The text was transcribed from the transcription from UB Basel, which is based on the 1914 edition. The page breaks, chapter divisions and chapters were taken from scan from UB Basel, which is based on the 1914 edition.
Seite 1 b3 83 95 279 298 334 350 383 406
Die Schneehauben auf den beiden Türmen des Klosters Maria Einsiedeln hatten sich allmählich zu spitzen Zipfelmützen ausgewachsen.
An einem Fenster des Hauses zu Adam und Eva saß Meiredlis Großmutter und schaute mit verwunderten Augen nach ihrem Enkel, der sprungfertig auf dem Gesimse im offenen Fenster stand.
„Was machst du denn da, Meiredli?!“ fuhr sie erschrocken auf, also, daß das Linnenzeug, das sie säumelte, zu Boden glitt. „Du wirst doch nicht aus dem Fenster springen wollen?“
„Ei warum denn nicht!“ sagte der Knabe; „die Schneewehen gehen ja fast bis zum Gesimse herauf.“
„Nein, das darfst du nicht tun; könntest ja totfallen.“
Sie erwischte ihn an der Hose.
„Doch, ich tu's!“
„Dann, wenn du das tust“, machte die Großmutter betrübt, „hast du mich nicht ein bißchen lieb.“
„O“, sagte er, etwas verwirrt, „deswegen kann ich Euch doch gewiß gleichwohl lieb haben, wenn ich schon in den Schnee springe.“
„Nein, nein, du hast mich nicht mehr lieb.“
Sie setzte sich, anscheinend zu Tode betrübt, in ihren Lehnstuhl zurück und nahm das auf den Boden gerutschte Weißzeug wieder auf, um daran weiterzunähen.
„Großmutter!“
„Ja?“
„Wenn Ihr mir eine Geschichte erzählt, springe ich nicht aus dem Fenster.“
„Ja, so will ich dir eine erzählen.“
Lienert, Bergdorfgeschichten.
Das blaue Wasser.Da hatte er das Fenster schon geschlossen, und handkehrum hockte er vor ihr auf dem Fußschemel, mit großen Augen zu ihr aufsehend. „So erzählt jetzt!“
„Es war einmal ein kleiner Knabe, der seinen guten Eltern gar nicht gehorchen wollte, wie's der Liebgott doch immer ...“„Nein, Großmutter, wenn Ihr wieder diese langweilige Geschichte erzählt, so springe ich doch aus dem Fenster.“
„Ach Gott, was du für ein Zwänger bist! Was soll ich denn für eine Geschichte erzählen?“
„Eine, die ganz gewiß wahr ist.“
„Nun denn in Gottes Namen. Es war einmal ein armer Vater. Der war so arm, daß er sagte, er müsse den ganzen Tag anderer Leute Luft einatmen, da er ja nicht nagelsgroß eigenen Boden besitze und die reichen Menschen alles ansprechen, bis in den Himmel hinauf und in die Hölle hinunter, was über und unter ihrem Boden sei. Und da ging er denn eines Tages weinend ...“
„Hört, Großmutter, ist das eine traurige Geschichte?“
„Ja, Meiredli, eine recht traurige.“
„Nein, dann will ich sie nicht wissen.“
„Ja, ich weiß halt keine andere, Büblein.“
„O, o, ojioji ojiojil“ lachte er heraus. „Eine Großmutter weiß doch gewiß alle Geschichten, die's gibt auf der Welt.“
„Ja, ja, du hast recht. Eine Großmutter weiß viele Geschichten.“
„Ja, dann erzählt mir vom blauen See!“
„Das kann ich ja; denn jetzt ist gerade die Festwoche des heiligen Meinrad, die
Meinradsoktav. Da fahren denn die hablichen Leute unseres Dorfes Einsiedeln,
fast alle Tage wieder ein anderer Zug, in ihren Gefährten, den
4 A glitzernden Schnee auf und ab und ab und auf, nach dem Etzelberge zur Kapelle unseres lieben Landespatron Sankt Meinrad und kehren darnach im Wirtshause ein, wo sie sich bei einem leckern und wohlbekömmlichen Festmahl vergnügen, bis es Nacht wird und der blaue See, der aus dem Tale zu ihnen heraufschaut, im Nebel untergeht. Dann fahren sie mit Kling und Klang und wohl auch mit Jauchzen und Singen wieder in unsere heimelige Waldstatt zurück.“
„Ja, können sie denn den See gut sehen?“
„Freilich. So gut, als ob er wie eine Landkarte auf dem Tisch unter ihren Augen läge. Und dazu sehen sie noch die Stadt mit der stolzen Burg über dem See, zu der ein langer Steg führt. Und Schiffe können sie sehen mit wehenden weißen Segeln.“
„Ist denn die Burg eine Burg, wo die Ritter drin daheim sind?“
„Ja, jetzt das weiß ich nicht mehr genau; aber es könnte schon sein.“
„Und dann sitzen, denk' ich, wohl die Ritterfrauen und Prinzessinnen in den schönen Segelschiffen, gelt Großmutter?“
„Ja, das wär wohl möglich.“
„Wie blau ist denn der See?“
„So blau wie deine Auglein.“
Meiredli stellte sich rasch vor den Spiegel.
„O, nur so blau?“
„Ja, kann denn noch etwas blauer sein? Also so blau wie der Himmel.“
Meiredli guckte durchs Fenster.
„Nicht blauer?“
„Um Gotteswillen, wie blau soll er denn sein?“ Die
„O, o, das ist aber blau, das ist aber blau!“
Die Großmutter atmete erleichtert auf.
„Ist der See aber inwendig auch blau?“
„Ja, ich denk wohl.“
„Da bekommt man gewiß ganz blaue Hände, wenn man sie drin wäscht. Wenn ich nur einen Krug voll von diesem Wasser hätte! Da täte ich drin beide Hände so blau färben, daß alle Leute dächten, ich hätte blaue, gestrickte Handschuhe an. Und die Hosen müßtet Ihr mir blau färben, daß ich aussähe wie ein Soldat. O das wär fein!Wenn ich nur auch mit den hablichen Dorfleuten auf den Etzel zur Sankt Meinradskapelle fahren könnte!“
„Ei, sobald du groß bist, Meiredli, kannst du auch mitfahren.“
„Ach, das geht ja noch so lange.“
„O gar nicht Büblein. Wachs' nur recht fleißig!“
„Großmutter!“
„Ja?“
„Wann fahren sie denn?“
„Ja, halt nach dem Mittagessen. Jetzt mach dich aber an den Tisch“, sagte sie rasch, einen Blick durchs Fenster tuend; „der Vater kommt und hat gewiß Hunger. Ich will die Suppe anrichten gehen.“
Die Großmutter erhob sich und schlarpte hurtig in die Küche. Meiredli aber setzte
sich in ihren Lehnstuhl und sah mit träumerischen Augen auf die Schneewehen
hinab, die wie blendendweiße marmorne Burgwälle das Haus umgaben.
5
Nach dem Essen stand der Meiredli beim Großenherrgott,einem auf hohem Sockel stehenden Wegkreuz neben dem Kloster. Unter dem Lismerkittel trug er einen ansehnlichen bauchigen Henkelkrug. Hinter sich hatte er an einer Schnur seine „Geiß“, einen rotbemalten, starken Knabenschlitten.Gelangweilt schaute er einem Krähenschwarm zu, der sich auf den weiten Brüelmatten, wild krächzend, um irgend etwas zankte.
Aber mit einem Male wandte er den Kopf und schaute dorfwärts. Ein feines und unablässiges Klingeln kam irgendwo her. „Sie kommen!“ sagte er halblaut. Strahlenden Angesichts blickte er gegen die nahen Krämerstände.Das Klingeln ward lebhafter. Und nun tauchte eine Reihe Einspännerschlitten aus dem Dorfe auf und fuhr in gelindem Galöpplein gegen den Großenhergott. Es waren fast alles altmodische, mit kurzweiligen Farben bemalte Schlittengatter. Nach uraltem Väter- und Mütterbrauch gedachten einige wohlbestallte Dorfmagnaten und ehrsame Meister mit ihren erwachsenen Familienangehörigen die übliche Winterfahrt auf den Etzel zur Kapelle des heiligen Meinrad zu machen,um sich dort erst beim Herzen des lieben Landesheiligen und darnach im unterhalb stehenden Klosterwirtshause Seele und Leib ernstlich zu erfrischen. Fast alltäglich während der Meinradsoktav fuhren also eine Anzahl Schlitten nach dem Etzelberge. Heute aber war es ein besonders langer Zug, gewiß zu zwanzig Schlitten, der jetzt am Großenherrgott mit rauschendem Geklingel und Gebimmel vorbeiglitt. Darin saßen behaglich und mit gutem Anstand ältere und jüngere Dorfleute, Männlein und Weiblein.
Zuletzt, in außergewöhnlichem Abstande hinter den andern,klingelte noch ein etwas
gerümpelhafter, grasgrüner Schlitten
Annelis kränkliche Mutter hatte sich erst in letzter Stunde entschließen können,
ihr Töchterlein, das beim Herzen des Heiligen auf dem Etzel für sie beten
wollte, fahren zu lassen. Es sei noch zu jung und ohne Einsicht, und beim
nachfolgenden Mahl komme doch auch junges Volk zusammen, wobei man nie wissen
könne, was die meisterlose Jugend mit Aug und Herz für verdrießliche
Heimlichkeiten anzettle. Aber da war ihr Bruder, Annelis alter Onkelpate,
dreingefahren, hatte feierlich das Protektorat über die Nichte übernommen und
versprochen, seinen Schützling so unbeschädigt wie möglich wieder heimzubringen,
wenn er das Ameli auch nicht in seinem eigenen Schlitten fahren lassen könne. Er
und Frau und Knecht täten eben seinen Schlitten vollkommen ausfüllen, und zu
kutschieren getraue er sich nicht mehr, da er in seinem letztjährigen sündhaften
Habemuschen auf der Heimfahrt umgeleert habe, was ihm seine liebe Frau
zeitlebens nachtragen werde. Freilich sei es jetzt schwierig, im letzten
Augenblick noch einen halbwegs annehmbaren Schlitten aufzutreiben. Er hätte
überall angefragt; aber was sich noch sehen lassen dürfe, sei schon vergeben.
„Ei“, hatte da das Amneli gemeint, „könntest du denn nicht den Bäcker im
Unterdorf noch anfragen,lieber Vetter? Der hat doch auch einen Schlitten.“ „Ja
und was für einen“, hatte der Onkelpate geantwortet.„Eine Arche Noah. Nein, in
diesem grünen Rumpelkasten
7 lasse ich dich nicht fahren.“ Aber das Anneli war diesmal merkwürdig wenig eitel, und so hatte sich denn der Onkelpate zum Unterdorfbäcker gemacht. Der zeigte sich gleich dienstbereit, zog den alten Schlittengatter hervor, spannte ein und gab dem Gefährt auch gleich noch seinen gradgewachsenen bergfrischen Sohn als Kutscher mit.
Jetzt bimmelte der alte Schlitten gemütlich am Großenherrgott vorbei. Seine Insassen, der Bäckerkari und das Ameli zur reitenden Post machten recht vergnügte Gesichter.Es bedünkte den am Wegkreuz stehenden Meiredli einen Augenblick, die beiden fahren mitsammen Karussell. Aber nun schnalzte der Kari ein paarmal, und als er gar ‚hüpp,Vögi, hüpp!“ rief, griff der Gaul kräftig aus, also daß der Schnee aufstob.
Mit schier andächtigen Augen schaute Meiredli auf das rotwangige Pärchen in der grünen Truhe. Aber kaum war es vorbei, machte er sich flugs hinter das alte Fuhrwerk, hängte seine „Geiß“ an eine rostige Schraube, warf sich darauf, und mit lustigem Schellen ging's über die glitzernden Brüelmatten davon ...
Meiredli freute sich wie ein Prinz. Mit beiden Händen umklammerte er seinen
grauen Henkelkrug; denn er wurde in den von schweren Holzfuhren gebildeten
Schneegeleisen mitunter tüchtig herumgeläutet. Dort drüben hasteten die
streitenden Krähen lärmend davon, und ein Bauersmann,mit einer Last Butter auf
der Traggabel, glotzte verwundert dem langen glockenspielenden Schlittenzug
nach. Meiredli wußte vor Glückseligkeit nicht, was anfangen; denn nun sollte er
den blauen See, der schon lange seine täglichen und nächtlichen Träume erfüllte,
einmal wirklich zu sehen bekommen und vielleicht gar von dem blauen Wasser
9 Pferch in die merkwürdige weiße Welt hinausgewagt hatten, aus der sie nun, bei allem Scharren, nicht ein einziges Würmchen herauszubringen vermochten. Gackernd und flügelschlagend fuhren sie auseinander. Ein rachedurstiges Bauernweib aber rief dem Zuge nach: „Es hockt hinten einer auf!“ Jedoch das Pärchen im letzten, grünen Schlitten schien taub zu sein und schaute sich, trotz ihrem Schreien, mit keinem Auge um. Fort ging's in lustigem Trabe. Nun begann Meiredli Schnee zu essen. Aber als der Schlittenzug auf den Waldweg kam, schaute er mit großen Augen in das tiefeingeschneite Tal hinunter, durch das sich die stille Sihl wie eine graue Riesenschlange wand,und dann nach den nahen leuchtenden Alpen und Bergen.Wie herrlich war es doch, durch die schöne Welt zu schlitteln!Und da hatte er auch schon einen Jauchzer getan, davon Berg und Tal Echo gaben. Erstaunt schaute der Bäckerkari zurück, und das Anneli zur reitenden Post sagte: „Wer hat denn so laut gejauchzt?“ Er tat noch einen prüfenden Blick rundum, vermochte aber niemanden zu sehen; denn der blinde Passagier lag bäuchlings auf seiner Geiß. „Es muß das Echo gewesen sein“, machte er dann, „wenn nicht jemand da drüben im Busch steckt. Der Vogel Huppert kann's doch kaum sein“, fügte er lachend bei, „denn der geistert ja hier nur bei Nacht und Nebel.“ „Ach“, sagte das Anneli, „es ist ja gleich, wer gejauchzt hat. Wir wollen uns lieber wieder von etwas anderm erzählen.“
Mit angehaltenem Atem hatte der Meiredli dem Zwiegespräch zugehört. Jetzt saß er
wieder rittlings auf seinem Schlitten, aber mit gesträußten Ohren; denn nun
wunderte es ihn hochgradig, was die zwei im Schlittengatter sich zu erzählen
hätten. Also hier war der Waldweg, auf dem
„Ach, Ameli“, redete es im Schlitten, „ich habe dich immer gern gesehen, schon als kleines Rockbüblein. Und wenn deine Mutter auch mehr Gültbriefe und Geld im Schnitzkasten hat als wir, so habe ich doch immer gedacht: Das Anneli zur reitenden Post muß einmal mein Schatz werden und keine andere.“ „Ja“, gab die andere Stimme zurück, „ich habe dich auch immer wohlleiden mögen, und nach dem Geld frage ich nicht, weil ich dich lieb habe. Zudem,ein Bettler ist der Bäcker im Unterdorf auch nicht, und wer seines Sohnes Frau wird, hat die Semmeln und Birnenwecken nahe bei der Hand.“ „Ich bin so froh, daß du's einzurichten verstandest, unsere alte Truhe als Fuhrwerk und mich dazu noch gar als Kutscher zu bekommen“, machte die erste Stimme. „Ich fürchtete schon, du müssest mit dem Onkelpate fahren. Es ist ja schon so lange her, seit wir uns heimlich über euren Gartenhag sprechen konnten.“ „Siehst du, der heilige Meinrad, unser lieber Landespatron,führte uns heute zusammen“, sagte das Mädchen. „Sei nur getrost, er wird uns weiterhelfen, du lieber, lieber Mehlwurm du!“ Ein übermütiges Auflachen. Dann ging ein Schnalzen los, wie in der Laichzeit, wenn sich die wandernden Fische zu Dutzenden über die Wasserfällchen hinaufschnellen. „Du liebes, liebes, liebes Haghexlein du!“
Ein kurzes Auflachen und dann ein heimliches Kichern war hinter dem Schlittengatter. Doch die Liebesleute hörten es nicht.
„O“, flüsterte der Meiredli auf seiner Geiß, „die machen
11 einander Küßlein. Die wollen einander gewiß heiraten.“Ein Weilchen noch kicherte er vor sich hin. Danach sah er wieder ins Gelände und verfolgte mit prüfenden Blicken die Fuchsspuren, die immer wieder über den einsamen Weg liefen. Und nun ging's abwärts. Ein Tobel tat sich auf,und darin zeigte sich die rauschende Sihl und eine gedeckte steinerne Brücke. Meiredli sperrte die Augen auf. Sie mußten bald auf dem Etzelberge sein; denn da unten im Tobel war ja schon die Teufelsbrücke, von der die Leute erzählten, daß sie der Hexenmeister Safrastes, der vor langer,langer Zeit daneben hauste, mit dem Teufel über Nacht gebaut hätte. Es ward ihm etwas gruselig zumute, als der Schlitten durch die gedeckte Brücke und über den tief unten rauschenden, halbwegs vereisten Bergbach rumpelte. Immer wieder schaute er schier ängstlich zurück, als der Schlitten schon lange den steilen Berg hinaufkroch.
Da stand die Geiß bockstill, und im Schlittengatter rief das Anneli zur reitenden Post überlaut: „O wie schön ist doch der blaue See!“
Sie waren auf dem Etzelpaß.
Aufschoß der Meiredli, ließ seine Geiß hängen und jagte,alles vergessend, vor den Schlittenzug, der unterhalb der Kapelle des heiligen Meinrad, neben dem Wirtshaus, haltgemacht hatte. Wahrhaftig, da lag weit, weit unten und doch so nahe, als ob er hineinspringen könnte, der Zürichsee und war so wundersam blau; viel blauer als darüber der Himmel; so blau wie ein Bläuekügelchen. Gerade so, wie's ihm die Großmutter erzählt hatte. Und im See schwamm eine grüne Insel, und über den See ging ein langer Steg
Das blaue Wasser.zu einer Stadt und zu einer Burg. Und auf dem blauen Wasser fuhren weiße Kirchenfahnen herum. Das mußten die Segelschiffe sein. Da fuhren ja wohl die Ritterstöchter und Prinzessinnen aus der Burg ein bißchen spazieren.
Ein paar Glockenschläge ertönten. Er wandte sich um.Die Schlitten waren nach der Scheune zu verschwunden,und die Dorfleute stiegen eben plaudernd zur Kapelle hinauf und gingen hinein, das Herz des heiligen Meinrad, das dort der Auferstehung zur ewigen Seligkeit entgegenharrt,um Fürbitte anzurufen.
„Ja was, du bist auch da, Meiredli!“ sagte das Anneli zur reitenden Post, als es neben seinem alten Onkelpaten zum Kirchlein aufstieg. „Wer ist denn noch bei dir?“
„He, niemand.“
„Ja, was machst du denn so allein da droben? Willst du auch zum heiligen Meinrad beten?“
„Nein“, antwortete der Meiredli, „ich will an den See hinunterschlitteln.“
„Ja, was willst du denn dort machen, so weit unten?“
„He, halt einen Krug voll von dem blauen Wasser will ich heraufholen und es der Großmutter heimbringen.“
„Was schwatzt ihr denn da?“ redete jetzt der Onkelpate zu Anneli. „Komm doch! Sind ja schon alle Leute im Kirchlein. Und dir, Bub“, setzte er bei, „dir schadet's auch nichts, wemn du ein Vaterunser drin betest. Vorwärts,kommt!“
Noch einen Blick tat Meiredli auf den tief, tief unten liegenden See; dann folgte er dem Anneli und seinem Paten in die Kapelle.
Drin wurde ein Fünfzehner mit der Heiligenlitanei gebetet. Neugierig schaute sich
das Büblein im Kirchlein um,
13 und sein Blick blieb haften auf einem kleinen runden Fenster hinter dem Altar, das ein blutigrotes dornenumwundenes Herz zeigte. Das war gläublich das Herz des heiligen Meinrad, seines Namenpatrons. Andächtig begann er in das laute Gebet einzustimmen. Doch seine Augen konnten nicht lange stille stehen. So wanderten sie wieder munter in der Kapelle herum und an das Gewölbe, das in einfachen weißen Stukkaturrahmen alte bunte Gemälde sehen ließ. Fast erschrak er, als er auf einem Bilde einen blauen Teufel erblickte, der dem heiligen Meinrad eine greuliche Fratze vorhielt. Er konnte nicht mehr von diesem seltsamen Teufel wegkommen. Bisher hatte er sich den Bösen immer pechhöllschwarz vorgestellt, und da hockte er nun über und über blau an der Decke droben. Das hing gewiß auch mit dem See tief unten im Tale zusammen. Gewiß spukte ein solcher Teufel im blauen See. Er staunte fortwährend an die Decke hinauf und träumte sich nach und nach in eine völlig blaue Welt hinein.
Es hielt ihn nicht länger. Es war ihm, als ob ihn der blaue Teufel an den See hinunter zöge. Und da er im Kirchlein schier zuhinterst stand, gelang es ihm, sich unbemerkt aus der Türe zu machen. Er mußte an den See hinunter. Wenigstens Hände und Füße wollte er sich darin blau waschen und der Großmutter einen Krug voll von dem Wasser heimbringen, damit sie sich die weiße Spitzenhaube blau färbe. Aber schier erschrocken schaute er auf seine leeren Hände. Wo war denn der Krug und wo der Schlitten? Flink eilte er nach der Scheune, wo er die Schlitten in Reih und Glied stehen sah. Eben spannten die Knechte die Pferde aus. Richtig, da hing ja auch seine Geiß noch am immergrünnen Schlittengatter. Rasch löste
Das blaue Wasser.er sie ab und machte sich suchend vors Wirtshaus, wo er im bläulichen Schatten eines Schneewalles auch seinen Krug wiederfand.
Nun staunte er auf den See hinab, von dem ihm die Großmutter so wunderliche Geschichten erzählt hatte. Was alles würde er da drunten zu sehen bekommen! Ein wenig graute es ihm auch. Auf keinen Fall wollte er mit einem Schiff auf den See hinausfahren, selbst dann nicht, wenn ihm die Prinzessin aus der Burg über den Steg winkte;denn der See wimmelte gewiß von Wasserfrauen, die es auf die kleinen Buben abgesehen hatten. Und dann lag der See gar so tief unten. Seine Augen wurden immer bedenklicher. Am Ende wäre es ratsamer auf dem sichern Etzelberge zu bleiben.
Die Kapelltüre ging. Das Anneli zur reitenden Post trat heraus.
Wie der Blitz warf sich der Meiredli mit seinem großen Krug auf den Schlitten und sauste den Berg hinunter.Nur noch wie im Traum hörte er das Mädchen nachrufen:„Büblein, Meiredli, komm doch zuerst ins Wirtshaus und nimm ein Süpplein mit uns!“ Dann stob der Schnee um ihn auf, ihn vollständig einhüllend. Und also ging's durch den stundenlangen, weißglitzernden Etzelwald im Fluge gegen den See hinunter.
Wie Gespenster schossen die Riesentannen an ihm vorbei;immer Tannen, immer
Tannen, bis auf einmal offenes Gelände auftauchte. Und damn ein rotes Dach und
dann ein Stall und dann wieder rote Dächer, ein spitzes Kirchtürmchen und
hoppsassa! überflog sein Schlitten: Er war vom vereisten Weg in die aufgeweichte
schneelose Landstraße und in ein Dörflein hineingeschossen.
15
Mehr erstaunt als erschrocken, erhob er sich und schaute sich mit großen Augen um. Er war in einer andern Welt.Hohe Bäume mit krausem Geäste und grünen Matten waren um ihn. Da mußte er ja wohl im Wunderlande angekommen sein und war doch soeben auf dem Etzelberge aufgesessen. Was würde er nun alles zu sehen bekommen?
Ein Bauer mit einem Hornschlitten kam daher. Vor Meiredli blieb er stehen und wischte sich, atemholend, mit der Zipfelmütze den Schweiß vom Strubelkopf.
„Was gaffst du mich denn so an, Kleiner?“
„He“, sagte der Meiredli, „wo kommt Ihr denn her?“
„Dummer Bub, wo wollt ich denn herkommen? Aus dem Stall komme ich.“
„Wo sind denn aber jetzt die Ritter?“
Der Bauer glotzte ihn verwundert an. „Die Ritter?Ja, was für Ritter? Ich weiß beim Eidhagel von keinen Rittern etwas. Bei mir sind sie nicht vorbeigekommen.Wenn du Reiterleute suchst, so mußt halt im Wirtshause da drüben nachfragen.“
„Ich meine nicht Reiter, ich meine ja Ritter. Wißt Ihr,so Grafen und Burgritter, die Prinzessinnen zu Töchtern haben.“„Büblein“, sagte der Bauer, „wenn du meinst, ich mache mit dir den Hansnarren, so bist du gefehlt berichtet. Es ist noch nicht Fastnacht. Lebwohl und hab dich warm.“
Damit packte der Alte sein Gefährt an beiden Hörnern und machte sich gruchsend weiter.
Mit seltsamen, schier erschrockenen Augen glotzte ihm Meiredli nach. Als er hinter dem Hause verschwand, begann er sich fast mißtrauisch umzusehen. Er drückte seinen Krug unter den Kittel, griff die Schlittenschnur vom Boden
Das blaue Wasser.auf und zog davon. Enttäuscht schaute er sich unter den paar Häusern um. Das konnte doch wohl das Wunderland noch nicht sein, von dem ihm die Großmutter erzählt hatte. Das war wohl drüben über dem Steg. Doch da sah er wieder die grünen Matten, die krausen Bäume.Und nun fiel ihm der See ein. Im nämlichen Augenblicke sah er davon ein blaues Stückchen durch die Bäume leuchten, blau, knisternd blau. Da sprang er strahlenden Angesichts über einen Hag, hob seinen Schlitten hinüber und stob dann in sausendem Galopp über eine weite tupfebene Wiese dem nahen See zu.
Jetzt tauchte der völlig aus den Bäumen auf, als eine weite tiefblaue, leise
wellende Ebene. Je näher er ihm kam, desto langsamer ging er. Nun blieb er gar
zögernd,mit hochklopfendem Herzen stehen und schaute, den Krug in der Hand, nach
dem grünen, von einem Kirchlein überragten Eiland, das dort in den blauen
Wassern lag. Das mußte wohl die Insel Ufenau sein, worauf der heilige Adelrich
ein so heiligmäßiges Leben geführt hatte, wie die Großmutter erzählte. Eben
stieß ein Schiffchen von der Insel ab und schien dann gegen ihn heranschwimmen
zu wollen. Wenn eine Burgfrau drin säße! Dort drüben sah er ja auch den Steg und
die geheimnisvolle, burggekrönte Stadt. Der Kahn kam immer näher. Meiredli
zitterte vor Erwartung. Erst war ihm, er müsse davonlaufen. Dann aber versteckte
er sich im Schilf, aus dem zu seinem Schrecken eine Kette Wildenten aufschoß.
Eine Weile wagte er nicht sich zu rühren. Da hörte er ein leises,sich näherndes
Schnalzen und seltsames Quirlen. Run war das Schiff wohl schon ganz nahe. Gewiß
wurde es von zwei verzauberten Schwänen gezogen, wie er's im
17
Märchenbüchlein mit eigenen Augen gesehen hatte. Er tat das Röhricht ein bißchen auseinander und guckte, hochrot,schier ängstlich, auf den See hinaus.
Uberrascht sprang er auf und starrte verdutzt nach dem schwappelnden Fahrzeug, das eben ans Land stieß. Und da war kein vergoldeter Nachen, keine Schwäne und keine Prinzessin zu sehen, wohl aber ein unansehnliches Schiffchen,das aussah wie ein Futtertrog. Und drin stand rudernd ein buckliger Mann und pfiff ein Schelmenliedchen. Ein Weilchen stand der Meiredli sprachlos, offenen Mundes da,immer nach dem Fischerkahn gaffend. Dann atmete er lang auf und tat einen raschen, mißtrauischen Blick nach der Stadt über dem See.
Aber plötzlich sprang er über Schlitten und Krug hinweg und rannte wie der Wind völlig ans Seeufer.
Verwundert schaute der alte Fischer auf, als sich mit einem Male ein Büblein neben seinem Kahn niederwarf, erst einen Augenblick ins Wasser staunte und dann mit beiden Händen wie wild darin herumfluderte, also daß es rundum aufspritzte.
„Zum Kuckuck, was gibt's denn da?“ sagte der Alte.„Willst du die Fische mit den Händen fangen?“
Ein zorniger Aufschrei gellte über den See.
„Es ist nicht wahr, es ist ja gar nicht wahr! Kein bißchen blau ist das Wasser, seht, seht!“ Der Meiredli sprang bebend auf und ließ aus seinen hohlen Händen das Wasser ins Kies tropfen. „Ganz gewöhnliches Brunnenwasser ist's bloß, o, ol“
„Du Närrlein, du Närrlein, woher kommst du denn, der tausend Gotiswillen!“ sagte erstaunt der Fischer. „Bist du dem aus den Wolken gefallen? Wer in aller Welt sagt denn, daß blaues Wasser da im See sei?“Lienert, Bergdorfgeschichten.
Das blaue Wasser.„Die Großmutter hat's gesagt, die Großmutter hat's gesagt!“ rief der Meiredli entrüstet aus. „Und nun ist's nicht einmal so blau wie meine Lismerkappe, und sie hat doch gesagt, es sei so blau wie ein Bläuekügelchen.“
Er wischte mit dem Armel die Tränen aus den Augen.
„Ja, du bist ein rechter Torenbub; wie redst nun du einfältigl Jetzt sag' aber einmal, wo bist du denn her?Hast du denn noch nie Seewasser gesehen?“
Aber Meiredli hörte nicht auf den Alten. In rasendem Galopp war er ins Schilf gejagt, und nun stürmte er, den Krug in einer Hand, mit der andern den Schlitten nachschlenkernd, wieder ans Ufer, warf sich in die Kniee und tauchte den Krug tief in die leise wellende Flut.
„Ja, was machst du denn jetzt wieder? Willst etwa den See ausschöpfen, weil das Wasser nicht blau ist?“
„Nun soll's die Großmutter selber sehen, daß es kein bißchen blau ist“, rief der Meiredli, sich mit plattvollem Krug erhebend, aus. „Es ist mit den Rittern und Prinzessinnen und den Schwänen auch nicht wahr gewesen.“
Der Alte mußte nur so Augen machen.
„Ja, wo ist denn deine Großmutter zu Hause?“
„Ha, halt zu Adam und Eva in Einsiedeln.“
„In Einsiedeln, im Tal der Alp? Ja so, den Weg“,machte der Fischer aufatmend; es war ihm einen Augenblick ganz wirbelig unter der Pelzkappe geworden. „Ja, wie kommst du denn aber hieher an den See?“
„Ich bin halt mit dem Schlitten den Berg hinunter gefahren.“
Der Fischer sah nach der Sonne.
„Nun mußt du aber schauen, wieder heimzukommen,törichtes Bürschlein“, meinte er
mit bedenklichen Augen.
13 „Es dämmert bald, und der Weg bis auf den Berg und dann erst wieder über einen zweiten Berg ist weit. Der Schlitten hat dich wohl in einem Viertelstündchen hinabgetragen; aber hinauf, schau dich mal um, da geht's länger,Kleiner.“
Rasch wandte sich der Meiredli, und jetzt erschrak er doch schier. Weit weg, hoch oben sah er die Abendsonne durch den Tannenkamm des Hohenetzel schauen, und auf dem Berg stand etwas Weißes. Das war wohl die Kapelle des heiligen Meinrad. Kleinlaut nahm er die Schnur seines Schlittens vom Boden auf und sagte kaum hörbar: „Adie wohl!“
„Lebwohl, dummes Büblein!“
Lachend zog der Alte seinen Kahn völlig ans Land.Meiredli aber höselte bedrückt, den schweren Krug im Arm,über die Wiesen davon, von Zeit zu Zeit nach der Kapelle hoch droben auf dem Berg Auslug haltend.
Bald hatte er die grünen Wiesen, den Hag und das Bauerndörflein hinter sich und kam aus der kotigen Landstraße in den vereisten Bergweg und dann, allmählich ansteigend, auf den glitzernden Schneepfad. Betrübt lief er höhwärts.
Da rumpelte aus einem einsamen Tätschhäuschen am Weg ein ländlicher Briefträger.zu ihm gesellend.
„Halt über den Berg.“
„Uber den Berg? Da gibt's dir noch müde Beine. Was trägst du denn in dem großen Krug? Bienenhonig?“
„Nein, Wasser.“
„Aha, wohl Weihwasser aus dem Kapuzinerkloster? Du bist aber ein frommer Junge.“
Das blaue Wasser.„Nein, Seewasser.“
„Seewasser? Willst du mich hänseln? Was solltest du denn mit dem Seewasser wollen?“
„He, ich will es der Großmutter heimbringen.“
„Ja, bist du denn nicht recht bei Trost? Hat denn deine Großmutter noch nie Seewasser gesehen?“
„Doch. Die Großmutter hat aber gesagt, das Seewasser sei blau, und jetzt ist's doch nicht blau gewesen.“
Der Briefträger glotzte ihn mit seltsamen Augen an.„Büblein“, redete er, „leer' doch das blöde Wasser aus und steig mit mir da ins Haus hinauf. Ich will dir den Krug mit gutem Birnenmost füllen lassen.“
„Nein“, sagte der Meiredli und verbarg seinen Krug schier ängstlich unter dem Lismerkittel.
Der Briefträger sah ihn einen Augenblick ratlos an. Es war todsicher, der Kleine
war aus einem Narrenhaus entsprungen. Daß es schon so junge Narren gab! Bisher
hatte er geglaubt, es gebe nur ausgewachsene Narren. Er mußte die Bäuerin holen
im Hause droben. Die sollte den armen närrischen Buben herauflocken. Dann könnte
man ihn ja in eine Kammer einsperren, bis man herausbrächte,wohin er gehörte.
„Wart' ein Weilchen; ich komme gleich wieder!“ sagte der Bote und polterte das
Stiegenbrücklein hinauf ins Haus hinein. Aber kaum war er nicht mehr zu sehen,
setzte sich der Meiredli, der den Augen des Briefträgers nur halbwegs traute, in
Trab. „Halt!“ rief's,„bleib stehen!“ Der Kopf des Briefträgers guckte aus einem
Fenster des Bauernhauses. Doch der Meiredli blieb nicht stehen, und als er den
Briefträger ausrufen hörte: „Da läuft der Narr!“, rannte er in wildem Galopp
davon, und erst als er den Waldrand erreicht hatte, wagte er zurück
21 zuschauen. Niemand verfolgte ihn. Noch einen flüchtigen,schwermütigen Blick tat er auf den in beginnender Dämmerung liegenden See, der nun auch aus der Ferne ganz grau anzusehen war, dann tauchte er seufzend in den verschneiten Hochwald unter.
Es war schon recht dunkel im Etzelwald. Und als er tiefer unter die finsterblickenden Tannen hineinkam, ließ sich von irgendwoher ein unheimliches klagendes Käuzen vernehmen, das immer näher kam. Den Knaben fröstelte es.Da war gewiß der Hexenvogel, der Huppert, um den Weg und wollte ihn verlocken. Nun wäre er doch fast froh gewesen, er hätte Weihwasser im Krug gehabt. Mit klopfendem Herzen lief er höhewärts. Es war allmählich stockfinstere Nacht geworden; aber der Abendstern stand ob dem Wald und ließ ihn nicht vom rechten Weg abkommen. Ein heiseres Bellen war im Holz. Der Etzelbär fiel ihm ein, von dem die Leute erzählten, daß er den einsamen Pilgern auflauere und sie in seine Höhle verschleppe. Jetzt sah er etwas am Wege stehen, das einen Arm ausstreckte und unheimlich schnalzte; etwas Großes, Aufrechtes. Gewiß war es der Bär, der auf den Hinterbeinen unter der Tanne stand.Entsetzt hielt er an und wagte sich keinen Schritt weiter.Er betete alle Stoßgebetlein, die ihm einfielen. Wäre er doch zu Hause geblieben bei der Großmutter, die jetzt nicht einmal wußte, in welch schrecklicher Gefahr er sich befand!Leise fing er zu weinen an. Da ward es ein wenig heiterer im Wald. Und nun erkannte er im Ungeheuer unter der Tanne einen Brunnenstock, der lustig drauflosschnalzte. Wie ein aufgescheuchter Hirsch jagte er daran vorbei und hielt auch nicht inne, als ein Füchslein, nicht allzu eilig, über den Weg lief; denn nun sah er fast jeden Ast am Baum.
Das blaue Wasser.Die Schlangen, die vorher zu beiden Seiten dem Weg nachliefen, hatten sich in harmlose Baumwurzeln verwandelt.Auf einmmal ging der Wald auf. Er stand am Waidgatter und sah aufatmend, ganz nahe ob sich, die St. Meinradskapelle, über die eben der Mond aufging. Aus dem dabeistehenden Wirtshaus aber schauten die hellerleuchteten Fenster gar freundlich auf ihn herab.
Ein Aufjauchzen; ein tolles Hasten. Da stand er vor dem Wirtshause und schaute sich, langaufatmend, noch einmal um. Schwarz, unheimlich dräute der Etzelwald herauf.Aber darunter, im tiefen Tale, lag der See in bläulicher Dämmerung, und die Lichtlein aus der Burgstadt über dem See zwinkerten ihm geheimnisvoll zu.
Jedoch er wandte sich kalt ab, schob den Schlitten neben die Steintreppe und stieg, den Krug in der Hand, ins Wirtshaus hinauf.
Ein großer Hund kam ihm schweifwedelnd entgegen.Der breite Gang war hell erleuchtet und darin ein eiliges Herumlaufen der Mägde. Er guckte in die Wirtschaft hinein. Kartenspielende Knechte hockten lärmend, und die Fäuste auf den Tisch schlagend, um die kuhfüßigen Tische.An einem Schiefertafeltisch hatten sie gar eine Magd, die beim Kreuzjaß den vierten Mann ersehen mußte. Und sie ersetzte ihn auch; denn eben schlug sie einem mogelnden Knecht die Karten also aus den Händen, daß sie wie die Ahornblätter im Föhnwirbel herumtanzten, was an allen Tischen mit einem dröhnenden Gelächter gefeiert wurde.„So recht, Bethli. Zeig's dem Rotköpfigen!“
Meiredli zog den Kopf enttäuscht zurück. Das waren
23 nicht die gesuchten Dorfleute von Einsiedeln. Es ward ihm bang ums Herz. Wenn sie schon heimgefahren waären?Wenn er in der sinstern Nacht mutterseelenallein den weiten Weg ins Walddorf zurückmachen müßte? Und gar über die Teufelsbrücke, wo sein verhexter Urvetter, der Safrastes,mit den vier Elementen im Steckenknopf umging!
„Was suchst du, Büblein?“
Die freundliche Wirtin redete ihn an.
„Wo sind denn die Leute von Einsiedeln?“ fragte er chier weinerlich.
„Oben im Saal. Geh nur hinauf, Kleiner!“ machte die Wirtin und verzog sich in die Küche.
Etwas beklommen, mit scheuen Augen, begann der Meiredli über die breite Treppe in den obern Stock hinaufzusteigen. Doch er drückte sich schier ängstlich an die Wand,als ein paar Mägde mit großen Platten, auf denen allerlei Speisereste lagen, aus dem obern Gange herabkamen und sich flüsternd und kichernd an ihm vorbei die Treppe heruntermachten. Nun stand er im Gang, auf dessen Boden aus zwei offenen Türen das Licht fiel. Es sah da verschwiegener aus als in einer Beichtkirche. Ratlos stand er da. Seine Dorfgenossen schienen nun doch heimgereist zu sein. Eben wollte er mit einem Hängmãulchen die Treppe wieder leise hinunter gehen. Da dröhnte es durch die offenen Saaltüren in den Gang hinaus: „Stabellenritter hoch! Eins, zwei, dreil“ Und nun ging ein fürchterliches Gepolter los, als ob im Saal drin Tische und Stühle zu tanzen anfingen, und jetzt schallte in das Hulterpulter ein tolles Gelächter.
Erst hatte der Meiredli, bleich vor Entsetzen, davonlaufen wollen, und war schon einige Stiegentritte hinuntergerasselt.
Das blaue Wasser.Aber das fröhliche Auflachen hielt ihn an. Er wagte sich in den
Gang zurück und schlich sich auf den Zehen der Wand nach zu einer offenen Türe.
Erst zögernd, mit fast furchtsamen Augen, dann über und über lachend, wie ein
Butterstock auf der Traggabel, glotzte er in das hellerleuchtete Festgemach.In
dem niedern Saal, der an der Decke bescheidene Stukkaturverzierungen zeigte,
ritten auf ihren Stühlen die Dorfleute von Einsiedeln, Männlein und Weiblein,
hintereinander,in wildem Galopp um die lange Tafel und schien sich die ganze
Kavalkade bei diesem Stabellenritt königlich zu unterhalten. Es war ein
unablässiges, einhelliges Juhee, aus dem das polternde Lachen der Männer
schwerfällig wie Auerhähne herausrauschte, wãhrend die schluchzende Freude der
Frauen wie ein Flug Lerchen den Saal ausjauchzte.Rundum ging's, immer rundum.
„Haltet ein, in Gottesnamen!“ rief gruchsend und kichernd eine wohlbeleibte Frau
Ratsherrin, „ich kann nicht mehr.“ „Hupp, Rößlein,hupp!“ rief ein strammer
Schützenlieutenant, der die Reiterei anführte. Er tat, als gäbe er seinem Pferd
die Sporen.„Zum Donnerl!“ lärmte jetzt keuchend ein dicker Metzgermeister.
„Jetzt ist's genug, sonst muß ich aufgeisten. Ich wollte lieber auf einer Kuh
reiten als auf einem Stuhl.“Erneutes tolles Auflachen. „Halt!“ kommandierte der
flotte Schützenlieutenant. „Die Burg ist erstürmt. Nun gilt's aber noch das
Dornröschen herauszuholen.“ Die hölzernen Pferde blieben stehen, und lachend
trockneten sich die Mannsleute den Schweiß von den Stirnen, während die Frauen
sich plaudernd und kichernd bemühten, ihre beim wilden Ritt etwas
auseinandergegangenen Haare zu ordnen und die zu Boden gefallenen Kämme,
Haarnadeln, Löffel und Messer aufzulesen.
25 Lachenden Auges und offenen Mundes hatte der Meiredli diesem fröhlichen Traben zugeschaut. Fast wäre ihm vor Verwunderung der Krug aus der Hand gefallen, als er sah, wie alte, sonst so gestreng blickende Richter und Ratsherren und biderbe Meister und Krämer und gar ältliche fromme Frauen und junge züchtige Weibsleute, die sonst die Augen kaum aufzuschlagen wagten, bei diesem tollen Hexentanz sich vor Vergnügen fast nicht zu fassen wußten.Aber als es auf einmal stiller wurde, gewahrte er den langen, mit schimmerndweißen Tüchern überdeckten Tisch,und nun vergaß er seine gutaufgelegten Dorfsippen vollständig, und das Wasser lief ihm im Munde zusammen. In erfreulichem Durcheinander standen auf dem Tisch bauchige,rote und weiße Flaschen und umfangreiche Platten, auf denen die ansehnlichen Reste süßen Gebäcks, Nidelpastetchen,Hüppen und andere leckere Dinge recht anzüglich aufgebaut waren. Und zwischen den paradiesisch duftenden Platten vertaten sich gewaltige Schüsseln, die von geschwungener Nidel überquollen, wie vereiste Brunnentröge von blendendweißem Januarschnee.
Meiredlis Mundwinkel glänzten und gleißten wie frisch geputzte goldene Broschen.
Unterdessen ging das kurzweilige Spiel weiter.
„Die Burg, die ist genommen ein, wo mag denn wohl Dornröschen sein?“ rief der Schützenlieutenant durch den Saal.
Ein älteres, wohlberedtes Frauchen erhob sich und antwortete: „Das wissen die sieben Pagen.“
„Was tuen denn die sieben Pagen machen?“
„Sie sollen das verwunschene Schloß bewachen“, gab das Weiblein zurück.
Das blaue Wasser.Da rief der Schützenlieutenant: „So sollen sie zu uns hereilen und uns die rechte Wahrheit mitteilen.“
Das Frauchen antwortete: „Der erste liegt krank unter der Freßbank. Der zweite hat die Magd am Schürzenband gezerrt; da hat sie ihn in die Gerümpelkammer gesperrt.Der dritte stieg auf einen Holunder; jetzt kann er nicht mehr herunter. Der vierte wollte Honig lecken; da tat ihn der Koch in den Keller stechen. Den fünften tät ein Floh ins Bein stupfen; jetzt kann er nimmer hupfen. Der sechste kann keine Hosen auftreiben; darum muß er im Bett bleiben. Der siebente ist noch zu jung und hat keinen Brosamen Erfahrung.“
„Der ist der rechte, der wird es wagen und sonder Falsch die Wahrheit sagen. Er
trete vor in Gottesnamen!“ sagte der Lieutenant sein Sprüchlein weiter und rief
dann ringsum in den Saal: „Wer ist der jüngste von allen in diesen
Hallen?“Tiefes Schweigen. Dann Kichern und Tuscheln. Jetzt aber rief ein alter
Hafnermeister: „Der jüngste ist wohl der Bäckerkari, des Unterdorfbäckers Sohn!“
Der Bäckerssohn, der mit glänzenden Augen, aber mäuschenstill unten am Tische
neben dem Hafnermeister saß, schrak zusammen und errötete, als er mit einem Male
alle Augen auf sich gerichtet sah. Einen raschen Blick tat er nach dem Anneli
zur reitenden Post, das zwischen seinem grauborstigen Onkelpaten und der
spitznäsigen Mutter des spielleitenden Schützenlieutenants saß. Das sah ihn mit
stillen heißen Augen an.Schüchtern erhob er sich, und an seinem verlegenen
Räuspern schien es, als wolle er etwas sagen. Doch nun rief des Lieutenants
Mutter mit hohem spitzen Stimmlein: „Der jüngste von allen Herren im Saal wird
doch wohl mein
27 Sohn sein!“ Alles sah nach dem flotten Burschen an ihrer Seite. Der wirbelte eben sein Schnäuzchen herausfordernd auf und schaute lachend, mit vielsagendem Augenzwinkern,zu Anneli hin, was dieses, obwohl es mit keinem Auge aufsah, mit großem Unbehagen gar wohl bemerkte.
„Ich werde Anfang Mai fünfundzwanzig!“ rief aber jetzt mutig der Bäckerkari.
„Und ich Ausgang Mai!“ gab der Lieutenant überlaut,triumphierend, zurück. Und wieder schaute er geradewegs auf Anneli. Nun wußte die ganze Tafelrunde, wo der sein Dornröschen zu finden gedachte, falls er später den Prinz spielen dürfte.
Jetzt erhob sich unten am Tisch das muntere Frauchen wieder und rief zum Schützenlieutenant gewendet: „So red'er, Page, uns zu Gefallen, wo ist Dornröschen, die Schönste von allen?“„O nein“, sagte, sich erhebend, Anneli, zur allgemeinen Verwunderung, „der Herr Lieutenant ist nicht der Jüngste im Saal. Es gibt noch einen viel jüngeren; dort steht er an der Türe!“
Blutrot, zitternd ließ sich das Mägdlein wieder auf seine Stabelle nieder.
Alles sah neugierig nach der Türe, und ein Gelächter rauschte durch den Saal. „Allweg“, rief ein ehrsamer Tuchherr, „der Meiredli zu Adam und Eva ist der jüngste unter uns, ehrlicher Waldleute Kind und ein Page wie von Gott gemacht. Der wird wohl am unbestechlichsten und ohne Flattiererei die Schönste herausholen.“ Erneutes Gelächter und allseitiger Beifall der hochvergnügten Dorfleute.
„Komm zu mir, Büblein!“ rief das Ameli dem auf der Türschwelle stehenden Knaben zu.
Das blaue Wasser.Meiredli stand immer noch wie im Traum da. Er staunte unablässig auf den mit lauter guten Dingen überladenen Tisch, den er so nahe vor sich hatte und der ihm doch verwehrt war, wie seinerzeit Moses das von Milch und Honig fließende gelobte Land. Mit nassem Mäulchen schmachtete er nach den braunen Hüppenbergen und besonders nach den taubenflaumzarten Nidelfirnen. O wie es von dem langen Tisch her duftete! Als ihn aber das Anneli noch einmal anrief und ihn gar bei der Hand faßte,erwachte und begriff er. Ein Aufleuchten, das in ein immerwährendes schweigendes Lächeln überging, verklärte sein ganzes Gesicht, und willig, noch traumbefangen, mit schier unsicher tastendem Fuße, ließ er sich von Anneli an den Tisch führen. Behutsam stellte sie seinen schweren Krug auf den Boden neben ihren Stuhl, setzte sich und zog ihn auf ihren Schoß. Und da saß er nun warm und weich,aber unruhig und ein bißchen verlegen. Dieses Anneli hielt ihn ja wohl noch für ein kleines Schoßkind. „Wo bist du denn gewesen, Meiredli? Ich habe wohl nach dir ausgeschaut und gefragt; doch niemand wußte etwas von dir. Da dachte ich mir, du seiest gewiß wieder heimgeschlittelt.“ Er lächelte fortwährend, schien aber nichts zu hören. Mit großen Augen staunte er immer auf den Tisch und konnte nicht still sitzen. Schnell griff Anneli in seinen Teller und schob ihm eine von Nidel überquellende Hüppe in den Mund. „Nimm Büblein, nimm nur! Und nun sag, was hast du den ganzen Nachmittag getrieben?Hast du denn wirklich im See drunten Wasser geholt?“
„Heja“, sagte er jetzt, mit lachendem Zünglein den Schlagrahm ringsum säuberlich vom Mäulchen leckend.
Horchte alles auf um den langen Tisch!
29 „Ums Himmelswillen, das fehlte noch, daß unsere Mägde soweit zum Brunnen hätten! Ja, aber warum hast du denn das Wasser aus dem See heraufgeholt, du einfältiges Büblein?“
„Ja“, machte er, sich unruhig in ihrem Schoß hin und herwiegend, „weil halt die Großmutter gesagt hat, das Wasser im See sei knisterndblau, blauer als ein Bläuekügelchen.“
Ein fröhliches Auflachen ging im Saal herum.
„Ja ist's denn nicht blau gewesen?“ fragte mit verwunderten Schalkenaugen das Mägdlein.
„Ja doch, von weitem ist's schon blau“, meinte der Meiredli, „aber wenn man's anrührt, ist's bloßes leeres Brunnenwasser. Schau nur!“ Und geschwind hob er den schweren Krug vom Boden auf und hielt ihn Anneli unter die Augen.
„Wahrhaftig“, sagte sie, in den Krug guckend, „es ist kein bißchen blau, nicht einmal so blau wie deine Lismerkappe.“„Und die Großmutter hat es doch sicher und heilig gesagt“, machte er, mit bedenklichen, schier vorwurfsvollen Augen zu ihr aufblickend.
Ja, weißt du, Kleiner“, sprach jetzt Annelis Onkelpate,„deine Großmutter ist eben alt, und da bekommt man wunderliche Augen und kennt die Farben nicht mehr recht auseinander. Du wirst aber nicht so dumm sein und ihr das fade Seegewäsch zutragen wollen. Geh, Meiredli,leer's aus!“
„Nein, nein“, rief der Meiredli erschrocken aus und kniff den Krug zwischen die
magern Knie. „Ich will das Wasser der Großmutter heimbringen.“
Das blaue Wasser.Wieder ging ein munteres Gelächter um den Tisch.
„Ei, so laßt doch den dummen Buben und seinen Krug einmal!“ rief jetzt der stramme Schützenlieutenant. Ich denke doch, wir wollen das Dornröschenspiel fortführen,sonst kommen wir damit zu keinem Ende. Und da dieser hereingeschneite Bub nun einmal der Jüngste im Saal sein muß, so soll er reden.“
Der große Arger, den ihm das Zwischenspiel mit dem Meiredli verursachte, war deutlich genug aus seiner Stimme herauszumerken.
Rasch erhob sich das lebhafte ältliche Frauchen unten am Tisch und sprach, schier feierlich den Meiredli anblickend:„Jüngster Page, sag uns zu Gefallen, wo ist das Dornröschen und die Schönste von allen?“
Meiredli glotzte die Frau verständnislos an und errötete.Was hatte denn die mit ihm? Was redete sie von Dornröschen zu ihm? Aber das Anneli schob ihm ein Nidelpastetchen in den offenen Mund, zog ihn fester an sich und raunte ihm ins Ohr: „Geh, du darfst auch miispielen.Zeig nun, was für ein gescheites Büblein du bist, wie deine Großmutter immer erzählt, und sag laut und herzhaft heraus,wer von allen Frauen, die um den langen Tisch sitzen, die allerschönste ist.“
„Spielt ihr denn Dornröschen?“ fragte er halblaut.
„Freilich“, flüsterte sie zurück. „Und die Schönste soll dann eben das
Dornröschen sein. Wer ist nun die Schönste im Saal?“Jetzt ging dem Meiredli die
ganze Dornröschengeschichte im Kopf auf, die ihm die Großmutter wohl hundertmal
schon hatte erzählen müssen. Er fing an, sich, immerfort lächelnd, am Tisch
umzusehen und schaute mit scheuen, aber
31 ernsthaft prüfenden Augen von einer Frau zur andern.Es war schier unheimlich stille geworden im Saal. Aber nun begann allmählich wieder ein leises Kichern und verlegenes Hüsteln um den Tisch zu geistern; denn Meiredlis lachende Auglein verweilten gar lange bei einigen hübschen Frauen, die vor Verlegenheit und banger Erwartung nicht wußten, wohin sie sehen, wie sie sich anstellen und lassen sollten. Aber auch er ward verlegen; denn nun wanderten seine Blicke ratlos zwischen zwei nicht mehr ganz jungen,aber üppigschönen Frauen hin und wieder. Und dann begannen seine Augen von neuem die Runde um den ganzen Tisch. Doch immer wieder kehrten sie zu den zwei zündbrandrot gewordenen Vierzigerinnen von schwellender Gesundheit zurück. Welche mochte denn wohl die Schönere herum. Da sah er im Spiegel gegenüber ein Mägdlein sitzen, rot wie Blut und weiß wie Schnee. Und das hielt im Schoß einen Knaben, der einen Krug in den Armen hatte. Blitzgeschwind kehrte er sich um, also daß das Wasser im Krug schwappelte, und schaute erschrocken und erstaunt dem Jüngferlein ins Gesicht, in dessen Schoß er saß und in dessen Augen ein Tränlein wie ein Tautröpflein blinkte. Und schier aufjauchzend rief er in den Saal, so laut er vermochte: „Das Anneli zur reitenden Post ist die Schönste von allen! Es ist eine wie das Dornröschen im Bilderbuch!“
Ein tolles Gelächter, aus dem beifällige Rufe herausschallten, brauste um den Tisch. „Gut geraten!“ rief ein feister Ratsherr. „Brav abgeschnitten!“ lachte der Tuchherr.„Ins Schwarze getroffen!“ lärmte ein alter Nimrod. „Ja,ja“, machte Annelis Onkelpate und strich sich schmunzelnd
Das blaue Wasser.über die grauen Haarborsten, „das Büblein hat ein gutes Näschen; der findet's gewiß einmal heraus, trotz einem Vienchen, aus welchen Blumen der Honig am süßesten duftet. Tu mir Bescheid, Bürschchen!“ Er hielt Meiredli das volle Weinglas hin, woran der, voller Freude, daß er's so gut getroffen haben sollte, also tapfer zog, daß das Glas immer leerer wurde. „Halt, halt, es tut's!“ sagte lachend der Alte, „du schluckst ja wie ein Kennel. Aus dir kann noch ein trinkfester Mann herauswachsen. Nimm aber jetzt lieber noch einen Mundvoll Nidel.“ Und er überfüllte ihm Annelis Tellerchen mit einem luftigen, schneeweißen Hügel, den der Knabe sogleich eifrig abzutragen begann.
Unterdessen saß Anneli still da und fuhr dem essenden Knaben streichelnd und
schmeichelnd über den blonden Strubelkopf, in blutroter Verlegenheit und
lächelnder, glückseliger Verwirrung immerzu in dessen Krug hineinblickend,als
sehe sie darin nun nicht nur knisterndblaues Wasser,sondern auch einen
knisterndblauen Himmel. Alle Augen guckten nach ihr. Aus vielen Frauenherzen
hasteten die Neidteufelchen in die heißen Köpfe hinauf und schielten durch die
braunen und blauen Fensterchen mißgünstig nach dem in holdseliger Anmut
dasitzenden Anneli. Daß er gerade diesen jungen Knopf auslesen mußtel zischten
die Teufelchen. Und wahrhaftig, wie es so da saß, glich das Mägdlein auch ganz
einem Rosenknopf, der in der warmen Stube eben aufgehen will mitten im Winter.
Am aufgebrachtesten waren heimlich die zwei verschmähten üppigen Schönen, die
sich durch das Büblein schon fast auserwählt sahen. Auch des Schützenlieutenants
Mutter schaute säuerlich drein, wie eine Kuckucksampfer, denn sie war gar nicht
zufrieden. Obschon sie wußte, daß ihr flotter Sohn unbedingt
33 auch das Ameli auslesen würde, wäre ihr's doch lieber gewesen, er hätte anstatt des dummen Buben den Preis-richter machen können. Da hätte er gewiß gewomnenes Spiel gehabt. Doch hoffte sie immer noch auf ein gedeihliches Ende; denn nun kam ja erst der Haupttrumpf des Dornröschenspiels. Eben erhob sich unten am Tisch das rundliche, quecksilberige Frauchen wieder, nachdem sich der Lärm und das Gelächter etwas gelegt hatten, und verkündigte: „Nun wird sich Dornröschen, die schönste der Frauen, im Traum nach ihrem lieben Prinzen umschauen;der soll das Röslein durch die Dornenhecken mit einem ehrbaren Kuß vom Schlaf auferwecken. Sag an, du Schönste,wer erscheint dir im Traum?“
Jetzt mußte das Ameli antworten. Über und über rot,hob es den Kopf, und während seine Finger Meiredlis Lismerkittel zerknitterten, sah es sich zaghaft rundum. Aber unter den vielen freundlichen und ermunternden Augen begegnete es auch manchen Blicken, die den Verdruß ihrer Herzen nicht genugsam zu verbergen wußten. Und als sie gar des Schützenlieutenants erwartungsvolles Gesicht und seiner Mutter spitze, nach ihrem Mund angelnde Nase erschaute, senßte sie das braunlockige Köpfchen wieder und blieb still.
„Zum Donner“, schnauzte sie aber jetzt ihr Onkelpate an,„red doch einmal! Wird dir ja wohl auch schon von einem geträumt haben, Dornröschen; denn die Hasen und die jungen Mädchen träumen ja sogar mit offenen Augen.Nenne deinen Prinzen! Den wüstesten wirst du etwa kaum ausgelesen haben; dafür hast du mir zu flinke Auglein.Geistern ja den ganzen Tag herum wie Blaumeisen.“
Ein übermütiges Gelächter erschallte.
Lienert, Bergdorfgeschichten.
Das blaue Wasser.Nun geriet aber das Anneli erst recht in Verwirrung,und obwohl es den Kari totenbleich in seinem Winkel hatte sitzen sehen, verlor es doch allen Mut und sprach jetzt mit unsicherer Stimme zu dem essenden Meiredli, ihn am Kittel zupfend: „Mein Prinz, ich seh dich im Traum an der Rosenhecken; du sollst mich mit einem süßen Kusse auferwecken!“ Und als der Meiredli, der eben seinen Schlagrahmhügel bis auf den Grund abgetragen hatte, verwundert aufschaute, packte sie mit beiden Händen seinen Blondkopf und wollte ihn auf den von der Nidel ringsum schneetaubenweißen Mund küssen. Aber er zappelte sich energisch los und sagte, Anneli mit ernsthaften, schier anklagenden Augen anblickend: „Nein, ich darf kein großes Maitli küssen, hat die Großmutter gesagt; sonst bekomme ich eine Warze im Mundwinkel.“
Ein donnerndes, ein jauchzendes Auflachen ging im Saal um. Aber als der Knabe sah, wie das Anneli dunkelrot wurde, wie es ihn seltsam ansah und ihm gar Tränen in die Augen schossen, ward ihm trübe zumute; doch da kam ihm ein Einfall. Sein Gesicht leuchtete auf, und laut rief er: „Weißt du was, Anneli. Ruf doch den Bäckerkari.Schau, dort unten sitzt er in einem Winkel. Der soll dir einen Kuß machen. Er hat dir ja heute auf der Schlittenfahrt mehr als zwanzig gemacht; ich hab's wohl gehört.“
Ein wahres Aufheulen durchtobte den Saal. „Du Donnersfratz, du Donnersfratz!“ lärmte der Onkelpate. Das Anneli aber hatte, aufschreiend, die Hände vors Gesicht geschlagen und hastete zum Jubelgemach hinaus, gefolgt von der Base,des Onkelpate Frau, und der lächelnden Wirtin.
Im Saale aber wollte das Lachen und kichernde Tuscheln und übermütige Getue zu
keinem Ende kommen. Und als
35 sich nun auch der Bäckerkari blutrot erhob und sich so unbemerkt wie möglich zur hintern Türe hinauszudrücken trachtete, ging der Spektakel von neuem los. Kaum war er verschwunden, rückte des Schützenlieutenants Mutter näher zum etwas verärgert dreinschauenden Onkelpate und sagte mit honigsüßem Lächeln und flötendem Munde: „Da hätte man also gleich glückwünschen und die Verlobungsfeier abhalten können; denn, wie's scheint, hat dieser Bäckerssohn Ihre Nichte schon auf der Herfahrt erobert. Nichts für ungut, Herr Nachbar; aber das muß man sagen: Es ist recht schnell gegangen, und gewiß die wenigsten im Saale hätten von Ameli zur reitenden Post eine derartige Brautfahrt erwartet.“
Der Alte starrte sie erst fassungslos an. Er erholte sich jedoch geschwind und antwortete ziemlich laut: „Ei, Frau Nachbarin, 's ist wahr, mir kommt die dumme Geschichte auch unerwartet; aber wie heißt ein altes Sprichwort: Unverhofft kommt oft. Und, heja, und schließlich, was ist denn dabei, wenn sich das Anneli ein bißchen hinterrücks nach einem umgesehen hat? Haben wir's denn seinerzeit und seligen Angedenkens anders gemacht?“
„Janun“, gab die Alte zurück, und ihre spitze Nase blitzte wie eine messingene Brunnenröhre in der Sonne, „es wird eben doch verschieden gehalten. Ich will auch durchaus nichts gesagt haben. Ich meine nur, Ihre Jungfer Nichte sei doch noch ein bißchen gar jung und hätte gewiß noch eine Partie machen können, bei der die Brautfahrt nicht in einer grünen Truhe und aus dem Unterdorfe herauf hätte stattfinden müssen.“Jetzt aber fuhr der Onkelpate herum und sagte, also vernehmlich, daß alles zu ihm hinhorchte: „Oho, Frau *
Das blaue Wasser.Nachbarin, da muß ich schön bitten. Zum ersten heiß's:Jung gefreit hat niemand gereut. Zum andern ist der Bäckerkari rechter Leute Kind, und auch die grüne, etwas wurmstichige Truhe kann niemandes Adel schwächen. Zum Liehaben braucht's keinen Herrenschlitten. Können sich die schönsten Falter auf einem modrigen Zaunpfahl gern haben,so werden's zwei junge Leutchen in einer alten Truhe auch fertig bringen. Zudem“, machte er noch ärgerlicher, „ist die Verlobung, denk ich, denn doch noch nicht im Blei.Der dumme Bub da kann sich getäuscht haben. Er hat's gewiß geträumt. So wie ich mein Nichtchen kenne, ist es nicht das Mädchen, das sich so ohne weiteres abküssen läßt.Das Dornröschen ist, trotz des einfältigen Geschwätzes dieses Bübleins, noch lange nicht wachgeküßt!“ rief er ganz laut.„Im übrigen“, er wandte sich an den stumm und verdrossen in den Tisch schauenden Schützenlieutenant, „ übrigens ist ja das Dornröschenspiel noch gar nicht zu Ende. Fahrt nur herzhaft weiter, Herr Lieutenant. Es hat ja noch annehmbare Frauen und Jungfern haufensgenug in der Stube.Wartet gewiß die eine oder die andere auf ihren irdischen Erlöser. Ihr seid ja jetzt der Jüngste hier, nachdem der einfältige Bub da noch nicht küssen kann und der Bäckerkari weg ist. Nun habt Ihr doch beim Eiker die Auswahl. Fahrt doch weiter im Spiel!“
Bleich vor Zorn erhob sich des Lieutenants Mutter und zog, gefolgt von ihrem geräuschvoll aufstehenden Sohne,wie die böse Königin im Märchen ab.
Kaum hatte sich die Türe hinter ihnen geschlossen, lachte der Onkelpate polternd
auf und sagte: „Weiß Gott, die Frau Nachbarin ist heute nicht zum Spassen
aufgelegt; es muß ihr was Verdrießliches über das Leberlein gekrochen
37 sein. Nun“, setzte er bei, „Gott tröste sie und uns der Wein.“ Dann griff er, zum Gaudium der gesamten Tafelrunde, nach einer bauchigen Flasche, füllte sein Glas, goß es hinunter und rief: „So, nun wollen wir die Welt wieder von vorne ansehen. Was sollen wir den Hals verrenken nach dem, was hinter uns liegt? Heda, Bub!“ redete er Meiredli an, der sich, unbekümmert um alles, was um ihn herum vorging, redlich mühte, eine Beige knusperiger Hüppen unter Dach zu bringen. „Bub, rück ein bißchen näher zu mir!“ Verwundert sah ihn der Knabe an. „Du stellst schöne Geschichten an“, fuhr der Alte fort. „Aber das glaub ich wohl, wenn einer so dumm ist und will einen so schweren Krug voll Wasser über den Berg heimtragen. Geh,leer das Wasser aus; ich gebe dir dann einen Batzen.“
„Nein“, machte der Meiredli erschrocken, ließ Teller und Hüppen fahren, hob den Krug neben dem Stuhl auf und verbarg ihn unter seinem Lismerkittel.
„Schau, Bürschlein, aus den beiden großen Schüsseln da lasse ich dir all die süße Nidel in deinen Krug stopfen“,sagte lachend der Alte, „wenn du das blöde Seewasser ausleerst.“Der Meiredli schaute mit glänzenden Augen auf die zwei vor ihm stehenden umfangreichen Schüsseln, deren Ränder die weiße, zarte Schlagsahne allseitig überquoll, wie Schneewehen die Felsengrate. Hoch klopfte sein Herz, und sein Zünglein ging im Mund wie ein Fischschwänzchen, das auf den heißen Sand kommt. Ach, wie war doch die Nidel etwas Gutes! Wie mußte sie erst schmecken zu Hause vor dem Ofen! Er sah sich davor sitzen mit dem Krug, aus dem die Nidel schneewieselweiß wie ein Nixlein auftauchte und sagte: Iß mich, Meiredli, iß mich! Er lächelte an einem
Das blaue Wasser.fort. Aber da tauchte auch das Bild seiner Großmutter vor ihm auf, wie sie am Fenster das Weißzeug säumelte:Ja, ja, Meiredli, so blau wie ein Bläuekügelchen! „Nein, ich leer's nicht aus!“ sagte er laut.
„O du dummer Bub“, sagte der Onkelpate unter dem Gelächter der Tafelgenossen. „So trag das Wasser in Gottesnamen heim. Mein Knecht soll einsponnen!“ rief er einer Magd zu, die eben eine Schüssel abtrug. „Wir wollen heim; es ist an der Zeit. Und wenn wir auch das Spiel nicht zu Ende brachten und das Dornröschen diesmal nicht wachgeküßt werden konnte, so war's heut doch ein schöner und guter Tag.“ Er hob das Glas, stieß rundum an,also daß alsbald ein fröhliches Läuten um den Tisch ging.Dam rief er: „Unserm lieben heiligen Landespatron zu Ehren!“ leerte das Glas und stellte es dröhnend auf den Tisch. Alles erhob sich. „So, nun mach' dich auch heim,Büblein, zu deiner Großmutter!“ rief der Alte, zündete seinen meerschaumenen Schwanenhals an, stampfte paffend zum Saal hinaus und ging, sein bißchen Arger hinter einer frohgemuten Miene verbergend, sein Bäschen, das Anneli zur reitenden Post, im Hause herum suchen. Bald fand er's auch, leidlich getröstet, bei seiner Frau in der freundlichen Wirtin Schlafkammer.
*
*Als Annelis Onkelpate, eifrig aus seinem Pfeifchen nebelnd, mit seinen Leuten in
die Vollmondnacht hinaustrat, waren die Schlitten schon vorgefahren und standen
vor dem Wirtshause, eine lange Reihe. „Sie warten nur noch auf euch!“ rief des
Alten Knecht, der gerade neben der steinernen Treppe hielt. „Jörg“, fragte der
Onkelpate
39 halblaut, „ist denn der Bäckerkari schon davongefahren?Ich vermag seine grüne Truhe nirgends zu erblicken.“ Der Knecht wies mit der Peitsche stillschweigend hinter sich. Von der Scheune her rumpelte des Bäckers hoffnungsfarbiger Kasten gegen das Wirtshaus. Darin saß, ziemlich geknickt,der Bäckerkari. Der Alte lachte kurz auf. Da raunte ihm seine Frau zu: „Wollen wir denn das Anneli nicht in unsern Schlitten nehmen, Mann? Wir dürfen es doch nicht wohl mit dem Bäckerssohn heimfahren lassen, nach allem was vorgefallen. Was meinst du?“ „Was, was vorgefallen!“ gab der Onkelpate unwirsch zurück. Und als er sah, daß die Wirtin unter der Türe angelegentlich Anneli zuredete, sagte er brummig zu seiner Frau: „Was fällt dir denn ein! Müssen wir zwei dickgeratene Menschen nicht allein schon fast aufgeisten in unserm Schlitten, und da verlangst du, daß wir noch mit einer Dritten ein Käsdrücken abhalten sollten. Da sage ich: Danke Gott wohl! Das Anneli soll sich nur wieder getrost zu Kari in seine Arche Noah setzen. Sie werden einander nicht umbringen. Was ist denn vorgefallen? Eine kleine Liebelei, an welche die zwei Leutchen ihrer Lebtag mit tausend Freuden denken werden.Meinst du nun, ich sollte da den Engel mit der feurigen Rute spielen und sie zu ihrem Paradies herausfitzen? Zudem ist der Kari ein rechter Bursch. Die Schande dürfen wir ihm nicht antun, daß wir ihn mutterseelenallein nach Hause fahren lassen. Ich habe ihn einmal zu Annelis Kutscher bestellt; so soll er's bleiben.“ „Aber so bringt er das Bäschen noch ärger ins Gerede“, wagte die Frau einzuwenden, „wenn sie zusammen heimfahren und dazu schon wieder als letzte.“ Der Alte kratzte in seinen Borsten. „Ja, ja, ja, der Donner abeinander!“ machte er
Das blaue Wasser.ärgerlich, „'s ist wahr, 's hat etwas. Aber was tun? Es ist nur saudumm, daß die grüne Rumpeltruhe keinen Kutscherbock hat, sonst würde ich mich zu Anneli setzen, und er müßte auf den Bock. So könnte sie wenigstens seine Schattenseite bewundern. Verflucht, da kommt er, da kommt er! Was soll ich nun machen?“ Zu seinen Füßen, vor der Treppe, war ein Hüsteln. Jetzt erblickte der Alte den Meiredli, der seinen Krug im Schoß, auf seiner Geiß kauerte und fröstelnd in die Hände blies. „Oha Most“, raunte er seiner Frau zu, „das Sprichwort hat wieder einmal recht:Ist die Not am höchsten, ist die Hilfe am nächsten. Ich hab's. Jetzt schau einmal, Frau, wie ich vor aller Augen einen Keil zwischen die Liebesleute treiben will, der sie von allen Dummheiten und die lieben Mitmenschen von allen bösen Nachreden abhalten soll. Laß mich machen, Frau.Du sollst wieder einmal gewahren, was für einen hellen Kopf du an mir hast; jetzt paß auf! Sie sollen nebeneinander sitzen wie die Götzen in Oberägypten und auf dem ganzen Heimweg miteinander nicht mehr von Liebe reden können, als zwei Trappistenbrüder.“ „Still, bezapf dich!“ warnte die Frau. „Da fährt er an.“
Der grüne Schlittengatter hielt neben der Treppe, hinter Onkelpates Gefährt, während die vordersten Schlitten anfingen, sich in Bewegung zu setzen und abzufahren.
Der Alte hatte sich vor die Treppe gemacht. „Büblein“,redete er strahlenden Antlitzes den Meiredli an, der gerade aufstand, um sich hinter den Bäckerschlitten zu schleichen,„möchtest du nicht lieber in diesem schönen A -.er wies auf die grüne Truhe „heimreiten als auf deiner Geiß, die man aufwärts ja doch nachschleppen muß?“
Meiredlis Gesicht lachte über und über. „Heja, gern.“
41
„So geh, häng deine Geiß hinten an den Schlittengatter und dann steig ein! Schau, mein Bäschen fährt auch noch mit in diesem Schlitten; dann seid ihr zu dritt und müßt nicht frieren. Oder möchtest du etwa den Kleinen lieber nicht im Schlitten haben? Es ist des Landschreibers Bub“,wandte er sich an den Bäckerkari; „dann sag's nur ohne weiteres.“„Meinetwegen kann er ja schon mitfahren“, machte der,erst ein paarmal schluckend, schier demütigen Tones.
„Heja eben, das meine ich auch. Ist ja nur ein nichtsiges Büblein. Nimmt nicht mehr Platz ein als ein Zicklein in einer Pfanne. Schau nur, wie schmal er ist; könnte ja auf einem Messerrücken reiten. Mutter, Anneli, holla, einsteigen!Sie fangen da vorne schon an, abzufahren. Macht, macht,sapperlott!“
Onkelpates Frau eilte, sich verabschiedend, von der Treppe.
„Steig ein, Anneli!“
Blutrot, zu Boden sehend, machte sich das Anneli zur reitenden Post an Karis
Schlitten heran und wollie einsteigen.„Halt!“ gebot der Alte. „Da haben wir noch
einen.Steig hurtig ein, Kleiner!“ sagte er zu dem hinter dem Schlitten
hervorkommenden Meiredli. Da kauerte der schon fröstelnd im Schlitten. „Weißt“,
wandte sich der Alte an seine Nichte, die betreten auf den Knaben schaute, „ich
dachte mir, zu dritt habest du wärmer im Schlitten. Die Nächte sind immer noch
recht kalt. Und dann hätte ich's deinem guten Herzen nicht antun mögen, daß du
hättest sehen müssen, wie das Büblein da mit seiner schweren Geiß frierend
hinter dem Schlitten herhöselt. Steig ein,Bäschen!“
Das blaue Wasser.„Heja“, machte das Anneli mit seltsam umflorter Stimme:„es ist ja gleich“, und stieg ein.
Sie waren aber enger eingepfercht als eine eingekorbte Schar Hühner, die zum Jahrmarkt fährt. Von Meiredli war nichts mehr zu sehen als das Gesicht und die blaue Lismerkappe. Nun eilte gar noch Onkelpates Frau mit einer mächtigen Roßdecke herbei und sagte: „Komm, Büblein, ich will dich ein bißchen einmachen; hast ja kein Mäntelchen an; mußt mir sonst erfrieren auf dem langen Heimweg.“ Damit machte sie sich an den Schlitten heran und mummelte ihn also in die schwere Pferdedecke ein, daß er ärger eingepuppt war als ein Graswurm. Mit Not gelang es ihm, Kopf und Hände aus der Larve heraus-zubringen. „Hast du jetzt nicht mehr so kalt?“ fragte die Frau teilnehmend.
„Nein, 's ist ganz warm“, tönte es aus dem Ballen heraus.„Ja, aber Bürschlein, Bürschlein“, machte jetzt der Onkelpate mit vorwurfsvollen Augen und hob den neben der Treppe stehenden Krug empor. „Was ist's denn auf einmal mit dir? Willst du den Krug stehen lassen?“
„Nein, nein, gebt ihn, gebt ihn!“ schrie der Meiredli auf, riß ihn dem Alten schier aus den Händen und bettete ihn sorglich in seinen Schoß, ihn mit beiden Händen umklammernd.„Ja, ja“, redete ernst der Alte, „halt ihn nur recht fest!Plattvoll wollte ich den Krug der Großmuiter heimbringen.Nicht ein Tröpflein täte ich daraus verschütten iassen, wenn ich dich wäre.“
Da drückte der Knabe den Krug schier inbrünstig an sich.
„Jörg, fahr ab!“ rief der Onkelpate seinem Knecht zu,
43 als er neben der Frau schmunzelnd und die Hände reibend in seinem Schlitten satz. Der Gaul zog an, und klingelnd ging's den andern Schlitten nach in die sternenhelle Nacht hinein.
Als der Alte vor der Teufelsbrücke einmal zurückschaute,sah er den grünen Väckerschlitten, allerdings in außergewöhnlichem Abstande, hintendrein bimmeln. Doch er strich frohgemut, in sich hineinlachend, den grauen Bart und machte halblaut: „Der gottgesandte Meiredli, der gottgesandte Meiredli!“
Währenddem war die grüne Truhe mit Kari und Anneli und dem in der Mitte wohlverwahrten Meiredli nicht allzu schnell den gähen Schneeweg hinuntergerumpelt. Es war aber im Schlitten stiller als in einer Taubstummenanstalt.Niemand redete ein Wort. Alle drei aber schwitzten wie die Jünglinge im Feuerofen. Heiß sahen sich die zwei Liebesleute an, um dann immer wieder mit trostlosen Augen auf Meiredlis schweren Krug zu starren, in dem das Wasser gar lustig schwappelte und gluchzte, als täte sie drin ein kicherndes Seenixlein auslachen. Es war ihnen recht übel zumute. Wie hatte ihnen der heillose Alte das antun können? Wie gerne hätten sie das Gerede der ganzen Welt und sämtlicher anderer, entdeckter und unentdeckter, Gestirne über sich ergehen lassen, hätte man ihnen diesen Liebeskeil,den Meiredli mit seinem empfindlichen Krug, weggezogen.Kaum regen konnte man sich. Und als es Kari fast gelingen wollte, hinter des Knaben Rücken durch, Annelis Hand,die sich ebenfalls auf Entdeckungsreisen begeben hatte, zu erwischen, schwappelte das Wasser stärker im Krug. „Ihr leert mir das Wasser aus, ihr leert mir das Wasser aus!“rief der Meiredli sogleich. Und als sie dann, ihn vorsichtiger
Das blaue Wasser.behandelnd als ein schalloses Ei, sich wenigstens mit den Fingerspitzen zu erreichen und zu betupfen suchten, sah er auf einmal mit großen Augen auf, von einem zum andern,und sagte: „Was macht ihr denn alleweil mit den Händen hinter meinem Rücken?“
Jetzt aber fuhren sie in die dunkle gedeckte Teufelsbrücke ein, der sie schon von weitem mit sehnsüchtigen Augen entgegengesehen hatten. Meiredli jedoch schaute die unheimliche Brücke mit stillem Grauen an. Dort drin ging ja der Hexenmeister, der Safrastes, um. Verständnisinnig, sterbenskrank sahen sich Kari und Anneli noch einmal in die Augen,und jetzt nahm sie die Brücke auf. Es wurde finster wie in einem Pelzmuff. Trapp, trapp, trapp! ging der Hufschlag des schweren Rosses auf den vereisten Steinplatten.„Jesusgott, Jesusgott, es nimmt mich einer beim Kopfl“schrie der Meiredli erbärmlich auf. Da ward es schon wieder hell; der Schlitten glitt aus der Brücke. „Was machst du denn für einen Mordslärm!“ herrschte ihn der Kari an. Der Meiredli sah mit zu Tode erschrockenen Augen um sich und sagte: „Der Safrastes hat mich halt mit beiden Händen am Kopf gepackt und in die Bacen beißen wollen.“ „Dummer Bub!“ brummte der Kari und sah verdrossen auf das ebenfalls trübselig dreinschauende Anneli. „Ich bin's ja gewesen; wollte bloß einen Spaß machen.“
Aber Meiredli traute der Geschichte nicht recht und ließ seine Auglein emsig in
die dämmerige Nacht hinauswandern,so daß er nicht einmal mehr das eifrige
Händespiel hinter seinem Rücken sonderlich beachtete. Doch nach und nach
beruhigte er sich völlig, und als sie fast die Höhe des Waldweges erreicht
hatten, sagte er plötzlich wieder: „Jetzt ist
5 mir schon wieder ein wenig Wasser herausgespritzt. Ihr müßt mich nicht immer am Rücken kitzeln.“
Ganz geknickt sah das Pärchen sich an. „So kann's nicht weiter gehen“, machte der Kari und ließ den Kopf hängen wie ein ausgehungerter Karrengaul, der Haber dreschen hört. „Und ich hab mich doch schon im Herfahren so unendlich auf die Heimfahrt gefreut. Ach wär er doch,wo der Pfeffer wächst oder sonst in einer heitern Gegend!“ „Ach, und was für eine Nacht!“ sagte schwermütig das Anneli. „Nichts als Sterne am Himmel, und wie der Schnee am Hag glitzert! Und schau, dort sieht man gar ein wenig die Berge! Der Mond steht gerade über ihnen.“ „Ach,was helfen uns die Berge! Die könnten wir ein andermal wieder anschauen; die laufen uns nicht davon. Wenn ich ihn nur in seinen heillosen Krug hineinhexen könnte!“
Das Meiredli sah ahnungslos nach den Sternen, die das Anneli so hoch pries.
„Meiredli“, sagte jetzt mit zuckersüßem Stimmlein das Mädchen. „Willst du nicht ein wenig schlafen? Schau,wir haben noch einen weiten Heimweg. Soll ich dir ein schönes Schlummerliedlein singen?“
„Nein“, sagte der Kleine, „sonst wenn ich schlafe, verschütte ich das Wasser.“
Der Kari knirschte in den Zähnen; er schaute den Meiredli an wie ein Menschenfresser. „O, ol“ stöhnte er. „Wie einen jungen Gockel möchte ich ihn abkrageln.“
„Karil!“ verwies streng das Mädchen.
„Ach ja, ja, ja. Ich meine ja nur so.“ Er sah aus wie ein Gefolterter, dem eben ein neuer Gewichtstein an die Beine gehängt wird.
Sie waren auf der Höhe; der Gaul griff lebhafter aus.
Das blaue Wasser.„Was tanzt denn so dahinten?“ fragte verwundert das Anneli und sah sich rasch um. Da erblickte sie Meiredlis Schlittengeiß, die der grünen Truhe munter nachschwänzelte.Ihre Augen leuchteten auf. „Meiredli“, sagte sie, „gelt das Fahren in einem rechten Schlittengatter ist fein.“ „Ja“, schmunzelte der Meiredli. „Möchtest du nicht das Leitseil haben und eine Weile das Roß ganz allein leiten,wie ein rechter Kutscher?“
Er lachte verschämt, wie ein Rosenstöcklein auf einem Fenstersims. „Ja, ja, ich möchte wohl, aber“, setzte er schier kleinlaut bei, „der Kari läßt mich's ja doch nicht allein leiten.“
„Ja, kannst du's denn; hast du wohl auch schon gefuhrwerkt?“ fragte der ernsthaft.
O, das hätte er oft genug getan, indem er den Postkutschern geholfen habe die Pferde ausspannen und in den Stall leiten und reiten. Auch mit dem Torffuhrmann und dem Doktor sei er schon ausgefahren. Ja, da könnte man's mit ihm ja ein Weilchen probieren, machte darnach zögernd der Kari. Er dürfe jedoch mit der Peitsche nur knallen,ja nicht nach dem Pferd schlagen. „Und wir“, sagte jetzt das Anneli, „wir steigen aus und setzen uns zur Abwechsung ein bißchen hinten auf deine Schlittengeiß. Ei,das wird lustig. Da wollen wir einmal gerne sehen, wie du fuhrwerkst; es wird uns auf deiner Geiß wohl gehörig herumschlenkern.“
„Ja“, sagte er mit bedenklichen Augen, „wer hält dann aber den Krug?“
„He, wer als ich?“ gab Anneli zurück. „Ich werde doch wohl einen Krug halten
können, eine, die mit den Mägden schon so viele dutzendmal ganze Gelten voll
Wasser am
47 Brunnen geholt und gar auf dem Kopf ins Haus getragen hat.“ Mit furchtbar ernsten Augen, wie eine Beinhausmauer, sah sie ihn an.
Einigemal blickte er auf den Krug, ein paarmal auf Anneli und dann wieder auf das Pferd und das Leitseil,wovon seine Augen schließlich nicht mehr loskamen. Er sollte allein kutschieren können und gar in der Nacht!Wenn er das morgen den Dorfbuben erzählte, sie kämen um vor Neid.
„Uüha!“ machte der Kari, stand schon draußen vor dem Schlitten und übergab Leitseil und Peitsche dem behende zugreifenden Knaben, während das nebenan stehende Anneli den schweren Krug behutsam in Empfang nahm.
„Aber daß du mir ja nichts verschüttest!“ sagte der Meiredli, das Mädchen mit drohenden Augen ansehend.
„Sei nur ruhig; kein Tröpflein will ich verschütten.“
„Hüpp!“ rief der Kari, klopfte seinem Gaul auf den Pupis, hockte sich blitzgeschwind auf Meiredlis hintennachraschelnde Geiß, zog Anneli vor sich hin in den Schoß, und weiter stapfte das Roß in behaglichem Trott.
„So, Kind Gottes, jetzt hätten wir's gewonnen“, sagte der Kari halblaut. „Jetzt halt dich recht eng zu mir, daß du nicht umpurzelst; die Geißß macht ja Sprünge wie ein Tanzschenker.“
„Tu nicht gar so wild“, flüsterte das Anneli; „sonst überläuft mir der Krug.“
„Ach, leer doch das dumme Wasser aus!“ drängte er.
„Nein, ich leer's nicht aus“, sagte sie bestimmt, „ich hab's dem Meiredli versprochen, und dann“ sie ward blutrot „sowieso, das Wasser bleibt im Krug.“
„Nun wir allein sind, tust wieder so“, meinte er miß
Das blaue Wasser.mutig. „So können wir uns ja nicht einmal herzhaft küssen.“
Sie kicherte. „Bei gutem Willen ist viel möglich“, sagte sie leise, wandte den Kopf und küßte ihn auf beide Wangen,daß es schallte, und er dankte mit gleicher Münze, wie einer, der im Überfluß hat.
Es fing allmählich an bergab zu gehen. Der Schlittengatter rumpelte schneller, und die Geiß sprang immer toller herum. Da löste der Kari die Schnur sachte von der grünen Truhe ab, und nun fuhren sie, frei und ledig, dem schwerfälligen Gefährt nach, von Zeit zu Zeit anhaltend,so daß sie immer weiter zurückblieben.
Der Meiredli aber freute sich indessen wie ein König seiner unbeschränkten
Kutscherherrlichkeit. Fest hielt er das Leitseil zwischen den Fingern und
knallte mit der Peitsche nach Herzenslust in die Nacht hinein, was freilich die
Gangart des Rosses nicht im mindesten zu beeinflussen vermochte. „Juhuu, juhuu!“
jauchzte er fortwährend auf, allseitig Umschau haltend, ob denn niemand herum
sei, der ihn gebührend bewundern könnte. Aber die andern Schlitten verschwanden
eben um einen Hügel; nur die Sterne sahen mit tausend zuckenden Augen nach ihm.
Seine Schlittengefährten samt Krug schien er vergessen zu haben. Ein einziges
Mal schaute er sich um, als er das Kichern,Tuscheln und Gequitsch hinter sich
nicht mehr hörte; aber wie er niemand sah, glaubte er die Geiß mit dem Pãärchen
hart auf dem Schlittengatter, da es ja jetzt bergab ging.So sah er sich mit
keinem Auge mehr um. Nach und nach ward er stiller; es begann ihm alles so
seltsam vorzukommen, wie im Traum. Wie Schlangen liefen immerzu, immerzu die
Häge an ihm vorbei. Gespenstig starrten
49 ihn die verschneiten einsamen Stauden an, und auf den fernen Bergen nachtwandelte der Mond umher. Oder war es der St. Nikolaus mit der leuchtenden Inful auf dem Kopfe? Oder gar ein Fastnachtsnarr, ein Johee mit klingendem Schellengeröll? Die Peitsche steckte im Gatter des Schlittens; das Leitseil glitt ihm sachte aus den Fingern;die blaue Lismerkappe baumelte ihm schier auf die Nase herab. Meiredli war sanft und selig eingenickt. Aber das Leitseil schlüpfte wie ein langes dünnes Schlänglein vom Schlitten und geriet nach und nach zwischen die Hinterbeine des Pferdes. Es ging immer mehr bergab. Meiredli nickte und nickte. Aber da wehte es ihn kalt an. Er fröstelte.Und mit einem Male kam's ihm vor, er sehe immerfort etwas neben dem Pferd den Weg entlang laufen. Erst schien's ihm nur ein blauer Schatten zu sein; doch allmählich wurde eine blaue Spukgestalt daraus, und jetzt er zitterte am ganzen Leibe, war aus dem unbestimmten Spuk plötzlich der blaue Teufel aus der Etzelkapelle geworden. Trapp, trapp, trapp! stampfte er immer neben dem Pferd den Graben entlang. Ach, der hatte es gewiß auf ihn abgesehen; das war die Strafe dafür, daß er vorzeitig aus der Andacht entlief. O wie blau der Böͤse war!Ja, daran ließ sich nichts mäkeln, der war schrecklich blau.Es ging ihm eiskalt den Rücken hinauf. Deutlich sah er seine Pferdehufe, und o Wunder! auf einmal lief der Teufel gar auf vier Beinen. Es war zu grausig, ein vierfüßiger blauer Teufel! Und jetzt, o Entsetzen! jetzt begann er mit den Hinterbeinen gar nach ihm auszuschlagen. Er sah die Hufe vor seinen Augen aufblitzen, und jetzt ein fürchterlicher Schlag, ein toller Ruck, die grüne Truhe lag seitlings im Graben, und der Meiredli war in einer SchneeLienert, Vergdorfgeschichten.
Das blaue Wasser.wehe verschwunden. Aber das Roß stand aufrecht im Weg, hin und wieder nach dem umgekippten Schlitten ausschlagend.
Jetzt tauchte eine Kappe aus dem Schnee, jetzt ein Kopf,jetzt ein Kittel, und nun kroch der Meiredli aus der Schneewehe und erhob ein Geschrei, das wie ein Feuerhorn Bergq und Tal erfüllte.
Das Pferd begann unruhiger zu werden; es trommelte immer wieder an den Schlitten; immer fürchterlicher gellte Meiredlis Feuerhorn durch die Nacht. Da wurde es vorne um den Hügel laut; ein paar Laternen tauchten auf. „Was ist los, was hat's gegeben? Wir kommen!“ Im Hui umstand den Schlitten eine Anzahl Mämer und Frauen aus den vordern Schlitten; im Hui war die grüne Truhe wieder flottgemacht und das Pferd beruhigt; nur der Meiredli lag noch immer auf allen vieren hilflos plärrend im Schnee.„Der Tausend abeinander, was ist denn da los!“ rief jetzt, herbeikeuchend, gefolgt vom Schützenlieutenant und seiner Mutter, Annelis Onkelpate.
„Der blaue Teufel hat den Schlittengatter in den Graben geworfen!“ rief der Meiredli.
„Ja, das scheint mir beim Eiker“, sagte der Alte; „aber,der Donner, der Donner, wo sind denn der Bäckerkari und das Anneli hingekommen; hat sie denn die Erde verschluckt?“
„Dort kommen sie ja!“ plärrte der Meiredli, wegaufwärts weisend.
Wie das Wetter fuhren die Leute auseinander. Ein Schlitten schoß wie eine
Kegelkugel um die Wegkrümmung daher und sauste, hart hinter der grünen Truhe,
über den
51 Graben in eine Schneewehe hinein. Und als die erschrockenen Leute die Laternen hochhielten, lagen vor ihren verwunderten Augen, gar weiß und weich gebettet, engumschlungen, der Bäckerkari und das Anneli zur reitenden Post.
Ein gewaltiges Gelächter ging durch die Nacht. Aber das Pärchen war so flink, als hätte man's vom Blech geklopft, wieder auf den Füßen. Und siehe da, mutig hob der Bäckerkari das Anneli, das sein Gesicht mit beiden Händen verbarg, in den Schlittengatter, nahm Leitseil und Peitsche in die Finger, knallte heftig und rief: „Hüpp Vögi, hüpp!“ Und jetzt rumpelte die hoffnungsgrüne Truhe,ungewöhnlich rasch, den Leuten wahrhaftig vor den verwunderten Nasen vorbei, auf und davon.
„Sprengt nur nicht so, Kinder!“ rief ihr ein dicker Ratsherr schmunzelnd nach; „der Hochzeitsaltar in der Klosterkirche läuft euch nicht davon.“
Aun erholten sich die überraschten Dorfleute zu einem fröhlichen Auflachen. Des Schützenlieutenants Mutter jedoch schüttelte bedenklich den Kopf und sagte spitzig zu Annelis Onkelpate: „Herr Nachbar, nichts für ungut, aber jetzt scheint doch einer den Weg zu Dornröschen gefunden und es wachgeküßt zu haben, wenn's auch nicht gerade ein Prinz ist.“
Der Alte zwinkerte schalkhaft mit den Augen, kratzte sich ein wenig im Haar und sagte: „Jawohl, Frau Nachbarin, jetzt ist das Dornröschen wachgeküßt. Der heilige Meinrad mag es verantworten, der diesem flinken Mehlprinzen das einfältige Büblein mit seinem Krug als Nothelfer zugesellt hat.“
„Jesusgott, Jesusgott!“ schrie es erbärmlich in die Nacht.„Jetzt hat das Anneli mein Wasser doch verschüttet!“44
Das blaue Wasser.In der aufgewühlten Schneewehe am Weg stand der Meiredli und hielt, zum Tode betrübt, seinen Krug verkehrt hoch. „Kein Tröpflein ist mehr drin“, schluchzte er; „jetzt glaubt's die Großmutter nicht, daß das Wasser im See nicht blau ist.“
„Wir wollen's dir alle bezeugen“, sagte lachend der Onkelpate, hob ihn samt seinem Krug aus der Schneewehe, setzte ihn rittlings auf seinen Nacken und stapfte gemächlichen Schrittes den andern zu den Schlitten nach.
Bald klingelten und bimmelten sie lustig weiter ins stille Tal der Alp. Als aber
die Klostertürme aus der Monddämmerung auftauchten und die ersten Hausdächer des
großen Walddorfes, schnitt es wieder jämmerlich ins muntere Geplauder der
Schlittenglöckchen: „Die Großmutter glaubt's doch nicht; die Großmutter glaubt's
doch nicht!“
„He“, sagte der, „Ihr wollt ja kein Weibsbild im Haus haben; so heize ich halt so gut ein, als ich's etwa kann.Der verfluchte Ofen will mir einfach nicht recht ziehen, obwohl ich einen halben Staudenwald hineinstopfte.“
„Und der Kaffee war auch nicht mehr warm, als du ihn auftischtest.“
„Jaha, der Donner“, machte unwillig der Töni; „die heillose Milch ist mir zur Pfanne herausgesprungen, obwohl ich kaum einen Augenblick abseits ging, um die Hühner zu rufen. Hinterhältiger kann das durchtriebenste Maitli nicht sie übersiedet und auf und draus geht. Bis ich dann die Uberschwemmung ein bißchen aufgewaschen und das Kaffeepulver in der Milch hatte, ist scheint's alles etwas kalt geworden.“
„Ja, ja“, gruchste der Alte und schaute mit schwermütigen Augen durch ein Scheiblein in den düstern Vorwintertag hinaus, „seit die Mutter im Grab liegt, ist alles außer Trost. Sie hätte am Ende den kalten Brand, den mir die Hexe da drüben in der Weid, die Hüelwaldtrud, angewünscht
Der kalte Brand.hat, schon noch bestellen und hintanhalten können. Erst hat mir die Blitzgeige das Vieh verhert, daß es blutrote Milch gab, und dann, als ich dir verbot, mit den Nachtbuben zu ihrem Maitli zu Licht zu gehen, hat sie mir den kalten Brand angewünscht. Seit nun die Mutter nicht mehr herum ist, zieht's mir in Mark und Gebein, als ob ich eine alte Kiste wäre, aus der man mit der Zange die verrosteten Nägel nicht herausbringt. Es ist mir alleweil, der Himmel hange schon voll Eiszapfen und das Herz müsse mir zuletzt noch im Leibe gefrieren. Jeses, Jeses, wie kalt ist's schon und 's will erst einwintern. Schau, Bub, das hat mir alles die alte Hexe angetan, die Hüelwaldtrud, weil ich nicht will, daß du ihrem nichtsigen, schmutzigen Allmeind-hühnchen, dem Seppetrutli, auf die Scheiter gehst.“
Der Toöni trommelte verdrossen, aufgeregt ans Scheiblein.
„Vater“, sagte er, „Ihr braucht das Seppetrutli nicht zu verschimpfen. Wenn man auch im Hüelwaldhäuschen nicht zu fett ißt, ein sauberes Maitli ist es dennoch. Ihr solltet nur sehen, was aus dem nichtsigen Allmeindhühnchen für ein großes, festes Weibsbild geworden ist.“
„Behüt mich der Herrgott, daß ich sie sehe! Ich hab an der Alten genug. Hab die Junge schon ewiglange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie versteckt sich ja hinter alle Hecken, sobald sie mich um den Weg merkt. Das ist mir aber pfeifengleich. Also, Töni, das sag ich dir, daß du mit keinem Schritt zu dem Zaupf der gottverdammten Hexe zu Licht gehst, oder dann hänge ich meine ganze Sach einem Hund an den Schwanz. Das sag ich dir, Bub!“
Tut nur nicht so wüst, Vater!“ machte zornig der Töni;„Ihr braucht mir den Fußweg
in die Hüelwaldweid mit keinem Gatter zu versperren; ich gehe doch nicht hin,
denn
55 das Seppetrutli ist ja schon eine Zeitlang von Hause fort.So braucht es sich vor Euch auch nicht mehr zu verstecken.Wär's noch zu Hause, ich ginge ja doch zu ihm und wenn seine Alte mit den Augen buchene Holzscheiter anzünden könnte. Im übrigen glaube ich ewig nie, daß Euch die Hüeltrud den kalten Brand anwünschen konnte. Es ist halt der herannahende Winter, Vater, der Euch so durchkältet, und das Alter, das Alter. Aber was meint Ihr,Ihr habt ja schon allerhand gesalbt und gedoktert, wenn Ihr's noch mit dem Studenpfarrer versuchen tätet; der könnte Euch vielleicht helfen.“
Der Töni schritt, den Hirtenhemdzipfel über den Kopf ziehend, mißmutig aus der Stube.
„So, so“, brummte der Alte und sah mit verwunderten,schier boöͤsen Augen nach der Türe, hinter der eben sein Sohn verschwand, „also das Alter, das Alter.“ Er lachte kurz auf und drückte sich fröstelnd an den Ofen. „Das Alter, meint der Hitzkopf. Jetzt bin ich kaum mitten in den siebenziger Jahren, und mein Vater war mit achtzig Jahren noch ein bäumiger Mann und Sommer und Winter draußen. Ja, ja, so ungläubig ist heutzutage das junge Volk; nicht einmal mehr ans Verhexen wollen die Sakermenter glauben, obwohl ihm doch die Tochter der alten Trud auch einen Brand, aber nicht den kalten, ins Blut gewünscht hat. Jaso, aha, das Alter, das Alter. Ei der Donner, so merkt er schon, daß ich alt bin? Da wird er sich eben auf mein erhausetes Sächlein freuen, damit er's dem Seppetrutli geschwind um den Hals hängen kann,sobald ich abkratze. Aber eher laß ich mir den Kopf ausdrehen, als daß mir die Hüelwaldsippe die Truhen und Kasten ausnüsseln soll.“
Der kalte Brand.Er erhob sich mühsam und setzte sich schlotternd auf den untersten Tritt des Ofenwinkels.
„Bei Gott, ich bin schon kälter als ein weißer Grabstein.So ein Frörling ist noch nie erhört worden; der kalte Brand bringt mich um, ich muß ab der Wacht. Aber“, machte er nachdenklich, „was hat mir da der Bub angetönt? Mit dem Studenpfarrer soll ich's noch probieren. Am End hat er mir da nicht am dümmsten geraten. Aber daß ihm dies erst jetzt einfällt? Dennoch, er hat recht. Der Studenpfarrer wüßte vielleicht doch noch ein Mittel, das den Zauber brechen und mir so den kalten Brand töten könnte.Er ist doch der gerühmteste Fisigugg! weit und breit.“
Er stand auf und schlurfte mit krummen Knien an ein Fenster.
„Ja“, brummte er, ein Scheiblein zurückstoßend, „ich will's probieren; der Studenpfarrer kann mir am End noch helfen. Sie sollen mich noch nicht so rasch unterm VBoden sehen, obwohl es mir jetzt ist, die Knochen schlagen mir im Leib zusammen, als ob der Tod schon darnach kegelschieben läte. Töni!“ rief er zum Stall hinüber, „wenn du fertig bist, mach dich in deine Kammer hinauf und rüste dich! Wir wollen mittags zum Studenpfarrer. Ich will dir folgen. Er soll mir den kalten Brand abstellen. Hast du's gehört?“
„Jaha, Vater“, kam es vom Stall her; „aber vermögt Ihr auch so weit zu gehen?“
„Wenn ich nicht hinzugehen vermag, so krieche ich hin“,sagte der Flüehlialte unwirsch und schloß das Fenster. „Da sieht man's jetzt“, brummte er; „nun frägt er auf einmal,ob ich imstande sei, hinzukommen. Es reut ihn schon, daß er mir zum Studenpfarrer riet; es reut ihn. Ja, ja, 's ist
1 Wunderdoktor.
57 höchste Zeit, noch was zu versuchen. Sie täten mich da im Hüelwaldhäuschen drüben und mein Bub hat's mit ihnen gar zu gerne eines schönen Wintertages auf den Kirchhof hinunterschlitteln sehen, sobald mich der kalte Brand gebodigt hätte. Aber wartet nur, der Studenpfarrer muß mir wieder aufhelfen. Und darnach soll mir erst recht kein Weibsbild ins Haus kommen; sonst ist der Geldstrumpf im Stubenkammerboden keinen Augenblick mehr sicher. Ich hab die Goldvögel, die drinstecken, mit der Mutter sauer genug verdienen müssen. Eher sollen sie dort verlochet bleiben,als daß sie der leichtlebige Töni gar dem Flatterschopf der Hüelwaldtrud nachwerfen soll.
Unsichern Schrittes tastete sich der Alte durch das Ofenloch in die Stubenkammer hinauf. „Hu, wie kalt, wie kalt!“ gruchste er fröstelnd; „meiner Lebtag sind die Stuben noch nie so eiskalt gewesen wie heute; es kommt ein Schnee, es kommt ein Schnee!“
Pᷣ
Als der alte Flüehlitiesel, begleitet von seinem Sohne,dem Töni, ins Dörflein Studen einrückte, kam mit einem Male ein räßer Wind um den dreizackigen Fluhberg und trieb einen körnigen Firnschnee vor sich her über Weg und Stedq.„Jeses, Jeses“, wehklagte der Alte, „nun muß ich grad heute überwegs sein, wo sie im Himmel das Korn dreschen.Der Donner abeinander, wie zieht's mir im Kreuz! Ich wollt, ich wäre zu Hause geblieben; die Welt wird alleweil kälter.“
Nun stapften sie durch die Schneewirbel an der kleinen Kirche vorbei zum
schindelbedeckten Pfarrhause.
Der kalte Brand.„Was, was, wer kommt mir da!“ rief der alte Pfarrer aus dem Fenster. „Es wird doch nicht der Flüehlitiesel mit seinem Buben sein? Sieht grad aus, als kämen der Erzvater Abraham und sein Sohn Isaak dahergegangen,nur umgekehrt; am Schlotter an scheint dasmal der Vater das Schlachtopfer zu sein.“ Der Pfarrer lachte eins heraus.
„Ja, ja“, machte keuchend der Flüehlialte, „lacht Ihr nur! Wie ein Tanzmeister schaue ich dasmal nicht aus,sondern schon mehr wie ein zweibeiniger Blasbalg, der überall Nebenluft hat. Aber Jeses, Jeses, gegen Hexenwerk ist schwer aufzukommen, Herr Pfarrer.“
Da stand der alte Herr schon in der Türe, und die beiden Bauern schlugen an der Hausmauer den Schnee ab den Schuhen.
Willkommen bei uns, willkommen wohl! Kommt mit herauf an den warmen Ofen!“
„Guten Tag wohl, Herr Pfarrer, guten Tag wohll“ächzte der Alte, und die hellen Tränen fielen dem Geistlichen auf die Hand, die er ihm reichte, „so müßt Ihr mich wieder sehen, als alte wurmstichige Haspel, als ein Marterwerkzeug, und hab doch vor zwei Jahren, als Ihr mit mir auf einer Hochzeit waret, den „Muotataler“ getanzt wie ein Lediger, und meine Alte, tröste sie Gott! war noch eine wie ein Scheitblock. Und nun liegt sie schon bald ein Jahr unterm Boden, und ich mach's auch nicht mehr lang, ich merk's, Jeses, Jeses.“
Er zog sein gewaltiges rotes, blaubetupftes Nastuch aus dem Sack und wischte sich mit zitternden Händen die geröteten tränenden Augen aus.
„Was hat's denn mit dir gegeben, Vater?“
59 „He, halt alleweil so kalt hab ich, seit die Mutter weg st“, machte der Alte. „Auch mag ich essen und trinken was ich will, ich hab immer einen kalten Magen; 's ist grad als hätte ich eine Lawine gefressen. Da ist mir's denn gewesen, Ihr könntet mir vielleicht mit Sympathie oder einem sonstigen Mittel das heillose Ubel aus dem Leib ziehen.“
„Maitli!“ rief der Pfarrer durchs Haus hinauf, „tu einen Milchkaffee über! halt das Alter, Tiesel, das Alter“, wandte er sich wieder an den Bauer und half ihm mit dem Toöni die krachende Stiege hinauf.
„Was das Alter!“ sagte brummig der Flüehlialte; „ich bin ja wenig älter als Ihr, und ältere gibt's hierlands noch genug, die nicht wie ich den Knienicker haben. Versag ich, und deswegen komme ich nun zu Euch. Ihr sollt ihn mir mit allen geistlichen und weltlichen Mitteln bekämpfen und abstellen.“
Der Pfarrer verschluckte ein Auflachen noch rechtzeitig und sagte: „Jaso, aha, den Weg! Ja, ja, komm jetzt nur in die Stube hinauf, daß man dich einmal recht ansehen kann; wir wollen dann, so hoffe ich, der Hexe den Riegel schon stecken.“
Bald kauerte der Alte mit beelenderischem Gesicht am breiten Ofen der Pfarrhausstube. Der Pfarrer aber hatte seinen Sohn, den Töni, heimlich hinüber gewunken in die Studierstube.
Jetzt ging die Küchentüre; ein warmer Luftzug und Rauch kamen in die Stube, und dann trat, den geblümten Milchkrug in der Hand und ein gewaltiges, längliches Brot wie ein Wickelkind im Arm, ein bäumiges, flachs
Der kalte Brand.zopfiges Maitli ein. „Guten Tag wohl und willkommen bei uns!“ wünschte sie, und ihre blauen Augen lachten den Alten schier übermütig an. „So, Vater, hier hätte ich etwas für den kalten Magen.“
Sie stellte die Sachen vor den Alten auf den bresthaften Tafeltisch hin und dazu noch eine Kaffeetasse, die sie vom braunen Büffet nahm.
„Ja“, machte der Bauer, die hochgewachsene Jungfer schier verwundert ansehend, „auch guten Tag wünsche ich dir.“
„So“, sagte sie, ihm die Tasse mit Milchkaffee anfüllend,„jetzt greift zu, Vater! Schaut, was für hübsche Röslein hat's da auf der Kaffeekachel und was für ein lustiger Spruch steht zwischen den gemalten Blumen!“
Der Alte führte mit beiden Händen die Tasse an den Mund und begann den heißen Milchkaffee schier gierig zu schlürfen.
„Wohl, wohl“, brummte er und sah mit einem langen Blick dem Maitli nach, das sich in die Küche hinausbegab,„die versteht sich besser aufs Milchkochen als der Bub.Sakerlot abeinander, tut das wohl!“
Jetzt trat das Maitli wieder ein und schritt, eine alte Chauverette wie ein Rauchfaß schwingend, in der Stube herum. Ein starker Duft von Weihrauch und Wacholderbeeren verbreitete sich in der niedern Stube.
„Man wird doch ein bißchen räuchern müssen, wenn man solche Gäste hat“, sagte fie lachend.
„Ja“, meinte er, „es riecht wie in der Kirche am Heiligtagmorgen. Wär aber nicht notwendig gewesen, unsertwegen solche Umstände zu machen. Wer bist du, Maitli?“
„Ich? des Pfarrers Magd.“
61 „Wohl sein Bäschen?“
„Könnt schon sein.“
„Es ist mir“, machte er nachdenklich, „ich hätte dich auch schon irgendwo gesehen; aber ich könnte beim besten Willen nicht sagen, wo es war. Seit ich den kalten Brand habe,kann ich immer weniger im Kopf behalten.“
„Was für einen Brand habt Ihr?“
„Den kalten Brand hab ich, hat mir der EnnetmoserWasserdoktor gesagt.“
„Hör da zu!“ sagte verwundert das Maitli; „was Kuckucks für Übel gibt's denn noch auf der Welt! Jetzt bisher habe ich nur von heißen Bränden gehört, und nun kommt Ihr mir und wollt einen kalten Brand haben. Wie ist's Euch denn da zumut?“
„He, halt alleweil so kalt habe ich; nie recht zu erwarmen vermag ich mehr.“
„Da solltet Ihr halt ins Bett liegen und einen heißen Kleiesack auf den Leib binden, Vater.“
„Das hab ich wohl getan, Maitli; aber der Töni, mein Bub, versteht das Anbetten nicht; ich muß immer so hart liegen, und der Kleiesack ist auch immer nur lauwarm, wie die Katze auf dem Ofen.“
Sie lachte laut auf.
„Das glaube ich wohl“, meinte sie; „was wollte so ein Töni vom Anbetten verstehen. Ihr müßt halt ein Weibsbild ins Haus nehmen, Vater.“
Er sah sie mit erstaunten Augen an, und dann sagte er schier schmunzelnd: „Ja, sakerlot, wo wollte ich noch ein Weibsbild für meine kalte Stube hernehmen und nicht stehlen? Das täte doch eine jede für ein Bußwerk ansehen, um mich zu sein.“
Der kalte Brand.„Ei, der tausend, wenn das ein Bußwerk sein soll, die Stube im Flüehli zu erheizen und in der Stubenkammer anzubetten, wollte ich allenfalls gerne unter die Büßerinnen gehen“, sagte lachend die Magd; „leichter könnte sich eine den Himmel kaum verdienen, dünkt mich.“
„Du Sakerlotsmaitli!“
„Mein Milchkaffee sollte Euch immer strudelnd heiß auf den Tisch kommen, und den Ofen tät ich Euch einheizen,daß jeder, der daran zu sitzen käme, meinen sollte, er trage einen glühenden Kasten am Buckel und müßte mit dem Fegfeuer hausieren gehen.“
„Du Donnersmaitli!“
„Und den Kleiesack wollte ich Euch so schön aufwärmen und umbinden, daß Ihr alle Nächte träumen solltet, Ihr wäret wieder jung und läget im Hochzeitsbett.“
„Du Weltshex du!“
Der Alte ward ganz aufgeräumt und sah immerfort der Magd nach, die ihr schweres Rauchfaß unermüdlich durch die Stube schwang.
„Möchtest du dir meine Stube einmal ansehen, Maitli?“fragte er jetzt, die listig zwinkernden, allzeit tränenden Augen mit dem Nastuch auswischend.
„He, warum denn nicht?“
„Da könntest ja gleich heut abend mit mir kommen und dich einmal im Flüehli recht umsehen. Gefiele dir's, könnte allerlei daraus werden. Der Studenpfarrer bekäme gewiß wieder Mägde genug, falls du darnach für immer zu mir zögest. Es ist mir alleweil, du vermöchtest mir den kalten Brand am ehesten aus dem Leibe zu bringen, Große.Was sagst dazu!“
„Jaha“, meinte lachend die Jungfer, „was ich kann,
2655 69 wollte ich gerne tuen; es wäre ja ein gutes Werk, brächte ich Euch wieder zu gehöriger Wärme. Ich denke, der Herr Pfarrer könnte da kaum viel darwider haben.“
„So wär's dir recht?“
„Ich sag nicht nein.“
„Da möchte ich's jetzt nur gern einrichten, daß du gleich heute noch im Flüehli Umschau halten könntest. Es ist mir alleweil, wenn du dort sähest, wie recht du's bekämest und was ich dir alles zu zeigen hätte, du möchtest gar nicht mehr von mir fort. Komm einmal her, Große,und hör!“
Sie machte sich zu ihm an den Ofen und neigte den Flachskopf zu ihm herab. „Ja?“
„Weißt“, raunte er ihr ins Ohr, „ich weiß im Flüehli noch einen Strumpf, in dem ein goldener Fuß und nicht nur fünf schwarze Bauernzehen stecken. Verstehst du?!“
Schwere Schritte kamen gegen die Stube.
„Denk dran, Maitli, denk dran!“
Er sah sie bedeutungsvoll an; sie nickte, kniff verständnisboll ein Auge zu, mit der Zunge schnalzend und machte sich mit ihrem Rauchfaß in die Küche hinaus.
Die Türe ging.
„Also denn“, sagte der Pfarrer zum Töni, der mit ihm in die Stube trampte, „eine Fuhre von deinen buchenen Turben kannst du mir bringen, das wär ausgemacht, und jetzt setz dich auch an den Ofen. Ja der Kuckuck!“ rief er aus, erstaunt auf den Flüehlialten schauend, der ihn mit vergnügten tränenden Auglein anblinzelte, „ja wie siehst du denn jetzt aus! Wie ein wandelndes Marterstöcklein hast ein Gesicht gemacht, als du ankamest, und jetzt schaust drein wie das Volk Gottes in der Wüste, als
Der kalte Brand.es ihm auf einmal Manna auf die Kappen schneite. Was ist denn da gegangen? Fangen denn mein Ofen und mein Milchkaffee auch Wunder zu wirken an?“
„He, allweg, freilich, freilich‘“, machte mit einem bittersüßen Lächeln der Alte; „sie haben mich gehörig erwärmt.“
„Hm, hm, jetzt schau einmal deinen Vater an, Töni“,redete kopfschüttelnd der Pfarrer; „als er kam, schaute er so liebergöttisch drein, daß ich alleweil fürchtete, er fange noch zu rufen an: Nehmt mich vom Kreuz ab, nehmt mich vom Kreuz ab! Und jetzt hockt er da am Ofen und macht Augen wie ein alter Frosch im Frühling nach einer Pechfackel.“
Auch der Töni sah verwundert auf seinen Vater, der mit munter zwinkernden Augen über die Tasse, woraus er eben schlürfend trank, nach der Küchentüre blinzelte.
„Ja, wenn bei dir ein warmer Ofen und ein heißer Milchkaffee so schnell Wunder wirken“, fuhr der Pfarrer fort, „wirst du ja wohl für deinen angehexten kalten Brand weiter kein Gegenmittel bedürfen. Da hängt also die Kappe am Nagel: du kannst nie recht erwarmen. Besser als Enzianengeist und alle Doktorfläschchen könnte dir ein rechtes Weibsbild helfen, die dir die Stube recht warm und den Kaffee recht heiß hielte. So eine hätte dir den kalten Brand bald aus dem Leibe gebracht; ein besseres Sympathiemittel fändest du in der ganzen Welt nicht.Was meinst?“
„Jaha“, machte der alte Tiesel, „so warm wie hier habe ich am Rücken noch nie gehabt, seit der Bub den Ofen heizt.“
Der Pfarrer tat einen raschen, verstohlenen Blick zum Töni, der sich seinem Vater
gegenüber an den Tisch gesetzt hatte.
65 „Aber ein junges Weibervolk müßte es sein“, redete der Pfarrer weiter; „denn das ist die Regel bei allen Hexereien: hat dir eine Alte das UÜbel angehert, so kann es dir nur eine Junge weghexen. Was sagst?“
„So einen feuerheißen Kaffee, wie ihn mir Euere Magd da aufgetischt hat, habe ich seit meiner seligen Frauen Absterben, Gott tröste siel nie mehr getrunken“,machte der Alte.
„Da kann dir also leicht geholfen werden. Du mußt ein junges, ordentliches Weibsbild ins Flüehlihaus nehmen“,meinte der Pfarrherr.
„Was sagt der Bub dazu?“
Der Alte schielte seitwärts, schier mißtrauisch, nach seinem Sohne, vor den die mit frischer Milch eingetretene Magd eben eine Tasse hingestellt hatte, sie nun anfüllend.
„Herrgott ist der heiß!“ sagte der Töni und blies sorglich über die volle Tasse hin. „Ja, Vater“, machte er dann gemessenen, ruhigen Tones, „daß Euch mit einem Weibsbild besser gedient ist, kann ich ja wohl begreifen und will mich gottsnamen dreinschichen. Ich möchte denn doch auch nicht, daß Euch der kalte Brand noch umbrächte.“
„Siehst du jetzt, Tiesel“, sagte der Pfarrer, „die Jungen sind immer wieder besser als wir Alten. Obwohl du ihm den kalten Ofen und die lauwarme Milch immer vorhältst,wird er doch nicht unwirsch und mag es dir als ein guter Sohn von Herzen gönnen, wenn dir ein rechtes Weibervolk zu einer bessern Temperatur, sagt der Ennetmoser Schullehrer, verhilft.“
„Ja, ja“, machte der Alte und äugte nach den taubenweißen, kugelrunden Armen der Magd, die den schweren Milchkrug so federleicht handhabten.
Lienert, Bergdorfgeschichten.
Der kalte Brand.„Vater“, mahnte jetzt der Töni, „ich meine, nun könnten wir bald einmal ans Aufbrechen denken, wem wir noch tags heimkehren wollen.“
„Sprengt's denn so?“ wendete der Pfarrer ein. „Es ist ja noch lange Tag, und bevor ihr wirklich geht, nehmt ihr noch einen Schluck Wein.“
„Jeses, hat das schon einen gewaltigen Schnee heruntergeworfen!“ rief die Magd aus, als sie mit den leeren Krügen an einem Fenster vorbeiging.
„Man könnte meinen, es wolle die Welt nun einmal für immer und ewig zudeckeln. Keine Wegspur sieht man mehr.“
„Jetzt ist's gut“, lachte der Pfarrer; „jetzt müßt ihr doch noch einen Schluck Wein zu euch nehmen. Zu Fuß könnt ihr nicht wohl heimgehen. Entweder übernachtet ihr hier, oder ihr müßt warten, bis der Schneepflug für euch anwegt; aber vor morgen fährt der auch nicht. Maitli,hol eine Flasche Wein herauf! Vom Dickroten neben dem Erdäpfelpferch mußt nehmen.“
„Gleich, Herr Pfarrer!“ sagte die Magd und machte sich aus der Stube.
„Es wäre sonst nicht zu tuen, Pfarrer“, machte, erst ein paarmal rülpsend, der Flüehlialte; „aber freilich einen Schluck Dickroten kann ich niemandem abschlagen; er geht einem ins Blut.“
„Da kann ich unterdessen im Wirtshaus drüben grad um den Schneeschneuzer fragen“,
sagte jetzt der Toöni; „denn heim muß ich, ich darf das Vieh nicht hungern
lassen. Es kann ja den Stüdlern nur recht sein, wenn ich ihnen schon heut abend
ein Stück Wegs bahne. Der Schneeschneuzer läuft ihnen dann morgen durch den
Schnee wie durch Butter.
67 Auch fahre ich damit gleich wieder zurück, sobald ich den Vater zu Hause habe.“
„Ach was, bleibt doch hier über Nacht!“
„Nein“, machte der Alte, „ich bin meiner Lebtag und mit den schwersten Räuschen, ging's nicht anders, auf allen vieren, durch den tiefsten Schnee immer heimzu und habe zu Hause geschlafen; ich will auch heut abend heim. Ja,geh, Töni, und schau, daß sie dir den Schneeschneuzer geben;so kommen wir von hier fort, bevor's stockdunkel ist.“
Da machte der Töni schon die Türe hinter sich zu.
Als die hochgewachsene Magd mit einer vollen Flasche Rotwein wieder in die Stube trat, dämmerte es schon.
„Da“, machte sie, den Wein auf den Tisch stellend,„trinkt, Vater! der bringt Euch zu Blut!“
„Maitli“, sagte der Pfarrer und sah die Magd seltsam lächelnd an, „wo bist denn so lange gewesen? Es bedünkt mich, in der Zeit hättest du den Wein gleich aus dem Welschland holen können.“
„He ja“, lachte sie, einen Zopf herauf bindend, „ich hab halt noch einer alten Maus, die mir hinter die Erdäpfel will. die Falle gerichtet.“
„Ja, ja, Maitli“, machte schmunzelnd der Flüehlialte,„wenn's draußen so drauflos wintert, machen sich die alten Mäuse eben auch an die Wärme.“
„Jeses“, rief sie aus, „jetzt habe ich noch den Speck in die Falle zu tun vergessen!“
Flugs war sie wieder aus der Stube und rumpelte in den Keller hinunter.
„Das wär Eine!“ meinte, schnalzend mit der Zunge,der Alte.
Der Pfarrer hatte drei verstaubte Gläser vom Büffet
Der kalte Brand.genommen und sie auf den Tisch gestellt. „Freilich“, sagte er, den Schalk in den Mundwinkeln, „das könnte dir gefallen, gelt, wenn dir so ein zweibeiniger, immer geheizter Ofen im Flüehli in der kalten Stube herumliefe.“
„Allweg, hihihi“, kicherte der Alte und blinzelte, am vollen Weinglas sürfelnd, mit lustigen roten Auglein nach dem Kuckuck, der eben die Stunde aus dem Türchen der alten Wanduhr rief. Dann zog er eine Schweinsblase aus dem Sack und begann sein Pfeifchen zu stopfen.
4
*Das Glöcklein von Studen läutete zum Nachtgebet.
Stehend beteten der Pfarrer, der Flüehlialte und die Magd zusammen den englischen Gruß. „Und der Herr gebe den Seelen aller Christgläubigen die ewige Ruhe!“betete zuletzt noch der Pfarrer. „Und das ewige Licht soll ihnen leuchten!“ setzte der Flüehlitiesel mit tiefem Brummbasse bei.
Da war ein Schellengebimmel in der Nacht draußen.
Die Magd schob ein Scheiblein zurück und schaute hinaus.
„Der Schneeschneuzer steht unten!“ rief sie in die Stube zurück. „Und eben geht der Mond auf über die Weißtannenalp; es gibt eine tagheitere Heimfahrt.“
„Jetzt ist's recht“, krähte weinselig der Flüehlialte und griff zum Glas. „He da,
Herr Pfarrer, jetzt wollen wir noch einmal anstoßen, bevor wir abfahren. Ich sag
Euch vielmal Vergeltsgott! für Euren Dickroten; er hat mir noch einmal ein
bißchen Tanzmusik in den Kopf gebracht,und am Ende habe ich da im Pfarrhause
doch noch das rechte Mittel gegen den kalten Großvater kalten Brand,will ich
sagen gefunden. Es ist mir beim Eidhagel grad,
59 als müßte ich einen Gestobenen tanzen. He, Maitli!“ rief er der Magd, die immer noch durchs Fenster schaute, zu,„komm her, du sollst mir noch Bescheid trinken, bevor ich abfahre, du Weltshex du!“
Mit tränenden Auglein und zitternder Hand streckte er dem zu ihm tretenden Maitli das Glas entgegen. Sie trank ein Schlückchen daraus.
„Austrinken mußt!“ gebot er.
Sie trank noch ein Schlückchen.
„Allen kann ich nicht hinunterbringen, Vater“, sagte sie.
„So gib her, du Donnersmaitli, du busiges!“
Er büschelte die welken Lippen, setzte sie genau da ans Glas, wo die Magd daraus getrunken hatte, und leerte es in einem Zug.
Der alte Pfarrer lachte, daß ihm der Bauch wackelte.
„Was lacht Ihr denn so narrenmäßig“, sagte der Alte;„bin ja ein Witwer, da gibt es für mich offene Weide beim Weibervolk; die Häge und Gatter sind für die Eheleute und für die geistlichen Herren.“
„Kommt jetzt, Vater!“ mahnte der Toöni, der eben eingetreten war und nun hurtig das Glas austrank, das ihm der Pfarrer vollschenkte. „Es ist jetzt an der Zeit, daß wir heimkommen, bevor's wieder zu schneien anfängt; wir hätten nun schönen Mondschein.“
„So behüt Euch denn Gott, Herr Pfarrer!“ machte der Alte. „Und die Rechnung für all die Lebtung könnt Ihr zu uns ins Flüehli einziehen kommen; es tät uns freuen,das tät's. Es ist mir jetzt, ich könne im kommenden Sommer noch einmal, den Jungen zum Trotz, gewichtige Heubürden auf den Gaden tragen. Und wenn ich den kalten Großvater den kalten Brand, will ich sagen
Der kalte Brand.wieder merken sollte, so weiß ich jetzt dagegen gottlob drei Mittel im Pfarrhause zu Studen zu finden. Das erste liegt im Keller; das zweite steht an der Stubenwand,und das dritte trägt ein Schürzenband. Juhuu!“ schrie er heiser auf, strich ein Zündhölzchen am Absitz an und hielt es übers Pfeifchen. „So“, sagte er paffend und lachte eine Scholle heraus, „jetzt gut Nacht beieinander und nichts für ungut!“
Aufrecht, aber etwas unsichern Schrittes, verließ er die Stube, vom lachenden Pfarrherrn begleitet.
Als der Bauer in die mondhelle Nacht hinaus kam,zog er die Zottelkappe über die Ohren und sagte: „Ein Himmel so lauter wie Schnaps!“
Jetzt eilte die Magd mit Bettdecken in den Armen aus dem Hause.
„Ja der Donner“, machte lachend der Alte, „wo willst du denn mit deinem Bett hin, Maitli?“
„Euch ein bißchen einmachen will ich, Vater; Ihr könntet sonst arg frieren bis ihr heimkommt, und zuschauen will ich, daß Ihr auf dem schlechten Gefährt da weicher zu sitzen kommt.“
„Was!“ sagte der Alte, „ich bin jetzt kein Wickelkind mehr und kein kalter
Großvater. Ein sauberlediger Witwer bin ich, Maitli. Und wenn ihr mir so kommt,
so hocke ich mich da aufs vordere Brett und fahre den Schneeschneuzer selber.
Das bringe ich jetzt schon noch fertig ... Oha Most!“machte er, als er, an den
Schneepflug torkelnd, in den Schnee plumpste. „Sakerlott, sakerlott!“ schimpfte
er unter dem Auflachen der andern, „da hat's aber auch einen rechtschaffenen
Schnee heruntergeworsen. Bub, wenn bloß ich und du auf dem Schneepflug hocken,
hat er zu wenig
71
Tiefgang und wir bekommen keinen rechten Weg für die Stüdler und für deine Rückfahrt. Es muß noch jemand auf den Schneeschneuzer.“
Er blinzelte mit lustigen Augen nach der Magd.
„Vater“, sagte die rasch, „wenn Ihr meint, Ihr könntet mich brauchen, fahre ich gerne mit; kann ja mit Euerm Bub wieder zurückfahren. Zur Not getraue ich mich wohl, das Gefährt allein wieder heimzubringen. Vielleicht könnte ich Euch auch festhalten, falls der Schneeschneuzer zu arg rüttelt.“
„Ja, fahr nur mit, ist recht“, stimmte der Pfarrer bei;„ich glaube alleweil, wenn dein erstes Mittel gegen den kalten Großvater, hier an der Stubenwand und das zweite im Keller zurückbleibt, seiest du am Ende noch um das dritte froh, Tiesel, wenn du's gleich bei der Hand hast. Ja, wickle ihn nur recht ein!“
„Du Donnershex, du Donnersherx!“ sagte schmunzelnd der Flüehlialte zur Magd, die ihn sorglich in eine Bettdecke einwickelte und dann ohne weiteres in die Arme nahm und neben sich auf den Schneepflug setzte. „Was meint Ihr, Pfarrer, die hätte noch das Zeug und die Arme dazu,die kleinen Kinder und die großen nicht minder, in den Schlaf zu wiegen, hihihi ... Juhuu!“ gröhlte er in die Nacht hinein.
„So willst du wirklich mit ihnen fahren?“ fragte der BGeistliche nochmals seine Magd.
„Allweg muß sie mit!“ antwortete stotternd statt ihrer der Alte. „Es ist wegen dem größern Tiefgang, und ein schwereres, bäumigeres Maitli auf den Schneeschneuzer fänden wir ja doch in der ganzen Welt nicht. So und jetzt wenn's unser Herrgott gut mit mir meint, leeren wir um. Juhuu!Fahr ab, Bub! Gut Nacht, Herr Pfarrer!“
Der kalte Brand.„Hü!“ rief der Töni.
Das starke Roß zog an; fest faßten die Arme der Magd den Flüehlialten um den Leib, und fort ging's durch den lockern, aufwirbelnden Schnee.
„Kommt gut heim!“ rief ihnen der Pfarrer nach und machte sich kopfschüttelnd, still in sich hineinschmunzelnd,ins Haus.
„Juhuu!“ lärmte der Flüehlialte ins Land. „Kommt heraus, wenn ihr was seid! Haarus! Haarus!“
Mit munterm Schellengebimmel und ziemlich rasch fuhr der Schneepflug an den paar alten Tätschhäusern, aus denen einige bezipfelkappte Köpfe wunderten, vorbei in die mondhelle Nacht hinaus.
33Sie mochten eine schwache Stunde gefahren sein. Der Flüehlialte schnarchte schon lange und wäre wohl vom Schneepflug gefallen, hätte ihn des Pfarrers Magd nicht so sorglich in ihren starken Armen geborgen gehalten. Er schlotterte vor Kälte.
„Der Vater friert!“ raunte sie jetzt seinem vor ihr sitzenden Sohne zu; „du solltest etwas schneller fahren, Toöni.“
„Ja, ja“, gab er zurück, „es geht eben mit diesem bockenden Gefährt nicht so flink; aber wir sind ja gleich daheim, wie du siehst. Hü, Vögil“
Er unterzog dem Roß einen raschen Peitschenhieb an den Bauch. Ein wilder Ruck, der Schneepflug geriet ein wenig über die Wegböschung und hulterpulter rutschte das Maitli mit dem Alten in den Graben hinunter.
„Da liegst, Herzwasser!“ lachte sie auf.
Aber der alte Flüehlitiesel erwachte mit einem klagenden Aufschrei.
73
„Jeses, Jeses“, machte er, als ihn die Magd wieder unter Schwitzen und Dämpfen durch den tiefen Schnee in den Weg hinaufschleifte. „Wo bin ich denn, der tausend Gotteswillen, und wer bist du, Maitli?“
„He, wer wollte ich sein? halt des Pfarres Magd.“
„Jeses, richtig, richtig. Hu, wie kalt, wie eiskalt!“
Nun half ihm der Töni, der den abseits geratenen Schneepflug wieder in den Weg gezogen, völlig aufs Grabenbord. „Habt Ihr schon wieder kalt, Vater?“
„Kalt, Töni, ja kalt“, gruchste der Alte. „Der kalte Brand zieht mir wieder in allen Knochen. „Ich will heim“,sagte er schlotternd, ‚„heim auf den Laubsack.“
„Kommt, Vater!“ ermahnte der Töni den zitternden Alten, der sich ächzend auf dem Schneepflug niedergelassen hatte; „Ihr müßt ja jetzt da den Rain hinauf heimzugehen.Ich will Euch führen. Das Maitli hält unterdessen, bis ich zurückkehre, das Roß.“
„Nichts da“, machte des Pfarrers Magd, „fahr du den Schneeschneuzer nur gleich wieder zurück, Töni. Ich will lieber mit dem Vater ins Haus hinauf. Es ist besser für ihn; sonst muß er noch ganz erfrieren, bis du ein Feuer im Ofen und heiße Milch im Krug hast. Geh fahr zu!“
„Aber“, wollte er einwenden, „du kannst doch nicht die ganze Nacht ...“
„Fahr zu!“ befahl sie und zwang ihn auf den Schneepflug nieder. „Was schwatzest du denn noch lang? Wir können jetzt hier keine Landsgemeinde abhalten. Fort mit dir, du Weißgockel!“
Sie führte das Gefährt herum, hob den jeselnden Alten auf, versetzte dem Roß mit der Hand eins auf den Pupis und rief: „Hü, Vögi!“
Der kalte Brand.Da zog das Roß an und trabte gemächlich davon.
„Du Weltsbursch du!“ lachte der Töni auf dem Schneepflug. „Also gut Nacht unterdessen!“
„Ja, komm nur bald wieder herum!“ rief sie ihm nach.Dann begann sie mit dem schlotternden Alten den Rain zu ersteigen.
„Jeses, Jeses“, klagmarterte er, „wie soll ich da hinauf durch den bösen Schnee kommen? Der kalte Brand bringt mich noch um; die Arme hängen mir schon wie Eiszapfen vom Leib.“
Sie maß mit prüfenden Blicken den Weg bis zum Hause auf der Höhe.
„Kommt, Vater!“ sagte sie kurz. „Jetzt könnt Ihr einmal heimreiten.“
Sie bückte sich, setzte den Alten mit Ach und Krach rittlings auf ihren Nacken und schritt dann ruhigen Ganges über den tiefverschneiten, steinplattenbelegten Fußweg höhwärts.„Haltet Euch recht fest, Vater!“
So kauerte der Alte fröstelnd auf ihren Schultern, wie ein Nachtmahr, hatte die Arme um ihren Flachsschopf geschlungen und sah mit blöden Augen in die mondhelle Nacht hinein. „Jeses, Jeses!“ gruchste er kläglich.
Eine geraume Weile ging's ruhig bergan. Aber auf einmal stand die Magd vor einem älten Tatschhause still.
„So. Vater, jetzt sind wir daheim.“
„Jeses, Jeses“, stöhnte er.
Sichern Schrittes, als wäre sie hier zu Hause, trug sie den Alten die krachende
Stiege und durch die Stube und das Ofenloch hinauf in die Stubenkammer. Dort
bettete sie ihn sorgsam auf seinen Laubsack, schleppte noch eine
75 schwere Decke vom andern Bett herbei und begrub ihn fast unter dem Bettzeug.
„So, und nun will ich sehen, daß ein rechtes Feuer in den Ofen kommt“, machte sie, die Bettdecken zurechtstreichend und ihm überall unter den Leib stopfend. „Und etwas Warmes für den Magen werden wir auch bald haben.“
Rasch verließ sie den schlotternden Alten.
Mit schier verwunderten Augen schaute der Alte auf,als nach einer Weile Schritte durch das Ofenloch heraufkamen und nun des Pfarrers hochstämmige, flachsschopfige Magd, mit einem Ollämpchen in der einen Hand und Milchkrug und Kachel in der andern, eintrat. So groß war sie, daß sie sich unter dem Deckengebälke der Stubenkammer bücken mußte.
„Hört Ihr's, Vater, wie's drunten im Ofen singt. Und hier hab ich Euch einen Schluck Milch“, sagte sie, ihm die Tasse anfüllend und hinhaltend, „greift zu!“
Fröstelnd richtete er sich halbwegs auf und langte, mit beiden Händen zitternd, gierig nach der Milch.
„O wie wohl tut das, Maitli!“ machte er, schwer aufatmend nach einem langen Zug aus der Tasse. „Feuerheiß ist die Milch, feuerheiß.“
Dann trank er wieder, und sie stopfte das Deckenzeug noch sorglicher rings in die Bettstatt hinein.
„Ja, ja“, machte er, „wenn ich dich haben könnte,Große, wenn du mir da bleiben wolltest, ich brächte es nochmals auf die Beine. Du weißt noch, was einem alten Mann wohlbekömmlich ist, und zögest mir den kalten Brand,den mir die verfluchte Hexe da drüben, die Hüelwaldtrud, in den Leib gehext hat, gewiß wieder heraus. Wenn's eine könnte, wärest du's. Der Pfarrer hat ja selber gesagt,
⁊
Der kalte Vrand.was einem eine Alte anhexe, könne nur eine Junge wieder weghexen ... Sag, Maitli“, machte er, sich verschüttelnd,„sag, getraust du dich, mir den kalten Brand aus dem Gebein zu bringen? wolltest du mir für immer dableiben?“
„He“, lachte sie auf, „ich meine, es sollte mir keine schwere Kunst werden, einer ganzen Kirche voll alter Großväter den kalten Brand aus dem Leibe zu bringen, wenn ich sonst nichts Gescheiteres zu tun hätte. Trinkt, Vater,trinkt!“
Sie schenkte ihm die Tasse wieder voll.
„Also sagst nicht nein, Maitli?“ machte er fröstelnd und sog an der Tasse. „Schau, du solltest es gut bei mir haben;nichts dürfte dir abgehen. Ich wollte mit dir umgehen wie mit dem gutfärbigsten Aufziehkälblein. Oder scheust etwa den Töni? Schau, der wär gewiß auch recht mit dir,ist mir allezeit ein williger und ein lieber Bub gewesen.“
„Mir auch“, sagte das Maitli.
„Was?“ wunderte mit großen Augen der Alte und hielt die Hand ans Ohr, „wer, der Töni?“
„He ja“, machte sie, „ich meine, er ist mir auch gut genug; ich täte ihn nicht stark scheuen.“
„Jaso“, brummte er und legte sich wieder zurück. „Da,nimm die Milch; ich hab genug getrunken, und sie hat mich schön durchwärmt.“
„Bin gleich wieder da“, sagte sie, schneuzte flink mit den Fingern das Ollämpchen und rumpelte wieder durchs Ofenloch hinunter.
Der Flüehlialte aber sah sinnend zur Decke empor.
„Das wär eine“, machte er, „die brächte mich nochmals ins Geleis. Der Töni muß
dann flink des Säckelmeisters Hüroß, die Beth, heiraten; sie und ihre Alten
warten schon
77 lange auf ihn ... Jaha, sakerlot, die gäb mir wärmer als sieben Fuchspelzkappen! Wenn sie mich nur will!“
Bald krachte drunten der Aufstieg hinter dem Ofen wieder, und aus der Stube herauf, aus der eine wohlige Wärme in die Stubenkammer kam, stieg des Pfarrers Magd. In der einen Hand trug sie einen Kochteller, mit einem in der heißen Butter schlotternden Spiegelei, und in der andern einen Wärmesack.
„Da Vater“, sagte sie, „bringe ich Euch noch etwas Festes für den Magen und einen warmen Kirschensteinsack für die Füße. Ich will nun gerne sehen, ob ich Euch nicht einmal gehörig aufzuwärmen vermag; Ihr braucht deswegen noch lange nicht zum Bett hinaus zu übersieden.“
„Maitli, Maitli“, machte der Alte, immer mehr auf-tauend, „du gehst mit mir um wie mit einem Wickelkind.So gut hat's mir noch kein Mensch, auch meine selige Alte nicht, werden lassen wie du. Vergelt's Gott! Wenn du mir nur bleiben wolltest! Du müßtest alle Tage eine Lebtung haben, wie ein Kommunikantenkind am Weißen Sonntag.Was sagst, Große, was meinst, tätest bei mir bleiben?“Er griff mit seinen magern, zitternden Fingern nach ihrer Hand. „Red, Maitli, red, Maitli!“
„He freilich“, machte sie gedehnt, „ich täte ja schon dableiben, wenn Ihr mir ...“
„Weiß schon, weiß schon“, unterbrach er sie; „ich müßte dir halt vorher etwas verschreiben. Schau“, setzte er eifrig bei, „alles gebe ich dir, alles. Der Bub hat ja am Heimwesen, das neun Kühe erträgt, mehr als genug. Bücke dich unters Bett, bücke dich!“ gebot er.
„Ja“, machte sie, sich rasch auf die Knie werfend, „was soll ich unterm Bett suchen; habt Ihr etwas verloren?“
Der kalte Brand.„Heb das Brett da weg, hier, hier!“
Er legte ihre Hand an ein ausgetretenes Brett.
„Jetzt lüpf es heraus!“
Sie nahm das Brett weg; er schob sich halbwegs aus dem Bett und griff in die Offnung im Boden. Jetzt brachte er einen schweren, vollen Strumpf heraus, legte sich aufs Kissen zurück, und dann hob er ihn hoch: Ein Klirren und Klingen vor ihr auf der Bettdecke glänzte ein ansehnliches Häufchen lauter lötiger Goldstüche.
Sie machte große Augen.
„Gelt, Große, da schaust!“ keuchte er schmunzelnd; „das alles ist dein, wemn du mich heiratest.“
„Euch?“ tat sie verwundert und fuhr zwei Schritte vom Bett weg.
„Zum Donner abeinander“, sagte er, sie erstaunt anblickend, „wen denn sonst? Du hast doch eben gesagt, du wollest gerne für immer dableiben.“
„Jaha schon“, machte sie, rot über und über, ihm das Spiegelei überreichend und den Kirschensack unter seine Füße stopfend. „Aber ich hab halt gedacht, Ihr meinet,Euer Bub, der Töni, der mich ja schon lange gerne sieht,sollte mich heiraten, daß wir dann zu zweit zu Euch schauen könnten. Ist der Kirschensack warm genug, Vater?“
Jetzt fuhr der Alte auf vom Laubsack und schaute mit den geröteten Augen schier erschrocken auf des Pfarrers Magd.„Ja, zum Domnerhagel“, rief er aus, „wer bist du denn?!Es war mir doch gleich anfangs, ich sollte dich kennen,wußte dich nur nirgendshin heimzutun. Sag, Maitli, du Weltsgeschirr, wie heißest du denn?“
„Halt Seppetrutli.“
79 „Wie?“ fragte er, die Hand am Ohr. „Hab ich dich recht verstanden? Seppetrutli heißest du?“
„Ja,. Vater.“
„Heilanddonner, da bist du am Ende gar der Hüelwaldtrud ihr Maitli?“
„Es wird wohl so sein.“
„Jeses, Jeses!“ gruchste der Alte. Dann fuhr er so geschwind als möglich mit den zitternden Fingern in sein Gold, stopfte es auf Leib und Leben in den Strumpf und verbarg ihn unterm Kopfkissen.
„Es kommt jemand“, sagte sie rasch; „ich will nachschauen gehen, wer's ist.“
Und zündbrandrot huschte sie durchs Ofenloch hinunter in die Stube.
„Die Weltshex, die Weltshex!“ seufzte der Alte und staunte bald nach dem Ofenloch und bald auf den Teller mit dem Spiegelei, den er in beiden Händen hielt. „Der bin ich jetzt gehörig in die Falle gegangen, wohl, wohl.Und was gilt's, der alte Studenpfarrer hat sie ihr noch richten helfen. Sakerlott, sakerlott, wo hatte ich aber auch die Augen. Freilich, die Donnerskröte versteckte sich ja immer vor mir; wie konnte ich da gewahren, wie aus dem geringen Springfratz so eine bäumige Jungfer herausgewachsen ist! Die Hüelwaldtrud wird lachen. Stocktaubblind muß ich gewesen sein. O ich alter verliebter Hansnarr! Ich hab eben an den Alten gedacht, sie hingegen an den Jungen. Gleichwohl, was wahr ist, bleibt wahr“, machte er nach einer Pause scharfen Nachsinnens; „ein rechtes Maitli ist sie, und wie die einem die Milch kocht und wie die einem anbettet und den warmen Kirschensack unter die Füße legt! hm, hm“, machte er nach längerm Nachdenken, „am Ende
Der kalte Brand wär's doch nicht das dümmste, wenn ich sie im Hause behielte. Sie würde mir abwarten und zu mir schauen, wie keine zweite. Meinetwegen soll die Alte lachen. Am Ende hat's der Herrgott so eingerichtet, daß mir die Junge, der Alten zum Trotz, den kalten Brand aus dem Gebein bringen muß; 's ist doch ein heillos gewirtes und warmblütiges Maitli. Du Donmnershex dul!“
Er begann, in schweres Sinnen versinkend, sein Spiegelei aufzuessen.
„So, hast du also den Schneeschneuzer schon nach Studen zurückgebracht?“ ließ sich nach einer Weile von unten die Stimme der Magd vernehmen.
„Jaha“, antwortete Tönis Stimme. Der aufmerksam lauschende Alte hörte ihn die Schuhe am Ofen abschlagen,und dann vernahm er etwas wie ein Fischschnalzen in der Laichzeit. „Allweg bin ich bald in Studen gewesen“, ließ sich der Töni wieder vernehmen; „aber“, sagte er lachend, „obwohl der Rütischneider ein Stück Wegs auf dem Schneeschneuzer zu mir gehockt ist, hatte er doch keinen so schönen Tiefgang gehabt wie vorhin, als du mit mir gefahren bist.“
Jetzt begann drunten in der Stube ein Tuscheln, und zuletzt mischte sich drein ein leises Weinen.
Der Alte tunkte mit einer Brotschnitte das Spiegelei noch völlig aus. „Die Weltsherx die!“ brummte er. Jetzt lauschte er wieder.
Gegen das Ofenloch gingen Schritte; dann gab es ein Poltern.
„Nein, nein“, machte leise die Stimme der Magd, „um alles in der Welt darf ich
nicht mehr hinauf. Ich hab's ja dir zu lieb getan; aber ich könnte es nicht
wieder tun,und jetzt schämte ich mich tot, sähe er mich wieder. Er
8]will ja doch nichts von mir wissen, hat Augen an mich her gemacht, als ob ich ihm mit der ewigen Seligkeit davonlaufen wollte. So laß mich doch, der tausend Gottswillen!“flehte die Magd. „Ich will heim, heim will ich! O ich schlechtes Geschöpf, wie habe ich das nur tun können.Laß mich, laß mich!“
Jetzt gab es einen Mordslärm durchs Ofenloch herauf,und auf einmal zeigte sich der Töni, in den Armen die sich wildsträubende Magd haltend. Ihre heitern Haare waren aufgegangen und hingen ihr übers Gesicht.
„Du mußt doch hinein!“ keuchte, ringend mit ihr, der Töni. „Da, Vater“, rief er aufschnaufend und das zappelnde, sich immer noch wehrende Maitli vor das Bett hinstellend, „da bringe ich Euch das Hüelwaldseppetrutli;nehmt's nicht bös auf. Seine Alte hat Euch den kalten Brand ins Gebein gewünscht, meint Ihr. Mir aber hat die Junge das Fegfeuer in den Leib gehext. Ich mein alleweil, wer in mir so ein Feuer anzumachen verstand,werde auch einen ältern Adam noch ein bißchen aufzuwärmen vermögen. Der Studenpfarrer hätte uns gewiß kein wohlbekömmlicheres Sympathiemittel mitgeben können. Was sagt Ihr, Vater?“
Mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf stand die hochgewachsene Magd da und sah in den Stubenboden.
„So komm in Gottesnamen her, Seppetrutli!“ machte jetzt nach einem schweren Gruchsen der Alte und langte mit zitternden Fingern nach der Hand der Magd. „Du sollst im Flüehlihaus bleiben, ein Mann ein Wort, wenn ich's alter Narr in meinem Räuschchen auch etwas anders meinte. Aber sag mir, Große, warum hast mir's denn im Pfarrhaus nicht gleich anfangs gesagt, daß dir mein Bub
ELienert, Vergdorfgeschichten. ß
Der kalte Brand.und nicht ich im Sinne liege? Hast mich doch recht arg nachgezogen, ärger als eine junge Hirtin ein altes Schaf mit der Salzlecktasche.“
„He“, antwortete sie, ihn mit tränenvollen Augen anlachend, „ich hab Euch ja gesagt, Ihr sollet das Sprüchlein auf dem Kaffeekachelchen, das ich vor Euch hinstellte, lesen;da hättet Ihr's schon gemerkt.“
„Ja, wie hat denn das Sprüchlein geheißen?“ wunderte er.
„He, ich hab's noch wohl im Kopf“, sagte sie; „es hieß:
Scharmantes Kind, ich rat dir's fein:Tu mir keinen Alten frein!
Je bas du wärmst den Alten,
Dest' mehr tut er erkalten.“
Da lachte der Töni heraus, als rollten eine Fuhre Pflastersteine über ein Grabenbord, und auch der Alte büschelte den zahnlückigen Mund zu einem vergnüglichen Schmunzeln.
„Du Donnersmaitli du!“ redete er dann. „In Gottesnamen denn, so nehmt euch! Und das da“, sagte er, den vollen Geldstrumpf unter dem Kissen hervorziehend und vor sich auf die Bettdecke hinlegend, „das will ich deinem ersten Kinde einbinden, wenn du recht mit mir bist. Gesehen hast du den Strumpf ja doch, und vor dir ist bös etwas verbergen. Ich glaube schier, du bringst es mit deinem ersten Kinde auch ohne Hexenwerk zuweg, mich aus einem kalten Witwer zu einem warmen Großvater zu machen, du Erzschalk du!“
Der Töni lachte wieder eine Scholle heraus.
Das bäumige Seppetrutli aber sank aufschluchzend vor dem Bett in die Knie und
überflutete die rauhen, magern Hände des Flüehlialten mit ihren
Freudentränen.
Am ausdauerndsten trieb sich wohl der Meiredli herum;es mochte Schnee verzetteln oder kalt sein, daß die Sterne am Himmel schlotterten. Selbst die klösterlichen Betglocken vermochten ihn noch nicht ins Haus zu rufen. Erst der alle Gassen mühselig absuchenden Magd gelang es, zwar nicht durch den Honigseim ihrer gütlichen Einladungen,wohl aber durch die Kraft ihrer Hände, die sich wie Handschellen um Meiredlis widerstrebende Arme klammerten,den unfolgsamen Knaben mit Ach und Weh einzuheimsen.
Doch als ihm nun die Großmutter eines Tages zuraunte,der „Samichlaus“, wie sie St. Nikolaus im Dorfe nannten,werde gläublich bald ins Haus kommen, weil sie ihn schon am vorigen Abend in dessen Nähe bemerkt habe, blieb er von da an krampfhaft zu Hause am Ofen kleben. Keine Bitte vermochte ihn zu bestimmen, auch nur eine Prise Schnupftabak im nahen Schwertladen zu holen.
Freudige Erwartung, aber auch schwere Vangnis erfüllten den Meiredli. Denn obwohl er wußte, daß der Klaus noch nie erschienen war, ohne leckere Dinge zurückzulassen,kam ihn doch auch ein leises Grauen an, wenn er an die fürchterlichen Waldbrüder dachte, die den Samichlaus, gewöhnlich sechs Mann stark, zu begleiten pflegten, als eine
8*
Das Klauslaufen.wahrhaft höllische Leibgarde des himmlischen Heiligen. Der Meiredli nahm eben noch alles für bare Münze und ahnte nicht, daß der heilige Samichlaus alltäglich in der Küche das Geschirr spülte und im Hause herum die handlichen Arbeiten des Reinmachens besorgte. Und daß die fürchterlichen Waldbrüder als muntere Gesellen alltäglich in seines Vetters Eisenwerkstätte unten im Hause, mit Hammer und Feile drauflos werkten. Die Großmutter versuchte ja wohl,ihn zu beruhigen, indem sie sagte, die Waldbrüder seien im Grunde genommen ganz gutmütige Burschen, die nie einem Knaben was zu leide täten, der recht brav sei und seinen Eltern schön gehorche. Aber das dünkte Meiredli ein schlechter Trost; denn eben mit dem Bravsein und dem Gehorsam sah es bei ihm bedenklich aus.
Mit heimlicher Betrübnis, die aber ihre Wurzel nicht in der Reue hatte, gedachte
er seiner sündhaften Widerspenstigkeit und seiner schlimmen Streiche. Hatte er
sich nicht immer hinter der Hausecke versteckt, wenn die Großmutter nach ihm
ausschaute und ihn bat, er möchte ihnen im Hause doch dies und jenes Dienstlein
tun? Pflegte er nicht der freundlichen Magd die Zunge zu zeigen, wenn zu
gewinnen? Schrie er sie nicht gar an: „Geh du selber!“Schnauzte er sie nicht
gröblich ab, wenn sie ihn von irgend einem Unfug in Küche und Haus abhalten
wollte: „Schweig du, das geht dich gar nichts an; du bist nicht meine Mutter!“Ja
und dann die unzählbaren schlimmen Streiche, die er,teils hinterrücks, teils vor
den Augen aller Guten, verübt hatte? Hatte er nicht erst gestern noch die etwas
zankfreudige Nachbarin mit dem Rufe: „Her, Herx, alte Her!“herausgelockt, also
daß die erbost Heraushastende in eine
85 Belte voll eiskalten Wassers fuhr, die er ihr von der Dachraufe weggenommen und vor die Türe gestellt hatte?Und was hatten ihm die beiden Postgehilfen getan, daß er ihnen aus dem Garten durch ein Blasrohr Vogelbeeren und Rosenkranzkügelchen an die Köpfe fitzen ließ, wenn sie, wie Josua und Kaleb die Riesentrauben des gelobten Landes, auf ihrem Rücken eine schwere Last Pakete herbeischleppten? Prügelte er nicht erst am vorigen Abend den fleißigen Angestellten des nahen Geschäftes mit teuflischem Geheul an die Fensterladen? Und als sie entsetzt und hochergrimmt herausfuhren, hatte er ihnen da nicht, im Verein mit seinen Frevelgenossen, die spitzen Vorhangeisen, die er in seines Vetters Esse weißglühend gemacht, hohnlachend entgegengestreckt und sie damit gar bedroht, also daß sie schleunigst und kreidebleich ins Haus zurückkrebsten? O,es war nicht abzusehen, was er alles auf dem Kerbholz hatte. Und dann die hundertmal, nein, alltäglich ein dutzendmal gewissenlos gebrochenen Schwüre einer ewigen Besserung!Es mußte da auf seiner Blattseite nett aussehen in der himmlischen Buchhaltung. Und obwohl er jetzt allabendlich vor dem Zubettegehen gelobte, von morgen an bis an sein seliges Ende mustergiltig und ganz nach dem immerwährenden Zuspruch der Großmutter zu leben, erwartete er doch den St. Nikolaus mit recht gemischten Gefühlen.
Aber allmählich überwog die freudige Erwartung alle Bedenken und durchsüßte sein
ganzes Wesen, wie die Birnenschnitze ein Schwabenbrot. Als daher die Großmutter
ihm eines Tages zuflüsterte: „Heut abend, Meiredli,kommt gewiß der Samichlaus!“
erhob er ein solches Hallo und Freudengebrüll, daß die Großmutter und Mutter mit
verhaltenen Ohren davon flohen und die Magd entrüstet
Das Alauslaufen.durch das Ofenloch in die Stube rief: „Sei doch einmal still, du Brüller!“ „Das geht dich nichts an!“ sagte das Echo. „Wart nur bis heute abend! Die Waldbrüder werden dich dann gottlob endlich einmal in ihren Säcken davon tragen.“
Diese unfreundliche Aussicht stimmte seine Lustbarkeit sofort ziemlich herab, sodaß er recht kleinlaut wurde, als der Tag zu dämmern begann. Und als es zunachtete, wußte er sich nach und nach zu seiner Großmutter an den Ofen heranzuschlängeln. Es war ihm gar nicht mehr wohl zu mute. Unablässig zwängte und hielt er bei der Großmutter an, sie möchte ihm doch ein Geschichtlein, aber ein lustiges,erzählen. Sie sollte ihm das heute abend außergewöhnlich wachbare Gewissen ein bißchen einlullen. Die Großmutter band die aufgegangenen Seidenbänder ihrer weißen Spitzenhaube sorgfältig zusammen und nahm dann das Strickzeug wieder zuhanden. „Ach du bist doch ein Zwänger“, sagte sie. „So will ich dir denn in Gottesnamen noch einmal ein Geschichtlein erzählen. Aber wenn du künftighin wieder so wüst tust, wie heute den ganzen Tag, so ist das dann mein letztes Geschichtlein gewesen.“ Der Meiredli hörte diese Einleitung so wenig mehr als am Morgen früh die altgewohnten Klosterglocken. Es war ja immer dieselbe.„So fangt doch einmal an!“ sagte er kalt.
„Es war einmal ein Büblein“, begann sie, „das konnte die süßen Sachen gar nicht
ausstehen. Wenn ihm die Großmutter einen Bärendreckstengel oder ein Stück
Kandiszucker ins Mäulchen stecken wollte, lief es davon.“ „Großmutter, ist das
ein wahres Geschichtlein?“ „So sei doch still; wie soll ich's sonst erzählen
können. Ja, so war also dies Büblein, weshalb man es Zuckerlos hieß. Aber das
87 Merkwürdigste an diesem Zuckerlos war, daß er immer in die Schule sitzen und lernen wollte. Nie verschloff er die Schule. Immer achtete er genau auf des Lehrers Mund.Nie sah er nach den Fliegen an der Wand; nie putzte er mit seinem Nastuch erst die Tintenflecken und erst nachher die Nase, nie ...“ Die Großmutter mußte niesen. „Helf Euch Gott, Großmutter!“ sagte der Meiredli.
„Danke Gott wohl!“ machte die Großmutter. „Und weil dieser Zuckerlos nun so ein grundbraver Knabe war, winkte der Liebegott den heiligen Samichlaus zu sich heran und sagte zu ihm...“ „Großmutter!“ „Was ist's?“ „Es rumpelt vor der Türe!“ Mit gesträußten Ohren, unbeweglich wie sonst nie jahraus, jahrein, saß er da. „Was mag denn das sein? Es pocht wahrhaftig an die Haustüre“,machte mit ernsthaften Augen die Großmutter. „Sollte am End der Samichlaus im Anzug sein?“ Jetzt fuhr die schwere Haustüre krachend auf, und ein Hulterpulter war im Gang,als ob drin vier Riesen mit Bierkisten Ballen spielen täten.
Der Meiredli fuhr zusammen und erbleichte. „Sie kommen,sie kommen“, stöhnte er, und da kauerte er auch schon in Großmutters Schoß, hielt sich krampfhaft an ihrer Schürze fest und beachtete nicht im mindesten die Eltern, die mit verwunderten Augen aus der Nebenstube traten. „Bet,Meiredli! Meiredli, bet!“ machte die Großmutter. „Vater unser, der du bist, der du bist, Vaterunser, unser täglich Brot, wie auch wir vergeben ...“ Es ging nur stotternd,stoßweiße. Und nun verstummte er ganz; denn jetzt war ein Gebrumm im Gang wie von einem Bärenrudel, das auf einem heißen Blech tanzen lernt. Und nun ging ein Geklöppel und Getramp auf der Stiege los wie von hundert Postrossen, und war ein Lärm und ein tobendes
Das Klauslaufen.Getue, als würde ein zusammengekoppeltes Schock Wölfe die Treppen heraufgepeitscht. Und fürchterlich, unheildrohend brummte es: „Beten, beten, beten!“
Aber Meiredli konnte nicht mehr beten. Er hatte den Gebetsfaden nun völlig verloren. Es würde auch nicht mehr viel nützen; denn da kam ja wohl die ganze Hölle die Stiegen heraufgefahren. Jetzt war es mit seiner Courage zu Ende. Er machte sich in des Großmutters Schürze so klein wie ein junges Kätzchen, und nur die Augen wurden immer größer und starrten voll Entsetzen auf die Türe.Die Trostesworte der Großmutter gingen ganz verloren.Und nun flog die Türe auf, fast lautlos, wie von Geisterhand geöffnet, und über die Schwelle kam, die glasglockenförmige, erleuchtete Infula auf dem Kopfe, mit weißen Kleidern und Schleiern angetan, der St. Nikolaus. Und hinter ihm erschienen, mit schweren Körben an den Armen,zwei ebenfalls weißgekleidete Stummengel. Dann aber stampften mit schauerlichem Gebrumm, in rabenschwarzen Kutten und Kapuzen sechs Waldbrüder in die Stube:„Beten, beten, beten!“
„Heiliger Samichlaus, heiliger Samichlaus!“ machte die Großmutter fortwährend,
ihre Hände über Meiredlis Brust andächtig faltend. Ruhigen Ganges kam der
Samichlaus auf den Tafeltisch zu, hinter dem Meiredli schwitzte und dämpfte und
begann mit sanfter, noch ungebrochener Stimme zu reden: „Gott grüß dich, liebes
Büblein! Schau, ich habe dich auch heuer nicht vergessen. Bist du auch recht
brav gewesen? Warst du auch stets ein gutes Kind, wie es die Engel im Himmel
sind?“ „Was ein gutes Kind“, schnauzte jetzt ein baumlanger Waldbruder mit
schrecklicher Stimme.„Schenk ihm nur nichts, heiliger Samichlaus! Ein
Spitz
29 bub war er das ganze Jahr hindurch. Und wie viel Verdruß hat er den guten Eltern gemacht. Und obwohl ihm seine Großmutter allezeit und in allem gehorsam war und ihn verpäppelte und verzuckerkandelte, soviel nur menschenmöglich, hat er sie doch ärger gequält als ein Folterknecht. Den ganzen Tag tönt's: ‚Ach Großmutter hier, ach Großmutter dort! Ach, was soll ich denn machen?Ach, was soll ich jetzt spielen?“ Und wenn sie ihm süßer als ein Feuerstein um den Mund geht und alle seine Wünsche erfüllt, auch die unausgesprochenen, heißt es doch gleich wieder: ‚Ach nein, bloß das; das mag ich nicht!Nein, das ist mir zu langweilig; nein, das ist mir zu wenig!“Stößt wohl gar das Angebotene weg und verklagmartert also den Tag. Statt der verdienten Strafe aber erhält er immer wieder den erbettelten Fünfer, damit er im Schwertladen sich ein süßes Mümpfelchen erkrämern kann. Und kommt er auf die Gasse, so plagt er die guten Leute auf alle Weise. Und kommt er in seines Vetters Werkstätte,so verlegt er die Hämmer und Feilen auf Nimmerwiedersehen und verbirgt gar den Arbeitern die Kappen, daß sie sich vor Arger halb krank suchen müssen, wenn's Zwölfe schlägt und sie gerne zum Mittagessen eilten.“
„Er wird's künftig nie, nie mehr tun, gelt Büblein?“redete die Großmutter dazwischen. „Was nie mehr tun?!“machte der schreckliche Waldbruder wieder. „Das hat er noch alle Jahre versprochen, und am andern Tag war er nur eine Nacht älter, aber sonst der haargleiche Spitzbub.Aber“, drohend schwang er eine große, mit rosenfarbigem Band geschmückte Rute, „aber nun ist das Maß gehäuft voll, und du bist jetzt alt genug! Ich will dich jetzt einmal durchhauen und erstrahlen, wie sich's gehört!“
Das Klauslaufen.Da rang sich der Meiredli voll Entsetzen aus den Armen der Großmutter und rutschte unter den Tafeltisch. „Tut ihm diesmal noch nichts, guter Waldbruder! Nur diesmal verschont ihn noch!“ bettelte die Großmutter. Aber nun nahm ein anderer grimmig blickender Waldbruder einen gewaltigen Sack vom Rücken und brüllte, daß alle vier Wände widerhallten: „So, 's ist eben recht. Ich will nun den Taugenichts unter dem Tisch hervorziehen, in meinen Sack stecken und ihn mit mir in den finstern Wald hinaustragen. Hervor mit dir!“
Flink wie ein Wiesel schoß der Meiredli unter dem Tisch hervor, eine Stabelle über den Haufen werfend, und zur Tür hinaus und drehte draußen blitzgeschwind und zweimal den Stubenschlüssel um. Einen Augenblick nur lauschte er hochklopfenden Herzens. Schritte stampften gegen die Tür.Er schlüpfte in die Küche, schloß auch diese ab, und nun kauerte er kreidebleich, mit angehaltenem Atem, an der in die Stube gehenden Ofenwand und horchte.
Jetzt hörte er heftig an die Stubentüre klopfen, hörte die Falle rütteln und laut
rufen. Aber er verhielt sich mäuschenstill, still wie das Häschen im Kraut, das
den Jäger merkt. Als es aber in der Stube immer lauter wurde,offnete er behutsam
das Ofentürlein und lauschte. In der Stube war ein lautes Durcheinanderreden und
Gelächter.Es wollte ihn bedünken, es töne fast wie allemal das Auflachen und
Getue der Gesellen in des Vetters Werkstätten,wenn dort einer einen Witz machte.
Plötzlich ward es aber still drin, und jetzt ging das Ofentürlein in der
Stube:„Meiredli!“ Ein wenig vermochte er sogar der Großmutter Gesicht und
Spitzenhaube durchs Ofenloch zu sehen. „Ja?“machte er halblaut und weinerlich.
„Willst du sogleich die
91 Stubentüre aufmachen! Ich will dir den heiligen Samichhlaus und die Waldbrüder einsperren! Was fällt dir denn ein! Sie müssen ja noch zu anderen, bräveren Kindern,als du eines bist, gehen. Sofort tu auf!“ „Ich darf's nicht tuen.“ „Warum denn nicht? Tu nicht so einfältig!Sie tun dir gewiß nichts.“ „Doch, doch. Der mit der großen Rute tätscht mich aus, und der, welcher den großen Erdäpfelsack hat, stopft mich hinein und trägt mich mit sich in den Wald hinaus.“
„O, was denkst du! Mach nur fröhlich auf! Sie tun dir auf Ehr und Seligkeit nichts. Aber jetzt mach einmal auf, sag ich; sonst geht's dir nicht gut.“
„Nein, Großmutter, Großmutter, ich darf nicht. Aber“,setzte er jetzt zaghaft, zögernd bei: „Wenn die Waldhrüder die Rute und den Sack zum Fenster hinauswerfen,lue ich auf, sonst nicht.“ „Du Sapperlotsbub du!“machte unwillig die Großmutter und klappte das Ofentürlein zu.
Aber in der Stube gab's ein schlechtunterdrücktes Auflachen, was ihm den Mut doch
wieder ein wenig hob.Und da ging das Ofentürlein ja auch schon wieder, und leise
rief die Stimme der Großmutter: „Siehst du, was für gute Waldbrüder das sind, so
gut und lieb wie du's nie verdienst, du Böser. Sie haben wahrhaftig den Sack und
die Rute aus dem Fenster geworfen. Jetzt aber ist's freilich höchste Zeit, daß
du auftust.“ „Ist's aber gewiß und heilig wahr?“ „Gewiß und heilig“, machte die
Großmutter fast feierlich. „Jetzt aber tu flink auf; sonst fliegen die
Stummengel durchs Ofenrohr.“ Da klatschte das Ofentürlein zu. Und nun ging der
Riegel an der Küchentür leise zurück, und schier unhörbar machte sich der
Meiredli
Behutsam schlich er sich, nachdem er im Gang die Schuhe ausgezogen, wieder die Stiegen hinauf, drehte mit zitternden Fingern, aber blitzschnell den Schlüssel der Stubentüre, hinter der's jetzt schier überlaut herging mit Reden und Lachen,und stob dann, flink wie ein Eichhörnchen ins Tannendolder,die Stiegen hinauf auf die Winde, wo er sich ins Schmutziggewandkämmerchen einriegelte.
Bald hörte er die Waldbrüder mit schrecklichem Gebrumm das Haus hinab poltern.
Schauerlich hallte ihr „Beten,beten, beten“, bis in die Winde hinauf. Wie war er
so froh, daß er sich in seiner unschön duftenden Kammer so gut versorgt wußte!
Wie war er überglücklich, daß er den gähnenden Sack und die pfeifende Rute so
gut versorgt hatte! Endlich wurde es wieder still. Und als es ihm in seiner
Zufluchtsstätte allmählich recht unbehaglich werden wollte, hörte er die Stimme
seiner Großmutter im Hause umgehen. Sachte schob er den Riegel zurück, öffnete
ein bißchen und horchte in die Gänge hinunter. „Meiredli“,rief's im Hause herum.
„Meiredli, wo steckst du denn?Komm nur herunter; sie sind alle fort!“ Ein
Weilchen wagte er noch nicht recht zu antworten; als aber die Schritte und Rufe
der Großmutter sich näherten, rief er gesänftigten Tones: „Großmutter, ist aber
gewiß kein
93 einziger Waldbruder mehr drunten?“ „Nein, gewiß nicht,Meiredli; komm herunter!“
Jetzt wuchs ihm der Mut. Er schlüpfte aus dem Gewandkämmerchen und machte sich, immer noch etwas zögernd,zu seiner Großmutter. „Komm“, sagte sie und nahm ihn bei der Hand, „komm jetzt herunter; sonst wird der Vater ernstlich böͤse. Schau, das war recht wüst von dir, daß du die frommen Waldbrüder eingeschlossen hast und gar noch den guten Samichlaus und die lieben Stummengel, die die schweren Körbe bei sich hatten.“ „Ja, was war denn in den Körben?“ fragte er ahnungsvoll. „Da schau her“,antwortete die Großmutter, tat die Stubentüre auf und wies auf einen Berg Walnüsse und Lebkuchen; „das hatten sie in den Körben, und das hat dir nun der heilige Samichlaus gebracht, obwohl du's ewig nie verdientest. Schäme dich nur!“ Aber der Meiredli hatte jetzt keine Zeit, sich zu schämen. Aufjauchzend, daß die Klosterglocken ins Singen kamen, machte er sich vor dem Ofen über all die Herrlichkeiten her und schrie: „Der Samichlaus ist doch ein Guter;denn obwohl ich ihn eingeschlossen habe, hat er mir ja dasmal noch mehr Sachen dagelassen als das letzte Jahr.Schaut nur, Großmutter!“ Mit beiden Händen stopfte er sich die Hosensäcke voll Nüsse, unter denen es sogar goldene gab, und hielt dann die Lebkuchen gegen das Licht, mit lautem Entzücken die wunderlichen, altmodischen Bilder betrachtend, die sie im traulichen Scheine der Hängelampe zeigten.
„Ja, ja“, machte jetzt ernst die Großmutter, „jetzt hast du gut jubeln. Sei nur
froh, daß die beiden Stummengel mit den Körben nicht davongeflogen sind, als du
sie einsperrtest.“ „O“, sagte Meiredli, „wenn sie's gekonnt hätten,
Und frohgemut und aller Furcht und Bekümmernis ledig,biß er in einen braunen,
knusperigen Lebkuchen.
Zu Hochstalden, am Eingang des Dorfes, hockte in seiner rußigen Schmiede der graubärtige Schmiedmeister Peter Kleinhans auf seinem Amboß und las den „Staldener Boten.“ Zuweilen schüttelte er seinen mächtigen, schier kahlen Kopf und rückte, gewitterdräuend, seine buschigen Augenbrauen zusammen. „Herrgott, Herrgott“, schimpfte er jetzt laut, „was Kuckucks allerlei fällt den Leuten noch ein? Sie werden uns das Volk noch verrückt machen und es um den Glauben bringen.“
„Was gibt's denn, Meister?“ wunderte der Geselle, der an der Esse stand und eifrig den Blasbalg trat.
Der Alte antwortete nicht, schaute jedoch den Gesellen ein Weilchen unter den grauen überhängenden Augenbrauen herauf sinnend an. „Es kann nicht sein. Wär's zu machen,sie hätten's schon lange herausgebracht. Der Mensch ist einmal kein Vogel und kann keiner werden. Da sagt der Herrgott: Halt ein, Abraham!“ brummte er für sich. „Jokel“,fuhr's ihm jetzt dröhnend heraus, „da heißt's, bei dir im Schwabenlande wolle man das Fliegen erfinden. Eine gottlose Zeitung habe gar geschrieben, eines schönen Tages fliege man dem Herrgott mitten in die Stube hinein.“
„Das glaube ich ewig nie; dazu sind die Menschen viel zu dumm.“„Jokel, dumm sind die Menschen nicht“, machte ernsthaft der Alte. „Sie haben schon manches herausgebracht. Der Verstand steht einem still, wenn man's bedenkt. Aber das Fliegen, nein, das werden sie niemals fertig bringen. Ist auch besser; sonst täten sie den Himmel auch noch inventarisieren, wie sie in dem gottverlassenen Frankreich die
Die Schmiedjungfer.Kirchen inventarisiert haben, wo sie alles, was in der Kirche hängt und steht, vom ewigen Licht bis zum letzten Kerzenständer, aufschrieben und buchten, als ob unser Herrgott Bankrott gemacht hätte oder mit Tod abgegangen wäre.“
„Freilich, das wär schon aus der Weis'.“
„Was aus der Weis'? Kerl, paß mir aufs Eisen auf;du lassest es im Feuer verkohlen!“
Durchs Haus herunter kam ein Gepolter und ein trällerndes Singen. Die Türe flog auf, und ein helläugiges Mägdlein stürmte, einen Besen schwingend, in die Schmiede.
„Sakerlot abeinander“, brummte mit einem wohlgefälligen,schier zärtlichen Seitenblick nach der Eintretenden der Schmied,„du hättest mir also durch den Kamin in die Werkbstatt herabfahren sollen, so hätten wir dich gewiß für ein Herlein genommen. Bist aber auch so eins.“
„Meister“, sagte das Bethli, des Alten blutjunge Magd,„ich möchte hier gern ein bißchen wischen und den Staub aufnehmen; 's ist Samstagabend.“
Und sogleich tanzte ihr Besen über den nachtschwarzen,ausgelaufenen Pflasterboden, und eine Wolke ging vor ihr her, wie vor einem Donnerwetter.
„Die heillose Fegerei, Putzerei und Schwemmerei alle Samstage!“ schimpfte der Schmied. „So streng ist meine selige Annakathri nicht dreingefahren. Man ist vor deinem Besen des Lebens nicht mehr sicher. Mach, daß du hinauskommst; ich will meine Zeitung in Ruhe lesen. Hinaus mit dir, sag ich!“
„Nein, Meister. Ich will hier ein bißchen Tag machen und die Nacht hinausjagen. Sie hockt ja so die ganze Woche beim schönsten Wetter in allen Winkeln.“
„Hinaus, sage ich!“ brüllte er.
37 „Nein, Meister. In diesem Staub lasse ich Euch nicht immer sitzen. Auch darf ich so den lieben morgigen Sonntag nicht hineinlassen. Ihr müßtet Euch vor dem Liebgott schämen; da täten die kleinen Engel fragen, wenn sie durch die rußigen Scheiblein hereinguckten, was hat denn dieser Peter Kleinhans für eine unsaubere Magd?“
Der Geselle lachte eins auf, und rings um den Amboß und den darauf kauernden Schmied tanzte der Birkenbesen einen tollen Hexenwirbel.
Der Alte hatte das Pfeifchen aus der Zahnlücke genommen und schaute nun, halb offenen Mundes, fast lächelnd auf seine flinke, braunschopfige Magd, die mit fliegendem Rock um ihn herumfuhr wie der Sturmwind um einen feuerspeienden Berg. Es tat ihm jedoch wohl, daß sie sein Haus so gründlich besorgte. Als kleines Springmägdlein hatte er das Bethli aus dem Armenhaus angenommen, da es sonst niemand haben wollte. Seine kränkliche Frau mußte eine kleine Aushilfe haben; denn ihre zwei eigenen verzogenen Mädchen waren nicht viel zu gebrauchen und tummelten sich den lieben langen Tag auf der Gasse herum.Nach seiner Frauen Ableben war das Bethli bei ihm geblieben und hatte sich völlig unentbehrlich zu machen gewußt. Nur ungern sah er das Verhältnis zwischen seiner Magd und dem Gesellen Jokel sich immer freundlicher gestalten. „Sie ist schon so zutunlich zu dem Schwaben“,pflegte er zu seinen Töchtern zu sagen, „daß sie ihm nächstens aus der Hand frißt.“ Eine dicke schwarze Wolke umstob ihn, aus der es nun brummte und knurrte wie aus einem heraufziehenden Gewitter.
„Sakerlot, du Donnersmaitli, willst mich denn ersticken!“machte er; „am End fegst mich auch noch mit hinaus.“Lienert, Bergdorfgeschichten.
Die Schmiedjungfer.Sie stand an der Schmiedbrücke und sagte kichernd: „So geht doch lieber hinauf, Meister, in die Stube.“
„Ist denn der geschmalzte Hobelspäner, der Karliseff,immer noch droben beim Kätherli?“
„Der Schreiner Gagelmann? Ei, freilich. Er singt und zupft die Gitarre dazu und macht seine lustigen Sprüche.Ich mußte ihm eine Flasche Wein heraufholen.“
„Was, Wein heraufholen wer hat dich geheißen?“
„He, halt das Kätherli.“
„Der Erzschluck bekommt doch nie genug“, brummte der Alte; „nicht einmal beim Schatz hält er's eine Viertelstunde aus, ohne daß er seinen Trichter spült. Es kann da noch schön herauskommen. Aber was will man machen, wenn die Weiber verrückt sind.“
„Weil halt die Liebe so heiß brennen tut, so wird er halt so einen starken Durst bekommen“, lachte der Geselle.
„Red nicht so dumm!“ brummte der Alte.
Aber das Bethli lachte eins heraus und sagte: „Ich mußte zum Sterben lachen, als ich den Wein vor ihn hinstellte; denn da sagte er gleich fünfzig lustige Sprichwörter hintereinander auf.“
„Ja“, meinte der Geselle, „er reiht sie aneinander wie Rosenkranzkügelchen. Ein lustiger Kunde ist das wohl, der geschmalzte Hobelspäner.“
„Jokel“, sagte ziemlich barsch der Schmied, „du brauchst ihn nicht den
geschmalzten Hobelspäner zu nennen; dem am End ist er doch ein hiesiger Bürger,
und du bist ein fremder Fetzel, verstanden! Und hat man ihm den Übernamen
aufgehalst, weil er etwas wenig in der Werdstatt steht und doch immer mit einer
Hobelspän-Ausstellung auf dem Leib im Dorf herumläuft, so geht das dich nichts
an.
99 Mein Kätherli hat nun einmal den Narren an ihm und seiner Gitarre gefressen. Ich mochte sagen, was ich wollte,sie hat ihn doch erzwängt. Ich kann das Weiberflennen nicht aushalten. Und am End aller End hat er doch ein eigenes Häuschen und wäre ein gewester, geschickter Handwerksmann. Eine rechte Frau könnte etwas aus ihm machen. Den Ansatz zu etwas Rechtem hätte er; denn seinem Bauche nach könnte er schon lange Ratsherr sein. Kurzum,er wird nun eben doch mein Schwiegersohn; so halt das Maul, Jokel!“
„Man wird doch noch was sagen dürfen“, maulte der Bayer. „Das weiß doch das ganze Dorf, daß der dicke Hobel Schreiner Gagelmann, will ich sagen, mehr am Wirtstisch steht als an der Hobelbank.“
„Jokel“, machte wichtig der Alte, „wir wollen dann einmal sehen, was aus deiner rußigen Jacke für ein himmelblaues Wundertier herauskriecht, wenn dich das Bethli unter ihre Bürste bekommt.“
„Meister, das ist meine Sach“, gab der Geselle gereizt zurück; „das Bethli ist nicht Euere Tochter.“
„Ja, das ist sie leider nicht; sonst täte ich sie einsperren,bis du fort wärst. Ich mißgönne dir den flinken lieben Fratz,obgleich sie eine Putzwut hat, daß einst die Heiligen in der ewigen Seligkeit ab ihren goldenen Stühlen gejagt werden,wenn sie eines Samstagabends in den Himmel kommt.“
„Aber Meister“, machte blutrot das Bethli und drückte sich mit ihrem Besen in den dunkelsten Winkel der Schmiede,„redet doch nicht solches. Ich brauche noch lange keinen Mann. Es ist mir wohl genug bei Euch.“
„Ja, ja“, lachte brummig der Alte und trampte an die Esse, „das haben wir auch
schon gehört; das Glauben 7*
Die Schmiedjungfer.wird einem nur schwer, Kind Gottes. Denn siehst du, so manchen Frühling ich schon erlebt habe, noch nie habe ich im Maien ein Finken-Männchen allein vor der Schmiede die Brosamen aufpicken sehen. Es war alleweil auch ein FinkenWeibchen dabei. Doch was kümmert's mich?,machte er mit einemmal schier erbost; „du wirst mir etwa auch davonlaufen, sobald sich's wohl schickt, obwohl du mir“, seine Stimme ward ruhiger, fast weich, „wie ein eigenes Kind geworden bist. Aber“, brauste er wieder auf,„die Welt wird eben immer miserabler; sonst käme den Menschen nicht so aberwitziges Zeug in denn Sinn. Jetzt wollen sie's gar noch den Engeln gleichtuen und zu fliegen anfangen. Im Himmel wär man nicht mehr sicher vor ihnen.“ Er lachte. „Doch sie werden's so wenig fertig bringen als unser Schneider Pipenhenner, der das Fliegen auch, freilich mehr aus Überspanntheit, erfinden möchte;denn er ist sonst ein religiöser Mann.“
Er nahm blitzschnell ein Stückchen glühende Kohle aus der Esse, warf es in sein Pfeifchen und zog dann paffend und brummend davon.
Kaum schloß sich hinter ihm die Türe, flog der Besen in die Ecke und Geselle und
Magd umarmten und halsten sich nach Herzenslust. Aber als der Geselle gar zu
stürmisch ward, drängte ihn das Bethli tapfer von sich weg. „Jokel“,sagte sie
halblaut, schweratmend, „laß aus!“ Er suchte sie von neuem in die Arme zu
bekommen. Sie griff flink den Birkenbesen auf und wehrte ihn nach Möglichkeit
ab.„Laß mich in Frieden“, sagte sie kichernd, „oder ich laufe dir davon.“ Es
gelang ihm doch wieder, sie zu umhalsen.Da riß sie aus, stob auf die Esse zu,
zerrte mit der Zange das weißglimmende Eisen aus der Glut und jagte nun den
101 Gesellen unter übermütigem Gelächter in der Schmiede herum.„Gib Ruh, sakra, sakra; du könntest mich leicht brennen auch noch!“ Aber das Bethli gab weder Ruh noch Rast.Sie setzte ihm gar hitzig zu und hetzte ihn zuletzt um den Amboß in einem tollen Ringelreihen. Endlich stand sie lang aufatmend still, legte die Zange mit dem glühenden Eisen auf den Amboß und rief übermütig: „Jokel, wenn wir einst verheiratet sind und du ein eigenes Geschäft hast,brauchst gar keinen Gesellen; ich helf dir aus.“
„Ja“, sagte er lachend, „das könnte mir passen, wenn ich mit der Frau den Gesellen gleich auch noch bekäme.“
„Warum denn nicht? Bin schon als kleines Springding alleweil mit den Buben herumgefahren und habe mich wohl hundertmal da zum Schmied in die Werkstätte gemacht,besonders im Winter, wenn's da drin so heimelig warm war und zu Hause so bissig kalt. Und als ich immer mit so lernbegierigen Augen um ihn herumstand, hat er mich um Feierabendzeit manches gelehrt. Er wollte sich dabei halbtot lachen und sagte wohl auch: Bist ein handliches Maiteli. Wie ich nun von ihm angenommen wurde und also in seinen Dienst kam, erinnerte er sich meiner Freude an seinem Handwerk, und schier alle Samstage, wenn ich zum Reinmachen da hinunterstieg, lehrte er mich, unter dem Nasenrümpfen seiner Töchter, einen Kunstgriff nach dem andern, und schließlich ruhte er nicht, bis ich imstand war,kunstgerecht ein Hufeisen schmieden zu helfen.“
Der Geselle verzog den Mund und lachte.
„Der Alte hat mir freilich auch schon was davon angetönt. Aber, schau Bethli, glauben tu ich's nicht, bevor ich's seh. So ein handsames Madel du sonst bist, der Hammer wär dir zu schwer.“
Die Schmiedjungfer.Sie ward dunkelrot und bückte sich rasch nach dem am Boden liegenden Hammer. Da legte sich neben dem Amboß ein Schatten über ihre Hand, und eine hochgeschraubte krächzende Stimme rief aus der Schmiedbrücke: „Wo ist er, wo ist er!“
Die Magd griff schnell ihren Besen vom Boden auf und schaute nach der offenen Schmiedbrücke.
Ein mageres Männchen mit einer Dächleinkappe auf dem langen Kopf und einem großen Pack unter dem Arm stand im Feuerschein, der jetzt beim eindämmernden Abend bis auf die rauhen Bretter der Schmiedbrücke hinausspielte.
„Der Schneider“, machte brummig der Geselle, „der fade Kerl, der das Fliegen erfinden will.“
Das Bethli lachte eins heraus.
Jetzt stand der Schneider in der Schmiede.
„Der Tausend, der Tausend, kannst du mir denn keinen Bescheid geben, du Lachdrossel!“ herrschte er mit hochgezogenen Augenbrauen die junge Magd an. „Was gibt's denn da zu lachen! Lach du über dich und deine Kinder,du Taubeneinfalt! Wo ist der Kleinhans? Ich habe ihm da seine neue Hose. Zudem will ich ihm die Zeitungen übergeben, in die ich die Hose eingewickelt habe. Da stehen wieder Neuigkeiten drin. O du heilige Mutter sankt Annal!Das geht zu in der Welt, das geht zu!“ wehklagte er,die Augen verdrehend wie ein Kalb, das man am Schwanz zum Metzger drillt. „Zuletzt muß man die Christen noch mit der Pechfackel suchen, wie nachts im April die Frösche.Es ist ein Jammer.“
Er streifte mit dem Armel seiner gehäuselten grauweißen
Uberlaut lachten das Bethli und der Geselle auf.
103
„O ihr boshaften Kreaturen, ihr Plebejer; ja, ich sag's noch einmal: ihr ungebildeten Plebejer!“ schrie er wütend,seinen Armel abreibend; „wie könnt ihr einen rechtschaffenen Mann so auslachen und leicht haben. Aber freilich“, setzte er rasch bei, „'s hat ja keinen Wert; ihr versteht's nicht besser. Ihr seid ja von Idiotikon gebürtig.Was wolltet ihr von der Welt verstehen.“
„Oder gar vom Fliegen“, maulte halblaut der Geselle.
„Was, was, was!“ fuhr jetzt der Schneider zischend auf,„du kommst mir so, du fremder Gerstenvogel. Aber nur X verspottet jetzt meine Flugerperimente; doch es kommt ein Tag, wo man mit Fingern auf mich zeigen wird und wo alle Kinder rufen: Hosianna, seht, da kommt der, der das Fliegen erfunden hat! War's nicht ein Schneider, der's zuerst probierte, war's nicht der Schneider von Ulm? Ich aber sage euch, er hat's nur nicht recht angepackt. Hätte er die Ausdauer gehabt, er wäre über das Meer geflogen und hätte Amerika entdeckt. Und so wahr ich Desiderius Pipenhenner heiße, werde ich eines schönen Morgens über die ganze Schweiz hinausfliegen. Hochstalden, dieses abseits-gelegene, armselige Nest, werde ich berühmt machen.“ Er stieg auf den Amboß. „Schaut“, lärmte er, die Arme ausbreitend, als wollte er der ganzen Christenheit urbi et orbi den päpstlichen Segen erteilen, „schaut, so machte es der DDV Ich aber mache es wie der Vogel. Ich werde einen Apparat herstellen ...“ Er kam nicht weiter; denn das Bethli und der Geselle fuhren in der Schmiede herum und starben schier vor Lachen. Da sprang er vom Amboß und schrie:
„Lacht ihr nur! Ihr lacht ab allem. Ihr tätet es den
Die Schmiedjungfer.Engeln auch nicht glauben und sie verhöhnen, und wenn sie euch wie ein wilder Imb um die Köpfe flögen!“
Wütend wollte er durch die Seitentüre hinaus ins Haus hinauflaufen; da ging die Türe, und er schoß mit dem alten Schmied zusammen.
„Sackerlot, sackerlot“, brummte der, „was hast du denn,daß du mir wie eine erboste Gluckhenne, die sieben Junge hat, ins Gesicht springst?“
„O, ol“ machte der Schneider, „Kleinhans, es ist keine Welt mehr, es ist eine Tierbude; denn sieh einmal, wie diese jungen Gigelgagelhanse meine Flugexperimente verlachen.“
„Streich dich hinauf, Maitli!“ schnörrzte der Alte. „Und du, Jokel, mach Feierabend. Wär das übermütige Flatterröcklein nicht in der Werkstätte, hättest du schon lange den Ausweg gefunden.“
Husch, war das kichernde Bethli zur Türe hinaus und rumpelte ins Haus hinauf. Der Geselle aber verzog sich,vorher noch die Hände ins Wasser tunkend und am Waschtüchlein abtrocknend, schmunzelnd ein bißchen ins Freie,wo er sich aufs Bänklein vor der Schmiede setzte.
Kein Verstand, kein Respekt mehr in der Welt. Aber haben sie's dem Kolombus nicht auch so gemacht?“
„Ach, deine Fliegerei!“ sagte brummig der Schmied und zündete sich das Pfeifchen an der Esse frisch an. „Du bringst es doch nicht heraus und vergissest noch dein gutes Handwerk darüber. Zudem“, machte er strenger blickend,„ist's Gott versucht. Das Fliegen werden die Menschen niemals erfinden; denk an den babylonischen Turm!“
„Kleinhans“, sagte der Schneider, „da bin ich ruhig.Es ärgert mich nur, daß die
Leute mich immer für närrisch halten, weil ich gescheiter bin als sie.“
105 „Ja, ja, ja“, machte der Schmied, „du hast ein gutes Redhaus. Ich sage dir aber noch einmal, 's ist Gott versucht. Noch keine Stunde ist's seither, da habe ich gelesen,man werde in Deutschland bald einmal das Fliegen erfinden und darnach dem Herrgott mitten in die Stube hineinflattern. Es ist eine gottlose Welt. Und du, ein so frommer Mann, bist noch töricht genug und plagst dich auch mit solchen dummen Verkehrtheiten.“
„Was, was“, krähte der Schneider, Feuer und Flamme werdend, „weißt du's auch schon! Da hab ich dir eben einen ganzen Ballen Zeitungen bringen wollen. Siehst,ich habe sie dir um deine Heiligtaghose gewickelt. Der Rößliwirt gab sie mir, als ich seinem Vereli die ersten Höslein brachte. Es stehen wieder schreckliche Sachen darin und wie der Unglaube überhand nimmt. Was aber die Neuigkeit vom Fliegen anbelangt, das die Schwaben herauszubringen glauben, so sage ich dir, Kleinhans: Ich will es vor ihnen erfinden. Bringt's einer heraus, bin ich's.“
„Schweig doch! 's ist gottlob dummes Zeug, das du in der besten Meinung treibst. Aber die andern meinen's anders“, machte der Alte, den Bart nachdenklich streichelnd.„Man will den Himmel auf Erden erfliegen und doch den Leuten den Glauben daran nehmen. Und 's ist doch so schön, wenn man beim Durchwaten dieses irdischen Drecks in weiter Ferne noch ein grünes Bord zu sehen vermeint.Und wäre das Vord damn doch nichts, so hat uns der Glaube doch selig gemacht. Der Glaube ist wie das Fenster in einer dunkeln Schlafkammer; man weiß doch, daß man den Himmel sieht, wenn man den Laden aufmacht.“
„Vetter“, machte der Schneider, dem andern geheimnisvoll ins Ohr tuschelnd, „Veiter, das sage ich dir und allen,
Die Schmiedjungfer.die es hören wollen, wie ich's schon hundertmal gesagt habe: Es kommt mit dem Christentum nicht besser, bis wir den Ungläubigen das heilige Grab endlich abgenommen haben. Und es ist eine bodenlose Schlechtigkeit, daß die christlichen Nationen es diesen Türken überlassen, von denen jeder gleich über ein Dutzend Weiber hat.“
„Darnach brauchst du dir den Mund nicht wässern zu lassen“, lachte der Alte; „aber man sieht eben, daß du ein alter lediger Knabe bist. Die meisten Ehemänner haben an einer noch zu viel. Was nun dein heiliges Grab angeht, so schweig einmal davon; das sind Narrenpossen.Doch ich will's dir nachsehen; bist alleweil ein bißchen in der Luft herumgesegelt, schon lange bevor du das Fliegen angefangen hast.“
„O Kleinhans, o Kleinmütiger!“ sagte mit schwermütigen Bollaugen der Schneider. „So seid ihr. Aber einst, in der guten alten Zeit, wuchsen andere Christen. Die griffen zum Schwert und eroberten das heilige Grab. Und der Gottfried von Bulljong und der gute König Bhalduin ...“
„Schneider, jetzt halt 's Maul! Das hab ich dir schon hundertmal abgelauscht und
weiß es jetzt auswendig. Bist halt ein Phantaster und bleibst ein Phantaster.
Gleichwohl sollst du mir als Schwiegersohn so willkommen sein wie der
geschmalzte Hobelspäner, der leider bloß ein halbwolliger Christ ist. Aber ich
hoffe, der Teufel trompiert sich und das Kätherli macht aus dem durstigen
Schwamm einen haushälterischen, gutgesimten Mann. Die Weiber vermögen alles,
wenn sie nur ein wenig anstellig sind. Hat schon manches nichtsige Spinnlein
einen dichen Brummer also eingesponnen, daß er's seiner Lebtag nicht mehr zu dem
feinen Gespinst herausbrachte.“
107
„Was, was, was!“ überschrie sich freudestrahlend der Schneider. „Ist's dein Ernst, Kleinhans, dein heiliger Ernst? Soll ich die Portiunkula endlich bekommen, den holden Engel, um den ich schon zehn Jahre freie, als ein wahrhaftiger Ritter der ewigen Liebe? Red, red! Hänselst du mich? Willst du mich, wie Moses, ins gelobte Land hineinsehen und dann doch in der Wüste sterben lassen?Red. Mann Gottes, red!“
„Schneider“, sagte ruhig der Schmied, „nimm deine Flügel, will sagen Arme, von mir weg; sonst wird's mir übel. Sie fahren ja in der Luft herum wie betrunkene Lindwürmer. Also ich habe dir gesagt, du könnest meine aãltere Tochter haben. Wenn du auch ein alter Knabe bist und nicht so wohlbeleibt und flott wie der Schreiner, so verstehst du doch dein Handwerk, wenn du recht willst.Die Portiunkula ist jetzt ziemlich stark in den dreißiger Jahren und ein gesetztes Frauenzimmer von einer Frömmigkeit, mit der freilich ihr scharfes Zünglein nicht immer recht stimmen will. Aber du bist ja auch keine Schwarzwalduhr, die nur alle Stunden den Kuckuck herausläßt; du wirst ihr vielleicht, so hoffe ich zu Gott, das Trümpflein noch abstechen. Vist ja ein bestandener Mann, der endlich seine Phantastereien aufgeben wird, denke ich. Hat das einfältige Kätherli den etwas liederlichen Schreiner von mir zu erzwängen vermocht, so sollst du heute auch deine Portiunkula haben, wie ich, mit Verdruß freilich, der andern den geschmalzten Hobelspäner zusagte. Hat man mich einmal soweit, so soll dann gleich eine Doppelhochzeit daraus werden.Und das sage ich dir, Schneider, hab Geduld mit der Portiunkula; denn sie hat keine mit dir.“
„Vater, Großvater, Urgroßvater!“ krähte der beseligte
„Der Tausendgottswillen, bezapf dich!“ brummte der Schmied halbwegs lachend; „du bist doch ein Erzphantaster.“
Der Schneider war wieder auf den Amboß gestiegen.Weit spannte er seine langen Arme aus, strahlend vor Glück wie ein Cherub. Er hüpfte auf und machte verzweifeltere Flugversuche als ein angeschossener Fischreiher,der ins Wasser fallen will. „O Portiunkula, du Ausbund der Frömmigkeit und Tugend! Heute noch soll ich bei dir im Paradiese sein! Portiunkula, Portiunkelchen!“
Der Alte zupfte ihn an der Jacke vom Amboß.
„Nimm dein Bündel und komm hinauf. Die Portiunkula wartet auf dich wie alle Abende. Tu nicht so närrisch.Der Rausch wird dir etwa bald genug vergehen.“
Und einträchtiglich, der Schneider bebend vor Glück wie ein frierendes Seidenkaninchen, stiegen sie die schmale Treppe hinauf in des Schmieds Kleinhansen Wohnstube.
Als sie eintraten, der Schneider voraus, bot sich ihnen ein ergötzlicher Anblick.
Im Ofenwinkel, auf dem rotüberzogenen, kanapeeartigen Lotterbettlein, saß der
dicke Schreiner Karliseff Gagelmann in seinem hobelspänebehangenen grünlichen
Schurz und schaukelte des Schmieds jüngere Tochter, ein Weibsbild von wahrhaft
riesenmäßigen Formen auf den Knien. Auf ihren Wangen hätten sich ein ganzes
Rudel gelüstiger Schreiberlein satt küssen können;denn es waren wahre
Kußallmeinden. Doch war ihr Mund nicht größer als eine Kirsche, worauf sie sich
nicht wenig
109 einbildete. Sie lachte die Eintretenden mit dem ganzen Gesicht an. „Reite, reite Rößlein! Zu Baden steht ein Schlößlein;zu Baden steht ein großes Haus“, machte sie trällernd.
„Was fällt dir denn ein, Kätherli, du dumme Gans“,rief der Alte, „mit dem Schreiner wie ein Kind, das noch das Geiferletschlein umgebunden hat, Reitereiterößlein zu spielen! Jetzt bist du bald dreißig Jahre alt und tust noch wie ein Kindskopf. Schäme dich und lach nicht so dumm!“
„Ach, Vater“, sagte das Kätherli, sich bedächtig erhebend und neben dem Schreiner stehend, wie die Riesentochter,die in ihrer Schürze Bauer und Pflug als Spielzeug forttrug, „der Schreiner ist gar ein so lustiger Fink; der kann noch mit den Knien durch die Hosen hindurchlachen. Wie soll ich denn da ein trauriges Gesicht machen, wenn ich einen so gelächerigen Liebsten habe!“
Der geschmalzte Hobelspäner lachte, daß ihm der Bauch wackelte und die roten Weintropfen im spärlichen blonden Kimbart zitterten.
„O du Einfalt“, machte schier mürrisch der Alte, „wann wirst du denn einmal verständig? Da kann man's wohl begreifen, daß man dir im Dorfe solche Namen gibt.“
Erst nannte man im Dorfe des Schmieds stattliches Kätherli die Bauernmuttergottes, und dann aber, als ihr Uberfluß an Naivität nach und nach auskam, hieß man sie die große Dummheit.
Aber das Kätherli sagte: „O, 's ist mir gleich, was die Ratschen im Dorfe sagen, wenn ich nur meinen Karliseff habe, gelt du!“ Und damit schmatzte sie ihren dicken Schreiner vor den Augen der beiden würdigen Männer ein paarmal tüchtig ab, setzte sich neben ihn an den Tafeltisch und sagte: „Es ist heut alles so lustig, ich muß heut
P
Die Schmiedjungfer.alleweil lachen.“ Und wiederum erfüllte ihr Gelächter die ganze Stube.
„Und diese törichte Jungfrau muß ich heiraten lassen“machte, schier klagend, der Schmied.
„Vater“, sagte jetzt mit fetter Stimme der Schreiner,nach dem halbvollen Glase auf dem Tafeltisch greifend,„trink mir Bescheid und spiel nicht den Dornbusch im Rosengarten. Überlaß das Kratzen, Fauchen und Buckelmachen den bösen Katzen; denn es steht geschrieben, ihr sollt euch lieben. Was kann deine schöne Tochter dafür, daß es ihr gelächerig zumute ist; so wenig als ein alter Sandhase, der zeitlebens die Nase rümpfen muß. Du bist ja ihr Vater.Wirst etwa auch einmal deine lustige Woche gehabt haben.Aber eben, wenn der Sommer im Abgehen ist, hängen die Blumen die Köpfe, und es kommen die Disteln hervor.Laß dem Kätherli doch die Freude! Hat unser Herrgott deiner ältern Tochter eine schwermütige Kirchenorgel in den Kopf gesetzt, so hat er dafür dem Kätherli ein lustiges Handorgelchen ins Herz praktiziert. Was hat aber ein wohlgefälligeres Aussehen vor Gott und den Menschen,eine über und über lachende Butterblume oder eine schmale,grasgrüne Sauerampfer?“ Und er begann zu singen: „Lustig sein heißt leben, Leut! Schirm uns Gott vor Traurigkeit!Heißa lustig morgen, heut! Lustig sein in Ewigkeit!“
Das dicke Kätherli mußte sich auf eine Stabelle niederlassen: es wollte umkommen vor Lachen.
„Karliseff“, machte jetzt mit hohem Stimmlein der Schneider, „zum ersten ist das
ein gottloses und vermessenes Reden. Wemn dir der Teufel einmal an die Werkstatt
klopft und dich samt deiner seltenen Hobelspänesammlung in den Totenbaum
hineinzwängt, werden dir die Lumpereien
111 vergehen, und du würdest froh sein, ein christlicheres Leben geführt zu haben. Denn du bist in Wahrheit nur ein lackierter Christ. Wenn der christliche Lack weg ist, kommt gleich der heidnische Scherben zum Vorschein. Und zum andern verbitte ich mir deine herzlosen Anspielungen auf meine geliebte Portiunkula. Sie ist eine Person nach dem Herzen Gottes. Sind im Dorf nicht zwei, die ihr's an Frömmigkeit gleich tun. Und was die Schlankheit ihrer Postur angeht, so ist das bei einer bestandenen Jungfrau eine Zierde. Ist sie schlank, so ist sie schlank wie eine Lilie und nicht wie eine Sauerampfer, und es ist ein größerer Genuß, sie in den Gassen herumwandeln zu sehen, als dich mit deiner großen Trommel vor dem Leib.“
„Ist das lustig, ist das lustig!“ Das Kätherli erwischte den Atem vor Lachen schier nicht mehr.
„Gebt Frieden!“ machte der Schmied, „und du, lach nicht gar so dumm, du Einfalt!“
„O, Desiderius“, antwortete der Schreiner, „an dir ist ein Bußprediger verloren gegangen. Du hast den Beruf verfehlt. Was kannst du doch für ein liebergöttisches, beelenderisches Gesicht machen! Wenn ich dich ansehe, ist 's mir immer, ich müsse durch eine hundertjährige Dornhecke nach der ewigen Seligkeit hindurchkriechen. Jedoch ängstige dich nicht zu sehr um mein Seelenheil. Ich will dem Teufel ein Schnippchen schlagen, daß er mich aus Hochachtung zu seinem Rechtsberater machen würde, wenn er mich bekäme.Und das will etwas heißen, wenn man bedenkt, was er hierin für eine Auswahl hat. Und hilft alles nichts, so warte ich, bis du das Fliegen erfunden hast; dann hänge ich mich einfach an deine Beine und fahre so noch bei Lebzeiten in den Himmel hinein.“
Die Schmiedjungfer.„Gott wird dir die Antwort geben, du aufgehender Weinschlauch!“ krähte der Schneider, indem er dem Alten folgte, der schon hinter der Küchentüre verschwunden war.„Aber“, machte er, einen Augenblick stehen bleibend und milden Antlitzes auf den lachenden Schreiner und sein kicherndes Kätherli herabsehend, „aber ich will in christlicher Liebe dein böses Maul vergessen; denn wir werden bald Schwäger sein.“
Aufrechten und starren Ganges stapfte er in die Küche.
„Der Leimtopf, der!“ machte endlich aufschnaufend der Schreiner. „Aber“, setzte er bei, „was hat er gesagt, wir werden bald Schwäher sein? Sollte der Kleinhans wirklich Ernst machen und die Portiunkula dem Schneider geben? Gönnen möcht ich sie ihm. Sie passen gut zusammen. Schaut er nicht aus wie ein ausgetrockneter Brunnenstock? Und von ihr meint man alleweil, sie wolle eben durchs Nadelöhr ins Himmelreich fahren. Sag,Kätherli, bekommt er sie also doch? Der Alte hat sich sonst immer dagegen gesperrt. So strenggläubig er ist, den Hansnarren, der im Schneider steckt, mochte er nie leiden.“
„Ei, freilich“, sagte Kätherli. „Die Portiunkula hat halt gesagt, wenn das
Kätherli den liederlichen Hobelspäner nehme, so wolle sie endlich den Schneider
doch erhören; am Ende sei er besser als gar keiner. Und da hat der Vater nicht
zu widerstehen gewagt; denn er fürchtet sie fast, weil sie gar so fromm tut und
ihr immer alles nicht gut genug an uns ist und weil sie gar ein so scharfes Maul
hat. Wenn die recht loslegt und mit ihrer spitzen Nase auf uns losfährt, dann
sind wir gerne still. Einmal sind wir gar davongelaufen. Der Vater zum Haus
hinaus und ich auf die Winde.“
*Der Schreiner lachte.
„Ja, ja“, machte er, „gleich und gleich gesellt sich gern.Der Schneider ist aber trotz allem ein politisches Männlein.Einesteils will er eine absonderlich gottesfürchtige Frau,und andernteils eine, der auch noch eine rechte Hand voll guter Münzen und nicht bloß der Schlüssel zu ihrem altjüngferlichen Kämmerlein im Sack klappert.“
„Der Vater hat gesagt, er sei eigentlich froh, daß wir einmal aus dem Haus kommen. Er wolle sich dann auch etwas bessere Tage machen. Habe nun genug Eisenstaub geschluckt. Sei ihm bald zumut, als habe er einen ganzen Amboß gefressen. Dann lasse er in der Werkstatt den Jokel, den bayrischen Gesellen, und im Haushalt das Bethli machen; die habe ja sowieso die ganze Sache alleweil allein besorgen müssen.“
„So, so, hat sie“, lachte der Schreiner. „Du offenes Herz du! Aber mußt nicht rot werden, Kätherli. Schau,auch bei uns heißt's, Faust und Hand sind nahe verwandt.Ich habe auch nicht im Sinn, auf einmal ein rasender Schreiner zu werden und das Land holzarm zu machen.Es ist ja eine Freude, an einem heißen Sommertag im Wald eins in den Schatten zu liegen. Was wollen wir da die schönen Bäume schlagen und zu Beichtstühlen und Särgen zurecht hobeln! Behüt uns Gott, Kätherli! Nein,wir nehmen's von der bequemern Seite. Es geht so auch,sagte der Handwerksbursche, als er hinten einer Herrenkutsche aufhockte. Wenn ich die Bretter auch nicht selber zuweg hoble, so bettet man mich doch in einen Totenbaum.Für was denn so drauflos hetzen? Komm, herztausiger Schatzl“ machte er auflachend, „und tu mir Bescheid!“ Er füllte das Glas aus der verstaubten, bauchigen Flasche,
9
Lienert, Vergdorfgeschichten.
Die Schmiedjungfer.hielt es gegen die zudunkelnde Fensterscheibe und sagte:„Weißt, wie hat meine Großmutter selig gesagt: Weinlein,laß dich trinken, weil ich dich hab und mag. Bin ich einst gestorben, kommt mir keiner ins Grab. Juhuu!“ Er griff die Gitarre aus dem Winkel neben dem Lotterbettlein hervor, strich ein paarmal wie liebkosend darüber, zupfte ein paar lustige Gänge darauf ab und sagte dann: „Ja, ja,Kätherli, alte Liebe rostet nicht; ehrlich währt am längsten,und wer nichts stiehlt, der kommt zu nichts. Wir wollen uns liebhaben wie zwei Kinder, die zusammen an einem Zuckerstengel lutschen. Wir wollen nebeneinander leben,daß es eine Freude ist, friedlicher als die Eier in einem Taubennest und lustiger als zwei Eichhörnchen im Tannendolder. O Schatz, wenn ich nur die eiskalte Quelle im Staldener Tobel fassen und nach Paris mitten in die Stadt hineinleiten dürfte, wo ich eines heißen Sonntags auf der Walz schier verdurstet bin. Ich wär ein gemachter Mann und könnte mit Burgunder hausieren, wegen Lagermangel.Aber wir wollen democh lustig leben, Kätherli! Mein Altgeselle in Ritzepitzel sagte immer am Samstagabend:Jungens, laßt euch nichts abgehen; die Woche ist lang!Und ich sag, das Leben ist kurz, und ein Narr ist, wer auf dem Hag hockt und Maulaffen feil hält, wenn er andere die Zwetschgen schütteln sieht.“
Er tat wieder einen Jauchzer und begann dann, unter dem fortwährenden Lachen
seines Kätherli, eine lange Reihe Sprüche zusammenzureihen. Grad wollte er auf
der Gitarre wieder ein Schelmenliedlein abzupfen, da ging die Türe
sperrangelweit auf; der alte Schmied trat schmunzelnd in die Stube, und hinter
ihm kam der glückstrahlende Schneider Desiderius Pipenhenner, ein verschämt
tuendes, unansehn
15 liches Persönchen hinter sich herziehend. Es war des Schmieds ältere Tochter Portiunkula. Sie sträubte und zierte sich auf der Türschwelle gar sehr: „Nein, so laß mich doch, Desiderius; so laß mich doch! Ich muß mich ja zu Tode schämen“, hauchte sie und hatte ein Getue und zimperliches Gehaben und Gegicks und Gegacks, als wollte man sie, wie die jungfräulichen Märtyrerinnen im alten Rom,splitterfaselnackt den wilden Tieren preisgeben. Dabei ließ sie aber ihre zwei Auglein gleichwohl rundum umgehen,wie's im Lied heißt, und ihre lange, spitze Nase stach so scharf gegen den Schreiner, daß es ihn bedünken wollte,man müßte mit dieser Nasenspitze eine Fensterscheibe zerschneiden können wie einen Kirchweihkuchen, besser als mit einem Glasdiamant.
„So komm doch herein, Portiunkula und tu nicht so zimperlig“, ermahnte der Alte; „heiratest ja nicht von der ersten heiligen Kommunion weg. Also Schreiner“, wandte er sich an den geschmalzten Hobelspäner, der mit vergnügten Weinäuglein dem anmutigen spätsommerlichen Schäferspiel zusah, „Schreiner Gagelmann, ich muß dir doch deinen künftigen Schwäher und Schwäherin zeigen. Du wirst dich,ist's mir, schon auf etwas dergleichen gefaßt gemacht haben.Kätherli, gib deinem künftigen Schwäher die Hand!“
„Ja, das habe ich“, sagte der Schreiner, sich allmählich erhebend und dem verklärten Schneider die weitvorgestreckte Hand drückend. „Ich wünsche dir Glück, Schneider. Du wirst jetzt wohl auch ohne Flugmaschine ins Himmelreich hineingelangen. Was meint Ihr, Jungfer Portiunkula?“
„Gagelmann“, sagte Portiunkula, auf einmal aller jungfräulichen Verschämtheit los und ledig, „ich will Euch willig als Schwäher annehmen, obwohl ich mir Kätherlis Mann
2*
Dem Schreiner war ein Weilchen, als müsse er entweder eine gewaltige Scholle herauslachen, oder aber sich vor der strengblickenden Schmiedtochter in die Knie werfen und ausrufen: „Heilige Portiunkula, bitt für uns!“ Er tat aber keines von beidem, sondern drückte herzlich die schmale,etwas kühle Hand und sagte schmunzelnd: „Ich denke, wir werden etwa bei gutem Willen wohl auskommen miteinander, Portiunkula, auch wenn ich's nicht zu einem so heiligmäßigen Leben bringe wie Ihr und der Schneider.Ich hab eben das Zeug nicht dazu. Aber nun, meine ich,sollten wir eine Flasche vom Mehrbessern aufspazieren lassen;denn, ist's mir, eine solche doppelte Verlobung sollte doch etwas verschwellt werden. Was meinst, Kleinhans?“
„Wahrhaftig, Schreiner“, sagte rasch die ältere Portiunkula, und ihre Nase stach
gegen ihn wie eine vergoldete Gartengitterspitze. „Ihr denkt an nichts als ans
Schlemmen.Ich meinerseits und der Desiderius wollten eben auf den Friedhof gehen
und dort an meiner Mutter Grab und in der Friedhofkapelle das Verlöbnis mit
Gebet und guten Vorsätzen feiern.“
117 „Portiunkula“, redete jetzt der Schmied dazwischen, „das kannst du nachher halten wie du willst. Einstweilen wollen wir die Sache etwas von der kurzweiligeren Seite anpacken. Da muß ich dem Schreiner recht geben. Alles zu seiner Zeit. Bethli!“
Der braune Scheitel der jungen Magd guckte zur halboffenen Türe herein.
„Ja, Meister?“
„Hier ist die Flasche. Hol noch einen Liter Wein! Aber dasmal mußt ihn im Wirtshaus, im Rößli drüben holen.Dickroten wollen wir haben. Wir wollen heut nicht knausern.Meine künftigen Schwiegersöhne sollen heut abend bei mir weder verhungern noch verdursten. Kannst ja gleich zwei Paar Würste in der Metzg mit heim nehmen.“
„Nein, Meister, 's ist nicht notwendig. Des Bäckers Bub hat soeben den Schinken gebracht, den ich auf den morgigen hohen Feiertag in Brotteig backen lassen mußte.Wißt Ihr, den Schinken, den uns der Heustoffelbauer für die Schmiedearbeiten gebracht hat.“
„Weiß wohl. Gut, Maitli, richt den Schinken und dann hol Wein! Heda, und ihr, ihr Jungfern“, er wandte sich an seine Töchter, „regt euch, tummelt euch, tischt an!“
Die spitznäsige Portiunkula machte sich mit schlürfenden Pantoffeln davon, in ihre Kammer. Kätherli aber, die Riesentochter, blieb, immer strahlenden Antlitzes, wie eine Kupfergelte, die die Morgensonne anscheint, ruhig und wie angeleimt sitzen, las ihrem Schreiner mit bedächtigen Fingern ein paar dürftige Hobelspänchen vom Lismerkittel und sagte gelassen: „Das Bethli macht's ja schon.“
„Sackerlot abeinander, ja, ja, ja“, brummte der Alte;„das ist immer euere Ausrede und euer Trost gewesen,
8
Die Schmiedjungfer.wenn ihr Hand hättet anlegen sollen: Das Bethli macht's ja schon. Und das Bethli hat's auch gemacht. Was wahr ist, gehört in die Kraxe. Es ist, gottlob, ein gutaufgelegtes und dabei wehrhaftes Ding, vor dessen Besen die Spinnen mit Hochachtung zeichnen. Immer rundum und angriffig,kein stehendes Wasser; darum fault's auch nicht. Wenn mir's nur der bayrische Jokel mit seinen gestickten Hosenträgern nicht zu rasch fortnimmt“, machte er nachdenklich;„denn arg verschossen in ihn ist sie allweg. Sie kann ja das Auge von der Spielhahnfeder auf seinem grünlachten Sonntagshütchen kaum abwenden. Sie hat mir seit meiner seligen Annakathri Ableben die Sache so gut als möglich zusammengehalten. Ich denke aber“, wandte er sich wieder an seine strahlende Tochter, „du wirst etwa in deinem künftigen eigenen Haushalt auch zugreifen müssen; denn das Beihli kann ich dir nicht mitgeben, und die Wichtelmännchen sind bekanntlich für immer abgereist.“
Das Kätherli erhob sich, immer lächelnd und stand nun mitten in der Stube, groß und umfangreich wie die Säule,an die sie den tobenden Simson anbanden. „Was soll ich denn machen?“
„Mach was du willst!“ schnörrzte sie der alte Schmied ab. „Wenn du's nicht selber siehst, kann ich dir nicht helfen.“
„Lärm doch nicht so, Vater“, sagte lachend der geschmalzte Hobelspäner, „und laß dem Kätherli seine Ruh. Ich werde ihr eine Magd halten.“
„Was, eine Magd halten!“ schnauzte der Alte; „das Kätherli ist keine Königstochter und groß und stark genug zum Schaffen. Sie muß nur wollen.“
Jetzt ging die Stubenkammertüre und Portiunkula schlürfte,mit einer Handvoll
geweihter Buchsreiser, in die Stube.
119 „Ja, ist denn der Tisch alleweil noch nicht gedeckt?“machte sie verwundert. „Wo ist denn die faule Gret so lang?“ Sie fuhr auf die Küchentüre los: „Bethli, Bethli“,schrie sie hinaus, „wann wird denn einmal da drin gedeckt,du Schneckenpost!“
„Da bin ich ja“, gab unerschrocken, aber ruhig, die rasch mit einer Beige Teller eintretende Magd zurück. Sie stellte die Teller auf die Kommode neben die Glasglocke, die eine wächserne Geburt Christi überdeckte, griff ein schlohweißes Tischtuch aus dem großen Wandkasten, und im Hui war der Tafeltisch gedeckt und gar appetitlich aufgerüstet. Dann machte sich Bethli mit der leeren Flasche aus dem Hause.
Portiunkula aber, die der jungen Magd handliches Tischdecken mit Sperberäuglein und animierender Nasenspitze sorgsam überwacht hatte, legte jetzt neben jeden Teller, vor den Augen der verwunderten Männer, ein geweihtes Reislein und verzog sich dann in die Küche, während der Alte mit dem Schreiner und dem Schneider ein unterhaltsames Gesprächlein begann. Unterdessen hatte Kätherli, ewig heiteren Antlitzes, vom Büfett, neben den geblümten Ziertellern, ein paar farbige Gläser genommen und sie, schön eins ums andere, auf den Tisch hinter die Teller gestellt.Und nun bückte sie sich gar seufzend zu den geschweiften,wurmstichigen Schubladen herab und entnahm einer ein zierlich geflochtenes Körbchen, in dem sich einige Leckereien befanden. Sie sah sich um, und da sie die Männer in ein gemütliches Gespräch vertieft sah, schob sie schnell einige Mandeln, zwei Feigen und eine knusperige, zartgebackene Hüppe in den kleinen Mund.
Jetzt ging die Türe wieder; Portiunkula erschien, eine Chaufferette in der Hand tragend. Und während nun
Die Schmiedjungfer.Kätherli ihr Naschkörbchen auf den Tisch, in die Nähe ihres Tellers, stellte und sich dann, langaufatmend, wieder bei ihrem Schreiner niederließ, schwang die ältere Schwester die Chaufferette durch die Stube wie ein Weihrauchfaß,also daß es in des Schmiedhauses altersbraunen getäfelten Wänden roch wie in der Kirche am hohen Donnerstag.
Der Schreiner rümpfte die Nase. Aber der Schneider weitete die Nasenflügel und atmete den Weihrauch mit Wollust ein. „Es riecht wie im Himmel“, sagte er. „Hör doch einmal aufl“ wandte sich der Alte brummend an seine ältere Tochter; „es will jetzt da drin niemand die Messe lesen.“ „Vater, versündigt Euch nicht!“ entgegnete Portiunkula mit einem hochfeierlichen Gesicht, aus dem die Nase hervordrohte wie die Rute des Erzengels Gabriel. „Ach was, du übertreibst alles“, machte der Schmied. „Christlich sein ist Pflicht, und fromm sein ist Gott wohlgefällig;aber deswegen brauchst du uns gleichwohl nicht auszuräuchern wie alte Dachse und wenn's mit Weihrauch wäre.“ „O du heilige Zuversicht, wie ist die Welt heutzutage,wenn sogar der eigene Vater solche Reden führen kann!“
Und damit machte sie sich mit wetterleuchtender Nasenspitze hinaus, unter der Küchentüre fast mit Bethli zusammenstoßend, das die gefüllte Weinflasche im Arm trug.
„Die guten Geister gehen hinaus, und die bösen kommen hinein“, machte spitzig die abziehende Portiunkula, mil einem höchst mißfälligen Blick auf die volle Flasche.
Der Schreiner lachte kichernd vor sich hin. Aber der Alte hatte dem Bethli die
umfangreiche, mit blutrotem Wein gefüllte Flasche sogleich aus der Hand
genommen.Schmunzelnd hielt er sie gegen die von der Magd
angesteckte,aufleuchtende Petrollampe, die ein mächtiger Schirm über
121 deckte, und den Wein wohlgefällig betrachtend, sagte er:„Komm, du Trost im Alter, wir wollen dich nicht verachten,wie dich der Heiland nicht verachtet hat an der Hochzeit zu Kanaan.“ „Ja“, machte Bethli, „es sei vom besten,den er habe, hat der Rößliwirt gesagt.“ „Ehre, wem Ehre gebührt“, lachte der Schreiner; „wir wollen ihn mit Verstand trinken.“
„Vethli“, kam es scharf aus der Küche, „wo bleibst du denn! Soll der Schinken selber hineinlaufen?“
Wäahrend nun die Magd blitzgeschwind in die Küche eilte,schlürfte Portiunkula wieder mit dem großen Brot hinein,machte darüber erst mit dem Messer das Kreuzzeichen und E Schmied aber füllte ein Glas nach dem andern sorglich mit Wein an.Und als nun alle, schön ausgeebnet mit einem wohlduftenden Rotwein, vor ihnen standen und auch der sehenswerte Schinken von Bethli auf einem runden Holzbrett vor ihn hingestellt worden war, fuhr er sich einigemal schmunzelnd über den grauen Bart, klopfte dann behutsam ans Glas und sagte: „Nehmt doch alle Platzl Wir wollen den Verlobungsabend fröhlich einleiten. Und du, Portiunkula,mach doch nicht ein so beelenderisches Gesicht, als ob du barfuß durch die Brennesseln wandeln müßtest. Bist jetzt ja mit Gottes Hilfe auch Braut geworden. Und du,Schneider, was sinnierst du wieder? Laß jetzt das Fliegen für heut abend bleiben und mach dich heran!“
Der Schneider Desiderius Pipenhenner hatte sich schon eine längere Weile in eine Fensternische zurückgezogen und,in tiefes Sinnen versunken, in die finstere Nacht hinausgeschaut; denn er gedachte während des Verlobungsmahles eine große Festrede zu halten.
Die Schmiedjungfer.Als sie nun alle am Tische saßen, erhob sich der Schmied und sagte: „Bevor wir aber zu festen anfangen, will ich euch gerade noch die Bedingung zu wissen tuen, unter der ich euch meine Töchter übergebe. Ihr wißt dann gleich,woran ihr seid, und könnt nie sagen, ich hätte euch die Katzen im Sack verkauft.“
Das Kätherli lachte überlaut auf.
„Lach doch nicht so dumm!“ verwies ihr die Schwester und machte Augen wie offene Kapelltüren.
„Also“, fuhr der Alte bedächtig fort, „ich überlasse euch meine Kinder mit allem, was ihnen zugehört und wünsche euch Glück dazu und Gottes Segen.“
„In alle Ewigkeit. Amen“, machte halblaut Portiunkula.
„Auch das Frauenvermögen, das meine selige AnnaKathri den Mädchen hinterlassen
hat, sollt ihr bekommen. Es ist nicht übermäßig viel. Aber die Titel sind in der
Waisenlade gut aufgehoben; der Mutter Sächlein kann euch also nicht davonlaufen.
Ich habe bisher die Zinse des Vermögens bezogen, wie sich's gehörte; denn ich
mußte ja auch die Mädchen erziehen und unterhalten, was mich nicht immer ganz
billig kam.“ Er runzelte ein wenig die Stirne,schaute einen Augenblick wie
suchend in den Tisch, redete dann aber weiter: „Weil jedoch die AnnaKathri
plotzlich gestorben ist, habe ich kein Testament; doch versprachen mir meine
Töchter beide, als ich gestern dem Kätherli den Schreiner erlaubte, daß sie mich
die Hälfte der Zinse des bescheidenen Frauengutes bis an mein Ende vom Waisenamt
ziehen lassen wollen. Gesetzlich wären sie's nicht pflichtig,sind ja beide schon
lange volljährig. Aber einmal kommi ihnen die Sache ja sicher zu. Dessen mögen
sie sich vorderhand getrösten. Ich habe den Zuschuß eben notwendig.
123 Bei meinem kostspieligen Haushalt konnte ich mit der Hufschmiederei nichts vormachen. Zu lange werden sie auf ihre Muttersache etwa nicht warten müssen. Ich bin ein alter Mann. Und wenn ich auch jetzt noch gesund bin, so kann doch bald der Tag kommen, wo ich abgehend und schwächlich werde; dann braucht einem der Tod bloß ein sStößlein zu geben wie eine Kinderfaust, so liegt man für immer im Grünen. So. Nun wißt ihr's und braucht nicht nachträglich zu sagen, ich habe euch hinters Licht geführt.uUnd die Töchter wissen dann auch, woran sie mit euch sind und ob ihr sie nur ihres Sächleins oder ihrer selbst wegen genommen habt. Seid ihr dann aber nötig und kann ich euch helfen, so will ich's gern tuen, soviel ich's vermag. Was sagt ihr dazu?“
Der Schneider Desiderius Pipenhenner schoß sogleich bolzgrad auf, wie der Teufel aus einer Spielschachtel, und sagte hochfeierlichen, purpurroten Angesichts: „Meister Peter Kleinhans, ich habe Tage und Wochen, Monate und Jahre,zehn lange Jahre habe ich auf meine geliebte Portiunkula gewartet, wie jene griechische Seidenweberin auf ihren Orpheus. Aber heute ist der Tag gekommen, wo ich wie der Kolumbus rufen kann: Land, Land!“ Er mußte sich räuspern; denn er hatte sich arg überschrieen. „O Meister Kleinhans“, fuhr er fort, „du weißt nicht, wie sehr ich mich darnach gesehnt habe, mit deiner tugendhaften Tochter endlich in Züchten die Kirchenstiege hinauf zu schreiten.Es dauerte lang, bis sie mich erhört hat; denn die lieben Heiligen und Märtyrer hatten ihr Herz fast ganz gefangen genommen, und es wurde mir hart gemacht, auch mir darin noch ein Plätzchen zu gewinnen. Schier so hart,wie, wie ...“
4.Je,Die Schmiedjungfer.„Wie die Eroberung des heiligen Grabes“, machte der Schreiner.
„Karliseff“, krähte der Schneider, „wenn du mir so kommst,so künd ich dir die gute Schwäherschaft heute schon.“
„Laß ihn“, beruhigte der Schmied, der kurz in den grauen Bart hineingelacht hatte; „'s ist ein Spaß und nicht böse gemeint·“
Und der Schneider fuhr, mit einem langen Blick auf die verschämt, mit engelmildem Antlitz dasitzende Portiunkula, zu reden sort: „Aber heute ist der Tag, an dem mein Herz frohlockt. Ich brauche jetzt nicht mehr zu singen:Wenn ich ein Vöglein wär, flög ich zu dir! Jetzt bin ich bei dir und bleibe bei dir, du holde Tochter, du Lilie ..
„Mach doch nicht so ein Wesen“, sagte der Alte.
„Und es ist mein größtes Glück“, rief der Schneider mit steigender Stimme aus, „daß ich eine so fromme Tochter bekomme, die noch Zucht und Sitte kennt, wie in der guten alten Zeit, wo die Frauen der Kreuzritter ihre Keuschheit unter Schloß und Riegel verwahrten. Und es freut mich über alles, daß ich einen so überzeugungstreuen,aufrechten Christen zum Schwiegervater bekomme, der heute noch so stark und gesund vor mir steht ...“
„Aber unberufen, unberufen“, machte mit ernstem Gesicht der Schmied.
„Einen Schwiegervater, einen Schwiegervater ...“ Seine Augen begannen an der
Decke und an den Wänden herumzuklettern wie nasse Fliegen. „Ja, einen
Schwiegervater,der ...“ Er suchte den ausgeglittenen Faden seiner Rede im munter
flackernden Flämmchen der Hängelampe; aber er fand ihn nicht. Er suchte ihn auf
der Nasenspitze seiner Portiunkula, in den zwinkernden Weinãuglein des
Schreiners
*20
87 und auf dem immerwährenden Sonnenschein der großen Dummheit; aber er konnte ihn nicht wiederfinden. So sagte er denn auf einmal, ziemlich kleinlaut: „Und ich,meinerseits, will mich in Gottesnamen mit der Hälfte der Zinse von dem besagten Frauenvermögen begnügen. Die andere Hälfte wird uns ja auch nicht davonlaufen. Denn älter als Methusalem wirst du etwa auch nicht werden,was ich dir zwar“, machte er rasch, zündrot werdend, „von ganzem Herzen und aus allen meinen Kräften wünsche.“Schleunigst griff er zum Glas, und es hoch in Lüften schwingend, rief er: „Unser künftiger Schwiegervater lebe hoch, hoch, noch einmal hoch!“
Es stimmten alle ein, und klirrend fuhren die Gläser zusammen. Aber der Schneider nippte nur am Wein, und Portiunkula hatte mit ihrem leeren Glase angestoßen.
Lachend rief jetzt der geschmalzte Hobelspäner, als sich das laute Getue etwas gelegt hatte: „Kleinhans, mich brauchst nicht noch extra zu fragen. Ich freue mich, daß ich das dicke Mädchen da, das Kätherli, ins Haus bekomme. Es hat ein gar kurzweiliges Fingerlein; das wird mir die paar Hobelspäne schon vom Kittel lesen. Wenn sie dann ein bißchen Geld flüssig machen kann, so soll mich das auch nicht erschrechen; denn ich will in meinem leeren Haäuschen eine Wirtschaft auftun, die mir mehr eintragen wird als der dumme Hobel, der's doch zu nichts bringt und wenn er tausendmal im Tag rack, rack, rack! macht.Viel Geschrei und nichts dabei. Und wenn mir das Wirtschäftchen gut läuft, und warum sollte es denn nicht, es gibt ja soviel durstige Leute, so will ich deine Riesentochter kleiden, daß die Staldener Weiber vor Neid Blut schwitzen und die Hühneraugen verdrehen. Und dir, Kleinhans, will
Die Schmiedjungfer.ich ein Faß Burgunder Heiligtagwein, samt dem dazu gehörigen goldenen Becher, in den Keller stellen lassen, daß die Erdäpfel im Pferch nebenan sich vor Scham in lauter Rosen verwandeln, wie in der Schürze der heiligen Elisabeth. Wie sagte der Altgeselle in Ritzepitzel: Jungens,trinkt Schnaps bis ihr zu Wein kommt; denn das fade Wasser bleibt euch immer noch. Und ich sage: Lebt hell auf, und hört bald auf!“
„Ist das eine christliche Verlobungsrede?!“ warf jetzt der Schneider ein, voller Entrüstung aufstehend.
„Schämt Euch, Gagelmann! Ihr hört nur immer die Gläser läuten statt der Kirchenglochen“, stimmte Portiunkula bei.
Aber der wohlgelaunte Schmied drückte den Schneider lachend auf den Stuhl zurück und sagte: „Laßt ihm sein Späßlein. An einem künftigen Schwager muß man was vertragen können. Und wenn er's grad nicht sagt, wie man's gern hören möchte, 's gibt's halt etwa jeder, wie er's hat.“Dem Kätherli gingen vor Lachen die Tränen über beide Pausbacken, und es war ordentlich ein Wunder, daß die butterglänzende Jungfer nicht nach und nach abschmolz.
Bald beendigte Karliseff Gagelmann, der Schreiner, nachdem er noch eine Reihe Sprichwörter aneinander gereiht hatte, seine Rede, und allerseits ging wieder ein Anstoßen,Klingen und Klirren an und ein Festen bis in die Nacht hinein, teils bei roter warmblütiger Tranksame, teils bei kühlem Brunnenwasser.
„Bethli“, lärmte der weinselige Schmied, als die Schwarzwalduhr zehne schlug,
„hol noch eine Ampel voll! Es soll heut einmal recht heiter zugehen da in der
braunen
127
Schmiedstube. Es kommen nun für mich sowieso auf die alten Tage gute Zeiten und ein schöner Feierabend. Flink,Bethli, flink! Kannst dann für dich auch gleich ein Glas hereinbringen. Sollst heut auch einen Tropfen mittrinken.“
„Sie kamn ja den Wein draußen in der Küche trinken“,meinte spitz die Portiunkula.
„Ist nicht nötig. Ich danke Euch, Meister“, sagte die junge Magd; „ich habe noch ein Schlücklein Milchkaffee im Ofenrohr.“
„So schick den Gesellen herein, den Jokel!“ machte der Alte. „Er wird wohl noch bei dir in der Küche herumschmecken.“
„Nein, Meister“, sagte das Bethli, nach der leeren Weinflasche greifend, „den habe ich schon lange ins Bett geschickt.“
Sprach's und machte sich flink aus der Stube.
„Behüt mich Gott vor dem Bethli!“ machte der geschmalzte Hobelspäner; „die legt die Hosen schon beizeiten und noch vor der Hochzeit an; demn als sich der Geselle von ihr ins Bett schicken ließ, hat er sie für immer ausgezogen.“
Ein fröhliches Auflachen ging in der Stube
IIJ.Als Peter Kleinhans, der Schmied, am andern Morgen mit etwas weinschwerem Kopf erwachte, überkam ihn eine stille Freude, daß es mit seinen Töchtern nun soweit sein sollte. Wenn er sie auch lieb hatte, sagte er sich doch, daß er mit ihnen ein gerüttelt Maß voll bösen Argers und Verdrusses verlieren werde. Verging doch kaum ein Tag,an dem sie sich nicht zankten. Wie oft hatte er die liebe
8 Die Schmiedjungfer.Not, die kreischende und wie eine gereizte Gluckhenne
aufhüpfende Portiunkula von der dumm drauflos maulenden Riesentochter, dem
Kätherli, abzutreiben. Dabei waren sie verschleckt und schwerbräuchig. Das
Kätherli saß den ganzen Tag mit strahlendem Angesicht im Fenster, ein bißchen
nähend oder häkelnd, aber immer etwas Süßes knackend und verlutschend. Also, daß
die Dorfbuben zuweilen, wem sie am Schmiedhaus vorbeigingen, zum Fenster
hinaufriefen: „Kätherli, wirf uns auch ein paar Schalenmandeln herunter!“ Und
tat sie's nicht, so riefen die Buben:„Große Dummheit, große Dummheit!“ bis der
Alte unten mit wetterdräuenden Augenbrauen aus der Schmiede schaute und sie
dadurch schleunigst verscheuchte. Dabei war Kätherli also seßhaft, daß die Leute
sagten, sie könnte in Ewigkeit nicht verpfändet werden, da sie niet- und
nagelfester an der Stube hafte als der große blaue Kachelofen. Portiumkula war
das gerade Gegenteil. Keinen Augenblick vermochte sie ruhig zu sitzen oder zu
stehen. Sie fuhr in ihren Schlarpen wie ein böser Geist im Hause herum, von
einem Zimmer ins andere, von der Stube in die Küche, überall alles verstellend
und in Unordnung bringend und das Bethli ausscheltend, das ihr nichts recht
machen konnte. Oder dann ging sie züchtigen Schrittes, mit schmerzhaftem
Gesicht,zur Kirche, wobei jedoch ihre Auglein fleißig kundschafteten.Auch
hastete sie, vorab in der Dämmerung, wie ein Nachtfalter im Dorfe herum, um bei
redseligen Nachbarinnen auf Neuigkeiten zu fahnden und den Gang der Welt im
allgemeinen und den Zustand des Dorfes und einer jeg lichen Familie im
besondern, einläßlich zu besprechen. Ein Schalk sagte von ihr, je abgeschwatzter
und kürzer ihre Zunge werde, desto länger werde ihre Nase. Dabei ließen
129 sie das Bethli den gesamten Haushalt besorgen. „Nicht einmal ihre Betten machen die faulen Hexen selber“, erzählte die Wäscherin im Dorf herum. „Und dem Alten fragen fie nichts darnach, wenn er sie deswegen anfährt.Die große Dummheit lacht und weint ihm was vor, bis er sie selber wieder zärtlich und tröstend auf die Pausbacken tätschelt, und die Portiunkula hängt ihm ein böses Maul an, daß er gerne schweigt und in die Schmiede hinunter davonläuft. Aber der Schmied ist selber schuld;warum hat er sie von klein auf so verzärtelt und verpäppelt. Jetzt ist er nichts mehr Meister. Alles läßt er seufzend gehen, wie's mag. Und was die heikelnäschigen alten Jungfern für ein Geld vertuen! Und wie sie sich von der jungen Magd hofen lassen!“ Sie hätte es selber gesehen, wie das gutmütige Bethli der Portiunkula an einem Sonntagmorgen die schmalen juchtenledernen Wangen habe röteln müssen, daß sie ausgesehen hätten wie das Morgenrot an einem Regentag. Und für das dicke Kätherli müßte sie jeden Schritt tun. Sie habe diese faule Gans selber einmal' sagen hören: „O weh, nun habe ich meinen Fingerhut vergessen und das Bethli ist nicht da. Nun muß ich ihn in die Nebenstube wieder ein halbes Jahr suchen gehen und ich bin doch so müd. Ach, der Mensch sollte vier Beine haben!“ Ja, wenn die das Bethli nicht hätten! Die halte zur Not die Sache noch zusammen. Sie habe ihr schon mehrere bessere Dienstplätze zuhalten wollen;doch das einfältige Mädglein gehe auf nichts ein und wolle durchaus im Schmiedhaus bleiben, weil der Alte es als nichtsiges hilfloses Geschöpf in Dienst genommen und alleweil so väterlich behandelt hätte.
So hieß es denn bald in Hochstalden herum, des Klein1 Lienert, Vergdorfgeschichten.
Die Schmiedjungfer.hansen Töchter, die Portiunkula und das Kätherli, kämen endlich auch unter die Haube, und eh man's denke, werde ihre Doppelhochzeit mit dem Schneider Desiderius Pipenhenner und mit dem Schreiner Karliseff Gagelmann vor sich gehen.
So gerne das auch die Töchter und die kKünftigen Schwiegersöhne gesehen hätten,
so schnell sollte es doch nicht dazu kommen. Nämlich, als am darauffolgenden
Samstagabend der Schreiner und der Schneider wieder in die Schmiedstube kamen,
sagte ihnen der Alte kurz heraus,daß er von ihnen eine Probe ihres Fleißes und
ihrer Kunst haben wolle, bevor er seine Töchter Hochzeit machen lasse.Er
benötige zudem ihrer Hilfe und Mitwirkung bei Beschaffung der Aussteuern; denn
alles könne er nicht selber richten. Der Schreiner solle also für jedes Paar ein
Ehebett und der Schneider für ihn und den Schreiner den feiertäglichen
Hochzeitsrust ausführen. Der Schneider machte ein recht säuerliches Gesicht und
fand das erste Mal in seinem Leben keine Antwort. Aber Portiunkula redete für
ihn und versprach in seinem Namen alles, was der Vater gerne haben wollte. Und
darnach nahm sie ihren außergewöhnlich still gewordenen Schneider bei der Hand
und führte ihn mit sich in die Kirche zur Maiandacht. Der geschmalzte
Hobelspäner hingegen langte mit dicken Fingern die schadhafte Gitarre von der
Wand, spielte ein Schelmenliedchen, setzte darnach das dicke Kätherli aufs Knie
und sagte: „Kleinhans, was mich anbelangt, sei unbekümmert.Ich will dir zwei
Bettstatten liefern, wie man sie noch auf keiner Gewerbeausstellung prämiert
hat. Deine Töchter sollen in der Hochzeitsnacht weicher darin liegen, als die
jungen Kaninchen im Flaum. Ich will sie nicht nur aus
131 feinstem Hartholz heraushobeln, sondern auch zierlich bemalen, mit Bäumen, Sprüchen und Herzen, daß alle Ledigen,die sie zu sehen bekommen, verzweifelt ausrufen: Gebt uns zusammen, gebt uns zusammen! Du weißt Schmied,ich kann alles; ein wahres Kannalles bin ich. Ich mag's nur nicht überhasten; denn wenn auch die Butter im Hafen ausgeht, die Zeit geht uns nie aus; wir haben ja noch eine ganze Ewigkeit voll.“ „Ja, ja“, meinte der Alte,„'s ist mir recht, wenn du einmal ernsthaft zeigst, was es mit deiner Arbeitsamkeit ist. Daß du's kannst, weiß ich;ein wahrer Tausendkünstler wärst du. Aber was hab ich davon, wenn alles hocken bleibt und kein Fortschritt in der Arbeit ist?“ „Kleinhans“, antwortete der Schreiner,„ich bin allezeit für den Fortschritt gewesen. Nur nehme ich dabei kleine Schritte; denn ich habe einen dicken Bauch und der will auch mit. Spaß aparti, du sollst beide Hochzeitsbetten bis in drei Wochen vor dir sehen und vor Entzücken einen Blutsturz bekommen. Und jetzt, Bethli“, rief er der am Schwenkkessel stehenden Magd zu, „jetzt wollen wir uns ein bißchen auf die Arbeit stärken. Hol uns eine Ampel Tranksame, wehrhaftes Kind!“
Der Schmied gab nicht allzuviel auf des Schreiners hochheilige Versicherungen und war daher freudig überrascht, als er ihn, schwitzend und dampfend, schon acht Tage darnach in seine Werkstätte holte und ihm bereits eine Bettstatt, vollständig fertig und von ihm selbst himmelblau bemalt, vorzeigte. „Wohl, wohl“, machte der Schmied, die Bettladen wohlgefällig beaugenscheinigend. „Gelt, Alter“,meinte schmunzelnd der Schreiner und trocknete sich den Schweiß ab. „Aber der Spruch gefällt mir nicht recht“,sagte der Schmied; „'s ist kein christlicher Spruch.“ „Ich q*
Die Schmiedjungfer.hab ihn selbst gemacht“, beschied der Schreiner, und prüfend
auf die Bettstatt schauend, las er laut: „Mein Bett ist meiner Jugend Freud und
meines Alters Trost.“ „Nun“,meinte der Alte, „am Spruch liegt's am End nicht; 's
liegt am guten Willen.“ „Freilich“, stimmte der geschmalzte Hobelspäner bei,
„und so du guten Willen hast, kommst du jetzt mit mir ins Rößli zu einem
Schoppen; wir wollen die erste Bettstatt ein bißchen verschwellen, die zweite
verschwellen wir am nächsten Samstag.“ „Meinetwegen“,machte der Alte; „denn das
muß ich sagen, 's ist flink gegangen. So wirst du noch vor dem Schneider
fertig.“Am nächsten Samstag kam jedoch kein Schreiner und am übernächsten auch
nicht. Wohl aber tauchte im Zunachten der Schneider Desiderius Pipenhenner auf,
ein dichkes Bündel unter dem Arm. Hustend und pustend und die Arme verwerfend,
zog er den Alten aus der Schmiede in die Stube hinauf, wo er vor ihm und vor den
Augen seiner Töchter das Bündel auftat und auf dem Tisch zwei nagelneue Anzüge
ausbreitete. „Der eine ist für dich, Kleinhans,und den andern will ich gleich
dem geschmalzten Hobelspäner zutragen. Meine Arbeit wäre somit fertig. Von mir
aus könnten wir jetzt alle Tage Hochzeit halten.“ „Brav, brav, Schneider“, sagte
der Alte; „bist doch noch vor dem Gagelmann zu Ende gekommen.“ „Ja“, seufzte der
Schneider, mit einem schier anklagenden Blick, „'s ist mir nicht so leicht
geworden. Denn da du mit den Hochzeitsgewändern so pressiertest, konnte ich mich
mit meinen Flugexperimenten viel zu wenig abgeben; dennoch“, fügte er
selbstbewußt bei, „ich will es noch vor den Schwaben erfinden.“ „Ach, was
schwatzest du für Zeug“, machte der Alte. „Bist doch ein rechter Phantaster.“
Der Schneider
133 machte nur eine großartige abwehrende Gebärde, lächelte überlegen und verzog sich dann mit der spitznäsigen Portiunkula in die Nebenstube.
Wochen vergingen, ohne daß der Schreiner Gagelmann die zweite Bettstatt fertiggebracht hätte. Ein paarmal schaute, auf des Schmieds Geheiß, das dicke Kätherli darnach aus und auch Portiunkula lief, ungeheißen, mehr als ein dutzendmal zum Schreiner und schalt ihn tüchtig aus. Die Bettstatt ließ auf sich warten. Der geschmalzte Hobelspäner, der zudem selten in der Werkstätte zu treffen war, wußte hundert Ausreden. Das Holz war nicht trocken genug. Die Farbe war ihm ausgegangen. Kurzum, die zweite Bettstatt wollte nicht kommen. Monat um Monat verging, und als der Schreiner endlich, zerfließend in Schweiß und mit Hobelspänen behangen wie ein festtäglicher Salondampfer mit Wimpeln, mit der zweiten Bettstatt vor des Schneiders doppelgiebliges Häuschen rückte, war glücklich ein Jahr seit der Verlobung vorbeigegangen.
Da beeilte sich der Schmied, den Hochzeitstag festzusetzen.Nur Bethlis Ausdauer und kräftigem Zugreifen war es zu danken, daß auch das Leinenzeug und der gesamte Bedarf und Aufrust für den Haushalt der Töchter bereit war. Die junge Magd atmete erleichtert auf, als der Hochzeitstag endlich erschien.
An einem Fenster der Wohnstube, hinter den etwas angerauchten Vorhängen hervor, schauten sie und der bayrische Geselle, der Jokel, dem Hochzeitszuge nach, der eben zur Kirche hinaufstieg.
Im Zuge zuvorderst stolzierte, wie ein Fischreiher, der Schneider Desiderius Pipenhenner. Sein spitzes, spärlich behaartes Haupt bedeckte ein altmodischer Zylinder, den
Die Schmiedjungfer.die weitabstehenden Ohren mühsam vor dem Versinken retteten.
Er besah sich heute mit Sperberaugen, nach einem Stäubchen spähend, und glättete
bald da, bald dort eine unschöne Runzel aus seinen etwas eng geratenen
Rockärmeln. Dabei erwiderte er mit schmelzendem Lächeln den Augenaufschlag
seiner Braut Portiunkula, die sich ihrerseits bemühte, den etwas langen
Hochzeitsschuh so gut als möglich unter Verdeck zu halten. Sie machte ein
wahrhaft schmerzlich verzücktes Gesicht, gerade als ob sie einer heimlich an der
Fußsohle kitzelte. In der Hand hielt sie ihr Gebetbuch mit darumgewundenem
Rosenkranz. Obwohl sie züchtig und weltfern, wie ein
Erstkommunikantenkind,dahinzugleiten schien, wußte sie darnach doch jedes Kind
und jedes alte Weib namhaft zu machen, das beim Aufstieg zur Kirche Spalier
bilden half. In außergewöhnlichem Abstande vom ersten Hochzeitspaar folgte das
zweite, der Schreiner Karliseff Gagelmann mit dem über und über lachenden
Kätherli, das ihn um Haupteslänge überragte,obwohl er auch eine ansehnliche
Größe hatte. Er kam etwas langsam vorwärts; denn er zog im Gehen das linke Bein
immer etwas nach, als ob er ein Galeerensträfling wäre und eine Eisenkugel
nachschleifen müßte. Ein breitrandiger Filzhut saß, etwas schief, auf seinem
Kopfe, und im Knopfloch seines schon etwas ausgetragen aussehenden
Hochzeitsgewandes vertat eine gewaltige Rose ihre duftenden Blätter. Diesem Paar
beinelte, eifersüchtigen und angriffigen Auges, beständig links und rechts
ausschauend,ein wohlgenährtes, keuchendes Hündchen nach, des Schreiners kleiner
Pips. Es war ein Tierlein von einer wunderbaren Artenmischung. Die Leute
stritten sich darüber, ob seine Urahnen Zwergpinscher, Dackel, Igel oder
Meerschweinchen
135 gewesen seien. Er mußte sich heute außerordentlich fühlen;denn beständig fauchte er die am Kirchenaufstieg gaffenden Buben mit heiserm Stimmlein an, was ihm der nachrückende Schmiedmeister Peter Kleinhans, der eine entfernte Base des Schreiners am Arme hatte, ab und zu unwirsch verwies.Der alte Schmied schien übrigens guter Dinge; denn er kaute, in Ermangelung seines Pfeifchens, in einemfort schmunzelnd die Zunge, liebkoste seinen weißgrauen Bart und sah vergnügt bald nach der züchtig und tiefgebückt treppenauf trippelnden Portiunkula und bald nach dem Hochzeitskränzchen, das nachlässig im Blondhaar Kätherlis,seines Riesentöchterleins, lag. Ein kurzer Schweif von Verwandten und Befreundeten folgte nach.
Mit großen Augen wunderten das Bethli und der bayerische Schmiedgeselle dem Hochzeitszuge nach.
„Jesus, Maria!“ rief das Bethli aus und schob den Vorhang noch etwas mehr zurück. „Was macht denn jetzt die Portiunkula vor der Kirche?“
Der Geselle lachte auf.
„Was wird sie denn machen, das spitznäsige Frauen DDhineinlassen. Na, schau, schau, ist das lustig!“
Vor der Kirchentüre mühte sich Portiunkula, die mit Entrüstung den Pips im
Hochzeitszuge wahrgenommen EDD zutreiben. „Willst du wohl weg, du häßliches
Vieh!“zischte sie das seltsame Geschöpf an. Und als er sie zuerst mit schier
erstaunten Augen anglotzte, begann sie mit ihrem weißen Kleide gegen ihn zu
wehen und zu winden wie ein Meersegel. Da sträubten sich seine Haare; seine
Auglein funkelten grüngiftig, und heiser belfernd ging er zum Angriff
„Wie schön tönt doch die Orgel aus der Kirche“, sagte das Bethli zu dem immer noch lachenden Gesellen. „Es überkommt mich allemal wie Heimweh nach meiner armen Mutter selig, wenn ich sie höre.“
„Ja“, meinte der Jokel, „sie wird dem Alten wohl auch lustig in die Ohren tönen; denn nun ist er die beiden faulen Taschen los, kann sich aufs Ohr legen oder zum Fenster hinaus zuschauen, wie sich die armen Leute abhunden und einen schweren Tag machen müssen. Ich wollt, ich wär auch schon so weit.“
„Wie kannst du nur so reden. Der Meister hat seinen Feierabend wohl verdient“, machte die junge Magd; „denn was hatte er anderes als Arbeit seiner Lebtag und Verdruß mit seinen Töchtern. Da ist ihm sein bißchen Ruhe von ganzem Herzen zu gönnen. Seine Arbeit hört nun endlich auf, und wir fangen sie ja erst an.“
„Ja, Schatz“, sagte der Geselle, das Mädchen an sich
137 ziehend, „nun fangen wir an. Jetzt hat der Alte seine Ruh; nun wollen wir uns heiraten und heimzu ins Allgäu,wo ich in des Vetters Geschäft Altgeselle und vielleicht einmal sein Nachfolger und Erbe werden kann. Hast mir's ja versprochen, mich zu heiraten und mit mir ins Bayerische zu kommen, sobald des Meisters Töchter einmal aus dem Hause seien.“
„Ach ja“, seufzte sie, sich ruhig, aber fest aus seinen Armen losmachend, „ich hab eben nicht geglaubt, daß des Meisters Töchter nun auf einmal, und gar beide, heiraten.Es ist nun doch gar schnell gekommen. Nun hat der alte Meister niemand mehr, der zu ihm schaut, als mich. Wie sollte ich da weggehen? Er war auch immer so gut gegen mich. Das wär doch umverschämt.“
„Nein“, machte er entrüstet, „nein, so was! Immer hast Ausreden. Der Alte ist doch kein Kind mehr.“
„Eben ist er noch ein Kind“, warf das Bethli ein. „Er ist wohl ein Mann in der Schmiede und überall, wo er den Mann stellen muß; aber im Haushalt, da ist er ein Kind;da weiß er sich nicht zu helfen und verliert gleich den Kopf,wenn einmal eine Pfanne Milch übersiedet, ein Topf zerbricht oder sonst etwas nicht den gewohnten Weg geht. Und gar,wenn er krank würde, da könnte ich ihn niemals ...“
„Sei doch still, du Gret! Nein, wenn du mich immer so hinaushalten willst, so lauf ich dir noch davon. Das halt ich nimmer aus. Du bist eine Tierquälerin. Ich will dich einmal haben und meinen eigenen Hausstand gründen.Hast du mich denn bloß so gern, daß du meinst, ich sollte dich immer bloß anschauen dürfen, wie die Katz die Wurst durch die Scheiben des Metzgerladens. Jetzt vertröstest du mich bald zwei Jahre also.“
Die Schmiedjungfer.„Ach, ich bin ja noch so blutjung.“
„O du Närrchen, wenn du alt wärest, könntest du meinetwegen dableiben bis am jüngsten Tag.“
„Nur noch, bis der Meister ein anderes zuverlässiges Mädchen findet, von dem ich sehe, daß es zu ihm und zu seiner Sache recht schaut, laß mich hier. Darnach will ich dir folgen, Jokel, bis ans kühle Grab.“
„Gut denn“, schimpfte er, „du heillose Drängerin. So will ich dir noch warten, bis der Alte eine andere Magd hat; aber dann geht's fort, oder“, machte er, zornig auffahrend, „oder dann gehe ich allein, daß du's weißt!“
Eine Stabelle über den Haufen werfend, stob er hinauf in seine Kammer.
„Ach Gott ja, der arme Bub“, machte aufseufzend das Bethli. „Aber ich kann den Vater Schmied nicht im Stich lassen. Er hat es auch nicht getan, als ich eine schwache kleine Waise war und mich niemand in den Dienst nehmen wollte. Jesus!“ schrie sie auf. „Es läutet schon zur Wandlung. Jetzt muß ich schauen, daß ich ins Rößlein komme;denn ich soll ja auch an die Hochzeit und dort ein bißchen aushelfen.“ Sie tat einen flüchtigen Blick in das offene Fensterscheiblein an der Wand, ordnete ein wenig an ihrem braunen Scheitel herum, strich ein paarmal über ihre Schürze und machte sich dann flink aus der Stube.
Andern Tages sprach man im ganzen Dorf herum davon,wie es an der Hochzeit der
Schmiedtöchter so fröhlich und seltsam zugegangen sei. Der alte Kleinhans, der
Schmied,habe zwei gewaltige Schüsseln voll harter Taler als hochzeitliche
Morgensuppe vor seine Töchter hinstellen lassen.Das sei die verfallene
Zinshälfte seines Frauenvermögens und eine tüchtige Handvoll von seinem wenigen
Erhausten
139 gewesen. Die Nase der Portiunkula habe bei diesem silhernen Klingen und Blinken geglänzt wie eine frischgeputzte messingene Türfalle. Aber gegen Abend, als ein Handorgeler und ein Klarinettenbläser Tanzmusik aufzuspielen hegonnen hätten, habe es sich gezeigt, daß von den jüngern Leuten sich niemand aufs Tanzen verstand. Der Schreiner,der es wohl gekonnt hätte, habe schon das Gleichgewicht nicht mehr recht gefunden. Zudem sei keine Tänzerin zu finden gewesen, da Portiunkula das Tanzen als ein sündhaftes Vergnügen und Kätherli aber als eine überflüssige Buße nie erlernt hatten. Da sei der alte Schmied unwillig geworden. Er habe das Bethli vom Schenkkessel her geholt und mit ihm tapfer den landesüblichen Hochzeitstanz,anstatt der Hochzeitspaare, getan, wobei die junge Magd von einer verwunderlichen Geschmeidigkeit gewesen sei. Der geschmalzte Hobelspäner habe darnach die Gitarre gezupft und mit dem alten Kleinhans fröhliche Wanderschaftslieder zum Besten gegeben. Und in tiefer Nacht sei der Schneider auf einen Stuhl gestiegen und habe eine lange Rede über das Fliegen gehalten. Er habe ausgeführt, was für ein ungeheuerer Nutzen es für die Welt wäre, wenn die Menschen fliegen könnten und wie er einmal einen glückhaften Aufstieg in die Luft tun und als Erster von oben auf Jerusalem und das heilige Grab herabsehen werde. Bis ihn dann Portiunkula nach und nach, so unauffällig als tunlich, nach Hause in die Hochzeitskammer gezupft habe.Der Schreiner Gagelmann jedoch und die große Dummheit,erzählten die Leute, seien am andern Morgen noch mutterseelenallein in der Wirtschaft auf ihren Stühlen gesessen,so wie sie am vorhergehenden Mittag sich hingesetzt hätten und haben zusammen ein schmunzelndes Nickerchen getan.
Die Schmiedjungfer.Der Schreiner habe dabei noch im Schlafe seine Mätzchen gemacht. Als er aber am Morgen mit seiner Riesendame mit einem Riesenkater erwacht sei, habe er gleich wieder zu trinken und zu festen angefangen, als ob er sich eben erst zum Hochzeitsmahl gesetzt hätte. Kätherli hätte ihm getreulich, und über seine weinseligen Sprüche an einemfori auflachend, Gesellschaft geleistet, bis sie in später Nacht endlich miteinander ins Hochzeitsbette gesegelt seien, geführt und bewacht von dem vielrassigen Pips.
Darnach wurde es im Schmiedhaus recht ruhig.
Der alte Kleinhans kam sich bald vor wie ein glücklich aus des Lebens Stürmen
gelandeter Klausner und bald wie ein vornehmer Herr, der aus dem Vollen schöpft.
Er ließ sich mit dem Aufstehen Zeit, und wenn er endlich das Fenster aufmachte,
zündete er sogleich ein Morgenpfeifchen an und nebelte frohgemut drauflos wie
eine Fabrikstadt.Keine Sorge drückte ihn mehr. Die schwerbräuchigen Töchter
zankten sich nicht mehr um ihn herum und riefen alle Augenblicke nach dem
Geldladenschlüssel. Nur das Bethli geisterte mit ihrem Abstaublappen um ihn
herum wie ein lauwarmer Föhnwind im Winter und sang als ein rotwangiges Heimchen
bald im Kellerloch, bald in der Küche und zuhöchst auf der Winde. Da konnte er
dem zum Morgenkaffee ruhig in seinem Marienkalender blättern und zum zweiten-
und drittenmal den „Staldener Bote“lesen, um darnach gemächlichen Schrittes zur
Kirche hinaufzusteigen, in die Spätmesse, Gott zu geben was Gottes ist und sein
Ende im Herrn zu bedenken. Hernach unternahm er wohl ein kurzes Spaziergänglein
ums Dorf, das Werden und Wachsen der Kartoffeln mit kundigen Augen beobachtend
und ein Sträußlein Feldblumen mit gutem Farbensinn für
141 Bethlis reinliche Stube zusammenstellend. Oder auch tat er einen kleinen
Umgang im Dorf, mit den Leuten verständige Zwiesprache haltend oder gar mit
diesem oder jenem Gesinnungsgenossen von der alten Garde die hohe und niedere
Politik ernsthaft bedenkend. Vor dem Mittagessen, zu dem er nun täglich auch
Bethli und den Gesellen an den Tisch lud, trat er noch ein Weilchen in die
Schmiede und schaute dem Gesellen zu, ihm hie und da Wegleitung gebend.
Besonders wohl gefiel ihm das Mittagsschläfchen;denn, sagte er, es sei nichts
süßer auf der Welt als ein ruhiges Einschlafen und heiteres Aufwachen, und das
könne er sich nun zweimal, statt nur einmal wie andere Leute,leisten. Nach dem
Abendkaffee machte er sich in sein Gärtchen, die dürftigen Gemüse und spärlichen
Blumen pflegend und hegend. Wohl stand er dann auch noch einmal in die Schmiede;
aber sein Herz war schon nicht mehr bei dieser Arbeit. Und als ihn einigemal gar
Langeweile ankommen wollte, gab er dem Drängen des Pfarrherrn und einer Anzahl
seiner Gesinnungsgenossen nach, ließ sich zum Kirchenwogt wählen und also mit
dem Säckelamt betrauen.So lebte der Alte, wie er selbst sagte, herrlich und in
Freuden. Nicht im Traum dachte er daran, daß es jemals andern könnte, so wenig
es ihm früher eingefallen wäre,zu denken, daß er's jemals zur Werkstätte hinaus
bringen würde. Und als ihm einmal sein Faulenzerleben, wie er's nannte, bange
machte, griff er tief in das sonst nicht zu volle Geldlädlein und schickte das
Bethli abends heimlich mit einer Handvoll Taler zu einer armen Wäscherin. Es sei
immer sein Wunsch gewesen, sagte er zur Magd, dieser Heldenfrau, die erst acht
Kinder gottwohlgefällig aufgezogen hätte und nun wieder ein Trüpplein Enkel am
E Die Schmiedjungfer.Schürzenband und Eßtrog habe, etwas Gutes tun zu können.
Um seine Töchter jedoch kümmerte er sich nur wenig.Er hielt sie bei ihren
Ehemännern für ordentlich versorgt.Und wenn sie zu ihm kamen, so war es
gewöhnlich weniger um seinetwillen als wegen seinem Geldkästlein und seiner
Vorratskammer. Sie wußten ihm dann immer ein Sümmchen herauszulocken. Auch
gingen sie nie mit leeren Schürzen und Armkörben aus dem Hause fort. So kam es,
daß ihn ihr Besuch bald ziemlich kühl ließ, ja mitunter sogar verdroß. So sagte
er einmal zu ihnen: „Bettelt mich doch nicht immer an. Müßt euch halt
einstweilen nach der Decke strecken. Ihr seid ja noch jung und in der Zeit, in
der man fleißig säen soll, will man im Alter ernten. Da helft nun euern Männern
und haltet die Sache ernsthaft beisammen, so müßt ihr nicht immer ins alte Nest
mausen gehen. „Aber sie kamen immer wieder, so daß er's nach und nach für etwas
Selbstverständliches nahm, das bei verheirateten Töchtern eben so sein werde.
Vor kurzem jedoch hatte sein Schwiegersohn, der Schreiner Gagelmann, eine
Wirtschaft, ein Weinkneiplein, aufgetan, wobei er ihm mit einem kleinen Anleihen
aushelfen mußte. Hatte ihm schon der Name „Speisewirtschaft zum vollen
Weineimer“ nicht recht gefallen wollen, so verdroß es ihn noch mehr, daß der
Schreiner die Wirtschaft nicht aus eigenen Mitteln zu begründen vermochte. „Er
hat doch einen schönen Zinszuschuß von deinem Muttervermögen zu dem Ertrag aus
dem Schreinergewerb“, sagte er unwillig zum zwängenden Kätherli; „da sollte doch
ein so starker und geschickter Mann nicht immer dem Schwiegeralten an der
Rocktasche hängen.Es wäre überhaupt gescheiter, er ließe das Wirten
bleiben.“
143 Aber Kätherli hatte ihm von der Zukunft des Kneipleins einen Himmel von Goldpapier über die Augen gespannt.Ihr Mann sage, die Schreinerei sei ein Bettlerhandwerk im Vergleich zur Goldgrube einer gangbaren Wirtschaft.Er fühle sich wie von Gott dazu berufen, die Durstigen zu tränken, die Gäste anzuziehen und zu unterhalten. Auch werde er seinen Mutterwitz und das Talent zum Gitarrenspiel und Liedersingen nicht zum Vergraben bekommen haben.Zudem bleibe das Geld, das er für seinen ausgiebigen Durst sonst ins „Rößli“ getragen habe, im Hause; denn nun sei er sein eigener Gast. Daneben könne er gleichwohl den Hobel schwingen, wenn's nicht ausreiche. Der Alte hatte den Kopf geschüttelt und seine immer lachende Riesentochter trübe angeblickt. Auch die darauffolgende Nacht noch plagte ihn die Geschichte. Dann suchte er's über den Buckel zu werfen und vergaß es auch bald.
Einige Tage darnach fuhr vor seinem Schmiedhaus mit Hüst und Hott und Peitschenknall ein gewaltiger, mit vier Rossen bespannter Brückenwagen vor, auf dem ein umfangreiches Faß lag. Erstaunt schaute der Schmied Kleinhans aus dem Fenster und fragte die Fuhrleute, was sie denn mit dem Fasse wollten, da er sah, daß sie die Wagenleiter anstellten und das aus der Schmiede laufende Bethli ersuchten, die Kellertüre aufzumachen. „He“, antwortete ein Fahrknecht, „das sei nun das Faß Burgunder, hat Euer Schwiegersohn, der Schreiner Gagelmann, gesagt, das er Euch versprochen habe, als er um die große Dummheit ...“ „Halt 's Maul, du Flegel!“ lärmte der Alte zu ihm hinunter. „Um Euer Kätherli, will ich sagen,gefreit habe“, verbesserte sich, mit dem Peitschenstiel am Hals kratzend, der Fuhrknecht. „Den goldenen Becher
Die Schmiedjungfer.werde er schicken, sobald er genug Goldfüchse in die Hube getrieben habe. Ihr sollt den jungen schönen Wein mit der Weisheit des Alters trinken.“ Erst wollte der Schmied das Faß gar nicht annehmen; aber nachdem es die Fuhrleute einmal in den Keller geschafft hatten, ließ er's gelten. Eine geraume Weile brummte er in der Stube herum und ließ dann vor dem Schlafengehen durch Bethli ein Glas Bier im „Rößli“ holen. Doch ward er getrostern Mutes, als das Bethli gleich wieder glückstrahlenden Antlitzes zurückkam und mit hastigem Atem berichtete, die Fuhrleute hätten die Hauptsache auszurichten vergessen,nämlich, daß die Frau Gagelmann, das Kätherli, Zwillinge,zwei dicke Büblein, bekommen habe, und daß er beiden Pate sein müsse. Nun da sie Kinder haben, und gleich zwei auf einmal, dachte er sich, werden sie wohl gehörig aufgeweckt werden und ernstlich ans Schaffen und Zusammenhausen denken. Es kann immer noch gut kommen.Mit diesem Gedanken hob er andern Tags die kugelrunden Zwillinge seiner Tochter aus der Taufe.
Als er jedoch abends, ein bißchen angeraucht, wie er schmunzelnd zu dem lachenden
Bethli sagte, vom Taufschmaus heimkam und eben über den zwanzigmal gelesenen
Marienkalender einnicken wollte, wurde behutsam die Türe aufgetan und
Portiunkula, seine ältere Tochter, trat hüstelnd,wie ein kalter Luftzug, in die
Stube. „Guten Abend,Vater!“ wünschte sie. „Du?“ machte er schlaftrunken
aufschauend, schier mißmutig. „Ja, was willst du denn noch so spät,
Portiunkula?“ Er solle ihr nicht zürnen, sagte sie in den süßesten Lauten, die
sie aufzubringen vermochte;sie gehe gleich wieder. Sie hätte nur eine große
Bitte an ihn, und da sie doch auch sein Kind sei, so werde er ihr
Lienert, Vergdorfgeschichten.
145
Die Schmiedjungfer.Mutter selig wüßte! Und dabei hat dieser Gagelmann eine Wirtschaft und ist ein guter Arbeiter, ein Kannalles, wenn er will. Und ich“, sie heulte laut auf, „und ich muß so elend durch. Die Schneiderei trägt fast nichts ab, und mein Desiderius lebt fast immer in den Lüften mit seinen Gedanken und näht den Leuten statt der Armel die Hosen an den Kittel. Und jetzt, da ich eine Rettung und ein gutes Geschäft wüßte, jetzt, da ich ein Spezereilädlein auftun möchte, läßt mich der eigene Vater im Stich. Und ich hätte doch nur ein paar hundert Franken notwendig; jedenfalls weniger, als der Gagelmann erhalten hat. Aber ich bin natürlich nicht das vielgeliebte Kätherli und muß der Sache nachschauen. O, o, wenn ich doch sterben könnte!Ach, du meine Zuversicht, meine heilige Zuversicht“, sie sah himmelauf wie ein verfehltes, schmerzhaftes Muttergottesbild, „was muß ich unglückliches Geschöpf anfangen, wenn einen der eigene Vater so verstößt!“
Brandrot vor Zorn, fuhr der Alte auf, schoß an die Kommode und riß eine Schublade
auf. „Wie viel brauchst du denn, du böses Maul!“ lärmte er. „Bloß vierhundert
Franken“, flötete sie, „lieber Vater.“ Er drehte den Schlüssel an einem
Kästlein, und als es aufging, griff er tief hinein.Es klingelte und klirrte
recht bescheiden. Er zählte das Geld in die Hand, warf's vor seine Tochter auf
den Tafeltisch hin, daß es herumtanzte und sagte dumpf: „So, jetzt habt ihr mich
so ziemlich ausgenommen. Das wirst du den Halbfrankenstücken ansehen, die ich zu
unterst im Lädlein zusammenlesen mußte. Und nun mach, daß du fortkommst. Ich
wünsche dir gleichwohl Glück“, machte er ruhiger, „gju deinem Spezereiladen.
Mauls hättest du für dieses Gewerbe mehr als genug. Nun brauchst du dazu
147 nur noch etwas Glück und guten Willen. Lebwohl!“ „Vergelt's Gott, Vater, ich will Euch's nie vergessen. In einem Vierteljahr schon bringe ich's mit Zinsen zurück. Der Laden geht sicher gut, und mein Mann, der Desiderius,sagt, er habe dann mehr Zeit für seine Flugexperimente;denn nun habe er wichtige Entdeckungen gemacht. Es hange bloß noch an einem kleinen Häklein, so fliege er ...“ „Mach fort, Maitli!“ lärmte der Alte. „Wäre der Schneider ein Schneider und nicht ein leerer Windhund und Phantaster, könntet ihr's auch recht haben, ohne Gremplerei und Maulaffenfeilhalten; aber treibt's, wie ihr's müßt. Gut Nacht! Gehst du nicht, so geh ich.“ Und damit stieg der Alte zornig und tiefbetrübt in die Elternkammer hinauf,während Portiunkula in die Küche hinaus schlüpfte, wo sie vor den Augen der erschrocken beiseite stehenden Magd den vollen Butterhafen aus dem Speisekasten hob. „Ich habe ihn erst gestern frisch füllen lassen“, wagte Bethli einzuwenden,„und die Butter ist jetzt so teuer.“ „Ja, das finde ich auch. Es wäre daher gut, wenn man im Schmiedhaus etwas sparsamer damit umginge“, sagte gereizten Tones Portiunkula und ging, den vollen Hafen sorglich unter die Schürze bergend, leise wie eine Katze auf Freiersfüßen,die Treppe hinunter.
Nun war es mit des Schmieds Feierabendherrlichkeit vorbei. Er blätterte wohl noch im Kalender und begoß seine Blumen; aber es geschah alles mit einer innern Unruhe und nicht mehr mit jener aller Welt wohltuenden Behaglichkeit, die aus zufriedenem Herzen kommt. Das Bargeld in seinem Geldkästlein ward immer spärlicher. Es ging für den täglichen Haushalt mehr hinaus, als aus der Schmiede hineinkam. Die Schmiede, in der sein Geselle
10*
Die Schmiedjungfer.mit einem zeitweisen Gehilfen allein wirkte, brachte immer
weniger ein. Zudem wurden die Rechnungen gar so langsam bezahlt. Die Leute, die
oft nicht rasch genug zu bedienen waren, ließen sich dann mit dem Bezahlen alle
Zeit.Der sonst so wohltätige Zuschuß aus dem Frauenvermögen,der immer eine
gewisse Flut in das ebbende Geldlädlein gebracht hatte und der jetzt sowieso nur
zur Hälfte ins Schmiedhaus kam, war mit des Schmieds geringen Ersparnissen zu
den zwängenden Töchtern gewandert. Und diesen fiel es nie ein, die Anleihen, die
sie beim Alten gemacht hatten, jemals zurückzubringen. Wohl ließ er sie heimlich
mehrmals durch Bethli mahnen. Aber die Magd kam immer mit leeren Händen von
diesen Botengängen zurück.Es mochte ein Vierteljahr vergangen sein, seitdem der
Schmied Kleinhans die Zwillinge seines Kätherli aus der Taufe gehoben hatte.
Trüber Gedanken voll, saß er eines Abends auf seinem Hausbänklein vor dem
Schmiedhaus.Das Pfeifchen war ihm ausgegangen, und leise brummte er immer wieder
in sich hinein. Es würgte ihn etwas,das er nicht schlucken konnte. Er hatte vor
einigen Tagen auf sein altes Haus eine Hypothek aufnehmen lassen müssen,nur
damit er die Warenlieferanten für die Schmiede und die aufgelaufenen Schulden in
Ordnung bringen konnte.Ihm wurde eben nicht so lange gewartet, wie man ihn mit
der Bezahlung warten ließ. „Ich werde den Schuldbrief wieder ablösen, ich werde
ihn wieder ablösen“, redete er vor sich hin. „Die Zinsen vom Frauenvermögen sind
bald fällig; dann kann ich's machen. Und lang''s nicht,so will ich selber
nochmals eine Zeitlang in die Schmiede stehen. Denn mehr darf ich meinem Haus
nicht aufladen;
149 es erträgt's nicht. Ich läge so bald im Kuhkot. Doch soweit kommt's gottlob nie; das Bethli muß bald kommen,dann läßt sich's machen. Darnach aber will ich besser zu meiner Sache schauen, sonst nüsseln mich die Schwiegersöhne noch ganz aus.“ Er hatte Bethli, die junge Magd, eben zum Gemeindeschreiber nach seiner seit einigen Tagen fälligen Zinshälfte vom Frauenvermögen ausgeschickt. Es war ihm sowieso unverständlich, daß ihm das Zinstreffnis vom Waisenamt nicht wie sonst, genau auf den Tag, ins Haus gebracht worden war. Doch hatte er nicht zu schnell mahnen mögen, da man sonst schon über seine mißlich werdenden Verhälinisse im Dorf herumredete. Nun mußte ja das ersehnte Geld alle Augenblicke eintreffen. Er wollte es morgen gleich zur Sparkasse nach Nidach tragen, sein altes Haus wieder zu entlasten. Bei diesem Gedanken erhellte sich sein Gesicht ein wenig. Er begann in der Westentasche nach einem Zündhölzchen herumzugrübeln, um sein ausgegangenes Pfeifchen in Brand zu stecken.
Da fuhr bescheidentlich und ohne hüst und hott und Peitschenknall ein Handwägelchen um die Ecke und hielt vor seiner Kellertüre an. Verwundert schaute der Alte auf das Gefährt und den Küferknecht, der dabei stand. „Was willst du?“ „He“, machte der Küfergeselle, „der geschmalzte Hobel der Schreiner Gagelmann, will ich sagen,schickt mich. Ich solle das Faß Burgunder wieder aus Euerem Keller holen, das er Euch seinerzeit habe zuführen lassen. Er sei gerade am Rotwein ausgekommen, und so müsse Euer Faß aushelfen. Ihr hättet es ja noch nicht einmal anstechen lassen, habe ihm seine Frau gesagt. UÜbrigens wolle er's wohlgefüllt wieder zurückschicken, sobald es leer sei.“ Der Alte lachte schrill auf. Und sein Pfeifchen an
Die Schmiedjungfer.der Hausmauer ausklopfend, rief er mit bebender Stimme:„Jokel,
Jokel!“ „Was gibt's, Meister?“ fragte sein Geselle, aus der Schmiede tretend.
„Hilf dem Küferknecht da das Faß, das im Keller neben dem Erdäpfelpferch liegt,
wieder aufladen. Der Gagelmann hat Durst.Es soll ihm wohl bekommen. Ich habe
keinen Tropfen daraus getrunken.“ Bald wurde das Faß unter Ach und Krach und
unter Fluchen und Donnerwettern aufs Handwägelein gewälzt. Der Schmied sah
gilstmirgleich zu und rührte keine Hand. Nur seine Lippen gingen beständig
lautlos auf und zu, und aufgeregt kaute er an seiner Zunge. Und als der
Küferknecht sich geheimnisvoll an ihn heranmachte, nachdem sich der Geselle
wieder in die Werkstätte verzogen hatte, herrschte er ihn an: „Was hast du denn
da heranzuschleichen, was fehlt dir noch?“ „Kleinhans, nichts für ungut“, machte
halblaut der Knecht; „aber die Frau Gagelmann, Euere Tochter, hat mir gesagt,
ich solle Euch von ihr schön grüßen lassen und ob Ihr nicht so gut wäret, ihren
Kindern das versprochene Patengeschenk von zwanzig Franken zu geben. Ihr hättet
es damals nach der Taufe vielleicht vergessen.“ Der Alte sah ihn erst
verständnislos an. Dann sagte er seufzend:„Jesus, Jesus, so eine Gans! Läßt sie
mich durch fremde Leute ans Patengeschenk erinnern. Ja“, machte er, zündrot
werdend, „'s ist wahr, ich vergaß es; denn ich habe ihr an jenem Tage sonst
schon ein schönes Sümmchen einbinden müssen. Sakerlot abeinander!“ knirschte er
auffahrend. „Wart einen Augenblick; ich will dir die zwei Dublonen mitgeben.“ Er
machte sich aus dem Vorgärtlein und polterte in die Stube hinauf. Doch als er
dort die Schublade wütend herausriß und mit hastiger Hand ins
31 geschweifte Geldlädlein fuhr, erbleichte er: kein Rappen war mehr im Kästlein. Wie niedergedonnert stand er lange davor. Dann schoß er ans offene Fenster und rief hinunter:„Fahr nur ab! Ich will der Frau Gagelmann das Patengeschenk gleich durch das Bethli zuschicken.“ Und damit schloß er das Fenster und warf sich müde und matt auf die Ofenbank. „Nicht ein roter Rappen Bargeld ist mehr im Hause. Wie ein Vogelnest haben sie mich ausgenommen,und“, er schlug zornig auf den Tafeltisch, „und das ist das Himmeltraurige: 's nützt doch alles nichts; sie hausen doch hinterwärts. Aber nun soll's anders kommen. Das Patengeschenk sollen Kätherlis Kinder noch haben, ich bin's ihnen schuldig; darnach ...“
Es kamen gedämpfte, schier schüchterne Schritte durchs Haus hinauf. „Das Bethli“, machte der Alte, „das war Hilfe in der Not. Es ist doch heillos geschämig und ein rostloser Zustand, keinen Rappen im Haus zu haben. Wie muß es da den armen Leuten das ganze Jahr, das ganze Leben hindurch zumute sein. Je länger ich die Welt und das Leben betrachte, desto eher kann ich's verstehen, daß ein armer Teufel etwa eine Faust im Sack macht, wenn er nach dem überladenen Tische so manches herzlosen Faulenzers schaut.“ Er trampte an die Türe und riß sie auf:„Flink, Bethli, flinß! Bring doch das Geld einmal! Denk dir, ich vergaß, beigott, Kätherlis Kindern den goldenen Taufbatzen zu geben.“
„Meister, guter Meister“, machte kleinlaut die junge Magd und sah den Alten scheu an, „müßt nicht böse werden; aber der Gemeindeschreiber hat mir das Geld nicht gegeben.“
Der Schmied schaute sie verwundert an. „Nicht gegeben?
2 4
Die Schmiedjungfer.Ja, warum denn nicht? Hat er denn nicht einmal dies Sümmchen beisammen; der Verfalltag ist doch schon seit ein paar Tagen vorüber.“
„Meister, er hat halt“, das Bethli schneuzte sich recht umständlich, „er sagt halt, wißt Ihr“, stotterte sie, „er meint halt ...“
„Herrschaftabeinander, red doch einmal! Bist doch sonst Schnabels genug.“
„Ach, wißt halt, Meister, er hat gesagt“, sie dämpfte ihre Stimme, daß sie schier unhörbar wurde, „er sagte,er könne Euch das Zßinstreffnis nicht mehr zustellen, da Euere Schwiegersöhne die Aushingabe des Frauenvermögens verlangt haben. So leid es dem Waisenamt täte, es lasse sich nichts dagegen machen. Das gesamte mütterliche Vermögen werde nächstens an die volljährigen Töchter und ihre Männer, als deren natürliche Vormünder, ausgefolgt werden. Ach Meister, ach Meister, nehmt's Euch doch nicht so sehr zu Herzen!“
Der Alte hatte sich, kreidebleich, erst an der Wand mit beiden Händen gehalten; dann ließ er sich ächzend auf eine Stabelle fallen.
„Vethli“, machte er dumpf, „Maitli, du hast dich überhört. Es kann nicht sein. So herzlos sind meine Kinder nicht. Der Gemeindeschreiber hat gewiß gesagt, sie möchten nun auch noch etwas von meiner Zinshälfte haben. Aber daß sie gleich das Vermögen herausverlangen, und das ganze dazu, meine einzige Hilfe für die alten Tage, das kann ewig nie sein. Geh nochmals hin, Kind! Du hast den Gemeindeschreiber nicht richtig verstanden.“
„Meister“, sagte tiefbetrübt das Bethli, „er hat gesagt,sie hätten das Recht
dazu; man könne leider nichts machen.“
353
„Das Recht dazu“, machte der Alte gesenkten Hauptes,„ja, ja, das haben sie. Gott behüte mich, daß ich das in Abrede stelle. Aber das Herz dazu, nein, Bethli, da sei nur ruhig, das haben sie nicht und niemals. Das tun meine Kinder mir altem Mann nicht an. Ich bin immer gut mit ihnen gewesen. Sie bekamen, was sie wollten, und konnten machen, was sie wollten, das weißt du. O Bethli,was denkst denn du! Niemals, Kind, niemals.“ Er lachte gezwungen auf und begann Zündhölzchen am Stein anzustreichen. Sie wollten nicht brennen; er paffte umsonst mit geistesabwesenden Augen immer am Pfeifchen.
Jetzt fing die Magd leise zu weinen an und hielt die Schürze vor die Augen.
„Was flennst du?!“ herrschte er sie an. „Ist ja alles dummes Zeug. Wie kannst du denn glauben, daß die eigenen Töchter einen berauben könnten.“
„Ach, Meister“, schluchzte sie, ,nun muß ich's doch einmal sagen; denn ich bin nicht besser als sie; ich habe auch falsch und hinterrücks an Euch gehandelt. Schon seit bald zwei Monaten bezog ich die Spezereiwaren aus dem Laden Euerer Tochter Portiunkula, ohne sie zu bezahlen. Ich hatte eben schon lange keinen Rappen Haushaltungsgeld mehr, und als ich von Euch welches wollte, schnarchtet Ihr mich ab: das ewige Geldhergeben verleide Euch, sagtet Ihr; es hange Euch immer alles am Sack. Da wagte ich nichts mehr zu sagen und nahm die Ware bei der Frau Pipenhenner, Euerer Tochter, immer auf Vorg. Ich dachte,wenn Ihr das Geld aus der Waisenlade habt, von dem Ihr immer zu Euch selber sprachet, so wolle ich dann schon reden und alles in Ordnung bringen. Aber nun haben wir rein nichts mehr im Hause. Ich weiß nicht, wie ich Euch
34
Die Schmiedjungfer.ein anständiges Nachtessen herrichten soll; habe Euch die letzte Zeit schon schmal genug gehalten. O, so eine Magd,so eine Magd!“
„Sei ruhig, Bethli; tu nicht so einfältig“, machte halblaut, verwirrt, der Alte. „Es ist ja alles nicht so, kommt alles gut heraus; 's ist jedenfalls nur ein Mißverständnis.Und nun lauf zur Portiunkula! Sie hat ja Zeugs genug im Laden und nimm ruhig weiter auf Vorg. Es wird alles bezahlt, alles bezahlt.“
„Meister, Meister, nehmt's nicht schwer auf“, schluchzte das Bethli; „ich bin auf dem Heimweg vom Gemeindeschreiber beim Spezereiladen Euerer Tochter vorbeigegangen und hab ein Pfund Nudeln und ein Stück dürren Speck verlangt. Da hat sie mir die Türe gewiesen und gesagt,wir hätten eine Schandwirtschaft; ich sei eine Heikelnäscherin und bringe Euch zu armen Tagen. Ich solle sie einmal zahlen; sie bekäme auch nichts umsonst und gebe nun auch nichts mehr umsonst. Aber“, sie tat einen erschrockenen Blick auf den Schmied, „aber nein, Meister, laßt Euch nicht so aufbringen. Verzeiht mir, der Tausendgottswillen,daß ich Euch einen Augenblick so plagen konnte; doch“,machte sie, die Tränen rasch aus den Augen wischend, „es hat mich so beelendet, daß es Euch so hart geht. Meister,Meister, bleibt hier!“ schrie sie. „Ihr müßt zu Nacht essen!“
Der Schmied war mit einemmale aufgefahren. Er verschüttelte ein paarmal seinen mächtigen, schier kahlen Schädel und fuhr dann, bebend vor Wut, zur Stube hinaus.
„Meister, Meister!“ schrie ihm die junge Magd nach,„bleibt doch, der Tausendgottswillen!“
Aber der Alte polterte die Stiege hinunter, fuhr zum
156*
Haus hinaus und stampfte nun mit langen Schritten, den grauen Bart immerfort streichend, durchs Dorf hinauf.
II.Als der Schmied Peter Kleinhans hinter der Kirche in eine ziemlich enge Gasse einbog, blieb er mit einemmal stehen und schaute schier neugierig an ein altes, geweißeltes Häuschen hinauf, aus dessen doppelgiebeligem wunderlichen Dache ihn zwei halbrunde Scheiblein mit hellen Augen anstarrten. Mit zitternden Lippen las er die Aufschrift über der kleinen Ladenauslage im Erdgeschoß, die eine pyramidenförmige Beige Seifenstücke, einen Schokoladenengel, einen Zuckerstock und, auf einem unmöglichen GeE rosafarbenen Papierfensterchen zeigte. „Spezereihandlung von Desiderius PipenhennerKleinhans das sieht ja großartig aus“, brummte der Alte, der seine Tochter nie mehr besucht hatt, seit sie die Gremplerei angefangen. Jetzt schien ihm etwas durch den Kopf zu gehen. Er zog die dunklen, überhängenden Augenbrauen zusammen, machte eine Faust im Sack und trampte mit schweren Schritten über das ausgetretene Pflaster auf den Laden zu.
Glingglinggling! schrillte es durchs Haus, als er die Ladentüre auftat. Aber der Schneider Desiderius Pipenhenner, der sich allein im Laden befand, ließ sich nicht stören; sah sich nicht einmal um, als er die Türglocke schallen hörte. Er stand am Ladentisch, den Rücken der Auslage zugekehrt und schüttete eben aus einem großen Topf, der neben der Ladenwage auf dem Tische stand, ein braunes Pulver in eine der blinkenden messingenen Wagschalen.
Die Schmiedjungfer.„Wo ist die Portiunkula? Sie muß auch her!“ machte dumpfen Tones der Alte.
Jetzt wandte sich der Schneider ein wenig. „Was“, lärmte er, „du bist's! Sieht man dich endlich auch einmal im Laden. Grad recht kommst. Ich bin eben an einem neuen Experiment. O, wenn ich das herausbringe! Komm mal her, komm mal her!“ Er schoß auf den Schmied los, packte ihn am Armel und krähte: „Grad recht, wie gerufen kommst.Nun sollst du mit eigenen Augen sehen, wie ich dem Flugproblem auf die Spur gehe. Ich studiere nämlich soeben die Schnellkraft der Vogelschwinge. Habe ich das heraus, bin ich nicht mehr weit vom Fliegen und werde den Deutschen,die auch daran herumstudieren, meine Ideen für ein schweres Geld verkaufen. Freilich“, setzte er wichtig bei, „sollte ich für diese Experimente einen lebendigen Vogel haben. Das müßte mich ganz anders vorwärts bringen; aber bisher konnte ich keinen bekommen.“
„Laß mich in Ruh!“ schnörrzte ihn der Alte ab; „ich habe andere Dinge mit euch zu bereden.“
Der Schneider hatte ihn jedoch schon an den Ladentisch gezerrt. Mit einem
heftigen Ruck wollte sich der Alte befreien; da blieb sein Auge auf einer
sonderbaren, neben der Wage liegenden Karte haften, die ein tolles Durcheinander
von Rot- und Blaustiftstrichen zeigte. Und darüber stand geschrieben: „Die
Eroberung des heiligen Grabes auf dem Luftwege, von Desiderius Pipenhenner. Gott
will es!“ Und mit fast noch größerer Verwunderung schaute nun der Schmied auf
die Wage, in deren einer Schale ein braunes Pulver lag und an deren anderer
Schale mit Geigensaiten eine seltsame Hochspannung eingerichtet war. „So schau
doch, schau doch her!“ krähte der Schneider den unruhigen
157 Schmied an, „nun sollst du an diesem Experiment sehen und erkennen, wie's die Vögel fertig kriegen, sich in die Luft zu schnellen. Paß auf, paß auf!“ Der Alte senkte,aun doch fast neugierig, den Kopf bis auf die blinkende Wage hinunter. Da tippte der Schneider an der Geigensaitenhochspannung; die freischwebende Schale schnellte auf und warf dem ahnungslosen Schmied eine volle Ladung Schnupftabak in die Nase, worauf er fürchterlich zu niesen anfing. Jetzt brach der Schneider in ein wieherndes Gelächter aus. „Jesus“, rief er, mit Hand und Fuß fuchtelnd,„jetzt hab ich Schnupftabak erwischt statt gemahlenes Kaffeepulver, als ich die Schale füllte. Nichts für ungut, Vater!“ „Hatschi!“ nieste der Alte. „Helf dir Gott, Vater!“ „Hatschi!“ „Gesundheit, Vater!“ Aber jetzt erholte sich der Schmied und lärmte: „Du Luftnarr, du Phantaster, du Taugenichts! Statt daß du mich zu Worte kommen lassest,vexierst du mich mit deinen verfluchten Narrheiten. Ist's noch nicht genug, daß dich das ganze Dorf für einen Halbnarren hält; willst du's denn wahrhaftig ganz werden? Glaubst du dem wirklich im Ernst, daß du jemals auch nur wie ein Laubfrosch zu fliegen vermögest?“
„Was“, zischte tödlich beleidigt der Schneider, ‚du kommst mir so, du, der leibeigene Schwiegervater?! Da will ich dir nur sagen, Peter Kleinhans, daß ihr eben ein ungebildetes Volk seid, ein Hochstaldener wie der andere, und daß ihr euch ewig nie zu meiner Höhe aufzuschwingen vermögt. Ich sage dir aber, ich werde die Luft. das Universum werde ich erobern.“
„Und da meinst du wohl, du Luftnarr“, herrschte ihn der Schmied an, „wir sollten daraufhin auch schon, wie die Engel, ohne Hosen herumlaufen und lassest mich seit
Die Schmiedjungfer.einem Vierteljahr auf meine Sonntagshosen warten, du Tagdieb!“
„Peter Kleinhans“, machte mit unsäglich verachtungsvoller Gebärde der Schneider, „du verdienst es ewig nie,einen Erfinder zum Schwiegersohn zu haben; denn du bist ein Ignorant.“
„Was bin ich?!“ fuhr der Alte herum. „Was sagst du mir, du Windhund! Wart, ich will dir!“
Wütend packte er mit beiden Händen den vollen Schnupftabaktopf, um ihn dem Schneider über den Kopf zu stülpen. Aber der zog es vor, sich schleunigst davon zu machen. Jetzt kam's dem Schmied wahrhaftig vor, der Schneider könne fliegen; denn, mit den Armen wild um sich fuchtelnd, wischte er blitzgeschwind zum Laden hinaus,in das gewölbte, fensterlose Vorratskämmerlein. Eben warf er die Türe dieser Kammer hinter sich zu, ins Haus hinauf flüchtend, als der Schnupftabaktopf dagegen donnerte und die Scherben in alle Winkel flogen.
Bebend vor Wut hockte sich der Alte in der Vorratskammer auf einen mit Mais
gefüllten Sack. „So ein Windhund, so ein Windhund“, knurrte er immer wieder in
den Bart, „so ein Phantaster. Aber“, machte er ingrimmig,„mit der andern will
ich auch noch ein Wörtlein reden; sie wird etwa in die Kirche gelaufen sein. Es
bedünkt mich zwar, sie habe zu Hause Kirche genug. Wie sieht's denn ums
Himmelswillen hier aus?“ Er schaute sich, etwas ruhiger werdend, in der Kammer
um. Von der gewölbten Decke hing eine rote Ampel, die wie ein ewiges Licht durch
die Kammer dämmerte und die uneingerahmten Heiligenbilder beschien, die ob den
verschiedenen Gries-, Zwetschgen,Kirschen und Maissäcken und ob Kisten und
Warenbeigen
159 an den Wänden herumhingen. Aber unter der roten Ampel,neben dem Salzfaß, befand sich ein Betschemel und davor an der Wand ein kleiner Altar mit zierlichen Holzsäulchen und schönem Aufbau, den der Schwager Schreiner der Portiunkula nach der Hochzeit in einjähriger, mühseliger und hundertmal liegengelassener Arbeit hatte herstellen müssen. Doch hatte sie das niedliche, kunstgerechte Bauwerklein verständnislos mit einer geblümten Tapete überziehen lassen und diese dann mit einem bunten Kleinkram von Devotionalien überstellt. Das Hauptstück war die wächserne Weihnachten, die Geburt Christi darstellend, die I Stube in ihre heilige Halle geflüchtet hatte. Ihre ganz besondere Andacht und Inbrunst jedoch galt einem rohgearbeiteten, pfeilgespickten St. Sebastian, der zuoberst auf dem Altare stand. Um seinen Hals hing sie allabendlich vor Zubettegehen ihre zahlreichen Amulette, die sonst tagsüber teils ihren Busen, teils das zärtliche Herz ihres Gatten bedeckten. Nahe beim Altar, in einer stets offenen Schublade, die mit Amelung überschrieben war, lagen in stattlicher Beige ihre sämtlichen Gebetbücher. Über dieser Schublade hing ein altes gutes Glasgemälde mit dem Wappenschild der Kleinhanse, das sie ebenfalls beizeiten aus der Elternkammer des Schmiedhauses in ihre Warenkapelle zu retten wußte. Und dieser Glasscheibe gegenüber hing eine runde Tafel mit einer Inschrift, um die ein buntes Kränzlein von Blumen ging, die im Garten des Paradieses geblüht haben mochten; denn auf Erden würden sie die Botaniker umsonst gesucht haben. Die Inschrift aber hieß: Der Herr ist meine Zuversicht! Wenn man aber die Tafel umwandte, so zeigte sich ein sehr reinlich gehaltenes treffliches Spiegelglas. Um
*Die Schmiedjungfer.diesen verkehrten Spiegel hingen allerlei geweihte Reiser,und darunter aber in einer leeren Konservenbüchse, befand sich ein kleiner buschiger Pinsel, und auf einem ziemlich schmierigen Putzlappen ein Töpflein mit einem rötlichen Pulver, woraus Portiunkula nach der Frühmesse ihre hochroten Wangen hervorzuzaubern pflegte.
Mißfälligen Blickes musterte der Schmied diese außergewöhnliche Vorratskammer, und unwirsch und unablässig die Zunge kauend, brummte er vor sich hin: „Weiß der Herrgott, wo die Tasche diese Götzendienerei her hat. Ich hab ihr doch wahrhaftig hiefür kein Beispiel gegeben. Es ist schon nicht das Wahre, wenn sie ihre Frömmigkeit mit all diesem Kleinkram aufmutzen muß. Halt alles auf der Zunge, nichts im Herzen. Die Heiligen und ihre Bilder in Ehren; aber es muß ein rechter Sinn und Geist dabei sein. Ich hab ja auch einen Christus ob dem Bett, und 's ist mir ein Trost. Und wenn ich sein Bild in irgend einem Heiligenstöcklein am Weidweg sehe, so freut's mich,und gerne ziehe ich den Hut ab; denn ich grüße den Gottessohn, der für uns gestorben ist. Man täte es jedem Menschen auch, der so für die Menschheit einen martervollen Tod gelitten hat. Aber dieser Krimskrams da in der Warenkammer ; nun“, machte er ruhiger, „'s ist am End doch fromme Spielerei; lassen wir's der Einfalt.“
Jetzt schrillte die Ladenschelle durchs Haus. Portiunkula war im Anzug. Der
entsetzte und aufgebrachte Schneider hatte ihr durch das Stubenfenster bereits
zu wissen getan,daß ihr Vater in den Katakomben, wie er die Vorratskammer
nannte, sie erwarte. Er wisse nicht, was er habe,aber sie solle ihre Zunge
hüten; denn er sei fuchsteufelswild. Jedoch Frau Portiunkula Pipenhenner hatte
nur
161 ihre lange Nase gerümpft und stand nun schon im Eingang der Dunkelkammer, im Weihbrunn neben der Türe, von dessen vergoldetem Porzellan ein verlorener Sonnenstrahl leuchtete, das Weihwasser nehmend. „Trost den armen Seelen im Fegfeuer!“ machte sie halblaut, das Wasser über den Boden spritzend. Und laut: „Vater, wo steckt Ihr denn?“ Jetzt ersah sie ihn auf einem vollen Sack sitzend und den grauen Bart streichend. „Was schaut Ihr mich dem so an?“
„Wohl“, machte er dumpf, „ich muß dich einmal richtig ansehen, hab es eigentlich nie so recht getan, damit ich dich gleich erkenne, wenn ich armer sündiger Mensch einmal im Himmel auf dem untersten Bänklein kauere und zu den Heiligen emporschaue; wirst ja wohl zuvorderst unter ihnen sitzen.“„Vater“, sagte Portiunkula mit strengem Gesicht und stechender Nasenspitze, „schämt Euch, so zu reden, in einem Alter, wo man nur mehr Gott vor Augen haben sollte.Aber freilich, seit ich aus dem Schmiedhaus bin, ist der rechte Geist daraus gewichen. Dieses stülpnäsige Bauernmensch, das Bethli, lacht den heiligen Ernst, der jedem christlichen Hause so wohl ansteht, aus allen Winkeln heraus.Sie lacht sich und weiß Gott, vielleicht noch andere schwache Menschenseelen, um die ewige Seligkeit. Ihr solltet sie fortschicken. Sie ist ohnedas zu jung. Ihr solltet eine ältere,rechtschaffene Person zu Euch nehmen, statt dieses lebendigen Argernisses.“
„Ja“, machte schweratmend der Alte, „der Geist ist aus dem Schmiedhaus gewichen; aber nicht der gute, sondern der böse, du heillose Zange, du undankbares Geschöpf!“lärmte er jetzt. „Wie kannst du mir nur das antun und
11 Lienert, Bergdorfgeschichten.
Die Schmiedjungfer.die Aushingabe des mütterlichen Vermögens verlangen und gleich das ganze? Wollt ihr mich alten Mann arm machen,bettelarm, jetzt, wo ich mich nicht mehr recht wehren kann?Hab ich euch Fratzen nicht alles angehängt, was ich auf- und abzubringen vermochte mit harter Arbeit? Wüßte nicht jede Schwille an meiner Hand davon zu erzählen, wie ich mich für euch verwöhnte, heikelnäschige Geschöpfe abgeplagt habe.Doch tat ich's gern und würde mich tausendmal schämen,an euch ums Muttersächlein zu gelangen, wenn ihr mir Zeit gelassen hättet, auch einen Batzen für meine alten Tage zurückzulegen. Aber ihr ließet alles draufgehen, und ich ließ euch wirtschaften; denn nie fiel mir's ein, daß ich vielleicht einmal nicht mehr am Amboß sollte stehen können.Jetzt, seit das Bethli allein haushaltet, sehe ich, was sich alles hätte machen und vorsorgen lassen, wäre anders gehaust worden und wäre ich nicht ein Narr an euch gewesen.'s ist traurig, wenn ein Vater an seine Kinder gelangen muß.Aber ich kann jetzt nicht anders, und ihr verspracht mir's heilig, mir die Hälfte des Zinses vom Muttervermögen zu lassen. Nun wollt ihr mir mit einem Schlage alles nehmen.“
„Vater“, sagte Portiunkula scharf, „macht doch nicht so ein Wesen von der Sache.
Ich, und der Schreiner Gagelmann nicht minder, haben das bißchen Kapital eben
notwendig. Es geht Gagelmanns mit der Wirtschaft nicht,wie sie meinten. Sie
kommt neben dem alten Rößli nicht auf. Und ich habe eine böse Konkurrenz an dem
plötzlich aufgetauchten Konsumverein bekommen, der Prozente gibt und dem nun
meine Kunden immer mehr zuzulaufen anfangen. Nun will ich das Geschäft
vergrößern und die andere Hälfte des Erdgeschosses, wo bisher mein Mann
schneiderte, auch noch dazu nehmen. Ein solcher Laden
163 wird mir dann die ganz gute Kundschaft bringen, die bisher vom nahen Städtlein Nidach herauf die meisten Waren bezogen hat. Das kostet aber Geld. Zudem verdient der Desiderius mit dem Schneidern blutwenig. Die gutzahlenden Leute sind immer zu den Nidacher Schneidern gelaufen.Auch hat er jetzt wenig Zeit; denn sein Flugproblehem läßt ihn kaum schlafen. Er meint halt doch, er müsse es noch herausbringen, und dann würden wir mit einem Schlage reiche, hochangesehene Leute.“
„Der Halbnarr, der Phantaster!“ lärmte der Alte.
„Tut doch nicht so unvernünftig“, verwies Portiunkula.„Der Desiderius ist ein frommer und gelehrter Mann. Er hat's im Kopf und nicht nur in den Händen. Und was das mütterliche Erbe anbelangt, so laßt uns nur machen.Wir wollen Euch dann, sobald es uns etwas besser geht,schon helfen; da seid nur ruhig. Und das“, setzte sie spitzig hinzu, „muß ich Euch doch auch sagen: Etwas besser hättet Ihr die Sache auch beisammen halten können; denn am meisten brachte Euch doch die Bürgschaft zurück, die Ihr beim verkrachten Nachbar Hutmacher beleben mußtet. Da braucht Ihr jetzt nicht so über die Töchter loszuziehen.Wir meinten eben, wir dürften es haben wie Kinder und nicht wie Mägde. Und Ihr sagtet ja nie, daß es nicht soviel erleiden möge. Ihr ließet uns immer machen, was wir wollten. Und nun tut Ihr Euch auch gar zu sehr ans Muttersächlein hängen und führt eine Komödie auf, als wollten wir Euch verhungern lassen. Das steht Euch doch gewiß am wenigsten an, Vater, wo Ihr mir doch schon seit Monaten das Geld für alle Bezüge aus dem Laden schuldig geblieben seid. Schafft nur einmal dieses Mensch fort, dieses Bethli, das Euch in der Schürze alles verträgt.“
11*
Die Schmiedjungfer.„Maitli, Maitli!“ lärmte der Alte auffahrend. „Ich habe dich abgehört wie ein guter, übergeduldiger Vater,und du hast mir harte, böse Dinge gesagt. Aber du hast ein böses Maul, und aus einem bösen Maul kann nichts Gutes kommen. Du magst auch in Nöten sein; auch hierin will ich dich nicht richten. Jedoch das arme Kind, das Bethli, laß mir in Ruh, du Gelle! Es war euer Stiefelknecht und euer Schuhputzlappen allezeit. Und nie hat's dir das böse Maul zurückgegeben. Und du hast am wenigsten Grund, es zu verschimpfen; denn hat das Bethli dir nicht schier alltäglich die Backen anröteln müssen? Aber so dankst du ihm, und so dankst du mir, du übelgeratenes Kind! Und nun habe ich übergenug. Rück aus, ich frage dich zum letzten Male: Wollt ihr wirklich das Muttersächlein vom Waisenamt herausverlangen? Red, jetzt red!“
Er packte seine Tochter am Arm.
„Ja, ja, ja“, sagte diese brandrot im Gesicht, „wir wollen es herausverlangen. Wenn Ihr mir so kommt und zieht nun gar diese aufgelesene Magd höchst seltsamerweise den eigenen Töchtern vor, so müssen wir erst recht keine Rücksichten nehmen und für uns sorgen; sonst hängt Ihr's der zuletzt noch an. Ja, Vater, wir verlangen unser Muttervermögen. Es gehört uns vor Gott und der Welt; wir wollen nichts als unser heiligstes Recht.“
„O, o“, stöhnte der Alte. Dann brüllte er auf: „Der Teufel soll dich holen, du
Heuchlerin, du Scheinheilige!Wie hast du immer ein Getue gehabt und einen
Abscheu wegen der Sündhaftigkeit dieser oder jener büßenden Maria Magdalena.
Aber ich sage dir, Maitli, neben dir ist jede gefallene Magdalena eine
schneetaubenweiße Blume; denn du, du bist nur ein verschneuztes Nastuch. Verputz
das
165
Muttersächlein; täschle mich ganz aus; vierteile mich; aber nem mich nicht mehr Vater; denn ich bin es nicht und kann es nie gewesen sein.“
Wie das heilige Donnerwetter fuhr er zur Katakombe heraus, warf im Laden die Wage um und schlug die Türe zu, daß oben in der Stube der Schneider, wie von einer Feder geschnellt, aufsprang.
Portiunkula aber schlug erst die Hände zusammen und rief aus: „Du meine heilige Zuversicht, du heilige Zuversicht!“ Dann aber wurde ihr Mund wieder spitz und ihre Nase noch spitzer. Sie zündete zwei gelbe Wachskerzlein unter ihrem pfeilgespickten St. Sebastian an, langte ins Weihwasserkesselchen und spritzte angelegentlich ein paarmal über den Sack, worauf ihr Vater gesessen. Dann stieg sie, ziemlich gelassen, zu ihrem nach ihr krähenden Schneider hinauf.
Die Hochstaldener Weibsleute schauten dem zündroten Meister Kleinhans, hinter ihren Vorhängen hervor, verwundert nach, als er wie ein gereizter Stier ein paarmal dorfauf, dorfab stampfte. Aber mit einem Male ging er mit gewaltigen Schritten auf ein hübsches, geschindeltes Hãuschen zu, dessen Vorderseite eine grellgelbe Bemalung zeigte. Nur einen einzigen zornigen Blick tat er an den Schild hinauf, der ob dem Eingang baumelte und der einen roten Eimer in einem Kranz grasgrüner Weinreben sehen ließ. Als wollte er sich vergewissern, daß er am rechten Orie sei, besichtigte er auch noch flüchtig die Türe, auf der zu lesen war: Speisewirtschaft zum vollen Weineimer von K. J. Gagelmann. Dann schritt er brummend über die Schwelle und stieg die schmale Treppe hinauf.
Im Flur blieb er einen Augenblick mit drãuenden Augen
Mit heiserm, wütendem Gebelfer stürzte sich Pips, des Schreiners vielrassiges Hündlein, auf ihn los. Und in ein lautes, breites Lachen ausbrechend, rief seine Tochter, das Kätherli, die mitten in der Stube in einer Waschbute eben ihre Zwillinge badete, aus: „Schaut da zu; jetzt kommi doch der Vater einmal! Da muß ich schnell einen Gugelhopf beim Bäcker holen lassen.“
Der dicke Schreiner Gagelmann aber hockte, das Haupt mit Hobelspänen bekränzt, am
runden Wirtstisch, auf dem eine halbgeleerte Flasche Apfelmost stand, und sagte
schmunzelnd,mit etwas unsicherer, grunzender Stimme: „Willkommen bei uns, Vater
Jakob, Sohn des Isaak! Treibt dich der Durst endlich auch an die rechte Queile.“
Jedoch sein Versuch, sich zu erheben und dem Schmied entgegenzugehen,mißlang
kläglich; er plumste auf den Stuhl zurück. „Jetzt ist's recht, daß du kommst,
Alter“, machte er lachend;„kannst nun gerade sehen, welch ein friedliches Leben
wir zusammen führen. Alles wie von den Tauben zusammengetragen. Und dabei gehen
wir alle auf, wie aus der heißen Butter gelöffelte Kirchweihplätzchen. Aber“,
grunzte er, mit trunkenen Auglein nach dem Schmied sehend, der völlig
fassungslos in der Türe stand, „aber wie schaust du denn drein? Was für ein
schief Gesicht, Mond, machst denn du? Tritt ein, alter Patriarch; du kommst
gerade recht, nun mit eigenen Augen zu sehen, was für einen klugen Hund ich
habe, ein wahres Wunder von einem Hund. Ich werde mit ihm nächstens auf die
Jahrmärkte fahren und eine Kirchweihbude auftun. Pips“, rief er dem
157 noch immer belfernden Hündchen zu, „Pips, du hundertfältiges Rassentier, komm einmal her und zeig, was du kannst!“ Er griff eine schadhafte, auf dem Boden stehende Kaffeetasse auf und füllte sie mit Apfelmost an. „Schwiegervater“, machte er, „ich muß dich mit Most bewirten, bis das Faß Burgunder wieder eingekellert ist. Vorher aber sollst du einmal sehen, was für ein gescheites Hunderl ich mir gezogen habe. Allez, hopp, Pips, hieher!“ Er stellte sich die mit Most ausgeebnete Tasse zu Füßen, und nun schlich sich Pips mit eingezogenem Schwanz, die Ohren unwillig schüttelnd, vors Gefäß heran und begann mit sichtlichem Unbehagen den Most auszulappen. „Siehst du nun,Schwiegervater, du alter Zionswächter, die Welt bleibt nicht stille stehen, obwohl du Kirchenvogt bist. Alles ist für den Fortschritt; denn bis jetzt ist es noch nie erhört worden, daß ein Hund urchigen Apfelmost gesoffen hätte.Es soll mir jetzt nochmals einer kommen und behaupten,mein Pips sei ein unvernünftiges Geschöpf, da er doch gescheiter ist als mein Schwäher, der Schneider, der nur Wasser trinken kann.“ Er und seine eheliche Riesendame brachen in ein polterndes Gelächter aus.
Mit gefalteten Händen und hängendem Haupte stand der Schmied immer noch in der
Türe, hörte nicht, was der betrunkene Schreiner redete, schaute nur immerfort
auf seine wohlaufgelegte Tochter, auf die kreuzfidel in der Waschbute
strampelnden Zwillingskinder und auf das Geschwemme am Boden. „Jesus, Jesus“,
machte er alleweil halblaut,„welch eine Wirtschaft, welch eine Wirtschaft!“
Jetzt aber brach er los und lärmte: „Um Gottes und aller Heiligen willen, was
für eine Lotterwirtschaft! Da begreife ich, daß es abwärts geht und daß ihr Geld
braucht. Und nun soll
„Vater“, machte der Schreiner, indem er einen zerlutschten Zigarrenstummel anzuzünden versuchte, „es wird doch hier nicht die Zerstörung von Jerusalem gespielt, daß du so ein Geschrei machen müßtest. Wir sind noch lange nicht Jeremias am letzten. Steig nur in meine Werkstatt hinunter und du kannst dich wälzen in den Hobelspänen. Eine wahre Juhubiläumsausstellung findest du dort beisammen;denn morgen sind es zwanzig Jahre, seit ich den Hobel zum erstenmal geschwungen habe.“
„O du Faulsack!“ schimpfte der Alte. „Ich wette, daß in der Werkstatt noch zwanzigjährige Hobelspäne liegen.Du bist eben ein, ja“, lärmte er keuchend, „weißt du, was du bist? Du bist der richtige Lump!“
Der Schreiner tat ein kurzes Auflachen, nahm einen Schluck Most und sagte: „Es
ist doch schön, wenn man den Bußprediger gleich im Hause hat; da braucht man
nicht in die Kirche zu laufen. Großvater Kleinhans, es freut mich, daß aus dir
so ein Mustermensch herausgewachsen ist. Vielleicht hätte man dir, als du in der
ersten Hose die Zunge saitengrad gegen die Leute herausstrecktest, den künftigen
Kirchenvogt auch noch nicht angesehen. Aber nun bist du's. Du bist ein Vorbild
oder Exempel, das man
169 in Sandstein aushauen und an jeder Straßenecke aufstellen sollte. Und ich bin ein Lump, den man von Rechts wegen zur Abschreckung in die Schulstuben hinter Glas und Rahmen hängen müßte. Siehst, Schmied, kein Bäumchen weiß, wie es sich noch auswächst. Ich aber sage dir, 's wird halt jeder, wie er aus dem Storchenschnabel kommt. Und wenn ihn die Welt ausrollt wie einen Brotteig und wenn sie ihn in rote Watte wickelt wie ein Paar neue Ohrenringe,er wird doch wie er muß. Ist einer ein Weibernarr, so kannst du ihm ein Scheuleder umbinden, er wird doch immer wieder nach einem Weiberröcklein schielen. Der Mensch bleibt halt ein Mensch, mein Lieber, selbst wenn er eine Reiherfeder auf den Hut steckt. Und wenn er heut auf einem Thron sitzt, einmal ist er doch auch auf dem Nachthäfelein gekauert, und seine Kinder werden sich auch nicht auf Blumenvasen setzen. Was kann ich denn dafür, daß ich so einer bin? Denk mal, alter Großvater, wie viele hundert Vorväter und Vormütter ich schon gehabt habe.Eine ganze Landsgemeinde voll verschiedener Köpfe steckt in einem jeden von uns. Und jeder will etwa einmal das Wort haben; der Lauteste voraus. Bei mir hat's drum meistenteils ein verflossener Dursthans.“
„Ein Saufaus!“
„Schau den Pips an, Kleinhans“, fuhr der Schreiner fort, sein Hündlein auf den Schoß nehmend und streichelnd;„er hat mehr als hundert Rassen in sich. Was kann nun das arme Tier dafür, daß sich die Rassen in ihm alleweil sttreiten? Daß er bald den kläffenden Jagdhund, bald den lustigen Fox, bald den gesträubten Spitz spielen muß? Wie kann da einer von meinem hundertfäältigen Pips verlangen,daß er allzeit ein braver Pudel sein soll? Wie willst du
Die Schmiedjungfer.denn verlangen, daß in allen Leuten immer gerade der gute Fridolin Trumpf sei? Mein lieber Großvater und vorsündflutlicher Patriarch, dir fehlt die Wissenschaft; du bist zu wenig weit herumgekommen auf der Walz. Wärst du wie ich in Paris, Berlin und Ritzepitzel gewesen, du ...“
„Gagelmann“, machte der Alte finster und verächtlich,„das merkt man leider, daß du weit herum gekommen bist;denn nun ruhst du von deiner Wanderschaft schon zwanzig Jahre aus. Aber dem frage ich nichts darnach. Viel Gutes hast nicht mit dir heimgebracht. Ich bin nur ein einfältiger Handwerksmann nach alter Manier und verstehe nichts von alledem, was du gefabelt hast; dem mit dem Maul warst du nie faul. Ich weiß nur, daß die Arbeit die Welt erhält und daß jeder ein Pfündchen erhalten hat, das er bei gutem Willen zu seinem und seiner Mitmenschen Heil anwenden kann. Ich weiß nur, daß oft hochgezogene Winden keine Keffen tragen oder taube und daß die Erdäpfel auch im schwärzesten Boden gesund und prächtig geraten können.Und ich weiß nur“, lärmte der Schmied mit wachsendem Zorn, „daß man fest zugreifen und sich wehren muß, wenn man durchkommen und ...“
„Vater“, redete jetzt das Kätherli dazwischen, ihre Kindlein abreibend, „seid
doch nicht so böse mit uns. Wir sind ja nicht schuld, daß es nicht besser geht.
Die Gäste, die anfangs zahlreich kamen, blieben uns meistens die Zeche schuldig
und bemogelten meinen Mann, wenn er mit ihnen jaßte. Und die bessern Leute
gingen immer wieder ins „‚Rößlis. Zudem kostete die Wirtschaftseinrichtung mehr
als wir dachten, da mein Mann nicht dazu kam, selber viel am Inventar
mitzuschaffen. Es blieb da noch ein ziemlicher Posten auf uns sitzen. Und nun
haben uns die
171
Weinhändler zuletzt nicht einmal mehr Wein liefern wollen,da wir mit den Zahlungen etwas im Rückstand waren.Ich hatte eben die Rechnungen verlegt und dann vergessen.Wir haben bloß noch ein Fäßchen Most im Keller. Meiner Schwester, der Portiunkula, bin ich auch noch die Spezereien schuldig.“
„Und da wollt ihr nun das gewiß einst sauer verdiente und von mir sorglich gehütete Muttersächlein dem andern schönen Geld nachwerfen.“
„O Vater, schaut mich doch nicht so an! Es fürchtet einem wahrhaftig. Wir wollen gewiß dazu schauen und wollen Euch die Zinse wieder zukommen lassen, sobald wir etwas aus der Kröte heraus mögen. Wißt, Vater, mein Mann baut ein großes Gartenhaus neben die Wirtschaft.Und haben wir einmal die Gartenwirtschaft, laufen Sonntags die Ausflügler von Nidach und aus der Stadt am See nicht mehr ins ‚Rößli“ wie bisher. Wir werden es noch gut bekommen, wenn wir uns etwas herauszumachen vermöchten. Jetzt will nur alles Geld von uns haben.“
„Kleinhans, Großvater“, rief lallend der Schreiner, „zieh doch zu uns und verkauf deine rußige Vorhölle. Haben wir dein bißchen Frauenvermögen, wollen wir schon obenhinausschwingen. Und ist's auch nicht viel, wir wollen es mit Verstand anwenden. Du sollst dich bei uns nicht langweilen. Sollst allabendlich fröhlicher ins Bett als Noah in der Sauserzeit. Dann bauen wir zusammen das Gartenhaus und machen den Kaffeejaß hemdärmlig im Freien.Ein Herrenleben wollen wir führen. Die Gitarre will ich dir spielen, du alter, unleidlicher König Saul, wie David,der Hirtenknabe, und Pips, der Pips soll noch Schnaps saufen lernen. O“, rief er aus, „wenn ich nur die eiskalte
Die Schmiedjungfer.Quelle im Staldenertobel mitten in die Stadt Paris leiten könnte, ich wäre ein gemachter Mann und wollte darnach alle Tage äußerlich und innerlich ein Morgenbad in altem Hallauer nehmen. Juhuu!“
Er konnte nicht mehr reden. Der alte Schmied hatte sich von ihm weggewandt und hatte seine nackten Zwillingsgroßkinder auf die Arme genommen. Sie tasteten ihm sogleich mit ihren wülstigen Patschhändchen im grauen Bart herum.
„O ihr armen Tröpfchen“, machte er mit tiefer, wehmütiger Stimme, „wie hat's euch doch ins Unglück hereingeschneit! Wäret ihr in einem Geschirrwagen, bei einem Korber in irgend einem Busch zur Welt gekommen, es hätte euch nicht böser geraten können.“
Mit umdüsterten Augen betrachtete er seine Enkel, die ihn tapfer im Bart zupften.
„Gelt nur, Vater“, sagte wieder völlig heitern Antlitzes seine Riesentochter, „es sind herzige Kinder. Sie gleichen ganz mir. Ich sei auch so ein schönes Kind gewesen, sagte die Hebamme.“
„Ach, sei doch still, du Einfalt“, machte trübselig der Alte;„das walte Gott, daß
sie dir nicht zu gleichen kommen.“Und wieder beaugenscheinigte er lange seine
muntern, vor Vergnügen quiekenden und girrenden Großkinder. Endlich sagte er
wehmütig: „Ich kann euch nichts geben, ihr lieben Kindlein; nicht einmal den
Patenschilling, den ich euch schon so lange schuldig bin. Aber etwas sollt ihr
doch haben“,lärmte er plötzlich heraus, riß die goldene abgeschliffene Uhr aus
der Westentasche und ließ sie an der schweren Silberkette vor den Augen der
entzückten Kinder hin und herbaumeln. „Ihr sollt die Uhr haben; ich habe sie
lange
173 genug getragen und weiß jetzt auch ohne sie“, machte er bitter, „was es an der Zeit ist.“
Er setzte die Zwillinge auf den Boden, legte die Uhr unter die Stühle, die die Waschbute trugen, und sah mit trübem Lächeln eine Weile zu, wie die nackten Kindchen nach der Uhr krochen und wie der hundertfältige Pips von des Schreiners Schurz sprang, die Kette mit dem zahnlosen Maul packte und, mit der Uhr spielend, die Kinder umtollte,bis sich Frau Gagelmam auf die Knie machte, es ihm zu wehren.
„Laß sie machen“, sagte der Schmied; „ob das dünnschalige Uhrlein so oder so in Scherben geht, kommt auf eins heraus. Die Geiferbüblein haben doch ein Viertelstündchen ein wahrhaftiges Vergnügen daran gehabt.“Dann half er Kätherli vom Boden auf, nahm ihre Hand,drückte sie und ihr tief, und wehmütig in die lachenden Augen sehend, sprach er schier leise: „Kind, Kätherli, ich vergebe dir; demn du weißt nicht, was du tust, daß du mir das Muttersächlein ganz nehmen lassen willst. Schau, von dir hätte ich's zuletzt erwartet. Warst doch immer, trotz allem, ein gutmütiges Geschöpf, und ich erlaubte dir stets alles, wonach es dein Schleckmäulchen gelüstete. Aber das Faß dort ist schuld, dieser geschmalzte Hobelspäner“, lärmte er mit einemmal wütend; „der reitet dich ins Elend. Wie konntest du dich nur an diesen ranzigriechenden Specktrog hängen: Lebwohl, lebwohl, du Gans, du große Gans!“brüllte er. „Nun habt ihr mich völlig ausgehülst bis aufs Hemd. Ich komme nie mehr in euer Haus!“
Mit einem fürchterlichen Blick nach dem etwas in den spärlichen Kinnbart grunzenden Schreiner, fuhr der Alte zur Stube hinaus.
Die Schmiedjungfer.„Vater“, rief ihm Kätherli nach, „wie könnt Ihr denn so tun! Es kommt ja alles noch gut heraus, wenn wir das Geld haben.“
Sie bekam keine Antwort mehr. Aber auf der Stiege fand sie einen wattegefütterten, schwersohligen Schuh. Und als sie wieder in die Stube zurücktrat, lachte sie laut auf und sagte: „Jetzt muß ich doch lachen, ob ich will oder nicht. Hat der Vater in seiner Wildheit nicht einen Schuh verloren und hinkt jetzt wie ein Gaul, der ein Eisen zu wenig hat, gegen des Gemeindeschreibers Haus hinauf.“Und von neuem brach sie in ein schallendes Gelächter aus,in das der geschmalzte Hobelspäner mit schwappelndem Bauch einstimmte.
Pips und die Kindlein aber lagen bäuchlings auf dem Boden und trachteten alle drei darnach, die Uhr ins Mäulchen zu bekommen.
Unterdessen war des Schmieds Kleinhansen junge Magd,als sie dem davonrasenden Alten durchs Haus hinunter und durch die Schmiede nachlief, dem Gesellen Jokel in die Arme geraten. Und er gab sie nicht frei, wie sie sich auch sträubte.
„Nein, laß mich doch“, bat sie; „ich will den alten Mann zurückhalten; sonst läuft er zu seinen Töchtern und kommt mir dann verärgert und halbkrank heim. Er hat ja sonst Kummer genug.“
Aber als sie endlich von dem lachenden Burschen loskam, war der Meister Schmied
längst im Dorf verschwunden. Betrübt hielt sie noch ein Weilchen nach ihm
Ausschau und wollte dann langsam, ins Sinnen versunken,ins Haus hinaufgehen.
Doch der krausköpfige Geselle hielt sie zurück.
175 „Ach, laß mich jetzt“, sagte sie; „'s ist mir jetzt nicht ums Liebeln und Dummheiten machen.“
„Das braucht es auch nicht“, gab er zurück. „Hör,Schatz, ich muß jetzt mit dir ein ernsthaftes Wort reden.“
Sie sah ihn einen Augenblick forschend, fast erschrocken an.
„Du, ein ernstes Wort“, machte sie; „es wäre wahrhaftig das erste. Was hast denn? Machst ja ein Gesicht, als ob du mir die Liebe aufkündigen wolltest.“
„Nein, das tue ich nicht; aber wenn du mich noch länger hinhältst, so sag ich dem Meister auf und geh einen Schritt weiter. Ich weiß jetzt genau, wie's um den Schmied Peter Kleinhans steht; gemerkt hab ich's schon lang: er ist am Aushausen.“„Nein, das ist er nicht“, sagte sie, blutrot werdend.
„Wie kommt's denmn“, redete er, eifrig werdend, „daß er mir schon seit drei Monaten den Lohn schuldig bleiben muß? Ich will dir's sagen, was du zwar schon weißt: er ist auf dem Hund.“
„Wie kannst du so reden“, machte sie unwillig; „er hat jetzt gerade kein Bargeld mehr; seine Töchter sind ihm immer wie Blutegel am Sack gehangen. Aber sobald er den Zins vom Frauengut vom Waisenamt erhält ...“
„O du Närrchen, sei doch hübsch still! Eben das hab ich jetzt glücklich heraus. Du hast mich immer mit seinem Frauenvermögen vertröstet. Nun hörte ich's mit eigenen Ohren durch die offene Schmiedentüre, als er in der Stube droben so wütete, daß ihm die Töchter das Frauenvermögen weqgstibitzt haben!“
„Schäme dich, an den Türen zu lauschen!“ rief das Bethli aufgebracht aus. „Und
wenn er auch ums Frauenvermögen kommen sollte, deswegen sollst du doch nicht zu
8 Die Schmiedjungfer.kurz kommen. Gedulde dich nur, er kann dich gewiß nächstens bezahlen; denn es werden ihm doch endlich einige der langausstehenden Guthaben eingehen. Ich habe schon ein paar Leute mahnen müssen. Ich will auch tüchtig im Haushalt sparen, obwohl ich ja auch bis jetzt seine Sache nicht verschleudert habe.“
„Ja, ja, sparen“, brummte er mißmutig; „du hast's schon lange übertrieben mit deinem Sparen. Es muß schon ein Sonntag sein, bis man ein Stückchen Gesottenes auf dem Tisch sieht. Wie gar Gebratenes aussieht, kann ich mich nicht mehr erinmnern. Nichts als Eier und Eier. Es möchte einer eine Gluckhenne werden. Der hungerige Aushilfsbursche ist mir nicht umsonst vorgestern davongelaufen. Und sowieso“, sagte er jetzt, über und über rot werdend, „länger laß ich mich vom Meister nicht zum Narren halten. Jeder Mann ist seines Lohnes wert, heißt's, und ohne Lohn diene ich dem alten Ausbeuter nicht mehr.“
„Wie kannst du denn vom Meister so reden, Jokel!“sagte schier fassungslos das Bethli. „Ist er dir nicht allzeit ein guter Meister gewesen und hat er dir nicht auf jedes Verlangen den Lohn nachgebessert. Nun solltest du's wirklich imstande sein, ihn in der größten Not stecken zu lassen?Ist das dein Ernst, Jokel?“
„Kreuzdonnerwetter“, brauste er auf, „schau mich doch nicht an, als ob ich ihn
umbringen wollte. Meinetwegen kann's ihm lang gutgehen. Aber er ist alt, und ich
bin nicht schuld, daß ihm seine Mädle alles verwirtschaftet haben.Und ich bin
jung und will beizeiten schauen, daß mir's nicht ergeht wie ihm und daß ich zu
was komme fürs Alter. Es soll mir einer kommen und sagen, ich tät da was
Unrechtes, wenn ich einmal nicht umsonst den Narren machen mag und ein Haus
weiter will. Und gar dir steht's
177 nicht an, so zu tun. Hast mich jahrelang hier festgehalten,obschon ich anderwärts manches Neue im Beruf hätte sehen können. Aber du versprachst mir, mich einmal zu heiraten und mit mir in meine Heimat zu ziehen. Von Monat zu Monat hast mich darauf vertröstet und dabei dein Kammertürlein allzeit vor mir verriegelt, als wär's die Himmelstüre und der Teufel stände davor. Und nun heut, wo ich sicher weiß, daß der Alte am Ausbluten ist, willst mich erst recht zurückhalten und mich ohne Lohn weiter dienen lassen in alle Ewigkeit. Und nun frage ich dich zum letzten Male,Bethli, und besinne dich wohl, was du antwortest: Willst du mich jetzt nehmen und willst du mit mir kommen ins Bayernland? Der Vetter nimmt mich gewiß als Altgeselle in seine Schmiede. Gehe ich ihm nie zu, so kriege ich später einmal sein Geschäft nicht. Soll ich das etwa nun gegen eine Stelle ohne Lohn, bei schlechter Kost, verlieren.Jetzt red, Mädle!“
„Jokel, lieber Jokel“, sagte sie, die gefalteten Hände zu ihm aufhebend, „nur noch eine Zeitlang gedulde dich!Nur noch bis der Meister einen zuverlässigen Gesellen für dich gefunden hat. Dann, in Gottesnamen, will ich mit dir kommen, durch dick und dünn, fort aus meiner lieben Schweizerheimat, wohin es auch sei. Tu mir nur noch dasmal warten, nur ein halbes Jahr noch, Jokel!“
„Nein.“
„Nur noch einen Monat!“
„Nein. Wenn du nicht kommst, so gehe ich allein.“
„Nur noch eine Woche!“
„Du liebst mich gar nicht recht“, machte er unsicher, aber mit wilden Augen; „sonst tätest du das alles nicht von mir verlangen.“Lienert, Bergdorfgeschichten.
12
Die Schmiedjungfer.„O Jokel“, lachte sie verzweifelt auf und hing sich an seinen Hals, „das weißt du wohl genug, daß ich dich über alles in der Welt lieb habe, wie ich nie einen lieb hatte und nie einen lieb haben werde, so lange die Welt steht.“
Ein Schatten kam in die offene Schmiede. Der Schmied Kleinhans fuhr, das unbeschuhte Bein nachziehend, hinein.
„So, aha“, lärmte er mit wutfunkelnden Augen, „es ergeht mir überall gleich, überall die gleiche Wirtschaft.Statt zu arbeiten, läßt sich der Herr Geselle vom schleckhaften Bethli den Ruß ab den Backen lecken. Schäme dich, Bethli! Kannst denn nicht genug karessieren nach Feierabend in der Küche?!“
Der Geselle brach in ein tolles Gelächter aus.
„Was hast du denn zu lachen, du grober Lümmel?!“herrschte ihn der Schmied an.
„Meister“, lärmte jetzt bleich vor Zorn der Geselle, „nun hab ich genug. Lümmel lasse ich mir von Euch nicht sagen.Ich hab's lange genug hier ausgehalten, obwohl ich strenger arbeiten mußte, als anderwärts ihrer zwei. Aber nun kommt's mir zu dick. Ich geh, in zwei Wochen geh ich.“
Schier gleichgiltig hatte ihm der Alte zugehört. „Ja,ja, schieb nur ab“, machte
er dumpf, mit verzweifeltem Lächeln. „Kannst auch so ein frechmäuliger
Landfahrer werden; das Zeug hast dazu. Das ist nun der Dank dafür,daß ich dich
fast alles lehren mußte; denn als du kamst,warst du nicht einmal imstande, mit
dem Beißer ein rechtes Loch ins Hufeisen zu schlagen. Und heut rühmst dich und
hast ein Maul, daß man meinen könnte, alle Welt müßte künftig mit unbeschlagenen
Rossen und Rädern fuhrwerken,falls du die Hände in die Hosensäcke steckest. Es
gibt aber noch größere Künstler am Amboß, als du einer bist!“
79 schnauzte er ihn an; „deswegen kannst du ruhig fort, wenn dir's bei mir auf einmal so heillos verleidet ist.“
„Wenn Ihr mir so kommt“, antwortete zornig der Geselle, fahre ich morgen schon ab. Dazu habe ich das heilige Recht; denn Ihr seid mir“, er lärmte es laut heraus,„Ihr seid mir den Lohn für drei Monate schuldig.“
„Herrgott, Herrgott!“ schrie der Alte auf, „ja beim ewigen Gott, 's ist wahr.“ Der Kopf sank ihm auf die Brust. „Ich habe“, redete er wie für sich, halblaut, „aufs Frauenzinslein gewartet und gehofft; aber es ist mir nicht gekommen und kommt mir nimmermehr, der Gemeindeschreiber hat mir's eben klar gemacht. Die Maitli haben mir alles genommen; ich bin ausgenüsselt; ich bin leerer als ein Haselbusch im Winter. Doch knie ich deswegen noch nicht vor dir; du kannst gleichwohl morgen schon fort“,lärmte er auf. „So mag ich dich lieber nicht mehr an meinem Tisch sehen. Und das Geld, das Geld, ja, sollst du haben und wenn ich's aus dem Boden kratzen muß,und wenn ich die Hosen verpfänden muß, du undankbarer Schwabe!“
Mit einem wilden Fluch raste er aus der Schmiede ins Haus hinauf.
Jetzt stürzte sich das Vethli vor dem Gesellen nieder.Aufschluchzend umschlang sie seine Knie und bat und beschwor ihn, doch ja nicht fortzugehen, bis der Alte einen andern tüchtigen Gesellen habe. Er habe es ja gewiß nicht so bös gemeint. Er sei eben unglücklich seiner Töchter wegen; so dürfe man ihm jetzt nicht jedes Wörtlein nachrechnen und zu sehr verübeln.
„Nein“, machte er mit zornfunkelnden Augen, „keinen Tag bleibe ich länger. Morgen früh geh ich fort. Der Alte
12*
Die Schmiedjungfer.hat mir's zu wüst gemacht. Steh auf, mach nicht den Narren, 's nützt doch nichts.“ Er riß sie auf, und als sie schluchzend, zum Tode betrübt vor ihm stand und ihn nur bittend ansehen konnte, sagte er heftig: „Wenn du nun mit mir kommst und mich heiratest, so will ich vorher hier noch vierzehn Tage warten, sonst keinen Tag länger. Ich bleib dabei. Jetzt heißt's halt: Entweder gilt der Alte oder ich.Da will ich nun einmal sehen. Jetzt red, willst du mit?“
„Ach“, sagte schluchzend die junge Magd, „wie machst du mir das Herz so schwer, Jokel. Wie kannst du denn verlangen, daß ich den alten übelzeitigen Mann in seiner großen Not im Stiche lassen soll. Er hat mich als armes verlassenes Flatterröcklein in sein warmes Haus aufgenommen, hat mich gehalten wie sein eigen Kind und ist mir gewesen wie eine Mutter. Nun sollte ich ihn verlassen? Nein,Jokel, im Ernste kannst du das von mir nicht verlangen.“
„So“, sagte er hart, „nun weiß ich ja, wie's steht. Der Alte wiegt schwerer als der Junge. So bleib bei ihm; du hast mich doch nie wahrhaft lieb gehabt. Hast dich immer so rar und seltsam gemacht, wenn man dich mal ernsthaft in die Arme nehmen wollte. Nun versteh ich's, du gehörst dem Alten; so bleib auch bei ihm!“
„Jokel, Schatz, Schatz!“ schrie sie auf, packte seine Hände und sah ihn heiß an.
„O, tu doch nicht so“, machte er mit gezwungenem Auf-lachen. „'s ist doch alles
nur Falschheit. Oder dann bist du auch gar eine Kalte, Schneckenblütige. Da kann
ich ja eine Bettflasche zu mir nehmen. Kurzum, ich hab's gefagt, und morgen
wandre ich schon auf der Landstraße.Wie singen's die Schweizer: Eine andere
Mutter hat auch ein liebs Kind!“
181 Da ließ sie seine Hände langsam fahren, fuhr sich mit dem Schürzenzipfel über die tränenvollen Augen und sagte nichts mehr.
„Bleibt's also dabei, kommst nicht mit?“ fragte er nochmals barschen Tones.
„Nein“, machte sie jetzt und blickte ihm ruhig in die Augen.
Da schleuderte er den Handhammer mit einem grimmigen Fluch unter die Esse, lachte wild auf und sagte: „Wirst schon noch einmal an mich denken und wirst's bereuen;aber dann hab ich eine andere. Behüt Gott!“
Die Schmiedentüre fuhr donnernd zu; durchs Haus hinauf polterte es.
Bethli blieb eine lange Weile unbeweglich auf dem gleichen Flecke stehen und staunte die Türe an, hinter der der Geselle verschwunden war.
Da war ihr's, sie höre den Alten in der Stube oben achzen. Es verschüttelte sie etwas wie ein Frösteln. Sie preßte die Lippen zusammen und stieg dann, die Hand auf dem wild pochenden Herzen, festen Schrittes aus der Schmiede in ihr Kämmerlein hinauf.
Dort öͤffnete sie das Fensterscheiblein, schaute sinnend über das Vordach in die weite Welt hinaus, und über das magere Beranienstöcklein am Gesims gingen ihre Tränen. Wie sonnig lag das Land rings um das Hodhstaldener Dorf,und wie düster sah es aus in ihrem Herzen! Dort am Brunnen vor dem Dorfe, unter dem breitästigen Ahorn,hatte sie Jokel, der bayerische Geselle vor Jahren angetroffen and sie gefragt, wo der Dorfschmied wohne. Sie hatte ihn nicht anzufsehen gewagt; denn sie war noch ein Kind, aber aus dem Wassergeltlein lachte sie sein rotwangiges Gesicht
8*
Die Schmiedjungfer.an. Dann war sie mit ihm, schier erschrockenen Herzens das schwappelnde Geltlein auf dem Kopf, zu ihrem Meister gegangen, und Peter Kleinhans stellte den flinken Jungen ein. Und nach und nach war's gekommen, daß sie sich finden mußten. Ein jeder Tag war ihr seither ein Feiertag, und wenn er noch so schwere Arbeit brachte. Und nun sollte er wirklich von ihr gehen können. Also hatte ihre arme Mutter selig doch recht: die Männer liebten nicht wie die Frauen, sie könnten vergessen. Eine Schwalbe jauchzte am Fenster vorbei. Es stach sie ins Herz; um ihre Mundwinkel zuckte ein Weinen; aber sie schüttelte den braunen Scheitel, schloß das Scheiblein und schritt auf eine alte Kommode zu, worauf ein schlechtes verblaßtes Bildnis ihres Meisters und seiner Töchter und ein kleines Stellspieglein stand. Mit kräftiger Hand zwang sie eine ächzende Schublade auf und entnahm ihr ein Beutelchen. Einen langen Blick tat sie auf das Kommunionbild zu Häupten ihres Bettes, das den guten Hirten und um ihn die Schar der Kleinen zeigte. „O Mutter!“ seufzte sie, „wie glücklich war ich damals, und wie unglücklich bin ich heut.“ Sie würgte ein wiederaufsteigendes Schluchzen hinunter, verließ das Dachkämmerlein und stieg leise in die Stube hinab.
Sachte öffnete sie die Türe.
Peter Kleinhans, der Schmied, saß am Ofen auf dem rotüberzogenen Lotterbettlein, hatte den Kopf, um den die paar weißen Strähnen unordentlich herabhingen, in beiden Händen und starrte trübe in den Tafeltisch hinein.
Sie trat auf ihn zu.
„Meister“, sagte sie schüchtern, „Meister, seid mir nicht böse; aber Ihr tätet
mir eine so große Freude machen,wenn ich Euch den Lohn leihen dürfte für den
Gesellen.
18
3 Ich glaube, es sollte mehr als reichen; denn ich habe schier alles, was Ihr mir die Jahre hindurch gegeben habt, im Schützenbeutel.“
„Was meinst, Bethli?“ fragte aufblickend, verständnislos der Alte. Jetzt aber ward er dunkelrot. „Kommst etwa auch um den Lohn? Wirst mit ihm fort wollen. Ich kann dir's nicht verargen, Kind; er hat ja dein Herz, da wirst du auch nach müssen. Aber wo soll ich ...“
„Meister, Meister“, machte in blutroter Verlegenheit die junge Magd, „Ihr habt mich nicht recht verstanden. Ich will gewiß nicht von Euch fort.“
„Ich halte dich nicht, Bethli; es wär sündhaft.“
„Meister, ich bleibe gewiß bei Euch. Schaut doch, ich wollte Euch nur fragen, ob Ihr von mir nicht leihweise das Beld annehmen wollt, das Ihr dem Gesellen geben müßt.“
„Dein Löhnlein, dein sauer verdientes Löhnlein?“ Es geisterte ein Lächeln um seine Augen, das ein wildes Auf-schluchzen verbarg. Er sah das Schützenbeutelchen, durch dessen Maschen es goldig blinkte, eine Weile an; dann stand er auf, nahm es aus Bethlis Hand und sagte langsam:„Ja, Kind, ich will's heut von dir annehmen; demn ich bin übel dran. Aber, so Gott will, soll dir's hundertfältig vergolten werden. Ich bin ein alter Mann; gleichwohl habe ich noch die Hand, will ich hoffen, meine Sachen selber in Ordnung zu bringen. Bis jetzt ließ ich's, im Vertrauen auf meine Töchter, eben trollen, wie's trollen mochte, und es ging nicht gut. Ich sage dir Dank, Bethli. Und jetzt“,machte er schluchzend, „geh hinaus; du hast genug von meiner Schande gesehen.“
Er sank aufs Lotterbettlein zurück, und über seine sorgendurchfurchten Wangen stahlen sich heimlich ein paar Tränen.
Die Schmiedjungfer.Aber die Magd ging nicht hinaus; sie fuhr ihm mit weicher Hand über die paar weißen Locken und sagte leise:„Meister, laßt's Euch nicht zu schwer werden; wir wollen es schon machen.“
Darnach ging sie still hinaus.
Am andern Morgen suchte Jokel, der Geselle, im ganzen Schmiedhaus herum nach Bethli, um von ihr zärtlichen Abschied zu nehmen. Doch wie er auch alles, sogar die Winde absuchte, sie war nirgends zu finden. Da wurde er aufgebracht, schimpfte vor sich hin und verließ, ein Stromerliedchen pfeifend, trotzig das Haus.
Das Bethli aber kroch im Keller aus dem leeren Erdäpfelpferch, in dem es sich versteckt hatte, stellte sich an der feuchten Wand auf die Zehen und zog sich mit den Fingern am Fenstergitter empor, bis sie bluteten, bis sie durchs spinnenwebverhangene Scheiblein hinauszusehen vermochte. Durch das nun schaute sie dem eilig davonziehenden Gesellen nach, und es war, als ob in ihren umdunkelten Augen eine arme Seele auf den Knien liege und um Hilfe riefe. Aber sie biß sich die Lippe blutig und schwieg.
Von der Landstraße hallte es in den Keller:
„Das Wandern, das heißt lustig sein!Juchhee, mein trautes Schätzelein,Jetzt fahr ich in die Fremde.
Und hätt' ich keinen Rappen Geld,Ich führ doch in die weite Welt,
Und wär's im bloßen Hemde.
Ade, feins Lieb im Kämmerlein!
Ich kann nicht länger warten dein.“Jetzt ließ die Magd das Fenstergitter fahren
und sank auf den Kellerboden zurück, mit beiden Händen ihr Angesicht bedeckend
und herzzerbrechend schluchzend.
138*
IV.Der Schneider Desiderius Pipenhenner tat einen Luftsprung, als der Gemeindeweibel in seinen Spezereiladen trat und vor seinen Augen das Vermögen seiner Frau, als den Anteil ihres Muttergutes, in guten vaterländischen Banknoten auf dem Ladentisch auszählte. „Nun kommen gute Zeiten, Herrenzeiten!“ rief er aus. „Jetzt soll mich die Welt kennen lernen. Nun werde ich bald nicht nur im Traum über die Dächer Hochstaldens fliegen.“ Selbst um Portiunkulas Nasenspitze geisterte etwas wie ein Lächeln.Sie griff sogleich in den Mammon, zählte ihn nach und trug dann die schönen Banknoten in ihre Warenkapelle, sie vorläufig unter ihren Gebetbüchern sorgsam verbergend.
Und als der Weibel etwas später mit der andern Hälfte von Peter Kleinhansens
Frauenvermögen beim Schreiner Bagelmann eintrat, ward er auch dort mit Hallo
empfangen.„Nun will ich das Gartenhaus bauen und eine Gartenwirtschaft anlegen,
daß die Leute glauben, ich hätte dem Liebgott den Bauplan zum Paradiese
gestohlen“, grunzte der geschmalzte Hobelspäner; „aber bevor ich an diese
schwierige Arbeit gehe, müssen wir wieder einen rechtschaffenen Wein im Keller
haben; denn ohne Tranksame ist nicht gut wirten.“ Der Gemeindeweibel kam nicht
so schnell aus dem Häuschen zum vollen Weineimer. Er mußte dem Schreiner das
ebbende Mostfaß völlig höhlen helfen.Kätherli, die immer breiter werdende Frau
Gagelmann aber setzte sich mit dem Strickzeug zu den Zechenden und lachte was
sie konnte zu ihres Mannes lustigen Einfällen.Und als der Schreiner die am Boden
liegende Gitarre aufnahm, zeigte es sich, daß die Zwillinge die Banknoten vom
96
Die Schmiedjungfer.Tisch genommen und sie in das alte Musikinstrument hineingesteckt hatten, was Kätherli also belustigte, daß sie vor Lachen den Atem schier verlor.
Nun wurde bei Pipenhenners und bei Gagelmanns eine Zeitlang aus dem Vollen geschöpft.
Der Schneider betraute seinen Schwager, den geschmalzten Hobelspäner, mit der Umbaute und Vergrößerung seines Spezereiladens; denn nun sollte der immer üppiger werdende Konsumverein gebodigt werden. Aber als der Schreiner Gagelmann, der ihm ein hübsches und wohldienliches Plänchen für die Umbaute gezeichnet hatte, sich nie an die Verwirklichung desselben machen wollte, sondern sich mit hundert Ausreden immer wieder drückte, ließ er den Plan durch einen andern Dorfschreiner ausführen. Von da an bezogen Gagelmanns die Spezereiwaren aus dem Konsum, was die Portiunkula Pipenhenner also erboste, daß sie bei ihren Kunden den Schreiner nur den nassen Lumpen nannte. So entstand nach und nach eine grimmige Feindschaft zwischen Pipenhenners und Gagelmanns.
Der Schneider aber hatte sich nach der Vergrößerung seines Ladens auch noch die
zwei altmodischen zierlichen Dachgiebel zu einer großen plumpen Dachkammer
umbauen lassen. Er nannte sie seine Experimentierkammer. Denn neben dem Tisch,
auf dem er noch ab und zu ein bißchen schneiderte, hatte er ein Holzgestell
errichten lassen, auf dem er nun nach und nach ein höchst seltsames Gebild aus
Eisendraht, Geigensaiten, Eibenholzstäbchen und Fischbein zusammenkünstelte. Es
sah fast aus wie das Gerippe eines vorsündflutlichen Drachen und sollte der
Segler werden,womit er dereinst die Welt zu überflattern gedachte. In dieser
Kammer wirkte er nun unablässig. „Denn“, sagte
187 er, „ich muß mich sputen; sonst erfinden sie das Fliegen im Schwabenlande doch noch vor mir, und das würde ich nicht überleben; es müßte mich verrückt machen.“ Ganz besonders beschäftigte ihn das Studium des Vogelfluges;denn nun war es ihm gelungen, eine große Krähe vom Bannwart zu bekommen. Er hatte ihr die Flügel gestutzt und nannte sie Schaggeline, welchen Namen ihr bald alle Dorfkinder nachriefen. Er stand mit ihr in seiner Kammer auf dem Tisch, warf sie in die Luft, achtete dann genau auf ihr Gehaben und auf die kleinsten Regungen und Bewegungen ihrer gekürzten Schwingen und ihres Seglers und führte darüber sorgfältig Buch. Keifte ihn aber Portiunkula auf den Schneidertisch und hockte er dann mit verdroßner Miene da, irgend ein pressantes Kleidungsstück zurechtnähend, so flatterte ihm seine Krähe auf die Schulter.Oft trug sie die Gewandfetzen in irgendeinen Winkel zu einem Nest zusammen, in dem dann der Schneider gewöhnlich seine Fadenknäuel, Fingerhüte und Scheren mit Erfolg suchte. Auch spazierte Schaggeline im Hause herum, bis hinunter in die Warenkapelle, wo sie zum großen Arger Portiunkulas oft einen argen Wirrwarr anrichtete und immer wieder den pfeilgespickten St. Sebastian umzupfte.Kam sie ihr dazu, so begann eine wilde Jagd in der halbheiligen Halle und im Laden herum, bis der Schneider aus seiner Experimentierkammer herabstürzte und seine schwarze Schaggeline mit Not aus den Fängen der aufgebrachten Gattin befreite. Nach und nach gewöhnte sich die Krähe so an ihren Meister, daß sie ihm, zum Gaudium der Dorfjugend, auf Schritt und Tritt nachhüpfte, wenn er ausging.
Portiunkula jedoch gedachte das Andenken ihrer Mutter,
8 Die Schmiedjungfer.die ihren Töchtern ein so hübsches Vermögen hinterlassen
hatte, auf ganz außergewöhnliche Weise zu ehren. Was sie hiezu noch besonders
veranlaßte, war der heimliche Groll gegen ihren Vater, den Schmied, der sie seit
der Aushingabe der Erbschaft nie mehr eines Blickes würdigte. Er hatte ihr sogar
das Weihwasser nicht abgenommen, das sie ihm eines Sonntags beim Hinausgehen aus
der Kirche reichen wollte. Daher hatte sie sich durch den Dorfschreiner,als er
mit der Ladenumbaute und dem Dachausbau zu Ende war, ein Heiligenstöcklein
machen und in ihr Gärtlein neben dem Hause, hart an die Dorfstraße setzen
lassen. Es sah nicht besonders fein aus. Der Schreiner Gagelmann,den es verdroß,
daß die Schwägerin auch hier seine Kunstfertigkeit schnöde überging, sagte, es
sei rohe Zimmermannsarbeit. Er hätte etwas so Zierliches zuwege bringen
wollen,daß das Dorf die Fremden darauf als auf eine erstrangige Sehenswürdigkeit
aufmerksam gemacht haben würde. Lange Zeit stand das Holzstöcklein mit dem
leeren Bildgehäuse im Garten neben dem Spezereiladen. Portiunkula konnte immer
noch nicht schlüssig werden, ob sie den heiligen Desiderius, den Namenspatron
ihres Mannes, oder ihren Lieblingsheiligen, den heiligen Sebastian, ins
Bildgehäuse malen lassen wolle. Aber eines Morgens, in aller Gockelfrühe, als
Portiunkula mit züchtig gesenktem Haupte, aber scharf ausspähenden Augen aus der
Frühmesse nach Hause kam, sah sie zu ihrer höchlichen Verwunderung neben ihrem
Laden vor dem Heiligenstöcklein einen wahren Volksauflauf,in dem ein
nimmerendenwollendes Gelächter umging. Nichts Gutes ahnend, lief sie rasch hin
und sah zu ihrer Uberraschung ein Bildnis ins Heiligenstöcklein gemalt. Und als
sie genauer hinschaute, erkannte sie in den schmerzgepeinigten
Die Schmiedjungfer.als ein neues Ziegeldach geworden wäre, blieb er ruhig und
gelassen, und geisterte ihm noch der Schalk um den Mund, was Frau Pipenhenner so
aufregte, daß sie vor ihm aufsprang wie ein Gummiball. Sie versuchte von neuem
mit ihren Fingernägeln und ihrer spitzen Nase wie ein sichelbewehrter
Kriegswagen auf ihn loszufahren; aber er wehrte sie mit dem Hobel ruhig ab und
sagte nur:„Was wüst ist, tut wüst!“ was sie derart verblüffte, daß sie die
Sprache, die sie sonst so meisterlich beherrschte, völlig verlor und eine Weile
stumm, wie das zu Salz kristallisierte Weib Lots, dastand. Aber auf einmal
kreischte sie auf und raste davon, heim zu, unter dem Lachen und Kichern der
Nachbarsleute, die heimlich das ergötzliche Schauspiel hinter den Vorhängen
ihrer Wohnstuben hervor genossen hatten.Der Schreiner Karliseff Gagelmann, der
beim Empfang der Hälfte des Kleinhansischen Frauenvermögens Stein und Bein
geschworen hatte, er wolle das so schön am Wege gefundene Geld zum Ausbau seiner
Wirtschaft und vor allem zur Herstellung eines dreistöckigen Gartenhauses und
einer paradiesischen Gartenwirtschaft verwenden, schien diese seine guten
Vorsätze bald wieder vergessen zu haben. Kaum hatte er das Geld, kamen die
Gläubiger über ihn und nahmen ihm einen beträchtlichen Teil davon ab. Den immer
noch ansehnlichen Rest verwandte er dazu, sein Weinlager wieder zu äufnen. Eine
große Weinfuhre rasselte mit hüst und hott vor die Wirtschaft zum vollen
Weineimer. Darnach kam wohl auch ein bescheidenes Wäglein mit
dünnen,frischgesägten Stangen angefahren, aus denen er das Gartenhaus und einige
Laubgänge aufzurichten gedachte. Jedoch die alltägliche gründliche Inspektion
des Weinlagers im
191 Keller und die damit verbundene Faßhahnprobe nahmen ihn derart in Anspruch, daß er nie recht dazu kam, das Gartenhaus ernstlich in Angriff zu nehmen. Ein Schirmdach aus einigen dünnen Stangen, das er neben der Werkstätte herstellte und das er mit einem schnell wachsenden Hopfengerank überzog, konnte kaum für ein Gartenhaus ausgegeben werden, obwohl er selber in seinem Schatten fleißig seine verschiedenen Tagesschoppen zu sich zu nehmen liebte. Kätherli aber, seine wohlbeleibte Frau, begann nun zu kochen und zu bräteln, was gut und bekömmlich war, ließ die Spiegeleier in der Butter schlottern, daß die Mundwinkel sämtlicher Nachbarn glänzten, und sparte an nichts. Auch tat sie ihrerseits hie und da in die Truhe,in der das rasch zusammengehende Erbe lag, einen tapfern Griff und schaffte sich eine Menge unnützer Dinge und vor allem alle Truhen und Kasten voll Gewand und Weißzeug an. Auch steckte ihr Mund beständig voll von allerlei Näschereien, und ihre Zwillinge strappten und krochen nie anders als mit arg verschmiertem Schleckmäulchen in der Stube und vor dem Hause herum. Und obwohl sie ihre Kasten und Kommoden mit Wäsche vollstopfte, waren sie wunderbarerweise bald wieder fast so leer wie früher.Aber die Mutter ihrer Magd, die fast allwöchentlich mit leerem Korbe ihre Tochter besuchte und das Haus mit vollem Korbe wieder verließ, hätte vielleicht das unerklärliche Verschwinden des Weißzeuges verständlich machen können. Auch das viele Gewand hielt nicht lange vor, da nie etwas geflickt wurde. So schaffte Frau Gagelmann immer wieder Neues an und hätte eine kindliche Freude daran, allen Tuchreisenden und Hausierern, die von Nidach her kamen, recht fette Bestellungen zu machen und sich dafür
42
Die Schmiedjungfer.von ihnen gehörig hofen zu lassen. Und da sie die Goldgrube, wie der Schreiner die Schublade nannte, worin das Erbe lag, für unerschöpflich hielt, so teilte sie auch der Waschfrau und andern notdürftigen oder zudringlichen Weibern, die ihr's zu vertreffen wußten, von dem Gelde mit vollen Händen aus; denn sie verwunderte sich immer wieder, was für ein stattliches Häuflein Silber in ihre Hände kam, wenn sie eine Banknote auswechselte. Das Bedenklichste aber war, daß sie von ihrem Manne nach und nach das Trinken gelernt hatte und nun fast keinen Tag vergehen ließ, an dem sie nicht ins Ofenrohr einen Kaffeekrug voll saurem Weine stellte, dem sie dann eifrig zuzusprechen pflegte, und aus dem sie auch den Zwillingen ab und zu ein Schlücklein zukommen ließ, um sie bei guter Laune zu erhalten. So lebte man im Wirtschäftlein zum vollen Weineimer, im Vertrauen auf die ausgiebige Goldgrube, nach Herzenslust in den Tag hinein.
Anders sah es im väterlichen Schmiedhause aus.
Als der alte Schmied Peter Kleinhans begriff, daß ihm das Frauenvermögen, dessen
Zinsen ihm einen sorgenlosen Lebensabend verheißen hatten, für immer verloren
sei, band er den schweren Lederschurz wieder um und stieg bekümmerten Herzens in
die Schmiede hinunter, wo er wieder selber den Hammer schwang. Doch es wollte
ihm nicht mehr wie früher von der Hand gehen. Kummer und Verdruß hatten den
hochgewachsenen Mann gebeugt und seine spärlichen Haare völlig gebleicht.
Niemand hörte ihn mehr ein Tänzchen pfeifen, wenn er am Amboß stand und mit dem
neueingestellten Gesellen das Glüheisen schmiedete.Wohl aber war er brummig und
kurz angebunden geworden. So kam es, daß ihm der neue Geselle bald wieder
193 drauslief. Der Alte nahm es nicht schwer auf und stellte einen andern ein. Der jedoch verstand nicht viel vom Handwerk, hatte ein freches Maul und ein grobes Tudichum.Nach einer Woche voll Arger und Donnerwetter gab ihm der Schmied den Laufpaß. Doch der nächste Geselle, den er einstellte, konnte auch nicht lange bei ihm bleiben. So fir und flink er in der Schmiede war und so kuraschiert er den Rossen die Eisen aufschlug, so flink und kuraschiert tat er auch bei VBethli, der jungen Magd. Sie war keinen Augenblick vor ihm sicher und hatte alles Gewand voller Rußflecken von seinen angriffigen Händen. Sie mochte erst dem Meister nichts sagen, da er dem Gesellen seiner Fertigkeit und Anstelligkeit wegen wohlwollte. Als aber der heimliche Krieg zwischen ihr und dem immer wieder zum Angriff übergehenden Burschen nie zu Ende kommen wollte,obschon er blutrünstige Finger hatte von ihren Besenstielen,Pfännchen, Krügen und Fingernägeln, sagte sie's unter tiefem Erröten dem Meister. Am selben Abend packte der flinke Junge sein Bündel und machte sich lachend davon,Bethli im Abziehen noch eine Kußhand zuwerfend. Dann stellte der Alte einen Welschschweizer ein, der am Morgen darnach um Arbeit umschaute. Doch es zeigte sich bald,daß des Schmieds französischer Wortschatz nicht ausreichte,dem etwas schwerhörigen und unhandlichen Welschen seine Mißgriffe im Beruf verständlich zu machen. Es ging bald wie bei der babylonischen Völkerverwirrung, keiner verstand den andern, und so wurde ein gemeinsames Wirken recht beschwerlich. Besser verstand ihn das Bethli, obwohl es kein Wörtlein mit ihm redete. Es war als hätte er in einer Taubstummenanstalt mit den Augen und mit den Händen reden gelernt. Wo er konnte, hielt er ihr nach,Lienert, Vergdorfgeschichten. 13
Die Schmiedjungfer.und seine Augen sprachen nicht nur Bände, sondern gleich ganze
Bibliotheken. Als aber auch die Hände zu reden anfingen, hieb sie ihm die heiße
Suppenkelle also über die sprachkundigen Finger, daß er fuchsteufelswild
davonlief.Von da an ließ er die Magd im Stiche; aber nun mißfiel ihm auf einmal
die etwas einfache und nicht überreichlich aufgetragene Kost. Er ließ das Essen
einigemal stehen und ging, um das Bethli zu ärgern, ins Wirtshaus zum vollen
Weineimer speisen. Bald wurde das dem Alten zu dick,und eines Tages redete er
mit ihm in der nagelfluhkörnigen Sprache Hochstaldens und nannte ihn einen
Heitkelfresser und langsamen Freiburger. Und siehe, der Geselle verstand ihn,
warf den Hammer in den Winkel und zog davon.Einige Tage war der Schmied ohne
Hilfe und mußte am Schraubstock hantieren und die Hufeisenkanten
abgreifen.Jedoch bald stand wieder ein Geselle in der Schmiedbrücke,und obwohl
der einen unheimlich lang herabhängenden Schnauzbart und eine verdächtig
gerötete Nase hatte, stellte ihn der Alte doch an; denn er mußte ja jemanden
haben.Auch ging's auf den Sommer, wo den Gesellen sowieso das Wandern ins Gebein
fuhr. Er behielt ihn bloß einen Monat. Alle Augenblicke, wenn der Meister den
Rücken wandte und etwa für eine Weile in die Stube hinaufstieg oder einen Gang
zur Kirche und sonstigen Weg ins Dorf nahm, wischte der rotnäsige Bursche aus
der Schmiede und lief bald ins Rößli, bald in den vollen Weineimer um einen
Schnaps. Und als der Monat zu Ende war, kam der Betreibungsbeamte in die
Werkstätte und sprach für den Rößliwirt den Lohn des Gesellen an. Andern Tags
war der spurlos verschwunden und mit ihm die Sonntagskleidung des Meisters und
dreißig Franken in bar, die
205 dem Alten für Arbeit bezahlt worden waren und die er unvorsichtigerweise nur aufs Büfett gelegt hatte.
Da wurde der Schmied Kleinhans ganz schwermütig.„Müssen denn alle Spitzbuben, Tagdiebe und Lumpenhunde gerade bei mir einstehen“, rief er zornig; „oder ist die Landstraße jetzt von lauter Strolchen überlaufen.“ Eine Weile machte er's ohne Hilfe. Aber als Tag um Tag,Woche um Woche verging, ohne daß sich einer vom Handwerk blicken ließ, fing er an, recht bekümmert, ja ängstlich durchs rußige Scheiblein zu blinzeln, ob sich nicht doch noch ein Landfahrer in seine Werkstätte verirre. Doch es war der holde Frühling ins Land gekommen und zog alles,was da nach Hochstalden an Handwerksgesellen hinaufkam, singend und lachend an seiner altmodischen Schmiede vorbei und hinunter gegen das blustumwobene Städtlein Nidach.
Der Alte wußte nicht, wo aus, wo ein. Nicht einmal die fällige Steuer konnte er mehr bezahlen. Auch schämte er sich gar sehr vor seiner jungen Magd, der er ihr Löhnlein schon seit langer Zeit nicht mehr gegeben hatte. Es ging so wenig ein, und treiben durfte er die Leute nicht, sonst würden sie ihn einen Dränger und Zwänger heißen und gar zum Unterflüher Schmied laufen. Auch mochte er seine mißliche Lage nicht zu sichtlich werden lassen. Er war doch immer noch Kirchenvogt und freute sich des Vertrauens,das ihm der Pfarrer und die Kirchgemeinde schenkten. Nie hielt jemand Nachschau nach den paar Wertschriften des Staldener Kirchengutes, die er in der Elternkammer in einer Extralade sorglich aufbewahrte.
Eines Tages stand er trübselig an der Esse und starrte ins Feuer, in dem er ein Eisen hatte. Allein konnte er's
13*
46
Die Schmiedjungfer.länger nicht mehr machen; Hufeisen und Pickel waren ihm ausgegangen. Wäre die letzten Tage ein Roß vor die Schmiede gekommen, er hätte ihm nicht einmal ein Eisen aufschlagen können. So hatte er denn schweren Herzens nach der Schmiede des Nachbardorfes im Tal geschickt, man möchte ihm doch einen Gesellen für einen oder zwei Tage zur Aushilfe überlassen, weil bei ihm kein Mensch mehr einstehen wolle. Offenbar sei den Stromern der Aufstieg zu seinem hochgelegenen Dorfe zu heiß. Man werde sehen,was sich machen lasse, hatte ihm das Bethli zurückberichtet.Nun wartete der Schmied schon seit dem frühen Morgen auf die Aushilfe; aber niemand kam. Da hatte er mißmutig ein Eisen ins lodernde Feuer geschoben, in der Hoffnung, der Gehilfe werde alle Augenblicke anrücken.Das Eisen glühte; niemand kam. Bekümmert schaute er ins blauzüngelnde Feuer.
Leise Schritte gingen hinter ihm; aber er hörte sie nicht;denn der Blasbalg pustete. Bethli, die Magd, war in die Schmiede getreten. Schier erschrocken schaute sie auf den Meister, der zum Tode betrübt an der Esse stand. Danmn schlich sie sich zum Amboß, hob den großen Schmiedhammer auf und schwang ihn mit beiden Händen ein paarmal durch die Luft. Und ihn wieder an den Amboß hinstellend, rief sie muntern Tones: „Meister, was sinnet Ihr?“
Der Schmied sah sich um und sagte: „Siehst, Bethli, so ergeht's nun mir altem Mann. Alles läuft mir zuwider.Nun schickt mir der rote Schmied aus Unterflüh den Gehilfen auch nicht. Alles läßt mich im Stich. Es ist doch eine himmeltraurige Welt.“
Die junge Magd hatte mittlerweile einen Lederschurz von der Wand genommen und
umgebunden. Verwundert schaute
137 sie der Alte an. „Du wirst doch nicht den Gesellen machen wollen?“ sagte er trüb lächelnd.
„Warum denn nicht?“ gab sie zurück. „Hab ich's früher spaßweise gekonnt, so kann ich's jetzt auch einmal im Ernst probieren, und geht's schief, so könnt Ihr mich ja wieder abstellen.“
„Mach keine Dummheiten!“ brummte er. „Ich bin jetzt nicht dazu aufgelegt, Lumpereien zu treiben.“
Aber die Magd erwischte die Zange und den Handhammer.
„An den Amboß, Meister!“ gebot sie resolut, fuhr mit der Zange in die Glut, hob flink das weißglühende Eisen heraus, legte es auf den Amboß, und ratsch tatsch! stoben die Funken und sprühte das Eisen und ging ein Feuerwerk los wie an einem eidgenössischen Bundesfeiertage.Der Alte, den schweren Hammer in den Händen, schlug drauflos wie ein Zyklop, und das Bethli ließ den Handhammer spielen, bis sich ihr der leichte braune Scheitel löste und die Haare über die Schultern gingen. Aber sie verzog kein Auge vom Amboß, schmiedete und werkte drauflos 00 gebogen war. Jetzt ließ der Schmied den Hammer verklöppeln, und Bethli schob das Eisen mit der Zange wieder in die Glut zurück, hurtig den Blasbalg zu treten anfangend.
„Seht Ihr, Meister“, machte sie triumphierend.
„Ja“, lachte der Alte, schwer aufatmend, „es ist beim Eiker wahr, die Jungfer hat den Unterricht noch nicht vergessen, den ich dem aufschießenden Springmägdlein einst gegeben habe. Es geht dir fast von der Hand wie dem Mannsvolk. Fehlt bloß die Übung; die Kraft hättest du wahrhaftig. Wundert mich nur, wo du sie her hast, du Weltsmaitli du!“
Die Schmiedjungfer.„Könnt Ihr mich also brauchen?“
„Hm, hm, ja heißt das“, machte er brummend, „es ist eigentlich mehr geschämig für mich. Aber wahr ist's, ich hab kein einziges Hufeisen mehr in der Schmiede. Allein kann ich's nicht machen. Wenn du mir aushelfen wolltest,bis ich wieder etwa einen Lümmel habe, wär mir's wohl gedient; denn beim ewigen Hagel, du kannst's und greifst es an wie ein Gewester. Aber wer macht denn derweil die Haushaltung? Alles kannst du nicht machen.“
„Da habt keinen Kummer, Vater Kleinhans. Ich weiß ein Kind in der Nachbarschaft, ist eben aus der Schule entlassen. Das wird uns das Haus in Ordnung halten.Gekocht habe ich bald.“
„Was werden dann die Leute von mir sagen, Maitli,wenn ich alter, windschiefer Adam ein junges Weibsbild an den Amboß stelle. Das ist eigentlich doch Mannsarbeit.“
„Meister, die Leute werden sagen, der Schmied habe trotz allem den Rank gefunden, ihre Rosse zu beschlagen,und einer ehrlichen Arbeit brauche sich keine Prinzessin zu schämen. Macht Platz, Vater!“
Der Schmied trat schmunzelnd einen Schritt vom Amboß weg; das glühende Eisen lag wieder darauf, und handfest,aber bedächtig, hämmerte die Magd mit dem spitzen Beißer die Löcher in das gebogene Eisen. Hie und da tat der Schmied einen belehrenden Zuruf, und bald lag das Hufeisen, bis aufs Abgreifen fix und fertig, vor den Augen des erfreuten Alten.
„Ja, ja, so einen Gesellen ließe ich mir auch gefallen“,rief jemand.
Der ältliche Briefträger war unbemerkt eingetreten, und hinter ihm standen ein
paar Büblein in der Schmiedbrücke,
18
79 die eben aus der Schule gekommen waren und nun mit grohen Augen auf das tapfer drauflos hämmernde Bethli geschaut hatten.
„Gelt“, machte lachend, den Schweiß abtrocknend und die Haare heraufbindend, die junge Magd, „gelt, Briefträger, einen Schmied im Weiberrock hast du noch nie gesehen.“
„Nein“, meinte der Briefträger, „aber es wundert mich nicht; denn erst am letzten Sonntag hat der Kapuziner gepredigt, es seien die heillosen Weiber, die uns die Ketten schmieden, daran wir das ganze Jahr herumgeschleift werden und die uns gar in die Hölle hinunter nachziehen.“
Er feierte seinen Witz mit einem lauten Auflachen, verlas mit wichtiger Miene seine Briefschaften im Kästlein und legte dann den „Staldener Boten“ in des Alten Hände,der sofort eifrig nach der Brille suchte, ihn zu durchgehen.
„Am Ende bekommen wir auch noch einen weiblichen Briefträger“, sagte, heiter gestimmt, das Bethli.
„Oho“, machte, die Augenbrauen hochziehend, der Briefträger, den man seines vielbedeutenden Gehabens wegen den Bundesläufer nannte, „oho, Jungfer, das ist nicht so leicht; denn, wenn wir nicht wären, stände die Welt bald stil. Wir müssen es im Kopf haben, Jungfer, im Kopf.Denk dir einmal, was daraus alles entstehen könnte, wenn wir alle Briefe an die unrichtigen Adressen brächten! Und dann das Amtsgeheimnis, Jungfer, das Amtsgeheimnis.“
„Nein“, meinte der alte Kleinhans, schalkhaft über die Brille hinwegblinzelnd,
„einen weiblichen Briefträger könnte man nicht brauchen, Bethli; sonst wüßte es
bald das ganze Dorf, wo ihrer zwei ein heimliches Freudenfeuerlein
unterhalten.“
Die Schmiedjungfer.„Und wo Meister Notnagel anklopft“, machte ziemlich spitzig der Briefträger, der den Schalk in des Alten Augen wohl bemerkt hatte. Und gewichtigen Schrittes, als ob er das Buch mit den sieben Siegeln im Kästlein vor dem Bauch trüge, verließ er die Werkstätte.
Doch der Alte las schon seine Zeitung. Die junge Magd hatte ein anderes Eisen ins Feuer gelegt und trat, ein Liedchen trällernd, wohlgemut den Blasbalg.
Die Büblein aber stoben mit klappernden Schulsäcken hinter dem Briefträger her und lärmten durchs Dorf: „Des Kleinhansen Magd ist ein Schmied geworden!“
Und des Kleinhansen Magd blieb ein Schmied. Wie sehnlich auch der Alte nach einem
tüchtigen Gesellen ausschaute, es kam keiner. Ein liederliches Bürschlein, das
wohl schon alle Kniffe der Wanderschaft und alle Herbergen kannte, warf er
keuchend zur Schmiedbrücke hinaus. Dem kaum hatte der Bursche den Nebengesellen
im Unterrock erblickt, so zappelte der auch schon in seinen Armen. Es kam dann
noch ein geschniegelter Sattlergehilfe und hielt Umschau, sich für einen Schmied
ausgebend. Aber als ihn der Alte einstellte, machte er sich, sobald er das
Mittagessen im Leibe hatte, heimlich davon. Da bat Bethli den Schmied inständig,
er solle es doch wenigstens den Sommer über mit ihr zu machen suchen. Obwohl er
sich schämte,das willige und reinliche Mädchen in der rußigen Schmiede sich
abarbeiten zu sehen, nahm er's doch an und gewöhnte sich rasch daran, weil ihn
das Bethli einen Gesellen vom Handwerk nicht stark vermissen ließ. Wie schwächer
seine Hand wurde, desto behender und kräftiger handhabte die gelehrige und
wehrhafte Magd den Hammer. Wenn er still und einsilbig wurde, stimmte sie ein
fröhliches Liedlein
201 an und unterhielt ihn durch ihr munteres Geplauder. Auch ging das Geschäft nicht schlecht; es machte sich besser als früher, so daß das Bethli statt dem Springmägdlein eine ältere Frau für das Hauswesen anstellen konnte. Nicht nur aus der Hochstaldener Gegend kamen jetzt die Bauern und Fuhrleute zur Schmiede; auch aus andern Bauerndörfchen und Berghöfen machten sich die Leute, und vor allem die Vauernburschen, neugierig zum Staldener Schmied,X
Das Bethli, das anfänglich diesen vermehrten Zulauf nicht besonders gerne sah und vor jedem neuen Gesicht über und über errötete, gewöhnte sich bald daran, begann mit den Leuten zu reden und zu werweisen und mit den Burschen zu scherzen und freute sich des silbernen Brünneleins,das nun so ungeahnt nach und nach in der Schmiede auf-ging. Freilich hatte sie manchen rohen Spaß und manches gemeine Wort auszuhalten; doch sie tat dann, als hörte sie nichts, trug sich unbefangen, gab zur rechten Zeit Bescheid und wußte zur rechten Zeit zu schweigen. Als sie aber einem Bauernsohn, der ihr in des Meisters Abwesenheit wüst kam, mit dem glühenden Eisen in der Zange die Türe wies, lobte sie das ganze Dorf, und weit im Land herum sprach man von der Schmiedjungfer von Stalden. Es kam gar der rote Schmied von Unterflüh, um ihr zuzusehen,machte ihr hinter Kleinhansens Rücken große Versprechungen und suchte sie auf jede Weise für seine Werkstätte zu gewinnen. Sie ging jedoch auf nichts ein und erklärte, daß sie das Schmiedhandwerk weniger aus Liebhaberei, als aus Anhänglichkeit an den alten Peter Kleinhans treibe.Und als er ihr gar einen Heiratsantrag machte, lachte sie ihm ins Gesicht und sagte: „Wenn ich einmal heiraten will,
Die Schmiedjungfer.so will ich nicht als Schmied, sondern als Jungfer geheiratet sein. Aber es sprengt mir damit nicht; ich hab's da recht, um so mehr als ich hier in der Staldener Schmiede selber den bezahlten Meister spielen kann. Warum sollte ich denn meiner Lebtag bei Euch ohne Lohn die Frau, den Gesellen und die Magd auch noch, machen?“
Bethli war auch wirklich immer mehr der Meister; denn der alte Schmied ließ sie
Buch führen, Wareneinkäufe machen, kurzum schalten und walten, wie sie wollte.
Er begann zu kränkeln, ward zahmer, ruhiger. Sonst hatte er oft gar böslich
aufbrausen können, wenn ihm etwas widerwärtig ging. Jetzt begnügte er sich meist
mit einem drohenden Zusammenziehen der buschigen Augenbrauen und einem Brummen,
das ganz dem Verdonnern eines rasch abziehenden Gewitters glich. Seine
Mittagsschläfchen wurden immer länger, und mit bekümmerten Augen sah die
Magd,wie ihm der Hammer immer schwerer wurde. Schon mehrere Male hatte sie sich
vom Unterflüher Schmied, der ihr nicht ungern willfahrte, Aushilfe schicken
lassen müssen. Sie tat's nicht gern; denn schon zweimal war nun der rote Schmied
selber gekommen und hatte dabei immer anfechtiger getan.Nun war aber von einem
Eisenladen im Städtchen Nidach eine große Anzahl Pickel bestellt worden. Es
wurde ihr bei dieser Bestellung recht schwer; denn der Schmied Kleinhans lag nun
fast alle Wochen ein paar Tage müde und übelzeitig zu Bett. Lange schon hatte er
das Alter gemerkt und sich gegen seine heimlichen und offenen Angriffe gewehrt,
wie einer, der sich nicht so rasch unterkriegen läßt.Endlich ward es ihm zu
mächtig; der Hammer ward schwer in seiner Hand, und die Veine begannen zu
zittern. Wochenund wochenlang hielt er sich, aufs kalte Pfeifchen
beißend.
203 neben seiner Magd noch aufrecht, so gut als möglich. Bethli sah es wohl, wie er sich plagte und sich wehrte mit einer zähen Heldenhaftigkeit, und wie er dann abends, todmüde,so bald als tunlich sich ins Bett machte. Auf einmal ward es ihm doch zu schwer, und der Hammer entfiel alle Augenblicke seiner Hand.
Verzagt, schier mutlos, stand das Bethli eines Nachmittags, einen Augenblick Luft schöpfend, in der offenen Schmiedbrücke. Da stampfte ein Bauernhengst, ein schwerfälliges Zugtier, daher, das ein Knabe im Hirtenhemd ritt,ihm hie und da eines mit der Hand über den Pupis versetzend, um es zu rascherer Gangart anzuspornen. „Schmiedjungfer“, rief er von weitem schon, „du sollst mir das Roß beschlagen. Es hat schon wieder ein Eisen ab!“
Bethli kam in einige Verlegenheit. Ihr Meister tat noch immer sein Mittagsschläfchen. Um keinen Preis hätte sie ihn aufgeweckt. Doch konnte ja vielleicht der Bauernbub dem Pferd das Bein halten. Hurtig machte sie alles bereit.Derweil wurde der Gaul etwas unruhig, und da ihm der Bub mit den Fäusten Geduld beibringen wollte, wurde er ganz störrisch und packte ihn mit den Zähnen beim Hirtenhemd, was ein mörderisches Geschrei absetzte. Ein eben herankommender älterer Handwerksbursche befreite ihn und sagte: „Du mußt das Tier halt nicht gleich schlagen.“
Jetzt trat Bethli, das Handwerkszeug in den Händen,rasch aus der Schmiede, zum rauchenden Feuerring und sagte: „Bub, ich seh's schon, du kannst dem Roß das Bein nicht ruhig hatten. Wart ein bißchen; der Meister ist gerade am Aufwachen; ich hab ihn husten gehört.“
„Vielleicht kann ich helfen, Jungfer“, machte der Handwerksbursche.
Die Schmiedjungfer.Sie sah auf und suchte seine Augen. Er blickte sie gutmütig, etwas ernst an.
„Bist du auch schon bei Rossen herum gewesen?“
„Denk's wohl; ich bin vom Handwerk.“
„So greif zu, Gesell! Magst gleich zeigen, was du kannst“, fügte sie lachend bei. „Ist ja da alles brennheiß bereit. Ich will dann den Gaul halten.“
Flugs lag der Rucksack am Boden und darüber der Kittel.Er stülpte die Armel zurück; sie klopfte dem alten Hengst ein paarmal den Hals, hob ihm sachte das Bein, was er sich,mit dem Kopfe eifrig nickend, gerne gefallen ließ und nun brannte, hämmerte und werkte der Gesell drauflos, wie ein Wichtelmännchen, das den Tag merkt. Im Hui saß dem Roß das Eisen an der Hufe, als wär's ihm daraus herausgewachsen.
„Wohl, wohl, du hast's los“, machte jetzt Bethli, des Hengsten Bein fahren lassend. Und dann fügte sie, sich die rauhe blaue Bluse abwischend, hinzu: „Wirst doch umschauen? Könntest eigentlich gleich bei mir einstehen; denn ich muß jetzt den Meister machen, da der alte Kleinhans immer etwas kränkelt. Was sagst?“
„Ja, was soll ich sagen“, machte er, einen Augenblick überlegend ins Tal schauend. „Ich wollte eigentlich nach dem Städtlein Nidach hinunter. Aber wenn's dir recht ist,so kann man's ja auch in der Staldener Schmiede probieren.Du wirst ja wohl“, meinte er, still lächelnd, „die Schmiedjungfer sein, von der man auf der Herberge erzählte, daß sie irgendwo im Bergland einem Alten den Gesellen mache.Ich hatte es völlig vergessen, weil ich's nicht glauben konnte.Jetzt seh ich's mit eigenen Augen.“
„Ja, sie versteht's schier besser als der alte Kleinhans“,sagte jetzt der
Bub.
205 „Geh jetzt, Bürschlein!“ machte Bethli geschwind. „Wart,ich will dich hinaufheben.“
Sie umfaßte, blutrot im Gesicht, den Knaben und half ihm auf den Gaul, der sogleich gemächlich davon trottete.„Hü. Vögi, hü!“ rief der Bub.
„Wenn's dir recht ist und du ein rechtschaffener Mensch bist, so tritt ein“, sagte sie, aufatmend. „Ich sag dir's noch einmal: Ich bin hier der Schmiedmeister. Und wenn mir diese Hantierung auch kein Schleck ist, so muß ich's doch machen. Komm nun zum Vesperbrot. Wenn du keinen Narrenlohn forderst und recht mit mir bist“, sie sah ihn einen Augenblick seltsam an, „so wollen wir dich mit Freuden behalten. Gib deine Habseligkeiten her!“ Sie griff seinen Rucksack vom Boden auf. „Hast ja aufgeladen wie ein Hausierer.“„Ich habe ein Sonntagsgewand und die neuen Schuhe drin. Muß doch ein rechtes Aussehen haben, wenn's nötig ist, und den Koffer kann ich nicht nachtragen.“
„Wo kommst denn her?“
„Aus dem Hohenzollerischen, aber freilich“, setzte er lachend hinzu, „auf etwas krummen Wegen. War zuletzt fünf Jahre in einem Schweizerdorf in der Ebene drunten.“
Sie sah ihn freundlich an und ging ihm dann voraus in die Schmiede, wo der Geselle eine eingehende Umschau hielt. „Es sieht da drin ein bißchen altväterisch aus“,meinte er. Darnach stiegen sie in die Stube hinauf.
Der Schmied Peter Kleinhans zeigte sich ganz erfreut,als ihm Bethli den Gesellen Anton Landthaler aus dem Hohenzollerischen zum Kaffee brachte. Es scheine ihm ein bestandener Bursche zu sein, der die böse Hupfaufzeit hinter sich habe, sagte er nachher zu Bethli. Freilich, glauben
6
Die Schmiedjungfer.wolle er's erst, wenn er's erlebt habe; denn es laufen viele in der Welt herum, die auswendig einen Heiligenschein und inwendig einen Lumpenhund im Leib haben.Doch sei er froh, daß sie endlich eine rechte Hilfe in Aussicht habe; denn ihm sei's schon lange himmelangst gewesen,er falle ihr noch einmal mitsamt dem Hammer über dem Amboß zusammen. Er spüre es jetzt in allen Gliedern,daß er ausgeschafft sei und einfach nicht mehr könne. Früher habe er über alles, was ihm krumm schien, ein Donnerwetter machen können; jetzt sei ihm bald alles eins, geh's in der Welt wie's wolle. Sie möge aber mit ihm Geduld haben, daß er nun so auf der faulen Haut liege. Er müsse sich wahrhaftig schämen; sie verdiene ja jetzt so schön Geld.Wenn's so fortgehe, könne er an seinem Schmiedhaus noch manches bessern; denn die hinterste böseste Hypothek hätte er vor einem Monat bar zurückbezahlt. Das alles habe er ihr zu verdanken, und er werde ihr's auch danken; sie werde das eines Tages schon noch erfahren. Wenn's Gottes Wille sei, so wolle er ja wohl noch einmal an den Amboß und auch an den Schraubstock stehen, und sonst möge Gott ihr helfen, der ihr einen so starken Arm gegeben habe.Sie könne es ja jetzt auch ohne ihn machen; denn anstelliger und sparsamer als sie sei gewiß noch kein Manns-bild gewesen.
Also begann Bethli mit dem neuen Gesellen zusammen zu arbeiten. Sie hatte bald
heraus, daß er mehr verstand als sie und zur Not auch heiklere Dinge zustande zu
bringen vermochte als ein Hufschmied. Denn in seiner freien Zeit schmiedete er
an einem Eisengeländer, das er dann vor den Augen des bewundernden Mädchens und
des aus der Stube herabschauenden Meisters eines Tages an der steinernen
Vor
207 treppe des alten Hauses festmachte. Sein Kunstwerk trug ihm bald ein paar andere derartige Aufträge ein. Um ihm hiefür Zeit zu geben, stellte Bethli mit des Alten Zustimmung noch einen eben ausgelernten blutjungen Gesellen aus dem Schaffhausischen an. So gab es in der dunklen Staldener Schmiede ein Leben wie nie zuvor. Dabei war der ältliche Geselle immer bescheiden, gutlaunig und von gleichmäßiger Freundlichkeit gegen Bethli, obwohl das bald heraus hatte,daß er sie heimlich mit wärmern Augen ansah, als wenn er vor ihr stand. Und als er ihr gar ein zierliches Gitter vor das Fenstersims machte und ihr, als er's anschlug,sagte, es sei heute Elisabetha Bona, ihr Namenstag, da wußte sie genau, woran sie mit Anton Landthaler war.Jedoch sie dankte ihm herzlich und drückte ihm warm die Hand, was ihn ganz glücklich machte, wie sie wohl sah.
So war der Winter gekommen. In der Staldener Schmiede standen, lehnten und lagen die Vorräte an Pickeln,Hacken, Radringen und andern schmiedeisernen Sachen haufenweise herum und gingen auch fleißig ab. Der alte Kleinhans freilich ließ sich fast nie mehr in der Werkstätte blicken; denn Gliedersucht und Müdigkeit zwangen ihn fast immer hinter den Ofen und ins Bett. Aber er brauchte sich seines Geschäftes wegen nicht zu sorgen. Seine junge Magd leitete es aufs beste. Sie hatte gar noch einen Lehrbuben eingestellt. So ließ er sie ruhig machen und begnügte sich damit, die paar Wertschriften des Kirchenfonds in der Lade der Elternkammer hie und da zu beaugenscheinigen und die paar Zinse, die davon eingingen, mit zitternder Hand zu buchen. Und wenn er am Ofen saß und ihre befehlende und doch so freundliche Stimme etwa aus der Schmiede herauftönte, schmunzelte er vergnügt und
Die Schmiedjungfer.blätterte dann getroster in einer uralten Bibel mit riesigen Buchstaben, die er nun gar viel vor sich auf dem Tische hatte. Aber obwohl er fromm und gottergebenen Sinnes war und seine Augen ruhig der herannahenden langen Nacht zuwandte, fand ihn seine Magd doch oft tief niedergedrückt von Kummer um seine Töchter, und sie mußte Gott und alle Heiligen zu Hilfe nehmen, um ihn wieder aufzurichten.„Ja“, pflegte er dann zu sagen, „ich will auf Gott vertrauen. Er wird etwa noch einen Weg wissen für meine Töchter und ihnen einen Engel an die Hand geben, wie er mir einen gegeben hat. Gott lohne dir's, Bethli!“
Zu Weihnachten schenkte Bethli dem Altgesellen ein Paar selber gemachte
Endenfinken und einen blauen dicken Lismerkittel, den sie an den Winterabenden,
beim Meister am Ofen sitzend, eigenhändig gestrickt hatte. Der Geselle war
selig, und in der Aufregung umhalste er die junge Magd und gab ihr einen
herzhaften Kuß. „Anton“, sagte sie da,brandrot über und über, „du dankst mir
übers Maß; so hab ich's gerade nicht gemeint. Es ist mir recht, wenn du dir
diese Art zu danken bei mir abgewöhnst; sonst hättest du dann heute dein letztes
Geschenk erhalten und müßtest ein Haus weiter, so notwendig du unserm Geschäft
bist.Doch will ich nicht ins Predigen kommen; das steht mir nicht an, und so
will ich dir's aufrichtig sagen: Ich hab's schon lange an hundert kleinen
Aufmerksamkeiten und an deinen Augen gemerkt, Anton, woran du denkst. Und ich
darf ruhig sagen, ich mag dich wohl, wenn auch nicht so wohl, daß du's für Liebe
zu nehmen brauchst. Du wärst mir freilich zehnmal gut genug, und ich habe dir
viel zu danken; denn dein Lohn zahlt dir deine guten Dienste nicht,die du mir
und meinem lieben Meister tust. Aber heiraten
209 kann ich dich nicht, Anton, jetzt nicht, und wer weiß, ob ich jemals an so etwas denken darf. Also bleib mein getreuer Altgeselle; sei mir gut, aber küsse mich nicht wieder,gelt?“
Der ältliche Geselle hatte stille zugehört und zuletzt trübe genickt und war dann, mit Tränen in den Augen, ruhig in seine Kammer hinaufgestiegen. Doch den blauen Lismerkzittel und die Endefinken trug er den ganzen Winter lang allabendlich.
In jenem Momente aber, als der Altgeselle zu Weihnachten mit Bethli allein in der Stube war und es küßte,ging unten in der Gasse die ältere Tochter des Schmieds,Portiunkula Pipenhenner, eben vorbei, um zur Kirche hinaufzusteigen. Da erblickte sie am erleuchteten Wohnstubenfenster des Schmiedhauses des Vaters junge Magd, die der schwäbische Altgeselle eben auf die rote Wange küßte.Starr, wie angefroren, blieb sie einen Augenblick stehen.Dann schlug sie die Hände zusammen und rief halblaut,wehklagend, aus: „O du meine heilige Zuversicht, welch eine Wirtschaft in meines Vaters Haus! Da läßt sich diese scheinheilige Person, dieses aufgelesene Mensch, von ihrem Gesellen am heiligen Abend abschmatzen. Der Verstand steht einem still. Jetzt weiß man doch, warum diese Magd lieber in der Schmiede steht als am Schüttstein. Und eine solche sittenlose Person kann der Vater in seinem Hause dulden! Aber ich will's gleich dem Desiderius zu wissen tun.Allen Leuten will ich's sagen, die in den Laden kommen;das ganze Dorf soll es wissen, wie's diese gerühmte Schmiedjungfer mit ihrem Altgesellen treibt. Du heilige Zeit, du heilige Zeit!“ Und wie der Wind fuhr sie durch den aufstiebenden Schnee nach Hause.Lienert, Vergdorfgeschichten.
4
Die Schmiedjungfer.Es dauerte nicht lange, wußte das ganze Dorf, daß die Schmiedjungfer sich von ihrem Altgesellen in der heiligen Nacht habe abschmatzen lassen und daß es in der Schmiede wohl nicht so zugehe, wie man's von einem wohlanständigen Hause verlangen dürfe. Auch für den alten Schmied fielen noch böse Worte ab, die ihm nachredeten, er werde wohl dem Bethli, das so zärtlich an ihm und seinem Hause hange, einstmals nicht nur im Schmiedhandwerk Unterweisung gegeben haben.
Diese Gerüchte kamen auch der Frau Kätherli Gagelmann zu Ohren. Und da wußte sie nichts Gescheiteres zu tun, als schleunigst ihre herumstrampelnden Zwillinge der Obhut ihres halbbetrunken am Tisch sitzenden Mannes anzuvertrauen, schnell noch einen Schluck Wein aus dem im Ofenrohr stehenden Kaffeekrug zu nehmen und darnach geradenwegs ins Schmiedenhaus zu ihrem Vater zu watscheln.
Der saß eben fröstelnd am Ofen, und zu seinen Füßen kniete die junge Magd und zog ihm die warmen Winterschuhe an. Er hatte wieder einmal in die Kirche gehen wollen und war nun halberfroren in seiner Wohnstube angelangt.
„Kätherli“, machte der Alte freundlich, „kommst du zu mir? Was führt dich her?
Was wird dich aber hertreiben“,setzte er, trüb lächelnd, hinzu; „der Schreiner
wird dich nach Geld schicken. Es soll bei euch nicht am besten gehen,höre
ich.“„Vater“, machte die Riesentochter, die mit dem blonden Scheitel fast die
Decke berührte, schwer aufatmend, „ich hätte zwar nicht kommen sollen; denn Ihr
laßt ja nie einen Tropfen Wein in unserer Wirtschaft holen und kümmert Euch
wenig genug um uns seit der mütterlichen Erbschaft.“
211 „Hast du oder hat der geschmalzte Hobelspäner sich jemals im mindesten um mich geschert!“ warf der Schmied unwirsch ein. „Meiner Kinder und Schwiegersöhne wegen hätte ich tausendmal verhungern und verdursten können.Es fragte nie jemand von euch, ob ich etwas notwendig habe, auch nicht, als man mir meinen letzten Rappen nahm.Hätte ich das Bethli nicht gehabt, ich säße im Armenhaus.“
„Meister, Meister!“ wehrte die Magd.
„Vater, müßt nicht schimpfen“, sagte Frau Gagelmann,sich am Tisch auf eine Stabelle platschen lassend; „eben wegen dem Bethli komme ich just. Ich will's grad sagen;sie soll's auch wissen: Im ganzen Dorf herum heißt's, der schwäbische Altgeselle Landthaler hätte mit Eurer Magd ein Verhältnis. Man habe es von der Straße sehen können,wie sie sich in der heiligen Nacht abgeschmatzt hätten. Und auch Euch reden sie Übles nach wegen dem Bethli, und obwohl ich da nichts Böses glaube und es schlecht ist von den Leuten, schämt es einem doch an, daß das Bethli unser Vaterhaus in einen so schlimmen Ruf bringt, und“, sie begann weinerlich zu werden, „und das alles haben wir jetzt nur dieser Magd wegen, Vater.“
„Schweig!“ lärmte sie der Schmied an, während Bethli erbleichend mit des Alten nassen Schuhen unter der Küchentüre stand. „Es tut mir leid; aber man nennt dich doch wohl nicht umsonst die große Dummheit, Kätherli. Seit einer ewig langen Zeit habe ich dich nicht mehr gesehen, und nun fällst du mir auf einmal mit solch verlogenem Tratsch und Geklatsch ins Haus, du Einfalt.“
„'s ist aber gewiß wahr, Vater“, beteuerte Kätherli hoch und heilig.
„Bethli“, wandte sich jetzt der Schmied ruhig an seine
4*
Die Schmiedjungfer.Magd, „was ist das für ein dummes Geschwätz? Woher kommt das? Ist denn wirklich etwas dran?“
„Ja, Meister, etwas ist dran“, antwortete die Magd,„aber nicht viel.“
Und nun erzählte sie dem Schmied vor der Frau Gagel mann das Erlebnis der heiligen Nacht und tat ihm auch zu wissen, wie sie zu dem Altgesellen stehe und was sie zu ihm gesagt habe. Dann verließ sie weinend die Stube.
„Geh nur wieder heim“, sagte darnach der Alte zu seiner Tochter; „du siehst, 's ist ja doch alles dummes Gewäsch;denn was mir das Bethli sagt, das glaube ich wie das Evangelium, verstanden! Und sag demjenigen oder derjenigen, die dir diese boöse Nachrede über das arme Maitli gesteckt hat, sie solle sich eine Eisenzwinge an den Schnabel machen lassen, damit sie schweigen lerne. Nun geh mit Gott! Ich wünsche dir alles Gute, armes, törichtes Kind.Auf was wartest du noch?“
„Vater“, machte halblaut, nach der Küche sehend, die Frau Gagelmann, „wäret Ihr
nicht so gut und tätet mir fünf Franken leihen. Ich bring's Euch übermorgen
wieder.“„So, armer Tropf, seid ihr glücklich wieder so weit.“Er schüttelte
betrübt den Kopf. „Ist das Erbe richtig verputzt und verklöpft und versoffen.
Und das in so kurzer Zeit. Aber so geht's, wenn der Mann, der Lump, keinen
Weltsstreich schafft und selber der beste Gast in seinem Kneiplein ist, und wenn
die Frau“, er sagte es nur halblaut, „so kuhdumm haushaltet und mit vollen
Händen verschleudert, statt zusammenhält. Und dann“, er sagte es ganz leise,
„will mich bedünken, du sehest so verschwommen rot drein und riechest stark nach
Wein.“
213 „Es ist“, machte Kätherli etwas stotternd, „weil ich und die Magd den Keller aufgeräumt haben. Da hängt der Geruch eben noch in den Kleidern. Seid nicht böse, Vater.Und daran, daß wir nicht vorwärtskommen, ist der Rößliwirt schuld. Er nimmt uns die Kundsame weg. Aber wenn mein Mann einmal das dreistöckige Gartenhaus aufgebaut hat, von dem aus man über das ganze Tal hinaussehen wird, so ...“
„O Kätherli, dummes Geschöpf, das Gartenhaus wird bis zum jüngsten Tag nicht fertig. Ich bin nur froh, daß du ein so glückliches Gemüt hast, das die Welt alleweil wieder durch eine rosenfarbene Brille sieht. Da“, er langte in den Sack und zog den Geldbeutel heraus, „da hast du zwanzig Franken. Wende sie gut und für dich und deine Kinder an, und“, setzte er leise, mit mißmutig zusammen-gezogenen Augenbrauen bei, „wenn du wieder nötig bist,so klopf in Gottesnamen wieder an.“
„Ja“, sagte sie, die Fünflibers nehmend, „ich sage Euch Dank. Es könnte schon sein, daß ich etwa bald wieder käme; denn ich möchte meinen zwei Bübchen hübsche Pelzkäpplein kaufen. Die gestrickten Lismerkappen sind so bäuerisch.“
Geh, geh jetzt!“ winkte er ab. „Und vergiß es nicht,Kätherli“, machte er streng, schier finster blickend, „eine Trinkerin wäre doch der erbärmlichste Anblick auf der Welt!“Betrübt schüttelte er den Kopf, und als er sie die Stiege hinuntergehen hörte, ächzte er schwer und murmelte vor sich hin: „Die Dummheit ist doch ein großes Glück. Was müßte das elende Geschöpf anfangen, wie hätte sie ein Leben,täte ihr die Dummheit nicht immer wieder den ganzen irdischen Dreck in Goldpapier wickeln.“
Die Schmiedjungfer.Die Türe ging. Bethli trat mit dem dampfenden Milchkaffee in die Stube.
„Meister“, sagte sie, die Krüge und Tassen auf den Tisch stellend, mit leichtem Zittern in der Stimme, „Ihr habt nun gehört, was man über mich im Dorf herumredet. Ich wußte es schon lange; ich mochte Euch nur mit dem dummen Geschwätz nicht ärgern. Da Ihr's nun doch vernommen habt, so möchte ich gern wissen, wie wir's nun halten wollen. Ich kann ...“
„Ach, was redest du denn daher“, machte der Alte; „laß doch die Leute schwatzen.“
„Nein, Meister“, sagte das Bethli ernst. „Wenn ich auch weiß, daß Ihr nichts Böses von mir denkt, so will ich doch auch den Schein meiden, als lebte ich nicht recht.Es würde Euer Haus in schlechten Ruf bringen und Euerm Geschäft, das jetzt so gut geht, gewiß viel schaden. Was soll ich nun tun? Ich habe darüber schon manche Nacht hindurch nachgesonnen. Etwas muß geschehen. Anton, den Altgesellen, dürft Ihr nicht aus dem Hause lassen; ich wüßte nicht, wie ich ihn ersetzen sollte; denn er ist geschickt und fleißig. Gehe aber ich, so bleibt der Hohenzoller auch nicht,und dann wäret Ihr doppelt schlimm dran.“
„Was“, lärmte der Schmied, „du könntest mich verlassen,Bethli?!“ Aber es schien ihm plötzlich etwas einzufallen.Er ließ den Kopf sinken und machte leise: „Ja, ja, 's ist eigentlich wahr, ich bin ein unverschämter Patron. Wie kann ich denn verlangen, daß du, die mir schon so unendlich viel getan hat, hier deine Jugend vertrauern sollst. Du kannst doch sowieso nicht alleweil hier bleiben.“
„Doch, Meister“, sagte sie, „das kann ich, wenn's auf mich ankommt. Und ich
will's von Herzen gern, Vater Kleinhans.“
215
„Ja, warum redest du denn vom Fortgehen?“ fragte er schier erstaunt.
„Ja, so könnte und dürfte ich nicht bleiben. Ich bin bloß eine arme Magd; gleichwohl könnt Ihr nicht wollen,daß man mich im Dorf mit dem Gesellen schlecht macht und mit Fingern auf mich zeigt.“
„Nein, der Donner, der Donner, das will ich gewiß nicht“, sagte er; „aber um Gottes und aller Heiligen willen,was soll man denn anfangen? Ich weiß nicht, wo ich den Kopf habe.“
„Meister“, machte sie jetzt und verbarg sich im Ofenwinkel, „ich wüßte wohl einen Ausweg.“
„Du weist einen“, sagte er aufatmend; „da bist du klüger als Salomon; ich weiß keinen. So rück aus!“
„Wie wär's, wenn Ihr mich heiraten tätet?“ kam's mit schüchterner, kaum hörbarer Stimme hinter dem Ofen hervor.
Der Alte schlug im Schreck die Milch um, daß sie über Tisch und Boden einen weißen See machte.
„Dich heiraten, ich dich heiraten? Ich, ein über siebzig Jahre alter, vertrockneter Rußteufel, ein zwanzigjähriges,laubfrisches Maitli? Bethli, Bethli, was sind das für Spässe mit einem alten Mann?“
„Es ist kein Spaß, Meister“, kam's halblaut hinterm Ofen hervor, „sondern heiliger Ernst; denn wenn Ihr mich nehmt, kann ich immer bei Euch bleiben und zu Euch schauen und niemand darf mir, als Eurer Frau, etwas Böses nachsagen, auch wenn ich in der Werkstätte unter den Gesellen stehe und zum Rechten schaue.“
„Ja, du wolltest mir wirklich dieses Opfer auch noch bringen?“ rief er, sich endlich erholend, aus. „Nein, Bethli,
J
Die Schmiedjungfer.das nehme ich nicht an. Ich weiß zu gut, daß du's nur tust, um mich alten siechen Greis nicht in der Patsche sitzen lassen zu müssen. Du gutes, du grundbraves Geschöpf, wie's kein zweites gibt auf Gottes Erdboden.“
„Vater“, sagte jetzt die Magd mutig, blutrot hinter dem Ofen hervortretend, „es ist kein Opfer. Ich bin glücklich,wenn Ihr mich nehmt, damit ich Euch erst recht das Hausmütterchen machen kann. Ich habe mir das immer gewünscht. Ich werde immer um Euch sein und Euch abwarten und pflegen den ganzen Tag und so oft Ihr mich braucht, und dann nachts, aber“, rief sie aus, „was habt Ihr da für eine Milchgumpe über den Boden gemacht!“Flink lief sie in die Küche, und mit einem Putzlappen zurückeilend und sich unter den Tisch auf den Boden duckend,sagte sie mit leiserer Stimme: „Und dann nachts werde ich wie bisher immer in meinem Dachkämmerlein schlafen, daß Ihr's recht ruhig habt, nicht wahr, Meister?“
Da brach er in ein fröhliches Gelächter aus.
„Ach, du lieber, guter Schalk du!“ machte er. „Ich wußte ja wohl, daß du nicht
den alten, weißbärtigen Schneemann da am Ofen heiraten willst; denn solch einen
niedern Geschmack und so ein Schneckenblut hab ich dir nie zugetraut. Freilich,
Bethli, jetzt heiraten wir, und nimm mich nur getrost; über dein
Jungfernkränzlein droben im Guckaus, ob dem schönen Kommunionbild, soll kaum die
Morgensonne gehen dürfen. Ja, ja, ja, wir heiraten“,machte er ganz aufgeräumt,
sich den verbliebenen Milchkaffee in die geblümte Tasse gießend; „wir wollen die
bösen Mäuler schweigen machen, und dann“, murmelte er, ernst werdend, vor sich
hin, „dann kann ich auch mit größtem Recht für dich sorgen und tun, was ich tun
will; denn dir
217 habe ich alles zu verdanken, Kind.“ Und laut fragte er jetzt: „Was sagt aber der Anton dazu?“
„Ich will mit ihm reden, Vater“, machte das Bethli und ging dann mit dem Krug wieder in die Küche hinaus,ihn frisch anzufüllen.
Der alte Schmied schaute vor sich hin in den Tisch, tupfte die Brosamen mit einer weichen Brotkrume vom Tellerchen auf und redete seufzend vor sich hin: „Das Sprichwort hat recht, das Gold liegt auf der Straße; man muß es nur aufzulesen wissen. Wer hätte gedacht, daß ich mir so einen Schatz zutragen würde, als ich dies arme Flatterröcklein von der Straße weg ins Haus nahm.“
Noch am gleichen Abend redete Bethli mit dem Gesellen,als sie ihn allein in der Werkstatt, noch am Schraubstock stehend, traf. Er erschrak ins Herz hinein, als sie ihn wissen ließ, daß sie sich mit Peter Kleinhans, ihrem alten Meister, zu verehlichen gedenke. Zum Tode betrübt ließ er den Kopf hängen, und einen Augenblick sah es aus, als wollte er sich aus der Werkstatt in die Kammer hinaufschleichen und den Rucksack packen. Er ließ Bethli reden und sie die Gründe, die sie zur Heirat bestimmten, auseinandersetzen. Nur mit halbem Ohr hörte er zu und zupfte fortwährend aufgeregt an seinem langen Schnurrbart, in dem sich schon einige graue Haare zeigten. Aber endlich hob er den Kopf wieder und machte sich von der Türe weg an den Schraubstock zurück. Sie trat auf ihn zu und sprach: „Jetzt habe ich dir alles gesagt und alles erklärt,Anton. Nun mach, wie dich Gott ermahnt, und sag mir's frei heraus, wie ich dir's tat: Willst du gleichwohl hier bleiben, als ein treuer Gesell, wie bisher, oder willst du von uns weg und wandern? Red, Antdon, red frei heraus!“
Die Schmiedjungfer.Den Altgesellen kam das Reden schwer an. Er schluckte ein paarmal und öffnete lautlos die zitternden Lippen.Dann aber gab er sich einen Ruck und antwortete mit verhaltenem Weinen in der Stimme: „Ja, Bethli, ich bleibe hier, auch wenn du den alten Meister heiratest. Es wird ja wohl so sein müssen und sich wohl schicken; ich kann nichts dagegen sagen, da du doch auf keinen Fall vom Schmiedhaus weggehen willst. Man soll in Hochstalden auch nicht sagen können, es sei doch etwas nicht in Ordnung gewesen, wie man's täte, falls ich wegginge. Ich will meine Sache machen, wie bisher, so gut ich's kann. Ich habe freilich‘“, er sah auf den Boden, „auf ein anderes Ende gehofft, ich will's aufrichtig bekennen; aber“, eine Träne fiel auf Bethlis Hand, die sie ihm nun ruhig reichte,„aber“, schier rauh sagte er's, „ich bleibe gleichwohl und bleibe, solange du willst; denn anderwärts hätte ich ja doch keine gute Stunde mehr.“
Sie errötete tief und schaute ihn lange an. Dann sagte sie ernst, schier streng: „Anton, ich sage dir nochmals, mach,wie dich Gott ermahnt. Doch wenn du mir den Gefallen tun und dableiben willst, mußt du mir jetzt heilig und teuer versprechen, daß du mich in Ehren halten willst, wenn ich eines andern Frau bin. Anton?“
Er nickte und sprach leise: „Ich will dich ehren, solange du des Alten Frau bist, wie ich meine Mutter geehrt habe.Gott wird mir helfen und“, fast unhörbar flüsterte er's vor sich hin, „und meine Liebe zu dir.“
Sie drückte seine Hand, sah ihn warm an und ging ruhigen Schrittes von ihm weg in
die Stube hinauf, dem alten Schmied von dem Entschluß des Altgesellen Bericht zu
geben.
219 Nicht lange nachher standen Peter Kleinhans, der alte Schmied, und Elisabetha Dornauer, seine junge Magd, als Verlobte im Amtsblatt.
„Also ist's der Alte gewesen und nicht der Geselle, von dem sich das Bethli in der heiligen Nacht hat küssen lassen“,sagten die Leute, und ein fröhliches Auflachen, aber auch ein verwundertes Kopfschütteln ging im Dorf um. „Es könnten auch beide gewesen sein“, meinte der geschmalzte Hobelspäner, als er die unerwartete Botschaft las; „denn wenn die runden Apfel, mit den schönen roten Wänglein,aus den jungen Bäumen lachen, langen allerlei Hände über den Zaun.“ „Sie heiratet eben das Schmiedhaus“,redeten andere, „und nimmt den übelzeitigen Alten gewiß nicht lieber in den Kauf als die Hausfrau beim Metzger den Knochen zum Fleisch.“ „Und heiratet sie das Schmiedhaus, so hat sie recht“, meinten viele; „denn sie hat das Geschäft wieder heraufgebracht, arbeitet bereits mit drei Gesellen, und da will sie sich nicht bloß für die faulen Kleinhansentöchter und ihre nichtswertigen Männer abgehundet haben und sich von ihnen eines Tages, wenn der Schmied mit Tod abgeht, das magere Bündelein nachwerfen lassen,das sie einst ins Haus brachte.“ Die Dorfmädchen jedoch rückten von Bethli ab, wenn sie in die Kirche kam; denn sie wollten sich ihres ganzen Geschlechtes schämen, daß ein so junges Maitli einem abgelebten Greis, um eines Gütleins willen, in die kalte Kammer folgen konnte. Die Hochstaldener Nachtbuben gar stellten Bethli einen recht unschönen strohgefüllten Maienmann auf das Schmiedbrücken,-dach unters Kämmerlein und sahen sie schier verachtungsvoll an, wemn sie ihr auf der Gasse begegneten. Das alles machte der jungen Magd doch viel Herzklopfen und gab
Die Schmiedjungfer.ihr mehr zu denken, als sie vorausgesehen hatte. Gleichwohl hielt sie aus, um des alten Mannes willen, der ihr die Kindheit hell und froh gemacht hatte.
Aber am Abend der Auskündigung im Amäisblatt schoß Frau Portiunkula auf einmal aus ihrem Spezereiladen und fuhr wie ein Staubwirbel durch die Dorfgasse nach dem Schmiedhaus.
Peter Kleinhans, der Schmied, der meistens kränkelnd am Ofen oder am Fenster seiner Wohnstube saß, hatte offenbar seine ältere Tochter rechtzeitig heransausen sehen;denn als sie rasch und katzenleise durch das Stiegenhaus hinaufhuschte, fand sie die Stubentüre verschlossen.
Zornglühend rutschte sie über die enge Nebenstiege in die Schmiede hinunter.
In der Schmiede war ein lustiges Singen. Hans, der neue junge Schaffhauser Geselle und Seppli, der Lehrbub,sangen, an ihren Schraubstöcken werkend, ein Vaterlandslied. An der Ecke aber trat das Bethli, im schweren Schurz,den Blasbalg, ins blaue Feuer träumend, und am Amboß,auf den großen Hammer gestützt, wartete Anton, der Altgeselle, aufs Eisen und versuchte halblaut das ihm unbekannte Sempacherlied mitzusummen.
„Was fährt uns denn da das Haus herunter?!“ rief,schier erschrocken, das Bethli aus.
„'s werden Katzen sein“, meinte der Altgeselle.
Da ward die Türe aufgerissen, und Portiunkula fuhr in die Schmiede.
„So, so, da steckt sie ja, die Schöne“, lärmte sie mit kugelrunden, blinkenden
Auglein. Einen Moment schöpfte sie Atem; dann brach sie los: „Also soweit ist's
schon, daß man mir im Vaterhause die Türen verriegelt! Natürlich,
221 natürlich, wie kann ich mich nur wundern. Die ehr und tugendsame Jungfrau Elisabetha Dornauer, früher das Armenhausbethli genannt, hat ja jetzt das Regiment in diesem Hause, oben und unten. Sie hat jetzt den Schlüssel zur Türe im Sack, vor der sie einst triefnäsig, barfuß und Fegsand feilhaltend, gestanden ist. Sie, unser Schüttsteingesell, steht ja als künftige Frau Kleinhans im Amtsblatt.O du meine heilige Zuversicht!“ kreischte sie. „Gott mag wissen, mit was für Fallen du den alten kindischen Mann gefangen und so weit gebracht hast, daß er uns, seinen erwachsenen Töchtern, eine blutjunge Magd zur Stiefmutter geben will. Freilich: Alter schützt vor Torheit nicht. Gleichwohl, 's ist nicht mit rechten Dingen zugegangen. Du habest ihm's mit einem Sympathietränklein angetan; du habest ihn verhext, sagt mein Desiderius. Und ich sage, du bist ärger mit Versuchungen über ihn gekommen, als ein geschminkter Teufel im Unterrock über zehn rauhwollige, nußschalenharte Waldbrüder. Und alles nur, damit du uns, seine rechtmäßigen Töchter, um Hudel und Hab bringen kannst. Und es ist ein Argernis vor Gott und der Welt, sagt mein Desiderius ...“
„Ja, ein Argernis und ein unmoralisches Verhältnis!“lärmte jetzt, sich überschreiend, eine Stimme in der Schmiedbrücke. Und alsogleich schlurfte der Schneider Desiderius Ppipenhenner in seinen Winterschuhen in die Werkstätte.Ihm nach aber hüpfte, mit den kurzen Flügeln schlagend,Schaggeline, seine Krähe. „Es stinkt zum Himmel“, schrie er. „Die elftausend seligen Jungfrauen müssen dort oben“,er streckte beide Arme himmelan, „schamrot werden, wenn V Geschöpf mit einem beinlahmen Greisen die Kirchenstiege hinauf zur Hochzeit geht. Eine Schande ist's!“
Die Schmiedjungfer.„Eine Schande fürs ganze Dorf“, kreischte Portiunkula dazwischen, „und ein Tanztag für alle schadenfreudigen Wesen ob und unter der Erde bis in die Hölle hinunter,wo sie am tiefsten ist. Du bringst unser Haus, unsere Familie um Ehr und guten Namenl“ fauchte sie, sich der Esse bedrohlich nähernd, wo das Bethli recht erschrocken die Glut schürte. „Du schändest den ehrlichen Namen der Kleinhanse auf ewige Zeiten. Aber wir protestieren!“ schrie sie aus. „Das Waisenamt muß den alten törichten Mann bevormunden, der sich wie ein altes Schaf mit der Lecktasche verlocken läßt, der sich“, sie verlor den Atem, schluckte und hustete und würgte endlich heiser heraus: „Red du weiter, Desiderius!“
„Ich sag nichts als: O Abisag, o Abisag, Abisag!“ krähte der Schneider und verwarf die Arme, als ob er mit den ewiqen Sternen Jonglierkünste triebe.
„So grob braucht ihr der Schmiedjungfer nicht zu kommen“, rief jetzt mit schwerverhaltenem Unmut der Altgeselle. „Was ist denn das wieder für ein unverschämter Ubername, den ihr dem Bethli zuruft!“
„Das geht dich nichts an“, zischte Portiunkula gegen ihn; „sie verdient den Namen
tausendmal. Mein Desiderius weiß schon, was er sagt; er ist ein belesener Mann;
er weiß alles. Er hat es mir schon gesagt, was diese Abisag für eine war.“ Und
sie erzählte hochfeierlichen Angesichts: „Als der König David ein alter Mann
geworden war und immer kalt hatte, da berieten sich die Juden, was man wohl tun
könnte, um den alten König wieder aufzutauen und zu einer richtigen Bettwärme zu
bringen. Und da wurden sie einhellig rätig, ihm ein junges Mägdlein zuzulegen.
Aber siehe da, keine Tochter aus dem Volke Gottes ließ sich
223 gewinnen; nur ein blutjunges heidnisches Geschöpf, namens Abisag, war ruchlos genug, zu dem alten König zu gehen.“
„Das beweist noch kein schlechtes Herz“, sagte der Altgeselle.
„Wie könnt ihr mir's denn gar so bös auslegen“, redete jetzt das Bethli schier schüchtern, „wenn ich zu euerm kränklichen alten Vater halte. Ich will ja bloß zu ihm schauen und ihn pflegen dürfen.“ Und mutig, gereizt durch den Anblick Portiunkulas, deren spitze Nase wie die blasfertigen Posaunen des jüngsten Gerichts gegen sie stach, setzte sie hinzu: „Ihr tut's ja doch nicht und habt's nie getan.“
„Es nützt auch nichts“, krähte der Schneider, „und wenn du den Alten wie ein junges Kaninchen in deine eigenen Haare hineinbettest, er wird doch kälter bleiben als eine Grabsteinversammlung im Christmonat. Alt ist kalt. Ein gescheiter Mensch erwartet im Spätherbst keine Hundstage.“
Aber jetzt hatte sich Portiunkula, die starr war, daß ihres Vaters Magd ihr gar zu widerreden wagte, von ihrer Verblüffung erholt. Wild wie ein Sperber, den ein Wiesel vom Entennest abtrieb, schoß sie auf die Esse zu und schrie: „Was, was, kommst du mir so! Wir nicht zum Vater schauen! Wer ist schuld, wenn wir nicht immer dort sind; wer hat uns das Schmiedhaus verekelt, als du,du Sandmaitli, du, du“ sie angelte umsonst in ihrem großen Wortschatz nach einem vernichtenden Schimpfwort;so platzte sie denn plötzlich heraus: „Du Abisag, du Erzabisag du!“
Da wurde Bethli zündrot. „Platz, Platz, aus dem Weg!“ schrie sie auf, packte die Zange und fuhr mit dem glühenden Eisen auf den Amboß los. Flink erwischte sie den Handhammer, und ratsch tatsch! wetterten sie und der
Die Schmiedjungfer.Altgeselle auf das weißglühende Pickeleisen los, daß ein Feuerregen anging wie zu Sodoma und Gomorrah. Und dazu sangen jetzt der Schaffhauser Geselle und der Staldener Lehrbub im Takt der Hammerschläge: „Von Speerwucht und wildem Schwertkampf, von Schlachtstaub und heißem Blutdampf; wir singen heut ein heilig Lied; es gilt dem Helden Winkelried.“
Entsetzt waren Portiunkula und der Schneider zurückgefahren, also daß sie beinahe ihre Krähe niedergetreten hätten, die ein am Boden liegendes Hufeisen gegen die offene Schmiedbrücke zu verschleppen suchte.
„Du meine heilige Zuversicht, meine heilige Zuversicht!“stöͤhnte Portiunkula, starr vor Wut. Der Schneider aber schien fliegen zu wollen; denn er breitete die Arme aus wie Lämmergeierschwingen und deklamierte gewaltig gegen den Amboß, der Feuer auswarf wie der Vesup.
„Rak, rak, rak“, machte die Krähe und zerrte ihr Hufeisen gegen die Schmiedbrücke. Aber auf einmal schlug sie wild mit den gestutzten Flügeln und erhob ein Gekrächze,als ob die Mörder des heiligen Meinrad im Anzug wären.“
Ein heiseres quiekendes Gebelfer entstand in der Schmiedbrücke, und jetzt stürzte sich ein höchst seltsames Lebewesen,halb Hund und halb Vogel. auf die krächzende Schaggeline.
Schier entsetzt glotzten alle das wunderliche Geschöpf an,das mit wildem Gekreisch die Krähe vom Hufeisen wegzutreiben trachtete.
„Es ist beim Eid der Pips!“ rief aufjauchzend der Lehrbub. „O wie sieht der aus! Das ist lustig, das ist lustig!“
Es war Pips, des Schreiners Gagelmann vielrassiges Hündlein, in einem
merkwürdigen Aufzug. Zu beiden Seiten trug er zwei gewaltige verstaubte
Adlerflügel, die
225 sein Herr von einem verkrachten Hutmacher erstanden hatte.Mit wehenden Schwingen stritt er jetzt wider die schwarze Schaggeline, die mit scharfen Schnabelhieben seine unablässigen Attacken immer wieder zurückwies.
„Heilige Zuversicht, heilige Zuversicht!“ wehklagte mit gefalteten Händen, zum Himmel aufblickend, Portiunkula;„eine solche Niedertracht.“
„Was, was“, lärmte jetzt der Schneider, strahlend vor Entrüstung wie ein Nordlicht, „wie, du vermaledeites Ungetier willst mich verhöhnen?! Aber, wart ich will dir!“
Da kam ein breiter Schatten in die Schmiede, und sogleich stürzte sich der geflügelte Pips mit unerhörter Kühn-heit auf die Krähe, also daß diese das Hufeisen fahren ließ und mit verzweifeltem Flügelschlagen auf des Schneiders Schultern flatterte, von wo aus sie zornig gegen Pips hinabkrähte, der ihr seinerseits nichts schuldig blieb, indem er am Schneider hinaufsprang und sich ganz gebärdete, als wollte er zu ihr hinauffliegen. Denn der Schreiner Karliseff Gagelmann war in die Werkstätte gewackelt, wo er in ein polterndes Gelächter ausbrach, in das der junge Beselle und der Lehrbub aus vollen Herzen einstimmten.„Ei, der Tausend“, rief er grunzend, „was ist denn da drin für eine kurzweilige Vorstellung? Wollt ihr dem Bethli,unserm künftigen schönen Stiefmütterchen, einen Tierkampf zur Verlobung vorführen?“
Aber jetzt fuhren der Schneider und Portiunkula auf den geschmalzten Hobelspäner los. Er würde von ihnen auch gewiß ärger geschunden worden sein als weiland Sankt Hieronymus, hätte nicht der flügelgezierte Pips tapfer nach ihren Zehen geschnappt und sie so in achtungsvollem Abstand von seinem Herrn gehalten.
Lienert, Bergdorfgeschichten.
F
Die Schmiedjungfer.„O, du elf Vierling dickes, schlagreifes Schwein“, lärmte der Schneider, gereizter als ein gekitzelter Skorpion, „du Brunnenstube, du Abgrund voll Bosheit! Wie kannst du dem mich und meine Flugexperimente also verspotten und ausfoötzeln im ganzen Dorf herum?“
„Ist's denn noch nicht genug“, überschrie sich Portiunkula,„daß du mich vor aller Welt ins Heiligenstöcklein gemalt hast, du Specktrog, du große Trommel von Hochstalden!“
„Laß ihn spotten, laß ihn spotten!“ krähte kreideweiß vor Wut der Schneider; „er lacht ja über alles und hält sich für gescheiter als das Buch der Weisheit, obwohl er die große Dummheit geheiratet hat. Lach du nur, Hobelspäner, lach du nur! Man wird von mir noch einmal reden, wenn du schon lange im Totenbaum in deinen sieben Hobelspänen liegst, du Saufverein in einer Person, du Mostkennel, du Weinlager!“
„Bezahl du erst einmal deine Spezereischulden“, schrie kreischend Portiunkula; „sie warten in meinem Ladenbuch schon lange auf Erlösung.“
„Liebe Schwähersleute“, machte jetzt der Schreiner sanftmütigen Tones, „was betet
ihr denn da in der Schmiede für eine Litanei? Du bringst dich ja um deine schöne
Stimme,Portiunkula; da kannst du in der Karwoche den Passionsweg nicht
mitsingen. Seid doch ruhig! Ich mißgönne dir ja deinen Ruhm keineswegs,
Desiderius; ich hab's mehr mit dem Kognak. Meinetwegen kannst du das heilige
Grab morgen schon auf dem Luftwege erobern. Aber was dem einen recht ist, ist
dem andern billig. Es ist nicht schön von dir, daß du mir die Flugversuche mit
dem Pips verwehren willst. Du hast mich nun einmal dazu begeistert.Warum soll
ich nicht mit meinem Pips probieren, was du
3227 mit der schwarzen Schaggeline versuchst? Er hat ja mindestens hundert Rassen im Leib, so daß es noch lange kein so großes Wunder wäre, wenn er auch einen fliegenden Hund, wie es solche in Hinterafrika geben soll, zum Urahnen gehabt hätte. Seht ihr denn nicht, wie er an euch hinauffliegen will? Zudem ist es gar ein erzgescheites Tierlein. Und seit er Wein, Most und Schnaps in allen Regenbogenfarben saufen gelernt hat, ist eben der Hochmutsteufel in ihn gefahren. Er meint, etwa wie ein wassersüchtiger Schneider wolle er das Fliegen auch noch losbekommen. Ich bin jetzt nur gespannt darauf, wer's zuerst herausbringt, du oder deine schwarze Schaggeline oder mein Pips. Bleibt doch, bleibt doch! Was lauft ihr denn jetzt?“Wütend, jauchzend vor Ingrimm, fuhr Portiunkula zur Werkstätte hinaus, und hinter ihr her, die Krähe auf dem Rücken, schlurfte der Schneider Desiderius Pipenhemner.In der Schmiedbrücke wandte er sich nochmals, schüttelte seine magern Fäuste gegen die Werkstätte und kreischte:„O, ihr Ausbünde an Bosheit, euch wird Gott strafen!“Dann verschwand er.
In der Schmiede ging ein tolles Gelächter um, und Seppli, der Lehrbub, rief in den höchsten Fisteltönen:„Heilige Zuversicht, bitt für uns!“
„Schweig, Seppli!“ machte Bethli streng.
Aber das Lachen und große Gaudium wollte lange nicht vergehen.
Ruhig, den Schalk in den Mundwinkeln, hatte sich der Schreiner auf ein Beiglein
Stoßkarrenräder niedergelassen,während Pips mit wehenden Flügeln das eroberte
Hufeisen am Boden im Ruß herumzerrte. Aber als nun 15*
22298
Die Schmiedjungfer.Portiunkula und ihr flugsüchtiger Desiderius außer Sicht
waren, brach er in ein breites, behagliches Lachen aus,daß ihm der Bauch
wackelte, was auch die Gesellen zu erneuten Heiterkeitsausbrüchen veranlaßte.
„Beim ewigen Hagel“, machte er keuchend, „die heilige Zuversicht ist wahrhaftig
vor mir im Rauch herumgetanzt wie eine Hexe. Es war mir alle Atemzüge, jetzt
fährt sie mit dir durchs Kamin hinauf und davon, obwohl sich meine große Trommel
kaum hätte hindurch zwängen lassen. Und der künftige König der Lüfte, der
Schneider, hat gezappelt und Arme und Beine verworfen wie eine Fliege, die eine
Kreuzspinne im Netz hat. Es ärgert mich nur“, machte er, „daß mir dieser
alkoholfreie Schneider die Dummheit meiner Frau vorhielt. Sie ist aber nicht
halb so dumm wie er; dem sie nimmt die Welt von der Sonnenseite und hat ihr
junges Leben hindurch mehr lachen können als zehn Schulhäuser voll
Schriftgelehrte, die alle an einem gemeinsamen Bandwurm abmagern. Rein verlacht
hat sie ihr Leben.“ Jetzt ersahen seine zwinkernden Weinäuglein die ruhig, aber
zündrot an der Esse stehende Magd. „Nichts für ungut“,kicherte er; „aber ich muß
dir noch ein Weilchen bei deinem Werkeln zusehen; denn einen Schmied im
Unterrock bekommt man nicht alle Tage zu sehen. Solltest dein Handwerk
eigentlich auf den Kirchweihmärkten ausüben. Doch da sieht man wieder einmal,
wie dem Weibervolk alles gut ansteht, es mag treiben, was es will. Es möchte
einer ein Gaul werden und sich auf allen vier Beinen beschlagen lassen, wenn er
dich und deine zurückgestülpten Arme ansieht. Wie ich's halt allweil sage: Ein
hübsches Weibsbild mag wahrhaftig treiben, was es will, es gefällt immer.Und
eine Sprache mag noch so zähflüssig sein, wie Tannen
229 harz, wenn sie aus einem schönen, roten Mündlein kommt,ist sie süßer als Himbeersirup und zum aufs Brot streichen.So ein anlässiges, wehrhaftes Maitlil Ich wollte, du hättest bei mir das Hobeln gelernt; Herrschaft, hätten wir zwei zusammen die Hobelspäne in die Luft gejagt. Aber natürlich mußte es dich diesem Alten ins Haus schneien.Wo viel ist, kommt viel, und wo ...“
„Gagelmann“, sagte jetzt das Bethli, „was redet Ihr denn für dummes Zeug. Rückt einmal aus, so kommen wir zu einem Ende. Ihr werdet ja auch zum Protestieren hergekommen sein. Wollt Ihr etwa auch den Schwiegervater bevogten?“
„Nein, meine schöne Schmiedjungfer“, machte der Schreiner,„deswegen komme ich grad nicht. Zwar hat mich das Kätherli auch zum Protestieren hergeschickt, 's ist wahr, daß sie jedoch den Alten bevormunden will, davon hat sie mir nichts gesagt. Ich, meinerseits, mag dir den alten Kleinhans schon gönnen. Er wird dir etwa nicht übermäßig viel Kurzweil machen; denn an einem Schneemann kann auch ein junges Maitli die Hände nicht wärmen.Es ist mit einem alten Mann wie mit meiner Wirtschaft.Der vergoldete Wirtshausschild macht noch weiß was für ein Aufhebens; aber der Weinkeller ist leer. Meinetwegen tu aber, was du für gut ansiehst. Du wirst etwa den Weg aus der Wüste schon auch finden, wenn dir das Fasten darin zu langweilig wird. Hast gar ein hurtiges Füßchen, und ...“
„Karliseff“, sagte schnell und ziemlich laut das Bethli,„jetzt rückt einmal aus! Umsonst seid Ihr gewiß nicht hergekommen. Also, was wollt Ihr von mir?“
„Am liebsten“, antwortete er lachend, „wäre mir ein Kuß von deinem roten Munde. Da du aber diese süßen
Die Schmiedjungfer.Leckereien alle für deinen schleckhaften Patriarchen aufsparen willst, so wäre ich auch zufrieden, wenn du mir die paar Beigen Holzstangen abnehmen würdest, die neben meiner Wirtschaft so schön auf ihren Holzspalter warten.Sie sind klingend dürr; denn die Sonne hat sie lange angeschienen. Das Gartenhaus mache ich nun lieber doch nicht,da die Leute die Gliedersucht bekommen könnten, wenn sie zu lange im Freien säßen. Also, nimm mir das Holz ab,Kind Gottes im Lederschurz, und gib mir heute zehn Franken Draufgeld.“
„Oha“, machte der Altgeselle halblaut, „da sitzt der Wurm.“„Ja, da sitzt er bei mir“, sagte der geschmalzte Hobelspäner; „wo er aber bei dir sitzt, weiß das ganze Dorf und kann ihn dir doch kein Arzt vertreiben, selbst wenn er dich mit lauter Wurmzelten füttert. Wenn's aber Gott und dem wehrhaften Bethli wohlgefällt, soll mein böser Wurm heute von mir fallen wie ein vollgesoffener Blutegel: denn ich will ihn schon in die Schwemme reiten.“
„Da“, sagte die Magd, dem Schreiner ein blinkendes Zehnfrankenstück überreichend,
„da habt Ihr das Draufgeld. Es ist mir eben für eine Bestellung gebracht
worden.Ich werde das Holz holen lassen; wir können es gut brauchen.“„Das glaub
ich wohl“, meinte der geschmalzte Hobelspäner, sich erhebend; „denn wenn dir
dein alter Schatz warm werden soll, mußt du ihm tüchtig einheizen.“ Er strich
sich über den spärlichen, rotblonden Kinnbart, tat ein paar schwankende Schritte
und rief: „Pips, wie siehst du denn aus; hast ja eine schwarze Schnauze
bekommen.Schämst du dich denn nicht, so im Dorf herumzulaufen, du,
231 ein Vogelhund, du, der eine ganze Hundeausstellung mit sich herumträgt! Komm und schäm dich!“
Mit eingezogenem Schwanze und gesenkten Flügeln schlich sich der abgekanzelte Pips seinem auf etwas unsichern Füßen abziehenden Herrn nach. Der aber lachte noch einmal kurz auf, sagte: „Gut Nacht und habt euch warm!“ und sang dann mit vertrunkener Stimme, zur Schmiedbrücke hinaustorkelnd:„Wie schön bist du, wie schön, Marie,In deinem Jungfernkranz!
Du beugst so leicht vor Gott das Knie,Und leichter noch beim Tanz.
Wie schön, Marie, wie schön bist du!Du läßt bei Tag mir keine Ruh,
Und keine bei der Nacht. Juhuu!“In der Schmiede war ein fröhliches, nicht endenwollendes Auflachen. Aber Bethli sah ernst ins Feuer; ihre Augen hatten flüchtig den Altgesellen gestreift, der mit hängendem Kopf, traurig, schier finster, am Schraubstock feilte.
Vor der Schmiedbrücke war ein dröhnendes Gestampf und klirrendes Klingeln.
„Schmiedjungfer“, rief eine rauhe Stimme, „komm und beschlag mir meine Liese!“
Zwei breite Postrosse, die ein kleiner, bärtiger Postillon im Leitseil hielt, standen keuchend, mit hängenden Köpfen vor der Schmiede.
„Anton“, rief Bethli dem Altgesellen zu, „komm und hilf mir! Der Postfränzel hat's nicht gern, wenn ich nicht selber komme.“ Und halblaut setzte sie hinzu: „'s ist aber der letzte Gaul, den ich selber beschlage.“
Raschen Schrittes, Hammer und Hufeisen in der Faust,verließ die Magd die Werkstätte.
35
Die Schmiedjungfer.
V.Der Schnee lag noch an den Schattenhalden Hochstaldens;aber an seinen Rändern kamen schon die Schneeglöcklein und Anemonen; da machte sich der Schmiedmeister Peter Kleinhans, am Arme seiner bräutlichen Magd, mühsam,den Stock in der Hand, über die Kirchenstiege hinauf.Einmal blieb er hüstelnd stehen und sah sich um. Kein Mensch bildete heute Spalier; jedoch hinter den Fensterladen und Vorhängen hervor wunderte das ganze Dorf nach dem ungewöhnlichen Hochzeitspaar.
„Bethli“, sagte der Alte, „das muß ich sagen, als ich das erstemal Hochzeit hielt, war ich flinker die Kirchenstiege hinauf. Aber was wahr ist, bleibt wahr, auch das muß ich reden: Schöner als du war meine Erste auch nicht;doch lachten ihre Augen über die ganze Welt hinaus.Mußt nicht gar so ernst dreinschauen, liebes Kind. Es weiß ja das ganze Dorf, daß du mich nur aus Mitleid heiratest,um mich in kranken Tagen nicht im Stich lassen zu müssen.“
„Seid nicht böse, Vater“, flüsterte ihm Bethli zu; „ich muß heut so manches denken, wovon mir das Herz weh tut; ich will Euch gewiß eine heitere und treue Magd bleiben.“„Tochter mußt du jetzt sagen“, machte er unwillig, ihre Hand drückend; „denn du bist's hundertmal mehr gewesen als meine eigenen Kinder.“
„Kommt, Vater!“ machte sie still.
Die Kirchentüre war aufgegangen; ein träumerisches Orgelspiel tönte heraus.
Mit demütigem Scheitel, den Alten an der Hand, schritt Bethli durchs offene
Kirchenportal. Niemand folgte dem
233 Paar als Hans, der junge Schaffhauser Geselle, Seppli,der Lehrbub, und Kathribabä, eine ältere Magd.
Als die Traumesse um war und die Kirchentüre wieder ging, trat die junge Frau aufrechten Hauptes, das Kränzlein fast ein bißchen schief ob der mutigen Stirne tragend, aus der Kirche und stieg ruhig, schier heiter blickend, den Alten nun fest im Arme haltend, die Treppe hinunter.
Überall in der Kirchengasse bewegten sich leise die Fenstervorhänge. Aber hinter dem Hochzeitspaare war ein kicherndes Tuscheln; denn dem kleinen Hochzeitszuge hüpfte des Schneiders Krähe nach, einen Schlüssel im Schnabel tragend.„Schau, schau“, raunte der Lehrbub dem jungen Gesellen zu, „die schwarze Schaggeline! Da kann der Schneider nicht weit weg sein.“ „Siehst du ihn denn nicht“, gab der Geselle leise zurück; „dort streckt er ja den Kopf aus dem Beinhaus neben der Kirche, und jetzt winkt er gar seiner Krähe. Sie hat ihm gewiß den Hausschlüssel gestohlen.“ Doch die Krähe achtete ihres Herren nicht und hüpfte, unbekümmert um des Schneiders halblaute Zurufe und wilde Gebärden, tapfer dem Hochzeitszuge nach, was hinter allen Fälladen und Vorhängen ein Freudenfest absetzte. Vor dem Schmiedhaus jedoch blieb sie verdutzt stehen,flatterte auf den Brumentrog und strich dann, den Schlüssel ins Wasser fallen lassend, krächzend heim zu. Also kam der Schneider Desiderius Pipenhenner für seiner Lebtag um den Hausschlüssel; denn Portiunkula, seine Gattin, die ihn auf den heimlichen Auslug ins Beinhaus geschickt hatte,war über seine ungeschickte Aufführung aufs höchste empört.Sie zog sich, als sie von seinem lächerlichen Gebaren rasche Kunde in ihrem Laden bekam, entrüstet in ihre Warenkapelle zurück, wo sie vor dem pfeilgespickten Sankt
Die Schmiedjungfer.Sebastian ihr Herz über den sittenlosen und törichten Lebenswandel ihres Vaters und die Meisterlosigkeit der Welt überhaupt ausschüttete.
Der Schreiner Gagelmann dagegen und Kätherli, seine Frau, mit den Zwillingen auf den Armen, standen lachend hinter den Fälladen ihrer Wirtschaft, als das Hochzeitspaar daran vorbeizog. „Sie trägt den Kranz wie einen Soldatenhut auf dem Kopf“, machte kichernd das Kätherli.„Natürlich“, lachte der geschmalzte Hobelspäner, „sie hat jetzt das Kommando angetreten. Sie macht beim Eid ein Gesicht, als wollte sie dem ganzen Dorf, das jetzt hinter den Fenstern lauert, Achtung steht! zurufen.“ „Schaut,Kinder, dort geht euer Großvater“, flüsterte das Kätherli,ihre Kinder durch einen Ladenspalt gucken lassend; „er hat jetzt eine neue Frau; da bekommt ihr nun eine Großmutter,die zehn Jahre jünger ist als euere Mutter.“ Sie lachte laut heraus. Als sie sich aber, schier erstaunt, daß der Schreiner nicht mitlachte, umsah, war der verschwunden.Doch stieg er bald wieder mit einem vollen Doppelliter Rotwein aus dem Keller herauf und sagte: „Kätherli, tu was über, was Gutes! Wir wollen uns auch einen guten Tag machen. Dein Vater hält Hochzeit; da müssen wir doch auch ein bißchen mitfesten.“ Und Frau Gagelmann in die Küche, einen Schinken aus dem stark gelichteten Kaminschoß herabzulangen. So kam es, daß am Abend der geschmalzte Hobelspäner einen gewaltigen Hochzeitsrausch hatte. obwohl er gar nicht zur Hochzeit geladen war.
Im Schmiedhaus dagegen ging am Hochzeitstage fast alles den gewohnten Gang. Nur
daß es in der Schmiede stille blieb; denn die Gesellen durften feiern. Und zum
235 Mittagessen gab's einen Schafbraten, den Kathribabä, die alte Magd, kochte, und einen Reisauflauf mit süßer Niedel,den die Hochzeiterin selber bereitete. Der alte Schmied Kleinhans saß auf dem rot überzogenen Lotterbettlein hinter dem Tafeltisch und auf einer Stabelle neben ihm, bescheiden und still, seine junge Frau. Es war ein gar ruhiges Hochzeitsessen, und als der Alte fragte, wo denn der Hohenzoller, der Anton Landthaler, sei, sagte das Bethli: „Zürnt ihm nicht, Vater; aber er wollte lieber nicht an die Hochzeit kommen.“
„Das kann ich wohl verstehen“, machte der Schmied,und ein flüchtiger Schatten ging über sein Gesicht; „denn der arme Bursche hat doch immer gehofft ...“
Da gewahrte er, wie der Schaffhauser Geselle und der Lehrbub mit großen Augen nach ihm wunderten, und schwieg.
„Vater“, redete jetzt das Bethli, „eigentlich bin ich schuld,daß er nicht da ist; denn am Ende wäre er doch mit zur Kirche gekommen. Ihr ˖ wißt ja, was für ein guter und braver Mann dieser Altgeselle ist und wie er Euch immer wohl hat leiden mögen. Aber ich hatte schon lange etwas im Sinn, und da dachte ich, es wäre jetzt gerade die richtige Zeit und schickte ihn für ein paar Tage fort. Ich muß Euch nun doch sagen weswegen, obwohl ich Euch mit geschäftlichen Sorgen nicht mehr plagen möchte und Ihr mich willig schalten und walten ließet. Nämlich der Altgeselle tönte mir schon lange davon, daß ich das Geschäft vergrößern und einen neuen Erwerbszweig, die Herstellung von Fensterbeschlägen, in Angriff nehmen sollte. Das wäre ein Unternehmen, zu dem er nicht genug raten könne und das mehr Geld ins Haus bringe als das landläufige alt
Die Schmiedjungfer.väterische Schmiedehandwerk. Er habe lange in einem solchen Eisengeschäft gearbeitet und dabei die Augen nicht in den Sack gesteckt. Auch wüßte er einen Kameraden,der sich auf Fensterbeschläge noch besser verstehe als er.Den könnte man auch noch einstellen. Hochstalden wäre dazu wie gemacht. Ringsherum um seine Anhöhen liegen gute Höfe und ansehnliche Bauerndörfer. In der Werkstätte wäre so viel Platz. Kurzum, er ist mir solange in den Ohren gelegen, daß ich's zuletzt für sündhaft gehalten hätte, nicht etwas zu wagen. So hab ich denn den Anton in die Stadt am See geschickt, seinen Kameraden zu suchen und vorläufig Blech und eine kleine Eisenbohrmaschine anzukaufen. Was sagt Ihr nun?“
Der Alte schüttelte den Kopf und sah mit bedenklichen Augen auf seinen Teller voll Reis.
„Eine Maschine kaufen, Fensterbeschläge machen? Was Kuckucks geht denn noch alles auf der Welt, eine Maschine einstellen? Bisher, Bethli, hat man doch in Hochstalden auch ohne Maschinen werken können. Fensterbeschläge machen? Solltest du dich nicht ein bißchen übernehmen wollen mit diesen neuen schweren Dingen?“ meinte er, schier bekümmert. „Was fängst du denn noch an, du, ein so junges Weibervolk. Eine Maschine einstellen?“ Er sah eine Weile,in tiefes Nachdenken versunken, vor sich hin.
„Freilich, Meister“, redete unversehens der Schaffhauser Geselle, „unsere neue Meisterin“ der Alte mußte lächeln
„hat recht, daß sie Fensterbeschläge machen will. Damit könnte man aus der
Hufschmiede eine Goldschmiede machen, hat der Hohenzollerische gesagt. Ich
arbeitete auch eine Zeitlang in einem solchen Geschäft, wo ich die fertigen
Fensterbeschläge firnissen mußte.“
237 „Am End, gegen die Fensterbeschläge läßt sich nicht viel einwenden“, meinte jetzt der Schmied. „Es ist wahr, allüberall, auch in unsern Berghöfen, braucht's Beschläg, und wo man früher von Fensterläden nichts wußte, kommen jetzt welche hin. Die Leute brauchen dann nicht darnach in die Stadt zu laufen, wenn sie's hier ebenso gut haben könnten. Aber eine Maschine kaufen ...“
„Ja, Vater“, unterbrach ihn munter das Bethli, „und dann, so Gott will, noch mehr als eine.“
„Woher nimmst du aber das Geld für die Maschine?“
„Das hat der Anton schon im Sack.“
„Der Anton? Ist denn der gar so treu, daß du ihm alles Geld mitgibst?“
Er schaute sie ernst, durchdringend an.
„Ja, Vater“, machte sie mit heiterer Stimme, „er ist treu. Das solltet Ihr denken.“
„Freilich, das sollte ich denken; sonst wäre er schon lange fort auf Nimmerwiedersehen, wie der Bayer, der Jokel.“
Die junge Frau errötete tief und wurde still.
„Der Tausend, der Tausend“, murmelte der Schmied in den weißen Bart, „was man
nicht alles noch erlebt auf seine alten Tage. Es möchte einem schier fürchten,
wenn man das Fürchten nicht schon lange verlernt hätte.“ Und laut sagte er
jetzt: „Ja, Bethli, das mußt eben du wissen.Du hast bisher drauflos gewirkt in
meinem Hause wie der erfahrenste, gewiegteste Mann. Du hast mir den verfahrenen
Karren aus dem Graben wieder aufs Vord gebracht und fuhrwerkst damit, daß es
eine Freude ist. Was soll ich alter, übelzeitiger Gräuel dazu sagen? Ich, der
ich als bestandener Mann mit meinen Töchtern so hinterwärts hauste. Ich möchte
wohl dagegen sein und wehren;
29
Die Schmiedjungfer.denn ich habe nie viel Fiduz für das Neue gehabt, weil ich schon sehen mußte, daß dabei manches wohlbewährte Alte wegkommt. Aber doch könnte ich dir hier leicht unrecht kommen. So probier's in Gottesnamen!“ rief er aus, „versuch's, Bethli! 's ist, als ob der Herrgott dein stiller Teilhaber wäre und dir eine Kraft in den Arm gegeben hätte wie dem Judas Makkabäus, so tapfer hast du's durchgezwungen. So mach denn, was du willst, Kind.Wie sagt der geschmalzte Hobelspäner: Wer wagt, gewinnt.Ja“, setzte er trüben Angesichts hinzu, „tät der Erzlump seine guten Sprüche nur auch bei sich anwenden.“ Dann wurde er still. Langsam begann er seinen süßen Reis auszulöffeln. Bald darnach war er allein in der Stube und tat sein gewohntes Mittagsschläfchen auf dem roten Lotterbettlein im Ofenwinkel, den ihm Bethli mit weichen Kissen vollgestopft hatte.
Aber als er gegen Abend, nach dem ungewöhnlich lang geratenen Nickerchen, wieder einmal in die Schmiede heruntersteigen wollte, um den richtigen Platz für die Eisenbohrmaschine auszusuchen, bekam er einen Schwindelanfall.Er glitt aus und rutschte polternd die dunkle Stiege hinunter in die Werkstätte hinein. Bewußtlos wurde er von seiner jungen Frau und von Hans, dem Schaffhauser, in die Elternkammer hinaufgetragen.
Er erholte sich aber, zu Bethlis Freude, bald wieder,klagte jedoch über
Unwohlsein und wollte nur schlafen.Und als es nachtete, bettete ihn die junge
Frau gar sorglich ein, langte ins Weihwasserkesselchen und machte ihm über
Stirne, Mund und Herz das Kreuzzeichen. „Ruft mir, Vater“, raunte sie ihm zu,
„ruft mir, der Tausendgottswillen, wenn Euch etwas fehlt!“ Und ging dann
39 ruhig in die kleine Nebenkammer, wohin sie sich ihr jungfräuliches Bett aus dem Dachkämmerlein hatte hinbringen und aufschlagen lassen.
Von da an kränkelte der alte Peter Kleinhans, und obwohl er jeden Abend sagte, morgen werde er aufstehen und sehen, daß er's noch einmal in die Sonne vors Haus bringe, blieb er dann doch im Bette liegen und seufzte, er wolle lieber im warmen Bett bleiben; die Welt mache heut gar ein kaltes Gesicht. Die größte Freude machte es ihm noch etwa, zu hören, wie es in der Schmiede ratterte und tatterte. Mehr als einmal überraschte ihn Bethli, wie er zum Gestampf der Eisenmaschine mit welken Lippen ein keckes Gesellenlied zu singen versuchte.
Nämlich, in der Schmiedwerkstätte stand nun nicht nur eine, sondern zwei Maschinen, die von zwei neuen Gesellen bedient wurden. Und diese eisernen Werke bohrten, walzten und schafften drauflos, daß das alte Haus zitterte, und dazu knackte eine scharfschneidende Breche die großen Blechstücke voneinander, die einen gewaltigen Theaterdonner verübten, wenn sie von den Gesellen untergeschoben wurden.Vor der Schmiedbrücke aber vergnügte sich Seppli, der Lehrbub, damit, die frisch aus der Werkstätte kommenden,auf alten Laden ausgebreiteten Fensterbeschläge pechschwarz anzustreichen und sie zum Trocknen in die Sonne zu stellen.
Bethli, des Staldenschmieds junge Frau, war seit ihrem Hochzeitstage nur selten mehr in die Schmiede hinuntergestiegen. Den Lederschurz jedoch hatte sie für immer an den Nagel gehängt, und nie mehr nahm sie einen Hammer zur Hand. Vertrauensvoll ließ sie Anton, ihren Altgesellen schalten und zum Rechten sehen. Und doch war und blieb sie die Seele des Geschäftes. Nicht nur führte sie gewissen
Die Schmiedjungfer.haft Buch; sie besorgte auch mit dem Altgesellen den Ankauf des Rohmaterials und half in der Schmiedbrücke die bestellte Ware in die Kisten verpacken. Sie schirrte auch etwa ihr Rößlein an und fuhr die vollen Kisten selber zur nahen, etwas unterhalb des Dorfes liegenden Bahnstation.
Anfänglich hatte ihrs beim besten Willen nicht gelingen wollen, für ihre
Beschläge genügend Absatz zu finden. Ein ausgehauster Nidacher Schreiber, den
sie für ihre Ware auf Reisen schickte, brachte soviel als keine Kundsame und
machte bei den Geldeinzügen ein paarmal in den eigenen Sack, worauf sie ihm den
Laufpaß gab. Und als sie sich noch mit ein paar andern unnützen Mannsleuten
genugsam herumgeärgert hatte und der Abgang der vielen Lagerware immer mehr auf
sich warten ließ, zog sie eines Tages ihren einfachen Sonntagsrust an und wagte
selber einen Gang in ein größeres Nachbardorf. Vor dem dortigen Eisenladen mit
wohlgeordneter Auslage blieb sie lange stehen und beschaute die Kuhschellen,
Hauen, Schaufeln und den ganzen eisernen Gerümpel, als könnte sie sich nicht
satt daran sehen.In den Laden hineinzutreten und ihre eigenen Eisenwaren
anzutragen, wagte sie nun doch nicht, so mutig und zu allem entschlossen sie von
Hause fortgegangen war. Schon wollte sie wegtreten und weitergehen, da ging die
Ladentüre: der Krämer streckte den Kopf hinaus und sagte:„Kommt doch hinein,
Schmiedjungfer, und nehmt eine Tasse Kaffee mit meiner Frau! Ihr werdet mich ja
wohl noch kennen; war seinerzeit froh genug um Euch.“ Schier erschrocken hatte
Bethli aufgeschaut; aber dann ging ein Lächeln um ihren Mund. Da stand ja
wahrhaftig der Mann, der auf einem Sonntagsausflug mit seinem Rößlein gerade vor
der Schmiede zu Hochstalden übers Vord
241 gefahren war und seine Frau in den nassen Graben gebettet hatte. Was gab es damals für eine Mühe, das hübsche Wägelchen und erst die klagende Frau aus dem Graben zu bringen! Wie glücklich war die Frau über die zutunliche Magd des Staldener Schmieds, die ihr nicht nur ihr Sonntagsgewand geliehen hatte, sondern auch mit geschickter Hand das beschädigte Fuhrwerk in Ordnung stellte. Bethli wurde es wohl ums Herz; sie trat ein und wurde von des Eisenherrn Frau mit wahrem Hallo empfangen. Nicht lange ging's, so wußte man im Laden, daß Bethli nun des alten Staldenschmieds Frau sei und auch, warum sie so lange vor dem Ladenfenster gestanden. Und als sie heimkehrte,hatte sie sich eine wichtige Kundschaft für ihre Werkstätte gewonnen. Jetzt wuchs ihr der Mut. Sie machte sich bald hernach in ein anderes Dorf, wo sie die Eisenladenbesitzerin,eine Witfrau, zwar anfänglich etwas seltsam ansah und anließ, ihr aber doch eine kleine Bestellung aufgab, als sie sich in blutroter Verschämtheit wieder davonmachen wollte.Bald stand sie auch im großen Eisenladen des Städtleins Nidach. Der Ladenherr, ein ältlicher Junggeselle, schaute sie zuerst sauersüß an und begann gar, sie zu examinieren;denn er hielt sie für eine verkappte Bettlerin. Aber bald hatte er heraus, daß sie die Schmiedjungfer von Hochstalden sei, von der er früher auch schon einen Ton in Nidach vernommen hatte. Nun wurde er auf einmal freundlich und im Handkehrum zutraulich und im Hui so zutraulich, daß er ihr unters Kinn griff, obwohl sie ihm sagte, daß sie des Schmieds Frau sei. Als sie sich aber seine UberLiebenswürdigkeit energisch verbat, tat er sein Redhaus weit auf und ließ das Zünglein klappern und plappern; nannte sie die hübscheste und interessanteste Frau im Bergland und Lienert, Bergdorfgeschichten.
16
Die Schmiedjungfer.machte ihr eine so ansehnliche Bestellung, daß sie ihn vor Vergnügen noch im Herausgehen anlächelte wie ein Teller voll frischgepflückter Kirschen, was er einesteils seiner süßlichen Wortschmelzerei, andernteils seiner Ledigkeit zuschrieb.Als nun Bethli ein paar Tage später in ein anderes Dorf kam, da war ihr im dortigen Eisenladen ihr Ruf als Eisenreisender schon vorausgeeilt. Man begaffte sie auch dort von allen Seiten wie ein Meerwunder, die Ladenfrau hatte heimlich sogar zwei Basen zur Kaffeevisite herbeirufen lassen, und gab ihr eine schöne Bestellung auf.So war die Schmiedjungfer, wie man Bethli, trotzdem sie nun eine verheiratete Frau war, erst recht nannte, bald weit herum wohlbekannt und bei allen ernsthaften Leuten,die Mut und Geschich und Ausdauer zu schätzen wissen,geachtet und willkommen.
Jetzt begann das Geschäft im Staldener Schmiedhaus in ungeahnter Weise zu gedeihen. Die Fensterbeschläge gingen ab wie Maienbutter. Obwohl Bethli noch einen Handlanger einstellte und obwohl sie die eigentliche Schmiederei nach und nach absichtlich abgehen ließ und die Fuhrleute und Bauern daher mit ihren Rossen mehr zum roten Schmied in Unterflüh gingen, vermochte sie doch kaum allen Bestellungen von auswärts gerecht zu werden. Zuerst hatte Seppli, der Lehrjunge, die paar Warenpakete auf einem Stoßkarren zur Bahnstation hinabgefuhrwerkt; dann fergte Hans, der Schaffhauser, die paar Kisten mit einem Handwägelchen. Jetzt aber fuhr alle Wochen ein eigenes schmales Rößlein die vielen wohlgefüllten Kisten nach dem Bahnhof.
Kleinhans, der alte Schmied, war recht betrübt, als seine junge Frau eines Abends
mit glänzenden Augen das
243 Hauptbuch vor ihm aufschlug und ihm die schönen Einnahmezahlen zu Gemüte führte. „Für was bin ich ungeschickter Mensch denn auf der Welt gewesen“, machte er,„wenn ich's doch bei allem Uübelleiden und Drauflosgewerben nicht zum hundertsten Teil soweit gebracht habe, als ein flinkes, ankehriges Unterröcklein.“ Dann aber griff er nach Bethlis beiden Händen und sagte wehmütig: „O du gutes Kind, was habe ich dir zu verdanken, du wehrhaftes, du treues Geschöpf!“ Und halblaut fügte er bei: „Und bist doch nur ein armes Waisenkind gewesen, und meine Töchter,die ich wie Prinzessinnen gehätschelt und aufgepäppelt habe,konnten mir so weh tun und machen mir nichts als Kummer und Verdruß.“ Bethli hörte ihn nicht mehr; denn als er sie zu loben anfing, wischte sie, zufrieden lächelnd, zur Kammer hinaus.
Der alte Schmied wurde immer kränker. Das Pfeifchen,das er sonst auch im Bett immer im Mundwinkel hatte,wollte ihm nicht mehr schmecken, und eines Tages legte er's auf die Bettdecke und sagte zur alten Magd: „Ich weiß nicht, was ich habe; aber das Pfeifchen tut's mir nicht mehr. Und wenn ich einmal nicht mehr rauchen mag,Kathribabä, ist's gefehlt; dann wird's in mir gewiß bald noch ruhiger als in einem verlassenen Haus, aus dem kein Rauch mehr aufgeht. Ich habe alleweil so viele böse Neuigkeiten herunterzuwürgen, daß ich nach und nach um die Luft komme. Wie sie mir das Bethli auch zu verheimlichen trachtet, ich merk's doch.“ Die alte Magd wußte schon, was ihn so plagte und herunterbrachte; das ganze Dorf redete ja davon, wie schlecht es seinen Töchtern gehe.
Nach seiner Hochzeit waren sie dem Schmiedhaus lange fern geblieben, obwohl er sie zu wiederholten Malen zu
16*
Die Schmiedjungfer.sich hatte bitten lassen. Aber wie sie auch nicht kamen, als er einmal eine Herzschwäche erlitt und ihnen melden ließ,es stehe nicht gut mit ihm, er möchte sie noch vor seinem Tode sehen, fragte er nicht mehr nach ihnen. Und als eines Abends Frau Portiunkula vor die Türe schlich und zu ihm wollte, fuhr er, totenbleich vor Zorn, im Bett auf und, wohl oder übel, mußte Bethli die Türe verriegeln,worauf die Tochter schimpfend davonrannte. „Du kommst doch bloß zum Betteln zum Alten!“ lärmte er ihr keuchend nach. Auch seine Tochter Kätherli, die einmal mit den Zwillingen zum Großvater wollte, ließ er nicht ein, obwohl sie anhielt und bat, sie einzulassen. Mit wehmütiger Stimme rief er ihr zu: „Geh nur, Kätherli, sehen mag ich dich jetzt nicht, du nachlässiges Geschöpf! Ich weiß wohl, warum du kommst. Bethli weiß es auch. Wende dich an sie.“ Und befriedigt zog Frau Gagelmann ab; denn Bethli hatte ihren Zwillingskindern jedem ein Zückerchen ins Mündchen und ein Goldstück ins Händchen gedrückt. Und Frau Gagelmann kam wieder, und Portiunkula kam wieder. Zwar ließ sie der Schmied nicht in die Elternkammer; doch wehrte er's seiner Frau nicht, wenn sie beiden immer wieder gab,so oft sie kamen.
Es ging Kleinhansens Töchtern gar schlecht.
Der Schreiner war immer am Verlumpen und konnte sich nur mit Ach und Krach und
mit Bethlis heimlichen Zuschüssen über Wasser halten. Er rührte den Hobel kaum
mehr an und lag schier alle Abende im Straßengraben.Dabei wanderte er aber schon
am frühen Morgen, behangen mit seinen letzten Hobelspänen, von einem
Schnapskneiplein zum andern, bis er im eigenen Keller, den Kopf etwa unter einem
Faßhahnen, einschnarchte. Bethli versuchte, ihn zur
245 Arbeit anzuhalten, indem sie ihn veranlassen wollte, ihr die Warenkisten zu liefern. Doch er lachte den Altgesellen Anton, der ihn in seiner Werkstatt deswegen aufsuchte und ihn beim Schoppen traf, aus, und spielte zuletzt gar den Beleidigten. „Ein Kannalles, ein Weltshund, wie ich“,sagte er, „macht keine Kisten, mein Sohn aus dem heiligen deutschen Reich. Wenn deine Meisterin, mein schönes Schwiegermütterchen, einmal eine Kirche bauen lassen will,zur Sühne dafür, daß sie einen vorsündflutlichen Erzvater geheiratet hat, so will ich ihr einen Altar hineinstellen,unter dem jeder Heilige mit Hochgenuß liegen soll; aber Kisten, nein, mein lieber Goldschmied, das gibt's bei mir nicht. Hinten im Dorf ist ein hinkender Zimmermann; zu dem geh!“ Und der hinkende Zimmermann ward ein Kistenmacher und verdiente das schöne Geld, das der geschmalzte Hobelspäner so wohl hätte brauchen können. Der jedoch freute sich seiner Antwort und trug selbigen Tages seine hobelspänbehangene große Trommel im Triumph im ganzen Dorf herum. Kätherli, seine Frau, ließ ihn gewähren und sagte zu den Leuten, die bei ihr ihres Mannes wegen vorstellig wurden: „Was soll ich machen? Wenn ich etwas sage, schnauzt er mich ab, macht sich aus dem Haus und kommt erst recht voll heim. Da will ich lieber den Frieden haben; der Friede ist ja doch das Schönste. Und wenn ich ihn in Ruhe lasse, ist er recht mit mir, und manchmal muß ich halt doch zum Sterben lachen, wenn er seine lustigen Lieder zur Gitarre singt und hundert Sprüche hintereinander aufsagt und die Leute mit Witzen ausmacht.“Und dann lachte sie laut heraus im Gedanken an ihren betrunkenen Mann und ließ es laufen, um so mehr, als auch er ihren verdächtig duftenden Kaffeekrug im Ofenrohr
Die Schmiedjungfer.in keiner Weise zu beachten schien. Sie selbst ließ es im Haushalt und in der Küche gehen, wie's mochte, ließ eine schmutzige Magd drauflos brauchen, nahm es in nichts genau und stand und saß mit ihren Zwillingen den lieben langen Tag rötlich strahlenden Antlitzes vor dem Hause.Als daher eines Morgens an der Mauer neben der Türe mit Kohle geschrieben stand: „Wirtschaft zum immerwährenden Alpenglühen“, stellte sich der Schreiner vor den Spiegel, betrachtete seine rote Nase und sagte lachend:„Wer ist nun gemeint, du oder ich, Kätherli? Ich vermute schier, die Ehre sei mehr dir zugedacht.“
Beim Schneider ging's nicht besser. Er hatte zwar wieder zur Nadel greifen
müssen; aber es wollte ihm nicht mehr recht aus der Hand gehen. Schon das
Einfädeln war ihm eine Pein. Das heimtückische Nadelöhr tanzte ihm vor der Nase
herum und wollte sich einfach nicht fangen lassen.Und hatte er's endlich, so
machte er bei jedem Nadelstich eine Fliegerbewegung und hielt seiner Krähe, der
schwarzen Schaggeline, die ihm meistens auf der Schulter hockte oder den
Fingerhut verschleppte und verbarg, einen Vortrag über die Eroberung des
heiligen Grabes auf dem Luftwege, wobei sein Blick mit Wehmut das wunderliche
Gerippe streifte, das immer noch unbeweglich auf einem hohen Gestelle neben
seinem Schneidertisch stand. Er konnte nicht mehr den ganzen Tag dabei sitzen
und pröbeln; denn mil seinem Spezereiladen ging's gar nicht gut. Seine Frau
hatte sich mit dem Ladenumbau und dann auch mit dem Dachkammerausbau zuviel
zugetraut. Sie mußte schließlich den drängenden Zimmerleuten den Rest der
Bauschuld in Waren auszahlen. Dazu hatte der Konsumverein einen ungeahnten
Zulauf bekommen. Auch hielt sie die Preise
247 zu hoch, wollte an allem zu viel verdienen und vertrieb mit ihrer bösen Zunge und ihrer gleißenden Nasenspitze,die immer nach den Sünden der Eintretenden zu angeln schien, nach und nach ihre bessere Kundschaft. Auf Borg gab sie nichts, und so blieben bald auch die ärmern Leute weg. Statt nun im Laden erst recht nach bestem Vermögen lätig zu sein, schlurfte sie die ganze Zeit in die Kirche oder machte beim Zunachten den Umgang im Dorf, durch alle Türritzen und Fensterladenspälte das Treiben der Leute auskundschaftend. Den schlechten Geschäftsgang schrieb sie den bösen Einflüssen neidischer Nebenmenschen zu; denn sie sah im Wachen und Träumen immer aller Augen auf sich gerichtet. Dabei ließ sie immer mehr eine Magd im Laden wirtschaften, die sie bestahl, wie sie konnte. In ihrer Schürze schmuggelte sie Berge von Waren, sogar Zuckerstöcke, bei Nacht und Nebel nach Hause ins Vorderdorf.Sie wußte Portiunkulas vollstes Vertrauen zu gewinnen,indem sie in der Warenkapelle zu Weihnachten eine Rose von Jericho, wie sie den vertrockneten Pilz nannte, vor den Augen der erstaunten Herrin aufgehen ließ. Besonders aber dadurch, daß sie unter heimlichem Tuscheln und jeselndem Augenverdrehen alle Welt schlecht machen half. Als Portiunkula den Pfeffer endlich roch, war sie mit ihrem Spezereigeschäft so weit, daß sie gewisse Waren gar nicht mehr bekommen konnte, außer gegen hohe Barzahlung, die ihr Bethli, zu der sie heimlich lief, immer wieder ermöglichte.Aber sie konnte stopfen so viel sie wollte; es ging nur wieder anderswo ein Loch auf.
So ging's eine lange Zeit fort. Da munkelte man eines Tages im Dorf herum, der alte Schmied, der Kleinhans,habe wieder eine Herzschwäche bekommen. Am Abend
Die Schmiedjungfer.klingelte ein Glöcklein durch die Kirchgasse hinunter gegen das frischgeweißelte Schmiedhaus, und hinter ihm her schritt der Pfarrer mit dem Allerheiligsten.
Jetzt eilten Portiunkula und Kätherli zum Vaterhaus.
Sie kamen gerade an, als der Priester mit dem heiligen Alterssakramente im Treppenhaus verschwand. Einige Gesellen, die vor die Schmiede hingekniet waren, erhoben sich eben und machten sich wieder in die Werkstätte an ihre Arbeit, die heute ungewöhnlich still vor sich ging.
Nur Anton, der Altgeselle, war stehen geblieben. Er stellte sich, wie von ungefähr, breit in die Haustüre und sagte zu den beiden Frauen, die an ihm vorbei ins Haus X muß doch erst droben anfragen, ob jetzt jemand zum Meister hinauf dürfe oder nicht. Ich will schnell die Meisterin fragen. Sie hat mir gesagt, ich solle ja niemand hinauflassen, solange das Allerheiligste unter dem Dache des Schmiedhauses sei.“
Ohne die Antwort der verblüfften Frauen abzuwarten,drückte sich der Geselle ins Haus und schob hinter sich leise und vorsorglich den Riegel.
Stumm sahen sich die zwei Töchter eine Weile an. Um Portiunkulas Nasenspitze
wetterleuchtete es. „Der freche Schwabe!“ zischte sie halblaut. „Da sieht man's
wieder,sie macht mit unserm Vater, was sie will. Gewiß sollen wir nicht hinauf,
damit sie uns bei ihm schnell noch das Erbe abjagen kann. Sie meint, wir sollten
uns mit den paar Franken Almosen begnügen, die sie uns aus unseres Vaters Sack
etwa, und gewiß ungern genug, zugesteckt hat. Wir wollen aber die Augen schon
offen behalten! Jetzt heißt's wachbar sein, Schwester; 's geht um unsere
Sache.“
249 „Ach“, antwortete leise Kätherli, eine Träne aus dem Auge wischend, „er ist uns doch ein guter Vater gewesen.“
„Ja, solange er nur unser Vater war“, machte halblaut Portiunkula; „aber seit er dieses, um Gottes Barmherzigkeit willen angenommenen Fetzelröckleins Mann ist, hat er uns schlecht behandelt; denn nicht ein einzigesmal ließ er uns seither zu sich in die Kammer. Und das tut einem doch weh.“
Sie versuchte zu weinen; aber es wollte nicht gehen.
„Ja“, meinte Kätherli, „ich möchte wohl gern wieder einmal zum Vater in die Elternkammer. Es nimmt mich doch wunder, ob der Mutter selig schöner chinesischer Schal noch in der Kommode ist. Der täte mir gut anstehen.“
„Sei doch still, du große Dummheit!“ fauchte sie Portiunkula an. „Da sieht man wieder, was für ein Babi du bist. Dieser Schal ist doch gewiß nicht die Hauptsache.Zuerst wollen wir einmal herausfinden, wie da im ganzen geerbt werden soll, obwohl mir der Schal nicht schlechter anstehen würde als dir, einem Faß. Zudem täte er eher mir gehören als dir; denn ich bin die ältere Tochter.“
„Ja, das bist du“, machte schnippisch Frau Gagelmann;„du bist volle fünf Jahre älter als ich.“ Und unwillig setzte sie bei: „Aber red doch nicht so gehässig, wo der Vater im Sterben liegt.“
Portiunkula wollte eine recht stachlige Antwort geben;da kamen leichte Schritte die Stiege herunter. Sie glättete ihr Angesicht, das heute merkwürdigerweise nur eine, aber dafür eine überrote, Wange zeigte, und jetzt lag auf einmal eine Leidensfurche zwischen ihren spärlichen Augenbrauen.
Die Türe ging leise auf. Bethli trat, tränenüberströmt,ans Geländer der steinernen Vortreppe und sagte halblaut,
Die Schmiedjungfer schluchzend: „Der Vater läßt euch danken. Ihr sollt jetzt einstweilen nicht heraufkommen. Er will eine Weile allein sein und etwas zu schlafen versuchen. Es hat ihn so hergenommen, und er hat's jetzt streng. Jedoch, wenn's euch eine Erleichterung sei, so könnet ihr heute nacht mitsammen bei ihm wachen. Er will“, sie schluchzte herzzerreißend auf, „er will nicht, daß ich mich so abmüde und immer wieder bei ihm wache. Wenn's euch also recht ist, so erwarten wir euch nach Betglockenläuten.“
„Ja“, sagte Kätherli, ein Weinen in der Stimme, „es ist uns gewiß recht, wenn uns der Vater haben will.“
„So wollt ihr also kommen?“
„Freilich“, machte kurz Portiunkula und wich zur Seite,während Bethli rasch wieder ins Haus hinaufeilte. Das Versehglöcklein ließ sich wieder hören.
Mit gefalteten Händen knieten beide Frauen neben der Vortreppe nieder, und die Leidensfurche zwischen Portiunkulas Augen wurde immer tiefer. Jetzt knieten auch die Gesellen in die Schmiedbrücke. Die Haustüre ging, und der Siegrist trat, das Glöcklein schwingend, ins Freie, gefolgt von dem Pfarrherrn, der mit dem Allerheiligsten die Knieenden segnete. Hinter ihm kam, tiefgesenkten Hauptes,den brennenden Wachsrodel in der Hand, Kathribabä, die alte Magd. Ihr schlossen sich Portiunkula und Kätherli an, denen die Magd bremnende Wachskerzlein reichte. So ging's vom Schmiedhaus weg, die Kirchgasse hinauf.Fast vor allen Häusern kniete jemand, sich, sobald das hochwürdigste Gut vorbei war, dem Zuge mit brennendem Wachskerzlein anschließend.
Mit ernsten Augen schaute ihm Anton Landthaler, der Altgeselle, nach. Dam schlug
er sich an die Brust und
251 machte halblaut: „Herr, gib ihm eine glückliche Sterbestunde!“
Am Abend, als die Amseln auf allen Dächern und in allen Gärten schwiegen und die Betglocke über das zu dunkelnde Dorf hinläutete, machten sich die Töchter ins Schmiedhaus zur Nachtwache bei ihrem schwerkranken Vater.
„Gottlob, daß ihr kommt“, sagte Bethli leise zu ihnen,als sie in den Flur traten; „der Vater hat schon ein paarmal im Halbschlummer gefragt: Wo sind jetzt meine Töchter?Und mu bitte ich euch, nehmt mir's nicht für übel, daß ich's euch sage: Laßt ihn ruhig liegen. Er schlummert fast immer und hat's nicht gern, wenn man ihn dann anredet.Vielleicht, wenn er einen guten Schlaf tun könnte, meint der Doktor, bringen wir ihn nochmals durch. Also gelt,Portiunkula“, wandte sie sich noch besonders an die ältere Tochter, „ihr stört mir ihn nicht.“
„Red doch nicht so“, flüsterte spitzig Portiunkula; „ich bin doch kein Kind mehr. Ich weiß schon, was ich zu tun habe.“Sie drückte die Türklinke der Elternkammer behutsam auf und blickte neugierig hinein.
Ihr gegenüber, an der Wand, lag schlummernd im Elternbett ein bleicher Greis, mit dünnen Locken um die hohe Stirne und mit langem schneeweißem Barte. Sie erkannte ihn kaum. Es mußte aber wohl ihr Vater sein. Wie er rasch gealtert war.
Sie traten beide ein.
Da schlug der Alte die müden Augen auf, blickte ein Weilchen heitern Antlitzes auf die Eintretenden, erwachte dann ganz und sagte mit schwacher Stimme: „Willkommen bei uns, meine lieben Kinder! 's ist recht, 's ist gut. Ihr
4
Die Schmiedjungfer.könnt heute bei mir wachen. Heißt das, geht nur ins Nebenstübchen, wenn ihr müde seid, und legt euch nieder.Bethlis Kammer steht leer; sie ist heut in ihr altes Dachkämmerlein hinaufgezogen.“
„Guten Tag, Vater!“ sagte Portiunkula mit beelenderischem Gesicht, während ihm Kätherlis Tränen in den Bart fielen.„Wie geht's Euch denn? Habt Ihr Schmerzen? Ihr seht recht krank aus. Fast hätte ich Euch nicht mehr erkannt, so seid Ihr gealtert. Ja, läßt Euch denn das Bethli so mutterseelenallein? Hat sie denn nicht in der Elternkammer geschlafen?“
„Nein, Portiunkula, nein“, machte der Schmied. „Als eine treue Magd ist sie aber im Nebenstübchen mir immer nahe gewesen; hat mir jeden Atemzug überwacht. Gott segne sie dafür! Setzt euch doch! Was machen deine beiden Kindlein, Kätherli?“
„Sie schlafen jetzt“, sagte die Riesentochter. „Aber bevor ich sie ins Bett legte, mußte ich sie lange suchen, bis ich sie hatte. Da stieg ich in den Keller hinunter“, sie lachte mit dem ganzen Gesicht und tränennassen Wangen, „da tanzten sie mit Pips, dem ein Weintrichter auf den Kopf gebunden war, um ein Faß herum, und der Karliseff, mein Mann hockte rittlings auf dem Faß und spielte die Gitarre dazu. Nein, war das lustig anzusehen!“
Der Alte runzelte die Stirne, schüttelte den weißen Bart und schloß die Augen.
„Dumme Gans!“ zischte Portiunkula die Schwester an.Dann tat sie einen forschenden Blick nach dem Schmied.Er schaute aber schon wieder friedlich aus und schien eingeschlummert zu sein.
Jetzt setzte sich Kätherli schwerfällig auf eine Stabelle zu Füßen des
Elternbettes und sah eine Weile stumm erst
253 auf ihren Vater. Dann begannen ihre Augen allmählich in der Kammer herumzuwandeln. Portiunkula aber schlurfte schon leisen Katzenganges auf der ausgetretenen Diele herum und guckte darnach bald in alle Kasten und Kommoden.
Am Morgen früh stand Bethli barfuß vor der Türe und horchte in die Kammer. Es regte sich nichts darin. Sachte drückte sie auf die Klinke und guckte hinein. Es war niemand mehr in der Kammer als der alte Kranke, der sie aus übernächtigen tiefen Augen anstarrte. „Komm nur hinein, Bethli!“ machte er, kaum vernehmbar.
„Ja, seid Ihr schon wach, Vater? Wo sind denn Eure Töchter?“
„Ich habe sie fortgeschickt. Rück mir die Kissen etwas!Es bedünkt mich heute so hart im Bett; bin wie zerschlagen.“
„Habt Ihr denn nicht gut geschlafen?“
„Nein, Kind, ich hatte keine gute Nacht; die Maitli haben mich aufgeregt.“
„Heiliges Verdienen!“ Erschrocken, fragend sah sie den Alten an.
„Zuerst ging's erträglich. Sie glaubten mich schlafend und hatten zusammen ein immerwährendes Geflüster und Getuschel. Als es mir aber zu viel wurde, tat ich die Augen auf. Statt nun zu schweigen, fing Portiunkula mit mir zu reden an, fragte mich, ob ich's auch mit Gott ins reine gebracht habe, und zeigte sich sehr bekümmert um mein Seelenheil. Als sie dann aber nach und nach aufs Erben kam und herauszubringen trachtete, wie ich's da etwa halten möchte und ob ich auch an die eigenen Kinder denke,wie es Gottes Gebot sei, ward mir's dunkel vor den Augen.Ich hieß sie barsch schweigen und machte die Augen wieder zu. Kätherli war unterdessen auf ihrer Stabelle eingenickt.
Die Schmiedjungfer.Und auch ich schlummerte endlich ein. Bis nach Mitternacht.
Auf einmal wurde ich aus meinem unruhigen, traumschweren Hinduseln aufgerissen;
denn ein knarrendes Achzen fuhr mir durch Mark und Bein. Dort, bei der großen
Kommode, standen meine Töchter vor einer aufgezwängten Schublade und zankten
sich und stritten sich und zerrten sich hin und her um das mit blutroten Rosen
bemalte Kästchen, das mir meine Frau selig einst in die Ehe gebracht und worin
sie ihren chinesischen Schal aufzubewahren pflegte. Das Kästchen ging auf; der
Schal fiel heraus.Blitzschnell bückten sich beide darnach und ritsch! rissen sie
ihn mitten abeinander. Da hieß ich sie fortgehen. Sie wollten aber durchaus
bleiben. Kätherli begann zu flennen,und die andere gab mir gute Worte und suchte
dann Gagelmann und Kätherli anzuschwärzen und sich und ihrem Mann einen
Heiligenschein umzulegen. Nun fing auch Katherli sich zu wehren und zu maulen
an, so gut sie's konnte.Aber sie kam gegen die gesalzene Zunge der Alteren nicht
auf, bis ich die Ohren zuhielt und sie flehentlich bat, doch zu gehen.
Portiunkula wollte durchaus nicht weg. Es sei ihre heiligste Pflicht, bei mir zu
wachen und zu mir zu schauen. Ich sollte mich doch nicht so erzürnen; denn im
Zorn sei leicht gesündigt. Nun hielt ich's nicht länger mehr aus. Ich richtete
mich auf und befahl ihnen, augenblicklich sich fortzumachen. Der Morgen graute
schon. Kätherli ging weinend ab; doch die andere wußte noch vieles zu sagen und
zu werweisen. Endlich waren sie beide weg.Aber“, machte er matt, „ich fürchte,
sie kommen heute abend wieder; die Altere hat so was angetönt. Bethli, gib mir
einen Schluck Wasser! Ich habe Durst; bin die ganze Nacht zwischen zwei
Fegfeuern gelegen.“
255 Trostlos blickte Bethli durchs Fenster nach dem Hochstaldener Kirchturm, dessen Blechkappe die heraufziehende Morgensonne vergoldete. „Hätte ich sie nicht heraufgelassen“,flüsterte sie vor sich hin; „hätte ich sie nicht heraufgelassen.“Dann bettete sie den Alten mit weicher Hand zurecht, zog den Vorhang vom Fenster und sagte halblaut: „Vater, ich will Euch jetzt etwas Milch kochen. Ihr müßt einen Schluck Milch zu Euch nehmen, da Ihr gestern nichts im Magen behalten konntet.“
„Ja“, murmelte der Schmied, sein schweres Haupt in die frischen Kissen legend und die hagere zerarbeitete Hand auf die gehäuselte Bettdecke legend, „ja, Bethli, mach was du willst; 's ist ja alles recht, was du machst.“
Ruhig schloß er die Augen, und unhörbaren Schrittes machte sich die junge Frau aus der Kammer.
Als es um Hochstaldens Dächer dämmerte, stieg sie sachte das Treppenhaus hinunter und verriegelte die Haustüre.
Kaum war sie wieder oben in der Stube, um mit Kathribabä, der alten Magd, ihre Mehlsuppe zu essen, so wurde heftig an der Haustüre gerüttelt. „Jesus Gott“, rief die Magd aus, „was gibt's denn?! Der Meister wird sich doch nicht ankündigen.“ Sie schlug ein großes Kreuz.
Bethli war ahnungsvoll an ein Fenster geeilt und schaute nun durch einen halb offenen Laden auf die Gasse hinab.
An der Haustüre stand, die Klinke rüttelnd, Portiunkula, und jetzt watschelte auch Kätherli die Kirchgasse herunter, aufs Haus zu.
„Bethli, Bethli!“ rief jetzt mit scharfer Stimme Portiunkula.
Bethli öffnete das Fenster, legte den Laden zurück und rief hinab: „Nichts für ungut, Portiunkula; aber der Doktor
Die Schmiedjungfer.hat gesagt, es sei besser, wenn heut niemand zum Vater komme, da er eine so böse Nacht gehabt hätte. Da hab XO nicht Briefträger, Hausierer und sonst allerlei Leute einem unversehens in Haus hineintappen.“
Portiunkula war sprachlos. Totenbleich, haßerfüllt, blickte sie zum Fenster empor.
„So“, rief sie dann, „also soweit ist's schon gekommen.Des Vaters Magd verschließt uns das Haus und will uns nicht zum todkranken Vater hinauflassen. Wann ist jemals so etwas auf Gottes weitem Erdboden erhört wordenl!“In den Nachbarhäusern gingen heimlich und gar leise die Fenster. „Kätherli“, rief sie gellend der heranwackelnden Frau Gagelmann zu, „Schwester, Schwester, denke dir, das Bethli, des Vaters Magd, hat uns das Haus verschlossen und will uns nicht einlassen!“
Bethli war nur froh, daß der Schmied hinten hinaus lag.
„Jesus Gott im Himmel, es wird doch nicht sein!“ machte weinerlich das herankommende Kätherli. „Das wär doch eine rechte Schande für uns.“
„Geht, um Gotteswillen, lieber ruhig wieder heim“, rief jetzt Bethli halblaut hinunter. „Ich lasse euch gewiß und heilig rufen, wenn's mit dem Vater etwas geben sollte.Macht euch doch nicht vor dem ganzen Dorf zum Gespött.Die Leute wundern ja schon aus allen Fenstern.“
VPortiunkula tat nur noch einen giftsprühenden Blick an ihrer Nase vorbei zum Fenster hinauf. Dann sprang fie von der Vortreppe und schlurfte rasch gegen die Schmiedbrücke, um durch die Schmiede ins Haus hinauf zu kommen.
„Jesus!“ Bethli erbleichte. Doch blitzgeschwind hastete
257 sie aus der Stube, schoß wie von Sinnen über die enge Seitenstiege hinunter und riß die Werkstattüre auf.
Eben fuhr Portiunkula durch die stille Schmiede, die das in der Esse verglimmende Feuer nur noch schwach erhellte,auf die Seitentüre los, und hinter ihr her wackelte Frau Gagelmann.
„Halt, halt!“ rief flehenden Tones Bethli, sich mit weit ausgebreiteten Armen vor die Türe stellend, „geh nicht weiter! Tu mir den Gefallen, Portiunkula, und bleibt mir heute nacht weg. Der Vater hat die letzte Nacht so schlecht geschlafen.“
Mit funkelnden Augen stand Portiunkula vor der jungen zitternden Frau.
„Sag, red, sag, du Freche, hat es der Vater befohlen,uns herauszuschließen?!“
„Nein“, machte mit bebender Stimme Bethli, „aber er muß wieder einmal recht ausschlafen, Portiunkula; sonst könnt's ein schlimmes Ende nehmen. Und“, lauter sagte sie's, „und dann will ich dir's schon sagen: Freude hat er keine, wenn ihr kommt.“
Schier ohnmächtig vor Wut fauchte sie Portiunkula an:„Was, der Vater hat's nicht befohlen, und du wagst es,du hergelaufenes Gassenbärbele, du, die das Gnadenbrot bei uns ihrer Lebtag aß, uns, des Kleinhansens leiblichen Töchtern, das eigene Haus zu verschließen!“
„Wir sind doch hier geboren worden“, rief jetzt des Schmieds heranrückende jüngere Riesentochter; „da ist's nicht schön von dir, Bethli, daß du uns nicht einmal zu unserm kranken Vater hinauflassen willst.“
„Kätherli, ich darf nicht.“
„Du willst nicht, du freches Geschöpfl!“ schnauzte ihr
Lienert, Bergdorfgeschichten. 17
Die Schmiedjungfer.Portiunkula ins Gesicht, „'s ist dir nicht genug, daß du uns den Vater verleidet hast, daß du's verstandest, uns von seiner Kammer und von seinem Herzen“ sie tat einen kurzen, tränenlosen Schluchzer „fernzuhalten. Nun willst du auch den sterbenden Vater noch allein für dich haben. Aber man weiß schon warum“, setzte sie bei, und um ihre Nasenspitze wetterleuchtete es; „du möchtest unser warmes Nest, in das dich, weiß der Herrgott was für ein Kuckuck, gelegt hat, für dich allein haben; du willst ...“
„Schweig!“ machte jetzt Bethli, totenbleich.
„Was, du, du heißest mich schweigen, du, des Vaters Magd?!“ fuhr sie Portiunkula an, und wie sinnlos kreischte sie auf: „Willst du uns wohl hinauflassen oder nicht!“
„Nein“, machte Bethli entschieden.
„Wir sind doch vor Gott und der Welt seine Töchter!“
„Und ich bin seine Frau.“
Kätherli schrie auf. Portiunkula schoß wie eine wilde Elster mit ihren spitzen Fingernägeln auf die junge Frau los, fuhr ihr ins Haar und hätte sie wohl bös zerzaust,wenn sie von ihr nicht mit kräftiger Faust zurückgestoßen worden wäre. Und jetzt erwischte das aufgebrachte, zornglühende Bethli den Handhammer vom Amboß und trieb,ihn wie toll herumwirbelnd, die fauchende Portiunkula und die schreiende und schimpfende Frau Gagelmann zur Schmiede hinaus. Bis in die Schmiedbrücke verfolgte sie die beiden.
Dort blieb sie bebend stehen und schaute, den Hammer in der Faust, den abziehenden, Gott und alle Heiligen und die Polizei anrufenden Stieftöchtern nach.
Aber als sie in der Dunkelheit verschwanden, kehrte sie wankenden Schrittes in
die Werkstätte zurück, ließ den Hammer, rauchend vor Scham, fallen und setzte
sich
97 4
9 aufschreiend auf den Amboß, wo sie in ein anhaltendes Schluchzen ausbrach.
Es war stockfinstere Nacht geworden, als sie endlich vom Amboß aufstand und sich die Augen im Wassergeltlein wusch.Ruhigen Schrittes stieg sie dann zur Elternkammer empor.
„Schläft er?“ fragte sie Kathribabä, die alte Magd, die eben aus der Elternkammer schlarpte.
„Nein, eben ist er wach geworden.“
„Hat er wohl nichts gehört von dem wüsten Lärm in der Schmiede?“
„Ich glaube nicht; er ließ wenigstens nichts merken.“
Bethli trat leise ein.
„Wie geht's Euch, Vater?“
„Gut, Bethli, gut geht's mir“, machte er mit auffallend tiefer Stimme. „Es ist mir schier, es könnte mir's noch einmal geben.“
„Ja, Vater, sicher mögt Ihr wieder auf. Schaut nur schön zu Euch und macht immer schön, was der Doktor sagt. Liegt recht still im Bett und schlaft jetzt dann recht lang.“„Ja, ja, Bethli“, sagte er, sie wehmütig anlächelnd, Ach will schon recht still liegen, immer still und immer still, wie's der Lehrer haben will, heißt's im Schulbüchlein. Und schlafen will ich, Kind Gottes, solang's Gott gefällt. Schau,der Schlaf ist doch eine gute Einrichtung. Es ist mir wenig Besseres gegeben worden. Im Schlaf bin ich schon oft im Paradiese herumgelaufen, glücklich wie nie im Wachen.Und im Schlaf kann man so viel vergessen. O Schlaf,nur Schlaf! Schau, es ist mir heute, ich möchte eine ganze Ewigkeit durchschlafen. Komm, Kind, setz dich ein bißchen zu mir!“7*
Die Schmiedjungfer.„Vater, Ihr sollt jetzt schlafen!“
„Gleich, Kind, gleich; zu tot schlafen will ich mich darnach,wenn du's willst. Es ist mir, ich müßte doch noch ein Weilchen mit dir plaudern vorher. Schau, es ist mir so wohl. Am End könnte ich morgen ein bißchen aufstehen und probieren, ob ich's nicht doch noch einmal in die Sonne vors Haus hinunter bringe.“
„Vater, wo denkt Ihr hin!“ machte mit erschrockenen Augen das Bethli.
„He“, meinte er aufgeräumt, „ich hab so eine Wanderlust in mir. Es ist so ein
Trieb in mir, etwas zu unternehmen; 's ist mir, ich sollte in alle Welt
hinausreisen,soweit der Himmel blau ist. Schau“, redete er leiser, als seine
junge Frau auf einer Stabelle bei ihm saß, „ich weiß,daß es mit mir doch bald zu
Ende geht. Ich habe mich meiner Lebtag nie stark gefürchtet; ich fürchte mich
auch vor dem Tode nicht; denn Gott wird keinen verlassen, der guten Willens ist;
aber einmal möchte ich halt doch noch gern auf der Welt ein wenig herumlaufen.
So viele Steine in meinem Weg gelegen sind, er war halt doch schön. Was war das
für eine schöne Zeit, die Wanderzeit! Wie war ich da reich und glücklich, als
ich frei und froh in den goldenen Abend hineinwalzen konnte und vor mir etwa ein
heimeliges Dorfkirchlein oder gar die Türme einer Stadt aus den Hügeln
auftauchten. Ein jedes Blümlein am Weg wünschte mir: Mit Glück, Gesell! Und
jedwedes Rock-Büblein sah an mir hinauf und suchte meine Augen.O schöne Zeit, o
Jugendzeit, sie kommt nicht mehr!“ Er sah träumend an die Wand, und die Wand tat
sich auf und zeigte ihm einen langen, langen Weg in eitel Sonnenglanz getaucht.
„Bethli“, sagte der Alte auf einmal, „du
261 hast mir letzthin aus der Zeitung vorgelesen, daß das Fliegen erfunden sei und daß schon da und dort Menschen wie Vögel in der Luft herumfliegen. Ich konnte es nicht glauben und wollte es erst sehen, bevor ich's für wahr annahm. Aber heute ist mir's, es könnte doch wahr sein.“
„Was fällt Euch auf einmal ein, Vater“, machte sie schier erschrocken.
„Schau, Bethli, du hast, obwohl nur ein schwaches Weib,solche Wunder an meinem Haus gewirkt, daß ich an den Menschen nie mehr verzweifeln will. Ich traue ihnen zu,daß sie noch viel Gutes und Großes zustande bringen, was man nie für möglich halten sollte.“ Er nickte wieder ein.
Bethli erhob sich, die Kammer zu verlassen. Da drückte der Alte ihre Hand und sagte leise: „Bethli, gutes Kind,wenn's mir etwas Ungrades geben sollte, mußt nicht zu sehr erschrecken. Der Herrgott holt jeden zur rechten Stunde ab. Für dich habe ich vorgesorgt. Sie sollen dich nicht auf die Gasse setzen können. Darüber, wie ich's getan habe,wird dich Anton, unser treuer Altgeselle berichten, wenn ich nicht mehr da bin. Vergiß dann meine Töchter nicht.Sie sind einmal wie sie sind. Es können nicht alle Hecken Rosen tragen, und“, schweraufseufzend, schluckend und kKaum hörbar sagte er's, „und es geht ihnen nicht gut.“
„Seid nur ruhig und schlaft jetzt. Gut Nacht, Vater!“
„Schlafen, ja schlafen“, lächelte er ihr nach, „schlaf auch wohl, du Liebe, Liebe du!“
Sachte nahm das hinaustretende Bethli die Kammertüre zu.
Auf dem Flur jedoch fiel es ihr ein, daß das Nachtlichtlein zu nahe bei seinem Haupte stehen könnte. Sie zog rasch die Schuhe aus, tat die Türe unhörbar auf und lugte hinein.
*7 4
Die Schmiedjungfer.Er sah sie mit großen Augen unbeweglich an.
„Ich muß nur noch das Licht vom Nachttischchen nehmen;schlaft nur ruhig weiter, Vater!“ machte sie, schlüpfte in die Kammer und machte sich hurtig an sein Bett. Auf einmal aber war ihr's, als ob sie jemand mit einem Schmiedhammer vor die Brust schlüge, als müßte sie ersticken. Sie packte rasch das Nachtlichtlein und hielt es hoch übers Bett.Der Alte lag ruhig da, die Hand auf dem Herzen. Nur um seine Augenbrauen war ein dräuender Zug. Es war,als liege ein alter Schweizer im Harnisch auf dem Paradebett. Peter Kleinhans, der Schmied war tot.
Ein wilder Jammer kam über Bethli. Sie warf sich am Bett nieder und vergrub den Kopf in die Decke. Plötzlich erhob sie sich wieder und rief schier frohlockend aus:„Gottlob und Dank, Gottlob und Dank, er hat's überstanden! Nichts und niemand kann ihm mehr weh tun,und wenn die Welt auf den Kopf steht. Tröste ihn Gott,und das ewige Licht soll ihm leuchten!“ Sie machte ihm das Kreuzeszeichen über Stirne, Mund und Brust, küßte ihn, das erstemal in ihrem Leben, mit zitternden Lippen auf die tiefgefurchte Stirne, die aussah wie ein Acker, auf dem Ernte gehalten wurde, und warf sich dann wieder auf die Knie, mit der alten Magd, die unvermerkt eingetreten war, laut Fünfe und den heiligen Glauben betend.
Als das Sterbeglöcklein am andern Morgen über Hochstaldens Dächer ging, wußte das ganze Dorf, daß der alte Staldener Schmied mit Tod abgegangen war. War kein Haus, in dem dem Verstorbenen nicht ein gutes Wort in die Ewigkeit mitgegeben wurde.
Und als man ihn beerdigte, vermochte der Staldener Friedhof das Volk fast nicht
zu fassen, das von allen
263 Seiten, auch aus entlegenen Bergnestchen, zu seinem Leichengang herbeigeeilt war. Der Staldener Pfarrer aber hielt ausnahmsweise eine kleine Grabrede, da der Verstorbene auch Kirchenvogt war. Er rühmte ihn als einen vorbild-lichen Christen und Menschen und vergaß auch nicht die Treue und Tüchtigkeit seiner jungen Frau zu erwähnen,deren Hände der Herr so sehr gesegnet habe. Aller Augen schauten dabei auf Bethli, das bleich aber aufrecht am Sarge stand und still auf den draufliegenden Kranz sah,dessen leuchtende Blumen die Gesellen für ihren toten Meister in Wald und Feld zusammengesucht hatten.
Das Gedächtnisamt am dreißigsten Tage nach der Beerdigung war kaum vorüber, so standen eines Morgens in der Wohnstube des Schmiedhauses die Hinterbliebenen des Schmieds Peter Kleinhans. Da waren Bethli, seine Frau,Portiunkula und Kätherli, seine Töchter und ihre CEhemänner. Die Erbteilung sollte verhandelt werden.
Katherli saß gleichgiltig auf dem rotüberzogenen Lotterbettlein und schaute dem geschmalzten Hobelspäner, ihrem Mann zu, der seinen hundertfältigen Rassenhund, den Pips,mit Fliegen fütterte. Der Schneider Desiderius Pipenhenner stand im offenen Fenster und fuchtelte unwirsch in die Gasse hinunter, wo seine Krähe auf der Sandsteinkugel des Dorfbrunnens auf ihn wartete und beständig zu ihm hinaufkrähte. Vortiunkula aber, die gleichzeitig mit dem Gemeindeschreiber ins Haus gekommen war und ihm dabei so süße Worte gegeben hatte, daß man damit einen See voll Kaffee hätte zuckern können, stand jetzt mitten in der Stube, wie eine Brennessel im Blumengärtlein, war in kriegerischer Stimmung und verfolgte jede Bewegung ihrer jungen Stiefmutter mit Sperberaugen. Die räumte eben
Die Schmiedjungfer.den Tisch ab, worauf sie den Verwandten ein Frühstück serviert hatte. Portiunkulas Augen sagten zu Bethli: So nun kannst du dein Bündel packen und wieder hingehen,wo du hergekommen bist, auf die Straße.
Jetzt räusperte sich der Gemeindeschreiber und sagte: „Ich muß euch nicht lange hinhalten; die Teilung ist bald geschehen. Ich habe da vor mir drei Aktenstücke, die der selige Peter Kleinhans beim Landschreiber in Nidach hat errichten lassen. Einmal zwei Kaufurkunden. Die erste beschlägt den Kauf zwischen dem Verstorbenen und Anton Landthaler, seinem Altgesellen. Er hat ihm sein Haus mit allem was darin und darum ist, vor ungefähr einem Jahre verkauft. Die zweite betrifft den Kauf zwischen dem vorbesagten Anton Landthaler und der Witwe des Peter Kleinhans sel. wo das Haus mit Schiff und Geschirr an die vorbemeldete Elisabeth Kleinhans geb. Dornauer eigentümlich übertragen ist. Diese letztere Handänderung ist vorgestern rechtsgiltig abgeschlossen und mir davon ein Auszug zugestellt worden. Ich will euch die Schriftstücke vorlesen.“
Er begann die Käufe abzulesen und schien es nicht zu gewahren, wie Portiunkula
und der Schneider gegeneinander aufgeregt die Arme verwarfen, als wollten sie
zusammen himmelfahren. Und als er die beiden Schriftstücke zu Ende gelesen hatte
und Portiunkula und der Schneider zugleich mit großem Ungestüm zu reden anfangen
wollten, verwies er ihnen, ziemlich barsch, ihr Gebaren, nahm die dritte Schrift
zur Hand und sagte, Portiunkulas Maulen mit kräftiger Amtsstimme übertönend:
„Hier ist noch ein Testament des seligen Kleinhans. Es beschlägt die Erbfälle
seiner Töchter Portiunkula und Katharina.“ Jetzt ward es wieder mäuschenstill in
der Stube. Dann las er langsam, schier
265 feierlich, was der alte Schmied selber mit großen eckigen Buchstaben, die sich aneinanderreihten wie Hagstecken, niedergeschrieben hatte. Und als es eingangs hieß, wie er mit allen Mitteln trachten werde, daß das Haus mit allem,was drum und dran hänge, seiner jungen Frau zukommen solle, gingen dem Bethli, das ruhig am Tische saß, die hellen Tränen über die gefalteten Hände. „Und ich, Peter Kleinhans, der Schmied, habe“, las der Gemeindeschreiber weiter,„an dieser Elisabeth Dornauer meiner Lebtag nicht nur eine treue Magd, sondern eine gute Tochter gehabt, die mich mehr liebte als die eigenen Kinder und die mich in der Not nicht nur nicht verlassen, sondern mir im Gegenteil ihr Glück angehängt hat. Sie hat alles verdient durch ihrer Hände Arbeit und ihren guten Kopf, was ich habe.Daher ist's nichts als billig vor Gott und der Welt, daß ihr die Ernte zukommt, die sie selbsten so handlich gesäet hat. Meinen Töchtern aber vermache ich gleichwohl mehr als mir von Rechtswegen gehört. Ich habe zwei Sparkassenbüchlein auf die Sparkasse Nidach, auf ihre Namen gehend, beim hiesigen Waisenamt hinterlegt. Von dem mögen sie ein jegliches Jahr den Zins beziehen. Es trifft jeder Part zu einem halben Tausend Franken. Mehr könnte ich vor Gott gegen Elisabeth, meiner mir angetrauten lieben Ehefrau, nicht verantworten. Gott helfe euch allen!“
„Somit wäre dieses Geschäft, soweit's wenigstens mich heut angeht, erledigt“,
machte der Gemeindeschreiber und iegte ziemlich hastig, unter dem lautlosen
Schweigen der Versammelten, die Schriften wieder zusammen. „Adieu!“sagte er laut
und machte sich dann, rasch nach dem Filz greifend, flink davon. Kaum war er aus
dem Zimmer, so hörte man schon die Haustüre aufknacken.
8*
Die Schmiedjungfer.Jetzt ging ein polterndes Auflachen durch die Stube.
„Das hat der alte Kleinhans schlau ausgedacht“, rief,den Bauch verschüttelnd, der Schreiner Gagelmann aus.„Nicht mucksen können wir uns dagegen; völlig gesetzmäßig hat er das Gesetz umgangen. So, jetzt können wir den Mund waschen und uns drücken. Nicht einmal eine Traggabel haben wir notwendig; denn unsere Erbteile können wir im Westentäschchen forttragen, selbst wenn ein Sackmesser drin steckt.“Und wieder brach er in ein lautes Gelächter aus.
Portiunkula aber, die bisher steif und starr, wie eine steinerne Heilige und Märtyrerin dastand, erwachte auf einmal aus ihrer Betäubung, faustete gegen Bethli und kreischte: „Schelmin, Betrügerin! O du meine heilige Zuversicht, du hast uns unseres Vaters Haus gestohlen. Aber wart nur, wart nur; der Handel ist noch nicht zu Ende!“Sie rückte bedrohlich gegen Bethli zu, das sich erhoben hatte, und schrie sie fauchend an: „Schnurstracks laufe ich zum Advokaten nach Nidach. Und wenn ich's treiben muß bis vors jüngste Gericht, so tu ich's. Ich will einmal sehen,ob es nun in der Welt schon so weit ist, daß die Magd die ehelichen Kinder vors Haus stellen kann. Du Abisag,du Erzabisag, du!“
Im Hui war sie zur Türe hinaus und polterte durchs Haus hinunter.
Der Schneider Desiderius Pipenhenner war hochernsten Angesichts, mit feierlichen
Prozessionsschritten, vor das bleich gewordene, aber ruhig blickende Bethli
hingetreten und sprach tiefen Tones, wie der Herr im Alten Testament,als er in
der Nacht nach Heli, dem Richter rief: „Bethli,Bethli, das sage ich dir heute im
Angesicht des Kirchturmkreuzes, das hier in die Stube hineinschaut: Wenn wir
25 37 vor dem zeitlichen Richter verspielen sollten, lade ich dich auf ein Jahr nach meinem Tode ins Tal Josaphat zur Verantwortung. Denn“, überschrie er sich jetzt, „denn unrecht Gut ...“ Da schlug ihm etwas um die Ohren. Schier entsetzt sah er sich um. Schaggeline, seine Krähe, saß auf seiner Schulter und machte: „Rack, rack, rack!“
Laut auf lachte der Schreiner, und auch über Kätherlis volles Antlitz ging ein rasches Aufleuchten.
„Was, was, wie, wie!“ lärmte der Schneider. „Wie kommst denn du hieher, du heilloser Vogel? Seit wann kannst du denn so fliegen? Ich muß dir wohl die Flügel wieder stutzen.“
Wie er aber die Krähe haschen wollte, schoß sie auf und flatterte dann, schwerfälligen Fluges, zum Fenster hinaus auf den Spitzgiebel eines Nachbardaches. Der Schneider stand wohl ins Fenster und winkte und rief zum Giebel hinauf und wirbelte die Arme durcheinander wie eine Haspel,als müßte er eine Lawine Garn aufwickeln. Doch die schwarze Schaggeline ließ ihn zappeln und krähte ihre Freude über die wiedergewonnene Freiheit in alle Welt hinaus.
Der geschmalzte Hobelspäner wandte sich voller Entrüstung zu seinem Hund, schnitt ein Gesicht als wäre er ein Kindleinfresser und müßte einen Wald voll Buben fürchten machen und schnörrzte ihn an: „Schämst du dich nicht, du hundertfältiger Pips! Jetzt hast du mindestens eine Fledermaus und zwei Vampire, wenn nicht gar einen Drachen zum Urahnen gehabt und nun hat die schwarze Schaggeline das Fliegen doch vor dir und dem Schneider erfunden. Komm heim und kusch dich!“
In diesem Moment ließ sich über dem Dorf ein seltsames Rattern und Schnattern hören.
Die Schmiedjungfer.„Um Gotteswillen, was gibt's denn?!“ machte Frau Gagelmann, blieb jedoch ruhig auf ihrer Stabelle sitzen.„Es ist doch nicht Karwoche; die Schnattern auf dem Kirchturm kann's doch nicht sein.“
„Heiliger Gott, heiliger Gott!“ stöhnte der Schneider.
Jetzt war das Bethli ans Fenster geeilt.
„Kommt, schaut, seht!“ schrie sie in gewaltiger Aufregung,„wie ein ungeheurer Vogel fliegt ein Mensch übers Dorf.Jetzt ist er über dem Schulhaus; jetzt streicht er hart am Kirchturm vorbei! Wahrhaftiger Gott, das Fliegen ist erfunden, das Fliegen ist erfunden!“
Nun schlurfte auch Kathribabä, die alte Magd, aus der Küche an ein Fenster, gerade als der Schreiner Gagelmann sich an ihr vorbei mit seinem Pips aus der Stube machte.
„Wahrhaftig“, sagte Kätherli, die nun auch nach einem Scheiblein gewatschelt war, „es fliegt wie ein Adler. Jetzt fährt's dort gegen die Berge hinüber!“
„Räuber, Diebe, Räuber! Sie haben mir meine Ideen gestohlen!“ kreischte der Schneider auf und schoß wie wahnsinnig aus der Stube zum Haus hinaus.
Noch ein Weilchen staunten Bethli, Kätherli und die alte Magd nach dem wunderbaren Riesenvogel, bis er hinter den Höhen verschwand.
„O daß der Vater das noch gesehen hätte!“ machte Bethli. Dann nötigte sie
Kätherli, die sich erst ein bißchen sträubte, in die Küche, wo sie ihr einen
schweren Armkorb mit allerlei Dingen belud und aufdrängte. „Für die
Zwillinge“,sagte sie. „Und das“, fügte sie bei, ihr ein mit klappernden A„das
ist für dich, Kätherli. Verbirg's vor dem Schreiner,und nun geh, in Gottesnamen!
Solltest du dann wieder
279 nötig sein, so klopf wieder an. Du wirst die Türe nie verriegelt finden. Das Schmiedhaus soll doch euer Vaterhaus bleiben, wenn ihr recht mit mir seid. Sag's der Schwester.Sie hat mich freilich bös angelassen; aber um ihres lieben Vaters willen habe ich's vergessen. Lebwohl, Kätherli.“
Es war am Abend des Jahrzeittages. Da saß Bethli,die junge Witfrau, den Kopf in die Hand gestützt, in der Wohnstube ihres Hauses und staunte trübe in den Tisch. Nun war kaum ein Jahr vorüber seit dem Tode ihres Mannes,des Staldener Schmieds, und doch hatte sich während dieser A Armenhause des Dorfes und unterhielt die entzückten Schicksalsgenossen mit seinem Saitenspiel und mit der Schilderung seiner Abenteuer, die er auf der Wanderschaft zwischen Hochstalden, Paris und Ritzepitzel erlebt hatte. Sie wollten sich totlachen ob seinen meisterlosen Schelmenliedern, schlechten Witzen und Sprüchen und hielten ihn für das größte Genie der Welt. Er war so angeschwollen, daß er kaum mehr laufen konnte. Doch wälzte er sich noch mitunter durchs Dorf von Kneiplein zu Kneiplein, um sich auf Rechnung der Witfrau im Schmiedhause ein Blaumontagsräuschlein anzuschaffen. Seine Frau, das Kätherli, war schon ein paar Monate nach ihres Vaters Ableben an einer Erkältung gestorben. Das Sterben mußte ihr nicht schwer geworden sein; denn sie lag strahlenden Angesichtes auf dem Totenbette. Den Schneider Desiderius Pipenhenner hatte man vor einem halben Jahre ins Irrenhaus einer nicht allzufernen Stadt verbracht; denn er hatte sich in seiner Dachkammer, seit der Flucht seiner Krähe, wie toll zu gebärden angefangen. Im Irrenhaus nun stand er die halbe Zeit an einem Fenster, machte gleichmäßige Flug
Die Schmiedjungfer.bewegungen mit den langen Armen und rief: „Schaggeline,Schaggeline!“ Portiunkula, seine Frau, hatte vor kurzem den Spezereiladen aufgeben müssen und durfte froh sein,daß ihr ihre junge Stiefmutter die Miete für die Dachkammer zahlte, in der ihr Mann vergeblich das Fliegen hatte erfinden wollen. Seinen wunderlichen Flugapparat überzog sie mit einem Trauerflor. Der Gemeinderat von Hochstalden hatte ihr das freigewordene Amtlein einer Grabbeterin und Umsagerin zugesprochen, das sie, vermöge ihres beredten Mundes, vortrefflich versah. Kätherlis Zwillinge aber waren von Bethli in einer guten Waisenanstalt des nahen Städtchens Nidach versorgt worden, wo sie ab und zu nach ihnen sah.
Alles das überdachte jetzt die junge Witwe. Und obwohl es ihr gut ging und ihr Fensterbeschlägegeschäft immer mehr empor kam, sah sie jetzt doch recht versonnen, schier traurig, dem Spiel eines ins Zimmer verirrten Falters zu,der immer wieder die Sonnenfleckchen an der Wand für glänzende Fensterchen nahm und an eins ums andere anrannte, die goldene Freiheit zurückzugewinnen.
Seufzend stand sie auf, öffnete das Fenster, und im Hui flog der verängstigte Falter in den Abendhimmel hinaus.Träumend, schier schwermütig, sah sie ihm nach.
„Bethli!“
Zum Tod erschrocken fuhr sie zusammen und sah mit weitgeöffneten Augen auf die Gasse hinunter.
Vor dem Hause, nahe der Vortreppe, stand ein sonnenverbrannter, bärtiger Mann im
Rust eines walzenden bessern Handwerksburschen. Er hatte den blumengeschmückten
Hui zurückgeschoben, und sein noch junges Gesicht lachte zum Fenster
hinauf.
271 „Bethli, kennst du mich nicht mehr? Ich bin ja der Jokel“, rief er.
„Jesus Heiland!“ Sie preßte die Hand aufs Herz. Aber dann rief sie, rot wie ein Waldröschen im Zunachten: „Ja,du bist's. Ich hätte dich nimmer erkannt; denn du bist so breitschulterig geworden, und hast gar einen Bart bekommen. Grüß dich Gott, Jokel! Was suchst du denn in Hochstalden? Ich hab gemeint, du seiest längst im Bayrischen und habest einen eigenen Hausstand.“
„Was wollte ich denn suchen im Staldener Dorf? Wie kannst du nur so fragen.“
„Es ist etwas lang gegangen, bis du den Weg in unser abgelegenes Bergdorf zurückgefunden hast“, sagte sie, mit leisem Zittern in der Stimme. „Komm aber hinauf ins Haus; sollst mir willkommen sein. Wirst gewiß gern eine rechte Rast machen wollen. Es war heut wohl ein heißer und ein weiter Weg. Wohin willst du?“ rief sie ihm zu,als sie ihn gegen die Schmiedbrücke abschwenken sah,„brauchst nicht durch die Werkstätte zu gehen; komm nur gleich durch die Haustüre. Wirst ja wohl wissen“, machte sie gedehnt, die Augen fest und forschend auf ihn gerichtet,„daß ich jetzt hier im Schmiedhaus die Frau bin.“
„Ich weiß alles“, rief er, auf die Vortreppe tretend,halblaut hinauf. „Es ist mir alles von einem Gesellen, der hier vor einem Monat umschaute, brühwarm zugetragen worden. Da“, er sah strahlenden Angesichts, mit schlau zwinkernden Augen hinauf, „da hat's mich in meines Vetters Schmiede nicht mehr gelitten; ich wollte mir die Schmiedjungfer im Schweizer Bergland noch einmal genauer ansehen. Nun wär ich wieder hier.“
Der hochgewachsene hübsche Geselle trat, nachdem er
Die Schmiedjungfer.neben der Türe noch sorgsam die Schuhe am Putzeisen abgestrichen hatte, eben ins Haus, als oben das Fenster sachte zuging.
Schier im Sturm flog er die dunkle Treppe hinauf, flink,wie seinerzeit Jakobs Engel über die Himmelsleiter. Ohne anzuklopfen, tat er die Stubentüre weit auf, breitete die Arme, Stock und Hut fallen lassend, weit aus und rief:„Bethli, Schatz, da hast mich wieder!“
Beinahe hätte er Kathribabä, die alte Magd, in die Arme geschlossen; denn sie deckte, ihm den Rücken zuwendend, eben den Tisch. Er lachte laut auf; da ging die Küchentüre, und die junge, schwarz gekleidete Hausfrau trat,freundlich lächelnd, ein, in den Händen ein rundes Holz-brett und darauf eine Flasche und ein Schinkenbein tragend.„Grüß dich Gott und willkommen bei uns, Jokell“ sagte sie.
Leuchtenden Angesichtes fuhr er mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Sie wehrte ihn ruhig ab und sagte tief errötend: „Paß auf, Jokel! Du wirfst mir fast die Flasche um; da müßtest du noch länger dursten. Sitz doch abl“fügte sie mit ermunterndem Lächeln bei; „wirst wohl müde Beine haben.“
Verblüfft schaute der Geselle auf die junge Frau. Sie kam ihm auf einmal so seltsam vor. Es war ihm, als stände er vor einem wohlbekannten Häuschen; aber ein Schatten lag darüber, und aus dem Fensterlein schauten ihn andere, fremde Augen an. Es juckte ihm in den Armen,er hob sie, ließ sie jedoch plötzlich wieder sinken, setzte sich auf das rot überzogene Lotterbettlein und sah zu, wie sie die Sachen vor ihn hinstellte.
„So, jetzt greif wacker zu!“ machte sie und schenkte ihm das Glas voll.
273 „Bethli“, sagte er, „hast du noch immer Trauer? Der alte Kleinhans, dein Mann“, ein hämischer Zug spielte um seine krausbärtigen Lippen, „muß doch schon lange tot sein. Das schwarze Gewand will dir nicht wohl anstehen.Es ist als ob man ein Blümlein statt ins Wasserglas in ein Tintengeschirr gestellt hätte. Du siehst so aus wie dein Schatten. Geh, Schatz, leg einen andern Rock an; darnach schaust mich gewiß auch mit andern Augen an. Geh,fleiß dich!“
„Es war heut morgen das Jahrzeitgedächtnis für meinen lieben Vater selig.“
„Für wen?“ fragte er erstaunt. „Für deinen seligen Vater?“
„Ja“, sagte sie, „der liebe Verstorbene war mir ja zeitlebens wie ein guter, treuer Vater.“
„Freilich“, meinte er, roh auflachend, „er hätte ja dein Urgroßvater sein können.“
Ihr Auge sah ihn auf einmal wieder so wunderlich ernst,so fremd an. Es ward ihm unbehaglich.
„Du schaust mich ja wahrhaftig an wie ein vergittertes FrauenklosterScheiblein. Hast du so wenig Freude, daß ich wiedergekommen bin? Hast mich vielleicht schon vergessen gehabt?“
„Nein“, machte sie, ernst zu Boden blickend, „ich habe dich nicht vergessen, ich dich nicht. Aber ...“ Es war einen Augenblick, als schüttelte sie ein Frösteln; eine Haarnadel fiel aus ihrem braunen Scheitel. Sie bückte sich rasch darnach. Und als sie wieder aufsah, ging ein herzliches Lächeln über ihr blutrotes Gesicht: „Trink doch,Jokel, und greif einmal zu!“
Da ward ihm leicht wie einem Vögelein am
Lienert, Vergdorfgeschichten.
Die Schmiedjungfer.morgen. Er legte den Arm um die junge Frau und zog sie auf seine Knie nieder. „Jetzt wollen wir wieder einmal Reitereiterößlein machen!“ lachte er auf.
Aber Bethli sträubte sich, entzog sich ihm und sagte,schwer atmend: „Laß die Dummheiten!“
Er sah sie verwundert, kurios an und sagte schier unwillig: „Dummheiten, sagst. Früher machtest dich nicht halb so schwierig, und einmal, als ich dich schaukelte und fragte, ob dir's gefalle, lachtest du überlaut auf und sagtest:Heja, dies Rößleinreiten gefällt mir schier noch besser als das Karussellfahren. Und darnach wurdest du blutrot, verbargst das Gesicht in den Händen und hauchtest durch die Finger wie eine schöne Sünderin durchs Beichtstuhlgitterchen:Jokel, schaukle mich nochmals!“
Ein flammendes Aufleuchten, ein Strahlen ging für einen Augenblick über ihr Angesicht. Dann lächelte sie und sagte:„Ja, das waren schöne Zeiten; aber“, setzte sie sogleich hinzu, „sie sind jetzt vorüber; damals war ich noch ein Kind, und es hat mich dann niemand mehr geschaukelt.Ich geriet auf einmal vom Karussellpferdchen an wild ausschlagende Bauernrosse. Die wußten nichts vom Schaukeln und verstanden keinen Spaß. Ich mußte die Augen gut auftun, daß sie mich nicht in den Graben hinabschlugen, da wo er am tiefsten ist.“ Fast hart sagte sie's.
Er sah sie verlegen an. Sie streckte, sich abwendend, die Nadel ins Haar.
„Hast du mich nie mehr erwartet?“ fragte er jetzt.
„Ich habe dich lange erwartet“, machte sie halblaut.
„Gewiß schier eine Woche lang“, sagte er, gezwungen auflachend.
„Ich habe dich immer erwartet, Jokel.“
275 Ruhig, schier kalt war der Ton, in dem sie's sagte. Aber jetzt schauten ihn ihre Augen flüchtig an. Er schrak zusammen vor Freude. Es waren die Augen, mit denen sie ihn immer unverwandt anschaute, wenn er sie im Schoß hatte. Und es war in den Augen noch etwas, das er früher nie gesehen. Etwas wie ein Allmeindfeuer, das nicht erlöschen will und noch heimlich fortglimmt in tiefer Nacht.Doch als er jetzt keck nach ihrer Hand langen wollte, griff sie rasch seinen Stock unter dem Tische auf, trug ihn in den Winkel neben dem Uhrgehäuse und sagte: „Nein, wie du stark geworden bist! Du mußt ein ganzer Schmied geworden sein.“ Sie sagte es mit freundlichem Lächeln;aber das Allmeindfeuerlein in ihren Augen war spurlos verschwunden.
„Trink und iß doch einmal, Jokel!“
Er nahm das Glas zur Hand, streckte ihr's entgegen und rief schier überlaut: „Tu mir zuerst Bescheid, Bethli!“
Fast zögernd langte sie nach dem Glas und nippte dran,ohne ihn anzusehen. „Helf dir Gott!“ wünschte sie, ihm das Glas zurückgebend.
Er setzte den Mund genau an die Stelle, an die sie ihre roten Lippen gehalten hatte, und aus war's.
„Ei zum Donner, hat das wohlgetan, Bethli!“
Die Türe ging.
Seppli, der Lehrbub, trat, das Weihwasser an der Türe nehmend, ein, und ihm nach kam Hans, der junge Schaffhauser. „Aul!“ kreischte er auf. Einer der ihm nachdrängenden drei Gesellen hatte ihm heimlich einen Stoß in den Rücken gegeben.
„Schau, schau, da hast du eine gehörige Mannschaft beisammen“, machte der Bayer, erstaunt den Burschen nach
18g*
Die Schmiedjungfer.sehend, die sich in die Nebenstube verzogen. „Du schaffft ja wie ein Fabrikant. Muß doch wahr sein, was mir mein Landsmann berichtete. Na, so was!“
„Die Gesellen kommen zum Nachtessen“, sagte Bethli.„Bleib aber nur ruhig sitzen. Die Burschen da essen immer in der Nebenstube. Nur Anton, der Altgeselle und ich essen jetzt von heute mittag an hier in der Stube zusammen.Ich kann mit ihm gar manches Geschäftliche ausreden, was nicht vor die Gesellen gehört. Ist auch noch ein anderer Grund dabei. Kathribabä!“ rief sie durchs Ofenrohr in die Küche. „Das Grittli soll anrichten; ist alles in der Nebenstube am Tisch.“
„Der Altgeselle?“ machte er. „Ja, Bethli, das ist doch wunderlich, daß ihr allein ...“
Jetzt knarrte die Türe wieder, und festen Schrittes trat ein hagerer, um die Schläfen leicht angegrauter Mann ein,
„Wohl der Altgeselle“, sagte Jokel aufatmend.
„Ja“, machte Bethli, nahm den verwunderten Altgesellen,der sich überrascht,
schier erschrocken, in eine Fensternische drücken wollte, an der Hand, zog ihn
an den Tisch und sagte erbleichend, ruhigen Tones: „Das, Jokel, ist Anton
Landthaler, mein Altgeselle. Er hat jahrelang treu bei mir ausgehalten, als ich
gar viel zu denken und durchzumachen hatte und als ich und der alte Schmied gar
übel dran waren und uns alles im Stiche ließ. Er ist meine treue rechte Hand
gewesen, und er soll es bleiben. Und daß du's auch bleibst, sieh, Anton“, wandte
sie sich an ihren Altgesellen, seine harten Hände ergreifend, „das ist der
Hauptgrund, daß ich mit dir von heute ab am gleichen Tische essen möchte. Anton,
du hast auf mich gewartet, still,
277 treu und stark, jahrelang, ich weiß es. Wenn du mich nun willst, so nimm mich. Ich will dein sein so lange ich lebe.“
Zum Tode erschrocken fuhr der Altgeselle ein paar Schritte zurück, schaute mit staunenden Augen auf die junge schöne Frau, die ihn warm, fast ernst anblickte; dann tat er einen Aufschrei, das Blut schoß ihm in den Kopf, und aufjauchzend schloß er das aufschluchzende Bethli in die Arme.
Aber Bethli wollte nicht zu schluchzen aufhören. Es schluchzte und schluchzte und bebte in des Gesellen Arm,als schüttelte es ein wilder Sturm. Als es endlich mit tränenvollen Augen aufsah und sich aus den Armen des überglücklichen Altgesellen löste, war Jokel, der bayrische Geselle, verschwunden. Auf dem Tische lag das umgestürzte Weinglas, und auf dem Boden rann ein Brünnelein blutroten Weines.
„Dort läuft er!“ sagte Anton Landthaler, durch das offene Fenster blickend. Und das stumm in den Boden staunende Bethli an der Hand nehmend, fragte er leise,ernst: „Wer war das, Bethli?“
„Es war Jokel, mein erster Schatz“, sagte kaum hörbar die junge Frau.
„Der, der dich einst verlassen hat?“
„Der, der mich verlassen hat.“
„Schau“, sagte er und wollte sie an der Hand in eine Fensternische ziehen, „er schaut nochmals zurück und schwingt den Hut.“Bethli drückte warm seine Hand, setzte sich auf eine Stabelle an den Tisch, und Tränen gingen ihr über die Wangen.
Stumm, in tiefem Ernst, fast neidisch, schaute der Altgeselle durchs Fenster dem Abziehenden nach.
Die Schmiedjungfer.In der Nebenstube aber, wohin Kathribabä, die alte Magd, eben die mächtige Suppenschüssel trug, sangen die Gesellen, gar wohlgelaunt in Erwartung des Nachtessens,ein schweizerisches Volkslied zu Ende:
„Und 's Bethli nimmt ä Gelte,Lauft weideli vor 's Hus.
Der Pfiffer und si Giger
Sind lang scho uf und drus.Und 's Bethli goht a Brunne Und stellt sis Geltli ab.
So bhüet di Gott, du schöne,Du liebe Pfifferchnab!Lost uf em Brunnetrögli
Wie 's Wässerli dri rünnt.
Und überlauft ehm 's Geltli,Der Brunne goht glich gschwind.Und überlauft ehm 's
Bäggli Vor luter Ach und Weh,Das Brünneli im Augli Das bstellt ehm niemer
meh.“
Erst hatten sie der Aufrichtung des großen Altars beigewohnt, den man alljährlich auf den Brüelmatten für den Rosenkranzsonntag aufstellte. Wie er aber fertig stand,rief der Kari: „Wer von uns sitzt zuerst auf dem Hag dort am Rain!“ Wie ein Föhnstoß stoben alle Buben davon,und ging kein Vaterunser lang, hockten schon alle auf dem Hag, wie die reisefertigen Schwalben auf dem Telegraphendraht.
Eine Weile träumten sie in die Welt hinein und lauschten den Vesperglocken, die eben im nahen Kloster geläutet wurden.
„Was wollen wir jetzt machen?“ fragte der kleine Seffeli.
„Ballenschlagen!“ rief der Wysi.
„Nein, alleweil Ballenschlagen“, machte der Seffeli.
„Barspringen!“ lärmte der Friedi.
„Nein, alleweil Barspringen“, gähnte der Wysi.
„He, was wollen wir denn machen?“
„Ich wüßte schon, was wir machen könnten“, sagte jetzt der Kari. Und sich allseitig vorsichtig umsehend, fügte er halblaut bei: „Aber ihr dürft's nicht ausschwatzen; sonst sage ich's nicht.“
„Nein, nein“, fuhren alle wachbar auf, „wir sagen es niemand. Was denn, was denn?!“
„Wenn wir rauchen täten.“
Tiefes Stillschweigen. Schaute einer den andern mit brennenden Wangen verstohlen an. Der Seffeli sah sogar einen Augenblick schier erschrocken nach einem Räuchlein,
Die Raucher.das aus einem Dorfkamin aufstieg; war ihm schon, es komme aus ihrer Mitte.
„He, das ist doch nichts anderes“, meinte jetzt der Kari,„mein größerer Bruder raucht doch alle Sonntage einen Ormondstumpen.“
„Ja, ja, dein größerer Bruder“, machte beklommen der Seffeli.
„Ich hab auch schon geraucht“, sagte jetzt, kaum hörbar,der Wysi.
Mit großen Augen schauten alle auf den Wysi.
„Was hast du denn geraucht?“
„He, halt Nielen; wißt ihr, so Meerrohrabfälle hinter des Schirmmachers Werkstätte“, machte er kecker, aufgedonnert durch das Aufsehen, das sein Bekenntnis verursacht hatte. „Aber“, setzte er kleinlaut bei, „als ich die Niele anzünden wollte, ging ob mir mit einemmale ein Scheiblein; eine Hand fuhr heraus und gab mir einen Watsch um die Ohren.“
Erschrocken sahen alle auf den Wysi und seine verdächtig roten Ohren. Und
sogleich ließen sie die Auglein scheu rundum gehen. Es war weit und breit
niemand zu sehen;nur die Kühe der Dorfgenossen weideten friedlich um den
hochragenden Rosenkranzaltar. Aber Seffeli, neidisch geworden auf Wysi, der
einmal fast und gar geraucht hatte,sagte jetzt dreist: „O, ich habe schon mehr
als zweimal geraucht.“Verwundert, ungläubig schauten alle den kleinen
bleichschnabligen Seffeli an. „Ja du, wer's glaubt“, sagten sie.„He doch“,
machte eifrig der Kleine. „Ich habe halt in der Küche Halme aus dem Binsenbesen
gezogen und sie am Herdfeuer angezündet und geraucht; die Magd hat's
281 mich gelehrt. Herrschaftabeinander, die haben schön gedampft!“
Als aber Seffeli sich wonneberauscht, von den bewundernden Augen der andern so recht sonnen lassen wollte, zog Friedi langsam, schier feierlich, einen zerbrochenen, bemalten Pfeifenkopf aus dem Hosensack und sagte stolz: „Seht, das ist der Kopf von meines Vaters Pfeife gewesen. Aus diesem Pfeifenkopf habe ich einmal geraucht.“
Von Hand zu Hand wanderte der halbe Pfeifenkopf,auf dem noch die blau und weiß gesprenkelten Strümpfe und das rote Röcklein und die grüne Hose und die Bergschuhe eines Alplerpärchens zu sehen waren.
„Warum ist denn die Pfeife zerbrochen?“ fragte der Seffeli.
„Heja eben“, sagte der Friedi: „Als mein Vater am Stubenfenster aus der Pfeife rauchte, sah er gerade, wie die Magd mit der vollen Kupfergelte auf der Gasse ausglitt.Da legte er sie rasch aufs Gesims und polterte die Stiege hinunter. Nun nahm ich die Pfeife und tat ein paar Züge daraus. Herrschaftneunundvierzig, das dampfte! Wie ein Bäckerkamin dampfte es! Aber als ich dann durchs Fenster sehen wollte, was nun der Vater und die Magd täten,fiel mir die Pfeife aus dem Mund und dem Vater just vor die Füße und ist halt zerbrochen.“
„Was hat denn dein Vater gesagt?“ wollte der Seffeli wissen.
„He“, sagte Friedi, „nichts hat er gesagt; übers Knie hat er mich gelegt und Tätsch hat er mir gegeben.“ Und ausweichend fügte er geschwind bei: „Heiliges Verdienen,hat die Pfeife gedampft! Wenn man einen Zug daraus tat, war alles wie ein Nebel!“
Die Raucher.Aber die Buben hatten dem Friedi den zerbrochenen Kopf, den sie eben noch angelegentlich beaugenscheinigten,schleunigst wieder eingehändigt, als er die Tätsch erwähnte.Auch er steckte ihn flink in den Hosensack, als ob er ihm die Finger verbrennte, schaute dann aber hochmütig von einem zum andern; denn nun war er der Größte.
Kari war zündrot; er rauchte vor Arger, daß dieser nichtswertige Unterdörfler, der Friedi, nun der Berühmteste unter ihnen sein sollte. Am liebsten wäre er ihm hinter seinen ungekämmten Strubelkopf geraten. „O“, rief er auf einmal aus, „du mußt nicht so prahlen wegen den paar Zügen aus deines Vaters Pfeife, Friedi. Ja, wemn einer eine rechte Zigarre geraucht hätte, das wäre was anderes.“
„He“, gab der Friedi gekränkt zurück, „du hast ja auch noch keine geraucht, so wenig wie ich.“
Nun mußte der Kari verstummen. Unwillig trommelte er mit den Schuhen an einen Zaunpfahl.
„O, wenn wir nur eine Zigarre hätten!“ sagte jetzt der kleine Seffeli.
„Ich habe einen Rappen“, machte schier schüchtern der Wysi; „die Base Lisabeth hat ihn mir gegeben.“
„Und ich habe einen Zweier“, sagte stolz der Seffeli;„der Vetter hat ihn mir ...“ Er ward plötzlich brandrot und stumm wie das Grab.
„Ich habe auch einen Rappen!“ rief auffahrend der Kari; „die alte Bärenhaube hat
mir und Friedi je einen gegeben, als wir ihr die wätschnassen Turben abladen
halfen.Juhuu, so hätten wir ja zusammen einen Fünfer!“ jubelte er. „Nun können
wir eine von den großen getüpfelten Zigarren kaufen, die drunten in der
Kramgasse die alte Jörglunn feil hat. Das wär fein, das wär fein!“
283
Der Seffeli war hurtig vom Hag gestiegen und wollte sich langsam dem entlang davonschleichen.
„Haltet ihn, haltet ihn!“ lärmte der Friedi.
Aber der Kari hatte ihn schon am Lismerkittel und sagte:„Komm, Seffeli, du mußt uns deinen Zweier auch geben;sonst können wir ja keine Zigarre kaufen; o, das wär schad, das wär schad!“
Doch der Seffeli wollte seinen Zweier nicht hergeben.„Dann verhauen wir dich!“ herrschte ihn der Friedi an,„wenn du ihn nicht hergibst.“
Nun warf sich das Büblein auf den Boden, seinen Zweier im Sack krampfhaft umklammernd. Er kugelte sich zusammen wie ein Igel und warf sich hinum und herum,wenn sie ihn anpacken wollten. Als sie ihm aber die Hand,die den ersehnten Schatz barg, aus dem Sack herausgewunden hatten, mühseliger als die Matrosen einen Anker aus dem Meeresgrund, und ihm nun Finger um Finger wegzumartern begannen, fing er mörderisch zu heulen an, also daß sie entsetzt von ihm abließen.
„O du Dummer, du Dummer!“ rief der Kari zornig aus. „So behalte unsertwegen deinen Zweier. Was hast du denn davon, wenn du daraus Bärendreck oder Süßholz erkrämerst. Das hast du doch schon hundertmal gehabt;aber eine rechte Zigarre mit Tüpfelchen drauf hat noch nie einer von uns allen geraucht. Hättest du uns deinen Zweier gegeben, so hättest du die Hälfte der Zigarre ganz allein rauchen dürfen. Willst du?“
Ein Weilchen blieb Seffeli nachsinnend liegen; dann erhob er den Kopf ein wenig und sagte mißtrauisch: „O ihr tätet mich ja doch nicht die ganze halbe rauchen lassen.“
„Doch, doch, auf Ehr und Seligkeit!“ lärmte es einstimmig.
Die Raucher.Langsam erhob sich der Kleine, öffnete zögernd die Hand,beschaute den nagelneuen, wie ein Goldstück glänzenden Kupferzweier noch ein geraumes Weilchen, sah dann einen um den andern argwöhnisch an und sagte endlich: „Da habt ihr ihn; aber“, machte er mit furchtbar drohenden Auglein, „aber wenn ihr mich dann nicht die ganze halbe rauchen läßt, so sag ich's dem Lehrer.“
Jetzt lachten sie toll auf, und Kari rief, Seffelis Zweier im Hosensack verschwinden lassend: „Ja, sag ihm's nur;er verhaut dir dann die geplätzten Hosen gehörig!“
Darnach zogen sie, der auf sein Vorrecht eifersüchtige Seffeli immer zuvorderst, ins Dorf ab, um die Zigarre zu erhandeln. Kari sollte den Einkauf möglichst unauffällig besorgen.
Während sich nun die andern, auf dem Dorfplatz vor dem doppelgetürmten Kloster angekommen, auf den vierzehnröhrigen Brunnen setzten, schlich sich Kari auf Umwegen zu den Kramständen. Beständig nach allen Seiten ausspähend, näherte er sich dem mit bunten Nastüchern und allerlei glitzerndem Kram aufgerüsteten offenen Laden der alten Jörglunn. Einigemal stand er schon hart vor dem farbenfröhlichen Gerümpel; doch trat er immer wieder errötend, mit einem scheuen Blick nach den ihn mit Arm und Bein ermunternden Spielgenossen auf dem Frauenbrunnen zurück. Nun fiel er der Jörglunn auf. „Was willst du,Büblein?“ fragte sie mit einladendem Lächeln. „Willst du etwa süße Schafböcklein! kaufen? Drei für einen Zweier.“
Jetzt wuchs ihm der Mut. Über und über rot, machte er sich ganz nahe an ihre offene Auslage heran und flüsterte mit einem scheuen, prüfenden Blick auf die Nach
0
285 barin der Jörglunn: „He, ich hätte gerne eine von den Zigarren dort, wo so gelbe Tüpflein drauf sind.“ Und mit zitterndem Finger wies er auf ein trübes Glas, in dem ein großer Büschel Zigarren steckte, die gefleckter aussahen als ein Leopard.
Verständnisinnig sah ihn die Alte an. „BVürschlein,Bürschlein!“ machte sie leise, schalkhaft mit dem Finger drohend. „Nimm dich aber in acht; sonst wenn sie dich erwischen, geht's dir nicht gut.“
Hurtig hatte sie Karis fünf Rappen zu mütterlichen Handen genommen, das verstaubte Glas gelüftet und ihm eine von den gefleckten Zigarren in die rasch, zitternd zugreifende Hand geschmuggelt. „So, nun drück dich und mach, daß dich niemand gewahrt, du Spitzbub!“ sagte sie mit einem verstohlenen Blick nach ihrer anscheinend selig schlummernden Standnachbarin. Als aber Kari hurtig davonhastete, erwachte die Ladennachbarin unversehens und rief ihm, erbost, daß er die Zigarre nicht bei ihr erworben,mit scharfer Stimme nach: „Ja, lauf nur, du Schlingel!So ein triefnäsiger Fratz und schon rauchen! Der wird mir ein schönes Kamin aus seinem Schluck machen bis er ins Schwabenalter kommt. Das sind Knaben heutzutag,du heilige Mutter St. Amal Es wundert mich nur, daß man den Fratzen die Zigarren nicht gleich statt dem Schnuller in den Mund steckt, wenn sie auf die Welt kommen. Schäme dich, schäme dich!“
Aber als Kari beunruhigt stehen blieb und fast Miene machte, als wollte er zur Jörglunn zurückkehren, begannen die beiden Ladenweiber mitsammen ein Duett anzustimmen,das einem nächtlichen zweistimmigen Katzenkonzert in nichts nachstand. Nun huschte er, flink wie ein Füchslein, das
Die Raucher.den Gockel schon im Maul hat, wenn der Hofhund zu bellen anfängt, aus der Kramgasse zu seinen Kameraden,die mit gesträußten Ohren und glühenden Wangen seinen gefährlichen Gang verfolgt hatten.
Freudestrahlend sprangen sie vom Frauenbrunnen, rannten ihm entgegen und bestaunten, ihn umringend, die glücklich errungene Zigarre. Wahrhaftig, das mußte eine außergewöhnlich gute Zigarre sein; denn sie war dicker und röter als eine rote Waldschnecke im Regenwetter. Und als sie mit bebenden Fingern, in heftiger Aufregung die gelben Pünktlein auf dem Deckblatt zählten, brachten sie zu dreißig heraus. „Herrschaft, Herrschaft!“ machte der Friedi, „sie hat mehr Tupfen als das sommersprossige Seppetrutli; Herrschaft Bataillon, muß das eine gute Zigarre sein!“
„Ja, ja“, sagte jetzt der Seffeli; „aber die halbe will dann ich allein rauchen; das sag ich!“
„Jesus, der Landjäger!“
Die Zigarre verschwand in Karis Hosensack. Der Landjäger kam vom Rathaus, eine Mappe unterm Arm, gegen sie heraufgegangen.
„Jesus, Jesus!“ wehklagte halblaut der Seffeli.
„Er hat es gewiß gesehen, wie wir die Zigarre gekauft haben; nun holt er uns und sperrt uns alle ein. Aber ich bin nicht schuld; der Kari hat uns aufgewiesen. Jesus Gott, Jesus Gott!“
Zitternd wie Aspenlaub standen alle da. Flucht war nicht mehr möglich. Schon
nahte sich der Landjäger mit schnellen Schritten, und seine Augen nagelten sie
alle fest,wie das Mäuslein vor der Schlange. Jetzt war er da,groß und furchtbar
wie eine unausweichliche Lawine. Die
287 Zigarre brannte Kari; es war ihm, der Polizist sehe sie durch den Hosensack.
„Was gafft ihr mich so an, Buben?“ schnörzte sie der Landjäger unwirsch an, als er gewichtigen Ganges an ihnen vorbeischritt. „Habe ich denn Hörner am Kopf?“
„Nein!“ lärmte der Seffeli, was er vermochte.
Verwundert staunte ihn der Landjäger einen Augenblick an; dann aber schritt er, ein Schelmenliedlein pfeifend, gegen die Abtei hinauf.
Langaufatmend schauten ihm die Knaben nach. Aber dann ermannte sich Kari. „Er hat nichts gemerkt“, sagte AD&wollen wir die Zigarre rauchen!“
Aber als sie um das Eckhäuschen der Kramgasse jagten,prallten sie mit dem von der Kirche herabsteigenden Pfarrer zusammen.
„Gelobt sei Jesus Christus!“ schrie der Seffeli auf.„Gelobt sei Jesus Christus!“ lärmten alle aus Leibeskräften.
„In Ewigkeit. Amen“, machte ruhig der Pfarrer und schritt fürbaß, dorfwärts.
Auch diesmal war es gnädig abgelaufen.
Bald standen sie in der Matte hinter der hohen linksseitigen Klostermauer.
„So“, sagte Kari aufatmend, „nun sind wir da; nun wollen wir die Zigarre rauchen.“
Wie der Blitz flogen alle Augen in die Runde. Keine Seele weit und breit.
„Hört Buben, Buben! Ich will aber die ganze halbe Zigarre allein rauchen!“ machte der Seffeli. „Ihr habt es mir versprochen, weil ich am meisten Geld dafür gegeben
Die Raucher.habe.“ Er drängte sich möglichst nahe an Kari heran, wie ein Sperber die Zigarre im Auge behaltend.
„Ja, ja“, sagte Kari, „aber anzünden will ich sie; dem ich habe sie gekauft. Wer hat ein Zündhölzchen?“
Friedi und Wysi grübelten mehrere Streichhölzchen aus ihren Hosennähten heraus und überreichten sie an Kari.„Rückt zusammen!“ gebot der. Aber so eng sie zusammenstanden, ein leichter Abendwind löschte ihnen die Zündhölzchen immer wieder aus, bevor die Zigarre Feuer zu fangen vermochte. Erst als Kari und Wysi abknieten und sich nach Möglichkeit unter Friedis viel zu weitem väterlichem Lismerkittel bargen, gelang es ihnen, die Zigarre in Brand zu bringen. Erst schien sie freilich wieder verlöschen zu wollen, obschon Kari daran sog wie ein Blutegel; aber dann begann sie doch zu glimmen, und nun stieg ein braungelbes Räuchlein von ihr auf. „So“, sagte Kari freudestrahlend, „nun brennt sie; die zieht fein!“
„So gib sie jetzt“, reklamierte der kleine Seffeli; „ich will jetzt meine Hälfte abrauchen.“
„Ach nein“, machte der Kari. „Laß doch mich zuerst ein wenig rauchen. Wir wollen die obere Hälfte abrauchen,und du kannst dann die untere.“
Da wollte aber der Seffeli zu heulen anfangen.
„Still, bezapf dich, der tausend Gottswillen!“ fuhr ihn Kari an; „sonst merken's die Leute. Da, du Zwänger,hast du sie!“
Er übergab die brennende Zigarre dem rasch zugreifenden Seffeli. Und nun begann der, unter den strengen, scharf zusehenden Augen seiner Gespielen, auf Tod und Leben an der Zigarre zu ziehen.
„Die riecht fein“, sagte der Friedi, sich über die Zigarre
„Und einmal habe ich einen gekannt, der hat eine Zigarre gegessen“, sagte der Wysi, nach dem Rosenkranzaltar, auf dem eben der Widerschein des Abendrots erstarb, hinübersehend.
„O, das ist nichts anderes“, meinte der Kari; „in Amerika,hat mein Vater gesagt, essen alle Leute Zigarren.“
„O, wemnn ich nur auch in Amerika wäre“, sagte der Wysi; „da tät ich den ganzen Tag Zigarren essen und sie vorher in unserm Bienenhonig eintunken. Das wär gut,das wär gut!“
„Seht, wie der Seffi geschwind raucht!“ rief der Friedi.„Er raucht zu geschwind!“
„Ja“, stimmte der Wysi bei, „so haben wir an der Zigarre nicht lange, wenn wir sie so hurtig rauchen. Aber ich weiß, was man machen muß, daß sie länger hält: Man muß sie vorher belecken. Alle Männer belecken die Zigarre,bevor sie sie rauchen.“
„So wollen wir sie belecken!“ forderten alle drei.
Gern oder ungern, Seffeli mußte die Zigarre an einen um den andern ausliefern, bis sie alle drei aufs liebevollste und gründlichste ringsum beleckt hatten, als hätte sie sich in einen Zuckerstengel verwandelt. Als sie Kari dem zwängenden Seffeli wieder überreicht hatte, zeigte es sich,zum Mißvergnügen aller, daß die schönen gelben Tüpflein von der Zigarre spurlos verschwunden waren.
In wilder Hast rauchte nun der Seffeli, der der Abschleckerei mißtrauisch zugesehen hatte, drauflos. Niemand konnte wissen, ob sie ihm die Zigarre nicht nochmals weg
19
Lienert, Vergdorfgeschichten.
289
Die Raucher.nehmen und am Ende gar aufessen würden, bevor er seine Hälfte abgeraucht hätte. Wahre Wolken gingen von ihm aus. Doch die Zigarre hielt sich gut und sehr ausgiebig;denn sie brannte jetzt recht langsam. Bisher hatte Seffeli nur seine lauernden Kameraden angesehen; aber nun begann er nach und nach seine Zigarre mit messenden Augen anzusehen, und zuletzt verwandte er keinen Blick mehr davon.Ihn bedünkte, wie länger er rauche, desto länger werde auch die Zigarre. Es war ihm allmählich wunderlich zu mute geworden. Und je länger er daran zog, desto seltsamer wurde ihm. Es schien ihm, die Zigarre fange an sich zu verzweifachen. Mit immer ängstlicheren Augen starrte er auf das schmale glimmende Streifchen, und allemal, wenn er einen Zug getan hatte, hielt er die Zigarre rasch von sich weg. Auf seiner Stirne zeigten sich, zur Verwunderung der scharf zusehenden Mitraucher, Schweißtropfen, und die Hand, die die Zigarre hielt, begann zu zittern. Nun wollte es Seffeli auf einmal bedünken, er stehe auf einem wiegenden Laubbett. Sein Kopf aber fing an Telegraphenstangenmusik zu machen, und irgendwo unterm Lismerkittel war ihm so unartig, und war ihm, als ob er einen Frosch verschluckt hätte, der nun alleweil herauf und heraus wollte;denn in seinem Hals machte es wahrhaftig qua qua! Aber er gab nicht nach; er zog und zog, bis er die Zigarre genau bis auf die Hälfte abgeraucht hatte.
„Jetzt hast du deine Hälfte geraucht!“ schrie der Friedi;„gib her, jetzt komme ich dran!“
Schon hatte sie Friedi im Mund. Er legte sich mit einem Jubelschrei ins Gras und versuchte Ringe in die Luft zu blasen, wie er's bei den Großen ersehen.
„O Seffi, du bist ja schneeweiß!“ sagte Wysi zu Seffeli,
291 der seinem Mäulchen vergeblich ein Lächeln abzunötigen versuchte; „ist dir etwa schlecht? O, das habe ich gleich gedacht, so ein kleiner Knirps ertrage das Rauchen nicht.O, o, seht den an, wie der ein Gesicht macht!“
„O, ich hab aber doch die ganze halbe mutterseelenallein geraucht“, versuchte Seffeli triumphierend zu stottern. Aber auf einmal brach er in ein fürchterliches Heulen aus und lief, was gibst, was hast, dorfwärts davon. „Mutter,Mutter!“ schrie er erbärmlich, „ich muß sterben!“
„Nein, dich lassen wir nie mehr mitrauchen!“ rief ihm der Kari nach. „Schäme dich, schäme dich!“ Dann warf er sich bäuchlings ins Gras. Wysi tat ebenso, und nun schauten beide mit gespanntester Aufmerksamkeit auf Friedi, der sich fürchterlich abmühte, Rauchringe in die Luft zu blasen.Er zog wie wild an der arg zerlutschten Zigarre und büschelte den Mund auf alle Arten. Er hauchte, er blies,er flötete den Rauch in den eindämmernden Abend hinaus wie eine Amsel; aber Ringe wollte es nicht geben. Und als ihm endlich fast ein kreisförmiges Räuchlein zu gelingen schien, fuhr Wysis Hand nach seinem Mund und zerstörte es. „Nun hast du genug geraucht; jetzt komme ich dran!“„So nimm sie meinetwegen“, machte der Friedi unwillig und sah verdrossen seinem zerfließenden Ringlein nach, das am eindämmernden Himmel in einem still ziehenden roten Wölklein aufzugehen schien.
Wysi, der nunmehrige glückliche Besitzer der bedenklich herabgebrannten Zigarre, ging damit sehr haushälterisch um. Er tat nur hie und da einen langen Zug daraus,beleckte sie ab und zu rundum, und erst, wenn sie auszugehen drohte, paffte er wieder ein paarmal drauflos. Es bedünkte
19*
Die Raucher.den sehnsüchtig wartenden Kari, der sich den Stummel ausbedungen hatte, der Wysi wolle sich zum jüngsten Tag durchzurauchen versuchen. Aber alle seine Ermahnungen zu regerer Raucherei waren erfolglos. Wysi gedachte seinen Anteil an der Zigarre gründlich auszukosten. Alle Augenblicke sagte er: „Schaut, Buben, was für eine weiße Asche die Zigarre hat. Nicht umsonst ist sie so fein!“ Er hielt sie sorgsamer in der Hand als ein junges Vögelchen, um ja das Abfallen der Asche zu verhüten.
„Du, schau einmal, was der Wysi für einen gespäßigen Schnabel macht,“ sagte der Kari lachend zu Friedi. „O, das ist malefizlustigl Er macht ein Maul wie eine Brunnenröhre,in der ein Zapfen steckt.“
Aber von Friedi kam keine Antwort. Der hatte das Gesicht in beide Arme vergraben; war von seinem Kopf nichts mehr zu sehen als ein Büschel von seinem reistenfarbenen Schopf. Also lag er bäuchlings im Grase, und nur ein zeitweiliges seltsames Stöhnen verriet, daß er noch lebe.
Verwundert sah ihn Kari an. „Mach doch nicht die Kuh,“ sagte er, ihn am Kittel
zupfend. „Was hast du denn?Warum gruchsest du denn so?“ Als er wieder keine
Antwort bekam, beugte er sich über ihn und schrie ihm ins Ohr:„Steh doch auf und
halte uns nicht so zum Narren!“ Als auch das nichts half, riß er einen Halm ab
und kitzelte Friedi damit an der nackten Fußsohle. Jetzt schlug der mit beiden
Beinen, ohne aufzustehen, aus, und auf einmal fing er zu Karis maßloser
Verwunderung auf allen vieren davonzukriechen an. Und wie er ihn an einem Bein
zurückzuhalten versuchte, tönte es dumpf und hohl, als wäre Friedi ein
Bauchredner geworden: „Laß mich doch gehen;
293 ich will heim.“ Ohne jemals aufzusehen, kroch er dem Dorf zu. Ein Stück Weges gab ihm der beunruhigte Kari das Geleite; aber als es auf all seine Aufforderungen zur Rückkehr nur alleweil, hohl wie aus Jonas' Walfischbauch,aus dem Grase herauftönte: heim, heim! und Friedi wie eine eigensinnige Schildkröte immerzu dorfwärts kroch,machte er ganze Wendung und eilte zur Linkmauer zurück.Es fiel ihm mit einemmal ein, der geizige Wysi könnte ihn um den ausbedungenen gigarrenstummel bringen.
Es war fast völlig dunkel geworden.
Jetzt hastete Kari gegen die Linkmauer. Aber zu seinem Entsetzen fand er von Wysi keine Spur mehr. Er wollte in ein fürchterliches Wutgebrüll ausbrechen; da erblickte er im Grase ein leuchtendes Fünklein, wie ein Johanniskäferchen. Blitzgeschwind bückte er sich, und jetzt hielt er zu seinem freudigen Schrecken den noch ansehnlichen Rest der Zigarre in der Hand. Fast wäre ihm der Stummel wieder entfallen; denn nicht weit von ihm weg ertönte ein Puhuen und Fauchen. Sollte eine Nachteule in der Nähe sein? Oder ging es gar um? Der Friedhof war ja so nahe. Strich dort nicht ein Gespenst der Linkmauer entlang?Schon wollte er mit gesträubten Haaren Reißaus nehmen;da glaubte er in der nachtwandelnden Gestalt den Wysi zu erkennen, der sich taumelnd, hart an der Mauer klebend,davonmachte. „Wysi!“ rief er, „was machst du denn dort;wohin gehst du denn?“
„Puhuu, puhuu,“ stöhnte es der Mauer entlang.
Sollte es am Ende doch eine gespensternde arme Seele gewesen sein? Es war nichts mehr zu sehen; nur noch ein unheimliches Rülpsen, wie das Gluchzen eines übersprudelnden Dachkennels im Gewitter, ging durch die Nacht.
Die Raucher.„Wysi, Wysi!“
Keine Antwort. Da warf sich Kari ins Gras, steckte den brennenden Stummel in den Mund und begann seelenvergnügt, zufrieden mit Gott und der Welt, drauflos zu dampfen. Hie und da pfiff er zwischen hinein ein fröhlich Liedchen, und eben wollte er pfeifen: „Wer will unter die Soldaten!“ da war ihm, er höre ganz nahe Schritte. Erschrocken, von Gespensterfurcht gepackt, wollte er sich umsehen, als ihn jemand am Ohr packte und aufzog. Voller Entsetzen erkannte er seinen Vater. „So,“ sagte der, „also du bist noch allein auf weiter Flur. Aber wart, ich will dir!“Er riß ihm den Zigarrenstummel aus dem Munde und zog ihn mit sich davon. „Also du fängst schon solche Sachen an und verlockst dazu gar noch andere. Des Seffelis Mutter,die mir's berichtete, hat schön geschimpft und geklagt. Es VD komme nicht lebend davon, er liege schon im Ende, also sei er heimgekommen und habe alles hängen lassen, wie ein junges Kätzlein. Auf Herr und Doktor sei sie losgesprungen, bis sie dann endlich herausgebracht hätten, daß der Seffeli mit dir und einigen andern nichtswertigen Buben da hinter der Linkmauer geraucht hätte. Aber jetzt komm nur heim, du Heimlichtücker! Ich will dir gleich von Anfang an das Rauchen gründlich und womöglich für immer abgewöhnen, du Schlingel!“
Als sie zu Hause in der Stube standen, setzte sich Kari ergebungsvoll vor den
Ofen, einen flüchtigen Blick nach dem Spiegel tuend. Ach ja, sie steckte noch
immer dort,die böse Rute. Die Hinrichtung wird sogleich beginnen.Neugierig, wie
Trost suchend, blickte er nach einer andern Stubenwand. Dort hing neben dem
Weihbrunn ein
295 altes Gemälde, das Adams und Evas Vertreibung aus dem Paradiese zeigte. Dort hatte die Geschichte mit der Rute ihren Anfang genommen. Wie stach ihn die feurige Fitze in des zürnenden Erzengels Hand in die Augen!Und er hatte nicht einmal ein Gebüsch, in dem er sich wie die Stammeltern im Paradiese einstweilen noch hätte verbergen können. Aber da war ja das Ofenloch. Er rutschte unhörbar dem Ofen entlang und versteckte sich im Ofenwinkel. Wenn ihn der Vater nur vergessen würde! Oder wenn's Gottes Willen wäre, daß jetzt jemand, am liebsten irgend eine alte schwatzhafte Base, zu Besuch käme. Oder wenn doch das Feuerhorn auf einmal durchs Dorf tönte!Da müßte der Vater als Kommandant der grünen Spritze schleunigst aufbrechen. Oder wenn ...
„Kari, komm hervor!“
„Vater, Vater!“ hörte er die mütterliche Stimme aus der Küche betteln. „Schenk ihm's diesmal noch; er hat ja noch keinen rechten Verstand; er tut's gewiß nie wieder!“
Erbleichend machte sich Kari aus dem Ofenloch. Nun würde er die Rute bald pfeifen hören.
„Kari, komm her!“
Was war das? Mit schier heiterem Gesicht stand der Vater am alten, wurmstichigen Büfett, mit einem Strohhalm eine lange, rabenschwarze Brissagozigarre anzündend.
„So, mein Sohn,“ sagte er ruhig, „rück nur heran;ich habe dir da einen Verleider. Nun sollst du einmal rauchen können, bis du übergenug hast. Und falls dir dann diese Brissago gut mundet, sollst du am nächsten Sonntag wieder eine haben. Da, nimm!“
Er hielt Kari die brenmnende Zigarre gebieterisch hin.Doch Kari, der den Vater wie einen freundlichen Zahnarzt
Die Raucher.mit sauersütßzem Lächeln immerfort ansah, wagte nicht recht, zuzugreifen.
„Ach Gott, ach Gott!“ ächzte es in der Küche. „Er bringt ihn um; er bringt ihn um!“
„Willst du sie nehmen oder nicht?“ schnauzte nun der Vater.
Jetzt griff Kari zu und steckte die lange, nachtschwarze Zigarre zögernd in den Mund.
„So, und nun hinein mit dir in die Kammer!“ gebot der Vater und schob Kari ins Nebenzimmer. „Und wem du die Zigarre fertig geraucht hast, aber erst dann, wohlverstanden!“ herrschte er ihn an, „so kannst du wieder herauskommen und zu Nacht essen, falls es dir drum ist.“
Die Kammertüre ging zu.
„Mutter, trag die Suppe auf!“
Bald erschien Karis Mutter, die dampfende Suppenschüssel in den Händen, in der Stube. „Ach, Herrjesus“,machte sie mit einem wahrhaft todesbänglichen Gesicht,„was hast du da wieder ausgesonnen! Ihr Mannsleute seid doch unbegreifliche Thrannen. Wie kann denn ein vernünftiger Mensch einen armen schwachen Knaben solch einen schwarzen Sargnagel, der selbst einem Fuhrmann das Leben um zwanzig Jahre verkürzt, zu rauchen zwingen!Nein, das hätte ich nie von dir geglaubt, Mann“, machte sie mit zu Tode betrübter Stimme, „daß du so wenig Herz hättest. Er wird uns sicher nicht mit dem Leben davonkommen. Entweder stirbt er gleich daran, oder dam bekommt er doch gewiß und heilig die galoppierende Schwindsucht.“
Der Hausherr antwortete nicht. Schmunzelnd, sich freuend seiner salomonischen
Weisheit, setzte er sich vor
297 den Ofen und begann, mit der Seelenruhe eines kommuni-zierenden Mägdleins, seine Mehlbrühe auszulöffeln, während die Mutter ihre Suppe, wovon sie jeden Löffel herunterwürgen mußte, mit bittern Tränen würzte. Es war ein recht stilles Nachtessen. Als es aber endlich zu Ende war,die Mutter den Tisch abräumte und der Vater eben seine Zeitung zu lesen anfing, regte sich etwas in der Nebenkammer, und Schritte gingen.
„Ach, du mein Gott!“ jammerte halblaut die Mutter;„nun kommt das unglückliche Kind.“ Sie mußte sich am Stuhl festhalten.
Die Kammertüre ging, und Kari trat, das winzige Endchen der Brissagozigarre in der Hand, in die Stube.
Die Augen der Eltern flogen ihm entgegen.
„Kari, Kind, wie ist dir?!“ schrie die Mutter auf.
„O“, sagte der strahlenden Antlitzes, „das war schon eine feine Zigarre!“
Stumm und starr staunten ihn beide an.
„Und morgen ist's Sonntag; da bekomme ich wieder eine, gelt Vater; du hast mir's ja versprochen.“
„Um Gotteswillen, so was!“ rief die Mutter und verzog sich mit einer Tellerbeige schleunigst in die Küche. „Der Domer abeinander!“ machte jetzt der Vater, riß den Hut vom Nagel und fuhr zur Stube hinaus. .Der Sackerlotskerl, der Sackerlotskerl!“
Kari aber sah erst mit verdutzten, schier erschrockenen Augen bald auf die
Küchentüre und bald auf die Stubentüre. Dann aber setzte er sich ruhig zu seiner
dampfenden Suppe nieder und begann sie herzhaft und wohlgemut
auszulöffeln.
„Hatschi, Hatschi!“
„Helf Gott, Vater!“ rief es hinter dem Webstuhl im Stubenwinkel.
„Danke Gott wohl!“ machte der Alte und schneuzte sich also kräftig, daß es von allen Wänden Echo gab. „So“,fuhr er dann zu reden fort, „ich mein, es sei bald an der Zeit, daß der Maler anlangen muß; kann jeden Augenblick hier sein; hast ihm das Guckauskämmerchen in Ordnung gebracht?“
„Ja, Vater“, sagte das Marieli hinter dem Webstuhl und tat einen raschen Blick durch eine Scheibe gegen das Dörflein Stagelegg hinunter. „Der Maler kann einrücken wann er will; das Bett ist aufgerüstet.“
„Hat nicht der Pfarrer verdeutet, man müsse ihm auch einen Krug voll Wasser auf die Kommode stellen, weil er sich nicht in der Küche oder gar am Brunnen werde waschen wollen? Hast das auch besorgt?“
„Gleich einen ganzen Kessel voll Wasser hab ich ihm hinaufgestellt und die Schöpfkelle dazu, samt einem Waschtuch. So wird er sich etwa alle Morgen sauber zu waschen vermögen; ist ja kein Kaminfeger.“
Ihr fröhliches Lachen ging in den Tag hinein.
„Ja.“ brummte der Alte, „es ist verwunderlich, was diese Stadtleute allerhand für
Zeug und Sachen brauchen,bis sie nur zur Schlafkammer hinausmögen. Gar in den
179 Schlafkammern der vornehmen Stadtjungfern, sagte mir des Pfarrers Köchin, sehe es aus wie in der Apotheke.“
„Ich fürchte eben, der Maler wird uns zuweilen ein saures Gesicht machen“, sagte das Marieli; „denn es wird ihm bei uns dies und das mangeln. Zudem sind alte Leute oft gar so wunderlich.“
„Was?“ machte unwirsch der Kirchenvogt. „Was wunderlich, wer wunderlich? Schau du für dich, du Gärxnase!Mich bedünkt, wunderlicher und eigenköpfiger als ein Maitli,das in die schlimmen Jahre kommt, könne auch ein Urgroßvater nicht sein. Wohl, du wärst mir die Rechte, du Fratz du, alten Leuten den Spiegel vorzuhalten.“
Knurrend verließ er die Stube. Das Marieli aber verbiß nur mit Not ein Auflachen. Dann begann es ein munteres Liedchen zu pfeifen und ließ dazu das Webschifflein durch das blauseidene Zeug tanzen, daß es stob.
Ein großer gelber Falter, ein Schwalbenschwanz, hastete durchs Fenster herein und ließ sich, nach vergeblichen Versuchen, den Ausgang wieder zu gewinnen, auf die himmelblaue Seidenwiese des Webstuhles nieder.
Das Maitli hielt das Füßchen an und stieg aus dem Stuhl, um den Falter zu erhaschen. Aber er erhob sich,und nun begam eine lustige Jagd in der Stube herum.
Da ging die Türe; der Falter segelte hinaus und setzte sich auf den Hutrand eines jungen, wohlgewachsenen Mannes,der, einen Schirm und einen Photographieapparat tragend,eben eintrat. Ihm folgte der kleine Enkel des Kirchenvogts,der Franztöneli, der einen Handkoffer nachschleppte.
„Da ist jetzt der Maler!“ rief der Franztöneli.
„Ja, schönen Dank für den freundlichen Willkomm“,sagte der lachend; „deine hübsche Base, von der du mir
Das Altarbild.auf dem Weg so viel erzähltest, hätte mich fast und gar in die Arme geschlossen.“
„Der Maler!“ hatte das Marieli ausgerufen und war schier erschrocken zurückgewichen.
Einen alten, feierlichen Silbergreis, mit einem VBart wie der Gottvater im Paradiese auf der ersten Seite des Bibelbuches, hatte es erwartet, und nun stand vor ihm ein junger Mensch, dem der Schalk aus beiden Mundwinkeln und der Schelm aus den braunen Augen guckte.
„Jaso, Ihr seid's!“ brachte es endlich heraus.
„Ei, allweg bin ich's“, sagte er lachend; „hast etwa den Schatz erwartet, Kind Gottes, daß du bei meinem Anblick so enttäuscht zurückgefahren bist. Nun, einstweilen mußt mit mir vorlieb nehmen; der Schatz wird wohl auch noch kommen.“
„Ich will Euch den Kaffee machen“, sagte sie rasch,über und über rot und huschte in die Küche hinaus; „tut unterdessen wie zu Hause.“
„Gelt. meine Base ist eine große“, machte der Franztöneli.
„Freilich“, meinte der Maler und legte seine Sachen auf die Ofenbank. „Deine Base ist nicht übel gewachsen in diesem Krüppelföhrenlande. Hast du noch viele solcher Basen?“
„Nein, das ist die einzige. Der Großvater sagt, er habe mehr als genug an ihr. Eine Herde heikelnäschiger Ziegen sei nicht schwieriger vom Grünhag abzuhalten als das Maitli vom Fenster, wenn ein Paar Hosen vorbeilaufen. Weißt, da hat sie dann so lange bis sie das Wupp ferggen kann.“
Mit lachenden Augen schaute der Maler auf den Knaben und wischte sich den Schweiß
von der Stirne. „Was du nicht alles zu berichten weißt! Also nur eine Base
hast?
301 Aber dafür ein feines Kind“, machte er für sich; „ein wohlgerateneres hat der Liebgott noch selten in seiner großen Bildergalerie ausgestellt. Respekt vor ihm! Wo ist sie jetzt hin, die Flachshaarige, die Base will ich sagen.“
Die Küchentüre ging. Rauch qualmte herein; mit roten Wangen guckte das Marieli in die Stube.
„Ich will Euch und uns gleich das Nachtessen kochen“,rief sie, „da es schon bald zu dämmern anfängt. Ihr könnt unterdessen ein Weilchen ums Haus gehen. Sobald gekocht ist, werde ich Euch rufen. Und du, Franztöneli, bring des Herrn Sachen in den Guckaus hinauf, und dann ruf den Vater, der Maler sei da; er ist im Käskeller.“
Die Küchentüre ging zu, und ein Liedchen trällernd machte sich der Maler Joseph Rotlacher aus der Stube.Im Stiegenbrücklein blieb er eine Weile stehen und schaute erfreut auf das Dörflein Stagelegg hinunter, dessen graue Schindeldächer schon im Schatten lagen, während noch ein Wimpel Abendrot vom spitzen Turme des neuen schönen Kirchleins wehte, das seiner baldigen Einweihung harrte.
„Hier ist gut sein“, murmelte er. „Und da scheine ich nun für das gewünschte Hochaltarbild Mariä Himmelfahrt gleich auch ein ideales Modell gefunden zu haben. Am End hat mich der kunstfreudige Pfarrherr mit aller Absicht 0 muß ich das mit ihm noch besprechen.“
Hochaufatmend in der abendlichen Bergluft, schritt er gemächlich zur nahen, von den Schwalben umkreisten Scheune hinüber.
Dort stand neben dem offenen großen Tenntor ein Dengelstock, und darauf lag die vom Dache herabhängende Sense.
Flugs hockte er auf dem Bänklein vor dem Dengelstock,
Das Altarbild.nahm den im Stallfenster liegenden Hammer zur Hand,schwang ihn prüfend wie jung Siegfried in den Lüften und begann erst bedächtig, dann immer eifriger auf die Sense loszudengeln, daß die Funken stoben, und pfiff dazu den kreuzfidelen Kupferschmied.
Unterdessen war das Marieli auf das Stiegenbrücklein vor das Haus getreten, um nach dem Gast zu schauen und ihn zum Abendessen zu rufen; denn die Milch strudelte in der Küche. Sie sah ihn vor der Scheune auf dem Dengelstock kauern und auf Tod und Leben auf die Sense loshämmern.
„Jeses Gott!“ lachte sie auf. „Wenn den der Vater dengeln sähel Er macht ihm aus der Sense eine Säge.“
Da stand sie schon bei der Scheune hinter dem Maler.
„Meister!“
Uberrascht wandte er den Kopf. Marielis blaue Augen lachten ihn an.
„Was gibt's?“
„Meister, wenn der Tod das Sensendengeln nicht besser verstände als Ihr, so könnten wir alle ewig leben.“ Hellauf ging ihr Lachen in den Tag hinein. Und der Maler stimmte fröhlich ein.
„Darfst es nicht zu genau nehmen“, sagte er; „es ist mein erstes Lehrbubenstück in der Landwirtschaft. Wenn du's besser kannst, so zeig mir's!“
Das ließ sich des Windbruchbauers Tochter nicht zweimal sagen. Gleich hatte sie
den Maler weggeschoben, hockte vor dem Dengelstock und dengelte mit kundiger
Hand die Sense also fein heraus, daß sie der Riese Goliath für sein Rasiermesser
angesehen hätte. Er aber beugte sich also lernbegierig zu ihr nieder, daß ein
paar vorwitzige Schnurrbarthärchen mit Fliegenfüßchen auf des Maitlis
303 hochroten Wangen herumtasteten. Sie war jedoch derart in ihre Arbeit vertieft, daß sie die Schnauzhärchen für wirkliche Fliegen zu nehmen schien und sich nicht um ihr loses Spiel kümmerte. Jetzt streifte sie mit einem Finger prüfend über die Sense. Dann sprang sie so hurtig auf, daß dem Maler die flachshaarigen Zöpfe um die Nase tanzten.
„Hier“, rief sie fröhlich, hier Meister, nehmt die Sense!Probiert sie, mäht einen Karren voll Gras! Es ist gerade Futterzeit. Sollte sie nicht schneiden wie Glas, so trage ich sie künftig zum Scherenschleifer.“
Sie hielt ihm die Sense hin, und zögernd, bedenklich ins hochhalmige Gras schauend, ergriff er sie. Ein paar Schritte stapfte er um den Gadenbrunnen. Dann legte er los, als wollte er die ganze Welt mit einem einzigen Streich auseinanderhauen. Krach! steckte die Sense im Boden, und mit Not und Mühsal nur gelang es dem Maler,sie wieder herauszuziehen.
Das Marieli wollte sterben vor Lachen; denn nun schlug er links und rechts drauflos, als müsse er der Freiheit eine neue Gasse machen, und köpfte die armen Halme also miserabel, daß das Gras aussah wie der Kopf eines Schulbuben, dem seine halbblinde Großmutter die Haare geschnitten hat. Bald hielt er keuchend inne; der Schweiß rann ihm über das Gesicht, ihn fast blendend.
„Alle Wetter!“ schnaufte er, „das Mähen ist ja eine wahre Herkulesarbeit.“
Endlich erholte sich das Marieli von seiner Überfröhlichkeit und rief: „Ei der Tausend, Ihr tut aber auch gar zu dumm dazu.“
„He“, machte er mit verlegenem Lachen, „du gibst mir aber auch zu viele Aufgaben auf einmal.“
Das Altarbild.„Aber das Mähen ist doch beim Kuckuck keine Hexerei',machte sie. „Schaut her, man muß es nur richtig angreifen.“
Ein Sprung und sie stand bei ihm, nahm die Sense und legte rasch und sicher ein paar Mahden vor seinen lernbegierigen, staunenden Augen nieder.
„So müßt Ihr's machen. Nun kommt!“
A sich hart neben ihn und half ihm die Schneide in das Gras führen. Und siehe da, es ging ganz ordentlich. Aber als er sich der warmen Hände, die auf den seinen lagen,so recht zu freuen anfangen wollte, hüpfte das Marieli wieder aus dem Heu und sagte: „So, nun fahrt so fort;aber nicht zu stark ausholen! Ich gehe unterdessen nach dem Graskarren!“
Sie lief ins Tenntor und stieß bald darnach den Karren vor sich her durch das Gras zu dem eifrigen Mähder.
„So“, lachte sie, „nun macht Feierabend, Meister. Für heute haben wir Gras genug. Begriffe ich das Malen so rasch wie Ihr das Mähen, tät ich das Altarbild im neuen Kirchlein malen.“
.Das Malen will ich dich schon lehren, wenn du Lust hast dazu“, meinte er und stützte sich verschnaufend auf seine Sense. „Jedenfalls brauche ich dich notwendig, wenn ich das Altarbild male.“
„Mich?!“
Hochverwundert staunte ihn das Maitli an. „Da möchte ich doch gerne wissen, wozu Ihr mich beim Malen brauchen könntet.“
„Du sollst mir Modell stehen.“
Mit großen Augen, verständnislos stand das Marieli da. Dann lachte es eins
heraus. „Was soll ich stehen.
305 Modell soll ich stehen? Ja um Gottes und aller Heiligen willen, was ist denn das?“
„Weißt, ich muß eine Marienszene ob dem Hochaltar malen; was für eine hat der Kirchenrat noch auszumachen.Auf jeden Fall gibt's ein Marienbild, und da ist mir's,sobald ich dich sah, sogleich klar geworden, daß ich für das Gesicht der Jungfrau Maria deine heitern Haare und reinen Augen abmalen muß. Das nennt man Modellstehen.“
„Warum nicht gar“, machte über und über rot wie ein Schrot voll Weidröschen das Marieli. „Und da sollte die Muttergottes gar meine Augen bekommen?“ Hellauf lachte sie jetzt. „Ihr seid ein rechter Schalk, einem so was angeben zu wollen. Wenn der Pfarrer wüßte, was für ein Spaßvogel Ihr seid!“
„Ja eben, dem Pfarrer will ich das auch sagen.“
„Freilich, der wird Euch dann schön anfahren. Er wird sagen, ein Maler sollte doch wissen, wie die Muttergottes aussieht.“
„Wie sieht sie denn aus?“
„He, auf keinen Fall wie ein einfältiges Vauernmaitli.Halt so überirdisch wird sie aussehen, so himmlisch; goldene Haare muß sie haben ...“
„Goldiger, Kind Gottes, als die deinigen sind, kann ich sie nicht malen.“
„Und himmelblaue Augen soll sie haben.“
„Himmelblauere als du hast, kann's wohl im Himmel und auf Erden nicht geben.“
„O Maler, wie könnt Ihr einen so gut auslachen!“
„Aber wenn der Pfarrer einverstanden wäre und dein Vater, tätest du mir dann Modell stehen?“
Das Maitli sah ihn ein Weilchen mit lachenden Augen
20
Lienert, Vergdorfgeschichten.
Das Altarbild.an. „Heja“, machte sie kichernd, „dann, glaube ich, täte ich's. Aber das gäbe ja eine Bauernmuttergottes.“ Sie ward plötzlich brandzündrot. „Macht, macht, helft das Gras auf den Karren werfen! Wir müssen zum Nachtessen!“rief sie hastig aus und begann mit beiden Armen das abgemähte Gras auf den Karren zu werfen. Er half schmunzelnd mit, und wie nun der Karren geladen war,umfaßte er mit einemmale das Marieli, setzte es auf das duftende Gras und fuhr mit der ganzen Ladung auf das Tenntor los. Und obwohl es sie schüttelte und rüttelte,als wollte es ihr die Seele im Leibe zusammenbuttern,blieb sie doch stiller sitzen, als sie es vielleicht in des alten Patriarchen Abrahams Schoß getan hätte.
„Ihr seid aber einer!“ sagte sie kichernd.
„Ja, das weiß ich“, gab er zurück.
Da lachte sie auf, als trüge sie ein Spottdrosselnest im Herzen.
Jetzt ging drüben ihm Tätschhause die Türe. Der Kirchenvogt Johannes trampte auf das Stiegenbrücklein heraus.
„Marieli!“ rief er.
Keine Antwort. Er beschattete seine Augen mit der Hand.Wahrhaftig, dort drüben bei der Scheune stieß der eben angekommene Maler schon sein Maitli auf dem Graskarren ins Tenn.
„Marie!“ rief er stärker.
Es kam aber erst recht keine Antwort.
„Donnerwetter abeinander!“ brummte der Alte. „Kaum eine halbe Stunde ist der
Bursche hier, und jetzt stößt er schon mein Maitli im Graskarren herum. Hm, Hm.
Wär er mir nicht vom Pfarrer anempfohlen, ich tät ihn gleich wieder ein Haus
weiter weisen. Auf alle Fälle kann's nicht
307 schaden, die Augen offen zu halten. Städtervolk Flattervolk. Der würde dem Marieli ein rosenrotes Himmelbett vormalen. He da, sapperlot, sapperlot!“ fuhr er schimpfend herum, „tu doch nicht wie ein Wolf im Geißgaden!“
Die Haustüre schlug dem Alten an den Rücken; der Franzköneli stürmte aufs Stiegenbrücklein und lärmte: „Großvater,Großvater, jetzt hat das Marieli die Milch heraussieden lassen, über den ganzen Herd und über den ganzen Küchenboden ist sie herausgesotten. Kommt und schaut!“
„Donnerhagel, hättest du denn nicht auch dazu schauen können, du Lappi!“
Und schon hatte der Bub seine Backenpfeife weg.
„He“, flennte der Franztöneli herzzerbrechend, „das Marieli hat gesagt, sie sei gleich wieder zurück; ich solle derweilen den Tisch decken, hat sie gesagt, und und“,schrie er plärrend auf, „und für den Maler soll ich das geblümte Kacheli mit dem brennenden Herzen auftischen,hu hu hu ...“
„Flenn doch nicht so!“ besänftigte der Alte. „Wir haben gottlob noch mehr Milch im Hause. Lauf jetzt hinüber ins Tenn, der Maler und das Maitli sollen zum Nachtessen kommen, sapperlot, sapperlot!“
Brummend machte er sich ins Haus. Der Franztöneli aber jagte hinüber in die Scheune, wo der Maler mit des Kirchenvogts Maitli das Vieh fütterte, und schrie schluchzend:„Marieli, Marieli, nun ist die Milch doch herausgesotten!“
Am andern Abend war im Pfarrhause Kirchenratssitzung.Es saßen da beisammen der Herr Pfarrer, der Gemeindepräsident Hanspeter, der Kirchenvogt Johannes, der alte
20*
Das Altarbild.Jakobseb und der Schulmeister, als Schreiber des Kirchenrates von Stagelegg.
Lange Zeiten saßen sie bei einander und redeten von allem Möglichen und
Unmöglichen, nur nicht von der neuen Kirche, wegen der sie doch zusammenberufen
worden waren.Nämlich die Pfarrsköchin befand sich in der Stube, und solange sie
mit Abstauben der alten Möbel nicht fertig war, ging sie nicht hinaus, selbst
wenn der heilige Vater ein Konsistorium in der Stube abgehalten hätte. War der
Pfarrer der Hirt und die Gemeinde die Herde, so glich sie einer drohenden
Wetterwolke, die auch beim schönsten Wetter zu blitzen und zu donnern anfangen
konnte, worauf dann gewöhnlich vor ihr Herde sowohl als Hirt Reißaus zu nehmen
pflegten. Der Pfarrer hätte es eher gewagt, dem berühmten Becher unter die
Rochen des Meeres nachzuspringen, als der Schwester Köchin zu verdeuten, sie sei
in der Stube überflüssig; denn er liebte den Frieden über alles.Endlich ging
sie. Da eröffnete der Präsident die Sitzung,indem er kund tat, daß es sich darum
handle, erstlich, ob man das Gewölbe und die Wände des neuen Kirchleins mit
vergoldetem Stuck zieren wolle oder nicht, und zweitens,was man für ein Bild ob
dem Hochaltar malen zu lassen gedenke.Der Kirchenvogt als Fondsverwalter nahm
dem Präsidenten das Wort weg, noch ehe er geschlossen hatte. Es sei kaum Geld
genug im Kirchensäckel, brummte er, für ein einfaches geweißeltes Kirchlein,
geschweige denn für eine rauschgoldene Kirche voll Firlefanz. Er begreife
nicht,für was man die Wände und Decke so großartig herausputzen wolle. Eine
Kirche sei eine Kirche. Man könne in einer geweißelten ebenso Gott dienen als in
einer, die voll
309 Flitterzeug hange. Zudem hätten die drei Glocken ein Narrengeld gekostet, und es werde sich noch fragen, ob im Heuet die drei neuen Glocken das Unwetter besser von Stagelegg abzuhalten vermögen, als das alte bewährte Blöcklein, das man so dumm ins Beinhaus der Nachbargemeinde verschenßt habe. Es heiße jetzt sparen; die Kirchensteuer werde so groß genug. Wenn aber der Herr Pfarrer irgendwo eine Goldgrube wisse, könne man seinetwegen die Kirche auch außerhalb bis über den Kirchturmknopf hinaus vergolden.
„Ei freilich“, sagte daraufhin der alte Pfarrer, „allweg weiß ich eine Goldgrube, Kirchenvogt; das ist der opferwillige Glaube unserer gesamten katholischen Welt. Und die habe ich im Sinne redlich und unentwegt auszubeuten, bis es für ein würdiges, prunkvolles Gotteshaus so gut langt, wie für die drei Glocken, die unserm hauslichen Kirchenvogt einmal freudig ins bessere Jenseits läuten sollen. Nein, Johannes,mit deinem geweißelten Kirchlein mußt mir nicht kommen.Ich will nicht, daß ihr unter der Predigt die Fliegen an den Wänden zählt, weil ihr sonst nichts Würdigeres zu sehen habt. Voll Gold und Glanz will ich die Kirche haben und will nicht ruhen, bis hellfarbene und grellbunte Scheiben und allerlei Zierwerk Alleluja durchs Kirchlein schreien. Einfach und nüchtern habt ihr's ja zu Hause in den Bauernstuben. Kommt ihr mir aber in die Kirche, soll nicht nur die Orgel Hosianna singen, sondern auch Altar und Kirchlein über und über, auf daß sie in euren erkälteten Herzen die wärmenden Lichter der Hoffnung anzünden, auf daß euch das kleine Haus Gottes einen Vorgeschmack gibt von der Burg Gottes im himmlischen Jerusalem. Das jubelnde Kirchlein soll euch sagen, daß ihr nicht
Das Altarbild.umsonst auf dieser Welt übel gelitten und gestritten habt.Jubilieren sollen alle Kirchengewölbe, und ist's nur ein rauschgoldener Himmel, so wette ich mit euch was ihr wollt,daß er jedes arme und trostbedürftige Herz zu Gott emporzieht. Ich will aus meiner Kirche keine kalte Gemeindestube machen, in der man die Langeweile an allen Wänden herumkriechen sieht. Zudem tät ich mich für die ganze Gemeinde schämen, wenn mir der Herrgott im Himmel einmal sagte, daß er in Stagelegg in einem armseligen,geweißelten, totlangweiligen Kirchlein habe wohnen müssen,während er bei unsern Nachbarn in Fluhbachport, die doch auch keine Grafen seien, in einem wahren Palaste zu Gast gewesen sei.“
Der Kirchenvogt Johannes Dürlibacher brummte eine Weile vor sich hin; doch als auch der Präsident Hanspeter dem Pfarrer zustimmte, sagte er: „Ja, wenn der Pfarrer über unsere Kirche einen Goldregen niedergehen lassen kann,dann putzt sie meinetwegen heraus wie ihr wollt.“ Kurzum, der Kirchenrat von Stagelegg wollte sich im Himmel von den Fluhbachpörtlern nicht übertrumpfen lassen, und so wurde denn beschlossen, die Kirche mit Stukkatur und Vergoldung aufs reichste auszuschmücken. Für die Kosten versprach der Pfarrer aufzukommen, indem er sich an die gesamte Christenheit auf hundert Meilen Nachbarschaft wenden wollte.
Der alte übelhörige Kirchenrat Jakobseb schüttelte in einem fort den
zipfelbekappten Kopf, sagte aber nichts als alleweil: „Das sind Zeiten, das sind
Zeiten!“ Der Gemeindepräsident aber meinte schmunzelnd: „Am End bringt der Herr
Pfarrer so viel Geld zusammen, daß noch ein Restchen übrig bleibt für ein
Sträßchen zum neuen Allmeindstall.“
311 „Hanspeter, Hanspeter!“ machte, schalkhaft mit dem Finger drohend, der Geistliche.
Soweit war alles in ziemlichem Einverständnis behandelt worden. Als man aber ans zweite Traktandum kam und entschieden werden sollte, mit was für einem Bild man den Hochaltar schmücken wolle, rückte jeder mit einem andern Vorschlage auf. Der Pfarrer wollte Mariä Himmelfahrt dargestellt sehen. Der Gemeindepräsident Hanspeter wünschte den Apostel Petrus auf das Gemälde zu bringen. Und der Kirchenvogt Johannes wollte durchaus den Liebesjünger und Apostel Johannes ob dem Hochaltar gemalt haben.Zum ersten, sagte er, sei der Apostel Johannes Kirchenpatron zu Stagelegg, und zum andern stände der Liebesjünger Johannes, der es mit dem Heiland allzeit so gut gekonnt hatte, der Kirche gewiß besser an als der Apostel Petrus, der in der Leidensgeschichte doch einmal eine bedenkliche Rolle gespielt habe. Aber nun trat der Gemeindepräsident Hanspeter erst recht hartnäckig für seinen Namensheiligen ein. Der heilige Petrus sei denn doch, meinte r unter anderm, der Apostelfürst und bedeute mehr als alle elf andern Apostel zusammen, und ihm und niemand anderm habe der Herrgott die Schlüssel des Himmelreiches übergeben.
„Der Liebesjünger muß auf das Bild!“ begehrte der alte Johannes auf.
„Den Apostelfürsten will ich haben!“ rief der Gemeindepräsident.
Und mir“, sagte nun stotternd der übelhörige Jakobseb,„mir muß der Apostel Jakobus der ältere auf das Bildnis und kein anderer. Zum ersten darf er sich neben den andern Aposteln wohl sehen lassen, und zum andern heißen
2
Das Altarbild.die Mannsleute der halben Gemeinde nach ihm, und zum dritten und letzten ...“
„Ich meinerseits“, wagte der Schulmeister die stotternde Rede zu unterbrechen, „wäre für den Apostel Thomas.Nicht etwa bloß, weil er mein Namenspatron ist, sondern auch ...“
„Was“, schnarchte ihn der Kirchenvogt ab, „den Apostel Thomas willst du auf dem Bildnis haben? Ist er denn nicht der erste gewesen, der an unserm Herrn und Heiland gezweifelt hat? Den Liebesjünger wollen wir, sag ich!“
„Den Apostelfürsten und keinen andern!“
„Jakobus der ältere soll her!“
Kurzum, jeder wollte seinen Apostel ob dem Hochaltar sehen. Da holte der Pfarrherr nochmals mächtig aus und legte sich für Mariä Himmelfahrt ins Zeug, daß es eine Art hatte. Er wolle aus seiner Kirchendecke ein kleines Abbild des Himmels machen lassen, und da wüßte er wahrhaftig kein passenderes und würdigeres Bildnis für den Hochaltar, als die Gottesmutter und Himmelskönigin Maria,wie sie mit ausgestreckten Armen vom Sterbebett, aber lebend, jubelnd in den Himmel hinauffahre. Sie sei ihnen allen ja täglich die beste Fürbitterin und stehe doch gewiß weit über allen Aposteln und Heiligen, da sie Gottes Thron und Ohr am nächsten sitze. Zudem könne man ja, wenn es doch sein müsse, den Liebesjünger Johannes, den Apostelfürsten Petrus, Jakobus den ältern, den ungläubigen Thomas, überhaupt sämtliche Apostel als Nebenfiguren auf das Gemälde bringen.
Endlich gelang es dem Pfarrer doch mit Ach und Krach,und nachdem er heimlich
mehrmals den heiligen Geist zu Hilfe gerufen, Mariä Himmelfahrt als
Hochaltarbild durch
313 zusetzen, unter der Bedingung freilich, daß die Apostel und,besonders sichtlich, der Liebesjüunger Johannes mit auf das Gemälde kämen. Denn, sagte brummend der alte Kirchenvogt, er glaube sich um das Kirchenwesen von Stagelegg soviel verdient gemacht zu haben, daß sein Namensheiliger sich nicht hinter den andern Aposteln zu verbergen brauche.
Der übelhörige Jakobseb und der Gemeindepräsident,die es heimlich wurmte, daß der Liebesjünger auf dem Altarbild besonders hervortreten sollte, verlangten zuletzt mit anerkennenswerter Hartnäckigkeit, daß die Muttergottes mit sieben Schwertern in der Brust himmelfahren müsse.
Nur mit einem außerordentlichen Aufwand von Beredsamkeit brachte der Geistliche die Bauern dahin, daß sie die Art der Ausführung der Himmelfahrt ihm und vorab dem Maler überließen. Wie sie aber heim zum Viehfüttern gehen wollten, hielt sie der Pfarrer zurück und sagte, er habe noch etwas weniges zu verhandeln. Da hokten sie widerwillig noch einmal ab. Was er denn noch habe,wollte der Gemeindepräsident wissen.
„He“, meinte der Pfarrer kurz, „der Maler, der da gestern beim Kirchenvogt eingezogen ist, muß ein Modell haben.“„Was muß er haben?“
Die Bauern schauten erst den Pfarrer und dann sich gegenseitig nicht anders an, als ob einem jeden ein Horn aus der Nase wüchse.
Da erklärte der Geistliche die Bedeutung eines Modells,und als sie ihn nicht verstehen wollten, ging er noch weiter und suchte ihnen seinen Nutzen und seine Notwendigkeit möglichst klar zu machen, indem er die halbe Kunstgeschichte zitierte. Es dauerte aber ein geraumes Weilchen, bis er
Das Altarbild.seinen Kirchenräten die Zweckmäßigkeit eines Modells beigebracht und ihnen begreiflich gemacht hatte, daß die Muttergottes dem Maler nicht persönlich erscheinen werde,damit er sie in aller Muße für ihr Kirchlein abmalen könne.Nach vielem Kopfschütteln der würdigen Kirchenpfleger fragte endlich der Gemeindepräsident Hanspeter: „Ja, um's Himmelswillen, wer soll denn aber das Modell oder wie's heißt machen?“
Der Pfarrer schmunzelte, daß er sie glücklich soweit hatte.„Ja eben“, sagte er dann mit schier besorgter Miene, „das ist die Frage: Woher das Modell nehmen? In den Städten gibt es Weibsbilder, die für Geld sich dazu hergeben. Zum einen sind es aber nicht immer die schönsten und täten sich weit eher für sündige Maria Magdalenen schicken als für die unbefleckte Jungfrau Maria. Und zum andern meine ich alleweil, wir könnten das billiger und besser im eigenen Lande finden.“
„Das meine ich auch“, fiel der Kirchenvogt unbedenklich ein.„Und so habe ich denn den Maler gefragt und er meinte,deine Tochter, Kirchenvogt, das Marieli wäre ein Modell für die Muttergottes wie gewünscht.“
„Was, mein Maitli?!“ machte hocherstaunt der Alte.Nie und in alle Ewigkeit nicht!
wollte er herausfahren,aber es fiel ihm noch rechtzeitig ein, welche hohe Ehre
das für sein Kind und für sein ganzes Haus sein müßte,die Muttergottes auf dem
Hochaltar für alle Zeiten darstellen zu dürfen. Es fiel ihm ferner ein, wie
inbrünstig ihn alle lebenden und künftigen Stagelegger um diese Auszeichnung
beneiden würden. Und es fiel ihm des weitern ein, daß der Maler vielleicht auch
ihn selber etwas näher
315 ansehe, bevor er den alten Liebesjünger Johannes am Lager der himmelfahrenden Jungfrau male. So sagte er denn ganz ruhig: „Wenn die Marie damit einverstanden ist, so sage ich auch nicht nein; aber hinter ihrem Rücken mache ich's nicht ab.“
„Natürlich“, sagte schnell der Pfarrer, „selbstverständlich muß das Marieli einverstanden sein. Ich muß offen gestehen, daß ich auch kein geeigneteres Modell für das Bildnis der Jungfrau Maria zu finden wüßte als das Marieli; es hat Gesicht und Postur dafür. Die Apostel wird der Maler ja wohl ohne Modell fertig bringen; aber die Muttergottes getraut er sich doch nicht so ins Blaue hineinzumalen.“
„Heja, heja“, machte jetzt der alte Jakobseb, neidgelb über die drohende Ehrung des Windbruch-Maitli, „ist alles recht, ist alles recht meinetwegen; aber das kann ich gleichwohl nicht verstehen, wie die Muttergottes nach einem jungen Springmaitli und dazu noch nach so einem Hollediho,wie es das Marieli ist, abgemalt werden soll. Wenn's mir recht ist, wird die Muttergottes zur Zeit ihrer Himmelfahrt schon eine ältere Frau gewesen sein. Nicht daß ich dem Pfarrer vorgreifen will. Aber da meine ich denn doch,es wäre nicht schicklich, sie wie ein junges Maitli in den Himmel hinauffahren zu lassen. Es ist mir alleweil, für so ein Modell täte denn doch eine bestandene ältere Weibsperson besser passen. Und da fällt mir grad des Pfarrers Köchin und Schwester, die Seppelun ein, die eine viel ernsthaftere Ansicht machen täte. Ich meine, wenn wir doch die schmerzhafte Muttergottes malen wollen, so wäre die Seppelun wie dafür von unserm Herrgott gezeichnet.“
Das Altarbild.Damit zog der alte Jakobseb, unwirsch hüstelnd, seine Zipfelkappe über die Ohren.
Der Pfarrer aber mußte laut auflachen, als er seine übermittelalterliche, übellaunige Schwester als Modell anpreisen hörte. Dadurch wurde auch dem Gemeindepräsidenten der Stachel genommen; denn im Grunde sympathisierte er mit der Anschauung des alten Jakobseb sehr, vorab weil er dem Kirchenvogt die drohende Ehrung seiner Tochter von ganzem Herzen mißgönnte. So schwieg er denn und hörte dem Hochwürdigen ruhig und zuletzt beifallnickend zu, als er ausführte, wie er sich Maria nur als eine makellose, ewigjunge Magd vorstellen könne und wie er sie nach all der Passionszeit jubelnd zu ihrem göttlichen Sohne auffahren lassen wolle. Als er mit seiner begeisterten Schilderung zu Ende kam, wagte auch der Schulmeister und Kirchenratsschreiber ein Wort und sagte: „Darin muß ich dem Herrn Pfarrer recht geben, ob ich will oder nicht.Das glaube ich auch, daß die Muttergottes, die doch eine so bildschöne Jungfrau auf Erden gewesen, schöner als alle miteinander von Anbeginn der Welt und bis am jüngsten Tag, nicht auf einmal als alte Frau in den Himmel hinauf-fahren will, unter die tausend und aber tausend schneetaubenweißen Engel und Erzengel. Da muß doch das Marieli als Modell besser passen; denn“, machte er hocherrötend,„ein schöneres Maitli weiß ich keins im Tal.“
Jetzt mußten alle lachen, und nur der Kirchenvogt tat mit sauersüßem Gesicht
einen verächtlichen Blick nach des Lehrers schmalen Waden, was auf dessen
Begeisterung ziemlich herabmindernd wirkte.So kam es denn, daß das Marieli im
Windbruch als Modell für das Marienbild des Altargemäldes auserkoren
wurde.
317 Als der Kirchenvogt Johannes am Abend sein Töchterlein fragte, ob es willens sei, dem Maler Joseph Rotlacher für das Marienbildnis Modell zu stehen, lachte es laut auf und sagte: „He allweg, von Herzen gern, Vater. Und wenn er hundert himmelfahrende Jungfrauen von mir abmalen will, ich will ihm gewiß stillhalten.“
„Hm, hm“, brummte der Alte und stieg nachdenklich in die Stubenkammer hinauf auf den Laubsack. „Ich mein,wenn der Maler den weißen Bart gehabt hätte, den sie erwartete, der Pfarrer hätte die himmelfahrende Muttergottes doch nach seiner schmerzhaften Köchin malen lassen müssen. Das Weltsmaitli das!“
In den kommenden Tagen behandelte der Kirchenvogt Johannes Dürlibacher seinen Gast, den Maler Joseph Rotlacher, besonders aufmerksam. Er ließ ihm zum Mittagessen gedörrtes Schweinefleisch auftischen, obwohl ihn das heimlich also schmerzte, als schnitte man ihm's aus dem eigenen Fleische. Sonntags ließ er gar eine Flasche dickroten Welschwein aus dem Wirtshause holen. Als ihn der Maler aber trank, bedünkte es den Alten, er schlürfe wie ein gieriger Blutegel sein eigenes, kostbares Blut. Dabei redete er immer wieder vom Himmelfahrtsbild und wußte nicht genug zu sagen, wie er eine Freude habe, und wie es ihn stolz mache, daß nun sein Marieli leibhaftig aufs Bild komme, und daß er auch seinen lieben Namenspatron,den Liebesjünger Johannes, der ihm in Stall und Haus allzeit alles so schön zusammenhalte, auf das Gemälde bringe. Er vergaß bei diesen Reden nie, den Maler darauf aufmerksam zu machen, wie sehr er sich im Geiste mit seinem Namenspatron verwandt fühle und wie sehr es ihn freuen täte, wenn er den alten Liebesjünger, von dem kein Mensch
Das Altarbild.mehr wisse, wie er ausgesehen habe, ein bißchen nach seinem, des Kirchenvogts Ebenbild, neuerschaffen würde.Da sagte denn der Maler zum Alten, wenn er ihm mit dem Liebesjünger um den Bart ging, alleweil die verheißungsvollen Worte: „Habt nur keinen Kummer, Kirchenvogt; den Liebesjünger werde ich auch nicht aus der Luft abmalen.“
Anfänglich hatte der Kirchenrat von Stagelegg die neue Kirche ganz einfach halten wollen. Aber als die Gaben für die Kirchenbaute reichlicher flossen als vorausgesetzt,gelang es dem Geistlichen, auch den in Geldsachen sonst recht schwermütigen Rat für einen prunkvollen Ausbau des Gotteshauses zu gewinnen. Das veranlaßte nun aber die einstweilige Abreise des Malers, der nun das Hochaltarbild nicht malen konnte, bevor das Kircheninnere im Sinne des Pfarrers aufs glänzendste herausgeputzt war. Nach fleißigen Studien und Vorarbeiten, wobei ihm auch der hocherfreute Kirchenvogt Johannes ein paarmal sitzen mußte,verschwand er daher eines Tages mit einem Arm voll Skizzen aus dem Stagelegger Bergtal, wobei ihm das Marieli heimlich aus der Laube und der Alte durch das offene Stubenfenster nachschauten. „So“, murmelte schmunzelnd der Kirchenvogt vor sich hin, „jetzt kann's nicht mehr fehlen; ich und der alte Liebesjunger Johannes kommen in einer Person auf das Altarbild, hi hi hi.“
Als der Maler im nächsten Frühling auf den Ruf des Pfarrherrn wieder im Windbruch
zu Stagelegg erschien,fand er das schmucke Kirchlein auch im Innern vollendet
bis auf die weißkalte, von Stuckrahmen eingefaßte Fläche ob dem Hochaltar,
worauf er nun Mariä Himmelfahrt malen sollte.
319 Er ließ sogleich einen Verschlag vor die Bildfläche errichten; denn er bekam seitlings durch die hellfarbigen Glasgemälde genügend Licht. Darnach malte er wacker drauflos, sodaß der Franztöneli, des Kirchenvogts Enkel,schon am Tage nach des Malers Ankunft zu Hause berichten konnte, der Himmel sei so gut als fertig, es fehlen nur noch die himmelfahrende Muttergottes und die Apostel.
Nun begannen die Modellsitzungen. Das Marieli, das sich schon lange hierauf heimlich gefreut hatte, mußte in die Kirche.
Erst brauchte es nicht einmal auf die Bühne ob dem Altar zu steigen. Drunten auf einem Bänklein durfte es sitzen, und der Maler schaute ab und zu nach ihm. Als aber alle Gemeinderäte in ihren müßigen Augenblicken, in einem landwirtschaftlichen Geruche stehend, in die Kirche trampten, um mit ihren Mundwerken am Bild malen zu helfen, wurde der Maler wild und verriegelte, im Einoerständnis mit dem Pfarrherrn, einfach die Kirchenpforte.So blieb er ungestört, was ihm um so lieber war, als er jetzt dem Marieli über das Leiterchen hinauf auf die Bühne half, wo es sich neben ihm aufstellen mußte.
Nun gab es für die beiden recht unterhaltsame Sitzungen.
„So, Schatz Gottes“, sagte der Maler, „jetzt wollen wir die himmelfahrende Jungfrau malen. Schau jetzt durch jenes Fenster in den Himmel hinauf und tu, als ob du ihn sperrangelweit offen sähest und schon das Stimmen der seraphischen Harfen und Geigen hörtest.“
Das Marieli schaute mit heiteren Augen himmelan.
„Und nun hebe die Arme auf, ganz als wären es Flügel,die dich im Hui in alle Himmel hineintrügen.
Bolzgrad streckte sie die Arme empor.
Das Altarbild.„Nicht so steif, als würdest du in den Himmel hinauf telegraphiert“, korrigierte er. „Du mußt die Arme etwas gebogen halten. Schau, so!“
Mit kritischen Augen betrachtete jetzt der Maler sein Modell. Es fehlte ihm immer noch etwas daran.
Mit prüfenden Blicken sah er sie lange an. Mit einem Male sagte er: „Du schaust mir doch ein bißchen zu weltilich,zu kirchweihtanzfreudig drein, Kind Gottes im Butterhäfelein. Hör, was ich dir sage: Denk jetzt, du fahrest wirklich in den Himmel hinauf und deine Mutter selig komme dir entgegen, und du dürfest ihr melden, daß du auf Erden einen lieben, lieben Schatz, ungefähr in meinem Alter und von meiner Figur, gefunden habest, der dich lieber habe als sich selbst und alle Freuden des verlorenen Paradieses.“
Da ließ das Marieli für einen Moment die Arme sinken und schaute mit schier erschrockenen seltsamen Augen nach dem ernst dreinblickenden Maler. Fast hatte es den Anschein, als wolle sie sich auf und davon machen. Aber dann lächelte sie, streckte mit einem Male die Arme höhwärts,und ihre Augen leuchteten voll blauer Seligkeit, als schauten sie mitten in alle Himmel hinein.
Schier erstaunt betrachtete der Maler das himmelfahrende Marieli, und es war ihm einen Augenblick, er müßte es am gesprenkelten Röcklein festhalten; sonst mache es sich wirklich himmelwärts auf Nimmerwiedersehen davon.
Flink stieg er eine Stufe höher und malte und malte.
Als er wieder vom Gerüst stieg, dämmerte es schon in der Kirche.
„Laß die Arme nur fallen“, machte er; „du wirst wohl recht müde sein.“
21
5.
„O nein“, sagte sie lachend, „kein bißchen; ich hätte es noch lange ausgehalten.“
„Ist es dir denn nicht langweilig geworden?“
„Es ist nicht kurzweiliger hinterm Webstuhl zu sitzen.“
Er schaute ihr tief und lang in die Augen.
„Was guckt Ihr mich denn so an?“ lachte sie verwirrt.
„Wie sollte ich deine Augen malen können, wenn ich sie XX ich, was drin ist.“
„Marieli!“
„Ja?“
„Gib mir ein Küßchen!“
„Nein, nein, nein“, machte sie abwehrend und verhielt sich unwillkürlich den Mund.
Mit einem Male schoß sie bolzgrad auf und horchte nach der Seitentüre, die der Maler zu schließen vergessen hatte.
Blitzgeschwind rutschte sie die Leiter hinunter, und weg war sie.
Eben ging das Seitentörlein der Kirche. Der Kirchenvgt Johannes Dürlibacher trat ein.
„Ja“, machte er verwundert, „wo ist denn das Maitli hingekommen?“„Weißt, Großvater“, rief jetzt der Franztöneli, der schon vorher unbemerkt eingetreten war, „der Maler und das Marieli spielen Versteckens miteinander.“
„Was spielen sie? Versteckens spielen sie miteinander!Ja, der Donner, der Donner; gehört denn das auch zum Modellstehen?“
„Ja, Vater“, ertönte eine unsichtbare Stimme durch die Kirche.
Jetzt huschte das Marieli lachend, aber zündbrandrot aus
Lienert, Vergdorfgeschichten.
21
Das Altarbild.den neuen Ratsherrenstühlen, ging seinem Vater zärtlich um das Kinn und sagte: „Schaut doch nicht so bös drein, Vater!Habt Ihr's denn nicht gemerkt, daß ich den Maler schon lange gern sehe? Ich und der Maler wollen ein Paar werden.“
„Ist das wahr, Meister?“ fragte der Alte kurz den verlegen lächelnden Maler.
„Jawohl, Kirchenvogt“, antwortete er mutig. „Es ist die heilige Wahrheit. Wir haben uns gleich in der Kirche verlobt, und wäre sie geweiht, so hätte uns der Pfarrer auch gerade noch zusammengeben können.“
„So, so“, machte der alte Johannes ingrimmig. „Die heilige Wahrheit. Also deswegen wollte man die Kirchenräte nicht bei der Arbeit haben; deswegen schließt man das große Kirchentor uns, die wir doch das ganze Halleluja,sagt der Pfarrer, berappen müssen, vor der Nase zu, daß man ungestörter Versteckens spielen kann. Und das nennt man Modellstehen!“
Da läutete wieder des Marielis lustiges Silberglöcklein durch die Räume.
„Ja, lach dich nur aus!“ sagte der erboste Alte; „das Modellstehen und das Versteckensspielen hat nun ein End.Komm, du Fratz!“
Aber jetzt verging dem Maitli das Lachen.
„Vater, Vaterl“ bat es flehend, „seid doch nicht so und laßt mir den Maler. Wie könnt Ihr denn so grimmig gegen das Liebhaben tun, wo Ihr doch den Liebesjünger zum Namenspatron habt?“
„Ja“, lärmte der Kirchenvogt, „es wäre allweg gescheiter,er täte jetzt den
Liebesjünger Johannes malen und die übrigen Apostel, so kommen wir einmal mit
der Kirchenbauerei zu Ende. Die Leute möchten endlich Kirchweih
323 haben. Der Maler hat jetzt genug an der himmelfahrenden Jungfrau herumgemalt, der Donner, der Donner. Jetzt komm!“
Da mußte das Marieli wohl oder übel abziehen und verließ gesenßten Hauptes die Kirche. Aber sein Lachen blieb in der Kirche zurück und geisterte wie eine frischgefangene Waldmeise dem Maler um Kopf und Ohren und im ganzen Kirchlein herum.
Am Abend zog der Maler aus dem Windbruchhofe aus. Das Marieli lehnte schluchzend in seinem Guckauskämmerchen und schaute ihm traurig nach, als er über das Steinplattenweglein dorfwärts lief. Einen Steinwurf vom Hause weg wandte er sich nochmals um, schwang keck den Hut gegen den Guckaus hinauf und sang:„Lebwohl, lebwohl, lieb Mägdelein!Es spielt so schön der Sonnenschein In deinen goldnen Haaren.
A
In all dein hell Gelock hinein.
All Leut ihn wohl gewahren.Lebwohl, lebwohl, lieb Mägdelein!Bist noch ein blutjung Engelein;Kein Flüglein zu gewahren.
Doch wenn ich übers Jahr kehr heim,Juhuu, du flügger Engel mein!Will mit dir himmelfahren.“Also übersiedelte der Maler Joseph Rotlacher in das Pfarrhaus, obwohl ihn die ältliche Schwester des Hochwürdigen, die Pfarrersköchin, nicht gerade mit freundlichen Augen kommen sah; denn heimlich hatte sie wirklich gehofft, er werde die schmerzhafte Muttergottes nach ihr abmalen. Als ihr aber ihr geistlicher Bruder kund tat, wie so ein Modell stundenlang schweigsamer als ein Grabstein,
21*
Das Altarbild.auf dem doch hie und da noch etwa ein Spatz pfeife, dasitzen müßte, wollte sie vom Gemaltwerden nichts mehr wissen.
So mußte denn der Maler sein Marienbild ohne Modell zu Ende malen, was er sich wohl zu tun getraute. Er hatte das Windbruch-Marieli nun so genau vor Augen,daß er sich stets unwillkürlich ins Gesicht griff, wenn er vor dem Spiegel stand, um sich zu rasieren; denn alleweil schaute ihn daraus des Marielis apfelblütenfarbenes Schelmengesichtlein an.
Als nun die himmelfahrende Jungfrau glücklich vollendet war, machte er sich
daran, auch den Liebesjünger Johannes und die übrigen Apostel so rasch als
möglich fertig zu malen; denn der Kirchenvogt und der Kirchenrat drängten.Zum
ersten war es dem Kirchenrat zuwider, die Kirchweih des Altarbildes wegen so
lange hinausschieben zu müssen,und dann wollte der Kirchenvogt den Maler so
geschwind es sein konnte zum Land hinaus haben. Er fürchtete,es möchte dem sonst
mit Hülfe des ihm so zugetanen Pfarrers doch noch gelingen, das Marieli
einzufangen.Er schimpfte überall herum, wie der Maler sich bei ihm und im
Pfarrhause schon bald ein halbes Jahr, sozusagen für „ein paar Pinselstriche
alltäglich“ herausgemästet habe.Und als nun der Pfarrer auf das Drängen des
Alten endlich den Preis nennen mußte, den der Maler für das Gemälde forderte,
erhob er ein Mordsgeschrei im ganzen Land und rechnete den kopfschüttelnden
Gemeindegenossen vor, wie man das ganze Dorf außen und innen anstreichen könnte
um das Sündengeld, das dieser Faulenzer für einen einzigen Helgen, der nicht
einmal so viel Platz einnehme wie eine halbe Gadenwand, zu fordern wage. So
gelang
325 es dem Kirchenvogt zuletzt, trotz des Pfarrers Widerstand,mit Hilfe der öffentlichen Meinung, dem Maler fast die Hälfte des verlangten Preises abzumarkten. „Denn“, sagte der Maler Rotlacher, „hab ich das Bild angefangen, will ich's, mir und dem Pfarrer zulieb, auch fertig machen, obwohl mir dieser Judas von einem Kirchensäckelmeister kaum die Farben bezahlen will.“ Jetzt war er aber wild, und wie die Kirchenräte und Bauern ihn wieder bei der Arbeit zu umlauern begannen, verschwor er sich beim Pfarrer hoch und teuer, er tue keinen Pinselstrich mehr, wenn diese ländlichen ÄOlgötzen noch länger einen Zaunpfahlreigen um ihn herum aufführten.
So fanden die Kirchenräte eines Morgens nicht nur das Haupttor, sondern auch das Seitenpförtlein der Kirche verriegelt und mußten schimpfend abziehen.
Lange hätte sich der Maler in seiner Festung aber nicht halten können; darum atmete er eines Abends hoch auf,als er den Pinsel weglegen und in Stagelegg Feierabend machen konnte. Er bedeckte das fertige Gemälde sorglich mit einem festen Vorhang. Nachdem er dem Sigristen noch gezeigt hatte, wie man das Tuch wegziehe und das Gemälde mit einem Zug enthülle, lud er durch ihn die ganze Gemeinde auf den morgigen Sonntag nachmittag zur feierlichen Ubergabe des Bildes an den Kirchenrat ein. Die Schlüssel der neuen Kirche aber hatte er in die Tasche gesteckt, sodaß nicht einmal der verwunderte Pfarrherr das vollendete Bild besichtigen konnte.
„Morgen nachmittag seht ihr's alle miteinander, lieber Herr Pfarrer“, sagte ihm der Maler. „Ich habe mit dem Rirchenrat viel Geduld haben müssen; nun soll er sich auch einmal einen Tag gedulden.“
Das Altarbild.„Meinetwegen“, lachte der Pfarrer. „Eure Künstlerlaunen in Ehren. So lang kann ich auch warten. Den Murillo und die übrigen Italiener werdet Ihr auch nicht übertrumpft haben, mein junger Freund.“
„So“, sagte der Kirchenvogt Johannes, als ihm vom Sigristen die Vollendung des
Bildes angezeigt wurde, „ist er endlich einmal fertig, der kostspielige
anstreichende Habenichts. Ist auch höchste Zeit; denn sonst hätte er uns noch
alles Weibervolk verrückt gemacht. Die Weibsbilder haben es in der Liebe wie die
Ziegen auf der Weide: sie wollen immer da grasen, wo sie nicht dürfen, die
heillosen Heikelnäscher. Überhaupt diese verfluchte Liebe. Es ist mit ihr wie
mit der Maul- und Klauenseuche im Viehstall; kann sie jedes fremde Mannsbild am
Hosenbein ins Land tragen und eine ganze Gegend verseuchen. Da hockt jetzt mein
Maitli im Guckaus droben und plärrt und hat doch sonst das Haus schier
auseinandergejauchzt, bevor dieser fremde Hungerschlucker ins Land kam. Jetzt
kommt sie aus dem Flennen nimmer heraus. Eine schöne himmelfahrende Jungfrau
das. Nimmt mich nur wunder“, setzte er giftig hüstelnd bei, „wie er den alten
Liebesjünger Johannes getroffen hat; lange genug hat er mich anschauen können.Im
übrigen kann ich nicht begreifen, wie der Pfarrer ihm mein Maitli so aufhalsen
konnte. Er hätte ja, wie ich und andere es alleweil wünschten, seine Schwester,
die Jungfer Köchin mit den sieben Schwertern in der Brust malen lassen können.
Gerne hätte ich ihr noch ein achtes auf meine Kosten dazu malen lassen,
sapperlot,sapperlot.“Der Pfarrer schüttelte sich vor Lachen, und seine Köchin
ward kreideweiß vor Arger, als der Knecht aus dem Wind
27
303*bruch die Abendmilch und des Kirchenvogts Rede, beides noch „kuhwarm“, wie er sagte, in die Küche des Pfarrhauses brachte.
Am folgenden Tag, es war ein Sonntag, versammelte sich die ganze Gemeinde von Stagelegg, nach Erfüllung ihrer gottesdienstlichen Pflichten im Nachbardorfe, im Schiffe der neuen Kirche.
Da sie noch nicht eingeweiht war, begannen die Bauern sogleich ihre alltäglichen Sorgen laut und ungezwungen zu besprechen. Der Pfarrer und die Kirchenräte waren ja noch nicht anwesend. Die Weiber aber unterhielten sich tuschelnd und eifrig über das vom Kirchenvogt Johannes so plötzlich gestörte Liebesverhältnis zwischen seinem Maitli und dem hübschen jungen Maler. Sie starben schier vor Neugierde,zu sehen, wie der Maler das Marieli auf das Altarbild gebracht habe. Diese überlustige Lachdrossel für das Bildnis der Muttergottes noch besonders anzuempfehlen, war denn doch von ihrem geistlichen Herrn ein toller Einfall.Und zu einer solchen himmelfahrenden Jungfrau, zu einem Abbild einer hieländischen Weibsperson, sollten sie künftig in ihren Nöten beten können. Sie redeten sich immer mehr in eine laute Entrüstung hinein. Doch die Stagelegger Jugend, zuvorderst des Kirchenvogts Enkel, der Franztöneli, freute sich königlich der seltenen Gelegenheit, einmal in einer Kirche, ungestört von Schullehrer und Schulschwester,allerhand Unfug treiben zu dürfen.
Eben als die Gemeinde ungeduldig zu werden anfing,kam der Herr Pfarrer mit dem Kirchenrate durch das Tor gegangen.
Das Altarbild.Jetzt ward es still in der Kirche. Die Kirchenräte machten vielbedeutende Gesichter; jeder tat, als hätte er aus seinem eigenen Sacke dem Herrgott ein neues Haus erbaut.
Wie alle in der neuen Bestuhlung Platz genommen, stellte sich der alte Pfarrherr vor den Hochaltar und redete seine Gemeinde also an: „Liebe Pfarrkinder! Bald wird der hochwürdigste Bischof kommen und das endlich vollendete Haus Gottes einweihen. Es soll ein Tag der Freude werden für Hirt und Herde. Der Kirchenrat und ich mit ihm haben uns redlich bemüht, das Kirchlein so auszubauen,daß man im Himmel und auf Erden unsern guten Willen,dem lieben Gott auch in Stagelegg ein gastlich Dach einzurichten, wird anerkennen müssen. Ich wollte aber noch etwas ganz Besonderes im Hause Gottes haben: Ein wahrhaft künstlerisches Hochaltarbild mit der benedeiten Jungfrau Maria, die der Schlange den Kopf zertreten hat.Ein junger Künstler von großer Begabung, dessen Vater mir ein guter Freund ist, Joseph Rotlacher, hat es, ich darf wohl sagen: um Gotteslohn gemalt und damit, wie ich überzeugt bin, seiner Kunst ein erstes Denkmal gesetzt.Das Bild soll die glorreiche Himmelfahrt Mariä darstellen.Der Maler wollte es selber enthüllen; allein er mußte wegen dringender anderweitiger Arbeit noch heute abreisen.Daher wird nun der Sigrist die Hülle vom Bild ziehen,und wir wollen uns stets bei seinem Anblicke auch dankbar dessen erinnern, der es gemalt hat. Sigrist, zieh das Tuch weg!“
In gespannter Erwartung schauten die Stagelegger gegen den Hochaltar.
Der Sigrist, der schon in Bereitschaft gestanden, zog aus Leibeskräften; die
Hülle fiel, und schier erschrocken fuhren
229
2 die Kirchengenossen aus den Stühlen auf; denn es war ihnen, Mariä Himmelfahrt spiele sich soeben in Wirklichkeit vor ihren Augen ab.
Mit hocherhobenen Armen, in wallenden weißen und blauen Gewändern, schwebte die Jungfrau Maria ob dem Hochaltar gen Himmel. Auf ihrem Angesichte lag schon der Glanz der himmlischen Sonne und in ihren jubelnden,jauchzenden Augen die ewige Seligkeit.
Niemand fiel es mehr ein, in diesem verklärten Antlitze nach den Zügen des Windbruch-Marieli zu suchen; sahen alle nur noch die makellose, verherrlichte Gottesbraut.
Einer aber, der alte Kirchenvogt, hatte sich sogleich eifrig unter den Aposteln, die das Ruhebett der Gottesmutter umstanden, umgesehen. Und jetzt fand er, was er suchte.Neben dem rosenbestreuten Lager kniete mit gefalteten Händen, als schöner lockiger Jüngling, der Liebesjünger Johannes und staunte sehnsüchtigen Auges nach der himmelfahrenden Jungfrau. Er hatte aber, wie den Alten bedünken wollte, die verklärten und geadelten Züge des Malers.
Mit bösen Blicken, eine Verwünschung nur mühsam hinunter würgend, schaute der alte Johannes nach dem jugendschönen Liebesjünger, in dessen Angesicht er sicher und heilig seine eigenen verwitterten Züge zu finden gehofft hatte. Und nur wenig vermochte ihn der Gedanke zu trösten,daß er den Maler um die Hälfte seines sauer verdienten Lohnes hatte verkürzen können.
Auf einmal rief die gellende Stimme eines kleinen Mägdleins: „Es sind ja dreizehn Apostel auf dem Helgen!“
„Ja“, erschallte sogleich stolz und freudig des Franztönelis Stimme, „und der dreizehnte ist mein Großvater!“
Das Altarbild.Ringsum in der Kirche ein kicherndes Zischeln und ein mühsam unterdrücktes Auflachen.
Jetzt sah sich der alte Johannes das Olgemälde genauer an und erschrak bis ins Herz hinein.
Unter einer Trauerweide, die eine Gewitterwolke überschattete, kauerte im Hintergrunde Judas Ischariot, der Exapostel, hielt krampfhaft einen Geldsäckel in den magern Fingern und stierte mit neidgelbem Angesicht nach dem verzückten Liebesjünger Johannes. Dieser Judas aber sah dem Kirchenvogt von Stagelegg so gleich wie ein Ei dem andern.
Nun rauschte ein überlautes Auflachen durch die Kirche.Kreideweiß vor Wut starrte der Kirchenvogt immer noch nach seinem Ebenbilde. Es war ihm, er stehe vor dem Spiegel.
Dann aber fuhr er mit funkelnden, giftigen Auglein auf und machte sich, knirschend in ohnmächtigem Grimm, rasch aus der Kirche, gefolgt von dem trostlosen Marieli und dem verwunderten Franztöneli, dem der Zorn des Großvaters,der doch nun glücklich und wohlgetroffen auf dem Altarbild prangte, völlig unverständlich war.
Der alte Pfarrherr war erst durch des Kirchewogts schleunigen Abzug auf den im
Dunkel der Trauerweide kauernden Judas aufmerksam geworden. Bisher hatte er
alleweil die himmelfahrende Jungfrau angestaunt und dazu ein um das andere Mal
halblaut vor sich hingemurmelt:VVV neidgelben Judas recht ins Auge faßte, mußte
er laut auflachen. „Der Tausend, der Tausend!“ murmelte er kichernd, „wahrhaftig
vom Kirchenvogt wie abgeschnitten.Es fehlt bloß noch die Zipfelkappe. Ei, ei,
gar so grob
331 hätte der Kirchenvogt den Maler eben nicht zum Haus hinausweisen und ihm gar noch „Hungerschlucker!“ nachrufen sollen! Habeat sibil! Nun hat er seinen Liebesjünger.Übrigens“, machte er ernsthaft werdend, „mit dem jungen Racheengel Rotlacher wollen wir dann auch noch ein Wörtchen reden. Aber“, er versenkte sich schon wieder in die Himmelfahrt, „aber was wahr ist, bleibt wahr, das Bildnis der Jungfrau Maria ist ihm meisterlich geraten. Ganz wie's geschrieben steht: In Ewigkeit sollst du die Verwesung nicht sehen! Wundervoll, wundervoll!“
Als aber der Pfarrer nach Hause kam, ward ihm angst und bange. In seiner Stube erwartete ihn der schwergekränkte Kirchenvogt Johannes Dürlibacher und tat wie von Sinnen. Er drohte mit Bischof und Papst, mit der Regierung, mit Himmel, Hölle und Fegfeuer, wenn der Judas nicht so schnell als menschenmöglich umgemalt werde und ein anderes Gesicht bekomme. Sein Maitli habe er fortgejagt; sie sei zur Base gelaufen und dürfe ihm nicht mehr ins Haus kommen, bevor der heillose Judas ein neues Gesicht habe. Und wemn ihm der Pfarrer nicht helfe, lasse er einen Anstreicher aus dem nächsten Dorfe auf seine eigenen Kosten kommen, der das Schelmenstück gründlich auspinseln müsse. Er hätte nie geglaubt, daß man ihn, zum Dank für seine Häuslichkeit beim Kirchenbau und weil er dem Maler das Geld der Gemeinde und sein eigenes nicht habe nachwerfen wollen, als verräterischen Geizteufel auf das Altarbild malen ließe.
Der Pfarrer konnte sagen was er wollte, der Kirchenvogt blieb unbelehrbar und unversöhnlich, bis er ihm zuletzt
Das Altarbild.feierlich gelobte, dem jungen Künstler augenblicklich zu schreiben, daß er seinen Schelmenstreich so bald als möglich wieder gutmachen müsse. Grollend verließ der Alte die Stube und stieß fast die unwirsche Pfarrsköchin, die natürlich den Dialog vor der Tür mitgenossen hatte, über den Haufen.
Doch der Pfarrer mochte dem Maler schreiben, so viel er wollte, immer erhielt er den gleichen Bescheid, der da ungefähr besagte: Er habe den Judas genau so gemalt,wie er ihm heute noch vor Augen stehe und wie er vielleicht in der tiefsten Hölle drunten sitze. Die ganze Welt solle ihn nicht zwingen, auch nur das Mindeste an seinem Bilde zu ändern, wenn der geizige Kirchenvogt nicht sein schönes Marieli gegen den Judas mit ihm austauschen wolle.
Erst tat der Alte wie unsinnig, als er des Malers Antwort vernahm; aber so hübsch nach und nach begann er sich doch die Sache zu überlegen, besonders da ihm der Pfarrer immer wieder nachzuweisen suchte, daß es ihm hohe Ehre bringen würde, bekäme er einen so vielversprechenden Künstler zum Schwiegersohne. Zudem wollten die Kirchenräte und die Gemeinde ihre Kirchweih durch diese Angelegenheit nicht auf unabsehbare Zeit hinausschieben lassen. Als nun gar noch des Malers greiser Vater in eigener Person in den Windbruch gereist kam und für seinen Sohn um das Marieli, das dabei in Tränen zerfloß,anhielt, gab er endlich brummend nach.
Bald darnach erschien der Maler Joseph Rotlacher wieder in Stagelegg und holte
sich bei dem Kirchenvogt Johannes Generalpardon. nachdem er dem Judas ob dem
Hochaltar des neuen Kirchleins ein anderes Gesicht manche wollten die etwas
männlichen Züge der bösen Pfarrersköchin darin erkennen gemalt hätte.
33 Froh atmete der Pfarrer auf, als er den schlimmen Handel so gut aus der Welt geschafft sah.
Nicht lange nachher war Hochzeitsfest im Windbruch und zwar in der neuen, nunmehr eingeweihten Kirche.
Wie sie nun alle so daknieten, beschaute der Kirchewogt Johannes Dürlibacher die himmelfahrende Jungfrau zum ersten Male, und obwohl es ihm fast unmöglich war, sein Marieli in ihren Gesichtszügen herauszufinden, gefiel ihm das Bildnis doch überaus gut. Nur war es ihm unbegreiflich, wie der Maler die Himmelskönigin mit ungekämmten,aufgelösten Haaren, statt mit einer goldenen Krone auf dem Kopf und überladen von Edelsteinen und glitzerndem Flitter,hatte himmelfahren lassen. Noch einen mißfälligen Blick tat er nach dem braunlockigen Liebesjünger, den er sich so ganz anders vorgestellt hatte; dann horchte er mit halbem Ohre auf das schöne Marienlied, das die Mägdlein von Stagelegg während der stillen Traumesse sangen:„Ein Bild ist mir ins Herz gegraben,Ein Bild so schön und wundermild.Ein Sinnbild aller guten Gaben, Es ist der Gottesmutter Bild.
In guten wie in bösen Tagen
Will ich dies Bild im Herzen tragen.“Was Wunder, daß die ganze Gemeinde
unwillkürlich zu dem Altarbild mit der verherrlichten Jungfrau Maria emporsah;
was Wunder auch, daß der glückliche Maler Joseph Rotlacher ein bißchen seitwärts
guckte nach dem Modell der makellosen Jungfrau, nach dem Marieli, das mit
demütigem Scheitel neben ihm kniete und mit den züchtig gesenkten
Wimpervorhänglein den unbändigen Jubel seiner Augen nicht zu verbergen
vermochte.
„Ja, ja“, antwortete die ihm nachkommende Frau, auf deren Gesicht das Elend und der ganze Jammer ihres Lebens wie eine Landkarte mit unzähligen Runzeln und Strichen eingezeichnet waren, „es mag wohl so sein, Herr Doktor, aber ich kann es halt nicht ändern. Freilich die Krankheit habe ich von den zwei verstorbenen Kindern,und das Seppli, nun mein einziges, hat sie von mir. Wir müssen eben alle an der bösen Krankheit sterben; es ist meiner Mutter selig nicht besser ergangen; 's liegt halt in der Familie.“
„Es ist schon weit mit der Kleinen“, machte der alte Arzt, „schon unheimlich weit. Ihr hättet mich früher rufen sollen.“„Ich hab's lange nicht gemerkt, Herr Doktor; das Kind war immer so fröhlich und zufrieden.“
„Die Hauptsache wäre halt, daß es aus diesem Mausloch und zu einer kräftigen, reichlichen Kost käme, Frau.“
„Ich kann ihm's beim besten Willen nicht besser geben als ich's selbst habe: halt geschwellte Erdäpfel und einen durchsichtigen Milchkaffee. Muß ja wohl zufrieden sein, wenn ich die Milch aufbringe, die uns immer verteuert wird.“
„Ihr sollt Euch eben an gute Leute wenden.“
335 „An gute Leute? Herr Doktor, das Betteln tut weh,und das Geben ermüdet die guten Leute so schnell; ich hab's erfahren.“
Der Arzt sann nach. Dann redete er halblaut vor sich hin: „Ich will sehen, was sich für Euch und das Kind tun läßt. Vielleicht finde ich Leute, die für Euch die Medikamente, die Ihr und Euer Kind so bitter notwendig habt,künftig bezahlen; denn wenn man da nicht fürsorgen kann,ist bös helfen. Adieu Frau!“
„Lebt wohl, Herr Doktor, und ich sage Euch: Vergelt's Bott!“
Die Frau sah dem Arzte mit traurigen Augen nach, bis er hinter dem nächsten Bauernhaus verschwand. „Ach Gott ja“, seufzte sie, „wenn wir wenigstens die Heilmittel umsonst, oder doch billig bekommen könnten. Wo sollte ich das Geld dafür hernehmen? Die armen Leute haben es doch schlecht auf der Welt. Ein Kummerleben, solange sie gesund sind; ein Jammerleben in kranken Tagen. Und daß ich's nicht besser habe, daß mir's so elend geht, wollte ich noch willig ertragen; aber sehen zu müssen, wie der Tod mein lachendes Kind schon nach dem Grabe schleppt, ohne daß ich's ihm zu entreißen vermag, das bringt mich noch zur Verzweiflung. Hilft mir denn niemand, es retten!Helft mir“, schrie sie aufschluchzend, „helft mir um Gottes Barmherzigkeit willen mein Kind retten! Es lebt ja so gerne. ach Jesus, so ungeheuer gerne!“
„Juhuu, juhuu!“
Aus der Dorfgasse gegen das alte Tätschhaus lief mit flatterndem braunem Schopf ein Mägdlein.
Die Frau wandte sich rasch gegen die Türe, mit der Schürze schnell die Augen wischend.
Das hustende Seppeli.„Wie jagst du denn wieder so unsinnig daher, Seppelil“
„Mutter, Mutter“, schrie es, „wir haben den ganzen Nachmittag keine Schule und spielen etwas. Ich darf auch mitmachen.“
Auf des Kindes Gesichtlein mit den eingefallenen Wangen lag die Freude, und aus seinen blauen Augen sonnte eitel Glück.
Die Mutter seufzte.
„Du solltest lieber beim Hause bleiben und etwas für dich spielen; denn wenn du mit den andern Kindern herumtollst,mußt du noch mehr husten. Bleib lieber bei mir, Seppeli.“
Da bekam das Kind ein schiefes Mäulchen.
„Mutter“, machte das Kind halblaut, „es ist halt so schön bei den andern Kindern und“, setzte es leise hinzu,„du hast mir's versprochen, ich dürfe wieder einmal mit ihnen herumfahren, wenn ein freier Schulnachmittag sei.Ich mußte ja so lange im Bett liegen und bin doch sonst alleweil allein, weil des Seffis Vater es nicht haben will,und des Mikelis Mutter und des Amelis Base auch nicht, daß sie mit mir gehen, weil ich krank sei und sie's von mir erben könnten. Aber heute lassen sie mich vielleicht doch mitspielen. Schau, schau“, jubelte es auf, „da kommen sie!“
Um die frischgeweißelte Kirchenmauer trabte ein Trüpplein Dorfkinder.
„Was spielt ihr?“ rief ihnen das Seppeli entgegen.
„Räuberis!“ kam die vielstimmige Antwort.
„Kann ich auch mitmachen?“
Diesmal kam kein Bescheid. Doch das Seppeli glaubte das Schweigen für stille
Zustimmung halten zu dürfen.Und wie nun die andern an dem ärmlichen
Kellerschlupf
337 vorbeistürmten, schloß es sich ihnen an, stob mit ihnen davon und schaute in gruseligem Glück nach den „Landjägern“aus, die der flüchtigen Räuberbande eifrig nachsetzten.
Die Räuber aber hatten einen starken Vorsprung. Doch allmählig, nachdem die Jagd schon ums ganze Dörflein herumgetollt war, kamen die Landjäger immer näher, und bald lief das Seppeli den Räubern als hinterstes nach.Zwei zündrote Röslein brannten auf seinen schmalen Wangen, und keuchend, mit ängstlichen Augen schaute es nach den immer näher rückenden Verfolgern zurück. Gewiß mußten sie's bald am Fähnchen haben. Es ward ihm wind und bang. Was müßte das für eine Schmach sein für die Räuber.„Geh weg, geh weg von uns, du Fetzelmaitli!“ rief jetzt der Seffi, der als Räuberhauptmann zuvorderst lief.„Du darfst nicht mehr mittun, sonst erwischen sie uns.“
„Ja allweg, geh du nur fort!“ stimmte des Hauptmanns kleine, flachshaarige Favoritin, das Mikeli, das er fest an der Hand hielt, bei, „du bist ja doch krank; du hast ja die Auszehrung, hat meine Mutter gesagt!“
„Freilich“, schrie das spitznäsige Anneli, „meine Base hat es auch gesagt, das Seppeli habe die galoppierende Auszehrung und ich dürfe nicht mit ihr gehen, sonst erbe X „Nein dich wollen wir nicht!“ lärmte in wildem Lauf der Friedi zurück, „du bist ja räudigl Geh nur, geh nur!Seht ihr's!“ brüllte er empört. „Sie will nicht weggehen,das Stinkmaitli, sie läuft uns immer noch nach. Schaut,wie sie langsam nachkeucht. Die macht, daß uns die Landjäger gewiß und heilig noch erwischen. Gehst du weg oder nicht, du Zaupf!“ lärmte er kreischend rückwärts, dem
22
Lienert, Bergdorfgeschichten.
Das hustende Seppeli.mühsam, atemlos nachhastenden Mägdlein zu. Oder dann kannst du schauen, wie's dir geht, bist dann alt genug!“
„Halt!“ rief der Räuberhauptmann und blieb stehen. „Wir können so nicht mehr weiterlaufen, sonst erwischen sie uns.“
„Die da ist schuld!“ lärmte voll heiliger Entrüstung das Anneli und zeigte auf das zusammenschreckende, schweratmende Seppeli.
„Ja, die ist allein schuld!“ stimmte das blonde Mißkeli ein. „Was braucht denn dieses Hudelchen uns immer nachzulaufen, wenn sie doch krank ist und die Auszehrung hat.“
„Mach, daß du von uns wegkommst, du Räudige!“schimpfte der Friedi. „Wir wollen keine Kranke unter uns haben. Geh, geh!“
„Nein, laßt sie“, machte jetzt der Räuberhauptmann,der verstohlen um eine Hausecke geschaut hatte, „sie kann sich mit uns verstecken. Mit Laufen entkommen wir den Landjägern nicht mehr; sie sind schon ganz nahe, und wenn sie das Fetzelröcklein da sehen“, er schaute verächtlich auf das dastehende Seppeli, dem die Tränen über die hohlen Wangen gingen, „wenn sie die erwischen, so verrät sie sicherlich unser Versteck. Kommt, schlüpft alle mit mir in unsern Holzschopf, aber rasch, rasch!“
Schon ließen sich eilige Schritte vernehmen. Jetzt drängten sich die Räuber so schnell als möglich in den Holzschopf des großen, stattlichen Bauernwirtshauses. Und als das Seppeli zitternd und zögernd vor der Treppe stehen bleiben wollte, riß es der Friedi mit roher Hand ebenfalls in den halbdunkeln Schopf hinein: „Willst du wohl hineinkommen oder nicht, du Dreckmaitli!“
Kaum hatte er die Türe hinter sich zugezogen, so kam auch die wilde Jagd der
Verfolger gegen das Haus. Und
339 nun begann das Seppeli auf einmal zu husten, immer heftiger und heftiger. Wie es auch das Schürzchen vor das Gesicht hielt, es wollte nicht helfen. Wie ein ausgehungertes,bellendes Füchslein in einer grimmigkalten Winternacht,hustete es drauf los.
„Willst du still sein, oder nicht!“ zischte es der Friedi an, „so finden uns die Landjäger ganz gewiß, wenn die immer so draufloshackt.“
„Da habt ihr's jetzt! Da habt ihr's jetzt!“ machte das flinkzzügige Anneli entrüstet. „Die hustet ja immer. Hättet ihr sie nur weggejagt!“
„Sie kommen, sie kommen!“
Das Seppeli verschüttelte ein fürchterlicher, unablässiger Husten.
„Willst du ruhig sein oder nicht!“ herrschten es alle zornbebend an. „Oder sonst schau, wie's dir geht!“
Jetzt warf sich das Mägdlein, das sich vor den drohenden,es umdrängenden Spielgenossen in einen düsteren Winkel zurückgezogen hatte, voller Verzweiflung auf einen Haufen stinkende Streue und vergrub, die Hände vor die Augen schlagend, das Gesicht darin, also daß sein heftiger Husten kaum mehr zu hören war.
„Hört ihr's, hört ihr's jetzt!“
Nun fuhr es am Haus vorbei, wie eine Weid voll aufgeschreckter Füllen. Die Räuber im Schopf hielten den Atem an; nur aus dem Winkel, wo das Seppeli in der Streue lag, kam etwas wie ein dumpfes Hacken.
Die Schritte verhalten draußen schnell.
„Sie sind vorbei“, machte jetzt der Friedi, von der Türe,durch deren Ritzen er und der Räuberhauptmann hinausgeguckt hatten, aufschnellend.F
Das hustende Seppeli.Alle atmeten auf, als wäre eine entsetzliche Gefahr eben noch gnädig an ihnen vorübergegangen.
„O, schaut, schaut!“ lachte jetzt das Mikeli auf und wies nach einem Winkel. „Die Dumme liegt immer noch auf der Streue und hat das Gesicht verborgen. Die ist aber eine Dumme, o!“
Alle lachten eins heraus.
„Steh doch auf!“ fuhr sie der zu ihr hintretende Friedi an und riß sie heftig am Röcklein. „Steh doch einmal auf; sie sind ja schon vorbei.“
Jetzt hob das Seppeli den zerzausten Kopf und durch eine Türspalte fiel ein roter, zitternder Sonnenstrahl aus seine scheuen Augen.
„Tut ihr mir jetzt nichts?“ fragte es.
„Nein“, sagte der Räuberhauptmann.
„Die darf aber nicht mehr mitmachen“, wandte sich das Mißkeli eifrig an die andern, „sonst wenn sie nochmals vorbeikommen, hustet sie wieder und dann erwischen sie uns.“
„Freilich“, stimmte das Anneli mit einem schiefen Blick nach Seppeli bei, „die kann doch nichts, als alleweil husten.“
„Wißt ihr was“, machte jetzt Seffi, der Räuberhauptmann, der auf einen Scheitbock tretend, durch das holzvergitterte Fenster mit steigendem Interesse in die Wirtshausküche hineingewundert hatte, „kommt wir gehen in unsere Küche. Die Mutter backt Kuchen und Kräpflein,weil morgen Kirchweih ist.“
Ein brausendes Hallo bewillkommte diesen Vorschlag.
„Ja, ja, laßt uns hineingehen! Kirchweihküchlein und Kräpflein sind gut, o, o!“ jauchzten sie durcheinander.
„Und so erwischen uns die Landjäger erst recht nicht mehr“, jubelte der
Friedi.
341 Sie wollten flink über die paar Stiegentritte hinauf und schon hatte der Räuberhauptmann die Küchentüre in der Hand.
„Nein, die kann nicht mit!“ schrie das Mikeli auf und stieß das Seppeli, das als letztes eben sein Barfüßchen auf den untersten Stiegentritt setzen wollte, zurück. „Nein, ein solcher Zaupf! Was täte wohl deine Mutter sagen, Seffi.Schaut nur, wie die zerzauste Haare hat.“
„Nein, die darf nicht hinein“, sprudelte das Anneli heraus,„die hat ja alleweil Hunger, sie täte uns gewiß alle Kirchweihkräpflein wegessen, die kann nicht mit!“
„Nein, allweg nicht, eine, die die Auszehrung hat!“lärmte der Friedi.
„Ich habe ja bloß ein einziges Kräpflein essen wollen“,schluchzte stoßweise das Seppeli heraus.
„Glaubt's nicht!“ sagte der Friedi, dem weinenden Mägdlein mißtrauisch auf den Mund sehend. „Die täte sicher zu viel davon wegessen. Hört nur, was ich weiß:Einmal mußte sie vom Bäcker ein großes Brot heimnehmen,das für vier Tage hätte reichen sollen, und da hat sie auf dem Heimweg das ganze Brot mutterseelenallein aufgegessen.“
Schier erschrocken schauten alle auf das eßlustige Seppeli.
„Diesmal will ich gewiß, auf Ehr und Seligkeit bloß ein einziges Kirchweihkräpflein essen“, beteuerte schluchzend das Mägdlein, „ich habe ja noch nie eines gehabt.“
„Glaubt ihr's nicht; glaubt ihr's nicht!“ warnte der Friedi.
„Warte du nur hier, Seppeli“, sagte nun der Räuberhauptmann, „bleib nur hier, bis wir wieder zurückkommen;ich bringe dir dann ein Kräpflein hinaus. Weißt, hinein darf ich dich halt nicht nehmen, weil du ein Übel hast und
Das hustende Seppeli.die Mutter gesagt hat, ins Haus dürfe ich dich nie bringen,weil ich's von dir erben könnte, und weil dir halt schon zwei Schwesterchen gestorben sind.“
Und also machten sie sich geschwind in die Küche, und das spitznäsige Anneli stieß den Türriegel.
Ein Weilchen noch stand das Seppeli, trostlos vor sich hinweinend, im dunklen Schopf; dann bestieg es den Scheitbock, drückte das Gesicht ans hölzerne Fenstergitter und staunte mit großen Augen in die raucherfüllte Wirtshausküche hinein.Dort drin gab sich die umfangreiche Wirtin ehrlich Mühe,ihr Söhnchen und seine wacker zulangende Räuberbande,aus der mächtigen, mit knusperigen gelben und braunen Kirchweihküchlein und Kräpflein angefüllten Zeine zufriedenzustellen. Aber das eßfreudige Völklein war nicht so geschwind zu sättigen, wie die Juden bei der wunderbaren Brotvermehrung. Auf Tod und Leben, als gelte es das Henkermahl, worgelten die Kinder, alles Nachkommenschaft hablicher Bauersleute, die leckern Kirchweihplätzchen hinunter. Die brummende Magd, deren Antlitz heller glänzte als eine neue Bronzebüste in der Sonne, hatte ihre liebe Not; denn obwohl sie drauflos buk wie wild, schnabelten ihr die gelüstigen Mäulchen die Krapfen zuletzt noch brennend heiß von der Schöpfkelle. Die vergnüglich schmunzelnde Wirtin aber, die schon mehr strahlte wie ein über und über vergoldetes Muttergottesbild, ließ es sich nicht nehmen, ihr A mit dem appetitlichen Kirchweihbackwerk wie Laubsfäcke vollzustopfen.
Unterdessen befand sich aber das Seppeli immer noch im dunkeln Schopf auf dem
Scheitbock. Es hatte sich am
343 Holzgitter zum Küchenfenster emporgezogen, also daß es wie eine Ballettänzerin nur noch auf der großen Zehe stand.
Mit gleißenden Augen und offenem Munde, schaute es der Kirchweihbäckerei und dem Wettschlingen der glückhaften Räuber zu. O wie es in der Küche roch! Wie diese Küchlein in der sprudelnden Butterpfanne aufgingen, dann mit geschwollenen gelben Bäuchlein in die Kelle und von da in die gierigen Hälse der Buben und Mädchen hinunterrutschten! Aber nun schienen diese allmählig doch genug zu haben. Das Mißkeli sammelte jetzt mit Seffis Hülfe nur noch in die Schürze, und das Anneli legte die braunen Kräpflein und die gewellten spröden Eieröhrchen schier gelangweilt in die große Zeine, nur wählerisch hie und da ein süßes Kräpflein anpickend.
„So“, ließ sich die wohlgeschmalzte Stimme der Magd vernehmen, „nun sind die Freßbäuche endlich bis obenauf voll, jetzt wollen wir hoffen, die große Zeine da bringe es auch wenigstens zu einem Boden. All mein Draufloskücheln und Kräpfeln hat in der Zeine nicht mehr ergeben, als wenn's in einen Weiher schneit.“
„So habt ihr nun wirklich genug?“ sagte lachend die Wirtin.
„Ja“, meinte der Friedi, dem beide Hosensäcke voll heißer Krapfen herausstanden, „für heute hab ich genug;aber morgen mag ich dann schon wieder.“ Da lachte die Wirtin laut heraus, und die Magd brummte naserümpfend:„Es ist unglaublich, was so ein Bub faßt.“
Das Seppeli aber hatte das Gesicht ans Fenstergitter gedrückt. Über seine schmalen Wänglein rollten stille Tränen;denn die süßen Kirchweihherrlichkeiten waren ihm so nah und doch so fern. Lange schon war es mit einem Finger
Das hustende Seppeli.am Fenster auf und ab gefahren, also daß die trübe Scheibe seltsame leise klagende Töne von sich gab. Und nun konnte es nicht mehr anders: Es tippte ans Fenster. Erschrocken hielt es den Atem etwas an. Aber in der Küche schien man es längst vergessen zu haben; niemand sah sich nach ihm um. Zßitternd pochte es fester an die lose sitzende Scheibe,also daß sie klirrte.
Jetzt schaute das an der Zeine knieende Mikeli verwundert auf. Als es am Küchenfenster das Seppeli erblickte,erhob es sich rasch und trat zur Scheibe heran, sein Schürzchen so weit als möglich aufspreitend und seine Krapfensammlung triumphierend vorzeigend.
„Gib mir auch eins, Mißkeli, bloß ein einziges!“ kam es kaum hörbar durchs Fenster.
„Nein“, sagte das Mikeli, „ich darf keine weggeben;ich will alle heimbringen!“
Nun waren auch die andern auf das am Fenster klebende Kind aufmerksam geworden. Aber als nun der Räuberhauptmann Miene machte, ihm ein Kräpflein hinauszureichen, lärmte das Mikeli entrüstet: „Gib doch der keins!Solch ein Hudelchen braucht doch keine Kräpflein. Die will alleweil von allem haben; so eine Freche.“
„Ja“, sagte das Anneli, „letzthin hat sie mir auch Zuckerkügelchen gebettelt.“
„Ja, das ist eine rechte Bettlerin“, rief der Friedi aus,„und sie schämt sich nicht einmal. Letzhin heischte sie von unserer Magd Brot.“
„Redet nicht so dumm!“ machte jetzt die herbeiwackelnde Wirtin. „Das Seppeli ist ein armes Frätzchen und muß auch ein gebackenes Kirchweihplätzchen haben.“
Sie stieß das buntschillernde Küchenscheiblein zurück und
4 reichte dem blitzgeschwind mit den magern Fingern zulangenden Seppeli einen großen, gewellten Kuchen, ein sogenanntes Eieröhrchen in den Schopf hinaus. „Da Kind,iß dies Kirchweihplätzchen nur!“
Aber der herausdrängende Rauch brachte das Seppeli also zum Husten, daß es schier außer Atem kam und sich am Holzgitter halten mußte. Dann setzte es sich, fürchterlich hustend, auf den Scheitbock, versuchte aber trotzdem an seinem Kuchen, den es mit beiden Händen vor sich hinhielt, zu kKnuspern. Die Räuber aber schauten ihr durchs Fenster zu, und das Mikeli sagte, sein Näschen an die Scheibe drückend, verächtlich: „Jetzt hustet sie schon wieder;die hustet alleweil.“
Das spitznäsige Anneli wollte ebenfalls sein noch spitzeres Zünglein spielen lassen, da wurde die Schopftüre aufgerissen und mit einem Male stürmten die „Landjäger“ in den Schopf.Seppelis Husten hat sie herbeigelockt. „Da sind sie, da sind die Räuber!“ brüllten sie jubelnd.
Aber die erst überraschten und entsetzten Räuber hatten,schnell besonnen, die Küchentüre gegen den Schopf doppelt verriegelt und präsentierten nun höhnend den Verfolgern ihre Zungen.
Eine Weile versuchten die erbosten Landjäger die Küchentüre einzustoßen, doch sie hielt gut, und nun begannen Wirtin und Magd durchs Fenster zu schimpfen, während hinter ihnen das Mikeli und das Anneli vor Schadenfreude geradezu übernatürlich glänzten und triumphierend ihre braunen Kirchweihsüßigkeiten vorzeigten.
Also mußten die Landjäger von der Erstürmung der so verlochend duftenden Räuberhöhle abstehen.
Da gewahrten sie das im Halbdunkel eines Winkels
56
Das hustende Seppeli.auf einem Heuhaufen zusammengekauerte Seppeli; denn es vermochte den Husten nicht länger zu unterdrücken.
„Seht ihr, seht ihr!“ rief ein rothaariges, triefnäsiges Bürschlein, „die ist schuld. Die hat gewiß auf uns aufpassen müssen, hat durch eine Türspalte geguckt und es ihnen rasch gesagt, als wir kamen. Die hat uns verraten!“
„Ja, ja, die hat uns verraten!“ lärmten die aufgebrachten Landjäger. „Nehmt sie gefangen! Zehrt sie hinaus! Wir wollen sie einsperren, bis wir die andern alle haben. Hinaus mit ihr! Hinaus mit ihr!“
Acht kleine, unsanft zulangende Fäuste packten das erschrocken aufschreiende Seppeli an und rissen es unter dem Jubel der Räuberbande zum Schopf hinaus ins Freie.Die zwei blonden Heiligenbildlein hinter dem Küchenfenster,das Mikeli und das Anneli, tanzten vor Wonne.
„Nein, nein, nein!“ schrie das Seppeli auf. „Ihr zerbrecht mir ja mein Kirchweihplätzchen!“
Sofort ließen die ergrimmten Landjäger des Mägdleins fadenscheiniges Fähnchen fahren und staunten verwundert auf den goldgelben, braungewellten Kirchweihkuchen, den das Mägdlein mit beiden Armen hoch über seinen zerzausten Schopf hielt.
Wahrhaftig, sie mochten hinsehen, wie sie wollten, das elende Fetzelröcklein befand sich wirklich im glücklichen Besitze eines Kirchweihkuchens von ganz ungewöhnlichem Umfang.
Ein Weilchen beaugenscheinigten sie aufs eingehendste das knusperige, im hellen
Tag wie eine riesige Sonnenblume lachende Bachkwerk. Dann rückten sie näher;
denn ein süßer Wohlgeruch zog sie alle an, als würden sie an Nasenringen zum
Kuchen herangezwängt.
347 „Gib uns auch davon, Seppi, dann sperren wir dich nicht ein!“ sagte jetzt keck der Chef der Landjäger.
Nun waren die Zungen gelöst.
„Nein, wenn du uns auch davon gibst, sperren wir dich nicht ein“, stimmten die drei andern Landjäger zu.
Das Seppeli schaute erst mit einem langen Blick auf die eßfertigen Zähne der Knaben und dann mit einem noch längeren, ängstlich messenden, auf seinen Kuchen.
„Nein“, sagte es halblaut, „sonst bliebe mir ja schier nichts mehr übrig.“
„Seht ihr's jetzt!“ schrie der kleine Fuchshaarige. „Sie will uns nichts davon geben. Kommt, kommt! Wir wollen sie gehörig verschopfen; sie hat uns verraten. Verräterin, Verräterin!“
Das Seppeli machte einen flinken Fluchtversuch; aber da hatte es der Rotkopf schon an den Haaren, und die andern packten es am Fähnchen. „Verschopft sie, verschopft sie!“ schrieen alle. Fürchterlich kreischte das Kind auf, als es der Rote heftig an den Haaren riß. „Ich gebe euch ja davon“, jammerte es auf, „ihr könnt auch davon essen!“
Sogleich fielen die Hände von ihm ab; nur der Rotkopf hielt es heimlich noch am Rocke fest. Mit gierigen Sperberäuglein angelten sie alle nach dem Kuchen.
„Wir wollen ihn alle miteinander essen“, sagte der Landjägerchef.
Im Hui umstanden alle das Mägdlein gar eng, und nun begannen sie zusammen den Kuchen, den das Seppeli mit beiden Händen vor dem Mund hatte, zu knuspern. Mit heimlicher Betrübnis sah es, obwohl sein Mäulchen auch nicht untätig war, wie erfolgreich die gleißenden Zähne der
Das hustende Seppeli.Jungen am Kuchen draufloswerkten; denn er verkleinerte sich mit unheimlicher Geschwindigkeit.
Da bekam das Seppeli einen heftigen Hustenanfall.
„Pfui, pfui Dreck!“ lärmte der Polizeichef und spuckte den Bissen, den er im Munde hatte, weit weg. „Nein, so mag ich nicht mehr, wenn die über den Kuchen hustet:“
Aber die andern, alle drei ärmliche Bürschchen, ließen sich nicht stören.
„Schämt euch, von der etwas zu essen!“ rief er, „die ist ja räudig; eine, die alleweil husten muß!“
Jetzt ließen noch zwei Landjäger vom Kuchen ab und wischten sich mit den zerfetzten Hemdärmeln eifrig den Mund. Wahrhaftig, das hatten sie vergessen, die war ja räudig, da sie den ganzen Tag husten mußte. Nur der Rotkopf knusperte mit verdoppelter Geschwindigkeit, nun frei von aller Konkurrenz, drauflos; denn auch das Seppeli mußte, von einem erbärmlichen Husten geschüttelt, den Rest des Kuchens fahren lassen.
„Dort laufen sie, dort laufen sie!“
Wie ein aufgescheuchtes Wiesel sprang der Landjägerchef auf und schoß den Räubern nach, die sich eben verstohlen zur vordern Wirtshaustüre hinaus davon machten. Und flinkfüßig jagten auch die andern Landjäger ihrem Anführer nach.
Aber den Rotkopf hielt das Seppeli, das sich von seinem Hustenanfall erholt hatte, verzweifelt am herabhängenden Hosenträger fest und schrie: „Laß mir auch noch etwas vom Kuchenplätzchen!“
Er verschlang noch schnell einen Bissen.
„Da hast du's, du räudiges Stinkmaitli!“ rief er aus,warf ihr den winzigen Rest
vor die Füße und stob den andern nach.
349 Rasch nahm sie das Kuchenstückchen aus dem Staube auf, es mit traurigen Augen betrachtend und mit dem schmutzigen Armel etwas abwischend. „Ich will es der Mutter bringen“, machte sie halblaut, und auf einmal schrie sie schluchzend auf: „Ach, wenn ich doch gesund wäre, und nicht alleweil husten müßte!“
Dann ging sie langsam, leise vor sich hinweinend, nach
Hause.
Eben ging eine Türe. Aus einem kleinen Stallanbau,den ein wärmender Kranz von trockenem Mist umfriedete,trat, eine brennende Laterne in der Hand, ein langer magerer Bauer.Erst tat er einen prüfenden Blichk gegen die Weißtannenalp. Die Sonne wuchs gerade hinter dem Mutzenstein herauf; es schien ein schöner Tag werden zu wollen.
„Sapperlot“, sagte er halblaut, „da hab ich mich scheink's,ein Schüßchen verschlafen; war mir, es sei noch finstere Nacht, jetzt läuten sie schon zu den gebratenen Erdäpfeln im Stüdler Kirchlein.“ Er wischte die Hirtenhemdkapuze vom hellhaarigen Kopf und seine Holzschuhe klapperten über die Steinplatten vom Gaden weg vors Häuschen.„Mutter!“ rief er, die Laterne ausblasend und sie auf den verwitterten, aller Enden überfließenden Brunnentrog abstellend, „Mutter!“
„Ja“, rief eine Stimme hinter einem mit dicken Holzstecken vergitterten Fenster, ‚Komm nur herauf, die Erdaäpfel und der Kaffee stehen auf dem Tisch.“
„Mutter“, rief er etwas lauter, „die Kuh hat gekalbt.“
Sogleich ging ein Scheiblein droben hinter dem Holzgitter, eine Rauchwolke wirbelte heraus, und ein bleiches Gesicht zeigte sich zwischen den rohen Holzstäben.
„Wie ist's gegangen, was macht die Weiße?“
„Fressen tut sie und ein Kuhkälblein wär da.“
351 „Wird nicht sein! Gottlob und dank!“
„Dazu ein rechtes, wie ich's von der Alten nie erwartet hätte. Jetzt sieht's ja freilich noch aus wie eine weiße Schnecke, aber wenn wir's zu behalten vermöchten, könnte es noch gut und gerecht werden, ist mir's.“
„Wollen wir's denn nicht einmal wagen und das Kälblein behalten, Vater?“
„Ich muß die Milch in die Hütte tragen, so kommt ein Batzen Bargeld ins Haus. Aus was wollten wir denn zinsen? Will zufrieden sein, wenn für uns und das Kind wie bisher noch ein Tröpflein Milch abfällt; unser Milchkaffee ist dann immer noch dünn genug, also daß man durch das elende Gewäsch das Iberger Postwägelein vorbeifahren sieht.“„Schatz, klag nicht, wir haben es recht. Unser Herrgott hat uns bisher nichts abgehen lassen und das Kühlein und das Kind gesund erhalten. Nicht einen roten Rappen haben wir für den Doktor gebraucht, seit wir zusammenhausen.“
„He“, machte er, unterm Hirtenhemdzipfel kratzend, „ich sage ja nichts, aber über alle Hänge hinaus täte ich gleichwohl nicht springen, wenn schon etwas mehr Fett an die Erdäpfel käme, man müßte sie dann nicht so hinabworgeln,daß es der Seele im Herz drin angst und bang wird, sie könnte um den Ausweg kommen. Auch möchte ich auf unserm Kaffeegewäsch gern einmal einen Rahm sehen, auf dem wenigstens ein Wasserspinnlein abstehen könnte, ohne in alle Tiefen zu versinken. Beim Vetter in den Sonnhalden könnte eine Ente über die Milch laufen, ohne daß sie unterginge.“
„Vater, Vater!“
„Jaha, sapperlot abeinander, man wird doch noch etwas
Lützelweißchen.sagen dürfen. Es ist einmal wahr, ich hätte das Kalb da gerne behalten und selber aufgezogen. So muß es wieder zum Schwanenmetzger ins Dorf; denn ich habe ihm's versprochen,sei's diesmal nun ein Stierkalb oder ein Kuhkalb. Als ich ihm das letzte Kalb verkaufte, es war mißfärbig wie der Neid und weiß wie ein Milchsäulein und dazu nichtsig wie ein blaues Zicklein in der Pfanne, sagte ich ihm auch das künftige zu; denn sonst hätte er mir erst recht nichts dafür geben wollen.“
„So behalt es, Vater; wir wollen's einmal wagen; es wird uns nicht umbringen.“
„Und das Futter? Willst du's etwa mit deinen Seidenzapfen hirten?“
„Wir nehmen noch ein paar Genossenplätze zu Lehen.“
„Wer verzinst sie uns dann?“
„Mein Webstuhl soll sie verzinsen, Vater.“
„Nein“, machte er kopfschüttelnd, „so will ich dich nicht plagen; dein hurtiges Füßlein geht ja so Tag und Nacht.Eine zweite Kuh, ja“, er tat einen langen, schier schwermütigen Blick nach der Stalltüre, „das wäre mir freilich ein unverhofftes Christkindlein; aber nein, es langt nicht,das Kalb muß ins Dorf zum Metzger.“
Seine Holzböden klapperten über die Steine und jetzt übers Stiegenbrücklein hinauf.
„Vater, Vater!“
Er wandte sich und für einen Augenblick zeigten sich seine blinkenden Zähne und ein warmes Lächeln ging um seine Hakennase.
Aus dem Gestäude der nahen Studensihl war, gefolgt von einigen Hühnern, ein
kleines, rotwangiges Mädchen getreten. Mit beiden Händen hielt es sorglich sein
Röckchen
353 hoch; denn darin lagen ein Häufchen Eier, die es, wie allmorgentlich, im Staudengewirr der vielen Sihlsandbänke zusammengesucht hatte. Seine heiterbraunen Augen guckten lachend aus dem Busch nach dem Vater.
Der Bauer klopfte sein Pfeifchen, das er die ganze Nacht zwischen den Zähnen gehabt hatte, an der Hauswand aus und sagte: „Du wirst jetzt wohl alle Eier gefunden haben, Marannli, und morgenessen mögen. Komm nur, kannst gleich noch das Kälblein ansehen, das uns die Weiße gebracht hat.“
Einen Augenblick staunte das Kind schier erschrocken nach seinem Vater, dann schoß es aus dem Gestäude: „Juhuu,juhuu. ein Kälblein!“
„Die Eier, die Eier!“ warnte aus der Küche die Stimme der Mutter.
Aber schon watete das Marannli, flink und doch achtsam, durch das spiegelklare, still ziehende Bergwasser, und dam stob es gegen den Stall, mit flatterndem. vom Gestäude zerzaustem Haar, das aussah, wie jene feine braune Binsenstreue, die im Herbst so seltsam rötlich aufleuchtet,wenn der Wind die Rieder streichelt und die drin steckenden blauglockigen Enziane.
„Ein Kälblein, ein Kälblein!“
Neben der Stalltüre, auf dem Gesimse des mit Spinngeweb verhängten engen Fensterchens, das wie ein blindes Auge in die Welt sah, befand sich ein kleiner Kratten.Flink setzte sich das Marannli auf den darunter stehenden Dengelstock und legte dann sorgsam ein Ei ums andere in das Krättlein, jauchzte nochmals auf, sprang herab und verschwand im Stall, geschwinder als ein Kuckuck, der die Stunde gerufen, hinter seinem Türchen.
Lienert, Vergdorfgeschichten.
26
Lützelweißchen.Lachend trampte der Bauer, der unterdessen sein Pfeifchen ausgeblasen hatte, über das Stiegenbrücklein hinauf ins Haus.
Das Marannli mußte aber gleich hinter der Türe anhalten; denn es war im niedern, von einer dumpfen heißen Luft erfüllten Stall dunkel wie in einer Kuh. Hurtig machte es die Türe auf und jetzt erblickte es im düstern Winkel an der Gadenwand die Kuh und daneben am Barren, auf einem Schub Streue, lag etwas Weißes.
Jetzt schaute sich die Kuh um und bewillkommte das Mägdlein mit einem lauten Freudengebrüll.
Zögernd, schier furchtsam machte es sich in den Winkel.Da hob sich dort von ein paar Säcken ein weißer Kopf,und zwei große dunkle Kinderaugen wunderten auf das herantretende Marannli.
Wahrhaftig, da wo es gestern abend noch die leeren Erdäpfelsäche auf dem Streuehaufen ausgebreitet hatte,lag jetzt ein lebendiges weißes Kälblein.
Aufjauchzend warf es sich neben das Junge hin und schloß es in die Arme. „Kälblein, Kälblein“, redete es das hilflose Tierchen, das beständig mit den Ohren wedelte,nun in den süßesten Tönen an. „Wie freue ich mich, daß dich die Alte geworfen hat. Kälblein, weißes Kälblein!“
Nun stieß die Kuh ein langgezogenes Bääggen aus und begann ihr Kalb unablässig und aufs angelegentlichste zu belecken, wobei das Marannli, das aus dem Streicheln und Zärtlichtun gar nicht mehr herauskam, auch einen Kuß über das ganze Gesicht abkriegte.
„Ja, ja“, machte es, rasch aufspringend und der Kuh den Hals tätschelnd und
krauend, „du bist eine Weiße,wie es keine zweite gibt im Bergland, da du uns
doch
355 ein so niedliches Kälblein gebracht hast. Ich will dir heute einen ganzen Armvoll von dem süßen Wildgras holen,das in der Ahornweid wächst und dem du so gern über alle Häge hinaus nachsteigst. Ja, du bist eine gute, Alte.Aber wart jetzt nur. Nun sollen sie dir diesmal dein Kälblein nicht mehr wegnehmen. Ich will's selber mit deiner Milch entwöhnen und aufziehen, und dann, wenn es größer ist, hüte ich euch zusammen auf der Allmeind. Und immer an jene Stellen will ich euch führen, wo das beste Gras und der süßeste Klee wächst und an schattigen Hecken sollt ihr junges Laub naschen dürfen, und die bösen Stechfliegen will ich alle, alle von euch wegscheuchen und jauchzen will ich dazu, lauter als der Kirchenmattenbauer, wenn er mit seinem Sennten auffährt. O, das wird schön werden, Altel Wär's nur schon Frühling, daß ich mit euch auf die Weid könnte!“
Und wieder warf sich das Kind neben das Kalb hin;streichelte und liebkoste es auf alle Weise, bemühte sich,dessen hartnäckig widerstrebenden Kopf in den Schoß zu betten und begann gar, ihm alle Schlafliedlein zu singen,die es von seiner Mutter gehört hatte.
Es erschien ihm aber auch als das wohlgeratenste Kälblein der Welt. Und was doch seine großen Augen für seltsame Spieglein waren. Man sah wahrhaftig darin die halbwegs aufgegangene Türe und den davorstehenden Brunnentrog, ja sogar das Vöglein, das daraus eben Wasser nippte.
Die Alte aber, die Weiße, ein mißfärbiges milchiges Urnerkühlein, eines von jener aussterbenden kleinen Art,die da alles frißt und das Klettern versteht wie die Gemsen,schüttelte ihr einziges krummes Horn und brüllte wieder hochmütig und freudvoll über ihr Junges hin.23*
Lützelweißchen.Die schwarze Katze, die neben dem Stalleingang ein mit Milch halbwegs angefülltes Kaffeekachelchen bedächtig ausgelappt hatte, lechte das Mäulchen ab, streckte sich ein paar Mal und machte sich dann, eifersüchtig geworden durch die dem Kalb geschehenen unerhörten Zärtlichkeiten,ans Mägdlein heran, ihm eifrig um die nackten Waden streichend und dazu leise miaulend. Aber das sah sich nicht einmal um, sagte nur: „Schau, Hüttenknechtlein, was wir für ein weißes Kälblein haben!“ Doch die Katze machte sich, tiefgekränkt, weil ihr die weiche Hand, die sie sonst allerorten und den ganzen Tag verhätschelte, nun nicht ein einziges Mal übers Fell fahren wollte, aus dem Stall.
Eben stolzierte gackernd der rotbraune Hahn durch die offene Türe und begann
sogleich im sauber ausgeleckten Kaffeekachelchen neben dem Eingang
herumzupicken. Nun stand auch ein Huhn auf der Schwelle und gleich war eine
ganze Schar im Stall und machte sich, die feuchte Streue nach allen Seiten
aufscharrend, neugierig in den Winkel,in dem das Marannli neben Kälblein und Kuh
lag. Verwundert beguckten sie, fleißig die Köpfchen hin und herwendend, den
weißen langöhrigen Kopf, der sich immer wieder aus Marannlis Schoß erhob, mit
großen Augen um sich glotzte und määl machte. Die Hühner erhoben ein andauerndes
Gackern. Es war zu komisch: Dieser wie hilflos hin- und herpendelnde Weißkopf
mit den wedelnden Ohren und gar das Getue, das Marannli mit ihm hatte!Da hatte
ja wohl die Weiße ein Kalb bekommen. Nun,das kannten sie. Deswegen brauchte die
Kuh nicht so hochnäsig, schier verächtlich nach ihnen zu schauen. Sie könnten
auch Junge bekommen und wie viel, o! wenn das Brüten nicht so langweilig wäre.
Übrigens hatten sie das mit der
357 Weißen auch schon erlebt. Nach ein paar Tagen wird ein rothemdiger Mann kommen und das Kalb wegnehmen, bevor es recht laufen könnte. So war es das letztemal gewesen;die Weiße hatte lange brüllen können. Der Bauer und der Rothemdler hatten dazu noch gelacht. Aber es ärgerte sie heute nun doch, daß das Marannli von diesem dummen Kälblein so ein Aufhebens machte und es gar im Schoß wiegte wie ein Wickelkind.
Eine alte dicke Gluckhenne, die doch auch für was gelten konnte; denn sie hat im Frühling sieben lebendige Entlein ausgebrütet, wovon drei der Habicht und zwei der Fuchs holte, hielt es nicht mehr länger aus. Sie scharrte erst etwas Mist über Marannlis Fuß und als das nichts half, pickte sie's in die Wade.
„Au!“ machte das Mägdlein, ließ aber den weißen Kopf mit den kugelrunden Glotzaugen nicht los.
Da flog der Gockel, der mit steigendem Unwillen das nichtsachtende Gebaren Marannlis ihm und seinem ganzen Hof gegenüber beaugenscheinigt hatte, auf den Barren und versetzte dem pendelnden Kalbskopf einen tüchtigen Schnabelhieb.
„Määl“ klagte der Kopf.
„Ich will dich bemääen, dich!“ gackerte eine alte Gurre, die immer in allem den Gockel nachahmte und hieb dem Kälblein den Schnabel ebenfalls und mehrmals tüchtig ans Bein.
„Mää, määl!“ jammerte das Tier.
Jetzt ward aber das Marannli böse und rief, Hahn und Hühner verscheuchend: „Macht, daß ihr zum Gaden hinauskommt, ihr unverschämten Gackerer. Wartet, ich will euch das arme Kälblein plagen! Geht ihr lieber in euern Pferch und legt dort die Eier hin, wo sie hingehören, nicht daß
Lützelweißchen.man sie immer da finden muß, wo sie kein Mensch sucht:hinter allen Staudenbüschen und im Heustock. Und gar du,du alte unnütze Gurre, die nicht einmal mehr Eier legen kann, du brauchst mir das weiße Tierlein da zu verpicken,ja wohl! Hinaus mit euch, gsch gsch!“
Aufgeregt, gackernd in den schreiensten Tönen, zogen sich die Hühner gegen den Stalleingang zurück. Die Gurre wußte sich schier nicht zu fassen und schlug in ihrem Zorn gehässig nach der Gluckhenne, in der Hühnersprache ausrufend: „Und so was muß uns passieren! Uns, die sie sonst den ganzen Tag nicht genug zu sich heran rufen und um sich haben kann. Da heißt's sonst alleweil: Bi bi bi, brü lieschen, Misttrudchen, Heiterspiegelchen, Eierhäfelchen! und jetzt aufeinmal jagt sie uns auf diese Weise weg. Na, die kann mir wieder rufen, wenn's nicht grad zum Fressen ist.“Die Gluckhenne aber keifte, den Schnabelhieb der Gurre der aufkreischenden jüngsten Favoritin des Gockels ins hoffärtige Gefieder quittierend: „So geht sie nun mit uns um, und zwar eines Geschöpfes wegen, das noch nicht einmal stehen und fressen kann, obwohl es doch keine einzige Eierschale mehr auf dem Leib hat. Aber die soll mir wieder kommen“, setzte sie bei, mit einem scheelen Blick nach dem Winkel, in dem Marannli lag, „die soll mir wieder einmal heimlich Enteneier unterlegen, die Falsche!kein einziges brüte ich mehr aus. Es hat mich damals genug geärgert, daß ich auf den Eiern sitzen mußte, während das schwarzschopfige welsche Gackelhühnchen dem treulosen Gockel nachhielt: Gaagaagaagägigätätä gää gääl“
Der braunschopfige Gockel aber stellte sich auf die Türschwelle, streckte den
grünglänzenden Hals und krähte seine
259 wahrhaft heilige Entrüstung also in den Stall hinein, als wäre da drin soeben Christus verleugnet worden. Dann schritt er stolz, die nachraschelnden Hühner hinter sich, in den sonnigen Tag hinaus.
Jetzt verdunkelte sich aber der Eingang wieder; der Bauer trat ein.
„Vater, Vater, gelt, dasmal darf ich das Kälblein behalten!“
„Ich weiß es noch nicht,“ machte er ausweichend.
„Vater, ich weiß schon, wie das Kälblein heißen muß,wenn wir's behalten!“
„So, so. Ja, das wäre dann freilich früh genug.“
Lützelweißchen soll es heißen“, fuhr das Mägdlein eifrig fort, „weil es der Alten ganz gleicht und doch noch ein so lützles nichtsiges Krötlein ist.“
„Marannli“, sagte der Bauer, „geh, tu die Türe zu.Es weht ein kühler Herbstwind draußen, da könnte es dem Kalb ...“Lützelweißchen mußt du sagen, Vater.“
„Ja, meinetwegen denn, dem Lützelweißchen und der Alten erst recht, doch kalt genug werden.“
Betroffen schaute das Marannli auf seinen Vater. Dann sprang es auf und schoß zum Stall hinaus, die Türe hinter sich sorglich zunehmend.
Ein geraumes Weilchen beschaute der Bauer, die Weiße in den Halslampen krauend, das Kalb, das mit großen Lichtern zu ihm aufsah.
„Es ist eigentlich dumm, daß ich's dem Metzger zugesagt habe. Ganz so eine weiße
Schnecke wie die Alte wird's doch nicht. Es könnte am Ende noch ein rechtes Rind
werden.Ja, wenn er mir nicht auch sonst ein gefälliger Mann
Lützelweißchen.wäre, hat mir ja schon hie und da zu einem guten Schick verholfen, könnte man's am End einmal wagen; aber, nein“, machte er kurz, „ich vermag's nicht; es ist nicht zu tuen. Für was brauche ich auch zwei Kühe, ein Bauer ohne Land? Mein Vater war ein nötiger Hühnerbauer,ich bin ein Hühnerbauer, und so wird's halt in der Familie bleiben bis zum jüngsten Tag, das wird's.“
Er griff die Mistgabel von der Wand und begann der Kuh, die wieder unaufhörlich ihr Junges beleckte, das Bett zu machen.
Da ging die Gadentüre sperrangelweit auf. Der Eingang verdunkelte sich aber sogleich wieder, und es war dem Bauer nicht anders, als es fahre eine leibhafte Gewitterwolke in den Stall hinein. Aber die Wolke hatte zwei kleine nackte Beine und auf einmal fiel sie rauschend über das Kälblein und da war aus der dräuenden Wetterwolke ein wohlgestopfter Laubsack geworden. Das Marannli hatte ihn aus seiner Bettstatt gehoben und nun mit Ach und Krach in den Stall geschleppt.
„Was willst du denn mit deinem Bett, Maiteli?“ machte verwundert der Bauer und schob den Laubsack etwas beiseite, also daß des Kalbes weißer Kopf wieder zum Vorschein kam.„He, das Lützelweißchen will ich zudecken, daß es nicht frieren muß“, sagte das Marannli und strich und zupfte den Laubsack sorglich über das strampelnde Tierlein zurecht.
„Ja, wo willst denn aber du heut Nacht schlafen, wenn doch das Kälblein unter deinem Laubsack liegen soll?“
„Halt bei ihm will ich schlafen“, machte ernsthaft das Kind.
„Ja freilich, du wärst Närrleins genug“, sagte lachend
361 der Bauer. „Komm!“ gebot er kurz, den Laubsack auf die Schulter nehmend, „wir wollen ihn wieder in die Stube hinauftragen. Wart noch ein Weilchen, bis du Hochzeiterin bist, dann magst du mit deinem Bett meinetwegen ausrücken, jetzt ist's mir doch noch fast ein bißchen zu früh.“
Bedächtig schritt er mit seiner Last aus dem Stall.
„Mää, määl!“ plärrte das Kalb.
„Siehst, du Vater“, sagte das Marannli, das dem Bauer zögernd folgte, „das Lützelweißchen weint, weil du ihm das Bett wieder nimmst.“
Und mit bekümmerten Augen sah es nach dem plärrenden Kälblein zurück.
Auf der Rüti am Schwyzergatter vergnügte sich die herbstliche Mittagssonne damit, dem Bauer Zacharias die verwitterte Hauswand in zitterndes Hexengold zu tauchen und ließ gar aus dem modernden Brunnenstock, auf dem ein hölzernes Milchnäpfchen stand, das dürftige Wässerchen als dünnes goldenes Kettlein in den Trog rinnen. Auf dem Schnupfluch aber, wie der Bauer seinen spärlichen Landumschwung ums Häuschen nannte, wälzten sich die Hühner gackernd in tiefausgescharrten Löchern. Aufmerksam äugten sie hinüber nach dem von Bohnenstauden umfriedeten Erdäpfelgarten, in dem sich ihr Hahn und die alte, eierversagende Gurre abmühten, der Katze eine tote Blindschleiche abzuzwacken.
Jetzt ging die Stalltüre; das Marannli trat in den sonnigen Tag hinaus. Um den Kopf trug es ein grelles rotgelbes, aus Seidenresten zusammengewobenes Tüchlein, unter dem die rotbraunen Löckchen mit unruhigen Spinnenbeinchen
Lützelweißchen.sich hervorkräuselten. Um seine bloßen Waden schlug ein blauschwarzer kurzseeliger Rock. Seine Augen, sonst so groß und brunnenlauter, daß man dadurch schier den Heiland in seinem Herzen zu sehen vermochte, wenn es von der hl. Kommunion kam, waren verweint. An einem Stricke zog es das weiße Kälblein nach, das mit großen Augen die seltsame Welt anstaunte und dabei die Beine verstellte wie ein Turbenlali.
„Komm weidlich, Lützelweißchen, komm!“ machte das Mägdlein mit verschleierter Stimme und zog den Strick an.
Nun wagte das Kalb einen ungeschickten Sprung über die Schwelle und da lag es auch schon plärrend auf den mistgebräunten Steinplatten und bezeigte durchaus keine Lust aufzustehen, obwohl es von Marannli mit den zärtlichsten Kosenamen dazu ermuntert wurde.
Ein Scheiblein ging im Hause; die Mutter steckte den Kopf durchs Fenster.
„So bist du denn wirklich so ein einfältiges Schöpfchen und willst selber mit dem Kalb ins Dorf?“
Das Mägdlein tat ein paar trockene Schluchzer. „Ja“,fagte es, mit dem Armel die Augen auswischend.
„Da wirst du eine saubere Arbeit bekommen. Wart doch,bis der Metzger kommt und es abholt, Kind.“
Der Bauer trampte aus dem Stall.
„So laß sie doch, wenn sie's durchaus haben will“, rief er ans Haus hinauf. „Der Fratz will einmal keine Vernunft annehmen und so lange beim Kalb sein als möglich.Ist recht, sie wird dabei etwas lernen.“
Ein langgezogenes ängstliches Brüllen kam aus dem Stall,was das Kälblein mit einem kindlichen Geplärr beantwortete.
1Dreibeiniger Stäãnder fũr Torftragkörbe.
36*8 Das Marannli tat wieder ein paar Schluchzer und sah mit schier flehenden Augen zur Mutter hinauf.
„So mach jetzt einmal, daß du fortkommst, in Kuckucks Namen!“ schimpfte, seine Bedrücktheit zu verbergen, der Bauer. „Es wird sonst stockdunkle Nacht, bis du wieder heim magst.“
„Wollen wir's denn nicht doch behalten“, machte weinerlich noch einmal das Kind.
„Nein, der Donnerabeinander! Jetzt hab ich dir's schon hundertmal gesagt; wir vermögen's nicht. Nun geh oder ich stelle es wieder ein, bis es heut oder morgen der Metzger holt.“
Schier ungestüm riß nun das Marannli am Strick und da ließ sich das Kälblein bestimmen, erst auf ein und dann gar auf zwei Beine sich aufzurichten. Und unversehens tat es einen Heuschreckensprung und rannte der alten Gurre nach, die mit der glücklich behaupteten Blindschleiche, verfolgt von den andern Hühnern, eben über das Steinplattenweglein lief. Das Mägdlein wurde von diesem heftigen Ausfall schier umgerissen. Nun aber lenkte es das springlustige Kälblein geschickt nach dem nahen Gatter, und da standen sie schon draußen auf der staubigen Landstraße.
„So fahr mit Gott!“ rief die Mutter hinter den Nelkenstöchen hervor, „und komm etwa zeitig wieder!“ „Und wir lassen den Schwanenwirt grüßen“, setzte der Vater bei,griff nach dem Milchnäpfchen auf dem Brunnenstock und ließ das goldene Wässerchen dareinrieseln.
Noch einen bekümmerten, schier vorwurfsvollen Blick tat das Mägdlein nach der väterlichen Hofstatt, aus der immer noch das ängstliche Muhen der Kuh tönte; dann wischte es,schwer aufseufzend, seine Augen mit dem Rockzipfel aus und zog mit seinem Kalb ab.
Lützelweißchen.Es schien dem Lützelweißchen außerordentlich wohl zu gefallen in der schönen Welt, die sich um es so unerhofft aufgetan hatte. Kein Frosch und keine Heuschrecke hätte auf lustigere und verwogenere Sprünge verfallen können als das Kälblein. Es stieg wie ein Hengst und hüpfte wie ein Känguruh. Dann wieder schoß es plötzlich auf und davon, als ob es aus einem mittelalterlichen Katzenkopf mit Donnergepolter abgefeuert würde. Das Marannli vermochte es kaum am Strick zu halten und mußte also laufen,daß es die Seele im Leib schlottern hörte.
Als sie an die gedeckte Hochbordbrücke gelangten, wollte Lützelweißchen durchaus
über das Bord hinunter; denn es vermeinte gläubigen Herzens, wie der Apostel
Petrus,über das Wasser wandeln zu können. Das Kind schwitzte und dämpfte, bis es
das törichte Kälblein vom Vord weggezogen hatte. Aber nun schien das verstimmt
zu sein; es machte den Kopf und wollte sich durchaus nicht in die gedeckte
dunkle Brücke hineinbringen lassen. Marannlis Zunge troff von Honigseim; die
zärtlichsten Namen, wie sie auch das zierlichste abendrötlichste Ohrläppchen nie
süßer vernommen haben konnte, träufelte es dem Kälblein in die gesträubten
Lauscher. Aber Lützelweißchen spielte den Gehörübel und war tauber als das
goldene Kalb in der Wüste. Ja, als das Mägdlein versuchte, Gewalt anzuwenden und
Lützelweißchen energisch am Strick zog, schien eine rückschrittliche Gesinnung
über das Kalb zu kommen, es begann zu retirieren und heimweherisch zu määen. Das
Kind, obwohl es sich auf Tod und Leben wehrte, dürfte den Platz kaum behauptet
haben, wäre ihm nicht in seiner Drangsal Hilfe gekommen. Aus einem Riedweglein
bog mit einem Male eine zähfaserige alte Jungfer in die gedeckte Brücke
365 ein. Die Jungfer war krumm wie eine Krüppelföhre und schwarz wie die Nacht in einem Blähkübel, weshalb man sie im Tale das Schneewittchen nannte. Sie führte eine stumpfhörnige weiße Kuh an der Halfter und der rannte nun das Kälblein wie ein treues Pudelhündchen nach; denn es mochte sie für eine Base mütterlicherseits halten. Glücklich stampfte Marannli mit; es hatte Mühe, Lützelweißchen von den magern Beinhaken und dem unwirsch radschlagenden Schwanze der Kuh abzuhalten.
Als sie ins Dörflein Euthal einrückten, machte sich die alte Jungfer unversehens von der Landstraße weg und bog in ein Feldweglein ein, das zu einer nahen Scheune führte.Das Lützelweißchen wollte aber seiner vermeintlichen Base durchaus folgen, und so begann ein verzweifelter Kampf,aus dem Marannli wieder nicht als Siegerin hervorgegangen wäre, hätte ihm nicht ein guter Hirte Beistand geleistet,der, die leere Milchtanse am Rücken, eben dahertschamppte.Bis zwischen Schulhaus und Kirche schleppte und schleifte ihm der bezipfelkappte Bauer das widerspenstige Tierchen,wobei das Marannli aus Leibeskräften hinten mit Stoßen nachhalf. Aber von dort machte sich der hilfreiche Alte in eine nahe Sennhütte. Jetzt legte sich das Lützelweißchen einfach mitten auf der Straße in den Staub, alle Viere von sich streckend, als wollte es Schwimmübungen vornehmen.Lützelweißchen, Kälblein, Kälblein komm weidlich, komm!“Aber Lützelweißchen spielte wieder das Kalb Mosis und hörte nichts. Auf seinen weißen Kopf rieselten des Mägdleins Tränen.
Jetzt ging die Kirchentüre; der Sigrist trat, die Türe offen stehen lassend, hinaus, ohne sich auch nur mit einem einzigen Blick um das in Mühsal und Angste getauchte
Lützelweißchen.Marannli zu bekümmern. Lützelweißchen aber schien mit einem Male fromme Anwandlungen zu bekommen. Es sprang auf und trachtete zu Marannlis Entsetzen ums Kuckucks das weithinschattende kühle Kirchlein zu gewinnen. Das Kind vermochte ihm nicht zu widerstehen. Schritt um Schritt erkämpfte sich das hartnäckige Kalb den Weg zur offenen Kirchenpforte und geberdete sich dabei ganz, als wäre es das gehörnte Tier der hl. Apokalypse und gehörte von rechtswegen in die Kirche neben die Kanzel. Das Mägdlein schrie auf vor Jammer und Schrecken; denn nun stand Lützelweißchen schon unter dem Vorzeichen der Kirche.
Da erschien, von Gott gesandt, der Pfarrherr in der Türe. Verwundert schaute er auf das kämpfende Paar,klappte das Brevier zu und ging dann, als ein wahrhaft barmherziger Samariter, dem hochbedrängten Marannli mutig zu Hilfe. Mit starker Männerhand zwang er das Kalb vom Gotteshause ab auf die Landstraße zurück und zerstörte so mit einem Male Lützelweißchens großartige Einbildungen vom gehörnten Tier.
Aber da stand nun das Kalb, und obwohl es Marannli flehentlich anbettelte und der
Pfarrer mit Drohungen beschwor, ging es doch nicht vom Fleck, als wäre es da aus
dem harten Erdreich gewachsen. Sie mochten am Strick reißen, wie sie wollten, es
stand stiller als die Sonne beim Mauerneinsturz zu Jericho. Wie ein betrunkener
Sigrist,der die Kirchenfahne gegen den Wind trägt, verstellte es die Beine.Aber
da rumpelte es im Schulhause; die Schulkinder stürmten auf die Landstraße.
„Gelobt sei Jesus Christus!“riefen sie dem Pfarrer zu. „In Ewigkeit. Amen!“
machte der, ließ ab von Lützelweißchen, zog stöhnend das Nastuch
367 und fuhr sich damit über die verschwitzte Stirne. „Ein widerhaarigeres, eigenrichtigeres Kalb ist mir Tags meines Lebens noch nie vorgekommen“, sagte er aufschnaufend,„von rechtswegen gehörte es in den Gemeinderat, das könnte noch etwas durchgrinden; meinst du nicht auch,Maiteli?“
Das Marannli sah mit großen Augen zu ihm auf. Es war dem Pfarrer, er sehe darin ängstlich seine kleine Seele herumgeistern, wie eine gefangene Blaumeise hinter einem sonnigen Scheiblein. Mit tröstender Hand fuhr er ihm über den braunen Scheitel.
„Heda, Buben“, rief er in die abziehenden Schulkinder,„helft dem Krausschöpfchen da ein wenig sein Kalb vorwartsbringen, sonst kommt's in Ewigkeit nicht ans Ziel.“
Wie der Blitz machte sich eine Schar Buben und Mädchen über das Kalb her, also daß das aufschoß und nun mit Marannli munter davonrannte. Offenbar bildete es sich ein, die Schulkinder, die ihm mit klappernden Schulsäcken nachliefen, wollten ein Wettrennen mit ihm abhalten.
Vergnügt schmunzelnd, sah der Pfarrer dem flotten Abzug nach und sich des guten Ausganges der schwierigen Kalbaffäre freuend, schlug er das Brevier wieder auf und zog betend ins Pfarrhaus ab, aus dem die Köchin vom ersten Platze aus das Stück aufmerksam verfolgt hatte.
Aber als nun Lützelweißchen über die Eubachbrücke gelaufen war und die Schulkinder den Pfarrherrn nicht mehr nachschauen sahen, fielen sie nach und nach, eins ums andere, von Marannli ab. Und als das Kalb am Ende des Dörfleins plötzlich wieder steif und starr stehen blieb,als hielte es sich für einen frischeingeschlagenen Zaunpfahl,standen nur noch drei kleine Buben da, die, nun außer
Lützelweißchen.Sicht des Pfarrers und des Lehrers, sofort ihre Lineale zückten, um auf diese Weise das köpfische Tierlein wieder in Trab zu spornen. Einer gar begam ihm den Schwanz aufzudrehen, als wollte er an diesem wedelnden Schweiflein das Seilerhandwerk erlernen. „Dem“, sagte er wichtig, „so hat mein Vater auch den verstocktesten Stier zum davontanzen gebracht.“ Doch da fuhr Marannli aufschreiend unter sie, entriß dem Kleinsten seinen Tatzenstecken und trieb damit die beiden andern Büblein, die sich eines so mutigen Angriffs ab Seite eines Mägdleins nicht versahen, in schleunige Flucht. Dann warf es das Lineal dem triefnäsigen, plärrenden Kleinen, der in achtungsvoller Entfernung stand, wieder zu und nun verzogen sich alle drei,mit ihren Barfüßen den Staub aufwirbelnd, als wollten sie Gewitterwolken daraus hexen, nach ihren Tätschhäusern.
Marannli aber machte sich wieder auf Leben und Sterben mit dem Kälblein zu schaffen, das jedoch allen ihren streichelnden Liebkosungen und auch ihren Gewallversuchen hartnäckig und erfolgreich widerstrebte. Da ließ das Kind von ihm ab, sah sich schier mutlos nach Hilfe um und bedachte, ob es nicht trotz dem Vater wagen sollte, Lützelweißchen wieder heimzuführen. Gewiß tat das ja nur so widerspenstig, weil es merkte, daß man es zu seinen Mördern bringen wollte!
„Juhuu!“ Ein langgezogener Jauchzer kam aus der nahen Windbruchweid und dann ein Jodeln, das Berg und Tal erfüllte.
Und auf war Lützelweißchen, wies dem Marannli das blinkende Spieglein und stürmte
gegen den Straßengraben.Zwar erwischte es das Kind noch am Schwanz; aber obwohl
es daran festhielt, als wäre es eine Zuckerrübe, die
369 es aus dem Boden ziehen dürfte, riß ihm das Kalb doch mit einem gewaltigen Ruck aus. Marannli fiel aufs Gesicht in den Staub, und das Kalb setzte mit einem verwegenen Anlauf, wie Harras, der kühne Springer, über den Graben und jagte dann in die Weid hinauf, als würde es, wie ein gutgehabertes Dichterroß, von Flügeln davongetragen. Ja,es flog, das sah das aufschnellende, ihm in Todesängsten nachhastende Mägdlein deutlich. Es machte verzweifeltere Flugversuche als eine frischgestutzte Kräͤhe. Dem großen Bergahorn mitten in der Weid stürmte es zu, und dort,wahrhaftig, dem Marannli kam der kalte Schweiß auf die Stirne, dort umfaßte es mit beiden Vorderbeinen den Stamm, als wollte es in den Baum hinaufxklettern.
Das Marannli schrie auf; das kam ihm doch zu ungeheuerlich vor: ein Kalb, das in die Bäume hinaufklettert!
Aber als es jetzt atemlos beim Ahorn anlangte, rieb Lützelweißchen seelenvergnügt seinen weißen Hals am Stamm und begrüßte das Kind mit einem lauten mää mää! Es sah nicht anders aus, als ob das Kälblein es ein bißchen hätte zum Narren halten wollen und es jetzt auslachte.
Der kleinen Hirtin jedoch war es keineswegs ums lachen.Todmüde sank sie neben dem Kalb ins Gras; die Tränen begannen ihr über die erhitzten, zündroten Backen zu rieseln,und nun fing sie gar ein halblautes, plärrendes Weinen an. Ach, hätte sie doch die weite Reise nie unternommen.Sie wußte ja nicht, daß der Weg ins Dorf mit einem kleinen Kälblein so unendlich weit werden könnte. Jetzt waren sie noch nicht einmal zum Euthaler Genossenviertel hinaus. Wären sie doch nie fortgezogen! Aber den Metzger hätte sie freilich auch nicht abwarten mögen. Vielleicht ließe sich der Vater doch noch erbitten, daß sie Lützelweißchen
24
Lienert, Vergdorfgeschichten.
Jetzt schmiegte sich ein weiches Fell an ihren Kopf und eine rauhe Zunge schlug um ihre Wange.
Marannli schluchzte auf und wand beide Arme inbrünstig um des Kalbes Hals: „Lützelweißchen, o Lützelweißchen,wenn ich dich doch behalten dürfte!“
Eine Peitsche knallte auf der Landstraße.
Marannli sah sich rasch um. Der ihm wohlbekannte Schwanenmetzger, der ja so oft an ihrem Häuschen vorbeifuhr, rasselte mit dem Kälberwagen vom Dörflein her.Auf dem Bock neben ihm bellte der rothaarige Schnauzer und aus der Wagenbenne glotzten, die Zungen schlenkernd,zwei Kälber.Das Marannli schlüpfte geschwind hinter den Baum und zog mächtig an Lützelweißchen, um es und sich hinter dem Ahorn zu verstecken. Aber des Metzgers rasches Auge hatte sie schon erblickt.
„Maiteli!“ rief er ins Weidlein hinauf. „Komm nur hervor, ich habe dich und das
Kalb schon gesehen. Wenn's mir recht ist, hast du dort das Kütschikälblein,
wovon mir der Iberger Hornputzer berichtete, es werde mir's ein Kind ins Dorf
bringen. Ist's dir ein bißchen ins Weidlein hinauf davongelaufen?“ machte er
lachend. „Ja, ja, Kleine,'s hat eben alles in der Welt seine Mucken und Tücken
371 und wenn es nur ein lützles dummes Kalb ist. Komm doch hervor und führ's hinunter! Es will, scheint's, nicht gutwillig mit“, setzte er bei, als er das Marannli zögernd hinter dem Ahorn hervorkommen und das widerstrebende Kälblein nachziehen sah.
„Nein“, rief das Mägdlein mit zitternder Stimme hinab,„es will halt lieber wieder heimgehen.“
„Ach was, dummes Zeug“, sagte der Metzger, machte sich hurtig vom Wagen und stieg gegen den Ahorn hinauf,von dem sich das Kälblein, zu Marannlis Freude, um keinen Preis trennen wollte.
Aber jetzt stand der bäumige, wohlbeleibte Schwanenwirt schwitzend und pustend da, packte ohne weiteres das wild strampelnde Lützelweißchen und trug es ruhigen Schrittes zu seinem Wagen herunter, den der rothaarige Hund, vor dem rassigen Fuchsen hockend, bewachte.
„Ich kann nicht lange warten, muß schauen, daß ich heimkomme“, sagte er keuchend, „habe mich in den Studen,wo ich die zwei Stierenkälber holte, schon lange genug versäumt.“
Nun war er auf der Landstraße und stellte das Käblein ab. Aber als das den bellenden fuchsfarbenen Hund sah,riß es erschrocken die großen Augen auf und wollte wieder zu fliegen anfangen.
„Aha“, sagte der Metzger, „du tust, scheint's, auch am besten in der
Zwangsjacke.“ Er griff einen Sack vom Wagensitz und es dauerte nicht lange, so
lag Lützelweißchen bei seinen Jahrgängern im Wagen, bis an den Kopf in einen
Sack eingehüllt, wie ein Sackspringer am Alplerfest oder ein büßender Eremit im
Mittelalter, und plärrte mit den beiden Schicksalsgenossen um die Wette.
Lützelweißchen.„So behüt dich Gott, Maiteli!“ rief der Metzger, der wieder neben seinem Hund auf dem Bock saß. „Ich lasse den Vater grüßen, und er solle dann Sonntags nach der Neunemesse bei mir vorbeikommen. Ja, was weinst dem?“fragte er verwundert.
„He“, machte es schluchzend, „weil Ihr halt das Lützelweißchen umbringen wollt.“
„Wen will ich umbringen?!“ machte schier erschrocken der XV
„Heja, unser weißes Kälblein.“
„Jaso und deswegen greinst du. Ja, das fehlte noch,das gäb mir einen schönen Spektakel in der ganzen Welt,wenn bei jedem Kälberabstechen geflennt werden müßte.Es ist doch beim Eid um diesen leeren weißlachten Pelzstoß kein großer Schaden; das Kalb ist ja weißer als ein rotäugiges Kaninchen. Aber“, und ein gutmütiges Schmunzeln ging über sein rotbräches Gesicht, „wenn du etwa mitfahren möchtest ins Dorf, sag's nur. Könntest ja dann noch eine lange Weile beim Kälblein sein und grad dem Vater das Geld heimnehmen; ihr werdet's etwa kaum in Eisenbahnaktien anlegen wollen. Der Knecht, der heute abend nochmals ins Hintertal muß, ein abgestürztes Rind zu holen,kann dich dann wieder heimtuen. Was meinst, willst mit?“
„Ja“, machte es halblaut, schüchtern zum Metzger aufsehend.„So befleiß dich,
steig auf! Wir müssen fort. Hüpp!“rief er, mit der Zunge schnalzend, als das
Kind wohlgeborgen neben ihm saß, und im Hui rasselte der Wagen durchs Tal davon,
umkreist vom wild bellenden Hund, der wütend war, daß er jetzt nicht auf dem
weitausschauenden Hock neben seinem Herrn thronen
konnte.
373
Nach einer guten Halbstunde rumpelte der Wagen über das rundköpfige Pflaster ins Dorf Einsiedeln herein, und bald hielt das Gefährt vor der Metzg und Wirtschaft zum Schwanen.
Der Schwanenwirt hob das Marannli vom Bock und die freundliche, in der Türe stehende Schwanenwirtin holte das Mägdlein über die steinerne Vortreppe herauf. Aber bevor es im Hausgang verschwand, tat es noch einen langen langen, angsterfüllten Blick nach seinem eingesackten Lützelweißchen, das wild drauflosstrampelte, den Kopf hin und herschlug, durchaus aus dem Sack wollte und plärrend mit den großen braunen Kinderaugen nach der Türe sah, hinter der seine Hüterin an der Hand der Wirtin eben verschwand.
48
Es dämmerte schon. Da ging die schwere Türe des Schwanenwirtshauses langsam auf und jetzt schob sich das Marannli hinaus und trat, ein großes Stück Brot in der Hand haltend, auf die Vortreppe. Die Wirtin hatte es nach dem Vesperbrot vors Haus hinabgeschickt: es möge sich noch etwas im Garten ergehen und sich dort vergnügen,bis der General Bourbaki so nannte man den krummen einfältigen Knecht mit ihm heimfahre. Er werde etwa bald einspannen.
Mit raschen ängstlichen Augen sah es sich um. Es dunkelte in den Dorfgassen und von Lützelweißchen war keine Spur zu sehen. Das Kind machte sich schweren Herzens von der Stiege und trat vor den erleuchteten Metzgerladen, mit großen Augen hineinwundernd. Eiskalt ging es ihm über den Rücken; denn da drin sah es fürchterlich aus. Auf einer Fleischbank lagerten ganze
Lützelweißchen.Haufen blutiger Fleischklumpen und ein baumlanger rothemdiger Gesell packte Klumpen um Klumpen, zerwühlte und zerschnitt sie mit einem langen Messer und warf sie vor den Leuten, die mit Körben drin standen, auf eine blinkende Wage. „Jeses!“ machte halblaut das Marannli und fuhr entsetzt zusammen; denn es war mit dem Scheitel an einen blutenden Kalbskopf gestoßen, der hart neben ihm mit herauslampender Zunge an einem Nagel hing.Schreckensbleich starrte es auf seine erloschenen Augen und dann auf den roten Hund, der das herabtröpfelnde Blut gelüstig von den Pflastersteinen leckte. Dem Marannli wollte das hochklopfende Herz zerspringen. Wenn das Lützelweißchens Kopf wäre? Doch nein, Lützelweißchen konnte es wohl nicht sein, es hatte ein viel weißeres Schöpfchen.
„Mäã määl“
Wie ein Nebelfetzchen im Winde drehte es sich um und schaute mit suchenden Augen nach dem nahen Stall, vor dem es in der Dunkelheit sich etwas Weißes bewegen sah.
Richtig, vor der Stalltüre fand das Marannli Lützelweißchen.Es und seine zwei
Leidensgefährten, die Stierenkälber,rissen verzweifelt an dem gemeinsamen langen
Stricke, der einfach am Türriegel hing. Da warf sich das Kind neben sein
Kälblein hin und umarmte und herzte es unter wildem Schluchzen. „O du armes
Lützelweißchen“, machte es weinend, „nun weiß ich, was sie dir antuen wollen.
Verschneiden wollen sie dich in viele viele Stücke und den Leuten zu essen geben
und deinen Kopf neben die Ladentüre hängen. O wäre ich doch nie mit dir von
Hause fortgegangen!“
375 Das Kälblein aber fing erbärmlich zu plärren an und als es einen gar verzweifelten Sprung tat, glitt der Schlick aus dem Türriegel und der Strick lag am Boden. Die Kälber schienen sich der Freiheit kaum bewußt zu sein, als das Marannli aufsprang und, die erleuchtete Fleischerei im Auge behaltend, blitzgeschwind den Strick vom Boden aufgriff. Mit zitternden raschen Fingern löste es die zwei andern Kälber ab, sagte zu seinem Kälblein halblaut:„Kälbelein, Kälbelein!“ und zog den Strick mit Macht an.
Jetzt tat das Lützelweißchen einen Luftsprung wie ein angeschossener Hase und jagte dann dem davonhastenden Mädchen nach wie eine Kegelkugel. Aber ihm nach rannten auch die zwei Stierenkälber, sich der goldenen Freiheit freuend. Und auf und fort ging's zum stockdunklen Dorf hinaus. Zwar machte das Kind einigemal halt und versuchte die zwei Stierenkälber, die ihm nicht wenig das Gewissen beschwerten, zurückzutreiben. Aber dann verwarfen diese erst recht die Beine, als wollten sie damit Ballenschlagen und liefen ihm vor, worauf ihr am Strick hängendes Lützelweißchen sich ihnen ebenfalls in gestrecktem Galopp nachmachte, so daß das Marannli mitgerissen wurde und die liebe Not hatte, mit seinen ermüdeten Barfüßchen nachzukommen. So mußte es die zwei fremden Kälber eben, wohl oder übel, mitlaufen lassen.
Wie im Fluge ging's durch die dunkle Nacht; keine Spur von Widerhaarigkeit. Es war dem Marannli eine Zeitlang, als fahre es dreispännig mit den feurigsten Rossen nach Hause. Dazu verführten die Kälber einen Lärm, als wollten sie haarus! rufen und die Nachtbuben herausladen;geradezu jodeln vor Glück taten sie. Der Schwanenknecht,der Bourbaki, sagte noch lange nachher, das Mädchen und
Lützelweißchen.die Kälber müssen geflogen sein oder dann habe man sie heim gehert; denn so rasch er ihnen nachgefahren sei, als man die Geschichte bemerkt habe, seien sie doch ums Kuckucks nicht mehr einzuholen gewesen. Ja, wie brüllende Berggeister fuhren die Kälber durchs Tal, und nur ein einziges Mal, bei einem Brunnen, blieben sie stehen und hingen die Schnauzen in den Trog. Aber als das Maramli, nachdem sie sich vollgesoffen hatten und nur noch mit den triefenden Schnauzen am Trog herumfluderten, wieder hinter die Stierenkälber geriet, um sie zurückzuscheuchen, schossen sie davon wie telegraphiert, gefolgt von dem immer behender werdenden Lützelweißchen.
Im Sturm ging's durch die Ahornweid, und als es über der Stagelwand heiterte und auf einmal der Vollmond um die Diethelmspitze guckte, lief das Marannli mit seinem Kälblein durch den offenen Gatter auf der Rüti und über den Steinplattenweg auf sein stilles Vaterhäuschen zu und hinter ihm her hüpften wohlauf die Stierenkälber.
„Juhuu, Juhuu!“ schrie es aus Leibeskräften.
Ein Scheiblein ging rasch zurück am erleuchteten Fenster.
„Mutter, Mutter, juhuu! Da sind wir wieder!“
„Jesus Maria und Sankt Joseph!“ rief eine Stimme in die Nacht heraus. „Was ist denn, ums Himmelswillen,da wieder gegangen! Jetzt ist der Fratz um Mittag mit einem Kalb zum Metzger ausgerückt und nun kommt er mir beim wahrhaftigen Gott mit dreien zurück. Du heiliges Verdienen!“In diesem Augenblick ging die Stalltüre.
„Herrgottabeinander!“ schimpfte der zur Seite prallende Bauer und hob den
überschäumenden Milcheimer hoch, „was Donners ist denn da
los?!“
377 Wie das Wetter waren alle drei Kälber, allen voran Lützelweißchen, mit dem am Strick hängenden Marannli,in den warmen Stall hineingefahren, sobald die Türe sich auftat.
„Vater, Vater, unser Lützelweißchen ist wieder dal“jauchzte das Marannli.
„Ja, zum Donmnner, zum Donner, das sehe ich“, machte der überraschte Bauer, stellte den Eimer ab, nahm die Laterne aus der Fensternische und blickte, sie hochhaltend,erstaunt über die vergnügt und äußerst zufrieden bei der gewaltig bääggenden Kuh stehenden Kälber hin.
„Ins Herrgotten Namen“, rief er dann aus, „geht denn das mit rechten Dingen zu oder bin ich besoffen? Da stehen beim ewigen Hagel ihrer drei Kälber um die Weiße, und sie tut und leckt an ihnen herum und macht ein hochfahrendes Gebrüll, als hätte sie, beim Strahl, Drillinge geworfen. Ja, so red doch, du Zaupf du!l Wie kommt denn unser Kuhkalb wieder daher und noch gar zwei so bäumige Stierenkälber, wahrhaftige Herrenkälber, dazu?“
„Heja“, sagte jetzt kleinlaut und bedrückt das Marannli,das Lützelweißchen ist mir halt gleich wieder nachgelaufen,obwohl ich's bloß ein wenig lockte, weil weil es halt nicht gerne gemetzget sein wolltel“ schluchzte es mit einem Male heraus.„Ja, sapperlot, sapperlot! Und wie kommen denn aber die zwei fremden Kälber in den Stall hier?“
„Heja, eben“, machte es, herzzerreißend schluchzend, „weil sie halt dem Lützelweißchen immer nachgelaufen sind.“
Die Türe knarrte; die Mutter trat, gefolgt von der Katze, in den Stall.
„Jetzt schau einmal“, fuhr sie der aufgebrachte Bauer
Lützelweißchen.an, „was uns der Erzfratz da angestellt hat! Ein ganzes Kegelries Junge stehen dort um die Weiße herum.“
„Ja, ja, ich hab's schon beachtet“, sagte die Mutter, „ich meine darum, wir sollten das Kälblein am End doch behalten.“
„Was behalten, was behalten?“ herrschte er sie verwundert an und leuchtete ihr mit der Laterne ins Gesicht.„Vist du bei Trost oder hast du einen Goldhafen gefunden?“
„Ja, das habe ich“, sagte jetzt mutig das Weiblein, langte in den Sack und zog einen grellfarbenen seidenen SchützenGeldbeutel hervor: „Mach eine Hand aus der Faust,Zacharias!“
Unwillkürlich, aber zögernd streckte er die Hand vor,als sollte er vom Schulmeister einen Tapen bekommen.Das Schützenbeutelchen ging auf und da lagen auf seiner rauhen Hand fünf funkelnde Goldstücke.
Wie vor den Kopf geschlagen, staunte der Bauer auf den Mammon.„Fünf lauter loötige Napoleone, beim Eid sterb ich!“ machte er. „Ja, wo hast du sie aber her?“ fragte er, sie schier mißtrauisch ansehend.
„Gelt, Mann, das hast nicht gemerkt. Das ist Eiergeld.“
„Eiergeld? Ja, du hast mir doch die paar Batzen, die dir die Eierträgerin gab, immer eingehändigt. Wie kann das sein?“„Ich hab ihr halt hinterrücks auch alleweil noch die paar Eier verkauft, von denen ich mir hie und da ein Eiertätschlein übertuen sollte, wie du's haben wolltest.“
Er schaute sie einen Augenblick warm an und kniff sie in den Arm, daß sie Mordio
hätte schreien mögen vor Schmerz und Freude.
3
79 „Bist doch ein Hausfrauchen, du. Aber“, setzte er ernsthaft werdend bei, „künftig will ich die Eier selber ins Tüpfi“schlagen; das Weben hat jetzt deine Backen genug gebleicht.“
„Vater“, machte jetzt leise das Maramli, das mit ängstlichen Augen zugehört hatte. „Wollen wir jetzt das Lützelweißchen behalten?“
„Ja, das weiß ich wahrhaftig noch nicht; aber wenn ich im Winter eine Zeitlang mit den Schrötern ins Holz ginge, so ...“
Ein Schellengebimmel, Rasseln und Peitschenknallen war in der Nacht draußen.
„Ahal“ ließ sich eine Stimme vernehmen.
Der Bauer stellte die Laterne wieder ins Fenster, nahm den vollen Milcheimer bedächtig auf und trat vor den Stall.
Ein Wagen hielt in der Landstraße, ein Mann sprang ab und kam hurtigen Schrittes durch den offenen Gatter gegangen.
„Guten Abend, Zachris; sind die Kälber hier?“
„Wohl, wohl.“
„Alle drei?“
„Freilich, freilich.“
„So“, sagte der rasch herankommende Bourbaki,Schwanenmetzgers Knecht, „also wär's doch noch gut abgelaufen. Ich hab gemeint, ich müsse der heillosen Gustiwar noch in alle Weltteile hinaus nachfahren, nun sind sie,scheint's, alle eurem Maiteli nachgetrollt.“
„Ja, das sind sie.“
„So will ich sie gleich wieder aufladen; muß ja noch auf den Stöcken das totgefallene Rind holen.“
„Die zwei Stierenkälber, ja, die nimm nur gleich wieder Roogeschirr.
4 Lützelweißchen.mit; das weiße Kuhkälblein aber will ich nun doch behalten.Es soll mir nicht umsonst in den Stall zurückgeloffen sein.Was sein muß, muß sein. Ich hab's da mit dem alten Dolmetscher, dem sogenannten Köstlichen Wendel, wenn du ihn kennst. Der sagt alleweil: Muß es nicht sein, so mag es hitzleuchten und den Himmel ausdonnern wie's will, es regnet kein Nasentröpfchen. Muß es aber sein, so kann's in alle Rieder lebendige Frösche regnen, selbst wenn die Sonne wie ein Butterballen am Himmel steht. Ich meine alleweil, das Kalb könnte am End doch noch gut tuen,wenn's auch jetzt noch ein bißchen ein Weißgockel ist.“
„Macht, wie Euch Gott ermahnt, Zachris, das müßt Ihr selber am besten wissen. So will ich denn die zwei andern Kälber aufladen; sie werden etwa da drin sein.“
„Geh nur hinein!“
Als der rotblusige Metzgerknecht plötzlich im Stall erschien,stürzte sich das Marannli über Lützelweißchen hin und rief,es umhalsend: „Nein, nein, ich lasse es nicht metzgen, ich lasse es nicht metzgen!“
„Das sollst du auch nicht“, sagte jetzt laut der Bauer,„wir wollen das Kalb behalten.“
Einen wilden Jubelschrei tat das Kind; aber es ließ sein Kälblein nicht los. So
eng es vermochte, wand es seine Arme um den plärrenden Kalbskopf, mißtrauisch,
mit hochroten Wangen nach seinem Vater und dem Knecht sehend,die jetzt die zwei
Stierenkälber, die sich aus dem warmen Nest durch keinerlei schöne Redensarten
hinauslocken lassen wollten, packten und zum Wagen hinfleischeten. Erst als es
das rote Metzgerhemd hinter der Türe verschwinden sah,ward das Mägdlein ruhiger
und begann nun aufs zärtlichste die aufgebrachte Weiße zu trösten, die wild
bääggend
5331
54 den plärrenden Stierenkälbern antwortete, so lange sie von ihnen noch einen Ton zu hören vermochte.
Ein Weilchen noch stand die Mutter, bald das Kälblein streichelnd und die Weiße am Hals krauend, im schwacherhellten Stallwinkel, darnach machte sie sich zufrieden lächelnd davon und ins Haus hinauf, den Eimer mitnehmend, der draußen neben der Stalltüre stand.
Jetzt hörte das Marannli Peitschenknallen und Wiehern und dann ein Schleifen und Rasseln. „Schlaft gesund,Zachris!“ „Gut Nacht wohl, mach's auch so und komm gut heim!“ Das Rasseln verlor sich rasch; lang atmete das Marannli auf und legte müde seinen Kopf auf Lützelweißchens Hals, es nicht sonderlich achtend, daß ihm die Weiße, die wieder eifrig ihr weißes Kälblein zu belecken begann, nach und nach auch das rotgelbe Kopftuch von den Haaren lutschte.
Der Bauer trampte in den Stall.
„He, der Tausend“, machte er, die Laterne vom Sims nehmend und lachend nach der Kuh sehend, „die Weiße wird aber hoffärtig, seitdem sie drei Kälber um sich gehabt hat; jetzt schneuzt sie sich schon mit dem Nasenlümplein.“
Das Marannli sprang auf. Wahrhaftig, hatte nicht die Kuh sein seidenes Kopftüchlein im Maul?
„So“, gebot der Bauer, „komm jetzt hinauf, Marannli,wir wollen uns hinter die Mehlbrüh machen. Die Mutter hat auch Saubohnen und neue Erdäpfel, weißt du, so rotãugige Blutstropfen, übergetan, die sollen uns heut einmal schmechen. Komm, du wirst wohl wacker einlegen mögen.“
Aber kaum hatte das Mägdlein sein Tuch wieder um den Kopf, schloff es mit brennenden Wangen, in wilder Hast durchs Trüschiloch hinauf und schaffte alsobald einen
Lützelweißchen.mächtigen Armvoll Heu hinunter, es neben das Kalb hinwerfend und sorglich ausspreitend. Eben wollte es sich wieder durchs Heuloch hinauf machen, da rief ihm der verwundert zusehende Vater zu: „Ja, Maiteli, was fällt dir ein, was machst du denn da für ein Bett? Willst eiwa gar du im Stall schlafen?“
„Ja“, sagte das Marannli, auf einem Leitersprossen ob dem Barren stehend, „weißt Vater, sonst kommt am Ende in der Nacht doch der Mann im roten Hemd wieder und holt das Lützelweißchen, um ihm mit seinem großmächtigen Messer den Kopf abzuschneiden.“
„Nein, das soll er nicht“, machte der Bauer, „wir verriegeln die Stalltüre. Komm jetzt, du Närrlein!“
Er trat an den Barren, nahm das Marannli auf den Arm, hob die Laterne hoch, einen prüfenden, schier stolzen Blick über Kuh und Kalb tuend, die sich beide gelegt hatten,und verließ dann ruhigen Schrittes den Stall.
Das Marannli aber lehnte sein Köpfchen an des Vaters Lismerkittel und sah
schläfrig nach seinem Kalb, das ihnen mit großen verwunderten Augen
nachglotzte.
Mit hellen Augen schaute das Gadenhaus, das einsam auf der schmalen First der Hirzegg stand, über das unterhalb des Höhenrückens sich ins Unendliche verlierende Nebelmeer. Rings um das Gehöft war es sonntäglich still; nur vom breiten Schindeldache kam der Schrei eines hungerigen Raben und vor dem Hause war das einschläfernde Rieseln des halbwegs vereisten Brunnens. Aber mitten in der niedern getäferten Stube des Hirzegghauses stand der kleine Tureli in seinem weißen Hirtenhemd. Zu fürchterlichen Grimassen verzog und und verzerrte er sein Gesicht,um die alte zerbeulte Blechhaube etwas zu lüften. Die Großmutter hatte sie ihm gar zu fest über den Kopf gezogen, als sie die verwetzten Lederriemchen unter seinem Kinn zuschnallte. Sie verdeckte ihm schier die Augen.
„Großmutter“, lärmte er, „so bringt jetzt die Mummerienlarve herunter!“
Oben, in der Stubenkammer gingen schlurfende Schritte,und jetzt schlarpte jemand durchs Ofenloch herab. Turelis Großmutter kam hinter dem Ofen hervor, in den Händen eine wurmzernagte Holzmaske tragend, eine wunderliche,schreckhafte Larve, die aussah wie ein Kindleinfresser.
„Da“, sagte sie, „habe ich dir unsere alte Holzlarve. Und weil es nun heute Geudismontag und also der erste Fastnachtstag ist, magst du damit eine Zeitlang herumlaufen;aber trag mir Sorge dazu; denn wenn's auch eine grausige abgeschabte Larve ist, so möchte ich sie doch nicht verlieren,mein Urgroßvater hat darin schon getanzt!“
„Großmutter, die Blechhaube kommt mir in die Augen!“
„Ja, das tut sie. Weißt, die Urahnen, die sie in den
Der Jungfernraub.alten Kriegen trugen, hatten eben größere Köpfe als du!“Sie rückte ihm den alten Helm auf dem Blondschopf etwas zurecht, und dann band sie ihm mit behutsamer Hand die Holzmaske vors Gesicht. „So, Tureli“, machte sie schmunzelnd, „jetzt bist du ein völliger Bajazzel und Johee, nun kannst du dich im Ofen beschauen!“
Der Tureli betastete die Maske mit beiden Händen.Jetzt begann er die Stimme zu verstellen und rief in hochgeschraubten Fisteltönen: „Hei, hei, Großmutter, jetzt will ich Euch fressen!“ Und schrecklich brummend verfolgte er nun die Alte, die sich mit gut gespieltem Entsetzen erst ein paarmal um den kuhbeinigen Tafeltisch und darnach gar ins Ofenloch hetzen ließ. Aber vor dem Ofen stand der Tureli still und schaute neugierig in die hellglänzenden grünen Kacheln. Auf einmal fing er fürchterlich aufzukreischen und zu heulen an und flüchtete sich, zu Tode erschrocken, zu seiner Großmutter ins Ofenloch. „Großmutter“, schrie er jämmerlich, „mir fürchtet's! Nehmt mir die Larve ab,nehmt mir die Larve ab!“
„Ei, Tureli, tu doch nicht so einfältigl Wie kann dir's denn vor dir selber fürchten, du Närrlein!“
Aber Tureli hatte die Holzmaske mit zitternden Fingern schon abgelöst und steckte sie ins Ofenrohr, das Ofentürlein rasch zuschlagend.
„Ja, bist du denn wirklich so ein Furchthans, du, der sonst ein so mutiges Herz
hat, daß es dir ob diesem hölzernen Gesicht gruseln kann! Geh, tu nicht so dumm
und leg die Maske wieder an! Du gefällst mir drin, Büblein. Gleichst ganz deinem
Großvater; der hat drin grad so ausgesehen wie du, als er bei mir in einer
Fastnacht zum erstenmal zu Licht kam. Komm her, Turelil“
285 „Nein, nein, nein!“ machte er, wischte aus dem Ofenloch und verschloff sich unter dem Lotterbettlein.
Die Großmutter wollte noch etwas sagen; aber da gerade die Wanduhr dreimal schlug und die schweren Gewichte herabrasselten, lachte sie bloß auf, nahm die Holzlarve aus dem Ofenrohr und trug sie, mit fast zärtlicher Hand darüber streichend, wieder in die Stubenkammer hinauf.
Jetzt kroch der Tureli unter dem Lotterbett hervor, blickte mit schier scheuen Augen nach dem grünen Ofen, der ihm ein so schreckliches Gesicht gezeigt hatte, und huschte dann aus der Stube, übers Stiegenbrücklein vor das Haus hinunter.
Dort hockte er sich auf das Ende des Brunnentroges und sah mit träumerischen Augen auf den Weidweg, der wie ein Hosenträger über der verschneiten Schulter der Hirzegg lag und vom Gadenhaus zu beiden Seiten gäh in das Nebelmeer abfiel. Die weiß schimmernden Bergspitzen und schwarzen Tannenkämme schauten nach ihm, und die tiefstehende Sonne spielte um seinen alten Blechhelm.
Doch er sah weder die Berge, noch die Tannenfirsten;er sah nur die beiden Weidwege. Welchen von beiden sollte er wohl hinunterschlitteln? Er brauchte nur auf den neben dem Scheitbock stehenden kleinen Schlitten abzusitzen,so wird er mit ihm davonstieben, wohin er will, den steilen Weg gegen Morgen oder den noch steilern gegen Abend. Wohin sollte er nun abfahren? Sonst hatte er fast immer den abschüssigern Weg gegen Sonnenniedergang gewählt, der ihn in das tief, tief unten liegende weltverlorene Tal der Malosen brachte. Und wenn er auch stundenlang wieder hinaufkraxeln mußte, der stille Weg ins Malosental, auf dem der Schlitten dahinstob, daß es pfiff, auf dem es kein Anhalten gab, freute ihn doch stets mehr als der Weg ins
Lienert, Bergdorfgeschichten. 25
Der Jungfernraub.nahe Dörflein Hellsyten hinunter. Den konnte er ja täglich zur Schule machen. Aber heute war es doch etwas anderes.In Hellsyten ging es wohl lustig her, und es gab dort manches zu sehen, weil ja heute der Geudismontag, der erste Fastnachtstag war. Nein, da wollte er die stundenlange Fahrt nach Sonnenniedergang lieber nicht tun. Es müßte ja Nacht werden, bis er zurückkäme, und so ginge ihm die Hellsyter Fastnacht am Ende gar verloren. Er grübelte in seinen selbergewobenen Hosen herum. Endlich zog er eine Mundharmonika, ein Maulblättchen, aus dem Sack. Jetzt sprang er auf, schlenkerte den Schlitten ein paarmal um sich herum, daß es klirrte, warf sich drauf,und da stob er schon den glatten Weidweg hinunter nach Sonnenaufgang, wo im tiefen Nebel das Dörflein Hellsyten wie in der Wolle steckte. Ein Jauchzer ging über das wogende graue Meer hin; die Töne des Maulblättchens tönten noch herauf, dann verschluckte der dichte Nebel den zu Tal sausenden Tureli.
Auf einmal schoß der Rabe vom Schindeldach des Gadenhauses weg und hastete mit ängstlichem Krächzen über die verschneiten, sonnenbeglänzten Weiden davon. Verwundert,schier erschrocken, schob die Großmutter ein Scheiblein in der Stubenkammer zurück und sah dem Vogel nach. „Was ist denn los?“ rief sie.
Ein Aufschreien war in der Tiefe. Und jetzt hastete aus den grauen, unruhig wogenden Nebelschwaden herauf der Tureli, sich mit entsetzten Augen umsehend. „Großmutter,Großmutter!“ lärmte er ineinemfort. In verzweifelten Sprüngen jagte er den Berg herauf, und hinter ihm her hüpfte, wie ein angeseiltes Ziegenböcklein, sein Schlitten.
„Was verführst du denn für einen Heidenlärm, Tureli? Was
Aber er gab keine Antwort. Erst als er mit glühenden Wangen neben dem Brunnen stand, wandte er sich blitzgeschwind um und zeigte sprachlos talwärts, und endlich würgte er heraus: „Großmutter, Großmutter, die Mummerien und Joheen kommen!“
„Wird nicht sein!“
„Ja, gewiß, Großmutter, die Mummerien und Joheen kommen; denn ich bin mit dem Schlitten mitten unter sie hineingeschossen. Es war ein ganzes Gehüt. Der vorderste hatte eine gewaltige Schelle auf dem Rücken und eine wunderliche klingende Haube auf dem Kopf, und im Arm trug er einen Tannreisigbesen. Mit dem drohte er mir und brummte: Wart nur, Tureli, jetzt nehmen wir dich mit!“Aber da riß ich aus, und sie haben mich nicht erwischt!“
„Was du nicht sagst! Da werden sie ja wohl zu uns heraufkommen.“
„Freilich; hört Ihr's, hört Ihr's!“
In das klopfende Läuten der Senntenschelle mischten sich jetzt die fröhlichen Töne eines Gautanzes, und auf einmal schlüpfte aus dem dichten Nebel heraus, mit keckem Schritt und Tritt, ein Bursche, die Handorgel spielend. Ihm nach trollte eine wunderliche Gestalt, den Tannreisigbesen aufrecht wie ein Schwert im Arm tragend, die läutende Senntentreichle auf dem Rücken. Darnach tauchten noch ein paar Burschen auf. Und jetzt, im Schein der Abendsonne, hielten sie einen Augenblick an und brachen in ein Berg und Tal erschütterndes Jauchzen aus. „Haarus, Haarus!““ widerhallte es von allen Flühen.
1 Schwyzerischer Kampfruf.25*
Der Jungfernraub.„Seht Ihr's jetzt, Großmutter!“ machte der Tureli, und ängstlich, weinerlich setzte er hinzu: „Sie kommen gewiß,um mich zu rauben!“
Die Großmutter lächelte.
„Dich nicht, Büblein, dich nicht!“
Aber als jetzt drunten die Schar jauchzend, schellend und handorgelnd wieder bergauf zu rücken begann, ward der Tureli blutrot. Flink machte er sich zum Haus. Dort versteckte er seinen kleinen Schlitten sorglich hinter einer Holzscheiterbeige und jagte dann auf Tod und Leben das Stiegenbrücklein hinauf, ins Haus hinein.
Die Alte beschattete die Augen mit der Hand und schaute neugierig der rasch heraufziehenden Schar entgegen. Jetzt ging die Haustüre wieder. Ein hochgewachsener Mann im grauen Lismerkittel stand auf der Schwelle.
„Fantuli, die Hellsyter Buben kommen!“ rief die Alte aus dem Fensterchen der Stubenkammer herab.
„Hab sie schon gewahrt, Mutter. Ein Tauber müßte sie merken!“ machte muntern Tones der Bauer. „Sie werden wohl nicht umsonst den gähen Weg auf die Hirzegg heraufschnaufen, werden etwa das Mariebethli zum Tanz rauben wollen! Ist ja heut Fastnacht, und zeitig wär' das Maitli!“
„Meinst du nicht, Fantuli, es sei noch ein Jahr zu früh?“„Wie könnt Ihr so reden, Mutter! Das Mariebethli sträußt die Ohren schon lange nach jedem Jauchzer und nach jeder Schwegelpfeife. Wir werden's ja sehen. Ist ihr's noch zu früh, so wird sie die Burschen schon abtrumpfen und heimschicken. Wir wollen tun wie andere Leute und wie's des Landes Brauch ist.“
„Freilich, freilich, das wohl!“
39
*
Zu oberst, im Guckauskämmerchen des Hauses ging leise,leise ein Fensterchen auf.
„Da sind sie schon“, machte die Großmutter und sah lächelnd, mit großen Augen auf den wunderlichen Aufzug der Hellsyter Burschen, die sich dem Gadenhaus rasch näherten. Wie die aussahen! Der seltsamste war doch wohl der Johee mit seinem Tannreisigbesen, seiner schweren Senntenschelle am Rücken und seiner spaßhaften Tuchhaube,die über und über mit winzigen klirrenden Röllchen besetzt war. Aber auch die andern hatten ein merkwürdiges Aussehen in ihren Zottelkappen, kurzen Hosen und buntgestickten Hosenträgern über dem bloßen Hemd. Und mit was fuchtelten und fiselten sie denn so wild in der Luft herum?Das waren doch wohl Roßschweife. Ihrer zwei gar tanzten mit kurzen Stöcken, an denen aufgetriebene Schweinsblattern hingen, daher. Heidi, wie klopften die den glitzernden Weidweg! Solche Fastnachtsnarren! Die Alte schaute unwillkürlich nach den verschneiten Vergspitzen, die über das Nebelmeer herschimmerten. Einen solch tollen Aufzug bekamen die auch nicht alle Tage zu sehen. Was es wohl für Hellsyter Burschen sein mochten? Sie konnte keinen erkennen; denn alle hatten Holzmasken oder rot bemalte Drahtlarven vor den Gesichtern. Jetzt tobten sie heran und führten ums Haus einen wilden Gautanz auf, daß der Schnee aufstob. Wie das rasende Spiel zu Ende war, trat der Handorgeler vor und rief mit verstellter Stimme: „Vater,macht das Türlein auf; die Hellsyter Buben sind dal“
Der Hirzeggbauer strich sich bedächtig über das ergrauende Haar und trat ruhig in den Ausguck des Stiegenbrückleins.
„Willkommen wohl bei uns, alle miteinander, ihr lustigen
Der Jungfernraub.Buben! Was sucht ihr denn da am Geudismontag auf der abgelegenen Hirzegg?“
„Vater“, rief der Handorgeler, „es glimmt ein verborgenes Feuerlein in Euerm Herd; das wollen wir jetzt anblasen!“
Der Bauer lächelte.
„So tretet fröhlich ein, ihr Burschen, und seid uns nochmals willkommen! Und wenn ein Feuerlein da ist, so wird es wohl Rauch geben. Einstweilen lade ich euch insgesamt ein, mit mir eine geschwungene Nidel! auszulöffeln. Willkommen bei uns, willkommen allerseits!“
Nun ging's wie das wilde Heer mit Schellen, Jauchzen und Handorgeln das Stiegenbrücklein hinauf, wo nun auch die Großmutter in der Türe stand. Ein kräftiges Händeschütteln, und im Hui hockte die Schar der vermummten Hellsyter Burschen am grünen Kachelofen um den vierschrötigen Tafeltisch. Die schwere Senntenschelle aber und der Besen, die Roßschweife und Schweinsblattern lagen zu Haufen neben dem Wanduhrgehäuse.
In der braunen Stube, in der es schon dämmerte, war es still geworden.
Jetzt begann Fantuli, der Hirzeggbauer, erst über das Wetter und darnach über das
Vieh zu reden. So wurde es nach und nach laut; denn um den Tisch hockte kein
Bursche, der hier nicht mitsprechen wollte. Der eine wollte in seines Vaters
Stall einen Zuchtstier stehen haben, wie es wohlgeratener in der ganzen
Eidgenossenschaft keinen gebe. Ein anderer prahlte mit einer Kuh, die ihm so gut
täte wie noch keine zuvor. Ihr Euter war ein wahrer Milchweiher. Und einer wußte
in seines Vaters Stall ein J 1 Schlagrahm.
391 gutfärbiges Maisrind, das aussah wie eine Jungfer. Aber etwa mit einem rechten Jährling wenigstens wollte jeder an der nächsten Sennenkirchweih am Viehhag stehen.
Der Handorgeler setzte sich aufs Lotterbettlein an der Stubenwand, unter den Haussegen und begann halblaut ein Tänzchen aufzuspielen. Und als jetzt die Großmutter aus der Küche mit einer Rauchwolke in die Stube schlurfte,sprang der jüngste der Burschen auf, ging auf die Alte zu und rief aus: „Großmutter, kommt, wir wollen einen zusammen fahren!“ „Behüt mich Gott“, sagte sie; „wie sollte ich noch tanzen können im zweiundachtzigsten Jahre!“ „Heja zum Donner, da habt Ihr doch Zeit genug gehabt,es zu lernen und zu üben!“ meinte der Bursche. Ein Auflachen ging um den Tisch. „Freilich schon“, machte die Alie; „aber ich hab's halt seither wieder verlernt!“ ,Das kann ich nicht glauben“, lachte er; „denn was die Weiber einmal gern und gar selbander gelernt haben, vergessen sie ihr Leben lang nicht mehr! Laß an, Wysel!“
Der Handorgeler zog los.
„Gottsnamen denn“, sagte schmunzelnd die Großmutter.Der Hellsyter Bauernsohn legte ihr die Hände auf die Schultern, und da ging's schon rundum auf der ausgetretenen Diele herum. „Zoge, zoge, zoge!“ lärmten die Burschen,schnalzten mit den Zungen und trommelten mit den schweren Schuhen, daß des Fantulis Gadenhaus zitterte. Aber so tapfer die Großmutter sich eingestellt hatte, sie warf sich doch gleich wieder auf eine Stabelle. „Jesus, Bub“,machte sie keuchend, „laß aus; du tätest mich ins Grab tanzen! Der Schnauf tut's nicht mehr, und die Beine, die donnersdürren Hagschwarten, wollen auch nicht mehr nachkommen!“
Der Jungfernraub.Die Burschen lachten eine Scholle heraus; der Hausvater aber sagte: „Ja, ja, Mutter, ich glaub's am End auch, daß es mit dem Aufjucken im gestobenen Gautanz bei Euch nicht mehr so recht gehen will. Ihr müßt jetzt das Tanzen,denk ich, halt doch dem Mariebethli überlassen!“
„Ja, wo ist denn das Maitli?“ rief jetzt schnell der Handorgeler. „Ihr werdet sie doch nicht in ihrem Guckauskämmerchen eingeriegelt haben!“ „Sonst stellen wir eine Leiter an und holen sie über das Dach herunter“, machte der Bursche mit der seltsamen Glöckchenhaube. „Es dämmert ja so schon“, rief ein anderer, und seine Augen funkelten durch die Drahtmaske. „Wir wollen wieder heimzu zum Tanz! Die Tanznächte sind sowieso immer so heillos kurz.Gar keine Stunden haben sie; denn kaum fangen sie an,ist's auch gleich wieder Morgen, ohne daß man ein einziges Mal die Wanduhr hat schlagen hören!“ „Heraus mit der Katz!“ lärmte ein Bursch, dem das fuchsfarbene Haar unter der Zottelkappe hervorquoll. „Wo steckt sie denn?“
„Die Nidel schwingt sie“, sagte ruhig der Bauer.
„Ich will ihr dabei helfen!“ rief der Fuchshaarige aus,schnellte vom Tische auf und fuhr auf die Küchentüre los.Da ging diese auf und wischte dem Burschen die Zottelkappe vom roten Kopf. Ein flachsschopfiges, hemdärmeliges Mägdlein stand in der Türe, eine gewaltige Schüssel in den Händen tragend, aus der die geschwungene Nidel wie frischgefallener Schnee überquoll.
„Da wärst du mir jetzt fast und gar in die Schüssel gefallen“, sagte sie, über und über rot wie die Rosenstaude im Weidland. „Willkommen bei uns, allerseits!“
„Grüß dich Gott, Mariebethli!“ wünschten die Burschen.
„Gelt, du kennst uns nicht?“ rief der Rothaarige.
2093 „Dich schon“, machte sie kichernd, mit einem Blick auf seinen fuchsfarbenen Kopf.
„Da weiß sie auch gleich, wo's bei dir brennt“, sagte mit tiefer Stimme der Handorgeler.
Ein gewaltiges Gelächter rauschte durch die Stube.
Jetzt stellte sie die Schüssel mitten auf den Tisch; die Broßmutter brachte die runden Blechlöffel herbei, und das Mariebethli, das dem Büfett ein großes Brot entnommen hatte, schnitt Brotwürfel in die mächtige Schüssel.
„Kannst du jetzt tanzen, Maitli?“ fragte der Handorgeler,der wieder am Tische saß. Das Mariebethli lachte still:„Ich weiß es nicht“, sagte sie, unverwandt aufs große Brot sehend. „Im Kopf hat sie's schon lange“, meinte der Bauer; „aber mit den Füßen wird's noch nicht am flinkesten gehen, obwohl sie's auf der Heudiele genug probiert hat.Der Tureli mußte ihr schier alltäglich auf seinem Maulblättchen ein Zeitchen Tanz aufspielen. Das Strümpfstricken haben ihre Hände seinerzeit bald begriffen; da ist's mir,ihre Füße werden zum Tanzen auch nicht dümmer tun!“
„Wir sind unser sieben Tanzmeister“, rief der Fuchshaarige; „bis morgen früh soll das Mariebethli tanzen können wie ein Mücklein im Zunachten vor dem Stubenfenster!“„Ja, der Tureli“, redete die Großmutter, „wo steckt er denn? Der wird doch wohl heut auch Nidel haben wollen;ißt sie ja so heillos gern!“
Sie schlurfte aus der Stube. „Tureli, Tureli, 's gibt Nidel; komm weidlich!“ rief sie im Haus herum.
„So“, sagte das Mariebethli, „jetzt greift zuh Die Nidel sollte recht sein!“
„Ja“, machte der Bauer und hockte sich oben an den
Der Jungfernraub.Tisch, „langt tüchtig hinab! Es braucht da niemand dem Bord nachzuhalten mit seinem Löffel; 's ist Nidel haufensgenug da!“ „Das Mariebethli muß auch mithalten!“riefen die Burschen.
„Nein“, machte sie verschämt, „ich hab' in der Küche zu tun!“
Aber ein Hellsyter erwischte sie am blauschwarzen Rock und zog sie zu sich auf die Ofenbank.
„Nein, nein, laß mich doch gehen“, sagte sie; „ich kenne dich ja gar nicht!“
Rasch hob er die Drahtlarve, und ein paar warme braune Augen und eine Reihe junger Zähne lachten sie aus brandschwarzem Gesicht an.
„Ja, du bist's?“
„Freilich bin ich's.“
Auch die andern schoben jetzt lachend die Masken über die Stirne zurück, und nun sah das Mägdlein nach und nach, trotz den rußgeschwärzten Gesichtern, lauter ihr wohlbekannte Hellsyter Bauernsöhne um den Tafeltisch sitzen.Da flammte es in ihrem Gesicht auf wie ein Höhenfeuer in der ersten Augustnacht. Auf und davon wollte sie sich machen. Aber die geschwinden Jungen hielten sie fest, und der Vater sagte: „So hock doch ab, Maitlil Tu nicht wie ein aufgescheuchtes Rebhuhn! Heut ist dein erster Tanztag.Hast dich ja lang genug darauf gefreut! Ich denk wohl schon seit deinem ersten Schultag!“
Ein Auflachen schallte durch die Stube, und willig,mit scheuem Lächeln ließ sich
jetzt das Mariebethli unter den Burschen nieder. Jetzt langten sie nach den
Löffeln und fingen an, die wohlausgiebige Nidel, unter lustigem Sprächeln,
abzutragen.
395 „Ich kann nicht mehr; ich habe Haut und Bauch voll“,sagte auf einmal der Handorgeler, leckte den Löffel, wie schicklich, rundum ab und legte ihn vor sich hin. „So mußt halt einen Knopf auftun“, machte der Hausvater, „oder ein paarmal das Haus hinauf und hinunter springen; dann magst du schon wieder!“ „Ich bringe auch keinen Löffel mehr hinunter“, rief ein anderer, rülpsend wie ein auslaufender Brunnentrog, „und wenn man mich auf den Kopf stellt!“ „Ich hab auch genug“, meinte jetzt der Fuchsfarbige; „aber wenn das Mariebethli mit mir vors Haus hinabsteigt und eins ringt mit mir und schwingt, so mag ich wieder und will darnach die ganze Schüssel allein auslöffeln.“ „Ja, ja, du Fuchs!“ machte der Handorgeler.Ein tolles Gelächter ging durch die Stube.
„Zum Gockel“, rief die Großmutter, wieder eintretend,„ich weiß gar nicht, wo der Tureli hingekommen ist! Ich kann ihn einfach nicht auftreiben. Gott weiß, wo sich der verschloffen hat! Den muß die Angst vor den Mummerien gehörig gepackt haben, sonst klebte er schon lange auf der Ofenbank. Du heilige Mutter Sankt Anna, eine Nidel auf dem Tisch und kein Tureli da!“
„Wird wohl wieder zum Vorschein kommen“, machte der Bauer. „Kommt, Mutter, nehmt auch einen Löffel voll!Die Burschen da bringen ja das weiße Schäumlein nicht einmal hinunter!“
„Ja, kommt, Großmutter“, rief das Mariebethli und rückte zur Seite, also daß es quetschnahe zu seinem braunãugigen schmunzelnden Nachbarn zu sitzen kam.
Die Alte ließ sich am Ofen nieder.
Jetzt ging mit einem Male ein Zittern durch das Umhänglein, das von der Decke herab rund um den grünen
Der Jungfernraub.Ofen hing, als ob es dahinter gespenstern täte. Es hob sich gar ein wenig. Und jetzt kamen ein alter Blechhut und darunter ein Flachsschopf zum Vorschein, und ein fürwitziges Näschen und zwei glänzige Augen guckten einen Augenblick sehnsüchtig auf die große Schüssel herab. Ein Stuhlrücken in der Stube, da war das Umhänglein schon wieder lautlos gefallen ...
„Macht euch unter Dach; es kommt ein Schneegestöber!“lärmte unten der Rothaarige und ließ die weißflockige Nidel aus seinem Blechlöffel rundum tanzen. Da sahen die Zottelkappen der Burschen rings um den Tisch aus,als wäre ein Schneesturm darüber gegangen. Selbst das auflachende Mariebethli mußte eine Flocke aus dem Blondschopf wischen. „Nein“, rief der Handorgeler und langte tief in die Nidelschüssel, „es wird nur das alte Beinhaus frisch geweißelt!“ Flugs ward sein runder Blechlöffel zur Pflasterkelle, und da hatte sich der gegenübersitzende Rotkopf in einen Schneemann verwandelt.
„Ja, ja“, redete jetzt die Großmutter, „man sieht, daß ihr genug habt und das bis ans Halszapfchen, sonst ginget ihr mit der schönen Gottesgabe nicht so übermütig um!Geh, Mariebethli, zieh dich an! Die Jungen da haben es wie die gehaberten Rosse, wenn sie zu scharren anfangen; sie wollen auf und fort!“
Das Mariebethli ließ sich's nicht zweimal sagen. Unversehens war es aus der Stube verschwunden.
„Ja“, meinte der Bauer, an ein Scheiblein tretend, „die Berge sind schon rot, und der Nebel da unten wird immer schwerer; 's muß bald einnachten!“
„Freilich, da droben, bei der Großmutter wollen wir nicht übernachten“, machte
lachend der Handorgeler.
397
„So müßt ihr jetzt noch einen Schluck von unserm Rossoliwein! nehmen, bevor ihr abzieht“, sagte der Hausvater, der zum Büfett getreten war und nun die verstaubten Weingläser und zwei mit Blumen bemalte Kaffeetassen auf den Tisch stellte. „Gläser haben wir zwar nicht genug;aber wenn der Rossoli recht ist, wird er auch in Kaffeekacheln nicht zu Gift. Wir haben noch einen ergiebigen Schluck davon seit dem letzten Altjahrabend!“ Damit stellte er eine dickbauchige Flasche voll roten Rossoliweins neben die Schüssel. Und als sie allen genugsam in die Nase gerochen hatte, nahm er sie, schenkte erst der Großmutter und dann allen andern ein. Wie er sich am Tisch niedergelassen hatte, ergriff die Alte ihr volles Glas, hielt es schier ehrfürchtig gegen das rasch abnehmende Licht des Tages,wünschte rundum: „Gott gesegne es!“ und sagte dann: „Es ohne daß wir eine Flasche Rossoliwein im Kasten stehen haben. Diese starke hitzige Tranksame hat unsern Vorvätern aus dem Welschland allemal wieder heimzu geholfen, wenn sie an ihrem blutigen Wanderstab, an der Hellebarte, über den Gotthard und den stiebenden Steg?heimzogen. Wir wollen sie wohl in Ehren halten. Und ich habe noch nie einen Tropfen davon getrunken, ohne daß ich darnach das verliebte Liedlein meiner Urgroßmutter gesungen hätte. Und sie büschelte die welken Lippen und begann mit zitternder Stimme:
„Mach auf, mach auf, lieb Schätzelein,
Heraußen tut's Schnupftücher schnei'n!“
„Marieli, schieb den Riegel vür;
Es steht ein Nachtbub vor der Tür!“1Gesüßtes Gemisch von Rotwein und Kirsch.
2 Alier Steg in der Schöllenen über die wilde Reuß.
Der Jungfernraub.„Großmutter, o, so laßt ihn ein!
's tut draußen Leinentücher schnei'n!“„Lieb Schätzlein, sperr die Türe auf,Ich steig dir sonst zum Fenster auf!“„Marieli, rück ins Ofenloch,
Sonst frieret dich am Rücken noch!“
„O nein, ein Druck von lieber Hand Wärmt mehr als eine Ofenwand!“Wer kroch durchs enge Fensterlein?Marieli tät vor Freude schrei'n.
Zwei Gläser nahm's vom Büfett froh,Und schenkte drein Rossolio ...
Wie süß bist du, Rossoliwein,
Wo zwei in Lieb beisammen sein!Nun ging es an ein fröhliches Anstoßen rund um den Tisch. Aber der schwere Welschwein machte die Hellsyter Burschen nicht sitzfester. Sie wurden immer lebhafter und hörten nur mit halbem Ohr auf die alte Geschichte der Großmutter, worin sie ihnen von den Welschlandfahrten ihrer Väter erzählte. Unruhig gingen aller Augen immer wieder nach der Tür, durch die das Mariebethli verschwunden war, und dann aber auch schier verdrossen in den verglühenden Abend hinaus.
„Es dämmert über alle Berge“, sagte auf einmal der Handorgeler; „wenn wir noch
lange auf der Hirzegg hocken,wird uns die Tanznacht in Hellsyten dann noch
kürzer. Es geht lang genug, bis wir nur wieder ins Dörflein getrottelt
sind!“„Sind wir den Berg heraufgestiegen, so wollen wir ihn dafür heimzu
hinunterfahren“, sagte der Fuchshaarige. „Er hat uns genug zu schwitzen gegeben.
Der Hirzeggbauer hat ja auch einen Hörnerschlitten an der Gadenwand. Der bringt
uns wie der Blitz zu Tal. So streng es aber auf
299 die Hirzegg bergan geht, das Mariebethli zögen wir gerne wieder da hinauf nach Hause, hätten wir's erst einmal zu Hellsyten beim Tanzl Wo steckt sie denn?“
„Sie kommt euch noch früh genug, Buben“, meinte die GBroßmutter.
„Wenn sie nicht bald kommt, hol ich sie!“ lärmte jetzt,funkelnden Auges, der bäumige Johee mit der Glöckchenhaube. Da machte sich die Großmutter lächelnd aus der Stube.
„He, da wär sie ja!“ sagte der Hausvater, einen wohlgefälligen, fast stolzen Blick auf seine Tochter werfend, die eben im Feiertagsrust, die blonden Zöpfe wie einen Eierkranz um den Kopf gebunden, aus der Küche trat. Mit glänzenden Augen schauten die Hellsyter auf das verlegen lächelnde, zündrote Mariebethli. Flink machte sie sich ins Ofenloch, wo sie sich zitternd, wie ein Nestvoll frischgewordener Kaninchen, auf den untersten Tritt setzte. Der Handorgeler begann einen wilden Tanz aufzuspielen; die Burschen trommelten mit den Schuhen, als wollten sie das Donnern lernen, und wie auf Kommando hoben sie zusammen den schweren Tafeltisch auf und tanzten damit in der Stube herum. Jetzt verschwand auch der Hausvater durch die Küchentüre.
Sogleich donnerte der Tisch auf den Boden zurück. „Hei,hei, hei“, brüllte es auf, „Maitli rauben, Erstling rauben!Mariebethli, zum Tanz, zum Tanz!“ Die Burschen schossen gegen das Ofenloch, und jetzt zerrte der Handorgeler das zündrote Mariebethli hinter dem Ofen hervor, und wie sie sich auch sträubte und tat, als wollte sie sich um keinen Preis aus der Stube bringen lassen, ergab sie sich doch,und bald rumpelte die wilde Schar mit ihr jauchzend,
Der Jungfernraub.schellend, handorgelnd, über das Stiegenbrücklein hinab ins Freie.
Eben verglühte das Abendrot an den Bergen. Darüber war noch ein zartes blaßrotes Leuchten, anzusehen wie das Lächeln eines Wiegenkindleins. Aber droben in der Stube auf dem grünen Ofen streckte der Tureli den behelmten Kopf unter dem Umhänglein hervor. Es war ihm, die Welt falle zusammen. Da hatten die wilden Hellsyter Mummerien und Joheen soeben vor seinen Augen seine Schwester geraubt und zum Haus hinausgezerrt, obwohl sie immerfort nach Vater und Großmutter schrie. Es war noch weit schlimmer gekommen, als er sich's gedacht hatte.Zwar unheimlich waren ihm die wilden Burschen immer gewesen. Doch als er sie mit dem Vater so ruhig hatte reden hören, wäre ihm fast der Mut gekommen, sich zu ihnen hinabzuwagen, um die geschwungene Nidel mitessen zu helfen, die sie nach seinem Bedünken so sehr vernachlässigten. Vielleicht waren sie doch nicht so schrecklich, wie ihre Mummerien glauben machen wollten. Aber da hatte er ihre fürchterlichen schwarzen Gesichter erblickt, wie sie die Masken aufhoben, und mäuschenstill, lautlos wie ein Birkenläublein war er auf dem Ofen hinter dem Umhänglein liegen geblieben. Es mußten doch teufelsüchtige Unholde sein, und daß sie das waren, hatte er jetzt mit eigenen Augen gesehen, als sie die Große fortschleppten.O diese Erzfalschen! Erst hatten sie noch mit dem Vater so schön getan, und nun wollten sie hinterrücks gar das Mariebethli stehlen. Wo nur der Vater sein mochte und die Großmutter? Gewiß waren sie Mariebethli zu Hilfe geeilt.
Ein Weilchen lauschte er regungslos. Vor dem Hause ging es toll zu mit Jauchzen,
Handorgeln und Schellen.
401
Und jetzt hörte er wieder die gellende Stimme seiner Schwester: „Großmutter, Vater, Tureli!“ schrie sie fortwährend. „So helft mir doch!“
Da ließ er sich über den Ofen hinabgleiten und sprang an ein Fenster. „Heiliger Gott, heiliger Gott! Da schleifte und fleischte man ja wahrhaftig das Mariebethli schon nach dem großen Hörnerschlitten, den einer oben von der Gadenwand hob. Und ein anderer band ihr gar mit ihrem eigenen, weiß und rot gesprenkelten Kopftuch die Hände zusammen, und obwohl sie immer um Hilfe rief, waren doch weder Vater noch Großmutter zu sehen. Sie schienen sich rein verschloffen zu haben. Oder, schoß es ihm durch den Kopf, hatte man sie etwa gar im Keller eingesperrt?Plötzlich, als er die Schwester wieder seinen Namen schreien hörte, übernahm es ihn; er stob zur Stube hinaus. Nein,so leicht sollte es diesen schrecklichen Mummerien doch nicht werden, seine Schwester zu rauben; so durfte er das Mariebethli nicht im Stiche lassen! Im Hui stürmte er das Haus hinauf, auf die Winde. Dort hing neben einem alten wurmstichigen Kasten eine rostbraune Hellebarte. Er zerrte sie ungestüm herab und kugelte dann, mehr als er lief, die Stiegen wieder hinunter. Todesmutig riß er die Haustüre auf. Aber als ihn der kalte Winterwind anwehte, blieb er doch im Stiegenbrücklein einen Augenblick zögernd stehen und schaute durch den Ausguck vors Haus hinunter. O weh, o weh, o du heiliges Verdienen! Dort versuchte der Fuchshaarige seine Schwester auf den Ziehschlitten, den großen Hörnermennel, niederzuzwingen. Sie wehrte sich vergeblich. Und obwohl sie vor lauter Verzweiflung,wie er wohl hörte, überlaut auflachte, ließen sie doch nicht von ihr ab und zwangen sie auf den Schlitten.
96 Lienert, Bergdorfgeschichten.
Der Jungfernraub.Und keine Hilfe, kein Vater, keine Großmutter, weit und breit!
Da packte es ihn. Wie von Sinnen polterte er das Stiegenbrücklein hinunter und fuhr mit hoch erhobener Hellebarte mitten in die Schar der schier erschrocken zurückweichenden Mummerien hinein, sich vor seine Schwester stellend, die mit gebundenen Händen auf dem Hörnerschlitten lag. „Haarus, Haarus!“ lärmte er heulend und schlug mit dem gewaltigen Mordinstrument so rasend um sich, daß die Hellsyter Burschen allseitig zurückprallten. Jetzt brachen sie auf einmal in ein gewaltiges Gelächter aus,was den Tureli vollends wütend machte. Und weil sie sich vor Lachen nicht zu wehren vermochten, trieb er sie alle vom Hörnerschlitten weg. Aber auf einmal ließ er die Hellebarte in den Schnee fallen, sprang vorn auf den Schlitten, packte die Hörner, ihn mit einem gewaltigen Ruck drehend, und jetzt fing der Schlitten unversehens zu gleiten und dann zu hüpfen und nun gar zu springen an, und da sauste er schon wie das Wetter den gähen Weidweg abwärts, aber nicht den gegen Sonnenaufgang, nach dem Hellsyter Dörflein hinunter, wohl aber den gegen Sonnenniedergang, in das stundenweit unten liegende Tal der Malosen. Ein wildes, siegesgewisses Aufjauchzen und jetzt der zornige Aufschrei Mariebethlis, das verzweifelt mit den gebundenen Haänden herumfuchtelte und sich mit dem ganzen Leib fest an den toll dahinschießenden Schlitten drücken mußte! Dann noch eine aufstiebende Schneewolke, und nun nichts mehr, alles im Nebelmeer versunken!
Wie niedergedonnert standen die Hellsyter Burschen da und staunten und starrten
mit weit aufgerissenen Augen in den Nebel hinunter. Ja, was war denn da
gegangen?
403 Konnte es denn sein, daß das Mariebethli, das eben noch da vor ihnen auf dem Hörnerschlitten lag und vor Lachen und geschämigem Kichern schier sterben wollte, nun mit einem Male spurlos verschwunden, dort unten im düstern Nebelsee untergegangen sein sollte!
„Donmnerwetter!“ machte jetzt lang aufatmend der Handorgeler. „Da hat jetzt das Füchslein den dummen Wölfen das weiße Schäfchen noch hart vor den Schnauzen weggeschnappt, der Donner abeinander!“
Alle glotzten mit dummen Gesichtern gegen Sonnenniedergang auf den alles verhüllenden Nebel hinunter.
„Ja“, schimpfte endlich der Rothaarige, „heut bekommen wir das Mariebethli nicht mehr zu sehen! Sie mag sich auf dem Schlitten drehen und wenden, wie sie will, hinunter muß sie; liegt ja hilfloser auf dem Schlitten als ein Zicklein in der Pfanne. Nur eine Halbstunde Abfahrt ist's freilich in die Malosen, aber wohl drei Stunden Aufstieg auf die Hirzegg. Der Sapperlotsbub!“
„Hättest du ihr nicht die Hände zusammengebunden,Fuchsroter, so würde sie sich auf dem Schlitten wohl zu helfen gewußt haben, und hätten wir sie jetzt schon auf der Tanzdiele zu Hellsyten“, knurrte verdrossen, mit grimmigen Augen der bäumige Senn mit der wunderlichen Glöckchenhaube.
„Du hättest ihr halt nachspringen sollen“, gab der Rote erbost zurück; „würdest sie wohl noch erwischt haben, hättest du die schwere Senntenschelle nicht so unnütz um den Bauch gebunden!“
„Bezapf dich, Fuchsroter!“ machte finster blickend der Senn, und seine Augen glühten unheimlich aus der Holz-larve hervor.2*
Der Jungfernraub.„Ja“, rief jetzt der Handorgeler aus, „du bist schuld,Rotkopf, daß uns das Maitli so dumm vor der Nase weggeraubt werden konnte! Was brauchst du sie zu binden!Sie wär auch ungebunden willig genug mit uns gekommen;aber mit dir, freilich, hätte sie ja doch nicht getanzt!“
„Sag's noch einmal, wenn du's darfst!“ fuhr der Fuchshaarige auf den aufrecht dastehenden Handorgeler los.
„Heda, ihr Hellsyter Burschen, was geht da draußen;gebt Frieden!“ rief jetzt eine tiefe Stimme vom Gadenhaus her. Sahen sich alle um: Fantuli, der Hirzeggbauer,stand im Stiegenbrücklein.
„Was wollt ihr denn zu zanken anfangen? Das Mariebethli ist fort, und heut bekommt ihr's nicht mehr; dem wenn sie den Berg wieder heraufgekrochen ist, wird's ihr etwa nicht mehr so überaus um den Tanz sein, wird wohl lieber auf den Laubsack abliegen wollen. Wer zum Donner hätte auch denken können, daß euch ein so nichtsiges Büblein wie der Tureli das geraubte Maitli gleich wieder vor der Nase wegrauben würde! Ihr müßt euch deswegen aber nicht kränken. Den größten Verdruß dabei wird wohl das Mariebethli selber gehabt haben. Die Fahrt ins tiefe Tal der Malosen wird ihr, trotz ihrer Kürze, wohl lang genug werden. Denn das ist ihr heut morgen, als sie ihr Kopftuch wohl zwanzigmal vor dem Spiegelscherben probiert hat, kaum eingefallen, daß sie heute doch noch wider ihren Willen geraubt würde. Sie hat alles für ein landesübliches fröhliches Fastnachtsspiel genommen, und nun ist's doch ein ernsthafter Raub geworden. Aber morgen ist, gottlob,noch der zweite Fastnachtstag; da sollt ihr uns wieder willkommen sein!“
„Ja“, kam jetzt die Stimme der Großmutter aus der
405 S5tubenkammer, „seid nur frohen Mutes, ihr Hellsyter Burschen! Morgen bringt ihr das Mariebethli auch ungeraubt auf den Hörnerschlitten und zum Tanz. Den kleinen Tureli aber wollen wir dann ins Milchkämmerchen einsperren,bis ihr mit dem Maitli glücklich fort seid; sonst raubt er sie euch am End noch einmal. Jetzt schlaft wohl miteinander!“
„Macht's auch so!“ rief der Handorgeler hinauf.
Jetzt hallte von Sonnenniedergang her, aus dem Tal der Malosen herauf, etwas wie das ferne Aufjauchzen einer Knabenstimme. Da machten sich die Hellsyter Burschen,ziemlich kleinlaut, vom Gadenhaus weg. Der stämmige Senn mit der seltsamen Glöckchenkappe hatte den Klöpfel V Kappenzottel hängen und trugen ihre Roßschweife und Schweinsblattern, mit denen sie nachmittags beim Aufstieg so heillos Lärm gemacht hatten, bescheidentlich unter den Armen. Nur der Handorgeler spielte etwas wie einen leisen Trauermarsch, als sie den Weidweg gegen Sonnenaufgang wieder hinabtrotteten.
Still lächelnd sahen ihnen der Hirzeggbauer und die Großmutter, die nun im
Stiegenbrücklein neben ihrem Sohne stand, nach. Und als die Mummerien und Joheen
im grauen, immer düsterer werdenden Nebelmeer untertauchten und nur die
heimweherischen Klänge der Handorgel sich noch schwach hören ließen, fragte der
Bauer halblaut: „Was meint Ihr, Mutter, kommen uns die Burschen morgen wieder?“
Da lachte die Alte laut auf und sagte: „Ja,Fantuli, die kommen morgen
wieder!“
Wenn man im Wirtshaus zum „Roßeisen“ zuoberst in den Guckaus hinaufstieg, so sah man sie gleichwohl noch nicht zu Ende. Und wenn man auf den Hügel neben der ans Wirtshaus angebauten Schmiede ging, wo die alte Buche rauschte, so war die Straße immer noch nicht abzusehen.
Da kam denn eines schönen Herbstabends einmal in die Wirtschaft zum „Roßeisen“ ein alter Stromer gegangen und bestellte bei der Magd ein Schnäpschen; denn die Wirtin,meine alte Base, war nicht zu Hause. Wie er's getrunken hatte und noch eins kommen ließ, setzte ich mich ihm gegenüber an den Tisch, stützte den Kopf in die Hände und sah ihn forschend an.
„Was hast, Bub?“ fragte er, „sollte mir am End das alternde, juchtlederne Bethli da in der letzten Herberge doch noch Hörner aufgesetzt haben. Nun, es tät mich nicht besonders wundern, noch schmerzen; bin ja so meiner Lebtag wie ein angeschossener Sechszehnender herumgeloffen. He,was siehst denn an mir besonderes?“
„He, nichts anderes; Ihr habt so eine rote Nase.“
„Rot? Wenn du sie für blau angesehen hättest, ich würde dich dennoch nicht für farbenblind erklärt haben.Gleichwohl, das will ich dir heut schon auf den Lebensweg geben: Bub, fein ist das nicht, wenn man den Mitmenschen Krankheiten vorhält, die sie ja selber sehr gut fühlen. So was tun nur junge Torenbuben und alte Kindsköpfe.“
„Habt Ihr denn eine Krankheit in der Nase?“ wunderte ich.
„Ja“, lachte er kurz auf, „erstens, ich kann das Wasser nicht riechen, und
zweitens habe ich sie bei der großen
407 Kälte, als der Reiter über den Bodensee geritten ist, erfroren.“
Er trank sein Gläschen leer und wollte aufstehen. Da brachte ihm die Magd einen Teller voll Suppe und ein Stück Rindfleisch von einer alten Kuh.
„Gott gesegne es!“ wünschte ich.
„Danke Gott wohl“, machte er, setzte sich nieder und machte sich über die Suppe her. Der Löffel zitterte in seiner Hand. Ich sah ihm aufmerksam zu.
„Warum zittert Ihr denn so?“ wunderte ich; „Ihr verschüttet ja die Suppe.“
Er schielte nach dem leeren Schnapsgläschen.
„Zittern?“ machte er halbheiser, „das ist schon mehr der Taterich, oder auf hochdeutsch: der Tatenreich. Den habe ich bekommen, als seinerzeit um den Vesuv herum das große Erdbeben war. Da hat es geerdbebt, daß die Leute wie Gummibälle immer wieder aufspringen mußten.Und weil es lange dauerte, bekamen viele den Taterich und konnten nachher nicht mehr zu beben aufhören. So ist's mir auch ergangen, und so werde ich wohl zittern müssen bis an mein Ende.“
Das schien mir ein absonderlicher Handwerksbursche zu sein. Lange beaugenscheinigte ich ihn stumm. Dann fragte ich: „Wo kommt Ihr denn her?“
„Mit der Landstraße aus der Welt.“
He, und wo geht Ihr denn hin?“
„Mit der Landstraße in die Welt.“
Verständnislos, mit fragenden Augen, sah ich den Alten an.
„He, und wenn dann die Landstraße auf einmal ausgeht?“
„Die Landstraße?“ machte er. „O Büblein, die Landstraße geht nie aus. Die ist grad wie eine Schlange, die
Die Landstraße.geringelt im Grase liegt; vom Schwanz tritt man gleich wieder auf den Kopf. Sie geht rundum, Kind Gottes,rundum geht sie. Drum wird es einem nach und nach so wirbelig im Kopf, wie den Weibervölkern, wenn sie an der Kirchweih da in der Wirtschaft tanzen.“
Ich sann und sann.
„Warum geht denn die Landstraße rundum?“ fragte ich endlich.
„Sie ist verhext, Büblein“, machte der Alte, an dem zähen Kuhfleisch kauend; „ein Weibsbild hat sie verhext.“
„Gelt ja“, fiel ich schnell ein, „so eine alte Hexe, welche die kleinen Kinder in Hühnerställe steckt und bratet, wenn sie fett genug sind. Gelt, so eine böse, alte Hexe.“
„Nein, eine junge.“
Mit offenem Munde glotzte ich ihn an. Ich hatte etwas Unglaubliches gehört.
„Ja, gibt es denn auch junge Hexen?“
„O Bürschlein! Wenn man Tag und Nacht, das ganze Jahr lang tausend große Heuwagen voll junger Hexen über die Landstraße da am Haus vorüberführte, sie würden doch nicht alle. Und flögen sie auf ihren Besen wie die Schneegänse schwarmweise nachts nach Norden, sie zögen in einem Jahr nicht vorüber, und wär's ein Schaltjahr.“
Ich zitterte vor Gruseln und Neugier und fand lange die Sprache nicht wieder. Der
Geselle aber hatte seine Mahlzeit beendet. Lange stierte er dann in den Tisch
und murmelte etwas in den grauen Bart, in dem ein paar Schnapströpflein hingen.
Es schien mir, er könne sich nur schwer zum Fortgehen entschließen. Plötzlich
rief er nach der Magd und bestellte, den Batzen vor sich hinlegend, noch ein
Glas Most.
409 Mit scheuen Augen schaute ich durch das Fenster auf die übel verdächtigte Landstraße. Also rundum ging sie, und verhext war sie. Darnach bestaunte ich mit großer Neugier den verlumpten Alten, der so seltsame Dinge zu berichten wußte. Es fuhr mir durch den Kopf: an den mußt du dich halten; das ist sicher einer, der schöne Geschichten zu erzählen weiß.
„Hört!“ machte ich, „hört Mann, sagt, wißt Ihr auch ein Geschichtlein?“
„Ein Geschichtlein? O ja, mein Sohn“, machte er und wischte sich die grünlichen Tröpflein mit dem schmutzigen AÄrmel vom Munde. „Wenn ich alle erzählen wollte, meine Geschichtlein erlebten kein Ende, wie die Landstraße da vor dem Haus. Ja, ja, Geschichten über Geschichten, lauter schöne Geschichten, eine schöner, wo ist die andere.“
Er sah mich lange mit blöden kranken Augen an und schielte immer wieder nach der Küchentüre, als erwarte er,von dorther plötzlich jemand eintreten zu sehen.
„Wo ist sie?“ fragte er halblaut.
„Wer denn?“
„Die die Wirtin.“
„Die Base? Die ist ins Städtlein gereist und kommt erst heut abend spät wieder heim. Warum?“
„He wegen dem Geschichtlein; ich hätte es eigentlich lieber ihr erzählt, als so einem jungen Gängelbuben, der noch keinen Fingerhut voll Staub von der Landstraße gefressen hat; aber ich will dir's nun doch erzählen; kannst dir's auf dein Gedächtnisblatt abschreiben und der Base wieder berichten, wenn sie heim kommt. Ich habe den, der's erlebt hat, so wohl gekannt, als ich mich selber kenne.“
„Ist's aber ein wahres?“
Die Landstraße.„So sicher wahr, als ich gestern einen Rausch gehabt habe.“
Da glaubte ich's unverzüglich.
Wir waren allein in der Wirtsstube; die Magd hörte ich in der Küche den Boden fegen. Da begann er mit düster blickenden Augen:
Es stand einmal an einer langen, langen Landstraße ein Wirtshaus. Und an das Wirtshaus war eine Schmiede angebaut, damit Reiter und Fuhrleute, die vorbeikamen,die Rosse und wenn nötig die Wagen beschlagen lassen konnten. In der Schmiede aber werkte neben dem alten Meister ein blutjunger Gesell. Die Landstraße hatte ihn hergeführt. Der trug tagaus tagein ein Blümchen hinterm Ohr, und wenn er den Blasbalg trat und ins Feuer der Esse sah, pfiff oder sang er alleweil ein lustiges Lied vor sich hin. Ab und zu kam das Wirtstöchterlein in die Werkstätte; da ward er stille und kam ins Sinnen. Und es war ihm, er müsse dem Mägdlein ein güldenes Krönlein schmieden;dem es sah aus wie ein Königskind.
Je seltener es aber in die Schmiede kam, desto tiefer schaute der Geselle ins Feuer. Immer leiser und trauriger wurden seine Lieder; er summte nur noch so vor sich hin;zuletzt ward er ganz stille.
Wenn aber das schöne Wirtstöchterlein in die Werkstätte kam, und der alte Schmied
war nicht herum, so stellte sie sich wohl neben ihn an die Esse, blinzelte ins
funkenwirbelnde Feuer und lächelte ihn seitlings seltsam an, und ihre Haare
gingen ihr um den schneetaubenweißen Hals wie ein goldener Brumen. Und sie
lächelte und stand, als wartete sie auf etwas. Der Geselle aber werkte still
drauflos und wagte es kaum, sie hin und wieder schüchtern von der Seite
411 anzusehen, bis sie plötzlich über und über rot, aus der Schmiede lief.
Dann sah nachher der Geselle noch tiefer in die Esse, und im Feuer gab es mit einemmale seltsame Verwandlungen.Die kleinen blauen Flämmchen wurden lauter zuckende blaue Schalkenaugen, und das rotlodernde Feuer erschien ihm wie ein vom Wind zerzaustes Nest von eitel goldenen Haaren. Und wie er immer tiefer und tiefer in die Esse horchte, vernahm er ein Glockenläuten, und wunderschöne Musik tönte wie das Orgeln auf der Vorkirche, wenn ein Hochzeitspaar zum ewigen Bunde vor den Altar tritt. Und wirbelten die Flammen plötzlich hoch auf, so war es ihm,vier Rosse mit einem feurigen Wagen führen aus der Esse,und im Wagen sitze er und neben ihm Trutli, das schöne Wirtstöchterlein, und sie führen wie Elias, der Prophet, in alle Himmel hinein. „He, Hansel, wo bleibt denn das Roßeisen?! Was steckst denn die Nase so tief ins Feuer ,sie ist doch keine Kastaniel!“ Wenn der Meister also rief,wachte er wohl auf, kühlte sein Eisen im zischenden Wasser und hämmerte auf den Amboß, daß es Feuer regnete.
Am Feierabend aber stieg er jeweilen flink in den Guckaus hinauf, machte sich weiß und schön und ging dann in die Wirtsstube, saß hinter den langen Tisch und sah alleweil nach dem Wirtstöchterlein. Das tat ihm schön in die Augen,bis der Wächter kam. Da legte er denn seine paar Batzen auf den langen Tisch und machte sich glückselig in den Guckaus hinauf.
So ging es eine Zeitlang fort.
Da stellte der Meister einen zweiten Gesellen ein. Der war hübsch und glatt gewachsen und von besondern, fremdländischen Manieren.
*Die Landstraße.Nun kam das Trutli wieder fleißiger in die Werkstätte.Aber es stellte sich nicht mehr neben Hansel an die Esse,sondern neben Gustl, den schlanken, frisch zugereisten Burschen,an die Werkbank. Nach Feierabend verstand sie's denn doch immer wieder, den Hansel mit süßen Blicken zu hänseln,ohne daß er's merkte, bis seine sauer verdienten Batzen ihrem Vater in die Tasche geflossen waren. So hing sein Herz an ihr, wie ein dummer Fisch an der Angel. Mochte sie's mit Gustl treiben, so bunt sie's wollte, ein einziger Blick von ihr verjagte immer wieder Hansels Kummer und Sorgen, wie ein Lämpchen, das auf einmal in den tiefen Keller zündet, die Mäuse und Spinnen. Denn sie konnte Augen machen wie ein Muttergottesbild.
Eines Abends aber sagte sie zu Hansel: „Hansel, wenn du mich lieb hast, so mußt du auf die Wanderschaft. Zum Meister fehlt dir allweg noch manches. Bist du erst ein gelernter Meister, ein Gewester, so komm nur ruhig wieder;dann, he ja dann mag ich dich noch einmal so wohl leiden wie bisher; wer weiß, was es dann zwischen uns gibt.Du mußt aber bald weg, gelt! Die Fremde erst macht den Meister.“Der Hansel schaute seitwärts nach dem falsch ins Lampenlicht blinzelnden Gustl, dem Nebengesellen, und wollte nicht fort. Da begann ihm das Trutli allabendlich so lange das gleiche Glöcklein zu läuten, bis er eines Morgens, den Berliner auf dem Rücken, in der Wirtshaustüre stand und Abschied nahm. Nun trat er auf die lange Landstraße hinaus, und die nahm ihn mit.
Ein Stück Weges ging er ruhig fort; dann blieb er alle Augenblicke stehen,
schaute zurück zum Wirtshaus und zur Schmiede, und die Tränen liefen ihm über
die Wangen.
413
Hoch vom Gukaus winkte ihm jemand mit wehendem Nas-tuch Lebewohl nach. Ihm war, die ganze Landstraße hänge sich an seine Füße und ziehe und reiße ihn zurück in sein eben verlassenes Meisterhaus.
Hätte er aber sehen können, daß es bloß die alte, übelzeitige Magd war, die ihm vom Guckaus zuwinken mußte,und wie hinter den rußigen, buntgefärbten Scheiben der Werkstatt der Gustl und das Trutli ihm nachlachten, er würde dort schon der Landstraße nachgegeben haben und im Laufschritt zurückgekehrt sein. Doch er glaubte noch an die Menschen, schritt allmählich rüstiger fürbaß und zog,zuletzt ein Liedlein pfeifend, mit der Landstraße in die weite Welt hinein.
„Der kommt nicht mehr“, sagte in der Werkstätte der Gustl.
„Allweg, gewiß kommt der wieder“, machte lachend die Wirtstochter, „habe ich ihn der Landstraße vertrauensweis lübergeben, so muß sie ihn mir auch wieder zurückbringen.“
„Liegt dir denn so viel an ihm?“
„O Gustl, wie redst doch! Gleichwohl muß er mir wieder zurück. Der Vater kann ihn wohl brauchen, und mir ist das Schaf ein kurzweiliger Zeitvertreib. Man wird doch etwa einen haben dürfen, der einem den Narren macht;denn über etwas muß ich tags lachen können, sonst kann ich nachts nicht ruhig schlafen.“
Meinetwegen, dachte der Gustl; aber mich sollst du nicht zum Narren halten; umgekehrt ist auch gefahren.
Wie nun ein Jahr herum war, da stand eines Abends im Zunachten jemand in der offenen Schmiedentüre, tat umschauen und sein Sprüchlein hersagen. Und wie nun der alte Meister unter seiner Brille hervor nach dem späten
Die Landstraße.Kunden aussah, erkannte er seinen früheren Gesellen Hansel wieder.
„So, bist du auch wieder im Feld··
„Grüß Euch Gott, Meister!“ wünschte der Hansel ruhig;„was macht das Trutli?“
„Endenfinken! macht sie“, kam eine lachende Fistelstimme von der Esse her; denn dort hatte Franzel, der neue Lehrling, ein Eisen im Feuer. An der Werkbank lachte aber noch jemand, und das war der zum Altgesellen vorgerückte Gustl.
Ein Schatten ging flüchtig über des Ankömmlings Gesicht.
„Halt's Maul, Franzel!“ gebot unwirsch der Meister,ließ den Hammer auf dem Amboß verklöppeln und sagte dann: „Grüß dich Gott wohl, Hansel! Geh nur ins Haus!Die Mutter wirst nicht mehr finden, die ist für immer verreist; aber das Trutli, wohl, das wird dir schon etwas zum Abendessen rüsten. Ruh dich aus! Nachher wollen wir dann sehen, was wir mit dir machen. Es gibt da heuer wieder allerlei zu tun, wobei du mir nicht unkommod kämest, falls du auf der Walz das Schaffen nicht verlernt und dafür das unverschämte Lohnfordern nicht gelernt hast.“
„Schau, der Hansel!“ machte mit stillem, kaltem Lächeln die Wirtstochter, als er mit klopfendem Herzen und zitternden Armen über die Türschwelle in die Stube trat; „hat dich die Landstraße richtig wieder zurückgetragen und abgegeben.“
Und das war alles.
Da stand der Hansel stumm und still und sagte auch nichts; kein Wörtlein sagte er und hatte doch das ganze
1 Winterschuhe.
415 Jahr hindurch, während der Woche an Amboß und Werkbank, und Sonntags in Kirche, Wald und Feld und all-nachts in allen Träumen daran herumgesonnen, wie er bei seiner Zurückkunft auf sie zueilen, sie umhalsen und ihr zurufen wolle: „Trutli, Trutli, schau, da bin ich wieder und geh in alle Ewigkeit nicht mehr von dir fort!“
Kein Wort sagte er; aber die hellen Tränen kugelten ihm über die Wangen. Stillschweigend nahm er seinen Abendimbiß und ging in noch früher Nachtstunde in seinen Guckaus hinauf.
Andern Tags warf er sein Bündel uneröffnet auf den Laubsack und stieg, in der Meinung, nach verzehrtem Frühstück und bezahlter geche wolle er seine Wanderschaft fortsetzen, in die Wirtsstube hinunter. Auf der Stiege jedoch sah er das Trutli, das aus ihrem Kämmerlein guckte und nach der Magd rief. Es lachte ihn mit dem ganzen Gesicht,über und über blutrot, an, und die offenen Haare wirbelten ihm um die Schultern und verdeckten nur spärlich den schneeweißen Busen. Blitzgeschwind ging die Türe wieder zu und wurde innerhalb noch zugeriegelt.
Da war es dem Gesellen, er komme eben aus dem Schlafgemach einer jungen Königin und fehlte an der Konigin nichts als auf die goldenen Haare das güldene Krönlein. Er wollte es schmieden.
Flink machte er ganze Wendung, jagte die Stiegen hinauf in seinen Guckaus, und bald lagen seine Siebensachen wieder, wo sie ehedem gelegen, in einer alten, wurmstichigen Kommode.
Gleich nach dem Frühstück machte er sich in die Werkstätte und feilte bald frohgemut neben dem geschwätzigen Franzel drauflos. Halblaut stimmte er in dessen mit hoher
Die Landstraße.Fistelstimme gesungenen Schelmenlieder ein. Den Gustl beachtete er aber nicht weiter und kehrte sich nicht an sein hämisches Lachen.
Am Abend jedoch, als er mit dem Trutli einen Augenblick allein in der Wirtsstube war, griff er in seine Westentasche, nahm ein winziges, in Papier gewickeltes Schãchtelchen heraus, öffnete es sorglich und rief halblaut: „Schau,Trutli, was habe ich für dich aus der Fremde gebracht!“
Neugierig eilte die Wirtstochter vom Gläserspülen weg an den Tisch und blickte in das Schächtelchen. Ein zierliches,goldenes Ringlein mit feuerzündrotem Stein lag drin in rosaroter Watte.
„Nein, aber wie herzig!“ kam es ihr heraus, „und das hast mir von der Wanderschaft gebracht, Hansel, und ich darf es behalten?“
„Ja, Trutli, wenn du mich noch lieb hast.“
„O, Hansel und wie!“
„So nimm's nur! Oder nein, wart!“ machte er überselig, mit glührotem Kopf; „ich will dir's selber an den Finger stecken.“
Unwillkürlich hielt sie ihm die Hand hin. An ihrem Goldfinger glänzte schon ein breiter, goldener Streifen.
Mit erschrockenen Augen starrte ihn der Bursche an.
„Trutli!“ machte er mit bebender Stimme, „was ist das? “Sie biß sich unmutig in die Lippen, die unvorsichtige Raschheit verwünschend, mit der sie ihm beide Hände entgegengestreckt hatte. Nun denn, meinetwegen, einmal muß er's doch wissen; der dumme Hansel wird deswegen nicht fortlaufen.
„He, wenn du alles wissen willst, mein Verlobungsring ist das; der Gustl hat ihn
mir gegeben.“
417
Ein Weilchen starrte er sie wie geistesabwesend an, fuhr dann plötzlich auf und warf sein Ringlein samt Schachtel mitten in die Stube hinein, eilte sprungweise in seinen Guckaus und verschloß die Türe. Dann warf er sich aufheulend, an Gott und Menschen verzweifelnd, über seinen Laubsack hin.
Das Trutli aber war eine Zeitlang mitten in der Stube stehen geblieben, mit seltsam verzogenem Munde auf den am Boden liegenden Ring sehend. Es gingen Schritte im Hausgang. Blitzgeschwind griff sie Ring und Schächtelchen auf, ließ beides in den Sack gleiten und murmelte mit halbwegs höhnischen Lächeln vor sich hin: „Der wird wohl nicht davonlaufen, und wenn auch, die Landstraße bringt ihn schon wieder zurück.“
Am andern Morgen kam der Hansel nicht zum Morgenimbiß, und als man ihn wecken ging, da war der Guckaus leer. Der Geselle mußte sich in dunkler Nacht auf und davongemacht haben.
Der Alte hielt inne, stierte ein Weilchen auf die Schwarzwälderuhr, die gerade rasselnd schlug, rief dann gebieterisch der Magd und befahl einen ganzen Liter Wein, einen Franken vor sich hinlegend. Als nun der Wein vor ihm stand, brummte er etwas in den Bart von alles verputzen wollen, alles draufgehen lassen wollen und trank ein volles Glas aus. Dann grübelte er einen zerknüllten Zigarrenstummel aus der Westentasche, und nachdem er ihn siebenmal vergeblich angezündet hatte, behielt er ihn kalt im Mundwinkel und fuhr dann, an mir vorbei in den Tisch sehend, als hätte er mich längst vergessen, zu erzählen fort:
Ein Jahr später, eines schönen Sommermorgens, schlenderte ein Handwerksbursche die Landstraße dahin gegen das
Lienert, Bergdorfgeschichten. 27
18
Die Landstraße.Dörflein, davor das Wirtshaus zum „Roßeisen“ stand. Es war der Hansel. Sein Felleisen war nicht größer geworden;wohl aber gingen ihm die Haare unordentlich fast bis in die Augen hinein. Um das Kinn war ihm ein blondes Bärtchen gewachsen. Seine Jacke und sein Rucksack hingen voll Halme und Heublumen, als wäre er eben aus einem Heuhaufen aufgestanden. Aber trotz seinem vernachlässigten Aufzuge war er ein schöner starker Geselle geworden.
Mit brennenden Augen schaute er nach dem nahen Wirtshaus vor dem Dorfe und dann suchend die Landstraße entlang. Jetzt kam er an einen einsamen Weidbrunnen. Allseitig hielt er erst Umschau; darnach tauchte er den Kopf in den vollen Brunnentrog, wusch sein Gesicht gehörig mit beiden Händen, verschüttelte sich und zog fürbaß, mit dem Armel die Stirne flüchtig abwischend. Das Austrocknen seiner triefenden Kraushaare überließ er der Frau Sonne.
Da lag vor ihm das breite Wirtshaus zum „Roßeisen“mit den großen Seitenlauben und die rußige Schmiede.
Verwundert stand er still. Das Tor der Schmiede war geschlossen; durch die Fenster kam weder Hammerschlag,noch das Fauchen des sonst immer tätigen Blasbalges.Kein Räuchlein, kein Glühfunken stieg aus dem Kamin und war doch ein ganz ordinärer Werktag.
„Was ist denn da los?“
Er fuhr in die Westentasche, als wollte er nach der Uhr greifen, zog aber die Finger leer zurück. Da schlug die Turmuhr des Dörfleins eben die siebente Tagesstunde.
.Entweder“, murmelte er, „entweder ist da jemand mit Tod abgegangen, oder ...“,
es ward ihm dunkel vor den Augen, „oder dann ...“
419 Jetzt ging die Türe der Wirtsstube. Ein paar Mägde hüpften trällernd, in ihrem Sonntagsrust, vor das Haus.Kichernd und halblaut schwatzend, beaugenscheinigten sie prüfend Fenster und Türen und machten sich dann rasch wieder ins Haus.
Da sah auch der Geselle genauer hin und erbleichte.Türen und Fenster waren um und um, über und über mit Tannreisig, Efeugewinden und Blumen aller Art bekränzt.Also eine Hochzeit. Wenn sie es wirklich wäre, die gerade heute Hochzeit hielte.
Ein Bauernbüblein, das Milch in einer Tanse zum Krämer ins Dörflein trug, kam an ihm vorbei.
„Kleiner, sag, wer hält denn da im ‚Roßeisen“ Hochzeit?“
Der Knabe sah ihn verwundert an. Wo mochte denn der herkommen, daß er so etwas noch nicht einmal wußte.
„He, dem Roßeisenschmied sein Maidlein.“
„Mit wem hält sie denn Hochzeit?“
„He, mit einem fremden Fötzel, hat der Vater gesagt,mit ihrem Gesellen, dem Gustl.“
Der Hansel ließ den Kopf sinken und stierte in den Straßenstaub.„Jetzt ziehen sie dann aus der Kirche“, sagte der Bub.
Der Fremdling schien aber nichts gehört zu haben. Er hatte sich auf ein paar frisch geschundene Bäume, die an der Straße lagen, gesetzt und das sonnenverbrannte Gesicht in den Händen vergraben. Da ging das Büblein weiter.
Auf einmal fuhr der Geselle auf. Alle Glocken läuteten vom Kirchturm. Das Kirchentor ging weit auf. Ein feierliches Orgeln hallte in den Morgen hinaus.
Ein kurzes, hastiges Laufen, ein paar Sprünge über die niedrige Mauer und der Hansel stand im Kirchhof hinter
27*
Die Landstraße.einem Grabstein und sah mit wilden, suchenden Augen nach der Kirche.
Jetzt kamen durch das Tor kleine, weißgekleidete Mägdlein mit kurzen, feierlichen Schritten und hochwichtigen Mienen. Und dann der Geselle stand bolzgrad da und hielt den Hut krampfhaft mit beiden Händen; das bleiche Gesicht und die großen Augen sahen unbeweglich aus, wie gemeißelt und gemalt dann kam das Hochzeitspaar über die Kirchenschwelle: der schwarz gekleidete, flott herausgeputzte Gustl und schön, wie ein Maiglöcklein im braunen Ried das Trutli. Und dann der alte, weiß gewordene Meister und dann ... Der Geselle sah niemand mehr.
Mit glänzenden Augen, wie ein Vogel, der nächstens tot vom Aste fällt, hing er an der schönen jungen Frau,bis sie und der ganze Zug durch das Friedhoftörlein verschwunden war.
Ein Weilchen noch stand er da, wie von Sinnen, und glotzte auf den Grabstein. Unwillkürlich, die Lippen leise bewegend, sagte er den Trostspruch vor sich hin, der auf dem Grabstein stand.„Schlaf wohl, geliebter Gatte,In deinem kühlen Grab!
Dein bin ich und dein bleib ich,Wohl bis zum jüngsten Tag.Wenn tönen die Posaunen,Dann bin ich erst recht dein;
O Glück an deiner Seiten
Im Himmel reich zu sein!“Wild griff er in die roten Nelken und Vergißmeinnicht auf dem Grab, riß eine Hand voll ab, setzte flink über das Kirchhofmäuerchen und machte sich waldwärts davon.
Das Hochzeitspaar aber wandelte frohgemut gegen das
421 bekränzte Wirtshaus. Da stieß die junge Frau den mit dem ganzen Gesicht lachenden Hochzeiter leise an und machte halblaut, mit den Augen in die Dorfweid hinaufblinzelnd:„Gustl, Gustl, schau, dort läuft er! Hast ihn gesehen,wie er so vertatert dagestanden ist im Friedhof? Der Narr der! Was braucht denn der grad heut zu kommen.“
„He, laß ihn doch“, lachte der Gustl; „wenn's ihn nun einmal freut, mit leerem Auchmöchtich-Bauch zuzusehen,wie andere sich an den Tisch zum Schmaus setzen, so mag ich ihm das billige Vergnügen wohl gönnen. Ich denke aber, jetzt wird er's wohl auch einmal satt bekommen haben und das Wirtshaus zum Roßeisen ein für allemal links liegen lassen, oder dann mühßte er doch ein völliger Löffel sein.“
„Der? O Gustl, o Mann! Der Hansel hat's wie ein gehetzter Hase. Er macht nur einen mehr oder weniger weiten Bogen zu dem alten Platz zurück, an dem ihm der Aohl am besten geschmeckt hat. Ist er einmal wieder auf der Landstraße, so geht's ihm wie einem losgerissenen Eisenbahnwagen am Rain; es mag drin Mordio schreien wie es will, den Wagen zieht's abwärts. Jetzt, schau, sieht man ihn nicht mehr; er muß sich ins Holz gemacht haben.“
„Wenn er sich etwas antäte?“
„Der? Behüt mich Gott und Vater! Du mußt dich nicht unnütz ängstigen; dazu ist der Hansel viel zu dumm.“
Jetzt ging die Wirtshaustüre sperrangelweit auf; ein paar mehr als überjährige Musikanten kamen heraus,stellten sich daneben auf und empfingen die Hochzeitsleute mit einem übermütigen Hopswalzer.
Am Morgen nach der Hochzeitsnacht, als die Magd die Haustüre öffnete, fand sie auf der Schwelle einen zer
Die Landstraße.drückten und zerfetzten Strauß von roten Nelken und Vergißmeinnicht.
Zehn lange Jahre waren vergangen. Der Hansel war im Roßeisen längst vergessen. Da stand er unerwartet einmal, im heitern hellen Tag, saß grad alles um den Mittagstisch, in der Wirtsstube, ein wetterharter, starker Mann mit verwilderten Haaren.
„Wo ist der Meister?“ fragte er mit scheuen Augen.
„Der Meister? Wenn du den Alten selig meinst“,machte gelassen der oben am Tisch sitzende Gustl, „so mußt du auf dem Kirchhof nachfragen; der ist seit zwei Monaten dort draußen zu Hause. Wenn du aber den derzeitigen Roßeisenschmied ansprechen willst, so will ich dir Antwort geben.“„Freilich, Hansel“, bestätigte das Trutli, die eine vollerblühte Frau geworden war, mit einem sauersüßen Lächeln „dDder Gustl ist jetzt unser Meister. Sitz doch! Kinder,rückt mehr gegen den Ofen, daß der Mann Platz hat, und du, Bethli, hol einen Teller!“
Zwei blondhaarige Mägdlein saßen bei der Mutter hinter dem Tisch und schauten mit großen, blauen Augen neugierig auf den Gesellen, der immer noch unbeweglich in der Stube stand und keine Miene machte, sein Felleisen abzulegen und der Einladung der jungen Wirtin zu folgen.
„Was stehst denn so?“ brummte der Gustl; „leg doch ab und hock zu! Man wird dich doch nicht mit der Winde zutreiben müssen.“
„Könnt ich Arbeit haben?“
Der neue Roßeisenschmied lachte kurz auf.
„Arbeit? Du? Daß du nach so was fragst. Jetzt haben wir immer so dumm gemeint, du
habest dich, der
423 weil wir da am Amboß standen und den Rußteufel machten,in der schönen Welt ein wenig ausspaziert. Sitz doch zu!“
„Ja, Hansel“, stimmte das Trutli ein, „sitz doch zu!Schaut, Kindlein, der ist früher lang bei uns Geselle gewesen.“
„Hat der Vater, der Meister selig, will ich sagen,schon etwas auf dem Grab?“ fragte der Geselle, die Einladung nicht beachtend.
„Der Vater? he, was wird er auf dem Grab haben,“brummte der Gustl, „ein schönes schwarzes Holzkreuzlein hat er darauf.“
„Gut“, machte düster in den Boden blickend der Geselle,„ich möchte gern einmal etwas länger absitzen; es hat mich ein bißchen herumgeläutet in der Welt. Wenn du mich einstellen willst, so will ich dem Meister selig ein eisernes Grabkreuz schmieden. Bist du zufrieden damit, so kann ich ja bleiben; ich tu's gern. Wenn nicht, so bist du der Meister.“
Ein eisernes Grabkreuz wollte der Vagant machen können.Es fiel dem Gustl der Schmied im nahen Städichen ein,der so hübsch gearbeitete Grabkreuze im Schaufenster hatte und so guten Absatz allerwärts dafür fand. Ja, wenn der dumme Hansel so etwas fertig brächte! Den wollte er um einen geringen Lohn gehörig ausnützen. Denn, dachte er,alte Liebe rostet nicht; der Landstreicher kommt ja doch bloß meiner Frau wegen. Meinetwegen; anschauen darfst du sie; das Anrühren tut dir die Frau schon selber verleiden.Wird mich doch nicht für so unmerkig halten, der Krautkopf. Aber gleichwohl, potztausend ja, das gäbe eine billige Kraft; ich will's probieren und schauen, was er kann.
„Meinetwegen kannst ja schon einstehen; an Arbeit fehlt's nicht. Und wenn du meinst, du bringest ein Grabkreuz zuweg für den Alten, den Vater selig will ich sagen,
Die Landstraße.so mach ihm nur eins und ein Grabgitter dazu. Und jetzt hock einmal ab und nimm einen Löffel voll Suppe! He,Kathriseppe, trag ihm seine Habseligkeiten in den Guckaus hinauf!“
Flüchtig gingen des Gesellen unstäte Augen nach der jungen Meisterin, die jetzt ganz unbefangen, über und über lächelnd, dasaß.
„Macht Platz, Kinder!“
Der Hansel legte seinen Berliner neben das große Uhrgehäuse in einen Winkel und setzte sich zögernd an den langen Tisch.
Kurze Zeit nachher stand auf des alten Meisters Grab ein allgemein bewundertes, hohes, schmiedeisernes Grabkreuz, und das Grab umschloß eine eiserne Hecke von Dornen und Disteln, alles feine, kunstreiche Arbeit. Das waren des Hansels Probearbeiten.
Bald kamen dem Roßeisenschmied von fern und nah Aufträge zu und Nachfragen, nicht
nur um Grabgitter und Grabkreuze, sondern auch um Eisengeländer für Garten und
Haus. Denn der neue Geselle lieferte seltene Arbeit.Und gar seit er ins
Städtchen für das Rundbogenfenstergesims ob der Türe des alten Rathauses ein
stilgerechtes,heraldisches Blumengeländer geliefert hatte, wurde der
Roßeisenschmied mit Arbeit überhäuft. Gehilfen mußten eingestellt werden, und
große Vorräte wurden angelegt. So kam es, daß der Schmied mit dieser neuen
Tätigkeit bald zehnmal bessere Geschäfte machte, als wenn er die Pferde der
ganzen Eidgenossenschaft und alle hinkenden Teufel frisch hätte beschlagen
dürfen. Nun konnte er den Wirt machen und den Hansel den Werkführer vorstellen
lassen.Das Geschäft lief, auch wenn er alle Tages- und Nacht
125 zeiten ständige Weinprobe hielt. Bei den Gästen machte er den jovialen Wirt mit der Viedermannsstirne, und kamen einmal Kunden ins Roßeisenwirtshaus von fernher, die den kunstfertigen Schmied zu sehen begehrten, so ließ er den Hansel schön in seiner schnaubenden und rauchenden Vorhölle und nahm den Ruhm für sich weg. Dem Gesellen aber gab er einen schmalen Lohn. Es lächerte ihn immer auf den Stockzähnen, wenn er sah, wie dieser sich mit der Kost und den paar Franken Taglohn so schön zufrieden gab, nur weil er im Haus bleiben durfte.
Da saß dann der Geselle nach Feierabend bei schönem Wetter auf dem Bänklein vor
dem Haus und bei schlechtem im Ofenwinkel in der Wirtsstube, schaukelte des
Meisters zwei Kinder auf den Knien und erzählte ihnen gruselige Geschichten und
seltsame Märchen, oder gar sang er ihnen allerhand Liedlein vor. Wenn sie mit
ihm aber ganz allein in der Stube waren, da sang er ihnen immer wieder ein
Liedlein, und das war so traurig, daß sie darob allemal zu weinen anfangen
mußten. So kam es, daß, kaum fing er zu singen an: Jetz geh i a's Brünneli,
trink aber nit, da sehi mei herztausige Schatz beim en andre stehn .., die
beiden Mägdlein riefen: „Nein, Hansel, nicht das, nicht das! Wir müssen sonst
weinen.“ Wenn aber die Wirtin in der Stube war, sah er ihr mit schwermütigen
Augen alleweil nach.Den Schoppen Wein, den sie ihm allabendlich immer wieder aus
dem Keller holte und auftischte, rührte er nie an.Sonst aber ging das Trutli an
ihm vorbei, als wäre er ein altes wurmstichiges Inventurstück, und doch kam
immer ein warmes Aufleuchten in seine Augen, wenn ihr alleweil noch so
übermütiges Lachen die Wirtsstube erfüllte. Aber war der Gustl, sein Meister, in
der Stube, so brach er
Die Landstraße.mitten im Singen oder Geschichtenerzählen ab und machte sich so still als möglich in seinen Guckaus hinauf. Denn er meinte sterben zu müssen, wenn er sah, wie das schöne Weib ihren Mann anschaute.
Eines Tages brachte eines der Kinder eine ansteckende Krankheit aus der Schule heim. Nach einer Woche lagen beide, eben noch so blühende Mägdlein, draußen im Kirchhof.
Das traf den Hansel tief ins Herz. Er arbeitete nun Tag und Nacht und machte
ihnen zwei Grabgitterlein von seltener Schönheit. Aus Farrenkrautfedern und
feinblätterigem Brombeerengerank wuchsen Waldlilien und
hochstenglige,blütenbesäte Weidröschen hervor. Selbst der Herr Pfarrer sagte,
etwas Wohlgelungeneres habe er im Kunsthandwerk noch nirgends gesehen. Weither
kamen die Leute, die meisterliche Arbeit zu beschauen, und verlockende Angebote
wurden ihm von allen Seiten. Er schüttelte zu allem den Kopf, gab auf Briefe
keine Antwort und saß von da an einsam und wortkarg in seinem Ofenwinkel. Gegen
die schwergetroffene Mutter aber war er aufmerksamer als je.Und so lange sich
noch eine Blume auf dem Feld oder im Wald finden ließ, war nicht nur der Kinder
gemeinsames Grab schön geschmückt, sondern auch auf dem langen Tisch in der
Wirtsstube stand immer ein Strauß. Dem er verstand es absonderlich gut, auch aus
wenigen Blumen und Gräsern ein schönes Blumenbukett herzustellen. Schaute man's
aber genauer an, so fand sich darin fast immer ein Vergißmeinnicht. Er glaubte,
der Verlust der herzigen Kinder,die ihre Ebenbilder waren, müßte die Meisterin
so geschlagen haben, daß sie es nie mehr auch nur zu einem Lächeln,geschweige zu
einem lauten Lachen bringen werde. Sein Herz erschrak, als er sie einen Monat
nach dem Tode der
427 kKinder in der Wirtschaft schon wieder lachen und mit den Bästen und Gesellen scherzen sah.
Nach ein paar Monaten war sie schon wieder ganz guter Dinge, und spielten die Gesellen einen Jaß und es fehlte der vierte Mann, so setzte sie sich zu ihnem und half lustig und munter aus.
Ein blutjunger, frisch zugereister Geselle aus dem Schwabenlande schien es ihr besonders wohl vertreffen zu können.Erst waren es wärmere Augen, mit denen sie ihn ansah,dann ein freundlicheres Lächeln, und bald gingen lange,seltsame Blicke hin und wieder.
Der Hansel, der es aus seinem Ofenwinkel wohl sah,nahm gleichwohl das alles für eitel Kinderspiel und übermütige Neckerei; denn im gleichen Moment konnte er ja auch sehen, mit was für verliebten, schmachtenden Augen das Trutli ihrem Mamn ins Gesicht lächelte. O der Gustl! Wie es ihn brannte im Kopf und preßte ums Herz!Der brauchte für seinen kostbaren Schatz nicht zu zittern;keine Menschenseele vermochte ihm seine Liebste, die mit so heißen, blauen Augen immer und immer an ihm hing,zu rauben.
Eines Abends, nach einem besonders strengen Tag, war er in seinem Ofenwinkel in der Wirtsstube eingeschlafen.
Als er spät in der Nacht erwachte, war es still um und um und nur das laute Ticken der großen Wanduhr zu hören. Der Mond aber erhellte die Stube.
Rasch wollte er sich erheben, um in seinen Guckaus hinaufzukommen; da hörte er ein Lispeln und Flüstern. und leise ging die Türe.
„Schatz, der Alte schnarcht, und der Hansnarr wird wohl schon längst in seinem Guckaus sein und an dir herumträumen.
Die Landstraße.„Da bin ich! Gib mir die Hand; man sieht ja fast nichts,und acht dich, daß du nicht auf die Schwelle trittst; sie kracht schon, wenn man sie nur recht ansieht. Pst, pst! Aber, aber! Jetzt hast die Türe zugedrückt; hättest du sie denn nicht in die Falle klinken können; willst du den Mann und das ganze Haus aufwecken? Der Hansel gar, den scheu ich am meisten; der wird wohl einen leisen Schlaf haben; es ist mir so, wenn ich nachts wach bin alleweil,seine steifen Bollaugen glotzen mich aus dem Finstern an.“
„Wo bist du nun? Wie lange willst denn noch horchen an der Tür?“„Herrgott, Bursche wenn das der Alte wüßte oder gar der Hansdampf, der Hansel mit seinen schwermütigen Nasenlöchern und seinem dünnen armseligen Haar. Ich glaub,der tät sich zuletzt doch noch was an.“
„Pfeif dir auf den!“
Sie stürzten sich in die Arme und umhalsten sich voller Sehnsucht.
Ein fürchterliches Klirren! Eine Scheibe zerstob; ein Flügel wurde aufgerissen, daß das Haus zitterte, und durch ein Fenster sprang eine dunkle Gestalt, der Hansel.
Entsetzt, halbtot vor jähem Schrecken, starrten die Überraschten nach dem Fenster.
„Jeses, Gott im Himmel!“ stöhnte das Trutli.
„Wer ist's gewesen?“ fragte hastig der Geselle.
„Der Hansel, bloß der Hansel!“ machte sie schwer aufatmend. „Gottlob und Dank, Gottlob und Dank, ist's bloß der gewesen! Du heiliges Verdienen, bin ich erschrocken;hab schon gemeint, es sei der Gustl.“
„Jerum, du, wenn's der dem Alten sagt, er ist ja so schon voll Eifersucht.
Herrschaft, herrschaft!“
429 „Pst, stilll Komm, mach rasch! Tu, als kämen wir eben aufs Gepolter hin aus den Kammern gelaufen; um zu sehen,was es da unten gebe. Sei nur getrost, der Hansel sagt nichts; der Hansel ist viel zu dumm; der Hansel ist fort,weit fort, glaub mir's. Sollte er aber morgen doch wieder dastehen, so ist's ein Einbrecher gewesen. Nur still, nur ruhig! Der Hansel sagt ewig nichts. Und kommt er morgen nicht, so sagen wir, er werde das Fenster eingetrieben haben und tobsüchtig geworden sein. Es tätꝰs ihm jeder zutrauen. Lärm jetzt; lärm etwas! Hörst's nicht, es poltert da oben herum in der Stubenkammer;der Alte sucht die Schuhe; ich hab sie ihm unters Bett zu hinterst an die Wand geworfen. Und die Gesellen, hörstl!?
Lärm, lärml“
„Schelmenhund! Schelmenhund! Ja, lauf nur, hast höchste Zeit! Werden dich schon noch erwischen; lauf nur,du Erzschelm du!“
Also lärmte und kreischte es zweistimmig durchs gebrochene Fenster in die Nacht hinaus.
Am folgenden Abend, als kein Hansel mehr zum Vorschein kommen wollte und man seine sämtlichen Habseligkeiten, ja sogar Hut und Kleidersachen im Guckaus vorfand,wurde als feststehend angenommen, der stille, unheimliche Geselle sei plötzlich tobsüchtig geworden, habe das Fenster zertrümmert und sich weiß Gott wohin davongemacht.
„Donnerwetter abeinander!“ schimpfte am selben Abend im Haar kratzend der Meister Gustl; „diesmal ist's jetzt gefehlt, daß er davon ist. Ringsum Arbeit, man weiß nicht wo wehren, und nun mit einemmale ist der Hansel weg,wie weggeblasen, er, der hier Kopf und Hand war. Da hat er mich jetzt schön hineingelegt. Das hat er gewiß aus
Die Landstraße.Rache getan, weil er in all der langen Zeit nicht an das Trutli kommen konnte, der schlechte Hund der! Ich wollte von alledem noch nichts sagen, wäre ich bloß noch der Roßeisenschmied. He, jetzt bin ich aber der Roßeisenwirt, der reine Fabrikant bin ich, der en gros, sagt der Franzos,seine schmiedeiserne Kunstarbeit vertreibt. Da sind nun die schönen Aufträge von allen Seiten, und da liegen haufenweise die vielen und kostspieligen Vorräte, ein Lager, sag ich, ein Lager. He, und jetzt, sapperlot abeinander! wer verschafft sie nun und verhaut sie doch nicht? Nun kann ich die Gesellen wieder fortschicken. Dasmal hab ich jetzt einen tüchtigen Schuh voll herausgezogen, wenn uns der Hansnarr wirklich im Stich läßt.“
„Meister“, sagte keck der junge Schwabengeselle, „der Hansel ist nicht allein auf der Wanderschaft gewesen. Ich bin ein ganzes Jahr lang bei so einem Kunstschmied in Karlsruh drunten eingestanden. Die Vorräte werden wohl verschafft werden.“
„Du?“ Achselzuckend, fast geringschätzig, schaute der Meister den Burschen seitlings an. „Bis jetzt“, machte er dann, „habe ich wohl gesehen, daß du es gut verstehst,Feierabend zu machen und die Karten zum Jaß zu mischen;aber in der Werkstatt ist mir von dir noch kein Kunstwerk zu Gesicht gekommen.“
„He“, meinte jetzt mit glühroten Wangen das Trutli,„so probier's doch mal mit
ihm. Du bist ja nie in der Werkstatt und weißt ja nicht, was der Geselle da
alles kann.“„Weißt du's denn? Ich brauche da keinen Fürsprecher.Ja, wenn er nur
halbwegs arbeiten kann, wie Lohn fordern,so muß er den Hansel weit
übertrumpfen.“
431
„Meister“, fiel eifrig der Geselle ein, „ich arbeite Ihnen um einen Franken billiger als der Verrückte, wenn Sie mich behalten wollen. Es ist mir das Wechseln alleweil etwas Zuwideres gewesen.“
„Noch billiger als der Hansel?“
Mit schiefen, schier argwöhnischen Blicken sah der Meister nach dem Burschen mit dem keck aufgewirbelten Schnäuzchen.
„So mach dich jetzt auf den Laubsack zu den andern!Wir werden etwa sehen, was du kannst“, brummte er und seufzte: „O, wenn wir doch den Hansel wieder hätten!“
„Mann, hab nur keinen Kummer“, lachte das Trutli auf;„so lange es noch einen Hansel gibt und eine Landstraße,muß sie ihn auch wiederbringen, was gilt's?“
„Dasmal kannst lang warten“, knurrte der Meister,schüttelte mißmutig den Kopf und verließ brummend die Wirtsstube, um sich mit seinen Leuten zur Ruhe zu begeben.
Im Hinaufsteigen zu den Schlafkammern drückte die Meisterin dem Schwabengesellen verstohlen die Hand.
VBald darnach merkte der argwöhnisch gewordene Meister etwas. Der schwäbische Geselle mußte über Kopf und Hals sein Bündel schnüren und das Haus verlassen. Ein Stück Weges begleilete ihn im Fluge noch ein schlechtgemachtes,halbfertiges Grabkreuz, das in den Algen des Straßengrabens für ewige Zeiten versank.
Es war nach vielen, vielen Jahren, in der Fastnachts-zeit. Da war im „Roßeisen“ Tanz. Früher hatte der alte Meister nie Tanz abhalten lassen in seinem Wirtshause.Er wollte der paar Franken wegen, die er daran verdient hätte, nicht all die Scherereien und den Lärm die ganze Nacht durch haben. Er glaubte, sich das schenken zu können, es nicht notwendig zu haben. Lange hielt es der
Die Landstraße.Gustl, der neue Meister, auch so. Aber als sein Altgeselle,der
Hansel, sich unversehens davongemacht hatte und er für ihn wohl allerlei
kostspielige Gesellen, aber nie einen Ersatz bekommen konnte, fing es an mit
seinem Geschäft zurückzugehen. Die Gesellen forderten hohe Löhne, wollten
bezahlt sein wie Bildhauer und lieferten Arbeiten wie Feilenhauer. Sie
verbrauchten und verschnitten unnütz die schönen teuren Vorräte, als fiele das
dem Meister alles vom Himmel, und machten sich dafür, um sich für die Verbannung
aufs Land in etwas zu entschädigen, wie sie konnten an seine hübsche üppige
Frau, der das in keiner Weise zuwider zu sein schien. So mußte er auch noch alle
Augenblicke die Gesellen fortjagen und neue einstellen. Er hatte mit den fremden
Leuten seine ständige Not. Trank er früher viel, so schlückelte er jetzt alle
Augenblicke an einem Glas herum und begann schon früh morgens, um sich in
Stimmung zu bringen, mit scharfen Schnäpsen.Immer seltener wurden die Aufträge.
Zuletzt kam er so sehr zurück, daß er alle Gesellen fortschicken mußte. Da
konnte er sich wieder, lieb oder leid, selber an den Amboß stellen, und obschon
ihm der Hammer recht schwer wurde,er mußte es machen. Ein halbwüchsiger Lehrbub
half nach Möglichkeit ihn ärgern. Aus den Erträgnissen der Schmiede hätten sie
sich kaum durchgebracht; aber die Wirtschaft im Hause ging noch immer
ordentlich; denn die Frau wußte es jungem Gängelvolk, halbwüchsigen Vürschchen,
die sich nach Feierabend allmählich im Rauchen zu vervollkommnen und im Lieben
auszubilden gedachten, gar wohl zu vertreffen. Sie zupfte mit allen fünf Fingern
ihrer rechten Hand die Gitarre und sang mit den tatenfreudigen Jünglingen in
alle Nacht hinein und in allen Tonarten wunder
Aber als ihre schönen blonden Haare spärlicher und die Runzeln um Stirne und Hals zahlreicher wurden, kamen auch die jungen, nach Liebe sehnsüchtigen Burschen seltener. Dafür freilich stellte sich als teilweiser Ersatz bestandeneres, gewestes und sogar überzeitiges Männervolk ein, das jedoch in seinen Ausgaben vorsichtiger und in seinen Ansprüchen weitgehender, ja uferlos war. Da hing die alternde Frau die Gitarre an den Nagel; denn die neue Sorte Gäste liebte den Gesang nur etwa in jenem Grade, wie ein alter Schuhmachergeselle den Kohl am jungen Schaffleisch, und beschloß, an Kirchweih und Fastnacht Tanz abhalten zu lassen. Das sollte ihre Einnahmen verbessern.
Jenen Abend nun ging es im „Roßeisen“ besonders hoch her. Die Wirtsstube war gedrängt voll Leute, und im engen Tanzsaal herum tanzten und vergnügten sich die Maskierten. Die Wirtin hatte alle Hände voll zu tun, und der ergrauende Gustl, der Roßeisenschmied, hockte, halbbetrunken, wie gewöhnlich, am Ofen, hatte die Arme übereinandergelegt und schaute verdrossen, eine kalte Brissago im Mundwinkel, in das bunte Treiben.
Es mochte gegen Mitternacht gehen, da flog die Türe
Lienert, Bergdorfgeschichten.
28
433
Die Landstraße.plötzlich krachend auf; eine Schneewolke stäubte herein, und über die Schwelle fiel ein Betrunkener. Er trug ein zerrissenes, über und über beschmutztes Bajazzokostüm.
Ein schallendes Gelächter ging durch die raucherfüllte Wirtsstube.
„Was wirft uns denn die Landstraße da wieder für einen Lumpazi in die Stube?“ rief unwillig die Wirtin und sah mit bösen Augen auf den sich mühsam erhebenden,schmutzüberzogenen Bajazzo. „Mach, daß du fortkommst,Sauhudil!“
Jetzt stand er aufrecht, stolperte von einem Bein aufs andere und lallte: „Schatz, Schatz, Trutli, schau, da bin ich wieder! Komm an mein Herz!“
Ehe die Wirtin zur Seite springen konnte, hatte sie der Bajazzo umhalst und preßte sie schnaufend an sich.
„Küß mich, Trutli, küß mich!“
Halbrasend riß sie sich von dem Betrunkenen los, fuhr ihm mit beiden Händen ins Gesicht, die Larve herunterreißend.
Ein rotes. vertrunkenes Schnapsergesicht mit einem faunischen Lächeln stand vor ihr.
„Behüt uns Gott!“ schrie sie wahrhaft erschrocken auf;„der Hansel und so!“
„Ja, Schatz“, stammelte, von einem Bein aufs andere wackelnd, wie ein Tanzbär,
der Bajazzo: „Ich bin's, ich.Wie heißt's im Schulbüchlein: Und ob ihm die
Sonne,ja die Sonne, das Gesicht auch verbrannt, die Liebste, ja Trutli, die
Liebste, hat ihn doch gleich, gleich erkannt.Juhuu, Juhuu!“ lärmte er mit
heiserer Stimme heraus.„Komm, Trutli, komm jetzt geschwind; nun wollen wir
miteinander heiraten! Du kannst es ja gar, he allweg, gar
435 so gut; hast ja das Hei das Heiraten los, wie ein Schnei wie ein alter Schneidergestell Schneideresel Schneidergesell, will ich sagen, das Ein das Einfädeln, hast ja ...“
Jetzt packte der Roßeisenschmied mit wilden Griffen den Betrunkenen am Arm, schüttelte ihn und krähte ihm wütend ins lachende Gesicht: „Lump, verfluchter, hat dich die alte Hure, die Landstraße, die's mit allem Gesindel hat,doch wieder dahergeschleppt! Jetzt kommst aber zu spät;es wird so nach und nach alles ausgefressen und gesoffen in Küche und Keller ohne deinen Beistand. Lump, Lump!Du hast mich in die Brennesseln gelockt und dann darin hocken und kaput gehen lassen, mit deiner gottverdammten Grabgitterkunst. Und jetzt, da du durch und durch ausgehöhlt und übelriechend bist wie ein Sautrog, kommst mir stinknagelvoll, wie der Holofernes in der Hochzeitsnacht,ins Haus, mahnst mich an mein Mißgeschick, besudelst mir die Alte, bei der so schon das Serviettenvorbinden nicht viel mehr nützt, und verstänkst mir die Wirtschaft. Heraus mit dir, du Lumpenhund!“
Weißglühend vor Wut schleppte und stiefß er den Betrunkenen mit zitternden Armen gegen die Türe, blindrasend ihn also ins Gesicht schlagend, daß er allsogleich aus Mund und Nase blutete.
Da ging in des Mißhandelten Augen ein böses Feuerlein auf. Mit bebender Hand griff er von einem Tisch neben der Türe eine Doppelliterflasche, zog hoch auf und lautlos brach der schwergetroffene Roßeisenschmied unter ihm zusammen.Er aber tat, zur Verwunderung der wie leblos dasitzenden Tanzgesellschaft, einen raschen Sprung durch die Türe,schmetterte sie zu und drehte von außen den Schlüssel.
28*
36
Die Landstraße.Einen Augenblick noch hörte man seine davonhastenden,stolpernden Schritte; dann gellte ein fürchterlicher Aufschrei durch die Stube: die Wirtin hatte sich über ihren am Boden keuchenden Mann geworfen.
Jetzt wurde es lebendig. Alles sprang auf. Es gab ein heilloses Durcheinander. Die einen liefen in die Nacht hinaus, dem Trunkenen nach, wie sie sich den Anschein gaben, in Wirklichkeit schnurgerade nach Hause, die greuliche Zeitung zu melden. Die andern eilten nach Pfarrer und Doktor aus, und wieder andere mühten sich um die daliegenden Wirtsleute und schimpften und klagmarterten in ihren Fastnachtsgewändern. Also trieb alles kopflos durcheinander und auseinander, bis der Pfarrherr mit dem Allerheiligsten erschien.
Er konnte aber nichts mehr tun. Der Gustl, der Roßeisenschmied war tot.
Ein paar junge Burschen, die von der Jagd nach dem flüchtigen Hansel zurückkamen, wollten trotz allem Suchen nirgends auch nur eine Spur von ihm bemerkt haben. Sie schützten die stockdunkle Nacht vor und den nahen Wald.
Das Trutli, die Wirtin aber saß mit aufgelösten, wie man jetzt sah, ebenfalls ergrauten Haaren am Bett ihres so rasch verstorbenen Mannes, und Tränen liefen ihr über die bleichen Wangen, als sie leise vor sich hin murmelte:„Gustl, jetzt mußt nicht mehr bös werden; den Hansel bringt mir die Landstraße nicht wieder.“
Der Hansel, der alte stromernde Schmiedgeselle, war trotz aller Nachforschungen nicht mehr zu finden.
„Gelt, Büblein“, machte der Alte, er hatte zu erzählen aufgehört, schluckte an
seinem Wein herum und sah mich mit blöden, roten Auglein seltsam an, „gelt nur,
so ein
437 Geschichtlein hat dir die Vase noch nie berichtet, obwohl DD hatte ich die Geschichte nicht dir erzählen wollen, sondern einer ganz andern. Aber da sie nicht herum ist, und ich wieder fort muß, weit fort, vielleicht bis in alle Ewigkeit hinein, so dachte ich mir, der Bub da hat ein gutes Gedächtnis und kann ihr die Geschichte wieder haarklein berichten, die Geschichte von dem verschnapsten und verluderten Schmiedgesellen, der einmal einer ein funkelnagelneues Krönlein geschmiedet hätte, wäre sie das Königs-töchterlein gewesen, für das er sie genommen hat, der Narr der! Und erwacht dir einmal später die ganze Geschichte in deinem schlafenden Kopf, die ich dir jetzt erzählt habe,so schad't es dir nichts; weißt dann schon, wie grunderzfalsch es in der Welt zugeht. Erzähle ihr's nur, deiner alten Base; sie hört das Geschichtenerzählen gern, besonders nachts, wenn der Mond schön scheint. Berichte ihr's da hast meinen letzten Blutzger er legte einen Zwanziger auf den Tisch vor mich hin, berichte ihr, es sei ein alter versoffener Kunde dagewesen; die Landstraße hätte ihn hergezogen. Jetzt nimm den Zwanziger, Bub! Ich will mir schon wieder die nötige Münze erfechten; aber bericht ihr's,hast gehört, bericht ihr's!“
Da hatte der Alte zu seinem Stock, einem dürren Baumast gegriffen und sich durch die offene Wirtshaustür mit unsichern Schritten davongemacht.
Als die Base Trud am Abend heimkam, gab ich ihr getreulichen Bericht von dem wunderlichen Kunden, der im „Roßeisen“ zu Gast gewesen. Da brach sie in ein wildes Schluchzen aus, daß es sie schüttelte, und rief ein über das anderemal: „Und ihr habt den armen alten Tropf so davon
1*
Die Landstraße.ziehen lassen?! Den letzten Rappen habt ihr ihm noch abgenommen; nicht einmal übernachtbleiben habt ihr ihn geheißen?! Und er hat doch seine müden Beine und sein müdes Herz von weiß Gott wie weit her nochmals hieher gezwungen oh, oh! Jetzt kommt er nicht mehr.“
Uber das alte Kanapee warf sie sich und weinte herzzerbrechend ohne Halt und Aufhören.
Da machte ich große Augen, stand noch ein Weilchen verblüfft mitten in der Stube; dann verzog ich mich aber blitzgeschwind.
Wie ich im nächsten Winter, eines Morgens, es war noch fast dunkel, zur Schule ging und gegen die Wirtschaft zum „Roßeisen“ kam, war dort ein lautes Lärmen und Reden. Es mußte irgend einen Unfall oder gar ein großes Unglück gegeben haben.
In flinken Sprüngen eilte ich auf das Haus zu und schlüpfte durch den Kreis der herumstehenden Leute; denn zuvorderst wollte ich sein.
Da sah ich auf der Türschwelle die alte Base Trud kauern, und in ihrem Schoß lag still und stumm der weißhaarige Kopf des wunderlichen Vaganten, dem ich im Roßeisen“ so andächtig lauschend gegenüber gesessen hatte.Sie sagte kein Wort, sah mit ruhigen Augen auf den welken Mund, der so kuriose Geschichten zu erzählen wußte, und fuhr ihm streichelnd über die dünnen weißen Haarsträhne.An ihrem Goldfinger glänzte ein schmales verschliffenes Ringlein mit blutrotem Stein.
„Er ist maussteintot, der alte Hansel“, sagte der Nachbar Bäcker; „so hat ihn der Milcher vorhin gefunden, den Kopf auf der Türschwelle, erfroren und maustot.“
„Ja, da sieht man's wieder“, machte flüsternd der Nachbar
439 Schneider zum bedenklich schnupfenden Waisenvogt: „Da hat er gesündigt, he, und da hat er auch büßen müssen.Ein Grabgitter“, setzte er bei, und vertat weit sein rotgetupftes Nastuch, „kamn er sich selber nun auch nicht machen;muß froh sein, wenn ihm die Gemeinde ein Holzkreuzlein stiftet. Das hat er von seiner Kunst. Über Solidheit geht nichts, das ist alleweil und alleweil mein Wort.“
„Wie ist er dem hieher gekommen?“ fragte der schwerhörige Sigrist.
„He, die Landstraße hat ihn halt an den Beinen wieder hiehergezogen“, machte halblaut der Schneider; „er ist ja immer darauf rundum gelaufen wie verhext.“
„Wer?“ fragte, die Hand ans Ohr haltend, der alte Sigrist.
„Die Landstraße!“ lärmte ihm der Bäcker ins Ohr, „die Landstraße, die
Landstraße!“