als böse, staubige oder nasse Wandergabe ein ganz unverdienter übler Ruf. Böse Gerüchte liefen immer mit,wohin sie kamen, und wieviel gute Menschen sie fanden,zahlreicher und mächtiger waren die andern. die lieber an das Böse als ans Gute im Menschen glauben, und die sich, Gott weiß es, wie tugendhaft vorkommen, wenn sie über das Tun und Lassen anderer zu Gerichte sitzen können.So mehrte sich denn das Ungemach. Und war es nicht die Brotnot, die die Armen quälte, so war es die Wohnungsnot. Am einen Ort fanden sie Unterkunft und konnten ihr Werk betreiben, am andern ging es den Heimatlosen fast wie dem heiligen Paar in Bethlehem,dem man überall abwinkte mit dem Wort: „In der Herberge ist kein Raum.“ Und so wurden denn Winkel oder Schlupf, Schopf oder Scheune, Wald oder Baumgarten zur Not ihr Quartier, bis ihnen nach viel Schinden -14444244 und Hungern die Gelegenheit sich bot, sich aus dem Nachlaß eines verstorbenen Korbflechters ein Vehikel und ein mageres Rößlein anzuschaffen, das als eine auf Rädern laufende Behausung mit ihnen ging und ihnen erlaubte, auch auf fremder Erde doch immer wie in der Heimat sich zu fühlen.

Das Größte aber war, daß namentlich Christine es verstand, dem fahrenden, tuchüberspannten Häuschen.trotz seiner Armseligkeit den rechten Heimatgeist zu geben.Sie war überhaupt eine starke Seele, stark als Eheweib,RD&einzig tragen ließ, und stärker noch als Mutter. Mehrten wohl die Kindlein mit ihren hungrigen Mäulchen die Not, sie mehrten auch die Freude. Richt nur Geschrei,auch helles Lachen brachten sie ins Dunkel des Kesselflickerwagens und machten es dort zuweilen hell.

Fügte es sich, daß etwa ein einsamer Wanderer abseits vom Dorf noch einen stillen, fast unheimlichen Waldweg ging, so konnte es geschehen, daß er neben einem Korbwagen Rauch aufsteigen sah und ein Feuerlein knistern hörte, und schaute er durch Busch und Zweige verwundert hin, so blieb er wie vor einem Madonnenbilde in Verzückung stehen. Da saß ja eine Mutter, schön in ihrer bleichen Armut, über ein an ihrer Brust liegendes Kindlein liebevoll geneigt, indes ein Wiederschein des die Nacht durchleuchtenden Feuers ihr Angesicht wie mit einem Glorienlicht umgab. Erzählte dann etwa der Wanderer beim nächsten Gehöft oder Dorf von seinem seltsamen Nachtgesicht, zweifelnd, ob er geträumt, oder mit leiblichen Augen Leibhaftiges gesehen habe, dann klärte 272*man ihn lachend auf: „He die Bochslers sind wieder um den Weg! Die kommen fast alle Jahr. Sind sie nicht hier, so sind sie oben am Rhein, sind sie nicht dort,so wandern sie am See bis gegen 's Schaffhausische hinab.Und hat man sie geraume Zeit nicht angetroffen, so darf man annehmen, daß sie das Gasterland, das untere Toggenburg und Appenzell durchstreifen. Wenn's Zigeuner oder Slowaken wären, so würde man sagen, daß sie das Land unsicher machen. Doch so was gibt's da nicht. Nein, potz Bomben! nicht die Spur! Fadengrad sind die Leut'. Er schaut zwar meist wie ein Chindlifresser drein, doch schafft er solid und sie ist seelengut an ihm und an den Kindern, und es gibt Leute,die sagen, trüge sie feine Gewänder, so könnte man sie für eine Königin halten. Man hört weder Schimpf noch Klage von ihr, und ihre zwei Büblein und ihr kleines Mädelchen zieht sie auf, daß man meinen möchte, die müssen dereinst was Besseres als bloß Kesselflicher werden.Schad nur schade, daß die Leute von Rechts wegen nicht zusammenleben dürften und daß der Bochsler als wär' er der ewige Jude immer wieder seinen Karren rollen lassen muß!“ ...

So freundlich redeten freilich nicht alle, die über die armen Kesselflichersleute Auskunft gaben. Es gab auch böse Zungen, harte Herzen und verschlossene Hände,und zeitweise war die Not so groß, daß Severin und Christine im Ernst die Frage erwogen, ob sie nicht die Waffen im Kampf ums Dasein strecken und als geschlagenes Heer sich der Armenpflege von Pradins übergeben und sich versorgen oder gar nach Amerika spedieren 20400 lassen wollen. Doch immer hielten sie dieser Versuchung stand.

Den Vater Severins, den der Tod vor Jahren erlöst, hatte die Gemeinde auf eine harte Altersbank gesetzt und den Brotkorb hatte sie ihm hoch genug gehängt. Was würde sie erst mit ihnen und ihren Kindern tun? Geld für eine Amerikafahrt beschaffen? „Gott bewahre“ würden sie sagen und verzweifelt die Hände im Sack verbergen: „Das Geld ist eine rare Sache wir könnens nicht mit Scheffeln schöpfen!“

So waren denn die Bochslers auf niemand als auf sich selbst gestellt.

Freilich ist weder Severin noch Christine immer leichten Kaufes und unverwundet aus jedem Kampf hervorgegangen, und Versuchungen, die heute am Widerstand eines gewappneten Innenmenschen zerschellten, die stießen morgen auf eine müde und verzagte Seele.

Einmal schlenderte Severin hungrig und müde unter sengender Julisonne in der Gegend des Rafzerfeldes seines Weges dahin. Er hatte ein paar Weiler abgelaufen, ohne Arbeit zu bekommen und war eben im Begriffe, düster und verstört im Schatten eines Baumes Bergung zu suchen, jenem müden Manne gleich, der unter einem Ginsterstrauch verzweiflungsvoll zur Erde sich geworfen und gerufen hatte: „Es ist genug! So nimm Herr meine Seele!“Da lag aber schon einer, zum Mittagsschläfchen wohlig ausgestreckt. Franz Bommeli von Tübach war's, „der ewige Student“ wie sie ihn im St. Gallischen und im Thurgau nannten. Studiert hatte er einst in jungen .ab Jahren, doch recht verwertet hatte er's eigentlich nie.Stunden hat er von Zeit zu Zeit gegeben, auch mit Zeitungsschreiben und Modellsitzen hie und da ein Stück Geld verdient, dann ist er immer wieder ins Wandern hineingekommen. Wandern war sein Leben. Trug's nichts ein und brachte ihn oft in schwere Not, er schlängelte sich immer wieder durch, und Freunde aus langvergangener Studienzeit, die hatte er im Notfall überall im Vaterland.

An Doktor- und Pfarrhäusern, an Schultüren, an Studier und Schreibstuben klopfte er an in fleißiger Wiederkehr, machte seinen Spruch, und zog, sobald er seinen Taler hatte denn einem gelehrten Bettler durfte man nicht mit Rappen kommen, fröhlich seine Straße. Oft haben sie ihn auf dem Schub ins Heimatdorf gebracht, auch ständige Arbeit zwischen Regalen und Büchern wollten die Freunde ihm verschaffen, doch all das kam ihm ungelegen, denn, wie gesagt, das Wandern und das Leben auf Kosten anderer war sein Leben.

Der Severin kannte ihn von lange her. Doch, wie er ihn nun plötzlich so vor sich sah in seinem faulen Lungern, da empfand er seinen Anblick wie eine Mahnung an ihn selbst und wollte fliehen.

Zu spät! Der Bommeli hatte ihn bereits entdeckt,griff nach einer Pulle in der Seitentasche, und, ein schäbiges Restchen in der Jlasche schüttelnd, schrie er den müden Bruder an: „He da! Nur nicht so vornehm, Kesselflicker! Ihr braucht Euch nicht zu schämen euern Leichnam neben meinem auszustrecken. Weiß der Kuckuck, ob sie uns nicht nach Jahr und Tag mal irgendwo 115 eινεJα zusammenschaufeln und spottend sagen: „Lump neben Lump! 'S war einer was der andere, nur daß der eine Latein und Griechisch konnte und der andere alte Pfannen flickte !“

„Mit Verlaub“, sagte Severin, indem er sich neben den alten Studio setzte, „jwar hab' ich auf meine Person nie viel gehalten, doch möcht' ich mich immerhin mit Euch nicht auf eine Linie bringen lassen!“

„Ohoo Donner und Doria!“ rief der Bommeli,und sein Gesicht, schon stark erhitzt, bekam erst recht den Stich ins Rote. „Jetzt schau mir einer den Heuchler an. Tut, als ob er weiß Gott was wäre und zigeunert doch auch nur durch die Dörfer, ist ein Aerger der Hunde und der Bauern, weiß heute nicht, wo er morgen zinnt und lötet, und ist am liebsten auf der Straße. Sagt mir, Herr Baron“ so fuhr in plötzliche Spottsucht fallend, der Studio weiter, „was gibt Euch denn ein Recht, zu tun, als ob Ihr in meiner Haut nicht stecken möchtet ?“„Gebt mir die Hand drauf, Bruder, daß Ihr nicht böse werdet, wenn ich frei von der Leber rede, und sage, was ich denke!“ antwortete Severin, seinen Zorn bemeisternd.

„Redet!“ brummte der Stromer. „Und leert, so's Euch wohl tut, Euern Kragen!“

„Von Wohltun ist nicht die Rede“, gab Severin zurück. „Aber der Wahrheit die Ehre! Wollt Ihr wissen,was für ein Unterschied ist zwischen mir und Euch?Wohlan: Ihr habt viel gelernt und hättet das Zeug,mit Ehren einen Platz in der Welt zu behaupten. Ihr ôÛkönntet herauf doch Ihr wollt nicht. Ich möchte empor, doch ich kann nicht und muß drunten bleiben.Ihr wandert und stromert, weil es Euch gefällt; ich wandre und stromere, weil ich muß!“

„Muß?“ brüllte jetzt der Bommeli drein. „Der Teufel hol's, kein Mensch muß müssen! Müssen ist ein Wort für faule Bäuche!“

„Faule Bäuche? Nehmt Euer Maul in acht Student!Euch spannt der Schmeerbauch die Weste vom Nichtstun. Mir schlottern Rock und Hosen am Leib herum vom Hungern. Ihr flieht das Schaffen. Mein größter Schmerz ist das Nichtschaffen können. Stehlt Ihr dem Herrgott den Tag, so machts Euch kein Bauchweh, trotz Eures dicken Ranzens, denn Ihr habt nur an Euern Magensack zu denken, und kaut, wenn's sein muß, auch geschenktes Brod. Bei mir ist's anders. Mein Hunger ist auch der Hunger meiner Kinder und einer Frau, die lieber sterben will als Betteln! Hört Ihr's lieber sterben!“

Eine Minute lang starrte der Student verlegen in Severins Gesicht. Dort begegnete er stolzem Ehrgefühl,das er selbst nicht hatte. Doch kaum gedacht, war's mit der Ehrfurcht aus und an ihre Stelle trat der grausame Spott: „Also wohl Ihr glaubt mit der Ehre auszukommen! Hähä, als ob man davon gefressen hätte!Eine Weile hab' ich's auch damit versucht. 'Ss ist lange her, und es ist mir schlecht bekommen. Da dacht ich halt, der Gescheitere gibt nach und besser Bettelbrod als Hungertod! Uebrigens, wer hat Euch befohlen, ein Weib Euch anzuschnallen und Kinder in die Welt zu setzen? Wie der Mensch sich bettet, muß er liegen!“ M Severin sprang auf. Ihm cckelte vor diesem Menschen. Verärgerung und Traurigkeit ließen ihn vergessen, daß er ein Anrecht darauf hätte, seines ehrlichen Willens sich zu trösten und mit Stolz vom faulen Schmarotzer abzurücken. Aber er sah nur eine Riesenkluft zwischen dem eigenen Wollen und Nichtkönnen. Und als er nach langem Wandern am Rhein entlang seines Weges schlich und durchs Gebüsch in grüne Wirbel und Wellen starrte, da war ihm als höre er ein Flüstern wie von bösen Geister-Stimmen: „Gib ab! Gib ab! Unnüzß ist dein ganzes Treiben! Wir wissen was Besseres: Fertig machen! Fertig machen!“

Severin hörte es und stand und starrte. Dann aber auf einmal, als erwache er aus furchtbar schwerem Traume,wandte er sein Gesicht vom Strome ab. Er kannte jemand, der nicht minder schwere Bürde auf sich hatte und sie nicht von sich warf um seinet und der Kinder Willen. Das Bild seiner tapfern Genossin trat ihm vor die Seele. Da schwenkte er ab vom Rhein, lief landeinwärts mit festem Schritt und sagte keinem Menschen,was er gelitten.

Und der große Lohn? Auch Christine verstand sich aufs Stillesein und Opferbringen, aufs Schmerzentragen ohne Klagen.

Einmal, es war noch in den Tagen gewesen, da sie ihr Heim noch nicht auf rollenden Rädern hatte, da hat sich ihr Gelegenheit geboten, die Haushälterin eines hablichen Mannes zu werden, in dessen Haus sie zu ebener Erde mit den Ihrigen in einer sonnenlosen hinteren Stube wohnte. Der Alte verhieß dem Severin goldene *Berge, wenn er mit Geld, das er ihm auf die Hand zu legen Willens war, sich vorerst alleine drüben überm Meer ein würdigeres Dasein schaffe. Christinen aber lud der Schlaue ein, bei ihm zu wohnen und Haus zu halten,bis von drüben der Ruf zur großen Reise käme.

Sie hörte den lockenden Ruf. Er rührte sie wie ein aus Vergessenheit erlöstes Heimatlied. Sie hätte so gern, so gerne für ihre Kleinen und für sich einen festen Grund gefunden. Und wär's auch nur für kurze Zeit gewesen. Doch was sollte ihr ein Glück, das bezahlt war mit der Trennung von dem, mit dem sie durch so viel Freud und Leid gegangen war? Nein und hundertmal nein! Das war ihre Antwort. Was in der Bibel stand, das war auch ihr in Herz und Sinn geschrieben: „Die Liebe suchet nicht das Ihre!“

Was immer denn auch die harten Wanderjahre brachten, die beiden haben zwei treuen Kameraden gleich,ihr Joch getragen, jedes auf seine Art und mit seinen Gaben. Und ging's zuweilen fast über Menschenkraft,und mengte ins Schicksal sich des Menschen Schwäche,es ging über Höhen und durch Tiefen, und selbst am dunkelsten Wege leuchteten dann und wann noch Friedenslichter. Die schönsten waren von der Mutterliebe angezündet. fffff f DDVV

X.Stirbt der Gaul, so muß der Fuhrmann an die Deichsel. Bergabwãrts rasseln die Ranonen und aufwãrts rattert ein schwerer Rarren. Ein alter Freund ist Goldes wert. Auch ein Wirts-haus bann zum Haus des Segens werden.Fast ein Jahrzehnt war also nun dahingegangen seit jenem Tag, da sie selbander, den Pradinsern zum Trutz und sich selber zum Schutz, die Ehe eingegangen waren, die weder staatlich verbrieft und versiegelt, noch kirchlich eingesegnet war. Und just in diesen Spätherbsttagen, da im Schweizerhaus ein Summen und Tosen war, als schicke ein Imb sich an zu stoßen, da war Severins Schicksalslinie auf ihrem unablässigen Kurvengang wieder einmal von einem steilen Berg herabgestiegen und auf einem untersten Tiefpunkt angelangt.

In der Linthebene zwischen Benken und Kaltbrunn,ist ihm sein altes Rößlein umgestanden. Das war ein erstes, tiefes Weh für ihn und all die Seinen, denn das treue Tier war unter Sonnenschein und Sturm,unter Last und Leid Familienglied geworden.

Dann kam eins nach dem andern. Ein Kind erkrankte, und das hielt den Vater samt den Seinen zurück in einer Gegend, da spottwenig zu verdienen war. Ohne die Fürsprache eines treuen alten Priesters, der die Behörde veranlaßte, den Leuten einen unbenutzten Schuppen als Wohnung einzuräumen und ohne die Barmherzigkeit einiger Menschen wäre die Jamilie dem Untergang geweiht gewesen. *

EBXR Als sie wieder marschfähig war, bediente sie sich anstelle des für blankes Geld veräußerten Wagens, der durch den Tod des alten Schimmels außer Kurs gekommen war, eines großen Karrens, an dessen Deichsel der Vater zog, dieweil die Mutter und die zwei Knaben an der Rückwand mit Aufbietung aller Kräfte stießen.

Inzwischen war von sieben Kantonen des Landes ein Sonderbund geschlossen worden und die Mehrheit der Stände hatte beschlossen, ihn mit Waffengewalt zu lösen. Da war denn ein gewaltiges Marschieren, Fahren und Reiten vom Toggenburg her nach der Linthebene und dem obern Zürichsee. Eidgenössische Truppen hatten es eilig, gegen die Urschweiz vorzustoßen.

Man wußte nicht, was da werden wollte. Gewitterschwüle lag auf dem Land und schwere Beklommenheit legte sich auf tausend und tausend Herzen. Wer konnte vom bergansteigenden Weg, den Severin mit den Seinen ging, noch wonnetrunken wie sonst auf Seen und Fluß und Berge herniederschauen? Banges Schweigen lag auf dem Zürcher Obersee, und der Etzel, der sonst so freundlich grüßte, starrte wie eine Wand, die sich vor furchtbare Geheimnisse stellen will und droht. Unten am Schänniserberg, wo vor kaum fünfzig Jahren der Franzose den Oesterreicher schlug und gröblich mit Flinten und Kanonen rumorte, stiegen Jeuer auf und der Glärnisch samt all'seinen erhabenen Genossen verhüllte sein Haupt, als käm ihn ein Trauern an um's entzweite Vaterland.

Wie vor zündendem Wetter die Vögel tiefer fliegen,und dann verängstet ihren Unterschlupf suchen, so sah man auch auf der Rickenstraße Menschen hin und herüber RX 44 gehen, die noch das Obdach suchen wollten, das ihnen Rückhalt und Ruhe zu sichern schien.

Für Severin und Christine war die Frage nach dem Wohin unsagbar schwer. Ins Rheintal an den Bürgerort? Gott behüte dieser Weg stand immer noch offen, wenn alle Brücken hinter ihnen abgebrochen waren. Tiefer in die Schweiz hinein? Das ging auch nicht, da war man bereit zum Krieg. In eine Stadt, am Ende gar nach Zürich? Da verlangte man jetzt am wenigsten nach fahrendem Volk, dessen Heimatdokumente eher anklagen als beschützen.

„Wohin denn um Gotteswillen?“ seufzte Christine.„Doch nicht in's Toggenburg? Ich bin zu stolz, da als Bettlerin zu erscheinen, wo man mich wie eine Schelmin ausgetrieben hat! Ins Toggenburg? Nie und nimmer!“

„Auch mich zieht's nicht dorthin“, ergänzte Severin ziemlich barsch. „Du wirst doch nicht glauben, daß ich etwa die Spuren des dicken Egli suche oder des Uli Steiner und gewisser anderer Leute, die mit Schuhnägeln auf meiner Ehr herumgetreten sind? Doch, behalten wir ruhig Blut! Wollen wir weg vom Kriegsgetümmel, so tun wir jetzt besser, auf der Rickenstraße fortzuwandern.Sind wir erst drüben, so haben wir immer noch die Wahl. landauf oder landab zu gehen.“

„Aber nicht nach Wildhaus!“ warf Christine mit heißer Entschlossenheit ein.

„Um alle Wetter, glaub' mir doch, Kind, daß ich in keine Tigerhöhle mit dir will. Uebrigens: Wildhaus,wo es uns so traurig ging, ist auf der Karte nur ein Punkt, das übrige Toggenburg aber ist ein langgestreckter IXRx Sack, darinnen sich eine Jalte für uns finden wird, wo wir im Notfall ein Krümchen zum Essen und ein Zipfelchen zum Wohnen finden werden. Also denn wir sind schon auf dem Weg ins mittlere Toggenburg und vorwärts nun in Gottes Namen!“

So war also das Toggenburg trotz allem das Ziel der Wanderer. die sehr mühsam den schweren, mit Werkzeug und Habseligkeiten überladenen Karren bergan zogen und stießen. Als sie unweit des Klosters Sion an einer Straßenkehre rasteten, störte sie ein seltsames Geräusch aus ihrer Ruhe auf. Es lag in der Luft wie fernes,aber näher und näher kommendes Donnern. Das Mädelchen auf dem Wagen duckte sich, wie ein Hühnchen,wenn der Habicht in Lüften kreist, die Buben aber, der achtjährige Seppli und der um wohl ein Jahr jüngere Toni spitzten die Ohren, kletterten auf eine Straßenböschung, schauten unverwandt bergan und hüpften plötzlich wie auf ein Kommando in größter Ueberraschung empor, indem sie riefen: „Soldaten! Vater! Viel,viel Soldaten und Rosse und Wagenl!“... „Es blitzt mitten unter den Männern“ fuhr der Kleinere aufgeregt fort. Dann der Seppli mit der überlegenen Ruhe des Aeltern: „He natürlich, du Lappi das sind doch die Kanonen goldgelbe und glänzende Kanonen hörst du, wie die großen Räder rasseln?“

Der Vater verwies „dem Großen“ das despektierliche Wort, das er dem Bruder an den Kopf geworfen,musterte beide von der Böschung herab und befahl ihnen,sich zwischen ihn und die Mutter zu setzen, bis das ganze Gerassel vorüber sei.123 Und nun kamen sie bald in Sicht, und kaum gedacht,sprengten die ersten Reiter herbei. Dann folgte ein endlos langer Troß von Rossen, Geschützen mit schweren Laffeten, Munitions und Fouragewagen. Die Fahrer,die auf den Rossen saßen und schwere Säbel an der Seite trugen, hatten kaum einen Blick für die am Wege Sitzenden, denn sie hatten auf ihre Pferde acht zu geben.Die langen Kanoniere aber, erst recht groß erscheinend unter ihren hohen Tschakkos, stattlich im Schmuck der frackartigen Waffenröcke mit roten Kragen und Epauletten und weithin glänzenden Knöpfen, saßen in eifrigem Geplauder hinter den blendend gelben Geschützrohren und hatten Augen für alles am Wege.

„Hoppla! paßt auf da mit eurer Kanone!“ schrien sie den Severin an, auf seinen hochbeladenen Karren deutend.

„Der könnte eigentlich“, so witzelte ein anderer, auf Severin deutend, „auch mit uns gehen, unsere Eier dort hinter dem Etzel abzusetzen, statt hier neben seinem Schatz am Weg zu liegen!“ Eine Blutwelle schoß in Severins Haupt und in ohnmächtigem Zorn saß er da. Von Mannschaft und Rossen wollte er nichts mehr sehen.

Unter dem Lachen der Soldaten fuhr ein neuer Zug vorüber, und ein dicker Kanonier, seinen Kübel über dem glühenden Kopfe lüftend und Christine grüßend, rief herunter: „Meitli wir brauchen eine Marketenderin,und wenn's dir zu langweilig ist bei deinem Schnusli, so steig da auf, 's ist Platz genug!“

Severin würgte seinen Zorn hinunter, als in einer Staubwolke die letzten Wagen verschwanden, und Christine stand auf, eine aufsteigende Rührung niederkämpfend.124 222 Dann bogen sie mit dem Karren von der Straße ab in einen Seitenweg, denn auf eines Flintenschusses Weite sah man höher oben Fußsoldaten kommen. Weiße, über der Uniform sich kreuzende Bandaliere leuchteten von ferne; bärtige Sappeurs mit hellen Lederschürzen und glänzenden Aexten schritten voran; hinter ihnen sah man schon den Federbusch des Tambourmajors, Trommeln und Gewehrläufe blitzten, und wäre nicht der Marschschritt der wie eine schwere Schlange vom Berge sich windenden Kolonne dazu gekommen, so hätte man meinen können, der Himmel habe Feuerkugeln geregnet, die nun feierlich langsam talwärts rollen.

Eine Stunde später hatten die Kesselflichkersleute beim „Bildhaus“, einer kleinen Häusergruppe, unweit vom Rickener-Dorf, und hart am düstern „Gauener-Wald“, die Paßhöhe erreicht und sannen, keuchend nach vollbrachter,schwerer Bergfahrt, ob sie hier oben nächtigen oder noch bis ins Thurtal wandern wollten. Ein frostiger Novemberwind strich über die Höhe und unwillkürlich X Gaden, das etwa als Herberge dienen könnte, sofern nicht irgend eines Menschen Härte mit dem Messer eines scharfen Nein den Faden ihres Hoffens jäh durchschnitte.

Wie sie so standen und sannen, ward an der Wirtschaft zur Rechten der Straße ein Schiebfenster derb zurückgestoßen, ein mächtiger Kopf, zu dessen üppigem grauem Haarwuchs ein, Kinn und Hals verdeckender langer und ins Rötliche spielender Bart gleichsam das Gegengewicht bildete, schob sich zwischen dem Fensterrahmen durch, und mit sonorem, wohltönendem Baß rief 125 der von oben auf die Straße Schauende: „Ei du heiliger Florian jetzt möcht' ich mich doch fast verschwören,daß Ihr der Severin Bochsler seid und die dort am Wagen die Christine Zäch, ehemaligen Angedenkens! Hab'ich recht oder nicht?“

„Ja wohl!“ rief Severin. „Und Ihr seid der Gewürzkrümer Meyer. Euer Bart leuchtet nicht mehr so,daß man Euch den roten Meyer nennen könnte, aber ich weiß, Ihr seid's! Jesses-Marie! Wie lang hab'ich Euch nicht mehr gesehen. Wie geht's Euch denn?“

„Wie's mir geht? Nun das läßt sich nicht einfach so durch's Fenster sagen. Kommt doch herein und denki daran, daß ihr nicht nur Füße zum Laufen und Hãnde zum Ziehen, sondern auch einen Magen zum Essen habt.Hättet ihr ein Roß, ihr müßtet es, weiß Gott, auch fütiern! Gelt', ihr Buben, ihr habt nichts dagegen, wenn ich euch eine Wurst auf den Teller lege?“ ..

„Macht keine Geschichten!“ riefen wie mit einer Stimme Severin und Christine. „Wir müssen weiter!“

„Was? weiter? Bis Wattwil sind's für euch müde Karrengäule noch fast zwei Stunden. Und dori wohin? Alle Gasthäuser, Säle und Remisen sind von Soldaten voll, und auf der Straße zu liegen, möcht'ich euch bei der Jahreszeit nicht raten. Macht keine Stempeneien und tretet ein oder ich komm' heraus. Dann könnt ihr sehen, wie's euch geht.

In Kurzem stand der alte Graubart draußen auj der Straße, patschte den Buben in überquellender Herzensgüte die Händchen, nahm mit großväterlicher Zärtlichkeit das kleine Vreneli auf den Arm und wandte sich dann lachend an das Elternpaar, indem er sagte: „So jetzt kommt herein oder ich laß' euch laufen ohne das Pfand, das ich da auf dem Arme habe. Der Kengelbacher, der hier wirtet, ist mein alter Freund, der muß euch Nahrung und Obdach geben und ans Zahlen braucht ihr nicht zu denken. 'S wird alles an der Wirtstür zu meinen alten Schulden aufgekreidet hahaha! und den Karren dürft ihr an den Schatten stellen. Er wird auch nichts dagegen haben!“

Noch spät am Abend, als die drei Kinder in hochgewölbtem Bette dicht nebeneinander liegend, wie drei Aepfel im Korb, schon lang den Schlaf des Gerechten schliefen, saß der rote Meyer, dessen alter Gewürzkasten,als ein Stück gute, alte Zeit in friedlicher Ruhe neben einem geblümelten, noch ältern Wandschrank stand, im Lampenschein mit Severin und Christine am Stubentisch.Wie längst erwachsene Kinder in der Nähe eines lang nicht mehr gesehenen Vaters auftauen, redselig werden und aus dem Schacht des Herzens heraufholen, was scheinbar dort vergraben und vergessen war, so erzählten die Beiden und redeten sich ihren Gram auf Stunden vom Herzen weg. Der alte Meyer nickte, brummte, lachte,schüttelte sein Haupt, je nachdem der Inhalt der Erzählung, die er hörte, ihn erregte oder freute. Zuweilen kämpfte er mit gewaltigem Räuspern gegen eine aufsteigende Rührung an, der er den Meister zeigen wollte.

„Seltsam“, fügte er nach einer Pause hinzu. In einem Jahrzehnt haben Liebe und Leid den Reif gehämmert, der euch auf Tod und Leben zusammenspannt und euere Ehe sollte nicht würdig sein, vom Staat hinten drein zu Recht erkannt zu werden? Löst man manchen Ehebund, weil er ein Aergernis ist für Gott und Menschen und weil die Ehegatten nicht zusammenbleiben wollen, so schreien Hunderte Zeter und Mordio. Was ewig nicht zusammenpaßt, das muß zusammenbleiben und ob die Welt darob zu Grunde ginge, aber was für einander geschaffen ist, das läßt man nicht mit Jug und Recht zusammenkommen. O du verdrehte Welt!“

„Was nun?“ so fuhr der Alte fort, in der Absicht,durch ernstes Reden und Raten den Weg zu einer Lösung aufzufinden.

„Ja was nun?“ ergänzte Christine mit einem Zittern in der Stimme, das Zeugnis ihres tiefbewegten Herzens war.Der Gewürzkrämer wartete auf Antwort, und als diese nicht gleich kam, sagte er: „Nun, vorläufig seid ihr auf dem Weg ins mittlere Toggenburg, wie ich sehe, und ihr tut recht daran, daß iühr bei diesen Kriegsläuften dem drohenden Waffentanz ein bißchen aus dem Wege geht.Sollte euch etwa der Gedanke gekommen sein, das obere Thurtal, zumal Wildhaus, wo ihr doch wohl bei braven Leuten in Ehren steht, zu meiden, so will ich euch nur sagen, daß die alten Steiners gestorben sind und daß der Junge als verheirateter Mann auf dem Hofe sitzt.Und der dicke Egli wird euch nichts mehr zuleide tun. In einem grausigen Raufhandel hat er vor Jahresfrist einen jungen Mann erschlagen. Nun sitzt er hinter Schloß und Riegel in St. Gallen, und kommt er nach geraumer Zeit heraus, so wird es ihn kaum gelüsten, sein Zelt gerade dort oben aufzuschlagen.“128 „Bedenkt vor allem: der Winter steht hart vor der Tür,und da tut ihr gut, nicht in wildfremder Gegend, wo keine sterbliche Seele euch kennt, euch einzukapseln. Wer weiß, ob die Wolltuchfabrik im Alt St. Johann nicht Arbeit für eines von euch beiden hat, und irgend ein Stübchen oder ein wohnbares Tätschhäuschen wird am End' für euch zu finden sein, eher vielleicht, als weiter unten im Tal, wo sie bis hoch an die Berge hinauf in allen Kellern weben und in hundert und hundert Stuben spulen.“Das war Zukunftsmusik, auf die man hören durfte.Christinens Wangen glühten. Immer war sie gerne bereit. das Bessere zu glauben und tatkräftig die Hände nach dem Möglichen auszustrecken. Severin handelte langsam, glaubte schwer, und die Enttäuschungen vergangener Zeit besaßen größere Macht über sein Gemüt, als winzige Sternlein, die am Zukunftshimmel kaum sichtbar flimmerten. So saß er auch jetzt zusammengekauert und kummervoll.

Da überkam den alten Meyer plötzlich der Schalk.Ein Lachen lag in seinen schlauen Aeuglein; dann hob er die flache Hand, schlug derb damit auf den Tisch, daß die Gläser tanzten und schrie, als wär er Korporal im Kasernenhof: „Heiliges Kanonenrohr! Blitz, Bomben und Granaten! Was ist das für eine Haltung, Rekrut Severin! Kopf hoch und Brust heraus mit Kopfbängern, Schwarzbrillenmenschen und Klageweibern kann man keine Mauern brechen und Schanzen stürmen. Jetzt heißt's in die Hände speien und einen neuen Hosenliupf mit dem Schicksal wagen. Einmal muß es doch genug sein mit Eurer Not. Und dem Mutigen hilft Gott!“„Bis jetzt ist's immer gegangen, das einemal herb,ein andermal ein bißchen ringer, es wird auch diesen Winter noch auszuhalten sein wer weiß, was dann der Frühling wieder bringt!“ sagte Christine.

Severin erhob sich, als wollte er sich anschicken, sein Nachtquartier zu suchen. Da nahm ihn der Alte bei der Hand und zwang ihn nochmals auf den Stuhl zurück.

„Noch eines, Leutchen!“ sprach er mit weicher Stimme und blickte wie in Wehmut auf einmal die Beiden an:„Ihr habt Kinder gesunde, wohlerzogene, liebe Kinder,wie ich gesehen. Dem Allgütigen sei Dank dafür gesagt!Die Kleinen können, so Gott will, mal eure großen Tröster sein und gute Eidgenossen können sie auch werden, wenn da drüben hinter den Bergen, wo's eben donnert, die Sache ins Reine gebracht und das Vaterland nicht untergegangen ist.“

„Aber da möcht' ich um Eines bitten und auf den Knien würd' ich's euch nah legen, wenn meine alten Beine ein bischen biegsamer wären: Tut alles,was ihr könnt, daß eure Eh' rechtsgültig wird! Tut's,ich bitt' euch, vor allem um der Kinder willen! Seht,ich bin auch so ein armer Bankert, und was ich, namentlich in jungen Jahren, ausgestanden habe, in dutzend Fällen, daß ich nicht das Kind rechtmäßig getrauter „Eheleute“ war, daß ich wohl eine Mutter hatte o ein seelengutes Mütterlein aber daß ich nicht nach dem Namen des Vaters mich nennen durfte und das Brandmal des unehelichen Kindes auf der Stirne trug, das hat mir das Herz fast abgedrückt. Lang ist's verwerchet und verwunden, doch etwa einmal bricht doch die Narbe wieder auf und blutet's auch inwendig nur,daß kein Mensch es sieht, weh tut das doch. Erspart das euren Kindern. Probiert's noch einmal in Pradins oder dann bei der Regierung in St. Gallen. Auch der härteste Richter läßt sich zuletzt erweichen, sofern man unaufhörlich bittet. Ihr kennt doch die Geschichte in der Bibel?“Langes Schweigen trat ein. Nur die Stubenuhr in ihrem uralten Gehäuse plauderte leis und ernst wie eine alte Mutter, die bestätigen will, was eben von eines alten Vaters Lippen kam. Dann standen die drei Wirtshausgäste auf. Christine drückte wie zu großem Versprechen des Alten Hand und Severin verließ die Stube mit einem Gut-Nacht, das so warm und herzlich klang,als wär's von einem Glücklichen gesprochen, der unterm Dach eines alten Heimathauses einen segnenden, alle Tagessorge zudeckenden Schlummer sucht.

131 5*AMissssssufssussscssussrssrisssslsessstslseisssuuftsssusi

XI.

Nochmals im St. Johannertal. Alle Brücken brechen. Beim alten Meister. Ein Ehepaar wird zusammengeschellt und für ein anderes findet man keine Glochken. Die Sonnwende aber dem Iltishag. Ein Gemeinderat und ein Pfarrer werden gute Engel.

Die Wünsche und Segnungen des alten Meyer waren aus liebreichem Sinn gekommen, doch hat sich zwischen sie und ihre Erfüllung noch ein Felsen- und Dornenweg gelegt.Es trifft sich im Leben oft, daß Menschen, die durch Nacht zum Lichte streben, hart vor Taganbruch, wie zur Erprobung ihrer höchsten Kraft, noch die schwerste Strecke Weges haben. Wer dann ausharrt und auch den letzten Kampf besteht, der kann einen Tag erleben, wo er aufatmet, wie einer, der eine Last auf einen Berg getragen hat,manchmal dem Umsinken nahe war und zuletzt doch den Gipfel erklomm, von wo er einen Jauchzer hinabsandte ins Tal der Leiden und hinauf zu Gott. der wunderbar geholfen hat.

Flickarbeit suchend und ausführend, rückte Severin mit seiner Familie über Kappel und Ebnat und bis Krummenau und Neßlau herauf. Immer gab es noch Nachtherberge für Geld und gute Worte, und mußte auch der Heuschober an Stelle des Bettes treten, um so besser,man konnte die Batzen sparen.

Die Hoffnung aber, daß die Wolltuchfabrik etwa Arbeit zu vergeben habe, zerschlug sich, und so setzten die armen Pilger im Spiel ums Glück auf eine letzte Karte.132 Entweder: man wollte irgend einen Wohnraum suchen und zu jeglicher Arbeit sich bequemen, oder aber: Christine wollte die Kinder verkostgelden und sich selbst den Winter durch als Magd verdingen, dieweil der Mann arbeitend seines Weges gehen sollte.

Bläne, Pläne! Und Träume, die als Schäume sich erwiesen. Wohl fanden sie da und dort gute Menschen,die dem Vater löcherige Kessel und Pfannen brachten, und andere, die mit Bettzeug, alten Kleidern und Speisen der sichtlichen Not, unangebettelt, rein dem Drang des Erbarmens folgend, zu wehren strebten. Aber, als hätte ein vom Rheintal kommender Wind geisterumnebelnden Giftstoff heraufgewirbelt, so kam auf einmal Mißtrauen und Argwohn in viele Köpfe. Man grub Erinnerungen aus und streute Gerüchte, die gierige Hörer fanden. Die aus Wahrheit und Lüge gewobene Kunde vom ungebührlichen Zusammenleben zweier Menschen ging durchs enge St. Johannertal, kletterte zu allen Hütten hinauf, kroch durch Haustüren und Fensterlein hinein und wuchs sich an den warmen Oefen und in tabakduftenden Wirtsstuben zu phantastischer Gestaltung aus.

So fand sich, trotz eines Häufleins braver Leute,für die Familie keine Wohnung, für Christine kein Dienstplatz, für die Kinder kein Kostort, und für den Vater kein Auskommen, das die Wasser der Not hätte dämmen können.Nun denn, so faßte er eines kühlen Morgens, da schon ein leichtes Flockentreiben einen auffallend spüt einkehrenden Winter kündete, einen Entschluß. Halb ruhig erwägend und unter dieser Erwägung doch dumpfe Ver E zweiflung verbergend, trat er zu Christine und sagte mit grausamem Humor: „Ich weiß einen Ort, wo wir gleich Bären unsern Winterschlaf vollbringen und, wenn's an Brod gebricht, vom eigenen Fette zehren können. Ob dem Dorfe Stein, nah' bei der Klus, ist eine steile Weid',die eine Hütte auf ihrem Buckel trägt. 'S heißt dort zum Iltishag. Die Bretterwand ist schon jetzt vom Schnee ummauert; sie wird nicht brechen. Das Dach trägt uns der Wind nicht überm Kopfe weg, denn gewaltige Steine liegen drauf. Betten hat es keine drin,doch was nicht ist, kann werden. Kleider und Hudeln,Lumpen und Bettzeug haben wir, und Heu und Stroh wird aufzutreiben sein. Einen Rauchfang hat die Hütte meines Wissens nicht, doch wird man dem Feuer schon ein Plätzchen weisen können. Einen Vorrat Nahrung tragen wir mit hinauf. Für das Weitere werden der Herrgott und meine Arbeitshände sorgen. Und die Hauptsache Christine das Gasthaus ist leer. Kein Mensch begehrt darnach, höchstens Füchse, Iltisse und anderes Getier schleicht drum herum. Und das Wohnen dort ist billig. Billiger können wir's in der ganzen Welt nicht haben! Christine red' was meinst?“

Hat Severin gemeint, mit seinem absonderlichen Plan auf Widerstand zu stoßen, so hat er sich geirrt. Christine war des Treibens müde. Von keinem Tag auf den andern wissen, ob man noch ein Plätzlein finde, wo man sein Haupt hinlegen könne, zuletzt noch gar gezwungen sein,vom Bettel zu leben, was man doch sein Lebtag nicht getan, das drückte schwer auf ihr Gemüt.Wären die Kinder nicht gewesen, wer weiß, ob ihr 134 Aaν eovoaeαα ein Hinüberschlummern in kalter Nacht nicht lieber gewesen wäre, als so ein trostloses Leben. So aber glich sie dem Ertrinkenden, der nach dem Strohhalm greift.In die schwärzeste Nacht wollte sie jetzt hinein, wenn nur ein zartes Frührotschimmerchen die leiseste Hoffnung gab auf einen kommenden bessern Tag. Und auch heute noch hielt sie daran: lieber sterben als Menschen zur Last sein oder den geraden Weg verlassen.

So zogen sie denn über Stock und Stein bergan.Den Vortrab bildeten, zwei übermütigen Zicklein zu vergleichen, die beiden Buben, die in ihrem Kindessinn von blauen Wundern träumten, wenn man vom Häuschen auf dem Berge sprach. Ihr tolles Springen und lustiges Plaudern ließ selbst die kummerbeladenen Eltern auf ein Weilchen des Daseins furchtbaren Ernst vergessen. Es fehlte nicht viel, so hätten sie, fern vom Tal, auf dem drückend die Nebel lagen, und hoch über den Menschen,die ja alle auch ihre Sorge hatten, ein Lied gesungen.Zum Mindesten zog es wie Dank durch ihre Seele, daß sie in diesen trübsten Lebensstunden Kinder hatten, liebe Kindlein, die nicht sorgen, weil sie, wo sie gehn und stehen, sich gleichsam im Blumengärtlein vor einem sonnverklärten Vaterhause sehen und fühlen. O daß wir,dem Rufe des treuesten Menschenfreundes folgend, werden könnten wie die Kinder!

Am Iltishage angelangt, drückten sie die knarrende,schwere Türe auf, ließen Ströme frischer Luft herein,breiteten auf dem Holzboden das Stroh aus, das vorhanden war, und schütteten, so viel sie im Vorrat hatten,neues drein. Dann ging's, dieweil helle Kinderstimmen 135 den Fremdgeist aus dem leeren, kalten Raum vertrieben und es langsam heimeliger machten, an ein Auspacken und Aufstellen der Dinge, die der Vater, den noch im Tal geborgenen Habseligkeiten vorerst voran getragen hatte. Neben dem eigentlichen Hüttenraum fand Severin ein kleineres, ummauertes und mit einem halb zerfallenen Herd versehenes Gelaß. Steinplatten bildeten den Boden,und eine Lucke im Dach, mit Ziegeln eingefaßt, sollte dem Abzug des Rauches dienen, sofern ihn der Bergwind nicht wie mit derben Händen zurück in die Hütte preßte.Bald knisterte ein Feuer, genährt von allerlei dürrem,dem Wald entnommenen Holz und die Familie scharte sich darum. Rings im Umkreis schliefen Wald und Flur und Felsen. So feierlich still tat die Bergwelt ihren Schlaf, daß man keinen ihrer Atemzüge hörte. Nur etwa das Bellen eines Fuchses oder der Schrei einer Eule bekundeten, daß es da oben lebendige Wesen gab, die sich wunderten, daß Menschen auf den Einfall kommen konnten, ihr Los mit den Vögeln und Vierfüßlern in verschneiter Bergeinsamkeit zu teilen.

Von nun an gab es auch Arbeit Tag für Tag.Mutter und Kinder streiften, wo irgend der Winter den Waldboden noch nicht in sein weißes Tuch geschlagen hatte,umher, um Holz und Laub zu sammeln und der Vater stieg täglich ins Tal, um mit Taglöhnerarbeit jeglicher Art sich etwas zu verdienen. Bis hinauf nach Wildhaus trieb ihn sein Suchen und niemand kannte ihn im Dorfe noch, denn ein dunkler Bart umrahmte jetzt das Gesicht des Mannes, der zehn Jahre früher hier oben in der Schmiede als schmucker Junge neben Egli, dem finstern Gesellen und dem Meister den Hammer geschwungen hatte.Die Meisterin aber erkannte ihn, so wie er gegen das Haus geschritten kam.

„Jesses der Severin! Das hätt' ich mir aber nicht träumen lassen, daß ich Euch noch einmal sehe.'S ist aber brav von Euch, daß Ihr wieder kommt! Und daß Ihr's gleich wißt, wir haben Euch nicht vergessen und Unrecht haben wir Euch auch getan und der Egli, der schlechte Kerl...“

„Still, still, Frau Meisterin! Laßt das nur hab'alles längst erfahren! Nachtragen will ich ihm nichts,denn er hat sein Teil. Aber wie geht's dem Meister?“

„Er altet halt; hat immer noch streng zu tun. Und selten kommen Gesellen hergereist. Suchet Ihr Arbeit?Ich glaub', Ihr kämet ihm höchstens willkommen. Seid Ihr jetzt hier?“

„Auf unbestimmte Zeit.“

„Wohnt Ihr im Dorf?“

„Nein unten im St. Johann etwas abseits vom Tal. Da wohn“ ich der Herrgott weiß für wie kurz oder lang mit Weib und Kind!“

„Heilige Dreifaltigkeit! Hör' ich recht? Mit Weib und Kind? Also nicht mehr ledig wie dazumal und am End' der Ehemann der Christine, die bei Steiners ....?“„Auf's Haar erraten, Meisterin! Doch, lassen wir die Familiengeschichten! Der Schmied ist nicht zu Hause? Wohl, dann komm' ich in wenig Tagen wieder,um nach Aushilfsarbeit umzuschauen.“

„Kann er Euch Bericht schicken? Ich mein' an den Ort, wo Ihr jetzt wohnt?“

„Nicht gut! Wär' ich ein Fuchs, so würde ich sagen: „Mein Bau ist ziemlich hinter den Tannen!“ Auch weiß ich oft am heiligen Heute nicht, wo mich das Morgen findet. So komm' ich halt vorbei und frage wieder!“

Und Severin kam und fragte und ward eingeladen,zur Schmiedearbeit anzutreten, so oft und so lang es ihm beliebte. Schweigsam tat er seine Pflicht, und weil die Meistersleute ahnten, daß er Dinge in sich verberge,WW mit Fragen. Ungelehrten Leuten geben Takt und Zartgefühl oft ein, was tausend Bücher die Gescheitesten niemals lehren!

Severin spannte alle seine Kräfte an und leistete als Hufschmied in Kurzem Besseres, als Dutzende von „Gelernten“, die hier gekommen und gegangen waren.So hatte er leidlich Lohn und Brot.

Eines Abends trieb ein Schneegestöber den müden Mann, der den Tag über in der Schmiede gehämmert und nun noch weit zu waten und unter Aufbringung aller Kräfte unwegsame Wege zu gehen hatte, in eine kleine Schenke, sich zur Weiterfahrt zu stärken.

Dort hörte er, an einem Ofentische sitzend, eine Geschichte, erzählt von jungen Bauern, die, in eine Tabakswolke gehüllt, kaum sichtbar waren. Und die Geschichte griff dem unfreiwilligen Hörer am Ofen tief ins Herz.

Von Uli Steiner, seinem einstmaligen Widersacher,dem jetzigen Besitzer des Hofes, auf dem Christine vor einem Jahrzehnt gedient. war eben die Rede.138 4a nreUli lebte im Stand der Ehe. Haus und Boden.Vieh und Wiesen, Pfandbriefe und Fahrhabe und hundert Dinge, die das Leben schön gestalten, hatte er, und eine habliche Frau dazu, aber das Eheglück hatte er nicht.Der Unfriede wohnte im Haus und viele, denen des Steinerhofes alter, zünftiger Geist in guter Erinnerung war, die hatten Trauer. Nach viel Streit und Leid mischten sich die Behörden und der Pfarrer drein und suchten das Band wieder fest zu knüpfen, das versucherische Mächte im Lauf der Zeit gelockert hatten.

„Der Uli hat eine andere von früher her im Kopf gehabt“, munkelten die Leute. „Und die muß er halt vergessen!“„Und sie, die junge Steinerin“ bruschelten andere drein, „ist ihm seines Geldes wegen nachgelaufen. Sie hat ihn erobert, aber sein Herz hat sie nicht mitbekommen!“

So war der Weg zum Streit nicht weit doch,es kam des Streites Schlichtung. Und weil denn statt der Scheidung die Versöhnung der Form nach wenigstens zu Stand gekommen war, so wollte sich's die Jungmannschaft des Tals nicht nehmen lassen, einen Brauch aus uralter Zeit, den des „Zusammenschellens“aus der Rumpelkammer halb ausgestorbener Sitten und Unsitten wieder hervorzuholen.

Ein Bursche, der mit dabeigewesen, und der jetzt das große Wort in der Wirtschaft führte, hat's folgendermaßen zu Ohren seiner Kumpane und des vom Ofen halb verdeckten Severin erzählt:

„Am Mittwoch Abend ums Zunachten sind wir,unser gewiß gegen 50 Mann ganz leise zum Steinerhof X&&geschlichen. An vielen Orten in der Runde hatten wir Wachen aufgestellt, für den Fall, daß das zusammengewiesene Päärlein versuchte, uns zu entwischen. Hätte das eine oder andere den Finkenstrich genommen, wir hätten es aufgesucht im Wald und in den Häusern, in Kammern oder Kellern, und wär' die halbe oder ganze Nacht darob vergangen. Sie waren aber hübsch zu Haus und es konnte unser Konzert beginnen. Jeder hängte sich so viel Kuhschellen um, als er mitgenommen hatte. Auch Pfannendeckel und anderes Zeug zum Rasseln, Schellen und Kesseln hatte man mitgeführt. Und jetzt ging's auf ein Zeichen los. Die Schellenträger hüpften wie Indianer auf und nieder. Ein Lärm wurde gemacht ich sag'euch, ein Höllenlärm, ein Mordsspektakel, wie ich ihn noch nie gehört und war doch schon wohl ein halbes Dutzend Mal dabei. Es summt und brummt mir noch heute in den Ohren. Mir war, als brüllten und tönten Wald und Berge mit bis hinauf zum Vater Säntis.

Endlich kommen der Uli und seine neu ihm Angetraute hihi ans Fenster, mit Gesichtern, als wär' ühnen der Aschermittwoch mit hundert Katzenjammern in den Leib gefahren, und weil sie sich also stellen, so gibt der Führer, eingehüllt in ein weißes Lacken, das eine Menge Rollen umwinden, das Zeichen zu Ruh'und Stille. Im Halbkreis stellen sich die Musikanten um ihn her, und er, mit dem Gesicht gegen die Steinerhoffront gewendet, redet das neuaufpolierte und -zusammengeleimte Ehepäürlein an.

Er tut wie ein Pfarrer, predigt so laut, daß tausend Mann ihn hätten verstehen können, wünscht ihnen Glück XX und neuen Frieden, schärft ihnen die Pflichten ein, malt ihnen das Paradies der friedlichen Ehe und die Hölle der Zwietracht aus und fordert sie dann auf, sich vor aller Augen die Hand zum neugeflickten Bunde zu reichen.Dann kam noch einer, der den Meßmer spielte und unter allerlei Rarrenpossen und Bajazzogrimmassen die Predigt wiederholte und mit Witzen pfefferte. Die Gröhlerbande lachte. Der Uli aber machte ein Gesicht,als hätte er sauren Most getrunken und ich wette, er hätte Tags zuvor gerne zwanzig Napoleons auf den Tisch gelegt, wenn er dem Spektakel hätte wehren können!Der Schilderung des Erzählers fügten die Zecher noch eine Anzahl mehr oder weniger grobe Glossen bei.Severin aber trank aus und ging so unvermerkt als möglich seines Weges.

Kaum war er draußen, wo es flockte und „staubete“,daß Gott erbarm, so wendete sich das Gespräch der Burschen dem zu, der eben die Stube verlassen hatte:„War das nicht der Kesselflicker? Ja beim Donner ein anderer kann's nicht gewesen sein! .... Das ist eben der Lauser, der dem Uli Steiner vor Jahren einen fetten Bissen vom Maul wegschnappte o, einen Bissen,den er so gern gehabt hätte zum Fressen gern...Daß der Zigeuner diesen Bissen das heißt die schöne Christine bekam, war nur Geschwindigkeit, nicht Hexerei!... Und jetzt hat er sie halt, der Herrg...donner! Und das Verdammteste: In wilder Eh lebt er mit ihr! .... Unerhört! Und einen Solchen läßt man ruhig laufen!“„Nicht nur das“, schreit ein Zweiter drein. „Jetzt hat sich der Schurke noch mit dem Weib und der ganzen Brut, gleich einem Kuckuck in ein fremdes Nest gesetzt.Erst gestern hat's mir ein Holzer hinterbracht. Droben am Iltishag, wo eine leere Hütte steht, die dem Gemeinderat Feiß im St. Johann gehört, da hat er sich eingesponnen, ohne eine sterbliche Seele anzufragen, verfeuert Holz aus dem Walde und nührt sich von weiß der Teufel was für gestohlenem Brot!“

„Das darf nicht sein das darf nicht sein!“ maulen zwei andre drein.

Und dann der Erste wieder: „Und ich melde es dem Feiß, denn gleichgültig wird es dem nicht sein,wenn jemand ungefragt und ohne Zins in seiner Hütte wohnt, die mein' Seel' in einer kalten Nacht noch Feuer fängt. Dem hochwürden Priester hab' ich's schon gesteckt, weil der Kesselflicker katholisch ist. Doch der alte Graukopf hat das Haupt geschüttelt: „Katholisch ja das sind die Leut'. Doch sie treibens nicht. Und wer fich ohne Priestersegen zum Ehmann macht, dem spring ich doch nicht nach. Will einer nichts von mir, dem dräng' ich mich nicht auf bei Gott ja wohl!“

Während die Zecher in solchen Reden sich ergingen,keuchte Severin mit langsamem Schritt bergan. Schwere Lasten Schnees legten sich ihm lind und leis auf Haupt und Schultern, während der Leib bis an die Brust sich schwerfällig durch ganze Mauern des weißen, vom Himmel fallenden Wintersegens drückte.

Wie groß aber seine Ermüdung war, lange stand doch noch das Bild vor seinen Augen, das dort unten ein Erzähler hingeworfen. Uli mit seinem Eheunglück tat ihm leid. Er konnte ihm nicht mehr zürnen. Mitten in der tiefsten Leibes- und Seelennot, die fast erdrückend sich auf ihn legte, kam aber auch ein Gefühl des Dankes über ihn, in der Gewißheit, daß Gott ihm in Christine einen Reichtum gegeben habe, den zehn Steinerhöfe samt Gütern und Herden nicht aufwiegen könnten. Spendete dieser Gedanke ihm Trost, so wollte indes doch Bitterkeit ihn übermannen, wenn er sich sagte: „Da holen sie alle Schellen im Tal von den Wänden und treiben einen Hokuspokus zum Tollwerden, wenn es gilt, zwei Menschen zusammenzuschellen, die Pfarrer und Kirchenvorstand mühsam wieder ins Joch gespannt, obwohl sie nie zusammenpassen, wenn's aber gelten sollte, dem Herzensbund zweier Menschen, die in Jahren kein Sturm auseinanderreißen konnte, obrigkeitliche Sanktion zu geben,dann rührt sich weder ein Herz noch eine Hand, dann schellen sie mit den Zungen, daß es ein Graus ist, aber nicht zusammen, sondern auseinander wollen sie in diesem Falle die Menschen schellen. Weh der verfluchten Art liebloser Käuze!“

Diese bittere Stimmung schwand, als Severin endlich zwischen Schneemassen heraus ein mattes Lichtlein schimmern sah. Es kam aus der Hütte am Iltishag.Zu Tode erschöpft, sank er nieder in's Stroh, wo eine zarte Hand ihn mit Kleidern und Lumpen deckte und mit bescheidenen Teilchen eines kleinen Speisevorrats nährte.

Nun folgten harte Tage. Was die Wolken unaufhörlich auf Wald und Fluren streuten, legte sich wie ein undurchdringlicher Berg zwischen die hungernde, frierende Familie und das nahrungspendende Tal. Es schwanden Holz und Brot, und die Hände des auf den Berg gebannten Vaters mußten feiern, wie zitternd sie auch begehrten, sich nach Arbeit auszustrecken. Dazu kam der furchtbare Druck, der sich aufs Gemüt der armen Eltern legte. Weihnachten nahte, die fröhlichselige Zeit, wo hinter erleuchteten Fenstern in warmen Stuben Kinder sangen und Alte den Traum der glücklichen Kindheitstage nochmals träumten. Aber kaum ein Glockenton klang zum Iltishag herauf, geschweige, daß ein herzensguter Santiklaus aus dem Wald gekommen wäre, einen Sack voll Nüß' und Aepfelein vor leuchtenden Kinderaugen auszuschütten. Nichts als Armut, schreckliche Armut und Entbehrung war da oben und wie auch die Mutter, selbst schon ganz von Kräften, sich mühte,die Kindlein an Leib und Seele ein bißchen ach Gott, nur ein armselig bißchen warm zu halten, die Kälte drang durch Schrunden und Ritzen bis in die Herzlein der Kleinen, und das Auge der Mutter schaute drauf mit Tränen.

Endlich, es war zwischen Weihnacht und Neujahr,pfiff ein föhniger Wind übers Dach und durch die Tannen,daß mit dumpfem Ton Schneeklötze wie Steinplatten groß und schwer zur Erde platschten. Da hielt es den Vater nicht mehr länger. Mit dem Rest des sauer verdienten Geldes und mit einem am Rücken hängenden Korb brach er auf gen St. Johann, und als er, heimkehrend vor dem Dämmern des sinkenden Tages, nur erst als wandernder schwarzer Punkt auf weißem Grund.den Augen der Seinen erkenntlich war,. da jauchzten sie 144 ihm zu, als wären sie die Weihnachtsengel, die über Bethlehem des Erlösers Kommen begrüßen, und ein Viertelstündchen später hielt auch kein Mutterwort die Buben noch ferner zurück. Barfuß rannten sie dem Brotbringer entgegen, weder auf die Kälte achtend, noch auf den Schnee, und in stürmischer Freude umhalsten sie den Vater, als wär' er ein von Gott geschickter Weihnachts-mann, mit einer Krenze voll himmlischer Gaben.

Noch hielt das verfrühte Föhnwetter eine Zeit lang an und tapfer, wenn auch geschwächt und müde, stieg Severin fleißig ins Tal, sein kärglich Brot für Weib und Kind zu verdienen.

Da vollzog sich eines Tages, ohne daß der zu Tal steigende Vater und die in die Hütte gebannte Mutter es ahnten, eine Sonnwende im Schicksal der Armen, wie zur Bestätigung dafür, daß im unermeßlichen Himmelsraum die Erde in ihrer Wanderung um eine dunkle Ecke herum und auf einen neuen Weg gekommen sei, über dem es unfehlbar nun tagen müsse.

Dem Besitzer der Alp am Iltishag war die Kunde zugetragen worden, seine Hütte sei von Leuten höchst verdächtiger Sorte zur Winterwohnung auserkoren und er möge zu seiner Sache sehen, eh' und bevor eines schönen Tages oder in einer finstern Nacht sein Eigentum als funkensprühendes Fastnachtsfeuer auf der Höhe stehe und den Zigeunern und Landstreichern beim Abzug noch die Sohlen wärme und den Weg beleuchte.

Der alte Feiß war im Land herum bekannt als einer, an dessen Türe arme Leute nie vergeblich klopften.Ein Toggenburger altehrbaren Schlages liebte er, im 145 schlichtesten, dürftigsten Mann des Tales sein liebes Volk und Heimatland, und wo es im Rat das gefährdete Recht eines Geringen zu schützen galt, da stellte er sich gerne voran, selbst wenn's zu seinem Schaden war. Immerhin liebte er sein Eigentum und die gute Ordnung darin,sodaß wohl anzunehmen war, er werde den unbefugten Gebrauch seiner Hütte sich nicht gefallen lassen und am Ende strengstens ahnden.

So schickt er sich denn, mit eisenbespitztem Stock bewehrt, zur Wanderung an, die für ihn, den bejahrten Mann kein Kleines ist. Endlich, nach saurer Beschwer naht sich der Alte, müd' bis in die Knochen, seiner Hütte, in der er ein schwaches Klopfen hört und aus derem hintern Gelaß ein dünnes Räuchlein steigt.

Langsam naht er sich der Tür und stößt sie sachte auf, darauf gefaßt, im nächsten Moment ein Bild wüsten Treibens oder gar eine Räuberhöhle vor sich zu haben.

Doch nichts von allem dem. Wie von Zaubermacht gebannt, steht er da und starrt und bringt vor Rührung und Erstaunen kein Wort hervor.

Zwei Knäblein sieht er, die klopfen mit blaugefrorenen Händchen, jedes ein altes, einem Werkzeugkasten entnommenes Hämmerchen schwingend, an Klötzen und Scheitern herum, als wollten sie ein Häuschen zimmern. Im Hintergrund aber, unweit der Tür, die zum glimmenden Herd und einem sterbenden Feuerlein führt,sitzt auf einer von Kleidern und Lumpen geschichteten Unterlage eine Frau, die zu einem auf ihren Knien liegenden, kränkelnden Kind liebkosend sich niederneigt.So lieb zieht sie es an sich und so tief neigt sich ihr.146 49e mit herrlichen Flechten schwerbeladenes Haupt gegen des Lieblings Angesicht, daß es scheint, als mühe sie sich,die schwindende Lebenskraft ihres Kindes durch den warmen Hauch ihres Mundes zu ersetzen.

„Um Gottes Willen Frau was macht Ihr da und wie kommt Ihr denn hieher?“ So brach der Ankömmling das Schweigen.

„Kommt Ihr“ so antwortete Christine erfaßt von Furcht und Niedergeschlagenheit „um Fremdlinge nach Herkunft und Schriften auszufragen? Oder habt Ihr am End' ein Anrecht auf die Hütte, die wir in Beschlag genommen haben, wie Mäuse, die auch in Keller und Kammern dringen, ohne anzufragen? Ist's so? Dann bitte, habt Erbarmen die Not ach die Not! Wir wehrten uns so lang es ging!“...

„Ich glaub' es, Frau! Ich glaub's. Macht keine Geschichten! Ihr seht nicht darnach aus, als ob Euch die Uebertretung von Gesetzen im Blute läge. Verdorben habt Ihr mir nichts und mich däucht, daß Ihr die beste Ordnung hieltet, wenn Not nicht stärker geworden wäre,als Ihr selbst! Wo habt ihr Euren Mann?“

„Der ist zum Schmied ins Dorf Wildhaus, wo er hilft, so gut er's kann. Sonst ist er Kesselflicker von Beruf!“

„Ei was Ihr seid die Kesselflickersleut? Man spricht von Euch im Tal und ein Ton davon ist mir auch ans Ohr gekommen!“

„Ach Gott, guter Mann es wird ein häßlicher Ton gewesen sein!“

„Häßlich oder schön! Getröstet Euch!... Ich gebe nichts auf bloße Töne, die durch die Lüfte fliegen

147. und denen man nicht anmerkt, ob sie aus Engelsmund oder aus Teufelsmäulern kommen. Daß ihr in Not seid und sterben und verderben müßt, wenn's also weiter geht,das seh ich, ohne daß man mir's hinterbringen muß.Das Andre werd' ich wohl erfahren.“

„Ich will Euch alles sagen und kein Tüpflein will ich an der Wahrheit streichen!“ ...

„Schon recht, schon recht! Ich hab' vorerst genug gesehen. Es lockt mich nicht, Euch zu verhören, als hättet Ihr weiß der Herrgott was verbrochen. Euer Gesicht und diese Armut, sie haben laut genug geredet.Für heute kehr' ich heim. Morgen, so Gott will, komm'ich wieder. Dann mag Euer Mann mir Red' und Antwort geben. Es kann auch sein, daß ich noch einen Zeugen mit mir bringe. Einstweilen nehmt meine Wegzehrung, die ich für den Heimweg aufbehalten habe. Mich trägt meine Gehmaschine schon, auch wenn ich's einmal unterlasse, ihre rostigen Räder einzuschmieren. Behüt Euch Gott!“

Der Alte reichte der Frau die Hand, streichelte das sterbensbleiche Kind und winkte, mit der Zunge schnalzend,den beiden flinken, hellen Buben: „Kommt und geleitet mich ein Stücklein Wegs. Wir werden vielleicht noch gute Freunde!“

Schon in der Frühe des nächsten Morgens ging Feiß zum Pfarrer Scherrer in der Absicht, ihm alles Erlebte mitzuteilen und um seinen Rat zu bitten. Freundlich und verwundert empfing der hagere Mann mit dem durchfurchten, von dunkeln Lebenslosen redenden Gesicht,mit den buschigen Augenbrauen und den lieben, klugen Augen seinen Freund und bald saßen sie in eifrigem Gespräch zusammen.

„Ob ich mitkommen soll zum Iltishag?“ redete der Pfarrer in fragendem Tone vor sich her. „Die Not befiehlt, zu helfen, lieber heut' als morgen. Ich scheue keinen Weg, und wenn's Opfer zu bringen gilt, so bin ich auch dabei. Aber aber ein Hähklein, das zur Vorsicht mahnt, ist doch noch da!“

„Das wäre ?“

„Die Leute, denen wir helfen sollen, sind katholisch.Da wird doch zum Arzt für Leib und Seele mein Bruder da drüben, der katholische Priester, das erste Anrecht haben. Erweist er mir das Jahr hindurch Vertrauen und Freundlichkeit, trotz unseres verschiedenen Glaubens, so darf ich nicht durch Einmischung in Dinge seines Amts den Frieden stören. Hab' ich nicht Recht?“

„Da kann ich Euch beruhigen, verehrter Freund.Noch gestern Abend vertraute mir einer, der ein wenig Bescheid in dieser Sache weiß, der Hochwürdige da drüben ziehe, obwohl ein guter Herr und oft ein lieber Helfer,in diesem einen Fall seine Hand zurück. Der Bochsler ein jähzorniger Kopf habe ihn beleidigt, als er ihm die Erfüllung kirchlicher Pflichten nahelegte. Nicht das Herz, aber das priesterliche Gewissen bestimme ihn,mit der Hülfe zuzuwarten. He nun so mein' ich: Beschließt er, zuzuwarten, so beschließen wir, zu handeln und zwar schnell! Denn ein einziger Tag Verzug kann schweres Unglück bringen Nicht ?“

„Einverstanden! Ich komme! Noch ist es früh am Tag. Wir gehen heute!“ ... VDD

XII.Ein Lichtmeßtag, der die Rälte bricht. Die Beichte eines armen Mannes. Eine blühende Insel im wilden Meer. Ein wichtiger Brief und eine ebenso wichtige Antwort darauf. Auch spãt bezahltes Lehrgeld trägt Zinsen. „heda, der Lenz ist da!“

Um die Mittagszeit eines hellen Lichtmeßtages standen die zwei betagten Pilger an sonnebestrahltem Bergeshange. Millionen und Millionen funkelnder und in allen Farben glitzernder Kristalle waren auf blendende Schneefelder hingeworfen und in unbeschreiblicher Pracht hoben sich in fleckenloser Reinheit hoch überm Tal die Berge vom tiefblauen Horizonte ab. Winzig klein, wie Spielzeuge von Däumlingen lagen tief im Tal und an den Bergen, Häuschen und Hütten mit hellen Fensterlein um sich guckend und den Gruß der Sonne mit wunderbarem Leuchten wiedergebend.

Aus der Ferne wehten kalte Winde vereinzelte Töne von Mittagsglocken her, die die Gemüter der Wanderer zur Andacht stimmten.

Kaum hatten sie die Höhe, auf der sie standen,überschritten, so eilten ihnen mit kindlichem Frohlocken die zwei Buben aus der Iltishaghütte entgegen; stürmisch grüßten sie den Freund von gestern, schlossen sich bald auch an den ernsten, großen Unbekannten und marschierten,alle sich die Hünde reichend, als eine festverbundene Kette ihrem Wanderziel entgegen.

Severin empfing die Männer. Christine, von Erschöpfung und Erkältung wie über Nacht gebrochen, lag 150 neben dem kranken Kind in Lumpen, und Fieberrosen glühten auf ihren eingefallenen Wangen. Von den kahlen Hüttenwänden troff das Wasser und aus leeren Ecken,wo früher noch Holz geschichtet gewesen, grinste die Armut mit wahrem Todesernste.

Dem Pfarrer, der das Elend oft gesehen hatte, doch nie in solcher Gestalt und Größe, wurden die Augen feucht,und er wandte sich ab, seiner Rührung Herr zu werden.

Nachdem sie die Kranken mit Speise und Trank gestärkt und mit tröstendem Wort ermuntert, traten die Männer vors Haus, um auf- und niedergehend, aus Severins Mund die ganze Geschichte vergangenen Leids zu hören.

Nichts verschwieg er, auch nicht die Tatsache, daß sein Schicksal zum Teil die Folge eigener Schuld und Schwäche gewesen war. So ist denn seine Erzählung nicht etwa nur Klage über Schicksalsmächte und Menschen,sondern auch eine ehrliche Beichte geworden. Er schonte seinen Vater, ehrte dankbar manchen, der ihm wohlgetan/und aus all' seinem Reden und Erzählen stieg leuchtend empor das Bild der Herzens und Pflichtgetreuen, für deren Leben zu zittern er jetzt allen Anlaß hatte. Wie sie jegliche Not und Schmach mit ihm geteilt, wie sie kein Freudlein je genossen hat, es sei denn, sie hätte ihn zum Teilhaber daran gemacht, wie sie gleich einer Heldin die gemeinen Zumutungen oft reicher Versucher zurück gewiesen, weil sie lieber in Armut untergehen, als in Verachtung ihrer selbst und in Untreue gegen ihren Mann ein ihr dargebotenes Wohlleben haben wollte: Das alles strömte dem sonst so wortkargen Manne von den Lippen,jetzt, wo heißer Schmerz in seinem Innersten das auftaute,151 a was in der Kälte furchtbarer Armut erfroren schien, und am wärmsten und innigsten wurde der Ton seiner Stimme,als er erzählte, was Christine in unerschöpflicher Liebe den Kindern gewesen war.

„Herrgott, Herrgott!“ so schloß er „erhalte doch dies Leben! Erhalt' es meinen Kindern! Nimm das Meine, wenn du ein Menschenleben haben mußt. Lösch'nur nicht die Sonne über den Köpflein meiner Kleinen,die doch auch von einer Sonne leben müssen!“

Die Männer ließen den Armen gewähren. Sie fühlten, wie wohl es ihm tat, nur ein Stück seines Jammers vom Herzen sich wegzureden.

Als dann auf den ersten wilden Schmerzenssturm wohltuende Stille über die Seele des Geprüften gekommen war, da leitete ihn der Pfarrer taktvoll und milde mit Fragen und Aufmunterungen aufs Feld der ernsten Wirklichkeit, die es jetzt umzugestalten galt. Wie ein kühner Feldhauptmann, der mitten im Feuer kalten Blutes Befehle erteilt und das verordnet, was grad der Moment verlangt, so ordnete, vom braven Feiß unterstützt, der Pfarrer das Nötigste an. Der Doktor samt Trägern sollte morgen schon bei Zeiten zur Stelle sein,und das Pfarrhaus mußte vorerst zur Freistatt der Verfolgten und zum Lazarette werden.

Nur noch ein einzigmal blickte die untergehende Sonne auf das Elend am Iltishag. Als sie am nächsten Abend wieder scheidend am Himmel stand und die Schneehänge der Berge mit glutrotem Schein übergoß, da wehte kein Rauchfähnlein mehr über dem Hüttendach, und in der winterlichen Bergeinsiedelei, der die schleichenden Iltisse xXXWRR vor Altem den Namen gegeben haben, hörte man keinen Laut aus menschlichen Kehlen. Um so regeres Leben war beim Pfarrer, wo der Doktor ein und ausging, das Leben einer Mutter und eines Kindes zu retten, wo in der Nacht ein Lichtlein brannte, unter dessen mattem Schein pflegende Hände sich im Amt des Dienens übten und wo am Tag in verborgener Stube zwei lebhafte Buben zum ersten Mal ihre Händchen um einen Griffel krümmten und unter zeitweiliger Aufsicht ihres Gastwirtes der Schiefertafel gixende Schreie erpreßten.

Das wichtigste Ereignis aber brachte der kommende Sonntag, dessen Feierabend den Pfarrer zum Tun eines Werkes anspornte, das in seinen Augen nicht Sabbatentheiligung, sondern die schönste Erfüllung des Sonntagsgebotes war. Er legte das erste Brett zur Erstellung einer Brücke, auf der die einst todgeweihte Familie Dneuen Leben. Noch in der stillen Sonntagsnacht setzte der Pfarrer eine Eingabe an die Regierung des Kantons St. Gallen auf, in der er Not und Schicksale, aber auch Charakter, Tüchtigkeit und Lebensführung der Eheleute Bochsler schilderte und in die er unter anderem das Wort einflocht: „Wenn je der Satz Wahrheit gehabt hat, daß die Ehen im Himmel geschlossen werden, so ist es hier der Fall, wo zweiLeute in der bittersten Not treu zusammengehalten haben.“*)) Dieser Brief ist ĩin Sachen der Leute Bochsler durch Pfarrer Joachim Scherrer von Alt St. Johann in dieser Gemeinde von August 1842 bis August 1888) an die St. Galler Regierung geschrieben worden. Siehe Oseubrũggen, Wanderstudien aus der Schweig 1871, 3. Banä. Das Toggenburg Seite 43.1533 ¶ n e

J Das Schreiben hat seine Wirkung nicht verfehlt.Die Regierung hat das Gesuch um Legitimation des Eheverhältnisses der Leute Bochsler bewilligt und damit weiteren Verfolgungen den Riegel geschoben.

Bei seiner ersten Tat hat es aber der edelmütige Helfer nicht bewenden lassen. Er, der in jungen Jahren als Student in deutschen Landen seine Kraft in ritterlichen Waffenübungen gestählt, zog nun auch das Schwert des Geistes, um auf und unter der Kanzel gegen liebloses Richten und neuzeitliches Pharisäertum, sowie für weitherzige, vergebende Liebe und für wahrhaftige Heilighaltung der Ehe einzutreten. Dann begann er, zur Linderung vorhandener Not, und um einen Baustein zum Werden neuen Jamilienglückes herbeizutragen, Gaben für die Verarmten einzusammeln. Er schrieb sich mit einer Geldgabe von beträchtlicher Höhe ein, der biedere Feiß schloß sich an, und als der Sammelbogen von seiner Reise um die kleine Gemeinde wiederkehrte, da waren fast tausend Franken eingezeichnet. Als einer der großherzigsten Geber hat sich der Uli vom Steinerhof erwiesen, der nicht zur Gemeinde gehörte, aber unter allen Umständen mittun wollte.

Unterdessen sagten sich nach guter Samariterart ein paar Menschenfreunde, daß echte Hilfe der Epheuranke gleiche, die nicht nur den Notfels trauriger Gegenwart umspinnen, sondern auch ins Sonnenland besserer Zukunft hinüberwachsen wolle. So sannen sie, während Severin täglich in brennendem Eifer seine Hufschmiedekunst in Wildhaus zu mehren suchte, darauf, ihm einen festen Arbeitsplatz zu suchen. Nach viel Forschen und 44*404 Fragen brachten sie in Erfahrung, daß in Chur ein alter Schmied einer jungen Kraft begehre. Chur, die alte Bischofsstadt, von wannen täglich hunderte von Rossen und Wagen ausgingen, um Menschen und Güter über die Berge in andere Talschaften und in ferne Länder zu bringen dieses Chur streckte nach guten Hufschmieden die Hände so begehrlich suchend aus, wie einst die Städte Venedig, Paris oder Rom es getan haben im Begehren nach waffentüchtigen Söldnern aus unsern Schweizergauen.

So wanderte denn Severin, vom Schmied in Wildhaus aufs beste empfohlen, allein nach Chur, um dort eine Probezeit zu absolvieren und dann, sofern der Lauf der Dinge es erlaubte, Weib und Kinder zu sich zu holen.

Christine und ihr Töchterlein gesundeten und erstarkten mehr und mehr in der Luft der Liebe, die täglich sie umgab. Die beiden Knaben aber, den Hauptmanns-blicken unter des Pfarrers buschigen Augenbrauen rasch gehorchend und nach unstetem Nomadenleben sich an ein seßhaftes Sein gewöhnend, glichen, wenn sie ihre kerngesunden Gesichter an die bleichen Wangen der Mutter drückten, zwei tiefroten, am Iltishag gewachsenen, wilden Röschen, die sich lieblich an eine weiße Rose schmiegen.

Als der Mai in die Lande zog und aus seinem Blumenkorb herrliche tiefrote, blaue und weiße Spenden auch auf Wiesen und Fluren des St. Johannertales streute, da stand eines Tages ein Wagen bereit, die Familie samt ihrer kleinen Habe der endlich gefundenen Heimat zuzuführen. Dank, nichts als heißer Dank gegen Gott und Menschen lag in den Augen derer, die X Evon dannen gingen. Ein langes Winken und Grüßen vieler Hände sagte ihnen, daß sie ein Plätzchen im Herzen guter Menschen gefunden haben. Feiß hatte für Roß und Wagen gesorgt und schaute mit mutspendenden Blicken auf die Glücklichen und ihr Gespann. Der Pfarrer stand aufrecht, wie ein in mancher Schlacht bewührter Grenadier vor seinem Haus und schaute dem Züglein nach. Später ist auch für ihn ein Tag gekommen,wo er dem lieben Dorf und seinen Bergen einen letzten Gruß zusandte. Auch da soll er sich gehalten haben, wie ein Mann, der wußte, daß sein Kampf gegen Leid und Uebel in der Welt nicht beendet sei und daß der Mensch,wie Augustinus sagt, nicht eher Ruhe finde, als bis er ruhe in seinem Gott.

Als der Wagen auf der Straße durch das Simmitobel fuhr, marschierte Severin, an jeder Hand einen lustigen, gesunden Buben, am Wirtshaus vorbei, darinnen er als Flüchtling einst gesessen. Ein Weilchen wollten sich Wolken auf seine Seele legen, weil er des armen Vaters und all der beginnenden Not gedachte, dann aber schaute er auf den Wagen, auf dem wie eine Heldin die treue Gefährtin seiner Wander und Schmerzensjahre neben einem engelgleichen Mägdlein saß, und er blickte auf seine Knaben, die ihn faßten mit warmen Händlein, deren Druck schon ein Keimlein werdender Kraft verspüren ließ, da glänzten seine Vateraugen, und indem er aufschaute zum blauen Maienhimmel und hernieder zur Blütenpracht im Rheintal drunten und endlich hinauf zu den Bündnerbergen, an deren Fuß Beruf und häusliches Glück seiner warteten, nachdem auch das Vater 4208008 ιννα land zur Ruhe gekommen war, da war ihm zu Mute wie dem Erzvater Jakob, als er, das Stromland Asiens verlassend, gen Kanaan zog, mit dem Bekenntnis auf den Lippen: „Als ich auszog, hatte ich nichts als einen Stab,nun bin ich zwei Heere stark geworden. Herr Gott,ich bin zu gering deiner Barmherzigkeit und deiner Treue!“

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