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er Federstrich des deutschen Kaisers, den er unter D das Dokument, den Westfälischen
Frieden betreffend, tat, brachte die übrig gebliebenen Glocken im Reich herum in Schwung;
sie hielten sich in jenen erlösten Herbsttagen vorweg vier Wochen ans Läuten, damit die
Winde nach der Reihe die wirklich frohe Botschaft in die Seitentäler und verlorenen
Hinterländer hinein tragen konnten. Als das mit vieler Gründlichkeit geschehen war, sahen
sie sich um, was es ferner zu beläuten gebe, da man doch einmal daran war, und entdeckten,
daß es nicht mehr so weit bis Weihnachten sei. Da fingen sie erst recht an zu tönen und zu
brummen. Sie sangen wie die Lerchen in den leise schimmernden Winter hinein. Sie brüllten
wie die Kälber auf der Weide. Sie bellten hoch und tief, gerieten in ein tolles, planloses
Plappern und Miauen,und schüttelten sich vor Lachen. Sie lachten mit offenen Mäulern aus
allen Turmluken heraus. Sie wollten bersten vor unbändiger Radaulust. Die Klöppel hüpften
wie die verkehrten Narren in ihren eigenen Kappen herum, und die Glockenseile führten
stille, selbstvergnügte Schlangentänze dazu auf. Darüber wurde es Neujahr, und es war seit
Menschengedenken das erste
Während es sonst den Menschen so gegangen war,daß der Krieg sie mit Furcht oder Nötigung
umgetrieben hatte, und sie sich nun anschickten, zur Ruhe zu kommen und Ordnung um sich
her zu verbreiten, gab es einen Gelegenheitsschulmeister und landfremden Windbeutel namens
Ruodi Bürgler aus der Schweiz, der mit dem Anbruch des Geläutes plötzlich den Faden verlor
und in Unruhe geriet. Er hatte ein Jahr lang mehr schlecht als recht auf einer
thüringischen Burg Rittersöhne unterrichtet in den Wissenschaften, die ihm gerade vom
Hörensagen bekannt waren, Rechnen, Schreiben, Lesen, ein bißchen Französisch, ein wenig
antike Geschichte und Mythologie, und nach seinem besonderen Talent allerlei Architektur
des Luftschlosses. Er hatte gegessen und getrunken, mit dem Schloßherrn gejagt, mit der
Schloßfrau gedichtet, mit den Mägden geschäkert und mit den Knechten gebechert. Aber eines
Tages erklärte er, es sei jetzt genug,nahm seinen Lohn, schnürte sein Bündel und schnallte
sich einen Degen um. Am Montag nach Palmarum sagte er ade, trat aus der kleinen Pforte an
den freien deutschen Tag heraus und setzte dort eine Wanderschaft,die er vor einem Jahr am
selben Ort abgebrochen hatte,sogleich so kräftig und gewissermaßen staubig fort, als wären
es erst drei Tage her. Die Rittersbuben begleiteten ihn bis zur Gemarkung. Der jüngste
weinte, der mittlere schimpfte, der älteste weissagte baldige Umkehr zu den Brotkörben.
Der Magister schwieg und schnitt ein Gesicht
„Paßt jetzt einmal gut auf,“ hob er an zu reden.„Ich will euch etwas sagen von der Art,
wie ihr von mir noch nichts vernommen habt. Ihr seid nämlich erzdumme und verkommene
Gelbschnäbel, das kann niemand wegschtreiten, der etwas vom Leben weiß.Ihr meint, ihr
hättet wunder was gelernt bei mir das Jahr her, aber das Grünfutter soll sich in acht
nehmen,daß die Gaiß nicht drüber kommt; sonscht sag' ich nichts.Bittet den Vater, daß er
einen richtigen schtudierten Magischter auf die Burg holt für euch Tunichtgute. Er soll
nicht wieder einen Kerl von der Schtraße nehmen,der ihm etwas auf französisch vorwebt, und
ihn fragen,ob er seinen Buben obliegen will, sondern Atteschte verlangen, und das
schwerwiegende. Was ich euch da eingeflößt hab', das ischt alles blauer Dunscht. Mein
Vater ischt ein reformierter Theolog gewesen, nur ein Landpfarrer in der Schweiz, aber
keiner von den schlechteschten, und da ischt einiges an mir hängen geblieben.Gelernt hab'
ich meiner Lebtag noch nichts; darum ischt auch nichts aus mir geworden, und kann ich dito
aus andern nichts machen, als Hanswurschte und Luftschloßarchitekten. Ich habe ein Jahr
lang warm gelegen, und so gut. Das verleidet einem auch wieder. Vergeßt mich dafür zehn
Jahre lang und denkt nur darauf, große Kerle zu werden vor Kaiser und Reich. Dann wird von
selber eine Zeit kommen, daß ihr euch wieder an mich erinnert mit meinen Luftschlössern
und Wasser
Er nickte den Rittersbuben kurz zu und hob sich davon. Die Knaben standen auf ihren jungen Füßen beim Grenzstein fest und wunderten stumm dem merkwürdigen Gesellen nach, der unter aller seiner selbstdeklarierten Nichtsnutzigkeit so mäunlich und wohlbewußt die Straße dahin zog. Es war ihnen, wenn sie nur so viel Haltung an sich zu bringen vermöchten, wie dieser Hans Unruh aus der Schweiz, so könne es ihnen schon nicht fehlen. Natürlich nahmen sie an, er wisse auf das Haar, wohin er ziele und was er im Sinn führe, und möge es ihnen nur nicht auf die Nase binden. Sie stellten sich eine sehr schöne und kluge Mission über seinen Weg an den Horizont gebaut vor, und als er ihnen endlich zwischen Bäumen und Hügeln aus den Augen gekommen war, machten sie nacheinander mit vollen Herzen kehrt und mit dem Bewußtsein, keine häßliche und auch keine kleine Zeit hinter sich zu haben.Sie traten den Rückweg nach Hause an und gingen bereits ernsthaft, wenn auch mit etwas Mißtrauen und leisem Bedauern, in ihren Gedanken dem verschriebenen studierten Magister entgegen.
Unterdessen fing der Schweizer nach seinem sobeschaffenen Abzug damit an, mit System und
Willen die Wegstunden und Dörfer hinter sich zu bringen, erst die verschiedenen vom Sehen
und später vom Hören
Trotzdem stimmte seine Voraussetzung nicht völlig.Er kam mit der Mitte der Karwoche in
ein Land, das nicht nur keinen Herrn mehr hatte, sondern je länger je weniger Bauern,
Ochsen, Bäume, Pferde und Schafe.Er trat aus dem Freudengeläut der Glocken an das
Schweigen dieses Landes und seines Tages hervor,wie aus einer Brautmesse auf den Kirchhof.
Er kam in das ärmste Land der vergewaltigten, zerschlagenen und siebenmal beraubten
deutschen Ehefrau der habsburgischrömischen Kaisermacht in Wien, und es war ein Jammer zu
sehen und zu erfahren, wie der Ehe
Der Schweizer wanderte schön braun und blau, mit gespicktem Beutel und ideenleerem Kopf
durch diesen ausgebreiteten Notstand, und es fiel ihm nichts weiter ein dabei, als daß er
sich darüber aufbrachte und die unbegreifliche Schlechtberatenheit der Hüter tadelte,die
diesen Landen vorgestanden hatten. Er war von Haus aus ein zu gutes Bauernblut, als daß
ihm die Verwüstung ganzer Herzogtümer nicht persönlich an den Kragen ging. Er dachte
grimmig an die fremden Söldnerheere, die mit Feuer und Schwert unter den gesegneten
Kulturen hatten hausen dürfen, und mit stärkstem Mißbehagen an ihre Rädelsführer, den
choralsingenden schwedischen Eiswolf mit dem unstillbaren känderhunger in den Kiefern, und
den doppelt maskierten und parfümierten glatten Hühnermarder überm Rhein, der auch nicht
weniger lieblich zu singen verstand, nebst den übrigen christlichen Majestäten
gottverlassenen Umtriebs. Der Zorn des Gerechten stieg auf in seiner lämmerflockigen
Hirtenseele mit einer zwar trüben, doch nicht unkräftigen Stoßwelle, die schon eine
Hoffnung oder einen Willen in Bewegung hätte bringen
De äußere Anstrich von Tüchtigkeit, welcher der Erscheinung des Schweizers anhaftete, lockte arme Teufel an, traurige Bursche, die der Zeitlauf nackt aus dem Nest geworfen und nicht mehr zu Gnaden hatte
Schaffner, Der Bote Gottes
Als der Narr seine erste Unzufriedenheit über die
„Verzeiht, ihr Herren,“ sprach er auf Französisch:„Wißt ihr vielleicht, worin der Unterschied zwischen euch beiden besteht? Ich habe es nämlich jetzt gerade zu sehen bekommen, weil ich etwas willens bin, das nur noch mit der Hauptsache zu tun hat. Wißt ihr ihn?“
Sie wußten ihn nicht, und er belehrte sie.
„Es ist kein Unterschied zwischen euch. Ihr seid,mit Verlaub, beide Narren. Aber wißt ihr den Unterschied zwischen euch und mir? Studiert einmal nach.Ihr seid doch so gelehrt.“
Er freute sich; er hatte den Sinn der Stunde an der Wurzel gefaßt. Der Narr starrte ihn an wie ein böhmisches Dorf, und dachte angestrengt. Er sank förmlich in sich zusammen vor Nachdenken; aber er erriet es wieder nicht. Der Monch betrachtete ihn neugierig und interessiert, wenn auch etwas mitleidig; das focht den Schweizer nicht an; er dachte, die Kutte würde schon zu einer anderen Stimmung kommen, wenn sie den Bescheid vernahm.
„Also, ihr erratet das auch nicht? Ich dachte im geheimen, ihr hättet vielleicht doch den
heiligen Geist und schienet darum nur so, was ihr seid und ich euch schon gesagt habe. Ich
will euch die Antwort kundgeben: der Unterschied zwischen euch und mir ist sehr
Es wäre über diesen Ausspruch vielerlei Kluges und Kurzweiliges zu bemerken gewesen; aber
nun geschah etwas, das der Fantasie des Schweizers eine andere Richtung gab. Eine Faust
fuhr hinter ihm aus dem Busch und warf ihn von dem schönen Misthaufen seiner überlegenheit
herunter mit der Nase ins Gras. über seinem philosophisch-spitzfindigen Krähen und
Scharren war ihm entgangen, daß sich der Waldrand in seinem Rücken belebte. Der Narr
allein hatte beizeiten Wind von der Gefahr bekommen und sich mit Geschrei den Berg
hinunter davongehoben. Er behielt seine Flucht;wer wollte sich mit einem Narren befassen.
Auch dem Kleriker, der nichts zu verlieren hatte und darum dem Geschehnis mit Ruhe
beiwohnte, wurde der Weiterweg offen gelassen, freilich mit Vorschlag einiger
Beschleunigung. Aber dem Schweizer verhalf sein wohlehrbares Aussehen zu Aufenthalt und
Schicksal. Jetzt waren die Buschklepper über ihm und lagen gerade so eifrig seinem
Gegenwärtigen ob, wie er vorhin betrachtenderweise seinem Vergangenen, nur daß sie sich
viel besser auf die Schlußfolgerung verstanden, als er. Sie brachten ihm alle Verlegenheit
der sittlichen Welt in Vergessen, und bewirkten in seinem wirklich ein wenig ermüdeten
Kopf durchaus dringliche und funkelnagelneue Fragestellungen. Sie klopften ihm mit
wunder
Draußen schien der Mond. über der Straße ragte eine Brandruine auf. Er sah, daß er selber
in einer Brandruine saß. Das Elend des deutschen Landes fiel ihm wieder ein. Dann spannte
ihn die Jacke und er erinnerte sich an sein Abenteuer mit den Buschkleppern.Jawohl, so war
es bestellt mit der Welt. Und jetzt dachte er den ersten vernünftigen Gedanken in bezug
auf diesen Zustand: was hatte daraus zu folgen für einen nachdenklichen und tüchtigen
Kerl? Zwar was
Als der Zug vorbei war, trat der Bote Gottes aus der Schweiz wieder an den Tag hervor.
Jetzt fing er an mit dem neuen Leben. „Pandur, geh hin und X den Schnurrbart. Er spähte
noch einmal besorgt die Straße hinauf und hinunter, ob nun auch die Luft wirklich rein
sei. Darauf legte er die Hand an den Säbelgriff, und setzte sich entschlossen in Gang. Er
begann seine neue Laufbahn damit, daß er das Marodöreisen nach einem Hasen warf, der vor
ihm aufsprang,ihn verfehlte und daraus einen Begriff von der Schwierigkeit der Berufung
ableitete. Gegen Mittag kam er mit knurrendem Magen an eine Hütte, die einzeln an der
Straße stand und irgendwie bewohnt schien, fing, ohne viel dabei zu denken, ein Huhn ab,
das sich dort einsam herumtrieb, kriegte zwei weissagende Kerle hinter sich, die ihn für
die Arbeit mit Knütteln auszahlen wollten, nahm Reißaus so viel er konnte, gewann den
Wald, merkte, daß er für diesmal mit heiler Haut davongekommen war, machte ein kleines
Feuer, briet das Huhn ein bißchen daran unter ständiger Kriegsbereitschaft und bei
gezogenem Säbel, und verzehrte es halbgebraten und gedankenvoll. Darauf verlor er sich
unauffällig, aber vielbedeutend zwischen den grauen Waldbäumen.
ie Jahreszeit war so weit gediehen über den D Feldern eines bestimmten thüringischen Landstriches, daß die Sonne dort die ersten Mäuse aus dem Boden herauslockte. Eine Anzahl kenntnisreicher Hauskatzen, die davon durch einen unternehmenden Lebenslauf Erfahrung besaßen, hatten ihre Winterlager verlassen und sich der offenen Jagd zugewandt. Sie waren von jener bewährten graugestreiften Grund und Hauptrasse und ihrer temperamentvollen rotgestreiften Vetterschaft, alle durchaus direkte Linie und nur echter Same.
Kaiserliche und schwedische Kriegsvölker hatten den Bauern hier wie anderwärts die Pflüge
verwitwet und die Ställe verwaist. Zum Beschluß waren die Kroaten erschienen, hatten die
letzten Hühner und die allerletzte Gans aus der Dorfgasse aufgetrieben, und dafür der
Bauernschaft rote Hähne auf die Dächer gesetzt, soviel Häuser da waren. Als die Bauern der
Reihe nach den Verlust erkannt hatten, sahen sie, was zu tun sei.Die junge Mannschaft und
mancher geplagte Hausvater damit, dem die Gelegenheit zu hübsch schien, um einen leeren
Sack abzugeben, bekannten sich zu den vier Winden und wurden darinnen kaiserlich oder
schwedisch,wie es sich gerade traf. Das übrige schlug sich in die Wälder und verlängerte
den Arm. In den Dörfern blieb nur noch ein bißchen Zähneklappern und die äußerste arme
Rechtschaffenheit, hauste so zwischen den Trümmern weiter, zog sich langsam wieder etwas
wie
Schaffner, Der Bote Gottes
„Nennt ihr das Schafe hüten, ihr Bande? Nennt ihr das Schafe hüten?“
Aber sie hatten gar keinen Versuch gemacht, das so zu nennen; sondern weil der
schwanzlose Tunichtgut vom Feld angelaufen gekommen war, hatte man das Kreuz gebläut
gekriegt, und so war's gut. Das heißt, die Magd Christine war damit nicht zufrieden, und
ihr kam überhaupt nichts gut vor. Als der Bauer aus der Stalltür trat und fragte, was es
denn gebe, sagte sie,Kreuz und Leid gebe es, und wenn man das Schafe hüten heiße, so solle
der Bauer noch das Haus anzünden, so brauche man auch darauf nicht mehr auf
Der Bauer wischte sich die Nase mit dem Handrücken und strich friedfertig damit an der Hose herunter.Auf Mauern und Zäunen saßen wohlgeborgen und klug die besprochenen Hofkatzen, grau und rotgestreift nach ihrem Vermögen, und sahen ihm zu. In jedem Winkel hockte ein schwarzer Köter und lauerte mit blauglühenden Augen auf den Ausgang der Unterredung. Aber die lumpige Kleinkinderschule drückte sich an den Mauern hin nach dem verfallenen Hoftor, um das Freie zu gewinnen; fünf, sechs Hunde juckten aus ihren Löchern hervor und rannten ihnen eifrig voraus; nur die beiden Kleinsten, ein Hemdenmatz und ein Daumenlutscher,machten sich zum Bauern und fingen an zu weinen,sobald sie in seiner Greifnähe waren.
„Geschäft,“ antwortete der Bauer seiner Magd und sah sie besorgt an: „Geschäft ist das ja keins, Christine.“
Eigentlich hatte er schon ausgeredet, aber er fügte noch etwas hinzu, indem er die beiden Schreimätze zu sich zog und ihnen gedankenvoll die Köpfe kraute:
„Ich weiß auch nicht, warum du das Haus anstecken willst, Christine. Raubwesen hat's jetzt überall vom Krieg her. Man muß nicht Angst haben davor.Denn wieso? Gott wird's machen.“
Der Bauer war jetzt sechsunddreißig Jahre alt, und es hatte all sein Leben noch keiner
von ihm gesagt, er
Die Magd Christine war nicht zufrieden mit der Antwort des Bauern. Sie runzelte die Stirn und sagte,das sei Gerede für kleine Kinder. Dann ärgerte sie sich und fügte die Frage hinzu, warum denn Gott da nicht das deutsche Land besser gehütet habe? Oder ob die Deutschen bloß zum Prügeln da seien? Und schließlich wurde sie richtig zornig und legte los.
„Ich will dir sagen, was Gott machen wird. Daß
Der Bauer lachte.
„Was haben sie dir wieder zuleid getan, Christine?“fragte er und freute sich. Man sah wohl, daß er dem Mädchen Christine nicht im mindesten übel gesinnt war,und daß es ihm sogar sehr gut gefiel; aber Christine mußte sich mit Kindern, Kötern und Katzen herumschlagen.
„Zuleid getan?“ grollte sie, durch Beschämung etwas gesänftigt; denn immerhin hatte sie den Respekt vergessen. „Die Schafmilch ausgesoffen haben sie mir wieder. Wovon soll ich dir jetzt Schafkäse machen?“Es war etwas Schönes um Schafkäse, wußte der Bauer. Doch gab es keine Ursache, sich um den Trost zu bringen, wenn sie die Milch ausgesoffen hatten.Außerdem war die Frage, wer es getan hatte.
„Wer hat sie denn ausgesoffen, Christine?“
Wenn der Bauer meinte, Christine eifere um die Milch, so irrte er sich. Sie meinte den
Zustand.
Der Bauer freute sich weiter.
„Iß mit mir aus meinem Teller, Christine,“ schlug er wohlmeinend vor.
Die Magd antwortete mit einem geärgerten Blick unten herauf. Sie faßte sich in der Tiefe und kam zum Schlußsatz.
„Nein. Es ist mir alles verleidet.“ Ihre Stimme klang nun müde und lustlos. „Entweder der Betrieb geht, oder ich geh'. Ich begehre nicht mehr der Narr zu sein, der in den Wind predigt. Mache, was du willst, das ist mein neuer Glaube. Ich meine nicht,daß ich just ein Ketzer sei damit.“ Sie zog die Augen von ihm ab, ließ sie mit einem dunkel gequälten Ausdruck den Brandmauern entlang streifen, die den Hof zum größten Teil ausmachten, schaute weiter um sich und seufzte. „Der Hof sieht wieder aus,“ beschloß sie und ließ unmutig die Arme hängen.
Indem hatte sich der Bauer aufmerkend über einen der beiden blonden Kinderköpfe gebeugt,
und auch eine Beobachtung gemacht.
Er führte ihr den besagten Franzel zu. Sie nahm ihn wort und hoffnungslos, doch nicht ohne Zartheit von seiner Hand, und ging willig mit ihm zur Feierabendbank, die vor dem Haus stand. Das machte ihre sittliche Persönlichkeit aus: sie war die erklärte Hand Gottes, wie der Bauer das Herz; was darunter kam,das wurde unweigerlich vollbracht; aber nachher räsonierte sie unter Umständen. Diesmal freilich sah sie sich ins oolle Licht der erbarmungsvollen Zustimmung gesetzt,weil der Franzel das leibhafte jüngste Kind des Bauern war. Und so wurde auch über seinem verwilderten Schopf für diesmal Frieden geschlossen. Dafür schob sich der Bauer nach dem Stall, brachte einen Reisigbesen heraus, spuckte einsichtig in die Hände und begann den Hof zu wischen.
Er war nur gerade mit einem Zipfel in die erste Reinlichkeit gediehen, so gab es, wieder
vom Feld her,einen neuen Aufstand. Die Hunde draußen heulten und wüteten, und die Kinder
schrien wie vor dem Räuber.Augenblicks schossen alle zurückgebliebenen Köter begeistert
über den Hof und aus dem Tor, und die Katzen verschwanden von Zaun und Mauer nach ihren
Sicherheiten. Dann kamen zwei Schafe gerannt, angeführt von dem schwanzlosen Tunichtgut,
der jetzt von Blut
„Ho, ho, ho, ist das auch eine Antwort für einen Hund, ho, ho? Eine Maulschelle? Stummel, komm her. Komm her, sag' ich. So. Sei mal, ho, vernünftig mit Gottes Hilfe. Du weißt doch jetzt Bescheid. Wir verstehen uns mal verständlich zu machen, ho, ho, ho!Hast dem Wolf auch das Landesgesetz ausgelegt. Ja,ja, die armen Schäfchen, Stummel. Aber die weiden jetzt schon im grünen Paradies. Haben ja noch zwei,und das eine macht nächstens Junge, dann sind's wieder sechs oder sieben. Heda, haben denn die Waölf' alles aufgefressen? Ist nicht etwas übrig geblieben von den Schafen?“„Doch,“ schrien die Buben. „Sie haben sie nur angebissen. Nachher liefen sie doch davon.“
„Ha, wollt ihr wohl lange Beine machen, ihr Unkräuter, und das schöne Fleisch heim holen, bevor die Racker wieder kommen? Ist denn das eine Haushaltung,einen Osterbraten auf dem Feld liegen zu lassen? Nehmt die Hunde mit. Und Stecken. Immer auf die Nasen,wenn sie kommen; dort hat sie Gott empfindlich gemacht. Hopp, hopp!“
Die Bande fuhr mit Kriegsgetümmel ab, worauf es wieder still wurde in der Hofstadt. Die
Ostersonne schien. Es war eine Fülle Auferstehung im Licht, wenn es die Glocken auch nicht
beläuten konnten, weil man sie gestohlen und den Krieg damit bezahlt hatte. Der Schatten
von zwei wandernden Sktörchen ging über den Hof. Der Bauer sah auf und es kam ihm vor, als
„Christine, sag' mal, siehst denn du etwas auf die Art?“
Christine schüttelte den Kopf. Nein, sie sah gar nichts. Aber sie nahm sich zusammen, wischte sich mit dem AÄrmel einmal über die Augen, und sah gleich wieder eine Menge. Der Bauer nickte.
„Wenn wir die Hunde nicht gehabt hätten, kein Schwanz wär' uns lebendig in den Stall zurück gekommen.“
Die Magd schnaubte sich die Nase mit dem Schürzenzipfel, weil ihr Augenwasser darein gekommen war.
„Und die Katzen, Daniel,“ erwiderte sie mit dem tiefsinnigen und maßvollen Spott des Trauernden.
Daniels Augen leuchteten auf, erstlich weil er an sein Vorbild dachte, an den großen
Vater im Himmel,
„Christine, die Katzen, die hat Gott auch geschaffen.Und er hat sie noch besonders lieb, sonst hätt' er sie nicht so artlich gemacht, daß jedermann seine Freude dran haben muß. Soll man denn nun mit dem Totschläger zwischen sein Vergnügen hinein fahren? Wie würde man dann dastehen vor ihm am jüngsten Tag?“
Christine verhärtete sich.
„Er hat die Wölfe geschaffen wie die Katzen,“ sagte sie, nicht mehr so traurig wie vorhin, „und hätte es nicht getan, wenn es ihn nicht was Rechtes dünkte.Die schlägt man tot, wo man sie findet; du hast die Jungens mit Knüppeln gegen sie geschickt.“
Der Bauer guckte wieder besorgt drein.
„Ich hab' noch keinen Wolf totgeschlagen, Christine,“rechtfertigte er sich. „Will es auch nie tun, weil sie Gottes Geschöpfe sind, ha ja. Und die Buben sind zu schwach dazu. Sie können ihnen nur auf die Nasen geben, das vertragen sie nicht.“
Das Mädchen Christine faßte sich mit einer Hand in Franzels Schopf fest, daß ihm die Augen übergingen.Sie saß jetzt ganz strack und richterlich da in ihrem düsteren Ansehen.
„Aber die Schafe schlachtest du ab, sobald dir die Zähne nach Schaffleisch stehen. Hat die der Teufel gemacht?“
Das schlug ein. Der Bauer hatte die Zunge im Mund und wußte seiner Seele auf einmal
keinen Rat mehr. Seine Ohren waren voll Todesgeschrei und
„Ha ja, du hast schon recht, Christine,“ bekannte er. „Das muß man das arme Vieh muß man auch leben lassen. Es freut sich doch so und hüpft in seinem grünen Gras, das ihm Gott wachsen läßt. Ich glaub'auch wohl, daß er uns Fleisch schickt, wenn wir Fleisch haben sollen. Wir haben ja die Wolle und die Milch,Christine.“
Diesmal war das Mundaufsperren an Christine;nur wurde es ihr nicht rot vor den Augen
dabei, sondern schwarz. Freilich dauerte sie die Schafskreatur, wenn man ihr den Hals
abschnitt wie einer schlechten Rübe;doch das mußte nun einmal so sein, weil es zur Ordnung
gehörte; wie durfte man da sagen: man muß das Vieh leben lassen? Was gab dann das für ein
Bauernwesen? Ihre Seele schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Sie starrte den Bauern an
mit dem tiefbegründeten Grauen des Normalmenschen vor dem Genie.War er nun unter die
Heiligen gegangen oder unter die Narren? Man konnte nachgerade nicht mehr an seinen Witz
denken, ohne daß einem ein Knoten in die Luftröhre geknüpft wurde. Herrgott im Himmel, war
das eine Not mit einem Menschen, der nichts wollte,als nur gut sein, und der vor lauter
Augen für die Kreatur keine für das Mühehaben des Nebenmenschen erübrigte!
Ondessen wurde für diese Verlegenheit auch heute J kein Entscheid gefunden. Auf einmal stand der kleine Hemdenmatz, den man über den Verhandlungen ganz vergessen hatte, vor dem Bauern, krummbeinig,ungewaschen und ungeschneuzt, mit den schönsten roten Wangen, die man sich denken konnte, und oben heraus aus den blauen Augen von einer unsäglichen Zärtlichkeit des Ernstes. In den Händen hielt er einen Beutel oder Sack mit einem Inhalt, der dem Bauern gleich aufs erste Ansehen gewichtig und irgendwie ernsthaft vorkam. Er reckte verwundert seine behaarte Hand aus und nahm das Ding an sich. Oben war es mit einer Schnur zugebunden; als er die aufzog, zeigte es sich, daß der Sinn der Erscheinung in vierzig, fünfzig Goldstücken bestand nebst einer Anzahl Siegel und Schmuckringen, Spangen, Agraffen und sonstigen Köstlichkeiten, von denen er nicht einmal den Gebrauch ahnte.
„Schau, schau!“ machte er bedächtig. „Wo hast du das denn her, Mäusel? Ist mein Seel ein ganzer Schatz. Da guck mal, Christine.“
Er langte der Magd den Beutel hin und war nicht aufgeregter dabei, als wenn das Kind ein
Etück Glimmerschiefer gebracht hätte. Er schien auch so wenig wie dieses einen Begriff von
der Bedeutung des Geschenkes zu haben, das der Krieg ihm da in seinen Frieden hinein
überreichte. Dafür war Christine jetzt ganz auf dem Laufenden. Ihr ging ein richtiges
„Jetzt kannst du machen was du willst im Land,Daniel,“ sagte sie. Sie sah mit Respekt und Bewunderung zu ihm auf, als hätte er schon alles ausgeführt und noch viel mehr, als sie in der Eile überschlug. Aber er verstand kein Wort von ihrer Ansprache,so wenig es waren, antwortete völlig unberührt und nur etwas befremdet von ihrem Aussehen, daß man es halt weglegen müsse und warten, bis sich vielleicht jemand darum melde, und griff von neuem zum Besen,um die unterbrochene Arbeit fortzusetzen.
Der Bauer war ein Dickfeller und hatte seine eigene Freude in sich. Doch Christine stand
im Leiden der Zeit wie ein poröser Baum, der sich langsam und sicher
„Was ist da zu warten,“ sagte sie unmutig. „Wo der Tod durchgegangen ist, gibt es nichts mehr zu warten.“
Er blickte auf. Sie verbreitete wieder Dunkelheit um sich; allein es fiel ihm weiter nichts ein dabei,weil er sie nicht anders kannte: Er war so ungeheuer stark in seinem selbstherrlichen und eigensinnigen Wohlwollen, daß er nicht einmal merkte, wie da jemand Tag für Tag mit ihm rang und dabei von der Gnade kam.„Ich weiß wahrhaftig nicht, was wir damit sollen,Christin,“ erwiderte er dringend. „Wem willst du hier Zähne abkaufen hinter dem Krieg her? In Gottes Hand hinein zählt man keine Golddukaten. Wir sind in Gottes Hand.“
Er bückte sich, hob einen Stein auf, schleuderte ihn über die Hofstatt hinweg ins
Brandgemäuer, und tat noch ein paar Züge mit dem Besen. Inzwischen öffnete Christine das
zweite Augenpaar ihrer tieferen Spekulation. Das Gut war immerhin auf den Hof gekommen. Es
stand jetzt nur noch beim Wirken des Augenblicks, so wurde es auch Eigentum. Sie reichte
Schaffner, Der Bote Gottes
„So bring' dem Vater den Sack wieder!“ Und indem sie die Stimme etwas erhob, fuhr sie zu diesem gewandt mit einem seltsamen blauen Licht in den Augen und fast wieder mit dem vorigen neckischen Mund ein Augenblick war doch etwas, das man unter Umständen herbeiführen konnte fort: „Laß ihn das Kind hintragen, wo es ihn gefunden hat,Daniel.“
Dem Bauern blieb der Besen stehen wie angeleimt.Das war noch einmal eine Idee! Kurzweg in Gottes Hand zurück kam jetzt das Ding.
„Ist wahr, Mäusel,“ sagte er zu dem Kind, das wieder mit dem glückhaften Beutel in den Händen zärtlich und ernsthaft zu ihm aufsah: „Trag den Verlust hin, wo du ihn her hast. Können nichts anfangen mit Verlust,ho, ho. Denn wieso? Das ist dem Herrgott seine Rechnung; wir wollen ihm nicht ins Handwerk pfuschen.“
Das Licht in Christines Augen erlosch. Nein, man konnte hier gar nichts herbeiführen; es
juckte einen nur in den Händen nach Stecken und Stangen. Sie wußte in aller Hast nicht,
sollte sie ihm jetzt mit einem Mauerbrecher über den verschlossenen Schädel kommen,sollte
sie dem Kind nachlaufen und das Gut gleich unter ihre Bestimmung bringen, oder sollte sie
den unbegreiflichen Schafskopf einfach seiner Seligkeit überlassen. Sie blickte dem Kind
nach. Das bewegte sich auf seinen krummen Beinen mit dem Beutel im Arm quer über den Hof
auf das Brandgemäuer zu, vor
Für diese entschwundene Erscheinung trat unterm Hoftor eine neue auf. Wie das Mädchen Christine in der Unruhe ihres Herzens die Augen eben dahin wandte,sah sie aus dem dortigen Schatten zwei fremde Kinder in den Hof treten, einen Jungen von etwa elf Jahren,der ein siebenjähriges Mädchen an der Hand führte,beide halb verwildert und übel bekleidet, blond, blauäugig, ziemlich verhungert und barfuß, und das Mädchen hinkte und weinte. Der Ton des Weinens ließ auch den Bauern aufgucken. Der hatte kaum den Sachoerhalt erkannt, so wunderte er sich wieder. Er tat das,indem er seinen struppigen Kopf auf dem Hals vorreckte, wie wenn er besser sehen wollte, den Mund aufsperrte, das rechte Knie herausstieß und die halbgeöffnete rechte Hand mit dem Rücken dagegen schlug. Das zweite Stadium war ein stilles, inniges Lachen gegen Gott, das ihn von der kleinen Zehe bis unter den Haarwirbel füllte, weil der ihm nun wieder so ein Kroppzeug ins Garn geführt hatte. Es war die Art, die ihm am besten anstand von allen Arten, einen Verkehr mit Gott aufrecht zu erhalten. Es steckte für ihn so etwas darin, wie ein Existenzbeweis für beide Teile.
Die Kinder hatten ihren Vormarsch zum Stillstand
„Ha ja, paß mal gut auf, du, daß du nicht gefressen wirst. Schau her, was ich für ein Gebiß hab',häl Er bleckte seine Zähne aus dem schwarzen Bart heraus und knurrte dazu wie ein Bär. Dann nickte er dem Jungen lustig zu: „Weißt was? Komm mal her zu mir mit deiner Liebsten. Nimmt mich doch Wunder,warum sie heult. Und dann gibt's was zu essen; Schafbraten sogar. Denk mal. Wo kommst her, du?“
Der Junge zauderte noch einen Augenblick, dann faßte er das Mädchen fester bei der Hand,
sagte:„Komm!“ und setzte sich in Gang mit ihr. Der Bauer kam ihm auf halbem Wege entgegen,
und dann brauchte er weiter keine Zeremonien, um herauszukriegen, was er wissen wollte.
Das Mädchen Christine hatte die Hände von dem Daumenlutscher sinken lassen, hielt sie
neben sich um die Bankkante gekrampft, und horchte vorgeneigt mit einer Spannung, die
erbärmlich und unruhig zu nennen war, auf die Entwicklung des Handels. Also die Kinder
kamen aus dem Oberland. Ihr Haus war mit dem ganzen Dorf noch kurz vor dem
„Freilich, freilich,“ sagte der Bauer. „Das ist schon ein Leiden geworden von wegen dem rechten Glauben.Aber jetzt ist Frieden.“ Er fuhr dem Jungen mit der Hand durch die Löwenmähne, die seinen Kopf zierte,beugte sich zu dem Mädchen herunter und hob ihm mit einem Finger das Kinn in die Höhe: „Oi, oi, was sind das für Sachen! Ich muß doch mal sprechen mit dir.Nämlich wie heißt du eigentlich? Oder haben dir die Schubiacke auch den Namen fortgeschleppt? Du heißt ja wahrscheinlich Kaspar, soviel ich sehen kann.“
Der Spaß tat die erwünschte Wirkung. Das Mädchen hörte auf zu weinen und hob entrüstet das Gesicht von den Händen.
„Nein, Marie heiß ich,“ antwortete es vorwurfsvoll;es betrachtete sich den Menschen nun genauer, der so dumm an sie herredete. Wie konnte sie Kaspar heißen?So war schnell die Gleichstellung eingerichtet, ohne die bei so jungen Jungfrauen nichts zu erreichen ist, wie der Bauer wohl wußte. Dann wurden die Füße besichtigt und die übrigen Tatbestände der Not festgestellt,und schließlich kam der Verlauf der Angelegenheit direkt auf das Mädchen Christine zu.
„So, so,“ schloß der Bauer das Verhör, halb gegen
Das war der Eigensinn seiner Liebe; er fragte keinen zuvor, ob er auch Gebrauch machen wolle davon, sondern maß jedem sein Stück an, wie es ihm vorkam, als könne er es brauchen. Er meinte, es sei alles arme Volk extra für ihn gemacht, daß er es in seinen Sack stecken könne. Und in die jüngste Barmherzigkeit war er immer besonders verliebt, bis wieder eine noch jüngere kam, und die vorige dem allgemeinen Zustand überwiesen wurde. Wenn es ihr da auch nicht schlecht ging, so war das doch die Rückenschwäche in seiner Beweisführung, die er freilich wie die kräftigen Wunder mit seinem lieben Gott gemein hatte.
Christine saß noch in der gleichen gespannten Haltung wie vorhin auf ihrem Platz,
derweilen die Kinder gegen sie ankamen. Sie blickte ihnen entgegen wie einer Gefahr. Es
mußte etwas in ihrer Erscheinung sein, das sie mit Gefühlen der Furcht erfüllte und mit
einer angstvollen, unglücklichen Bereitschaft zu irgendeiner Tat oder Unternehmung, von
der sich vorderhand noch kaum eine Ahnung in ihr regte. Sie hatte nichts dagegen, daß die
Kinder ein Stück Brot haben sollten.Sie mochten sogar Schaffleisch mitessen. Aber dann
„Daniel,“ redete sie ihn an, und ihr Ausdruck war ganz demütige Bitte: „Sie sollen auch über Nacht dableiben. Das Mädchen ist schlecht zu Fuß. Weil doch Ostern ist. Aber morgen müssen sie weiter, Daniel.“
Der Bauer erschrak gleich zweimal hintereinander.
„Gottswunder, Christine,“ machte er und fuhr sich an den Bart: „Wieso müssen sie weiter?“Sie nahm die Hände von der Bank fort und faltete sie auf den Knien. über der Demut ging ein Schein von Bekenntnis auf, in dem sie gleichsam erst ihre rechte Farbe zeigte; und da war es ein ernsthafter und schon weit gediehener Kummer. Die Bitte wuchs.
„Daniel, für wen siehst du mich an? Ich kann das nicht mehr, so für alle und für nichts. Was hat man davon? Du mußt dir da jemand anderen dazu nehmen;ich bin dann halt fertig.“
Der Bauer kam sich elend dumm vor unter dieser schwacherleuchteten Rede. Er tat einen Schritt gegen das Mädchen Christine.
„Meinst du, ich versteh da was davon,“ ersuchte er sie. „Mit was bist du fertig? Wozu soll ich mir jemand anderen nehmen, ha?“
Sie krümmte sich einmal hin und einmal her mit ihrem Leid. Die Vormüdigkeit der allzu oft
gemachten
„Ich bin nicht du. Ich hab' kein weites Herz. Ich bin da, daß ich dir dienen soll. Du bringst immer anderes auf dazwischen hinein. Das andere kümmert mich aber nicht. Es ist jetzt wieder Friede. Ich mache nicht so fort und verliere meinen guten Willen an deine Barmherzigkeit. Entweder ich arbeite hier auf dem Hof und auf dem Feld für dich, daß du wieder vorankommst in der guten Zeit, oder ich sehe, daß ich weiter finde.“
Der Bauer Daniel hatte einen Kopf, da konnte man mit keinem Hammer einen Nagel hineintreiben. Er begriff nach wie vor nichts.
„Ha ja,“ entgegnete er, „es ist hier nimmer so schön,seit die Schubiacke drüber gewesen sind. Ich glaub',du willst's halt besser haben. Was muß ich denn tun, ha?“
Christine stand mit einer Art von Hast auf, als ob er ihr schon alle Wünsche und noch drei darüber hinaus gutgesagt hätte.
„Daniel,“ bat sie mit fortgefalteten Händen und schielte wieder ein wenig: „Schaffe den
Verdruß vom Hof, daß man anfangen kann, etwas vor sich zu bringen.Du bist es deinen
Kindern schuldig; sie haben schon wenig genug Platz am Tisch; da kannst du nicht noch
fremde dazu nehmen. Wir sind doch nur Bauern; was soll denn da der ganze Betrieb mit der
unordentlichen Erbarmung?Wenn das Gott von dir gewollt hätte, so wärest du als ein reicher
Junker zur Welt gekommen, oder er hätte einen Erzvater aus dir gemacht. überhebe dich auch
nicht.“
„Ich bin ein Erzvater,“ stellte er fest mit Andacht vor der Kraft, die ihn trug. „Du erkennst das nicht,weil du ein Weib bist und nur Schafkäse und Rüben im Kopf hast. Es kann dir aber geschehen, daß Gott dir über Nacht den Trotz aus den Fingern nimmt;dann wirst du mir vielleicht eine Gehilfin werden.“
Christines Hände lösten sich. Um ihren Mund, der so neckisch sein konnte, trat der öde Zug der Unzufriedenheit wieder hervor. Sie wandte sich mit einem viertelspöttischen Blick ab, um ins Haus zu gehen, und sagte dabei, was ihr die Situation eingab:
„Ich werde dir gar nichts werden.“
Sonst nichts. Sie verschwand in der Haustüre,ohne den Daumenlutscher fertig gelaust zu haben.
Nachher traten die Hunde und Kinder wieder an mit Knüppeln und mit Spießen, und mit
aufgeregtem Getöse. Sie brachten einen einzigen traurigen Schafskopf hergeschleppt als
ganzes Ergebnis der hoffnungsreichen Erpedition. Und der getdtete Wolf war auch von seinen
Knochen verschwunden.
ls Christine auch diesen Erfolg erfahren hatte, fand A sie, es sei jetzt genug Heu unten.
Sie kochte von der letzten vorhandenen Grütze eine dünne Suppe, füllte dem Bauern Daniel
den Teller, verzichtete für ihr Teil auf die Mithaberschaft, ging aus der Stube, und ließ
den torichten Vater mit seinen vierzehn Kindern und dem Suppenkübel da sitzen. Sie konnte
kaum ausschreiten vor Kötern und Katzen, die den übrigen Raum des Zimmers füllten und auf
Abfälle lauerten. Sie hatte den Schafskopf in die Suppe gekocht, und das rochen die
Taugenichtse; aber der Bauer hatte die wichtigeren Stücke schon in seinem Teller; die
andern hingen noch am Kopf. Nun kämpften die Kinder, die direkt aus dem Kübel aßen, darum,
lamentierten und schrien, rissen den Kübel hin und her, daß die Suppe über den Rand
schwapperte, schlugen sich die Löffel um die Ohren, und die Kleinsten, die mit den ihrigen
nur verlorene Anstrengungen machten, resignierten und verlegten sich aufs Heulen. Dabei
fiel ein Stück Brot vom Tisch zur Erde. Die Köter stürzten sich darüber, der Eigentümer,
der fremde Junge mit dem kleinen Mädchen,merkte es und warf sich zwischen die Köter, aber
der Schwanzlose, der noch immer sein Benefiz im Kopf hatte, schnappte es im letzten Moment
weg und verschluckte es ungekaut. Dafür fing er einen Fußtritt.Er wollte heulen und konnte
nicht, weil ihn das Brot würgte. Er geriet in Aufregung; so etwas war ihm noch nie
passiert. Die Augen traten ihm aus dem
In der Weile stand Christine in allem Sonnenschein auf der Landstraße und schlug sich mit
einem wilden Panduren herum. Sie hatte sich Wort gehalten und der hoffnungslosen
Wirtschaft den Rücken gedreht, um zunächst ihre Vetterschaft in der Stadt aufzusuchen, den
Sternseher Balduinus Alizel und seine Ehefrau, ihre Base Luna. Von dort aus hoffte sie den
Sprung in neue Verhältnisse zu unternehmen,um dann die Rechnung des Lebens auf einem
frischen Blatt von vorn anzufangen. Zunächst war ihr nun freilich ein Pandur in den Weg
getreten und verlangte allerhand von ihr, was sie zum Teil nicht be
„Gotts Sternenkaib, Ruodi Bürgler, die ischt nicht von Milch und Honig. Sie hat dir
meineidig Guten Tag gesagt. Aber sie ischt doch bloß im Frieden möglich. Im Krieg hätte
sie einmal erfahren sollen, was ein rechter Pandur so fertig bringt. Beim Hagel, ich bin
glaub' ganz verrückt von dem engen Heidenwams und von der gottlosen Wüschtenei; das kann
man gar nicht aushalten. Ich weiß jetzt, warum die Tiger und Bären immer aus der Wüschte
kommen. Was habe ich denn eigentlich gewollt mit diesem braven Mädchen?Schtraf mich Gott.
Aber die nächschte darf mir doch nicht so grobschlächtig antworten, oder ich muß ihr ganz
anderscht ein Bein schlagen. Ich bin doch ein Bote Gottes, wenn ich auch noch gar nicht
weiß, was ich
Er strich seinen Schnurrbart, den er nach guter Pandurenart abwärts gewirbelt vor sich her trug, pfiff so etwas wie ein ungarisches Reiterliedchen zwischen den Zähnen, und setzte geduldig seine Versuche fort, die Welt wieder zu sehen, wie sie wirklich war. Als er es damit soweit gebracht hatte, daß er seine Füße bestimmt voneinander unterscheiden konnte, stand er auf und nahm den so unvermutet unterbrochenen Weg wieder darunter.Es zeigte sich jetzt, daß er etwas krumme Beine hatte und auch sonst weder eben prächtig noch irgendwie eindrucksvoll vortreten konnte; allein die Pandurentracht, die er auf dem Leib trug, sowie der krumme Säbel und der lange, steife, erdfarbene Schnurrbart ließen ihn wirklich als ein sehr verwegenes Ding erscheinen, besonders wenn er noch das Maul auftat und mit schadhaften Pferdezähnen fürchterlich auf pandurisch zu kauderwelschen anfing.
So beschaffen bekam dieser Pandur das Dorf Wullenhausen mit seinen Brandstätten und
Ruinen zu Gesicht,bemerkte am Weg den bestellten Acker und das Saatfeld, beschritt den
Steg, der aus halbverkohlten Balken über den Bach gelegt war, und hatte beim Dorfeingang
die erste Begegnung mit den Kötern. Erst waren es zwei, und Bürgler dachte sich weiter
nichts dabei; auch schienen sie vor seinen Sporen wirklichen Respekt zu haben. Aber sie
bellten und belferten so verteufelt dringlich und vielsagend, daß es rasch aus allen
„Hoho, hehe, wollt ihr wohl in eure Löcher kriechen,ihr Teufelsbraten? Kusch!l Kusch! Ihr habt ja noch keinen heiligen Panduren kennen gelernt! Ich mache lauter arme Väter und arme Söhne aus euch, wenn ich euch unter mein krummes Vaterunser kriege. Das ischt das beschte Vaterunser, was es gibt, kann ich euch sagen; das hat schon ganz anderes Blut gesoffen. Gebt nur Frieden, ihr guten Tiere, oder ich werde euch umschtändlich.“
Das krumme Väterunser wirkte im Verein mit der erklärten Gegenmeinung soviel, daß Bürgler
die Hunde nun hinter sich bekam und sich umdrehen mußte. Aber weil sie sich sofort wieder
hinter ihn machten, mußte er abermals die Richtung wechseln, und so in einer Art
Tanzschritt kreuzpolkte er mit seiner Begleiterschaft,die sich immer noch vermehrte, links
herum, rechts herum die Dorfstraße hinauf, gewahrte bei einer neuen
Er bekam Luft und geriet nun von den Kreaturen an den Bauern. Der Bauer hatte nicht gepfiffen. Wohl zu bedenken: keinen Ton hatte er von sich gegeben. Die Hoffnung war natürlich gewesen, daß die Hunde den fremden Gast verzehrten. Den ehrbaren Wolf mußte man sich jetzt genauer ansehen, und zwar auf Pandurisch.
„Warum hascht du nicht gepfiffen, verdorbener Bauer?Katrbataster Donnerwetter, sitze in
der Winkel, denke,Hund soll ihn freß; was übrig bleibt, das ischt sein Geld, und man tut
es zum andern. Du bischt heimlicher Räuber, Teufelsjäger, jage mit wilde Hund. Ha,
Der Bauer saß auf der Feierabendbank vor dem Haus. Wenn der Pandur vorhin vor Hunden hätte Augen haben dürfen, so hätte er ihn gesehen mit dem Kopf zwischen den Fäusten vor sich hinbrüten. Nun richtete er sich auf seinem Sitz auf und guckte dem Kriegsmann ins Gesicht. In allem Lärm und Unbehagen bemerkte er die himmelblauen Augen, und es tröstete ihn, daß man so etwas konnte an der wilden Kreatur. Aber sein Interesse ging nach einer andern Richtung. Er stand friedfertig von der Bank auf und bot sie dem gefährlichen Gast an. Dann tat er eine Frage.„Woher kommt der Herr des Weges?“
Es tönte eigenmächtig, und dem Panduren blieb auf einen Augenblick der Kiefer stehen. Weil er aber im Grund ein höflicher Mensch war, so antwortete er.
„Halsabschneider halt der Maul. Kennscht noch keinen heiligen Panduren, aber ich will dir
zeigen zwanzig sofort. Meinscht du, ich schteh da und schwatze mit dir,bis kommen deine
lieben Brüder, die andern Wölf?Schaffner, Der Bote Gottes
Der Bauer blieb auf seinem Weg, wie ihn der Eigensinn seiner Trauer hieß.
„Hat da der Herr nicht ein Weibsmensch gesehen auf der Straße mit einem weißen Kopftuch und roten Rock?“
Dem Boten Gottes kam die Welt wieder bunt vor.Potz Regenbogen, freilich hatte er das Weibsmensch gesehen. Er fuhr mit grasgrünen Blicken aus seinen himmelblauen Augenfeldern heraus und rückte dem Bauern mit dem krummen Vaterunser dicht unter die Nase, daß es nur so rasselte um ihn von Lebensgefahr.
„Ha, so ischt das dein Räubermensch gewesen,“schrie er ihn an; er vergaß vollständig vor
Schreck und Zorn über die abgefeimte Wirtschaft, die er hier antraf,daß er sich als Pandur
vorgestellt hatte, und fiel offen in seine angestammte Mundart zurück. „Dieses ischt mein
Seel ein schauderhaftes Ding von einem Weibsbild. Aber sie wird dir keine armen Juden mehr
in die Hände schpionieren. Sie ischt selber in die Hand gefallen.“ Er erblickte plötzlich
die Form der göttlichen Gerechtigkeit, und vollzog sie wenigstens noch geschwind
hinterher, nachträglich und fantasiemäßig. „Ich habe sie erkannt und am Kopf genommen,
Gotts Schternenkaib. Ich habe sie über den Baumstumpf gelegt und ihr im Namen des Kaisers
das hintere Quartier mit
Als der Bauer die seltsame und peinliche Geschichte vernommen hätte, hörte er nichts
weiter. Er sah mit aufgerissenen Augen die Szene am Straßenrand sich abspielen, zum
Greifen deutlich und so erbärmlich, daß es ihm in den Haaren wühlte. Er sah das Mädchen
Christine kämpfen und weinen. Er sah sie die Hände heben und hörte sie um Gnade bitten. Er
hörte noch mehr; sie schrie nach ihm um Hilfe. Sie rief seinen Namen: „Daniel!“ und er
hatte nichts vernommen und vielleicht nicht einmal etwas gespürt. Mittlerweile war sie
mißhandelt und Gott wußte, was noch, von diesem braunen Eisenfresser. Tod und Marter, und
wenn er der Kaiser selber war, so konnte man's doch nicht annehmen von ihm. Er drehte sich
um und ging mit steifen Beinen geradeaus nach dem Stall, in dem er verschwand. Einen
Augenblick stand Ruodi Bürgler allein an der Sonne und machte ein zweifelhaftes Gesicht
hinter ihm her, indessen die Köter wieder ihren Tanz mit ihm anhoben. Darauf erschien der
Bauer mit der Mistgabel in der Stalltür. Er fällte sie fechtmäßig vor
„Paß auf, Galgenvogel,“ sagte er traurig und ganz elend vor Schmerz um Christine. „Siehst du, was das ist? Das ist eine Mistgabel. Damit will ich dich jetzt aus der Welt misten. Bin ich ein Halsabschneider?Ist die Christine ein Räubermensch? Du hättest mich X Sieh mal, das hättest du nicht tun sollen. Der Kaiser hat es sicher auch nicht so gemeint. Er ist ein rechter Herr, aber seine Leute sind Halunken, wenn sie so aussehen, wie du. Wehre dich jetzt, Freundschaft; es geht ums Leben.“
Als die Köter die Tonart vernahmen, merkten sie,daß der fremde Herr ausgeliefert sei, und
fühlten sich darüber erregt. Sie spürten das am meisten in den Zähnen und Kiefern, und dem
braven Schweizer blieb es nicht lange verborgen. Obwohl er nun reichlich Angst hätte vor
des Bauern Mistgabel und wohl sah,daß es ernst gemeint sei, so hielt er doch die Hunde
zunächst für seine ärgeren Feinde, besonders weil sie ihm den Weg zum Reißausnehmen
verstellten. Unter hochgeschwungenem Vaterunser sprang er daher vor dem einen Tod weg
mitten in den anderen hinein, hieb hin, wo es treffen wollte, schlug dem braven Wolfstöter
und Haupthund Stummel das letzte Endchen Schwanz von seiner Erscheinung herunter, geriet
fast von den Füßen,weil er nicht gewöhnt war, mit einem Säbel umzugehen, entsetzte sich
darüber, verlor die letzte pandurische Fassung, und stand plötzlich da in der verbrannten
Hof
„Liebschter Bauersmann, tu mir nur nichts zu Leid.Ich sehe jetzt schon, daß du kein
Räuber bischt, sondern ein Mann des Friedens, obwohl du nicht gepfiffen hascht. Und ich
bin auch gar kein Pandurenhauptmann. Ich bin doch ein armer Sünder und aus der Schweiz und
hab' einen Schreck in mir, der muß wieder heraus. Dein Weibsmensch kann noch lang leben
wegen mir, muscht du wissen. Ich hab' sie nicht in des Kaisers Namen geschtraft, sondern
sie hat mir im Namen ihrer Jungfernschaft die Ellbogen in die Augen geschtellt, daß ich
gleich nichts mehr gesehen hab' als Gelb und Grün,weil sie meinte, ich will ihr etwas, und
ich hab' ihr gar nichts gewollt, sondern hab' sie nur nach dem Weg gefragt und wie alt sie
ischt. Und dann hab' ich eine Schtunde an der Schtraße sitzen müssen und warten, bis ich
wieder etwas erblicken konnte. Schtelle deine Gabel weg,schönschter Bauersmann, ich hab'
meinen Säbel auch weggelegt. Und wenn du willscht, so zeig' ich dir, wo
Die Worte der Unschuld taten ihre Wirkung in vollem Umfang des Wunsches. Der Bauer ließ
die Mistgabel sinken und war schon mitten in der Reue und selber in der Angst, daß er da
fast einen Menschen umgebracht hatte. Außerdem wußte er nicht mehr recht, wo ihm der Kopf
stand, eben über diesem Fragezeichen von einem Schubiacken und schweizerischen Christen.
Doch ging auch noch ein bißchen Mißtrauen durchs Ganze und bestimmte immerhin die nächste
Wendung, die er damit nahm. Er stellte die Gabel ans Haus, kriegte dafür einen Knüppel zur
Hand, den er unter der Feierabendbank hervorzog, und sagte kurzgefaßt, der Herr solle ihm
die Stelle zeigen. Der war zufrieden, daß er keinen Gabelzinken verdauen sollte, erhob
sich von den Knien und kehrte sich mit der leeren Säbelscheide an der Seite ohne Zaudern
nach dem Hoftor. Der Bauer folgte ihm auf dem Fuß, und alle hundert Köter, als sie sahen,
daß es wieder eine Exrpedition gab, kamen mit. Unterwegs trieben sie die Kinderschule auf,
die weiß Gott wo gesteckt hatte, und die trabte auch mit hinaus, so daß nun die Katzen
wirklich einmal allein Meister waren im Dorf.
Als der Schweizer diesen Sachverhalt erkannt hatte,merkte er zwar Sonderbarkeiten, allein
es kam ihm vor, als müsse hier zu existieren sein. Er begriff, daß der Bauer so oder so
von seiner Gesellin im Stich gelassen worden sei und sich darüber gräme, und machte sich
eine Rechnung daraus. Er stellte einen güterarmen,jedoch hoffnungsreichen Allgemeinzustand
fest, in dem ein gottloses Gewächs wie er immerhin gedeihen konnte,jedenfalls besser als
auf der Landstraße, mit der er auf dieser Tour bisher bloß schlechte Erfahrungen ge
Mit dieser Rede, die wegen der fremden Volksmannschaft sehr langsam und deutlich
vorgebracht wurde,erfuhr der Landfahrer, daß dem Bauern das Geständnis
Der Bauer war ohnehin kein hurtiger Kopf; heute brauchte es eine Ochsenkraft, die Idee
zwischen seinen Gram hinein zu treiben und das Leid zu bewegen,das er um Christine trug.
Allein was der Teufelsschweizer im Hirn hatte, das hatte er nicht unterm Boden, und
schließlich wurde er verständlich und schuf
74 Anschauung und Wünschbarkeit über der versunkenen Seele, so daß im Verlauf einer Stunde der Handel so klar und abgemacht dastand, als es immer mit einem Handel zu bewirken ging in gegenwärtigen Zeitläuften. Der Bote Gottes hatte zu kochen und die Kinder zu versehen, auch mit der Nadel zu wirken,weil er damit Bescheid wußte, den Besen zu führen und nebenher dem Bauern auf dem Feld zu helfen,was alles nicht wenig war, aber ihm völlig zu behagen schien. Er sagte, pandurischer Vaterland sei armer Land; er wolle sich machen neuer Vaterland auf fettem Boden. Wegen des Lohnes wollten sie dann miteinander sehen, wenn es einmal soweit sei. Es gab keinen sehr genauen Kontrakt, aber Ruodi Bürgler wußte nun schon, wem er trauen durfte und wer das war, der nicht zu kurz kommen wollte.
o war Christines Stelle besetzt, ehe dieser merkS würdige Ostermontag ganz zu Ende ging.
Ruodi Bürgler kochte zum Abend seine erste Mehlsuppe und aß mit den Kindern aus dem Kübel.
Dann trieb er die kleineren von diesen in ihr Stroh, und saß nachher mit dem Bauern auf
der Feierabendbank vor dem Haus,führte dort ein aufmerksames Gespräch mit ihm, und putzte
nebenbei das krumme Vaterunser, das er dann wieder in seiner Scheide unterbrachte. Der
Tierstand befand sich auswärts auf der Abendjagd. Irgendwo
In der Nacht, da er nicht schlafen konnte, erinnerte sich der Bauer an die beiden
jüngsten Gewinne seiner Barmherzigkeit und stand auf, um ihren Schlaf zu betrachten und
sich an ihnen zu ermuntern. Der Mond schien so übermächtig, daß die Welt davon ein
unheimlich nachtwaches Ansehen bekam, als sollte jetzt und jetzt irgendeine Geschichte mit
ihr passieren, von der man noch nach hundert Jahren zu erzählen hatte. Aber der Bauer
achtete nicht darauf; er hatte den Kopf voll ruhelosen Umgangs über das abwesende Mädchen
Christine; höchstens daß ihm die Sehnsucht nach dem erreichbaren gegenwärtigen Trost noch
heller darüber erglühte. Auf der Diele blitzte ein blauer Lichtstrahl
Fürs erste mußte frisches Brot gebacken werden.Die Freude lief nicht weit, weil im ganzen
Großen nur zwei Laibe bei dem Unternehmen heraus kamen. Der Pandur schlug Sparsamkeit vor;
die Kinder sollten Suppe essen; das Brot sei für die Arbeiter. Da wurde der Bauer
ausfällig. Es könne sein, daß man das in Pandurien so halte; hier in diesem Haus seien die
Kinder die Hauptsache; dann könne man sich auch darauf verlassen, daß Gott weiter helfe.
Die Kinder standen darum herum und machten weite Ohren. Der Schweizer dachte, es sei gut
und er wolle nicht für einen schiefen Kerl angesehen sein, und als es wieder Mittagszeit
war, fand sich unerwartet ein Suppenfleisch im Kübel, zart und wohlbeschaffen, und sehr
einladend.
Der Bauer suchte sich vorzustellen, was wohl Christine zu dem Fall äußern würde. Als es ihm nicht gelang, beschied er sich dahin, daß der Hase ein Wild sei, und dankte Gott. Er dankte Gott wiederholt;endlich stutzte er über den plötzlichen Hasenreichtum der Landschaft, da nach seiner Meinung die Hunde schon lange damit aufgeräumt hatten. Er ließ es zwar gelten,daß sie dies Jahr wohl besonders diese Gegend aufsuchten wegen des weicheren Wassers, dankte auch noch für ein Reh, das er so wenig im Fell zu sehen bekommen hatte wie die Hasen, führte jedoch unvermutet eine Aussprache herbei mit dem geschickten Jägersmann,worauf der Segen Gottes wie abgeschnitten aufhörte,zum Bedauern der Kinderschule.
Diese Kinderschule schlug sich dem neuen Hausgenossen zu mit der einsichtigen
Entschlossenheit und der Schnelle, die er, bei seinen besondern Talenten, von
ihresgleichen gewöhnt war. Auf dem ersten abendlichen Rekognoszierungsgang durch das
verbrannte Dorf hatten die Größeren ihn noch in mißtrauischem Abstand begleitet und
sozusagen feindlich beobachtet. Als er sie anfing zu fragen, gaben die Jungen ihm zuerst
zögernd und zurückhaltend, nachher mit würdevollem Ernst Bescheid, und wo sie etwas nicht
wußten, wunderten sie sich, daß er danach forschte, und interessierten sich für ihn. Er
stocherte mit seinem krummen Vaterunser in der Asche herum, beklopfte die Mauern, stieß
mit den Absätzen gegen den Boden, und tat eine Menge Dinge,
In der Zeit machte der Pandur den Kindern ein Feldfeuer nach dem andern, erzählte ihnen von den Schlachten, die er nicht mitgemacht hatte, zeigte ihnen,wie er spielen würde, wenn er eine Geige hätte, sang ihnen pandurische Lieder vor, von denen er selber kein Wort verstand und die weder ungarisch noch kroatisch lauteten, noch jemals in eines Menschen Mund gewesen waren, und tanzte dazu im Schein des Feuers und des aufgehenden Mondes mit gezogenem Säbel pandurische Tänze, daß den Kindern die Gänsehaut über den Rücken lief und sie nach Hause verlangten. Aber am nächsten Abend wollten sie wieder ein Feuer haben.
Die Kinder machten den Panduren auch mit dem Gespenst bekannt, und das war das
Besonderste und Gehütetste, was sie wußten. Die Sache verhielt sich so: in einem Haus
gluckerte und gackerte es, wie wenn Hühner da wären. Der Bauer glaubte nicht, daß
Gespenster gackern und krähen konnten, aber die Kinder hatten vom Gegenteil Kenntnis. Zwar
der Pandur verkündete, daß es überhaupt keine Gespenster gebe,und zog die Schule so lange
damit an der Nase hin,bis sie es glaubte. Dann erzählte er Geistergeschichten,daß die
Mädchen zu weinen begannen, und schalt sie,
Schaffner, Der Bote Gottes
„Es ischt ein Wunder,“ sagte er, „und ich weiß nicht, wie es zugeht. Sie haben nur von
Sauerkraut gelebt, das da in der Pfarrersküche schteht. Es ischt aber schon das zweite
oder dritte Geschlecht; da liegen alte Hühnerleichen. Paßt auf die Hund' und Katzen
auf.“Diese Pfarrersküche hatte besser vorgehalten, als die ganze übrige Pfaffei samt der
Kirche mit dem Turm.Ruodi erkannte beim genaueren Zusehen, daß man sich unbesorgt darin
aufhalten konnte, sowohl wegen der Einsturzgefahr, als auch wegen der heiligen Gebeine,die
wohl irgendwo zwischen dem Getrümmer in der Hut Gottes lagen. Auf dem Herd stand noch eine
Pfanne mit einem eingeschimmelten Kroatenbraten. Die Küchenmusik fand sich mit den
Hauptstücken an den Wänden und in den Winkeln vorrätig. Der Schweizer schmunzelte und rieb
sich ideenreich die Hände, hieß die Mädchen die Hühner einfangen und nach Hause tragen,zog
sorgfältig Tür und Läden zu und versicherte sie, und
Aber der Pandur verlor sich nicht. Am andern Tag zog er mit seiner Kompanie schon wieder auf Entdeckungen aus. Diesmal wurde Werkzeug mitgenommen,Schaufeln und Pickel, und was sich als Brechstange gebrauchen ließ. Die Mädchen waren zur Hühnerwache befohlen wegen der Katzen und Köter. Der Bauer zimmerte einen Geflügelhof hinterm Haus. Bürgler hatte sich mit Zwiebeln und Salz versehen zu dieser Expedition. Stummel wußte im ersten Augenblick nicht,sollte er die Kompanie begleiten oder bei den Hühnern bleiben; schließlich entschloß er sich zu den Hühnern,weil er die doch noch lange nicht genügend betrachtet hatte.
Die Hühner hatten sich über die Nacht in der Wohnstube, aus der alle Katzen und Hunde
zuvor hinausgetrieben worden waren, unter sicherem Verschluß aufgehalten. Jetzt bewegten
sie sich weiß und schüchtern im Hof an der Sonne unter der Obhut von allen sieben Mädchen
und einer großen Anzahl Köter, und unter dem interessierten Zusehen der Katzenschaft, die
rot und graugestreift Zäune und Mauern über dem Wunder bewohnte.Aber allmählich sättigte
sich die Neugierde und schärfte sich der Appetit um so mehr, und weil dieser schöne Traum
hier dem Ansehen nach doch kaum für
Erst suchte er sich einen Platz, von dem aus der Hof ungehindert zu überblicken war, und
der doch auch im Schatten lag. Der war eben gefunden, so kam wie von ungefähr ein grauer
Kater des Weges getrabt, hielt angesichts des Hühnerlebens ein, machte grüne Augen,und
fing überlegend an mit der Schwanzspitze zu wippen.Stummel erhob sich geräuschlos und kam
aus seinem Schatten nach der gegenüberliegenden Seite in die Sonne herausgegangen, wie
wenn er sich dort einen anderen Platz suchen wollte. Er tat das auch, aber der Kater
wartete es nicht ab; er wandte den Kopf mit einem geradezu lächerlichen Schein von
Ahnungslosigkeit von den Hühnern weg, und setzte sich wieder in Trott, der zu einem
leichten Galopp wurde, als der Schwanzlose noch ein bißchen hinter ihm herknurrte. Stummel
legte sich darauf in die Sonne zurecht, versuchte vergeblich in einem Anflug von
Vergeßlichkeit eine Fliege mit dem Schwanz zu verjagen, erinnerte sich und schnappte
wütend mit den Zähnen danach, gab sich darein und richtete die Blicke wieder auf den
Hühnerhof. Hinter dem Haus hämmerte der Bauer. Durch den schwarzen Torbogen hindurch
konnte man die Mädchen farbig unter einem blühenden Apfelbaum tanzen sehen. Die
Die Mädchen begannen das Geheul. Der Bauer kam und sah und rettete zunächst das Huhn unter dem Köter hervor. Man suchte die Kücken und fand sie nicht, nahm an, der Schwanzlose habe sie gefressen,und gab ihm anzügliche Worte statt des erwarteten und verdienten Lobes. Man nahm ihm auch den Habicht weg, und jagte ihn vom Hof, und die Mädchen warfen ihm noch Steine nach, weil sie doch einmal die Schuld am Unglück trugen.
Darauf wartete man auf die Kompanie wegen des zu kochenden Huhnes und Habichts und
überhaupt Mittagessens, mußte sich mit trockenem Brot begnügen,weil der Koch ausblieb,
fing zögernd den Nachmittag an, und vergaß den Schreck über Spiel und Arbeit.Der Hahn
wurde eingefangen und gegen Abend in den neuen Stall gesperrt, wo er sofort einen einsamen
Lebenswandel anfing.
„Der Franzel ist krank. Glaub, es ist die Ruhr.Weißt du etwas dafür?“
Ruodi wußte etwas; das gute Herz hatte siebenmal die Ruhr gehabt; Branntwein war das
beste dafür. Er zog lächelnd eine Flasche erbeuteten Schnaps aus der Tasche. Und man mußte
ihn so warm als möglich trinken. Der Bauer kochte den Schnaps und flößte ihn dem Franzel
ein, bis der auch lächelte und ihm die Augen im Kopf zu wanken begannen. Darauf entschlief
er, und weil nun sein Magen so betrunken war wie sein Kopf, so hörte die Ruhr auf und er
bekam eine Nacht wie die Engel im Himmel mit lauter blütenfarbenen Kinderträumen. Am
Morgen tat er,was er auch sonst gemußt und nur unter größerer Not vollbracht hätte: er
starb; er lächelte sanft und selig noch weit in den Tod hinein, und wenn seine kleine
Seele gekonnt hätte, so hätte sie sich aus Dankbarkeit
Der hatte mittlerweile die Hühnergeschichte erfahren,seinen Vorrat an Flüchen und
Gotteslästerungen glatt aufgebraucht, und ingrimmig die tote Henne samt dem Habicht in die
Suppe verkocht. Aber die Klage über den einäugigen Freund glaubte er nicht; er wußte
besser,mit welchem Appetit sich der nachher in der Pfarrersküche auf die überreste der
Kompaniemahlzeit gestürzt hatte wer fünf Kücken im Magen hat, ist doch über die erste Not
hinaus , und warum er ihm seither nachlief wie seine Schleppe. Er stäupte das ganze
Katzengesindel samt den unnützen Kötern aus der Stube, ließ nur den Einäugigen da, und
legte ihm mit lauter guten Worten, dergleichen hier noch kein Mensch von ihm vernommen
hätte, die beiden Vogelhälse vor und die vier Vogelbeine. Darauf kraute er ihm die Ohren,
und sagte mit dem tiefen Baß der Erkenntnis zu ihm: „Bisch e brave Kaibehund!“ Das war nun
schon fast zu viel für den Köter. Er winselte vor Dankbarkeit, leckte ihm die Hand, wollte
wedeln, erinnerte sich wieder an seine Schwanzlosigkeit, setzte sich betrübt darauf und
sah den guten Panduren wehmütig an. Dieser kannte so gut wie das Mädchen Christine die
Mäuler, welche die Schafmilch wegsoffen und den Brotkasten unsicher machten.Wenn ihn dies
Besondere nicht so wütend anfocht wie jene, so kam es nur davon her, daß er einerseits
dafür schon zu kräftig in der Restaurierung der Gemeinde Wullenhausen lebte, und übrigens
zu den Müßiggängern und Topfräubern in einem ungefähr umgekehrten Nahrungs
Auf den zweiten Pfingsttag war beschlossen, daß die Buben geschoren werden sollten, und
der Pandur spielte den Frisör. Er setzte sich auf die Feierabendbank, nahm die Schere zur
Hand, und schnitt von den Köpfen
Als das Kind die Erleichterung auf dem Kopf spürte, hob es die dummen Seligkeiten seiner
blauen Augen dankbar und ernsthaft zum Panduren auf, und hatte heute zum erstenmal
seinerseits auch ein Verhältnis zu der fremden Erscheinung. Es ergriff ihn mit Bedeutung
bei der Hand, daß er aufstehen mußte,wenn er ihm nicht direkt gegen den Willen sein
wollte,führte ihn daran mit einer Aufwallung inniger Zärtlichkeit quer über den Hof, und
verschwand mit ihm durch die bekannte stehengebliebene Tür im Brandgemäuer, das den Hof
von der einen Seite begrenzte.Es sagte: „Tomm, Mann,“ betrat kundig einen nicht zu dunklen
Gang, ging ihm voran durch einen halbzerfallenen Stall, und stieg mit ihm durch eine
offene Tür wieder an den freien Tag heraus. Angesichts einer Brennesselwildnis blieb es
stehen und kauerte sich an der Hand des Boten Gottes so zur Erde, daß er sich mit bücken
mußte und nun halb in den Nesseln verborgen den, ebenfalls bekannten, Beutel erblickte,
aufhob und öffnete. Das Kind schaute zu ihm auf mit der dringenden Frage im Blick: „Ist
das denn nun nichts?“ und sah äußerst befriedigt aus, da es Ruodis überraschung bemerkte
und daraus schließen durfte,daß das Geheimnis hier gewürdigt wurde. Als der ungarische
Krieger vor Verblüffung völlig aus der Rolle
Als er fertig war, legte er sich ins Gras, öffnete den Beutel noch einmal und schüttete
das Gut auf dem Boden aus, um es zu zählen und zu überschätzen
und ein bißchen mit den Händen darin zu wühlen.Nachher versorgte er das Ganze in einem guten Versteck. Am andern Tag war er vorläufig verschwunden samt seinem einäugigen Freund. Statt seiner schickte der große Vater droben dem betrübten drunten wieder ein Werk der Barmherzigkeit, vorgestellt durch eine blasse siebzehnjährige Landstreicherin mit drei kleinen Geschwistern, diesmal außerdem alles wirkliche ungarische Landsmannschaft. Das ergab nun nach der jüngsten Gottverlassenheit gleich einen vierfachen Händedruck.
X Schweizer traf die Gottesbotschaft an, und zwar unweit jener denkwürdigen Stelle, von
der aus ihm, unter Christines Ellbogen hervor, die Welt so sonderbar erschienen war. Als
er sie kommen sah, dachte er, er wolle nichts gesagt haben, aber hier sei ohne Zweifel ein
Abenteuer auf dem Weg. Er hatte ja auch noch eine Satisfaktion zugut vom weiblichen
Geschlecht.Zudem waren ihm in dieser Kriegswüste wieder die Bären und Tigerinstinkte
aufgewacht. Und schließlich war sein Geschlechtsbewußtsein nicht viel besser kultiviert
als das seines köterhaften Begleiters; wo die beiden etwas weibliches erkannten, rüsteten
sie sich auf Unternehmung. Zuerst zog der Schweizer den Säbel und kratzte damit einen
Strich über die Straße, dicht vor den Füßen der jungen Landstreicherin, die ihren Ge
Er wußte wohl, daß es keine Kunst war, einem Landstreicher mit Erfolg das Eigentumsgesetz
um die Ohren zu schlagen; wer auf der Straße lebte, hatte immer ein paar Durchgriffe in
seinem Gewissen auf Lager. Der Einschlag war daher für den Schweizer eine vollkommene
Sache. Das Mädchen gab ohne Freud und Leid zu, daß es sich so verhalte mit dem
Lebenslauf,und bekannte sich zu seiner Gnade mit einem halb trotzigen, halb verkommenen
Lächeln des Einverständnisses in der Welt der Zugriffe und der verwilderten Hand. Nebenher
lief ein bißchen armer Glückshunger,und über allem lag und gebot das richtige Unglück,ein
Kind dieser ausgelieferten Zeit zu sein. Ein ganzer betrübter Roman erschien dem guten
Schweizerherzen in
Der gute Herr hätte angesichts dieser geoffenbarten Lebensöde an der Kinnlade eine
Empfindung wie von ungeheuren Maulschellen. Er stand da, brachte die Zähne nicht mehr
zusammen, entsetzte sich fortdauernd und in immer weiteren und schmerzlicheren Beziehungen
in die gestrafte Welt hinein, und der Kopf brummte ihm von all den Kreiseln, die die
Peitschen der Augenblicksbedeutung darin umtrieben. Er wußte auch: die Maulschellen kamen
von Gott, dessen Bote er war, und er empfing sie sehr verdientermaßen, Teufel noch eins;es
fehlte gewissen Leuten doch noch viel zu einem anständigen Kerl unter dieser trauervollen
Bagage von Menschheit. Man hatte noch verflucht zu tun, daß man daraus heraus kam.
Außerdem, wie sollte man diesem hübschen Generalmuster von einem Wüstenvogel nun
vorpfeifen, daß er an den guten Gott glaubte? Beim
„Du sollscht nicht so vermessen daherschprechen,“ tadelte er unmutig. „Gnade ischt etwas ernschthaftes, und ischt nichts zweideutiges dabei, denn sie kommt von Gott. Aber ich kann dir keine geben, sondern du muscht dich bessern in deinem Herzen und Kopf. Ich will dir auch kein Geld geben zum Vertrinken; man kann dieses jetzt viel besser anwenden. Ihr seid nur Saufbolde und Raufbolde in Deutschland. In Pandurien hat man viel mehr Vernunft; da schaut man nur zu, daß man anschtändig lebt. Du sollscht es auch tun.“
Die Landstreicherin hob ihr ungläubiges Gesicht zu seinem gläubigen auf, und betrachtete ihn aus leicht gekniffenen Augen; diesen Ton kannte sie ebenfalls.
„Der Herr mag keinen Kreuzer dran wenden,“ entgegnete sie in tiefgefaßter Bosheit. „Man
muß eine Gnade nehmen, wie sie kommt. Das Leben ist mehr als der Augenblick, und Gott
zahlt selber mit schönen Worten.“ Sie lächelte ihn mit einer gewissermaßen ergebenen
Rückhaltlosigkeit des Hohnes durch und durch,und er stand vor ihr wie ein Sieb oder Gitter
des Schuldbewußtseins, nicht nur seines eigenen, sondern der ganzen sündenbehafteten
Menschheit, und es gab kein verletztes Gesetz der höhern Sitte, das man nicht durch ihn
hindurch in seiner blutenden Gestalt erblicken konnte. „Das sagt Ihr recht,“ fuhr sie
kälter fort:„Die Leichtfertigkeit ist nicht pandurisch, aber Schäbigkeit und Heuchelei
auch nicht, vorab im verliebten Vor
„Ich verschtehe kein Wort von dir,“ bekannte er treuherzig. „Weiß der Teufel, was du da für eine Türkenschyrach redescht. Kannscht du nicht langsam schprechen? überhaupt, wenn du mir etwas zu sagen hascht, so rede deutsch, wie ich mit dir auch; das Ungarische ischt mir so verleidet, muscht du wissen, daß ich es gar nicht mehr hören mag, oder es wird mir heiß und kalt dabei. Auch bin ich gar kein Ungar,und auch kein kaiserlicher Gesandter; hab' nur keine Angscht nicht; und eine Kompanie ischt nirgends da hinter keinem Berg. Du muscht mir das Betreffende verzeihen; die Wüschte ischt schuld daran; es ischt mir schon einmal passiert. Aber sonscht meine ich es gut,und ich fange an und eifere um den Frieden; aber ich muß noch vieles lernen. Von dir will ich nichts Unrechtes; vielmehr dauerscht du mich in deiner Verkommen
Schaffner, Der Bote Gottes
Das war sein ehrliches Gefühl von ihrer Erscheinung;aber sie mächte sich nichts daraus; das Bündel Elend hatte für die Stimme der Ergriffenheit keine Ohren.
„Es kam mich schon vorhin so an,“ machte sie mit spöttischen Lippen. „Du bist ein Schweizer Kuhmaul. Du kannst deine Zunge an eine Stange binden und damit dreschen. Ihr seid gut dazu, daß man mit euch andere totschlägt. Aber du bist auch dafür zu dumm. Warum bist du nicht daheim geblieben und hilfst den andern ihren alten Mist warm hälten?Was spielst du einen Schubiacken und machst die Straße unsicher, du Esel, wenn du um den Frieden eiferst? Eifere, für was du willst, aber gib die Bahn frei für vernünftige Leute, und so gut. Und bete zu Gott, daß Witz in deinen Kopf kommt, den hast du totnötig. Es ist ja schade für dich.“
Nach diesen Worten kehrte sie sich ihren Geschwistern zu: „Kommt, wir können weiter
gehen,“ und setzte sich mit ihnen in Gang, ohne den verprügelten Restaurator und Boten
Gottes noch einmal anzusehen. Nun befand sich der aber in seiner Zurechtgewiesenheit nicht
einmal so übel, dank dem guten Faden in seinem Rock,und fühlte eine lebhafte Regung des
Bedürfnisses, dafür dem lumpigen Engel des Herrn jetzt auch mit einem guten Tag zu dienen.
Immerhin war sie ihm heimatlich gekommen und hatte gesagt, daß es schade sei für ihn; das
glaubte er ihr aufs Wort, vornehmlich weil ihm die Aussage Perspektiven in die Zukunft
öffnete.
Die Landstreicherin hatte sich während dieser Worte halb erstaunt umgedreht und ihre dunklen Augen noch einmal auf den Schweizer gerichtet, der so väterlich reden konnte. Er stand da mit dem ausgestreckten Arm und Säbel wie ein Leuchtturm oder Wegweiser nach dem gelobten Ufer der Glückszustände, von dem sie so weit entfernt war wie er, und das sie wie er nur vom Gerücht kannte. Aber sein Hund gab ihm doch den Anschein, als liege er auf einem bestimmten Kurs irgendwohin und könne schon mancherlei aussagen.Es schien ihr vollends ein Anzeichen von Land auf diesem Ozean der Trübsal, daß einmal einer an ihr vorbeitrieb,der schließlich doch besser war, als er zuerst ausgesehen hatte. Darum erhellte sie auch ihre Miene ein wenig,fragte ihn, wie weit das noch sei bis zu jenem Dorf und Bauern, und machte sich nach einem kurzen Dank endgültig auf den Weiterweg.
Das tat auch Bürgler, indem er seinen Säbel wieder versorgte. Doch war ihm diesmal
gründlicher aufgegeben, als nach der Begegnung mit dem Mädchen Christine, und er blieb
noch einigemale stehen und
„Das ischt mein Seel eine zweideutige Jungfrau,“brummte er verwundert; „kommt wie Maria Verkündigung, verkündigt die Wahrheit, und geht wie Maria Heimsuchung, sucht die Heimat. Finde die Heimat, gutes Mädchen. Gehe ein in deines Herrn Freude.“Im Weitergehen dachte er an seine eigene Heimat,ärgerte sich nachträglich über das Kuhmaul und über die Zungendrescherei, die ihm die Landstreicherin zugemutet hatte, sagte sich, daß er ihr eigentlich einen Goldgulden hätte schenken können, vermutete dies und das über seine Persönlichkeit und sein Dasein, und wandte sich einigermaßen bewegt, doch im Ganzen unbeirrt wieder seiner nächsten Vornahme zu. Er wollte in der Stadt etwas gründliches für die Restaurierung der Gemeinde Wullenhausen tun, vornehmlich vermittels des Beutels, den ihm das Schicksal in die Hände gespielt hatte.
Gegen abend kam er zu dem einzelnen Haus an der Straße. Er überlegte, ob man ihn von
seinem letzten Besuch her noch kennen werde, sah ein, daß er sich in diesem Fall noch
selber überpanduren müsse,um nicht neben den Respekt zu fallen, zog im letzten Moment in
Betracht, ob er nicht doch etwa lieber durch Leutseligkeit bestechen wolle, und betrat
einstweilen das Haus, weil es angefangen hatte zu regnen. Es kam darauf an, was er zuerst
zu sehen und zu hören kriegte;danach wollte er den Ton nehmen. Als er die Stuben
„He, Jochen,“ sagte er zum andern: „Ist das denn nicht der Pandur, der uns das Huhn gestohlen hat vor einem Vierteljahr? Komm, wir wollen ihm die Knochen entzwei schlagen.“
Er wartete gar nicht erst die Gegenmeinung des andern ab, sondern brachte sich in
Bewegung, um seine menschenfreundliche Absicht in die Tat umzusetzen. Jetzt bereute der
Schweizer freilich seine leutselige Anwandlung, aber es gab dabei nichts zurückzunehmen;
er mußte geschwind den Säbel ziehen und den Schiedsrichtervorschritt in einen
Fechterrückschritt verwandeln. Er fing sofort an, mit der blanken Säbelklinge so dringlich
in der Luft herumzufuchteln, daß
„Gotts Tod, er ist's,“ schwur er. „Mach dich hinter ihn, Hans, ich will ihm von vorn kommen.Laß sehen, ob er sich mit dem Säbelein die Knochen rettet.“
Er packte eine Holzbank neben dem Tisch auf und schwang sie über dem runden Schädel; der andere schob sich mit einem Knüppel, den er aus der Ecke griff, hinter ihn, und wenn nun der Bote Gottes irgendeinen Schutzengel hatte, so war es Zeit, daß er für ihn einsprang.Statt dessen bekam er einen Einfall. Er ließ überraschend den Arm mit dem Säbel sinken und sah mit allen Anzeichen von Schreck nach dem toten Bauern.
„Ha, ihr Hornböck', habt doch acht,“ sagte er mit verschnürter Stimme, die immerhin verteufelt echt klang.„Wißt ihr denn nicht, daß einer Seele die Beine einschlafen auf dem Weg zur Ewigkeit, wenn man an ihrer Leiche zankt? Vollends die Söhn! Ihr seid ärger als Vatermörder. Da, jetzt habt ihr's; ich sag's euch ja.“
Sie hatten natürlich gar nichts, aber zu seinem guten Glück fuhr ein Stoß Regenwind das
Kamin DD das es davon gab, aussah, als blinzle der Bauer mit den Augen und wolle erwachen.
Dazu heulte der Wind
„Was wollt ihr überhaupt mit mir?“ fuhr er schnell fort, während die Rüpel noch in der Gänsehaut staken.„Nehmt euch ja vor dem Kaiser in acht, der wird ganz anderscht mit euch seiltanzen, wenn er hört, daß mir etwas zuleid geschehen ischt von euch. Ich bin auf dem geraden Weg zu ihm, weil ich ein Schtaatsverbrechen begangen hab', und über das kann nur der Kaiser ein Urteil geben, sonscht keiner in Deutschland.Und das kommt alle hundert Jahr einmal vor, drum ischt er scharf drauf. Also glaubt an Gott und segnet euch, sonscht kann ich euch beiden die Hälse abschneiden und darf kein Hahn danach krähen. Ihr kennt mich noch gar nicht. Wenn ihr Luscht habt, so kommt meinetwegen; ich bin schon mit andern Dingern fertig geworden als ihr seid. He, marschier doch her mit deiner Bank; ich will dir die Finger schtrecken, daß du einmal einen Fechtmeischter kennen lernscht.“
Nun stand er wieder auf der andern Seite und schaute herüber. Und den dummen Teufeln war
es,als sei er der lebendige Mephistopheles, oder sonst ein schlimmer Geist, den man subtil
behandeln mußte.Außerdem, wenn einer eine Teufelei fertig gebracht hatte, über die bloß
der Kaiser urteilen konnte, der mußte schon was bedeuten. Jochen stellte seine Bank
kleinlaut zum Tisch und Hans hing den Knüppel
„Ha,“ begehrte Jochen auf: „So ist's doch schad',daß dir der Herr nicht den Bauch gekitzelt hat mit seinem Säbelein.“
„Du Esel, er wäre doch zuerst an dich gekommen,“erwiderte Hans. „Was meinst du wohl, wie geschwind er dir unter deiner Bank durchgewischt wäre? Ha, ich hätte ihm noch ein Huhn obendrein geben wollen, wenn er dir's nur gut besorgt hätte.“
So verdarben sie einander wieder wohlbedacht die Luft, rückten sich unterm Schimpfen
schrittweise näher,bis sie sich Nase vor Nase gegenüber standen, nacheinander ohne Hast
die Hände hoben, und sich wieder an den Bärten hatten. Auf einmal handelten sie von Haus
und Hof, daß ihnen alles gemeinsam gehöre, daß sie da bleiben wollten bis an ihr seliges
Ende, aber daß jeder Angst hatte, der andere wolle alles für sich allein nehmen und ihn an
die Fremde herausstellen.Hans beteuerte, er gehe einmal hier nicht ab; Jochen möge machen
was er wolle. Jochen schwur, er wolle sich eher am Dachbalken aufhängen, als daß er dem
andern den Platz allein lasse. Sie waren so durchaus
Als der Schweizer Charakter und Dichtigkeit der Streitgründe erkannt hatte, wartete er nicht weiter auf seine Abfertigung, sondern richtete sich auf eigene Faust bei den guten Leuten ein. Er steckte den Säbel in die Scheide, nahm seinen Ranzen von der Schulter und legte ihn auf den Tisch, schnallte den Gurt ab und machte es sich bequem auf eben der Bank, mit der er vorhin hatte breitgeschlagen werden sollen. Er öffnete den Ranzen, brachte daraus einen halben Laib Brot zum Vorschein nebst einem Ding, das aussah, wie ein Rehschlegel, das aber zu seinen Lebzeiten bedeutend mehr gejagt hatte, als es selber geijagt worden war, zog ein Messer aus der Tasche und fing an zu essen, ohne sich weiter um die Haderer zu kümmern. Er zeigte damit,daß er ein Seelenkenner war, denn er hätte erst den dritten Bissen hinunter geschluckt, so hob Hans die Nase und schnüffelte in die Luft. Darüber wurde auch Jochen aufmerksam, ließ Hansens Bart los und drehte sich nach dem Panduren um.
„Gotts Tod, Hans, der ißt Braten,“ sagte er verblüfft und schluckte schon gewaltig. „Er soll uns auch was abgeben. Braten hab' ich schon lang keinen mehr gefressen.“
„Ich auch nicht,“ sekundierte Hans, trat dem Panduren hoffnungsfroh näher und scheuerte
sich den Rücken.
Der Schweizer lachte.
„Sitzt her, wenn ihr etwas zu trinken habt dazu.Alles was recht ischt. Sonscht müßt ihr euch die langen Zähne am Türpfoschten schtutzen.“
Die Brüder warfen einander einen Blick zu, der war zuerst direkt sinnig. Freilich hatten
sie etwas zu trinken. Sie hatten immer etwas zu trinken; woher waren sie denn so breit und
dumm? Aber wer wußte,wie lange nun die Freude noch dauerte? Sie machten miteinander kehrt,
setzten sich in Gang und verließen Schulter än Schulter die Stube, in der der Pandur mit
dem toten Bauern allein blieb, und mit dem guten Hund Stummel. Er fürchtete sich aber
nicht vor der armen Leiche; dafür hatten ihm die Lebenden aller Orten schon zu scharf
zugesetzt. Allein weil es nachtete, stand er auf und holte die Kerze, da sie dem Todesfall
doch nichts nützen konnte, und stellte sie vor sich auf den Tisch, um damit das Mahl zu
illuminieren. Als die Brüder mit einem Eimer voll Bier auftraten, hatten sie zuerst wieder
eine Gänsehaut zu verwinden über das Wagestück, das sie da ausgeführt sahen. Der Kerl
mußte wirklich ein großer Sünder sein, daß es ihm nichts geschadet hatte. übrigens war das
Bier von A bis Z eigener Sud, im Keller ausgeführt aus wildem Hopfen und selbstgepflanzter
Gerste, und sonst gab es keine Friedenswerke von Belang in diesem Haus. Sie hatten sich
unter der Leitung des Vaters auch im Krieg
Als der Pandur den Segen im Kübel wahrnahm,tat er seinen Sack noch einmal auf und brachte
einen zweiten Rehschlegel daraus zum Vorschein. Die Brüder fuhren mit einem frischen Laib
Brot auf, und Bürgler versorgte den seinen in den Ranzen zurück; nun aß und trank das
Kleeblatt wirklich für drei Wirte und drei Gäste. Man hielt sich auch nirgends mit
Erklärungen auf, sondern blieb ernsthaft und stillschweigend daran, bis nichts mehr übrig
war, als die kahlen Knochen und das leere Holz. Darauf saßen die Brüder eine Weile satt
und stumm auf ihren Plätzen und redeten mit ihrer Seele, und der Pandur ging mit sich zu
Rate, ob er nun von seinem großen Verbrechen erzählen solle. Aber wie er die Augen hob,
sah er,daß sich die Rüpel über den Tisch hin auf eine Weise tückisch anstarrten und allem
Ansehen nach etwas bedeutendes damit meinten. Hans hätte seine Fäuste
„He, wenn du am Ende meinst, ich sitze jetzt finster im Kopf von dem Bier, und du kannst mich langsam anfangen hinausstechen mit deinem Gucken, so dann müssen wir von vorn anfangeñ. Es fehlt halt noch viel dazu.“
Darauf erwiderte der andere, und legte die Hände vom Gesicht an die Tischkante zum Aufstehen fertig:
„Das ist gut, mein Seel. Spanne nur die Arme.Aber du mußt noch an mancher Maß hinaufklettern mit der Gurgel, bevor du mich vor die Türe setzest.Komm her.“
Das Wort fand Anklang. Sie standen beide von den Sitzen auf und gingen mit dem leeren
Eimer wie vorhin Schulter an Schulter und mit Köpfen, die schwindlig waren vor Mißtrauen
und Angst, aus der Stube. Im Keller war ein Loch in den Boden gegraben und mit vieler
Vorsorge zur Aufbewahrung des Gewässers hergerichtet. Zu den Schweden, die drunten etwa
nach vergrabenem Geld stöberten, hatte der Vater immer liebevoll gesagt: „Gebt acht, daß
ihr nicht in die Jauche fallt!“ Jetzt schöpften sie mit wortlosem Ingrimm ihren Eimer
wieder voll daraus, faßten ihn an den Ohren, stiegen die Kellertreppe hinauf damit,
„Gotts Tod, ich hänge mich auf diese Nacht, so hast du deinen Willen und kannst dich hier allein breit machen, Hungerleider, elender.“
Obwohl er das härtere Gemüt hatte, so überkam ihn doch etwas wie Atemnot, sobald er damit durch einen besonderen Regen mußte, wenn ihn sein Bruder machte. Vollends den bärenmäßigen Menschen heulen zu sehen, wirkte in seine Lungensäcke wie ein Sturz Roßnägel und verleidete ihm das Leben.
Hans kam vom Bellen ins Belfern.
„O du märterlicher Hund, der du bist. Wenn du dich aufhängst, so hänge ich mich vorne dran, daß du mir gerade ins Gesicht sehen mußt, wie ich dir die Zunge herausstrecke. Komm, wir wollen sehen, wer stärker ist. Ich will probieren, ob ich dich erwürgen kann. O du Blitzhund, ich muß halt heulen. Warte nur bis nachher!“
Der Schweizer hatte sich bis jetzt in seiner Ecke rein aufs Aufmerken verlegt und dabei
ab und zu
„Sagt mal, ihr guten Männer, ihr habt euch doch gern. Ihr seid ja völlig verliebt ineinander.Warum heiratet ihr euch da nicht? He?“
Sie mächten runde Augen an ihn her. Aber er sah so ernsthaft und ehrbar drein, daß sie den Vorschlag gelten lassen mußten. Sie richteten schüchtern und mit einer Art von Zärtlichkeit von unten herauf die Blicke aufeinander, hielten einander nicht aus,glitten ab und suchten sich wieder. Es war doch wirklich ein Vorschlag zur Güte. Hans wurde sogar richtig rot bis hinter die Ohren und, um sich Haltung zu geben, griff er nach dem Bierkübel und setzte ihn sich ins Gesicht. Er hatte ihn kaum abgestellt, so zog ihn Jochen auf seine Seite herüber und tat es ihm nach. Dann guckten sie wieder zueinander hinüber und empfanden Wohlgefallen aneinander. Ruodi sah ein,daß alles Element vorhanden und nur noch eine kleine Direktion nötig sei.
„Es kommt bloß darauf an, welcher dem andern die Ehe anträgt,“ erklärte er mit dem
vorigen Ernst.„Dem gehört dann das Äußere und der andere, weil er seine Frau ischt. Aber
dem anderen gehört das Innere und auch der andere, nämlich der Mann, der das AÄußere
Dem großen Hans ging ein hurtiges Licht auf im Kopf, daß sein ganzes weitausgebreitetes Gesicht davon hell wurde. Er legte die Hand an den Bierkübel und zog ihn langsam zu sich herüber, indessen er wieder rot wurde und Jochen verliebt von der Seite ansah.
„Willst du mich halt zum Mann, Jochen? Ich will dir schon gut brauen.“
Er hob den Kübel vors Gesicht und tat ein paar mächtige Züge.
Diesmal schlug Jochen nicht bloß mit einer Faust auf den Tisch, sondern mit beiden. Dazu fuhr er von seinem Sitz auf, daß Hans erschrocken den Kübel hinstellte und den bösen Wüterich verständnislos anstarrte.
„Daß du mich in den Regen schicken kannst, Gotts Tod?“ schrie er. „Ich sage dir, vergiß das. Du bist der feinere, du gibst die Frau. Dein ist das Innere und mein ist das Außere, weil ich der Gröbere bin.“Er schlug wieder um. „Mein Seel, es ist mir verleidet;ich will mich nur aufhängen heut nacht. Friß alles allein, Wanst, gottloser.“
Er tauchte mit seiner adergeschwollenen Stirn tief in den Bierkübel unter. Hans mächte nun ein sehr trauriges Gesicht und begann wieder zu schwitzen.
„Aber ich bin doch der Dümmere,“ wandte er noch schüchtern ein. „Und ich hab' das
weichere Gemüt.“Doch schuf er keine Stimmung damit. Jochen bliehb für diesmal dabei, daß
er sich hängen wolle. Hans machte noch einen Versuch, Jochen zu der Beweisführung
„Ihr müßt halt abwechseln. Werft das Los, ihr dummen Tröpfe,“ sagte er hochmütig. „Ich will jetzt schlafen. Wo kann ich unterkriechen? Wenn ihr mir ein gutes Bett gebt, so mag es sein, daß ich euren Schtreit dem Kaiser vorlege, wenn ich zu ihm komme.Besser ischt es freilich, ihr vertragt euch. Der Kaiser tut nichts umsonscht, müßt ihr wissen.“
„Ha, ach ja, Herr, sagt's ihm doch,“ bat Hans und schlug ein paar Augen zu ihm auf, die waren ganz violett vor Gram. „Ihr geltet gewiß etwas bei ihm,weil Ihr so ein besonderer Spitzbube seid. Es soll uns auf ein Ohm Bier oder zwei für ihn wahrhaftig nicht ankommen. Und wenn er Euch nicht hängen läßt, und Ihr kommt auch sonst frei davon, so könnt Ihr Euch einen ganzen Monat lang umsonst befressen und besaufen bei uns. Kommt, wir wollen Euch schon ein Bettlein zeigen. Unsere Schwester hat drin geschlafen, die Käthe;aber sie ist mit den Soldaten gelaufen, das Mensch.“
Als sich Hans erhob, stand auch Jochen auf; er hatte Angst vor der Leiche in der Ecke,
und außerdem,daß Hans etwas mit dem Herrn abkarten könnte, um den Kaiser zu seinen Gunsten
zu bestechen. So begleiteten sie ihn beide zu dem Bettlein, holten miteinander noch einen
Armvoll Heu, weil das Stroh darin inzwischen herausgefault war, wünschten ihm eine gute
Nacht und trollten sich. Der Pandur stieß den Fenster
laden auf, daß frische Luft herein kam, redete ein Weilchen mit seinem Freund Stummel, und legte sich ins Heu, um nach kurzer Zeit alle Not der Welt zu vergessen. Als er am andern Morgen fräüh in die Stube trat, schliefen die armen Teufel noch wie die Klötze auf der Ofenbank. Der Kübel war leer, und sie hatten aller Annahme nach keine kleinen Räusche zu vertun. Er störte sie nicht dabei, schnallte den Säbel um, warf seinen Ranzen über und trat aus dem Haus,um den Abend zu guter Zeit die Stadt zu erreichen.Der Morgen war frisch und duftete wie ein Gewürzladen, daß Stummel nicht aus dem Niesen herauskam.Nachher trat die Sonne aus dem Nebel, und da fing Bürgler an zu niesen, weil sie ihm in die Augen schien.Darauf gewöhnten sie sich, hörten mit Vergnügen die Lerchen singen und sahen die Schmetterlinge gaukeln, und gegen Mittag fingen sie sogar einen richtigen Hasen miteinander auf dem Feld. Der Schweizer machte ein Feuer,teilte Stummel seinen Anspruch roh zu und briet seinen eigenen, und war einmal mit der Weltordnung so durchaus zufrieden, daß er erfreut in die Worte ausbrach:„'s isch doch ä kaibe netti Welt do unte.“
De Friede war, wenigstens bei Tag und in jener Gegend, in die der Schweizer im Verlauf
des Nachmittags eintrat, schon so begriffen und angewandt,daß nun vielerorten und je
länger je reichlicher auf Schaffner, Der Bote Gottes
Stummel hätte sich gerade mit einer Spur abgegeben, als ihn der weiße Spitz erreichte. Da
beschäftigte er sich einen Augenblick freundlich mit ihm, ließ sich auch ein bißchen mit
dem Pudel ein, stellte sich vorübergehend mit dem Wolfshund in den Kreis, der rasch in
einen knurrenden und schnarchenden Wirbel ausartete, runzelte verblüfft die breite Stirn
über die beiden Dachse, wartete den Metzgerhund nicht ab, warf die Nase hoch, weil er eine
bekannte Witterung auf
Christine ging mit ihrem Begleiter durch mehrere enge, vergiebelte und verwinkelte
Straßen mit grobem Steinvflaster und Häusern daneben, die schmal und engbrüstig Seite an
Seite standen, oben ewig die Köpfe zusammensteckten, und sich in Reihen vorn herein
neigten,um sehen zu können, was auf dem Grund der Gassen passierte. Stummel hatte die
Anschauung hinter seiner Stirn, als trabe er auf der feuchten Sohle eines verzweigten
Geklüftes, in dessen Gestein sich seitwärts überall Menschen hineingewühlt hatten, deren,
nebenbei bemerkt, ihm noch nie so viele auf einmal zu Nase gekommen waren. Seine bisherige
Erfahrung ging dahin, daß der Mensch ein Einsiedlertier sei; nun beob
Christine schloß die Haustür hinter sich, tat ein paar Schritte in einen finstern Gang,
und stieg seitwärts
Der blasse Eiferer zog sich hinter die Tür zurück,die ins Schloß schnappte. Christine drehte sich mit gesenkten Augenbrauen auf der Treppe um und stieg langsam und verdrossen die Stufen hinunter. Stummel war nicht mit hinaufgekommen, sondern hatte inzwischen bei der jungen Frau oder Jungfrau zu schaffen gefunden, die sich hinter der offenen Tür schon so früh zum Schlafengehen anschickte. Als Christine dahin kam, sah sie ihren wiedergefundenen Freund leuchtenden Auges, mit seitwärts heraushängender Zunge, und im übrigen staubig und borstig neben der zärtlichen Erscheinung sitzen, die ihm eine weiße Hand auf den Kopf gelegt hatte, mit der anderen hilflos an ihrem bloßen Arm auf und nieder fuhr, und dazu etwas Weniges weinte. Da kam für Christine der Augenblick, mit ihrem Ärger hinter dem Brustlatz hervorzufahren.
„Da wollte ich doch lieber auf allen Vieren nach Magdeburg kriechen, als so ein
Hudelleben führen, wie du tust. Ich will mich aufzäumen lassen für einen Esel, Säcke
tragen und im Prügelregen gehen, und wenn ich dir begegne, so haue ich immer noch hinten
Die also angeredete junge Dame hieß Luna und war die Ehefrau des schwermütigen alten Herrn, der vorhin von der Bodentreppe herunter Christine aufgesagt hatte. Sie erwiderte zunächst nichts, sondern zog noch ein kleines Register an ihrem Weinörgelchen, daß es ungetröstet säuselte und herzbebte und für jedes tiefe Andante bereit und eingestellt war, wer's darauf spielen wollte. Dann wandte sie das Gesicht halb zu Stummel,faßte ihn nachdenklich an einem seiner Schweineohren er mußte den Kopf etwas schief halten, wenn es nicht empfindlich werden sollte , schob die andere Hand unter die Achselhöhle und schielte mit einem grünlichen Spott und Leidensblick zu dem resoluten Mädchen auf.
„Das ist vielleicht gut für dumme Bauern,“ stichelte sie aus ihrer schwierigen
Traurigkeit heraus. „Du hättest deinen Daniel so zubereiten sollen. Aber von studierten
Herren verstehst du nichts; dazu bist du zu dumm mit deinem gewohnheitsmäßigen Kopf, mußt
du wissen.Sieh zu, daß du kluge Gedanken denken lernst,wie ich. Du transpirierst zu viel.
Du bist tierisch,
„Mag er doch seine tiefe Unwissenheit für sich behalten,“ rief Christine mit ärgerlichem Lachen zurück und schüttelte den Kopf, daß die braunen Löckchen, die sie in der Stadt bekommen hatte, um ihre hübschen Wangengruben flogen. „Es dünkt mich, wir sind leider allein schon unwissend genug; will er uns denn noch dümmer haben?Zwar wenn du wieder einmal richtig essen wolltest, so wärest du sofort gescheit. Du kommst von der Gnade und wirst eckig, liebste Muhme. Ich wollte nicht, daß mir auch so spitze Ellbogen gerieten, wie du schon hast.“
Luna setzte sich gerade auf und blinzelte Christine ängstlich ins Gesicht.
„Findest du, ich bin mager, Christine? Ja? Mager will ich nicht werden. Mager ist sehr häßlich. Habe ich spitze Ellbogen?“
„Sieh her,“ sagte Christine statt der Antwort und streifte den Armel vom Handgelenk zurück, daß ihr fester, nackter Jungfernarm ans Licht kam: „Das wächst nicht vom Hungerleiden, auch nicht vom Herumsitzen.Wer sich regt, pflegt sich. Er wird noch eine Vogelscheuche machen aus dir mit seiner tiefen Unwissenheit.“
Luna stand entschlossen auf.
Das Mädchen zog die Schultern hoch.
„Weiß ich das? Essen willst du nicht; es verdirbt dem Herrn das Licht. Frage ihn selber, er ist so klug; vielleicht findet er etwas zwischen den Sternen für dich.“
Luna schüttelte traurig den Kopf.
„Dort ist nichts von der Art. Dort ist nur Zukunft und Vergangenheit, und die Leichtigkeit der Sternenluft. Christine, glaubst du wirklich, daß es das Licht verdirbt, wenn ich ein bißchen etwas esse?Ich bin ziemlich schwach, und da muß das Licht doch auch schwach werden, nicht wahr? Dann sieht D bin, so muß das Licht um so heller scheinen. Was meinst du?“
„Was ist da zu meinen?“ erwiderte Christine gelangweilt. „Daß eine magere Gans kein Schwan ist.Ich hab' meinen Tag beigetrieben; nun steht mir die Suppe an. Von dir verstehe ich nichts, weil du gebildet bist und ich nur einen gewohnheitsmäßigen Kopf habe. Es kann sein, es ist wirklich besser für dich,daß du Hunger leidest.“
Sie schickte sich zum Gehen an. Sie dachte ganz
„Nein, du darfst nichts essen, Christine, hörst du!Ich kann es nicht dulden. Du hast es auch gar nicht nötig; du bist so stark und dick, wie ich eben gesehen habe. Aber mir mache etwas ganz Leichtes, Verdauliches von Milch und Ei um meines lieben Herrn willen. Geh und bringe mir's bald, gutes Bäschen.“
Christine drehte ihren Kopf betroffen und halb belustigt zur Seite, und ihre dunklen
Augen blickten so lebendig und blau, daß davon zwei heimliche Ringe an der Wand hinab
glitten. Doch sagte sie nichts dagegen,rief den braven Hund Stummel und ging ab mit
ihm.Luna entkleidete sich darauf vollends bis auf die Haube und den Ehering, und streckte
sich in Erwartung kommender Verfügungen und Geschehnisse auf die geschnitzte Truhe, die
sie vorher mit Kissen belegt hatte. Sie schlief gleich ein vor Schwäche und Traurigkeit,
erwachte aber jeden Augenblick, weil ihr der bestellte Abendimbiß im Sinn herumging, und
dann war es ihr immer, als hätte sie inzwischen wieder eine halbe Stunde verschlafen;nur
am langsam vorrückenden Abend- und Zwielicht erkannte sie, daß es jedesmal bloß um eine
Minute ging oder gar um eine halbe. Dazu träumte sie eine bunte Menge Gesichte
durcheinander, und erlebte während der kurzen Augenblicke Romane, die sich durch ganze
Tage hindurch zogen und Voraussetzungen mit sich brachten,die von fremden Jahren und
Gegenden herkamen.Schließlich träumte sie, das Mädchen Christine stehe
„Ach Luna, was seh ich da?“ sagte er schmerzlich erregt und wies auf die Platte. „Das muß
mir wahr
Die Dame Luna regte sich mit keiner Wimper und sah unter ihrer Haube hervor ihren Eheliebsten mit großen und etwas verzagten Augen aufmerksam an,bis grüne Lichter darin auftraten, was besagte, daß sie wieder einen Einfall habe.
„Was willst du denn mit mir?“ fragte sie sanftmütig. „Habe ich Knöchelchen gegessen? Wie werde ich dir das antun, lieber Balduinus? Die Knöchelchen waren sogar meine Mittagsmahlzeit, die ich habe stehen lassen dir zuliebe. Du mußt mit dieser tierischen Seele reden. Ich schlief bis vorhin, ehe du kamst. Ich machte ihr gerade Vorwürfe und wollte haben, daß sie sich entledige. Befiehl es ihr auch, sonst verdirbt sie dir das Licht ganz und gar.“
Der Herr mußte die Front wechseln. Dabei kehrte er die derberen Spieße heraus, beging die
Unvorsicht, auch leiblich gegen die Magd vorzuschreiten, und hatte zu seiner Verwunderung
plötzlich einen schwarzen Köter vor sich stehen, der nicht verheißungsvoll knurrte und der
ganz offenkundig nach des Teufels Umgang aussah. Er zog seine Leiter etwas ins Dunkel
zurück und hob dort ein Beschwören an, das einen
X Sternseher erholte sich vom Elend des gewöhnlichen Lebens, das ihn angefallen hatte,
und machte sich bereit, die Nacht und das Werk zu beginnen. Er verband der Dame Luna die
beiden Fern
Der alte Mann verließ den Garten und erschien mit dem reinen Licht seines Willens und dem
großen Rauch
Die Nacht lag warm über der Erde; der Südwind seufzte in den Baumkronen. Trotzdem begann
die zu so hoher Bedeutung erhobene Gemeinde leise zu frieren,Stummel, den Hund, mit
einbegriffen. Die Greise schliefen zwar darüber ein, weil sie nichts mehr zu denken
hatten, und der Schuster folgte ihrem Vorgang; es war seine Bestimmung, von allen
Zuständen den bequemen Grund zu finden. Auch seine Frau gab sich und verließ die
Widerstände. Sie erinnerte sich mit Verwunderung an die freudige Schönheit des
Sternenhimmels, die sie vorhin bemerkt hatte, erlöste sich für eine halbe Stunde darin von
der Erbärmlichkeit der Gegenwart, kam im weiteren wieder darauf zurück, und versank in ein
schwermütiges und hoffnungsarmes Nachdenken über die Absichten der Weltregierung, ihr
besonderes Leidwesen betreffend, das sie mit ihrem Ehestand bekommen hatte. Die Dame Luna
fror hingegen viel zu sehr, als daß sie zum Denken vordringen konnte. Sie weinte unter
ihrer Augenbinde Schaffner, Der Bote Gottes
Was den guten Hund Stummel anging, so schnatterte er aufrichtig und rückhaltlos vor Frost
in seiner Nackt
Inzwischen kamen wirklich vier Männer den Gartenweg hergeschlichen. Sie waren über eine Mauer hereingestiegen und spionierten nun im Schatten der Büsche sachte gegen das Haus vor, halslang und helläugig,und einer hinter dem andern. Voraus wiegte sich
I8
Sie hatten schon die ganze Ecke des Gartens durchpürscht, als sie alle zugleich Stummel seufzen hörten.Der Dicke blieb stehen und drehte den Kopf über die Schulter zurück, was er fast ganz herum konnte als Ersatz für die Körperwendung, die für ihn zu umständlich und schwierig war.
D0 Ohren nehmen kann,“ brummte er zurück. „Was ist denn das für eine Theologie? Da läuft
ein Hund herum.“Das ging den mit dem sauren Geruch an, der die Gelegenheit ausspioniert
hatte und gleich hinter dem Dicken kam. Er tat einen langen Rückschritt vor der tastenden
Hand des Vormanns, trat dabei mit den Absätzen seinem eigenen Hintermann auf die bloßen
Zehen, die der vorn aus seinen Schuhen herausstreckte,empfing einen Genickbohrer dafür,
daß ihm die Augen übergingen, und kam so recht auf Umwegen zum antworten: es sei kein Hund
da gewesen, und die Anspielung auf die Theologie verbitte er sich; die habe hier nichts zu
schaffen. Der Dicke besann sich einen
Aber der Dicke stoppte zum zweitenmal und fing leise an zu fluchen. Den andern drei
sprang das Herz hoch wie auf Kommando; sie stellten das Atmen ein.Die dunklen Brüder waren
ahnungslos in den Bereich der tiefen Unwissenheit geraten und stießen nun hintereinander
auf das Nachtleben der braven Magd Christine. Ihre erste Auslegung, die noch unter
gesträubten Haaren vor sich ging, erklärte ihnen eine gemordete arme Leiche; nacheinander
erkannten sie, daß die Leiche atmete und sogar, zunächst freilich zu ihrem erneuten
Schreck, die rechte Hand hob, um eine Mücke von der Nase zu verjagen. Zufällig blickte der
mit dem süßen Duft und mit den gequetschten Zehen in die Höhe, und sah vor dem Dach
draußen den Gelehrten vor dem blanken Fernrohr stehen. Es wurde ihnen noch beklommener zu
Mut, weil sie jetzt nicht wußten,ob sie nicht vielleicht unwissend in einen zwanghaften
Kreis getreten und in ein ungünstiges Verhältnis geraten seien. Der dicke Kavalier
untersuchte in der Eile seine Gemütsumstände und merkte, daß er noch guter Laune und
nirgends eine Veränderung mit seinen Neigungen vor sich gegangen war. Der Theologe dachte
an das Dogma von der heiligen Dreieinigkeit und an das vom Abendmahl in beiderlei
Gestalt,fand seine positive Stellung und Zuneigung dazu un
Als der Zug mit dem Kavalier voran zu der Bank kam, die vom Weib des Schusters belegt
war, zeigte es sich, daß die durch unbekannte Mittel ihren Kopfverband gelockert hatte,
und infolgedessen hören konnte.
„He, Stockfisch! He, Windbeutel!“ sprach sie ihn an mit einem Ton freud und leidenschaftloser Selbstverständlichkeit, in dem eine Resignation von ziemlich langer Hand trübe mitklang und Stimmung machte.„Da bin ich. Wo suchst du mich denn? Komm, nimm mir die Binde vom Kopf, daß ich dich sehen kann mit deinem Schlechtegroschengesicht, du Herumvagierer,Tagedieb, alter Schnapphahn.“
Der Ehrenmann stand still und verwunderte sich mit einem halb verlegenen und halb wütenden Kopf. Es war kein Zweifel, daß alle diese Titel auf ihn paßten wie angemessen, und das gab die Verlegenheit. „Windbeutel, Herumvagierer, Tagedieb, alter Schnapphahn,“repetierte er im Aufflug unter einem leisen Mitrauschen von Zärtlichkeit und Wehmut: „Du bist erkannt, Waldemar.“ Aber dann griff er nach seinem Degen. Wie das hier aussah, mußte jetzt vielleicht doch jemand daran glauben, gerade, weil er erkannt war; nun war der Verrat doch so nahe bei der Hand wie die Armelkrause. Er schlich sich an das bedenkliche Zeichen heran und beugte sich darüber, sah, daß diese schmähende Frau nicht einmal häßlich oder alt war, sondern sogar recht annehmlich, und wunderte sich wieder.
„Wer bin ich?“ raunte er ihr zu, und brauchte auf die Antwort nicht lange zu warten.
Währenddessen hatten sich die andern drei herbeigeschlichen, und standen nun um den seltenen Auftritt herum. Der Dicke merkte jetzt wohl, daß sie nicht ihn meinte; der Süße, der sich am besten auskannte in der Stadt, brachte heraus, daß sie die bittere Schusterin aus der Kirchgasse sei. Sie wollte wieder zu melden anfangen,weil sie keine Wirkung feststellte von ihren Worten;der Kavalier fürchtete Aufstand und kam ihr zuvor;er hielt es für klug, auf ihre Intention einzugehen,bis man sie beruhigte und seitwärts herauskam.
„Sei doch 'still, gute Frau, und schimpfe nicht immer,“ antwortete er in ihres Mannes
Namen. „Soll der Plärrant auf dem Dach droben alles hören, daß wir nachher verraten sind?
Sag her, was du weißt;
Gerade erhob der alte Herr ein langgezogenes Geschrei, ähnlich dem ersten, mit dem er die tiefe Unwissenheit über die Gartengesellschaft brachte, aber dringender und jämmerlicher, weil das Elend der Verlassenheit aus den Sternen über ihn kam, und die tiefe Unwissenheit, die nach seinem Willen im Garten bleiben sollte, langsam aufstieg und schon fühlbar mit Kälte um seine Füße strich; auch ging das letzte Mondviertel auf, und es war noch keine Erlaubnis aus dem Sextilschein gesprungen. Darum mußte nun eben der Seelenzauber gesungen werden. Er war gefährlich wegen der Geister der Schwere, die sich gern daran hingen; es durfte nicht ein schöner Ton dabei sein. Indessen gelang die Erfüllung dieser Kondition wirklich so durchaus, daß es die Spitzbuben zu frieren begann unter dem Mondgebrüll. Der Südwind wühlte wie mit Händen in den Büschen. Eine Nachtigall begann zu klagen. Eine Sternschnuppe fuhr vorbei und beleuchtete flüchtig den tiefsinnigen Garten.
„Mache dich nicht so breit,“ tadelte die Schusterin.„Meinst du, du kannst mir noch irgend einen Rock oder eine Halskrause verkaufen? Ich bin jetzt wahrhaftig so kahl wie ein Baum im Winter. Komm lieber her und schaffe mir die Augen frei, damit wir miteinander sehen mögen, wo uns wieder ein guter Tag herwächst.Ich sage dir doch, daß ich einen Einfall habe.“
Der Dicke hatte sich schon so eifrig in seine Rolle hineingewebt, daß er jetzt den Kopf
schüttelte.
Die Schusterin bewegte mißbilligend die Mundwinkel.
„Ich wollte, du sprächest einmal vom Arbeiten und Rechttun, und nicht immer von Phantasien. Wir wissen doch wahrhaftig, an wen du unser einziges Kind um Biergeld verschachern wolltest. Warum willst du die Leute jetzt mit Nichtsnutzigkeiten reizen? Bitte uns lieber,daß wir Geduld mit dir haben. Ich sehe es leider werden über dir, daß die guten Dinge weglaufen vor deinem Gesicht wie vor einer Kröte, und die Menschen beiseite sehen, wenn du ihnen Tageszeit bietest. Oder hängt vielleicht noch nicht der allerletzte Ziegel von unserm Dach beim Wirt an der Tafel? Nimm mir jetzt die Binde weg.“
Auf dem sündigen Acker des Dicken ging leise die Saat der Teilnahme auf vor dem eröffneten Unglück,daß sich da so tiefgehalten vor ihm manifestierte. Aber eine schelmenmäßige Gegenregung, teils Gottlosigkeit,teils Leichtsinn, und aber zum Teil ein dringlicher und plötzlicher Wunsch, den Untergrund dieser Geduld zu erforschen, lockte ihn entgegen dem Sinn des Auftritts in den Übermut.
„Das werde ich wahrhaftig nicht tun,“ antwortete er einigermaßen freudig erregt, weil ihm
im gleichen
Er dachte, er werde jetzt wohl ihre Gehaltenheit gesprengt haben wie eine Schafherde, und es machte ihm Eindruck zu bemerken, daß der erfahrene Ernst ihrer Miene keinen Schein von seinem Wert verlor; nur das leise spöttische Licht eines Lächelns glitt jetzt darüber und brachte auf ihrem Mund flüchtig eine Linie heraus mit einem Schwung von verborgener Laune, die ihn sofort zu ihrem Gefangenen machte.
„Ach du armer Narr,“ entgegnete sie mit dem klugen Gemütston mitleidiger Heiterkeit: „Du
dürftest wahrhaftig stolz sein, wenn du einmal dein Messer nicht umsonst wetztest. Was
mich angeht, so wollte ich deiner Lust zur Regsamkeit gewiß nicht hinderlich sein, weil es
dann doch einmal eine Tätigkeit darstellte, die von dir ausginge. Aber es würde dich
reuen, und du würdest keine Freude davon haben, sondern zuerst den Verdruß der Mühe und
nachher den Anblick einer verstümmelten Frau.“ Sie ging wieder zur Tagesordnung über. „Ich
Dem Kavalier liefen, sozusagen im Hintergrund, die Spiegel an vor Mitleid. Er pfiff leise durch die Zähne:„Aha, siehst du wohl. Das kennen wir.“ Er schlenkerte die Hand vor eingebildetem spitzbübischen Vergnügen.Er wechselte einen verständnisvollen Blick mit seinen Komplizen. Der Südwind seufzte. Die Nachtigall klagte.
„Gut scheint mir das,“ erwiderte er munter vor seinen getrübten Spiegeln. „Deine Gedanken
sind ganz meine Gedanken. Du mußt nämlich wissen, ich bin gerade auf dem Weg zu den
silbernen Löffeln und Messern. Plage dich nur nicht mit Nachdenken, denn ich fürchte mich
doch immer, wenn ich dich denken sehe;sieh vielmehr zu, wie du dich aufblasen kannst,
damit du Blut unter deine Haut bringst, sonst wirst du dich
Er blinzelte seinen Gesellen wieder zu, und hätte D unbekannten Ursache alle miteinander durchprügeln mögen.Er war wütend und schob es auf den Schuster. Es drängte ihn, sofort etwas zu unternehmen, und er verwies den Drang beunruhigt in die Zukunft. Inzwischen gab ihm die Schusterin ihre Anweisungen, und er hörte mit geschärftem Ohr auf den Klang ihrer Stimme wie auf eine Kirchenmusik.
„Und glaube ja nicht,“ beschloß sie ihre Rede, „du
142 könntest mir etwas beiseite bringen; ich habe alles gezählt. Es sind elf Löffel und zwölf Messer; den zwölften Löffel habe ich zur Probe schon an mich genommen.Lege sie vor das Küchenfenster hinter den Laden; man kann sie nachher von dort mitnehmen. Vergiß auch nicht, in der Truhe nachzusehen; sie ist nicht verschlossen. Mach fort, bevor er auf dem Dach aufhört zu schreien.“
„Ist gut,“ sagte der Kavalier, nahm noch ein letztes Auge voll von ihrer widersprechenden Gegenwart und dachte wieder an den Schuster. „Diese Sache wird dir nicht nach Wunsch gelingen, denn du kennst mich noch gar nicht; ich habe heute Unterweisung bekommen vom Sternseher, und werde fortan fürchterlich deinen Herrn spielen. Und was den Schuldturm angeht, so sollst du wissen, daß ich mich jetzt unsichtbar machen kann. Aber lassen wir das gut sein für diesmal.Schlaf wohl, und vergiß nicht, dich aufzublasen.“
Er winkte seinen Spießgesellen und verschwand bald darauf in der Dunkelheit mit einer unsichern Frivolität im Kopf und einem desto gewisseren Dorn im Fleisch.
ls der abnehmende Mond über dem Garten stand A und die Nachtkühle von der Kältewelle, die
der unermüdlichen Rundreise der Morgenröte um den Erdball immer fünfzehn Breitegrade
voraussaust, noch Vrschärfung erlitt, führte der Sternseher vor dem Dach
Dann begann Luna zu klingeln und mußte Tee haben, darauf vier Bettkrüge, und außerdem
warme Tücher, wie vorhin der tote alte Herr, dem sie sich schon an allen Gliedern so
ähnlich fühlte. Der Sternseher verlangte ebenfalls nach Tee; der Schwiegervater wollte mit
Schnaps eingerieben sein, und Luna auch,als sie es gewahr wurde. Sie bestellte heißen Wein
dazu; sofort roch das der Schwiegervater und forderte gleichfals welchen, aber nicht zu
wenig. Der Sternseher nahm auch einen guten Schluck, und die Dame kuna trank noch ein
zweites Näpfchen leer, worauf es still wurde. Eines nach dem andern bemerkte einen
freundlichen Zustand im Kopf, dachte eine Weile darüber nach, und brach mit lahmen Knien
in ein Loch hinunter, wo es dunkel war und der Atem lieblich säuselte. Nur der Sternseher
raffte sich noch einmal
„Luna, du mußt aufwachen,“ erklärte er mit milder Festigkeit. „Du mußt wach bleiben, hörst du? Wenn du jetzt schläfst, so läßt er heimlich los und du fällst in das gewöhnliche Geschehen herab. Und dann ist vielleicht alles aus. Du bist heute nacht der Mittelpunkt unseres Schicksals.“
Der Mittelpunkt des Schicksals war so freundlich und wachte auf, aber nicht, weil er sich um den fraglich gewordenen Wurzelstern bekümmern wollte, den Lkuna jetzt wirklich vollständig vergessen hatte. Sie lachte vielmehr auf eine neckische und zärtliche Weise, hob ihre schmale Hand auf, faßte ihren Eheliebsten am Ohr,zog ein bißchen daran und sagte mit wunderhübschen grünen Lichtern in den Augen:
„Gelt, jetzt habe ich dich in den Wald gekriegt, du Sternentollpatsch. Die Christine hat's mir geraten:geh in den Wald mit ihm sie sang es beinahe ,und gib ihm Wein zu essen wollte sagen, zu trinken,Wein zu trinken. O, o, jetzt wollen wir uns freuen.Wo hast du nun dein Fernrohr, mit dem du in meinen Himmel gucken kannst?“
Dem alten Herrn schwindelte vor Erstaunen über die Schaffner, Der Bote Gottes
10
„Die Wurzel ist schon entwichen,“ klagte er. „Die Macht ist dahin. Du fällst aus der
Leichtigkeit. Du stürzest. Das Schicksal überschlägt sich und und besiegelt sich,
besiegelt dich, be siegelt uns alle. Ach,ach, ich rasiere mich noch einmal; dann schneide
ich mir ich mir du Mittelpunkt des Schi Schicksals, ich schneide mir mir den Polarstern ab
abgeschnitten. O, abgeschnitten, abgeschn nitten. Sehr schön.“Er drehte sich um und wollte
zu seinem Bett zurück; aber als er seiner Frau den Rücken zugebracht hatte, verlor er das
senkrechte Privilegium und kam hinterwärts mit einem mäßigen Schütter auf den Boden zu
sitzen, wo er sich nach einem vergebenen Versuch, wieder auf die Füße zu gelangen, eben
noch zum Anlehnen unten weiter vorschob und es dabei bewenden ließ. Er sagte noch einmal:
„Abgeschnitten,sehr schön,“ stieß einen Weindampf durch die Nase,faltete ergeben die Hände
und versank von neuem in die Grube. Die Dame Luna wunderte sich in ihrem bewölkten Kopf,
daß sie wieder allein war,machte ein Mäulchen, schnitt eine kleine hübsche Grimasse
In der Zeit hatte die Schusterin mit ihrem Eheliebsten einen Handel angefangen, der diesem merkwürdig vorkam. Schon in der Stube war es ihm aufgefallen,daß sie ihm ein scharfes Auge ansetzte; er dachte, das Frieren habe ihr die Laune verdorben. Darauf war von Christines Hand nur eben die Haustür ins Schloß geflogen, als sie auf das Küchenfenster zuging und den Laden öffnete; allein statt der silbernen Löffel und der sonstigen erwarteten Gegenstände hatte ihr der schnippische Kavalier die ausgetragenen Schuhe des Süßen,der in der Sternseherei an neue geraten war, auf den Fenstersims gesetzt. Der Schuster dachte, sie werde etwas über den Nachtlohn in die Sternseherei melden wollen und wunderte sich schier aus der Haut, als sie mit ihrem wohlbekannten Distelbusch, ohne dort ein Wort anzubringen, herum und auf ihn zukam. Ob etwa das nun die angezeigte neue Lebensart sei? fragte sie ihn auf eine bestimmte trockene Art, hinter der ein ziemlich schwerer und dunkel verbrämter Verdruß saß und hervorwirkte. Dann solle er sich nichts einbilden;an Lumpigkeit sei sie bereits gewöhnt von ihm. Jedoch an seine überheblichkeit wolle sie sich nicht gewöhnen;da höre für sie aller Weg auf.
„Du denkst vielleicht, du hast einen feinen Streich geführt gegen mich?“ fuhr sie fort
mit mehr Sorge 10*
Der Schuster hatte immer noch Fantasie, so stürmisch ihm ihre Vögel schon um den Kopf
flogen.Er dachte, sie vermute, daß er den Lohn für die Nacht schon eingezogen habe, und
antwortete mit dem Ton der Wahrheit, er wisse weder von Silber noch von Gold; sie möge den
Bettel immer an sich nehmen.Lehrer her oder hin, er habe hier keine Geschäfte mehr; er
wolle jetzt nach Hause und zu Bett; das sei die ganze Schule. Dann sah er eben noch, daß
ihr seine Antwort mißfiel, kam aber nicht mehr dazu,sich um die Gründe zu bekümmern. Er
meinte, er müsse einen neuen Standpunkt suchen, weil sie einen
Der Schuster ärgerte sich.
„Krieg die Kränk. Geh in die Wüste predigen,“schimpfte er unter seinen aufgehobenen Händen und drehte ihr gräßlich das Gesicht von unten herauf zu: „Ich möchte doch des Teufels und Henkers wissen, was du immer mit meiner Nichtsnutzigkeit zu haselieren hast.Warum hast du mir kein besseres Weibergut zugebracht?Freß ich allein am Tisch, oder sind wir unser drei?Was willst du überhaupt groß Schulden bezahlen mit dem Trinkgeldchen aus der Sternseherei? Und wo willst du denn hinlaufen, he? Laß mich jetzt zufrieden, oder ich werde dir verdrießlich, verstehst du. Du kennst mich noch gar nicht.“
„Gewiß,“ spottete die Schusterin bitter. „Das walte Gott. Der Sternseher hat dich
berichtet, ich weiß. Du wirst dich unsichtbar machen, wenn morgen oder übermorgen die
Gerichtsboten kommen. Warum hast du mir denn nichts abgeschnitten heute nacht? Es ist doch
merkwürdig, wie schön der Mann aus der Nase zu bluten versteht, dem von Gott Freiheit
gegeben ist, dies
„Monika,“ erwiderte der Schuster dieser herben Rede mit aufgehobenen Händen und trippelte ihr wieder nach: „Monika, ich hab' dir's immer gesagt, daß du noch am Verstand Schaden nehmen wirst mit deinen zornigen Leidenschaften. Jetzt bist du so weit, wie ich deutlich höre. Gnade dir Gott, arme Seele, ich glaube,du mußt ins Narrenhaus. Geh doch langsamer, sonst verderbe ich mir das Wams.“ Er bekam es plötzlich wieder mit der Bangigkeit und verfiel im Umschwung aufs Zureden. „Zwar gib dich doch nur zufrieden, beste Monika, braves Weib,“ beruhigte er. „Ich merke schon, daß du gar nicht närrisch bist, sondern völlig gescheit, und alles richtig beurteisst. Und es ist wahr,ich bin ein schlechtes Fleisch, aber ich will mich ändern und bessern, sobald mein Nasenbluten vorbei ist. Ich will mich zu Hause sofort hinsetzen, und will einmal Tag und Nacht für dich arbeiten, damit du wieder zu essen hast und fett wirst, denn dann regt man sich weniger auf und betrachtet das Leben mehr kavaliermäßig. Ich will dich fortan auch besser behandeln und dich nicht mehr so vernachlässigen, und wir wollen einander lieben wie die Vögelein, daß die ganze Stadt ihre Freude daran haben soll. Laß mich nur machen,du wirst noch deine Wonne erleben mit mir, liebste Monika.“
Die Schusterin kannte dies Feldgeschrei. Sie blieb spöttisch und streng auf ihrer Seite,
und wollte sich
„Alles mit Maß,“ rief der Dicke und warf sich in die Brust: „Was ist denn das für eine Lebensweise, he? Ist euch euer Haus zu eng für euren Zorn und Streit, daß ihr die Gasse davon voll macht? Zu wem betet denn der Kerl, Theolog? Was ist das für eine Gottesverehrung?Hol' mich der Teufel, das sind Götzendiener. Sie verehren den Mond, der über der Gasse steht. Kerl, hör'auf zu schwören, sag' ich. Ich leid es nicht, daß du jemand anders anbetest, als die Dreieinigkeit.“
„Ach, er blutet ja aus der Nase,“ fiel der Jüngling dazwischen, bückte sich und guckte ihm von unten ins Gesicht.
„Halts Maul, Aff,“ knurrte der Dicke. „Das tut er aus heidnischer Leidenschaft. He, Frau, kriegen wir Antwort oder kriegen wir keine? Weißt du nicht,daß du auf dem Boden des römischen Reiches deutscher Nation stehst und christliche Gebeine in deinem Fleisch hast?“„Da müßt Ihr meinen Mann fragen, Junker,“ entgegnete sie abweisend und jetzt von zwei Richtungen verdrossen. „Er hat Jurisprudenz studiert in Gießen und in Erfurt. Er ist auch allezeit ein forscher Kerl gewesen, sagt er, und hat ihm nie an Raupen im Kopf gemangelt und an Läusen darauf, sagt er. Fragt ihn.Vielleicht ist er ein Kommilitone von Euch.“
„Das ist möglich,“ sagte der Kavalier betreten. Er
Der Schuster wandte sich ihm mit erhobenen Händen zu.
„Da ist kein Magier, Herr Professor,“ klagte er seitwärts an ihm hinauf: „Meine Frau reitet der Teufel. Ich bin nichts als ein armer Schuster aus der kleinen Kirchgasse und habe das Nasenbluten, wie der andere edle Herr Ritter ganz recht gesehen hat in seiner Weisheit. Ich weiß von keinem Gott außer der heiligen Dreifaltigkeit, und warte nur darauf, daß das Blut still steht, so will ich meiner Alten die Rippen verbrämen. Aber für ein kleines Trinkgeldchen kann ich Euch schon einen Magier und Götzenknecht ganz in der Nähe verraten. Ihr müßt wissen, ich eifere auch für den wahren Gott.“
Der Dicke sah die Schusterin an. Herrgott, dachte er hingerissen, man muß sie aus dem üblen Spiel rücken;sie ist zu gut dazu. Friede sei mit ihr. Er bemerkte mit Achtung den weiten Bogen ihrer Brauen, und begriff, daß sie sich nicht billig gab.
„Gestrenge Herren,“ entgegnete sie, „ich schwör's euch zu: ich glaube ihm kein Wort.
Macht's auch so,
Der Kavalier war zu Ende mit seiner Laune. Der Anblick des unnützen Wichts trieb ihm die Galle ins Blut; am liebsten hätte er ihn frisch vom Fleck weg am Kragen genommen und durchgewalkt.
„Nun zum Teufel, Kerl, das ist alles starker Tobak,“rasselte er ihn an. „Magier oder nicht Magier, dich muß ich vor die Faust ziehen. Mich gelüstet schon lang,einen solchen Schädel zu rasieren, wie du einen hast.Willst du dich mit Angebereien aus deinem Dreck heben?Du mußt wissen, daß ich den Brauch habe, jeden unter mein Eisen zu nehmen, den ich auf Denunziation betreffe; das ist sozusagen eine liebe Gewohnheit von mir.Erkläre dich schnell, sonst weiß ich nicht, was mich im nächsten Augenblick ankommt. Wen willst du mir verraten, Schuft?“
„Ach hoher Herr, niemand, niemand,“ jammerte der Schuster. „Und ich will Euch nur meine
Beine zeigen,daß Ihr seht, ich bin ein Schuster und kein Denunziant.Zwar ich kann meine
Hände nicht herunter lassen, weil ich sonst in der Erregung vielleicht einen Blutsturz
bekomme. Aber wenn jemand so freundlich sein will und mir die Hosen abziehen, so könnten
es alle Herren sehen,
Bereits hatte sich der Süße auf den Wink des Dicken an den Schuster gemacht, um ihm aus
der Hose zu helfen, und der Saure stand ihm bei. Außerdem berief jener sich noch auf den
linken Plattfuß, der ebenfalls ein Erkennungszeichen sei vom Knieriemen; da zogen sie ihm
die Schuhe samt der Hose aus, fragten ihn, ob er sonst noch ein Merkmal habe, sagten, er
solle ihnen in die nächste Gasse folgen, wo der Mond und das Sternenlicht besser einfalle,
damit man seine Schwielen und den Plattfuß auch wirklich sehen könne,und hoben sich mit
den Effekten davon. Er trippelte ihnen mit aufgehobenen Händen nach, wie er sie gehen und
manchmal auch locken hörte, kam von einer Gasse in die andere, passierte die Hölzerstraße,
kreuzte den Münsterplatz, wunderte sich, daß es noch weiter gehen sollte, rief nach den
edlen Herren: „Heda, heda, hier ist mein Seel die schönste Heiterkeit in der ganzen
Stadt!“trat sich einen Nagel in den Fuß, fing an hurtig zu hüpfen,weil er Angst bekam für
sein Eigentum, und verlor sich endlich im Gassengewirr des Judenviertels aus dem
Mondschein und aus aller guten Zuversicht und Laune.
Ums Frühgeläut kam ihr der Schuster vor die Tür
157 gehinkt, würdelos in Wams, Hemd und Mütze, und in seinem Gemüt auf alle Weise strapaziert und mit Kummer belastet. Sie empfing ihn völlig schweigend,und achtete auch nicht auf sein trübsinniges Erstaunen darüber. Weil er diesmal wirklich keine Lockung verspürte, sich mit Sprüchen hinter der Maßregel her aufzulassen, so drückte er sich an ihr vorbei still ins Bett und fing dort sogleich einen Schlaf an, der in den hellen Morgen hineinfloß wie ein Bach aus Teer.Aber die Schusterin begann ihren Tag.
D Mädchen Christine konnte nicht manchen Griff tun, ohne dem Verlust des Silbers auf die
Spur zu kommen. Die erste halbe Stunde füllte sie damit aus, das Vermißte an andern Orten
zu vermuten und zu suchen, die zweite, nachzusehen, was etwa sonst noch abhanden gekommen
sei, und nach Verfluß der dritten stieg sie die Treppe hinauf und fing an, auf die
Schlafzimmertür der Meistersleute zn trommeln. Das nahm eine gute Zeit in Anspruch; denn
wenn der Schlaf des Gerechten schon tief ist, mit welchem Lot soll man dem der Seligen auf
den Grund geraten? Schließlich kam dem Sternseher das Getös zu Ohr und das Tageslicht zu
Auge, und ein peinliches System von schartigen Messern, das er sich an Lunas Bettpfosten
in den Rücken geschlafen hatte, trug zu seiner beschleunigten Ermunterung bei. Als er die
Botschaft
„OHde?“ weinte und schrie sie ihn an: „Wieso öde?Du bist öde. Du hast deine Nase zwischen den Sternen,und in der Zeit wird mir das Silber gestohlen und werden mir meine Ketten und Spangen entwendet, an denen ich meine Freude habe. Daß doch dir deine dummen Fernröhren auch geholt würden; ich wollte lachen und Sprüche machen wie du. Jetzt guck hinein und sage aus, wo das Silber ist, wenn du etwas kannst, so wollen wir dich loben. Schaffe mir meine Ketten wieder und meine Ringe.“
Sie hatte sich in der Zeit in den Unterrock gebuddelt,warf noch geschwind ein Tuch über
ihre Schultern, riß
Lunag fürchtete sich sehr und glaubte wegen des großen Gestankes. Sie fragte, ob sie hier reden dürfe,und redete. Alle Nöte und Schrecken der vergangenen Nacht, des Morgens und der Stunde rannen ihr nun zusammen zu einem einzigen trüben Strudel, und wenn sie aus diesem heraus bat, der Sternseher solle sie nur bald aus der schlimmen Stadt führen, so war es ihr erbärmlich ernst damit. Was bei jenem unter der Oberfläche blieb und nur als Orakelspruch zu einer vorsichtigen Gestalt kam, wurde bei ihr völliges Tagesgespräch: der Wunsch, aus der Mühle einer Daseinsform herauszukommen, die nunmehr deutlich das Korn des Unglücks mahlte und gänzlich in den Händen des Mißgeschicks zu sein schien. Aber der Sternseher war ohne Hoffnung, während die Dame Luna hinter dem Orts und Luftwechsel alle möglichen Verheißungen und neuen Wunder aufblühen und winken sah. Und da es doch hier einmal so bestellt sei, so solle man nur sofort aufbrechen. Christine möge das Bündel schnüren und mitkommen, daß sie auch ihre Seele errette, die Schaffner, Der Bote Gottes
121
Christine machte ein dunkles Gesicht und sah ablehnend drein.
„Das kommt mir spanisch vor,“ sagte sie, „daß Gott durch einen stinkenden Rauch solche Dinge sollte offenbaren. Ich wollte lieber noch ein anderes Zeichen abwarten, bevor ich an dieses glaubte. Die Menschen sind auch nicht so schlecht, daß das geschehen dürfte.Ihr kommt ja nie heraus; wie wollt ihr das wissen?“
„O du Bauernbauch,“ schalt die Dame Luna:„Das ist ja eben die Weissagung, daß man's erfährt und hat's nicht gesehen. Willst du hier deinen täppischen Kopf geltend machen? Bleibe in der Stadt und gehe mit den Bösewichtern unter, wie es deine Verstocktheit verdient. Ich scheide mich von dir.“
Sie trat entrüstet von ihr weg; aber Christine zweifelte weiter.
„Und wovon willst du denn draußen leben, wenn du deinen Schmuck und dein Silber vermissest, und der Herr seine Dukaten? Laß uns zuerst unser Eigentum wieder finden und das Haus verkaufen, damit wir nicht Bettler werden. Dann mögen wir immer noch wegziehen und glauben desto lieber, weil wir weiter leben können.“
Die Dame Luna sah ihren Mann an.
„Das ist gut, Balduinus,“ sagte sie mit einem schimmernden Blick. „Laß uns zuerst unser
Eigentum wiederfinden, damit wir nicht betteln müssen. Geht das nicht? Wird es denn
wirklich so schnell kommen?
Sie nieste von dem Rauch. Der Sternseher schüttelte traurig den mageren Kopf.
„O Lung, du Erdenkloß,“ antwortete er, „wie leid tust du mir, daß dein Sinn noch so sehr auf das Vergängliche gestellt ist. Ich muß dich wahrhaftig einen Monat lang in die Behandlung nehmen, daß die Teufel der Schwere von dir gehen. Du wirst nicht als ein Engel Gottes erscheinen am Tag der großen Erscheinung, sondern als ein Brauknecht oder Metzgerbursch.“
„Wieso?“ fragte sie dümmlich und schickte dem Mädchen Christine einen Blick zu, daß sie ihr helfen solle.„Es ist drunten ein Handschuh von den Spitzbuben liegen geblieben,“ bemerkte die an der Rede des Sternsehers vorbei. „Wir sollten den meinem Hund zu riechen geben und ihn suchen machen, vielleicht gewinnen wir die Spur. Aber wir dürfen nicht warten damit, sonst geht uns der volle Tag drüber, und kein Hund findet dann mehr das Rechte heraus.“
Luna schwindelte einen Moment, teils vor permanenter Schwäche, teils vor Rauch und teils vor der starken Natürlichkeit dieses Einfalles. Sie stimmte der Magd bei und trieb, was sie konnte, daß der Hund auf den Weg kam. Der Sternseher mußte sich an
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„Ach, edler Junker,“ klagte sie, „daß Gott den bösen Spitzbuben, die es in dieser Stadt
hat, keine gute Stunde mehr gönnte, sondern nur üble und schmerzensreiche.Wir sind heute
nacht völlig ausgeraubt und in allen Kammern kahl gemacht worden. Aber wir stehen den
übeltätern auf der Spur mit dem Hund, weil sie einen Handschuh verloren haben. Leider ist
uns der Hund davongelaufen.“
„Nun, gnädigste Dame, wie kann man ein Haus ausrauben, in dem so viele aufmerksame Leute wohnen und schlafen, wie ich hier vor mir sehe? Auch sagt Ihr, ein Hund sei Euer; verzeiht, hat der Hund kein Gehör und Witterung?“
„O das ist der teuflischste und verlorenste Hund,den es gibt,“ schalt sie. „Er bellt und wütet ganze Nächte lang, daß niemand ein Auge zutun kann; und wenn man dann endlich vor Todmüdigkeit hinsinkt in der zehnten oder zwölften Nacht und einen Wächter nötig hat, so sieht er freundlich zu, wie die Verdammten das Silber forttragen. Und jetzt ist er auch noch weggerannt.“
„Mit Gott,“ antwortete der Saure und blickte sie aus seinem schwarzen Kopf strafend an. „Das macht,daß Ihr Euer Herz an das eitle Gut hängt und Eurer Seele vergeßt. Geht heim, tut Buße und reinigt Euch,ob Euch Gott wieder gnädig wird. Und danket ihm,daß er Euch auf so sinnreiche Art aus den Klauen des Satans gelöst hat.“
Niemand von der Kompanie wußte recht, ob der Saure im Ernst sprach oder Theater machte.
Er hatte Theologie studiert, und es ist bekannt, daß diesen Käuzen gegenüber keine einzige
psychologische Regel und Voraussetzung zutrifft, weil sie den Bau der
„Das habe ich meiner Frau auch gesagt, werter Herr. Sie ist ein Kalb voll Fleischlichkeit und eitlen Wesens, und ich werde noch viele Mühe haben mit ihr. Dann hat diese alberne Person hier den Tanz mit dem Hund angegeben, damit die Kreatur auch noch in den Strudel gezogen werde. Ich mag nichts mehr mit dem Silber und Gold zu tun haben. Wir wollen überhaupt nach Hause gehen und unsern Auszug anfangen.“
Jetzt trat der Schwiegervater vor, der solange unzufrieden zugesehen hatte.
„Es verdrießt mich gewaltig, was du da über meine Tochter gesagt hast, lieber Eidam,“
tadelte er und reckte seinen alten Rücken. „Sie ist kein Kalb voll Fleischlichkeit, denn
so habe ich sie nicht erzogen, vielmehr gottesfürchtig und sehr mäßig. Aber du bist ein
Esel voll Flausen und Grillen und ich weiß nur nicht, warum ich dich nicht im Stich lasse,
wie du dastehst und lästerst in deinem gottlosen und unchristlichen Aufzug.Mein Herzbruder
Dorian, dein seliger Vater, liegt zu Hause tot und ist erfroren. Er war ein schwacher
Mann,aber ich habe immer noch bessere Knochen als du und will dir lieber mit eigenen
Händen die Spukkammer aus dem Dach reißen und auf die Gasse werfen, als daß ich dir noch
einmal auf die Bank liege oder erlaube, daß meine Tochter darauf liegt. Und wenn du uns
das
Der Süße hatte Hunger und wollte über der Renommiererei der alten Wackelhose nicht länger auf leere Zähne beißen.
„Ich meine, werte Dame und ihr Herren und Freunde, wenn wir gegessen haben, so werden wir klüger sein und uns besser verstehen,“ ermahnte er.„Das Gut ist vorderhand weg; das bleibt, wie es ist.Aber die Jungfer da hat ja den Handschuh, so ist uns der Sünder sicher. Nachher wollen wir euch auch suchen helfen, und für sein Unterkommen am Galgen braucht dann der dicke Halunke nicht zu sorgen, dem dieser riesige Handschuh gehören muß. Die gnädige Dame wird nichts dagegen haben, daß wir hilfreiche Kavaliere uns bei ihr zum Frühstück einladen.“
Der Süße hatte einen süßen Geruch, aber sein Kopf steckte voll Finten und Mücken; er mochte jetzt nichts lieber, als bei Tag in dem Haus etwas Gutes schmausen, in welchem er bei Nacht gearbeitet hatte.
Der dicke Kavalier war mit dem Frühstück einverstanden; aber er glaubte nicht, daß der
Eigentümer des Handschuhs ein besonders großer oder starker Mensch sei, vielmehr eher
mittel in jeder Beziehung. Dagegen stimmte er dem Süßen darin bei, daß die Hausgemeinde
des Sternsehers auf seine und seiner Kameraden Mithilfe rechnen müsse, stellte sich als
den Junker Rolandus vor und seine Komplizen als die Herren Magister Ebenreiz, Lizentiaten
Stockholz und Leutnant Liebes
„Guten Morgen, ihr Herren,“ sprach Ruodi die Vier an und bewies damit, daß sie ihm bekannt waren und er ihnen. „Seht, da habe ich meinen Hund wieder,von dem ich euch erzählt habe und der mir weggekommen ischt; das ischt ein wahres Pläsier. Aber Gott soll mir Haut abziehen, wenn ich den Türken, den gottverstoßenen, ausfinde, der ihn mir geschoren und gezwickt hat, mein Seel, den will ich auch scheren und zwicken. Der Hund kann nicht sagen, was man sonscht noch gemacht hat mit ihm; aber er huschtet und ischt ganz meineidig erkältet. Da soll der Teufel dreinschlagen. Was ischt denn aber los hier?“
Das war die Rede, die er führte unterm Aufmerken aller Fenster und Zuschauer und zur
schauervollen Freude aller Ohren. „Von welchem Zaun ist denn die Zunge gebrochen?“ riefen
die Leute und lachten ungläubig.
„Diese Dame und ehrbare Frau ist ohnmächtig geworden, sobald sie Euer Gnaden erblickte. Ich habe noch nicht erlebt, daß jemand einen solchen Eindruck auf Frauenzimmer hervorbringen kann. Erlaubt mir.“Er stellte vor, den Schweizer als den Herrn Obersten Ritter von Holdrio aus Ungarn, im Auftrag der kaiserlichen Regierung in hiesigen Landen, um den Frieden zu inspizieren, und darauf den Sternseher, den Schwiegervater und die ohnmächtige Dame Luna, alle mit bescheidener Unterstreichung ihrer Verdienste und Qualitäten als das, was sie übrigens waren, worauf aber der Sternseher statt mit Gegenhöflichkeit nur mit einem bedenklichen Seitenblick auf den Hund reagierte, und der Schwiegervater mit einem feindseligen.
Nachdem es dem Köter Stummel schon einmal hatte vorkommen wollen, als befinde er sich
zwischen bekannten Gerüchen, entdeckte er plötzlich seine Freundin Christine,die sich mit
ihrer Herrin beschäftigte und ihn von allen Leuten allein nicht bemerkt hatte. Wie sie nun
von
„Wie kommt Ihr zu dem Hund, Herr?“ fragte sie mit dunklem Gesicht. „Er war heut nacht bei uns.Er gehört ins Dorf Wullenhausen. Wißt Ihr vielleicht,wo Wullenhausen liegt?“
Er wußte, wo Wullenhausen lag, und wußte auch, mit welcher Farbe diese Magd und Streiterin Augen malte, wenn es nötig wurde. Aber er ließ sich nicht mehr unter die Rippen fassen, von keiner Bagage auf der Welt; mit diesen Höflichkeiten war es jetzt vorbei. Er erwog und beschloß außerdem, er wolle nun kaiserlich auffahren; denn immerhin hatte man sich an dem Hund strafbar benommen.
„Ins Kaisers Namen, was hör' ich? Das ischt mein Seel gut. Du bischt ja wahrscheinlich
ein ganz schauderhaftes Weibsbild, soviel ich weiß von dir, und hascht das schlechte
Gewissen. Ich kenne, glaub' ich jetzt, den, der dem guten Tier das Haar abgeschnitten hat,
und hat ihm die Haut gezwickt in schändlichem
Er betrachtete das Mädchen mißvergnügt und bei allem guten Willen zur Gerechtigkeit mit Unbehagen.Er glaubte nun doch nicht, daß der Bauer absolut ein wertvolles Gut verloren habe mit ihr, wie er sich einbildete. Mindestens war sie trotzig und wenig weise. Christine ihrerseits sah etwas erschreckt den fantastischen Kerl an und wußte nicht mehr, ob sie ihren klaren Sinnen glauben solle oder seiner Aussage,die mit soviel echter Herzwärme des Weges kam. Die Dame Luna kehrte aus ihrer Ohnmacht zurück und fragte sofort, ob man den Dieb habe. Aber der Schwiegervater sprang für das Mädchen Christine ein,da er sich nun doch als Hausvorstand fühlte.
„Wollt Ihr uns nicht mitteilen,“ fragte er patzig,
Er sah den Schweizer geringschätzig an; aber der fuhr mit der Faust an den Degenkorb und kochte auf wie heiße Milch.
„Das ischt mein Seel schlecht gelogen und ein Schluck für eine Kuh, aber nicht für
Edelleute. Wenn hier gedichtet werden soll, so will ich Euch mit einer einzigen Erfindung
an die Wand nageln, daß Euch in zehn Jahren kein anderer wieder herunter lügt. Aber da
schteht Wahrheit. Schaut her und blinzelt nicht.Ich will Euch kreuz und quer über die
Ohren auseinandersetzen, daß der Hund nicht länger als eine Nacht bei Euch im Bett gelegen
hat. Blitz und Hagel,ich bin geschtern mit ihm zum obern Tor herein gekommen und hab'
einmal nach den Schtraßen gesehen, da ischt er schon weggefangen gewesen. Der Kaiser hat
in Wien zu mir gesagt: ‚Geh' hin, Ruodi,schau mir dem Frieden ein bißchen nach in meinem
Reich‘, und hat mir diesen vornehmen Hund dazu geschenkt, daß es jetzt nur jedermann weiß.
Da ischt er her, und von keinem Wullenhausen, und hat noch sein Leben keinen Wagen
gezogen, aber hier schaut er viel verdorbenes Volk an. Ischt es ein Wunder, wenn er
herabgekommen aussieht, nachdem Räuber, Hechte und Weibsbilder über ihm gewesen sind? O
Donner
Die Dame Luna, die erst halb begriff, was vor sich ging, und von der Handlung doch gern ein Röllchen an sich ziehen wollte, plapperte verwundert hinter dem Alten hervor.
„Gehört denn der Hund Ihm, Herr Offizier? Ich wollte es gleich nicht leiden, daß man ihn schor. Er ist ein edles Tier.“
Der Oberst wandte sich interessiert nach der neuen Seite. Da war ja wieder Leben aufgekommen, und außerdem verschiedene Augenfreude und Anziehung.
„O jawohl, zu dienen, gnädigschte Dame,“ erwiderte er höflich; „dieses ischt ganz und gar
mein Hund. Ich kann es beweisen. Und er ischt der geischtreichschte Hund, den es gibt.“ Er
kehrte sich zu Stummel:„Komm, wir wollen uns unterhalten,“ zog den Säbel,hielt ihn
wagrecht von sich, sagte: „Wie fliegt der Schtorch über das Dach?“ und Stummel setzte mit
einem rüstigen Sprung darüber. Der Oberst faßte den Säbel noch mit der andern Hand an der
Spitze, so daß er damit eine Schlinge bildete, bemerkte lächelnd zur Dame Luna: „Er kann
auch Geometrie,“ fragte ihn: „Wo ischt das Zentrum?“ und der Hund sprang durch den Kreis.
Er war schon aufgeregt und tanzte kläffend hin und her. Der Oberst sagte: „Komm, wir
wollen schpazieren gehen,“ und bot ihm einen Arm;Stummel stellte sich auf die Hinterbeine,
fuhr ihm mit einer Pfote in den gebogenen Arm und hüpfte
„Ihr seht, es ischt mein Hund. Er gehorcht niemand sonscht, als noch dem Kaiser, von dem er herschtammt.Da soll man doch nicht so dumm kommen und sagen,er zieht dem Metzger den Wagen!“
Nun gefiel der Dame Luna dieser bunte Tänzer und Krieger gar zu wohl. Ihr Mann stand zwar auch farbig genug da, aber er war lediglich nach oben gerichtet und fantasierte nur, wenn die Eingebung aus den Sternen über ihn fiel. Dieser Offizier, den doch der Kaiser geschickt hatte, wie man hörte, tat sich um und vergaß alle Vornehmheit, bloß um ihr zu beweisen, daß der häßliche Hund ihm gehörte. Das gewann sie für ihn. Sie neigte ihm holdselig den blassen Kopf zu.
„Ich bin nun ganz überzeugt davon, daß der schöne Hund Sein ist, Herr Offizier. Ich hätte
es schon früher gemerkt, aber da war ich ohnmächtig. Und ich verstehe auch, daß Er
Genugtuung haben muß für das Ungemach,das Ihm in der Gestalt Seines Hundes bei uns leider
widerfahren ist. Dieses törichte und sinnlose Weibs
Der Oberst dankte erfreut, weniger wegen des FrühDDDBrüderschaft, als wegen der Anmut und Lockung, die von der Dame auf ihn überging. Er steckte den Säbel ein, nahm ihn in der Scheide zierlich unter den linken Arm, wartete, bis der Sternseher seiner Gattin mitgeteilt hatte, daß auch die vier andern Herren eingeladen seien und ihr übrigens das Silber wieder verschaffen wollten, und führte mit der hübschen und zutunlichen jungen Frau den Zug an, der sich nun die Straße hinunter der Sternseherei zu bewegte.
Mcch freue mich,“ sagte die Dame Luna, „daß ich J einem vornehmen Herrn Zufriedenheit schaffen kann. Er ist aus Ungarn, wie man hört?“
„Ja,“ antwortete das Schweizermaul, „aber ich kann ganz gut hochdeutsch schprechen. Ich
schpreche nur ungarisch, wenn ich aufgeregt bin. Aber ich bin jetzt schon gar nicht mehr
aufgeregt, oder nicht vor
Die Dame Luna lachte leise.
„Ja, wenn sie dem Kaiser gleichen; der Kaiser ist der schönste Mann, den es gibt.“
„Das ischt wahr, und ich gleiche ihm auch wirklich,man hat mich schon dreißig oder vierzigmal für ihn angesehen und mir Referenz erwiesen, daß ich nicht gewußt hab', wohin schauen. Drum bin ich ins Reich auf Reisen geschickt, damit es keine Verwechslungen mehr gibt. Der Kaiser hat nämlich gemerkt, daß mein Schnauz länger wird als seiner, und da will er jetzt abwarten, bis er ganz lang ischt; dann kennt man uns daran. Es ischt schon gedruckt in der kaiserlichen Druckerei.Sobald ich zurückkomm', wird's ausgeteilt. Der Kaiser ischt ein braver Herr.“
„Da ist der Herr wohl gut katholisch, wie wir hier in der Stadt?“
„Nein, gewiß nicht. In Ungarn hat man nämlich keine Religion; die fangt erscht weiter
oben an bei der Donau, ein wenig links. Ihr müßt denken, wo die Leut' sonscht etwas haben,
da haben sie nicht noch Religion dazu. Die Schweizer haben auch keine, aber sie haben die
hohen Berg, und in Ungarn da haben sie halt das Ungarische. Es ischt eine Verblendung.Wenn
Ihr da in Deutschland etwas hättet, so wäret Ihr dabei geblieben mit Dank gegen Gott, und
hättet Euch nicht die Köpf' verhauen mit dem meineidigen
Die Dame Luna schlug ihre Augen zu dem Abenteurer auf, und unter ihren seidenen Wimpern knisterte es leise.
„Er soll sich mit meinem Frieden ergötzen, Herr Oberst, wenn Er ihn nicht zu gering finden wird.“
In ihren Blicken glühten wieder grüne Mücken auf;sie schwärmten unternehmend aus, schwirrten an seinem betreßten Rock herunter und streiften aufmerksam und munter den Beutel, den er am Gürtel hängen hatte und worin ihre ahnungsvolle Elsternseele noch nicht einmal den ganzen Reichtum vermutete, der darin steckte.
„Ei, was denkt Ihr auch,“ erwiderte der Schweizer leutselig: „Euer Friede ischt wahrhaftig für jeden König gut genug, und ich werde Euch in Wien rühmen und angeben, daß man Euch zur Friedenspatronin für dieses Land machen muß. Ich will es ausrichten, daß Ihr sogar eine Edelfrau werden sollt. Es ischt nur schade,daß ihr schon einen Mann habt; Ihr tätet mir gut gefallen. Ich geb' mich sonscht nicht mit verheirateten Weibern ab, aber ich bin ein Edelmann; Ihr verschteht mich.“
Schaffner, Der Bote Gottes
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„Bei meiner Ehre, Herr,“ sprach er: „Ich habe noch keinen Mann von solcher Charaktergröße getroffen,wie Ihr sie beweist. Ich glaube wirklich, Euch ist nicht wenig entwendet worden. Schlagt Ihr das irdische Gut so niedrig an?“
Der alte Herr bekam wieder Spielraum. Da war einer, der vielleicht eine Ahnung von der Leichtigkeit der Sternenluft besaß.
„Wie kann man hoch anschlagen, was niedrig ist?“erwiderte er. „Ihr geht sehr dick einher und steht schwer auf der Erde, und doch seid Ihr kaum in meinen Kreis getreten, so fühlt Ihr die tiefe Unwissenheit des Fleisches und müßt Fragen stellen. Wer Bergluft atmet,der erweckt den Hunger des Leibes, aber wer Sternenluft atmet, der erweckt den Hunger des Geistes, dessen Nahrung Leichtigkeit ist. Ihr solltet sehen, daß Ihr Euch abmagertet, damit Euch die Leichtigkeit der Sternenluft geoffenbart würde.“
Der Kavalier zeigte Zweifel.
„Eure Frau ist mager genug und weint doch um das Silber; sie kann gar nicht schnell genug wieder dazu kommen. Wie soll ich das deuten?“
Der Sternseher erhob den Blick in Hoffnung.
„Ich werde ihr auch diese Schwere noch abnehmen.Sie weint nicht nach dem Silber, wie Ihr
meint,sondern aus dem Schmerz des Irdischen, den sie empfindet. Sie kann es nur nicht
verstehen, weil sie noch
Der Dicke sah sich schon in schlotternden Gewändern in der Zugluft stehen und nach den Sternen gucken.Er war nicht einmal sicher, ob es diesem bleichen Weltfeind nicht gelingen werde, ihn auf die Knochen zu reduzieren, ja, er spürte sogar schon Anziehung von ihm, und es wurde ihm wind und weh in seinem Fett.
„Wie könnt Ihr behaupten, daß Ihr ihn liebt,“rief er voll Widerspruchs, „da Ihr ihm doch das Wohlleben von den Knochen sieden wollt mit Eurer Wissenschaft? Ich, wenn ich zum Beispiel der Dieb wäre,würde da keine Liebe darin finden, sondern ich möcht'
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„Weil Ihr ein Tor seid und ein Gefäß der Eitelkeit. Ihr steckt so tief in Eurem schlechten Fett, daß Ihr keinen reinen Gedanken fassen könnt. Ich sage Euch, die Leichtigkeit der Sternenluft ist das allerbeste, was einem Menschen nur zu wünschen ist. Wenn ich nun dem Dieb dazu verhelfen will aus Dankbarkeit,hasse ich ihn also? Ja, ich will mich jetzt auf meine stärksten Wissenschaften besinnen; vielleicht daß ich ihn zu einer schnellen Abzehrung befördern kann; es macht mir nichts, wenn er mir voraus kommtz; vielmehr erhalte ich dadurch eine weitere Treppe, die ich vor die andere setze; so komme ich meinem Heil wieder näher.Ich bin froh, daß Ihr mir widersprecht; das fördert und weckt die Imagination.“
Der Kavalier schwitzte.
„Das ist mir eine sonderbare Liebe,“ antwortete er ärgerlich. „Weshalb zieht Ihr Euch nicht selber die Auszehrung an den Hals, wenn das so etwas Glückhaftes ist?“
Der Sternseher lächelte schmerzlich.
„Die Sünden meiner Jugend werfen Schätten dazwischen. Ich kann nur mehr auf andere
wirken, weil es mir verwehrt ist, mich selber zu erlösen.“ Aber gleich raffte er sich
wieder auf und erheiterte sich wunderbar,daß es dem Dicken kalt über den Rücken lief:
„Dafür will ich auch alle Kraft und Kunst auf die Menschen
Der Kavalier entsetzte sich; er fing an zu trippeln.
„Nein, nein, laßt das nur,“ rief er so laut, daß die Dame Luna und der kaaiserliche Oberst zurücksahen.„Ihr müßt nicht gegen Gottes Willen streben, der an mir herauskommt, denn es gäbe eine Gegenwirkung,die ich nicht aushielte; ich müßte auseinander bersten und würde mit einem schrecklichen Fluch und Geschrei über Euch vorzeitig in die Hölle fahren. Und ich rate Euch, laßt den Dieb nur auch zufrieden. Es ist gar nicht sicher, ob er mit Eurer Erleichterung etwas anfangen kann. Steht er im Bündnis mit dem Teufel,wie ich sehr vermute, so lacht er sich eins und Ihr verliert den Wurf und einen Engel. überhaupt, laßt uns neutral bleiben; das ist mir viel lieber. Wir wollen Freunde sein, und so gut.“
Der Sternseher nickte ihm still und kinderfröhlich zu.
„Fürchtet Euch nur nicht. Ihr werdet sehr bald Geisterluft schmecken, und dann wird Euch der irdische Geschmack und aller Kitzel so artig des Todes sterben,wie ein sechzehnjähriges Mägdlein. Aber kommt nun,wir sind zu Hause.“
Der Schweizer war mit der Dame Luna schon eingetreten. Bevor ihnen die neuen Freunde
folgten, sahen sie sich nach dem Gefolge um. Da stand der Schwiegervater
Ziemlich weit hinten folgte der Jüngling mit dem Mädchen Christine. Wie er nun einmal
gestellt war,und weil er doch eine nette Magd vor sich merkte, von der er allerhand
Verständnis erwartete, so hatte er sich daran gemacht, ihr von seiner transzendentalen
Liebsten zu erzählen und dem zuckersüßen Lebenslauf, den seine Seele mit ihr verführe;
überall ließ er seine verliebte Laterne leuchten, daß dem guten Mädchen das Wasser im Mund
und leider auch in den Augen zusammenlief. Der Erfolg war, daß sie jetzt weinte wie ein
Röhrenbrunnen vor Sehnsucht und Reue, und aus dem bohrenden Gefühl ihres fruchtlosen und
närrischen gegenwärtigen Daseins. Der Jüngling besann sich, daß dem Mädchen mitgespielt
werden solle vom Obersten, und fing an zu trösten, es werde nicht so schlimm ausfallen;
wenn dergleichen Herren nur ihren Magen gefüllt hätten, wofür sie nachher wacker sorgen
solle, so ließen sie krumm grade sein. Allein die Zusprache bewirkte uur, daß sie wegen
des treulichen Klanges das Leiden der Verlassen
Drinnen wurde Christine von der Dame Luna mit spitzen Worten empfangen, weil das Frühstück nicht auf dem Tisch stand; aber sie war so gesetzt, daß sie sich aus dem Nadelstich nichts machte, wenn sie am Schwerthieb krankte. Die Letzung erschien auch noch immer früh genug; vorher führten die Dame Luna und der Schwiegervater die Herrschaften durch das Haus und zeigten den vier Spitzbuben bei Tage, was sie in der Nacht für Arbeit geleistet hatten. Luna zählte die entschwundenen Herrlichkeiten auf, und es war so viel Silber und noch mehr Gold und Edelgestein dabei gewesen samt Seide und Sammet, daß die Kavaliere ganz sehnsüchtig drein und einander ansahen, aber auch verlegen, weil diese feine Dame so ungeheuer lügen konnte. Der Oberst freilich hatte keine Ursache, an ihren Angaben zu zweifeln; er wußte es nicht besser. Sie wandte sich mit ihren Worten auch zumeist an ihn,und er sprach mit bewölktem Kopf seinen Unwillen aus über den elenden Stand dieses Friedens. Der Schwiegervater spritzte nur so von Ehrenrührigkeiten gegen die Galgenvögel und machte sich anheischig, ihnen, wenn man sie erst habe, die Gefängnissuppe so zu würzen,daß sie an ihren Gedärmen verzweifeln sollten; er wisse Kräutchen, die was rechts besorgen könnten, und mit dem Kerkermeister habe er mehr als nur ein Vogelnest ausgenommen in seiner Bubenzeit.
Das war bereits das zweite Fegefeuer, durch das der Dicke mußte. Er tat einen Fluch aus
über
„Es ist immerhin merkwürdig, daß man Euch das Haus ausräumen konnte, während Ihr drinnen wart,“erwiderte er anzüglich. „Vielleicht hattet Ihr Euch mit Wein überladen?“Der Schwiegervater sprühte den Frager wütend an.Der Sternseher verfiel noch einmal in Schwermut bei der Erinnerung an die ergebnislose Nacht. Aber die Dame Luna trat flink vor den Riß.
„In der Tat,“ log sie mit leichtem Erröten, das sich reizend auf ihre Aussage beziehen
ließ: „Ihr müßt wissen, wir feierten im Garten ein Liebesfest, weil gestern mein
Geburtstag war. Wir hatten schon viel süßen Wein getrunken, und nachher aßen wir noch
hartes Gebäck; das macht ein so starkes Geräusch im Ohr,daß man immer aufhören muß zu
knabbern, wenn jemand etwas sagt, sonst versteht man ihn nicht. Da
„Dieses ischt richtig,“ pflichtete der Oberst bei.„Schpitzbuben gehen auch immer nur auf den Zehen.Ihr habt da eben keine Ahnung davonz; ihr seid ehrenfeschte junge Männer, aber ihr redet manchmal dumm; Gott bessere euch. Wollen wir jetzt zu essen anfangen, schönschte Dame Luna? Nachher überlegen wir dann auch, wie die Schpitzbuben möchten gefunden werden. Die Herren da können nämlich nichts rechtes denken, wenn der Magen ihnen gleich unter dem Herzen sitzt; man muß ihn vorher herabziehen durch leibliche Genüsse.“
Unterdessen war der Schwiegervater verschwunden,um nach seinem toten Herzbruder zu sehen.
Als schon alles Platz genommen hatte, kehrte er mit ernster Miene zurück und sagte, es sei
doch ein Elend; aber wenn nun einer der Herren hier sein Schwiegersohn wäre,so könnte man
heute nachmittag miteinander auf die Dinkelswiese zum Fest gehen. Der Oberst las in den
Augen der Dame Luna die Meinung, daß das freilich etwas sehr Schönes wäre, und brachte
schnell Öl auf die Wellen der Trauer, die ohnehin nicht zu hoch gingen.Eigentlich sei doch
nur der Sternseher betroffen von dem Todesfall, führte er aus, und außerdem scheine es
sich um einen ziemlich alten Vater zu handeln, da der Sohn auch nicht mehr eben jung am
Tisch sitze.So möge das Alter tot sein und die Verwandtschaft trauern, aber die Jugend
müsse ihre Freude und Lust haben.“ Die Rede gefiel jedermann, mit Ausnahme des
Der alte Herr traute seinen Ohren nicht. Er drehte dem Dicken ein bekümmertes Gesicht. zu.
„Habe ich Euch denn nicht auseinandergelegt, Ihr Fettwanst, was für ein Vorteil mir durch die Entwendung erwachsen ist? Aber der Teufel der leiblichen Genüsse hat Eure Seele schon wieder in seinen Krallen. Ich will Euch überhaupt nicht für Essen und Trinken sorgen,und ich will auch nicht, daß Ihr Euch um den Dieb bemüht. Niemand hat Euch darum gebeten, als vielleicht mein verblendetes Weib, das nun dasitzt, von Euch verführt dem Fraß obliegt und der Völlerei pflegt,und darüber aus der Verheißung fällt.“
Der Junker fuhr auf.
„Bei allen heiligen Zeichen,“ rief er, „dieser Käse stinkt mir zu sehr. Wer hat uns zum
Frühstück geladen, du oder deine Frau? Willst du Ritter und Edelleute verunehren in deinem
Haus? Sieh zu, was es dir einträgt. Ihr Herren, ich denke, wir werfen den Tisch um und
suchen uns Weide, wo schöner geläutet wird.“
„Fangt sogleich an, lieber Herr, und reißt mir das Haus um,“ erwiderte er aus seiner Leichtigkeit heraus,die nun mit jedem Augenblick auffälliger wurde. „Nichts haben ist das Glück des Windes. Alles hingeben ist die Seligkeit der Himmelsluft, wie Ihr an Sonnenschein und Regen sehen könnt. Sterben ist die Wonne,die uns gegeben ist, aber Ihr versteht sie nicht. Ich wollte Euch beleidigen, daß Ihr mich erschlüget; aber ich bin schon mit dem Haupi entrückt. Ihr müßt wissen, daß ich Euch liebe. Und Ihr seid meinem zehrenden Stern vermählt, weil Ihr sein Licht erkannt habt. über einen Monat werdet Ihr an meiner Hand gehen.“
Der Kavalier entsetzte sich wieder. Da war der Ton zum zweitenmal. Er stürzte hastig ein Glas Wein hinunter. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch.
„Zum Galgen gehe ich über einen Monat mit Euch,Himmelherrgottssakrament,“ schrie er.
„Soll man denn ersticken an Eurer Himmelsluft? Viel lieber erwürge ich an einem
Hammelknochen, und ich mag Hammel
Die andern drei und der Schwiegervater stimmten ihm lärmend zu. Der Oberst legte der Dame Luna ein Stück kalten Braten vor, schenkte ihr das Glas wieder voll, das sie mit Anstoßen leer getrunken hatte, und sah mit Vergnügen, daß sie rote Wangen bekam.
„Ich wollte nur, ich könnte Euch immer so bedienen und noch viel besser,“ raunte er ihr mit einem feurigen Blick zu.
Sie antwortete mit einem zärtlichen.
„Pflücket die Rose, eh' sie verblüht, Herr Oberst.“
Der Sternseher versank nach einem letzten glückhaften Aufglühen hinter den Tisch hinab.
Es war ihm heute in einer Stunde geschenkt worden, wonach er schon Jahre und Jahre
vergebens rang. Er tat nur kaum die ersten Züge Himmelsluft, und fand sie schon süßer und
wunderbarer, als es ihm seine seligste Ahnung versprochen hatte. Ja es war ihm, und
darüber erschrak er freilich ein wenig in seinem verlegenen Prophetenkopf, als ob das
Gewicht seiner Sinne von ihm abfiele und als ob er plötzlich weit entfernt vom trüben
Irrtum seiner und aller Wissenschaften dahin geführt würde von Energien, die gar nichts
mehr von irgendeiner Erkenntnis hatten, und in Bahnen, auf denen es einem vorderhand nur
schwindelte. Es betrübte ihn eine Spur und gab ihm zu denken, entzog ihn aber auch der
weiteren Entwicklung der Dinge, die er doch
Der Junker trank sein Glas wieder aus, sah einen Augenblick nachdenklich auf den leeren Boden, wurde in seiner Krakeellaune mit sich einig, daß man bei den Schusterleuten dazwischen fahren müsse, und wandte den Kopf nach dem Schwiegerväter.
„Herr, Ihr wißt, was es auf sich hat mit dem Indizium,“ sagte er. „Es ist etwas nütze oder es ist nichts nütze. Wenn wir die Folter nicht hätten, so müßten wir wahrhaftig sehen, daß wir zu Witz kämen.Aber um davon zu reden, so fällt mir bei, daß wir heute morgen, als wir von der Bierbank nach Hause gingen, vor Eurer Tür einen Menschen mit einem Weib über Silber streiten hörten, und meine Herren Kameraden sagten, es sei der Schuster aus der kleinen Kirchgasse gewesen mit seiner Ehefrau. Nun, das kann ich nicht beschwören, aber wir wissen alle vier, daß sie zu ihm von Silber sprach und verlangte, daß er es herausgebe, aber der Schlingel wollte nicht und schimpfte wie eine Elster. Da es mir jetzt aufstößt, so schafft es mir zu denken. Gotts Elend, es kann alles mögliche Silber damit gemeint gewesen sein; vielleicht ging es auch um das Eure. Ihr führt keinen schlechten Keller. Mit dem Beding wollte ich auch hier und da einmal in der Zugluft stehen und Sterne ablesen.Meine immer, es sei ein guter Pfälzer.“
Das hatte er richtig geraten, obwohl er's nicht bestätigt bekam, weil die Nachricht
zunächst Aufsehen und dann Begierde nach Einzelheiten erregte. Die
„Wir haben ihm so viel Gutes getan,“ sagte sie.„Und wir haben ihm und seinem Weib zu verdienen gegeben. Ich bin seinem Knaben Patin. Aber nun muß er unbedingt das Silber herausrücken, nicht?Was macht man jetzt?“
Von der Aufregung bekam sie den Schlucken. Sie saß lange da und klang wie ein Brunnen, in
den Tropfen fallen, versuchte dagegen zu kämpfen, indem sie immer einen Mundvoll Wein
nahm, sich die Ohren zuhielt und ihn herunterschluckte, und machte es noch schlimmer
damit. Schließlich konnte sie das Glas nicht mehr halten, lachte noch ein paarmal auf und
wurde still.Da erkundigte sich der Oberst beim Schwiegervater nach der verschwiegenen
Einsamkeit und verschwand, nachdem er Bescheid bekommen hatte, daß es um die Ecke rechts
im Hof sei. Er ging nicht nach dem Hof, sondern als er an die Küchentür kam, schwenkte er
da hinein, und das war links. Trotzdem fand er aufs Haar, was er suchte, nämlich das
Mädchen Christine, mit dem er ein besonderes Wort zu reden hatte. Der Hund Stummel lief
ihm an der Seite.
Corsn saß auf einem Küchenstuhl beim Herd und grämte sich. Als sie den Obersten in der Tür gewahrte, wischte sie mit dem Ärmel über die Augen und setzte sich aufrecht. Sie war sogar schon wieder kampfbereit, wartete aber immerhin ab, was ihr der Besuch bringen sollte. Der Oberst betrachtete sie vorerst noch einmal und fand nun, daß sie annehmbar und tüchtig dreinschaue und einem vernünftigen Wort mit reichlich klugen Augen entgegen sehe. Da beschloß er, mit dem aufzufahren.
„Ich weiß, wer du bischt,“ nickte er ihr zu. „Du bischt dem Bauer in Wullenhausen seine Magd und heisescht Chrischtine. Er hat mir alles erzählt, wie ich bei ihm durchgereist bin, um seinen Frieden zu inschpizieren.Er sagt, weiß der Teufel, warum mir das Mensch weggeloffen ischt. Ja, warum bischt du ihm weggeloffen?Er ischt ein braver Mann und hat dich gern gehabt.Ich glaube aber, du bischt eine Feuerbüchs, die was rechts los geht.“
Als sich Christine so anreden hörte, faßte sie Zutrauen; der Angriff auf eine Jungfernschaft brauchte weiter keinen Unfrieden zu geben.
„Wenn Ihr ihn habt kennen lernen, so wißt Ihr auch, was für Geziefer alles auf dem Hof
herum frißt und rumort,“ erwiderte sie düster. „Dabei hält kein rechtes Christenmensch aus
auf die Länge. Nimmt mich wunder, daß Euch die Hunde nicht von den Knochen gefressen
haben, bevor Ihr den Hof zu sehen bekamt.“
Christine sah den Hund Stummel an und hätte Lust zu lachen.
„Da habt Ihr wohl auch den vom Schwanz gebracht und vom Auge?“ fragte sie und machte ein Gesicht wie Aprilwetter.
„Nur vom Schwanz,“ erwiderte der Schweizer.„Nur vom Schwanz. Das Aug' hat ihm doch der Räubersmann herausgehaut. Jetzt sind nicht mehr viel Hund' auf dem Hof.“
„Aber Katzen?“ vermutete Christine bitter. „Weiß nicht, welche mehr gestohlen haben, die
Hund' oder die Katzen.“„Ja, die Katzen erwischt man weniger leicht. Aber die Buben fressen
sie eigentlich noch lieber als die Hund'.Sie haben uns fünf junge Hühnlein geschtohlen
noch ganz zuletscht, weil die nichtsnutzigen Mädchen nicht aufgepaßt haben. Und der
Habicht hat die Henne tot gemacht, aber der Stummel den Habicht. Hat dem
Er nahm den Hut vom Kopf und wischte sich die Stirn. Christine horchte auf.
„Hat er denn Hühner gehabt?“ machte sie erstaunt und halb erfreut.
„Ja. Es ischt nur noch der Gockel übrig. Der sitzt hinter dem Haus im Hühnerschtall und denkt sich allerhand aus. Wir haben sie aus dem Pfarrhaus herausgelassen; war ein rechtes Wunder.“
Christine tat halb widerstrebend einen weiteren Vorschritt.
„Was machen die Kinder?“
„Die Kinder sind alle halb nackend und verlaust.Ich hab' sie geschoren und das Haar mitsamt den Läusen im Herd verbrannt. Das hat meineidig geduftet. Der ganz Kleine mit dem weißen Kopf, der Franzel, weischt du, der ischt dann geschtorben. Und der Bauer ischt schwermütig; er lacht gar nicht. Vielleicht ischt er immer so gewesen.“
Er sah sie an, ob sie jetzt wohl werde Rührung merken lassen. Aber sie tat es nicht. Sie preßte die Lippen zusammen, und er merkte nur, daß sich ihr Herz unter dem Brusttuch sozusagen mit den Schultern herumdrehte und an den Bändern zog, mit denen es zwischen die Lungen gehängt war; sie selber tat keinem Menschen und keinem Umstand die Ehre an; sie beanspruchte sie allein für sieh. Da wurde der Oberst deutlich.
Schaffner, Der Bote Gottes
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Indem ging eine Tür auf. Der Lärm der Tischgesellschaft fiel auf einen Augenblick in den Hausgang und zog sich wieder zurück. Darauf kam ein Schritt gegen die Küche her, und der kaiserliche Gesandte fand für gut, sich zu verziehen.
„übermorgen gehe ich hier ab,“ sagte er noch.„Ich sehe dich schon noch einmal. Mache dich bereit zu deinem Glücke.“
Als er den Hausgang vorging, begegnete ihm der Jüngling und blühende Fantasie-Bräutigam
und fragte ihn freundlich, wo es denn nun sei. Er antwortete wie der Schwiegervater: im
Hof rechts, vollendete seinen Weg und trat durch die Tür wieder ins Wohnzimmer,
Der Süße redete. Das Lange und Breite von seiner Ansprache war, daß man nun miteinander
dem verfluchten Schuster ins Haus fallen und ihm das un1 2*
Als man nach dem Bräutigam suchte und aus
Dann brach man auf, um nun einmal einen Dachs in seinem Bau zu überfallen.
Der Schwiegervater schlug vor, es sollten einige Herren durch das Nachbarhaus gehen und
von hinten in den Hof oder Garten des Schusters hineinklettern,damit der nicht etwa auf
demselben Weg entwischen möchte; der Süße und der Fantasiebräutigam folgten dieser
Anordnung. Die übrige Gesellschaft trat von vorn öffentlich in das Haus ein, nämlich der
Schwiegervater,der Sternseher, die Dame Luna, der Oberst mit dem
„Ich dächte mir wohl,“ rief er ihm mit Augenzwinkern entgegen, „daß mich die Herren nicht
sitzen lassen würden mit dem Schabernack, den sie mir angetan haben. Ich kann mir auch
vorstellen, daß mir die Taschen nicht leerer zurückkommen, als sie von mir genommen
wurden. Die Herren sind wahrhaftig Witzköpfe und haben mich aufgebracht wie einen
Fuchs.Gebt mir jetzt das Eigentum nur gleich her, damit ich hineinkriechen kann. He Weib
he, Nachtjacke, komm mal her, hier sind die Ritter, die mir die Hose abgezogen haben, daß
du mir nun Glauben schenkst mit deinem zänkischen Kopf. Laßt doch sehen, ihr Herren,laßt
sehen; sonst fängt meine gnädige Frau Luna an und schämt sich vor mir.“
„O Schuster,“ sprach er mit erheblicher Leichtigkeit und mit der Liebe des Befreiten: „O Schuster, kümmere dich nicht um Hosen und Taschen, denn darauf kommt es jetzt nicht mehr an, sondern über einen Monat wirst du mit diesem Herrn an meiner Hand gehen und nichts mehr bedürfen. Und du wirst so fett sein wie er, und er wird so mager sein wie du.Wahrlich, heut' ist dir deine Blume aufgegangen.“
Der Kavalier sah den Sternseher von unten herauf aus wütenden Augen an, hielt sich aber ruhig. Der Schuster zog sich behaglich das Hemd über die Knie.
„Ha, das soll mir wohl recht sein,“ lachte er und wiegte sich. „Der Herr sieht mein Seel
wacker genug aus mit seinem Rundbauch. Und wenn ich danach nichts mehr zu tun brauche, so
will ich schon an Eurer Hand gehen, soweit Ihr wollt. So lange wie der dicke Kavalier
halte ich's aus, und wenn ich seinen Bauch kriegen soll, kann's überhaupt nicht schlimm
werden.Dann müßt Ihr mir Eure Hosen abtreten, Herr Junker,weil sie Euch zu weit sind. Und
mit meiner alten Ziege werde ich nur noch schriftlich und durch Stafetten verkehren. Wann
soll's denn losgehen?“
„Ersticke an deinem Geschwätz, alter Plauderer,“schrie er ihn an. „Jetzt wollen wir von anderen Sachen reden. Kurz und gut: du kramst das Silber heraus, das du mit deinem Weib heute nacht meinem Schwiegersohn und meiner Tochter gestohlen hast, oder sieh dich schleunig nach dem Galgen um, daß du nicht unvermutet dran kommst. Wo ist das Gut?“
Dem Schuster wurde reichlich schwach vor Schreck;da kam nun das verfluchte Silber von der andern Seite. „Na, na,“ stammelte er und guckte hilflos um sich: „Na, na, na!“ Die Dame Luna war aus ihrem Schlafständchen aufgefahren und begann gleich wieder zu schlucksen. Aber der vorige Ton hatte die Schusterin unter die Tür gezogen.
„Gebt Platz, Herrschaften,“ sagte sie entschlossen und trat mitten durch die Gesellschaft hindurch. „Ihr habt heute nacht euren Spaß gehabt auf der Straße.Gut, Straße ist Straße. Aber hier ist unser Haus,und da müßt ihr uns zuerst fragen, ob's uns recht ist,wenn ihr weiter mit uns Kurzweil treiben wollt. Und daß ihr's nur gleich wißt: es ist uns nicht recht.Florian, sage es den Herrschaften, daß sie ihren Weg weiter suchen.“
Der Schuster bekam wieder Maulwerk.
„Jawohl, ganz recht,“ krakeelte er hinter ihr her.„Aber zuerst sollen sie mir meine Hose
heraus machen,
Das war nicht nach dem Geschmack des Schwiegervaters gesprochen.
„Hört, hört,“ rief er. „Das Volk will sich noch auflassen. Erst stehlen und rauben, und hinterher die Nase blähen. Aber ich will Euch zeigen, wer den andern herumkurranzt, Ihr uns oder wir Euch. Geht doch einmal nach den Stadtknechten, Herr Lizentiat, daß diese Höllenhunde an ihren Ort kommen.“ Der Saure ging kopfnickend ab. Der Schwiegervater stemmte die Fäuste in die Seiten: „Ha, so ein Gelichter! Ich möchte nicht hin, wo ihr erwartet seid.“
Die Schusterin erwiderte ruhig den Blick.
„Es ist hier kein Mann im Haus, das kommt Euch zu gut,“ gab sie zurück. „Die Sternseherei soll uns unsern Lohn geben für die Nacht; das steht ihr besser an als Eure Fastnacht. Seit wann laufen die Narren mitten im Sommer?“
Der Schwiegervater schnappte nach Luft.
„Halt's Maul, Lumpenbande,“ schrie er sie an.
„Nehmt Euch in acht, ich kann auch schimpfen,“mahnte die Schusterin. „Ich glaube wahrhaftig, Ihr seid betrunken und geht nach Schlägen in der Weise aller alten Esel.“
„Ich gehe nicht nach Schlägen, aber in vier Wochen sehe ich dich am Galgen baumeln, loses
Maul.“
Der Schwiegervater lief herum und rang die Hände.
„Ich habe keine nötig,“ schrie er sie von der Seite an.
Das war die Einleitung zu einem Schimpfkonzert von solcher Kunst und Gediegenheit, daß jedermann die Ursache des Auftrittes vergaß und sich nur der wonnevollen Lust der offenen und ausgesuchten Beleidigung hingab. Die beiden Partner schritten bedächtig alle Regionen der Lebensschnödigkeit ab und gingen an keiner Stinkraute vorbei, die sie sich nicht unter die Nase rieben. Sie erfanden Ausdrücke und Schmähungen von blitzblanker und nagelneuer Ewigkeitswährung, erschöpfende und immer wieder neu erfrischende Bezeugungen gegenseitiger Abgeneigtheit und Verachtung.Sie schimpften mit einer Liebe und Hingebung, die durchaus nicht etwa einer besseren Sache wert gewesen wären, sondern es war dafür der würdigste Gegenstand zur Stelle, den man sich wünschen konnte, nämlich das reine Feüer und Sakrament des negativen Prinzips,welches das positive am Leben erhält von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ja, sie gingen so hingegeben in dieser religiosen Handlung auf, daß sie es beide übel bemerkten,als die Dame Luna sich auch daran beteiligen wollte,und der Schwiegervater sie wütend hieß den Mund halten.
Der Schuster dachte nun seine Gelegenheit wahrzunehmen und kniff aus. Er schoß plötzlich
von der Bettkante auf, rannte in seinem Hemd quer durch das
Doch ging noch ein Nebenspiel von dem Auftritt aus. Als die Stadtknechte die Schusterin
mit dem Verhaft belegt hatten, sah sie auf den kleinen Jungen und fragte jene, was denn
nun aus ihrem Kind werden solle. Sie fragte es so, daß man darauf antworten mußte; ihre
Stimme klang um eine ganze Quart tiefer,und in ihrem Gesicht lebte unter Gram und
Bestürzung eine Sorge, die ihm gleichsam eine ganz andere Richtung und einen trüben
sympathischen Schein der Mütterlichkeit gab, und die geradeaus zu Gemüt ging. Die
Stadtknechte guckten sich verlegen an. Einer von ihnen sagte, sie solle es ihren
Gevattersleuten übermachen,denen es nachher ja sowieso zufalle; wo die seien? Die
Schusterin sah die Dame Luna an mit einem halb bittenden, halb feindlichen Licht in den
Augen. Die Gevattersleute stünden da und könnten es ja nur gleich mitnehmen. Ah, das sei
gut, sagten die Knechte, aber
„Es ist jetzt nicht mehr Zeit, Kinder anzunehmen,“sagte er freundlich und lächelte. „Sondern wir wollen die Kinder samt den Müttern verlassen. Wir fangen an und schweben auf. Das ist die einzige Bedeutung.“
Die Stadtknechte guckten sich wieder an; der Mensch kam ihnen noch sonderbarer vor, als sein Ruf aussagte.Sie drangen noch einmal in die Dame Luna, daß sie sich auf die Milde besinnen solle, sonst müsse die Schusterin das Kind mit in den Turm nehmen. Sie verhärtete sich und schwieg. Der Schwiegervater wollte wieder anfangen zu schimpfen, aber es war nun auch dazu nicht mehr Zeit; denn jetzt trat der kaiserliche Oberst vor.
„Dieses ischt mir mein Seel eine betrübte Sache,“sprach er mit Ansehen. „Wird hier dem
Kaiser sein Frieden nicht besser reschpektiert, als daß man läßt kleine Kinder in den Turm
schpazieren? Dagegen muß ich proteschtieren im Namen des Kaisers, der mich geschickt hat,
daß ich nach dem Frieden schauen soll. Dame Luna, ich hätte dieses nicht erwartet von
Euch. Ihr habt ein kaltes Herz und ein so unfreundliches Gemüt,daß ich mich gleich von
Euch abwenden muß, wenn Ihr Euch nicht anderscht besinnet. Ihr müßt das Kind an Euch
nehmen, sonscht rede ich kein Wort mehr mit Euch und erwirke Euch noch eine Schtrafe, an
die Ihr
205 Euer Leben lang denkt bei Tag und bei Nacht. Wird das Kind aufgenommen oder wird das Kind nicht aufgenommen?“
Der Schwiegervater schrie, daß das Kind nicht aufgenommen werde; man lebe hier in einer freien Reichsstadt und tue, was man möge. Die Dame Luna sagte berbissen dagegen, er solle still sein, und zu den Stadtknechten, sie sollten das Kind ihretwegen in ihrem Haus absetzen; die Magd sei daheim. Sie wandte sich schmollend von dem Obersten ab.
Der Schuster war inzwischen in sein Wams geschlüpft und sollte auch eine Hose anziehen von den Stadtknechten aus. Da schrie er sie mit der Wut des Elends an: „Ich hab keine, ihr Esel!“ und sie nahmen ihn so mit. Sie gingen ab mit Mann und Frau und mit dem kleinen Jungen, der sich am Kleid seiner Mutter festhielt und ihr so trippelnd und stolpernd nachklunkerte.
ls der betrübliche Zug verschwunden war, tat der A Dicke, der völlig im Anschauen und
Anhören gebannt dagestanden hatte, einen Seufzer. Es war ihm,er habe da etwas Rechtes und
eine durchaus wünschbare Gegenwart oder Zukunft aus den Augen verloren, und er erfüllte
sich mit einem dunklen ürger, von dem er zwar selber nicht recht wußte, was er bedeutete,
der aber zu angelegentlich hinter dem abziehenden Bild der
„Ihr gehört zu einer andern Konstellation, Herr Oberst,“ stellte er ohne Vorwurf fest, doch mit einigem Bedauern. „Der zehrende Stern hat keine Macht über Euch. Ich kann Euch auch nicht an mich ziehen; vielleicht habt Ihr selber Anziehung, denn man gehorcht Euch. Ich grüße Euch, Herr Oberst.“
Der Schweizer guckte den alten Herrn unruhig an;davon verstand er gar nichts. Er sagte
aufs Geratewohl Danke, lüftete den Hut, und sah wieder auf die Dame Luna, an der er jetzt
herumrechnete, ob sie wohl dennoch in die Restaurierung hineinpasse, oder überhaupt nicht.
Währenddessen hätte nicht viel gefehlt,so wäre dem Fantasiebräutigam vom Junker eine
Maulschelle zugewachsen. Die Herrschaften hatten nur eben die Rücken gedreht, so stieß den
der Teufel wieder mit dem Diebsfinger ins Genick; er wollte mit der Gelegenheit auch beim
Schuster räumen, sich aber wenigstens mit besseren Schuhen versehen; der Edle lief
heimlich in seinen eigenen auf dem bloßen Erdboden.Da kam den Dicken eine solche Wut an,
daß er mit
„Wer mir hier auch nur eine leere Wand mit dem Finger anrührt, dem renne ich den Schädel ein daran,“kochte er auf. „Wer hat euch geheißen die Leute in unsere Schwemme reiten, Kanaillen?“
Der Saure bleckte die Zähne.
„Hast du nicht selber den Sums aufgebracht?Schlag' dich vor deinen eigenen Hirnkasten.“
Der Dicke schnob wie ein Nilpferd.
„Hab' ich den Sums aufgebracht, so war's mein Sums und nicht deiner. Weißt denn du Rattengesicht,was ich im Sinn hatte?“
„O, geheimnisvolle Absichten,“ höhnte der Saure.
„Meine geheimnisvolle Absicht kannst du wissen,“erwiderte der Dicke. „Wenn die Schustersleute gehenkt werden, so ist es meine geheimnisvolle Absicht, dich gleich nebendran in die Höhe zu bringen. Du weißt,was es auf sich hat mit meinen Redensarten. Laß jetzt deine Theologie spielen.“
Der Saure murrte noch etwas von des Dicken Jurisprudenz, und daß er ein für allemal seine
Theologie aus dem Spiel lassen solle, aber der Süße war dafür,daß man sich jetzt nicht
unnütz streite, sondern auf die Dinkelswiese gehe, um nach den hübschen Jungfern zu sehen.
Das war auch die Meinung der Dame Luna,denn als die vier vor die Tür kamen, drehte sie
sich gerade halb um und fragte spitz und mit dem Ton der Verdrossenheit zurück, ob man
jetzt eigentlich tanzen
Auf der Dinkelswiese wimmelte es von fröhlichem Volk. Zwischen den bunten Ufern der
Marktbuden trieb sich ein ebenso bunter See von Baretten, Mützen,Hauben, Wämsern,
Zunftzeichen, Bärten, Wangen und Zöpfen umher, aus dem mit goldenen oder blauen Lichtern
allenthalben das Fangspiel lockender Jungfernblicke heraufglänzte und das erfahrenere
Gleiten lächelnder Frauenaugen; es war aber eines so wenig nütze wie das andere, und wer
Bescheid wußte, antwortete keck und hochfahrend. Dazwischen trieb sich immer ein Zug
Musikanten oder Soldaten durch, und manchmal auch Reiter zu Pferde. Und einmal kam der
Landesherr auf seiner Schecke des Wegs geritten und nickte nach allen Seiten: „Guten Tag,
guten Tag!Amüsiert euch recht; ich mag's leiden zu seiner Zeit.“A das Pferd an. Als er die
Dame Luna bemerkte mit
Vor der Tanzwiese bekam sie Streit mit ihrem Vater. Der wollte nicht, daß sie darauf
springe, aber sie hatte riesige Lust dazu. Der Oberst merkte das kaum, so kriegte er auch
welche; die Folge war, daß gesprungen wurde. Der gute Hund Stummel sprang mit in den
Strudel hinein. Als das getan war,hatte sich der Alte im Zorn weggehoben. Auch der
Sternseher war abhanden gekommen; der Oberst sah ihn gerade noch im bunten Strom als roten
Fackelstern den Platz hinunter treiben. Von dem vierblättrigen Kleeblatt standen die drei
jüngeren Hoffnungen am Rand des Tanzplatzes und äugten nach vier Jungfern, die unter einem
Baum saßen und mit stillem Ernst trockenes Brot aßen. Der dicke Junker schien ebenfalls
eigene Wege gegangen zu sein. Die Jungfern sahen brav genug aus, aber es schien, als ob
sie nicht gerade ins Fette gesetzt seien. Ihre Gewändlein spannten sich knapp und etwas
schäbig um ihre Schultern, die von der besten Sorte waren; sie lachten nicht und sangen
nicht und sammelten auch nicht in die Scheunen mit ihren Augen, weil sie ganz gewöhnliche
Lerchenschnäbel zur Schau trugen, und nicht vergoldete oder wenigstens versilberte, wie
die anderen Mädchen. Der Süße sagte, er kenne sie jetzt; sie müßten dem Ansehen nach die
vier Jungfern aus der Schneidergasse sein, die das ganze Jahr von der Luft lebten; aber er
wundere sich, daß sie auf das Fest kämen. Der Oberst entschied, das gehöre in seine
Ge
„Warum sitzet ihr hier, schöne Jungfern, und esset trockenes Brot?“ fragte der Oberst. „Ischt hier kein Wein vorhanden für euch in diesem Frieden? Ich bin wahrhaftig verwundert.“
Die älteste sah nach dieser Anrede stolz geradeaus und runzelte die weiße Stirn. Die zweite senkte den Blick und ihren blonden Scheitel, und steckte einen frischen Bissen in den Mund. Die dritte guckte seitwärts in den Himmel, schluckte hinunter und zeigte dem Tag eine wunderhübsche weiße Kehle; darüberhin errötete sie und lächelte sogar ein wenig; aber antworten tat sie auch nicht. Nur die vierte und jüngste blickte dem Frager ins Gesicht, wenn auch ein wenig schnippisch und geschäftsmäßig.
„Wir essen trockenes Brot, wo wir mögen,“ erwiderte sie und ihre Stimme klang zum
Verwundern unfestlich. „Zu fragen hat da niemand weiter danach.Wenn's Euch nicht gefällt,
so müßt Ihr wegsehen,oder eben Wein zutragen.“ Und sie setzte noch die sonderbaren Worte
hinzu: „Wir bemühen uns um nichts.“„Potz Hagel,“ machte der Oberst verwundert. „Dann seid
ihr mir eben die rechten Vögel. So wollen wir uns um so mehr um euch bemühen. Herr
Leutnant,lauft einmal geschwind und holt uns eine Kanne Wein her. Und noch mehr Brot. Aber
auch Würschte und
„Nein, das tun wir selber. Wir essen aber nur ganz feine Sachen, müßt Ihr wissen. Würste mögen wir gar nicht, und Käse nur von Holland.“
Der Oberst schickte auch den Süßen fort, damit er Käse von Holland herbrachte und feine Fleischwaren,außerdem Kuchen für den Nachtisch.
„Da seid ihr aus einer sehr feinen Familie?“ fragte er darauf. „Warum eßt ihr dann aber so schlechtes Brot in euch hinein?“„O, seid so freundlich,“ erwiderte die Kleine und brachte eine Menge Ernst auf. „Das ist das beste Brot, was es gibt. Ich merke, daß Ihr nicht von hier seid. Das da sind meine Schwestern. Es wäre eigentlich Zeit, daß wir nach Hause gingen. Lange ausbleiben ist gewöhnlich.“
„Oho, nein, sondern jetzt wollen wir doch zuerscht den Wein trinken, den ich habe holen
lassen, und das feine Fleisch essen samt dem Käse von Holland und dem guten Kuchen. Seid
doch nicht wie die Fliegen auf dem Kuhohr.“„Was kümmert uns Euer Wein, Herr, und Euer Käse
von Holland. Da müßt Ihr uns zuerst fragen,ob wir davon wollen. Ich denke, wir brechen
auf,Schwestern.“
„Heiliges Donnerwetter, was seid denn ihr für meineidige Ziegen?“ schalt er. „So etwas ischt mir noch gar nicht vorgekommen. Also ich frage euch, wollt ihr von dem Wein trinken und von dem feinen Fleisch essen und dem Käse von Holland, den die Kavaliere gleich bringen werden? Es würde mich wahrhaftig freuen, wenn ihr so gütig wäret, sonscht muß es ja doch umkommen. Bleibt sitzen, habt die Freundlichkeit und tut uns die Ehre an.“
„Meine Schwestern sitzen schon seit zehn Jahren;da kommt es auf eine Stunde auch nicht an.“ Die Kleine lächelte spöttisch, jedoch es traf nicht die Schwestern,sondern die Zuhörer. „Aber wir wollen wirklich so gütig sein, da Ihr uns darum bittet. Man muß uns immer bitten, sonst stecken wir mitten darin auf. Wer seid Ihr überhaupt?“
Diesmal stellte der Oberst vor, die Dame Luna,die der Kaiser nächstens zur Freifrau machen werde,den Lizentiaten Stockholz, die andern beiden in Abwesenheit, und sich selber inkognito im Namen des Kaisers. Darauf bat er die Kleine um ihre Personalien und um die der anderen Jungfrauen. Sie machte mit sich den Anfang.
„Ich bin das Freifräulein von Reschen, Margareta mit Namen, und erst sechzehn Jahre alt.
Dies sind meine Schwestern: Philippine, Therese und Cordula.
Der Oberst war verwirrt.
„O, was ich sagen wollte,“ stotterte er: „Was ich da sagen wollte der Hund ischt nämlich ein ganz edles Tier. Er hat nur ein Kind aus dem ungarischen Meer gezogen, und da hat ihm ein Hecht den Schwanz weggeschnappt. Und dann hat ihm ein Räuber noch ein Auge herausgehauen, aber er hat den Räuber ganz anderscht herunter gerissen. Und die Weiber haben ihn widerrechtlich geschoren heut' nacht. Er ischt aber edel.“
Die Kleine wollte noch weiter Widerspruch geltend machen, jedoch die älteste entschied
mit einer tiefen und schönen Stimme: wenn der Hund sich so betragen DD vollbringe nicht
solche Taten. Der Oberst guckte sie an. Sie schaute aus dunklen Schwermutsaugen, die
wunderbar zu ihrer Stimme paßten, ruhevoll in sein verlegenes Abenteurergesicht hinein, so
daß er nun Hoheit wie Unglück merkte und noch vieles andere von ihr und von sich selber,
worüber er nicht so rasch ins Klare kam. Jedoch es galt, sich zu beweisen. Er verbeugte
sich mit Dank vor dem Fräulein, bat um die Erlaubnis zu sitzen, half der Dame Luna ins
Gras,lud den Sauren mit einer flüchtigen Handbewegung
„O, es tut gar nichts,“ sagte sie und lachte scheu und etwas unbeholfen, weil sie es nicht gewöhnt war.Diese gefiel nun von allen vieren dem Fantasiebräutigam am besten, weil es ihm ihre Kehle angetan hatte und ihr Erröten unter ihren braunen Haaren,und auch weil ihre Stimme so zutraulich streichelte.Sie war wirklich noch reizender als seine unsichtbare Liebste, und vor allen Dingen vornehmer, gewissermaßen feudaler und gegenwärtiger.
Am längsten schwieg die Jungfrau Therese. Aber endlich öffnete auch sie die Lippen zum Reden. Sie schlug ihre blauen Träumeraugen zum Schweizer auf und ließ sie einen Augenblick forschend auf seinem Gesicht ruhen.
„Seid doch so freundlich, Herr Oberst,“ ließ sie sich darauf vernehmen, „und gebt mir nun
ein wenig Käse von Holland.“
Als die Jungfrauen gegessen und getrunken hatten,wollten sie nicht ungern Kurzweil haben. Die drei älteren gaben zwar kein Wort her darüber; sie sahen wieder nach ihren Richtungen, Cordula stolz geradeaus,Therese über ihren gefüllten Magen herunter in ihren Schoß und Philippine seitwärts in den Himmel hinein,wobei sie die Hände gefaltet vor sich zwischen ihre Knie streckte. Aber die kleine Margareta erlaubte den Kavalieren, daß sie jetzt mit Singen anfangen dürften,nur solle es dabei fein manierlich zugehen.
Damit war keine kleine Verlegenheit ins Land gekommen. Der Saure wußte überhaupt nur
Schelmenlieder und kapitulierte von vornherein; der Süße hatte
unächst gab es wieder eine allgemeine Vorstellung,3 wobei nichts Neues herauskam, als für die Jungfern,daß dies der gelehrte Junker Waldemar Rolandus sei,und für diesen die Existenz der Fräulein. Er war abgestiegen, hatte seine Bücklinge gemacht, und führte seinen Gaul nun zunächst in den Wald wegen dessen Empfindlichkeit gegen den Sonnenstich, wie er angab;er band ihn in einem guten Dickicht an einen Baum und überließ ihn dem grünen Laub.
Die Dame Luna hätte so lange geschwiegen und sich ein Urteil gebildet über die vielbesprochenen Fräulein.Nun ergriff sie das Wort.
„Erlaubt,“ wandte sie sich an die älteste: „Erlaubt,man sagt in der Stadt, daß Ihr von
der Luft lebt.Ich weiß auch, wie das tut, nicht nur Ihr. Das ist gar nichts Besonderes,
obwohl ich es nicht nötig hätte,denn wir sind wohlhabend, und nicht abgebrannt wie Ihr.“Es
bewies sich etwas in diesen vier Jungfrauengestalten, das sie zum Widerspruch reizte und
ihr nahezu Arger verursachte. Das war deren gute Haltung und ihre fortdauernde schöne
Eigenmächtigkeit, die sie sich durch alle teure Zeit zu bewahren schienen. Ihr Verhalten
glich so dem von gefangenen jungen Habichten,und es wurde damit auf tüchtige und schier
spöttische Art deutlich ausgedrückt, daß man wie jene immerhin von Räubern abstamme wenn
auch nur von einem hungrigen armen Teufel von Winkelhecht und kleinen
„Das Volk ist dumm genug, aber Ihr seid noch dümmer, wenn Ihr ihm nachsprecht. Ich weiß niemand,der von der Luft lebt. Und wenn Ihr es tut und habt es nicht nötig, so macht Ihr damit nur Eure Torheit kund, die nach Eurem Ansehen wirklich nicht klein zu sein scheint. Ihr tut selten das, was Euch gefällt,sondern Euch heißt man.“
Das war eine Rede nach dem Sinn des schwarzen Theologen; er liebte das starke Gewürz. Er neigte sich der Jungfrau Cordelia zu, und sein Kopf grüßte sie.
„Ihr habt einen hohen Sinn, edle Jungfrau,“sprach er mit düsterm Beifall. „So muß man mit den Nichtigkeiten der kleinen Welt umspringen. Ihr seid eine Dame von großer Erfahrung; Ihr solltet einer Gemeinschaft vorstehen.“
Die Dame Luna hatte ohnehin wieder Wein in den Kopf bekommen. Nun in der Verwirrung der Abfuhr meinte sie wegen des tragischen Tones, der Saure habe der Jungfrau in ihrem Namen heimgeleuchtet. Da gackerte sie noch ein bißchen hinterher.
„Ja wohl, Ihr solltet eine Pfarrerin werden. Oder ein Pfarrer. Ihr schimpft; ha, das kann jeder. Ich finde das dumm. Und man heißt mich überhaupt nur das Beste, Ihr Hungerleiderin.“
Der Saure biß sich in die Lippen; der Dicke wischte den bösen Mann von der Scheibe.
„Ja, denk' mal,“ wandte sich der Süße strotzend von Mitgefühl an ihn: „Die Fräuleins haben ihren Herrensitz samt Dorf und Bauern durch die Schweden verloren. Alles ist heidi mit Feuer und Schwertz; soll da nicht der Teufel dreinschlagen? Ich führe aus der Haut, wenn mir so etwas passierte. Aber die Fräuleins sind stolz.“
Er sah die Jungfer Therese an mit einem wirklich seelenvollen Blick und seufzte. Der
Bräutigam tat dasselbe vor der Jungfrau Philippine, nur daß er nicht seufzte, sondern
seinen jungen Schnauzbart strich. Der Junker eröffnete eine vernünftige Konversation, und
führte sie auch, hauptsächlich aus eigenen Mitteln, weiter.Der Süße schmachtete nur ab und
zu „Ach Gott!“dazwischen; der Saure zog bei besonders traurigen Punkten die Brauen
zusammen, und der Fantasiebräutigam fing in der Zeit eine richtiggehende Himmelei an mit
der Jungfrau Philippine, die sich seinem hohen Reiz leider nicht zu verschließen
vermochte, um so weniger,als es der erste war, den sie von männlicher Seite bis jetzt
überhaupt erlit. Die Dame Luna lag an der Schulter des kaiserlichen Obersten und schmollte
wieder.Später tröstete sie sich, blieb aber bei der Anlehnung und vertrieb sich die Zeit
damit, mit dem Beutel des Schweizers zu liebäugeln, über dessen Wert und Inhalt
Unter der Spezialgeschichte des Verfalls derer von Reschen, die sich aus den Antworten
und Darstellungen der Jungfern im Rahmen der allgemeinen Zeit und Leidensgeschichte des
langen Kriegslaufes heraus entwickelte, überschritt der Oberst still den tiefsten Punkt
seiner Verschüchterung vor diesen wirklichen und wahrhaftigen Edelfräulein, atmete einmal
unauffällig auf,und schwenkte sich dann mit jedem Schwung, den er der Weinkanne gab, höher
in die Gottesbotenlaune der tiefsinnigen Dreistigkeit hinauf. Als der Wein zum achtenmal
rund ging, fühlte er sich völlig munter und ebenbürtig und von gleichem Blut mit allen
Fürsten und Königen der Welt. Es war keine Entwicklung im Verlauf eines aristokratischen
Ideenganges, sondern der hundsnatürliche Landstreicherschluß einer halbverlorenen
Bauernseele: „Pah,kann keiner mehr sein, als lebendig und weniger, als tot, und wer auf
zwei Füßen steht, ist Königs genug.“
Er brach ab, weil die Jungfrau Cordelia die Hand erhob und ihn ansah.
„Herr Oberst, Euer Beutel,“ sagte sie leise und blickte danach. Aller Augen folgten den
ihren, aber die der Dame Luna waren schon vorher dabei gewesen;außerdem hatte sie mit
ihrer kleinen unnützen Hand D zutraulich in die Tiefe des Beutels. Die Gesellschaft sah
sie unter hohem Staunen wie ein Geistchen verschwinden, im Dunkel ein weniges suchen, und
darauf mit Gold gefüllt im Licht wieder auftauchen.Die Dame Luna hatte die Worte der
Jungfrau Cordelia überhört, aber nun trat ihr die Stille, die um sie herrschte, zum
Bewußtsein, und sie guckte verwundert auf. Sie merkte der Reihe nach alle Augen auf ihre
dumme, weiße, goldgefüllte Kinderhand gerichtet, zuletzt,fast Schläfe an Schläfe mit ihr,
auch die des Obersten,und sie war durchaus voller Gnaden. Sie schaute die Reihe noch
einmal durch und dann ihrem Obersten
Der Oberst mußte mögen; die Gebärde überzeugte. Er sagte ernsthaft, es sei gut; sie könne es gern behalten; sie solle sich damit nun ins Gras legen,wenn sie wolle, weil sie ihn müde mache mit dem Anlehnen. Sie nickte freundlich und gehorchte, und die Gesellschaft atmete auf wie nach einem Mirakel. Ruodi bemerkte noch leichthin, es sei sein privates Zehrgeld und nichts vom Kaiser dabei, und ging in Fortsetzung seiner Rede zur Anwendung über. Er sprach nun ziemlich dringend und fast gebietend, und blickte auf eine Art schwermütig drein, daß jedermann mit Respekt dagegen aufkommen mußte.
„Ich sehe hier lauter brave und tüchtige junge Leut'sitzen, die aber keinen Ascht haben
und keine Verwaltung.Graben mögt ihr nicht, kann euch auch keiner zumuten.Zudem schteckt
schon viel zu viel Volk in dieser Schtadt; wer keine Konnexion hat, kommt in kein rechtes
Bett. Nehmt den Kaiser für eure Konnexion und helft mit an seinem Frieden schaffen, daß
wieder ein Pläsier wird im Dorf.Ihr habt zum Exempel die Theologie gelernt,“ wandte er
sich an den Sauren: „Ischt nicht gerade am meischten wert, aber ein Pfarrer muß sein. Hüte
meine Lämmer.Kommt mit und werdet unser Seelsorger. überlegt's Euch. Ihr könnt unsern
Magischter abgeben, Junker Ebenreiz. Wir werden Euch in Ehren halten und recht
Das war die Rede des Schweizers. Sie versetzte ihn selber Schritt für Schritt in ein unruhiges Erstaunen über den Geist, der diesen Tag aus ihm Meldungen tat. Aber weil er dabei so sorgenvoll und vielverwaltend aussah, war nicht eines unter den An
Schaffner, Der Bote Gottes
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229 lich aus dem Stockhaus heraus kamen, wohin er ihnen mit seinem tollen Kopf geholfen hatte; der Probelöffel war bei ihr gefunden worden; nun konnte genau besehen nur noch ein Wunder helfen. Zum Teufel, tat man da nicht am gescheitesten, man führte noch ein paar Hauptzüge aus in der Welt, und ließ sich dann hängen?
De Vorschlag des Schweizers stand zu plötzlich und zu hell zwischen den beiden Lagern, und die scheue Gegenwart lag auf beiden Seiten zu erfahren im gewitzigten Bewußtsein, als daß davon gleich Früchte ins Gras rollen konnten. Man schwieg, spürte Einladung, stellte sich vor und betrachtete das Vorgestellte. Dann seufzte der Süße, tiefauf und weithin hörbar: „Ach ja!“ Der Saure guckte ihn wütend an; was hatte der zu seufzen? Er war eifersüchtig und darum zum Krakeelen aufgelegt.
„Ach ja,“ äffte er ihm bissig nach. „Der Hängemagen wittert schon Bratwürste und Sauerkraut. Arbeit wittert er nie. Entweder er frißt oder er stöhnt.Man sollte sowas in den Trog schnitzen für die Kühe.“
Der Süße nahm das Wort übel und betrachtete die Anrede wegen der Gegenwart der Fräulein
als eine schwere Beleidigung, die er nicht an sich hängen lassen durfte. Er schnellte mit
Schwung aus dem Gras in die Sitzlage und fuhr mit den Fingern durch seinen
Spritzbart.
Der Saure erblich vor der Tragweite der empfangenen Herausforderung, sprang vom Boden auf die Füße, schritt zum Magister, der noch im halben Friedenszustand schäferlich im Gras saß, und wollte ihm gerade einen Kopfschlägel anpassen, als er sich von hinten kräftig am Wams gezogen fühlte. Er verlor den Stand und mußte rückwärts aufs Geratewohl wieder Niederlassung nehmen. Wie er sich nach der Hand umsah,die den Durchgriff bewirkt hatte, gehörte sie der Jungfrau Therese, neben der er nun auch saß. Sie guckte ihm mit ruhiger Freundlichkeit ins Gesicht.
„Ich habe wohl bemerkt, daß Ihr zu wenig esset,“sagte sie zu ihm. „Wir müssen die Türen zu den Zorngängen, die vom Magen in den Kopf führen, fleißig mit Speise verstopfen. Bittet Gott um einen besseren Appetit.“
Der Lizentiat wollte wieder aufspringen, aber sie hielt ihn am Gürtel fest. Da trat die Jungfrau Cordelia ins Mittel.
„Wenn der Herr seine Ehre verteidigen will, Therese,“rief sie mit ihrer großen und weiten
Stimme, „so hindere du ihn nicht daran. Du bist jung und un
„Gottsblitz,“ schrie der Süße, „ich bin zuerst beleidigt, wie ihr alle gehört habt. Die Jungfer hat ein gutes Werk getan, und es soll sie niemand darum betrüben. Jetzt will ich mich über den Friederich hermachen, ob ich ihm seinen lutherischen Katechismus auf nasenstüberisch auslege.“
Auf der anderen Seite des Lizentiaten saß die Jungfrau Philippine. Weil der Leutnant fürchtete, daß ihr aus der Rauferei Ungelegenheiten und vielleicht gar Rippenstöße erwachsen könnten, brachte er dem Süßen unversehens die Degenscheide zwischen die Füße, womit der kreiselhaft zweimal um sich selber torkelte, wie eine Sternschnuppe mit der Nase voran neben die Dame Luna ins Gras schoß und dort mit ihr ihr Gold beguckte.
„Wenn Ihr raufen wollt, so geht beiseite,“ rief er ihm sieghaft in seinen Sturz nach. „Hauen sich auch echte Kavaliere zwischen den Damen herum und bringen die mit in Gefahr?“
Die Jungfrau Therese fand das Verfahren heimtückisch und sagte es gerade heraus. Jedoch die Jungfrau Philippine legte sich auf diese Welle.
„Nein, liebe Schwester, sondern es war soldatisch und kavaliermäßig,“ sprach sie mit aufleuchtenden Wangen dagegen. „Es steht den Herren nicht an, sich zwischen uns zu schlagen. Wie leicht könnten wir dabei Schaden nehmen.“
Sie spähte wieder schräg in den Himmel hinein und zeigte ihre Kehle. Der Oberst stimmte
ihr bei,
„Eure Schwester hat vielleicht recht,“ erkannte er unter düsterem und entsagendem Achselzucken an. „Aber sie hätte es doch nicht tun sollen; es verstößt gegen die zarte Weiblichkeit. Außerdem danke ich Euch.“
Cordelia antwortete mit einem ernsthaften Kopfnicken, und das Feld war in dieser Ecke
soweit bestellt. Die Jungfrau Therese bat ihrerseits den Magister zu sich, damit sie ihm
das Wams abstauben konnte;er hatte sich mit dem Schulterblatt an einem Maulwurfshaufen
gerieben. Er mußte sich dazu bei ihr niederlassen, wenn sie nicht aufstehen sollte. Sie
sagte,er solle nur nicht traurig sein; was sie angehe, so sehe sie ihn für einen
vollkommenen Kavalier an, der sich auf alle Weise im richtigen Licht gezeigt habe. Er
schnaufte noch einmal, warf einen schwerversöhnlichen Edelmannsblick nach dem Sauren und
einen nach dem Leutnant, und gab sich mit der Würde eines zahmen Löwen in ihre Regie. Als
der Leutnant merkte, wie da unter dem offenen Himmel mit der Erlaubnis Gottes verfahren
wurde, entdeckte er eine Spinne an der Jungfrau Philippine, spickte sie ihr mit großer
Kunst vom Kragen, und blieb gleich bei ihr für künftige Rettungen.
„Ah, meine Kavaliere, was seh' ich, up!“ gröhlte er aus seiner gequetschten Kehle heraus
und schielte fürchterlich unten hervor. Er hatte den Schlucken.Er bekam ihn immer nach dem
Genuß von Alkoholika,und die Dame Luna hatte ihn von ihm geerbt.„Hallo up ich muß euch
euch loben. Wahrhaftig, up. Aber ihr laßt mir meine geliebte Tochter darben in Einsamkeit;
dafür will ich euch up auf den Buckel steigen. Was? Ist sie nicht schön? Up.Ist sie nicht
eine Dame von reinem Wasser? Mamelucken, die sie beiseite sitzen la lassen, sag'
ich.Töchterchen, up, komm her zu mir, sag' ich. Komm zu deinem alten Vater, sag' ich. Da
ist Bier. Da sind Würste, up. Da ist ein Brot. Hörst du? Was hast du denn da? Potz Gott,
Go Gold hat sie. Gold hat das Töchterchen. Ei fahr' hin im Segen!“ Das Brot entfiel ihm
vor Erstaunen. Er sank mit dem Bierkrug und den Würsten neben seiner Tochter voll Andacht
in die Knie, und zischte wie eine Krähe. Schließlich stellte er auch den Krug ab, warf die
Würste ins Gras und sich dazu,und fing mit ihr tiefsinnig an in dem Gold zu spielen.
Der Alte rappelte sich auf den Knien nach dem Schweizer herum und machte ihm lauter
Marabubücklinge. Er hatte glänzende AÄuglein und rieb sich die Hände, daß die Finger
knackten. Er bedankte sich für seine Tochter. Er bedankte sich für Kinder und Kindeskinder
und für Gott und die Welt. Er entschuldigte sich auch, und wußte nicht wofür. Er lobte und
pries den guten Charakter des Obersten und strich ihn mit einer Wut heraus, als seien alle
Anwesenden der konträren Meinung. Dafür setzte er sich selber so tief in der Würdigkeit
herab, daß es einen Hund erbarmte; nämlich der gute Hund Stummel ging zu ihm und beroch
ihn von allen Seiten, wie er da auf den Knien lag und schwur, nieste und kam mit einem
feuchten Blick zu seinem Herrn zurück. Das Ende vom Lied war, daß der dicke Junker anfing
zu fluchen wie ein Stocktürke, ein Spiel vorschlug, seine Würfel nicht finden konnte und
erst recht ins Wettern kam. Jedoch der Schwiegervater konnte dienen. Er zog ein Würfelchen
aus dem Busen und reichte es dem Obersten. Er schenkte es ihm sogar. Da war der's auch
zufrieden, weil ihn wie den Junker ein heimliches Feuer brannte, nur daß
Erst waren es nur die drei Männer. Der Dicke setzte einen Taler an; der Schwiegervater
jammerte;da sprach der Dicke seinem Dreibätzner Talergeltung zu, und der Oberst war es
abermals zufrieden. Der Schwiegervater tat gleich den höchsten Wurf und gewann zwei Taler
und seinen Dreibätzner zurück. Der Junker dachte, der Schwiegervater werde jetzt auch voll
spielen, aber der setzte freundlich seinen Silberling wieder und verlor ihn an den
Schweizer. Der warf ihn ihm mürrisch zurück, und der Schwiegervater gewann sogleich einen
zweiten Satz damit. Er wurde vollends munter, nahm einen der gewonnenen Taler, legte ihn
auf den Plan, rief: „Fünf Taler wert für mich!“ und warf sechs Augen vor die verblüfften
vier seiner Partner.Der Oberst schmiß drei und der Junker nur eines, und der
Schwiegervater heimste den Satz ein, zehn Taler und seinen eigenen. Da riß der Junker
seinen Hut vom Kopf und wischte dem Alten damit erbittert eins über den nackten Schädel.
Die Gesellschaft hatte sich inzwischen um die Gruppe gerottet und so lange mit
Nun begann die Kanne wieder zu kreisen, und hinter der Kanne her das Gefühl des schönen
Daseins. Die Eintracht wurde aufs neue ein positives Ding. Die
„Ihr habt meinen Gaul gesehen, Herrschaften,“
Der Schweizer war es. Er war heute mit jedem Vorschlag einverstanden, der nur ein bißchen unsinnig aussah, geschweige mit diesem Kapitalstück von einer Verrücktheit. Aber der Alte machte Ausflüchte und wand sich; er wollte jetzt lieber aufstecken, als den ganzen Gewinn noch einmal aufs Spiel setzen. Das nahm der Dicke übel. Das Blut schoß ihm ins Gesicht. Er riß wieder den Filz vom Kopf und es hagelte jetzt dem Alten nur so von Hieben über die alten Fuchsohren,daß er vor lauter Blinzeln nichts mehr sehen konnte.
„So grüßt ein Filz den andern, du Schuft,“ schrie er. „Meinst du, wir haben mit dir gespielt, um dich fett zu machen? Wenn wir nicht verrückt wären, so hätten wir dir den Schuh in den Ruhepunkt gesetzt.Soll ich dich zu Brei schlagen, oder willst du um den Gaul setzen?“
Weil der Alte auch die anderen murren hörte, fand er, es sei gescheiter einzulenken, als
noch empfindlichere Maßregeln zu erfahren. Er sagte blinzelnd zu seiner guten Tochter, sie
solle ihm doch schnell eine kleine Handvoll Taler hergeben. Die legte er demütig ins Gras,
weil er doch so ein armer Mann war, und es zeigte sich, daß weder der Junker noch der
Schweizer die Genauigkeit aufbrachten, noch den viel breiteren Rest des Gewinnstes, der
bei der Dame Luna zurückgeblieben war, herzufordern; sie waren dafür heute zu
„Morgen um die siebente Schtunde bin ich am oberen Tor. Wer in des Kaisers Frieden eingehen will, soll sich hinmachen. Es ischt ein luschtiger Nachmittag gewesen. Hoffentlich sehen wir uns wieder.“
Er grüßte gravitätisch und schritt, vom guten Hund Stummel gefolgt, aus dem Kreis nach dem Dickicht.Bald darauf hörte man ihn den Waldweg herunterreiten und den Hund aufgeregt dazu bellen. In der Weile raffte der Alte den Beutel an sich, öffnete ihn und stülpte ihn um; da fielen ihm drei rote Kreuzer in den Schoß, sonst nichts. Das Gelächter, das sich über den Schabernack und über das Schafsgesicht des Alten erhob, erhöhte noch das Ansehen des Obersten,und läutete andererseits einen vergnügten Abend ein.Der Junker steckte zufriedener, als er wahr haben wollte,die Taler, die jener ihm noch zugeschoben hatte, in die Tasche, und die kleine Margareta sah ihm dabei voll Teilnahme zu. Als er aufblickte und es merkte, lachte er sogar und trat damit für diesmal an die Sonnenseite seines schwarzen Berges heraus.
„Wollen wir's verjucken, Kleine?“ fragte er lustig
240 und nahm sie unter den Arm. „He holla, wir wollen tanzen,“ rief er. „Hol' der Teufel alle Kopfhänger.“
Bald darauf verschwanden als letzte die schönen schwarzen Zöpfe der Jungfrau Cordelia an der Seite des Lizentiaten im Festtreiben, und Vater und Tochter waren auf der Wiese allein gelassen. Da machten sie,daß sie ihre Taler und Dukaten an sichere Orter brachten,und hoben sich ebenfalls davon, der Alte unter Schimpfen und Lästern wegen der drei Kreuzer, aber die Dame Luna in glücklicher Versunkenheit. Das Gemeinsame an ihnen war nur, daß sie beide je einen Beutel innig um den Hals gefaßt vor sich her trugen und jeden Augenblick hinsahen, ob die Nähte auch noch dicht seien. Sie hätten mit großer Schläue Erde oben auf die Schnürmünder gestreut, so daß es aussah, als brächten sie Waldboden nach Hause. Die untergehende Sonne überschüttete ihren stillen Schädlingswandel mit einem weltöffentlichen Bad und Meer von Gold, und wie sie so nebeneinander her an ihrem Waldrand hin nach Hause schritten, von allen Bejahungen des Lebens umlächelt, war wieder einmal nicht zu sagen, worin denn nun eigentlich der Wert und Sinn des mühevollen Daseins bestehe.
Dr dieselbe Glorie ritt der kaiserliche Oberst auf der Landstraße jenseits des Waldes der
Stadt zu.Der gute Hund Stummel sprang wie verrückt um den Roßbock herum, bellte und
winselte, und konnte gar
Das Mädchen Christine stand mit dem Schusterjungen unter der Haustür und sah nach der
Herrschaft aus. Der Oberst hielt sein Pferd bei ihr an; der Köter Stummel lief zu ihr und
stieß ihr seine Schnauze in die Hand:„Was sagst du dazu, daß er auf dem Pferd sitzt? Ich
verstehe es wahrhaftig nicht. Was man alles erlebt,nicht?“„Es ischt gut, daß ich dich da
treffe, Mädchen Chrischtine,“ sagte der Bote Gottes von seinem Roßbock herunter. „So
brauche ich nicht abzuschteigen und in das Totenhaus hinein. Ich mag keine Totenhäuser und
Toten. Und ich wollte dich fragen und dir zu Gemüt führen, daß ich morgen früh vom oberen
Tor wegmache, um sieben Uhr. Pack dein Sach und schtell dich ein. Mir ischt das Wesen da
in der verdammten Schtadt verleidet, und ich begreife nur gar nicht, daß du in dem
meineidigen Schwindel bleiben magscht. Du bischt doch ein anschtändiges Mensch. Hier wird
gelogen und geschtohlen und betrogen, daß nie keiner weiß,wenn er einen andern anschaut,
welcher von beiden der größere Schpitzbub ischt. Fahre ab mit Freuden, Mädchen
Chrischtine, und schtelle dich wieder bei deinem Bauern,welcher immer den Hals nach dir
verdreht. Deine Herrschaft, das ischt schon die gröschte Betrübnis, die ich
Er wendete seinen Gaul herum, und Stummel kam wieder gelaufen. Allein Christine war nicht der Meinung des Obersten.
„Ich habe in Wullenhausen nichts zu schaffen,“erwiderte sie düster, doch mit einem wertvollen Anschein von Festigkeit. „Wenn mich jemand haben will, so soll er mich holen.“
Der Oberst betrübte sich noch mehr.
„Dumme Kuh, er weiß ja doch nicht, wo du bischt,“sprach er ihr zu. „Wie kann er dich da holen? Du solltescht dich mit Vernunft begaben. Und jetzt ischt die Ernt' im Land; rechne selber, kann da einer einem Weibsmensch nachlaufen?“
Christine sah das ein und war auch dankbar für den Zuspruch und guten Willen, hatte aber noch zu viel Werg an der Kunkel ihres Unmutes, als daß sie in diesen Feierabend eingehen mochte. Der Oberst schaute schwermütig dem Roßbock zu, wie er mit den Ohren spielte.
„Soll ich dann einen Gruß ausrichten?“ fragte er
16*
Derweilen kamen Vater und Tochter vor der Sternseherei an, wo das Mädchen Christine aus unfrohen Grübeleien von der Treppe aufstand und ihnen eine bewölkte Stirn entgegenhob. Sie dachte daran, daß der Oberst den Alten einen Vogelfänger und die Frau einen unechten Lockvogel genannt hatte, sah sie daraufhin an und machte die unwillkommene Beobachtung,daß in ihr kein Gefühl für ihre Herrschaft gegen die wenig günstige Einschätzung aufstand. Die Dame Luna,als sie den kleinen Unglücksvogel erblickte, der ihr von der heutigen Erpedition ins Haus gehüpft war und ihr nun erwartungsvoll entgegensah, zog ein schiefes Gesicht, spannte einen Finger vor seiner Nase und versetzte ihm einen Stüber.
„So, bist du da, Schelmenfrucht?“ singsangte sie
Sie meinte das mit den Rübenschalen nicht gerade wörtlich; es tat ihrem dummen Kopf und Herzen nur wohl, dem traurigen Lichtstümpfchen die Zukunft anzusagen; denn freilich dachte sie nicht daran, ihm eben ein prächtiges Leben machen zu wollen. Sie trat mit hester Laune ins Haus, freute sich über das schöne glückhafte Dasein und betrübte sich nicht einmal über den kargen Gruß des Obersten. Sie dachte, es werde ihm eine Laus über die Leber gelaufen sein; wenn die Männer Mucken hatten, so kam dabei nur ihre Dummheit heraus, sonst nichts; alle Männer waren dumm.Doch beriet sie sich immerhin mit ihrem Vater, wo das gewonnene Gut unterzubringen sei, und vergrub es in Gemeinschaft mit ihm in ihrem Strohsack. Sie speiste mit gesegnetem Appetit zu Abend der Sternseher bereitete sich auf seinem Observatorium weiterhin auf die ewige Leichtigkeit vor , und ging mit Behagen, aber allein, zu Bett, wo sie noch eine Weile wach lag, aus Gesättigtheit und Langeweile anfing leise zu singen,und sich so langsam in einen netten, unbedeutenden Schlaf hinübersang, bei dem nichts harauskam, als daß sie nachts noch weniger wert war als bei Tage.
Der kaiserliche Oberst lag schon im ersten Traum,
Diesen Worten folgte ein Schweigen von beiläufig einer halben Stunde. Der Süße schob inzwischen den Teller von sich, wischte das Maul und sagte: „Potz Gott, der Fraß kann gelten.“ Dann seufzte er,legte sich an die Wand zurück und fing einen Verdauungsschlaf an, der von ihm aufstieg wie Rauch vom Mist.
Nachher kam der unruhige Geist wieder über den Junker. Er qualmte ganze Gebirgszüge aus
seiner Pfeife vor sich in die Luft. Er ging in seinen Strümpfen eine Zeitlang vor dem
Tisch hin und her, wobei er mit der linken Hand die Pfeife hielt und die rechte wegen der
Spannung seiner furchtbaren Oberarmmuskeln leise schlenkernd einen Schritt voraustrug.
Schließlich zog er wieder seinen Stuhl unter sich. Und nach einer weiteren Pause fing er
zu den beiden Wachen, diesmal in dem galgenmäßigen Rotwelsch, das das überbunte Lagerleben
des langen Krieges geschaffen hatte und das von da aus das Verständigungsmittel aller
Buschklepper und Strauchritter geworden war, eine zweite Rede an, die von weniger
friedlichen Dingen handelte, und die zunächst verschiedene Wenn und Aber von der andern
Seite gegen sich bekam.Aber er setzte wilde Zeichen auf und gab Benefizien zu,
Sie kamen wie gestern durch den Garten herein,fanden aber diesmal die Bänke leer und die
Haustür verschlossen und sogar verrammelt. Auch die Läden waren im Erdgeschoß versichert,
jedoch droben im Oberstock nicht. Da stellte sich der Dicke unter das Fenster neben der
Gartenmauer, mit dem Rücken gegen das Haus, und hielt schweigend die Hände von sich. Der
Süße half dem Lizentiaten, der leichter war als er und schon die Schuhe ausgezogen hatte,
auf die Schultern des Dicken, und der Leutnant kletterte, ebenfalls barfuß, am Lizentiaten
hinauf, um von dessen Achsel durch das Fenster, das in den oberen Korridor ging,wie ein
Fisch ins Haus zu schlüpfen. Bald darauf erschien er unten in der geöffneten Haustür und
nickte,daß alles in Ordnung sei. Der Dicke und der Süße zogen auch die Stiefeln aus,
stellten sie in Reih und Glied neben die der andern an die Hauswand, und verschwanden
hintereinander in der Tür. Sie waren nicht umsonst heute in der Sternseherei zu Gast
gewesen und hatten das Haus gezeigt bekommen; nun kannten
„He, du, Töchterchen, wach mal auf, hörst du?Mach deine Auglein klar; ich muß dich etwas fragen.“
Das leise Schnarchen hörte auf; nur das Sägewerk des Alten lief weiter. Im Bett regte es sich.
„Was ist? Wer ist da?“
„Ich, der Vater,“ fistelte der gewaltige Kavalier mit der dünnen Stimme des Alten. „Denk' mal, gerade wache ich auf und will mich besinnen. Da hab' ich dir doch mein Seel vergessen, wo wir das Geld von den Bummelanten hingesteckt haben, weißt du, vom Würfelspiel. Wo zum Henker ist's nur auch, he?“
„So ein Schafskopf,“ klagte die Dame Luna. „Du
„He, he,“ krächzte der Junker. „Mach' keinen Spaß,Töchterchen, und sei auch nicht böse. Wenn der Mensch alt wird, so verliert er manches. Jetzt sag' im Ernst,wo hast du's hin, damit ich's wieder weiß.“
„So soll dich das Zipperlein plagen, damit du in deinem Bett bleibst,“ schalt sie. „Ich sage dir's ja,daß ich darauf liege. Pack' dich jetzt.“
„Mordsweibchen, wie bist du so nichtsnutzig,“brummte der Dicke mißbilligend. Aber da hätte sie schon eine Hand auf dem Mund, die sich kein bißchen alt und gebrechlich anfühlte, als sie danach griff, sondern warm und sehr kräftig. Dann kamen dunkle Kerle über sie, und sie wurde in ihre Bettdecke verpackt wie eine Kalbsroulade. Sie wußte in ihrem Kindskopf noch gar nicht, wie ihr geschah, da war sie schon eine erledigte Sache. Und die beiden Beutel hingen im Gürtel des Junkers Rolandus.
„Haltet Euch nur nicht mit Rechnen auf, schönste Dame Luna,“ sagte er und neigte sich über sie: „Ihr müßt doch gewöhnt sein, still zu liegen. Zudem habt Ihr's heute lind und warm, und lange nicht so ungesund, wie die letzte Nacht im Garten. Schlaft wohl bis zum Morgen, holdes Unkraut.“
Das war der Anfang. Den Schwiegervater weckte man nicht erst lange; man stopfte ihm
frischweg die Mühle mit seinen eigenen Strümpfen und ließ ihm auch alles übrige zukommen,
ohne ihn darum zu be
„Ganz recht, auf dem hölzernen Weg müßt ihr kommen, Geister der Schwere und der
gewöhnlichen Absicht,“ sprach er sie an. „Ich erwartete euch durchs Fenster. Das war dumm,
nicht? Aber ich weiß immerhin, woher ihr kommt und wer euch führt. Ich kenne euren
Meister. Ich kenne euren Auftrag. Ihr blinzelt in meinem Licht wie die Eulen. Ich weiß,
ich weiß,ihr seid sehr verlegen. Ihr dachtet, ihr wäret unwillkommen. Ihr seid willkommen;
das ist mein Sieg und euer Verlust. Tritt näher, Wanst. Dich sah ich schon einmal; aber
ich habe vergessen, wo oder wann. Ich habe mit dir geredet. Bist du nicht der Ritter vom
schwachen Geist und schweren Leibe? Ich habe dir meinen Namen ins Fleisch gebrannt. Sprach
ich nicht zu dir, in einem Monat werdest du an meiner Hand gehen? Mein zehrender Stern ist
über dir. Wahrlich, in einem Monat wird es sich erfüllen. Aber hinter dir steht es schwarz
und unbelehrbar. über den hat der Geist keine Gewalt. Er ist das inkarnierte Prinzip der
Finsternis, die aus dem hintern Angesicht der Weis
Soweit war der alte Herr gekommen mit seiner Prophetie, als der Junker, dem es wieder
kalt den Rücken hinunterlief vor diesem fatalen Theoretiker,fand, es sei Zeit, daß man
gegen seine Zeichen aufkomme, bevor sie anfingen und sich einem wieder zwischen die guten
Stunden mengten. Er stieg schnell und mit Kraft die Treppe vollends hinauf, schob ihn ins
Zimmer hinein, zog die Tür davor zu, drehte den Schlüssel um und wandte sich aufatmend
gegen seine Gesellen, denen er sagte, daß das Geschäft für diesmal und hier erledigt sei.
Er verzichtete auf das schöne Messing an den Instrumenten. Sie stiegen miteinander die
Treppen hinunter und verließen das Haus durch die bequemere Vordertür, nachdem sie im
Garten
wieder zu ihren Schuhen gekommen waren. Sie verschlossen die Haustüren und nahmen die Schlüssel an sich. Auf der Straße händigte der Junker den Dreien die zwei Beutel aus; das war das Benefizium. Sie teilten es sogleich unter sich. Darauf schritten sie entschlossen die Stadt hinauf in der Richtung nach dem Stockhaus.
X Lizentiat und der Leutnant gingen direkt darauf zu, während sich der Dicke mit dem Süßen seitwärts drückte. Im Stockhaus lag das Schustersehepaar, auf das der zweite Teil der Exrpedition zielte.Man wußte, daß der Stockmeister drei, vier ledige Stadtsoldaten bei sich im Quartier liegen hatte; die mußten zuerst heraus. So fingen die beiden an, Lärm zu schlagen an der Tür, und als der Stockmeister seinen Kopf mit der Schlafmütze aus dem Fenster streckte,riefen sie atemlos hinauf, er solle doch einmal schnell mit seinen Soldaten kommen, die bei ihm lägen;drunten in der Stadt gehe man eben damit um, die Sternseherei zum zweitenmal auszurauben, und die Dame Luna sei vielleicht schon massakriert, aus Rache wegen des gefangenen Schusters. Wenn man eile, so könne man nun die ganze übrige Brüderschaft aufheben und Ruhm davon haben.
Als der Stockmeister diesen Bescheid hatte, sagte er munter: „Wir wollen sie sogleich am
Kragen holen,“
„Ihr seid frei, gute Frau,“ sagte er und hatte schon wieder seinen leichten Weltmannston gefunden. „Ihr dürft Euch wieder des Lebens freuen, weil Euch ein Kavalier liebt. Vielleicht wißt Ihr gar nicht, was Ihr wert seid; aber der Kavalier weiß es. Denkt ihm bei Gelegenheit auch einmal ein bißchen daran, daß er für Euch etwas gewagt hat. Kommt, Frau; kommt,Schuster; eure Sicherheit ist noch nicht fertig; wir wollen sie jetzt vollenden.“
Das geschah dadurch, daß die Stockmeisterin den Weg zur Hinterpforte zeigen mußte, aus der der Süße mit den Schustersleuten das Freie gewann, und darauf dem Junker den zum vorderen Ausgang. Als er ihn gewiß hatte, legte er das Weib stumm wie vorhin den Schwiegervater, trat vor allen Augen allein aus dem Haus, schloß zu und machte sich unter Mitnahme des Schlüssels die Gasse hinauf davon, worauf er hinter der Kirche mit den drei Flüchtlingen zusammenstieß.
Indessen hatten die andern beiden Kumpane die Braven vor die verschlossene Sternseherei
gestellt und sich anerboten, den Halunken drinnen von der Nachbargasse aus in
In der Herberge warf sich der Junker angekleidet auf sein Bett und schlief bis gegen morgens sieben Uhr.Dann stand er auf und wusch sich. Als er aus dem Haus trat, merkte er sofort am Gewimmel auf der Straße, daß die Geschichten der Nacht in Umlauf waren und alles denkbare Aufsehen erregten. Folgendes wußte man: in die Sternseherei war zum zweitenmal eingebrochen und die Leute geknebelt worden; der Vater des Sternsehers lag schon einen Tag tot, und man Schaffner, Der Bote Gottes
27
„Das ischt eine meineidige Geschichte mit dem Kaiser seinem Frieden,“ begrüßte er ihn.
„Ich habe gute Luscht und fahre dazwischen, aber ich muß ihnen noch Zeit geben; und den
Wächter wieder lebendig
Der Dicke grüßte die Fräulein und erwiderte, daß die Junker vorausgemußt hätten wegen nötiger Angelegenheiten, über die ihnen gestern noch spät Kunde zugekommen sei; im ersten Dorf jenseits der Grenze werde man auf sie stoßen. Auch er selber könne leider nicht gleich mitkommen, weil es zuvor in der Stadt noch einiges Guthaben einzuholen gebe für ihn und die andern; aber er wolle treiben, was er könne, um seinen Gesellen und den angenehmen Jungfrauen bald nachzufahren.
„Dann ischt das gut,“ sagte der Oberst und wandte sich an die Fräuleins: „So werden wir heute allein aus dem Tor marschieren. Das erschte Dorf nach der Grenze ischt Taurenschtein; ich kenne es. Ich denke,wir wollen abgehen.“
In dem Augenblick erklangen Trompeten aus der Stadt die Straße herauf, und der Landesherr
kam an der Spitze einer kleinen Reiterschar auf seiner Schecke des Wegs geritten. Das Volk
summte wie ein Bienenschwarm. Der Fürst rief mit heller Stimme drüberhin, die Bürger
sollten nach Hause gehen und sich an ihre Arbeit machen; das da sei ein Exempel für seine
Gerichte und kein Fressen für Maulaffen. Indem erklangen auch vor dem Tor Trompetenstöße,
und der Fürst setzte seine Kavalkade in Bewegung, so gut es ging durch den wimmelnden
Käse. Der andere Zug erreichte vor ihm das Tor. Da wurde die Durchlaucht ärgerlich und
fing an mit der Reitpeitsche ein wenig 72*
Der Bote Gottes an der Spitze seiner Jungfernschaft hatte sich vor dem augenfälligen Auftritt still beiseite gestellt, während der Köter Stummel ihn erregt anschrie. Als die Räte durch das Tor hindurch waren,brachte er seinen Roßbock auch in Gang und ritt nun seinerseits in umgekehrter Richtung mit leicht gesenktem Kopf und bescheiden lächelnd den Jungfrauen voran in den offenen Morgen hinaus, von niemand bemerkt,als mit einem flüchtigen Blick vom Auge des Fürsten,der sich einen Moment über den Aufzug wunderte und ihn vergaß.
Nach einer halben Meile drehte sich der Oberst auf seinem Pferderücken nach den Jungfrauen um.
„Sie sind an mir vorbei geritten und haben mein Inkognito nicht erkannt,“ sagte er und lachte ein wenig mit seinem dreieckigen Schweizermaul. „Nämlich weil ich das Kinn eingezogen hab'. Es ischt ganz gut so.Sie machen den Aufwand und ich besorge den Frieden.Wenn ich mit ihnen reiste, so käme ich zu nichts.“
Er strich seinen Schnurrbart, wandte das Gesicht wieder geradeaus und versank von neuem in das bescheidene und verzeihende Lächeln der wahren Größe.
Auch den Junker Rolandus traf das Auge des
261 Fürsten an diesem Tag noch einmal, als am Nachmittag die Stadtknechte mit seiner Person im Verhaft an einer Kreuzung auf den offiziellen landesherrlichkaiserlichen Umzug stießen und sich herumschwenkten,um diesen vorbei zu lassen. Die Glocken läuteten und die Böller krachten. Der Stadtbürgermeister schritt in großer Gala einher mit den Ratsherren hinter sich.Und die bunten Zünfte waren bis auf den letzten Mann aufgeboten und mobil. Der Fürst erinnerte sich blitzartig, den dicken Schelm schon einmal gesehen zu haben,verlor ihn aber aus der Aufmerksamkeit, wie vorhin das Züglein vor dem Tor, und jedes Wässerchen floß weiter seinem Tümpel zu.
Gegen Abend wurde der Sternseher mit dem Schwiegervater und der Dame Luna den gleichen Weg gebracht, unter dem christlichen Hallo des Volkes, das wieder einmal ein Hexenfeuer aufglimmen sah.
N der zweiten Meile gerittenen Weges hatte der Oberst einen Einfall. Er kletterte von
seinem Roßbock herunter und sagte zur Jungfrau Cordelia, sie solle nun einmal eine Strecke
reiten. Sie sah ein,daß es ihr zukam und stieg mit ihrem Bündelchen unter seiner Hilfe in
den Sattel, worin sie ganz gut saß und sofort wacker zuritt; und der Oberst lief zufrieden
nebenher. Nachher ritten auch die andern Fräulein, mit Ausnahme der kleinen Margareta, die
Sie hatten die drei Tage dazu benützt, sich wegen der Heirat, die ihnen vom Schweizer vorgeschlagen war, und wegen des Vortritts dabei so gründlich im Haus herumzuprügeln, daß nun keiner von beiden mehr auf seinen Füßen stehen konnte vor Elend und Schwäche; sie hatten über dem dringenden Geschäft sogar das Essen versäumt. Sie lagen nebeneinander zwischen Ofen und Tisch auf dem Boden, zankten sich krächzend weiter, fluchten, beteten, schworen und weinten,und wischten sich immer einmal liegenderweise noch einen lahmen Nasenstüber aus.
Die Jungfrauen entsetzten sich sehr über den unsinnigen und blutrünstigen Anblick, nur die Seniorin Cordelia nicht, weil sie ein festes Herz besaß und von ihrem Vater aus schon mehr zerschlagene Bauern gesehen hatte. Der gute Hund Stummel merkte, daß hier etwas übel stand, und winselte. Der Oberst trat mit einer Anrede auf.
„Dieses ischt mir jetzt ein meineidiges Anschauen mit euch, muß ich sagen. Warum lieget ihr hier und betet und faschtet und schlaget euch die Nasen breit?Ischt denn ein Verstand bei dieser Kurzweil? Ich möchte es gerne wissen.“
Jochen richtete sich auf dem Ellenbogen hoch und guckte, wer denn da rede.
Hans erwiderte schwach:
„Hättest du dich doch nur gleich aufgehängt, wie du wolltest, so hinge ich jetzt vor dir und streckte dir die Zunge heraus; das sollte mir gut tun. Laß jetzt den Kaiser gesagt haben, was er gesagt haben mag. Ich sage nur: hat er gesagt, ich soll die Betten schütteln und Brei kochen, so ist mir das ganz recht; dann bleib'ich im Haus und behalte das Dach über dem Kopf.Sonst sag' ich nichts.“
Darüber mußte sich Jochen sehr aufregen. Es war doch zum Teufelholen, was Hans für ein schlauer und geriebener Schubiack war; man konnte nicht genug aufpassen auf ihn. Er wischte ihm zur Sicherheit eine Maulschelle, suchte nach Worten, drehte sich mit Schultern und Fersen herum und versetzte ihm auch noch zwei, drei müde Fußtritte. Darauf brachte er sich wieder in die parallele Lage mit ihm, und hatte nun die Antwort.
„O du gottloser Höllenhund, wie bist du doch so abgefeimt mit deinen Listen in deinem
spitzen Kopf.
Er sank stöhnend vor Müdigkeit zurück; aber Jochen ließ sich nicht verwirren.
„Gotts Tod, seht ihn nur an, Junker,“ erwiderte er und hustete, „so merkt Ihr gleich, wo
das ungerechte Leiden sitzt. Ich hab' ihm das Maul zu einem alten Schuh vergerbt, und er
kann nicht aufhören mit Fortbabbeln uud Zanken, weil er mich aus dem Hüttchen treiben
will; aber ich will mich lieber aufhängen,als daß ich ihm die Türklinke allein in die Hand
gebe.
„Ich auch, Junker,“ sagte Hans. „Ich hoffe auch stark auf den Kaiser. Der Kaiser muß Recht schaffen zwischen uns, denn er ist ein großer Herr und dafür bezahlt; auch hat er Einsicht und ist nicht so ein tolles Rindvieh wie du, Jochen. Redet nur, Junker.“
Der Oberst kehrte sich zu seinen Jungfrauen.
„Setzet euch hierher an den Tisch, Fräuleins; ich muß jetzt den Männern des Kaisers Willen verkündigen,“ordnete er an. Die Jungfern setzten sich; sie waren wegmüde. Der Schweizer trat mit Ansehen vor die merkwürdigen Prügeljungen.
„Ihr geberdet euch in dem Kaiser seinem Frieden wie die unbändigen Wölfe und seid wert, daß man mit euch die Schtraßen pflaschtert und mit Wagen über euch fahrt,“ hob er mit einem schönen, ehrlichen Kulturzorn zu predigen an.
„Hörst du, Jochen? Das geht auf dich, du bockiger Esel!“ rief Hans und richtete sich interessiert auf, soweit es ihm möglich war.
„Nein, das geht auf dich geradeso,“ berichtete ihn der Bote Gottes. „Ihr seid beide gleich unsinnig.Und wenn es möglich wäre, daß einer noch dümmer wäre als ihr, so könnte er sich nicht mehr zusammenXDD Dummheit.“
„Ja, Herr, sagt's dem wilden Schwein nur recht,“ermunterte der Knabe Jochen den
kaiserlichen Gesandten,und blinzelte schon vor Zufriedenheit über den nächsten
Hans hatte sich enttäuscht und betrübt wieder sinken lassen.
„Herr,“ sagte er müde: „Hört nicht auf ihn; er spricht wie die Kuh mit dem Schwanz: es ist nie kein Verstand und kein Christentum dabei. Verkündet uns in Gottes Namen den Spruch des Kaisers, aber heißt ihn still sein mit seinem Haß und Zorn; es geschieht mir leid damit, denn ich bin doch sein Bruder und habe das zartere Gemüt.“
Jochen regte sich wieder auf, aber der Oberst brachte nun Autorität zutage.
„Haltet das Maul, wenn ich rede,“ schrie er sie an.„Ihr seid hoffärtig und voll Gift, und
solltet demütig sein. Ihr habt dem Kaiser seinen Frieden nicht gehalten,und der Kaiser
ischt fuchssteufelswild. Ihr habt euch eine Suppe eingebrockt, und der Kaiser hat euch ein
Salz hineingeschmissen; jetzt kommt die Reihe wieder an euch, nämlich mit ausfressen. Wenn
ich gewußt hätte, daß ihr das Ding so heidnisch betreiben werdet,so hätte ich euch mein
Seel sitzen lassen in eures Herzens Viecherei. Jetzt habe ich für euch geredet und ärgere
mich meineidig darüber; aber ich kann's euch noch heiß genug vorsetzen. Schteht auf. Einem
Kaiser seinen Schpruch hört man nicht an und liegt auf der
„Ihr Knüppelköpfe und schauderhafte Narren habt Verrücktheiten getrieben miteinander im
Tag des Kaisers,von dem er gesagt und offenbart hat: ich gebe ihn euch mit Frieden, und
ihr sollt ihn nehmen und wohl anwenden, daß es bald wieder Freude gibt im deutschen Land
nach der langen Traurigkeit. Der Kaiser will,daß man gute Werke tue im Namen Gottes zur
Wohlfahrt von dem Volke, aber ihr schlagt einander die Köpfe blutig und verbreitet
Unverschtand. Darum so will der Kaiser, daß man euch zuerscht eine Nacht in den Sauschtall
schperrt, damit, daß ihr merket, was der Unterschied ischt zwischen einem Menschen und
einem unvernünftigen Vieh. Sodann schämt ihr euch vielleicht die Läus' vom Kopf, aber das
ischt nur gut und noch lang nicht alles, sondern ihr seid miteinander verbannt
Die Lümmel ließen ihre traurigen Figuren schwer auf die Ofenbank niederfallen und saßen
sofort fest darauf wie volle Säcke. Das Gewitter war ihnen ganz verwünscht in die Knochen
gefahren, und sie merkten nun wohl, was es mit der Hoheit und Majestät eines Kaisers auf
sich hat. Sie fühlten sich von dem Urteil so geradeaus und unwidersprechlich am Magen
gepackt und in ihren ungerechten Neidhartsherzen getroffen, daß
„Ha ja, zu fragen wäre da schon etwas,“ brachte er nach tiefem überlegen vor. „Wir haben also zwei Stück Vieh; was soll damit sein jetzt?“
Der Oberst war dabei, seinen Säbel abzuschnallen,und wollte den Jungfrauen eben Order geben für das Nachtessen. Er wandte sich erstaunt dem Frager zu.
„Du wirscht wahrhaftig sehen, daß damit großer Nutzen geschehen wird in dem abgebrannten Dorf, wo keine einzige Kuh schteht bei einem Bauern mit elf Kindern. Ihr habt keine Kinder, sondern nur zwei Bäuch. Ischt da groß etwas zu fragen? Ich glaube einmal nicht.“
Jochen riß die Augen auf und erhob eine Hand,was bei ihm eine Gebärde von unbegreiflicher
Wichtigkeit und Dringlichkeit ergab. Dazu schüttelte er den Kopf.„Doch, ich glaube das
schon, Junker,“ protestierte er. „Unsere Kühe gehören uns; die kann uns der Kaiser nicht
aberkennen, und der Papst auch nicht. Wir wollen in den Saustall kriechen, das kann uns
der Kaiser heißen; wir müssen auch mit in das verbrannte Dorf kommen, weil es die Strafe
ist. Aber an die
Der Schweizer stutzte und dachte nach. Der Kerl hatte recht. Er hatte sogar vollständig recht. Man konnte ihn zum Beispiel Baumwanzen fressen heißen zur Buße; das tat er; es ging seiner Persönlichkeit nicht nahe; aber an die Kühe durfte man ihm nicht tasten;da fing sozusagen seine Heiligkeit an. Er wurde ganz verwirrt und schämte sich heftig.
„Du Hornbock, wer sagt dir denn,“ erwiderte er hastig: „Wer sagt dir denn Was du dir da einbildescht! Der Kaiser kümmert sich den Teufel um deine dreckigen Kühe, kannscht du mir glauben. Nämlich sie werden euch abgekauft natürlich. Ich kann mich bei Gott giften über so ein dummes Untertanengeschwätz. Wollt ihr mein Pferd haben für die Küh?Ischt ein braves Tier. Hab alles Geld ausgegeben für Anwerbungen und Gerät und muß warten, bis neues kommt von Wien. Wollt ihr das Pferd? Küh sind mir wichtiger.“
Auf einmal lachten sie beide über das ganze Gesicht wie unter einer Sonne. Einen Gaul? Ha, ja! Sie hatten ihrer Lebtage noch kein so rares Tier gehabt.Brauchten nicht mehr zu melken und zu grasen, und konnten nach Feierabend darauf spazieren reiten.
„Magst du, Hans? Ha, also. Ja, Herr, wir wollen schon. Ist wahrhaftig ein vornehmer Tausch. Hat's aber auch nicht den Dampf oder den Spat?“
„Darfscht es anschauen. Ischt mein Seel ein Pferd,
Sie guckten betrübt und geschlagen vor sich auf den Boden. Der Herr hatte wieder recht. Daß der andere das Pferd am Zügel nahm und darauf den Herrn spielte,das konnte natürlich keiner ausstehen. Sie sagten kleinlaut, sie seien es zufrieden, und der Oberst trieb sie nun auf, daß sie im Namen des Kaisers in den Saustall kamen. Die Jungfern machten ein Nachtessen zurecht, und die beiden Tölpel bekamen etwas davon durch das Loch geschoben. Die Kühe im Stall hatten sich klugerweise selber los- und an den Heustock gemacht; denen fehlte nichts, als daß ihnen die Milch weh tat. Davon half ihnen der Oberst, und die Jungfern halfen diesem davon. Die Rüpel mußten angeben, wo sie das Bier hatten, so floß auch für den Obersten noch ein Extrabrunnen, und männiglich kam diesen Abend mit fröhlich gespanntem Bauch zu Bett.Aber die Jungfrau Therese bekam eine schlechte Nacht,weil sie in ihre Milch hinein noch eine Kanne Rüpelbier versuchte.
Des andern Morgens um vier Uhr machte der Oberst Tagwäche. Die Kühe wurden gemolken und
gefüttert, die Karre aus dem Schopf gezogen und die Betten der Rüpel samt Tisch und Bank
und allem beweglichen Gerät darauf geworfen, das Vieh sodann vor die Karre gespannt, ein
Eimer Bier zwischen dem
Die drei Gaudiebe wurden am vorbestimmten Ort getroffen samt den Schustersleuten, über
die sich der Oberst verwunderte, aber nicht lang; er wußte aus Erfahrung, wie das nachher
aussieht, wenn man einen Zug gezogen hat, und ließ die Sache auf sich beruhen.Die Brüder,
die immerhin einen beklommenen Tag hinter sich hatten, sahen, daß er Umstände merkte und
trotzdem nichts dazu sagte, und vermehrten ihren Respekt vor der Weisheit dieser
Obrigkeit, obwohl sie ihm im andern Falle reichlich zähnefletschend begegnet wären. Nach
geschehener Meldung und Lügenpost wegen der Schustersleute schlugen sie sich erleichtert
zu ihren Jungfern, und der Marsch ging nun mit voller Besetzung weiter. Der Oberst verfiel
zwar von neuem auf die tiefe Schwermut des Daseins, aber sonst ließ sich niemand leeres
Wasser im Mund zuRE
„Kommt ihr auch mit uns, ihr Männer, mit eurem Vieh und Gerümpel?“ sprach er sie an mit der herablassenden Leutseligkeit des Stadtbewohners. „Ich meine, nach Wullenhausen.“
Sie guckten ihm einen Augenblick tief versonnen ins Gesicht, und nickten mit den großen Köpfen: ja,sie kämen auch mit. Drauf ließen sie die Köpfe wieder hängen.
„Das ist recht,“ ermunterte der Schuster väterlich.„Man muß es loben, wenn Leute arbeiten wollen. Wir kommen euch dafür auch helfen. Wir bringen euch das Wort Gottes, und die Lehre, und die Obrigkeit; das wird euch erst den Buckel rund machen. Was ich bin,so hab' ich nichts übrig für die schwere Arbeit; ich werde euch den Küster abgeben. Aber warum hinkt ihr denn so erbärmlich, ihr Männer, und sehet zu Boden?“
Sie hoben nacheinander wieder die Gesichter und guckten ihn mit Achtung an, weil er so genau wußte,was er wollte, und alles so behende sagen konnte. Das brachten sie zum Beispiel nicht fertig.
„Ja, Herr,“ erwiderte der Knabe Jochen: „Ja, Herr,Schaffner, Der Vote Gottes
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„Das ist so oder so,“ erwog der Schuster. „Aber warum habt ihr denn im Saustall geschlafen?“
Jochen sah weinerlich aus.
„Weil's der Kaiser befohlen hat über uns. Der Junker hat den Bescheid gebracht.“
„So? Weshalb hat das der Kaiser über euch befohlen?“
„Weil wir nicht einig werden konnten,“ antwortete der Knabe Hans, „wer von uns die Betten schütteln und den Brei kochen soll. Keiner will der Mann im Hause sein. Und wir sind doch Brüder. Man soll nicht zanken, sondern arbeiten.“
„Hat euch der Junker auch die Knochen verhauen vom Kaiser aus und die Gesichter gemalt?“
„Nein, das haben wir selber getan. Aber der Kaiser hat uns unsere Viecherei melden lassen. Jetzt müssen wir dafür zwei Jahre und einen Tag für ihn arbeiten in Wullenhausen; dann kriegen wir Weiber und Geld,und kommen voneinander.“
„Sieh da,“ verwunderte sich der Schuster, und dachte lebhaft. „Schau an, ihr kommt
voneinander.Das ist gescheit vom Kaiser. Was meint ihr, wenn ich zwei Jahre und einen Tag
bei euch die Glocken gezogen hab', ob ich dann auch von meinem bittern Weib komme, und sie
von mir? Bei uns ist es umgekehrt.Ich wäre nämlich gern der Mann im Haus und kann ihn
nicht werden; bei uns will keins das Weib sein.
Die Rüpel betrachteten ihn mißvergnügt. Nun merkte man deutlich, daß dieser Kerl aus der Stadt nur ein leichter Wicht war.
„Das kann keiner verstehen, der aus der Stadt kommt,“ schnitt Hans hochmütig und verachtungsvoll das weitere ab und spuckte aus. „In der Stadt hat niemand was, und sind sie alle Windbeutel oder Spitzbuben, wie man an Euch sieht; Ihr seid ein Windbeutel. Ihr mögt schon bei uns die Glocken läuten, auch zehn Jahre, nicht nur zwei; ob Ihr damit von Eurem Weib loskommt, das wissen wir nicht.“
Jochen war ganz mit seinem Bruder einverstanden.Der Kerl war ein Windbeutel; und Küster mochte er wirklich sein, so lange er wollte; das kümmerte ihn nicht. Aber wie nun sein Kopf auf das Praktische und Ausführbare gerichtet war, so brachte er den Respektsrückgang umgehend in einem Vorschlag zum Ausdruck.
„Ihr könnt uns aber einmal eine Zeitlang die Kühe führen, lieber Herr,“ blinzelte er ihn freundlich an, „daß wir uns ein wenig am Wagen hinten nachziehen lassen können und ausruhen, denn Euch sind keine Knochen zerschlagen, und Ihr habt auch nicht im Saustall geschlafen. Nehmt sie nur einfach da am Strick, und die andere auch, und geht in der Mitte voraus, so laufen sie Euch von selber nach. Wir kommen dann wieder.“
Der Schuster hatte den Strick in der Hand, bevor
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Bei dieser Mittagsrast war es, daß sich der Schuster an des Obersten Hund und dann an den
Obersten machte. Er habe von den Bauern das und das vernommen, brachte er vor, was ihm
sehr gefalle. Wie es nun sei, ob ihm der Oberst nicht beim Kaiser er
wirken könne, daß er auch mit seinem Weib auseinander dürfe, bevor er zu einem toten Mann werde über ihren Forderungen und großen Ansprüchen; er wolle gern der Gemeinde dafür zwei Jahre und einen Tag die Glocken ziehen. Es komme ihm natürlich nicht auf eine Glocke mehr oder weniger an, wenn nur der Kaiser ein Einsehen haben wolle.
Der Oberst machte zuerst ein saures Gesicht über den Angang und wollte nichts davon wissen. Der unnütze Kerl mißfiel ihm, und er hatte auch staatspolitische Bedenken gegen die Einrichtung. Aber der Schuster fing an vorzustellen und zu versprechen, legte sich aufs Bitten und bekam Wasser in die Augen, so daß der Oberst schließlich murrte, er möge dem Kaiser einen Schriftsatz machen und nach Wien an den Hof schicken; er wolle ihn unterstützen, und so gut. Aber er solle ihm den Hund unpoussiert lassen; das könne er nicht ertragen von solchen Leuten.
M dem dritten Tag fingen die Brandruinen an eine häufigere Sache zu werden längs des
Weges,den die Karawane zog, aber Gärten und bebaute Felder eine seltenere. Es roch nach
Pulverdampf, und was ein waches Auge war, das stellte sich auf Mißtrauen ein. Weil die
schlechten und ewig hungrigen Marodörseelen der umgekommenen nordischen Glaubensstreiter
noch zu Tausenden unerlöst im fremden Land um
Der Oberst verbrachte diesen Tag auf dem Rücken seines Roßbocks ernsthaft und wortkarg.
Nach jedem
Ihm schloß sich der Lizentiat an mit einem allgemeinen Abriß der Sittenlehre und
Heilsordnung, wie er sie in Wullenhausen aufzustellen und durchzuführen gedenke, und gab
den Brüdern einen Begriff vom spezifischen Gewicht und der Dichtigkeit seines
evangelischen Eifers. Sie sahen dazu ziemlich bedenklich drein, weil es ihnen scharf und
kitzlich zu sein schien, und wenn es auf sie angekommen wäre, so hätten sie am liebsten
ohne Pfaffen weiter gemacht, wie sie auch ohne Pfaffen in die Welt gekommen waren. Bei
näherer Prüfung merkte der künftige Seelsorger, daß sie nicht einmal etwas von den
Sakramenten wußten und den Herrn Christ nur als einen entfernten merkwürdigen Bruder im
Gedächtnis hatten. Konfirmiert waren sie auch nicht,und wahrscheinlich hätten sie in ihrem
Leben noch
Nachher war der Leutnant so gefällig und entwickelte den Lümmeln seinen Feldzugsplan
gegen die Strauchritter in den Wäldern, und gegen die Wölfe,mit denen er so exemplarisch
aufzuräumen gedachte,daß es sie bei seiner Beschreibung vor Freude zu kitzeln anfing. Erst
schmunzelten sie, und Hans begann sich den Rücken zu scheuern, weil er davon die
Nesselsucht bekam. Dann taten sie ein seelenvolles Grinsen auf,und schließlich konnten sie
sich nicht mehr halten vor Pläsier über alle die gehangenen Spitzbuben und totgeschlagenen
Raubtiere, die ihnen der Leutnant vorstellte, und platzten mit einem ungeheuren ländlichen
Gelächter an den schönen Tag heraus. Sie wieherten und kreischten und wurden sofort blau
im Gesicht. Sie polterten alle Treppen und Stufen der tölpelhaften
Es ging um jene Tageszeit, von der man nie weiß,ob man noch Nachmittag oder schon Abend
zu ihr sagen soll, daß der Köter Stummel, der vorn beim Obersten trabte, die Nase in die
Luft streckte und Laut gab, und der Oberst sich in seinen Steigbügeln aufrichtete und mit
vorgeschützter Hand Ausschau hielt. Er setzte sich zwar wieder in den Sattel zurück, blieb
aber von da an in angespannter Haltung, und reckte sich in der Folge noch öfter hoch,
woraus die Gesellschaft richtig schloß, daß Wullenhausen in Sicht sein müsse; aber es
gewahrte niemand etwas davon, nicht einmal den Kirchturm. Fragen konnte man nicht, weil
Ruodi heut den
Mittlerweile stand der Lizentiat vor einem blaubraunen Kerlchen mit einem kleinen
rostigen Säbelchen,mit dem es aber focht und fuchtelte wie sieben Teufel,daß es dem
Sauren, der doch auch eine gute Klinge führte, ganz miserabel zumut wurde. Er kam sich vor
wie ein Baum im Wind mit seinen schönen, wohlbedachten Auslagen, Primen und Terzen, von
denen er keine einzige an den Mann brachte, während der blonde, blauäugige Feldteufel
immer emsig darauf los
Das wickelte sich in ziemlich kurzer Zeit ab. Als der Leutnant von der Bändigung des kleinen Blonden dazu kam, war schon alles geschehen. Der Oberst hatte nicht viel dabei tun können, weil der Roßbock unter ihm den Glauben an das guüte Spiel verloren und angefangen hatte, Kapriolen zu schlagen. Der Rote stach und biß nun zwar noch etwas Erkleckliches um sich, doch war er an einer Hand stark engagiert und mußte schließlich Gewalt erfahren; aber er nahm keinen Pardon, sondern ließ wie ein gefangenes Wildschwein alles mit stummer, tückischer Wut über sich ergehen.
Am Ende gedachte man des Bauern, der im Gestrüpp verkehrt an einem Baum gebunden hing;
man ging ihn suchen, fand und erlöste ihn. Es war weiter nichts mit ihm, als daß ihn die
Strick und verschiedene Prügelmale schmerzten, auch klagte er über Kopfweh,worüber sich
niemand wunderte. Im übrigen hatten die Buschklepper eben erst anfangen wollen, ihn recht
zu schinden, weil er ihnen einen nagelneuen Bruder totgeschlagen hatte. Der Streit war
über Schafe losgegangen, die sie von der Weide treiben wollten. Er hieß Daniel und war der
Bauer von Wullenhausen. Als er von seinen Befreiern auf den Kampfplatz geführt wurde,sah
er seinen entlaufenen Panduren mit einem tüchtigen Pferd am Zügel und in einem betreßten
und besternten Rock vor der Leiche des guten Hundes Stummel stehen und auf die leeren
Zähne beißen, daß es Wülste setzte an den Backen. Man führte diesem den Bauern vor
Darauf zog man in das verbrannte Dorf ein. Voraus ritt der kaiserliche Oberst, hoch zu Roß, mit Tressen und Sternen, aber düsteren Angesichts und in einer Art von auffälliger Einsamkeit, weil nun nicht mehr der gute Hund Stummel an seiner Seite trabte. Dem Obersten folgten in kurzem Abstand die Kavaliere, diesmal nicht neben ihren Jungfrauen her, sondern mit gezückten Degen zu Seiten der gefangenen Buschklepper,von denen drei doch immer noch ziemlich mobil waren,nämlich der rote Ketzer, der kleine blonde Feldteufel,und der dicke Hauptmann. Diesen hatte der Süße zwar erheblich gekniffen, aber nicht von Blut gebracht,während der Lange mit steifen Knien und nur noch D und innig um baldiges Quartier betete. So paßte der Süße fleißig dem dicken Hauptmann auf und der Saure dem kleinen Blonden, aber der Leutnant ging munter und unauffällig neben dem roten Ketzer her und schielte nur ab und zu aus den Augenwinkeln an ihm vorbei;der Rote merkte bald, daß er den glorreichsten Wächter bekommen hatte, und gab auch den letzten Trumpf verloren. Er hätte nur noch gern dem naseweisen Schuster eins ausgewischt, der jetzt breitspurig und
Schaffner, Der Bote Gottes
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Den Kavalieren folgten die Jungfrauen mit der Schusterin, aber nicht zu dicht, weil sie dem Frieden immer noch nicht trauten. Hinter diesen kamen die beiden Rüpel mit ihrer Karre. Und den Beschluß machte der Bauer Daniel, der an seiner Verwunderung über das Gesehene und Gehörte herumrechnete und sich nicht denken konnte, was es zu bedeuten hatte.
Auf dem Dorfplatz machte der Oberst Halt, wandte sein Pferd herum und erwartete den Zug.
Hinter ihm wölbte sich der geschwärzte Torbogen, durch den er unter der Begleitung der
hundert Köter den Hof des Bauern Daniel zum erstenmal betreten hatte. Der Geruch des
Roßbocks brachte die von den Mahlzeiten noch übrig gebliebenen auch jetzt wieder auf den
Schauplatz; als sie herauskriegten, daß der wohlbekannte Pandur obendrauf saß, hielten sie
ihr Temperament zurück, setzten sich abwartend auf ihre Schwänze, und gelangten mit ihren
Empfindungen für diesmal nur mit einem zwar grundsätzlichen, jedoch gänzlich
anspruchslosen Gebelfer und Winkelgeschrei zum Ausdruck, das durch den Ton seiner Sanftmut
die Bewohner des Hofes aus ihren Verstecken hervor lockte und aus dem Tor zog. Die Jungen
erkannten an den feldwegblonden Schnurrbartenden, die ihm unter den Ohren hin reitermäßig
in die laue Abendluft stachen, ihren vermißten Freund, und alsobald war dieser Heiland zu
Pferd
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is der Zug am Platz war und Aufstellung geA nommen hatte, begann der Bote Gottes eine Rede.Die Rechtslage war ihm völlig klar. Es handelte sich um die Bande, die ihn vor einem Vierteljahr am Waldrand ausgezogen und verwandelt hatte. Damals waren sie Werkzeuge der Vorsehung gewesen, aber heute waren sie keine Werkzeuge der Vorsehung, sondern attrappierte Marodöre und Buschklepper, über denen das Schwert der Gerechtigkeit hing. Er prüfte sich streng, und es lebte keine Spur von persönlichem Rachegefühl in ihm,noch eher eine Art Wohlwollen aus Dankbarkeit, heiliger Eifer des Gesandten, und darüber die stille Flamme der Erkenntnis.
„Kavaliere und edle Fräuleins,“ hob er an. „Ihr sehet, daß ihr jetzt im Dorf Wullenhausen
seid, von welchem ich euch in wahrhaftigen und ernschten Ausdrücken geredet und gesagt
habe, daß es verbrannt ischt und niemand gehört. Vielleicht haben es die Schweden
angezündet; vielleicht haben es die Kaiserlichen getan.Dieses ischt gleich und immer
dasselbige unvernünftige Wüschtentier, nämlich der Mensch. Sie geben vor, sie wollten über
den wahren Glauben vom Leder ziehen und fangen sogleich an zu schtehlen, plündern und
mordbrennen.Aber wieder aufbauen tun sie nicht, sondern verzehen den Raub in
Gottlosigkeit, wo sie nicht vor Zeiten totgeschlagen sind, und lassen die Trümmer liegen.
Da muß der Kaiser ein Einsehen haben und den Bauern vorführen, welcher nicht mit seinem
Glauben laut ischt, sondern die Erde
Die Räuber wurden gebracht, und das Atemanhalten ward nun eine allgemeine Sache, während der Schweizer mit seiner Rede fortfuhr.
„Ihr schädliche und niederträchtige Gesellen seid erwischt und gefangen über Räubereien
am hellen Tag.Ihr wisset von euren Köpfen und Hälsen, daß ihr von Rechts wegen Beil und
Strick darüber verdient habt.Ihr habt den Bauern Daniel an einen Baum gebunden und habt
ihn schinden wollen; dafür seid ihr gar dem schmerzhaften Rad verfallen. Aber ich bin des
Hängens und Räderns verleidet und will es einmal anderscht probieren. Schaut auf. Gelobet
mir
Weil diese Ansprache des fantastischen Schweizers,die er im natürlichen Sinn und im Namen
des gesitteten Daseins an die Versammlung richtete, nicht sowohl aus einem spintisierenden
Kopf kam, sondern noch viel mehr aus einem erregten Gemüt und aus den religiösen
Hintergründen eines naiven blutwarmen Kulturwillens, und weil aus seinen Worten die Stimme
des Sohnes klang, die für den Vater wirbt, so blieb davon
Er gab auch eine Begründung des Urteils.
„Ischt hier einer, der da schteht, der nicht weiß und schpürt in seinem Herzen, daß das
gute und getreue Wesen nur da gemacht werden kann und gedeihen bei den Menschen, wo man
Werke der Arbeit hervorbringt und hinschtellt, und wo einer dem andern trauen kann? Nicht
wahr, was nützlich und fromm und lieb ischt, das erschtreben wir von Herzen und hangen ihm
nach, ein chrischtliches Haus, ein gesundes Vieh im Schtall, ein braves Feld, ein Weib und
wohlgeratene Jugend drum herum. Davon kommt uns Freude und Lachen und offener Kopf, und
werden unsere Augen hell, daß wir nun Musik machen und singen und tanzen mögen, und wir
werden nur immer besser, und dann, so glauben wir an Gott und danken ihm, daß er seinen
vernünftigen Willen in uns gelegt hat. Aber was sollen wir machen mit den wilden Sauen und
Wölfen, die unsere Saat verwüschten und unser Vieh abwürgen? Und mit den Bösewichtern, die
unserm Werk feind sind und mit dem Messer zwischen unsre weißen unschuldigen Kindlein und
Lämmer fahren?Bei Gott dem Herrn, wir fangen sie und schlagen sie
Das war das zweitemal, daß der Schweizer mit der Stimme Gottes sprach. Es gab außer dem roten Galgenvogel niemand unter der Zuhörerschaft, dem es nicht aufs Haar so schien, wie er es darstellte, und sie wurden alle von einem heiligen Grimm gegen die Bösewichter erfüllt, die den Frieden verachteten und das Werk der Guten schädigten. Sie nahmen den roten Schächer und schleppten ihn nach der nächsten Ruine,wo ein Balken einladend in den Raum hinausstach.Der Lizentiat versuchte noch schnell mit der abscheidenden Seele zu reden; der Delinquent sagte, er solle ihm den Buckel hinauf steigen. Bereits war der vorwitzige Schuster auf das Gemäuer geklettert, um den Strick über den Balken zu werfen. Zu seinem Leidwesen brachte er hernach die Nase zu dicht zur Exekution. Als der Sünder schon eine Weile in der Schlinge hing und man dachte, es werde fertig sein mit ihm, trat jener aus freien Stücken hinzu, um ihm von unten nach den Augen zu sehen; dabei bekam er unversehens einen Absatz in die Zähne gestellt, an dem kein schlechtes Leder war. Der Spaß verdarb ihm das Interesse und die reine Freude an der gegenwärtigen Handlung; aber der rote Halunke hatte seinen letzten Wunsch erfüllt und gab zufrieden den Geist auf.
Nachdem dies geschehen war, stellte sich der Oberst
„Dieses ischt die Schule und die Wohnung des Magischters,“ erklärte er dem Süßen. „Die Mauern sind noch gut; man muß nur allmählich Fenschter einsetzen und Ziegel auf das Dach bringen, so kann man mit dem Unterricht anfangen. Hinten hinaus sieht man auf die Berg; es ischt eine sehr schöne und kurzweilige Lage. Einen Schlüssel brauchet Ihr nicht; das Haus ischt dato offen.“
Er überließ den Magister und die Honorität ihrem Erstaunen und ritt weiter. Er kam zum Bach, bog davon links ab und hielt zum zweitenmal vor zwei noch ziemlich erhaltenen Hofstätten. Er wartete, bis die blonden Lümmel mit der Karre nachgekommen waren, und hieß sie antreten.
„Dieses ischt euer Unterkommen,“ bedeutete er sie.„Ihr habet vordem nicht so breit gesessen. Du Hans ziehscht mit der rechten Kuh in das rechte Haus, und du mit der linken Kuh in das linke Haus. Du kriegscht den Langen als Knecht, aber Jochen kriegt den Dicken. Der Kleine kommt zum Bauern Daniel.“
Mittlerweile war der Süße von seiner Verblüffung zurücke und mit der besseren
Gesellschaft dem Obersten nachgekommen; es summte irgendwie darin wie in
„Dieses ischt das Pfarrhaus und die Kirche,“ erklärte er. „Sie sieht nicht zum beschten
aus und man muß den Turm ganz neu bauen, das Schiff nicht;wenn man die Wetterseite mit
Brettern verschlägt, so kann man gleich mit predigen losfahren darin, wenn man will. Das
Haus ischt aber ganz gut im Schtand auf der hinteren Seite, und die Fräuleins sollen darin
wohnen, bis es vorn ausgeräumt und wieder eingerichtet ischt. Die Kavaliere müssen bis
dahin in der Schule haushalten. Ich bin beim Bauern Daniel.Und wir wollen wacker
angreifen, so kriegen wir einen Zuschtand in Gang hier. Morgen wollen wir aufs Feld hinaus
miteinander.“
„Ich verschtehe das nicht,“ erwiderte er und sah wirklich völlig unschuldig aus. „Ihr könnet eure Gebeine doch jetzt zur Ruhe legen; ich habe euch ja eure Quartiere gezeigt. Gehet nur in die Häuser und Gott sei mit euch.“
Die Kavaliere erblaßten wie Ein Tuch. Es war nicht daran zu zweifeln, daß der Oberst sich über sie lustig machte. Andererseits hing so viel Wesen und Beziehung drum und dran, daß sie doch nicht so rasch mit der Schärfe des Gegenwortes zustande gerieten,wie sie es sonst von sich gewohnt waren. Währenddessen kam ihnen der Schuster von seiner Seite zuvor.Er fiel zwar fast um vor Schmerz, aber seiner Fantasie tat das weiter keinen Eintrag. Er drehte dem Obersten seine blutrünstige Stadtschnauze zu, schielte ihn entsetzlich an und erhob seine Stimme.
„Ja, he, und wo soll denn ich bleiben? Wo ist mein Haus, he? Wo ist meine Küsterei? Ich kann auch keinen Turm sehen mit Glocken, die ich läuten soll, damit ich von meinem bittern Weib loskomme,wie Ihr mir versprochen habt, daß Ihr beim Kaiser bewirken wollt. Ich muß Euch sagen, ich will sogleich zu läuten anfangen, daß ich nicht einen einzigen Tag verliere. Sehet zu, daß ich zu meinem Recht komme,sonst wollt' ich doch lieber, man hätte mich im Stockhaus gelassen.“
Diese Rede brachte die Verhandlung in Fluß. Die Kavaliere gifteten sich, daß der
Windbeutel auf ihrer
Der Oberst erkannte da immer noch keine Neckerei.Sie sollten ihm sagen, womit sie geneckt
seien, so könne er ihnen vielleicht helfen. Sie konnten nun nicht mehr tiefer erbleichen,
und fingen mit den gelben und grünen Farben an. Womit sie geneckt seien? Tod und Teufel,ob
das nicht einen Menschen und dazu Notabeln necken heiße, wenn man ihm eine Pfaffei
verspreche und ihn vor einen Dreckhaufen stelle? Wenn man ihm eine Schulmeisterei
vorzaubere und ihn in ein leeres Brandloch kriechen heiße? He, wo denn nun also das
Gesinde sei? Und wovon man hier leben solle? Bei Gott, wenn es auf diese Fragen keine
hübsche Antwort gebe, so wolle man beweisen, daß man sich auch vor einem kaiserlichen
Obersten nicht weiter geniere, wenn es sich darum handle, eine bucklige Rechnung eben zu
machen. Und auf den Kaiser mit seinem Frieden sei
Die Lockvögel gingen von dem Süßen aus, und die Jungfrau Therese bezog einen davon auf sich. Sie hatte wie alle Leute, die zum stillen Wohlleben neigen,eine dünne Haut, und war nun sehr empfindlich über den Stich. Sie hob sogar die Augen vom Boden,reckte ihre Gestalt ein wenig auf und raffte den Rock zusammen.„Liebe Schwestern,“ sagte sie, „ich bin nicht der Meinung, daß wir. können Lockvogel genannt werden und es uns müßten gefallen lassen. Es ist wahr, wir besitzen nichts infolge des Unglücks, das die Schweden über uns gebracht haben. Aber wir haben doch auch nicht gesehen, daß die Junker groß Gut hätten. Uns ist eine Mitgift vom Kaiser zugesagt. Ich denke, wir haben unsern aufgegebenen Paktus erfüllt und dürfen sie an uns ziehen. Alsdann wollen wir uns weiter begeben, weil wir beleidigt sind und gering geachtet.Wie dünkt euch das?“
Sie konnte so reden, da sie im Grund nicht den Magister meinte, sondern den guten Tag,
der etwa bei ihm stand. Weil sie von der Laune gebracht war,wirkte diese Differenz sofort
aus ihr heraus; das übrige tat das Ritterblut dazu. Der Süße war aber kein Ritterblut,
sondern ein ganz armer Tagedieb und Habenichts, erschrak mörderlich über dies Gerede, und
betrübte sich bis auf die Hosensäume herunter. Er guckte
„Die Jungfer macht sich plusterig,“ stellte er spöttisch fest. „Ich will wirklich nichts danach fragen,ob wir etwas haben oder ob die Fräuleins etwas haben.Mich dünkt, wir hätten alle miteinander nichts. Aber es steht in meinem Sinn so, daß es mir hier gefallen will und ich bleiben mag. Hat einer sonstwo goldne Berge stehen, der gehe sie suchen. Und mag mich ein Mädchen nimmer, so nehme ich mir ein anderes. Das ist meine Meinung.“
Das Wort war wieder bei der andern Seite. Die Jungfrau Philippine riß es erglühend an sich und begann augenblicklich damit fortzulaufen. Sie warf im Fliehen einen schrägen Hühnerblick zum Himmel hinauf, sagte dem Leutnant eben noch schnell ins lächelnde Gesicht, daß sie ihn für einen ausgemachten Kujon und schlimmen Buben estimiere, nach dem sie nicht mehr die kleinste Nachfrage halte, und daß er ihr in den Schuhen könne gestohlen werden. Sie schlug einen Arm vor die Augen, krümmte den Rücken, zog den Kopf ein und gab einen weiten und breiten Liebesschmerz aus,der wie ein Juniunwetter in die versammelte Bergwelt hineinfuhr.
Dem Leutnant wurde es ein wenig schwül bei der
„Ihr Herren, streitet euch nicht,“ ermahnte sie, „denn es hat keinen Wert mehr. Vielleicht seid ihr geneckt,aber es scheint mir, als ob ihr nicht viel zu räsonieren hättet. Wahrscheinlich hat man euch schon in der Wiege geneckt. Nun, ihr könnt gehen, wohin ihr wollt. Das können wir nicht, sondern wir wollen umkehren von euch. Ich meine nicht, daß wir euch nötig hätten.Ihr wißt, wer wir sind. Wir wissen nicht, wer ihr seid. Wir haben es uns bei euch gefallen lassen. Ihr habt den Kontrakt umgestoßen, das ist eure Sache.Wir wollen in dieses Haus gehen, Schwestern. Man hat sich übel erzeigt an uns.“
Die Dinge standen für den Boten Gottes nicht mehr so bedrohlich. Er hatte geduldig dem Spiel von Grundsätzlichkeiten zugesehen und sich nur betrübt über den unfriedlichen Zustand dieser Seelen. Jetzt ritt er seinen Roßbock gegen das Pfarrhaus, gängelte ihn zwischen
Schaffner, Der Bote Gottes
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„Bleibet noch hier, ihr Jungfrauen,“ sagte er und zeigte ihnen ein Gesicht, aus dem der
ganze Gram und die schwere Trauer des vereinsamten Erlösers herausdämmerte, und das
jedermann zu einer neuen Art von Aufsehen zwang. „Und ihr Herren laßt das böse Blicken
sein. Ihr habt heute alle schlechte Sitten gezeigt und sehr rauhe Gemüter, und ich muß
euch tadeln.Ihr habt euch nicht aufgeführt wie die Friedensbringer,sondern wie zornige
Schweden und übelnehmer. Und ihr seid doch Ritterfräuleins und Kavaliere. Ihr habet
einander plötzlich beleidiget und wisset gar nicht warum.Und bis dato habet ihr einander
lieb gehabt. Jetzt tut es euch leid; ihr beißet auf die Schnurrbärte und schämet euch. Und
die stolzen Fräuleins haben das Wasser in den Augen. Ihr scheltet mich, daß ihr keine
fertigen Häuser und Versorgungen antreffen könnet hier.Ich frage euch, was habet ihr etwa
besseres verlassen darum? Und wäret ihr etwa doch nicht des guten Willens, für den ich
euch gehalten habe in aller Einfalt, daß ihr euch selber gern eine Gegenwart schaffen
möchtet unter dem blauen Himmel? Ischt Gott der Herr der Welt fertig begegnet? Und ihr
wollt euch nur ins Fette setzen und zu wohlleben anfangen? Hat Chrischt der Sohn die Welt
im erlösten Zuschtand angetroffen? Und ihr wollet gleich anfangen zu herrschen
Er hatte zum drittenmal Worte Gottes geredet, saß da auf seinem Roßbock und horchte ihnen nach, und es blühte davon eine stolze und schamhafte Bescheidenheit in seinem Kopf. Er schmeckte gleichsam von fern die gnadenreiche Süße der Auserwähltheit, und das schwere Glück der erfüllten Botschaft sank ihm dunkel auf sein braves Prophetenherz; davon wuchs ihm noch eine kleine Angstlichkeit zu, die aber nicht vorhielt,sondern sich in einem befreiten und unbegreiflich einsichtigen Lächeln in seinem Gesicht erlöste.
Es fand sich, daß nun doch allerlei Augen und sonstige Sinne aufgegangen waren, geöffnet
von der sanften Engelshand einer noch kaum geahnten höheren Sittlichkeit, und daß in den
störrischen Kreis Nachdenklichkeit einzog, während man noch eben daran 0*
Der Oberst ging aber noch diesen Abend mit den Kindern dahin. Er machte ihnen wieder ein Feuer,spielte ihnen den flammenden Teufel vor, sang, was sie hören wollten, ungarisch und kroatisch, und jodelte,daß ihnen die Köpfe klangen und die Nachthasen auf dem Feld das Frieren ankam davon.
ls der Oberst auf dem Nachhauseweg wieder an A den Bach kam, schickte er die Kinder
voraus und unternahm noch einen Rundgang durch das Dorf. Die Schulmeisterei lag ruhig; die
Kavaliere hatten ihr Stroh aufgesucht und schliefen bereits den ersten köstlichen Schlaf
der Wegmüden. Auch im Pfarrhaus herrschte Stille. Der Oberst wußte, daß dort zwei
ordentlich breite Bettstellen mit Strohsäcken standen, und daß die Jungfrauen darum nicht
am schlechtesten aufgehoben waren; übrigens konnten sie wirklich nicht verwöhnt sein. Als
er sich dem Haus näherte, in dem er die Schustersleute untergebracht hatte, sah er die
Schusterin unter der Haustür sitzen und weinen. Es gab ihm einen Stich, gerade diese Frau
weinen zu sehen. Er dachte unruhig nach, woran er es etwa habe fehlen lassen, ihren
Zustand zu erhöhen, besann sich, daß sie eine Mutter war, die man von ihrem Kind entfernt
hatte, erschrak auf eine gewisse verstehende und durchbrechende Weise, und schlich sich
verlegen vor ihr vorbei.Aber es stand ihm fest, daß man diesem Weib helfen mußte. Man
mußte ihr ebenso helfen, wie man der
Er hätte fast seine beiden Rüpel vergessen über diesen Betrachtungen, erinnerte sich
ihrer noch im letzten Augenblick und erlebte sofort eine neue Unzufriedenheit mit ihnen.
Denn da er nun gegen ihre Häuser kam,standen sie immer noch mit den Kühen an den Halftern
bei der Karre auf der Straße, hatten ihre Knechte an die Räder gebunden und sich wieder an
den Bärten und zankten um die Karre. Der Knabe Hans war durch den Knaben Jochen um einen
Wischer Bart gebracht,und Hans nahm eben Jochens Kopf in die Hände und biß ihn ins Maul.
Der Oberst trieb sie auseinander, tadelte sie und entschied, daß die Karre der Gemeinde
gehöre, bis man jedem seine eigene werde beschafft haben. Das ließen sie sich gesagt sein;
sie lösten ihre Knechte von den Rädern und schoben sich,jeder mit einem Knecht und einer
Kuh am Halfter, unter Dach. Der Oberst teilte ihnen den Hausrat aus, und nachher gingen
sie noch mähen. Der dicke Räuberhauptmann mußte ihnen die leere Karre nachziehen; der
Lange pflegte seine wunden Schenkel. Die kleine Margareta war unterdessen bereits mit
Leinwand und Wundbalsom angekommen, hatte den armen Schelm verbunden und ihm nett
zugeredet, und so wirklich ihre Mission der Charitas im Dorf eröffnet. Nun mähte Jochen
links vom Bach und Hans rechts; Hans lud vorne auf und Jochen hinten, wie es der Oberst
angeordnet hatte. Dann zerrte Jochen mit dem Dicken die beladene Karre nach Hause, und
Hans schob hinten.
„Hast du sie nicht gesehen in der Stadt?“ fragte er dann mit halber Stimme und von allem Klang und Schein verlassen.
Der Oberst überlegte. Dem mußte man die Lichter langsam anstecken, sonst schadete man ihm an den Augen. Er räusperte sich. Ob sie nicht doch im Streit voneinander gekommen seien? Sie wollte ihm einmal keinen Gruß mitgeben; nur nach den Kindern habe sie gefragt und nach Hund und Katz. Aber jetzt sei ja eine andre Magd da, und so gut.
Der Bauer schüttelte den Kopf. Daran war gar nichts gut; das Mädchen war ein Luder. Die
Christine sei den Bälgen auch nicht grün gewesen, aber sie habe sie doch nicht regiert,
daß sie schon bald alle stotterten,wenn sie sie nur sahen. Arbeiten konnte die ja, der
Christine zum Trotz, und proper war sie für sieben Wasserhexen, jedoch was half das, wenn
es die unmündige Kreatur auszubaden bekam? Die Katzen vergiftete sie mit Grünspan, und ein
Hund getraute sich schon gar nicht mehr auf den Hof; die waren nun vollends ver
So sah es aus um den Bauern Daniel, und der Oberst wunderte sich jetzt nicht mehr, daß der noch einmal um ein kleines Kindergewicht abgenommen hätte,seit er von ihm weg war. Aber nun schien es Zeit,mit seinem Trost aus dem Sack zu fahren, daß es so und so und auch elend genug zugehe mit dem Mädchen Christine, und daß sie bei Tag und bei Nacht nichts besseres wünsche, als wieder auf dem Bauernhof zu wirtschaften, völlig jetzt, wo es keine Hunde und nur noch wenig und ängstliche Katzen gebe. Vor allem müsse der Bauer freilich das Mädchen heiraten,daß es eine Feschtigkeit werde in dieser Liebe, und ein rechtes chrischtliches Hauswesen, an dem der Kaiser seine Freude haben könne.
Sie sprachen noch dies und das über den Fall;der Schweizer erzählte und der Bauer tat einmal eine halbe Frage darüber weg, die der andere einfangen und für ganz beantworten mußte. Darauf saß der Bauer, schwieg und rechnete, kam schließlich zum Ergebnis, daß es mit dem Roggen noch drei Wochen dauern könne, aber alsdann, wenn er drinnen sei, wolle er vielleicht einmal nach dem Mädchen Christine in der Stadt sehen gehen. Und dabei blieb es für diesmal.
Am andern Morgen nicht zu früh ging man nach Verabredung aufs Feld hinaus, um sich vom
Obersten zeigen zu lassen, wie man eigentlich in der Hoffnung saß, und wie man auf die
Büsche klopfen müsse, um
Der Bauer Daniel war zu Hause geblieben, um die Schafe zu scheren, damit, wenn ihm die
Räuber noch einmal darüber kamen und dann etwa ihre Absicht erreichten, er sie doch nicht
samt der Wolle verlor.Die junge Landstreicherin, die Helene hieß, war mit dem neuen
Knecht, den sie bekommen hatte, dabei, ein Rübenfeld zu hacken und zu jäten; auch von den
Kindern mußte alles einen krummen Rücken machen,
„Du muscht nicht so giftig sein, Helene. Arbeiten ischt gut, und ich habe auf diesen Feldern schon mehr gewerkt, als du in deinen Tagen zusammenbringen wirscht, denn du bischt nur sehr dünn; aber man muß es fröhlich tun, oder es beschießt nicht. Es ischt schön,daß diese Rüben doch noch gekommen sind. Ich habe schon geglaubt, sie sind meischtens verdorrt in der letschten Hitze. Du bischt aber ein meineidig hübsches Mädchen geworden in Wullenhausen.“
„Dann bin ichs nicht von Eurer Gnade“ erwiderte sie kühl. „Was Ihr in der Zeit geworden
seid, weiß man nicht.“ Sie besann sich, ob sie die Kinder noch einmal rufen solle, ließ es
und beugte sich wieder über ihre Arbeit.Der Oberst strich sich den Schnurrbart und ging
ins Feld hinein. Als er bei ihr ankam, tupfte er ihr mit dem Finger auf den Rücken, daß
sie sich erstaunt aufrichtete,und machte ein halb amtliches und halb privates
Gesicht.
Sie überlegte, daß er gestern den roten Kerl hatte hängen lassen und dachte, es müsse doch wohl etwas daran sein, konnte sich aber trotzdem nichts daraus machen, daß sie ihm gefiel, weil es nicht gegenseitig war.
„Dann ist das gut,“ sagte sie und betrachtete ohne Zuneigung seinen gänzlich schmucklosen Bauern und Kuhhirtenkopf, den er optimistisch zwischen den eckigen Schultern trug. „Ich wollte Euch damals nicht beleidigen; aber wenn Ihr ein rechter Ritter sein wollt,so müßt Ihr auch die Jungfern auf der Landstraße in Ruhe lassen.“
Sie drehte ihm zum zweitenmal den Rücken zu,und er setzte sich betroffen an ihr vorbei in
Gang, besann sich, daß er zur Gesellschaft zurück müsse und kehrte um. Diese Seele hatte
jetzt nicht nur keine Freude, sondern sie blickte ihn kalt und mit Abweisung an, und seine
frohe Botschaft bewirkte gar nichts bei ihr, obwohl sie ihm, das konnte er mit Wahrheit
sagen, allbereits am besten gefiel von allen Mädchen und Frauen, die er je gesehen hatte.
Es war ein Werk des Teufels, daß es so ganz andere Menschen geben konnte, von denen man
nichts verstand und die einem mit solchen Indianeraugen ins Gesicht schauen konnten.Fortan
trug er Trauer um die junge Landstreicherin,
Unter schmerzlicher Nachdenklichkeit führte er seine Kavaliere und Burgfräuleins die
Runde fertig und ins Dorf zurück, und fing dort mit ihnen endgültig die Restaurierung der
Gemeinde Wullenhausen an. Zuerst sah er nach dem Schlafzimmer des Schusters, der krumm
ging und fortwährend seufzte, und fand, daß man nur eine herausgeworfene Tür wieder
einzuhängen brauchte,so war dem Zugwind abgeholfen; dazu war der Schuster wieder zu
nichtsnutzig und bequem gewesen. Die Rüpel halfen sich selber und machten sich ohne
Aufenthalt an ihre Gärten, damit es wenigstens noch Rüben und vielleicht etwas Kraut gab
dies Jahr. Wenn ein guter Herbst wurde, so konnte man immerhin einen ganz braven Keller
besetzen auf den Winter. Sie faßten vom Obersten die Sämereien. Hans bekam statt des
Langen, der vorderhand noch arbeitsunfähig war, aushilfsweise den kleinen Ungar zugesellt.
Die Kavaliere machte der Oberst ebenfalls graben in ihren zustehenden Pflanzflecken, und
die zustehenden Jungfrauen gingen ihnen mit dem Samen nach, was sie wohl verstanden vom
Burggarten her. Der Oberst selber wirkte mit seinen Jungen an der Wiederherstellung der
Pfaffei und des Schulhauses. Sie vernagelten die Wetterseite der Kirche mit Brettern von
den Brand
Nachher aß man miteinander unter den Bäumen Spießbraten von einem Eber, den der Leutnant
im Wald gejagt hatte mit der konfiszierten Büchse des dicken schäbigen Räuberhauptmanns,
und dazu gab es Pilze und wilde Kirschen, auch Erdbeeren, was jedermann erbaulich zu Gemüt
ging, nur daß die Rüpel das Bier vermißten, und der nichtsnutzige Schuster fand,daß die
zahmen Kirschen vom Markt doch noch anders schmeckten. Am Nachmittag wurde eine
Kinderlehre in Schwung gebracht, wobei dem Lizentiaten zu seinem freudigen Grausen seine
schlimmsten Erwartungen in Erfüllung gingen. Er mußte den Kindern zuerst einmal sagen, daß
sie Menschen seien, und daß es außerdem einen Gott gebe, der sie gemacht habe, was sie ihm
freilich nicht glauben wollten; sie lächelten skeptisch und stießen einander an, doch als
er ihnen die höllischen Strafen über den Köpfen aufhing, wurden sie nachdenklich und
kriegten Besorgnisse. Die Rüpel, die auch dabei saßen und sich mitgemeint merkten, guckten
einander mit langen Gesichtern an, ärgerten sich, standen auf und stampften demonstrativ
aus der Kirche; das brauchten sie sich nicht gefallen zu lassen. Hingegen die
Landstreicherin Helene faßte Zuneigung zu dem schwarzen Predikanten, weil er ihr Richtung
im Leib zu haben schien und die Leute
Man begann nun erst recht die Brandstätten auszuräumen und auf Brauchbarkeiten zu
untersuchen,und möblierte auf diesem Weg langsam die Pfaffei aus und die Schule, auch die
Försterei und die Küsterwohnung. Es kam immer einmal wieder ein Gerät zum Vorschein, nur
daß man reichlich zu flicken hatte daran. Man fand noch zu verschiedenen Malen Roggenkorn,
und sogar etwas Hafer; auch auf Weizen stieß man, aber er hatte leider zu keimen
angefangen an seinem Ort, und daselbst eine bleiche und geisterhafte Blindenanstalt
eingerichtet, die niemand etwas nützen konnte.Man zerstörte das Treiben und ging weiter
dem offenen Tag nach. Der Leutnant hatte durch Geduld und List das Zutrauen einiger Köter
gewonnen; die dressierte er auf die Jagd, und wurde nun gar nicht mehr ohne sie gesehen.
Jochens Kuh brachte ein Kalb zur Welt.Der lange Räuber fing an und kroch vors Haus, wo
Als Jochen diesen Erfolg Hansens merkte, hielt er mit seinem Knecht Rücksprache, um
heraus zu bekommen,was er etwa in dieser Art los hatte. Da war er von Hause aus ein
Schreiner und Tischler, konnte auch zierliche Sachen drehen, und, wie er schon bewiesen
hatte, mit dem Schnitzmesser umgehen. Das däuchte Jochen eben nicht viel. Als aber der
Knecht wieder auf seinen Beinen stehen konnte, tat er eine Schreinerwerkstatt auf, die
sich von selber, unter Jochens großer Zufriedenheit, zu einer allgemeinen Zimmerei
erweiterte.Und weil diese Kunst nun noch ungleich wichtiger und öffentlicher war, so
erlebte Jochen die Genugtuung, daß der Bauer Daniel mit ihm in Verhandlung trat wegen
Schaffner, Der Bote Gottes
21
Nachdem sie sich die Straße hinunter verzogen hatten,stand der Oberst etwa fünf Minuten
still und betrachtete nachdenklich den strohblonden Schopf des Hemdenmatzes,der zu seinen
Füßen auf der Erde saß und mit seinem Säbel spielte. In der Toreinfahrt stand mit
gesträubten Haaren ein Kater und schrie. Der einsame Gockel hinter dem Haus krähte. In der
Küche hantierte die Landstreicherin mit Geschirr. Es fiel ihm wieder ein,daß sie niemand
gehörte. Eigentlich ergab das ein sonderbares Gefühl; es beunruhigte und
beschäftigte.Herrgott, was für Verantwortungen er trug für diese wilde Seele. Er bekam
Herzklopfen, wenn er sie sah oder hörte, obwohl sie immer noch kein Zeichen von sich
gegeben hatte, als ob er ihr anfange, besser zu gefallen. Sie fuhr ihm wie aller Welt kühl
und gelassen über den Weg, und redete eigentlich nur mit
„Ja, so bischt du,“ stellte er fest. „Du giebscht einem deine Augen zu erkennen und fragscht: was wollet Ihr? Und ich habe einen Busch Rosen in der Hand. Meinscht du, daß ein solcher in übler Absicht zu dir kommt? Ich will dir etwas sagen: sei nicht hochfahrend und auch nicht traurig, sondern siehe zu,daß du dich erheiterscht mit Menschen. Du gehörscht nirgends hin, und wir gehören alle nirgends hin. Das ischt die Zeit. Vielleicht gehörten wir auch nirgends hin, wenn eine ganz andere Zeit wäre. Darum so tun wir uns zusammen, ob wir vielleicht wieder eine Freude bereiten und uns bessern, und eine Heimat machen. Und ich wollte dir sagen und dir vorschlagen,Mädchen Helene: mache eine Heimat mit mir. Du kennscht mich jetzt. Ich bin der Dümmschte nicht und der Faulschte auch nicht. Wir fangen eine Hofschtatt an und schaffen uns einen Reschpekt unter allem Volk
21*
Helene hatte ihm während seiner Rede ein wenig erstaunt, doch völlig ungerührt ins Gesicht geleuchtet.Nun schüttelte sie leichthin den dunklen Kopf und wandte sich ab.
„Nein, ich will nicht,“ beschied sie ihn mit ihrer metallklaren Stimme. „Sorgt für die Bande; ich hab' Euch nicht nötig.“ Sie verschärfte den Ton wieder.„Und ich habe Euch schon gesagt: Ihr gefallt mir nicht.Ihr seid mir zu kälbermäßig und herrisch dabei. Geht heim zu Euren Kuhmäulern.“
Er ließ den Kopf hängen vor diesem unzugänglichen Fels und seufzte.
„Magscht denn du keinen Frieden?“ fragte er traurig.„Du freuscht dich nie und hascht nichts lieb, nicht einmal dich, wie es scheint, geschweige andere. Wir wollen dich fröhlich machen, wie wir selber sind. Nimm diese Rosen.“
Helene verzog den Mund.
„Begreift Ihr denn nichts? Ich kann Euch nicht ausstehen. Macht meinetwegen den Teufel fröhlich.Aber geht mir aus der Küche, oder ich sage noch etwas,das mich reut nachher.“
Der Schweizer war nahe am Heulen. „Warum hassescht du mich denn?“ fragte er schwermütig.
Als er keine Antwort bekam, legte er den Strauß auf den Küchentisch, drehte sich halb um,
hatte eine Art Vision,in der er sie flüchtig begriff als sein Gegenteil und feindliches
Prinzip, fiel wieder in die Wirklichkeit und
wußte so wenig als vorher, außer, daß er es gerade noch gewußt habe. Er verließ die Küche und sagte zu seinem kleinen Geist, er solle sie aufgeben; das tat der zwar, aber verbessert war nichts damit. Er ging aufs wilde Feld hinaus nachdenken, kam nicht zum Essen heim,fiel von einer Passionszeit in die andere, pilgerte zu Stummels Grab und heulte dort ein bißchen, kam sich siebenmal so einsam vor als jemals, und fand die Welt und das menschliche Herz hundsmiserabel eingerichtet.
un fing die Ernte an, und der Oberst hatte wieder N eine Freude. Er dachte daran, wie er mit dem Bauern den Pflug am Strick durch den Boden gerissen und nach dem ersten Gerstenfund gerade noch einmal soviel mit den Kindern umgelegt hatte. Jetzt stand es fröhlich da, und der Bauer machte wieder muntere Augen. Er spaßte sogar mit den Kindern:
„Ha ja, jetzt bin ich der reichste Bauer im Bann.Ich weiß gar nicht mehr recht, soll ich mit euch Lausbuben noch reden oder nicht. Die Christine wird Augen machen, hoho.“
Das war des Schweizers Genugtuung. Er hütete sie und sagte keinem Menschen ein Wort
davon. Im ganzen machte sie ihn nicht lustiger. Wie des Bauern Wagschale vor Behagen sank,
so stieg die seine aus Mangel in die leere Luft. Es war ihm, als seien
Mittlerweile kam der Roggen heim, und der Lizentiat warf die drei Paare von der Kanzel, sich mit der Seniorin Cordelia zuletzt auf die andern beiden. Am nächsten Sonntag traute er sie, am Schluß sich selber mit eben dieser Jungfrau Cordelia. Er fragte sich laut im Angesicht Gottes: „Liborius Elfentag Stockholz,Diener des Herrn an dieser Gemeinde Wullenhausen,willst du die christliche Jungfrau Cordelia von Reschen zum Ehegemahl nehmen und ihr treu verbleiben in Zucht und Gottesfurcht bis zum Tode ?“ und antwortete tief und ergriffen: „Ja, ich will!“ Darauf fragte er die Jungfrau, ob sie auch wolle; sie wollte gleichfalls und er gab sie mit sich zusammen. Nach dem Gottesdienst führte der Oberst die neuen Ehepaare im Namen des Kaisers offiziell in ihre Amtswohnungen ein.
An der schönen Ernte des Bauern Daniel hatten vom Obersten aus alle mithelfen müssen,
weil man nachher doch auch die Wintersaat und einiges Brot davon zog. Aber der Schuster
hielt diese viele Arbeit nicht länger aus. Er legte sich hin und starb im Verlauf von drei
Tagen an einem inneren Fieber, woran man sonst nicht so geradeaus zu verscheiden pflegte.
Der Leutnant,der ihn nun am besten kannte, sagte von ihm aus, wenn man ihm etwa aufs Grab
schreibe: „Hier ruht in Gott der Schuster Florian,“ so könne man einmal ganz sicher sein,
daß die Inschrift die Wahrheit aussage. Er habe so und so oft den Wald zu seinem Bett
gemacht, so werde er es auch fertig bringen, sich mit Gott zuzudecken.
Am andern Morgen machte der Bauer Daniel die Entdeckung, daß sein kleiner blonder Knecht
und die junge Landstreicherin verschwunden waren. Es hatte nur auch gar niemand etwas
gemerkt von einem Einverständnis. Hinterher fiel es dem Bauern ein, daß er sie in der
letzten Zeit etwa zwei oder dreimal miteinander reden gesehen hatte, aber nicht lustig
oder poussierlich, sondern eben ganz gewohnheitsmäßig; das war wohl in Ungarn so der
Brauch. Ihre Geschwister hatte Helenye dem Bauern und der Gemeinde überlassen.Der Oberst
dachte lange und gründlich nach. Am Abend des zweiten Tages brachte er das Erkenntnis ans
Licht: „Es ischt ein Rabenaas und man muß es laufen lassen. Man kann nicht Weschtwind und
Oschtwind miteinander haben, sonscht gibt es nur Wirbel und Gewitter.“ Erst viel später
stellte es sich heraus, daß die beiden Einträchtigen ein paar Stunden weiter im Land sich
auf eigene Faust angesiedelt hatten; das war ihnen ersprießlicher vorgekommen, als den
dummen Bauern Knecht und Magd zu machen. Man sieht
Er stieg vor der Herberge ab, die ihm anbefohlen war, fragte nach dem Markt und erfuhr,
daß heut nichts zu handeln sei, weil eine Hochgerichtsaktion vor sich gehe über einen
Magier, der verbrannt, und einen Strauchdieb, der gehängt werden solle. Das kümmerte ihn
zunächst nichts; aber dann wurde der Strom auf der Straße so stark, daß er doch mit mußte.
Er kam auf den Gerichtsplatz, kriegte einen viel besseren Standpunkt, als ihm wichtig war,
und sah mit Befremden und Mitleid die armen Teufel, den Sternseher Balduinus Alizel und
den dicken Junker Waldemar Rolandus, vom Henker an Stricken durch die Volksmenge zu ihrer
elenden Erfüllung schleppen. Die Leute erzählten wieder einmal alles, was sie wußten und
nicht wußten. Der Alte sei ein Hexenmeister und habe seinen eigenen Vater umgebracht, um
mit seiner Seele schwarze Magie zu treiben. Der dicke Beutelschneider habe den Torwächter
erstochen, um ein spitzbübisches Schustersehepaar aus der frommen Stadt zu entrücken, das
bei eben diesem Sternseher Silber und Gold gestohlen habe. Es war klar, daß da ein
Zusammenhang bestand, und jeder
Der betrat inzwischen an der Hand des Sternsehers den engeren Kreis, der von Stadtknechten abgesperrt war. Er sah etwas blaß und übernächtig in den Tag, hatte nichts von seiner kavaliermäßigen Leichtigkeit und guten Haltung verloren, und auch nichts von seinem Bauch, und blickte gelassen und fast belustigt in die dummen Vettermichelgesichter, die ihn an seinem Weg wie Schweißtropfen an den Rändern einer Wunde von beiden Seiten anstarrten. Er sah ein, daß es eigentlich nicht ihm schlecht ging, sondern diesem weiten,summenden Volk, das sozusagen ein offenes Bein hatte und es nicht inne wurde, weil es so groß war; es war doch viel tausendmal größer als der große Drache, der es erst nach vier Wochen im Kopf spürte, wenn ihn ein Tausendfüßler unterm Schwanz zwickte.
Der Sternseher freute sich auf den Tod. Er stolperte ihm auf seinen alten Füßen aufgeregt
und fröhlich ent
Der Mönch trat auf mit seinen groben Symbolen,und wurde vom Sternseher mit dem hellen
Spott des Verklärten weitergeschickt, und vom Junker mit einem halb scheuen Dank und
Lächeln höflich abgelehnt.Das Volk summte. Der Alte nahm den Kopf des weitläufigen
Burschen zwischen seine Hände und drückte ihm einen Kuß auf die Stirne, wozu er sich ein
wenig
Der Bauer Daniel suchte nach diesen Geschichten
Am andern Tag war großer Pferde und Viehmarkt;das paßte ihm wie bestellt in seinen
Auftrag. Er sollte vom Obersten aus den Roßbock verkaufen und für sich eine trächtige Kuh
dagegen einhandeln. Mit den beiden Rüpeln dachte der Schweizer schon fertig zu werden; aus
lauter Liebe zum Bauern Daniel war er doch noch einmal der Ungerechtigkeit in die Hände
gefallen mit seiner munteren Hirtenseele. Außerdem sollte der Bauer für das vom Kuhkauf
übrig bleibende Geld Werkzeuge und Nägel und einen ganzen Sack voll anderer
Notwendigkeiten anschaffen. Es war ein Geschäft, das einen Vormittag reichlich ausfüllte.
Indessen verkaufte er den Gaul ziemlich rasch, erhandelte die Kuh,brachte sie in die
Herberge, und ging gleich wieder weg, kam mittags bepackt wie ein Maulesel zurück,lud ab,
aß etwas, und fragte endlich nach der Sternseherei. Der Wirt dachte, er wolle bei der
Versteigerung mit handeln, die heute dort vor sich ging,und wies ihm seinen Weg. Daniel
wunderte sich flüchtig über den Ton, in dem es geschah wie über eine gerade sehr bekannte
Sache, machte sich jedoch ohne Redensarten auf die Füße dahin. Er malte sich aus,
Er traf alles anders, und bekam dazu noch so bedenkliche und elende Auskünfte, daß es ihm ganz grau vor den Augen wurde, und er mit leeren Blicken und sausenden Ohren in die Verwüstung starrte und lauschte, mit der ihn das Juden und Maklerwesen der Versteigerung umgab. Ha ja, also ihr Vetter war das gewesen gestern auf dem Scheiterhaufen. Schlecht bedient war sie mit dieser Vetterschaft, mußte man sagen. Die Base Luna hatten sie ins Kloster gesteckt, und der alte Vogelfänger war unter dem Prozeßbetrieb kindisch geworden und saß nun zwischen den Narren. Wo das Mädchen Christine hingekommen war, konnte ihm lang keiner sagen. Schließlich erfuhr er, daß sie mit dem Schustersjungen an der einen Hand und einem Bündel an der andern die Stadt hinauf gegangen sei.
Das gute Herz des Bauern Daniel tat einen Juchhesprung: war sie mit dem Bündel die Stadt
hinauf, so war sie auch aus dem Tor, und wanderte jetzt auf der Straße nach Wullenhausen
zum Bauern Daniel. Auf einmal wurde dieser steifknochige Bauer beweglich. „He,hoppla,
macht Platz, ich hab's eilig. Ha, laßt mich durch,sag' ich.“ Es setzte schon Rippenstöße
von seiner und Flüche von allen anderen Seiten. Fäuste und Stöcke flogen in die Luft und
fuhren auf den Schädel des rabiaten Bauern herunter. Aber er scherte sich den Teufel um
Fäuste und Stöcke. „He, hoppla, Platz gemacht!“ Verprügelt und verflucht gelangte er aus
dem Gedräng und die Straße
Gegen Abend fand er das Mädchen Christine vor der untergehenden Sonne am Straßenrand
sitzen mit dem Schusterskind. Der Knabe weinte vor Hunger und Müdigkeit, und Christine
wußte ihrer Seele keinen Rat mehr.Ihr Unternehmungsgeist und wackerer Mut hatte sie
vollständig verlassen, wie es solchen schmalkopfigen Christen gewöhnlich geht, wenn sie
einmal eine vernünftige Idee auf eigene Rechnung ausführen sollen. Der Bauer gab dem
Jungen ein Stück Brot aus seinem Sack, und dem Mädchen Christine gute Worte aus seinem
Kopf, beobachtete mit hellen Augen, wie die hungrigen armen Seelen die Lebensmittel in
sich hinein aßen, und gab immer noch mehr dazu, bis es fürs erste ausreichte. Er warf
seine Packen und Bündel ins Gras, ließ die Kuh weiden,setzte sich zu Christine, und fing
nun erst ein rechtes
In diesem Moment geschah noch etwas ganz besonderes.Die Kuh auf der Wiese hörte auf zu
weiden, stellte die Ohren, drehte die breite Nase nach der Straße, von wo sie hergekommen
war, zog Luft ein und gab ihrem Bedenken durch ein tiefes, bedeutungsvolles Brummen
Ausdruck. Dagegen klang ein helles Gewieher die Straße herauf, das schon selber wie auf
Hufeisen herfuhr, und dahinter kam hoch erhobenen Kopfes der schwarze Bauernhengst des
Obersten angetanzt mit einem so wunderlich leichtfüßigen Füllentrab, daß er nur ganz
kleine Staubwölkchen unter sich aufbrachte, für jeden Huf immer eines. Er wieherte noch
einmal, warf bereits den dicken Kopf in der Luft herum zur Begrüßung, und stand vor dem
Bauern Daniel, schnaubend und dampfend, gezäumt und gesattelt, und stieß ihm die heiße
Nase ins Gesicht,bevor er noch recht wußte, um was es sich bei diesem Spaß handelte.
Schließlich ging ihm doch das ent
Schluß
Wäre dem Obersten diese erquickliche Gemütsregung eines Tieres, um das er sich doch nicht besonders gekümmert hatte, in die Wissenschaft getreten, so hätte er vielleicht seiner Verlassenheit aufgeholfen damit, und gar einen Ersatz für den guten Hund Stummel bekommen. Aber er stand in dieser Nacht dunkel und freudlos im wilden Feld, hatte seinen Gram wegen der miserablen Einrichtung des menschlichen Herzens um sich ausgebreitet wie einen Prophetenmantel, und sah wieder mit dem gespannten Glühen im Auge am Himmel das Südlicht erwachen und mit Gestalten und Bildern vor seiner tieferregten Anschauung innig aufschäumen.Er biß die Zähne aufeinander wie vor der Leiche seines vierbeinigen Freundes, und stöhnte vor Verlassenheit.Er hatte als Pionier und Kulturfaktor, wie sein Wille nun einmal entbrannt war, Heimaten geschaffen, und durch seine wohlmeinende Klugheit aus dem Nichts Zufriedenheiten hervorgezogen; für ihn war nichts unter dem Fischzug gewesen und er war auch selber kein Fisch,
Schaffner, Der Bote Gottes
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Er begann Holz zu suchen und schichtete einen Reisighaufen, der nicht viel kleiner
ausfiel, als der Holzstoß, auf dem sie in der Stadt dem Teufel seinen Magier verbrannt
hatten. Er verbrannte keinen Magier darauf,sondern den kaiserlichen Obersten und Ritter
von Holdrio aus Ungarn an der Grenze. Als es recht schön lohte und flammte, legte er Hand
an sich und löste die Sterne von seiner Schweizerbrust. „Ihr habet eine kleine Nacht
geschienen,“ sagte er zu ihnen, „da ischt ein Zeugs zueinander gekrochen und hat jetzt
seine Meinung. Gehet hin und schauet, wo die Sonne ischt.“ Damit meinte er nichts als
seine nächste Form, nach der er aussah.Er riß auch die Tressen von seinem Rock und warf
sie samt den Sternen ins Feuer. Es fing ihm an zu leichtern. Er schwatzte mit sich und
lachte sogar. Er dachte an die junge Gemeinde Wullenhausen, und guckte in die Vorstellung
hinein wie in einen vergangenen Traum. „Es ischt meineidig wunderlich,“ fand er, und
schüttelte den Kopf. Er begann zu singen, zuerst in der
2*
Der Bauer brachte keine Mitgift, sondern Nägel und Werkzeuge, eine trächtige Kuh, den
verwaisten Roßbock des Obersten, das Kind der Schusterin, und das Mädchen Christine. Sie
nahmen ihn ins Kreuzverhör, konnten aber nichts herausbringen. Nachdem sie acht Tage
gewartet hatten, wollten sie das Pferd an sich ziehen, bekamen es mit den blonden Lümmeln
zu tun und mußten es ihnen lassen. Weil es sich herausstellte, daß die sich nun erst recht
nicht darüber einigen konnten, boten sie es doch den Honoratioren
Da dem Knaben Hans der Schuster aus dem Kontrakt heraus gestorben war, kam er mit dem Bauern Daniel überein, daß sein Zweitältester an die leere Jägerburschenstelle neben den Leutnant trat. Dafür liefen nun Daniels Jungen jahrelang mit rehledernen Kreisen und Dreiecken auf den Sitzverschwiegenheiten durch die Dorfgassen. Die Schusterin blieb samt ihrem Jungen mit Christines Willen auf Daniels Hof, der ihre braven Hände auch gut brauchen konnte. Inzwischen feierte das Paar Hochzeit. Der Leutnant gab ein paar Schüsse ab. Die beiden Lümmel mußten mit Blumen umwundene Stöcke vor den Hochzeitern herschwenken, was ihnen sehr sonderbar vorkam. Der Magister brachte den Kindern zu dem Anlaß das erste Lied bei; sie schrieen es in der Kirche.
Eines Tages sah der Knabe Hans den Vorteil ein,den der Bauer Daniel durch den
Menschenreichtum seines Hofes vor ihm voraus hatte. Er nahm mit der Schusterin
Rücksprache, und die Folge war, daß sie als Hansens Frau mit ihrem Jungen vom Hof Daniels
auf den seinen zog. Diesmal schwang Jochen
E
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Mit wahrem Entzücken versenkt man sich in diese Kleinkunst, die so herzenswarm und
sinnig, so frisch und schelmisch, nur allein deutschem Geist entspringen kann! Wie da
jedes Eckchen des alten Schuhmacherhauses zwischen den zwei „Strömen“ (dem Rheinstrom auf
der einen und dem Menschenstrom der Gasse auf der anderen Seite)mit einer Liebe durchsonnt
wird, die ihm Leben, Wärme, Bedeutung und Fülle gibt, das ist die echte germanische
Dichterfähigkeit, das Große im Kleinen zu erkennen, das Schöne im Unscheinbaren, das
Weltweite, Ewige im räumlich Engsten. (Die weite Welt)Die Erlhöferin. Roman. (zFischers
Bibliothek zeitgenössischer Romane)Ein Buch, gleich ausgezeichnet durch eine von Anfang
bis zu Ende gleich spannende, dabei niemals auf grobe Effekte abzielende, oft von
dramatischem Leben erfüllte Handlung, durch einen wunderbaren Stimmungsreiz und echtes
Lokalkolorit. Mit großer künstlerischer Meisterschaft weiß Schaffner dem alten Stoffe des
Bruderzwistes neue Seiten abzugewinnen, neue Töne weiß er anzuschlagen in dem alten und
doch ewig neuen Liede von der Liebe des echten und unechten Sprossen desselben Vaters zu
dem gleichen Mädchen.Da ist nichts zu spüren von „epischer Breite“, die so oft herhalten
muß, wenn der Nomanschreiber die Dürftigkeit der Handlung durch unbegründete Längen der
Darstellung zu verdunkeln sich abmüht,ruhig und gleichmäßig und mit zwingender innerer
Noiwendigkeit geht das Schicksal seinen Gang. (Straßburger Post)Die Laterne. Novellen.
Zweite Auflage.Der Novellenband wird eingeleitet von einer Erzählung „Grobschmiede“, und
sie ist das Schönste, was ich seit langem gelesen habe.Mit einer schalkhaften Innigkeit,
einer treuherzigen Wärme, einer festen Behaglichkeit wird der durchaus nicht ungewöhnliche
Stoff ausgebreitet und vorgetragen, daß man in allen Tiefen entzückt ist; die ganze Her
lichkeit unserer liebsten deutschen Meister dringt dabei auf uns ein, und am Ende hat man
das Gefühl, daß man etwas wundervoll Frohes
Weniger das Buch als der Typus ist das Interessante an den Wanderbriefen dieses
Schweizers. Mit dem neuen Dichtertyp der Jensen und der Schaffner reguliert sich das
schwankende Verhältnis des Ich zur Welt als künstlerischem Objekt wieder: das Blut des
Kosmos kreist in ihren Adern, die Stürme des Alls brausen in ihrer Brust. Sie sind
Romantiker von Geblüt, aber sie haben der Romantik einen neuen Sinn gefunden, der ihr
Rückgrat gibt: der Rausch ihrer schöpferischen Umarmung begreift den Fortschritt unserer
wirtschaftlichen Kräfte in sich. Sie reisen, wie die Nomantiker von einst, aber ihre
Reisen wissen nichts von Empfindsamkeit; sie sind Auswanderer, Goldgräber in den
unerforschten Fernen, die uns solange tot und seelenlos erschienen. Sie sind Poeten des
zwanzigsten Jahrhunderts. Das literarische Echo)Konrad Pilater. Roman. Dritte
Auflage.Konrad Pilater läßt sich auf vieles ein als guter Kerl, aber im rechten Augenblick
nimmt er seine Unabhängigkeit und Unverschämtheit immer wieder zu sich. Die Hauptmasse des
Romans gilt der überaus anmutigen Schilderung des Bräutigams und angehenden Meisters, wie
er Schritt für Schritt ins Philisterium tritt. Aber das Eigentliche ist das nicht. Das
Eigentliche für Schaffner oder Pilater ist die regenbogenfarbene Sehnsucht, oder wie es
seine reifere Männlichkeit nun empfindet, das Weltgefühl, dieses Zucken in der Brust von
Drang, Willen, Anziehung aller Dinge über uns und unter uns. Warum zieht die Erde am
Monde,wovon strahlen die Kinderaugen, wodurch ist das Gras grün?Woher sind alle diese
Dinge gekommen? Pilater vermißt sich nicht, die letzten Fragen zu beantworten, aber er hat
das Recht,so keck zu fragen, weil er das Ein und All fühlt als schmerzlich süße Gewißheit
in der eigenen Brust, und es ist eben diese mit Verstandes helle glücklich geeinte
Gemütsgewalt, die ein so herzliches wie kluges, die ein so deutsches Buch hervorgebracht
hat.Vossische Zeitung, Berlin)Druck von Wilhelm Hecker in Gräfenbainichen.